Theologie und Alltag: Lehre und Leben in den Predigten der Tübinger Theologen 1550-1750 3161460286, 9783161460289, 9783161585579

Diese Arbeit, die mit dem Johannes-Brenz-Preis ausgezeichnet wurde, verbindet auf der Quellenbasis von rund 1000 Predigt

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German Pages 491 [493] Year 1993

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Titel
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
A. Einleitung
I. Das Forschungsvorhaben
II. Methode und Vorgehensweise
B. Theoretische Grundlegung: Theologie – Predigt – Alltag
I. Staatliche Rahmenbedingungen im Herzogtum Württemberg
1. Statuten und Ordinationen der Universität Tübingen
2. Die Württembergische Große Kirchenordnung
II. Kirchlich-theologische Rahmenbedingungen im Herzogtum Württemberg
1. Die Bekenntnisse
2. Die Katechismen
3. Die Kompendien
4. Zur Homiletik der lutherischen Orthodoxie
4.1 Die Tübinger Theologen
4.2 Die Predigt der lutherischen Orthodoxie
III. Alltag und Frühe Neuzeit
C. Die Praxis der Predigt
I. Das Welt- und Menschenbild der lutherischen Orthodoxie
1. Gott und Welt
2. Gott und Mensch
3. Mensch und Welt
II. Die Legitimation der lutherisch-orthodoxen Lehre
1. Rechtfertigung und Weltgestaltung
1.1 Rechtfertigung und Heiligung
1.2 Gesetz und Evangelium
1.3 Wiedergeburt
1.4 Buße
1.5 Sünde
1.6 Das Verhältnis von Gnade und guten Werken
2. Der Trost der Christologie
3. Sakramente und Lebenswandel
3.1 Die Qualität der Sakramente
3.2 Taufe und Lebenswandel
3.3 Abendmahl und Lebenswandel
4. Vom Jüngsten Tag zum Jüngsten Gericht: Die Frage nach dem Seelenheil
5. Der Katechismus: Summa christlicher Lehre
III. Dimensionen des Alltags in der Frühen Neuzeit
1. Leben im Alltag der Welt
1.1 Der Lebensbereich des Hauses
1.1.1 Heirat und Ehe: Zum Verhältnis der Geschlechter
1.1.2 Kinder und Kindererziehung
1.1.3 Das Gesinde im Haus
1.2 Der ökonomische Lebensbereich
Exkurs: Arbeit als Fluch
Exkurs: Kaiserliches Recht contra biblische Norm
1.3 Der politische Lebensbereich
2. Die Bedrohung des Kosmos
2.1 Christ und Welt: Die Konkurrenz der Normen
2.2 Zeichen der Zeit: Der Anfang vom Ende?
2.3 Gegenwelt: Das Paradies auf Erden
3. Heilsvertrauen und Welterfahrung
3.1 Leben im Angesicht des Todes
3.2 Eine Provokation: Der Prophet aus Gerlingen
3.3 Leben als Passion?
D. Synopse: Theologie und Alltag. Zur Funktion der Theologie
I. Der „Erfolg“ lutherisch-orthodoxer Predigt: Das Verhältnis von Lehre und Leben
II. Die Deutung und Bewältigung des Alltags
1. Kontinuitäten und Diskontinuitäten
2. Lutherische Orthodoxie und Pietismus
III. Die gesellschaftliche Funktion der Theologie
1. Herrschaftsordnung und christliche Freiheit
2. Gesetz und Gewissen: Das Verhältnis von Tradition und Moderne
E. Schluß
Anhang
Tugend- und Lasterspiegel
Exemplarische Beschreibung eines christlichen Lebens
Die Lehrstühle der Tübinger evangelisch-theologischen Fakultät und ihre Inhaber im Überblick
I. Quellenverzeichnis mit den Kurzbiographien der Tübinger Theologen
II. Literatur
Orts- und Personenregister
Sachregister
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Theologie und Alltag: Lehre und Leben in den Predigten der Tübinger Theologen 1550-1750
 3161460286, 9783161460289, 9783161585579

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Spätmittelalter und Reformation Neue Reihe herausgegeben von Heiko A. Oberman in Verbindung mit Lothar Graf zu Dohna und Kaspar Elm

3

Theologie und Alltag Lehre und Leben in den Predigten der Tübinger Theologen 1550—1750

von

Sabine Holtz

ARTIBUS

J.C.B. Mohr (Paul Siebeck) Tübingen

Die Deutsche Bibliothek — Holtz,

CIP-Einheitsaufnahme

Sabine:

Theologie und Alltag : Lehre und Leben in den Predigten der Tübinger Theologen 1 5 5 0 - 1 7 5 0 / von Sabine H o l t z . - T ü b i n g e n : Mohr, 1993 (Spätmittelalter und Reformation ; N . R . , 3 ) ISBN 3-16-146028-6 NE: G T

978-3-16-158557-9 Unveränderte eBook-Ausgabe 2019

© 1993

J . C . B . Mohr (Paul Siebeck) Tübingen.

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Ubersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Computersatz Staiger in Pfäffingen aus der Bembo-Antiqua belichtet, auf säurefreies Werkdruckpapier der Papierfabrik Niefern gedruckt und von der Großbuchbinderei Heinrich Koch in Tübingen gebunden. ISSN 0 9 3 7 - 5 7 4 0

Meinen Eltern

Vorwort

Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 1991 von der Geschichtswissenschaftlichen Fakultät der Eberhard-Karls-Universität Tübingen als Dissertation angenommen. Angeregt und betreut wurde die Arbeit von Professor Dr. Hans-Christoph Rublack, der den Werdegang der Arbeit stets mit ermunternder und konstruktiver Kritik begleitete und Anstöße zu weiterfuhrenden Fragestellungen gab. Diesen kontinuierlichen Austausch ermöglichte Professor Dr. HansChristoph Rublack sogar in der letzten Phase der Fertigstellung, als er eine Gastprofessur in Tucson, Arizona, übernahm. Seine wissenschaftliche Begleitung schränkte nie ein, ließ stets große Freiräume und förderte in hohem Maße selbständiges wissenschaftliches Arbeiten. Für diese liberale und tolerante Betreuung bin ich ihm zu großem Dank verpflichtet. Bei meinen weiteren Gutachtern, Professor Dr. Dieter Mertens (Freiburg) und Professor Dr. Volker Drehsen (Bayreuth), möchte ich mich für wissenschaftlichen Rat, vielfältige Hilfestellungen und ihre Bereitschaft, die Arbeit in den verschiedenen Entwicklungsstadien kritisch zu bewerten, bedanken. Ein Promotionsstipendium nach dem Graduiertenförderungsgesetz des Landes B a d e n - W ü r t t e m berg ermöglichte eine lange Phase konzentrierten Arbeitens. Zu danken habe ich Professor Dr. Heiko A. Oberman (Tucson, Arizona), Professor Dr. Kaspar Elm (Berlin) sowie Professor Dr. Lothar Graf zu Dohna (Rehden) für die Aufnahme der Untersuchung in die von ihnen herausgegebene R e i h e „Spätmittelalter und Reformation (Neue R e i h e ) " . Besonders dem Engagement Professor Dr. Heiko A. Obermans ist es zu verdanken, daß die Drucklegung so reibungslos und zügig vonstatten gehen konnte. Frau Dr. Monika Hagenmaier-Farnbauer gilt mein besonderer Dank für ihre kompetente, konstruktive und ermutigende Kritik in allen Entstehungsphasen meiner Arbeit. Von unschätzbarem Wert waren auch die Debatten langer Dauer in dem von Professor Dr. Hans-Christoph Rublack seit vielen Jahren als Forum zur Diskussion von Forschungsproblemen der Sozialgeschichte Früher Neuzeit geleiteten Tübinger Oberseminar; ihm verdanke ich wichtige Anregungen und Kontakte. Den Mitarbeitern der von mir benutzten Bibliotheken, allen voran der Tübinger Universitätsbibliothek, besonders dem Team des Lesesaals, sowie der Bibliothek des Evangelischen Stifts in Tübingen, der Württembergischen Lan-

VI

Vorwort

desbibliothek in Stuttgart und der Herzog-August-Bibliothek in Wolfenbüttel danke ich für stete Hilfsbereitschaft. Bei dem Direktor des Landeskirchlichen Archivs in Stuttgart und Vorsitzenden des Vereins für württembergische Kirchengeschichte, Herrn Dr. H e r mann Ehmer, möchte ich mich stellvertretend für die Auszeichnung mit dem erstmals verliehenen Johannes-Brenz-Preis bedanken. D i e rasche Drucklegung wurde erheblich erleichtert durch die bereitwillige Unterstützung von Professor Dr. Sönke Lorenz. Großzügige finanzielle Druckzuschüsse erhielt ich von der LG-Stiftung Kunst und Kultur, der Evangelischen Landeskirche in Württemberg, der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands sowie der Vereinigung der Freunde der Universität Tübingen (Universitätsbund) e. V. Dafür sei an dieser Stelle allen Förderern gedankt. Abschließend möchte ich meinen Dank sagen Professor Dr. Dieter M e r tens, dem damaligen Direktor, und Professor Dr. Sönke Lorenz, dem jetzigen Direktor des Instituts für Geschichtliche Landeskunde und Historische Hilfswissenschaften an der Universität Tübingen, für die optimalen Arbeitsbedingungen, das ausgezeichnete Arbeitsklima und die unbürokratische Förderung. Z u m Erfolg des Vorhabens haben auch die Mitarbeiter des Instituts durch ihre stete Diskussionsbereitschaft beigetragen, wofür ich Ihnen danken möchte. Für die Unterstützung bei der Korrektur der Dissertation danke ich Frau Monika Hereth sowie den Herren Christoph Bauer, Erik Deutscher und J o hannes Wahl. Nicht zuletzt gilt mein Dank dem Verlag J. C. B. M o h r (Paul Siebeck) und seinen Mitarbeitern für die kooperative Betreuung bei der Drucklegung. Tübingen, im Januar 1993

Sabine Holtz

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

V

Abkürzungsverzeichnis

A. Einleitung I. Das Forschungsvorhaben II. Methode und Vorgehensweise

B. Theoretische Grundlegung: Theologie — Predigt — Alltag I. Staatliche Rahmenbedingungen im Herzogtum Württemberg 1. Statuten und Ordinationen der Universität Tübingen 2. Die Württembergische Große Kirchenordnung II. Kirchlich-theologische Rahmenbedingungen im Herzogtum Württemberg 1. 2. 3. 4.

Die Die Die Zur 4.1 4.2

Bekenntnisse Katechismen Kompendien Homiletik der lutherischen Orthodoxie Die Tübinger Theologen Die Predigt der lutherischen Orthodoxie

III. Alltag und Frühe Neuzeit

C. Die Praxis der Predigt I. Das W e l t - u n d Menschenbild der lutherischen Orthodoxie 1. Gott und Welt 2. Gott und Mensch 3. Mensch und Welt II. Die Legitimation der lutherisch-orthodoxen Lehre 1. Rechtfertigung und Weltgestaltung 1.1 Rechtfertigung und Heiligung 1.2 Gesetz und Evangelium 1.3 Wiedergeburt

IX

1 1 8

14 14 14 20

24 24 29 32 38 38 42 49

51 51 51 59 65 71 71 71 79 90

VIII

Inhaltsverzeichnis 1.4 B u ß e

92

1.5 Sünde

100

1.6 Das Verhältnis von G n a d e und guten Werken

105

2. D e r Trost der C h r i s t o l o g i e

109

3. Sakramente und Lebenswandel

121

3.1

D i e Qualität der S a k r a m e n t e

121

3 . 2 T a u f e und L e b e n s w a n d e l

124

3 . 3 Abendmahl und Lebenswandel

134

4. V o m Jüngsten Tag zum Jüngsten G e r i c h t : D i e Frage nach dem Seelenheil 5. D e r Katechismus: S u m m a christlicher Lehre III. D i m e n s i o n e n des Alltags in der Frühen Neuzeit 1. Leben im Alltag der Welt 1.1 D e r Lebensbereich des Hauses

143 171 187 187 187

1.1.1 Heirat und E h e : Z u m Verhältnis der Geschlechter

187

1.1.2 Kinder und Kindererziehung

201

1 . 1 . 3 Das Gesinde im Haus

212

1.2 D e r ö k o n o m i s c h e Lebensbereich

216

Exkurs: Arbeit als Fluch

226

Exkurs: Kaiserliches R e c h t contra biblische N o r m

229

1.3 D e r politische Lebensbereich

236

2. D i e B e d r o h u n g des Kosmos 2.1

Christ und Welt: D i e K o n k u r r e n z der N o r m e n

257 257

2 . 2 Z e i c h e n der Zeit: D e r Anfang vom Ende?

270

2 . 3 Gegenwelt: Das Paradies auf Erden

283

3. Heilsvertrauen und Welterfahrung 3.1

Leben im Angesicht des Todes

288 288

3 . 2 E i n e Provokation: D e r Prophet aus Gerlingen

297

3 . 3 Leben als Passion?

306

D. Synopse: Theologie und Alltag. Zur Funktion der Theologie

314

I. D e r „ E r f o l g " lutherisch-orthodoxer Predigt: Das Verhältnis v o n Lehre und L e b e n

314

II. D i e D e u t u n g und B e w ä l t i g u n g des Alltags

327

1. K o n t i n u i t ä t e n und D i s k o n t i n u i t ä t e n

327

2. Lutherische O r t h o d o x i e und Pietismus

337

III. D i e gesellschaftliche Funktion der T h e o l o g i e

348

1. Herrschaftsordnung und christliche Freiheit 2. Gesetz und Gewissen: Das Verhältnis von Tradition und M o d e r n e

E. Schluß

348 . . 362

372

Inhaltsverzeichnis

IX

Anhang

377

T u g e n d - und Lasterspiegel

379

Exemplarische Beschreibung eines christlichen Lebens

380

D i e Lehrstühle der T ü b i n g e r evangelisch-theologischen Fakultät und ihre Inhaber im U b e r b l i c k I. Quellenverzeichnis mit den Kurzbiographien der T ü b i n g e r T h e o l o g e n

382 . . 387

II. Literatur

449

O r t s - und Personenregister

471

Sachregister

475

Abkürzungsverzeichnis

ADB

Allgemeine Deutsche Biographie. Bd. 1 - 5 6 . Leipzig 1875-1912 ( N D Berlin 1967-1971).

BSLK

Die Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche. Hrsg. im Gedenkjahr der Augsburgischen Konfession 1930. G ö t tingen 1982 9 .

CA

Confessio Augustana.

CR

Corpus R e f o r m a t o r u m . Huldreich Zwingiis sämtliche Werke. Bd. 1 - 1 1 . Zürich 1982 ( N D Bd. 1 Berlin; Bd. 2 - 5 Leipzig; Bd. 6,1-6,2 Zürich, Bd. 7 Leipzig).

Ev. Stift

Evangelisches Stift, Tübingen.

EKG

Evangelisches Kirchengesangbuch. Ausgabe für die Evangelische Landeskirche in Württemberg. Stuttgart 1971 21 .

FC

Formula Concordiae.

HAB

Herzog August Bibliothek, Wolfenbüttel.

HStA Stuttgart

Hauptstaatsarchiv Stuttgart.

UAT

Universitätsarchiv Tübingen.

RE

Realencyclopädie für protestantische Theologie Bd. 1 - 2 4 . Leipzig 1896 3 ff.

RGG

Die Religion in Geschichte und Gegenwart. Bd. 1 - 6 , Registerband. Tübingen 1957 3 -1965 3 ( N D Tübingen 1986).

und

StA Ludwigsburg

Staatsarchiv Ludwigsburg.

TRE

Theologische Realenzyklopädie. Bd. 1 ff. Berlin 1977 ff.

UB HD

Universitätsbibliothek Heidelberg.

Kirche.

ÜBT

Universitätsbibliothek Tübingen.

WA

Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe. Bd. 1 ff. Weimar 1883 ff.

WA Deutsche Bibel

D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe. Die D e u t sche Bibel. Bd. 1 - 1 2 . Weimar 1906-1961.

WA Br

D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe. Briefwechsel Bd. 1 - 1 8 . Weimar 1930-1985.

WATr

D. Martin Luther's Werke. Kritische Gesamtausgabe. Tischreden. Bd. 1 - 6 . Weimar 1912-1921.

WLB

Württembergische Landesbibliothek Stuttgart.

A. Einleitung I. Forschungsvorhaben D i e Studie mit dem T i t e l »Theologie und Alltag. Lehre und L e b e n in den Predigten der T ü b i n g e r T h e o l o g e n 1550—1750« bewegt sich im B e r e i c h G e sellschaft und R e l i g i o n , einem der Forschungsbereiche der Frühen Neuzeit. A u f der Quellenbasis von T ü b i n g e r Predigten (1550—1750) werden t h e o l o g i sche und sozialgeschichtliche Fragestellungen zu neuen Erklärungsansätzen verknüpft, ein Vorgehen, das bislang in besonderem M a ß e im B e r e i c h der reformationsgeschichtlichen Forschung praktiziert wird. 1 D i e T h e m e n s t e l l u n g führt so einen interdisziplinären Dialog weiter in eine Z e i t langer Dauer. D i e im Herzogtum W ü r t t e m b e r g gelegene Universitätsstadt T ü b i n g e n 2 eignet sich besonders für eine mikrohistorische Analyse zu diesem T h e m a , da sich bei den T ü b i n g e r Predigern 3 — bedingt durch deren Stellung als Professoren der evangelisch-theologischen Fakultät und Inhaber württembergischer Kirchenämter — die Möglichkeit bietet, den T h e m e n k o m p l e x der Transformation von theologischer Lehre in sozialethische N o r m gewissermaßen a u f 1 WOLFC.ANG REINHARD: Möglichkeiten und Grenzen der Verbindung von Kirchengeschichte mit Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. In: Grete Klingenstein und Heinrich Lutz (Hrsg.): Spezialforschung und »Gesamtgeschichte«. Beispiele und Methodenfragen zur Geschichte der frühen Neuzeit (Wiener Beiträge zur Geschichte der Neuzeit, Bd. 8). München 1982, S. 243-278, hier S. 274. Vgl. PAUL MüNCH:Volkskultur und Calvinismus. Zu Theorie und Praxis der »reformatio vitae« während der »Zweiten Reformation«. In: Heinz Schilling (Hrsg.): Die reformierte Konfessionalisierung in Deutschland. Das Problem der »Zweiten Reformation«. Wissenschaftliches Symposium des Vereins für Reformationsgeschichte (Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte, Bd. 195). Gütersloh 1986, S. 291-307, hier S. 305 ff. An dieser Stelle muß eine generelle Vorbemerkung zur Zitierweise der im folgenden benutzten Predigten, Kirchengesangbücher, Erbauungsschriften etc. gemacht werden. Die vollständige Titelaufnahme dieser Schriften findet sich im Quellenverzeichnis. Diese Werke werden wegen der ausfuhrlichen Titelaufnahmen von Anfang an nur nach Kurztitel zitiert. Die Zitate werden kursiv gesetzt; in Anführungszeichen stehen normalisierte Zitate sowie Entlehnungen einzelner Begriffe. 2 RONNIE PO-CHIA-HSIA: Social discipline in the Reformation. Central Europe 15501750 (Christianity and society in the modern world). London, New York 1989, S. 15. Er weist auf die Bedeutung Tübingens bei der Ausbildung der Theologen hin: [...] Tübingen became the tmining Institution for the vast majority of Pastors in Württemberg. 3 Kurzbiographien zu den wichtigsten Tübinger Theologen sind ins Quellenverzeichnis integriert.

2

Einleitung

höchster Ebene zu untersuchen. Aufgrund dieser Verflechtung von Lehr- und Gemeindeamt handelt es sich nicht um eine bloße Reihenuntersuchung zur lutherischen Orthodoxie; sie verleiht vielmehr dem ganzen Verfahren den Charakter einer exemplarischen Untersuchung für die Geschichte des Protestantismus. Ausgangspunkt ist der unter Religionssoziologen bestehende breite K o n sens über die Erkenntnis, daß Religion zutiefst in den Prozeß der Konstitution der menschlichen Lebenswelt verwoben ist. 4 Religion — verstanden als Kompensation für nicht Deut- und Bewältigbares, als Symbol dafür, daß menschliches Leben nur als gesellschaftliches möglich ist, oder als Formel für Kontingenz — rührt stets von dem Versuch her, die individuellen und kollektiven Probleme der Lebensführung und der Weltdeutung zu bewältigen. Sie bietet Handlungsorientierung für die Welt, sie erlaubt es dem Menschen, in den von ihm geschaffenen Weltmustern sinnvoll handelnd tätig zu werden und versetzt ihn so in die Lage, etwaiger Resignation, Apathie oder Ohnmacht zu wehren. Diese Sinnwelten sind als historische Produkte dem Wandel unterworfen, sie werden von konkreten Personen oder Gruppen bestimmt. 5 Durch Abgrenzung von einer Umwelt entsteht ein soziales System, das zwischen der Komplexität der Welt und der anthropologischen Insuffizienz des Menschen vermittelt. 6 Dieses soziale System bildet den Kontext, in dem menschliches Erleben und Handeln sinnvoll erscheint. Die Binnenstruktur eines solchen Systems läßt sich in der Gesellschaft der Frühen Neuzeit formal durch drei Bereiche markieren, die wechselseitig miteinander verbunden sind. Der erste Bereich ist erfaßt über den Lebenszyklus des Individuums, das eingebunden ist in den zweiten Bereich der fundamentalen Lebensordnungen der frühneuzeitlichen Gesellschaft, worunter insbesondere das Haus zu zählen ist. Diesen beiden Strukturmerkmalen steht der Bereich der Kontingenz entgegen; eine Garantie für die Bestimmtheit seines Handelns können dem Menschen eingespielte gesellschaftliche Formen ebensowenig geben wie die von ihm geschaffenen Ordnungsgebilde. 7 Die Erfah4 INGO MÖRTH: Z u r Konstitutionsanalyse religiöser P h ä n o m e n e . K o n t i n g e n z u n d K o n s i s t e n z der Lebenswelt. In: W o l f r a m Fischer u n d W o l f g a n g M a r h o l d (Hrsg.): R e l i g i o n s s o z i o l o g i e als W i s s e n s s o z i o l o g i e . Stuttgart, B e r l i n , K ö l n , M a i n z 1 9 7 8 , S. 2 1 - 3 7 , hier S. 2 1 . 3

PETER

L. BERGER

u n d THOMAS

LUCKMANN: D i e

gesellschaftliche

Konstruktion

der

Wirklichkeit. F r a n k f u r t 1 9 6 9 , S. 124. 6 NIKLAS LUHMANN: S o z i o l o g i e als T h e o r i e sozialer Systeme. In: N i k l a s L u h m a n n (Hrsg.): S o z i o l o g i s c h e A u f k l ä r u n g . B d . 1. O p l a d e n 1 9 7 4 , S. 1 1 3 - 1 3 6 , hier S. 116. 7

VOLKER DREHSEN u n d H O R S T JÜRGEN HELLE:: R e l i g i o s i t ä t u n d B e w u ß t s e i n . A n s ä t z e

zu einer T y p o l o g i e v o n S i n n w e l t e n . In: W o l f r a m Fischer u n d W o l f g a n g M a r h o l d (Hrsg.): R e l i g i o n s s o z i o l o g i e als W i s s e n s s o z i o l o g i e . Stuttgart, K ö l n , Berlin, M a i n z 1 9 7 8 , S. 38—51, hier S. 42. Z u m B e g r i f f der K o n t i n g e n z vgl. a u c h MARTIN HONECKER: Perspektiven christlicher G e s e l l s c h a f t s d e u t u n g . G ü t e r s l o h 1 9 8 1 , S. 146. S o z i o l o g e n definieren R e l i g i o n als Kontingenzbewältigungspraxis. K o n t i n g e n z b e z e i c h n e t das Auffällige, das U n a b l e i t b a r e ,

Das

Forschungsvorhaben

3

rung der Abhängigkeit und Insuffizienz tritt dem Menschen in Gestalt von Tod, Leid, Mangel, Krankheit immer wieder konkret entgegen. Daß das solchermaßen in der Alltagswelt erfahrene Unheil gedeutet wurde als Antwort eines menschliche Vergehen strafenden Gottes, zeigen exemplarisch die Bußpredigten, mit denen zur Satisfaktion gegenüber dem zürnenden Gott aufgerufen wurde. Die theologischen Dimensionen von Strafe, Buße, Trost und Hoffnung waren in der Lebenswelt der frühneuzeitlichen Gesellschaft präsent. Im folgenden soll nun untersucht werden, welchen Beitrag die Theologie im Zeitalter der lutherischen Orthodoxie zur Entfaltung der Beziehungsstruktur zwischen den einzelnen Bereichen und damit zur Konstitution des Systems leistete. Dazu ist es notwendig, jenes Wissen zu analysieren, das handlungsleitend das Verhalten in der Alltagswelt regulierte. In der Gesellschaft der Frühen Neuzeit mit der institutionellen Durchdringung von Kirche und Staat kommt dabei der Theologie eine tragende Funktion zu. Im Anschluß an Max Weber und Ernst Troeltsch wird vom hermeneutischen Vorverständnis einer kirchlich und theologisch bestimmten Kultur der Frühen Neuzeit ausgegangen. 8 Traditioneller Ort der Vermittlung theologischer Lehre ist die Kirche. U n ter den verschiedenen Kommunikationsformen kommt in den Kirchen der Reformation der Predigt eine herausragende Rolle zu. 9 Der Ubergang von der Kirche der Sakramente zur Kirche des Wortes betraf nicht nur die Grundverfassung des Glaubens, die Art der Frömmigkeit und das kirchliche Leben, diese Verwandlung wirkte sich auch aus auf die Theologie, den Religionsbe-

das rational nicht Beherrschbare. Religion hat es mit absoluter Kontingenz zu tun, mit Fragen wie Tod, Schuld, Schicksalserfahrung. 8 Vgl. KASPAR VON GREYERZ: Stadt und Reformation. Stand und Aufgaben der Forschung. In: Archiv für Reformationsgeschichte 76 (1985), S. 6-63, hier S. 26 f. Vgl. HANS-CHRISTOPH RUBLACK: Lutherische Predigt und gesellschaftliche Wirklichkeiten. In: Hans-Christoph Rublack (Hrsg.): Die lutherische Konfessionalisierung in Deutschland. Wissenschaftliches Symposion des Vereins für Reformationsgeschichte 1988 (Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte, Bd. 197). Gütersloh 1992, S. 344-395, hier S. 3 4 4 3 4 8 . V g l . SHMUEL NOAH EISENSTADT: D i e p r o t e s t a n t i s c h e E t h i k u n d d e r G e i s t des K a p i t a l i s -

mus. Eine analytische und vergleichende Darstellung. Opladen 1971. REINHARD BENDIX: Max Weber. Das Werk. Darstellung, Analyse, Ergebnisse. München 1964. HANS LeuBE: Die altlutherische Orthodoxie. Ein Forschungsbericht. In: Hans Leube: Orthodoxie und Pietismus. Gesammelte Studien. Hrsg. von Dietrich Blaufuß (Arbeiten zur Geschichte des Pietismus, Bd. 13). Bielefeld 1975, S. 19-35, hier S. 34. Er charakterisiert die Orthodoxie als eine Kultur, in der neben Wissenschaft und Leben auch Staat und Kirche durch wechselseitige Verpflichtungen miteinander verbunden sind. 9 WOLFGANG SOMMER: Gottesfurcht und Fürstenherrschaft Studien zum Obrigkeitsverständnis Johann Arndts und lutherischer Hofprediger zur Zeit der altprotestantischen Orthodoxie (Forschungen zur Kirchen- und Dogmengeschichte, Bd. 41). Göttingen 1988, S. 14. Sommer bezeichnet hier das späte 16. und das gesamte 17. Jahrhundert als die klassische Zeit der lutherischen

Predigt. Vgl. MARTIN HECKEL: D e u t s c h l a n d i m k o n f e s s i o n e l l e n

Zeitalter (Deutsche Geschichte, Bd. 5). Göttingen 1983, S. 224.

4

Einleitung

griff u n d das M e n s c h e n b i l d . 1 0 D i e religiöse Existenz ist n u n allein v o n der Selbständigkeit der Subjektivität u n d ihrer Selbstverantwortung f ü r den G l a u b e n b e s t i m m t . G e g e n ü b e r d e m protektionistischen Glaubensverständnis der mittelalterlichen Kirche b e t o n e n die r e f o r m a t o r i s c h e n Kirchen gerade die Selbständigkeit u n d Verantwortlichkeit in G l a u b e n u n d Leben als Ziel christlicher Existenz. A u f g a b e der Predigt ist es n u n , »historische Schrift« u n d g e g e n wärtiges L e b e n zu vermitteln. Predigt ist somit nicht n u r Auslegung eines Textes, s o n d e r n zugleich Interpretation der G e g e n w a r t . D i e Predigt wird so zu e i n e m Spiegel der Z e i t s t r ö m u n g e n , der politischen, sozialen u n d religiösen E r w a r t u n g s h a l t u n g e n . Dieser Tatbestand ist es, der die Predigten auch flir die sozialgeschichtliche F o r s c h u n g interessant m a c h t . " D e n Predigten k o m m t auf der E b e n e der K o m m u n i k a t i o n in der F r ü h e n N e u z e i t die F u n k t i o n eines M a s s e n m e d i u m s zu. D i e Predigt e r h o b den A n spruch, alle Schichten der Gesellschaft g l e i c h e r m a ß e n anzusprechen; diesem totalen A n s p r u c h k o n n t e sich der einzelne k a u m entziehen, da der Besuch der Predigt d u r c h obrigkeitliche A n o r d n u n g e n sanktioniert w u r d e . 1 2 D i e Kirchen der R e f o r m a t i o n leisteten diesem A n s p r u c h insofern Vorschub, als sich die Predigt der deutschen Sprache b e d i e n t e u n d so das P r o b l e m der Literalisier u n g ausgrenzte; der Adressat der Predigt war zunächst stets H ö r e n d e r . I m Zeitalter lutherischer O r t h o d o x i e wird die K i r c h e n g e m e i n s c h a f t zu einer Lehrgemeinschaft. D i e verbalinspirierte Schrift e r h o b einen n o r m a t i v e n A n s p r u c h auf D e n k e n , G l a u b e n u n d H a n d e l n der M e n s c h e n . Von diesem A n satz h e r stellt sich das P r o b l e m der R e z e p t i o n kirchlicher Lehre in der Praxis. Es ist folglich zu analysieren, welche Inhalte kirchlicher D o k t r i n in der P r e digt thematisiert u n d — bei d e m A n s p r u c h der O r t h o d o x i e , i m m e r auch O r -

10 Vgl. zum folgenden DIETRICH RÖSSLER: Grundriß der Praktischen Theologie. Berlin, New York 1986, S. 313. 11 HARTMUT LEHMANN: Frömmigkeitsgeschichtliche Auswirkungen der »kleinen Eiszeit«. In: Wolfgang Schieder (Hrsg.): Volksreligiosität in der modernen Sozialgeschichte (Geschichte und Gesellschaft, Sonderheft 11). Göttingen 1986, S. 31-50, hier S. 46. BERNHARD VOGLER: Le clergé protestant rhénan au siècle de la Reforme (1555-1619). Paris 1976, S. 15. EILEEN T. DUGAN: Images of marriage and family in Nördlingen. Moral preaching and devotional literature, 1589-1712. Diss. Ohio State University 1987, passim. MONIKA HAGENMAIER: Predigt und Policey. Der gesellschaftspolitische Diskurs zwischen Kirche und Obrigkeit in Ulm 1614-1639. Baden-Baden 1989, passim. NORBERT HAAG: Predigt und Gesellschaft. Die lutherische Orthodoxie in Ulm 1640-1740 (Veröffentlichungen des Instituts flir europäische Geschichte Mainz, Abteilung Religionsgeschichte, Bd. 145). Mainz 1992, passim. RUBLAC.K: Lutherische Predigt und gesellschaftliche Wirklichkeiten, passim. Anders dagegen HENRI MEYLAN: Le recrutement et la formation des pasteurs dans les églises reformées du XVIe siècle. In: Derek Baker (Hrsg.): Miscellanea Historie Ecclesiae III (Bibliothèque d'Histoire Ecclésiastique, Bd. 50). Louvain 1970, S. 127-150, hier S. 135. 12 Vgl. Württembergische Große Kirchenordnung, S. ccxxiix™.

Das

5

Forschungsvorhaben

thopraxie zu sein - transformiert wurden. 1 3 D e n n erst durch diese Transformation in sozialethische N o r m e n ist der einzelne in die Lage versetzt, theologische Doktrin in seine individuelle Lebenswelt zu integrieren. Daß ein usus practicus gleichrangig neben der Verkündigung der wahren Lehre im Zentrum lutherisch-orthodoxer Predigt stehen sollte, wird in der Vorrede zur Epistel-Postille des Tobias Wagner deutlich. D e m Aufbau der einzelnen Predigten soll nämlich das folgende Schema zugrunde liegen: Analyse des Textes, Herausarbeitung der quaestio principalis und die praktische A n wendung des Textes zun heilsamen Nutzen/ Straff/ Warnung/ Zu[e]chtigung in der Gerechtigkeit/ und kra[ejftigen Trost für angefochtene Hertzen Die Predigt als christlich-appellative R e d e will so konkrete Hilfen für die Lebenspraxis vermitteln. Die Prediger haben versucht, N o r m e n für ein christliches Leben auszusprechen (»Laster mit Ernst zu strafen« und »Tugenden zu loben«). 1 5 Sie leisteten durch die Transformation von theologischer Doktrin in Handlungsanweisung für die Zukunft einen Beitrag zur Konstitution der sozialen W i r k lichkeit. Die Theologie im Zeitalter der lutherischen Orthodoxie erhob den Anspruch einer sapientia eminens practica (Hollaz), einer doctrina practica (Gerhard): Deinde, quia haec coelestis scientia, non sola Theoriä absoluitur; sed tota in Praxi consistit^6. Dabei ist die christliche Ethik 1 7 kein autonomes System von

13

GOTTFRIED HORNIG: L e h r e u n d B e k e n n t n i s i m P r o t e s t a n t i s m u s . I n : H a n d b u c h

der

D o g m e n - u n d T h e o l o g i e g e s c h i c h t e . B d . 3 . G ö t t i n g e n 1 9 8 4 , S. 7 1 - 1 4 6 , h i e r S. 8 6 . 14

WAGNER: E p i s t e l - P o s t i l l e 1, S. ii rv .

13

V g l . WAGNER: E p i s t e l - P o s t i l l e 1, V o r r e d e .

16

HAFENREFFER: L o c i T h e o l o g i c i ( 1 6 0 0 ) , S. [b 2 ] v . D a ß d e r B e g r i f f d e r d o c t r i n a p r a c t i c a

an erster S t e l l e e i n e B e z e i c h n u n g für d e n R a n g der T h e o l o g i e i n n e r h a l b d e r s o g e n a n n t e n p r a k t i s c h e n W i s s e n s c h a f t e n darstellt, also p r i m ä r n i c h t a u f die P r a x i s d e r d u r c h t h e o l o g i sches H a n d e l n B e l e h r t e n abzielt, v e r s t e h t sich v o n selbst. I n d e m die T h e o l o g i e , a u c h die der l u t h e r i s c h e n O r t h o d o x i e , a u f e i n a u ß e r h a l b ihrer selbst l i e g e n d e s Z i e l h i n a r b e i t e t , e r a r b e i t e t sie A n l e i t u n g e n zur p r a k t i s c h e n E r l a n g u n g dieses Z i e l e s . U n t e r

homiletischem

A s p e k t fragt sie d a n a c h , w i e der M e n s c h das A n g e b o t e n e sich z u n u t z e m a c h e n , es also f ü r sich p r a k t i s c h a n w e n d e n k a n n . I m usus d e r P r e d i g t g e h t es u m die A p p l i c a t i o des P r e d i g t t e x t e s : aber indem

sie

diesem

auch schon eine Praxis

Verständnis

der ethisch-religiöse,

[die H ö r e r ] sich

das applizierte ihrerseits

Wort zunutze

mitgedacht.

der

sollen,

ist doch

in

ist z u g l e i c h d e r w i c h t i g s t e . H i e r g e h t u m die e i g e n t l i c h e L e b e n s p r a x i s .

S i e soll - k u r z z u s a m m e n g e f a ß t - darin b e s t e h e n , daß eine innere äußeren

machen

D e r dritte theologische Aspekt,

Nächstenliebe

Praxis

neben

und vor der

steht. (ELKE AXMACHER: Praxis E v a n g e l i o r u m . T h e o l o g i e

und

F r ö m m i g k e i t b e i M a r t i n M o l l e r ( 1 5 4 7 - 1 6 0 6 ) . G ö t t i n g e n , S. 2 3 3 ff.). V g l . z u m P r a x i s b e griffWALTER SPARN: D i e K r i s e der F r ö m m i g k e i t u n d i h r t h e o l o g i s c h e r R e f l e x i m n a c h r e formatorischen Luthertum. In: H a n s - C h r i s t o p h R u b l a c k (Hrsg.): D i e lutherische

Kon-

f e s s i o n a l i s i e r u n g in D e u t s c h l a n d . W i s s e n s c h a f t l i c h e s S y m p o s i o n des V e r e i n s für R e f o r m a tionsgeschichte

1 9 8 8 ( S c h r i f t e n des Vereins f ü r R e f o r m a t i o n s g e s c h i c h t e , B d . 1 9 7 ) .

tersloh

54-82.

17

1 9 9 2 , S.

Gü-

E i n e selbständige t h e o l o g i s c h e D i s z i p l i n »Ethik« k e n n t die l u t h e r i s c h e O r t h o d o x i e

n i c h t . A u c h die 1 6 3 4 e r s c h i e n e n e n » E p i t o m e t h e o l o g i a e moralis« des G e o r g C a l i x t stellen e i n z i g die Restitution

der Ethik

u m die Emanzipation

der Ethik

als theologischer

Wissenschaft

von der Dogmatik.Vgl.

dar; d a b e i h a n d e l t es sich n i c h t

MARTIN HONECKER: S o z i a l e t h i k des

6

Einleitung

pauschalen, in sich selbst evidenten Handlungsanweisungen, sie bleibt vielmehr in überzeugenderWeise auf die dogmatischen Grundlagen des Glaubens rückbezogen. 1 8 Der Einstieg in die Predigten — an der Nahtstelle zwischen Theologie und Alltag gelegen — bietet zudem die Möglichkeit, nicht nur die Transformation theologischer Lehre in soziales Handeln zu analysieren, sondern ebenfalls die R ü c k w i r k u n g sozialer Wirklichkeit auf theologische Doktrin zu erforschen. Es ergibt sich hier die Möglichkeit, die von Luhmann aufgestellte These zu verifizieren, die vom systemtheoretischen Standpunkt aus die Inhalte des religiösen Deutungssystems als Antworten auf die Probleme des Gesellschaftssystems deutet: Die Inhalte von Dogmatiken werden durch die gesellschaftliche Funktion von Religion keinesfalls vorgezeichnet oder gar alternativlos festgelegt. Sie entstehen vielmehr »zufällig«, sind jedenfalls soziologisch und systemtheoretisch nicht deduzierbar. Sie sind gleichwohl nicht beliebig möglich, sondern müssen mögliche Antworten geben auf Probleme, die mit der evolutionären Lage des Gesellschaftssystems und der Struktur ausdifferenzierter Religionssysteme zusammenhängen.19 In eine ähnliche R i c h t u n g weist der Theologe Dietrich Rössler, der die Lehrsätze der Dogmatik als verzögerten und verspäteten Ausdruck des religiösen Bewußtseins bezeichnet, das sich unmittelbar nur in der Predigt widerspiegle. 2 0 Die auf einen Zeitraum von rund zweihundert Jahre hin angelegte Arbeit eröffnet durch dieses Längsschnitt-Thema interessante Fragestellungen, die in der Forschungsgeschichte bislang kaum thematisiert wurden. Kaspar von Greyerz konstatiert in seinem Beitrag zur Stadtreformation unter Hinweis auf Sydow das Fehlen einer Studie über die inhaltliche Rezeption reformatorischer Lehre. 21 Dies gilt in g l e i c h e r w e i s e für die forschungsgeschichtlich vergleichsweise weniger gut erarbeitete Epoche der lutherischen Orthodoxie. 2 2 Luthertums. In: Hans-Christoph R u b l a c k (Hrsg.): Die lutherische Konfessionalisierung in Deutschland. Wissenschaftliches Symposion des Vereins für Reformationsgeschichte 1988 (Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte, Bd. 197). Gütersloh 1992, S. 3 1 6 - 3 4 0 , hier S. 319. 18 Vgl. ALBRECHT BEUTEL: Christenlehre und Gewissenstrost. B e m e r k u n g e n zu Luthers Sendbrief an die Gemeinde der Stadt Esslingen. In: Esslinger Studien 22 (1983), S. 1 0 5 136, hier S. 124. 19 NIKLAS LUHMANN: R e l i g i o n als System. Thesen zu: R e l i g i ö s e Dogmatik und gesellschaftliche Evolution. In: K a r l - W i l h e l m Dahn; Niklas Luhmann; Dieter Stoodt (Hrsg.): R e l i g i o n - System und Sozialisation. N e u w i e d 1972, S. 1 1 - 1 3 , S. 15, S. 132, hier S. 12. 20 RÖSSLER: Grundriß der Praktischen Theologie, S. 322. 21 VON GREYERZ: Stadt u n d R e f o r m a t i o n , S. 18. 22 MARTIN BRECHT: Forschungsbericht: Gesamtdarstellungen des Zeitalters der R e f o r mation u n d des Konfessionalismus. In: Verkündigung u n d Forschung. Beihefte zur Zeitschrift Evangelische T h e o l o g i e 25 (1980), S. 7 4 - 1 1 9 . Brecht hat beispielshalber auf die grobe Vernachlässigung dieser Epoche aufmersam gemacht (ebd., S. 119).Vgl. SOMMER: Gottesfurcht u n d Fürstenherrschaft, S. 11. Vgl. HANS-CHRISTOPH RUBLACK: Zur Problemlage der Forschung zur lutherischen Orthodoxie in Deutschland. In: Hans-Christoph R u b l a c k (Hrsg.): Die lutherische Konfessionalisierung in Deutschland. Wissenschaftliches S y m p o -

1

Das Forschungsvorhaben

Z u R e c h t hat R u b l a c k ergänzend darauf hingewiesen, daß selbst dort, wo die kirchengeschichtliche Forschung Anschlüsse an Gesellschaft vorfindet, diese nicht w a h r g e n o m m e n werden. 2 3 Als Leitfragen dienen: W i e konnte sich R e z e p t i o n vollziehen? W e l c h e theologischen D o k t r i n e n wurden rezipiert bzw. konnten überhaupt rezipiert werden? K a m es zu Veränderungen durch die fortschreitende L e h r e n t w i c k lung der lutherischen O r t h o d o x i e ? Läßt sich eine Verschiebung von der H e r ausstellung des objektiven Lehrzusammenhanges in der lutherischen O r t h o doxie hin zu einer B e t o n u n g des individuellen Glaubens mit seinen existentiellen B e z ü g e n durch den Einfluß des Pietismus feststellen? D a n e b e n hat Kaspar von Greyerz für den Forschungszweig der Stadtreformation die empirische Untersuchung der von Weber postulierten Umsetzung von Theologumena in soziales Handeln als ein durch die historische Forschung einzulösendes Desideratum bezeichnet. 2 4 E i n e Untersuchung zur Transformation hat auch im B e r e i c h der lutherischen O r t h o d o x i e ihre Berechtigung, zumal die E r f o r schung der lutherischen O r t h o d o x i e n o c h heute erst in den Anfängen steht. 2 5 Pöhlmanns Einleitung liest sich geradezu als v e h e m e n t e R e c h t f e r t i g u n g angesichts der Frage, ob es überhaupt nötig sei, sich mit der O r t h o d o x i e zu b e schäftigen. E r erwehrt sich der etablierten Vorwürfe, die die lutherische O r thodoxie als streitsüchtigen Doktrinarismus, verknöcherten Formalismus, öden Rationalismus und unduldsame Intransigenz begreifen. W i l h e l m Bestes Hinweis aus dem J a h r 1 8 5 8 a u f die in der Kirchengeschichte verbreitete Unsitte [...], die nachreformatorischen Theologen als ein verknöchertes, zwerghaftes Epigonenthum zu betrachten und wegzuwerfen, blieb o h n e größere R e s o n a n z . 2 6 D i e T h e s e Heussis, die O r t h o d o x i e als das Erzeugnis eines autoritätsbedütftigen, unschöpferischen Zeitalters und als Versteinerung des ursprünglichen Luthertums zu charakterisieren, steht n o c h i m m e r zur Disposition. 2 7 Dies zeigen sowohl der 1 9 8 5 von Hans K ü n g publizierte Aufsatz über Religion im Bann der Reformation als auch der 1 9 8 6 in der T h e o l o g i s c h e n Realenzyklopädie erschienene Artikel zur H o m i l e t i k . 2 8

sion des Vereins für Reformationsgeschichte 1988 (Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte, Bd. 197). Gütersloh 1992, S. 13-32. 23

RUBLACK: Z u r P r o b l e m l a g e d e r F o r s c h u n g , S. 1 3 A n m . 2 u n d S. 2 9 — 3 2 ; s o b e i J O -

HANNES WALLMANN: Kirchengeschichte Deutschlands seit der Reformation. Tübingen 1 9 8 5 2 . - JOHANNES W A L L M A N N : D e r T h e o l o g i e b e g r i f f " b e i J o h a n n

Gerhard und Georg

Ca-

lixt (Beiträge zur historischen Theologie, Bd. 30).Tübingen 1961. 2 4 VON GREYERZ: Stadt und Reformation, S. 27 Anm. 19. 25

H O R S T G E O R G PÖHLMANN ( H r s g . ) : D i e D o g m a t i k d e r e v a n g e l i s c h - l u t h e r i s c h e n

Kir-

che, dargestellt und aus den Quellen belegt von Heinrich Schmidt. Gütersloh 1979 9 , S. 9. 2 6 WILHELM BESTE: Die bedeutendesten Kanzelredner der älteren lutherschen Kirche von Luther bis zu Spener. Bd. 2: Die nachreformatorischen Kanzelredner der lutherschen Kirche des 16. Jahrhunderts. Leipzig 1858, S. X I I . Unter den Tübinger Theologen finden Andreae und Heerbrand Aufnahme in diesen zweiten Band. 27

K A R L HEUSSI: K o m p e n d i u m

28

HANS KÜNG: Religion im Bann der Reformation. In: Walter Jens und Hans Küng

der Kirchengeschichte. T ü b i n g e n

1 9 8 1 1 6 , S.

357.

8

Einleitung

Diese Sichtweise ist dort zu überprüfen, wo der Anspruch lutherischer O r thodoxie — soziale Wirklichkeit mitzugestalten — an die breite Öffentlichkeit trat, an der Predigt.

II. Methode und Vorgehensweise Predigten - geschrieben von Predigern, die zur Elite der Gesellschaft zählen, gehalten für die breite Masse des Volkes — bieten vielschichtige Voraussetzungen für eine Untersuchung zum T h e m a Theologie und Alltag. Die lutherische Orthodoxie zielte in doppelter Weise auf die Anwendung ihrer Lehren und Forderungen: als Darbietung dogmatischer Lehre zur glaubenden Z u stimmung und als Befähigung, Motivation und Anleitung zu verantwortlichem christlichen Leben und Handeln. 2 9 In beiden Fällen mußte der Transfer von der Ebene der Hochtheologie auf j e n e der Alltagstheologie vorgenommen werden, wollte dieser Anspruch realisiert werden — eine Aufgabe, die die Predigt zu leisten hatte. Die Predigt wird so zum Ort des Transfers j e n e r theologischen Lehrsysteme, denen in einer Zeit, in der christliche und moralische Maßstäbe, F r ö m migkeit und gesellschaftliches Leben, kirchliche und weltliche Interessen eng zusammenhingen, die Funktion einer Orientierung für die Lebenspraxis des einzelnen und der Gesellschaft zukam. Die Lehrsysteme boten eine alle Bereiche des privaten und öffentlichen Lebens umfassende sinngebende Lebensund Weltanschauung, die darauf abzielte, privates und öffentliches Verhalten zu steuern. 3 0 Konkretion theologischer Doktrin erfolgte zu allererst da, wo diese Lehre auf die sozialethische Ebene transformiert wurde und es so dem Adressaten der Predigt möglich machte, diese Lehre in seine eigene Lebensgeschichte zu integrieren. D e r Untersuchung liegt damit der modifizierte Ansatz M a x Webers zugrunde. Weber hatte Religiosität unabhängig von einer k o n fessionell gebundenen Dogmatik untersucht, und war dabei auf den Wechselbezug zwischen der offiziellen Religiosität bzw. der Virtuosenreligiosität und der Volksreligiosität bzw. der Massenreligiosität gestoßen. 3 1 D e r dabei beobachtete (Hrsg.): Dichtung und Religion. München 1985, S. 44—61, hier S. 53. Küng betont hier, daß der Barockdichter Andreas Gryphius nicht in der Tradition j e n e r rückwärts gewandten doktrinären Orthodoxen [steht], die die lebendige Botschaft der Reformation in ein starres, praxisfernes philosophisch-theologisches System gießen. Vgl. J Ö R G B A U R : Lutherische Christologie. In: Hans-Christoph Rublack (Hrsg.): Die lutherische Konfessionalisierung in Deutschland. Wissenschaftliches Symposion des Vereins für Reformationsgeschichte 1988 (Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte, Bd. 197). Gütersloh 1992, S. 83—124, hier S. 112. H A N S - M A R T I N M Ü L L E R : Art. Homiletik. In: T R E 15 (1986), S. 5 2 6 - 5 6 5 , hier S. 533 ff. 2 9 HORNIG: Lehre und Bekenntnis im Protestantismus, S. 84. 3 0 H E I N Z S C H I L L I N G : Konfessionskonflikt und Staatenbildung. Gütersloh 1 9 8 1 , S . 3 4 . 31 M A X W E B E R : Wirtschaft und Gesellschaft. Tübingen 1980 5 , S. 307. M A X W E B E R :

Methode

und

Vorgehensweise

9

Wechselbezug habe zu einer, so Weber, Veralltäglichung der religiösen Ethik g e führt. 3 2 D u r c h d e n Versuch der Priesterschaft, die Lebenspraxis auch der Laien [...] zu reglementieren w e r d e diese g e z w u n g e n , in der Gestaltung ihrer Lehre und ihres Handelns dem traditionellen Vorstellungskreise der Laien entgegen [zu] kommen.33, In der vorliegenden U n t e r s u c h u n g soll die Frage gestellt w e r d e n , w i e konfessionell g e b u n d e n e theologische N o r m e n bereitgestellt w e r d e n , die auf der E b e n e der Volksfrömmigkeit 3 4 bzw. der Volksreligiosität 3 5 ü b e r h a u p t erst rezipiert w e r d e n k ö n n e n . Eine differenzierende U n t e r s c h e i d u n g der beiden Begriffe Volksfrömmigkeit u n d Volksreligiosität ist auf der G r u n d l a g e der u n tersuchten Materialbasis n i c h t n o t w e n d i g . D i e vorliegende Arbeit u n t e r s u c h t a n h a n d der Predigten die T r a n s f o r m a t i o n v o n H o c h t h e o l o g i e / H o c h r e l i g i o n auf die generelle E b e n e einer Laienreligion/Volksreligion 3 6 ; ihr geht es u m die Bereitstellung theologischer N o r m - u n d Wertvorstellungen zur Integration in die alltäglichen sozialen Lebenskontexte. Sie will so eine Gelenkstelle zwischen G e l e h r t e n k u l t u r u n d Volkskultur b e l e u c h t e n . 3 7 E i n V o r d r i n g e n g e -

Wirtschaftsgeschichte. M ü n c h e n , Leipzig 1924, S. 3 1 0 . E i n e U n t e r s c h e i d u n g , die in dieser F o r m s c h o n auf F r i e d r i c h S c h l e i e r m a c h e r z u r ü c k g e h t . Vgl. MICHAEL N . EBERTZ u n d FRANZ SCHULTHEIS: E i n l e i t u n g : Populäre Religiosität. In: M i c h a e l N . E b e r t z u n d Franz S c h u l t h e i ß (Hrsg.): V o l k s f r ö m m i g k e i t in E u r o p a . Beiträge zur Soziologie p o p u l ä r e r R e l i giosität aus 14 L ä n d e r n ( R e l i g i o n - Wissen - Kultur, Bd. 2). M ü n c h e n 1986, S. 11—52, hier S. 14. Vgl. zu dieser T h e m a t i k WOLFGANG SCHIEDER: E i n l e i t u n g . In: W o l f g a n g S c h i e der (Hrsg.): Volksreligiosität in der m o d e r n e n Sozialgeschichte ( G e s c h i c h t e u n d Gesellschaft, S o n d e r h e f t 11). G ö t t i n g e n 1986, S. 7 - 1 3 , hier S. 10 f. 32 WEBER: W i r t s c h a f t u n d Gesellschaft, S. 284. 33 WEBER: W i r t s c h a f t u n d Gesellschaft, S. 284. 34 Z u m B e g r i f f der V o l k s f r ö m m i g k e i t vgl. SCHIEDER: E i n l e i t u n g , passim, bes. S. 9. Schieder b e z e i c h n e t m i t d e m B e g r i f f der Volksfrömmigkeit die Laienreligiosität der christlichen Kirchen', sie m a c h t seiner D e f i n i t i o n n a c h einen i n t e g r i e r e n d e n Teil der k o n f e s s i o n e l len Kirchlichkeit aus. 33 Z u m B e g r i f f der Volksreligiosität SCHIEDER: E i n l e i t u n g , S. 7 f. Dieser B e g r i f f b e zeichne, so Schieder, die traditionellen Formen der »Volkskultur«. Vgl. dazu PETER BURKE: H e l d e n , S c h u r k e n , N a r r e n . E u r o p ä i s c h e Volkskultur in der F r ü h e n N e u z e i t . Stuttgart 1981. ROBERT MUCHEMBLED: K u l t u r des Volks - K u l t u r der Eliten. D i e G e s c h i c h t e einer e r f o l g r e i c h e n Verdrängung. Stuttgart 1982 (frz. Paris 1978). 36 Z u der G e g e n ü b e r s t e l l u n g v o n H o c h r e l i g i o n u n d Volksreligion vgl. RICHARD VAN DÜLMEN: V o l k s f r ö m m i g k e i t u n d konfessionelles C h r i s t e n t u m . In: W o l f g a n g S c h i e d e r (Hrsg.): V o l k s f r ö m m i g k e i t in der m o d e r n e n Sozialgeschichte ( G e s c h i c h t e u n d Gesellschaft, S o n d e r h e f t 11). G ö t t i n g e n 1986, S. 1 4 - 3 0 , S. 14. Vgl. a u c h ROBERT W. SCRIBNER: R i t u a l and p o p u l ä r religion in catholic G e r m a n y at t h e t i m e of t h e R e f o r m a t i o n . In: R o b e r t W. S c r i b n e r (Hrsg.): Populär culture and p o p u l ä r m o v e m e n t s in R e f o r m a t i o n G e r many. L o n d o n , R o n c e v e r t e 1987, S. 1 7 - 4 7 , hier S. 17 f. 37 D i e Arbeit folgt der T e r m i n o l o g i e van D ü l m e n s . Vgl. VAN DÜLMEN: V o l k s f r ö m m i g keit u n d konfessionelles C h r i s t e n t u m ; z u m Z u s a m m e n h a n g v o n Volksreligiosität u n d V o l k s f r ö m m i g k e i t - letztere k a n n van D ü l m e n auch m i t d e m B e g r i f f populäre Religion u m schreiben - ä u ß e r t er sich wie folgt: Wenn wir nach der Volksfrömmigkeit fragen, dann geht es lediglich um die dem einfachen Volk eigene Religiosität, wie sie sich im alltäglichen Leben innerhalb und außerhalb des kirchlichen Lebens äußerte (ebd., S. 18).

10

Einleitung

rade auf die Ebene der Volkskultur war fiir die lutherische Orthodoxie nur möglich, wenn ein Anschluß an die konkreten Arbeits- und Lebenswelten des einfachen Volkes gelang. Genau diese Verankerung im Alltagsleben der einfachen Leute zeichnete den »Sitz im Leben« 3 8 der Volksreligiosität aus. Die illiteraten Schichten des Volkes waren nicht über gleichsam »verkopfte« kirchliche Lehren und Glaubenssätze zu erreichen, sondern nur über integrationsfähige Lebenspraktiken. 3 9 Daß in dieser angebotenen Möglichkeit der Erfolg einer positiven Lebensgestaltung im Sinne theologischer Doktrin schon mitgegeben ist, kann allerdings nicht vorausgesetzt werden, wie nicht nur aus den Lasterpredigten, sondern auch aus Visitationsberichten ersichtlich ist. 40 A m Punkt der Transformation theologischer N o r m e n in Anweisungen zum sozialen Handeln setzt die Arbeit ein. Es gilt zunächst festzustellen, welche theologischen Grundsätze in den Predigten direkt oder indirekt präsent sind. »Direkt« meint die Thematisierung theologischer Doktrin, die auf der Ebene der Hochtheologie blieb und sich einer theologischen Sprache bediente, die eine Konkretion erschwerte und somit nicht in der Lage war, die soziale Wirklichkeit des Hörers zu gestalten. »Indirekt« meint die Frage nach den theologischen Doktrinen, die hinter den sozialethischen N o r m e n standen, die in der Predigt vermittelt wurden. Die Lebensbereiche, in denen theologische N o r m richtungweisend und handlungsleitend in den Alltag eingriff, sind von besonderem Interesse. Sie sind das eigentlich Interessante, da sie die M ö g l i c h keit offenhielten, die soziale Wirklichkeit nach ihrer Maßgabe zu gestalten. W i e sollte nach ihrer Maßgabe sich soziales Leben vollziehen? Aussagen der Predigten zu den individuellen Lebenszyklen müssen dazu analysiert werden. Thematisiert wurde dies häufig im Kontext von Ubergangssituationen des Le3 8 Noch deutlicher ließe sich dieser Sachverhalt mit der ursprünglichen Version des B e griffes zum Ausdruck bringen, der als Sitz im Volksleben vom Gießener Alttestamentler Herman Gunkel zuerst geprägt wurde (vgl. dazu WOLFGANG BRÜCKNER: Begriff und T h e o rie von Volkskultur für das 17. Jahrhundert. In: Wolfgang Brückner; Peter Blickle; Dieter Breuer (Hrsg.): Literatur und Volk. Probleme populärer Kultur in Deutschland. (Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung, Bd. 13). Wiesbaden 1985, S. 3 - 2 1 , hier S. 12). 3 9 VAN DÜLMEN: Volksfrömmigkeit und konfessionelles Christentum, S. 18 f. Weiterführend zu dieser Thematik vgl. NATALIE Z . DAVIS: Some tasks and themes in the study o f populär religion. In: Charles Trinkaus und Heiko A. Oberman (Hrsg.):The persuit o f holiness in the Late Medieval and Renaissance Religion. Leiden 1974, S. 3 0 7 - 3 3 6 . ROGER CHARTIER: Volkskultur und Gelehrtenkultur. Uberprüfung einer Zweiteilung und einer Persiodisierung. In: Hans U. Gumbrecht und Ursula Link-Heer (Hrsg.): Epochenschwelle und Epochenstrukturen im Diskurs der Literatur- und Sprachtheorie. Frankfurt/M. 1985, S. 3 7 6 - 3 9 0 . 40

V g l . die Ü b e r s i c h t

ü b e r die Visitationsberichte

in: ERNST WALTER ZEEDEN

und

HANSGEORG MOLITOR (Hrsg.): Die Visitationen im Dienst der kirchlichen R e f o r m . M ü n ster 1967. Vgl. JULIUS ENDRISS: Die Ulmer Kirchenvisitationen des 17. und 18. Jahrhunderts. Ulm 1938, S. 9 - 1 6 . V g l . auch HAAG: Predigt und Gesellschaft, S. 1 0 7 - 1 1 2 (mit Literatur zum Thema).

Methode und Vorgehensweise

11

bens 4 1 , an denen Amtshandlungen der Kirche ihren Sitz i m L e b e n haben. N e b e n Tauf- und Hochzeitspredigten liegen dafiir für den zu bearbeitenden Zeitraum in großer Anzahl Leichenpredigten vor. Sie bieten, i n d e m sie neben ihrer Hilfestellung bei der emotionalen Bewältigung des Todes das L e b e n des Verstorbenen zum Anlaß n e h m e n , der G e m e i n d e in der Person des Toten ein Vorbild und eine konkrete Anleitung zum L e b e n geben, die M ö g l i c h k e i t , a u f dem Hintergrund eschatologischer Konzeptionen, Konzepte zur Lebensdeutung zu erforschen. N i c h t alle Phasen des Lebens werden j e d o c h von der Kasualpraxis der K i r che erfaßt, es ist j e d o c h möglich über die große Anzahl j e n e r Regelpredigten, denen die vorgeschriebene Perikopenreihe zugrunde lagen, auch Z w i s c h e n räume zu erfassen. D i e vorliegende Arbeit greift somit auf eine andere E b e n e lutherischer O r thodoxie zu, als dies der theologisch orientierte Ansatz J ö r g Baurs tut. B a u r greift zwar ebenfalls in modifizierender Weise a u f die U n t e r s u c h u n g von Ernst Troeltsch zurück, sein Interesse gilt j e d o c h näherhin der F u n k t i o n der Vernunft in ihren Auswirkungen bis in die einzelnen Lehrstücke innerhalb des theologischen Systems. 4 2 D e r vorliegenden Arbeit geht es dagegen u m eine Verbindung von theologischen und sozialgeschichtlichen Fragestellungen, wobei ausgehend von den in der Predigt thematisierten sozialethischen N o r m e n nach deren theologischerVerortung gefragt ist. Anhand eines Schlagwortregisters lassen sich nach der Lektüre der Predigten die T h e m e n auflisten, a u f die es den Predigern der lutherischen O r t h o d o xie ankam. Allein die quantitative Bestandsaufnahme zeigt deutlich Anteil und B e d e u t u n g der Ethik in den Predigten, die hinter die D o g m a t i k keineswegs zurücktritt. D i e Predigtthemen lassen sich in zwei große B e r e i c h e zurückfuhren: D i e R e c h t f e r t i g u n g des M e n s c h e n vor G o t t und die Frage nach den r i c h tig verstandenen guten Werken. A n dieser doppelten Schwerpunktsetzung nach theologischem und sozialgeschichtlichem Aspekt ist die Gliederung der Untersuchung orientiert. N a c h einem Abriß über die äußeren R a h m e n b e d i n g u n g e n z u m T h e m a Staat und Kirche (Kapitel B.) scheint es erforderlich, auch die grundlegenden Äußerungen der Prediger zum Welt- und M e n s c h e n b i l d der lutherischen O r thodoxie zusammenzustellen (Kapitel C. I.). N u r mit der Kenntnis des zeitgenössischen Verständnisses von Gott, M e n s c h und Welt kann das Verhältnis von T h e o l o g i e und Alltag angemessen interpretiert werden. M i t der B e s t i m m u n g

41 Vgl. dazu einführend ARNOLD VAN GENNEP: Übergangsriten (Les rites de passage). Frankfurt/M. 1986. 42 JÖRG BAUR: Die Vernunft zwischen Ontologie und Evangelium. Gütersloh 1962. Von diesem Ansatz her bestimmte sich auch die Auswahl seiner Quellen; er exemplifizierte seine Fragestellung vornehmlich am systematisch-theologischen Werk Johann Andreas Quenstedts.

12

Einleitung

dieses wechselseitigen Verhältnisses ist zugleich das Konstruktionsprinzip dargelegt, auf d e m die Verbindung zwischen lutherisch-orthodoxer Ethik u n d gesellschaftlicher Wirklichkeit basiert. W i e schon formal aus der Gliederung der U n t e r s u c h u n g deutlich wird, geht es den Predigern nicht u m die Vermittlung einer unüberschaubaren theologischen Materialflille. Die theologische Thematik der Predigten läßt sich vielmehr deutlich herauskristallisieren: Buße, Sünde, Gesetz, Glaube, Rechtfertigung, Gebet, Sakramente, Tod. Diese T h e m e n gehören in ihrer überwiegenden M e h r h e i t z u m unverzichtbaren Kernbestand reformatorischer Grundlegung u n d müssen nach dem Verständnis der lutherisch-orthodoxen Theologen, aus Sorge u m die Welt, notwendig gelehrt u n d gelernt werden, u m Unheil des einzelnen wie auch der Gesellschaft als ganze zu vermeiden. Diese theologischen Grundfragen werden in einem ersten großen Block (Kapitel C. II.) dargestellt. D e r nächste Schritt untersucht die drei fundamentalen Lebensbereiche 4 3 des Menschen (Kapitel C. III. 1): Welches theologische Grundverständnis stand hinter den Lebensformen der frühneuzeitlichen Gesellschaft u n d prägte so die Autoritätsverhältnisse im Haus, das Verständnis der täglichen Arbeit und das Verhältnis von Obrigkeit und Untertanen? Der dem gegenüber stehende Bereich der Kontingenzen zeigt, daß die Muster zukünftigen Erlebens u n d Handelns nicht eindeutig sind, sondern nur Möglichkeiten bereitstellen, die widersprüchlich zu den erhofften E r w a r t u n gen ausfallen k ö n n e n . Die Möglichkeit der Enttäuschung u n d die N o t w e n digkeit, sich auf Risiken einzulassen, ist gegeben. Welche theologischen D o k trinen werden handlungsorientierend in den Predigten über Naturkatastrophen, Krankheit, N o t , etc. vermittelt? W i e verhalten sich diese Erfahrungen angesichts der theologischen Konzeption v o m göttlichen Weltregiment, angesichts des Heilshandelns Gottes in der Geschichte? Gelang es den Predigern, den Gewissenstrost angesichts von Krisen, Katastrophen u n d Tod der Welt glaubhaft vor Augen zu stellen? Diese Fragen werden in den Abschnitten über »Die B e d r o h u n g des Kosmos« (Kapitel C. III. 2) u n d über »Heilsvertrauen und Welterfahrung« (Kapitel C. III. 3) zur Sprache gebracht werden.

43 Vgl. z u m B e g r i f f »Lebensbereich« REINHARD SCHWARZ: Ecclesia, o e c o n o m i a u n d politia. Sozialgeschichtliche u n d f u n d a m e n t a l e t h i s c h e Aspekte der D r e i - S t ä n d e - T h e o r i e . I n : T r o e l t s c h - S t u d i e n . Bd. 3: Protestantismus u n d N e u z e i t , S. 78—88. Er weist auf die I r r i t a t i o n e n h i n , die der B e g r i f f »Stand« in diesem K o n t e x t h e r v o r r u f e n k a n n , i n d e m er e i n seitig m i t der sozialrechtlichen S t ä n d e o r d n u n g assoziiert w i r d . S c h o n der dänische T h e o logen N i c o l a u s H e m m i n g (1513—1600) gliedert in seinem Werk: D e lege n a t u r a e apodicta m e t h o d u s , das p r a c t i c u m vitae g e n u s in drei Bereiche. D i e ersten b e i d e n B e r e i c h e der vita o e c o n o m i c a u n d der politica e n t w i c k e l t er a n h a n d der 2. Tafel des Dekaloges, d e n B e reich der vita spiritualis m i t Hilfe der 1. Tafel (ebd., S. 79 u n d S. 85 A n m . 22). Vgl. HAFENREFFER: Loci T h e o l o g i c i (1600), S. 423: Quot sunt primarij vitae Ordines? Tres. Ecclesiasticus, Politicus, OEconomicus.

Methode und Vorgehensweise

13

E i n synoptischer Abschnitt (Kapitel D.) f u h r t die g e w o n n e n e n Teilergebnisse u n t e r d e m Stichwort der »Funktion der Theologie« z u s a m m e n . Z u m ein e n ist hierin durch die längsschnittartige B e a r b e i t u n g des T h e m a s die Frage nach d e m Verhältnis von O r t h o d o x i e u n d Pietismus i n t e g r i e r t u n d e r m ö g l i c h t eine N ä h e r b e s t i m m u n g des pietistischen Einflusses. D i e Lektüre der Predigten kann so K o n t i n u i t ä t e n u n d Diskontinuitäten in d e n v o n der T h e o l o g i e bereitgestellten M u s t e r n zur D e u t u n g u n d B e w ä l t i g u n g des Alltags aufweisen. Z u m anderen m a c h t es die K o n z e p t i o n der Arbeit m ö g l i c h festzustellen, o b die lutherische O r t h o d o x i e tatsächlich zu charakterisieren ist d u r c h eine vertikal v o n o b e n nach u n t e n verlaufende E i n f l u ß n a h m e o d e r o b es auch eine O f f e n heit theologischer Lehren f ü r soziale Realitäten zu konstatieren gibt. Ist R e l i g i o n somit zu verstehen als Mittel zur sozialen Integration, als I n s t r u m e n t der Stabilisierung von sozialer O r d n u n g u n d herrschaftlicher A u t o r i t ä t , o d e r k o m m t es nicht eher zu einer wechselseitigen B e e i n f l u ß u n g v o n T h e o l o g i e u n d Alltag? T h o m a s Brady hat im K o n t e x t der Stadtreformation d e n jeweils zweiten Aspekt als Domestizierung bezeichnet, w o r u n t e r er nichts anderes verstanden h a b e n will als das Bestreben, die bürgerliche Religion auf die Bedürfnisse der städtischen Sozialordnung [...] abzustimmen,44 Eine Ü b e r l e g u n g , die in verallgemein e r n d e r F o r m bereits von M a x W e b e r f o r m u l i e r t w u r d e , der festgestellt hat, daß zur L e g i t i m i e r u n g v o n H e r r s c h a f t u n d M a c h t eine Anpassung der religiösen F ü h r u n g s e h t e n an populäre R e l i g i o n s f o r m e n obligat ist. 45 Ziel des Vorhabens ist es zu analysieren, o b i m Zeitalter der lutherischen O r t h o d o x i e ähnliche T e n d e n z e n einer I n t e r d e p e n d e n z u n d R e z i p r o z i t ä t v o n T h e o l o g i e u n d Alltag, v o n theologischer D o k t r i n u n d sozialer N o r m zu erk e n n e n sind u n d o b es zu Veränderungen u n t e r d e m Einfluß des Pietismus k a m . Dies k a n n ü b e r eine U n t e r s u c h u n g zur T r a n s f o r m a t i o n lutherischer O r t h o d o x i e geleistet w e r d e n .

44 T H O M A S B R A D Y JR.: Göttliche Republiken. Die Domestizierung der Religion in der deutschen Stadtreformation. In: Peter Blickle; Andreas Lindt; Alfred Schindler (Hrsg.): Zwingli und Europa. Zürich 1985 (Referate und Protokoll des Internationalen Kongresses aus Anlaß des 500. Geburtstages von Huldrych Zwingli vom 26. bis 30. März 1984), S. 109-136, hier S. 113.

45

WEBER: W i r t s c h a f t u n d Gesellschaft, S. 2 8 4 .

B. Theoretische Grundlegung Theologie — Predigt — Alltag

I. Staatliche

Rahmenbedingungen

1. Statuten

und Ordinationen

im Herzogtum der Universität

Württemberg Tübingen

D e r i m J a h r 1 5 1 9 v e r t r i e b e n e H e r z o g U l r i c h g e w a n n 1 5 3 4 das H e r z o g t u m W ü r t t e m b e r g z u r ü c k u n d b e g a n n sogleich m i t d e r D u r c h f ü h r u n g d e r R e f o r m a t i o n . 1 D a v o n ist a u c h d i e i m J a h r 1 4 7 7 v o n G r a f E b e r h a r d i m B a r t g e g r ü n d e t e U n i v e r s i t ä t in T ü b i n g e n b e t r o f f e n . D i e p ä p s t l i c h e E i n r i c h t u n g s b u l l e v o m 1 3 . 1 1 . 1 4 7 6 h a t t e die B e s e t z u n g d e r K a n o n i k a t e des d u r c h T e i l u n g des S i n d e l f m g e r Martinsstifts n e u g e s c h a f f e n e n T ü b i n g e r G e o r g e n s t i f t s m i t P r o f e s s o r e n s o w i e die I n k o r p o r a t i o n v o n f ü n f P f a r r k i r c h e n g e n e h m i g t . 2 D e r B l a u b e u r e r A b t H e i n r i c h F a b e r h a t t e v o n Papst

1

V g l . z u m f o l g e n d e n MARTIN BRECHT u n d HERMANN EHMER: S ü d w e s t d e u t s c h e

Re-

formationsgeschichte. Zur Einführung der Reformation im Herzogtum Württemberg 1 5 3 4 . S t u t t g a r t 1 9 8 4 , S. 1 9 5 - 2 0 2 u n d S. 2 5 5 - 2 5 9 . MARTIN BRECHT: K i r c h e n o r d n u n g u n d

Kirchenzucht in Württemberg vom 16. bis zum 18. Jahrhundert (Quellen und Forschungen zur Württembergischen Kirchengeschichte, Bd. 1). Stuttgart 1967, S. 10. - GERHARD SCHÄFER: ZU erbauen und zu erhalten das rechte Heil der Kirche. Eine Geschichte der evangelischen Landeskirche in Württemberg. Stuttgart 1984, S. 44-51. WERNER-ULRICH DEETJEN: Studien zur Württembergischen Kirchenordnung Herzog Ulrichs 1534-1550 (Quellen und Forschungen zur Württembergischen Kirchengeschichte, Bd. 7). Stuttgart 1981, S. 27-31. RICHARD LEIGH HARRisoN:The Reformation of the University o f T ü b i n gen 1534-1555. Diss. Nashville,Tennessee 1975 (University Microfilm International, Ann Arbor

1 9 7 7 ) . JOHANNES HALLER: D i e A n f ä n g e d e r

Universität T ü b i n g e n

1477-1537.

Bd. l.Text. Stuttgart 1927, S. 331 ff. HANS-WOLF THÜMMEL: Die Tübinger Universitätsverfassung im Zeitalter des Absolutismus (Contubernium, Bd. 7).Tübingen 1975, S. 3—10 und S. 170 ff. HEIKO A. OBERMAN: Die Anfänge der Tübinger Theologie und die Reformation. In: »... helfen zu graben den Brunnen des Lebens«. Historische Jubiläumsausstellung des Universitätsarchivs. Tübingen 1977, S. 33-37. VOLKER PRESS: Ein Epochenjahr der württembergischen Geschichte. Restitution und Reformation 1534. In: Zeitschrift f ü r w ü r t t e m b e r g i s c h e L a n d e s g e s c h i c h t e 4 7 ( 1 9 8 8 ) , S. 2 0 3 - 2 3 4 . VOLKER PRESS: D i e w ü r t -

tembergische Restitution von 1534 — reichspolitische Voraussetzungen und Konsequenzen. In: Blätter für württembergische Kirchengeschichte 87 (1987), S. 44—71. 2 Vgl. Urkunden zur Geschichte der Universität Tübingen aus den Jahren 1476 bis 1550. Tübingen 1877, Nr. 4.

Statuten und Ordinationen der Universität Tübingen

15

Sixtus IV. die Vollmacht zur E r r i c h t u n g und Ausstattung der neuen T ü b i n g e r Universität erhalten. H e i n r i c h Faber übergab am 9. O k t o b e r 1 4 7 7 , d e m Tag der ersten Senatssitzung, der Universität die ersten Statuten. Diese Statuten bildeten gemeinsam mit dem Freiheitsbrief des Grafen Eberhard die G r u n d lage der Universität. 3 B e i Einfuhrung der R e f o r m a t i o n stand der Senat mehrheitlich der neuen Lehre zwar ablehnend gegenüber, konnte sich aber der Ordination Herzog Ulrichs nicht entziehen. In dieser ersten Ordination Ulrichs wird die Entlassung eines Teils der Universitätslehrer verfugt und zugleich werden neue M i t glieder ohne Zustimmung des Senats ernannt. 4 I m darauffolgenden Jahr w e r den dem Senat alte Privilegien bestätigt, so das Selbstergänzungsrecht der Universität. Trotzdem bleibt die Unsicherheit über den Status der Universität bestehen. D a sich der Universitätskanzler Ambrosius W i d m a n n vor dem Z u griff der R e f o r m a t i o n nach R o t t e n b u r g abgesetzt hatte, k o n n t e die Universität beispielshalber zunächst keine anerkannten akademischen Grade verleihen.5 D u r c h die Niederlage der Protestanten im Schmalkaldischen K r i e g und das anschließende Interim wurden die reformatorischen Errungenschaften in W ü r t t e m b e r g wieder zunichte gemacht. 6 M i t dem Augsburger Religionsfrieden von 1 5 5 5 war dann Herzog C h r i stoph nach den W i r r e n des Interims das rechtliche Instrumentarium an die Hand gegeben, die R e f o r m a t i o n in W ü r t t e m b e r g zu vollenden. 7 M i t den

3 Vgl. Urkunden zur Geschichte der Universität, Nr. 8 (Statuten) und Nr. 7 (Freiheitsbrief). 4 Vgl. Urkunden zur Geschichte der Universität, Nr. 38 (1. Ordination Herzog Ulrichs vom 30.01.1535). 3 WOLFRAM ANGERBAUER: Der Streit zwischen der Universität und Kanzler Ambrosius Widmann. In: »... helfen zu graben den Brunnen des Lebens«. Historische Jubiläumsausstellung des Universitätsarchivs Tübingen. Tübingen 1977, S. 45 f. Zur weiteren Entwicklung des Kanzleramtes an der Tübinger Universität vgl. WOLFRAM ANGERBAUER: Das Kanzleramt an der Universität Tübingen und seine Inhaber 1590—1817 (Contubernium, Bd. 4).Tübingen 1972. 6 Vgl. BRECHT; EHMER: Südwestdeutsche Reformationsgeschichte, S. 289 f. (Schmalkaldischer Krieg), S. 2 9 3 - 3 0 4 (Interim). BRECHT: Kirchenordnung, S. 3 2 - 5 0 . DEETJEN: Studien zur Württembergischen Kirchenordnung, S. 6 1 - 6 4 . 7 Vgl. HERMANN EHMER: Art. Christoph von Württemberg. In: T R E 8 (1981), S. 6 8 71. WALTER GRUBE: Der Stuttgarter Landtag 1 4 5 7 - 1 9 5 7 . Stuttgart 1957. HANS-MARTIN MAURER: Herzog Christoph als Landesherr. In: Blätter für württembergische Landesgeschichte 6 8 / 6 9 (1968/69), S. 1 1 2 - 1 3 8 . Vgl. MANFRED RUDERSDORF: Lutherische Erneuerung und Zweite Reformation? Die Beispiele Württemberg und Hessen. In: Heinz Schilling (Hrsg.): Die reformierte Konfessionalisierung in Deutschland. Das Problem der »Zweiten Reformation«. Wissenschaftliches Symposium des Vereins für Reformationsgeschichte (Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte, Bd. 195). Gütersloh 1986, S. 1 3 0 - 1 5 3 , bes. S. 1 3 0 - 1 4 2 .

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Theoretische Grundlegung: Theologie - Predigt - Alltag

zwei herzoglichen Ordinationen aus den Jahren 1 5 5 7 8 und 1 5 6 1 9 wird die Reorganisation der Universität vollzogen. D i e theologische Fakultät nahm nun seit 1561 eine Sonderstellung unter den vier Fakultäten ein. 1 0 D i e G r ü n de für diese Sonderstellung reichen in vorreformatorische Z e i t zurück. D i e 2. Ordination Herzog Christophs v o m 1 6 . 0 9 . 1 5 6 1 hatte die drei o r dentlichen Professuren der theologischen Fakultät mit den schon vor der R e formation bestehenden drei geistlichen Amtern - Propst, D e k a n , Pfarrer — verbunden, die nun als württembergische Kirchenämter wieder errichtet worden waren. Dies war nach dem Tod W i d m a n n s im August 1 5 6 1 , der zuvor die W ü r d e eines Propstes des Georgenstiftes und des Kanzlers der Universität innegehabt hatte, möglich geworden. Das Besetzungsrecht durch den Herzog leitete sich nun aus dem landesherrlichen Kirchenregiment ab; der t h e o l o g i schen Fakultät wurde lediglich ein Mitspracherecht bei der N o m i n i e r u n g i h rer Professoren e i n g e r ä u m t . " D i e Professoren waren durch ihre besondere Rechtsstellung als gleichzeitige Inhaber von Kirchenämtern dem Stuttgarter Konsistorium verantwortlich. M i t der E r r i c h t u n g des T ü b i n g e r herzoglichen Stipendiums im Jahr 1 5 3 6 hatte Herzog U l r i c h die Grundlage geschaffen, um dem theologischen N a c h wuchs des Landes eine soldide und gleichmäßige Ausbildung zuteil werden zu lassen. 1 2 D i e Wirkungskraft des T ü b i n g e r Stifts untermauert eindrucksvoll die T h e s e , daß die wesentliche Voraussetzung für die Verdichtung territorialer Herrschaft in der einheitlichen Ausbildung von B e a m t e n und Pfarrern liegt. 1 3 Allein schon diese O r i e n t i e r u n g der Universitäten der Frühen Neuzeit an den

8 Vgl. A U G U S T L U D W I G R E Y S C H E R (Hrsg.): Vollständige, historisch und kritisch bearbeitete Sammlung der württembergischen Gesetze. Bd. 1 1 , 3 : Universitätsgesetze. Tübingen 1843, Nr. 22. 9 Vgl. R E Y S C H E R (Hrsg.): Württembergische Gesetze. Bd. 11, 3, Nr. 25. 111 Vgl. R E Y S C H E R (Hrsg.): Württembergische Gesetze. Bd. 11, 3, Nr. 25, S. 1 4 6 - 1 5 5 . Vgl. T H Ü M M E L : Universitätsverfassung, S. 170. G U N T H E R F R A N Z : Bücherzensur und Irenik. Die theologische Zensur im Herzogtum Württemberg in der Konkurrenz von Universität und Regierung. In: Martin Brecht (Hrsg.): Theologen und Theologie an der Universität Tübingen. Beiträge zur Geschichte der Evangelisch-Theologischen Fakultät (Contubernium, Bd. 15).Tübingen 1977, S. 1 2 3 - 1 9 4 , hier S. 138. 11 C A R L VON W E I Z S Ä C K E R : Lehrer und Unterricht an der evangelisch-theologischen Facultät Tübingen von der Reformation bis zur Gegenwart. In: Beiträge zur Geschichte der Universität Tübingen. Festgabe bei der vierten Säcularfeier ihrer Gründung im Jahre 1877. Tübingen 1877, S. 24. 12 Vgl. M A R T I N B R E C H T : Art. Tübingen. II. Stift. In: R G G 6 ( I 9 6 0 3 ) , Sp. 1 0 6 9 ff., hier Sp. 1 0 6 9 . Allgemein: M A R T I N L E U U E : Geschichte des Tübinger Stifts. 2 Bde. Stuttgart 1 9 2 1 und 1 9 3 0 . Vgl. auch W O L F G A N G R E I N H A R D : Kirche als Mobilitätskanal der frühneuzeitlichen Gesellschaft. In: Wilfried Schulze (Hrsg.): Ständische Gesellschaft und soziale M o bilität (Schriften des Historischen Kollegs, Kolloquien, Bd. 1 2 ) . München 1 9 8 8 , S. 3 3 3 — 3 5 1 , bes. S. 3 4 9 ff. 13 V O L K E R P R E S S : Stadt und territoriale Konfessionsbildung. In: Franz Petri (Hrsg.): Kirche und gesellschaftlicher Wandel in deutschen und niederländischen Städten der wer-

Statuten und Ordinationen

der Universität

Tübingen

17

Bedürfnissen und Postulaten von Gesellschaft und Staat zeigt, daß hierbei auch die Theologen — in einem geschlossenen protestantischen Territorium wie Württemberg zumal - nicht von einer Handlungsanleitung für die Praxis absehen konnten. Auch in der Wissenschaftsorganisation selbst, die sich im Spannungsfeld von Pädagogisierung und Verwissenschaftlichung bewegte, hat sich - wie Laetitia B o e h m darlegt — innerhalb der wissenschaftlichen Lehre der von der Obrigkeit verordnete und gesellschaftlich geforderte Praxisbezug durchgesetzt. 14 Ein Rückzug der Theologen auf das reine Kerygma war gerade in der Zeit des landesherrlichen Kirchenregiments weder theologisch verantwortbar noch gesellschaftspolitisch möglich. A u f einen weiteren wichtigen Ausbildungszweig sei an dieser Stelle nur verwiesen. Die komplexer werdenden Erfordernisse des frühmodernen Staates setzten in hohem Maße für staatliche Exekutive und Jurisdiktion juristische Bildung voraus. Allein die Stuttgarter Zentralverwaltung, bestehend aus Kanzlei, Oberrat, R e n t k a m m e r und Kirchenrat, benötigte qualifizierte Beamte, ebenso der ab 1629 institutionalisierte Geheime Regimentsrat. 1 5 Besonders der für die Bereiche der Rechtsprechung zuständige Oberrat benötigte infolge einer immer komplizierter werdenden Landesverwaltung zunehmend qualifizierte Juristen. Diesem Umstand wurde schon bald durch eine Eingangsprüfung R e c h n u n g getragen. So mußte beispielshalber von 1613 an von den künftigen Oberräten, und zwar sowohl von den adeligen wie auch von den bürgerlichen, gelehrten R ä t e n , eine Eingangsprüfung abgelegt werden. Jeder Anwärter mußte eine sogenannte Proberelation, also ein juristisches Gutachten zu einem Fall anfertigen, dessen Entscheidung mit Belegen aus dem württembergischen R e c h t zu untermauern war. 16 D e r Oberrat bildete zudem ein Reservoir an qualifizierten Beamten, die im Laufe ihrer Karriere an andere administrative Institutionen überwechseln konnten. D e m Geheimen R a t gehörten schon vor seiner Institutionalisierung im Jahre 1629 vornehmliche Personen mit juristischen Sachkenntnissen an.

denden Neuzeit (Städteforschung. Veröffentlichungen des Instituts für vergleichende Städtegeschichte in Münster/Westfalen, R e i h e A, Bd. 10). Köln, W i e n 1980, S. 2 5 1 - 2 9 6 , hier bes. S. 2 9 3 f. H E R M A N N E H M E R : Bildungsideale des 16. Jahrhunderts und die B i l dungspolitik von Herzog Christoph in Württemberg. In: Blätter für württembergische Kirchengeschichte 77 (1977), S. 5 - 2 4 , bes. S. 1 3 - 2 4 . DEETJEN: Studien zur W ü r t t e m b e r gischen Kirchenordnung, S. 89—105. 14 L A E T I T I A B O E H M : Universitäre Wissenschaftsorganisation und gesellschaftliche B i l dungspostulate. In: R u d o l f Schmitz (Hrsg.): Wissenschaft und Gesellschaft. Herausforderungen und Wechselwirkungen in ihrer Zeit. Frankfurt 1 9 7 8 , S. 6 1 - 7 2 , hier S. 6 5 f. 15 J A M E S A L L E N V A N N : W ü r t t e m b e r g auf dem Weg zum modernen Staat 1 5 9 3 - 1 7 9 3 . Stuttgart 1 9 8 6 (engl. 1 9 8 4 ) , S. 4 9 . 1 6 VANN:Württemberg auf d e m W e g zum modernen Staat, S. 5 3 und S. 67 ff.Von den 25 Geheimen Räten zwischen 1593 und 1628 studierten 2 4 Rechtswissenschaft, nur einer, Propst Johann Magirus, war wohl, wie seine Karriere im Kirchendienst zeigt, ein studierter Theologe.

18

Theoretische

Grundlegung:

Theologie

- Predigt -

Alltag

D i e Universität als h ö h e r e Bildungsinstitution findet in der W ü r t t e m b e r g i schen G r o ß e n K i r c h e n o r d n u n g v o n 1559 keine b e s o n d e r e Berücksichtigung. 1 7 I m Artikel Von der Lehr vnd Predig w e r d e n j e d o c h Pfarrer, Prediger u n d alle sonstigen Kirchendiener, die ein L e h r a m t i n n e h a b e n , angehalten, das sie die Schrifft der heiligen Propheten vnd Aposteln/ empfiglich lesen/ recht versteen/ vnd alle jre Predig in lehr/ ermanen vnd straffen/ darauff vnd darauß gründen vnd bestafejtigen.™ Diese enge V e r b i n d u n g v o n Lehre u n d Predigt w i e d e r h o l t sich seit 1561 in der V e r b i n d u n g der statuarischen Professuren der T ü b i n g e r t h e o logischen Fakultät mit w ü r t t e m b e r g i s c h e n K i r c h e n ä m t e r n . 1 9 D a m i t ist der e r ste O r d i n a r i u s zugleich Propst der Stiftskirche u n d Kanzler der Universität. Als sogenannter F r ü h p r e d i g e r hat er sonntags i m Wechsel mit d e m P f a r r e r die M o r g e n p r e d i g t zu halten. D e r zweite Ordinarius, D e k a n der Stiftskirche u n d S u p e r a t t e n d e n t des herzoglichen Stifts ist an Feiertagen f ü r die M o r g e n p r e d i g t verantwortlich. D e r dritte O r d i n a r i u s ist zugleich Pfarrer an der Stiftskirche, das h e i ß t Stadtpfarrer v o n T ü b i n g e n , u n d Spezialsuperintendent des T ü b i n g e r Amtes; i h m obliegt i m Wechsel mit d e m Propst die m o r g e n d l i c h e Sonntagspredigt. Alle drei Professoren h a b e n sich bei d e n Predigten a m D o n n e r s t a g abzuwechseln. Allen weiteren Predigtverpflichtungen hat der Pfarrer n a c h z u k o m m e n . D e r I n h a b e r des Extraordinariats hat auch die Stelle des zweiten S u p e r a t t e n d e n t e n a m Stift zu versehen; i h m steht kein Sitz in Senat u n d Fakultätsversammlung zu. N o c h in d e n Statuten v o n 1752 wird die V e r b i n d u n g zwischen d e n drei K i r c h e n ä m t e r n u n d d e n drei O r d i n a r i e n w i e d e r h o l t . 2 0 D i e v o r g e n o m m e n e Verteilung m u ß allerdings als idealtypisch angesehen w e r d e n , sie s t i m m t i m f o l g e n d e n nicht i m m e r mit der Wirklichkeit überein. D i e Ä m t e r v e r t e i l u n g k o n n t e zwischen d e n Professoren wechseln, i m A u s n a h mefall — erstmals s c h o n 1587 — k o n n t e es sogar zu einer T r e n n u n g v o n Pfarrei u n d Professur k o m m e n . 2 1 Beibehalten w u r d e j e d o c h stets die prinzipielle Verp f l i c h t u n g der O r d i n a r i e n der theologischen Fakultät z u m Predigtdienst. 2 2 1741 w i r d die Pflicht zu predigen der b e i d e n n e b e n d e m Kanzler bestellten 17 Vgl. in der Württembergische Große Kirchenordnung das ausfuhrliche Kapitel über die Schulen (S. cxix'—cxcviv) : Particularschulen; Pädagogium in Stuttgart; Klosterschulen; herzogliches Stipendium und Pädagogium in Tübingen; Collegium Illustre; Deutsche Schulen. 18 Württembergische Große Kirchenordnung, S. Ii1—liiv; bes. S. liir. 19 R E Y S C H E R (Hrsg.): Württembergische Gesetze. Bd. 1 1 , 3 , Nr. 25, bes. S. 149 ff. Vgl. T H Ü M M E L : Universitätsverfassung, S. 172 f. W E I Z S Ä C K E R : Theologische Fakultät, S. 24 ff. 20 R E Y S C H E R (Hrsg.): Württembergische Gesetze. Bd. 1 1 , 3 , Nr. 6 3 , Kap. 3 und Kap. 8 . Vgl. T H Ü M M E L : Universitätsverfassung, S . 1 7 4 . 21 Vgl. W E I Z S Ä C K E R : Theologische Fakultät, S. 35 f. T H Ü M M E L : Universitätsverfassung, S. 174. 22 So heißt es im Fakultätsbericht aus dem Jahr 1576 nach dem Konzept Heerbrands:

Das predigen betreffend, wollen wir unss diss ortts, der gelegenheit nach wol wissen zu und dermassen verhalten, das vermittelst göttlicher gnaden, wie bissanher, also auchfürohin

vergleichen [sovil an

Statuten und Ordinationen der Universität Tübingen

19

Professoren zwar beibehalten, j e d o c h a u f Festtage und besondere Predigten eingeschränkt. Das Extraordinariat ist seit 1 7 1 7 mit dem Stadtpfarramt verknüpft, da der j ü n g e r e Pfaff bei Antritt des dritten Ordinariats 1 7 1 7 nicht b e reit gewesen war, die damit verbundenen Predigtverpflichtungen zu ü b e r n e h m e n . 2 3 Als er nach dem Tod seines Vaters 1 7 2 0 a u f die Stelle des zweiten O r d i nariats und dem damit verbundenen Dekanat rückte, wurde er zwar v o m Konsistorium ausdrücklich verpflichtet, wenigstens dann und wann zu predigen, er entzog sich dieser Aufgabe j e d o c h durch einen herzoglichen Dispens. 2 4 Erst i m J a h r 1 7 9 4 wurde die Stadtpfarrei endgültig von ihrer Verbindung mit ein e m Lehramt getrennt und mit dem sogenannten Stadtdekanat e i n e m A m t s dekan übertragen. 2 5 D i e 1 5 6 1 festgelegten Visitationspflichten der Professoren werden schon in der herzoglichen Ordination v o m 18. Februar 1 6 0 1 mit einer Ausnahme nicht m e h r erwähnt: dem Spezialsuperintendent obliegt weiterhin die Visitation des T ü b i n g e r Amtes. 2 6 G e m ä ß den Fakultätsstatuten v o m 15. August des Jahres 1 6 0 1 2 7 , wie auch den Statuten aus dem J a h r 1 7 5 2 2 8 , besteht die theologische Fakultät aus vier Professuren, die in strenger hierarchischer O r d n u n g stehen. E i n e Aufteilung nach Fachlehrstühlen existiert erst ab 1817; in diesem Jahr wurde auch die Stelle des Kanzlers v o m ersten theologischen Ordinariat abgelöst. 2 9 D i e Lektionsverteilung von 1601 hatte zwei alttestamentliche Lehraufträge und einen neutestamentlichen Lehrauftrag für die drei Ordinarien vorgesehen, der Inhaber des Extraordinariats hatte über das C o m p e n d i u m zu lesen. 3 0 Für J a uns] kein fehl mangel oder dag darinnen soll erscheinen. (Zit. bei WEIZSÄCKER: Theologische Fakultät, S. 32). Vgl. THÜMMEL: Universitätsverfassung, S. 174. 23 WEIZSÄCKER: Theologische Fakultät, S. 98. 24 WEIZSÄCKER: Theologische Fakultät, S. 99. 23 ERNST CONRAD: Die Lehrstühle der Universität Tübingen und ihre Inhaber (14771927). Unveröffentlichte Magisterarbeit. Tübingen 1960, S. 5. 26 Zu den Visitationsverpflichtungen vgl. WEIZSÄCKER: Theologische Fakultät, S. 24. 27 REYSCHER (Hrsg.): Württembergische Gesetze. Bd. 11, 3, Nr. 42, bes. Kap. 1 und Kap. 2. 28 REYSCHER (Hrsg.): Württembergische Gesetze. Bd. 11, 3, Nr. 63, bes. Kap. 8. 29 CONRAD: Lehrstühle der Universität Tübingen, S. 4 ff. 3 0 Zum Jahr 1601 vgl. WEIZSÄCKER: Theologische Fakultät, S. 44: Kanzler - Pentateuch; 2. Ordinarius — Propheten; 3. Ordinarius — Bücher und Briefe des Neuen Testaments; Extraordinarius — Konkordienformel; CA; Compendium Locorum Theologorum. Zu den Jahren 1652, 1662 und 1744 vgl. CONRAD: Lehrstühle der Universität Tübingen, S. 4 ff: Kanzler — Altes Testament; 2. Ordinarius — Kontroverstheologie; 3. Ordinarius — Neues Testament; Extraordinarius — Compendium. Zum Jahr 1662: Kanzler — Kontroverstheologie; 2. Ordinarius — Altes Testament; 3. Ordinarius — Neues Testament; Extraordinarius — Systematische Theologie. Zum Jahr 1744: Die drei Ordinarien lesen abwechselnd in einem dreijährigen Turnus: Thesis; Exegese (AT, NT); Kontroverstheologie. Der Extraordinarius liest Historia ecclesiastica/ Theologia homiletica. - Ein SCHEMA LECTIONUM IN THEOLOGIA ist abgedruckt in: O R D O S T U D I O R U M || IN || ACADEMIA || quae TUBINGAE est, || publicè propositus || ANNO 1744, S. A. Es zeigt für die

20

Theoretische Grundlegung: Theologie — Predigt — Alltag

kob R e y h i n g 3 1 , den früheren Jesuiten und ersten Konvertiten an der evangelisch-theologischen Fakultät war per herzoglichem D e k r e t 1 6 2 2 eine gesonderte Professur für Kontroverstheologie eingerichtet worden, die ab 1 6 5 2 als ständige Professur geführt wird. Dafür fällt ein alttestamentlicher Lehrauftrag fort. Diese N e u e r u n g wird von Kanzler J o h a n n U l r i c h Pregitzer in einem Protokoll v o m 4. N o v e m b e r 1 6 5 3 als unnötig bezeichnet. 3 2 In der Folgezeit entwickelt sich diese Professur j e d o c h zur vornehmsten der Fakultät und wird mit der Stelle des Kanzlers verbunden. 3 3 E i n e r ihrer wirkungsvollsten Inhaber ist der frühere Pfarrer der Reichsstadt Esslingen, Tobias Wagner, der nach 29jähriger Tätigkeit in Esslingen im April 1 6 5 3 nach T ü b i n g e n wechselte. B e i Einführung der neuen Universitätsordnung 1561 setzte sich die t h e o l o gische Fakultät wie folgt zusammen: J a c o b Beuerlin, J a c o b Heerbrand, D i e t rich Schnepf. M i t der B e r u f u n g von J a c o b Andreae in die Nachfolge des schon im O k t o b e r 1561 in Paris verstorbenen Beuerlin und der Übertragung des Extraordinariats auf Johannes Brenz j u n . im Februar 1 5 6 2 wurde ein K o l legium geschaffen, das 2 4 Jahre in dieser Konstellation die Geschicke der Fakultät lenkte. 3 4 E i n e Synopse, die über die weiteren Personalstellen der evangelisch-theologischen Fakultät informiert, ist im Anhang beigefügt. 3 5

2. Die Württembergische Große

Kirchenordnung

D i e W ü r t t e m b e r g i s c h e G r o ß e Kirchenordnung entstand in den Jahren 1552—1559 unter Herzog Christoph von W ü r t t e m b e r g . B e i der N e u o r d n u n g der württembergischen Kirche spielte Johannes Brenz eine herausragende R o l l e . 3 6 E r wird für ihren patriarchalischen Grundzug verantwortlich gemacht, Jahre 1744-1748 das rotierende Prinzip der drei Ordinarien, die innerhalb dieses Turnus einmal die Fachbereiche Thesin, Exegesin (AT/ Winter; N T / Sommer) und Controversien (im Winter einstündig; im Sommer zweistündig) zu lesen haben. Der Extraordinarius liest in diesem Zeitraum über Historiam, Ecclesiasticam, Homiletica und über Kirchengeschichte. 31 WEIZSÄCKER: Theologische Fakultät, S. 53, S. 57 32 Vgl. WEIZSÄCKER: Theologische Fakultät, S. 72. 33 WEIZSÄCKER: Theologische Fakultät, S. 73. 34 WEIZSÄCKER: Theologische Fakultät, S. 29. 33 Ein Uberblick über die weitere Entwicklung der evangelisch-theologischen Fakultät findet sich bei WEIZSÄCKER: Theologische Fakultät, für die Jahre 1590-1620 (S. 38-52), für die J a h r e 1 6 2 0 - 1 6 5 2

(S. 5 2 - 5 4 ) , für die J a h r e 1 6 5 0 - 1 6 9 0

(S. 6 5 - 8 1 ) , für die J a h r e

1 6 9 0 - 1 7 2 0 (S. 8 1 - 9 9 ) , für d i e J a h r e 1 7 2 0 - 1 7 5 6 (S. 9 9 - 1 1 7 ) . V g l . S. 3 8 2 - 3 8 6 A n h a n g .

36 HANNS RÜCKERT: Johannes Brenz. Vorträge und Aufsätze zur historischen Theologie. Tübingen 1972, S. 223-238, bes. S. 232-238. MARTIN BRECHT: Brenz als Zeitgenosse. In: Blätter für württembergische Kirchengeschichte 70 (1970), S. 5—39, bes. S. 20—25.

MARTIN BRECHT: A r t . B r e n z , J o h a n n e s . I n : T R E

7

( 1 9 8 1 ) , S. 1 7 0 - 1 8 1 .

HANS-MARTIN

MAURER u n d KUNO ULSHÖFER: J o h a n n e s B r e n z u n d die R e f o r m a t i o n in W ü r t t e m b e r g .

Stuttgart, Aalen [1974]. ROSEMARIE MÜLLER-STREISAND:Theologie und Kirchenpolitik bei

Die Württembergische Große

21

Kirchenordnung

d e r in d e n V o r r e d e n zur C o n f e s s i o V i r t e m b e r g i c a u n d zur k l e i n e n ( 1 5 5 3 ) u n d g r o ß e n K i r c h e n o r d n u n g ( 1 5 5 9 ) d e u t l i c h zutage tritt. 3 7 D e r E n t w i c k l u n g s p r o z e ß bis h i n zur W ü r t t e m b e r g i s c h e n G r o ß e n K i r c h e n o r d n u n g des J a h r e s 1 5 5 9 ist v o n M a r t i n B r e c h t q u e l l e n k r i t i s c h a u f g e a r b e i t e t w o r d e n . D i e K i r c h e n o r d n u n g stellt e i n e n Z u s a m m e n s c h l u ß v o n 1 9 e i n z e l n e n , bereits z u v o r erlassenen O r d n u n g e n dar. Z u A n f a n g steht die C o n f e s s i o V i r t e m b e r g i c a ; i h r f o l g e n R e g e l u n g e n für K i r c h e , P r e d i g e r u n d G o t t e s d i e n s t , e i n e

Ehegerichtsordnung,

O r d n u n g e n für die S c h u l e n , s o w i e die K a s t e n o r d n u n g , die das A r m e n w e s e n b e h a n d e l t . H i e r s c h l i e ß e n sich w i e d e r u m A b s c h n i t t e ü b e r V o r s c h r i f t e n für die M e d i z i n (Leibärzte, W u n d ä r z t e ) u n d für die Teutschen

Modisten,

d. h . S c h r e i b -

u n d R e c h e n m e i s t e r , an, g e f o l g t v o n A b s c h n i t t e n ü b e r p o l i t i s c h e u n d k i r c h l i c h e Z e n s u r , ü b e r die R ü g o r d n u n g u n d ü b e r p o l i t i s c h e u n d k i r c h l i c h e V i s i t a t i o n e n . D e n A b s c h l u ß b i l d e n B e s t i m m u n g e n ü b e r die B e s o l d u n g der G e i s t l i c h e n u n d e i n i g e V e r o r d n u n g e n des K i r c h e n r a t s . S c h o n die k u r z e A u f z ä h l u n g m a c h t d e u t l i c h , w i e sehr sich in der w ü r t t e m b e r g i s c h e n K i r c h e n o r d n u n g sakrale u n d p r o f a n e B e r e i c h e ü b e r s c h n e i d e n . R ü c k e r t sieht beispielsweise in der A u s w e i t u n g der K o d i f i k a t i o n in e i g e n t l i c h p r o f a n e B e r e i c h e e i n S y m p t o m für die e n g e V e r f l e c h t u n g v o n k i r c h l i c h e r u n d p o l i t i s c h e r V e r w a l t u n g in d e r K o n z e p t i o n des w ü r t t e m b e r g i s c h e n H e r z o g t u m s . 3 8 M i t H i l f e dieser K i r c h e n o r d n u n g läßt sich die w ü r t t e m b e r g i s c h e

Kirche

b e s o n d e r s d u r c h z w e i P u n k t e c h a r a k t e r i s i e r e n . Z u m e i n e n b i l d e t die K i r c h e n o r d n u n g die Basis eines l a n d e s h e r r l i c h e n K i r c h e n r e g i m e n t s , das in W ü r t t e m b e r g u n t e r H e r z o g C h r i s t o p h e i n e straffe zentralistische A u s p r ä g u n g e r f a h r e n h a t t e u n d z u m a n d e r e n ist in dieser O r d n u n g die t h e o l o g i s c h e

Grundlegung

der l u t h e r i s c h e n L a n d e s k i r c h e in der F o r m u n d d e m Verständnis des J o h a n n e s B r e n z g e g e b e n . I n der P e r s o n des J o h a n n e s B r e n z ist e i n s c h e i n b a r n a h t l o s e r U b e r g a n g v o n der E p o c h e Württemberg

der R e f o r m a t i o n

zu j e n e r der O r t h o d o x i e

zu k o n s t a t i e r e n . 3 9 D a s S e l b s t b e w u ß t s e i n

dieser

in

Landeskirche

w a r g r o ß u n d stärkte einerseits die U n t e r n e h m u n g e n , die K i r c h e n o r d n u n g in a n d e r e T e r r i t o r i e n zu e x p o r t i e r e n , w i e a u c h andererseits die u n e r m ü d l i c h e n V e r s u c h e , e i n e E i n i g u n g der l u t h e r i s c h e n K i r c h e n h e r b e i z u f u h r e n . E i n

Un-

t e r n e h m e n , das in der F o r m u l a C o n c o r d i a e v o n E r f o l g g e k r ö n t w a r — a u c h w e n n die d o r t g e f u n d e n e K o n s e n s f o r m u l i e r u n g s c h o n b a l d z u m

erneuten

Dissens i n n e r h a l b der l u t h e r i s c h e n K i r c h e n f ü h r e n sollte.

Jakob Andreae. In: Blätter für württembergische Kirchengeschichte 60/61 S. 2 2 4 - 3 9 5 , hier bes. S. 2 3 1 - 2 4 4 . 37 38

BRECHT: K i r c h e n o r d n u n g , S. 32—50. HANNS RÜCKERT: D i e E i g e n a r t der G r o ß e n W ü r t t e m b e r g i s c h e n

(1960/61),

Kirchenordnung.

In: Hans Rückert (Hrsg.): Vorträge und Aufsätze zur historischen Theologie. Tübingen 1971, S. 2 5 2 - 2 6 3 , hier S. 259. 39

BRECHT: K i r c h e n o r d n u n g , S. 5 3 . SCHÄFER: ZU erbauen u n d zu erhalten, S. 58—65.

Vgl. HEINRICH GÜRSCHING: Jakob Andreae und seine Zeit. In: Blätter für württembergische Kirchengeschichte 54 (1954), S. 1 2 3 - 1 5 6 , bes. S. 1 3 1 - 1 5 6 .

22

Theoretische Grundlegung: Theologie - Predigt - Alltag

M i t der K i r c h e n o r d n u n g w u r d e ein o r t h o d o x e s L u t h e r t u m b e g r ü n d e t , das f ü r die darauffolgende Z e i t auch das landesherrliche K i r c h e n r e g i m e n t mit prägte. In der K i r c h e n o r d n u n g liegt die radikale Durchgestaltung des landesherrlichen Regiments vor, die in diesem S a m m e l w e r k eine weitaus gewichtigere Schlagkraft entfaltete, als d e n einzelnen V e r o r d n u n g e n j e hätte z u k o m m e n k ö n n e n . 4 0 Ergänzt w u r d e die theologische G r u n d l e g u n g dann n o c h d u r c h die b e k e n n t n i s m ä ß i g e Z u s a m m e n f a s s u n g der Brenzschen Lehre v o m N a c h t m a h l Christi, auf die am 19.12.1559 die gesamte Geistlichkeit W ü r t t e m b e r g s verpflichtet w u r d e . N a c h M e i n u n g Gürschings ist damit der Abschluß der z w e i ten R e f o r m a t i o n in W ü r t t e m b e r g erreicht. 4 1 D i e A u f g a b e n der weltlichen O b r i g k e i t w u r d e n in der K i r c h e n o r d n u n g auf zweifache Weise b e s t i m m t : z u m einen t r u g auch sie die Sorge f ü r die reine Lehre des Evangeliums, z u m anderen hatte sie M a ß n a h m e n zu ergreifen, die Frieden, R u h e , Einigkeit u n d W o h l f a h r t des Volkes förderten. D e r H e r z o g b e rief sich dabei auf die Tradition der alttestamentlichen K ö n i g e u n d deren b e sondere V e r a n t w o r t u n g vor G o t t . 4 2 Dies war in W ü r t t e m b e r g nicht v o n A n f a n g an thematisiert w o r d e n . Z w a r sah sich bereits H e r z o g U l r i c h als Landesh e r r dazu verpflichtet, die Treuhänderschaft f ü r kirchliche A n g e l e g e n h e i t e n zu ü b e r n e h m e n . D a z u berief er sich interessanterweise n o c h auf die R e c h t e seiner Vorgänger i m Z u s a m m e n h a n g mit Kirchensachen aus der Z e i t vor der E i n f ü h r u n g der R e f o r m a t i o n u n d zog n o c h nicht die K ö n i g e des Alten Testam e n t s zur L e g i t i m i e r u n g seiner kirchlichen Interessen heran. A u c h in der L a n d e s o r d n u n g v o n 1536 fehlt j e d e r B e z u g auf die e n t s p r e c h e n d e n Stellen. In der Visitationsordnung v o n 1547 f i n d e n diese Stellen zwar E r w ä h n u n g , d i e n e n aber n o c h nicht zur L e g i t i m i e r u n g obrigkeitlicher R e c h t e . 4 3 D i e in d e n Artikeln der K i r c h e n o r d n u n g der O b r i g k e i t auferlegte Verantw o r t u n g f ü r beide Tafeln des Gesetzes w i d e r s p r i c h t einer strengen Fassung der Z w e i r e i c h e l e h r e Luthers. D i e Verfasser der K i r c h e n o r d n u n g sind sich d a r ü b e r auch völlig i m klaren. Sie wissen u m d e n U n t e r s c h i e d , der zwischen geistlic h e m u n d weltlichem R e g i m e n t besteht: vngeacht/ das etzlicher vermeinen nach der Weltlichen Oberkeit/ allein das Weltlich Regiment zu[o]steen solt [...].44. G e r a d e u n t e r Verweisung auf die alttestamentlichen H e r r s c h e r w e r d e n j e d o c h alle in diese R i c h t u n g w e i s e n d e n B e d e n k e n ausgeblendet. D i e parallele Verwaltung des H e r z o g t u m s in weltlichen u n d kirchlichen B e langen läßt sich verfassungsmäßig a m deutlichsten an d e m in der s o g e n a n n t e n Die Eigenart der Großen Württembergischen Kirchenordnung, S. 2 5 8 . GÜRSCHINC,: Jakob Andreae und seine Zeit, S. 128; vgl. ebd., S. 130. 42 Vgl. B R E C H T ; E H M E R : Südwestdeutsche Reformationsgeschichte, S. 3 3 7 . 43 R E Y S C H E R (Hrsg.): Württembergische Gesetze. Bd. 8, S. 70. H A N S W A L T E R K R U M WIEDE: Reformation und Kirchenregiment in Württemberg. In: Blätter für württembergische Kirchengeschichte 68/69 (1968/69), S. 81-111, hier S. 96. 44 Württembergische Große Kirchenordnung, S. *iiii der Vorrede Herzog Christophs von Württemberg. 40

41

RÜCKERT:

Die Württembergische Große Kirchenordnung

23

Visitationsordnung vom Mai 1553 geschaffenen Kirchenrat zeigen. 45 Er stand an der Spitze der kirchlichen Behördenorganisation und bestand aus einem politisch-ökonomischen und einem theologischen Ressort. In seine Zuständigkeit gehörte die gesamte Personalverwaltung und Stellenbesetzung in K i r che und Schule. Ihm stand zunächst der Landhofmeister vor, der auch im Stuttgarter Oberrat führte. Die durch die Kirchenordnung herbeigeführte leichte Lockerung — dem Stuttgarter Stiftspropst, der die theologische Abteilung des Kirchenrats leitet, wird eine gewisse Selbständigkeit eingeräumt — ändert nichts an der prinzipiellen Vereinigung der kirchlichen und weltlichen Institutionen unter herzoglicher Verwaltung. Die damit zweifellos erreichte institutionelle Stärkung der Kirche der Reformation trug mit ihrer Tendenz zu Zentralisation und Bürokratisierung in erheblichem M a ß e dazu bei, sowohl das reformatorisch eingeforderte Priestertum aller Gläubigen wie auch die Zweireichelehre in den Hintergrund zu drängen. R ü c k e r t sah darin eine Gefahr der Überschätzung der Organisation, der Ordnung, lutherisch gesprochen: des Gesetzes.46 Es stellt sich angesichts der Kirchenordnung in der Tat die Frage, ob hier eine Erziehung zur Frömmigkeit angelegt ist, die an der primären Aufgabe der Kirche, der Verkündigung des reinen Evangeliums, vorbeizielt. 47 Denn alles weltimmanente Handeln sollte nach ursprünglicher Auffassung der reformatorischen Kirchen nicht Ursache, sondern eben Wirkung dieser Verkündigung sein. A m Schluß der Kirchenordnung werden reformatorische Rechtfertigungslehre und Ordnungsdenken in folgenden Zusammenhang gebracht: So nun ein jeder, wölchen dise vnsere Ordnungen berüren, souil jme darinn aufferlegt, seinem Ampt getrewlich vndfleissig nachsetzen wurdet, stellen wir in keinen zweifei, der Allmächtig güttig Gott werde seinen Segen reichlich hierzu verleihen vnd geben, damit hie in zeit mit zeitlicher Wolfart, Christenlichem leben vnd zucht angefangen, vnnd in täglicher besserung, mit gnad des heiligen Geistes, durch vnsern Herrn Christum vnd seinen Verdienst erbawen werden möge, zu künfftigem ewigem leben.48 Die in der Württembergischen Großen Kirchenordnung grundgelegte Verflechtung von Kirche und Staat bestimmte in den nachfolgenden Jahrhunderten nachhaltig das Leben in Württemberg.

45

BRECHT: K i r c h e n o r d n u n g , S. 3 5 .

46

RÜCKERT: Die Eigenart der Großen Württembergischen Kirchenordnung, S. 2 6 2 . RÜCKERT: Die Eigenart der Großen Württembergischen Kirchenordnung, S. 262. Württembergische Große Kirchenordnung, S. cclxv v .

47 48

24

Theoretische Grundlegung: Theologie — Predigt — Alltag

II. Kirchlich-theologische Rahmenbedingungen im Herzogtum Württemberg 1. Bekenntnisse Confessio Virtembergica A u f d e m A u g s b u r g e r R e i c h s t a g 1 5 4 8 , n a c h der N i e d e r l a g e i m S c h m a l k a l d i s c h e n K r i e g , w u r d e v o n d e n P r o t e s t a n t e n verlangt, sich a u f d e m T r i e n t e r K o n z i l i h r e r K o n f e s s i o n w e g e n zu v e r a n t w o r t e n . 4 9 J o h a n n e s B r e n z e r h i e l t d e n A u f t r a g ein G l a u b e n s b e k e n n t n i s

abzufassen, das der V e r s a m m l u n g , die seit

d e m 1. M a i 1 5 5 1 e r n e u t in T r i e n t tagte, v o r g e l e g t w e r d e n k o n n t e . 5 0 A u f das Angebot

aus W ü r t t e m b e r g ,

ein

gemeinsames Vorgehen

der

evangelischen

S t ä n d e in dieser F r a g e zu e r r e i c h e n , g i n g j e d o c h n u r S t r a ß b u r g e i n . H i e r s t i m m t e n dann a b e r T h e o l o g e n u n d M a g i s t r a t d e m B r e n z s c h e n E n t w u r f zu, der z u v o r n o c h a u f e i n e m w ü r t t e m b e r g i s c h e n T h e o l o g e n k o n v e n t e i n e r g e m e i n s c h a f t l i c h e n P r ü f u n g u n t e r z o g e n w o r d e n war. 5 1 H e r z o g C h r i s t o p h l e h n t e e i n e w e i t e r r e i c h e n d e Z u s a m m e n a r b e i t m i t d e n k u r s ä c h s i s c h e n T h e o l o g e n ab, v i e l l e i c h t , u m a m k a i s e r l i c h e n H o f n i c h t in d e n V e r d a c h t e i n e r e r n e u t e n K o n spiration zu g e r a t e n , sah sich d o c h der H e r z o g zu e i n e r Politik d e r Loyalität gegenüber dem Kaiser verpflichtet.52 D a s w ü r t t e m b e r g i s c h e B e k e n n t n i s selbst verstand sich als W i e d e r h o l u n g der C o n f e s s i o A u g u s t a n a . 5 3 Es ist e i n e A u s e i n a n d e r s e t z u n g m i t der k a t h o l i s c h e n L e h r e , allerdings n i c h t u n t e r d e m A s p e k t der h a r t e n A u s g r e n z u n g , s o n d e r n der A n k n ü p f u n g u n d s o m i t ein e r n s t g e m e i n t e s

Unterredungsangebot,

a u c h w e n n i m V e r g l e i c h m i t der C o n f e s s i o A u g u s t a n a die A r t i k e l v o n

der

S c h r i f t , v o m Papst u n d v o n d e n K o n z i l i e n k o m p r o m i ß l o s e r f o r m u l i e r t sind. I n j e d e m A r t i k e l des w ü r t t e m b e r g i s c h e n B e k e n n t n i s s e s w e r d e n z u n ä c h s t die positiven P o s i t i o n e n der k a t h o l i s c h e n L e h r e dargestellt, dann erst erfolgt die k r i t i s c h e A u s e i n a n d e r s e t z u n g . 5 4 D i e s f u h r t dazu, daß die

Ubereinstimmung

49

Vgl. BRECHT; EHMER: S ü d w e s t d e u t s c h e

30

Vgl. zur E n t s t e h u n g s g e s c h i c h t e ERNST BIZER (Hrsg.): C o n f e s s i o V i r t e m b e r g i c a .

Reformationgeschichte,

S.

308-310. Das

württembergische Bekenntnis von 1551. Stuttgart 1952, S. 9 - 3 2 . 31 Vgl. BIZER (Hrsg.): Confessio Virtembergica, S. 19. Zur Kommission der württembergischer Theologen gehörten neben Johannes Brenz: M. Alber, K. Gräter, M . Frecht, J. Isenmann, V. Vannius, L. Weller, J. Beuerlin, J. Heerbrand. J. O. Mailänder, A. Keller und M . Uewinger. 32 BIZER: Confessio Virtembergica, S. 31 und Anm. 105. — EHMER:Art. Christoph von Württemberg, S. 70. 33 Vgl. BIZER: Confessio Virtembergica, S. 131. Alle Zeit galt die Reutlinger Handschrift als Reutlinger Entwurf für den Augsburger Reichstag; an ihr wurde — im Gegensatz zum Entwurf Melanchthons — besonders ihre entschiedene Sprache gerühmt. Der Text der Confessio Virtembergica bei ERNST BIZER (Hrsg.): Confessio Virtembergica. Das württembergische Bekenntnis von 1551. Stuttgart 1952. 34

BRECHT; EHMER: S ü d w e s t d e u t s c h e

Reformationsgeschichte,

S. 3 0 9

f.

25

Bekenntnisse

der evangelischen Lehre mit der altkirchlichen deutlich zutage tritt, die katholische Position dagegen als deren Abweichung erscheint. Gerade auch bei den zentralen Artikeln reformatorischer Theologie, wie der Rechtfertigung und der Lehre vom Abendmahl, zeigt sich die Kompromißbereitschaft. Das Bekenntnis selbst wurde in Trient nicht diskutiert, da das Konzil wegen der Erhebung des Kurfürsten Moritz von Sachsen nicht wie geplant tagen konnte 55 Die württembergische Delegation reiste unverrichteter Dinge wieder ab. In der folgenden literarischen Kontroverse zwischen dem Dillinger Universitätsprofessor und Dominikaner Petrus a Soto und Johannes Brenz, der dabei auch von weiteren württembergischen Theologen Unterstützung erhielt, werden dann noch einmal die unterschiedlichen konfessionellen Standpunkte herausgearbeitet. 56 In dieser Auseinandersetzung formuliert Johannes Brenz seine später Bekenntnischarakter annehmende Lehre von der Ubiquität. 57 Formula Concordiae Ein erneutes Uberdenken der in den 23 Artikeln der Confessio Augustana 58 formulierten Lehrgrundlagen der Lutheraner war notwendig geworden, weil die verschiedenen Ausgaben der Bekenntnisschrift so sehr variierten, daß Lehrmeinungen vertreten werden konnten, die für einige Interpreten nicht mehr zum originalen Bestand der Confessio des Jahres 1530 gehörten. Dies zeigen eindrucksvoll die verschiedenen Lehrstreitigkeiten im Anschluß an den Adiaphoristischen Streit. 59 Vor allem die Formulierungen der Artikel über die Rechtfertigung und das Abendmahl waren umstritten. Die Gnesiolutheraner, vor allem Flacius, versuchten am Urwortlaut der Confessio festzuhalten, wogegen die sogenannten Philippisten eine Fortentwicklung der Lehrbegriffe bejahten. Auf Fürstentagen wurde versucht, mit Hilfe landesherrlicher Autorität eine Vereinigung der lutherischen Stände herbeizufuhren. Die Versuche zu einheitlicher Lehrnorm und Kirchenordnung aller evangelischen Stände im

55

BIZER: C o n f e s s i o V i r t e m b e r g i c a , S. 3 2 - 5 3 .

56

BIZER: C o n f e s s i o V i r t e m b e r g i c a ,

formationsgeschichte, 37

S.

Vgl.

BRECHT;

S. 6 4 — 9 3 . B R E C H T ; E H M E R : S ü d w e s t d e u t s c h e

R e -

S. 313—315. EHMER:

Südwestdeutsche

Reformationsgeschichte,

S. 3 1 4 f .

und

427-431.

58 Vgl. BERNHARD LOHSE: D o g m a u n d B e k e n n t n i s in der R e f o r m a t i o n . Von L u t h e r bis z u m K o n k o r d i e n b u c h . In: Carl A n d r e s e n (Hrsg.): H a n d b u c h der D o g m e n - u n d T h e o l o giegeschichte. B d . 2: D i e L e h r e n t w i c k l u n g i m R a h m e n der Konfessionalität. G ö t t i n g e n 1980, S. 1 - 1 6 4 , hier: D o g m a u n d B e k e n n t n i s , Kap. IV, die § 3 (CA) u n d 4 (Schmalkaldische Artikel; M e l a n c h t h o n s Tractatus De potestate papae). 59 Vgl. LOHSE: D o g m a u n d B e k e n n t n i s , Kap. V: »Innerprotestantische Lehrstreitigkeiten«: interimistische Streit; majoristische Streit; a n t i n o m i s t i s c h e Streit; synergistische Streit; osiandrische Streit; A u s e i n a n d e r s e t z u n g e n u m A b e n d m a h l u n d C h r i s t o l o g i e ; Streit u m Prädestination.

26

Theoretische Grundlegung: Theologie — Predigt — Alltag

R e i c h zu k o m m e n , scheiterten j e d o c h a u f den Fürstentagen in Frankfurt und N a u m b u r g . 6 0 Als R e a k t i o n darauf entstanden landeskirchliche Bekenntnisse und Kirchenordnungen, wie auch in W ü r t t e m b e r g die G r o ß e K i r c h e n o r d nung sowie die Confessio Virtembergica zeigen. Von W ü r t t e m b e r g aus wurde unter den Herzögen Christoph und Ludwig in Zusammenarbeit mit J a c o b Andreae, der 1 5 6 2 Professor an der evangelischtheologischen Fakultät der Universität T ü b i n g e n geworden war, erneut der Versuch eines Konkordienwerkes gestartet. 6 1 A u f der Grundlage des R e l i gionsfriedens von 1 5 5 5 wurde das Einigungswerk unter den Lutheranern nur sie genossen als Stände der Confessio Augustana Friedensschutz — b e g o n nen. 6 2 I m M a i 1 5 7 0 zeigte sich in Zerbst, daß ein breiter Konsens aller auf dem W e g zu einer U n i o n nicht zu erreichen war. 6 3 M a n verzichtete deshalb a u f die Einheit und wählte den W e g über eine partikulare Verständigung. A n dreaes Sechs Predigten von den Spaltungen aus dem Jahr 1 5 7 3 markieren den A n fang des Durchbruchs zum Konkordienwerk der Lutheraner. U b e r die Schwäbische Konkordie ( 1 5 7 4 ) , die Schwäbisch-Sächsische Konkordie ( 1 5 7 5 ) und die sogenannte Maulbronner F o r m e l führte der W e g zum Torgischen B u c h , das nach einer erneuten R e d i g i e r u n g in Kloster B e r g am 2 8 . M a i 1577 — nun als Bergisches B u c h (ab 1 5 8 2 als Formula Concordiae) bezeichnet — von den dort versammelten sechs T h e o l o g e n verabschiedet werden konnte. 6 4 In z w ö l f Artikeln wird die Präzisierung der strittig gewordenen Postionen der Lutheraner dargelegt: (1) Von der Erbsünde, (2) Vom freien W i l l e n oder menschlichen Kräften, (3) Von der Gerechtigkeit des Glaubens für Gott,

60

BRECHT; EHMER: S ü d w e s t d e u t s c h e

R e f o r m a t i o n s g e s c h i c h t e , S.

433-435.

GÜRSCHING: Jakob Andreae und seine Zeit, S. 138 f. WERNER-ULRICH DEETJEN: »damit wir ob diesem Concordi Buch bestendig bleiben«. Südwestdeutschland und das Konkordienwerk. In: Blätter für württembergische Kirchengeschichte 79 (1979), S. 2 8 - 5 3 , hier S. 31. MARTIN BRECHT: Art. Andreae, Jakob. In: T R E 2 (1978), S. 6 7 2 - 6 8 0 , hier S. 6 7 5 - 6 7 9 . 61

62

Vgl.

LOHSE:

Dogma

und

Bekenntnis.

MARTIN

BRECHT

und

REINHARD

SCHWARZ

(Hrsg.): Bekenntnis und Einheit der Kirche. Studien zum Konkordienbuch. Stuttgart 1980. JOST EBEL: Jacob Andreae (1528-1590) als Verfasser der Konkordienformel. In: Zeitschrift für Kirchengeschichte 89 (1978), S. 78—119. GÜRSCHING: Jakob Andreae und seine Zeit, S. 1 2 3 - 1 5 6 . ROSEMARIE MÜLLER-STREISAND: Theologie und Kirchenpolitik bei Jakob Andrea bis zum Jahr 1568. In: Blätter für württembergische Kirchengeschichte 60/61 (1960/61), S. 2 2 4 - 3 9 5 . Hier findet sich im Anhang auch ein Schriftenverzeichnis Andreaes sowie einschlägige Forschungsliteratur zu Andreae. ERNST-WALTER ZEEDEN: Die Entstehung der Konfessionen. Grundlagen und Formen der Konfessionsbildung im Zeitalter der Glaubenskämpfe. München, Wien 1965. ERNST WOLF: Die Konkordienformel. In: BSLK. Göttingen 1982 9 , S. X X X I I - X L I V . BRECHT: Art. Andreae, Jakob, S. 6 7 2 - 6 8 0 . 63 Zur Entstehung der Konkordienformel vgl. BRECHT; EHMER: Südwestdeutsche R e formationsgeschichte, S. 4 3 7 - 4 3 9 . Vgl. LOHSE: Dogma und Bekenntnis, Kap. VI, § 1. GÜRSCHING: Jakob Andreae und seine Zeit, S. 143 f. 64 BRECHT; EHMER: Südwestdeutsche Reformationsgeschichte, S. 438 f: Andreae, Seinecker, Chemnitz, Musculus, Cornerus, Chyträus. DEETJEN: Konkordienwerk, S. 33—35.

Bekenntnisse

27

(4) Von guten Werken, (5) V o m Gesetz und Evangelium, (6) V o m dritten B r a u c h des Gesetzes Gottes, (7) V o m heiligen Abendmahl, (8) Von der Person Christi, (9) Von der Höllenfahrt Christi, (10) Von den Kirchengebräuchen, (11) Von der ewigen Vorsehung und Wahl Gottes, (12) Von andern R o t t e n und Sekten.65 E i n e W e r b e - und Unterschriftenaktion zum Bergischen Buch unter den evangelischen Ständen sowie den K i r c h e n - und Schuldienern holte deren Z u stimmung ein. 6 6 A m 2 5 . J u n i 1 5 8 0 , zum 50jährigen B e s t e h e n der Confessio Augustana, wird die Formula Concordiae gemeinsam mit den drei Hauptsymbolen (Apostolicum, Nicaeno-Konstantinopolitanum, Athanasianum), der Confessio Augustana sowie der Apologie Melanchthons, den Schmalkaldischen Artikeln, Melanchthons Tractatus de potestate et primatu papae, Luthers K l e i n e m und G r o ß e m Katechismus als Konkordienbuch dem Kaiser überreicht. 6 7 D a m i t war in zähem R i n g e n unter der Federführung des w ü r t t e m bergischen T h e o l o g e n J a c o b Andreae ein Bekenntniswerk geschaffen worden, das als die theologische Konsolidierung der lutherischen Lehre verstanden werden kann. D i e schwäbische O r t h o d o x i e T ü b i n g e r Prägung hat damit in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts eine Führungsrolle innerhalb des Luthertums im R e i c h erlangt: Keine andere lutherische Kirche [...] hat mit solcher Dynamik, Konsequenz und solch anhaltendem Erfolg über ein halbes Jahrhundert hin ihr Modell vom »Reich Gottes« propagiert, ihre Agende, Verfassung und Lehre samt ihren Theologen »exportiert« und damit ihre theologische, kirchen- und personalpolitische »Ubiquität« so demonstriert wie eben Württemberg.68 Jacob Andreae m u ß dabei als ein, wenn nicht gar der Protagonist der lutherischen Konfessionalisierung gelten. O b w o h l für die lutherische Lehre erarbeitet, ist die Formula C o n c o r d i a e zugleich ein zutiefst politisches B u c h ; nicht nur, was die Einigungsbestrebungen der Lutheraner im R e i c h anbelangt. In W ü r t t e m b e r g schloß die enge Verflechtung von K i r c h e und Staat t h e o l o gische Pluralität aus, war doch mindestens bis ins 17. Jahrhundert die U b e r zeugung selbstverständlich, daß die Einheit der Religion die unerläßliche Grundlagefür die Einheit der Gesellschaft sei.69 D i e Ausbildung des frühmodernen Staates und die Konfessionalisierung, die konfessionelle und die politische Identität sind beinahe kongruent.™ Was Andreaes E n g a g e m e n t im R e i c h dauerhaft 65 Vgl. Formula Concordiae. In: BSLK. Göttingen 1982, S. 829-1100 (Solida Declaratio).Vgl. LOHSE: Bekenntnis und Dogma, Kap.VI, § 2. 66

Zur »Werbeaktion« vgl. BRECHT; EHMER: Südwestdeutsche Reformationsgeschich-

te, S. 4 3 9 f. DEETJEN: K o n k o r d i e n w e r k , S. 3 8 - 4 0 . 67

BRECHT; EHMER: S ü d w e s t d e u t s c h e R e f o r m a t i o n s g e s c h i c h t e , S. 4 3 9 - 4 4 2 .

68

DEETJEN: Konkordienwerk, S. 32. LOHSE: Dogma und Bekenntnis, Kap.VI, § 3.

69

WOLFHART PANNENBERG: Christlicher Glaube und Gesellschaft. In: Wolfhart Pan-

nenberg (Hrsg.): Ethik und Ekklesiologie. Gesammelte Aufsätze. Göttingen 1977, S. 115— 128, hier S. 120. 70

WOLFGANG REINHARD: Konfession und Konfessionalisierung. In: Wolfgang R e i n -

28

Theoretische Grundlegung: Theologie - Predigt — Alltag

nicht bewirken konnte, gelang in W ü r t t e m b e r g . B e g r ü n d e t a u f der K i r c h e n ordnung und der Formula C o n c o r d i a e gelang es hier, ein konfessionell g e schlossenes Territorium zu etablieren. D i e Unterschrift unter die Formula Concordiae ist das sichtbare Z e i c h e n einer wechselseitigen Durchdringung von Kirche und Staat in W ü r t t e m b e r g . A n der Zustimmung zur K o n k o r d i e n formel hängt in W ü r t t e m b e r g nicht nur die theologisch-kirchliche, sondern auch die politisch-staatliche Karriere. Sehr bald b e k a m das Philipp Apian, D o k t o r der Medizin und Professor der Mathematik zu spüren. E r wurde, nachdem er in Ingolstadt vor den Jesuiten — seiner evangelischen Konfession halber — ausgewichen war, in T ü b i n g e n ein zweites M a l O p f e r der Konfessionalisierung. 7 1 E r wollte aus theologischen Gründen die Formula C o n c o r d i a e nicht unterzeichnen; seine B e r u f u n g a u f die Confessio Augustana nützte ihm nichts. A u c h wenn der Senat der Universität B e d e n k e n gegen die Entlassung äußerte - erst aus dem katholischen Bayern ins evangelische W ü r t t e m b e r g ausgewichen, und nun auch hier nicht linientreu —, Apian m u ß t e im J u n i 1 5 8 3 seine Professur niederlegen. Das gleiche Schicksal ereilte auch Johannes Kepler. 7 2 Völlig anders urteilte J a c o b Heerbrand, er sah keine F o r m e l , die der heiligen Schrift und der wahren apostolischen, katholischen und orthodoxen K i r che m e h r entsprechen würde als eben die Formula C o n c o r d i a . 7 3 A u f sie, wie auch a u f die Confessio Augustana, die Confessio Virtembergica, die K i r c h e n väter und natürlich die heilige Schrift selbst, wollte er seine Lehre gründen.

hard (Hrsg.): Bekenntnis und Geschichte. Die Confessio Augustana im historischen Zusammenhang (Schriften der Philosophischen Fakultäten der Universität Augsburg, N r . 2 0 ) . M ü n c h e n 1 9 8 1 , S. 1 6 5 - 1 8 9 , h i e r S. 1 8 8 . KLAUS SCHREINER: R e c h t g l ä u b i g k e i t als

»Band der Gesellschaft« und »Grundlage des Staates«. Zur eidlichen Verpflichtung von Staats- und Kirchendienern auf die »Formula Concordiae« und das »Konkordienbuch«. In: Martin Brecht und Reinhard Schwarz (Hrsg.): Bekenntnis und Einheit der Kirche. Studien zum Konkordienbuch. Stuttgart 1980, S. 351-379, hier S. 355-363. PO-CHIAHSIA: Social discipline in the Reformation, S. 17. 71 DAVID FRIEDRICH STRAUSS: Leben und Schriften des Dichters und Philologen Nicodemus Frischlin. Frankfurt/M. 1856, S. 283 f. Vgl. VOLKER PRESS: Philipp Apian (Vortrag im Rahmen des Alemannischen Instituts Tübingen, November 1989). SCHREINER: Rechtgläubigkeit als »Band der Gesellschaft« und »Grundlage des Staates«, S. 363-367. 72 JÜRGEN HÜBNER: Die Theologie Johannes Keplers zwischen Orthodoxie und Naturwissenschaft (Beiträge zur historischen Theologie, Bd. 50). Tübingen 1975. SCHREINER: Rechtgläubigkeit als »Band der Gesellschaft« und »Grundlage des Staates«, S. 367 ff. 73 HEERBRAND: Compendium Theologiae (1579), [a8]v. So auch WAGNER: Zwei Sonderbare Predigten, S. 27 und S. 55. Wagner sagt über seine Lehre, sie sei begründet in den symbolischen Büchern und dort besonders im Konkordienbuch, das [...] nechst der H. Schrifft/ wol fu[e]r einen großen Schatz zu halten ist [...].Vgl. WAGNER: Leichenpredigt Cellius, S. 35. Wagner schildert darin Cellius nicht nur als einen »orthodoxen« Theologen, der in seinem Beruf eifrig gewesen sei, sondern ebenfalls in Confession, Lehr vnd Bekandtnus, was sich dadurch geäußert habe, daß er die libros Symbolicos, die CA und das Konkordienbuch hochgehalten habe. Vgl. auch WAGNER: Leichenpredigt Demmler, S. 9.

Die Katechismen

29

Inhaltlich versteht sich die Konkordienformel als Wiederholung der Confessici Augustana. Dies wird im Kontext dieser Arbeit zunächst in die kontrovers geführte Diskussion um Gewicht und Bedeutung der ethischen Aussagen im Augsburger Bekenntnis fuhren. Die Forschung sieht hier, wie auch in den Predigten der lutherischen Orthodoxie das ethische Moment eher unterrepräsentiert. In einer neuen Studie hat Bockmühl nun die formale Gleichgewichtung von Dogmatik und Ethik in den Bekenntnisschriften herausgearbeitet. 74 Daran anknüpfend will die vorliegende Arbeit diese Gleichgewichtung aufsystematisch-theologischer Ebene in die Praxis der Predigt fortfuhren. Hinsichtlich der inhaltlichen Verbindung von Dogmatik und Ethik fuhrt sie jedoch zugleich darüber hinaus.

2. Die

Katechismen

In der ersten gedruckten württembergischen Kirchenordnung aus dem Jahr 1 5 3 6 h e i ß t es: Und nachdem vii daran gelegen, was die Jugendt von kindheyt auff lerne, so sollen die Visitatores und Superattendenten ein gleichfo[e]rmigen, bestendigen, kurtzen und kleinen catechismum, den die jungen von wort zu wort, außwendig lernen und sich undereinander darinn befragen mo[e]gen, in der ganzen landschafft anrich-

ten.75 Im Anhang zu dieser Kirchenordnung, die eigentlich eine Gottesdienstordnung darstellt, wird dann aber ohne nähere Erläuterung der Katechismus des Johannes Brenz wörtlich abgedruckt. Brenz hatte damit mit seinen Fragstücken, 1528 für die Reichsstadt Schwäbisch Hall konzipiert 76 , in W ü r t t e m berg gegenüber den konkurrierenden Katechismen von Martin Luther und Leo Jud den Vorzug erhalten. Die beiden letztgenannten Katechismen boten für einen Konsens in der Abendmahlsfrage, die im Herzogtum durch die Aufteilung des Landes in unterschiedliche reformatorische Lager dringend geboten war, keinen Ansatzpunkt, da sie jeweils zu pointiert die lutherische bzw. 74 K L A U S B O C K M Ü H L : Gesetz und Geist. Eine kritische Würdigung des Erbes protestantischer Ethik. Bd. 1: Die Ethik der reformatorischen Bekenntnisschriften. Basel 1987, S. 129 und S. 441-448:Von den zwölf Artikeln der Formula Concordiae haben drei (Art. 4, Art. 6, Art. 12) eine unmittelbare, und zwei (Art. 3, Art. 5) eine mittelbare Beziehung zur Ethik. 75 A U G U S T L U D W I G R E Y S C H E R (Hrsg.) Vollständige, historisch und kritisch bearbeitete Sammlung der württembergischen Gesetze. Bd. 8: Evangelische Kirchengesetze. Tübingen 1 8 3 4 , S . 4 9 . Vgl. zum folgenden W E I S M A N N : Eine kleine Biblia. Die Katechismen von Luther und Brenz. Stuttgart 1 9 8 5 , S. 5 2 - 5 4 . 76 W E I S M A N N : Eine kleine Biblia, S. 4 6 - 5 0 . J O S E P H H A L L E R : Der kleine u n d der große Katechismus von Johann Brenz für Schw. Hall. In: Evangelisches Kirchenblatt 59 ( 1 8 9 8 ) , S. 2 9 7 - 3 0 0 . Vgl. C H R I S T O P H W E I S M A N N : Die Katechismen des Johannes Brenz. Bd. 1: Die Entstehungs-,Text- und Wirkungsgeschichte (Spätmittelalter u n d R e f o r m a tion, Bd. 21). Berlin, N e w York 1990, Kap. 2, Abschnitt B zum ersten Katechismus für Schwäbisch Hall.

30

Theoretische Grundlegung: Theologie - Predigt - Alltag

die reformierte Auffassung vertraten. D e r Katechismus des Kaspar Gräter blieb ebenfalls unberücksichtigt.

Herrenbergers

Prinzipiell war j e d o c h auch der Brenzsche Katechismus lutherisch ausgerichtet, was eine allmähliche Zurückdrängung der reformierten oberdeutschen R i c h t u n g in W ü r t t e m b e r g zur Folge hatte. In der Kleinen Kirchenordnung werden dann 1 5 5 3 die Brenzschen Fragstücke innerhalb des Katechismuskapitels der Gottesdienstordnung erneut wörtlich abgedruckt. 7 7 Diese Gottesdienstordnung wird 1 5 5 9 Bestandteil der G r o ß e n Kirchenordnung. In ihr wird nun auch an verschiedenen Stellen außerhalb des Katechismusabschnittes auf den Katechismus verwiesen. 7 8 M i t dieser Aufnahme ist dem Brenzschen Katechismus endgültig eine große W i r k samkeit garantiert, die bis ins 2 0 . Jahrhundert reicht. 7 9 Zunächst war also der Brenzsche Katechismus in W ü r t t e m b e r g das kirchliche Lehrbuch schlechthin. Das Konkordienbuch, das die Katechismen Martin Luthers enthielt, bewirkte in dieser Hinsicht für den Laien keine Änderung. 8 " Erst 1 6 4 0 wird auf einen Beschluß des Konsistoriums hin n e b e n den Fragstücken des Johannes Brenz am Stuttgarter Pädagogium auch Luthers Kleiner Katechismus eingeführt, von 1 6 4 4 an stehen beide Katechismen gleichberechtig nebeneinander. 8 1 E i n Generalreskript von 1 6 6 2 ordnet an, daß beide Katechismen gelernt werden müssen. J o h a n n Andreas Hochstetter, T ü b i n g e r Theologieprofesor, Prälat und G e neralsuperintendent, legte 1 6 9 6 eine Katechismusharmonie der beiden K a t e chismen vor und beendete damit den parallelen G e b r a u c h . 8 2 Sein L u t h e r Brenz-Katechismus erweiterte den Brenzschen Katechismus durch Luthers Erklärungen zum Glaubensbekenntnis, zum Vaterunser und zum Dekalog. D e r Katechismus ist Teil des sogenannten W ü r t t e m b e r g i s c h e n Katechismus, 7 7 Vgl. zum folgenden WEISMANN: Eine kleine Biblia, S . 7 8 - 8 1 . Vgl. WEISMANN: Die Katechismen des Johannes Brenz, S. 4 0 6 - 4 0 9 . 7 8 Vgl. Württembergische Große Kirchenordnung: S. 57 v , 59 r , 60r—67v. Hier finden sich die Bestimmungen zum Katechismus selbst. Verweisungen stehen auf den Seiten 89 v , 203 v -204 r , 215V, 232 v , 233 r , 234 r , 235 r , 240'-241 r . Zur Übernahme des Brenzschen Katechismus in die Kirchenordnung von 1559 vgl. BRENZ: Die Katechismen des Johannes Brenz, S. 4 2 5 - 4 3 1 . 7 9 Zu »Verbreitung, Gebrauch und Einfluß auf andere Katechismen« bis ins 20. Jahrhundert vgl. WEISMANN: Die Katechismen des Johannes Brenz, Kap. II, C. Noch im Jahre 1985 wurde ein überarbeiteter Brenzscher Katechismus in den neu konzipierten Anhang des Württembergischen Gesangbuches aufgenommen (ebd., S. 4 9 7 ) . O S W A L D B A Y E R : Luthertum und Pietismus in Württemberg als Problem und Chance. In: Friedrich Hertel (Hrsg.): In Wahrheit und Freiheit. 450 Jahre Evangelisches Stift in Tübingen (Quellen und Forschungen zur Württembergischen Kirchengeschichte, Bd. 8). Stuttgart 1986, S. 111— 127, hier S. 112 f. 80 J O S E P H H A L L E R : Die Entwicklungsgeschichte des württembergischen Landeskatechismus. In: Evangelisches Kirchenblatt 59 (1898), S. 1 6 9 - 1 7 2 und 177 ff., hier S. 171. 81 Vgl. zum folgenden WEISMANN: Eine kleine Biblia, S. 8 1 - 8 5 . 82 WEISMANN: Die Katechismen des Johannes Brenz, S. 457—461.

Die

Katechismen

31

der weitere Ordnungen, Gebete, Bibelsprüche sowie das Kommunikantenbüchlein des Andreas Osiander und das — gekürzte — Ulmer Spruchbuch umfaßte. Dieses umfangreiche Werk konnte sich j e d o c h nie vollständig durchsetzen, trotz amtlichen Nachdrucks. Zu größerem Einfluß gelangte die sogenannte Kinderlehre83 des Stuttgarter Pfarrers Johann Heinrich Schellenbauer, die eine — allerdings ebenfalls weitscheifige - Auslegung des Brenzschen Katechismus bietet. Im Jahr 1644 hat Tobias Wagner in seinem Compendium// Deß waaren Christenthumbs die Anordnung und Zielsetzung des späteren Württembergischen Luther-Brenz-Katechismus bereits vorweggenommen. E r stellt seine Hausübung christlichen Glaubens wie folgt vor: Sehet/ da habt jhr nicht allein vnsern Catechismum/ von dem weiland/ vnd noch in aller Frommen Geda[e]chtnu[e]s Grossen Theologo, Johann Brentzen/ verfertiget/ sondern auch neben demselben in der Hauß-Vbung allenthalben den angezognen/ durchauß miteinstim[m]enden kleinen Catechismum Lutheri.M Auch Wagner hat die bei Brenz vorgefundene R e i h e n folge der Hauptstücke beibehalten und damit dessen theologische und pädagogisch-didaktische Grundposition fortgeschrieben. 8 5 D e r Aufbau des Brenzschen Katechismus orientiert sich am individuellen Lebenslauf. Die Taufe markiert dabei den Anfang christlichen Lebens und stellt den Menschen bereits unter das Evangelium. Das Evangelium, zusammengefaßt im Glaubensbekenntnis, bewirkt die Rechtfertigung und befähigt den Menschen zum Gebet (Vaterunser), es versetzt ihn in Lage, sein Leben nach den göttlichen Gesetzen (Dekalog) ausrichten zu können. Die Sündenvergebung wird dem Menschen im Abendmahl zugesprochen. Anders dagegen Luther, der zwar auch wie Brenz das Grundmuster reformatorischer Theologie — Gesetz und Evangelium — seinem Katechismus zugrundelegt, dabei j e d o c h mit der Anklage des sündigen Menschen durch das Gesetz einsetzt. Gerade die in W ü r t t e m berg gebräuchlichen Katechismusfassungen sind in ihrer theologischen K o n zeption von einer starken Betonung des Gesetzes weit entfernt.

WEISMANN: Die Katechismen des Johannes Brenz, S. 4 6 1 - 4 6 6 sowie S. 4 5 1 - 4 5 4 . Compendium. || Deß waaren Christenthums: || Das ist: || Christliche || Hauß-Vbung deß || Wu[e]rttenbergischen Catechismi | wie || nämlich die Eltern denselben auch daheim in || den Ha[e]usern mitjhren Kindern und Gesind || rechtschaffen sollen treiben. | || Damit selbige bey dieser bo[e]sen || Welt \ so wol in der waaren Religion 11[ als in Gottseligem Leben | gru[e]ndlich vn- || terrichtet| hingegen vor aller Verfu[e]hrung zur || Vngerechtigkeit | vnd im schwang gehenden Gott- || losem Wesen | durch die Gnad Gottes trew- || lieh verwahret werden. || Fu[e]r die Evangelische G e meind | || lo[e]blicher deß H. ReichsStadt Eßlin- || gen | auffs einfa[e]ltigst vnd gru[e]ndlichst || verfast vnd beschrieben 11| Durch || [...] Ulm: Balthasar Kühnen, 1644. Ü B T : Gi 117.8° Zit.: Compendium, hier S. 19. 85 Zur theologischen Konzeption vgl. W E I S M A N N : Eine kleine Biblia, S. 54—56. W E I S MANN: Die Katechismen des Johannes Brenz, S. 84—89, S. 97—133 sowie zu der eigentlichen Fassung des Brenzschen Katechismus von 1535, S. 291—299. Vgl. HALLER: Die E n t wicklungsgeschichte des württembergischen Landeskatechismus, S. 178. 83 84

TOBIASWAGNER:

32

Theoretische

Grundlegung:

Theologie

- Predigt — Alltag

Insgesamt gesehen, will der Katechismus bei seinem Gebrauch in Kirche, Schule und Haus ein Minimum an Wissen für den Laien bereitstellen. T h e o l o gische Auseinandersetzungen, die bei dogmatischen Kompendien Überarbeitungen und Neuerscheinungen zur Folge haben, spielen flir den Katechismus keine entscheidende Rolle.

3. Die Kompendien Die gewählten Prediger bieten durch ihre Position an der Verbindungsstelle zwischen Doktrin und Praxis, zwischen Theologie und Alltag die Möglichkeit, die in ihren Predigten thematisierten theologischen Lehren anhand ihres übrigen theologischen Werkes zu verifizieren. Dafür eignen sich in besonderer Weise die Kompendien. Diese Kompendien waren es, die der Tübinger U n i versität den R u h m einbrachten, treuste Hüterin der reinen Lehre zu sein,86 D i e Verfasser dieser richtungweisenden Kompendien nennt Christian Friedrich Sartorius, selbst Verfasser eines Kompendiums, in der Vorrede zu seinem 1782 erschienenen Werk. Für den Untersuchungszeitraum sind dies in chronologischer Reihenfolge Jacob Heerbrand, Matthias Hafenreffer, Johann Georg Sigwart, Melchior Nicolai, T h e o d o r T h u m m und Johann Wolfgang Jäger. Nicht allen diesen sechs Kompendien kommt die gleiche Wirkungsgeschichte zu. Die Kompendien von Heerbrand, Hafenreffer und Jäger müssen besonders hervorgehoben werden. Bei dem von Heerbrand 1571 verfaßten und 1573 erschienenen K o m p e n dium handelt es sich um die älteste württembergische Dogmatik. 8 7 Es war zugleich eines der am weitesten verbreiteten Kompendien in der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts; mehrfach nachgedruckt wurde es in Wittenberg, Leipzig und Magdeburg. Nach Melanchthons Loci Theologici kann das Kompendium Heerbrands, übrigens von diesem theologisch beeinflußt — Heerbrand hörte in Wittenberg noch bei Luther und Melanchthon 8 8 — als die nächste evangelische Dogmatik bezeichnet werden. Heerbrands Darstellung evangelischer Lehre wird zur Grundlage der späteren Dogmatiker in Württemberg. Die im 8 6 CHRISTOPH KOLB: D i e K o m p e n d i e n der Dogmatik in Altwürttemberg. In: Blätter für württembergische Kirchengeschichte 51 ( 1 9 5 1 ) , S. 3 - 7 7 , hier S. 3. 87 JACOB HEERBRAND: C o m p e n d i u m | | T h e o l o g i a e || Q V A E S T I O N I - || B V S M E T H O D I . || T R A C T A T V M . || A || [ . . . ] T ü b i n g e n : G e o r g Gruppenbach, 1 5 7 3 . Ü B T : G f 3 5 1 . 8 ° (Grp) Zit: C o m p e n d i u m T h e o l o g i a e . Vgl. zu Heerbrand KOLB: Kompendien in Altwürttemberg, S. 4 - 1 9 . Vgl. auch BOSSERT; WACENMANN: Art. Heerbrand, Jakob. In: R E 7 ( 1 8 9 9 3 ) , S. 5 1 9 - 5 2 4 , hier S. 5 2 2 . Vgl. GASS,W.: Geschichte der protestantischen D o g m a tik in ihrem Zusammenhange mit der T h e o l o g i e überhaupt. B d . 1: D i e Grundlegung und der Dogmatismus. Berlin 1 8 5 4 , S. 7 7 . N e b e n einer ausführlichen Darlegung der Positionen von Seinecker und C h e m n i t z finden Heerbrand und Hafenreffer bei ihm kurze Berücksichtigung. 88 HEERBRAND: C o m p e n d i u m T h e o l o g i a e (1579),Vorrede.

Die Kompendien

33

Index dieses Werkes aufgeführten 57 Loci werden in einem Frage-AntwortSchema besprochen. Nach dem Erscheinen der Konkordienformel brachte Heerbrand 1579 eine überarbeitete Auflage heraus, die im Umfang auf das Doppelte angewachsen war und vor allem die Ergebnisse der Formula C o n cordiae berücksichtigte. Diese überarbeitete Fassung wurde noch mehrfach nachgedruckt (1578, 1579, 1582 lat./griech., 1594). Auf herzogliche Anordnung hin erschien für die Benutzung in den württembergischen Klosterschulen und im Stift ein Auszug des Kompendiums, die sogenannten Epitome Compendii Theologiae,89 Sie wurden dreimal aufgelegt (1582, 1589, 1608). In den theologischen Aussagen stimmen Kompendium und Epitome überein. Die Epitome haben in Württemberg über längere Zeit hin ein fast symbolisches Ansehen genossen. 90 Das Kompendium selbst wurde von Martin Crusius für die Verhandlungen mit der byzantinisch-orthodoxen Kirche ins Griechische übersetzt und nach Konstantinopel, Alexandrien, Griechenland und Asien versandt. 91 Die Loci Theologici des Matthias Hafenreffer erschienen zuerst im Jahr 1600 in Tübingen. 9 2 Sie lösten das Heerbrandsche Kompendium weitgehend ab, ohne jedoch in theologischem Widerspruch zu j e n e m zu stehen. Dies zeigt sich beispielshalber daran, daß noch im Jahr 1611 einhundert Exemplare von Heerbrands Kompendium an die württembergischen Klöster verschickt wurden. 9 3 Die erste Auflage des Hafenrefferschen Kompendiums war bald vergriffen, neue Ausgaben (Tübingen 1601, 1603, 1609; Stuttgart 1622, 1662; Stockholm 1612, 1686) wurden notwendig, die zwar die dogmatische Grundausrichtung beibehielten, im Umfang jedoch der wachsenden Zahl der häretischen Kontroversen, vornehmlich mit Jesuiten und Calvinisten, R e c h n u n g trugen. R e i n formal gliedert Hafenreffer seine Loci in drei Bücher: D e deo — D e angelis — De homine. Sein Werk markiert damit den Ubergang zu einer 8 9 JACOB HEERBRAND: Epitome || C O M P E N - | | Dil T H E O - | | L O G I A E , || ä || [...] Tübingen: Georg Gruppenbach, 1589. Ü B T : G f 353a.8° Zit: Epitome. BOSSERT; WAGENMANN: Art. Heerbrand, S. 522 nennt anstelle der Ausgabe von 1589 eine Ausgabe aus dem Jahr 1598. Dies muß wohl verdruckt für 1589 stehen. 9(1

BOSSERT; WAGENMANN: H e e r b r a n d , S.

522.

Vgl. zur gesamten Thematik DOROTHEA WENDEBOURG: Reformation und Orthodoxie. Der ökumenische Briefwechsel zwischen der Leitung der Württembergischen Kirche und Patriarch Jeremias II. von Konstantinopel in den Jahren 1 5 7 3 - 1 5 8 1 . Göttingen 1986. 9 2 MATTHIAS HAFENREFFER: Loci Theolo- ¡| gici [| C E R T A M E T H O D O || AC R A T I O NE, IN || T R E S libros tributi. |j Q V I || E T R E R V M || T H E O L O G I C A - || R V M S V M MAS, SVIS II S C R I P T U R A E T E S T I M O - || nijs confírmalas, breuiter continent: earumque || Christianam Praxin paucis commonstrant: ac || nostri denique seculi praecipuas || 'eTETtoSiSaamliaa fideliter || exponunt. j| P E R || [...] Tübingen: Georg Gruppenbach, 1600. Ü B T : G f 952.8°. Zit.: Loci Theologici. Vgl. zu Hafenreffer KOLB: Kompendien in Altwürttemberg, S. 2 0 - 3 4 . Vgl. GASS: Geschichte der Protestantischen Dogmatik, S. 78 f. 91

V g l . WAGENMANN u n d JOHANNES KUNZE: A r t . H a f e n r e f f e r , M a t t h i a s . I n : R E

S. 330 ff. 9 3 KOLB: Kompendien in Altwürttemberg, S. 29 Anm. 29.

7

(18993),

34

Theoretische

Grundlegung: Theologie — Predigt — Alltag

systematischen Behandlung des theologischen Stoffes. Die Form von Frage und Antwort behielt HafenrefFer bei, seine knappen und präzisen Definitionen machten es zu einem ausgezeichneten und vielgelesenen Lehrbuch. B e sonders aufgeführt werden muß im Kontext dieser Arbeit der Praxisbezug dieses Kompendiums. Jeder der 32 Loci endet, ähnlich wie die Predigt, mit einem usus, der praktische Anweisungen fiir Glauben und Leben enthält. Hieran zeigt sich deutlich, daß das von vornherein intendierte Ziel des abstrakten dogmatischen Lehrsystems das christliche Leben ist. Dies hat als der Skopus jeder dogmatischen Erwägung zu gelten. Auch fiir Hafenreffers Loci

gilt: der usus loci [...] dient dem Leben im Geist der Heiligung.94

Hafenreffers Kompendium verdrängte das seines Vorgängers und Kollegen Heerbrand; es bildete im ganzen 17. Jahrhundert die Grundlage der Disputationen. Darüber hinaus wurde es in den Klöstern und am Stuttgarter Pädagogium im Unterricht verwendet. Bezeichnend für die lange anhaltende Wirkungsgeschichte ist auch, daß noch im Jahr 1690 Georg Heinrich Häberlin die Hafenrefferschen Loci in Tabellenform gefaßt hat. 9 5 W i e zwei Belegstellen aus dem ORDO STUDIORUM IN ACADEMIA EBERHARDINA aus den Jahren 1664 und 1700 zeigen, wurden hier durch den jeweiligen Extraordinarius — im ersten Fall war es Christoph Wölfflin, im zweiten Johann Ulrich P f a f f - die Loci Hafenreffers gelesen. 9 6 D e r nächste erhaltene Ordo Studiorum — er stammt aus dem Jahr 1712 — weist dann aus, daß Johann Ulrich Frommann über das Kompendium des Johann Wolfgang Jäger gelesen habe. Im Ordo Studiorum des Jahres 1717 liest der damaligen

9 4 So KONRAD STOCK: Annihilatio mundi. Johann Gerhards Eschatologie der Welt (Forschungen zur Geschichte und Lehre des Protestantismus, R e i h e 10, Bd. 42). M ü n chen 1971, S. 95 am Beispiel von Johann Gerhards Loci Theologici. ^ KOLB: Kompendien in Altwürttemberg, S. 29. Für den großen Einfluß der K o m pendien des 16. Jahrhunderts spricht auch die Aussage Brechts, daß im Jahre 1646 im Stift unter Konsistorialrat Johann Valentin Andreae auf solide Kenntnis der Symbolischen Bücher und der alten Kompendien (durchweg vor 1600) gedrungen werde. Vgl. MARTIN BRECHT: K o n zeptionen der Theologenausbildung. In: Friedrich Hertel (Hrsg.): In Wahrheit und Freiheit. 4 5 0 Jahre Evangelisches Stift in Tübingen (Quellen und Forschungen zur württembergischen Kirchengeschichte, Bd. 8). Stuttgart 1986, S. 2 9 - 4 6 , hier S. 32. MARTIN BRECHT: Die Entwicklung der Alten Bibliothek des Tübinger Stifts in ihrem theologieund geistesgeschichtlichen Zusammenhang. Eine Untersuchung zur württembergischen Theologie. In: Blätter für württembergische Kirchengeschichte 63 (1963), S. 3 - 1 0 3 , S. 32 f. 9 6 Vgl. O R D O S T U D I O R U M [ , . . ] | | A N N O [...] 1664. 1700. 1712. Vgl. WEIZSÄCKER: Theologische Fakultät, S. 95: Im Ordo Studiorum des Jahres 1717 wird der E x traordinarius HofFmann genannt, der nun über Jägers Compendium lese, nicht mehr über Hafenreffers Loci. Diese frühere Datierung des Wechsels konnte Weizsäcker noch nicht überprüfen, da die U B Tübingen erst kürzlich ihren Bestand der Vorlesungsverzeichnisse durch antiquarischen Nachkauf ergänzt hat und dabei auch den Ordo Studiorum des J a h res 1712 erworben hat.

Die Kompendien

35

Extraordinarius HofFmann ebenfalls nach Jäger, wie auch Johann Christoph Klemm im Jahre 1737. 9 7 Johann Wolfgang Jäger war es, der den Auftrag erhielt, das noch im G e brauch befindliche Kompendium Hafenreffers durch ein neues zu ersetzen, in dem auch die neueren Kontroversen und die neuere theologische Entwicklung Berücksichtigung finden sollten. 9 8 Sympathien für den Pietismus können Jäger sicher nicht nachgesagt werden, wird er doch beispielsweise im zweiten pietistischen Streit in Esslingen (1703—1709) gemeinsam mit dem Stuttgarter Konsistorialrat und Stiftsprediger Prälat Christoph Eberhard Weismann und dem Ulmer Münsterprediger Michael B e c k in die Reichsstadt geladen, um in Fragen der um sich greifenden Pietisterey zu schlichten. 9 9 Überlegungen, Hafenreffers Loci nur durch einen Supplementband auf den neuesten Stand zu bringen, wurden zwar abgelehnt, zeigen aber dennoch, welcher Wertschätzung sich dieses Werk noch immer erfreute. Jäger entsprach dem Wunsch des Konsistoriums, j e d e m Artikel monita pietatis folgen zu lassen insofern, als er die größeren Abschnitte seines Werkes mit Gebeten oder M e ditationen beschloß. 1 0 0 Das 1702 zuerst publizierte Kompendium Jägers b e spricht 6 0 Loci, die sich in vier Teile gliedern. 1 0 1 In der Darstellung schließt sich Jäger an die Methode seines großen Vorgängers Hafenreffer an, ohne j e doch auf dessen Frage-Antwort-Schema zurückzugreifen. D i e Darlegung des theologischen Stoffes in Disputationen, wie dies Sigwart und Nicolai — und indirekt auch T h u m m — bevorzugt haben, greift Jäger nicht auf. Auch bei Jägers Kompendium wurden im Laufe der Zeit weitere Ausgaben nötig. Kolb erwähnt eine fünfte Auflage, die Jägers Schwiegersohn 1 7 4 0 b e sorgt; 1 7 5 0 scheint eine weitere Auflage erforderlich gewesen zu sein. 1 0 2 Inhaltlich steht Jäger weiterhin ganz in der Tradition der lutherischen O r t h o doxie. 1 0 3 Neben diesen wichtigen Kompendien sollen kurz die übrigen Tübinger Beiträge zur Dogmatik, soweit sie in Kompendienform vorliegen, vorgestellt werden. Vgl. W E I Z S Ä C K E R : Theologische Fakultät, S . 9 5 . W E I Z S Ä C K E R : Theologische Fakultät, S . 89 f. 99 T I L M A N M A T T H I A S S C H R Ö D E R : Die Anfänge des Pietismus in Esslingen. In: Esslinger Studien 2 9 ( 1 9 9 0 ) , S. 6 3 - 1 0 0 , hier S. 9 1 . Jäger war es auch, der vehement ein völliges Verbot der Konventikel gefordert hatte. Zudem hatte er sich in einem Collegium anlipietisticum 1 7 0 5 in aller Öffentlichkeit mit dem Pietismus auseinandergesetzt. Vgl. H A R T M U T LEHMANN: Pietismus und weltliche Ordnung in Württemberg vom 17. bis zum 20. Jahrhundert. Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz 1969, S. 40 f. 1 0 0 BRECHT: Spener und die württembergische Kirche, S. 457. 97 98

101

JOHANN WOLFGANG JÄGER: C O M P E N D I U M || T H E O L O G I A E || P O S I T I V A E ||

Methodo facili || pro Tyronibus & proficientibus ¡| exaratum. || ä || [...] Stuttgart: Röslinianis (Typis), 1702. Ü B T : G f 458.8°. Zit.: Compendium. 1 0 2 KOLB: Kompendien in Altwürttemberg, S. 43. 1 0 3 Zu Jäger vgl. KOLB: Kompendien in Altwürttemberg, S. 42—56.

36

Theoretische Grundlegung: Theologie - Predigt - Alltag

J o h a n n G e o r g Sigwart veröffentlichte 1 6 0 3 in T ü b i n g e n a u f B i t t e n einiger Stipendiaten, die bei i h m die Disputationsübungen besuchten, sein K o m p e n d i u m . 1 0 4 D e r Vorteil dieses Werkes war vor allem didaktischer Natur. Das K o m p e n d i u m war aus Disputationsthesen hervorgegangen und behielt den thesenartigen Aufbau auch in der gedruckten Fassung bei. Es eignete sich somit vorzüglich für den Lehrbetrieb. Sicher auch der G r u n d dafür, daß Sigwarts W e r k in der Folgezeit v o m Konsistorium als Grundlage für die D i ö z e sandisputationen genehmigt wurde. Inhaltlich gesehen, schließt es sich — von wenigen Ausnahmen abgesehen — Hafenreffer an. M e l c h i o r Nicolai folgt in seinem 1 6 5 5 zuerst publizierten K o m p e n d i u m 1 0 5 der M e t h o d e Sigwarts und formuliert sein Werk ebenfalls in T h e s e n f o r m . 1 0 6 Allerdings verfolgt er nicht die Absicht, die Lehre systematisch darzulegen. W i e die angegebenen N a m e n ausweisen, ist sein Werk aus 2 4 tatsächlich abgehaltenen Disputationen hervorgegangen. Entsprechend diesen Disputationen will er in seinem K o m p e n d i u m allein die zur Zeit kontrovers diskutierten theologischen Fragen behandeln. M i t diesem Werk gelang es Nicolai j e d o c h nicht, Sigwarts K o m p e n d i u m abzulösen. A u c h T h e o d o r T h u m m hat mit seiner Synopsis kein K o m p e n d i u m i m eigentlichen Sinne verfaßt, sondern — wie bereits der T i t e l ankündigt — nur die umstrittenen Artikel behandelt. 1 0 7 Es zeigt in polemischer Art und Weise also besonders die Schwerpunkte der zeitgenössischen theologischen Kontroversen. Amtlicherseits ist dieses K o m p e n d i u m , das 1621 zuerst veröffentlicht wurde, j e d o c h nie eingeführt worden. Z u den hier angeführten K o m p e n d i e n müssen n o c h drei weitere Z u s a m menfassungen lutherischer Lehre hinzugezogen werden, die ebenfalls von

104 JOHANN GEORG SIGWART: X X I I I . || D I S P V T A T I O N E S Theologicae, || D E O M N I B V S II F E R E C H R I S T I A N A E R E - || L I G I O N I S A R T I C V L I S , j| breuiter conscriptae, & in Academia Tubin- || gensi priuato Collegio ad discutien- || dum propositae, || Auetore & Praeside ¡1 [...] Tübingen: Erhard Cellius, 1603. W L B : H B 4752. Zit.: Disputationes Theologicae. Zu Sigwart vgl. KOLB: Kompendien in Altwürttemberg, S. 30—33. 105 MELCHIOR NICOLAI: C O M P E N D I U M D I D A C T I - || C U M E T E L E N C H T I C U M , II PAUCIS A P H O R I S - || MIS, Q U I D IN Q U I B U S L I B E T || Locis Theologicis, & qualibet Controver- || sia, quove argumentorum robore, vel, quod verum || est, confirmandum, vel, quod falsum est, redar= |[ guendum sit, ostendens; || M I N I S T E R I I E T S T I P E N D I A - II R I O R V M VSVI, IN D V C A T V V V Ü R T E M - || bergico, peculiariter propositum & disputando || excussum Tubingae, || O P E R A E T S T U D I O || [...]. Ulm: Balthasar Kühnen, 1655. W L B : Theol. oct. 12900. Zit.: Compendium didacticum. 106 Zu Nicolai vgl. KOLB: Kompendien in Altwürttemberg, S. 3 4 - 3 9 . 107 In der Tübinger Universitätsbibliothek befindet sich das Exemplar THEODOR THUMM: [...] || S Y N O P S I S || Praecipuorum Articu- || lorum Fidei, nostro seculo || maximè controversorum. || Cum supplementis || J O H . C H R I S T O P H . PFAFFII. || T H E O L . D. & P. P. II Nec non || Cum Tribus Indicibus |j (ut scriptum videri novum queat) || Tübingen: Joh. Georg Cotta, 1704. Ü B T : G f 593.8°. Zit.: Synopsis. Zu Thumm vgl. KOLB: Kompendien in Altwürttemberg, S. 39—42.

Die Kompendien

37

T ü b i n g e r T h e o l o g e n verfaßt wurden, streng g e n o m m e n j e d o c h keine K o m pendien sind. Sie unterscheiden sich von den bisher genannten Werken schon äußerlich durch die Verwendung der deutschen Sprache und haben damit, im Unterschied zu den systematisch-theologischen Abhandlungen, auch den Laien zum Adressaten. An erster Stelle ist hier J a c o b Heerbrand zu nennen, der neben seinem mehrfach aufgelegten lateinischen K o m p e n d i u m auch ein sogenanntes Kirchentestament veröffentlicht hat. Dieses Kirchentestament hat Heerbrand nach fast 50jähriger Tätigkeit in der T ü b i n g e r G e m e i n d e 1 5 9 3 p u bliziert. Es ist eine kurze Darstellung der lutherischen Lehre, die er scharf g e genüber der Papistischen Lehrer meinung abgrenzt. E r m ö c h t e damit seinen P r e digthörern ein B u c h an die Hand geben, mit dem sie sich ein eigenes Urteil über die lutherische Lehre und damit seiner M e i n u n g nach über die warheit Gottes Worts bilden k ö n n e n . 1 0 8 M i t J o h a n n G e o r g Sigwart ist ein weiterer T ü b i n g e r T h e o l o g e , der ein lateinisches K o m p e n d i u m verfaßte, 1 6 0 4 mit einem deutschen W e r k an die Ö f fentlichkeit getreten. 1 0 9 Dieses W e r k gliedert sich in 3 5 Kapitel, die im FrageA n t w o r t - S c h e m a erschlossen werden und folgt dem klassischen Aufriß der Darstellungen zur Dogmatik. E r beginnt mit der Heiligen Schrift und führt sein W e r k über die verschiedenen Lehrstücke bis hin zum Kapitel Vom ewigen Leben. Z u m Abschluß der beigefügten Dedikation an H e r r n Carl J ö r g zu Tolleth, K ö p p a c h und Stauf spricht Sigwart die Zuversicht aus, der österreichische Landhofmeister m ö g e die Lehr/ so darinnen summarie begriffen/ bey derenselben gehorsamen Unterthanen/ zu ihrer zeitlichen Wolfahrt/ und ewigen Seligkeit/ auch eusserstem Vermo[e]gen befo[e]rdern.no Dies zeigt, daß Sigwart hier eine Z u s a m menfassung der gesamten Lehre in deutscher Sprache vorgelegt hat. N o c h fast ein Jahrhundert nach seinem ersten Erscheinen in T ü b i n g e n wurde es n o c h 1 6 9 9 in Leipzig zum achten mahl auffgelegt. D a m i t war dieses W e r k Sigwarts vermutlich weitaus erfolgreicher als sein K o m p e n d i u m . Als letztes m u ß hier n o c h das Compendium// Deß waaren Christenthumbs genannt werden, das Tobias Wagner n o c h während seiner Tätigkeit in Esslingen verfaßt hat und das im Jahr 1 6 4 4 in U l m veröffentlicht wurde. 1 1 1 Diese HausVbung gliedert sich in zwei große Teile. Im ersten Teil legt Wagner eine posi-

108

HEERBRAND: K i r c h e n t e s t a m e n t , S. 2 9 4 f.

JOHANN-GEORC. SIGWART: Handbu[e]chlein 11| J n welchem || Die fu[e]rnehmsten Haupt- || Puncten Christlicher Lehre | durch || Frag und Antwort aus Gottes wort gru[e]ndlich || erkla[e]ret | und was denselbigen zuwider | || ku[e]rtzlich erza[e]hlet und widerlegt || wird. j| Den guthertzigen Christen j so die || Wahrheit zu erkennen || und irrige falsche || Lehre zu fliehen | Lust haben | zum || Unterricht verfasset: || Durch |j [...] || Mit allem Fleiß wieder u[e]bersehen | und zum achten mahl auffgelegt. || Leipzig: Joh. Herbord Klößen, 1699. HAB: T h 2479.8°. Zit.: Handbüchlein. 109

110

SIGWART: H a n d b ü c h l e i n , S. 1 4 .

111

WAGNER: Compendium, passim.

38

Theoretische Grundlegung: Theologie — Predigt — Alltag

tive Darstellung der lutherischen Lehre vor. M i t der Gliederung des ersten Teiles in sechs Hauptteile folgt Wagner in Aufbau und R e i h e n f o l g e dem Brenzschen Katechismus. In den dazugehörenden Erläuterungen greift Wagner oft Erklärungen aus Luthers K l e i n e m Katechismus auf. In e i n e m zweiten Teil fuhrt Wagner die Auseinandersetzung mit der Gegenlehr der Enthusiasten, Calvinisten und der päpstlichen Kirche.

4. Zur Homiletik der lutherischen

Orthodoxie

4.1 Die Tübinger Theologen In den Jahren zwischen 1 5 5 0 und 1 7 5 0 lehrten rund vierzig Professoren an der evangelisch-theologischen Fakultät der Universität T ü b i n g e n , von 2 4 P r o fessoren sind gedruckte Predigten überliefert. 1 1 2 D u r c h die an der t h e o l o g i schen Fakultät der Universität T ü b i n g e n bestehende Verflechtung von L e h r und G e m e i n d e a m t bieten sich hier günstige Voraussetzungen für eine U n t e r suchung zur Transformation lutherischer O r t h o d o x i e . D i e hinter den in den Predigten vorgetragenen sozialethischen Anweisungen stehenden t h e o l o g i schen Prinzipien k ö n n e n hier zugleich an den von den Predigern selbstverfaßten K o m p e n d i e n überprüft werden. W e n n die Prediger selbst kein K o m pendium verfaßt haben, so läßt sich anhand ihrer Vorlesungen feststellen, welches K o m p e n d i u m sie dort erläutern mußten. Z u r Erstellung einer Bibliographie der Schriften dieses Personenkreises wurden zunächst die einschlägigen Bibliographien und Lexika herangezog e n . 1 1 3 D i e bibliographierten Werke lassen sich in folgende Kategorien ein1 1 2 Das evangelische Württemberg. Seine Kirchenstellen und Geistlichen von der R e formation bis auf die Gegenwart. Ein Nachschlagewerk. Gesammelt und bearbeitet von Christian Sigel. Bd. 1, 1 - 1 7 , 2. Gerbersheim 1 9 1 0 - 1 9 3 5 (mit Nachträgen bis 1951 durch den Verfasser, bis 1977 durch das Landeskirchliche Archiv, Stuttgart), hier Bd. 7, 2. Gerbersheim 1 9 1 6 / 1 9 1 7 , S. 909—1003 (zu Tübingen). CONRAD: Lehrstühle der Universität Tübingen. Vgl. dazu im Anhang: Die Lehrstühle der Tübinger evangelisch-theologischen Fakultät und ihrer Inhaber im Überblick, S. 382—386. 1 1 3 Allgemeine Deutsche Biographie. Bd. 1 - 5 6 . Leipzig 1 8 7 5 - 1 9 1 2 (ND Berlin

1967-1971).

HEINRICH

DOERING:

Die

gelehrten

19. Jahrhundert. B d . 1 - 4 . Neustadt an der Orla

Theologen

Deutschlands

im

1 8 3 1 - 1 8 3 5 . LUDWIG M E L C H I O R

18.

und

FISCHLIN:

Biographia praecipuorum virorum qui a tempore Reformationis usque ad hanc nostram aetatem partim in Ducatu Wirtembergico verbum Domini decuerunt [...]. B d . l und 2. Ulm

1 7 0 9 . CHRISTIAN G O T T U E B J Ö C H E R : A l l g e m e i n e s

Gelehrten-Lexicon. Bd. 1-4.

zig 1 7 5 0 - 1 7 5 1 . GOTTFRIED MÄLZER: D i e W e r k e d e r w ü r t t e m b e r g i s c h e n

Leip-

Pietisten des

17.

und 18. Jahrhunderts (Bibliographie zur Geschichte des Pietismus, Bd. 1). Berlin, New York 1972. JOHANN JAKOB MOSER: Beytrag zu einem Lexico der jeztlebenden Lutherischund Reformierten Theologen in und um Teutschland. Züllichau 1740. EPHRAIM PRAETORIUS: Bibliotheca homiletica. Leipzig 1698. JOHANN GEORG WALCH: Bibliotheca Theologica Selecta. Bd. 4: De Scriptis Homileticis. Jena 1765.

Zur Homiletik

der lutherischen

Orthodoxie

39

ordnen: Predigten (einschließlich Leichenpredigten), kontroverstheologische Schriften, exegetische Schriften, Lieder/Hymnen, diverse Literatur. An diesem theologischen Gesamtwerk sind Predigten (einschließlich Leichenpredigten) mit einem Anteil von 25—30% vertreten. Der Großteil dieser Predigten befindet sich heute in der Tübinger Universitätsbibliothek, der Bibliothek des Evangelischen Stifts 114 in Tübingen, der Württembergischen Landesbibliothek in Stuttgart sowie in der Herzog-August-Bibliothek in Wolfenbüttel. Uber die zeitliche Verteilung der gedruckten Predigten, die zumeist in Einzeldrucken vorliegen, läßt sich für den Zeitraum zwischen 1550 und 1750 das folgende aussagen115: Ein erster Höhepunkt liegt eindeutig in den Jahren 1560—1620; er ist mit den Namen von Jacob Andreae, Jacob Heerbrand, Andreas Osiander, Matthias HafenrefFer und Johann Georg Sigwart verbunden. Diese erste Phase stellt zugleich den absoluten Höhepunkt der Entwicklung dar; eine derartige Publikationsfülle wird im weiteren Verlauf nicht mehr erreicht. Von 1620 an machen sich die Auswirkungen des 30jährigen Krieges bemerkbar. Aus dieser Zeit liegen vorwiegend Predigten von Johann Ulrich Pregitzer, Lucas II. Osiander und Theodor Thumm vor. Die Predigttätigkeit Pregitzers reicht noch bis in die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts hinein und fällt so einige Jahre mit jener des Tobias Wagner zusammen. Von Tobias Wagner liegt eine ausnehmend große Anzahl Predigten vor. In einer dritten Phase in den Jahren von 1681—1750 sind es vor allem die Predigten Christoph Reuchlins, Georg Heinrich Häberlins, Andreas Adam Hochstetters, Christian Hagmajers und Christian Eberhard Weismanns, die in gedruckter Form zugänglich sind. Neben den Predigten der hier namentlich Genannten liegt noch eine Anzahl — was Personen, Zeitraum und Themenstellung anbelangt — weit gestreuter Predigten vor. Damit ist der gesamte Zeitraum, was die quantitative Erfassung betrifft, kontinuierlich abgedeckt. Dies kann jedoch eindeutige Höhepunkte, die sich vom durchschnittlichen Niveau abheben, nicht ausschließen. Den Predigern jener Zeitabschnitte kommt damit automatisch exemplarischer Charakter zu. Neben einer vorrangigen Berücksichtigung der durch ihre Materialfülle herausragenden Prediger legt sich von den Quellen her keine weitere Eingrenzung zum Beispiel auf bestimmte Predigtgattungen nahe. Insgesamt liegen für den Untersuchungszeitraum rund 1000 Predigten vor. Darunter befinden sich rund 500 Einzelpredigten 116 ; Postillen wurden von den Tübinger Theologen in vergleichsweise geringem Umfang publiziert. Es liegen für den genannten Zeitraum nur Postillen (jeweils ca. 75 Predigten) von Wagner (5) und Häberlin (2) vor. Zu dieser Gesamtzahl hinzu kommt noch eine sechsteilige Neuausgabe der Württembergischen Summarien, bei der die Tübinger

BRECHT: Die Alte Bibliothek des Tübinger Stifts, passim. Vgl. dazu: S. 40. 116 Vgl. dazu: Die Verteilung der gedruckten Predigten (einschließlich Leichenpredigten) im Untersuchungszeitraum, S. 40. 114

115

40

Theoretische Grundlegung:Theologie

Die Verteilung (einschließlich

— Predigt — Alltag

der gedruckten

Leichenpredigten)

im

Predigten Untersuchungszeitraum

160 —

150—

f

140 — 130 — 120 — 110 — 100 —

90 — 80—

|fl|||||

1111

^ I s & s

|Bi

70 — 60— 50 —

1500

1600

1700

1800

In der Tabelle bezeichnet jeweils der untere Teil des Stabdiagramms den Anteil der Leichenpredigten an der Gesamtzahl der Predigten. Bei den aufgeführten Werten handelt es sich um die Ergebnisse der Auszählung der mit Standort nachgewiesenen Predigten. Die Anzahl der nur bibliographisch nachgewiesenen Predigten liegt um einiges über diesen Angaben. Postillen wurden hierbei nicht berücksichtigt.

Zur Homiletik

der lutherischen

Orthodoxie

41

Fakultät als Herausgeber tätig war; es handelt sich dabei um die fortlaufende Auslegung des gesamten Bibeltextes. Unterteilt man den Untersuchungszeitraum also grob in drei Phasen ( 1 5 5 0 - 1 6 2 0 ; 1 6 2 1 - 1 6 8 0 ; 1 6 8 1 - 1 7 5 0 ) , so erreicht die Anzahl der Einzelpredigten in der ersten Phase ihren absoluten Höhepunkt. Nach einem R ü c k gang infolge der Auswirkungen des 30jährigen Krieges läßt sich ein erneuter Anstieg beobachten, der in der zweiten Hälte des 17. Jahrhunderts nochmals Spitzenwerte erreicht. Nach der Jahrhundertwende muß ein kontinuierlicher Rückgang konstatiert werden. Die Epoche der lutherischen Orthodoxie in Württemberg selbst läßt sich zeitlich nur schwer begrenzen. Die Anfangsphase fällt in die Zeit zwischen der Konsolidierung der kirchenpolitischen Ordnung durch die Württembergische Große Kirchenordnung und die Formula C o n cordiae. D e r 30jährige Krieg markiert den Ubergang zwischen der H o c h phase lutherischer Orthodoxie im späten 16. und frühen 17. Jahrhundert in Tübingen und ihrem allmählichen Abfallen. Nach den christologischen Streitigkeiten verliert die Tübinger Theologie mehr und mehr an Bedeutung. Z u gleich lassen sich aber bis ins späte 18. Jahrhundert hinein, trotz Pietismus und Aufklärung, Kontinuitäten lutherisch-orthodoxer Theologie, wie beispielshalber das Festhalten an den autorisierten Dogmatiken von Jäger, Sartorius und Storr, nachweisen. 1 1 7 D e n theologischen Schwerpunkt bildete nach wie vor die Orthodoxie, wie beispielsweise auch ein Blick in das Dekanatsarchiv von Calw zeigt. Brecht weist darauf hin, daß sich noch im Jahr 1772, von den Summarien und der Legenda Aurea einmal abgesehen, dort auschließlich lutherisch-orthodoxe Literatur findet. 1 1 8 Zur geringen Anzahl der Postillen ist anzumerken, daß interessanterweise Wagner zwei seiner drei Evangelienpostillen noch in seiner Zeit als Pfarrer der Reichsstadt Esslingen verfaßt hat. Seine Postillen scheinen j e d o c h in W ü r t temberg einen großen Bekanntheitsgrad besessen zu haben. 1 1 9 Trotz der gewiß lukrativen Möglichkeit, Postillen zu publizieren, waren die Tübinger Prediger also kaum auf diesem Gebiet tätig. Die vielfältigen kirchenpolitischen, lehramtlichen und kirchenamtlichen Tätigkeitsbereiche ließen wohl wenig Zeit für die Arbeit an Postillen, wurde doch vor Einführung der Fachlehrstühle im Jahr 1817 bei jeder Personaländerung an der Fakultät die Einarbeitung in ein neues Fachgebiet erforderlich. Hinzu kam sicherlich, daß die Professo-

117 BRECHT: Die Alte Bibliothek des Tübinger Stifts, S. 20 f., S. 33 und S. 4 1 - 4 9 . Vgl. FRIEDRICH FRITZ: Das Erlöschen des lutherischen Bewußtseins in Württemberg. In: Allgemeine Evangelisch-lutherische Kirchenzeitung 71 (1938), Sp. 9 1 8 - 9 2 4 , Sp. 9 4 4 - 9 4 7 , Sp. 9 6 4 - 9 7 0 , Sp. 9 8 9 - 9 9 3 , hier Sp. 9 1 8 - 9 2 4 . 1 , 8 BRECHT: Die Alte Bibliothek des Tübinger Stifts, S. 4 9 und Anm. 216. 1 1 9 Vgl. EDUARD HOCHSTETTER: Die Geschichte der Predigt in Württemberg seit der Reformation. In: Blätter für württembergische Kirchengeschichte 9 (1894), S. 33—38; S. 3 9 - 4 4 ; S. 4 9 - 5 3 ; S. 6 5 - 7 0 ; S. 8 1 - 8 7 ; S. 8 9 - 9 6 , hier S. 81. Hochstetter beruft sich dort auf G. Konrad Rieger.

42

Theoretische

Grundlegung: Theologie — Predigt — Alltag

ren — bei aller Übernahme von Kirchenämtern — nicht vollständig in den »normalen« pfarramtlichen Predigtzyklus integriert waren. 1 2 0 Insgesamt gesehen bieten die Predigten somit eine solide Basis für eine qualifizierte inhaltliche Analyse zum Thema Theologie und Alltag. Durch die Predigten blieb die Lehre nicht auf den Kreis der Wissenschaft begrenzt. Die Predigt war es, die in den öffentlichen Diskurs Lebensdeutung einbringen wollte: Predigt zielte - deutend und normierend zugleich — auf Leben. Konkurrierende Medien waren in diesem Diskurs nicht vorhanden. 4.2 Die Predigt der lutherischen

Orthodoxie

Als der erste Homiletiker der evangelischen Kirche wird Andreas Hyperius bezeichnet. 1 2 1 Auf der Grundlage der Schriftexegese ging es ihm in der Predigt um das docere, delectare und flectere. 122 Die genera einer Predigt spiegeln die biblische Orientierung (2 T i m 3, 16; R o m 15, 4) seiner Homiletik wider. Hatte jedoch Hyperius die fünf genera im Sinne von fünf verschiedenen Predigtarten verstanden, so erscheinen sie nun als Gliederungspunkte einer Predigt. Das fünffache genus ist zum fünffachen usus geworden. 1 2 3 Der Predigttext wird nun nach dem Schema von Lehre, Widerlegung, Mahnung, Strafe und Trost ausgelegt (usus didascalicus, elenchticus, paedeuticus, epanorthoticus, consolatoris). 124 Dieser fünffache usus kommt im Normalfall in der Applicatio zur Anwendung, die auf Exordium und Propositio folgt, und der sich ihrerseits zumeist Conclusio und Epilogus anschließen; die einzelnen Teile können aber noch weiter untergliedert sein, ihre Anordnung wird nicht ganz starr gebraucht. 125 Auch im 17. Jahrhundert wird diese Predigtmethode fortgesetzt. 126 1 2 0 Z u m »normalen« Predigtzyklus vgl. Württembergische Große Kirchenordnung, S. lxxxvii v : Sonntagmorgens und Sonntagnachmittags; S. xc v : Werktags. 121 A L F R E D N I E B E R G A L L : Die Geschichte der christlichen Predigt. In: Leiturgia 2 (1955), S . 1 8 2 - 3 5 3 , bes. S. 2 5 7 - 3 0 5 , hier S . 278 f. E R N S T C H R I S T I A N A C H E L I S : Lehrbuch der praktischen Theologie. Bd. 2. Leipzig 1 9 1 1 3 , S. 106. M A R T I N S C H I A N : Die Homiletik des Andreas Hyperius, ihre wissenschaftliche Bedeutung und ihr praktischer Wert. In: Zeitschrift für praktische Theologie 1896, S. 289 ff.; 1897, S. 27 ff. und S. 120 ff. 122 Zu Hyperius ( 1 5 1 1 - 1 5 6 4 ) vgl. A C H E L I S : Lehrbuch der praktischen Theologie,

S.

104-106.

Vgl. N I E B E R G A L L : Geschichte der christlichen Predigt, S. 291. Vgl. M A R T I N S C H I A N : Orthodoxie und Pietismus im Kampf um die Predigt. Ein Beitrag zur Geschichte des endenden 17. und beginnenden 18. Jahrhunderts. Gießen 1 9 1 2 , S . 2 1 . Vgl. N I E B E R G A L L : Geschichte der christlichen Predigt, S . 2 7 9 . 123

124

123

V g l . WACNER: E v a n g e l i e n - P o s t i l l e

1, S. 2 7 . SIGWART: P r e d i g t v o m A m t d e r

Kir-

chendiener, S. 18 gliedert seine Predigt in Anlehnung an 2 T i m 3, 16: Dann alle Schrifft von Gott eingegeben/ ist nutz zur Lehrl zur Straffe/ zur Besserung/ zur zuchtigung in der Gerechtigkeit. Ebd., S. 44 nennt Sigwart die folgende Punkte: Lehre, Vermahnung zum Guten, Warnung vor Bösem, Trost des Gewissens, Widerlegung von Irrtümern und falscher Lehre. 126 W I L H E L M B E S T E : Die bedeutendsten Kanzelredner der älteren lutherschen Kirche

Zur Homiletik der lutherischen Orthodoxie

43

Von diesem Schema ausgehend, wird der H o m i l e t i k der lutherischen O r t h o d o x i e ein blinder Schematismus vorgeworfen, der d u r c h d e n in d e n l u t h e rischen Kirchen bestehenden Perikopenzwang n o c h gefordert werde.127 D u r c h d e n P e r i k o p e n z w a n g m u ß t e j e d e r Text ü b e r Jahre h i n w e g jedes J a h r aufs N e u e g e p r e d i g t w e r d e n . D i e P r e d i g e r w e i s e n a b e r a u c h a u f d i e V o r t e i l e d e r o r t h o d o x e n P r e d i g t w e i s e f ü r P r e d i g e r u n d Z u h ö r e r h i n : Wie auff solche Weise der geda[e]chtnus / beeder deß Lehrers vnd Zuho[e]rers/ wird unter die Arm gegriffen/ in dem die Lehr nach der natu[e]rlichen Ordnung/ der im analysirten Text dastehenden Wort/ so gru[e]ndlich als einfa[e]ltig wird gefaßt/ daß auch die liebe Jugend in der Schul vnnd daheimbden zu Hauß/ wann sie auß der Predigt werden examinirt/ gantze Predigten nach jhren Hauptgru[e]nden/ ko[e]nnen daher sagen: viel besser/ als wan[n]s Oratorisch in einander geflochten daher gienge [...] Vnd [...] solche Art zu predigen dem Prediger ein dapffere Handheb ist/ wanns der Text gibt/ vnerschrocken drauff zu greiffen/ vnd der bo[e]sen Welt zu sagen/ was jhr zu sagen ist/ auch hierinnen/ wann sie es vngleich will verstehen/ vnd Personalstreich darauß erzwingen/ alle Schuld zu legen auff den Text/ vnd den vblen Nachreden den Ranck abzulauffen/ welche auff die Gesetz- vnd Straffpredigten richtig folgen/ wann der Streich nicht directissime auß den Donner deß erkla[e]rten Texts daherfa[e]hrt/ als were er mit Haaren zur ergangenen Straff gezogen/ vnd neben dem gepredigten Wort Vnruh/ Zancksucht vnd Verbitterung der Affect auff der Cantzel gespu[e]hret worden,128 D e r P e r i k o p e n z w a n g gilt f ü r das 16. J a h r h u n d e r t s c h o n fast [als] normal, i m 17. J a h r h u n d e r t ist er f ü r d e n H a u p t g o t t e s d i e n s t o b l i g a t o r i s c h . 1 2 9 In W ü r t t e m b e r g b l i e b d i e erste P e r i k o p e n o r d n u n g bis ins 19. J a h r h u n d e r t fast u n v e r ä n d e r t bestehen.130 Erst a m 26. Januar 1825 w u r d e per V e r o r d n u n g ein zweiter P e r i von Luther bis Spener. Bd. 3: Die lutherschen Kanzelredner des XVII. Jahrhunderts von Arndt bis Spener. Dresden 1886, S. 8. 127 Vgl. zum folgenden ACHELIS: Lehrbuch der Praktischen Theologie. Bd. 3, S. 108 f. NIEBERGALL: Geschichte der christlichen Predigt, S. 293. SCHIAN: Orthodoxie und Pietismus, S. 9 f. AUGUST THOLUCK: Das kirchliche Leben des 17. Jahrhunderts (Vorgeschichte des Rationalismus, Bd. 2, 2). Berlin 1862, S. 111. Zu Luthers Haltung gegenüber der P e r i k o p e n o r d n u n g v g l . WALTER C A S P A R i i A r t . P e r i k o p e n . I n : R E

1 5 ( 1 9 0 4 3 ) , S. 1 3 1 - 1 5 9 ,

hier S. 147-149. 128

WAGNER: E v a n g e l i e n - P o s t i l l e

1, S. 3 0 f. V g l . WILHELM BESTE: D i e

bedeutendsten

Kanzelredner der älteren lutherschen Kirche von Luther bis zu Spener. Bd. 2: Die nachreformatorischen Kanzelredner der lutherschen Kirche des XVI. Jahrhunderts. Leipzig 1858, S. XVI—XIX. Beste bringt hier ein ausfuhrliches Zitat des Simon Pauli, der die Vorteile der orthodoxen Predigtweise hinreichend erläutert. Vgl. CASPARI: Art. Perikopen, S. 152. 129

MARTIN SCHIAN: A r t . P r e d i g t . I n : R E

1 5 ( 1 9 0 4 ) , S. 6 2 3 - 7 4 7 , h i e r S. 6 7 0 .

CHRI-

STOPH KOLB: Die Geschichte des Gottesdienstes in der evangelischen Kirche W ü r t t e m bergs. Stuttgart 1913, S. 89-93. BESTE: Die bedeutendsten Kanzelredner. Bd. 2, S. X V I XIX. Vgl. SIGWART: Predigt vom Amt der Kirchendiener, S. 43. Er erwähnt hier, daß an allen evangelischen Orten der gleiche Text verlesen wird. 130 Vgl. CASPARI: Art. Perikopen, S. 155. Zu den beiden Änderungen aus den Jahren 1654 und 1668 vgl. KOLB: Geschichte der Predigt, S. 91; vgl. S. 99-103 zur Einfuhrung des zweiten und dritten Perikopenjahrgangs.

44

Theoretische

Grundlegung: Theologie — Predigt — Alltag

kopenjahrgang ausgearbeitet, der durch Synodalbeschluß 1 8 3 0 eingeführt und 1 8 4 2 geringfügig überarbeitet wurde; 1 8 9 4 k a m ein dritter Jahrgang hinzu. Caspari weist n o c h a u f die U b e r e i n s t i m m u n g der ersten

Perikopenordnung

mit den Jahreszeiten hin.131 D i e i n d e r w ü r t t e m b e r g i s c h e n K i r c h e v o r g e s c h r i e b e n e n P e r i k o p e n lassen sich d e m v o m H o f p r e d i g e r F e l i x B i d e m b a c h i m J a h r 1 6 0 3 Manuale

Ministrorum

licht, u m

herausgegebenen

e n t n e h m e n . 1 3 2 Dieses M a n u a l e hat B i d e m b a c h veröffent-

d e n junge(n)

angehende(n)

Kirchendiener(n)

»Ideallösungen«

für

die

P r e d i g t p r a x i s zu g e b e n . V o n u n w e s e n t l i c h e n A b w e i c h u n g e n a b g e s e h e n , e n t s p r i c h t die A n o r d n u n g d e r P e r i k o p e n d e r a l t k i r c h l i c h e n V o r g a b e . S e i n e »Ideallösungen« reichen — w i e der T i t e l besagt — v o n einer Auslegung d e r P e r i k o p e n t e x t e d e r E v a n g e l i e n u n d E p i s t e l n , ü b e r das s p e z i e l l e r e T h e m a d e r P a s s i o n , ü b e r T e x t e f ü r T r a u e r f ä l l e u n d H o c h z e i t e n bis h i n zu T e x t e n für Kranke, Sterbende und z u m Tode verurteilte Delinquenten.133 S i c h e r l i c h ist es r i c h t i g , d a ß die A n z a h l d e r M e t h o d e n , e i n e n T e x t a u s z u l e g e n — a u s g e h e n d v o n d e n f ü n f g e n e r a des H y p e r i u s —, s e l t e n e B l ü t e n t r e i b e n k o n n t e . I h r H ö h e p u n k t ist w o h l e r r e i c h t , w e n n J o h a n n B e n e d i k t C a r p z o v I I . i n s e i n e r 1 6 7 5 e r s c h i e n e n e n Admonitio variatione

131

de concionum

dispositione

dispositionumque

h u n d e r t (!) s o l c h e r M e t h o d e n v o r t r u g . 1 3 4

V g l . CASPARI: A r t . P e r i k o p e n , S. 1 5 2 .

Vgl. F E L I X B I D E M B A C H : Manuale Ministrorum || Ecclesiae, || Handbuch. || Darinnen || Volgende sieben Stuck begriffen. |j 1. Euangelia vnd Epistolae | auff das gantze Jar | || mit kurtzen Summarischen Dispositionen. || 2. Passio Christi | auß den vier Euangelisten | cum || Annotatione Locorum Communicum. || 3. Fu[e]nffhundert zu Leichtpredigten außerlesene Text 11| auf alle Fa[e]ll | in 10. Classes außgetheilet. || 4. Hundert außerlesene Text zu Hochzeitpredigten. || 5. Bericht | wie mit Krancken vnd Sterbenden zu- || handeln. || 6. Bedencken j wie den Melancholicis zurhaten. || 7. Bericht | wie mit den Maleficanten| so zum To- || de verurtheilet | zuhandlen. || Fu[e]r die junge angehende Kirchen-|| diener| im Hertzogthumb Wu[e]r-|| temberg | zugerichtet 11| Durch || [...] Tübingen: Georg Gruppenbach, 1603. Ü B T : Gi 233.8°. Zit.: Manuale Ministrorum, S. 1—3. Vgl. KOLB: Geschichte des Gottesdienstes, S. 90 f. und S. 107. Vgl. auch die als Beilage beigefügte »Ubersicht über die Veränderungen der Perikopen des ersten und zweiten Jahrgangs«. 133 Vgl. Anm. 131; BIDEMBACH: Manuale Ministrorum. Die 5 0 0 Predigttexte unterteilt Bidembach wie folgt: 1. Texte für vornehme und angesehene Persönlichkeiten; 2. für alte und betagte Menschen; 3. für Frauen, die bei oder nach der Geburt eines Kindes sterben; 4. für »unzeitige«, frühe Todesfälle; 5. für den Todesfall nach langwierigen Krankheiten; 6. für plötzliche Todesfälle; 7. für den Tod infolge »trauriger, erschrecklicher und erbärmlicher« Unglücksfälle; 8. beim Tod bußfertiger Sünder; 9. beim Tod gottloser Leute, bzw. solcher, die in ihrem »sündhaften Leben« verharrt sind; 10. für allgemeine Todesfälle. Hier finden sich aber auch 100 Texte für Hochzeitspredigten. Berichte über den Umgang mit Kranken und Sterbenden; über Menschen, die der Melancholie verfallen sind, sowie solche, die zu den »Maleficanten« gezählt werden, schließen sich an. 134 Ein anschauliches Bespiel bespricht ACHELIS: Lehrbuch der praktischen Theologie. Bd. 3, S. 109. Vgl. SCHIAN: Orthodoxie und Pietismus im Kampf um die Predigt, S. 14 f. und S . 40. 132

Zur Homiletik

der lutherischen

45

Orthodoxie

Im folgenden soll nun kurz die Entwicklung der Homiletik in W ü r t t e m berg dargestellt werden, wobei die daran beteiligten Tübinger Theologen b e sonders berücksichtigt werden sollen. Die erste in Württemberg publizierte Homiletik stammt von dem W i n n e n der Pfarrer Arsatius Se(e)hofer. 1 3 5 Er veröffentlichte 1539 seine Enarrationes Evangeliorum Dominicalium ad dialecticam Methodum et Rhetoricam dispositionem accomodatae. Sie beginnen mit einem Schema, in welchem er einen Uberblick über die verschiedenen genera — bei ihm sind es vier — gibt. Sein eigentliches Anliegen ist j e d o c h nicht so sehr die theoretische Grundlegung der Predigt, wie die von ihm angeführten Predigtexempel zeigen. E r versucht vielmehr, durch seine eigenen Predigten, die er dem kurzen theoretischen Teil folgen läßt, praktische Anleitung zu geben. In der Homiletik entwickeln auch zwei andere württembergische T h e o l o gen, Lucas I. Osiander 1 3 6 und Jacob Andreae 1 3 7 , die homiletischen Ansätze des Hyperius weiter. Die Biblizität und die Verständlichkeit der Predigt stehen bei ihnen im Vordergrund, ohne dabei j e d o c h einen geistlich-erbaulichen C h a rakter außer Acht zu lassen. 138 Lucas I. Osiander beruft sich in der Vorrede zu seinem Werk auf Jacob A n dreae. 1 3 9 Osiander geht, wie schon Se(e)hofer, von vier genera aus. Indem er die aus der R h e t o r i k übernommenen genera nicht immer scharf trennen will, deutet sich schon ein gewisser Ubergang zum fünften, später klassisch gewordenen genus — dem Trost — an. Bei Osiander ergibt sich dann das folgende Schema: Exordium, narratio, propositio, explicatio. In der explicatio werden dann die Loci Communes behandelt, die aber, wie seine Bauernpostille (1609) zeigt, häufig mehr ethischen, denn dogmatischen Charakters sind. 1 4 0 Andreae hat seine Methodus concionandi nicht selbst herausgegeben, das Werk wurde vielmehr posthum von Polycarp Leyser veröffentlicht. 1 4 1 A n dreae, der seinerseits die Predigtweise von Schnepf übernommen hat, hat das gleiche Schema wie Osiander seinen Predigten zugrundegelegt. Seine confirmatio entspricht der explicatio bei Osiander, in ihr werden die Glaubens- und Lebenswahrheiten zur Sprache gebracht. Eventuell kann sich bei ihm noch die confutatio anschließen, wobei er ausdrücklich vermerkt, daß es lächerlich

133

Vgl.

KOLB:

Geschichte

des

Gottesdienstes,

S. 1 0 4 . V g l .

HOCHSTETTER:

Die

Ge-

schichte der Predigt, S. 42. 136 LUCAS I. OSIANDER: D E R A T I O - |] N E C O N C I O - || N A N D I . || [...]. Tübingen: Alexander Hoggis, 1582. Ü B T : Gi 552.8°. Zit.: De ratione concionandi. 137 POLYCARP LEYSER: Methodus concionandi tradita a celeberrimo Theologo D. J a cobo Andreae. Frankfurt 1595. 1 3 8 ACHELIS: Lehrbuch der praktischen Theologie. Bd. 2, S. 108 f. Vgl. KOLB: G e schichte der Predigt, S. 107. 1 3 9 Vgl. KOLB: Geschichte des Gottesdienstes, S. 1 0 5 - 1 0 7 . 1 4 0 Vgl. KOLB: Geschichte des Gottesdienstes, S. 107. 141 Vgl. KOLB: Geschichte des Gottesdienstes, S. 105.

46

Theoretische

Grundlegung:

Theologie

- Predigt -

Alltag

sei, den rudissimis auditoribus lateinische und griechische Zitate einprägen zu wollen. Georg Heinrich Häberlin vertritt in seinem 1690 veröffentlichten Specimen theologiae practicae keinen künstlichen Formalismus. 1 4 2 Auch er stellt die usus an den Schluß der Predigt; es müssen j e d o c h nicht immer alle fünf bekannten usus zur Anwendung gelangen. In der Vorrede zu seiner Epistelpostille sagt er ausdrücklich, daß es ihm darum gehe, Lehre, Mahnung, Warnung und Trost aus dem Text zu ziehen. 1 4 3 Der Predigttext selbst kann, wie seine Epistelpostille von 1685 zeigt, auch nur aus einigen Versen bestehen; er greift nicht unbedingt auf die gesamte Perikope zurück. Ganz ähnlich verfährt auch Wagner in seiner Postille. Kolb weist in seiner »Geschichte des evangelischen Gottesdienstes« besonders auf zwei Theologen — Johann Reinhard Hedinger und Andreas A. H o c h stetter — hin, die im besonderen mit der Predigtweise des Pietismus in Verbindung gebracht werden. 1 4 4 Ihre Predigt habe die Wendung von der Gelehrsamkeit zur Erbauung, von der Scholastik zur Schrift erbracht. 1 4 5 Eine These übrigens, die im weiteren Verlauf dieser Untersuchung zu überdenken sein wird. Hedingers Schrift zur Homiletik erschien anonym 1700 in Anhang zu einer Ausgabe von Bidembachs Manuale. 1 4 6 Neben einer intensiven Beschäftigung mit den Arten und Unterarten einer Predigt gibt er eine Anleitung zu einer nützlichen und erbaulichen Predigt. D e r Commentariolus de recta concionandi [...] ratione ist eine anonym und ohne Angabe des Datums herausgegebene Schrift, die von Andreas Adam Hochstetter verfaßt wurde. 1 4 7 Zusammengefaßt läßt sich sagen, daß auch er die zu Ende des 16. Jahrhunderts eingeführte Unterscheidung in die fünf genera beibehalten hat. B e i den usus gibt er zu bedenken, bei den Häresien im usus elenchticus die nötige Zurückhaltung zu üben. A u f den gesamten Bereich der lutherischen Kirche bezogen, haben wohl Andreae und Lucas I. Osiander die größte Wirkung gehabt. Achelis meint j e doch, die weitere Entwicklung in der Homiletik habe die beiden W ü r t t e m berger nicht genügend rezipiert: Der Hochmut scholastischer Gelehrsamkeit mache sich in der Folgezeit auf der Kanzel breit. 1 4 8 Was das Materielle der Predigten anbelange, so herrschten hier Dogmatik und Polemik vor. 1 4 9 Polemik in der

142 143 144 143 146 147

KOLB: G e s c h i c h t e des Gottesdienstes, S. 1 1 4 f. HÄBERLIN: Epistel-Postille 1, Vorrede. KOLB: G e s c h i c h t e des Gottesdienstes, S. 1 1 5 - 1 1 8 . KOLB: G e s c h i c h t e des Gottesdienstes, S. 1 1 5 . KOLB: G e s c h i c h t e des Gottesdienstes, S. 1 1 5 . KOLB: G e s c h i c h t e des Gottesdienstes, S. 1 1 7 .

1 4 8 ACHELIS: L e h r b u c h der praktischen T h e o l o g i e . B d . 2, S. 1 0 8 . Vgl. auch KOLB: G e schichte des Gottesdienstes, S. 1 0 7 : Leider hat die Folgezeit diese Vorschriften nicht genug beachtet. Vgl. THOLUCK: Das kirchliche L e b e n des 17. Jahrhunderts, S. 1 1 4 - 1 1 7 . Z u Lucas I. Osiander vgl. auch HOCHSTETTER, E . : D i e G e s c h i c h t e der Predigt, S. 5 0 f.

Zur Homiletik

der lutherischen

47

Orthodoxie

Predigt zu üben, gilt als eine Hauptbeschäftigung der Theologen; Polemik werde nicht nur gegenüber der römischen Kirche geübt, wie dies in den Zeiten der Reformation auch üblich gewesen sei, sondern nun auch in den evangelischen Kirchen untereinander, j a es komme sogar zu innerkonfessioneller Polemik. Wenn beispielshalber Martin Schian etliche Predigten des J a c o b Andreae in einem Abschnitt Die Predigt des polemisch konfessionellen Dogmatismus abhandelt, so trifft diese Zuordnung bei den von ihm genannten Predigten 1 5 0 in der Tat auch zu. 1 5 1 Anzumerken ist j e d o c h , daß die dort von Schian genannten Predigten des Jacob Andreae allesamt wirkliche Lehrpredigten sein wollen, mit denen Andreae das Werk einer lutherischen Konkordie verantreiben wollte; es handelt sich also um Predigten, die absichtlich nicht paränetischen, sondern kirchenpolitischen Absichten dienen. Sie zielten von Anfang an auf reine Information, nicht auf Erbauung ihrer Hörer. 1 5 2 Konfessionelle Polemik, die die eigene Position deutlich markiert, ist im Stil der Zeit hier durchaus angebracht. Schian muß j e d o c h später einräumen, Andreae habe in seinen Predigten auch eine ethisch-asketische Seite, die beispielshalber in seinen Katechismuspredigten zutage treten würde. 1 5 3 Neben der vorwiegend perständigen oder polemisch scharfen oder gelehrt didaktischen Konfessionspredigt weist Schian auch auf eine lebendige, gefühlswarme und populäre Bezeugung des Christus in uns hin, die um die Wende des 16. Jahrhunderts eine innere Erneuerung der lutherischen Predigtweise eröffnet habe. Als Vertreter dieser verständig erbauliche(n) Predigtweise findet sich der Tübinger Jacob Heerbrand u. a. neben Aegidius Hunnius,

1 4 9 Vgl. zum folgenden RICHARD ROTHE: Geschichte der Predigt, von den Anfängen bis auf Schleiermacher. Hrsg von August Trümpelmann. Bremen 1881, S. 367—373. KOLB: Geschichte des Gottesdienstes, S. 1 0 8 - 1 1 3 . Kolb meint (ebd., S. 110), die Prediger hätten sich in einer Zeit, in der die Polemik die Theologie beherrschte, gar nicht der konfessionellen Polemik enthalten können. 150

MARTIN

SCHIAN: A r t . P r e d i g t ,

Geschichte

der

christlichen.

In: R E

15

(19043),

S. 6 2 3 - 7 4 7 , hier S. 671: 33 Predigten von den furnehmsten Spaltungen in der Religion, 1568; 6 Predigten von den Spaltungen zwischen den Theologen der Augsburgischen Konfession, 1574; 5 Predigten vom Werk der Konkordie. 151 Vgl. zum folgenden SCHIAN: Art. Predigt, S. 6 7 0 ff. Auch KOLB: Geschichte des Gottesdienstes, S. 109, weist in einem Nebensatz pauschal auf die Polemik in Andreaes Predigten hin. 152 ANDREAE: Predigten von den Spaltungen,Vorrede () III V : [...] / daß ich vil vnd offt gedacht/ dermalsten eines für den einfaltigen Mann/ ein kurtzen einfaltigen Bericht zu stellen/ wie er sich in disen leisten gefahrlichen zeitten/ in alle vorermelte Spaltungen vnnd zu/itracht der Religion Christlich schicken soll/ darmit er nicht in Jrrthumb verfu[e]ret/ sonder in der Zuku[o]nfft des Herren/ im rechten/ warhafftigen/ Christlichen vnnd seligmachenden Glauben erfunden werden mo[e]ge. 1 5 3 Vgl. auch HOCHSTETTER. E.: Die Geschichte der Predigt, S. 41, der ebenfalls den überwiegend dogmatischen Charakter der Predigten Andreaes hervorhebt, daneben aber auch wirklich asketische, sogar kindlich einfältig Vorträge erkennt.

48

Theoretische Grundlegung: Theologie - Predigt - Alltag

M a r t i n C h e m n i t z , Cyriacus Spangenberg, Polycarp Leyser u n d Lucas I. Osiander. D i e Lektüre der Predigten hat gezeigt, daß die Prediger selbst die G e f a h r erkannt haben, die einer blinden B e f o l g u n g der zeitgenössischen h o m i l e t i schen T h e o r i e i n n e w o h n t e . In der Predigt hat es d a r u m zu gehen, so erklärt beispielshalber Tobias W a g n e r in der Vorrede zu seiner Epistel-Postille, d e n biblischen Text zu analysieren, u n d zwar ohn ohnno[e]thigen critisirn,154 D a z u m u ß die quaestio principalis, die eigentliche H a u p t f r a g e des Textes herausgearbeitet w e r d e n . H i e r z u ist es, vor allem bei Episteln, n o t w e n d i g , den K o n t e x t zu eruiren. Von der principalQuaestion hängt die gesamte analysis u n d Resolution ab. I m Anschluß daran sollen die F u n d a m e n t e der Glaubensartikel gelegt, u n d die falsche Lehre w i d e r legt w e r d e n . H i e r a n hat sich die ernstliche Bestrafung der Laster sowie das Lob der T u g e n d anzuschließen. D e n Abschluß bildet der Trost, der in der P r e digt j e n e n , die in Kreuz u n d A n f e c h t u n g leben, zugesprochen w e r d e n soll. Scharfe Kritik übt Wagner an einer n i c h t praxisnahen u n d praxisbezogenen Predigtweise. E r kritisiert, daß etliche blosse Discurse/ ohne Beybringung guter und erbaulicher Realien/ fu[e]hren; Etliche sich in der Außlegung deß Texts mit unno[e]tigen Umbschweiffen allzulang auffhalten/ und hernach u[e]ber den Nutzen geschwinde hinstreichen [...] Etliche die Zuho[e]rer bey dem Gebrauch mit allzuvielen ungleichen Lehren/ Vermahnungen/ Warnungen etc. die nicht außgefu[e]hrt/ auch wol gezwungen sind/ u[e]berha[e]uffen; Etliche die Su[e]nden nurgeneraliter taxiren/ und diefu[e]rgehende Laster nicht mit sattsamen Gru[e]nden beschreiben und straffen/ oder der Su[e]nden gar vergessen/ und wol eitel Trost bringen /..,/. 1 : > 5 D a b e i ist es gar nicht n o t w e n d i g , d e n gesamten Text darzulegen, v i e l m e h r soll m a n einen einigen gewissen Lehrpunct auß dem gantzen Text erwehlen [...] u n d dabei die Bibel sowie die Schriften Luthers, vor allem dessen Kleinen Katechismus, v e r w e n den. F e r n e r f u h r t W a g n e r ein n i c h t näher erläutertes W e r k ü b e r d e n Unterricht fot[e]r die Christliche Haußva[e]tter an u n d rät, auch die im Lesebuch e n t h a l t e n e n Sprüche, Lieder u n d G e b e t e zu berücksichtigen. 1 5 6 A u f der Kanzel, so rät Wagner, sollen sich die Prediger Theologischer Bescheidenheit befleißigen, u n d keine affectirten hohen Worte m a c h e n , s o n d e r n bleiben bey der Go[e]ttlichen Einfalt Christlicher Religion.157 D i e Prediger sollen stets b e d e n k e n , in der Predigt n i c h t die falsche[n] Propheten selbsten, sondern nur den gemeinen Mann vor [...] [sich zu] haben [.. J.158

1,4 153 136

137 138

Vgl. z u m WAGNER: WAGNER: WAGNER:

f o l g e n d e n WAGNER: Epistel-Postille 1, Vorrede. Epistel-Postille 1,Vorrede. Epistel-Postille 1,Vorrede. Z w e i S o n d e r b a r e P r e d i g t e n , S. 53.

WAGNER: E v a n g e l i e n - P o s t i l l e 1, S. 3 2 .

Zur Homiletik der lutherischen Orthodoxie

49

III. Alltag und Frühe Neuzeit Eine Untersuchung, die einen Beitrag zum Alltag in der Frühen N e u z e i t leisten will, hat bei den Lebensformen einzusetzen. D i e Einheit von Familie und Haus ist das zentrale Strukturmerkmal der frühneuzeitlichen Gesellschaft. Familie und Haus werden durch die von Kirche und Staat gemeinsam getragene Disziplinierung zur dominanten Größe sozialer O r d n u n g . 1 5 9 Eine U n tersuchung, die Aussagen über die Entwicklung von Gesellschaftssystemen treffen will, muß ökonomische, soziale und politische Einrichtungen stets in Relation zu Haus und Familie als sozialer Institution setzen. 1 6 0 Das Haus ist eine in sich gegliederte soziale Einheit, die die Elemente der Ehe, der Elternschaft, der Konsumgemeinschaft, der Produktion, der R e p r o duktion und der Freizeitgestaltung einschloß. 1 6 1 Dieser Familienbegriff war durch die Wiederbelebung der antiken Hauslehren — besonders der Politik und der Nikomachischen Ethik des Aristoteles — entstanden; eine Entwicklung, an der Philosophie und T h e o l o g i e im Spätmittelalter ihren Anteil haben. Diese antiken Hauslehren wurden dahingehend modifiziert, als dem Haus nun auch eine religiöse Funktion zuwächst (Hausväterliteratur). Bei der Ausbildung einer oeconomia christiana k o m m t dem Protestantismus eine Führungsrolle zu, da er die ehelichen Beziehungen in den sozialen Z u s a m m e n h a n g der Familie bringen kann. Dies war d e m K a t h o lizismus nicht möglich, da er die E h e durch die v o m göttlichen Sakramentenrecht geprägte Doktrin als der irdischen Ordnung entzogen versteht. 1 6 2 Charakteristisch für diese Entwicklung ist der Hausbegriff bei Luther: personale Bezüge, und dort besonders die Ehe, bilden die Mitte des Hauses. Im Haus üben Hausvater und Hausmutter ein Regiment, das Haus bildet den Ort, an dem gesellschaftliche und obrigkeitliche Funktionen eingeübt werden. Dies setzt keine Identität von sozialem (Haus) und politischem (Staat) K ö r p e r voraus, vielmehr bildet das Haus die Basis des größeren Gemeinwesens, auf dessen Z w e c k e es hingerichtet ist. Im Sozialmodell Luthers tritt zu o e c o n o mia und politica noch die ecclesia hinzu. 1 6 3 Diesen drei von Gott eingesetzten Ständen gehört der Christ gleichzeitig an. Als K o n s e q u e n z folgt daraus, daß das Haus als eine Institution der Schöpfungsordnung gedeutet wird und folglich menschlicher Willkür entzogen ist. 139 RICHARD VAN DÜLMEN: Entstehung des frühneuzeitlichen Europa (1550-1648). Frankfurt/M. 1982, S. 193. 160 KARIN HAUSEN: Familie als Gegenstand historischer Sozialwissenschaft. In: Geschichte und Gesellschaft 1 (1975), S. 171-209, hier S. 187. 161 HEIDI ROSENBAUM: Zur neueren Entwicklung der Historischen Familienforschung. In: Geschichte und Gesellschaft 1 (1975), S. 210-225, hier S. 210. 162 DIETER SCHWAB: Art. Familie. In: Geschichtliche Grundbegriffe. Bd. 2 (1975), S. 253-301, bes. 253-271, hier S. 261. 163 SCHWAB: Art. Familie, S. 263.

50

Theoretische Grundlegung: Theologie — Predigt — Alltag

Auch in der Folgezeit bildet das Haus einen sozialen Körper der Schöpfungsordnung, in dem das Individuum entsprechend seiner familiären Rolle seinen Platz angewiesen bekommt. Das Haus als die potentielle Summe aller Lebensbereiche bestimmt den sozialen Status des einzelnen. Der pater familias war der Repräsentant seines Hauses, seine Rolle wies über das Haus hinaus. In dem Maße, wie mit der Unterstützung von Kirche und Staat seine Autorität und seine patriarchalische Stellung ausgeweitet wurde, bildete sich ein Rollenverständnis, das jedem sagte, was er zu tun und zu lassen habe. Die zunehmende Verflechtung und Differenzierung der ständischen Gesellschaft machte das Haus zum Garanten für die Sicherung von sozialer und politischer Ordnung. Durch direkte sozialethische Mitteilungen zur Familiennorm hat die Predigt zu dieser Entwicklung ihren Teil beigetragen. 164 Mit Hilfe biblischer Normenbestände wird eine Ordnung des Kosmos angestrebt, Leben in der Welt, im Bereich des Hauses, im ökonomischen wie im politischen Bereich zu reglementieren versucht. Die Dreiständelehre weist dabei jedem seinen Platz innerhalb der als Gottes Schöpfungsordnung verstandenen und durch göttliche Gubernation erhaltenen gesellschaftlichen Gliederung zu. Die Konsequenzen der Lehre vom Haus als Institution göttlicher Schöpfungsordnung sowie die daraus folgenden Implikationen für den Alltag stehen zur Disposition.

164

HAUSEN: Familie als Gegenstand historischer Sozialwissenschaft, S. 189.

C. Zur Praxis der Predigt I. Das Welt- und Menschenbild

der lutherischen

Orthodoxie

i. Gott und Welt Die Theologen der lutherischen Orthodoxie setzen die Einheit des Lebens und dessen Verflechtung in das Weltganze voraus. W i e schon Luther gehen sie nicht von einem Dualismus von Naturganzem und sittlicher Welt aus.1 Eine Wirklichkeit ohne Wirken Gottes gibt es fur die Prediger der lutherischen Orthodoxie nicht. Das Geschehen zwischen Gott und Mensch bewegt die Geschichte. Gottes Wirken ist universal, es umfaßt alles Geschehen von A n fang bis zum Ende, sein Handeln ist in allen Lebensvollzügen menschlicher Existenz präsent. 2 In dieser universalen Konzeption werden alle wichtigen Sozialformen der Menschheitsgeschichte umfaßt. Dies muß notwendig so sein, da im zeitgenössischen theologischen Verständnis menschliches Leben von gottgewollten Ordnungen umgeben und begrenzt ist: [...] damit es ein rechte bestellte Haußhaltung auff Erden sey/ in welcher die Gerechtigkeit befu[e]rdert/ die Boßheit verhindert/ deß Menschlichen Geschlechts Gemeinschafft erhalten/ vnd nicht alles in ein Confusion vnd Zeru[e]ttung gestu[e]rtzet wu[e]rde; weil Gott nicht ist ein Gott der Vnordnung/ sondern deß Friedens/ 1. Cor. 14. v. 33 [...]? O h n e Gott gäbe es weder Obrigkeit noch Untertanen, keine menschliche Gesellschaft könnte also sicher sein, weil ein jeglicher thun du[e]iffte, soviel er vermochte; alle Tugenden und Laster wu[e]rden aufgehaben; und wer sich zusterben resolviren ko[e]ndte, ha[e]tte weiter nichts zufu[e]rchten.A 1 WERNER ELERT: Morphologie des Luthertums. Bd. 1: Theologie des Luthertums, hauptsächlich im 16. und 17. Jahrhundert. München 1931, S. 384. 2 WAGNER: Segenspredigt, S. 838: Gott ist der Geber alles dessen, was der Mensch bedarf, besitzt und genießt. WAGNER: Evangelien-Postille 1, S. 521 ff., bes. S. 525: Haben auch unsere ersten Eltern übel hausgehalten, [...] so hat doch Gott seine Haußhaltung nicht cassirt, sondern solche in den Hierarchiis, vnd dreyen Hauptsta[e]nden Menschlichen Geschlechts/ als dreyen grossen Haußhaltungen/ erhalten; Also den vblen Haußhalter zwar degradirt, aber darum nicht gar Dienstloß ^e/assen. WEISMANN: Leichenpredigt Hagmajer, S. 9, S. 13. 3 WAGNER: Evangelien-Postille 1, S. 526. HAGMAJER: Zwei Casualpredigten, S. 73: Diese Ordnung stammt aus freier, weiser und gütiger Bestimmung von Gott und ist im vorhergesehenen und bestimmten Opffer des Meßias und Heylands der Welt gegründet. 4

HAGMAJER: T a u f - P r e d i g t , S. 6 9 f.

52

Das Welt- und Menschenbild

der lutherischen

Orthodoxie

D e n äußeren R a h m e n dieser Ordnung bildet die Welt, die der Mensch in der R e d e von der Erschaffung der Welt als Ganzheit zu erfahren gelernt hat. Der Anfang des Heilsgeschehens ist zugleich Weltgeschehen. Für die lutherischen Theologen war damit die Identität von Welt- und Kirchengeschichte und somit der Zweck aller Geschichte schlechthin festgelegt: Geschichte war ihrem letzten Sinn nach Heilsgeschichte unter eschatologischem Aspekt, 5 was nicht heißt, daß das Geschehen zwischen Gott und Mensch auf die Geschichte der Rettungstaten beschränkt ist. Gott begegnet dem Menschen als rettender und richtender Gott. 6 D i e Geschichte, die mit der Erschaffung der Welt ihren Anfang genommen hatte, hatte in Christus ihren sachlichen, nicht chronologischen Mittelpunkt erreicht und strebte nun dem Jüngsten Gericht am Ende aller Zeiten entgegen. Gott wird damit zu der Macht, die eine zum Endziel hin fortschreitende Geschichte antreibt und in Bewegung hält. Für die Theologie bedeutete dies eine heils- und lineargeschichtliche Orientierung auf ein Telos zu. 7 Damit ist klar, daß sich das allgemeine Geschehen in der Welt, das sich in j e n e n Abschnitten ereignet, die zwischen diesen drei E c k daten liegen, dem Blickwinkel der Heilsgeschichte nicht entziehen kann. So können auch die antiken Historien, die nach dem Verständnis der Prediger von Gott nichts Wahres berichten konnten, mit ihren mahnenden und abschreckenden Beispielen im weltlichen und zwischenmenschlichen Bereich noch zur Erfüllung des göttlichen Gesetzes beitragen. 8 Für sich genommen, bilden weltliche Gegebenheiten kein Kontinuum sinnvoller Geschehnisse, sie stellen allenfalls den äußeren R a h m e n . 9 Alle Geschichte der Welt gehört nur indirekt zu dem exklusiven, mit universalem Anspruch auftretenden Heilsge3 G U S T A V A D O L F B E N R A T H : Art. Geschichte/ Geschichtsschreibung/ Geschichtsphilosophie V I I / 1 . In: T R E 12 ( 1 9 8 4 ) , S. 6 3 0 - 6 4 3 . D i e Mitte des 17. Jahrhunderts beginnende allmähliche Auflösung der heilsgeschichtlichen Gesamtdeutung der Welt findet in den Predigten keinen Niederschlag. Vgl. W I L H E L M V O S S K A M P : Untersuchungen zur Z e i t - und Geschichtsauffassung im 17. Jahrhundert bei Gryphius und Lohenstein (Literatur und Wirklichkeit, B d . 1). B o n n 1 9 6 7 , S. 2 0 f. 6 HEERBRAND: Bußpredigt J o n a , S. 7: G o t t als R i c h t e r und als gnädiger, gütiger und barmherziger G o t t und Vater. 7 PHILGUS: Predigten von Feuersbrünsten, S. 60: Letzte Zukunft Gottes in geheimem R a t s c h l u ß von Ewigkeit her festgelegt. WAGNER: Evangelien-Postille 2, S. 8 5 7 : D i e O r d nung des H i m m e l und der Erde widerlegen die T h e s e des Aristoteles von der Ewigkeit der Welt; der Welt ist ein Anfang und ein Ende gesetzt. SIGWART: Predigten vom Vaterunser, S. 1 1 4 : A l s daß er von Ewigkeit her hat beschlossen/ zu seiner Zeit die Welt zuerschaffen/ den Messiam zusenden/ die Todten zuerwecken/ das Ju[e]ngste Gericht zu halten/ ec. P R E G I T Z E R : Bußpredigt, S. 159: je na[e]her der Ju[e]ngst Tag herzu rucket. 8 Nichtchristliche Vorbilder für die O b r i g k e i t vgl. ANDREAE: Passional Christi, S. 58™: Pilatus, Herodes. WAGNER: Christliche Landtagspredigt ( 1 6 7 2 ) , S. 18: Alexander. WÖLFFLIN: Christliche Landtagspredigt ( 1 6 7 0 ) , S. 16: Augustus. Vgl. dazu das von M e lanchthon überarbeitete C h r o n i c o n C a r i o n i s von 1 5 5 8 ( C R 12, S. 7 1 1 — 1 0 9 4 ) . V g l . V O S SKAMP: U n t e r s u c h u n g e n zur Z e i t - u n d Geschichtsauffassung im 17. Jahrhundert, S. 14— 20. 9 K A R L L Ö W I T H : Weltgeschichte und Heilsgeschehen. Stuttgart 1 9 5 3 , S . 1 7 0 .

53

Gott und Welt

schehen.Alle Mächte dieser Welt 1 0 , jedes geschichtliche Individuum 11 und j e des Naturereignis 12 bilden nur den Hintergrund, sind Werkzeug oder Instrument eines göttlichen Vorhabens. Geschichte wird nicht verstanden als Inbegriff menschlichen Handelns und Erleidens. Bemessungsgrundlage für die Wichtigkeit bzw. Belanglosigkeit der Ereignisse ist ihre mögliche Bedeutung für Gericht und Erlösung. Das Interesse der Prediger an historischen Ereignissen ist immer im Hinblick auf das Heilsgeschehen orientiert. Vom Standpunkt des Glaubens aus ist die Tatsache charakteristisch, daß die Welt und ihre G e schichte bereits in das Heilsgeschehen integriert ist. Dies ist die Grundlage allen biblischen Weltverständnisses. Historischen Ereignissen und Personen kann so ein bestimmter Platz innerhalb des von der Bibel vorgegebenen R a h mens von Schöpfung — Erlösung — Parusie zugewiesen werden. D i e heilsgeschichtliche Lage der Gegenwart als der Zeit zwischen Christi Auferstehung und seiner Parusie ist unwiderruflich letzte Zeit. Charakteristisch für diese Zeit ist die Spannung zwischen Vergangenheit (»schon erfüllt«) und Zukunft (»noch nicht erfüllt«), die Welt ist schon von Christus beherrscht und doch steht die Vollendung dieses gegenwärtigen, aber eben verborgenen R e i c h e s Christi zum offenbaren R e i c h Gottes jenseits aller geschichtlichen Zeit noch aus. Der Christ lebt in einer Welt, von der er weiß, daß sie ihrem Ende entgegengeht und vergeht, er weiß aber zugleich, daß sie jetzt noch im R a h m e n der Heilsgeschichte gottgewollt ist und von Christus beherrscht wird. 1 3 U n d die Zeichen, die das bevorstehende Ende der Welt ankündigen, mehren sich. 14 Die Prediger der lutherischen Orthodoxie sprachen der Kirche die Aufgabe der Vermittlung des göttlichen Heils an die Menschen zu. Sie hat die Konsequenzen der von Kreuz und Auferstehung Jesu Christi bestimmten Zeit der gegenwärtigen Geschichte als der von Gottes Heilshandeln betroffenen Zeit zu predigen. Wird Geschichte grundsätzlich verstanden als Fortsetzung des göttlichen Heilshandelns in der Bibel, dann wird sie unter dem einheitlichen Aspekt der christlichen, genauer der lutherisch-orthodoxen Lehre interpretiert. Alle Ereignisse der Vergangenheit und der Gegenwart werden rein unter kirchlich-religiösen Gesichtspunkten betrachtet. 1 5 Diese Lehre ist keine ab-

10

ANDREAE: T ü r k e n - P r e d i g t e n ,

WAGNER: T ü b i n g e r

Friedenspredigt

S. 2 2 2 ,

S. 2 3 0 .

WAGNER:

Schwert-Predigt,

( 1 6 7 9 ) , S. 1 7 . HÄBERLIN: B u ß p r e d i g t , S. 4 4 .

S. 1 3 . REUCH-

LIN: Bußpredigt, S. 120. 11 HEERBRAND: Leichenpredigt Herzog Christoph, S. 13. HOCHSTETTER, A. A.: Leichenpredigt Reuchlin, S. 21. 12 SIGWART: Predigt vom Erdbeben, S. 11 ff. SIGWART: Predigt vom Hagel, S. 17 ff. SIGWART: Predigt vom R e i f , S. 5. WAGNER: Zwei Erdbebenpredigten, S. 4 ff. 13 HÄBERLIN: Epistel-Postille 1, S. 5 1 1 b , S. 5 1 3 b : Aus der Schöpfung leitet sich auch die Vergänglichkeit der Welt ab. 14 ANDREAE: Predigt vom Lauf der Planeten, S. 3. WAGNER: Regentenpredigten, S. 4 ff. HÄBERLIN: E p i s t e l - P o s t i l l e , S. 5 0 9 b. 13

E M I L CLEMENS S C H E R E R : G e s c h i c h t e u n d K i r c h e n g e s c h i c h t e a n d e n d e u t s c h e n

versitäten. Freiburg 1927, S. 105.

Uni-

54

Das Welt- und Menschenbild

der lutherischen

Orthodoxie

strakt-intellektuelle Größe, sie zeugt vielmehr von j e n e r Macht, die die G e schichte bestimmt, weil Gott selbst dahinter steht. Das Handeln Gottes setzt sich in der Geschichte fort. Dies ist auch der Grund, weshalb alle Geschichte in engen Konnex zur biblischen Theologie gesetzt werden kann. 1 6 Die G e schichte, deren R a h m e n und Autorität die Bibel darstellt, wird so zu einer Erkenntnisquelle des Heilshandelns Gottes. Die Bibel ihrerseits wird damit zu einer Quelle der göttlichen Offenbarung über den Verlauf der Heils- oder Unheilsgeschichte. In seinem Glauben an das Wirken Gottes in der Geschichte kann der Mensch dieses Heilshandeln in der Welt erkennen. In Konkurrenz zu diesem göttlichen Heilshandeln steht das Wirken widergöttlicher Mächte des Bösen. D e r Teufel versucht, den Menschen an diesem Verständnis der Geschichte zu hindern. 1 7 D i e Lehre der Kirche will den M e n schen j e d o c h nicht nur in den Stand versetzen, in der Geschichte das Wirken und den Heilsplan Gottes zu erkennen, sondern sie will zudem die Fähigkeit verleihen, dieses Wirken von dem der gottwidrigen Mächte zu unterscheiden. 1 8 Mit Hilfe der Lehre können zunächst zusammenhanglos erscheinende Fakten der Geschichte bewertet und ihr eigentlicher Sinn erkannt werden. Für die Prediger ist Geschichte im Grunde nichts anderes als Auslegung der Bibel. Im R ü c k g r i f f auf eine Überlegung Seebergs, der auf die Entsprechung zwischen traditionalistischer Schriftexegese und traditionalistischer Interpretation des geschichtlichen Verlaufs hingewiesen hat, bezeichnet Moldaenke die Methode, der Geschichte durch eine Projektion der Lehre auf ihren Verlauf eine einheitliche Struktur zu verleihen, als die Anwendung des hermeneutischen Prinzips der Analogiaßdei auf die Historie,19 Die Projektion des protestantischen Lehrstandpunkts auf die Geschichte versetzte die Prediger in die Lage, einen Zusammenhang strukturaler Identität zwischen den Prophezeiungen des Alten und Neuen Testaments und den hi16 Zur bleibenden Aktualität biblischer Texte vgl. SIGWART: Predigt vom R e i f , S. 3. NICOLAI: Erdbebenpredigt, S. 7 - 1 I.JOACHIM MASNER: Kirchliche Uberlieferung und Autorität im Flaciuskreis (Arbeiten zur Geschichte und Theologie des Luthertums, Bd. 14). B e r lin, Hamburg 1964, S. 49. 17 REUCHLIN: Christentum, S. 211: Der Satan lockt und reizt mit der Welt, da er doch nichts anders suchet/ als daß wir die Zeit verspielen/ und indem wir mit den eitelen und nichtigen Dingen dieser Welt uns aufhalten/ die Gelegenheit versa[e]umen/ unser Heyl und Seeligkeit zu wircken [• ••]• 18 HANS-JÜRGEN SCHÖNSTÄDT: Antichrist, Weltgeschehen und Gottes Werkzeug. R ö mische Kirche, Reformation und Luther im Spiegel des Reformationsjubiläums 1617 (Veröffentlichungen des Institutes für Europäische Geschichte Mainz, Abteilung flir Abendländische Religionsgeschichte, Bd. 88). Wiesbaden 1978, S. 95. 19 ERICH SEEBERG: Gottfried Arnold. Die Wissenschaft und die Mystik seiner Zeit. Studien zur Historiographie und Mystik. Meerane i. S. 1923, S. 260. GÜNTER MOLDAENKE: Schriftverständnis und Schriftdeutung im Zeitalter der Reformation, Teil 1: Matthias Flacius Illyricus (Forschungen zur Kirchen- und Geistesgeschichte, Bd. 9). Stuttgart 1936, S. 3 1 7 .

Gott und Welt

55

storisch-realen Ereignissen ihrer Gegenwart herzustellen. 2 0 Die Bibel ist gemäß dem Schriftprinzip nicht nur in dogmatischer Hinsicht oberste N o r m , sondern aufgrund der Lehre von der Verbalinspiration auch primäre Quelle der Geschichts- und Weltdeutung. Die lutherisch-orthodoxen Prediger gehen von der Uberzeugung aus, daß in der Geschichte Gott und der Satan um die Herrschaft über die Menschen ringen. Gott ist der Herr der Geschichte, der aber zum Vollzug seines Zornes den Teufel zeitweilig gewähren läßt. 21 Beide, Gott und der Teufel, bedienen sich des Menschen, um ihre gegenläufigen Ziele zu verwirklichen. Das Problem des Bösen erforderte eine Differenzierung von Wirken und Gegenwart Gottes. Dies geschieht in der Lehre von der göttlichen Providenz, in ihr konnte im Unterschied zur Prädestinationslehre die Nähe Gottes zum Ausdruck gebracht werden. 2 2 In der lutherisch-orthodoxen Lehre von der Providenz ist das Verhältnis Gottes zu den Geschöpfen durch gubernatio (Führung) und conservatio (Erhaltung) bestimmt. Dies bringt deutlich zum Ausdruck, daß dem Bösen stets nur eine mittelbare W i r k samkeit zugestanden wird. Dies wiederum ist thematisch eng verknüpft mit der lutherischen Auffassung der Abendmahlslehre, findet doch das Verhältnis von Gott und Welt seinen sinnenfälligen Ausdruck in der Realpräsenz Christi im Abendmahl sowie auch mit der Lehre von der Christologie. 2 3 Für die Dogmatiker der lutherischen Orthodoxie ist bei der Lehre von der göttlichen Providenz nicht der Plan Gottes mit Natur und Geschichte dieser Welt das eigentlich Wichtige, sondern Erhaltung und Führung in der G e g e n wart. U b e r diese Achse zielt der Weg in die Teleologie Gottes. 2 4 Das Vertrauen

20

SCHÖNSTÄDT: A n t i c h r i s t , S. 9 6 .

SIGWART: Predigt vom Hagel, S. 13: Es sey aber der Sathan so ma[e]chtig wider die Menschen/ vnd zumal so gijftig vnd rachgirig/ als er jmmer u>o[e]lle/ so vermag er doch nichts eigens Gefallens/ ohne Gottes Willen oder Verhengnuß/ also daß er auch dem Menschen kein Ha[e]rlin kru[e]mmen/ vnnd auff dem Feld kein Gra[e]slein verderben kan/ es sey dann/ Daß es Jhme Gott der HERR erlaube. SIGWART: Predigten vom Vaterunser, S. 93. HEERBRAND: Predigt vom 21

S t r a h l , S. 3 [ = 5 ] ' . OSIANDER, A . : P r e d i g t v o n d e r S t u r m s t i l l u n g , S. A 2 V - A 3 R . 2 2 ANDREAE: Predigten in Lauingen, S. X L I r : Dann Gott ist nicht wie ein Mensch/ der von einem ort in das ander raiset/ dann er ist allenthalben vnd erfüllet alles [...] / Er ist über euch alle/ vnd durch euch alle/ vnnd in euch allen. Vnnd da man meinet/ das er am wenigsten seie/ da findt man am aller gwisesten. Wenn? so es einem Menschen übel gehet/ es sey mit Armu[o]t/ Kranckheit/ Feindtschafft/ Verfolgung/ so meint er! Gott sey von jhme gewichen/ so er doch am aller na[e]chsten bey jme ist. SIGWART: Lasterpredigten, S. 46 v , S. 47 r . Zur polemischen Auseinandersetzung mit der calvinistischen Prädestinationslehre vgl. HAFENREFFER: Multi vocati,

S. 8 - 1 1 . V g l . ELERT: L u t h e r t u m . B d . 23

1, S.

388-390.

ELERT: L u t h e r t u m . B d . 1, S. 3 8 6 .

2 4 CARL HEINZ RATSCHOW: Das Heilshandeln und das Welthandeln Gottes. Gedanken zur Lehrgestaltung des Providentia-Glaubens in der evangelischen Dogmatik. In: Zeitschrift für systematische Theologie 1 (1959), S. 25—80, hier S. 31. Die genannten Größen, bei Ratschow sind es drei, da in der späteren Dogmatik, seit Quenstedt (Theologia didactico-polemica sive Systema theologicum, 1685), im Lehrstück D e Providentia neben conservatio und gubernatio auch das Stichwort concursus abgehandelt wird, definieren

56

Das Welt- und Menschenbild

der lutherischen

Orthodoxie

richtet sich so auf den Gott, der die Welt nach der Schöpfung nicht sich selbst überläßt, sondern väterlich erhält. 25 Die Welt ihrerseits bezeugt Gott als Schöpfer und Erhalter. Aus dem B u c h der Natur kann der Mensch wissen, daß ein Gott ist, seine Eigenschaften und Werke offenbaren sich z. B. auf einem Spaziergang. 26 So bezeugen beipielshalber Größe, Gewicht und freischwebende Position der Erde, daß ein Gott ist: Rund ist sie/ wie mit vielen Argumenten auß Astronomischer Warnemmung wird observirt/ auch einem jeden auß den Finsternussen deß Möns vor Augen gewiesen/ welche nichts anders/ als ein runder Schatten im Mond seyn/ welchen die Erdkugel in den Mond/ durch Einkommung zwischen jhr vnd dem Mond/ wirfft/ vnd hierdurch sein kugelrunde Form in deß Möns Schatten la[e]ßt sehen/ vnerachtet der grossen vnd mannigfaltigen Berg vnd Tha[e]er/ welche auff Erden sind/ aber gegen der Gro[eJße deß Erdbodens jhrer kugelrunden Form nicht allem nichts benemmen/ sondern erst noch eine Zierd/ zumal ein grosser Nutz der inwohnenden Menschen auff Erden sind/ [.. ,].27 Aber wie kann das/ sich untereinander: [...] hier heißt es, die conservatio als concursus und gubernatio, den concursus in conservatio und gubernatio, die gubernatio aber aus der zwiespältigen Erfahrung von conservatio und concursus heraus zu efassen. 2 3 HEERBRAND: C o m p e n d i u m T h e o l o g i a e ( 1 5 7 9 ) , S. 1 5 0 : Rerum conseruatio, gubernatio & sustentatio. Non enim Deus discessit à suo opificio sicut faber discedit à domo, aut naui à se exnaturas tructa, eam postea fortunae committens: sed perpetuò adest, gubernat, conseruat & sustentat à se conditas. HEERBRAND: K i r c h e n t e s t a m e n t , S. 2 7 6 : Diß Haupt Christus ist nicht abwesend/ noch abgeso[e]ndert von seinem Leib/ welcher ist sein Kirch hie auf Erden / sonder stehts gegenwertig. Wie er selber sagt [...] Sihe/ ich bin bey euch alle tag/ biß an der Welt end. HAFENREFFER: L o c i T h e o l o g i c i ( 1 6 0 0 ) , S. 16: [...] sed res creatas fouet, paternaqfue] cura &prouidentiä easdem moderatur atq[uej gubernat. WAGNER: Evangelien-Postille 2, S. 5 6 1 ff. u n d S. 6 5 8 ff.; vgl. ebd., S. 669: Auch beede Erschaffung vnnd Erhaltung vnzertrennlich aneinander hangen/ anzuzeigen/ daß sie die beste Artzney wider das a[e]ngstige Hertzklopffen der Marter-Sorgen deß alten Adam seyen [...]. 26

HAGMAJER: T a u f p r e d i g t , S. 3 2 . W A G N E R : E v a n g e l i e n - P o s t i l l e

2 , S.

859.

WAGNER: Evangelien-Postille 2 , S. 8 5 0 f. D i e s e A r g u m e n t a t i o n m i t Hilfe astronomisch-wissenschaftlicher Erkenntnis ist aber n i c h t g l e i c h b e d e u t e n d m i t einer Ü b e r n a h m e des naturwissenschaftlichen Weltbildes.Vgl. zur gesamten T h e m a t i k : JÜRGEN HÜBNER: D i e T h e o l o g i e J o h a n n e s Keplers zwischen O r t h o d o x i e u n d Naturwissenschaft (Beiträge zur H i s t o r i s c h e n T h e o l o g i e , B d . 5 0 ) . T ü b i n g e n 1 9 7 5 . Allerdings hatte schon der Fall K e p l e r gezeigt, daß v o m t h e o l o g i s c h e n Standpunkt aus fachwissenschaftliche F o r s c h u n g n i c h t b e h i n d e r t wird, w e n n o r t h o d o x - t h e o l o g i s c h e P o s i t i o n e n unangetastet bleiben. H e e r b r a n d hatte Kepler angeraten, zwischen astronomischer Hypothese und Heiliger Schrift deutlich zu unterscheiden (ebd., S. 2 1 3 ) . Vgl. ELERT: L u t h e r t u m . B d . 1, S. 3 7 5 - 3 7 8 . KLAUS SCHOLDER: U r s p r ü n g e und P r o b l e m e der B i b e l k r i t i k im 17. J a h r h u n d e r t (Forschungen zur G e s c h i c h te u n d L e h r e des Protestantismus, 10. R e i h e , B d . 3 3 ) . M ü n c h e n 1 9 6 6 , S. 7 9 ff. zur Frage nach der Glaubwürdigkeit des biblischen Weltbildes. N o c h WÖLFFLIN: H e i m f i i h r u n g s p r e digt, S. 9 f. verteidigt v e h e m e n t das biblische Weltbild gegen die Erkenntnisse des K o p e r nikus: [...] allhier wollen wir uns nicht bemu[e]hen mit den Copernicis und andern Mathematicis, welche vorgeben die Sonne gehe eigentlich weder auf noch nider/ sondern stehe unbeweglich / hingegen lauffe die Erd=Kugel umb dieselbe herumb; wir verbleiben unsern Theils/ bey den Worten H. Schrifft/ welche bezeugt/ daß Sonn und die Sterne ihren gewissen Lauff haben/ [•••]. D i e s m u ß letztendlich eine doppelte Wahrheit zur Folge haben, vgl. SCHOLDER: B i b e l k r i t i k , S. 6 3 u n d S. 1 2 6 - 1 3 0 . 27

Gott und Welt

57

was in so scho[e]ner Ordnung/ wie an Himmel vnd Erden zu sehen/ daher gehet/ ohngefehr vnd von sich selbsten seyn?28 Die regelmäßige Bewegung der H i m m e l s k ö r p e r u n d die O r d n u n g u n d Verknüpfung der Ursachen bezeugen einen weisen, allmächtigen u n d wohltätigen Architekten. 2 9 Aber auch das Herbarium vivum, das lebendige Kreuterbuch, die Historia Animalum, das grosse Thierbuch u n d natürlich auch die Anthropologia, das Buch von deß Menschen Leib vnd Seel b e zeugen den Schöpfer. 3 0 D e r Mensch selbst als Mikrokosmos wird z u m Z e u g nis für den Weltarchitekten. 3 1 Aus seinem Werk soll der Schöpfer erkannt u n d verherrlicht werden. 3 2 Aus der ständigen Gegenwart Gottes folgt, daß er auch ein unmittelbares Verhältnis zu den causas secundae hat. Gott als die erste, höchste u n d oberste Ursache ist hierin in seinem Handeln j e d o c h absolut frei u n d nicht an die causae secundae gebunden. 3 3 Damit war die Schwierigkeit beseitigt, mit der sich auch schon die R e f o r matoren auseinandersetzen m u ß t e n . Sie hatten in der Schöpfung zwar Gott u n d Welt miteinander verbunden, sahen dann aber keine analogia entis angelegt, das heißt, sie k o n n t e n auch keine wie auch i m m e r zu definierende G o t t haftigkeit des Menschen annehmen: Gott und Welt waren so nur als einmaliges Ereignis im Schöpfungsakt selbst miteinander verbunden. 3 4 Das Lehrstück D e Providentia klärt u n d bestimmt hier das Verhältnis zwischen Gott u n d Welt in eindeutigerWeise. Dies bildet die Grundlage des Postulats, das der Glaube vor der Welt aufrichtet: d e m Glauben dienen alle Dinge z u m Guten. A m E n d e trägt Gott, trotz aller Teilerfolge des Teufels in der Geschichte, den Sieg über die Mächte des Bösen davon. 3 5 W i e Erhaltung, L e n k u n g u n d F ü h r u n g

28

WAGNER: Evangelien-Postille 2, S. 857. H E E R B R A N D : C o m p e n d i u m T h e o l o g i a e (1579), S. 37 f.: [...], ordo, & series causaru[m] inter se cohaerentium [...], &c. testantur, Architectum esse sapientem, Omnipotentem, Beneficum, qui haec omnia creárit, conseruet & gubernet. Opus enim commendat artificem. Item: Effectus non potest esse sine causa, nec a seipso. JÄGER: C o m p e n d i u m Theologiae, S. 34. WAGNER: Evangelien-Postille 2, S. 847 ff. 30 W A G N E R : Evangelien-Postille 2 , S. 8 5 2 - 8 5 5 . 31 H E E R B R A N D : C o m p e n d i u m T h e o l o g i a e (1579), S. 37. 32 H E E R B R A N D : C o m p e n d i u m T h e o l o g i a e (1579), S. 146: [...] vt hinc architectus ex suo opere cognosceretur & celebraretur. Vgl. H A F E N R E F F E R : Loci T h e o l o g i c i (1600), S. 13: Creatio est actio Dei, qua Deus Pater Uberrima & optima volúntate, perfilium suum, in Spiritu sancto, res omnes, óptimas condidit: vt immensam suam bonitatem, sapietiam & omnipotentiam declararet, atq[ue] creaturae Rationali communicaret: a qua vicißim agnosceretur & celebraretur. 33 H E E R B R A N D : C o m p e n d i u m T h e o l o g i a e (1579), S. 150, vgl. S. 206 f. J Ä G E R : C o m p e n d i u m Theologiae, S . 64. SIGWART: Predigt vom Hagel, S . 8. S I G W A R T : Predigt v o m R e i f , S . 3 v f. P H I L G U S : Predigten von Feuersbrünsten, S . 11 ff. Vgl. E L E R T : L u t h e r t u m . Bd. 1, S. 386. 34 R A T S C H O W : Heilshandeln, S . 4 2 . 33 SIGWART: Predigten v o m Vaterunser, S . 190: So ist es ein gefährliches Anzeichen, w e n n es d e m M e n s c h e n nach seinem Gefallen geht. WAGNER: Evangelien-Postille 1, S. 668 ff., S. 673: Selbst der f r ü h e Tod v o n K i n d e r n kann ein gut Werck seyn. WAGNER: Leichenpredigt Cellius, S. 2 6 : G o t t disponiert alle Dinge z u m Besten. R E U C H L I N : C h r i s t e n 29

58

Das Welt- und Menschenbild

der lutherischen

Orthodoxie

der Welt zu erfassen sind, wird im Zusammenhang mit dem Themenkomplex der Zweireichelehre zu erörtern sein, geht es doch dabei der lutherischen O r thodoxie um die Verbindung zwischen weltlichem und geistlichem R e g i m e n t Gottes unter der Voraussetzung der exklusiven Einheit beider R e i c h e in C h r i stus. In der Auseinandersetzung mit den Mächten des Bösen offenbart sich das Lenken und Erhalten Gottes. Dies geschieht nicht nur in Predigt und Verkündigung, sondern [...] eben auch in der Weise der ordnenden wie lenkenden Bewahrung der Welt in Staat, Beruf und Familie und allem stände- und amtsartig zu begreifenden Dasein von Menschen in der Welt.36 Prämisse jeder R e d e von Erhaltung und Lenkung der Welt hat stets die Verkündigung des Evangeliums und der Rechtfertigungslehre zu sein. Allerdings wird die Gewißheit des Glaubens an Gottes bewahrendes Handeln immer wieder mit der leidenden und scheiternden Welt konfrontiert. Diese alltägliche Erfahrung des Leids und Mangels fuhrt in Anfechtung, der Glaube an die bewahrende Fürsorge des verborgenen Gottes wird hier immer wieder auf die Probe gestellt. 37 Wenn das göttliche Wort und der sich daran entzündende Widerspruch des Teufels Geschichte konstituieren, kann entsprechend aus der Geschichte der göttliche oder widergöttliche Ursprung eines historischen Geschehens erschlossen werden. Geschichte ist somit nicht eigenständiger Bereich menschlicher Erkenntnis, sondern sie hat funktionalen Charakter. 3 8 Dieses universalhistorische Geschichtsbild der Prediger, das von einer Einheit von Bibel, Kirchen- und Weltgeschichte ausgeht, weist damit noch die gleichen Merkmale auf, die schon für das Weltbild des Mittelalters charakteristisch waren. 39 Mit diesem Verständnis hatte die lutherische Orthodoxie das im Mittelalter rezipierte und von der Reformation nicht zerstörte biblisch-augustinische Weltbild übernommen. 4 0 In der Geschichte waren, wie oben ausgeführt wurde, tum, S. 2 5 0 : G o t t weiß, was dem bittenden M e n s c h e n n ö t i g ist. WEISMANN: L e i c h e n p r e digt H o f f m a n n , S. 7: Das Krankenlager kann zur hohen Schule werden. 3 6 RATSCHOW: Heilshandeln, S. 4 4 . HAFENREFFER: Litania, S. 12: Dann ja ein jeder Christ/ so viel sein Leib vnd Leben/ sein Haab vnd Gut/ sein Beruff vnd Stand/ sein Verrichtung vnd Arbeit/ Hauß oder Feldgescha[e]fft/ vnd kurtz/ alles was das jenig/ so zu Leib oder Seel vns nützlich sein mag/ betrifft/ also gesinnet ist: daß er vor allem Schaden/ Schutz vnd Schirm/ in aller Not vn[d] Anligen/ Hilff vn[dj Rettung/ in allem Zustand/ Gnad/ Segen/ heilsam Gedeyen vnd alle Wolfart wu[e]ndschen vnd begeren thut. 3 7 SIGWART: Predigt v o m Hagel, S. 3 2 : G o t t will die Gläubigen durch U n g l ü c k versuc h e n . WAGNER: Evangelien-Postille 1, S. 5 3 1 : G o t t e s Vorsehung ist u m so stärker, j e stärker die Z e r r ü t t u n g in den m e n s c h l i c h e n Ständen ist. WAGNER: Evangelien-Postille 2, S. 6 6 8 . WEISMANN: Leichenpredigt H o f f m a n n , S. 8 ff.: D i e v e r b o r g e n e F ü h r u n g Gottes zeigt sich oft erst im R ü c k b l i c k . 38

SCHÖNSTÄDT: A n t i c h r i s t , S.

318.

39

WERNER KAEGI: G r u n d f o r m e n U t r e c h t 1 9 4 8 , S. 2 2 5 f.

der

dem

Mittelalter.

40

BENRATH: A r t . G e s c h i c h t e , S. 6 3 3 . , ALFRED SCHINDLER: A r t . A u g u s t i n /

Augustinis-

mus. I. Augustin. In: T R E sung, S. 6 8 0 - 6 8 3 .

Geschichtsschreibung

seit

4 ( 1 9 7 9 ) , S. 6 4 5 - 6 9 8 . Z u r augustinischen

Geschichtsauffas-

59

Gott und Welt

für die Prediger Gott u n d der Teufel am Werk. Ihre eigene Gegenwart erlebten sie im Bewußtsein des nahe bevorstehenden Endes. Ausdruck fand diese Haltung in der Aussage, daß man in der letzte[n] vnd jemmerlichen zeit lebe 41 : die Sanduhr der zu End lauffenden Zeit werde bald außgeloffen seyn.42 Die M e n schen Wissen/ daß es Wartens Zeit/ wegen nunmehr auch annahenden letzsten Heils der Zukunfft deß Sohns Gottes zum Gericht/ die [...] na[e]her ist/ als wirs eben jetz glauben [. • J.43 Wir haben kein viertel an diser Stund mehr/ da zweifelt nicht an.44 Diese U b e r z e u g u n g vom unmittelbar drohenden Weltende war ein Erbe der R e f o r m a t i o n . 4 5 W i e dieses Ende, die erwartete eschatologische Vollendung der Welt gedacht wurde, ob als E r n e u e r u n g oder als Vernichtung, u n d ob sich diese N a h e r w a r t u n g durchgehalten hat, wird im Abschnitt über die Eschatologie zu thematisieren sein. 46

2. Gott und

Mensch

Im folgenden soll keine Anthropologie der lutherischen O r t h o d o x i e vorgestellt, sondern lediglich die flir die Arbeit relevanten Grundlagen erörtert w e r den. 4 7 Das Verhältnis von Gott u n d Mensch bestimmt sich durch die Relation zwischen Schöpfer u n d Kreatur: der Mensch steht vor Gott als seinem Schöpfer, der Gehorsam von ihm fordert u n d ihn richten wird: HAlten vnnd lehren wir/ daß der Mensch anfangs zum Bilde Gottes erschaffen/ vnd von Gott mit solchen herrlichen angebornen Kra[e]fften begäbet/ daß er seinen Scho[e]pffer erkennet/ vnnd jm gehorsam sein, allen seinen Willen vnd Gebott erfu[e]llen/ vermo[e]cht/ [•••]48 D e r urspünglich zum Ebenbild Gottes geschaffene Mensch b ü ß t e diese Stellung durch den Sündenfall ein. 49 Im ursprünglichen Zustand war der Predigt von der Himmelfahrt, S. D2V.

41

HEERBRANP:

42

WAGNER: C a s u a l p r e d i g t e n ( T e u f e l ) , S. 3 0 .

43

WAGNER: E p i s t e l - P o s t i l l e , S. 7 .

44

ANDREAE:

S. 260.

Predigten in Lauingen, Bußpredigten, S. 3.

PREGITZER:

Vgl. A N D R E A E : Christliche Anleitung, Casualpredigten (Bußpredigt), S. 862.

S. X X X I I V . WAGNER:

WAGNER: L e i c h e n p r e d i g t C e l l i u s , S. 2 7 . 43 H . J . U L R I C H K Ö R T N E R : Weltangst und Weltende. Eine theologische Interpretation der Apokalyptik. Göttingen 1988, S. 192. 46 Vgl. S T O C K : Annihilatio mundi, S . 1 2 6 ff. K Ö R T N E R : Weltangst, S . 1 9 5 . 47 Eine Darstellung der Anthropologie am Beispiel Johann Gerhards findet sich bei GASS: Geschichte der protestantischen Dogmatik, S. 281 ff. 48 H E E R B R A N D : Kirchentestament, S . 5 7 . Vgl. A N D R E A E : Christliche Anleitung, S . 3 5 9 :

Darum

stehet

es nicht in vnserm freyen

der es ist der ernstlich Den[n]

die Creatur

Christen/ [...].

Bevelch

soll jhrem

die wir von Gott

vn[d]

willen/ Will

Scho[e]pffer

recht zu[o]thon/

Gottes/

vnderthenig

nicht allein erschaffen/

vnnd

das wir in seinen vnnd

gehorsam

Christlich

zu[o]leben/

son-

wandeln/

[...]

Gebotten sein/

sonder auch durch den Son

sonderlich Gottes

aber

erlo[e]set

wir sein

Predigten über 1 Kor 15, S. 118r, S . 157v. R E U C H L I N : Christentum, S. 283 : Der Mensch war anfangs heilig und gerecht geschaffen; er wurde durch den Fall 49

SIGWART:

r

60

Das Welt- und Menschenbild

der lutherischen

Orthodoxie

Mensch in der Lage, den Willen Gottes zu erkennen u n d i h m zu entsprechen, seine Gottebenbildlichkeit verlieh i h m wahre Gotteserkenntnis, Weisheit, G e rechtigkeit u n d Wahrheit. 5 0 D e r Fall verdunkelt die Erkenntnis des Gesetzes, ja macht sie unmöglich. D u r c h die Erbsünde, die eine Verderbung der schöpfungsgemäßen N a t u r bewirkt, ist der Mensch aller Freiheit, aller Fähigkeit z u m G u t e n beraubt. Er ist n u n von Natur zum Argen geneigt. 5 1 Die Erbsünde brachte die Verdammnis über alle Menschen, auch w e n n die Personalschuld Adams nicht ihre eigene Schuld ist. 52 Die Gottebenbildlichkeit kann so einem Lehen verglichen werden, an dem die Kinder keinen Anteil haben, w e n n es ihr Vater eingebüßt hat. Infolge der Erbsünde ist also die menschliche N a t u r nicht so geblieben, wie sie ursprünglich von Gott erschaffen worden war. 53 Dies heißt j e d o c h nicht, daß sich Substanz, N a t u r u n d Wesen als solche verändert haben, vielmehr hat sich etwas i n der Substanz des Menschen geändert. Substanz, K ö r p e r und Seele bleiben, j e d o c h ist nach d e m Fall keine E r k e n n t nis Gottes im Intellekt m e h r möglich; von n u n an herrschen Blindheit, Finsternis u n d Unwissenheit, in deren Folge sich der Mensch im U n g e h o r s a m von Gott abwendet. 5 4 Dies betont die lutherische O r t h o d o x i e vehement gegen Flacius u n d seine Anhänger. D e n n besteht, wie bei Flacius a n g e n o m m e n ,

verderbt, so daß sein ganzer Leib n u n ein Leib der S ü n d e ist.Vgl. MARIA KLIEFOTH: Gesetz u n d E v a n g e l i u m in der altlutherischen D o g m a t i k . In: N e u e kirchliche Z e i t s c h r i f t 36 (1925), S. 2 1 3 - 2 4 4 , hier S. 2 2 4 f. 50 HEERBRAND: C o m p e n d i u m T h e o l o g i a e (1579), S. 188: Ita enim homo conditus est ab initio 51

ä Deo,

vt in eo luceret

SIGWART: P r e d i g t e n

vera

Dei

agnitio,

v o m Vaterunser,

sapientia,

iustitia,

sanctitas,

Veritas,

[...].

S. 15. W A G N E R : E v a n g e l i e n - P o s t i l l e

1, S.

899.

HAFENREFFER: M u l t i vocati, S. 11: D e r z u m E b e n b i l d G o t t e s geschaffene M e n s c h geriet d u r c h die V e r s u c h u n g des Teufels in S ü n d e u n d daraus resultierend in ewige Verdammnis. WEISMANN: Feuersbrunst, S. 4: Z u m U r s p r u n g des Bösen: [...] daß es sehr no[e]thig sey das Su[e]nden=Ubel von dem Straf=Ubel genau zu unterscheiden; da jenes durchaus nicht, dieses aber gar wohl von GOtt herru[e]hren kan. 52 Z u m f o l g e n d e n SIGWART: P r e d i g t e n v o m Vaterunser, S. 158. JÄGER: C o m p e n d i u m T h e o l o g i a e , S. 119: Hoc peccatum est Misera Humanae naturae corruptio per Adami lapsum in omnes ejus posteritatem propagata, reos faciens irae DEI & aeternae damnationis, nisi per Christum fiat remissio. 33 ANDREAE: E r b s ü n d e , passim, bes. S. 2 3 f; S. 9 definiert er E r b s ü n d e als: [...] bo[e]se widerwertige Art vnnd Natur des Menschen/ vmb wo[e]lcher willen/ der Mensch/ in Mu[o]ter leib/ ehe er geboren würdt/ ein Sünder vor Gott ist/ vnd da er diser sündigen Art vnnd Natur nicht ledig/ oder daß jne dieselbige von Gott nicht zu[o]gerechnet/ der Mensch kein gnedigen Gott haben/ auch Gott nicht sehe[n] kan/ biß er von derselben ga[e]ntzlich erlediget würdt. 54 HEERBRAND: C o m p e n d i u m T h e o l o g i a e (1579), S. 200: Manet quidem ipse homo, qui ab initio est creatus, quoad substantiam, retinens idem corpus, eandémque animam, quae ab initio sunt creata: sed quantum mutatus ab illo Adam, qui ab initio a DEO est creatus? Nulla enim amplius Dei notitia in intellectu hominis, post lapsum primorum parentum, est reliqua: sed in huius locum successerunt, caecitas, tenebrae & ignorantia DEI. In volúntate, nulla ad DEVM conversio & obedientia: sed auersio & inobedientia. Et in omnibus viribus, contumacia aduersus DEVM, & Legem ipsius. Quae sunt, & dicuntur, peccatum originis. Z u Flacius vgl. JÄGER: C o m p e n d i u m T h e o l o g i a e , S. 119.

Gott und Mensch

61

kein Unterschied zwischen dem Mensch und seiner Erbsünde, werden vielmehr beide als identisch betrachtet, so hieße das erstens, daß Gott zum Anfänger oder Verursacher der Sünde wird, und daß zweitens der Teufel zum Schöpfer des Menschen nach dem Fall wird. Dies verbieten für die Theologen der lutherischen Orthodoxie j e d o c h nicht nur die Erzählungen von Schöpfung und Sündenfall in der Bibel, sondern auch die unmittelbar aus dem Schöpfungshandeln Gottes abgeleitete Vorstellung des guten Handelns G o t tes. 55 Gott als der Schöpfer kann nicht Urheber des Bösen sein, vielmehr brachte der freie, schuldhafte Ungehorsam des Menschen das Böse in die Welt. Damit ist zwar der Ursprung des Bösen nicht geklärt, es wird j e d o c h festgehalten, daß es nicht zwei Urprinzipien — gut und böse — gab. Die Erbsünde kann so einem unreinen Kleid verglichen werden, das der Mensch überzieht. 5 6 Nach dem Sündenfall ist der Mensch nicht mehr in der Lage, seine Verpflichtung als Geschöpf zu erfüllen. Die Schuld des Menschen liegt darin, dem Willen Gottes nicht zu entsprechen, obwohl er dazu verpflichtet war. 57 Die Sünde trennt Gott und Mensch, 5 8 Sünde und Verschuldung geben Gott das R e c h t zur Vergeltung. 59 Eine vollkommene Erfüllung des Gesetzes, in dem Gott seinen fordernden Willen dargelegt hat, ist nun nicht mehr m ö g lich. D e r sündige Mensch fällt dem gerechten Z o r n Gottes anheim. 6 0 Das G e setz ist kein dem Menschen möglicher Weg zum Leben und zum Heil, es trifft immer auf den Menschen, der weiß, was er tun müßte, und es doch nicht tut, bzw. schon nicht getan hat. Jeder Versuch des Menschen, sich mit den Werken des Gesetzes selbst zu rechtfertigen, charakterisiert gerade seine Sünde. Gott und Welt sind in der Menschwerdung Christi neu aufs Engste miteinander verbunden worden. Dieses Geschehen ist für die lutherische O r t h o d o xie von zentraler Bedeutung. D e r als Heilsgeschehen interpretierte göttliche Akt hat die historische Situation des Menschen verändert, auch wenn sie sichtbar noch immer dieselbe ist: In der Vergebung der Sünden ist das Sein des Menschen und seiner Welt neu gesetzt in Freiheit von Vergangenem, Offenheit für die Zukunft und Mut zu gegenwärtiger Lebensfülle,61 55 HEERBRAND: Kirchentestament, S. 44: Dann er den Menschen volkommen erschaffen/ in Heiligkeit vnd Gerechtigkeit/ vnnd ein gar leichtes Gebott gegeben/ das er gar wol hat ko[e]nden ertragen/ aber auß lautter mutwillen hat er sich hieruon abzogen/ vnd dem Teuffei mehr glaubet/ vnnd gefolget/ dann Gott seinem Scho[e]pffer/ von dem er durch vngehorsam abgefallen/ dardurch auch die herrliche Kra[e]fften/ die er zuuor nicht allein fu[e]r sich/ sonder auchfu[e]r seine Nach[...]. kommen empfangen/ widerum[m] verlohren/ welches jhme Gott der HErr zuuor gesagt/ 56 HÄBERLIN: Epistel-Postille 1, S. 4 4 7 b , 448 a: Ein unreines schandliches Kleid/ welches mit vielen Maculn besudelt und beflecket ist/ [...]. 57 REUCHLIN: Bußpredigt, S. 119. 58 SIGWART: Laster-Predigten, S. 39 v : [...] alle Su[e]nden vor dem Angesicht Gottes ein Grewel [...] / die Gott vnd den Menschen von einander scheiden. 59 HÄBERLIN: Zwei Abendpredigten, S. 29. 60

REUCHLIN: B u ß - P r e d i g t , S. 9 9 .

61

HÜBNER: T h e o l o g i e , S. 3 0 9 .

62

Das Welt- und Menschenbild

der lutherischen

Orthodoxie

Das Gottesverhältnis des Menschen hat hier eine grundlegende Änderung erfahren, der Mensch steht nun nicht mehr unter der Anklage des Gesetzes, sondern unter dem Freispruch des Evangeliums. Das gesamte Geschehen der Heilsgeschichte ist j e d o c h nur vom Bewußtsein der Sünde des Menschen her verständlich. Der Gegenwartsbezug entsteht nur im Glauben daran, daß dieses Geschehen den Menschen als Sünder und als Erlösten betrifft. Damit ist das Gesetz als solches j e d o c h nicht aufgehoben. Die Quintessenz des Gesetzes, der Dekalog, dessen Forderungen nach wie vor an den einzelnen ergehen, ist jetzt vom Christus-Geschehen her bestimmt. An diesem Punkt wird deutlich, daß j e d e lutherisch-orthodoxe Ethik stets auf diese dogmatische Grundlegung Bezug nehmen muß. Allen ihren Handlungsanweisungen geht dieser heilsgeschichtliche Indikativ des neuen Seins voraus. Ethik ohne Dogmatik ist nicht denkbar. Der Mensch unter dem Evangelium ist von der Macht der Sünde befreit, deshalb muß er gegen die Sünde in der Welt kämpfen; er hat den heiligen Geist empfangen, deshalb soll er im heiligen Geist wandeln; der Mensch ist geheiligt, deshalb muß er unweigerlich ein heiliges Leben führen. 6 2 Dies ist der genuine Zusammenhang von Rechtfertigung und Heiligung. Auch der Christ kann, solange er in dieser Welt lebt, das Gesetz nicht vollkommen erfüllen; er sollte sich j e d o c h befleißigen, danach zu leben. 6 3 Deshalb trifft das göttliche Wort auch den Wiedergeborenen als Gesetz und Evangelium; als Gesetz besagt es, daß der Mensch um der Sünde willen unter dem Z o r n steht, als Evangelium, daß mit der Gnade der Durchbruch durch den Zorn vollzogen ist. 64 Dies führt in die Diskussion um den verschiedenen G e brauch des Gesetzes, wobei die Orthodoxie den über Luther hinausreichenden tertius usus legis kennt, der die Bedeutung des Gesetzes auch für den unter dem Evangelium lebenden Menschen betont und den Dekalog somit zur Orientierung für das alltägliche Leben erklärt. Die Dialektik von Gesetz und Evangelium entsprach j e n e m Menschenbild, das Luther unter Bezugnahme auf paulinische Aussagen neu zur Geltung gebracht hatte. Das »simul iustus et peccator« ist als Kernaussage reformatorischer Theologie auch in der Folgezeit nicht in Frage gestellt worden. 6 5 Erste Ansatzpunkte, das Gleichgewicht zwischen den Größen Versöhnung und Rechtfertigung, Rechtfertigung und Heiligung sowie Gesetz und Evangelium tendenziell zu verschieben, finden sich j e d o c h schon bei Melanchthon. 6 6 62

ANDREAE: P r e d i g t ü b e r M t

2 2 , S.

10.

REUCHLIN: Christentum, S. 318 f. ANDREAE: Predigten in Lauingen, S. XVIII V . ANDREAE: Predigten von Spaltungen, S. 66. SIGWART:Vom Amt der Kirchendiener, S. 28. HÄ63

BERLIN: E p i s t e l - P o s t i l l e

2 , S. 2 7 6 a.

REUCHLIN: Leichenpredigt (Stud. theol.), S. 84: Ach lehre uns so wol an den zuku[e]nfftigen Zorn u[e]ber die Gottlosen/ als auch an die Seeligkeit deiner treuen Knechte allezeit gedencken: daß jener unsere tra[e]ge Hertzen erschro[e]cke / und diese unsere Seelen zum Fleiß und Gedult ermuntere. 64

65

REUCHLIN: C h r i s t e n t u m ,

66

Vgl.

GEORG WEHRUNG:

S.

176.

Reformatorisch und orthodox. In: Zeitschrift für systemati-

Gott und Mensch

63

Auf systematisch-theologischer Ebene ist wiederholt, wenn auch kontrovers diskutiert, die Verschiedenheit der Strukturen der reformatorischen und der lutherisch-orthodoxen Theologie herausgearbeitet worden. 67 Schlagkräftig hat dies Wehrung auf den Punkt gebracht, der ein synoptisch-synthetisches [Glaubens¡Denken

der R e f o r m a t i o n m i t e i n e m linearen [Vernunft]Denken

der

Orthodoxie konfrontiert, und damit jenen Punkt markiert, an dem die Möglichkeit eines Ubergangs zum Rationalismus eingeräumt wird. 68 Die Differenzierung des komplexen Zusammenhanges konnte nicht nur aus den konfessionellen Auseinandersetzungen und einer sich verfestigenden Lehrmeinung resultieren. Denn bei dem Anspruch der Theologie, das ganze Leben umfassend zu gestalten, fand die Bewährung dieser Lehre auf der Ebene der Predigt statt. Dabei hat zu diesen Veränderungen entscheidend beigetragen, daß die Konfrontation der Lehre mit der Lebenswelt der Predigthörer nicht nur deren Verständnis und Erfahrung beeinflußt hat, sondern ihrerseits davon nicht unbeeinflußt bleiben konnte. Im Zusammenhang mit den Wittenberger Unruhen in den Jahren 1521/22 hatte Luther hoffnungsvoll auf die Selbstwirksamkeit des gepredigten Wortes vertraut. 69 Allein die Einführung des tertius usus legis zeigt, daß die Theologen der lutherischen Orthodoxie ihre eigenen Konsequenzen aus einer unverändert vorgefundenen Welt gezogen haben. 70 Die Wirklichkeitssicht konnte nicht ohne Rückwirkung auf die Theologie bleiben. Der Mensch, der nicht mehr gezwungen ist, sich in Gott wohlgefälligen Werken zu überbieten, ist freigesetzt für eine aktive Gestaltung der Welt im Sinne theologischer Norm. Dies ist die ethische Konsequenz der Rechtferti-

sche T h e o l o g i e 22 (1953), S. 3 - 2 5 , hier S. 20: Melanchthon kann im Jahr 1553 (Loci S. 222) noch sagen, das Wörtchen allein (nämlich aus Glauben) schließe die tatsächliche Gegebenheit der Buße und der übrigen Tugenden nicht aus, sondern verneine nur, daß sie die Ursache der Versöhnung seien [...[Aber er redet bald (S. 216) von einem Hinzukommen oder Begleiten [•••]• 67 ERNST TROELTSCH: V e r n u n f t u n d O f f e n b a r u n g bei J o h a n n G e r h a r d u n d M e l a n c h t h o n . G ö t t i n g e n 1891. KLIEFOTH: Gesetz u n d E v a n g e l i u m . 68 WEHRUNG: R e f o r m a t o r i s c h u n d o r t h o d o x . KLIEFOTH: Gesetz u n d E v a n g e l i u m , S. 223. Vgl. TROELTSCH: V e r n u n f t u n d O f f e n b a r u n g , S. 132: Unter der Voraussetzung der Tatsache, dass in der Busse die Gesetzeserkenntnis zur Einsicht in die völlige Unfähigkeit zur Erfüllung erweitert ist, ist die Konstruktion der Doktrin vollkommen nach den rationalen Massstäben des Gesetzesbegriffes zu vollziehen. Ebenso muss im praktischen Verfahren dem Sünder nur die nötige Tiefe der Gesetzeserkenntnis beigebracht werden, um ihm alles übrige durchaus verständlich erscheinen zu lassen. 69 A u c h ANDREAE: C h r i s t l i c h e A n l e i t u n g , S. 459 b e t o n t n o c h die W i r k s a m k e i t des g e p r e d i g t e n Wortes. 70 Z w a r spricht HEERBRAND: C o m p e n d i u m T h e o l o g i a e (1579), S. 4 2 9 n o c h n i c h t v o n e i n e m tertius usus legis, g e b r a u c h t aber d e n B e g r i f f der nova o b o e d i e n t i a : Tertid, de noua obedientia, quae iustitia etiam operum & bounae concientiae dicitur. D i e s e r n e u e G e h o r s a m ist n o t w e n d i g , weil der Glaube selbst u n v o l l k o m m e n bleibt, vgl. HEERBRAND: C o m p e n d i u m T h e o l o g i a e (1579), S. 4 3 6 : [...], coram DEO iustum esse formaliter: sed in Praedicamento Relationis est, imputatio nempe iustitiae alienae, Christi, quae fide est & fit nostra, nobis donata & imputata.

64

Das Welt- und Menschenbild

der lutherischen

Orthodoxie

gungslehre, wie Wagner unter R ü c k g r i f f auf Luther formuliert: [...] das ein Christ soll nicht allein from seyn/ Guts thun/ und sich nicht dran keren/ wie die Welt lebt und thut/ sondern auch gegen jedermann Friede haben/ [...] beide fu[e]r uns/ und gegen andern/ mit helffen/ rathen/ fo[e]rdem/ durch das Evangelium/ das wir dadurch bereit/ und geschickt wandeln ko[e]nnen/ und in der bo[e]sen Welt hindurch komen ungehindert/ [•••].71 D i e Notwendigkeit der guten Werke, die formal für den Wiedergeborenen keine solchen sind, auch w e n n sie d e m Willen Gottes entsprechen, lassen sich auf drei M o m e n t e reduzieren: Leben nach d e m W i l len Gottes, Leben z u m N u t z e n des Nächsten, Leben zur eigenen Wohlfahrt. 7 2 Gott steht im Z e n t r u m dieser Theologie, deshalb tritt zunächst alles Tun des Menschen zurück. U n t e r den Voraussetzungen von Schöpfung, Erlösung u n d Heiligung braucht christliches Handeln idealiter nicht primär als Programm postuliert werden: Ethik ist Folge von Heil, nicht dessen Prinzip.73 D e m steht j e doch das Leben in der Welt entgegen: Dann ja kein Mensch auch vnter den gerechtfertigten Christen ist/ welcher alles thun ko[e]nnte/ was jhme in den Zehen Geboten befohlen.74 O b es den Predigern i m m e r gelang, die komplizierte Verflechtung von G e setz u n d Evangelium, die menschlicher Vernunfterkenntnis entgegensteht, so differenziert zu formulieren, m u ß kritisch analysiert werden. Die Schwierigkeiten k ö n n e n dabei nicht nur bei der Transformation zwischen Homiletik u n d Dogmatik auftreten, sondern auch intern zwischen der dogmatischen u n d der ethischen Ebene der Predigt; die stets drohende Gefahr eines R ü c k falls in eine Verdienst- oder Leistungsethik soll hier zunächst nur angedeutet werden. 7 5

71

WAGNER: E p i s t e l - P o s t i l l e 1, S. 1 4 5 .

72

ANDREAE: P r e d i g t e n in H a g e n a u , S. 367. Vgl. RENATUS HUPFELD: D i e E t h i k J o h a n n Gerhards. E i n B e i t r a g z u m Verständnis der l u t h e r i s c h e n E t h i k . Berlin 1908, S. 125 f. 73

HÜBNER: T h e o l o g i e , S. 3 1 1 . V g l . ELERT: L u t h e r t u m . B d . 1, S. 3 6 3 . HUPFELD: E t h i k ,

S. 147 erklärt Gesinnungsethik 74

SIGWART: V o m

Amt

z u m Charakteristikum lutherischer Ethik. der

Kirchendiener,

S. 2 8 . WAGNER: E v a n g e l i e n - P o s t i l l e

3,

S. 648: Da sihe zu/ mein frommes Hertz/ wie Fleisch vnd Geist wider einander streiten/ vnd wie auch Bey den wiedergebohrnen eines durchs ander geht/ daß nichts wenigers/ als vollkommne Erfu[e]Uung deß Gesetzes/ also auch vollkommne Werck der Liebe gegen Gott vnd dem Nechsten bey vns armen su[e]ndigen Menschen/ aldieweil wir in dieser sterblichen Blo[e]digkeit leben vnd streben/ zu erheben ist; Daher Lutherus [...] von einem jeden guten Werck/ auch deß Wiedergebornen/ auß dem Grund der Warheit recht vnd wol hat geschrieben/ daß die Wiedergebornen Moraliter darmit su[e]ndigen/ also auch der Wiedergebornen gute Werck Todsu[e]nden seyen fu[e]r Gott/ verstehe/ wann sie legaliter, nach der scharpjfen Anforderung deß Gesetzes wegen ihrer Vnvollkommenheitfu[e]r Gottes Gericht werden angefochten vnd beklagt; Nicht Evangelice, das ist/ nach Evangelischer remission, betrachtet. OSIANDER, A.: N e u j a h r s p r e d i g t , S. 4: Jst also dem Wesen vnd der Person nach/ ein einiger Mensch/ hat aber seine vnderschidliche Respect/ Arten vnd Betrachtungen: vnnd wu[e]rdt genen[n]et der alte oder der newe Mensch/ nach dem er geistlich oder fleischlich gesinnet ist. SIGWART: P r e d i g t e n v o m Vaterunser, S. 104. REUCHLIN: C h r i s t e n t u m , S. 148. HÄBERLIN: E p i s t e l - P o s t i l l e 2 , S. 2 1 2 b . HEERBRAND: K i r c h e n t e s t a m e n t , S. 3 9 , S. 5 8 f. 75

Vgl. z u m M o t i v des L o h n - o d e r Verdienstgedankens: SIGWART: P r e d i g t e n ü b e r 1 K o r

Mensch

65

und Welt

3. Mensch

und

Welt

D i e hier verwendete Begrifflichkeit von »Mensch und Welt« darf nicht darü b e r h i n w e g t ä u s c h e n , daß die lutherische O r t h o d o x i e in z w e i f a c h e r H i n s i c h t v o n e i n e m k o l l e k t i v e n W e l t v e r s t ä n d n i s a u s g i n g . I h r e T h e o l o g e n t a t e n das, i n d e m sie das H a n d e l n d e s e i n z e l n e n i n e i n e R e l a t i o n z u » H e i l u n d W o h l f a h r t « der A l l g e m e i n h e i t stellten. S o k o n n t e ein einzelner f r o m m e r u n d gottesfurchtiger M a n n mit seinem Haus J a m m e r von der ganzen Stadt, j a d e m

ganzen

L a n d a b h a l t e n u n d d e n F r i e d e n s i c h e r n 7 6 , w i e u m g e k e h r t das V e r g e h e n einzelnen U n h e i l ü b e r die gesamte B e v ö l k e r u n g bringen77, der Tod

eines M e n s c h e n

warnende

Funktion

für die

eines

beziehungsweise

Gesamtheit

besitzen

k o n n t e . 7 8 Z w a r b e z o g sich die I n t e r p r e t a t i o n des H e i l s g e s c h e h e n s in e m i n e n ter W e i s e a u f d e n einzelnen, b a n d i h n j e d o c h zugleich ü b e r seine A u f g a b e an d e r W e l t i n das W e l t g a n z e e i n . D a s V e r h ä l t n i s des M e n s c h e n z u r W e l t w i r d u n t e r d e r t h e o l o g i s c h e n V o r a u s s e t z u n g v o n S c h ö p f u n g u n d E r l ö s u n g stets i n e l e m e n t a r e r W e i s e a u f das G o t tesverhältnis B e z u g n e h m e n müssen. D e n n der G l a u b e befreit den

Menschen

v o n d e m Z w a n g , s i c h s t ä n d i g a u f das e i g e n e I c h b e z i e h e n z u m ü s s e n . D e s h a l b k a n n c h r i s t l i c h e s L e b e n als N ä c h s t e n l i e b e b e s t i m m t w e r d e n . 7 9 D i e s e

Näch-

15, S. 189 v f., hier S. 193 R : Da nun diser Trost nicht were vnnd kein Aufferstehung zu gewarten sein solte/ wer wolte gern ein Mensch/ ja wer wolte gern ein Christ sein? Dann wir ja die elendsten vnter aller Menschen weren/ als die vil in disem Leben außstu[e]nden vnnd doch kein hoffnung der Vergeltung

hetten.

OSIANDER, A . :

Neujahrspredigt,

S. 11—17. WAGNER:

Epistel-Postille

1,

S. 5 7 0 : Gute Werke gelten nichts, werden aber erfordert. WAGNER: Epistel-Postille 2, S. 2 7 0 , S. 2 7 3 : Ehre wird dem gegeben werden, der nach guten Werken trachtet. S U M M A R I E N V, S . 2 6 1 f . S U M M A R I E N I I I , S . 1 0 6 7 . V g l . H U P F E L D : E t h i k , S .

153-167.

Z u m folgenden vgl. auch Kapitel C . III. 2. D i e B e d r o h u n g des Kosmos. ANDREAE: Hochzeitspredigt ( 1 5 8 5 ) , S. E 3 v : W e r in der forcht/ vnnd rechten warhafften erkandtnus vnnd anru[e]ffung Gottes lebt und auff seinen wegen wandle, dem ist der Segen Gottes verheißen: [...] / das Nämlich die arbeit einem jeden in seinem stände also gesegnet sein soll/ daß er sampt seinem Weib vnnd Kindern seine nottu[e]tfftige Narung vnnd vnderhaltung reichlich haben werde [...] vn[d] das alles in gutem friden/ vmb dessen willen/ GOTT ein gantze Statt Segnen/ vnnd sein zorn vber sie auffhalten/ vnd nicht ausschu[e]tten will/ so lang sie leben. 1 1 SIGWART: Lasterpredigten, S. 39 v . WAGNER: Esslinger Trauerpredigten, S. 1 3 6 ff. J e des Laster eines einzelnen (Wagner fuhrt Gottlosigkeit, Ungerechtigkeit, Hoffahrt, W o l lust und U n z u c h t , Geiz, Haß, N e i d und Feindschaft sowie Ehrgeiz an) kann Landstrafen und Veränderungen im R e g i m e n t bewirken, hinter denen letztendlich der zürnende G o t t steht. - D a ß das Volk für das Vergehen eines einzelnen haftet, ist also keine Besonderheit innerhalb der reformierten Konfessionalisierung. 7 8 REUCHLIN: Leichenpredigt (Stud. theol.), S. 5 9 : Hier ko[e]nt ihr sehen/ was GOtt der HErr [...] [unter diesen Unglücksfällen] suche? Nemlich unser aller wahre/ ernstliche und hertzliche Besserung. 7 9 SIGWART: Predigten vom Vaterunser, S. 171. WAGNER: Epistel-Postille 1, S. 8 2 8 . HAFENREFFER: Multi vocati, S. 3 0 . Vgl. ALBRECHT BEUTEL: Christenlehre und Gewissenstrost. B e m e r k u n g e n zu Luthers S e n d b r i e f an die Gemeinde der Stadt Esslingen. In: Esslinger 76

Studien 22

( 1 9 8 3 ) , S. 1 0 7 - 1 3 6 , h i e r S. 1 2 2 f.

66

Das Welt- und Menschenbild

der lutherischen

Orthodoxie

stenliebe entspringe also keiner Gesetzlichkeit, sondern folgt selbstverständlich aus d e m Glauben. Die Erfahrung der Vergebung der Sünden hat ein anderes Verhalten gegenüber d e m Mitmenschen zur Folge. Diese Selbstverständlichkeit des Handelns in u n d an der Welt ist auch das Ideal der lutherischen O r thodoxie. D e r Mensch ist dadurch allerdings nicht vom Tun der guten Werke suspendiert; der Z u s a m m e n h a n g zwischen Zuspruch u n d Anspruch wird strikt aufrechterhalten. 8 0 D e r U m g a n g mit der alltäglichen Lebenswelt ließ den Menschen j e d o c h davon abweichende Erfahrungen machen. Er sah sich einer Welt gegenüber, in der sich mehr bo[e]ses/ dann guts: mehr Su[e]nd/ dann Tugent: mehr Jammers vnd Elends/ dann Frewd vnnd Wollust findet,81 Der Satan zieht die im Argen liegende Welt an sich u n d veranlaßt den Menschen zu epicureischen Einstellungen. 8 2 Das Leben ist ein steter Kampf und Krieg mit dem Teufel. 83 Leben in der Welt kann nur in Herrschaftsstrukturen gedacht werden, einem H e r r n - Gott oder dem Fürst dieser Welt — m u ß der Mensch unausweichlich dienen; der völlig auf sich gestellte Mensch, der sich rein rational nur von seiner eigenen Vernunft in der Welt leiten läßt, paßte nicht in den Vorstellungshorizont der lutherischen Orthodoxie. 8 4 Der Mensch ist in dieser Welt vielerlei Anfechtungen, Zweifel und Ängsten ausgesetzt: Auff der Rechten Seiten werden wir angefochten mit Reichthumb vnd Sorgen der Namng/ mit Ehr/ Ansehen vnnd Herrligkeit/ mit zeitlicher Frewd vnnd Wollust/ dem mancher leichtlich nachhenget/ vnd damit beschwert/ vberladen vnnd in Abgrund der Ho[e]llen gestu[e]rtzt wu[e]rdt. Auff der Lincken Seiten finden sich vnzehliche Gefahr/ Creutz/ Tru[e]bsal/ Widerwertigkeit vnd laidige Zusta[e]nd/ die vns anfechten/ angst vnd bang machen/ als leibs Blofejdigkeit/ mancherley Fa[e]ll/ Krieg/ Verfolgung/ Fewersnoth/ Hunger vnnd Thewrung/ daß man vmb Hab vnnd Gut/ ja gar in Armut kommet vnd an Bettelstab gerichtet wu[e]rdt/ [...] Vor vns ist der gewisse vnd vnvermeidenliche Tod: Dann der jetzt lebt vnd Gesund ist/ kan biß Morgen kranck werden/Ja gar sterben/ vnd noch heut diesen Tag/ diese Stund vnnd diesen Augenblick dahin gehen. Es stehet vor vns das ju[e]ngste Gericht/ welchem niemand entgehen/ oder sich entziehen kan.H5 So stellte sich die harte Realität dar, mit der 80

WAGNER: E v a n g e l i e n - P o s t i l l e

1, S. 9 1 1 f . HEERBRAND: K i r c h e n t e s t a m e n t , S. 9 4 .

81

SIGWART: P r e d i g t e n v o m V a t e r u n s e r , S. 9 2 . 82 OSIANDER, A.: F e s t u n g s p r e d i g t , S. 16 f.: Ja er [der Satan] hetzt wider vns vnser eigen Fleisch/ das vns eintweder Epicurisch machen will/ oder mit Verzweiflung begert zuuerderben. PREGITZER: B u ß p r e d i g t , S. 1 5 4 - 1 5 6 : B e s c h r e i b u n g d e r Weltkinder. REUCHLIN: C h r i s t e n t u m , S. 2 1 7 f.: D i e H a u p t s o r g e des irdisch g e s i n n t e n M e n s c h e n ist, damit man nur am Zeitlichen nichts versäume. 83 ANDREAE: C h r i s t l i c h e A n l e i t u n g , S. 128. WAGNER: L e i c h e n p r e d i g t C r o n e g h , S. 8 f. S U M M A R I E N 1, S . 84

1040.

ANDREAE: P r e d i g t e n i n H a g e n a u , S. 2 8 . W A G N E R : E p i s t e l - P o s t i l l e 2 , S. 6 4 2 . R E U C H -

LIN: C h r i s t e n t u m , S. 2 0 5 : D e r M e n s c h ist v o r d i e A l t e r n a t i v e gestellt, sich z u p r ü f e n , o b er d e m R e i c h G o t t e s o d e r d e m R e i c h des Satans z u g e h ö r t . 83 SIGWART: P r e d i g t e n v o m V a t e r u n s e r , S. 16.

Gott

und

67

Welt

sich der Mensch in dieser Welt konfrontiert sah. Materielle und immaterielle Sorgen fuhren dem Menschen tagtäglich seine Bedrohtheit und Unsicherheit vor Augen. Für ihn war im Alltag häufig wenig zu spüren von der ihm im Glauben zugesicherten Gewißheit, die ihm neben eschatologischem Heil auch »Schutz und Schirm« im gegenwärtigen Leben verhieß. 8 6 Leben in der Welt war immer zugleich Leben angesichts des Todes und des unausweichlichen Gerichts. 8 7 Angesichts dieser Realität wurde das im Grunde genommen optimistische Menschenbild der lutherischen Orthodoxie immer wieder in Frage gestellt. Die reformatorische Selbstverständlichkeit der eingeforderten guten Werke entbehrte der erwarteten Umsetzung in die alltägliche Wirklichkeit; die Dichotomie von »Geist und Fleisch« erwies sich als stark. U m die L e benserfahrungen deuten und bewältigen zu können, sah sich die lutherische Orthodoxie aufgefordert, brauchbare Muster bereitzustellen. Gott — so betonen die Prediger — ruft nicht nur durch sein Wort, das schon bei Heerbrand wie selbstverständlich dem Gesetz gleichgestellt wird, zur U m k e h r auf, sondern ebenso durch Kreuz, Anfechtung und Leiden. 8 8 Die Frage nach der Situation des Menschen in dieser Welt fuhrt stets die Zeitlichkeit und Endlichkeit seiner Existenz vor Augen. 8 9 Im Zeitlichen ist nichts Unsterbliches zu erhoffen. Aber man muß deß Lebens/ der Zeit gebrauchen/ dann sie laufft mit schnellem Fuß dahin. Alles was dirfot[e]rhanden kompt zuthun/ das thue frisch [...] kein Tag soll hingehen ohne Vernichtung zu der gleichem End [...].90 Der Mensch, der dem Tode verfallen ist und folglich in dieser Welt keine bleibende Statt hat, muß die Nichtigkeit des menschlichen Daseins erkennen. 9 1 Aus dieser Einstellung der lutherischen Orthodoxie zur Welt darf j e d o c h nicht gefolgert werden, Weltflucht sei die einzig angemessene R e a k tion auf eine hoffnungslose Lage des Menschen. Gerade das Gegenteil ist der Fall; das dem einzelnen anvertraute Gut soll der Mensch, gleich welchen

86

HAFENREFFER: L i t a n i a , S. 3 9 f.

87

WAGNER: E v a n g e l i e n - P o s t i l l e 1, S. 7 5 : U n t e r A u f n a h m e v o n A u g u s t i n b e s c h r e i b t er

das L e b e n als e i n e n Lauf

zum Tod. REUCHLIN: L e i c h e n p r e d i g t (Stud. t h e o l . ) , S. 5 5 : Es

set aber die Tage unsers Lebens wißheit

des Todtes/

sich einbilden/ fu[ejr Sterben/ 88

den

die Ungewißheit

man habe

letzten

recht zehlen

halten.

nichts anders als die Ku[e]rtze

der Stunde

noch lange

Zeit/

wol bedencken/

sondern

jeden

nicht in den Tag hinein

Tag/

eine jede

Stunde

heis-

die

Ge-

leben/

und

und

Augenblick

HOCHSTETTER, A . A . : L i e b e s - D e n k m a l , S. 1 8 f.: Wir eilen ja

wie das Schiff zum port/

wie der Pfeil zum

zum

Ziel.

HEERBRAND: K i r c h e n t e s t a m e n t , S. 1 0 2 .

89

HOCHSTETTER, J. A.: C a t e c h i s m u s l e h r e ,

90

WAGNER: E v a n g e l i e n - P o s t i l l e 1, S. 7 5 .

91

REUCHLIN: L e i c h e n p r e d i g t (Stud. t h e o l . ) , S. 8 3 : Unser

neiget sich zu dem Jrdischen/ kennen/

unsers Lebens/

und mache

S.

49.

ach gieb uns die Nichtigkeit

uns ihr Wesen

nach deiner

Weißheit

Hertz

alles dessen bitter/

ist eitel von Natur/

daß es uns davor eckein

V g l . W ü r t t e m b e r g i s c h e s G e s a n g b u c h ( 1 7 4 1 ) , N r . 3 1 4 , V e r s 1: HErr jesu licht, Mein der sufefnden

hofejchster

trost, mein Zuversicht,

und

was die Welt hat recht zu

Auf erden bin ich nur ein gast,

last [ = W ü r t t e m b e r g i s c h e s G e s a n g b u c h ( 1 7 1 1 ) , S . 4 1 7 ] ,

christ,

meins

Und druckt

er-

mofefge. mich

lebens sehr

68

Das Welt- und Menschenbild

der lutherischen

Orthodoxie

Standes, Gott zu Ehren und dem Nächsten zum Dienst in der Welt, einsetzen. 9 2 Das Ziel des Lebens ist keinesfalls nur ein Zuleben auf den Jüngsten Tag und das Erwarten des Gerichts am Ende aller Zeiten. Die R e d e vom irdischen Jammertal besagt nicht, daß der Mensch zur Passivität verurteilt ist. Gott sollen zwar Gottwolgefelligste Opffer erbracht werden, wie das Hören der Predigt, zugleich aber sollen Lehren aus der Predigt gezogen und das eigene Leben danach ausgerichtet werden. 9 3 Dies ist keinesfalls gleichbedeutend mit einem R ü c k z u g in die reine Innerlichkeit; vielmehr ist Aktionismus gefordert, der auch materiell sichtbar werden soll, wie z. B. am Bau von Schulen und bei der Unterstützung der Geistlichen und der Armen. Selbst die R e d e vom nahe herbeigekommenen Ende darf nur in Ausnahmefällen zur Weltverneinung und zum R ü c k z u g auf die eigene Person fuhren. 94 D e n n auch die Gegenwart der Welt hat heilsgeschichtliche Bedeutung. Eine asketische, von der Welt abgewandte Ethik könnte es nur geben, wenn die Hoffnung von der Heilsgeschichte isoliert wäre. Für die lutherische Orthodoxie ist die Welt aber in das Heilsgeschehen integriert. Umgekehrt darf daraus nicht gefolgert werden, daß in der Zeit der lutherischen Orthodoxie die menschliche Situation angemessen mit Weltbejahung beschrieben werden kann. Die Weltbejahung findet ihre Grenze angesichts der Tatsache, daß die Welt auf ein Ende zuläuft und vergeht. Die bestehende Welt wird, so wie sie ist, keinen Fortbestand haben. W i e i m mer ihr Ende aussehen wird, sicher ist, in ihrer jetzigen Ordnung bleibt die Welt nicht bestehen. 9 5 Die deshalb vom Menschen erwartete Haltung läßt sich sachgerecht als latente Weltverleugnung bezeichnen. 9 6 Eine Auffassung, die nicht tatenlos zusieht, wie die Welt nihilistisch zugrundegeht, sondern aus der bereitgestellten Dimension der Hoffnung Strategien für die Bewältigung der Gegenwart entwickelt. So kann die Welt auch positiv gewürdigt werden,

92

ANDREAEiVier Predigten v o m W u c h e r , S. 1 0 3 .

V g l . zum folgenden ANDREAE: Predigten in Hagenau, S. 4 0 4 : So seind nun diß die besten vn[d] Gottwolgefelligste Opffer/ das wir sein Wort vleißig ho[e]ren/ lernen behalten/ demselben Glauben geben/ bekennen/ vnnd vnsert gantzes Leben darnach anrichten. Gleich wol aber/ neben disem Opffer sollen wir auch vnsere Scha[e]tz auffthon dem Herrn Christo/ das ist/ nach vnserm vermo[e]ge[n] verhelgfen/ darmit die Schu[o]len angerichtet/ deßgleichen die Diener Gottes worts/ vnd die Armen auchjr vnderhaltung haben/ Darmit wir beweisen/ das vns die Ehr Christi/ vnd die Glieder seines Geistlichen Leibs angelegen vnd beuohlen seyen. 9 4 HEERBRAND: Predigt v o m K o m e t e n , S. 16: Vermo[e]gen wir aber [...] die woluerdiente Landstraffen/ bey Gott nicht abtragen/ sonder muß das Kalb (wie man spricht) mit der Kuh gehn/ vnd kein besserung zuuerhoffen/ wie es sich dann laßt ansehen/ als wo[e]ll es alles zum End lauffen/ so soll sich doch ein jeder/ dem sein eigen heil/ vnnd ewige der Seelen Seligkeit lieb vnd angelegen/ dahin ru[e]sten/ vn[d] schicken/ daß wir dem ewigen Vnglu[e]ck entru[e]nnen/ vnd das ewige Leben/ [...] / erlangen mo[e]gen/ [...]. 9 3 HÄBERLIN: Z w e i Casual-Predigten, S. 6 7 . 93

9 6 KÖRTNER: Weltangst, S. 1 4 8 : Z u r latenten Weltverleugnung, hier verstanden im S i n n e einer Weltverbesserung, zählt K ö r t n e r die Außtebung, Beseitigung, Vernichtung der Welt in näherer oder fernerer Zukunft, sei es durch göttliches Gericht, sei es in Form geschichtlicher, globaler oder kosmischer Katastrophen.

Gott und Welt

69

wenn versucht wird, ihre Zwecke mit dem letzten von Gott eröffneten Zwecke nach Möglichkeit zu verschmelzen.97 Ist die Welt gerade so auf ein Ziel ausgerichtet, daß die Gegenwart in den irreversiblen Verlauf hineingenommen ist, ergeben sich Konsequenzen für das Verhalten des Menschen in der Welt. D e n n ist der Welt ein Ende gesetzt, dann kann der einzelne und die Gesellschaft auf dieses Ziel hinarbeiten. Jeder linearen Zeitorientierung wohnt im Unterschied zum zyklischen Modell eine Dynamik gesellschaftlichen Handelns inne. 9 8 Von ihrem zukünftigen Ziel her bestimmt sich die gegenwärtige Position. Die Orientierung an der vorgegebenen göttlichen N o r m erlaubt es, ein Stück weit auf das eschatologische Ziel hinzuarbeiten; so kann ein Stück der Endzeithoffnung auf das kommende R e i c h Gottes schon jetzt zur Konkretion gelangen. Aktiv soll der Mensch nach der zweiten Tafel des Dekalogs tätig werden, keinesfalls sei Gott gedient, so die polemische Formulierung, wann man sta[e]ts auff den Knu[e]n ligt vnd vil bettetLassen sich jedoch aus der gegenwärtigen Lage des Menschen keine Aussagen über sein Verhältnis zu Gott treffen, stellt sich die Frage, ob das zugrundeliegende Menschenbild nicht gerade zur Passivität A n laß gibt, nach dem Motto, wer nichts tut, kann auch nichts falsch machen. 1 0 0 Diese Auffassung teilen die Prediger nicht. Ihr Ethos zielt nicht nur auf W i e derherstellung und Bewahrung eines rechtmäßigen status quo ante, sondern auf Förderung und Besserung der Güter des Nächsten.m Alle Ereignisse in der Gegenwart müssen einer Uberprüfung auf Abweichung oder Fortschritt auf dem Weg in diese Zukunft hin unterzogen werden. In der Daseinsbewältigung hat sich der Mensch zu bewähren, was j e d o c h nicht heißt, daß sich aus menschlichen Aktivitäten die Annahme durch Gott kalkulieren ließe; denn das hieße, aus Gott einen Musterschreiber zu machen. 1 0 2 Das Endziel der Welt steht fest, darüber zu spekulieren, wird von den Predigern als müßig erachtet. 1 0 3 D e r Weg dorthin ist j e d o c h kein unabänderlich festgelegter, wie die häufig gehaltenen Bußpredigten belegen. In ihnen halten

9 7 ERNST TROELTSCH: Grundprobleme der Ethik. In: Ernst Troeltsch (Hrsg.): Gesammelte Schriften. Bd. 2: Zur religiösen Lage, Religionsphilosophie und Ethik. Tübingen 1913, S. 5 5 2 - 6 7 2 , hier S. 638. 9 8 INGO MÖRTH: Lebenswelt und religiöse Sinnstiftung. Ein Beitrag zur T h e o r i e des Alltagslebens (tuduv-Studien. R e i h e Sozialwissenschaften, Bd. 39). München 1986, S. 157. 99

100

ANDREAE: P r e d i g t e n v o m K l o s t e r l e b e n , S. X X X V I F .

V g l . HANS HARTMUT KARG: R e f o r m a t i o n s p ä d a g o g i k . U b e r d i e

Erziehungslehren

bedeutender Reformatoren und die Wirkung auf bestimmte Erziehungstheoretiker. Frankfurt/M. 1986, S. 73 ff. Aus dem Menschenbild Luthers leitet Karg eine Provinzialisierung des Denkens ab. Dies habe der Nachwelt die Möglichkeit einer Passivierung und Provinzialisierung der Lebensbezüge eingeräumt. 101 BÖCKMÜHL: Gesetz, S. 83. Böckmühl weist in diesem Zusammenhang auf die von Luther vorgesehene affirmative Deutung des Dekaloges. 1 0 2 HAFENREFFER: Multi vocati, S. 8 f. 1 0 3 HAGMAJER: Zwei Casual-Predigten, S. 67.

Das Welt- und Menschenbild der lutherischen Orthodoxie

70

die Prediger der Welt das göttliche Gesetz vor Augen, damit sie darin wie in einem Spiegel ihre Vergehen erkennt und durch B u ß e die von Gott wegen ihrer Sündhaftigkeit angedrohte oder bereits verhängte Strafe vielleicht noch abwenden oder doch zumindest mildern kann. U m nicht aufs Neue unter den Z o r n Gottes zu verfallen, wird an die Welt appelliert, sich von ihrem unchristlichen Leben abzuwenden und sich erneut einem am Wort Gottes orientierten Leben zuzuwenden. Durch entsprechendes bußfertiges Verhalten kann der Mensch in den Ablauf der Welt eingreifen. 1 0 4 Das hier grundgelegte Verständnis der lutherischen Orthodoxie über die wechselseitigen Verhältnisbestimmungen von Gott, Welt und Mensch ist notwendige Voraussetzung für die im folgenden analysierten Einzelthemen der Predigten. Nur vor diesem Hintergrund können - wohlgemerkt: aus der Perspektive der Prediger — die sozialethischen Anweisungen für das Verhalten im Alltag sachgemäß interpretiert werden. Damit ist das Konstruktionsprinzip dargelegt, auf dem die Verbindung zwischen christlicher Ethik und gesellschaftlicher Wirklichkeit basiert. 1 0 5 Von diesem Prinzip her ist deutlich, daß die Theologie hier alle Beziehungen menschlichen Lebens umgreifen und die menschliche Lebenswirklichkeit ethisch orientieren will, und zwar so, daß sie auf das letzte Ziel ausgerichtet ist. Andererseits wird von diesem Ziel her das Alltagshandeln der Gegenwart bestimmt, was den Charakter der Vorläufigkeit des Handelns sichtbar werden läßt. Diese Spannung zwischen Gegenwart und Eschaton ist konstitutiv für das Wirklichkeitsverständnis der lutherischen O r thodoxie. Seine Sicht der Wirklichkeit hat Andreae in Form eines Bildes b e schrieben, und damit deutlich gemacht, wie das eschatologische Ziel in die Gegenwart reichen soll: Eins Kinds pflegt man zu[o]lachen/ so es nach einem Apffel greifft/ vnd den Gulden fallen laßt/ darumb es vil Apffel kauffen ko[e]ndte. Also sein das kinder im Verstand/ [...] / die ein zeitlichen Schaden (wie sie vermeinen das es ein Schaden seye) wo[e]llen verhu[e]tten/ vnd gerathen dardurch in ein ewigs verderben.106 Von ihrem letzten Ziel her soll die Gegenwart bestimmt sein.

104 PHILGUS: Predigten von Feuersbrünsten, S. 7. WAGNER: Zwei Erdbeben-Predigten, S. 43: Gott droht mit Strafen nur, um den Menschen vom sündlichen Leben abzubringen und will ihn gerade so mit den angedrohten Strafen verschonen. 105 T R O E L T S C H : Grundprobleme der Ethik, S. 5 5 2 - 6 7 2 . Vgl. H A N S G. U L R I C H : Eschatologie und Ethik. Die theologische T h e o r i e der Ethik in ihrer Beziehung auf die R e d e von Gott seit Friedrich Schleiermacher (Beiträge zur evangelischen Theologie, Bd. 104). München 1988, S. 55 f. 106

ANDREAE: T r o s t s c h r i f t , S. 4 7 . SIGWART: P r e d i g t e n ü b e r 1 K o r 1 5 , S. 115 R .

Rechtfertigung

II. Die Legitimation

und

71

Heiligung

der lutherisch-orthodoxen

Lehre

1. Rechtfertigung und Weltgestaltung 1.1 Rechtfertigung und Heiligung Mit den Begriffen Rechtfertigung und Heiligung läßt sich aus theologischer Sicht das Verhältnis von Lehre und Leben in der lutherischen O r t h o doxie in nuce darstellen. Die dabei immer wieder aufs Neue thematisierte Frage ist die nach dem Verhältnis der beiden Größen untereinander. Hier geht es um die Wahrung der reformatorischen Erkenntnis des Evangeliums und der politischen und sozialen Ethik. Die Relation dieser beiden Größen innerhalb der theologischen Konzeption bestimmt die Auswirkung der Theologie auf die Gestaltung des gesellschaftlichen Lebens. Rechtfertigung 1 bezeichnet dabei jenes neue Verhältnis, in das der Mensch durch das versöhnende Handeln Gottes in Christus gesetzt ist, unter Heiligung 2 wird die Außenwirkung dieser 1

HEERBRAND: Predigt ü b e r Ps 65, S. 7. SIGWART: P r e d i g t v o m Vaterunser, S. 102. SIGWART: P r e d i g t e n ü b e r 1 K o r 15, S. 183 v . REUCHLIN: C h r i s t e n t u m , S. 2 9 4 . HAGMAJER: Z w e i Geistliche R e d e n , S.18. ANDREAE: C h r i s t l i c h e Predigten, S. 13 r . D i e Gerechtigkeit des Gesetzes, ist j e n e Gerechtigkeit, [...] da ein Mensch on Glauben vnd Erkan[n]tnuß Christi eusserlich/ zu[e]chtig/ erbar/ vnnd vnstra[ejfflich lebet/ ein sollich Leben nennet man ein gerecht Leben [...]. M i t dieser Gerechtigkeit k a n n kein M e n s c h vor G o t t b e s t e h e n . D i e z w e i t e G e r e c h tigkeit ist die G e r e c h t i g k e i t des G l a u b e n s (ebd., S. 14 rv ). D i e dritte G e r e c h t i g k e i t [...] / ist die Heiligkeit/ wo[e]lche auß disem Glauben volget/ vnd sich bey der vorgehnden allwegfinden lasset/ da die bu[o]ßfertige Glaubigen Menschen anfahen von hertzen der Sünde[n] feind werden/ [ . . . ] (ebd., S. 15 r ). 2 SIGWART: Predigten v o m Vaterunser, S. 82 f.: Das Ziel m e n s c h l i c h e n L e b e n s ist, d e n N a m e n G o t t e s zu heiligen. U m g e k e h r t h e i ß t es, den N a m e n G o t t e s zu e n t h e i l i g e n , w e n n m a n seinen G e b o t e n u n d S a t z u n g e n z u w i d e r handelt. SIGWART: Lasterpredigten, S. 29 v : H e i l i g u n g , hier a m Beispiel des Lasters der H u r e r e i erläutert, h e i ß t u. a. sehr k o n k r e t : Bejleissige dich der Nu[e]chterheit [...] Gebrauch dich deß Ehestands u n d an die O b r i g k e i t g e w a n d t : Die Obrigkeiten sollen alle Hurenwinckel abschaffen/ vnd [...] sie nicht gestatten. OSIANDER, A.: N e u j a h r s p r e d i g t , S. 13. SIGWART: Predigt v o m E r d b e b e n , S. 89. SIGWART: P r e d i g ten v o m Vaterunser, S. 8 0 - 8 2 : Darnach heißt [...] den Namen GOttes Heiligen/ wann man demselben dienet auff solche weise/ wie er nach Jnnhalt vnd Anleitung seines geoffenbarten Wortes von vns erfordert [...] / so heißt auch das den Namen Gottes heiligen/ wann man sich eines erbarn/ nu[e]chtern/ zu[e]chtigen vnd Gottseeligen Lebens vnd Wandels befleißt/ vnd als den Kindern Gottes gebu[e]hret/ seinen Gebotten (so vil in disem Leben geschehen kan) gehorsam ist. SIGWART: Predigt v o m Vaterunser, S. 89. Vgl. JÄGER: C o m p e n d i u m T h e o l o g i a e , S. 2 5 4 (De gratia justificationis) u n d S. 2 6 3 (De gratia sanctificationis). In diesem K o m p e n d i u m w e r d e n erstmals die b e i d e n T h e m e n v o n R e c h t f e r t i g u n g u n d H e i l i g u n g g e t r e n n t b e h a n d e l t , ihr e n g e r Z u s a m m e n h a n g aber n o c h b e t o n t : Post Gratiam Justificationis, sequitur immediate gratia Sanctificationis, seu Renovationis [...] (ebd., S. 263). D i e V e r b i n d u n g v o n b e i d e n G r ö ß e n b r i n g t ANDREAE: P r e d i g t ü b e r M t 22, S. 10 w i e folgt z u m A u s d r u c k : Wer Gott vber alles liebt/ der kan auch seinen Nechsten vmb Gottes vnd seines Gebotts willen/ nicht anders/ dan[n] sich selbst/ lieben/jhm thun/ was er wolt/ da man jhme thun sohl vnnd widerumb jn vber heben/ das er von dem Nechsten vberhaben sein wo[e]lte.

72

Die Legitimation

der lutherisch-orthodoxen

Lehre

Tat verstanden. Heiligung ist gewissermaßen die Konkretion der Rechtfertigung in Welterhaltung und Weltgestaltung und somit ein eminent praxisbezogener Begriff. Es handelt sich dabei um einen Prozeß, der erst im Jenseits zur Vollendung gelangt. 3 So geht der Ethik der lutherischen Orthodoxie der Z u spruch und die göttliche Gabe des Evangeliums voraus; erst von dieser Prädisposition aus kann die Aufgabe der lutherisch-orthodoxen Ethik formuliert werden. 4 Dieser prädisponierte Tatbestand mußte in das Handeln integriert und dort konkret nachvollzogen werden. Luther hatte die Gerechtigkeit Gottes nicht mehr als eine Forderung an das Leben, sondern als eine Gabe, die dem Menschen im Glauben zuerkannt und geschenkt wird, verstanden. 5 Dieser Glaube impliziert zwingend eine b e stimmte Lebenshaltung, da mit der Akzeptanz dieser Gabe im Evangelium der Verzicht des Strebens nach der eigenen Gerechtigkeit des Menschen unabdingbar verbunden ist. Im Akt der Rechtfertigung erbarmt sich Gott gegenüber dem Sünder, er rechtfertigt den Menschen und schafft ihn neu in der Wiedergeburt. Rechtfertigung ist Annahme des Sünders und Sündenvergebung zugleich. 6 Die Verleihung des Heiligen Geistes läßt den Menschen ein Leben in Heiligung, d. h. in Erneuerung fuhren. Dieser universale Charakter der reformatorischen Rechtfertigungslehre unterliegt in der Folgezeit einer gewissen Engfiihrung. Melanchthon und die auf seiner Linie liegende Konkordienformel verstehen Rechtfertigung hauptsächlich als Freispruch des Menschen, als Sündenvergebung, und grenzen damit die Auffassung Luthers, der in der Rechtfertigung die ganze Erneuerung des Menschen eingeschlossen hatte, aus.7

3 REUCHLIN: Christentum, S. 155: Der alte Mensch soll täglich abnehmen und S. 148: Durch die Wiedergeburt wird der Mensch zwar eine neue Kreatur, der alte Mensch wohnt aber noch in ihm und wird erst mit dem Tod gänzlich abgelegt. 4 ANDREAE: Predigt von der Rechtfertigung, S. D V : Rechtfertigung ist dasjenige 3 Hauptstück, aus dem sich alle andern ergeben. S. E 2 r : Der von Gott befreite Mensch macht sich in seinem B e r u f jedermann zum Knecht. 3 Vgl. zum folgenden Susi HAUSAMANN: Leben aus Glauben in Reformation, R e f o r morthodoxie und Pietismus. In: Theologische Zeitschrift 27 (1971), S. 263—289, hier S. 2 6 4 f. 6 ROBERT STUPPERICH: Die Rechtfertigungslehre bei Luther und Melanchthon 1 5 3 0 1536. In:Vilmos Vajta (Hrsg.): Luther und Melanchthon. Referate und Berichte des zweiten Internationalen Kongresses für Lutherforschung 1960. Göttingen 1961, S. 7 3 - 8 8 , hier S. 88: Luther hebt in seinen Disputationen hervor, daß der Mensch durch die verzeihende Barmherzigkeit Gottes tatsächlich verändert wird. Die Veränderung etfolgt dadurch, daß ihm die Sünde Maliter vergeben wird und das Herz rein wird. Für Luther ist die Rechtfertigung eine mundißcatio et purißcatio divina, quae de coelo dimittitur, sed perfidem et Spiritum sanctum.'WA 39 I, 99, 28. Vgl. ANDREAE: Predigt über M t 22, S. 10: Auch er sieht hier Rechtfertigung und Heiligung als Einheit; der von Gott geliebte Mensch kann nicht anders, als seinen Nächsten zu lieben. 7 Vgl. BERNHARD LOHSE: Das Evangelium von der Rechtfertigung und die Weltverantwortung der Kirche in der lutherischen Tradition bei Luther und in der Reformations-

Rechtfertigung

und

Heiligung

73

Diese Einschränkung auf die Sündenvergebung legt den Aspekt einseitig auf das forensische M o m e n t der Rechtfertigungslehre. 8 Eiert betont, daß mit der melanchthonischen Auffassung der Rechtfertigung nichts Neues ausgesagt sei, vielmehr seien damit zwei Aspekte der lutherischen Auffassung unterstrichen worden. Z u m einen sei damit dem Mißverständnis entgegengewirkt, als ob die lutherische Heilslehre auf eine Selbstrechtfertigung hinauslaufe.9 Die von Luther vorgenommene Identifikation von Glaube und Gerechtigkeit hätte als Aufforderung zur Selbstgerechtigkeit mißverstanden werden können. D e m g e genüber halte die forensische Rechtfertigungslehre an der Einsicht fest, daß auch bei der Gleichsetzung von Rechtfertigung und Sündenvergebung von dem Ernst des über die Sünde ergehenden Gerichtes nichts abgebrochen werden darf.w Z u m anderen betont nach Meinung Elerts die forensische Auffassung den deklaratorischen Charakter der Rechtfertigung, der die selbstverständliche Kehrseite der Glaubensgerechtigkeit als solcher ist.{1 Gerade die von Eiert so hervorgehobene Selbstverständlichkeit trifft in solcher Pauschalität auf die Äußerungen der Theologen der lutherischen O r t h o doxie nicht zu. 1 2 Die Predigten belegen, daß die einseitige Betonung des forensischen Aspektes die Gleichgewichtung zwischen Rechtfertigung und H e i ligung verschiebt. 1 3 Vielmehr gewinnt die in der Anschauung Luthers Ur-

zeit. In: J ö r g Baur; Leonhard Goppelt; Georg Kretschmar (Hrsg.): Die Verantwortung der Kirche in der Gesellschaft. Eine Studienarbeit des ökumenischen Ausschusses der Vereinigten evangelisch-lutherischen Kirche in Deutschland. Stuttgart 1973, S. 143—160, hier S. 143 f. ELERT: Luthertum. Bd. 1, S. 64 ff.: Rechtfertigung bei Luther; S. 7 9 ff.: R e c h t fertigung in den Bekenntnissen. Susi HAUSAMANN: Buße als Umkehr und Erneuerung von Mensch und Gesellschaft. Eine theologiegeschichtliche Studie zu einer Theologie der B u ß e (Studien zur Dogmengeschichte und systematischen Theologie, Bd. 33). Zürich [o.J.], S. 1 3 5 - 1 6 7 : Zu Melanchthon. 8 HAFENREFFER: Loci Theologici (1600), S. 380: [...] signißcat hominis peccatoris ä peccatis, & aeternis eorundem supplicijs absolutionem, qua iustus pronuciatur, propter iustitiam Christi, per fidem, sumptä significatione ex iudicijs forensibus. JÄGER: Compendium Theologiae, S. 2 8 5 - 2 8 8 . Jäger widmet hier dem Thema De Lege Forensi seu fudicali einen eigenen A b schnitt. Er fuhrt dort einen vierfachen Nutzen des forensischen Gesetzes - Forensium dessen Materia das moralische R e c h t ist, an. 9 ELERT: Luthertum. Bd. 1, S. 92. Elerts umfassende Darstellung, die aufgrund des von ihm vorgelegten Materials auch heute noch von Bedeutung ist, wird herangezogen, weil sie zu den wenigen Studien gehört, die auch die praktische Realisierung der theologischen Konzeptionen mit berücksichtigt. 10

ELERT: L u t h e r t u m . B d . 1, S. 9 2 .

11

ELERT: L u t h e r t u m . B d . 1, S. 9 3 .

Vgl. Abs. 1.1.2 Gesetz und Evangelium. SIGWART: Predigt vom Vaterunser, S. 116: Darnach stehet [...] der geoffenbarte Will Gottes darinn/ wann wir durch den Glauben an Christum seindgerecht/ [...] / daß wir vns hinfu[e]ro demselben gema[ejß verhalten/ den Gelu[e]sten des Fleisches nicht mehr dienen/ sondern der Su[e]ndeßiehen vnd meiden/ in einem newen Leben wandten/ vnnd vns allerley gute Wenk zuthun befleissen. WAGNER: Casual-Predigten (Bußpredigt), S. 858. REUCHLIN: Bußpredigt, 12

13

S. 1 1 9 . REUCHLIN: C h r i s t e n t u m , S. 1 6 6 f., S. 2 4 5 .

74

Die Legitimation

der lutherisch-orthodoxen

Lehre

sprünglich eingeschlossene Erneuerung des Menschen größere Selbständigkeit. Eiert sagt zwar, man könne vom Glauben nur so lange sprechen als die Gewißheit um die aus dem Glauben herrührende Gerechtigkeit nicht auf empirische Tatbestände zurückgeführt werden könne. 14 Aber genau dazu kommt es, wenn die Erneuerung des Lebens eine größere Selbständigkeit gewinnt und das Leben dabei am Gesetz gemessen wird. Die Richtung war vorgegeben, als die Theologen der lutherischen Orthodoxie am tertius usus festhielten, und die Aufforderung »Täter, nicht nur Hörer des Wortes« zu sein, relativ losgelöst vom Rechtfertigungsgeschehen in den Vordergrund stellten. 15 Rechtfertigung und Heiligung sind nun nicht mehr kongruent. In dem Augenblick, als Rechtfertigung und Heiligung, Glaube und Leben nicht mehr als übereinstimmend gesehen werden, entsteht die Frage, wie die Praxis in der Theorie gründet. Die Praxis ist in der Theorie nicht mehr automatisch mitgesetzt; das Wissen um den rechten Sachverhalt bedeutet nicht zwingend seine Realisierung. Die Bewährung der Lehre findet im Leben statt, hier zeigt sich, ob sich aus der theoretischen Konzeption der Rechtfertigung tragfähige Kriterien für ihre Erfüllung in der Praxis des Alltags ziehen lassen. Daß dies in der Praxis nicht automatisch so war, dazu genügt zunächst der Hinweis auf die Lasterpredigten. Aus der kreisförmigen Bewegung zwischen Rechtfertigung und Heiligung ist eine lineare Bewegung geworden, die auf die praxis pietatis zielte. In ihr fand die Rechtfertigung ihr Ziel. 16 Bereits in Art. VI der Confessio Augustana ist das Problem der Umsetzung von dogmatischer Erkenntnis in sozialethisches Handeln prägnant formuliert: Item

docent,

quod

fides

illa debeat

bonos fructus

mandata a Deo facere propter voluntatem

parere

Dei [•••]-i7

et quod

oporteat

bona

opera

D e r aus G n a d e n g e r e c h t f e r -

tigte Mensch wird hier erneut mit Werken konfrontiert: 1) der Glaube muß gute Werke hervorbringen; 2) gute Werke müssen geschehen, da sie von Gott geboten sind. 18 Im ersten Fall erfolgen die opera gewissermaßen automatisch, der Mensch kann gar nicht anders als entsprechend zu handeln; im zweiten ELERT: L u t h e r t u m . Bd. 1, S. 93. WAGNER: Z w e i Sonderbare Predigten, S. 16 ff.: Die A u f f o r d e r u n g , T ä t e r des Wortes zu sein, steht hier im K o n t e x t des Gesetzes. Vgl. HAUSAMANN: Leben aus Glauben, S. 272. 17 Confessio Augustana VI in: BSLK, S. 60. 18 Vgl. z u m folgenden HELMUT THIELICKE: Theologische Ethik. Bd. 1: Prinzipienlehre. T ü b i n g e n 1958 2 , S. 89 ff. HAFENREFFER: Loci Theologici (1600), S. 226: Quid sunt bona opera? Sunt interna & externa actiones diuinitatús mandatae, comprehensaeq[ue] Decálogo: acfiunt a renalisßde per Spiritum sanctum, ad gloriam Dei, & nostram debitam declarandam gratitudinem. Vgl. JÄGER: C o m p e n d i u m Theologiae, S. 274. Jäger hat einen selbständigen Abschnitt DE EXERCITIO BONORUM OPERUM, SEU VITA CHRISTIANA, der sich d e m Locus über die guten Werken anschließt. D i e guten Werke werden durch das christliche Leben »ausgeübt«: Est autem vita Christiana, ea Ratio vivendi, qua sanctificati, Christum pro viribus imitantes, per eum DEO novam obedientiam, praecipué abnegando seipsos, tolerando crucem, & quae vocationis propria sunt, operanda praestant. 14

13

Rechtfertigung

und

Heiligung

75

Fall liegt ein Befehl vor, gute Werke zu tun. Zwar beziehen sich beide M o t i vationen auf das Geschehen der Rechtfertigung zurück, der zweite Fall aber bietet die Grundlage einer Restauration des Gesetzes. Die nova oboedientia (CA VI) gründet sich zumindest teilweise auf diesen ausdrücklichen Befehl. Hier liegt die Gefahr eines Rückfalls in die Werkgerechtigkeit. D e n n wird der Rückbezug auf die Rechtfertigung nicht deutlich zur Sprache gebracht 1 9 , kann eine Leistungsethik entstehen, die sich erneut von ihrem Ziel her b e stimmt. Die hier angelegte Problematik traf mit einem anderen Entwicklungsstrang zusammen, der nach ethischen Konkretionen der systematisch-theologischen Überlegungen drängte. Das Bemühen, den Realitätsbezug der Theologie zu steigern, rührt nicht nur vom Zwang der konfessionellen Legitimation her. 2 0 Die theologische Lehre ist vielmehr gefordert, im Zusammenhang der Konsolidierung lutherischer Territorien nun direkter als zuvor aktuelle Gestaltungsfragen des Gemeinwesens zu thematisieren.21 Zur Begründung und Durchfuhrung der Vermittlung ethischer Fragestellungen und Probleme in das theologische System bietet sich die Lehre des Gesetzes an. Dies ist schon bedingt durch die Identifikation von lex naturalis und lex moralis. 22 Auch Hafenreffer ist die zwingend gebotene Verbindung von dogmatischer Lehre und Ethik bewußt. 2 3 Er läßt die normativen Gehalte der einzelnen Loci in einen Abschnitt über den Usus enden. Dabei kommt es zu einer Wechselwirkung zwischen dogmatischen und ethischen Gehalten. D i e ethische O r i entierung beeinflußt die dogmatischen Sätze. Die gesamte lutherisch-orthodoxe Theologie erfährt in hohem Maße ihre Prägung vom Gesetzesbegriff her. 2 4 19 W i e dies in Art.VI der C A (BSLK, S. 60) geschieht: [...], non ut confidamus per ea opera iustificationem coram Deo mereri. Nam remissio peccatorum et iustificatio fide apprehenditur, [...]. 2 0 Zur Auseinandersetzung mit dem Atheismus vgl. H A N S L E U B E : Die Bekämpfung des Atheismus in der deutschen lutherischen Kirche des 17. Jahrhunderts. In: Hans Leube: Orthodoxie und Pietismus. Gesammelte Studien (Arbeiten zur Geschichte des Pietismus, Bd. 13). Hrsg. von Dieterich Blaufuß. Bielefeld 1975, S. 7 5 - 8 8 . 21 Vgl. zum folgenden F R I E D R I C H W I L H E L M G R A F : Art. Gesetz VI. In: T R E 13 (1984), S. 9 0 - 1 2 6 , hier S. 9 1 . 22

GRAF: A r t . G e s e t z , S. 9 2 f.

H A F E N R E F F E R : Loci Theologici ( 1 6 0 0 ) , S . [b 2 ] v : Deinde, quia haec coelestis scientia non sola Theoriä absoluitur; sed tota in Praxi constitit [...]. Deshalb soll den einzelnen Loci kurz hinzugefugt werden, [...] ad quas Christianae vitae partes, singulae coelestis doctrina Capita accommodanda sint. 2 4 SIGWART: Predigt vom Vaterunser, S. 126: [...] / weil es Gottes Will ist/ daß alle Menschen seine Gebott halten/ so wu[e]rdt es gehalten/ vnd muß von allen gehalten werden. Ebd., S. 157: [...] / vnd sein Gesetz/ als ein vnwandelbaregewisse Regul seiner Gerechtigkeit in desselben Hertz eingeschrieben/ welche jhme solte anzeigen/ was vnnd wie er alles thun/ auch in was volkommenheit solches geschehen soll. WAGNER: Esslinger Freudenfest-Predigt, S. 38. - Bei Luther stellte - anders als bei Melanchthon und in seiner Folge der lutherische O r t h o 23

76

Die Legitimation

der lutherisch-orthodoxen

Lehre

Die beiden in der Confessio Augustana genannten Motivationen sozialethischen Handelns müssen auch in der Predigt zur Sprache gebracht werden, soll das Faktum der Rechtfertigung für das Leben konkretisiert werden. Das wechselseitige Verhältnis von Zuspruch und Anspruch, von Indikativ und Imperativ muß in der Predigt bestimmt werden. HafenrefFer beschreibt dieses Verhältnis ganz im Sinne der Confessio Augustana, wenn er über die Werke d e r W i e d e r g e b o r e n e n s a g t : Quia bene operandum,

adeoq[ue]

sint nostra bona opera, placent s i n d maxime am arborem, voluntatis

Christi:

ritu ducantur,

sequuntur.

Non

sanctus,

autem

ä Deo praecepta Intelligenda

neceßitas

in renatis hahitans propter

sunt.

Christus.25

nos ad imperfecta

Diese Werke

2) Et fidem, veluti Jructus

tarnen est neceßitas

COACTIONIS.

nec sub lege sint, sed sub gratia.26

incitat

& licet in hac corruptione,

tarnen Deo, perfidem,

g e b o t e n : 1) Quia necessario

Spiritus

per nos, ipse operatur,

Cum

ordinis,

mandati

renati spontaneo

bon& Spi-

Z u g l e i c h b e t o n t HafenrefFer, daß

diese Werke nicht zur Rechtfertigung des Menschen und zu seinem Heil notw e n d i g s i n d : Nam nitüs excludenda tias, sola fide

ex Articulo

sunt.

Siquidem

in Christum

pariter

iustificationis

& iustificamur

& salutis

& salutem

aeterna,

aeternam

bona opera

consequimur,

pegra-

Iesum.27

Die Erklärungen, die die Theologen der lutherischen Orthodoxie in ihren Predigten über den theoretischen Sachverhalt der Rechtfertigung äußerten, entsprachen dem Stand der coelestis scientia.28 Andreae hält 1559 während des Augsburger Reichstages eine programmatische Predigt über die Rechtfertigung des Menschen. Er bezeichnet die doxie nicht das Gesetz selbst die ewige u n d unveränderliche O r d n u n g dar. U n v e r ä n d e r lich allein ist für Luther der hinter d e m Gesetz stehende Wille Gottes. Vgl. LAURI HAIKOLA: M e l a n c h t h o n u n d Luthers Lehre v o n der R e c h t f e r t i g u n g . In:Vilmos Vajta (Hrsg.): Luther u n d M e l a n c h t h o n . R e f e r a t e u n d Berichte des zweiten Internationalen Kongresses für L u t h e r f o r s c h u n g 1960. G ö t t i n g e n 1961, S. 89—103, hier S. 90: Z w a r k o m m t in Luthers Gesetzesverständnis Gottes ewiger und unveränderlicher Wille zum Ausdruck, aber dieser läßt sich niemals in die Form einiger absoluter und endgültiger Regeln bringen. Vgl. GERHARD EBELING: Z u r Lehre v o m triplex usus legis in der r e f o r m a t o r i s c h e n Theologie. In: Theologische Literaturzeitschrift 75 (1950), Sp. 2 3 5 - 2 4 6 , hier Sp. 243 f.: Das Gesetz ist für Luther keine statutarisch geoffenbarte N o r m . Es stellt vielmehr eine existentiale Kategorie dar, eben nicht als die S u m m e von Sätzen, s o n d e r n als die eine Realität des gefallenen M e n s c h e n . Vgl. HONECKER: Sozialethik, S. 3 2 1 - 3 2 7 . Vgl. JOHANNES HECKEL: Lex Charitatis. Eine j u ristische U n t e r s u c h u n g ü b e r das R e c h t in der T h e o l o g i e Martin Luthers. Darmstadt 1973 2 , S. 291 f. Für Luther stand das Liebesgebot ü b e r d e m Dekalog. So n o c h ANDREAE: Predigt über M t 22, S. 7.Vornehmlich stattet die lutherische O r t h o d o x i e aber das Gesetz mit der Autorität des Willens Gottes aus. Vgl. HEERBRAND: C o m p e n d i u m T h e o l o g i a e (1573), S. 153: [...] Decalogus est immutabilis, & aeterna Dei uoluntas, & explicatio Legis Naturae, ideo omnes hommines ad obedientiam obligat. 25 HAFENREFFER: Loci T h e o l o g i c i (1600), S. 227. 26 HAFENREFFER: Loci T h e o l o g i c i (1600), S. 227 f. Schon Luther hat auf die biblische M e t a p h e r mit d e m B a u m u n d seinen F r ü c h t e n zurückgegriffen, u m die Spontaneität der Werke aus d e m Glauben zu erläutern.Vgl. W A 10 III, 285, 31 f f 27 HAFENREFFER: Loci T h e o l o g i c i (1600), S. 228. 28 HAFENREFFER: Loci T h e o l o g i c i (1600), S. [b2]v.

77

Rechtfertigung und Heiligung

R e c h t f e r t i g u n g des Menschen als das Hauptstück des christlichen Glaubens. Es handle davon, wie der arme Sünder vor Gott wieder zu Gnaden gebracht wird, Vergebung der Sünde erlange u n d vor Gott f r o m m u n d gehorsam w e r de. 29 D e n n die Lehre des Gesetzes erfordert nicht allein äußerliche Werke, [...] / sonder das gantz Hertz/ Gemu[e]t vnnd alle Krefften des Menschen [...] zur volkommenen Lieb/ beids/gegen Gott vn[d] dem Na[e]chsten/ darinnen er sich als in einem Spiegel ersihet/ vnd sein Su[e]nde erkennet/ weil er dem Gesetze/ auch in dem wenigsten nicht gnu[o]g gethan hat/ [•••].30 Dieser Mensch soll auß Gnaden selig werden, wobei hier Gnade nicht die O f f e n b a r u n g des göttlichen Willens im Dekalog meint, [...] / sonder [...] die gna[e]dige Vergebung der Su[e]nden/ allein jm Blu[o]t vnd Verdienst vnsers Herren Jesu Christi/ durch den Glauben.31 D e r Mensch nun, der sich durch den Sohn Gottes von Su[e]nden/ Todt/ Teüffel/ Hell vnd Verdamnuß frei gemacht ist, der machet sich selbst in seinem Beru[o}ffjederman zu[o] einem Knecht.3,2 Hat aber Christus in seinem Leiden u n d Sterben die Strafe für die Sünde der ganzen Welt getragen, dann ist das Leiden u n d auch der Tod des Menschen keine Strafe mehr, sonder der Glaubigen Diener/ Knecht [...] dan[n] sie helffen vns to[e]dten den alten Adam vnd die Su[e]nde/ so noch im Fleisch steckt/ [.. J . 3 3 Z u diesen zu bekämpfenden Sünden zählt A n dreae Z o r n , Geiz, U n z u c h t , Hoffart sowie Fressen u n d Saufen. Vornehmlich die beiden letzten Laster haben eine ganze R e i h e von Sünden zur Folge: G o t teslästerung, Verachtung des Feiertags, Ungehorsam gegen die Obrigkeit, H a der u n d Zank, E h e b r u c h u n d Hurerei, sowie Diebstahl. 3 4 Zwei Aspekte der Rechtfertigungslehre treten hier deutlich zutage. Z u m einen zeigt sich bereits in der theoretischen Darlegung — es handelt sich hier u m eine der vielgescholtenen Lehrpredigten — der Bezug auf die Lebenspraxis, z u m andern wird hier die Einbeziehung des göttlichen Strafamtes selbst in die Lehre von der R e c h t f e r t i g u n g deutlich. Die n ü c h t e r n e Beobachtung der Realitäten alltäglichen Lebens führte einen sehr unvollkommenen Menschen vor Augen. In der Informations- vnd Vermahnungs-Schrifft, die Wagner seiner an die Gemeinde zu Esslingen gerichteten Hauß= Vbung voranstellt, gibt er eine düstere Beschreibung des Lebens in der Reichsstadt: Ligt nicht vber das der wilden Jugend rohlose Vppigkeit vnd Thumsinnigkeit/ in Worten vnd Wercken/ [...] Was haben wirfoi[e]r ein junge Welt erlebt! der Alten zu geschweigen. Dergleichen vndisciplinierte mores ein starcke Vermuthung seyn/ daß [...] die Catechismus= Vbung von den Eltern schlecht werde getrieben/ vnd deren 29

ANDREAE:

30

ANDREAE.

Predigt von der Rechtfertigung, S . D 3 V . Predigt von der Rechtfertigung, S. [D4]v. Vgl.

HEERBRAND:

Predigt über

Ps 65, S. 7. 31

ANDREAE:

Predigt von der Rechtfertigung,

S. E , R .

Vgl.

unser, S. 102 f. 32

ANDREAE:

33

ANDREAE:

34

ANDREAE:

Predigt von der Rechtfertigung, S . Predigt von der Rechtfertigung, S . Predigt von der Rechtfertigung, S.

E2R. [E4]R. G3R-H2R.

SIGWART:

Predigt vom Vater-

78

Die Legitimation

der lutherisch-orthodoxen

Lehre

wenig seyen/ von denen jhren Kindern vnd Gesind das Ander Gebott wider das schro[e]ckliche Fluchen/ das Dritte wider die Verachtung Go[e]ttlichen Worts/ das Vierte wider den Vngehorsam/ das Sechste wider Fressen/ Sauffen/ Vppigkeit vnd Kleiderpracht/ vnverscha[e]mbte Reden vnd Geberden/ Huren vnd Buben/ werde gebu[e]hrender massen gescha[e]rfft [.. J.35 Angesichts solcher Zustände, deren Ausmaß anhand des Dekaloges ermittelt wird 3 6 , hätte eine starke Akzentuierung der gewissermaßen automatisch erfolgenden guten Werke die Gefahr des Quietismus in sich geborgen. 3 7 In den Predigten treten n u n neben Aussagen, die in den dogmatischen Teilen die Verkoppelung von R e c h t f e r t i g u n g u n d Heiligung zum Ausdruck bringen, massive Aufforderungen auf, die neue Existenz auch zu ergreifen38 u n d aktiv die notwendigen Konsequenzen für das tägliche Leben zu ziehen. Wird hier j e d o c h einem Ergreifen das Wort geredet, so eröffnet sich ein mögliches synergistisches M o m e n t . Die Frage, ob der Mensch in n e u e m Gehorsam die neue Existenz ergreift oder nicht, wird zur Schlüsselfrage der lutherisch-orthodoxen Ethik überhaupt. Die Art u n d Weise wie der Sinn der Werke, des Handeln u n d der Existenz bestimmt wird, wird zum articulus stante et cadente lutherisch-orthodoxer Ethik. 3 9 Abschließend sei n o c h einmal festgehalten: auf systematisch-theologischer Ebene ist in der lutherischen O r t h o d o x i e der Sachverhalt klar, daß die guten Werke, das geheiligte Leben nicht das Produkt einer f r o m m e n Subjektivität sind. 40 Der heilige Geist, den Christus seinen Gläubigen erworben hat, b e wirkt das rechte christliche Leben in unmittelbarem Z u s a m m e n h a n g mit d e m Glauben. D a n e b e n gibt es bestimmte Bedingungen, unter denen das Werk des Heiligen Geistes eben nicht geschehen kann. Die Theologen der lutherischen O r 3:>

WAGNER: C o m p e n d i u m , T . 1, S. 1 5 f.

36

WAGNER: C o m p e n d i u m , T. 1, S. 20: Sein C o m p e n d i u m will u. a. ein rechtes Gesetz= vnd Lebensbu[e]chlein/ zur Bestellung deß waaren Christenthums/ in den erkla[e]rten Zehen Gebotten sein. 37 REUCHLIN: C h r i s t e n t u m , S. 284 r : R e u c h l i n verweist hier auf E i n w ä n d e , die die B e schwerlichkeiten des g e f o r d e r t e n n e u e n Lebens n i c h t akzeptieren wollen: Es seye wol scho[e]n/ wann es einer dahin bringe: aber es seye doch nicht bey allen nothwendig/ man mu[e]sse eben diesen beschwehrlichen Weg nicht gehen, wann man wolle in den Himmel kommen; sondern es gebe noch einen ku[e]rtzern und leichteren Weg/ [...] Dann es seye ja Christus fu[e]r unsere Su[e]nden gestorben [...] Und da Christus das gantze Gesetz erfu[e]llet habe/ 50 seye ja unno[e]thig/ daß wir so sorgfa[e]ltig unser Leben und Wandel fu[e]hren/ nicht anders/ als ob wir selbsten die Gebote Gottes vollkommentlich halten/ und damit das Gesetz eifu[e]llen mu[e]sten. 38

REUCHLIN: C h r i s t e n t u m , S. 2 9 4 . V g l . ERDMANN SCHOTT: C h r i s t u s u n d d i e R e c h t f e r -

t i g u n g allein d u r c h d e n G l a u b e n in Luthers Schmalkaldischen Artikeln. In: Z e i t s c h r i f t f ü r systematische T h e o l o g i e 22 (1953), S. 1 9 2 - 2 1 7 , hier S. 2 0 8 f. 39

40

THIELICKE: E t h i k 1, S. 1 1 2 .

HAFENREFFER: Loci T h e o l o g i c i (1600), S. 402. Er b e z e i c h n e t j e n e als Synergisten, die die V e r g e b u n g der S ü n d e n zwar als d e n A n f a n g der R e c h t f e r t i g u n g hinstellen, d a n n aber m e i n e n , hominem simul noua suä obedientia coram Deo iustum esse [...].

Gesetz und

Evangelium

79

thodoxie griffen zur Beseitigung dieser Bedingungen und Bindungen auf die Gesetzespredigt zurück. Die Bußpredigt, verbunden mit der Gesetzespredigt im Sinne eines christlichen Gebrauches des Gesetzes (tertius usus legis), rückte an zentrale Stelle. 1.2 Gesetz

und

Evangelium

Für Luther hängt an der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium beinahe alles für das Verständnis der Schrift und die rechte theologische Erkenntnis. Nur in dieser Unterscheidung kann das rechte Verständnis des christlichen Heilshandelns gewahrt werden. 4 1 Untersucht man die Kompendien der lutherischen Orthodoxie nach formalen Kriterien, so läßt sich feststellen, daß jeweils beide Größen nacheinander behandelt werden und somit in das theologische System eingepaßt sind. Nach Meinung Hans-Martin Barths ist mit dieser Systematisierung der ursprünglich konstitutive Faktor theologischer Theoriebildung in die hermeneutischen Bedürfnisse der orthodoxen Dogmatiker integriert und damit domestiziert worden. 4 2 Zunächst nun eine Darlegung des Gesetzesverständnisses. In den K o m p e n dien wird der Locus D e lege stets an erster Stelle behandelt. 4 3 Kompendien und Predigten stimmen in folgenden Aussagen überein: Das Gesetz ist allen Menschen gegeben, es ist auch nach dem Sündenfall allen bekannt. Aufgabe des Gesetzes ist es zu fordern, dem Menschen die göttliche N o r m vor Augen zu fuhren und ihn zugleich bei Nichteinhaltung der vorgegebenen N o r m e n -

41

W A 7 , 5 0 2 , 3 4 ; W A 3 6 , 9 ; W A 1 6 , 3 6 6 f. V g l . PAUL ALTHAUS: D i e T h e o l o g i e

Martin

Luthers. Gütersloh 1962, S. 2 1 8 ff. WOLFHART PANNENBERG: Gesetz und Evangelium. Das Thema aus theologischer Sicht. In: Wolfhart Pannenberg und Arthur Kaufmann (Hrsg.): Gesetz und Evangelium (Sitzungsberichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historischen Klasse, Jg. 1986). München 1986, S. 5 - 2 4 , hier S. 14. 4 2 Vgl. HANS-MARTIN BARTH: Art. Gesetz und Evangelium I. In: T R E 13 (1984), S. 1 2 6 - 1 4 2 , hier S. 126. WALTER SPARN: Wiederkehr der Metaphysik. Die ontologische Frage in der lutherischen Theologie des frühen 17. Jahrhunderts (Calwer theologische Monographien, R e i h e 3: Systematische Theologie und Kirchengeschichte, B d . 4). Stuttgart 1976. Kritisch dazu RICHARD SCHRÖDER: Johann Gerhards lutherische C h r i stologie und die aristotelische Metaphysik (Beiträge zur historischen T h e o l o g i e , Bd. 67). Tübingen 1983, S. 2 2 0 - 2 4 5 . HANS EMIL WEBER: R e f o r m a t i o n , Orthodoxie und Rationalismus. Bd. 1, 1 (Beiträge zur Förderung christlicher Theologie, 2. R e i h e : Sammlung wissenschaftlicher Monographien, Bd. 35). Gütersloh 1937, S. 5 6 - 6 4 , S. 1 0 5 - 1 0 9 , S. 211 ff. 4 3 HEERBRAND: Compendium Theologiae (1573): S. 140 ff. De Lege, S. 161 ff. De Euangelio. S. 170 ff. De discrimen Legis et Euangelio. HEERBRAND: Compendium Theologiae (1573), S. 327 ff. De Lege, S. 361 ff. De Euangelio, S. 170 ff. De Discrimen. HEERBRAND: Epitome (1589), S. 75 ff. De Lege, S. 85 ff. De Euangelio, S. 90 ff. De discrimen Legis & Euangelio. HEERBRAND: Kirchentestament, S. 38 ff. Vom Gesetz, S. 57 ff. Vom freien Willen. S. 70 ff. Von der Rechtfertigung oder Gerechtigkeit des sündigen Menschen, die vor Gottes Richter-

80

Die Legitimation

der lutherisch-orthodoxen

Lehre

bestände zu überfuhren. 4 4 Das Gesetz ist so N o r m , Forderung und Spiegel in einem. 4 5 Die göttliche Forderung findet seinen Ausdruck im Gesetz, das den Menschen zugleich dem göttlichen Z o r n unterstellt. Das Gesetz richtet den sündigen Menschen, es kann dagegen das Gute im Menschen nicht wirken, es fordert das Gute zwar, aber nur unter Androhung von Strafe. Alle Werke, die der Mensch auf die Forderung des Gesetzes hin tut, können nicht wirklich gute Werke sein, weil sie der Furcht vor Strafe entstammen. Das Gesetz kann also nichts anderes tun, als den Menschen zur Erkenntnis seiner Sünde führen. Es bewirkt im selbstsicheren Sünder Furcht und Schrecken, ohne die es keine wahre R e u e und damit kein Evangelium und keinen Glauben geben kann. D e m bußfertigen Sünder ist dann der Trost des Evangeliums zu predigen. HafenrefFer beantwortet die Frage nach dem Usus des Gesetzes folgendermaßen: I. Vt legis perfectione, primaeuam nostram integritatem cognoscamus. II. Vt peccati magnitudinem & grauitatem consideremus, cuius causa omnes corporalibus & aeternis poenis obnoxij sumus. III. Vt de ómnibus nostris viribus desperantes, alibi remißionem & iustitiam quaeramus, quam Euangelium in Christo nobis demónstrate Das Gesetz soll also den Menschen zum rechten Handeln anleiten, indem es ihm immer wieder seine Unvollkommenheit vor Augen stellt und ihn zu täglicher B u ß e aufruft, das Evangelium dagegen richtet den erschrockenen Menschen wieder auf. Das Gesetz ist dabei auch den Wiedergeborenen zu predigen: Quia vero in hac vita non perfecté renouantur, ideo perpetuis institutionibus, admonitionibus, cohortationibus & comminationibus indige[n]t, ad concupiscentias, quae in renatus etiam reliquae sunt, reprimendum.47 Das Evangelium stellt dem »gestrengen Richter« des Gesetzes den »barmherzigen Vater« gegenüber. 4 8 Während das Gesetz die aktive Gerechtigkeit fordert, gibt das Evangelium die passive Gerechtigkeit und verkündigt die Verge-

stuhl besteht. D e m Artikel De Evangelio ist hier kein eigener Abschnitt gewidmet! HAFENREFFER: Loci Theologici (1600), S. 2 0 0 ff. De Lege, S. 2 1 6 ff. De Evangelio. Der Artikel De Evangelio wird äußerst knapp, in zwei kurzen Punkten abgehandelt und geht direkt in einen Abschnitt über das Verhältnis von Gesetz und Evangelium über. HAFENREFFER: Loci Theologici (1603), De Lege & Euangelio, 1. S. 455 ff. De lege; 2. S. 471 ff. De Euangelio. Uber das Verhältnis der beiden Größen gilt das gleiche wie in der Ausgabe von 1600. JÄGER: Compendium Theologiae, S. 2 8 3 - 2 9 2 : De Lege Morali; S. 2 9 2 - 2 8 4 [ = 302]: De Lege Ceremoniali; S. 285 [ = 303] - 2 8 8 [ = 306]: De Lege Forensi seu Judiciair, S. 2 8 9 [= 307] 2 9 2 [ = 310]: De Evangelio. Auffällig ist das eindeutige Ungleichgewicht bei der Behandlung der beiden Themenkomplexe. 44

WAGNER: C o m p e n d i u m T . 1, S. 2 9 6 f.

HEERBRAND: Compendium Theologiae (1573), S. 345 [145], HAFENREFFER: Loci Theologici (1600), S. 203. 4 6 HAFENREFFER: Loci Theologici (1600), S. 213. 4 7 HAFENREFFER: Loci Theologici (1600), S. 2 1 2 f. 4 8 SIGWART: Predigten vom Vaterunser, S. 79 f. 43

Gesetz und Evangelium bung der Sünden: Est doctrina de misericordia perfide[m] in Christum.49

Dei patris, remißione

81 peccatoru[m],

Seinen Predigten über das fünfzehnte Kapitel des ersten Briefes an die K o rinther stellt Sigwart einen Abschnitt über das A m t des Kirchendieners voran. 5 0 D e r Prediger ist zur steten Predigt des Evangeliums, des göttlichen W o r tes, verpflichtet, es handle sich dabei nicht um eine Zeitung, die man, einmal gelesen, aus der Hand legen könne. Alle Weisheit und Gelehrtheit im H a n d werk und in den guten Künsten, alle Kenntnis der Landesordnung und der Gebräuche zur Beförderung des gemeinen Nutzens und zur Erhaltung des Hausregiments nützt aber nichts, wenn das allein seligmachende Evangelium nicht erkannt wird. D i e Erkenntnis des Evangeliums ist d e m M e n s c h e n nicht angeboren, er bedarf der Erleuchtung durch den heiligen Geist. Ist das E v a n gelium von Natur aus nicht bekannt, dann m u ß viel Fleiß und Arbeit angelegt werden, [...] / damit wir in der Erkanntnus desselben ta[e]glich zunemmen vnnd volkommen werden.51 S c h o n gelernte Sachen brauchen der sta[e]tigen vbung [...] Wie vil mehr muß das vil vnd q f f i widerholet vnd getriben werden/ so vnser Vernunfft vnd Sinnen vnbegreißich / ja gar zuwider ist?52 Das Gesetz kann wegen der Schwachheit vnsers Fleisches das Leben nicht geben, allein das Evangelium ist die Lehr durch welches [...] wir seelig werden.53 Das N e u e Testament lehre, wie durch diß eygne/ u[e]beiflu[e]ssig vergoßne Blut Christi uns erworbne Gu[o]ter/ [...] hauptsa[e]chlich [gehen] an die Gnugthuung und Bezahlung fit[e]r unsere Su[e]nd/ und Abtrag deß Fluchs deß Gesetzes und der ewigen Verdamniß/ deren wir mu[e]ßten unterworffen seyn/ [•••]54 D i e Schuld des M e n s c h e n war zu groß, als daß sie ein bloßer M e n s c h hätte bezahlen können, denn [...] Menschliche Natur hette vnder disem schweren Creutz verschmeltzen mu[e]ssen/ darauff aller Welt Su[e]nde/ Gottes Zorn/ vnd alle Straße der Su[e]nden/gelegen/ wann diser Mensch nicht GOtt gewesen wer.55 N a c h dieser kurzen Analyse der dogmatischen E b e n e schließt sich nun die Frage an, wie die U m s e t z u n g dieser T h e m a t i k in die Praxis der Predigt erfolgt. A u c h für die T h e o l o g e n der lutherischen O r t h o d o x i e ist in den beiden Artikeln v o m Gesetz und v o m Evangelium die ganze Schrift, aufgeteilt in Altes und Neues Testament, begriffen. 5 6 Luther hatte für die Predigt das M i t e i n -

49 HAFENREFFER: Loci Theologici (1600), S. 216. Vgl. HEERBRAND: Compendium Theologiae (1573), S. 163. JÄGER: Compendium Theologiae, S. 289. 50 Vgl. zum folgenden SIGWART: Predigten über 1 Kor 15, S. 3 v -8 r . 51 SIGWART: Predigten über 1 Kor 15, S. 5V. 52 SIGWART: Predigten über 1 Kor 15, S. 5V. 53 SIGWART: Predigten über 1 Kor 15, S. 5V. 54

WAGNER: E p i s t e l - P o s t i l l e 1, S. 5 8 4 .

55

ANDREAE: Predigt über M t 22, S. 14. ANDREAE: Predigt über Mt 22, S. 4.

56

82

Gesetz und Evangelium

ander der beiden Größen gefordert und war doch zugleich von dem Kernsatz nihil nisi Christus praedicandus ausgegangen. 57 Nach Hirsch hat Luther die Aufgabe der Predigt als Lehre und Ermahnung bestimmt, wobei er davon ausging, daß dort, wo das göttliche Wort mit wahrem Ernst gelehrt wird, [...] sich die Vermahnung von selbst [ergibt].58 In der Folgezeit, so Hirsch, sei die von Luther erreichte Zusammenfuhrung von »dogmatischer« und »moralischer« Predigt, die Einheit von Lehren und Ermahnen, in der christlichen Verkündigung nicht durchgehalten worden. Man habe beide Elemente wieder für zwei unterschiedliche Teile der Predigt gehalten, zumindest flir zwei völlig verschiedene Behandlungsarten ein und desselben Stoffes, während bei Luther das exhortari das gesteigerte docere selber ist.59 Das Kernstück aller Verkündigung ist bei Luther das Evangelium. 6 0 Aber auch die Predigt des Evangeliums ist nicht frei von Voraussetzungen, die Gesetzespredigt gehört zum Predigtauftrag notwendig hinzu. Hirsch begründet die Gesetzespredigt Luthers nicht mit volkspädagogischen Rücksichten, hinter die Luther seine christliche Erkenntnis zurückgestellt habe, sondern damit, daß sich der Weg des Menschen zu Gott durch die Tiefe des göttlichen Zornes hindurch vollziehe. 6 1 Das Ziel aller Gesetzespredigt ist die Buße. O b Luther einen über diesen usus civilis oder politicus hinausreichenden tertius usus legis kannte, ist in der theologischen Forschung heftig umstritten. 6 2 Auch wenn Eiert den Nachweis erbracht hat, daß die bislang als Beleg 5 7 WA 16, 133, 7 f. Vgl. ALFRED NIEBERGALL: Die Geschichte der christlichen Predigt. In: Leiturgia 2 (1955), S. 182—359, hier S. 274. Zu Luthers Predigt von Gesetz und Evangelium vgl. ULRICH ASENDORF: Die Theologie Martin Luthers nach seinen Predigten. Göttingen 1988, S. 3 1 4 - 3 5 4 , bes. S. 3 2 6 ff. 3 8 EMANUEL HIRSCH: Luthers Predigtweise. In: Luther. Mitteilungen der Luthergesellschaft 25 (1954), S. 1 - 2 3 , hier S. 13. 3 9 HIRSCH: Luthers Predigtweise, S. 13. 6 0 Vgl. zum folgenden HIRSCH: Gesetz und Evangelium, S. 4 9 - 5 1 . 61 HIRSCH: Gesetz und Evangelium, S. 51 f. 6 2 Jeden Versuch, dem Gesetz eine positive N o r m für den Glaubenden einzuräumen, lehnen ab: RAGNAR BRING: Gesetz und Evangelium und der dritte Brauch des Gesetzes in der lutherischen Theologie. Helsinki 1943. LENNART PINOMAA: Der existentielle Charakter der Theologie Luthers (Annales Academiae Scientiarum Fennicae, Serie 3, Bd. 47). Helsinki 1940. WERNER ELERT: Gesetz und Evangelium. In: Werner Eiert (Hrsg.): Zwischen Gnade und Ungnade. Abwandlungen des Themas Gesetz und Evangelium. München 1948, S. 1 3 2 - 1 6 7 . WERNER ELERT: Eine theologische Fälschung zur Lehre vom Tertius usus legis. In: Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte, H. 2 (1948), Sp. 168—170. CARL STANGE: Die Heilsbedeutung des Gesetzes. In: Carl Stange (Hrsg.): Studien zur Theologie Luthers. Bd. 1. Gütersloh 1928, S. 5 3 - 7 4 . PANNENBERG: Gesetz und Evangelium, 15 f. Anders dagegen KARL THIEME: Der Geist der lutherischen Ethik in Melanchthons Apologie. Gießen 1931, passim, bes. S. 18—20: Luther habe, ganz im Einklang mit Melanchthon, den Soll- und Pflichtcharakter des Glaubens hervorgehoben. HAUSAMANN: Leben aus Glauben, S. 2 7 0 versucht, eine Entwicklung Luthers hin zur Gesetzespredigt aufzuzeigen. ASENDORF: Theologie Luthers nach seinen Predigten, S. 338 meint, daß das Abtun des Gesetzes zu einer neuartigen Gesetzespredigt führt. In diesem neuartigen An-

Gesetz und

Evangelium

83

für eine Verwendung des Begriffes bei Luther herangezogene Stelle als nachträgliche Interpolation zu betrachten ist, ist das Problem damit nicht gelöst. 63 Joest hat recht, wenn er sagt, der Nachweis belege nicht ausdrücklich, daß Luther sich nicht zumindest sachlich der Lehre vom tertius usus genähert habe. 6 4 Ergänzend soll noch angemerkt werden, daß Brunner, ein reformierter T h e o loge, gerade das Fehlen eines tertius usus als gefährliches Defizit lutherischer Theologie gewertet hat, da es einem illusionistischen Glaubensverständnis Vorschub leisten könne. 6 5 Unumstritten in dieser Forschungskontroverse ist dagegen, daß für Luther der usus theologicus bzw. elenchthicus, also die geistliche Funktion des Gesetzes, die den Sünder seiner Sünde überführt und ihn mit dem Evangelium konfrontiert, das eigentliche Amt des Gesetzes (usus praecipuus) darstellte. Für die Theologen der lutherischen Orthodoxie ist der dreifache Gebrauch des Gesetzes keine Frage mehr. Andreae betont in seinen 1561 in Lauingen gehaltenen Katechismuspredigten den dreifachen Gebrauch des Gesetzes. 6 6 Die Konkordienformel schrieb 1577 in ihrem 6. Artikel diese Funktion fest: Cum constet triplicem esse legis divinae usum (I. Lege enim disciplina externa et honestas contra feros et indomitos homines utcunque conservatur. II. Lege peccatores ad agnitionem peccati adducuntur. III. Denique qui per spiritum Dei renati et ad Dominum conversi sunt, et quibus iam velamen Moisis sublatum est, lege docentur, ut in vera pietate vivant et ambulent) [... j.67 Dieser tertius usus spielt bei den Theologen der lutherischen Orthodoxie bei allen Anweisungen für das konkrete Verhalten im Alltag der Welt eine emiwendungsprinzip sieht er spurenweise Elemente der späteren Eehre vom tertius usus legis. Seiner Meinung nach verfolgt Luther einen relationalen Denkstil, der eine Aufreihung der unterschiedlichen Arten des Gesetzes verbiete. 6 3 WA 3 9 I, 485. Es handelt sich dabei um einen Nachtrag aus Melanchthons Loci von 1535. So ELERT: Gesetz und Evangelium, S. 162. Vgl. ELERT: Eine theologische Fälschung zur Lehre vom Tertius usus legis, Sp. 168 ff. Zur Kritik vgl. EBELING: Triplex usus, passim, der den textkritischen Befund für korrekturbedürftig hält. 6 4 WILFRIED JOEST: Gesetz und Freiheit. Das Problem des Tertius usus legis bei Luther und die neutestamentliche Parainese. Göttingen 1951, S. 14. EMIL BRUNNER: Das Gebot und die Ordnungen. Entwurf einer protestantisch-theologischen Ethik. Tübingen 1932, S. 585 Anm. 5. 6 6 ANDREAE: Predigten in Lauingen, S. X I X r - X X I r . Hier finden sich die Ausfuhrungen Andreaes zum dreifachen Gebrauch des Gesetzes. 6 7 Formula Concordiae VI in: B S L K 962, 1 ff. D e m entspricht, was HAFENREFFER: Loci Theologici (1600), S. 2 1 2 als Usus der Lex moralis formuliert: I. Primum vsus est politicus vt homines feri & indomiti disciplina externa coerceantur [...] II. Secundus vsus est spiritualis, in hominibus iustificandis, vt per legem ad agnitionem peccatorum perueniant [...] III. Tertius vsus quoq[ue] spiritualis in renatis, vt lege docea[n]tur, quomodo in vera pietate ambule[n]t. Vgl. BERNHARD LOHSE: Dogma und Bekenntnis in der Reformation. Von Luther bis zum Konkordienbuch. In: Carl Andresen (Hrsg.): Handbuch der D o g m e n - und Theologiegeschichte, Bd. 2. Göttingen 1980, S. 1 5 0 - 1 5 2 . OSWALD BAYER: Gesetz und Evangelium. In: Martin Brecht und Reinhold Schwarz (Hrsg.): Bekenntnis und Einheit der Kirche. Studien zum Konkordienbuch. Stuttgart 1980, S. 1 6 1 - 1 7 1 .

84

Die Legitimation

der lutherisch-orthodoxen

Lehre

nent wichtige Rolle. Es gibt fast keinen Bereich menschlicher Existenz zu dem die Theologen nicht — aufs Ganze gesehen — unter Anwendung des G e setzes als positiver N o r m für den Glaubenden Stellung nehmen. Die Lektüre der Predigten der lutherischen Orthodoxie zeigt, daß Gesetz und Evangelium kein eigentliches T h e m a der lutherisch-orthodoxen Predigt sind, aber als deren zugrundeliegendes homiletisches Prinzip gelten können. 6 8 Die Predigtpraxis zeigt, daß dieses Prinzip von äußerter Relevanz ist, vor allem in Hinblick auf die ethischen Anweisungen. Hier ist die Thematik geradezu als strukturgebend zu betrachten: Die helffte deß gepredigte[n] Worts/ nemhlich das gesetz/ ist Straff [...] vnvermeidlkher Verantwortung vor Gott/ [...].69 Eine wichtige R o l l e spielt dabei die von den Reformatoren im 16. Jahrhundert vorgenommene Identifikation von Lex moralis und Lex naturalis. So betrachtete Luther das Naturrecht als identisch mit dem Dekalog 7 0 und mit der Liehe Recht71 und leitete daraus dessen Funktion für Rechtsordnung und bürgerliche Moral ab. 7 2 D e r Dekalog galt, weil und soweit er mit dem natürlichen Gesetz identisch ist, als eine Offenbarung des allen Menschen ins Herz geschriebenen Naturrechts. 7 3 In dieser Tradition stehend, betonen auch die Theologen der lutherischen Orthodoxie das Ende des alttestamentlichen Gesetzes. 7 4 Seine Bestimmungen 6 8 Vgl. PANNENBERG: Gesetz und Evangelium, S. 18. Pannenberg hat die Kontinuität dieses Prinzips zur mittelalterlichen Bußfrömmigkeit aufgezeigt und dabei dem Gesetz die Funktion des Beichtspiegels, dem Evangelium das priesterliche Wort der Absolution gleichgesetzt. 69

WAGNER:

Evangelien-Postille

1,

S. 3 7 5 . V g l . WOLFHART

PANNENBERG:

Christliche

Spiritualität. Theologische Aspekte. Göttingen 1986, S. 20. Er zeigt dort das hartnäckige Fortleben des Schemas von Gesetz und Evangelium in protestantischen Predigten bis in die G e genwart. 7 0 WA 3 9 I, 454, 10. 71 WA 11, 279. 7 2 Zu Luthers Naturrechtsbegriff vgl. HECKEL: Lex Charitatis, S. 171. Davon zu unterscheiden ist der Naturrechtsbegriff der lutherischen Orthodoxie, die den Dekalog als norma normans versteht und damit auch zum Interpretament des Doppelgebotes der Liebe macht (ebd., S. 291 f.). 7 3 Vgl. WALTER DRESS: D i e zehn Gebote in Luthers theologischem Denken. In: Walter Dreß: Evangelisches Erbe und Weltoffenheit. Gesammelte Aufsätze. Hrsg. von Wolfgang Sommer. Berlin 1980, S. 5 5 - 6 6 , hier S. 65 f.Vgl. WALTER DRESS: D i e zehn Gebote und der Dekalog. Ein Beitrag zu der Frage nach den Unterschieden zwischen lutherischem und calvinistischen Denken. In: WALTER DRESS: Evangelisches Erbe und Weltoffenheit. Gesammelte Aufsätze. Hrsg. von Wolfgang Sommer. Berlin 1980, S. 6 7 - 7 5 . Vgl. REINHOLD SEEBERG: Lehrbuch der Dogmenschichte, B d . 4, 1: D i e Entstehung des protestantischen Lehrbegriffs. Leipzig 1917 3 , S. 2 6 3 f. PANNENBERG: Gesetz und Evangelium, S. 14. 7 4 HAFENREFFER: Loci Theologici (1600), S. 202. HEERBRAND: Compendium T h e o l o giae (1573), S. 144. WAGNER: Epistel-Postille 1, S. 583 f: Christus hat das zeremonialische Gesetz durch Außiebung des Schattenwercks im Alten Testament zu seinem Ende gebracht, das moralische Gesetz durch volkomne Etfu[e]llung. WAGNER: Compendium T. 1, S. 295 f. HAGMAJER: Zwei geistliche R e d e n , S. 23.

Gesetz und

Evangelium

85

haben flir den Christen keine B e d e u t u n g mehr. Hinsichtlich der R e c h t f e r t i gung, des Fluches des Gesetzes u n d der Anforderung hat Christus Gnu[e]ge fu[e]r vns gethan.75 Anders dagegen ist es mit d e m Moral-, Sitten- u n d N a t u r gesetz, das dem Dekalog entspricht u n d dessen Einhaltung zu den natürlichen Pflichten des Menschen gehört. 7 6 In diesem Sinne ist das Gesetz von Gott verordnetes Mittel, u m die Seligkeit zu erlangen, seinem Wert nach unveränderte Richtschnur menschlichen Lebens. 77 Dieses Gesetz hat Christus nicht aufgehoben, sondern erneut in Geltung gebracht. 7 8 Dadurch ist eine O r d n u n g der menschlichen Lebensbereiche nach diesem Gesetz möglich. Die Lex naturalis w u r d e vor allem auf die zweite Tafel des Dekaloges eingeschränkt. 7 9 Alle daraus abgeleiteten Anweisungen über Ehe, Familie, Leben, Besitz, Beruf

75

76

WAGNER: C o m p e n d i u m T . 1, S. 2 9 8 f.

HEERBRAND: C o m p e n d i u m T h e o l o g i a e (1573), S. 142: Vna est & eade[m] Lex naturae, cum Decalogo, quae naturae Lex diuinitüs omnium hominum mentibus est inscripta: nisi quod per & propter lapsum primorum parentum sit obscurata. Vgl. dazu ebd., S. 42 f. L e x naturae. HEERBRAND: C o m p e n d i u m T h e o l o g i a e (1573), S. 143. H e e r b r a n d definiert die Lex D e i w i e folgt: Est doctrina, primum hominum mentibus in creatione diuinitüs inscripta: & postea a Deo per Mosern repetita, docens & praecipiens quales nos esse oporteat, quae facienda & omittenda sint: requirens obedientiam perfectam interiorem & exteriorem: promittens bona ea seruantibus: ac denuncians iram Dei, & poenas temporales, & aeternas omnibus non praestantibus eam perfecte. WAGNER: C o m p e n d i u m T. 1, S. 299. JÄGER: C o m p e n d i u m T h e o l o g i a e , S. 287. Z u r Lex moralis m e r k t Jäger hier an: Materia ex Qua legis Moralis sunt decern praecepta. Unde decern verba appellantur, f. .J.JÄGER: C o m p e n d i u m T h e o l o g i a e , S. 2 8 3 f: Verbum divinum adaequate dividitur in VERBUM Legis & EVANGELII. De lege itaque divina primo agendum. Lex divina, aut perpetua est aut Temporaiis. Perpetua est Lex Moralis [...] Temporaiis est Lex Judaica, Ceremonialis videlicet & Jorensis. Lex moralis est Jussum a DEO in monte Sinai solenniter promulgatum, obligans hominem ad perfectum amorem DEI & proximi, sub spe & promissione praemii aeterni, vel sub comminatione poenarum et aeternum. Nota: Lex Moralis quoad Substantiam eadem est cum Lege Naturalis [...]. 11 HAGMAJER: Z w e i Geistliche R e d e n , S. 21 ff. WAGNER: C o m p e n d i u m T. 1, S. 2 9 7 . Es ist eine Ewige Regel der vnwandelbaren Gerechtigkeit Gottes/ [...] / dardurch alle Menschen ins gemein verbunden werden/ nach dem vollkomnisten Gehorsam/ zu[e]chtig/ Gerecht/ vnd gottselig zu leben in dieser Welt/ bey Vermeidung deß Fluchs/ vnd der Ewigen Verdamnus. 78 HEERBRAND: C o m p e n d i u m T h e o l o g i a e (1573), S. 153: D e r W i e d e r g e b o r e n e ist n i c h t m e h r u n t e r d e m Gesetz, s o n d e r n u n t e r der G n a d e , er ist t r o t z d e m n i c h t v o m G e h o r s a m g e g e n ü b e r d e m Gesetz e n t b u n d e n , weil [...] Decalogus est immutabilis, & aeterna Dei uoluntas, & explicatio Legis naturae, ideo omnes homines ad obedientiam obligat. WAGNER: Epistel-Postille 1, S. 198: C h r i s t u s hat v o m Fluch des Gesetzes befreit, n i c h t j e d o c h v o m G e h o r s a m e n t b u n d e n . WAGNER: Epistel-Postille 2, S. 270: es bleibt j e d o c h die Obligation Gehorsam eusserste Vermo[e]gen und verbundene Schuldigkeit dem Gsatz Gottes gewissenhaften zuleisten/ unverruckt/ [...]. PREGITZER: B u ß p r e d i g t e n , S. 55. 79 HEERBRAND: C o m p e n d i u m T h e o l o g i a e (1573), S. 143 definiert das mosaische G e setz als eine doctrina [...] per Mosern tradita, deinde copiosus per Prophetas, Christum & Apostolos repetita & exposita, petfectum praescribens uiuendi rationem Israelitis, in Ecclesia, politia & Oeconomi: docens & praecipiens, quales nos esse oporteat, &. sicut in praecedenti Legis Dei deflnitione additur & habetur. ANDREAE: C h r i s t l i c h e A n l e i t u n g , S. 358: D i e z w e i t e Tafel sei g e g e n ü b e r d e m N ä c h s t e n zu erfüllen.

86

Die Legitimation

der lutherisch-orthodoxen

Lehre

etc. d i e n e n d e m einen Ziel des g e m e i n e n N u t z e n s , w i e er in der G o l d e n e n R e g e l (Mt 7, 12) A u s d r u c k findet.80 In einer N e u j a h r s p r e d i g t legt Andreas O s i a n d e r einen Text aus E p h 4 aus, eine Stelle, an welcher der D e k a l o g i m N e u e n Testament a u f g e n o m m e n wurde. 8 1 Osiander f u h r t dabei ü b e r das v o n e i n e m C h r i s t e n geforderte Verhalten folgendes aus: D e r C h r i s t solle nicht lügen, w e d e r aus böser G e w o h n h e i t heraus, n o c h u m d e n N ä c h s t e n zu täuschen, n o c h u m anderes zu sagen. L ü gen sei schändlich, es ist i m m e r mit H e u c h e l e i , Vorspiegelung falscher Tatsachen, übler N a c h r e d e etc. v e r b u n d e n . A u c h solle der Christ nicht z ü r n e n . Z o r n m e i n t hier nicht d e n Z o r n i m Sinne des Argers ü b e r falsche Lehre, der bei der rechten U n t e r s c h e i d u n g zwischen Person u n d U n w i s s e n sogar g e rechtfertigt sein k a n n —, s o n d e r n d e n fleischlichen Z o r n , da wir vns vber der Person des Na[e]chsten (vmb priuat Ha[e]ndel willen/ [...]) erzu[e]rnen vnnd entmisten. U n t e r d e m Verbot des Stehlens sei nicht n u r der grobe Diebstahl g e faßt, s o n d e r n alles das, w o d u r c h der N ä c h s t e u m sein H a b u n d G u t — mit w e l c h e n Praktiken auch i m m e r — gebracht wird; dies beziehe auch d e n B e r u f mit ein. D e r Christ solle sich nicht a m G e s c h w ä t z beteiligen, w e d e r am leichtfertig dahingesagten Scherz, n o c h an ärgerlicher Vexation des Nächsten; »Buhlenlieder« zu singen, solle er tunlichst unterlassen. A n diesen vier Beispielen für das Verhalten des C h r i s t e n i m Alltag wird deutlich, w i e k o n k r e t die Prediger auf das Leben ihrer H ö r e r E i n f l u ß n e h m e n wollen. D a ß die B e o b a c h t u n g dieser Verhaltensweisen allein die V o l l k o m m e n heit nicht a u s m a c h e n k a n n , die Beispiele n u r exemplarisch ausgewählt sind, m a c h t der Prediger h i n r e i c h e n d deutlich. Er verweist darauf, daß zu rechtschaffner Gerechtigkeit vnd Heyligkeit m e h r gehöre, u n d zählt d e n f o l g e n d e n K a talog auf: [...] daß die Christen vor allen andern Su[e]nden / sonderlich vor den Hauptlastern/ [...] / sich hu[e]ten sollen: als da ist Epicurische Verachtung Gottes/ seines heiligen Worts/ vnnd der hochwu[e]rdigen Sacramenten/fluchen/ schwo[e]ren/ Gottsla[e]stern/ der Geitz/ der da ist ein Abgo[e]tterey vnd ein Wurtzel alles Vbels/ Bu[e]berey/ vnd Vnzucht/ [...] / Trunckenheit vnnd Fu[e]llerey/ da man Leib vnnd Seel mit vbetflu[e]ssigem zutrincken vnnd zugiessen beschwert/ vnd zu allen guten Wercken vntu[e]chtig wu[e]rdt/ [•••].S2 Weiter soll die exemplarische E b e n e hier nicht entfaltet w e r d e n , f ü r eine weitere B e a r b e i t u n g legt sich der sozialgeschichtliche Teil der U n t e r s u c h u n g nahe.

80 SIGWART: Laster-Predigten, S. 13': Alles das jhr wo[e]llet/ das euch die Lenthe thun sollen/ das thut jhr jhnen auch. Dise Wort seind wol zumercken: Dann es sagt Christus nicht: Was euch die leuthe Thun/ das thut jhnen widerumh: Sondern/ es solle ein jeder von jhme selbs lernen/ vnd zwar von seinem u>o[e]llen/ er soll sein eigen Hertz fragen/ was er gern wo[e]lte/ saß man jhme thete. WAGNER: Epistel-Postille 1, S. 270. Vgl. HECKEL: Lex Charitatis, S. 99 ff. 81 Vgl. z u m folgenden OSIANDER, A.: Neujahrspredigt, S. 5 - 1 1 . 82

OSIANDER, A . : N e u j a h r s p r e d i g t , S. 1 0 f .

Gesetz und Evangelium

87

Pregitzer vertritt, wie auch die übrigen lutherisch-orthodoxen T h e o l o g e n , die Uberzeugung, die Erkenntnis, daß der M e n s c h ein Sünder sei, k o m m e aus dem Gesetz Gottes und dem Gewissen. 8 3 D i e Erkenntnis der menschlichen Sündhaftigkeit aus dem Gesetz entspricht dem theologischen G e b r a u c h des Gesetzes. H i e r zeigt sich aber, wie eng die N o r m des Gesetzes und das G e w i s sen zusammenhängen. D i e Vertreter der lutherischen O r t h o d o x i e in T ü b i n g e n werden nicht müde darauf hinzuweisen, daß es nicht darum gehen könne, das Gesetz nur äußerlich zu erfüllen, d. h. gesetzeskonform nur aus Furcht vor Strafe, nicht aber aus innerer Uberzeugung zu handeln. D e m Gewissen des einzelnen wird hier die R o l l e eines »eingesetzen Inspektors« zugewiesen. 8 4 D i e Prüfungsinstanz für menschliches Handeln ist also im M e n s c h e n selbst angelegt. Alles M a h n e n und Erziehen zielt stets a u f das Gewissen ab; es ist j e n e Instanz, vor der sich der einzelne zu verantworten hat. 8 5 D a ß allein B u ß e den »nagenden W u r m des Gewissens« stillen kann, unterstreicht den engen Z u sammenhang zwischen Gewissen und Gesetz. 8 6 J e d e r Versuch, alle Probleme der Lebensführung im voraus zu regeln, kann nur dazu führen, eine Knechtschaft des Lebens unter dem Gesetz aufzurichten. U m dies zu verhindern, k o m m t dem Gewissen hier die Funktion zu, zu einem selbständigen U m g a n g mit den positiven Gesetzesnormen anzuleiten. Im Gewissen soll das Gesetz individualisiert und über eine selbständige Interpretation der ursprünglichen Intention konkretisiert werden. Diese G e w i s sensentscheidung m u ß t e langfristig zu einer Veränderung des gesellschaftlichen Bewußtseins führen. Es ging nicht nur darum, vorgeschriebene N o r m e n zu akzeptieren; vielmehr sollte die Entscheidung nach eingehender R e f l e x i o n aus bejahender Akzeptanz heraus getroffen werden. 8 7 In einer Untersuchung, die einen Zeitraum von rund 2 0 0 Jahren bearbeitet, stellt sich die Frage, ob die festgestellte O r i e n t i e r u n g des Lebens am G e setz von den Predigern kontinuierlich empfohlen wird. B e i der Vielfalt der in den Predigten angesprochenen T h e m e n , die eine genaue Z u o r d n u n g von ein e m T h e m a zu einer Predigt nicht erlaubt, k ö n n e n keine absoluten Zahlen genannt werden. N a c h der Lektüre der Predigten lassen sich aber bestimmte Tendenzen ablesen. S o findet sich im Untersuchungszeitraum die O r i e n t i e rung am Gesetz tendenziell häufiger in der Z e i t bis in die 8 0 e r Jahre des 17. Jahrhunderts hinein. 8 8 D a n e b e n stehen im gesamten Zeitraum allgemei-

83

PREGITZER: Bußpredigten, S. 32. ANDREAE: Predigten in Hagenau, S. 26 [= 30].

84

WAGNER: E v a n g e l i e n - P o s t i l l e 1, S. 5 2 8 .

WAGNER: Casual-Predigten (Bußpredigt), S. 860. 86 PREGITZER: Bußpredigten, S. 176 f. Zu näheren Bestimmung des Zusammenhanges von Gesetz und Gewissen vgl. unten Gesetz und Gewissen: Das Verhältnis von Tradition und Moderne, S. 3 6 2 - 3 7 1 . 87 Vgl. unten S. 3 6 2 - 3 7 1 . 88 ANDREAE: Vier christliche Predigten, S. 83. OSIANDER, A.: Neujahrspredigt, S. 5 f. WAGNER: Zwei Sonderbare Predigten, S. 18. HÄBERLIN: Epistel-Postille 2, S. 123 b. 85

88

Die Legitimation

der lutherisch-orthodoxen

Lehre

nere Hinweise für die Befolgung der in der Schrift 8 9 bzw. d e m Wort Gottes 9 0 genannten Gebote. Zwar kann auch Wagner zu einem Leben nach d e m Vorbild Christi auffordern 9 1 , verstärkt treten die Hinweise auf ein am Vorbild Christi orientiertes Leben j e d o c h in der dritten Phase des Untersuchungszeitraumes (1681-1750) auf. 92 Hier zeichnet sich ein verstärktes B e m ü h e n u m die Selbständigkeit ethischen Handelns ab, das in z u n e h m e n d e m M a ß e zu einem an der Nachfolge Christi orientierten Verhalten mahnt u n d das über die B e obachtung gesetzlicher N o r m e n , verstanden als Erfüllung Überpflichtiger Leistung, hinausgeht. D i e B e t o n u n g liegt n u n auf dem am Vorbild Christi orientierten Lebenswandel. Ein B e m ü h e n u m die Selbständigkeit ethischen Handelns läßt sich auch in den beiden vorausgehenden Phasen belegen. 9 3 Pregitzer weist darauf hin, daß hier die Konformität mit der bürgerlichen Ehrbarkeit nicht genüge, sondern der innere Gehorsam hinzu k o m m e n m ü s se. 94 Eine Erfüllung der bürgerlichen Gerechtigkeit, die einzig aus Furcht vor Strafe geschieht u n d nicht aus Liebe z u m Guten - darin stimmt R e u c h l i n mit Pregitzer überein — kann nicht ausreichend sein. 95 Das Gesetz als hauptsächliche Richtschnur menschlichen Verhaltens tritt tendenziell zurück; wohlgemerkt, es handelt sich dabei nur u m die Verschieb u n g von N u a n c e n . M i t der Tendenz zu einem verstärkten Hinweis auf ein in der Nachfolge Christi geführtes Leben läßt sich zugleich die Beobachtung machen, daß ein konkreter Lebens- u n d Weltbezug allmählich zurücktritt. 9 6 Die Appelle an den einzelnen werden z u n e h m e n d allgemeiner. Dies trifft gerade auch auf j e n e T h e o l o g e n zu, die in der Literatur gerne unter dem Etikett Wegbereiter des Pietismus vorgestellt werden. 9 7

89

WAGNER: E p i s t e l - P o s t i l l e 1, S. 4 7 .

A. A.: Christenwandel, S. 45.

90

HOCHSTETTER,

91

WAGNER: E v a n g e l i e n - P o s t i l l e 2 , S. 5 6 2 .

92 R E U C H L I N : C h r i s t e n t u m , S . 48, S . 5 3 , S . 86, S . 254, S. 286. H Ä B E R L I N : Epistel-Postille 1, S. 219b, S. 2 5 0 a ff. H A G M A J E R : Taufpredigt, S. 78. 93 A N D R E A E : Predigt v o m A b e n d m a h l , S . 5 0 . A N D R E A E : Predigten in H a g e n a u , S . 6 5 . SIGWART: Predigten v o m Vaterunser, S . 4 5 . SIGWART: Predigt v o m R e i f , S . 15 R . R A I T H : Leichenpredigt Biberstein, S. 12.Vgl. dazu Kontinuitäten u n d Diskontinuitäten, S. 3 2 7 - 3 3 7 . 94 PREGITZER: Bußpredigten, S. 2 4 . 95 R E U C H L I N : Christentum, S. 1 1 . 96 Als Beispiel soll hier kurz H O C H S T E T T E R , A. A.: Leichenpredigt R e u c h l i n , S . 1 7 a n g e f ü h r t werden, der hier ein christlich geführtes Leben wie folgt charakterisiert: Von falscher Lehre Abstand n e h m e n ; kein gottloses u n d sicheres Leben fuhren; aufrichtigen U m gang mit d e m N ä c h s t e n pflegen; im B e r u f das A n b e f o h l e n e tun; alles, was nicht z u m A m t g e h ö r t , unterlassen. 97 N I E B E R G A L L : Geschichte der christlichen Predigt, S. 301 n e n n t u. a. Häberlin u n d A. A. Hochstetter. Vgl. dazu auch den zusammenfassenden Abschnitt Lutherische O r t h o doxie u n d Pietismus, S. 337—348.

Gesetz und Evangelium

89

Abschließend läßt sich sagen: D i e T h e o l o g e n der lutherischen O r t h o d o x i e stellten sich der D e u t u n g und Bewältigung von Problemen des Lebens. Sie taten dies zunächst intensiver unter R ü c k g r i f f a u f den tertius usus legis, dann durch den R u f in die Nachfolge Christi. Die M e i n u n g Pannenbergs, der P i e tismus sei bahnbrechend für eine Sicht geworden, die das ethische Subjekt auf die produktive Bewältigung der Aufgaben aktiver Weltgestaltung im Rahmen der Gesellschaft bezogen habe, läßt sich anhand der T ü b i n g e r T h e o l o g e n nicht bestätigen. 9 8 Leitlinien für eine aktive Lebens- und Weltgestaltung, zunächst und vordringlich eben am tertius usus legis orientiert, gaben auch die Prediger der lutherischen O r t h o d o x i e . Auch der Adressat lutherisch-orthodoxer Predigt soll sich als handelndes Subjekt verstehen, wird er doch dazu aufgefordert, die N o r m e n aus innerer Überzeugung zu befolgen, im Wissen um seine persönliche Verantwortung. E i n e r Gefahr unterlagen beide Motivationen zu guten Werken, sowohl die R e k u r r i e r u n g a u f das Gesetz, wie auch der Hinweis a u f die Nachfolge C h r i sti. B e i d e n Motivationen w o h n t e die Tendenz des Strebens nach einer ethischen Vollkommenheit i n n e . " W o h l stand am E n d e j e d e r Predigt, strikt nach dem S c h e m a l u t h e r i s c h - o r thodoxer Predigten, der Hinweis a u f den Trost und damit a u f das Evangelium. Aber die Gewichtsverteilung innerhalb der Predigten und die vehementen Aufrufe zur B u ß e , verbunden mit einer aktiven Besserung des Lebens, weisen in R i c h t u n g a u f eine individuelle Heiligungspraxis.100 Das B e w u ß t s e i n der S ü n de wurde von den T h e o l o g e n der lutherischen O r t h o d o x i e massiv eingeschärft, die in der Rechtfertigungslehre des Evangeliums enthaltene Vergebung zwar im dogmatischen Teil der Predigten sachgemäß beibehalten, j e d o c h bei der U m s e t z u n g in die E t h i k in den Hintergrund gedrängt. D i e Verbindung von Sündenbewußtsein und Gesetzeslehre legte in der Praxis der Predigt einen Grundstein, der zu weitreichenden Modifikationen der reformatorischen Gesetzeslehre in der weiteren Entwicklung der D o g m e n - und T h e o l o giegeschichte Anlaß gab. 101 D i e Gesamtkonzeption einer Arbeit, die neben dem theologieschichtlichen Aspekt auch die sozialgeschichtliche K o m p o n e n t e des T h e m a s zur Sprache bringen will, m u ß d e m tertius usus, eben weil er über eine Alltagsgestaltung nach christlichen N o r m e n Auskunft geben kann, besonderes G e w i c h t b e i g e messen. D a b e i ist selbstversändlich vorausgesetzt, daß nur von der R e c h t f e r t i gungslehre ausgehend, über einen Gebrauch des Gesetzes gesprochen werden

PANNENBERG: Gesetz und Evangelium, S. 21. REUCHLIN: Christentum, S. 325: Trachten nach Vollkommenheit. REUCHLIN: Christentum, S. 14. WEISMANN: Leichenpredigt Hagmajer, S. 13: Streben nach Wohlgefallen. 100 Vgl. GRAF: Art. Gesetz und Evangelium, S. 97. 101 Vgl. unten S. 9 2 - 9 9 . 98 99

90

Die Legitimation der lutherisch-orthodoxen Lehre

kann. Ebelings Ausfuhrungen, die er im Z u s a m m e n h a n g eines zweifachen Gesetzesverständnisses macht, gelten, entsprechend erweitert, auch in der O r thodoxie. Auch hier liegen in der Predigt des Gesetzes alle drei usus aufs engste ineinander, da die Predigt i m m e r darauf abzielt, alle H ö r e r zu erreichen. 1 0 2 1.3 Wiedergeburt D e r Begriff der Wiedergeburt findet auch schon bei den R e f o r m a t o r e n Verwendung. Sie verstanden darunter j e n e n Teil der Rechtfertigung, in dem der sündige Mensch Christus im Glauben ergreift. 1 0 3 Für die Zeit der O r t h o doxie ist j e d o c h weitaus häufiger die Verbindung von Wiedergeburt u n d Ern e u e r u n g des Lebens anzutreffen. 1 0 4 D i e Taufe, zumeist als »Bad der W i e d e r geburt« bezeichnet, definiert sich so als der Beginn der Heiligung, der mit der R e c h t f e r t i g u n g verbunden ist. 105 D e r Mensch ist hierin zwar vornehmlich passiv, aber er m u ß die E r n e u e r u n g aktiv verifizieren, d. h. er m u ß alle j e n e Sünden vermeiden, die den Akt der Wiedergeburt negieren, wie U n k e u s c h heit, Trunkenheit, Meineid etc. 106 D e r Gläubige m u ß sich einer ständigen P r ü f u n g unterziehen, ob er n o c h im Stand der Wiedergeburt steht. 107 Die B e o b a c h t u n g Hausamanns, daß in nachreformatorischer Zeit die W i e dergeburt eng mit der E r n e u e r u n g des Lebens verknüpft ist, deckt sich mit den Resultaten der Predigten. Die T r e n n u n g der Einheit von R e c h t f e r t i g u n g u n d Heiligung hatte eine B e t o n u n g der forensischen Seite der R e c h t f e r t i g u n g zur Folge. U m der Gefahr zu begegnen, die Gnade Gottes als billige Gnade erscheinen zu lassen, haben, so Hausamann, R e f o r m o r t h o d o x i e 1 0 8 u n d PietisTriplex Usus, S. 2 4 4 . Reformation, Orthodoxie und Rationalismus. Bd. 1, 1: Von der R e f o r m a t i o n zur Orthodoxie (Beiträge zur Förderung christlicher Theologie, Bd. 35). Gütersloh 1937, S. 56 ff. 104 H A U S A M A N N : Leben aus Glauben, S. 274 f. 105 WAGNER: Leichenpredigt Merlau, S. 27. WAGNER: Esslinger Trauerpredigten, S . 6 2 ff. R E U C H L I N : Christentum, S . 1 4 4 : Zusammenhang zwischen Wiedergeburt und Heiligung; S. 140 ff.: Notwendigkeit, Beschaffenheit, Zweck und W i r k u n g der Wiedergeburt. H A G M A J E R : Zwei Geistliche R e d e n , S . 4 3 : Kennzeichen der Wiedergeburt. 106 H E E R B R A N D : Predigt von der Trinität, S . 1 3 : Die Wiedergeburt ist eine geistliche Geburt, in deren Folge der Mensch weltlichen Lüsten, Saufen, Unzucht etc. zu entsagen hat. WAGNER: Epistel-Postille, S. 549: Der Wiedergeborene ist schuldig, sich vor Sünde, Schande und Laster zu hüten. 107 R E U C H L I N : Christentum, S. 150 ff. 108 Z u r Terminologie vgl. H A U S A M A N N : Leben aus Glauben, S. 273: Sie erkennt die von Johannes Wallmann geäußerte Krtik über den Begriff Reformorthodoxie an, gebraucht ihn jedoch weiterhin zur Bezeichnung jener Strömungen und Bestrebungen innerhalb der Orthodoxie und des Vorpietismus, die sich im besonderen u m die R e f o r m des christlichen Lebens und Zusammenlebens bemühten. Wallmanns Hinweis auf die fließenden Ubergänge von Orthodoxie und Pietismus will sie insofern R e c h n u n g tragen, als sie beide Phänomene gemeinsam untersucht. Vgl. J O H A N N E S W A L L M A N N : Pietismus und O r t h o 102

EßELING:

103

HANS-EMIL WEBER:

Wiedergeburt

91

mus die Konzeption der Wiedergeburt ins Z e n t r u m ihrer Konzeption gestellt: Denn die Wiedergeburt schließt Selbstpreisgabe in sich, dadurch daß sie aufs engste mit der Bekehrung verknüpft ist und es Bekehrung nicht geben kann ohne Buße..u>9 In diese Selbstpreisgabe war die Heilsgewißheit eingeschlossen. 1 1 0 Dadurch j e doch, daß diese Glaubensgewißheit der kritischen Selbstreflexion ausgesetzt war, führte sie den einzelnen, weil sie ihn erst mit d e m Gesetz als Wert u n d M a ß seines Verhaltens konfrontierte, in Anfechtung. Der wiedergeborene Mensch wurde an einem M a ß gemessen, dessen vollkommene Entsprechung ihm nicht möglich war. U n t e r diesem Aspekt m u ß es zu einer Intensivierung der Bußpredigt k o m men. Die Bußpredigt ist damit nicht nur ein Charakteristikum von R e f o r morthodoxie u n d Pietismus, wie dies Hausamann vertritt, sondern Kennzeichen der O r t h o d o x i e schlechthin. 1 1 1 Die aus der Lehre von der Wiedergeburt abgeleitete Selbstreflexion ignoriert de facto das simul iustus et peccator reformatorischer Theologie, weil sie den Aspekt des peccare akzentuiert. Sie fuhrt den einzelnen in A n f e c h t u n g u n d macht ihn glauben, durch das Abstellen der in der R e f l e x i o n erkannten Mängel u n d Fehler sich des Heiles erneut vergewissern zu können. 1 1 2 Die Folge ist ein täglich vom Christen geforderter Bußkampf. Dies allerdings ist nicht erst ein Kennzeichen von Reformorthodoxie u n d Pietismus. 1 1 3 Schon Heerbrand ruft seine H ö r e r zur Selbstreflexion auf: [...] daß ein jeglicher Mensch in sich selber gehe/ examinier vn[d] probiere sich selber/ wie er sein leben zugebracht habe/ [. ..j. 1 1 4 . Diese Buße findet im Gewissen des einzelnen statt. D e r grundsätzlich ambivalente Individualismus, der sich im B u ß k a m p f zeigt, führe, so Hausamann, faktisch zu einer A b w e n d u n g von der Welt. Die doxie. In: Geist u n d G e s c h i c h t e der R e f o r m a t i o n . Festgabe H a n n s R ü c k e r t z u m 65. G e burtstag (Arbeiten zur K i r c h e n g e s c h i c h t e , B d . 38). Berlin 1966, S. 4 1 8 - 4 4 2 . E r plädiert dafür, d e n B e g r i f f z u g u n s t e n der allgemeineren F o r m u l i e r u n g Reformbestrebungen der Orthodoxie a u f z u g e b e n . V g l . HANS LEUBE: D i e R e f o r m i d e e n der d e u t s c h e n l u t h e r i s c h e n K i r che zur Z e i t der O r t h o d o x i e . Leipzig 1924. 109 HAUSAMANN: L e b e n aus G l a u b e n , S. 278. 1,0 HAUSAMANN: L e b e n aus G l a u b e n , S. 288. 111 HAUSAMANN: L e b e n aus G l a u b e n , S. 278. LEUBE: O r t h o d o x i e u n d Pietismus, S. 73: Es ist oft behauptet worden, daß die Lehrpredigt die Predigt der Orthodoxie gewesen ist: Das ist nicht richtig. Vielmehr wurden im i7. Jahrhundert am meisten Bußpredigten gehalten, /.../. 112

SIGWART: P r e d i g t v o m

H a g e l , S. 2 7 . PREGITZER: B u ß p r e d i g t e n , S. 1 7 0 . WAGNER:

S c h w e r t - P r e d i g t , S. 2: A b w e n d e n v o n d e n b e g a n g e n e n S ü n d e n u n d E i n s c h w e n k e n auf d e n r e c h t e n Weg. WEISMANN: Feuersbrunst, S. 17. 113 Vgl. z u m f o l g e n d e n HAUSAMANN: L e b e n aus G l a u b e n , S. 281. Sie sieht im B u ß k a m p f e i n e n H i n w e i s darauf, daß der m i t H u m a n i s m u s u n d R e f o r m a t i o n b e g i n n e n d e I n dividualismus allgemein Früchte zu tragen beginnt. D i e Folge dieses n e u e n t s t e h e n d e n I n d i v i dualismus sei kein Defizit an gesellschaftlichem B e w u ß t s e i n gewesen, s o n d e r n die sozialen A n s t r e n g u n g e n des Pietismus. 114 HEERBRAND: B u ß p r e d i g t J o n a , S. 17. ANDREAE: P r e d i g t e n in L a u i n g e n , S. XXI V , X X I I P . PREGITZER: B u ß p r e d i g t e n , S. 226: Alle Tage ein E x a m e n der Seele u n d des G e wissens anstellen. REUCHLIN: C h r i s t e n t u m , S. 168: T ä g l i c h e K r e u z i g u n g des Fleisches.

92

Die Legitimation der lutherisch-orthodoxen Lehre

Folge der von ihr bereits in Reformorthodoxie und Pietismus diagnostizierten Weltabwendung — die die Welt als das Böse versteht, das eine stete Versuchung fiir den Wiedergeborenen darstellt - sei der Rückzug in die Innerlichkeit und die Entsagung der Welt. Dies sei die dem Glauben angemessene Lebensform. Trotz aller Reformbestrebungen in der lutherischen Orthodoxie und im Pietismus, einschließlich der pädagogischen und sozialen Ideen des Pietismus könne man, so Hausamann, kaum von mehr als von Ansätzen zu weltveränderndem Handeln reden. Den Theologen jener Epochen gehe es nämlich nicht um eine Veränderung der Welt und ihrer Verhältnisse, sondern einzig u n d allein d a r u m , die Menschen aus der bösen Welt herauszuretten möglichst christenwürdiges Dasein zu verschaffend15

und ihnen

ein

Aus der Lektüre der Tübinger Predigten läßt sich diese Perspektive nicht bestätigen. Die Prediger sahen die Abkehr von der Welt nicht als die einzig mögliche Reaktion angesichts deren Sündhaftigkeit an. Diese Sichtweise ist auch eine Frage des angelegten Maßstabes. Es stellt sich die Frage, ob hier das Weltverständnis der lutherischen Orthodoxie voll erfaßt ist, wenn argumentiert wird, alle Reformideen und alle sozialen und politischen Bemühungen seien letztlich über ein Anfangsstadium nicht hinausgekommen. Denn zum einen ist auch die lutherische Orthodoxie gekennzeichnet von sozialen und pädagogischen Bestrebungen, zum anderen stellt sich das Thema so der lutherischen Orthodoxie nicht. Der Christ soll wohl aus dieser Welt herausgerettet werden, jedoch so, daß er seinen Platz in einer ihm zugewiesenen Ordnung in dieser Welt in Verantwortung gegen Gott, seinen Mitmenschen und gegenüber sich selbst wahrnimmt. 1 1 6 Auch diese Auffassung kann als Kategorie einer Weltgestaltung gedacht werden. 1.4

Buße

Luthers erste These von 1517 fordert, daß das ganze Leben des Christen Buße sein solle.117 Buße wird damit zu einem die ganze Lebensführung kennzeichenden Begriff. Diese Grundthese Luthers wurde von den Theologen der lutherischen Orthodoxie beibehalten. Da der Mensch alle Tage sündigt, weil er nie ohne Sünde ist, solle er jeden Tag Buße tun. 118 Entsprechend sind die Prediger aufgefordert, Buße zu predigen. Versteht man Buße als die alles umfassende Ausrichtung des Lebens im Glauben, so kommt darin deutlich die eschatologische Dimension christliLeben aus Glauben, S. 286 Anm. 68. Predigten in Hagenau, S. 367: Ziele menschlichen Lebens: Leben nach dem Willen Gottes gestalten, Leben zum Nutzen des Nächsten, Leben zur eigenen Wohlfahrt. A N D R E A E : Predigten vom Wucher, S. 103. R A I T H : Leichenpredigt Biberstein, S. 6. WAGNER: Epistel-Postille 1, S. 263-277. 117 H A U S A M A N N : Buße, S . 9 4 - 1 3 5 . 118 P R E G I T Z E R : Bußpredigten, S . 6. 115

HAUSAMANN:

116

ANDREAE:

93

Buße

chen Lebens zum Ausdruck. Mit dem Gottlosen, der sagt, es muß einmal gestorben sein, kann man sich nicht halten, denn es steht noch ein anderes G e richt bevor, bei dem es nur eine Alternative gibt: Aut poenitendum aut ardendum — entweder muß man Büß thun/ oder man muß Ewig brennen, so übersetzt Pregitzer die gelehrte Kurzfassung. 119 Diese eschatologische Ausrichtung des Lebens räumte der B u ß e einen wichtigen Platz innerhalb der Ethik ein. An den Vorstellungen, die sich mit dem B e g r i f f der Buße verbinden, läßt sich exemplarisch das Verhältnis von T h e o r i e und Praxis in der Theologie der lutherischen Orthodoxie ablesen. Die Konfrontation der Prediger mit den Verhaltensweisen der Menschen im Alltag beeinflußt die theologische Reflexion. Grundsätzliche Frage dabei ist, ob B u ß e und Rechtfertigung aus der Verkündigung des Gesetzes oder des Evangeliums herzuleiten sind, d. h. ob B u ß e ihren Anfang nimmt mit der R e u e des über den Z o r n Gottes erschrockenen Gewissens, oder mit der R e u e jenes Gewissens, das von der Güte Gottes beeindruckt ist. 120 Andreae schreibt in seiner »Christlichen Anleitung«, zur Erkenntnis des sündigen Lebens komme es nicht durch Strafen oder Gefängnis, sondern allein durch die Predigt des göttlichen Wortes. 121 Eine Änderung des Lebens sei nicht durch Furcht vor Strafe zu erreichen. 1 2 2 Es dürfe aber, so Sigwart, auch keine pharaonitische B u ß e die Folge sein, die nur allein in werend Straff oder so lang der zugefii[e]gte Schad schmirtzt anhält. 123 Das Ziel müsse eine rechtschaffene Buße, die mit neuem Gehorsam verbunden ist, sein. Dieser Gehorsam ist nicht materialiter frei, sondern am Gesetz orientiert. Pregitzer fuhrt aus, Gott habe lange mit Gutthaten zur Büß beruffen, dies habe aber nichts bewirkt, die Menschen hätten die angebotenen Hilfen m i ß braucht. 1 2 4 Gott läßt deshalb nun seinen Zorn an allen Enden sehen, [ . . . ] / mit grosser Kriegsgefahr/ vnd solcher Beschwerlichen Theu[e]rung/ dergleichen bey Mansgedencken/ vnd in vil Jahren zuvor bey vns nicht erlebt oder erho[e]rt. Zu dem so ists die Letste Zeit/ vnd ist bo[e]ß vnd gefa[e]hrlich/ da der Teu[e]ffel/ wie man sagt/ Ledig/ vil Vnglu[e]cks vnnd darneben allerley Su[e]nd vnd Schand in der Welt/ vnd gleichwol der meiste theil nicht will Büß thun/ sonder injhren alten Su[e]nden/ Wegen

119

PREGITZER: B u ß p r e d i g t e n , S. 1 1 . V g l z u m

folgenden

INGE LONNING: A r t . B u ß e V I I .

Ethisch. I n : T R E 7 (1981), S. 4 8 7 - 4 9 2 , hier S. 487. 120

V g l . GUSTAV ADOLF BENRATH: A r t . B u ß e V. H i s t o r i s c h . I n : T R E

7 ( 1 9 8 1 ) , S. 4 5 2 -

473, hier S. 468. 121 ANDREAE: Christliche Anleitung, S. 273. 122 ANDREAE: Christliche Anleitung, S. 277: [...] wann durch die Bu[oJßpredig die knaupen der Sünden hinweck gehawen / vnd also der weg geebnet würt/ wo[e]llichs sonst durch die oberkeit mit Thum/ sto[e]cken vnnd plo[e]cken nicht mag außgerichtet werden/ in der Kirchen/ das ist auß dem Wort Gottes mu[o]ß man fiomb werden/ sonst würdt nichts darauß. 123 SIGWART: Predigt vom Hagel, S. 30 f. 124 Vgl. zum folgenden PREGITZER: Bußpredigten, S. 3 ff.; S. 10: Gott hat lange edlen Frieden und gute Obrigkeit gewährt; Schutz, Schirm und Beförderung der Gerechtigkeit.

94

Die Legitimation

der lutherisch-orthodoxen

Lehre

vnd Vntugenden bleibet/ daher nichts/ dann Zeitliches vnd Ewiges Vnheil vnnd Verderben/ zugewarten,125 Die von den Predigern geforderte B u ß e dürfe nicht mit der im weltlichen Bereich geübten B u ß e verwechselt werden, denn [...] da heist Buessen/ aufferlegte/ verfallene gellt oder Leibstraff ablegen.126 R e c h t e wahre B u ß e bestehe nicht in äußerlicher Disziplin, Zucht und Paedagogia; es sei nicht genug, in Sack und Asche zu gehen. 1 2 7 Pregitzer definiert im Anschluß daran, was die T h e o l o g e n der lutherischen Orthodoxie im Jahr 1 6 2 3 unter B u ß e verstehen. Sonder das ist vnd heisset Büß thun/ wann I. ein Mensch auß Erkantnuß/ rew vnd leid seiner Su[e]nd anfange von Hertzen zuerschrecken vor dem grimmigen Zorn Gottes vber seine Su[e]nd. 2.Jn solcher Forcht aber nicht verzagt/ sonder richtet sich aujf/ trawet der Gnaden Gottes/ die jhme durch das H. Evangelium von der gna[e]digen Vergebung der Su[e]nden/ von wegen deß Verdienst/ bittern Leidens/ sterbens vnd auffferstehen JEsu Christi/ angebotten wu[e]rdt. welches er mit wahrem Glauben ergreifft vnd jhme selbs applicirt/ nutz vnd zu eigen machet. 3. fanget darauff an auß schuldiger Danckbarkeit gegen Gott sein Leben zu bessern vnd fro[e]mmer zu werden/ thut rechtschaffene Frufejchten der Büß/ f.../.128 Rechtverstandene B u ß e besteht somit aus zwei Teilen. 1 2 9 Z u m einen aus der contritio, der Erkenntnis der Sünde aus Gottes Gesetz; sie bereut und b e weint das Getane, und »läßt es sich herzlich leid sein«. Z u m zweiten besteht B u ß e aus der ßdes, dem Glauben, daß man unter der Sünde nicht verzagen und sein Vertrauen in die göttliche Barmherzigkeit setzen dürfe. Das erste ist aus den zehn Geboten zu lernen, das zweite aus dem Evangelium. Aus beiden Teilen folgt die nova obedientia, der neue Gehorsam und die rechtschaffenen Früchte der Buße, [...] / welche sich hetfu[e]r thun durch ta[e]gliche Vbung deß lieben Gebetts/ vnd durch den Gebrauch der Hochwu[e]rdigen Sacramenten/ [...].]i0An den Früchten werde erkannt, ob die B u ß e rechtschaffen ist: Dann nicht mehr thun/ sagen die Teutschen/ ist die Beste Buß.l3X Nicht nur Bu[e]rgerliche Erbarkeit in Worten und Werken ist das geforderte Ziel der Buße, sondern zudem ein jnnerlicher Gehorsam deß Hertzen vnnd der Gedancken/ ein gantze Vollkom[m]e Reinigkeit der Natur.132 Alle von Gott verfügten Strafen haben die Menschen wohl verdient. Aber der Mensch kann durch rechtschaffene B u ß e dem göttlichen Strafen Einhalt gebieten: Vnd wann auch gleich die Straffe im Werck ist/ vnd Gott ganz vnbarmhert125

PREGITZER: B u ß p r e d i g t e n , S. 3 .

126

PREGITZER: B u ß p r e d i g t e n , S. 1 8 .

127

PREGITZER: B u ß p r e d i g t e n , S. 1 9 .

128

PREGITZER: B u ß p r e d i g t e n , S. 1 9 .

129

PREGITZER: B u ß p r e d i g t e n , S. 2 0 f.

130

PREGITZER: B u ß p r e d i g t e n , S. 2 1 .

131

PREGITZER: B u ß p r e d i g t e n , S. 2 1 .

132

PREGITZER: B u ß p r e d i g t e n , S. 2 4 .

Buße zig/ wie vns gedunckt/ auff vns zuschla[e]gt/ so wu[e]rdt doch durch die Büß der HERR verso[e]hnet/ vnd alles wider gut werden/ was man mit sufejndigen

95 GOtt ver-

derbt hat}33 Durch Buße kann alles Unglück, können gemeine Landstrafen und sonstige Plagen von Stadt und Land abgewendet werden. 1 3 4 U n d auch dann, wenn die Strafe nicht ganz genommen werden kann, [...]/ so kan doch dieselbige durch die Büß gelindert vnnd tra[e]glicher werden ,135

Jedoch darf bei aller Buße nicht vergessen werden, daß ein Aufsparen nicht möglich ist. Eine Argumentation, die besagt, es sei noch Zeit genug und die — ganz im Sinne der (allerdings verkürzt verstandenen) Lehre — darauf hinweist, daß Gott gnädig und barmherzig sei, wird strikt zurückgewiesen. Ein Aufspar e n d e r B u ß e bis z u m Sterbstu[e]ndlin

w i r d als thorecht vnd sehr gefa[e]hrlich

hin-

gestellt. 136 D e n n die verderbte Art des Menschen lasse sich nicht plötzlich ändern, wer heute die Buße aufschiebt, kann schon morgen schwerlicher dazu kommen. 1 3 7 Zugleich versäumt Pregitzer nicht darauf hinzuweisen, daß keine Sünde so groß sei, daß der Mensch — hat er sein Unrecht erkannt und glaubt an C h r i stus — nicht Vergebung erlangen könnte. 1 3 8 D e m bußfertigen Sünder ist Gott gnädig. Die Mittel aber, die dem Sünder an die Hand gegeben sind (Gesetz, Evangelium, Sakramente, Gebet) dürfen nicht aufgeschoben werden. Außerdem ist im Anschluß ein bestimmtes Verhalten erforderlich. Anhand des Dekaloges zeigt Pregitzer detailiert bisheriges menschliches Verhalten und geforderte göttliche N o r m auf. 139 Er macht deutlich, daß nach der Krankheit der Sünde nun Diät zu leben sei. 140 Dieses Leben ist durch folgendes Verhalten gekennzeichnet: dankbar zu sein, sich künftig vor Sünden zu hüten, sich der gegenteiligen Tugenden zu befleißigen, andere zur Buße zu bewegen, alles Kreuz geduldig zu ertragen. Andernfalls steht das abschließende Urteil schon fest. Sigwart weist daraufhin, daß das Endurteil desjenigen, der im Laster verharrt, schon promulgiert sei. Er ist vom Reich Gottes ausgeschlossen und zur Hölle verdammt. 1 4 1 Christoph Reuchlin definiert im Jahr 1705 Buße wie folgt: Das teutsche Wort Busse/ [...] hat nur seine Absicht auf die Straffe/ oder auf das Leiden/ so wegen der Su[e]nde aufgeleget wird/ und welche man damit abbu[e]ssen soll; und weiset nur auf etwas a[e]usserliches/ da doch wahre Bekehrung innerlich ist/ und in des Menschen

Bußpredigten, S. 1 7 0 . Bußpredigten, S . 1 7 2 . 13A PR E GI Tze R : Bußpredigten, S. 171. 136 p R E G ] T Z E R : Bußpredigten, S. 208. 137 P R E G I T Z E R : Bußpredigten, S. 211 und S. 213. 138 p R E G I T Z E R : Bußpredigten, S. 169V. 139 P R E G I T Z E R : Bußpredigten, S. 24-28. 140 P R E G I T Z E R : Bußpredigten, S. 179 ff. 141 S I G W A R T : Lasterpredigten, S . 1 6 8 V . 133

PREGITZER:

134

PREGITZER:

96

Die Legitimation

der lutherisch-orthodoxen

Lehre

Hertzen und Seele geschehen muß.™2 Es geht aber nicht nur darum, sich eines Besseren zu besinnen, w e n n man aus Unvorsichtigkeit und Übereilung gefehlet hat/ sondern es heisst vornemlich und eigentlich seinen Sinn und Gemu[e]t umkehren/ und gantz anders gesinnet werden/ als man zuvor gewesen ¡'st.143 Das erste Stück der B u ß e ist so R e u e u n d Leid über die durch das Gesetz erkannte Sünde, das zweite der Glaube an Christus. Der Anfang wird hier gemacht/ mit einem sehnlichen Verlangen und Seufftzen nach JEsu und seiner Gnade; der Fortgang geschickt im empfangen/ wann der Su[e]nder die in Christo JEsu [...] angebottene Gnade annimmt mit hertzlicher Begierde/ [...].144 Aus den zwei Teilen folgt notwendig der neue Gehorsam und ernstliche Besserung des Lebens.145 D o r t w o eine vollkommene Ä n d e r u n g u n d U m w a n d l u n g des Sinnes u n d des Herzens erfolgt ist, da k o m m t es auch zur Ä n d e r u n g des Lebens. U n d auch für R e u c h l i n ist christliches Leben mehr, als daß man sich öffentlicher Schand und Laster enthalte/ weil die Obrigkeit sie straffet/ und eine a[e]usserliche Erbarkeit in seinem Umgang mit andern in acht nehme/ damit man seine Ehre und Ansehen erhalte.146 Die bloße Erfüllung der bu[e]rgerlichen Tugenden macht christliches Leben nicht aus, d e n n wahre Buße geschieht nicht nur vor den Augen der Menschen. W i e Pregitzer, so b e tont auch Reuchlin, daß B u ß e nicht bis z u m Totenbett aufgespart werden könne, weil Schmerzen u n d Todesfurcht wahre B u ß e zumindest verhindern können: Wahre Busse ist zwar niemals zu spafejth/ aber spathe Busse ist selten eine wahre Busse. Es gehofejret mehr dazu als Furcht und Schrecken vor der Ho[e]llen/ als ein eintziger Seufftzer/ als ein erzwungenes Ja und Amen}"'1 D e r Sünder erlangt durch den Glauben die Gerechtigkeit, der Glaube aber [...] / wafejchst in der Angst wahrer hertzlicher Reue und Betru[e]bnis u[e]ber die Sufejnde/ und beweiset sich tha[e]tig durch die Wercke der Liebe und Gottseeligkeit.X4H Wer die Gerechtigkeit erlangen will, d e m rät R e u c h l i n in sehr persönlicher Ansprache: [...] so must du [...] von Grund der Seelen dich betru[e]ben/ daß du an deinem Heyland untreu worden/ dem Satan gedienet/ und deinen Erlo[e]ser/ so viel an dir ist/ aufs neuegecreutziget. Du must suchen/ seufftzen/ bitten/flehen um Gnade und Vergebung von wegen JEsu Christi/ und in solchem Büß und GlaubensKampff nicht ablassen.149 Vergleicht man diese Aussagen in den Predigten mit j e n e n der K o m p e n dien, so ist festzustellen: A u c h hier besteht die Buße, die jeweils einen eigenChristentum, S. 1 8 0 . Christentum, S. 1 8 0 . 144 R E U C H L I N : C h r i s t e n t u m , S. 182 f. 145 REUCHLIN: Christentum, S. 1 8 2 . 146 REUCHLIN: Christentum, S. 1 8 5 . 147 R E U C H L I N : C h r i s t e n t u m , S. 193. Vgl. R E U C H L I N : Leichenpredigt (Stud. theol.), S. 78 u n d S. 82: B u ß e tun u n d mit der Besserung nicht bis z u m Tod warten. D i e B u ß e erfolgt auch hier aus Angst vor Gottes Z o r n . 148 REUCHLIN: Christentum, S. 2 0 6 . 149 REUCHLIN: Christentum, S. 2 0 6 . 142

REUCHLIN:

143

REUCHLIN:

Buße

97

ständigen Locus bildet, aus den beiden Teilen contritio150 und fides.151 Heerbrand definiert B u ß e 1 5 7 3 wie folgt: Est salutaris hominis peccatoris ad Deum conuersio, qua agnitis peccatis dolens, fides in Christum se erigit, quam sequuntur bona opera, digna ijs, qui resipuerunt,152 Durch die Predigt des göttlichen Wortes in Gesetz und Evangelium bewirkt der Heilige Geist die Buße. Die bona opera seu noua obedientia sind kein Bestandteil der Buße: Proprie loquendo, non sunt pars, sed effectus. Aliud aute[m] est pars rei, quae requiritur ad co[n]stitutionem totius. Aliud effectus, sequiens rem constitutam. Bona opera, fructus sunt & effectus poenitentiae, non pars constituens poenitentiam,153 Fragt man nach der Wirkung, die die R e u e haben soll, so fuhrt Heerbrand aus, daß man die Verbrechen des vergangenen Lebens mißbilligen solle und den Vorsatz habe, das Leben und den Lebenswandel (mores) zu bessern, die Gelegenheiten zu sündigen künftig meide. 1 5 4 In seinem Kirchentestament erläutert Heerbrand darüber hinausgehend, daß Gott nicht nur durch das Gesetz zur B u ß e rufe, [...] / sonder auch durch mancherley Creutz/ Tru[e]bsal/ anfechtung vnd leiden/ das er dem Menschen aufflegt.l55 Gott bewirkt, so ist es Predigten und Kompendien zu entnehmen, die beiden Stücke der B u ß e — R e u e und Glaube — durch Gesetz und Evangelium. Soweit steht der kausale Ablauf im Einklang mit der reformatorischen Lehre. Wendet man aber den Blick auf das aktive ErgrifFensein des Menschen, so zeigt sich, daß, wie Baur an der Dogmatik Quenstedts (1715) gezeigt hat,

L3 ° HEERBRAND: C o m p e n d i u m T h e o l o g i a e ( 1 5 7 3 ) , S. 2 7 7 : Est serius & uerus dolor cordis, siue conscientiae, quae agnitis peccatis sentit Deum peccato irasci, & dolet de admißis peccatis. D i e R e u e entsteht Ex condone Legis, quae organu[m] est, per quod Deus reuelat peccatum, [...]. HAFENREFFER: L o c i T h e o l o g i c i ( 1 6 0 0 ) , S. 2 2 6 [ = 2 2 4 ] . JÄGER: C o m p e n d i u m theologiae, S. 2 5 2 : Duae ergo sunt partes Essentiales Poenitentiae, Contritio, & Dolor Divinus de admissis peccatis. Secundo, Conßdentia de spe veniae, ex VULNERIBUS & satisfactione Christi petita. Gemino vocabulo, Contritio & Fides. 131 HEERBRAND: C o m p e n d i u m T h e o l o g i a e ( 1 5 7 3 ) , S. 2 5 6 [ = 2 7 6 ] : Sineßde existere quidem potest contritio, sed non est salutaris. HAFENREFFER: L o c i T h e o l o g i c i ( 1 6 0 0 ) , S. 2 2 6 . 1 3 2 HEERBRAND: C o m p e n d i u m T h e o l o g i a e ( 1 5 7 3 ) , S. 2 5 5 [ = 2 7 5 ] , HEERBRAND: K i r c h e n t e s t a m e n t , S. 1 0 3 f.: R e c h t e wahre Erkenntnis, s c h m e r z l i c h e R e u e u n d Leid ü b e r die b e g a n g e n e n Sünden, sowie der G l a u b e an Christus sind die e i g e n t l i c h e n b e i d e n B e standteile der B u ß e . Ettliche setzen fu[e]r das dritt theil der Büß/ gute Wenk/ oder den neuen Gehorsam. Aber dise sind nicht eigentlich ein theil der Büß/ sonder wie es auch genennt wu[e]rdt/ Fru[e]chten derselbigen/ f . . J . W A G N E R : C o m p e n d i u m T. 1, S. 3 5 3 ff. JÄGER: C o m p e n d i u m T h e o l o g i a e , S. 2 5 1 . 1 5 3 HEERBRAND: C o m p e n d i u m T h e o l o g i a e ( 1 5 7 3 ) , S. 2 5 6 [ = 2 7 6 ] . HAFENREFFER: L o c i T h e o l o g i c i ( 1 6 0 0 ) , S. 2 2 6 . De bonis operibus. Sunt internae & externae actiones diuinitüs mandatae, comprehensaeq[ue] Decalogo: acßunt a renatisßde per Spiritum sanctum, ad gloriam Dei, & nostram debitam declarandam gratitudinem. JÄGER: C o m p e n d i u m T h e o l o g i a e , S. 2 6 9 : Effectus Sanctißcationis, si illa ut qualitas inhaerens spectetur, sunt BONA OPERA. 154 HEERBRAND: C o m p e n d i u m T h e o l o g i a e ( 1 5 7 3 ) , S. 2 7 9 : [...] damnare scelera praeteritae uitae, adijcere propositum peccandi: propositum emendandi uitam & mores, uitare occasiones peccatorum, ablatum restituere, & c. 135

HEERBRAND: K i r c h e n t e s t a m e n t , S.

106.

98

Die Legitimation der lutherisch-orthodoxen Lehre

Konstitution und Realisierung auseinandergebrochen werden in das Bild von Ermöglichung und Vollzug.156 E r m ö g l i c h u n g und Vollzug werden hier in zwei K a tegorien unterschieden, die sich wie Ursache und W i r k u n g zueinander verhalten. 1 5 7 Auch in den T ü b i n g e r Predigten ist die Tendenz vorherrschend, E r möglichung und Vollzug so zu unterscheiden, daß eine Verselbständigung des menschlichen Nachvollzuges gegenüber der göttlichen Grundlegung möglich wird. D i e menschliche R e u e kann so zur Voraussetzung werden, daß nicht m e h r sichergestellt werden kann, ob an der Stelle des die Buße vollziehenden Menschen zugleich der göttliche Grund selbst zur Darstellung gelangt.158 Ein H i n weis auf die Verselbständigung der menschlichen R e u e ist die sich allmählich verstärkende Aufforderung der Prediger zum Bußkampf. Aus der schon bei Luther geforderten täglichen B u ß e ist schon bald ein B u ß k a m p f geworden, in dem das Moment der Reue gegenüber dem Moment des Glaubens [sich] derartig verselbständigt, daß Selbstkritik und Weltentsagung der in der eigentlichen Bekehrung zuteil werdenden Heilszusage logisch und zeitlich vorhergehen müssen.159 Zwar ist damit eine Intensivierung der B u ß e erreicht worden und so ein Desiderat reformatorischer Lehre eingelöst worden, aber a u f Kosten einer Partikularisierung der wesentlichen Einheit der B u ß e . Sie ist durch eine Eingrenzung a u f das M o m e n t der R e u e erkauft worden. E i n e Vergesetzlic h u n g ist die notwendige Folge dieser R e d u k t i o n . B u ß e wird — einmal a u f den Sachverhalt der R e u e reduziert — zu einer Leistung, die der M e n s c h von sich aus zu vollbringen hat. Besserung erscheint nun als Interpretament der B u ß e . N a c h der Einfuhrung eines Leistungszusammenhanges hat sich B u ß e in der ethischen B e w ä h r u n g zu bewahrheiten. Diese R e d u z i e r u n g der B u ß e beginnt bald in der lutherischen O r t h o d o x i e und verstärkt sich bei j e n e n Predigern, die dem U m f e l d des Pietismus zugerechnet werden. In den ethischen Teilen der Predigten ist B u ß e schon in der lutherischen O r t h o d o x i e a u f R e u e und das Streben nach Besserung enggeführt worden, auch wenn in den K o m p e n d i e n und dogmatischen Teilen der Predigten weiterhin an der positiven E i n h e i t von B u ß e und Glaube festgehalten wurde. Z u r angestrebten Besserung des Lebens, die sich bis in die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts am Gesetz, das i m m e r exklusiver gehandhabt wurde, zu o r i entieren hatte, kam dann ein zweites M o m e n t hinzu. N a c h einer Phase des Ubergangs kam es dann zu einer verstärkten Hinwendung zum exemplarisch verstandenen L e b e n Jesu. D i e Tendenz zeigte weg von der abstrakteren N o r mativität des Gesetzes hin zum perönlichen Vorbild. D a m i t verbunden war die

136

BAUR: Die Vernunft zwischen Ontologie und Evangelium, S. 147.

157

Vgl. zum folgenden FALK WAGNER: Art. Buße VI. Dogmatisch. In: T R E 7 (1981),

S. 473-487. 158

159

WAGNER: Art. B u ß e V I , S. 4 7 5 . WAGNER: Art. Buße VI, S. 475, vgl. auch zum folgenden ebd., S. 475 f.

Buße

Betonung eines psychologisierenden Moments, durch persönliche Christus aufs neue ans Kreuz gebracht zu haben.

99 Schuld

Ist das Verhältnis von B u ß e und Glaube durch das Schema von Ursache und Wirkung zu erläutern, dann entbehrt das Bewußtsein der Buße des Ortes, von dem aus Reue und Besserung allererst als solche qualifiziert werden können,160 Ist B u ß e nicht mehr auf den Glauben bezogen als j e n e n Ort, an dem der Mensch zu Gott in ein neues Verhältnis gesetzt wird, müssen alle Aufforderungen zur B u ß e in moralisierende Appelle münden. Kann doch B u ß e dann nicht mehr als Bruch mit der Sünde verstanden werden, wenn ihn der Mensch selbst vollziehen kann. 1 6 1 Das hat eine verstärkte Hinwendung zur Predigt des Gesetzes zur Folge, mit der die Prediger das verlorenzugehende Schuldbewußtsein in Erinnerung zu rufen glauben. 1 6 2 Die Entwicklung fuhrt so spiralenartig i m mer tiefer zur einseitigen Betonung des Gesetzes, was letztendlich in einer Aporie enden mußte. Interessant im Gesamtzusammenhang dieser Studie ist ein Ausblick ins 19. Jahrhundert. Hier legt Alois Emanuel Biedermann in seiner erstmals 1 8 6 9 erschienenen Christliche[n] Dogmatik dar, daß die Heilszusage von der vorausgehenden Bußleistung abhängig zu machen ist: Die wahre Busse besteht 1) im eigenen Willen, zu leiden was nach Gottes sittlicher Weltordnung die Sünde verdient hat, und 2) im eigenen Willen, gutmachen was durch die Sünde verletzt ist [...] Damit setzt sich das Ich in subjective Uebereinstimmung mit dem die Sünde an ihm richtenden göttlichen Willen und erfüllt so die erste Bedingung für die Erlangung der objectiv göttlichen Vergebung.163 Der neue Zusammenhang, der sich in den ethischen Teilen der Predigten schon in der lutherischen Orthodoxie ankündigte, findet im 19. Jahrhundert seinen Niederschlag auch in den dogmatischen Werken.

160

WAGNER: A r t . B u ß e V I , S. 4 7 7 .

ANDREAE: Predigt vom Lauf der Planeten, S. 26: W i e Andreae zeigt, kann sich z. B. im Alter angesichts der ruinierten Gesundheit R e u e über den Alkoholmißbrauch einstellen; dies geschieht jedoch nicht aus religiöser Motivation heraus. 1 6 2 REUCHLIN: Christentum, S. 168: So wir sagen/ wir haben keine Su[e]nde/ so betru[e]gen wir uns selbst/ und die Warheit ist nicht in uns. Und bedo[e]rffen deßwegen auch der Busse/ nemlich der ta[e]glichen Busse/ welche darinn bestehet/daß/ wie unser seel. Lutherus in seinem Catechismo sagt: der alte Adam durch ta[e]gliche Reu und Busse soll ersa[ejuffet werden/ und sterben mit allen Su[e]nden und bo[e]sen Lu[e]sten/ [...] Ist nicht anders als die Ta[e]gliche Creutzigung des Fleisches/ [...]. 163 A L O I S E M A N U E L B I E D E R M A N N : Christliche Dogmatik. Zürich 1 8 6 9 , S . 7 1 4 , § § 8 8 1 und 882 in Auswahl, vgl. weiterführend: Die wahre Busse [...], die bei der Anerkennung der unbedingten Schuldigkeit, gutzumachen, sich bewusst ist persönlich nur nach immer endlicher Möglichkeit gutmachen zu können, anerkennt desswegen von vorherein die objective Aufliebung der verdienten Strafe als göttliche Gnade über das eigene Verdienen hinaus (Hervorhebungen, auch im Textteil S. H.). 161

100 1.5

Die Legitimation der lutherisch-orthodoxen Lehre Sünde

E i n e wichtige G r ö ß e in der T h e o l o g i e der lutherischen O r t h o d o x i e stellt der B e g r i f f der Sünde dar. W i r d B u ß e verstanden als Absage an die Sünde, so sind die Begriffe B u ß e und Sünde inhaltlich eng miteinander verbunden. J e d e Veränderung i m Verständnis der Sünde hat dann Konsequenzen für das B u ß verständnis. 1 6 4 D i e Prediger definieren Sünde vor allem nach dem Maßstab des göttlichen Gesetzes: wir seynd von deinen Gebotten vnd Rechten gewichen.165 Oder, wie Sigwart ausführlicher Sünde als Verachtung Gottes und seines Wortes bestimmt, die mit Sicherheit im Leben, Unbarmherzigkeit gegenüber dem Nächsten, aber auch Geiz, Fressen, Saufen, also dem Überfluß und M i ß b r a u c h aller G a b e n Gottes einhergeht, zu der aber auch finanzieller Betrug, Fluchen und S c h w ö r e n gezählt werden. 1 6 6 Aber die B e f o l g u n g der im Dekalog genannten G e b o t e allein ist nicht ausreichend. D e n n sollte einer alle dort genannten G e b o t e halten und wäre zum Beispiel mit Vngerechtigkeit gegen den Nechsten beladen/ vnd wolte nicht davon ablassen / so mu[e]ste er vmb diser einigen Su[e]nde willen deß Reichs Gottes Ewig beraubt sein vnnd bleiben/ [...].167 D i e aus dem Gesetz und dem Gewissen herrührende Erkenntnis ein Sünder zu sein, also die G e b o t e Gottes übertreten zu haben, führt nicht notwendig zur erforderlichen R e u e , viele stürzen sich in Ausflüchte und Entschuldigungen, die häufig aber nur eine »heuchlerische R e u e « zur Folge haben, die sich in f r o m m e n W o r t e n und Verheißungen ergeht, aber entsprechende Werke vermissen läßt. 1 6 8 Ein Sünder ist ein M e n s c h , der von seinem Ziel und Z w e c k , der ewigen Seligkeit, zu der er erschaffen wurde, abgewichen ist. Sünde ist eine Ü b e r t r e t u n g da man aus dem rechten Weg hinaus gehet/ der zum Leben fu[e]hret/ und hingegen auf den krummen Wegen wandelt/ deren End das Verdammnis ist. Es heisset deßwegen die Su[e]nde [...] eine Übertrettung des Gesetzes/ welche den Fluch nach sich ziehet/ [. . J . 1 6 9 D i e M e n s c h e n w u ß t e n u m den W i l l e n Gottes, haben ihn aber nicht getan: Wie lange hastu vns durch deine Gesetz von Su[e]nden abzustehen vermahnet/ vnd die erfolgte schwere Straffen/ mit grossem Ernst gedra[e]wet.™ Untersucht man den Predigtkontext der Thematisierung der Sünde, so stellt man fest, daß sie häufig im K o n t e x t der Erbsünde behandelt wird. D i e T h e o l o g e n der lutherischen O r t h o d o x i e stellen die Sünden des M e n s c h e n , also die wirklichen, täglichen Sünden in engen Z u s a m m e n h a n g mit der Lehre von der Erbsünde. 1 7 1 Sie tun dies v o l l k o m m e n in Übereinstimmung mit der 164

165

LONNING: A r t . B u ß e V I I , S. 4 9 0 . WAGNER: Esslinger Freudenfest-Predigt, S. 3 3 .

166

SIGWART: Predigt v o m Hagel, S. 3 1 .

167

SIGWART: L a s t e r p r e d i g t e n , S. 8 R .

168

PREGITZER: B u ß p r e d i g t e n , S. 3 2 f.

169

REUGHLIN: C h r i s t e n t u m , S. 1 6 9 .

170

WAGNER: Esslinger Freudenfest-Predigt, S. 3 8 . HEERBRAND: Predigt von der Trinität, S. 17. SIGWART: Predigten v o m Vaterunser,

171

101

Sünde

systematisch-theologischen Lehre. Hier wird im Verständnis der Sünde unters c h i e d e n z w i s c h e n peccatum actualism

u n d peccatum originalis}13

Die Erbsünde

bezeichnet den Zustand, in dem die einzelnen Tatsünden wurzeln. 174 Heerbrand gebraucht in seinem Kompendium das Bild von dem Baum und seinen F r ü c h t e n : Originale

est instar arboris & radicis, ex quam rami, & fructus

uiciosi

enascentur, peccata uidelicet Actuali [. ..j. 175 Die Erbsünde soll durch die Tatsünden nicht noch vergrößert werden. 176 Sünde erscheint hier zuerst nicht als ein mangelndes ethisches Verhalten, sondern als Zerstörung des personalen Verhältnisses zwischen Gott und Mensch. 177 In dieser religiösen Dimension heißt Sünde zunächst, sich von Gott abzuwenden, was den Menschen dem göttlichen Z o r n unterstellt und den ewigen Tod und die fortwährende Verdammnis zur Folge hat. Aus dieser Abwendung resultieren dann die Tatsünden, weil der S. 158. SICWART: Predigten über 1 Kor 15, S. 121 v , S. 163". PREGITZER: Bußpredigten, S . 5 1 ff. W A G N E R : E p i s t e l - P o s t i l l e

1, S. 5 5 0 .

REUCHLIN:

Christentum,

S. 2 8 3 .

HÄBERLIN:

Epistel-Postille 2, S. 212b, S. 274a. ANDREAE: Erbsünde, S. 101: Definition nach Luther: Su[e]nde heisset in der Schrifft/ nicht allein das eusserlich werck/ am leibe/ Sondern alle das gescha[ejjft/ das sich mit reget vnnd weget/ zu dem eusserlichen werck/ nemlich deß hertzen grund mit allen kra[e]fften. Ebd., S. 105: Unterscheidung zwischen Sünde und sündigem M e n schen. 1 7 2 Zur grundsätzlichen Unterscheidung vgl. HEERBRAND: Compendium Theologiae (1573), S. 119. In den Dogmatiken wird Sünde wie folgt definiert: HEERBRAND: C o m pendium Theologiae (1573), S. 118: Peccatum est defectus, uel inclinatio, uel actio pugnans cum lege Dei offendens Deum, damnat ab ipso,faciens reos irae Dei, & poenarum temporalium ac aeternarum, nisi facta sit remißio propter ßlium Dei Mediatorem fide apprehensum. Vgl. HEERBRAND: Compendium Theologiae (1573), S. 131: Peccata Actualia sunt uitiosae & corruptae naturae fructus: uidelicet omnis affectus, cogitatus, omne dictum & factum contra legem Dei. HAFENREFFER: Loci Theologici (1600), S. 90: Peccatum est concreatae integritatis defectus, quo homo ä bono in malum auersus, idemq[ue] operans, reus est irae Dei & aeterna damnationis, nisi per Christum fide apprehensum fiat remissio. 1 7 3 HEERBRAND: Compendium Theologiae (1573), S. 120: Quia nonfit ä nobis, sed originem trahit ä parentibus, ex quibus innascitur: & sie in omnes nascentes iure haereditario propagatur [...] Peccatum originis est carentia iustitiae originalis concreatae [...] Quae mala omnia in hominis hinc per sueeeßione[m] a primis parentibus sunt sub ira Dei, rei mortis aeterna, & damnationis perpetuae, nisi fiat remißio propter Christum.Vgl. HAFENREFFER: Loci Theologici (1600), S. 91. 1 7 4 Vgl. HAFENREFFER: Loci Theologici (1600), S. 94: Omnis affectus, cogitatus, dictum aut factum contra legem Dei: Ex originali vitio, tanquam fructus ex sua arbore proueniens. 1 7 3 HEERBRAND: Compendium Theologiae (1573), S. 130. 1 7 6 SIGWART: Predigten über 1 Kor 15, S. 121. SIGWART: Predigt vom Vaterunser, S. 158: Tägliche Sünden. 177 SIGWART: Predigten vom Vaterunser, S. 157: Dann es hat Gott dem Menschen anfangs gleichsam contrahirt/ als er jhm Leib vnd Seel gegeben/ Nahrung vnd Vnderhaltung versprochen/ vnd noch weiter zugesagt hat/ daß er sein Vatter/ er sein Kind sein/ vnd endtlich das ewig Leben auß Gnaden empfahen soll. Entgegen soll der Mensch schuldig vnnd verbunden sein/ jhne fu[e]r seinen Scho[e]pffer/ HErrn vnd Vatter zu erkennen/ zu ehren vnd zu preisen, zu welchem Ende Gott [...] jhne zu seinem Ebenbild erschaffen/ vnd sein Gesetz/ als ein vnwandelbaregewisse Regul seiner Gerechtigkeit in desselben Hertz eingeschriben/ welche jhme solle anzeigen/ was vnnd wie er alles thun/ auch in was volkommenheit solches geschehen soll. Vnnd das ist gleichsam des Menschen Caution oder Quittung gewesen/ [...].

102

Die Legitimation

der lutherisch-orthodoxen

Lehre

Mensch die Gebote Gottes nicht erfüllen kann. 178 Diese Sünden zerstören die göttliche Ordnung und ziehen deshalb Strafe und Zorn Gottes nach sich. 179 Unheil, Katastrophen, Kriege, Leid und Übel in der Welt sind Strafe Gottes für menschliches Fehlverhalten. 180 Wird Sünde mehr und mehr mit ethischen Fehlverhalten erläutert, gerät sie in die Verfügungsgewalt des Menschen. Denn ist Sünde vornehmlich Fehlverhalten des Menschen, der eben nicht die im Gesetz vorgegebenen N o r m e n und Werte beachtet, dann kann dieses abgestellt, aus menschlicher Einsicht und menschlicher Möglichkeit heraus aus der Welt geschafft werden. Das Gesetz wird dabei zur Orientierung gebenden Leistungs- bzw. Unterlassungsnorm. Auf der anderen Seite kommt hinzu, daß vieles, was zuvor als Sünde gekennzeichnet worden war, beim Volk nicht mehr als solche anerkannt, ja ihr Tun nun sogar als bewundernswert hervorgeheben wurde. Sigwart gibt in einer seiner Lasterpredigten die Meinung des Volkes wieder, das Trunksucht nicht mehr für Sünde halte, sondern mittlerweile den übermäßigen Alkoholgenuß als Ehre verstehe. 181 Der Prediger betont an dieser Stelle, daß der Alkoholmißbrauch einen Widerspruch zu Gott als dem Schöpfer darstelle, also Gott und der Natur zuwiderlaufe, und damit Gott und Mensch von einander trenne. Auch Häberlin beschäftigt sich in seinen Epistel-Predigten mit Sünden, die zwar im Schwange sind, aber häufig nicht mehr als solche erkannt werden. 182 Der Begriff der Sünde unterliegt in den untersuchten Predigten zwei Entwicklungenstendenzen, die sich gegenseitig verstärken. Z u m einen verzichten die Prediger immer häufiger auf eine Argumentation im Kontext der Erbsünde, zum andern wird Sünde mehr und mehr mit ethischem Fehlverhalten gleichgesetzt. Die Prediger mußten, wollten sie den Ablösungstendenzen ent-

178

HEERBRAND: K i r c h e n t e s t a m e n t , S. 4 0 .

179

WAGNER: Evangelien-Postille 1, S. 378: Z u strafen ist alles, was w i d e r das Gesetz G o t t e s läuft, die S ü n d e , Welche das Vnrecht ist. WAGNER: Evangelien-Postille 1, S. 379. [ . . . ] wann Gott entschlossen/ einem Land oder Volck den Kehrab zumachen/ [...] / kom[m]e er gemeiniglich vorher mit Particular-Straffen/ statuirt bald da/ bald dort Exempel seines Zorns/ darauß man doch solt mercken/ vmb welche zeit es sey; mit wahere Büß dem ga[e]ntzlichen Vntergang vnd Verderben vorzubiegen/ vnd es so weit bey dem erzu[e]rneten Gott nicht kommen zulassen/ [...]. 180 Vgl. S ü n d e als Fehlverhalten: HAFENREFFER: F r i e d e n s b o t , S. 4: F l u c h e n , S c h w ö r e n , Fressen, Saufen. OSIANDER, L.: P r e d i g t in R e n n i n g e n , S. 25 f.: U n z u c h t , Diebstahl, E h e b r u c h . SIGWART: Lasterpredigten, passim: D i e S c h w e r e der S ü n d e erläutert Sigwart an H u rerei, A b g ö t t e r e i , E h e b r u c h , Diebstahl, Geiz, T r u n k e n h e i t , Gotteslästerung, Lästerung, R a u b . WAGNER: Esslinger T r a u e r p r e d i g t e n , S. 136—138: Gottlosigkeit, U n g e r e c h t i g k e i t , H o f f a r t , Wollust, U n z u c h t , Geiz, H a ß , N e i d , T r u n k e n h e i t , Ehrgeiz. SIGWART: P r e d i g t v o m E r d b e b e n , S. 18™. HAAG: P r e d i g t u n d Gesellschaft, S. 2 4 5 - 2 4 8 . 181

182

SIGWART: L a s t e r p r e d i g t e n , S. 1 0 5 r fF.

HÄBERLIN: Epistel-Postille 2, S. 3 2 8 a u n d S. 2 1 1 b ff. WAGNER: C a s u a l p r e d i g t e n ( R e g i m e n t s p r e d i g t ) , S. 6 0 8 [= 598]: S ü n d e ist e b e n kein Gespött, w i e die L i b e r t i n e r sagen, s o n d e r n das V e r d e r b e n der Leute.

Sünde

103

gegenwirken, an der im Rechtfertigungsglauben vorausgesetzten Mentalität festhalten. Unabdingbare Voraussetzung dazu ist, wie oben gezeigt wurde, ein entsprechendes Sündenbewußtsein. Wurden Sünden nicht mehr als Vergehen verstanden, ja wurde versucht, Sünden in Tugenden zu verkehren 183 , dann konnten die Prediger nicht umhin, dieses Schuldbewußtsein erst zu provozieren — unter Rekurrierung auf das Gesetz. Nur durch die Predigt des Gesetzes glaubten sie dieses Schuldbewußtsein wahren zu können. Schon Heerbrand hat dies in seinem Kirchentestament entsprechend drastisch formuliert: Von wegen der Su[e]nden zu[e]rnt Gott der Herr mit dem Mensche[n]/ vnd dra[e]wet jhm seinen zorn/ auch zeitliche vnd ewige Straff/ Verderben/ vnd endtlich ewige Verdammnus. Daher dann folget schrecken/ zittern/ zagen/ wann Gott der HErr mit seinem eisinen Ham[m]er des Gesetzes/ die steinerne/felsine/ Hertzen zerschmettert/ daß sie nicht allein jhre Su[e]nd/ wann sie auffwachen/ vn[d] lebendig werden/ schmertzlich erkennen/ berhewen/ sonder jnen so angst vn[d] bang wu[e]rdt/ daß sie nicht wissen wa hinauß,184

Mit Hilfe ihrer Gesetzespredigten gaben die Prediger aber auch konkrete Anleitungen für das geforderte, gesetzeskonforme Verhalten. Sie brandmarkten nicht nur ein bestimmtes Verhalten als Sünde, sondern boten — vor allem am Alten Testament illustrierte — positive Lebenshilfe. Sie setzten den Lastern postive Tugenden gegenüber. 185 Die große Anzahl der genuinen Bußpredigten und jener Predigten, die die Bußthematik implizit ansprachen, belegt den Versuch der Prediger, den M e n schen auf sein Sündersein zu fixieren. Wird Buße dazuhin allmählich auf Reue eingeschränkt, erreichen die Prediger wenig mehr als eine Verstärkung des Teufelskreises von vagem Schuldbewußtsein Rechtfertigung.186

und selbstgerechtem Glauben an die eigene

In der dritten Phase des hier zu untersuchenden Zeitraumes, besonders in den Jahren nach 1700, ist eine weitere Entwicklung im Zusammenhang zwischen Sünde und Buße auffällig. Die in den Predigten erteilten Anweisungen, wie ein sündloses Leben zu fuhren sei, werden zunehmend allgemeiner gehalten. A . A. H o c h s t e t t e r e m p f i e h l t ein Wandeln auf dem engen Pfad des 183

REUCHLIN: C h r i s t e n t u m , S. 2 7 .

184

HEERBRAND: K i r c h e n t e s t a m e n t , S. 1 0 5 .

185

Lebens.187

OSIANDER, A: B e i c h t b ü c h l e i n , S. 5 9 - 9 0 . D o r t f i n d e t sich eine A u f l i s t u n g der G e gensatzpaare, die j e m i t e i n e m alttestamentlichen u n d n e u t e s t a m e n t l i c h e n Z i t a t belegt w e r d e n . E i n e k u r z e U b e r s i c h t f i n d e t sich i m A n h a n g zu dieser Studie. 186 PANNENBERG: C h r i s t l i c h e Spiritualität, S. 20. 187 HOCHSTETTER, A. A.: L e i c h e n p r e d i g t R e u c h l i n , S. 17: Diß Leben ist ein Wandel und Wahlfart. Hie gilts wallen und wandten. Aber auff den engen Pfad deß Lebens. Auff richtiger Strasse. Ohne falsch und heucheley. Weder zur rechten/ noch zur lincken/ daß wir weder auff falsche Lehre/ noch gottloses oder sicheres Leben kommen. Auch mit dem Na[e]chsten es auffrichtig meynen; und in unserm Beruff das thun/ was uns anbefohlen ist: was aber unsers Amtes nicht ist/ den du [ejnckel fahren lassen [...] Siefu[e]hren ein aufrichtiges Leben/ beydegegen GOtt und den Menschen/ und befleißigen sich allenthalben zuhaben ein gut Gewissen.

104

Die Legitimation der lutherisch-orthodoxen Lehre

Darunter faßt er zusammen, man solle keiner falschen Lehre anhängen, kein gottloses und sicheres Leben fuhren, einen aufrichtigen Umgang mit dem Nächsten pflegen und im B e r u f das Anbefohlene tun. In einer 1705 veröffentlichten Rektorpredigt sagt Reuchlin, die Gottesfurcht lehre den angemessenen Lebenswandel, zu dem keine rein äußerliche Ehrbarkeit ebenso gehöre wie das Streben, Gott erkennen zu lernen und der feste Vorsatz, im Herrn zu wandeln. 1 8 8 Weismann sagt in seiner Predigt über eine Feuersbrunst, die Hörer könnten mit Gott wieder ausgesöhnt werden durch eine allgemeine und redliche B u ß e . 1 8 9 E r fordert seine Gemeinde weiter auf, Täter, nicht allein Hörer des Wortes zu sein und fuhrt als R e g e l n der Besserung an: Wann wir selber nicht mehr thun, was wir an andern bestraffen und mißbilligen: Wann wir auch nur zuerst in dem geringen getreu seyn, daß uns GOtt ein mehreres von Gnade und Erka[e]nntniß schencken mo[e]ge.K0 J e mehr die Predigten moralische Forderungen in vager Allgemeinheit formulieren, die nicht mehr erkennbar mit konkreten individuellen Lebens- und Alltagsbezügen zu tun haben, desto eher bieten sich Ansatzpunkte, an denen sich Resignation ausbreiten kann. 1 9 1 Aus diesem vagen Schuldbewußtsein heraus werden die Menschen von sich selbsten [verführt]/ daß sie immer in ihren Su[e]nden fortfahren/ auff Gnade su/ejndigen/ und meinen es seye einmahl nur darumb zu thun/ daß sie mit dem Zo[e]llner sagen: GOtt sey mir gna[e]dig/ so werde ihnen die Himmelsthu[e]r angelweit offen stehen.192 Die Festlegung des Menschen aufsein Sündersein ist die Konsequenz daraus, die Rechtfertigung a l l e i n aus der Perspektive einer forensischen Interpretation zu betrachten. Hier wird der Mensch gezwungen, sich von seiner sündhaften, verdorbenen Natur weg der Gerechtigkeit Christi zuzuwenden. Durch die Gesetzespredigt soll im Menschen die Erfahrung der R e u e über die eigene Sündhaftigkeit wachgehalten werden, da sie die Voraussetzung des Rechtfertigungsglaubens bildet. Das Insistieren der Prediger auf der Sündhaftigkeit des Menschen hat aber weitere Konsequenzen. Die Prediger fuhren dem Menschen seine Sündhaftigkeit sehr konkret vor Augen, wie die Lasterpredigten zeigen. Ist Sünde aber Laster, kann sie vom Menschen durch entsprechendes Verhalten abgestellt werden. Was lag dem Hörer der Predigten näher, als in der Einhaltung der im G e setz geforderten N o r m e n den eigenen, machbaren Weg zum Heil zu sehen. Im Gesetz sind Strafe und Lohn untrennbar miteinander verbunden. Wer sein Leben am Gesetz orientiert, lebt nicht nur in der steten Furcht vor Strafe,

188

REUCHLIN: R e k t o r - P r e d i g t , S. 2 2 .

189

WEISMANN: F e u e r s b r u n s t , S. 1 7 . V g l . PREGITZER: B u ß p r e d i g t e n , S. 1 7 0 .

190 W A G N E R : Zwei Sonderbahre Predigten, S. 18: Orientierung am Gesetz. Feuersbrunst, S. 20. 191 P A N N E N B E R G : Christliche Spiritualität, S . 2 0 .

192

REUCHLIN: C h r i s t e n t u m , S. 4 .

WEISMANN:

Das Verhältnis von Gnade und guten Werken

105

sondern auch in der Hoffnung a u f B e l o h n u n g . 1 9 3 J e d e M i n d e r u n g des D a seins, sei es durch Krankheit, N o t , Krieg, U n g l ü c k etc. ist dann a u f Schuld zurückzuführen und als Strafe Gottes zu verstehen. D. h. aber auch, daß G o t t , für j e d e n am Erfolg in Familie, B e r u f und Gesellschaft ablesbar, die F r o m m e n in ihrem Tun und Ergehen belohnt, ebenso wie er die Frevler bestraft. D i e Prediger standen vor der theologisch g e b o t e n e n Aufgabe, diesen angefangenen W e g in Heuchelei und Selbstgerechtigkeit zu verhindern. Vielleicht meinten die Prediger als sie in der letzten Phase des U n t e r s u chungszeitraumes auf illustrierende Beispiele und konkrete Anleitung zur L e bensgestaltung m e h r und m e h r verzichteten, einer E n t w i c k l u n g hin zur Selbstgerechtigkeit entgegenwirken zu können. Sie taten dies aber a u f Kosten eines n u n m e h r nur vagen Schuldbewußtseins, nicht durch R ü c k g r i f f a u f die reformatorische Befreiung der M e n s c h e n von den Ängsten und Anfechtungen des Bewußtseins der Sünde und der U n g e w i ß h e i t über die eigene Leistung. U n d davon einmal abgesehen, büßten ihre Predigten vieles ihrer lebensgestaltenden Effizienz ein.

1.6 Das Verhältnis

von Gnade

und guten

Werken

D i e dargelegte E n t w i c k l u n g blieb den Predigern nicht verborgen. G u t h e i ßen konnten sie die E n t w i c k l u n g nicht, bedeutete doch j e d e r Schritt in diese R i c h t u n g eine Preisgabe der reformatorischen Neubesinnung. A u f systematisch-theologischer E b e n e war in der lutherischen O r t h o d o x i e das Verhältnis von Gesetz und Evangelium eindeutig bestimmt. Schwierigkeiten bereitete die U m s e t z u n g in die Praxis. S c h o n den R e f o r m a t o r e n war von altgläubiger Seite entgegengehalten worden, sie würden die guten Werke mißachten. Ein Vorwurf, den n o c h Wagner im Jahr 1 6 5 0 zurückweist.' 9 4 E r erläutert im gleic h e n K o n t e x t an anderer Stelle, daß gute Werke als solche notwendig zum Christentum hinzugehören, aber zur Seligkeit nicht erforderlich sind. 1 9 5 Diese Aussage steht vollkommen in Einklang mit der theologischen Lehre. D i e P r e diger lehrten, R e c h t f e r t i g u n g sei nie abgeschlossen, auch unter den gerechtfertigten Christen gebe es keinen, der alles das tun könnte, was i h m i m D e k a log zu tun auferlegt ist. 1 9 6 Seligkeit erwerbe der M e n s c h , wenn er recht Glauben und L e b e n lerne und wenn er nicht auf gute Werke baue, was allerdings nicht mit M ü ß i g g a n g verwechselt werden dürfe. E i n Aufsparen der B u ß e ist allerdings nicht m ö g l i c h . 1 9 7

193

ELERT: Z w i s c h e n Gnade und Ungnade, S. 157.

194

WAGNER: Evangelien-Postille

1,3

WAGNER:

Evangelien-Postille

1, S. 3,

913. S. 4 4 2 .

WAGNER:

S. 17 f. 196

SIGWART:Vom A m t d e r K i r c h e n d i e n e r , S. 2 8 .

197

HAFENREFFER: P r i m i novissimi, S. 2 5 - 3 0 .

Leichenpredigt

Helfferich,

106

Die Legitimation der lutherisch-orthodoxen Lehre

D e m j e n i g e n aber, der die g e f o r d e r t e n g u t e n W e r k e o f f e n k u n d i g nicht tat, drohte als letzte Instanz, vor der die Werke, die getanen w i e die unterlassenen, zu v e r a n t w o r t e n waren, das göttliche G e r i c h t , in d e m eine irreversible u n d endgültige E n t s c h e i d u n g gefällt wird. E i n e — falschverstandene — A r g u m e n t a tion, die besagt, Christus habe d o c h das Gesetz erfüllt u n d so d e m M e n s c h e n einen leichteren W e g eröffnet, w i r d zurückgewiesen. Es g e n ü g e nicht, sich i m alles e n t s c h e i d e n d e n Augenblick schuldig zu b e k e n n e n . 1 9 8 Es ist nicht ausreic h e n d , n u r i m Angesicht der d r o h e n d e n Strafe sein Leben zu ä n d e r n , s o n d e r n es ist stets zu tun, was zur Sache zu tun ist. 199 U m die Cron des Lebens zu e r w e r b e n , d. h. u m eschatologisches H e i l zu e r r i n g e n , g e n ü g e es nicht, eine Zeitlang i m C h r i s t e n t u m zu verharren; beständige Treue sei v i e l m e h r erforderlich. 2 0 0 Ausdrücklich w i r d b e t o n t , daß S ü n d e u n d Verschuldung des M e n s c h e n G o t t das R e c h t der W i e d e r v e r g e l t u n g einräumen, 2 0 1 daß es nicht m ö g l i c h ist, gleichsam auf G n a d e zu sündigen. 2 0 2 E i n rituelles Bußverständnis wird strikt abgelehnt u n d damit e i n e m Verhalten vorgebeugt, das d e n A u f r u f der Prediger zur B u ß e i m Sinne eines p e r m a n e n t m ö g l i c h e n Kreislaufes v o n Vergehen u n d B u ß e m i ß v e r s t e h e n k ö n n t e . Billige G n a d e d u r f t e es nicht geben. M i t der b l o ß e n Bitte, G o t t m ö g e d e m S ü n d e r gnädig sein, ist kein Freibrief ausgestellt, der ein L e b e n nach d e m M o t t o laßt unß wolleben und thun/ was wir nur gedencken eröffnet. 2 0 3 D i e Prediger streben einen rechten, w a h r e n u n d lebendigen G l a u b e n an, der d u r c h die Liebe tätig ist u n d ein G o t t wohlgefälliges Leben, das sich v o n Fressen, Saufen, U n z u c h t etc. distanziert. 2 0 4 D a ß dieses Leben aus Einsicht u n d n i c h t aus Furcht vor Strafe g e f u h r t werde, war ein H a u p t a n l i e g e n der lutherischen O r t h o d o x i e . 2 0 5 So weit die theoretische K o n z e p t i o n der l u t h e r i schen O r t h o d o x i e . W e n n es aber d a r u m ging, christliche L e b e n s f o r m in die Praxis u m z u s e t zen, griffen die Prediger auf das Gesetz, vor allem auf d e n tertius usus, zurück. H i e r w i c h e n sie nicht v o n einer einseitigen A k z e n t u i e r u n g des Gesetzes ab. Ihr A u f r u f setzte ein b e i m Ablassen von d e n schlechten Taten. Gestraft wird, w e r sich d u r c h Sünde, Schande u n d Laster d e m Teufel u n d der Welt aufopfert. So spricht z u m Beispiel W a g n e r d e n Trost aus, daß das geforderte Verhalten wegen der anklebenden Su[e]nd im Stand der Rechtfertigung nicht v o l l k o m m e n sein Christentum, S. 284 f.

198

REUCHLIN:

199

WAGNER: Z w e i E r d b e b e n - P r e d i g t e n , S. 62 ff. WAGNER: L e i c h e n p r e d i g t Cellius (med.), S. 11. WAGNER: L e i c h e n p r e d i g t

200

Merlau,

S. 17. 201 202 203 204 203

S. 17.

Zwei Abendpredigten, S. 29. Predigt vom Lauf der Planeten, S . 157 f. R E U C H L I N : Christentum, S . 4. R E U C H L I N : Christentum, S . 6 3 . H A F E N R E F F E R : Multi vocati, S. 33. A N D R E A E : Christliche Anleitung, S. 273 und S. 277. R E U C H L I N : Rektor-Predigt, HAGMAJER:

ANDREAE:

107

Das Verhältnis von Gnade und guten Werken k a n n , z u g l e i c h b e t o n t er aber, daß alles, was d e r M e n s c h aus s e i n e m

Talent

m a c h t , als Z e u g n i s m e n s c h l i c h e n G l a u b e n s v o n C h r i s t u s a m J ü n g s t e n T a g a n g e f ü h r t w e r d e n wird. D i e R e c h t f e r t i g u n g erfolge a b e r sola gratia, n i c h t d u r c h A u s l e g u n g des

Talents.206

Z w a r sind g u t e W e r k e u n d ein G o t t wohlgefälliges L e b e n allein k e i n e A n z e i c h e n der H e i l s g e w i ß h e i t ; l e t z t e n d l i c h lebt der M e n s c h in e i n e r f o r t w ä h r e n d e n U n g e w i ß h e i t ü b e r s e i n e n Heilszustand. A b e r u m g e k e h r t ist n o n k o n f o r mes Verhalten

ein K e n n z e i c h e n

eines n i c h t b e k e h r t e n

Menschen:

Erfolgt

s c h o n ä u ß e r l i c h k e i n e B e s s e r u n g , das h e i ß t B u ß e angesichts des v o n G o t t v e r h ä n g t e n E r d b e b e n s , w i r d der i n w e n i g e M e n s c h k a u m g e l ä u t e r t s e i n . 2 0 7 D i e s k o m m t a u c h in e i n e m v o n T o b i a s W a g n e r zitierten L i e d v e r s z u m A u s d r u c k 2 0 8 : Wer nicht folgt vnd sein Willen thut/ dem ist nicht Ernst zum Herren/ dann wird er auch vor Fleisch vnd Blut/ sein Himmelreich versperren, am Glauben ligts/ soll der sein recht/ so wird auch gwiß das Leben schlecht/ zu Gott im Himmel gerichtet /

[...]•

S i g w a r t v e r b i n d e t seine V e r m a h n u n g zu g u t e n T a t e n m i t d e r E r i n n e r u n g , d a ß G o t t s e l i g k e i t die Ü b u n g aller c h r i s t l i c h e n T u g e n d e n s e i . 2 0 9 U n d R e u c h l i n ruft dazu auf, n a c h V o l l k o m m e n h e i t , H e i l i g u n g u n d E r n e u e r u n g zu t r a c h t e n . 2 1 0 Andererseits b e t o n e n die P r e d i g e r e n t g e g e n d e n T e n d e n z e n , die v e r s u c h e n , die g ö t t l i c h e G n a d e zu o b j e k t i v i e r e n , die U n v e r f ü g b a r k e i t d e r G n a d e G o t t e s . E r f o l g i m L e b e n ist h i e r k e i n gültiger M a ß s t a b für das H e i l des M e n s c h e n , d e n n das »Blatt k a n n sich w e n d e n « . 2 1 1 E i n r a s c h e r A b s t i e g ist stets m ö g l i c h , dies lehre die t ä g l i c h e E r f a h r u n g . 2 1 2 D i e aus der r e f o r m a t o r i s c h e n A n t h r o p o l o g i e h e r r ü h r e n d e H o f f n u n g a u f die S e l b s t w i r k s a m k e i t des g e p r e d i g t e n W o r t e s hat sich in der R e a l i t ä t n i c h t b e s t ä tigt. D i e p r a g m a t i s c h e U m s e t z u n g in die E t h i k , die A u f f o r d e r u n g zu g u t e n W e r k e n , v e r b u n d e n m i t d e m A u f r u f zur G e s t a l t u n g d e r L e b e n s w e l t i m S i n n e t h e o l o g i s c h e r N o r m b e n ö t i g t e — so s c h e i n t es — e i n Gesetzesverständnis, d e s sen N i c h t b e a c h t u n g d e n g ö t t l i c h e n Z o r n h e r v o r r u f e n w ü r d e . O d e r

anders

f o r m u l i e r t , die M o t i v a t i o n d e r g u t e n W e r k e ist a u f allen d o g m a t i s c h e n E b e n e n d u r c h g e h a l t e n , in den

Predigten

löst sich d a g e g e n

G r ü n d e u n d I n h a l t dieser W e r k e davon ab.

206

WAGNER: Epistel-Postille, S. 2 7 2 - 2 7 7 .

207

WAGNER: Z w e i E r d b e b e n - P r e d i g t e n , S. 6 1 .

208

WAGNER: C o m p e n d i u m T . 1, S. 1 3 1 .

209

SIGWART: Predigten über 1 K o r 15, S. 1 8 9 v f .

210

REUCHLIN: C h r i s t e n t u m , S. 1 4 u n d S. 3 0 .

211

SIGWART: Predigten über 1 K o r 15, S. 126 r . SIGWART: Predigten über 1 K o r 15, S. 81 v .

212

die

Information

über

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Die Legitimation

der lutherisch-orthodoxen

Lehre

Indem die Prediger für die Lebens- und Weltgestaltung aber immer wieder auf die Predigt des Gesetzes zurückgreifen, bekämpfen sie nicht die Ursache, sondern die Wirkung. 2 1 3 Die Menschen mußten in der Erfüllung der durch das Gesetz geforderten guten Werke in ihrer Meinung gestärkt werden, hierin eine Handhabe für ihr irdisches und ewiges Heil zu haben. Das Leben sollte bestimmt sein von einem steten Kampf gegen die Sünde, ein Kampf, den der Wiedergeborene kraft des heiligen Geistes führen konnte. Sein Ziel war ein Fortschreiten in der Heiligung, deren Perfektion im Jenseits zu erringen war. 2 1 4 Diesen K a m p f nicht aufzunehmen, hieße Gott erneut zu versuchen. Ebenso, wie Gottes Fürsorge die selbständige Vorsorge des M e n schen für seine tägliche Nahrung nicht aufhebt. 2 1 5 Die dem bußfertigen Sünder zuteilwerdende Gnade Gottes stellt das R e g u lativ innerhalb einer Lebenskonzeption dar, die auf ethische Vollkommenheit abzielt. Dadurch wird die durch das Gesetz grundgelegte Ordnung nicht in Frage gestellt. D e r Mensch, der zwar immer wieder mit der Erfahrung der Unerfullbarkeit des Gesetzes konfrontiert wird, weiß sich aber durch die Gnade, trotz der durch sein ungenügendes Verhalten stets bedrohten Welt, in der von Gott garantierten Ordnung gehalten. 2 1 6 Alle Strafe dient nicht dem Verderben, sondern der Warnung, und ist somit gnädiges Handeln Gottes. 2 1 7 Auf dieser Ebene wird die in den ethischen Anweisungen präsente Kasuistik, die Gnade als Mittel für bedingte Belohnung Aussicht stellt, in ein umfassendes Gottesbild eingefügt. Das strafende Handeln Gottes dient der Aufrechterhaltung seiner ewig gültigen Ordnung. Das Gesetz bleibt die Manifestation des unbedingten Willens Gottes. Die Einsicht, dem Forderungscharakter in der ethischen Lebenswirklichkeit nicht genügen zu können, kann aber letztendlich nur dann aufrechterhalten werden, wenn der Mensch nicht das Produkt und Resultat seiner Gesetzestreue ist, sondern sich selbst der gnädigen Z u wendung Gottes verdankt.

Vgl. SCHOTT: Christus und die Rechtfertigung allein aus dem Glauben, S. 2 0 9 f. REUCHLIN: Christentum, S. 155. 2 , 3 SIGWART: Predigt vom Vaterunser, S. 149 f. 2 1 6 WAGNER: Evangelien-Postille 1, S. 905. SIGWART: Predigten über 1 Kor 15, S. 122 r . ANDREAE: Predigt vom Lauf der Planeten, S. 159 f.: Die göttliche Gnade wird nur dem bußfertigen Sünder zuteil; ein Automatismus liegt aber nicht vor. Vgl. WAGNER: Leichenpredigt Cellius, S. 10, der hier die strenge Gerechtigkeit der göttlichen Barmherzigkeit gegenüberstellt. SIGWART: Predigten über 1 Kor 15, S. 122 r . 2 1 7 SIGWART: Predigt vom Hagel, S. 27: Also [...] muß denen die Gott lieben/ alles (vnd also auch das so jme selbs ein Straffe vn[d] Plag ist) zu[m] besten dienen. Wann sie na[e]mlich bedencke[n]/ daß jnen solches nichts anders/ als ein Va[e]tterliche Zu[o]chtigung sey/ damit sie Gott gleichsam im Zaum halten will. 213

214

Der Trost der Christologie

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2. Der Trost der Christologie Theologiegeschichtlich betrachtet, gehört die Christologie — wie J ö r g Baur jüngst in einem Beitrag zur Erforschung dieses in der nachreformatorischen Zeit heftig diskutierten Themas gezeigt hat — zu den am intensivsten bearbeiteten Fragestellungen bis in die 30er Jahre des 17. Jahrhunderts. 2 1 8 Ausdruck findet dies in der zwischen den beiden lutherisch-orthodoxen Fakultäten der Universitäten Gießen und Tübingen geführten Auseinandersetzung, dem sogenannten Kenosis-Krypsis-Streit,219 Die in Tübingen vor dem Ausbruch der christologischen Streitigkeiten formulierten Positionen hat Baur prägnant zusammengefaßt, indem er die offiziellen kirchlichen Stellungnahmen, die zumeist von Jacob Andreae verfaßt sind, neben die systematisch-theologischen Aussagen von Heerbrand, Hafenreffer und Sigwart gestellt hat. 2 2 0 Im Anschluß daran finden sich die theologischen Positionsbestimmungen von T h . T h u m m , Lucas II. Osiander, M . N i c o lai und J . U. Pregitzer, die dann in die Auseinandersetzungen mit B. Mentzer in Gießen führten. 2 2 1 A u f die unterschiedliche Qualität und zunehmende theologische Differenziertheit der Aussagen soll an dieser Stelle nur hingewiesen werden; dies ist fiir den hier zu behandelnden Zusammenhang nicht von entscheidender Relevanz. 2 2 2 Ausgangspunkt für die lutherischen Theologen war die in der Konkordienformel niedergeschriebene Konsensformulierung, die zugleich zum Ausweis über die rechte Kirchenzugehörigkeit avancierte. Dieser Artikel fungiert nicht

BAUR: Lutherische Christologie, S. 92. JÖRG BAUR: Auf dem Weg zur klassischen Tübinger Christologie. Einführende Überlegungen zum sogenannten Kenosis-Krypsis-Streit. In: Martin Brecht (Hrsg.) T h e o logen und Theologie an der Universität Tübingen. Beiträge zur Geschichte der Evangelisch-Theologischen Fakultät (Contubernium, Bd. 15). Tübingen 1977, S. 195—269. Vgl. ALFRED ADAM: Lehrbuch der Dogmengeschichte. Bd. 2: Mittelalter und Reformationszeit. Gütersloh 1968, S. 412 f. 2 2 0 BAUR: A u f dem Weg zur klassischen Tübinger Christologie, S. 2 1 6 - 2 2 6 . O b Heerbrand dabei zu den Vorläufern der Gießener Theologen zu zählen ist (so BAUR, ebd., S. 218) oder doch zu den Tübinger Kryptikern gehört (so KOLB: Die Kompendien der Dogmatik in Altwürttemberg, S. 7), kann an dieser Stelle nicht diskutiert werden. Die Aussagen Heerbrand in seinem Kompendium sind in der Tat nicht eindeutig zu verorten. Er selbst konnte in dem 1616 ausbrechenden aktuellen christologischen Streit nicht mehr Position beziehen. Er starb im Jahre 1600. Vgl. dazu RAEDER: Heerbrand, S. 91 ff. Auch wenn nicht von allen hier genannten Theologen Predigten zu dieser Thematik überliefert sind, so kann doch von einer weitgehenden Ubereinstimmung in ihren Predigtaussagen ausgegangen werden. Die Tübinger Theologische Fakultät und die württembergische Kirche haben, gedeckt vom Herzog, der Haltung der genannten Prediger zugestimmt. Vgl. BAUR: Lutherische Christologie, S. 8 9 - 9 2 und S. 119. BAUR: A u f dem Weg zur klassischen Tübinger Christologie, S. 2 3 9 f. 2 2 1 BAUR: Auf dem Weg zur klassischen Tübinger Christologie, S. 2 3 9 - 2 4 5 . 2 2 2 Die fortschreitende Ausdifferenzierung dieser Thematik findet — neben einer um 218

219

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Die Legitimation

der lutherisch-orthodoxen

Lehre

nur für T h e o l o g e n u n d Pfarrer, sondern auch für politische Eliten u n d »kulturelle Multiplikatoren« als unerläßliches M o m e n t ihrer Kirchenzugehörigkeit. 223 Im 8. Artikel werden die Christen aufgefordert, [...] sich dessen [zu] trösten und also ohn Unterlaß [zu] freuen, daß unser Fleisch und Blut in Christo so hoch zu der Rechten der Majestät und allmächtigen Kraft Gottes gesetzet.224 Das heißt, es besteht über die persönliche Vereinigung beider N a t u r e n in Christus eindeutige Ubereinstimmung. D e r Sachverhalt, an d e m sich dann der Streit entzündet, ist die Frage nach d e m Gebrauch der göttlichen Majestät durch die Menschheit Christi. 2 2 5 Es geht dabei also nicht nur u m die seinsmäßige, sondern gerade auch u m die wirkungsmäßige Unzertrennbarkeit der beiden N a turen Christi. Kurzgefaßt lautet der Tübinger Standpunkt wie folgt: Die Inkarnation begründet ein Faktum hinter das nicht m e h r zurückgegangen w e r -

f a n g r e i c h e n f a c h s p e z i f i s c h e n L i t e r a t u r (vgl. d i e b e i BAUR: A u f d e m W e g z u r klassischen T ü b i n g e r C h r i s t o l o g i e , S. 2 6 1 - 2 6 8 z u s a m m e n g e s t e l l t e n Q u e l l e n t e x t e ) - a u c h q u a n t i t a t i v e n N i e d e r s c h l a g in d e n K o m p e n d i e n . Z u m V e r g l e i c h , w o b e i sich die S e i t e n a n g a b e n j e weils a u f O k t a v - F o r m a t e b e z i e h e n : HEERBRAND: C o m p e n d i u m T h e o l o g i a e ( 1 5 7 3 ) : D e C h r i s t o , S. 20—38. HEERBRAND: C o m p e n d i u m T h e o l o g i a e ( 1 5 7 9 ) : D e C h r i s t o , S. 71—125. HAFENREFFER: L o c i T h e o l o g i c i (1600): D e C h r i s t o , S. 1 1 9 - 1 7 3 . HAFENREFFER: L o c i T h e o logici ( 1 6 0 3 ) : D e C h r i s t o , S. 2 9 7 - 4 2 7 . D a n e b e n vgl. HEERBRAND: K i r c h e n t e s t a m e n t ( 1 5 9 3 ) : V o m H a u p t d e r K i r c h e n , S. 2 7 5 - 3 1 8 ( m i t R e d e e i n s c h ü b e n ) . SIGWART: H a n d b ü c h lein: D e C h r i s t o , S. 4 2 - 7 1 (in 12°). 223

BAUR:

Lutherische

Christologie,

S. 8 8 . V g l . JOBST

EBEL: J a c o b

Andreae

(1528-

1590) als Verfasser d e r K o n k o r d i e n f o r m e l . In: Z e i t s c h r i f t f ü r K i r c h e n g e s c h i c h t e 8 9 ( 1 9 7 8 ) , S. 7 8 - 1 1 9 . K e p l e r v e r w e i g e r t s e i n e U n t e r s c h r i f t u n t e r d i e K o n k o r d i e n f o r m e l . E r v e r t r i t t die A u f f a s s u n g , d a ß g e r a d e C h r i s t u s s e i n e r m e n s c h l i c h e n N a t u r n a c h - als d e r R a u m u n d Z e i t u n t e r w o r f e n e n S c h ö p f u n g - an e i n e n b e s t i m m t e n O r t g e b u n d e n ist. D a r a n h a b e a u c h d i e I n k a r n a t i o n des g ö t t l i c h e n L o g o s n i c h t s g e ä n d e r t . D i e m e n s c h l i c h e N a t u r ist n a c h A u f e r s t e h u n g u n d H i m m e l f a h r t n i c h t a u f E r d e n p r ä s e n t . V g l . HÜBNER: D i e T h e o l o g i e des J o h a n n e s Kepler, S. 111 f. Vgl. d a z u a u c h VOLKER PRESS: P h i l i p p A p i a n . V o r t r a g i m R a h m e n des A l e m a n n i s c h e n I n s t i t u t , N o v . 1 9 8 9 ] , A p i a n , d e r in I n g o l s t a d t e i n O p f e r d e r K o n f e s s i o n a l i s i e r u n g g e w o r d e n w a r , m u ß t e 1 5 8 2 a u c h d i e U n i v e r s i t ä t T ü b i n g e n verlassen, w e i l er h i e r d i e C h r i s t o l o g i e d e r T ü b i n g e r n i c h t a k z e p t i e r e n k o n n t e . 224 F o r m u l a C o n c o r d i a e . In: B S L K , S. 1 0 4 9 . Vgl. JÖRG BAUR: C h r i s t o l o g i e u n d S u b jektivität. Geschichtlicher O r t u n d dogmatischer R a n g der Christologie der K o n k o r d i e n f o r m e l . In: J ö r g B a u r ( H r s g . ) : E i n s i c h t u n d G l a u b e . A u f s ä t z e . G ö t t i n g e n 1 9 7 8 , S. 1 8 9 2 0 5 , h i e r S. 189. 225 D a ß sich d a r ü b e r a u c h die w ü r t t e m b e r g i s c h e n T h e o l o g e n n i c h t i m m e r e i n i g w a r e n , v g l . B A U R : A u f d e m W e g z u r k l a s s i s c h e n T ü b i n g e r C h r i s t o l o g i e , S . 2 0 4 — 2 0 7 . SIGWART:

H a n d b ü c h l e i n , S. 5 8 f.: Denn dieweil erfu[e]r das menschlich Geschlecht leiden und sterben sollen/ hat er sich seiner Majesta[e]t (deren er gleichwol in Mutterleib theilhafftig worden) ein Zeitlang (soviel den Gebrauch derselben anlanget) geeussert/ damit er leiden/ sterben/ und also die Sünde büssen ko[e]nte. Nachdem er aber das Werck der Erlo[e]sung vollbracht/ hat er solche Erniedrigung oder Knechtsgestalt abgelegt/ und sich nach seiner H. Menschheit zu der Rechten seines Vaters gesetzt. Jn jenem Stand hat er gleichwol allen Gewalt und Weißheit gehabt: Aber nicht allwegen gebrauchet ( H e r v o r h e b u n g S. H.). Jetzt aber u[o]bet er seine Gewalt allenthalben/ und weiß alles/ und ist an allen Orthen gegenwa[e]rtig.

Der Trost der Christologie

111

den kann. 2 2 6 Christus hat jetzt sein Dasein nur n o c h in göttlicher u n d menschlicher Natur, was fiir die Tübinger nichts anderes heißt, als die E r h ö h u n g der menschlichen Natur. 2 2 7 Das Ziel, auf das bei den T ü b i n g e r T h e o l o gen alles zuläuft, ist die Aussage der Gemeinschaft von Gott u n d Mensch, die den Kreaturen, i m m e r u n d allenthalben geeint, gegenwärtig ist. 228 O d e r anders formuliert, Allgegenwart wird auch ausgesagt im Stande der E r n i e d r i gung, d. h. kein Nacheinander von Leiden und Herrschaft, sondern ein stetes Gott bei seiner Welt. Dies sahen die Tübinger T h e o l o g e n bei den Gießener nicht gewährleistet, weil in deren Konzeption die verborgende Weltherrschaft des Menschen Jesus auch im Stande der Erniedrigung nicht ausgesagt wurde. 2 2 9 Die Auseinandersetzungen auf systematisch-theologischer E b e n e sind G r u n d genug, die Frage zu stellen, inwieweit dieses systematisch-theologisch relevante T h e m a auch in den Predigten der Tübinger T h e o l o g e n eine wichtige R o l l e spielt. Im Kontext der Arbeit ist dann auch hier die sozialgeschichtliche K o m p o n e n t e dieses Themas von besonderem Interesse. D e n n f ü r die T ü b i n g e r T h e o l o g e n ist die Christologie nicht allein als theologisches D e n k m o d e l l zu verstehen. Sie orientieren sich i m m e r an dem an der Menschheit handelnden Gottmenschen, dessen Menschsein so verstanden wird, daß in i h m die G o t t heit selbst präsent ist. Baur fragt, wie sich die einfachen Christen in diesem Streit zurechtfinden konnten. Eine derartige Frage setzt freilich voraus, daß der Streit überhaupt auf diese »untere Ebene« durchdrang. Als Gewährsmann für eine Kenntnis dieser theologischen Auseinandersetzungen bei den »einfachen Christen« führt Baur Philipp Nicolai an, der die M e i n u n g vertritt, daß die in ihrer Frömmigkeit Gekränkten [nämlich die einfachen Christen] anno 1590 gerade deshalb über diesen »gefährlichen Streit« [seufzen], weil ihnen sein »Gegenstand« so nahe stand.2X

226

BAUR: A u f d e m W e g zur klassischen T ü b i n g e r C h r i s t o l o g i e , S. 246. HEERBRAND: K i r c h e n t e s t a m e n t , S. 301: Sitzet nun vnser Fleisch/ Blut vn[d] Bruder [...] / zu der Rechten des Allma[e]chtigen, [...]. Schließlich, so a r g u m e n t i e r t A n d r e a e p o l e misch, sei i m G l a u b e n s b e k e n n t n i s a u c h n u r v o n e i n e m C h r i s t u s die R e d e , vgl. ANDREAE: P r e d i g t e n v o n Spaltungen, S. 84 ff. SIGWART: Predigten ü b e r 1 K o r 15, S. 155 r . HAGMAJER: Z w e i A b e n d - P r e d i g t e n , S. 8. 228 HEERBRAND: K i r c h e n t e s t a m e n t , S. 302: allenthalben gegenwertig [...] / auch als Mensch. 229 Justus F e u r b o r n hat in seiner 1627 in M a r b u r g e r s c h i e n e n e n »Kenosigraphia c h r i stologike« d e n M a r b u r g e r S t a n d p u n k t folgendermaßen b e s c h r i e b e n : Wir glauben und bekennen, daß die ganze Fülle der Gottheit und Majestät des Logos auch actu existierend ihm [dem Fleische] sogleich bei der Empfängnis mitgeteilt worden sei, daß sie aber von diesem nicht auf der Stelle in Gebrauch genommen, sondern entäußert worden sei hinsichtlich des vollständigen Gebrauchs (zitiert n a c h EMANUEL HIRSCH: Hilfsbuch z u m S t u d i u m der D o g m a t i k . Berlin 1958 3 , S. 3 3 5 N r . 549. Vgl. JÖRG BAUR: Glanz u n d E l e n d der T ü b i n g e r O r t h o d o x i e . In: F r i e d r i c h H e r t e l (Hrsg.): In W a h r h e i t u n d Freiheit. 4 5 0 Jahre Evangelisches Stift in T ü b i n g e n ( Q u e l l e n u n d F o r s c h u n g e n zur w ü r t t e m b e r g i s c h e n K i r c h e n g e s c h i c h t e , Bd. 8), S. 9 9 - 1 1 0 , hier S. 100. 227

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Die Legitimation

der lutherisch-orthodoxen

Lehre

Der mit dem christologischen T h e m a verbundene Streit — so Baur — mache seine hohe Relevanz für die lutherische Theologie und Frömmigkeit bis zumindest 1625/30 deutlich,231 Daß der »Gegenstand der Christologie« auch d e m Laien nahestand, ja ihm geradezu nahestehen sollte, gehörte gewissermaßen selbstverständlich zu den besonderen Anliegen der Tübinger Theologen. Ging es doch bei d e m versöhnenden Handeln Gottes in Christus u m das Z e n t r u m lutherischer Theologie. 2 3 2 Welchen Niederschlag findet nun die Christologie in den Predigten? Die von Baur eingeforderte Relevanz für Theologie u n d Frömmigkeit macht es notwendig, den Sachverhalt der Christologie gerade in den Predigten im Hinblick auf das Leben der Menschen im Alltag zu suchen. Es bietet sich hier zudem die Möglichkeit, den U m g a n g mit der Transformation eines heiklen u n d heftig umstrittenen Themas zu verfolgen. Zunächst gilt, was über die Thematisierung des Sachverhalts von Gesetz u n d Evangelium gesagt wurde, auch bei der Bearbeitung der Christologie: explizites T h e m a ist die Christologie in den Predigten nicht, auch nicht in der Zeit der heftigen Auseinandersetzungen zwischen den Gießener u n d T ü b i n g e r theologischen Fakultäten. 2 3 3 Implizite Aussagen zu diesem T h e m a lassen sich aber im Z u s a m m e n h a n g mit der Zweinaturenlehre u n d der Ubiquitätslehre im Abendmahl, der Inkarnation, der Trinitätslehre wie auch der Christus-Prädikationen u n d den Ä u ß e rungen z u m Gebet finden. D i e für die lutherischen T h e o l o g e n unumstößliche Notwendigkeit der Zweinaturenlehre als einem wesentlichen, w e n n auch nicht erschöpfenden Aspekt der Christologie, sollte auch der Laie ihrem grundlegenden Inhalt nach k e n n e n u n d verstehen k ö n n e n . Die Theologen wollten d e m Laien nahebringen, was Luther in seiner Erklärung zum zweiten Glaubensartikel prägnant formuliert hat: [...] daß Jesus Christus warhafftiger Gott vom Vatter in Ewigkeit gehöhten vnd auch warhafftiger Mensch von der Jungfrawen Maria gebohren/ sey

230

BAUR: L u t h e r i s c h e C h r i s t o l o g i e , S. 119. BAUR: L u t h e r i s c h e C h r i s t o l o g i e , S. 119 232 ANDREAE: P r e d i g t ü b e r M t 2 2 , passim. ANDREAE: P r e d i g t e n in H a g e n a u , S. 4 8 . HEERBRAND: K i r c h e n t e s t a m e n t ( 1 5 9 3 ) , S. 3 0 0 : Der Sohn Gottes hat die Gemein GOttes durch sein eigen Blut erworben/ nicht daß die Gottheit an vn[d] fu[e]r sich selbs sterblich/ oder gelitten habe/ sonder von wegen der perso[e]nlichen Vereinigung/ daß dise Person nicht nur blosser Mensch ist/ die da leidet/ sonder auch GOtt/ da dann der Sohn Gotts selbs leidet/ sein eigen Blut vnd Leben in tod gegeben/ vnnd sein eigen Blut vergossen in angenom[m]ener seiner Menschheit/ 231

[...].

SIGWART: P r e d i g t e n

vom

Vaterunser,

S. 1 0 7 .

SIGWART:

Predigten

S. 183 V . HAGMAJER: Z w e i A b e n d - P r e d i g t e n , S. 10. HAGMAJER: Z w e i S.

über

1

geistliche

Kor

15,

Reden,

18.

233 A b g e s e h e n e i n m a l v o n d e n Sechs Predigten, die A n d r e a e 1 5 7 3 i m A n h a n g zu d e n Dreiunddreißig Predigten v e r ö f f e n t l i c h t h a t . B e i d i e s e n sechs P r e d i g t e n h a n d e l t es sich u m a l l g e m e i n v e r s t ä n d l i c h f o r m u l i e r t e L e h r v o r t r ä g e , d i e als G r u n d l a g e eines g e m e i n s a m e n B e k e n n t n i s s e s i m U m f e l d d e r A r b e i t e n an d e r K o n k o r d i e n f o r m e l g e d a c h t w a r e n . Es w a r e n also k e i n e R e g e l p r e d i g t e n . Vgl. EBEL: J a c o b A n d r e a e , S. 1 0 2 f.

Der Trost der Christologie mein Herr/

[...].2i4

113

D i e personale Identität von Gott u n d M e n s c h findet in der

Grundregel der communicatio

idiomatum ihren Ausdruck: Was v o m

Men-

s c h e n C h r i s t u s a u s g e s a g t w i r d , g i l t m i t R e c h t a u c h v o n C h r i s t u s als G o t t

und

umgekehrt.235 I m 8. A r t i k e l d e r F o r m u l a C o n c o r d i a e w e r d e n d e m M e n s c h e n T r o s t F r e u d e als F o l g e d e s S i t z e n s C h r i s t i z u r R e c h t e n

und

Gottes zugesprochen.

Um

diesen Trost erfahren zu k ö n n e n , sind die Prediger gefordert, d e m Laien e r l ä u t e r n , w a s es f ü r i h n h e i ß t , w e n n

er in d e r B e i c h t e a u f die Frage,

C h r i s t u s s e i , z u a n t w o r t e n h a t : C h r i s t u s s e i waarer GOtt zertrennten

Person.236

zunächst

die E b e n e

menschliche

Natur

bedes

die

Naturen

in einer

vn-

I n e i n e r P r e d i g t ü b e r das A b e n d m a h l b e s c h r e i t e t A n d r e a e des Wissens. A n d r e a e

in einigkeit

in der Menschheit/

vnd Mensch

zu wer

der Person

noch die Menschheit vnd

derselben

erklärt

dort, daß

an sich genom[m]en/ in die Gottheit

Eigenschafften

der

Son

das weder die

verwandelt/

vnuermischet

sonder vnd

Gottes Gottheit

es

bleiben

vnabgetilget/

[...].237 D i e Frage nach d e m Verständnis der persönlichen Vereinigung zweier Personen in d e m einen Christus beantwortet W a g n e r —unter A u f n a h m e v o n 1 T i m 3 , 1 6 — d u r c h d e n H i n w e i s a u f ein kindlich

groß

Geheimnus,238

hatte versucht, die V e r e i n i g u n g a m Beispiel des M e n s c h e n w e l c h e m a u s Seel vn[d] Dies zeigt, daß

Leib ein Mensch

Heerbrand

zu erklären, bei

wu[e]rdt.2i9

sich die P r e d i g e r v e r p f l i c h t e t f ü h l t e n , ein M i n i m u m

an

l e h r h a f t e m W i s s e n a n d i e L a i e n z u v e r m i t t e l n . D a m i t ist j e d o c h z u g l e i c h e i n e gewisse Transparenz ihrer Lehre v e r b u n d e n , die letztlich auf nichts anderes abz i e l t , als a u f d i e

Mündigkeit

und

Eigenverantwortlichkeit

des

»einfältigen

234

WAGNER: C o m p e n d i u m T. 1, S. 97 zitiert nach L u t h e r s K l e i n e m Katechismus. REINHOLD SCHWARZ: G o t t ist M e n s c h . Z u r Lehre v o n der Person Christi bei d e n O c k h a m i s t e n u n d bei L u t h e r . In: Z e i t s c h r i f t für T h e o l o g i e u n d K i r c h e 6 3 (1966), S. 2 8 9 231

3 5 1 , h i e r S. 3 0 9 f. V g l . W A 3 9 II, 9 3 , 6 f f . u n d W A 3 9 I I , 1 0 2 , 2 4 f. HEERBRAND: C o m -

p e n d i u m T h e o l o g i a e (1573), S. 32: Quod uidelicet diuina nature xaXoya Igriech. im Original] in Christo, humanae naturae proprietates, quae communicari possunt, ita ut quod ftlius Dei habet per naturam, id hominis filius habeat per gratiam, sibi ex unione personali communicatum. Vgl. HEERBRAND: C o m p e n d i u m T h e o l o g i a e (1573), S. 33. ANDREAE: P r e d i g t v o m A b e n d m a h l (1566), S. 29. 236

WAGNER: C o m p e n d i u m T . 1, S. 9 9 .

237

ANDREAE: Predigt v o m A b e n d m a h l (1566), S. 28. HEERBRAND: P r e d i g t v o n F r o n l e i c h n a m , S. 33. 238 WAC.NER: C o m p e n d i u m T. 1, S. 102 f.: Daß der Ewige Sohn Gottes/ die andere Person der H. Dreyfaltigkeit/ im Leib der H. Jungfrau* Mariae/ durch vberschattung deß H. Geistes/ in sein vnendliche Person hat aufgenommen die vollkommene Menschliche Natur/ vnd hat solche durch eine allertieffeste Gemeinschafft mit sich vereiniget/ dermassen/ daß was der angenommenen Menschheit eigen ist/ solches krafft der Perso[e]nlichen Vereinigung/ wu[e]rcklich vnd warhafftig auch von der aufnehmenden/ Go[e]ttlichen Natur gesagt wird [...] vnd widerumb/ was der aufnehmende Go[e]ttlichen Natur eigen / solches auch von der aufgenommenen Menschlichen Natur/ krafft dieser Vereinigung/ wu[e]rcklich vnd warhafftig gesagt wird [...]. SIGWART: H a n d b ü c h l e i n , S.

55. 239

HEERBRAND: K i r c h e n t e s t a m e n t , S. 299. So auch SIGWART: H a n d b ü c h l e i n , S. 53.

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Die Legitimation

der lutherisch-orthodoxen

Laien«. 2 4 0 Sie sollen n i c h t nur, so vil einem Layen

Lehre

vnnd gemeinen

Man

von

ec. sey.244

Zu

no[e]tten ist, Rechenschaft über ihren Glauben ablegen können, sondern auch den Inhalt einer Predigt beurteilen können. Nicht zu übersehen ist jedoch das Bemühen der Prediger, die Bedeutung der Zweinaturenlehre, ihren »Nutzen« für den Menschen, hervorzuheben. Als »Nutzen« der Lehre von der Person Christi führt Wagner zunächst sehr pauschal, mit Verweisung auf 1 Kor 3, 11 an, daß in ihr das Fundament unserer Seeligkeit eingeschlossen oder verborgen liege.241 In seiner Begründung nennt Wagner dann drei Argumente für den »Nutzen«. Z u m einen erhalte der Mensch so die Versicherung, Christus ganz, als Gott und Mensch, nach seinem prophetischen, königlichen und hohenpriesterlichen Amt zu haben. 242 Z u m anderen rekurriert Wagner hier nicht auf die innerkonfessionellen Streitigkeiten der Lutheraner über die Christologie, wie sie im Streit zwischen den theologischen Fakultäten in Tübingen und Gießen zum Ausdruck kommen. Er nimmt dagegen eine deutliche Klärung des gemeinlutherischen Standpunkts in Abgrenzung gegenüber Calvinisten und Jesuiten vor. 243 Die theologische Debatte wird hauptsächlich mit Calvinisten und Jesuiten gefuhrt, die beide letztlich darin übereinstimmen, daß Gott nicht hab gelitten/

der Mensch nicht Allma[e]chtig/

Allgegenwa[e]rtig/

240 HEERBRAND: K i r c h e n t e s t a m e n t , S. 15. Vgl. z u m f o l g e n d e n ANDREAE: P r e d i g t e n in L a u i n g e n , S. LXXVIJ™ 241 WAGNER: C o m p e n d i u m T h e o l o g i a e T. 1, S. 104. SIGWART: H a n d b ü c h l e i n , S. 51 f.: Es stehet uns unsere ewige Seligkeit daraujj. Denn u>en[n[ keine Gemeinschafft beyder Naturen in CHristo ist/ so folget unwidersprechlich/ daß er uns durch sein Leiden/ Creutz und Tod nicht erlo[e]sen/ noch die ewige Seligkeit habe erwerben ko[e]nnen. Sintemal dieses kein pur lauter Mensch/ja auch kein Engel zu thun vermo[e]cht: Sondern es hat mu[o]ssen durch GOttes Leiden GOttes Creutz/ und GOttes Tod geschehen. 242

Vgl. z u m

f o l g e n d e n W A G N E R : C o m p e n d i u m T . 1, S. 1 0 6

[=105], Vgl.

HEERBRAND:

Predigt v o m e w i g e n L e b e n , S. G 3 r die A u f z ä h l u n g der C h r i s t u s p r ä d i k a t i o n e n . 243 WAGNER: C o m p e n d i u m T. 1, S. 107. Vgl. BAUR: A u f d e m W e g zur klassischen T ü b i n g e r C h r i s t o l o g i e , S. 245. D a r a u s k a n n n u n n i c h t gefolgert w e r d e n , daß das T h e m a i n n e r h a l b der l u t h e r i s c h - o r t h o d o x e n T h e o l o g i e in d e n 40er J a h r e n des 17. J a h r h u n d e r t s , auch w e n n es gerade n i c h t m e h r an oberster Stelle der t h e o l o g i s c h e n Diskussion stand, eine e n d g ü l t i g e K l ä r u n g erfahren h a b e u n d W a g n e r deshalb k e i n e n Anlaß g e h a b t hätte, die unleidige Diskussion e r n e u t a u f l e b e n zu lassen. D i e e r n e u t e A u s e i n a n d e r s e t z u n g u m die Mentzeriana n o c h E n d e des 17. J a h r h u n d e r t s zeigt, daß die t h e o l o g i s c h e Kontroverse bei W a g n e r n o c h n i c h t zu i h r e m E n d e g e k o m m e n war. 244 WAGNER: C o m p e n d i u m T. 1, S. 107. B e z e i c h e n d auch, daß W a g n e r i m zweiten Teil seines C o m p e n d i u m s die t h e o l o g i s c h e D e b a t t e n u r m i t d e m Papistischen Catechismo ( ü b r i gens die u m f a n g r e i c h s t e m i t ü b e r 130 Seiten), m i t d e m Calvinistischen Catechismo (S. 135— 173) u n d m i t d e m Fanatischen Catechismo (S. 1 7 4 - 1 9 0 ) , also m i t s o g e n a n n t e n E n t h u s i a sten, W e i g e l i a n e r n , S c h w e n c k f e l d e r n u n d W i e d e r t ä u f e r n f ü h r t . SIGWART: H a n d b ü c h l e i n , S. 70 f. E r f ü h r t hierzu n e b e n einer ganz k u r z e n R ü c k b l e n d e auf die A u s e i n a n d e r s e t z u n gen in der Alten K i r c h e die A b g r e n z u n g allein g e g e n ü b e r d e n R e f o r m i e r t e n vor. WAGNER: Epistel-Postille 1, S. 672 f. B e z e i c h n e n d aber auch, daß das T h e m a keine A u f n a h m e in das K i r c h e n t e s t a m e n t H e e r b r a n d v o n 1 5 9 3 (S. 15) f i n d e t . H i e r f i n d e t sogar n u r die A u s e i n a n d e r s e t z u n g m i t d e n katholischen L e h r m e i n u n g e n statt.

Der Trost der Christologie

115

einer wirklichen Mitteilung der Eigenschaften der beiden Naturen sei es nicht g e k o m m e n . N u r bei einer vollen Partizipation aber, so die Tübinger, k ö n n e der M e n s c h die G e w i ß h e i t haben, daß Christus in aller N o t gegenwärtig ist. N u r so k ö n n e der M e n s c h in Leben und Tod sein Vertrauen a u f Christus setzen, weil auch er, als M e n s c h und Gott, Kreuz und Tod erlitten und damit dem M e n s c h e n ewige Seligkeit erworben hat. 2 4 5 D e r M e n s c h soll drittens bei der lutherischen Zweinaturenlehre die Frage nach dem »Wie« dieses der Vernunft nicht einsichtigen Geschehens, so rät Wagner, nicht überdenken, sondern sich vielmehr allein an das geofFenbarte W o r t halten: [...] daß wir wissen/ an wen wir glauben/ wann wir schon nicht wissen/ auff was weiß vnd weg die vnerforschlichen Weißheit GOttes solches Geheimnus zu Werck gebracht vnd geleistet hat246 Dies zeigt, daß die T ü b i n g e r T h e o l o g e n nicht a u f umstrittenen innerlutherischen Lehrstreitigkeitem aufbauten, sondern die große Linie i m Auge hatten und versuchten, die »Anwendungsfreundlichkeit« ihrer Lehraussagen für das tägliche L e b e n deutlich zu machen. Aus der Zweinaturenlehre wird aber nicht nur individueller Trost abgeleitet, sondern zugleich das Verhältnis und die A c h t u n g der M e n s c h e n untereinander bestimmt. D e n n wie alle M e n s c h e n in Adam gleichen Anfang und U r sprung haben, so haben sie alle Anteil an der E r h ö h u n g des M e n s c h e n in Christus. D i e Zweinaturenlehre dient somit zur Grundlage sozialen Lebens überhaupt: I m U m g a n g miteinander sollen sich die M e n s c h e n nicht übereinander erheben, weil sie keinen vortheil fii[e]r einander haben werden.247 D i e hier definierte Gleichheit aller M e n s c h e n wird von den T h e o l o g e n aber streng nur innerhalb des hierarchischen Ständeprinzips zur Geltung gebracht. Diese theologischen Erkenntnisse dienten nicht zur Argumentationsbasis für Veränderungen der ständischen Gesellschaft als solcher. 2 4 8 D i e T ü b i n g e r T h e o l o g e n legen demnach Wert a u f die Aussage, daß Christus als G o t t und M e n s c h gelitten habe; dies ist die eine Seite des christologischen T h e m a s . D e r zweite überaus wichtige Aspekt ist die Frage der Ubiquität. Sie bezeichnet die Allgegenwart Christi249. In dieser Lehre k o m m t zum Ausdruck, daß G o t t nicht ein grausamer MenschenFeind und erschro[e]cklicher Tyrann ist, der den M e n s c h e n nach Auferstehung und Himmelfahrt Christi sich selbst überläßt. D u r c h die Himmelfahrt ist einzig die sichtbarliche Gegenwart deß Herrn Christi der Kirchen auf Erden entzogen [...].250 D i e im C r e d o angekündigte

243

SIGWART: H a n d b ü c h l e i n , S. 5 1 f.

246

WAGNER: C o m p e n d i u m T . 1, S. 1 0 8 .

SIGWART: Predigten über 1 Kor 15, S. 155 r . WAGNER: Epistel-Postille 2, S. 466. HÄBERLIN: Epistel-Postille 1, S. 302a ff. 2 4 9 Vgl. zum folgenden HAFENREFFER: Primi novissimi, S. 32. Hier auch die Auseinandersetzung mit der Lehre der Calvinisten im Kontext der Prädestinationslehre. 247

248

250

WAGNER: C o m p e n d i u m T . 1, S. 1 4 0 .

116

Die Legitimation

der lutherisch-orthodoxen

Lehre

Parusie Christi m e i n t d e n n auch n i c h t [...] / als wann Christus der HErr zuvor nicht were bey vns auff ein vnbegreiffliche weiß/ krafft seiner unendlichen Person/ ¡gewesen] [...], sondern/ so ist es allein zu verstehen von der sichtbarlichen Erscheinung der Herrligkeit deß grossen GOttes/ [. . J . 2 5 1 D i e M e n s c h h e i t Christi partizipiert somit auch jetzt an der G e g e n w a r t Gottes zu allen D i n g e n . D u r c h die H i n g a be der göttlichen Majestät an die M e n s c h h e i t Christi ist die M e n s c h h e i t C h r i sti zugleich in das universale u n d präsente Weltverhältnis Gottes a u f g e n o m m e n . D a m i t ist garantiert, daß auch die M e n s c h h e i t Christi an E r h a l t u n g u n d B e w a h r u n g des menschlichen Lebens Anteil hat, hieraus resultiert die Sprachfähigkeit des M e n s c h e n i m Gebet. 2 5 2 L u t h e r hat diesen Sachverhalt aus seiner eigenen E r f a h r u n g heraus w i e folgt f o r m u l i e r t : Wann Christus nicht bey mir im Kercker/ Marter/ Erde were/ wo wolt ich bleiben,253 D a m i t ist auch nach der H i m m e l f a h r t Christi alle T r e n n u n g zwischen G o t t u n d M e n s c h a u f g e h o b e n . 2 5 4 Für die F r ö m m i g k e i t war durch eine derartig radikalgefaßte Z w e i n a t u r e n l e h r e die E i n t e i l u n g der Welt in u n t e n u n d o b e n zerstört. A u c h die Zeitgenossen e r k a n n t e n die Radikalität, die dieser Auffassung i n n e w o h n t e . Kritik an der A u f h e b u n g der h e r k ö m m l i c h e n Welteinteil u n g hatte schon der Holsteiner G e g n e r der F o r m u l a C o n c o r d i a e , Paul v o n Eitzen, geübt: Item/ daß weder Himmel oder Helle gewisse Sta[e]dte seyn/ und daß der Himmel droben in der hofejhe/ vnnd die Helle hie unten/ eitel erdichter ding seyn/ das nimmer gewesen ist/ vnd nimmer seyn wird.255 D i e hierarchische O r d n u n g zwischen G o t t u n d M e n s c h , zwischen H i m m e l u n d Erde, ist zerstört, w e n n die Z w e i n a t u r e n l e h r e radikal z u e n d e gedacht wird, w e n n m a n die M e n s c h h e i t Christi auch an der W e l t g e g e n w a r t Gottes teilhaben läßt. A u s d r u c k findet dies in der theologischen R e d e des Sitzens zur Rechten. Christus sitzt n i c h t nach seiner göttlichen Majestät, s o n d e r n nach seiner a n g e n o m m e n e n M e n s c h h e i t zur R e c h t e n Gottes. Das heißt, alles was Christus in der Zeit,

2=1

WAGNER: C o m p e n d i u m T . 1, S. 1 4 6 .

232

Sigwart b e z e i c h n e t es als calvinistischen I r r t u m , daß C h r i s t u s seiner m e n s c h l i c h e n N a t u r n a c h n i c h t a n z u b e t e n sei u n d daß j e n e r , der es tue, v e r f l u c h t sei. Vgl. SIGWART: H a n d b ü c h l e i n , S. 71. V i e l m e h r ist C h r i s t u s gerade als G o t t u n d M e n s c h Mittler, F ü r s p r e c h e r u n d H o h e r p r i e s t e r des M e n s c h e n , der die N o t des M e n s c h e n vor G o t t b r i n g t . Vgl. HEERBRAND:

Kirchentestament,

S. 1 9 8 .

REUCHLIN:

Christentum,

S. 3 3 2

ff.

HÄBERLIN:

Epistel-Postille 1, S. 4 7 3 a ff. Vgl. BAUR: L u t h e r i s c h e C h r i s t o l o g i e , S. 108 f. Vgl. BRENZ: Fragstücke. In: W e i s m a n n : E i n e kleine Biblia, S. 113. HAGMAJER: U n t e r w e i s u n g , S. 1 9 - 2 1 . 2 3 ' Zit. n a c h HUTTER: C o n c o r d i a C o n c u r s , S. 480. Vgl. BAUR: C h r i s t o l o g i e u n d S u b jektivität, S. 200. Vgl. BAUR: L u t h e r i s c h e C h r i s t o l o g i e , S. 108 f. 254 Vgl. dazu SIGWART: P r e d i g t e n v o m A b e n m a h l , S. 48 v , der die U b i q u i t ä t Christi a m Beispiel eines Spiegels erläutert. E r schreibt: Wann ein Spiegel glaß in zweinzig oder mehr stu[e]ck zerbrochen wu[e]rdt/ vnd einer hemacher darein sihet/ so wu[e]rdt er in einem jeglichen stu[e]cklin sein angesicht gantz/ volkommen/ vnd mit allen lineamenten befinden. 255 HUTTER: C o n c o r d i a C o n c u r s , S. 3 8 0 . Vgl. BAUR: C h r i s t o l o g i e u n d Subjektivität, S. 2 0 3 .

Der Trost der Christologie

117

im Stand der Erniedrigung empfangen hat, das hat er als Mensch empfangen u n d nur deshalb hat der Mensch daran Anteil. 256 H i e r u n t e r ist, so b e t o n e n die T ü b i n g e r Prediger übereinstimmend, kein räumliches Sitzen zu verstehen. 2 5 7 Die Herrschaft Christi erstreckt sich auch nicht nur über die Glieder seiner Kirche, wie die Calvinisten allerhöchstens einräumen u n d Christus so außerhalb seiner Kirche keine Herrschaft lassen. Seine Herrschaft erstrecke sich, so Sigwart, eben nicht nur in den obern Himmel, auf Erden regiere er nicht abwesend wie sonst die weltlichen H e r r e n . U n d diese Art des R e g i m e n t s ist zudem nicht, wie die Calvinisten meinen, auf Christi göttliche N a t u r begrenzt. Daraus wird ein doppelter Trost abgeleitet. Einmal kann der Mensch daraus die Gewißheit haben, daß Christus auch jetzt mitten vnter seinen Feinden Herrschet und seine Kirche wider alle jhre vnnd seine Feinde ma[e]chtig erhalten hat [... und] auch ins ku[e]nfftig dieselhige wider alle Pforten der Ho[e]llen beschu[e]tzen vnd beschirmen werde. 2 5 8 Aus dieser »gewissen u n d unfehlbaren« H o f f n u n g heraus kann der Mensch sogar d e m Tod »trutzen«. Z u m anderen kann der Mensch den Trost haben, daß auch alle j e n e M e n schen, die nach der Himmelfahrt Christi leben, v o m Erlösungswerk Christi nicht ausgeschlossen sind, weil Christus nach der H i m m e l f a h r t nicht mit dieser Welt abgeschlossen hat. D i e Prediger wollen damit nichts anderes zum Ausdruck k o m m e n , als daß Christus mit GOtt allenthalben gegenwa[e]rtig vnd allma[e]chtig regieren vnd herrschen wird. 2 5 9 N u r darin sind d e m Menschen die Versicherungs=Gaben an die H a n d gegeben, daß Christus hab außgezogen die Fu[e]rstenthumb vnd Gewaltigen/ vnd sie Schaw getragen öffentlich/ vnd einen Triumph auß jhnen gemacht/ [...].260 261 Damit ist eine veränderte Wirklichkeit gesetzt. Als weitere Gaben, die damit verbunden sind, n e n n t Wagner die Trost=Gaben u n d die Vermahnungs=Gaben. D e r Trost besteht darin, daß sich der Mensch gewiß sein darf, sein »Bürgerrecht« im H i m m e l zu haben. Vermahnt wird der Mensch dazu, »zu suchen, was droben ist«.262 Wagner unterstreicht den »gewaltigen Trost«, an dem der Mensch jetzt schon im Glauben Anteil hat, n ä m lich daß Christus der HErr zur Rechten Gottes sey als vnser Schutz/ Herr vnd

256 Vgl. S I G W A R T : H a n d b ü c h l e i n , S . 5 0 . Denn was Christus in der Zeit empfangen hat/ das kan er nicht nach seiner Gottheit empfangen haben. Denn diese zuvor un[d] von Ewigkeit her/ solches alles hab un[d] ist [...]. A N D R E A E : Predigten in Lauingen, S . X X I X R : Aber Gott derVatter will sie vmb seines eingebornen Sons willen auch für seine Kinder halten/ vnnd sie mit jme erben lassen. 2,7 Vgl. z u m folgenden SIGWART: Predigten über 1 Kor 15, S . 65 rv . v 258 SIGWART: Predigten ü b e r 1 K o r 15, S . 65 . 239 W A G N E R : C o m p e n d i u m T . 1 , S. 1 4 2 . H E E R B R A N D : Predigt v o n Fronleichnam, S. 3 3 f. 260 WAGNER: C o m p e n d i u m T. 1, S. 143. 261 So BAUR: Christologie u n d Subjektivität, S. 189. 262 WAGNER: C o m p e n d i u m T. 1, S. 143.

118

Die Legitimation

der lutherisch-orthodoxen

Lehre

Ko[e]nig/ als vnser Hoher-Priester vnd grosser Prophet/ vtid in diesem Stand seiner Erho[e]hung [...] sein Ampt zur Erhaltung der Kirchen/ biß ans End der Welt/ [...] verwalte,263 Deshalb kann sich Vertrauen wie Seufzen der Menschen an den erhöhten Christus richten, der in der Kraft Gottes alles wu[e]rckt/ regiert vnd erfu[e]llt, an allen Enden vnd Orthen gegenwa[e]rtig ist.264 Dies ist der »herrliche Trost«, Christus als Mittler zwischen Gott und Mensch zu haben, zu wissen, daß Christus mit seinem Leiden und Sterben den Menschen erlöst hat und auch nach seiner Himmelfahrt mit dem Menschen zu tun haben will. C h r i stus ist der gegenwärtige Advocat/Agent vnd Regent des Menschen. Wagner b e schließt diesen Abschnitt in assertorischer Gewißheit: Du wirst vns nicht verlassen!265 Von daher versteht sich die scharfe Abgrenzung von der calvinistischen Lehre und damit zugleich, aber nur für Insider erkennbar, auch die Ablehnung des Gießener Standpunktes. 2 6 6 Im Verständnis der Tübinger nimmt eine Lehre, der der Gedanke undenkbar ist, Gott habe in Christus gelitten und die zudem Christus nach seiner Auferstehung in die Ferne rückt, dem Menschen den größten Trost. In einer derartig interpretierten Christologie wird eine D i m e n sion der allen Menschen geltenden göttlichen Anteilnahme ausgeblendet: [ . . . ] / wann wir in angst/gefahr/ not/ja in Todes no[e]tten kommen/ da wir vnsers HErrn Christi Hu[e]lff am allermeisten bedu[e]rffen/ so were er nicht da bey vns auff Erden/ sondern sesse droben auff der blawen Bine/ an einem gewissen ort angebundefn] / wu[e]ste nichts von/ oder vmb vns/ nemme sich vnserer Not nit an/ was were vns da geholffen?267 Aber Christus sitze [...] nicht mu[e]ssig droben/ das er mit seinen Engeln spile vn[d] kurtzweil treibe [...].268 Vielmehr kann der Mensch in Geduld Kreuz, Leiden und Widerwärtigkeit ertragen, weil Christus an Armut, Elend

263

WAGNER: C o m p e n d i u m T . 1, S. 1 4 3 .

WAGNER: Compendium T. 1, S. 142. HEERBRAND: Predigt von der Himmelfahrt, S. C , r : Christus ist kein »Gefangener des Himmels«, denn, wenn der schon im Stand der Erniedrigung sowohl im Himmel als auch auf Erden gewesen ist, wieviel mehr sollte er nach seiner Himmelfahrt alles erfüllen und können. HEERBRAND: Kirchentestament 264

( 1 5 9 3 ) , S. 2 7 6 .

S.

56 2TO

SIGWART: P r e d i g t e n

über

1 Kor

1 5 , S. 6 3 V - 6 4 V .

SIGWART:

Handbüchlein,

f. WAGNER: C o m p e n d i u m T . 1, S. 1 4 3 . SIGWART: H a n d b ü c h l e i n , S. 6 5 .

Vgl. BAUR: A u f dem Weg zur klassischen Tübinger Christologie, S. 231. Er wirft die Frage auf, ob [...] wir es ab Í6Í6 mit einem »calvinisierten« Mentzer zu tun haben. 266

267

HEERBRAND: K i r c h e n t e s t a m e n t , S. 3 0 4 . V g l . HEERBRAND: K i r c h e n t e s t a m e n t , S. 2 8 :

De unione personali in Christo. ANDREAE: Predigt über M t 22, S. 22: Gottes Allmächtigkeit ist nicht an einem bestimmten Ort eingeschlossen. ANDREAE: Sechs Predigten (1573), S. 96: Dargegen aber alle fromme Christen vermanet haben/ daß sie bey den einfeltigen Artickeln / jhres Christlichen Glaubens bleiben/ Christum jnen nit lassen trennen/ sonder denselben gantz/ Gott vnnd Mensch in seinem Wort/ in sein heilige[n] Sacramenten/ vnd allen jren no[e]tten behalten/ [...]. 2 6 8 HEERBRAND: Predigt von der Himmelfahrt, S. C 4 V .

119

Der Trost der Christologie

u n d allem U n g e m a c h Anteil hat u n d sich der M e n s c h der H o f f n u n g trösten kann, er werde dises alles reichlich ersetzet werden.269 H e e r b r a n d r e k u r r i e r t i m Anschluß daran auf Luther, der schon in scharfen W o r t e n den G l a u b e n an einen Christus abgelehnt hat, der nur allein an einem ort/ droben im Himmel/ ein person mit Gott/ vn[d] an allen andern orten allein Gott/ vnd nicht Mensch/ vnd also ein halber vnd zertrennter Christus sei. Für die lutherische O r t h o d o x i e ist es Gotteslästerung, daß G o t t in all seiner Allmacht nicht in der Lage sei, im H i m m e l u n d auf E r d e n präsent zu sein. 2 7 0 Z u s a m m e n f a s s e n d läßt sich festhalten: Eine materiale A u f a r b e i t u n g der christologischen Streitigkeiten auf der G r u n d l a g e der P r e d i g t e n der T ü b i n g e r T h e o l o g e n ist nicht möglich. Aus g u t e m G r u n d blieb dieses schwierige T h e ma der dogmatischen Auseinandersetzung vorbehalten. In d e n P r e d i g t e n w i r d dieses Kapitel dogmatischer T h e o l o g i e mediatisiert, es w i r d auf seine religiöse F u n k t i o n f ü r die Lebensbewältigung des M e n s c h e n h i n abgeklopft u n d somit zur Lebenshilfe gebraucht u n d nicht - w i e Philipp Nicolais E i n s c h ä t z u n g verm u t e n läßt - zur V e r w i r r u n g des »einfältigen Laien« m i ß b r a u c h t . D a ß diese G e f a h r bestand, war d e n T h e o l o g e n durchaus b e w u ß t , u n d sie w u ß t e n sie zu v e r h i n d e r n . Sie folgten d e m Grundsatz, keinen Religionsstreit ü b e r Person u n d Majestät Christi zu f ü h r e n , erst recht nicht mit j e n e n , die nicht gnugsam informiert sind u n d deshalb m e i n e n k ö n n t e n , das B e h a r r e n auf dieser Lehre g e schehe aus H o f f a h r t , Ehrgeiz o d e r gar fleischlicher Z a n k s u c h t heraus. Z u g l e i c h sehen sich aber die T h e o l o g e n i h r e m Gewissen verpflichtet u n d in die Pflicht g e n o m m e n , b e g r ü n d e t aus der Schrift, ihre K e n n t n i s der Z w e i n a t u r e n l e h r e darzulegen. 2 7 1 Interessant ist, daß dieses i m eigentlichen Sinne religiöse Anliegen es auch war, welches letztlich handlungsleitend das E n g a g e m e n t der L u t h e r a n e r auf systematisch-theologischem G e b i e t b e g r ü n d e t . Angemessen, so nämlich Baur, k ö n n e das E n g a g e m e n t n u r verstanden werden, w e n n m a n es v o n seinem »religiösen Impetus« her versteht. 2 7 2 U n d in der Tat, Baurs V e r m u t u n g , daß das starke christologische Interesse der lutherischen T h e o l o g e n an diesem T h e m a nicht auf eine Selbstläuflgkeit z u r ü c k z u f ü h r e n sei, nicht auf einen spekulierend e n U m g a n g mit d e m R e c h t f e r t i g u n g s g l a u b e n , findet insofern auf der P r e d i g t e b e n e volle U n t e r s t ü t z u n g . Es handelte sich nicht u m eine Diskussion allein u m der Lehre willen, die A n w e n d u n g u n d V e r a n k e r u n g i m täglichen L e b e n gab dieser D e b a t t e d e n n o t w e n d i g e n R ü c k h a l t . D a ß die Christologie in d e n Predigten der T ü b i n g e r allein auf diese F u n k tion beschränkt wird, ist u m so b e m e r k e n s w e r t e r w e n n m a n zur K e n n t n i s g e -

269 H E E R B R A N D : Predigt von der Himmelfahrt, S . C 4 V , von der Sturmstillung, S. 6 ff. v 270 H E E R B R A N D : Predigt von der Himmelfahrt, S. C, . 271 O S I A N D E R , A . : Predigt von der Sturmstillung, S. 14. 272 B A U R : Lutherische Christologie, S . 9 3 .

S. E,V.

OSIANDER, A . :

Predigt

120

Die Legitimation

der lutherisch-orthodoxen

Lehre

n o m m e n hat, daß die theologische Diskussion in den beiden anderen Konfessionen allein schon quantitativ dieser innerlutherischen Debatte nichts Äquivalentes entgegenzusetzen hatte. 2 7 3 U n d trotz dieses Engagements in der systematischen Theologie blieb die christologische Debatte der gelehrten Theologie vorbehalten. Dies hinderte die Tübinger T h e o l o g e n freilich nicht daran, in ihren Predigten dezidiert den eigenen Standpunkt z u m Ausdruck bringen, ohne Rücksicht auf alternativ denkbare theologische Differenzierungen. Welche Denkmöglichkeiten des Gebrauchs der göttlichen Majestät im Stande der Erniedrigung die lutherische Lehre bereitstellte, wollten die T ü b i n g e r ihren Predigthörern nicht ü b e r mitteln. R e i n formal agierten sie auf der Grundlage der Konkordienformel, die den lutherischen Konsens wie auch den Dissens mit der reformierten Seite festgeschrieben hatte. Innerlutherisch umstrittene Sachverhalte spielten für sie keine Rolle. Entscheidend ist für sie einzig die mit Christus gesetzte N ä h e Gottes zu den Menschen. In Christus ist Gott selbst im Leiden gewesen u n d trägt weiterhin alles menschliche Leiden mit. 2 7 4 Diesen Z u s p r u c h der N ä h e Gottes sollte der Mensch zuallererst in der Predigt erfahren k ö n n e n . Insofern konnte auch der »einfältige Laie« — o h n e Kenntnis des innerlutherischen Diskussionsstandes — wissen, was es heißt, diesen Christus auf seiner Seite zu haben: Dan wan einer sonsten ein Bruder/ Vetter/ oder nahen Verwandten an eines grossen Herrn Hofe hat/ vnd derselb ist hey den Regierenden Herrn wol angesehen/ so tro[e]stet vnd erfrewt er sich dessen hillich/ vnd verhofft sein auff den notfahl zugenies275

sen. Aus der Notwendigkeit der Kenntnis der Zweinaturenlehre u n d der Lehre von der Ubiquität heraus versteht sich das Anliegen der T ü b i n g e r Theologen, auch die leibliche, sichtbare Erfahrbarkeit dieser N ä h e d e m Laien zu vermitteln. D e r h o h e Abstraktionsgrad, den die so interpretierte Christologie — bei aller Anwendungsbezogenheit — erforderte, veranschaulicht den Wert, den die T h e o l o g e n der Abendmahlspraxis beimessenen m u ß t e n . Zeigt doch im Verständnis der lutherisch-orthodoxen T h e o l o g e n die Realpräsenz im A b e n d mahl, daß Christus eben nicht nach seiner Auferstehung mit den Menschen seiner menschlichen N a t u r nach nichts m e h r zu tun haben will. H e i ß t es doch, so unterstreicht Andreae, dies ist mein Leib, u n d eben nicht, dies ist mein Geist. 276 273

BAUR: L u t h e r i s c h e C h r i s t o l o g i e , S. 92 A n m . 22.

274

ANDREAE: P r e d i g t ü b e r M t

2 2 , S. 1 5 . OSLANDER, A . : K r e u z p r e d i g t , S. 7 - 1 2 . KELLER:

L e i c h e n p r e d i g t R a i t h (Predigttext), S. 12. WAGNER: L e i c h e n p r e d i g t C r o n e g h , S. 8 f. REUCHLIN: C h r i s t e n t u m , S. 248. 275 OSIANDER, A.: P r e d i g t v o n der Sturmstillung, S. 11. Vgl. BAUR: L u t h e r i s c h e C h r i stologie, S. 119 f. A u f die U b e r e i n s t i m m u n g m i t d e n einjeltigen Artickeln/ jhres Christlichen Glaubens (hier des Artikels v o n der M e n s c h w e r d u n g Christi) weist A n d r e a e selbst hin.Vgl. ANDREAE: Sechs P r e d i g t e n , S. 77, S. 96. 276 ANDREAE: Predigt ü b e r M t 22, S. 38. HEERBRAND: K i r c h e n t e s t a m e n t , S. 296, S. 3 0 3 .

Die Qualität der Sakramente

3. Sakramente

und

121

Lebenswandel

3.1 Die Qualität der Sakramente Im Unterschied zu den bislang behandelten T h e m e n b e r e i c h e n gehört die Sakramentstheologie zu j e n e n Sachverhalten, die in den Predigten ausfuhrlich zur Sprache k o m m e n . Dabei sind aus quantitativer Sicht zwei Beobachtungen zu machen: zunächst wird in der Sakramentslehre der Lehre v o m Abendmahl eine weitaus gewichtigere Rolle zugedacht als der Lehre von der Taufe, z u d e m ist eine deutliche H ä u f u n g in der ersten Phase des Untersuchungszeitraumes festzustellen. Es gibt eine ganze R e i h e gedruckter Predigten, die sich explizit mit der Abendmahlslehre beschäftigen. Die von Sigwart zu diesem T h e m a 1601 veröffentlichten Vierzehen Predigten: Darin Die gantze Lehr vom H. Abendtmal/ Auß der Ersten Epistel S. Pauli an die Corinther/ ordenlich zusamen verfaßt [...]. haben fast Vorlesungscharakter, der durch beigefügte Schemata dogmatischen Inhalts n o c h verstärkt wird. 2 7 7 N e b e n diesen Lehrpredigten wird das T h e m a aber auch in Predigten, die den Z u s a m m e n h a n g von christlichem Leben, Sünde u n d B u ß e und der damit verbundenen Konsequenzen für das Alltagsverhalten thematisieren, angesprochen. Dies ist auch der Punkt, an d e m der A b e n d mahlsempfang über die Zulassungsregelung z u m e m i n e n t e n Machtfaktor in der H a n d des Predigers wird u n d somit das A b e n d m a h l zutiefst gesellschaftspolitische Funktion erhält. Eine Funktion, die die Taufe nicht erfüllen kann, denn sie begründet in einem einmaligen Akt die A u f n a h m e in die c o m m u n i o sanctorum u n d wird zudem bedingungslos an K i n d e r n vollzogen. 2 7 8 Vielleicht ist die regulative Funktion auch der G r u n d dafür, weshalb weitaus häufiger Predigten zur Abendmahlsthematik publiziert w u r d e n als Taufpredigten, bei denen sich aber genauso eine Aufteilung in spezielle Taufpredigten u n d P r e digten, die die Taufe in anderem Kontext behandeln, finden lassen. D e r im Abendmahl gegebene enge Z u s a m m e n h a n g von Sakrament u n d Ethik mag für die G e w i c h t u n g verantwortlich sein. In einem ersten Abschnitt sollen n u n zunächst die Grundsatzfragen der Sakramentstheologie behandelt werden. Z u ihrer E r ö r t e r u n g soll auf die für die H a n d des Laien verfaßten Glaubenslehren und die K o m p e n d i e n zurückgegriffen werden, in den Predigten selbst wird die reine Sakramentslehre so gut wie gar nicht angesprochen. Ä u ß e r u n g e n hierzu finden sich zumeist im Z u s a m m e n h a n g mit d e m konkreten Sakramentsvollzug in Taufe u n d Abendmahl. In diesem Kontext n e h m e n die Theologen dann sehr deutlich auf, was in der theologischen Literatur unter d e m Stichwort »Sakrament« gefaßt wird. Auffäl-

277

SIGWART: Predigten v o m A b e n d m a h l . ANDREAE: Christliche Anleitung, S. 336. W ü r t t e m b e r g i s c h e G r o ß e n u n g , S. liiv. HAFENREFFER: Loci Theologici (1600), S. 310. 278

Kirchenord-

122

Die Legitimation

der lutherisch-orthodoxen

Lehre

lig ist dabei, daß in allen Glaubenslehren, im Kirchentestament des Jacob Heerbrand 2 7 9 , im Handbüchlein des Johann Georg Sigwart 2 8 0 , wie auch in Wagners Compendium 2 8 1 sowie in Jägers Compendium 2 8 2 bei der allgemeinen Erläuterung von Taufe und Abendmahl zunächst auf die Fragstücke des Johannes Brenz zurückgegriffen wird. O h n e namentliche Verweisung geben die Autoren die von Brenz gebrauchte Terminologie wieder, der Taufe und Abendmahl j e als Sakrament und göttlich Wortzeichen bezeichnet. 2 8 3 Die ausfuhrlichste Definition zum T h e m a Sakrament bietet Sigwart. C h a rakteristisch für ein Sakrament ist demnach: Seine Einsetzung durch Gott selbst und das Hinzukommen der Einsetzungsworte zur äußeren Zeremonie. Mit dem Sakrament ist eine Verheißung — Sündenvergebung und ewiges L e ben — verbunden, in ihm werden geistliche Gutthaten dem Gläubigen zugeeignet, es muß in der Bibel begründet sein, allein in der Kirche Gottes gebraucht werden, allen Gliedern der Kirche zugehören und bis heute gebraucht werden. 2 8 4 Das Sakrament konstituiert sich somit durch das äußere, sichtbare Z e i chen und das Wort der Verheißung. 2 8 5 Die Sakramente sind so besondere Kennzeichen des Volkes Gottes, ein Stück des Bekenntnisses zur Lehre, aber auch das Band der christlichen Versammlung, das zur Erinnerung der Einigkeit gegeneinander und zur Stärkung des Glaubens dient. 2 8 6 Ihr Nutzen liegt darin begründet, daß sie zeigen, wie freundlich vnd leuthselig GOtt gegen vns armen/ su[e]ndigen Menschen sey/ [...], der seine Verheißung mit Hilfe der Sakramente sichtbar bestätigen will. 2 8 7

HEERBRAND: Kirchentestament, S. 179: Abendmahl. SIGWART: Handbüchlein, S. 235: Taufe; S. 258: Abendmahl. 2 8 1 WAGNER: Compendium T. 1, S. 58; besonders auffällig bei der Erläuterung des Nutzens (S. 60). 2 8 2 JÄGER: Compendium Theologiae, S. 293: VErbum Evangelii VISIBILE sunt Sacramenta. Sacramentum in Genere est Actio divinitus instituta, qua DEUS per certum Institutionis Verbo ordinatum Elementum, coelestia sua BONA dispensat, & promissionem Gratiae suae, omnibus qui Sacramentis rite utuntur, applicat, confirmat & obsignat. 2 8 3 BRENZ: Fragstücke. In: WEISMANN: Eine kleine Biblia, S. 113:Taufe; S. 115: Abendmahl. Zur Bezeichnung »Wortzeichen« vgl. den Exkurs bei WEISMANN: Die Katechismen des Johannes Brenz, S. 299—312. 279 280

284

SIGWART: H a n d b ü c h l e i n , S. 2 0 8 f. HEERBRAND: C o m p e n d i u m T h e o l o g i a e

(1573),

S. 308. HAFENREFFER: Loci Theologici (1600), S. 2 8 2 . JÄGER: Compendium Theologiae, S.

307. 283

SIGWART: H a n d b ü c h l e i n ,

S. 2 1 0 . WAGNER: C o m p e n d i u m

T.

1, S. 5 6 .

HEERBRAND:

Compendium Theologiae (1573), S. 3 0 6 f. Ein Sakrament ist [...] ceremonia, uel Sacra actio in Euangelio diuinitus instituta, constans uerbo Dei & Elemento, qua tanquam sigillo, promissio Euangelij propria de gratia, & reconciliatione cum Deo applicatur, confirmatur, & obsignatur. Atq[ue] ita Sacramenta nihil aliud sunt, quam promißiones Euangelicae, certa externa ceremonia uestitae. HAFENREFFER: Loci Theologici (1600), S. 2 7 4 f. 286

SIGWART: H a n d b ü c h l e i n , S. 2 1 1 .

287

WAGNER: C o m p e n d i u m T . 1, S. 5 7 .

Taufe und Lebenswandel

123

M i t dieser positiven Darstellung des eigenen lutherischen Sakramentsverständnisses geht die polemische Auseinandersetzung einher. A n g r i f f s p u n k t e auf dieser allgemeinen Stufe sind vor allem die Siebenzahl der S a k r a m e n t e auf katholischer Seite. 2 8 8 U b e r die starke B e t o n u n g der Sakramentstheologie mit i h r e m b e s o n d e r e m S c h w e r p u n k t in der Abendmahlslehre, wie sie in d e n P r e d i g t e n vorliegt, lassen sich einige V e r m u t u n g e n anstellen. Gerade in der Sakramentspraxis tritt die lutherische Lehre ihrer äußeren, n e u e n F o r m nach d e n Gläubigen sichtbar gegenüber. I m Vollzug der Sakramente handelt auch die lutherische Kirche symbolhaft. D a ß dieses H a n d e l n nicht z u m inhaltsleeren Vollzug, z u m b l o ß e n R i t u s w u r d e o d e r blieb, daran m u ß t e den P r e d i g e r n gelegen sein. Eine G e fahr, die v o n d e n P r e d i g e r n deutlich erkannt w u r d e . A n d r e a e ä u ß e r t sich in einer Predigt Von der heiligen Tauff besorgt ü b e r die g r o ß e U n k e n n t n i s , die eine B e f r a g u n g u n t e r K i n d e r n z u m T h e m a Taufe zutage gefordert hat. Dies liege z u m einen daran, daß die Herrschafften nicht danach fragen, [...] ob/ wie vnd mit was fleiß jre Vnderthonen gelert werden/ [...].2H9 Z u m anderen liege dies an d e n Eltern, die sich e n t w e d e r w e n i g o d e r gar nicht u m solche Fragen k ü m m e r n . W e n n aber ein K i n d g e b o r e n wird, so eilen sie auff das hefftigst/ das es getaufft werde/ vnnd kan der Pfaff nicht zeit gnu[o]g kommen/ so fürchten sie/ es werde ettwas an den Kindern versaumpt/ so sie aber getaujft worden sein/ fragen sie nicht mehr darnach/ was bey der heiligen Tauff geredt vnnd gehandelt worden ist. Ja, einige Väter sitzen w ä h r e n d der Taufe lieber b e i m W e i n u n d m a n c h e Paten m e i n e n , wann sie da gestanden/ dem Kind ein Dottengelt gegeben haben/ so haben sie es gleich wol außgericht/ [...]• Passagen w i e diese zeigen deutlich die Kluft, die die Vorstellungen der T h e o l o g e n v o n j e n e n der Laien trennt. A u c h in der Abendmahlspraxis zeigt sich, daß die Prediger dagegen a n k ä m p f e n m u ß t e n , die Lehre als inhaltsleeren R i t u s zu betrachten, der d a n n überflüssig w i r d o d e r sich selbst ad absurdum f u h r t . G i b t es d o c h Leute, so Andreae, die m e i n e n , sie k ö n n t e n Christen sein, o h n e jemals a m A b e n d m a h l t e i l g e n o m m e n zu haben. Sie sagen, so referiert er, sie betrachten alle Stund vnd Tag das leiden Christi/ sie gedencken jmmer an jne/ [...].290 Andererseits w i r d der gängigen Abendmahlspraxis entgegengehalten, daß bei L e u t e n , die a m A b e n d m a h l t e i l n e h m e n , eine Besserung ihres Verhaltens n i c h t zu verzeichnen, ja häufig gar das Gegenteil festzustellen sei. 291 In negativer F o r m u l i e r u n g sind h i e r m i t zwei wichtige Faktoren der Abendmahlspraxis angesprochen, die z u gleich die wechselseitige Verflechtung von theologischer u n d sozialer E b e n e a n d e u t e n . D e r erste E i n w a n d widerspricht der theologischen R e d e v o n der

288 H E E R B R A N D : Kirchentestament, S. 157-167. H E E R B R A N D : Compendium Theologiae (1573), S. 314-320. H A F E N R E F F E R : Loci Theologici (1600), S. 286-301. 289 Vgl. zum folgenden A N D R E A E : Predigten in Lauingen, S . LIIr. r 290 A N D R E A E : Predigten in Lauingen, S . LXII . r 291 A N D R E A E : Predigten in Lauingen, S. LXIl .

Die Legitimation

124

der lutherisch-orthodoxen

Lehre

c o m m u n i o sanctorum, aus der sich, woran der zweite Kritikpunkt Anstoß n i m m t , Konsequenzen flir das täglichen Leben ergeben sollten. W i e diese Verflechtung im einzelnen aussieht, soll im folgenden anhand der beiden Sakramente von Taufe u n d Abendmahl dargestellt werden. 3.2

Taufe und

Lebenswandel

Die Taufe tritt als äußerlich sichtbares Z e i c h e n zum Wort, auf das sich der Glaube verläßt, hinzu. 2 9 2 Die sakramentale H a n d l u n g wird somit z u m verbum visibile u n d hat die Aufgabe der Vergewisserung. 2 9 3 Damit gerät die Taufe in Gefahr, die Alleinwirksamkeit des Glaubens in Frage zu stellen. 294 Gerade aber dadurch, daß sie an Kindern vollzogen wird, wird deutlich, daß sie ein einseitiger Akt des Zuspruchs göttlicher Verheißung ist u n d keine aktiv v o m M e n schen zu erbringende Leistung. 2 9 5 Die Taufe ist auch unabhängig von der Würdigkeit des sie vollziehenden Pfarrers. 2 9 6 In der Taufe n i m m t Gott selbst den Täufling als sein Kind an, vergibt im all sein vnreinigkeit vnd Sünden/ vnnd will es in seinem gna[e]digen Schutz vnnd Schirm erhalte[n],297 In dieser Kindschaft wird das personale Verhältnis von Gott u n d Mensch begründet u n d i h m somit eine neue Qualität verliehen. 292 H E E R B R A N D : C o m p e n d i u m T h e o l o g i a e (1573), S. 324: Non quod ex opere operato, hoc est propter ipsius operis dignitatem saluet. Non enim Sacramentum ipsa, sed Fides Sacramentorum iustificat & saluat. 2 9 3 ELERT: L u t h e r t u m . Bd. 1, S. 258 f. W ü r t t e m b e r g i s c h e Große Kirchenordnung, S. liii r : [...] / so kan man sich darauß wol erinnern/ das er [die Taufe] sey ein Go[e]ttliche Ceremonia vn[d] heilig Sacrament/ dardurch wir vnsers Beru[oJffs zu[o]r Kindtschafft Gottes vergwißt/ vnd in die Posseß der ewigen himmelischen Gu[e]tter eingesetzt werden. SIGWART: H a n d b ü c h l e i n , S. 210. H E E R B R A N D : C o m p e n d i u m T h e o l o g i a e (1573), S. 321. H A F E N R E F F E R : Loci T h e o logici (1600), S. 302: Baptismus est Sacramentum noui Testamenti, institutum diuinitüs: in quo Deus hominem peccarorum, in nomine Patris, Filij, & Spiritus sancti aqua baptizatum, regenerat, & remißis per Christum peccatis in gratiam recipit, atq[ue] filium & haeredem adscribit omnium coelestium bonorum. 294 SIGWART: H a n d b ü c h l e i n , S. 240 f. 295 H E E R B R A N D : K i r c h e n t e s t a m e n t , S. 168. Z u r K i n d e r t a u f e H E E R B R A N D : C o m p e n d i u m T h e o l o g i a e (1573), S. 3 3 1 - 3 3 3 . H A F E N R E F F E R : Loci T h e o l o g i c i (1600), S. 319— 323. 296 SIGWART: H a n d b ü c h l e i n , S . 212: Sakramente sind Gottes Werk, deshalb n i m m t o d e r gibt menschlicher Glaube oder U n g l a u b e nichts. U n d trotzdem verweist JÄGER: C o m p e n d i u m Theologiae, S. 294 auf den ordentlich ordinierten Geistlichen: Causa Ministerialis ordinarie & extra Casum necessitatis, est publicus Ecclesiae Minister, legitime vocatus, orthodoxus ab accipiente diversus; Secus se res habet in casu Necessitatis. 297 A N D R E A E : Christliche Anleitung, S. 6 5 f. A N D R E A E : Predigten in Lauingen, S. I V R . G o t t wolle d e m G e t a u f t e n ein gnädiger G o t t sein [...] / vnd verzeihe jhm alle Su[e]nd/ auß lauter Gnad/ von wegen JEsu Christi/ vnd nehme Jhn auff an ein Kindsstatt/ vnd Erben aller Himmlischen Gu[e]ter/ [...]. So WAGNER: C o m p e n d i u m T. 1, S. 60 in enger A n l e h n u n g an den Brenzschen Katechismus. H E E R B R A N D : C o m p e n d i u m Theologiae ( 1 5 7 3 ) , S. 3 2 3 : [ . . . ] in nomen Christi baptizadi, est per Baptismum in communionem omnium bonorum Christi consecrari, inseribi, & incorporari.

Taufe und

125

Lebenswandel

D e r »Nutzen« der Taufe unterliegt damit d e m Schema der Rechtfertigung: Vergebung der Sünden, Gerechtigkeit vor Gott, Seligkeit u n d ewiges Leben. 2 9 8 D e r Mensch kann sich durch seine Taufe in Anfechtung/ in allem Creutz/ Leiden vnd Verfolgung/ im Leben vnd Todt eines gnädigen Gottes gewiß sein. 299 Das Sakrament ist somit Brief vnd Sigel der Gnade Gottes. 3 0 0 Dieses Siegel müsse bewahrt werden, das heißt, die Taufe dürfe »nicht gering« gemacht werden durch Lästern, Schänden des Nächsten, öffentliche Sünden u n d Laster, da sonst der Mensch keinen Fürsprecher im Gericht habe. 301 Dies ist der Aspekt der Taufe, der auf die alltägliche Lebensgestaltung abzielt. Die Taufe eröffnet einen H o r i z o n t u n d steckt zugleich den R a h m e n ab, innerhalb dessen menschliches Handeln Gottes gnädigem Schutz untersteht. D e n n die Taufe ist nach d e m Verständnis der Theologen nichts, was nur den inneren Menschen betrifft: [...] / Also sollen auch wir in einem neüwen Leben wandten/ das auch die so getaufft werde[n]/ Christum anziehen/ vnd das derTauff sey ein Bad der Widergeburt/ der Reinigung vnd der Erneüwerung des heiligen Geists/ [...].302 Der Z u s a m m e n h a n g zwischen d e m durch den heiligen Geist erneuerten Menschen u n d dessen Lebenspraxis wird im Kontext der Wahl der Paten angesprochen. Hier zeigt sich, daß Eltern und Pfarrer bei der Wahl der Paten auch deren ehrbaren Lebenswandel beachten sollen, [...] / das zu[o] Geuattern des Kinds tauff/ nicht leichtuertig Personen/ so in öffentlichen Lastern vnbu[ojßfertig verhaßt/ sonder ehrlich vnd Gottsfo[e]rchtig Leüt angenom[m]en werdefn]/ darmit nit durch der Geuattern vnerberkeit das heilig Sacrament [...] geschendet werde.303 Die Taufe wird somit ein jmmerwehrendes Denckmal deß waaren Christenthums [...] / sich vor wissentlichen/ groben/ vorsetzlichen Su[e]nden zu hu[e]ten/ [,..]304; sie ist

298

SIGWART: H a n d b ü c h l e i n ,

S. 1 3 8 .

S . 3 2 9 f . HAFENREFFER: L o c i T h e o l o g i c i

HEERBRAND:

Compendium

Theologiae

( 1 6 0 0 ) , S. 3 1 3 f . V g l . E L E R T : L u t h e r t u m .

(1573), Bd.

1,

S. 2 5 8 . 299

W A G N E R : C o m p e n d i u m T . 1 , S . 6 1 . SIGWART: H a n d b ü c h l e i n , S . 2 3 8 f . HEERBRAND:

C o m p e n d i u m T h e o l o g i a e (1573), S. 327: Vt baptizatus hoc modo perpetüo consoletur, &fidem suam exerceat, erigat, confirmet, conseruet, atq[ue] omnes tentationes uincat, quod uidelicet baptizatus ä Deo sit receptus in gratiam: idq[ue] Baptismi Sacramento, atq[ue] foedere inito canfirmasse Deum, quod ad ipsum pertineant omnia Christi beneficia. 3 0 0 ANDREAE: C h r i s t l i c h e A n l e i t u n g , S. 71. ANDREAE: P r e d i g t e n in L a u i n g e n , S. LVII V . 3 0 1 ANDREAE: C h r i s t l i c h e A n l e i t u n g , S. 74. 302 W ü r t t e m b e r g i s c h e G r o ß e K i r c h e n o r d n u n g , S. liii r . 303 W ü r t t e m b e r g i s c h e G r o ß e K i r c h e n o r d n u n g , S. liiii r . So w i r d ausdrücklich b e s t i m m t , daß E h e b r e c h e r selbst d a n n , w e n n sie schon mit der Kirchen wieder ausgeso[e]hnet v o m P a t e n a m t ausgeschlossen bleiben, weil ehrliche Leut darzu geho[e]ren.Vgl. dazu C y n o sura O e c o n o m i a e Ecclesiasticae W i r t e m b e r g i c a O d e r : S u m m a r i s c h e r E x t r a c t d e r e n in d e m H e r t z o g t h u m W u [ e ] r t e m b e r g zu E r h a l t u n g Evangelischer K i r c h e n - Z u c h t u n d O r d n u n g e n n a c h u n d n a c h ausgeschriebener H o c h - F u [ e ] r s t l . R e s c r i p t e n , D e c r e t e n u n d R e s o l u t i o n e n , C a p u t X I V : Von der H . TaufF u n d Gevatterschafft. In: R e y s c h e r (Hrsg.): S a m m l u n g w ü r t t e m b e r g i s c h e r Gesetze. B d . 8, S. 4 2 7 - 4 3 0 , h i e r S. 4 2 9 . 304

W A G N E R : C o m p e n d i u m T . 1, S. 6 2 f .

126

Die Legitimation

der lutherisch-orthodoxen

Lehre

so Motivation, die angefangene Erneuerung fortzutreiben, ohne diese im Leben j e vollkommen erreichen zu können. 3 0 5 Dieser Anspruch zeigt deutlich, daß die Taufe nicht als abgeschlossenes Geschehen verstanden wird, ihre B e deutung erschöpft sich mitnichten im Vollzug des sakramentalen Aktes. Aus der Taufe leiten sich ekklesiale (Kirche als Leib Christi) und gesellschaftliche Konsequenzen ab. D e r Mensch bleibt immer auf die Taufe rückbezogen, sie weist aber zugleich — über das Verheißungswort — auf die eschatologische Vollendung hin und stellt deshalb diesseitiges Leben auf B u ß e als tragendes Fundament. Für die Theologen der lutherischen Orthodoxie muß deshalb nach neutestamentlichem Vorbild unbestritten sein, daß die Taufe, verstanden als Bad der Wiedergeburt, ohne welche keiner in das R e i c h Gottes eingehen kann, konstitutives M o m e n t des Christseins ist. 306 Diese pauschale Ablehnung einer Heilsteilhabe der Ungetauften wird aber an anderer Stelle modifiziert. In seinem Kirchentestament macht Heerbrand deutlich, daß nicht der Mangel, sondern die Verachtung des Sakraments verdammlich ist. 307 Deshalb machen sich beispielshalber die Wiedertäufer 3 0 8 an der Verdammnis ihrer Kinder schuldig, wenn sie mit deren Taufe warten, bis ihre Kinder zu jhren versta[e]ndtlichen tagen kommen. 3 0 9 Das heißt auf der anderen Seite aber auch, daß Kinder, die vor oder während der Geburt sterben, bzw. bevor sie die Taufe empfangen konnten, hierunter nicht zu zählen sind. Die Taufe besagt nun freilich nicht, daß die Sünde im Menschen ausgetilgt ist; sie besagt vielmehr, daß sie nicht zu[o]gerechnet würdt/ vmb Christus willen/ /. . J . 3 1 0 Die Taufe schließt den Mutwillen und das Böse, die sich bei getauften Kindern in späteren Jahren zeigen können, nicht aus, wird doch die Erbsünde nicht mit der Wurzel ausgerottet. Andererseits können die von Christus erworbenen Gutthaten verloren werden. Deshalb sollen Eltern ihre Kinder mit »ernstlicher Zucht« erziehen, damit die Kinder nicht gottlos werden. 311

305

SIGWART: H a n d b ü c h l e i n , S. 2 5 6 .

306

ANDREAE: Christliche Anleitung, S. 69. ANDREAE: Predigten in Lauingen, S. LIII V .

SIGWART: H a n d b ü c h l e i n , S. 2 4 4 . HEERBRAND: C o m p e n d i u m T h e o l o g i a e ( 1 5 7 3 ) , S. 3 2 4 ff.

HAFENREFFER: Loci Theologici (1600), S. 282: Vsus non arbitrarius, sed necessarius, secundum scripturam. 307 HEERBRAND: Kirchentestament, S. 170. SIGWART: Handbüchlein, S. 252: [...] nicht die nothdringende Unterlassung/ sondern die Verachtung derTauJfe verdammt einen Menschen. HOCHSTETTER, J . A . : C a t e c h i s m u s - L e h r e , S. 1 0 5 f. 308 Zur Auseinandersetzung mit den Wiedertäufern vgl. HEERBRAND: Compendium Theologiae (1573), S. 333 und HAFENREFFER: Loci Theologici (1600), S. 330. 309

HEERBRAND: K i r c h e n t e s t a m e n t , S. 1 6 9 .

ANDREAE: Predigten in Lauingen, S. LVIP. SIGWART: Handbüchlein, S. 242. HEERBRAND: Compendium Theologiae (1573), S. 330. HAFENREFFER: Loci Theologici (1600), S. 317. 311 SIGWART: Handbüchlein, S. 254 f. Vgl. ANDREAE: Predigten in Lauingen, S. LVIP. 3,0

Taufe und

Lebenswandel

127

Damit ist es aber nicht von no[e]tten/ das der Mensch wider getauft werde/ sonst mu[e]ßte man nichts thu[o]n/ dann jmmerdar teüffen/ seittenmal wir vil vnd offt fallen/ sonder der getaufft soll Bu[oJß wircken/ / \ . J . 3 1 2 W i e auch die Taufe die Aufnahme in eine Gemeinschaft darstellt, in der nicht alle die from[m] seyen/ so sich des Herrn Christi vnd seines Euangeliums annemmen/ sonder vnder den from[m]men vil bo[e]ser gefunden werden/ ohn rechten Glauben vnd Erkan[n]tnuß Gottes/ ohn alle rechtschaffene jnnerliche Bu[ojß/ [...].Die Unbußfertigen, die in der christlichen Gemeinde sind, schließen nicht aus, daß andere Predigt und Sakramente recht gebrauchen. Daß der Akt des Taufens als solcher fester Bestandteil j e n e r Erwartungen war, deren Erfüllung sich das Volk traditionell vom kirchlichen Angebot versprach, wird immer wieder deutlich. Die Taufe gehört neben Heirat und B e erdigung fest zu j e n e n Ubergangsriten 3 ' 4 , an denen sich von j e h e r kirchliche Handlung und individueller Lebenszyklus miteinander verbinden: [...] / so haben auch die Christlichen Elter nicht rhu[o]w/ biß sie jre Kinder zu[o]m heiligen Tauff befürdert haben/ [. .-J. 3 1 5 Dieses Drängen nach liturgischer Form zeigt eine lebensgeschichtliche Traditionsverbundenheit der Religiosität der Laien. 3 1 6 Damit dieser Initiationsakt nicht im Individuellen stehen bleibt, sondern die damit vollzogene Aufnahme in die communio sanctorum ihren Ausdruck findet, empfiehlt die Württembergische Große Kirchenordnung, das Kind an einem S o n n - oder Feiertag, zumindest aber an einem Tag, an dem gepredigt wird, in der Gemeinde zu taufen. 3 1 7 Die Kirchenordnung schreibt damit zugleich die Kindertaufe als Regelfall fest. Die Theologen begründen dies zum einen mit dem ausdrücklichen Befehl Christi und zum anderen mit der Verweisung auf die Erbsünde, derzufolge auch Kinder von Natur aus unter dem Z o r n Gottes stehen. 3 1 8 Die Einwände gegen die Kindertaufe, vornehmlich an die Adresse der Wiedertäufer gewandt, werden mit Hinweis auf alt- und neutestamentliche Stellen (Jes 49,21; Apg 16,15;32) außer Kraft gesetzt. Die aus dem Taufbefehl (Mt 28, 19) abgeleitete Reihenfolge von Lehren und Taufen ist hinfällig, weil doch schon die Eltern das Evangelium von Christo erlernet haben?w

ANDREAE: Predigten in Lauingen, S. LVII r . ANDREAE: Christliche Anleitung, S. 51. 3 , 4 Vgl. VAN GENNEP: Ubergangsriten. Zu Kindheit und Jugend, Kap. 5; zu Verlobung und Heirat, Kap. 7; zur Bestattung, Kap. 8. 3 1 5 ANDREAE: Christliche Anleitung, S. 69. 3 , 6 EBERTZ; SCHULTHEIS: Einleitung: Populäre Religiosität, S. 22. 3 1 7 Württembergische Große Kirchenordnung, S. liiiv. Auch SIGWART: Handbüchlein, S. 2 4 2 plädiert für die Haustaufe nur im Ausnahmefall. Zur Form der Taufe vgl. HAFENREFFER: Loci Theologici (1600), S. 307. Die private Taufe solle nur In Casu necessitatis durchgeführt werden. 312

313

3,8

SIGWART: H a n d b ü c h l e i n , S. 2 4 5 ff. HEERBRAND: K i r c h e n t e s t a m e n t , S. 1 6 9 .

319

SIGWART: H a n d b ü c h l e i n , S. 2 4 7 f.

128

Die Legitimation

der lutherisch-orthodoxen

Lehre

A u c h w e n n die Prediger sich sonst keine G e l e g e n h e i t e n t g e h e n lassen, das spezifisch lutherische M o m e n t ihres Glaubens darzustellen, wird die auf k a tholischer Seite i m N a m e n des trinitarischen Gottes vollzogene Taufe v o n d e n L u t h e r a n e r n a n e r k a n n t . Dies ist ein A n z e i c h e n f ü r das B e m ü h e n der Prediger, eine e h e r g e m e i n christliche als eine konfessionelle F u n d i e r u n g der f r ü h n e u zeitlichen Gesellschaft anzustreben. 3 2 0 Generell w i r d aber rigoros mit j e n e n Z e r e m o n i e n abgerechnet, die auf katholischer Seite m i t der T a u f h a n d l u n g v e r b u n d e n sind. G e g e n ü b e r d e n d o r t h i n z u t r e t e n d e n E l e m e n t e n w i r d b e t o n t , w i e gleichgültig die A u s f ü h r u n g der T a u f h a n d l u n g selbst ist. In der W ü r t t e m bergischen G r o ß e n K i r c h e n o r d n u n g v o n 1559 wird ausgeführt: Das aber das Kind im Tauffen in oder außgewickelt/ ein oder drey mal begossen/ in das Wasser eingedaucht/ oder mit Wasser besprengt werde/ ist an jm selbs mittelma[e]ssig.321 W i e sich d e n n G o t t n u r des äußerlichen Wassers bedient, w i e w o h l er auch anders w i r k e n k ö n n e . 3 2 2 A m Beispiel des auf katholischer Seite bei der Taufe d u r c h g e f ü h r t e n Exorzismus läßt sich der polemische U m g a n g mit d e n Z e r e m o n i e n der Gegenseite zeigen. D e n n wäre deren zeremonielles H a n d e l n recht, dann, so Andreae, m ü ß t e j e d e Hausfrau, bevor sie eine Mahlzeit bereitet, d e n Teufel b e s c h w ö r e n , aus Salz u n d Wasser auszufahren. 3 2 3 W o m i t in d e n A u g e n der L u t h e r a n e r das katholische Verfahren ad a b s u r d u m g e f ü h r t ist. Seitens der G e m e i n d e bestanden aber feste E r w a r t u n g e n an den T a u f e n d e n u n d dessen H a n d e l n . Dies wird in der K i r c h e n o r d n u n g berücksichtigt, die ein e n stets reproduzierbaren M o d u s festgelegt u n d somit d e m Verlangen der G e m e i n d e nach e i n e m festen R i t u s R e c h n u n g trägt: Jedoch/ dieweil in der Kirchen alles ordenlich vnd zu[o]r Besserung geschehen soll/ haben wir für nutzlich bedacht/ das die Kindlin außgewickelt/ doch allerley Gefahr zu[o]uerhu[e]tten/ nicht ins Wasser gedaucht/ sonder mit dem Wasser also nackend begossen werden/ es were dann sach/ das das Kind so schwach/ das es den Lufft oder Kelte nicht wol leiden mo[e]chte/ als dann mage es eingewickelt wolgetaufft werden.324 I n d e m die lutherische Kirche d e m Bedürfnis nach rituellem Vollzug sakraler H a n d l u n g e n t g e g e n k o m m t , akzeptiert sie insgeheim die b e i m »gemeinen M a n n « mit der Taufe v e r k n ü p f t e n magischen Vorstellungen, die e b e n d u r c h

320

ANDREAE: P r e d i g t e n in H a g e n a u , S. 2 5 2 . ANDREAE: C h r i s t l i c h e A n l e i t u n g , S. 57. Vgl. a u c h ELERT: L u t h e r t u m . B d . 1, S. 255. Z u r p o l e m i s c h e n A u s e i n a n d e r s e t z u n g m i t der k a t h o l i s c h e n K i r c h e vgl. HAFENREFFER: Loci T h e o l o g i c i (1600), S. 3 2 9 f. 321 W ü r t t e m b e r g i s c h e G r o ß e K i r c h e n o r d n u n g , S. liiiv. Vgl. SIGWART: H a n d b ü c h l e i n , S. 236. 322 ANDREAE: P r e d i g t e n in L a u i n g e n , S. LIIII V . SIGWART: H a n d b ü c h l e i n , S. 2 5 2 . 323 ANDREAE: P r e d i g t e n in H a g e n a u , S. 2 5 3 f. D e r p o l e m i s c h e Vergleich m i t G ü t e r n des täglichen Bedarfs ist ü b r i g e n s beliebt. Vgl. HEERBRAND: K i r c h e n t e s t a m e n t , S. 167 bei der » Z u r ü s t u n g des Öls a m G r ü n d o n n e r s t a g « : Wer es liset/ soll billich von Hertzen darob erschro[e]cken/ daß so vil Teuffei im Oel sitzen/ wer sollte gern ein Salat essen/ dieweil die Teuffei nicht auß dem Oel zuuor [...] außgetriben sind? 324 W ü r t t e m b e r g i s c h e G r o ß e K i r c h e n o r d n u n g , S. liiii r .

Taufe und Lebenswandel

129

die in der Macht des Menschen liegende rituelle A u s f ü h r u n g eine Garantie über die Verfügbarkeit des Heiligen zu bieten scheinen. D i e T h e o l o g e n verstanden die Taufe als O r t einer spirituellen Vermittlung der Heilsgewißheit, gerade die Kindertaufe galt ihnen als sichtbarer Ausdruck der z u v o r k o m m e n den göttlichen Gnade. D e r »gemeine Mann« hingegen interpretierte vornehmlich die äußere, rituelle H a n d l u n g des Taufvollzugs u n d konnte die Taufe so weiterhin mit magischen Vorstellungen verknüpfen. 3 2 5 Eine intensive Ausprägung hatten diese Vorstellungen im Kontext j e n e r Frömmigkeit erfahren, die sich im Spätmittelalter mit Sakramenten u n d Sakramentalien verband. 3 2 6 D i e spätmittelalterliche Kirche, obwohl diesen Frömmigkeitsformen durchaus auch reserviert gegenüberstehend, bot R a u m für deren Praktiken. Ihr gelang es so, diese F o r m e n zu integrieren. D i e Lehre von den ex opere operato wirkenden Sakramenten erleichterte die Integration gerade auch m a gischer Vorstellungen. Hier war es das richtige Handeln des Priesters, das die Kraftübertragung bewirkte. Die von Luther z u m Kern erhobene Theologie des Wortes bedurfte derartiger Äußerlichkeiten nicht. Seine Theologie u n d in ihrer Folge protestantische Theologie schlechthin, sah sich deshalb vor die Schwierigkeit gestellt, den sakramentalen Vollzug ihrer beiden Sakramente nicht in Konkurrenz zu d e m sich aufs Wort g r ü n d e n d e n Glauben zu setzen. Die auf Brenz zurückgehende Formulierung — hier am Beispiel der Taufe: die Taufe ist ein Sakrament und göttlich Wortzeichen — zeigt deutlich die sprachlichen Schwierigkeiten der Theologen auf, die versuchen m u ß t e n , in verständlicher F o r m sakramentales Handeln u n d Wort miteinander in Einklang zu bringen. Das Sakrament wird z u m Z e i c h e n erklärt, das z u m Wort hinzutritt, i h m aber im eigentlichen Sinne nichts hinzufügt. Wichtig ist f ü r die Theologen, daß das Sakrament in der bloßen H a n d l u n g keine Gültigkeit besitzt, sondern seine Wirkmächtigkeit einzig durch das Wort der Verheißung b e k o m m t . O b w o h l in den reformatorischen Kirchen die Kindertaufe stets den R e g e l fall darstellte, soll im folgenden eine Erwachsenentaufe ausführlicher zur Sprache k o m m e n . Sie fällt zudem nicht in die erste Phase des Untersuchungszeit325 Der »gemeine Mann« betrachtete das sakramentale Handeln der Kirche als ein A n gebot, aus dem man sich bei entsprechendem Bedarf bedienen konnte. Das spirituelle Verständnis des kirchlichen Handeln war nur wenig ausgeprägt, der Vollzug der Handlung war der wichtigste Akt. So R O B E R T W . S C R I B N E R : Cosmic order and daily life: Sacred and secular in pre-industrial german society. In: R o b e r t W. Scribner (Hrsg.): Populär culture and populär movements in R e f o r m a t i o n Germany. London, Ronceverte 1987, S. 1—16, hier S. 12 f. 326 HAAG: Predigt und Gesellschaft, S. 93-98, zeigt ausfuhrlich die Traditionslinien zur spätmittelalterlichen Frömmigkeit und die Neubestimmung durch die R e f o r m a t i o n auf; S. 119 f. legt er die Kontinuität zwischen Reformation und lutherischer Orthodoxie dar. Vgl. zum Taufverständnis im nachtridentinischen Katholizismus W I L H E L M D A N T I N E : Das Dogma im nachtridentinischen Katholizismus. In: Carl Andresen (Hrsg.): Handbuch der D o g m e n - und Theologiegeschichte. Bd. 2: Die Lehrentwicklung im R a h m e n der K o n fessionalität. Göttingen 1980, S. 411-498, bes. S. 467-469.

130

Die Legitimation

der lutherisch-orthodoxen

Lehre

raumes, sondern stammt erst aus dem Jahr 1731. Es läßt sich aber am Beispiel des ehemaligen Libertiners Justinus Liebermann gerade neben der theologischen auch die sozialgeschichtliche Dimension sichtbar machen, die die Prediger der Taufe beimaßen. Ermöglicht wird dies dadurch, daß dem Predigtdruck neben der Taufpredigt und der Taufhandlung selbst eine »historische Nachricht« beigefügt ist, die es erlaubt, den Lebensweg des J. Liebermann — aus der Perspektive Christian Hagmajers — bis zu seiner Taufe nachzuzeich327

nen. Justinus Liebermann wurde am 1 9 . 1 1 . 1 7 0 0 im siebenbürgischen Marckcronstadt (Kronstadt) geboren. Sein Vater, Muster Liebermann, war als Wein-, Vieh-, Frucht- und Seidenhändler tätig; neben Justinus gehörten noch zwei T ö c h t e r zur Familie. Seine Eltern gehören der »Libertiner-Secte« an, entsprechend wird der Sohn erzogen. So ließ der Vater den Sohn zwar Sclavonisch reden und aus Politischen und Historischen Bu[e]chern lesen [...], hielt ihn aber nicht zur Verehrung einer Gottheit an. In seiner Jugend mußte sich Justinus um die Aufzucht von Seiden- Würmer[n] kümmern. Eine Tatsache, aus der Hagmajer folgendes Urteil ableitet: So unglu[e]cklich seynd Kinder, wann sie gottlose und ungo[e]ttlich-gesinnte Eltern haben [...].328 Justinus' Mithilfe im Arbeitsalltag wird hier ohne nähere Erläuterung in einem Zusammenhang mit den libertinistischen Neigungen des Vaters gesehen. M e h r und mehr wird der Sohn in die Tätigkeiten des Vaters eingewiesen und begleitet ihn auf seinen Reisen. Von 1713 an begleitete er seinen Onkel, einen Bruder des Vaters, sieben Jahre lang auf dessen Reisen. Der Onkel gehörte ebenfalls den Libertinern an und war im gleichen Handel wie der Vater des Justinus tätig. Im Anschluß an diese Reisen machte Justinus in Gravenhaag (Den Haag), dem Wohnort des Onkels, eine dreijährige Schreinerlehre. Es folgen Reisen nach Deutschland, Polen, Osterreich, Steiermark, Tirol, den Niederlanden, Flandern, England, Lothringen, dem Elsaß, der Schweiz und Schwaben. Nach diesen Reisen, auf denen er mehr die Welt besah als sich seines Schreinerhandwerks zu bemühen — wie Hagmajer referiert —, rief ihn sein Vetter zur Herbstmesse nach Frankfurt, von dort sollte sich eine Handelsreise nach Siebenbürgen anschließen. 3 2 9 Dieser Aufforderung, die er in Basel erhielt, kam er aber nicht nach, sondern schickte seine »besten Sachen« auf einem Schiff mit Waren, die fiir die Messe bestimmt waren, nach Frankfurt, und setzte sich über Solothurn, Bern, Zürich, Schaffhausen, Rottweil und Hechingen nach Rottenburg ab: Als er zu Rothenburg am Neckar vorm Herbst A. il30. an einem Sonntag angekommen, und am Montag fru[e]he die Stadt besehen wollte, auch deren HandwercksLeuten nahe bey der Jesuiter-Kirche zugeschauet: Jst er ungefa[e]hr durch einen Zufall,

327

HAGMAJER: Tauf-Predigt, Vorrede.

328

HAGMAJER: T a u f - P r e d i g t , S. 2 .

329

HAGMAJER: T a u f - P r e d i g t , S. 3 f.

Taufe und Lebenswandel

131

der ihme Zeit seines Lebens niemahlen begegnet, umgefallen, und bey zwey Stund ohne Sinnen gewesen.330 In diesem Ereignis — die katholische Seite verlegt es ü b rigens in eine Eucharistiefeier — im Leben des Justinus Liebermann zeigt sich nach Hagmajer die verborgene Regierung der dem Su[e]nder vorlaujfenden Gnade GOttes.331 Wegen Glieder-Schmertzen verbrachte er dann einige Zeit in einer Herberge der Jesuiten und erhielt, nachdem seine Konfession bekannt geworden war, U n t e r r i c h t in der R e l i g i o n und wurde dann zum Schreinermeister Friederich Seiblen in Arbeit gegeben. Dieser Meister, selbst von der lutherischen zur katholischen Konfession konvertiert, schien in den Augen der Jesuiten für den in religiösen D i n g e n unerfahrenen Justinus die richtige Adresse zu sein. Sein weiterer Lebensweg sollte ihn über die Taufe zur Einkleidung als B r u d e r f u h ren. W e g e n starker Zweifel an der R e l i g i o n , Mißfallen und Ekel vor d e m K l o sterleben, so berichtet Hagmajer, habe sich Liebermann aus dem Kloster abgesetzt und sei nach T ü b i n g e n gezogen. Allerdings habe er bei seiner Flucht aus dem Kloster seine privaten Sachen zurücklassen müssen, die akribisch g e nau aufgeführt werden. 3 3 2 In T ü b i n g e n fand er Arbeit bei Meister David K ä u f felin, dem er sein »Rottenburg-Erlebnis« schilderte. D a er sich in Religionssachen gerne eines besseren überführen lassen wollte, zeigte der Meister sein Ansinnen dem Ministerium an, wo Liebermann dann vorstellig wurde. E r hebliche Zweifel an seiner Herkunft, vor allem an seiner Aussage, nicht g e tauft zu sein, mußten zunächst ausgeräumt werden. Hierbei verließ man sich a u f Aussagen des Theologiestudenten J o h a n n Ludwig Wachsmann, der über Sekten in Siebenbürgen berichtete. 3 3 3 D i e Zentren der Libertiner befinden sich dessen Angaben gemäß hauptsächlich in Siebenbürgen und Holland; dort leben etwa 1 5 0 Familien zumeist in ländlichen G e g e n d e n . 3 3 4 Liebermann seinerseits berichtete über die Weltanschauungen der Libertiner. 3 3 5 D i e »Sekte« glaube an keinen G o t t und verehre keinen Gott. D i e Welt bestehe per se und ihre Materie selbst sei ewig. Alles, was sich auf der Erde ereigne, der L a u f der Jahreszeiten, die Ernte, etc. seien Wu[e]rckungen der Natur. D i e Libertiner glauben nicht, das etwas an sich selbst gut oder böse sei, das u m der R e i n h e i t des Gewissens zu tun oder zu lassen ist, wie es denn auch keine Vergeltung des Guten oder B ö s e n gibt. Sie glauben an die Existenz einer Seele, wissen j e d o c h nicht, was sie sei. M i t dem Tod ist das Ende von Leib und Seele erreicht, sie leugnen die Auferstehung. D e r Tote wird in einem Sack hinter dem Haus b e -

330

HAGMAJER: T a u f - P r e d i g t , S. 4 .

331

HAGMAJER: T a u f - P r e d i g t , S. 5 .

332

HAGMAJER: T a u f - P r e d i g t , S. 8 A n m . d.

333 HAGMAJER: Tauf-Predigt, S. 19 ff. Hagmajer druckt als Beleg auch die Briefe des Vetters aus Stein in Holland im Anhang ab. 334

HAGMAJER: T a u f - P r e d i g t , S. 1 3 .

335

Vgl. zum folgenden HAGMAJER: Tauf-Predigt, S. 9 - 1 6 .

132

Die Legitimation der lutherisch-orthodoxen Lehre

erdigt, Kalk darübergestreut u n d darauf wieder gega[e]rtlet; nach acht Tagen frage niemand mehr nach ihm. 3 3 6 Die Libertiner kennen kein Gewissen und entsprechend auch keine Anklage, Unruhe, Angst oder Furcht desselben. Sie haben weder Schrift noch Sakrament, weder Gottesdienst noch Schulen. U n d dabei erstaunlich genug, so der Kommentar Christian Hagmajers: Bey diesem allem leben sie a[e]usserlich ruhig, still und vertra[e]glich; seynd auch im Handel

und

Wandel redlich und getreu,337 Dies alles j e d o c h wohl nur, weil es der eigene N u t z u n d Vorteil erfordere. D e n n , so Hagmajer, Wo aber der auch nur fa[elschlich eingebildete Nutze und angenommenen

ihnen ein anderes vorstellete, ko[e]nnten sie nach ihren Principiis Sa[e]tzen alles wagen, stehlen, morden, rebelliren ec.338 A u c h das

sechste Gebot findet bei den Libertinern keine Beachtung, sie achten weder Hurerei, noch Ehebruch, noch Blutschande, kennen keine eigentliche Ehe und haben alle Frauen gemein. Was Hagmajer jedoch zutiefst beeindruckt hat, ist die Tasache, daß die Libertiner eine gemeinschaftliche Kasse für den U n t e r halt von bedürftigen Reisenden und alten Frauen unterhalten: Dieses hat mich im Hertzen bescha[e]met, daß die Liebe bey dieser losen Bande kra[e]fftiger seyn solle ihren Nothdu[e]rfftigen die beno[e]thigte Handreichung zuthun, als bey uns weder natu[e]rliche noch Christliche Gru[e]nde ausrichten; Und was diese Leute ohne a[e]usserliche Verfassung und Ordnung freywillig thun, vermo[e]gen Vorsteher mit ihrer auch Amtlichen Auctorita[e]t unter uns nicht zuwegen zubringen. Ein offenbahres Zeugnus von unseres Christenthums elenden und betru[e[bten Beschaffenheit, [.. J.339

W i e auch im Krankheitsfall der Patient Arznei, Wart und Pflag b e k o m m t .

Diese Aussagen machen nach Hagmajer deutlich, daß es zwar einzelne geben kann, die nicht nur so leben, als wäre kein Gott, sondern die auch glauben, es gebe keinen Gott. 3 4 0 Daß es aber ganze Länder geben könne, die ohne alle Religion, bloß entweder durch obrigkeitliche Gesetze oder ihre freywillige natu[e]rliche gemeinschaftliche Verha[e]ltnus zusammengefaßt seyen und erhalten werden, la[ejßt sich daraus keines Wegs schliessen, weilen beyderseits diese Leute unter

Christlicher Obrigkeit stehen. Das heißt, der Freiraum, den sich die Libertiner durch Tributzahlungen an den Kaiser sichern, wird nur ermöglicht durch den Schutz christlicher Obrigkeiten. 3 4 1 Das gleiche Verständnis findet sich auch in einer der 63 Fragen, die Liebermann vor seiner Taufe über Lehre und Leben zu beantworten hatte. Bei der Frage nach der Gotteserkenntnis, die nicht nur aus der Erkenntnis abgeleitet wird, daß nichts auf dieser Welt aus seiner eigenen Kraft heraus existiert, sowie aus der Erkenntnis, daß es ein Gesetz gibt, das allen Menschen ins Herz geschrieben ist, sondern auch aus der sozialen

336

HAGMAJER:

337

HAGMAJER:

338

HAGMAJER:

339

HAGMAJER:

340

HAGMAJER:

341

HAGMAJER:

Tauf-Predigt, Tauf-Predigt, Tauf-Predigt, Tauf-Predigt, Tauf-Predigt, Tauf-Predigt,

S.

S. S. S. S. S.

16.

12. 12 Anm. m. 14 Anm. s. 9 Anm. g. 13.

133

Taufe und Lebenswandel

O r d n u n g dieser Welt: Wir wa[e]ren nicht nur wie das dumme Vieh ohne alle vernu[e]nfftige und bleibende Hoffnung; sondern es wu[e]rde auch weder Obrigkeit noch Unterthan, und also keine menschliche Gesellschafft mehr sicher seyn, indeme ein jeglicher thun du[e]iffte, soviel er vermochte; alle Tugenden und Laster wu[e]rden aufgehaben; und wer sich zusterben resolviren ko[e]nte, ha[e]tte weiter nichts zufu[e]rchten. Was aber an sich selbsten so unseelige und zum Verderben der Menschen abzielende Fru[e]chten bringet, kan unmu[e]glich wahr und gegru[e]ndet seyn?n Derartige Überlegungen im Kontext einer Taufhandlung zeigen, welchen Wert die Prediger der Taufe beimaßen, bildete sie doch die äußere konstitutive Voraussetzung der Zugehörigkeit zur christlichen Gemeinde; allein die R e ligion ist aber mit ihrer gesellschaftstragenden Funktion auch der Garant für eine stabile Gesellschaft. Dies zeigt, daß die Theologen der Taufe nicht nur die Funktion einer Erneuerung des Gemüths zuschrieben, sondern sie auch als k o n stitutiv für soziale und politische O r d n u n g erachteten. 3 4 3 R ü c k h a l t für sein i n nerweltliches Engagement sollte der Mensch in der i h m bei der Taufe zugesagten Heilsgewißheit finden. Die Taufe dient so als F u n d a m e n t des Trostes in allen Lebenssituationen bis hin zu Todesnöten, weil G o t t sich hier mit d e m Getauften aufs höchste verbunden hat u n d ihm zugesagt hat, ihn in keiner Noth hülffloß stecken lassen [zu] wolle[n] [...]. 3 4 4 Selbst dann nicht, w e n n der Mensch Gott verleugnet. Gott bleibt in seiner Zusage an den M e n s c h e n beständig, er wird den bußfertigen Sünder nicht zurückweisen. 3 4 5 Die Taufe soll zugleich Motivation dafür sein, die in ihr b e g o n n e n e E r n e u e r u n g fortzuführen. D e r Vergleich der Aussagen in den Predigten mit j e n e n der K o m p e n d i e n zeigt eine große Ubereinstimmung, wobei auffallend ist, daß in den Predigten bestimmte Sachverhalte schärfer formuliert werden, so beispielshalber die U n abdingbarkeit der Taufe für das Heil. Die bei Andreae n o c h derartig gewichtig im Vordergrund stehende Heilsgewißheit tritt mit fortschreitender Zeit etwas zurück. Die Akzentuierung verschiebt sich von d e m mit der Taufe gesetzten Ermöglichungsgrund hin zu einem Verständnis, das die Taufe stärker als Vorgabe u n d M a ß eines geistlichen u n d neuen Lebens sieht. 346 Insgesamt gesehen erfolgt eine recht getreue U m s e t z u n g der theologischen Lehre auf die E b e n e der Predigt.

342 343 344 345 346

Tauf-Predigt, S. 70. Handbüchlein, S . 2 3 9 . H A G M A J E R : Tauf-Predigt, SIGWART: Handbüchlein, S . 2 5 6 . A N D R E A E : Christliche Anleitung, S. 71. R E U C H L I N : Christentum, S . 2 8 1 . HAGMAJER:

SIGWART:

S. 7 0 .

134

3.3 Abendmahl

Die Legitimation

und

der lutherisch-orthodoxen

Lehre

Lebenswandel

Das Material z u m T h e m a Abendmahl ist — im Vergleich zu j e n e m derTaufe — wesentlich umfangreicher. Eine breitere Basis k ö n n t e so divergierende Aussagen z u m T h e m a zur Folge haben. D o c h schon die K o m p e n d i e n zeigen eine breite Ubereinstimmung. Das Abendmahl wird definiert als ein Sakrament u n d / o d e r göttlich Wortzeichen. 3 4 7 Es ist das äußere Zeichen der Sündenvergebung, wobei die äußerlichen Elemente — Brot u n d Wein — durch die Einsetzungsworte v o m gemeinen Gebrauch gesondert werden u n d z u m gegenwärtigen wahren wesentlichen Leib vnnd Blut Christi werden. 3 4 8 Eine Verbindung, die menschlicher Vernunft zuwiderlaufe u n d von ihr nicht begriffen werden könne. Ihre Gültigkeit fur den Glauben erhält sie durch die von Christus selbst stammenden Einsetzungsworte 3 4 9 , der als wahrer Gott allmächtig in seinen Werken ist; dies sei — so die Theologen — Beweis genug. 3 5 0 Diese Bindung an das göttliche Wort konstituiert das Wesen des Sakraments, nicht Glaube oder Unglaube. Die Folge dieses Verständnisses: auch Unbußfertige e m p f a n gen so den wahren Leib u n d Blut Christi. 3 5 1 D i e Zielrichtung der Polemik im Kontext der Abendmahlslehre hat sich gegenüber der R e f o r m a t i o n nicht geändert. Gegenüber der päpstlichen Lehre wird vor allem die Lehre von der Transsubstantiation thematisiert. Sie begreift die Verwandlung der Abendmahlselemente so, daß nach der Wandlung die Elemente nur n o c h in F o r m von Leib u n d Blut Christi vorliegen. Eine Interpretation, die sich, so Heerbrand, eben nicht auf die T h e o l o g e n der Alten Kirche berufen könne. So habe Irenäus ausdrücklich gelehrt, daß ein irdisches u n d ein himmlisches Element zur Art des Sakraments gehören. 3 5 2 Ist d e m g e 347

HEERBRAND: K i r c h e n t e s t a m e n t , S. 179. SIGWART: H a n d b ü c h l e i n , S. 2 5 8 . SIGWART: H a n d b ü c h l e i n , S. 2 5 8 f. WAGNER: C o m p e n d i u m T. 1, S. 3 6 9 f. HEERBRAND: C o m p e n d i u m T h e o l o g i a e (1573), S. 3 4 3 : Est Sacramentum seu diuinum signaculum, quo Christus uerè ac substantialiter praesens, offert & exhibet nobis pane & uino, uerum suu[m] corpus & sanguine[m] suu[m]: Et certificai nos, quòd remittantur nobis per & propter ipsum peccata: nosq[ue] faciat me[m]bra sui corporis, ac participe omniu[m] ipsius beneficioru[m], & pertineat ad nos ius aeterna uitae. JAGER: C o m p e n d i u m T h e o l o g i a e , S. 3 0 9 : Sacra coena est Posterius Nov. Testamenti Sacramentum, quo Christus mediante pane benedicto serum ac substantiate Corpus suum ore corporis, & mediante vino benedicto serum & substantialem suum sangiunem exhibet, hocque ipsofidem dignè communicantium confirmat, & Gratiam foederalem obsignat. 349 WAGNER: C o m p e n d i u m T. 1, S. 3 4 4 [ = 3 7 4 ] , SIGWART: H a n d b ü c h l e i n , S. 2 5 9 . HEERBRAND: C o m p e n d i u m T h e o l o g i a e ( 1 5 7 3 ) , S. 3 4 7 : Institutio autem Christi facit Sacramentum. Primiim enim accepit panem & uinum. Deinde, de his pronunciami: Hoc est corpus meum, Hie est sanguis meus. Quae si non adsint, hoc non est Coenam Domini manducare, [...]. Vgl. HAFENREFFER: L o c i T h e o l o g i c i ( 1 6 0 0 ) , S. 3 3 5 . 350 WAGNER: C o m p e n d i u m T. 1, S. 3 7 1 . SIGWART: H a n d b ü c h l e i n , S. 2 6 2 f. 351 WAGNER: C o m p e n d i u m T. 1, S. 3 7 7 f. HAFENREFFER: L o c i T h e o l o g i c i ( 1 6 0 0 ) , S. 3 7 3 . 348

352 Vgl. z u m f o l g e n d e n HEERBRAND: K i r c h e n t e s t a m e n t , S. 1 8 2 - 1 8 8 . SIGWART: H a n d b ü c h l e i n , S. 2 8 5 - 2 9 9 . WAGNER: C o m p e n d i u m T. 2, S. 1 1 2 - 1 1 9 . V g l . HEERBRAND: C o m p e n d i u m T h e o l o g i a e ( 1 5 7 3 ) , S. 3 0 7 u n t e r V e r w e i s u n g a u f A u g u s t i n . V g l . a u c h S. 356—359.

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und

Lebenswandel

135

maß das Brot nach der Wandlung kein Brot mehr, liegt schon per definitionem kein Sakrament mehr vor. Die katholische Lehre stehe somit nicht mehr in der Tradition der Alten Kirche. Anders dagegen könne sich die lutherischorthodoxe Theologie auf die Alte Kirche berufen. Polemik gegen die A n b e tung und das Umhertragen des Sakraments schließen sich an. Gegenüber dem greulichen Jrrthumb, der der Eucharistiefeier Opfercharakter beimißt, wird die Einmaligkeit des Opfertodes Christi betont. Die obligatorische Auseinandersetzung mit der Verweigerung des Laienkelchs hat hier ebenfalls ihren Platz. In Abgrenzung zur reformierten Seite wird das T h e m a der Realpräsenz nach wie vor diskutiert; allerdings fällt die Darstellung verglichen mit der katholischen Seite weitaus knapper aus. Die figürliche und eben nicht wörtliche Interpretation des Abendmahls wird von den lutherisch-orthodoxen T h e o l o gen angeklagt. Brot im reformierten Verständnis bedeute allein den abwesenden Leib Christi; sein wahrer Leib befinde sich im räumlich und damit fernen Himmel. 3 5 3 Dorthin muß sich der Glaube aufschwingen, weshalb Unwürdige nicht Leib und Blut Christi empfangen. Demgegenüber — so die lutherische Orthodoxie — kann das Abendmahl geradezu als Testament Christi bezeichnet werden, und Testamente sind in aller R e g e l eindeutig formuliert. Die Bezeichnung Das ist mein Leib bedürfe deshalb keiner langen Erläuterungen: Denn diese Art zu reden in allen Sprachen gemein ist/ wenn man einem Gelt im Seckel/ [...] gibt/ daß man nicht sagt [...] das ist ein Seckel,354 In der lutherisch-orthodoxen Abendmahlslehre der Tübinger Theologen erfolgt somit eine getreue Umsetzung der Christologie. 3 5 5 U b e r der starken Betonung der Vereinigung der menschlichen und der göttlichen Natur in Christus wird aber der andere Aspekt, nämlich die in der Passion vollzogene Erlösungstat Christi, nicht verdrängt. So soll sich die in der Württembergischen Großen Kirchenordnung bei der Abendmahlsfeier geforderte Predigt explizit mit dieser Thematik beschäftigen. Uberhaupt scheint eine Trennung der verschiedenen Aspekte des Abendmahls in der Praxis gar nicht zu bewerkstelligen sein. 3 5 6 Wird doch gerade die Passion Christi zum Vorbild einer B e -

HAFENREFFER: Loci Theologici (1600), S. 3 4 6 - 3 5 2 : Transsubstantiationslehre; S. 3 5 2 - 3 6 3 : Opfercharakter; S. 363 f., S. 277 [ = 3 7 7 ] : Laienkelch. 3 5 3 Vgl. zum folgenden SIGWART: Handbüchlein, S. 2 8 4 f. HEERBRAND: Kirchentestament, S. 181: Darumb wir die Deuteley vnnd Zeicheley des abwesenden vnd figu[e]rlichen Leibs/ vom Zwingle erdichtet/ als ein grewlich Jrrthumb/ vnndein mutwillige verkehru[n]g des lautern Worts Christi/ fliehen vnnd meiden/ verwerffen/ vnd verdammen. Vgl. WAGNER: Compendium T. 2, S. 1 6 3 - 1 7 2 . HEERBRAND: Compendium Theologiae (1573), S. 357. HAFENREFFER: Loci Theologici (1600), S. 347, S. 375 f. 354

SIGWART: H a n d b ü c h l e i n , S. 2 6 0 f.

Vgl. HAFENREFFER: Loci Theologici (1600), S. 3 4 2 . 3 5 6 Anders beurteilte Johannes Kepler die Lage. Vgl. HÜBNER: D i e Theologie Johannes Keplers, S. 140 f. 355

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Die Legitimation

der lutherisch-orthodoxen

Lehre

reitschaft zum Leiden im Vollzug christlichen Lebens. U n d dies geschieht wiederum unter dem Hinweis auf die Teilhabe Christi am menschlichen Leiden, die für die Tübinger eben nur aus der konsequent zu Ende gedachten Z w e i naturenlehre abgeleitet werden kann. Breiten R a u m nimmt die Diskussion um die persönliche Dignität beim Abendmahlsempfang ein. 3 5 7 Im M o m e n t der Selbstprüfung und im Sündenbekenntnis wird die dogmatische Ebene des Abendmahls zentral mit einer ethischen Dimension verknüpft. Hier zeigt sich die individuelle Verantwortung des einzelnen, der für sein Handeln selbst Rechenschaft ablegen muß. Unter traditionellem R ü c k g r i f f auf 1 Kor 11,28 lehren die Theologen, j e d e r habe sich vor dem Empfang des Abendmahls selbst zu prüfen. 3 5 8 Dieses Prüfen setzt den Gebrauch des Verstandes und somit ein bestimmtes Alter voraus, weshalb unmündige Kinder ausgeschlossen sind. 3 5 9 W i e dieses Prüfen zu geschehen habe, beschreibt Wagner in seinem Compendium: jeder soll zunächst anhand der zehn Gebote sein Gewissen prüfen und sich angesichts der schweren Sünden fragen, ob er R e u e und Leid darüber empfinde. Diese R e u e über die begangenen Sünden soll ihm Motivation zum Abendmahlsempfang sein. In einem weiteren Schritt meint prüfen dann die Gewissenserforschung nach dem Evangelium. Hier soll sich der einzelne fragen, ob er an die dort zugesprochene göttliche Barmherzigkeit glaube. Würdig zum Empfang ist somit jeder, der den Vorsatz der Besserung hat und an die Vergebung der Sünden glaubt. Die Reihenfolge läuft streng von der Sündenerkenntnis durch das G e setz hin zum Glauben an die im Evangelium begründete Vergebung. Die G e fahr, die einer einseitigen Betonung der am Gesetz orientierten Gewissensprüfung innewohnt, war den Theologen durchaus bewußt. D e n n sie betonten auch, das derjenige, der sich als armer Sünder fühle, aber nur einen schwachen Glauben hat, nicht unter die Unwürdigen zu zählen sei, sondern gerade zur Stärkung seines Glaubens vornehmster Adressat sei. 3 6 0 Auffällig ist in diesem Zusammenhang die Art und Weise, wie diese Prüfung in der dogmatischen Literatur behandelt wird. 3 6 1 Wer seine Sünden nicht mit Schmerz erkennt, keinen Glauben an Christus hat und nicht den Vorsatz faßt, sein Leben zu ändern, wird zu den »Unwürdigen« gezählt. Dieser Grundsatz wird in den Predigten eindeutig aufgegriffen. Nach welchem Maßstab die Sündener-

3 5 7 HEERBRAND: Compendium Theologiae (1573), S. 353, S. 356. HAFENREFFER: Loci Theologici (1600), S. 372: »Würdig« ist, [...], qui peccata sua agnoscunt, & de admißis serio dolent; per fidem in Christum remißionem petunt; cum sancto proposito vitam & mores emendandi. (Hervorhebung S. H.). 3 5 8 Vgl. zum folgenden WAGNER: Compendium T. 1, S. 3 8 0 f. Vgl. SIGWART: Hand-

b ü c h l e i n , S. 2 7 7 - 2 8 0 . HAFENREFFER: L o c i T h e o l o g i c i ( 1 6 0 0 ) , S. 3 7 2 . 359

SIGWART: H a n d b ü c h l e i n , S. 2 7 4 . HAFENREFFER: L o c i T h e o l o g i c i ( 1 6 0 0 ) , S. 3 4 1 .

360

SIGWART: Handbüchlein, S. 270. Württembergische Große Kirchenordnug, S. lxx r . HAFENREFFER: Loci Theologici (1600), S. 373.

361

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kenntnis zu bemessen ist, wird in den Kompendien an dieser Stelle, anders als in den Predigten, nicht näher ausgeführt. Die Hauptkategorie des aus dem Abendmahl abgeleiteten Nutzens ist wieder der Trost: Dann wer der Vergebung der Su[e]nden/ vnd deß ewigen Lebens in seinem Hertzen versichert ist/ der weiß/ dz der einen gna[e]digen Gott hat/ der jhm werde beystehen/ vnd jhn nimmer verlassen/ weder im Leben noch Tod/ [...].ib2 Um sich der Sündenvergebung zu vergewissern, die das Gedächtnis an die Passion erweckt und so Leben erneuert und zu christlicher Liebe anhält, können nicht Zeit oder Tag festgelegt werden. Jeder soll, so oft er in seinem Gewissen die im Abendmahl dargereichten Güter zu Trost und Stärkung bedarf, sie gebrauchen. 3 6 3 Es ist aber zugleich im Abendmahl das Zeichen der Liebe Christi zu sehen, die der einzelne, als Glied des Leibes Christi nach außen weitertragen soll: Dergleichen wir auch gegen den Nechsten vmb dieser grossen Gutthat willen sollen thun/ [...] Die Frucht soll auch nicht außbleiben/ deinen Nechsten solt du lieben/ daß er dein gemessen kan/ wie dein Gott an dirgethan?M Die lutherisch-orthodoxen Theologen verstehen die Abendmahlsgemeinschaft in doppeltem Sinn. Z u m einen findet hier die Gemeinschaft des einzelnen mit Gott seinen sinnenfälligen Ausdruck. Die Realpräsenz Christi verdeutlicht die über die Christologie begründete Nähe Gottes zu den M e n schen. Dogmatisch betrachtet, ist das Abendmahl die sakramentale Version der Rechtfertigung, hier erfolgt sichtbar die Annahme des Sünders unter N i c h t anrechnung seiner Sünde. 3 6 5 Z u m andern wird durch die R e d e von den Gliedern des einen Leibes Christi die soziale Funktion der Abendmahlsgemeinschaft stark betont. Die Erinnerung an die christliche Liebe soll hier der A n trieb zum Handeln sein, nicht das Gesetz ist Movens ethischen Tuns. D i e Umsetzung der Rechtfertigung in ein Leben in Heiligung ist bei allem R e kurs auf die christliche Liebe kein bloßer Automatismus, wird doch die Ausführung des Handeln unter Hinzuziehung des Dekalogs kontrolliert und damit unter den Einfluß des Gesetzes gebracht. Die Durchführungsbestimmungen der Abendmahlsfeier sind in der W ü r t tembergischen Großen Kirchenordnung festgehalten. 366 M i t der Feier sind zwei Predigten zu verbinden, bei der sich die erste auf den anstehenden Peri362

W A G N E R : C o m p e n d i u m T . 1 , S . 3 8 2 . SIGWART: H a n d b ü c h l e i n , S . 2 7 7 .

363

SIGWART: H a n d b ü c h l e i n , S . 2 8 3 ; v g l . a u c h S. 2 7 5 — 2 7 7 . W A G N E R : C o m p e n d i u m

T.

1, S. 3 8 2 . 364

WAGNER:

Compendium

T.

1,

S. 3 8 5 .

SIGWART:

Handbüchlein,

S. 2 7 5 f.

HEER-

BRAND: Kirchentestament, S. 179: [...] / vnd machet vns zu Glidern seines Leibes/ vnd Erben des ewigen Lebens. 3 6 5 HEERBRAND: Compendium Theologiae (1573), S. 35Q f.: Applicatio remißionis peccatorum, iusta haec Christi uerba, hoc est corpus meum, quod pro uobis traditur: Et quod Christus in nobis habitans, efficax est in nobis, consolans, & uiuificans nos, accendens, & augens in nobis dona spiritualia, ac Spiritu sancto nos gubernat, ut semper magis, magis q[ue]; uitae nostrae rationes secundum uoluntatem eius iustituamus. 3 6 6 Württembergische Große Kirchenordnung, S. lxxii v .

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Die Legitimation

der lutherisch-orthodoxen

Lehre

kopentext zu beziehen hat, die zweite Predigt die Verkündigung des Tods Christi zum T h e m a haben soll. Hieran hat sich ein kurzer Bericht über Gebrauch und Nutzung des Abendmahls anzuschließen. In den fürnembsten Stetten soll die Feier alle vier Wochen gehalten werden. Zur üblichen gottesdienstlichen Liturgie tritt vor allem die öffentliche Beichte hinzu. D e r Regelfall sah folgendes vor: Im Vorfeld der Abendmahlsfeier werden die Prediger gehalten, jren Dienst insonderheit an[zu]bieten,367 Das heißt, am Abend zuvor sollen sie eine Predigt über das rechte Bußverständnis und den rechten Gebrauch des Sakraments halten. Jeder, der am andern Tag das Sakrament zu empfangen gedenkt, muß sich am Abend zuvor beim Pfarrer melden, dort R e u e und Leid über seine begangenen Sünden bekennen, Absolution begehren sowie sich vornehmen, fernerhin von Sünden abzulassen und bezeugen, künftig in christlichem Gehorsam zu leben. Nach dem persönlichen »Verhör« soll der Prediger jeden nach gelegenheit der Person/ freüntlich vnd Christlich vnderrichten.36S Wer ergerlich lebte, mit groben Lastern belastet war und sich unbußfertig verhielt, das heißt nicht daran dachte, sein Leben — im Sinne der Prediger — zu bessern, der wurde von der Teilnahme ausgeschlossen. Leben im Alltag und Zugehörigkeit zu der communio sanctorum werden dadurch in engsten Zusammenhang gebracht. Nur wer sich den N o r m e n der Theologen gemäß verhielt, konnte sich der Nähe Gottes und somit des Trostes gewiß sein. Die Vermittlung des Heils war erneut — trotz des propagierten Priestertums aller Gläubigen — in die Hände der Geistlichen gelegt. Wer unbußfertig schien, war vom Empfang ausgeschlossen, widrigenfalls sollte ihm seine Teilnahme zum Gericht gereichen. 3 6 9 Die Umsetzung des dogmatischen Sachverhalts in Predigt geht von folgenden Stichpunkten aus: Bedeutung des Abendmahls, Stifter des Abendmahls, Gründe der Einsetzung, Nutzen und würdiger Empfang. 3 7 0 Auch die Polemik findet in den Predigten selbstverständlich ihre Berücksichtigung. Abgesehen von den Dreiunddreißig Predigten 371 , die Andreae für die theologische D e batte verfaßt hat und dafür eher im Sinne einer Kunstform die Predigt ge-

367 368 369

Württembergische Große Kirchenordnung, S. lxx r . Württembergische Große Kirchenordnung, S. lxx r . SIGWART: H a n d b ü c h l e i n , S. 2 7 9 f. HAFENREFFER: L o c i T h e o l o g i c i ( 1 6 0 0 ) , S. 3 7 3 f.:

Poena temporales und poena aeternae. 370 ANDREAE: Predigten in Lauingen, S. L I X v f f . : Die achte Predigt. WAGNER: EpistelPostille 1, S. 6 3 1 - 6 6 0 : Predigt von Gründonnerstag. 371 Vgl. ANDREAE: Dreiunddreißig Predigten. Im 1. Teil führt er die Auseinandersetzung mit der katholischen Seite. Zum Thema Abendmahl sind dort speziell die 11. Predigt (Erklärung der päpstlichen Messe), 12. Predigt (Messe und Fegfeuer), 13. Predigt (Abgötterei und Messe). Im 2.Teil folgt die Debatte mit der reformierten Seite. Die ganze Auseinandersetzung wird nur über die Abendmahlsfrage gefuhrt (3 Predigten, S. 1 - 8 0 ) . Im 3. Teil schließt sich die Diskussion mit den Schwenkfeldern an. Hier behandelt er das Thema Vom Kirchendienst vnd Predigt/ rechtem verstand vnnd Gebrauch der H. Sacramenten in einer Predigt (S. 2 5 - 5 5 ) .

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wählt hat, wird die Polemik auf das zur Akzentuierung der eigenen Lehre notwendige Wissen begrenzt. Dies zeigen auch andere, von Andreae verfaßte Predigten, die entsprechend die Kernpunkte zur Sprache bringen: die Einsetzung des Abendmahls von Christus selbst u n d daß mit Brott vnd Wein der jrdischen Speiß vnd Tranck/ der Leib vnd Blu[o]t vnsers Herrren Christi/ die him[m]lische Speiß vnd Tranck außgetheilt werden?12 Ein Geschehen, das v o m Verstand nicht zu begreifen, sondern nur im Glauben zu fassen sei. Eingesetzt w u r d e es wegen des Gedächtnisses an die Passion, u m deretwillen der einzelne seine Sünde beweinen solle, wegen welcher Christus leiden, sterben u n d in die Hölle fahren mußte. Der »Nutzen« wird anhand der zwei Dinge, die Gott v o m Menschen erfordert - recht glauben u n d recht leben - erläutert. Beides, so Andreae, k ö n n e der Mensch nicht aus sich selbst heraus. D e n n in d e m Augenblick, in d e m der Mensch durch Gottes Gnade angefangen hat zu glauben u n d recht zu leben, trete der Teufel mit Anfechtungen u n d Ärgernissen auf, mache den Menschen schwach, so daß er nicht bestehen kann. Hier bedarf der Mensch einer starcken vnd kra[e]fftigen Speiß.373 Z u v o r soll er prüfen, [...] / was er thon wo[eßl/ das er recht/ vnd nicht vnrecht thue/ [.. J. 3 7 4 Die Kriterien, mit deren Hilfe die geforderte P r ü f u n g durchgeführt soll, werden bei Andreae hier nicht genannt. Wagner erläutert die Kriterien zur P r ü f u n g in den Predigten analog zu seinen Angaben im C o m p e n d i u m . Prüfen soll sich der Mensch erstens nach d e m Gesetz, damit er seine Sünde daraus erkenne, sie bereue u n d beweine. Z w e i tens soll er sich nach d e m Evangelium prüfen, daß er an Christus glaube u n d diesen Glauben fo[e]rder mit den Wercken wolle darthun und bezeugen [.. J . 3 7 5 Wer sein Leben nicht ändert, empfängt das Abendmahl z u m Gericht. 3 7 6 Die T h e o l o g e n setzen sich in ihren Predigten auch mit den E i n w ä n d e n gegen eine Teilnahme auseinander. Die Liste der Einwände, faßt man die verschiedenen Argumente zusammen, ist lang. Zunächst wird aus der E r f a h r u n g berichtet, daß viele Leute zum Abendmahl gehen, eine Besserung ihres Lebenswandels j e d o c h nicht zu verzeichnen sei. Vielmehr lasse sich sogar das Gegenteil beobachten, viele werden böser und verkehrter. 3 7 7 Dies ist zugleich für einige der G r u n d , nicht zum Abendmahl zu gehen, weil andere erscheinen, die zuvor in öffentlichen Su[e]nden gelegen/ vnd sich doch hernacher nicht vmb ein Haar bessern,378 Hier gilt, daß das Abendmahl keine Schuld daran hat, w e n n 372

lung, 373

374 375

376

Predigten in Lauingen, S. L X v f . A N D R E A E : Predigt von der SturmstilPredigten vom A b e n d m a h l , S. 48 r . V A N D R E A E : Predigten in Lauingen, S. LXII . ANDREAe: Predigten in Lauingen, S. LXIIIT. ANDREAE:

S.

13.

SIGWART:

WAGNER: E p i s t e l - P o s t i l l e 1, S. 6 3 7 .

WAGNER: Epistel-Postille 1, S. 647 u n t e r B e r u f u n g auf Augustin, vgl. S. 637: z u m Gericht e m p f a n g e n meint, zeitlicher u n d ewiger Verdammnis anheimfallen. 377 A N D R E A E : Predigten in Lauingen, S. LXI1T. 378 SIGWART: Predigten v o m A b e n d m a h l , S. 1 0 6 R .

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der lutherisch-orthodoxen

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die Menschen schlechter werden; es mache auch niemanden fremder Sünden teilhaftig. Schließlich treffe ja auch den Arzt keine Schuld — so erklärt Andreae gleichnishaft —, w e n n der Patient, nachdem i h m das M e d i k a m e n t geholfen habe, die aufgetragene Diät verachte u n d einen Rückfall erleide. Andere sagen, sie wollten gern hinzugehen, w e n n sie sich sicher wären, anschließend nicht m e h r zu sündigen; [...] / dan[n] ich fo[e]rcht/ wann ich wider fiele/ das mirs nicht verzigen wurde.379 Einige schieben den E m p f a n g von einer W o c h e oder ein e m M o n a t z u m nächsten auf, weil sie noch irrige u n d rechtsschwebende Sachen mit d e m Nächsten zu bereinigen haben oder gegen ihn Groll u n d W i derwillen empfinden. Sie wollen nicht teilnehmen, bevor sie sich ausgesöhnt haben. Dies wird zwar als Entschuldigungsgrund akzeptiert, ihnen wird j e doch geraten, ihre Unstimmigkeiten der Obrigkeit vorzutragen; dies sei besser, als u m zeitlicher Sachen willen das Abendmahl zu versäumen. Es sei zwar unrecht, unversöhnt z u m Abendmahl zu gehen; dies dürfe aber nicht b e d e u ten, den Zustand von H a ß u n d N e i d fortzufuhren, sondern es müsse dafür Sorge getragen werden, daß die Angelegenheit bereinigt werde. 3 8 0 Andere scheuen sich, das Abendmahl zu empfangen, weil sie sich der Teilnahme für u n w ü r d i g halten u n d folglich meinen, es z u m Gericht zu empfangen. A u c h hier wird der Vergleich mit einem M e d i k a m e n t angeführt, das zwar hilfreich ist, man es aber, weil es bei falschem Gebrauch auch Schaden anrichten kann, gleich gar nicht n i m m t . D e r Aufschub sei oft ein Werk des Satans, d e n n j e länger sich einer enthält, so ungeschickter wird i h m die Teilnahme. D e r einzelne solle bedenken, daß er in leiblichen D i n g e n auch nicht so viel Zurückhaltung an den Tag lege:/l/s wann einer kranck würdt/ vnnd denArtzet oder Artzney an der Hand haben kan/ wie eilt vnnd laufft man da/ beuorab wann die kranckheit gefa[e]hrlich ist.3Si Diese Argumente zeigen — auch w e n n sie in den Formulierungen aus der Feder der T h e o l o g e n stammen - , daß die Lehren der T h e o l o g e n nicht über die Köpfe der Laien hinweggingen. W e n n die Predigt nicht i m m e r im Sinne der Prediger Früchte trug, zeigen diese Einwände doch eindeutig, daß die Lehren nicht stur auswendig gelernt sind, sondern reflektiert wurden, mit den eigenen Erfahrungen kontrastiert w u r d e n u n d letztendlich sogar gegen die Prediger geltend gemacht werden konnten. U n t e r dogmatischem Aspekt b e trachtet, zeigen solche Argumentationen, daß die O r i e n t i e r u n g am Gesetz nach u n t e n durchschlug. Wer sein Leben mit den N o r m e n des Gesetzes k o n frontiert sah, konnte sich stets nur als u n w ü r d i g erkennen u n d gegebenenfalls das Abendmahl z u m Gericht empfangen. Hagmajer erklärt rigoros, wer in Sünde verharre, also von Lügen, Betrug, Fluchen, Trunkenheit, U n z u c h t

S.

379

ANDREAE:

380

SIGWART:

381

SIGWART:

B/.

Predigten in Lauingen, S. LXIIII r . Predigten v o m A b e n d m a h l , S . 1 0 5 V F . Predigten v o m A b e n d m a h l , S . 107 r . Vgl.

ANDREAE:

Hochzeitspredigt,

Abendmahl und Lebenswandel

141

nicht Abstand nehme, sondern wissentlich und willentlich wider Gottes G e bot lebe, dem gereiche das Abendmahl nicht zum Segen, sondern zum G e richt, nicht zum Leben, sondern zum Tod, nicht zum Heil, sondern zur Verdammnis: Darum bitte ich Euch [...], gehet doch nicht so leichtsinnig hin, sondern pru[effet Euch vorhero, oh Jhr auch angezeigter massen hinzugehen im Stand seyd. Besser ists nicht hingehen, als unwu[ejrdig gehen, und sich das Gericht durch Essen und Trincken selbst ha[e]uffen [,..].382 Diese Position wird dadurch verstärkt, daß die Prediger die Teilnahme am Abendmahl zum Ausweis des evangelischen Christen erklären; nur unmündige Kinder werden davon ausgenommen. Wer der Aufforderung nicht nachkommt, wird nicht als Jünger Christi erkannt, selbst wenn er einen ordentlichen Lebenswandel führt. 3 8 3 Hier wird auf den Gehorsam abgehoben; »Abendmahlsverächter« werden Kindern verglichen, die einen ernstlichen Befehl nicht befolgen. 3 8 4 Eine bestimmte Anzahl des Sakramentsempfangs wird in den Predigten nicht genannt. Ein Empfang an den großen Festen im Kirchenjahr (Weihnachten, Ostern, Pfingsten) wird j e d o c h empfohlen. 3 8 5 D i e Praxis der Schwenkfelder (ganz selten), der Calvinisten (zwei-dreimal im Jahr) wie auch der Katholiken (feste Zeiten) wird abgelehnt. Ein Christ soll vielmehr so oft am Abendmahl teilnehmen [...] / so offt er bey sich befindet/ daß es jhme/ [...] / nutzlich vnd nothwendig sein werde. Dann die Regel muß unser notturffi/ vnd deß Nachtmals Krafft vnd Wu[e]rckung genommen werden/ so oft nämlich ein armes betr[e]btesgewissen deren Gu[e]ter/ [...] / zum Trost vnd Sterckung bedu[e]rfftig/ als offt soll er dasselbig empfahen. Hie soll keines Menschen Gewissen gezwungen werden/ sondern jhme ein jeglicher sein eigen Hertz sagen lassen/ wann er dessen bedo[e]iffe/ [... /386 Aber allzuweit reicht diese Freiheit nicht. D e n n zugleich betonten die Prediger immer wieder, daß der Sakramentsempfang nicht zu den Adiaphora zählt und folglich niemandem freigestellt ist. 387 Die geforderte demütige Haltung soll auch ihre äußerliche Entsprechung finden. Dies wird immer wieder hervorgehoben und damit jeder Art der Selbstdarstellung beim Gebrauch des Abendmahls eine Absage erteilt. So wird kritisiert, daß vor allem jüngere Leute das Abendmahl dazu benutzen ihre Garderobe auszufuhren. Kleidung, Schmuck und modische Haartracht werden für wichtiger erachtet als der würdige Empfang: Gleich als ob das Hl. Nachtmahl dazu were verordnet worden/ daß man im Jahr einmal oder zwey die Kleider an die Sonnen brachte vnns sehen liesse.3HS N o c h verwerflicher ist leichtfertige HAGMAJER: Abendmahlspredigt, S. 42 (Hervorhebung S. H.) ANDREAE: Predigten in Lauingen, S. LXII'. Vgl. SIGWART: Predigten vom Abendmahl, S. 105™. 382

383

384

ANDREAE: H o c h z e i t s p r e d i g t

385

Vgl. zum folgenden SIGWART: Predigten SIGWART: Predigten vom Abendmahl, S. SIGWART: Predigten vom Abendmahl, S. SIGWART: Predigten vom Abendmahl, S.

386 387 388

( 1 5 8 5 ) , S. B2R.

vom Abendmahl, S. 108™. 109 v -110 r . 109V. WAGNER: Epistel-Postille 1, S. 652. 116 v , S. 117 r .

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der lutherisch-orthodoxen

Lehre

yppige Kleidung vnnd vngestalte Verstellung des Leibs. Dies ist schon außerhalb der Kirchenräume nicht zu dulden, u m wieviel weniger beim E m p f a n g des Abendmahls. Wer mit einem halb vber die eine Achsel angezogenen/ vnnd vnter dem andern Arm untergeschlagenen Mantel daherkommt, eine M o d e , die von ihren jetzigen Trägern n o c h vor fünf oder sechs Jahren selbst als Kleidung verloffner Lotterbub[en] abgetan worden wäre, d e m gibt der Prediger den R a t , doch gleich nur einen halben Mantel machen zu lassen u n d den andern Teil des Tuchs armen/ du[e]fftigen vnnd blosen Leuthen zu geben. 3 8 9 Die Teilnahme am Abendmahl verpflichtet zu einem redlichen, lauteren Leben, entsprechend dem von Christus vorgestellten Fu[e]rbild.390 In Anlehn u n g an J o h 3 formuliert Hagmajer: Liebet euren Na[e]chsten nicht nur mit Worten, sondern auch der That und Wahrheit.391 Das Abendmahl wird somit zum Symbolum charitatis, zum Wortzeichen der Christlichen Liebe; es symbolisiert ein Band der Liebe, demzufolge die Christen, als Glieder des einen Leibes Christi, einander rechtschaffen Lieben sollen?92 Die sonst vorhandenen Berufs-, Amtsund Standesunterschiede bleiben davon unberührt; es dokumentiert aber die Gleichheit in geistlichen Dingen. Keiner, der einem h o h e n Stand angehört, soll denjenigen, der einem niederen Stand zugehört, verachten, wie auch j e ner dem erstgenannten die Hochheit nicht m i ß g ö n n e n soll. 393 Beide sollen auch nach d e m Abendmahlsempfang einander in brüderlicher Liebe begegnen. Aber auch, wie ein Gast seinem Gastgeber gegenüber, der ihn wohl versorgt, gern ettwas leidet vnnd außstehet, so soll der Christ alles leiden, was i h m begegnet. U m g e k e h r t bemißt sich die U m s e t z u n g dieser Liebe in materieller H i n sicht nach Standeskriterien. Beim Almosengeben k ö n n e es — so Sigwart — nicht angehen, daß jene, die großes Hab und Gut besitzen, den Bedürftigen Gleiches z u k o m m e n lassen, wie ein Handwerker oder gar ein Tagelöhner, der das Haus voller Kinder hat u n d sein Brot mit harter Arbeit verdienen m u ß . D e n n gilt es, das Geld anderweitig zu verwenden, scheuen die gleichen Personen oft große Unkosten nicht. Deshalb soll besonders der Reiche, u m Christi willen, auch d e m Bedürftigen etwas zur danckbarkeit handreichen.394 Abschließend ist festzuhalten: In den Predigten sind dogmatische u n d ethische Argumente stets miteinander verknüpft. 3 9 5 Selbstprüfung, Sündenbekenntnis, Bereitschaft zur Besserung, aber auch Bereitschaft zum Leiden im Vollzug christlichen Lebens sind die K e r n p u n k t e der Predigten, die sich mit 389

SIGWART: P r e d i g t e n v o m A b e n d m a h l , S. 117R.

390

HAGMAJER: A b e n d m a h l s p r e d i g t , S. 4 2 .

391

HAGMAJER: A b e n d m a h l s p r e d i g t , S. 4 3 .

Vgl. z u m f o l g e n d e n SIGWART: P r e d i g t e n v o m A b e n d m a h l , S. 120R. 3 9 3 SIGWART: P r e d i g t e n v o m A b e n d m a h l , S. 120 R : Der Reich soll den Armen nicht fen/ der Arm dem Reichen wegen seines Reichthumbs nicht feind sein oder hassen. 3 9 4 SIGWART: P r e d i g t e n v o m A b e n d m a h l , S. 118 R . 393 Vgl. SIGWART: P r e d i g t e n v o m A b e n d m a h l , S. 121R. 392

hinwer-

Vom Jüngsten Tag zum Jüngsten

Gericht

143

der Abendmahlsthematik befassen. Die Ermahnung zur brüderlichen Liebe weist über die sakramentale Gemeinschaft hinaus in den Alltag.

4. Vom Jüngsten

Tag zum Jüngsten

Die Frage nach dem

Gericht:

Seelenheil.

Wenn im folgenden von »Eschatologie« die R e d e sein soll, muß im voraus klargestellt werden, daß der Terminus als solcher in den Lehren der lutherischorthodoxen Theologen in Tübingen nicht vorkommt. 3 9 6 Die lateinische B e zeichnung dieses Sachverhaltes — »de novissimis« — wird, wie S. Hjelde kürzlich in einer Studie über den Sprachgebrauch dieses Begriffes gezeigt hat, zuerst von Johann Gerhard in die Dogmatik zur Bezeichnung des Zusammenhanges von Tod — Auferstehung — Gericht - Vollendung der Welt — Himmel — Hölle — eingeführt. 397 Grundzüge dieses Lehrmusters finden sich auch bei den Tübinger Theologen Jacob Heerbrand, Matthias Hafenreffer und Johann G e org Sigwart, in eingeschränkter Form auch bei Tobias Wagner. Bedingt durch die zeitgenössische kontroverstheologische Diskussion fanden bei ihnen weitere Themen Berücksichtigung, die sich vornehmlich auf den Zustand der abgeschiedenen Seelen beziehen. Bei Heerbrand folgen die Loci: De morte — De sepultura — De statu animarum — De consummatione sivefine saeculi — De mortuorum resurrectione — De extremo iudicio — De Inferno — De vita aeterna aufeinander, ohne daß sie zu einer höheren Einheit zusammengefaßt wären. 398 Ganz ähnlich stellt sich dieser Sachverhalt in dem Handbüchlein (1604) von Sigwart dar, das noch 1699 in achter Auflage nachgedruckt wurde. 399 Er befaßt sich in den Kapiteln 28 bis 35 mit folgenden Themen: Vom Tod — Vom Zustand der Seelen nach dem Tod — Vom Zustand des Leibes nach dem Tod — Vom Ende der Welt — Von Auferstehung der Todten — Vom Jüngsten Gericht — Von der Hölle — Vom ewigen Le-

3 9 6 Der Begriff wird von Abraham Calov erstmals zur Zusammenfassung der Lehre von den letzten Dingen (de novissimis) gebraucht. Vgl. JOHANNES WALLMANN: Zwischen Reformation und Pietismus. R e i c h Gottes und Chiliasmus in der lutherischen O r t h o doxie. In: Eberhard Jüngel; Johannes Wallmann; Wilfrid Werbeck (Hrsg.): Verifikationen. Festschrift fur Gerhard Ebeling zum 70. Geburtstag. Tübingen 1982, S. 1 8 7 - 2 0 5 , hier S. 190 und Anm. 12. 397 SIGURD HJELDE: Das Eschaton und die Eschata. Eine Studie über Sprachgebrauch und Sprachverwirrung in der protestantischen Theologie von der Orthodoxie bis zur G e genwart (Beiträge zur evangelischen Theologie, Bd. 102). München 1987, S. 35, vgl. Anm. 2. Zur Tradition dieses Begriffes vgl. HJELDE: Das Eschaton, S. 36 f. HEERBRAND: CompendiumTheologiae (1573), S. 573 führt den Begriff Dies nouißimus in einer Aufzählung über gängige Bezeichnungen des eschatologischen Geschehens auf. Bei den untersuchten Tübinger Theologen findet sich der Terminus De novissimis zuerst in dem von J o hann Wolfgang Jäger verfaßten Compendium aus dem Jahre 1702. 3 9 8 HEERBRAND: CompendiumTheologiae (1573), S. 5 2 6 - 6 0 8 . 399

SIGWART: H a n d b ü c h l e i n .

144

Die Legitimation

der lutherisch-orthodoxen

Lehre

hen. Bei HafenrefFer zeichnet sich eine dogmatische Einheit insofern ab, als er das dritte Buch De homine in vier Abschnitte gliedert, deren letzter mit Status post Mortem überschrieben ist und die folgenden Themen behandelt: De immortalitate et statu animae — De sepultura — De limbo patrum — De purgatorio — De invocatione mortuorum — Define mundi — De resurrectione mortuorum — De extremo iudicio — De infemo — De vita aeterna.400 Wagner behandelt die Thematik innerhalb seiner Erklärungen zum zweiten und dritten Glaubensartikel und befaßt sich dabei mit den Bereichen: Vom Jüngsten Gericht — Von der Auferstehung — Vom ewigen Leben - V o n der Hölle. 4 0 1 Jäger ist dann der erste der untersuchten Tübinger Theologen, der diese Thematik in seinem Compendium ebenfalls unter der Uberschrift De Novissimis behandelt. Er gliedert dort in die folgenden Bereiche: De morte — De resurrectione — De judicio extremo — De consummatione seculi.402 Dieser Uberblick über die Möglichkeiten der Beschäftigung mit den verschiedenen Aspekten zeigt deutlich, daß die Tradition keine festen Größen des eschatologischen Sachverhalts zur Verfugung stellte. Nicht grundlos befaßt sich Gerhard in seinen Loci (1610—1622) eigens in einem Paragraphen (§ 7) mit der Anzahl. Traditionell geht es bei dieser Thematik um eine doppelte Endperspektive der Glaubenslehre: Formal ist es zum einen die Frage nach der Zukunft des Menschen als Individuum und zum anderen die Frage nach der Zukunft der Welt. Inhaltlich geht es um die Endpole ewige Herrlichkeit oder ewige Strafe. Gemäß dieser Lehre kann der Mensch seinen Tod nicht einfach als ein gegebenes Faktum hinnehmen, sondern muß das Sterben in sein Leben, d. h. in seine Lebensführung aktiv hineinnehmen. 4 0 3 Handeln gewinnt folglich dadurch seinen Sinn, daß es ein Leben gibt, das dem Tod als physische Existenz überlegen ist. Die Reflexion des Todes für den Lebensvollzug gehört zum Selbstverständnis menschlichen Daseins in der lutherischen Orthodoxie. Die Angst vor dem Tod verwandelt sich in die Sorge um das rechte Leben. In einem doppelten Sinne wird der Tod zum Durchgang zum Lehen, zum Himmel.404

400

HAFENREFFER: Loci Theologici (1600), S. 4 4 5 - 4 9 6 .

401

WAGNER: C o m p e n d i u m T . 1, S.

145-215.

JÄGER: Compendium Theologiae, S. 3 5 8 - 3 8 7 . 4 0 3 Vgl. WENZEL LOHFF: Theologische Überlegungen zum Problem des Todes. In: Leben angesichts des Todes. Beiträge zum theologischen Problem des Todes. Helmut T h i e licke zum 60. Geburtstag. Tübingen 1968, S. 1 5 7 - 1 7 0 , bes. S. 160 f. Das gilt auch für die Dichtung jener Epoche. Vgl. KRUMMACHER: D e quatuor novissimis, S. 576. In der Leichabdankung des Andreas Gryphius, der darin nach Krummacher 50 etwas wie die Devise aller eschatologischen Literatur des Mittelalters und der frühen Neuzeit formuliert habe, heißt es: Ja die stete Vorbereitung schrecket ab von allen Lastern; Was du Thust/ so bedencke das Ende/ sagt Syrach [7,40]/ so wirst du nimmermehr Übels thun (ebd., S. 576 f.) HAAG: Predigt und Gesellschaft, S. 239—245. Zur Traditionsgeschichte vgl. FERDINAND VAN INGEN: Vanitas und m e mento mori in der deutschen Barocklyrik. Groningen 1966, S. 76—98. 402

Vom Jüngsten Tag zum Jüngsten

Gericht

145

Der Artikel von der Auferstehung diene dazu, so Sigwart, [...] / daß wir durch dieselhige zu einem Christlichen Wandel und aller Gottseeligkeit angehalten werden. Dann was wir in diesem zeitlichen leben Gott wolgefa[e]lliges thun/ daß wu[e]rdt in jenem Ewigen Leben nach der Todten Aufferstehung sein belohnung haben.405 Gott habe d e m Menschen die Stunde seines Sterbens nicht mitgeteilt, damit er o h n e Unterlaß in Gottes Furcht lebe u n d in christlichem, züchtigem, n ü c h t e r n e m u n d gerechtem Lebenswandel seiner Erlösung alle Stunde warte. 4 0 6 Menschliches Wohlverhalten wird so nicht nur auf d e m Weg über Verheißungen, sondern auch massiv mit Hilfe von angedrohten — zeitlichen u n d ewigen — Strafen angestrebt. 407 H i n t e r g r u n d ist die biblische Aussage, daß der leibliche Tod — nicht urspünglich von Gott geschaffen 408 — die göttliche Strafe sei, die d e m Menschen u m seiner Sünde willen auferlegt ist. 409 Trotz dieser F u n k t i o n e n ist, wie Weber ausfuhrt, die Eschatologie kein Kernstück der orthodoxen Dogmatik,410 Die Probe für das E r n s t n e h m e n der Eschatologie in der lutherischen Orthodoxie sei aber, so Weber weiter, nicht 404 HANS-EMIL WEBER: R e f o r m a t i o n , O r t h o d o x i e u n d R a t i o n a l i s m u s . B d . 1,2: Von der R e f o r m a t i o n zur O r t h o d o x i e (Beiträge zur F ö r d e r u n g christlicher T h e o l o g i e , B d . 36). G ü t e r s l o h 1940, S. 2 4 5 . 405 SIGWART: Z w a n z i g P r e d i g t e n ü b e r 1 K o r 15, S., 190R. ANDREAE: L e i c h e n p r e d i g t H e r z o g i n Sabina, S. 32: Es geht n i c h t , daß ein M e n s c h [...] zu[o]r zeit seiner gesundtheit für vnd für frech vnd rewlos leben/ vnd gedencken wollt/ wan[n] er allt oder kranck werde/ so wo[e]ll er sich auch Christlich in den Todt schicken. Vgl. dazu W ü r t t e n b e r g i s c h e s G e s a n g b u c h (1591), S. 295. I m Lied Weltlich Ehr und zeitlich Gut h e i ß t in d e n S t r o p h e n 2—4: Dein end bild dir ta[e]glich fu[e]r/ gedenck der Tod ist vor der Thu[e]r/ vnd will mit dir dauon: er klopffte an/ du must herauf / da wu[e]rdt nun nicht änderst auf: Hettest du nun recht gethan/ so findest du guten lohn. [Vers 3] Wann die Seel zur Hellen fehrt/ vnnd der Leib von Wu[e]rmen verzehrt/ wider wu[e]rdt aujferstehn:Als dann fu[e]r Go[e]ttlicher krafft/geben sollen rechenschafft: O wie wu[e]rdt er da bestehn/ weil er jetzt will mu[e]ssig gehn. [Vers 4] Dann dort wu[e]rdt ein reines Hertz/ vil mehr gelten dann alle Scha[e]tz/ vnnd aller menschen Gut. Wer hie verso[e]hnt mit Gott/ der wu[e]rdt dort nit leiden not. Wer jetzt Gottes willen thut/ der wu[e]rdt dort sein wolgemut. 406 ANDREAE: L e i c h e n p r e d i g t H e r z o g i n Sabina, S. 35. ANDREAE: L e i c h e n p r e d i g t Lieb e n s t e i n , S. 16V. ANDREAE: V i e r P r e d i g t e n v o m W u c h e r , S. 97.

S.

407

O S I A N D E R , A . : N e u j a h r s p r e d i g t , S. 1 7 . R E U C H L I N : R e k t o r - P r e d i g t , S. 4 3 u n d S. 4 5 .

408

HEERBRAND: C o m p e n d i u m T h e o l o g i a e

(1573), S. 528. SIGWART: H a n d b ü c h l e i n ,

532.

409 SIGWART: H a n d b ü c h l e i n , S. 532. Vgl. HEERBRAND: C o m p e n d i u m T h e o l o g i a e (1573), S. 5 3 0 f. SIGWART: P r e d i g t e n ü b e r 1 K o r 15, S. 162 r u n d S. 180'. WAGNER: Leic h e n p r e d i g t E g e n , S. A4V—B,r: U r s a c h e u n d U r s p r u n g des Todes ist die Ü b e r t r e t u n g des ersten G e b o t s . WAGNER: Esslinger T r a u e r p r e d i g t e n , S. 125 ff. PHILGUS: P r e d i g t in Lindau, S. 22. 410 WEBER: R e f o r m a t i o n , O r t h o d o x i e u n d R a t i o n a l i s m u s . B d . 1,2, S. 2 4 1 . HARTMUT LEHMANN: Das 17. J a h r h u n d e r t als E n d z e i t . In: H a n s - C h r i s t o p h R u b l a c k (Hrsg.): D i e l u t h e r i s c h e Konfessionalisierung in D e u t s c h l a n d . Wissenschaftliches S y m p o s i o n des Vereins f ü r R e f o r m a t i o n s g e s c h i c h t e 1988 (Schriften des Vereins f ü r R e f o r m a t i o n s g e s c h i c h t e , Bd. 197). G ü t e r s l o h 1992, S. 5 4 5 - 5 5 4 , hier S. 545. E r weist hier auf die in der F o r s c h u n g konstatierte Aufenseiterrolle h i n , die j e n e T h e o l o g e n u n d Laien e i n g e n o m m e n h ä t t e n , die sich m i t der Eschatologie beschäftigt h ä t t e n . V g l . HANS-HENRIK KRUMMACHER: »De q u a t u or novissimis«. U b e r ein traditionelles theologisches T h e m a bei G r y p h i u s . In: A u g u s t

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Die Legitimation

der lutherisch-orthodoxen

Lehre

eine eschatologische Gnosis, die das Lehrstück in die Mitte rückt, sondern die Ausrichtung des ganzen Denkens,411 Betrachtet m a n diese eschatologische O r i e n t i e r u n g als gültigen Maßstab fiir die B e w e r t u n g dieses dogmatischen Sachverhalts, d a n n k a n n eine U n t e r suchung, die sich i m b e s o n d e r e n als Verhältnisbestimmung v o n T h e o l o g i e u n d Alltag versteht, a m Sachverhalt der Eschatologie nicht v o r ü b e r g e h e n . Aus theologischer Sicht k a n n sie daran n i c h t v o r ü b e r g e h e n , weil die S p a n n u n g des »schon jetzt — n o c h nicht« u n t e r d e n Vorgaben v o n V e r h e i ß u n g u n d Erfüllung, v o n R e c h t f e r t i g u n g u n d Heiligung, v o n der Taufe als Abbild des Sterbens, W i e d e r g e b o r e n w e r d e n s u n d Auferstehens, v o m A b e n d m a h l als Abbild der z u k ü n f t i g e n G e m e i n s c h a f t , auf die k o m m e n d e Vollendung hinweist. Aus sozialethischer Sicht steht der Tod d e m M e n s c h e n als ständige M a h n u n g vor A u g e n ; der Tod steht an der Schwelle zur endgültigen Entrollung der Lebensfrage.412 D i e Beschäftigung mit d e m T h e m a der Eschatologie r ü h r t aber nicht n u r v o n diesen theoretischen Ü b e r l e g u n g e n her. W i e die quantitative D u r c h s i c h t des Quellenmaterials ergeben hat, zählt das T h e m a zu den zentralen P u n k t e n der Predigt; u n d das n i c h t nur, weil Leichenpredigten einen beträchtlichen Teil des Quellenmaterials ausmachen. 4 1 3 D a ß in Leichenpredigten in b e s o n d e r e m M a ß e die eschatologische T h e m a t i k angesprochen wird, versteht sich v o n selbst. Es ist aber zu berücksichtigen, daß auch diese Predigt zunächst nichts anderes sein will als die V e r k ü n d i g u n g des unverfälschten Wortes Gottes, auch die Leichenpredigt ist Auslegung eines — eventuell d u r c h d e n Verstorbenen selbst — v o r g e g e b e n e n Textes. Das kirchliche H a n d e l n in der Leichenpredigt ist aber kein Vollzug am Toten, s o n d e r n an den L e b e n d e n . I m U n t e r s c h i e d zur

B u c k u n d M a r t i n B i r c h e r (Hrsg.): R e s p u b l i c a G u e l p h e r b y t a n a . W o l f e n b ü t t e l e r Beiträge zur R e n a i s s a n c e - u n d B a r o c k f o r s c h u n g . Festschrift f ü r Paul R a a b e ( C h l o e . B e i h e f t e z u m D a p h n i s , B d . 6). A m s t e r d a m 1987, S. 4 9 9 - 5 7 7 , hier S. 517 f. D i e B e d e u t u n g dieses L e h r stückes zeige sich j e d o c h n i c h t n u r in der k i r c h l i c h e n V e r k ü n d i g u n g , s o n d e r n ebenso i m illustrierten «Flugblatt u n d in der G r a p h i k sowie in Malerei u n d Plastik. I n n e r h a l b der geistlichen Literatur sind die vier letzten D i n g e ü b e r J a h r h u n d e r t e h i n w e g ein zentrales T h e m a . K r u m m a c h e r b e z e i c h n e t es als das Herzstück der Frömmigkeitsgeschichte (ebd., S. 575). 411 WEBER: R e f o r m a t i o n , O r t h o d o x i e u n d R a t i o n a l i s m u s . Bd. 1,2, S. 241. A l l g e m e i n zur Eschatologie der Altprotestantischen O r t h o d o x i e vgl. ERHARD KUNZ: Protestantische Eschatologie. Von der R e f o r m a t i o n bis zur A u f k l ä r u n g ( H a n d b u c h der D o g m e n g e s c h i c h te, B d . 4). Freiburg, Basel, W i e n 1980, S. 4 3 - 6 7 , j e d o c h o h n e B e r ü c k s i c h t i g u n g der Tübinger Entwürfe. 412 WEBER: R e f o r m a t i o n , O r t h o d o x i e u n d R a t i o n a l i s m u s . B d . 1,2, S. 2 4 3 . 413 LEHMANN: Das 17. J a h r h u n d e r t , S. 546 f. u n d S. 553. E r b e o b a c h t e t n a c h der A n a lyse v o n K i r c h e n l i e d e r n , Flugblättern, Flugschriften, E r b a u u n g s b ü c h e r n , G e d i c h t e n u n d G e b e t e n e i n e n Anstieg v o n Aussagen z u m T h e m e n b e r e i c h »Endzeit« in d e n J a h r e n z w i schen 1570 u n d d e m 3 0 j ä h r i g e n Krieg; hierbei läßt sich n a c h vorsichtigen E i n s c h ä t z u n g e n in d e n J a h r e n z w i s c h e n 1610 u n d 1630 ein absoluter H ö h e p u n k t konstatieren. E i n e B e o b a c h t u n g , die n a c h der L e k t ü r e der dieser Studie z u g r u n d e g e l e g t e n P r e d i g t e n bestätigt w e r d e n k a n n .

Vom Jüngsten Tag zum Jüngsten Gericht

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katholischen Lehre, die die Auffassung vertritt, noch über den Tod hinaus das Schicksal des Toten beeinflussen zu können und Sorge flir seine Seligkeit zu tragen, vertritt die evangelische Kirche die Auffassung, daß mit dem Tod jedes menschliche Handeln seine natürliche Grenze erreicht hat. Die Ermahnungen zu Gebet, Opfer und guten Werken für den Toten sind aus evangelischer Sicht gegenstandslos. 414 Die kirchliche Verkündigung nimmt den Tod eines M e n schen zum Anlaß, an den eigenen Tod zu erinnern, wie auch über die Vorbereitung auf den Tod zu belehren und ein Bekenntnis zur Auferstehungshoffnung abzulegen. Das Leben des Verstorbenen konnte für die Lebenden als Beispiel einer gottgewollten Existenz dienen und damit paränetische und pädagogische Funktion bekommen. 4 1 5 Die Württembergische Große Kirchenordnung schreibt deshalb dem Prediger vor: Am end soll er die abgestorbene Person/ der gna[e]digen hand Gottes beuelhen/ Vnd die gegenwärtigen Versamlung vmb besserung des Lebens/ Christlich absterben/ vnd fro]e]lich Vrstend/ mit einem Vatter vnser bitten lassen/ vnd sie darauff mit dem gemeinen Segen abfertigen,416 O b aller-

dings die Vermutung Schleißings zutrifft, daß gerade die in der Leichenpredigt, besonders im sich anschließenden Personalteil, enthaltenen biographischen Angaben, die ja immer eine Beurteilung des Toten darstellen, großen Anteil an der Behebung der im Verlauf des 30jährigen Krieges entstandenen moralischen Mißstände haben, muß wohl doch in Frage gestellt werden. 4 1 7

414

Württembergische Große Kirchenordnung, S. xcv r : ES bringt zwar denen so in tmserm HERRN Jesu Christo auß disem zeitlichen Leben verschiden sein/ vnser dienst aujf Erden kein nutz/ [...] So seind wir genu[o]gsam vergwißt/ das wo[e]lcher in dem Glauben vnd vertrawen auff vnsern einigen HERRN [...] von diser Welt abscheidet/ der habe allbereit on all vnser Wünschen/ Begird/ Fürbitt/ Hilff vnd Zu[o]thu[o]n/ die Ru[o]u> des ewigen Lebens/ vnd werde mit Jrewden besitzen die Herrligkeit des Himmelreichs am Jüngsten tag/ durch vnsern HERRN [...] auch leiblich/ [...]. Vgl. PAUL RICHARD BLUM: Leichenpredigten. Bemerkungen zu einem Forschungsgebiet und Vorstellung der Tübinger Sammlung des Martin Crusius. In: Paul Richard Blum (Hrsg.): Studien zur Thematik des Todes im 16. Jahrhundert (Wolfenbütteler Forschungen, Bd. 22). Wolfenbüttel 1983, S. 111-124, hier S. 112. 415 Vgl. RUDOLF MOHR: Protestantische Theologie und Frömmigkeit im Angesicht des Todes während des Barockzeitalters hauptsächlich auf Grund hessischer Leichenpredigten. Diss. phil. Marburg 1964. HARTMUT LEHMANN: Das Zeitalter des Absolutismus. Gottesgnadentum und Kriegsnot (Christentum und Gesellschaft, Bd. 9). Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz 1980, S. 117. WINFRIED ZELLER: Leichenpredigt und Erbauungsliteratur. In: Rudolf Lenz (Hrsg.): Leichenpredigten als Quelle historischer Wissenschaften. Köln, Wien 1975, S. 66-89, hier S. 67. RUDOLF MOHR: Der Tote und das Bild des Todes. In: Rudolf Lenz (Hrsg.): Leichenpredigten als Quelle historischer Wissenschaften. Köln, Wien 1975, S. 82-121, hier bes. S. 109-116. HEERBRAND: Leichenpredigt für Herzog Christoph, S. 13. PHILGUS: Predigt in Lindau, S. 28. REUCHLIN: Leichenpredigt (Stud. theol), S. 80: Tod als Instrument Gottes. HOCHSTETTER, A. A.: Leichenpredigt Reuchlin, S. 21: Bedeutung des Todes Reuchlins. 416 Württembergische Große Kirchenordnung, S. xcvi r . 417 ANTON SCHLEISSNINC: Die Glaubwürdigkeit der Leichenpredigten des 16. und 17. Jahrhunderts. Eine Untersuchung über den Quellenwert einer Literaturgattung. In: Mitteilungen des Roland 26 (1941), S. 54-58, hier S. 57.

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der lutherisch-orthodoxen

Lehre

D e r Sinn der Leichenpredigt ist auf das christliche L e b e n hin orientiert. 4 1 8 W i r d der Tod f ü r pädagogische, paränetische u n d gesellschaftliche Belange i n strumentalisiert, d a n n setzt dies eine b e s t i m m t e Vorstellung des Todes voraus. D e r Tod k a n n innerhalb einer solchen K o n z e p t i o n nicht als Katastrophe, als letztes, unlösbares Rätsel m e n s c h l i c h e n Lebens b e w e r t e t w e r d e n . D e r so verstandene Tod hat v i e l m e h r seinen festen Platz i m Leben. Er dient diesem L e b e n u n d b e k o m m t damit eine positive B e d e u t u n g . D i e E r w a r t u n g der Seligkeit i m Tod ist ihrerseits die Voraussetzung f ü r d e n offenen, vertrauten U m gang mit d e m Tod. Als integrativer Bestand der christlichen Lehre k a n n der Tod als E n d p u n k t des Lebens verstanden w e r d e n , der auf das eigentliche Ziel hinfuhrt. Was n u n die Z u k u n f t s e r w a r t u n g e n anbelangt, so k o m b i n i e r e n die T h e o l o gen der lutherischen O r t h o d o x i e o h n e Schwierigkeiten zwei einander e i g e n t lich exkludierende M o d e l l e . Sie greifen dabei auf das auch in der antiken P h i losophie b e k a n n t e L e i b - S e e l e - S c h e m a zurück. I m U n t e r s c h i e d zu d e m p h i l o sophischen M o d e l l lehren die l u t h e r i s c h - o r t h o d o x e n T h e o l o g e n aber, daß die Unsterblichkeit der Seele allein in Gottes W i l l e n b e g r ü n d e t liege u n d entsprec h e n d n u r aus seinem W o r t zu e r k e n n e n sei; d e n n eine Unsterblichkeit, die aus d e m Wesen der Seele selbst abgeleitet wird, w ü r d e ihre absolute U n s t e r b lichkeit erweisen — ein f ü r die lutherische O r t h o d o x i e u n d e n k b a r e r G e d a n ke. 4 1 9 M i t Hilfe dieses Leib-Seele-Schemas v e r b a n d e n die T h e o l o g e n die e n d geschichtliche u n d die jenseitige Eschatologie in ihren Predigten. D e r (erste) Tod b r i n g t die T r e n n u n g v o n Leib u n d Seele 4 2 0 , die Seele bleibt allezeit unsterblich.421 S c h o n M e l a n c h t h o n , aber auch Z w i n g l i u n d Calvin hatten den

418

PHILGUS: P r e d i g t in Lindau, S. 28: P ä d a g o g i k des Todes. Vgl. PAUL ALTHAUS: D i e letzten D i n g e . L e h r b u c h der Eschatologie. G ü t e r s l o h 1949 5 , S. 94. 420 HEERBRAND: C o m p e n d i u m T h e o l o g i a e (1573), S. 526 f. HEERBRAND: Predigt v o m e w i g e n L e b e n , S. H, R . HEERBRAND: L e i c h e n p r e d i g t f ü r H e r z o g C h r i s t o p h , S. 12. JÄGER: C o m p e n d i u m T h e o l o g i a e , S. 3 5 9 f. u n d S. 366: Forms Resurrectionis consistit in corporum antea mortuorum cum anima Vnione, & à sepulchris suscitatione. OSIANDER,A.: L e i c h e n p r e d i g t f ü r M a r t i n Crusius, S. 3. WAGNER: L e i c h e n p r e d i g t M e r l a u , S. 38. KELLER: L e i c h e n p r e d i g t Wagner, S. 18. Z u d e n E n t w ü r f e n v o n G e r h a r d , Hollaz u n d Calixt vgl. KUNZ: P r o t e s t a n tische Eschatologie, S. 50 f. D i e T r e n n u n g v o n Leib u n d Seele ist ein T h e m a , das sehr h ä u f i g in d e n K i r c h e n l i e d e r n g e n a n n t w i r d . Vgl. W ü r t t e m b e r g i s c h e s G e s a n g b u c h (1741), N r . 3 1 9 , V e r s 9 [= W ü r t t e m b e r g i s c h e s G e s a n g b u c h (1711), S. 387], N r . 338, Vers 1 - 3 [= W ü r t t e m b e r g i s c h e s G e s a n g b u c h (1591), S. 3 2 0 u n d W ü r t t e m b e r g i s c h e s G e s a n g b u c h (1711), S. 324], Vgl. a u c h W ü r t t e m b e r g i s c h e s G e s a n g b u c h (1741), N r . 311, Vers 4: [ . . . ] Wann sich die seel vom leib abwendt, So nimm sie, herr, in deine ha[e]nd; Der leib hab in der erd sein ruh, Biß sich der ju[e]ngste tag naht herzu [= W ü r t t e m b e r g i s c h e s G e s a n g b u c h (1591), S. 3 1 4 u n d W ü r t t e m b e r g i s c h e s G e s a n g b u c h (1664), S. 3 9 8 sowie W ü r t t e m b e r g i s c h e s G e s a n g b u c h (1711), S. 307]. Vgl. a u c h W ü r t t e m b e r g i s c h e s G e s a n g b u c h (1741), N r . 310, Vers 3 [= W ü r t t e m b e r g i s c h e s G e s a n g b u c h (1711), S. 306], 419

421

SIGWART: H a n d b ü c h l e i n ,

L e i c h e n p r e d i g t Wagner, S. 12.

S. 5 4 3 . V g l . W A G N E R : C o m p e n d i u m

T . l , S. 1 8 7 .

KELLER:

Vom Jüngsten

Tag zum Jüngsten

Gericht

149

Gedanken der Unsterblichkeit der Seele in ihre eschatologischen Darstellungen einbezogen. 422 Begründet liegt das theologische Verständnis der Unsterblichkeit der Seele vornehmlich in einem Gottesverständnis, das von einem Gesetzgebungs- und Richteramt ausgeht. Entsprechend fuhrt Heerbrand für die Unsterblichkeit der Seele gewissermaßen einen »moralischen Beweis« an, demzufolge sich die Unsterblichkeit notwendig aus der in einem anderen Leben erfolgenden gerechten Vergeltung ergibt. 423 Diese Hoffnung gründet sich auf die Aussagen der Schrift, denenzufolge das Amt Gottes ein Gerichtsamt ist.424 Die Gerechtigkeit fordert ein Gericht. Das Sterben selbst vollzog sich in tradierten Mustern. Mit Luthers Sermon von der Bereitung zum Sterben (15 1 9) 425 ist in diesem Bereich ein frömmigkeitsgeschichtlicher Neuanfang zu bezeichnen. 426 Die in Luthers Sermon gemachten Anweisungen zum christlichen Sterben gehörten in der Folgezeit zum Allgemeingut, zumindest jener Personenkreise, die mit einer Leichenpredigt bedacht wurden: Beichte, Absolution, Abendmahlsempfang, Bitte um Vergebung 422

Vgl. ULRICH ASENDORF: A r t . E s c h a t o l o g i e V I I . R e f o r m a t i o n s - u n d N e u z e i t . In: T R E 10 ( 1 9 8 2 ) , S. 3 1 0 - 3 3 4 , h i e r S. 3 1 7 . 423 HEERBRAND: C o m p e n d i u m T h e o l o g i a e (1573), S. 5 6 2 f.: H i o b 1 9 [ , 2 5 ] ; J e s 2 6 [ , 1 9 ] ; D a n 12[,2]; J o h 5[,28] u n d S. 8: Effectus D e i Sunt omnia opera Dei, quae ipsi sacra scriptura tribuit. Sunt autem plurima, imo innumera, Bonitas, fratiae, omnia potentiae, Iusticia & Seueritas, [ . . . ] . SIGWART: H a n d b ü c h l e i n , S. 3 7 f. d i e g ö t t l i c h e n E i g e n s c h a f t e n : e w i g , u n e n d l i c h , w e i se, g u t , g e r e c h t (die Gerechtigkeit selbst, Den[n] also spricht David: Der HErr schaffet Gerechtigkeit und gericht allen denen/ die unrecht leiden), heilig, g u t t ä t i g , w a h r h a f t i g , a l l m ä c h t i g . D a z u vgl. HAFENREFFER: L o c i T h e o l o g i c i ( 1 6 0 0 ) , S. 4 die g ö t t l i c h e n E i g e n s c h a f t e n . S. 6 f. e r klärt e r G o t t e s G e r e c h t i g k e i t m i t H i n w e i s a u f Ps 1 1 6 , 5 ; Ps 1 1 9 , 1 3 7 ; R m 3 , 4 . SIGWART: H a n d b ü c h l e i n , S. 5 6 7 f.: G o t t e s G e r e c h t i g k e i t e r f o r d e r t e i n G e r i c h t . S i g w a r t v e r w e i s t d a b e i a u f Ps 9 , 8 f.; R m 1 4 , 1 0 f.; Jes 4 5 , 2 5 (falsche V e r s a n g a b e , er z i t i e r t Vers 23); P r e d 3 , 1 6 f.; 2 T h e s s 1,4—8. Vgl. WEBER: R e f o r m a t i o n , O r t h o d o x i e u n d R a t i o n a l i s m u s 1,2, S. 2 4 7 l e h n t e i n e m a ß g e b l i c h e B e t e i l i g u n g d e r h e l l e n i s c h e n P h i l o s o p h i e a n d i e s e n U b e r l e g u n g e n ab. JÄGER: C o m p e n d i u m T h e o l o g i a e , S. 3 6 1 . 424 Vgl. A n m . 4 2 3 . WAGNER: L e i c h e n p r e d i g t E g e n , S. D , v : D a s J ü n g s t e G e r i c h t b e r u h t z u e i n e m Teil a u f Gottes gerad durchgehender Gerechtigkeit. D e n G o t t l o s e n ist es e i n G e r i c h t d e r rachvbenden Gerechtigkeit; vgl. J a k 2 , 1 3 ; H e b r . 1 0 , 2 7 f.; 2 T h e s s 1,9; A p k 6 , 1 7 ; Jes 6 6 , 1 5 . HAGMAJER: H u l d i g u n g s p r e d i g t , S. C , ' ( D t n , 1 , 1 7 ; Prov. 8 , 1 5 ) . WAGNER: E p i s t e l Postille 2, S. 7 7 7 . ANDREAE: Passionai C h r i s t i , S. 46 V : D a s J ü n g s t e G e r i c h t als l e t z t e I n s t a n z d e r G e r e c h t i g k e i t . WAGNER: L e i c h e n p r e d i g t E g e n , S. A 4 r . WAGNER: E p i s t e l - P o s t i l l e 1, S. 8 6 6 . D e r B e g r i f f d e r G e r e c h t i g k e i t ist f ü r d i e g a n z e O r t h o d o x i e v o n f u n d a m e n t a l e r B e d e u t u n g : Die an biblischen Aussagen orientierten eschatologischen Lehrgehalte werden [...] mittels der sittlichen Idee der Gerechtigkeit mit dem Leben und den Erfahrungen der Menschen in Zusammenahng gebracht. Die Idee der Gerchtigkeit ist gleichsam der Schüssel, der den Zugang zu den von der biblischen Tradition vorgegebenen Lehren und ihrem Verständnis eröffnet. So KUNZ: P r o t e s t a n tische E s c h a t o l o g i e , S. 67. 425 W A 2, 6 8 5 - 6 9 7 . V g l . HELMUT APPEL: A n f e c h t u n g u n d Trost i m S p ä t m i t t e l a l t e r u n d b e i L u t h e r ( S c h r i f t e n des Vereins f ü r R e f o r m a t i o n s g e s c h i c h t e , B d . 165). L e i p z i g 1 9 3 8 , S. 1 2 1 - 1 2 4 . WERNER GOEZ: L u t h e r s »Ein S e r m o n v o n d e r B e r e i t u n g z u m S t e r b e n « u n d d i e m i t t e l a l t e r l i c h e ars m o r i e n d i . In: L u t h e r j a h r b u c h 4 8 ( 1 9 8 1 ) , S. 9 7 - 1 1 4 . 426 ZELLER: L e i c h e n p r e d i g t u n d E r b a u u n g s l i t e r a t u r , S. 7 3 .

150

Die Legitimation

der lutherisch-orthodoxen

Lehre

für das anderen zugefugte Unrecht, Gewährung von Verzeihung fiir erlittenes Unrecht. Unter Gebet und Gesang der versammelten Familienmitglieder b e reitete man sich zum Sterben. 4 2 7 In der weitreichenden Ubereinstimmung von biblischem Ideal und tatsächlich gelebtem Leben sollen die Hinterbliebenen des seligen Endes des Verstorbenen gewiß werden und so Trost in ihrer eigenen Trauer finden. 4 2 8 Die Aussicht auf ein seliges Ende relativierte dann sogar das Alter des Verstorbenen: Wer seelig stirbt ist gnugsam alt.A29 Auch wenn Luthers Sermon ganze Generationen in ihrer Vorbereitung auf einen seligen Tod beeinflußt hat, liegt bei der Todesvorstellung selbst keine bloße Kontinuität zwischen Reformation und lutherischer Orthodoxie vor. 430 A u f die Unterschiede hat schon Paul Althaus hingewiesen. Sie beziehen sich in erster Linie auf die Vorstellungen des Todes als Schlaf. Der Unterschied ist bemerkenswert, vergleicht man, wie Althaus, die Vorstellungen Luthers mit denen von Johann Gerhard. 431 Während bei Luther der Mensch als solcher schläft, sagt dies Gerhard nur vom Leib aus. Die Seele ihrerseits befindet sich bei Gerhard schon in einem Zustand wie nach dem Gericht: Die Seelen der Frommen befinden sich im Himmel und schauen Gott und sind darin schon der ewigen Seligkeit teilhaftig; die Seelen der Gottlosen sind in der Hölle und erfahren schon ihre Pein,432 D i e Seele befindet sich mithin in keinem neutralen Zustand mehr, vielmehr ist die Entscheidung im Tod bereits gefallen. Diese Todesvorstellung wird schon früh von den Tübinger Theologen vertreten und zwar in den Kompendien wie auch in den Predigten. Zugleich wird aber jede Lehre eines chiliastischen Zwischenstandes ausdrücklich abgelehnt: Leib und Seel werden vielmehr auffgelo[e]set werden und zwar so, daß der Leib wieder zur Erde wird, die Seele dagegen an jhren Ort gebracht wird. 433 Auch wenn der Mensch keinen Unterschied sehen kann zwischen dem Tod ANDREAE: Leichenpredigt Lieberstein, S. 25 v . PHILGUS: Predigt in Lindau, S. 2 8 - 3 1 . WAGNER: Epistel-Postille 2, S. 7 4 8 ff.: Trost in der eigenen Trauer. W ü r t t e m b e r g i s c h e G r o ß e Kirchenordnung, S. xcv". 4 2 9 RAITH: Trostschrift, S. 51 4 3 0 Allgemein zur Eschatologie Martin Luthers vgl. KUNZ: Protestantische Eschatologie, S. 3 - 2 2 . Z u r reformierten Eschatologie S. 2 3 - 3 0 (Zwingli), S. 3 1 - 4 1 (Calvin). 4 3 1 Vgl. ALTHAUS: D i e letzten Dinge, S. 150. Gerhard beruft sich fiir seine Aussage über den Zustand der Seele nach dem Tod allerdings auch auf die Autorität Luthers. Er bezieht sich dabei auf eine singuläre Stelle in Luthers Genesis-Vorlesung, wo Luther den U n t e r schied zwischen dem Todesschlaf und dem irdischen Schlaf erläutert und dort erklärt, daß die Seele auch im Todesschlaf wache, Visionen habe, und die Engel sowie G o t t selbst reden höre. Vgl. KUNZ: Protestantische Eschatologie, S. 51 ff. 4 3 2 ALTHAUS: D i e letzten Dinge, S. 1 5 1 ; vgl. auch S. 1 5 1 - 1 5 3 . 4 3 3 WAGNER: Epistel-Postille 2, S. 7 5 5 . Vgl. dazu auch T h e o d o r T h u m m s Auseinandersetzung mit den sogenannten Weigelianern bei WALLMANN: Zwischen O r t h o d o x i e und Pietismus, S. 189 f. Philipp J a c o b Spener ist dann der erste T h e o l o g e , der sich gegenüber mit lutherisch-orthodoxen T h e o l o g e n mit seiner chiliastischen Zukunftshoffnung b e haupten konnte (vgl. ebd., S. 2 0 5 ) . In T ü b i n g e n sind diese Gedanken in den Predigten der untersuchten T h e o l o g e n nicht rezipiert worden. 427

428

Vom Jüngsten Tag zum Jüngsten Gericht

151

eines Gläubigen und dem eines Ungläubigen, j a gerade Gläubige oft eines j ä hen Todes sterben, bestehe vor Gott ein Unterschied: Der Ungla[e]ubigen Tod ist ein Fluch. Jener ist ein su[e]sser Schlaff/ und guter Gewin/ ein Erlo[e]sung/ Befreyung/ Ruhe und Anfang des ewigen Sabbaths: Dieser bleibt ein Straffe der Su[e]nden/ Jener ist ein Thu[e]r zum ewigen Leben: Dieser ein Thür zum ewigen Tod/ und immerwa]e]renden Verdamnis.434 Auch j e n e , die coram D e o gerecht gesprochen sind, müssen sterben, propter peccati reliquias in carne haerentes, morte[m] intercede re necesse est, ut aboleatur & destruatur corpus peccati.435 Aus theologischer Perspektive gibt es keine Gründe für die Einhaltung b e sonderer Beerdigungsriten. Für die Seligkeit ist es nicht von Belang, wie und wo der Verstorbene beerdigt wird, wie es andererseits dem Gottlosen nichts hilft, ehrlich beerdigt zu werden. Trotzdem ist es fein, gewisse Begräbnisorte zu haben und die Verstorbenen ehrlich zu bestatten. 436 Auch die Trauer der Hinterbliebenen wird in diesem Kontext erläutert. Die Natur wie die Liebe dem Verstorbenen gegenüber, dessen Beywohnung/ Rath/ Hu[e]lff und Trost man [nun] beraubt seyn muß, erfordern eine angemessene Trauer. Unterbliebene Trauer wäre gar als ein Anzeichen der Unfreundlichkeit zu werten. 4 3 7 Hafenreffer hält es für notwendig, an dieser Stelle noch zwei Dinge besonders zu erwähnen. Zum einen sollen die Kosten der Beerdigung moderat gehalten werden, zum anderen gibt er zu bedenken, daß die vera monumenta j e n e Denkmale sind, quae pietatis virtutumq[ue] laudibus nituntur, non quae clauduntur marmore.438 Die Seele schläft nach dem Tod ebensowenig, wie sie während der menschlichen Schlafenszeiten, als sie noch im Leib wohnte, schlief. 439 W i e es nun zweierlei Menschen — Gläubige und Ungläubige — gibt, so kommen ihre Seelen auch an zwei ungleiche Orte. 4 4 0 Einen »Zwischenzustand« gibt es nicht. 4 4 1 Die Befindlichkeit eines Menschen in seinem Tod entspricht seiner Befindlichkeit am Jüngsten Tag: Fällt der Mensch wie ein Baum gegen Mittag, so hat er das ewige Leben, fällt er gegen Mitternacht, so ist er in der Hölle. 4 4 2 Die Seelen der Gläubigen sind nach dem Tod in Abrahams Schoß, in einem O r t der seligen R u h e ; das heißt, die Seelen der Gerechten sind in Gottes Hand:

434

SIGWART: H a n d b ü c h l e i n , S. 5 3 7 .

HEERBRAND: Compendium Theologiae (1573), S. 531 f. SIGWART: Handbüchlein, S. 550 f. HEERBRAND: Compendium Theologiae (1573), S. 5 3 6 - 5 4 1 , bes. S. 539. HAFENREFFER: Loci Theologici (1600), S. 449. SIGWART: Predigten über 1 Kor 15, S. 126™. 437 SIGWART: Handbüchlein, S. 552. HAFENREFFER: Loci Theologici (1600), S. 4 5 0 f. 4 3 8 HAFENREFFER: Loci Theologici (1600), S. 450. SIGWART: Predigten über 1 Kor 15, S. 121 V spricht sich gegen die Prachtentfaltung bei Beerdigungen aus. Die Prachtentfaltung bringe nur den eigenen R u h m der Hinterbliebenen zum Ausdruck. 433

436

439

SIGWART: H a n d b ü c h l e i n , S. 5 4 5 f.

440

SIGWART: H a n d b ü c h l e i n , S. 5 4 5 . WAGNER: C o m p e n d i u m T . l , S. 1 8 7 f.

441

HEERBRAND: K i r c h e n t e s t a m e n t , S. 2 5 8 f.

442

WAGNER: Epistel-Postille

2 , S. 7 8 3 . HAFENREFFER: L i t a n i a , S . 4 7 . PREGITZER:

p r e d i g t e n , S. 2 1 8 . SUMMARIEN I I I , S. 1 9 9 6 .

Buß-

152

Die Legitimation

der lutherisch-orthodoxen

Lehre

Piorum animae sunt in manu DEI, gloriosam corporis resurrectionem & plenam aeterna beatitudinis jruitionem, cum gaudio & desiderio exspectantes.443 Die Seelen der Ungläubigen befinden sich dagegen an einem O r t der Qual und warten dort auf ihre unselige Auferstehung: Impiorum [...] animae sunt in loco tormentorum, cum terrore & cruciatu ignominiosam corporis resurrectionem, & perfectum aeternae damnationis sensum exspectantes 444 Eine heftige Kontroverse wird — in K o m p e n dien und Predigten — in diesem Zusammenhang mit der katholischen Lehre über das Fegfeuer gefuhrt. Für seine Existenz gebe es in der Bibel keine B e l e ge, die Alternativen würden dort eindeutig aufgezeigt; damit ist aber auch j e des Gebet für die Toten umsonst. 445 Christi Mittleramt ist nicht so zu verstehen, als würde er nur für einen Teil der Menschheit büßen, während der andere Teil für sich selbst büßen müßte. 4 4 6 Ist die unsterbliche Seele zum Träger der Person geworden, verlagert sich das Gericht automatisch in die individuelle Todesstunde. Wird der Tod für j e den persönlich sein Jüngster Tag in dieser Welt, so ist j e n e m eschatologischen Ausblick eine Wirklichkeitsnähe garantiert, die völlig unabhängig von aller Spekulation über die historische Stunde und das Ende aller Zeiten ist. 447 Darüber hinaus darf, unabhängig von allen historischen Ereignissen und naturhaften Katastrophen, nicht vergessen werden, daß das den Menschen bekannte Leben als solches äußerst vergänglich war und derTod für jeden jederzeit nahe schien. 4 4 8 Neben der in der Todesstunde vorgenommenen Scheidung in G e rettete und Verdammte halten die Dogmatiker aber an Auferstehung und G e 443

HAFENREFFER:

Loci

Theologici

(1600),

S. 4 4 7 . V g l .

HEERBRAND:

Compendium

Theologiae (1573), S. 544. HEERBRAND: Fragstück, S. 99: Die Seelen der Gerechten sind in Gottes Hand, die Seelen der Sünder werden, wenn sie vom Leib scheiden, vo[n] stund an weggeführt. OSIANDER, A.: Sterb-Predigt, S. 9. KELLER: Leichenpredigt Wagner, S. 25. 444

HAFENREFFER: L o c i T h e o l o g i c i

( 1 6 0 0 ) , S. 4 4 7 . V g l . WAGNER: C o m p e n d i u m T .

S . 1 8 8 . V g l . HEERBRAND: C o m p e n d i u m T h e o l o g i a e

Theologiae, S. 3 6 6 f. 4 4 5 SIGWART: Handbüchlein,

S. 546. Vgl.

( 1 5 7 3 ) , S. 5 4 5 . JÄGER:

HEERBRAND:

Compendium

1,

Compendium

Theologiae

( 1 5 7 3 ) , S . 2 6 1 - 2 6 3 ; S . 5 4 5 . HEERBRAND: K i r c h e n t e s t a m e n t , S . 2 5 7 - 2 7 5 , b e s . S . 2 5 7 - 2 6 2 .

HAFENREFFER: Loci Theologici (1600), S. 4 5 5 - 4 6 1 : Locus de purgatorio. Das Gebet für den Toten ist nicht notwendig. HEERBRAND: Compendium Theologiae (1573), S. 546: Aut enim cum Deo foelicitate fruuntur perpetua, & non indigent uiuiorum interceßione et suffragijs, quae uocanf.Aut iam sunt damnati & in Inferno positi. Et frustra suscipitur oratio, nec iuuantur aut leberantur

i//mc.Vgl. HAFENREFFER: L o c i T h e o l o g i c i ( 1 6 0 0 ) , S . 4 6 1 - 4 6 8 .

ANDREAE: Predigt von der Rechtfertigung, S. E 2 V -E 3 V . Die Beschreibung des Fegfeuers als eines großen Kessels, in dem der einzelne so lange sitzen müsse, bis der Gerechtigkeit Gottes Genüge getan sei, stelle eine Schmähung des Verdienstes Christi dar. HEERBRAND: Predigt vom Allerseelentag, passim. HEERBRAND: Rettung des kleinen Katechismi, 446

S. 7 0 .

HEERBRAND: F r a g s t ü c k e ,

S. 1 0 3 . WAGNER: L e i c h e n p r e d i g t

Egen,

S. C 3 r v .

KELLER:

Leichenpredigt Wagner, S. 24. 447 Vgl. WEBER: Reformation, Orthodoxie und Rationalismus. B d 1,2. S. 243. HEERBRAND: C o m p e n d i u m T h e o l o g i a e 448

( 1 5 7 9 ) , S. 9 5 1 .

Vgl. LEHMANN: Zeitalter des Absolutismus, S. 127.

Vom Jüngsten Tag zum Jüngsten

153

Gericht

rieht am Ende aller Zeiten fest. 449 In der Auferstehung wird die persönliche Zukunft in die den ganzen Kosmos betreffende Eschatologie eingefügt. Dies macht deutlich, daß sich zwar eine individualisierte Erlösungssehnsucht auf die persönliche Todesstunde richtete, dieses Moment aber nicht verabsolutiert werden darf. Schon Eiert hatte mit Nachdruck — und zu Recht — die These einer bloßen Individualhoffnung zurückgewiesen. 450 Das Nebeneinander beider Motive findet sich auch in einem Kirchenlied, so heißt es im Sterbelied einer Gräflichen Person aus dem Jahr 1613 in der vierten und achten Strophe 451 : Ich klage nicht, daß ich scheiden

soll

Aus dieser argen Welt. Allein zu dir HErr JEsu Mein Hoffnung

Du wirst mein Seel Einführen

Christ,

ist gestellt: am Jüngsten

mit der Engel

In den himlisch

Tag

Schaar,

Gezelt.

Wenn mich der grimmige Tod anficht Vnd ich von

hinnen

So nimb mich HERR Vnd führ

mich

Ins ewige

scheid, zu Gnaden

mit der Engel

an Schaar

Paradeiß.

Diese Vorstellung des Todes schließt bei den Tübinger Theologen — wie bei J o hann Gerhard — die Lehre von der Auferstehung nicht aus. Der Artikel von der Auferstehung dient dem Trost in Anfechtung und Traurigkeit dieses Lebens und der Warnung, nicht in Missethat zu sterben. 452 Aufer4 4 9 WAGNER: Epistel-Postille 2, S. 745 f. KELLER: Leichenpredigt Wagner, S. 24: Auferstehung zum Gericht. ANDREAE: Predigten in Lauingen, S. X X X I I ' ; S. X X X V r . PHILGUS: Predigten von Feuersbrünsten, S. 69 f. 450

Vgl.

ELERT:

Luthertum.

B d . 1,

S. 4 4 9 f. ASENDORF: A r t .

Eschatologie,

S. 3 1 8 .

RICHARD HAUG: Bengels Theologie der Weltgeschichte. In: Blätter für württembergische Kirchengeschichte 88 (1988), S. 3 2 4 - 3 3 4 . Er beobachtet dagegen gerade für die O r t h o doxie ein Zurücktreten der eschatologischen Hoffnung, soweit sie über das Schicksal des Einzelnen hinausging (ebd., S. 324). Eine These, die sich aus den hier untersuchten Predigten keinesfalls bestätigen läßt. 451 Zitiert bei KORN: Das Thema des Jüngsten Tages, S. 20 (Hervorhebung S. H.). Eine ähnliche Gegenüberstellung findet sich auch im Württembergischen Gesangbuch (1741), Nr. 314, Vers 11 und 12. Es heiß dort: Auf deinen abschied, herr, ich trau, Darauf mein letzte heimfahrt bau: Thu mir der himmels-thu[e]r weit auf, wenn ich beschließ meins lebens lauff. [Vers 12] Am ju[e]ngsten tag erweck meinn leib: Hilff, daß ich dir zur rechten bleib, Daß mich nicht treffe dein gericht, Weichs das erschro[e]cklich urtheil spricht. 4 5 2 WAGNER: Compendium T. 1, S. 190 f. Vgl. HAFENREFFER: Loci Theologici (1600), S. 476: I. Vt quibuscunq[ue] calamitatibus exerceamur, nos mortuorum resurrectione, quae omnes miserias nostras inenarrabili gloria super abundantur compensatura est, doloris acerbitatem leniamus [...] II. Vt futurae resurrectionis memores, in hac vita cautius ambulemus. Prodire enim nos oportet,

154

Die Legitimation

der lutherisch-orthodoxen

Lehre

stehen werden alle, [...], qui ab initio mundi vsq[ue] ad eiusdem finem vnquam mortui sunt: siue boni siue mali,453 An der Leiblichkeit der Auferstehung wird festgehalten. Die Toten werden dem Wesen nach/ eben mit dem Leichnam/ Fleisch/ Haut und Bein/ welche ein jeder hie gehebt/ wieder aufferstehen/ und kein Gliedmaß dahinden lassen/ wie ja[e]mmerlich auch etwan dieselbigen alhie zerrissen/ hin und her zerstreuet/ und letztlich [...] verwest.454 Die Toten, gottselige wie gottlose, werden in der Auferstehung unsterbliche, geistliche Leiber erhalten, die weder Speise noch Trank bedürfen. 4 5 5 A m Ende der Auferstehung steht das Jüngste Gericht. 4 5 6 In den Predigten der Tübinger Theologen hat die Lehre von der Auferstehung folglich ihren angestammten Platz. B e i der Parusie Christi und der dann erfolgenden Auferstehung kommt es zur erneuten Vereinigung von Seele und Leib. Erst nach Auferstehung und Gericht wird die Vollendung des jeweiligen Status erreicht werden. A m J ü n g sten Tag erst wird vollendete Herrlichkeit bzw. vollkommene Verdammnis erreicht werden. Auch wenn die abgeschiedene Seele nicht mehr, wie bei Luther, auf die Teilnahme des Körpers wartet, weil sie schon im Tod der himmlischen Seligkeit teilhaftig wird, halten die Theologen an der Körperlichkeit fest und lehren, vollkommene Seligkeit bzw. vollkommene Verdammnis werde dem M e n schen erst nach Auferstehung und Jüngstem Gericht zuteil werden. 4 5 7 Die Theologen lehren, daß beispielshalber nach der Auferstehung auch die Verdammten geistliche, unvergängliche Leiber haben müssen. 4 5 8 Selbst Kinder finden in diesen Überlegungen Berücksichtigung, wenn es heißt, sie werden mit j e n e r Gestalt auferstehen, die sie in ihrem männlichen Alter erreicht hät-

vt sistamur tribunali oculatißimi & iustißimi Iudicis. JÄGER: Compendium Theologiae, S. 361: Die Auferstehung wird bezeichnet als OMnis solidae Consolationis fundamentum [...]. 4 5 3 HAFENREFFER: Loci Theologici (1600), S. 473. HEERBRAND: Compendium T h e o l o g i a e ( 1 5 7 3 ) , S. 5 6 6 . SIGWART: H a n d b ü c h l e i n , S. 5 6 0 f. 4 3 4 SIGWART: Handbüchlein, S. 561 f. JÄGER: Compendium Theologiae, S. 3 6 2 : Est autem Resurrectio Actio soltus DEI unitrini Externa, qua is Virtute Omnipotente, corpora omnium defunctoru[m] ex terrae pulvere excitabit, & cum animabus reduniet, ut piis bene, malis vero in aeternum male sit. Causa ergo Resurrectionis est solus DEUS, is enim, qui solus creat, solus etiam recreat. SIGWART: Predigten über 1 Kor 15, S. 88 r . ANDREAE: Predigten in Lauingen, S. X X X V als Zeichen der göttlichen Allmacht. 4 3 5 SIGWART: Handbüchlein, S. 5 6 3 - 5 6 5 . HEERBRAND: Compendium Theologiae (1573), S. 563: Die Auferstehung ist opus Dei, quod in nouißimo die exercebit, cum omnes homines corporibus sius ad uitam & immortalitatem resuscitabit [...]. 4 5 6 HEERBRAND: Compendium Theologiae (1573), S. 569 [ = 5 7 1 ] . SIGWART: Handbüchlein, S. 565 f. 4 5 7 Vgl. KORN: Das Thema des Jüngsten Tages, S. 19 meint, daß fur den Anbruch der himmlischen Seligkeit das Schicksal des Leibes (als Kerker der Seele) keine R o l l e mehr spiele. 4 5 8 HEERBRAND: Compendium Theologiae (1573), S. 590: totus homo.

Vom Jüngsten Tag zum Jüngsten Gericht

155

ten. 4 5 9 Interessant ist, daß es Heerbrand für besonders erwähnenswert findet, daß auch Frauen das ewige L e b e n offensteht. 4 6 0 D i e T h e o l o g e n der lutherischen O r t h o d o x i e konnten, besonders n a c h d e m Luther den Akzent gegenüber der scholastischen T h e o l o g i e anders gelegt hatte, die kosmische Erwartung nicht außer Acht lassen. 4 6 1 Gerade seit der R e f o r m a t i o n hatte die Eschatologie erneut eine historische R e l e v a n z b e k o m m e n . 4 6 2 Anders als in der scholastischen T h e o l o g i e , die das eschatologische Ziel in eine jenseits der Geschichte liegende Sphäre versetzte, ging die R e f o r m a t i o n davon aus, daß das E n d e der Welt schon über die M e n s c h h e i t hereingebrochen sei, gegenwärtiges L e b e n somit L e b e n in der letzten Z e i t ist. D i e biblisch eschatologische Anschauung eines neuen H i m mels und einer neuen Erde war erneut ins Blickfeld der T h e o l o g e n getreten. 4 6 3 M a n hat also auch in der lutherisch-orthodoxen T h e o l o g i e an der Vorstellung des Jüngsten Tages am E n d e aller Zeiten festgehalten und dazu individuelles G e r i c h t im Tod und Weltgericht in eine gleichsam chronologische R e i henfolge gebracht, und so das Schicksal des Leibes nicht einfach ausgeklammert. Ausgehend von den Ü b e r l e g u n g e n der Reformationszeit, die das E n d e aller Z e i t e n als ein nahe bevorstehendes lehrte, stellt sich in der Z e i t der lutherischen O r t h o d o x i e die Frage nach der R e z e p t i o n der reformatorischen L e h re von der Naherwartung. Luther ist überzeugt gewesen, daß das E n d e bald anbrechen werde. 4 6 4 D a sich das E n d e u m das J a h r 1 5 3 0 seiner Auffassung nach mit katastrophaler G e schwindigkeit näherte, hatte er sich beispielshalber zur sofortigen Veröffentlichung seiner Ubersetzung des Propheten Daniel entschlossen; j a er hatte gar befurchtet, das E n d e k ö n n e n o c h vor der Fertigstellung seiner B i b e l ü b e r s e t zung hereinbrechen. 4 6 5

4 5 9 Vgl. dazu WA 3 6 , 5 9 5 , 2 4 - 5 9 6 , 2 5 . Dort schreibt Luther in der Predigt vom 24. So. n. Trin., nachmittags (10.11.1532): Gott wird aller irdischen Macht ein Ende bereiten, Fürsten, Könige und Eltern, wie auch Pfarrherren werden aufhören zu regieren. Das ganze Menschengeschlecht, Männer und Frauen werden als Kreaturen dastehen, es wird aber nicht notwendig sein, daß die Mutter ihr Kind säugt, vielmehr werden alle Menschen in vollkommenem Alter sein. 40 Vgl. dazu KOLB: Kompendien der Dogmatik, S. 19. 4 6 1 STOCK: Annihilatio mundi, S. 4. 462

V g l . THOMAS FORSYTH T O R R A N C E : D i e E s c h a t o l o g i e d e r R e f o r m a t i o n . I n :

Evange-

lische Theologie 14 (1954), S. 3 3 4 - 3 5 8 , hier S. 336 f. 4 6 3 HEERBRAND: Compendium Theologiae (1573), S. 561; S. 602 Verweis auf Jes 65 [Vers 17], 4 6 4 Vgl. WA Tr 1790/1; 2439; 2691; 2756a-c; 3360a-b; aber auch WA 30 11,160-173, bes. WA 3 0 II, 170,29 ff. aus der Heerpredigt wider die Türken; WA 7, 772; 8,719. 463

V g l . TORRANCE: D i e

Eschatologie

d e r R e f o r m a t i o n , S . 3 4 1 . W A L T H E R VON L Ö W E -

NICH: Luther als Ausleger der Synoptiker (Quellen zur Geschichte und Lehre des Prote-

156

Die Legitimation

der lutherisch-orthodoxen

Lehre

Das nahe Ende der Welt hatte Luther aus den Zeichen der Zeit abgeleitet, die noch niemals zuvor in einer derartigen Häufigkeit und Breite aufgetreten waren: Sonnenfinsternisse, feurige Himmelserscheinungen, R e g e n b o g e n , K o meten, das Auftreten des Antichrists etc. Dies alles galt ihm als Anzeichen einer eschatologischen Unruhe, die den Kosmos ergriffen hat. In einer Predigt zum 2. Adventssonntag des Jahres 1530 sagt Luther: Ista signa etiam erunt, quod mare und wellen werden sauffen und brausen. Senes dicunt, an audiunt scheuslich wind, ungewitter. Es wintert nicht recht, in aestate habemus hyemen q. d. creatura: ich bin mude. Iam audimus Romae et Antuerpiae, quod Semper fiant ec sed. es ein unordlich weiter und die zeichen gehen ym schwang [...] Die lewthe werden vorschmachten. Ursach: vorforchte [...] Sie wyrdt ynforchtegehen und nicht wissen was yhm widerfaren wyrdt.466 U n d dies alles sei kein natürlicher Prozeß, sondern werde durch die Sünde der Menschen verursacht. Alle Hoffnung auf Besserung ist vertan, was bleibt, ist die Erwartung des Jüngsten Tages: Die Welt ist reif zum U n t e r 467

gang. Auch für die Vertreter der lutherischen Orthodoxie in Tübingen bleibt die Naherwartung ein wichtiges M o m e n t ihrer Theologie. Bei ihnen ist die N a herwartung weitaus stärker ausgeprägt als bei den Reformierten. Die Tübinger Theologen deuten, ganz in der Tradition Luthers stehend, die Zeichen der Zeit als Vorboten des nahe bevorstehenden Jüngsten Tages: Cerri ßimum [...] est, Mundum hunc non esse perpetuu[m], sed transiturum,468 D i e Welt wird dann — wie 2 Ptr 3 verheißen — im Feuer zugrunde gehen: Terra autem & omnia, quae in ipsa sunt opera, exurentur.469 Die mit großer Häufigkeit auftretenstantismus, 10. R . , Bd. 5). München 1954, S. 2 0 1 - 2 0 8 mit umfangreichen Belegstellen. ULRICH ASENDORF: Eschatologie bei Luther. Göttingen 1967, S. 2 8 0 - 2 9 3 . 4 6 6 WA 32, 2 3 0 , 7 - l l ; 3 0 - 3 2 ; Vgl. WA 36, 382, 7 - 1 0 . Vgl. ASENDORF: Luthers T h e o l o gie nach seinen Predigten, S. 158 f. mit vielen Belegstellen zu Luthers Auffassung. Vgl. ASENDORF: Eschatologie bei Luther, S. 280—283. 467 HEINRICH FAUSEL: D. Martin Luther. Stuttgart 1955, S. 4 3 6 - 4 4 3 : Das Gericht über Deutschland und der Jüngste Tag. Zu Hollaz, Gerhard und Calixt vgl. KUNZ: Protestantische Eschatologie, S. 59 f. 4 6 8 HEERBRAND: Compendium Theologiae (1573), S. 561. 4 6 9 HEERBRAND: C o m p e n d i u m Theologiae (1573), S. 561. Er erwähnt den neuen H i m m e l und die neue Erde. HAFENREFFER: Loci Theologici (1600), S. 4 7 0 . E r gibt keinen Ausblick auf die künftige Weltgestaltung. SIGWART: Handbüchlein, S. 554—557. Auch er beschäftigt sich nur mit den folgenden Punkten: Die sichtbare Welt wird ein Ende haben und aufhören; über den Zeitpunkt des Endes lassen sich keine Angaben machen; Irrtümer, die der lutherisch-orthodoxen Lehre widersprechen. B e i Hafenreffer und Sigwart ist eine deutliche Zurückhaltung gegenüber Heerbrand zu spüren, der sich eigens mit der Frage Quid post futurum est? befaßt. Vgl. dazu das Württembergische G e sangbuch (1741), es heißt dort in Nr. 9, Vers 1 und 7: Es ist gewißlich an der zeit Daß gottes söhn wird kommen Jn seiner grossen herrlichkeit, Zu richten bo[e]s und frommen, Dann wird das lachen werden theur, Wan[n] alles wird vergehn imfeur, Wie Petrus davon schreibet. [Vers 7] Ojesu christ! du machst es lang Mit deinem ju[e]ngsten tage, Den menschen wird auf erden bang Von wegen piler plage, Komm doch, komm doch, du richter groß, Und mache uns in gnaden los, Von allem u[e]bel, Amen.

Vom Jüngsten Tag zum Jüngsten

Gericht

157

den Zeichen gelten als deutliches Anzeichen dafür, daß nichts gewisser ist als das Ende dieser Welt. 470 Ein genaues Datum läßt sich aber trotzdem nicht vorhersagen. Ubereinstimmend werden die Verkehrung der reinen Lehre, das Auftreten falscher Lehrer, das Erscheinen des Antichrists, aber auch Krieg, Pest, Erdbeben, Hunger, Verfolgung, Zeichen am Himmel sowie epikurisches Leben und fleischliche Sicherheit als Anzeichen des nahen Weltendes genannt. 471 Dem Frommen kann das als Trost und Aufmunterung dienen. 472 Das Jüngste Gericht kann jeden Moment über die Menschheit hereinbrechen. 473 Das Motiv des nahen Endes der Welt zieht sich durch alle Predigten, ein Nachlassen läßt sich erst in der dritten Phase des Untersuchungszeitraumes feststellen, ohne freilich ganz zu verschwinden. In besonders starkem Maße ist in den Predigten des Jacob Andreae vom nahen Ende der Welt und dem Verhalten angesichts dieses Endes die Rede. 4 7 4 Die Weissagungen der Propheten, Christi und seiner Apostel haben sich erfüllt, ebenso stehen die

470 H E E R B R A N D : Compendium Theologiae (1573), S. 555. H A F E N R E F F E R : Loci T h e o logici (1600), S . 471. S I G W A R T : Handbüchlein, S . 5 5 5 - 5 5 7 . W A G N E R : C o m p e n d i u m T . 1, S. 146 f. WAGNER: Leichenpredigt Cellius, S. 44. Vgl. WEBER: Reformation, Orthodoxie und Rationalismus. Bd. 1,2, S. 244. H E E R B R A N D : Compendium Theologiae (1579), S. 951. Heerbrand lehnt eine Spekulation über die Berechnung des Weltendes strikt ab: Nec nihil, nec omnia. Certum annum aut annorum numeru[m] definire non possumus, imo ne certum quidem & definitum tempus: sicut multi inutiliter, et infeliciter in hoc argume[n]ti genere laborauerunt. 471 S I G W A R T : Handbüchlein, S . 5 5 6 . H E E R B R A N D : Compendium Theologiae ( 1 5 7 3 ) , S . 5 5 8 f. H A F E N R E F F E R : Loci Theologici ( 1 6 0 0 ) , S . 4 6 9 , der zudem darauf hinweist, in der letzten der vier in Dan 2 genannten Monarchien zu leben. WAGNER: Casualpredigt (Blutpredigt), S . 1 1 8 ; S . 2 2 1 [ = 1 2 1 ] ; S . 1 5 1 . W A G N E R : Casualpredigt (Taxpredigt), S . 8 4 8 . W A G N E R : Casualpredigt (Bußpredigt), S . 8 6 2 . A N D R E A E : Christliche Anleitung, S . 2 5 7 ff. A N D R E A E : Predigt vom Lauf der Planeten, S . 8 4 . Vgl. L E H M A N N : Das 1 7 . Jahrhundert, S. 551 f. 472 W A G N E R : Compendium T. 1, S. 148. A N D R E A E : Vier Predigten vom Wucher, S. 97: Zeichen der nahe Erlösung. A N D R E A E : Christliche Anleitung, S. 2 4 8 - 2 5 4 : C h r i sten werden den Tag fröhlich begehen, wenn sie ihren Lebenswandel entsprechend einrichten. 473 A N D R E A E : Predigten in Hagenau, S . 9 2 . A N D R E A E : Predigten in Lauingen, S. X X X I I R V : wir haben nicht lang dahin [...]/ denn Joannes hat diß [1 Joh 2] wol vorfünjfzehen hundert jaren beschriben. Wir haben kein viertel an diser Stund mehr/ da zweifelt nicht an. 474 A N D R E A E : Vier Predigten vom Wucher, S. 9 7 . A N D R E A E : Predigten in Hagenau, S. 9 2 . A N D R E A E : Predigt vom Lauf der Planeten, S. 8 4 . A N D R E A E : Predigten in Lauingen, S. X X X I I R . A N D R E A E : Christliche Anleitung, S. 2 5 7 ff. H E E R B R A N D : Predigt von der Himmelfahrt, S. D 2 r . H E E R B R A N D : Predigt vom Christkindlein, S. A 4 r . P R E G I T Z E R : B u ß predigten, S. 3 . P H I L G U S : Predigten von Feuersbrünsten, S. 7 5 . W A G N E R : Casualpredigt (Teufel), S. 3 0 . W A G N E R : Casualpredigt (Blutpredigt), S. 1 1 8 ; S. 2 2 1 [ = 1 2 1 ] , W A G N E R : Casualpredigt (Taxpredigt), S. 848. WAGNER: Casualpredigt (Friedenspredigt), S. 282. W A G N E R : Bußpredigt, S. 8 6 2 . W A G N E R : Predigt über Ehehalten, S. 2 6 ; S. 4 6 . W A G N E R : Epistel-Postille 1, S. 863 f. WAGNER: Leichenpredigt Cellius, S. 27. WAGNER: Evangelien-Postille 2 , S. 8 9 1 . H A F E N R E F F E R : Zwei Abendpredigten, S . 2 7 . S U M M A R I E N IV,

S.

284.

158

Die Legitimation der lutherisch-orthodoxen Lehre

Z e i c h e n , mit d e n e n G o t t zur B u ß e aufruft, täglich vor A u g e n . Angesichts eines u n v o r h e r s e h b a r e n Endes ist folgendes Verhalten gefordert: v o m [ . . . ] su[e]ndlichen leben abstehn/ Büß thun/ ein nu[e]chtern/ zu[e]chtig/ Christlich leben vnd wandel fu[e]hren.475 Ein weiterer H ö h e p u n k t eschatologischer Ängste u n d H o f f n u n g e n ist i m W e r k des Tobias W a g n e r festzustellen. D e r J ü n g s t e Tag, so Wagner, k ö n n e nicht m e h r f e r n sein, [...] weil sich ein Ko[e]nigreich u[e]ber das ander/ ein Volck u[e]ber das ander/ ein Nation u[e]ber die ander/ ein Haus u[e]ber das ander empo[e]ret/ und dermassen ineinander/ nunmehr in gantz Europa/ verwickelt/ daß bald kein ersprießlich Mittel mehr vorhanden seyn/ solche zu schlichten/ [...]• 476 Dieser letztgenannte Z e i t p u n k t entspricht d e n Ergebnissen der bisherigen Forschung, die ebenfalls a m B e g i n n des 30jährigen Krieges einen H ö h e p u n k t konstatiert. 4 7 7 Es ist allerdings zu beachten, daß dieser H ö h e p u n k t — gerade mit Blick auf die Predigten des J a c o b A n d r e a e - nicht als ein absolutes M a x i m u m gewertet w e r d e n darf. D i e Begleitumstände des J ü n g s t e n Tages w e r d e n in enger A n l e h n u n g an die biblischen B e r i c h t e f o r m u l i e r t : Posteaquam Christus Saluator noster, summa maiestate & gloria, cum sancti millibus suis, in turbine &flamma ignis (quo totus hic mundus conflagraturus est) extremo die in nubilus apparuerit, cum voce Archangeli, & tuba Dei, [,..].47S N a c h der A u f e r s t e h u n g w e r d e n Alle und jede Menschen/ hohes und nieder Stands/ Reiche und Arme/ Prediger und Zuho[e]rer/ Obrigkeit und Untertanen/ Eltern/ Kinder/ Gesind/ ec. so wol die/ so schon gestorben gewesen/ als die dazumal lebendig erfunden werden, d u r c h Christus ihr letztes U r t e i l öffentlich e m p f a n g e n , f ü r das es keine Appellationsinstanz m e h r g e b e n wird. 4 7 9 Allein das B e k a n n t w e r d e n der eigenen Vergehen wäre eigentlich s c h o n Strafe genug. Sigwart a r g u m e n t i e r t hier mit e i n e m E h r b e g r i f f , der nicht spezifisch christlicher P r ä g u n g ist. A m Beispiel des M o t t o s der Epicureer — laßt uns essen u n d trinken — erklärt Sigwart, daß diese Auffassung i m G r u n d e g e n o m m e n selbst heidnischer Lebensart widerspricht. D e n n , w i e Sigwart b e t o n t , sei auch N i c h t c h r i s t e n daran gelegen, einen guten N a m e n zu hinterlassen. 4 8 0 Diesen E h r b e g r i f f setzt Sigwart n u n in subtiler Weise ein: Es wu[e]rdt doch sonsten nicht bald ein Mensch so vnverscha[e]mpt/ frech vnnd verwegen erfunden/ der sich nicht schenke/ vor vilen leuten/ [...] / ein bo[e]ses stuck zubegehn/ oder daß man allein vor vilen dauon sage [...] Es bedencks doch ein jeder Mensch ein wenig bey sich selbsten/

Vier Predigten vom Wucher, S. 97.

475

ANDREAE:

476

WAGNER: C a s u a l p r e d i g t ( F r i e d e n s p r e d i g t ) , S. 2 8 2 .

477 Vgl. S. 546 f.

ASENDORF:

Art. Eschatologie,

S. 3 1 8 .

Vgl.

LEHMANN:

Das

17.

Jahrhundert,

478 H A F E N R E F F E R : Loci Theologici (1600), S. 479. H E E R B R A N D : Compendium Theologiae (1573), S. 573 f. 479 SIGWART: Handbüchlein, S . 570 f. H A F E N R E F F E R : Loci Theologici (1600), S. 480 f. v H A F E N R E F F E R : Litania, S. 59. H E E R B R A N D : Predigt vom Strahl, S. ll . 480 SIGWART: Predigten über 1 Kor 1 5 , S . 7 7 V .

Vom Jüngsten Tag zum Jüngsten

159

Gericht

was dises fu[e]r ein grosse unaussprechliche schand sein werde/ wann man vor souil hundert tausent Heiligen Engeln vnd Menschen erscheinen vnnd ho[e]ren muß/ diser ist ein Gottslo[e]sterer/ dieser ein Ehebra[e]cher/ Hu[o]rer/ diser ein Trunckenboltz / [...] gewesen [...] Wann kein einige Straff ferner darauff folgete/ so were doch dise schand ein erschro[e]ckliche Straff.481 Unter Ausnutzung dieses psychologischen Druckes ermahnt Sigwart zu einem entsprechenden Verhalten. Als Richtschnur des Urteils werden in den Kompendien das Evangelium, die Schriften der Propheten, Evangelisten und Apostel genannt. 4 8 2 Z u m Prozeßverlauf wird auf die Schilderung des Weltgerichts in M t 25 verwiesen. In dieser Perikope ist auch von den Früchten des Glaubens und den Werken der Liebe die R e d e . Sigwart setzt sich damit auseinander und erklärt, daß dies dem Urteil des Glaubens nicht zuwider ist. Die Gerechtigkeit aus Glauben werde dadurch nicht in Frage gestellt. Da man aber [...] den Glauben keinem ansehefn] kan/ und derselbige durch die Liebe tha[e]tig ist. So wird das Urteil von den Menschen recht nach den Wercken der Liebe außgesprochen,483 Das alttestamentliche Gesetz wird hier nicht einmal am R a n d e erwähnt. In den Predigten wird der Gerichtstag als ein Tag der Rechenschaft vorgestellt, an dem vor aller Welt die menschliche B o ß h e i t offenbar wird. 4 8 4 Es nicht besser gewußt zu haben, ist hier dann keine Entschuldigung mehr. 4 8 5 Gott wird nicht als die Seinen erkennen, wer sein Kreuz nicht auf sich genommen hat, sich nicht selbst verleugnet hat, nicht in der Nachfolge Christi lebte. 4 8 6 D e n Predigern ist wohl bewußt, daß ihrer Predigt vom Jüngsten Tag sehr zweifelhafter Erfolg beschieden ist, gibt es doch nur wenige Menschen, die die Predigt zu ihrer Besserung hören. Viele kehren sie gerade um und gebrauchen sie zu ihrer Sicherheit. Die Laien argumentieren, man habe schon so lange vom Jüngsten Tag gepredigt und es sei doch nichts daraus geworden. Oder aber sie interpretieren die Predigt so und sagen, wenn es gewiß ist, daß

SIGWART: Predigten über 1 Kor 15, S. 57 r . HEERBRAND: Compendium Theologiae (1573), S. 578. HAFENREFFER: Loci T h e o l o gici (1600), S. 482. SIGWART: Handbüchlein, S. 576. 481

482

483

SIGWART: H a n d b ü c h l e i n ,

S. 5 7 7 .

HEERBRAND: C o m p e n d i u m

Theologiae

(1573),

S. 580. Vgl. KUNZ: Protestantische Eschatologie, S. 60 ff. 4 8 4 JÄGER: Compendium Theologiae, S. 3 6 9 f.: Judicium Extremum est Actus solennis & publicus, in quo DEUS Pater per Filium universum mundum judicaturus est;piis quidem vitam aeternam, impiis vero aeternos cruciatus decernendo & adjudicando [...] Objetum hujus Judicii erunt Personae & Causae [...] Causae, tanquam Objectum Reale, hue adducentur omnes, omnesque hominum actus, tum Boni, tum mali; qui ibi de secreto suo prodibunt nudi, & sine tegumento ac praetextu. 485 ANDREAE: Predigten vom Klosterleben, S. I'. 4 8 6 REUCHLIN: Christentum, S. 7 0 - 7 5 . SIGWART: Predigten über Religionsstreitigkeiten, S. 14v. SIGWART: Predigt vom Amt der Kirchendiener, S. 34. SIGWART: Predigten über 1 Kor 15, S. 82 v . WAGNER: Leichenpredigt Cellius (med.), S. 19. Zu Hollaz, Gerhard und Calixt vgl. KUNZ: Protestantische Eschatologie, S. 57 f.

160

Die Legitimation

der lutherisch-orthodoxen

Lehre

es einen Jüngsten Tag gibt, [...] / so wo[e]llen wir demselben vorkommen/ alles verprassen/ verschwelgen vnnd verschlemmen/ ehe wir von jhme vberfallen werden. Jtem/ dieweil wir sterben mu[e]ssen/ so wo[e]llen wir zuuorgut leben haben.487 N o c h Reuchlin entlarvt die falsche Sicherheit, in der sich manche aufgrund ihrer Taufe als Lutheraner wiegen und meinen, allein dadurch dem Jüngsten Gericht entkommen zu können. 4 8 8 Alle Menschen haben sich vor dem Richterstuhl Gottes zu verantworten, wobei eine Allversöhnung prinzipiell ausgeschlossen wird. 4 8 9 Gott wird dabei als der Vergelter vorgestellt, der sich wohlwollend gegenüber denen verhält, die Gott getreu sind.490 ^Wer sich in diesem Leben Gottes Willen widersetzt habe, könne nicht darauf rechnen, im nächsten Leben Gott zu gefallen. 491 Werke werden hier als Zeugnisse des Glaubens angeführt, sie dienen der Beweisung des Glaubens: Dann ob wir gleich nicht auff vnserWerck/ sonder allein auff den verdienst Christi bawen sollen/jedoch ist der Glaub in eim Menschen rechtschaffen/ so würdt er sich nicht verbergen/ sonder gewißlich sehen lassen/ durch die Werck der Dancksagung gege[n] Gott/ vnd liebe gegen dem Na[e]chsten/ wo[e]lche seind erweisungen vnd warhafftige Zeügnussen eines rechten lebendigen Glaubens an Christum/ die auch Christus am Jüngsten tag rhu[e]men würdt.492 Aber nicht nur äußere Werke, ebenso [...] die Wort/ ja auch die heimliche Gedancken/ und verborgene Anschla[e]g der Menschen werden dann aufgedeckt werden. 4 9 3 Im Gericht wird aufgrund dieser Vorfindlichkeiten eine U n t e r scheidung vorgenommen, die den Menschen entweder ad judicium condemnationis oder ad judicium absolutionis führt. 4 9 4 487

SIGWART: Predigten über 1 Kor 15, S. 79 r .

488

REUCHLIN: C h r i s t e n t u m , S. 6 4 .

489

WAGNER: E v a n g e l i e n - P o s t i l l e

2 , S. 5 9 6 . WAGNER: L e i c h e n p r e d i g t

E g e n , S. DJ R V ;

D 2 V . WAGNER: Leichenpredigt Lutzenhardt, S. 8. WAGNER: Epistel-Postille 1, S. 860. SIGWART: Predigten über 1 Kor 15, S. 82V. SIGWART: Lasterpredigten, S. 116V. Johann Gerhard ist beispielsweise aufgrund biblischer Aussagen davon überzeugt, daß mehr Menschen verdammt als gerettet werden. Vgl. KUNZ: Protestantische Eschatologie, S. 67. 4 9 0 WAGNER: Epistel-Postille 1, S. 866. Hier am Beispiel der Amtspersonen wie folgt erklärt: [...] / wann sie Gott getreu sind/ und thun/ u/arzu sie im Gwissen durch jhre AmptsPflicht seynd verbunden/ und wies jhnen zuverantworten steht fu[o]r Gott/ die seynd versichert/ daß der getreue Gott werde auch jhr Vergelter seyn/ hie zeitlich und dort ewig/ alles gute/ was sie gethan/ auß Gnaden. JÄGER: CompendiumTheologiae, S. 372 f.: Norma Judicii erit Generalis doctrina coelestis [...] Diversitas tarnen erit, quod Pii specialiter Sententiam audient ex Gratioso Evangelio, cui obedivere [...] Infideles vero per Legem Mosis judicabuntur, non quidem per solam, sed Evangelii luce collustratam. Condemnabuntur enim ideo, quia Christum, ejusque pro peccatis satisfactionem, non apprehederunt. Lex autem sola nihil novit de aliena satisfactione, sed propriam postulat. SUMMARIEN V, S. 410. Im Zusammenhang von Dank und Undank der Almosenempfänger wird festgehalten: In letzter Instanz wird Gott Belohner und Vergelter sein. Vgl. HAAG: Predigt und Gesellschaft, S. 3 1 0 - 3 1 5 . 491 SIGWART: Predigt vom Vaterunser, S. 122. 4 9 2 ANDREAE: Christliche Anleitung, S. 201 f. WAGNER: Epistel-Postille 1, S. 277. 493

SIGWART: H a n d b ü c h l e i n , S. 5 7 2 .

494

WAGNER: Evangelien-Postille 2, S. 583. WAGNER: Leichenpredigt Egen, S. Dtr—D2V.

WAGNER: E p i s t e l - P o s t i l l e 2 , S. 7 4 5 f. SIGWART: H a n d b ü c h l e i n , S. 5 7 4 f.

Vom Jüngsten Tag zum Jüngsten

Gericht

161

Nach der erfolgten Urteilsverkündigung läßt sich j e d o c h auch in den Kompendien in den Abschnitten über das ewige Leben und die ewige Seligkeit so etwas wie ein Verdienstgedanke feststellen. Zunächst einmal werden sich in der Hölle der Teufel und seine Engel und alle j e n e Sünder wiederfinden, die in Unglauben gestorben sind: falsche Lehrer, Verleugner des göttlichen Wortes, Hurer, Ehebrecher, Ungerechte, Trunkenbolde, Epicureer. 4 9 5 A u f sie alle wartet, was kein Auge j e gesehen hat. Beschrieben wird die Hölle als O r t des Getrenntseins von Gott und der Gemeinschaft mit dem Teufel; als O r t der Schmerzen und des ewigen Todes. U b e r den Ort der Hölle brauchen keine Aussagen gemacht zu werden. Weil der Mensch sich darum kümmern soll, nicht dorthin zu gelangen, braucht er nicht fu[e]rwitzig zu forschen, wo sie sey.496 D o c h für j e n e , die in der Hölle die schrecklichste Pein ausstehen müssen, gibt es noch graduelle Unterschiede. 4 9 7 Einer wird härter gequält werden als der andere, j e nachdem einer den anderen mit Sünden und Lastern in dieser Welt noch übertroffen hat. Gleiches gilt auch vom ewigen Leben. Das ewige Leben kann in diesem Leben nicht vollständig begriffen werden; es besteht in der vollkommenen E r kenntnis Gottes, in Gerechtigkeit, Heiligkeit und der Freude, mit Gott zu leben und zu herrschen. 4 9 8 Alle Auserwählten werden einander kennen und in unvergänglicher Freude, ohne j e d e Traurigkeit leben. Die Kommunikation mit Gott, seinen Engeln, den Patriarchen und Propheten, aber auch mit Parentibus & Liberis, & quoscunque in priore vita charißimos habuerunt, wird bei H a fenreffer besonders hervorgehoben. 4 9 9 Dieser Aspekt findet auch in den Predigten besondere Berücksichtigung. Das Zusammentreffen mit den Verstorbenen und die Freude, nun nicht mehr getrennt zu werden, gehe weit über die bekannte Festfreude hinaus, eben weil es anschließend nicht zum Aufbruch komme. 5 0 0 Philgus tröstet beispielshalber nach einer Brandkatastrophe seine Zuhörer mit dem Hinweis auf den Jüngsten Tag. Seine Hörer sollen sich durch das Feuer der Nähe jenes Tages versichert sein, an dem man die nun bei

495

SIGWART: Handbüchlein, S. 586. HEERBRAND: Compendium Theologiae

(1573),

S. 5 8 9 . WAGNER: C o m p e n d i u m T . l , S. 2 1 4 . 4 9 6 SIGWART: Handbüchlein, S. 588. HEERBRAND: Compendium Theologiae (1573), S. 585: [...] loci proprie mentio non fiat. HAFENREFFER: Loci Theologici (1600), äußert sich überhaupt nicht zu Spekulationen über den Ort der Hölle. 497

SIGWART: H a n d b ü c h l e i n , S. 5 8 5 . WAGNER: C o m p e n d i u m T . 1, S. 2 0 6 .

SIGWART: Handbüchlein, S. 593 f. HEERBRAND: Compendium Theologiae (1573), S. 602 f. (1 Thess 4; Ps 102; Hebr 1; M t 24; Jes 64.65 [V 17 ein neuer Himmel und eine neue Erde]; 1 Joh 3). HAFENREFFER: Loci Theologici (1600), S. 489. WAGNER: C o m p e n dium T. 1, S. 194; S. 198. ANDREAE: Vier Predigten vom Wucher, S. 99. 4 9 9 HAFENREFFER: Loci Theologici (1600), S. 491. OSIANDER, A.: Leichenpredigt Martin Crusius, S. 10 f. OSIANDER, A.: Sterbpredigt, S. 10. PHILGUS: Predigten von Feuersbrünsten, S. 75. 5 0 0 OSIANDER, A.: Leichenpredigt Martin Crusius, S. 8. OSIANDER, A.: Sterbpredigt, 498

S. 1 0 . V g l . ELERT: L u t h e r t u m . B d . 1, S. 4 9 9 ff.

Die Legitimation der lutherisch-orthodoxen Lehre

162

der Katastrophe U m g e k o m m e n e n wiedersehen wird. 5 0 1 Alle diese Aussagen belegen, daß es den Predigern nicht nur um das Zusprechen von individuellem Heil geht, daß vielmehr in ihren theologischen Entwürfen immer auch die soziale Dimension der Eschatologie ihre Berücksichtigung findet. N e b e n der Frage des persönlichen Seelenheils steht immer auch die Menschheit als ganze im Blickpunkt der eschatologischen Überlegungen. D o c h auch im ewigen Leben wird es, neben aller Gleichheit — sie seyen in diesem Leben Reich oder Arm gewesen — Unterschiede geben: Es ist aber darneben kein Zweiffei/ denn daß etliche Gradus oder Unterschied der Herrligkeit im ewigen Leben seyn werden: Nach dem einer mehr Fleiß und Arbeit in der Kirchen/ oder Weltlichen Regiment gehabt/gro[e]ssern Nutzen geschafft/ mehr Fru[e]chte des Glaubens gebracht/ und seine Gaben zur Ehr GOttes/ und des Nechsten Nutzen/ besser denn andere/ angelegt; auch umb Christi und seines Evangelions willen mehr gelitten hat,502 Alle Belohnungen werden als Gnadenbelohnungen apostrophiert. 5 0 3 Anders als in diesem Leben wird einer dem anderen dort seine größere Herrlichkeit nicht mißgönnen. 5 0 4 Was die nähere Bestimmung des Ortes von Hölle und Himmel anbelangt, läßt sich bei den Predigern eine deutliche Zurückhaltung spüren. W i e schon in der Christologie und in der Abendmahlslehre wird in dieser Frage der Dissens gegenüber den Reformierten besonders deutlich. Die lutherische T h e o logie, die an der Realpräsenz Christi im Abendmahl festhält, benötigt entsprechend hier ein deutlich geringeres räumliches Verständnis: Himmel und Hölle lassen sich nicht räumlich bestimmen. 5 0 5 Zugleich wird in den .Beschreibungen deutlich, daß sie sich streng an den biblischen Berichten orientieren; es kommt zu keiner barocken Ausschmückung bei der Vorausschau auf die eschatologische Zukunft. 5 0 6 Das in den Kompendien in diesen Abschnitten verdeckt auftretende Leistungsprinzip hat in den Predigtaussagen zu ewigem Leben und ewiger Ver-

301

PHILGUS: Predigten von Feuersbrünsten, S. 75.

302

SIGWART: H a n d b ü c h l e i n ,

S . 6 0 4 f. HAFENREFFER: L o c i

S. 5 9 8 .

Theologici

HEERBRAND: C o m p e n d i u m (1600),

S . 4 9 4 . WAGNER:

Theologiae Compendium

(1573), T.

1,

S. 199. SIGWART: Predigten über 1 Kor 15, S. 103 R . Vgl. HAAG: Predigt und Gesellschaft, S. 3 1 5 - 3 1 8 . 5 0 3 WAGNER: C o m p e n d i u m T. 1, S. 199. HEERBRAND: C o m p e n d i u m Theologiae (1573), S. 605: Sed discrimen erit & gradus honorum [...] Non merita, nec operum dignitas. SIGWART: Predigten über 1 Kor 15, S. 103 R . SIGWART: Predigten über 1 Kor 15, S. 1 9 0 V - 1 9 1 V : Betonung, daß es sich bei der B e l o h n u n g um eine Gnaden Belohnung oder Vatters lohn handelt. D e r Mensch wird nicht wegen der Würdigkeit der Werke oder Verdienste belohnt werden. 504

SIGWART: H a n d b ü c h l e i n , S . 5 9 9 .

305

V g l . KUNZ: P r o t e s t a n t i s c h e E s c h a t o l o g i e , S . 5 3 - 5 5 u n d S . 6 3 f.

3 0 6 Anders sieht dies in den Kirchenliedern aus, hier finden sich drastische Schilderungen der Höllenqualen.Vgl. Württembergisches Gesangbuch (1711), S. 509. W ü r t t e m b e r gisches Gesangbuch (1741), Nr. 243,Vers 9.

Vom Jüngsten

Tag zum Jüngsten

Gericht

163

dammnis eine direkte Entsprechung. Auch hier wird auf den Unterschied hingewiesen, j e nachdem, ob sich eine Obrigkeit nichts hat zu Schulden kommen lassen, bzw. ob eine Frau viele Kinder geboren hat. Sie alle werden belohnt werden, nicht aufgrund ihrer Werke, sondern aus gnädiger ergo[ejtzligkeit.507 Konnten die Predigthörer die hier theologisch korrekt gebrauchte, aber alles andere als zwingend aus der sonst gewohnten Predigt des Gesetzes abzuleitenden, Differenzierung zwischen Verdienst und Verdienst erkennen? 5 0 8 Nach Meinung Asendorfs konnte die orthodoxe Theologie die Dominanz der Eschatologie nicht festhalten. Aus diesem Grunde würde die Frömmigkeit immer mehr mystische und persönliche Züge annehmen und sich so zu einer subjektiveren Frömmigkeit wandeln. 5 0 9 Versteht man, wie das Asendorf hier tut, unter Eschatologie vornehmlich die Naherwartung des Weltendes, dann muß man dieser Aussage zustimmen. In der Zeit nach Tobias Wagner ist ein Nachlassen der Naherwartung festzustellen, was aber nicht heißt, daß die eschatologische Orientierung der Theologie schwächer wird. Damit kommt lediglich ein Aspekt der Eschatalogie stärker zum Tragen, der aber zuvor schon angelegt war: das individuelle Gericht im Tod. Diese Verschiebung der G e wichte schließt das kosmische Geschehen am Ende aller Zeit in den Augen der orthodoxen Theologen j e d o c h keinesfalls aus. D e r Jüngste Tag als solcher beginnt zweifellos ferner zu rücken, die Dominanz des — nun stärker individuell verstandenen — Gerichts hat jedoch nichts von seiner Bedeutung für das diesseitige Leben eingebüßt: Dencket aber alle an das euch bevorstehende Gericht in der Todes-Stunde. Wir mu[e]ssen alle noch durch ein Gericht; Jm Tode gehets hart her. Ach! richtet euch demnach zuvor selbst durch wahre Busse/ so werdet ihr von dem HErrn nicht gerichtet. Bessert euer Leben; a[e]ndert eure Sinnen, trachtet/ daß ihr durch wahre Busse dem zuku[e]nfftigen Zorn entrinnet/ und an JEsum Christum glaubet.5'0 Man solle stets im Gedenken an das allsehende Auge Gottes sein, um folglich vor seinem Angesicht zu wandeln und fromm zu sein. Die existentielle Wirkung der Gerichtsvorstellung gerade auf den Ernst der Lebensführung ist ein Merkmal lutherisch-orthodoxer Eschatologie auch über das nicht ein-

Sic,WART: Predigten über 1 K o r 15, S. 103 r . 508 Auch KUNZ: Protestantische Eschatologie, S. 61 f. k o m m t bei seinen zusammenfassenden Studien über Calixt, Gerhard und Hollaz zu dem Ergebnis, daß das dialektische Verhältnis durch welches das sola fide und die B e t o n u n g der Werke aufrecht erhalten werde, sehr wohl der Gefahr unterlag, in Predigt und Frömmigkeit einseitig aufgelöst zu werden. D u r c h die einfache Gleichsetzung des Glaubens und der Werke führe dies zu einem einseitigen Moralismus, der durch die Betonung der vergeltenden Gerechtigkeit Gottes noch vergrößert werde.Vgl. auch MOHR: Protestantische T h e o l o g i e und Frömmigkeit, S. 3 2 2 f. 507

509

ASENDORF: A r t . E s c h a t o l o g i e , S . 3 1 8 .

HOCHSTETTER, A. A.: T ü b i n g e r Liebesdenkmal, S. 2 5 f.; vgl. auch S. 2 2 . V g l . KUNZ: Prostestantische Eschatologie, S. 4 5 . 31,1

164

Die Legitimation

der lutherisch-orthodoxen

Lehre

getretene nahe Ende der Welt hinaus. 511 Zudem wird in den Predigten recht deutlich, daß es den Theologen nicht darauf ankommt, über die Umstände der Begegnung mit Christus zu reflektieren. Wichtig ist ihnen allein, daß diese Begegnung stattfindet, und daß sie eine Begegnung mit dem R i c h t e r ist. Die Prediger halten den Menschen das kommende Gericht vor Augen, das entweder mit der letzten Zukunft Christi und dem Jüngsten Tag kommt, oder aber in der Stunde des Todes. 5 1 2 Korn fuhrt die zunehmend individualisierenden und spiritualisierenden Tendenzen maßgeblich auf den Einfluß der Mystik zurück. 5 1 3 Ein interessanter Aspekt der fortschreitenden Individualisierung zeigt sich auch auf dem Gebiet der göttlichen Strafvorstellungen. Sollten nämlich bei allem bösen menschlichen Tun leibliche und zeitliche Strafen ausbleiben — was eigentlich nicht göttlicher Ordnung entsprechend wäre — dann heißt das, so erklärt Weismann, daß im Jenseits die Gerichte an den Seelen der M e n schen ansteigen werden, was wiederum im Diesseits zu Verhärtung und Blindheit führe und schließlich der Gewalt des Satans Tor und T ü r öffne. Dieser letzten Strafe müsse dann nichts hinzugefügt werden. 5 1 4 Zumindest die individualisierenden Tendenzen lassen sich aber auch als äußerste Konsequenz der reformatorischen Konzentration auf das Heil des einzelnen und seiner persönlichen Verantwortung verstehen. D i e oben schon erwähnte Betonung des Gerichtsmotivs innerhalb der Lehre des Jüngsten Tages bot den Ansatzpunkt für die Kontinuität der E x i stenzbezogenheit des eschatologischen Geschehens, trotz nachlassender N a h erwartung. D e r Jüngste Tag wird, wie Korn am Beispiel des Gemeindeliedes im 17. Jahrhundert gezeigt hat, weiterhin als ein Tag der Hoffnung bezeichnet, mochte man ihn auch nach außen der Welt als den Tag des Gerichtes vor Augen halten.515 Was man im übrigen tat. 5 1 6 Im Kirchenlied beispielsweise verschiebt sich, trotz aller Kontinuität des Hoffnungsaspektes, der Akzent vom Tag des endgültigen 5 1 1 Zu ganz ähnlichen Ergebnissen gelangt Lehmann; vgl. LEHMANN: Das 17. Jahrhundert, S. 550: Auf individualpsychologischer Ebene wurde das Endzeitdenken in der Weise bewußtseinsbestimmend und handlungsleitend, daß Endzeitangst und Endzeithoßhung umgesetzt wurden in besondere Bemühungen um persönliche Erbauung und persönliche Ethik und damit in eine besonders intensive, das Seelenleben wie die Tagespraxis umschließende Frömmigkeit. 5 1 2 WAGNER: Epistel-Postille 2, S. 7 8 2 f. REUCHLIN: Leichenpredigt (Stud. theol.), S. 66 f. 5 1 3 DIETRICH KORN: Das Thema des Jüngsten Tages in der deutschen Literatur des 17. Jahrhunderts. Tübingen 1957, S. 17. 514

WEISMANN: F e u e r s b r u n s t , S. 2 0 f.

KORN: Das Thema des Jüngsten Tages, S. 15. Vgl. WEBER: Reformation, Orthodoxie und Rationalismus, Bd. 1,2, S. 2 5 0 Anm. 5. 5 1 6 REUCHLIN: Leichenpredigt (Stud. theol.), S. 61 und S. 66 ff.: Gleichgültig, ob die Begegnung mit dem R i c h t e r im Weltgericht oder im Gericht nach der Todesstunde stattfindet, immer wird es darum gehen, Rechenschaft abzulegen. REUCHLIN: Christentum, S. 29: Gericht: ein Tag der Rechenschaft. SIGWART: Neujahrspredigt, S. 9 V : Bekehrung zu Gott kann nicht zum Schein erfolgen; am Tag des Gerichts gibt es keine Entschuldigung. 515

Vom Jüngsten Tag zum Jüngsten

Gericht

165

Sieges u n d Triumphes Christi hin z u m Tag der R e t t u n g der Gläubigen. G e steigert wird diese akzentuiert anthropologische Sichtweise des Jüngsten Tages nach M e i n u n g Korns n o c h durch die z u n e h m e n d e Individualisierung des eschatologischen Denkens, welches durch das Leib-Seele-Denkmodell nachhaltig befördert werde. Diese zur Individualisierung neigende Konzeption des Jüngsten Tages räumt ihrerseits die Möglichkeit ein, die kosmische Dimension zurücktreten zu lassen. K o r n findet dies in den Kirchenliedern bestätigt, die Auferstehung wird hier aus theologischer Botmäßigkeit heraus zwar n o c h angesprochen, erscheint aber eher ein aus dogmatischen Gründen angefügter Anhang S17

zu sem. D i e aus den Kirchenliedern gewonnenen Aussagen lassen sich nur in ihrem ersten Teil auch aus den Predigten verifizieren: die Verschiebung z u m anthropologischen Gesichtspunkt. Eine U n t e r s u c h u n g der G e w i c h t u n g j e n e r mit d e m Jüngsten Tage verbundenen Vorstellungen in den Predigten zeigt, daß der Jüngste Tag nicht m e h r ausschließlich als j e n e r Tag der Auferstehung betrachtet wird, mit d e m das R e i c h Gottes auf Erden anbricht, sondern daß hier der Akzent auf den Gerichtsgedanken gelegt wird. Im Gericht wird die böse Welt endgültig verdammt werden. Durch die Akzentverschiebung in der R e c h t f e r tigungslehre öffnet sich hier d e m Lohngedanken erneut T ü r u n d Tor; er prägt in besonderem M a ß e die H o f f n u n g auf Erlösung. 5 1 8 Dieser Gedanke der Vergeltung findet auch im Kirchenlied seinen Ausdruck. So schreibt beispielsweise J o h a n n Christoph Mayer im Lobgesang vom glorißcierten HErrn Christo519: Er wird bald kommen, Holen alle Frommen, Den Bösen lohnen Vnd jhr nit verschonen.

Auf welcher Seite sich die Sänger des Liedes selbst sahen, versteht sich. D i e t rich K o r n sieht darin geradezu eine Verkehrung des lutherischen Anliegens.520 Wie in den Predigten, so läßt sich auch im Kirchenlied eine B e t o n u n g des G e richtsmotives feststellen. D e r Akzent des Jüngsten Tages wird auf das Gerichtshandeln u n d den Sieg der Gerechtigkeit Gottes gelegt. In der Tradition der scholastischen Theologen lehrten auch Luther u n d die reformierte Seite die eschatologische E r n e u e r u n g , nicht die Vernichtung dieser Welt im Feuer des Jüngsten Tages.

SIGWART: Predigt ü b e r Religionsstreitigkeiten, S. 14V: Im göttlichen G e r i c h t w i r d der M e n s c h offenbar. 517 KORN: Das T h e m a des Jüngsten Tages, S. 19. 518 Vgl. KORN: Das T h e m a des Jüngsten Tages, S. 22. 5,9 Zitiert bei KORN: Das T h e m a des Jüngsten Tages, S. 23. 520 KORN: Das T h e m a des Jüngsten Tages, S. 22.

166

Die Legitimation der lutherisch-orthodoxen Lehre

D e r kurze Überblick bei Torrance über die Eschatologie der R e f o r m a tionszeit zeigt, daß es bestimmte Traditionslinien gibt, die von Luther zu den T ü b i n g e r T h e o l o g e n fuhren. So ist die B e t o n u n g des Gerichtsgedankens schon in Luthers Eschatologie angelegt. Seine Eschatologie war, wie Torrance herausgearbeitet hat, eine Eschatologie des Gerichts. E r orientierte sich an der Tradition der lateinischen Kirchenväter, die ebenfalls Verfall und Z u s a m m e n bruch der Welt lehrten; eine Sichtweise, die auch im 2 3 . Artikel der Confessio Augustana sowie in der Apologie Eingang gefunden hat. Ganz i m U n t e r schied beispielshalber zur reformierten Kirche, die sich ihrerseits hauptsächlich a u f die griechischen Kirchenväter beruft und in deren Tradition vornehmlich eine Eschatologie der Auferstehung mit dem Ziel der E r n e u e r u n g der Welt lehrt. Diese Unterscheidung kann aber, wie Torrance selbst betont, allenfalls eine relative sein, da auch Luther die Auferstehung in sein eschatologisches D e n k e n einbezog, wenngleich er selten über die E r n e u e r u n g der Welt sprach. 5 2 1 D i e reformierte T h e o l o g i e begreift auch in der Folgezeit die consummatio mundi in Analogie zum individuellen Tod nicht als radikalen Untergang, sondern als Vollendung. 5 2 2 Luther hat den Jüngsten Tag als einen Tag des Gerichts verstanden, an dem das endgültige Urteil über Erlösung oder Verdammnis gesprochen wird. 5 2 3 Aber er hat auch — gerade gegenüber der päpstlichen Seite — die Modalitäten dieses Gerichts deutlich gemacht und dabei heftig kritisiert, daß der Papst aus Christus einen R i c h t e r mit R u t e und Schwert gemacht hat, zu dem man sich mit Werken wenden sollte und dabei verschwiegen hat, daß Christus der E r l ö ser ist. 5 2 4 In b e w u ß t e r Abkehr von einer L e h r m e i n u n g , die die Welt aus dem W e l t e n brand geläutert und das heißt geändert, hervorgehen läßt, folgert J o h a n n G e r hard aus der Auferstehung Christi die Nichtigkeit bisherigen Seins. 5 2 5 U n i v e r salität und Totalität des Weltendes folgen konsequent aus seiner Interpretation der Auferstehung Christi. D e r in A p o k 21 verheißene neue H i m m e l und die neue Erde haben mit dieser Welt nichts m e h r zu tun. D i e Lehre von der vollständigen Vernichtung der Welt, zusammengefaßt im Locus von der annihilatio mundi, gilt als eigenständiger E n t w u r f der lutherischen O r t h o d o x i e zum

521

522

V g l . TORRANCE: E s c h a t o l o g i e der R e f o r m a t i o n , S. 3 3 8 . Vgl. KÖRTNER: Weltangst u n d W e l t e n d e , S. 1 9 4 f.

WA 3 7 , 2 0 6 , 2 1 - 2 4 . W A 3 7 , 2 0 5 , 3 0 - 2 0 8 , 6 . Vgl. ASENDORF: T h e o l o g i e Martin Luthers nach seinen Predigten, S. 161. 523

524

3 2 5 V g l . ASENDORF: Art. E s c h a t o l o g i e , S. 3 1 8 . KORN: Das T h e m a des J ü n g s t e n Tages, S. 2 1 . Vgl. KUNZ: Protestantische E s c h a t o l o g i e , S. 6 2 ff.

Vom Jüngsten Tag zum Jüngsten

Gericht

167

T h e m a Jüngster Tag. 5 2 6 Ausdruck findet diese Sichtweise auch in einem Lied von Paul Gerhardt 5 2 7 : Alles in allem muß brechen und Himmel

fallen;

und Erden, die müssen das

was sie vor ihrer Erschaffung

werden,

gewest.

Es hat sich gezeigt, daß dieser dogmatische Neuansatz von den Tübinger Theologen zunächst nicht rezipiert wurde. Für sie bleiben das ganze 17. Jahrhundert hindurch HafenrefFers Loci Lehrgrundlage. Hat noch Heerbrand in seinem Kompendium auf den neuen Himmel und die neue Erde Bezug g e n o m men, so läßt sich dagegen bei Hafenreffer und Sigwart eine auffällige Zurückhaltung in dieser Frage feststellen. U m die Mitte des 17. Jahrhunderts erwähnen Wagner und R e u c h l i n zwar, daß es zu diesem T h e m a verschiedene Schulmeinungen gibt und geben damit in den Predigten zu erkennen, auf dem neuesten Stand der theologischen Diskussion zu sein, betonen aber zugleich, wie unwichtig dieses Schulgezänk für das Seelenheil sei. Für den Christen gehe es einzig und allein darum, im Gericht bestehen zu können. Das Bestehen im Gericht ist das zentrale Anliegen der Prediger, schließlich steht hier auch ihre eigene Seligkeit zur Disposition. 5 2 8 Für die Prediger steht fest: C h r i stus kommt zum allgemeinen Gericht dieser Welt. Dabei ist es aber unwesentlich, ob die Erde vernichtet wird oder ob sie bestehen bleibt. Sicher ist nur, so Hagmajer, daß sie in ihrer jetzigen Ordnung nicht Bestand haben wird; Land bebauen, essen, trinken, schlafen und Kinder zeugen gehören nicht mehr in diese kommende Welt. U b e r alle weiteren Geschehnisse zu disputieren, hieße schlicht fabulieren. 5 2 9 Wagner ermahnt ebenfalls dazu, auf diese letzte Zukunft gefaßt zu sein. W i e die Wiederkunft Christi aussehen wird und in welcher Art und Weise sich der Untergang der Welt gestalten wird, ist dagegen ungewiß: Ob aber Himmel und Erden gantz nach ihrem Wesen werden vergehen/ oder nur nach ihren Qualita[e]ten verwandelt werden: Item/ was es fu[e]r ein Feur werd seyn/ in welchem die erd/ und die Werck darinnen verschmeltzen? Davon wird in schulen disputirt/ so wir auff sich lassen beruhen/ weil es zur Seligkeit zuwissen nicht vonno[e]ten.5X Die von Gerhard vertretene Position findet sich dann auch in 5 2 6 Vgl. ASENDORF: Art. Eschatologie, S. 318: Die lutherische Orthodoxie habe diesen Entwurf — mit Ausnahme Philipp Nicolais — weitgehend einhellig bis Buddeus vertreten. Vgl. STOCK: Annihilatio mundi, S. 126 ff.; S. 33. ALTHAUS: Letzte Dinge, S. 3 5 3 ff. A u f S. 355 weist er auf die 9. Strophe eines von Paul Gerhardt stammenden Liedes, wo es heißt: [...] Was will doch wohl nach dieser Welt, dort in dem festen Himmelszelt und güldnem Schlosse werden [ E K G 371]. KORN: D a s T h e m a des Jüngsten Tages, S. 20 f. 527

EKG

3 4 6 , 7 . V g l . STOCK: A n n i h i l a t i o

m u n d i , S . 1 7 5 A n m . 4 . PAUL ALTHAUS:

Der

Friedhof unserer Väter. Ein Gang durch die Sterbe- und Ewigkeitslieder der evangelischen Kirche. Gütersloh 1948 4 , S. 49. 5 2 8 SIGWART: Predigt vom Amt der Kirchendiener, S. 13 und S. 34. 5 2 9 HAFENREFFER: Zwei Casualpredigten, S. 6 7 - 7 0 . 530

WAGNER: E p i s t e l - P o s t i l l e 2 , S. 7 7 2 f.

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Die Legitimation

der lutherisch-orthodoxen

Lehre

Jägers Compendium. 5 3 1 Jäger stellt j e d o c h auch den Gerichtsgedanken eindeutig in den Vordergrund, denn die consummatio seculi vollzieht sich erst nach dem Gericht: POst Judicium Extremum sequetur praesentium rerum Finis & temporis clausura ac Terminus, qui communitur vocatur Consummatio seculi, seu Destructio universi Causa Efficiens principalis destructionis Mundi hujus erit ejus conditor, vid. DEUS [...] Causa Instrumentalis & media est ignis [...] Veniet enim Judex inflamma ignis.532 Die sich im Feuer vollziehende Consummatio bedeutet die totale Vernichtung der Welt. Es handelt sich dabei um einen Akt Gottes, in welchem er per ignem totum hoc universum, exceptis Angelis & hominibus, quoad Substantiam totaliter destruet & annihilabit, in potentiae, veritatis, & justitiae suae laudem; & sie erit FINIS,533 Hatte noch Paul Althaus 534 vermutet, daß der Hintergrund der Eschatologie Johann Gerhards im Eindringen der mittelalterlichen Mystik in die lutherische Theologie zu suchen sei, so hat dagegen Konrad Stock 5 3 5 gezeigt, daß die lutherische Abendmahlsauffassung, die ihren Kernpunkt in der leiblichen G e g e n wart Christi hat, der eigentliche Hintergrund ist. Auch Körtner sieht in dem Gedanken der annihilatio mundi die ontologische Konsequenz der lutherischen Ubiquitätslehre, die ihrerseits eine unräumliche, damit aber weltlose Beschaffenheit der eschatologischen Leiblichkeit Christi voraussetzen muß,536 Sicherlich ist Körtner recht zu geben, wenn er den Gedanken der annihilatio mundi nicht allein als Konsequenz der theologischen Postulate und Legitimationsbedürfnisse im Abendmahlsstreit interpretiert. 5 3 7 Die Erfahrungen der Katastrophalität in Natur und Geschichte bieten für seine Lesart mannigfache Anhaltspunkte. Sie werden verstanden als Manifestationen des Zornes Gottes. D e r Gedanke der annihilatio bringt die Negativität und Katastrophalität auf den B e g r i f f und macht - eventuell auch in der Uberzeichnung - die negativen Tendenzen der Wirklichkeit deutlich. Dies fuhrt in letzter Konsequenz dazu, daß die lutherische Orthodoxie mit diesem Konzept vor der Katastrophalität der Geschichte kapituliere. 538 Anders als die jüdische Apokalyptik, mit der K ö r t ner das lutherisch-orthodoxe Modell vergleicht, unternehme die lutherische Orthodoxie keinen Versuch, die Katastrophenangst in Krisenangst zu transformieren. 5 3 9 Durch die Preisgabe der Welt werde die Welt auf Negativität und Katastrophalität hin festgelegt. 531 Nur Calixt bildet unter den orthodoxen Theologen eine Ausnahme. Er lehnt eine vollständige annihilatio ab. Vgl. KUNZ: Protestantische Eschatologie, S. 63 Anm. 143. 5 3 2 JÄGER: Compendium Theologiae, S. 375. 5 3 3 JÄGER: Compendium Theologiae, S. 387 [=377]. 5 3 4 ALTHAUS: Die letzten Dinge, S. 3 5 6 . 535 Vgl. STOCK: Annihilatio mundi, S. 4 und Abs. 5 passim: Die Abendmahlslehre als Grund der Rezeption des annihilatio-Gedankens. 5 3 6 KÖRTNER: Weltangst und Weltende, S. 195. 537 Vgl. KÖRTNER: Weltangst und Weltende, S. 196 f. 538 KÖRTNER: Weltangst und Weltende, S. 197. 539 KÖRTNER: Weltangst und Weltende, S. 1 6 7 - 1 9 1 .

Vom Jüngsten Tag zum Jüngsten Gericht

169

Diese Haltung mag für eine bestimmte Richtung innerhalb der O r t h o doxie (Johann Gerhard bis hin zu Buddeus) charakteristisch sein, sie darf aber keinesfalls als die Haltung der Orthodoxie schlechthin beurteilt werden. Zweifelsohne kann auch Tübingen als Hort der Orthodoxie bezeichnet werden. Es sei hier nur daran erinnert, daß Hafenreffers Loci das ganze 17. Jahrhundert hindurch in Tübingen maßgeblich für die Disputationen waren und daß noch Häberlin im Jahr 1690 dieses dogmatische Werk in Tabellenform gebracht hat. 540 Erst recht sind die Theologen bei der Frage nach dem Ende der Welt in ihren Predigten sehr zurückhaltend. Die enge Verbindung, die Stock zwischen der Lehre von der annihilatio mundi und der lutherischen Abendmahlslehre herstellt, muß nicht zwingend zu Gerhards Entwurf vom Jüngsten Tage führen. Die Lehre von der Ubiquität, auch in Tübingen auf allen theologischen Ebenen, von der Dogmatik bis hinunter zur Predigt — mit guten Gründen — vehement vertreten, bringt hier zunächst keinen neuen Entwurf zur lutherischen Eschatologie hervor, macht sich aber auch den Gerhardschen Entwurf nicht zu eigen. Die Ubiquitätslehre ließ sich gut mit der auf Luther zurückgehenden Eschatologie in Einklang bringen. Schwierigkeiten scheinen dabei nicht aufgetreten zu sein. Modifikationen waren, wie zum Beispiel die veränderte Auffassung über den Schlaf der Seelen zeigt, auch hier nicht ausgeschlossen. Auch als Jäger die Gerhardsche Lehre vom Ende der Welt rezipiert, bleibt in den Predigten der Gerichtsgedanke vorherrschend. Weitaus wichtiger als die theologische Spekulation über das Ende der Welt war in den Predigten zweifellos der Gerichtsgedanke. Von diesem Gedanken ausgehend, wurde auf eine Ethik abgezielt, die nicht nur den einzelnen auf ein integres, normenkonformes Verhalten festlegen wollte, sondern ebenso seine Verantwortung für den Nächsten forderte. Zwar klingt in manchen Predigten angesichts der konstatierten Krisen, Bedrohungen etc. als letzter Ausweg aus der Krise die Anerkennung der eigenen Ohnmacht und die Ergebenheit in den Willen Gottes an. Alle Predigt von der Buße ist jedoch deutliches Kennzeichen, die verbliebenen Möglichkeiten zu nutzen und nach einem Ausweg aus der erfahrenen naturhaften, politischen oder persönlichen Katastrophe zu suchen. Sicherlich diente Buße angesichts eines nahe bevorstehenden Endes auch der versuchten Sicherung des persönlichen Seelenheils. N u r zielte Buße nicht allein auf eine Veränderung des inneren Menschens, sondern sollte auch nach außen sichtbar werden. Allein aus der Sorge um das persönliche Seelenheil mußte im Idealfall eine veränderte Welt resultieren. Und in den Predigten wird — im Unterschied zur These Körtners — keine allgemeine Katastrophenangst geschürt. 541 Alle Katastrophen werden auf benennbare Krisen zurückgeführt. Zwar spricht die Häufung der Krisen dafür, 540 541

Vgl. Vgl.

KOLB:

Die Kompendien der Dogmatik, S. 29. Weltangst und Weltende, S. 167-191.

KÖRTNER:

170

Die Legitimation

der lutherisch-orthodoxen

Lehre

in der letzten Zeit zu leben, der Antichrist bäumt sich ein letztes Mal auf, weil er weiß, daß seine Tage gezählt sind. Das Eingreifen des Antichrists, wie auch Naturkatastrophen, Kriege, Krankheit etc. wurden interpretiert als Folge von konkret benennbarem menschlichem Fehlverhalten. U n d dagegen wiederum glauben die Prediger vorgehen zu können. Für den einzelnen steht hier b e drohlich das Gericht am Horizont, in dem er sich für sein Verhalten angesichts dieser Mißstände zu verantworten haben wird. Als das nahe geglaubte Ende nicht eintrat, behielt die Eschatologie trotzdem ihre Funktion für die Ethik. D e r Tag des Gerichts - individuell im Tod oder kollektiv am Ende aller Zeiten — relativiert alle menschlichen Maßstäbe und setzt das neue Maß des Handelns. Aus der Sicht der Prediger ist die eschatologische Frage kein m ö g liches O b j e k t irgendwelcher Spekulation, sondern schlicht praktische Anweisung zum Handeln. Das kommende Leben setzt dem gegenwärtigen Leben die Maßstäbe. Endgültiger Maßstab ist die dem göttlichen Gericht vorbehaltene Gerechtigkeit. Diese Gerechtigkeit kann sehr pragmatisch verstanden werden. Hier wird weltliches Unrecht, sei es durch Bestechung, Amtsmißbrauch oder gewissenloses Handeln erlitten worden, revidiert und gesühnt werden. 5 4 2 Die Konfrontation des Menschen mit Gott im Gericht, das ist in den Augen der Tübinger Theologen das eigentliche T h e m a der Eschatologie. Diese B e gegnung ist das einzig Gewisse; und hierbei spielt es dann keine Rolle, ob sie im Gericht des Jüngsten Tages oder nach dem individuellen Tod stattfindet. Angesichts dieses unausweichlichen Gerichts soll der Mensch sein Leben in dieser Welt gestalten. Da sich der Mensch seiner Todesstunde und dem darauf folgenden Gericht keinen Augenblick gewiß sein kann, muß er sich vor falscher Sicherheit hüten und kann B u ß e nicht aufschieben; er muß sich vielmehr bezeiten zu Gott bekehren und seine irdischen Angelegenheiten ordnen, weil er nie weiß, wann der Weg abgelauffen ist. 543 Er soll zwar die beständige Hoffnung auf ein besseres Leben haben, zugleich aber [...] in seinem anbefohlenen Beruff/fleissig und getreulich arbeiten,544

5 4 2 WAGNER: C o m p e n d i u m T . 1, S. 152. WAGNER: Historia, S. 240: Die meisten der zu Unrecht getroffenen Entscheidungen harren auf ihre Revision im Jüngsten Gericht. Vgl. Württtembergisches Gesangbuch (1741), Nr. 243, Vers 2 und 9: Kein unglu[e]ck ist in aller weit, Das endlich mit der zeit nicht Ja[e]llt, Undgantz wird aufgehoben: Die ewigkeit hat nur kein ziel. Ach ewig ist doch gar zu viel! Kein Straf wird aufgeschoben. Ja, wie mein heyland selber spricht: Aus ihr ist kein erlo[e]sung nicht. [Vers 9] Ach gott, wie bist du so gerecht, Wie straffest du die bo[e]sen knecht Jm heissen pfuhl der schmertzen, Auf kurtze su[e]nden dieser weit, Hast du so lange pein bestellt! Ach nimm diß wohl zu hertzen, und merk auf diß, o menschen=kind, Kurtz ist die zeit, der tod geschwindt. 543

WAGNER: C o m p e n d i u m T . 1, S. 5 3 8 .

544

WAGNER: C o m p e n d i u m T . 1, S. 5 3 9 .

Der

5. Der Katechismus:

171

Katechismus

Summa christlicher

Lehre

Die Auswertung des theologischen Gehalts aller Predigten des Untersuchungszeitraums hat gezeigt, daß die Lehrstücke, die als solche in der Predigt vermittelt wurden, allesamt zum Kernbestand reformatorischer Lehre gehören: Sakramente, Rechtfertigung des Sünders, Glaube. In auffallender Weise deckt sich diese Gewichtung der theologischen T h e menbereiche der Predigten mit einem der Schwerpunkte der Flugschriftenliteratur in der 1. Hälfte des 16. Jahrhunderts. Moeller hat nach Durchsicht des Materials für die Flugschriftenliteratur drei thematische Schwerpunkte b e nannt: 1. die zentralen T h e m e n Luthers von Glaube, Sünde und Rechtfertigung; 2. das Schriftprinzip sowie 3. die Polemik gegen die römische Kirche. 5 4 5 Die agitatorisch-propagandistische Intention der Flugschriften erforderte sicherlich eine bewußte oder unbewußte Anpassung an die Bedürfnisse ihrer Rezipienten. 5 4 6 Dieses Eingehen auf die Bedürfnisse der Adressaten hat, so Blickle, ein Defizit [...] zwischen der Theologie der Reformatoren und den durch die Flugschriften aufgegriffenen Themen zur Folge. 5 4 7 A u f der E b e n e der Predigten, einem Kommunikationsmittel der Frühen Neuzeit, das sich ebenfalls an die breite Masse des Volkes richtete, läßt sich gleichfalls eine Differenz im Vergleich zur Theologie der Zeit feststellen. Nach der auffälligen thematischen Ubereinstimmung zwischen Flugschrift und Predigt stellt sich die Frage, ob die These Blickles auf den Bereich der Predigt übertragen werden kann. Da es den Theologen der lutherischen O r thodoxie gerade auch auf die Kenntnis der theologischen Sachverhalte bei den Laien ankommt, steht hier letztlich deren Glaubwürdigkeit auf dem Spiel. Es soll im folgenden untersucht werden, ob die im Bereich der Predigten festgestellte Differenz ebenfalls Ausdruck einer defizitären Übermittlung theologischen Wissens ist. Die für den Laien aufbereiteten theologischen T h e m e n sollen exemplarisch anhand der Zehn Predigt von den sechs Hauptstucken Christlicher Lehr, die Jacob Andreae 1560 in Lauingen an der Donau gehalten hat, sowie Wagners Compendium deß waaren Christenthums: das ist Christliche Hauß-Vbung deß Wu[e]rttenbergischen Catechismi aus dem Jahre 1644 dargestellt werden. 5 4 8 Zur

3 4 5 B E R N D M O E L L E R : Deutschland im Zeitalter der Reformation (Deutsche Geschichte, Bd. 4). Göttingen 1981 2 , S. 89. 5 4 6 P E T E R B L I C K L E : Gemeindereformation. Die Menschen des 1 6 . Jahrhunderts auf dem Weg zum Heil. Oldenburg 1987, S. 132.

347

BLICKLE: G e m e i n d e r e f o r m a t i o n , S. 1 3 3 .

WAGNER: Compendium T. 1, S. 11: Unter den Gründen, die ihn dazu veranlaßt haben, diese Hauß- Vbung zu publizieren, fuhrt er u. a. an, daß nicht genügend Exemplare des Wu[e]rttenbergischen Catechismi vorhanden sind, wie auch wenig gedruckte Predigten über den Katechismus vorliegen, dazu verweist er auf Lucas I. Osiander sowie auf J o h a n nes Nauber und empfiehlt, deren Werke neu aufzulegen. Dies berechtigt, die zur Hebung 348

172

Die Legitimation der lutherisch-orthodoxen Lehre

Überprüfung dient Heerbrands Kirchentestament aus dem Jahre 1593. In ihm finden sich Abschnitte, die in sehr engem Zusammenhang mit den sechs Hauptstücken christlicher Lehre stehen. In Abschnitten wie Von der Ehe, Von der Obrigkeit und Von den Wunderwerken und Zeichen führt es aber zugleich über sie hinaus und ist damit an der Nahtstelle zwischen den dogmatischen Kompendien und dem Katechismus angesiedelt. 549 Heerbrand hat dieses Werk als ein Testament nach fast 50jähriger Tätigkeit in der Tübinger Gemeinde seinen anheuohlen Kirchen vn[d] Predigkindern hinderlassen, da e r es [.. ,]fu[e]r nu[e]tzlich vn[d] ein notturfft angesehen [hat] / die Lehr/ [...] /kurtzlich zubegreiffen/ vnd bey einem jeden Stuck/ darneben vnd dargegen der Papistischen Lehrer meinung/ auß jren Schrifften gesetzet ¡hat] / damit ein jeder auch einfeltiger Leser vnd Ley/ auß dem Gegensatz/ [...] ko[e]nne vrtheile[n] / bey welchem Theil die warheit Gottes Worts ste-

he/ [,..].550 Das im Unterschied zu Heerbrands Kompendium in deutscher Sprache verfaßte Kirchentestament zeigt, wie auch die beiden anderen Werke, das Bemühen der Theologen und Prediger, ihre Adressaten mit Information zu versorgen, um sie so in die Lage zu versetzten, ein eigenes Urteil in theologischen Sachfragen fällen zu können. Die für die Uberprüfung herangezogenen Werke stammen alle aus dem Umkreis der katechetischen Literatur. Sie sind bewußt ausgewählt worden, da in ihnen die dogmatische Grundlegung besonders deutlich zutage tritt. 551 Die Katechismuspredigt 552 steht bis zum Ende des 17. Jahrhunderts im Mittelpunkt kirchlicher Unterweisung; nach 1680 wird sie abgelöst durch die didaktisch neue Form des Lehrgesprächs über den katechetischen Stoff. 553 J. A. Hochstetter hat hierzu im Jahr 1701 eine Kurtze Anweisung Die gewohnliche Catechismus—

Lehr/

Nutzlich

und erbaulich zu

treiben v e r ö f f e n t l i c h t . D a s d o r t

mitabgedruckte Reskript Herzog Eberhard Ludwigs betont, daß am bewährdieses Notstandes abgefaßte Hauß- Vbung neben die Katechismuspredigten des Jacob Andreae zu stellen. 549 Heerbrand gliedert sein Kirchentestament in folgende Abschnitte: Von der Schrift — Vom Gesetz - Vom freien Willen - Von der Rechtfertigung - Von den guten Werken - Von der Buße — Von der Kirche — Von den Sakramenten — Von der Taufe — Vom Abendmahl — Vom Gebet — Von der Ehe — Von der Obrigkeit — Von den Wunderwerken und Zeichen — Vom Fegfeuer —Vom Haupt der Kirche. 550 H E E R B R A N D : Kirchentestament, S. 294 f. 551 Hier zeigt sich deutlich, daß die aus den Predigten eruierten theologischen T h e menbereiche und Sachverhalte auf der Auswertung einer breiten Quellenbasis beruhen. Vgl. auch A N D R E A E : Predigt über Mt 24, passim. Andreae erläutert hier, wie ein jeder Leye/ aus seinem heiligen einfeltigen Kinder Catechismo über die religiösen Streitigkeiten seiner Zeit urteilen soll. 552 W E R N E R J E T T E R : Art. Katechismuspredigt. In: T R E 1 7 ( 1 9 8 8 ) , S . 7 4 4 - 7 8 6 , bes. S . 7 5 0 — 7 6 9 (einschließlich umfangreicher Literaturhinweise). 553 Vgl. H O C H S T E T T E R , J. A . : Catechismuslehre, der dort diese neue Form der Unterweisung in vier Projekten vorstellt. Vgl. C H R I S T O P H W E I S M A N N : Eine kleine Biblia. Die Katechismen von Luther und Brenz. Stuttgart 1985, S. 79. W E I S M A N N : Die Katechismen des Johannes Brenz, S. 466 f.

Der

Katechismus

173

ten Frage-Antwort-Schema bei der Unterweisung festgehalten werden a l l e r d i n g s s o l l d e r K a t e c h e t [...] Worten

des Catechismi

wann

die Jugend

oder Catechistischen

weilen

a[e]ndern/

tation

sey oder nicht.554

damit

er vernehmen

Auszug

mo[e]ge/

die porgedachte zimlich

Fragen

beantwortet/

ob der Verstand

solle,

mit

den

dieselbe

biß-

auch bey solcher

Reci-

E r w a c h s e n e n , d i e d e n A u s z u g n i c h t g e l e r n t h a b e n , soll

n i c h t d u r c h g e s c h i c k t e V o r f o r m u l i e r u n g e n d i e Antwort

gleichsam

in den

Mund

ko[e]nnen.55S

gelegt w e r d e n , d a m i t sie nur mit ja oder nein antworten

D i e audiovisuellen M ö g l i c h k e i t e n der Zeit w e r d e n ebenfalls in d e n Dienst d e r k a t e c h e t i s c h e n U n t e r w e i s u n g gestellt. G e i s t l i c h e n L i e d e r n w i r d h i e r e i n e w i c h t i g e R o l l e z u g e d a c h t , z u m e i n e n sollen sie d e r V e r m i t t l u n g d e r

Haupt-

s t ü c k e d i e n e n , z u m a n d e r e n s o l l e n s i e Weltliche

die die

üppige

schamlose

Lieder,

guten Sitten verderben, Gottesfurcht verhindern sowie B o ß h e i t u n d fördern,

z u m W ü r t t e m b e r g i s c h e n G e s a n g b u c h v o n 1 5 9 1 , daß sich Christen

Unzucht

z u r ü c k d r ä n g e n . 5 5 6 D i e E r f a h r u n g l e h r e a u c h , so steht i n d e r V o r r e d e in jren

vilen Jaren a u c h Bilder

todtsno[e]te[n]

gelemet/ und

nicht

als den Predigten/ Denckzeichen

[...]

weniger

auß den Teutschen

so sie geho[e]rt/ allezeit

vor die beste

offtermahlnenfrom[m]e Psalmen/

zutro[e]sten

wissen

Geda[e]chnus=Mittel

so sie 557

vor Wie ge-

354 Vgl. das R e s k r i p t H e r z o g E b e r h a r d Ludwigs ( o h n e P a g i n i e r u n g ) , das bei HOCHSTETTER, J. A.: Catechismuslehre, a b g e d r u c k t ist. 555 Vgl. das R e s k r i p t H e r z o g E b e r h a r d Ludwigs ( o h n e P a g i n i e r u n g ) , das b e i HOCHSTETTER, J. A.: Catechismuslehre, a b g e d r u c k t ist. 5=6 ANDREAE: C h r i s t l i c h e A n l e i t u n g , S. 2 6 5 ff. Vgl. dazu das W ü r t t e m b e r g i s c h e G e sangbuch (1591), S. 9 6 - 1 3 1 . Dieses Ausgabe ist im ü b r i g e n in der Ü B T greifbar; es gibt also d o c h e i n e zugängliche Ausgabe vor 1 5 9 5 / 9 6 - a u c h w e n n sie n u r in K o p i e v o r h a n d e n ist (vgl. MARTIN RÖSSLER: W ü r t t e m b e r g i s c h e G e s a n g b u c h - G e s c h i c h t e z w i s c h e n der R e f o r m a t i o n u n d d e m D r e i ß i g j ä h r i g e n Krieg. In: Blätter f ü r w ü r t t e m b e r g i s c h e K i r c h e n geschichte 85 (1985), S. 2 8 - 8 2 , hier S. 28). Interessant ist die A b f o l g e der K a t e c h i s m u s stücke in d e n w ü r t t e m b e r g i s c h e n G e s a n g b ü c h e r n (vgl. a u c h dazu RÖSSLER: W ü r t t e m b e r gisches G e s a n g b u c h - G e s c h i c h t e , S. 66). Sie entspricht in allen A u s g a b e n des w ü r t t e m b e r gischen G e s a n g b u c h e s der R e i h e n f o l g e des Brenzschen, n i c h t des L u t h e r s c h e n K a t e c h i s mus. Von 13 L i e d e r n des Katechismusteiles der Ausgabe v o n 1591 sind d a n n allerdings sechs v o n L u t h e r verfaßt w o r d e n , ein siebtes v o n Huss g e d i c h t e t e s Lied ist v o n L u t h e r verbessert ( W ü r t t e m b e r g i s c h e s G e s a n g b u c h (1591), S. 124) w o r d e n . Das ä n d e r t e sich a u c h n i c h t in d e n späteren A u s g a b e n , vgl. jeweils d e n Katechismusteil in d e n f o l g e n d e n G e s a n g b ü c h e r n : W ü r t t e m b e r g i s c h e s G e s a n g b u c h (1664), Christliches H a u s - G e s a n g b u c h (1664), W ü r t t e m b e r g i s c h e s G e s a n g b u c h (1665), W ü r t t e m b e r g i s c h e s G e s a n g b u c h (1711). Vgl. z u m T h e m a Lied v o m 16. bis z u m 18. J a h r h u n d e r t MARTIN RÖSSLER: L i e d e r m a c h e r i m G e s a n g b u c h . Bd. 1 u n d B d . 2 (Calwer Taschenbibliothek, Bd. 4 u n d B d . 5). Stuttgart 1990. R ö ß l e r b e s p r i c h t in B d . 1 die L i e d e r m a c h e r des 16. u n d b e g i n n e n d e n 17. J a h r h u n derts ( M a r t i n Luther, A m b r o s i u s Blarer, N i k o l a u s H e r m a n , P h i l i p p N i c o l a i , J o h a n n H e e r m a n n ) , in B d . 2 die Meister des Wortes um das Jahr 1650 (Paul G e r h a r d , J o h a n n R i s t , J o h a n n Scheffler), sowie a n s c h l i e ß e n d drei R e p r ä s e n t a n t e n des Pietismus (Joachim N e a n d e r , G e r h a r d Tersteegen, N i k o l a u s Graf v o n Z i n z e n d o r f ) . D a n e b e n w u r d e n aber a u c h G e d i c h te ü b e r P e r i k o p e n , ü b e r d e n Katechismus als ganzen u n d ü b e r e i n z e l n e Stücke v e r f a ß t . Vgl. HANS-HENRIK KRUMMACHER: D e r j u n g e G r y p h i u s u n d die T r a d i t i o n . S t u d i e n zu d e n P e r i k o p e n s o n e t t e n u n d Passionsliedern. M ü n c h e n 1976, S. 97 m i t A n m . 66. 557 W ü r t t e m b e r g i s c h e s G e s a n g b u c h (1591), S. 3 (Vorrede).

174

Die Legitimation der lutherisch-orthodoxen Lehre

halten wurden; der Wert illustrierter Kinderbibeln wird besonders hervorgehoben. 5 5 8 Selbstverständlich spielte für die orthodoxen Theologen das Wissen um die rechte Lehre eine wichtige Rolle. So kann Andreae über die sechs Hauptstükke sagen: Wer diese nit waißt/ kan sich/ aber nicht mit Ehrtt/ ein Christen nennen lassen.559 Die Katechismuskenntnis sollte zum selbständigen Umgang mit der orthodoxen Lehre anleiten, ihr Ziel war es, die Hörer so zu unterweisen [ . . . ] / damit jr dieselben [die Hauptsücke] allein lernen verston vnnd nach denselben andere Predig richten und vrtheilen lerneten.560 Die Hauptstücke sollten aber auch als Maßstab bei der eigenen Bibellektüre dienen. 5 6 1 D e r Nutzen der Betrachtung des Katechismus sei — so Wagner — vielfältig und groß. Z u m einen kann ohne die Kenntnis des Katechismus keiner selig werden; zum anderen befinden sich im Katechismus alle Grundwahrheiten des Glaubens: [...] alle Lehr/ aller Trost/ alle Warnung/ alle Vermahnung/ in Summa/ alles miteinander/ was einem Christenmenschen von no[e]then/ daß er kan sicher glauben/ Christlich leben/gedultig leiden/ vnd seelig sterben 562 U n d drittens werden dort die Prinzipien einer christlichen Lebensgestaltung gelehrt, damit sich kein Seelen-Schad einstellen kann, das Herz eben nicht an irdischen Dingen hänge; denn [...] was kan/ vmb Gottes willen/ bey solchen Menschen in der Verfolgung fii[e]r Besta[e]ndigkeit/ in Wolstand fa[e]r Gottseeligkeit/ im Leben vnd Todt fu[e]r Gedult/ Trost vnd Hertzhaftigkeit zu vermuthen seyn/ wo man von der waaren Religion nichts weiß/ den Catechismum nicht versteht/ vnd kein satten Grund im Christenthumb hat?563 Sind die Grundwahrheiten des christlichen Glaubens und die entsprechenden Prinzipien der Lebensführung nicht bekannt, so muß das notgedrungen zur Mißachtung der göttlichen Gebote und somit letztendlich zur Auflösung der gottgewollten guten Ordnungen des menschlichen Z u sammenlebens führen. 5 6 4 O h n e Wissen um die rechte Lehre ist keine lebenserhaltende Gestaltung des Alltags möglich. Katechismuskenntnis und Lebensgestaltung gehen Hand in Hand: Ligt nicht vber das der wilden Jugend rohlose lÜppigkeit vnd Thumsinnigkeit/ in Worten vnd Wercken/ reden vnd geberden/ nunmehr menniglich vngeschenckt vor Augen? [...] Dergleichen vndisciplinirte mores ein starcke

538

HOCHSTETTER, J . A . : C a t e c h i s m u s l e h r e , S. 5 1 .

ANDREAE: Predigten in Lauingen, S. IX V . 5 6 0 ANDREAE: Predigten in Lauingen, S. IX V und S. VII r . 561 ANDREAE: Bibelübersetzung, S. 33. A u f S. 45 vermerkt Andreae, der gemein Mann habe mit hauffen angefangen, die deutsche Bibel zu kaufen und selbst zu lesen. Vgl. Punkt 4 des Reskripts Herzog Eberhard Ludwigs (ohne Paginierung). In: HOCHSTETTER, J. A.: Catechismuslehre: Anleitung zur Lektüre der Bibel oder doch wenigstens des Neuen Testaments. 3 6 2 Vgl. zum folgenden WAGNER: Compendium T. 1, S. 46. 539

363

WAGNER: C o m p e n d i u m T . 1, S. 4 8 .

WEISMANN: Eine kleine Biblia, S. 79. Vgl. GERALD STRAUSS: Luther's house o f learning. T h e indoctrination o f the young in the German Reformation. Baltimore, London 364

1 9 7 8 , S.

151-175.

Der

Katechismus

175

Vermuthung seyn/ daß mit solchen Bethelskindern die Catechismus=Vbung von den Eltern schlecht werde getrieben/ /"..._/.565 Die Folge mangelnder Katechismuskenntnis ist die Androhung und Verhängung göttlichen Zornes, mithin auch die Bedrohung der äußeren Ordnungen menschlichen Lebens. 5 6 6 D e m Katechismus kommen so verschiedene Funktionen zu, er ist »Glaubens- und Spruchbüchlein«, ebenso wie »Gesetz- und Lebensbüchlein«, aber auch »Bet-, Trost- und Festbüchlein«. 5 6 7 Wegen der darin erörterten Glaubens= vnd Christlichen Lebens =gru[e]nd mag sein Nutzen so groß odergro[e]sser [...] seyn/ ab wann es gar ein grosser/ von Kunst vnd Wolredenheit angefii[eßlter Foliant solte seyn.S6S D e r lutherischen Orthodoxie wird in diesem Zusammenhang immer wieder entgegengehalten, sie lege besonderes Gewicht auf die äußeren Kennzeichen eines Christen, eben auf das abrufbare Wissen um die rechte Lehre und habe sich darin von dem lebensnahen Christentum eines Martin Luthers abgegrenzt und eine Epoche des streitsüchtigen Doktrinarismus und des verknöcherten Formalismus begründet. 5 6 9 An dieser Stelle sei nur auf Luther selbst verwiesen, der die Kenntnis des Katechismus ebenfalls zum Maßstab der wahren Kirche erklärte: Zum sechsten erkennet man eusserlich das heilige Christliche Volck am gebet, Gott loben und dancken o[eJffentlich. Denn wo du sihest und ho[e]rest, das man das Vater unser betet und beten lernet, auch Psalmen oder Geistliche lieder singet, nach dem wort Gottes und rechtem glauben, Jtem den Glauben, Zehen gebot und Catechismum treibet o[eJffentlich, Da wisse gewis, das da ein heilig Christlich volck Gottes sey [.. J.570 Diese Doppelung von Lehre und Leben spiegelt sich auch in den Erziehungszielen der Zeit der lutherischen Orthodoxie wider. Die Kinder sollen

565

WAGNER: C o m p e n d i u m T . 1, S. 1 5 .

WAGNER: Compendium T. 1, S. 17: Dieser Mangel ist die Hauptquelle aller profanita[e]t in der Religion/ aller Gottlosigkeit im Leben/ auch aller Straffen Gottes in der Welt/ [...]_. 3 6 7 WAGNER: Compendium T. 1, S. 20 f.: Das Wagnersche Compendium will sein ein Gründliches Glaubensbu[e]chlein in allen Grund=Artickeln der Christlichen Religion: Ein rechtes Spruchbu[e]chlein vo[n] allerhand Trostreiche[n] Spru[e]chen zum waaren Glauben/ vnd Christlichen Leben/ [...] Ein rechtes Gesetz= vnd Lebensbu[e]chlein/ zur Bestellung deß waaren Christenthums/ in den erkla[e]rten Zehen Gebotten: Ein rechtes Betbufe]chlein in dem erkla[e]rten Vatter vnser: Ein rechtes Trostbu[e]chlein in erkla[e]rte, Apostolischen Glauben/ vnd in den Hauptstukken von beeden hochwufejrdigen Sakramenten: Ein rechtes Festbu[e]chlein/ in ansehung der grossen Gutthaten Gottes/ welche der Kirchen an hohen Festtagen werdenfu[e]rgetrage[n] / [...]. 566

368

WAGNER: C o m p e n d i u m T . 1, S. 2 1 .

Vgl. HANS MARTIN MÜLLER: Art. Homiletik 2.2:Von der Reformation bis Schleiermacher. In: T R E 15 (1986), S. 5 2 6 - 5 6 5 , bes. S. 534 ff., hier S. 535: Die evangelischen Theoretiker versuchen kaum, den Ansatz der Reformation in der Praxis zu befestigen, [sie] erschöpfen sich vielmehr in einem methodischen Formalismus [...]. Vgl. PÖHLMANN (Hrsg.): Die Dogmatik der evangelisch-lutherischen Kirche, S. 9. Dort erwehrt sich Pöhlmann der etablierten Vorwürfe, die die lutherische Orthodoxie als streitsüchtigen Doktrinarismus, verknöcherten Formalismus, öden Rationalismus und unduldsame Intransigenz begreifen. 5 7 0 WA 50, 6 4 1 , 2 0 - 2 5 . 369

176

Die Legitimation

der lutherisch-orthodoxen

Lehre

vornehmlich zu zwei D i n g e n erzogen werden: [...] Erstlich zu[o] der waren Erkanntnuß vnnd forcht Gottes/ darinnen die Weißheit vnd das ewig leben steet. Zum andern zu[o] eüsserliche Zucht vnd Erbarkeit/ die auß der Erkanntnuß vnd rechter forcht Gottes fleüßt.57^ Diese miteinander verbundenen Ziele n e n n t Andreae in seiner Eingangspredigt, die er mit Ein Vorred in die Kinder Leer überschreibt. Hier ruft er die drei von Gott dazu verordneten »Zuchtmeister« - Eltern, Prediger/Lehrer, Obrigkeit — auf, gemeinsam auf dieses Ziel, Kinder großzuziehen zu Gottes Lob u n d g e m e i n e m N u t z e n , hinzuarbeiten. 5 7 2 Die v o m Prediger beobachtete Verachtung der Katechismuspredigten läßt ihn auf eine schlechte Ü b u n g des Katechismus in den Häusern, bei j u n g e n u n d alten Menschen, schließen, was geradewegs dazu führe, daß sich viele Jugendliche schämen, [...] / im Catechismus=examine gehorsamer Catechismus—Schuler vnd Schülerin zu seyn/ [...].57i Deshalb ist auch nicht die Jugend der alleinige Adressat der Katechismuspredigten des Jacob Andreae. 5 7 4 Zwar ist auch Andreae klar, daß die K i n der der eigentliche A n k n ü p f u n g s p u n k t sind — sie werden vornehmlich angesprochen —, w e n n die Lehre dauerhaft verankert werden soll. 575 Er wendet sich in seinen Predigten z u d e m aber auch an die Hausväter u n d verdeutlicht so die enge Zusammenarbeit zwischen Kirche u n d Haus, die n o c h durch die Schule ergänzt u n d erweitert wird. Das Haus wird zu einer Katechismuswissen vermittelnden und prüfenden sowie mangelndes Wissen strafenden Instanz erklärt. 5 7 6

571 D72

ANDREAE: P r e d i g t e n in L a u i n g e n , S. A3V. ANDREAE: P r e d i g t e n in L a u i n g e n , S. I r , VIV. WAGNER: C o m p e n d i u m T. 1, S. 12 u .

S. 51. 573

574

WAGNER: C o m p e n d i u m T . 1, S. 1 4 .

ANDREAE: P r e d i g t e n in L a u i n g e n , S. V v . Dies ist keinesfalls die A u s n a h m e . Vgl. FRIEDRICH SPANUTH: D i e G r u b e n h a g e n s c h e Kirchenvisitation v o n 1579 d u r c h S u p e r i n t e n d e n t S c h e l l h a m m e r . In: J a h r b u c h der Gesellschaft f ü r niedersächsische K i r c h e n g e s c h i c h t e 5 2 (1954), S. 1 0 3 - 1 2 9 , hier S. 115 f.: [...] ist fast an allen orten dage furbracht, das die alten und was ein wenig über 18 jar ist, sich der lehr des catechismi geschemet und nicht darzu haben gehen wollen. 575 ANDREAE: P r e d i g t e n in L a u i n g e n , S. L X X I X r . HOCHSTETTER, J. A.: C a t e c h i s m u s lehre, S. 43. Vgl. STRAUSS: Luther's h o u s e of l e a r n i n g , S. 1 0 8 - 1 3 1 , bes. S. 116 f. u n d 1 2 3 131; vgl. a u c h S. 1 6 5 - 1 6 8 . 576 ANDREAE: C h r i s t l i c h e A n l e i t u n g , S. 56 f.: E r will die sechs H a u p t s t ü c k e in P r e d i g ten vorstellen, d a m i t H a u s v ä t e r u n d H a u s m ü t t e r ihrerseits i h r e m A u f t r a g zur religiösen E r z i e h u n g n a c h k o m m e n k ö n n e n . ANDREAE: P r e d i g t e n in L a u i n g e n , S. X V I I r : Darumb jr Eltern/ wannjr heim komment/ so soltjr ewre Kinder fu[e]rnemen vnnd fragen/ was sey geprediget worden? da werden die Kinder sagen/ lieber Vatter/ oder liebe Mu[o]tter/ der Prediger hat die zo[e]hen Gebott geprediget vnd außgelegt. So fragt du dein Kind weitter/ hasts aber auch behalten? vnnd das Kind hat nichts behalten/sonder ist gesessen schwetzen/soltu sie mit der Ru[o]tten züchtigen [...]. Vgl. a u c h ANDREAE: P r e d i g t e n in L a u i n g e n , S. IX r . HOCHSTETTER, J. A.: C a t e chismuslehre, S. 43: [...] / sonderlich aber zu Hauß/ nach vollendtem öffentlichen Gottesdienst/ mit denselben [Kindern und Gesinde] eine Wiederholung anstellen/ [•••]• HOCHSTETTER, J. A.:

Der

Katechismus

177

Die sechs Hauptstücke christlicher Lehre sind j e d e m Christen zu wissen von nöten, denn der Katechismus ist ein kurzer, einfältiger u n d gründlicher Bericht j e n e r T h e m e n , [...] / die ein jeder Mensch bey seiner Seelen Seligkeit ist nit allein zu[o]wissen/ sonder auch sich darnach richten vnd zu[o]leben [hat].577 D i e Kenntnis des Katechismus ist dabei unabhängig v o m Lesen u n d Schreiben k ö n n e n , d e n n sonst [...] / wurd der gmein Mangantzgefa[e]rlich vnd übel steen.57& M i t Hilfe der Hauptstücke soll der Christ in der Lage sein, Rechenschaft über seinen Glauben ablegen zu k ö n n e n . Die Kenntnis des Katechismus, das W i s sen u m die rechte Lehre und das ihr entsprechende Leben werden z u m Ausweis des Christen. 5 7 9 In charakteristischer Weise kann Andreae so das Leben eines Verstorbenen mit d e m Katechismus abgleichen. 5 8 0 Das Einprägen des Katechismus zielt nicht nur auf ein abfragbares Wissens, sondern auch auf ein konkretes, im täglichen Leben Gestalt annehmendes Verhalten; beide M o m e n t e werden z u m Maßstab wahren Christentums. Es ist demzufolge nicht genug, die sechs Hauptstücke auswendig aufzählen zu k ö n n e n , es m u ß vielm e h r auch nach ihren Maßstäben gehandelt werden. 5 8 1 D e r Katechismus ist so nicht nur das volkstümlichste Symbol des Luthertums und der wirksamste Vermittler

C a t e c h i s m u s l e h r e , S. 46—49. E r zeigt d o r t d i e V e r m i t t l u n g r e l i g i ö s e r I n h a l t e d u r c h das Haus ü b e r einen ganzen Tagesablauf hinweg. 577 ANDREAE: P r e d i g t e n in L a u i n g e n , S. V T . P r o g r a m m a t i s c h k o m m t dies z. B. s c h o n i m T i t e l b e i ANDREAE: C h r i s t l i c h e A n l e i t u n g , z u m A u s d r u c k : [...] Verfaßt in etliche Predigten/ in wo[e]lchen die fürnembsten Hauptstuck vnserer Christlichen Religion/ so eim Christen zuwissen notwendig/ recht vnd einfeltig erkla[e]rt werden/[...].Vgl. ANDREAE: P r e d i g t e n in H a g e n a u , speziell d i e a c h t e P r e d i g t . Sie ist e i n e kurtze summarische/ doch nothdurfftige vnd außfu[e]rliche erkla[e]rung der sechß Hauptstuck [...]. 578 ANDREAE: P r e d i g t e n in L a u i n g e n , S. VIII V . ANDREAE: C h r i s t l i c h e A n l e i t u n g , S. 5 7 : G l a u b e n h a t n i c h t d i e Gestalt, als w e n n d e n gemeinen Layen d e r G l a u b e n i c h t s a n g e h e . A u c h d e r Laie soll z u r » e i g e n t l i c h e n u n d g e w i s s e n E r k e n n t n i s d e r g ö t t l i c h e n L e h r e u n d W a h r h e i t « g e f ü h r t w e r d e n . N i c h t n u r , w e r lesen u n d s c h r e i b e n k a n n , k a n n selig w e r d e n . J e d e r , wie einfaltig er auch ist, k a n n selig w e r d e n (ebd., S. 6 2 ) . V g l . d i e A u s s a g e des L e i p z i g e r K a n t o r s S e t h u s Calvisius in: H a r m o n i a . C a n t i o n u m E c c l e s i a s t i c a r u m . L e i p z i g : V o i g t 1 6 2 2 , V o r r e d e : [•••], daß ein einfeltiger Christ aus dem kleinen Catechismo unnd Kirchen-Gesängen so viel wissen kan/ als er nicht lernen würde/ wenn er gleich alle Patres und Schul-Lehrer mit einander außforschen wolte. Z i t . n a c h PATRICE VEIT: D a s G e s a n g b u c h i n d e r P r a x i s P i e t a t i s d e r L u t h e r a n e r . In: H a n s - C h r i s t o p h R u b l a c k ( H r s g . ) : D i e l u t h e r i s c h e K o n f e s s i o n a l i s i e r u n g i n D e u t s c h l a n d . W i s s e n s c h a f t l i c h e s S y m p o s i o n des Vereins f ü r R e f o r m a t i o n s g e s c h i c h t e 1 9 8 8 ( S c h r i f t e n des Vereins f ü r R e f o r m a t i o n s g e s c h i c h t e , B d . 197). G ü t e r s l o h 1 9 9 2 , S. 4 3 5 - 4 5 4 , h i e r S. 4 3 7 A n m . 7. 579 WAGNER: C o m p e n d i u m T. 1, S. 16 f.: [...] Muthwillige Glaubens Einfalt in der Religion/ o f f t bey denjenigen/ welche auch in der Religion wol wissen/ was Fisch oder Fleisch/ vnd in zeitlicher Spitzfindigkeit rechte Rabbi seyn: Allein wanns kompt zur Religion/ sich stellen wie die Schaf; vorwendend/ wie sie einfa[e]ltig glauben/ vnd einfa[e]ltig bey ihrem Catechismo zu bleiben bedacht seyn; auch wann es vmb die Fundamenta deß Catechismi zu thun/ durch welche die Verfu[e]hrung zur Vngerechtigkeit mit sattem Verstand sott zu ruck getrieben werden: Gerad als wann die Glaubens=Einfalt bestu[e]nde auff der Vnwissenheit vnd Vnverstand in der Religion [...]. 580 ANDREAE: P r e d i g t e n in H a g e n a u , S. 3 8 9 . 581 ANDREAE: P r e d i g t e n in L a u i n g e n , S. L X X X F .

178

Die Legitimation der lutherisch-orthodoxen Lehre

rechtgläubiger Lehrüberlieferung in Kirche, Schule und Haus592, sondern besonders der Dekalog gibt weithinaus das Schema für ethische Erörterungen ab [... Er] wird nicht selten zum mehr oder minder ausschließlichen Rahmen dessen, was in dieser Zeit zwar nicht unter dem Namen, wohl aber mit dem Anspruch des »Lehrbuches der christlichen Ethik« auftritt.583 Die Wichtigkeit der Kenntnis des Katechismus hat Weismann zusammengefaßt: Ohne Katechismuskenntnis keine gesellschaftliche Anerkennung — so wenigstens sahen es die obrigkeitlichen Verordnungen vor.584 Aus der Sicht der T h e o l o g e n war damit keine Disziplinierung der Gesellschaft intendiert — was allerdings nicht davor schützte, obrigkeitliche Verordnungen in diesem Sinne zu verstehen; auch stimmten wohl Anspruch u n d Wirklichkeit nicht i m m e r überein. Werner Jetter hält fest, daß die Schatten der Glaubensprüfung und Disziplinierung nur schwer zu verbannen waren, wozu die im Falle der Nichtbeachtung verhängten Sanktionen wie Geldbußen u n d Kirchenzuchtsmaßnahmen ebenfalls nicht beitrugen. 5 8 5 Für die T h e o l o g e n jedenfalls stand der enge K o n n e x zwischen recht glauben, christlich leben u n d selig sterben im Vordergrund aller Ü b e r l e gungen. 5 8 6 Dieser auf das Wohl der Gesellschaft abzielende N u t z e n wird sowohl in der frühen Phase beispielsweise bei Andreae betont, auf ihn wird aber noch genauso bei J. A. Hochstetter hingewiesen. 5 8 7 Z u d e m wird über den gesamten Zeitraum hinweg betont, es k ö n n e nicht darum gehen, die sechs Hauptstücke auswendig aufzählen zu k ö n n e n , sondern es müsse auch danach gehandelt werden, [...] / weil das blosse Wissen die Sache nicht ausmacht.588 Die

582 O T T O A L B R E C H T : Luthers Katechismen (Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte, Bd. 33). Leipzig 1915, S. 171. 583 O T M A R D I T T R I C H : Geschichte der Ethik. Die Systeme der Moral vom Altertum bis zur Gegenwart. Bd. 4, 1. Abt.: Die R e f o r m a t i o n und der lutherisch-kirchliche Protestantismus. Leipzig 1932, S. 228. 384 Vgl. W E I S M A N N : Eine kleine Biblia, S. 79. Vgl. die Politisch Censur vnd Ru[o]gordnung innerhalb der Württembergischen Großen Kirchenordnung (S. ccxxi'—ccxxxi r ). Z u den Vergehen, die von den R ü g r i c h t e r n dem Laster vnnd Ru[o]gzettel entsprechend geahndet werden sollen, gehören noch vor Gotteslästerung, Zauberei und Teufelsbeschwörung, Zwistigkeiten, Felddiebstahl, Ehebruch, Verschwendung, Volltrinken, Spiel und Wucher die Versäumnisse des Gottesdienstbesuchs und des Katechismusunterrichts (ebd., S. cccxxviii"). 58a j E T T E R . Katechismuspredigten, S. 756. 586 H O C H S T E T T E R , J . A . : Catechismus-Lehre, S. 2 5 . Vgl. Württembergisches Gesangbuch (1741), S. 28,Vers 4 und 5. r 587 A N D R E A E : Predigten in Lauingen, S. VI . H O C H S T E T T E R , J . A . : Catechismus-Lehre, S. 25. 588 Vgl. das Reskript Herzog Eberhard Ludwigs (ohne Paginierung). In: H O C H S T E T TER, J. A.: Catechismuslehre. Dies zeigt zudem die enge Zusammenarbeit von Kirche u n d Staat. W e n n bereits Brenz in der kurzen Vorrede seines Katechismus wünscht, daß die Fragstücke von wort zu[o] wort außwendig [zu] lernen seien — eine Formulierung, die auch Eingang in die W ü r t t e m b e r g i s c h e Große Kirchenordnung (S. lxiij") gefunden hat —, so bedeutet dies nicht, daß das geforderte Auswendiglernen nicht auch mit Erklären

Der

Katechismus

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bloße Rezitation ist nicht ausreichend, das Verständnis des Textes, u n d daraus abgeleitet, seine A n w e n d u n g , ist gefragt. Ist infolge mangelnder Katechismuskenntnis der enge Z u s a m m e n h a n g von Lehre, Leben u n d Sterben nicht gewährleistet, ist aus der Perspektive der Prediger die Gesellschaft als ganze b e droht; von daher versteht sich die Sorge der Prediger. U n t e r dieser Voraussetzung wird der Katechismus z u m Instrument der Kirchenzucht schlechthin; religiöses u n d soziales Leben wird über seine Kenntnis gesteuert. Das bedeutet konkret, daß o h n e Kenntnis des Katechismus keine Ehe 5 8 9 geschlossen werden kann, aber auch keine Zulassung z u m Abendmahl 5 9 0 erfolgt. Infolge der Bedeutung, die die Prediger d e m Katechismus beimaßen, w u r d e der Katechismus mit unnachgiebiger Rigorosität in die Seelen der lutherischen Gläubigen hineingehämmert591; dafür sind die Katechismuspredigten des Jacob Andreae ein schlagendes Beispiel. 592 N a c h der Darlegung der B e d e u t u n g u n d Funktion des Katechismus bei der Vermittlung u n d U m s e t z u n g lutherisch-orthodoxer Theologie soll jetzt im folgenden eine Verortung derjenigen T h e m e n v o r g e n o m m e n werden, die, wie die Lektüre der Predigten zeigt, von den Predigern als konstitutiv für die L e h re angesehen wurden. Schon Luther hat den Katechismus als die rechte leien biblia bezeichnet, darin der gantze inhalt christlicher lehre begriffen sei. 593 Diese Prämisse, die von den orthodoxen Theologen fortgeschrieben wurde, deckt sich mit der Beobachtung, daß die relevanten T h e m e n der Dogmatik größtenteils im Katechismus verankert sind. 594 Eine inhaltliche Analyse der T h e m e n soll an dieser Stelle nicht v o r g e n o m m e n werden, dazu sei an die dogmatischen wie ethischen Abschnitte verwiesen. Hier soll die formale Z u o r d n u n g der in den gesamten Predigten angesprochenen theologischen T h e m e n zu den einzelnen Hauptstücken des Katechismus erfolgen. Dazu bietet sich das Register an, das Wagner selbst seiner Hauß- Vbung beigefugt hat. A n hand dieses Registers lassen sich die von Wagner im ersten Theil theoretice vnd

u n d V e r s t e h e n des Textes v e r b u n d e n sein sollte. So s c h o n L u t h e r W a 3 0 / 1 , S. 2 7 2 f. in d e r V o r r e d e z u m k l e i n e n K a t e c h i s m u s . Vgl. WEISMANN: D i e K a t e c h i s m e n des J o h a n n e s B r e n z , S. 2 8 1 . 5 8 9 ANDREAE: P r e d i g t e n in L a u i n g e n , S. VI V . 5 9 0 ANDREAE: C h r i s t l i c h e A n l e i t u n g , S. 225. 5 9 1 ERNST TROELTSCH: Das L u t h e r t u m . In: Ernst Troeltsch (Hrsg.): G e s a m m e l t e S c h r i f t e n . Bd. 1: D i e Soziallehren der christlichen K i r c h e n u n d G r u p p e n . T ü b i n g e n 1912, S. 5 1 2 - 6 0 5 , hier S. 552. 592 Vgl. A n m . 578. 5 9 3 WA T R 5, N r . 6288. Diese B e w e r t u n g greift WAGNER: C o m p e n d i u m T. 1, S. 5 3 auf. E r b e z e i c h n e t d o r t d e n Katechismus als ein klein Bibel/ wie Lutherus den Catechismum nennet/ das ist/ den zur Seeligkeit gnugsamen Verstand gantzer Heiligen Go[e]ttlichen Schrifft/ [...]. 5 9 4 WAGNER: C o m p e n d i u m T. 1, S. 46: Die H a u p t s t ü c k e sind durchauß Heiliger Go[e]ttlicher Schrifft gema[ejß/ vnd nichts anders/ als ein kurtzer Begriff der gantzen Bibel [...]. Vgl. JETTER: Katechismuspredigt, S. 762 f. zur Entfaltung der Glaubenslehre.

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der lutherisch-orthodoxen

Lehre

practice verhandelten T h e m e n nach zeitgenössischem theologischen Verständnis den Hauptartikeln christlichen Glaubens zuweisen. 5 9 5 Z u den wichtigen T h e m e n , mit deren Hilfe die Prediger die lutherischorthodoxe Lehre legitimierten, gehörte, wie o b e n erörtert, die Lehre von den Sakramenten. Im Katechismus finden sich die Erklärungen im 1. u n d 5. Hauptstück. Die Auseinandersetzungen in der Sakramentslehre, besonders in der Lehre v o m Abendmahl, deren Praxis die Konfessionen auch äußerlich sichtbar voneinander schied, erforderten eine klare Unterweisung der Predigthörer. Die Z u o r d n u n g der ethischen Grundlegung zum Dekalog im 4. H a u p t stück ist offensichtlich, sie bedarf an dieser Stelle keiner weiteren Erläuterungen. Die zentrale Ausrichtung, die alle Hauptstücke durchzieht, ist die Lehre von der Rechtfertigung. Sie kann deshalb nicht ausschließlich in einem b e stimmten Artikel lokalisiert werden. Eine wichtige Position n i m m t allerdings das 2. Hauptstück ein. 5 9 6 Die Auslegung des Credos versteht das Bekenntnis kerygmatisch u n d unterstreicht seine soteriologische Einheit, indem es die Erläuterungen zu den einzelnen T h e m e n mit folgenden Abschnitten b e schließt, nachdem es schon zuvor Sündenvergebung u n d R e c h t f e r t i g u n g in engen Z u s a m m e n h a n g gebracht hatte: Von der Gnadenwahl zum ewigen Leben u n d Von der Ho[e]ll u n d schließlich im N u t z e n Vom gerechtmachenden Glauben gipfelt: Darzu ist er mir nutzlich/ daß ich durch diesen Glauben werd vor Gott von wegen JEsu Christi für Fromb vnd Heilig gehalten/ vnd mir geschenckt wird der Heilig Geist zu beten/ vnd Gott als einen Vater anzurußen/ vnd mein Leben nach seinen Gebotten anzurichten.597 D e r N u t z e n des Glaubens beinhaltet nach Wagner hauptsächlich drei M o m e n t e : z u m einen die Lehre v o m allein gerechtmachenden Glauben des Sünders, zum anderen die Lehre v o m Gebet u n d der A n r u f u n g Gottes u n d drittens die Lehr von dem wahren Christenthumb deß Le-

WAGNER: C o m p e n d i u m T . 1: D o r t im A n s c h l u ß an d e n ersten Teil [S. 401 ff.]. WAGNER: C o m p e n d i u m T. 1, S. 2 2 0 f. D e r G l a u b e dient der V e r s i c h e r u n g der G n a d e G o t t e s u n d der E r i n n e r u n g , [...] / daß wir [...] sollen sehen/ wie alle Glaubens=Artickel in dem Artickel von der Rechtfertigung zusamen kommen/ dann da ist das Fundament die Lehr von Gottes Gnad vnd Barmhertzigkeit/ auß welcher die Rechtfertigung deß armen Su[e]nders vor GOtt vrspru[e]nglich/ als ein Gnadenstrom/ quillt vnd entspringt: Dahin ziehet sich deß HErrn Christi Menschwerdung vnd volkomner Verdienst: Dahin zwecket die Lehr vom Gesetz/ welches ein Zuchtmeister aujf Christum ist; Die Lehr vom Heiligen Evangelio/ von den Heiligen Sacramenten/ von dem Predig Ampt vnd Gewalt der Schlu[e]ssel deß Himmelreichs; Jn Summa/ die Lehr vom Heiligen Geist vnd allen seinen Gnadenmitteln/ wie sie sich zur Seeligkeit der Menschen in der Kirchen Gottes befinden/ hiß es heißt/ Sie Glauben Vergebung der Su[e]nden. Vgl. ANDREAE: Predigt ü b e r M t 24, S. G / . A n d r e a e schreibt ü b e r die V e r o r t u n g der G e rechtigkeit des G l a u b e n s folgendes: Darwieder ist vnser catechismus klar/ der vns vnser Gerechtigkeit lehret suchen/ allein in dem gehorsam/ bittern leiden vnd sterben Christi/ [...], also i m z w e i t e n Artikel des Glaubensbekenntnisses. 595

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WAGNER: C o m p e n d i u m T . 1, S. 2 1 5 f .

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bens/ nach den Gebotten GOttes anzurichten/ 50 vnjehlbar auß dem Gerechtmachenden Glauben erfolgt [...]; diese letzte Lehre wird im Dekalog dargelegt. 5 9 8 Kraft u n d W i r k u n g des Glaubens machen, daß der Sünder, der diesen Glauben hat, vor Gott bestehen kann, denn der Mensch selbst hat keine Gerechtigkeit, die der Anforderung des Gesetzes vor d e m Richterstuhl Gottes genügen kann. Wo der gerechtmachende Glaube ist, da ist d e m Sünder geholfen, Gott hält ihn für fromb vnd heilig/ das ist/fu[e]r Gerecht.599 Aus d e m Glauben folgt nach Wagner zwingend ein am Maßstab der G e b o te Gottes orientiertes Leben. Gute Werke werden von j e d e m Christen erfordert, w e n n er ein wahrer Christ u n d kein Heuchler sein will. 600 Aber auch der Wiedergeborene kann, menschlicher N a t u r gemäß, die G e b o t e Gottes nicht vollkommen erfüllen. Das Hauptstück über den Dekalog endet deshalb in A b schnitten Vom Nutzen der H. zehen Gebott, Von der Su[e]nd ins Gemein/ vnd in specie, Von der Büß, Von gutten Wercken u n d Von Erfillung deß Gesetzes. Wobei die Unmöglichkeit der vollkommenen Gesetzeserfullung erneut auf den gerechtm a c h e n d e n Glauben verweist, wie auch auf das 6. Hauptstück Vom Predig Ampt/ vnd dem H. Evangelio, in dem auch die Beichte ihren O r t hat. D i e Vero r t u n g der Aussagen über die Sünde an dieser Stelle des 4. Hauptstückes spiegelt die vorherrschende Definition von Sünde wider: Sünde ist das Abweichen von den G e b o t e n Gottes: Die Su[e]nd ist eine Abweichung vom Gesetz Gottes/ dardurch GOtt wird beleidiget/ vnd verursacht/ selbige mit ernstlicher Straff vnd Räch anzusehen.601 Ergänzend m u ß , w e n n nach der Verankerung des Themas von R e c h t f e r t i gung u n d Heiligung gefragt ist, das erste Hauptstück von der Taufe hinzugezogen werden. Wagner folgt hier der Reihenfolge des Katechismus von J o h a n nes Brenz u n d stellt die Taufe — anders als Luther — allen übrigen H a u p t s t ü k ken voran. Damit macht er auch formal deutlich, daß das ganze Leben unter der Taufe u n d damit unter Gottes neues Leben schaffendem H a n d e l n steht. D u r c h die Taufe werden d e m Getauften die von Christus erworbenen Gutthaten zugeeignet, der so wiedergeborene Mensch erhält die Kindschaft Gottes u n d damit die Erbschaft des ewigen Lebens. 6 0 2 Dies hat auch Konsequenzen für die Ethik, denn soll die Taufe ein jmmerwehrendes Denckmal deß waaren Christenthumbs sein, dann muß sich der Mensch vor wissentlichen / groben/ vorsetzlichen Su[e]nden [...] hu[e]ten/ vnd den Bund seiner Heiligen Taujf Gewissenloß nicht [...] vbertreten [... j. 6 0 3 Theoretisch wird hier erneut der unverbrüchliche Z u s a m 598

WAGNER: C o m p e n d i u m T. 1, S. 216. WAGNER: C o m p e n d i u m T. 1, S. 217. 600 Vgl. z u m folgenden WAGNER: C o m p e n d i u m T. 1, S. 360 ff. 601 WAGNER: C o m p e n d i u m T. 1, S. 346. 602 WAGNER: C o m p e n d i u m T. 1, S. 62 faßt dies mit den W o r t e n Luthers, der nach d e m N u t z e n der Taufe fragt, zusammen: Sie wu[e]rcket Vergebung der Su[e]nden/ erlo[e]set vom Todt vnd Teuffei/ vnd gibt die Ewige Seeligkeit/ allen die es glauben/ [...]. 603 WAGNER: C o m p e n d i u m T. 1, S. 63. 599

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der lutherisch-orthodoxen

Lehre

m e n h a n g von Z u s p r u c h u n d Anspruch im Rechtfertigungshandeln Gottes formuliert. Im 5. Hauptstück geht es neben der Darlegung des rechten Abendmahlsverständnisses auch u m die Bestimmung des Verhältnisses von R e c h t f e r t i g u n g u n d Heiligung. Luther hat dieses Verhältnis so bestimmt, daß die Vergebung der Sünden bereits das neue Leben im H o r i z o n t ewigen Heils ist. U n d genau daran schließt sich Wagner an, w e n n er den N u t z e n des Abendmahls wie folgt bestimmt: Vnd (perstehe Christus) vergwisst vns damit/ daß wir haben Vergebung der Su[e]nden/ vnd ein ewiges Leben.604 Das 3. Hauptstück zielt weniger auf ein einzelnes Lehrstück, vielmehr ist hier, wie im ersten Glaubensartikel, in d e m Aussagen über Schöpfung u n d Anthropologie gemacht werden, sowie in der ersten Tafel des Dekaloges, in der das Verhalten des Menschen gegenüber Gott geregelt wird, das umfassende christliche Weltverständnis deutlich z u m Ausdruck gebracht. 6 0 5 Gott hat das Gebet geboten u n d an es zugleich die Verheißung geknüpft, den Bittenden zu erhören. Alle Gutthaten, die des Leibes und die der Seele, sollen von Gott erbeten werden, [...] / weil wir Menschen alle miteinander blutarme Creaturen seyn: von vns selbsten das wenigste nicht haben/ [...].606 D e r Mensch soll geistliche, zur Seligkeit notwendige Gaben (wahrer Glaube, Beständigkeit im Glauben, G e duld im Kreuz etc.) von Gott erbitten, weil sie Gott nicht nur o h n e Bedingung zu geben verheißt, sondern zudem mit einem Eid bekräftigt hat, keinen Gefallen am Tod des Gottlosen zu haben. Leibliche Gaben soll der Mensch mit der Bedingung des Willens Gottes erbeten, da der Mensch oft nicht weiß, ob sie i h m schaden oder nützen. 6 0 7 Damit zeigt die Lehre v o m Gebet u n d der A n r u f u n g Gottes, [...] / daß wir Menschen alle miteinander/ vom Vntersten biß zum Obersten/ vor GOtt Bettler seyn/ als die wir alles von GOtt haben/ vnd von seiner Hand nehmen/ beedes an Seel vnd an Leib [...].60S Die Bedürftigkeit an Leib u n d Seele ist in diesem Leben groß und, wie Wagner betont, n e h m e n besonders in der letzten Zeit die Trübsale überhand. Dies wertet er traditionell als Hinweis auf den nahe bevorstehenden Jüngsten Tag. Im Kontext von Leiden undTrübsalen dieser Welt m u ß ein Aspekt der Christologie genannt w e r den, dessen Lehrgestaltung sogar innerhalb der lutherisch-orthodoxen T h e o logie bis in die 30er Jahre des 17. Jahrhunderts Gegenstand auch innerlutherischer Kontroversen war, die Zweinaturenlehre. 6 0 9 Hier galt es, die Einheit WAGNER: C o m p e n d i u m T. 1, S. 3 8 2 . ANDREAE: P r e d i g t ü b e r M t 2 4 , [G 4 ] R -H 2 R . A u s d i e s e m G r u n d e s i n d d i e s e f ü r das a l l g e m e i n e V e r s t ä n d n i s des W e l t - u n d M e n schenbildes der lutherischen O r t h o d o x i e essentiellen Aussagen z u s a m m e n f a s s e n d der A b h a n d l u n g ü b e r d i e t h e o l o g i s c h e n u n d s o z i a l e n A s p e k t e v o r a n g e s t e l l t , vgl. o b e n C . D i e P r a x i s d e r P r e d i g t , S. 5 1 - 7 0 . 6 0 6 WAGNER: C o m p e n d i u m T. 1, S. 2 2 8 . 6 0 7 WAGNER: C o m p e n d i u m T. 1, S. 2 2 9 . 6 0 8 WAGNER: C o m p e n d i u m T. 1, S. 2 3 0 f. u n d S. 1 0 4 ff. 609 V g l . BAUR: A u f d e m W e g z u r klassischen T ü b i n g e r C h r i s t o l o g i e , S. 195—269. 6 1 0 WAGNER: C o m p e n d i u m T. 1, S. 106: [...] vnd bist versichert/ daß Christus so u/ol 604

6Cb

Der

Katechismus

183

Christi zu wahren. Gemeinsam versuchten die Theologen der lutherischen Orthodoxie gegenüber der calvinistischen Seite deutlich zu machen, daß durch die Passion Christi — gerade auch in seiner menschlichen Natur — dem Menschen die Nähe Gottes versichert ist. 610 Gott hat sich in Christus die B e dingungen der Menschen zueigen gemacht, er überläßt den Menschen nicht seinem Schicksal. Im Glauben kann sich der Mensch der Nähe Gottes gewiß sein. 611 Ein weiterer Themenkomplex, der in besonderem Maße zur Legitimation der lutherisch-orthodoxen Lehre diente, war die Eschatologie. Verankert ist dieser Bereich innerhalb des zweiten und dritten Hauptstückes. Dort, in unmittelbarer Nachbarschaft zu den Ausagen über Christi Person und Amt, erläutert Wagner die T h e m e n von Auferstehung, Gericht, ewigem Leben und Hölle, sowie der Gnadenwahl zum ewigen Leben. D e r ganze Komplex wird — wie oben gezeigt — von einem Abschnitt über den gerechtmachenden Glauben abgeschlossen. Alles Leben — orientiert am Dekalog — ist als vor Christus zu verantwortende Existenz zu verstehen; jeder einzelne muß im Jüngsten Gericht Rechenschaft über sein Leben abgelegen, wobei dort eine irreversible Entscheidung gefällt werden wird, die keine Möglichkeit zur Sühne einräumt. 612 Die Möglichkeit des zweifachen Ausgangs — Heil oder Unheil — der Lebensgeschichte des einzelnen wie der Menschheitsgeschichte als ganze markiert j e n e n Punkt, den die Welt bei all ihrem Handeln stets vor Augen haben soll. Die Möglichkeit des doppelten Ausgangs ist auch Ausdruck der inneren Spannung des Rechtfertigungsglaubens. Ernst und Verantwortlichkeit der menschlichen Entscheidung und der Glaube an das göttliche Gnadenhandeln heben einander nicht auf. Diese Darlegungen zeigen deutlich, daß im Bereich der Predigtliteratur der Unterschied zwischen Predigt und Theologie nicht als Defizit gewertet werGOtt/ als Mensch/ so wol Mensch als GOtt/ vnd also die gantze Person/fu[e]r dich hab gelitten/ fu[e]r dich sey gestorben/ dein Hoher Priester vnd Ko[e]nig sey gegenwa[e]rtig/ Allma[e]chtig bey dir in aller Noth/ [...]. HEERBRAND: Kirchentestament, S. 3 0 4 : Sollen derhalben dise Caluinistische Lehr/ von dem abwesenden Leib Christi [im Abendmahl] / fliehen vn[d] meiden. Dann dardurch wu[e]rdt vns der gro[e]ste Trost genommen/ wann wir in angst/gefahr/ not/ ja in Todes no[e]ten kommen/ da wir vnsers HErrn Christi Hu[e]lff am allermeisten bedu[e]rffen/ so were er nicht bey vns auff Erden/ sonder sesse droben auff der blauen Bine/ an einem gewissen ort gebunde[n] / wu[e]ste nichts von/ oder vmb vns/ neme sich vnserer Not nit an/ was were vns da geholffen? Nein/ Nein/ Nein/ mir nicht diß Christi/ sagt D. Luther/ der nur allein Gott/ vn[d] an allen andern orten allein Gott/ vnd nicht Mensch/ vnd also ein halber vnd zertrennter Christus/ [ . . . ] . Vgl. auch ebd. S. 3 0 0 . Interessanterweise werden von W a g n e r hier nur Calvinisten u n d Jesuiten in der t h e o l o g i s c h e n Kontroverse berücksichtigt. Für Andreae war diese A u s einandersetzung kein T h e m a für den Laien, den er m i t seinen Katechismuspredigten e r reichen wollte. Für den Laien sind einzig die Gutthaten Christi von B e d e u t u n g . Gerade in einer Phase konfessioneller Auseinandersetzung geht es Andreae — u n t e r V e r m e i d u n g k o n fessioneller P o l e m i k — u m die allgemeine Vermittlung christlicher G r u n d w a h r h e i t e n . 6 1 1 ANDREAE: Predigten in Lauingen, S. X L I r . 6 1 2 ANDREAE: Predigten in Lauingen, S. X X X I P .

184

Die Legitimation

der lutherisch-orthodoxen

Lehre

den kann. Die aus der Flugschriftenforschung gewonnene These Blickles läßt sich nicht auf den Bereich der Predigtliteratur übertragen. Vielmehr muß hier festgehalten werden, daß die theologischen Grundgedanken der Predigt den Leitgedanken der systematischen Theologie entsprechen. D e r zu beobachtende Unterschied kommt dadurch zustande, daß die Predigten Grundpositionen darlegen und systematisch-theologische Debatten, inner- wie interkonfessioneller Art, vermeiden, was zugleich j e d o c h Polemik — bezogen auf die jeweiligen Grundpositionen — nicht ausschließt und auch aus Gründen der Selbstbehauptung nicht ausgrenzen kann. In den Predigten treffen idealiter die für den Laien verständliche Reduktion des theologischen Wissens, das ihm zudem aus dem Katechismus bekannt ist, und die Intention der Theologen, den komplexen Stoff in Grundzügen so zu vermitteln, daß er zur Lebensgestaltung anleiten kann, zusammen. D e n n das zeigen — von einigen Ausnahmen abgesehen — die Predigten: die Prediger wußten sehr wohl zwischen Kanzel und Katheder zu unterscheiden. 6 1 3 Durch die Reduktion wird die Lehre nicht verkürzt oder verfälscht; die Fundamentalartikel treten deutlich zutage. Ebel ist bei der Analyse einiger Predigten von Jacob Andreae zu ähnlichen Ergebnissen gelangt. Es ist j e d o c h nicht richtig, das Ausklammern von systematisch-theologischen Schwierigkeiten als eine gewisse Ignoranz gegenüber dem von den Theologen zum Problem Erhobenen zu werten. 6 1 4 Sicher läßt sich vieles, worüber in den Schulen gestritten wird, auf die Grundlage des Katechismus rückbeziehen. Diese Simplifikation, vorgenommen für allgemeinverständlich formulierte Lehrvorträge, besagt j a nicht, daß die Lehrstreitigkeit zur Privatsache einiger weniger gelehrter Theologen gemacht werden soll. D e n n positiv ist damit nichts anderes ausgesagt, als daß die reinen Schulstreitigkeiten für die Ebene der »einfachen Pastoren und Laien« eben nicht von Belang zu sein brauchten. 6 1 5 So die Einschätzung der gelehrten Theologen selbst; sie unterschieden genau zwischen den verschiedenen Ebenen der Theologie. U n d wenden sich die T h e o logen in innerkonfessionellen Lehrstreitigkeiten doch einmal an ihre Hörer, so geschieht auch das unter Zuhilfenahme des Katechismus.

6 1 3 ANDREAE: Passional Christi, S. 46 r : Vermahnung an die Kirchendiener, keine hohe gelehrte Kunst auf der Kanzel zu erweisen, sondern einfa[e]ltig zu predigen. WAGNER: Evangelien-Postille 1, S. 32 fordert, keine Kontroverstheologie in der Predigt zu treiben. WAGNER: Zwei Sonderbare Predigten, S. 53 fordert, keine affektierten hohen Worte zu gebrauchen, sondern bei der göttlichen Einfalt christlicher Religion zu bleiben. 6 , 4 So EBEL: Jacob Andreae, S. 103. 6 1 3 Vgl. ANDREAE: Sechs Predigten. Hier sollen, wie schon aus dem Titel hervorgeht, Pastoren und Laien besonders über j e n e Lehrstreitigkeiten unterrichtet werden, die unter den CA-Verwandten diskutiert werden. Ein derartiges Vorhaben versteht sich aus der A b sicht heraus, in welcher Andreae diese Texte verfaßte: Sie sind gleichsam als »Werbetext« konzipiert, mit denen über die Hörer Druck auf j e n e Theologen ausgeübt werden sollte, die sich einer gleichförmige[n] Lehr bislang versagten (ebd., S. 1 f.). Vgl. EBEL: Jacob Andreae, S. 103 f.

Der

Katechismus

185

Sieht man also von den reinen Lehrpredigten 6 1 6 einmal ab, so ergibt sich nach quantitativer Durchsicht aller Predigten, nicht nur der spezifischen Katechismuspredigten, daß die Lehre, die dort vermittelt wird, sich stets auf die katechetische G r u n d l e g u n g beziehen läßt. Häufig wird in den Predigten ausdrücklich darauf hingewiesen, daß sich die Predigt mit d e m Stoff eines der sechs Hauptstücke christlicher Lehre beschäftigt: [...] Zu welchem Hauptstuck deß Catechismi die proposition der Predig geho[e]r/ wie sie gemeiniglich von mir/ dem Pfarrer/ im Eingang wird gezeigt/ vnd nahmhafft gemacht/ wo der vorhabende Text vnd Materi im Catechismo zufinden.m Wenn es d a r u m geht, Lehrstücke in der Predigt zu vermitteln, wird bei ihrer Erläuterung zumeist auf den bei den H ö rern als bekannt vorausgesetzten Katechismus zurückgegriffen, nicht direkt auf theologische Loci. 6 1 8 D e r Dekalog, das Glaubensbekenntnis u n d das Vaterunser sollten zudem v o m Pfarrer nach der sonntäglichen Kanzel herunter vorgesprochen werden. 6 1 9 Selbstverständlich ist dieses katechetische Grundwissen in der systematischen Theologie, wie sie zusammengefaßt in den K o m p e n d i e n vorliegt, verankert. Auch w e n n in der homiletischen T h e o r i e der lutherischen O r t h o d o x i e die Lokalmethode propagiert wird, hat sich bei der Lektüre der Predigten nicht bestätigen lassen, daß es in der Predigt darauf ankommt, in dem Text die dogmatischen loci herauszuarbeiten.620 D i e Predigtpraxis zeigt, daß die überwiegende Anzahl der Predigten lebensnäheren Kriterien folgte u n d ver-

616 Ein typisches Beispiel f ü r innerkonfessionelle L e h r p r e d i g t e n bilden die Sechs Predigten die J a c o b A n d r e a e i m A n h a n g zu seinen die interkonfessionellen Streitigkeiten b e h a n d e l n d e n Dreiunddreißig Predigten veröffentlich hat. D o r t w e r d e n z e h n P u n k t e zur S p r a che g e b r a c h t , die die s o g e n a n n t e n CA-Verwandten trennen. 617 WAGNER: C o m p e n d i u m T. 1, S. 31. WAGNER: Epistel-Postille 1, V o r r e d e : In der P r e d i g t sollen die F u n d a m e n t e der Glaubensartikel gelegt w e r d e n . G a n z p r o g r a m m a t i s c h ist a u c h der Titel der B u ß p r e d i g t e n Pregitzers: Darinnen die gantze Lehre von der Wahren Christlichen Büß/ vnd wahrem Christenthumh/ einfa[e]ltig vnd kurtz begriffen/ vnd zugleich der rechte Gebrauch alles vnd jeder Stuck deß Christlichen Catechismi geweiset wu[e]rdt/ [...]. 6,8 D i e Z ä h l u n g der H a u p t s t ü c k e folgt d e r R e i h e n f o l g e des K a t e c h i s m u s v o n J o h a n nes B r e n z , da dieser d e r seit 1 5 3 4 in W ü r t t e m b e r g m a ß g e b l i c h e w a r u n d w e i l seine R e i henfolge auch d e m 1696 e i n g e f ü h r t e n W ü r t t e m b e r g i s c h e n Katechismus zugrundegelegt w u r d e : T a u f e - C r e d o - D e k a l o g - A b e n d m a h l - A m t der Schlüssel. D i e s e R e i h e n f o l g e findet sich a u c h b e i d e n L i e d e r n z u m K a t e c h i s m u s in d e n w ü r t t e m b e r g i s c h e n G e s a n g b ü c h e r n . D i e m e i s t e n L i e d e r dieses Teiles sind v o n L u t h e r v e r f a ß t w o r d e n ; vgl. z. B. W ü r t t e m b e r gisches G e s a n g b u c h (1591), h i e r s t a m m e n sechs v o n d r e i z e h n L i e d e r n aus d e r F e d e r L u t h e r s , ein siebtes ist v o n L u t h e r verbessert w o r d e n (ebd., S. 124). Vgl. d a z u o b e n A n m . 5 5 6 . Vgl. d a z u a u c h KRUMMACHER: D e r j u n g e G r y p h i u s u n d die T r a d i t i o n , S. 65 fF. 619 Vgl. KOLB: G e s c h i c h t e des Gottesdienstes in der evangelischen K i r c h e in W ü r t t e m berg, S. 135. Ü b r i g e n s in dieser R e i h e n f o l g e des l u t h e r i s c h e n n i c h t des w ü r t t e m b e r g i schen Katechismus. W i e lange das Verlesen des Katechismus b e i b e h a l t e n w u r d e , läßt sich n i c h t exakt feststellen; es w u r d e w o h l m i t E i n f u h r u n g der S o n n t a g n a c h m i t t ä g l i c h e n K a t e c h i s m u s p r e d i g t e n hinfällig (vgl. ebd., S. 138 A n m . 1). 620 So ALFRED NIEBERGALL: D i e G e s c h i c h t e der christlichen Predigt. In: Leiturgia 2

( 1 9 5 5 ) , S. 1 8 2 - 3 5 2 , b e s . S. 2 5 7 - 3 0 5 , h i e r S.

291.

186

Die Legitimation

der lutherisch-orthodoxen

Lehre

suchte, das Wissen u n d die lebensweltliche Erfahrung der H ö r e r mit einzubeziehen u n d mit diesen G r ö ß e n in Austausch zu treten. In diesen Kontext paßt auch die B e t o n u n g der Ubereinstimmung der biblischen Bücher mit den sechs Hauptstücken. 6 2 1 Hierin ist wohl auch die Tatsache begründet, daß zur Erläuterung der Lehre auf biblische, vor allem alttestamentliche Beispiele zurückgegriffen wird, w e n n das Handeln Gottes in der Welt erklärt werden soll. Gleichzeitig besteht hier ein weiterer Z u s a m m e n h a n g mit der Flugschriftenliteratur. Das dort propagandistisch geforderte Schriftprinzip findet in den biblischen Beispielen seine direkte Entsprechung. Im Unterschied zu den beiden anderen Schwerpunkten der Flugschriftenliteratur, die explizit thematisiert werden, scheint das Schriftprinzip in erster Linie implizit auf der Beispielebene verwirklicht. Ausdrückliche E r w ä h n u n g findet es beispielsweise in der Einleitung in die Wagnersche Haus-Vbung u n d verständlicherweise in Heerbrands Kirchentestament, der seine Ausfuhrungen mit einem Abschnitt Von der heiligen Go[e]ttlichen Schrifft einleitet. Simon Saccus verweist in anderen Kontext - bei der Verteidigung der Beibehaltung der alten Perikopenordnung durch die Lutheraner u. a. darauf, daß die Väter u n d Präzeptoren, nämlich Luther, Melanchthon u n d andere damit eine sehr schöne und gute Ordnung gehalten haben. 6 2 2 Er erwähnt im gleichen Z u s a m m e n h a n g aber auch das folgende: Alle Euangelia können auf den Katechismum gezogen werden. Die Texte sollen alle Jahre wiederholt werden, auf daß neben dem Katechismo auch die Predigten des Herrn Christi und der heiligen Apostel als Auslegung und Erklärung des Katechismi behalten und dem Volke besser eingegeprägt werde. Dies unterstreicht ein weiteres Mal den engen zeitgenössischen Bezug zwischen Predigt und Katechismus. Die in den Predigten v o r g e n o m m e n e ethische Grundlegung, die v o r n e h m lich anhand des Dekaloges erfolgt u n d somit ebenso wie die theologische Fundierung der lutherisch-othodoxen Lehre ihren Kulminationspunkt im Katechismus erreicht, wird im Kapitel über das Leben im Alltag der Welt ausfuhrlich dargelegt werden. Zunächst soll nur festgehalten werden, daß sich die E r läuterung des Dekalogs als Erhaltungsethik erweist, die die Schöpfung vor A n archie u n d stets drohender Vernichtung bewahren u n d so zur Lebenserhaltung beitragen will. 623 621 ANDREAE: P r e d i g t e n in H a g e n a u , S. 173 ff. P r o g r a m m a t i s c h zeigt dies die einleit e n d e T h e s e zur 10. Predigt in ANDREAE: P r e d i g t e n in H a g e n a u , S. 173: [...] das in der gantzen Bibel/ das ist/ in alllen Bu[e]chern/ des alten vnd newen Testaments/ nicht anders dann der Catechismus/ das ist/ die sechs Hauptstucke Christlicher Lehr/ gehandelt werden. In dieser Predigt w i r d eine Z u o r d n u n g der Biblischen B ü c h e r zu d e n H a u p t s t ü c k e n v o r g e n o m m e n , z. B.: B u c h der W e i s h e i t / 1. G e b o t ; l . T o b / 4. G e b o t ; Sir/ D e k a l o g . 622 Vgl a u c h z u m f o l g e n d e n WALTER CASPARI: A r t . P e r i k o p e n . In: R E 15 (1904 3 ), S. 1 3 1 - 1 5 9 , hier S. 151 f. 623 So s c h o n L u t h e r bei der A u s l e g u n g des 2. G e b o t s i m G r o ß e n u n d K l e i n e n K a t e chismus. Vgl. BOCKMÜHL: Gesetz, S. 60 f.

Der Katechismus

187

Diese exponierte Stellung des Katechismus als S u m m a christlicher Lehre macht deutlich, daß es den Predigern neben der pointierten Konfessionalisierung auch u m eine allgemeine »Christianisierung« der Gesellschaft geht. D i e Einschätzung von E.Troeltsch, der den Katechismus als das Grundbuch lutherischer Ethik wertete, m u ß nach der Lektüre der Predigten ausgeweitet werden auf die dogmatische Seite: D e r Katechismus ist das Grundbuch für L e ben und Lehre in der Z e i t der lutherischen O r t h o d o x i e , für E t h i k und D o g matik in der Hand des Laien, zudem — über Predigten erschlossen — auch fiir illiterate Bevölkerungsgruppen. I m Kapitel über das Leben im Alltag der Welt wird sich zeigen müssen, o b das pauschale Urteil über den gesamten Katechismus als ein G r u n d b u c h lutherischer E t h i k sich so bestätigen läßt oder o b hier nicht eine Einschränkung vorg e n o m m e n werden muß, die im Dekalog das eigentliche G r u n d b u c h sieht. D e n n gerade in dem M a ß e , in dem die dogmatische U m m a n t e l u n g des D e k a logs zurücktritt, wird der W e g frei in eine neue Gesetzlichkeit. U n d das, o b wohl gerade in W ü r t t e m b e r g der Dekalog bis hin zum W ü r t t e m b e r g i s c h e n Katechismus von 1 6 9 6 seine Postion innerhalb der Hauptstücke nicht verändert. Dies kann als äußeres Z e i c h e n dafür gelten, daß im kirchlichen L e h r buch formal die dogmatische Einbettung der E t h i k beibehalten wurde, die in der Praxis der Predigt so nicht durchgehalten wird.

III. Dimensionen

des Alltags in der Frühen

Neuzeit

1. Leben im Alltag der Welt 1.1 Der Lebensbereich des Hauses 1.1.1 Heirat und Ehe: Zum Verhältnis der Geschlechter Absolut unbestritten im B e r e i c h der sozialgeschichtlichen Forschung ist die Erkenntnis, daß das Haus das zentrale Strukturmerkmal der frühneuzeitlichen Gesellschaft schlechthin bildet. 1 Das gilt sowohl für den bäuerlichen Haushalt, 1 Die neueste Darstellung zu diesem Thema vgl. R I C H A R D VAN D Ü L M E N : Kultur und Alltag in der Frühen Neuzeit. Bd. 1 : Das Haus und seine Menschen 1 6 . - 1 8 . Jahrhundert. München 1 9 9 0 . Hier auch die neueste Literatur. R U D O L F L E N Z : De mortuis nil nisi bene? Leichenpredigten als multidisziplinäre Quelle (Marburger Personalschriften-Forschungen, Bd. 1 0 ) . Sigmaringen 1 9 9 0 , S. 4 3 - 4 9 zur Genese der Begriffe »Haus« und »Familie«. H A G E N M A I E R : Predigt und Policey, S. 1 7 2 - 2 4 6 . W I N F R I E D F R E I T A G : Haushalt und Familie in traditionalen Gesellschaften. Konzepte, Probleme und Perspektiven der Forschung. In: Geschichte und Gesellschaft 1 4 ( 1 9 8 8 ) , S. 5 - 3 7 . Einen Überblick über den Forschungsstand bieten K A R I N H A U S E N : Familie als Gegenstand der historischen Sozialwissenschaft. Bemerkungen zu einer Forschungsstrategie. In: Geschichte und Gesellschaft 1, 1975, S. 1 7 1 — 2 0 9 und D I E T H E L M K L I P P E L : Entstehung und Strukturwandel der modernen Fami-

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Dimensionen

des Alltags in der Frühen

Neuzeit

wie für die Haushalte der Handwerker und Kaufleute, aber ebenso auch für das adlige Haus. Die strukturelle Einheit des jeweiligen Hauses hing j e d o c h von der Lebenswelt ab, in die es eingebettet war. So mußte sich der bäuerliche Arbeitsrhythmus selbstverständlich am Jahreslauf der Natur orientieren, während dies beispielshalber fiir den Handwerker weniger eine R o l l e spielte. Das »ideale« Haus konnte es deshalb nicht geben. Die Arbeitsorganisation, die bei den nichtadligen Haushalten zumeist Produktion und Wohnen unter einem Dach vereinigte, bestimmte nachhaltig das Leben im Haus. Diese Einheit war im bäuerlichen Haushalt zweifellos am engsten und intensivsten; sie lockerte sich bei Handwerker- und Kaufmannshäusern. D e r bäuerliche und der handwerkliche Haushalt bemühten sich in erster Linie um die Wahrung des Besitzstandes; notwendig werdende repräsentative Aufgaben des Kaufmannshauses hatten eine zunehmende Orientierung am Profit zur Folge. Das adlige Haus, von repäsentativen Aufgaben abgesehen, unterschied sich häufig kaum von großbäuerlichen Betrieben. Die Größe des Hauses und vor allem das Personal erlaubten es jedoch, sich auch unproduktiven Beschäftigungen zu widmen. Diese von der Forschung übereinstimmend hervorgehobene umfassende Bedeutung des Hauses spiegelt sich auch in der großen Materialfülle der Predigten der Tübinger Professoren zu diesem T h e m a wider. Eigentlich alle Prediger des Untersuchungszeitraumes haben diesem T h e m a breiten R a u m eingeräumt. W i e sie sich »Leben im Alltag der Welt« vorstellten, nach welchen N o r m e n und Verhaltensweisen ihrer Auffassung nach Alltag gestaltet werden sollte, soll im folgenden dargestellt werden.

lie. Neuere Forschungen zur Sozialgeschichte der Familie. In: Zeitschrift für gesellschaftliches Familienrecht 1978, S. 5 5 8 - 5 6 6 und 1984, S. 1 1 7 9 - 1 1 8 8 . MICHAEL MITTERAUER und REINHOLD SIEDER:Vom Patriarchat zur Partnerschaft. Zum Strukturwandel der Familie. M ü n c h e n

1 9 8 4 3 . MICHAEL M I T T E R A U E R u n d REINHOLD SIEDER ( H r s g ) : H i s t o r i s c h e

Fa-

milienforschung. Frankfurt/M. 1982. ERNST HINRICHS: Einfuhrung in die Geschichte der Frühen Neuzeit. München 1980, S. 2 9 - 4 6 . MICHAEL MITTERAUER: Grundtypen alteuropäischer Sozialformen. Haus und Gemeinde in vorindustriellen Gesellschaften. Stuttgart, Bad Cannstatt 1979. OTTO BRUNNER:Vom »ganzen Haus« zur »Familie«. In: Heidi R o s e n baum (Hrsg.): Seminar: Familie und Gesellschaftsstruktur. Frankfurt/M. 1978, S. 8 3 - 9 1 . LAWRENCE STONE: T h e family, sex and marriage in England 1 5 0 0 - 1 8 0 0 . London 1977. DIETER SCHWAB: Art. Familie. In: Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland. Bd. 2 (1975), S. 2 5 3 - 3 0 1 . OTTO BRUNNER: Das »ganze Haus« und die alteuropäische »Ökonomik«. In: Otto Brunner (Hrsg.): Neue Wege derVerfassungs- und Sozialgeschichte. Göttingen 1968 2 , S. 1 0 3 - 1 2 7 . ERNST WALTER ZEEDEN: Deutsche Kultur in der Frühen Neuzeit (Handbuch der Kulturgeschichte, Abteilung 1). Frankfurt/M. 1968, S. 1 8 3 - 2 0 9 .

Heirat und Ehe: Zum Verhältnis der

Geschlechter

189

Das Haus machte den frühneuzeitlichen Menschen zu einem anerkannten Mitglied der Gesellschaft. 2 D e r Hausgründung ging die Eheschließung voraus, die eine Lebensgemeinschaft begründete. 3 In den Württembergischen Summarien werden drei Stücke von den zukünftigen Eheleuten erfordert: Gottesfurcht, gottseliger Wandel, fleißige Arbeit. 4 Gottesfurcht wird in diesem Zusammenhang erklärt als das Erkennen Gottes, seines Wesens, Willens, Amtes und seiner Guttaten aus seinem Wort. Darunter verstehen die Interpreten auch, daß es göttlicher Ordnung gemäß ist, wenn die Eltern, bzw. deren Vertreter, ihre Kinder verheiraten. Gottseliger Wandel wird verstanden als das Ausrichten des Lebens nach den beiden Tafeln des Dekaloges: [...], in reiner Liehe Gottes, ihrer selbst untereinander, und ihres neben Menschen, from[m], friedfertig, keusch, zu[e]chtig, aufrichtig und redlich, darbey ihren Willen in Gottes Rath und Willen ergeben, und mit allem vor lieb nehmen, was ihnen GOtt im Ehestand zuschicket, wenn es schon nicht allezeit nach ihres Hertzens Wunsch [...] daher gehet, denn sie wissen, daß Gottes Wege nicht ihre Wege sind [...]. Fleißige Arbeit zu leisten, ist nur dem möglich, der einen ehrlichen B e r u f erlernt hat. E r hat sich bei seiner Arbeit erneut an den N o r m e n des Dekaloges zu orientieren. 5 Auch das Beispiel des Erzvaters Jakob kann — einmal abgesehen von seinen vier Frauen — als ein löbliches Exempel für zukünfige Eheleute hingestellt werden. Sie sollen nämlich darauf sehen, [...], daß sie ihren Eltern und Befreundten in die La[e]nge nicht u[e]berla[e]stig seyn, das Messer auff einen anderen Tisch legen, unterdessen ihre zeit mit mu[e]ßig gehen, spatzieren, Lust und Kurtzweil u[e]ber dem Brod ihrer Eltern nicht zubringen, sondern ein eigen Hauswesen anstellen, darinnen ihr eigen Brod essen, und sich und ihre Hausgenossen mit eigener Nahrung versor-

2 Vgl. VAN DÜLMEN: Kultur und Alltag, S. 14 und S. 1 5 6 - 1 5 9 . Vgl. zum folgenden RICHARD VAN DÜLMEN: Fest der Liebe. Heirat und Ehe in der frühen Neuzeit. In: Richard van Dülmen (Hrsg.): Armut, Liebe, Ehre. Studien zur historischen Kulturforschung.

F r a n k f u r t / M . 1 9 8 8 , S. 6 7 - 1 0 6 . 3 JULIUS HOFFMANN: Die »Hausväterliteratur« und die »Predigten über den christlichen Hausstand«. Lehre vom Hause und Bildung für das häusliche Leben im 16., 17. und 18. Jhdt. Weinheim, Berlin 1959, S. 112. REINHARD SIEDER: Ehe, Fortpflanzung und Sexualität. In: Michael Mitterauer und Reinhold Sieder (Hrsg.): Vom Patriarchat zur Partnerschaft, S. 1 4 1 - 1 6 1 . Zu Luthers Auffassung von Ehe und Familie vgl. HANS HATTENHAUER: Luthers Bedeutung für Ehe und Familie. In: Hartmut Löwe und Claus-Jürgen R o e p k e (Hrsg.): Luther und die Folgen. Beiträge zur sozialgeschichtlichen Bedeutung der lutherischen Reformation. München 1983, S. 8 6 - 1 0 9 . RUBLACK: Lutherische Predigt und gesellschaftliche Wirklichkeiten, S. 354. 4 Vgl. zum folgenden SUMMARIEN 1, S. 1 6 0 3 - 1 6 0 5 . 5 SUMMARIEN III, S. 1605: Nicht dem Mu[ejßiggang nachgehen, sondern strenge arbeiten, nicht in ein fremd Amt greiffen, sondern das ihrige schaffen, nicht mit anderer Leute Schweiß und Blut, mit stehlen, rauben, geitzen, wuchern, aussagen, u[e]bervortheilen, noch mit unno[e]thigem betteln sich nehren, oder bereichern, sondern ihre Ha[e]nde und Kopff daran strecken, ihre Arbeit willig undfro[e]lich verrichten, [•••].

190

Dimensionen

des Alltags in der Frühen

Neuzeit

gen sollen, denn eben um der eigenen Haushaltung willen, wird der Mensch seinen Vater und Mutter verlassen, und seinem Weibe anhangen, [...] Hierzu aber zu gelangen, ist vonno[e]then, daß einer zuvor etwas redliches gelernet, oder in anderer Leute Diensten mit treuem Fleiß etwas zuwege gebracht habe, daß er von demselbigen eine eigene Haushaltung anfangen, und mit getreuer Zuasmmensetzung des weiblichen Einbringens dieselbige mehren mo[e]ge.6 Sind diese Voraussetzungen geschaffen, ist bei Antritt der Ehe darauf zu sehen, daß die zukünftigen Eheleute jhre Mannbare Jahr erreicht haben, was auf Seiten des Mannes voraussetzt, daß er weidlich1 und vernünftig ist, auf Seiten der Frau, daß sie ha[e]ußlich/ freundlich/ vernu[e]nfftig/ wolgezogen/ zu[e]chtig/ vnd besta[e]ndigen Gemu[e]ths ist. 8 Spätestens am dritten Tag nach dem Eheversprechen, so rät Wagner, soll die E h e vollzogen werden, auff daß die in angehender Liebes Flamm steckende Eheleutlein der Sathan nicht versuche/ vmb jhrer Vnkeuschheit willen/ [...]. Zuvor ist aber noch einmal auf die Gleichheit der Eheleute zu achten, besonders auf fromme/ Christliche/ Ehr- vnd Gottliebende Freundschafften.9 Es ist ein großer Vorteil für die Ehe, wenn sich die Partner selbst kennen und in der Nähe aufgewachsen sind. Wagner unterstützt das Sprichwort: nahe freyen/ vnd weit fragen.10 Nur dann ist gewährleistet, daß sich die künftigen Ehepartner über Tun und Lassen gegenseitig informieren konnten und so nicht auf mögliche Gerüchte angewiesen sind. Auch Pregitzer rät, sich bei der Heirat nicht auf Betrug einzulassen. Wichtiges und Namhaftes, wie irgendwelche Fehler und Mängel, sollen bei Werbungen und geplanten Heiraten nicht verschwiegen werden. 1 1 Jedoch soll ebenfalls nicht R e i c h t u m , Geld und Gut über Frombheit/ Gottes-Furcht/ Ehre/ vnd gutten Namen gestellt werden. 1 2 R e i c h t u m allein ist schließlich weder eine Garantie für ein langes Le6

SUMMARIEN I, S . 1 8 4 f.

Vgl. Art. weidlich. In: J a c o b und W i l h e l m G r i m m (Hrsg.): Deutsches W ö r t e r b u c h . B d . 2 8 ( 1 9 8 4 ) , Sp. 6 0 1 - 6 0 9 , bes. Sp. 6 0 4 : Weidlich wird zum allg. lob des »rechten Kerls«; zudem bezeichnet es die körperliche Stattlichkeit. Vgl. Art. weidlich. In: Schwäbisches W ö r terbuch. Bearbeitet von H e r m a n n Fischer, weitergeführt von W i l h e l m Pfleiderer. B d . 6,1 (1924), Sp. 5 0 8 f. B e i Personen steht weidlich in der Verwendung von stattlich, ausgezeichnet, frisch, wacker. 8 Vgl. zum folgenden WAGNER: Evangelien-Postille 1, S. 1 1 9 - 1 2 4 . Vgl. SUMMARIEN V, S. 2 3 8 f.:Tobias und Hanna (Tob 1) als das ideale Paar.Vgl. STEVEN OzMENT:When fathers ruled. Family life in reformation Europe. Cambrigde (Mass.), L o n d o n 1 9 8 3 , S. 50—68. 7

HOFFMANN: H a u s v ä t e r l i t e r a t u r , S . 8 7

ff.

HOFFMANN: Hausväterliteratur, S. 113. OZMENT: W h e n fathers ruled, S. 59. VAN DÜLMEN: Alltag und Kultur, S. 137. 1 0 WAGNER: Evangelien-Postille 1, S. 121. Vgl. allgemein zu diesem T h e m a ARTHUR E . IMHOF: D i e gewonnenen Jahre. Von der Z u n a h m e unserer Lebensspanne seit dreihundert Jahren oder: von der Notwendigkeit einer neuen Einstellung zu Leben und Sterben. M ü n c h e n 1 9 8 1 . ARTHUR E . IMHOF: D i e verlorenen Welten. Alltagsbewältigung durch u n sere Vorfahren - und weshalb wir uns heute so schwer damit tun. M ü n c h e n 1 9 8 4 . 9

11

PREGITZER: H o c h z e i t s p r e d i g t , S. 9 .

12

PREGITZER: H o c h z e i t s p r e d i g t ,

S . 9 f. SIGWART: L a s t e r - P r e d i g t e n ,

S. 59v.

SUMMARIEN

II, S. 8 1 : N i c h t auf Geld und Gut, sondern auf Tugend, Ehre, R e d l i c h k e i t , Tapferkeit,

Heirat und Ehe: Zum Verhältnis der Geschlechter

191

ben, n o c h für ein besseres u n d ruhigeres Leben; vielmehr kann gerade zeitliches G u t das Leben verkürzen. 1 3 Wenn Ehen vbei gerathen, trägt nicht Gott daran die Schuld, sondern die Menschen, die als Welt-Kinder sich entschieden haben u n d nicht auf Gottesfurcht u n d Frombheit gesehen haben, sondern auf R e i c h t u m , Geld u n d Gut: Wer das Gelt zum Weib nimpt/ dem wu[e]rdt ein bo[e]ß Weib zum Heyrath-Guth gegeben«, oder »[...] / es bekommet auch Eine einen Reichen Mann/ der aber Alles verschwindet/ schla[e]get jhr die Haut voll/ vnd ha[e]lt sie wie einen Hund.14 Beides, so Pregitzer, sei eine Strafe. Die Institution der Ehe selbst gehe, so Wagner, bis ins Paradies zurück und weise auf Gott als ihren Stifter. Bei der kirchlichen Z e r e m o n i e wird der E h e stand öffentlich geziehret u n d auf Gott als den Stifter u n d Erhalter des Ehestandes verwiesen. Die Predigt bei diesem Anlaß soll den angehenden Eheleuten zur Information gethan werden. Im Kirchgang wird das Verlöbnis öffentlich b e stätigt. 15 D e r kirchliche Segen sanktioniert nur ein schon zuvor durch das Eheversprechen rechtsgültig gewordenes Verhältnis. D u r c h den Segen wird deutlich, daß Gott ein Schutz vnd Handhaber deß H. Ehestands sein will. Dies bedeutet dann aber auch, daß die Gäste nicht mit u[e]bermachtem Pracht praviren/ vnd voll sich bey der Hochzeit sauffen/ tantzen/springen/ f.../.16 In der D e u t u n g der Ehe als von Gott eingesetzter Stand — der einzige Stand, der vor dem Sündenfall eingesezt wurde, wie Sigwart 17 betont — stimm e n alle Prediger überein. 1 8 Auch hinsichtlich des Elternkonsenses bei der Eheschließung ist eine weitgehende Ubereinstimmung festzustellen. 19 R e c h t lich benötigte ein Paar zur B e g r ü n d u n g einer E h e diesen Konsens nicht. 2 0 U m j e d o c h die soziale H a r m o n i e zu wahren, billigte man zumeist diesen Konsens u n d beobachtete seine Einhaltung. Ebenso wie alle Prediger übereinstimmen, daß vor der Heirat ein Beruf erlernt werden müsse, die künftigen Geschicklichkeit u n d G e s u n d h e i t a c h t e n . Vgl. VAN DÜLMEN: Alltag u n d Kultur, S. 137 f. 13 PREGITZER: H o c h z e i t s p r e d i g t , S. 10 f. SIGWART: Predigt v o m Vaterunser, S. 151 f.: R e i c h t u m b e s c h e r t kein ruhiges L e b e n ; häufig: m e h r Sorgen, K r a n k h e i t e n u n d s c h l e c h t e re E h e n . SIGWART: Lasterpredigten, S. 12v. 14

PREGITZER: H o c h z e i t s p r e d i g t , S. 2 1 . SUMMARIEN II, S.

81.

13

Vgl. z u m Verhältnis v o n E h e v e r s p r e c h e n , E h e s c h l i e ß u n g u n d T r a u u n g VAN DÜLMEN: Alltag u n d Kultur, S. 143 f. 16 Vgl. a u c h SIGWART: Lasterpredigten, S. 102R. WAGNER: Evangelien-Postille 1, S. 124: »keine ü b e r m a c h t e Pracht«. SUMMARIEN VI, S. 143. Z u d e n H o c h z e i t s f e i e r l i c h k e i t e n vgl. VAN DÜLMEN: A l l t a g u n d K u l t u r , S. 1 5 3 - 1 5 6 . 17

SIGWART: L a s t e r - P r e d i g t e n , S. 17 v . PREGITZER: H o c h z e i t s p r e d i g t , S. 1 4 .

18

HEERBRAND: Predigt v o n der E h e , S. B 3 rv . HEERBRAND: P r e d i g t v o n der K e u s c h h e i t ,

S. A 2 R . A N D R E A E : H o c h z e i t s p r e d i g t , S. [ A 4 ] R . P R E G I T Z E R : H o c h z e i t s p r e d i g t , 19

S.

14.

ANDREAE: H o c h z e i t s p r e d i g t , S. B3R: Er rät o h n e Vorwissen der E l t e r n nichts t u n , u m a u c h n a c h der E h e s c h l i e ß u n g n o c h freudigen vnd fro[e]lichen zutritt zu den Eltern zu h a b e n , u n d u m d e r e n R a t , Trost u n d H i l f e w e i t e r h i n versichert zu sein. HAFENREFFER: H o c h z e i t s p r e d i g t , S. 4 . SUMMARIEN I I I , S. 1 6 0 3 ff. 20

Vgl. VAN DÜLMEN: Alltag u n d Kultur, S. 136 f.

192

Dimensionen

des Alltags in der Frühen

Neuzeit

Eheleute also nicht in jungen Jahren heiraten sollen. Die jungen Leute sollen »züchtig, still zurückgezogen leben, treu und fleißig ihrem B e r u f aufwarten, dann wird ihnen Gott eine ehrliche Heirat bescheren«. 21 Gottesfurcht als k o n stituierendes Element wird ebenfalls durchgehend genannt. 2 2 Zu Werbung und Heirat merkt Pregitzer an, daß Eltern bzw. an ihrer Statt handelnde Personen, zwar vermittelnd bei der Verheiratung ihrer Kinder tätig werden sollen, aber eygendtlich darvon zu reden/ so geben sie einem weder Weib noch Mann. Werben ko[e]nden wol auch die Eltern/ aber nicht geben. Sonsten wu[e]rde ein Bauer seinem Sohn eine Ko[e]nigin/ Fu[e]rstin/ [...] geben [...] Ein Freu[o]nd kan dem andern Hauß vnd Guth vermachen: Aber kein Weib. Dann sie kompt von dem HERREN.23 Die Vermittlertätigkeit der Eltern in Sachen H e i rat wird hier zwar ihrer Verfugung entzogen, damit j e d o c h nicht den Kindern übertragen. Allerdings sollen den Kindern auch keine Partner aufgenötigt werden, was wohl die gängige Praxis kritisiert. 2 4 Eine Ausnahme bieten, bei diesen weitreichenden Ubereinstimmungen zum T h e m a Ehe, Sigwart und eine Auslegung aus den Summarien. Sigwart plädiert — ganz im Widerspruch zur allgemein in den Predigten vertretenen und auch durch die übrige Forschung bestätigten Meinung 2 5 — für eine frühe Heirat. 2 6 Er tritt damit für die Durchsetzung von moralischen N o r m e n ein, die nicht in Einklang mit den von Seiten der Eltern und auch der Obrigkeit aufgestellten R e g e l n stehen. Deren Vorstellungen zielen eher auf eine Wahrung des Besitzstandes und machen eigenes Kapital zur Voraussetzung für die Gründung eines Ehestandes. 2 7 U m Unzucht und Hurerei zu meiden, setzt

HEERBRAND: Predigt von der Keuschheit, S. D 3 r . ANDREAE: Hochzeitpredigt, S. [A 4 ] v . SUMMARIEN III, S. 1859. Wobei Gottesfurcht hier in Zusammenhang mit der Erziehung der T ö c h t e r steht. D e r Mann soll darauf achten, wie Frauen »erzogen« und »geartet« sind. 21

22

23

PREGITZER:

Hochzeitspredigt,

S. 1 2 - 1 4 .

ANDREAE:

Hochzeitspredigt

(1585),

S. A4R. 2 4 Vgl. VAN DÜLMEN: Alltag und Kultur, S. 136. THOMAS ROBISHEAUX: R u r a l society and the search for order in early modern Germany. Cambrigde 1989, S. 116—120. 2 5 HAGENMAIER: Predigt und Policey, S. 1 9 3 - 1 9 7 . Vgl. speziell den Zeitpunkt der Heirat bei Pfarrern, auch hier wird zumeist bei der ersten Anstellung geheiratet. Vgl. VOGLER: Le clergé rhénan, S. 2 0 7 . DAVID GUGERLI: Zwischen Pfriind und Predigt. D i e protestantische Pfarrfamilie auf der Zürcher Landschaft im ausgehenden 18. Jahrhundert. Zürich 1988, S. 172 f. und S. 196. Anders dagegen HERMANN WERDERMANN: Pfarrstand und Pfarramt im Zeitalter der Orthodoxie in der Mark Brandenburg (Studien zur Geschichte des evangelischen Pfarrstandes, Heft 1). Berlin 1 9 2 9 , S. 3 2 8 . Er geht davon aus, daß im allgemeinen früh und aus Zuneigung geheiratet wurde. Vgl. zu dieser Thematik bei JOHANNES WAHL: Zugänge der Forschung zur Sozial- und Mentalitätsgeschichte der frühneuzeitlichen Geistlichkeit. Tübingen (Zulassungsarbeit masch.) 1991, S. 1 0 1 - 1 0 4 , den Abschnitt Heiratsstrategien und Heiratskreise. 2 6 SIGWART: Lasterpredigten, S. 29 v —30 r . 2 7 Vgl. VAN DÜLMEN: Alltag und Kultur, S. 136. Z u m Verhältnis von Besitz und H e i rat vgl. PETER ZSCHUNKE: Konfession und Alltag in Oppenheim. Beiträge zur Geschieh-

Heirat und Ehe: Zum Verhältnis der Geschlechter

193

sich Sigwart für eine frühe Heirat ein. Die Eltern sollen ihre Kinder nicht w e gen G u t u n d Stand aufhalten, w e n n sich j e n e verheiraten wollen. Es sei besser, so Sigwart, arm in den Stand der Ehe zu treten, als reich in »Hurenleben« u n d Hölle. Die Eltern sollen ihren Konsens, auf den auch Sigwart nicht verzichten möchte, zu solchen E h e n geben. Auch in den Württembergischen Summarien wird Eltern geraten, ihre T ö c h t e r früh zu verheiraten: [...] desto eher sie verheyrathen, dadurch sie viel Unglu[e]ck verhu[e]ten ko[e]nnen.2H Die Eheschließung begründet den ha[e]ußlichen Stand, den Status Oeconomicus: [...] / da ein jeder Herr vnd Meister ist in seinem Hauß/ Vatter vnd Mutter das Regiment fu[e]hren/ liehe Kinder zeugen/ solche in der Zucht vnd Vermahnung zum Herrn erziehen/ ihnen/ sampt dem gantzen Haus befehlen/ daß sie deß HErrn Weg halten/ [...] sich sampt den jhrigen/ mit GOtt vnd Ehren ernehren/ vnnd allen Gewalt in dem Gebiet jhrer Haußhaltungen vben: Regenten/ Bischo[eJff/ Ba[e]pst/ Doctor/ Pfarrer/ Prediger/ Schulmeister/ Richter vnd Herr seynd [•••].29 W i e Luther, so erklärt auch Wagner, es gebe keine gro[e]sser vnd edler Gewalt auff Erden/ [...] / dann der Eltern vber die Kinder/ sintemal/ sie Geist- vnd Weltlichen Gewalt haben. Dies beschreibt in idealtypischer Art und Weise die umfassenden Aufgaben, die die Prediger dem Haus zuwiesen. Das Haus ist damit vollständig in die ständische Gesellschaft eingebunden. Es bildet neben d e m status ecclesiasticus u n d dem status politicus einen der dreyen Hauptsta[e]nden Menschlichen Geschlechts. D a ß dies, mit Ausnahme der dem Haus durch die R e f o r m a t i o n neu zugewiesenen Aufgabe, keine typisch frühneuzeitliche Verteilung ist, ist h i n länglich diskutiert. 3 0 M i t N a c h d r u c k wird j e d o c h in den Predigten i m m e r wieder die neue religiöse Funktion des Hauses hervorgehoben. 3 1 te v o n B e v ö l k e r u n g u n d Gesellschaft e i n e r g e m i s c h t k o n f e s s i o n e l l e n K l e i n s t a d t in d e r f r ü h e n N e u z e i t . W i e s b a d e n 1984, S. 1 7 2 - 1 8 0 . 28

29

SUMMARIEN V, S .

505.

Vgl. z u m f o l g e n d e n WAGNER: Evangelien-Postille 1, S. 5 2 1 - 5 2 7 . WAGNER: P r e d i g t ü b e r E h e h a l t e n , S. 5 u n d S. 36. WAGNER: Epistel-Postille 1, S. 79. ANDREAE: C h r i s t l i c h e A n l e i t u n g , S. 26. LUTHER: D e r G r o ß e Katechismus. In: B S L K . G ö t t i n g e n 1982 9 , S. 5 4 3 733, hier S. 587 in der A u s l e g u n g z u m v i e r t e n G e b o t . 30 Vgl. VAN DÜLMEN: K u l t u r u n d Alltag, S. 41. MANLIO BELLOMO: D i e Familie u n d ihre rechtliche S t r u k t u r in d e n italienischen S t a d t k o m m u n e n des Mittelalters (12.-14. J a h r h u n d e r t ) . In: Alfred H a v e r k a m p (Hrsg.): H a u s u n d Familie in der spätmittelalterlichen Stadt ( S t ä d t e f o r s c h u n g . V e r ö f f e n t l i c h u n g e n des Instituts f ü r v e r g l e i c h e n d e S t ä d t e g e s c h i c h te in M ü n s t e r / W e s t f a l e n , R e i h e A, Bd. 18). K ö l n , W i e n 1984, S. 9 9 - 1 3 5 . 31 ANDREAE: P r e d i g t e n in L a u i n g e n , S. IP. ANDREAE: H o c h z e i t s p r e d i g t , S. E 3 r . WAGNER: Evangelien-Postille 1, S. 111 f. ANDREAE: P r e d i g t e n ü b e r Ps 51, S. X X X I P . WAGNER: P r e d i g t ü b e r E h e h a l t e n , S. 36. ANDREAE: C h r i s t l i c h e A n l e i t u n g , S. 27. HOCHSTETTER, J. A.: Catechismuslehre, S. 4 6 - 4 9 . E r erläutert hier beispielhaft e i n e n v o n religiösen Ü b u n g e n begleiteten Tagesablauf. REUCHLIN: C h r i s t e n t u m , S. 385. E l t e r n sollen m i t ihren K i n d e r n d e n Katechismus als ein kurtzer Begriff deß Glaubens ü b e n u n d »geistreic h e G e b e t e u n d Gesänge« anschließen. Z u m Ablauf des Tages vgl. ebd., S. 386. WAGNER:

194

Dimensionen

des Alltags in der Frühen

Neuzeit

D i e Herrschaftsverhältnisse innerhalb des Hauses beschreibt H e e r b r a n d mit der Begrifflichkeit eines Klosters, Wagner benutzt den Begriff Staat, u m die verschiedenen E b e n e n der Herrschaft — zwischen Eltern, K i n d e r n u n d Gesinde — deutlich zu machen. 3 2 In beiden Bildern k o m m t jeweils die hierarchische O r d n u n g des Hauses, aber auch das aufeinander Angewiesensein seiner Mitglieder z u m Ausdruck. D i e Liebreiche Einigkeit der Eheleute, Gehorsam und Zucht der Kinder, sowie Getreue Dienste der Ehehalten bilden die drei Hauptsäulen des Hausregiments. 3 3 Das Sprichwort Ein jeds lerne sein Lection/ So wird es wol im Hause stahn charakterisiert treffend die funktionale Einheit des Hauses. 3 4 W i e in j e d e r der drei »Haushaltungen«, so gibt es auch im Haus Leute, die die Gewalt haben zu gebieten u n d solche, die zu gehorchen haben. 3 5 Diese U n t e r o r d n u n g ist billich, weil sie von Gott angeordnet wurde. W i e die Prediger sich diese Herrschaftsverhältnisse auf den verschiedenen E b e n e n innerhalb des sozialen Körpers des Hauses vorgestellt haben, soll im folgenden dargelegt werden. Zunächst nun das Verhältnis der Eheleute zueinander: Der Ehestand als solcher ist in den Augen der Prediger kein Selbstzweck, er ist vielmehr direkt auf ein Leben als Hausvater bzw. Hausmutter bezogen. Kinder zu zeugen u n d aufzuziehen somit ist seine eigentliche Bestimmung. 3 6 Dies bestimmt zugleich die E h e als einzig legitimen O r t der Sexualität. Allein durch den Wunsch nach Kindern ist Sexualität in der Ehe legitimiert. In den Status als Hausvater u n d Hausmutter bleibt j e d o c h ihr Verhältnis als Ehepartner integriert. Die Prediger beschreiben deshalb häufig das Leben der Ehepartner in den Kategorien des Hauses. D i e Rollenverteilung zwischen den Geschlechtern ist durch ein U n t e r o r d nungsverhältnis der Frau unter den M a n n bestimmt: Das Verhalten der Frau gegenüber d e m M a n n ist durch G e h o r s a m bestimmt; das Verhältnis des M a n nes zur Frau ist durch Liebe definiert. 3 7 Diese Rollenverteilung ist in erster

L e i c h e n p r e d i g t M e r l a u , S. 36. Vgl. HOFFMANN: Hausväterliteratur, passim. VAN DÜLMEN: K u l t u r u n d Alltag, S. 41 f. 32 HEERBRAND: Predigt v o n der E h e , passim. WAGNER: Epistel-Postille 1, S. 351. 33

WAGNER: E p i s t e l - P o s t i l l e 1, S. 3 4 9 .

34

WAGNER: H i s t o r i a , S. 3 2 6 .

3

' Vgl. z u m f o l g e n d e n ANDREAE: C h r i s t l i c h e A n l e i t u n g , S. 2 4 - 3 1 . WAGNER: EpistelPostille 1, S. 3 5 0 f. 36 ANDREAE: P r e d i g t e n in H a g e n a u , S. 354: [...] / auß dem heiligen Ehestand werden nach der Ordnung vnd Willen Gottes Kinder geboren / vmb wo[e]lcher willen die Eheleut noch ein Stand vnd newen Beuelch von Gott überkommen/ na[e]mlich das sie als Vatter vnd Mutter gegen jren Kindern u[e]ben vnd brauchen/ vnd in denselben nichts versäumen sollen/ [...]. SUMMARIEN VI, S. 1 4 2 - 1 4 4 . Vgl. die »Glückseligkeit gottesfurchtiger Eheleute« SUMMARIEN III, S. 1607. Vgl. HAGENMAIER: Predigt u n d Policey, S. 177 f. u n d bes. A n m . 29. VAN DÜLMEN: Alltag u n d Kultur, S. 158. 37 SIGWART: Lasterpredigten, S. 60™. HEERBRAND: Predigt v o n der K e u s c h h e i t , S. B 3 r . SUMMARIEN V I ,

S. 1 0 3 4

(Eph

5). WAGNER:

Hochzeitspredigt,

S. 1 1 - 1 4 .

SUMMARIEN

II,

Heirat und Ehe: Zum Verhältnis der

195

Geschlechter

L i n i e a n d e n b e i d e n H a u s t a f e l n aus d e m N e u e n T e s t a m e n t o r i e n t i e r t . D i e s e s Unterordnungsverhältnis

begründet jedoch

keine

absolute

Herrschaft

des

M a n n e s ü b e r die Frau, v i e l m e h r w e r d e n dadurch für b e i d e Partner b e s t i m m t e R e c h t e und Pflichten definiert. Diese R e c h t e und Pflichten beinhalten ihrerseits e i n e g e w i s s e S e l b s t ä n d i g k e i t d e r F r a u i n n e r h a l b i h r e r R o l l e . 3 8 S i e r e l a t i v i e r e n bis zu e i n e m g e w i s s e n G r a d das e i n s e i t i g v o r g e g e b e n e A u t o r i t ä t s v e r hältnis. D i e s e r g i b t s i c h s c h o n a l l e i n daraus, d a ß e i n F u n k t i o n i e r e n des H a u ses e b e n n u r d u r c h g e m e i n s a m e A r b e i t g e w ä h r l e i s t e t w e r d e n k o n n t e . 3 9 M a n n ist z w a r d e r Regente als Gehilfin

im Hause,

i h m ist j e d o c h d i e F r a u als

a n d i e S e i t e g e g e b e n . 4 0 D i e F r a u g i l t als das schwache

Der

Mit-Regentin, Werkzeug,

i h r e A u f g a b e n b e r e i c h e s i n d j e d o c h vielfältig. U m s i c h t i g e u n d s p a r s a m e H ä u s -

S. 2 5 6 . WAGNER: H i s t o r i a , S. 1 3 4 - 1 4 1 .

PREGITZER: H o c h z e i t s p r e d i g t ,

S. 1 6 f. WAGNER:

Epistel-Postille 1, S. 351—357. Eheliche Freundschaft meint für die Frauen gegenüber ihren Männern: Gehorsam, Respekt, Liebe. Die Männer ihrerseits sollen ihren Frauen wiederum in Liebe begegnen und nicht Sclavinen aus ihnen machen. WAGNER: Leichenpredigt Merlau, S. 36. GOTTHARDT FRÜHSORGE: Die Begründung der »väterlichen Gesellschaft« in der europäischen oeconomia christiana. Zur Rolle des Vaters in der »Hausväterliteratur« des 16. bis 18. Jahrhunderts. In: Hubertus Teilenbach (Hrsg.): Das Vaterbild im Abendland. Bd. 1. Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz 1978, S. 1 1 0 - 1 2 3 . Zur Stellung der Frau vgl. VAN DÜLMEN: Kultur und Alltag, S. 4 3 - 5 0 . Vgl. RUBLACK: Lutherische Predigt und gesellschaftliche Wirklichkeiten, S. 3 4 8 - 3 5 5 . NATALIE Z. DAVIS: Bindung und Freiheit. Die Grenzen des Selbst im Frankreich des sechzehnten Jahrhunderts. In: Natalie Z. Davis (Hrsg.): Frauen und Gesellschaft am Beginn der Neuzeit. Studien über Familie, Religion und die Wandlungsfähigkeit des sozialen Körpers. Berlin 1986, S. 7—18, hier S. 9. JEANLOUIS FLANDRIN: Familien. Soziologie — Ökonomie — Sexualität. Frankfurt/M. 1978, S. 140 f. und S. 149 f. 38 Vgl. HAGENMAIER: Predigt und Policey, S. 180—184 zum Verhältnis zwischen den Eheleuten; bes. ebd., S. 181 zum Begriff der Sozietät. Er bildet in den Predigten Conrad Dieterichs gemeinsam mit dem Begriff der Liebe den Gegenpol zur Autorität des Mannes und dem Gehorsam seitens der Frau. Sozietät deutet somit auf eine Gleichstellung der Eheleute hin. Vgl. VAN DÜLMEN: Alltag und Kultur, S. 46 sieht im protoindustrialisierten Haushalt eine relative Gleichberechtigung von Mann und Frau gegeben. W i e die Predigten zeigen, wird dies für den dort gezeichneten idealen Haushalt ebenfalls vorausgesetzt. Z u mindest aus der Sicht der Prediger sollte dies für alle Haushalte gelten. 39 Vgl. VAN DÜLMEN: Alltag und Kultur, S. 48 und S. 54. 40 Vgl. zum folgenden WAGNER: Hochzeitspredigt, S. 4—9. Er erklärt hier die Frau zum dreifachen Gut des Hauses: die Frau ist i . Nothwendig/ 2. Nutzlich/ 3. Lieblich vnd Holdseelig. SUMMARIEN V, S. 3 0 5 . Vgl. WÖLFFLIN: Heimfiihrungspredigt, S. 12 nennt als Qualitäten einer Ehefrau: Wolgezogenheit/ Zucht und Keuschheit/ Vernunfft/ Verschwiegenheit/ Ha[e]ußlichkeit/ [...] Gottesfurcht. Dort auch die biblischen (Vor-)Bilder. WAGNER: Historia, S. 1 7 - 2 5 und S. 1 3 4 - 1 4 1 . HAFENREFFER: Hochzeitspredigt, S. 12. Auch wenn die Frau das »schwache Werkzeug« ist, so ist sie [...] dem Manne gleichwol auch nicht zum Fußthuch gegeben: sondern zu einem Gehu[e]lffen erschaffen worden/ darumb man dem Weiblichen Geschlecht auch sein Ehr geben/ vnd sie sonderlich in denen Sachen/ so dem Haußhalten anhangen/ auch ettwas sol verstehen vnd gelten lassen. HEERBRAND: Predigt von der Ehe, S. [D 4 ] v . WAGNER: Epistel-Postille 1, S. 3 5 4 und S. 366. Vgl. VAN DÜLMEN: Alltag und Kultur, S . 44 f.

196

Dimensionen des Alltags in der Frühen

Neuzeit

lichkeit 4 1 , w i e auch Fleiß, Tapferkeit u n d Tugend der Frau verhüten nämlich Confusion vnnd Zerrittung deß Menschlichen Lebens; sie ist es, die eigenständig das Hauswesen in Flor vnd Auffnam erhält. Pietät u n d Gottseligkeit sind die F u n d a m e n t e ihrer Tugend. Z w a r ist im besonderen die Frau für den traditionell weiblichen Bereich der Pflege im Haus zuständig, es k ö n n e n aber beispielshalber auch beide Ehepartner aufgefordert werden, f ü r die altgeworden e n Eltern zu sorgen. Andreae betont aber auch die Fähigkeit der Frau, durch Gedult und Bescheidenheit Fehler ihres Mannes verborgen zu halten u n d ihn so dazu zu bringen, seinem »unordentlichen Leben« zu entsagen u n d ein Newer Mensch zu werden. 4 2 U m g e k e h r t soll der M a n n Frau u n d Kinder nicht verlassen, er ist es, der seine Frau unterhält, ernährt u n d beschützt. D e m M a n n wird empfohlen, seine Frau zu achten, ihren Verstand u n d R a t etwas gelten zu lassen. 43 Z u d e m m u ß er für seine ausgeübte Gewalt Rechenschaft ablegen; sie kann schon deshalb nicht als absolute Gewalt verstanden werden. 4 4 Er soll aber auch Frau u n d Kinder von Herzen lieben, wie überhaupt die trewe Liebe bei Hafenreffer als H a u p t p u n k t des Ehestandes angesehen wird. 4 5 Mit dieser Vorstellung von Liebe wird j e d o c h häufig keine emotionale Bindung der Eheleute, sondern eher eine funktionale Beziehung umschrieben: Dann welche Man vnd Weib sich lieb haben/ vnd ein ander mit Trewen meinen/ denselben ist kein Haußcreutz/ kein Mu[e]he vnd Arbeit zuschwer/ sondern es wu[e]rdt solchen mit Treu verbundenen Eheleuten/ eintweder all bitter Wasser/ honig su[e]ß/ oder jedoch zu einem nu[e]tzlichen vnd guten gesunden Wermut.46 Dieses wichtige funktionale F u n d a m e n t der E h e zeigt sich auch darin, daß im Falle des Todes eines Partners, der andere eine baldige Wiederverheiratung anstrebte. 47 Die

41 P A U L M Ü N C H : Parsimonia summum est vectigal - Sparen ist ein ryche gült. Sparsamkeit als Haus-, Frauen- und Bürgertugend. In: Hans-Jürg Braun (Hrsg.): Ethische Perspektiven: »Wandel der Tugenden« (Zürcher Hochschulschriften, Bd. 15). Zürich 1989,

S.

169-187. 42

ANDREAE:

Hochzeitspredigt

(1585),

S. C3R.

WAGNER:

Leichenpredigt

Cronegh,

S. 2 9 . 43 H A F E N R E F F E R : Hochzeitspredigt, S . 6 - 1 2 . W A G N E R : Leichenpredigt Cellius, S. 3 7 . Wagner stellt hier die Liebe des Cellius zu Frau und Kindern als beispielhaft hin. ANDREAE: Vier Predigten vom Wucher, S. 44. Die christlichen Pflichten des Hausvaters sind: Versorgung von Frau und Kindern, Unterstützung der A r m e n und Bedürftigen. 44 A N D R E A E : Christliche Anleitung, S. 2 4 - 3 1 . 43 H A F E N R E F F E R : Hochzeitspredigt, S . 6 - 1 2 . 46 H A F E N R E F F E R : Hochzeitspredigt, S . 1 0 . Vgl. H A N S - C H R I S T O P H R U B L A C K : Ehe - Liebe - Tod. Tübingen (Manuskript) 1988. VAN DÜLMEN: Alltag und Kultur, S. 162. 47 WAGNER: Leichenpredigt Merlau, S. 32. Der Text besagt, Merlau sei bereits zwei (!) Monate nach dem Tod seiner ersten Frau in zweiter Ehe ein Sohn geboren worden. Dies ist von einem späteren Leser am R a n d des Textes in neun Monate (!) korrigiert worden. Selbst wenn es sich in der Tat um einen Druckfehler handeln sollte, zeigt es doch, wie schnell der Haushalt nach dem Tode eines Partners ergänzt werden mußte. Eher als Ausnahme zu werten ist sicherlich Anna Hoyer, die, obgleich j u n g verwitwet, nicht mehr

197

Heirat und Ehe: Zum Verhältnis der Geschlechter

von den Predigern propagierte Ehe gründete nicht auf emotionaler Zuneigung und Ubereinstimmung, sie begründete vielmehr eine Solidargemeinschaft, in der jeder die ihm zugeschriebene Rolle erfüllen mußte. 48 Dies ist aber nur die eine Seite der von den Predigern vorgestellten Ehe. Die Prediger können auch sagen, die Eheleuth sollen einander lieben, selbst wenn dies in besonderem dem Mann aufgetragen ist.49 Daß zu einer Ehe j e doch auch die emotionale Beziehung gehört, zeigt sich bei Sigwart, der m e i n t , es g e b e nichts gemeiners/ dann daß einer vmh deß Geitzes willen ein reich Weib/ oder eine einen reichen Man nimpt/ die sonsten weder Lust noch Liebe

zusamen tragen/ [. ,.].50 Untereinander sollen die Eheleute einen freundlichen und friedlichen Umgang miteinander pflegen. Ihr Verhältnis soll von gegenseitigem Vertrauen, Offenheit und Liebe bestimmt sein. 51 Denn wenn schon Freunden »alles gemein sein soll«, wieviel mehr müsse das für Eheleute gelten. Ein Haushalt könne nicht funktionieren, wenn kein Theil das andere wissen la[e]sst, was es thut, warum es betru[e]bt oder freudig sey, wenn ein Theil hinter dem andern her ist, und sie einander das Maul nicht go[e]nnen, was sollte da fu[e]r Liebe unter ihnen seyn, [.. ,].52 A u f G e b r e c h e n , F e h l e r u n d

Schwächen des Partners soll Rücksicht genommen werden, mit einer — entscheidenden — Ausnahme: wenn ein Partner einen anderen liebt. 53 Eheleute sollen nicht im Streit verharren, sondern wieder zuammenkommen und sich versöhnen. 54 Befolgen die Eheleute dies alles, so sind ihnen die folgenden »Glückseligkeiten« sicher: 1) ehrliche Nahrung; 2) Kinder; 3) göttlicher Segen; 4) Freude

heiratete, ihre K i n d e r alleine e r z o g u n d z u d e m ein vielbeachtetes E r z i e h u n g s b u c h v e r faßte. D a ß sie sich ihrer S o n d e r r o l l e b e w u ß t war, zeigt gleich ihre E i n l e i t u n g , in der es h e i ß t Dies Buch durch eine Fraw beschribn/ Wird man gwisz darumb mehr beliebn/ Weiln dergleichen nie gesehen/ Von Fraum so geistreich ausgehen. Vgl. CORNELIA NIEKUS MOORE: »Mein K i n d , n i m m diß in acht«. A n n a H o y e r s ' Gespräch eines Kindes m i t seiner M u t t e r v o n d e m W e g e zur w a h r e n Gottseligkeit als Beispiel der E r b a u u n g s l i t e r a t u r fiir die J u g e n d i m 17. J a h r h u n d e r t . In: M a r t i n B r e c h t ; F r i e d r i c h de B o o r ; Klaus D e p p e r m a n n ; H a r t m u t L e h m a n n ; Andreas Lindt; J o h a n n e s W a l l m a n n (Hrsg.): Pietismus u n d N e u z e i t . E i n J a h r b u c h zur G e s c h i c h t e des n e u e r e n Protestantismus, B d . 6: S c h w e r p u n k t : L a n d e s h e r r u n d L a n d e s k i r c h e n t u m i m 17. J a h r h u n d e r t . G ö t t i n g e n 1981, S. 1 6 4 - 1 8 5 ; das Z i t a t f i n d e t sich a u f S . 168. 48 Vgl. VAN DÜLMEN: Alltag u n d Kultur, S. 164. 49

SIGWART: L a s t e r p r e d i g t e n ,

S. 60RV. W A G N E R : L e i c h e n p r e d i g t

Cellius,

S. 3 7 .

SUMMA-

RIEN V, 3 0 5 . 50

SIGWART: L a s t e r p r e d i g t e n , S. 87 R ( H e r v o r h e b u n g S. H . ) . SUMMARIEN I, S. 1 8 1 .

51

SUMMARIEN I I , S. 1 9 4 . W A G N E R : H o c h z e i t s p r e d i g t , S. 1 1 . SUMMARIEN I, S. 1 8 2 .

GITZER: H o c h z e i t s p r e d i g t ,

S. 1 5 f . S U M M A R I E N IV, S.

52

SUMMARIEN II, S.

33

SIGWART: L a s t e r p r e d i g t e n , S . 4 3 r . SUMMARIEN V I , S.

54

SUMMARIEN

II,

PRE-

1209.

194.

S. 2 0 4 .

SUMMARIEN

I,

875.

S. 1 8 1 f. V g l .

HANS-CHRISTOPH

RUBLACK:

G r u n d w e r t e in der Stadt. In: H o r s t B r u n n e r (Hrsg.): Literatur in der Stadt ( G ö p p i n g e r A r b e i t e n zur G e r m a n i s t i k , N r . 343). G ö p p i n g e n 1982, S. 9 - 3 6 .

198

Dimensionen

des Alltags in der Frühen

Neuzeit

über den glücklichen Zustand von Kirche und Policey; 5) langes und ruhiges Leben; 6) Friede. 55 Wagner formuliert am Ende einer Predigt, die sich mit dem T h e m a Ehe befaßte, H o f f n u n g und Trost. Die H o f f n u n g nämlich, Gott möge die Eheleute an Seel, vnd Leib segnen u n d d e n Trost in aller Trübsal, welche auß dem vmh der Sue]nde willen einen Wehestand macht,56

Ehestand

Ein Ehebruch, auf den keine Versöhnung der beiden Eheleute folgt, löst die Ehe auf. U n d zwar nach Meinung der Prediger auch dann, wenn es zum Ehebruch mit einer unverheirateten Person gekommen ist. Entsprechendes gilt f ü r b e i d e E h e l e u t e : So ist auch der Mann seinem Eheweih nicht weniger verpflicht oder gebunden/ Eheliche Pflicht vnnd Trew zuhalten/ als das Eheweib jhrem Ehemann [...] Warumb soll dann allein das Eheweib/ vnd nicht auch der Eheman die Ehe brechen/ wann er gleich mit einer ledigen Person in Vnehren zuthun hat?57 I n d e m die

Prediger den Ehebruch mit einer ledigen Person ebenso streng verurteilen wie mit einer verheirateten Person, bewerten sie dieses Delikt härter als die zeitgenössische Strafpraxis, die den Ehebruch mit einer verheiratenen Person als sträflicher ansah. 58 Wenn nachgewiesen werden kann, daß es zum E h e bruch gekommen ist, kann die Ehe geschieden werden und der unschuldige Teil ist frei, sich erneut zu verheiraten. 59 Im Unterschied zur katholischen Eheauffassung, die beide Partner, den schuldigen wie den unschuldigen, aneinander bindet, räumen die Prediger hier die Möglichkeit einer erneuten Heirat ein. Die Mitglieder des Konsistoriums wie auch der Ehegerichte werden eindringlich ermahnt, bei einer Scheidung auf sonderliche wichtige Ursachen zu achten. 6 0 N e b e n dem nachgewiesenen Ehebruch kann eine Ehe auch dann geschieden werden, wenn ein Partner sich dem andern halsstarriger Weise in Leistung der ehelichen Pflicht entziehet61, oder wenn es sich u m eine natu[e]rliche Untu[e]chtigkeit und Mangel handelt. Das gleiche gilt auch, wenn sich ein Part55

SUMMARIEN I I I , S . 1 6 0 7 f .

56

WAGNER: E v a n g e l i e n - P o s t i l l e

1, S. 1 2 5 . PREGITZER: H o c h z e i t s p r e d i g t , S. 1 4 . V g l .

dazu RUBLACK: L u t h e r i s c h e P r e d i g t u n d gesellschaftliche W i r k l i c h k e i t e n , S. 349. 37

SIGWART: L a s t e r p r e d i g t e n , S. 4 9 v - 5 1 r . SUMMARIEN I, S. 6 3 2 .

VAN DÜLMEN: Alltag u n d Kultur, S. 176 f. 5 9 HEERBRAND: R e t t u n g des K l e i n e n Katechismi, S. 2 1 0 - 2 1 3 . H e e r b r a n d b e r u f t sich d o r t bei seiner A r g u m e n t a t i o n ausführlich auf Luther. SUMMARIEN VI, S. 143 f. SUMMARIEN 58

V I , S. 8 7 5 . ANDREAE: P r e d i g t e n v o n S p a l t u n g e n , S. 1 7 1 . V g l . PHILIPPE ARIES: D i e u n a u f l ö s -

liche E h e . In: P h i l i p p e Ariès; A n d r é Bejin; M i c h e l Foucault (Hrsg.): D i e M a s k e n des B e gehrens u n d die M e t a m o r p h o s e n der Sinnlichkeit. Z u r G e s c h i c h t e der Sexualität. F r a n k f u r t / M . 1984 (frz. Paris 1982), S. 1 7 6 - 1 9 6 . HARTWIG DIETERICH: Das protestantische E h e r e c h t in D e u t s c h l a n d bis zur M i t t e des 17. J a h r h u n d e r t s (Jus Ecclesiasticum, B d . 10). Stuttgart 1970. 60 Vgl. z u m f o l g e n d e n SUMMARIEN VI, S. 144 f. Vgl. VAN DÜLMEN: Alltag u n d Kultur, S.

178-184.

Vgl hierzu SUMMARIEN VI, S. 875. Sie v e r m e r k e n , daß j e d e r b e i m P a r t n e r die e h e l i che Pflicht e i n f o r d e r n k ö n n e . D i e E h e p a r t n e r sollten diese eheliche Freundschaft e i n a n d e r leisten, damit k e i n e r d u r c h sexuelle Enthaltsamkeit in U n z u c h t u n d H u r e r e i falle. 61

Heirat und Ehe: Zum Verhältnis der Geschlechter

199

ner ins Ausland absetzt, was den Grundsatz der immerwa[e]hrenden Beywohnung verletzt. Die letzten Fälle widersprechen Einsetzung und Zweck der Ehe und lösen schon deshalb den Ehestand auf. U m den unschuldigen Teil nicht ebenfalls in Versuchung zu fuhren, kann es ratsam sein, die Ehe zu scheiden. Armut, Unfruchtbarkeit, Relegation oder Konfessionsunterschiede werden j e doch nicht als Scheidungsgründe anerkannt. 62 Kinderreichtum wie Kinderlosigkeit haben ihre Ursache in Gott. 63 Kinderlosigkeit soll nicht durch unordentlichen Beyschlaff überwunden werden. Die Prediger haben für den Fall, daß die Ehe kinderlos bleibt — mit Rückgriff auf das Buch Sirach (Sir 16,4) — Trost parat: es ist besser ohne Kinder [zu] sterben, denn gottlose Kinder [zu] haben.64 Auch eine große Kinderzahl kann als Last empfunden werden, vor allem, weil Kinderzahl und Einkommen zumeist nicht in steigender Relation zueinander stehen. 65 Trotzdem wird Kinderlosigkeit als Makel empfunden. Die Eheleute standen in verschiedener Hinsicht unter dem Zwang, Kinder zu bekommen. Z u m einen konnten sie so langfristig ihre Altersversorgung und das Erbe sichern, aber auch Arbeitskräfte bereitstellen. Z u m andern machten erst Kinder die Ehe zum wirklichen Haus. Deshalb spielte die Taufe eine wichtige Rolle nicht nur innerhalb der kirchlichen Praxis, sondern auch in der Biographie der Taufeltern. Durch die Taufe wurde die Geburt ihres Kindes öffentlich angezeigt, gefeiert und zugleich die Fruchtbarkeit ihrer Ehe unter Beweis gestellt.66 Die Sorge um die tägliche Nahrung angesichts einer vielköpfigen Familie ist einer der Gründe, die die Eheleute in ihrem Stand »viel Kreuz« unterworfen sein läßt und ihn zu einem Wehestand macht. 67 . Dies darf allerdings nicht dazu führen, den eigenen Kindern die Pest zu wünschen — was nicht nur in den ärmeren Familien vorkommen soll.68 Auch reichere Familien sorgen sich darum, ihren Kindern — bei entsprechender Anzahl — keine angemessene Aussteuer mitgeben zu können. In der Ehe geht nicht alles wunschgemäß; Ärger Lasterpredigten, S . 5 5 R . Hochzeitspredigt, passim. S U M M A R I E N I, S . 184. S U M M A R I E N III, S. 1601. Vgl. WAGNER: Leichenpredigt Cronegh, S. 29. Im Hause des Tübinger Obervogtes Moritz von Cronegh entschied man sich zur Adoption. Und dennoch kommt die höhere Wertigkeit des Kinderreichtums gegenüber der Kinderlosigkeit deutlich zum Ausdruck. Sigwart verheißt jenen Frauen, die viele Kinder geboren haben, aus »gnädiger Ergötzlichkeit« ihren Lohn (SIGWART: Predigten über 1 Kor 15, S. 103r). v V V 64 H E E R B R A N D : Hochzeitspredigt, S . D, ; S . D2 ; S . D4 . S U M M A R I E N V, S . 124. r 65 A N D R E A E : Hochzeitspredigt, S . D 3 . SIGWART: Lasterpredigten, S . 92'. 66 Vgl. VAN DÜLMEN: Alltag und Kultur, S. 190. r 67 W A G N E R : Epistel-Postille 1, S. 368. H E E R B R A N D : Predigt von der Ehe, S. F, . W A G N E R : Hochzeitspredigt, S. 2. Z u m Begriff der Familie Vgl. M I C H A E L M I T T E R A U E R : Problematik des Begriffs »Familie« im 17. Jahrhundert. In: Heidi Rosenbaum (Hrsg.): Seminar: Familie und Gesellschaftsstruktur. Frankfurt/M. 1978, S. 73—82. 68 W A G N E R : Hochzeitspredigt, S. 2 . A N D R E A E : Hochzeitspredigt, S. D , V - D 2 R . HEER62

SIGWART:

63

ANDREAE:

BRAND: P r e d i g t v o n d e r E h e , S. F, r .

200

Dimensionen

des Alltags

in der Frühen

Neuzeit

mit d e m Gesinde u n d m i t d e n K i n d e r n , aber auch Auseinandersetzungen der E h e l e u t e u n t e r e i n a n d e r m a c h e n d e n E h e s t a n d z u d e m z u m Wehestand.69 Allein die S c h m e r z e n w ä h r e n d der Schwangerschaft, die Ängste bei der G e b u r t , sowie M ü h e n , Angst u n d Sorge u m die N e u g e b o r e n e n u n d kleinen K i n d e r bei Tag u n d N a c h t m a c h e n d e n Stand der Eltern z u m schwersten Stand ü b e r h a u p t , er ist weitaus m ü h e v o l l e r als der Stand der O b r i g k e i t . 7 0 G e rade w ä h r e n d der Schwangerschaft soll der M a n n seine Frau besonders z u v o r k o m m e n d behandeln. 7 1 Diese Aussagen z u m T h e m a Ehe zeigen, daß die T h e o l o g e n in ihren P r e digten die s o z i o ö k o n o m i s c h e n B e d i n g u n g e n der Z e i t akzeptierten u n d sie e n t s p r e c h e n d als einen m a ß g e b l i c h e n Faktor f ü r das Z u s t a n d e k o m m e n einer E h e billigten. A n den Beispielen ist j e d o c h f e r n e r deutlich g e w o r d e n , daß bei einer Heirat n i c h t n u r F u n k t i o n e n innerhalb des Hauses zu besetzten waren, s o n d e r n auch die gegenseitige Z u n e i g u n g eine tragende R o l l e spielte. 7 2 Zweifellos w e i c h t die Vorstellung v o n E m o t i o n a l i t ä t in der F r ü h e n N e u z e i t v o n h e u t i g e n Standards ab. Sie ist in der F r ü h e n N e u z e i t n u r i m K o n t e x t des sozialen L e b e n s z u s a m m e n h a n g e s zu verstehen, der traditionell L e b e n u n d A r beiten nicht trennte. D i e W a h r u n g des Besitzstandes, die kollektive L e b e n s weise des Hauses u n d die n o t w e n d i g e Solidarität angesichts der E r f a h r u n g e n v o n Mangel, K r a n k h e i t u n d T o d w a r e n j e n e K a t e g o r i e n , die u n a b d i n g b a r mit E m o t i o n a l t ä t zu v e r b i n d e n waren. Materielle u n d soziale Interessen sind bei der E h e s c h l i e ß u n g m i t e i n a n d e r v e r b u n d e n . Sie k ö n n e n j e d o c h n u r d a n n ein dauerhaftes F u n d a m e n t sein, w e n n sie d u r c h eine auf Solidarität u n d Pflicht g r ü n d e n d e Liebe gestützt w e r d e n . 7 3 N i c h t subjektive Glücksgefühle, s o n d e r n solidarisches H a n d e l n u n t e r B e r ü c k s i c h t i g u n g der in der E h e e i n g e g a n g e n e n Liebesverpflichtung steht i m Z e n t r u m des f r ü h n e u z e i t l i c h e n Hauses.

69 SUMMARIEN I, S. 9 4 - 9 7 . SUMMARIEN V I , S. 5 1 5 ff. WAGNER: E p i s t e l - P o s t i l l e 1, S. 3 6 8 . WAGNER: E v a n g e l i e n - P o s t i l l e 1, S. 1 2 5 u n d S. 3 6 8 . RUDOLF LENZ: » E h e s t a n d , W e -

hestand, Süßbitter-Standt«? Betrachtungen zur Familie der Frühen Neuzeit. In: Archiv für K u l t u r g e s c h i c h t e 6 8 ( 1 9 8 6 ) , S. 3 7 1 - 4 0 5 . 70

HAFENREFFER: Predigt bei der Erbhuldigung, S. 74. WAGNER: Eßlinger Trauerpredigten, S. 114-124. WAGNER: Zwei Sonderbare Predigten, S. 6. 71

72

ANDREAE: H o c h z e i t s p r e d i g t , S. D , r .

Anders dagegen SHORTER, EDWARD: Bäuerliches Heiratsverhalten und Ehebeziehungen in der vorindustriellen Gesellschaft. In: Heidi Rosenbaum (Hrsg.): Seminar: Familie u n d G e s e l l s c h a f t s s t r u k t u r . F r a n k f u r t / M . 1 9 7 8 , S. 2 5 2 - 2 6 6 . EDWARD SHORTER: D i e G e b u r t

der modernen Familie. Reinbek bei Hamburg 1977, bes. S. 72-78 und S. 166-173. DONATA ELSCHENBROICH: Kinder werden nicht geboren. Studien zur Geschichte der Kindheit. Frankfurt/M. 1977. 73

V g l . HANS MEDICK u n d DAVID SABEAN ( H r s g . ) : E m o t i o n e n u n d m a t e r i e l l e I n t e r e s -

sen. Sozialanthropologische und historische Beiträge zur Familienforschung. Göttingen 1984.

Kinder und

1.1.2

Kinder und

201

Kindererziehung

Kindererziehung

Ausgehend vom vierten Gebot wird das Verhältnis zwischen Kindern und Eltern durch Ehre und Gehorsam bestimmt. Die Kinder [...] sollen ßeissig in acht nemmen/ was jhnen jhre Eltern sagen und befehlen/ daß sie sollen thun/ hingegen lassen/ was sie denselben verbieten/ und zwar/ daß in allen Dingen/ verstehe/ die nicht lauffen wider GOtt und seyn Wort.74 Die Kinder sollen ihre Eltern mit E h r erbietung nicht anders als Gott selbst ho[e]ren,75 Aus dem Gehorsam heraus kann das Kind alle Gebote Gottes begreifen, so daß es sein ganzes Leben am Willen Gottes orientieren kann. 7 6 D e r Zusammenhang zwischen Ehre und Gehorsam wird — aus der Sicht der Kinder — wie folgt bestimmt: [...] / ehr sie/ so hastu getho[n]/ was sie von dir erfordern.77 In der Erfüllung des geforderten Gehorsams liegt die Ehrerbietung gegenüber den Eltern begründet. Sie beinhaltet nach Meinung der Prediger neben dem Gehorsam, daß Kinder [...] ehrlich von denen Eltern halten und reden, ihre Fehler und Ma[e]ngel zudecken, und mit Gedult tragen und besonders im Alter, wenn die Eltern unvermo[e]glich werden, soll man ihnen Gutes tun und somit Gleiches vergelten. 7 8 Diese Auslegung des Elterngebotes steht vollkommen in Einklang mit der lutherischen Tradition. Luther hatte in seinem G r o ßen Katechismus nach allgemeinen Einführungen über Sinn und Z w e c k des vierten Gebotes, besonders über die gegenüber der Liebe höhere Wertigkeit der Ehre — sie beinhalte im Unterschied zur Liebe auch Zucht, Demut und Scheu - gleich zu Beginn erklärt, daß dieses Gebot Dienst, Hilfe und Vorsorge der alt- und krankgewordenen Eltern einschließe. 7 9 Diese Forderung war

74

WAGNER: Epistel-Postille 1, S. 351 f. ANDREAE: Predigten in Hagenau, S. 357 f.

HEERBRAND: P r e d i g t

von

der

E h e , S . E 2 r . SUMMARIEN

III, S. 1 8 6 1 .

REUCHLIN:

Christen-

tum, S. 385. WAGNER: Epistel-Postille 1, S. 357. Vgl. VAN DÜLMEN: Alltag und Kultur, S. 50 f. 7 5 ANDREAE: Predigten in Lauingen, S. IIIF. ANDREAE: Christliche Anleitung, S. 3 1 33. ANDREAE: Predigten in Hagenau, S. 372. Richtungsweisend war hier Luthers Auslegung des vierten Dekaloggebotes im Kleinen Katechismus: Wir sollen Gott fürchten und lieben, daß wir unsern Eltern und Herrn nicht erachten noch erzürnen, sondern sie in Ehren halten, ihn dienen, gehorchen, lieb und wert halten. In: B S L K , S. 508. 7 6 ANDREAE: Christliche Anleitung, S. 33. 7 7 ANDREAE: Predigten in Hagenau, S. 3 7 5 . Zur theologischen Dimension des Erziehens vgl. IVAR ASHEIM: Glaube und Erziehung bei Luther. Ein Beitrag zur Geschichte des Verhältnisses von Theologie und Pädagogik. Heidelberg 1961, Teil III, Kap. 2; zur Erziehung in der Familie vgl. S. 43—66. 78

SUMMARIEN V I , S.

1036.

Vgl. LUTHER: Der große Katechismus. In: B S L K , S. 588: So lerne die Ehre gegen den Eltern heiße, in diesem Gepot gefodert, nämlich daß man herrlich und wert halte als den höhisten Schatz auf Erden, demach auch mit gegen sie stelle, nicht ubel anfahre, poche noch poltere, sondern lasse recht haben gleich zuviel tuen, zum dritten auch mit Werken, das ist mit Leib und 79

nu zum ersten, was sie für allen Dingen Worten sich züchtig und schweige, ob sie Gut solche Ehre

202

Dimensionen

des Alltags

in der Frühen

Neuzeit

wohl besonders wichtig in einer Zeit, in der nicht alle Familienmitglieder durch Blutsverwandtschaft untereinander verbunden waren. Das Verhältnis zwischen Kindern u n d Eltern — M ü t t e r wie Väter — soll j e doch auch von Liebe u n d Z u n e i g u n g bestimmt sein. 80 Eltern werden geradewegs von den Predigern aufgefordert, ihre Kinder »herzlich zu lieben«, wie auch die Kinder sich an der Liebe ihrer Eltern ein Exempel n e h m e n sollen u n d sie wieder hertzlich Heben, und gegen denselben sich also halten, daß sie ihnen allezeit du[e]rffen unter Augen gehen, [. . J.81 Wo Eltern über einen Unfall ihrer Kinder hoch betru[e]bt seyn, w o M ü t t e r n das Weinen ihrer Kinder zu Herzen geht, zeigt sich deren Liebe gegenüber ihren Kindern. D i e Fürsorge einer M u t t e r zeigt sich, w e n n sie [...] / hertzlich/ innig/ treulich ihrer Kinder pflege/ sie ga[e]ngle und erziehe.92 Die Sorge u n d O b hut des Vaters findet beispielshalber darin ihren Ausdruck, daß er zwar d e m Kind das Messer wegnimmt, damit es sich nicht verletzen kann, i h m aber zugleich freundlich zuspricht, [...] / wann es daru[e]ber weinet/ und gibt ihme/ seine Thra[e]nen zu stillen/ etwas bessers.83 In fast übersteigerterWeise gibt ein G e dicht auf den vestorbenen Vater einem emotionsgeladenen Verhältnis zwischen Vater u n d Kindern Ausdruck. D o r t heißt es:

beweise, daß man ihn diene, helfe und versorge, wenn sie alt, krank, gebrechlich oder arm sind und solchs alles nicht allein gerne, sondern mit Demut und Ehrerbietung als für Gott getan. Denn wer das weiß, wie er sie im Herzen halten soll, wird sie nicht lassen Not noch Hunger leiden, sondern über und neben sich setzen und mitteilen, was er hat und vermag. ( H e r v o r h e b u n g S. H . ) . ASHEIM: G l a u b e u n d E r z i e h u n g , S. 4 5 u n d A n m . 9. L u t h e r hält das 4. G e b o t f ü r d i e Basis d e r t h e o l o g i s c h e n E r ö r t e r u n g v o n E r z i e h u n g s f r a g e n ; vgl. a u c h S. 57 f. 80 HOCHSTETTER, A . A . : A n t r i t t s p r e d i g t , S. 2 1 . WAGNER: F ü r s t e n p r e d i g t , S. 8 1 9 f. SIGWART: P r e d i g t v o m R e i f , S. 5V. SIGWART: P r e d i g t v o m V a t e r u n s e r , S. 58. WAGNER: L e i c h e n p r e d i g t M e r l a u , S. 3 6 . Vgl. HAGENMAIER: P r e d i g t u n d Policey, S. 185. Sie k o n s t a t i e r t aus den Predigten C o n r a d Dieterichs eine Gleichgewichtung zwischen Gehorsam u n d Liebe als d e n b e i d e n b e s t i m m e n d e n A s p e k t e n des E l t e r n - K i n d - V e r h ä l t n i s s e s . HOFFMANN: H a u s v ä t e r l i t e r a t u r , S. 134. VAN DÜLMEN: Alltag u n d K u l t u r , S. 107. 81 SUMMARIEN II, S. 5 0 9 f. SUMMARIEN V I , S. 1 0 6 1 . E l t e r n sollen i h r e K i n d e r - als e i n e G a b e G o t t e s — lieb und werth h a b e n . 82 HAGMAJER: Z w e i A b e n d p r e d i g t e n , S. 13. SIGWART: P r e d i g t v o m V a t e r u n s e r , S. 2 0 9 . SIGWART: P r e d i g t v o m V a t e r u n s e r , S. 67: Es seind [...] die leibliche vnd jrrdische Eltern Va[e]tterlich vnnd Mu[e]tterlich gegen jhren Kindern gesinnet/ vnd wann sies sehen in einer Noth/ als Kranckheit oder dergleichen Zustand stecken/ daß es an jhrem guten vnd geneigten willen zuheljfen nicht fehlet. WAGNER: F ü r s t e n p r e d i g t , S. 8 2 0 . Vgl. z u m h o h e n M a ß a n L i e b e u n d A f f e k t i o n in d e n B r i e f e n L u t h e r s d i e f o l g e n d e n Stellen: W A B R 5, N r . 1 7 1 3 ; W A B R 9, N r . 3 5 0 9 ; W A B R 5, N r . 1 4 7 6 ; W A B R 4, N r . 1 3 0 3 ; W A B R 10, N r . 3 7 9 7 . V g l . OZMENT, STEVEN: T h e f a m i l y in R e f o r m a t i o n G e r m a n y : T h e b e a r i n g a n d r e a r i n g o f c h i l d r e n . In: J o u r n a l o f f a m i l y h i s t o r y 2 ( 1 9 8 3 ) , S. 159—179. E r b e f ü r w o r t e t ebenfalls e i n e n Gefühlsansatz. 83

REUCHLIN: C h r i s t e n t u m , S. 2 5 0 .

Kinder und Du/

Kindererziehung

der du einem Kind so qffigedancket

Das seine Schuldigkeit

203

hast/

und Ehrfurcht angetrieben /

Dir irgend wohl zu thun. Wie hastu's Und ihm die Hand gedruckt/ Die Zunge nicht gekonnt/

angefaßt/

und was in manchen

durch Thra[e]nen

Wochen

ausgesprochen,'84

Sicherlich ist es, wie van Dülmen zu diesem T h e m a anmerkt, schwer, eine allgemeinverbindliche Aussage zum Gewicht der Liebe in den Beziehungen zwischen Eltern und Kindern in der Frühen Neuzeit zu treffen. Es handelt sich in der Eltern-Kind-Beziehung zweifellos um ein stark differenziertes Verhältnis, dem sicher auch sehr individueller Charakter zukommt. Verallgemeinernd läßt sich nach der Lektüre der Predigten der Tübinger Professoren j e doch sagen, daß dieser Beziehung, neben allem Pflichtcharakter, der ihr innewohnte, auch eine affektive, emotionale Seite zugehörte, die nur allzuoft in den Hintergrund gedrängt wird. 8 5 Diese Seite ist gerade aus theologischer Perspektive bedeutsam, da sonst das Verhältnis zwischen Gott und den M e n schen ebenfalls um eine Dimension verkürzt würde. Das Vater-Kind-Verhältnis wird oft als Abbild des Verhältnisses zwischen Gott und Mensch dargestellt. Durch die Analogie von himmlischem und irdischem Vater wird eine in den Bereich der Transzendenz weisende Begründung für die Stellung des Hausvaters gegeben. 8 6 Der Schutz Gottes für den Menschen kann beispielhaft am Verhältnis zwischen Vater und Kind dargestellt werden: Wie nun ein kleins Kind seinem Vatter in die schoß laufft/ vnd bey jhm Schirm su[o]cht/ wann es beleidiget würdt/ also sollen auch wir bey vnserm him[m]lischen Vatter allen Schutz vnd Schirm su[o]chen/ vnd wissen/ das wir jn auch finden.87 Die vom Menschen im Doppel-

WEISMANN: Leichenpredigt Hoffmann, S. 43. Dies war, wie die Studien von EMMANUEL LE ROY LADURI: Montaillou. Ein D o r f vor dem Inquisitor 1 2 9 4 - 1 3 2 4 . Frankfurt/M; Berlin; W i e n 1982 (Frz. Paris 1975) für das südfranzösische D o r f Montaillou im 14. Jahrhundert, und EDITH ENNEN: Frauen im M i t telalter. München 1984 für das Mittelalter, aber auch KLAUS ARNOLD: Kind und Gesellschaft in Mittelalter und Renaissance. Beiträge und Texte zur Geschichte der Kindheit (Sammlung Zebra B / 2 ) . Paderborn 1980 für Mittelalter und Renaissance zeigen, bereits vor dem Einfluß von Reformation und Gegenreformation so. Arnold resümmiert (ebd., S. 86): Durch die Jahrhunderte des Mittelalters und der Frühen Neuzeit hat das Kind seinen festen Platz in der Gesellschaft; es war einfach da. In der Familie, im Haus, auf Sraßen und Plätzen, überall waren Kinder gegenwärtig. Sie wurden geliebt und von ihren Eltern und der Umwelt zuweilen als lästig empfunden wie zu allen Zeiten. 8 6 GOTTHARD FRÜHSORGE: Die Begründung der »Väterlichen Gesellschaft« in der europäischen oeconomia christiana. In: Hubertus Tellenbach (Hrsg.): Das Vaterbild im Abendland. Bd. 1. Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz 1978, S. 1 1 0 - 1 2 3 , bes. S. 1 1 4 - 1 2 3 . 8 7 ANDREAE: Predigten in Lauingen, S. xlii v . Vgl. SIGWART: Predigt vom Vaterunser, S. 144: Ferner will vns Christus [...] anmahnen/ daß wir einig vnd allein an jhme hangen/ vnd wann vns ettwas mangelt/ jhm allein zulaufen vnd sagen: Himmelischer Vatter/ gib mir das oder das. Nicht anders/ als wie die junge Kinder jhren leiblichen Eltern zueilen/ wann jhnen ettwas widerfa[e]hrt oder anligt. PREGITZER: Hochzeitspredigt, S. 14. Kinder suchen bei ihren E l tern Zuflucht und klagen ihnen ihre Not. Sie dürfen Hilfe und R a t suchen. Entsprechend 84 85

204

Dimensionen

des Alltags in der Frühen

Neuzeit

gebot geforderte Liebe zu Gott und d e m Nächsten kann aber ebensogut am Beispiel der Liebe der M u t t e r zu ihrem Kind erklärt werden. 8 8 Das Kind wünscht sich in der Fremde nichts lieber, als [...] / daß es bald zu seinen lieben Eltern ka[e]me.S9 Kinder freuen sich auf ihre Eltern wie zukünfige Eheleute auf ihren Hochzeitstag. Eltern feiern gemeinsam mit ihren Kindern, sie laden sie auf [...] die Jarsta[e]g zu Gast [...]/ an S. Martins nacht/ oder sonst/ sehen sie gerne/ das die Kinderfro[e]lich seind/ Essen vnndTrincken/ vnndgo[e]nnens jhnen von hertzen wol/ seins auch mit jhnen fro[e]lich/ [•••].90 Alle diese ausführlich vorgestellten Beispiele zeigen, daß neben der einseitigen Gehorsamsforderung die emotionalen Beziehungen zwischen K i n d e r n u n d Eltern eine wichtige R o l l e bei der Sozialisation der Kinder spielten. 91 Dies steht im Widerspruch zu den Thesen von Edward Shorter u n d Elisabeth Badinter, die behaupten, Kindern sei über eine minimale Fürsorge hinaus k a u m Aufmerksamkeit zuteil geworden. Z u grundlegenden Veränderungen in der Eltern-Kind-Beziehung sei es erst im Z u g e der Industrialisierung g e k o m men. Die Beispiele aus den Tübinger Predigten zeigen j e d o c h , daß die Familie m e h r war als eine Arbeitsgemeinschaft, sie bot auch R a u m für eine e m o tionale Absicherung der Kinder u n d vermittelte somit ein Gefühl der Sicherheit und Geborgenheit. Die Angst der Eltern u m die Gesundheit ihrer Kinder, wie die Trauer über ihren frühen Tod sind eindrückliche Beispiele für die Z u n e i g u n g der Eltern zu ihren Kindern. Zweifellos ließ das Eingebundensein in den Arbeitsprozeß den Eltern wenig R a u m für eine b e w u ß t e Z u w e n d u n g zu ihren Kindern u n d doch zeigen gerade die Details die aufmerksame Fürsorge von Vätern u n d M ü t t e r n . D a ß die Beziehung in ein starkes Autoritätsverhältnis eingebettet war, entspricht den sozialen Vorfindlichkeiten der frühneuzeitlichen Gesellschaft. k ö n n e n E h e l e u t e ihre N o t G o t t klagen. WEISMANN: L e i c h e n p r e d i g t H o f f m a n n , S. 42. D i e Liebe zu G o t t k a n n aber a u c h m i t der Liebe der M u t t e r z u m K i n d verglichen w e r d e n . V g l . HOCHSTETTER, A . A . : A n t r i t t s p r e d i g t , S. 2 1 . 88

HOCHSTETTER, A . A . : A n t r i t t s p r e d i g t , S. 2 1 .

89

SIGWART: Predigt v o m Vaterunser, S. 110.

90

ANDREAE: E r n t e p r e d i g t , S. 5 5 7 .

91

Dies e n t s p r i c h t nicht des in Teilen der F o r s c h u n g v e r t r e t e n e n lieblosen D e s i n t e r e s ses der E l t e r n an ihren K i n d e r n . So PHILIPPE ARIES: G e s c h i c h t e der K i n d h e i t . M ü n c h e n 1985 7 . DAVID HUNT: Parents a n d children in history. T h e psychology of family life in early m o d e r n France. N e w York, L o n d o n 1970. LLOYD DEMAUSSE: E v o l u t i o n der K i n d h e i t . In: Lloyd D e M a u s s e (Hrsg.): H ö r t ihr die K i n d e r w e i n e n . E i n e psychogenetische G e s c h i c h t e der K i n d h e i t . F r a n k f u r t / M . 1980, S. 1 2 - 1 1 1 . EDWARD SHORTER: D e r W a n d e l der M u t t e r K i n d - B e z i e h u n g e n zu B e g i n n der M o d e r n e . In: G e s c h i c h t e u n d Gesellschaft 1, 1975, S. 2 5 6 - 2 8 7 . ELISABETH BADINTER: D i e M u t t e r l i e b e . G e s c h i c h t e eines G e f ü h l s v o m 17. J a h r h u n d e r t bis h e u t e . M ü n c h e n , Z ü r i c h 1981. LENZ: D e m o r t u i s nil nisi b e n e , S. 49: Zuwendung, Zuneigung, Zärtlichkeit, ja Liebe hat es in der Familie der Frühen Neuzeit nicht gegeben! N a c h der A u f f a s s u n g v o n Lenz w a r e n die familiären B e z i e h u n g e n ausschließlich von H e r r s c h a f t b e s t i m m t . A n d e r s d a g e g e n OZMENT: W h e n fathers ruled, S. 1 3 3 - 1 4 4 . STRAUSS: L u t h e r s h o u s e of learning, S. 9 0 - 1 0 7 .

Kinder und

205

Kindererziehung

Die Erziehung der Kinder ist ein mu[e]hesam/ aber sehr notwendig Capittel/ [...] / denn es stecket nichtsgu[o]ts/ sondern eittel bo[e]ses inn des Menschen Hertzen von jugent auff.92 Deshalb werden die Eltern ermahnt, sich an den Kindern [...] nit zu vergaffen,93 Dadurch k ö n n t e n Eltern nämlich dazu bewegt werden [ . . . ] / der Armen/ ohne das zum bo[e]sen geneigten Jugend/ allen Muthwillen/ Pracht/ Hoffart vnd Vppigkeit zugestatten/ wann sie sich so Brav/ oder vielmehr so leichtfertig wissen in die Sach zuschicken. Das seynd Affen-Eltern/ welche die Vntugend jhrer Kinder halten fu[e]r Tugend; die Leichtfertigkeit fu[e]r Erbarkeit/ vnd etwan selbsten ein Vrsach am Vntergang vnd Verderben jhrer Kinder seynd/ [•••].9A Eltern sollen großen Fleiß für die Erziehung ihrer Kinder aufwenden, d e n n auch w e n n alle Menschen, die Kinder eingeschlossen, mit der Erbsünde belastet sind, so hat d e n n o c h die Erziehung maßgeblichen Einfluß auf die Form u n g des Menschen: Dann das die Kinder so übel gerhaten/ geschieht daher/ das man derselben nicht achtet/ mehr vleiß vnnd arbeit/ sorg vnnd mu[e]he auff ein Saw legt/ denn auff ein Kind/ [•••].95 Z u r Erziehung der Kinder hat Gott drei Zuchtmeister verordnet: Eltern — Lehrer/Prediger — Obrigkeit. 9 6 Sie sind gemeisam damit betraut, die Kinder [...] / Erstlich zu[o] der waren Erkanntnuß vnndforcht Gottes/ darinnen die Weißheit vnd das ewig leben steckt, zum andern zu[o] eüsserlicher Zucht vnd erbarkeit/ die auß der Erkanntnuß vnd rechterforcht Gottes fleüßt.97 Die beiden hier genannten Erziehungsziele lassen sich nicht einzeln erläutern, sie sind wechselseitig ineinander verflochten u n d überschneiden sich damit vielfach. Konkret zählen dazu die Erziehung zur Gottesfurcht, das E i n schärfen des Gesetzes, die Warnung vor Sünden, besonders vor Fluchen, Schwören, Verachtung des Wortes Gottes u n d vor »Augen- u n d Fleisches-

Predigt von der Ehe, S. E 2 r . Z u r Erziehung der Kinder vgl. VAN D Ü L MEN: Alltag und Kultur, S. 101-121. 93 Vgl. zum folgenden W A G N E R : Evangelien-Postille 1 , S . 6 7 0 - 6 7 3 . R A I T H : Trostschrift, S. 15. Er geht sogar so weit, zu sagen, daß kleine Kinder, die von ihren Eltern mit allzugroßer Affenliebe erzogen werden, durch frühen Tod vor Schlimmerem bewahrt werden. S U M M A R I E N VI, S. 1 0 3 6 f. S I G W A R T : Predigt v o m Vaterunser, S . 1 7 1 : Kinder w e r den durch die Lindigkeit der Eltern gemeinglich verderbt. WAGNER: Evangelien-Postille 1, 92

S.

HEERBRAND:

190. 94

WAGNER: E v a n g e l i e n - P o s t i l l e 1, S. 6 7 3 .

95

ANDREAE:

96

ANDREAE:

97

ANDREAE:

Predigten in Hagenau, S . 3 5 6 . Predigten in Lauingen, S. Ir. Predigten in Hagenau, S. 354.

u n d S. II r . WAGNER: E v a n g e l i e n - P o s t i l l e

S. 41.

ANDREAE:

Predigten in Lauingen, S.

1, S. 111. WAGNER: Z w e i

A3V-IR

Erdbebenpredigten,

Epistel-Postille 1, S. 468b. W A G N E R : Evangelien-Postille 3, S. 292. Leichenpredigt Merlau, S . 36. Vgl. R U B L A C K : Lutherische Predigt und gesellschaftliche Wirklichkeiten, S. 369. HÄBERLIN:

WAGNER:

206

Dimensionen des Alltags in der Frühen Neuzeit

lust«. 98 D a z u sollen E l t e r n ihren K i n d e r n die sechs H a u p t s t ü c k e christlicher Lehre lehren u n d sie zur Predigt a n h a l t e n . " G e n a u s o verstehen die Prediger u n t e r Z u c h t u n d Ehrbarkeit das A n h a l t e n der K i n d e r zur Arbeit, das E r l e r n e n eines Berufes, bzw. in negativer F o r m u l i e r u n g , die A b l e h n u n g j e g l i c h e n M ü ß i g g a n g e s . W o b e i u n t e r B e r u f nicht verstanden w e r d e n soll, daß j e d e r m a n n ein H a n d w e r k l e r n e n o d e r B a u e r w e r d e n solle. Alle Arbeit ist prinzipiell gleichrangig zu w e r t e n , egal o b H a n d w e r k e r , B a u e r o d e r Verwaltungstätigkeiten i m R a t h a u s o d e r sonst in der R e g i e r u n g . Diese Tätigkeiten sind alle als Arbeit zu w e r t e n w i e auch die E r z i e h u n g u n d U n t e r w e i s u n g der Kinder. Das h e i ß t dann aber auch, w e n n einer viel Geld hat, soll er seine K i n d e r t r o t z d e m nicht z u m M ü ß i g g a n g erziehen, sonder sie studieren/ vnd etwas lernen lassen/ darmit sie beides/ Gott vnnd den Menschen dienen ko[e]nde[n].wo F o r d e r n die Prediger zur Arbeit u n d z u m E r l e r n e n eines Berufes auf, so weisen sie aber zugleich darauf hin, daß es mit d e m A n h ä u f e n v o n materiellen G ü t e r n nicht getan ist. 101 Gerade j e n e Kinder, deren Eltern die g r ö ß t e Sorge u n d M ü h e auf das »Schätzesammeln« verwandt h a b e n u n d es versäumten, ihre K i n d e r zu Gottesfurcht, christlichen T u g e n d e n u n d ehrlic h e m Stand zu erziehen, v e r t u n häufig ü p p i g das angesammelte G u t ; oder, was d e n P r e d i g e r n n o c h viel s c h w e r w i e g e n d e r erscheint, diese E h e l e u t e h a b e n keine Kinder, so daß ihr V e r m ö g e n nach i h r e m Tod an eitel lachende Erben geht. 1 0 2 Eltern sollen deshalb ihren K i n d e r n nicht g r o ß e Schätze sammeln, sie sollen i h n e n v i e l m e h r das Vaterunser, das Glaubensbekenntnis u n d d e n D e k a log lehren. 1 0 3 Oberstes Erziehungsziel ist es also, daß j e d e r an seinem i h m in der Gesellschaft zugewiesen 'Platz seine Arbeit »zum Lob Gottes u n d zu g e m e i n e m N u t z e n « erfüllt. 1 0 4 D a r ü b e r hinaus sind K i n d e r auch ganz individuell f ü r das jeweilige Haus w e n n sie wohl gerahten und gottsfu[e]rchtig sind ihren E l t e r n eine grosse Hu[e]lffe zur Zeit der Noth [.. .j. 1 0 5 U m diesen A n s p r ü c h e n gerecht zu w e r d e n , sollen Eltern ihren K i n d e r n ein rechtes U r t e i l g e g e n ü b e r zeitlichen, vergänglichen w i e auch g e g e n ü b e r geist-

98

WAGNER:

Esslinger Freudenfest-Predigt,

S. 4 0 . H A F E N R E F F E R :

Predigt bei Erbhuldi-

gung, S. 75. 99

ANDREAE:

Christliche Anleitung, S. 27 und S. 35. A N D R E A E : Predigten in Hagenau,

S. 372. Predigten in Hagenau, S . 3 5 7 . Predigt vom Lauf der Planeten, S. 115. A N D R E A E : Predigten in Hagenau, S. 354—357. H O C H S T E T T E R , J. A . : Catechismuslehre, S. 48. 102 A N D R E A E : Vier Predigten vom Wucher, S. 104. 103 A N D R E A E : Predigt vom Lauf der Planeten, S. 114. W A G N E R : Leichenpredigt Cellius, S. 29. V 104 A N D R E A E : Predigten in Lauingen, S . VI . Der gemeine Nutzen erstreckt sich dabei ja nicht nur auf die eigenen Kinder; ein die Erziehung vernachlässigender Vater verdirbt deshalb nicht allein seine Kinder, sondern auch seine Enkel. WAGNER: Zwei Erdbebenpredigten, S. 9 schildert die Folgen einer falschen Erziehung. 105 S U M M A R I E N III, S . 1 6 0 2 . V A N D Ü L M E N : Alltag und Kultur, S . 1 0 7 . 100

ANDREAE:

101

ANDREAE:

Kinder und

Kindererziehung

207

liehen, himmlischen Dingen beibringen. Dabei ist stets zu bedenken, daß die Menschen auf der Welt nur »Pilger und Fremdlinge« sind 1 0 6 , ein Diktum, das auch im Kirchenlied seinen Ausdruck findet 1 0 7 : HErr Jesu christ, meins lebens Hecht Mein ho[e]chster

trost, mein

Zuversicht,

Auf erden bin ich nur ein gast, Und druckt mich sehr der su[o]nden

last.

Ich hab vor mir ein schwere reyß Zu dir ins him[m]lisch Da ist mein rechtes

paradeiß

Vaterland,

Darauf du dein dein blut hast

gewandt.

Zur reyse ist mein hertz sehr matt, Der leib gar wenig kra[e]ffte

hat,

Allein mein seel schreyt in mir: Herr, hohl mich heim, nimm mich zu dir.

Die wichtigste R o l l e bei der Erziehung der Kinder zu »Zucht, Ehrbarkeit und gottseligem Wandel« spielte zweifelsohne das Vorbild der Eltern. 1 0 8 Die Eltern müssen selbst mit gutem Beispiel vorangehen, und zwar so lange, bis die K i n der selbst lernen, was ihnen zu tun oder lassen nötig ist. 1 0 9 Weshalb Eltern — wie übrigens auch Obrigkeiten — immer besondere Strafen angedroht werden, wo sie ihrem Vorbildcharakter nicht nachkommen. 1 1 0 D e n n wenn Eltern für ihre Person »ärgerlich und lästerlich« leben, nützt alle ihre Erziehung, Ermahnung und Strafe nichts: Dann so ein Kind sein Vatter ho[e]ret ta[e]glich flu[o]chen vnd lo[e]stern/ sihet jn vol vnd truncken/ oder das er selbst nicht nach der Predig Gottes Wort fraget/ auch dieselig nit mit vleiß besu[o]chet/ was solt ein sollich Kind vmb seines Vatters red oder Straffgeben?ux

106

HOCHSTETTER, J . A . : C a t e c h i s m u s l e h r e , S. 4 9 .

Württembergisches Gesangbuch (1741), Nr. 314, Vers 1 - 3 [=Württembergisches Gesangbuch (1711), S. 417], 1 0 8 ANDREAE: Predigten über Ps 51, S. X X X I I P . ANDREAE: Predigten in Lauingen, 107

S. I I R - I I I R . SIGWART: L a s t e r p r e d i g t e n , S. 1 1 9 r . HAFENREFFER: P r e d i g t b e i

Erbhuldigung,

S. 78. HÄBERLIN: Epistel-Postille 2, S. 4 6 4 b f. ANDREAE: Historia, S. 3 2 5 : Das beste Mittel für ein wolbestelltes Hauß-Regiment, für gantze Familien ist ein guter Name: Eph 6,4; Sir 7,25; Sir 30,12. 1 0 9 SIGWART: Lasterpredigten, S. 98 R . ANDREAE: Predigten in Hagenau, S. 371. 1 1 0 ANDREAE: Predigten über Ps 51, S. X X X F . HAFENREFFER: Predigt bei Erbhuldigung, S. 77. 111 ANDREAE: Christliche Anleitung, S. 30. Zur Vorbildfunktion vgl. SIGWART: Lasterpredigten, S. 76RV. WAGNER: Predigt über Ehehalten, S. 37: Wie man das Wetter erkennt am Wind/ vnd den Vatter am Kind/ also erkennt man den Haußvatter am Gesind. Dies veranschaulicht zudem die ähnliche Stellung von Kindern und Gesinde in ihrem Verhältnis zu den Eltern bzw. zu den Herrschaften. ANDREAE: Predigten über Ps 51, S. X X X I I I ' . SIGWART:

208

Dimensionen des Alltags in der Frühen Neuzeit

N e b e n dem Vorbild in der Lebensführung sind die Eltern aufgefordert, ihren Teil dazu beizutragen, daß die in der Kindererziehung angestrebte Z u s a m menarbeit zwischen Haus, Schule u n d Kirche auch in die Tat umgesetzt w e r den kann. Sie sollen deshalb ihre Kinder fleißig z u m Besuch von Schule u n d Kirche anhalten. Dies kann nur dann von Erfolg gekrönt sein, w e n n die Eltern nicht zu j e n e n zählen, von denen R e u c h l i n sagt Aber bey vielen seynd laider/ Kinder und Rinder ein Ding.lu Diese Eltern nämlich »sorgen für ihren Leib«, u n d w e n n der H u n g e r gestillt ist, k ü m m e r n sie sich nicht m e h r u m das seelische Wohlbefinden ihrer Kinder. Vielmehr kann m a n bei ihnen folgende Entschuldigungen hören: Bald heists/ die Kinder lernen nichts in der schul/ da doch mehrentheils die Eltern/ so zu hauß nicht fleißige Auffsicht haben/ daran schuld tragen. Bald/ ich brauche meine Kinder zu hause in meinen gescha[ejfften/ zum Zeugnus wider uns/ daß wir den Leib ho[e]her achten dann die seele/ und unseren Eigen nutz der seeligkeit unserer Kinder vorziehen. Bald klagt man u[e]ber Armuth/ daß man das Schulgeld zu zahlen nicht vermo[e]ge/ und doch seynd hernach keine Kinder unfleissiger/ und keine Eltern nachla[e]ssiger/ als die/ vor welche das Schulgeld aus dem Allmosen bezahlet wird/ [...] Christlicher Eltern Pflicht erfordert/ daß sie ihre Kinder zur Kirchen/ Kinderlehr und Schulen halten/ und die Last mit heißen tragen. Die Haußkirche muß das/ was in Predigten und Kinderlehren gehandlet wird widerhohlen/ ins hertz recht einpra[e]gen und in die u[e]bung bringen. Und die Haußzucht muß der Schulzucht die hand bieten.n2> Prediger u n d Lehrer k ö n n e n da, w o Eltern es nicht einmahl leiden/ daß man ihre Kinder ziehe allein nichts ausrichten. Da ho[e]rt man die Klagen der Kinder an wider ihre Praeceptores und Schulmeister/ da schilt und schma[e]het man u[e]ber dieselbe vor den Ohren der Kinder/ und damit gewo[e]hnet man sie bald anfangs zum lu[e]gen/ sta[e]rcket ihre boßheit/ und macht daß [...] die Jugend nur immer gottloser wird. Und wann schon einige Eltern seyn/ so ihre Kinder u[e]ber ihrer boßheit straffen/ so geschiehets doch nicht mit geho[e]riger Christlicher Klugheit: sondern es geschickt mit unma[e]ssigen Zorn/ [...] / ohne liebreiche Unterweisung und Zu[e]chtigung [...] Daher komts/ daß bey allem schlagen und balgen die Kinder nur a[e]rger werden/ weil GOtt keinen Seegen zu solcher unchristlichen und a[e]rgerlichen Kinderzucht geben kan.nA Vorbild u n d N a c h a h m u n g sind die beiden indirekten pädagogischen Grundsätze der lutherisch orthodoxen Prediger: J u n g g e w ö h n t - alt getan. 1 1 5 Lasterpredigten, S. 76 r . ANDREAE: S. 3 8 2 - 3 8 5 : D i e E l t e r n h a b e n m i t theil fluchen und schweren/ lu[e]gen unchristliches Wesen/ daß also ihre ho[e]ses thun [...].

C h r i s t l i c h e A n l e i t u n g , S. 30. REUCHLIN: C h r i s t e n t u m , g u t e m Vorbild v o r a n z u g e h e n : Wann die Eltern im Gegenund betru[e]gen/ fressen und sauffen/ Narrentheidung und Kinder solche Su[e]nden vor ihnen von Jugend auff lernen

112

REUCHLIN: C h r i s t e n t u m , S. 3 8 3 .

113

REUCHLIN: C h r i s t e n t u m , S. 3 8 3 . HEERBRAND: P r e d i g t v o n d e r E h e , S. E 2 r .

114

REUCHLIN: C h r i s t e n t u m , S. 3 8 4 .

113

SIGWART: L a s t e r p r e d i g t e n , S. 1 1 9 r . WAGNER: E v a n g e l i e n - P o s t i l l e 1, S. 1 9 1 .

Kinder und

Kindererziehung

2 0 9

W e n n die Kinder allerdings Böses getan haben, so sollen Eltern sie in »gebührender Weise« strafen: [...], damit sie nicht GOtt oder der Hencker straffen mu[e]sse, und damit die anderen Kinder desto mehr in der Zucht gehalten werden, und fu[e]r der Boßheit sich hu[e]ten.n6 Bestraft werden sollen in erster Linie U n g e horsam u n d Mutwillen der Kinder. 1 1 7 Zwar dependirt das Hauswesen in erster Linie v o m Vater, doch sind die M ü t ter nicht ausgeschlossen. Beide Elternteile werden ermahnt, die Kinder nicht zu erbittern, auff daß sie nicht scheu werden [...] Sie sollen sie nicht mit allzugrossen schatffen Bedrohungen und unma[e]ssigen Straichen nicht verursachen zur Halsstarrigkeit/ [...] Sie sollen jhre Kinder nicht zum Zorn reitzen/ und solches zwar darumb/ daß sie nicht scheu werden [...] fu[e]r jhren Eltern zittern wie ein a[e]spin Laub/ daß es jhnen jhr lebenlang nachgehet/ und ein Verhinderniß derjenigen Qualita[e]ten ist/ die sie von Jugend auff ha[e]tten ko[e]nnen erhalten/ wann sie von jhren Va[e]ttern recht wa[e]ren tractirt/ und nicht von Jugend auff durch schelten und schlagen zu Narren gemacht worden.118 Gott will eine [...] freündtliche zucht haben/ die weder zu[o] lind noch zu[o] schaff seye/ sonder mittelma[e]ssig/ darmit den Kindern nichts übersehen/ vn[d] sie gleichwol in gespu[e]rlicher zucht gehalten werden. Es soll der Vatter nicht ein Tyrann oder ein Hencker sein/ sonder sein va[e]tterlich Hertz in allweg erweisen. 119

116

SUMMARIEN II, S. 510. Vgl. dazu STRAUSS: Luther's h o u s e o f l e a r n i n g , S. 1 7 6 - 1 8 2 .

117

HEERBRAND: P r e d i g t v o n d e r E h e , S. [F 4 ] V . W A G N E R : C a s u a l p r e d i g t e n

(Bußpre-

digt), S. 8 6 0 . Z u m B e g r i f f des M u t w i l l e n s vgl. J a c o b u n d W i l h e l m G r i m m (Hrsg.): D e u t s c h e s W ö r t e r b u c h . B d . 12. M ü n c h e n 1984 (Bd. 6. L e i p z i g 1885): A r t . M u t w i l l i g , Sp. 2 8 3 5 f. M u t w i l l i g h e i ß t 1) freiwillig, aus eigenem Antrieb; 2) nach eigenem belieben, willkürlich; 3) voll leichtfertiger bosheit, frevelhaften eigensinnes oder übermut.Wgl. a u c h HERMANN FISCHER (Hrsg.): S c h w ä b i s c h e s W ö r t e r b u c h . Bd. 4. T ü b i n g e n 1914: A r t . M u t - w i l l e ( n ) , Sp. 1 8 5 6 f.: 1) freier Wille, eigenes Belieben-, 2) Herzenslust; m u t w i l l i g : 1) freiwillig; 2) frevelhaft. 118 WAGNER: Epistel-Postille 1, S. 352. ANDREAE: C h r i s t l i c h e A n l e i t u n g , S. 2 5 f.: E l t e r n sollen ihre K i n d e r nicht zu[o]m Zorn reitzen/ das ist/ sie sollen nicht wild vnd wieterisch gegen den Kindern sein/ sonderfretindtlich beides in der vermanung vn[d] zucht jnen sich erzeigen/ darmit sie das va[e]tterlich Hertz spu[e]ren mo[e]gen. Dann mit bochen vnd boldern/ toben vnd wieten/ richtet man nichts auß/ sonder macht darmit die Kinder scheu/ [...] / das sie wol erschrekken/ aber des boldern gewonen/ vnd letstlich nichts mehr darumb gebe[n], SUMMARIEN VI, S. 1036 f. HAFENREFFER: Predigt bei E r b h u l d i g u n g , S. 81. WAGNER: Epistel-Postille 1, S. 3 5 9 . 119

ANDREAE: C h r i s t l i c h e A n l e i t u n g , S. 25 f. ANDREAE: P r e d i g t e n in L a u i n g e n , S. IF.

SUMMARIEN

I I I , S. 1 8 6 0 .

SUMMARIEN V I , S. 1 0 3 6 f f . H E E R B R A N D : P r e d i g t

vom

Kometen,

S. 8 f. u n d S. 15. SIGWART: Predigt v o m E r d b e b e n , S. 61 f. HAFENREFFER: P r e d i g t bei d e r E r b h u l d i g u n g , S. 81. HEERBRAND: Predigt v o n der E h e , S. [F 4 ] V : E i n Vater schlägt seine K i n d e r n i c h t aus Neyd oder Haß/ sondern Va[e]tterlichem Hertzen vnd wolmeinen [...] / wann sie bo[elß vnd mu[o]twillig sind/ [...] vnnd ungehorsamen [...]. E l t e r n sollen darauf a c h t e n , daß ihre K i n d e r ü b e r d e m Strafen nicht scheuch w e r d e n ; dies sei einzig ü b e r eine »maßvolle Z u c h t « zu e r r e i c h e n .

210

Dimensionen des Alltags in der Frühen

Neuzeit

Das Ziel einer j e d e r Erziehung sei im Dekalog formuliert. 1 2 0 Die Prediger kritisieren eine zu n o c h lässige Erziehung ebenso wie eine zu strenge. 121 Sie empfehlen den folgenden U m g a n g im Strafen: Vnd da die freundtliche va[e]tterliche Vermanung nicht wo[e]llen statt haben/ soll man auch das rauch herauß kehren/ vnnd sie mit ernstlichen harten Worten straffen/ Gottes zorn vnd vngnad/ auch die straff dra[e]wen/ deren sie nicht entgehn würden. Jm fahl das auch die rawen harten wort nichts außrichten wolten/ so greiff zur Ru[o]tten bey zeit/ vnd verzeuchs nicht lang/ [...].122 Fast i m m e r wird der strafende Vater mit d e m strafenden Gott verglichen. W i e Gott in Strafe u n d Z o r n seiner Barmherzigkeit u n d seines »Vaterherzes« gedenkt, so sollen sich aber auch die Eltern im Strafen ihres väterlichen bzw. mütterlichen Herzens erinnern. 1 2 3 Göttliches wie väterliches D r o h e n soll zur Abbitte fuhren. 1 2 4 Gott selbst wird als ein fu[e]rbild moderiter va[e]tterlicher Zucht vor Augen gestellt. 125 D a n e b e n findet sich ein weiteres Vergleichsmoment: die Kinder sollen ihre Eltern furchten wie die U n t e r t a n e n ihre Obrigkeit. 1 2 6 D e n j e n i g e n Kindern, die die G e b o t e halten u n d Gott furchten, wird — entsprechend der alttestamentlichen Verheißung — ein langes Leben versprochen. 1 2 7 Ein besonderes A u g e n m e r k sollten Eltern nach M e i n u n g der Prediger auf die Erziehung ihrer T ö c h t e r richten. Sie sollen ihnen »Frechheit« verwehren u n d keinen Mutwillen gestatten u n d eine besonders gute Aufsicht über sie üben. 1 2 8 U m Unglück zu vermeiden, sollen Eltern ihre T ö c h t e r besser früh verheiraten. Eltern werden im besonderen ermahnt, darauf zu sehen, daß ihre T ö c h t e r [...] durch Augenlust und hofa[e]rtig Wesen nicht vetfu[e]hrt/ und ohnzu[e]chtigen Augen zum Luder der Unzucht gemacht/ sondern zur Gottes forcht/ 120

ANDREAE.

121

WAGNER:

Christliche Anleitung, S. 25, S. 27 und S. 35. Zwei

Erdbebenpredigten,

S. 9 f.

WAGNER:

Evangelien-Postille

1,

S. 669 f. Vgl. VAN DÜLMEN: Alltag und Kultur, S. 106. Vgl. ASHEIM: Glaube und Erziehung, S. 53-58. 122 A N D R E A E : Predigten in Hagenau, S . 3 5 9 mit den bekannten Hinweisen auf die Proverbien. A N D R E A E : Predigten in Lauingen, S . I I ™ : Erst wenn Worte undVermahnungen nichts helfen, soll zur R u t e gegriffen werden. WAGNER: Zwei Erdbebenpredigten, S. 41: erst gute und ernstliche Worte, dann R u t e und harte Strafe. S I G W A R T : Neujahrspredigt, S. 5V. 123 H E E R B R A N D : Predigt vom Kometen, S . 15. S U M M A R I E N VI, S . 1037. S I G W A R T : Predigt vom Vaterunser, S . 62 f. S I G W A R T : Predigt von Hauptplagen, S. 125. Als Beispiel: Sigwart bezeichnet hier die Pest, die nicht so schwer wiegt wie Krieg, Teuerung und H u n gersnot als ein kleins Ru[e]tlein/ damit ein Vatter seine Kinder zu[e]chtig. S I G W A R T : Predigt vom Reif, S . l l r v . S I G W A R T : Neujahrspredigt, S . 5V. v 124 P R E G I T Z E R : Bußpredigt, S . 209. S I G W A R T : Predigt vom Erdbeben, S . l l .

125 126 127

128

WAGNER: E p i s t e l - P o s t i l l e 1, S. 3 5 9 . WAGNER: R e g e n t e n p r e d i g t , S. 18. SUMMARIEN I I I , S.

1860.

Vgl. zum folgenden S U M M A R I E N V, S . 505. R U B L A C K : Lutherische Predigt und gesellschaftliche Wirklichkeiten, S. 372, bes. auch A n m . 117.

Kinder und

Kindererziehung

211

Haußgescha[e]fften / spinnen/ kochen/ nehen erzogen/ und vom Müssiggang abgehalten werden.129 Besonders sollen M ü t t e r gewarnet seyn/ daß sie ihren To[e]chtern mit u[e]ppigkeit in Kleidern/ ohnschamhafftigkeit in Worten/ Frechheit in geberden/ Verda[e]chtigkeit im Wandel/ nicht selbsten ein bo[eJß Exempel geben Dies zeigt, daß M ü t t e r ihren T ö c h t e r vor allem in Hinblick auf die spätere F ü h r u n g eines eigenen Haushalts eine spezielle Erziehung angelegen sein lassen sollten. D e m eigenen Lebenswandel der M u t t e r k o m m t dabei erneut Vorbildcharakter zu. D e n T ö c h t e r n soll es nicht gestattet werden bey Nacht- und WinckelTa[e]ntzen zu sein; hierin sehen die Prediger vor allem die Ursache zu Leichtfertigkeit u n d Verfuhrung. 1 3 1 Ein interessantes Detail findet sich bei Heerbrand, der in einer Predigt die R o l l e des Verfuhrers nicht der Frau, sondern dem M a n n zuschreibt. D e n n die M ä n n e r [...] vermeinen/ vnd dafu[e]r von ma[e]niglich gehalten werd[n]/ als haben sie jhr ehr nicht verloren/ da dargegen/ ein armes Meydlin/ wan[n] es sich einmal vbersicht/ vnd etwa von solchen ehrlose[n] Leckern mit vilen Verheissungen beredt werden/ jhnen zu[o] willfaren/ hat sie/ wie war/ jhr Ehr vnnd Jungfrawschafft verloren/ /•••/HJ Auf die prinzipielle Gleichheit von Söhnen u n d T ö c h t e r weist n o c h besonders Andreae hin. Ein M a n n , d e m Gott viele T ö c h t e r gegeben hat, hat nicht weniger Segens [...] zugewarten als bei vielen Söhnen. 1 3 3 Was die Erziehung der Kinder anbelangt, so läßt sich feststellen, daß dies ein Bereich ist, zu dem die Prediger in h o h e m M a ß e ihre Vorstellungen p r o pagierten. Keinerlei Nachsicht empfahlen sie, da walten zu lassen, wo das in der Predigt vorgetragene religiöse Wissen nicht präsent war. 1 3 4 Das gleiche gilt auch für den eingeforderten Gehorsam; dem Mutwillen der Kinder — wohl ganz wörtlich zu verstehen, als M u t zum eigenen (Kindes-)Willen — m u ß t e von früh an Einhalt geboten werden. Vergehen auf diesen Gebieten w u r d e n hart bestraft. Beide Vergehen rührten schließlich — in den Augen der Prediger — an die G r u n d f u n d a m e n t e des hierarchischen gesellschaftlichen A u f baus. U m der O r d n u n g willen hier hart durchzugreifen, schien für die Prediger ein M u ß . D i e in der Forschungsliteratur im Kontext der Erziehung k o n trovers u n d viel diskutierte Prügelstrafe ist nach M e i n u n g der T ü b i n g e r Predi-

Historia, S . 7 7 . W A G N E R : Evangelien-Postille 3 , S . 2 9 0 - 2 9 2 . WAGNER: Historia, S. 77 u n d S. 93: eine Frau m a c h t sich verdächtig, w e n n sie »Gemeinschaft, Einsamkeit oder Heimlichkeiten mit j u n g e n Gesellen pflegt«. 129

WAGNER:

130

131

WAGNER: H i s t o r i a , S. 1 3 4 . WAGNER: E v a n g e l i e n - P o s t i l l e 3, S. 2 9 2 .

Predigt von der Keuschheit, S. C 3 r v . Hochzeitspredigt, S . D 3 V - [ D J r . Allerdings, über die Heirat seiner T ö c h ter g e w i n n t ein Hausvater Schwiegersöhne! Vgl. VAN DÜLMEN: Alltag u n d Kultur, S. 145. Bei an die Eltern gerichtetet Heiratsanträgen bat der W e r b e n d e oft als S o h n a u f g e n o m m e n zu w e r d e n . 134 Vgl. 5. D e r Katechismus: S u m m a christlicher Lehre, S. 171—187. 132

HEERBRAND:

133

ANDREAE:

212

Dimensionen

des Alltags

in der Frühen

Neuzeit

ger hier angebracht. 1 3 5 Daraus j e d o c h folgern zu wollen, Schläge w ä r e n das einzig b e s t i m m e n d e Erziehungsmittel gewesen, greift zu kurz. Es stellt sich aber angesichts der w i e d e r h o l t e n A u f f o r d e r u n g e n der Prediger an die Eltern, i m n o t w e n d i g g e w o r d e n e n Strafen m o d e r a t zu verfahren, die u m g e k e h r t e Frage, o b die Prediger damit einer härteren zeitgenössischen Strafpraxis e n t g e g e n w i r k e n wollten. E i n e ambivalente E r f a h r u n g v o n U n t e r o r d n u n g u n d Freiraum auf der ein e n Seite w i e auch Zärtlichkeit, Z o r n u n d Strenge auf der anderen Seite b e herrschte die kindliche Lebensgeschichte in der F r ü h e n N e u z e i t . 1 3 6 1.1.3

Das Gesinde im Haus

Allein die Tatsache, daß das Gesinde in d e n Predigten eine entsprechende E r w ä h n u n g findet, belegt einmal m e h r auch aus diesen P r e d i g t e n die T h e s e B r u n n e r s v o m »ganzen Haus«, bzw. — in der Z w i s c h e n z e i t modifiziert — v o n der »Haushaltsfamilie«. D a ß es sich dabei nicht n o t w e n d i g u m eine G r o ß f a m i lie handelt, belegen die Aussagen, daß erst nach d e m Tod der E l t e r n eine eigener Hausstand g e g r ü n d e t w e r d e n konnte. 1 3 7 In d e n Predigten wird zwischen der Stellung der K i n d e r u n d des Gesindes i m H a u s kein g r o ß e r U n t e r s c h i e d 1 3 8 g e m a c h t — mit einer gewichtigen A u s n a h m e : das K i n d ist der spätere Erbe, w i e W a g n e r b e t o n t . 1 3 9 D i e B e z i e h u n g e n zwischen H e r r s c h a f t u n d Gesinde sind d u r c h ein klares Unterordnungsverhältnis definiert, die auf G e h o r s a m seitens des Gesindes b a sieren. 1 4 0 Alle herrschaftliche Gewalt j e d o c h ist keine ungemesene Gewalt, sie soll eingeschlossen sein in die Schrancken go[e]ttlicher Gebote. Das heißt, die H e r r s c h a f t e n k ö n n e n u n d sollen v o n ihren U n t e r g e b e n e n G e h o r s a m f o r d e r n , j e d o c h nur in rechtma[ejßigen, billigen Sachen, die nicht wider Gott und sein heiliges Wort sind.w D e n n bei aller U n g l e i c h h e i t auf E r d e n sollen die H e r r s c h a f t e n

135 DEMAUSE: Evolution der Kindheit, S. 12. HUNT: Parents and children, S. 133139. Anders dagegen OZMENT: When fathers ruled, S. 144-154 und STRAUSS: Luther's house of learning, S. 90—107 und HAGENMAIER: Predigt und Policey, S. 210 f. mit Anm. 1 9 1 . 136 Vgl. VAN DÜLMEN: Alltag und Kultur, S. 101. 137 WAGNER: Leichenpredigt Cronegh, S. 27. 138 Vgl. VAN DÜLMEN: Alltag und Kultur, S. 51. 139 WAGNER: F ü r s t e n p r e d i g t , S. 8 1 8 : [...] / daß so weit unter einem Kind/ kein unterscheid ist/ ob wol das Kind ein Erbe ist aller Gu[e]ter/ [...].

und

Knecht

140

WAGNER: Epistel-Postille 1, S. 353 f. WAGNER: Predigt über Ehehalten, S. 6. Die Frage nach den Anfängen dieses strikten Abhängigkeitsverhältnisses brauche, so Wagner, nicht gestellt zu werden. Es genüge zu wissen, daß Gott Arme und Reiche geschaffen habe (Prov 22,2). 141

V g l . z u m f o l g e n d e n SUMMARIEN V I , S. 1 0 3 7 - 1 0 3 9 . WAGNER: P r e d i g t ü b e r H a u s h a l -

ten, S. 38. WAGNER: Epistel-Postille 1, S. 354: Auch die Herren sollen wissen, daß Gott gleiches mit gleichem vergalten werde. Eindeutiger läßt sich die Gültigkeit des alttestament-

Das Gesinde im Haus

213

bedenken, so die Prediger, daß auch sie einmal Rechenschaft ablegen müssen wegen ihres Tuns u n d Lassens vor einem Richter, bey dem kein Ansehen der Person sein wird. Entsprechend soll das Verhalten der Herrschaft eben nicht allein von Scheit- und Droh-Worten bestimmt sein, sondern von Ernst u n d Freundlichkeit. D i e Prediger erinnern auch an Lohn u n d Unterhalt, die d e m Gesinde für seine Arbeit zustehen. 1 4 2 H e r r e n und Frauen sollen sich ihrem Gesinde gegenüber nicht »ungebührlich« verhalten, sondern in ihnen auch Menschen sehen u n d sie als solche behandeln. 1 4 3 Andreae rät sogar zur D e m u t im U m gang mit ihnen. D i e Herrschaft hat gegenüber d e m Gesinde ein ähnliches Sorgerecht wie gegenüber ihren eigenen Kindern. So sollen sie beispielsweise das Gesinde z u m Predigtbesuch anhalten u n d ihnen nicht gerade zu diesen Zeiten Arbeiten auferlegen; auch ihnen steht der Feiertag zu. 1 4 4 D e m Gesinde soll andererseits klar werden, daß auch sie mit ihrer schlechten, geringen u n d zutiefst verachteten Arbeit nicht Menschen, sondern CHristo dem HErrn selbst dienen u n d dementsprechend zeitlichen u n d ewigen L o h n erhalten werden. Dies bedeutet allerdings für das Gesinde, daß sie ihrerseits die ihnen auferlegten Arbeiten gewissenhaft auszuführen haben, u n d zwar auch dann, w e n n sie selbständig arbeiten, ohne von der Herrschaft beaufsichtigt zu werden. 1 4 5 Es ist aber zumeist doch so, daß das gesind nimmermehr bedenckt/ was nutz oder schad im Hause bringt. Deshalb rät Heerbrand f ü r das Funktionieren des Hauswesens: Vnd muß der Mann selber sein der Knecht/ wil ers im Hause finden recht. Die Fraw muß selber sein die Magd/ wil sie im Hause schaffen raht.X46

liehen Talionsprinzips f ü r d e n G e l t u n g s b e r e i c h der f r ü h n e u z e i t l i c h e n Gesellschaft n i c h t mehr formulieren. 142

WAGNER: E p i s t e l - P o s t i l l e 1, S. 3 5 4 .

Vgl. z u m f o l g e n d e n ANDREAE: P r e d i g t e n in H a g e n a u , S. 3 5 9 - 3 6 3 . WAGNER: E p i stel-Postille 1, S. 360—371. E r a r g u m e n t i e r t u. a. mit L u t h e r s Sermon von den guten Werken. WAGNER: Predigt ü b e r E h e h a l t e n , S. 3 6 u n d S. 40: Haußva[e]tterliche Sorg fu[e]r dero [der Ehehalten] Wolfahrt/ vnd wo sie es bedu[e]rffen/ wu[e]rckliche Gutthaten vnd Tretv/ als wann sie kranck/ oder sonsten in Gefahr stecken/ vnd bedo[e]iffen/ daß man sich jhrer annehm/ vnd Hu[e]lffshand biete. 144 Vgl. ANDREAE: C h r i s t l i c h e A n l e i t u n g , S. 2 7 - 3 1 . ANDREAE: P r e d i g t e n in L a u i n g e n , 143

s. i r - m r . 145

SUMMARIEN V I , S.

1038.

HEERBRAND: Predigt v o n der E h e , S. [D 4 ] v . A m E n d e dieser P r e d i g t ( W i e d e r a b d r u c k in: A c h t z e h e n C h r i s t l i c h e r Predigten) findet sich eine in V e r s f o r m g e b r a c h t e »Haustafel«: Es ist gewiß ein frommer Mann/ Der sich vmb sein Weib nim[m]et an/ Es ist gewiß ein frommes Weib/ Wo sie bey einem Manne bleibt. Ein Ehemann soll gedultig sein/ Sein weib nit halte[n] wie ein schwein. Ein haußfraw soll vernu[e]nfftig sein/ Deß Mannes weise lernen fein. Da wirdt Gott geben gnad darzu/ Das jhnen die Ehe gar sanffte thu. Vnd wirt dem Teuffei wehren wol/ Das er sein list nicht enden soll. Der Mann muß selber sein der Knecht/ Will ers im Hause finden recht. Die Fraw muß selber sein die Magdt/ Will sie im Hause schaffen rhat. Gsind nimmermehr bedenckt/ Was schad vnd nutz im Hause bringt. Es ist jhnen nicht gelegen dran/ Weil sie es nicht fu[e]r eygen han. 146

214

Dimensionen

des Alltags in der Frühen

Neuzeit

Das Haus kann nur existieren, wenn das Gesinde seine Aufgaben gehorsamlich, ehrerbietig und nutzlich erfüllt. 147 Daß Knechte und Mägde ihre Aufgaben nicht immer zur Zufriedenheit ihrer Herrschaft ausüben, zeigt sich nach Meinung der Prediger schon daran, in welche Schwierigkeiten sie kommen, wenn sie später selbst einen eigenen Hausstand gründen. Wagner war selbst in der Frage der Ehehalten besonders engagiert, da er in Esslingen in Auseinandersetzungen wegen seiner eigenen Dienstmagd verwikkelt war. 148 Sicherlich bot auch die Zeit nach Beendigung des 30jährigen Krieges besonderen Anlaß zu Streitigkeiten. Wird nämlich in den Predigten die uneingeschränkte Notwendigkeit der Mitarbeit des Gesindes betont, dann hat dies einen ganz realen Hintergrund. Der 30jährige Krieg hatte viele Pesttote gefordert, so daß die Nachfrage nach Gesinde bei verknapptem Angebot groß war. Dieser Umstand setzte die Ehehalten in eine starke Opposition gegenüber ihren Herrschaften. Die Dienstboten waren sich, wie Wagner selbst schreibt, sehr wohl darüber im klaren, wie vnumbga[e]nglich man ihrer bedurfte. 149 Entsprechend häuften sich die Klagen über ihr Verhalten: sie widersetzten sich angegebenen Diensten, nähmen sich allerhand Freiheiten heraus und täten sowieso nur, was ihnen passe.150 Faulheit, Müßiggang, vorsätzlich angerichteter Schaden und Diebstahl mache sich unter ihnen breit. Sie stellten überhöhte Lohnforderungen und forderten stu[e]ndlich vnd augenblicklich Vrlaub vnd Lohn. Ein derartiges Verhalten könne, so mutmaßen die Prediger, ihnen nur vom Teufel persönlich eingegeben werden. Dieses unbotmässige Verhalten läßt bei Wagner nur eine eschatologische Interpretation zu: die letzte Zeit ist angebrochen. 151 Angesichts der überhandnehmenden Schwierigkeiten mit den Ehehalten fordert Wagner alle drei Stände auf, zusammenzustehen. Er fordert verschärfte Strafen sowie die Abschaffung von Tänzen und Rockenstuben.K2 U m Abhilfe zu schaffen, ruft Wagner die Prediger dazu auf, eindringlich über das vierte,

147 WAGNER: Epistel-Postille 1, S. 3 6 0 - 3 6 3 . WAGNER: Predigt ü b e r E h e h a l t e n , S. 5. D e n D i e n s t der Ehehalten, also des Gesindes, b e n ö t i g t m a n d r i n g e n d zur Fortbringung deß Nehrstands.'Vgl. S. 44 f. die v o n d e n E h e h a l t e n e r w a r t e t e n T u g e n d e n . 148

TILMANN

MATTHIAS

SCHRÖDER: D a s

Kirchenregiment

der

Reichsstadt

Esslingen.

G r u n d l a g e n — G e s c h i c h t e — O r g a n i s a t i o n (Esslinger Studien, S c h r i f t e n r e i h e B d . 8). Sigm a r i n g e n 1987. S c h r ö d e r (ebd., S. 1 7 0 - 1 7 3 ) schildert d e n b e s o n d e r e n Fall der D i e n s t m a g d M a g d a l e n a W a i d e n m a y e r , die in D i e n s t e n v o n Wagners Frau stand u n d d o r t in U n f r i e d e n g e g a n g e n war. W a g n e r hatte ihr die A b s o l u t i o n verweigert, da sie angeblich einer F r e u n d i n d e n B r ä u t i g a m abspenstig m a c h e n wollte. W e g e n dieser V e r w e i g e r u n g der A b s o l u t i o n k a m es in Esslingen zur ersten Klage g e g e n eine K i r c h e n z u c h t m a ß n a h m e vor ein e m w e l t l i c h e n G e r i c h t , d e m Stadtgericht der R e i c h s s t a d t . D i e A u s e i n a n d e r s e t z u n g erstreckte sich ü b e r fast drei Jahre. 149 WAGNER: P r e d i g t ü b e r E h e h a l t e n , S. 6. 150 Vgl. z u m f o l g e n d e n WAGNER: P r e d i g t ü b e r E h e h a l t e n , S. 7 - 1 0 . 151 WAGNER: Predigt ü b e r E h e h a l t e n , S. 2 6 f. 152 WAGNER: P r e d i g t ü b e r E h e h a l t e n , S. 2 8 - 3 3 .

Das Gesinde im Haus

215

siebte, achte u n d zehnte Gebot sowie die Haustafel zu predigen. 1 5 3 Die O b rigkeit wird ermahnt, ihr Strafamt gewissenhaft auszuüben u n d Diebe unter d e m Gesinde zu bestrafen. D u r c h übergeordnete Zusammenarbeit mit anderen Obrigkeiten in Dörfern, Städten u n d Kreisen soll darüber gewacht w e r den, daß beispielsweise Ehehalten, die keinen rechtmäßigen Entlassungsschein nachweisen k ö n n e n , nicht erneut ein Beschäftigungsverhältnis eingehen d ü r fen. Aber auch das einzelne Haus m u ß seinen Teil dazu beitragen. Hier soll für schlechtes Verhalten keinerlei Ursache gegeben werden. Die Herrschaften sollen vielmehr selbst mit gutem Vorbild vorangehen u n d auch für eine angemessene E n t l o h n u n g u n d Verpflegung Sorge tragen. Wird der genannte U m g a n g befolgt und die Ehehalten erfüllen ihren Dienst trotzdem nicht, so m u ß dies als ein untrügliches Z e i c h e n für den A n b r u c h der letzten Zeit akzeptiert werden. D e m Gesinde werden in diesem Fall zeitliche Strafen — Schmach, Schande, Armut, Krankheit — u n d ewige Strafe angedroht. 1 5 4 Allgemeine Aussagen über die Autoritätsstrukturen im Haus k ö n n e n nicht getroffen werden. Sicher ist es richtig, daß das Herrschaftsverhältnis zwischen Hausvater/Hausmutter u n d Gesinde am stärksten ausgeprägt ist. A n h a n d der Predigten der T ü b i n g e r Professoren läßt sich j e d o c h nicht bestätigen, was van D ü l m e n für das Verhältnis von M a n n u n d Frau formuliert: Die absolute Unterwürfigkeit verlangten letztlich nur Pfarrer und Theologen.155 Selbst w e n n sich Formulierungen bei Musculus u n d Fischart finden, die, basierend auf religiöser Begründung, eine derartige Aussage zulassen, kann dies angesichts anderslautender Aussagen nicht in pauschalisierender Weise formuliert werden. Die Beobachtung van Dülmens, daß der Pietismus nach wie vor eine patriarchalische E h e propagiere, trifft sicherlich zu. W a r u m j e d o c h erst im Pietismus die Frau zur Mitarbeiterin wird, was w i e d e r u m eine beträchliche Aufwertung der Frau als Ehepartnerin und der Ehe insgesamt als einer Gesinnungsgemeinschaft habe, leuchtet nach der Lektüre der Predigten der T ü b i n g e r Professoren nicht ein. 156 Das gegenseitige Aufeinanderangewiesensein der Eheleute gerade im Haus der lutherischen O r t h o d o x i e macht kollegiale Arbeitsstrukturen zwischen den Geschlechtern unumgänglich. Der Frau hierbei nur im p r o t o i n d u 153

WAGNER: Predigt ü b e r Ehehalten, S. 2 8 - 4 1 . WAGNER: Predigt ü b e r Ehehalten, S. 42 f. 155 VAN DÜLMEN: Alltag u n d Kultur, S. 55 A n m . 33. 136 V A N D Ü L M E N : Alltag u n d Kultur, S . 1 6 3 . Z u r weiteren E n t w i c k l u n g vgl. R I C H A R D C R I T C H F I E L D : Prophetin, Führerin, Organisatorin. Z u r R o l l e der Frau im Pietismus. In: Barbara B e c k e r - C a n t a r i n o (Hrsg.): D i e Frau von der R e f o r m a t i o n bis zur R o m a n t i k . D i e Situation der Frau vor d e m H i n t e r g r u n d der Literatur- u n d Sozialgeschichte ( M o d e r n german studies). B o n n 1980, S. 1 1 2 - 1 3 7 . Vgl. B A R B A R A BECKER-CANTARINO: (Sozial) Geschichte der Frau in Deutschland, 1 5 0 0 - 1 8 0 0 . Ein Forschungsbericht. In: Barbara B e c k e r - C a n t a r i n o (Hrsg.): D i e Frau von der R e f o r m a t i o n bis zur R o m a n t i k . D i e Situation der Frau vor d e m H i n t e r g r u n d der Literatur- u n d Sozialgeschichte ( M o d e r n germ a n studies). B o n n 1 9 8 0 , S. 2 4 3 - 2 8 1 . 154

216

Dimensionen des Alltags in der Frühen Neuzeit

striellen Haushalt eine relative Selbständigkeit einzuräumen, wie das van D ü l m e m macht, greift auf der Basis der T ü b i n g e r Predigten zu kurz. Stellt man den protoindustriellen Haushalt als Muster von sozialer Gleichberechtigung dar, macht man einzig die gleiche Erwerbsarbeit zur Grundlage der G l e i c h b e r e c h tigung. 1 5 7 M a c h t man dagegen die Arbeitsteilung mit ihrem aufeinander A n gewiesensein zum entscheidenden K r i t e r i u m für eine relative Selbständigkeit, dann findet sie sich ebenso in bäuerlichen Haushalten wie in Handwerkerund Kaufmannshäusern. D i e relative Selbständigkeit und damit partielle Gleichberechtigung der Frau i m Haus war bedingt durch ihre für den Erhalt des Hauses und zur Sicherung des Überlebens in der Frühen Neuzeit u n b e dingt notwendige Arbeitskraft.

1.2 Der ökonomische

Lebensbereich

In der Renaissance wurde erstmals der vita activa der Vorrang vor der vita contemplativa zugesprochen. D e r M e n s c h sollte selbst tätig mitwirken, u m das Ziel seiner B e s t i m m u n g zu verwirklichen. 1 5 8 In modifizierter F o r m hat Luther diese Auffassung ü b e r n o m m e n . In seiner Berufsethik hat er ebenfalls der vita activa der Vorrang eingeräumt. S c h o n 1 5 1 5 / 1 6 hat er in seiner Vorlesung über den R ö m e r b r i e f die T h e s e aufgestellt, daß nicht allein die Lebensf o r m der M ö n c h e von einer besonderen Berufung durch G o t t herrührt, sondern ebenso die übrigen Tätigkeiten der christlichen Laien im weltlichen L e b e n . 1 5 9 In seiner Schrift über die M ö n c h s g e l ü b d e von 1 5 2 1 sowie in seiner Kirchenpostille aus dem J a h r 1 5 2 2 stellte Luther die B e r u f u n g jedes Christen in seine weltliche Berufstätigkeit sogar über die B e r u f u n g ins M ö n c h s l e b e n , weil die Ausübung des weltlichen Berufes dem W o h l des Nächsten diente. 1 6 0 Anders als i m M ö n c h t u m hatte sich der reformatorische Christ mitten in der Welt zu bewähren. VAN DÜLMEN: Alltag und Kultur, S. 46 f. So WOLFHART PANNENBERG: Fluch und Segen der Arbeit. In: Venanz Schubert (Hrsg.): Der Mensch und seine Arbeit. Eine Ringvorlesung der Universität München (Wissenschaft und Philosophie. Interdisziplinäre Studien, Bd. 3). Sankt Ottilien 1986, S. 23-46, hier S. 41 f. Vgl. WERNER CONZE: Art. Arbeit. In: Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland. Bd. 1 (1972), S. 154-215, bes. S. 163-174, hier S. 163 Anm. 55. Auffällig die andere Einschätzung 157

158

WERNER CONZE: A r t . B e r u f . I n : G e s c h i c h t l i c h e G r u n d b e g r i f f e . B d . 1 ( 1 9 7 2 ) , S. 4 9 0 - 5 0 7 ,

hier S. 493: Diese Höherwertung der monastischen vocatio gegenüber dem »Ruf« des Menschen im weltlichen Amt wurde erst durch Luther und die Reformation fallengelassen. 159 Vgl. KARL HOLL: Der Neubau der Sittlichkeit. In: Karl Holl (Hrsg.): Gesammelte Aufsätze. Bd. 1: Luther. Tübingen 1948 7 , S. 155-287, hier S. 176 und S. 219 ff. Vgl. Ethik in der europäischen Geschichte. Bd. 2: Reformation und Neuzeit. Unter Mitarbeit von Stephan H. Pfürtner, Christian Gremmels u. a. Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz 1988, S. 34-38. WERNER ELERT: Morphologie des Luthertums. Bd. 2: Soziallehren und Sozialwirkungen des Luthertums. München 1932, S. 469. 160 WA 10/1, 656, 1 ff.

Der ökonomische Lebensbereich

217

In seiner Kirchenpostille findet der Begriff Beruf als Spezialausdruck für rein weltliche Tätigkeiten z u m ersten Mal Verwendung. 1 6 1 An der Wechselbedeutung von Beruf u n d Dienst am Nächsten hält Luther in der Folgezeit fest. U n t e r Beruf versteht er die j e d e m einzelnen von Gott zugewiesene Arbeit, mit deren Ausübung der Mensch zugleich seine Pflicht gegenüber d e m M i t m e n s c h e n erfüllt. D i e geordnete Berufstätigkeit bietet d e m einzelnen zugleich den festen R ü c k h a l t für sein eigenes Selbstgefühl. 162 Damit kann Luther bei seiner Auslegung des vierten Gebotes im Großen Katechismus die E r w a r t u n g verknüpfen, daß der Christ seine Arbeit als Beitrag zum Wohl des Nächsten u n d damit w i e d e r u m z u m Lobe Gottes verrichte, eben nicht aus Zwang und Widerwillen, sondern mit Lust und Freuden.163 Wird Arbeit gedeutet als göttlicher Beruf z u m Dienst am Nächsten, dann motiviert sie dazu, nicht den eigenen N u t z e n z u m ausschließlichen Maßstab über Wert u n d Wertigkeit der Arbeit zu machen. Weder das, was eine Arbeit vor Menschen galt u n d welchen G e w i n n sie einbrachte, n o c h die Kategorie eines guten Werkes als Verdienst vor G o t t akzeptierte Luther als Maßstab: Die Werke sind gerechtfertigt durch das Gebot und der Christ durch den Glauben, in dem er sie tut.164 Indem der einzelne die Liebe, die er eigentlich G o t t schuldet, d e m M i t menschen im ganz alltäglichen Leben zuwendet, erhält seine Arbeit den C h a rakter eines Dienstes am Nächsten. Bei aller Säkularisierung der Arbeit z u m alltäglichen Werk bleibt Arbeit, verstanden als Dienst am Nächsten, letztlich theologisch begründet. Sie wird dadurch für Luther z u m Gottesdienst, der sich in den täglichen Tätigkeiten vollzieht u n d so Arbeit zu Berufsarbeit macht. 1 6 5 D e r Wert der Arbeit bemißt sich allein daran, ob die in d i e n e n d e m Glauben ausgeübte Tätigkeit einen nützlichen Beitrag für die Gemeinschaft darstellt. Die O r i e n t i e r u n g der individuellen Tätigkeit an den kollektiven Interessen

161

GUSTAV WINGREN: Art. Beruf III. Historische und ethische Aspekte. In: T R E 5 (1980), S. 657-671, hier S. 660 f. Vgl. RUTH HINZ: Der Berufsgedanke bei Luther nach dem heutigen Stand der Forschung. In: Luther. Mitteilungen der Luther-Gesellschaft 32, 1961, S. 84-94, hier S. 85. Vgl. CHRISTOPHER FREY: Die R e f o r m a t i o n Luthers in ihrer Bedeutung für die moderne Arbeits- und Berufswelt. In: Hartmut Löwe und Claus-Jürgen R o e p k e (Hrsg.): Luther und die Folgen. Beiträge zur sozialgeschichtlichen B e d e u tung der lutherischen Reformation. M ü n c h e n 1983, S. 110-134. 162 HOLL: Luther, S. 220; vgl. auch S. 261 f. 163 BSLK 597, S. 17 f. 164 LAU: Art. Beruf III, Sp. 1078. 165 KARL-HEINZ ZUR MÜHLEN: Art. Arbeit VI. R e f o r m a t i o n und Orthodoxie. In: T R E 3 (1978), S. 635-639, hier S. 635 f. Vgl. KARL HOLL: Die Geschichte des Worts Beruf. In: Karl Holl (Hrsg.): Gesammelte Aufsätze. Bd. 3, S. 189-219, hier S. 217-219. GUSTAV WINGREN: Luthers Lehre vom Beruf (Forschungen zur Geschichte und Lehre des Protestantismus, 10/3). M ü n c h e n 1952, bes. S. 2 8 - 3 6 und S. 51-69. ELERT: Luthertum. Bd. 2, S. 39 ff. HAJO GERDES: Luthers Streit mit den Schwärmern u m das rechte Verständnis des Gesetzes Mose. Göttingen, passim.

218

Dimensionen des Alltags in der Frühen Neuzeit

verweist a u f die prinzipielle Gleichwertigkeit aller Arbeit. U n t e r B e r u f ist somit die individuelle Verpflichtung gegenüber der Gemeinschaft zu verstehen, a u f einem konkreten Platz, a u f den sich der einzelne durch das weltliche R e giment Gottes gestellt sieht, eine ganz bestimmte soziale Funktion auszuüben. D e r enge K o n n e x zwischen B e r u f und B e r u f u n g läßt sich bei der lutherischen Berufsethik nicht verleugnen. 1 6 6 M i t dem vokativen, individuellen Charakter des Berufsbegriffs ist aber auch die Verpflichtung zur Arbeit verbunden und zwar für alle Stände ohne Unterschied. S c h o n in der Leisniger Kastenordnung betont Luther die N o t wendigkeit menschlicher Arbeit und lehnt das B e t t e l n ausdrücklich ab. 1 6 7 Für die geleistete Arbeit hat ferner eine angemessene Entlohnung zu folgen. Das angemessene Verhalten im U m g a n g mit der Arbeit ist dabei: Nicht faul und mu[e]ssig sein, auch nicht auff eigen erbeit und thun sich verlassen, Sondern erbeiten und thun und doch alles von Gott allein gewarten. Das ist so viel gesagt: Es mus alles im glauben und trawen zu Gott geschehen, [...].,6H In der gehorsamen Erfüllung des göttlichen Willens soll auch die unscheinbarste Berufsarbeit geleistet werden: [...] es ist gott nit umb die Werk zu thun, sondern umb den gehorsam [...] Daher kompts, Dass eyn frum magt,ßo sie ynn yhrem befelh hynngeht unnd nach yhrem ampt den hoff keret oder mist außtregt, [...] stracks tzu gen hymel geht, auff der richtigen Straß, dieweyll eyn ander, der tzu sanct Jacob odder tzur kirchen geht, seyn ampt und werck liegen lest, stracks tzu tzur hellen geht.U9 D i e damit zugleich angesprochene Gleichwertigkeit aller Arbeit bedeutet nicht die Aufhebung ständischer Ordnung. An dieser Differenzierung hält Luther fest. M a n soll, so schreibt er, [...] alle stende halten unnd fromm sein, denn sie hindern den Christlichen glauben nit, und Christus fragt nicht darnach, was du eusserlich seyst, Man oder Weib, Keyser oder Stallknecht, Burgermeyster oder Scherge.170 Dies schließt zugleich jedes Streben nach sozialem Aufstieg und sozialer Mobilität aus. Das göttliche Arbeitsgebot galt ausschließlich für alle Stände. Es schloß den Adel ebenso ein wie den gesamten K o m p l e x von freiwilliger Armut, deren Anhänger ihr Leben aus den Spenden R e i c h e r fristeten. D a m i t konnte auch das Almosengeben nicht m e h r als verdienstvoll erachtet werden. Eine b e s o n dere Lebensform, die einen vermeintlich sicheren W e g zur Seligkeit wählt, 166 Vgl. FRIEDRICH LAU: Art. Beruf III. Christentum und Beruf. In: R G G 1 (1986 3 ), Sp. 1075-1081, hier Sp. 1080. WINFRIED JOBST: Art. Berufung IV. Dogmatisch. In: R G G 1

( 1 9 8 6 3 ) , Sp. 1 0 8 8 f. THOMAS SCHARMANN: A r t . B e r u f I. S o z i o l o g i s c h . I n : R G G

1 (19863),

Sp. 1071-1074. HINZ: Der Berufsgedanke bei Luther, S. 85, weist daruf hin, daß Luther »vocatio« sowohl mit »Beruf« als auch mit »Berufung« übersetzen kann. Vgl. FREY: Die Reformation Luthers, S. 124. Frey definiert »Berufung« im Sinne Luthers als Ortsanweisung in der von Gott bestimmten Welt. 167 Ordnung eines gemeinen Kastens. Ratschlag, wie die geistlichen Güter zu handeln sind [Leisniger Kastenordnung]. In: WA 12,62—67. 168 WA 31 1,437.Vgl. WA 29,441. 169 WA 10 1,310. 170 WA 52,62,31-34.

Der ökonomische

219

Lebensbereich

u n d das n o c h auf Kosten des G e m e i n w o h l s , w i r d rigoros v e r w o r f e n . D e n n die Werke, die zugunsten der Gemeinschaft zu t u n sind, sind ganz g e w ö h n l i c h e Berufstätigkeiten, die der Beschaffung u n d S i c h e r u n g der irdischen L e b e n s n o t w e n d i g k e i t e n dienen. 1 7 1 L u t h e r verurteilte das N i c h t s t u n »oben« ebenso w i e die Arbeitsscheu »unten«. Dies zeigt deutlich, daß der christliche Arbeitsbegriff u n t e r d e m E i n f l u ß der lutherischen R e f o r m a t i o n nicht modernisiert, s o n d e r n d u r c h die R ü c k f ü h r u n g auf das Alte u n d N e u e Testament wiederhergestellt w e r d e n sollte. 1 7 2 Luthers N e u w e r t u n g des Arbeitsbegriffes w u r d e in der R e f o r m a t i o n s z e i t schnell rezipiert. M e l a n c h t h o n hat durch die Ü b e r n a h m e dieser Auffassung in Artikel X V I der Confessio Augustana nicht n u r die politische Ethik in den Evangelischen Fürstenstaaten maßgeblich beeinflußt. Es heißt dort: Das Evangelium [...] lehrt nicht ein äußerlich, zeitlich, sondern innerlich, ewig Wesen und Gerechtigkeit des Herzen und stoßet nicht um weltlich Regiment, Polizei und Ehestand, sondern will, daß man solchs alles halte als wahrhaftige Gottesordnung, und in solchen Ständen christliche Liebe und rechte gute Werk, ein jeder nach seinem Beruf, beweise.173 W i e s c h o n in der R e f o r m a t i o n s z e i t , so lassen sich auch in der Z e i t der O r t h o d o x i e die Begriffe »Beruf«, »Stand«, »Amt« u n d »Arbeit« nicht exakt von einander unterscheiden. 1 7 4 »Beruf u n d Stand« 1 7 5 sowie »Beruf u n d Amt« 1 7 6 , aber auch »Arbeit u n d Beruf« 1 7 7 k ö n n e n s y n o n y m e V e r w e n d u n g f i n d e n . Letz171

V g l . WINGREN: A r t . B e r u f I I I , S. 6 6 1 .

172

WERNER

CONZE:

Art.

Arbeit.

S. 1 5 4 - 2 1 5 , b e s . S . 1 6 3 - 1 7 4 , h i e r S .

In:

Geschichtliche

Grundbegriffe.

Bd. 1

(1972),

166.

173

Confessio Augustana, Art. X V I . In: BSLK, S. 71,9 ff. Vgl. REINHARD SCHWARZ: Ecclesia, o e c o n o m i a , politia. Sozialgeschichtliche u n d f u n d a m e n t a l e t h i s c h e Aspekte der protestantischen D r e i - S t ä n d e - T h e o r i e . In: T r o e l t s c h S t u d i e n . Bd. 3: Protestantismus u n d N e u z e i t . G ü t e r s l o h 1984, S. 78—88. E r m a c h t hier deutlich, daß die protestantische Dreiständelehre i m S c h n i t t p u n k t zweier Traditionslehren liegt. Sie hat z u m e i n e n ihre W u r z e l n in der mittelalterlichen sozialrechtlichen S t ä n d e o r d n u n g , z u m a n d e r e n in d e m aus der g r i e c h i s c h e n A n t i k e e n t n o m m e n e n System der E t h i k , das sich in die B e r e i c h e der Individualethik, der Hausstandsethik u n d der G e m e i n w e s e n s ethik gliederte. E i n f l u ß m ö g l i c h k e i t e n dieses Systems auf die protestantische T h e o r i e w a ren d u r c h dessen R e z e p t i o n i m Z u s a m m e n h a n g des gesteigerten Interesse des H u m a n i s m u s an Fragen der M o r a l p h i l o s o p h i e g e g e b e n . REINHARD SCHWARZ: L u t h e r s L e h r e v o n d e n drei Ständen u n d die drei D i m e n s i o n e n der E t h i k . In: L u t h e r j a h r b u c h 45 (1978), S. 1 5 - 3 4 . Vgl. HAGENMAIER: Predigt u n d Policey, S. 1 4 4 - 1 4 9 zur V e r w e n d u n g des B e g r i f fes »Stand« bei C o n r a d D i e t e r i c h . V g l . HAAG: Predigt u n d Gesellschaft, S. 2 5 6 - 2 6 2 . 174

173

ANDREAE: P r e d i g t e n v o m T ü r k e n , S. 4 4 2 . REUCHLIN: C h r i s t e n t u m , S. 2 0 1 . H E E R -

BRAND: P r e d i g t v o n d e r E h e , S. G , v . 176 OSIANDER, A.: Vocationspredigt, S. 3 f. OSIANDER, A.: L e i c h e n p r e d i g t G e o r g B u r c k a r d , S. 6": B e r u f ist dasjenige A m t , das einer aus g ö t t l i c h e r V e r o r d n u n g trägt. A r b e i ten ist ein A m t vor G o t t . WAGNER: Epistel-Postille 1, S. 860: Hat jemand ein Ampt, deutend auf einen ordentlichen Beruff/ durch welchen man das Ampt hat und besitzt [.. J.WAGNER: E v a n gelien-Postille 2, S. 384. 177 HAFENREFFER: Litania, S. 13. WAGNER: Z w e i s o n d e r b a r e P r e d i g t e n , S. 11. HEERBRAND: Predigt v o n der E h e , S. G, v .Vgl. E K G 341,7. Z u »Arbeit u n d Beruf« vgl. HAGENMAIER: Predigt u n d Policey, S. 166 f.

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Dimensionen

des Alltags in der Frühen

Neuzeit

teres wird besonders an der Wortverbindung »Berufsarbeit« deulich. 1 7 8 W i e W e r n e r C o n z e fiir den Zeitraum des 16. bis 18. Jahrhunderts gezeigt hat, gehören die Begriffe »Stand u n d Amt« den Bereichen von Ö k o n o m i e u n d Policey an. 1 7 9 Die enge Verbindung von B e r u f u n d B e r u f u n g macht dagegen deutlich, daß dieser Terminus d e m theologischen Sprachgebrauch entstammt. Er dient dort — wie schon bei Luther — zur Bezeichnung der persönlichen Aufgabe, die der von Gott in seinen Stand u n d sein A m t berufene Christ zu erfüllen hat. 1 8 0 Dies verdeutlicht den vokativen Charakter dieses Begriffes, der eine besondere Qualifikation des Christen z u m Ausdruck bringt. N i c h t nur die Kirchendiener sind von Gott berufen, sondern die Christen in allen Ständen. 1 8 1 Da Gott in das jeweilige A m t beruft, sollen sich die Inhaber der verschiedenen A m t e r nicht untereinander verachten und sich auch nicht in ein A m t drängen, da Gott den »nützlichen« Menschen überall finden werde. Ging Luther hauptsächlich von einem allgemeinen Berufensein zur tätigen Nächstenliebe aus, so bestand diese Auffassung nach M e i n u n g Conzes in der O r t h o d o x i e fort. Es kam daneben aber eine Auffassung z u m Tragen, die das Schwergewicht auf das Erkennen der individuellen Anlagen u n d entsprechend auf die Wahl der individuell wie öffentlich angemessenen Tätigkeit legte. M i t dem Schlagwort Berufswahl statt Berufsergebung beschreibt C o n z e diesen Vorgang. Er erläutert ihn anhand der Begriffe »Beruf — Vocation — Göttliche Vocation« in Zedlers Lexikon. Dieses Lexikon markiert für ihn den Schnittpunkt zwischen O r t h o d o x i e u n d Pietismus. Zedlers Erklärungen z u m Begriffsfeld Beruf spiegeln seiner M e i n u n g nach das rückläufige Berufsverständnis der O r thodoxie u n d die allmählich ansteigenden pietistisch überdeckten Auffassungen des Utilitarismus wider. 1 8 2 Tendenzen j e d o c h , die individuelle Veranlagung zu erkennen u n d sie z u m N u t z e n der Gesellschaft einzubringen, gab es aber längst vor solchen d e m Pietismus zugeschriebenen Einflüssen. Schon Andreas Osiander fordert 1614 in einer Präsentationspredigt j e d e n einzelnen dazu auf, die Gabe, die dir gegeben 178 REUCHLIN: C h r i s t e n t u m , S. 201: Beruffs-Arbeit. SIGWART: Lasterpredigten, S. 73R. SUMMARIEN III, S. 1814. D o r t h e i ß t es, daß d o r t , w o e i n e r »Arbeit« n a c h g e g a n g e n wird, die aber n i c h t »Beruf« ist, »kein Segen dabei sei«. SUMMARIEN III, S. 1600. 179 Vgl. CONZE: A r t . B e r u f , S. 4 9 6 - 5 0 0 : »Beruf« im christlichen Fürstenstaat. 180

CONZE: A r t . B e r u f , S. 4 9 7 . HÄBERLIN: E p i s t e l - P o s t i l l e 1, S. 2 1 8 a . OSIANDER, A . : V o -

cationspredigt, S. 3: [...] / ein jeglicher Mensch hat seinen gewissen Beruf/Ampt vnd Verrichtung/ darinn er Gott vnd dem Nechsten dienen/ vnd also sein Leben in dieser Welt damit zubringen soll. (Vgl. Pred 6). 181 Vgl. z u m f o l g e n d e n OSIANDER, A.: Vocationspredigt, S. 6 - 1 0 . WAGNER: E v a n g e lien-Postille 1, S. 7 8 5 . B e r u f ist die »mittelbare N o m i n a t i o n göttlicher Vorsehung« in allen Ständen. 182

V g l . C O N Z E : A r t . B e r u f , S. 4 9 8 . V g l . ALEXANDRA

SCHLINGENSIEPEN-POGGE: D a s

So-

zialethos der l u t h e r i s c h e n A u f k l ä r u n g s t h e o l o g i e a m V o r a b e n d der industriellen R e v o l u tion ( G ö t t i n g e r B a u s t e i n e zur Geschichtswissenschaft, Bd. 39). G ö t t i n g e n , Berlin, F r a n k f u r t / M . 1967, S. 128.

Der ökonomische

221

Lebensbereich

ist zu erwecken.183 Jeder soll die Gaben, die er von Gott empfangen hat, recht gebrauchen. U n d auch Wagner ruft 1668 zu einer Berufsausübung auf, die in Verantwortlichkeit vor Gott die Gaben Gottes z u m gemeinen N u t z e n gebraucht. 1 8 4 N i c h t nur Aussagen wie diese beweisen das gleichbleibende Verständnis des Begriffsfeldes u m Beruf, Stand u n d Amt. W i e in der R e f o r m a t i o n so diente auch in der O r t h o d o x i e die Arbeit einzig der Sicherung des eigenen Lebensunterhaltes. 1 8 5 M a n bediente sich ihrer, u m Mittel zur Fristung u n d Gestaltung des Lebens zu erwerben. D i e tägliche N o t d u r f t erforderte es, ein Handwerk zu erlernen. 1 8 6 N a c h lutherisch-orthodoxer Auffassung ist es Gott, der j e d e m Arbeit, A m t u n d Beruf zuschreibt. 1 8 7 Deshalb ist jedes A m t zu fuhren in der E r i n n e r u n g daran, daß über dieses anvertraute A m t nicht allein gegenüber Menschen, sondern gegenüber Gott Rechenschaft abzulegen ist. 188 Gott hat durch die Arbeit des Berufes N a h r u n g versprochen, nicht nur für die eigene Person u n d für Frau u n d Kinder, sondern auch, u m damit A r m e n Almosen geben u n d Bedürftigen Geld leihen zu können. 1 8 9 Die Aufforderung Christi, sein »Herz nicht mit Sorgen der N a h r u n g zu beschweren« sei nicht so zu verstehen, als werde hier Arbeit g r u n d sätzlich verboten. D i e Berufsarbeit ist vielmehr von j e d e m in seinem Stand mit Fleiß zu verrichten. Die Aussage bezieht sich nur auf j e n e Sorgen, die das Hertz zertheilen u n d so von dem Dienst GOttes abziehen.190 Als Tugenden für die Ausübung der Berufsarbeit werden in den Predigten — in wechselnden Paarungen — übereinstimmend Ehrbarkeit, Redlichkeit, Sparsamkeit, Fleiß u n d Gottesfurcht genannt. 1 9 1 D e r einzelne soll »verständig«, »ordentlich« u n d »nützlich« sein u n d nicht »geizig« u n d »vorteilig«. Ein w i c h -

183

O S I A N D E R , A . : P r ä s e n t a t i o n s p r e d i g t , S . 2 3 f.

184

WAGNER: Epistel-Postille 1, S. 8 6 0 - 8 6 6 . 185 ANDREAE: H o c h z e i t s p r e d i g t , S. B 4 rv . SIGWART: P r e d i g t v o m Vaterunser, S. 140 f. SIGWART: Lasterpredigten, S. 73 v u n d S. 96 r : Darnach warte deines Beruffs trewlich/ vnnd laß dich den Geitz nicht daran hindern/ daß du denselben eintweder gar verlassest/ oder saumselig darinn seyest/ oder vmb deß Gewins willen vntrewlich verrichtest [...]. SIGWART: P r e d i g t e n ü b e r 1 K o r 1 5 , S. 5 R . SUMMARIEN I I I , S. 1 8 1 4 . 186

SIGWART: P r e d i g t e n ü b e r 1 K o r 15, S. 5 r . WAGNER: Epistel-Postille 1, S. 3 5 3 . Vgl. S. 3 9 1 ff. 187

HAAG: P r e d i g t

und

Gesellschaft,

188

WAGNER: Epistel-Postille

189

ANDREAE: Vier P r e d i g t e n v o m W u c h e r , S. 108. OSIANDER, A.: N e u j a h r s p r e d i g t ,

1 , S. 2 9 1 f . , S. 3 5 3 u n d S . 3 6 1 .

S. 9. 190 191

REUCHLIN: C h r i s t e n t u m , S. 201. ANDREAE: C h r i s t l i c h e A n l e i t u n g , S. 303. OSIANDER, A.: Vocationspredigt, S. 13.

SIGWART: L a s t e r p r e d i g t e n , S. 73 R V . SIGWART: L a s t e r p r e d i g t e n , S. 7 8 V . SIGWART: L a s t e r p r e d i g -

ten, S. 96R: B e r u f »treulich« v e r r i c h t e n . Vgl. CONZE: A r t . B e r u f , S. 4 9 5 zu Fleiß. C o n z e n e n n t h i e r Fleiß als ein A t t r i b u t des l u t h e r i s c h e n Berufsbegriffes. Dies ü b e r n e h m e n die l u t h e r i s c h - o r t o d o x e n Prediger. A u c h hier ist Fleiß eine T u g e n d i n n e r h a l b eines g r ö ß e r e n T u g e n d k a n o n s . Z u Fleiß vgl. SUMMARIEN III, S. 1814. Vgl. HONECKER: Sozialethik, S. 3 3 7 - 3 3 9 .

222

Dimensionen des Alltags in der Frühen Neuzeit

tiger LeitbegrifF ist auch hierbei wieder die Gottesfurcht. W o keine G o t t e s furcht herrsche, da finde nach M e i n u n g der Prediger nur der eigene N u t z e n B e a c h t u n g , unterdrückten M i t m e n s c h e n wird keine Hilfe zuteil. D i e Ausrichtung der eigenen Arbeit als Dienst am Nächsten ist hier nicht m e h r gewährleistet. D i e geforderte Sparsamkeit wird streng von Geiz und Kargheit abgegrenzt - Eigenschaften, die ebenfalls zu Lasten des M i t m e n s c h e n g e h e n . 1 9 2 D a ß Fleiß, wie es R u d o l f Schenda darlegt, seiner Wertbesetzung nach eine Kategorie der späten Neuzeit ist, also der bürgerlichen Aufklärung und der industriellen Expansion zugerechnet werden muß, läßt sich aus den Predigten der T ü b i n g e r Professoren nicht direkt bestätigen. 1 9 3 D i e Tugenden »Arbeit und Fleiß« mit ihrem negativen Pendant »Müßiggang« und dem Aspekt der Zeit werden nicht erst in der Z e i t der Frühaufklärung verstärkt erörtert. Arbeit und Fleiß werden schon zuvor eingeübt. Zedlers Universallexikon demonstriere — so Schenda — in seiner Definition des Begriffs fleißig den Ubergang. I m nachreformatorischen Zeitalter habe demnach_/Zq/% die B e d e u t u n g von aufmerksam, genau, eifrig und sorgsam i n negehabt, in seiner m o d e r n e n B e d e u t u n g sei die Qualität von zielgerichtetem Arbeiten, Planung und Ausdauer i m Zeitablauf h i n z u g e k o m m e n . Planvolle, zielgerichtete, kontrollierte Arbeit mit ausgewogener Lustbefriedigung sei für die Frühaufklärer das erstrebte Ziel gewesen, das w i e d e r u m n o c h mit Arbeitsfreude verbunden gewesen sei. 1 9 4 D i e erstgenannte, nach Schenda für die nachreformatorische E p o c h e charakteristische B e d e u t u n g findet sich auch in den untersuchten Predigten, wenn es zum Beispiel heißt, der Fleiß von Präzeptoren und Schülern werde bei jährlichen Visitationen überprüft. 1 9 5 D a n e b e n wird aber beispielshalber schon i m Kirchenlied des 17. Jahrhunderts ein Z u sammenhang zwischen Fleiß und Zeit hergestellt: Gib, daß ich tu mit Fleiß, was mir zu tun gebühret, wozu mich dein Befehl in meinem Stande führet.

192

360.

Vgl. RUULAC.K: Lutherische Predigt und gesellschaftliche Wirklichkeiten, S. 3 5 5 -

193 Vgl. zum folgenden RUDOLF SCHENDA: Fleissige Deutsche, fleissige Schweizer. Bemerkungen zur Produktion eines Tugendsyndroms seit der Aufklärung. In: Hans-Jürg Braun (Hrsg.): Ethische Perspektiven: »Wandel der Tugenden« (Zürcher Hochschulforum,

B d . 15). Z ü r i c h

1 9 8 9 , S. 1 8 9 - 2 0 9 , h i e r S. 1 9 0 f. V g l . O T T O FRIEDRICH BOLLNOW: W e s e n

und Wandel der Tugenden. Frankfurt/M. 1958, S. 53-59. Vgl. HAGENMAIER: Predigt und P o l i c e y , S. 2 5 6 - 2 6 3 .

194 Als Beispiel für eine solche Auffassung fuhrt Schenda den Arbeitstheoretiker Johann Adolf Hoffmann (1731): Ich bin nie munterer, fröhlicher und gesunde, sprach jener Arbeiter, als wenn ich zu tun habe. Alle bösen Gedanken vergehen, und ein Stück Brod schmeckt mir wohl (zitiert bei SCHENDA: Fleissige Deutsche, S. 191). Vgl. WOLFGANG DRESEN: Die pädagogische Maschine. Zur Geschichte des industriellen Bewußtseins in Preußen/ Deutschland. Frankfurt/M. 1982. 193 WAGNER: Casualpredigten (Schulpredigt), S. 902 und S. * 4 f.

Der ökonomische

Lebensbereich

2 2 3

Gib, daß ich's tue bald, zu der Zeit, da ich soll, und wenn ich's tu, so gib, daß es gerate

wohl}9b

Auch die Betonung der Freude und Fröhlichkeit im Arbeitsprozeß kann nicht erst als ein Phänomen der frühen Aufklärung angesehen werden. 1 9 7 Gerade die lutherisch-orthodoxen Prediger betonen in der Nachfolge Luthers den Aspekt des fröhlichen Arbeitens. 198 Die Beobachtung Schendas dagegen, daß in der Zeit vor der Aufklärung Arbeit und Fleiß hauptsächlich eingesetzt wurden, um das Auskommen zu sichern, nicht um ein konstante Mehrleistung zu erbringen, findet in den Predigten volle Unterstützung. Dieser Aspekt gehört in der Tat nicht zur Arbeitsethik der lutherischen Orthodoxie. Daß die von den Predigern propagierten Tugenden nicht sogleich auf offene Ohren stießen, zeigt sicher die bis in die Aufklärung anhaltende Fleiss-Indoktrination.m Ihre Predigten enthalten die stets wiederkehrenden Aufforderungen zu fleißigem Tun, verbunden mit der Verurteilung des Müßigganges. Nicht erst in der Frühaufklärung waren Geistliche die Vermittler des jeweiligen Arbeitsgeistes. 200 Die Aufrufe zur Arbeitsamkeit haben keine konfessionellen Grenzen, sie finden sich in katholischen Barockpredigten ebenso wie in protestantischen Predigten. Zu Anfang des 18. Jahrhunderts warnen bayerische Barockprediger sogar vor allzu häufigem Kirchenbesuch: Braffgearbeitet ist auch gebettet.201

196 Johann Heermann ( 1 5 8 5 - 1 6 4 7 ) . In: E K G 383,2. Vgl. HONECKER: Sozialethik, S. 337. 197 Vgl. Georg Niege ( 1 5 2 5 - 1 5 8 8 ) . In: E K G 341,7: [...] greif an das Werk mit Freuden [...]. Martin B e h m ( 1 5 5 7 - 1 6 2 2 ) in E K G 343,6: Gib Gnad, daß ich mein Werk und Pflicht, mit Freuden diesen Tag verriebt [...]. Johann Mühlmann ( 1 5 7 3 - 1 6 1 3 ) . In: E K G 344,4: Dem Leibe gibt daneben Nahrung und guten Fried, ein gsund und mäßig Leben, dazu ein fröhlich Gmüt, daß wir in allen Ständen Tugend und Ehrbarkeit lieben und Fleiß drauf wenden als rechte Christenheit. Salomo Liskow (1640—1689) in: E K G 3 8 5 , 6 : Regiere mich durch deinen Geist, den Müßiggang zu meiden, daß das, was du mich schaffen heißt, gescheh mit lauter Freuden, [...]. 198 Vgl. dazu Luthers Auslegung des 4. Gebotes im Großen Katechismus. In: B S L K 597,17 f. »Pflicht« ist m. E. ein Begriff, der trefflicher als »Fleiß« mit der Arbeitsethik der Auflärung in Verbindung steht. Vgl. SCHLINGENSIEPEN-POGGE: Sozialethos, S. 1 3 2 - 1 3 8 . In größeren Zusammenhang ist hier eine Beobachtung von Wolfgang Leiser von Interesse: Im Gesangbuch wird am Ende des 18. Jahrhunderts die kasuistische Stände-Ethik in eine Wolfßanisch geprägte Pflichtenlehre eingebeut. So WOLFGANG LEISER: »Erhalt uns Herr, die O b rigkeit!« In: Karl Kroeschell (Hrsg.): Festschrift für Hans T h i e m e zu seinem 80. Geburtstag. Sigmaringen 1986, S. 1 9 9 - 2 1 4 , hier S. 210. 199 SCHENDA: Fleissige Deutsche, S. 192. Vgl. zur Langzeit-Disziplinierung KLARA VONTOBEL: Das Arbeitsethos des deutschen Protestantismus von der nachreformatorischen Zeit bis zur Aufklärung (Beiträge zur Soziologie und Sozialphilosophie, Bd. 2). Bern 1946. EDWARD PALMER THOMPSON: Time, work-diseipline and industrial Capitalism. In: Past and Present 3 8 (1967), S. 5 6 - 9 7 . 2 0 0 SCHENDA: Fleissige Deutsche, S. 193. 201 Zit. bei ELFRIEDE MOSER-RATH: Volksfrömmigkeit im Spiegel der Barockpredigt. In: Zeitschrift für Volkskunde 65 (1969), S. 1 9 6 - 2 0 6 , hier S. 201 f.

224

Dimensionen

des Alltags in der Frühen

Neuzeit

Alle Bedarfsgüter des täglichen Lebens j e d o c h k ö n n e n nicht durch menschliche Arbeit erworben werden: M a n c h e r kann o h n e Unterlaß arbeiten u n d sich doch »des Bettels k a u m erwehren«. 2 0 2 Gott ist es, der a r m u n d reich macht. 2 0 3 Für die reine Erhaltung des Lebens spielt in den Augen der T h e o l o gen die soziale Stellung des einzelnen keine Rolle. 2 0 4 Das Leben kann mit »Notdurft« ebenso erhalten werden, wie mit Überfluß. A u c h w e n n man sagt, »es lohne j e m a n d e n seine Arbeit«, so ist es letztendlich doch Gott, der das G e deihen dazu gibt. W e n n deshalb während des Gottesdienstes die Arbeit ruht, so wird in der Haushaltung nichts versäumt. 2 0 5 Predigt u n d Gebet b e h i n d e r n den Menschen in Arbeit u n d Beruf nicht; nach d e m H ö r e n der Predigt ist »gut schaffen u n d arbeiten«. 206 D i e so verrichtete Arbeit wird von Gott gesegnet werden. Entsprechend wird in den Summarien die Dialektik von menschlicher Arbeit u n d göttlichem Segen beschrieben: Es kommt zwar der Seegen GOttes denen Frommen im Schlaff; aber nicht durch den Schlaff. Hie heisset es: Hand an, und arbeite; dann erst Hand auf, und nimm den Seegen vom HErrn.207 D e r Mensch ist geradezu zur Arbeit geschaffen, j e d e r Müßiggang ist gegen die N a t u r des Menschen. 2 0 8 Arbeit w u r d e schon vor d e m Sündenfall a n e m p fohlen, u m wieviel m e h r ist sie nach d e m Fall zu leisten. 209 Arbeit unterhält die menschliche Gesundheit u n d bewahrt vor d e m Abgleiten in Armut, w o mit m a n anderen dann zur Last fällt. 210 Müßiggang dagegen führe zu Krankheit u n d Siechtum, w o d u r c h der Mensch sich letztlich selbst zugrunde richte. Gott will alle Hausgeschäfte u n d Arbeiten, w e n n sie von Herzen u n d mit gutem Willen u n g e z w u n g e n getan werden, zeitlich u n d ewig belohnen. 2 1 1 Alle Arbeit, auch die geringste, ist deshalb Arbeit gegenüber Gott: [...] und aller jhrer Ha[e]nde werck/ was sie lautjhres Beruffs vnd dises Standts thun vnd leiden/ lauter Gottesdienst seyen/ [,..].2U

202 203

Vgl. z u m f o l g e n d e n SIGWART: P r e d i g t v o m Vaterunser, S. 143 f. SIGWART: P r e d i g t v o m Vaterunser, S. 143.

204

SIGWART: L a s t e r p r e d i g t e n , S. 9 2 v .

205

Z u m f o l g e n d e n ANDREAE: C h r i s t l i c h e A n l e i t u n g , S. 4 8 f. Vgl. HAFENREFFER: Lita-

n i a , S. 1 3 . P R E G I T Z E R : B u ß p r e d i g t e n , S. 1 4 7 . 206

SUMMARIEN V I , S. 3 7 3 .

207

SUMMARIEN V I , S. 5 1 2 f . V g l . W A

31

I, 4 3 6 , 2 6 f f . V g l . E L E R T : L u t h e r t u m .

B d . 2,

S. 4 6 8 . 208

SUMMARIEN V I , S. 6 3 5 f . A N D R E A E : H o c h z e i t s p r e d i g t , S. C , r . V g l . SCHENDA: F l e i s s i g e

D e u t s c h e , S. 1 8 9 - 2 0 9 . 209

SUMMARIEN I , S. 1 1 .

210

Vgl. z u m f o l g e n d e n SUMMARIEN V, S. 539: Wo keine Übung ist, wie bey dem Mu[ejßiggang geschickt, da entsteht in des Menschen Leib Fa[e]ulung, und verderbt man sich selber. Dem aber gesteuret wird, wo man seine Übung hat, seiner Arbeit auswartet, wacker und munter hin und her la[e]ufft, und sein Gescha[e]ffte verrichtet. SUMMARIEN III, S. 1814. Vgl. SCHENDA: Fleissige D e u t s c h e , S. 189. Vgl. ELERT: L u t h e r t u m . B d . 2, S. 4 7 0 . 2,1

Z u m f o l g e n d e n SUMMARIEN V I , S. 1 0 3 8 .

212

H E E R B R A N D : P r e d i g t v o n d e r E h e , S. G , r v .

Der ökonomische Lebensbereich

2 2 5

Dieses M o m e n t der zugesagten göttlichen B e l o h n u n g gibt Anlaß zu M i ß deutungen. A u c h wenn die T h e o l o g e n sich M ü h e gaben zu b e t o n e n , daß es sich hier u m eine »Gnadenbelohnung« handle, nicht u m ein Verdienst vor G o t t . B e i unscharfer Trennung liegt hier eine gefährliche N ä h e zur W e r k g e rechtigkeit vor. 2 1 3 W o anders, wenn nicht im alltäglichen Leben, sollte denn Gottes zeitliche B e l o h n u n g sichtbar werden? Ist alle Arbeit grundsätzlich als gleichwertig einzustufen, so k ö n n e n die T h e o l o g e n auch problemlos flir die Einhaltung der hierarchischen O r d n u n g innerhalb der Stände eintreten. 2 1 4 D i e soziale U n g l e i c h h e i t wird durchaus von G o t t gewollt. 2 1 5 J e d e r soll deshalb in seinem Stand bleiben und dort sein A m t ausüben 2 1 6 , j a , gegebenenfalls mit seinem bescheidenen Teil zufrieden sein. 2 1 7 Soziale Mobilität ist in diesem System nicht vorgesehen, weder horizontal durch das Wechseln des Berufes, n o c h vertikal durch ein Streben nach H ö h e r e m . 2 1 8 Letzteres galt gar als das Laster des Ehrgeizes. 2 1 9 J e d e r soll einen »ordentlichen Beruf« erlernen und sich damit begnügen. E r soll »weise und vernünftig« seinen B e r u f ausüben und sich nicht mutwillig in leibliche oder geistliche Gefahr begeben, denn dies hieße, G o t t zu versuchen.220 Christus selbst wird als Beispiel für ein Verbleiben im niedrigen Stand vor Augen gestellt. 2 2 1 M a c h t e er doch mit seinem Einzug in Jerusalem das Vergehen der ersten Eltern wieder gut, die sich nicht mit d e m Stand genügen w o l l ten, in den sie G o t t gesetzt hatte. 2 2 2 Deshalb wurden sie aus d e m Paradies vertrieben, das durch Christus nun wieder eröffnet wurde. 213

SIGWART: Predigten über 1 Kor 15, S. 192 r f.

214

WAGNER: E p i s t e l - P o s t i l l e

2 , S. 4 6 6 . WAGNER: E v a n g e l i e n - P o s t i l l e

1, S. 5 2 5 :

Zur

Begründung der Reihenfolge. HÄBERLIN: Epistel-Postille 1, S. 302a. Er hat nur Spott dafür übrig, wenn ein Graf eine Magd heiratet. Vgl. ANDREAE: Predigten vom Türken, S. 442. PREGITZER: Hochzeitspredigt, S. 2. Obrigkeit ( R o m 13,1; Prov 8,15 f.; Weish 6,4); Predigtamt (Mt 9,37 f.; Mt 18,18; Joh 20,23; Mt 28,19 f.; M k 16,15 f.); Ehestand (Gen 2,18.21 f.; M t 19,4.6). 2 1 3 WAGNER: Evangelien-Postille 2, S. 462. WAGNER: Casualpredigten (Tax-Predigt), S. 8 3 3 . W A G N E R :

Segenspredigt,

S. 8 4 3 .

ANDREAE:

Hochzeits-Predigt,

S. C2R.

RUBLACK:

Lutherische Predigt und gesellschaftliche Wirklichkeiten, S. 358. 216

WAGNER: E p i s t e l - P o s t i l l e 1, S. 6 2 5 . WAGNER: E v a n g e l i e n - P o s t i l l e 2 , S. 4 6 0 .

2,7

WAGNER: E p i s t e l - P o s t i l l e 2 , S. 2 3 2 u n d S. 1 1 6 . WAGNER: E p i s t e l - P o s t i l l e 1, S. 8 8 0 .

SIGWART: Lasterpredigten, S. 95 r . SIGWART: Predigt vom Vaterunser, S. 140. 2 1 8 SIGWART: Lasterpredigten, S. l l v - 1 2 r ; vgl. S. 116 r . ANDREAE: Christliche Anleitung, S. 2 7 2 . SIGWART: L a s t e r p r e d i g t e n , S. 12 r . 2,9

V g l . WAGNER: E p i s t e l - P o s t i l l e

1, S. 6 2 5 , S. 8 7 5 ff. u n d S. 8 8 6 . WAGNER: E p i s t e l -

Postille 2, S. 4 5 5 - 4 6 0 . WAGNER: Esslinger Trauerpredigten, S. 138 f. REUCHLIN: Christentum, S . 47. 2 2 0 ANDREAE: Christliche Anleitung, S. 341. Vgl. SIGWART: Predigt vom Vaterunser, S. 150. Er betont, daß die göttliche Vorsorge die menschliche Arbeit zum Nahrungserwerb nicht ausschließt. 221

HÄBERLIN: E p i s t e l - P o s t i l l e 1, S. 3 0 1 b .

222

ANDREAE: Vier Predigten vom Wucher, S. 39.

226

Dimensionen

des Alltags

in der Frühen

Neuzeit

Aus der strengen hierarchischen O r d n u n g ergeben sich j e d o c h auch Pflichten. Je h ö h e r der Stand, desto verantwortungsvoller die Tätigkeit. 2 2 3 Entsprechend diesem Votum übt Andreae aber auch soziale Kritik an j e n e n Obrigkeiten, die ihrerseits nicht im Stande bleiben wollen u n d fiir ihr Streben nach Luxus ihre U n t e r t a n e n ausbeuten u n d die ihrem Stand entsprechende soziale Verantwortung nicht wahrnehmen. 2 2 4 Ein standesgemäßes Leben zu fuhren war dagegen j e d e m erlaubt. D e r reiche M a n n aus d e m Gleichnis im Lukasevangelium diente als Vorbild u n d Warn u n g zugleich: Daß sich der Reiche Mann stattlich kleidet/ wann es seinem Stand also gezimet/ so hette das Jhme an seiner Seeligkeit keinen Schaden gethan: Dann auch Salomon stattlich vnd Ko[e]niglich gekleidet [...] Essen vnd trincken hette diesen Schaden/ da es in der Forcht deß HERREN/ vnd nicht mit der Vbermaßgeschehen/ jhme auch nicht gethan/ [...].225 Soziale Schranken zu durchbrechen u n d damit das Grundgerüst einer hierarchisch gegliederten Gesellschaft in Frage zu stellen, war für die Prediger letztlich ein Aufbegehren gegen göttliche O r d n u n g . Sie setzten deshalb alles daran, in ihren Predigten normierend auf ein Leben innerhalb dieser Standesschranken einzuwirken. Exkurs:

Arbeit als Fluch

Arbeit war i m m e r auch Ausdruck des göttlichen Fluches. Infolge der Sünde wird Arbeit zur Mühsal. 2 2 6 Theologisch kann Arbeit deshalb gleichermaßen als

223

WAGNER: R e g e n t e n p r e d i g t , S. 2 5 f. ( O b r i g k e i t ; P r e d i g e r ) . ANDREAE: P r e d i g t v o m L a u f d e r P l a n e t e n , S. 3 8 . SUMMARIEN V I , S. 1 0 3 8 . 224 ANDREAE: P r e d i g t v o m L a u f d e r P l a n e t e n , S. 82: Dann sprechen sie/ Jch mu[ojß mein Stand erhalten/ den Gott selbst geordnet hat. Zu[o] erhaltung aber des Stands nach dem er groß oder klein ist/ würdt vil oder wenig erfordert. Da nun keiner bey der maß vnd Ordnung seines Stands bleibt/ sonder vbermacht/ [...] / der Pracht ist groß/ vnnd wechst ta[e]glich/ da geho[e]rt Gelt zu[o]/ wo nemen? Das ordenlich einkommen mags nicht ertragen/ Da erdicht man auch allerley Vinantz vnd List/ wie man es von den Vnderthonen bringen mo[e]ge/ legt jhnen Schätzung vnnd anders auff/ [...]. E n t s p r e c h e n d k a n n a u c h H e e r b r a n d d e n b e i d e n J u b i l ä u m s f e i e r l i c h k e i t e n z u m 1 0 0 j ä h r i g e n B e s t e h e n d e r T ü b i n g e r U n i v e r s i t ä t in d e r S t i f t s k i r c h e a n w e s e n d e n H e r z o g L u d w i g d a r a n e r i n n e r n , d a ß er, w i e seine V o r g ä n g e r bey der hohen Schul vnd auch Stipendio ein ewige gedechtnus stifften werde (HEERBRAND: P r e d i g t v o n d e r H o h e n S c h u l e , S. 2 3 ) . ANDREAE: P r e d i g t e n v o m T ü r k e n , S. 3 5 3 . V g l . PETER BLICKLE: Volk u n d U n t e r t a n e n i m 17. J a h r h u n d e r t . In: W o l f g a n g B r ü c k n e r ; P e t e r B l i c k l e ; D i e t e r B r e u e r ( H r s g . ) : L i t e r a t u r u n d Volk i m 17. J a h r h u n d e r t . P r o b l e m e p o p u l ä r e r K u l t u r in D e u t s c h l a n d ( W o l f e n b ü t t e l e r A r b e i t e n z u r B a r o c k f o r s c h u n g , B d . 13). W i e s b a d e n 1 9 8 5 , S. 45—65, h i e r S. 49. 225 WAGNER: C a s u a l p r e d i g t ( T a x p r e d i g t ) , S. 8 4 3 . OSIANDER, L.: P r e d i g t v o n d e r F r a t e r nität, S. 6. 226 SIGWART: P r e d i g t e n ü b e r 1 K o r 15, S. 145". OSIANDER, A . : V o c a t i o n s p r e d i g t , S. 3 f. SIGWART: L a s t e r p r e d i g t e n , V o r r e d e : Es were das Pßantzen deß Paradieß dem Adam mehr ein Lust/ dann ein Arbeit oder Notturft gewesen.

Der ökonomische

Lebensbereich

227

Strafe227 und Erziehung228 interpretiert werden. D i e T h e o l o g e n der lutheris c h e n O r t h o d o x i e , w i e z u v o r a u c h L u t h e r s e l b s t , l e i t e n aus d i e s e m

Sachver-

halt a b e r k e i n e a l l g e m e i n e a s k e t i s c h e L e b e n s e i n s t e l l u n g ab. D i e s z e i g t sich an der i m m e r wieder v o r g e n o m m e n e n

Unterscheidung

von

Sparsamkeit

und

G e i z . 2 2 9 D i e T u g e n d der Sparsamkeit wird strikt getrennt v o m Laster der G e i z e s , w o r u n t e r j e d e A r t v o n G e l d g i e r v e r s t a n d e n w i r d , g l e i c h g ü l t i g o b s i e als E r w e r b s - o d e r S p a r m o t i v , das h e i ß t als S c h e u v o r A u s g a b e n g e n e r e l l , i n s c h e i n u n g tritt. D e r M e n s c h soll z w a r

fleißig

Er-

in seinem B e r u f arbeiten, aber er

soll a u c h m i t f r ö h l i c h e m H e r z e n g e n i e ß e n , was i h m G o t t g e g e b e n hat. A u c h w e n n d e r R e i c h e bis z u s e i n e m T o d v o n s e i n e m K a p i t a l l e b e n k a n n , so s t e h t d o c h u n u m s t ö ß l i c h f e s t , d a ß e r d a v o n aus d i e s e r W e l t n i c h t s m i t n e h m e n k a n n . Sein L e b e n verbringt er in Angst u n d Sorge u m seine zeitlichen G ü t e r u n d hat d a b e i fast k e i n e r u h i g e S t u n d e : Darum

in diesem

Leben

seinem

und,

Gott

Berufffleißig

gemessen, lassen. freuet.230

dabey Das

sey

dahin ein fro[ejliches

eine

Gabe

gehen,

arbeiten,

Hertz Gottes,

haben, wo man

was

und das eitele solche

thue,

nichts

hessers

bescheret, Wesen

und

sein

sey, als

in seiner

sich nicht Hertz

sey

in

Furcht anfechten also

D i e irdischen, zeitlichen G ü t e r k ö n n e n mit Freuden und g u t e m

erGe-

w i s s e n g e n o s s e n w e r d e n . S i e sind G a b e n G o t t e s , n i c h t des T e u f e l s . 2 3 1

227

SUMMARIEN I , S . 1 1 . A N D R E A E : V i e r P r e d i g t e n v o m W u c h e r , S . 1 6 5 f .

ANDREAE: V i e r Predigten vom Wucher, S. 18. D u r c h Müßiggang treibt der Teufel die M e n s c h e n in Sünde und Laster, weshalb beispielshalber eine christliche O b r i g k e i t das Betteln nicht gestatten soll.Vgl. HONECKER: Sozialethik, S. 3 3 8 . 2 2 9 SIGWART: Predigten von Hauptplagen, S. 4 1 . SIGWART: Predigt v o m Vaterunser, 228

S . 1 5 2 . W A G N E R : E v a n g e l i e n - P o s t i l l e 2 , S . 2 3 2 . V g l . ELERT: L u t h e r t u m . B d . 2 , S . 4 9 5 - 4 9 8 .

E r weist darauf hin, daß auch in Kirchenordnungen Luxusverbote enthalten sind, o h n e daß damit zugleich weltliche Genüsse verpönt würden. BOLLNOW: Wesen und Wandel der Tugenden, S. 4 1 - 4 8 . PAUL MÜNCH: Ordnung, Fleiß und Sparsamkeit. Texte und D o k u m e n t e zur Entstehung der »bürgerlichen Tugenden«. M ü n c h e n 1 9 8 4 . Vgl. MÜNCH: Parsimonia, S. 176 f. M ü n c h weist hier auf zwei Bilder hin, die die T h e m e n »Geiz« und Sparsamkeit illustrieren. Z u »Sparsamkeit« ein Bild von Lorenz-ChristofFer Stobee ( 1 6 7 4 1 7 5 6 ) : »Parsimonia«, um 1 7 4 6 (In: Nils-Arvid Bringeus: Volkstümliches Bilderhandbuch. M ü n c h e n 1 9 8 2 , S. 31) und zu »Geiz« ein Holzschnitt des Petrarcameisters: »Von dem Geiz«. Augsburg 1 5 3 2 (In: Walter Scheidig: D i e Holzschnitte des Petrarca-Meisters. Berlin 1 9 5 5 , S. 3 0 8 ) . V g l . zu den Gegensatzpaaren »Geiz — Sparsamkeit« und »Sparsamkeit —Verschwendung« ebd., S. 178. 2 3 0 SUMMARIEN III, S. 1961 f.: Denn der Geitzige ko[e]nne nimmer ersa[e]ttiget werden, du[e]tffe darzu seines Guts nicht gemessen, und habe nichts davon, als Sorge, Angst, und grosse Mu[e]he [...]. SUMMARIEN III, S. 1961 f. ANDREAE: Leichenpredigt Herzogin Sabina, S. 2 3 und S. 3 0 : D e r Tod ist dem Christen kein unversehener Gast und trotzdem soll er seine zeitlichen Güter [...] alle zeit mit frewden vn[d] gu[o]ttem gewissen/ [...] gebrauchen. SIGWART: Predigten über 1 K o r 15, S. 8 0 r und S. 83 v . SIGWART: Predigt v o m Vaterunser, S. 1 3 7 - 1 4 0 . Vgl. ZSCHUNKE: Konfession und Alltag in O p p e n h e i m , S. 79—89. B e i seinem Vergleich der verschiedenen Konfessionen in O p p e n h e i m wird deutlich, daß der Calvinismus die e n t scheidende R o l l e spielt b e i m Aufbau einer dynamischen Ethik. 2 3 1 ANDREAE: Trostschrift, S. 4 9 . V g l . CONZE: Art. Arbeit, S. 166: Zum christlichen (lutherischen) Arbeitsbegriff gehörte Zufriedenheit im Hinblick auf irdischen Besitz, an dem das Herz

228

Dimensionen

des Alltags

in der Frühen

Neuzeit

Die E r m a h n u n g an die Eltern, ihren Kindern Schätze zu sammeln, dürfe nicht dahingehend mißverstanden werden, als sei dies die Aufforderung zur A n h ä u f u n g materieller Güter. Kinder in Gottesfurcht u n d Ehrbarkeit aufzuziehen, sie zur Arbeit anzuhalten, darauf ziele die göttliche Anordnung. Das Argument, man tue es ja u m der Kinder willen, kann also nicht als Entschuldigung angeführt werden. Was aus j e n e n K i n d e r n werde, die allein mit großen materiellen G ü t e r n versorgt sind, das lehre die tägliche Erfahrung. 2 3 2 Gelderwerb durch Berufsarbeit u n d Sparsamkeit stehen flir sich g e n o m m e n d e m Segen Gottes nicht entgegen; entscheidend ist, was der Mensch aus sein e m R e i c h t u m macht. Sicher ist in den Augen der Prediger j e d o c h , daß es für den R e i c h e n verständlicherweise schwerer ist, der Aufforderung, sein Herz nicht an materielle Güter zu hängen, n a c h z u k o m m e n . Anders verhält es sich mit der Armut, sie ist in ihrer ursprünglichen B e d e u t u n g die Strafe für den Sündenfall, denn [...] so Adam vnd Heua nicht gesu[e]ndiget hetten/ so were niemand arm/ sondern jederman reich gewesen.233 R e i c h t u m auf Kosten anderer wird strikt verworfen. A u c h w e n n gutes E i n k o m m e n , Besitz u n d Vermögen selbstverständliche Anzeichen eines allgemeinen Wohlstandes sind, darf darüber der »gemeine Nutzen« nicht in den H i n tergrund treten. 2 3 4 Alles Streben nach G e w i n n m a x i m i e r u n g u n d Profit stößt hier an die Grenze des öffentlichen Interesses. Das individuelle Handeln bleibt auf das soziale Gefiige der K o m m u n e bzw. des Landes bezogen. Die LuxusDebatte, in der darauf hingewiesen wurde, daß etwas im privaten Bereich durchaus als verwerflich gelten u n d d e n n o c h unter bestimmten Voraussetzungen in bestimmtem Bereichen das gemeine Beste befördern konnte, erreicht die bürgerlichen Sphären nicht. 2 3 5 Diese T h e m a t i k wird von den Predigern ignoriert. Zweifellos handelte es sich bei Sparsamkeit u n d auch M ä ß i g u n g u m Verhaltensweisen, die schwer durchzusetzen waren. D a v o n zeugen sowohl die obrigkeitlichen Mandate, die j e d e m Stand seinen angemessenen A u f w a n d zubilligen als auch die anklagenden Predigten ü b e r unkontrollierte Ausbrüche massloser Verschwendung bei Taufen, H o c h z e i t e n u n d Beerdigungen. 2 3 6 D i e

nicht hängen sollte. In der modernen Erwerbswelt aber darf es reine Zufriedenheit nicht mehr geben, weil sie prinzipiell Stillstand oder Rückschritt bedingt. So führt keine Brücke von christlicher Arbeit zum modernen »Kapitalismus«. A n d e r s : E t h i k in d e r e u r o p ä i s c h e n G e s c h i c h t e II, S. 3 6 - 3 9 , bes. S. 3 9 : D a s n a c h r e f o r m a t o r i s c h e L u t h e r t u m h a b e d i e s e n Brückenschlag g e w o l l t . 232 ANDREAE: P r e d i g t v o m L a u f d e r P l a n e t e n , S. 1 1 4 f. 233 ANDREAE: V i e r P r e d i g t e n v o m W u c h e r , S. 1 6 5 f. 234 V g l . MÜNCH: P a r s i m o n i a , S. 175. Vgl. WINFRIED SCHULZE: V o m G e m e i n n u t z z u m E i g e n n u t z . U b e r d e n N o r m e n w a n d e l in d e r s t ä n d i s c h e n G e s e l l s c h a f t d e r f r ü h e n N e u z e i t . In: H i s t o r i s c h e Z e i t s c h r i f t 2 4 3 ( 1 9 8 6 ) , S. 5 9 1 - 6 2 6 . V g l . RUBLACK: L u t h e r i s c h e P r e d i g t u n d gesellschaftliche W i r k l i c h k e i t e n , S. 3 5 8 f. m i t A n m . 5 7 . 235 MÜNCH: P a r s i m o n i a , S. 1 8 0 f. 236 V g l . MÜNCH: P a r s i m o n i a , S. 182.

Der ökonomische

Lebensbereich

229

Prediger werden nicht müde, Nutzen und Vorteile der Sparsamkeit herauszustellen. In den Predigten der Tübinger Professoren lassen sich noch keine Anzeichen dafür feststellen, daß das Luthertum im 18. Jahrhundert allmählich versucht, Arbeit in das Zentrum einer neue(n) Wertordnung zu stellen. Für die Predigten des untersuchten Zeitraumes gilt: Gott fordert die Arbeit, will aber keine über das notwendige M a ß hinausgehende Arbeitsleistung. Produktionssteigerung als Pflicht des Menschen vor Gott ist kein Element der lutherisch-orthodoxen Arbeitsethik. Berufsgeschäfte dürfen nicht vom G o t tesdienstbesuch abhalten. Erst die Theologie der Aufklärung setzt hier andere Maßstäbe. 2 3 7 Exkurs:

Kaiserliches

Recht contra biblische

Norm?

Eine spezielle Thematik innerhalb des BegrifFsfeldes von B e r u f und Arbeit stellt die Wucherproblemtik dar. Das Problem des Wuchers wurde schon von Luther in diesem Kontext bearbeitet. 238 Die Wucherproblematik läßt sich anhand der Vier Predigten Uber den Wucher, die Jacob Andreae in der Neuen Pfarrkirche zu Regensburg gehalten hat, gut darstellen. Anlaß zu diesen Predigten war ein seit rund 30 Jahren anhaltender »Wucherstreit« in Regensburg. 2 3 9 Neun Prädikanten behandelten das Thema in unterschiedlicherweise auf den Kanzeln ihrer Reichsstadt. Strittig war, ob der nach kaiserlichem R e c h t gültige funfprozentige Zinssatz ein verdampter Wucher sey, oder nicht?240 Wer in der Reichsstadt nach diesem Zinsmaß gehandelt hatte, war von einigen Predigern von der Taufe abgestossen worden, ihm wurde die Absolution vorenthalten und er erhielt keine Zulassung zum Sakrament. Im mindesten Falle wurde sein Gewissen derartig beschweret, daß er von sich aus darauf verzichtet, am Abendmahl teilzunehmen. Wer solchen wucherlichen Zinß einnehme, so lautete ihre Lehre, der empfange das Abendmahl zum Gericht. Sie wurden unter die

237 Ethik in der europäischen Geschichte. Bd. 2, S. 3 9 - 4 2 . Vgl. SCHLINGENSIEPENPOGGE: Sozialethos, S. 192. Vgl. FREY: Die Reformation Luthers, S. 122 f. 2 3 8 ELERT: Luthertum. Bd. 2, S. 4 6 6 - 4 9 2 (Wirtschaftsethik) und S. 4 9 2 - 5 2 0 (Wirtschaftsdynamik). Vgl. WA 2 7 , 3 4 3 und WA 15,295. AUGUST WALDBURGER: Eine Probe auf Zwingiis Reformation. Die »Reformation im Bezirk Andelfingen« letzter Teil. In: Zürcher Taschenbuch N. F. 35 (1912), S. 167—201, speziell S. 173 zur Diskussion zwischen Laien und Geistlichen um die Zinsproblematik. Vgl. auch HANS-CHRISTOPH RUBLACK: Augsburger Predigt im Zeitalter der lutherischen Orthodoxie. In: Reinhard Schwarz (Hrsg.): Die Augsburger Kirchenordnung von 1537 und ihr Umfeld. Wissenschaftliches Kolloquium (Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte, Bd. 196). G ü tersloh 1988, S. 1 2 3 - 1 5 8 , hier S. 1 4 7 - 1 5 5 . Vgl. zur Zinsfrage HONECKER: Sozialethik, S. 3 3 5 - 3 3 7 . 2 3 9 Ausführlich wird darüber am Ende der der vierten Predigt gehandelt. Vgl. ANDREAE: Vier Predigten vom Wucher, S. 1 7 8 - 1 8 1 . 2 4 0 ANDREAE:Vier Predigten vom Wucher, S. 182.

230

Dimensionen des Alltags in der Frühen Neuzeit

»Diebe, Mörder und Straßenräuber« gezählt, die man nicht ehrlich begraben/ sondern wie Hunde/ ohn Sacrament vnnd Trost/ hinsterben lassen solle.241 Die Vermittlungsversuche eines namentlich nicht genannten »Ehrbaren Kämmerers und Ratsherren« waren fehlgeschlagen, in ihrer Folge mußten fünf Prediger ihres Amtes enthoben werden, weil sie auf ihrem jeweiligen Standpunkt b e harrten. Die Regensburger wandten sich deshalb an den Pfalzgrafen Philipp Ludwig und an Herzog Ludwig von Württemberg mit der Bitte, sie mögen ihnen zur Hilfe bei der Entscheidungsfindung zwei Theologen in die R e i c h s stadt schicken. Jacob Heilbrunner und Jacob Andreae wurden für diese Aufgabe ausgewählt. An der von Andreae hier vorgenommenen Konkretion der lutherischen Berufsethik läßt sich aufzeigen, wie die Theologen die Diskrepanz zwischen einer an der Bedarfsdeckung orientierten Arbeit und den mit Wucher und Zins arbeitetenden Handelsgeschäften zu bewältigen suchten. Im Hintergrund dabei steht die Frage nach den möglichen Wurzeln des modernen »Kapitalismus«. 242 Zunächst verdeutlicht Andreae in seinen Predigten, daß j e d e Art von R e i c h t u m nicht Eigentum seines Besitzers und nicht in dessen freie Verfügung gestellt ist. 2 4 3 E r ist nur als Haushalter über sein Gut bestellt und bleibt an die göttlichen Instruktionen gebunden. Diese Instruktionen besagen, daß auch die Armen nach der Anordnung Gottes zu versorgen sind. B e i der Armenfürsorge sind j e d o c h verschiedene Stadien von Bedürftigkeit zu unterscheiden. Hier sind zunächst bedürftige arme Leute zu nennen, die zu alt, schwach oder krank sind, um arbeiten zu können. Ihnen soll man mit schencken vnd geben/ das ist/ mit dem rechten Almusen helffen/ daß sie nicht not leiden/ oder hungers sterben.244 Danach führt Andreae bedürftige Leute an, die durch einen Notfall in ihre mißliche Lage geraten sind. Sie sind nicht vollständig verarmt, haben noch ein bescheidenes Dach über dem K o p f und sind stark und gesund, es fehlt ihnen j e d o c h am nötigen Geld, um ihr Handwerk zu treiben. Sie betteln nicht um Almosen, sondern bitten/ daß man jhnen auff widergeben leihen wo[e]lle/ mit disem versprechen/ [...] / daß sie es redlich vnd ehrlich widergeben vnnd bezalen wo[e]llen/ was jhnen fii[e]rgestreckt worden ist.245 Scharf davon abzugrenzen sind j e n e Leute, die sich bester Gesundheit erfreuen, j e doch wegen ihrer Neigung zu Alkohol, Spiel und Faulenzerei sich dem M ü ßiggang verschrieben haben und gar Frau und Kinder verhungern lassen. 246 ANDREAE: Vier Predigten vom Wucher, S. 182. MAX WEBER: Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie. Bd. 1. Tübingen 1988 9 , S. 1 7 - 2 0 6 . V g l . WEBER: W i r t schaft und Gesellschaft, S. 2 5 2 - 2 5 5 . 2 4 3 ANDREAE:Vier Predigten vom Wucher, S. 16. 2 4 4 ANDREAE:Vier Predigten vom Wucher, S. 17. 2 4 3 ANDREAE: Vier Predigten vom Wucher, S. 19. 2 4 6 ANDREAE: Vier Predigten vom Wucher, S. 18. 241

242

Der ökonomische Lebensbereich

231

Unter Hinweis auf 2 Thess 3 — wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen — braucht ihnen keinerlei Unterstützung zuteil werden. Wer jedoch unverschuldet in Armut geraten ist und physisch in der Lage ist zu arbeiten, dem muß nach alttestamentlicher Maßgabe durch ein entsprechendes Darlehen geholfen werden — ohne Wucher zu treiben. 247 Im N e u e n Testament ist das Ziel noch höher gesteckt, dort [...] will [Christus]/ daß du nicht allein kein Wucher auff den armen du[e]rfftigen in seiner Not treibest/ dann solches thun auch die Su[e]nder/ die leihen/ daß sie gleiches wiederumb empfangen. Sondern er will/ daß man den du[e]rfftigen also leihen soll/ daß wir auch gleiches / [...] /

nicht mehr hoffen zu empfangen.248 Das so verstandene »christliche Leihen« ist nicht mit »Schenken« identisch, da beim »Leihen« der einzelne — zumindest theoretisch — sein R e c h t an der Leihgabe behält und sie wiederum einfordern kann. Dieses »christliche Leihen« schließt ein, daß es nicht mit dem verderben deines Brüdern in seiner Not eingefordert werden soll. 249 U n d selbst, w e n n der Einsatz nicht mehr zurückerstattet wird, soll sich der Leihgeber daran erinnern, daß Gott solches alles so reichlich vergelten will. Aus diesem G r u n d e soll man nicht nur Reichen einen Dienst erweisen, bei denen man sich sicher ist, daß sie es vielfältig zurückerstatten werden. 2 5 0 W i e sieht nun dieses »Leihen« in der alltäglichen Praxis aus? W i e soll ein Hausvater, der Frau, Kinder und Hausgesinde so versorgt hat, daß sie keinen Mangel leiden, mit dem übrigen Vermögen umgehen. Kann er es verantworten, dieses Vermögen zu leihen, auch auf die Gefahr hin, es nicht zurückzubekommen? O d e r ist er es nicht vielmehr seinem Haus gegenüber schuldig, dieses Vermögen, beispielshalber für den Krankheitsfall, sicher anzulegen? U n t e r Hinweis auf Prov 6 und verschiedene Stellen in den paulinischen Briefen hält Andreae zunächst fest, daß die oberste Sorge eines Hausvaters seinem eigenen Haus zu gelten hat. 251 Er muß über seinen eigenen Tod hinaus hier Vorsorge teffen. Wer zu diesem Zweck nicht Acker und Güter ankaufen will, f ü r d e n stellt sich d i e Frage, o b e r [...] / sein Gelt auff/ oder vmb ein genanten Zinß außthun/ vnd also ettwas weiters/ vnd daru[e]ber nemen mo[e]ge/ dann er außgethon hat [...] und so zu seinem eigen Nutzen darmit schaffen du[e]rffe.252 D i e s e A r t v o n Ha[e]ndeln d a r f n i c h t m i t d e m leihen [...] das dem du[e]rfftigen in seiner

not zu Dienst geschickt verwechselt werden. Der Hausvater m u ß investieren, Geld im Sparstrumpf ist totes Kapital: Das Gelt [...] / so lang es in dem Kasten oder Beutel ligt/ nutzet jhm

vnnd seinen Kindern

nichts.253

E r soll f ü r sein H a u s

247 ANDREAE: Vier Predigten vom Wucher, S. 19 unter Verweisung auf Lev 25; Ex 22; Dtn 15; Lev 23. 248 ANDREAE.'Vier Predigten vom Wucher, S. 26. 249 ANDREAE:Vier Predigten vom Wucher, S. 27. 250 ANDREAE: Vier Predigten vom Wucher, S. 33. 251 ANDREAE: Vier Predigten vom Wucher, S. 45. 252 Z u m folgenden ANDREAE: Vier Predigten vom Wucher, S. 44 und S. 46. 253 ANDREAE: Vier Predigten vom Wucher, S. 46. Vgl. MÜNCH: Parsimonia, S. 175.

232

Dimensionen

des Alltags in der Frühen

Neuzeit

Vorsorge treffen, das heißt Gärten u n d Äcker etc. anlegen, so daß auch er etwas davon hat u n d seine Kinder speisen, kleiden und versorgen kann. W e n n er an Bedürftige leiht, so m u ß er stets damit rechnen, diesen Einsatz nicht zur ü c k z u b e k o m m e n ; entsprechend kann er Vermögen nur so einsetzen, daß es nicht zu Lasten seines Hauses geht. 2 5 4 Eine sparsame Wirtschaft, die alle, die zum Haus gehören mit d e m Lebensnotwendigen versorgt, gilt als das zentrale Verhaltensmuster frühneuzeitlicher Ö k o n o m i e . Vorräte erlauben dann Werke der Barmherzigkeit. Im h e r k ö m m l i c h e n Handel ist das N e h m e n eines vereinbarten Zinses statthaft, solange, bei allen sozialen Unterschieden, die Partner nicht vollkommen mittellos sind. 255 Gerade für W i t w e n u n d Waisen gibt es häufig keine andere Möglichkeit, u m sich vor d e m Bettelstab zu schützen, als daß sie solch Gelt auff benannte Jar/ zu jhrem eigen vnd besten Nutzen verwenden vnd gebrauchen bzw. durch Vormundschaft gebrauchen lassen. 256 Ist die soziale Ungleichheit zu groß u n d geschieht der W u c h e r nur zu Gunsten des einen Partners, so gilt, daß der Wucher/ [...] / diesen Personen zugleich allen verbotten seie.257 Sowie von Bedürftigen u n d A r m e n die R e d e ist, an denen man nicht handthieren kan/ dann sie haben nichts/ sondern man soll vnd muß jhnen in solchem fall leihen/ auch einig vnd allein auff jren nutzen sehen/ gantz vnd gar nichts auff vnsern eigen nutz.25S W e n n j e d o c h j e d e r Beteiligte seinen gerechten u n d billigen N u t z e n davon hat, o h n e den Schaden des anderen zu suchen, so wird nicht wider Gottes Gebot gehandelt. 2 5 9 H i e r ist nach neutestamentlichen Grundsätzen zu verfahren, die sich am G e b o t der Nächstenliebe u n d an der sogenannten goldenen R e g e l zu orientieren haben. 2 6 0 Grundsätzlich gilt b e i m Leihen: Dieweil niemand sein eigen nutz mit seines Nechsten schaden suchen noch schaffen soll.26i Das heißt, der Leihgeber soll sein Kapital nicht umsonst hingeben, sondern so, daß es i h m auch selbst u n d den anderen N u t z e n bringt. Das vorhandene Kapital soll eingesetzt werden, u m dem anderen eine selbständige Existenz zu ermöglichen, so daß dieser nicht dauerhaft auf Almosen angewiesen ist. 262 Hilfe zur Selbsthilfe heißt die von den Predigern eingeforderte Devise. Ein frühkapitalistisches Anhäufen von

254

ANDREAE:

Vier Predigten v o m Wucher,

S.

131. Vgl.

MÜNCH:

Parsimonia,

S.

175

u n d S. 183. Vier Predigten v o m Wucher, S. 47 ff. Vier Predigten v o m Wucher, S. 49. 257 A N D R E A E : Vier Predigten v o m Wucher, S. 50. 258 A N D R E A E : Vier Predigten v o m Wucher, S . 5 1 ; vgl. S . 5 5 . 259 A N D R E A E : Vier Predigten v o m W u c h e r , S. 51. 260 A N D R E A E : Vier Predigten v o m Wucher, S. 51 f. Andreae n e n n t hier M t 7,12; 1 Thess 4 ; 2 K o r 8 . Vgl. A L B R E C H T D I H L E : D i e G o l d e n e R e g e l . Eine E i n f ü h r u n g in die G e schichte der antiken u n d christlichen Vulgärethik. G ö t t i n g e n 1962. 261 A N D R E A E : Vier Predigten v o m W u c h e r , S. 32 [=48], 262 A N D R E A E : Vier Predigten v o m W u c h e r , S. 77. 255

ANDREAE:

256

ANDREAE:

Der ökonomische Lebensbereich

233

Kapital oder monetäres Investitionsdenken sind der Ethik der lutherischen Orthodoxie fremd; es muß stets der Nächste, der notleidende Nächste, im Blickpunkt bleiben. 2 6 3 In diesem Bereich zeigen sich die Konsequenzen der durch die Reformation veränderten Verhältnisbestimmung von Glaube und Werk besonders deutlich. 264 Die aus theologischen Gründen vorgenommene Neubestimmung mußte hier in die Lebenspraxis umgesetzt werden. Gilt das Werk nicht mehr als Verdienst, sondern als Frucht des Glaubens, weil Glaube selbst nicht mehr menschliche Tugend, sondern göttliche Gabe ist, dann muß sich auch die Motivationslage des christlichen Handelns gegenüber der vorgefundenen Armut ändern. Bettler konnten nun nicht mehr als O b j e k t e eigener Vervollkommnung dienen, sondern sie waren als Nächste zu beachten, denen es zu helfen galt. Aufgrund des Gedankens der gegenüber der Armut bestehenden Verpflichtung bestand nun Handlungsbedarf. D e r Bereich des Wuchers zeigt Tendenzen zur Konfessionalisierung des Rechts. Schon Luther hatte sich an die Juristen gewandt und sie dazu aufgefordert, das »scharfe R e c h t zu mildern«. 265 Unter »scharfem R e c h t « kann Luther nur das menschliche, entweder päpstliche oder kaiserliche R e c h t verstanden haben, da am göttlichen R e c h t s nichts verändert werden kann. Solange sich das kaiserliche R e c h t am R e c h t der Natur orientierte, entsprach es im Grunde göttlichem R e c h t . N u n war aber das kaiserliche R e c h t durch eine Orientierung am kanonischen Zinsverbot »verderbt« worden. 2 6 6 Die päpstlichen Interpreten hatten ihrer Auslegung zum T h e m a Wucher die Worte Leihet/ dasjhr nichts darfu[e]r hoffet aus Lk 6 zugrundegelegt und damit jeden, der auch nur ein Groschen mehr nimpt/ dann er außgethon hat als Wucherer bezeichnet. 2 6 7 Nach dem Grundsatz Leges sacrae non dedignantur sequi sacrosanctos Canones hatten die weltlichen Juristen diese Interpretation von Wucher in ihre Rechtsprechung aufgenommen. Luther wünschte eine Änderung dieses »scharfen Rechts«. Seine Exegese verstand den Vers aus Lk 6 nicht als generelles Verbot des Wuchers, sondern als Aufforderung an die Christen, die Hauptsum[m] des gelihenen Gelts [zu] wagen. Gegenüber Witwen und Waisen, sowie alten und allen bedürftigen Personen, die nicht arbeiten können, soll seiner Auslegung nach hier nicht der Einsatz ihres — vielleicht einzigen — K a pitals als Wucher gebrandmarkt werden. In diesem Vers ist allein vom »christlichen Leihen«, nicht vom handelsgemäßen Zinsgeschäft die R e d e , das auch betonen die lutherisch-orthodoxen Theologen. Sie stellen sich hier ganz in die Tradition der Auslegung Luthers.

263

V g l . MÜNCH: P a r s i m o n i a , S.

174.

Vgl. MARTIN SEILS: Glaube und Werk in den reformatorischen Kirchenordnungen. In: Zeitschrift für Kirchengeschichte 89 (1978), S. 1 2 - 2 0 , hier S. 12. 2 6 5 ANDREAE:Vier Predigten vom Wucher, S. 56. 264

266

W E R N E R HOFMANN: A r t . Z i n s . I n : R G G

267

Zum folgenden vgl. ANDREAE: Vier Predigten vom Wucher, S. 57 f.

6 ( 1 9 8 6 3 ) , S p . 1 9 1 2 f.

234

Dimensionen des Alltags in der Frühen Neuzeit

In weltlichen Handelsgeschäften, also a u f der reinen Geschäftsebene, ist es aber recht und billig, daß ein festgelegter Zins verlangt werden kann. U b e r die H ö h e dieses Zinssatzes haben j e d o c h nicht die T h e o l o g e n a u f der Kanzel zu disputieren und zu befinden, sondern die dazu bestellten weltlichen J u r i sten. 2 6 8 D i e T h e o l o g e n sollen die christliche N o r m bereitstellen, die K o n k r e tisierung aber den weltlichen B e h ö r d e n überlassen. D i e Prediger reklamieren lediglich eine theologische Beratungszuständigkeit. A u f dem Reichsstag 1 5 4 8 in Augsburg ist per R e i c h a b s c h i e d ein fünfprozentiger Zinssatz festgelegt w o r den. 2 6 9 Dieser Maßstab des kaiserlichen R e c h t s gilt n o c h immer. W i r d j e d o c h im Handel versucht, trotzdem zu betrügen, nicht nur mit Geldgeschäften, sondern zum Beispiel auch, indem man versucht, die Preise für Getreide, Speisen und sonstige Waren in die H ö h e zu treiben, wenn also versucht wird, unnötige Teuerungen zu provozieren bzw. bestehende T e u e rungen auszunutzen, dann hat dies für Prediger Anlaß zu sein, gegen diese F o r m des »Diebstahls« zu predigen. 2 7 0 In diesem Fall mischen sich die Prediger nicht in ein »fremdes Amt« ein. H i e r gehört es zu den Aufgaben eines P r e digers, gegen diese Art des W u c h e r s zu predigen. Alles Leihen gegenüber A r m e n und Bedürftigen dagegen soll nicht nur o h n e W u c h e r geschehen, sondern auch nach dem G e b o t Christi, daß man auch nichts dafu[e]r hoffe/ was man gelihen hat,271 Dies kann j e d o c h unmöglich als Rechtssatz ins weltliche R e c h t eingehen, da hier der Gleichheitsgrundsatz gilt; hier darf nicht zwischen einem R e c h t der Kaufleute und einem R e c h t der Bedürftigen differenziert werden: Darumb wer du[e]rfftig oder nicht du[e]fftig sey / darnach fraget der Keiser mit diser seiner Ordnung gar nichts/ sondern er macht ein erbare/ billiche/ Go[e]ttliche Ordnung/ die dem Gesa[e]tz der Natur/ vnnd dem Gebot Christi/ Matthei am 7. Capitel/ wie auch S. Paulus Lehr/ gemeß ist/ dardurch niemand vetfortheilt/ vnd also gleichheit durchauß gehalten werde.212 Not begründet keine neue R e c h t s k a t e g o r i e . D i e T h e o l o g e n trennen hier scharf zwischen christlichem, privatem Geldleihen und weltlichen Handelsgeschäften. Letztere müssen ganz klar nach den R e c h t s n o r m e n des Kaisers organisiert sein, die aber ihrerseits bei seinem Anspruch, christliche O b r i g k e i t zu sein, a u f biblischer Grundlage basieren. 2 7 3 Dieser Aspekt ist besonders dann von Interesse, wenn beispielsweise nicht alle Waren mit einer festen Taxe belegt sind. Ist

268 269

ANDREAE:Vier Predigten vom Wucher, S. 79 [=59] und S. 60 f. ANDREAE:Vier Predigten vom Wucher, S. 78 zitiert aus dem Reichsabschied. Vgl.

SIGWART: L a s t e r p r e d i g t e n , S . 6 7 r . 270 ANDREAE: Vier Predigten vom Wucher, S. 84 f. und S. 137. Vgl. ANDREAE: Predigten von Spaltungen, S. 158. Vgl. WAGNER: Casualpredigten (Tax-Predigt), S. 840. 271

Zum

f o l g e n d e n ANDREAE: V i e r P r e d i g t e n

v o m W u c h e r , S. 6 5 - 6 9

WART: L a s t e r p r e d i g t e n , S . 7 6 R . 272 273

ANDREAE: Vier Predigten vom Wucher, S. 69. Vgl. dazu auch WAGNER: Casualpredigten (Tax-Predigt), S. 835.

und

S. 7 4 .

SIG-

Der ökonomische

235

Lebensbereich

nämlich kein Richtwert vorhanden, so soll der einzelne sich von seinem G e wissen leiten lassen. 274 Anders dagegen verhält es sich mit dem christlichen Geldleihen. Z u m christlichen Leihen ist der einzelne durch die Taufe verpflichtet, selbst wenn der Kaiser gegen den Mißbrauch durch Leute, die von Bedürftigen Zins nehmen, keine Handhabe hat. Auch die »heilsame Ordnung« der Obrigkeit kann den Gottlosen nicht zur Barmherzigkeit zwingen. B e i m Fürsorgerecht gegenüber Bedürftigen und Armen stößt die weltliche Obrigkeit an ihre Grenzen: Souil aber den gegenwertigen Handel belangt/ wer ein Christiichs Hertz vnd Christliche liebe im Hertzen gegen seinen Nechsten hat/ wie demselbigen die Obrigkeit nicht gebieten darff/ welcher gestallt er sich gegen seinem Nechsten in seiner not/ mit der Hu[e]lff erzeigen soll/ dann er thutsfu[e]r sich selbst/ wie geschriben stehet: Dem Gerechten ist kein Gesetz gegeben/ 1. Tim. 1.275 Ein Leihen nach neutestamentlichen Vorgaben ist im Handel nicht praktikabel, allein der Zinssatz ist hier der Anreiz, sein Geld zu investieren. 276 Abschließend läßt sich festhalten: D i e Ursachen des Kapitalismus sind, dies zeigen exemplarisch die Predigten des Jacob Andreae, nicht im lutherisch-orthodoxen Arbeitsbegriff zu suchen. Arbeit wurde zwar in der lutherischen Arbeitsethik säkularisiert, j e d o c h unter der Bedingung, daß diese Arbeit vom einzelnen als Dienst am Nächsten begriffen wurde. Das heißt nicht, daß die Arbeit als solche erneut verchristlicht wurde, sondern die Motivation, aus der heraus der einzelne seiner Arbeit nachgehen sollte, entsprang christlichen M o tiven. Eine reine Akkumulation von Kapital zu eigenem Nutzen war nicht gestattet, es sollte stets auch das Wohl des Nächsten im Auge behalten werden. Eine reine Profitmaximierung um jeden Preis ist nicht gestattet. Zusätzlich hat sich jedes Streben nach Profit selbstverständlich nicht sogenannter »unordentlicher Mittel« zu bedienen. 2 7 7 Auffällig ist die Beobachtung, daß Andreae hier vollständig in den Kategorien der lutherischen Zweireichelehre argumentiert. Hier stehen sich bürgerlich wesen und das R e i c h Christi gegenüber. 278 Diese Argumentation wird besonders am Beispiel des zweideutigen Begriffes Wucher deutlich. Andreae nimmt bei dieser Thematik eine strikte Trennung zwischen weltlichen Gesetzen und christlichen Geboten vor und ordnet sie den jeweiligen R e i c h e n zu. Im »Reich der Welt« muß mit einen festen Zinssatz kalkuliert werden können. O h n e Handel und damit auch Wucher kann das bürgerliche Gemeinwesen nicht existieren. Dies schließt nicht aus, daß die gleiche Person, die ihr Kapital

274

WAGNER:

Casualpredigten

(Tax-Predigt),

S. 8 3 5 ;

vgl.

Lasterpredigten, S. 4RV. 273 ANDREAE: Vier Predigten vom Wucher, S. 81. 276 ANDREAE: Vier Predigten vom Wucher, S. 80. 277

ANDREAE: H o c h z e i t s p r e d i g t ( 1 5 8 5 ) , S . C 2 R .

278

Vgl. ANDREAE: Vier Predigten vom Wucher, S. 113 f.

S. 8 4 5 - 8 4 8 . V g l .

SIGWART:

236

Dimensionen des Alltags in der Frühen Neuzeit

im Handel investiert auf einer anderen Ebene - nämlich im »Reich Christi« — Geld an Bedürftige und Arme leiht, gerade auch in dem Wissen, es nicht zurückerstattet zu bekommen. Die Unterscheidung zwischen privatem und öffentlichem Handeln gilt für den gesamten Bereich der Berufsarbeit. Die Arbeit als solche ist vollkommen säkularisiert, der einzelne soll sich jedoch an seinem — christlichen — Gewissen orientieren. Persönliches Auskommen — unter Einschluß des Hauses — und einen nach ständischen Kriterien bemessenen Wohlstand zu erarbeiten, ist in den Augen der lutherisch-orthodoxen Theologen legitim und steht auch der Lehre des Evangeliums nicht entgegen. Zufriedenheit und Besitz können über Arbeit erlangt werden und sind nicht als verwerflich zu verurteilen. Reichtum an sich ist nicht zu verdammen, er muß nur recht gebraucht werden. 279 Dazu zählt auch eine an den genannten Punkten zu Wucher und Bedürftigkeit orientierte Handreichung für die Armen. 2 8 0 Eine standesgemäße Kleidung sowie angemessenes Essen und Trinken sind für sich betrachtet nicht schädlich — solange sie nicht im Ubermaß geschehen. 281 Die erhaltenen Gaben werden j e doch skrupellos mißbraucht, wenn Armen die Hilfe verweigert wird. Dies zeige schon die Perikope vom reichen Mann in Lk 16. Die Prediger sprechen die Warnung aus, sich nicht auf den eigenen Reichtum zu verlassen und so zu handeln, als existiere kein Gott. Die Reichen dürfen ihre wachsenden Ansprüche nicht zu Lasten und Kosten der Armen befriedigen, weder durch Schinderei noch durch wucherische Wechsel und Kontrakte.

1.3 Der politische

Lebensbereich

Nach lutherischem Verständnis ist alle obrigkeitiche Schwertgewalt von Gott her legitimiert. 282 Durch diese Erkenntnis, die den Staat als eine von Gott gesetzte Ordnung begreift, ist der Staat als solcher positiv zu werten. Die Obrigkeit wird ohne Vermittlung der geistlichen Gewalt unmittelbar von Gott mit ihrem Ordnungsamt zur Wahrung und Sicherung des inneren und äußeren Friedens betraut. Die Obrigkeit hat die Welt vor dem Zerfall zu schützen. Luther hatte in radikaler Abkehr vom kanonischen Recht jeden SuprematsanChristliche Anleitung, S . 296. Predigt vom Vaterunser, S. 148. 281 Vgl. zum folgenden O S I A N D E R , L.: Predigt von der Fraternität, S. 6 - 1 7 und S . 25 f. S I G W A R T : Predigt vom Vaterunser, S. 137. 282 Vgl. zum folgenden K A R L D I E T R I C H E R D M A N N : Luther über Obrigkeit, Gehorsam und Widerstand. In: Hartmut Löwe und Claus-Jürgen Roepke (Hrsg.): Luther und die Folgen. Beiträge zur sozialgeschichtlichen Bedeutung der lutherischen Reformation. München 1983, S. 28-59, hier S. 30. Die Summe von Luthers politischer Ethik stellt seine Schrift Von weltlicher Oberkeit, wie weit man ihr Gehorsam schuldig sei aus dem Jahr 1523 dar (WA 11,245-281). 279

ANDREAE:

280

SIGWART:

Der politische

Lebensbereich

237

spruch der geistlichen über die weltliche Gewalt verworfen. Der Reformator betonte gegenüber dem Mittelalter die Eigenständigkeit des weltlichen Lebens, der weltlichen Obrigkeit und des Berufes. Er hat damit zwar Obrigkeit, Staat und Wirtschaft aus klerikaler Bevormundung befreit, ohne jedoch diese Bereiche dem Anspruch des Gesetzes zu entziehen. 283 Damit entsteht ein Staatsverständnis, das nicht per se auf einem christlichen Staat aufbaut. Hier gibt es zwar zunächst keinen »christlichen« Staat, aber eine christliche Lehre vom Staat, ein christliches Verständnis des weltlichen Regiments und seiner Funktionen. Die Theologen werten es allerdings als einen Glücksfall für das Volk, wenn es von christlichen Regenten regiert wird. Dies bedeutet nur eine bedingte Säkularisierung des Staates, da die Lehre von der weltlichen Gewalt eine theologische Lehre ist und keinesfalls die Freigabe staatlicher Macht einschließt. 284 Es ist eine Fehldeutung, die Zweireichelehre dahingehend zu interpretieren, als habe Luther damit die »Welt« letztlich von der Herrschaft Gottes und der Geltung seines Gesetzes entbunden. 285 Da die Obrigkeit von oben gesetzt und also nicht aus sich selbst heraus legitimiert ist, kann sie auch keinen absoluten Gehorsam einfordern. 286 Der Gehorsam findet seine Grenze in den N o r m e n des Rechts, das durch die bei Luther vorausgesetzte Identität von Naturrecht und Dekalog bestimmt ist. Zur Durchfuhrung ihrer Schutz- und Strafgewalt hat sich die Obrigkeit dieser Rechtsnormen zu bedienen, nicht der Ethik der Bergpredigt. Die Wahrung dieses Naturrechtes ist ihre wichtigste Aufgabe. Dies macht deutlich, daß sich bei Luther trotz aller Scheidung der beiden Reiche und Regimenter die Welt nicht in eine Sphäre der Religion und in eine weltliche Sphäre aufteilen läßt. Weltliche Gewalt und Predigtamt sind

H O N E C K E R : Art. Zweireichelehre. In: Evangelisches Staatslexikon. Bd. 2 Sp. 4 1 1 2 - 4 1 2 4 , hier Sp. 4 1 1 6 f.Vgl. K A R L H O L L : Luther u n d das landesherrliche Kirchenregiment. In: Ergänzungsheft zur Zeitschrift für T h e o l o g i e u n d Kirche 1 ( 1 9 1 1 ) , S. 1 - 6 0 . 284 M A R T I N H E C K E L : Art. R e c h t s t h e o l o g i e Luthers. In: Evangelisches Staatslexikon. Bd. 2 (1987 3 ), Sp. 2 8 1 8 - 2 8 4 9 , bes. Sp. 2 8 4 0 - 2 8 4 9 , hier Sp. 2840. 285 HECKEL: Art. Zweireichelehre, Sp. 2840. 286 Vgl. zur Diskussion u m das R e c h t des Widerstands J O H A N N E S H E C K E L : W i d e r s t a n d gegen die Obrigkeit? Pflicht u n d R e c h t des Widerstands bei M a r t i n Luther. In: G u n t h e r Wolf (Hrsg.): Luther u n d die Obrigkeit (Wege der Forschung, Bd. 85). Darmstadt 1972, S. 1 - 2 1 . M A R T I N H O N E C K E R : Cura religionis Magistratus Christiani. Studien z u m K i r c h e n r e c h t im L u t h e r t u m des 17. Jahrhunderts insbesondere bei J o h a n n Gerhard (Jus E c clesiasticum, Bd. 7). M ü n c h e n 1968, S. 132-136. K A R L D I E T R I C H E R D M A N N : Luther ü b e r Obrigkeit, G e h o r s a m u n d Widerstand. In: H a r t m u t L ö w e u n d Claus-Jürgen R o e p k e (Hrsg.): Luther u n d die Folgen. Beiträge zur sozialgeschichtlichen B e d e u t u n g der l u t h e r i schen R e f o r m a t i o n , S. 2 8 - 5 9 . J O H A N N E S H E C K E L : Lex charitatis. Eine juristische U n t e r s u c h u n g ü b e r das R e c h t in der T h e o l o g i e Martin Luthers. K ö l n 1973 3 , S. 2 4 6 - 2 5 5 . Vgl. H A G E N M A I E R : Predigt u n d Policey, S. 1 1 3 - 1 1 7 . 283

MARTIN

(19873),

238

Dimensionen

des Alltags in der Frühen

Neuzeit

v i e l m e h r R e g i m e n t e des einen Gottes u n d g e h ö r e n engstens z u s a m m e n ; z u gleich aber h a b e n beide Sphären ihre G r e n z e peinlich zu wahren. 2 8 7 A u f diese in der R e f o r m a t i o n geschaffenen G r u n d l a g e n griffen die l u t h e r i s c h - o r t h o d o x e n Prediger zurück. 2 8 8 In ihren A u g e n v e r k ö r p e r t e L u t h e r d e n Restaurator des obrigkeitlichen Amtes. 2 8 9 A u c h sie erklärten u n t e r B e r u f u n g auf Luther, der Kaiser k ö n n e die Welt n i c h t nach d e m E v a n g e l i u m regieren. 2 9 0 D i e christliche Liebe schien i h n e n kein geeignetes I n s t r u m e n t f ü r weltliche Herrschaft. M i t der U n t e r s c h e i d u n g v o n Predigt des Evangeliums u n d gesellschaftlicher E r h a l t u n g nach d e m Gesetz Gottes ist auch die Z w e i r e i c h e l e h r e zu thematisieren. D u r c h d e n E i n b a u in das landesherrliche K i r c h e n r e g i m e n t veränderte sich die Z w e i r e i c h e l e h r e zweifellos. Predigtamt u n d O b r i g k e i t w i r k e n n u n m e h r bei der L e i t u n g der Kirche z u s a m m e n . D a m i t war die m i t telalterliche Idee einer respublica christiana reaktiviert. 2 9 1 W e n n die Vertreter der lutherischen O r t h o d o x i e d e m Staat eine aktive R o l l e bei der Sorge u m die geistliche W o h l f a h r t der M e n s c h e n einräumte, stellt sich die Frage, o b d a mit automatisch Luthers K o n z e p t i o n der b e i d e n R e i c h e aufgegeben w u r d e , o d e r o b es M o d i f i k a t i o n e n der Lehre Luthers gab, die zumindest den T h e o l o gen eine relative Selbständigkeit b e i m a ß e n . I m f o l g e n d e n soll u n t e r s u c h t w e r den, o b das Z u s a m m e n w i r k e n von - m o d e r n gesprochen — Kirche u n d Staat automatisch bedeutete, daß die Kirche u n t e r e i n e m landesherrlichen K i r c h e n r e g i m e n t keine selbständigen politischen u n d gesellschaftlichen A u f g a b e n m e h r ü b e r n e h m e n konnte. 2 9 2

287

KARL

DIETRICH

SCHMIDT:

Luthers

(Hrsg.): L u t h e r u n d die O b r i g k e i t

Staatsauffassung

(1961).

In:

Gunther

(Wege der F o r s c h u n g , Bd. 85). D a r m s t a d t

Wolf

1972,

S. 1 8 1 - 1 9 5 , h i e r S. 1 9 3 f. 288 Z u d e n historischen u n d t h e o l o g i s c h e n Voraussetzungen vgl. z u s a m m e n f a s s e n d HONECKER: C u r a religionis, S. 1 9 - 4 0 . 289

WAGNER: R e g e n t e n p r e d i g t e n ,

S. 3 2 .

ANDREAE:Vier P r e d i g t e n v o m W u c h e r , S. 82: So kan er [der Kaiser] auch die Welt nicht nach dem Euangelio / oder nach Christlicher Liebe regieren/ wie D. Luther abermals schreibet/ sondern es muß geschehe[n] nach strengen Gesetzen/ mit Schwert vnnd Gewalt/ darumb daß die Welt bo[e]se ist/ vnd weder Euangelium noch Liebe annimpt/ sondern nach jhrem mutwillen thut vnnd lebt/-wo sie nicht mit gewalt gezwungen wu[e]rdt. Sonst/ wo man eitel Liebe solt u[e]ben [...] da wu[e]rde jederman wo[e]llen essen/ trincken/ wol leben von der andern Gut/ vnnd niemand arbeiten. Vgl. ANDREAE: P r e d i g t e n v o n Spaltungen, S. 129 in A u s e i n a n d e r s e t z u n g m i t d e n W i e d e r t ä u f e r n . WAGNER: P r e d i g t ü b e r E h e h a l t e n , S. 3. 291 Vgl. MARTIN HECKEL: Staat u n d Kirche nach d e n L e h r e n der evangelischen J u r i s t e n D e u t s c h l a n d s in der ersten H ä l f t e des 17. J a h r h u n d e r t s (Jus ecclesiasticum, Bd. 6). M ü n c h e n 1968. WAGNER: C a s u a l p r e d i g t e n (Schulpredigt), S. * 1 zählt beispielshalber zu d e n A u f g a b e n des Magistrates, daß er die P r ä z e p t o r e n bestellt, d e n e n er den alletfu[e]rnemsten Schatz der Christlichen Reipublic die S c h ü l e r anvertraut ( H e r v o r h e b u n g S. H . ) . 292 Vgl. HONECKER: Art. Z w e i r e i c h e l e h r e , Sp. 4117. D i e in der G e g e n w a r t kontrovers diskutierten D e u t u n g e n der Z w e i r e i c h e l e h r e spielen f ü r die I n t e r p r e t a t i o n der l u t h e r i schen Staatstheorie des 17. J a h r h u n d e r t s k e i n e R o l l e . Z u m Stand der Diskussion MARTIN HONECKER: Z u r g e g e n w ä r t i g e n I n t e r p r e t a t i o n der Z w e i r e i c h e l e h r e . In: Z e i t s c h r i f t f ü r 290

Der politische

239

Lebensbereich

D i e Zweireichelehre bleibt im Bewußtsein der lutherisch-orthodoxen Prediger u n d entsprechend propagieren sie ihr Staatsmodell. Dieses Bewußtsein zieht sich als ein G r u n d z u g durch alle Predigten der T ü b i n g e r Professoren. HafenrefFer erklärt in einer Predigt über die Obrigkeit, Christus sei H e r r beider Reiche, er herrsche in Policey u n d Kirche. 2 9 3 Die Obrigkeit sei Dienerin Gottes, sie habe einen hohen, nützlichen u n d notwendigen Stand inne. Sie allein sei es, die der Anarchie wehren könne. 2 9 4 D i e Obrigkeit ist — nach d e m Sündenfall - von Gott eingesetzt u n d erhält durch göttliche Kraft Autorität u n d Respekt, u m an Gottes Statt Vergehen zu rächen u n d strafen. 295 Die O b rigkeit wird zu Eigenthumbs Herren [...] vber Land vnd Leut.296 Entsprechend dieser göttlichen Einsetzung führt die Obrigkeit ihr A m t nicht a u t o n o m , sondern erhält es zum »Lehen« u n d haftet in persönlicher Verantwortung für ihre Taten vor Gott. 2 9 7 Die Obrigkeit ist es, die ein Leben in geordneten Bahnen garantiert; insofern trägt sie Verantwortung für zeitliches u n d ewiges Heil. 2 9 8 Da die Obrigkeiten z u m R e i c h Christi gehören, haben sie für zeitliche u n d

Kirchengeschichte

89

( 1 9 7 8 ) , S. 1 5 0 - 1 6 2 . V g l . G U N T H E R W O L F

(Hrsg.): Luther

und

die

O b r i g k e i t (Wege der F o r s c h u n g , Bd. 85). D a r m s t a d t 1972. HEINZ-HORST SCHREY (Hrsg.): R e i c h G o t t e s u n d Welt. D i e L e h r e L u t h e r s von d e n zwei R e i c h e n (Wege d e r F o r s c h u n g , Bd. 107). D a r m s t a d t 1969. 293 Vgl. z u m f o l g e n d e n HAFENREFFER: Predigt v o n der O b r i g k e i t , S. 4 - 9 . Vgl. HEERBRAND: Predigt ü b e r Ps 65, S. 12. Es h e i ß t hier, C h r i s t u s erweise seine »Wohltaten« a u c h i m weltlichen R e g i m e n t . E r schafft d e n Frieden, bei d e m - so das Beispiel - die B a u e r n hinauß in das feldt gehen oder fahren/ an jhr arbeit/ thun dasselbig mit frewden F. .J.WAGNER: Esslinger Freudenfestpredigt, S. 10—12. WAGNER: Fürstenpredigt, S. 812: D i e O b r i g k e i t ist eingesetzt als »Pfleger« des R e i c h e s Christi. 294 WAGNER: Evangelien-Postille 2, S. 921 (Dtn 24,4) u n d S. 928. N u r kraft o b r i g k e i t licher G e w a l t k a n n der Schwache vorm Starcken/ der kleine vorm grossen/ der Fromme vnd Gerechte vor dem Gottlosen vnd Bo[e]sen sicher seyn. WAGNER: R e g e n t e n p r e d i g t e n , S. 6: [ . . . ] / wasfu[e]r Jammer und Elend/ Schad und Verderben/ Confusion und Zerru[e]ttung befindet sich/ wo das Straffampt nachla[e]ssig wird gefu[e]hrt/ das Obrigkeitliche Schwerdt an ein Nagel gehenckt/ und verrostet. HAFENREFFER: Predigt bei E r b h u l d i g u n g , S. 72 f. Vgl. HAGENMAIER: P r e d i g t u n d Policey, S. 8 3 - 8 8 . 295 Vgl. a u c h WAGNER: S c h w e r t p r e d i g t , S. 28. WAGNER: Esslinger F r e u d e n f e s t p r e d i g t , S. 1 6 . W A G N E R : E p i s t e l - P o s t i l l e

1 , S. 7 8 0 . W A G N E R : E v a n g e l i e n - P o s t i l l e

2 , S. 9 2 6 .

HOCH-

STETTER, A. A.: F r ü h e - P r e d i g t , S. 13 f. WÖLFFLIN: C h r i s t l i c h e Landtagspredigt (1670), S. 17. HEERBRAND: C o m p e n d i u m T h e o l o g i a e (1573), S. 489: Est genus officij, uel functionis diuinitus institutum, quo certae personae ordinantur, ut armatae gladio, alios certis, & honestis legibus regant, & gubernent: ut in politica hac uitae societate, pax & tranquilitas publica inter homines conseruetur, & gloria nominis Dei illustretur. 296 WAGNER: Evangelien-Postille 2, S. 9 2 0 (Dan 2,37; R o m 13,1). WAGNER: Casualp r e d i g t e n ( R e g i m e n t s p r e d i g t ) , S. 608 ( R o m 13,5; 2 Ptr 13). 297 HAFENREFFER: F r i e d e n s b o t , S. 1 6 - 3 0 . HAFENREFFER: P r e d i g t bei der E r b h u l d i g u n g , S. 7 5 - 7 7 . OSIANDER, L.: Predigt in R e n n i n g e n , S. 123. WAGNER: Evangelien-Postille 2, S. 9 1 9 . WAGNER: F ü r s t e n p r e d i g t , S. 8 1 5 . 298 WAGNER: Predigt ü b e r E h e h a l t e n , S. 4. Salus populi, das h e i ß t zeitliche u n d e w i g e W o h l f a h r t . Dies ist die Suprema lex, das Alleroberst/ vnd über alle Gesetz erhabene Gesetz.

240

Dimensionen

des Alltags

in der Frühen

Neuzeit

ewige Wohlfahrt R e c h n u n g zu tragen. 299 Die obrigkeitliche Zuständigkeit b e zieht sich j e d o c h nur auf »Äußerlichkeiten«: das heißt Kirchenschutz, Bereitstellung des Gottesdienstes, Abschaffung der Abgötterei, Schutz der Theologen und Lehrer. Die Obrigkeiten üben j e d o c h keine »innerliche« Kirchengewalt aus, hier haben sie sich in ihrem Amt den »Dienern Christi zu demütigen«. 300 Dieser die Obrigkeit gewissermaßen in ihre Schranken weisende Zug der politischen Ethik der lutherischen Orthodoxie darf nicht übergangen werden. Ihr obrigkeitliches Amt haben die Regenten nach Gottes Wort und dem Gesetzbuch zu fuhren. Hafenreffer kann über die Obrigkeit sagen, daß sie einen noch mühevolleren Stand habe als die Eltern. 3 0 1 Analog der R o l l e des 299 Z u m folgenden vgl. WAGNER: Fürstenpredigt, S. 8 1 4 f., S. 8 2 8 f. Als H a n d h a b e r b e i d e r Tafeln des Dekaloges sollen die O b r i g k e i t e n das Gesetz deß Alten/ und das EvangelijBuch Neuen Testaments bey sich haben/ jhr Lebenlang darinn lesen/ und darauf lernen/ was sie auch bey dem Kirchen-Regiment im Reich Christi Ampts halben zuthun [...] und neben der Zeitlichen/ fordrist auch die ewige Wohlfart der Unterthanen [...] eyferig befo[e]rdert werde. Vgl. HEERBRAND: C o m p e n d i u m T h e o l o g i a e ( 1 5 7 3 ) , S. 4 9 3 : Pij et Christiani Magistratus offecium est, agnoscere diuinitus se esse officio praefectum. Ideoq[ue] uerbum Domini discere: ex ille Deum cognoscere, & timere: omnesq[ue[; suas actiones ad gloriam nominis Dei illustrandam referre. Esse custodem totius decalogi, quo ad externam disciplinam: Abrogate Idolatriam prohibere & punire blasphemias. Esse nutricium Ecclesiarum. Bonos tueri, & defendere, improbos punire: Et ita iustitiam administrare, procurare, & promouere subditorum commoda, & esse patriae patrem, eiusq[ue] uitae honestate & morum integritate praeire & praelucere [ H e r v o r h e b u n g S. H . J . V g l . dazu die entsprechende Auflistung b e i J o h a n n Gerhard (HONECKER: Cura religionis, S. 1 1 8 ) . 3 0 0 V g l . dazu das Bedenken der Tübinger Universität von 1 5 8 3 (LUDWIG RICHTER: G e schichte der evangelischen Kirchenverfassung in D e u t s c h l a n d . Leipzig 1 8 5 1 , S. 1 1 0 f.), in d e m a u f eine M i t w i r k u n g der T h e o l o g e n am Vollzug der K i r c h e n o r d n u n g hingewiesen wird. A u c h der M a g d e b u r g e r Pfarrer Christian G i l b e r t de Spaignart, dessen O b r i g k e i t s kritik von BARBARA BAUER: Lutheranische O b r i g k e i t s k r i t i k in der Publizistik der K i p p e r u n d W i p p e r z e i t ( 1 6 2 0 - 1 6 2 3 ) . In: W o l f g a n g B r ü c k n e r ; P e t e r B l i c k l e ; D i e t e r B r e u e r (Hrsg.): Literatur und Volk i m 17. J a h r h u n d e r t . P r o b l e m e populärer K u l t u r in D e u t s c h land (Wolfenbütteler A r b e i t e n zur B a r o c k f o r s c h u n g , B d . 13). W i e s b a d e n 1 9 8 5 , S. 6 4 9 6 8 1 , h i e r S. 6 5 7 - 6 6 3 , zusammengefaßt wurde, weist die Eingriffe der weltlichen Zensur in kirchliches Hoheitsgebiet zurück (ebd., S. 6 5 9 ) . V g l . HEERBRAND: C o m p e n d i u m T h e o l o g i a e ( 1 5 7 3 ) , S. 4 9 6 . E r schreibt z u m Z u s a m m e n h a n g von Magistrat u n d K i r c h e das folgende: Vterqfue] est bona Dei ordinatio. Vterq[ue] suas actiones ad gloriam nominis Dei illustrandam referre debet. Sed modus, & medium sunt diuersa. Minister enim Ecclesiae ex uerbo Dei erudit conscientias de uoluntate Dei: uiamq[ue] ad uitam aeternam docet, administrat Sacramenta, & publico fungitur in Ecclesia docendi munere. Nec utitur gladio, aut punit illo inobedientes: sed gladio Spiritus, quod est uerbum Dei arguat peccata, illoqfue] poenas denunciet. Nec habet potestam concendi leges in Ecclesia, quibus conscientijs laqueum inijciat, cum Deus sit legislator: sed doceat uerbum Dei sycere: nihilq[ue] de suo addat: & latas ä Deo urgeat. Magistratui uerd polico non committitur Ministerium docendi publice in Ealesia: sed edicta proponendi publica potestatem habet, cognitis, & legitime dijudicatis controuersijs Ecclesiasticis de dogmatibus. Deinde gladio est armatus, quo punit rebelies: & ui corporali potest cogere, & cohercere inobedientes. Potestatem habet condendi leges de rebus rationi subiectis [...] Et sie Minister Ecclesiae proprie circa spiritualia, aeterna, & conscientias uersatur. Magistratus autem politicus, circa politica, corpora, ac bona temporalia. Vgl. HONECKER: C u r a religionis, S. 1 9 8 . 301 Vgl. z u m folgenden HAFENREFFER: Predigt bei der Erbhuldigung, S. 7 1 - 7 7 .

Der politische Lebensbereich

241

Hausvaters bzw. der Eltern im Haus k o m m t den Vertretern der O b r i g k e i t i m B e r e i c h der Öffentlichkeit eine Vorbildfunktion zu. D e r R e g e n t e n s t a n d ist, das stellen die Prediger ihren H ö r e r n i m m e r wieder deutlich vor Augen, keinesfalls ein erstrebenswertes A m t . 3 0 2 Das Amt der U n t e r t a n e n ist als ungleich leichter einzustufen als das der Obrigkeit, auch wenn die Stände insgesamt g e sehen so angeordnet sind, daß ein Teil ohne den anderen nicht existieren kann. 3 0 3 Das Fehlverhalten gesellschaftlich h ö h e r stehender Personen und Gruppen wiegt weitaus schwerer als das ihrer U n t e r g e b e n e n . 3 0 4 Ihrem L e benswandel k o m m t Beispielcharakter und Vorbildfunktion zu. 3 0 5 U b e r ihn und über ihre politische Tätigkeit werden sie R e c h e n s c h a f t ablegen müssen. 3 0 6 D e r Z u s a m m e n h a n g von gesellschaftlicher Verantwortung, sozialem Status und ethischem Fehlverhalten kann dagegen nicht umgekehrt werden: was dem B a u e r n zu tun untersagt ist, ist auch höher stehenden Personen verboten. A m Beispiel des Handels zeigte Wagner, daß Christen auf diesem Sektor nach weltlichen Gesetzen verfahren müssen. W i e Luther, so strebt auch Wagner keine »Verchristlichung« des weltlichen Bereiches an. 3 0 7 D i e von Häberlin vorgen o m m e n e Unterscheidung der Handlungsmuster bei Amtsperson und Privatperson zeigt ebenfalls, daß es in den Augen der orthodoxen Prediger keine t o tale »Verchristlichung« der Welt geben konnte. 3 0 8 Das Grundprinzip der Zweireichelehre wird in der lutherischen O r t h o d o x i e beibehalten: Darum dise beide/ Schwert vnd Regiment/ nich wider einander/ sonder bey einander sein/ vnd eines dem andern die hand soll vn[d] mu[e]ß bietten/ sollen wir anders in diser Welt/ bey vnd vnder einander erhalten werden.309 Christus regiert i m » R e i c h der Gnaden« mit Predigtamt und Sakrament; mit Eintritt des endgültigen Sieges Christi werden das K i r c h e n a m t und das A m t der O b rigkeit aufhören zu existieren. 3 1 0 WAGNER: Esslinger Freudenfest-Predigt, S. 20. WÖLFFLIN: Christliche (1672), S. 23 f. 302

Landtagspredigt

WAGNER: R e g e n t e n p r e d i g t e n , S. 3 4 .

HAFENREFFER: Predigt bei der Erbhuldigung, S. 88. Auch Hafenreffer weist hier auf den Vergleich mit dem Hausvater und dem Gesinde hin. Diese Analogie findet sich auch bei WAGNER: Esslinger Freudenfest-Predigt, S. 59. Zum Begriff der »Untertanen« vgl. BLICKLE:VO11C und Untertan, passim. Die Einbindung der Untertanen in zwei Ordnungssysteme, dem vertikal verlaufenden System der herrschaftlichen Abhängigkeit und dem horizontal verlaufenden System eines Stadt- und Landgefälles wird in den Predigten nicht Rechnung getragen (vgl. ebd., S. 57).Vgl. ebd., S. 52 zum Begriff der Obrigkeit. 3 0 4 ANDREAE: Predigten über Ps 65, S. X X X I V am Beispiel des Alkoholismus. 303

305

S.

WAGNER: R e g e n t e n p r e d i g t e n , S. 2 7 . WAGNER: E v a n g e l i e n - P o s t i l l e

1, S. 2 4 9

und

683. 306

WAGNER: E v a n g e l i e n - P o s t i l l e 2 , S. 9 2 7 . WAGNER: R e g e n t e n p r e d i g t e n , S. 1 1 .

307

WAGNER: Casualpredigt (Tax-Predigt), S. 835. HÄBERLIN: Epistel-Postille 2, S. 31a und S. 254ab. ANDREAE: Predigten von Spaltungen, S. 1 0 5 - 1 0 7 . SIGWART: Predigten über 1 Kor 15, S. 59V. WAGNER: Evangelien-Postille 2, S. 926.

308 309 310

V g l . REUCHLIN: C h r i s t e n t u m , S. 2 0 2 .

Dimensionen des Alltags in der Frühen Neuzeit

242

Als I n h a b e r i n b e i d e r Tafeln des D e k a l o g e s h a b e n O b r i g k e i t e n e n t s p r e c h e n d die Pflegschafft ü b e r b e i d e R e g i m e n t e a u s z u ü b e n . D i e s ist nicht nur ein G r u n d s a t z l u t h e r i s c h - o r t h o d o x e r T h e o l o g i e 3 1 1 , er ist a u c h d e n politischen u n d j u r i s t i s c h e n S t a a t s t h e o r i e n der F r ü h e n N e u z e i t eigen. S o b e s t i m m t beispielshalber a u c h Veit L u d w i g v o n S e c k e n d o r f f die H a n d l u n g s m a x i m e n der O b r i g keit w i e folgt: Die Obrigkeit soll nicht nur executor der geistlichen macht seyn, sondern die beförderung der christlichen Lehre sich selbst angelegen seyn lassen, und gute kirchen-Satzungen machen [. . J . 3 1 2 A u s dieser d o p p e l t e n V e r a n t w o r t u n g u m die S o r g e für die F r ö m m i g k e i t der U n t e r t a n e n u n d deren ehrbaren L e b e n s w a n d e l leiten sich die A u f g a b e n der O b r i g k e i t ab. 3 1 3 N e b e n der W a h r u n g des rechten G o t t e s d i e n s t e s 3 1 4 sind sie als die v o n G o t t e r w ä h l t e n u n d v o r g e s e t z t e n O b r i g k e i t e n v o r n e h m l i c h m i t der A u s ü b u n g der Strafgewalt b e t r a u t . 3 1 5 D i e s e F u n k t i o n ist für die E r h a l t u n g des Staatswesens u n a b d i n g b a r : Kein Hauß/ noch gemein Regiment kan bestehen/ wann in demselben weder Belohnungen fu[e]r die Wolthaten/ noch Straffen wider die Vbelthaten seyn.3'6 W i e sonst sollten die F r o m m e n sicher l e b e n k ö n n e n , fragt Wagner, wann der Freveler nicht wird gestrafft? Z u d e m ist die A u s ü b u n g des Strafamtes s c h o n w e g e n des U b e r h a n d n e h m e n s d e r S ü n d e n n o t w e n d i g , d e n n d e n Bo[e]sen entleydet das su[ejndigen auß Forcht der Straff/ deren sie zugewarten haben.317 D i e O b r i g 311 H A F E N R E F F E R : Loci Theologici (1600), S. 423: Magistratus politicus est persona ä Deo ordinata, vt sit in externa hominum societate vtriusq[ue] Tabulae Decalogi, & aHarum concordantium legum fidelis custos: transgressorum autem iustus vindex. Vgl. auch H A F E N R E F F E R : Loci Theologici (1600), S. 425 [=424], 312 V E I T L U D W I G V O N S E C K E N D O R F F : Christen-Stat/ Worinnen von dem Christenthum an sich selbst, und dessen Behauptung wider die Atheisten und dergleichen Leute [...] gehandelt wird. Leipzig 1716, Buch II, Cap. 9, § 4, S. 244-248. 3 1 3 Über diese doppelte Verantwortung besteht im Luthertum seit Melanchthon allgemeine Ubereinstimmung. Vgl. S O M M E R : Obrigkeits- und Sozialkritik, S. 122. A N D R E A E : Predigten von den Spaltungen, S . 126-128. S I G W A R T : Lasterpredigten, Vorrede. Vgl. H A F E N R E F F E R : Predigt bei Erbhuldigung, S. 80 f.: Erhaltung des »reinen Gottesdienstes«, sowie die Erhaltung von Zucht und Ehrbarkeit. Die Gewährleistung von Gerechtigkeit, besonders gegenüber Armen und Unrecht Bedrängten. Dieses Amt soll - so viel menschlich vnd mu[e]glich ist - , da der Stand der Obrigkeit ein Vaterstand ist, mit Freundtligkeit vnd holdseligkeit geschehen. S I G W A R T : Lasterpredigten, S. 62r. W A G N E R : Evangelien-Postille 2, S. 921. W Ö L F F L I N : Christliche Landtagspredigt (1670), S. 23 und S. 28. Besonders zum Strafamt der Obrigkeit vgl. WAGNER: Regentenpredigten, S. 21—24: ohne Ansehen der Person strafen; zu »scharfes« Recht ist selten gerecht. P R E G I T Z E R : Bußpredigten, S. 165. WAGNER: Fürstenpredigt, S. 813-817 und S. 823. Vgl. HECKEL: Lex charitatis, S. 307-316 zur cura religionis der evangelischen Fürsten. Vgl. den Abschnitt »Custodia utriusque tabulae der Obrigkeit« bei H O N E C K E R : Cura religionis, S. 110—121. 314 Vgl. oben S. 216-226 im Zusammenhang mit der Zweireichelehre. 315 Als biblische Belege iiir dieses Strafamt werden angeführt: Gen 6 , 9 ; Ex 2 1 , 1 2 . 1 4 f.;

Lev 20,9; 24,16; Dtn

Mt

13,18; E x

22,18; Lev 20,10; Dtn 22,22; E x 31,14; Lev 20,29;

20,11;

R o m 1 3 , 4 . Die Häufung alttestamentlicher Belege ist sehr augenfällig ( W A G N E R : Regentenpredigten, S . 1 0 ) . 316 Vgl. zum folgenden WAGNER: Regentenpredigten, S. 3. 26,52;

317

WAGNER: R e g e n t e n p r e d i g t e n , S. 5 .

Der politische

Lebensbereich

2 4 3

keit wird zum Einschreiten gegen die folgenden Vergehen aufgefordert: Fluchen, Profanita[e]t vnd Verachtung wider Gott [...¡fressen/ sauffen/ vbermachte Hoffart in Kley dem/ tantzen / springen/ gugelfuhr/ vnd was dergleichen praeparatoria deß Venusspiels noch mehr, Ehebruch und Vergehen gegen das sechste Gebot, U n g e rechtigkeit, Schinderei, »Steigerung des Seckeis«, Fälschung im Handel, U b e r vorteilung der Armen, etc. 3 1 8 Durch das obrigkeitliche Strafamt können göttliche Strafen abgewendet werden: Wo nun die vngestraffte Su[e]nden seyn in der Welt/ was solte darvor seyn/ da sie Gott nicht solte Straffen vom Him[m]el. Da schneyet es mit angezeigten Straffen daher/ vnd trohet Gott in dem Gesa[e]tzbuch Mosis/ vnd in den Straffpredigten der Propheten/ der sichern/ vngestrafften/ gantz vnd gar im argen ligenden Welt [,..]?w D i e Justiz darf bei der Wahrnehmung dieses Strafamtes nicht durch frische La[e]ugnung der Vbelthaten, durch Vertuschung oder Stillschweigen der Untaten noch durch Bema[e]ntelung der Su[e]nden behindert werden. 3 2 0 Das Strafamt ist dann recht gewahrt, wenn wie folgt verfahren wird: Erstlich / soll ein jede Oberkeit zuuor eigentlich beide Theil ho[e]ren/ vnd erfahren/ wo[e]lcher dem andern vnrecht thu[o]. Zum andern/ weil offt einer ein gu[e]te Sach hat kan aber nicht beweisen/ wu[e]rdt der Eidschwu[o]r in sollichem fahl erfordert/ wo[e]lcher allem Hader ein end machet. Zum dritten/ wann eigentlich das Recht vnd Vnrecht erfahren ist/ als dann soll sie auch jren Gewalt brauchen/ den Frommen bey dem Recht erhalten/ vnnd dem Bo[e]sen die gebürende Straff widerfahren lassen. D e r Urteilsspruch muß ohne jedes Ansehen der Person und ohne jede Bestechung im Amt ergehen. 3 2 1 Wagner nennt eine ganze Liste von Vergehen, die von der Obrigkeit zu b e strafen sind. Das angedrohte Strafmaß wird durchgängig mit Hilfe alttestamentlicher Beispiele erläutert. 322 Gerade bei der Nennung der Aufgaben für die Obrigkeit wird eine besonders intensive Rekurrierung auf alttestamentliche Stellen sichtbar. 323 Bis in

318

WAGNER: R e g e n t e n p r e d i g t e n , S. 7 .

WAGNER: Regentenpredigten, S. 8 und S. 15. WAGNER: Casualpredigten mentspredigt), S. 603. 319

(Regi-

320

WAGNER: R e g e n t e n p r e d i g t e n , S. 1 6 .

321

WAGNER: E v a n g e l i e n - P o s t i l l e 2 , S. 9 2 1 . WAGNER: R e g e n t e n p r e d i g t e n , S. 2 3 f. u n d

S. 33: Ist nicht das Ansehen der Person/ Schenck vnd Gabe[n]/ Gimst vnd freunschafft/ Zorn vnd Affect, vnd was dergleichen mehr/ das gelegte Luder/ durch welches Regenten ko[e]nnen ins Garn gebracht/ vnd mit Anstoß jhres Gewissens zur Vngerechtigkeit verleytet werden! f . . J . V g l . ebd., auch S. 29 f. WAGNER: Historia, S. 234. Es kommt zu ohnfu[e]rsichtigen grundlosen Processen, wenn das Ansehen der Person, wenn Haß und Neid bzw. Bestechungen eine R o l l e spielen (Dtn 17,19). 322

WAGNER: C a s u a l p r e d i g t ( R e g i m e n t s p r e d i g t ) , S. 5 9 3 - 5 9 5 .

WÖLFFLIN: Christliche Landtagspredigt (1672), S. 1 7 - 2 1 . WAGNER: Historia, S. 232. Folgende Aufgaben werden von Obrigkeiten erfordert: nach Ps 147,19; Jos 1,8; Ps 82,3; Jes 1,17; Am 6,15; Gen 50,19; 2 Chron 19,7; 2 Sam 16,23; Prov 18,2; Ps 92,7; Eccl 10,2. REUCHLIN: Rektorpredigten, S. 16. HAFENREFFER: Loci Theologici (1600), S. 427. Hafenreffer beschreibt hier die Aufgaben der Obrigkeit anhand des Dekaloges. Vgl. 323

Dimensionen

244

des Alltags in der Frühen

Neuzeit

Details hinein wird beispielshalber mit Hilfe alttestamentlicher Stellen erläutert, wie eine ordnungsgemäße Rechtsprechung zu erfolgen habe bzw. wie auch den Untertanen Rechtssicherheit zu gewähren sei. 324 Häberlin kann beim Amtsantritt Herzog Eberhard Ludwigs den alttestamentlichen Text direkt auf den württembergischen Herzog übertragen. 3 2 5 Es kann vom württembergischen Juda und Israel sowie vom württembergischen Salomo die R e d e sein. 326 Biblische Personen wie auch die Landschaft Palästinas können in Parallele zu zeitgenössischen Herrschern und dem Herzogtum Württemberg gesetzt werden. 327 Auch WölfJlin erläutert die Aufgabenbereiche der O b r i g keit unter Zuhilfenahme alttestamentlicher und griechischer Autoritäten. 3 2 8 A m Beispiel des Regierungswechsels weist Wölfilin auf die lutherisch-orthodoxe Vorstellung von Stabilität und Kontinuität politischer Herrschaft hin. B e i einem Regierungswechsel sollen die alte Verglich und Vertra[e]g vest ha[e]lt/ [...] / welche von denen Vorfahren an dem Regiment vor vilen Jahren ertheilet und besta[e]tiget worden/ manuteniret; so gewinnts das Ansehen/ ob wa[e]re keine Vera[e]nderung bey dem Regiment jemahlen vorgangen/ und lebte der alte Moses noch [.. J . 3 2 9 Direkter läßt sich eine Übertragung alttestamentlicher Lebenswelt in

BAUER: Lutheranische Obrigkeitskritik, S. 6 5 8 . Vgl. HAAG: Predigt und Gesellschaft, S. 2 7 0 f. 3 2 4 WÖLFFUN: Christliche Landtagspredigt ( 1 6 7 2 ) , S. 19 (Sir 10; 14; 2 Sam 14; 1 K ö n 3; D t n 25, aber auch R o m 13). 325

HÄBERLIN:

Christliche

Huldigungspredigt,

Landtagspredigt

(1675),

S. 1 0 - 1 7 , S. 1 6

und

bes.

S. 1 3

S. 4 6 - 5 0 .

und

S. 1 7 . V g l .

HAGMAJER:

WÖLFFLIN:

Huldigungspredigt,

S . D 2 V . HAGMAJER: U n t e r w e i s u n g , S . 6 . 326 327

GOtt [...].

WÖLFFLIN: Christliche Landtagspredigt ( 1 6 7 0 ) , S. 3 4 . WÖLFFLIN: Christliche Landtagspredigt ( 1 6 7 5 ) , S. 4 9 f.: [...] unserm Wu[e]rtembergischen Josuam bey dem neulich angetrettenen

/ es werde der getreue Regiment vest setzen/

3 2 8 WÖLFFLIN: Christliche Landtagspredigt ( 1 6 7 0 ) , S. 18 ff.: M o s e , Josua, David, S a l o m o ; Alexander; sowie S. 3 4 . WÖLFFLIN: Christliche Landtagspredigt ( 1 6 7 2 ) , S. 18: D a vid, S a l o m o und Alexander; S. 2 0 : M o s e , Josua, David, S a l o m o ; Augustus. WÖLFFLIN: Christliche Landtagspredigt ( 1 6 7 5 ) , S. 2 0 : Josaphat, Hiskia, Joas, Josia, Konstantin der G r o ß e . WAGNER: Evangelien-Postille 2, S. 9 2 6 nennt als positive Beispiele aus der G e schichte: Alexander; M a r c Antonius. WAGNER: Historia, S. 3 3 3 führt nach »heidnischen« und deutschen Herrscherhäusern aus d e m Haus W ü r t t e m b e r g an: Eberhardus IV Mitis, der Milte; Eberhardus VI. Barbatus, Vniversitatis Tubingensis fundator, der selige Stiffier allhiesiger Universitet; Ulricus VIII Adamatus, der Beliebte; Christophorus Longanimus, der Langmu[e]thige.~WöLFFUN: Christliche Landtagspredigt ( 1 6 7 5 ) , S. 4 7 . M o s e als Vorbild des unverdrossen und arbeitsam tätigen Herrschers. Vgl. HAFENREFFER: L o c i T h e o l o g i c i ( 1 6 0 0 ) , S. 4 2 5 . E r fiihrt als E x e m p e l »frommer Herrscher« an: S a l o m o (1 K ö n 5); Hiskia (2 K ö n 1 8 ) ; J o s i a (2 K ö n 2 3 ) ¡ J o s a p h a t ( 2 C h r o n 17). Z u r Syntese aus a l t t e s t a m e n t l i c h e r T h e o kratie und antiker Staatsidee vgl. zu J o h a n n Gerhard HONECKER: C u r a R e l i g i o n i s , S. 1 1 2 - 1 1 4 . 3 2 9 WÖLFFLIN: Christliche Landtagspredigt ( 1 6 7 5 ) , S. 4 4 . WAGNER: Casualpredigten (Bußpredigt), S. 8 6 2 : »Wie G o t t zu Israel sagte, so nun auch zu Deutschland«. WAGNER: Fürstenpredigt, S. 8 2 6 f. mit Hinweis auf die W ü r t t e m b e r g i s c h e G r o ß e Kirchenordnung. WAGNER: Fürstenpredigt, S. 5 8 8 zeigt, daß generell j e d e Veränderung des R e g i m e n t s zu-

Der politische

245

Lebensbereich

die e i g e n e G e g e n w a r t n i c h t z u m A u s d r u c k b r i n g e n ! D i e s war in W ü r t t e m b e r g nicht

von Anfang

1 5 4 7 finden

an

thematisiert

alttestamentliche

worden.

Stellen

In

der Visitationsordnung

zwar E r w ä h n u n g ,

dienen

aber

von noch

nicht zur Legitimierung obrigkeitlicher R e c h t e . 3 3 0 D a s ideale Verhältnis z w i s c h e n O b r i g k e i t u n d U n t e r t a n e n soll d u r c h

die

f o l g e n d e n G r u n d w e r t e b e s t i m m t sein.331 A u f Seiten der O b r i g k e i t w e r d e n — diesmal anhand der Beispiele v o n J o s e p h und Augustus — genannt: Friede, S i c h e r h e i t , W o h l f a h r t u n d » A u f n a h m e des g e m e i n e n W e s e n s « , die a u f A r b e i t u n d G e s c h ä f t e g e g r ü n d e t sind, s o w i e »landesväterliche« T u g e n d e n 3 3 2 . D a s V e r h ä l t n i s d e r U n t e r t a n e n z u i h r e r O b r i g k e i t soll v o n V e r t r a u e n , A n e r k e n n u n g Autorität, G e h o r s a m u n d L i e b e b e s t i m m t sein.333 In diese Aufzählung a u c h n o c h d e r Nervus

des gemeinen

der kann

die Z a h l u n g der Steuer, aufge-

Landwesens,

n o m m e n w e r d e n . 3 3 4 D i e fälligen S t e u e r n sind k e i n G e s c h e n k für die

Regie-

r e n d e n , s o n d e r n R ü c k e r s t a t t u n g für die g r o ß e n M ü h e n der O b r i g k e i t . D e n n es sei stets b e s s e r , [...] den/

/ den

daß man geplu[e]ndert/

Obrigkeit

im Lande

Groschen

beraubt/

wa[e]re/

unter

und Tribut bestohlen

Dero

der Obrigkeit

zu geben/

undgescha[e]ndet

Schirm

man

sicher

werde/ leben

kan,335

als

wann Die

leykeine Un-

nächst einmal als Gefahr verstanden wird, und sein es der Tod des regierenden Herrschers und der anstehende Regierungswechsel. 330

REYSCHER

(Hrsg.):

Württembergische

Gesetze.

B d . 8,

S. 7 0 .

HANS

WALTER

KRUMWIEDE: R e f o r m a t i o n und K i r c h e n r e g i m e n t in W ü r t t e m b e r g . In: Blätter für w ü r t tembergische K i r c h e n g e s c h i c h t e 6 8 / 6 9 ( 1 9 6 8 / 6 9 ) , S. 8 1 - 1 1 1 , hier S. 9 6 . 3 3 1 WÖLFFLIN: Christliche Landtagspredigt ( 1 6 7 0 ) , S. 15—21. WAGNER: Historia, S. 3 7 . Z u m Verhältnis von O b r i g k e i t und U n t e r t a n e n bei D i e t e r i c h vgl. HAGENMAIER: Predigt und Policey, S. 1 1 7 - 1 2 0 . 3 3 2 Z u der Auffassung des Herzogs als eines Landesvaters vgl. WAGNER: L e i c h e n p r e digt H e r z o g Eberhard, S. 6 (Jes 4 9 , 2 3 ) und Sir 10, l . V g l . die landes-«elterlichen« T u g e n den b e i WÖLFFLIN: Christliche Landtagspredigt ( 1 6 7 0 ) , S. 16: Glu[e]cklich und wol gehets im Land/ wann Obrigkeiten und Regenten recht va[e]tterlich und mu[e]tterlich gegen ihre Unterthonen gesinnet seyn/ und sich erweisen/ als Patres Patriae, Va[e]tter deß Vatterlands/ [•••]• WAGNER: Fürstenpredigt, S. 817—821 und S. 8 2 6 . A u f S. 8 1 3 b e t o n t auch Wagner, O b rigkeiten m ü ß t e n gegenüber K i r c h e n und Schulen »mütterlich« gesinnt sein. WAGNER: Casualpredigten (Regimentspredigt), S. 6 0 6 . WAGNER: Esslinger Freudenfestpredigt, S. 5 9 . Z u r P r o b l e m des Begriffes des »Landesvaters« vgl. PAUL MÜNCH: D i e »Obrigkeit im Vaterstand« - zu D e f i n i t i o n und K r i t i k des »Landesvaters« w ä h r e n d der Frühen N e u zeit. In: H o f , Staat und Gesellschaft in der Literatur des 17. Jahrhunderts (Daphnis 11). Amsterdam 333

1 9 8 2 , S.

15-40.

WÖLFFLIN: Christliche

WAGNER:

Evangelien-Postille

Landtagsp redigt 2,

S. 9 2 8 .

(1670),

HAGMAJER:

S. 15

und

S. 17. Vgl.

Huldigungspredigten,

S. D 2 r .

auch Der

geforderte G e h o r s a m ist selbst g e g e n ü b e r harten G e b o t e n zu leisten (ebd., S. C 2 V ). REUCHLIN: R e k t o r p r e d i g t e n , S. 16. HEERBRAND: C o m p e n d i u m T h e o l o g i a e ( 1 5 7 3 ) , S. 5 0 0 . 3 3 4 WÖLFFUN: Christliche Landtagspredigt ( 1 6 7 0 ) , S. 17. Vgl. ANDREAE: Predigten in Hagenau, S. 3 4 8 . HEERBRAND: Predigt von der H o h e n Schule, S. 7. WÖLFFLIN: C h r i s t l i che Landtagspredigt ( 1 6 7 2 ) , S. 2 2 f. 335

WÖLFFLIN: C h r i s t l i c h e L a n d t a g s p r e d i g t

sellschaft, S. 2 7 0 f.

( 1 6 7 2 ) , S. 2 4 . V g l . HAAG: P r e d i g t u n d

Ge-

Dimensionen des Alltags in der Frühen Neuzeit

246

tertanen dürfen diesen G r u n d nicht durch Widerstand, Müßiggang oder Ü p pigkeit »umreißen«, denn das hieße, dem Land die »Nahrung«, die Existenzgrundlage zu entziehen. 3 3 6 D i e U n t e r t a n e n haben den geforderten G e h o r s a m zu leisten, der unter anderem gerade aus j e n e n Wohltaten resultiert, die die Obrigkeit den U n t e r t a n e n an Seele und Leib erweist. 3 3 7 D e r U n d a n k der U n tertanen steht dann also in krassem Gegensatz zum vierten G e b o t , in dem nach M e i n u n g der Prediger sowohl Eltern als auch Obrigkeiten angesprochen werden. 3 3 8 D i e doppelte Lesart veranschaulicht zudem die fast parallelen Verhaltensstrukturen in Haus und Staat. 3 3 9 G r u n d allen Gehorsams ist die Furcht G o t t e s . 3 4 0 E r ist allerdings nur dann zu leisten, wenn die obrigkeitlichen D e krete, Urteile und Anordnungen nicht lauffen wider Gott vnd sein heilig Wort/ auch vmbs Gwissens willen verhu[e]ndlich seynd [. ..j.341 Insgesamt gesehen wird von der Obrigkeit ein maßvolles Verhalten g e g e n über den U n t e r t a n e n gefordert. W i r d dagegen verstoßen, dann kann als letztes M i t t e l Aufruhr in Betracht k o m m e n , wie der Prediger anhand alttestamentlicher Beispiele zeigt. 3 4 2 Interessanterweise wird nur bei den Verhaltensanweisungen für die Obrigkeit — nämlich bei der Warnung vor Fehlverhalten — die M ö g l i c h k e i t des Aufruhrs der U n t e r t a n e n gegen ihre Obrigkeit angesprochen. A m Beispiel R e h a b e a m s , dessen tyrannische Herrschaftsausübung zum Abfall der zehn S t ä m m e Israels und zur Gründung eines neuen Staates unter J e r o b e am führte, erläutert Wagner die Folgen einer Gewaltherrschaft. W e n n , wie im

336 WÖLFFLIN: Christliche Landtagspredigt (1670), S. 27 (Prov 23). WÖLFFLIN: Christliche Landtagspredigt (1675), S. 42 f.: Die Untertanen sollen sich hüten vor Aufruhr und Empörung sowie dem Fluchen gegen die Obrigkeit. WAGNER: Casualpredigten (Regimentspredigt), S. 606: Warnung vor Aufruhr (sogen. Zuchtbüchlein, Sir 7). WAGNER: Evangelien-Postille 2, S. 928. 337 OSIANDER, L.: Predigt von der Erbhuldigung, S. 125-129. Er nennt die folgenden

Belegstellen Apg 20,26; Lk 12,47; R o m

3,8; Kol 3,32; Eph 6,5; R o m

1 3 , 5 . WAGNER:

Casualpredigt (Taxpredigt), S. 841. 338 Vgl. dazu auch HAFENREFFER: Predigt bei Erbhuldigung, S. 95 f. OSIANDER, L.: Predigt bei Erbhuldigung, S. 129. Die Folgen des nicht geleisteten Gehorsams veranschaulicht der Prediger anhand von Ez 17,15; 1 Kön 24,7 und 30,6. 3 3 9 WAGNER: Evangelien-Postille 2, S. 922: In Summa wann sie [die Obrigkeiten] demu[e]tig/ gu[e]tig/fu[e]r jhre Vnterthanen als Va[e]tterfu[e]rjhre Kinder sorgfa[e]ltig seynd/gegen Betrangten mitleydig/ den Verdienten woltha[e]tig [...]. Deshalb werden den Obrigkeiten auch biblische Ehrentitel (nach Jud 3,9; Neh 9,27; Gen 41,43 Landesvater) zugesprochen. V g l . WAGNER: R e g e n t e n p r e d i g t , S. 1 8 . WAGNER: F ü r s t e n p r e d i g t , S. 8 1 8 f.

340 HAGMAJER: Huldigungspredigten, S. B / . Vgl. auch ebd., S. B 2 V : Wer so ein guter Unterthan und Knecht GOTTES ist/ wird auch ein treuer Untherthan der Obrigkeit seyn. Und wo der Grund also wohl und fest geleget ist/ da wird auch die Pflicht gegen die Obrigkeit ordentlich/ recht/ Gott- und Menschen-gefa[e]llig ausgeu[e]bet werden. 341

WAGNER: E v a n g e l i e n - P o s t i l l e 2 , S. 9 2 1 u n d S. 9 2 8 . V g l . BAUER: L u t h e r a n i s c h e

rigkeitskritik, S. 661. 342

WAGNER; C a s u a l p r e d i g t ( R e g i m e n t s p r e d i g t ) , S. 6 0 4 f. ( R e h a b e a m ; 1 K ö n

18).Vgl. HAAG; Predigt und Gesellschaft, S. 271 f.

Ob-

12,14-

Der politische

Lebensbereich

247

angeführten Beispiel, die Bauern derartig geschunden werden, dann sind nicht sie es, die sich der Obrigkeit widersetzen, sondern Gott selbst. Die Untertanen ihrerseits dürfen nicht die gesamte Verantwortung an die Obrigkeit übertragen, sie müssen zum Beispiel selbst zur wirtschaftlichen E r haltung beitragen, indem sie, wie Wölfflin anführt, selbst Vorratswirtschaft b e treiben. 3 4 3 Was j e d o c h eine entsprechende Vorratshaltung der Obrigkeit keinesfalls ausschließt, wie das Beispiel Josephs zeige. Z u r Aufrechterhaltung des Gemeinwesens ist eine gerechte Aufteilung der Lasten erforderlich. »Glückseligkeit« und »beständiges Aufnehmen« eines Landes, überhaupt j e des Gemeinwesens, sind dann gewährleistet, wenn es auf drei Stützen ruht: herzlichem Vertrauen — Friede und R u h e — Arbeit und Feldbau. 344 In Friede und Sicherheit ist Gottesdienst möglich, im Kriegsfall zerfällt der Gottesdienst, im Kriegsfall gehen Zucht, Gerechtigkeit und Ehrbarkeit zugrunde, es entstehen Greuel, Sünde, Schande und Laster. Durch von Gott gesegnete Arbeit und Geschäfte in allen Ständen wird die Wohlfahrt des Gemeinwesens gefördert. Mit Hilfe alttestamentlicher Bilder schildert Wölfflin die vollen Scheuern und Kammern, das funktionierende Handwerk und die blühende Landwirtschaft. B e i aller seiner Arbeit soll der einzelne nicht nur darauf b e dacht sein, sich selbst ernähren zu können, sondern stets der an die Obrigkeit zu leistenden Abgaben, der Steuern und R e n t e n eingedenk sein, da diese notwendig zur Staatsfuhrung und Hofhaltung benötigt werden. Die mit der Verwaltung dieser Gelder betrauten Beschäftigten werden ihrerseits speziell ermahnt, nicht in die eigene Tasche zu wirtschaften und Gelder zu veruntreuen. 3 4 5 Dieses friedliche und harmonische Miteinander von Obrigkeit und Untertanen soll von keiner der beteiligten Parteien in Frage gestellt werden. 3 4 6 Weder von Seiten der Obrigkeit, indem diese mit besonderer Strenge und Härte ihr R e g i m e n t führt, so daß die Untertanen Grund zur Klage gegen ihre Obrigkeit haben. Die Regierenden sollen sich davor in Acht nehmen, ihren Untertanen deren Eigentum mit Gewalt zu entwenden. Dies geschieht beispielshalber auch dann, wenn Untertanen zu lange andauernden Frondiensten verpflichtet werden, so daß sie keine Möglichkeit haben, ihr eigenes Land zu bebauen. Ebenso wie eine aufwendige, luxuriöse Hofhaltung die von der Obrigkeit zu verwaltenden Güter ihrer Untertanen entfremdet und ver-

343

WÖLFFLIN: Christliche Landtagspredigt ( 1 6 7 5 ) , S. 2 2 - 2 5 .

Vgl. zum folgenden WÖLFFLIN: C h r i s t l i c h e Landtagspredigt ( 1 6 7 5 ) , S. 2 4 . WÖLFFLIN: Christliche Landtagspredigt ( 1 6 7 2 ) , S. 17. 3 4 3 WÖLFFLIN: C h r i s t l i c h e Landtagspredigt ( 1 6 7 2 ) , S. 3 4 . WAGNER: Fürstenpredigt, S. 8 1 9 . 3 4 6 SUMMARIEN I, S. 7 6 7 : [...] Obrigkeiten und das Volck [müssen] einmu[e]thig unter einander syn, und ein jeder Theil dem andern thun und beweisen, was seine Schuldigkeit erfordert. WÖLFFLIN: C h r i s t l i c h e Landtagspredigt ( 1 6 7 5 ) , S. 3 8 fuhrt als Beispiel für s c h l e c h t e R e g e n t e n an: J e r o b e a m ; Belsazar; H e l i o d o r u s . 344

248

Dimensionen des Alltags in der Frühen

Neuzeit

äußert. 3 4 7 Auch dies wird wieder mit alttestamentlichen Beispielen den H ö rern vor Augen gestellt. 348 Andererseits werden die U n t e r t a n e n aufgefordert, sich davor zu hüten, zu faulenzen, sich d e m Müßiggang oder der Üppigkeit hinzugeben. Die R e g e n t e n sollen ihrerseits dafür Sorge tragen, daß die U n tertanen ihr Eigentum, sei es erkauft, ererbt, errungen oder gewonnen, ruhig besitzen, bebauen u n d genießen k ö n n e n . Das Lebensziel darf mitnichten nur durch anhaltende Askese erworben werden: Wol thun Herrschaften/ wann sie bey Fu[e]hrung ihres gebu[e]hrenden Staats und Hofhaltung mit den Renten/ Stewren/ Gu[e]lten/ [...] / so die Unterthonen beyzutragen/ im Gewissen verbunden/ sich dieser moderation beßeissen/ daß der Unterthon auch etwas von seinem Weinstock und Feigenbaum fii[e]r sich und die Seinige mo[e]ge behalten/ [...].349 ~Wie andererseits die U n t e r t a n e n aufgefordert werden, mit Fleiß ihrer Arbeit nachzugehen u n d das Erworbene in Sparsamkeit zu gebrauchen. 3 5 0 Beide Parteien des Gemeinwesens stehen in einer engen Wechselbezieh u n g : Christus sagt nicht/ daß der Ka[e]iser alles mit Gewalt nemmen/ und den Unterthanen gar nichts lassen soll/ sondern befiehlt/ man soll dem Ka[e]iser geben/ was sein ist/ ihm geho[e]rt/ und gebu[e]hret; soll also er hingegen den Unterthanen lassen/ was ihr ist/ und ihnen ihr Eigenthumliches nicht entziehen [...].35X D i e Wohlfahrt in einem politico Corpore wird durch Parität erhalten, [...] / wann keinem zu vil/ keinem zu wenig aufgeleget wirdt/ sondern alle zusampt/ und zugleich den allgemeinen Last übernehmen/ und jeder der proportion nach/ das Seinige hilfft bey tragen.351

347

Christliche Landtagspredigt (1675), S. 40 f. W A G N E R : Historia, S. 235. Casualpredigten (Taxpredigt), S . 843 f. Vgl. B L I C K L E : Volk und Untertanen,

WÖLFFLIN:

WAGNER:

S. 55. 348

Nabots Weinberg (1 Kön 11); Krieg zwischen Amasja, König von Juda und Joas, König von Israel (WÖLFFLIN: Christliche Landtagspredigt (1670), S. 26). 349 W Ö L F F L I N : Christliche Landtagspredigt (1670), S. 29. 350 W Ö L F F L I N : Christliche Landtagspredigt (1670), S . 30. W Ö L F F L I N : Christliche Landtagspredigt (1675), S. 23-25. 351 W Ö L F F L I N : Christliche Landtagspredigt ( 1 6 7 2 ) , S . 3 6 . Vgl. S U M M A R I E N I , S . 7 6 7 . 332 W Ö L F F L I N : Christliche Landtagspredigt ( 1 6 7 5 ) , S. 2 5 . V g l . BLicKLE:Volk und U n t e r tanen, S. 52: Vor dem 30jährigen Krieg gelten Friede und Recht als die obersten Staatszwecke, nach ihm dominieren Wohlfahrt und Glück. Blickle weist auf die hier vollzogene verkürzte Synthese zwischen der aus der aristotelische Sozialphilosophie stammenden Kategorie des Glücks und der aus der lutherischen Soziallehre stammenden Kategorie der Obrigkeit hin. Derartige Tendenzen lassen sich auch in den Predigten der Tübinger Professoren feststellen. Der Akzent verschiebt sich hin zu Glück und Wohlfahrt, ohne daß dabei die beiden anderen Zwecke völlig vernachlässigt werden.Vgl. WAGNER: R e g e n t e n p r e digten, S. 1 6 und W Ö L F F L I N : Christliche Landtagspredigt, S. 2 4 . W Ö L F F L I N : Christliche Landtagspredigt ( 1 6 7 2 ) , S. 1 7 . H A G M A J E R : Unterweisung, S. 7 : gemeine Beste, R u h e , Wohlstand.

Der politische

Lebensbereich

249

Zählen Gerechtigkeit, Gütigkeit u n d Arbeitsamkeit zu den christlich-fürstlichen Tugenden, dann ist der Hauptzweck eines Staatswesens gewährleistet: allgemeine Wohlfahrt des Volkes, der Lande u n d der Leute. 3 5 3 Z u den besonderen Aufgaben der Obrigkeit zählt neben der Sorge für das Kirchenwesen die Sorge für das Schulwesen. 3 5 4 M i t der E r r i c h t u n g von Schulen u n d Kirchen leistet die Obrigkeit den höchsten Gottesdienst, i n d e m sie d e m Kirchenwesen mit R a t , Hilfe u n d vor allem materiell, mit Steuern zur Seite steht. 3 5 5 D u r c h Schulen u n d Kirchen werden M e n s c h e n zur Erkenntnis Gottes k o m m e n , wird der gemeine N u t z e n gebessert, Gottseligkeit »gepflanzt«, Z u c h t u n d Ehrbarkeit befördert, so daß die M e n s c h e n ewige Seligkeit erlangen können. 3 5 6 D u r c h die Schulen werden nicht, wie f r ü h e r in den Klöstern, müssige Leut erhalten. Im Gegenteil, durch ihre Ausbildungsfunktion für die Aufgabenbereiche von R e i c h , Kirche u n d Schule wird das Land »gesegnet«. In diesem Z u s a m m e n h a n g k o m m t d e m Erlernen des Katechismus erneut große B e d e u t u n g zu. Der Katechismus bildet, j e nach Studium n o c h ergänzt durch ein Compendiolum Theologicum, die Grundlage eines gelehrten Mannes. Das hier Gelernte dient einem gelehrten Mann die Tag seines Lebens zum Grund seines Glaubens/ und Trost seiner Seel [...] / er werde was er will/ ein Theologus oder Politicus,357 D i e enge Zusammenarbeit zwischen Obrigkeit u n d Kirche bei der Erhalt u n g der Schulen zeigt sich beispielshalber daran, daß Wagner v o m Magistrat der Reichsstadt Esslingen aufgefordert wird, in einer Predigt die N o t w e n d i g keit der Zehntabgabe darzulegen. Wagner betont in seiner Predigt daraufhin die Verpflichtung der Bürgerschaft, für die Erhaltung von Schulen u n d Kirche einzustehen, wozu sie durch die Zahlung ihrer Steuer beitragen. In diesem 353 WÖLFFLIN: Christliche Landtagspredigt (1675), S. 18. HAGMAJER: H u l d i g u n g s p r e digt, S. D , v n e n n t das g e m e i n e Beste, R u h e u n d W o h l s t a n d . Z u d e n T u g e n d e n vgl. a u c h HAGMAJER: U n t e r w e i s u n g , S. 7. WÖLFFLIN: C h r i s t l i c h e Landtagspredigt (1675), S. 47 zeigt a m Beispiel des unverdrossen und arbeitsam tätigen M o s e das Idealbild eines H e r r s c h e r s . V g l . HAGENMAIER: Predigt u n d Policey, S. 100 f. C o n r a d D i e t e r i c h n e n n t n e b e n d e r W o h l f a h r t n o c h das H e i l der U n t e r t a n e n als R e g i e r u n g s z i e l . E i n B e g r i f f , d e r so in d e n h i e r u n t e r suchten Predigten nicht auftaucht. 354

WAGNER: F ü r s t e n p r e d i g t ,

S. 8 1 3

und

S. 8 1 9 f. HAGMAJER: U n t e r w e i s u n g ,

S. 7 .

WAGNER: Casualpredigten (Schulpredigt), S. 897: O b r i g k e i t e n als » S ä u g a m m e n u n d P f l e ger« der K i r c h e n u n d S c h u l e n (Jes 49,23). W a g n e r verweist h i e r auf L u t h e r s S c h r i f t An die Ratsherren aller Städte deutschen Lands, daß sie christliche Schulen aufrichten und halten sollen. In: W A 1 5 , 2 7 - 5 3 . WAGNER: Casualpredigten (Taxpredigt), S. 9 2 5 . WÖLFFLIN: C h r i s t l i c h e Landtagspredigt (1672), S. 26. ASHEIM: G l a u b e u n d E r z i e h u n g , S. 6 6 - 8 7 : »Die E r z i e h u n g in der Schule«. WERNER REININGHAUS: Elternstand, O b r i g k e i t u n d Schule bei L u t h e r (Pädagogische F o r s c h u n g e n , B d . 38). H e i d e l b e r g 1969, bes. S. 1 5 - 2 3 u n d S. 2 9 - 4 0 , sow i e S. 44 f. Vgl. z u m Beispiel zu d e n d e u t s c h e n S c h u l e n i m U l m e r T e r r i t o r i u m HAAG: Predigt u n d Gesellschaft, S. 2 8 7 - 2 9 8 . 355 Vgl. z u m f o l g e n d e n HEERBRAND: P r e d i g t v o n der H o h e n Schule, S. 8 - 1 0 . 356 Vgl. STRAUSS: L u t h e r s h o u s e of learning, S. 1 8 2 - 2 0 2 . 357 WAGNER: Casualpredigten (Schulpredigt), S. 907.

250

Dimensionen des Alltags in der Frühen Neuzeit

Punkt, so Wagner, m ö g e die Bürgerschaft willig und geflissen seyn/ nachdem bey nicht wenigen in dero einbringung grosser Unwill/ Tra[e]gheit/ wol auch ohnverantwortliche Vortheilhafftigkeit ist verspu[e]hrt/ theils auch mit wu[e]rcklicher Straff angesehen und geandet worden,358 A u c h wenn im N e u e n Testament kein G e b o t e x i stiere, daß die Einforderung des Z e h n t e n zum T h e m a habe und davon nur im Alten Testament die R e d e sei, so sei der O b r i g k e i t kraft apostolischen Befehls in R o m 13,4 von Amts- und R e c h t s w e g e n der Z e h n t zu geben. Interessanterweise wird hier die Vorrangstellung der neutestamentlichen Anordnung h e r vorgehoben. N a c h d e m Wagner von der Obrigkeit in die Pflicht g e n o m m e n wurde, sich in Sachen Z e h n t zu engagieren, so versäumt er es nicht, auch eine M a h n u n g an seine Auftraggeber zu adressieren. E r vermahnt darin evangelisch-christliche O b r i g k e i t e n , daß sie den Z e h n t , der ihnen ordnungsgemäß gereicht wurde, so zu verwalten, daß nichts veruntreut werde. D i e Obrigkeiten sollen eine Profanation der G ü t e r verhindern - was i m übrigen schon in der K i r chenordnung festgehalten sei —, sie sollen Kirchendienern und Präzeptoren den ihnen gebührenden Teil bezahlen, K i r c h e n - , Pfarr- und Schulgebäude in Stand halten und Armenfürsorge betreiben. 3 5 9 A u f die Einrichtung von Schulen kann nicht verzichtet werden, da sonst dem Faustrecht R a u m gegeben würde; nur dann ist gewährleistet, daß in der Welt [...]/ nicht gewalt/ sonder Weißheit / nicht Faust/sonder kopff recht/ nit Spiessis sonder Büechis regieren. M i t dem Schulwesen verbinden sich positive Folgen für die Obrigkeit, sie ist es deshalb schuldig, sich der J u g e n d anzunehmen. E b e n auch u m des weltlichen R e g i m e n t e s willen sollen Schulen errichtet werden. 3 6 0 D i e Prediger bezeichnen es als »große Gnade« wohlbestellte Schulen zu haben, denn sie bringen einen sehr großen Nutzen. Sie seien einem trojanischen Pferd vergleichbar, dem gute Streiter Christi entspringen. 3 6 1 Schulen bedeuten Wolstand/ Auffnam und Erhaltung der Hauptsta[e]nd menschlichen Lebens/ und beederley Regiments/ deß geistlichen und des weltlichen [... Sie sind] officinae Spiritus sancti, wercksta[e]tt deß heiligen Geistes/ Seminaria Reipublicae Christianae, Anblu[e]mungen der Christlichen Reipublic. Entsprechend dieser w i c h t i gen Funktion der Schulen — und zwar Trivialschulen und höhere Schulen gleichermaßen - fordert Wagner die O b r i g k e i t dazu auf, die Schulen mit »tapferen« Lehrern zu besetzen. D a von der Person des Lehrers der U n t e r r i c h t s e r folg abhängt, sollen die Kandidaten für eine solche Stelle die folgenden Q u a l i täten mitbringen. Wagner formuliert sie in Anlehnung an die W ü r t t e m b e r g i -

338

WAGNER: Casualpredigten (Zehntpredigt), S. 9 2 2 .

339

WAGNER: Casualpredigten (Zehntpredigt), S. 9 3 4 ff. WAGNER: Casualpredigten (Schulpredigt), S. 8 9 8 . Vgl. zum folgenden WAGNER: Casualpredigten (Schulpredigt), S. 8 7 2 .

360

361

Der politische

Lebensbereich

251

sehe Große Kirchenordnung. 3 6 2 Die Schulmeister sollen gelehrt, gottesfurchtig, eifrig, exemplarisch, verständig, arbeitsam, gewissenhaft, langmütig, ehrerbietig gegenüber Obrigkeit und Pfarrer, friedfertig und bescheiden sein. An die Adresse der Eltern gewandt, sagt er, sie sollen sich das nichts dauren lassen, was sie für das Studium ihrer Kinder aufwenden. 3 6 3 Wagner empfiehlt ferner, die Knaben — nur von ihnen ist hier die R e d e — nicht privat zu unterichten, sondern sie an die von der Obrigkeit bestellte Schulen zu schicken. Als Gründe für den öffentlichen Unterricht führt Wagner die folgenden Punkte an 3 6 4 : 1) unterrichten an öffentlichen Schulen Präzeptoren, die durch die Obrigkeit für tauglich erklärt wurden; 2) sind diese Schulen mit gewissen Autoribus und methodo docendi365 bestückt und werden regelmäßig visitiert; 3) finden hier jährlich zwei öffentliche Examina statt, in denen der »Fleiß« von Präzeptoren und Schülern geprüft wird; 4) bekommen Schüler, die privatim unterrichtet werden, melancholische Ingenia, sie haben keinen Umgang mit anderen Schülern und anderen Menschen; 5) wird durch die Konversation im Unterricht der öffentlichen Schule Vertrauen aufgebaut und es entstehen Freundschaften. Die Einwände gegen einen öffentlichen Unterricht — zuhause könne erstens die Jugend besser in moribus unterrichtet werden, da sie kaum Umgang mit anderen habe und entsprechend nichts schändliches lernen könne und zweitens könne sich der Lehrer besser auf einen Schüler konzentrieren lehnt Wagner rundweg ab. D e n n viele Kinder würden im Elternhaus so gea[e]rgert/ daß in öffentlichen Schulen kein Ergernuß zu befahren wu[e]rde seyn/ wann es die Kinder nicht in ihrer Eltern Ha[e]user ho[e]rten und sehen/ [.. ,/. 3 6 6 U n d den zweiten Einwand entkräftet Wagner, indem er daruf hinweist, daß sich der Lehrer auch hier dem einzelnen zuwendet; er tue dies allerdings so, daß er zugleich alle anderen Schüler »informiert«. Durch die Fülle der alttestamentlichen Beispiele scheinen die Predigten auf den ersten Blick völlig apolitisch zu sein. In den lutherisch-orthodoxen Predigten der Tübinger Professoren finden sich in den gedruckten Fassungen kaum aktuelle Bezüge. Die positive Übertragung und Identifikation lobenswerter alttestamentlicher Könige mit württembergischen Herrschern beispielshalber bei Huldigungspredigten oder Landtagspredigten läßt j e d o c h den Umkehrschluß zu. 3 6 7 Gerade in ihrer vermeintlichen Zurückhaltung gegen-

3 6 2 WAGNER: Casualpredigten (Schulpredigt), S. 917—*1. Württembergische Große Kirchenordnung, S. cxcv v —cxcvi r . 3 6 3 WAGNER: Casualpredigten (Schulpredigt), S. 889 f. 3 6 4 WAGNER: Casualpredigten (Schulpredigt), S. 9 0 2 . 3 6 3 Wagners Vorschlag zu einem solchen Lehrplan steht in seinen Casualpredigten (Schulpredigt), S. 904: Vom richtigen Methodo docendi. 3 6 6 WAGNER: Casualpredigten (Schulpredigt), S. 903. 3 6 7 Z u m Akt der Huldigung in Württemberg vgl. allgemein ANDRÉ HOLENSTEIN: Die Huldigung der Untertanen. Rechtskultur und Herrschaftsordnung 800—1800 (Quellen und Forschungen zur Agrargeschichte, Bd. 36). Stuttgart, N e w York 1991, S. 222—239

252

Dimensionen

des Alltags in der Frühen

Neuzeit

über dem aktuellen Geschehen können die Prediger unter dem Mantel alttestamentlicher Erzählung ihre Auffassung von Staat und Regierung uneingeschränkt propagieren: 368 Hilff Gott/ wie geht das jmmer zu/ daß alles Volck so grimmet/ Fu[e]rsten und Ko[e]nig allgemein/ mit eins seind sie gesinnet: Wider zustreben deiner Hand/ vnnd helffen Christo/ den du hast dergantzen Welt zu helffen.

gesandt/

Sie wo[e]llen gantz sein vngestrafft/ vnnd leben nach jrm sinne/ Und werffen von sich deinen Raht/ vnd was du lehrest drinne. Sie gehn nach jres Hertzens wahn/ ein jederman auff seiner Bahn/ vnd lassen jhn nicht wehren. Du aber in dem Himmel hoch/ wu[e]rst sie/ O Gott verlachen/ Verspotten jren besten Raht/ vnndjrn anschlag verachten. Du wu[e]rst mit Zorn sie sprechen vnnd straffen was sie han gethon/

an!

mit grim[m] wu[e]rstu sie schrecken. Darumb jr Ko[e]nig mercket

nun/

jr sollt euch lassen lehren / Unnd disem Kon[e]nig [i. e. Christus] ho[e]ren

zu/

sein Wort halten in ehren : Daß jhr Gott lernen fu [ejrchten wol! vnnd wie ein Hertz jm trawen soll/ das heißt recht Gott wol dienen. Nempt auff euch straffe daß nicht erzu[e]rn der

williglich/ HErre/

Halt jnfu[e]r äugen stettiglich/ vvnd lebt nach seiner Lehre: Wan sein zorn als ein Fewr auffgeht/ wol ist dem/ derfu[e]rjm besteht: Das seind/ die auff jn trawen.

u n d S. 2 8 0 - 2 8 9 (landesherrliche Huldigung); S. 3 2 8 - 3 3 7 (Untertanenhuldigung); S. 4 2 1 - 4 2 6 (Konflikte). 368 Vgl. W ü r t t e m b e r g i s c h e s Gesangbuch (1591), S. 134, Vers 1 - 3 u n d Vers 7 u n d 8 zu einer Auslegung v o n Ps 2; vgl. ebd., S. 137.

Der politische Lebensbereich

253

U n t e r dem D e c k m a n t e l biblischer Geschichte formulieren sie T h e m e n von politischer Brisanz. Formulierungen in enger Anlehnung an die heilige Schrift wie auch die B e r u f u n g a u f Schriften und Aussagen Luthers waren ein probates Mittel, der Kritik an der O b r i g k e i t Autorität zu verleihen, o h n e dabei Gefahr zu laufen, sich eines c r i m e n maiestatis schuldig zu m a c h e n . D i e Prediger lassen sich von den Obrigkeiten in die Pflicht n e h m e n , vergessen dabei aber nicht, die in Auftrag gegebene Handlungsanweisung auch a u f ihren Gehalt für das Verhalten der Obrigkeit selbst öffentlich zu hinterfragen. D e r Eindruck der häufigen Enthaltung der Prediger gegenüber dem aktuellen G e s c h e h e n ist also keineswegs als stillschweigende Duldung oder gar Einwilligung in die Politik zu werten. Diese Haltung darf nicht als Weigerung verstanden werden, die — wie selbstverständlich — die bestehenden Herrschaftsverhältnisse stabilisiert. Ziel der politischen E t h i k der lutherischen O r t h o d o x i e war zweifelsohne eine gewissermaßen natürliche Loyalität des christlichen Bürgers zum Staat. D i e E t h i k des Luthertums wies den Gläubigen mit nötiger Strenge in die ständischen O r d n u n g e n ein, erzog ihn zu staatstreuem D e n k e n und lehrte ihn die bürgerlichen und beruflichen Tugenden. D i e Prediger taten dies aber im B e wußtsein, daß der K o m p l e x weltlicher Herrschaft innerhalb und nicht unabhängig von einer Herrschaftsordnung bestand, die ihrerseits a u f göttlichen Gesetzen basierte: 3 6 9 E i n e Herrschaftsordnung, deren politische Vertreter sich letztendlich persönlich vor G o t t zu verantworten hatten. D i e lutherische O r thodoxie band die ständischen Ordnungen in eine alles umfassende Weltordnung Gottes ein, die menschlichem Handeln entzogen war und an der entsprechend menschlicher Gehorsam gegenüber weltlicher Herrschaft seine absolute Grenze fand. D i e lutherisch-orthodoxen Prediger überließen den Staat nicht der W i l l k ü r seiner M a c h t h a b e r oder einer Eigendynamik. M i t der Lehre von der Unterscheidung der beiden R e i c h e verband sich seit Luther i m m e r auch die Lehre von den beiden R e g i m e n t e n Gottes. B e i d e Aspekte der einen Herrschaft w i e d e r u m waren eingebunden in die von den T h e o l o g e n vorausgesetzte christliche Prägung der Gesellschaft. Forschungsansätze, die den Verlust der Zweireichelehre dafür verantwortlich machen, daß es der lutherischen O r t h o d o x i e im 17. Jahrhundert so schwer fiel, eine veränderte Wirklichkeit des Staates theologisch zu verstehen, müssen nach der Lektüre der vorliegenden Quellen neu überprüft werden. 3 7 0 So läßt sich wohl ein Zurücktreten der 3 6 9 Anders ALFONS AUER: Christsein im Beruf. Düsseldorf 1966, S. 85. Vgl. Ethik in der europäischen Geschichte. Bd. 2, S. 35. 3 7 0 MARTIN KRUSE: Speners Kritik am landesherrlichen Kirchenregiment und ihre Vorgeschichte (Arbeiten zur Geschichte des Pietismus, Bd. 10). Witten 1971, S. 176. So auch WOLFGANG SOMMER: Obrigkeits- und Sozialkritik in lutherischen Regentenpredigten des frühen 17. Jahrhunderts. In: Werner Welzig (Hrsg): Predigt und soziale Wirklichkeit. B e i träge zur Erforschung der Predigtliteratur (Daphnis, Bd. 10). Amsterdam 1981, S. 113— 140, hier bes. 139 f. Vgl. HONECKER: Cura religionis, passim. MICHAEL STOLLEIS (Hrsg.): Staatsdenker im 17. und 18. Jahrhundert. Reichspublizistik Politik Naturrecht. Frankfurt/ M . 1977 passim.

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Dimensionen

des Alltags in der Frühen

Neuzeit

L e h r e in d e m S i n n , daß fast n i e expressis verbis a u f sie r e k u r r i e r t w i r d , feststellen, implizit ist sie a b e r n a c h w i e v o r präsent. E i n D e s i n t e r e s s e an der U n t e r s c h e i d u n g der b e i d e n R e i c h e u n d ein d a m i t v e r b u n d e n e r R ü c k z u g in die I n n e r l i c h k e i t , der letztlich a u f e i n e E n t p o l i t i s i e r u n g des L u t h e r t u m s h i n a u s läuft, läßt sich a u f Seiten der T h e o l o g e n der l u t h e r i s c h e n O r t h o d o x i e so n i c h t feststellen. D i e s zeigt die in den P r e d i g t e n v e r w e n d e t e T e r m i n o l o g i e : R e i c h G o t t e s — R e i c h des K a i s e r s 3 7 1 ; R e i c h der S ü n d e / des Satans — R e i c h

Got-

tes 3 7 2 w i e a u c h der i n t e n s i v e R ü c k g r i f f a u f a l t t e s t a m e n t l i c h e E r z ä h l u n g e n . A u f w e l c h e r G r u n d l a g e sollten die P r e d i g e r das v o n i h n e n b e a n s p r u c h t e W ä c h t e r a m t g e g e n ü b e r der O b r i g k e i t r e k l a m i e r e n , w e n n n i c h t a u f der Basis der Zweireichelehre?373 I n d e n A u g e n der P r e d i g e r lag k e i n e V e r m i s c h u n g der b e i d e n R e i c h e vor, w e n n sie a u c h die O b r i g k e i t f ü r die A u f r e c h t e r h a l t u n g der O r d n u n g i m k i r c h lichen Bereich verantwortlich machten.374 D i e Aufforderung bedeutete nicht, P o l i t i k n a c h d e m L e i t f a d e n des E v a n g e l i u m s zu m a c h e n , s o n d e r n als C h r i s t e n in der P o l i t i k tätig zu w e r d e n . Als a l t t e s t a m e n t l i c h e B e l e g s t e l l e n für e i n e s o l c h e Auffassung f ü h r t A n d r e a e das K ö n i g s g e s e t z aus D t n

17 u n d die V o r -

g e h e n s w e i s e v o n K ö n i g J o s i a (2 K ö n 2 2 ) an, s o w i e die v i e l z i t i e r t e Stelle aus Rom

13.375

371 ANDREAE: Predigten vom Wucher, S. 183. WAGNER: Evangelien-Postille 2, S. 926: Christi Reich/weltliches Reich. WAGNER: Fürstenpredigt, S. 816. Obrigkeiten haben sich vor Gott zu verantworten wie sie nach GOttes Wort und nach dem Gesetz-Buch in beederley Regimentern jhr obrigkeitliches Ampt geführt haben (Hervorhebung S. H.).Vgl. WAGNER: Fürstenpredigt, S. 817 Ko[e]nige und Fu[e]rsten zur Pflegschafft beederley Regierungen/ deß Geistlichen und Weltlichen/ [...] verbunden. S. 816 nennt Wagner als Beispiele für obrigkeitliche Sorge um die Religion: Assa, Josaphat, Hiskia und Josia. Vgl. auch S. 823: [...] als Handhaber der ersten und andern Tafel der H. Zehen Gebot/ nach außweiß H. Schrifft bey beederley Regimentern das jhrige zuthun/ und jhr obrigkeitliches Ampt zuvertretten. 372 SIGWART: Predigt vom Vaterunser, S. 44. 373 Vgl. BAUER: Lutheranische Obrigkeitskritik, S. 659. Sie verweist dort auf die autonome Selbstverständnis des Predigers Gilbert de Spaignart, der sich aufgrund seines Wächteramtes zur Obrigkeitskritik berufen fühlt. Aus Liebe und Fürsorge gegenüber den Obrigkeiten und nicht aus purer Aufsässigkeit wolle er sein Wächteramt führen. Er sieht seine Aufgabe darin, solidarisch mit den zu unrecht behandelten Untertanen zu handeln. Eine Beobachtung, die auch SOMMER: Obrigkeits- und Sozialkritik, S. 122 und S. 126 macht. 374 ANDREAE: Predigt Johannes der Täufer, S. [B ] r -C v . 4 t 375 ANDREAE: Predigt Johannes der Täufer, S. C r : Dergleichen zeuget auch S. Paulus von 3 der Oberkeyt/ das sie sey ein Ordnung Gottes/ welches die Christenliche Keyserl als Constantinus Magnus, vnnd Theodosius, & c. nicht allein vom Weltlichen Regiment verstanden / sonder sich auch der Kirchen angenommen/ damit falscher Lehr gewehrt/ vnnd der recht vnnd warhafftig Gottes dienst auffgerichtet vnnd erhalten werde [...]. Vgl. ANDREAE: Predigten von Spaltungen, S. 1 0 5 - 1 0 7 . WAGNER: Regentenpredigten, S. 17 f.: Die Bürger sollen ihrer Obrigkeit nicht um der Strafe willen Untertan sein, sondern um des Gewissens willen ( R o m 13,5). WAGNER: Casualpredigten (Regimentspredigt), S. 608 ( R o m 13,5).

Der politische

Lebensbereich

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Die wortgetreue Auslegung der Schrift konnte und durfte nicht mit der Zensur kollidieren. Trotz Einbindung der Zweireichelehre ins landesherrliche Kirchenregiment gelingt es den lutherisch-orthodoxen Predigern so, ihre o b rigkeitskritische Position zu bewahren und gewissermaßen eine kontrapunktische Stellung gegenüber Obrigkeit und Untertanen einzunehmen. Auch Sommer erkennt das Wächteramt der von ihm untersuchten Prediger an, qualifiziert dann j e d o c h deren politische Predigt als Erbauungspredigt, die bei aller konkreten Klage über die sozialen Zustände nicht die Verantwortlichen bei ihrer Pflicht behaften oder gar die Unabhängigkeit des geistlichen Amtes gegenüber der weltlichen Obrigkeit verteidigen will.376 Dies greift, das muß nach der Analyse der Tübinger Predigten festgehalten werden, erheblich zu kurz, zumindest ihre Prediger waren sich ihrer Position durchaus bewußt und setzen ihre Autorität mit vollem Bewußtsein ein. 3 7 7 Gerade die beibehaltene Unterscheidung der zwei R e i c h e und die hinzutretende Betonung des Gesetzes auch im R e i c h Christi beförderte eine Vergesetzlichung der gesamten Lebensbereiche des Menschen, im R e i c h Christi und im R e i c h der Welt. Dies hat aber gerade nicht die Entstehung eines säkularen Lebensbereiches zur Folge. Daß eine unter anderem von Karl Barth konstruierte Ahnenreihe Luther — Bismarck — Hitler ihre Wurzeln im lutherisch-orthodoxen Verständnis der Zweireichelehre hat, bzw. wie Pannenberg argumentiert, die Zweireichelehre 3 7 6 SOMMER: Obrigkeits- und Sozialkritik, S. 137. Zu anderen Ergebnissen kommt auch die Studie von HAGENMAIER: Predigt und Policey, S. 5 7 - 5 9 und S. 1 2 1 - 1 3 7 . 3 7 7 Ein pauschales Urteil in Sachen Obrigkeitsverständnis der lutherischen Orthodoxie kann nicht gefällt werden. Das wird durch die Forschungsliteratur deutlich. Ein bewegtes Bild weisen denn auch die Ergebnisse der Studien Sommers zur politischen Predigt im älteren Luthertum auf. Vgl. WOLFGANG SOMMER: Gottesfurcht und Fürstenherrschaft. Studien zum Obrigkeitsverständnis Johann Arndts und lutherischer Hofprediger zur Zeit der altprotestantischen Orthodoxie (Forschungen zur Kirchen- und Dogmengeschichte, Bd. 41). Göttingen 1988, S. 3 1 9 und S. 322. Er stellt in seiner Habilitationsschrift zwei Hauptströmungen innerhalb des lutherischen Obrigkeitsverständnisses fest, deren Tendenzen weitgehende Übereinstimmung mit dem bei Schorn-Schütte festgestellten Funktionswandel aufweisen. Vgl. dazu LUISE SCHORN-SCHÜTTE: Prediger an protestantischen Höfen der Frühneuzeit. Zur politischen und sozialen Stellung einer neuen bürgerlichen Führungsgruppe in der höfischen Gesellschaft des 17. Jahrhunderts, dargestellt am B e i spiel von Hessen-Kassel, Hessen-Darmstadt und Braunschweig-Wolfenbüttel. In: Heinz Schilling und Herman Diedericks (Hrsg.): Bürgerliche Eliten in Deutschland und den Niederlanden vom 16.-19. Jahrhundert. Köln, Wien 1985, S. 2 7 5 - 3 3 6 . Schorn-Schütte zeigt deutlich die unterschiedliche Interpretation landesherrlichen Kirchenregiments in den genannten Herrschaftsbereichen auf. In Hessen-Kassel beispielshalber agierten die Hofprediger vornehmlich im Interesse ihres Landesherrn, während sie dagegen in Braunschweig-Wolfenbüttel geradewegs in Opposition zum Landesherrn standen (ebd., S. 298). Sie konstatiert einen Funktionswandel in dessen Verlauf der politische Berater vom apolitisch im Hintergrund agierenden Mahner abgelöst wird (ebd., S. 306). Die pietistische Entlassung christlicher Obrigkeit aus der cura religionis führte in der Praxis zur Aufgabe des kirchlichen Autonomieanspruchs und damit zur Stärkung landesherrlicher Obrigkeit (ebd., S. 306).

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des Alltags in der Frühen

Neuzeit

die Gesellschaft säkularisiert habe und den engen K o n n e x von Christentum, Staat und Gesellschaft letztendlich zerstörte, muß nach Lektüre und Analyse der Predigten der Tübinger Professoren heftig angezweifelt werden. 3 7 8 Die Predigten machen immer wieder deutlich, daß sich die Prediger keinesfalls nur auf seelsorgerliche und geistliche Funktionen beschränken mußten, sondern — gerade innerhalb des obrigkeitlich geschützten Rahmens — durchaus gesellschaftliche und politische Aufgaben wahrnahmen. Vergleicht man abschließend die Befunde zum Themenbereich Politik mit den Realitäten württembergischer Politik, so muß festgehalten werden, daß die konstitutionellen Voraussetzungen in Württemberg für ein solches Engagement der Prediger günstig waren. In den ersten beiden Phasen des Untersuchungszeitraumes wird die Politik in Württemberg weitgehend durch den Tübinger Vertrag bestimmt. Der bereits im Jahr 1514 zwischen Herzog Ulrich und den Ständen ausgehandelte Vertrag sah die Kontrolle der Stände bei der Landesverwaltung vor. 3 7 9 Der Tübinger Vertrag beinhaltete neben der erklärten Bereitschaft der Stände, einen Beitrag zur Tilgung der Regierungsschulden zu leisten, das R e c h t der Freizügigkeit der Untertanen und das R e c h t der Stände, Steuern auszuschreiben. Auch wenn zugleich das alleinige R e c h t des Herzogs zur Einberufung des Landtags festgeschrieben wurde und die Befugnisse des Landtags bei der Kontrolle in den Ausführungsbestimmungen des Vertrages nicht eindeutig festgelegt waren, so bestimmte doch dieser Vertrag das politische Bewußtsein im Herzogtum. D e n n als die Herzöge im späten 17. und im 18. Jahrhundert eine Stärkung der Zentralgewalt anstrebten, begründeten die Stände ihre Opposition unter Berufung auf diesen Vertrag. 3 8 0 Die im Tübinger Vertrag fixierten Verfassungsbestimmungen definieren die politische Führung im R a h m e n einer vormundschaftlichen Regierungsweise. 3 8 1 Die württembergische Ehrbarkeit, j e n e in den einzelnen Amtern verwurzelte lokalen Oligarchen standen als körperschaftliche Kraft einer willkürlichen Ausdehnung landesherrlicher R e c h t e entgegen. Die Prälaten, der zweite Stand des Herzogtums, stand zwar über seine unmittelbare Ernennung durch den Landesherrn in einem besonderen Loyalitätsverhältnis zum Herzog, doch war seine Loyalität eine Loyalität innerhalb der vorgegebenen konstitutionellen

3 7 8 Vgl. exemplarisch KARL BARTH: Eine Schweizer Stimme. Zürich 1945, bes. S. 113 und S. 121 f. WOLFHART PANNENBERG: Luthers Lehre von den zwei R e i c h e n . In: Wolfhart Pannenberg (Hrsg.): Ethik und Ekklesiologie. Gesammelte Aufsätze. Göttingen 1977, S. 9 7 - 1 1 4 , hier S. 113. Pannenberg weist auf die verhängnisvolle Ungeschütztheit der Lehre Luthers gegen die Tendenzen seiner Zeit zur Verselbständigung der Staatsräson hin. Sie trat in Geltung, als die bei Luther vorausgesetzte christliche Prägung der Gesellschaft nicht mehr konsensfähig war. Vgl. HONECKER: Art. Zweireichelehre, Sp. 4 1 1 8 . 3 7 9 VANN: Württemberg auf dem Weg zum modernen Staat, S. 36 f. 3 8 0 Vgl. allgemein zum Tübinger Vertrag REINHOLD RAU: Z u m Tübinger Vertrag 1514. In: Zeitschrift für württembergische Landesgeschichte 9 ( 1 9 4 9 / 5 0 ) , S. 1 4 7 - 1 7 4 . 3 8 1 VANN: Württemberg auf dem Weg zum modernen Staat, S. 46 f.

Christ und Welt: Die Konkurrenz

der Normen

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Schranken. 3 8 2 Vann charakterisiert zudem die G e h e i m e n R ä t e als Hüter der württembergischen Tradition und als Verteidiger der Werte, die im Tübinger Vertrag niedergelegt und durch die lutherische Orthodoxie geheiligt waren?s3 Diese Einschätzung, getroffen für die Regierungszeit Eberhards III., verdeutlicht, daß nach einer Zeit verstärkter monarchischer Tendenzen, in W ü r t t e m b e r g erneut ein politisches Klima wie zur Zeit Herzog Christoph herrschte, in der Landesherr und Stände innerhalb eines Systems gemeinsamer Verantwortung harmonisch zusammengearbeitet hatten,384 Die Politik Herzog Eberhards III., basierend auf den durch den Tübinger Vertrag vorgegebenen Möglichkeiten, zielte im U n t e r schied zu der anderer Fürsten der Spätrenaissance, auf eine zwischen Landständen u n d Fürsten geteilte Souveränität. D e r U m s c h w u n g in der w ü r t t e m bergischen Politik unter Herzog Eberhard Ludwig, der sich über den T ü b i n ger Vertrag hinwegsetzte u n d vor allem von seinem alleinigen Einberufungsrecht z u m Landtag keinen Gebrauch mehr machte, läßt sich leider aus der Perspektive der Prediger nicht nachzeichnen. Aus diesem Zeitraum liegen keine Predigten zu dieser Thematik vor; die R e a k t i o n auf den zur Funktionslosigkeit verurteilten Landtag sowie auf die Aufteilung der R e g i e r u n g s g e schäfte zwischen Herzog u n d G e h e i m e m R a t ist nicht bekannt.

2. Die Bedrohung des Kosmos 2.1 Christ und Welt: Die Konkurrenz

der Normen

M i t Hilfe biblischer, besonders alttestamentlicher N o r m e n b e s t ä n d e streben die Prediger — wie oben dargelegt - eine O r d n u n g der Lebenswelt an u n d versuchen so, Leben in der Welt, u n d das heißt für die lutherisch-orthodoxen Prediger, im häuslich-familiären, im ökonomischen u n d im staatlichen B e reich zu reglementieren. Die Ständelehre weist dabei j e d e m seinen Platz i n nerhalb der als Gottes Schöpfungsordnung verstandenen u n d durch göttliche Gubernation erhaltenen gesellschaftlichen Gliederung zu. So entsteht ein zwar durch göttlichen Willen legitimierter Kosmos, der aber eben getragen wird durch menschliches Handeln u n d entsprechend instabil ist. 385 Er ist stets der B e d r o h u n g durch, wie es die Prediger nennen, Satan, Welt und Fleisch aus-

382

CHRISTOPH KOLB: Geschichte des Pfarrstandes in Altwürttemberg. In: Blätter für

w ü r t t e m b e r g i s c h e K i r c h e n g e s c h i c h t e 5 7 ( 1 9 5 7 ) , S. 7 4 - 1 9 0 . VANN: W ü r t t e m b e r g a u f d e m

Weg zum modernen Staat, S. 42. 383 VANN: W ü r t t e m b e r g auf dem Weg zum modernen Staat, S. 112. 384 VANN: W ü r t t e m b e r g auf dem Weg zum modernen Staat, S. 112. 383 Vgl. zum folgenden PETER L. BERGER: Zur Dialektik von Religion und Gesellschaft. Elemente einer soziologischen Theorie (Conditio humana). F r a n k f u r t / M . 1973 (New York 1967), S. 29.

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Dimensionen

des Alltags in der Frühen

Neuzeit

gesetzt. 386 Individuelle u n d kollektive Interessen k ö n n e n im Widerstreit zur göttlichen O r d n u n g stehen u n d die Programme der Prediger sabotieren. Laster sind die Ursachen, w a r u m Gott [...] bißweilen grosse Landstrafen und sonderlich Vera[e]nderung der Regimenten geschehen laßt/ [...]. Sozialisation u n d soziale Kontrolle, im vorliegenden Zeitraum das ständige E i n ü b e n der propagierten N o r m e n in der Predigt sowie die Kontrolle über Beichte u n d Visitation, sollen zur Verringerung dieser Gefahren beitragen u n d einen ständigen Konsens über die entscheidenden Kriterien lutherischorthodoxer Weltdeutung sichern helfen. D i e lutherisch-orthodoxe Legitimation stellt die gesamte O r d n u n g der G e sellschaft gewissermaßen als eine heilige Weltordnung dar. Ihr Gegensatz, die U n o r d n u n g , ist für die Prediger notwendig mit dem Sturz in abgrundtiefes Chaos verbunden. Wer i m m e r sich der Gesellschaftsordnung widersetzt, n i m m t das Risiko des Sturzes in die Gesetzlosigkeit auf sich, bzw. begibt sich in teuflische Abhängigkeit. Diese Abhängigkeit interpretieren die Prediger als die Konsequenz eines »Lebens nach dem Fleisch«. Durch die von den Predigern als Laster apostrophierten Handlungen ist die Welt stets mit ent-ordnenden Mächten menschlicher Existenz konfrontiert. 3 8 8 Es ist richtig, hier von M ä c h t e n zu sprechen, sahen doch die Prediger letztlich den Satan am Werk. 3 8 9 Die Prediger m u ß t e n gegen die Laster ankämpfen, kam in ihnen doch die Ungesichertheit der Welt z u m Ausdruck; zudem k o n n t e n durch Laster Zweifel an den Wirklichkeitsbestimmungen u n d -Vorstellungen der Prediger laut werden. Die T h e m a t i k u m Sünde u n d Laster wird nicht nur in speziellen Lasterpredigten u n d Predigten über bestimmte P h ä n o m e n e zur Sprache gebracht, sie hat darüber hinaus in j e d e r Predigt im Abschnitt zur Ermahnung ihren festen Platz. 390 Das Material ist entsprechend umfangreich. Die Warnungen k o n z e n trieren sich auf bestimmte Laster, so daß im folgenden eine Ubersicht angeboten werden kann. Etliche der beklagten Laster sind miteinander verbunden bzw. gehen auseinander hervor. Eine Rangfolge der einzelnen Laster kann nicht aufgestellt werden, das in j e d e r Predigt jeweils besprochene gilt als das schwerste. 391 Der Gotteslästerung hier einen besonderen Platz einzuräumen, 386

SIGWART: Predigt v o m Vaterunser, S. 122 ff. u n d S. 191. WAGNER: Esslinger T r a u e r p r e d i g t e n , S. 136. Er n e n n t Gottlosigkeit, U n g e r e c h t i g keit, H o f f a r t , Wollust, U n z u c h t , Geiz, H a ß , N e i d , Feindschaft, E h r g e i z (ebd., S. 1 3 6 139). 388 Vgl. BERGER: Z u r Dialektik v o n R e l i g i o n u n d Gesellschaft, S. 50. 389 Vgl. beispielshalber SIGWART: Lasterpredigten, S. 106": Wann man aber im Grund von der Hauptvrsach vnd Vrsprung der Trunckenheit reden will/ so ru[e]hret sie her vom Teuffei. Vgl. a u c h ebd., S. 118 r . PREGITZER: B u ß p r e d i g t e n , S. 156 f. 390 Vgl. BERGER: Z u r Dialektik v o n R e l i g i o n u n d Gesellschaft, S. 39. Er b e z e i c h n e t d o r t die Institutionalisierung solcher »Mahnungen« als eine der e n t s c h e i d e n d e n Bedingungen für die Errichtung einer Kultur. 391 A m Beispiel des Verhältnisses v o n Diebstahl u n d E h e b r u c h vgl. SUMMARIEN III, 387

Christ und Welt: Die Konkurrenz

der

Normen

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ist nach den Predigten der Tübinger Theologen nicht zu rechtfertigen; es sei denn, man ordnet die gesamte Thematik um Atheismus und Epicureertum an dieser Stelle ein. 3 9 2 Aber auch deren Verhältnis zur Welt läßt sich nicht einzig mit dem B e g r i f f der Gotteslästerung umschreiben. Die Beurteilung des D e likts der Gotteslästerung in der Forschung ist von gegensätzlichen Urteilen bestimmt. Die Beurteilung reicht vom Interpretament der Gotteslästerung als Indikator fiir eine nur oberflächliche Christianisierung 393 bis hin zur gegenteiligen Bewertung als dumme Sünde, die nur einem tiefen Glauben entspringen kann394. Muchembled dagegen plädiert fiir eine andere Erfassung dieses Deliktes, indem man die Fragestellung ändert. 395 Seiner Meinung nach bildet — zumindest im ausgegehenden Mittelalter und beim Ubergang in die Neuzeit — das Delikt der Gotteslästerung einen integralen Bestandteil des Christentums. Erst ihre zunehmende Verurteilung begründe die spezielle Wertigkeit dieses Deliktes. Als Aufriß zur Behandlung dieses Themas dienen im folgenden die Lasterpredigten, die Johann Georg Sigwart 1599 in Tübingen gehalten hat. 396 E r folgt in der Behandlung dieses Themas dem sogenannten Lasterkatalog in 1 Kor 6 und bespricht entsprechend zehn Laster: Ungerechtigkeit, Hurerei, Abgötterei, Ehebruch, Diebstahl, Geiz, Trunkenheit, Gotteslästerung, Verleumdung und Raub. D e r gesamte Predigtkanon wird mit einer Predigt Von rechter warer Bekerung zu Gott vnd Christlichem Wandel beschlossen. 397 S. 1780. Vgl. ANDREAE: Predigt vom Lauf der Planeten, S. 23: Der Alkoholismus gilt hier als »aller Laster Anfang«. Vgl. PREGITZER: Bußpredigten, S. 156 f.: Wer den Geitz überwindet/ der hat den Fu[e]rsten diserWelt vberwunden/ vndgeto[e]dtet die Wurtzel alles Vbels [Hervorhebung S. H.]. 3 9 2 Vgl. JEAN DELUMEAU: Angst im Abendland. Die Geschichte kollektiver Ängste im Europa des 14. bis 18. Jahrhunderts. Bd. 2. Reinbek bei Hamburg 1985 (frz. Paris 1978), S. 5 8 7 - 5 9 1 . Delumeau (S. 590) befaßt sich auch mit den Predigten zweier Tübinger Theologen (Andreae und Sigwart) zu diesem Thema. Beide dienen ihm als Beleg dafür, daß niemals zuvor soviel gelästert worden sei wie zu ihrer Zeit. Nur eine selektive Lektüre kann zu diesem Resultat kommen. Bei einer breiteren Quellenanalyse zeigt sich, daß nach Auffassung der Prediger auch niemals zuvor die Laster des Geizes, der Trunkenheit und der Unzucht etc. so weit verbreitet waren. Alle diese Laster sind nur Teilaspekte einer theologischen Weltdeutung, für die das sichere Ende der Welt nahe bevorsteht. 3 9 3 DELUMEAU: Angst im Abendland. Bd. 2, S. 5 8 7 - 5 9 1 . 3 9 4 JOHAN HUIZINGA: Herbst des Mittelalters. Studien über Lebens- und Geistesformen des 14. und 15. Jahrhunderts in Frankreich und in den Niederlanden. Stuttgart 1952 6 , S. 170 ff. 395 ROBERT MUCHEMBLED: Die Erfindung des modernen Menschen. Gefühlsdifferenzierung und kollektive Verhaltensweisen im Zeitalter des Absolutismus. R e i n b e k bei Hamburg 1990 (frz. 1988), S. 70. 3 9 6 SIGWART: Lasterpredigten. Vgl. SIGWART: Predigten von Hauptplagen, S. 105 den aktuellen Lasterkatalog. SIGWART: Predigt vom Vaterunser, S. 182 ff. Der Satan benutzt dieses Laster zur Versuchung. Vgl. OSIANDER, L.: Predigt in Renningen, S. 25 f. 397 Zu Tugend- und Lasterspiegeln vgl. OSIANDER, A.: Beichtbüchlein, S. 5 9 - 9 0 . Hier findet sich eine Auflistung der Gegensatzpaare, die jeweils durch ein alt- und neutestamentliches Zitat belegt werden. Die Gegensatzpaare des Tugend- und Lasterspiegels von

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Dimensionen des Alltags in der Frühen Neuzeit

In der Vorrede zur gedruckten Ausgabe macht Sigwart deutlich, daß alle Laster des Menschen letztlich von d e m Sündenfall im Paradies herrühren. O h n e den Sündenfall wäre Arbeit nicht Mühsal, bereitete die G e b u r t der Frau keine Schmerzen, hätten die Menschen weder Krankheit u n d Schaden am Leib zu erleiden, noch w ü r d e n sie Traurigkeit, Sorge, Angst u n d Schrecken kennen. Hätten sie den Satan zurückgewiesen, hätten sie nicht sterben do[e]rffen u n d wären zu seiner zeit von Gott a u f g e n o m m e n worden: Nicht zwar auß einem bo[e]sen Leben zum guten: sondern vom guten zum bessern vnnd seeligern Leben.398 Die Verwurzelung der Laster im Sündenfall u n d entsprechend ihr direkter Z u s a m m e n h a n g mit der Erbsündenlehre wird in der Vorrede eindeutig betont. In seiner E i n f ü h r u n g zur ersten Predigt weist Sigwart d a r a u f h i n , daß die zu besprechenden Laster ebenso nach den Zehen Gebotten mo[e]chten außgetheilt werden, er sich j e d o c h an die Vorgabe des Apostels halten wolle. 399 Im folgenden sollen die einzelnen Laster kurz beschrieben werden. Bei der Ungerechtigkeit gehe es zwar, so der Prediger, weder u m Leib n o c h Leben, u n d doch sei dieses Laster zu den schweren Sünden zu zählen. 4 0 0 Die U n g e rechtigkeit stelle eine M i ß a c h t u n g des göttlichen Gebotes dar, auch w e n n dabei Gott nicht selbst tangiert ist u n d sich das fehlerhafte Verhalten allein auf den Mitmenschen beziehe. Das Vergehen wird zunächst auf einer abstrakten Ebene vorgestellt, w e n n es heißt, u m i h m zu entrinnen, müsse nach der göttlichen Gerechtigkeit gesucht werden. W i e diese aussieht, wird mit deutlichem Bezug z u m alltäglichen Leben beschrieben. Die »treue« Berufsausübung ohne Berufswechsel u n d das »Begnügenlassen« im Beruf werden ebenso angeführt wie N o r m e n für den U m g a n g mit d e m Mitmenschen. D e r U m g a n g soll nicht v o m Talionsprinzip, sondern von der sogenannten »goldenen Regel« aus der Bergpredigt bestimmt sein. Dies bedeutet beispielshalber ganz praktisch, daß in Krisenzeiten Getreide u n d Brot nicht zurückgehalten werden dürfen, es verlangt aber auch die Einhaltung der M a ß e und Gewichte im Handelsleben. Dieser U m g a n g soll nicht allein auffrichtig erfolgen, man soll auch [...] guts thun/ gern geben/ behiljßich sein/ an guten Werken reich werden/ vnnd einguten Grunde auffs ku[e]nfftige samlen. Handelt man nach diesen Maximen, so wird nicht nur Glaube u n d Gewissen erhalten, sondern auch vor der Welt ein »ehrlicher Name« erworben. Das nächste Laster, das Sigwart behandelt, ist die Hurerei.401 Er versteht darunter alle und jede Unzucht/ Unkeuscheit/ Schande vnd Unreinigkeit/ so wider Andreas Osiander sind im Anhang dieser Arbeit, S . 379—381, abgedruckt. H Ä B E R L I N : Predigt über Jer 44, S. 195 ff. r 398 SIGWART: Lasterpredigten, S . 3 . r 399 SIGWART: Lasterpredigten, S . 2 . r v 400 SIGWART: Lasterpredigten, S. l -14 . Vgl. W A G N E R : Epistel-Postille 1, S . 494 und S. 500 (Biblische Beispiele). WAGNER: Esslinger Trauerpredigten, S. 137. r r v 401 SIGWART: Lasterpredigten, S . 15 -30 . SIGWART: Predigt vom Erdbeben, S. 18 .

Christ und Welt: Die Konkurrenz der Normen

261

das Sechste Gebott, genauer j e d e Art sexueller Handlung, die von unverheirateten Personen, gleichgültig ob ledig oder verwitwet, begangen wird. 4 0 2 B e s o n dere Erwähnung finden Inzest und Sodomie. D u r c h Hurerei verliere der M e n s c h seine E h r e und seinen guten N a m e n . Darüber hinaus ist seine ganze Verwandtschaft davon betroffen, auch sie verliert in den Augen der Prediger ihre Ehre. 4 0 3 U n t e r Verweis a u f D t n 2 3 , 2 b e tont Sigwart, G o t t habe seinem Volk ein Gesetz gegeben, das vorschreibe, daß Kinder, die aus solchen Verbindungen hervorgehen, bis ins zehnte Glied nicht in die »Gemeinde des Herrn« — für Sigwart identisch mit öffentlichen A m t e r n oder E h r e n — aufgenommen werden sollen. S o sei es bis a u f den Tag g e bräuchlich, daß man die Hurenkinder weder zu ehrlichen Handwercken/ noch auch bey den HohenSchulen zu ehrlichen Tituln vnd gradus bonorum hemmen laßt.404 Überdies gefährde man durch Hurerei seine Gesundheit und setze sein zeitliches G u t aufs Spiel. 4 0 5 D a b e i kann man nicht nur das eigene L e b e n gefährden, man gefährdet durch das Laster der Hurerei das L e b e n der ganzen G e m e i n schaft. G o t t strafe Stadt, Volk und Land, wie die alttestamentliche Erzählung über S o d o m und G o m o r r h a beweise. D e r mit diesem Laster behaftete M e n s c h gebe seinem L e b e n einen verkehrten Sinn und beraube sich seiner Seligkeit. U m sich vor diesem Laster zu schützen, empfehlen die Prediger, j e d e n A n laß zur Hurerei zu meiden. 4 0 6 Hierunter fallen das Tragen entsprechender Kleidung und das U n t e r b i n d e n unkeuscher Gedanken, aber auch das M e i d e n von M ü ß i g g a n g und Völlerei. 4 0 7 Das (frühzeitige) Eintreten in den Stand der E h e und die Abschaffung der sogenannten Hurenwinkel durch die O b r i g k e i t k ö n n e n ebenfalls ihren Teil dazu beitragen. D e r einzelne soll sich des göttlichen Gebotes erinnern sowie Strafe und B e l o h n u n g mit dem ewigen L e b e n gegeneinander abwägen. D i e Sünde der Abgötterei darf nicht mit Atheismus oder epicurischem U n glauben gleichgesetzt werden, denn sie wird von j e n e n begangen, die e n t w e der nicht den rechten wahren G o t t anbeten oder aber ihn anders verehren, als

WAGNER: Epistel-Postille 1, S. 493 und S. 499 biblische Beispiele. Vgl. auch ebd., S. 540. HÄBERLIN: Epistel-Postille 2, S. 160a-164b. 402 SIGWART: Lasterpredigten, S. 16 r . SIGWART: Predigten von Hauptplagen, S. 107. WAGNER: Epistel-Postille 1, S. 540. Ebd., S. 812 ff. schreibt Wagner, daß »Hurer« eher selig werden können, denn Hoffärtige und Heuchler. 403

S I G W A R T : L a s t e r p r e d i g t e n , S . 2 2 " . SUMMARIEN V I , S .

874.

SIGWART: Lasterpredigten, S. 23R. SUMMARIEN V, S. 124 f.: Gott straft Hurerei und Ehebruch an den Kindern. 405 Vgl. zum folgenden SIGWART: Lasterpredigten, S. 23 v -25 v . HÄBERLIN: EpistelPostille 2, S. 120 b. 406 Vgl. zum folgenden SIGWART: Lasterpredigten, S. 26'—30r. 407 Vgl. OSIANDER, L.: Predigt von der Fraternität, S. 21 f. Im »Schwelgen, Schlemmen, Fressen, Saufen« etc. verhält sich der Mensch wie das »unvernünftige Vieh«. 404

262

Dimensionen

des Alltags in der Frühen

Neuzeit

er selbst geboten hat. 4 0 8 Sigwart unterscheidet bei diesem Laster eine »grobe« u n d eine »subtile« Form, die aber letztlich nicht exakt auseinander zu dividieren sind; Überschneidungen sind möglich. Die bloße Verehrung von Kreaturen, aber auch der Natur, w e n n etwa Heilkräuter für Götter gehalten werden, zählen ebenso darunter wie die katholische Heiligenverehrung u n d die A n r u f u n g bestimmter Heiliger im Krankheitsfall. Wer sich auf Geld u n d G u t verlasse oder auf äußerliche Gewalt setze, mache sich dieses Lasters schuldig, d e n n er setze auf bloße Kreatur. Davon ist, das wird von Sigwart hier in polemischer Auseinandersetzung an dieser Stelle etwas unmotiviert angeführt, die selbst praktizierte — lutherisch-orthodoxe —Verehrung Christi nicht nur seiner göttlichen, sondern auch seiner menschlichen N a t u r nach strikt zu unterscheiden. Hier k ö n n e nicht von Abgötterei die R e d e sein, auch w e n n das die Calvinisten gern aufbringen wollten. 4 0 9 Die Strafe für Abgötterei habe Gott oft praktiziert, w e n n er das Land mit Krieg, A u f r u h r u n d Verwüstungen heimgesucht habe. Schon alttestamentliche Beispiele zeigen, daß Gott nicht allein die Täter, sondern das ganze Volk am Leben gestraft hat 4 1 0 — eine Vorstellung, vor der die lutherisch-orthodoxen Prediger heftig warnen. Auch ihre — eben an alttestamentlichen Vorstellungen orientierte — Interpretation weiß von der kollektiven Haftung des Volkes für die Vergehen einzelner; dies ist kein Spezifikum reformierten Weltverständnisses. Abgötterei gilt als schwere Sünde, weil sie sich i m m e r gegen die erste Tafel des Gesetzes richtet; ja, Abgötterei kann als Ehebruch wider Gott bezeichnet werden. 4 1 1 Dieser Sünde kann nur dadurch vorgebeugt werden, daß der Mensch sein Vertrauen nicht auf Geld u n d Gut, sondern auschließlich auf Gott richtet. 4 1 2 Das Laster des Ehebruchs wird von Sigwart im Anschluß an die paulinische Vorlage gesondert behandelt, wiewohl ein enger Z u s a m m e n h a n g mit d e m schon abgehandelten Laster der Hurerei besteht; mancher E h e b r u c h gehe aus Hurerei hervor. 4 1 3 Beide Ehepartner k ö n n e n — wie der Dekalog zeige — gewissermaßen »gleichberechtigt« die E h e brechen, wie auch ein E h e b r u c h mit einer unverheirateten Person als E h e b r u c h zu werten ist. D e r E h e b r u c h ist wider die Heilige Ordnung GOttes/ welcher den H. Ehestand mit besonderm vorgehender Berhalschlagung eingesetzt vnnd verordnet hat/ daß er biß ans Welt Ende bey allen vnnd jeden vnbeßeckt vnd vnuerbrochen gehalten werde.414 Aus d e m E h e b r u c h re-

408 409 410 411 412

413

Vgl. z u m folgenden S I G W A R T : Lasterpredigten, S. 3 1 v - 3 9 r . v S I G W A R T : Lasterpredigten, S . 38 . v S I G W A R T : Lasterpredigten, S . 40 . S I G W A R T : Lasterpredigten, S . 42". r S I G W A R T : Lasterpredigten, S . 46 . Vgl. z u m folgenden S I G W A R T : Lasterpredigten, S . 49 r -61 r .

S . 1 0 8 ff. S U M M A R I E N I , S . 414

SIGWART:

632.

Lasterpredigten,

S.

55 r .

WAGNER:

Historia,

Christ und Welt: Die Konkurrenz der Normen

263

sultieren weitere Sünden, wie Uneinigkeit, Hader und Todschlag, j a , es muß auch mehrmal das Kind im Mutterleib herhalten vnd verderbt werden,415 Das Laster des Diebstahls unterteilt Sigwart wieder in »groben« und in »subtilen« Diebstahl. 4 1 6 Im öffentlichen Bereich, wenn O b r i g k e i t e n anvertraute Gelder veruntreuen, ungerechte R i c h t e r das R e c h t beugen und den A r m e n unterliegen lassen und dem R e i c h e n zum R e c h t verhelfen, aber auch innerhalb der Hauses, wenn Amtleute, Pfleger und V o r m ü n d e r in die eigene Tasche wirtschaften, bzw. Hausherren den zustehenden L o h n nicht auszahlen, oder im umgekehrten Fall Gesinde seine Herrschaft betrügt, dann liegen jeweils Delikte vor, die die Prediger unter dem T h e m a des Diebstahls abhandeln. W e r i m m e r den Nächsten um Besitz und E i g e n t u m bringt, m a c h t sich des D i e b stahls schuldig. Auch T h e m e n wie der W u c h e r und das Leihen an Bedürftige werden angesprochen. 4 1 7 B e i der H ö h e des Strafmaßes m u ß ein Unterschied zwischen dem alttestamentlichen Gesetz, das im M a x i m u m eine fünffache W i e d e r g u t m a c h u n g oder eine Versklavung vorsah, und dem römischen R e c h t , das als höchste Strafe die Todesstrafe anordnete, konstatiert werden. D e r Prediger erklärt, an das mosaische R e c h t nur soweit gebunden zu sein, wie es mit d e m natürlichen R e c h t übereinstimme, und hier liegt in den Augen Sigwarts eine weitreichende Übereinstimmung vor. Sigwart erscheint die H i n r i c h t u n g durch den Strang sogar »erträglicher« zu sein, als in ewige Knechtschafft verkaufft zu werden. 4 1 8 W i c h t i g erscheint es den Predigern, die Obrigkeit darauf hinzuweisen, daß bei der Bestrafung zwischen »kleinen« und »großen« D i e b e n kein U n t e r s c h i e d gemacht werden dürfe. Als letzte Instanz einer ausgleichenden Gerechtigkeit wird auf das Jüngste G e r i c h t verwiesen. D e m Laster des Diebstahls wird nicht verfallen, wer sich mit dem Teil, der i h m von G o t t gegeben ist, begnügt: wer mit Fleiß seine Arbeit ausübt und sparsam, j e d o c h nicht geizig mit d e m E r w o r b e n e n umgeht, wer Gerechtigkeit walten läßt und j e d e m gibt, was ihm nach R e c h t und Billigkeit zusteht, der braucht dieses Laster nicht zu furchten. D e r Geiz wird als nächstes Laster besprochen. 4 1 9 Als geizig gilt den Predigern einer, der sich an seiner zim[m]lichen vnd mehrmaln auch stattlichen Nahrung vnd guter Notturft [...] nicht will begnu[e]gen lassen: sondern jmmerdar mehr haben/ vnd allezeit besorget/ es werde jhme noch vor seinem leisten Ende an der Nahrung zer-

415

SIGWART: L a s t e r p r e d i g t e n , S .

416

Vgl. zum folgenden SIGWART: Lasterpredigten, S. 6 1 v - 7 7 r . Vgl. ANDREAE: Vier Predigten vom Wucher, S. 82.

417

57r.

418

SIGWART: L a s t e r p r e d i g t e n , S.

419

SIGWART: L a s t e r p r e d i g t e n , S. 7 7 v - 9 8 v . V g l . SIGWART: P r e d i g t v o m H a g e l , S.

69r. 20-22:

Geiz wird hier Kontext von Stolz und Pracht behandelt. SIGWART: Predigt vom Vaterunser, S. 151. ANDREAE: Vier Predigten vom Wucher, S. 1 0 7 - 1 1 4 . ANDREAE: Predigt vom Lauf der Planeten, S. 74. PREGITZER: Bußpredigten, S. 1 4 6 - 1 5 8 . WAGNER: EpistelPostille

S. 354ab.

1,

S. 5 4 0 .

WAGNER:

Trauerpredigten,

S. 1 3 8 .

HÄBERLIN:

Epistel-Postille

1,

264

Dimensionen des Alltags in der Frühen Neuzeit

rinnen: Trachtet [...] nach mehr Gelt vnnd gro[e]sserm Gut/ es geschehe gleich mit oder wider Gott/ mit deß Na[e]chsten Nutzen oder Schaden/ wann ers allein in seinen Sack kan bekommen [...] je mehr er hat/je mehrjhme mangelt/je ka[e]rger vnd geitziger er wu[e]rdt,420 Sehr ausführlich legt Sigwart dann im folgenden dar, wie das Laster des Geizes im Widerspruch zum Dekalog steht. 4 2 1 D e r Geizige versündige sich gegenüber sich selbst, gegenüber G o t t und seinem M i t m e n schen. 4 2 2 Einwände, mit denen versucht wird, das eigene geizige Verhalten zu rechtfertigen, nämlich durch R e i c h t ü m e r Vorsorge für Alter und Krankheit zu schaffen, werden von dem Prediger zurückgewiesen, ebenso auch die B e hauptung, Besitz und V e r m ö g e n um der Kinder willen anzuhäufen. 4 2 3 W o h l sei der R e i c h e der Angesehene, so Sigwart, aber eben nur in der W e l t . 4 2 4 K e i ner wisse, ob er das Ersparte n o c h selbst genießen könne; R e i c h t u m verlängere das Leben n i c h t . 4 2 5 D e r M e n s c h werde zum K n e c h t seines Geizes, wenn er sich nicht mit dem, was er hat, begnüge. D e r Satan sei es, der den W u n s c h nach besserer Kleidung und N a h r u n g w e c k e . 4 2 6 Das Laster des Kleiderluxus wird in etlichen Predigten ausfuhrlich erörtert, weshalb hier kurz darauf eingegangen werden soll, obwohl es sich nicht in dem von Sigwart bearbeiteten paulinischen Lasterkatalog findet. In der übermäßigen Kleiderpracht drückt sich oft die Absicht aus, sich über den eigenen Stand erheben zu wollen, weswegen dieses Vergehen von den Predigern v e h e m e n t angegriffen wird. S o kritisiert Osiander heftig, daß m a n c h e aus reiner Selbstdarstellung in besonders kostbarer Kleidung am Abendmahl teilnehm e n . 4 2 7 U m solches anzuprangern, überträgt er die Kritik, die der Prophet J e saja an Kleidung und S c h m u c k der » T ö c h t e r Zions« übt, direkt a u f seine Z e i t . 4 2 8 Das Tragen modischer Kleidung stellt außerdem in den Augen der Prediger ein Vergehen gegen die »alte deutsche Sitte« dar und Häberlin weist

420

SIGWART: L a s t e r p r e d i g t e n ,

S. 79 RV . HÄBERLIN: E p i s t e l - P o s t i l l e

1, S. 3 5 4 ab:

hierzu

zählt auch der Arme, der sich nicht mit seinem - bescheidenen - Teil begnügt und dem Reichen seinen Reichtum mißgönnt. SUMMARIEN III, S. 1962. 4 2 1 SIGWART: Lasterpredigten, S. 85 r -89 r . 422

S. 1 6 5 423

SIGWART: L a s t e r p r e d i g t e n , S. 86 V . V g l . HÄBERLIN: E p i s t e l - P o s t i l l e

2 , S. 1 6 2 b

und

b. Vgl. S. 206 und oben Anm. 103.

424

SIGWART: L a s t e r p r e d i g t e n , S. 96 V . PREGITZER: B u ß p r e d i g t e n , S. 96 V .

425

SIGWART: L a s t e r p r e d i g t e n , S . 9 0 R u n d S . 9 5 R V . W A G N E R : E p i s t e l - P o s t i l l e 2 , S .

426

PREGITZER: Bußpredigten, S. 156 f. ANDREAE: Predigt vom Lauf der Planeten,

S. 66.

632.

4 2 7 OSIANDER, L.: Predigt von der Fraternität, S. 19. WAGNER: Evangelien-Postille 2, S. 449. SIGWART: Predigten vom Abendmahl, S. 116 ff. Z u m Kleiderluxus allgemein vgl. LISELOTTE CONSTANZE EISENBART: Kleiderordnungen der deutschen Städte zwischen 1350 und 1700. Ein Beitrag zur Kulturgeschichte des deutschen Bürgertums. Göttingen 1962. 4 2 8 OSIANDER, L.: Predigt von der Fraternität, S. 19: Jes 3. Vgl. HÄBERLIN: EpistelPostille 1, S. 354 ab, S. 4 4 8 ab und S. 466 ab. WAGNER: Historia, verweist S. 48 ff. und S. 55 ff. auf die möglichen Folgen des Luxus: »Augenlust« bis hin zu Ehebruch.

Christ und Welt: Die Konkurrenz

der Normen

265

schließlich darauf hin, daß Schmuck und Pracht nicht äußerlich sein sollen: d e n n übermäßiger Kleiderluxus widerspreche der D e m u t Christi. 4 2 9 Das Laster der Trunkenheit ist weitverbreitet, es findet sich bei M ä n n e r n u n d Frauen, bei »vornehmen Personen« ebenso wie bei Bürgern, Bauern u n d Taglöhnern. 4 3 0 Schon einzelne Ausfälle wären zu beklagen, aber das Betrinken geschehe geradezu vorsätzlich; Alkohol gilt als salonfähig, kein Vertragsabschluß erfolge o h n e Alkohol. U b e r d e m Alkohol werden A r m e u n d Bedürftige vergessen, ja nicht selten droht selbst der Abstieg in A r m u t u n d der R u i n der Gesundheit. Gerade u m nicht als geizig verschrieen zu werden, servieren Gastgeber große M e n g e n Alkohol. 4 3 1 Von den Predigern wird j e d o c h nicht zur Abstinenz aufgefordert, sondern es sollen beispielshalber Obrigkeiten allein [...] mit dem Trunck nicht zuuil thun/ damit sie nicht voll werden.42,2 Diskretion, finanzielle Verantwortlichkeit u n d obrigkeitsgemäßes Verhalten k ö n n e n ansonsten nicht gewährleistet werden. Gotteslästerung, U n g e h o r s a m , Zank u n d Streit, aber auch U n z u c h t , Ehebruch, Verleumdung, Betrug, Bruch der Schweigepflicht etc. k ö n n e n die Folge der Trunksucht sein. 433 Dies trifft, j e nach Verantwortlichkeit im Stand, auf alle Menschen zu. Entsprechend erheEpistel-Postille 2, S. 1 2 1 a - 1 2 2 b und S. 303a. Lasterpredigten, S. 99 r -120 r . A N D R E A E : Predigten in Hagenau, S. 101 f. A N D R E A E : Christliche Anleitung, S . 402. A N D R E A E : Predigt vom Lauf der Planeten, S . 8: Gerade für Personen »hohen Standes« gelte die Trunkenheit nicht als Schande. Ebd., S. 57, beschreibt Andreae die Folgen des »Fressens und Saufens«; für den Notfall seien dann nämlich keine Rücklagen vorhanden. W A G N E R : Evangelien-Postille 2, S . 454. H E E R B R A N D : Ernte-Predigt, S . 361 f. H E E R B R A N D : Predigt über Ps 65, S. 23 f. S I G W A R T : Predigten von Hauptplagen, S. 107. S I G W A R T : Neujahrspredigt, S . 5V. S I G W A R T : Predigt vom Reif, S. 8 v -9 r . O S I A N D E R , L.: Predigt von der Fraternität, S. 2 3 - 2 8 : Nach einer »Sauftour« folgen oft Sünden wider das sechste Gebot. Die Aspekte der Unbarmherzigkeit gegenüber Armen, Kranken und Bedürftigen werden ebenfalls angesprochen. H Ä B E R L I N : EpistelPostille 1, S. 354ab. H A G M A J E R : Zwei geistliche Reden, S. 42. Er bezeichnet den Alkoholismus als »mutwillige« Sünde. R E U C H L I N : Rektorpredigten, S. 41. Vgl. H A G E N M A I E R : Predigt und Policey, S. 248 Anm. 8. Conrad Dieterich behandelt dieses T h e m a ebenfalls in etlichen Einzelpredigten. r 431 A N D R E A E : Predigt vom Lauf der Planeten, S. 25. S I G W A R T : Lasterpredigten, S . 101 106 r . Z u m Alkoholproblem des 17. Jahrhunderts vgl. R U D O L F M O H R : Der unverhoffte Tod. Theologie- und kulturgeschichtliche Untersuchungen zu außergewöhnlichen Leichenpredigten (Marburger Personalschriften-Forschungen, Bd. 5). Marburg 1982, S. 8 3 96. M o h r zitiert dort auch ausfuhrlich aus Sigwarts Lasterpredigten. Vgl. P A U L M Ü N C H : Ordnung, Fleiß und Sparsamkeit. Texte und D o k u m e n t e zur Entstehung der »bürgerlichen Tugend«. M ü n c h e n 1984. v r 432 SIGWART: Lasterpredigten, S . 108 -109 . W A G N E R : Epistel-Postille 2, S . 632: Aufruf zur Mäßigkeit. S U M M A R I E N VI, S . 1034. Hier wird ein Gegenrezept zum feuchtfröhlichen Feiern vorgeschlagen; es besteht im Singen von Psalmen und geistlichen Liedern. 433 Vgl. W A G N E R : Evangelien-Postille 2 , S. 4 5 1 und S . 8 8 3 - 8 9 0 . S I G W A R T : Predigt vom Reif, S. 9 V . A N D R E A E : Predigten in Hagenau, S. 1 0 1 . A N D R E A E : Predigt vom Lauf der Planeten, S. 10. Z u Zank vgl. WAGNER: Epistel-Postille 1, S. 888 f. Z u m Zusammenhang von Alkoholmißbrauch und Gewalt vgl. K E I T H W R I G H T S O N : English Society, 1 5 8 0 - 1 6 8 0 . London 1982, S. 161. 429

HÄBERLIN:

430

SIGWART:

266

Dimensionen des Alltags in der Frühen Neuzeit

ben die Prediger den Anspruch, alle Menschen, auch die Gottlosen, von der Trunksucht abzuhalten. 4 3 4 Zeitliche und ewige Strafen drohen angesichts dieses Lasters, wobei erneut das Vergehen eines einzelnen Unheil über eine ganze S t a d t j a über Länder b e schwören kann. 4 3 5 Gott strafe im Z o r n nicht nur jene, die dem Alkohol zusprechen, sondern mit ihnen und wegen ihnen ganze Städte und Länder. B e sonders verwerflich erscheint es den Predigern, daß R e u e zumeist nicht angesichts der angedrohten göttlichen Strafen gezeigt wird, sondern wegen der Gesundheit. Prediger, Obrigkeiten und Hausväter werden aufgerufen, das Problem des Alkoholismus zu bekämpfen; im besonderen müßte dabei die Sitte des »Zutrinkens« abgeschaft werden, bei welcher andere bei Gelagen genötigt werden zu trinken. 4 3 6 Mandate und Gebote genügen hier j e d o c h nicht, der einzelne wird aufgefordert, mit gutem Beispiel voranzugehen. 4 3 7 Insgesamt gesehen hat die Trunkenheit ein grossen vnd schro[e]cklichen anhang [...] / daß man sich dadurch schier an allen Gebotten Gottes vergreifft vnd versu[e]ndiget,438 D e r Alkohol verkehre den Menschen zu einer Kreatur des Teufels. 4 3 9 Das Laster der Lästerung behandelt Sigwart zunächst in seiner Bedeutung als Gotteslästerung, dann im Sinne der üblen Nachrede und Verleumdung anhand des achten Gebotes. 4 4 0 Gotteslästerung wird vor allem am Beispiel der sogenannten Epicureer erläutert. Dazu referiert Sigwart einige ihrer Aussagen über Tod, Gericht und ewiges Leben. So sagen sie über den Jüngsten Tag: Man hat lang dauon geprediget/ wann kompt er einmal?; über das ewige Leben: Es ist noch keiner jemals widerkommen/ der gesagt hette/ wie es darin beschaffen were und auf die Drohungen mit Teufel und Hölle sagen sie: Der Teuffei ist nicht so schwartz vnd heßlich/ wie man jhne malet: Die Ho[e]ll nicht so heiß/ als sie die Pfaffen einbrennen. Sie muß dannoch also sein/ daß mans erleiden kan.w D e r Gebrauch des göttlichen Wortes zu Zaubereien fällt ebenso unter Gotteslästerung wie das weitverbreitete Laster

ANDREAE: Predigt vom Lauf der Planeten, S. 24. SIGWART: Lasterpredigten, S. 115R. OSIANDER, L.: Predigt von S. 27 f. 434 435

436

SIGWART: L a s t e r p r e d i g t e n , S. 1 1 7 v .

437

ANDREAE: Predigt vom Lauf der Planeten, S. 3 3 - 3 8 .

438

SIGWART: L a s t e r p r e d i g t e n , S. 111 R .

der

Fraternität,

ANDREAE: Predigten in Hagenau, S. 102. ANDREAE: Predigt vom Lauf der Planeten, S. 22 und S. 56. 4 4 0 SIGWART: Lasterpredigten, S. 120 v -142 v . ANDREAE: Predigt von der Gotteslästerung, passim. ANDREAE: Predigt vom Lauf der Planeten, S. 1 9 3 - 1 9 9 . Vgl. SIEGFRIED LEUTENBACHER: Das Delikt der Gotteslästerung in der bayerischen Gesetzgebung (Forschungen zur deutschen Rechtsgeschichte, Bd. 14). Köln, Wien 1984. Dort auch ein Überblick über die Reichsgesetzgebung zu diesem Thema, bes. S. 2 8 - 4 3 und S. 1 2 7 - 1 6 6 . 4 4 1 Vgl. zum folgenden SIGWART: Lasterpredigten, S. 123™. Vgl. SIGWART: Predigt vom Hagel, S. 23. 439

Christ und Welt: Die Konkurrenz der Normen

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des Fluchens u n d Schwörens. 4 4 2 I m U n t e r s c h i e d zu allen ü b r i g e n Lastern sei hier zuallererst G o t t selbst der Betroffene, d e n n hier stehe Gottes Ehre, M a j e stät u n d Herrlichkeit auf d e m Spiel: Es ist zwar der ungehorsam gegen den Geholten Gottes auch ein grosse Su[e]nde wider Gott/ als darmit sich die ohnma[e]chtige Creatur jhrem [...] Scho[e]pffer schandtlich widersetzt. Aber dennoch wu[e]rdt er durch dieselbe so hoch nit angegriffen/ als durch die Gottslo[e]sterung.443 Das Laster der V e r l e u m d u n g meint, [...] / wann man dem Na[e]chsten etwas mit Vngrund zulegt/ vnnd gifftiger weise aufftichtet/ vnnd so meisterlich bescho[e]net/ daß es bey den Einfa[e]ltigen das ansehen hat/ als ob es aller dings were/ vnd von dem oder jenem ein schandtliche Vbelthat begangen worden/ welches es doch nicht gethan oder geredt/ [,..].444 H i e r wird Gutes u n d R e c h t e s in Übles verkehrt, S c h l e c h tes auf andere abgeschoben u n d M ä n g e l des N ä c h s t e n verbreitet. Sigwart gibt dazu zunächst eine abstrakte Erklärung, die er anschließend a n h a n d eines b i b lischen Beispiels näher erläutert. Besonders sind P e r s o n e n der O b r i g k e i t , w i e alttestamentliche Beispiele zeigen, aber auch Prediger, Eltern, alte M e n s c h e n , abwesende Personen u n d Verstorbene Adressaten der V e r l e u m d u n g . Alle Stände sind davon betroffen, nicht [...] allein öffentliche Epicurer/ Hippenbuben/ [...] / Gartenknecht/ sondern wol auch etwa die/ so sonsten in einem hohen Stand angesehen sein wo[e]llen.445 Alle V e r l e u m d u n g u n d üble N a c h r e d e hat ihre W u r z e l n b e i m Satan; er n i m m t d e m M e n s c h e n durch die A n s t i f t u n g zur V e r l e u m d u n g seine Ehre, seinen g u t e n N a m e n u n d L e u m u n d . 4 4 6 Aus d e m Laster der Verl e u m d u n g folgen N e i d , H a ß , Z a n k u n d Streit bis h i n zu Todschlag. 4 4 7 W i r kungsvoll dagegen a n g e h e n , so lehrt der Prediger, k ö n n e m a n mit der K o n trolle seiner Affekte, vor allem solle m a n die » Z u n g e regieren«. D a n n solle m a n n u r das Beste v o n allen sagen u n d nicht ü b e r ü b e r A b w e s e n d e u n d Tote reden: n i e m a n d z u m V e r l e u m d e n verleiten, aber selbst auch n i c h t alles leichtlich glauben, was erzählt wird. D i e Lästerer wird G o t t zeitlich u n d e w i g strafen. Als letztes Laster b e h a n d e l t Sigwart das Laster des R a u b e s . Er versteht daru n t e r das öffentlich u n d mit Gewalt erfolgende, gegen R e c h t u n d Billigkeit v e r s t o ß e n d e E n t w e n d e n von f r e m d e m G u t u n d E i g e n t u m . 4 4 8 Dies k a n n der Gastwirt tun, w e n n er die Z e c h e nach Belieben festsetzt, dazu g e h ö r t nach M e i n u n g des Predigers auch die E i n r i c h t u n g v o n M o n o p o l e n , die aber h e u t zutage nicht m e h r f ü r R a u b gehalten w e r d e n . Tyrannische O b r i g k e i t e n , die ihren U n t e r t a n e n H a b u n d G u t w i d e r R e c h t u n d Billigkeit r a u b e n o d e r gar 442

Zur Verbreitung vgl. A N D R E A E : Predigt von der Gotteslästerung, S. 15. Lasterpredigten, S . 1 2 6 R . Vgl. D I E T R I C H F O R R E R : Der Einfluss von Naturrecht und Aufklärung auf die Bestrafung der Gotteslästerung. Diss. Zürich 1973, S . 2 9 f. r v r 444 S I G W A R T : Lasterpredigten, S . 143 -156 , hier S . 144 . 445 S I G W A R T : Lasterpredigten, S . 1 4 9 V . r 446 S I G W A R T : Lasterpredigten, S . 152 . 447 S I G W A R T : Lasterpredigten, S . 153'. r v 448 S I G W A R T : Lasterpredigten, S . 157 -167 . 443

SIGWART:

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unnötigerweise K r i e g e anzetteln, u m außerhalb ihres T e r r i t o r i u m s zu r a u b e n u n d zu p l ü n d e r n m a c h e n sich ebenfalls dieses Deliktes schuldig. W e r A l m o sengelder bzw. Waisenrenten v e r u n t r e u t wird auch hierzu gezählt, w i e e b e n falls der g e m e i n e Einbrecher. I h n e n allen w e r d e n zeitliche u n d ewige Strafen angedroht. W e n n m a n sich dagegen in seiner Einstellung g e g e n ü b e r f r e m d e n G u t v o m 9. u n d 10. G e b o t leiten läßt u n d i m eigenen B e r u f bleibt, dann gerät m a n nicht in Versuchung, so der Prediger, sich dieses Lasters schuldig zu m a c h e n . Grundsätzlich wird mit diesen Lastern gegen beide Tafeln des Gesetzes verstoßen, sowohl gegen das G e b o t der Gottesfurcht, festgelegt in d e n ersten drei G e b o t e n als auch gegen das G e b o t der Nächstenliebe, das in d e n G e b o t e n vier bis zehn z u m A u s d r u c k k o m m t . 4 4 9 Es stellt sich n u n die Frage, in w e l c h e m Verhältnis diese Laster z u m D e k a l o g stehen, dessen G e b o t e der S ü n d e n erkenntnis d i e n e n u n d z u m rechten Verhalten anleiten sollen. M i t anderen W o r t e n , w e l c h e B e z i e h u n g besteht zwischen S ü n d e u n d Laster? Z w e i Aspekten der S ü n d e wird in d e n Predigten der lutherischen O r t h o doxie b e s o n d e r e B e a c h t u n g geschenkt. 4 5 0 Z u m ersten e i n e m naturalistischen Verständnis der Sünde, das, basierend auf der Erbsünde, eine L e u g n u n g j e d e r Schuld zur Folge hat bzw. G o t t selbst alle Schuld zur Last legt, ein Verständnis, das in b e s o n d e r e m M a ß e bei d e m v o n d e n P r e d i g e r n s o g e n a n n t e n E p i c u r e e r n anzutreffen ist, die daraus eine »Laßt uns essen u n d trinken, d e n n m o r g e n sind wir tot«-Mentalität ableiten u n d damit generell heftige Kritik a m l u t h e r i s c h o r t h o d o x e n Weltmodell e n t f a c h e n . Sie b o t e n damit ein echtes Protestprog r a m m an: Mein Nachpaur bettet/ ich fluche/ vnd hab doch eben souil Tauben als er/ vnd wechst mir souil Korn als jhme.451 D i e Verurteilung der » U n b e k ü m m e r t h e i t der Weltkinder« der Epicureer in d e n Predigten erfolgt pauschal, eine differenzierte A u s e i n a n d e r s e t z u n g w i r d w e d e r g e f u h r t n o c h gesucht. Ihre Vorstellungen fallen p e r se aus der göttlichen O r d n u n g heraus. Innerhalb des d u r c h die göttliche O r d n u n g gesteckten R a h m e n s ist die moralische Auffassung der S ü n d e zu verfolgen, die letztendlich zur Selbstgerechtigkeit f ü h r t . S ü n d e w i r d in d e n Predigten v o r n e h m l i c h auf ihre B e d e u t u n g als Tat-Sünde reduziert; d i e se ist wissentliches u n d willentliches H a n d e l n w i d e r Gott. 4 5 2 Dies zeigt sich bei Häberlin, der das »böse« H a n d e l n des M e n s c h e n a n h a n d v o n R o m 12,17 erläutert. Es rühre daher, so der Prediger, daß der »leidige« Satan böse sei, die Welt »arg u n d böse« sei u n d der M e n s c h ebenfalls v o n N a t u r aus so charakte449 450

Vgl. FORRER: Gotteslästerung, S. 24-27. Vgl. WILHELM ROTT: Art. Sünde und Schuld VIII. Seelsorgerlich. In: R G G 6

( 1 9 8 6 3 ) , Sp. 5 0 3 ff. u n d WILFRIED JOBST: A r t . S ü n d e u n d S c h u l d V I . D o g m a t i s c h . I n : R G G 6 ( 1 9 8 6 3 ) , Sp. 4 9 4 - 5 0 0 . 451 SIGWART: L a s t e r p r e d i g t e n , S. 123 R . V g l . WEISMANN: L e i c h e n p r e d i g t H o f f m a n n , S. 13. PREGITZER: B u ß p r e d i g t e n , S. 3 2 f. WAGNER: C a s u a l p r e d i g t e n ( R e g i m e n t s p r e d i g t ) , S. 6 0 8 [ = 5 9 8 ] , 452 HAGMAJER: A b e n d m a h l s p r e d i g t , S. 4 1 .

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risiert w e r d e n müsse. Menschliches H a n d e l n ist nicht nur physice [böse], daß es Schimpff oder Schaden bringet/ und dannenhero Fleisch und Blut schmertzlich wehe thut/ sondern auch moraliter, weil es su[e]ndlich/ un-Christlich/ und wo es aus Vorsatz geschihet/ verdammlich ist,453 S ü n d e ihrem Wesen nach, nämlich als »Sünder-Sein« wird selten thematisiert. D e r M e n s c h war nicht S ü n d e r in d e m Sinne, daß er sein Verhältnis zu G o t t als solches verfehlte, s o n d e r n i n d e m er sich einzelner, v o r n e h m l i c h nach den N o r m e n des Dekaloges gemessener Vergeh e n schuldig machte. S ü n d e b e k o m m t so einen stark moralisierenden C h a r a k ter, sie w i r d z u m Laster, das der M e n s c h selbst d u r c h entsprechendes Verhalten aus der Welt schaffen k a n n . In der D o g m a t i k ist der enge K o n n e x zwischen d e m »Sünder-Sein« des M e n s c h e n als dessen anthropologischer Konstante u n d seinen Verfehlungen erhalten. 4 5 4 In der Predigt j e d o c h hätte die R e d e v o n der E r b s ü n d e zweifellos leicht d e n Schein des Irrealen erhalten, w e n n sie nicht zugleich die k o n k r e t e n Einzelverfehlungen m i t b e d a c h t hätte. D i e Transformation dieses k o m p l e x e n Z u s a m m e n h a n g s w a r schwierig. D i e Prediger, täglich m i t Verfehlungen gegen göttliche N o r m e n k o n f r o n t i e r t , g e w i c h t e t e n zugunsten der o f f e n k u n d i g e n Tatsünden. 4 5 5 In d e n Predigten erhält S ü n d e deshalb v o r n e h m l i c h eine moralische Qualität u n d wird als Laster, als »mutwillige« o d e r »freiwillige« S ü n d e verstanden. 4 5 6 Dies zeigt auch eine Stelle in einer v o n R e u c h l i n gehaltenen Leichenpredigt. E r setzt sich d o r t m i t T h e m e n w i e u n g ö t t l i c h e m Wesen, weltlichen Lüsten, Geld, G u t , R e i c h t u m u n d E h r e auseinander u n d spricht dabei nicht v o n Lastern, s o n d e r n v o n »Sorgen u n d Wollüsten dieser Welt«, was eindeutig die V e r h a f t u n g der angesproc h e n e n Verhaltensweisen i m weltlichen K o n t e x t z u m A u s d r u c k bringt. 4 5 7 E i n e wesentliche Ursache des Kampfes der l u t h e r i s c h - o r t h o d o x e n T h e o l o g e n g e gen j e d e F o r m der U n m ä ß i g k e i t ist sicherlich in diesem moralischen A n spruch zu suchen. D i e Prediger f u h r e n so den K a m p f m i t k o n k r e t e n Verstößen u n d Vergehen gegen göttliche N o r m e n , die bei g u t e m W i l l e n v e r m e i d b a r sind. G e r a d e im Begriff der Gerechtigkeit k o m m t dies gut z u m A u s d r u c k . 4 5 8 D e r T e r m i n u s Gerechtigkeit weist, gerade i m alttestamentlichen Sprachge-

453

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HÄBERLIN: E p i s t e l - P o s t i l l e 2 , S. 9 1 a .

Vgl. z u m d o g m a t i s c h e n Verständnis der S ü n d e o b e n S. 1 0 0 - 1 0 5 . 455 Vgl. zu »Wie uns die E r f a h r u n g lehrt« SIGWART: Lasterpredigten, S. 149™ (Verl e u m d u n g / üble N a c h r e d e ) u n d S. 162™ ( R a u b ) . SUMMARIEN VI, S. 1034 (Alkoholismus). 456 Vgl. HAGMAJER: Z w e i geistliche R e d e n , S. 42. WAGNER: C a s u a l p r e d i g t e n (Teufel), S. 3 4 . 437 REUCHLIN: L e i c h e n p r e d i g t (Stud. theol.), S. 62. Vgl. REUCHLIN: C h r i s t e n t u m , S. 285. E r b e z e i c h n e t hier Unzucht, Fressen, Saufen als »heidnische Laster«. 458 Vgl. BOLLNOW: W e s e n u n d W a n d e l der T u g e n d e n , S. 1 8 5 - 1 9 9 , bes. 194 ff. Vgl. FORRER: Gotteslästerung, S. 41. E r erläutert a m Beispiel der Gotteslästerung: Wenn die Gerechtigkeit im theokratischen Strafrecht göttlich und die Rechtsethik biblisch ist, so muss als Folge davon die Gotteslästerung a fortiori verboten und geahndet werden.

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brauch, eine zweifache Bedeutung auf, die durch die Übernahme dieses Gebrauches auch Eingang in die lutherische Orthodoxie fand. Gerechtigkeit ist zum einen die Tugend des gerechten Richters, der stellvertretend der Gerechtigkeit Gottes zum Recht verhelfen will, zum anderen ist sie aber auch dasjenige Verhalten, das sich an der rechtlichen Ordnung orientiert und diese Ordnung nicht verletzt. Diese von den Predigern immer mehr mit moralischen Kategorien gemessene Auffassung von Sünde bewegte sich in großer Nähe zum populären Verständnis, nach welchem Sünde mit abweichendem sozialen Verhalten identifiziert wurde. 459 Mit fortschreitender Zeit treten allerdings, dies ist bei der Lektüre der Predigten auffällig, die konkreten Bezüge zurück. 460 Es ist zunehmend von einer allgemeinen Sündhaftigkeit die Rede, die ebenfalls in moralischen Kategorien wurzelt. 2.2 Zeichen der Zeit: Der Anfang vom Ende? Die Problematik der Bedrohtheit der Welt war den Theologen bewußt. In ihren Vorstellungen brachten die Laster gerade nicht die Ungesichertheit der Welt und die Angreifbarkeit ihrer Weltinterpretation zum Ausdruck, sondern sie waren Teil eines sicheren Kausalzusammenhanges von menschlichem Tun und Ergehen. 461 Ganz in der Tradition alttestamentlicher Lebensauffassung verstehen die lutherisch-orthodoxen Prediger Handeln und Ergehen eines Menschen nicht als zweierlei Dinge. Analog zu alttestamentlichen Vorstellungen verursachten ihrer Meinung nach die bösen Taten der Menschen das Übel 459 HANS-CHRISTOPH RUBLACK: D e r w o h l g e p l a g t e P r i e s t e r . V o m S e l b s t v e r s t ä n d n i s l u t h e r i s c h e r G e i s t l i c h k e i t i m Z e i t a l t e r d e r O r t h o d o x i e . In: Z e i t s c h r i f t f ü r h i s t o r i s c h e F o r s c h u n g 16 (1989), S. 1 - 3 0 , h i e r S. 2 8 . 460 Vgl. REUCHLIN: C h r i s t e n t u m , S. 2 8 5 . D i e e i n z e l n e n Laster w e r d e n n u r n o c h p a u schal b e h a n d e l t , i h r e w e i t r e i c h e n d e B e d e u t u n g w i r d n i c h t m e h r t h e m a t i s i e r t . Vgl. WEISMANN: L e i c h e n p r e d i g t H o f f m a n n , S. 13: Zu der Zeit/ wann die Kinder dieser Welt lustig und fro[e]lich sind in ihrer Sicherheit/ und nicht einmahl einen Augenblick erschrecken vor der Ho[e]lle/ [...] [beugen] sich Sorgen erweckte und Christliche Seelen [...] vor ihre Su[e]nde/ [...] vor GOtt u[e]ber ihrem durch die elydige Su[e]nde so kalten/ todten/ untu[e]chtigen/ und zu dem Guten so unlustigen Hertzen/ und mo[e]chten gerne dessen loß werden/ weil es ihnen die gro[e]ste Last ist/ die sie auf sich liegen haben. Ihr gewissenhaffter za[e]rtlicher Sinn lernet nun unter der Zucht des Heil. Geistes auch klein-scheinende Abweichungen und Untreue gegen dem himmlischen GnadenBeruff empfindlicher spu[e]hren/ als vormahls grobe offenbahre Su[e]nden/ wo sie sich etwa ehemahlen damit beflecket haben. 461 Vgl. SIGWART: P r e d i g t v o m E r d b e b e n , S. 18R—23V. E r b e s c h r e i b t hier, w e l c h e S ü n d e n i m S c h w a n g e sind, so d a ß G o t t m i t E r d b e b e n straft: F l u c h e n , S c h w ö r e n , H o f f a h r t , P r a c h t , U n z u c h t , S i c h e r h e i t , etc. Z u r n ä h e r e n E r l ä u t e r u n g dieser S ü n d e n w e r d e n a u s f u h r l i c h biblische, v o r n e h m l i c h a l t t e s t a m e n t l i c h e T e x t s t e l l e n h e r a n g e z o g e n . ANDREAE: P r e d i g t v o m L a u f d e r P l a n e t e n , S. 1 2 0 z u m B e g r i f f d e r S i c h e r h e i t . WAGNER: T ü b i n g e r F r i e d e n s p r e d i g t (1679), S. 16 f.: N i c h t in S i c h e r h e i t f o r t f a h r e n u n d n i c h t w e i t e r d e n L a stern frönen.

Zeichen der Zeit: Der Anfang vom Ende?

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in der Welt; sie setzen Böses in Lauf, das sich früher oder später gegen den einzelnen oder die Gesellschaft wendet. Das j e d e m Menschen bevorstehende göttliche (Straf)Gericht wird schließlich den Z u s a m m e n h a n g von Tun u n d E r gehen endgültig wiederherstellen. Dies war allerdings nur die letzte Möglichkeit, menschliche Vergehen zu sühnen. Z u v o r stand der A u f r u f zu Buße und U m k e h r . Dieser A u f r u f war mit der Schwierigkeit verbunden, den Menschen erklären zu müssen, w a r u m Gott öfter u n d heftiger strafe als j e zuvor. Dies w i e d e r u m war mit d e r T h e o d i zeefrage verbunden, der Frage also, w a r u m Gott auch schuldlose Christen nicht verschone. M i t Hilfe alttestamentlicher Prophezeiungen, Aussagen über politische u n d sittliche Zustände der Zeit sowie Aussagen über das W i r k e n des Satans, wurde eine eschatologische Sicht der Welt begründet. Ihr Ziel war letztendlich eine diszipliniertere Lebensführung. D e r A u f r u f zur B u ß e erfolgte j e d o c h nicht nur durch verbale E r m a h n u n gen seitens der Prediger, sondern auch spürbar u n d direkt durch Naturkatastrophen, durch die B e d r o h u n g des physischen Lebens schlechthin. 4 6 2 So hat Gott ein andern Prediger diser tagen erwecket/ vnd auff ein sehr hohe Cantzel/ an den Him[m]el/ auffgestellet/ Nemlich das gantz erschrockenlich/groß vnnd grewlich Wunderzeichen am Him[m]el/ den Cometen/ [...] / dardurch er dergantzen Welt/ ein andere Predig thut/ vnndfu[e]rhelt/ [. . J.463 Hinter allen diesen P h ä n o m e n e n sahen die Prediger im Kontext eines allumfassenden göttlichen Weltregiments Gott selbst am Werk. Er strafte die Sünden der Menschen u n d räumte ihnen zugleich die C h a n c e einer Besser u n g ein. Es war vorteilhafter, jetzt einzelne Strafen zu erleiden, so lehrten die Prediger, als im letzten Gericht endgültig d e m Verderben anheimzufallen. D e n n in diesem Gericht w ü r d e es nur eine Alternative geben: ewiges Leben oder ewige Verdammnis; dazwischen gab es nichts: »Wie der B a u m fällt, so bleibt er liegen.« 464 D e n »Zeichen der Zeit« k o m m t so zweifache Funktion zu. Sie sind einerseits sichtbare Warnung davor, den eingeschlagenen Weg weiterzugehen, soll nicht n o c h m e h r Unheil auf den einzelnen u n d die G e m e i n schaft gehäuft werden; andererseits sind sie — für die v o m U n h e i l Betroffenen - augenblickliche Strafe für begangene Laster. Dabei geraten die Prediger in einen Erklärungszwang: sie müssen erläutern, weshalb Gott bestimmte M e n schen strafe, w o doch auch andere gesündigt haben. Ein Urteil über die S u m m e der Verfehlungen, so die Prediger, stehe nur d e m »allwissenden Gott« zu. Gesetzt den Fall, andere hätten gleich so viel gesu[e]ndiget als wir/ so mu[e]ssen wir [...] bekennen/ daß wir mehrmalen [...] zur Besserung ermahnt worden [...] Wir bleiben dannoch/ die wir zuvor seind.465 U n d w e n n andere ebenfalls gesündigt

462 463

464 463

Neujahrspredigt, S . 4 V - 5 R . Predigt vom Kometen, S. 2. Vgl. oben S. 151, bes. Anm. 442. S I G W A R T : Predigten von Hauptplagen, S. 108 f. SIGWART:

HEERBRAND:

HEERBRAND:

Predigt vom Strahl,

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haben, so werden auch sie gestraft werden. D e n Hinweis auf Leute, deren christliches, Gott wohlgefälliges Leben Gott am Strafen hindern sollte, weist Sigwart ebenfalls zurück. Vielmehr sei es gerade diesen Leuten zu verdanken, daß es nicht a[e]rger zu gehet. Z u d e m hatten sich die Prediger mit dem Frage auseinanderzusetzen, wie man dieses strafende Handeln Gottes, der doch ein barmherziger Gott sei, zu verstehen habe. Ein Einwand, der deutlich macht, daß m a n mit der Argumentationsweise der Prediger u m z u g e h e n gelernt hatte. 4 6 6 Vor d e m letzten Gericht gab es etliche Ereignisse, die zu Buße u n d U m kehr m a h n e n sollten. Das Material zu dieser T h e m a t i k ist ebenfalls sehr u m fangreich. Hierher gehören, neben den allgemeiner gehaltenen Bußpredigten alle j e n e Predigten, die in ihrer Entstehung auf besondere Naturkatastrophen wie R e i f , Hagel, Frost, Erdbeben, Blitzschlag etc. zurückgehen, aber auch j e n e Predigten, die sich besonders mit der Wunderthematik befassen. 467 Ihnen allen gemeinsam ist das Verständnis, daß die ungewöhnlichen Ereignisse, die sie berichten u n d kommentieren für spezielle M a h n u n g e n u n d Warn u n g e n Gottes gehalten werden. D e n Ereignissen k o m m t j e d o c h nur der Charakter von causae secundae zu, als prima causa liegt ihnen Gottes Handeln zugrunde. 4 6 8 Ein Blick in die Religionsgeschichte, mit d e m die Prediger häufig selbst ihrer zeitgenössischen Interpretation historische Autorität verleihen, zeigt, daß außergewöhnlichen Naturereignissen schon i m m e r besonderes A u g e n m e r k zuteil wurde. D i e Naturereignisse galten zwar nicht eigentlich als göttliche Offenbarung, w u r d e n aber als Begleiterscheinungen einer O f f e n b a r u n g angesehen. 4 6 9 D i e Predigten, die sich mit den »Zeichen der Zeit« befassen, behandeln somit zugleich Sünden u n d Laster der Menschen als Voraussetzung des göttlichen Strafhandelns. 4 7 0 Außergewöhnliche Himmelserscheinungen, wie S o n -

S. 7 V spricht von »exemplarischem« Strafen. Vgl. P H I L G U S : Predigt in Lindau, S . 1 8 . W E I S MANN: Feuersbrunst, S. 10 erklärt, die Frage, w a r u m es gerade uns getroffen habe, dürfe nicht gestellt werden, denn sie wäre ein Eingreifen in Gottes Ratschluß. P H I L G U S : H e r z geschrei, S . [C 4 ] r .Vgl. S I G W A R T : Predigt vom R e i f , S . 1 1 . 466 P H I L G U S : Predigten von Feuersbrünsten, S. 21 f. 467 Vgl. H E R M A N N E H M E R : Z e i c h e n u n d W u n d e r . Die theologische D e u t u n g von N a turereignissen im nachreformatorischen W ü r t t e m b e r g . In: Blätter für württembergische Kirchengeschichte 88 (1988), S. 178-200, der u. a. auch Predigten der T ü b i n g e r Professoren Andreae, Heerbrand, Sigwart, Nicolai u n d Wagner berücksichtigt. 468 P H I L G U S : Predigten von Feuersbrünsten, S . 1 1 - 1 7 . S I G W A R T : Predigt v o m R e i f , S . 3 f. S I G W A R T : Predigt vom Hagel, S . 11. 469 Vgl. J E A N C E A R D : La nature et les prodiges. L'insolite au XVI-siecle en France. Genf 1977. Ceard informiert hier über die Deutungsmuster von W u n d e r z e i c h e n seit A u gustin. SIGWART: Predigt v o m Erdbeben, passim. v r 470 SIGWART: Predigt v o m R e i f , S . LL -12 . Vgl. A N D R E A E : Predigt über M t 24, C2'.

Zeichen der Zeit: Der Anfang vom Ende?

273

nenfinsternisse und K o m e t e n können als Zeichen des wegen der Sünde der Menschen zürnenden Gottes verstanden werden. A m 7. November 1 5 7 7 war ein Komet auch über Tübingen zu sehen. W i e die jahrtausendealte Erfahrung zeige, so Heerbrand, künden die Kometen häufig Unglück an. 471 Die Liste der möglichen Folgen ist lang. Die Folgen bedrohen durch eine eventuelle Veränderung der Gesetze, Sitten und O r d nungen die Gesellschaft als solche. 4 7 2 Auch alle Aufzeichnungen der Gelehrten, welche die Kometen als Dämpfe der Erde erklären, die v o n den Gestirnen angezogen werden, stimmten letztlich darin überein, daß in der Folge der Erscheinungen Jammer über Land und Leute gekommen sei. Die jüngste Vergangenheit zeige dies am Beispiel der Türken v o r W i e n . 4 7 3 Als einzig angemessene R e a k t i o n empfehlen die Prediger die Bitte um Gnade und Verzeihung der Sünden sowie um Milderung der verdienten Strafen. 4 7 4

471 HEERBRAND: Predigt vom Kometen, S. 3. Vgl. H. LUDENDORFF: Die Kometenflugschriften des XVI. und XVII. Jahrhunderts. In: Zeitschrift fiir Bücherfreunde 12 (1908/ 09), S. 501-506, bes. S. 504 f. Die überwiegende Mehrzahl der Flugschriften teilt die düsteren Prophezeiungen und pessimistischen Weissagungen. Ludendorff zitiert aus einer 1665 erschienenen Flugschrift: Acht Hauptstuck seyn, die ein Comet || Bedeut, wann Er am Himmel steht: j| Wind, Thewrung, Pest, Krieg, Wassernoth, || Erdbidem, Endrung, Herren Tod. Vgl. HARTMUT LEHMANN: Die Kometenflugschriften des 17. Jahrhunderts als historische Quelle. In: Wolfgang Brückner; Peter Blickle; Dieter Breuer (Hrsg.): Literatur und Volk. Probleme populärer Kultur in Deutschland. Teil 2 (Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung, Bd. 13). Wiesbaden 1985, S. 683-700. Lehmann weist hier auf die auffällig große Flugschriftenproduktion des 17. Jahrhunderts hin. Der Tenor dieser Flugschriften entspricht den Beobachtungen an den Predigten. Als Beispiel dient hier eine Flugschrift (ebd., S. 684) aus dem Jahre 1661. Es heißt dort: Cometen waren jeder Zeiten Zornbotten Gottes, und bedeuten Wind, Theurung, Pest, Krieg, Waasernoth, Erdbeben, Endrung, Fürstentodt. Solt aber drum der Fromm verzagen? Nein, sonder, mit Vertrauen sagen: Wan Erd und Himmel brächen eyn, Wird Gott mein Port und Anker seyn.Vgl. dazu auch das bei Lehmann (ebd., S. 686 ff.) abgedruckte Lied Die Erscheinung eines Kometen von Paul Gerhardt. Zu den Einblattdrucken vgl. auch WILHELM HESS: Himmels- und Naturerscheinungen in Ein-

b l a t t d r u c k e n d e s 1 5 . b i s 1 8 . J a h r h u n d e r t s . L e i p z i g 1 9 1 1 , b e s . S . 5 1 - 6 3 . V g l . HEINZ SCHIL-

LING: Job Fincel und die Zeichen der Endzeit. In:Wolfgang Brückner (Hrsg.):Volkserzählung und Reformation. Berlin 1974, S. 326-392. Vgl. HAAG: Predigt und Gesellschaft, S. 64. Das Erscheinen des Kometen im Jahr 1618 veranlaßte Hans Heberle zur Abfassung einer Chronik. Zur Sonnenfinsternis vgl. ANDREAE: Predigt vom Lauf der Planten, S. [A 2 ]\ 472 HEERBRAND: Predigt vom Kometen, S. 3. 473 HEERBRAND: Predigt vom Kometen, S. 4-7. Vgl. PHILGUS: Predigten von Feuersbrünsten. Er deutet die Brände der Jahre 1623 und 1630 als Folge der Kometen von 1618. Im Jahr 1630 gab es erneut ein Feuerzeichen am Himmel, das er als Vorbote des göttlichen Zorngerichts versteht. HEERBRAND: Ernte-Predigt, S. A4V. Obwohl der Komet eigentlich als Zeichen für drohendes Unheil gilt, gab es eine reiche Ernte. Heerbrand empfiehlt deshalb besondere Dankbarkeit. PREGITZER: Bußpredigten, S. 40. Er versteht Teuerung und Krieg als Folge des Kometen aus dem Jahr 1618. PHILGUS: Predigten von Feuersbrünsten, S. 4 nimmt ebenfalls Bezug auf den Kometen von 1618. 474 HEERBRAND: Predigt vom Kometen, S. 10.

274

Dimensionen

des Alltags in der Frühen

Neuzeit

Die auferlegte Strafe kann jedoch unterschiedlich empfunden werden. Dies zeigt sich an Andreaes Predigt vom Reif. Es gebe zum Beispiel zwar immer Leute, die sich den nach Frostnächten knappen Wein für teures Geld leisten können, die Strafe soll aber trotzdem alle Menschen vor falscher Sicherheit warnen. 4 7 5 Mit Ausflüchten wie dem Eintreten in Kriegsdienste oder der Hinwendung zum Müßiggang könne sich der einzelne dem Strafhandeln nicht entziehen; ebensowenig wie mit Hamsterkäufen, denn schließlich könne der Wein noch im Keller verderben. Das schwere Unwetter mit Hagel, das 1623 über dem Tübinger R a u m niederging und große Teile des landwirtschaftlichen Anbaus vernichtete, j a sogar Vieh auf der Weide erschlug, wird von Sigwart sofort am nächsten Tag, dem Trinitatissonntag 1613, in einer Predigt behandelt. Anstelle des in der Perikopenordnung vorgesehenen Predigttextes — J o h 3,1—21 — wählt Sigwart den Abschnitt über die ägyptischen Plagen in E x 9,13—35. Er berücksichtigt in seiner Predigt die meteorologischen Erkenntnisse, die aber nicht darüber hinwegtäuschen dürfen, daß letztlich GOtt der HERR der director bleibt. 4 7 6 Denn einzig und allein um der Sünden der Menschen willen, die Sigwart dann in einer langen Liste aufzählt, hat Gott dieses Unwetter verhängt. Weder irgendein Zufall, noch Hexen und Unholde oder gar der Teufel selbst können und dürfen dafür verantwortlich gemacht werden. 4 7 7 Entsprechend muß dieses Unglück den Frommen in der Stadt als göttliche Züchtigung und Prüfung gelten, den Gottlosen, und hier vor allem jenen, die aus der unglücklichen Lage durch Wucher Kapital schlagen wollen, als Warnung vor weiteren Strafen

4 7 5 SIGWART: Predigt vom R e i f , S. 12'-14 v .Vgl. ANDREAE: Predigt vom Lauf der Planeten, S. 63. 4 7 6 SIGWART: Predigt vom Hagel, S. 12. 4 7 7 Vgl. SIGWART: Predigt vom Erdbeben, S. 10 rv : Demnach mu[e]ssen dises vnchristliche reden sein/ wann man solche Allma[e]chtige Wenk den hexen vnnd Unholden zumisset. Auch dem Teufel selbst sind diese Werke unmöglich. Wer diese Auffassung vertritt, steht im W i derspruch zum 1. Glaubensartikel, der Gottes Allmacht hervorhebt. Vgl. H. C. ERIK MIDELFORT: Witch hunting in southwestern Germany 1 5 6 2 - 1 6 8 4 . T h e social and intellectual foundations. Stanford 1972, S. 43. Vgl. HARTMUT LEHMANN: Frömmigkeitsgeschichtliche Auswirkungen der »Kleinen Eiszeit«. In: Wolfgang Schieder (Hrsg.): Volksreligiosität in der modernen Sozialgeschichte. (Geschichte und Gesellschaft, Sonderheft 11). Göttingen 1986, S. 31—50, hier S. 40 ff. Lehmann referiert dort die Auffassungen von Johann Weyer (dessen Überlegungen Friedrich von Spee und Johann Matthäus Meyfarth beeinflußt haben), von Hermann Witekind und von Anton Prätorius. Diese Autoren befassen sich auf dem Hintergrund der Hexenproblematik mit der Frage, ob und gegebenenfalls wie E r n teschäden und Wetterzauber zusammenhängen. Sie stimmen darin überein, daß es Gott sei, der die Menschen ihrer Sünde wegen mit Plagen wie Unwetter u.ä. heimsuche. Die in diesem Kontext von Lehmann vertretene These, der gemeine Mann habe sich, da ihm die orthodoxe Erklärung eines strafenden Gottes und die entsprechenden Bußaufrufe nicht mehr zufrieden stellten, dem Glauben an ein vom Teufel angeworbenes Hexenheer, das die Menschen plage, zugewandt, kann auf der Grundlage der ausgewerteten Predigten nicht verifiziert werden.

Zeichen der Zeit: Der Anfang vom

Ende?

275

d i e n e n . 4 7 8 D a s g l e i c h e I n t e r p r e t a t i o n s m u s t e r d e r S t r a f e G o t t e s g i l t a u c h fiir die P e s t . 4 7 9 S i e k a n n g e r a d e z u als » H a n d G o t t e s « , als sein S c h w e r t b e z e i c h n e t w e r d e n . 4 8 0 G o t t verursacht den A u s b r u c h der K r a n k h e i t m i t M i t t e l n , seien

es H i m m e l s e r s c h e i n u n g e n ,

Hitze

unterschiedlichen

und Dürre

M a n g e l u n d T e u e r u n g . D i e s c h l i m m s t e F o l g e d e r Pest ist d e r

oder

Hunger,

Leutmangel.481

D i e V e r s o r g u n g s l a g e , u n d w e n n sie n o c h so k a t a s t r o p h a l ist, k a n n d u r c h e i n e r e i c h e E r n t e a u s g e g l i c h e n w e r d e n . I n E s s l i n g e n , so b e r i c h t e t W a g n e r , s t a r b e n j e d o c h 8 0 0 0 M e n s c h e n an d e r Pest, e i n Verlust, d e r n o c h l a n g e s p ü r b a r e F o l gen hatte.482 N e b e n d e m b e k a n n t e n Lasterkatalog führt Sigwart hier »Spezials ü n d e n « an, d i e d u r c h diese S t r a f e g e a h n d e t w e r d e n : S t o l z , H o c h m u t , V e r s ä u m n i s u n d V e r a c h t u n g des G o t t e s d i e n s t e s u n d d e r S a k r a m e n t e , A b g ö t t e r e i , U n b u ß f e r t i g k e i t , e t c . 4 8 3 E r e r i n n e r t daran, d a ß es g e m e i n e , a b e r e b e n

unge-

wisse M i t t e l g e g e n d i e Pest g i b t w i e das S c h l i e ß e n d e r T ü r e n , das A u f h a l t e n i n

478

V g l . SCHOPF: W e t t e r g l ö c k l e i n .

Eine Beschreibung des Wütens der Pest bei WAGNER: Esslinger Trauerpredigten, S. [a3]v. Das Motiv der Pest als Strafe Gottes findet sich selbstverständlich auch im Kirchenlied. Vgl. Christliche Haus-Wehr, S. 16, Vers 2: Du bist gerecht/ vnd dein Gericht/ kan vnser keiner straffen/ Von wegen vnser Su[ejnd geschickt/ daß wir so sch[n]ell einschlaffen. Ja vnser grose missethat/ die dich so hart erzu[e]rnet hat/ dein Pfeil in vns zu schiessen. [Vers 5] Lehrampt vnd andre Ordnung mehr/gehn nicht in vollem Schwange/ AU vnser Nahrung welcket sehr/ vns ist von Hertzen hange/ vnd wisen weder aus noch ein/ OVatter sihe gna[e]dig drein/ vnd thu vns wieder tro[e]sten. Vgl. auch ebd., S. 15. Vgl. Württembergisches Gesangbuch (1741), Nr. 349, Vers 1—6 und Vers 8 und 10. In diesem Lied gilt die Pest als Strafe Gottes für die Verachtung des göttlichen Wortes, für das Begehren von Geld, Gut und Luxus sowie für die U n zucht im Lande. Es heißt dort: Wie tro[e]stlich hat dein treuer mund, O liebster gott, verheissen, Daß, wenn uns kranckheit will zu grund Und in die grübe reissen, Und wir mit rechter zuverscht Vor dich zu treten sa[e]umen nicht, Du wollst uns nicht zerschmeissen. [Vers 2] Ach herr, wir haben diese plag Uns auf den hals gezogen; Die pest, die seuche im mittag Ist schnell an uns geflogen. Es hat das u8e]bel angesteckt, Das grab hat manchen schon bedeckt, Eh man es recht erwogen. [Vers 3] Der tod will uns, den schafen gleich, Durch hitz und kranckheit, schlachten; Sehr viele macht er kalt und bleich, Die nicht daran gedachten; Pest ist noch schneller als das schwerdt, Das ohne csheu und reu verzehrt: Noch will man es nicht achten. [Vers 4] Nun wer will hier verstocket seyn? Ich will mich schuldig nennen: Gesu[e]ndigt hab ich dir allein, Bin ewig werth zu brennen, Wie mancher schon, durch deine ruth, Ligt in der pest- und kranckheits-glut: Die schuld muß ich bekennen. [Vers 5] Ich habe nicht dein go[e]ttlichs wort Mit andacht angeho[e]ret, Offt hat mir ein verkehrter ort Den guten sinn versto[e]ret; Der teuffei, wollust, fleisch und weit, Von welchen uns wird nachgestellt, Die haben mich betho[e]ret. [Vers 6] Ach herr, wir haben geld und gut Fu[e]r alles nur begehret; Wir haben unserm frechen muth Und su[e]nden nicht gewehret: Diß ist nun worden pest und gifft, Das unsre schwache leiber trifft, Ja marck und bein verzehret. [Vers 8] Wir haben unsergantzes land Und ha[e]user offt beflecket Mit unzucht, greuel su[e]nd und schand; Es hat uns nicht erschrecket Des ho[e]chsten wort und donner-stimm: Ist es denn wunder, daß dein grimm Uns so hat angestecket? [Vers 10] Auf unsern knien liegen wir, Und unsre äugen weinen, Es schreyen tag und nacht zu dir, die grossen samt den kleinen: Vergib uns doch die missethat, Die dich so sehr erzu[e]rnet hat; Laß uns dein gnade scheinen. 4 8 0 SIGWART: Predigten von Hauptplagen, S. 82 ff., S. 97 und S. 125. 4 8 1 Vgl. WAGNER: Esslinger Trauerpredigten, S. 96. 4 8 2 WAGNER: Esslinger Trauerpredigten, S. a 2 v . 4 8 3 Z u m folgenden vgl. SIGWART: Predigten von Hauptplagen, S. 109—121. 479

276

Dimensionen des Alltags in der Frühen Neuzeit

angenehmer Gesellschaft und ganz schlicht die Flucht. Die einzig gewissen Mittel stelle j e d o c h nur Gott bereit: Buße, Gebet, Askese, Arznei, Gehorsam gegenüber den Ordnungen. Erdbeben zählen für die Prediger ebenfalls zu den Strafen Gottes. Tobias Wagner hält in Tübingen angesichts eines anhaltenden Bebens im Jahr 1655 zwei Predigten über diese Thematik; die erste am Sonntag Judica, die zweite unter Änderung der Perikopenordnung am Ostermontag, der angesichts der Ereignisse als Bußtag ausgerufen worden war. Zur Klärung der Hintergründe des Bebens fuhrt Wagner alttestamentliche Belege an. Plagen wie in Sodom und Gomorrha und in Ägypten wird Gott schicken und [ . . . ] mutatis mutandi zu vns Tu[e]bingern auch kan sagen/ daß Ers mit dergleichen Plagen gegen vns habe versucht [,..].4M Damit steht für Wagner fest, Gott hatte zuvor durch die Gesetzespredigten gewarnt, doch alles Vermahnen, Warnen und Drohen habe nichts genützt und nun sei das Maß eben überschritten. 4 8 5 E r verweist auf die desolaten Zustände in der häuslichen Erziehung, auf den mangelnden Gehorsam der Untertanen, auf Tanz und Spiel, Kleiderluxus, Ungerechtigkeit und Geiz. 4 8 6 Besonders verwerflich scheinen die Zustände in der Stadt gewesen zu sein, denn Wagner sagt: [...] Pudor in villas,fort mit dir/ du alte Teutsche Zucht/ hinauß auß Doiff/ wo noch dz Scha[e]ppelin/ das ist/ das Hochzeitskra[e]ntzlin wird destimirt/ zucht vnd Erbarkeit besser in Obacht genommen.487 D i e Auflehnung gegen Obrigkeit und Predigtamt sowie deren Folgen stellt Nicolai in seiner Erdbebenpredigt anhand von fünf alttestamentlichen Beispielen dar, die er ausfuhrlich paraphrasiert, ohne direkte Bezüge zur G e genwart herzustellen. 4 8 8 In zehn Punkten referiert Wagner die Erscheinungsmöglichkeiten der gegenwärtigen Gefahr, um abschließend festzustellen, daß das Erdbeben das schwerste Verderben ist, weitaus gefährlicher als Pest, Teuerung

4 8 4 WAGNER: Zwei Erdbebenpredigten, S. 5 f. und S. 13. Im Anhang zu den beiden Erdbebenpredigten Wagners findet sich in der gedruckten Fassung ein chronikalischer Bericht, der das anhaltende B e b e n und seine Auswirkungen, die bis nach Straßburg zu spüren sind, nach zeitgenössischer wissenschaftlicher Erkenntnis schildert (S. 67—72). Das Beben kündigte sich am 9. März mit zwei leichteren Erdstößen an, denen am 19. März 1655 das eigentliche B e b e n folgte, dem wiederum am 29. April ein Nachbeben folgte. Wagner erwähnt in seinen Predigten weitere Predigten aus den Jahren 1601, 1634 und 1649 (ebd., S. 62). Z u m Erdbeben vom 8. September 1601 vgl. SIGWART: Predigt vom Erdbeben. Diese Predigt empfiehlt Wagner zur Lektüre (WAGNER: Zwei Erdbebenpredigten, S. 19). 4 8 5 WAGNER: Zwei Erdbebenpredigten, S. 7. Vgl. SIGWART: Predigt vom Erdbeben,

S . 11™. 4 8 6 WAGNER: Zwei Erdbebenpredigten, S. 9 - 1 2 . NICOLAI: Erdbebenpredigt, S. 6. Für ihn haben das Beben vor allem die sich in Sicherheit wiegenden gottlosen Zeitgenossen zu verantworten. 4 8 7 WAGNER: Zwei Erdbebenpredigten, S . L L . 488

NICOLAI: E r d b e b e n p r e d i g t , S. 7 - 1 1 .

Zeichen der Zeit: Der Anfang vom Ende?

277

u n d Krieg, da es keinerlei menschliche Hilfe dagegen gibt. 4 8 9 Das Erdbeben kann für j e n e Menschen, die die Katastrophe überleben, Folgeschäden wie Aufruhr, Krieg, Teuerung, Hungersnot, Pest u n d Tod nach sich ziehen. 4 9 0 W i e Wagner, so berücksichtigt auch Sigwart die M e i n u n g e n der Naturwissenschaftler, u m letztlich j e d o c h eine christliche Sichtweise davon abzuheben. 4 9 1 U n d selbst, so gibt Nicolai zu bedenken, wenn ein Beben nur natürliche U r sachen hätte, so hieße das schließlich noch lange nicht, daß ihnen keine B e d e u t u n g zukomme. 4 9 2 Bei d e m Beben handle es sich nicht u m ein bloßes Naturgericht, weil [...] Gott auch durch die Natur sein Wenk hat.493 Es handelt sich u m ein göttliches Gericht, nicht u m ein Sternwerck oder PlanetenGericht, wie die Astrologen Glauben machen wollen. Das Beben diene vielmehr der Vermahnung zur Buße: Laßt vns vnsere bekandte vnd berewte Su[e]nden Gott abbitten durch ein glaubiges/ auff Gottes Barmhertzigkeit dringendes Gebett/ [,..].494 D u r c h die Predigt des Gesetzes, so Wagner, durch die Verweigerung der Absolution an U n b u ß fertige, k ö n n e n die Prediger weitere »Stadt- u n d Landplagen« verhindern. 4 9 5 Die Prediger k ö n n e n so mit ihrer Execution der göttlichen Exekution zuvork o m m e n . Ebenso k ö n n e n Obrigkeiten und Hausväter durch ihr jeweiliges Verhalten viel dazu beitragen, die göttlichen Strafen abzuwenden. 4 9 6 Dies b e rechtigt zu der H o f f n u n g , Gott mo[e]chte sich auch bekehren.497 Nicolai bezweifelt in seiner Erdbebenpredigt abschließend die »Erfolge« der göttlichen Strafpolitik. Die Realität lehre, eine Besserung sei nicht eingetreten, nach wie vor werde Ungerechtigkeit gegenüber W i t w e n u n d Waisen verübt, m e h r e n Potentaten ihr Gut durch Geiz, werden unrechte Gesetze gemacht u n d Urteile nach zweierlei M a ß gesprochen, widerfahre A r m e n kein R e c h t , k o m m e es zu Hurerei u n d Ehebruch. Deshalb solle das Erdbeben erneut als Z e i c h e n des Z o r n e s Gottes verstanden werden. Nicolai beschließt

489

WAGNER: Zwei Erdbebenpredigten, S. 17-27. Vgl. SIGWART: Predigt vom Erdbeben, S. 14 R . 490 WAGNER: Zwei Erdbebenpredigten, S. 25. Vgl. SIGWART: Predigt vom Erdbeben, S. 1 5 R - 1 6 R . 491 SIGWART: Predigt vom Erdbeben, S. 3V-8V. Vgl. SIGWART: Predigt vom Erdbeben, S. 4R-7V behandelt ebenfalls, wenn auch sehr knapp, die Meinungen der »Naturkünder«, die seiner Meinung nach Gottes Geheimnisse nicht erkunden können. Vgl. RAITH: Erdbebenpredigt, S. 4 f. 492 NICOLAI: Erdbebenpredigt, S. 16. RAITH: Erdbebenpredigt, S. 7. 493

WAGNER: Z w e i

Erdbebenpredigten,

S. 2 8 - 3 0 . V g l .

SUMMARIEN

IV, S. 2 5 0

und

S. 3 9 2 . SUMMARIEN I, S. 2 4 9 . 494 WAGNER: Zwei Erdbebenpredigten, S. 36. Vgl. SIGWART: Predigt vom Erdbeben, S. 24v. RAITH: Erdbebenpredigt, S. 9. 495 WAGNER: Zwei Erdbebenpredigten, S. 39. 496

WAGNER:

Zwei

Erdbebenpredigten,

S. 4 1 - 4 3 .

f. 497 WAGNER: Zwei Erdbebenpredigten, S. 43.

S. 6 8

Vgl.

FORRER:

Gotteslästerung,

278

Dimensionen des Alltags in der Frühen Neuzeit

seine Predigt mit einer großen Fülle biblischer Zitate, die in ihrer überwiegenden Anzahl aus dem Alten Testament stammen und dort zur Gattung der prophetischen Gerichtsreden zählen. 4 9 8 B e i den ungewöhnlichen Naturereignissen ist auch noch auf die von Tobias Wagner am Pfingstsonntag 1643 gehaltene Blutpredigt hinzuweisen. 4 9 9 E r schildert darin einen schon am 15. November des vorhergehenden Jahres in Stuttgart niedergegangenen Blut-Regen, der als göttliches Wunderzeichen zu werten ist. Der Blutregen deutet auf den bevorstehenden Jüngsten Tag hin. 5 0 0 Im Unterschied zu Johann Magirus, der als Meteorologe den Blutregen auf große Schlachten vergangener Zeiten zurückführt, ist er für Wagner ein A n zeichen flir kommende kriegerische Auseinandersetzungen. 501 Der Blutregen soll deshalb vor falscher Sicherheit warnen und als Aufruf zur U m k e h r verstanden werden. 5 0 2 D i e kriegerischen Auseinandersetzungen, als deren Vorboten Wagner den Blutregen interpretierte, zählen ihrerseits zu den von Gott verhängten Landstrafen. 503 Der Krieg gilt als die schlimmste aller Landstrafen und Plagen, er wird dargestellt als Exekution aller im alttestamentlichen Gesetz und in den Prophetenbüchern angedrohten Strafen für den gottlosen, unbußfertigen Sünder. Das göttliche Weltregiment zeigt sich hier in konkreten Vollzügen, Menschen, Völker, j a nichtchristliche Völker erscheinen als Instrumente G o t tes, fuhren sein Schwert, sind Verfechter seiner Ordnung. 5 0 4 Eine Auffassung, derzufolge Kriegen [...] vom Teuffei komme, wird strikt abgelehnt 5 0 5 , ebenso wie eine Lehre, die j e d e n Waffengebrauch als widergöttlich ablehnt und verdammt. 5 0 6 D e r Krieg ist als Warnung gedacht, nicht zum Verderben; auch in ihm offenbart sich das Heilshandeln Gottes. 5 0 7 Dieses Heilshandeln ist es auch,

498

NICOLAI: E r d b e b e n p r e d i g t e n , S.

499

WAGNER: Casualpredigten (Blutpredigt), S. 1 1 8 - 1 5 9 . WAGNER: Casualpredigten (Blutpredigt), S. 124 f. WAGNER: Casualpredigten (Blutpredigt), S. 125 f.

500 301 502

WAGNER: Casualpredigten

303

ANDREAE: P r e d i g t e n

23-28.

( B l u t p r e d i g t ) , S.

139-151.

v o m T ü r k e n , S. 2 3 0 . REUCHLIN: B u ß p r e d i g t , S. 1 2 0 .

SIGWART:

Predigten von Hauptplagen, S. 4 4 f. WAGNER: Schwertpredigt, S. 13: D e r Krieg ist die höchste aller Landstrafen. G o t t straft durch Krieg (ebd., S. 25). 3 0 4 WAGNER: Schwertpredigt, S. 46. ANDREAE: Predigten vom Türken, passim. Vgl. dazu SIEGFRIED RAEDER: D i e Türkenpredigten des Jakob Andrea. In: Martin Brecht (Hrsg.): T h e o l o g e n und T h e o l o g i e an der Universität Tübingen. Beiträge zur Geschichte der Evangelisch-Theologischen Fakultät (Contubernium, Bd. 1 5 ) . T ü b i n g e n 1 9 7 7 , S. 9 6 -

122. 505

WAGNER: S c h w e r t p r e d i g t , S.

50.

506

WAGNER: S c h w e r t p r e d i g t , S.

46.

ANDREAE: Predigten vom T ü r k e n , S. 425. NICOLAI: Erdbebenpredigt, S. 23: Gott hat den 30jährigen Krieg entgegen menschlichem Ermessen zum Ende gebracht. WAGNER: Esslinger Freudenfestpredigt, S. 8. WAGNER: Casualpredigten (Neujahrspredigt), S. 2 9 9 und S. 3 0 3 . WAGNER:Tübinger Friedenspredigt (1679), passim, bes. S. 14 ff. 507

Zeichen der Zeit: Der Anfang vom Ende?

279

aus dem heraus beispielshalber der 30jährige Krieg beendet werden konnte, denn eigentlich läßt sich der propagierte Reichsfriede nicht mit der Tatsache vereinbaren, daß Teutschland durch den Krieg nicht besser vnd frommer/ sondern nur a[e]rger vnd su[e]ndhaffter worden ist.508 Gemessen am Gesetz sind die Konditionen fiir eine Aufhebung göttlichen Zornes also bei weitem nicht erfüllt; augenscheinlich ist keine Besserung in Sicht, nach wie vor wird dem M a m m o n gedient, herrscht Blasphemie, wird der Gottesdienst zum Deckel eine SpottChristenthumbs mißbraucht. 5 0 9 Wagner unterliegt der gleichen Schwierigkeit, mit der sich schon die alttestamentlichen Propheten nach dem babylonischen Exil konfrontiert sahen, nämlich die vorfindliche Realität einer sich trotz des Krieges nicht veränderten Welt zu erklären. Für den Prediger ist dabei der von Gott gesetzte Friede kein Freibrief für eine Fortführung des status quo: Die Vnbußfertige betreffend/ daß auch sie deß Friedens vmb der Auserwehlten willen gemessen/ wird solches der Gu[e]te/ Gedult vnd Langmu[e]tigkeit Gottes zugeschrieben/ nicht daß sie fortfahren in Su[e]nden/ sondern Busse thun/ vnd sich zu Gott bekehren/ [...]:510 Unter den Sünden, die den Krieg verursachen, nennt Sigwart eine falsche Sicherheit, die sich auf die woldisponirten Steinhauffen der Burgen und Festungen verläßt, Gotteslästerung, Blutvergießen, Unzucht, luxuriöses Leben und alltägliche Ungerechtigkeiten. 5 1 1 Auch bei diesem Themenbereich läßt sich eine Übertragung alttestamentlicher Erfahrungen in die Zeit der lutherischen Orthodoxie beobachten. D e r 30jährige Krieg kann mit der Sintflut verglichen werden 512 , der Krieg Nebukadnezars mit den Kriegen der Franzosen und Türken. 5 1 3 Damals kündigte der Prophet Jeremia den Untergang des j ü d i schen Reiches und das Exil für Jerusalem an; was wird aus Stuttgart und Württemberg? Häberlin fordert seine Hörer auf, aus fremdem Schaden zu lernen, das heißt für ihn, weltliche Eitelkeit abzulegen, der Allamoderey nicht zu folgen. 5 1 4 Als eine der am häufigsten genannten Begleiterscheinungen der angekündigten Zeichen muß die Teuerung berücksichtigt werden. Auch sie gilt als Landstrafe. 515 Andreae referiert zu diesem Thema einen Deutungsversuch, der

WAGNER: Esslinger Freudenfestpredigt, S. 42. WAGNER: Esslinger Freudenfestpredigt, S. 39. WAGNER: Tübinger Friedenspredigt (1679), S. 20. 310 WAGNER: Esslinger Freudenfestpredigt, S. 43. 308

31,9

511

SIGWART: P r e d i g t e n

von

Hauptplagen,

S. 5 7 - 6 3 . V g l .

OSIANDER, A . :

Festungspre-

digt, S. 5 f. WAGNER: Tübinger Friedenspredigt (1679), S. 16 f. WAGNER: Casualpredigten (Ehrenrettung), S. 624. 312 WAGNER: Esslinger Freudenfestpredigt, S. 1. 513 HÄBERLIN: Bußpredigt, S. 44. Vgl. HÄBERLIN: Predigt über Jer 44, S. 1 8 7 - 1 8 9 . 5 , 4 HÄBERLIN: Bußpredigt, S. 5 1 - 5 5 . 3 , 3 SIGWART: Predigten von Hauptplagen, S. 4 ff. HEERBRAND: Predigt vom Kometen, S. 1 0 . HEERBRAND: E r n t e p r e d i g t , S. 3 5 2 f.

280

Dimensionen

des Alltags in der Frühen

Neuzeit

die Teuerung als Regulativ für eine zu große Bevölkerungsdichte begreift: Andere sagen/ der Leut seien zuuil/ da nicht sterbet/ oder sonst ein Blu[o]tvergiese[n] kom[m] / so mu[e]sse ma[n] einander fressen.516 Ahnliches berichtet Sigwart zum Verständnis der Pest. 5 1 7 Auch hier ist es Gott, der die Teuerung als Strafe für spezielle Sünden wie Hoffahrt, Schwelgerei und die Verachtung des göttlichen Wortes schickt. 5 1 8 Die angemessene menschliche Reaktion auf die Teuerung ist zwar das Erkennen des Unrechts, aber Sigwart fordert auch dazu auf, menschliche Möglichkeiten auszuschöpfen, um tätige Abhilfe zu schaffen. 5 1 9 Sogar der Tod kann als ein Prognosticon520 aufgefaßt werden, sei es der Tod großer Herrscher 5 2 1 oder — wie hier im Beispiel - der Tod zweier vom Blitz erschlagener Studenten. 5 2 2 D e r Tod der Studenten kann beispielshalber nicht einfach als »reiner Zufall« oder Fatalismus abgetan werden. Der Unglücksfall gilt dem Prediger als Werk der Vorsehung Gottes. D e n beiden Studenten kann auch keine besondere Schuld angelastet werden, ihr Lebenswandel muß eher als ein vorbildlicher gelten. Dies kann den Hinterbliebenen als Trost dienen, wenn auch letztlich keiner Gewißheit über den Stand der Studenten besitzen kann: Darum so hoffet Christliche Liebe/ der HErr habe sie wachend gefunden/ ihre Seele seye/ da sie alles plo[e]tzlich verlohren erhalten worden/ und sie seyen eingegangen zu ihres HErrn Freude.523 Diese Aussage macht deutlich, das es im Luthertum letzte Gewißheit über den Heilszustand eines Menschen nicht geben konnte. Ja selbst Mord konnten die Prediger in den göttlichen Heilsplan einfügen, wie eine von Balthasar Philgus in Lindau gehaltene Predigt zeigt. 5 2 4 Philgus schildert dort den M o r d an einem 47 Jahre alten Mann, der sieben Kinder 5 1 6 ANDREAE: Predigt vom Lauf der Planeten, S. 63. Vgl. SIGWART: Predigten von Hauptplagen, S. 1 5 - 1 7 und S. 97. SIGWART: Predigt vom Hagel, S. 28 f. HAGMAJER: Zwei Casualpredigten, S. 59. 5 1 7 SIGWART: Predigten von Hauptplagen, S. 97. E r berichtet, man finde vnversta[e]ndige Leut/ welche in diesem Wohn stecken/ es thue Gott darumb/ damit er einmal den Erdboden räume vnnd der Leut weniger mache. Sonsten wurde die Anzahl vnd der Hauff derselben zu groß weden/ daß sie der Erdbod nicht mehr ertragen/ oder ja Fru[e]chten genug geben ko[e]ndte/ damit sie jhr Nahrung oder Vnterhaltung habe. D a ß die Pest als Regulativ der Bevölkerungsdichte b e trachtet wird, berichtet auch HEERBRAND: Erntepredigt, S. 3 5 2 f. 3 1 8 SIGWART: Predigten von Hauptplagen, S. 1 8 - 2 7 . 5 1 9 SIGWART: Predigten von Hauptplagen, S. 3 1 - 3 5 . 5 2 0 WAGNER: Leichenpredigt Cellius, S. 4 4 f. und S. 17. Wenn Gott beispielshalber solche vortreffliche Theologi wie im vorliegenden Fall Cellius abberuft, dann handle er wie ein treusorgender Vater, der seine auf den Gassen spielenden Kinder ins Haus ruft, damit ihnen kein Schaden entstehe (ebd., S. 2 4 ) . V g l . ANDREAE: Predigt über M t 24, S. C , r . 5 2 1 HEERBRAND: Leichenpredigt Herzog Christoph, S. 13. WAGNER: Casualpredigten (Regimentspredigt), S. 5 8 8 und S. 6 0 0 . O d e r auch der Tod anerkannter Autoritäten vgl. HOGHSTETTER, A. A.: Leichenpredigt, S. 22: A u f des Gerechten, nämlich Reuchlins, Tod k o m m t viel Böses. Vgl. WAGNER: Leichenpredigt Cellius, S. 6, S. 14 und S. 44. 5 2 2 REUCHLIN: Leichenpredigt (Stud. theol.), S. 58 f. 5 2 3 REUCHLIN: Leichenpredigt (Stud. theol.), S. 83. 5 2 4 PHILGUS: Herzgeschrei, passim. Vgl. RUDOLF MOHR: D e r unverhoffte Tod. T h e o -

Zeichen der Zeit: Der Anfang vom Ende?

281

hinterläßt, u n d an dessen Gesellen. Dieses U n g l ü c k , so der Prediger, sei n i c h t o h n e d e n W i l l e n Gottes geschehen. Dies besage n u n freilich nicht, daß die E r m o r d e t e n b e s o n d e r e S ü n d e r gewesen seien, i h n e n w i r d v i e l m e h r ein christlicher Lebenswandel bescheinigt. I h r e m Tod k o m m t sogar eine F u n k t i o n innerhalb des göttlichen Heilsplanes zu. An i h r e m j ä h e n Tod d e m o n s t r i e r t der Prediger, daß der einzelne jederzeit auf d e n Tod vorbereitet sein soll. A b schließend b r i n g t Philgus die H o f f n u n g z u m A u s d r u c k , daß die O b r i g k e i t ihr Strafamt ins W e r k setzen k ö n n e . Sollte dies n i c h t m ö g l i c h sein, so ist noch Gott [...] Dem wird kein Mo[e]rder entlaujfen.525 K r a n k h e i t e n k o n n t e n ebenfalls zeichenhafter C h a r a k t e r besitzen. Sie w a r e n persönliche P r ü f u n g u n d M a h n u n g , d e n eigenen Lebenswandel zu ä n d e r n . 5 2 6 D i e Feuersbrunst, ü b e r die W e i s m a n n 1742 a m 25. S o n n t a g nach Trinitatis in T ü b i n g e n predigt, w i r d auch nicht als Zufall gewertet. 5 2 7 Das Feuer war v i e l m e h r ein A n z e i c h e n des göttlichen Z o r n e s . A b e r G o t t habe zugleich M i t tel auserkoren, das Feuer zu bändigen, d e n n schließlich hätte ein W i n d s t o ß genügt, u m die völlige V e r n i c h t u n g zu bewirken. H ä t t e d u r c h einen W i n d s t o ß das K o r n h a u s , in d e m die Vorräte zur A r m e n v e r s o r g u n g lagerten, Feuer g e f a n gen, so w ä r e n n o c h m e h r M e n s c h e n in A r m u t geraten. 5 2 8 Alle diese a u ß e r g e w ö h n l i c h e n Ereignisse dürfen nicht mit W u n d e r n o d e r mit originären W e r k e n des Teufels in Verbindung gebracht w e r d e n . Das K r i t e r i u m f ü r W u n d e r k a n n einzig die heilige Schrift selbst sein. Viele v e r m e i n t l i c h e W u n d e r lassen sich auf — eventuell verborgene — natürliche U r s a c h e n z u r ü c k fuhren. 5 2 9 Dies kann auch f ü r den H e x e n zugeschriebene N a t u r e r s c h e i u n g e n gelten. Interessant in diesem K o n t e x t ist die B e o b a c h t u n g , daß H e x e n i m g e samten Predigtwerk der T ü b i n g e r T h e o l o g e n n u r eine, angesichts der ü b r i g e n Literaturflut auf diesem Sektor w o h l untypische, marginale R o l l e spielen. 5 3 0 In den Predigten finden sich k a u m Aussagen zu dieser Problematik. D e r einzige Z u s a m m e n h a n g , in w e l c h e m sie E r w ä h n u n g finden, ist w i e hier ihre vermeintliche Mitarbeit b e i m W e t t e r m a c h e n . D i e Hexerei g e h ö r t i m T ü b i n g e n

logie- und kulturgeschichtliche Untersuchungen zu außergewöhnlichen Todesfällen in Leichenpredigten (Marburger Personalschriften-Forschungen, Bd. 5). Marburg 1982, S. 153-194. 525 P H I L G U S : Herzgeschrei, S . D 3 R . Philgus fuhrt aber auch vier Beispiele aus der j ü n g sten Vergangenheit hat, wo es der Obrigkeit gelang, Mörder der Tat zu überfuhren. 526 Vgl. zu dieser Thematik S. 288-296. 527 W E I S M A N N : Feuersbrunst, S. 4 f. 528 W E I S M A N N : Feuersbrunst, S . 6 — 1 3 . 529 H E E R B R A N D : Compendium Theologiae (1573), S. 427-438. Heerbrand behandelt dort eigens den Locus De Miraculis. Vgl. H E E R B R A N D : Kirchentestament, S. 234-256, bes. S. 238 ff. 530 Vgl. W O L F G A N G B E H R I N G E R : Hexenverfolgung in Bayern. Volksmagie, Glaubenseifer und Staatsräson in der Frühen Neuzeit. München 1987; vgl. dort die umfangreiche Sekundärliteratur, S. 486-510. M I D E L F O R T : Witch hunting, passim; bes. die umfangreiche Bibliographie der Primär- und Sekundärliteratur zu diesem Thema (S. 261-300).

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Dimensionen des Alltags in der Frühen Neuzeit

der Frühen Neuzeit in den Predigten nicht zu den besonders heftig diskutierten T h e m e n , und das, obwohl beispielshaber T h e o d o r T h u m m und J o h a n n Adam Osiander umfangreiche theoretische Abhandlungen zu diesem T h e m a verfaßt haben. 5 3 1 In ihnen, wie auch in den Gutachten der juristischen Fakultät, läßt sich ein sehr moderater U m g a n g mit diesem T h e m a feststellen. 5 3 2 A m 19. Juni 1 5 7 9 schlug der Blitz in das Wächterhäuslein auf dem T ü b i n ger S c h l o ß ein. Heerbrand erläutert in der anschließend gehaltenen Predigt vom Strahl mögliche Ursachen dieses Blitzschlages. Einige meinen, so referiert er, der Blitzschlag habe eine natürliche Ursache gehabt. Andere klagen U n holde und H e x e n m:Aber die arme tro[e]pffmen/ vnd Alte Weiber/ ko[e]nden weder für sich selber/ noch auch durch mitwirckung deß leidigen Sathans/ Wetter machen/ [ . . . ] . 5 3 3 A u c h der Blitzschlag ist eine Strafe Gottes für begangene Sünden, die J a c o b Heerbrand diesmal nicht näher auffuhrt. W i e schon Johannes B r e n z in seiner Hagelpredigt aus dem Jahr 1 5 6 5 macht Heerbrand hier deutlich, daß H e x e n keinerlei Fähigkeit haben, Wetter zu machen und Erdbeben zu b e w i r ken; dies spiegle ihnen nur der Teufel vor. 5 3 4 Sigwart, der ebenfalls im K o n t e x t der Naturereignisse die Hexenproblematik mit einbezieht, argumentiert e b e n so. E r hält die Schuldzuweisung an H e x e n und U n h o l d e für eine besondere Eigenschaft des Papsttums. 5 3 5 531 Dies zeigen auch die wenigen Nachrichten über Hexereifälle, die vor dem Oberrat zur Sprache kommen: 1651 (Hexerei/Giftmischerei), 1667, 1671, 1719 (jeweils Hexerei); 1656 und 1720 zwei Fälle der Zauberei bzw. Bezauberung (StA Ludwigsburg A 209). Die Hinweise verdanke ich freundlicherweise Frau Privatdozentin Dr. Helga Schnabel-Schüle. Diese Auflistung kann noch durch einen Fall aus dem Jahr 1663 ergänzt werden, auf den MIDELFORT: Witch hunting, S. 224 hinweist. Seine Ausfuhrungen zu den aktenkundigen Fällen aus den Jahren 1607, 1613, 1616 und 1625, die sich im UAT befinden, beziehen sich auf Ereignisse in Calw. Im UAT befinden sich die dazu angefragten Gutachten der Tübinger juri-

stischen Fakultät ( U A T 8 4 / 1 , 9 7 2 - 9 7 4 ; 8 4 / 2 , 1 7 0 - 1 7 1 ; 8 4 / 4 , 1 5 8 u n d 8 4 / 6 , 6 2 6 - 6 2 8 ) . Z u

den theologischen Werken theoretischen Charakters vgl. MIDELFORT: Witch hunting, S. 54 f. 532 MIDELFORT: Witch hunting, S. 51 f. 333 HEERBRAND: Predigt vom Strahl, S. 4'. Vgl. MIDELFORT: Witch hunting, S. 40 f. 334 Vgl. EHMER: Zeichen und Wunder, S. 189 f. Heerbrand stimmt darin vollkommen mit Sigwart überein, vgl. SIGWART: Predigt vom Reif, S. 3. Hexen und Unholde können nicht für die Frostschäden verantwortlich gemacht werden. Der Frost ist vielmehr eine Strafe der Sünden, besonders des Alkoholmißbrauchs und seiner Folgen. Vgl. SIGWART: Predigt vom Hagel, S. 14 und S. 16. Auch hier darf nicht Hexen und Unholden die Schuld am Unwetter in die Schuhe geschoben werden: So nun der Teufel selbs auß eigner Gewalt vnnd Macht den Lufft vnd das Wetter nach seinem Gefallen nicht erregen/ bewegen/ [...] kan: was wolten dann seine Werckzeug/ Botten vnnd Diener/ welche jhme also zureden/ das Schindmesser nachtragen/ als Zauberer/ Hexen vnnd Vnholden/ vermo[e]gen? Denn selbst das Verbrennen aller Zauberer und Unholde würde die Sünde nicht aufheben (S. 23). Damit befindet steht Sigwart ganz in der Tradition des Johannes Brenz. SIGWART: Predigt vom Erdbeben, S. 10R. Zu diesen drei Predigten von Johann Georg Sigwart vgl. MIDELFORT: Witch hunting, S. 42 ff.Vgl. WAGNER: Epistel-Postille 1, S. 690. Zur Hagelpredigt des Johannes Brenz vgl. JULIUS HARTMANN und KARL JÄGER: Johann Brenz. Bd. 2. Hamburg 1842, S. 485 ff. und MIDELFORT: Witch hunting, S. 37. 535 SIGWART: Predigt vom Reif, S. 3.Vgl. MIDELFORT: Witch hunting, S. 63.

Gegenwelt:

Das Paradies auf Erden

283

Diese Interpretationen der Theologen wurden in Frage gestellt. Es wurden Überlegungen laut, die die vorfindlichen Phänomene wie Krieg, Pest und Teuerung gewissermaßen »prädarwinistisch«, rein rational verstanden und entsprechend als »natürliche« Regulative der Bevölkerungszahl betrachteten. Diesen Schritt zu einer säkularen Deutung mußten die Prediger vehement ablehnen. Für sie war eine solche Deutung der blanke Wahn, denn GOtt hat ein Wolgefallen an Viele der Menschen/ wie auch derselben Gesundheit vnd langem Leben.536 Für die Theologen behielten die »Zeichen der Zeit« ihre doppelte Funktion als aktuelle Strafe und mahnender Appell zur Änderung des Verhaltens. 537 D e m ganzen Geschehen liegt vielmehr ein M o m e n t göttlicher Verläßlichkeit zugrunde: die Gesetzespredigten werden erfüllt, so wie sie in biblischer, speziell alttestamentlicher Zeit erfüllt wurden. 5 3 8 Das Strafen selbst erscheint den Predigern als ein Akt göttlicher Gnade: denn das ist ein grosse Gnade, das Gott den Su[e]ndern steuret/ daß sie nicht fortfahren/ vnd ist bald hinder jhnen her mit der Straffe Dan[n] vnser HErrgott sihet vns nicht so lang zu/ als andern Heiden/ [...] / sondern wehret vns/ daß wirs nicht viel machen / vnd zu letzt sich nicht an vns rechen mu[e]sse.5i9 Kann aber der Mensch durch ein bestimmtes, eben normenkonformes Verhalten dem drohenden Weltgericht - und alle Zeichen waren Vorboten dieses Gerichts 5 4 0 — noch einmal Einhalt gebieten, so wohnt diesem Gedanken ein unübersehbares synergistisches M o m e n t inne. Das Verderben bricht über die Menschheit herein, Verstehe/ wann Er/ der rechte Richter/ durch wahre Büß vnd Bekehrung in so schro[e]cklicher Execution nicht wird ingehalten vnd verhindert,541 Durch die Betonung der Orientierung des Lebenswandels am Gesetz hatte der einzelne die Gelegenheit, am eigenen Heil, eben durch die Einhaltung der Gesetzesnormen, mitzuarbeiten. Die Erhaltung der Welt gerät dadurch in die Verfügbarkeit des Menschen. 2.3

Gegenwelt:

Das Paradies auf

Erden

Selbstverständlich ist in den Predigten auch vom Teufel oder Satan die R e d e . E r verkörpert für die Prediger das Böse in der Welt schlechthin und macht durch sein Wirken die Welt zur »argen« Welt. Zur näheren Erläuterung SIGWART: Predigten von Hauptplagen, S. 97. SIGWART: Neujahrspredigt, S. 6 v -7 r . Die Erfahrung lehrt, daß alle Prognostica, die aus dem Wort Gottes gewonnen werden, eintreffen (ebd., S. 2 r ). 538 HÄBERLIN: Epistel-Postille 2, S. 342a. 339 WAGNER: Esslinger Freudenfestpredigt, S. 42. Vgl. SIGWART: Predigt vom Erdbeben, S. 21 v : Als lang nun Gott dra[e]wet vnnd warnet/ so lang spert er sein gnaden Thu[e]r aujf/ ru[oJfft vnnd locket/ damit man dem verdienten vbel vnd gedra[e]wter straff entgehn mo[e]chte. d40 Vgl. Vom Jüngsten Tag zum Jüngsten Gericht: Die Frage nach dem Seelenheil, S. 1 4 9 - 1 7 0 . 541 WAGNER: Zwei Erdbebenpredigten, S. 5. 336 337

284

Dimensionen des Alltags in der Frühen Neuzeit

dieses Themas dient im folgenden eine Predigt, die Wagner am 24. Sonntag nach Trinitatis 1642 in Esslingen gehalten hat. Schon die heilige Schrift zeige, so erklärt Wagner in dieser Predigt Von dem kohlschwartzen Teuffei, daß es nicht nur einen Teufel gebe. 5 4 2 E r stellt den Teufel als Widersacher vor, der zur Sünde anleitet und den darin verstrickten Menschen später wegen eben dieser Sünde verklagt und in die Hölle fuhrt. 5 4 3 E r ist ein Diabolus, ein Lästerer, die personifizierte Antithesis decalogi. Er ist es, der allen Calumnianten das Hertz mit Neid erfu[e]llet/ die Zungen mit Lu[e]gen scha[e]ffet/ das Maul mit Falschheit außschoppet/ und dardurch vil Mord und Tod/ vil Jammer und Noth in der Welt stifftet/ auch alle Calumnianten zu seinen Kindern machet [.. . j . 5 4 4 U n d er ist der brüllende Löwe — so der Predigttext (1 Ptr 5,8 f.) —, der umhergeht, sein Opfer sucht und verschlingt. D e r Teufel fuhrt in seinem R e i c h das R e g i m e n t , er ist Fürst und Herr, j a Gott dieser Welt. 5 4 5 U n d das nicht, weil er etwas an der Welt erschaffen habe, sondern allein wegen der Sünde. Aufgrund der Sünde hat der Teufel seine tyrannische Herrschaft über die Menschen erlangt, die er nun in seinem R e i c h nicht mit Gerechtigkeit und Wahrheit regiert, sondern mit L ü gen, Ketzerei, Abgötterei und Betrug, kurz mit Sünden, Schande, Lastern und aller Ungerechtigkeit. 5 4 6 U n d dies ist gerade das Trügerische an seiner Herrschaft, denn rein äußerlich hat sein R e i c h das Ansehen als wann es lauter Paradiß were. D e r Satan verspricht vieles und kümmert sich aufs trefflichste um das irdische Wohlergehen seiner Untertanen, die folglich jhme desto geßißner dienen/ auch desto lieber in seinem Reich bleiben/ [...]. Sigwart kann entsprechend sogar sagen, daß es ein schlechtes Anzeichen ist, wenn es dem Menschen i m mer nach seinem Wunsch und Gefallen geht. 5 4 7 Unter dem Strich aber, so der Prediger, hat der Satan noch keinem seiner Genossen eine gute ewige Ffru[e]nd geben können, sondern hat viele um Ehre, Gut, Leib und Leben, j a um ihre Seligkeit gebracht. U n d doch übt in den Augen der Prediger die hier propagierte teuflische Gegenwelt eine enorme Anziehungskraft auf den Menschen

542 Vgl. HÄBERLIN: Epistel-Postille 1, S. 466ab. Er zählt dort verschiedene Teufel auf: Fluch-Teufel, Atheisten-Teufel, Sauf-Teufel, Pracht-Teufel, Huren-Teufel, Geiz-Teufel, Neid-Teufel. Vgl. WAGNER: Predigt über Ehehalten, dort stellt Wagner den »Siebenfältigen Ehehalten-Teufel« vor. Vgl. DELUMEAU: Angst im Abendland. Bd. 2, S. 382 f. 543 WAGNER: Leichenpredigt Merlau, S. 21. HEERBRAND: Predigt vom Christkindlein,

S . 5 1 . HEERBRAND: C o m p e n d i u m T h e o l o g i a e ( 1 5 7 3 ) , S . 7 2 - 8 3 . HAFENREFFER: L o c i T h e o -

logici (1600), S. 48—56 unter der Uberschrift De Angelis malis seu Diabolis. 5 4 4 WAGNER: Casualpredigten (Teufel), S. 11. 545 WAGNER: Casualpredigten (Teufel), S. 6. SIGWART: Predigt vom Vaterunser, S. 53, S. 93 und S. 191 u.ö. WAGNER: Epistel-Postille 2, S. 642. HEERBRAND: Predigt vom Strahl, S. 4V. HEERBRAND: Predigt vom Christkindlein, S. 51. PREGITZER: Bußpredigten, S. 157. Vgl. DELUMEAU: Angst im Abendland. Bd. 2, S. 3 7 2 - 3 8 6 . Vgl. zur Auffassung Luthers HECKEL: Lex charitatis, S. 35—42. Im R e i c h der Welt ist der Teufel das Haupt. Vgl. auch ebd., S. 546 347

50-59.

Zum folgenden SIGWART: Predigt vom Vaterunser, S. 93 f. SIGWART: Predigt vom Vaterunser, S. 190.

Gegenwelt:

Das Paradies auf Erden

285

aus. A u f Sünde stellt sich bei ihnen R e u e und Leid nicht ein. Sie versuchen gar nicht erst, ihr frevelhaftes Tun zu entschuldigen, sie schlagen vielmehr die Warnungen der Prediger in den W i n d und verachten sie: [...] / wann ich schon gesu[e]ndiget habe/ was soll es seyn/ ich bin kein Engel/ bins nicht allein/ [...] / Ich muß mir die Welt auch lassen zu Lieb werden , 548 In dieser Welt geht es um die materielle Sicherheit durch Nahrung, Ehre und Vermögen, hier stehen Werte wie Gut, Häuser und Wollüste im Vordergrund. Sünde und Laster werden nicht als solche erkannt bzw. verharmlost, entschuldigt oder verachtet und in ihr G e genteil verkehrt. D e r Teufel stillt das »selige« Verlangen nach irdischer Glückseligkeit, er nährt die unersättliche Begierde. 5 4 9 D e r Satan reizt und lockt mit seiner Welt, so daß der Mensch Zeit verspielt, weil er sich mit eitlen, nichtigen Dingen - die Prediger sprechen von Bauch-Sorgen — aufhält und so die Gelegenheit versäumt, Heil und Seligkeit zu wirken. 5 5 0 Wagner beschreibt in seiner Predigt vom »kohlschwarzen Teufel« die B e gegnung eines 25jährigen Mannes aus Esslingen mit dem Teufel. 551 Wagner schildert den seit einem Jahr verheirateten Mann als einen von Jugend an still und zurückgezogen lebenden Menschen, der den Unterhalt mit seiner Hände Arbeit verdiente. Dieser Lebensunterhalt bereitete ihm große Sorgen, denn als er eines abends mit Sorgen der Nahrung beschweret auf dem Weg nach Hause war, trat ihm der Teufel in Gestalt eines schwarz gekleideten Mannes in den Weg. Er hatte wohl einen Geißfuß, war aber sonst im Angesicht anzusehen/ wie ein anderer Mann. Dieser Mann machte ein Angebot: Er soll ihm trawen/ er/ der Teuffei/ wolle ihm helffen: Es sey nichts mit Gott/ er soll Gott verschweren/ sichjhm ergeben/ seye besser/ sonderlich ihn gefragt: Ob er in vier Jahren wolle sein seyn?552 D i e ser Pakt wird mit Blut unterzeichnet, wobei der Teufel dem Analphabeten aus Esslingen die Hand fuhrt. Nach diesem Akt erhält der Esslinger einen ersten Dukaten. Anschließend begleitete der Teufel den Esslinger nach Hause, ohne dort von dessen Frau wahrgenommen zu werden. Als die Frau wenig später in 548

PREGITZER: B u ß p r e d i g t e n , S. 3 2 .

549

REUCHLIN: C h r i s t e n t u m , S. 2 1 7 .

350 WEISMANN: Leichenpredigt Hoffmann, S. 25. Er benennt als »Leitsterne« der Welt ein eigenliebendes Herz, einen raffinierten Verstand, die Gewohnheit der Mode, ein eingeschläfertes Gewissen. SUMMARIEN VI, S. 523. Hier heißt es, die Welt frage einzig nach Reichtum, Ehre und Wohlleben. REUCHLIN: Christentum, S. 217. HÄBERLIN: EpistelPostille 2, S. 198b. 351 Wagner schildert den Fall an zwei verschiedenen Stellen. Einmal in der schon angesprochenen Predigt »Vom kohlschwarzen Teufel«, vgl. WAGNER: Casualpredigten (Teufel), S. 63 f., das andere Mal in der von ihm verfaßten Ehrenrettung, vgl. WAGNER: Casualpredigten (Ehrenrettung), S. 627 f. In dieser Apologie zu seiner Teufelspredigt setzt sich Wagner mit einem anonym in Dillingen an der dortigen katholisch-theologischen Fakultät verfaßten Pasquill auseinander, das seinen auf Gottes Wort gegründeten und nicht auf Wunderthaten beruhenden Exorzismus verhöhnt. Vgl. MIDELFORT: W i t c h hunting, S. 54. Vgl. Anm. 107, das Pasquill der Dillinger Fakultät kann nicht mehr eruiert werden. Vgl. SIGWART: Predigt vom Vaterunser, S. 182. 3 5 2 WAGNER: Casualpredigt (Teufel), S. 64.

286

Dimensionen des Alltags in der Frühen Neuzeit

die Wohnstube kommt, findet sie ihren Mann, der sich mit seinem Gürtel erhängt hat. Gerade noch rechtzeitig kann sie ihn losschneiden. Vor Zeugen schildert der Esslinger anschließend den Tathergang wie folgt: [...] der Teuffei habe ihm zugemuthet/ er soll alles verderben/ ohn ihme selbs etwas thun: Und ob er wol geantwortet/ Er wisse es nicht/ so habe der Teuffei zu ihm gesagt/ es wolle es ihn wol lehren. Woraufer in Lebens-verdruß gerathen/ und gedacht/ er mo[e]ge nicht mehr leben. Hab also selbst die Gu[e]rtel umb seinen Hals gethan/ sich hinten angeknu[e]pfft/ halte datfu[e]r/ der Teuffei habe ihm den Kopfffu[e]r sich getruckt; Es habe ihm aber nicht wehe gethan/ er habe kein Schmertzen empfunden.553 Drei Nächte später wird von seiner Frau und einem befreundeten Nachbarn, der in der Stube wacht, umb Mitternacht ein ohngewo[e]hnlich/ furchtsam zischen und pfeifen wahrgenommen, das der Esslinger selbst nicht bemerkte. Man diagnostizierte j e d o c h anschließend bei ihm eine verstockte Schwermuth. Der vermeintlich empfangene Dukat war nirgends aufzufinden. D e r Fall kam vor den Magistrat, der ihn nach Befragungen zunächst in publicam custodiam nahm, damit er nicht weiterer Anfechtung ausgesetzt sei und damit die Seelen Cur der Prediger ihren Gang nehmen könne. Vier Wochen später stand der Esslinger Vor GOTT und der Welt/ [...] als ein bußfertig Hertz/ und eine dem Teuffei auß dem Rachen gerissene Seel/ [...] da. Von der in solchen Fällen öffentlich erfolgenden Revokation wurde der Esslinger wegen seiner »angeborenen, schwermütigen Schwachheit« dispensiert; der W i d e r r u f erfolgte nur in kleinem Kreis im Anschluß an den Gottesdienst, in welchem Wagner seine Predigt vom kohlschwarzen Teufel gehalten hatte. D e m Fall maß Wagner auch pädagogische Funktion bei. Ihm sei zu entnehmen, so Wagner, daß der Teufel ein aufrichtiger Geist [sei] / der Achtung gibt auff unsere Geberden/ Achtung auff unser Humor/ Achtung auff unsere Red/ und sich nicht ohnbehend praesentirt, wann er auß Leichtfertigkeit/ oder desperirter Schwermu[e]tigkeit wird zu Gast gebeten [...].554 Der Satan versucht den M e n schen vornehmlich dann, wenn es ihm übel geht. 5 5 5 D e r Fall widerlegt die Epicureer, denn die Existenz der Hölle ist dadurch bewiesen, daß sich der Teufel bemüht, Menschen mit Leib und Seele zu verschlingen. Aber auch die Werke der Grimmigkeit, Boshaftigkeit, Arglistigkeit etc. beweisen den Teufel selbst. D e r Teufel ist noch vil schwa[e]rtzer/ als man ihn mahlen kan; daß es niemand mit Worten außreden/ noch glauben kan/ wie sie die verfluchte Majesta[e]t kan

WAGNER: Casualpredigten (Teufel), S. 65. Vgl. WAGNER: Casualpredigten (Ehrenrettung), S. 627 f. 354 WAGNER: Casualpredigten (Teufel), S. 66. OSIANDER, A.: Festungspredigt, S. 16 ff. Der Teufel zieht die im Argen liegende Welt an sich, er hetzt den Menschen gegen sich selbst auf, er will ihn epicurisch machen oder in Verzweiflung treiben. 535 SIGWART: Predigt vom Vaterunser, S. 185 ff. Dies gilt auch für die Kirche als Institution, vgl. OSIANDER, A.: Predigt von der Sturmstillung, S. A 2 V -A 3 R . Der Satan richtet auch in der Kirche Spaltung und Zank an; in R u h e und Friedenszeiten ist es leicht, rechtschaffen zu sein. Vgl. ANDREAE: Predigten vom Wucher, S. 169 f.

Gegenweh: Das Paradies auf Erden

287

verstellen [...].556 D i e Predigt will vor der Sicherheit w a r n e n zu glauben, m a n müsse sich nicht u m d e n Teufel k ü m m e r n . D e r Teufel steckt h i n t e r des Fleisches Wollustigkeit, h i n t e r der Leichtfertigkeit zu f l u c h e n u n d zu verfluchen, w i e auch hinter der platzfindenden Schwermu[o]tigkeit, die ü b e r h a u p t der LustGarten das wäre Bad deß Teuffels schlechthin ist. 557 D e r Prediger beschäftigt sich auch mit E i n w ä n d e n , die die A r g u m e n t a t i o n der T h e o l o g e n aufgreifen u n d fragen, w i e es k o m m e , daß der Teufel nach w i e vor die M e n s c h e n versuche, w o d o c h gelehrt werde, er sei d u r c h Christus ü b e r w u n d e n . Dies sei grundsätzlich richtig, erläutern die Prediger, d e n n der Teufel v e r m ö g e o h n e göttliche E r m ä c h t i g u n g nichts zu tun. 5 5 8 Grundsätzlich gibt es zwei A r t e n der Versuchung, die eine k o m m t v o n G o t t selbst, [ . . . ] / welcher vnderweilens auch seine liebe Kinder laßt in Beschwerligkeit kommen/ oder mit Widerwertigkeit beladen werden/ oder steh sein Hilff vnd Rettung ein Zeitlang ein/ damit er sie u[e]be/probiere vnd die verbirgene Gedancken jhres Hertzens offenbare.559 M i t dieser Art der V e r s u c h u n g w e r d e n eigentlich n u r die Gläubigen k o n f r o n tiert. Sicher ist bei dieser Versuchung, daß G o t t n u r z u m G u t e n erprobt u n d nicht ü b e r menschliches V e r m ö g e n versucht. 5 6 0 D i e Versuchungen des Teufels f u h r e n den M e n s c h e n n i c h t z u m G u t e n . D e r Teufel als arglistige[r] Geist m a c h t sich bei seinen V e r s u c h u n g e n unterschiedliche Mittel zu nutze. E n t w e d e r , w i e in d e m v o n Tobias W a g n e r ausfuhrlich g e schilderten Fall, versucht er die M e n s c h e n in sichtbarer Gestalt, eine M e t h o de, die er, w i e Sigwart meint, o h n e dies allerdings n ä h e r a u s z u f ü h r e n , b e s o n ders g e r n bei armen Weibern anwendet. 5 6 1 Sigwart f ü h r t dann verschiedene mittelbare M e t h o d e n an, mit d e n e n der Teufel versucht, d e n M e n s c h e n auf seine Seite zu ziehen. Sigwart n e n n t z u nächst die »heimlichen Eingebungen«, mit w e l c h e n er d e m K a n d i d a t e n böse Beispiele der Welt v o r f u h r t u n d den M e n s c h e n auffordert, diese n a c h z u a h m e n . O d e r er gebraucht »unser Fleisch«, das stets Lust zur Su[e]nde hat u n d bereit ist zur Abgötterei, z u m Fluchen u n d S c h w ö r e n , zu U n g e h o r s a m u n d Widerspenstigkeit, zu N e i d u n d H a ß , z u m Fressen u n d Saufen, zu U n z u c h t , Geiz etc., also zu all j e n e n Verhaltensweisen, die die Prediger als Laster b e zeichnen. 5 6 2 D a b e i nutzt der Teufel geschickt die Situation des M e n s c h e n aus,

33FL

WAGNER: C a s u a l p r e d i g t e n ( T e u f e l ) , S. 2 8 .

357

Vgl. a u c h z u m

folgenden

WAGNER: C a s u a l p r e d i g t e n (Teufel), S. 3 3 - 3 7 . Vgl. DELU-

MEAU: Angst im Abendland. Bd. 2, S. 364. 538 Vgl. SIGWART: Predigt vom Hagel, S. 13 f. SIGWART: Predigt vom Vaterunser, S. 194. 5=9 SIGWART: Predigt vom Vaterunser, S. 180. 360 SIGWART: Predigt vom Vaterunser, S. 180 ff. und S. 194. 361 Zum folgenden vgl. SIGWART: Predigt vom Vaterunser, S. 182-188. Sigwart führt an, daß auch Christus selbst auf diese Art versucht werden sollte. Vgl. WEISMANN: Einsegn u n g s p r e d i g t , S. 6. Vgl. SIGWART: Predigt v o m Vaterunser, S. 1 2 2 - 1 2 5 . 362 Vgl. OSIANDER, A.: Predigt v o n der Sturmstillung, S. A3R.

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Neuzeit

sei sie gerade gut oder schlecht, und läßt sich auch durch einen mißlungenen Versuch nicht abhalten. Daß seine Bemühungen auch von Erfolg gekrönt sind, zeigt Sigwart anhand biblischer Beispiele. Als Maßstab für die Anfälligkeit des Menschen für die Versuchungen des Teufels dient Sigwart die Befolgung des Dekaloges. Reuchlin fordert den Menschen auf sich zu prüfen, ob er zum Reich des Satans, charakterisiert durch »Augen- und Fleischeslust«, durch hofiartiges Leben, durch »Welt-Liebe« und Werke des Satans wie Ehebruch, Hurerei und Unzucht, gehört, oder zum Reich Gottes. 563 Das Böse in der Welt besteht also nicht nur in beklagenswerten einzelnen Vergehen, die aufgelistet werden können. Die Existenz des Bösen ist zugleich eine zerstörerische Macht, die sich gegen Gott richtet und den Menschen versklaven will. Zunächst einmal ist das Böse eine namenlose Macht, der der Mensch ohnmächtig gegenübersteht. Die lutherische Orthodoxie kann diese Macht sowohl als eine persönliche als auch als eine unpersönliche vorstellen. In ihren Predigten bevorzugen die Theologen zumeist die bildhafte Vorstellung vom Teufel. Der Teufel gilt — ganz in biblischer Tradition — als der gefallene Engel. 5 6 4 Er verkörpert die unsichtbare böse Macht. Aber die Prediger stellen den Teufel nicht nur als das personifizierte Böse mit »schwarzen Klauen« bzw. »Geißfuß« vor, sondern warnen ihre Hörer auch vor den subtilen Methoden des arglistigen Geistes. 565

3. Heilsvertrauen

und

Welterfahrung

3.1 Leben im Angesicht des Todes Die Vergänglichkeit des Lebens wurde den Menschen in den Predigten deutlich vor Augen gestellt und fand in der eigenen Erfahrung hinreichende B e stätigung. 566 Keiner konnte sich sicher sein, den Abend des eben angebroche-

5 6 3 REUCHUN: Christentum, S. 2 0 5 - 2 1 1 ; ebd., S. 217 f. vgl. die Kennzeichen eines irdisch gesinnten Menschen. Vgl. ANDREAE: Predigten in Hagenau, S. 28. 5 6 4 SIGWART: Predigt vom Vaterunser, S. 199 ff. SIGWART: Predigt vom Hagel, S. 12. 5 6 5 WAGNER: Casualpredigten (Teufel), S. 5. ANDREAE: Predigten in Lauingen, S. XX V . Der Teufel als Geist vgl. SUMMARIEN I, S. 1039 f. HÄBERLIN: Epistel-Postille 2, S. 9 0 b : D e finition des Bösen. 5 6 6 FRANÇOIS LEBRUN: Les hommes et la mort en Anjou aux 17 e et 18 e siècles. Essai de démographie et de psychologie historiques (Civilisation et Sociétés, Bd. 25). Mouton, Paris, La Haye 1971, S. 436. In Frankreich gehörten Tod und Gericht ebenfalls zu den zentralen Punkten kirchlicher Lehre. Lebrun zitiert aus dem Katechismus des Henry Arnauld (1676), der bei der Vorbereitung zur Erstkommunion benutzt wurde. »Quel doit être le plus grand soin d'un chrétien?« »C'est de se bien préparer à la mort«. Über den Katechismus fand das Thema auch in Frankreich Eingang in den schulischen Elementarunterricht. Vgl. MICHEL VOVELLE: Mourir autrefois. Attitudes collectives devant la mort aux X V I I e et X V I I I e siècles. Paris 1974. Vovelle zeigt dort ausgehend von einer demographi-

Leben im Angesicht des Todes

289

nen Tages noch zu erleben 5 6 7 , Tod und Gericht konnten jederzeit über den einzelnen hereinbrechen, und wer unbußfertig lebte, so lehrten die Prediger, dem stehe dann ein Ende mit Schrecken bevor. D e r Tod war ständig präsent, er prägte die menschliche Erfahrung nachhaltig. Allein im Pestjahr 1635 starben in Esslingen achttausend Menschen. 5 6 8 Dies berichtet Wagner in der Vorrede zu den im Jahr 1636 in Esslingen gehaltenen Trauerpredigten. E r b e schreibt dort zum einen in drastischer Art und Weise die katastrophalen hygienischen Verhältnisse nach dem Ausbruch der Pest in der Reichsstadt. Dabei hat die Reichsstadt nicht nur mit ihren eigenen, durch die Pest ausgelösten Problemen fertig zu werden, sondern ist zudem durch Flüchtlinge aus dem U m land völlig überfüllt. Dies löste zum einen eine gravierende Versorgungskrise aus, zum anderen war eine erhöhte Ansteckungsgefahr, hervorgerufen durch Vnreinigkeit vnnd Ansteckung deß Luffts, die Folge. D i e Infektionsgefahr werde, so Wagner, durch die im Land stehenden Armeen, [...] / welche den inficirten Lujft allberait mit sich am Leih getragen/ vnd die Infection nicht anders/ als einen Droß mit sichfu[e]hren/ [...]« verstärkt. 569 In Zeiten solcher Epidemien war der Tod keine Eventualität, sondern eine persönliche, direkte, unmittelbare B e drohung, die panische Angst auslöste. 570 Auf eine crise de mortalité, beispielsweise verursacht durch eine solche Pestepidemie, folgten die mortalités de crises. Sie waren weniger ausgeprägt, wirkten aber durch ihre lange Dauer ebenso destruktiv, sie zeichnen sich durch eine Verbindung von Mangel, Armut und Hungersnot aus. 571 Die Folgen einer Pestepidemie für Wirtschaft, Verwaltung,

sehen Studie, daß der Tod auch im 17. Jahrhundert durch die niedrige Lebenserwartung, durch ständige Seuchen, Epidemien, Hungersnöte und Kriege eine ständig erlebte unmittelbare Wirklichkeit darstellte. RUBLACK: Augsburger Predigt im Zeitalter der lutherischen Orthodoxie, S. 131 f. 567 Vgl. zum folgenden REUCHLIN: Christentum, S. 190 f.Vgl. REUCHLIN: Leichenpredigt (Stud. theol.), S. 78. PREGITZER: Bußpredigten, S. 2 0 8 und S. 2 1 3 . ANDREAE: Leichenpredigt Lieberstein, S. 16V. 5 6 8 In Tübingen starben im Pestjahr nach Angaben in Kirchenbüchern, auf die HOCHSTETTER, A. A.: Leichenpredigt für J. A. Oslander, S. 43 verweist, 1 4 8 5 Personen. Vgl. dazu HAAG: Predigt und Gesellschaft, S. 6 6 und Anm. 34: Als U l m nach der Schlacht von Nördlingen mit Flüchtlingen überfüllt war, starben im Jahr 1634/35 nach den Angaben des U l m e r Superintendenten Dieterich 1 4 . 0 0 0 Menschen an der Pest. 569 WAGNER: Esslinger Trauerpredigten, S. [a ] v -[a ] r . Vgl. SIGWART: Predigten von 2 3 Hauptplagen, S. 8 1 - 1 2 1 . 3 7 0 Vgl. LEBRUN: Les hommes et la mort, S. 429 f . V g l . DELUMEAU: Angst im Abendland. Bd. 1, S. 140—146 zum Auftreten der Pest und S. 154—165 zum Zusammenbruch des öffentlichen Lebens. 571 WAGNER: Esslinger Trauerpredigten, S. [a 4 ] r : Nicht weniger war/ [...] / der Hunger vnschwungenlich groß / vnnd je lenger je mehr. Dann gleichwie ein Su[e]nd die andere auff dem Rukken tra[e]gt/ immer eine der anderen die Hand beuth: Also seind auch die Straffen GOTTES/ wann sie anfangen sich zuvergiessen/ sehr Fruchtbar/ eine beuth der andern immer die Hand/ das Schwerdt dem Hunger/ Hunger der grassierenden Pestilentz/ wie GOTT der HERR drohet [...] Thren. am 4. capitel/ V.4.5.Vgl. LEBRUN: Les hommes et la mort, S. 4 9 1 .

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Neuzeit

Kirche u n d ärztliche Versorgung k o n n t e n lange nicht ausgeglichen w e r d e n , w i e W a g n e r in einer seiner Esslinger T r a u e r p r e d i g t e n ausdrücklich sagt. 572 A u c h w e n n die »großen« Katastrophen w i e beispielshalber Pest u n d K r i e g i m L e b e n eines einzelnen ausblieben, so war d e n n o c h das individuelle L e b e n zutiefst b e d r o h t . 5 7 3 D u r c h j e d e M i ß e r n t e infolge v o n Witterungseinflüssen u n d die durch Spekulanten zusätzlich angefeuerte Teuerungsrate sahen sich weite Bevölkerungsteile i m m e r w i e d e r der E x i s t e n z b e d r o h u n g ausgesetzt. W o h l rieten die Prediger, f ü r solche Fälle Vorsorge zu schaffen u n d Vorräte a n zulegen, oft aber g e n ü g t e das E i n k o m m e n gerade zur m i n i m a l e n B e f r i e d i g u n g elementarster Lebensbedürfnisse. G e w ö h n l i c h e , unspektakuläre K r a n k h e i t e n gegen die es keine M e d i z i n gab, die h o h e Kindersterblichkeit 5 7 4 , die stete Angst vor d e m Abgleiten in A r m u t u n d Bedürftigkeit, speziell b e i m Tod eines Elternteiles, sowie das frühzeitige Altern m a c h t e n eine K o n f r o n t a t i o n mit d e m Tod unumgänglich. 5 7 5 Sigwart v e r m e r k t dazu: Es ist billich die Jugent bey zeit an das Alter/ vnd der Gesund an den Krancken (dessen er kein viertheilstund gesichert ist) gedencken/ vnd etwas auff den Notfall versparen.576 D i e Prediger w a r n e n eindringlich davor, in Z e i t e n der G e s u n d h e i t frech vnd rewlos zu leben, u n d erst i m Alter die G e d a n k e n auf den Tod zu richten, d e n n nicht i m m e r trete eine K r a n k h e i t als Vorbote des Todes ein, viele sterben auch eines schnellen, j ä h e n Todes. 5 7 7 N u r w e r also in p e r m a n e n t e r V e r g e g e n w ä r t i g u n g d e n Tod antizipiert, d e n kann dann der eintretende Tod nicht schrecken. 5 7 8 K r a n k h e i t war f ü r die Prediger die Folge der Sünde, w i e u m g e k e h r t die G e s u n d h e i t der Seele u n d des Leibes als die h ö c h s t e n G a b e n in der Welt zu b e t r a c h t e n waren. 5 7 9 D i e K r a n k h e i t diente dazu, daß sich der M e n s c h n i c h t an 372 WAC.NER: Esslinger T r a u e r p r e d i g t e n , S. 91 ff. Vgl. LEBRUN: Les h o m m e s et la m o r t , S. 4 3 0 - 4 3 4 . 573 Vgl. DELUMEAU: Angst i m A b e n d l a n d . Bd. 1, S. 2 0 9 - 2 3 4 , bes. S. 2 2 8 - 2 3 4 . 374 Vgl. LEBRUN: Les h o m m e s et la m o r t , S. 422 ff. D i e Auffassung einer R e s i g n a t i o n angesichts des Todes, die L e b r u n aus s e i n e m M a t e r i a l (Pfarregister, T a g e b ü c h e r , C h r o n i ken, F a m i l i e n s t a m m b ü c h e r , Verwaltungsakten kirchlicher u n d staatlicher Provenienz) zieht, f i n d e t in d e n P r e d i g t e n keine Bestätigung. In vielen L e i c h e n p r e d i g t e n k o m m t der f r ü h e T o d der K i n d e r zur Sprache u n d die m i t i h m v e r b u n d e n e Trauer der E l t e r n . Vgl. RAITH: Trostschrift, S. 6 f. 373

OSIANDER, A . : S t e r b p r e d i g t , S. 1 5 . V g l . PHILIPPE ARIES: S t u d i e n z u r G e s c h i c h t e

Todes i m A b e n d l a n d . M ü n c h e n , W i e n K r a n k h e i t als Helfershelfer des Todes. 376

377

des

1976, S. 161. Er b e z e i c h n e t Alter, K r i e g u n d

SIGWART: L a s t e r p r e d i g t e n , S. 9 5 .

ANDREAE: L e i c h e n p r e d i g t H e r z o g i n Sabina, S. 2 3 [=32], Vgl. MOHR: D e r u n v e r h o f f t e Tod, passim. SIGWART: P r e d i g t e n v o m A b e n d m a h l , S. 107 r . Was die leibliche G e s u n d h e i t anbelangt, so [...] pflegen ettliche besondere Artzneyen/ welche praeseruativa genen[n]t weren/ auch bey gesundem Leib zugebrauchen/ damit sie der kranckheit beuor kommen. Dieses Verhalten sollte a u c h hinsichtlich der Seelen Artzney b e a c h t e t w e r d e n . 378 VOVELLE: M o u r i r autrefois, S. 75. 379 ANDREAE: Chrisriiche A n l e i t u n g , S. 3 u n d S. 8. OSIANDER, A.: Sterbpredigt, S. 3.

Leben im Angesicht des Todes

291

das Leben »vergafft« oder sein »Herz daran hängt«. 580 Krankheiten werden als zeitliche Strafen bezeichnet, 5 8 1 auch Kinder sind davon nicht ausgeschlossen. 582 Gerade am Beispiel des jungen Menschen, der krank wird, zeigt A n dreae, wie hier (leibliche) Krankheit zur (seelischen) Gesundheit fuhren kann. Wer in der Krankheit erkennt, sein Leben nicht aus sich selbst zu besitzen, wird nach seiner Gesundung sich der Demut und der Gottesfurcht »befleißigen«. 583 Das Strafen Gottes für eine Verfehlung wird als Minderung des D a seins, also als Krankheit, Verlust o. ä. erfahren; umgekehrt wird Vergebung, das heißt der Erlaß dieser Strafe, eben als Förderung und Wohlergehen im Dasein erfahren. Das Verständnis der Krankheit als einer göttlichen Strafe schließt j e d o c h medizinische Fürsorge nicht aus: Medikamente sollen zur Heilung eingesetzt werden, denn sie sind ein Teil der göttlichen Schöpfung. 5 8 4 Die Kompetenz des Arztes endet aber an dem von GOtt selbsten vorgestreckten termino vitae.5>is Im Krankheitsfall soll sich der Patient an einen Arzt wenden und dessen K ö n nen in Anspruch nehmen. Dazu wird empfohlen, einem ordentlich von der Obrigkeit bestellten Mediziner sein Vertrauen auszusprechen. D e r Patient soll dann dem Arzt zu fo[e]rdest sein Anliegen gru[e]ndlich ohne Scheu berichten, ihm in der fu[e]rgeschriebenen Cur und Dia[e]t gehorsamlich folgen, und die Artzeney richtig gebrauchen; auch den Artzt gebu[e]rend belohnen, so gut er es im Vermo[e]gen hat,586 Oft j e d o c h gilt Krankheit als Ankündigung des Todes. Eine plastische Schilderung zu Krankheit und Tod ist bei Johann Georg Sigwart überliefert. Sie bietet ein gutes Bild des offenen Umgangs mit dem Tod. Sigwart schildert die oft lange Dauer des Dahinsiechens, die häufig dazu führe, daß sich der Patient selbst den Tod wünscht und die Angehörigen aus Abscheu vor dem äußeren WAGNER: Esslinger Trauerpredigten, S. 187. WAGNER: Evangelien-Postille 1, S. 672. SUMMARIEN V, S. 579.Vgl. LEBRUN: Les hommes et la mort, S. 391. 380 ANDREAE: Leichenpredigt Herzogin Sabina, S. 24. SIGWART: Predigten über 1 Kor 15, S. 115 R : Demnach sollen wir vns an disem Zeitlichen leben/ welches zergenglich ist/ nicht also vergaffen/ vns dasselbig nicht zu sehr belieben lassen/ vnd diß orts thun wie die Kinder/ welche wol do[e]tffen nach einer scho[e]nen Blumen oder Apffel greiffen/ vnd ein ko[e]stlich Goldstuck fallen lassen. Vgl. ANDREAE: Trostschrift, S. 47. 581 WAGNER: Predigt über Ehehalten, S. 42. 582

WAGNER: E v a n g e l i e n - P o s t i l l e 1, S. 6 6 8 ff.

ANDREAE: Predigten in Lauingen, S. XLI V . OSIANDER, A.: Leichenpredigt Burckhard, S. 7 V -8 R . WEISMANN: Leichenpredigt Hoffmann, S. 7: Krankenlager als »hohe Schule« bezeichnet. REUCHLIN: Leichenpredigt (Stud. theol.), S. 67. 384 WAGNER: Leichenpredigt Cronegk, S. 30. WAGNER: Leichenpredigt Cellius, S. 42. 383

W A G N E R : E s s l i n g e r T r a u e r p r e d i g t e n , S. 1 9 0 f. SUMMARIEN I V , S . 2 0 3 . SUMMARIEN V, S . S.

272,

580. 383

WAGNER: T r a u e r p r e d i g t e n , S. 1 9 0 f.

SUMMARIEN V, S. 581. Vgl. WAGNER: Esslinger Trauerpredigten, S. 173. Der Arzt hat eine fundierte theoretische und praktische Ausbildung absolviert, die ihn eindeutig von »Marktschreiern mit Quacksalben«, die eher die Gesundheit ruinieren als dem Patienten helfen, unterscheidet. 386

292

Dimensionen

des Alltags in der Frühen

Neuzeit

Erscheinungsbild des Kranken ihrer Pflege nur mit großer Überwindung nachkommen. Das Eintreten des Todes selbst wird in einer ungeheuerlichen Drastik berichtet: Da fallen die Augen ein/ der Todtsschweiß laufft vber daß Angesicht vnnd den gantzen Leib herab/ daß Angesicht erblicht/ vnd hat kein Menschliche färb mehr/ der Leib wu[e]rdt blaw/ der Mund kru[e]mmet vnd sperret sich auff vnd verstellt sich auf das aller abschewlichst,587 Es erstaunt wenig, wenn Sigwart anschließend erklärt, daß vil Leut nicht zusehen ko[e]nnen/ oder wu[e]rdt jhnen dauon ohnma[e]chtig. Damit noch nicht genug der Drastik, denn der vbelriechende Tote taugt, im Unterschied zum Tier, das noch einer Verwertung zugeführt werden kann, zu überhaupt nichts mehr. Der Prediger fuhrt seine Schilderung, mit der dem Menschen seine absolute Vergänglichkeit und Nichtigkeit vor Augen geführt werden soll, im gleichen Stil noch fort. 5 8 8 Die Prediger wollten die Menschen zur B u ß e auffordern, indem sie ihnen auf solch drastische Weise die Vergänglichkeit des Lebens vor Augen führten und sie so die Grauen des Todes ahnen ließen. In den Mühsalen der Welt, wenn man ungerechterweise Lästerungen zu ertragen hat, wenn man große Schmerzen des Leibes empfindet, wenn man krank wird und also diesen Tod vor Augen hat, dann Laßt vns getrost sein: Es wu[e]rdt geseet in Vnehr/ vnnd u>u[e]rd aufferstehn in Herrligkeit.5m Anteil an der Herrlichkeit wird demjenigen zugesichert, der in diesem L e ben den Anfang macht, das heißt, wer die »angeborene und verdiente U n e h re« anerkennt und bedenkt, daß wir Staub vnd Aschen sind. Wer an Christus glaubt, wird diese Herrlichkeit erlangen. Dazu gehörte es, in schuldiger danckbarkeit/ Keusch/ Gerecht vnnd Gottselig [zu] leben/ die Weltliche lu[e]sten [zu] verleugnen vnd die selige Zukunfft deß grossen Gottes vnnd vnsers Heylands Jesu Christi [zu] erwarten. Die Bibelstellen, die diesen Aussagen angefügt sind, betonen, daß j e n e , die ihren Glauben mit guten Werken beweisen, die in Geduld nach guten Werken trachten, zum ewigen Leben auferstehen werden.

587 SIGWART: Predigten über 1 Kor 15, S. 119™. Vgl. ANDREAE: Predigten in Hagenau, S. 3 7 9 zur Verpflichtung der Angehörigen zur Krankenpflege. Gibt es keine Angehörigen oder können sie aus finanziellen Gründen die Pflege nicht übernehmen, dann wird von dem Prediger die Nachbarschaft in die Pflicht genommen. Hier schließt sich ein Appell für Spenden an die Kasse der Armenfürsorge an (ebd., S. 388). OSIANDER, A.: Sterbpredigt, S. 2 f. 588 ARIES: Studien zur Geschichte des Todes, S. 154—158. Vgl. WOLFRAM MAUSER: Dichtung, Religion und Gesellschaft im 17. Jahrhundert. Die »Sonnete« des Andreas Gryphius. München 1976, Teil 2, Abschnitt A und B zum Vanitasglauben und zur LeidenHeil-Argumentation. Vgl. dazu Christliches Haus-Gesangbuch (1664), S. 132, Vers 5 und 6: Dein freundschafft wird ein kurtze Zeit/ vmb deinen Tod sich klagen. / Ein Mantel vnd ein schwartzes Kleid/ ein halbes Ja[e]hrlein tragen. Dann sagt die Rott/genad dir Gott/ deiner ist bald vergessen/ von all deiner Haab/ mustu ins Grab/ von Wu[e]rmen wirst gefressen. [Vers 6] Wann dann verloffen ist ein Jahr/ dann bist du schon verwesen/ Der dich sucht/ findt kein Haut noch Haar/fragt wer du seyst gewesen? 589 SIGWART: Predigten über 1 Kor 15, S. 126™.

293

Leben im Angesicht des Todes

Allen vntergetruckten gilt der Trost, daß im Tod alle gleich sind; allen Kranken und Schwachen, daß die Sterbestunde Erlösung aus allem Jammer bringt und der Leib nicht länger der Krankheit unterworfen ist. 590 Ist der Tod eingetreten, dann sollen Angehörige und Nachbarn mit der Leich gehen und eine christliche Leichenpredigt hören, dadurch wir nit allein des Trosts von den Abgestorbnen / sonder auch vnsers elenden Lebens erinnert/ vnd vns lernen geschickt machen/ wann vns Gott angreifft/ [. . J.591 D e r einzelne kam schon während seiner primären Sozialisation mit dem Tod von Angehörigen in Berührung, er wurde während des Erwachsenwerdens — wegen der geringeren durchschnittlichen Lebenserwartung — nicht nur mit dem Tod alter Menschen, sondern auch mit dem Tod von Gleichaltrigen, j a Jüngeren konfrontiert. D i e bedrohte Möglichkeit, selbst überraschend an einer tödlichen Krankheit zu erkranken und/oder zu sterben, machte eine Auseinandersetzung mit dem Tod unumgänglich. Alle diese Umstände führten zu einer lebensbegleitenden Vertrautheit mit dem Sterben. 5 9 2 Ein Idealbild christlichen Sterbens zeichnet Andreas Osiander in seiner 1607 gehaltenen Sterbpredigt. 593 Sich im Leben frembdgegen den Tod zu stellen, bringe keinen Ausweg, da schließlich alle Menschen sterben müßten. Es sei folglich einfacher, sich beizeiten mit dem Tod zu arrangieren, denn letztlich bringe der Tod die Erlösung von Krankheit, Angst, Anfechtung, Schwermütigkeit und allen übrigen Betrübnissen bis hin zu Armut. Wer in wahrem Glauben aus dieser Welt scheide, brauche den Tod nicht zu furchten, denn der hl. Geist verteidige gegen die Anklage des Satans, des Gesetzes und des eigenen Herzens. Gerade für fromme Christen sei j e d o c h häufig die Furcht vor dem Tod schlimmer als der Tod selbst. Solche Christen sterben gemeinlich also/ daß sie sanfft entschlaffen/ kein Sterben empfinden/ vnd also in der Warheit den Tod nicht sehen [...] Es seind da die heilige liebe Engel/ die warten/ biß wir auff gelo[e]set werden/ vnd tragen alßdann vnsere Seelen in das ewige Leben,594 Die E i n wände, mit denen sich Osiander dann aneinandersetzt, zeigen, wie — wenig? — tragfähig Trost und Glaubensgewißheit waren. In ihnen kommt zum Ausdruck, daß Sterben, anders als in den Schilderungen Oslanders, häufig mit großen Schmerzen, Angst und Anfechtung einhergeht, bevor endlich der Tod

590

WAGNER: Evangelien-Postille

1, S. 6 7 3 f. WAGNER: Predigten

in

Hagenau,

S. 3 8 7 . WAGNER: Predigten in Hagenau, S. 3 8 8 . Vgl. OTTO DÖHNER: KrankheitsbegrifF, Gesundheitsverhalten und Einstellung zum Tod im 16. bis 18. Jahrhundert. Eine historisch-medizinsoziologische Untersuchung anhand von gedruckten Leichenpredigten (Marburger Schriften zur Medizingeschichte, Bd. 17). Frankfurt/M., Bern, N e w York 1986, S. 7 4 - 9 1 . Der B e g r i f f lebensbegleitende Vertrautheit mit dem Sterben, den Döhner gebraucht, stammt von JOACHIM ERNST MEYER: Tod und Neurose (Kleine Vandenhoeck-Reihe 374). Göttingen 1973. 591

592

593

OSIANDER, A . : S t e r b p r e d i g t , S.

594

OSIANDER, A . : S t e r b p r e d i g t , S. 17 f.

4-10.

294

Dimensionen des Alltags in der Frühen Neuzeit

eintritt. A u f diese E i n w ä n d e antwortet Osiander nur, er habe in seiner Schilderung lediglich von f r o m m e n Christen gesprochen, nicht von gottlosen, u n bußfertigen Sündern: W e r wissentlich und vorsätzlich Böses tue und dabei verharre, der werde ein »böses« Sterben haben: Besser were jhm/ daß er nie wer geborn worden.595 U n d wer kann sich in seinen Tod fügen, wenn er weiß, eine unversorgte Familie zu hinterlassen, oder wenn er in j u n g e n Jahren sterben m u ß ? 5 9 6 Hier verweist der Prediger darauf, daß dann der »Vater im Himmel« W i t w e n und Waisen versorgen werde; auf die Frage nach dem Alter heißt es bei Osiander, hierin k ö n n t e n G o t t keinerlei Vorschriften gemacht werden. D e r frühe Tod k o n n t e vielmehr als eine besondere Gnade Gottes betrachtet werden. Dies war j e d o c h nur dann möglich, wenn Leben Leiden bedeutete, dem durch den Tod ein E n d e gesetzt werden konnte. R u d o l f M o h r ist der Auffassung, die protestantische Frömmigkeit [habe] die Vertrautheit mit dem Gedanken an den eigenen Tod erleichtert 597 E i n e Vertrautheit mit dem Tod ist aus den Predigten der lutherisch-orthodoxen T h e o l o g e n in derTat abzuleiten, j a sie ist ein besonderes Ziel ihrer Predigt. O b diese Vertrautheit allerdings zugleich eine tröstliche Auffassung darstellt, m u ß angezweifelt werden; sie tat dies nur im Idealfall, wie er gemeinhin aus den bekannten Gründen in der L e i c h e n predigt vorliegt. 5 9 8 D e r einzelne mußte so eine sehr ambivalente Einstellung gegenüber dem Tod haben. Z u m einen brachte der Tod die Erlösung aus dem »irdischen Jammertal«, zum anderen konfrontierte er mit dem irreversiblen Gericht. Erschwert wurde die lutherisch-orthodoxe Hilfe zur Bewältigung des T o des sicher durch die fortwährende U n g e w i ß h e i t über den Heilszustand. Das Gewissen des einzelnen, stetig mit dem Gesetz konfrontiert, war die vorgezogene Gerichtsinstanz, die den einzelnen schon zu Lebzeiten ständig verklagte: »Wer sich nicht fürchten will, der tue Gutes« 5 9 9 . Letztendlich spielte es für den M e n s c h e n der Frühen Neuzeit keine R o l l e , mit welcher der beiden nebeneinander bestehenden eschatologischen K o n zeptionen er nach dem Tod konfrontiert war. In ihrem K e r n schließlich stimmten diese K o n z e p t i o n e n überein, was den Predigern die K o m b i n a t i o n

395

OSIANDER, A . : S t e r b p r e d i g t , S. 1 7 u n d S.

596

OSIANDER, A . : S t e r b p r e d i g t , S. 1 5 f.

11.

5 9 7 MOHR: Protestantische Theologie und Frömmigkeit im Angesicht des Todes, S. 339 ff. 3 9 8 Zur Glaubwürdigkeit und zur pädagogischen Funktion der Leichenpredigt vgl. RUDOLF LENZ: Gedruckte Leichenpredigten (1550-1750). I. Historischer Abriß, II. Quellenwert, Forschungsstand, III. Grenzen der Quelle. In: R u d o l f Mohr (Hrsg.): Leichenpredigten als Quelle historischer Wissenschaften. Köln, Wien 1975, S. 3 6 - 5 1 . RUDOLF MOHR: Der Tote und das Bild des Todes in den Leichenpredigten. In: R u d o l f Mohr (Hrsg.): Leichenpredigten als Quelle historischer Wissenschaften. Köln, Wien 1979, S. 8 2 - 1 2 1 . 599

WAGNER: R e g e n t e n p r e d i g t e n , S.

18.

Leben im Angesicht des Todes

295

aus beiden ermöglichte. Den Menschen erwartet nach dem Tod das Gericht, in welchem endgültig über Verdammnis bzw. Seligkeit entschieden wird. Alle großen und kleinen Katastrophen stürzten die Menschen in individuelle und kollektive Krisen. W i e dies Lebrun mit seinem B e g r i f f der mortalité de crises tut, so plädiert auch Lehmann für ein Krisenverständnis, das gekennzeichnet ist durch ein M o m e n t der langen Dauer. Im Unterschied zu Hobsbawm, Trevor-Roper und Rabb, die den Begriff der Krise im Sinne von historischer Zäsur oder irreversibler Zuspitzung auf eine Zeit relativ kurzer Dauer gebrauchen, charakterisiert Lehmann durch den B e g r i f f Krisenzeit langanhaltende Phänomene, wie eine fortwährende Schwächung der Kräfte [...], eine generelle Reduktion des Lebensstandards, eine Bedrohung der Lebenssicherheit und ein Nachlassen des Lebensmutes.600 Diese Krisenzeit erstreckt sich etwa über vier Generationen und umfaßt die Jahre 1600/20 bis 1720/40. Sie deckt damit weite Teile des hier untersuchten Zeitraumes ab. Angesichts solcher Krisen waren in besonderem M a ß e die Prediger aufgerufen, zur Uberwindung von Furcht, Schrecken und Todesangst beizutragen. 601 Im Kapitel über die Zeichen der Zeit wurde gezeigt, daß alle Katastrophen dieser Welt Erweise eines zürnenden Gottes über ein »verdorbenes« Menschengeschlecht sind. Dabei handelt es sich um kein typisch lutherischorthodoxes Phänomen. Das Bild eines grimmigen Gottes fuhrt nicht nur zu einer gesamtprotestantisch-orthodoxen Bußdichtung, es ist ebenso der katholisch-jesuitischen Literatur eigen. Dies zeigt, daß die Theologen — quer durch alle Konfessionen - vornehmlich glaubten, die Menschen durch Angst vor Strafe auf den Weg der Tugend bringen zu können, durch Angst vor Bestrafung im Diesseits wie im Jenseits. 6 0 2 Die ewige Gültigkeit einer nach dem Tod irreversiblen Entscheidung wirkte ins Leben zurück. Nach der theologischen Interpretation folgte auf menschliches Fehlverhalten die göttliche Strafe. Die Zeit der Krise ist damit kongruent zur Zeit der göttlichen Bestrafung zu setzen. D e r kontinuierliche Wechsel zwischen menschlichem Fehlverhalten, das sich in Lastern und Untugenden äußert, der göttlichen Warnung in den Zei-

6 0 0 LEHMANN: Das Zeitalter des Absolutismus, S. 108 f. Daß diese Strukturkrise von Gesellschaft und Kultur ein gesamteuropäisches Phänomen war, zeigt Lehmann S. 1 0 8 - 1 1 2 . ERIC J . HOBSBAWM: T h e crisis o f the seventeenth century. In: Trevor Aston (Hrsg.): Crisis o f Europe 1560—1660. London 1965, S. 5—58. Sein Begriff der Krise umfaßt kein Jahrhundert. HUGH R . TREVOR-ROPER: T h e generell crisis o f the seventeenth century. In: Trevor Aston (Hrsg.): Crisis o f Europe 1 5 6 0 - 1 6 6 0 . London 1965, S. 5 9 - 9 5 . Die Dauer der Krise kann in seiner Definition zwei Dekaden nicht übersteigen. THEODORE K. RABB: T h e struggle for stability in Early Modern Europe. New York 1975, S. 2 9 - 3 4 . 601 WAGNER: Zwei Erdbebenpredigten, S. 51 ff. Mit diesen Begriffen beschreibt Wagner beispielshalber die dreifache Wirkung eines Erdbebens. 6 0 2 Vgl. LEBRUN: Les hommes et la mort, S. 417. Seiner Meinung nach zeigt sich die Auffassung, Menschen eher durch Angst vor Strafe, denn durch Hoffnung auf Belohnung auf den Weg der Tugend zu bringen daran, daß es mehr Beschreibungen der Hölle als des Paradieses gibt. HAAG: Predigt und Gesellschaft, S. 3 1 4 f.

296

Dimensionen

des Alltags in der Frühen

Neuzeit

chen, von diesem lasterhaften Verhalten Abstand zu nehmen und der damit einhergehenden Bestrafung decken sich mit dem Interpretament einer Krisenzeit. D e r Mensch der lutherischen Orthodoxie befand sich in einer permanenten Krise. D e n Theologen konnte es kaum gelingen, Trost bereitzustellen, da ihre Handlungsstrategien Teil des Kreislaufes von Fehlverhalten, göttlicher Bestrafung und Aufruf zur Besserung waren. Ihre Gesetzespredigten, ihre am Dekalog orientierten Anweisungen, Leben im Alltag zu gestalten, führten häufig den einzelnen in Anfechtung und Verzweiflung. Anfechtung und Verzweiflung sind die Kehrseite des unerbittlichen Anspruches, sie bilden gewissermaßen den seelsorgerlichen Aspekt von Krise. Der Trost des Evangeliums kam in den Predigten häufig zu kurz. Ziel der Prediger war es, durch eine weltimmante Bestrafung vor einem Weg in die ewige Verdammnis zu bewahren; ein Gedanke, der ebenfalls im Kirchenlied 6 0 3 Unterstützung findet: Solls ja so seyn, Daß straff und pein Auf su[e]nde folgen

mu[e]ssen,

so fahr hie fort, Und schone

dort,

Und laß mich hie wohl

bu[e]ssen.

Markus Schär hat eine ähnliche Entwicklung für Zürich aufgezeigt. 6 0 4 E r kommt in einer Untersuchung über die »Seelennöte der Untertanen« zu dem Ergebnis, daß in Zürich seit der Mitte des 17. Jahrhunderts den ihrer traditionellen Vermittlungsinstanzen beraubten Menschen fast allmächtige Prediger gegenüberstanden, die sich als Instrumente eines zürnenden Gottes verstanden. 6 0 5 Unter ihrem Einfluß war ein neuer Persönlichkeitstypus entstanden, der bestrebt war, ein exemplarisches christliches Leben zu fuhren. D i e empfundene Diskrepanz zwischen den Forderungen der Prediger und den Versuchungen der »bösen Welt« konnten so gerade die Frömmsten in einen Teufelskreis aus Erlösungswunsch, Sündenbewußtsein und Selbstverdammung fuhren. 6 0 6 Nicht selten endeten die durch das Gewissen wachgehaltenen quälenden Selbstzweifel im Suizid. 6 0 7 Wer sich selbst für verdammt hielt, glaubte, so das göttliche Urteil des Endgerichts antizipieren zu können.

6 0 3 Württembergisches Gesangbuch (1741), Nr. 131,Vers 4 [= Christliches Haus-Gesangbuch (1664), S. 74], 6 0 4 MARKUS SCHÄR: Seelennöte der Untertanen. Selbstmord, Melancholie und R e l i gion im Alten Zürich, 1 5 0 0 - 1 8 0 0 . Zürich 1985, bes. Teil IV: Religiosität und Melancholie, S. 2 2 1 - 2 7 4 . 6 0 5 SCHÄR: Seelennöte der Untertanen, S. 1 3 1 - 1 4 9 und S. 2 0 4 - 2 0 8 . 6 0 6 SCHÄR: Seelennöte der Untertanen, S. 5 6 - 5 9 und S. 8 5 - 8 9 . 6 0 7 SCHÄR: Seelennöte der Untertanen, S. 85.AufTrib seines Geurüssens und nicht aus Furcht vor Bestrafung habe sich, so zitiert Schär, der eines Diebstahls verdächtigte U. Trüllinger in den R h e i n gestürzt.

Eine Provokation: Der Prophet aus Gerlingen 3.2 Eine Provokation:

Der Prophet

aus

297

Gerlingen

Das spektakuläre Auftreten des Hans Keyl aus Gerlingen hat nicht nur u n ter seinen Zeitgenossen für Furore gesorgt, auch für die Forschung ist er bis heute ein begehrtes O b j e k t . 6 0 8 Das soll aber nicht davon abhalten, i m folgenden den Fall des sogenannten Gerlinger Propheten erneut ins Z e n t r u m wissenschaftlicher Analyse zu stellen und so den Fall Keyl u m einen weiteren Aspekt zu ergänzen. Ausgangspunkt ist diesmal die von dem Esslinger Superintendenten und späteren T ü b i n g e r Professor Tobias Wagner gehaltene Propheten-Predigt. D e r gesamte Abschnitt kann gewissermaßen als Zusammenfassung des Themenkreises »bedrohter Kosmos« dienen. W i e reagiert die etablierte T h e o l o g i e , wenn ein »Prophet« sich ihre eigenen Deutungskategorien z u nutze macht, sie dann aber in ihrem urspünglichen K e r n pervertiert — oder doch nur wortgetreu versteht? Zunächst eine kurze Schilderung des Falles Keyl, die sich an der von Tobias Wagner am O s t e r m o n t a g des Jahres 1 6 4 8 in Esslingen gehaltenen Predigt o r i entiert. Allein schon die Tatsache, daß der Prediger sich an e i n e m kirchlichen Festtag den Visionen des Hans Keyl widmet, zeigt die Brisanz dieser A n g e l e genheit. Zunächst die Fakten: D e r »gemeine Bürgersmann« Hans Keyl aus Gerlingen, im L e o n b e r g e r Land gelegen, hatte a u f offenem Feld am M o r g e n des 4. Februar 1 6 4 8 eine Vision. In seinem Weingarten begegnete ihm ein E n g e l und gab i h m den A u f trag, Hohen und Nidern/ Geist- und Weltlich- Mann und Weibs-Personen/ Büß zu predigen [...j.609 Dieser Auftrag wurde sichtbar durch sechs blutschwitzende Weinreben bekräftigt. B i n n e n kurzem war die Vision publik geworden und der Weingärtner hatte einen Z u l a u f von zwei- bis dreitausend Personen, zusätzlich befanden sich etliche Flugschriften i m U m l a u f , die den Fall b e r i c h t e t e n . 6 1 0 D i e Andacht, die

608

ANDREAS DAVID CARL: W ü r t t e m b e r g i s c h e

U n s c h u l d , S. 4 2 - 4 6

u n d S. 4 9 6 - 5 0 1 .

GOTTFRIED ARNOLD: Unparteyische Ketzer- und Kirchenhistorie, Th. III, c. 23, § 31 f. DREHER: Hans Keil, der »Prophet«. In: Blätter für württembergische Kirchengeschichte 8 ( 1 9 0 4 ) , S. 3 4 - 6 1 . DAVID W . SABEAN: D a s z w e i s c h n e i d i g e S c h w e r t . H e r r s c h a f t u n d W i d e r -

spruch im Württemberg der frühen Neuzeit. Berlin 1986 (engl. 1984), S. 77-112: Ein Prophet im Dreißigjährigen Krieg: Buße als soziale Metapher. NORBERT HAAG: Frömmigkeit und sozialer Protest: Hans Keil, der Prophet von Gerlingen. In: Zeitschrift für württ e m b e r g i s c h e L a n d e s g e s c h i c h t e 4 8 ( 1 9 8 9 ) , S. 1 2 7 - 1 4 1 . 609

WAGNER: Casualpredigten (Prophetenpredigt), S. 740 f. Vgl. auch die Schilderung

v o n ANDREAS DAVID CARL: W i r t e n b e r g i s c h e U n s c h u l d , 1. T h . 2 . C a p . A r t . I I I u n d 3 . T h .

10. Cap. Zum Ablauf der Visionen vgl. DREHER: Hans Keyl, S. 34-37. SABEAN: Das zweischneidige Schwert, S. 77—82. Er zitiert im übrigen, wie auch Dreher, ausfuhrlich aus den Akten zum Prozeß. HAAG: Frömmigkeit und sozialer Protest, S. 126 fF. 610 Vgl. SABEAN: Das zweischneidige Schwert, S. 77 zitiert dort aus einer von den Behörden konfiszierten Flugschrift. Die Akten des Falls befinden sich in den Kriminalakten im Bestand des Württembergischen Oberrats im HStA in Stuttgart: Acta die von Hans

298

Dimensionen

des Alltags in der Frühen

Neuzeit

Keyl entgegengebracht wurde, könnte, so empörte sich der Prediger, gegenüber Mose und den übrigen Propheten nicht größer gewesen sein.Vorsichtige Zweifel, die gegen die Vision Keyls geäußert wurden, wie auch die obrigkeitlich angeordneten Konfiskationen der kursierenden Flugschriften konnten die Verehrung zum Leidwesen der Theologen in keinster Weise beeinträchtigen. Ja, viele Menschen im Ort und außerhalb seien über die Gefangennahme Keyls entsetzt, referiert Wagner. Aufgrund dieser Vorkommnisse im Dorf fertigte der Schultheiß, Johann Christoph Schmid, einen Bericht an, den er an den Vogt zu Leonberg, Samuel Schmid, und den zuständigen Spezial, Jacob Müller, übermittelte. Darin charakterisiert er H a n s Keyl w i e folgt: Sein, Keylen, präticat, thuen, leben und Wandel betreffend, mögens,

so ist derselbe etlich und 30 jährigen

hat 3 Kinder,

ohntadelichen

darunter

Wandels,

samb, hat sonsten

besucht

dergleichen

das Erstere stumm, die Kirchen

angemaßter

Alters,

ein Weingartter,

gar eines christlichen

schlecht

gar fleißig und ist in allen Stücken

Visionen

oder anderer Phantaseyen

Ver-

Erbaren

und gehor-

wegen

nie

niemand nichts gehört.611 Mit diesem Bericht nahm das Verfahren gegen Keyl seinen Lauf, Keyl wurde verhört, die Behörden zogen sich zur Beratung zurück und empfahlen zuerst einmal, zur Normalität zurückzukehren. W ä h renddessen hatte Keyl eine weitere Engelserscheinung, bei der angeblich mehr als 100 Reben Blut geschwitzt haben. Keyl berichtete, der Engel habe diesmal die Obrigkeit wegen ihrer Verhinderung der Verkündigung der Keyischen Botschaft als rechte Pharaonisknecht betitelt und erneut eine Warnung ausges p r o c h e n : [...] drittemal zum

kommen

wenn

man

muß,

diesen

2 blutigen

so will ich mit Feuer

Trost, den Ungläubigen

aber zum

Zeichen

nicht glauben

kommen,

will und

doch den armen

ich das Gläubigen

Schrecken.612

Am 22. März 1648 wurde Keyl — vornehmlich um einer Rebellion zuvorzukommen — auf dem Hohenurach gefangengesetzt. 613 Hier hatte er sogar noch eine weitere Engelserscheinung. Am 6. Mai 1648 war Keyl durch die Haft mürbe geworden und legte ein Geständnis ab, in dem er keine weiteren Personen der Mithilfe beschuldigte. Die prophetische Karriere des Hans Keyl nahm ein unrühmliches Ende. Nach Maßgabe des Gutachtens der Straßburger Universität wurde er in N ü r t i n g e n a n d e n P r a n g e r g e s t e l l t , vom Schaffrichter

öffentlich

mit Ruthen

außgestri-

chen und ewig des Landes verwiesen. Ein späteres Gesuch seiner Frau an Her-

Keylen zu Gerlingen angegebene Vision betreffend [A 209, Bü I 462a, Nr. 1—167], D i e gesamte Vision nach d e m Bericht der Flugschrift Göttliche, Warhafftige und niemals erhörte Wunderwerk, welche in diesem 1648. Jahr hin und wieder, so man Buße thut, zu Gnadenzaichen, so man aber unbußfertig in Sünden fortfährt, zu Straf- und Ungnadzaichen der gantzen Welt seyndt fürgestellt findet sich bei DREHER: Hans Keyl, S. 43 f. 611 Vgl. z u m folgenden DREHER: Hans Keyl, S. 38. 612 DREHER: Hans Keyl, S. 40. 6,3 DREHER: Hans Keyl, S. 49.

299

Eine Provokation: Der Prophet aus Gerlingen

zog Eberhard III., ihn nach Gerlingen zurückkehren zu lassen, wurde wegen der Schwere des Falls abgewiesen. 614 W i e lautete die Botschaft, die Keyl vorgab, in seiner Vision erhalten zu haben und wie hießen ihre Anklagepunkte, die binnen einer sechsmonatigen Frist zu beseitigen waren? Gott habe nun die ganze Christenheit viele Jahre mit Krieg, Blutvergießen, Hunger, Teuerung, Pestilenz und allerlei Strafen heimgesucht, ohne dadurch eine Besserung erreicht zu haben. 6 1 5 D o c h dies kümmere niemand, keiner ändere sein Verhalten, nach wie vor seien Fluchen, Ehebruch und Hurerei, HofFart vor allem beim weiblichen Geschlecht, Schinderei der Untertanen, Wucher, Entheiligung des Sonntags durch Spiel und Jagd sowie Geiz unter den Geistlichen an der Tagesordnung. Keyl sei deshalb in der Vision aufgefordert worden, folgendes bekannt zu machen: wo nicht alle Menschen umkehren von Sünden und ernstlich Büß, Büß, Büß [tun], so wird das in Württemberg geschehen, daß der Herr Jesus, ein Herr aller Herren, ein König aller Könige, aller Welt Heiland, ein Wetter verhängen wird, daß sieben Städte werden untergehen, 3 durch das wilde Feuer fallen, und wird das Wetter das Land verzehren, das Getreide auf dem Feld, daß Menschen und Vieh verderben. Die Leute werden zusammenlaufen und schreien: »O weh, o weh, der jüngste Tag ist da!« aber die Zeit ist noch gar nicht verflossen, aber kurz,616 Im folgenden soll nun der Versuch unternommen werden, die Visionen des Hans Keyl einmal nicht im Bereich der symbolischen Herrschaftsformen von Hierarchie, Klassenkonflikt und Herrschaft zu verorten, wie das David Sabean 6 1 7 und in gewisser Weise auch der ihn ergänzende und korrigierende sozialkritische Ansatz Norbert Haags 618 tut. D e r Fall Keyl soll diesmal weitaus stärker im Horizont lutherisch-orthodoxer Predigt, vor allem deren theologischer Verankerung analysiert werden. Es bietet sich hier die Möglichkeit, exemplarisch die Rezeption lutherisch-orthodoxer Lehre, u. a. vermittelt durch das Medium der Predigt, zu untersuchen. Daß rezipiert wurde, weist Sabean ausfuhrlich nach. D i e Verortung der einzelnen Kritikpunkte im lebensweltlichen Umfeld Keyls zeigt Haag auf. E r weist auch darauf hin, daß die Botschaft Keyls durchaus originäre Züge zeigt und erläutert dies am Beispiel der Kritik Keyls an der HofFart. D e n n anders als in zeitgenössischen Predigten und Kleiderordnungen, in welchen HofFart geschlechtsunspezifisch anprangert wird und vor allem die damit einhergehende Nivellierung der Standesunterschiede das Mißfallen der Prediger erregt, ist sie für Keyl ein typisch weibliches Vergehen. 6 1 9 6 1 4 WAGNER: Casualpredigten S. 58 f.

(Prophetenpredigt),

S. 7 7 5 .

DREHER: Hans

613

WAGNER: C a s u a l p r e d i g t e n ( P r o p h e t e n p r e d i g t ) , S. 7 4 9 - 7 5 7 .

616

DREHER: Hans Keyl, S. 37. SABEAN: Das zweischneidige Schwert, S. 78. HAAG: Frömmigkeit und sozialer Protest, S. 127. HAAG: Frömmigkeit und sozialer Protest, S. 132.

617 618 6,9

Keyl,

300

Dimensionen des Alltags in der Frühen Neuzeit

I m K o n t e x t der Transformation lutherischer O r t h o d o x i e soll nun die Frage nach dem wie der R e z e p t i o n theologischer Lehre gestellt werden. A u f welche Art und Weise wurden die Gedanken lutherisch-orthodoxer Predigt v o m i n teressierten Laien verstanden? D a b e i m u ß allerdings gleich zu B e g i n n festgehalten werden, daß Hans Keyl sicher nicht den typischen Predigthörer repräsentiert. Darauf weisen seine eigenständige Bibellektüre, aber auch das Lesen sonstiger einschlägiger Schriften hin. Sein enges Verhältnis zur Kirche und i h ren Vertretern zeigt sich i m Patenamt, das der Gerlinger Pfarrer Philipp C h r i stoph Schertlin bei den K i n d e r n Keyls ü b e r n o m m e n hat. D e r Kritik N o r b e r t Haags an einer von Sabean herausgearbeiteten S o n d e r rolle des Gerlinger Dorfgeistlichen wie auch des vermeynten Propheten Keyl m u ß zugestimmt werden. 6 2 0 D i e Aussagen Keyls, die im B u ß a u f r u f gipfeln, haben in der Tat eine h o h e Affinität zur zeitgenössischen Predigt, sie müssen nach der Lektüre der Predigten der T ü b i n g e r Professoren als geradezu idealtypisch eingeordnet werden. D i e Kritikpunkte Keyls finden sich in vielen lutherisch-orthodoxen Predigten wieder. Z u d e m beruft sich Keyl selbst a u f die Predigten seines Pfarrers Schertlin. Interessant i m gesamten K o n t e x t dieser Arbeit ist das Urteil Schertlins über seine eigene Predigtweise: er predige schlicht und einfältig, richte fast alle seine Predigten zur Buße ein und gehe gemeiniglich durch die 10 Gebote hinaus. E i n e Zielsetzung, die sich mit der in den T ü b i n g e r P r e digten festgestellten K o n z e p t i o n deckt. In seinem Geständnis hatte Keyl erklärt, den Pfarrer durch seine Visionen unterstützen zu wollen, da sich die Leute auf dessen Predigten hin nicht bessern wollten; er habe Schrecken unter die Leute bringen wollen, u m sie so zu Gottesfurcht und B u ß e zu fuhren. 6 2 1 E i n e hehre Absicht, die in den Augen der Prediger eigentlich hätte Gnade finden müssen, wäre da nicht die Amtsanmaßung des Propheten gewesen. Dies bringt die Predigt Wagners deutlich zum Ausdruck. D e r Superintendent befaßt sich ausführlich mit dieser T h e m a t i k . I h m geht es in seiner Predigt zunächst darum den Nachweis zu fuhren, daß es sich bei Hans Keyl nicht u m einen extraordinär von G o t t berufenen P r o p h e ten handelt, sondern eben u m einen u[e]berwisenden Land-Leuthund Kirchen-

620 HAAG: Frömmigkeit und sozialer Protest, S. 129. Dies zeigt auch das Gebet Schertlins Ein schön Gebet führ das gemeine Antigen der Christenheit. Wenn Sabean die Bitte um Mäßigung im Vollzug des Strafens hervorhebt (S. 95), so muß angemerkt werden, daß es sich dabei um einen gängigen Topos des lutherisch-orthodoxen Weltbildes handelt. Vgl. Gedenk an deines Sohns bittern Tod: So lautet eine Bitte im Kirchenlied Martin Mollers

( 1 5 4 7 - 1 6 0 5 ) , z i t i e r t b e i REUCHLIN: B u ß p r e d i g t e n , S. 1 3 6 [ E K G 1 1 9 , 4 ] . SIGWART: P r e d i g t

vom Erdbeben, S. 24V. Zu Moller vgl. ELKE AXMACHER: Mystische Frömmigkeit und reformatorische Theologie. Zu Martin Mollers Lied »Ach Gott, wie manches Herzeleid«. In: Alfred Dürr und Walther Killy (Hrsg.): Das protestantische Kirchenlied im 16. und 17. Jahrhundert. Text-, musik- und theologiegeschichtliche Probleme (Wolfenbütteler Forschungen, Bd, 31). Wiesbaden 1986, S. 39-47. 621 DREHER: Hans Keyl, S. 55.

Eine Provokation: Der Prophet aus

Gerlingen

301

Betrieger.622 Erst im Anschluß daran u n t e r n i m m t er denVersuch, die einzelnen Kritikpunkte der R e i h e nach zu entkräften. N a c h diesem Muster waren die Gutachter des Stuttgarter Konsistoriums ebenfalls verfahren. 6 2 3 Beide Auseinandersetzungen mit der Vision Keyls gehen also nach d e m gleichen Schema vor, zuerst wird in einem ersten Teil die Unmöglichkeit der Authentizität der Vision festgestellt, dann folgt in einem zweiten Teil eine inhaltliche E r ö r t e r u n g der Keyischen Kritikpunkte. Zusammenfassend kann man sagen, die Konsistorialen wie auch Wagner machten Keyl vornehmlich die Pauschalität seiner Urteile z u m Vorwurf, die er vor allem in Hinblick auf Ehebruch, U n z u c h t u n d Hoffart der Frauen geäußert hatte. 6 2 4 Bevor er undifferenziert vernichtende Kritik an der Obrigkeit übe, müsse er deren Gerechtigkeit bedenken, W u c h e r k ö n n e hier nicht allein z u m alles gültigen Maßstab erhoben werden. M i t Entrüstung weist Wagner den Vorwurf über den Geiz der Geistlichen zurück. Hier k ö n n e er keine vollen Weinkeller u n d Kornspeicher u n d aufgefüllte Geldsäckel erkennen, vielm e h r verhalte es sich genau andersherum. W e n n A r m u t , Hunger, K u m m e r , zerrissene Kleidung etc. einen Menschen geizig machen, dann ließen sich sicher die größten Geizhälse unter den Geistlichen finden. In ihrem Gutachten geben die Geistlichen zu bedenken, in der Bibel heiße es schließlich, wo die Sünde groß sei, da sei die Gnade auch groß. Ein Satz, der häufig genug die Predigtpraxis nicht bestimmte, wie die in dieser Arbeit untersuchten Predigten belegen. 6 2 5 Hier dagegen b e t o n e n die Gutachter, es sei einfach u n m ö g lich, daß alle Menschen B u ß e täten! Dazu w ü r d e in der Bibel an keiner Stelle aufgefordert! Wagner gibt in seiner Predigt zu bedenken, auch den Bußfertigen laste eine »sündliche Schwachheit« an, so daß sie nach der Schärfe des G e setzes nichts vollkommen Gutes tun können. 6 2 6 D i e Kondition, alle M e n s c h e n m ü ß t e n B u ß e tun, sei nimmermehr zu erheben/ und der Natur der streitenden Kirchen zuwider [...] / welche biß zur Emde/ das ist/ biß ans Ende der Welt der Acker wird bleiben/ auff welchem unter dem guten Samen des Unkraut wachsen wird/ das ist/ unter den Kindern deß Reichs die Kinder der Boßheit bleiben/ [...].627 Was das

622

WAGNER: Casualpredigten (Prophetenpredigt), S. 7 4 3 - 7 4 9 . W a g n e r stützt sich in seiner V e r u r t e i l u n g der Vision auf gleichlautende U r t e i l e m e h r e r e r Fachkollegen, so auf Philipp Nicolai, J o h a n n W i g a n d , Polycarp Leyser, J o h a n n S c h e l l h a m m e r u n d C o n r a d Dieterich. 623 Vgl. z u m f o l g e n d e n SABEAN: Das zweischneidige S c h w e r t , S. 87 ff. 624 Vgl. z u m f o l g e n d e n WAGNER: Casualpredigten ( P r o p h e t e n p r e d i g t ) , S. 7 5 0 - 7 5 9 u n d SABEAN: Das zweischneidige S c h w e r t , S. 88 f. 625 WAGNER: Evangelien-Postille 1, S. 859 zeigt, daß diese Stelle j e d o c h n i c h t völlig u n b e k a n n t war: Gleichwol sollen [...] diejenige/ welche bo[e]se verletzte/ vnd erschrockne Gewissen haben/ nicht allerdings ohne Trost auß der predig zu Hauß gelassen werden; ah wann die Gnadenthu[e]r Gottes allerdings vor jhnen solte versperret/ vnd verschlossen seyn: [...] wo die Su[e]nde ma[e]chtig worden ist/ da ist doch die Gnade viel ma[e]chtiger worden/ Rom. 5. v. 20. 626 WAGNER: Casualpredigten ( P r o p h e t e n p r e d i g t ) , S. 749.

302

Dimensionen

des Alltags in der Frühen

Neuzeit

Fluchen anbelange, stehe in der Bibel nirgendwo, ein dreimaliges Fluchen an einem Tage ziehe automatisch den Verlust der Seligkeit nach sich; generell gelte vielmehr, jeder, wie oft er auch sündige, könne selig werden, wenn er denn B u ß e tue! Im Abschnitt Keyls über die zehn Jungfrauen, die alle dem Bräutigam entgegengehen, offenbart sich nach Meinung der Gutachter seine Unkenntnis biblischer Geschichte; schließlich seien nur fünf klug gewesen. Auch hier sei es folglich unmöglich zu sagen, alle schlafen. Die Botschaft des Hans Keyl zeigt, wie die Argumentationen der T h e o l o gen »unten« verstanden wurden: Vor allem die aus der Gesetzespredigt folgenden Konsequenzen für die Lebensgestaltung waren eindeutig, ihr kausaler Z u sammenhang für jedermann leicht einsichtig. Dieses Verstehen ist j e d o c h nicht gleichbedeutend mit der Akzeptanz dieser Vorstellungen, die Transformation in die eigene Lebenswelt ist damit noch nicht automatisch vorgenommen! D o c h auch die Umsetzung in die eigene Lebenswelt leistet Hans Keyl. 6 2 8 Bei fast allen Klagepunkten des Hans Keyl muß Wagner einräumen, daß prinzipiell deren Beseitigung auch ein genuines Anliegen der Geistlichen sei, nur die Konsequenzen, die Keyl aus seinen Klagepunkten ziehe, eben die falschen seien. Wohl werde geflucht, herrsche Ehebruch, werde Unzucht getrieben, könne man täglich die Hoffart bei beiderlei (!) Geschlecht vor Augen sehen, auch er sehe die Gefahr der Bestechlichkeit der Pfarrer, die, um ihre G e meinde nicht zu verärgern, die Sünden nicht entsprechend bestrafen. Was die Aussagen zum T h e m a Wucher anbelangt, belehrt der Prediger Keyl, er habe hier nicht mit der Hl. Schrift argumentiert. Das weite Feld der Schinderei der Untertanen könne im angesprochenen Fall nicht dem Wucher zugeordnet werden, sondern müsse im Kontext der Kriegslasten bedacht werden. Das Problem bestand auch nach Meinung des Konsistoriums darin, daß Keyl die Ausführungen der Geistlichen in den Predigten zu wörtlich genommen habe, die Warnungen nicht ah Teil eines langfristigen Disziplinierungsprogramms, sondern als reale Möglichkeit hier und jetzt sah,629 Keyl verstand, dies zeichnet seine Botschaft aus, Fluchen, Ehebruch, Geiz etc. ganz wörtlich als Ursachen des göttlichen Gerichts. Sabean bindet die Differenz in der Interpretation zwischen Geistlichkeit und dem vermeynten Propheten an das Verständnis der Strafe. Für Keyl, so Sabean, habe ein direkter Konnex zwischen Tat und Vergehen bestanden, die Theologen dagegen hätten Strafe hauptsächlich als Mittel zur Besserung verstanden, daneben jedoch, wie Sabean einräumt, formal an der Vorstellung einer Vergeltung festgehalten. Die doppelte Intention der Theologen, die übrigens in den Predigten der Tübinger T h e o l o gen deutlich zum Ausdruck kommt, schließt also das Strafverständnis Keyls

WAGNER: Casualpredigten (Prophetenpredigt), S. 7 5 8 . Vgl. zur Abgleichung von Predigt und lebensweltlicher Erfahrung HAAG: F r ö m migkeit und sozialer Protest, passim. 6 2 9 SABEAN: Das zweischneidige Schwert, S. 89. 627

628

Eine Provokation: Der Prophet aus Gerlingen

303

ein. A u ß e r d e m handelt es sich bei den angedrohten Strafen nur u m eine partielle Zerstörung, n o c h nicht um den Auftakt zum Jüngsten Gericht. Implizit k o m m t hierin also das zweite M o m e n t des theologischen Strafverständnisses zum Ausdruck: Für die U b e r l e b e n d e n der Katastrophe demonstriert dann j a gerade die Erfüllung der Keyischen Prophezeiungen die Verläßlichkeit göttlichen Handelns und macht den göttlichen Machterweis zur eindrücklichen M a h n u n g , das eigene Verhalten zu bessern, u m nicht erneut göttliches Strafen zu provozieren. Indem dieser Gedanke in der Botschaft Keyls explizit nicht angesprochen wird, radikalisiert er in gewisser Weise die Ankündigungen der T h e o l o g e n , o h n e dadurch in völligen Widerspruch zu ihnen zu geraten. D i e generelle Einbindung der Strafe in die B u ß t h e m a t i k entspricht lutherisch-orthodoxer T h e o l o g i e , die Diskrepanz j e d o c h , die Sabean hierbei feststellt, findet auf einer breiteren Quellengrundlage keinen R ü c k h a l t . W i e für Keyl, so kann auch für die T h e o l o g e n der lutherischen O r t h o d o x i e ein schlechter Apfel den ganzen Sack verderben. 6 3 0 Sabean hat herausgearbeitet, Keyl habe sein Augenmerk besonders auf die Vergehen der herrschenden Gruppen g e richtet und Kriege und S e u c h e n als Strafe für deren Vergehen angesehen, auf der anderen Seite habe das Konsistorium im Gutachten die Sünden der kleinen Leute wie Feste, Kleiderluxus etc. angeprangert. Z u dieser Frontstellung kann es im Gutachten des Konsistoriums nur durch die Konfrontation mit der Botschaft Keyls g e k o m m e n sein. In ihren Predigten unterscheiden die Prediger sonst nicht zwischen Sünden verschiedener B e v ö l kerungsschichten, sie beanspruchen vielmehr die Position eines für »oben« und »unten« gleichermaßen zuständigen Mahners. Was die K r i t i k an der K o r ruptheit der B e a m t e n anbelangt, so prangerten die Prediger ebenfalls die B e stechlichkeit im A m t an, wenn auch aus Gründen der Zensur verklausulierter, als dies Keyl in direktem göttlichen Auftrag zu tun k ö n n e n glaubte. Interessanter Weise spricht auch der Engel in Keyls zweiter Vision i m alttestamentlichen Bild, wenn er dort die Obrigkeit mit den K n e c h t e n des Pharao in Verbindung bringt. 6 3 1 N a c h seiner zweiten Vision schränkt Keyl seine G e r i c h t s botschaft ein: G o t t werde im G e r i c h t zwischen Ungläubigen und Gläubigen zu unterscheiden wissen, eine Unterscheidung die Keyl aus l u t h e r i s c h - o r t h o doxen Predigten durchaus geläufig sein durfte. E i n e Interpretation, die U n g l ü c k als Strafe Gottes versteht, entspricht dem lutherisch-orthodoxen Gottesbild. Daraus ist j e d o c h nicht abzuleiten, daß angesichts kollektiver Strafe auch von kollektiver B u ß e auszugehen ist. W i e die Mehrzahl der Predigten belegt, wird bei Bußaufrufen zunächst der einzelne aufgefordert sich zu bessern, u m so die Gemeinschaft als Ganze vor göttli-

SABEAN: Das zweischneidige S c h w e r t , S. 9 0 . Auch HAFENREFFER: Loci T h e o l o g i c i (1600), S. 4 2 9 f. gebraucht zur Illustration einer tyrannischen Obrigkeit das Beispiel des Pharao als Synonym für Unterdrückung und Unrecht. 630

631

304

Dimensionen

des Alltags in der Frühen

Neuzeit

chem Strafen zu bewahren. Im übrigen konnte beispielshalber Krankheit als eine ganz individuelle göttliche Strafe aufgefaßt werden. D i e Botschaft Keyls zielte nicht nur auf eine Gesinnungsänderung 6 3 2 , denn sie war, wie Sabean übrigens selbst anführt, aktiv und kollektiv zu verstehen. Die Aufforderung, B u ß e zu tun, sollte stets, und dies war Keyl sicherlich aus den Predigten bekannt, mit einer bewußten Änderung des Verhaltens verbunden sein. Die beste Buße, so predigen die lutherisch-orthodoxen Theologen übereinstimmend, sei es, etwas Falsches nicht mehr zu tun. Im gesamten Duktus wird deutlich: Keyl radikalisiert in seiner Botschaft geniun lutherische Predigtaussagen, er verschärft sie, weil er in seiner dörflichen Lebenswelt feststellte, daß die Mahnungen und Warnungen dort ungehört verhallten. U n d welche Folgen diese Mißachtung zeitigen werde, das hatte er - wie seine eigene Botschaft deutlich macht — auch aus den Predigten wohl verstanden. Im Prinzip deckt die prophetische Mahnung des Hans Keyl die Defizite lutherisch-orthodoxer Predigt radikal auf. Im Grunde genommen ist die von Keyl propagierte Auffassung das folgerichtige »Produkt« lutherischorthodoxer Predigt. A u f dem B o d e n einer vorwiegend am biblischen Gesetz orientierten Predigt konnte es zu einer Vergesetzlichung kommen, die von Keyl aufgegriffen und radikalisiert wurde: In Keyls Botschaft drohte nach dreimaligem Fluchen der sofortige Verlust der Seligkeit. Aus der Agitation Keyls lassen sich aber nicht nur die Defizite lutherischorthodoxer Predigt aufzeigen. An seiner Lebensauffassung wird zugleich deutlich, daß Keyl im Hinblick auf seine Frömmigkeit eigentlich dem Ideal der lutherisch-orthodoxen Theologen zutiefst entsprach, er hatte die Vorstellungen der Prediger bestens internalisiert; er kann — in einem theoretischen Sinn — geradewegs als Prototyp lutherisch-orthodoxer Frömmigkeit bezeichnet werden. Er konnte Lesen und informierte sich aus Flugschriften, die er in seiner Kammer an die Wände heftete; auch widmete er sich der Zeitungslektüre. Einige Flugschriften und eigene Gedanken fugte er in seine Bibel ein. Im E x emplar seiner Bibel zeugen Notizen von eigenständiger Lektüre und Beschäftigung. Seine Argumentation ist am Wort Gottes geschult; dies gilt auch dann, wenn ihm spitzfindige Theologen einige Fehler nachgewiesen haben. Sein solchermaßen erworbenes »Wissen« brachte er in den dörflichen Diskurs ein und trug so zur Popularisierung religiösen Wissens bei. Keyl betrachtete die eigene Reflexion als eine Methode, seinen Willen zu stärken — um sich vor dem Sündigen zu bewahren.633Was also wollten die Theologen durch ihre Predigten mehr erreichen? So SABEAN: Das zweischneidige Schwert, S. 110. SABEAN: Das zweischneidige Schwert, S. 107. Es ist, wie Sabean anmerkt, in der Tat fragwürdig, in diesem Nachdenken eine frühe Spielart der pietistischen Gewissenseiforschung zu sehen. Sabean sieht Keyl eher als eine Persönlichkeit, die der nachreformatorischen Frömmigkeit verpflichtet war — was auch zweifelsohne auf ihn zutrifft. Allerdings, und dies kann im Zusammenhang mit dieser Einordnung nicht unberücksichtigt bleiben, gibt 632

633

Eine Provokation: Der Prophet aus

Gerlingen

305

Anders als bei Ginzburgs Menocchio kommt es im Wirken Hans Keyls nicht zu einer Vermischung zwischen offizieller Theologie und Volksreligion. 634 Keyl argumentiert von einer anerkannten theologischen Ebene aus, wenn auch zweifelsfrei individuell verschärft. Hierin ist jedoch keine Simplifizierung der offiziellen Lehre zu erkennen. 635 Keyl reduziert seine Dogmen nicht, er schöpft aus dem Repertoire der Elitenkultur und bindet die in den Predigten gehörten Handlungsmaximen an seine lebensweltliche Erfahrung zurück. Dabei entsteht kein Konklomerat aus Theologie und Volksreligion, vielmehr wird die Theologie der Predigt mit der vorfmdlichen Wirklichkeit abgeglichen. Auch das Zeichen der blutschwitzenden Reben ist als solches nicht einfach Teil einer Volksreligion; selbst Wagner interpretierte den Blutregen als göttliches Zeichen. Der größte Fehler Keyls ist sicherlich seine fehlende Legitimation; Prediger werden nicht mehr immediate berufen. 636 Daß Keyl die Problematik seiner Legitimation durchaus bewußt war, zeigt nicht nur sein Versuch, sich per Vision höhere Weihen zu verschaffen, sondern ebenfalls der Vorstoß, seinen Visionen durch die Verbindung zu Pfarrer Schertlin — einer anerkannten kirchlichen Amtsautorität — Glaubwürdigkeit zu verleihen. Keyl argumentiert nicht im gleichen Tenor wie die sogenannten Epicureer, die in gewisserWeise die Prediger ebenfalls beim Wort nehmen und ihrerseits auf Gottes Barmherzigkeit verweisen bzw. darauf, daß das Tun wahrer Buße nicht in den Händen des Menschen liege. 637 Sich allein auf den Verdienst Christi zu verlassen und selbst »nichts Gutes tun«, entspricht jedoch ebensowenig der von den Theologen geforderten Praxis Pietatis. 638 Die Epicureer es bereits in d e n P r e d i g t e n der l u t h e r i s c h - o r t h o d o x e n T h e o l o g e n H i n w e i s e , die Verhaltensdisziplinierung ü b e r das Gewissen zu steuern. Vgl. HÄBERLIN: Epistel-Postille 1, S. 510ab: So w e r d e n die E p i c u r e e r als L e u t e geschildert, die sich kein Gewissen m a c h e n u n d lasterhaft leben. HAGMAJER: Taufpredigt, S. 9. Er b e z e i c h n e t die »Libertiner« als L e u t e , die kein Gewissen k e n n e n . 634 CARLO GINZBURG: D e r Käse u n d die W ü r m e r . D i e Welt eines M ü l l e r s u m 1600. F r a n k f u r t / M . 1979, passim. 635 Vgl. NATALIE Z . DAVIS: S o m e Tasks and T h e m e s in t h e study of p o p u l a r religion. In: Charles T r i n k a u s u n d H e i k o A. O b e r m a n (Hrsg.): T h e p u r s u i t of holiness in late medival and renaissance religion. L e i d e n 1974, S. 307—336, bes. S. 307—309: [•••], laymen and lay women were sometimes active, indeed innovative, in sacred matters, whether it was in religious violence, ordering and illustrating religious material in new ways in printed books, setting up new arrangements for charitable giving, or thinking up »heretical« ideas. Sie u n t e r s t r e i c h t hier die aktive H a l t u n g des Volkes in Sachen R e l i g i o n u n d w e h r t sich v e h e m e n t d a g e g e n , in der Volksreligion lediglich eine S i m p l i f i z i e r u n g bis h i n zur U m l e n k u n g der R e l i g i o n in M a g i e zu sehen. 636 WAGNER: Epistel-Postille 1, S. 515. SIGWART: P r e d i g t v o m A m t d e r K i r c h e n d i e n e r , S. 8 u n d passim. 637

PRECITZER: B u ß p r e d i g t e n , S. 6 9 u n d S. 2 0 8 .

638

ANDREAE: Predigt v o m Lauf der P l a n e t e n , S. 143.

306

Dimensionen

des Alltags

in der Frühen

Neuzeit

schenken, i m U n t e r s c h i e d zu Keyl, d e n D r o h u n g e n u n d M a h n u n g e n der P r e diger kein G e h ö r ; sie rezipieren, was i h n e n f ü r ihre Lebensauffassung dienlich ist. D i e A r g u m e n t a t i o n e n Keyls dagegen zielen in die gleiche R i c h t u n g w i e die Amtskirche, radikalisieren dabei j e d o c h die I n t e n t i o n e n l u t h e r i s c h - o r t h o doxer Predigt. D i e K o m p i l a t i o n des v o n Keyl b e n u t z t e n Materials zeigt n e b e n einer intelligenten M o n t a g e t e c h n i k seine p r o f u n d e Bibelkenntnis. Keyl hatte j e d o c h ü b e r s e h e n , daß das M a h n e n in d e n g e o r d n e t e n B a h n e n der l u t h e r i s c h - o r t h o doxen Kirche abzulaufen hatte, eben durch eigens autorisierte Prediger u n d deren I n t e r p r e t a t i o n göttlicher Z e i c h e n . H e l l h ö r i g g e w o r d e n d u r c h die R a d i kalität der Anklagen u n d eine i h n e n suspekt erscheinende Vision b e g a n n e n die T h e o l o g e n ihre N a c h f o r s c h u n g e n . Ahnlich w i e spiritualistische Auffassungen brachte die Vision eine D i m e n s i o n in den religiösen Diskurs ein, die sich mit der alleinigen A u t o r i t ä t der H l . Schrift nicht vereinbaren ließ. A u f ihrer G r u n d l a g e w u r d e Keyl als impostoT639 ü b e r f ü h r t u n d die U n g l a u b w ü r d i g k e i t der Botschaft nachgewiesen. D i e radikalisierte Sicht provozierte die Prediger, plötzlich erschien die l u t h e r i s c h - o r t h o d o x e Welt nicht so b e d r o h t u n d trist, w i e sie oft in d e n P r e digten dargestellt w u r d e . Plötzlich k o n n t e n die Prediger a r g u m e n t i e r e n , daß es so schlecht u m die Welt d o c h gar nicht bestellt sei! H i e r w e r d e n Aspekte w i e d e r sichtbar, die in d e n Predigten sonst eher latent v o r h a n d e n waren, aber angesichts der a n z u k l a g e n d e n M i ß s t ä n d e eben häufig in den H i n t e r g r u n d treten m u ß t e n .

3.3. Leben als Passion? G e b e t u n d B u ß e w e r d e n v o n d e n T h e o l o g e n als W e g e aus der N o t p r o p a giert. 6 4 0 Das G e b e t ist zunächst einmal A u s d r u c k eines u n m i t t e l b a r e n Verhältnisses des einzelnen M e n s c h e n zu Gott. 6 4 1 Aus dieser u n m i t t e l b a r e n B e z i e h u n g leitet sich die Vorstellung ab, der einzelne k ö n n e u n d dürfe sich, w i e ein K i n d an seinen Vater, in allen Situationen des Lebens, in D a n k f ü r u n d Bitte u m die G r u n d l a g e n des Lebens, aber auch u m Hilfe in Ängsten u n d L e b e n s n ö t e n , an G o t t w e n d e n . 6 4 2 S c h o n L u t h e r schreibt i m G r o ß e n Katechismus bei

639 DREHER: H a n s Keyl, S. 6 1 . M i t d i e s e m Z u s a t z v e r s i e h t P f a r r e r S c h e r t l i n d e n N a m e n Keyls a n l ä ß l i c h des E i n t r a g s v o n dessen S o h n M i c h e l in das T a u f r e g i s t e r . 640 VGL. LEBRUN: Les h o m m e s e t la m o r t , S. 3 9 5 . E i n e A u s e i n a n d e r s e t z u n g m i t m ö g l i c h e n m a g i s c h e n V o r s t e l l u n g e n lassen sich aus d e n P r e d i g t e n d e r T ü b i n g e r P r o f e s s o r e n n i c h t b e l e g e n . Vgl. BAUER: L u t h e r a n i s c h e O b r i g k e i t s k r i t i k , S. 6 6 5 . 641 REUCHLIN: C h r i s t e n t u m , S. 3 2 4 [ = 3 3 4 ] u n d S. 3 3 7 . WAGNER: H i s t o r i a , S. 2 0 0 f. 642 SIGWART: P r e d i g t v o m V a t e r u n s e r , S. 3 f.: G e b e t als ein G e s p r ä c h m i t G o t t , in w e l c h e m d e r e i n z e l n e sein Hertz außschu[e]ttet/ vnd auß Glauben vnd hertzlichem kindtlichen Vertrauten/ jhm sein Noth vnd Antigen eintweder allein mit Seufftzen vnd Gedancken/ oder auch zumal mit dem Munde vnd Zungen fu[e]rhelt. Nicht anders/ als wie ein frommes/gehorsames Kind

Leben als Passion?

307

d e r A u s l e g u n g d e s e r s t e n G e b o t e s : Ein

Gott

soll alles Guten

Nöten,643

und

Zuflucht

haben

in allen

heißet

das, dazu

man

sich

versehen

D a ß gerade Angst recht be-

worden.644

t e n l e h r t , ist s c h o n b e i L u t h e r e r k a n n t

I m gleichen T e n o r r u f e n die l u t h e r i s c h - o r t h o d o x e n Prediger dazu auf, sich gerade in Situationen aktueller N o t an G o t t zu w e n d e n ; in Situationen

gene-

reller B e d r o h u n g d u r c h T e u e r u n g , K r i e g , Pest u n d E r d b e b e n 6 4 5 , a b e r a u c h Momenten

persönlicher Ängste, N ö t e

und Elend646. Andreae fuhrt für

s o l c h e M o t i v a t i o n v i e r P u n k t e a n : 1) d i e g ö t t l i c h e A u f f o r d e r u n g z u m

in

eine

Gebet,

2) d i e N o t , d i e z u m G e b e t t r e i b e n soll; 3) d i e g ö t t l i c h e V e r h e i ß u n g , d a s

Gebet

z u e r h ö r e n u n d 4) v i e l e E x e m p e l a u s d e r B i b e l , d i e z e i g e n , d a ß G o t t , s o b a l d Israel B u ß e tat u n d d e n H e r r n anrief, e i n e n H e l d e n aus i h r e r M i t t e

erweckte,

errettete.647

d e r Israel aus d e r H a n d seiner F e i n d e

D a s G e b e t soll d e r O r t d e r R e f l e x i o n sein, a n d e m das v o n G o t t

Gehörte

i m H o r i z o n t d e r e i g e n e n L e b e n s e r f a h r u n g b e d a c h t w e r d e n soll, d i e k o n k r e t e n Situationen des Lebens sollen m i t d e n göttlichen A n f o r d e r u n g e n w e r d e n . G e b e t u n d Tat stellen somit k e i n e n W i d e r s p r u c h g e h ö r t z u m c h r i s t l i c h e n G e b e t a u c h [...] Bru[e]derliche

Verso[e]hnung/

Rachgirigkeit

gegen

zugefu[e]gten

Jnjurien/

denen/

daß

wir

allen

so uns beleidiget

Schmach

mit seinen Eltern redet/ vnndjhnen

vnd

/Eintra[e]chtigkeit/ Zorn/ haben/

Vnbillichkeiten

sein Antigen

dar.

Neid/ zuvor

Haß/ ab und

vergessen.648

abgeglichen Entsprechend

Einhelligkeit

vnd

Widerwillen

vnd

hinlegen

vnd

D i e Bitte u m

aller das

klaget. ANDREAE: P r e d i g t v o m L a u f d e r P l a n e -

t e n , S. 1 6 9 . H O C H S T E T T E R , A . A . : C h r i s t e n w a n d e l ,

S.

23.

643

D e r G r o ß e K a t e c h i s m u s L u t h e r s . In: B S L K , S. 5 6 0 . Vgl. d o r t a u c h : [...] siehe zu und lasse mich alleine Deinen Gott sein und suche keinen andern; das ist, was dir manglet an Gutem, des versiehe Dich zu mir und suche es bei mir und, wo Du Unglück und Not leidest, kreuch und halte Dich zu mir. 644 L u t h e r s c h r e i b t in e i n e r P r e d i g t ü b e r G e n 3 2 ( 1 5 2 7 ) : Denn das heist nicht beten, wenn man ynn der kirchen stehet, plerret und plappert, sondern angst leret recht beten [...]. ( W A 2 4 , 5 7 1 , 2 6 ff.).Vgl. PFLACHER: Postille, S. 5 0 9 D i e l a n d l ä u f i g e M e i n u n g d e r B a u e r n b e s t ä tigt, d a ß diese I n t e n t i o n d e r T h e o l o g e n e r k a n n t w o r d e n ist. P f l a c h e r r e f e r i e r t d i e M e i n u n g d e r B a u e r n ; sie sagen: Liebe Kinder/ jhr do[e]iffet nicht lernen beten/ habt ohn das gnug zu essen: lasset die beten/ die kein Brot haben. Vgl. d a z u HANS-CHRISTOPH RUBLACK: Sucess a n d f a i l u r e o f t h e R e f o r m a t i o n . P o p u l ä r »Apologies« f r o m t h e S e v e n t e e n t h a n d E i g h t h e e n C e n t u r i e s . In: A n d r e w C . Fix u n d Susan C . K a r a n t - N u n n ( H r s g . ) : G e r m a n i a Illustrata. Essays o n Early M o d e r n G e r m a n y p r e s e n t e d t o G e r a l d Strauss. ( S i x t e e n t h Century essays a n d studies, v o l . 18). Kirksville 1 9 9 2 , S. 1 4 1 - 1 6 5 , h i e r S. 1 5 0 f. 6 4 3 SIGWART: P r e d i g t e n v o n H a u p t p l a g e n , S. 126 ff. Sic,WART: P r e d i g t v o m Erdbeben, S. 24'. WAGNER: C a s u a l p r e d i g t e n ( N e u j a h r s p r e d i g t ) , S. 3 0 5 . WAGNER: C a s u a l p r e d i g t e n ( F r i e d e n s p r e d i g t ) , S. 2 7 9 f. 6 4 6 WAGNER: H i s t o r i a , S. 2 0 3 . SIGWART: P r e d i g t v o m V a t e r u n s e r , S. 142. 6 4 7 ANDREAE: P r e d i g t v o m L a u f d e r P l a n e t e n , S. 1 8 3 - 1 8 9 . ANDREAE: C h r i s t l i c h e A n l e i t u n g , S. 118. REUCHLIN: C h r i s t e n t u m , S. 3 3 6 . SIGWART: P r e d i g t v o m V a t e r u n s e r , S. 1 4 - 1 9 . V g l . HAGMAJER: U n t e r w e i s u n g ,

S.

19-24.

SIGWART: P r e d i g t v o m V a t e r u n s e r , S. 3 4 . Vgl. SIGWART: P r e d i g t e n v o n H a u p t p l a g e n , S. 126 ff: Ein Gebett auff gegenwertige Zeit gerichtet/ daß vns GOtt vor Thewrung/ Krieg vnnd 648

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Dimensionen

des Alltags in der Frühen

Neuzeit

tägliche Brot soll in Zeiten der Teuerung von Wohlhabenden ganz konkret verstanden werden; sie besagt, daß sie zur Zeit der Teuerung Gerne geben sollen. 6 4 9 Hierher gehört ebenso die Anerkennung eigener Schuld — das Tun des Verbotenen wie das Unterlassen des Guten — und die Anerkennung der Gerechtigkeit des göttlichen Zornes und seiner zeitlichen Strafen. Hierher gehört aber auch die Bitte um Abwendung und Beendigung dieser Strafen. Diese Bitte schließt stets das Versprechen eigener Besserung ein: dann wir wissen/ daß Gott die Su[o]nder nicht ho[e]ret/ sondern so jemand gottsfo[e[rchtig ist/ und thut seinen Willen/ den ho[e]ret ei/ [. . J . 6 5 0 W i e Kinder nicht immer das Verhalten ihrer Eltern verstehen können, so handelt auch Gott mit den Menschen: Selbst dann, wenn Gott nicht nach menschlichem Willen erhört, so erhört er zu vnserm Nutzen,651 Hinter dieser Auffassung stand die von den lutherisch-orthodoxen Predigern vertretene Lehre von der Weltregierung Gottes. Zweifellos eine abstrakte Lehre, die von den wenigsten Menschen emotional oder intellektuell nachvollziehbar war. D e r in Aussicht gestellte Lohn konnte erst im Jenseits erreicht werden, diesseitiger Wohlstand und Gesundheit verschafften keine Heilsgewißheit. Lehmann ist deshalb sicherlich recht zu geben, wenn er konstatiert, daß nicht nur für schlechte Christen die Distanz zwischen den Sorgen des menschlichen Lebens und der göttlichen Allmacht fast unüberwindlich groß ist. 652 Durch B u ß e soll eine aktive Veränderung menschlichen Verhaltens erreicht werden. Die Theologie der lutherisch-orthodoxen Prediger beabsichtigt nicht ein ausschließlich passives Erleiden und Ertragen. Daß es daneben das Interpretament des Leidens des Gerechten als letztes Hilfsangebot zur Leidensbewältigung in großer Bedrängnis auch gab, soll hier nicht verschwiegen werden. Das Leben in dieser Welt war ein vorläufiges, zu dem das Leiden dazugehörte, hier galt es, sein »Ehekreuz«, sein »Hauskreuz« zu tragen, mit minderer Arbeit zufrieden zu sein, Krankheit und Armut zu ertragen. 653

Pestilentz bewahren wo[e]lle. SIGWART: Predigt vom Erdbeben, S. 24: [...] / daß er vns nicht wo[e]lle in seinem Zorn straffen/ [...] Sondern vmb seines Heben Sohnes/ [...] willen/ alle vnsere Su[e]nden gnediglich verzeihen vnd nachlassen/ vnd die wolverdiente obligende Straffen von vns miltiglich abwenden. Oder da er je straffen will/ daß er vns doch nicht auff solche erschro[e]ckliche weise heimsuche/ Sondern die straff miltere/ [...]. ANDREAE: Christliche Anleitung, S. 125. 6 4 9 SIGWART: Predigten von Hauptplagen, S. 39. 650

WAGNER: H i s t o r i a , S. 2 0 2 .

SIGWART: Predigt vom Vaterunser, S. 25. LEHMANN: Das Zeitalter des Absolutismus, S. 172. 6 5 3 SIGWART: Lasterpredigten, S. 173 r [=183 r ]. Sigwart nennt die Ergebenheit in die Lebensumstände als letzten Punkt bei einer Aufzählung des »Staates eines Bekehrten«. Z u vor nennt er das Hervorbringen »guter Früchte« wie Dankbarkeit, das Absehen von Sünden und das Befleißigen von Tugenden sowie das Auffordern anderer zur Buße. OSIANDER, A.: Leichenpredigt Christodora Kürrwang, S. 6: Armut in der Familie als Kreuz 651

652

309

Leben als Passion?

D e n Katastrophen selbst w o h n t e eine Heilsbedeutung inne. D e n Gläubigen war die Katastrophe stets beides, sie war sowohl W a r n u n g u n d A u f r u f zur Besserung als auch ein Erproben des eigenen Gottvertrauens. Bei aller prinzipiellen Ubereinstimmung zwischen den beiden protestantischen Konfessionen existiert in dieser Frage j e d o c h ein gravierender Unterschied. D e r Christ auf reformierter Seite kann sich gerade in den größten Bedrängnissen seiner Auserwähltheit gewiß sein, d e n n gerade die Auserwählten sind besonderen P r ü f u n g e n ausgesetzt. D e r Christ auf lutherisch-orthodoxer Seite kann sich dieser Gewißheit nicht sicher sein. Z w a r sehen auch die lutherisch-orthodoxen Prediger im E r p r o b e n einen besonderen göttlichen Zugriff; Sicherheit über den wahren Seelenzustand läßt sich daraus aber nicht ableiten. Bei der Einprägearbeit durch die Predigt des Gesetzes k o n n t e n die zaghaften H i n w e i se auf die Alleinwirksamkeit der Gnade Gottes letzte Zweifel nicht ausräum e n . D e r in der württembergischen Christologie vermittelte Trost k o n k u r rierte im Angesicht des Todes u n d des unausweichlichen Gerichts mit d e m strengen Maßstab des Gesetzes. Das M o m e n t des Prüfens im Leid ist, wie die Lektüre der Predigten gezeigt hat, kein reines Spezifikum calvinistischer Theologie. Auch die lutherischorthodoxe Theologie kennt dieses M o m e n t : Sonderlich sehen Christliche und sorgfa[e]ltige Lehrer an diesem Exempel des HErrn JEsu, daß auch sie ohne Pru[e]ffung von GOtt, und ohne Versuchung von dem Feind, nimmermehr bleiben werden.654 K o m m t trotz B u ß e Unglück über die Menschen, so will Gott ihren Glauben »probieren«. 655 Das Prüfen konnte in der lutherisch-orthodoxen Theologie aber nicht als Anzeiger für die eigne Erwähltheit gelten, da es für den Lutheraner keine endgültige Gewißheit über die eigene Erwähltheit gab. 656 e m p f u n d e n . SIGWART: L a s t e r p r e d i g t e n , S. 94 v : A r m u t als Schule WAGNER: Evangelien-Postille

1, S.

f ü r das e w i g e

Leben.

125.

654 WEISMANN: E i n s e g n u n g s p r e d i g t , S. 5 f. HEERBRAND: P r e d i g t v o m Strahl, S. 6V. HEERBRAND: B u ß p r e d i g t J o n a , S. 17. WEISMANN: F e u e r s b r u n s t , S. 4: Probe der Gottfu[e]rchtigen.^jEisMANN: L e i c h e n p r e d i g t H a g m a j e r , S. 3 0 . SIGWART: P r e d i g t v o m V a t e r u n s e r , S. 180: Es g i b t z w e i e r l e i A r t e n d e r V e r s u c h u n g . Eine kompt her von Gott/ [...] / welcher vnderweilens auch seine liebe Kinder laßt in Beschwerligkeit kommen/ oder mit Widerwertigkeit beladen werden/ oder stellt sein Hilff vnd Rettung ein Zeitlang ein/ damit er sie u[e]be/ probiere vnd die verborgene Gedancken jhres Hertzens offenbare. G e w i ß h i e r b e i ist, d a ß G o t t d e n M e n s c h e n n u r z u m G u t e n v e r s u c h t ; dies u n t e r s c h e i d e t sich r a d i k a l v o n d e n V e r s u c h u n g e n des Teufels: Er versucht aber die Menschen nimmermehr zum guten/ wie Gott der HErr: Sondern allein zum bo[e]sen: Damit er sie vom guten abwendig machen/ vnnd zum bo[e]sen bringen mo[e]ge. ( E b d . , S. 182). SUMMARIEN II, S. 7 3 2 : A r m u t ist ein P r ü f s t e i n . SIGWART: P r e d i g t e n v o n H a u p t p l a g e n , S. 4 1 . A r m e M e n s c h e n sollen sich in d e r T e u e r u n g d a m i t t r ö s t e n , d a ß sie e i n e P r ü f u n g sei, o b d i e M e n s c h e n G o t t n i c h t allein Vmb des Bauchs willen d i e n e n . OSIANDER, A.: L e i c h e n p r e d i g t B u r c k h a r d , S. 7 V -8 R . OSIANDER, A.: B e i c h t b ü c h l e i n , S. 1 0 3 ff.: D e r C h r i s t w i r d d u r c h die K r a n k h e i t heimgesucht. 655 SIGWART: P r e d i g t v o m H a g e l , S. 3 2 . 656 HANS-GEORG KEMPER: D a s l u t h e r i s c h e K i r c h e n l i e d in d e r K r i s e n z e i t d e s f r ü h e n 17. J a h r h u n d e r t s . In: A l f r e d D ü r r u n d W a l t h e r Killy ( H r s g . ) : D a s p r o t e s t a n t i s c h e K i r c h e n -

310

Dimensionen

des Alltags in der Frühen

Neuzeit

Der Lutheraner wurde an den Glauben gewiesen, sein Gewissen ließ ihn j e doch letztlich im Ungewissen. Rechtfertigung war nie abgeschlossen; das Gewissen, auf dem das Leben gründet, blieb damit stets im Ungewissen. Auch unter den gerechtfertigten Christen ist folglich keiner, der alles das tun könnte, was der Dekalog von ihm fordert. Der Mensch bleibt was er ist: simul j u stus et peccator. 657 Der theologische Leitbegriff der lutherischen Orthodoxie — Gottesfurcht - enthält beide Momente. 6 5 8 Theoretisch soll aus der bestandenen eigenen Prüfung Gewißheit resultieren, nur: wer kann dieser Prüfung standhalten? Der einzelne kann sich nicht sicher sein, ob seine Buße »richtig« war. M u ß deshalb der einzelne nicht das über ihn hereinbrechende Unglück — ohne die reformierte Aussicht auf besondere Prüfung als spezielles Zeichen der Heilsgewißheit — erneut als Strafe und Warnung und eben nicht als Bestätigung seines Glaubens empfinden? Göttliche Gnade läßt sich nicht objektivieren durch gute Werke, Sakramentsempfang und Beichte. Ein Verhalten, das auf der Vorstellung eines sündigen Werktages und einer sonntäglichen Buße aufbaut, wird eindeutig und strikt verneint. Diese reformatorische Erkenntnis hat oberste Priorität. Durch die Predigt des Gesetzes, durch die umfassende Orientierung aller Lebensbereiche am Gesetz und die Propagierung eines Tun-Ergehen-Zusammenhanges wird — auf der Ebene der Predigt — die göttliche Gnade ein Stück weit objektiviert. Der Mensch lebt folglich in immerwährender U n gewißheit: Er weiß zwar, daß er, um göttlichem Strafen zu entgehen, gute Werke tun muß, und zugleich weiß er, daß ihm diese Werke sein Heil nicht sichern helfen. Dies schloß jedoch Hilfe zur Selbsthilfe keinesfalls aus. Die von Gott verhängten Plagen und Strafen waren gerade nicht ergeben zu erdulden. Das Leidensmotiv war nur als allerletzte Hilfe vorgesehen und konnte dann allerdings den Charakter eines Leidens um des Heiles willen annehmen. Zunächst und vordringlich waren alle Plagen und Strafen zeichenhafte Aufrufe Gottes zur Änderung des Verhaltens. Die Aufforderung der Prediger, sich christlich in die Strafe zu schicken, bezweckte eine Buße, die über die augenblickliche Katastrophe hinauswirkte und einen »neuen Gehorsam« gegenüber dem göttlichen Willen zur Folge haben sollte.659

lied im 16. u n d 17. J a h r h u n d e r t . Text-, musik- u n d theologiegeschichtliche Probleme (Wolfenbütteler Forschungen, Bd. 31). Wiesbaden 1986, S. 8 7 - 1 0 8 , hier S. 95. 657 Vgl. SIGWART: Predigt v o m A m t der Kirchendiener, S . 2 8 . 638 W E I S M A N N : Leichenpredigt Hagmajer, S . 2 6 . Weismann bezeichnet hier Gottesfurcht al? diejenige Furcht, die mit d e m Vertrauen in Gottes O r d n u n g v e r b u n d e n ist. WAGNER: Casualpredigten (Neujahrspredigt), S. 319. N a c h Auffassung Wagners schließt Gottesfurcht ein: R e u e u n d Leid über Sünden, Vertrauen auf Christus, Besserung des Lebens. v 639 SIGWART: Predigt v o m R e i f , S . 13 . SIGWART: Predigt v o m Hagel, S . 30 f.

Leben als Passion?

311

D i e militärischen, ö k o n o m i s c h e n , ökologischen u n d krankheitsbedingten Katastrophen sind f ü r den lutherisch-orthodoxen Christen nicht — w i e K e m p e r v e r m u t e t — ausschließlich Indikatoren für einen möglicherweise drohenden Verlust der Seligkeit wegen unrechten Glaubens, s o n d e r n ebenfalls Prüfsteine des Glaubens. D i e letzte B e d e u t u n g wird bei K e m p e r als ein Kennzeichen des reformierten Christen bezeichnet. H i e r m u ß j e d o c h zwischen der D e u t u n g der Katastrophe als Prüfstein u n d als Anzeiger für die eigene Erwähltheit streng unterschieden werden. 6 6 0 Das erste D e u t u n g s m u s t e r haben die beiden protestantischen Konfessionen gemeinsam, letzteres ist allein d e m R e f o r m i e r t e n t u m zu z u o r d n e n . Auf lutherisch-orthodoxer Seite allerdings fehlt aus theologischen G r ü n d e n die Instrumentalisierung der Katastrophe z u m Anzeiger für die eigene Erwähltheit.661 Dies ist nur auf der Basis der Prädestinationslehre möglich. Die angebotenen Hilfsmittel, beispielshalber bestimmte Arzneien im Falle der Krankheit, dürfen nicht nur auf lutherischer Seite gebraucht werden, sie sollen sogar ausdrücklich herangezogen werden, u m Gott nicht zu versuchen. 6 6 2 Die Medizin ist Teil der göttlichen Schöpfung, sie darf nur nicht m i ß braucht werden, indem sie zum O b j e k t des alleinigen Vertrauens gemacht wird. 6 6 3 Mit »gutem, unversehrtem Gewissen« darf an der Erforschung von M e d i k a m e n t e n zur Erleichterung des Patienten gearbeitet werden. 6 6 4 Folglich ist auch diese E m p f e h l u n g nicht allein dem R e f o r m i e r t e n t u m zugehörig, wie Kemper vermutet. R i c h t i g ist dagegen die Aussage Kempers, daß der sich in den Katastrophen offenbarende Z o r n Gottes die Lutheraner in eine Heils-entscheidende Irritation stürzte. Die vielfältigen Krisenereignisse stürzten die luthe-

660 Vgl. a u c h z u m f o l g e n d e n KEMPER: Das lutherische K i r c h e n l i e d , S. 94. K e m p e r setzt Prüfstein u n d Glaubensanzeige auf einer E b e n e an. 661 Vgl. G e o r g N e u m a r k : Denk nicht in deiner Drangsalshitze, daß du von Gott verlassen seist/ und daß ihm der im Schöße sitze, der sich mit stetem Glücke speist [...]. ( E K G 2 9 8 , 5 = W ü r t t e m b e r g i s c h e s G e s a n g b u c h (1741), S. 154, Vers 5 u n d W ü r t t e m b e r g i s c h e s G e s a n g b u c h (1711), S. 518. 662 WAGNER: L e i c h e n p r e d i g t Cellius, S. 42: M e d i k a m e n t e als I n s t r u m e n t e G o t t e s . WAGNER: Evangelien-Postille 2, S. 716. SIGWART: P r e d i g t e n v o n H a u p t p l a g e n , S. 112 f. u n d 119 f.: G o t t hat [...] die Artzney wider die Kranckheit verordnet/ vnnd laßt sie auß der Erden wachsen/ daß mans gebrauchen soll. Welcher Mensch nun solche haben kann/ aber auß lauter Eigensinnigkeit nicht gebrauchen will/ der verachtet GOTTES Gu[e]tte/ als welcher vns so viel leibliche vnnd jrdische Mittel nicht allein zum Vnderhalt/ sondern auch zur Artzney gibt [...] Er schlecht in Wind Gottes Weißheit/ die in den Specereyen vnd kra[ejfftigen Gewa[e]chsen vermerckt wu[e]rdt [...] Ein solcher verachtet Gottes Willen/ welcher ist/ daß man ordenlichen Mittel gebrauchen soll [...] Er vernichtet/ so viel anjhm ist/ den Segen Gottes [...] Er versucht Gott vnd begibt sich selbs mutwilliger Weise in Gefahr. SIGWART: Predigten v o m A b e n d m a h l , S. 107R. 663 SIGWART: P r e d i g t e n v o n H a u p t p l a g e n , S. 114. REUCHLIN: R e k t o r p r e d i g t e n , S. 5. SUMMARIEN IV, S. 203. SUMMARIEN V, S. 272 u n d S. 579 ff.: D i e Ä r z t e erhalten ihre »Arzneikunst« v o n G o t t , der a u c h die A p o t h e k e r a n o r d n e t . 664

SUMMARIEN I, S. 4 7 .

312

Dimensionen

des Alltags in der Frühen

Neuzeit

risch-orthodoxen Christen in genau j e n e Zweifel u n d Unsicherheiten, aus denen Luthers sola fide hatte fuhren wollen. Diese Erkenntnis darf j e d o c h nicht dazu fuhren, der O r t h o d o x i e einen Charakter der Passivität beimessen zu wollen. M a n konnte d e m strafenden Gott »in die Ruten« greifen, also sehr wohl Gegenwehr leisten. 665 Genau dazu riefen die Prediger in ihren Bußpredigten auf. Das geduldige Ertragen des Kreuzes war nur die allerletzte Möglichkeit u n d zeigte zudem das nahe Ende der Welt an. Selbst w e n n in der gelehrten Barockpoesie eine Interdependenz von Leiden u n d Heil konstatiert wird, in d e m Sinn, daß Leiden Heil erwirbt — ein für Luther gänzlich undenkbarer Gedanke — so kann in der Theologie der lutherischen O r t h o d o x i e das Leiden in Geduld nicht allein z u m Leitmotiv erklärt werden. D e n n daß gerade diese Interdependenz als Grundlage aller Argumentation gegen die Beseitigung von Leid, Not und Unterdrückung gedient habe, bestätigen die Predigten in dieser Pauschalität nicht. 6 6 6 D e r Aufruf der Prediger, das Leben zu ändern u n d neu an den N o r m e n des Dekaloges zu orientieren, zielte auf eine aktive Veränderung des alltäglichen Lebens. D i e v o m lutherisch-orthodoxen Christen geforderte »Leistung« liegt weitaus weniger im Aushalten des Leidens als vielmehr in der aktiven Lebensgestaltung anhand der N o r m e n des Dekaloges. 6 6 7 D i e s e Leistung ist die Gott wohlgefällige Frömmigkeitshaltung, o h n e j e d o c h daraus endgültige G e w i ß heit über den individuellen Heilszustand ableiten zu k ö n n e n . Auf der anderen Seite k ö n n e n aber auf lutherisch-orthodoxer Seite jene, die beispielshalber A r m u t leiden müssen, auch nicht als die größten Sünder bezeichnet werden. Keiner ist nach äußerem Glück oder U n g l ü c k zu beurteilen. 6 6 8 Zugleich eröffnet die lutherisch-orthodoxe Auffassung von B u ß e j e d e m Menschen die Möglichkeit, v o m falschen W e g umzukehren; eine Möglichkeit, die, wie die Prediger polemisch gegenüber der calvinistischen Seite z u m Ausdruck bringen, bei einer Prädestinationslehre nicht eingeräumt werden kann. 6 6 9 Hierin liegt der Trost lutherisch-orthodoxer Theologie, hieraus erklärt sich die stete Predigt des Gesetzes, die d e m einzelnen den Weg zur U m kehr eröffnen soll.

663 Anders dagegen K E M P E R : Das lutherische Kirchenlied, S. 94. H E E R B R A N D : Predigt v o m K o m e t e n , S . 1 0 . S I G W A R T : Neujahrspredigt, S . 6 V f. W A G N E R : Z w e i E r d b e b e n p r e d i g ten, S. 3 9 - 4 2 . H O C H S T E T T E R , A. A.: Leichenpredigt R e u c h l i n , S. 21. 666 MAUSER: D i c h t u n g , R e l i g i o n u n d Gesellschaft i m 17. J a h r h u n d e r t , hier S. 167. 667 Vgl. KEMPER: Das lutherische Kirchenlied, S. 97 berücksichtigt allein den Aspekt der f r o m m e n Leistung im Leiden. 668 p R E G ! T Z E R : B u ß p r e d i g t e n , S. 12 f. 669 WAGNER: Leichenpredigt Cellius (med.), S. 9 u n d S. 12. WAGNER: Epistel-Postille

2, S. 7 8 1 . WAGNER: C a s u a l p r e d i g t e n ( B u ß p r e d i g t ) , S. 8 6 9 . WAGNER: S c h w e r t p r e d i g t , S. 2. SIGWART:

Lasterpredigten, S. 169 v .

Leben als Passion?

313

D i e calvinistische Prädestinationslehre, die besagt, die G n a d e Gottes k ö n n e nicht m e h r verloren werden, fuhrt in den A u g e n der l u t h e r i s c h - o r t h o d o x e n Prediger v i e l m e h r dazu, daß der Teufel den Epicurischen Unglauben zu pflantzen gesinnet ist.670 Das L u t h e r t u m kann diese Lehre nicht gutheißen, i h m ist es u n m ö g l i c h zu glauben, ein getaufter und w i e d e r g e b o r e n e r C h r i s t k ö n n e den G l a u b e n behalten, w e n n er in öffentlichen S ü n d e n lebt.

670

SIGWART: Predigten über 1 K o r 15, S. 188r.

D. Synopse Theologie und Alltag. Zur Funktion der Theologie I. Der »Erfolg« lutherisch-orthodoxer Predigt: Das Verhältnis von Lehre und Leben Schon bei der Erarbeitung der Themenbereiche von Theologie und Alltag wurden in den einzelnen Kapiteln die wechselseitigen Bezüge zwischen »Lehre« und »Leben« aufgezeigt, ohne sie jedoch dort in eine abschließende systematische Ordnung zu bringen. Die Synopse versteht sich somit als zusammenfassende Rückschau, die zugleich noch durch einige weiterführende Aspekte ergänzt werden soll. In der vorliegenden Studie ging es nicht darum, eine Theologiegeschichte der lutherischen Orthodoxie zu schreiben. Aus den Predigten konnten verständlicherweise nur jene theologischen Bereiche erhoben werden, die dort auch angesprochen werden. Daß in den Predigten nicht das ganze Spektrum lutherisch-orthodoxer Theologie abgedeckt wurde, hat der Vergleich zwischen Predigten und Kompendien im theologischen Teil dieser Arbeit deutlich gemacht. Dies ist ein erstes Ergebnis, das bei Berücksichtigung der aktuellen Forschungslage durchaus nicht als selbstverständlich gelten kann. In Form eines synoptischen Uberblicks sollen nun im folgenden die anfangs vorgestellten Fragestellungen zusammengefaßt werden. Die gewählte Quellengrundlage hat sich dabei sowohl in sozialgeschichtlicher als auch in theologischer Hinsicht als sehr ergiebig erwiesen. Die Funktion der Theologie für den Alltag kann somit ebenso zur Sprache kommen wie die Rückwirkung der vorfindlichen Alltagsrealitäten auf die Theologie. Die beiden Begriffe »Lehre« und »Leben« werden in der Literatur häufig schlagwortartig zur Kennzeichnung der Differenz zwischen der Theologie der lutherischen Orthodoxie und jener des Pietismus gebraucht.' 1 H A N S L E U B E : D i e Soziallehren des kirchlichen Pietismus. In: H a n s L e u b e : O r t h o d o xie u n d Pietismus. G e s a m m e l t e S t u d i e n (Arbeiten zur G e s c h i c h t e des Pietismus, Bd. 13). Hrsg. v o n D i e t r i c h B l a u f u ß . Bielefeld 1975, S. 1 2 9 - 2 6 7 , hier S. 140 stellt d e n korrekten Dogmenglauben d e m Leben der Heiligung g e g e n ü b e r . Andererseits leistet L e u b e j e d o c h a u c h e i n e n g e w i c h t i g e n Beitrag zur R e v i s i o n des Urteils einer t o t e n , sich in D o k t r i n a r i s m u s u n d Formalismus e r s c h ö p f e n d e n O r t h o d o x i e (HANS LEUBE: D i e altlutherische O r t h o doxie. Ein F o r s c h u n g s b e r i c h t . In: H a n s L e u b e : O r t h o d o x i e u n d Pietismus. G e s a m m e l t e

Der »Erfolg« lutherisch-orthodoxer

315

Predigt

Was das Verhältnis von »Lehre« u n d »Leben« anbelangt, läßt sich j e d o c h nach Lektüre u n d Analyse der zugrundegelegten Predigten eindeutig feststellen, daß es das Ziel bereits der lutherischen O r t h o d o x i e ist, wahren Glauben u n d rechtes Leben miteinander zu verbinden. 2 O d e r anders formuliert, die lutherisch-orthodoxen Prediger sehen es als ihre Aufgabe an, zwei »Skandale« auf Erden zu bekämpfen, nämlich falsche Lehre u n d gottloses Leben. 3 E n t sprechend bezeichnen sie folgendes als ein gottgefälliges Leben: Predigt h ö ren, aus ihr lernen, das Gelernte behalten u n d das Leben danach ausrichten. 4 U n t e r R ü c k g r i f f auf Ä u ß e r u n g e n Luthers wird das christliche Leben als ein Leben definiert, in dem der einzelne nicht darauf abzielen soll, für sich selbst »fromm zu sein«, sondern Frömmigkeit soll stets den Mitmenschen einbeziehen. 5 Christliches Leben bewegt sich zwischen den Polen Gottesfurcht u n d Nächstenliebe, was in den beiden Tafeln des Gesetzes festgeschrieben ist. Beide Verhaltensformen entsprechen — nach biblischen Sprachgebrauch — den »wahren Früchten« des Gesetzes. 6 Aussagen wie die im folgenden exemplarisch herausgegriffenen Aufforderungen durchziehen die Predigten wie ein roter Faden 7 : Gott erfordere das Halten der Gebote u n d ihr Tun 8 , das Christsein erS t u d i e n (Arbeiten zur G e s c h i c h t e des Pietismus, Bd. 13). Hrsg. v o n D i e t r i c h B l a u f u ß . Bielefeld 1975, S. 1 9 - 3 5 , hier S. 19).Vgl. NIEBERGALL: G e s c h i c h t e der Predigt, S. 295: Die Predigt dieser neuen Zeit [des Pietismus] zeichnet sich auf das Ganze gesehen dadurch aus, daß sie sich nun weitaus mehr als bisher dem persönlichen Glaubensleben des einzelnen und damit den existentiellen

Christen

zuwendet

Bezug der Predigt auf das deutlichste herausstellt. Vgl. SCHIAN: O r -

t h o d o x i e u n d Pietismus, S. 37 f. Das Ziel der pietistischen Lehre sei n i c h t so sehr die L e h re als v i e l m e h r die B e k e h r u n g des einzelnen. Vgl. NIEBERGALL: G e s c h i c h t e d e r Predigt, S. 303: [...] zu der Bemühung des Einzelnen,

um den Einzelnen gehört die Beziehung

der Aufruf zur Tat und die Erziehung

zum selbständigen

der Predigt auf das Leben Umgang mit der Schrift.

Vgl. MÜLLER, H . M . : Art. H o m i l e t i k , S. 535, der in der Z e i t der l u t h e r i s c h e n O r t h o d o x i e 2 Vgl. WAGNER: L e i c h e n p r e d i g t H e l f f e r i c h , S. 16. HAFENREFFER: M u l t i vocati, S. 30 f. d e n Lehrstreit als vorrangige Aufgabe der Predigt attestiert. HAFENREFFER: P r i m i novissimi, S. 2 5 - 3 0 . PHILGUS: P r e d i g t e n v o n F e u e r s b r ü n s t e n , S. 49. Z u m C h r i s t e n t u m , so sagt Philgus, g e h ö r e n zwei Teile, z u m e i n e n die E r k e n n t n i s G o t t e s u n d seines Willens, z u m a n d e r e n ein christliches L e b e n . G o t t f ü h r e selbst e i n e christliche E t h i k vor, die d a r i n bestehe, »fleischliche Lüste zu m e i d e n u n d auf mittlerer Straße zu bleiben«. Vgl. dazu auch die »Exemplarische B e s c h r e i b u n g eines christlichen Lebens«, S. 3 8 0 f. 3

V g l . PREGITZER: B u ß p r e d i g t e n , S. 1 6 2 ff.

4

Vgl. ANDREAE: P r e d i g t e n in H a g e n a u , S. 404.

5

V g l . WAGNER: E p i s t e l - P o s t i l l e 1, S. 1 4 5 .

6

V g l . REUCHLIN: C h r i s t e n t u m , S. 1 1 .

7

HAFENREFFER: M u l t i

v o c a t i , S. 3 0 . OSIANDER, A . : N e u j a h r s p r e d i g t , S. 5 f.

HAFENREF-

FER: P r i m i novissimi, S. 25: Selig w e r d e n durch »recht G l a u b e n u n d L e b e n lernen«. HEERBRAND: Predigt ü b e r Ps 65, S. 19: W o r t Gottes l e r n e n u n d sein L e b e n d a n a c h ausr i c h t e n . SIGWART: Lasterpredigten, S. 13 V -14 R . ANDREAE: V i e r christliche P r e d i g t e n , S. 83. HEERBRAND: Predigt v o m e w i g e n Leben, S. F2V: D e r »schmale Weg« e n t s p r i c h t d e m H a l ten der G e b o t e . HAFENREFFER: F r i e d e n s b o t , S. 26 ff.: Das »Versündigen« w i r d h i e r d a r g e stellt an k o n k r e t e n V e r g e h e n gegen die O b r i g k e i t , g e g e n G o t t e s W o r t u n d g e g e n d e n eig e n e n Leib. 8

REUCHLIN: C h r i s t e n t u m , S. 1 8 9 .

316

Synopse: Theologie und Alltag. Zur Funktion

der Theologie

weise sich in den Werken des Alltags 9 , es gehe nicht nur darum, vom Christsein zu reden, sondern auch u m entsprechendes Handeln 1 0 , der Glaube müsse fruchtbar gemacht werden, ganz konkret beispielshalber in der A r m e n f u r s o r ge 11 , m a n solle Täter, nicht allein H ö r e r des Wortes sein 12 , wozu notwendig die Gesetzespredigt hinzugehöre 1 3 . Es gehe darum, Nächstenliebe in »Worten u n d Werken« zu üben, d e n n alle Menschen sollen untereinander »Diener« sein. 14 Das »neue Leben« ist eine Notwendigkeit, ein rituelles Bußverständnis, das von der Möglichkeit eines im rechten Augenblick ausgesprochenen Sündenbekenntnisses ausgeht, wird strikt verworfen. 1 5 Die bloße Bitte, »Gott sei mir Sünder gnädig«, ist kein Freibrief für ein epicureisches Leben. 1 6 Das Verhalten gegenüber d e m M i t m e n s c h e n ist v o m Ziel des »gemeinen Nutzens« her zu erfassen. Ethic heißt, so definiert Wager: Eines Freunds Gebrechlichkeit soll man wissen/ nicht hassen.17 Bestraft werden m u ß also, wer das Ziel des »gemeinen Nutzens« mißachtet, wer sich durch Sünde, Schande u n d Laster dem Teufel u n d der Welt aufopfert. 1 8 W i r d die Welt als eine Ganzheit aufgefaßt, dann ist j e d e r n o c h so kleine Verstoß gegen die Gesetze ihrer O r d n u n g ein Schritt ins Chaos, d e m es sofort zu wehren gilt. Hinsichtlich der Vermittlung der »Lehre« gilt es dabei festzuhalten, daß sie in der Predigt — auf ein notwendiges M a ß begrenzt — in Ubereinstimmung mit den maßgeblichen dogmatischen Grundlagen zur Sprache gebracht wurde. Dies hat sich in d e m großen Abschnitt zur »Legitimation lutherischorthodoxer Lehre« eindeutig gezeigt. 19 Als »Summa christlicher Lehre« hat sich hierbei der Katechismus erwiesen. Vergleicht man also die in den Predigten angesprochenen theologischen T h e m e n mit j e n e n der Kompendien, m u ß eine Distanz zwischen akademischer Theologie u n d religiösem Leben konsta9

HÄBERLIN: E p i s t e l - P o s t i l l e 2 , S. 1 9 9 b .

10

HOCHSTETTER, A. A: Antrittspredigt, S. 3 2 u n d S. 44: Redet nicht nur vom Christenthum/ sondern thut auch/ was ihr wisset/ und fanget das heute an in Übung zu bringen/ worzu ihr seyd erinert worden/ und was euch vertrauet ist. Der Knecht/ der deß HErren Willen weißt/ und thut ihn nicht/ wird sonst doppelte Streiche leiden mu[e]ssen. WAGNER: L e i c h e n p r e d i g t HelfFerich, S. 16. Vgl. dazu W ü r t t e m b e r g i s c h e s G e s a n g b u c h (1741), N r . 240, Vers 5: Und wird ein frommer schlimm, So soll ihm das nichts dienen, Daß er vor solcher zeit Rechtschaffen gut erschienen, Der knecht, der es nicht thut, Den willen aber weiß, Macht sich vervielte schla[e]g Durch seiner boßheitßeiß. 11

HOCHSTETTER, A . A : A n t r i t t s p r e d i g t , S. 3 5 .

12

WEISMANN: F e u e r s b r u n s t , S. 2 0 . W A G N E R : E p i s t e l - P o s t i l l e

S o n d e r b a r e P r e d i g t e n , S. 18. REUCHLIN: C h r i s t e n t u m , S. 3 0 9 f. 13 WAGNER: Z w e i S o n d e r b a r e P r e d i g t e n , S. 18. 14

WAGNER: Epistel-Postille

15

R E U C H L I N : C h r i s t e n t u m , S. 2 8 4 f .

1, S. 8 5 8 .

16

REUCHLIN: C h r i s t e n t u m , S. 6 3 .

17

WAGNER: Epistel-Postille

18

WAGNER: Epistel-Postille 1, S. 2 7 0 - 2 7 7 . Vgl. Kapitel C . II.

19

1, S. 4 7 .

1, S. 8 1 6 . W A G N E R :

Zwei

317

Der »Eifolg« lutherisch-orthodoxer Predigt

tiert w e r d e n . D i e N o t w e n d i g k e i t dieser U n t e r s c h e i d u n g ist j e d o c h auch T h e o l o g e n b e k a n n t gewesen, sie w u ß t e n sehr w o h l zwischen Kanzel u n d t h e d e r zu unterscheiden. Diese Erkenntnis widerlegt somit eindrücklich T h e s e einer sich in d o k t r i n ä r e n Streitigkeiten e r s c h ö p f e n d e n lutherischen thodoxie.

den Kadie Or-

Dies m a c h t also deutlich, daß die G e g e n ü b e r s t e l l u n g v o n »Lehre« u n d »Leben« so keinesfalls zutrifft. D a ß die T h e o l o g i e der lutherischen O r t h o d o x i e j e d o c h die Ergebnisse u n d E r r u n g e n s c h a f t e n r e f o r m a t o r i s c h e r L e h r e n t w i c k l u n g in ein geschlossenes System einbindet u n d eine Distanz zwischen akademischer T h e o l o g i e u n d religiösem L e b e n schafft, ist unbestritten. 2 0 Diese E n t w i c k l u n g entsprach j e d o c h d e n N o t w e n d i g k e i t e n theologisch-philosophischer R e f l e x i o n gerade in d e n Z e i t e n konfessioneller Auseinandersetzung. Z u r Festigung des e i g e n e n S t a n d p u n k t e s b e d u r f t e es der i n n e r - u n d interkonfessionellen Auseinandersetzung, die ihrerseits letztlich zu e i n e m derartig ausgefeilten, scholastischer D e n kungsart n a h e s t e h e n d e n Lehrsystem f u h r e n m u ß t e , w i e es die lutherische O r t h o d o x i e ausbildete. Diese dogmatische Argumentationsbasis geschaffen zu h a b e n u n d damit konfessionell k o n k u r r e n z f ä h i g geblieben zu sein, ist zweifellos ein großes Verdienst der streitsüchtigen, doktrinaristischen T h e o l o g i e der lutherischen O r t h o d o x i e . Z u r D u r c h s e t z u n g u n d V e r a n k e r u n g des uralten Glaubens21, d e n das evangelische B e k e n n t n i s in d e n A u g e n der lutherischen O r t h o d o x i e repräsentierte, g e h ö r t e w i e selbstverständlich ein gehöriges M a ß an Polemik. D a ß sich die T h e o l o g e n der lutherischen O r t h o d o x i e auf diesem Feld gut b e h a u p t e t e n , d a r a u f h a t die ältere F o r s c h u n g mit N a c h d r u c k hingewiesen. 2 2 Allein, die v o n ihr b e h a u p t e t e D o m i n a n z dieser T h e m a t i k kann, was die P r e d i g t e n anbelangt, nicht akzeptiert w e r d e n . Z w a r hatte die konfessionelle P o l e m i k ihren festen, d u r c h d e n Predigtaufbau garantierten Platz i n n e r h a l b einer j e d e n Predigt, o h n e sich j e d o c h darin völlig zu erschöpfen. H i e r b e i f i n d e n sich d a n n die schon v o n d e n R e f o r m a t o r e n g e g e n ü b e r der altgläubigen Kirche 2 3 b e k ä m p f 20

Vgl. RÜTTGARDT: Heiliges Leben in der Welt, S. 175 f. Speners Kritik an der scholastischen Theologie. 21 ANDREAE: Christliche Anleitung, S. 57. 22 PÖHLMANN (Hrsg.): Heinrich Schmidt: Die Dogmatik der evangelisch-lutherischen Kirche,

S. 1 0 .

KARL

HEUSSI: K o m p e n d i u m

der

Kirchengeschichte.

Tübingen

198116,

S. 357. Die ältere Literatur findet sich bei LEUBE: Die altlutherische Orthodoxie, S. 19— 35. Vgl. auch BAUR: Die Vernunft zwischen Ontologie und Evangelium, S. 7—15. 23 Vgl. SIGWART: Predigt vom Amt der Kirchendiener, S. 26-37. SIGWART: Predigt vom Vaterunser, S. 57. SIGWART: Lasterpredigten, S. 33 v ff. HAFENREFFER: Predigten von Jahresfesten, S. 17 und S. 30. HAFENREFFER: Jubilaeum Ecclesiae, S. 12-29. HEERBRAND: Predigt von Allerheiligen, passim. HEERBRAND: Predigt von Fronleichnam, passim. ANDREAE: Christliche Anleitung, S. 316-330, S. 310 (Auflistung der päpstlichen Irrtümer), S. 450 (Kirchweih), S. 425 (Fronleichnam), S. 388 (Bräuche zu Himmelfahrt), S. 461 (Zölibat). WAGNER: Evangelien-Postille 2, S. 521 ff. WEISMANN: Einsegnungspredigt (Abgrenzung

318

Synopse: Theologie und Alltag. Zur Funktion der Theologie

ten »Stücke« wie Meßopfer, Fegfeuer, Ablaß, Fasten, Papsttum, Zölibat, H e i ligenverehrung und Bilderkult ebenso wie subtile Polemik gegenüber der calvinistischen Seite. Hier wird besonders die Lehre von der Prädestination angefeindet, wie auch die nach Meinung der lutherisch-orthodoxen Theologen irrige Lehre der Calvinisten, die besagt, Christus seiner menschlichen Natur nach anzurufen sei Abgötterei. 2 4 B e i Predigten, deren homiletisches Interesse in erster Linie der Lehre galt, muß angeführt werden, daß es sich dann zumeist um Predigten handelte, deren Ziel es war, die neue Lehre zu vermitteln, Lehrstreitigkeiten also in Bezug auf außerkirchliche Abgrenzungen, gegenüber Katholiken, Calvinisten und Schwärmern formuliert wurden, innerlutherische Streitpunkte dagegen fast gar nicht zur Sprache kamen. Wenn zudem in j e d e r Predigt neben dem Leben auch die Lehre angesprochen wurde, dann geschah dies nicht aus theologischer Gelehrtheit heraus oder wegen dogmatischer Schulstreitigkeiten, vielmehr standen die Prediger unter Legitimationszwang. Katechetische U n t e r weisung in der reinen Lehre, aber auch konfessionelle Polemik konnten deshalb nicht völlig ausgeblendet werden, war doch in letzter Instanz die Selbsterhaltung der eigenen Kirche um des Heiles willen gefordert. D e r auf der Kenntnis der reformatorischen Lehre basierende rechte Glaube war aus der Sicht der Theologen unerläßliche Notwendigkeit zum Heil — des einzelnen und der Gesellschaft. Letzte Gewißheit über seinen Heilszustand konnte der einzelne nicht erwerben, dies wurde im Kapitel über »Heilsvertrauen und Welterfahrung« 25 deutlich. Was die »Lehre« der lutherischen Orthodoxie anbelangt, so zeigen die Predigten, von den als reine Lehrpredigten konzipierten Predigten einmal abgesehen, deutlich, daß nicht das gesamte Spektrum lutherisch-orthodoxer T h e o logie in ihnen zur Sprache kommt. Die Lehre wird in den Predigten auf ihr notwendiges Maß eingeschränkt, ohne sie dadurch zu verfälschen, denn in der Reduktion der Lehre liegt per se noch nicht ihre Verfälschung vor. Wo die Lehre als solche in den Predigten zur Sprache gebracht wird, stimmt sie mit der dogmatischen Grundlegung überein. Zur Erringung der Cron des Lebens, so heißt es dann zum Beispiel, genüge es eben nicht, eine Zeitlang im »Christentum zu verharren«; »beständige Treue« ist dazu erforder-

der Konfessionen), S. [A,] v . Zugleich zeigen germanistische Studien zum Barock neben tiefgreifenden Differenzen zwischen evangelischen und katholischen Autoren gerade zum Thema der Eschatologie auch weitreichende Übereinstimmungen, die von einem breiten gemeinsamen Fundus herrühren, aus dem Autoren unterschiedlicher Konfession gemeinsam schöpfen.Vgl. KRUMMACHER: D e quatuor novissimis, S. 516 und BAUR: Lutherische Christologie, S. 110—113 unter Verweisung auf KRUMMACHER: Der junge Gryphius und die Tradition. 24 Vgl. SIGWART: Lasterpredigten, S. 38". SIGWART: Predigt vom Vaterunser, S. 125. HAFENREFFER: Primi novissimi, S. 44. 25 Vgl. dazu Kapitel C. III. 3.

Der »Erfolg« lutherisch-orthodoxer

Predigt

319

lieh — soweit es menschlicher Schwachheit möglich ist.26 Oder, es heißt dann, ein »vollkommener Täter des Wortes zu sein«, sei dem Menschen wegen seiner Schwachheit nicht möglich. 27 Ein gutes Beispiel für die richtige Darstellung der Lehre bietet auch die Leichenpredigt, die Wagner für den Mediziner Johann Erhard Cellius am 6. September 1635 gehalten hat. Es heißt dort über das Heil des Menschen: Gott gibt es, Christus erwirbt es, der Hl. Geist bekräftigt es, das Wort verkündigt es, der Glaube empfängt es, die Sakramente versiegeln es, die Werke bezeugen es, das Kreuz prüft es und der Jüngste Tag eröffnet es.28 Die Prediger reduzieren somit zwar Komplexität, um die Rezeption ihrer Lehre zu erleichtern. 29 Da jedoch die Laien noch einmal unter den angebotenen Möglichkeiten auswählen, bleibt, am Beispiel der Rechtfertigungslehre dokumentiert, je nach Perspektive, Verdienst oder reine ergo[e]tzlichkeit im Gedächtnis der Laien — also diejenige Sichtweise, die sich am unproblematischsten mit der jeweils eigenen Lebenswelt verbinden läßt. Die lutherische Orthodoxie ist jedoch zugleich durch die Fähigkeit zu charakterisieren, zentrale Motive christlichen Glaubens so zu formulieren, daß sie auch der unverständige Laie verstehen und in seine Lebenswelt integrieren kann. Dies macht deutlich, daß die theologische Arbeit der lutherischen O r thodoxie nicht ausschließlich unter dem Aspekt der dogmatischen Kontroverse gesehen werden darf. Gerade durch die Orientierung am Dekalog stellt die lutherische Orthodoxie klare und eindeutige Normen zur Gestaltung der Lebenswelt auf und befördert somit eine christliche Akzentuierung der Lebensgestaltung. 30 Darin erweist sich die lutherische Orthodoxie als alles andere als weltfremd und verknöchert. Die Theologie versteifte sich somit nicht ausschließlich auf die Aufgaben der Gliederung, Fixierung und Tradierung der »reinen Lehre«, sie erkannte die essentielle Interdependenz von Theologie und Frömmigkeit. 31 26

WAGNER.: L e i c h e n p r e d i g t Cellius (med.), S. 11.

27

WAGNER: E p i s t e l - P o s t i l l e 1, S. 8 2 5 .

28 Vgl. WAGNER: L e i c h e n p r e d i g t Cellius (med.), S. 19 d e n k u r z e n A b r i ß der Lehre. Vgl. SIGWART: Predigt v o m A m t der K i r c h e n d i e n e r , S. 20—29. A u f der E b e n e der Lehre ist v o l l k o m m e n k o r r e k t a u c h Andreaes A n t w o r t auf die Frage, o b g u t e W e r k e zur Seligkeit n o t w e n d i g seien, vgl. ANDREAE: Predigt ü b e r M t 24, S. G , v : Denn in den zehen Geboten vnd derselben wercken/ wie volkommen die Lehr ist/ so finden wir doch nicht vnser Seligkeit/ sondern allein vnser verdamnis darinnen/ welche vns vnser Su[e]nde nur offenbaren/ vnd weil wir nicht nach den Geboten gelebet/ so verdampf es vns/ vnd ko[e]nnen vns vnseregute werck nicht helffen. W e n i ge Seiten später h e i ß t es d a n n bei A n d r e a e (ebd., S. G 3 V ), ein C h r i s t h a b e die z e h n G e b o t e nötig, weil er d e n »alten Adam« bis in d e n Tod h i n e i n n i c h t ablegen k ö n n e u n d e n t s p r e c h e n d nicht allein stetiger erinnerung vnd ernstlicher vermanung/ sondern auch der straffe b e d ü r f e . 29 Vgl. dazu NIKLAS LUHMANN: Interaktion, O r g a n i s a t i o n , Gesellschaft. Gesellschaftlic h e A n w e n d u n g e n der S y s t e m t h e o r i e . In: Niklas L u h m a n n (Hrsg.): Soziologische A u f k l ä r u n g . B d . 2: Aufsätze zur T h e o r i e der Gesellschaft. O p l a d e n 1975, S. 9 - 2 0 . 30 Vgl. dazu Kapitel C . III. 1. 31 A n d e r s WINFRIED ZELLER: D i e »alternde Welt« u n d die » M o r g e n r ö t e i m Aufgang«.

320

Synopse: Theologie und Alltag. Zur Funktion der Theologie

Bei der V e r m i t t l u n g u n d U m s e t z u n g v o n theologischer N o r m in ethische A n w e i s u n g e n zur Gestaltung des Alltags w i r d d e m D e k a l o g als Basis christlic h e n Lebens der g r ö ß t e E i n f l u ß e i n g e r ä u m t . Das Alte Testament selbst k e n n t keine rein geistige o d e r geistliche Vergebung, sie m u ß sich v i e l m e h r a m g a n zen M e n s c h e n auswirken. Implizit w i r d somit das alttestamentliche Prinzip der Vergeltungslehre auf d e n Bereich der F r ü h e n N e u z e i t angewandt: j e d e D a s e i n s m i n d e r u n g w i r d o h n e A u s n a h m e auf menschliche Schuld z u r ü c k g e f ü h r t , w o m i t f ü r j e d e r m a n n offensichtlich ist, daß G o t t die F r o m m e n in i h r e m (Wohl)Ergehen b e l o h n t u n d die Frevler in i h r e m E r g e h e n bestraft. Z u dieser E n t w i c k l u n g k o m m t folgendes hinzu: W i e o b e n i m Abschnitt zur »Legitimation der Lehre« 3 2 gezeigt w u r d e , tritt das Verständnis, daß alle S ü n d e in letzter Instanz in der E r b s ü n d e wurzelt, zurück. Diese E n t w i c k l u n g geht, w i e d o r t ebenfalls dargestellt, mit e i n e m Verständnis einher, das B u ß e v o r n e h m l i c h auf R e u e u n d damit auf eine Eigenleistung des M e n s c h e n reduziert. Diese T e n d e n z e n e r ö f f n e n d e n W e g f ü r rein moralisierende Appelle. M a ß g e b l i c h ist j e t z t die Gerechtigkeit Gottes, w i e sie sich i m Gesetz u n d in m e n s c h l i c h e r V e r n u n f t widerspiegelt: die Gerechtigkeit eines R i c h t e r s , u m i h retwillen darf es keine Verzeihung o h n e entsprechende Strafe geben. D e n n dies w ü r d e sonst nach M e i n u n g der Prediger zu einer laxen Einstellung f u h ren, die sittlich-moralische O r d n u n g w ü r d e ins W a n k e n geraten. 3 3 Z u e r s t e i n mal m u ß der göttliche Z o r n beschwichtigt w e r d e n , d a n n erst kann die göttliche G n a d e in Kraft treten. D u r c h die intensive Beschäftigung mit alttestamentlichen N o r m - u n d Wertvorstellungen w i r d also letztlich eine Vergesetzlichung des alltäglichen Lebens erreicht, die in dieser F o r m einen W i d e r s p r u c h zur r e f o r m a t o r i s c h e n G r u n d l e g u n g offenlegt. D i e Praxisnähe der lutherischen O r t h o d o x i e bleibt dabei j e d o c h u n b e n o m m e n . Das Gesetz, besonders sein ü b e r L u t h e r hinausweisender dreifacher G e b r a u c h ist es also, das i m b e s o n d e r e n M a ß e das L e b e n des f r ü h n e u z e i t l i c h e n M e n s c h e n bestimmte. D u r c h die R e k u r r i e r u n g auf das Gesetz w i r d zugleich v o r n e h m l i c h alttestamentliche W e l t - u n d L e b e n s e r f a h r u n g auf d e n G e g e n wartsbereich der F r ü h e n N e u z e i t ü b e r t r a g e n u n d soll hier mit d e m e i g e n e n »wie uns die E r f a h r u n g lehrt« in E i n k l a n g gebracht w e r d e n . D i e U m s e t z u n g v o n »Lehre« in »Leben« d u r c h die T h e o l o g e n selbst b e f ö r dert d e n Verdienstgedanken. Erst b e i m direkten A u f e i n a n d e r t r e f f e n v o n Lehre u n d L e b e n zeigt sich also, w o die P r o b l e m b e r e i c h e liegen. In der v o n Sigwart gehaltenen Predigt Vom In: Winfried Zeller: Theologie und Frömmigkeit. Gesammelte Aufsätze. Hrsg. von Bernd Jaspert. Bd. 2. Marburg 1978, S. 1—13, hier S. 8. Zeller konstatiert ein Versagen der Theologen hinsichtlich der Frömmigkeit; eine Frömmigkeitskrise sei die notwendige Folge. Vgl. Rublack: Zur Problemlage der Forschung zur lutherischen Orthodoxie, S. 30. 32 Vgl. S. 100-105. 33 Vgl. Wehrung: Reformatorisch und orthodox, S. 21.

Der »Erfolg« lutherisch-orthodoxer

Predigt

321

Amt der Kirchendiener heißt es zunächst, daß alle Menschen Sünder seien u n d als solche in die Welt geboren werden; deshalb stehen alle M e n s c h e n unter der U n g n a d e Gottes. Sie sind zweitens zugleich vor Gott gerecht u n d selig, eben nicht aus menschlichem Verdienst, sondern aus Gnade, Barmherzigkeit u n d Liebe Gottes gegen die Menschen durch den Verdienst Jesu Christi. Dies macht drittens deutlich, daß niemand das Gesetz vollkommen erfüllen kann; es f ü h r t vielmehr zur Erkenntnis der Sünde, deren Vergebung w i e d e r u m allein aus d e m Evangelium k o m m t . N u n soll j e d o c h viertens der Mensch aus D a n k barkeit gegenüber Gott u n d z u m Erweis seines Glaubens sein Leben sovil mu[e]glich nach d e m Dekalog ausrichten; gute Werke werden zeitlich u n d ewig belohnt werden. 3 4 Mit Blick auf den O p f e r t o d Christi verbinden die T h e o l o gen den Trost, daß das eingeforderte Verhalten »wegen der anklebenden Sünde im Stand der Rechtfertigung« nicht vollkommen sein kann. Dies hindert sie j e d o c h nicht daran, m a h n e n d darauf zu verweisen, daß alles, was der Mensch aus seinem Talent mache, von Christus im Jüngsten Gericht als Zeugnis menschlichen Glaubens angeführt werde. 3 5 Aussagen, die wie auch i m m e r geartete Hinweise auf eine B e l o h n u n g der guten Werke enthielten, bargen die Gefahr einer M i ß d e u t u n g in sich. Von den T h e o l o g e n zwar als G n a d e n b e l o h n u n g apostrophiert, k o n n t e sie d e n n o c h als B e l o h n u n g nach den Werken verstanden werden. D i e B e t o n u n g des forensischen Aspekts der R e c h t f e r t i g u n g tat ein übriges für dieses Verständnis. D i e reformatorische Einheit von Rechtfertigung u n d Heiligung war aufgebrochen, die Heiligung war nicht m e h r das unverbrüchlich mit der R e c h t f e r t i gung verknüpfte Ergebnis, sondern deren erstrebenswertes Ziel. D i e eigentliche Möglichkeit einer Fehldeutung lag also in der direkten Transformation von Lehre in Leben. D e r Aspekt der Belohnung, gepaart mit stark am D e k a log orientierten sozialethischen Anweisungen für die Lebenspraxis, fördert die Gefahr, einer am Halten der Gebote gemessenen Werkgerechtigkeit das Wort zu reden. Es hat sich eindeutig gezeigt, daß die Schwierigkeiten bei der Transformation von theologischer N o r m in sozialethisches Handeln auftraten; für sich g e n o m m e n wird die Lehre in den Predigten zwar reduziert, aber sachgemäß vermittelt. D a ß sie »richtig« verstanden wurde, zeigt sich bei vielen der sogenannten Einreden, mit denen sich die T h e o l o g e n in den Predigten befaßten. W e n n es dort beispielshalber z u m stellvertretenden Sühnetod Christi heißt, er habe die Sünden der Welt getragen u n d deshalb dem Menschen einen »leichteren« W e g eröffnet, so ist dies zunächst einmal prinzipiell richtig erkannt. Auf ganz charakteristische Art u n d Weise beweisen dies auch die von den orthodoxen Predigern angefeindeten Epicureer. Sie n e h m e n des öfteren die 34

35

SIGWART: Predigt v o m A m t der Kirchendiener, S. 20 f. Vgl. WAGNER: Epistel-Postille 1, S. 2 7 0 - 2 7 7 .

322

Synopse: Theologie und Alltag. Zur Funktion

der Theologie

T h e o l o g e n wörtlich und argumentieren dann entschuldigend im Sinne von: im Katechismus heiße es ja bereits, der Mensch sei ein Sünder. 3 6 Auch beim wiedergeborenen Menschen herrsche Streit zwischen »Geist« u n d »Fleisch«, weshalb der Mensch das Gute eben nicht vollbringen könne. Die »Einprägearbeit« hatte also einen gewissen Erfolg zu verzeichnen. Die Argumentationen der Prediger waren verstanden worden, führten j e d o c h nicht zu der anvisierten A n w e n d u n g im Leben, das Gegenteil war vielmehr der Fall: Es seye alles/ was hier aus Paulo von dem neuen Lehen gesagt worden/ schon recht. Es seye wol scho[e]n/ wann es einer dahin bringe: aber es seye doch nicht bey allen nothwendig/ man mu[e]sse eben diesen beschwerlichen Weg nicht gehen/ wann man wolle in den Himmel kommen: sondern es gebe noch einen ku[e]rtzern und leichtern Weg/ darauf man ko[e]nne seelig werden. Dann es seye ja Christus fu[e]r unsere Su[e]nden gestorben: Was es dann no[e]thig seye/ daß auch wir von Su[e]nden absterben sollen? [...] Wir sollen nur an ihn glauben des sey genug/ wir haben uns darnach um das Leben nicht viel zu beku[e]mmern/ wann wir nur sagen: GOtt sey mir Su[e]nder gna[e]dig/ so seye damit schon alles gut?1 Für die lutherisch-orthodoxen Prediger ist dies w i e d e r u m die große A n griffsfläche, die Christen gegenüber Nichtchristen bieten, w e n n sie u m das Gute, das zu tun wäre, wissen, es aber d e n n o c h nicht befolgen. 3 8 D e r G r u n d für die z u n e h m e n d e Vergesetzlichung aller Lebensbereiche liegt sicherlich auch in der Tatsache begründet, daß die Theologen ihre Vorstellungen v o m »Leben im Alltag der Welt« nicht in einem gesellschaftlichen Vakuum proklamieren konnten. Sie trafen dort auf traditionale Verhaltensweisen einer »Kultur des Volkes«. Die traditionalen Deutungskategorien w i e d e r u m basieren sowohl auf praktischem als auch theoretischem Wissen. Sicher war durch die intensive Einprägearbeit der lutherisch-orthodoxen Theologen dieser Verhaltenskodex traditionaler Auffassungen seinerseits nicht frei u n d unabhängig eines kirchlichen Einflusses. Die Erfahrung ihrerseits wird gespeist aus einem Wissen über die D e u t u n g von vorfindlichen Realitäten. Erfahrung rührt i m mer auch aus dem Leben her, man kann sie, wie Andreae anmerkt, nicht allein auß Bu[o]chern lernen. 3 9 Daraus kann man j e d o c h umgekehrt nicht folgern, Erfahrung speise sich einzig aus Gebieten, die sich der kirchlich-theologischen Einprägung erfolgreich widersetzen konnten. 4 0 Die Erfahrung, an die die T h e o l o g e n appellieren, ist somit i m m e r auch ein Stück weit religiöse E r fahrung. D u r c h die p e r m a n e n t e Einprägung von Seiten der Prediger m u ß es allmählich zu einer Beeinflußung traditionaler Einstellungen durch christliche 36

V g l . REUCHLIN: C h r i s t e n t u m , S. 2 8 9 .

37

REUCHLIN: C h r i s t e n t u m , S. 284 f. Vgl. dazu RUBLACK: L u t h e r i s c h e Predigt u n d g e sellschaftliche W i r k l i c h k e i t e n , S. 381: Der Erfolg der lutherischen Reformation schoß in entgleitenden »Mißerfolg« über. 38

HOCHSTETTER, A . A : A n t r i t t s p r e d i g t , S. 4 4 .

39

ANDREAE: P r e d i g t e n ü b e r Ps 51, S. xxiij'. RUBLACK: Sucess and failure of t h e R e f o r m a t i o n , S. 154.

40

Der »Eifolg«

lutherisch-orthodoxer

323

Predigt

N o r m - u n d Wertvorstellungen k o m m e n . Was C h a r t i e r f ü r d e n g r o ß e n B e reich des Verhältnisses von G e l e h r t e n k u l t u r u n d Volkskultur f o r m u l i e r t hat, läßt sich auf d e n W e r t u n d das Verständnis des Wertes »Erfahrung« übertragen. D i e T h e o l o g e n b e e i n f l u ß t e n die kollektiven Verhaltensformen, i n d e m sie n o r m i e r e n d in den Diskurs eingriffen. Dieses Eingreifen f ü h r t e allerdings nicht zu einer A n n u l l i e r u n g des zuvor kollektiv G e l e b t e n , die n e u e F r ö m m i g k e i t w i r k t e nicht als imperative Konditionierung.41 D a m i t bleibt der W e r t der E r f a h r u n g z u m i n d e s t doppelsinnig, er n ä h r t sich aus d e m gemeinschaftliche G e l e b ten u n d aus d e m n o r m a t i v e n M o d e l l der T h e o l o g e n . W i e die Volksreligion selbst, so ist - gewissermaßen in n u c e - auch der E r f a h r u n g s w e r t akkulturiert und akulturierend zugleich.42 Scribner spricht in diesem Z u s a m m e n h a n g von der complexity of »populär religion«, die deutlich mache, that the populär religion is not a fixed category or set of practices, but something which has a continuing dynamic which occurs in two ways: hoth as developing practice and in relationship to the institutional Church,43 D i e Vorstellungen der T h e o l o g e n w u r d e n mit L e b e n s - u n d Verhaltensweisen k o n f r o n t i e r t , die alles andere als k o n g r u e n t mit ihren eigenen waren. Folglich sahen sich die Prediger i m m e r häufiger g e z w u n g e n , ihre M a ß s t ä b e per Gesetzespredigt zu proklamieren, ü b e r Beichte u n d Visitation zu k o n t r o l lieren u n d i m Falle der N o n k o n f o r m i t ä t entsprechend zu sanktionieren. Bei der D u r c h s e t z u n g ihrer N o r m e n vertrauten sie i m m e r w e n i g e r auf Einsicht, auch w e n n w e i t e r h i n an sie g e m a h n t w i r d u n d b e f ü r w o r t e t e n Strafpredigten, die notfalls d e n einzelnen aus Furcht vor Strafe Disziplin a n n e h m e n h i e ß e n . 4 4 Es zeigt sich deutlich, daß eine rational nachvollziehbare O r d n u n g leichter lehrbar u n d lernbar ist u n d somit effizienter zur Gestaltung der Lebenswelt anleiten k a n n . E i n e t h e o l o g i e - u n d dogmengeschichtliche Analyse stellt unterschiedliche S t r u k t u r e n zwischen r e f o r m a t o r i s c h e r u n d l u t h e r i s c h - o r t h o d o x e r T h e o l o g i e fest. Sie läßt j e d o c h die Frage offen, welche U r s a c h e n u n d M o t i v a t i o n e n h i n ter diesen V e r ä n d e r u n g e n stehen. D u r c h welche Einflüsse k a m es zu diesen Veränderungen; ausschließlich aus konfessionellen N o t w e n d i g k e i t e n heraus k ö n n e n sie nicht abgeleitet w e r d e n .

41

CHARTIER:Volkskultur u n d G e l e h r t e n k u l t u r , S. 3 8 0 .

42

CHARTIER: V o l k s k u l t u r

und

Gelehrtenkultur,

S. 3 8 1 . V g l . SCRIBNER: R i t u a l

and

po-

p u l a r r e l i g i o n , S. 4 0 f. u n d S. 44: There is dearly good reason for perceiving tensions between »official« and »popular« religion, but it would be false to see these as polar opposites. »Popular religion« encompases both »official« and »non-official« religion. In the same way, there can be no hard and fast boundary between clerical and lay religion. Vgl. ebd., S. 4 5 die g r a p h i s c h e D a r s t e l l u n g . A u f S. 4 7 verweist S c r i b n e r d a r a u f , d a ß es would not be too fanciful to suggest a similar structural relationship between Protestant »official« and »popular« religion [...]. 43 SCRIBNER: R i t u a l a n d p o p u l a r r e l i g i o n , S. 44. 44

WAGNER: Epistel-Postille

2,

S. 6 9 1 f . O S I A N D E R ,

» u n g e h o b e l t e L e u t e v e r d i e n e n die Gesetzespredigt«.

L.: P r e d i g t

in

Renningen,

S.

30:

324

Synopse: Theologie

und Alltag. Zur Funktion

der

Theologie

Hierbei ist nun nach der Wirksamkeit des gepredigten Wortes zu fragen. 4 5 Gerade bei dem Anspruch der Theologen, ein das ganze Leben umfassendes Deutungssystem anzubieten, waren sie selbst gezwungen zu überprüfen, ob ihre Vorstellungen akzeptiert wurden und gegebenenfalls Konsequenzen daraus zu ziehen. Eine auf die eigene Urteilsfähigkeit des Christen in religiösen Fragen abzielende Dogmatik muß per se Interesse an dessen Reaktionen haben. Es kann nicht allein um eine einseitige Einflußnahme von »oben« nach »unten« gehen, sonst ist der Weg von einer Einbahnstraße zur Sackgasse vorgezeichnet. D e r Glaube an die Selbstwirksamkeit des gepredigten Wortes sah sich konfrontiert mit Ignoranz und Gleichgültigkeit. 4 6 Deshalb kam es zur Verschiebung der Akzente, ohne die reformatorische Wiederentdeckung des allein aus Gnade gerechtfertigten Menschen vollständig aus den Augen zu verlieren. Jetzt ist aber am Kreuz Christi als erstes das Gericht, die Strafgerechtigkeit wahrzunehmen. Schon vor diesem Hintergrund konnte die Sündenvergebung nicht ohne die Forderung der Sündenvermeidung gepredigt werden; gerade die Anleitung zur Vermeidung von Sünden war ein zentrales Anliegen der lutherischen Orthodoxie. Billige Gnade durfte es auch in der lutherischen Orthodoxie nicht geben. 4 7 Aber auch Spener macht hierbei keine Ausnahme. E r faßt beispielshalber das Verhältnis von Sünde und Strafe wie folgt: Ist aber das nit ein jammer/ daß wir blinden und verstockten Teutschen/ die rechte wahre Religion/ mit unserm Unverstand/ unordentlichen leben verjagen sollen? So ist auch keins auffho[e]ren/ niemand gedenckt sich zu bessern. Noch wa[e]re su[e]ndigen menschlich/ aber das ist der teuffei gar/ daß man nit wil leyden/ daß man su[e]nde straffen soll [...].48

4 5 Vgl. WA Deutsche Bibel 7 , 1 1 , 9 - 1 2 . Luther schreibt dort in der Vorrede zum R ö merbrief (Ausgabe 1546): O es ist ein lebendig, schefftig, thettig, mechtig ding vmb den glauben, das vnmu[e]glich ist, das er nicht on vnterlas solte guts wircken. Erfraget auch nicht, ob gute werck zu thun sind, sondern ehe man fraget, hat er sie gethan, vnnd ist jmer im thun. 4 6 Vgl. RUBLACK: Sucess and failure o f the Reformation, S. 152 f. Vgl. MARTIN GRESCHAT: Zwischen Tradition und neuem Anfang. Valentin Ernst Löscher und der Ausgang der lutherischen Orthodoxie (Untersuchungen zur Kirchengeschichte, Bd. 5). Witten 1971, S. 1 4 4 - 1 5 7 . JOHANNES WALLMANN: Philipp Jakob Spener und die Anfänge des Pietismus (Beiträge zur historischen Theologie, Bd. 42). Tübingen 1970, S. 25 f. HANS-MARTIN BARTH: Atheismus und Orthodoxie. Analysen und Modelle christlicher Apologetik im 17. Jahrhundert. Göttingen 1971. SUSANN C. KARANT-NUNN: Luthers pastors. T h e R e formation in the Ernestine Countryside (Transactions o f the American philosophical Society, Bd. 69,8). Philadelphia 1979, S. 71. 4 7 Anders SCHMIDT: Rechtfertigung und Weltverantwortung, S. 169. Er rechnet dies erst dem Pietismus zu. 4 8 SPENER: Pia Desideria (1712), S. 78. Vgl. dazu MARTIN SCHMIDT: Speners Pia Desideria.Versuch einer theologischen Interpretation. In: Martin Schmidt (Hrsg.): Wiedergeburt und neuer Mensch. Gesammelte Studien. Bd. 1 (Arbeiten zur Geschichte des Pietismus, Bd. 2). Witten 1969, S. 1 2 9 - 1 6 8 .

Der »Erfolg« lutherisch-orthodoxer

Predigt

325

Schon Luther hat in der dritten Disputation über die Antinomer 1538 gesagt, daß man im saeculum securorum nicht dasselbe wie im saeculum contrit o r u m predigen dürfe, sondern aus theologischen und seelsorgerlichen G r ü n den sehr genau unterscheiden müsse zwischen der Predigt des Gesetzes und der Predigt des Evangeliums. 49 Nicht allen Menschen sei ohne Unterschied dasselbe zu predigen. Es gelte vielmehr auf der Welt zwischen zweierlei M e n schen zu unterscheiden: Arme, Schwache und Fromme einerseits und Reiche, Gesunde, U n f r o m m e und Sichere auf der anderen Seite: Idem manent igitur homines omnihus temporibus /.../. Beim Predigen müsse deshalb, so Luther, zwischen beiden Gruppen exakt unterschieden werden: Siehst du Zerschlagene und Betrübte, denen predige Christum, predige Gnade soviel du kannst; aber nicht den Sicheren, Bequemen, den Hureren, Ehebrechern und Gotteslästern. Wenn du das nicht tust, wirst du (mit-)schuldig an ihrer Schandtat.50 E i n e U n t e r s c h e i d u n g , die a u c h

die lutherisch-othodoxen Prediger teilten, wie sich bei Tobias Wagner zeigt: Die helffte deßgepredigte[n] Worts/ nemblich das gesetz/ ist Straff [...] vnvermeidlicher Verantwortung vor Gott/ welcher auch das Blut der verwahrloßten vnd vngestrafften Su[e]nder von der Prediger Hand zufordern trohet.5X Liest m a n die d o p p e l t e

Aufgabe der Predigt im Kontext des Amtsverständnisses der Prediger, dann wird verständlich, weshalb sie das Gesetz in ihren Predigten derartig in den Vordergrund stellten. Mit Menschen, die sicher, bequem, sittlich verkommen und blasphemisch sind, denen deshalb Gott als der Zornige und Christus als der Richter vor Augen gestellt werden mußte, sahen sie sich ihrer Auffassung nach in den Predigten konfrontiert - wie sonst ließe sich der Zustand der Welt erklären. Diesen Menschen gegenüber vom Glauben und der Vergebung der Sünden umsonst, propter Christum zu reden, schien ihnen verfehlt zu sein; ganz zu schweigen, daß zudem ihr eigenes Heil auf dem Spiel stand. 52 In der Auseinandersetzung mit dem Papsttum, in dem nach Meinung Luthers die M e n s c h e n d u r c h eine falsche Anleitung zur Reue geradezu in ein Inferno der Verzweiflung getrieben worden [sind], da wäre es einfach nötig gewesen, sie so schnell wie möglich aus dieser Hölle wieder herauszuholen,53 In der D e b a t t e m i t d e n A n t i n o -

49 W A 3 9 I, 4 8 7 - 5 8 4 . Z u r U n t e r s c h e i d u n g d e r b e i d e n saecula vgl. HAJO GERDES: Luthers Rechtfertigungslehre n a c h seinen Disputationen. In: H a n s M a r t i n M ü l l e r (Hrsg.): R e c h t f e r t i g u n g s l e h r e u n d L e i s t u n g s g e s e l l s c h a f t ( R a d i k a l e M i t t e , B d . 12). B e r l i n 1 9 7 6 , S. 2 5 - 4 8 . 50 W A 3 9 I, 5 7 4 in e i n e r U b e r s e t z u n g v o n G o t t f r i e d M a r o n . V g l . GOTTFRIED MARON: M a r t i n L u t h e r u n d E p i k u r . E i n B e i t r a g z u m V e r s t ä n d n i s des a l t e n L u t h e r ( B e r i c h t e d e r J o a c h i m J u n g i u s - G e s e l l s c h a f t d e r W i s s e n s c h a f t e n , B d . 6). H a m b u r g 1 9 8 8 , S. 5 2 . 51 WAGNER: E v a n g e l i e n - P o s t i l l e 1, S. 3 7 5 . ANDREAE: P r e d i g t ü b e r M t 2 4 , S. [G 4 ] R : B e i d e P r e d i g t w e i s e n m ü s s e n m i t e i n a n d e r [...]getrieben werden/ weil das Geetz ohne Euangelium die Leute zur verzweiffelung fu[e]ret/ das Euangelium aber/ so es one das gesetz geprediget wu[e]rde/ freuentliche/ mutwillige leute vnd verechter aller Christlichen zucht/ zu allem bo[e]sen mißbrauchen mo[e]chten. 52 V g l . z u m P r e d i g t a m t u n t e n S. 3 4 8 - 3 6 2 . V g l . W A 3 9 I, 5 7 3 , 2 - 8 . 53 MARON: L u t h e r u n d E p i c u r , S. 4 6 .

326

Synopse: Theologie und Alltag. Zur Funktion der Theologie

mern betont er dagegen, daß sich die Zeit beträchtlich, und zwar zum Schlimmeren hin, gewandelt hat. Durch die Predigt des Gesetzes müsse jetzt darauf hingewirkt werden, daß die Menschen sich nicht in falscher Sicherheit wiegten. 5 4 Luther hat die Gefahr erkannt, daß sich die notwendige GnadenPredigt in veränderter Situation in ein Gnaden-Prinzip verwandeln kann, das in j e d e m Falle bestritten werden muß. Nach Einschätzung der lutherisch-orthodoxen Prediger hat die Entwicklung zum Schlimmeren angehalten; was sie vorfanden, entsprach nicht ihren Vorstellungen der Welt. Daß sie in ihren Predigten, wie schon der Prophet Jeremia 5 5 , zum Hammer des Gesetzes griffen, ist nur folgerichtig. Die erbauliche Sprache der Predigten, auch wenn sie häufig aus Luther schöpft und sich auf ihn beruft, vermag nicht darüber hinwegzutäuschen, daß sich Tendenzen des Wandels ausgebreitet haben, der forensische Aspekt der Rechtfertigungslehre nun exklusiv gehandhabt wird. 56 Die Ethik der lutherischen Orthodoxie zielte ganz klar auf eine christliche Lebensgestaltung, die von einer rein säkular bürgerlichen unterschieden war. Dies zeigt sich vor allem dort, wo die Theologen in ihren Predigten der bürgerlichen Gerechtigkeit ihre an christlichen Maßstäben orientierte Gerechtigkeit gegenüberstellten. Die Theologen stellten einen christlichen Lebenswandel über die bürgerliche Ehrbarkeit, die ein normenkonformes Verhalten aus Furcht vor Strafe, nicht j e d o c h aus Liebe zum Guten übte. 57 Die bürgerliche Ehrbarkeit schließt alle j e n e Verhaltensweisen nicht aus, ohne die man meint, in der Welt nicht zurechtzukommen, wie beispielsweise Streit, Neid und E h r geiz. 58 Das nur äußerliche Einhalten des Gesetzes, z. B. nicht mit der Hand zu töten, aber mit dem M u n d durch Neid, Haß, Mißgunst etc. einen Menschen zu verunglimpfen, entspricht eben nur den Anforderungen der bürgerlichen Gerechtigkeit. Entsprechend fordern die Prediger nicht nur eine »bürgerliche Ehrbarkeit«, sondern einen »innerlichen Gehorsam«. 5 9 Die versuchte Durchsetzung christlicher N o r m e n macht zugleich auf einen anderen Sachverhalt aufmerksam, der in den Kontext der Debatte um die Konfessionalisierung gehört. Bei den praktischen Anweisungen zur Gestaltung des Lebens und Alltags wird immer wieder deutlich, daß es den Theologen vornehmlich um eine »Verchristlichung« geht, die konfessionelle Unterschiede in den Hintergrund treten läßt.

WA 39 I, 5 7 3 , 2 - 8 . WAGNER: Zwei Sonderbare Predigten, S. 48 verweist auf die entsprechende Stelle bei Jer 23,29. 36 Vgl. WEHRUNG: Reformatorisch und orthodox, S. 23. 54

53

37

V g l . REUCHLIN: C h r i s t e n t u m , S. 1 1 .

58

V g l . REUCHLIN: C h r i s t e n t u m , S. 1 8 5 f.

59

V g l . PREGITZER: B u ß p r e d i g t e n , S. 2 4 .

Kontinuitäten

II. Die Deutung

und

Diskontinuitäten

und Bewältigung

1. Kontinuitäten

und

327

des Alltags

Diskontinuitäten

Eine Arbeit, die einen Zeitraum von annähernd zweihundert Jahren untersuchen will, kann nicht umhin, ihre grundgelegten Fragestellungen unter den Aspekten von Kontinuität und Diskontinuität durchzusehen, um so Tendenzen eines eventuellen Wandels aufzuspüren. W i e der zweite Teil zur Geschichte des Alltags 60 gezeigt hat, überwiegen bei den Vorgaben der Prediger zur Gestaltung der einzelnen Lebensbereiche eindeutig Kontinuitäten. Ziel der Prediger war eine auf christlichen Grundsätzen basierende Gesellschaft; in ihren Predigten versuchten sie deshalb, prägenden Einfluß zu nehmen auf den Bereich des Hauses, auf den ö k o n o m i schen wie den politischen Bereich. Darin haben sie, wie vor allem die Aussagen der Prediger der dritten Phase des Untersuchungszeitraumes beweisen, auch einen gewissen Erfolg zu verzeichnen. 6 1 Indem die Prediger die Lebensbereiche von Haus, Ö k o n o m i e und Politik in das Zentrum ihrer Überlegungen stellen und an ihnen festhalten, unterstützen sie zugleich die traditionale Ständelehre. Die Prediger erweisen sich darin als konservative Kraft. Sie wirken normierend auf diese Bereiche ein und stützen so das bestehende Gesellschaftssystem über den gesamten Untersuchungszeitraum hinweg, ohne es damit j e d o c h bedingungslos zu akzeptieren. I n n o vative Impulse geben sie durch ihre im Laufe der Zeit immer stärker hervortretende Forderung, j e d e r einzelne solle sich in seinem Handeln von dem am Gesetz geschulten und geschärften Gewissen leiten lassen. 62 Es lassen sich also in der Tat auch tendenzielle Verschiebungen undVeränderungen feststellen. Zwar gehören etliche — die meisten? — Phänomene, die in der Forschung bislang pietistischen Einflüssen zugeschrieben werden, wie beispielshalber die Betonung der Gewissensprüfung und die Anleitung zur Vermeidung von Sünden, bereits der Orthodoxie an. Es sind daneben j e d o c h nuancierte Unterschiede zu beobachten. So kommt es in den Predigten ab der Mitte des 17. Jahrhunderts allmählich zu einer — teilweise bis ins Mystische 6 3 Vgl. dazu Kapitel C. III. Vgl. dazu JULIUS ENDRISS: Die Ulmer Kirchenvisitationen des 17. und 18. Jahrhunderts. Ulm 1938, S. 2 5 - 3 1 . Endriß konstatiert aus der Zeit zwischen 1720 und 1750 bei den Visitationen ebenfalls gute Ergebnisse. 6 2 Vgl. S. 3 6 2 - 3 7 1 . 6 3 Vgl. PREGITZER, G. C.: Leichenpredigt A. A. Hochstetter, S. 17 ff. und S. 25: Jesus als Liebhaber seiner Seelen. HAGMAJER: Zwei Casualpredigten, S. 90 f. PREGITZER, G. C.: Leichenpredigt A. A. Hochstetter, S. 17 f., S. 25, S. 2 9 und S. 31. Als Beispiel sei genannt (ebd., S. 18): Darum meine Seele mit du ruh'n/ Und dir immer gu[e]tlich thun/ Wu[e]nschest du dir von Beschwerden/ Und Begierden frey zu werden? Liebe JEsum und sonst nichts/ Meine Seele/ so geschichts. In der Leichenpredigt von Georg Conrad Pregitzer für A. A. Hochstetter findet sich auch ein Beispiel für Zahlenmystik. Die römische Ziffer X V I I erinnere jeden Ver60 61

328

Synopse: Theologie und Alltag. Zur Funktion

der Theologie

gesteigerten, auch emotionsgeladenen 64 — Hinwendung zum exemplarisch verstandenen Leben Jesu. Fast unmerklich wird neben dem Appell, sein Leben am Dekalog auszurichten, zunehmend häufiger auf das persönliche Vorbild Christi, sein exemplarisches Leben, vornehmlich seine Gebotserfüllung hingewiesen. 65 Die Nachfolge Christi wird zum Leitmodell. 66 Ein christliches Leben fuhren heißt, so Hagmajer, die Gebote befolgen, weil die Werke, auch wenn sie nicht vollkommen sind, dennoch Gott gefallen, und nach dem Vorbild Christi sein Kreuz auf sich nehmen und still und geduldig sein. 67 Die Gemeinschaft Jesu solle über alles geschätzt werden und man solle ernsthaft in seinen Geboten wandeln sowie Nächsten- und Feindesliebe üben. 68 Reuchlin betont, daß man demütig vor Gott und dem Nächsten nach dem Exempel Christi leben soll; nur so könne man aufrichtig und recht handeln. 69 So argumentiert auch Häberlin, der betont, daß die geforderte brüderliche Liebe nach dem Vorbild Christi, nicht nur ein christliches Verhalten gegenüber Angehörigen erfordere, sondern eben auch gegenüber Fremden, Waisen und Armen. 7 0 Zwar sind alle diese Argumente für ein christliches Verhalten nicht etwas völlig Neues, verstärkt hatte schon Wagner das Vorbild Christi bei seinen Erläuterungen herangezogen und natürlich ist dies auch s t o r b e n e n an seine Sterblichkeit, d e n n , die Z i f f e r n , in eine sinnvolle R e i h e gebracht, erg e b e n : V I X I . Vgl. REUCHLIN: C h r i s t e n t u m , S. 175: liebreiche Su[e]nder-Freund Jesus.Vgl. zur M y s t i k i m K i r c h e n l i e d ELKE AXMACHER: Mystische F r ö m m i g k e i t u n d r e f o r m a t o r i s c h e T h e o l o g i e . Z u M a r t i n Mollers Lied »Ach G o t t , w i e m a n c h e s Herzeleid«. In: Alfred D ü r r u n d W a l t h e r Killy (Hrsg.): Das protestantische K i r c h e n l i e d i m 16. u n d 17. J a h r h u n d e r t . Text-, m u s i k - u n d t h e o l o g i e g e s c h i c h t l i c h e P r o b l e m e ( W o l f e n b ü t t e l e r F o r s c h u n g e n , B d . 31). W i e s b a d e n 1986, S. 3 9 - 4 7 . V g l . zu M a r t i n M o l l e r a u c h AXMACHER: Praxis E v a n g c l i o r u m , passim. 64 Vgl. HOCHSTETTER, A. A.: L i e b e s d e n k m a l , passim. HOCHSTETTER, A. A.: A n t r i t t s p r e digt, S. 40 f. HAGMAJER: Z w e i Geistliche R e d e n , S. 4 0 - 4 3 . REUCHLIN: C h r i s t e n t u m , S. 206. 6 5 HAGMAJER: Z w e i Casualpredigten, S. 90 f. HAGMAJER: A b e n d m a h l s p r e d i g t , S. 41. REUCHLIN: C h r i s t e n t u m ,

S. 5 3 ,

S. 6 6 ,

S. 8 6 , S. 1 5 8 ,

S. 2 4 0 f. u n d

S. 2 8 6 . WAGNER:

Epi-

stel-Postille 1, S. 6 2 4 . HÄBERLIN: Epistel-Postille 1, S. 2 1 9 a - 2 2 4 b : N a c h f o l g e C h r i s t i als » Z u c h t - , P r ü f u n g s - u n d Zeugnisleiden«. WAGNER: Epistel-Postille 1, S. 673. WAGNER: Epistel-Postille 2, S. 562. HOCHSTETTER, A. A.: Antrittspredigt, S. 39. REUCHLIN: L e i c h e n predigt (Stud. theol.), S. 77. HOCHSTETTER, A. A.: C h r i s t e n w a n d e l , S. 26, S. 3 3 u n d S. 46: Jnsonderheit sehet auf den HErrn JEsum und sein heiliges Exempel/ der uns einen neuen lebendigen Weg bereitet/ und mit seinem unschuldigen Leben und Wandel ein Fu[e]rbild gelassen hat/ [...] daß wir nachfolgen seinen Fußstapffen. HOCHSTETTER, A. A.: F r ü h e - P r e d i g t , S. 31 f. HOCHSTETTER, A. A.: L i e b e s d e n k m a l , passim. D o r t vergleicht H o c h s t e t t e r seinen W e g v o n T ü b i n g e n n a c h Stuttgart m i t Jesu W e g n a c h J e r u s a l e m . 66 Vgl. RÜTTGARDT: Heiliges L e b e n in der Welt, S. 74: Nachfolge meint [...] nicht Nachahmung der äußeren Lebensführung Christi; vorbildlich sind sein Sinn und seine Tugenden, und es ist das Bemühen der Wiedergeborenen, dieser vollkommenen Art immer näherzukommen. 6 7 HAGMAJER: T a u f p r e d i g t , S. 76—78. 68

HAGMAJER: A b e n d m a h l s p r e d i g t , S. 4 1 .

69

REUCHLIN: C h r i s t e n t u m , S. 4 8 - 5 3

70

HÄBERLIN: E p i s t e l - P o s t i l l e 2 , S. 2 5 0 a f f .

und

S.

86.

Kontinuitäten

und

Diskontinuitäten

329

den Predigern der früheren Phase nicht unvertraut. Aber es läßt sich doch die Beobachtung machen, daß m e h r u n d mehr in diese R i c h t u n g argumentiert wird u n d entsprechend die neutestamentlichen Gleichniserzählungen z u n e h men. D e r Pietismus gab ebenfalls keine Impulse zu einer A u f n a h m e alttestamentlicher Texte in die Perikopenordnung. A u c h R u p p r e c h t hat die B e obachtung gemacht, daß alttestamentliche Texte in der praktischen Verk ü n d i g u n g der Kirche weiterhin zurücktreten. 7 1 Dieser R ü c k g a n g kann in der Tat darin begründet liegen, daß die auf das Individuum ausgerichtete Frömmigkeit des Pietismus das Buch des Gottesvolkes nicht mehr recht zu verstehen in der Lage war [•••].72 Diese geänderte Motivation zielt j e d o c h n o c h nicht auf eine Veränd e r u n g des alltäglichen Lebens. Im Z u s a m m e n h a n g mit der fortschreitenden Vergesetzlichung des täglichen Lebens läßt sich allerdings so etwas w i e die Z u n a h m e einer gewissen innerweltlichen Askese73 beobachten, ein früher unbekannter asketischer Z u g zeigt sich n u n in den Predigten. Für Heerbrand, also in der frühen Phase der lutherischen Orthodoxie, sind Trinken, Spielen und Tanzen nichts per se schon Verwerfliches, solange es »in Maßen« geschieht; ja, die Prediger k ö n n e n geradezu anraten, bei aller Arbeit die Lebensfreude nicht zu vergessen, wozu eindeutig auch Feste u n d Genüsse des Lebens gehören. Heerbrand rät lediglich zu ein e m Aussetzen, nur im Z u g e einer Art N o t p r o g r a m m sollen in Krisenzeiten Tanz, Gastmahle, Trinkgelage etc. erst einmal eingestellt werden. 7 4 Eine R ü c k k e h r zu diesen Freuden des alltäglichen Lebens ist also durchaus vorgesehen. Ganz anders lesen sich entsprechende Abschnitte bei R e u c h l i n . Beide Prediger stimmen zwar darin überein, daß der einzelne jederzeit u m das Heil seiner Seele besorgt sein müsse, weshalb er auf alle Verfuhrungen u n d N a c h stellungen der Welt Acht zu geben habe, was w i e d e r u m nur durch eine U b e r p r ü f u n g allen Tuns nach d e m Willen Gottes möglich sei. R e u c h l i n folgert n u n hieraus, daß jene, die auf den H e r r n warten, allezeit bereit sein müssen: sie ko[e]nnen also nicht sauffen/ spielen/ hin und her laujfen/ sich untereinander schlagen und balgen [.. ,].75 Auch w e n n nicht alles, was hier aufgezählt wird, die Z u s t i m m u n g Heerbrands gefunden hätte, so wird in der geforderten Enthaltung eine gegenüber der früheren Phase der lutherischen O r t h o d o x i e veränderte Lebensqualität spürbar. 76

71

RUPPRECHT: D i e Predigt über alttestamentliche Texte, S. 109. HANS-JOACHIM KRAUS: Geschichte der historisch-kritischen E r f o r s c h u n g des Alten Testaments von der R e f o r m a t i o n bis zur Gegenwart. N e u k i r c h e n 1956, S. 81. 73 WEBER: Wirtschaft u n d Gesellschaft, S. 329. WEBER: D i e Protestantische Ethik. Bd. 1, S. 135. Vgl. hierzu RUBLACK: Lutherische Predigt u n d gesellschaftliche W i r k l i c h keiten, S. 379. 74 HEERBRAND: Predigt v o m K o m e t e n , S. 13. Vgl. WAGNER: Z w e i E r d b e b e n p r e d i g t e n , 72

S. 1 0 . 75 76

REUCHLIN: Leichenpredigt (Stud. theol.), S. 65. Vgl. LEUBE: O r t h o d o x i e u n d Pietismus, S. 147 f.

330

Synopse: Theologie

und Alltag. Zur Funktion

der Theologie

Insgesamt überwiegen j e d o c h Kontinuitäten bei der Deutung des Alltags. 77 Dies zeigt sich unter anderem daran, daß sich die Prediger des Untersuchungszeitraumes ganz bewußt in die Tradition ihrer Vorgänger stellten, wie die von Andreas Adam Hochstetter für Christoph Reuchlin im Jahr 1707 gehaltene Leichenpredigt zeigt. 78 Hochstetter referiert in dieser Predigt eine längere Passage aus der 1569 von Jacob Heerbrand fiir Herzog Christoph gehaltenen Leichenpredigt; dazwischen liegen immerhin 138 Jahre. Eine weitere Ursache für diese Kontinuitäten ist sicher der starke Biblizismus der Prediger. Im gesamten Zeitraum werden immer wieder biblische E r zählungen, teilweise in ausgesprochen langen Paraphrasen, zur Illustration und Legitimierung ethischer Entscheidungen, herangezogen. Dies steht einerseits im Zusammenhang mit der Lehre von der verbalinspirierten Schrift, andererseits spielt hierbei auch die strikte Berufung auf Bibel und Bekenntnis, als die wichtigsten Grundlagen reformatorischer und lutherisch-orthodoxer T h e o l o gie bei dogmatischen wie homiletischen Aussagen, eine gewichtige Rolle. 7 9 Im Gesamtzusammenhang der vorliegenden Untersuchung ist es dabei interessant, daß bereits Heerbrand in seinem Kirchentestament im Abschnitt Von der Schrift folgende Gleichsetzungen vornimmt: Gesetz/ Gebott/ Zeugnus/ Befelch/ Wort Gottes/ ist alles eines/ na[e]mlich/ Wort vnnd Gesetz Gottes/ das er durch Mosen geben/ und durch jhn/ sampt den heiligen Propheten/ Euangelisten vnnd Apostel/ geschriben hat.m U b e r den Weg der Heranziehung von biblischer Erzählung zur Illustration und Legitimierung sozialethischer Aussagen gewinnt erneut besonders das Alte Testament und seine Lebensauffassung Einfluß auf die Gestaltung frühneuzeitlichen Alltagslebens. Gerade die Lektüre der Predigten macht deutlich, daß das vor über 100 Jahren gefällte Urteil Ludwig Diestels 81 , lediglich im reformierten Bereich habe eine intensive Rezeption des Alten Testaments stattgefunden, dringend einer Revision bedarf. Diestels Aussage zeigt deutlich, daß ein Urteil über die Verwendung alttestamentlicher Texte und der sich daraus ergebenden Implikationen nicht vollständig durch die Interpretation der theoretischen Schriften gefällt werden kann. 8 2 Zweifellos sah die Perikopenordnung in Vgl. RUBLACK: Lutherische Predigt und gesellschaftliche Wirklichkeiten, S. 378 f. Vgl. HOCHSTETTER, A. A.: Leichenpredigt Reuchlin, S. 16. Vgl. dazu auch die Ergänzungen aus Schriften Luthers, die Wagner in seinen Postillenwerken den eigenen Predigten dort anhängt. 79 HEERBRAND: Kirchentestament, S. 1: Die heilige Biblische Schrifft ist von Gott eingegeben/ [...]. HAFENREFFER: Loci Theologici, S. 22 f. 77

78

80

HEERBRAND: K i r c h e n t e s t a m e n t , S. 2 0 f.

LUDWIG DIESTEL: Geschichte des Alten Testamentes in der christlichen Kirche. Jena 1869 ( N D Leipzig 1981), S. 3 1 3 und 5 4 8 f. 82 So auch ERNST KOCH: Die »Himlische Philosophia des heiligen Geistes«. Zur B e deutung alttestamentlicher Spruchweisheit im Luthertum des 16. und 17. Jahrhunderts. In: Theologische Literaturzeitung 115 (1990), Sp. 7 0 5 - 7 2 0 . 81

Kontinuitäten

und

331

Diskontinuitäten

W ü r t t e m b e r g keine s o n n t ä g l i c h e n P r e d i g t e n ü b e r alttestamentliche T e x t e vor, u n d d e n n o c h f a n d e n diese Texte E i n g a n g in die Predigt der l u t h e r i s c h e n thodoxie.83 Die Wochenpredigten boten ausreichend R a u m

Or-

alttestamentliche

B ü c h e r , sogar in kursorischer Auslegungsweise, v o n der Kanzel zu

bespre-

chen.84 H i n z u k a m die Gelegenheit, bei Casualpredigten auf alttestamentliche T e x t e z u r ü c k z u g r e i f e n . Felix B i d e m b a c h e m p f i e h l t beispielshalber speziell bei Hochzeitspredigten

zur Erläuterung

des T h e m e n k o m p l e x e s

von

Ehe

und

Haus auf alttestamentliche Spruchweisheit zurückzugreifen.85 Aber auch für die B e e r d i g u n g angesehener Persönlichkeiten u n d altgewordener

Menschen

b i e t e n sich n a c h B i d e m b a c h alttestamentliche T e x t e an.86 G e r a d e die V e r w e n d u n g alttestamentlicher Texte in d e n L e i c h e n p r e d i g t e n zeigt die N ä h e des Alten Testaments zur frühneuzeitlichen Lebenswelt an. F ü r die m i t d e m lichen

und

natürlichen

Jahr

bürger-

z u s a m m e n h ä n g e n d e n F e i e r t a g e , also b e i s p i e l s h a l b e r

B ü ß - u n d Bettage, e i g n e t e n sich die alttestamentlichen G e s e t z e s - u n d

Ge-

richtspredigten besonders gut.87 D a n e b e n k o n n t e selbstverständlich zur Ausleg u n g d e r Texte d e r P e r i k o p e n o r d n u n g a u f T e x t e des A l t e n Testaments z u r ü c k -

83

Es m u ß in diesem Z u s a m m e n h a n g auch auf die g r o ß e Anzahl v o n Psalmliedern in den w ü r t t e m b e r g i s c h e n G e s a n g b ü c h e r n verwiesen werden. D e r Abschnitt zu den Psalmliedern ist der mit Abstand umfangreichste Abschnitt, g r ö ß e r als die Abteilungen z u m Kirc h e n j a h r u n d z u m Katechismus. Vgl. dazu M A R T I N R Ö S S L E R : W ü r t t e m b e r g i s c h e Gesangb u c h - G e s c h i c h t e zwischen der R e f o r m a t i o n und d e m Dreißigjährigen Krieg. In: Blätter für w ü r t t e m b e r g i s c h e Kirchengeschichte 85 (1985), S. 28—82, hier S. 67. 84 Aus G r ü n d e n der speziellen Predigtverpflichtung wechseln sich die T ü b i n g e r P r o fessoren mit der Predigt am D o n n e r s t a g ab, weshalb sich hier keine kursorische Auslegung ganzer B ü c h e r findet. Vgl. dazu beispielshalber die kursorische Auslegung j e in zwei B ä n den des Predigers Salomo, der Sieben Bußpsalmen u n d des Buches der Weisheit bei C o n rad D i e t e r i c h ( H A G E N M A I E R : Predigt u n d Policey, passim).Vgl. W A L T E R R U P P E R T : D i e P r e digt über alttestamentliche Texte in den lutherischen Kirchen Deutschlands (Arbeiten zur Theologie, 2. R e i h e , Bd. 19.). Stuttgart 1962, S . 92. Vgl. S C H R Ö D E R : Das Kirchenregim e n t in der Reichsstadt Esslingen, S. 251 f. 83 B I D E M B A C H : Manuale M i n i s t r o r u m , S. 6 1 0 - 6 4 0 . Von den dort a n g e f ü h r t e n 1 0 1 (!) Textvorschlägen flir Hochzeitspredigten gehören 47 Predigttexte d e m Alten Testament zu, 27 sind den a p o k r y p h e n Schriften e n t n o m m e n ; 74 Texte e n t s t a m m e n somit d e m Alten Testament (ebd., S. 6 1 0 — 6 3 3 ) , nur 2 7 Texte dem N e u e n Testament (ebd., S. 6 3 3 — 6 4 0 ) . 86 B I D E M B A C H : Manuale M i n i s t r o r u m , S. 4 8 6 - 5 0 5 . Bei den Texten für Leichenpredigten zeichnet sich ein ähnlicher Trend ab. Bei den Textvorschlägen z u m Begräbnis von Frauen, die bei der G e b u r t eines Kindes bzw. im Kindbett starben, g e h ö r e n von 11 Texten 9 d e m Alten Testament (ebd., S. 486—489) zu; bei den Leichentexten für »unzeitigen« f r ü h e n Tod stammen von 20 Vorschlägen 12 aus dem Alten Testament (ebd., S. 489—495); für die Leichenpredigt z u m Todesfall nach langer Krankheit dagegen sind von 29 Texten nur 8 d e m Alten Testament (ebd., S. 4 9 6 - 5 0 5 ) e n t n o m m e n , S. 4 6 7 - 4 8 5 u n d S. 5 2 6 - 5 4 2 . Vgl. E B E R H A R D W I N K L E R : D i e Leichenpredigt im deutschen L u t h e r t u m bis Spener. M ü n c h e n 1967, S. 51. 87 R U P P R E C H T : D i e Predigt ü b e r alttestamentliche Texte, S. 98 f. Er verweist z u d e m auf die V e r w e n d u n g alttestamentlicher Texte bei Erntefesten, sowie Antritts- u n d Präsentationspredigten.

332

Synopse: Theologie und Alltag. Zur Funktion der Theologie

gegriffen werden. 8 8 L e h m a n n meint, daß es im ganzen 17. Jahrhundert kein Stück der B i b e l gegeben habe, welches das Alte Testament an Aussagekraft und T h e o l o g i e überboten habe; das Alte Testament war wie kein anderes S t ü c k g e eignet, die schweren Zeitläufte zu erklären und zugleich das Vertrauen in Gottes Weltregierung zu festigend9 Es ist in diesem Zusammenhang interessant, daß gerade das Alte Testament beispielsweise nicht zwischen Sünde und Verbrechen unterscheidet. D u r c h den steten R e k u r s a u f alttestamentliche Beispiele kann diese Gleichsetzung völlig unproblematisch fortgeschrieben werden. 9 0 In einem Adventslied 91 heißt es in diesem K o n t e x t : WArum mit du ewig sterben! Su[e]nder, warum stu[e]rtzst du dich Jn das ewige verderben? Wilt du leiden ewiglich? Wilt denn mit allem fleiß Machen dir die ho[e]ll so heiß? Stehe ab von deinen su[e]nden, Die dem teuffei dich verbinden. Dencke an die letzte stunde, Dencke an das ju[e]ngst gericht, An den pfui und schwefelgrunde, An des richters angesicht: Schaue u[e]ber dich, der thron Jst dazu bereitet schon; Erde und des himmels lichter schmeltzen schon vor diesem richter. Das gerichte wird geheget, Und wird dir in einem buch Dein verbrechen vorgeleget, Und auch dein verdienter fluch, Darum soll jetzund der stab

88 Die Verwendung und Zitierung zeige die völlige Unbefangenheit dem Alten Testament gegenüber, so R U P P R E C H T : Die Predigt über alttestamentliche Texte, S. 105 f. Er verweist dort auch darauf, daß Johann Gerhard seinen langen Exordien häufig einen alttestamentlichen Text zugrundegelegt hat. Vgl. ebd., S. 281 f. Anm. 54. 89 LEHMANN: Das Zeitalter des Absolutismus, S. 177. 90 FORRER: Gotteslästerung, S. 91. Forrer macht hier deutlich, daß erst in der Zeit der Aufklärung zwischen Sünde und Delikt unterschieden wird. Erst in der Aufklärung wurde eine Unterscheidung von schuldig-werden-vor-Gott und schuldig-werden-vor-der-Gesellschaft möglich. 91 Württembergisches Gesangbuch (1741), Nr. 11, Vers 1-3 [= Württembergisches Gesangbuch (1711), S. 509]. In der Ausgabe von 1711 ist eine eindrückliche Schilderung der Hölle eingefugt, die in der späteren Ausgabe fehlt.

Kontinuitäten

und

Diskontinuitäten

333

Dir den himmel sprechen ab, Und das urtheil heißt: ihr

su[e]nder

Seyd und bleibt des teuffels

kinder.

Die Gleichsetzung hängt mit der von den Theologen propagierten universalen Weltauffassung zusammen. In ihrer Sicht ist der Fortbestand der Welt sowohl durch Sünden im Bereich der Kirche als auch durch Verbrechen im Bereich von Staat und Gesellschaft gleichermaßen bedroht. Beide Seiten dieser — letztendlich gleichen — Sache gilt es deshalb zu bekämpfen und ihr jeweiliges E n t stehen zu verhindern. Schilling hält zu dieser Thematik fest, daß auch im Bereich der lutherischen Territorialkirchen aus methodischen Gründen an der qualitativen U n terscheidung zwischen »Sündenzucht« im kirchlichen Bereich und »Strafzucht« im Bereich des Staates differenziert werden müsse. 92 Das Ziel der staatlichen Kriminaljustiz zu Beginn der Frühen Neuzeit war Strafe, Abschrekkung und Sanktionierung. 9 3 Die Reaktion seitens des Delinquenten spielte für die punitive Justiz keine Rolle. Anders dagegen charakterisiert Schilling die Kirchenzucht, der ein starkes pastorales M o m e n t innewohne. Diese K i r chenstrafen hätten somit eine völlig andere Qualität als die bürgerlichen Strafen, sie intendierten eine Akzeptanz und innere Umkehr seitens des Sünders. Kirchenzucht sei somit nicht nur als Strafe oder Sühne zu fassen, sondern als Bußzucht.94 D e r Sünder sollte durch die auferlegte Strafe zu innerer Einsicht gebracht und also vor ewiger Verdammnis bewahrt werden. Ein Kirchenzuchtsverfahren, wenn es beispielshalber mit dem Ausschluß vom Abendmahl gekoppelt war, konnte damit durchaus politische und gesellschaftliche Folgen gehabt haben. D e r von Schilling vorgenommenen Unterscheidung zwischen kirchlicher und staatlicher Strafpraxis ist auf theoretischer Ebene durchaus zuzustimmen. Es ist richtig, daß die kirchliche Bußzucht in erster Linie auf innere Einsicht und wirkliche Besserung des Sünders abzielt. Die lutherisch-orthodoxen Prediger prangern j a gerade eine nur äußerlich und/oder rituell gehandhabte Bußpraxis vehement an. B e i der Praxis der Strafgerichtsbarkeit in Ehebruchsdelikten muß Schilling gerade für landeskirchlich-lutherisch verfaßte Gebiete wie Württemberg ein92 H E I N Z S C H I L L I N G : »Geschichte der Sünde« oder »Geschichte des Verbrechens«? Überlegungen zur Gesellschaftsgeschichte der frühneuzeitlichen Kirchenzucht. In: Jahrbuch des italienisch-deutschen historischen Instituts inTrient 12 (1986), S. 169—192, hier S . 177 (= H E I N Z S C H I L L I N G : »History o f crime« or »history o f sin«? Somme reflections on the social history o f early modern church discipline. In: E. Kouri und Tom Scott (Hrsg.): Politics and society in Reformation Europe. Essays for Sir Geoffrey Elton on his 65 t h birthday. London, München 1987, S. 2 8 9 - 3 1 0 ) . 93 SCHILLING: Geschichte der Sünde, S. 184, in Anm. 29 findet sich weiterführende Literatur. 94 SCHILLING: Geschichte der Sünde, S. 185.

334

Synopse: Theologie

und Alltag. Zur Funktion

der Theologie

räumen, daß es hier durch die Besetzung der Konsistorien mit kirchlichen und staatlichen Vertretern zu einer Vermischung von Büß- und Strafzucht kommt. 9 5 Eine Entwicklung, die, wie Schilling zu R e c h t anmerkt, sich bereits weit von ihren pastoraltheologischen Ursprüngen entfernt habe. 96 Diese Urspünge hatten aber auch in orthodox-lutherischen Gemeinden vornehmlich nur auf der dogmatischen Ebene bestanden. W i e die Praxis der Predigten gezeigt hat, wird von den Predigern bei nichtnormenkonformem Verhalten verstärkt auf der Basis eines Tun-Ergehen-Zusammenhanges argumentiert, der die Aspekte von Sühne und Strafe entscheidend in den Vordergrund rückte. Im Bereich der lutherischen Orthodoxie ist deshalb dem von Geoffrey Elton 97 in die Diskussion eingebrachten Postulat einer sachgemäßen Unterscheidung der Geschichte der Kirchenzucht und der Geschichte der Kriminaljustiz der Boden entzogen. U n d zwar nicht nur durch die gemischte Besetzung der Konsistorien, sondern auch durch die Predigtpraxis der Geistlichen selbst. S o zialdisziplinierung, um Oestreichs Begriff aufzunehmen, war gewiß nicht das erklärte Ziel der lutherisch-orthodoxen Bußpredigten — das war ohne Frage die aus innerer Uberzeugung kommende wahrhafte Besserung - , aber wohl allzu häufig eine Folge der in ihnen gepredigten Vergesetzlichung aller Lebensbereiche. Eine vertikal von oben nach unten verlaufende Disziplinierung, wie sie die Vorstellung von Oestreichs Begriff impliziert, entspricht nicht der geniun lutherisch-orthodoxen Vorstellung des gesellschaftlichen Diskurses. 98 Die lutherisch-orthodoxen Theologen befördern vielmehr neben dieser vertikalen Linie eine Verhaltenssteuerung durch das Gewissen des einzelnen. Ergänzt wird diese private Kontrolle durch die auch in der Württembergischen Großen Kirchenordnung festgeschriebene Pflicht zur Denunziation. 9 9 Dies muß als

93 SCHILLING: Geschichte der Sünde, S. 186. Vgl. WAGNER: Predigt von der Kirchenbuße, bes. S. 3 5 2 - 3 5 5 . Dort (ebd., S. 356 ff.) findet sich auch im Anhang das in W ü r t temberg gebräuchliche »Bußformular«: Formvia, Welcher gestalten [...] die Ehebrecher und Ehebrecherin/ nach erlittener Politischer Straff/ in der Kirchen auff vorhergangene/ zu zweyen Sonntagen gethane Poenitentz und Abbitt/ den dritten Sonntag öffentlich absolvirt/ also Gott und der Kirchen außgeso[e]hnt werden. Zum Aspekt der Öffentlichkeit der B u ß e vgl. H E L G A S C H N A B E L - S C . H Ü L E : Calvinistische Kirchenzucht in Württemberg? Zur Theorie und Praxis der württembergischen Kirchenkonvente. In: Zeitschrift für württembergische Landesgeschichte 49 (1990), S. 1 6 9 - 2 2 3 , hier S. 183 ff; ebd., S. 182 zum subsidären Charakter der Kirchenstrafen, der im württembergischen Bußformular deutlich zum Ausdruck kommt. Diesen Vorrang der politischen vor der geistlichen Strafe schreibt bereits die Württembergischen Große Kirchenordnung fest. 96 SCHILLING: Geschichte der Sünde, S. 189. 97 G E O F F R E Y E L T O N : Introduction: Crime and the historian. In: James Swanston C o c k burn (Hrsg.): Crime in England 1 5 0 0 - 1 8 0 0 . London 1977, S. 1 - 1 4 , hier S. 14. 98 Vgl. RUBLACK: Lutherische Predigt und gesellschaftliche Wirklichkeiten, S. 382. 99 Vgl. Württembergische Große Kirchenordnung, S . ccxxxi r und S C H N A B E L - S C . H Ü L E : Calvinistische Kirchenzucht in Württemberg?, S. 181.

Kontinuitäten

und

Diskontinuitäten

335

weiterer Hinweis darauf gewertet werden, daß die M a ß n a h m e n der Sozialdisziplinierung nicht allein vertikal zur Gesellschaft verliefen. D i e i m letzten Drittel des U n t e r s u c h u n g s z e i t r a u m e s z u n e h m e n d e Kritik an e i n e m rein äußerlichen, n o r m e n k o n f o r m e n Verhalten bestätigt — langfristig — einen gewissen u n d relativen »Erfolg« der l u t h e r i s c h - o r t h o d o x e n Predigt. 1 0 0 Z w a r w a r n e n beispielshalber schon Andreae u n d W a g n e r davor, e i n e m an d e n N o r m e n des Dekaloges o r i e n t i e r t e n Leben n u r aus F u r c h t vor Strafe u n d nicht aus Einsicht u n d i n n e r e m Bedürfnis heraus zu folgen. Es g e n ü g e nicht, so Wagner, sich n u r i m Augenblick der d r o h e n d e n Strafe zu ä n d e r n , w i e ein Schüler angesichts der e r h o b e n e n R u t e des Lehrers. 1 0 1 U m g e k e h r t gilt j e d o c h , daß eine innere Besserung in j e d e m Fall äußerlich sichtbar w e r d e n m u ß ; innere Einstellung u n d sichtbares Verhalten müssen m i t e i n a n d e r k o r r e spondieren. Besonders häufig findet sich diese W a r n u n g j e d o c h bei P r e d i g e r n aus d e m letzten Drittel, v o r n e h m l i c h bei R e u c h l i n u n d A . A . Hochstetter. 1 0 2 Sie b e t o n e n , daß äußerliche Ehrbarkeit allein kein A n z e i c h e n einer »wahren B e k e h rung« ist. In solchen Aussagen zeigt sich eine w e i t r e i c h e n d e U b e r e i n s t i m m u n g mit Ä u ß e r u n g e n Philipp J a c o b Speners. A u c h er sieht das g r ö ß t e Verderbnis darin, daß 50 viele dermassen auf das a[e]usserlich verfallen sind/ daß nach vieler meynung das gantze christenthum/ was das leben anlangt/ nichts anders erfordert als eine feine moralita[e]t und Ordnung in dem eusserlichen wandelt [. . J . 1 0 3 S p e n e r b e m ü h t sich ebenfalls, d e m C h r i s t e n t u m eine andere Qualität zu g e b e n als die ho[e]chste fugenden des blos-moral-lebens.104 O b diese E n t w i c k l u n g mit d e m grundsätzlichen protestantischen Protest gegen Äußerlichkeit und Veräußerung105 e r klärt w e r d e n kann, erscheint fraglich. W o h l geht es diesen letztgenannten Predigern verstärkt u m eine wahrhafte Besserung, einen gleichsam verinnerlichten christlichen Lebenswandel. E i n äußerlich sichtbarer christlicher Lebenswandel, so w i e i h n sich die Prediger vorstellten, hat sich w o h l allmählich durchgesetzt. 1 0 6 Dies zeigt sich u n t e r a n 100

V g l . REUCHLIN: C h r i s t e n t u m , S. 4 1 , S. 4 8 u n d S. 6 6 .

101

Vgl. WAGNER: Z w e i E r d b e b e n p r e d i g t e n , S. 61 f. Vgl. ANDREAE: C h r i s t l i c h e A n l e i t u n g , S. 273: D u r c h Gewalt sei eine Ä n d e r u n g des Lebens n i c h t zu e r r e i c h e n . 102

103

REUCHLIN: R e k t o r p r e d i g t e n , S. 1 7 u n d S. 2 2 ff.

SPENER: T h e o l o g i s c h e B e d e n c k e n . Bd. 2, S. 676. SPENER: T h e o l o g i s c h e B e d e n c k e n . Bd. 2, S. 676. 105 So WINFRIED ZELLER: E i n l e i t u n g . In: W i n f r i e d Zeller (Hrsg.): D e r Protestantismus des 17. J a h r h u n d e r t s (Klassiker des Protestantismus, B d . 5). B r e m e n 1962, S. X I - L X V I , hier S. XXV. 106 Vgl. REUCHLIN: C h r i s t e n t u m , S. 285 f. Ahnliches läßt sich a u c h im K i r c h e n l i e d b e o b a c h t e n ; d o r t h e i ß t es beispielshalber i m W ü r t t e m b e r g i s c h e n G e s a n g b u c h (1741), N r . 35, in Vers 7 u n d 8: Auch heißt nicht nach Jesu fragen, Wenn man nur zur kirchen geht, Und in der versam[m]lung steht, Oder eine beicht hersagen, Und darauf zum nachtmahl gehn, Meynend dann sey gnug geschehn. [Vers 8] Nein, wann diß in Deinem leben Nach gewohnheit nur geschickt, So ists noch nicht ausgericht, Du must dich gott so ergebn, Daß du redlich, ob schon schwach, Folgest deinem jesu nach. 104

336

Synopse: Theologie und Alltag. Zur Funktion der Theologie

derem daran, daß die Prediger n u n davor warnen, bei äußeren F o r m e n der Religionsausübung wie beispielshalber Gottesdienstbesuch, Abendmahlsteiln a h m e u n d Beichte stehen zu bleiben. Zumindest eine weitere Erklärung n e ben der Z u r ü c k f ü h r u n g auf eine spezifisch protestantische Protesthaltung gegen j e d e F o r m von Äußerlichkeit wäre es doch, daß eine gewisse Erkenntnis des geforderten Verhaltens im Sinne christlicher N o r m nach den Aussagen der Prediger n u n durchaus festzustellen ist, an deren U m s e t z u n g es j e d o c h nach wie vor mangle: Nun geschickt das layder von vielen nicht/ dann viel thun nicht den Willen des himiischen [!] Vatters/ sonders den Willen des Fleiches und der Vernunfft/ ob sie schon ho[e]ren/ und in ihrem Gewissen u[e]berzeugt sind/ daß Augenlust/ Fleischeslust und hojfa[e]rtiges Leben/ wider Gottes Willen/ und also grobe schwere Su[e]nden seyen/ so lassen sie doch davon nicht ab/ sondern treibensfort ohne scheu/ die Diener GOttes mo[e]gen reden/ was sie wollend07 Vielmehr müsse bei j e d e m einzelnen eine »wahrhafte Besserung« eintreten. 1 0 8 Diese sei j e d o c h nur über eine »Selbstprüfung« zu erreichen, was n o c h nicht hinreichend ins Bewußtsein der H ö r e r gedrungen sei. Anders als sich aus der Forschungsliteratur vermuten läßt, führt dies j e d o c h nicht notwendig zu praxisorientierten, lebensnahen Predigten. Die Prediger formulieren ihre sozialethischen Anweisungen sogar weitaus allgemeiner, als dies in den beiden vorausgehenden Phasen der Fall ist. Zumindest das Wissen u m die geforderte Einhaltung bestimmter äußerer Forderungen kann jetzt vorausgesetzt werden, den Predigern ist n u n t e n d e n ziell die Frage wichtiger, wie es u m das »Herz« steht; sie setzen bereits verinnerlichte Gebote voraus u n d fördern eine Art Gesinnungsethik. 1 0 9 Es braucht n u n nicht m e h r im Detail aufgezählt werden, was alles zum N u t z e n des N ä c h sten getan werden m u ß ; was in der jeweiligen Situation zu tun ist, lehren Zeit, aber auch die Gelegenheit u n d Beschaffenheit des Nächsten. Die Prediger k ö n n e n n u n in allgemeineren Formulierungen die Verhaltensgrundsätze gegenüber d e m M i t m e n s c h e n zur Sprache bringen. Es heißt beispielsweise generalisierend nun, dem Mitmenschen dürfe nichts Böses angetan werden, seine zeitliche u n d ewige Wohlfahrt sei zu fördern, man selbst solle bei der A r beit beständig sein, weder M ü h e noch U n k o s t e n scheuen, u n d j e hilfsbedürftiger einer sei, desto stärker solle man auf dessen Erhaltung u n d Unterstützung

Epistel-Postille 1, S. 255a. Christentum, S. 41, S. 48 und S. 66. 109 R E U C H L I N : Christentum, S. 4 8 - 5 3 und S. 66. H O C H S T E T T E R , A. A.: Christenwandel, S. 27. Vgl. H O C H S T E T T E R , A. A.: Antrittspredigt, S. 28. Hochstetter will nicht nur grobe Sünden strafen, sondern besonders versuchen, das »Herz« aufzudecken; ebd., S. 39 f.: Tägliche Prüfung empfohlen, ob man dem Wort und Exempel Christi entsprochen habe. H O C H S T E T T E R , A. A.: Leichenpredigt Reuchlin, S. 28. H A G M A J E R : Zwei Geistliche R e d e n , S. 40—43. Vgl. hier das gebrauchte Vokabular: erweckt; Erweckung', heimliche Rührungen in den Hertzen.VgL R E U C H L I N : Christentum, S. 31: »Die Erweckung eines täglichen Sehnens und Verlangens nach der Gnade Jesu«. 107

HÄBERLIN:

108

Vgl.

REUCHLIN:

Lutherische

Orthodoxie

und

Pietismus

337

bedacht sein. 110 Dieses Verhalten resultiere aus dem Befehl Gottes. Aus solchen allgemein gehaltenen Anweisungen kann einerseits nicht auf eine völlige Akzeptanz der vorausgesetzten N o r m e n geschlossen werden, wie andererseits die wiederholten Mahnungen nicht dahingehend gedeutet werden dürfen, daß diese bislang von allen Betroffenen mißachtet worden wären. Sicher ist j e doch, daß solche Tendenzen darauf verweisen, daß Veränderungen stattgefunden haben, und zwar Veränderungen in der Einschätzung und Wirkung bestimmter relevanter Themenkomplexe auf die Mehrzahl der anvisierten Zielgruppe. Uberblickt man abschließend den gesamten Zeitraum von rund zweihundert Jahren, dann lassen sich neben starken Kontinuitäten in Deutung und Bewältigung des Alltags doch auch Tendenzen eines Wandels, vereinzelte Brüche und Diskontinuitäten konstatieren. Diese Tendenzen des Wandels bleiben j e doch innerhalb des vorgegebenen Rahmens und führen zu keiner Veränderung des Gesamtsystems. Es gibt Themen, die wohl zeitbedingt in den Vordergrund treten und anschließend wieder zurücktreten, ohne jedoch ganz von der Bildfläche zu verschwinden. 111 Hierzu zählt zweifelsohne die in der ersten und zweiten Phase des Untersuchungszeitraumes zentrale Thematik der N a h erwartung der Parusie Christi. 112 Sie wird jedoch eingeholt und überlagert von der Frage nach dem persönlichen Seelenheil. Indem diese Thematik auf ihren Kern — das bevorstehende Gericht — zugespitzt wird, ist belanglos, wann dieses Geschehen sich ereignen wird; wichtig ist nur, daß jeder einzelne im Bewußtsein dieses Geschehens lebt.

2. Lutherische Orthodoxie und Pietismus Die beiden Begriffe »Lehre« und »Leben« eignen sich — wie oben deutlich geworden ist — nicht zur Kennzeichnung der Differenz zwischen lutherischer Orthodoxie und Pietismus. Tendenziell sind sogar gegenteilige Beobachtungen zu machen, die jedoch nicht so weit gehen, daß die Zuordnung einfach ausgewechselt werden müßte, vielmehr handelt es sich um ein komplexes Verhältnis reziproker Komponenten. Einige der dem Untersuchungszeitraum zugerechneten Theologen werden in der Literatur den Wegbereitern des Pietismus zugeordnet. 113 Wollte man also die alte Gegenüberstellung von Lehre/Leben

110 111

112 113

Vgl. REUCHLIN: C h r i s t e n t u m , S. 3 1 0 f. LEHMANN: D a s 17. J a h r h u n d e r t , S. 5 4 7 .

Vgl. Kapitel C. II. 4. und C. III. 2.2. Vgl. NIEBERGALL: Geschichte der Predigt, S. 301. Er nennt die Tübinger Professo-

r e n H ä b e r l i n (F 1699); J. A . H o c h s t e t t e r (F 1720); A . A . H o c h s t e t t e r (F 1 7 1 7 ) ; sie sollen

der aus Halle stammenden Art zu predigen in Württemberg den Weg bereitet haben. KOLB: Geschichte des christlichen Gottesdienstes, S. 115 nennt Häberlin und Hedinger.

338

Synopse: Theologie

und Alltag. Zur Funktion

der Theologie

und Orthodoxie/Pietismus fortschreiben, dann müßte bei den pietistisch b e einflußten Predigern — wenn, wie sich gezeigt hat, schon ihre orthodoxen Vorgänger die Praxis im Blick hatten — eine besondere Nähe und Beschäftigung mit den Problemen des Alltags zu konstatieren sein. U n d in der Tat weisen die Predigten im letzten Drittel des Untersuchungszeitraumes Merkmale auf, die sie in charakteristischerWeise von den vorangehenden Predigten unterscheiden. Nur zählt hierzu gerade nicht, wie es zu erwarten gewesen wäre, eine betont lebensnahe und praxisorientierte Predigt114

weise. Jan O l a f Rüttgardt hat in seiner 1978 publizierten Arbeit am Beispiel Philipp Jakob Speners Grundzüge christlicher Sittlichkeit zusammengestellt, die im folgenden mit den Erkenntnissen der vorliegenden Arbeit über die Zeit der lutherischen Orthodoxie verglichen werden sollen. Rüttgardt kommt zu dem Ergebnis, daß Spener die ganze Bibel zur entscheidenden Lebensnorm erhoben hat, weil an dem Alten und Neuen Text alles zu dem gesetz gehöret/ was von dem leben/ und wie dasselbe bewandt seyn solle/ irgend anzutreffen ist.iX5 Gott hat also in den Geboten der Bibel verbindlich seinen Willen geoffenbart; die G e bote werden durch biblische Beispiele ergänzt und illustriert. Dies gilt in b e sonderem Maße vom Leben Jesu; er hat das richtige Gesetzesverständnis gelehrt und gelebt und hat entsprechend als exempel aller exempel zu gelten. 1 1 6 W i e für die Theologen der lutherischen Orthodoxie, so ist das Gesetz bei Spener Spiegel und regel auch für den Wiedergeborenen und damit Inhalt und Lebensmaßstab jeder christlichen Ethik. 1 1 7 Indem [...] das Exempel Christi als FRITZ: Das Erlöschen des lutherischen Bewußtseins in Württemberg, Sp. 920 nennt J o hann Andreas Hochstetter, den »württembergischen Spener«, Johann Albrecht Bengel, Georg Konrad R i e g e r und Christoph Friedrich Oetinger. RICHARD ROTHE: Geschichte der Predigt, von den Anfängen bis auf Schleiermacher. Hrsg. von August Trümpelmann. Bremen 1881, S. 400: So hartnäckig auch der Kampf der sogenannten Orthodoxen wie gegen Spener überhaupt, so auch im Besonderen gegen »seine neue Predigtweise« war; als daß er nicht hätte siegen sollen, und gerade, was die Predigt betrifft, am allerallgemeinsten. Viele der verdientesten Prediger traten frühzeitig auf selbständige Weise in Speners Fußstapfen [...] Andr. Ad. Hochstetter (Professor und Superintendent in Tubingen) [...]. 1 , 4 Eine solche Predigtweise wird dagegen schon Jacob Heerbrand bescheinigt; er habe klar gegliederte, textbezogene Predigten gehalten, die zugleich als lebensnah und volkstümlich zu charakterisieren seien. So RAEDER: Heerbrand, S. 93. SCHIAN: O r t h o doxie und Pietismus, S. 61 f. nennt als Kernpunkte pietistischer Predigtauflassung: Freiheit von starren Schematismen, die Verurteilung aller Künstelei, die Ablehnung aller überflüssigen Ausschmückungen, die Konzentration auf das Wesentliche sowie die Forderung nach Deutlichkeit und Ordnung. 1 1 5 SPENER: Die Evangelische Glaubens-Lehre, S. 772. 1 1 6 SPENER: Die Evangelische Lebens-Pflichten. Bd. 1, S. 590. 117 SPENER: Theologische Bedencken. Bd. 4, S. 676. SPENER: Die Evangelische Lebens-Pflichten. Bd. 2, S. 478. SPENER: Die Evangelische Glaubens-Lehre, S. 963: Nun solches wort GOttes/ das die regel alles unsers lebens guter wercke sein solle/ stehet vornemlich in den zehen geboten [Hervorhebung im Original] / welche die summa alles dessen begreiffen/ was wir thun und lassen sollen: danachmal alles/ was in der gantzen Bibel von lebens-pflichten stehet/ als

Lutherische

Orthodoxie

und

Pietismus

3 3 9

das Bild des vollkommenen Menschen neben die biblischen Lebensregeln tritt, betont es geradezu den geistlichen Charakter der Gebote [,..].us Dies m a c h t die G e b o t e der Schrift zu praktischen Prinzipien, die j e d e r m a n b e a c h t e n u n d a n w e n d e n k a n n u n d v o n d e n e n sich n i e m a n d a u f g r u n d v o n G e w o h n h e i t , Tradition o d e r B r a u c h t u m suspendieren lassen kann. Von der Gehorsamspflicht g e g e n ü b e r diesen G e b o t e n k a n n keiner e n t b u n d e n w e r d e n . W e g e n dieses Verständnisses der G e b o t e , so erklärt R ü t t g a r d t , wird die Bibel zum Handbuch christlicher Lebensführung. E i n e Erkenntnis, die Troeltsch bereits f ü r die lutherische E t h i k g e w o n n e n hatte u n d die nach der Lektüre der Predigten der lutherischen O r t h o d o x i e sogar n o c h auf d e n D e k a l o g eingeschränkt w e r d e n k a n n . D i e Eindeutigkeit u n d Allgemeinverständlichkeit der G e b o t e u n d entsprec h e n d ihre pragmatische A n w e n d u n g s m ö g l i c h k e i t f ü r die Gestaltung einer christlichen Lebenswelt ist längst v o n den T h e o l o g e n der lutherischen O r t h o doxie e r k a n n t w o r d e n . D i e besondere Erkenntnis j e d o c h , daß das Gesetz b e i m natürlichen Menschen nicht m e h r erreicht als ein B e m ü h e n u m eine bürgerliche Ehrbarkeit, g e h ö r t der zweiten u n d v o r n e h m l i c h der dritten Phase des U n t e r suchungszeitraumes an u n d trifft sich hierin mit der Erkenntnis Speners, der als Folge dieses B e m ü h e n s ebenfalls einzig einen äußerlichen G e h o r s a m k o n statiert. 1 1 9 O b diese Erkenntnis somit als ein Spezifikum des Pietismus zu b e trachten ist, scheint m e h r als fraglich zu sein. Schließlich ä u ß e r t sich bereits der als klassischer Vertreter der lutherischen O r t h o d o x i e geltende Tobias Wagner, v o m d e m im ü b r i g e n gesagt wird, er habe Spener w i e einen S o h n geliebt 1 2 0 , in diesem Sinne. Es scheint viel eher so zu sein, daß nach einer Phase der intensiven »Einprägearbeit« der ä u ß e r e n F o r m e n christlicher L e b e n s f ü h r u n g sich n o t w e n d i g die Frage nach der i n n e r e n Akzeptanz dieser F o r m e n stellt, eine Frage, der zweifellos in der dritten Phase des u n t e r s u c h t e n Z e i t r a u m e s besonderes G e w i c h t beigemessen wird. Spener f o r d e r t einen strikt an die biblischen Lebensregeln g e b u n d e n e n G e horsam: accurat/ genau und mit grosser Sorgfalt/ mit sonderbarem fleiß acht geben/ wie einer der auf einer gezogenen linien gehen solte/ und keine fmger breit auf eine oder andere seite davon abweichen dörffte.m Dies zielt j e d o c h n i c h t auf eine n u r w ö r t liche B e f o l g u n g der G e b o t e o h n e B e a c h t u n g der sich daraus e r g e b e n d e n K o n s e q u e n z e n . D i e Verbote unterliegen einer derartigen R e f l e x i o n nicht; sie gelten i m m e r u n d überall. D i e G e b o t e müssen j e d o c h w e g e n ihrer z w e c k -

eien erkla[e]rung der zehen gebot angesehen werden muß: wie dann alle fügenden und geböte Christi/ die wir nach dem Neuen Testament lesen/jede auf ein gewisses gebot sich ziehen la[e]sset. W e i tere Belege bei RÜTTGARDT: Heiliges L e b e n in der Welt, S. 72 A n m . 8 u n d 9. it8 RÜTTGARDT: Heiliges L e b e n in der Welt, S. 74. 119 RÜTTGARDT: Heiliges L e b e n in der Welt, S. 7 3 - 7 6 . 120 MARTIN BRECHT: Philipp J a k o b S p e n e r u n d die w ü r t t e m b e r g i s c h e Kirche. In: Geist u n d G e s c h i c h t e der R e f o r m a t i o n . Festgabe H a n n s R ü c k e r t z u m 65. G e b u r t s t a g (Arbeiten zur K i r c h e n g e s c h i c h t e , Bd. 38). Berlin 1966, S. 4 4 3 - 4 5 9 , h i e r S. 444. 121 SPENER: D e r h o c h w i c h t i g e Articul v o n der W i e d e r g e b u r t , S. 295.

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Synopse: Theologie und Alltag. Zur Funktion

der Theologie

o r i e n t i e r t e n Verbindlichkeit ü b e r d a c h t w e r d e n , u m festzustellen, o b u n t e r d e n v o r g e g e b e n e n U m s t ä n d e n das Gute, auf das das G e b o t zielt, auch erreicht w e r d e n kann. 1 2 2 Als weitere Spezifika des Pietismus w e r d e n in der F o r s c h u n g seine W e r t schätzung der G e w i s s e n s p r ü f u n g b e i m w i e d e r g e b o r e n e n M e n s c h e n , ein Leben der Heiligung, die R e f o r m a t i o n aller Stände, seine loyale H a l t u n g g e g e n ü b e r der O b r i g k e i t , die A n l e i t u n g zur V e r m e i d u n g v o n S ü n d e n , seine F o r d e r u n g nach rastlose[r] Arbeit, seine A b l e h n u n g j e d w e d e n M ü ß i g g a n g e s , sowie seine auf V e r i n n e r l i c h u n g des religiösen Lebens zielende Auffassung u n d eine i m letzten positive, h o f f n u n g s f r e u d i g e Weltsicht besonders in d e n V o r d e r g r u n d gestellt. 1 2 3 Es ist n i c h t nötig, n o c h m a l s die A r g u m e n t e f ü r die Z u s c h r e i b u n g o d e r z u mindest G r u n d l e g u n g der meisten der hier g e n a n n t e n P u n k t e bereits zur lutherischen O r t h o d o x i e zu n e n n e n . 1 2 4 I m f o l g e n d e n wird deshalb nur s u m marisch aufgezählt, w o sich V e r ä n d e r u n g e n g e g e n ü b e r der bisherigen F o r s c h u n g ergeben haben. D i e G r u n d l a g e n f ü r die Gewissenserforschung des einzelnen w u r d e n bereits in der lutherischen O r t h o d o x i e gelegt. 1 2 5 D a ß das C h r i s t e n t u m nicht n u r eine blosse Spekulation in dem Kopfe sei, u n d entsprec h e n d eine reformation in allen Sta[e]nden mit sich fu[e]hre[nf26 müsse, g e h ö r t e längst zu d e n v o n der lutherischen O r t h o d o x i e angestrebten Zielen. D a m i t wird zugleich deutlich, daß auch die lutherische O r t h o d o x i e an der Verbesser u n g der Welt arbeitete u n d also m i t n i c h t e n eine rein pessimistische Weltsicht hatte. 1 2 7 W e l c h e F u n k t i o n hätten sonst die B u ß p r e d i g t e n , die ja geradezu als ein C h a r a k t e r i s t i k u m l u t h e r i s c h - o r t h o d o x e r Predigt zu gelten haben? 1 2 8 G e rade die starke B e t o n u n g der Verantwortlichkeit u n d R e c h e n s c h a f t s a b l e g u n g des einzelnen in der lutherischen O r t h o d o x i e f ü h r t e schließlich z u m Ideal des 122

Vgl. RÜTTGARDT: Heiliges L e b e n in der Welt, S. 76.

123

V g l . SCHMIDT: R e c h t f e r t i g u n g

und Weltverantwortung,

S. 1 6 9 . H A N S LEUBE:

Die

Sozialideen des k i r c h l i c h e n Pietismus. In: H a n s L e u b e : O r t h o d o x i e u n d Pietismus. G e s a m m e l t e S t u d i e n . H r s g . v o n D i e t r i c h B l a u f u ß (Arbeiten z u r G e s c h i c h t e des Pietismus, Bd. 13). Bielefeld 1975, S. 1 2 9 - 1 5 2 , hier bes. S. 1 3 8 - 1 5 1 . MARTIN SCHMIDT: Speners W i e d e r g e b u r t s l e h r e . In: M a r t i n S c h m i d t (Hrsg.): W i e d e r g e b u r t u n d n e u e r M e n s c h . G e s a m m e l t e S t u d i e n zur G e s c h i c h t e des Pietismus (Arbeiten zur G e s c h i c h t e des Pietismus, Bd. 2). W i t t e n 1969, S. 1 6 9 - 1 9 4 . 124 Vgl. Kapitel C . III. die j e w e i l i g e n Abschnitte. 125 Vgl. o b e n Kapitel C . II. 1.2 u n d u n t e n Kapitel D. III. 2. 126 So die K r i t i k v o n FRANCKE: Lectiones Paraeneticae. l . T e i l . Halle 1726, S. 177 an der O r t h o d o x i e . 127 Als Beispiel sei h i e r e i n e N e u j a h r s p r e d i g t Hafenreffers g e n a n n t , der zu B e g i n n e x tra darauf hinweist, diesmal n i c h t alte »Händel« a u f w ä r m e n zu w o l l e n : Derentwegen diese Predigt/ kein Straffpredigt wegen allbereit vergangener Sachen/ sondern Erinnerung vnd Warnungspredigt / ku[e]nfftigem befahrendem Vnheil vorzukommen / sein solle. So HAFENREFFER: F r i e d e n s b o t , S. 4 [ H e r v o r h e b u n g S. H . ] . Vgl. a u c h WAGNER: Esslinger Freudenfestpredigt, S. 42. 128 Vgl. dazu Kapitel C . III. 2.2.

Lutherische Orthodoxie und Pietismus

341

v o m Pietismus vehement geforderten neuen Menschen,129 Diese in die Neuzeit weisende Lehre der evangelischen Theologie w u r d e über den Pietismus hinaus zur Basis anthropologisch-philosophischer Überlegungen; als wichtige Vertreter sind hier Karl Marx außerhalb u n d Paul Tillich innerhalb des Christentums zu nennen. 1 3 0 Arbeit u n d Beruf als Dienst am Mitmenschen u n d der gesamten Gesellschaft zu verstehen, ist nicht erst eine Entwicklung des Pietismus. Die Verurteilung des Berufswechsels, die Aufgabe des Berufes, wie auch jedes ehrgeizige Streben versteht nicht erst der Pietismus als U n g e h o r s a m gegen Gott. U n d schon die Vertreter der lutherischen O r t h o d o x i e predigen die Pflicht der Eltern, ihren Kindern eine Berufsausbildung z u k o m m e n zu lassen. Eine rastlose Arbeit, ein Arbeitsfanatismus, den Leube zu den Forderungen des Pietismus zählt, findet sich j e d o c h in der lutherischen O r t h o d o x i e n o c h nicht in dieser Ausprägung. 1 3 1 Ihre T h e o l o g e n verurteilen — wie die Vertreter des Pietismus — zwar jeglichen Müßiggang, b e t o n e n aber zugleich die Notwendigkeit, die durch Berufsarbeit erworbenen Güter auch zu genießen. Allerdings findet der von Leube konstatierte Arbeitsfanatismus nicht überall seine Anerkennung. Lehmann seinerseits bezeichnet es gerade umgekehrt als ein Kennzeichen der württembergischen Pietisten, daß sie nicht die üblichen Arbeitsnormen [...] also die auch für Altwürttemberg typische Hektik und Rastlosigkeit ü b e r n e h m e n wollten. 1 3 2 Sie strebten nicht nach sozialem Aufstieg u n d wollten sich keine R e i c h t ü m e r erwerben. Von der Ausprägung der lutherischen O r t h o d o x i e in W ü r t t e m b e r g hin zu den bei Lehmann vorgestellten Idealen der w ü r t t e m b e r gischen Pietisten des 18. Jahrhunderts fuhrt ein direkter Weg. N a c h der bekannten Kapitalismus-These, die M a x Weber i m Anschluß an Ernst Troeltsch formuliert hat, werden für die Herausbildung des Geistes des Kapitalismus der deutsche Pietismus sowie der calvinistische Puritanismus E n g lands verantwortlich gemacht. 1 3 3 Ein Beitrag des evangelischen W ü r t t e m b e r g

129

Vgl. SPENER: Der hochwichtige Articul von der Wiedergeburt. Von 66 Predigten befassen sich 57 Predigten mit dem »neuen, wiedergeborenen Menschen. U n t e r den Stichworten Wiedergeburt und Wiedergeborene finden sich die umfangreichsten Indexeintragungen (5 Spalten; zum Vergleich: der Eintrag zu Christus umfaßt ganze 2 Spalten).Vgl. dazu S C H M I D T : Speners Wiedergeburtslehre, S . 176 und Anm. 24. S P E N E R : Erste geistliche Schriften, S. 1252. 130 So S C H M I D T : Rechtfertigung und Weltverantwortung, S. 165 f. Er läßt diese E n t wicklung erst mit dem Pietismus beginnen. 131 Vgl. LEUBE: Die Sozialideen des kirchlichen Pietismus, S. 146 f. 132 Vgl. H A R T M U T L E H M A N N : Gemeinschaft im Glauben und im Alltag der w ü r t t e m bergischen Pietisten des 18. Jahrhunderts. In: Blätter für württembergische Kirchengeschichte 89 (1989), S. 188—201, hier S. 200. Lehmann exemplifiziert sein T h e m a am Beispiel der folgenden württembergischen Pietisten: Johann Christian Storr, Immanuel Gottlob Brastberger, Friedrich Christoph Oetinger, Philipp Friedrich Hiller, Gottlieb Friedrich Machtholf, Magnus Friedrich R o o s und Christian Adam Dann. 133 Vgl. L E U B E : Die Soziallehren des kirchlichen Pietismus, S. 1 4 9 . Vgl. auch R I C H A R D

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Synopse:

Theologie

und Alltag.

Zur Funktion

der

Theologie

zu dieser Entwicklung läßt sich fiir den in dieser Arbeit untersuchten Zeitraum nicht feststellen. Eine der Hauptursachen dafür ist sicher die Tatsache, daß der Pietismus in Württemberg in den Grenzen des überlieferten Glaubensgutes blieb; er war eine rein auf Verinnerlichung des religiösen Lebens hinzielende Bewegung.w In Württemberg ist der Pietismus in die lutherisch-orthodoxen Vorgaben integriert; die Bezeichnung Pietist werde — fälschlicherweise — als Schimpfwort und Spottname gebraucht und bezeichne jene, die angefangen hätten, sich zu bessern und sich des Nächsten »Seele und Wohlfahrt« annehmen. In der Forschung ist umstritten, ob bereits auf Zinsnahme beruhende Geldgeschäfte als erste Anzeichen des Kapitalismus zu gelten haben. 1 3 6 Wird die Zustimmung zur Zinsforderung j e d o c h schon als ein erstes Anzeichen des kapitalistischen Geistes gewertet wird, dann liegen seine Ursprünge in der lutherischen Orthodoxie. D e n n nicht erst der Pietismus hat, wie Leube meinte, völlig mit der altlutherischen Auffassung von der Unfruchtbarkeit des Geldes gebrochen137 und es der persönlichen Gewissensentscheidung überlassen, wie hoch VAN DÜLMEN: Protestantismus und Kapitalismus. M a x W e b e r s T h e s e im Licht der n e u e r e n Sozialgeschichte. In: Christian Gneuss und J ü r g e n K o c k a (Hrsg.): M a x W e b e r . E i n S y m posion. M ü n c h e n 1 9 8 8 , S. 8 8 - 1 0 1 . 1 3 4 Vgl. HANS LEUBE: Pietismus. In: Hans L e u b e : O r t h o d o x i e und Pietismus. G e s a m m e l t e Studien. Hrsg. von D i e t r i c h B l a u f u ß (Arbeiten zur G e s c h i c h t e des Pietismus, B d . 13). B i e l e f e l d 1 9 7 5 . S. 1 1 3 - 1 2 8 , hier S. 121 f. D a z u hat aber sicher auch beigetragen, daß S p e n e r zunächst von seinen o r t h o d o x e n K o l l e g e n durchaus anerkannt wurde. Erst das Auftreten des Christian T h o m a s i u s und die Verselbständigung des Pietismus u n t e r der F ü h r u n g von August H e r m a n n Francke entfremdete auch S p e n e r von den l u t h e r i s c h - o r t h o d o x e n T h e o l o g e n . Vgl. dazu HANS LEUBE: D i e G e s c h i c h t e der pietistischen B e w e g u n g in Leipzig. E i n B e i t r a g zur G e s c h i c h t e u n d Charakteristik des deutschen Pietismus. In: Hans L e u b e : O r t h o d o x i e u n d Pietismus. G e s a m m e l t e Studien. Hrsg. von D i e t r i c h B l a u fuß (Arbeiten zur G e s c h i c h t e des Pietismus, B d . 13). Bielefeld 1 9 7 5 , S. 1 5 3 - 2 6 7 . 133 REUCHLIN: C h r i s t e n t u m , S. 6 4 . HOC.HSTETTER, A. A . : Leichenpredigt Reuchlin, S. 15. REUCHLIN: R e k t o r - P r e d i g t , S. 3 4 beschreibt, was im positiven S i n n e als Pietismus gilt: Ein Pietist hat den Nahmen von der Pieta[e]t oder Gottseeligkeit/ und heisset also dem eigentlichen Wort- Verstand nach ein Pietist ein solcher Mensch/ der sich der Gottseeligkeit befleisset/ und mit einem Wort/ den HErrn fu[e]rchtet. Bist du kein solcher Pietist, so bist du auch kein Christ. Falsch dagegen sei es, so erklärt R e u c h l i n , als Pietisten solche L e u t e zu b e s c h r e i b e n , die m e i n e n , man müsse a u f eine unmittelbare Erleuchtung warten, und m e i n e n , W o r t u n d S a k r a m e n t hätten keine Kraft, die M e n s c h e n zu erleuchten und bekehren.Vgl. OSWALD BAYER: L u t h e r t u m und Pietismus in W ü r t t e m b e r g als P r o b l e m und C h a n c e . In: F r i e d r i c h H e r t e l (Hrsg.): In Wahrheit und Freiheit. 4 5 0 Jahre Evangelisches Stift in T ü b i n g e n ( Q u e l l e n u n d F o r s c h u n g e n zur w ü r t t e m b e r g i s c h e n K i r c h e n g e s c h i c h t e , B d . 8), S. 1 1 1 - 1 2 7 . D u r c h die R e z e p t i o n des v e r m u t l i c h von S p e n e r e n t l e h n t e n Begriffes »Pietist«, der erstmals im Darmstädter R a u m u m 1 6 7 7 gebraucht wurde, bürgerte J o a c h i m Feller, Professor für Poesie in Leipzig, den B e g r i f f w o h l endgültig ein. Feller schreibt: Es ist jetzt stadtbekannt der Nam' der Pietisten. Was ist ein Pietist? Der Gottes Wort studiert Und nach demselben auch ein heilig Leben führt. Zitiert ebd., S. 1 2 2 A n m . 2 2 . 1 3 6 Vgl. LEUBE: D i e Sozialideen des kirchlichen Pietismus, S. 1 4 9 . 1 3 7 LEUBE: D i e Sozialideen des kirchlichen Pietismus, S. 1 4 9 .

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die Zinsforderung für geliehene Gelder sein dürfe und zu w e l c h e m Termin dieser Zins gefordert werden dürfe. Derartige Auffassungen lassen sich vielmehr, wie in der vorliegenden Arbeit deutlich wird, bereits in der Zeit der lutherischen O r t h o d o x i e nachweisen. D i e Vertreter der lutherischen O r t h o d o x i e haben sogar eine ausdifferenziertere Auffassung in dieser Problematik als die Pietisten. S o empfehlen sie bei der Zinsthematik eine Trennung in Amtsperson und Privatperson; im ersten Fall hat der seit dem Augsburger R e i c h s t a g von 1 5 4 8 reichsübliche Zinssatz von f ü n f Prozent zu gelten, im privaten Bereich bietet dieser Zins lediglich eine Orientierungshilfe an, was ein Darlehen ohne die Sicherheit der R ü c k e r s t a t tung nicht ausschließt. 1 3 8 Was dagegen auch bei den T ü b i n g e r Predigern besonders in der späteren Phase des Untersuchungszeitraumes zum Tragen k o m m t , ist die T h e m a t i k der Ablehnung einer bloß bürgerlichen Ehrbarkeit. E i n e b l o ß e B e i c h t e und A b s o l u tion ohne die G e w i ß h e i t echter R e u e und den W i l l e n zur E r n e u e r u n g wird verstärkt verworfen. D a ß sich beides j e d o c h in einer Lebensänderung auch nach außen hin kundtun soll, hat ebenfalls schon die lutherische O r t h o d o x i e gefordert. U n d trotzdem stimmen — bis in die T e r m i n o l o g i e hinein — an diesem Punkt die T ü b i n g e r Prediger aufs Engste mit den Forderungen Philipp J a c o b Speners überein. 1 3 9 Leube will das N e u e des Pietismus und seine b e s o n dere Qualität erklären, wenn er sagt, in dieser Z e i t breche die christliche Ethik [...] siegreich als Gestalterin des ganzen Lebens und aller Verhältnisse hervoruo; nur bei einer solchen Standortbestimmung werden die weitreichenden K o n t i n u i täten zwischen lutherischer O r t h o d o x i e und Pietismus überhaupt nicht in den B l i c k g e n o m m e n . E i n e Gestaltung des Lebens i m Sinne christlicher N o r m wollen auch schon die T h e o l o g e n der lutherischen O r t h o d o x i e v o r n e h m e n , und doch hat Leube, wie sich im folgenden zeigen wird, in einer ganz b e stimmten Weise recht.

138 Vgl. oben Kapitel C. III. 1.3, bes. den Exkurs zu »Kaiserliches Recht contra biblische Norm« S. 229-236. 139 Vgl. RÜTTGARDT: Heiliges Leben in der Welt, S. 73. Vgl. PREGITZER: Bußpredigten, S. 24. REUCHLIN: Rektorpredigten, S. 22-24, spricht von »äußerlicher Ehrbarkeit«. 14(1 So LEUBE: Die Sozialideen des kirchlichen Pietismus, S. 141 unter Hinweis auf ERNST TROELTSCH: Leibniz und die Anfänge des Pietismus. In: Ernst Troeltsch (Hrsg.): Gesammelte Schriften. Bd. 4: Aufsätze zur Geistesgeschichte und Religionssoziologie. Tübingen 1925, S. 488-531, hier S. 517. An anderer Stelle versucht Leube den Nachweis zu fuhren, daß die Idee zu Reformen bereits Gemeingut aller kirchlich interessierten Kreise in der lutherischen Orthodoxie gewesen sei, aber daß es erst dem Spenerschen Pietismus mit seinem Reformprogramm gelang, diese Reformen auch in die Tat umzusetzen. So LEUBE: Die Reformideen in der deutschen lutherischen Kirche zur Zeit der Orthodoxie,Vorwort und S. 35. Vgl. JOHANNES WALLMANN: Pietismus und Orthodoxie. In: Geist und Geschichte der Reformation. Festgabe Hanns Rücken zum 65. Geburtstag (Arbeiten zur Kirchengeschichte, Bd. 38), S. 418-442, hier S. 422.

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Synopse: Theologie und Alltag. Zur Funktion

der Theologie

Läßt sich also das Gegensatzpaar von »Lehre« und »Leben« nicht zur Bezeichnung des Unterschiedes zwischen lutherischer Orthodoxie und Pietismus heranziehen, so stellt sich die Frage nach einer anderweitigen Erfassung dieser Differenz. Denn wie die tendenziellen Verschiebungen und Veränderungen neben den Kontinuitäten deutlich machen, lassen sich Differenzen beobachten. Zwar gehören etliche, wenn nicht sogar die meisten Phänomene, die in der Forschung bislang pietistischen Einflüssen zugeschrieben werden, bereits der Orthodoxie an. Wie oben bereits dargelegt, zeigt sich die Einheit von Lehre und Leben bei der Verpflichtung auf die Werte des Katechismus. Er steht für eine innere und äußere Geschlossenheit von kirchlicher Lehre, beruflicher Treue und Verantwortlichkeit sowie, gemeinsam mit der Haustafel, für die Grundlagen der häuslichen Erziehung. Daneben sind jedoch auch nuancierte Unterschiede zu beobachten: die zunehmende Hinwendung zum exemplarisch verstandenen Leben Christi, die Forderung der »Herzensbekehrung«, die Veränderungen beim Arbeitsbegriff, die sich allerdings nicht in den in dieser Arbeit untersuchten Predigten festmachen lassen; letzteres trifft auch auf die loyale Haltung zur Obrigkeit zu. Zwar übte auch Spener Kritik an der Obrigkeit, wenn sie ihre gegenüber den U n tertanen eingegangene Fürsorgepflicht verletzte, aber er möchte allgemeine Anklagen von der Kanzel herunter vermieden wissen, wenn keine Vertreter der Obrigkeit 141 selbst anwesend sind, eine Frage, die sich den Vertretern der lutherischen Orthodoxie so nicht stellte. 142 Vielleicht ist diese vorsichtige Z u rückhaltung bei der obrigkeitlichen Kritik ein erster Schritt dazu, daß die Zweireichelehre vom Pietismus an — nicht jedoch in den hier untersuchten Predigten — der Vergessenheit anheim fiel. 143 Bei der Analyse der Predigten hat sich der Eindruck verstärkt, daß in der Forschungsliteratur viele Fehleinschätzungen aus einer einseitigen, weil vornehmlich von den »Erfolgen« des Pietismus ausgehenden, Perspektive herrühren und folgerichtig geht die dort nach Kontinuitäten bzw. Diskontinuitäten gestellte Frage von falschen Prämissen aus. Diese retrospektive Sichtweise fuhrt zu gewichtigen Fehlinterpretationen. So auch der — zweifelsohne stark apologetisch-polemisch orientierte — Ansatz Werner Elerts. 144 Ihm kommt j e doch, auch wenn sein Ansatz »von oben« zugreift, er also vornehmlich mit Literatur der Hochtheologie arbeitet — bei aller berechtigten Kritik —, das Ver141

SPENER: T h e o l o g i s c h e B e d e n c k e n . Bd. 4, S. 522. Vgl. H A G E N M A I E R : Predigt u n d Policey, S. 1 2 1 - 1 4 0 . 143 Vgl. S C H M I D T : R e c h t f e r t i g u n g u n d Weltverantwortung, S . 167 u n d Schmidts kritische Ä u ß e r u n g e n in A n m . 22. 144 So ELERT: L u t h e r t u m , Bd. 1, S. 8 u n d passim. Vgl. LEUBE: D i e altlutherische O r thodoxie, S. 34 f. K A R L H O L L : Die B e d e u t u n g der g r o ß e n Kriege für das religiöse u n d kirchliche Leben innerhalb des deutschen Protestantismus. Bd. 3: D e r Westen. T ü b i n g e n 1928, S. 3 0 2 - 3 8 4 . Er konstatiert einen Abfall v o m S t a n d p u n k t Luthers (ebd., S. 319).Vgl. auch BESTE: D i e b e d e u t e n d e s t e n Kanzelredner. Bd. 2, S. X l f . 142

Lutherische Orthodoxie und Pietismus

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dienst zu, doch zumindest die Notwendigkeit der Neukonzeptualisierung deutlich gemacht zu haben. 1 4 5 Für die hier untersuchte E p o c h e der lutherischen O r t h o d o x i e zeigt sich deutlich, daß die »Erfolge« der praxisnahen Lebensorientierung durch die Predigten der lutherisch-orthodoxen Theologen in der Literatur vornehmlich d e m K o n t o der späteren — pietistisch beeinflußten — Prediger zugeschrieben werden. Dieses Urteil unterliegt in dieser F o r m einer doppelten Fehleinschätzung. Z u m einen predigten bereits die Theologen der lutherischen O r t h o d o x i e lebensnah u n d praxisorientiert, z u m anderen unterscheiden sich lutherisch-orthodoxe u n d pietistisch beeinflußte Predigten nicht, wie bislang zumeist angen o m m e n , in der konkreten Lebensnähe der Predigten, sondern in den u n t e r schiedlichen M e t h o d e n , die j e d o c h letztlich der gleichen Zielsetzung folgen. D i e lutherische O r t h o d o x i e befördert im besonderen eine Sozialisation, die unter christlicher Ethik die A n w e n d u n g biblischer G e b o t e auf gegenwärtige Probleme versteht. Damit bewahrt sie, indem sie auf den Inhalt des Handelns verweist, vor falscher Innerlichkeit: in der Welt ist das R e c h t e zu tun, nicht nur in foro conscientiae. Diese Auffassung birgt j e d o c h die Gefahr inne, den den göttlichen Willen vermittelnden Geboten einen Eigenwert zuzuschreiben u n d hierbei stehen zu bleiben. Die pietistisch beeinflußten Prediger versuchen, n a c h d e m bereits diese N o r m e n m e h r oder weniger erfolgreich etabliert wurden, n u n ihrerseits verstärkt eine »Verinnerlichung« zu erreichen u n d so pointiert die Motive des Handelns zu betonen. Ein Punkt, der seinerseits mit der P r ü f u n g der Gewissen schon in der O r t h o d o x i e angelegt worden war. Die pietistisch beeinflußten Prediger k ö n n e n sich, nach der erfolgten »Einprägearbeit« der lutherisch-orthodoxen Theologen, die ein eigentlich erst in zweiter Linie konfessionell geprägtes C h r i s t e n t u m etabliert haben, n u n ihrerseits daran machen, zur »Verinnerlichung« anzuleiten. Dabei k ö n n e n sie auf ein großes Reservoir von bekannten T h e m e n u n d Anweisungen zurückgreifen. Sie müssen nicht m e h r im Detail angeben, was jeweils zu t u n ist, w e n n sie z u m Beispiel über das richtige Verhalten im täglichen Leben sprechen. 1 4 6 Ein gewisser Abstraktionsgrad in den Predigten ist die Folge, aber auch ein — u n mittelbar damit zusammenhängendes — i m m e r vager werdendes Schuldbewußtsein. 1 4 7 A n die Stelle eines sich in konkreten G e - u n d Verboten ä u ß e r n den Weltbezuges der Predigten mit entsprechend klaren Handlungsanweisungen tritt eine auf das »Herz« des Hörers zielende Predigtweise. D i e Predigt 145

RUBLACK: Z u r Problemlage der Forschung zur lutherischen Orthodoxie, S. 28 f. HOCHSTETTER, A. A.: Leichenpredigt Reuchlin, S. 17: Sihe eine scho[e]ne Eigenschafft der Glaubigen. Sie fu[e]hren ein auffrichtiges Leben/ beyde gegen GOtt und den Menschen/ und befleißigen sich allenthalben zuhaben ein gut Gewissen. Sie dencken fleissig an die Theure LebensRegul Salomonis [...]; es folgt zitiert Prov. 4, 23-26. 147 Vgl. oben Kapitel C. II. 1.5. 146

346

Synopse: Theologie

und Alltag. Zur Funktion

der Theologie

zielt jetzt auf eine Herzensbekehrung,148 Die wechselseitigen Einflüsse aus Pietismus und mystischem Spiritualismus auf die lutherisch-orthodoxen T h e o l o gen sind hierbei j e d o c h nicht exakt zu trennen. 1 4 9 Wenn es also Einflüsse des Pietismus Spenerscher Prägung bei den T ü b i n ger Theologen der dritten Phase des Untersuchungszeitraumes gibt - und persönliche, freundschaftliche Kontakte waren auf jeden Fall vorhanden 1 5 0 — dann knüpften sie an die Aufforderung der Theologen zur Mäßigung und zum Einhalten des rechten Maßes an. 151 Martin Schmidt hat in einem Aufsatz zur Wiedergeburtslehre Speners unter R ü c k g r i f f auf Ritschis — wie Schmidt anmerkt nicht unbestrittene — Geschichte des Pietismus die Charakteristika der Spenerschen Theologie benannt: die betonte Anknüpfung an die Reformliteratur, was Spener von Valentin Löscher bis Albrecht Ritsehl Lob für seine lutherisch-kirchliche Auffassung eingetragen hat, aber auch seine vermeintliche Indifferenz in dogmatischen Fragen, sein betonter Individualismus, der sich teils zur religiösen Erotik der mittelalterlichen Brautmystik, teils aber auch zur berufsfeindlichen Askese des mittelalterlichen Mönchtums steigert, seinen kirchenauflösenden Konventikelgeist sowie seine Wiederbelebung der spätmittelalterlichen und wiedertäuferischen Sekten. 1 5 2 Die Verbindung zwischen Spener und den Tübinger Theologen und damit die direkten Berührungspunkte mit dem Pietismus äußern sich vornehmlich in drei Punkten: der Anknüpfung an die Grundregel des Maßhaltens, die weitere Förderung des Individualismus sowie die zunehmende Bedeutung des mystischen Elements. 1 5 3 In dogmatischer Hinsicht lassen sich keine VerändeTROELTSCH: Leibniz und die Anfange des Pietismus, S. 517. Vgl. SCHMIDT: Rechtfertigung und Weltverantwortung, S. 165. 130 WEISMANN, F. CHR.: Leichenpredigt J . A. Hochstetter, S. 51. Weismann berichtet dort von der persönlichen Begegnung zwischen Francke und J . A. Hochstetter. Francke hatte sich Johann Andreas Hochstetter an Stelle von dessen verstorbenem Sohn, Andreas Adam, als einen Sohn aus hertzlicher Liebe anerbotten/ ernstlich recommendiret [...] (vgl. dazu S. 60 die Darstellung nach dem Bericht Franckes). Vgl. auch ebd., S. 5 6 - 6 4 den Vortrag Franckes, den dieser in Halle über den Tod Hochstetters gehalten hat und der mit Zustimmung der Erben der gedruckten Fassung der Leichenpredigt angehängt wurde. Francke schreibt in diesem Vortrag, Hochstetter sei ein gantz besonderer Freund des seeligen Herrn D. Speners gewesen (ebd., S. 60). Hochstetter habe Francke erzählt: Er [Hochstetter] wu[ejßte nicht daß erjemahls in seinem Leben einen Menschen lieber gehabt als den seeligen D. Spener. Persönliche Kontakte Speners bestanden nicht nur zu Wagner und J . A. Hochstetter, sondern auch zu Wölfilin und Raith. Spener widmete beispielshalber seine 1678 erschienenen Bußpredigten den Tübinger Theologen. Vgl. dazu BRECHT: Spener und die württembergische Kirche, S. 444; speziell zu Hochstetter, der von Francke als württembergischer Spener bezeichnet wird (ebd., S. 445 f.). Zur gesamten Thematik vgl. auch CHRISTOPH KOLB: Die Anfänge des Pietismus und Separatismus in Württemberg. [Stuttgart 1902], passim. 151 Vgl. SCHMIDT: Speners Wiedergeburtslehre, S. 169. 148 149

152

V g l . SCHMIDT: S p e n e r s W i e d e r g e b u r t s l e h r e ,

S. 1 6 9 f. V g l . ALBRECHT

RITSCHL:

Ge-

schichte des Pietismus. Bd. 2: Der Pietismus in der lutherischen Kirche des 17. und 18. Jahrhunderts. B o n n 1886. 153 Eine derartige Einschätzung spricht für Spener als einen Vertreter des Übergangs.

Lutherische

Orthodoxie

und

347

Pietismus

r u n g e n feststellen; H o c h s t e t t e r w i e a u c h S p e n e r w a r e n d e r M e i n u n g , a u f d e m B o d e n d e r l u t h e r i s c h - o r t h o d o x e n T h e o l o g i e zu s t e h e n . 1 5 4 D i e

unbestrittene

T a t s a c h e , d a ß S p e n e r , b e i aller A b g r e n z u n g , d i e s a c h l i c h e N ä h e u n d p e r s ö n l i c h e V e r b i n d u n g zu s e p a r a t i s t i s c h e n K r e i s e n des S p i r i t u a l i s m u s h i e l t , fällt b e i d e n T ü b i n g e r T h e o l o g e n n i c h t ins G e w i c h t . 1 5 5 I n W ü r t t e m b e r g g e l a n g l a n g fristig d i e E i n b i n d u n g des P i e t i s m u s i n das b e s t e h e n d e K i r c h e n s y s t e m . 1 5 6 E i n e m zweiten Fehler bei der Interpretation dieser E p o c h e unterliegt eine F o r s c h u n g s r i c h t u n g , die in d e r R e f o r m a t i o n e i n s e t z t u n d allein u n t e r d i e s e m B l i c k w i n k e l die l u t h e r i s c h e O r t h o d o x i e - z u m e i s t e i n z i g a u f g r u n d i h r e r A r b e i t e n z u r d o g m a t i s c h e n K o n t r o v e r s t h e o l o g i e — d a n n als e i n e V e r f a l l s e p o c h e 1 5 7 v e r s t e h t , d e r die L e b e n s n ä h e d e r r e f o r m a t o r i s c h e n A n s c h a u u n g e n

zusehends

a b h a n d e n k o m m t , was z u g l e i c h zu e i n e r v ö l l i g e n V e r n a c h l ä s s i g u n g des p r a k tisch-kirchlichen Gebiets der lutherischen O r t h o d o x i e gefuhrt habe, eine B e t r a c h t u n g s w e i s e , die a u f J o h a n n G e o r g W a l c h s A b h a n d l u n g d e r t h e o l o g i s c h e n S t r e i t i g k e i t e n z u r ü c k g e f ü h r t w e r d e n k a n n , die e r i n d e n J a h r e n z w i s c h e n 1 7 3 0

So bereits ARNOLD SCHLEIFF: Selbstkritik der lutherischen Kirchen im 17. Jahrhundert. Berlin 1937, S. 174 ff. EMANUEL HIRSCH: Geschichte der neuern evangelischen Theologie. Bd. 2. Gütersloh 1951, Kap. 20: Die Grundlegung der pietistischen Theologie durch Philipp Jacob Spener, bes. S. 96 f. Hirsch bescheinigt hier Spener eine weitreichende U b e r einstimmung mit dem lutherischen Bekenntnis. Uber die Lehre von der Wiedergeburt hatte die Mystik des Mittelalters erneut Eingang in die Theologie gefunden. Schwenckfeld war der erste, bei dem die Lehre von der Wiedergeburt eine beherrschende und gestaltende R o l l e einnahm. Vgl. SCHMIDT: Speners Wiedergeburtslehre, S. 185 Anm. 63. Im Unterschied zu Spener, so SCHMIDT: Speners Wiedergeburtslehre, S. 186, habe die imitatio Christi bei Schwenckfeld eine weitaus stärkere ethische Kompente, als dies bei Spener der Fall sei. Vgl. zum Spiritualismus SCHMIDT: Speners Wiedergeburtslehre, S. 190: Das spiritualistische Gedankengut kommt in die Rolle einer Hilfslinie gegenüber der orthodoxen Überlieferung, darum finden sich so viele sprachliche Anklänge, ohne daß die Sache genau identisch wäre. Den Ausgangspunkt bildet die melanchthonische Rechtfertigungslehre, [...]. 1 , 4 BRECHT: Spener und die württembergische Kirche, S. 446. Vgl. SCHMIDT: Speners Wiedergeburtslehre, S. 184. 1 3 3 Vgl. SCHMIDT: Speners Wiedergeburtslehre, S. 169. 1 , 6 Zu separatistischen Bewegungen im Herzogtum Württemberg vgl. LEHMANN: Pietismus und weltliche Ordnung, S. 4 8 - 5 8 . Vgl. auch HAAG: Predigt und Gesellschaft, S. 408—411. Zur Integration des Pietismus in die württembergische Landeskirche vgl. das Generalreskript, betreffend die Privat-Versammlungen der Pietisten vom 10. O k t . 1743. In: REYSCHER (Hrsg.): Sammlung württembergischer Gesetze, Bd. 8, S. 641—652, sowie LEHMANN: Pietismus und weltliche Ordnung, S. 8 2 - 9 4 . 1 5 7 INGEBORG RÖBBELEN: Theologie und Frömmigkeit im deutschen evangelischlutherischen Gesangbuch des 17. und frühen 18. Jahrhunderts. Göttingen 1957, S. 150 Anm. 68. Sie fuhrt aus, daß der Theologie jener Zeit trotz aller Berufung auf Luther und trotz aller Betonung ihrer »Orthodoxie« längst die fundamentalen reformatorischen Anschauungen von Wesen, Aufgabe und Inhalt der Theologie verloren gegangen waren. Vgl. ebd., S. 3 1 2 Anm. 63. Im besonderen konstatiert sie eine Zweigleisigkeit von Theologie und Frömmigkeit (ebd., S. 28 Anm. 39). Zur Kritik vgl. BAUR: Die Vernunft zwischen Ontologie und Evangelium, S. 14 Anm. 63.

348

Synopse: Theologie

und Alltag. Zur Funktion

der

Theologie

und 1739 in fünf Bänden veröffentlicht hat. 158 W i e bereits Hans Leube in seinem Forschungsbericht aus dem Jahr 1933 dazu richtig anmerkt, hat sich die Forschung durch die anhaltende Wirkung dieser Einschätzung das Verständnis des orthodoxen Universalismus grundlegend verbaut. 159 Daran haben — aus den unterschiedlichsten Gründen — die im ersten Drittel dieses 20. Jahrhunderts verfaßten Arbeiten zur Erforschung der Ethik der lutherischen Orthodoxie wenig ändern können. 1 6 0 Wer j e d o c h der Epoche der lutherischen Orthodoxie, die zwischen R e f o r mation und Aufklärung eingebettet ist, eine — bei allen verständlichen Sachzwängen und Abhängigkeiten — relative Selbständigkeit zubilligt, ohne sie dadurch isoliert zu betrachten, wird konstatieren müssen, daß sie ihrem universalen, alle Lebensbereiche einschließenden Anspruch gerecht wird.

III. Die gesellschaftliche Funktion

der Theologie

i. Herrschaftsordnung und christliche Freiheit W i e der Abschnitt über die »Dimensionen des Alltags« deutlich gemacht hat, versuchen die Theologen der lutherischen Orthodoxie intensiv, ihre Wertvorstellungen und N o r m e n zur Prägung von Lebens- und Alltagsstrategien in den gesellschaftlichen Diskurs einzubringen. 1 6 1 Die verfassungsmäßig garantierte Stellung einer in den Staat integrierten Landeskirche bietet dafür eine günstige Ausgangsbasis. 162 Aus der urspünglich interimistisch gedachten

138 JOHANN GEORG WALCH: Historische und theologische Einleitung in die Religionsstreitigkeiten der evangelisch-lutherischen Kirchen. Bd. 1—5. Jena 1730—1739. 159 LEUBE: Die altlutherische Orthodoxie, S. 27. RUBLACK: Zur Problemlage der Forschung, S. 1 9 - 2 2 . Vgl. ELERT: Luthertum. Bd. 1, S. 1 f.: Als ob es ein Gebiet menschlichen Lebens gäbe, angefangen vom Staat und der Kapitalismusbildung bis zur Ehescheidung und Zigeunerplage, das von Bellarmin und Johann Gerhard nicht in die Erörterung hineingezogen wäre. 160 GUSTAV HOENNICKE: Studien zur altprotestantischen Ethik. Berlin 1902. RENATUS HUPFELD: Die Ethik Johann Gerhards. Ein Beitrag zum Verständnis der lutherischen Ethik. Berlin 1908. ERNST UHL: Die Sozialethik Johann Gerhards (Forschungen zur Geschichte und Lehre des Protestantismus, 5. R e i h e , Bd. 4). München 1932. Zu den verschiedenen Gründen vgl. LEUBE: Die altlutherische Orthodoxie, S. 33. Vgl. den Uberblick über die Forschung bei HAAG: Predigt und Gesellschaft, S. 1 - 4 . Haag weist völlig zu R e c h t darauf hin, daß es zu keinen einschneidenden Veränderungen in der Einschätzung der Epoche der lutherischen Orthodoxie seit dem Forschungsüberblick von Hans Leube gekommen ist. 161 Vgl. RONNIE PO-CHIA HSIA: Social discipline in the Reformation. Central Europe 1550—1750 (Christianity and society in the modern world). London, N e w York 1989, S. 1 4 3 - 1 5 3 . 162 HERMANN KUNST: Evangelischer Glaube und politische Verantwortung. Martin Luther als politischer Berater seines Landesherren und seine Teilnahme an den Fragen des öffentlichen Lebens. Stuttgart 1976, S. 207. OTTO HERMANN PESCH: Luther und die Kir-

Herrschaftsordnung

und christliche Freiheit

349

Funktion der Obrigkeit als eine Art »Notbischof« war eine feste Institution geworden, was ohne Zweifel zu einer Vermischung der beiden R e g i m e n t e r fuhren mußte. Am Ende einer bereits ins Spätmittelalter zurückreichenden Entwicklung 1 6 3 stand somit das landesherrliche Kirchenregiment. Trotz dieser auch in Württemberg erfolgten Einbindung der Landeskirche 1 6 4 in den frühmodernen Staat konnte der Staat die Kirche nicht einseitig für seine I n teressen funktionalisieren. Dies schloß weitreichende Ubereinstimmungen in den gesellschaftspolitischen Zielen keinesfalls aus, barg j e d o c h auch ein enorm großes Konfliktpotential in sich, da sich kirchliche und obrigkeitliche K o m petenzbereiche hinsichtlich der Kontrolle und Disziplinierung der Laien bzw. Untertanen überlagerten. Die Spannung zwischen der staatlichen Herrschaftsordnung einerseits und der christlichen Freiheit andererseits konzentriert sich in der Person des Predigers. 1 6 5 E r mußte einerseits einen auch theologisch zu verantwortenden Kompromiß zwischen den politischen Vorfindlichkeiten und den theologischen Idealvorstellungen finden, andererseits mußte er einen Mittelweg zwischen der Erwartungshaltung des Laien 1 6 6 und seinen persönlichen, stets in Einklang mit den kirchlicherseits eingeforderten, Standards einschlagen. 1 6 7 Im folgenden sollen deshalb exemplarisch die Stellung des Predigers in der Gesellschaft, seine Qualifikation und seine Aufgabenbereiche zur Sprache gebracht werden. 1 6 8 In der Person des Predigers wird die Funktion der Theologie für die Gesellschaft konkret.

che. In: Lutherjahrbuch 1985, S. 1 1 3 - 1 4 0 , hier S. 125. PETER MANNS: Luthers Z w e i - R e i che und Drei-Stände-Lehre. In: Erwin Iserloh und Gerhard Müller (Hrsg.): Luther und die politische Welt. Wissenschaftliches Symposium in Worms vom 27. bis 29. Oktober 1983. Stuttgart 1984, S. 3 - 2 6 , hier S. 18 f. EIKE WOLGAST: Die Wittenberger Theologie und die Politik der evangelischen Stände. Studien zu Luthers Gutachten in politischen Fragen (Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte, Bd. 27). Heidelberg 1977, S. 64 ff. 1 6 3 IRMGARD HÖSS: Die Problematik des spätmittelalterlichen Landeskirchenregiments am Beispiel Sachsens. In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 10 (1959), S. 3 5 2 362. Vgl. MANNS: Luthers Z w e i - R e i c h e - und Drei-Stände-Lehre, S. 18. WOLLGAST: Die Wittenberger Theologie, S. 64. 164

HANS W A L T E R

KRUMWIEDE: R e f o r m a t i o n

und

Kirchenregiment

in

Württemberg.

In: Blätter für württembergische Kirchengeschichte 6 8 / 6 9 ( 1 9 6 8 / 6 9 ) , S. 8 1 - 1 1 1 . P o CHIA H S I A : S o c i a l d i s c i p l i n e , S .

18.

WAHL: Zugänge der Forschung zur Sozial- und Mentalitätsgeschichte, S. 1 2 9 - 1 3 3 : Z u m Verhältnis von Pfarrer und Obrigkeit. 1 6 6 Vgl. WAHL: Zugänge der Forschung zur Sozial- und Mentalitätsgeschichte, S. 133 ff. und S. 1 3 9 - 1 4 3 . RAINER BECK: Der Pfarrer und das Dorf. Konformismus und Eigensinn im katholischen Bayern des 1 7 . / 1 8 . Jahrhunderts. In: Richard van Dülmen (Hrsg.): Armut, Liebe, Ehre. Studien zur deutschen Kulturforschung. Frankfurt/M. 1988, S. 1 0 7 - 1 4 3 , bes. S. 137 f. 1 6 7 PESCH: Luther und die Kirche, S. 125 f. 1 6 8 Zu diesem Themenkomplex vgl. den Forschungsüberblick bei WAHL: Zugänge der Forschung zur Sozial- und Mentalitätsgeschichte. Wahl hat dort nicht nur die zur Erfor165

350

Synopse: Theologie und Alltag. Zur Funktion

der Theologie

D i e v o n Luther e n t w o r f e n e Lehre v o m »Priestertum aller Gläubigen« b e hielt, z u m i n d e s t was die Amtseinsetzung der Geistlichen in der F r ü h e n N e u zeit anbelangt, in W ü r t t e m b e r g m o d e l l h a f t e n Charakter. 1 6 9 T h e o r e t i s c h soll zwar die Vokation v o n der gesampten Kirchen v o r g e n o m m e n w e r d e n , faktisch w i r d sie j e d o c h v o n den jenigen/ durch welche die Kirch wird praesentirt d u r c h g e führt. 1 7 0 I h n e n k o m m t die Aufgabe zu, durch reiffe deliberation per Majora d e n K a n d i d a t e n küren. D i e f ü r die praktische D u r c h s e t z u n g der Lehre v o m allgemeinen Priestert u m eigentlich u n b e d i n g t n o t w e n d i g e Voraussetzung, nämlich die I n f o r m a t i o n des theologischen Laien ü b e r die Inhalte christlichen Glaubens, u m so die persönliche K o m p e t e n z u n d eigene Urteilsfähigkeit in der Sache des Glaubens selbst zu gewährleisten, lag den T h e o l o g e n sehr am H e r z e n , w i e aus ihren Predigten deutlich wird. D i e in W ü r t t e m b e r g übliche Bestellung der Geistlichen 1 7 1 d u r c h die O b rigkeit darf j e d o c h nicht d a h i n g e h e n d mißverstanden w e r d e n , als w ü r d e n dadurch die Geistlichen eindeutig u n d k o m p r o m i ß l o s auf der Seite der sie b e r u f e n d e n , finanzierenden u n d beaufsichtigenden O b r i g k e i t stehen. D i e Prediger sind zwar d u r c h diese obrigkeitlichen Befugnisse eindeutig in die staatliche, o d e r w i e i m f o l g e n d e n Beispiel reichsstädtische, H e r r s c h a f t s o r d n u n g eingegliedert, dies k o n k u r r i e r t j e d o c h mit der theologischen Vorstellung des k i r c h -

s c h u n g dieses T h e m a s relevanten Q u e l l e n e r s c h l i e ß u n g e n einer kritischen D u r c h s i c h t u n terzogen, er bietet zugleich eine Z u s a m m e n f a s s u n g der i n t e r n a t i o n a l e n F o r s c h u n g zur f r ü h n e u z e i t l i c h e n Geistlichkeit. 169 Vgl. zu dieser T h e m a t i k WAGNER: Epistel-Postille 1, S. 5 1 0 - 5 3 5 . Speziell S. 535: Es hilfft sie auch nichts/ das sie fu[e]rgeben/ Alle Christen sind Priester/ es ist wahr/ alle Christen sind Priester/ aber nicht alle Pfarrherr. Denn u[e]ber das/ das er Christen und Priester ist/ mus er auch einAmpt/ und ein befohlen Kirchspiel haben/ der Beruff und Befehl macht Prediger. Gleichwie ein Bu[e]rger oder Leye/ mag wol gelehrt seyn/Aber ist darumb nicht Doctor/ das er in den Schulen öffentlich lesen mo[e]cht/ oder sich solches Ampts unterwinden/ er werde dann darzu beruffen [...]. 170 WAGNER: Epistel-Postille 1, S. 5 2 0 f. Z u d e n M o d a l i t ä t e n der B e r u f u n g vgl. MARTIN HECKEL: Staat u n d Kirche n a c h d e n L e h r e n der evangelischen Juristen D e u t s c h l a n d s in der ersten H ä l f t e des 17. J a h r h u n d e r t s (Jus Ecclesiasticum, B d . 6). M ü n c h e n 1968, S. 136 ff. HONECKER: C u r a religionis, S. 87 ff. Z u m tatsächlichen Verfahren vgl. RUBLACK: D e r w o h l g e p l a g t e Priester, S. 11 f. u n d A n m . 34. SCHRÖDER: Das K i r c h e n r e g i m e n t in der R e i c h s s t a d t Esslingen, S. 2 4 6 - 2 4 9 . 171 D i e Vokation k a n n theoretisch verschieden erfolgen. Vgl. HEERBRAND: C o m p e n d i u m (1573), S. 2 9 8 n e n n t v e r s c h i e d e n e Verfahren: 1) D u r c h die Wahl der ganzen G e m e i n de (Bsp.: Straßburg); 2) d u r c h die Wahl der Altesten (Bsp.: U l m ) ; 3) Apud nos in Ducatu Vuirtembergensis Princeps illustrißimus ius habet Patronatus hic uocat: & qui sunt ä Consilijs Eccelisae, adiunctis Theologis primarijs, qui examinant & iudicium faciunt, num idonei sint & recipiendi. H e e r b r a n d (ebd., S. 4 2 4 f.) verweist j e d o c h a u c h strikt auf die T r e n n u n g v o n potestas ecclesica u n d potestas politica. Z u r Stellung dieser Auffassung i m zeitgenössischen K o n text vgl. HONECKER: C u r a religionis, S. 163 ff.

Herrschaftsordnung

und christliche

Freiheit

351

liehen Amtes 1 7 2 : So versu[e]ndigen sich die jenige grob/ welche solchen Gewalt nur einem Theil und Glied der Kirchen zuschreiben/ andere Glider davon außschliessen/ ob stu[e]nde derselb allein bey der weltlichen Obrigkeit/ wie unser Politici wollen [...] Sonderlich lauffen die nunmehr auffkommene/ den beruffnen Predigern/ auffgebu[e]ndete Revers/ sich nach Belieben deß Magistrats abschaffen zulassen/ wider die Krafft und Wu[e]rde dieses Beruffs.[7i Gemeinsam ist Kirche und Obrigkeit die Vorstellung, daß beide die göttliche Ordnung in der Welt repräsentieren. Daß die lutherische Zweireichelehre in der lutherischen Orthodoxie — in modifizierter Form, bedingt durch die Stellung der Kirche als Landeskirche — ihre Gültigkeit behielt, ist oben deutlich geworden. 1 7 4 Die zahlreichen Berührungspunkte zwischen Kirche und Staat in der Zeit der lutherischen Orthodoxie haben daran nur wenig ändern können. Eine exponierte Position innerhalb des vielfältigen Beziehungsgeflechts dieser beiden Größen beansprucht der Prediger für seine eigene Person. D e m Prediger kommt eine Schlüsselposition zwischen Obrigkeit und Untertanen zu, er bildet eine vermittelnde Instanz zwischen beiden Größen. Der Geistliche hat sein Predigtamt gegenüber dem geringen/ schlechten vnd gemainen Hauffen ebenso wahrzunehmen wie gegenüber den hohen/ angesehenen Personen/ auch den hohen Obrigkeiten selbsten,175 Im Zusammenhang mit der Ausübung dieses Amtes erfolgt erneut ein Rekurs auf den Dekalog: So schneiden die Heilige Zehen Gebott durch/ verbinden grosse vnd kleine/ Reiche vnd Arme ohn allen Respect, Hieraus sei zu ersehen, [...] / daß kein Mensch in der gantzen

weiten Welt/ vom untersten/ biß zum ho[echsten/

wann es zum

StraffAmt

172 WAGNER: Predigt über Ehehalten, S. 2 f. D i e Konfliktfelder zwischen Prediger und Obrigkeit waren in den Städten, wo der Magistrat versuchte, die Kirche fur seine Ziele zu kommunalisieren, sicher größer als auf dem Land. Vgl. ROBERT W. SCRIBNER: Pratice and principle in the german towns. In: Peter N. Broocks (Hrsg.): Preachers and people. Festschrift für Arthur G. Dickens. London 1980, S. 9 7 - 1 1 7 , hier S. 112. Vgl. auch SCHRÖDER: Das Kirchenregiment in der Reichsstadt Esslingen, S. 2 4 1 - 2 4 8 . Vgl. BERNHARD VOGLER: Le clergé protestant R h é n a n aux siècle de la R é f o r m e ( 1 5 5 5 - 1 6 1 9 ) . Paris 1976, S. 137. 173

WAGNER: E p i s t e l - P o s t i l l e 1, S. 5 2 3 .

Vgl. WAGNER: Predigt über Ehehalten, S. 3: Juristen vnd Gelehrten in diesem Weltlichen Reich seyn Personen/ so solch Recht [das römische kaiserliche Recht] / vnd dardurch das Weltliche Reich erhalten. Gleich wie ein feiner Theologus vnd rechtschaffener Prediger in Christus Reich Gottes Engel/ ein Heyland/ Prophet/ Priester/ Haußknecht vnd Lehrer heißt.Vgl. SEILS: Glaube und Werk in den reformatorischen Kirchenordnungen, S. 17 und Anm. 17. 174

173

OSIANDER,

L.:

Predigt

von

der

Erbhuldigung,

S. 1 0 7 .

HOCHSTETTER, A . A . :

An-

trittspredigt, S. 25: Nehmet dahero unsere liebreiche Bestraffung gerne auf/ Hohe und Niedere/ denn bey GOTT ist kein Ansehen der Person. Dencket/ wie manche Seelen in der Ho[e]lle u[e]ber ihre geistlose Geistliche heulen werden/ welche ihre Su[e]nden- Wunden nicht verbunden/ noch mit Oele gelindert haben. Wu[e]rde es euch nicht das gro[ejßte U[e]bel seyn/ wenn man euch Hesse in eurem Su[e]nden-Blut liegen/ undfu[e]ru[e]bergienge? 176 Z u m folgenden vgl. WAGNER: Evangelien-Postille 1, S. 3 7 6 f. WAGNER: Esslinger Freudenfestpredigt, S. 33.

352

Synopse: Theologie und Alltag. Zur Funktion der Theologie

der Prediger kompt/ von demselben exempt vnnd befreyet ist. B e i der Ausübung i h res Strafamtes sind die Prediger zu g r ö ß t m ö g l i c h e r Objektivität verpflichtet. 1 7 7 D a m i t ist der Geistliche zwar in die Herrschaftsordnung eingebunden, n i m m t aber kraft seines kirchlichen Amtes eine kritische Distanz zu dieser O r d n u n g und ihren Vertretern a u f der einen Seite sowie zu den von dieser O r d n u n g beherrschten U n t e r t a n e n a u f der anderen Seite ein. 1 7 8 Innerhalb dieser O r d n u n g beanspruchen die Prediger die ihnen zugesicherten R e c h t e . M i t welcher Berechtigung, so Wagner, sollte sich der Prediger umb eines jeden Worts willen/ damit er die Welt strafft/ [...] / sich ohne Erkantniß der Kirche gleich lassen fortweisen/ [...], wie dies mit Arnos (7,13) geschehen ist? 179 Dies stehe außerdem in deutlichem Widerspruch zur W ü r t t e m b e r g i s c h e n G r o ß e n K i r chenordnung. A u f der anderen Seite bittet Wagner aber beispielsweise auch um den Schutz der O b r i g k e i t für die Hinterbliebenen eines Predigers, damit sie nicht die Gesetzespredigten des Geistlichen »entgelten« müssen. 1 8 0 D i e Prediger sind a u f K i r c h e n und G e m e i n d e n als Gewissen gesetzt. 1 8 1 Kraft Amtes an der Schnittstelle von — m o d e r n gesprochen — Kirche und Staat stehend, k o m m t ihrer Person — aus christlicher Verantwortung — mahnende und strafende Funktion gegenüber O b r i g k e i t und U n t e r t a n e n zu. 1 8 2 E i n e — wie oben deutlich geworden ist — eminent wichtige Funktion, denn schließlich kann die Gesetzespredigt des Kirchenmannes, lutherisch-orthodoxer Auffassung gemäß, göttliche Strafen aufhalten. D i e Prediger sind » W a c h t - M e i -

177

WAGNER: Predigt über Ehehalten, S. 273. HOCHSTETTER, A. A.: Antrittspredigt,

S. 2 5 . 178

Vgl. WÖLFFLIN: Christliche Huldigungspredigt (1675), S. 40 f.

179

WAGNER: E p i s t e l - P o s t i l l e 1, S. 5 2 4 .

So WAGNER: Fürstenpredigt, S. 820. Die Pfarrfrau wird öfter auch zu Lebzeiten ihres Mannes zur Zielscheibe laikaler Unmutsäußerungen. Vgl. HELGA SCHNABEL-SCHÜLE: Distanz und Nähe. Zum Verständnis von Pfarrern und Gemeinden im Herzogtum Württemberg vor und nach der Reformation. In: Rottenburger Jahrbuch 5 (1986), S. 3 3 9 348, hier S. 346.Vgl. auch MANFRED KOEHLER: Uber die soziale Bedeutung des protestantischen Pfarrhauses in Deutschland. Diss. (masch.) Heidelberg 1952, S. 66. Wollte beispielsweise die Frau der Karriere ihres Mannes nicht im Wege stehen, war die Konformität von gepredigter Norm und pfarrfraulichem Verhalten oberste Notwendigkeit. Vgl. RUBLACK: Der wohlgeplagte Priester, S. 20 f. WAHL: Zugänge der Forschung zur Sozialund Mentalitätsgeschichte, S. 1 3 5 - 1 3 8 : Zur sozialen Stellung der Pfarrfrau. 1811

181

V g l . WAGNER: E v a n g e l i e n - P o s t i l l e 1, S. 2 4 8 u n d S. 6 8 2 .

Vgl. OSIANDER, L.: Predigt von der Erbhuldigung, S. 114. WAGNER: Historia, S. 2. Er betont das Strafamt des Predigers, das ohne Rücksicht auf die Person ausgeübt werden soll. WAGNER: Casualpredigten (Friedenspredigt), S. 282. Wagner nimmt sich hier wie selbstverständlich das R e c h t heraus, in Hinblick auf den erfolgten Friedensschluß auf die darin enthaltenen Fehler und Mängel aufmerksam zu machen, auch hinsichtlich der Vermittlungsversuche zwischen Kaiser und protestantischen Bundesgenossen. 182

Herrschaftsordnung

und christliche

Freiheit

353

ster« 183 , »Wächter« 184 , »Bau-Meister« 185 , »geistliche Väter« 186 , »Seelenhirten« 187 , »Seelsorger« 188 . D i e alttestamentlichen Propheten, die beispielshalber auch die biblischen Könige nicht mit Strafen verschont hätten, sind für die frühneuzeitlichen Prediger das große Vorbild. 189 D i e T ü b i n g e r Universität kann deshalb von Christian Hagmajer geradezu als »Propheten-Schule« b e zeichnet werden. 1 9 0 A u c h Veit Ludwig von Seckendorff sieht in seinem Werk der »Christenstaat« die Prediger in der Tradition der alttestamentlichen P r o pheten u n d billigt ihnen Kritik an der Obrigkeit zu: Das haben die Propheten Gottes auch gethan, und stimmet die Lehre des neuen Testaments mit bey, ja dieses machet die christlichen Obrigkeiten [...] noch viel behutsamer und fleißiger in allen ihren amtsverrichtungen, Also ist ein Pfarrer für keinen welt-mann, und der sich in fremde händel menget, zu halten, wenn er solche moralia mit tractiret [.. J.191 Aber gerade durch diese Aufgabenbeschreibung geraten die Geistlichen zwischen alle Fronten. D i e Obrigkeit, die sich selbst als custodia utriusque ta-

183

WAGNER: E p i s t e l - P o s t i l l e 1, S. 1 4 .

184

HAFENREFFER: F r i e d e n s b o t , S. 3. OSIANDER, L.: P r e d i g t v o n E r b h u l d i g u n g , S. 105: [...] / daß sie Wa[e]chter vor Gott seyen/ deren Ampt seye/ so bald sie sehen/ daß eine Seelengefahr einbrechen ivo[e]lle/ sie alsobald/ als getreue Wa[e]chter/ mit verwarnen das jhrige ohneingestelt/ thun sollen. 185 OSIANDER, L.: P r e d i g t in R e n n i n g e n , S. 27. D e r P r e d i g e r m u ß die J u g e n d »recht u n d fleißig« a n f u h r e n [...] / vnd sie nach der Winckelmeß des Christlichen Catechismi [Hervorhebung S. H.] oder Kinderlehr zurichten/ damit sie in der Gottseeligkeit auffwachsen/ vnd nutzliche/ gute/ vnd feine Stein an dem Geistlichen Baw werden. Mit den alten vnd erwachsenen geho[e]ret auchßeiß darzu/ damit die/ so im Glauben vnterrichtet/ nicht widerumb hinderlich weichen/ [...]. 186 Z u m f o l g e n d e n WAGNER: Z w e i sonderbare P r e d i g t e n , S. 7. Sie t r e t e n der G e m e i n d e m i t recht hertzlich Va[e]tter- vnd Mu[e]tterliche[r] Lieb vnd Trew g e g e n ü b e r . 187 WAGNER: Z w e i S o n d e r b a r e Predigten, S. 8. Das Schaffen des S e e l e n h i r t e n besteht in folgendem: Ein Hirt zeichnet/ fu[e]hrt/ weidet/ tra[e]ncket/ heilet/ sucht vnd tra[e]gt seine Schaff/ treibt sie auch heim in den Stall. 188 OSIANDER, A.: Predigt v o n der Sturmstillung, S. A 4 r . »Seelsorger« ist fiir O s i a n d e r h i e r derjenige, der die »heilsame Lehre« verteidigt u n d die »schädliche Lehre« w i d e r l e g t . WAGNER: L e i c h e n p r e d i g t Cellius, S. 15. W a g n e r d e f i n i e r t Seelsorger als [...] treweyferige Lehrer vnd Prediger/ welche getrost ruffen/ nicht schonen/ jhre Stimm erheben wie ein Posaun/ dem Volck seine Vbertrettung [...] verku[e]ndigen. Esiae. 58.v. 1. SIGWART: P r e d i g t v o m A m t der K i r c h e n d i e n e r , S. 10. Vgl. RUBLACK: D e r w o h l g e p l a g t e Priester, S. 25 u n d A n m . 97. 189

OSIANDER, L . : P r e d i g t

von

Erbhuldigung,

S. 1 0 0 - 1 1 8 . WAGNER:

Leichenpredigt

Cellius, S. 15. SIGWART: P r e d i g t v o m E r d b e b e n , S. 2: B u ß p r e d i g t n a c h d e m Vorbild d e r alttestamentlichen P r o p h e t e n . Vgl. dazu PO-CHIA HSIA: Social discipline, S. 22. BAUER: L u t h e r a n i s c h e O b r i g k e i t s k r i t i k , S. 6 5 7 - 6 6 3 . LEHMANN: Das Z e i t a l t e r des Absolutismus, S. 1 7 7 . 190

191

HAGMAJER: U n t e r w e i s u n g , S. 5 .

SECKENDORFF: Christenstaat, B u c h III, cap. 10, § 2 , S. 501 fF. Vgl. dazu MICHAEL STOLLEIS: Veit L u d w i g v o n S e c k e n d o r f f . In: M i c h a e l Stolleis (Hrsg.): Staatsdenker i m 17. u n d 18. J a h r h u n d e r t . Reichspublizistik, Politik, N a t u r r e c h t . F r a n k f u r t / M . 1977, S. 1 4 8 173. BAUER: L u t h e r a n i s c h e O b r i g k e i t s k r i t i k , S. 6 4 9 f. Vgl. a u c h PO-CHIA-HSIA: Social discipline in the R e f o r m a t i o n , S. 22.

354

Synopse: Theologie und Alltag. Zur Funktion der Theologie

b u l a e v e r s t e h t u n d d a m i t w e i t a u s stärker als d i e l u t h e r i s c h - o r t h o d o x e n P r e d i g e r d i e m i t t e l a l t e r l i c h e I d e e d e r r e s p u b l i c a c h r i s t i a n a a u f l e b e n läßt, s t e h t d e r K r i t i k d e r G e i s t l i c h e n a n i h r e r A m t s f ü h r u n g selbstverständlich a b l e h n e n d g e g e n ü b e r . D i e L a i e n s e h e n ihrerseits d i e in d i e P r e d i g e r g e s e t z t e n E r w a r t u n g e n n i c h t e r f ü l l t . I n i h r e n A u g e n ist »Trost« d i e w e s e n t l i c h e F u n k t i o n d e r R e l i gion. E i n e E r w a r t u n g s h a l t u n g , die m e h r o d e r w e n i g e r darin gipfelt, daß die P r e d i g e r d i e L e b e n s f ü h r u n g , das V e r h a l t e n d e r L a i e n i m Alltag g e w i s s e r m a ß e n religiös u m m a n t e l n s o l l e n . 1 9 2 R e l i g i o n soll n a c h d e n V o r s t e l l u n g e n d e r L a i e n d i e P r o b l e m e des L e b e n s l ö s e n u n d n i c h t d u r c h s t ä n d i g e E r m a h n u n g e n u n d Gesetzespredigten sowie d u r c h eine restriktiv g e h a n d h a b t e Lebenskontrolle n e u e P r o b l e m e schaffen. D i e Frage, o b d i e d u r c h D i s t a n z g e g e n ü b e r d e n L a i e n zu c h a r a k t e r i s i e r e n d e P o s i t i o n des G e i s t l i c h e n in s e i n e r G e m e i n d e d a d u r c h z u s t a n d e k o m m t , d a ß e r als V e r t r e t e r d e r O b r i g k e i t a n g e s e h e n w i r d 1 9 3 , o d e r o b er d u r c h d i e v o n i h m v e r t r e t e n e n N o r m e n in diese R o l l e g e d r ä n g t w i r d 1 9 4 , ist l e t z t e n d l i c h e i n e F r a 192

Vgl. RUBLACK: Der wohlgeplagte Priester, S. 29. RUBLACK: Sucess and Failure of the Reformation, S. 150 ff. LEHMANN: Das Zeitalter der Absolutismus, S. 114-123. Lehmann verweist in diesem Zusammenhang darauf, daß der absolute Höhepunkt der Erbauungsliteratur im weitesten Sinne in der »Krisenzeit« des 17. Jahrhunderts Hegt. Als Dauer dieser Krisenzeit gibt Lehmann den Zeitraum von 1600/20 bis 1720/40 an (ebd., S. 108). Eine ähnliche Beobachtung macht HAAG: Predigt und Gesellschaft, S. 349-352 für den Ulmer Raum.Vgl. ebd., S. 352—356 zum Leserkreis religiöser Literatur. 193 Von Seiten der Obrigkeit vgl. GERHARD OESTREICH: Strukturprobleme des europäischen Absolutismus. In: Vierteljahreshefte fur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 55 (1968), S. 329-347. Der Geistliche erhält hier die Funktion eines Sittenwächters, der mit kirchlichen und obrigkeitlichen Mitteln fur die Erhaltung der Disziplin sorgt. Diese Funktion ist als gesamteuropäisches Phänomen in der Forschung immer wieder deutlich geworden. Vgl. dazu auch VOGLER: Le clergé protestant Rhénan, S. 135 und GERD HEINRICH: Amtsträgerschaft und Geistlichkeit. Zur Problematik der sekundären Führungsschichten in Brandenburg-Preußen 1450-1768. In: Günther Franz (Hrsg.): Beamtentum und Pfarrstand 1400-1800. Büdinger Vorträge 1967 (Deutsche Führungsschichten der N e u z e i t , B d . 5). L i m b u r g 1 9 7 2 , S. 1 7 9 - 2 3 8 , h i e r S. 2 1 3 . ROBERT JÜTTE: D i s z i p l i n i e r u n g s -

mechanismen in der städtischen Armenfïirsorge der Frühneuzeit. In: Christian Sachße und Florian Tennstedt (Hrsg.): Soziale Sicherheit und soziale Disziplinierung. Beiträge zu einer historischen Theorie der Sozialpolitik. Frankfurt/M. 1986, S. 101-118. Von Seiten der Laien vgl. HANS RUDOLF RYTZ: Geistliche des alten Bern zwischen Merkantilismus und Physiokratie. Ein Beitrag zur Schweizer Sozialgeschichte des 18. Jahrhunderts. Basel, Stuttgart 1971, S. 25. »Distanz als Forschungsparadigma« vgl. WAHL: Zugänge der Forschung zur Sozial- und Mentalitätsgeschichte, S. 47—52. 194 RUBLACK: Der wohlgeplagte Priester, S. 29. Er macht für diese Entwicklung auf die eher auf Distanz denn auf Integration hin angelegten Handlungs- und Karrierestrategien der Geistlichen aufmerksam. Zweifellos spielte auch die »kulturelle Distanz«, basierend auf dem studierten Wissen des Geistlichen und dem nicht-gelehrten Wissen des größten Teils seiner Gemeinde, eine wichtige Rolle. Religion, so wie sie von den Theologen in der Predigt vermittelt wird, darf jedoch nicht gewissermaßen kopflastig einseitig mit Wissen identifiziert werden (vgl. RUBLACK: Sucess and Failure of the Reformation, S. 161 f.). Zwar spielte die »Lehre« in der Predigt, ja im Protestantismus überhaupt, eine zentrale Rolle, sie zielte jedoch auf »Leben« ab und war somit bestrebt, gerade nicht auf der Ebene

Herrschaftsordnung

und christliche

355

Freiheit

g e d e r P e r s p e k t i v e . A u s d e r S i c h t d e r P r e d i g e r s t e h t e i n d e u t i g fest, d a ß sie sich t r o t z i h r e r K o n t r o l l e des s i t t l i c h e n u n d m o r a l i s c h e n V e r h a l t e n s n i c h t als v e r l ä n g e r t e r A r m d e r O b r i g k e i t in D i e n s t n e h m e n lassen, s o n d e r n s o g a r u m g e k e h r t a u f ihrer W ä c h t e r r o l l e gerade auch gegenüber der O b r i g k e i t beharren.195

So

lassen sich die P r e d i g e r z w a r n i c h t zu b l o ß e n A u s f ü h r u n g s o r g a n e n o b r i g k e i t l i c h e r Z w ä n g e d e g r a d i e r e n , s t e h e n a b e r ständig in d e r G e f a h r , d e r e n O p f e r zu werden. A n d r e a s O s i a n d e r c h a r a k t e r i s i e r t das k i r c h l i c h e A m t als P r o p h e t e n -

und

P r e d i g t a m t s o w i e als L e h r - u n d S t r a f a m t . 1 9 6 D a s k i r c h l i c h e A m t ist v o n G o t t g e s t i f t e t w o r d e n . 1 9 7 D a s A m t ist zu c h a r a k t e r i s i e r e n als D i e n s t a n d e r G e m e i n d e 1 9 8 u n d stellt k e i n e P r i v i l e g i e r u n g des A m t s i n h a b e r s dar. S e i n e z e n t r a l e n ö f f e n t l i c h e n F u n k t i o n e n s i n d die P r e d i g t u n d d i e V e r w a l t u n g d e r S a k r a m e n t e . 1 9 9 D i e B e r u f u n g des P r e d i g e r s ist u n a b d i n g b a r e V o r a u s s e t z u n g z u r A u s ü b u n g des k i r c h l i c h e n A m t e s . 2 0 0 D i e s e B e r u f u n g ist - n a c h d e r Z e i t d e r A p o s t e l — e i n e v o c a t i o m e d i a t a e , d i e j e d o c h l e t z t e n d l i c h i h r e n U r s p r u n g i n G o t t selbst h a t . 2 0 1 I h r e m S e l b s t v e r s t ä n d n i s n a c h sind die P r e d i g e r s o m i t v o n

G o t t selbst

zur

des bloßen Wissens steckenzubleiben. Und gerade durch diesen letzten Aspekt war es möglich, traditionale (Lebens)Erfahrung mit genuin lutherisch-orthodoxen Deutungen von »Leben« überhaupt erst in Verbindung zu setzen. 1 9 3 So auch MARTIN HASSELHORN: Der altwürttembergische Pfarrstand im 18. Jahrhundert (Veröffentlichungen der Kommission für geschichtliche Landeskunde in BadenWürttemberg, R e i h e B, Bd. 6). Stuttgart 1958, S. 61 f. Anders dagegen für den reformierten Bereich GUGERLI: Zwischen Pfründ und Predigt, S. 78 f. und KURT GUGGISBERG: Der Pfarrer in der bernischen Staatskirche. Eine historische Skizze. In: Archiv des historischen Vereins Bern 42 (1953), S. 1 7 3 - 2 3 4 , hier S. 185. 196

OSIANDER, A . : P r ä s e n t a t i o n s p r e d i g t , S . 1 5 . V g l . SCHRÖDER: D a s K i r c h e n r e g i m e n t

in

der Reichsstadt Esslingen, S. 249—255. 1 9 7 WAGNER: Predigt über Ehehalten, S. [A2]V. 1 9 8 Vgl. ROBERT W. SCRIBNER: Antiklerikalismus in Deutschland um 1500. In: Ferdinand Seibt und Winfried Eberhard (Hrsg.): Europa um 1500. Integrationsprozesse im W i derstreit. Staaten, Regionen, Personenverbände, Christenheit. Stuttgart 1987, S. 3 6 8 382. Scribner stellt hierin die berechtigte Frage, ob sich die schon im Mittelalter zwischen Laien und Kleikern bestehende Distanz unter dem Einfluß des Protestantismus überhaupt grundlegend verändert habe. 1 9 9 Vgl. zum folgenden SIGWART: Predigt vom Amt der Kirchendiener, S. 8 - 1 2 . Vgl. PAUL DREWS: Der evangelische Geistliche in der deutschen Vergangenheit (Monographien zur deutschen Kulturgeschichte, Bd. 12). Jena 1905, S. 5 1 - 5 4 . WERDERMANN: Pfarrstand und Pfarramt, S. 76. 2 0 0 WAGNER: Epistel-Postille 1, S. 511. Drei Grundsätze bilden die Voraussetzung einer ordentlichen Berufung: I. Locus, legitime vocans; Ein rechtma[e]ssig vacirende Stell. II. Personae idoneae; Qualifizirte/ mit gnugsamen Begaben begabte Leuthe. III. Ordenliche Wahl nach Gottes Wort geplagne Wahl. ZurVokation vgl. SCHRÖDER: Das Kirchenregiment in der Reichsstadt E s s l i n g e n , S . 2 4 6 - 2 4 9 . V g l . HEERBRAND: C o m p e n d i u m T h e o l o g i a e , S . 2 8 9 - 3 0 3 : De

mini-

sterio ecclesiae, verbi dei ministris, eorumq[ue] voccatione. 2 0 1 Vgl. WAGNER: Epistel-Postille 1, S. 526. SIGWART: Predigt vom Amt der Kirchendiener, S. 7 f.

356

Synopse: Theologie

und Alltag. Zur Funktion der

Theologie

»Ausmusterung der Sünde« eingesetzt. 202 Alle v o n den Predigern ausgesprochenen Gebote und Verbote sind göttlicher Provenienz, die Prediger verstehen sich selbst als Instrumente göttlicher Autorität. 2 0 3 Die herausragende Position ihrerseits stellt an Amtsausübung und Lebensführung des Geistlichen besonders hohe Ansprüche und verlangt in beidem eine vorbildliche, den selbst gepredigten Standards k o n f o r m e Leistung. 204 D e r Prediger muß somit nicht nur Rechenschaft über sein eigenes Leben ablegen, sondern auch über das Verhalten der ihm anvertrauten Gemeinde. Er muß sein Handeln in vnvermeindlicher Verantwortung vor Gott/ welcher auch das Blut der verwahrloßten vnd vngestrafften Su[e]nder von der Prediger Hand zufordern trohet messen lassen. 205 Dies steht in enger Verbindung damit, daß der Prediger auch für seine Lehre Rechenschaft ablegen muß, denn nur w e n n er selbst auf den Grundlagen lutherisch-orthodoxen Bekenntnisses steht, kann er seine Z u h ö rer in »Leben« und »Lehre« entsprechend anleiten. 2 0 6 W i e g t er seine Gemeinde in letztendlich falscher Sicherheit, so wird er persönlich darüber im Jüngsten Gericht die Verantwortung zu übernehmen haben. Durch lose Predigt, die dem Sünder das Fehlverhalten nicht offenlegt, kann dieser aus dem Land der Lebendigen [...] hinaußgepredigt werden. 2 0 7 D e n jenigen Predigern, die sich an die ihnen gestellten Aufgaben halten, gilt fol-

Vgl. W A G N E R : Epistel-Postille 1, S. 685. Epistel-Postille 1, S. 497-502. W A G N E R : Zwei Sonderbare Predigten, S. 42: [...] / daß alles/ was jhre Prediger/ Krajft jhres tragenden Ampts/ vnd habenden Beruffs/ nach Außweisung Go[eJttlichen Worts/ verrichten vnd thun/ nicht Ju[e]r Menschlich/ sondern Go[e]ttlich zu halten sey/ vnd dannhero der jenige/ so da wolte verachten/ nicht Menschen wu[e]rde verachten/ sondern Gott/ [. . J . V g l . auch ebd., S. 43. 204 Vgl. A N D R E A E : Vier Predigten vom Wucher, S. 160 f. W A G N E R : Leichenpredigt Hartmann, S. 10 f. A N D R E A E : Predigten von Spaltungen, S. 88. W A G N E R : Epistel-Postille 1, S. 822. W A G N E R : Epistel-Postille 2, S. 683. W A G N E R : Evangelien-Postille 1, S. 35-38. W A G N E R : Esslinger Freudenfestpredigt, S. 40. Auch die Obrigkeit überwachte den Lebenswandel der Geistlichen vgl. G U G G I S B E R G : Der Pfarrer der bernischen Staatskirche, S. 190-194 und S. 214-217. H A R T M U T L E H M A N N : »Das ewige Haus«. Das lutherische Pfarrhaus im Wandel der Zeit. In: Hans-Dietrich Loock (Hrsg.): »Gott kumm mir zu hilf«. Martin Luther in der Zeitenwende. Berlin 1984, S. 177-200, hier S. 180 ff. Vgl. R U B L A C K : Der wohlgeplagte Priester, S. 21. 205 W A G N E R : Evangelien-Postille 1, S. 375. W A G N E R : Evangelien-Postille 1, S. 683. Wagner beruft sich an dieser Stelle eindeutig auf die gleichlautende Stelle in Ez 33,8. HAFENREFFER: Litania, S. 11. O S L A N D E R , L.: Predigt in Renningen, S. 31. O S L A N D E R , L.: Predigt von Erbhuldigung, S . 106. S I G W A R T : Lasterpredigten, S . 2. Der Prediger muß die volle Haftung übernehmen. S I G W A R T : Predigt vom Amt der Kirchendiener, S . 13. O S I A N D E R , A.: Predigt von der Sturmstillung, S. [A 4 ] r . 206 S I G W A R T : Predigt vom Amt der Kirchendiener, S . 1 0 : Das [...]Ju[e]rnemeste Stuck eines Seelsorgers ist/ daß er hey Verlust seines theils ewiger Seeligkeit seine Zuho[e]rer nicht sein eigen Gutdu[e]ncken/ eigen Wort oder Tra[e]um lehre: Sondern einig vnnd alle in das/ so jhme von seinem HERRN vnnd Meister Christo befohlen worden/ das ist/ GOttes Wort/ demselben soll er nichts zu oder davon thun/ vil weniger zu wider ettwas lehren oder predigen. 207 Zum folgenden W A G N E R : Zwei Sonderbare Predigten, S. 1 1 ff. 202 203

WAGNER:

Herrschaftsordnung

und christliche Freiheit

357

genderTrost: [...] / diejhrAmpi ohn Ansehen der Person thun/ nicht jhr Ehr/ sondern GOttes Ehr/ nicht jhren Nutzen/ sondern den gemeinen Nutzen suchen/ und jhr Zuho[e]rer Heil/ Büß/ Besserung/ und Seligkeit jhnen lassen angelegen seyn/ [...] Geschieht es schon/ daß sie wegen jhres Ampts / sonderlich wann sie in GsetzPredigten auff die Epicurische Welt los gehen/ als hitzige Leut/ deren Leben man fu[e]r unsinnig ha[e]lt/ mu[e]ssen verla[e]stert/ fortgeschafft/ und ins Elend gejagt/ [...] werden/ sind sie doch versichert/ der HErr werd [...] / jhr Sach außfu[e]hren/ und sie erfrewen/ mit einer andern Stell/ wo nicht in dieser/ doch gewiß in jener Welt [...].208 In der Person des Predigers soll also nach den Vorstellungen der T h e o l o g e n in idealtypischer Weise die Einheit von »Lehre« u n d »Leben« z u m Ausdruck k o m m e n . Er m u ß in seinem Stand — wie selbstverständlich alle anderen Stände auch — bei sich selbst die Fundamente menschlichen Lebens gelegt haben; für ihn heißt dies im besonderen: Gottesfurcht, gute Sitten, Sprachen, Künste. 2 0 9 Was das Berufsverständnis anbelangt, so ist das A m t des Predigers nach d e ren eigener Einschätzung zu den schwersten überhaupt zu zählen; Wagner vergleicht es mit d e m »Amt« einer Gebärenden u n d j e n e m eines Generals. Das Predigtamt gehört zu den Status Hierarchici.210 Es basiert auf der göttlichen B e r u f u n g u n d zielt mit universalem Anspruch auf alle Welt.211 Z u r Amtsausübung 208

WAGNER: Epistel-Postille

1 , S. 5 2 8 f . HAFENREFFER: F r i e d e n s b o t , S. 3 f . H O C H S T E T -

TER, A. A.: C h r i s t e n w a n d e l , S. 33. S e l b s t b e w u ß t erklärt H o c h s t e t t e r an dieser Stelle: [ . . . ] / und wo ihr nicht ablasset/ [...] / so habet ihr keine Entschuldigung am Tage des Gerichts/ sondern werdet bekennen mu[e]ssen/ daß ihr getreulich seyd gewarnet worden. 209 WAGNER: Epistel-Postille 1, S. 527. A u f die aus der D i f f e r e n z d u r c h Wissen, S p r a che, Gestus, K l e i d u n g etc. h e r r ü h r e n d e Distanz z w i s c h e n Laien u n d P r e d i g e r n hat bereits KOEHLER: Ü b e r die soziale B e d e u t u n g des protestantischen Pfarrhauses, S. 4 5 - 4 9 h i n g e wiesen. 210 HAFENREFFER: Loci, S. 423: Quot sunt primarij vitae ordines? Tres. Ecclesiasticus, Politicus, OEconomicus. SIGWART: Disputationes, S. 205—220. Vgl. z u m f o l g e n d e n WAGNER: Evangelien-Postille 2, S. 3 7 9 - 3 9 0 . Vgl. WAGNER: Evangelien-Postille 2 das Inhaltsverzeichnis z u m S t i c h w o r t Prediger. WAGNER: Z w e i S o n d e r b a r e P r e d i g t e n , S. 50. ANDREAE: P r e d i g t v o m Lauf der P l a n e t e n , S. 98. SIGWART: Predigten ü b e r 1 K o r 15, S. 3V. SIGWART: P r e d i g t v o m Vaterunser, S. 117. HÄBERLIN: Epistel-Postille 1, S. 6 0 2 a ff. Formaliter sei das P r e d i g t a m t ein hochetfreuliches und Seelenerquickendes Trost-Ampt; seine A u f g a b e ist es, die d u r c h das Gesetz n i e d e r g e s c h l a g e n e n Gewissen zu trösten. 211 WAGNER: Epistel-Postille 2, S. 781. SIGWART: Lasterpredigten, S. 1 6 8 v - 1 6 9 v . PREGITZER: B u ß p r e d i g t e n , S. 172: [...] wann wirs dahin bringen ko[e]ndten bringen, daß jederman Büß thete [...]• WAGNER: Casualpredigten ( B u ß p r e d i g t e n ) , S. 8 6 6 u n d S. 869. JÄGER: C o m p e n d i u m T h e o l o g i a e , S. 9 2 f.: Objectum Providentiae Divinae Generale sunt in Universum omnes Creaturae ne minimis quidem exceptis; nec tantum Substantiae, sed etiam affectiones. JÄGER: C o m p e n d i u m T h e o l o g i a e , S. 363. J ä g e r f o r m u l i e r t hier i m K o n t e x t der A u f e r s t e h u n g : Subjectum Quod Ressurectionis sunt omnes homines, quiunquam vitalem auram traxerunt. JÄGER: C o m p e n d i u m T h e o l o g i a e , S. 297: Objectum Sacramentorum sunt omnes homines. D i e ser A n s p r u c h erfährt eine leichte M o d i f i k a t i o n d u r c h die ausschließliche Z u l a s s u n g E r w a c h s e n e r zur A b e n d m a h l ; bei der Taufe gelte dieser A n s p r u c h j e d o c h so Jäger sine discrime aetatis.

358

Synopse: Theologie und Alltag. Zur Funktion

der Theologie

gehört die Gesetzespredigt, die die verderbte N a t u r des Menschen aufzeigen u n d durch den Hinweis auf die ewige Verdammnis ein Streben nach Erlösung im Menschen wecken soll, sowie die Predigt des Evangeliums, die durch das Wort der Versöhnung die Vergebung der Sünden durch den Glauben an C h r i stus lehrt. Z u diesen Aufgaben k o m m t die Verwaltung der Sakramente hinzu. U b e r den 1627 in Esslingen verstorbenen Pfarrer Johann-Erhard Cellius sagt Wagner beispielshalber in seinem Ehrengedächtnis, er habe das Evangelium gepredigt, die betru[e]bte Seelen damit zutro[e]sten/ vnd jhnen in jhrem Anligen vnder die Arm zugreiffen [...], u n d er habe das Gesetz gepredigt, niemands verschont/ sondern seine Stimm erhebt als ein Posaun/ vnd die Gottlose den Teuffei im Glas also sehen lassen/ daß sie/ wa nicht ernstliche Büß gewu[e]rcket wu[e]rdt/ einen jmmerwehrenden Steffi im Hertzen haben/ vnd sich in Ewigkeit nicht werden entschuldigen ko[e]nden/ als solten sie nicht gewu[ejßt haben/ wie vnertra[e]glich der Zorn GOttes vber die Su[e]nd.2U D a es sich beim A m t des Predigers u m einen »göttlichen Beruf« handelt, sind die Amtsinhaber zu respektieren, auch w e n n das Predigtamt nach außen nur ein geringes Ansehen hat, [...] / weilen es weder mit eusserlicher Gewalt/ noch mit zierlichen reden/ noch mit andern dergleichen Sachen/ so die Welt hoch achtet/ außgeru[e]stet ist/ [.. .j. 2 1 3 Das, was die Geistlichen j e d o c h in ihren Predigten vortragen, ist nicht menschliches, sondern göttliches Wort; die Prediger f u h ren ihr A m t nicht im eigenen N a m e n . D e n Predigern m u ß folglich ein entsprechender Gehorsam entgegengebracht werden. D i e Aufgaben dieses Amtes erfordern von den Theologen besondere Qualitäten: die wahrhafte Furcht Gottes, den rechten Verstand der heiligen Schrift u n d die »Geschicklichkeit«, sie dem gemeinen vnuerstendigen Volck vorzutragen, keine Furcht vor Menschen zu haben, das Strafamt getrost auszuüben, j e d o c h mit fu[e]rsichtigkeit/ sanfftmu[o]th/ verstand/ vnnd gedult, selbst der G e m e i n d e weder mit Lehre n o c h Leben Ärgernis zu bereiten u n d den Vorbildcharakter seines Pfarrhauses. 2 1 4 212

WAGNER: L e i c h e n p r e d i g t Cellius, S. 34 f.

213

HÄBERLIN: E p i s t e l - P o s t i l l e 1, S. 6 0 7 b f.

214

ANDREAE: P r e d i g t e n in H a g e n a u , S. 15, S. 3 3 8 u n d S. 341: [...] / eines Pfarrherrs/ Priesters/ oder Predigers haußhaltung vnergerlich sein/ denn also schreibt S. Paulus/ er soll sein eines Weibes Man / der glaubige Kinder habe/ die nicht beru[e]chtiget/ das sie schwelger/ oder vngehorsam seyen/ der seinem Hauß wol vorstehe/ vnd gehorsame Kinder habe/ mit aller ehrbarkeit/ denn so einer seinem eigen Hauß nicht weist vorzustehn/ wie will der die Gemein Gottes versorgen? wann einer ein Hand vol Leut/ vnd sein eigen Haußgesind nicht kan/ noch will zu[o] der Zucht vnnnd Gottesforcht halten/ wie würdt er dann tausenten/ vnnd aber tausenten aufwarten? Darumb soll eins Christlichen Predigers vnd Lehrers Haußhaltung dermassen geschaffen sein/ das dieselbig zu[o]gleich mit seiner Lehr/ vnnd Christlichem Wandel die Kirch Gottes helffe auffbawen. WAGNER: L e i c h e n p r e d i g t D e m m l e r , S. 7 n e n n t die f o l g e n d e n E i g e n s c h a f t e n : Í. Glehrt vnd Wissenschafft. 2. Ernst vnd Gwissenhafft. 3. Arbeitsam vnd Lehrhajjt. 4. Besta[e]ndig vnd Nohthafft. Vgl. d e n s u m m a r i s c h e n U b e r b l i c k i m Inhaltsverzeichnis bei WAGNER: E v a n g e l i e n Postille 2. WAHL: Z u g ä n g e der F o r s c h u n g zur Sozial- u n d Mentalitätsgeschichte, S. 105— 116.

Herrschaftsordnung

und christliche

Freiheit

359

Wagner berichtet, daß von HafenrefFer gesagt wird, er habe zu den neuen Magistri der Theologie gesagt: wann sie das hencken nicht leyden ko[e]nnen/ sollen sie deß Predig-Ampts und der Cantzeln nicht mu[e]ssig gehend5 Diese Aussagen machen deutlich, welche Position die Ausübung des Strafamtes innerhalb des oben umschriebenen Aufgabenbereiches einnahm. D e r Maßstab für die Ausübung des Strafamtes ist hauptsächlich der Dekalog. 2 1 6 Die exponierte Position des Predigers und der damit verbundene Anspruch haben eventuell in besonderer Weise dazu beigetragen, die reformatorische Gleichgewichtung zwischen Gesetz und Evangelium zugunsten einer Vorordnung des Gesetzes vor dem Evangelium zu verschieben. Die Prediger, eingedenk des Anspruches an die eigene Person und mit Blick auf die gesellschaftliche Wirklichkeit, erkannten auch eine Vergeblichkeit ihres Handelns: Es scheine ja/ alle sein Predigen/ straffen und ermahnen seye umsonst/gleich als wann er wider ein Maur redete/ daher er gantz mu[e]de seye.217 Es konnte ihnen nicht verborgen bleiben, daß die bloße Erkenntnis des fehlerhaften Handelns nicht automatisch eine Verbesserung des Tuns zur Folge haben mußte. Das Trinckgelt, das die Prediger für ihre Predigten von der vbelgezogenen Welt erhalten, ist nur Haß, Neid und Lästerung: Dann oh man wol von der Cantzel auß Gottes Wort vnd Gesetz wider die vhergrosse Su[e]nden der Welt detonirt vnd donnert; man ho[e]rt solches auch an/ vnd fassets ein wenig ins Geho[e]r/ so werden doch der vngerechten/ mutwilligen Su[e]nder je la[e]nger nur je mehr.218 U n d daß sie letztendlich ihre Vorstellungen niemandem wirklich aufzwingen konnten, war den Predigern ebenfalls sehr wohl im Bewußtsein: Sehet demnach/ wessen ihr euch gegen mir/ so ihr wollet/ zu versehen habt; Denn aufdringen kan ich meinen Dienst niemanden,219 Da sich nach Meinung der Prediger das Verhalten der »Welt« von Jahr zu Jahr eher verschlechterte als verbesserte, eine Aussage, deren topoihafter C h a rakter nicht übersehen werden sollte, legt sich die Vermutung nahe, gerade

215 WAGNER: Leichenpredigt Demmler, S. 21. HAFENREFFER: Friedensbot, S. 33. WAGNER: Zwei Sonderbare Predigten, S. 42 und S. 50. WAGNER: Leichenpredigt Cronegh, S. 5. WAGNER: Esslinger Freudenfestpredigt, S. 2. WEISMANN: Einsegnungspredigt, S. 1 und S. 8. 216

WAGNER: E v a n g e l i e n - P o s t i l l e 1, S. 3 7 8 f.

HOCHSTETTER, A. A.: Leichenpredigt Reuchlin, S. 26. SPENER: Pia Desideria (1712), S. 79 geht dabei so weit, daß er meint, in diesen letzten Tagen werde das Evangelium nur mehr noch zum zeugnu[ejß, nicht mehr zur Besserung gepredigt. Unter B e r u fung auf M t 25 deutet er das Geschehen: [...] so muß es also zugehen/ und muß niemand keiner zucht und disciplin achten/ wie dann [...] geschieht/ daß ein jeder uns arme Prediger lehren und schreyen la[e]ßt/ thut büß und bekehret euch/ und thut doch gleichwol ein jeder was er wil. Die Obrigkeit thut nichts zur disciplin/ die unterthanen wollen ihr n/t.Vgl. STRAUSS: Luther's house 217

o f l e a r n i n g , S.

294-299.

WAGNER: Leichenpredigt Cellius, S. 15. 2 , 9 HOCHSTETTER, A. A.: Antrittspredigt, S. 26. ANDREAE: Predigt vom Lauf der Planeten, S. 24: Prediger können mit Gewalt niemand z. B. vom Alkoholismus abhalten; durch Ausschluß von den Sakramenten erreichen sie die Gottlosen nicht. 218

360

Synopse: Theologie und Alltag. Zur Funktion

der Theologie

auch in der persönlichen Verantwortung des Predigers für seine Gemeinde eine Wurzel für die intensive Gesetzespredigt der Theologen zu sehen, ein Sachverhalt, der sicherlich nicht zum Abbau der Distanz zwischen Prediger und Laien beitrug. 220 Aus Aussagen wie den oben zitierten spricht jedoch nicht allein die Resignation der Prediger angesichts der vorfindlichen Lebensumstände gegen die sie anpredigen sollten, sondern eine gewisse Selbstverteidigung der Geistlichen. Die Prediger führen in diesen pessimistischen Einschätzungen immer zugleich auch einen Nachweis über ihre eigenen Bemühungen. Es ist also problematisch, aus den Aussagen der Prediger die realen Lebensumstände rekonstruieren zu wollen, zu sehr steht deren persönliche Qualifikation auf dem Prüfstand. N u r wenn sie selbst ihre Arbeit überzeugend geleistet hatten, konnten sie die Schuld hinsichtlich des Scheitern ihrer Bemühungen der Halsstarrigkeit und der Verstocktheit der Laien zuweisen. 221 Insgesamt gesehen kommt der Theologie der lutherischen Orthodoxie eine gesellschaftsstabilisierende Funktion zu, da sie das Herrschaftssystem als solches nicht in Frage stellt, es vielmehr als eine Art Grundpfeiler der göttlichen Weltordnung versteht. Und solange die Repräsentanten dieses Herrschaftssystems in ihrer Amtsausübung den N o r m e n der göttlichen Weltordnung, wie sie in der heiligen Schrift und im besonderen im alttestamentlichen Gesetz grundgelegt sind, verpflichtet bleiben, besteht keinerlei Notwendigkeit zur Intervention auf Seiten der Theologen. In ihrer Eigenschaft als Mahner und Warner treten sie — im Idealfall — immer dann auf, wenn das System durch individuelle und/oder kollektive Verfehlungen von »unten« und/oder »oben« erschüttert wird. Dies gilt auch gegenüber den Vertretern der obrigkeitlichen Macht. Hintergrund ihrer Intervention ist das theologische Verständnis, daß Gott auch die Verfehlungen einzelner an der ganzen Gesellschaft strafe. Diese Verfehlungen abzustellen, ja weitergehend, sie durch ein entsprechend einge220 HANS LEUBE: D i e T h e o l o g e n u n d das Kirchenvolk im Zeitalter der l u t h e r i s c h e n O r t h o d o x i e . In: H a n s L e u b e : O r t h o d o x i e u n d Pietismus. G e s a m m e l t e S t u d i e n . H r s g . v o n D i e t r i c h B l a u f u ß (Arbeiten zur G e s c h i c h t e des Pietismus, B d . 13). Bielefeld 1975, S. 3 6 74. L e u b e b e m e r k t dazu S. 55: Es kann als geschichtliche Tatsache angesehen werden, daß gerade durch das Strafamt der lutherische Prediger bei einem Teil der Bevölkerung sich verhaßt gemacht hat. 221 SIGWART: P r e d i g t e n v o n H a u p t p l a g e n , S. 106: Was ist fu[e]r ein Hartna[e]ckigkeit/ Halsstarrigkeit vnnd Widerspa[e]nstigkeit/ bey dem gro[e]ssern Theil/ man sing jhnen/ man sagjhnen/ was man wo[e]ll/ man bitte sie/ man vermahne sie/ man straffe sie/ so will es doch nichts bey jhnen verfangen/ sondern bleiben in diesem Jar/ die sie im vorigen auch gewesen/ bessern sich nicht vmb ein Haar/ ja werden nicht allein fu[e]r sich selbs a[e]rger/ sondern veifu[e]hren auch andere Leut/ damit jhr Geschlecht nicht abgehe/ [.. J . WAGNER: L e i c h e n p r e d i g t Cellius, S. 15. A h n l i che B e o b a c h t u n g e n lassen sich a u c h i m B e r e i c h der Visitationen m a c h e n . H i e r w a r e n die Laien bestrebt, hinsichtlich ihrer A u s k ü n f t e sehr z u r ü c k h a l t e n d zu sein, w ä h r e n d P f a r r e r u n d Schulmeister großes Interesse daran h a t t e n , ihre schlechten E i n d r ü c k e w e i t e r z u v e r m i t t e l n , u m so ü b e r z e u g e n d e r die S c h w i e r i g k e i t ihrer e i g e n e n A r b e i t glaubhaft m a c h e n zu k ö n n e n . Vgl. WAHL: Z u g ä n g e der F o r s c h u n g zur Sozial- u n d Mentalitätsgeschichte, S. 12 f.

Herrschaftsordnung

und christliche

Freiheit

361

übtes Verhalten und dessen Kontrolle gar nicht erst entstehen zu lassen, ist das Ziel der lutherisch-orthodoxen Prediger. Bei der Durchsetzung ihrer Normen und Wertvorstellungen sind die Prediger auf die Beihilfe der Obrigkeit angewiesen. Dies zeigt die enge Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Schulen ebenso wie der Fall konkreter Zusammenarbeit bei den Schwierigkeiten im Umgang mit den sogenannten Ehehalten in Esslingen. Doch diese Zusammenarbeit zwischen Staat und Kirche erhob die Obrigkeit nicht über das gesellschaftliche System. Obwohl die T h e o logen durch die Kirchenordnung ebenfalls in dieses System eingebunden waren, wahrten sie sich gegenüber der Obrigkeit ihre kritische Distanz. Insgesamt gesehen bewahrten die lutherisch-orthodoxen Theologen das gesellschaftliche System, umstürzlerische Ideen wie beispielshalber das Infragestellen der ständischen Ordnung gingen von ihnen nicht aus. Insofern ist Po-chia Hsia sicherlich recht zu geben, wenn er schreibt: There was [...] a selfimposed limit to their social critique: it was tempered with a callfor social peace.222 Die Prediger dürfen aber andererseits auch nicht einseitig als eine autoritätshörige, staatsloyale Macht angesehen werden. Staatsloyal verhielten sie sich immer dann, wenn sich der Staat selbst innerhalb des durch die göttlichen Gebote vorgegebenen Rahmens bewegte. Und dies sogar, wenn auch in eingeschränkter Form, als im Jahr 1733 der am 21. Oktober 1712 mit großem Prunk zum Katholizismus konvertierte erste katholische Landesherr, Herzog Karl Alexander, die Regierung des württembergischen Herzogtums übernahm. 2 2 3 Die absolute Bindung an das in der heiligen Schrift geofFenbarte göttliche Wort stand über der Loyalität zur staatlichen Herrschaftsordnung. Jedoch hatte Herzog Eberhard Ludwig, als absehbar wurde, daß er ohne direkten Erben blieb, in Anlehnung an das Vorbild Augusts des Starken, bei der Erbfolge festgelegt, daß der künftige Herrscher mit der württembergischen Landschaft die sogenannten Religionsreversalien aushandeln muß. In diesem Vertrag wurde erneut für die Prälaten und Beamten der Eid auf die Konkordienformel und damit die lutherische Ausrichtung des Herzogtums festgeschrieben. Zusätzlich trat Karl Alexander bei seinem Amtsantritt die landesbischöflichen Rechte, einschließlich der Kontrolle über Besitz und Lehre, an den Geheimen R a t ab. 224 Und doch machte sich nach dem frühen Tod des katholischen Herrschers eine allgemeine Erleichterung breit. 2 2 5 Das weltliche Regiment kann letztendlich, obwohl auch es von Gott eingesetzt ist, nur die äußerliche Gerechtigkeit aufrechthalten. Da es somit zu

PO-CHIA HSIA: Social discipline, S. 22. HERMANN TÜCHLE: Die Kirchenpoltik des Herzogs Karl Alexander von Württemberg ( 1 7 3 3 - 1 7 3 7 ) . Würzburg 1937, passim. PO-CHIA HSIA: Social discipline, S. 19.VANN: 222

223

Württemberg auf dem Weg zum modernen Staat, S. 198 f. und S. 202. 2 2 4 VANN: Württemberg auf dem Weg zum modernen Staat, S. 195. 223

Vgl. VANN: Württemberg auf dem Weg zum modernen Staat, S. 204—206.

362

Synopse: Theologie und Alltag. Zur Funktion

der Theologie

seiner Legitimierung der Berufung auf Gott bedarf, kann es aber auch zum Gegenstand der Kritik von Seiten der Prediger werden. 226 Es stellt somit nach lutherisch-orthodoxer Auffassung keinen Widerspruch dar, wenn der Glaube die Legitimität politischer Ordnung begründet, eine gemeinsame Loyalität der Untertanen gegenüber ihrer Obrigkeit fordert und zugleich die politische Machtausübung mit Kritik begleitet. In dieser Auffassung vom Staat wirkte die lutherische Zweireichelehre nach, sie bezog den Staat in das weltumfassende Regiment Gottes ein und sprach ihm zugleich eine relative Eigengesetzlichkeit zu. Eine vollständige Verchristlichung aller Bereiche wurde dabei nicht angestrebt, wie beispielshalber die Auseinandersetzung um die Problematik von Zinssatz und Wucher zeigt. Es kann aber trotzdem nur von einer relativen Eigengesetzlichkeit die Rede sein, weil das auf dem Naturrecht basierende staatliche Recht über die vorausgesetzte Identität von Naturrecht und Dekalog erneut in eine christliche Dimension der Ordnung der Welt eingeholt wird. 227

2. Gesetz und Gewissen: Das Verhältnis von Tradition und Moderne In diesem Kontext soll allgemein die Frage nach dem Zusammenhang von Gesetz und Gewissen sowie die dadurch ermöglichten Tendenzen einer Individualisierung näher beleuchtet werden. Eine am Gewissen orientierte Handlungsdisposition weist in den Bereich der Neuzeit hinüber. Bereits Ernst Troeltsch hatte im reformatorischen Gewissensbegriff den Ursprung des neuzeitlichen Individualismus festgemacht. 228 O b die im Verlauf der Arbeit immer mehr an Bedeutung gewinnende Uberprüfung der Gewissen durch den einzelnen damit in Zusammenhang steht, soll im folgenden überprüft werden. Bereits die im klassischen Sinne als lutherisch-orthodoxe Theologen geltenden Prediger fordern die individuelle Uberprüfung der Gewissen.

226 Vgl. W O L F H A R T P A N N E N B E R G : Christlicher Glaube u n d Gesellschaft. In: Wolfhart Pannenberg: Ethik u n d Ekklesiologie. Gesammelte Aufsätze. G ö t t i n g e n 1977, S. 115— 128, hier S. 120 f. 227 Vgl. dazu E R N S T T R O E L T S C H : Soziale W i r k u n g e n des Protestantismus. In: H e i n z Maus u n d Friedrich Fürstenberg (Hrsg.): Religionssoziologie (Soziologische Texte, Bd. 19). N e u w i e d a m R h e i n , Berlin 1964, S. 3 0 7 - 3 4 1 , hier S. 3 1 0 - 3 1 6 zu den verschied e n e n Bereichen des R e c h t s . 228 So bereits T R O E L T S C H : Soziale W i r k u n g e n des Protestantismus, S. 3 1 8 - 3 2 2 im K o n text v o n Ü b e r l e g u n g e n zu den M e n s c h e n r e c h t e n u n d zur Gewissensfreiheit. Vgl. dazu W O L F H A R T P A N N E N B E R G : R e f o r m a t i o n u n d N e u z e i t . In: Horst R e n z u n d Friedrich W i l h e l m Graf (Hrsg.): Troeltsch-Studien. Bd. 3: Protestantismus u n d N e u z e i t . Gütersloh 1984, S. 2 1 - 3 4 , hier S. 31. R I C H A R D VAN D Ü L M E N : R e f o r m a t i o n u n d N e u z e i t . In: R i c h a r d van D ü l m e n (Hrsg.): R e l i g i o n u n d Gesellschaft. Beiträge zu einer Religionsgeschichte der N e u z e i t . F r a n k f u r t / M . 1989, S. 1 0 - 3 5 , hier S. 24.

Gesetz und Gewissen

363

S o k o m m t die aus paulinischen Aussagen g e w o n n e n e Grunderkenntnis reformatorischer T h e o l o g i e , daß der M e n s c h ein Sünder sei, aus dem Gesetz Gottes und dem Gewissen: Wann ein Mensch vom Gesotz Gottes/ vnd seinem Eignen Gewissen vberzeu[e]gt ist/ das er ein Sun[e]nder seye/ vnd habe die Gebott Gottes Vielfeltig vbertretten/ [.. .].229 Entsprechend ist das gute Gewissen stets mit Gottesfurcht verbunden 2 3 0 ; nur im Gewissen kann sich der M e n s c h seines Glaubens versichert sein. 2 3 1 W e r nicht in Glaube und B u ß e stehe, so b e t o n e n die T h e o l o g e n , der habe keinen Frieden, sondern Furcht und U n r u h e des Gewissens. 2 3 2 Diese Aussagen der lutherisch-orthodoxen Prediger zeigen deutlich die engen B e z i e h u n g e n zwischen den beiden G r ö ß e n Gesetz und Gewissen. Wagner bezeichnet das Gewissen als den »eingesetzten Inspektor«, der in der linken Brust des M e n s c h e n stecke und über sein Handeln w a c h e . 2 3 3 A n anderer Stelle merkt Wagner an, Herz und Gewissen sagen e i n e m j e d e n M e n schen, wie es u m die Sache mit G o t t und dem Nächsten stehe. 2 3 4 E i n schlechtes Gewissen verschaffe sich mit Angst, Plagen und S c h r e c k e n G e h ö r ; dies sei keine b l o ß e Einbildung, sondern m a c h e deutlich, daß sich »übles Haushalten« vor G o t t nicht verbergen lasse. 235 Andererseits, so hebt R e u c h l i n hervor, lehrten das »Buch des Gewissens« und die eigene Erfahrung des M e n s c h e n , mit welcher Geduld G o t t den M e n s c h e n trage. 2 3 6 D e n n aus e i n e m schlechten G e wissen folge gerade nicht, daß »Gottes Gnadentür« verschlossen sei; eine U m kehr sei stets m ö g l i c h . 2 3 7 Andreae bezeichnet das Gewissen als »Ankläger«, das den M e n s c h e n aus Furcht vor dem göttlichen Z o r n nicht mehr fröhlich sein läßt. 2 3 8 In u m g e kehrter Perspektive attestiert Andreae demjenigen M e n s c h e n ein »fröhliches,

2 2 9 PREGITZER: Bußpredigten, S. 32. Diese Erkenntnis ist insofern von besonderem Interesse, als der Begriff des »Gesetzes« aus den paulinischen Briefen in die reformatorische Theologie eingegangen ist. Weder das Alte Testament noch die Evangelien kennen diesen Begriff. Vgl. MARKUS SCHÄR: Seelennöte der Untertanen. Selbstmord, Melancholie und Religion im Alten Zürich 1 5 0 0 - 1 8 0 0 . Zürich 1985, S. 215. 230

REUCHLIN: R e k t o r p r e d i g t e n , S. 4 2 .

SIGWART: Predigt vom Amt der Kirchendiener, S. 14. HOCHSTETTER, A. A.: Tübinger Liebes-Denkmal, S. 27. Vgl. zu dieser Thematik auch HAAG: Predigt und Gesellschaft, S. 313 ff.Vgl. dazu SCHÄR: Seelennöte der Untertanen, S. 216 f. zu den Qualen des Gewissens. 231

232

233

WAGNER: E v a n g e l i e n - P o s t i l l e 1, S. 5 2 8 .

234

WAGNER: Zwei Erdbebenpredigten, S. 61.

235

WAGNER: Evangelien-Postille

1, S. 8 5 3 - 8 5 7

und

S. 5 2 8 . V g l . PREGITZER:

Bußpre-

digten, S. 176 f. HAFENREFFER: Multi vocati, S. 6. 236

REUCHLIN: C h r i s t e n t u m , S. 3 2 3 .

WAGNER: Evangelien-Postille 1, S. 859. Dies erläutert Wagner am Beispiel des Herodes. 2 3 8 ANDREAE: Predigten in Hagenau, S. 26 [=30], Vgl. zur Thematik von Gewissenspein, Traurigkeit und Melancholie SCHÄR: Seelennöte der Untertanen, passim. 237

364

Synopse: Theologie

und Alltag. Zur Funktion

der

Theologie

gutes Gewissen«, der die christliche Freiheit als Gebundensein an Gottes Wort versteht - ein geniun lutherischer Aspekt. 2 3 9 Alles Mahnen und Erziehen zielt auf das Gewissen ab; es wird zu j e n e r Instanz, vor der der einzelne zur Verantwortung gezogen wird. In dieser Instanz soll vornehmlich theologische N o r m 2 4 0 maßgeblich sein, da das Gewissen selbst allein Gott zugehörig und somit seinen N o r m e n unterworfen ist. 241 Die Prüfungsinstanz für menschliches Handeln soll — dies zeigt die parallele Nennung von Herz und Gewissen 2 4 2 — im Menschen selbst angelegt werden. Dies zielt auf eine gewisse Eigenverantwortlichkeit des Menschen für sein Handeln. Die Vorstellung eines subjektiven Verantwortungsbewußtseins ist nicht neu, die Idee dazu existierte lange vor der Reformation, aber erst sie erklärte es zur Pflicht eines jeden Menschen, sich bewußt Situationen zu stellen. 2 4 3 Alle Aussagen können dahingehend interpretiert werden, als handle es sich beim Gewissen um eine Instanz, die sich gewissermaßen erst in Folge einer ungesetzlichen, ethischen oder moralischen Grundsätzen zuwider geführten Handlung zu Wort meldet. In diesem Sinne nimmt auch Kittsteiner eine zeitliche Unterscheidung in der Funktion des Gewissens vor. Seiner Meinung nach bildete das Gewissen im 16. und 17. Jahrhundert eine erst nachträglich wirksame Instanz. Kittsteiner koppelt dies an den B e g r i f f der Gnade; wie das Gewissen sei auch die Gnade, die ihrerseits von der willkürlichen Macht G o t tes abhängig sei, ein erst im nachhinein wirksames Instrument. Die Funktion des Gewissens als ein Mechanismus zur Selbstkontrolle werde erst ab dem 18. Jahrhundert akut; von dieser Zeit an werde der Begriff der Gnade durch j e n e n der Tugend ersetzt. 2 4 4 Eine Verhaltenssteuerung j e d o c h , die den »Täter des Wortes« will, die mit Hilfe der Predigt des Gesetzes zum geforderten Handeln anleiten will, versteht das Gesetz aber zugleich als präventives Instrumentarium. Das Gesetz will in den Augen der Prediger, gerade in seinem tertius usus legis, sehr wohl

2 3 9 ANDREAE: Predigten in Hagenau, S. 33. Vgl. LUTHER: Von der Freiheit eines C h r i stenmenschen. In: WA 7, 2 0 - 3 8 (Deutsche Fassung). 2 4 0 WAGNER: Casualpredigten (Bußpredigt), S. 860. WAGNER: Regentenpredigten, S. 18 ( R o m 13,5). 2 4 1 SIGWART: Predigt vom Amt der Kirchendiener, S. 4. 2 4 2 WAGNER: Zwei Erdbebenpredigten, S. 61. HÄBERLIN: Predigt über Jer 44, S. 194.

PREGITZER: B u ß p r e d i g t e n , S. 3 3 .

Vgl. VAN DÜLMEN: Reformation und Neuzeit, S. 24. HEINZ-DIETER KITTSTEINER: »Von der Gnade zur Tugend«. Uber eine Veränderung in der Darstellung des Gleichnisses vom verlorenen Sohn im 18. und 19. Jahrhundert. In: Norbert Bolz und Wolfgang Hübener (Hrsg): Spiegel und Gleichnis. Festschrift für Jacob Tauber. Würzburg 1983, S. 1 3 5 - 1 4 8 . Anders dagegen BEUTEL: Christenlehre, S. 126. Er definiert Luthers Gewissensbegriff gerade nicht als eine menschliches Handeln beurteilende Instanz, sondern als das , [...] dem Handelns vorausliegende Sein des Menschen coram Deo [...]. 243

244

Gesetz und

Gemssen

365

positive N o r m zur Lebensgestaltung im Alltag sein und nicht allein in der R e trospektive Spiegel zur nachträglichen Erkenntnis falschen Handelns. Letztere Funktion nimmt es selbstverständlich auch wahr; es soll unbestritten eine Art Vorgericht im Menschen bilden. 2 4 5 Das Gewissen soll j e d o c h nachhaltig durch theologische Lehre, Warnung, Strafe, Vermahnen und Trost beeinflußt werden. 2 4 6 Diese Elemente entsprechen exakt dem Gliederungsschema der lutherisch-orthodoxen Predigt, was indirekt die Einflußnahme der Predigt auf die Gewissensbildung deutlich macht. Die starke Betonung des Gesetzes in der lutherischen Orthodoxie und der zunehmende Hinweis auf die Uberprüfung des Gewissens im Einflußbereich pietistischen Gedankengutes leisten einer Individualisierung Vorschub. D i e Grundlagen für die Gewissenserforschung des einzelnen wurden b e reits in der lutherischen Orthodoxie gelegt. D e r Aufruf zur Selbstreflexion, wie ihn Andreae, Heerbrand, Sigwart und Pregitzer ausbringen, muß bereits eindeutig in einer Linie mit der unter pietistischem Einfluß zweifelsfrei verstärkten Aufforderung, sein Gewissen zu überprüfen, gesehen werden. 2 4 7 U n d Wagner erinnert daran, [...]/ daß Gott einen jeden in individuo kennet.249 Spener verlangt vom Christen eine eingehende Gewissensprüfung [...], damit er ja nicht aus dem Stand der Gnade wieder herausfällt2*9. Jedoch schon Sigwart rät dazu, [...] / daß wir vns destofleissiger erforschen/ ob wir auch hie auff Erden im Reich der Gnaden Seyen250 und Reuchlin ruft dazu auf, alles Tun nach dem Willen Gottes zu prüfen. 251 Unter pietistischem Einfluß ist die eingeforderte Prüfung nach dem Willen der Prediger immer extensiver und auch detailierter zu handhaben: Alle Abend erinnert euch ins ku[e]nfftige dieses Fu[e]rbildes/ und untersuche ein jedes sein Gewissen [... j. 2 5 2 Wenn die Prediger den richtigen Lebenswandel beschreiben, 2 4 3 HOCHSTETTER, A. A.: Christenwandel, S. 35. HAGMAJER: Zwei Abendpredigten, S. 30. N o c h im Jüngsten Gericht selbst wird das Gewissen die Menschen anklagen. Vgl. Württembergisches Gesangbuch (1741), Nr. 11, Vers 4: Es wird selbsten dein gewissen Uber deiner su[e]nden meng Bey dem richtet zeugen mu[e]ssen. Da wird dir die weit zu eng, Und das billigst urtheil seyn: Su solt in der ho[e]llen pein Mit viel tausendfachen quälen, Mit der seel und leib bezahlen. 246 WAGNER: Epistel-Postille 1, Vorrede. 247 Vgl. oben Kapitel C. II. 1.2 und unten Kapitel D. III. 2. ANDREAE: Predigten in

L a u i n g e n , S. X X I

V

u n d S. X X I I I V . HEERBRAND: B u ß p r e d i g t J o n a , S. 1 7 . PREGITZER:

Buß-

predigten, S. 2 2 6 . Pregitzer rät, alle Tage ein Examen der Seele und des Gewissens anzustellen [Hervorhebung S. H.]. HOCHSTETTER, A. A.: Antrittspredigt, S. 39. HAAG: Predigt und Gesellschaft, S. 313 ff. SCHÄR: Seelennöte der Untertanen, S. 218 f. 248

WAGNER: E v a n g e l i e n - P o s t i l l e 1, S. 9 0 1 .

Vgl. LEUBE: Die Sozialideen des kirchlichen Pietismus, S. 138. SIGWART: Predigt vom Vaterunser, S. 99. 251 REUCHLIN: Leichenpredigt (Stud. theol.), S. 65. REUCHLIN: Christentum, S. 193. 2 5 2 HOCHSTETTER, A . A . : Antrittspredigt, S. 39 {.:Ach! habe ich auch auf meinen Heylande in seinem Wort und Exempel gesehen? Habe ich auch fu[e]r seinen Augen gewandelt? Habe ich auch in Liebe gegen Jhme mein Leben gefu[e]hret? Habe ich auch auß Liebe gegen ihme geeifert wider al249

250

366

Synopse: Theologie

und Alltag. Zur Funktion

der

Theologie

dann ist darin die Überprüfung des Gewissens zu einer festen Größe geworden, wie das folgende Beispiel zeigt. 2 5 3 Die Gefahren, die in einer Erziehung zur Selbstverantwortung lagen, der stets mögliche Rückfall in eine Werkgerechtigkeit auf der einen Seite und der drohende Fall in Verzweiflung und A n fechtung auf der anderen Seite, wurden von den Predigern nicht ausreichend berücksichtigt. Die theologischen Dimensionen der Gnade und des Trostes traten mehr und mehr zurück. Zur richtigen Lebensführung gelangt man, so legt Hochstetter in seinem »Christenwandel« dar, durch die Befolgung dieser sieben Stufen: 1. rechtschaffenes Gebet; 2. aufrichtiges Herz; 3. gewissenhafter Wandel in Worten und Werken; 4. tägliche Prüfung des Herzens und Lebens; 5. sorgfältige Fürsichtigkeit; 6. Ergebung in Gottes Güte; 7. Betrachtung der vier letzten D i n ge. 2 5 4 Was dabei näherhin die tägliche Prüfung anbelangt, so empfiehlt H o c h stetter, unter einer der von ihm im folgenden vorgestellten Möglichkeiten zu wählen, also entweder sich erstens einer Examinierung aller Fehler der R e i h e nach, zuerst der Gedanken und Begierden, dann fortschreitend, der Worte und Werke zu unterziehen; oder zweitens eine Uberprüfung der Gedanken, ob man ehrerbietig gegen Gott, liebreich gegen den Nächsten, züchtig gegen sich selbst war, vorzunehmen. Hieran sollte sich dann, unter Berücksichtigung auch der Unterlassungen, eine Prüfung der Sinne, der R e d e n und der Werke anschließen. Abschließend soll hierbei der einzelne bedenken [...] wie du an diesem Tage abgenommen habest in deinem vorigen Eifer zu dem Guten? ob du zugelegt habest in deinem guten Vorhaben? Ob du etwas von deinen Fehlern abgethan?255 Als dritte Möglichkeit schließlich schlägt Hochstetter vor, sich an eine vorgekommene Verrichtung zu halten, also einem vorgegebenen Prüfungsschema zu

les/ so ihme zuwider ist? Wer den andern lieb hat/ eifert auchfu[e]r dessen Ehre. Habt ihr JEsum lieb/ so beweiset hinfu[e]ro auch fu[e]r sein Wort/fu[e]r seine Ehre/fu[e]r seine Glieder/fu[e]r die Beybehaltung der so theur erworbenen Evangelischen Warheit/ fu[e]r gute Zucht und Christliche Erbarkeit/ wider alles bo[e]se und a[e]rgerliche Unwesen einen Go[e]ttlichen Eifer/ und zeigt damit/ daß euchs wehe thue/ wo euer ho[e]chstes Gut beleidiget wird. So ebenfalls im Kirchenlied; vgl. Württembergisches Gesangbuch (1741), Nr. 326, Vers 7: Laß mich nicht die busse sparen, Biß die Kranckheit mich ergreifft: Sondern bey gesunden jähren, Ehe sich die Su[e]nde ha[e]ufft, Laß mich ta[e]glich busse thun, Daß das allerletzte nun, Mich befreyt von aller su[e]nde, nun mit dir verso[e]hnet finde. Den Übergang von einer jleissige[n] Erforschung der Gewisssen im 17. Jahrhundert zu Gewissenserforschung als täglicher Pflicht im 18. Jahrhundert konstatiert auch SCHÄR: Seelennöte der Untertanen, S. 218. 2 5 3 REUCHLIN: Rektorpredigten, S. 156 f. Vgl. LEUBE: Die Sozialideen des kirchlichen Pietismus, S. 138. 234

HOCHSTETTER, A . A . : C h r i s t e n w a n d e l , S. 1 1 .

253

HOCHSTETTER, A . A . : C h r i s t e n w a n d e l , S. 3 9 . V g l . HOCHSTETTER, A . A . :

Christen-

wandel, S. 27: Dencke nach/ ob du es von Hertzen vor den allwissenden GOtt und Heyland thun ko[e]nntest was du thust? Ob ers befohlen? ob es erlaubt? ob du ihn darum anrußen darffest? ob du die Kraefften dazu von ihm empfangen? Obs zu seiner Ehre gereiche? ob du getrauest Rechenschafft davon zu geben/ und ob es dich am Tage des Todes und Gerichts nicht gereuen werde/ oder ob du wu[e]nschest in solcher Handlung von dem Todt ergriffen zu werden.

Gesetz und Gewissen

367

folgen. D e r persönliche Ton der E m p f e h l u n g e n sowie die in der zweiten P e r son gebrauchte A n r e d e ist bei Hochstetters Vorschlag sehr auffällig. M a n c h e Prediger beschreiben diese Gewissensprüfung als eine A r t Vorgericht, bei d e m G o t t zwar mit »Trübsalen heimsuche« u n d »züchtige«, j e d o c h nicht richte, u m später d e n somit zur R e u e gebrachten M e n s c h e n nicht mit der »Welt« verd a m m e n zu müssen. 2 5 6 D i e Z u s a m m e n h ä n g e von Gesetz u n d Gewissen zeigen, daß der v o n O e s t reich in die Diskussion eingebrachte Begriff der Sozialdisziplinierung 2 5 7 nicht ausreicht, u m das Verhältnis v o n O b r i g k e i t u n d U n t e r t a n e n bzw. zwischen Prediger u n d Laien zu beschreiben. Z u m i n d e s t die Prediger b e f ö r d e r n eine Ausweitung, letztendlich eine Verlagerung des zunächst einseitig v o n »oben« nach »unten« verlaufenden Prozesses der Sozialdisziplinierung ins Gewissen des einzelnen M e n s c h e n . D u r c h die Internalisierung der gepredigten N o r m e n wird die individuelle Selbstkontrolle angestrebt. 2 5 8 Für d e n Laien allerdings hat die religiös-moralische Disziplinierung seitens der Kirche u n d die soziale Disziplinierung seitens der O b r i g k e i t , also der seelsorgerliche Aspekt bzw. der »polizeiliche Einschlag« der S t r a f m a ß n a h m e n letztlich die gleiche K o n s e quenz, die unterschiedlichen M o t i v a t i o n e n k o m m e n hierbei k a u m z u m Tragen. 2 5 9 Dies sollte bei der wissenschaftlichen Einschätzung des Sachverhalts der Disziplinierung v o n beiden, gewissermaßen d u r c h einen »ideologischen Vorbehalt« v o n e i n a n d e r geschiedenen F o r s c h u n g s r i c h t u n g e n , akzeptiert w e r den. D i e unterschiedliche B e u r t e i l u n g rührt dabei n i c h t n u r v o n einer m o d e r n e n Forschungsperspektive her. Für die T h e o l o g e n der l u t h e r i s c h e n O r t h o d o x i e stand zweifelsfrei der Fortbestand der Welt i m Z e n t r u m ihrer U b e r l e g u n g e n zur Disziplinierung, ein Sachverhalt, der ü b e r die religiöse Legitim i e r u n g weltlicher H e r r s c h a f t u n d die damit v e r b u n d e n e n A u f g a b e n auch in einen obrigkeitlichen Zuständigkeitsbereich hineinreicht. Das a m biblischen Gesetz orientierte Gewissen sollte also das individuelle D e n k e n u n d H a n d e l n leiten. Bei aller beibehaltenen p e r s ö n l i c h e n V e r a n t w o r t u n g f ü r die Gesellschaft als ganze stellt dies einen w i c h t i g e n Beitrag zur F o r m i e r u n g neuzeitlichen D e n k e n s dar. D i e Prediger o r d n e n dieses Vorgericht in die pädagogischen M a ß n a h m e n Gottes ein, der i m w o h l v e r s t a n d e n e n I n t e r esse der M e n s c h e n handelt, o h n e j e d o c h von d e n B e t r o f f e n e n i m m e r wirklich verstanden zu w e r d e n .

236 H O C H S T E T T E R , A. A.: Christenwandel, S. 3 5 . So auch H A G M A J E R : Zwei Abendpredigten, S. 30. Er spricht in diesem Zusammenhang von einer Verurteilung durch das eigene Gewissen. 237 O E S T R E I C H : Strukturprobleme des europäischen Absolutismus, S . 3 2 9 - 3 4 7 . 2,8 Vgl. N O R B E R T ELIAS: Über den Prozeß der Zivilisation. Soziogenetische und psychogenetische Untersuchungen. Bd. 2: Wandlungen der Gesellschaft. Entwurf zu einer Theorie der Zivilisation. Baden-Baden 1 9 7 7 3 , S. 3 1 2 - 3 4 1 . 239 S C H N A B E L - S C H Ü L E : Calvinistische Kirchenzucht in Württemberg?, S . 1 7 3 . Vgl. BRECHT: Kirchenordnung und Kirchenzucht in Württemberg, S. 77 f.

368

Synopse: Theologie und Alltag. Zur Funktion der Theologie

Bei den T ü b i n g e r T h e o l o g e n haben, dies läßt sich abschließend festhalten, die meisten Kennzeichen des wiedergeborenen Christen ethischen Charakter: dies gilt allerdings bereits für die Zeit der lutherischen Orthodoxie. L e u b e sieht den Lebenszweck im Pietismus unter die beiden Losungen Ehre Gottes und Nächstenliebe gestellt. 2 6 0 Andreas A d a m Hochstetter faßt entsprechend die Forderung Gottes an den Menschen wie folgt zusammen: Liebe zu Gott und d e m Nächsten; im Sinne des göttlichen Doppelgebotes gelte es, nicht nur v o m Christentum zu reden, sondern tätig zu werden. 2 6 1 A n anderer Stelle sagt er, man solle sich »aufrichtig« gegenüber Gott und seinem Nächsten verhalten. 2 6 2 D e r B e g r i f f der Gottesfurcht, schon in der Anfangsphase der lutherischen O r thodoxie als L e i t b e g r i f f 2 6 3 gebraucht, setzt sich beispielshalber nach R e u c h l i n aus folgenden K o m p o n e n t e n zusammen: Ehre Gottes, gemeines Beste, N u t zen des Nächsten, ewiges Heil. 2 6 4 U n d w o keine Gottesfurcht herrsche, da sei das »Herz« des Menschen nur ausgerichtet auf Ehre und Ansehen in dieser Welt. Bereits die klassischen Vertreter der lutherischen O r t h o d o x i e propagieren die folgende Losung: Gottesfurcht und Nächstenliebe, entsprechend den beiden Tafeln des Dekaloges. 2 6 5 Abschließend bleibt somit ein Spannungsbogen zu konstatieren, der sich von der alttestamentlichen Tradition eines am biblischen Gesetz orientierten Lebens bis zur individuellen Handlungsorientierung zur Zeit der lutherischen O r t h o d o x i e erstreckt und den B e g i n n der M o d e r n e markiert. Dabei hält die lutherische O r t h o d o x i e z u m einen noch an der individuellen und kollektiven Verantwortlichkeit für die Gesellschaft und ihre Lebenswelt als ganze fest, zum anderen entspricht ihr GewissensbegrifF noch ganz der reformatorischen Grundlegung durch Luther. Er hatte erstmals die Forderung nach der Freiheit des Gewissens thematisiert, worunter er ausnahmslos die Befreiung des G e wissens durch das Evangelium und eben kein generelles R e c h t des einzelnen auf Religionsfreiheit verstanden haben wollte. 2 6 6 Das Gewissen bildet in dieser Konzeption keine a u t o n o m e Instanz, sondern bleibt »gefangen« durch das Wort Gottes. D a m i t bleibt das Gewissen fest an die Autorität der heiligen 260

LEUBE: Die Sozialideen des kirchlichen Pietismus, S. 138.

261

HOCHSTETTER, A . A . : A n t r i t t s p r e d i g t , S. 2 1 - 2 4 u n d S. 3 2 .

HOCHSTETTER, A. A.: Leichenpredigt Reuchlin, S. 17. ANDREAE: Predigten in Lauingen, S. IIr. ANDREAE: Hochzeitspredigt (1585), S. A 4 V B, v . HAFENREFFER: Predigt von der Obrigkeit, S. 11. SIGWART: Lasterpredigten, S. 47rv. WAGNER: Casualpredigten (Neujahrspredigt), S. 319 ff. WAGNER: Esslinger Freudenfestpredigt, S. 59. PREGITZER: Hochzeitspredigt, S. 18. HAGMAJER: Huldigungspredigt, S. B , v B 2 r . REUCHLIN: Rektorpredigten, S. 29. WEISMANN: Leichenpredigt Hagmajer, S. 18 f. und S . 26. 262 263

264

REUCHLIN: R e k t o r p r e d i g t e n , S. 3 5 .

REUCHLIN: Christentum, S. 9. ANDREAE: Predigten in Lauingen, S. A3V. RAINER WOHLFEIL: Bedingungen der Neuzeit. In: Rainer Wohlfeil und HansJürgen Goertz (Hrsg.): Gewissensfreiheit als Bedingung der Neuzeit (Bensheimer Hefte, Heft 54), S. 7-24, hier S. 19. 265 266

Gesetz und Gewissen

369

Schrift gebunden und somit der Tradition verhaftet. Zugleich befördern die T h e o l o g e n der lutherischen O r t h o d o x i e mit der Intensivierung des reformatorischen Gedankens des Individualismus' den Prozeß in die M o d e r n e — auch wenn sie zunächst Gewissensfreiheit als unantastbares individuelles R e c h t des Gewissens nur theoretisch erörtern. 2 6 7 Es besteht d e n n o c h ein, wenn auch nur mittelbarer, Z u s a m m e n h a n g zwischen der B e t o n u n g des Gewissens, dessen christliche Freiheit in der Gebundenheit an das göttliche W o r t besteht und der bürgerlichen Freiheit im Rousseauschen Sinne, die ihre Freiheit aus der H a n d der Gesellschaft empfängt und damit den m o d e r n e n Gewissensbegriff b e g r ü n det: beide M a l e steht das Individuum im Z e n t r u m der Ü b e r l e g u n g e n . 2 6 8 D i e Welt der lutherischen O r t h o d o x i e war n o c h eingebunden in das von den T h e o l o g e n verkündete göttliche Weltregiment, in dem es Unfälle oder Zufälle nicht gab. O h n e das Wissen Gottes geschah hier nichts. G o t t warnte die M e n s c h e n und er strafte sie, aber er stellte auch L o h n in Aussicht. 2 6 9 D u r c h Krankheit, N o t und Leid strafte Gott einzelne M e n s c h e n , Gesundheit und Wohlergehen konnten Anzeichen eines f r o m m e n Christseins sein o h n e j e d o c h aus ihnen einen Anspruch a u f Heilsgewißheit ableiten zu k ö n n e n . G o t t warnte und strafte auch kollektiv, G e m e i n d e n , Städte, j a ganze V ö l k e r konnten bei N i c h t b e a c h t u n g der göttlichen G e b o t e unter seinen Z o r n fallen; G o t t warnte beispielshalber durch K o m e t e n und strafte durch Krieg, U n w e t ter und M i ß e r n t e n . A u c h hier konnten Friede und gute E r n t e n nicht als A n zeichen göttlicher Erwähltheit interpretiert werden. D i e lutherische O r t h o d o x i e zielte j e d o c h gleichzeitig eindeutig a u f eine Verantwortlichkeit des einzelnen, der durch sein Gewissen zu e i n e m gesetzeskonformen Handeln angeleitet werden sollte. D i e Auflösung kollektiven Denkens und Handelns und kollektiver Verantwortlichkeit, die Vorrangigkeit des Individuums vor der Gesellschaft ist hier nur latent angelegt — vielleicht war dies durch den steten R e k u r s auf das Alte Testament und damit a u f die kollektive G r ö ß e des alttestamentlichen Gottesvolkes zunächst auch nicht m ö g l i c h . 2 7 0 D i e verstärkte Heranziehung neutestamentlicher Beispiele unter pietistischem Einfluß k ö n n t e hier weiteren Vorschub geleistet haben. M i t der vorherrschenden O r i e n t i e r u n g am (biblischen) Gesetz war die A b wendung von einem Glaubensdenken und die H i n w e n d u n g zu e i n e m Vernunftdenken eng verknüpft. Diese Hinwendung zum Rationalismus 2 7 1 , die, 2 6 7 SIGWART: Predigten vom Abendmahl, S. 110R. SIGWART: Predigt vom Amt der Kirchendiener, S. 3.Vgl. dazu VAN DÜLMEN: Reformation und Neuzeit, S. 15. WOHLFEIL: B e dingungen der Neuzeit, S. 20. 2 6 8 Vgl. hierzu PANNENBERG: Reformation und Neuzeit, S. 31. 2 6 9 Vgl. zum folgenden LEHMANN: Das Zeitalter des Absolutismus, S. 172. 2 7 0 Die Gesellschaft der Moderne hat heute die Konsequenzen des Primats des Individualismus erkannt und müht sich nun ihrerseits darum, erneut ein säkulares kollektives Verantwortungsbewußtsein zu etablieren. 2 7 1 WEBER: Wirtschaft und Gesellschaft, S. 5 7 6 - 5 7 9 . WEBER: Die protestantische

370

Synopse: Theologie

und Alltag. Zur Funktion

der

Theologie

wie die Lektüre der Predigten gezeigt hat, durch die Berufung auf die traditionale Autorität des alttestamentlichen Gesetzes befördert wurde, ist als Teil jenes Prozesses zu werten, der den Ubergang zur Moderne charakterisiert. Ahnliches gilt auch für die Beharrlichkeit der Theologen in Fragen des göttlichen Weltregimentes. Die Theologen bekämpfen Sünde und Laster dieser Welt, um den Bestand der Welt zu sichern, ein Bestand, der nur bei E i n haltung der göttlichen Gebote gewährleistet war. Daß ihre — religiös moralischen — Disziplinierungsmaßnahmen anders motiviert waren als die sozialen Disziplinierungsmaßnahmen des frühmodernen Staates, spielt für deren Auswirkungen letztendlich keine R o l l e . 2 7 2 Hier werden durch den Rekurs auf das traditionale Denkmodell des göttlichen Weltregiments Grundlagen einer M o ralisierung und Entzauberung der frühneuzeitlichen Gesellschaft geschaffen, Grundlagen somit, die ebenfalls als qualitative Merkmale auf dem Weg in die Moderne gelten. Die theologische Lehre von der Identität von Leib und Seele, in den Predigten vor allem im Kontext des Jüngsten Gerichtes zur Sprache gebracht, leistete ebenfalls einer Individualisierung Vorschub. U n d dies trifft auch dann zu, wenn im Tod zunächst eine Trennung dieser beiden Größen erfolgt, die Seele also zum Träger der Person geworden ist. Diese Trennung, so lehren die T h e o logen, werde nur eine vorübergehende sein und bis zum Tag der Auferstehung und des Gerichts andauern: Ein endgültiges Urteil wird dann im Jüngsten Gericht über den ganzen Menschen gesprochen werden 2 7 3 ; die hierin getroffene Entscheidung tangiert den Menschen als ganzen, mit Körper und Seele. Im Gericht wird eine Individualisierung vollzogen, es handelt sich um ein Geschehen, das das Individuum ganz persönlich betrifft, es für seine Taten persönlich verantwortlich macht. Kollektive Vergehen werden hier nicht kollektiv gesühnt, vielmehr muß in letzter Instanz kollektive Schuld durch individualisierte Sühne abgetragen werden. Im Tod ist jedermann auf sich selbst gestellt, die traditionalen Möglichkeiten der Heilssicherung sind durch die Reformation beseitigt worden, zwischen Gott und dem Menschen gibt es keine vermittelnden Instanzen mehr. Diese Verantwortlichkeit des einzelnen für sein Handeln macht hier noch einmal deutlich, wie sehr es den Theologen der lutherischen Orthodoxie darum ging, daß der einzelne im Vertrauen auf

Ethik. Bd. 1, S. 165. Vgl. dazu WOLFGANG SCHLUCHTER: Die Entwicklung des okzidentalen Rationalismus. Eine Analyse von Max Webers Gesellschaftsgeschichte. Tübingen 1979, S . 2 0 4 ff. 2 7 2 VAN DÜLMEN: Volksfrömmigkeit und konfessionelles Christentum, S. 30. 2 7 3 So auch im Kirchenlied; vgl. dazu AXMACHER: Praxis Evangeliorum, S. 143 f. Dort heißt es in der von Martin Moller besorgten Nachdichtung der lateinischen Fassung des Dies irae, dies illa von Thomas a Celano Der letzte Tag bald kom[m]en wird in der 3. und 4. Strophe: Wie wunderlich wird man da sehn/ Die Todten aus den Gräbern gehn/ Vnd alle für dem Richter stehn. [Vers 4] Niemandt sich hie verbergen kan/ Ein jeder muß selber hinan/ Sein eigen Vrtheil hören an.

Gesetz und

Gewissen

371

Gott sich der Welt in voller Verantwortung stellt. 274 Im Lied Der grimmig Tod mit seinem Pfeil275 werden diese Gedanken eindrücklich zusammengefaßt: Wann dann das letzte Stu[e]ndlein kompt/ so heißts Vrlaub genommen / AU Freund verlassen dich die Stund/ kein Gesell mit dir von dannen. Du must allein/ dich geben drein/ zu reisen frembde Strassen/ hast guts gethan/ so trags davon/ sonst wird man dir nichts lassen.

274 275

VAN DÜLMEN: R e f o r m a t i o n u n d N e u z e i t , S. 24. Christliches Haus-Gesangbuch, S. 132,Vers 2.

E. Schluß Die vorliegende Studie hat gezeigt, daß die von der Forschung praktizierte und oft rezipierte Gleichsetzung von rechter Lehre und Predigt für die Zeit der lutherischen Orthodoxie zu kurz greift. Sie bestätigt damit jüngere Forschungsergebnisse. Die Predigt der lutherischen Orthodoxie ist viel komplexer, sie ist nie bloße Dogmatik, nie reine Apologie, nie nur Erklärung der Geschichte, nie nur Deutung der Lebenswelt und ihrer Erfahrungen, sie erschöpft sich nicht in Sozialdisziplinierung und Indoktrination. Gerade eine interdisziplinär angelegte Arbeit vermag die verschiedenen Dimensionen lutherischer Predigt, in theologischer wie in sozialgeschichtlicher Hinsicht, deutlich zu machen. Ihre Resultate bestätigen zunächst einmal die sowohl von Eiert als auch von Leube formulierte Einschätzung der Orthodoxie als einer alle Lebensgebiete umfassenden Kultur. Schon die lutherische Orthodoxie erhob den Anspruch, eine Richtschnur zur Orientierung menschlichen Lebens zu bieten. Die Analyse der Predigten deckt auf, daß zwischen Theologie und Alltag ein Verhältnis von Reziprozität und Interdependenz besteht. Die Gesellschaft, als ganze Adressat der Predigt, produziert und formt ihrerseits Religion und gleichzeitig konstituiert Religion auch gesellschaftliche Wirklichkeiten. Dieses Abhängigkeitsverhältnis weist die Theologie darauf hin, welche Relevanz der Geschichte der Predigt fiir die Dogmengeschichte zukommt. 1 Das Bemühen um die Vermittlung von Lehre und Leben durch die Predigt ist nicht immer und notwendigerweise erfolgreich. Das praktische Alltagshandeln des einzelnen ist der Ort, an dem verschiedenartige Anforderungen und Bezüge zusammentreffen. Hier hat sich die Kompatibilität der gepredigten Standards zu erweisen. Uberall dort, wo die von den Theologen an das Alltagshandeln gestellten Ansprüche untereinander unvereinbar sind, eröffnen sich Optionen, verbunden mit der Möglichkeit, dem einen oder anderen Ziel Vorrang zu geben, damit aber auch die Alternative, eigene Bedürfnisse und Wünsche in den Diskurs einzubringen. Dies impliziert sowohl Erfolg als auch Scheitern der gepredigten Normen. Die Arbeit, die eine Gelenkstelle zwi1

Auf die Notwendigkeit der Ergänzung dieser beiden Teildisziplinen, hat schon Paul Althaus beim T h e m a von Gesetz und Evangelium hingewiesen. Vgl. P A U L A L T H A U S : Die Prinzipien der deutschen reformierten Dogmatik im Zeitalter der aristotelischen Scholastik. Leipzig 1 9 1 4 , S. 1 2 7 . Vgl. K L I E F O T H : Gesetz und Evangelium in der altlutherischen Dogmatik, S. 232.

Schluß

373

sehen Gelehrtenkultur u n d Volkskultur zum Untersuchungsgegenstand hat, analysierte vor d e m H i n t e r g r u n d der Theologie j e n e r Zeit die Bereitstellung von theologischer N o r m zur R e z e p t i o n . D a ß aus den von Seiten der T h e o l o g e n in der Predigt bereitgestellten u n d somit in den gesellschaftlichen Diskurs der Frühen Neuzeit eingebrachten Lehr- u n d Lebensinhalten nicht auf Frömmigkeitspraktiken des Volkes geschlossen werden darf, soll abschließend n o c h einmal deutlich angemerkt werden. Die Predigten geben lediglich über die Sollbestimmungen Auskunft, deren transformatorische Schwierigkeiten sich bereits in den sogenannten Einreden widerspiegeln. Letztere eröffnen aber die Chance, die von der Predigtnorm abweichenden Vorstellungen bereits in den Predigten zu fassen. Die Bereitstellung solcher N o r m e n ist für die Frage der R e z e p t i o n , auch u n d gerade innerhalb der Forschungsdiskussion zwischen Gelehrten- u n d Volkskultur, zwischen Theologie u n d Volksfrömmigkeit von größter Bedeutung. Bei der Transformation lutherischer O r t h o d o x i e sind, versucht m a n abschließend eine Bilanz zu ziehen, theologische T h e o r i e u n d theologische Praxis im Bereich der Lehre weitgehend komplementär. Die von den Predigern v o r g e n o m m e n e R e d u k t i o n führt auf dieser E b e n e zu keiner Verfälschung der theologischen Lehre. D e r Katechismus steht in prägnanter Kürze für die ideologische R e i n h e i t der Lehre, seine Verbreitung wird mit großer Energie durch Schule u n d Kirche betrieben. D e r Katechismus dient gleichermaßen als n a c h träglicher Beichtspiegel u n d als präventive Lebensorientierung. Als nicht komplementär dagegen erwiesen sich die Bereiche von Lehre u n d konkreten Handlungsanweisungen. Hierbei k o m m e n die angesprochenen O p t i o n e n z u m Tragen, die Alternativen eröffneten, die nicht in die umfassende Weltdeutung im Sinne lutherisch-orthodoxer Lehre zu integrieren waren. D i e Prediger griffen zur Einprägung u n d Durchsetzung ihrer N o r m - u n d Wertvorstellungen zu einer i m m e r stärker intensivierten Predigt des Gesetzes, was letztendlich zu einer Vergesetzlichung weiter Lebensbereiche führte u n d so eine zun e h m e n d e Moralisierung bewirkte, eine Entwicklung, die ihren theologischen Impuls von der melanchthonischen Lehre erhalten hatte. N u r so glaubten die Prediger protestantische Bußfrömmigkeit erwirken zu k ö n n e n u n d damit den Auflösungstendenzen, die sich durch die reformatorischen Veränderungen in der Theologie ausgebreitet hatten, in deren letzter Konsequenz Gott m e h r barmherziger Vater denn unerbittlicher R i c h t e r war u n d die folglich das Gesetz weniger bedrohlich werden ließen, entgegenwirken zu k ö n nen. 2 Die Folge dieses durch den Hammer des Gesetzes wachgehalteten S ü n denbewußtseins führte in einen Teufelskreis aus undeutlichem S c h u l d b e w u ß t sein u n d pharisäischer Selbstgerechtigkeit. Die Selbstverständlichkeit mit der, zwar n o c h nicht in Heerbrands K o m p e n d i u m , so doch von Hafenreffers Loci an, auf den tertius usus legis in der Theologie rekurriert wird, belegt den ge2

Vgl.

PANNENBERG:

Christliche Spiritualität, S. 17 f.

374

Schluß

setzlichen Charakter. In der Folge wird der Dekalog zur wichtigsten normierenden Kraft christlichen Lebens, zum Grundbuch christlicher Ethik schlechthin. Mithin ist eine Entwicklung zu konstatieren, die den langandauernden gesellschaftlichen Diskurs durch die Verflechtungen zwischen Theologie und Alltag fortschreitend komplexer werden ließ. 3 N e b e n starken Kontinuitäten lassen sich, wie oben gezeigt werden konnte, Tendenzen zu Veränderungen ablesen, die, auch wenn sie noch nicht Anlaß dazu geben, für die Mitte des 18. Jahrhunderts einen Triumph der neuen Normen zu diagnostizieren, doch einen allmählich einsetzenden Wandel andeuten. 4 B e i der Einbeziehung einer vertikalen Achse Predigt — Leben wird deutlich, daß die horizontale Achse der Konfessionsbildung erweiterungsbedürftig ist. 5 Dies darf freilich nicht dazu fuhren, nun die Lehre von der Praxis her in einem bestimmten Sinn zu interpretieren. Die Prädispositionen durch theologische Vorgaben, wie sie in den einschlägigen Kompendien vorliegen, müssen bedacht werden. Dabei fällt dann allerdings auf, daß die dogmatischerseits nachhaltig betriebene Konfessionalisierung auf der Ebene der Predigten mit einer intensiven Einprägung biblischer Verhaltensweisen einhergeht. Diese in einer mikrohistorischen Analyse gewonnene Beobachtung zeigt, daß einer der großen Entwürfe zur Erforschung der Frühen Neuzeit, das von Reinhard b e gründete und von Schilling übernommene Konzept der Konfessionalisierung, zu sehr generalisiert — von seinem Anspruch her wohl auch generalisieren muß. B e i der Analyse der Predigten zeigt sich, daß zwar, was die Einprägung der Lehre anbelangt, eine Konfessionalisierung sehr wohl betrieben wurde, aus Gründen der Selbstbehauptung und um des eigenen Heiles willen auch verfochten werden mußte. D o c h schon hierbei wurde deutlich, daß die Polemik, und mit ihr die konfessionelle A b - und Ausgrenzung, nicht den Platz eingenommen hat, der ihr bislang zugeschrieben wurde. Leider fehlen fundierte Studien zum Bereich der katholischen Konfessionalisierung, vergleichende Arbeiten wären hier von größtem Interesse. D o c h schon bei einer Gegenüberstellung mit der reformierten Konfessionalisierung fallen weitreichende Ubereinstimmungen vor allem im Bereich der täglichen Lebensgestaltung auf. Diese Erkenntnisse bestätigen in gewisser Weise die These Jean Delumeaus, der von einer eigentlich erst im Zeitalter der R e f o r mation einsetzenden Christianisierung ausgeht. 6 Sein Ansatz läßt j e d o c h das zweifelsohne aus den genannten Gründen notwendige Beharren auf dem Status confessionis zu sehr außer Acht. Das herausragende Merkmal der lutherisch-orthodoxen Lehre, die nie abgeschlossene Rechtfertigung, die das G e RUBLACK: Zur Problemlage der Forschung, S. 16. Vgl. CHARTIER: Gelehrtenkultur und Volkskultur, S. 383 f. 5 RUBLACK: Zur Problemlage der Forschung, S. 16. 6 Vgl. DELUMEAU: Angst im Abendland. Bd. 2, S. 607. Delumeau räumt dem Katechismus eine tragende R o l l e bei der Verdrängung des Heidentums ein. Vgl. SCRIBNER: Ritual and populär religion, S. 47. 3 4

Schluß

375

wissen, auf dem das Leben gründet, stets im Ungewissen läßt, findet darin keine Berücksichtigung. Verkirchlichung aller Lebensbereiche durch die lutherisch-orthodoxen Theologen wäre der angemessene Terminus für deren Zielsetzung. Vermutlich würde ein Vergleich mit der katholischen Konfessionalisierung 7 ebenfalls weitreichende Kongruenzen in den Frömmigkeitsstrukturen zwischen Protestantismus und Katholizismus erweisen und letztendlich ergeben, daß die Prediger meinten, mit der Einhaltung der christlichen Gebote Leben eher bewältigen zu können als mit der Verkündigung konfessioneller O r t h o doxie. Kemper, der bei einer Untersuchung zum Kirchenlied jener Epoche ähnliche Beobachtungen gemacht hat, zieht daraus den Schluß, daß hier Anknüpfungspunkte zu einer späteren religiösen Toleranz geschaffen wurden. 8 Die Betonung des Dekaloges sowie dessen gelehrte Ubereinstimmung mit dem Naturrecht, scheinen diese Beobachtung aus den Predigten heraus zu unterstützen. Ahnliches muß auf dem Hintergrund der vorliegenden Detailstudie auch zu Gerhard Oestreichs großem Entwurf der Sozialdisziplinierung angemerkt werden. Hierzu ist ebenfalls deutlich geworden, daß eine einseitig von oben nach unten verlaufende Sozialdisziplinierung das komplexe Phänomen der frühneuzeitlichen Disziplinierung, das in Verbindung mit Moralisierung, Entzauberung und Entsakralisierung der Welt einen Weg in die Moderne öffnet, nicht ausreichend zu beschreiben vermag. Zwar laufen bei der von Schilling in die Diskussion eingebrachten Unterscheidung von religiöser Sündenzucht und obrigkeitlicher Strafzucht die Motivationen in der Tat nicht parallel. Doch sind ihre sanktionierenden Folgen, und nur sie bestimmen den gesellschaftlichen Durchsetzungsgrad und damit die gesellschaftliche Relevanz, für den einzelnen in beiden Fällen dieselben. Dabei setzt auch Schillings Sündenzucht bei einer vertikal von oben nach unten verlaufenden Achse an. Die Lektüre der Predigten hat jedoch deutlich gemacht, daß die Prediger immer pointierter versuchten, die das ethische Verhalten prüfende und fehlerhaftes Verhalten verurteilende Instanz im Menschen selbst anzulegen. Sie erweiterten somit gewissermaßen die Kontrollinstanzen der Frühen Neuzeit um eine weitere Dimension, indem sie also nicht nur an Kirche und Obrigkeit verwei-

7 Liegt, wie beispielsweise zu pädagogischen T h e m e n , eine, wenn auch stark von katholischer Polemik gefärbte, Darstellung vor, so werden Kongruenzen sichtbar, die zugleich auf langandauernde Kontinuitäten verweisen. So kann es dort an die Adresse der Eltern gewandt heißen, sie sollen sich ihrer Kinder annehmen; umgekehrt an die Kinder gewandt, sie sollen ihre Eltern ehren. Eltern werden vor »falscher« Elternliebe ebenso gewarnt, wie bei der Erziehung an die Einhaltung des »rechten Maßes« zwischen Strenge und Milde erinnert wird. Vgl. C A R L B R A U N : Die katholische Predigt während der Jahre 1450-1650. Uber Ehe, Familie, Erziehung und Berufswahl. Würzburg 1904, bes. S. 1 4 28, S. 33 f., S. 41, S. 58 und S. 81 f. 8 KEMPER: Das lutherische Kirchenlied, S. 108 Anm. 66.

376

Schluß

sen, sondern an die Eigenverantwortlichkeit appellieren und damit zugleich das individuelle Leben, die persönliche Existenz, in eine umfassende Weltdeutung des Kosmos einordnen, die in der Rechenschaftsablegung im Jüngsten G e r i c h t ihren H ö h e p u n k t und zugleich ihr abschließendes Urteil fand. D i e in beiden eschatologischen Konzeptionen zentrale Position der R e c h e n schaftsablegung unterstreicht eindrucksvoll den gesetzlichen Charakter aller Verhaltensanweisungen der lutherischen O r t h o d o x i e . Dieser Apekt, dem bei aller R e k u r r i e r u n g a u f das traditionale Gesetz des Alten Testaments als M a ß stab menschlichen Handeln ein starkes Individualisierungspotential i n n e wohnt, weist in den B e r e i c h der Neuzeit hinüber und leistet einer Individualisierung der Gesellschaft Vorschub, freilich n o c h ohne den kollektiven B e zugsrahmen aus den Augen zu verlieren. Fragt man bei dieser E n t w i c k l u n g nach den Einflüssen des Pietismus, so m u ß festgehalten werden, daß die sogenannte zweite R e f o r m a t i o n im L u t h e r tum nicht erst im Pietismus stattfand. Gemessen an m a n c h e n Bestandsaufnahm e n ist dies zwar zutreffend, doch darf dabei nicht außer Acht gelassen w e r den, daß dem Pietismus hier vielfach »Erfolge« gut geschrieben werden, deren Disposition, dies v e r m o c h t e die vorliegenden Langzeitstudie deutlich nachzuweisen, eindeutig in die Z e i t der lutherischen O r t h o d o x i e fällt. Für eine » R e formation des Lebens« unter pietistischem Einfluß fehlen dagegen, zumindest in den hier untersuchten Predigten, die konkreten Alltagsbezüge, die direkte O r i e n t i e r u n g auf die praktischen Fragen alltäglichen Lebens. Vielleicht war es gerade der paränetisch-pädagogische Z u g lutherischer O r t h o d o x i e , der den Predigten den lehrhaften Charakter verlieh und den einzelnen dieser Art der Einprägearbeit überdrüssig werden ließ und nicht die Vermittlung dogmatischer Lehrinhalte. D i e Wertschätzung der persönlichen Gewissensentscheidung einerseits und die stereotypen Handlungsanweisungen andererseits gerieten so z u n e h m e n d in Widerspruch. D e r eher gefühlsmäßig orientierte und auf innere Frömmigkeit abzielende Ansatz der pietistisch b e einflußten Predigten stellte dazu eine Alternative bereit. Diese B e o b a c h t u n g macht erneut die große N ä h e zwischen lutherischer und reformierter Konfessionalisierung deutlich. D e r Pietismus sollte im Luthertum nicht als eine zweite R e f o r m a t i o n gewertet werden, sondern er sollte, wie bereits für die reformierte Konfession geschehen, als eine F r ö m migkeitsbewegung gewürdigt werden, zumindest wenn sie, wie in W ü r t t e m berg, innerhalb der etablierten Landeskirche blieb. Abschließend bleibt ein B i l d komplexer Lebenswirklichkeiten in der E p o che der lutherischen O r t h o d o x i e zu konstatieren. D i e von den T h e o l o g e n der lutherischen O r t h o d o x i e geleistete Transformation von theologischer Lehre in sozialethische Handlungsanweisung, mithin die Bereitstellung sozialethischer N o r m e n zur Integration in die Lebenswelt der Frühen Neuzeit zu analysieren, u m somit neue Zugangsmöglichkeiten zum P h ä n o m e n der Volkskultur zu erschließen, dies soll die vorliegende Studie leisten.

Anhang

Tugend- und Lasterspiegel (nach: Andreas Osiander: Beichtbüchlein, 1610)

Gottseligkeit Glaube, Vertrauen, Hoffnung Gebet Danksagung gegen Gott Gottselige, christliche Gespräche Feier des Sabbat Gottselige Betrachtung des göttlichen Wortes Fleißige Berufsausübung Gehorsam der Kinder Wahre Nächstenliebe Christliche Guttätigkeit Fürsichtigkeit Einigkeit, Friedfertigkeit Keuschheit, Zucht, Ehrbarkeit Schamhaftigkeit Mäßigkeit im Essen und Trinken Ehrliche Gewinnung der Nahrung Wahrheit Verschwiegenheit, Bedächtigkeit Gute Nachrede Erhaltung guten Gerüchts

Epicureische Sicherheit Unglaube, Zweifel, Demut, Hoffart Fluchen, Schwören, Lästern. Undankbarkeit Ärgerliche, leichtfertige Gespräche Entheiligung des Sabbat Epicureische Schandreden Faulheit im B e r u f Ungehorsam Feindschaft, Rachgier, Widerwille Lust, den Nächsten zu schädigen Frechheit Zwietracht, Uneinigkeit Unzucht, Hurerei, Ehebruch Unverschämtheit Trunkenheit, Ubermaß im Essen und Trinken Müßiggang Lüge Schwetzerey un[d] Wa[e]schhafftigkeit Außrichtung des Na[e]chsten Leichtfertige Verachtung des Gerüchts

380

Anhang

Exemplarische

Beschreibung eines christlichen

Lebens

Vom christlichen L e b e n / ein gu[e]lden A B C : (Christliches Haus-Gesangbuch (1664), S. 100,Vers 1 - 1 8 von insgesamt 24 Versen. Allein auf Gott setz dein Vertraun/ aufFMenschen Hu[e]lffsolt du nicht baun/ G O t t ist allein der Glauben ha[e]lt/ sonst ist kein Glaub mehr in der Welt. Bewahr dein E h r / hu[e]t dich fu[e]r Schand/ Ehr ist fu[e]rwar dein ho[e]chstes Pfand/ wirst du die Schantz einmal versehn/ so ists vmb deine ehr geschehn. Claff nicht zu viel/ sondern ho[e]r mehr/ das wird dir bringen Lob Vnd E h r / mit Schweigen sich verredt niemand/ Plaudern bringt manchn in Su[e]nd vnd Schand. D e m Gro[e]sten weich/ acht dich gering/ daß er dich nicht in Vnglu[e]ck bring/ dem Kleinsten auch keinVnrecht t h u / so lebst du sta[e]ts in Fried vnd R u h . Erheb dich nicht mit stoltzem M u t h / wann du bekommen hast groß G u t / es ist dir nicht darumb gegebn/ daß du dich dadurch solt erhebn. Gedenck der Armn zu aller Frist/ wann du von Gott gesegnet bist/ sonst dir das widerfahren k a n / Was Christus sagt vom reichen Mann. Hat dir jemand was Guts gethan/ da solt du allzeit dencken dran/ es soll dir seyn von Hertzen leid/ wanns deinem Na[e]chsten u[e]bel geht.

In deiner Jugend solt du dich/ zur Arbeit halten fleissiglich/ hernach gar schwer die Arbeit ist/ wann du zum Alter kommen bist. Kehr dich auch nicht an j e d e r m a n / der dir vor Augen dienen kan/ nicht alles geht von Hertzengrund/ was scho[e]n und lieblich redt der Mund. Laß keinVnfall verdrießen dich/ wo das Glu[e]ck wohnet bey dir nicht/ Anfang vnd Ende seyn nicht gleich/ wie solches gar offt findet sich. Ma[e]ssig im Z o r n sey allezeit/ vmb kleinVrsach erheb kein Streit/ durch Z o r n das Hertze nicht verblendt/ daß niemand recht damit erkennt. Nicht scha[e]m dich/ R a t h ich allermeist/ daß man dich lehr/was du nicht weist/ wer etwas kan/ den ha[e]lt man werth/ den Vngeschicktn niemand begehrt. O merck/ so einer fu[e]hrt ein Klag/ so solt du also bald die Sag/ nicht glauben vnd nicht richten fort/ sondern ho[e]ren deß andern Wort. Pracht vnd Hoffart meid u[e]berall/ daß du nicht kommest inVnfall/ mancher wa[e]r ein wohlhabnder Mann/ ha[e]tt er Hoffart vnd Pracht gelahn.

Anhang

381

Qua[e]l dich im Creutz vndTru[e]bsal nicht/ setz nur auff Gott dein Zuversicht/ es mo[e]gen dich viel fechten a n / d e m sey Trotz/ ers nicht lassen kan.

Sih dich wol fu[e]r/ die Zeit ist b o [ e ] ß / die Welt ist falsch v n d sehr g o t t l o ß / wilt du der Welt viel hangen a n / ohn Schad vnd Schand kompst nicht davon.

R u f F G o t t in allen N o [ e ] t h e n a n / Er wird gewißlich bey dir stahn/ er hilfft eim j e d e n auß der N o t h / der nur nach seinem Willen thut.

Tracht sta[e]ts nach d e m / was recht gethan/ obs gleich nicht lobet j e d e r m a n / es kans doch machen keinr also/ daß j e d e r m a n gefallen thu.

382

Anhang

Die Lehrstühle der Tübinger evangelisch-theologischen und ihre Inhaber im Überblick Jahr

1550 1551 1552 1553 1554 1555 1556 1557 1558 1559 1560 1561 1562 1563 1564 1565 1566 1567 1568 1569 1570 1571 1572 1573 1574 1575 1576 1577 1578 1579 1580 1581 1582 1583 1584 1585 1586 1587 1588

1.

Ordinarien 2.

Beuerlin

Käufflin

Frecht

Andreae

Heerbrand

Schnepf

3.

Extraordin.

Fakultät

Professor o. Lehrst.

Brenz

Vesenbeck

Gerlach

Gerlach

Sigwart

Anhang Jahr 1. 1589 1590 1591 1592 1593 1594 1595 1596 1597 1598 1599 1600 1601 1602 1603 1604 1605 1606 1607 1608 1609 1610 1611 1612 1613 1614 1615 1616 1617 1618 1619 1620 1621 1622 1623 1624 1625 1626 1627 1628 1629 1630

Andreae

Ordinarien 2. Heerbrand

383

3. Gerlach

Extraordin. Brenz

Professor o. Lehrst. Sigwart

Brenz

Heerbrand

Gerlach

Hafenreffer

Sigwart

Osiander, A

Hafenreffer

Sigwart

Hiemer

Hafenreffer

Osiander L

Thumm Nicolai

Osiander L

Thumm

Pregitzer

Reyhing

Reyhing

384

Anhang

Jahr 1. 1631 1632 1633 1634 1635 1636 1637 1638 1639 1640 1641 1642 1643 1644 1645 1646 1647 1648 1649 1650 1651 1652 1653 1654 1655 1656 1657 1658 1659 1660 1661 1662 1663 1664 1665 1666 1667 1668 1669 1670 1671 1672

Osiander, L.

Ordinarien 2.

Nicolai

3.

Extraordin.

Professor o. Lehrst.

Pregitzer

Schmid Philgus

Raith

Pregi tzer Wagner

Demmler Osiander,

JA

Raith

Raith

Osiand., JA

Wagner

Raith

Osiander,

Wölfflin

JA

Keller

Winter

Anhang Jahr 1. 1673 1674 1675 1676 1677 1678 1679 1680 1681 1682 1683 1684 1685 1686 1687 1688 1689 1690 1691 1692 1693 1694 1695 1696 1697 1698 1699 1700 1701 1702 1703 1704 1705 1706 1707 1708 1709 1710 1711 1712 1713 1714

Ordinarien 2.

385

3.

Extraordin.

Professor o. Lehrst.

Höchst. JA Oslander, JA

Keller

Müller

Häberlin

Jäger Jäger

Förtsch Jager Müller

Förtsch

Reuchlin

Pfaff, J C

Jäger

Reuchlin

Pfaff, J C

Höchst. AA

Klemm

Pfaff, J C

Hochstetter, JA Klemm

Frommann

386

Anhang

Jahr 1. 1715 1716 1717 1718 1719 1720 1721 1722 1723 1724 1725 1726 1727 1728 1729 1730 1731 1732 1733 1734 1735 1736 1737 1738 1739 1740 1741 1742 1743 1744 1745 1746 1747 1748 1749 1750 1751 1752 1753 1754 1755 1756

Jäger

Ordinarien 2.

3.

Extraordin.

ProFessor o. Lehrst.

PfafF, J C Höchst. AA HofFmann PFafF, C M

PfafF, C M

HofFmann

Osiander,

Weismann

JR

Weismann

Weismann

Hagmajer

Hagmajer

Bil finger

Klemm

Klemm

Klemm

Canz

Cotta

Pregi tzer

Quellenverzeichnis mit den Kurzbiographien der Tübinger Theologen 1. Die Predigten der Tübinger Theologen und deren Kurzbiographien1 A N D R E A E , JACOB: ( * 1 5 2 8 in Waiblingen, f 1590 in T ü b i n g e n ) : Vater: J a c o b Endris (Schmied in Waiblingen) M u t t e r : Anna Weißkopf Verheiratet seit 1 5 4 6 in 1. E h e m i t A n n a E n t r i n g e r (Tochter des J o h a n n E n t r i n g e r , T ü b i n g e n ) ; seit 1 5 8 5 in 2. E h e m i t R e g i n a geb. S c h a c h e r ( W i t w e des J o h a n n e s Brenzinger, Regensburg) 1 Die vollständige Titelaufnahme folgt CHRISTOPH WEISMANN: Die Beschreibung und Verzeichnung alter Drucke. Ein Beitrag zur Bibliographie von Druckschriften des 16. bis 18. Jahrhunderts. In: Hans-Joachim Köhler (Hrsg.): Flugschriften als Massenmedium der Reformationszeit. Beiträge zum Tübinger Symposion 1980 (Spätmittelalter und frühe Neuzeit, Bd. 13). Stuttgart 1981, S. 447-614. Die biographischen Daten wurden primär aus den Leichenpredigten der Tübinger Prediger erhoben und dann unter Berücksichtigung der folgenden Werke ergänzt: so durch die einschlägigen Artikel in der A D B , bei

CHRISTIAN GOTTLIEB J Ö C H E R : A l l g e m e i n e s

Gelehrten-Lexicon. Bd. 1-4. Leipzig

1 7 5 0 ff.

sowie bei LUDWIG MELCHIOR FISCHLIN: Biographia praecipuorum virorum qui a tempore Reformationis usque ad hanc nostram aetatem partim in Ducatu Wirtembergico verbum Domini decuerunt [...]. Bd. 1 - 2 mit Suppl. U l m 1709-1710. Die Daten konnten dankenswerterweise mit Frau Gudrun Emberger-Wandel, der Bearbeiterin des Tübinger Professorenkataloges, abgeglichen werden (Vgl. dazu Catalogus Professorum Tubingensium 1477-1977. Bearbeitet von Gudrun Emberger-Wandel unter Mitarbeit von Wolfram Angerbauer. Band 1 ist in Vorbereitung). Zusätzliche Informationen stammen aus ANGERBAUER: Das Kanzleramt an der Universität Tübingen, passim.Vgl. hier bes. die Stammtafeln 1 - 1 0 zu Heerbrand, Gerlach, Osiander, A., Hafenreffer, Osiander, L., Nicolai, Pregitzer,J. U., Wagner, Osiander, J. A., Keller, sowie Nr. 12 zu Jäger. Diese Stammtafeln geben Auskunft über Heiratskreise und Heiratsstrategien der württembergischen Geistlichkeit. Vgl. auch GOTTFRIED MÄLZER: Die Werke der württembergischen Pietisten des 17. und 18. Jahrhunderts (Bibliographie zur Geschichte des Pietismus, Bd. 1). Berlin, N e w York 1972. EUGEN GAUS: Tobias Wagner 1598-1680. Kanzler der Universität Tübingen. Heidenheim 1920. FRIEDRICH FRITZ: Theodor T h u m m , ein Vorkämpfer der lutherischen Kirche in der Zeit des dreißigjährigen Krieges. In: Luthertum 1939, S. 2 0 2 - 2 1 9 , S. 2 2 5 230. SAMUEL BAUR: Neues Historisch-Biographisch-Literarisches Handwörterbuch von der Schöpfung der Welt bis zum Schlüsse des achtzehnten Jahrhunderts. Bd. 5. U l m 1810. ERNST CONRAD: Die Lehrstühle der Universität Tübingen und ihre Inhaber (1477-1927). Tübingen (masch.) 1960. Das evangelische Württemberg. Seine Kirchenstellen und Geist-

388

Quellenverzeichnis

Schulbesuch in Waiblingen Besuch des Pädagogium in Stuttgart 1541 Immatrikulation in Tübingen 1543 Baccalaureus 1545 Magister, Studium der Theologie, Philososphie und der Hebräischen Sprache 1546 Diakon in Stuttgart 1548 Diakon in Tübingen 1549 erneute Immatrikulation 1549—1552 Katechet, Diakon in Tübingen 1553 Dr. theol.; Stadtpfarrer, Superintendent, Generalsuperintendent in Göppingen 1562 Prof. der Theologie in Tübingen 1562—1590 Kanzler der Universität Tübingen Bericht von der Erbsünde. || Darinn der vnder= || scheid zwischen der verderbten Natur || deß Menschen nach dem fahl | vnnd der || Erbsu[e]nde | bewisen vnd er= || klert | ||Vnd dem einfaltigen Layen ein richti= || ger weg angezeigt | wie er sich | vermo[e]g Gottes || Worts | ohn Verletzung der Ehr Christi | vnd seines Gewissens | zu || anstellung vnd erhaltung Christlichen friedens vnd ei= || nigkeit | verhalten | vnd in die new erregte || zwispalten schicken solle. || [...]. Tübingen: Georg Gruppenbach, 1575. ÜBT: Gf 53.4° (ang.). Zit.: Erbsünde. Christliche getrewe anleitung | ||Wo[e]lcher gestalt die rein || Lehr des heiligen Euangelions | in, den Kirchen | so bißher vnder dem Bapstumb gewe= || sen | ausser dem Catechismo. das ist | den sechs Haupt= || stucken Christlicher Lehr einfaltig | gru[e]ndtlich vnnd || fruchtbarlich gepflantzt | auch die jrrthumfb] vnd miß=¡breüch | so vor dieser zeit in die Kirch Gottes ein= || gerissen | mit Christlicher bescheidenheit | || abgeschaffen vnd gebessert ¡werden mo[e]gen | j|Verfaßt in etliche Predigen | in || wo[e]lchen die furnembsten Hauptstuck vnserer || Christlichen Religion | so eim Christen zuwissen notwen= || dig | recht vnd einfeltig erkla[e]rt werden | || gehalten zu[o] Wachendorff || [...]. Tübingen: [Ulrich Morhart Witttib], 1566. ÜBT: Gi 395.4° (ang.). Zit.: Christliche Anleitung. Christliche Predig | || Bey der Hochzeit deß || Ehrnuesten fu[e]rnemen | Herrn Jacob || Demlers |Vnderuogts zu Balingen | || den 3. tag Augusti ec. im 84. Jar || gehalten. || Darinnen der 128. Psalm Dauids ist || außgelegt worden. || [...]. Tübingen: Alexander Hock, 1585. ÜBT: L XIII.25.4°. Zit.: Hochzeitspredigt, 1585. liehen von der R e f o r m a t i o n bis auf die Gegenwart. Ein Nachschlagewerk. Gesammelt und bearbeitet von Christian Sigel. Bd. 1, 1 - 1 7 , 2. Gerbersheim 1910-1935 (mit N a c h trägen bis 1951 durch den Verfasser, bis 1977 durch das Landeskirchliche Archiv, Stuttgart). Die Liste ist nicht vollständig, es wurden nur die biographischen Daten jener Professoren berücksichtigt, deren Predigtwerk bzw. deren dogmatischen Schriften die Q u e l lengrundlage der vorliegenden Studie bildeten.

Quellenverzeichnis

389

Christliche Predigen || über ettliche Sonnta[e]gli= || che Euangelien. ||Von Anstellung nutzlicher Ordnungen | in der Kirchen || Gottes | in wo[e]lchen auch neben andern | heilsamen vnd nutz= || liehen Lehren | grundtlich vn[d] einfeltig die Jrrthumben er= ||kla[e]rt | vnd widerlegt | so diser zeit die Gemein || Gottes jrr machen vnd be= || tru[e]ben. || Gepredigt zu[o] Lawgingen | durch || [...]. Tübingen: Ulrich Morharts Witwe, 1562. HAB: 184.25 Theol. Zit.: Christliche Predigten. Christliche Reformation || Der Kirchen | in der lo[e]blichen des heiligen Rho[e]mischen Reichs || Cammer vnd Statt Hagenaw | vermo[e]g Got= || tes Wort angestellt. ||Verfasset in neunzo[e]hen Predigen | al= || len Christen | besonders aber denen | so noch || über den alten Herkommen | Breuchen vnd || Gewonheiten halten | nutzlich || zu[o]lesen | gestelet || [...]. Tübingen: Ulrich Morharts Witwe, 1566. ÜBT: Gi 395.4° (ang.). Zit.: Predigten in Hagenau. Christliche Trostschrifft | || an die armen betru[e]bten Christen | so || hin vnnd wider an vilen orten vmb der || reinen Lehr des Euangelij willen || angefochten vnd ver= || folgung lei= || den. || Jn wölcher auch vermeldet vnnd || kurtzlich widerlegt werden | die für= || nembsten Artickel der Leer | so auff dem Concilio zu[o] Trient be= schlössen. || [...]. Tübingen: [o. Dr.], 1564. ÜBT: Gi 394.4° (ang.). Zit.: Trostschrift. Christliche | notwendige vnd ernst= || liehe Erinnerung | || Nach dem Lauff der || jrdischen Planeten gesteh | Darauß || ein jeder einfeltiger Christ zusehen | was fu[e]r || glu[e]ck oder vnglu[e]ck | Teutschland diser || zeit zugewarten. Auß der verma= || nung Christi Luc. 21. in fünff || Predigten verfasset. || Dardurch hoch vnnd nider stands | || Pa[e]pstische vnd Lutherische | vom Fressen | Saufien | || Geitz | Abgo[e]tterey | lo[e]sterung des Namens Gottes |Vnzucht | || Sicherheit | Verachtung Gottes Worts | vnnd an= || dern Sünden | zu[o]r warhafftigen Bu[o]ß vnd || ernstlichen Gebett vermanet wer= || den. Gestellt || [...]. Tübingen: [o. Dr.], 1567. ÜBT: Gi 390.4° R (ang.). Zit.: Predigt vom Lauf der Planeten. Drey vnd dreissig || Predigen ||Von den £urnemb= || sten Spaltungen in der Christlichen || Religion | so sich zwischen den Ba[e]pstischen | Lu= || therischen | Zwinglischen | Schwenckfel= ||dern vnd Widerteuffern || halten. || Jn wo[e]lchen jedes theils Meinung || vnd Grund trewlich gesetzt | vnnd ein einfaltiger || Bericht vnnd Anleittung auß den sechs Hauptstu= || cken Christlicher Lehr gegeben würdt | wie ein jeder einfalti= || ger Lay | in solchem allem die Warheit erkennen | || vnd sich

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Quellenverzeichnis

Christlich darin schicken soll | || daß er in kein Sect verfu[e]= || ret werde. || Allen frommen Christen vnd einfaltigen || Pfarrern nutzlich zulesen. || Geprediget zu[o] Eßlingen | [...]. Tübingen: o.Dr., 1568. ÜBT: Gi 454.4°. Zit.: Predigten von Spaltungen. Dreyzehen Predigen vom ||Türcken. ||Jn wo[e]lchen gehan= || delt würdt von seines Regiments Vr= || sprung | Glauben vnd Religion | Vom Türcki= || sehen Alcoran | vnnd desselben grundtlicher Widerlegung durch || seins selbs des Alcorans Zeugnussen |Von seinem Glück vndWol= || fart | warumb jme Gott so lange zeit wider sein arme Christen= || heit zu[o]gesehen |Wie jhme zubegegnen | vnd wider || jhne glücklich zustreiten |Vnnd von || seinem endtlichen Vn= || dergang. || Geprediget durch [...] ||Allen Christen | besonders an denTürcki= || sehen Gräntzen | nutzlich vnnd tro[e]st= || lieh zulesen. || Denn Jnnhalt einer jeden Predig | wür= || stu Christlicher Leser gleich her= || nach finden. || [...]. Tübingen: Ulrich Morharts Witwe, 1568. ÜBT: Gi 394.4° (ang.). Zit.: Predigten vom Türken. Ein Christenliche Predig || wie der Mensch vor Gott gerecht werd= || de | so zu[o] Augspurg in werendem Reichstag | || aufF den Sontag Quasimodo= || geniti | Anno & c. LIX. || gehalten. || [...]. Tübingen: Ulrich Morharts Witwe, 1559. ÜBT: Gi 340.b.4°. Zit.: Predigt von der Rechtfertigung. Ein Christliche Predig= || über der Leich der Durchleüchtigen || Hochgebornen Fürstin vnd Frawen | Fraw || Sabina Hertzogin zu[e] Würtemberg | gebornen Her= ||tzogin in Bayern | hochlo[e]blicher vnd seliger || geda[e]chtnuß | zu[o] Tübingen den 2. || Septemb.Anno 1564. || [...]. Tübingen: Ulrich Morharts Witwe, 1564. ÜBT: Gi 394.4° (ang.). Zit.: Leichenpredigt Herzogin Sabina. Ein Christliche Predigt ||Vber das Euange= || lium a u f f d e n xxv. Sontag nach || Trinitatis | Matthei am 24. ||Von vielen vnd mancherley ver= || f.u[e]rungen in der Kirchen Gottes | vor || dem Ju[e]ngsten tage. ||Wie die eingefallene steitige Ar= || tickel vnter den Lehrern Augsp. Confession || dieser Landen Christlich vergliechen | || Vnd ein jeder Leye | aus seinem heiligen einfel= || tigen Kinder Catechismo gru[e]ndlich dieselbe ur= || theilen | vnd vor aller verfu[e]rung mo[e]ge || bewaret werden. || Gehalten zu Weimar | den 24. Nouemb. ||Anno 1577. Durch || ... [Leipzig: Hans Steinman, 1578. HAB:Yv 43 Heimst. 8°. Zit.: Predigt über Mt 24.

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Ein Christliche Predigt= || von dem eigentlichen verstand | war= || hafFtigem brauch | vnd vilfaltigem mißbrauch || des Hochwirdigen Sacraments des Leibs || vnnd Blu[o]ts Christi. || Gehalten zu[o] Tübingen auff den || Palmtag Anno 1566. || [...]. Tübingen: [o. Dr.], 1566. ÜBT: Gi 395.4° (ang.). Zit.: Predigt vom Abendmahl, 1566. Ein Christliche Predigt | von dem || grewlichen erschrockenlichen Laster || der Gotteslo[e]sterung. || Darinnen hoch vnnd || nider Stands | junge vnnd alte | beson= || ders aber | Christliche Haußua[e]tter | vnnd mennig= || lieh | erinnert vnd vermanet werden | solliche | bey verlust zeit= || licher vnd ewiger wolfart | ab= || zuschaffen. || Gehalten zu[o] Bebenhausen || [...]. Tübingen: Georg Gruppenbach, 1575. ÜBT: Gi 327.a.4°. Zit.: Predigt von der Gotteslästerung. Ein christliche || Pjedigt ||Von dem verbott der || Ehe | O b dieselbige Geistlichen || Personen | nach gethanem gelu[e]bdt der || Junckfrewlichen Keuscheit | erlaubt | oder nicht. || Zu Rittershausen den VII. || gehalten. || Durch || [...]. Heinrichstadt: Conrad Horn, 1571. HAB: 169.4 Theol. Zit.: Predigt vom Verbot der Ehe. Ein Christliche Predigt || von der Leyter Jacob | Genesis || 28. Darinnen klarlich vnd ein= || feltig angezeigt | || Was die recht | warhafftig | vralt | || Catholisch vnd einige Stege in Himmel || seye | [...] || Zu[o] Straßburg im Münster | als der zehen Stett der Landtvogtey Hagenaw || Gesandten daselbsten versandet | den || 18. Decembris | Anno 65. || gehalten || [...]. Tübingen: [o. Dr.], 1566. ÜBT: Gi 395.4° (ang.). Zit.: Predigt Leiter Jakobs. Ein Christliche Predig | || Auff den tag S.Jo= || hannis des Ta[e]ufFers | von || seiner Enthauptung. || Jn der Statt Franckfurt am Mayn | Pfarr= || kirchen zu[o] S. Bartholome geschehen | ||JmJar | 1557. || [...]. Tübingen: Alexander Hock, 1579. ÜBT: Gi 339.a.4° (ang.). Zit.: Predigt Johannes der Täufer. Ein Christliche Predig ||Vber das Euangeli= || on Matthei am 22. Cap. vom Ge= || setz | vnd der Person Christi. ||Jn wo[e]lcher von rechtem verstand vn[d] gebrauch des Gesetzes | deßgleichen vom || heiligen Euangelio | vnd der Person Christi | vnnd || dann auch von dem Hochwu[e]rdigen || Abendtmal deß Herrn | gehandelt wu[e]rdt | || Jn gegenwertigkeit deß Durchleuchti= || gen | Hochgebornen Fu[e]rsten vn[d] Herrn | Herrn || Ludwigen | Hertzogen zu Wu[e]rtenberg vnd

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Teck | Grauen || zu Mu[e]mpelgarten | ec. vnd jrer Fu[e]rstlichen Gna= || den geliebten Gemahels | ec. auch des || Fu[e]rsdichen Hofgesinds | || Gehalten Sontags | den 28. Septembris ||Anno | ec. 78. ||Jm Schonbuch | in Wu[e]rtenberg || [...]. Tübingen: Georg Gruppenbach, 1578. ÜBT: Gi 339.a.4°. Zit.: Predigt Mt 22. Eine Predigt | ||Vom grossen Abend= || mal | Luce am xiiij. Ca= || pittel. || Gethan zu Wittenbergk | v f f d e n || ersten SontagTrinitatis. || Durch || [...]. Magdeburg: [o.Dr.], 1579. HAB: 345.2 Theol. Zit.: Predigt vom großen Abendmahl. Hundert vnnd Siben || Schlußreden | von der Maiestet des || Menschen Christi | vnd seiner warhafftigen | || wesentlichen Gegenwertigkeit || im heiligen Nacht= || mal. || Hieuor a u f f d e r Hohenschu[o]l zu[o] Tü= ||bingen öffentlich disputirt | jetz aber auff begeren || viler gu[o]thertziger Christen in die Teüt= || sehe Sprach verdolmet= || sehet worden. || [...]. Ulm: Oßwald Gruppenbacher, 1564. ÜBT: Gf 142.a.4°. Zit.: Schlußreden. Notwendige Erinnerung ||Von der Teutschen || Bibel dolmetschung | sampt Widerle= || gung aller Vrsachen | darumb die Ba[e]p= || stischen den Layen die Bibel zule= || sen verbietten. || Wider || Die offenbare | vnuerschambte vnwar= || heit der Ba[e]pstischen Priester | darmit sie D. Lu= || thers dolmetschung verru[o]ffen | als solt die Bibel ||mehr dann in fünfftzo[e]henhundert orten durch jne ver= || felschet | vnnd allein auff solche verfel= || schung sein Lehr gegrün= || det sein. || Diser zeit allen frommen Christen | beson= || ders aber den Ba[e]pstischen Herr= || schafften nutzlich zu= || lesen. || [...]. Tübingen: [o. Dr.], 1568. ÜBT: Ge 581.4°. Zit.: Bibelübersetzung. Sechs Christlicher Pre= || dig über den ein vnd funffzigsten || Psalmen Dauids | geprediget || zu[o] Lawgingen | [...]. Tübingen: Ulrich Morharts Witwe, 1563. ÜBT: Gi 384.4° (ang.). Zit.: Predigten über Ps 51. Sechs Christlicher Pre= || dig von dem recht Christlich= || en vnd Geistlichen Closter leben | || geprediget zu[o] Lawgin= || gen | [...]. Tübingen: Ulrich Morharts Witwe, 1561. ÜBT: Gi 384.4° (ang.). Zit.: Predigten vom Klosterleben. Vier Christliche Predigten ||Vom Wucher. | Darinnen | neben der || Summarischen Außlegung ettlicher || Euangelien im Aduent | der eingefallne || Stritt vom Wucher || auß Gottes ||Wort erkla[e]rt. || Zu Regenspurg in der Newen Pfarr || Durch || [...]

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|| gehalten || 1. Cor. 11. ||Jst jemand vnter euch | der lust zuzancken hat | der wisse | daß wir || solche weise nicht haben | [...]. Tübingen: Georg Gruppenbach, 1589. ÜBT: Gi 327.4°. Zit.: Predigten vom Wucher. Vier Christlicher Pre= || digen. ||Vom Leiden Christi. ||Vom Fu[o]ßwaschen. ||Von der aufferstehung Christi. || Von der Meß | vnd gebrauch ei= || ner gestalt des Sacraments. || Zu[o] Oettingen gehalten | || [...]. Tübingen: [o. Dr.], 1565. ÜBT: Gi 313.4°. Zit.:Vier christliche Predigten. Zehen Predig von den || sechs Hauptstucken Christlicher Lehr || (Catechismus genan[n]t) allen Christlichen Hauß= || ua[e]ttern nutzlich zu[o]lesen | gepredigt || zu[o] Lawgingen | [...]. Tübingen: Ulrich Morharts Witwe, 1561. ÜBT: Gi 352.4° Gp (ang.). Zit.: Predigten in Lauingen. Personalien: O S I A N D E R , LUCAS I.

Ein Predig | || Bey der Leych | des Ehr= || wu[e]rdigen vn[d] Hochgelehrten H e r r n | Jacobi || Andreae | der heyligen SchrifFt D o c t o r n | || Probsts vnd Cantzlers bey der Uniuer= || sitet zu Tu[e]bingen. || Sampt einem kurtzen Summarischen be= || rieht | welcher gestaldt | Ehrngedachter H e r r | D. Jaco= || bus A n dreae seinen Abschied | von Magnifico D o m i n o R e c t o = || re vnnd Senatu der Universitet zu Tu[e]bingen | || Christlich vnd Selig genommen. || Gehalten zu Tu[e]bingen | den 9. Janua= || rij | Anno 1590. || Durch || [...]. Tübingen: Alexander Hock, 1590. ÜBT: L XVI. 41.4°. Zit.: Leichenpredigt Andreae.

FÖRTSCH, MICHAEL

(*1654 in Wertheim, f l 7 2 4 in Jena): Vater: Jakob Förtsch (Rotgerber und Ratsherr) Mutter: Margarethe Elbert Verheiratet in 1. Ehe mit Sophia Barbara Laiblin (Tochter des Baden-Durlachischen Kammerrates Laiblin); in 2. Ehe mit Klara Hedwig Hilger Besuch der Lateinschule in Wertheim; Sänger der Hofkapelle in Durlach und Stipendiat des dortigen Gymnasiums 1672 Studium der Philosophie und Theologie in Helmstedt, Jena, Straßburg Hofdiakon in Durlach 1686 Lic. theol. in Gießen Prof. für Theologie am Gymnasium in Durlach

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1698 Assessor des Konsistoriums 1699—1705 Prof. der Theologie in Tübingen 1699 und 1704 R e k t o r der Universität Tübingen 1 7 0 3 - 1 7 0 5 Prälat in Lorch 1 7 0 5 - 1 7 2 4 Prof. der Theologie in Jena Kurtze || Betrachtung || Go[e]ttlicher || Offenbahrungen | || Nach || Anleitung Pauli || Aus der || II. C O R I N T H . X I I , 2. 3. 4. || A u f hohe gna[e]dige Veranlassung || gefasset ||Von || [ . . . ] . Jena: Johann Michael Gollner, [um 1710]. Ev. Stift: 8° 8 6 2 7 - 1 7 . Zit.: Göttliche Offenbarung. [FÖRTSCH, MICHAEL:]

Theologisches R E S P O N S V M , || Betreffend || Das praetendirte tausenja[e]hrige || R e i c h Christi | die erdichtete Erlo[e]= || sung der Verdam[m]ten || Item || Ausserordentliche Offenbahrungen | den E n = || thusiasmum, Collegia Pietatis und Pietismum, und | wie mit denen zu verfahren | die dergleichen || hartna[e]ckig ergeben sind; || Hiebevor aufgesetzt und verfasset im Nahmen || eines Collegii von T h e o l o gis und Jure=Consultis, || versam[m]let u n d j e t z o herausgegeben || von || [ . . . ] . Jena: Christoph Krebsen, 1715. Ev. Stift: 8° 8 6 2 7 - 2 8 . Zit.: Responsum. Tu[e]bingischer || Valet=Seegen | || Welchen || Auß der Apostel Geschieht. X X . v. 32. || D e r werthen Gemeinde daselbst | || B e y || Seinem Abschied hertzlich mitgetheilet | [ . . . ] . Tübingen: Elerd Conrad Reinking, 1705. Ev. Stift: 5 an q 2 8 1 . Zit.: Valet-Segen. HÄBERLIN, GEORG HEINRICH

( * 1 6 4 4 in Stuttgart, f 1699 in Stuttgart): Vater: Johann Jakob Häberlin (Handelsmann und Gerichtsverwandter) Mutter: Barbara Pistor Verheiratet in 1. Ehe mit Agathe Maria Hingher (Tochter des Johann Christoph Hingher, Konsistorialrat und Stiftsprediger); in 2. Ehe seit 1679 mit Susanne Magdalene Textor (Tochter des Wolfgang Textor, R a t und Kanzleidirektor, Neuenstein) Schulbesuch in Maulbronn und Bebenhausen 1660 Immatrikulation in Tübingen 1663 Magister, Studium der Theologie 1664 Repetent 1668 Diakon in Leonberg 1669 Diakon in Cannstatt 1675—1681 Diakon in St. Leonhard sowie der Hospital- und Stiftskirche in Stuttgart 1681 a.o. Prof. der Theologie in Tübingen, Dr. theol. 1 6 9 2 - 1 6 9 9 Stiftsprediger und Konsistorialrat in Stuttgart 1695 designierter Prälat in Alpirsbach

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Christliche || Huldigungs=Predigt | || Uber 2. Chron. I. 7.== = 12. || [...] ¡Als der || Durchleuchtigste Fu[e]rst und Herr | || H E R R || Eberhard Ludwig | || Herzog zu Wu[e]rtemberg und Teck | || Graff zu Mo[e]mpelgart | Herr zu || Heydenheim | ec. || Den 6 ten . Februarii A N N O 1693. || Jn der Fu[e]rstlichen Haupt= und ResidenzStadt || Stutgart von dem Stadt=Magistrat und Burgerschafft || die Erb=Huldigung einnähme ||Jn der Stiffts=Kirchen daselbst abgelegt ||Von || Stuttgart: Paul Treuen, [1693], WLB: Theol. fol. Kaps. 24. Zit.: Huldigungs-Predigt.

Christliche || Predigt | || Uber die Wort Jerem. 4. v. 7. 8. || [...] || An dem Allgemeinen Wu[e]rtembergischen || Bet= Buß= und || Fast=Tag | || Den 23. Octobr. A N N O 1692. ||Jn der Stiffts=Kirchen zu Stutgart || abgelegt ||Von || [...]. In: Dieses Kriegs Entsetzlichkeit | || U n d der Büß Nothwendigkeit (| Jn vier unterschidlichen || Predigten || An dem ||Jn dem gantzen Herzogthum || Wu[e]rtemberg || Den 23. Octobr. Anno. 1692. || Gehaltenem allgemeinen || Buß= Bet= und || Fast=Tag. || Aus Jerem. 4/7. 8. U n d Psal. 85/ l. ==8. || Jn der Fu[e]rstl. Hof=Capell und Stiffts= || Kirchen zu Stuttgart || Vorgestellet. || Samt beygefu[e]gtem Gebett | welches an || solchem Tag auf allen Cantzeln in Stuttgart der || Gemeine fu[e]rgesprochen worden | und einem beson= || derm Gesang | wie auch einem Anhang von zweyen || absonderlichen Predigten. || [...]. [Stuttgart]: Paul Treuen, [o. J.]. WLB: Theol. oct. 20050. Zit.: Bußpredigt.

Christliche || Predigt | || Uber Jerem. XLIV. 9. 10. 11. || [...] || Z u m Angedencken || Deß vor vier Jahren zu Stutgart be= || schehenen Feindlichen Einfalls | und || bald darauf erfolgten Abzugs | || An dem || Deßwegen absonderlich angestellten || Buß= Danck= und || Fast=Tag | || Den 21. Decembr. Anno 1692. || Daselbst in der Stiffts=Kirchen gehalten ||Von || [...]. In: Dieses Kriegs Entsetzlichkeit | || U n d der Büß Nothwendigkeit || Jn vier unterschidlichen || Predigten || An dem ||Jn dem gantzen Herzogthum || Wu[e]rtemberg || Den 23. Octobr. Anno. 1692. || Gehaltenem allgemeinen || Buß= Bet= und || Fast=Tag. || Aus Jerem. 4/7. 8. U n d Psal. 85/ l.==8. ||Jn der Fu[e]rstl. Hof=Capell und Stiffts= || Kirchen zu Stuttgart || Vorgestellet. || Samt beygefu[e]gtem Gebett | welches an || solchem Tag auf allen Cantzeln in Stuttgart der || Gemeine fu[e]rgesprochen worden | und einem beson= || derm Gesang | wie auch einem Anhang von zweyen || absonderlichen Predigten. || [...]. [Stuttgart]: Paul Treuen, [o. J.]. WLB: Theol. oct. 20050. Zit.: Predigt über Jer 44.

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Frommer Christen || Hoher || Ehren=Stand | || aus H. Schrifft || hervor gesuchet || und || in Acht unterschiedlichen Ehren=Staffeln || zu betrachten vorgestellet || von || [...]. Stuttgart: Johann Weyrich Rößlin, 1676. W L B : Theol. oct. 10968. Zit.: EhrenstafFel. POSTILLA E P I S T O L I C A || V E R S I C U L A R I S , || Oder || Christliche Predigten || u[e]ber die || Sonn= Fest= und Feyrta[e]gliche || Episteln | || Darinnen dieselbe von Versicul zu Versicul, aus dem Grund= || Text erkla[e]ret | und wie sie ein jeder Christ zu Erbauung seines Christen= || thumbs nutzlich gebrauchen solle | einfa[e]ldg gezeiget wird. ||Jn der Forcht Gottes aufFgesetzet | || [...] ||Von || [...]. Stuttgart: Tobias Friedrich Coccijus, 1685. W L B : Theol. qt. 2952. Zit.: Epistel-Postille 1. POSTILLA E P I S T O L I C A || V E R S I C U L A R I S . || Oder || Christliche Predigten || u[e]ber die || Sonn= Fest= und Feyer= || ta[e]gliche Episteln | || Darinnen dieselbe von Versicul zu Versicul, aus dem Grund= ||Text erkla[e]ret | und wie sich ein jeder Christ deren zur Erbauung seines || Christenthums nutzlich bedienen mo[e]ge | einfa[e]ltig || gezeiget wird. ||Jn der Forcht Gottes ausgesetzt | [...] || von || [...]. Tübingen: Johann Heinrich Reisens Witwe, 1687. W L B : Theol. qt. 2952. Zit.: Epistel-Postille 2.

Personalien: WEISMANN, E H R E N R E I C H

Der mit Thränen Abscheidende || PAULUS. || vorgetragen || Aus der Apostel= Geschieht | c. X X . v. 25. 26. 27. 37. 38. || Als || Der Hochwu[e]rdig | Großachtbar | || und Hochgelehrte | || H E R R || Georg Heinrich Ha[e]berlin | || Der Heil. Schrifft DOCTOR|| || Hoch=Fu[e]rstl. Durchl. zu Wu[e]rtemberg Hochansehlicher || Consistorial=Rath | StifFts=Prediger | und || Praelat zu Alpirsbach: || Nach dem | Derselbe Ann. 1699. den 20. Aug [...] sanfft und seelig in dem H E r r n J E S U ent= | schlaffen | [...] || gehalten ||jn der Stiffts=Kirchen | || zu Stuttgart | || von || [...]. Stuttgart: Melchior Gerhard Lorber, 1700. W L B : Fam. Pr. Fol. Bd. U/1. Zit.: Leichenpredigt Häberlin.

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HAFENREFFER, MATTHIAS

(*1561 in Lorch, •)• 1619 in Tübingen): Vater: Matthias Hafenreffer (Schultheiß) Mutter: Anna Heinrichmann Verheiratet in 1. Ehe mit Agathe Brenz (Tochter des Johannes Brenz, Prof. der T h e o logie in Tübingen und Propst in Stuttgart; Witwe des Thomas Spindler, Pfarrer in Linz); in 2. Ehe mit Euphrosine Besserer,Tochter des Georg Besserer (Bürgermeister, Memmingen) Besuch der Klosterschulen in Lorch, St. Georgen, Hirsau 1577 Immatrikulation in Tübingen 1579 Studium im Ev. Stift 1581 Magister, Studium der Theologie 1586 Diakon in Herrenberg 1588 Pfarrer in Ehningen 1589 Hofprediger in Stuttgart 1592 Dr. theol. und Prof. der Theologie in Tübingen 1595/96, 1600, 1603/04, 1608/98, 1613/14 Rektor der Universität Tübingen 1596, 1610/11 Prorektor der Universität Tübingen 1 6 1 8 - 1 6 1 9 Kanzler der Universität Tübingen Candelabrum Aureum, || Das ist: || Predigt vom Beruff || vnd Ampt Christlicher Obrigkeit | auß || dem Vorbild des Gu[e]ldinen Leuchters | welchen || auff Go[e]ttlichen Befelch | zum Heiligthumb der ||Wohnung Gottes | Moses hat machen || sollen | Exod. 25. || Zu Tu[e]bingen den 22. tag Octobris || 1607. als Scholae Academicae Rectoratus, || dem Ehrnuesten vnd Hochgelehrten Herrn | S E B A S T I A N O || B L O S S I O , Medicinae Doctori, & Professori eiusdem Ordinario, || auf nechst vorgehen des Lucae Festum commen= || dirt worden. || Gehalten durch || [...]. Tübingen: Philipp Gruppenbach, 1608. W L B : Theol. 4° 2962. Zit.: Predigt von der Obrigkeit. D R e y Christliche || Predigten | von dreyen fu[e]rne= || men Jarfesten: || Die I. Von dem Fest Aller Heyligen. || Die II. Von dem Fest Aller Seelen. || Die III. Von dem heiligen Bischoff Martino. ||Jn welchen nicht allein die hieuorige || Pa[e]pstische Jrrthumb vnd Abgo[e]tterey | so auff|| solche Fest getriben | auß derselben eignen Scribenten | trewlich || angezeigt: sondern | wie wir dagegen gemelte Fest | nach innhalt Go[e]tt= || liehen Worts | Christlich begehen vnd halten sollen | kurtz= || lieh vermeldet vnnd gelehret || wu[e]rdt. || Gehalten zu Tu[e]bingen || Durch || [...]. Tübingen: Georg Gruppenbach, 1598. Ev. Stift: 8 an q 1735. Zit.: Predigten von Jahrfesten. Festum SS. Trinitatis, || dupliciter solenne. || Das ist: || Ein Christliche Predigt | von der || Heiligen | Hochgebenedeyten Drey= || fa[e]ltigkeit: || Vnd zumal || Gegen eben derselbi= || gen milten Dreyeinigkeit | hertzliche || Dancksagung | vor die Ju[e]ngste zu Franckfurt || Churfu[e]rstliche Wahl deß Aller Durcheuchtigsten vnd || Großma[e]chtigsten Fu[e]rsten vnd Herrn | Herrn M A T T H I A E II. J n ||Vngern

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vnd Bo[e]hem Ko[e]nigen | zu Ro[e]mischer Ko[e]nigli= || chen vnd ku[e]n£Ftigen Keis. Majest. || ergangen. || Gehalten zu Tu[e]bingen | in Fest Trinita= || tis, den 7. Junii: 1612. || Durch || [...]. Tübingen: Johann Alexander Cellius, 1612. WLB:Theol. 4° 2964. Zit.: Festum SS. Trinitatis Fried Bott | || das ist | || Ernstliche Erinnerung || auß Gottes Wort | daß wir Christen vnd || Kinder Gottes | friedlich vnd einig miteinan= || der leben | vnd keiner den andern mit Worten oder || Waffen freventlich verletzen solle. || Publicirt vnd gepredigt || a u f f d e n Newen JarsTag ||Anno 1613. in der StifFtskirchen zu Tu[e[bingen. || Durch || [...]. Tübingen: Dieterich Werlin, 1613. ÜBT: 4 A 63. Zit.: Friedensbot. 1. Multi vocati, Pauci Electi. || II. Primi Novissimi, Noviss. primi: || Das ist: || Zwi Christliche j Trostreiche | Predigten: ||Vber zween vornemme || Spru[e]ch Christi | von der Gnaden ||Wahl Gottes | in zweien Sonnta[e]glichen E= || vangelien | zu Tu[e]bingen erkla[e]rt. || Die Erste Predigt | || Dominica XX. Trinitatis 1607. von dem Ko[e]nige | der seinem || Sohn Hochzeit macht | Matth. 22. v. 1. || Die Ander Predigt | || Dominica Septuagesimae 1608.Von dem Haußvatter | der || Arbeiter in seinen Weinberg bestellet | Matth. 20. v. 1. || Durch || [...]. Tübingen: In der Druckerei Cellius, 1609. WLB:Theol. 4° 2966. Zit.: Predigt Multi vocati. IVBILAEVM SE= || CVLARE ECCLE= || siae Tubingensis. || Das ist: || Zwo Christliche Pre= || digten | welche auff dem Jubel= || vnd Danck Fest | Sontags den 2. Novemb. || 1617. zu Tu[e]bingen seind gehal= || ten worden. || Die Erste: || Durch j| [...] || Die Andere: || Durch || Iohan. Heinricum Hiemern | D. || [...]. Tübingen: Johann Alexander Cellius, 1617. ÜBT: Gh 272.4° (ang.). Zit.: Predigt Jubilaeum Ecclesiae. Leuchtpredigt | ||Vber dem Absterben ||Weilund des Ehrwu[e]rdiegn vn[d] Hoch= || gelehrten H.Jacob Heerenbrands der H. Schrifft || Doctorn vnnd Professorn | F. W. Rhats | auch Probsts der j| Kirchen vnd Cantzlers bey der Hoehenschu[e]l zu Tubingen: Welcher vff Donnerstag den 22. May 1600. vmb 11. vhr Vormuittag in Gott see= || lig verschieden | vnd volgenden Sambstag den 24. || eiusdem Ehrlich zur Erden bestattet ]| worden: |j Gehalten durch || [...]. Tübingen: Erhard Cellius, 1602. ÜBT: L XVI.137.4°. Zit.: Leichenpredigt Heerbrand LITANIA, || Das ist | || Gemein Ge= || bet | Christlicher Kir= || chen | darinn alle derselben || N o t vnd Anligen | Gott dem Allma[e]ch= || tigen | wöchentlich in der Ge= || mein vorgetragen wu[e[rd. || Erkla[e]rt ||Jn der Predigt | auf S. Jo= || hannis

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des Euangelisten Tag | Anno || 1604. Jn der Pfarrkirchen zu || TTu[e]wingen | || Durch || [...]. Tübingen: Georg Gruppenbach, 1605. WLB: Theol. oct. 7125. Zit.: Litania. Oratio lugubris || IN F U N E R E || Reverendi & Clarißimi Viri, || D O M I N I || A N D R E A E || O S I A N D R I , || S. S. T H E O L O G I A E D O C T O - || RIS EMINENTISSIMI, ILLUSTRISSIMI || Principis Wirtembergici Consiliarij prudentissimi, Acade= || miae Tubingensis Professoris dexterrimi, & Cancel- || larij dignissimi, Ecclesiaeqfue]; Praepositi vi- || gilantissimi, & c. || QVI VICESIMO P R I M O A P R I - || LIS, A N N I SALVTIFERI PARTVS, SVPRA MILLE- || simum sexcentesimum, septimo decimo, piè in Christo obdormivit, & || vicesimo quarto, ibidem in Tempio summo, honestè terrae || mandatus est. || Habita in Aula Theologorum || 13. Junij dicti Anni. || P E R || [...]. Tübingen: Theodor Werlin, 1617. ÜBT: L XVI.76.4° (ang.). Zit.: Oratio lugubris für A. Osiander. O R A T I O F U N E B R I S || IN O B I T U M || R E V E R E N D I ET || CLARISSIMI VIRI D. STEPHANI || GERLACHI SACROSANCTAE T H E O - || LOGIAE Doctoris & Professoris in Academia || Tubingensi celeberrimi, nec non in || Ecclesia Decani fide- || lissimi || Habita ibidem || Die ultimo Januarii 1614. || Per || [...]. Tübingen: Johann-Alexander Cellius, 1614. ÜBT: L XVI 97.4° (ang.). Zit.: Oratio funebris für Gerlach. O R A T I O FV= || NEBRIS, || IN || Reverndum & Clarißimum Virum, || D N . J O HAN= || N E M - G E O R G I V M || SIGWARTVM SS. T H E O L O G I A E || Doctoren Praestantissimum, ejusdem in Illustri ||Tubingensi Academia Professorem dexterrimum, Ec= || clesiae ibidem Decanum, & Stipendii Ducalis Superat= || tendentem vigilantissimum: qui officio Rectoratus de= || fungens, die quinta Octobris, Anni Millesimi Sex= || centesimi Octavi decimi, piè in Christo || obdormivit. || DICTA P E R || [...] || In Aula Nova, die 27. Januarij, Anni Sexcentesi= || mi undevigesimi. || [...]. T Ü B I N G E N : Johann-Alexander Cellius, 1619. ÜBT: L XVI. 87.4° (ang.). Zit.: Leichenrede Sigwart. Predigt | || BEy Hochzeitlichem || Ehrnfeste | des Wu[e]rdigen vnd || Wolgelehrten H. Magistri Ioannis Balthasari || Plieningers | Diaconi zu Canstat vnd Margarethae | Wei= || lund des Ehrwu[e]rdigen vnd Hochgelehrten Herrn Johann Andreae | Fu[e]rst= || liehen Wu[e]rtembergischen Rhats | vnd geweßnen Praelaten || zu Ko[e]nigsbrunn | Eheleiblichen hinderlassenen Toch= || ter; Gehalten zu Tu[e]bingen | den 5. No= || uembris 1605. || Durch || [...]. Tübingen: Georg Gruppenbach, 1606. ÜBT: Gi 892.4°. Zit.: Hochzeitspredigt.

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P R I M I N O V I S S I M I : || N O V I S S I M I P R I M I . || Das ||Vber das || SOnnta[e]gliche || Evangelium | D o m i = || Haußvatter | der Arbeiter in seinen W e i n = || berg ten zu Tu[e]hingen | den 2 4 . ||Januarij | A n n o 1 6 0 8 . T ü b i n g e n : In der Druckerei Cellius, 1 6 0 8 . W L B : T h e o l . 4° 2 9 6 8 . Z i t . : Primi novissimi.

ist: || Predigt vnd Erkla[e]rung || nica Septuagesimae von dem bestellet. Matth. 2 0 . 1 || G e h a l || D u r c h || [ . . . ] .

Z w o Christliche Predigen g e = || halten | || ALs d e m D u r c h = || leuchtigen | H o c h g e b o r n e n || Fu[e]rsten vnd H e r r n | H e r r n J o h a n n Fride= || riehen | Hertzogen zu W u [ e ] r t e m b e r g vnd T e c k | Graven || zu Mu[e]mpelgart | H e r r n zu H e y d e n h e i m ec. D i e Erbhuldi= || gung erstattet worden. || D i e erste || Z u Stutgardten in der Stifftskir= || chen | durch M . T o b i a s Lottern | Spital= || predigern vnd Special S u p e r i n t e n denten daselb= || sten. D e n 1. tag Martij | An: 1 6 0 8 . || D i e Ander | || Z u Tu[e]bingen in der Pfarrkirchen | D u r c h || [ . . . ] . Stuttgart: Gebhard G r i e b e n , 1 6 0 8 . Ü B T : 17 A 7 0 8 4 (ang.). Z i t . : Predigt bei Erbhuldigung. HAGMAJER, CHRISTIAN ( * 1 6 8 0 in Blaubeuren, f 1746 in Tübingen): Vater: Johann Georg Hagmajer (Gerichtsverwandter) Mutter: Waldburga Oswald Verheiratet seit 1712 mit Maria Juditha Korn (Tochter des Tobias Heinrich Korn, Stiftsverwalter, Stuttgart) Besuch der Klosterschulen in Blaubeuren und Bebenhausen 1699 Immatrikulation in Tübingen 1700 Baccalaureus 1702 Magister, Studium der Theologie 1704 theologisches Examen, Vikar in Wildberg, Kemnat und Frickenhofen 1706 Repetent 1711 Diakon in Tübingen 1716 Prof. für Logik und Metaphysik in Tübingen 1721 R e k t o r der Universität Tübingen 1726 Dr. theol., a.o. Prof. der Theologie in Tübingen 1730 Prof. der Theologie in Tübingen 1733 Prorektor der Universität Tübingen 1738 R e k t o r der Universität Tübingen 1741 Resignation aus Altersgründen, Prälat in Hirsau Das D e n c k m a h l || der Liebe J E s u || in der Einsetzung || des || Heiligen || Abendmahls, || Hat || am Sonntag Invocavit An. 1 7 3 4 . || in einer Predigt || u[e]ber diese W o r t e in der Leidens= || Geschieht J E s u Christi || betrachtet, || [ . . . ] dem D r u c k e || u[e]berlassen || [ . . . ] . T ü b i n g e n : J o h a n n Christoph Löffler (Verleger), [o.J.]. Ü B T : Gi 2 0 4 5 . a. 8°. Zit.: Abendmahls-Predigt.

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D e r Weg GOttes | || Welcher || Aus der Epistel an die Hebr. Cap. X I . 6. || Bey der || Tauff= Handlung || Eines gewesenen || Libertiners oder Athei, || Nahmens || Justinus Liebermann | || D o m . II. post Trinit. den 3 . J u n . 1731. || [...] || in der Stiffts=Kirchen zu Tu[e]bingen || gezeiget, || [...] || Mit einer || Historischen Nachricht || U n d || GantzerTaufF= Handlung | || [...] ||Von || [...]. Tübingen: [o. Dr.], Carl Gottlieb Ebertus (Verleger), [o. J.]. Ü B T : Gi 3045.8°. Zit.: Tauf-Predigt. Huldigungs=Predigt, || Als Der || Durchlauchtigste Fu[e]rst und Herr, || H E R R || Karl Alexander, || Hertzog zu Wu[e]rtemberg und Teck, || Graf zu Mo[e]mpelgardt | Herr zu Heydenheim ec. || Ritter des Gu[e]ldenen Vliesses | Jhro R o [ e ] m . Kayserl. || Majestafe] wu[e]rcklicher Geheimbder Rath ec. || Unser Gna[e]digster Fu[e]rst und Herr, || J n Begleitung || Seiner Durchlauchtigsten Frau Gemahlin, || F R A U E N ||Augusta Maria, || Regierenden Hertzogin zu Wu[e]rtemberg und Teck ec. || G e bohrnen Fu[e]rstin von T h u m | Valsaßina und Taßis ec. || Unserer Gna[e]digsten Fu[e]rstin und Frauen, || Zu Tu[e]bingen in eigner Ho[e]chster Gegenwart || von der Universita[e]t und Stadt || Die Erb=Huldigung || annahmen, || [...] ||Von || [...]. Tübingen: Johann Heirich Philipp Schramm, [o.J.]. W L B : Theol. fol. 780. Zit.: Huldigungspredigt. Zwey || Abend=Predgiten | || Deren Erste || Am Heil. Christ=Tag || Uber die gewohnliche Lection Tit. II. vers. 11-14. || Die Andere aber || Am Heil. Neuen=Jahrs=Tag || Uber den X X V I I I g s t e n Psalmen || gehalten | || [...]. Tübingen: [o. Dr.], Theodor Metzlers Witwe (Verleger), 1728. W L B : Theol. 4° 2974. Zit.: Zwei Abend-Predigten. Zwey || Casual= || Predigten | || Deren die Eine || Bey Einweyhung || Des neu=erbauten scho[e]nen || Orgel=Wercks ||Jn der Kirchen zu St. Georg. || D o m . X I . p.Trin. den 24gsten Aug. 1732. || Die andere aber || Wegen wohl heimgebrachter || E m d e || Den Donnerstag darauf, || GOtt zu Ehren und der Gemeinde || zur Erbauung, || gehalten, || [...] ||Von || [...]. Tübingen: [o. Dr.], Carl Gottlieb Ebertus (Verleger), [o.J.]. W L B : Theol. oct. 7158. Zit.: Zwei Casualpredigten. Zwey || Geistliche R e d e n | || welche an denen Fest=Tagen || D e r || Menschwerdung || und Beschneidung || C H R I S T I || an die Christliche Gemeinde zu Tu[e]bingen || Abends || den 25. Dec. 1729. und 1. Jan. 1730. || gehalten || [...] || von || [...]. Tübingen: Anton Heinrich R ö b e l , [o.J.]. W L B : Theol. 8° 7161. Zit.: Zwei Geistliche R e d e n . [HAGMAJER,

CHRISTIAN:]

I. N. J. C. || Eine Christliche || Unterweisung, || W i e wir dieses X X V I I s t e Jahr, || auch unter denen Tru[e]bsaalen, dan= || noch wohl, nicht nur anfangen, sondern || auch hinbringen ko[e]nnen, || Welche || Aus dem X X V I I s t c n Psalmen || An dem ||

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N e u e n Jahrs=Tage || Abends der Christlichen G e m e i n d e zu Tu[e[bingen || gegeben, || [ . . . ] . [O. O . , o. Dr., o . J . ] . W L B : T h e o l . 4° 2 9 7 5 . Zit.: Unterweisung.

HEERBRAND, JACOB ( * 1 5 2 1 in Giengen/Brenz, f 1600 in Tübingen): Vater: Andreas Heerbrand (Weber) Mutter: Barbara Martin Verheiratet seit 1547 mit Margarethe Stamler (Tochter des Konrad Stamler, Bürgermeister in Tübingen und Hofgerichtsassessor) 1536 Besuch der Lateinschule in U l m 1538 Studium in Wittenberg bei Luther und Melanchthon 1543 Magister 1544 Diakon in Tübingen 1548 mußte er sein Amt wegen des Interims niederlegen; Studien in Tübingen (Hebräisch) 1550 Dr.theol., Superintendent in Herrenberg 1552 gemeinsam mit Brenz, Beurlin undVannius als Gesandter inTrient 1556 Durchfuhrung der Reformation in Baden, gemeinsam mit Andreae und Sulzer 1557 Prof. der Theologie in Tübingen 1559, 1563, 1568, 1572, 1577, 1581, 1596, 1688 R e k t o r der Universität Tübingen 1561 Prof. der Theologie in Tübingen, Dekan, Superintendent am Ev. Stift 1590 Kanzler der Universität Tübingen und Propst 1599 Resignation aus Altersgründen Antwort vnd || Abfertigung || D e r Fragstuck vnnd A n t = || wort von dreien strittigen || Artickeln | na[e]mlich | || 1. V o m Hochwu[e]rdigen Sacrament des Altars. || 2. V o m Fegfewr | vnd Todtenhu[e]lfF. || 3. Von der Abgestorbnen Heiligen Fu[e]rbitt | vnnd || Anru[e]fFung. || So von G e o r g Scherern Jesui= || ten | auß D o c t o r Martin Luthers | vnd || anderer Schrifften zusamen gezogen. || [ . . . ] . T ü b i n g e n : [o. Dr.], 1 5 8 8 . Ü B T : G h 6 6 7 . a . 8 ° (ang.). Zit.: Fragstück. D i e erste Predig | v o m || alten vnd newen Glauben | A u f f den || ersten Sontag desß Aduents | auß d e m n e u n d = || ten Capitel deß Propheten Zacharia || gethon | || A m Sontag i m Aduent | A n n o | ec. 6 9 . || Euangelium Matthei. 2 1 . || In: Heerbrand, J a cob: Achtzehen Christlicher || Predigen | ||Von mancherley G o t t = || seliger M a t e r i en. || Z u Tu[e]bingen | nach vnd nach zu vnder= || schiedlichen zeitten gehalten. || D u r c h || [ . . . ] . T ü b i n g e n : Alexander H o c k , 1 5 8 6 . Ev. Stift: q 1 7 0 7 . Zit.: Predigt v o m neuen und alten Glauben.

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Ein Büß predig | || Auß dem dritten Capi= || tel deß Heiligen Prophe= || ten Jonas. || Von wegen der jetzigen gefahrlichen vnd ge= || schwinden zeit vnd Leuff. || Gehalten zu Tübingen | an S. Bartholome= ||us | deß H.Apostels tag. || Durch || [...]. Tübingen: Alexander Hock, 1583. ÜBT: Gi 424.4° (ang.). Zit.: Bußpredigt Jona. Ein Christliche Predig || A u f f d e n Sontag der || heiligen Dreyfaltigkeit | u[e]ber das || Euangelium Johannis am 3. Cap. von der H. || Dreyfaltigkeit | Widergeburt | Erbsu[e]nd | Verdienst Christi | || Rechtfertigung des Glaubens | vnd einigen Weg zu || dem ewigen leben | || Zu[o] Tübingen gehalten | || Durch || [...]. Tübingen: Georg Gruppenbach, 1575. ÜBT: Gi 365.4° (ang.). Zit.: Predigt von derTrinität. Ein Predig vnd auß= ||legung vber den fu[e]nffvnd sechtzigsten || Psalmen Dauids. || Zur dancksagung gegen Gott | fu[e]r || manigfeltige seine gnad vnd gaben | Vnd we= || gen deß Reichen Herpsts dises Jars. || Am tag Simonis vnd Judae | zu || Tu[e]bingen gethon | || Durch || [...]. Tübingen: Alexander Hock, 1584. Ev. Stift: 11 an q 1764. Zit.: Predigt über PS 65. Ein Predigt || Von aller Heiligen || Tag vnnd Fest | auff den 22. Sontag | nach Trinitatis | welcher war der || letste Weinmonats. || Gehalten zu Tu[e]bingen || Durch || [...]. Tübingen: Georg Gruppenbach, 1591. Ev. Stift: 3 an q 1661. Zit.: Predigt von Allerheiligen. Ein Predigt ||Von der herrlichen gna= || denreichen Sighafften vnd Tro[e]stlich= || en Himmelfahrt Christi: || Am tage der Him[m]elfahrt | zu Tübingen gehalten: || Durch || [...]. Tübingen: Alexander Hock, 1580. ÜBT: Gi 365.4° (ang.). Zit.: Predigt von der Himmelfahrt. Ein Predig | ||Vom fasten. ||An dem ersten Sontag in der fasten | ||Jnuocauit genandt | zu Tübingen || gehalten. || Durch || [...]. Tübingen: Alexander Hock, 1578. ÜBT: Gi 365.4° (ang.). Zit.: Predigt vom Fasten. Ein Predig | || Von dem erschrocken= || liehen Wunderzeichen am Himmel | || dem newen Cometen | oder Pfaw= || enschwantz | Gehalten zu Tübingen den 24. Sontag || nach Trinitatis | wo[e]lcher is. der 17. ||Wintermonats | Durch || [...]. Tübingen: Georg Gruppenbach, 1577. ÜBT: Gi 18.4°. Zit.: Predigt vom Kometen.

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Ein Predig | ||Von der hohen Schul || zu[o] Tübingen | Christlichem Jubel ||Jar | den 20. tag Hornungs || gehalten. || Jn gegenwertigkeit des Durchleuchtigen hoch= || gebornen Fu[e]rsten vnnd Herren | Herren Ludwigs || Hertzogen zu Wirtemberg vnndTeck | Graffen zu ||Mümpelgart ec. Sampt seiner Fu[e]rstlichen || Gnaden geliebten Gema[e]helin | auch ande= || rer verwandter Fu[e]rsten | Graf= || fen | Herren | ec. |j Durch || [...]. Tübingen: Alexander Hock, 1578. ÜBT: Gi 19.4°. Zit.: Predigt von der Hohen Schule. Ein Predig | ||Von der Keuscheit. || Am andern Sontag nach Epipha= || nia gehalten zu Tübingen. || Durch || [...]. Tübingen: Alexander Hock, 1578. ÜBT: Gi 365.4° (ang.). Zit.: Predigt von der Keuschheit. Ein Predig || An | und von dem fron= || leichnams tag Christi | gehalten || zu Tübingen. || Durch || [...] || Den 18. Junij. Anno | ec. 84. || Tübingen: Alexander Hock, 1584. Ev. Stift: 6 an q 1764. Zit.: Predigt von Fronleichnam. Ein Predig ||Vom Straal | so || zu[o] Tu[e]bingen den XIX. || Brachmonats | diß 1579. Jar || eingeschlagen. || Durch || [...]. Tübingen: Alexander Hock, 1579. ÜBT: Gi 424.4° (ang.). Zit.: Predigt vom Strahl. Ein Predig ||Von dem Christkind= || lein | auffden Christag z u T ü = ||bingen gehalten | || Durch || [...] || Dem Heiligen Christkindlein zu lob | |j Ehr vnd Preiß. || [...]. Tübingen: Alexander Hock, 1582. ÜBT: Gi 365.4° (ang.). Zit.: Predigt vom Christkindlein. Ein Predig || Von dem einigen rich= || tigen Weg | zu dem ewigen || leben. || Zu Tübingen | am tag der heyligen Apostel | Phi= || lippi vnd Jacobi | Anno 1580 vber den scho[e]nen Her= || liehen sprach | Joannis am 14. Capitel. Jch bin der Weg | || die warheit | vnnd das leben. || Durch || [...]. Tübingen: Alexander Hock, 1580. ÜBT: Gi 365.4° (ang.). Zit.: Predigt vom ewigen Leben. Ein Predig ||Von der Seelentag || vnd was demselbigen anha[e]ngig | || Nemblich dem Fegfewer. || Darinnen ||Vom vrsprung desselbigen | auch || was | vnd wo es seye | Jtem wie den armen || Seelen darauß geholffen | sampt der Wider= || legung dessen allem | gehandlet. || Durch || [...]. Tübingen: Alexander Hock, 1592. Ev. Stift: 4 an q 1661. Zit.: Predigt vom Allerseelentag.

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Herbst vnnd Erndt || Predig | aus dem 26. Capitel | || des fu[e]nfften Buchs Mosis. || Zur Dancksagung | fu[e]r den reich= || en Herbst vnd Ernd | dises gegen= || wertigen Jars. || Gehalten den 9. Wintermonats | zu[o] Tübinge[n]. || Durch || [...]. Tübingen: Alexander Hock, 1584. ÜBT: Gi 424.4° (ang.). Zit.: Ernte-Predigt. Leichpredigt || Bey der Begrebnuß || weilund des Durchleuchtigen | Hoch= || gebornen Fürsten vnd Herrn | Herrn Christoffs | || Hertzogen zu[o] Mümpelgart | ec. hochlo[e]blicher vnnd seliger || Gedechtnuß | zu[o] Tübingen in der Stiffts || oder Pfarrkirchen | da die Leich || zu[o] der Erden be= || stattet || Durch || [...] Den || andern Tag Jenners | Anno Domi= || ni, M. D. LXIX. || gethon. || [...]. Tübingen: [o. Dr.], 1569. ÜBT: Gi 365.4° (ang.). Zit.: Leichenpredigt Herzog Christoph. O R A T I O FVNEBRIS, || de vita, & obitu, || R E V E R E N D I E T || CLARISSIMI VIRI, || PIETATE, ERV= || D I T I O N E , SAPIENTIA, E T VSV, ATQVE || experientia rerum, Protestantissimi, D. Iacobi Andreae, sacrosanctae || Theologiae Doctoris, & Professoris celeberrimi, & incompara= || bilis, Academiae Tubingensis Cancelllarij, & Praepo= || siti Ecclesiae dignissimi, Habita, || A, || [...]. Tübingen: Alexander Hock, 1590. ÜBT: L XVI 41.4° (ang.). Zit.: Oratio funebris. Proppfung vnd Ab= || fertigung || Des vermein= || ten | newlich außgebru[e]= || teten Euangelischen ||Wetterhanen. || [...]. Tübingen: Georg Gruppenbach, 1588. ÜBT: Gh 667.a.8° (ang.). Zit.: Propfung. Rettung || Des kleinen Cat= || techismi D. Luthers | ||Vnd Bericht || Auff vnnnd wider der Jesuiter || zu Gra[e]tz | boßhafftige | du[e]ckische ver= || bo[e]serung | verfa[e]lschung vnnd verstu[e]mp= || lung desseligen. || Gestellt || Durch [...]. Tübingen: Georg Gruppenbach, 1587. ÜBT: Gf 352.a.8° (ang.). Zit.: Rettung des Kleinen Katechismus. Von dem Heyligen Go[e]tt= || liehen || Eheorden. || EJn Predig | aufF || den andern Sonntag nach || Epiphania | von der Hochzeit zu[o] Cana || inn Gallilea | gehalten zu[o] ||Tübingen | || Durch || [...]. Tübingen: Alexander Hock, 1580. ÜBT: Gi 193.4°. Zit.: Predigt von der Ehe.

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HOCHSTETTER, ANDREAS ADAM ( * 1 6 6 8 in Tübingen, f 1718 in Tübingen): Vater: Johann Andreas Hochstetter (Prof. der Theologie) Mutter: Anna Catharina Linde Verheiratet seit 1692 mit R e g i n e Barbara Cammerer (Tochter des Elias R u d o l f C a m merer, Prof. der Medizin in Tübingen) Besuch der Klosterschule Maulbronn 1680 Immatrikulation in Tübingen 1683 Baccalaureus 1685 Magister, Studium der Theologie 1 6 8 8 - 1 6 9 0 Bildungsreise 1 6 9 0 / 9 1 Diakon in Tübingen 1697 a.o. Prof. für Dichtkunst und Beredsamkeit unter Beibehaltung des Diakonats 1698 Prof. für Moral 1 7 0 2 - 1 7 0 5 Bibliothekar der Universität Tübingen 1705 a.o. Prof. d e r T h e o l o g i e in Tübingen 1707 Prof. d e r T h e o l o g i e in Tübingen 1711 Oberhofprediger und Konsistorialrat in Stuttgart 1712 zugleich Prälat von St. Georgen 1 7 1 5 - 1 7 1 7 Prof. derTheologie in Tübingen 1700, 1708, 1716 R e k t o r der Universität Tübingen Christliche Leichpredigt || U b e r || Esaiae LVII. 1.2. ||Von schneller h i n w e g n e h mung der F r o m m e n || auß diesem Leben | || B e y sehr trauriger und Volckreicher Leich-Bestattung || D e ß H o c h - E h r w u [ e ] r d i g e n und Gottseligen T h e o l o g i . || H E R R N || C H R I S T O P H O - || R I R E U C H L I N I , || D e r Heil. Schrifft Doctoris, und h o c h b e - || ru[e]hmten Professoris bey lo[e]bl. Universita [e]t Tu [e] hingen | wie || der Stifftskirchen daselbst D e c a n i , und deß Hoch-Fu[e]rstl. j|Theologischen Stipendii treuverdienten Superattendentens: ||Welcher || N a c h gottes H . W i l l e n j den 11. Junii, dieses 1 7 0 7 d e n Jahrs | N a c h - || mittags nach 2. U h r | in seinem Erlo[e]ser Jesu Christo sanfft und || seelig verschieden j || U n d den 13. darauff | als am PfingstM o u t a g e [!] | || dem Leibe nach | [| in sein R u h e - K a [ e ] m m e r l e i n | || bey u n g e m e i n e m B e t r u [ o ] b n i ß und Leid-bezeugung || gebracht worden; || gehalten | || U n d auff vieler Christlichen Hertzen insta [ejndiges || verlangen || Z u m T r u c k u[e]bergeben || von || [ . . . ] . T ü b i n g e n : J o h a n n C o n r a d Eitel, 1 7 0 7 W L B : Fam. Pr. 2 0 8 6 1 Zit.: Leichenpredigt R e u c h l i n . Christliches D e n c k m a h l | || A u ß Hebr. X I I I . 7 . || B e y sehr trauriger und volckreicher Leichbega[e]ngnis | || D e ß Hochwu[e]rdigen | Hochachtbaren und H o c h g e e h r t e n || H E R R N | Hjoh. Adam Osianders | || S. T h . D o c t o r i s und vilja[e]hrigen weitberu[e]hmten || Professoris Controversiarum, auch Hochangesehenen || C a n t z lers bey lo[e]bl. Universität Tu [e] hingen | und || Probsten der Stiffts=Kirchen allda; ¡ W e l c h e r den 2 6 . O c t o b r i s , nachmittags nach 2. || U h r e n in dem H E R R N J E s u seelig entschlafen | und den 28. ¡ b e s a g t e n Monats im Jahr Christi 1 6 9 7 . am Tage

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S I M O N I S || und J U D A E zur Erden bestattet worden | ||Jn der Furcht deß H E r r e n vorgetragen | ||Von || [...]. T ü b i n g e n : G e o r g - H e i n r i c h R e i ß , 1698. Ü B T : L X V I . 1 3 2 . 4 ° (ang.). Zit.: Leichenpredigt J . A. Osiander. D e r || Wohlgefa[e]llige und immer || vo[e]lligere || Christen= || Wandel j || [...] deß 1717den Jahres || Auß d e m || Siebenzehenden Psalm || Davids || D u r c h Sieben Stuffen gezeiget | || [...] ||Von || [...]. T ü b i n g e n : H i o b Franken, [o. J.]. W L B : T h e o l . oct. 8271. Zit.: Christenwandel. [...] Tu[e]bingisches || Liebes= und Segens= || D e n c k m a h l : || Als Derselbe || Sein bißhero getragenes Statt=Pfarr=Amt abgeleget | || und nunmehro || nach Gottes Heiligem Willen [ ||und auff ergangenen Gna[e]digsten B e r u f f u n d H o h e n Befehl || Sr. Hochfu[e]rstl. Durchl. || deß R e g i e r e n d e n H . Hertzogs || zu Wu[e]rtemberg ec. ec. || Das A m t eines Consistorial-Raths und || O b e r = H o f = P r e d i g e r s || zu Stuttgart antretten solte; || in einer Christlichen Abschieds=Predigt || u[e]ber das Evangelium am X . Sonntage nach Trinit. A n n o 1711. || [...]. T ü b i n g e n : J o h a n n G e o r g Cotta, [o.J.]. Ev. Stift: 56 an q 1959. Z i t . : T ü b i n g e r Liebesdenkmal. [ . . . ] || D e r H . Schrifft D o c t o r i s u n d Profess. Ordinarii, || Christliche || Antritts=Predigt | ||Vom || Fu[e]rbilde || D e r || H e i l s a m e n Worte | || Als D e r s e l b e || N a c h G O t t e s H e i l i g e m Willen | || U n d || A u f e r g a n g e n e n Gna[e]digsten B e r u f f u n d H o h e n B e f e h l || Sr. H o c h = F u [ e ] r s t l . D u r c h = || lauchtigkeit deß R e g i r e n d e n H e r r n || H e r z o g s zu W u [ e ] r t e m b e r g | ec. ec. || D a s A m t eines C o n s i s t o r i a l - R a t h s || U n d || O b e r = H o f = P r e d i g e r s || Z u Stuttgart angetretten; || A u s d e m E v a n g e l i o a m X I I I . Sonnt, nach Trinit. Luc. X . 23—37. || J n Hochfu[e]rstl. H o f = C a p e l l e gehalten ||l [•••]• Stuttgart: Paul Treuen, 1711. W L B : T h e o l . 4 ° 3285. Zit.: Antrittspredigt.

[HOCHSTETTER, ANDREAS ADAM:]

P I E T A S W I R T E M B E R G I C A , || D i e Treue Wirtembergs | || U b e r || D e r am X I I . Octobris, dieses 1711. Jahres | in Franckfurt am Mayn || glu[e]cklich=vollzogenen || Hoch=gewu[e]nschten Wahl || D e ß Aller=Durchlauchtigsten | Großma[e]einigsten und || Unu[e]berwindlichsten Fu[e]rsten und H e r e n | || H E R R N || C A R O L I VI. || J n Hispanien und Jndien | auch zu H u n g a r n || und B o [ e ] h e i m Ko[e]niges | Ertz=Hertzogs || zu Oesterreich | ec. ec. Z u m || R o [ e ] m i s c h e n Ko[e]nige und Ka[e]iser | || An d e m e von || Sr. Hochfl. Durchlauchtigkeit d e m R e g i e r e n = || den H e r r n Hertzogen z u W i r t e m b e r g | ec. || A u f den X X I . Sonntag nach Trinitatis, er-

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meldten Jahres Gna[e]digst || verordnetem allgemeinem || D a n c k = Freuden=Fest ||Jn Hochfl. H o f = C a p e l l e zu Stuttgart bezeuget | [ . . . ] . Stuttgart: Augustus Metzler (Buchhändler), 1 7 1 1 . Ev. Stift: 8° 3 9 4 7 . Zit.: Frühe-Predigt.

und

Personalien: PREGITZER, GEORG CONRAD ( * 1 6 7 5 in Tübingen, f 1749 in Tübingen): 1691 Immatrikulation in Tübingen Magister und Repetent Diakon in Calw Diakon in Tübingen 1720 (Honorar-)Prof. der Theologie in Tübingen 1740 Prälat zu Murrhardt S A N C T U M S O L I L O Q U I U M || P I I T H E O L O G I E T D E V O T I C H R I S T I A N I , || Das ist: || Eines from[m]en T H E O L O G I und eifferigen Christen || heiliges Gespra[e]ch mit sich selbsten | |Aus d e m C X V I . Psalmen | v. 7. 8. [ . . . ] ||Als D e r || Hochwu[e]rdige | H o c h = A c h t b a r e und H o c h g e l e h r t e || H E R R || Andreas Adam || Hochstetter | || D e r Heil. Schrifft H o c h b e r u [ e ] h m t e r || D O C T O R und Professor Ordin. bey Lo[e]blicher || Universita[e] zu Tu[e]bingen | auch bey der Stiffts=Kirchen daselbst |] Hochverdienter Pfarrer und S U P E R I N T E N D E N S , Hochfu[e]rstl. || Wu[e]rtembergischer C o n s i s t o r i a l - R a t h | Abbt zu St. G e o r g e n | || und der Z e i t || R E C T O R M A G N I F I C U S , || D e n X X V I . April, an e i n e m M o n t a g A. 1 7 1 7 . in d e m H E r r n seelig entschlaffen | || [ . . . ] || von || [ . . . ] . T ü b i n g e n : Joseph Sigmund. Ü B T : L X V I 17.2° [o.J.]. Zit.: Leichenpredigt für A . A . Hochstetter.

HOCHSTETTER, JOHANN ANDREAS ( * 1 6 3 7 in Kirchheim/T., f 1720 in Bebenhausen): Vater: Johann Conrad Hochstetter (Pfarrer) Mutter: Anna R e g i n a Kieser Verheiratet seit 1660 in 1. Ehe mit Elisabeth Barbara Cuhorst (Tochter des Gottfried Cuhorst, schwäbischer Generalmünzwardein); in 2. Ehe seit 1666 mit Anna Catharina Linde (Tochter des Johann Georg Linde, Klosterpräzeptor in Bebenhausen) Besuch der Klosterschule in Bebenhausen 1651 Immatrikulation in Tübingen 1652 Baccalaureus 1654 Magister, Studium der Theologie 1655 Repetent, anschließend Vikar in Göppingen, Kirchheim/T. und Stuttgart 1659 Diakon in Tübingen 1668 Pfarrer in Walheim

Quellenverzeichnis 1672 Dekan in Böblingen 1677 Ephorus in Tübingen 1678—1681 Prof. für Griechische Sprache 1681 Prof. der Theologie in Tübingen 1682 herzoglich-württembergischer Rat, Generalsuperintendent Maulbronn 1689 Prälat von Bebenhausen 1685 Mitglied des größeren Ausschusses der Landschaft 1699 Mitglied des kleineren Ausschusses der Landschaft

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und Prälat von

[HOCHSTETTER, JOHANN ANDREAS:]

Kurtze || Anweisung || Die gewohnliche || Catechismus= || Lehr | || Nutzlich und erbaulich || zu treiben. || J n vier unterschiedlichen || P R O J E C T E N || gezeiget | || [...] samt || dem Hoch=Fu[e]rstl. Rescript [...]. Stuttgart: Paul Treuen, 1701. W L B : Theol. oct. 495. Zit.: Catechismus-Lehre.

Personalien: WEISMANN, FRIEDRICH

CHRISTOPH

Christliche || L e i c h = S E R M O N || Aus den Worten Pauli 2. C O R I N T H . V . v. 6. 7. 8. 9. || Uber das seelige Absterben || D e ß || Hoch=Wu[e]rdigen | Hoch=Achtbaren und || Hoch=Gelehrten || H E R R E N | || Johann Andrea[e] || Hochstetters | || D e r H. Schrifft hochberu[e]hmten D O C T O R I S , || und weiland P R O F E S S O R I S O R D I N A R I I || bey der Lo[e]bl. Universit[e]t Tu[e]bingen | ||Jhro Hochfu[e]rstl. Durchleucht zu Wirtenberg || Raths | Pra[e]laten des hohen Closters Bebenhausen | || G E N E R A L - S U P E R I N T E N D E N T E N S , und bey Lo[e]bl. Land= || schafft E n gern Ausschusses A S S E S S O R I S und S E N I O R I S , || Als Derselbe || Freytags den 8. Nov. 1720. in dem 84igstenjahr seines Alters | || [...] sanfft und still eingeschlaffen | [...] || gehalten || von || [...]. Tübingen: Joseph Sigmund, [o. J.]. Ü B T : L X V I 17.2°. Zit: Leichenpredigt J. A. Hochstetter.

NICOLAI, M E L C H I O R

(*1578 in Schorndorf, f 1659 in Stuttgart): Vater: Melchior Nicolai (Bürger und Gerichtsverwandter). Mutter: Ursula Sattler (Tochter des Hans Michael Sattler, Notar, Stadtschreiber in Schorndorf) Verheiratet seit 1603 in 1. Ehe mit Catharina Detz, geb. Nutzbeck (Witwe des Melchior Detz, Ratsherr in Waiblingen, Tochter des Elias Nutzbeck, Waiblinger Gerichtsverwandten); seit 1638 in 2. Ehe mit Margarethe Thumm, der Witwe des Theodor Thumm (Prof. der Theologie in Tübingen)

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Quellenverzeichnis

Besuch der Lateinschulen in Schorndorf und Stuttgart; der Klosterschule in Blaubeuren; dann Lehre als Bäcker in Herrenberg. K o m m t auf Anraten des Speziais und einiger Freunde der Eltern dann auf das Contubernium nach Tübingen 1596 Immatrikulation in Tübingen 1596 Baccalaureus 1598 Magister; Studium der T h e o l o g i e im Stift 1 6 0 3 Diakon in Waiblingen 1607 Pfarrer in Stetten im Remstal 1617 Dekan und Pfarrer in Marbach 1619 Dr. theol. 1 6 1 9 - 1 6 2 5 Superattendent des Ev. Stifts und a.o. Prof. d e r T h e o l o g i e in Tübingen 1620 auf Prälatur Anhausen versetzt; 1621 Versetzung wieder rückgängig gemacht 1625 Prälat in Lorch und Assessor der württembergischen Landschaft 1627 Prälat in Adelberg und Generalsuperintendent 1 6 3 1 - 1 6 5 0 Prof. d e r T h e o l o g i e in Tübingen 1632 R e k t o r der Universität Tübingen 1 6 3 8 Prokanzler der Universität Tübingen 1650 Propst zu Stuttgart, Geheimer R a t und Visitator der Universität Tübingen und der Klöster O r a t i o || D E ||Vita & obitu || A d m o d u m R e v e r e n d i & excellentissimi Viri, || L V C A E O S I A N = || D R I , S. S. T H E O L . D O = || C T O R I S E X I M I I , E T I N A C A = || D E M I A T V B I N G E N S I P R O F E S S O R I S C E = || leberrimi, Ecclesiae ejusdem P r a e positi, & Vniver= || sitatis Cancellarij dignissimi, anno, post || C h r i s t u m natum, m i l lesimo, S e x c e n = || tesimo tricesimo Octavo, 10. Aug. || horä n o c t u r n a 12. piè in C h r i = || sto, defuncti. || Habita || ä || [ . . . ] . T ü b i n g e n : Philibert B r u n n , 1 6 3 8 . Ü B T : L X V I . 1 2 9 . 4 ° (ang.). Z i t . : Leichenrede L. Osiander. Christliche Predigt | ||Von vnterschiedlichen || Erdbidemen | || W e l c h e sich hin vnd wider | die W o = || c h e n vor vnd nach D o m i n i c a Laetare, im lo[e]b= || liehen H e r t z o g t h u m b W u [ e ] r t e m b e r g | mit grossem || S c h r e c k e n der E i n w o h n e r | b e g e b e n | vnd || zu getragen | || Gehalten D o m i n i c a Laetare, in der || StifFtskirchen zu Stuttgart| || [ . . . ] || D u r c h II [•••]• Stuttgart: J o h a n n W e y r i c h R ö ß l i n , 1 6 5 5 . W L B : T h e o l . 4° 5 0 0 5 . Zit.: Erdbeben-Predigt.

Personalien: [KNOLL, E . ] Leichenpredigt fiir M e l c h i o r Nicolai. Predigttext und Titelblatt fehlen. I m E x e m plar der Ü B T ist nur der Personalienteil erhalten. Ü B T : L X V I 132.4°. Z i t . : Leichenpredigt N i c o l a i .

Quellenverzeichnis

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OSIANDER, ANDREAS

( * 1 5 6 2 in Blaubeueren, f 1617 in Tübingen): Vater: Lucas I. Osiander (Dekan von Blaubeuren; Hofprediger) Mutter: Margarethe Entringer (zuvor verheiratet mit Caspar Leyser, Pfarrer in W i n nenden) Verheiratet seit 1584 mit Barbara Heiland, Tochter des Samuel Heiland 1576 1577 1579 1582 1584 1586 1589 1592 1598 1599 1605

Immatrikulation in Tübingen Baccalaureus Magister, Studium der Theologie Repetent am Ev. Stift Diakon in Urach Pfarrer und Superintendent in Güglingen Hofprediger und Konsistorialrat in Stuttgart Dr. theol. Prälat in Adelberg Generalsuperintendent von Adelberg Prof. der Theologie, Kanzler der Universität Tübingen und Propst der Stiftskirche

Beicht: Lehr: Trost: vnd B e t = || bu[e]chlin | || Guthertzigen vnd || einfa[e]ltigen Christen zu N u = || tzen | sonderlich aber fu[e]r die || liebe Jugend zusamen || getragen |Vnd an j e t z o vfFs N e w reuidirt: Mit zu E n d angeheng= || tem Register der Gebet vnnd || Dancksagungen zu || Gott || Durch || [ . . . ] . Tübingen: Georg Gruppenbach, 1610. W L B : Theol. oct. 1 3 3 0 4 . Zit.: Beichtbüchlein. Christliche Leichpredig: || Bey der Begra[e]b= || nus j || Weiland deß || Ehrnvo[e]sten vnnd || Hochgelehrten Herrn, M . Georgi Burckar= || di seeligen | geweßnen vilja[e]hrigen vnd ge= || trewen Professoris, bey der Vniversitet || zu Tu[e]bingen. ¡¡Auffden 10. Maii | Anno || 1607. gehalten || Durch || [ . . . ] . Tübingen: In der Cellischen Druckerei, 1607. Ü B T : L X V I 77.4° (ang.). Zit.: Leichenpredigt Burckhard. Christliche Leichpredigt | || Bey der Begra[e]b= || nus | weylund des E h r n u e = || sten vnd Hochgelehrten Herrn | M . M A R T I = || NI C R V S I I , ansehenlichen vnd h o c h erlebten Professoris seeligen | bey der Vuiuersitet || zu Tu[e[bingen. ¡ A u i F d e n 2 7 . Febr. Anno 1607. gehalten | || Durch || [ . . . ] . Tübingen: Philipp Gruppenbach, 1607. Ü B T : L X V I 7 7 . 4 ° (ang.). Zit.: Leichenpredigt Crusius. Creutz Predigt | || Das ist | || Erkla[e]rung des Euan= || gelij | so man A m Tag des H. Apostels || Bartholomaei, der Christlichen Gemein || Fu[e]rzulesen vnd außzulegen pflegt. ||Vnd wu[e]rdt in diser Predigt sonderlich || dauon gehandlet | wie die C h r i sten sich in allerley || begegnenden Creutz vnd Tru[e]bsal mit gedult schicken sol-

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Quellenverzeichnis

len | vnd || selbige durch Gottes Gnad seeliglich vberwinden || mo[e]gen. || Gehalten zu Tu[e[hingen am Tag Bar= || tholomaei, Anno 1607. || Durch || [...]. Tübingen: Philipp Gruppenbach, 1608. ÜBT: L XVI 77.4° (ang.). Zit.: Kreuzpredigt. Ein Christliche Predigt | ||Wie man das Newe ||Jar anfahen | vnd volgends ||biß zu einem seeligen End | Christlich || leben soll. || Gehalten zu Stuttgarten in der Fu[e]rst= || liehen Hof Capell | aufF den Newen Jars= || tag | als man hat anfahen zehlen | ec. || XCVIII. || Durch || [...]. Tübingen: Georg Gruppenbach, 1598. Ev. Stift: q 1735. Zit.: Neujahrspredigt. Ein Christliche Predig | || So am Vierten || Sontag nach Epiphaniae, Anno || 1609. vber das gewonliche Son= || ta[e]gliche Euangelium || Zu Mu[e]mpelgardt gehalten || ist worden | || Durch || [...]. Mömpelgart: Jacob Foillet, 1609. WLB:Theol. 4° 5160. Zit.: Predigt von der Sturmstillung. EinVestung Predigt. ||Auß den Worten Salomonis | || Prouerb. 18. v. 10. || [...] ||Jn beysein des Durch= || leuchtigen Hochgebornen Fu[e]rsten vnd || Herrn | Herrn Friderichen | Hertzogen zu Wu[e]r= || temberg | ec. aufF der weitberhu[e]mpten vnnd herrlichen Vestung || Hohen Twiel | am Sontag Trinitatis Anno 94. ge= || halten | [...] II Durch || [...]. Tübingen: Georg Gruppenbach, 1594. WLB:Theol. 4° 5164. Zit.: Festungspredigt. Leichpredigt | || BEy der Begra[e]b= || nus weiland der Ehrnrei= || chen vnd Tugentsamen Frawen Christodora || Ku[e]rrwangin | gebornen Engelhartin | || des Ehrnuesten vnnd Hochgelehrten H e r r n | Georg || Ku[e]rrwangen | der R e c h t e n Doctoris, vnd Keys. Cammer= || gerichts zu Speyr geweßten Aduocaten vnd Procura= || toris | ec. seeliger geda[e]chtnus hinderlaßner || Wittib | || So den 24. Januar. A n n o 608. zu Tu[e]bingen || ehrlich zur Erden bestattet worden. || Durch || [...]. Tübingen: Philipp Gruppenbach, 1608. ÜBT: L XVI 77.4° (ang.). Zit.: Leichenpredigt Kürrwangin. Praesentation || Predigt | || Zu Stuttgart in der Stiffiskirch || gehalten. || Als der Ehrwu[e]rdig || vnd Hochgelehrt | Herr Erasmus Grie= || ninger (hievor Abbt vnd General Superin= || tendens zu Maulbrunn) zur Probstey zu Stuttgart || investirt ward. || Am Zehenden Sontag nach Tri= || nitatis | Anno 1614. || Durch || [...]. Tübingen: Dieterich Werlin, 1614. WLB:Theol. 4° 5158. Zit.: Präsentationspredigt.

Quellenverzeichnis

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Sterb Predigt | || Am Sechszehenden || Sontag nach Trinitatis, auß anlei= || tung des Sonta[e]glichen Euangelij | zu ||Tu[e]bingen gehalten | || Durch || [...]. Tübingen: Philipp Gruppenbach, 1607. ÜBT: L XVI 77.4° (ang.). Zit.: Sterbpredigt. Vocation ||Vnd || Ampts=Predig | ]| Den Andern || Sontag nach Trini= || tatis Anno 1605. gehalten | vnnd || [...] || Durch || [...]. Tübingen: In der Cellischen Druckerei, 1607. ÜBT: L XVI 77.4°. Zit.: Vocationspredigt. Wu[e]rtembergisches || Communikanten=Bu[e]chlein || für || junge und fa[e]ltige Leute, || so || zum Tisch des Herrn || gehen wollen. O. O.: 1809 (ND). ÜBT: L XIII 180 (ang.). Zit.: Communicantenbüchlein.

ein-

OSIANDER, LUCAS II.

(*1571 in Stuttgart; f 1638 in Tübingen): Vater: Lucas I. Osiander (Hofprediger) Mutter: Tabitha Engel (2. Frau des Lucas I. Osiander, Tochter des Veit Engel, Pfarrer in Waldenbuch) Verheiratet in 1. Ehe mit Elisabeth Rhiden; in 2. Ehe mit Maria Jakobina Daser; in 3. Ehe mit Barbara Schropp 1585 Immatrikulation in Tübingen 1586 Baccalaureus 1590 Repetent am Ev. Stift 1591-1594 Diakon in Göppingen 1596 Ernennung zum Politischen Rat 1597 Pfarrer in Schwieberdingen 1601 Dekan in Leonberg 1606 Dekan in Schorndorf 1612 Prälat in Bebenhausen 1616 Prälat in Maulbronn 1619 Dr. theol. und Prof. der Theologie 1620 Kanzler der Universität Tübingen Ein Christliche Predigt | || Bey der Ein= || weyhung || einer newgebawten Kirchen | vnd || Einsegnung eines newen Pfarrern | zu Renningen. || Auß dem andern Capitel der Epistel Pau= || Ii an die Epheser. j | Gehalten || zu Renningen | den 23. Sontag ||Trinitatis, An. 1602. || Durch || [...]. Tübingen: Georg Gruppenbach, 1603. WLB: Theol. qt. 5267. Zit.: Predigt in Renningen.

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Quellenverzeichnis

Ein Christliche Predigt | ||Von der leidigen vnd ver= || damblichen || F R A T E R N I T E T || oder BruderschafFt | deß || R e i c h e n Manns | || Gehalten j || Auß dem Evangelio | am Er= || sten Sontag nach Trinitatis | vom || R e i c h e n Mann | vnd Armen Laza= || ro | Luc. 16. Anno 1621. || Durch || [...]. Tübingen: Dieterich Werlin, 1622. Ev. Stift: 16 an q 1653. Zit.: Predigt von der Fraternität. Oratio Funebris || In Exequijs, [| Reverendi & Clarißimi Viri, || Dn. M A T T H I A E || H A F E N R E F F E R I , S. S. || T H E O L O G I A E D O C T O R I S || E M I N E N T I S S I M I , J L L U S T R I S S I M I || Principis Würtembergici Consiliarii Prudentissimi, Academiae || Tubingensis Professoris dexterrimi, & Cancellarij dignis= || ssimi, Ecclesiaeqfue]; Praepositi Vigilantissi= || mi, & c. || Qui Vicesimo secundo Octobris, Anno à nato Chri= || sto supra millesimum sexcentesimum, decimo nono, piè & placidè in Chri= || sto obdormivit, & vicesimo quarto mensis eiusdem, publico in= || genti luctu, honestè sepultus est. || Habita in Aula Theologorum nova X I . Januarij, || Anno M . D C . X X . |j P E R || [...]. Tübingen: Dieterich Werlin, 1620. Ü B T : L X V I . 59.4° (ang.). Zit.: Leichenrede Hafenreffer. O R A T I O || D E || V I T A E T O B I T U , || Reverendi & Clarißimi Viri, || D O M I N I || T H E O D O R I || T H U M M I I , S A C R O S A N = || C T A E T H E O L O G I A E D O C T O R I S || E X I M I I , E T I N A C A D E M I A T U B I N G E N S I || P R O F E S S O R I S C E L E B E R R I M I , E C C L E S I A E ¡1 ejusdem Decani Dignissimi, & Illustris Ducalis T h e o logici || Stipendij Superintendentis Vigilantissimi, & c. die || 22. Octobris, Anno 1630. in Christo || piè defuncti. || H A B I T A , || à || [...]. Tübingen: Dieterich Werlin, 1631. Ü B T : L X V I . 90.4°. Zit.: Leichenrede T h u m m . Zwo Christliche Predigten | || Als der Durchleuch= || tige Hochgeborne Fu[e]rst vnd Herr | Herr || Ludwig Friderich | Hertzog zu Wu[e]rtemberg || vnd Teck | Grave zu Mo[e]mpelgart | Herr zu Haydenheim | ec. || als Vormund vnd Administrator | im Namen ) deß auch Durchleuch= || tigen Hochgebornen Fu[e]rsten vnd Herrn | Herrn Eberhardten | Her= || tzogen zu Wu[e]rtemberg vnd Teck | Graven zu Mo[e]mpelgart | Herr || zu Haydenheim | ec. ku[e]nfFtig regierenden Lands= || Fu[e]rsten die Erbhuldigung ein= || genommen: || Die Erste | || Zu Stuttgardten | in der StifFts Kir= || chen j durch Tobiam Lottern | der heiligenSchrifFt || Doctorn | vnd StifFts Predigern daselbsten | den || 10. Tag Septembris | Anno || 1628. || Die Ander j || ZuTu[e]bingen | in der Pfarrkirchen | durch Lucam || Osiandrum | [...] | den 17. Tag Septembris | ||Anno 1628. || [...]. Stuttgart: Johann Weyrich R ö ß l i n , 1629. Ü B T : L III 34.a.4° (ang.). Zit.: Predigt von der Erbhuldigung.

Quellenverzeichnis PHILGUS,

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BALTHASAR

(*1601 in Kempten, f 1653 in Tübingen): 1627—1651 Pfarrer und Senior in Lindau 1652—53 a.o. Prof. der Theologie in Tübingen Hertz=Geschrey | || Damit der Ko[e]nigliche Prophet David | sich vnd || die Frommen | so Gott kennen | vnter die Himmels= ¡| breite Adlers=flu[e]gel | der Go[e]ttlichen Gu[e]te vnd || Gerechtigkeit hinunter= || leget | || Bey zweyer | na[e]tchst vor || der Stadt Lindaw j Sonnabends den 13. || (23) Jenner | dißlaufFenden Jahrs | kla[e]glich entleibter || Rebma[e]nner | als Sebastian Schu[e]tlins vnd Sebastian Gsellen | || beyder von Schachen | einem lindawischen Do[e]rfflein bu[e]rtigen | || nun aber Seligen | trawriger Leich= || bega[e]ngnuß. ||Auß dem ordinari Text | deß 36. Psal= || mens | v. 11. 12. 13. in S. Stephans Pfarrkirchen zu |j Lindaw | Dienstags den 16. 26. Jenner | am Morgen || fru[e] fu[e]rgetragen. || Durch || [...]. Nürnberg: Wolfgang Endter, 1644. Ü B T : Gi 870.4° (ang.). Zit.: Herzgeschrei. Lindawisches || Denck= vnd Danckmahl || oder Zaichen: |j Das ist | || Christliche Denck= || vnd DanckPredigt | in deß Heyl. || Ro[e]mischen ReichsStatt Lindaw am Bodensee | || wegen deren durch Gottes Gnad nachgelassner Sterbens= || la[e]u£Ften | Dienstags den 6. Aprilis deß 1630. Jahrs auß dem ordi= || nariText deß andern Buchs Mosis cap. 5. vers. 3. vnd auff Gut= || achten deß Christlichen M a gistrats, wie auch der Ministerii selbigen || Orts so wol gehalten als mit dem Danckgebett | welches || nach gehaltner Predig vor der Litaney gespro= |j chen worden | [ . . . ] || Durch || [...]. U l m : Jonas Saur, 1630. Ü B T : Gi 870.4° (ang.). Zit.: Predigt in Lindau. [PHILGUS, B A L T H A S A R : ]

Zwei Predigten über eine Feuersbrunst in Lindau. Angaben über Ort, Jahr und Drucker können nicht gemacht werden, da das Titelblatt verloren gegangen ist. Im Kolophon findet sich ein von J. U. Pregitzer verfaßtes Gedicht, das Balthasar Philgus gewidmet ist. Ü B T : Gi 870.4° (ang.). Zit.: Predigten von Feuersbrünsten.

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Quellenverzeichnis

P R E G I T Z E R , JOHANN U L R I C H

(*1577 in Kusterdingen, f 1656 in Tübingen): Vater: Johann Ulrich Pregitzer (Pfarrer in Pleidelsheim, Wittlingen, Kusterdingen) Mutter: Charitas Rohner (Tochter des Johann Rohner, Kaufmann in Ulm und Esslingen) Verheiratet seit 1607 mit Tabitha Hesch (Tochter des Jakob Hesch, Pfarrer in Feuerbach, Enkelin Lucas I. Osianders) Schulbesuch in Alpirsbach, Bebenhausen 1595 Immatrikulation in Tübingen 1597 Studium im Ev. Stift 1599 Magister, Studium der Theologie, Repetent 1 6 0 4 - 1 6 0 6 Prof. musices, Stiftsmusicus 1606 Diakon in Tübingen 1611 Stadtpfarrer in Calw und Spezialsuperintendent 1620 Prof. der Theologie in Tübingen und Stadtpfarrer 1623, 1627, 1630, 1635, 1640, 1642, 1644, 1646, 1648, 1650 Rektor der Universität Tübingen 1 6 4 8 - 1 6 5 2 Prokanzler der Universität Tübingen 1652 Kanzler der Universität Tübingen und Propst Christliche Hochzeit Predigt ||Von dem Stiffter vnd Anfa[e]nger || deß Heiligen Ehe=Standts | || Bey Ehelicher Trawung || D e ß Ehrwu[e]rdigen vnd Wolgelehrten Herrn | || M . L U C A E Falck | || D I A C O N I zu Mo[e]tzingen vnter Vrach; || weylundt | deß ehrwu[e]rdigen vnd Hochgelehrten Herrn | || M . J O H A N N I S Falcken | A R C H I D I A C O N I zu Tu[e]bingen | || vnd der H. SchrifFt Candidati, Seeligen | nach= ]| gelassenen Ehelichen Sohns. || Vnd der Ehrn= vnd Vieltugendtreichen Jungfrawen | || Annae Mariae | || D e ß Ehrwu[e]rdigen | vnd Hochgelehrten Herrn | || M . J A C O B I Abels | Pfarrers zu Wald=Dorff Tu[e]binger || Ampts | Ehelichen Tochter: Gehalten Dinstag den 7. Junij || Anno Christi | 1653. zu WaldDorfF. || Durch || [...] || Matthaei, cap. 19. v. 4. |] [...]. Tübingen: Dieterich Werlin, 1654. Ü B T : L X V I . 9 7 . 4 ° (ang.). Zit.: Hochzeits-Predigt. Newe JahrsPredigt | || Ausz dem Eilfiten || Capitul desz Fu[e]nfften Buch || Mosis | wie man den Segen Gottes diß | vnd alle |jJahr | mo[e]ge haben vnd behal= || ten. || Gehalten zu Tu[e]bingen auff den Newen Jahrs Tag | || als man hat angefangen zu zehlen || 1622. || Durch | [...]. Tübingen: Johann Alexander Cellius, 1622. Ev. Stift: 17 an q 1653. Zit.: Neujahrspredigt. Zwo[e]lff Bußpredig= || ten | || Darinnen die gantze || Lehre von der Wahren Christ= || liehen B ü ß | vnd rechtem wahren Chri= || stenthumb | einfa[e]ltig vnd kurtz begriffen | vnd zu= || gleich der rechte Gebrauch aller vnd jeder Stuck deß ||

Quellenverzeichnis

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Christlichen Catechismi geweiset || wu[e]rdt | || Gehalten zu Tu[e]bingen in Anno 1622. || Durch || [...] || ESAIAE. I. v. 16. ec. || [...]. Tübingen: Dieterich Werlin, 1623. Ev. Stift: 8 an q 1653. Zit.: Bußpredigten. Zwo Evangelische Predigten: ||Von dem a[e]ltisten || recht Catholischen Glauben | || vnnd von Johanne dem ||Ta[e]uffer; || Gehalten durch || [...]. Tübingen: Philibert Brunn, 1638. HAB: 917.45 Theol. Zit.: Zwei evangelischen Predigten.

R A I T H , BALTHASAR

(*1616 in Schorndorf, f 1683 in Tübingen): Vater: Elias Raith (Bürger und »SaltzHerr« zu Schorndorf) Mutter: Ursula Geringer (Tochter des Balthasar Geringer) Verheiratet seit 1641 in 1. Ehe mit Maria Margaretha (Tochter des Johann Martin Rümelin, Dr. beider Rechte und Prof. der Griechischen Sprache); seit 1663 in 2. Ehe mit Anna Maria Schweickher, geb. Beller (verwitwete Schweickher) Besuch der Lateinschule in Schorndorf und der Klosterschule in Bebenhausen 1635 Studium im Ev. Stift 1635 Magister, Studium der Theologie 1641 Diakon in Tübingen 1646 Pfarrer in Derendingen 1649 Spezialsuperintendent in Derendingen 1652 a.o. Prof. der Theologie in Tübingen und Professor für Hebräisch 1656 (interimistischer) Prof. der Theologie in Tübingen und Superattendent des Ev. Stifts, Dr. theol. 1660 Prof. der Theologie und Stadtpfarrer 1662 Dekan 1659, 1661, 1666, 1670, 1674, 1678 Rektor der Universität Tübingen 1680 Resignation aus Altersgründen Davidisches aufF G O T T gesetztes || DATUM. || Das ist: || Schrifftma[e]ssige und einfa[e]ltige Erkla[e]rung || deß 5ten. v. im 37. Ps. || Einer Gemein GOttes vorgetragen | || Bey der Volckreichen Leich=Versandung deß ||Wol=Ehrw. nnd Hochgelehrten Herrn || M. PAULIBIBER= || STEINII || Gewesenen Professoris Graecae Linguae || und Magistri=Domus bey Fu[e]rstl. Stipen= || dio allhier; || Als derselbige Anno 1656. Dienstags den 16. De= || cembr. zuTu[e]bingen [...] seelig verschie= || den | [...] || Durch || [...]. Tübingen: Gregor Kerner, 1657. ÜBT: L XVI 43.4°. Zit.: Leichenpredigt Biberstein. Dreyfache Betrachtung || Der Erdbidemen | || so der gerechte GOtt zur Warnung || der nichtigen Menschen (die doch so sicher= || leben | Psalm. 39) Anno 1655. den 19. 20. 21. || 22. Martij (vnd hernach gefolgten Tagen) || ho[e]ren lassen. ||Jn einer

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Quellenverzeichnis

kurtzen Predigt (extraordinarie) || der G e m e i n G O t t e s zu Tu[e]bingen vorgestellt; || Donnerstags den 2 2 . Martii besagten ||Jahrs || [ . . . ] (¡von || [ . . . ] . T ü b i n g e n : Alexander Cellius, [o. J . ] . W L B : T h e o l . 4° 5 7 0 2 . Zit.: Erdbeben-Predigt. J m N a m e n J E S U ! || P E N T A P H Y L L U M || C A N I C U L A R E , || Das ist: || U n d e r richt und || Trost der E l t e r n \ bey to[e]dt= || l i c h e m Abgang ihrer K i n d e r | || A u ß Davids E x e m p e l vorgestellt der G e = || m e i n Gottes zu Tu[e]bingen i m J a h r 1 6 7 6 . den || 2 0 . Tag H e w m o n . als etliche M o n a t durch || die Dysenteria (oder rothe R u h r ein || gute Anzahl derselben hingeris= || sen hatte. || W e l c h e r | als sie zum T r u c k verlangt worden | || weiters beygefu[e]get seynd | 1. Trostgru[e]nd gleiches Jnhalts auß andern so wohl Lateinischen als Teutschen || Schrifften vor G e l e h r t e und U n g e l e h r t e nicht u n = || dienlich dieser Z e i t zu lesen. Z u m 2. ein G e = || bett. 3. ein Gesang. 4 . zwey D I A L O G | || auß Petrarchae B u c h de R e m e d i o u= || triusque fortunae. 5. ein || N a c h b e r i c h t . || [ . . . ] . T ü b i n g e n : J o a c h i m Hein, [o. J.]. W L B : T h e o l . oct. K 4 1 8 4 . Zit.: Trostschrift. T U R R I S A N T O N I A || O d e r || Einweyhungs R e d e || B e y AufFrichtung || D e r || A u ß dem Cabalistischen G e h e i m n u ß = B a u m || entsproßnen || U n d ||Von der || D u r c h leuchtigsten Fu[e]rstin und Princessin | || Princessin A N T O N I A j| G e b o h r n e n Hertzogen zu Wu[e]rtemberg und Teck | || Gra[e]fin zu Montbelgard | und Fra[e]wlein zu || H e i d e n h e i m | ||Jn der Kirch im Deynach gestiffteten || und auffgerichteten || Lehr=Tafel || Gehalten j| D u r c h || [ . . . ] . T ü b i n g e n : J o a c h i m Hein, 1 6 7 3 . W L B : 2 5 a/466 [Xerokopie], Z i t . : T u r r i s Antonia.

Personalien: KELLER, G E O R G HEINRICH ( * 1 6 2 4 in Hornberg, f 1702 in Tübingen): Vater: Cornelius Keller (Vogt zu Hornberg) Mutter: Anna Maria Moser Verheiratet seit 1654 mit Martha Reuchlin (Tochter des Christoph Reuchlin, B ü r germeister von Weikheim/T.) 1641 Immatrikulation in Tübingen; Magister 1649 theol. Examen, Repetent, Vikar in Neuenbürg, Walddorf und Stuttgart 1653 Diakon in Kirchheim/T. 1659 Pfarrer in Derendingen und Spezialsuperintendent in Tübingen und B e b e n hausen. 1661 Spezialsuperintendent und Stadtpfarrer in Böblingen. 1670 Dr.theol., a.o. Prof. der Theologie in Tübingen und Superattendent des Ev. Stifts

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1681 Prof. der Theologie in Tübingen und Dekan. 1681, 1687 R e k t o r der Universität Tübingen 1697 Propst und Prokanzler 1699 Abt in Alpirsbach Christliche Leich=Predig || Aus || dem C X X V I . Psalmen |Vers. 5. 6. || B e y Volckreicher Leichbega[e]ngniß || des Weiland || Hoch=Ehrwu[e]rdigen | Groß Achtbahrn j und H o c h g e = || lehrten | Herren || Balthasar R a i t h e n | || D e r Heiligen Schrifft Doctoris, bey allhie= || siger Vniversita[e]t zu Tu[e]bingen vielja[e]hrigen | wohlver= || dient= und beru[e]hmten Professoris Ordinarii, der Kirchen allda treu= || eiferigen Decani und Ducalis Stipendii Superintendentis || Senioris. || Welcher den 30. Novembr. Anno 1683. Nachts umb 10. U h r || in seinem Erlo[e]ser sanfft entschlafFen | [...] || gehalten || von || [...]. Tübingen: Martin R o m m e y , [o. J.]. Ü B T : L X V I 81.4° (ang.). Zit.: Leichenpredigt R a i t h .

REUCHLIN,

CHRISTOPH

(1660-1707): Vater: David Reuchlin (Buchbinder und Universitätspedell zu Tübingen) Mutter: Anna Elisabeth Kleiner 1679 Studium in Wittenberg 1681 Magister 1685 Rückkehr nach Tübingen Feldprediger des Administrators Herzog Friedrich Karl 1690 Diakon an der Stuttgarter Leonhardskirche 1692 Gymnasialprofessor und Abendprediger an der Stiftskirche 1699 Professor der Theologie und Stadtpfarrer in Tübingen 1700 Dr. theol. 1705 Dekan und Superattendent des Ev. Stifts J n dem Namen JEsu! || Christliche || Buß=Predigt | || U b e r die Worte deß L X X X V . Psal. || vom 1. biß zum 8. Vers. || [...] || An dem allgemeinen || B e t = B u ß = und || Fast=Tag | || D e n 23. Octobr. 1692. in der Stutt= || garter Stiffts=Kirchen gehalten j ||Von II [ . . . ] . In: Dieses Kriegs Entsetzlichkeit | || U n d der B ü ß Nothwendigkeit ||Jn vier unterschidlichen || Predigten || An dem ||Jn dem gantzen Herzogthum ||Wu[e]rtemberg || D e n 23. Octobr. Anno. 1692. j| Gehaltenem allgemeinen || B u ß = B e t = und || Fast=Tag. ||Aus Jerem. 4 / 7 . 8. U n d Psal. 8 5 / l . = = 8 . ||Jn der Fu[e]rstl. Hof=Capell und Stiffts= || Kirchen zu Stuttgart || Vorgestellet. || Samt beygefu[e]gtem Gebett | welches an || solchem Tag auf allen Cantzeln in Stuttgart der || Gemeine fu[e]rgesprochen worden | und einem beson= || derm Gesang | wie auch einem Anhang von zweyen || absonderlichen Predigten. || [ . . . ] . [Stuttgart]: Paul Treuen, [o. J.]. W L B : T h e o l . oct. 2 0 0 5 0 . Zit.: Bußpredigt.

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Kurtze Abbildung || so wohl || Des Pharisa[e]isch= und Heuchlerischen || als auch || Des R e c h t s c h a f f e n e n Wahren u n d T h a [ e ] t i g e n || Christenthums | || In unterschiedenen Predigten der C h r i s t l i c h e n _ G e m e i n e || in der St. G e o r g e n Kirche zu Tu[e]bingen öffentlich || vorgetragen | || [ . . . ] || samt einem Anhang || Zweyer R E C T O R = P r e d i g t e n || und || E i n e r Leich=Predigt bey d e m traurigen Fall zweyer v o m ||Wetter erschlagenen S t u d i o s o r u m T h e o l o g i a e || [ . . . ] ||Von [ . . . ] . T ü b i n g e n : [o. Dr.], J o h a n n G e o r g C o t t a (Verleger), 1 7 0 5 . Ev. Stift: 1 an q 3 6 . Zit.: Christentum. Erster Anhang (Text: 1 Petr 2, 17; Ps 11, 1 0 . 1 1 ) : R e k t o r p r e digten. Z w e i t e r Anhang (Text: Lk 12, 35—40): Leichenpredigt (Stud.Theol.).

SIGWART, JOHANN GEORG ( * 1 5 5 4 in Winnenden, f 1618 in Tübingen): Vater: Michael Sigwart (Consul und Präfekt in Winnenden) Mutter: Margarethe Grüninger Verheiratet seit 1585 mit Margarethe Cappelbeck (Tochter des Jacob Cappelbeck, Dr. beider R e c h t e und Prof.) Besuch der Klosterschulen in Lorch und Adelberg 1575 Studium im Ev. Stift 1578 Magister und Repetent am Ev. Stift 1584 Diakon in Tübingen 1587 Prof. Supernumerarius der Theologie und Stadtpfarrer 1589 Dr. theol. und Superattendent des Ev. Stifts 1590 a.o. Prof. der Theologie in Tübingen 1 6 0 2 - 1 6 1 0 Amtsdekan in Lustnau 1605 Prof. der Theologie 1 6 0 6 / 0 7 , 1610, 1615, 1618 R e k t o r der Universität Tübingen Allgemeines G e b e t t der ¡| Christen | ||VatterVnser ge= || nannt | ¡Welches der S o h n Gottes selbs || gestellt | vnd allen Glaubigen zu || betten befohlen hat. j| A u ß dem Evangelisten M a t t h e o am || Sechsten Capitel | in ettlich Predigten a u ß = || gelegt vnd erkla[e]ret: || D u r c h || [ . . . ] . T ü b i n g e n : D i e t e r i c h Werlin, 1 6 1 1 . Ev. Stift: q 3 9 1 1 . Z i t . : Predigten v o m Vaterunser. Drey Predigten | || Von || Dreyen Vnderschiedli= || chen Hauptplagen vnd Land= || straffen. || D i e Erste: ||Von T h e w r u n g vnd Hungersnoth. || D i e Ander: ||Von K r i e g vnd Blutvergiessen. || D i e D r i t t e : ||Von Pestilentz vnd Sterbensla[e]ufften. || A u ß Anleitung der Historien des Ko[e]nig || Davids | auß dem 2 4 . Capitel des Andern || B u c h s Samuels | [ . . . ] || Z u T u [ e ] b i n g e n gehalten | || D u r c h [ . . . ] . T ü b i n g e n : D i e t e r i c h Werlin, 1 6 1 1 . Ev. Stift: 2 an 3 9 1 1 . Zit.: Predigten von Hauptplagen.

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Eilff Predigten | ||Von den ||VOrnemesten || vnnd zu ieder zeit in der Welt ||gemeinesten Lastern | sampt derenselben || entgegen gesetzten Tugenten | bey der Außle= || gung der Ersten Epistel S. Pauli an die Co= || rinther | auß dem sechsten || Capitul. || Anno 1599. zu Tu[e]bingen gehalten || Durch || [...]. Tübingen: Erhard Cellius, 1603. Ev. Stift: 1 an q 3911. Zit.: Laster-Predigten.

Ein Predigt | || A u f f d e n Ne= || wen Jahrs Tag | zu || Abend | dises eingehenden M. DC. III. || Jahrs | auß dem Achtzehenden Ca= j| pitul deß heiligen Propheten || Jeremiae. || ZuTu[e]bingen Gehalten | || Durch || [...]. Tübingen: Erhard Cellius, 1603. WLB:Theol. 4° 6588. Zit.: Neujahrspredigt.

Ein Predigt | ||Vom || Ampt der Kirchen= || diener vnd Zuho[e]rer. || Bey der Praesentation vnd Ordination deß ||Wu[e]rdigen vndWolgelehrten M.Johannis Geor= || gij Weiganmeyers | Evangelischen Pfarrers zu Böhringen | || (an welchem Ort die Evangelische vnd Papistische Religion || u[e]blich) an S.Johannis deß Evangelisten Tag | in der || Evangelischen Kirchen daselbst gehalten | [...] | durch || [...] || Den Einfa[e]ltigen | Guthertzigen zu gru[e]ndtli= || eher Nachrichtung | ob die Evangelische oder Papi= || stische Kirchendiener dem Befelch Christi ge= || ma[e]ß lehren vnd predigen. || [...]. Tübingen: In der Cellischen Druckerei, 1609. WLB:Theol. 4° 6585. Zit.: Predigt vom Amt der Kirchendiener.

Ein Predigt | ||Vom Reiffen || vnd Gefro[e]st | || Den 25. Aprilis | Domi= || nica Iubilate, Anno 1602. || (als die na[e]chste Tag zuuor | na[e]mblich || den 21. 22. vnd 23. gemelten Monds | || das Rebwerck erfroren) zu Tu[e]bin= || gen gehalten || Durch || [...]. Tübingen: Erhard Cellius, 1602. WLB:Theol. 4° 6589. Zit.: Predigt vom Reif. Ein Predigt ||Vom Hagel vnd Vnge= || witter. || J m Jahr Christi | || 1613. den 30. May | am Sontag || der H . Dreyfa[e]ltigkeit zu Morgens (als am || Sambstag Abends zuvor Nachmittag vor 5. Vhren || ein schro[e]cklicher Hagel gefallen) zu Tu[e]bingen || in der StifftsKirchen zu S. Georgen ge= || halten | [...] || Durch || [...]. Tübingen: Johann Alexander Cellius, 1613. WLB:Theol. 4° 6587. Zit.: Predigt vom Hagel.

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Ein Predigt ||Von dem Erdbidemen. || Als den 8. Septemb. || dieses 1601. Jahrs | das Erd= || reich an viel vnderschiedlichen orten he£T= || tig gebebet: || Meniglichen zu Christlichem vn= || derricht | Ernstlicher Warnung vnd Ta[e[glicher B e s = || serung deß Lebens | den na[e]chst darauff erfolgenden || Sontag | D o m i n . 14. Trinit. zu Tu[e]bingen || gehalten. || Durch || [ . . . ] . Tübingen: Erhard Cellius, 1601. Ev. Stift: 9 an q 1733. Zit.: Predigt vom Erdbeben. Laster Predigt. ||Von der La[e]sterung oder ||Verleumbdung. || Durch || Hamburg: Tobias Sundermann, 1637. H A B : G 7 4 6 Heimst. 4°. Zit.: Lasterpredigt von der Lästerung. Vierzehen Predigten: || Darin jj Die gantze Lehr vom || H. Abendtmal | || Ausz der Ersten Epistel S. || Pauli an die Corinther | ordenlich || zusamen verfaßt: || Z u Tu[e]bingen gehalten || Durch || [ . . . ] . Tübingen: Erhard Cellius, 1601. Ev. Stift: q 1763. Zit.: Predigten vom Abendmahl. Zweintzig Predigten | ||Vber Das Fu[e]nffze= || hende Cap. der Ersten Epi= || stel Pauli an die Corinther: Darin || fu[e]rna[e]mlich von Aufferstehung der Todten || vnnd Ewiger Seeligkeit gehandlet || wu[e]rdt. || Z u Tu[e]bingen gehalten || Durch || [...]. Tübingen: Erhard Cellius. Ü B T : Gi 4 0 1 . 4 ° (ang.). Zit.: Predigten über 1 K o r 15.

W A G N E R , TOBIAS

( * 1 5 9 8 in Heidenheim/Br., f 1680 in Tübingen): Vater: Georg Wagner (Kupferschmid, Schöffe) Mutter: Maria Reuter (Tochter des Peter Reuter aus Ulm) Verheiratet seit 1625 mit Catharina Nicolai ( * 1 6 0 4 in Waiblingen, Tochter des Melchior Nicolai, Abt von Lorch, Dr. theol. und Professor in Tübingen) 1607 1611 1616 1618 1621 1623 1624 1632 1635 1653 1654

Besuch der Lateinschule in Nördlingen Wechsel an die neuerrichtete Lateinschule in Heidenheim Kloster Adelberg Kloster Maulbronn Studium im Ev. Stift Magister; Studium der Theologie Diakon in Esslingen Pfarrer in Esslingen erneute Immatrikulation, Dr. theol. Prof. der Theologie in Tübingen, Dekan, Superintendent des Ev. Stifts R e k t o r der Universität Tübingen

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1656-1662 Prokanzler der Universität Tübingen 1662 Kanzler der Universität Tübingen Anhangs=Predigt | ||Von der Kirchen=Buß | || Mit was Augen solche anzusehen. || Gehalten am 7. Sontag nach Trinitatis | dises hinlauffenden || 1657. Jahrs. ||Vber zweyer Personen ofentliche Abbit | welche || sie der Kirch wegen ihres Falls wider das sechste Gebott || haben gethan | aber von etlichen daru[e]ber seynd außge= || lacht und verho[e[nt worden. ||Wegen Gleichfo[e]rmigkeit der materi mit der Hi= || stori von der Susanna | ma[e]nniglich zur Erweckung wahrer || Gottesforcht | sich fu[e[r Su[e]nden zu hu[e]ten | zum Beschluß diser || Predigten allhero gesetzt. || An statt deß Sonnta[e]glichen Evangelii Marc. 8. ist fol= || genderText auß der 1. C o rinth. 11. v. 16. ver= || lesen worden: || [...] Daß nichts la[e]cherliches an der Kirchen=Buß seye | || I. Propter peccati gravitatem: Wegen Schwere der Su[e]nd wider das sechste Gebott. II. Propter scandali atrocitatem: Wegen Gro[e]sse deß Er= || gernuß | so durch dise Su[o]nd in der Kirch wird ge= || stifft | und den Einfa[e]ltigen gegeben. || III. Propter poenitentiae veritatem: Wegen hertzlicher || R e w und Büß | welche nach allen Vermuthungen || durch solche Abbitt von gefallenen Personen wird || gewu[e[rckt. Und || IV. Propter finium utilitatem: Wegen erbawlicher || Nutzbarkeit der End=Ursachen | || welche der of= || fentlich Abbitt gefallener Personen werden gesucht || und erhalten. || In: Tobias Wagner: Historia || Von der || Susanna und Daniel | || Jn viertzig Predigten außgelegt | und || sambt angeha[e]ngter Predigt ||von der || Kirchen=Buß. || Zu Tu[e]bingen gepredigt | [...] || Durch || [...]. Stuttgart: Johann-Andreas Endter, 1658. WLB: Theol. qt. 7398. Zit.: Predigt von der Kirchenbuße.

Blut=Predigt | ||Von Blut=Regen | mit was Augen dieselbe || ein Christ zu jetzigen schwierigen Zeiten an= || zusehen habe. || Auß dem Propheten Joel im 2. Cap. v. 30. || [...] || Uber einem Blut=Regen | welcher An. || 1642. den 15. Nov. umb 12. Uhr Mittags || in der benachbarten Fu[e]rstl. Residentz=Statt || Stultgart gefallen. || Gehalten || Zu Eßlingen den 22. Tag May | am H. Pfingst=Montag | || Anno 1643. an statt einer Pfmgst=Predigt. || In: Tobias Wagner: Casual= || Predigten. || Vber allerhand bedenckliche, schwe= || re Fa[e]ll ||Welche sich in nechst verflossenen Jahren || vnd gefa[e]rlichen Zeiten haben begeben, || Sampt underschidlichen, mitteinlaufFenden, || wichtigen Tractaten und Discursen, || Ma[e]niglichen, so wol StattsPersonen, als || andern, zu erwegen nöthig vnd er= || bawlich. || Durch || [...]. Stuttgart: Johann Weyrich Rößlin, 1658. WLB: Theol. qt. 7391. Zit.: Casualpredigten (Blutpredigt).

Casual= || Predigten. ||Vber allerhand bedenckliche, schwe= || re Fa[e]ll || Welche sich in nechst verflossenen Jahren || vnd gefa[e]rlichen Zeiten haben begeben, || Sampt underschidlichen, mitteinlauffenden, || wichtigen Tractaten und Discursen, ||

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Ma[e]niglichen, so wol StattsPersonen, als || andern, zu erwegen nöthig vnd er= || bawlich. || Durch || [...]. Stuttgart: Johann Weyrich Rößlin, 1658. WLB: Theol. qt. 7391. Zit.: Casualpredigten

Christ= || Fu[e]rstliche Leicht= || Predigt | || U b e r || Das Seelige Abieiben || D e ß Durchleuchtigsten Fu[e]r= || sten u n d H e r r n | || H e r r n Eberharden | || Hertzogen zu Wu[e]rtemberg || u n d Teck | Grafen zu Mo[e]mpelgart | || H e r r n zu H e y d e n heim | ec. || Als dessen Durchl. dises lauffende 1674ste Jahr | den || 2. Julij | Nachts u m b 11. U h r | sanfFt und Seelig in Jhrem Erlo[e]ser JEsu || eingeschlaffen | darauf den 21. diß in dero Fu[e]rstl. Residentz=Statt Stutgart || [...] beygesetzet ¡ w o r d e n | || D e n 19. diß | welches war der fu[e]nffte Sonntag nach ||Trinitatis, auff Fu[e]rstl. Befelch zuvor zuTu[o]bingen in der Pfarr= u n d Stiffts=Kirch zu S. Georgen | [...] Hgehalten j || Durch [...]. Stuttgart: Johann Weyrich Rößlin, [o. J.]. Ü B T : L X V 21. fol. (ang.). Zit.: Leichenpredigt Herzog Eberhard.

Christliche Leuchpredigt | || Vber d e m Seeligen Abieiben: || Dessen Weilund Ehrwu[e]rdigen vnd H o c h = || gelehrten H e r r n Johann-Erhardi Cellii, geweßnen || Pfarrers vnnd Superintendenten deren deß Heiligen || Reichsstatt Eßlingen | ||Welcher in diesem hin= ||lau£Tenden 1627. Jahr Freytags den 20. ||TagAprilis [...] seelig entschlaffen | [...] || Gehalten durch || [...]. Tübingen: Philibert Brunn, 1627. Ü B T : L XVI 50.4° (ang.). Zit.: Leichenpredigt Cellius.

C O N S U L T A T I O || Pacis Germaniae, || Das ist: || New=Jahrs=Predigt | ||Vom deliberirten Frieden in Teutschland. || Gehalten zu Eßlingen | || AufF den heiligen N e wen Jahrstag | || A N N O M . D C . XLVI. || In: Tobias Wagner: Casual= || Predigten. || Vber allerhand bedenckliche, schwe= || re Fa[e]ll ||Welche sich in nechst verflossenen Jahren || vnd gefa[e]rlichen Zeiten haben begeben, || Sampt underschidlichen, mitteinlauffenden, || wichtigen Tractaten vnd Discursen, || Ma[e]niglichen, so wol StattsPersonen, als || andern, zu erwegen nöthig vnd er= || bawlich. || Durch || [...]. Stuttgart: Johann Weyrich Rößlin, 1658. WLB: Theol. qt. 7391. Zit.: Casualpredigten (Neujahrspredigt). Der Ewigen Warheit ge= || doppelter Eydschwur. || Das ist: || Christliche Leich= Sermon auß den Trostreichen Worten || Christi | Johann: Cap: 5. v: 24. ||..Vber dem seeligen Abieiben || D e ß Weyland Edlen || vnd Gestrengen Ludwig Lützen | von || Lutzenhardt | ec. Fu[e]rstl.: Wu[e]rtenbergischen Raths. Welcher || den

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8. Febr: dieses hinlauffenden 1642. Jahrs | [...] | zu Eßlingen | [...] seelig |j eingeschlafen | [...] || Gehalten || Durch [...]. Heilbronn: Christoph Krausen, 1642. Ü B T : L X V I 70.4° (ang.). Zit.: Leichenpredigt von Lutzenhardt. Der || Die Su[e]nder seelig zu machen in die Welt || kommene || J E S U S C H R I S T U S || u[o]ber dem seeligen Abieiben || Deß Frey=Reichs | Hoch=Edelgebohrnen Herrn | || H E R R N || Albert Otto von und || zu Merlau | u. Fu[e]rstl. Wu[e]rtemberg. Raths und || Ober=Hofmeisters deß Fu[e]rstl. Collegii || zu Tu[e]bingen | ||Welcher A N N O 1679. den 7. Novembr [...] in seienem Erlo[e]ser || [...] eingeschlaffen | [...] || Erkla[e]ret und geprediget || Durch || [...]. Tübingen: Johann Heinrich R e i ß , 1680. Ü B T : L X V I 19 (ang.). Zit.: Leichenpredigt Merlau. E C C L E S I A E E S S L I N G E N S I S : || Das ist: || Eßlinger FrewdenFest | ||Vber dem Allgemeinen || ReichsFrieden | || mit Anku[e]nden | Singen | || Betten | Predigen | L o ben vnd Dancken | den || 11. Tag Augusti | dieses hinlauffenden || 1650. Jahrs celebrirt: || Sampt beygefu[e]gter Glu[e]ckwu[e]nschungs= || Predig | vber der O r dentlichen | den 28. ||Julii vorhergegangenen R e g e n = || ten Wahl: || G O T T zu E h ren I vnd Erbawung der Gemein | || [...] || Durch [...]. Ulm: Balthasar Kühnen, 1651. Ü B T : L II 4.a. Zit.: Esslinger Freudenfest. Die Predigt zit.: Esslinger Freudenfest-Predigt Ehren=Rettung || Meines | u[e]ber die angebne Warnerische Visio || nen publicirten Theologischen Beden= || ckens | ||Wider das außgesprengte La[e]ster= || Buch ¡ J o hann Warners | deß Meißners | || dannoch wahre Unschuld genennet: ||Wie auch || Meiner Friedens=Predigt | welche ich Anno || 1635. auß Obrigkeitlichem Befelch u[o]ber den || Prager= Frieden hab gehalten; || Sampt angehengter Trewhertziger Warnung || fu[e]r allen Freidha[e]ssigen Schrifften | so wol Fanatisch= || als Papistische Seiten wider den Religions=Frie= || den außgesprengt: || Ma[e]nniglich | Geist= und Weltlichen Stands= || Personen nothwendig zu erwegen. In: Tobias Wagner: Casual= || Predigten. ||Vber allerhand bedenckliche, schwe= || re Fa[e]ll || Welche sich in nechst verflossenen Jahren || vnd gefa[e]rlichen Zeiten haben begeben, || Sampt underschidlichen, mitteinlauffenden, || wichtigen Tractaten vnd Discursen, || Ma[e]niglichen, so wol StattsPersonen, als || andern, zu erwegen nöthig vnd er= || bawlich. || Durch || [...]. Stuttgart: Johann Weyrich R ö ß l i n , 1658. W L B : Theol. qt. 7391. Zit.: Casualpredigten (Ehrenrettung). Eigentlicher Entwurf || Der HauptQualita[e]ten eines Rechtschaffenen ||Theologi vnd Lehrers | || Auß dem Prediger SAlomon im 1. Cap. v. ult. || [...] ||Vber dem Seeligen Abbleiben || D e ß WolEhrwu[e]rdiegn vnd HochGelehrten Herrns ¡ J o seph Demmlers | || der H. Schrifft Doctoris, weiland Pfarrers bey der || Kirch | vnd Professoris bey Lo[e]blicher Universita[e]t || zu Tu[e]bingen | ec. || Welcher den

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28. Tag Novemb. An. 1659 || sanfft vnd Seelig [...] entschlaffen | [...] || Gepredigt | durch || [...]. Tübingen: Dieterich Werlin, 1660. ÜBT: L XVI 52.4° (ang.). Zit.: Leichenpredigt Demmler. Epistel=Postill | |j Das ist: || Schrifftma[e]ssige Auslegung || der ganzen Sonn=Fest= und || Feyerta[e]glichen Episteln deß Jahrs || Mit beygefu[e]gten Anmerckungen aus den Schrifften || Lutheri u[e]ber die Hauptlehren einer jeden Predigt; || Erster | nämlich Winter= und Fru[e]hlings=Theil | || vom I.Advent biß auf Pfingsten. || Zu Erbauung deß waaren | und Einwerffung deß j| u[e]berhand genommenen Un=Christenthumbs. || Auf unabla[e]ssiges Begehren abgefasst und |j an Tag gegeben || Durch || [...]. Tübingen: [o. Dr.], Johann Georg Cotta (Verleger), 1668. ÜBT: Gi 828.4°. Zit.: Epistel-Postille 1. Epistel=Postill | || Das ist: || Schrifftma[e]ssige || Außlegung || der gantzen SonnFest= und Feyrta[e]glichen || Episteln deß Jahrs; || Sampt beygefu[e]gten Anmerckungen auß den Schrifften || Lutheri u[e]ber die Haupt=Lehr einer jeden Predigt j || Der Ander | na[e]mblich | Sommer= und Herbst=Theil | von Pfingsten || biß auff den 1. Advent. || Zur Erbawung deß wahren Christenthumbs | || und Einwerffung deß u[e[berhand genommnen Unchristenthumbs | || Auf unabla[e]ssiges Begehren abgefasst | [ . . . ] j | Durch || [...]. Tübingen: Johann Heinrich Reiß, 1668. ÜBT: Gi 828.4° Zit.: Epistel-Postille 2. Ernstliche Buß=Predigt | ||Von der Besserung deß Lebens | und Abwendung |j der Straffen Gottes: || Auch den Tax=Vera[e]chtern zur wolgemein= j| ten Correction und Straff. ||Am heiligen Newen Jahrstag diese lauffenden 1658. Jahrs gehalten zu Tu[e]bingen || [...] In: Tobias Wagner: Casual= || Predigten. ||Vber allerhand bedenckliche, schwe= || re Fa[e]ll || Welche sich in nechst verflossenen Jahren || vnd gefa[e]rlichen Zeiten haben begeben, || Sampt underschidlichen, mitteinlauffenden, || wichtigen Tractaten vnd Discursen, || Ma[e]niglichen, so wol StattsPersonen, als || andern, zu erwegen nöthig vnd er= || bawlich. |] Durch || [...]. Stuttgart: Johann Weyrich Rößlin, 1658. WLB: Theol. qt. 7391. Zit.: Casualpredigten (Bußpredigt). Eßlinger Kauffman[n]s Schiff||Von Newem außgerist den 7. Tag Mertzens | || dises hinlauffenden 1636igsten Jahrs. || Das Jst | || Eine kurtze vnd einfa[e]ltige Hochzeit Predig || auß dem 31. Capitel der Spru[e]ch Salom. |j vers. 14. || Dazumalen gehalten | als fu[e]nff vnd zwantzig || Ehen vor dem Altar seynd zusamen geben | || vnd durch den Segen Gottes bestettigt || worden | ||Vnder welchen vornemblich gewesen || Der Ehrnveste | Wolvorgeachte | vnd Rechts Gelehrte Herr | ||JOANN-JA-

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C O B B O J U S , || deß kleinen Raths deren deß Heyligen || ReichsStatt Eßlingen: || M i t sampt seiner Verma[e]hlten Spons vnd || Hochzeiterin | || D e r Ehrn: vnd Tugendt R e i c h e n Frawen | || A N N A - M A R I A , || Weyland deß Edlen vnd H o c h g e lehrten Herrn | || J O H A N N - E R H A R D C E L L I , Medicinae || Doctoris vnd Primarii Physici daselbsten || nachgelaßnen Wittiben. || AufF Begehren in Truck verfertiget || Durch || [...]. Tübingen: Philibert Brunn, 1636. W L B : T h e o l . qt. 7 4 0 0 . Zit.: Hochzeits-Predigt (1636). Eßlinger Trawr= Klag= vndTrost= || Predigten: ||Vber dem Seeligen Abieiben || E t licher der Vornemb= || sten Theologen | R e g e n t e n ¡Juristen | || D o c t o r n der Artzney | vnd || Matronen; ¡ W e l c h e das ju[e]ngst verfloßne 1635igste Jahr || in deren deß H. ReichsStatt Eßlingen Seeliglich || im H E R R E N eingeschlaffen | vnnd daselbsten || Ehrlich zur Erden bestattet ¡worden. || AufF Begehren [ . . . ] in Truck verfertiget || Durch || [...]. Tübingen: Philibert Brunn, 1636. W L B : T h e o l . qt. 7 4 0 6 . Zit.: Esslinger Trauerpredigten. Evangelischer Prediger || Ehren=Sa[e]ul | || Vber dem seligen Tod vnd Absterben || deß Ehrwu[e]rdigen vnd Wolgelehrten Herrn | || M . Joseph Hartmanns | geweßnen Dieners || Go[e]ttlichen Worts zu E ß = || ligen. || Welcher den 9. Tag Septembris | ¡vergangnen 1651. Jahrs | [...] selig eingeschlaffen | [ . . . ] ¡ S c h l e c h t vnd recht auffgerichtet || Durch [ . . . ] . Stuttgart: Johann Weyrich R ö ß l i n , 1652. Ü B T : L X V I 131.4°-1 Zit.: Leichenpredigt Hartmann. Fertilitas Justorum, || Das ist | || Eine kurtze Sermon || vnd Predig von der G e r e c h ten Frucht= || barkeit auß den Spru[e]chwo[e]rtern Salomonis am 11. Capitel | || v. 30. || [...] ¡ V b e r dem Seeligen Abbleiben | || D e ß Edlen vndVesten | |j M I C H A E L Helfferichs | Geweß= |j nen Verwaltern zu Denckendorff: Welche in || disem fu[e]rlauffenden 1635. Jahr | Donnerstags | den 6. A u = || gusti, [ . . . ] Seeliglich in der Lo[e]blichen ReichsStatt Eßlingen || eingeschlaffen | [ . . . ] Gehalten durch || [...]. Tübingen: Philibert Brunn, 1635. Ü B T : L X V I 61.4° (ang.). Zit.: Leichenpredigt Helfferich. Frewden=Fest | || u[e]ber dem allgemeinen || R e i c h s = F r i e d e n | mit || Anku[e]nden | Singen | Betten | Predigen | Loben und Dancken | den 11. Tag || Augusti dises hinlauffenden 1650. Jahrs || zu Eßlingen gehalten. || In: Tobias Wagner: Casual= || Predigten. ¡ V b e r allerhand bedenckliche, schwe= || re Fa[e]ll ¡ W e l c h e sich in nechst verflossenen Jahren || vnd gefa[e]rlichen Zeiten haben begeben, || Sampt underschidlichen, mitteinlauffenden, || wichtigen Tractaten vnd Discursen, |j

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Quellenverzeichnis

Ma[e]niglichen, so wol StattsPersonen, als || andern, zu erwegen nöthig vnd er= || bawlich. || Durch || [...]. Stuttgart: Johann Weyrich Rößlin, 1658. WLB: Theol. qt. 7391. Zit.: Casualpredigten (Freudenfest). Friedens=Predigt | || Anno M. DC. XXXV. den 8. Sonntag || nach Trinitatis zu Eßlingen gehalten | || Als zwischen Jhr Ka[e]yserl. Majesta[e]t und || ChurSachsen der zu Prag getroffene Fried publicirt worden. ||Auß dem Propheten Daniel Cap. II. v. 34. || [...] In: Tobias Wagner: Casual= || Predigten. ||Vber allerhand bedenckliche, schwe= || re Fa[e]ll || Welche sich in nechst verflossenen Jahren || vnd gefa[e]rlichen Zeiten haben begeben, || Sampt underschidlichen, mitteinlauffenden, || wichtigen Tractaten vnd Discursen, || Ma[e]niglichen, so wol StattsPersonen, als || andern, zu erwegen nöthig vnd er= || bawlich. || Durch || [...]. Stuttgart: Johann Weyrich Rößlin, 1658. WLB: Theol. qt. 7391. Zit.: Casualpredigten (Friedenspredigt). Fu[e]rsten=Predigt ||Auß dem Propheten Esaia cap. 49. || vers. 23. || [...] ||Wird erwisen | daß Christliche | hohe und nidere 0 = || brigkeiten schuldig seyen | servato Ministeriorum ordine, krafft tragenden Ampts | sich auch deß Kirchen=Regiments | || durch Befu[e]rderung deß wahren Gottesdiensts | wie auch || Schutz und Unterhaltung desselben | || anzunemmen. || I. Eben darum | weil sie Christliche Obern seynd. || II. Weil sie der Kirchen Pfleger seynd. || III. Weil sie derselben Sa[e]ugammen seynd. || Angebunden an: Tobias Wagner: Epistel=Postill | || Das ist: || SchrifFtma[e]ssige || Außlegung || der gantzen SonnFest= und Feyrtafe] glichen || Episteln deß Jahrs; || Sampt beygefu[e]gten Anmerckungen auß den Schrifften || Lutheri u[e]ber die Haupt=Lehr einer jeden Predigt | || Der Ander | na[e]mblich | Sommer= und Herbst=Theil | von Pfingsten || biß auff den 1. Advent. || Zur Erbawung deß wahren Christenthumbs | || und Einwerffung deß u[e[berhand genommnen Unchristenthumbs | || Auf unabla[e]ssiges Begehren abgefasst | [...] || Durch || [...]. Tübingen: Johann Heinrich Reiß, 1668. ÜBT: Gi 828.4° Zit.: Fürsten-Predigt. Geistliches Ackerwerck der Auß= || erwehlten | || Das ist | || Eine Christliche Leichpredigt | auß dem || hundert vnd sechs vnd zwantzigsten Psalmen || Davids; || [...] || Vber dem seligen Abieiben | ||Tugendreichen Frawen | Annae Mariae || Stu[e]berin | geborner Schloßbergerin | Deß Edlen vnd || Rechtsgelehrten | Herrn Johann Ernst Stu[e]bers || zu Eßlingen | gewessner Ehelicher Hauß= || frawen. || Welche den 18. tag Februarii | dieses hin= || lauffenden 1652. Jahrs | [...] sanfft eingeschlaffen | [...] || Gehalten Durch [...]. Stuttgart: Johann Weyrich Rößlin, 1652. ÜBT: L XVI 89.4° (ang.). Zit.: Leichenpredigt Stüber.

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Glu[e]ckwu[o]nschungs-Vota der U n = || terthanen | die sie den newerwo[e]hlten R e = || genten schuldig seynd. || Auß dem 20. Psalmen Davids | v. 2. 3. 4. 5. || [ . . . ] . In: Tobias Wagner: Casual= || Predigten. ||Vber allerhand bedenckliche, schwe= || re Fa[e]ll || Welche sich in nechst verflossenen Jahren || vnd gefa[e]rlichen Zeiten haben begeben, || Sampt underschidlichen, mitteinlauffenden, || wichtigen Tractaten vnd Discursen, || Ma[e]niglichen, so wol StattsPersonen, als || andern, zu erwegen nöthig vnd er= || bawlich. || Durch || [ . . . ] . Stuttgart: Johann Weyrich R ö ß l i n , 1658. W L B : T h e o l . qt. 7 3 9 1 . Zit.: Casualpredigten (Glückwünschungs-Predigt). Gottes Standtrecht ||Vber das Arm Menschlich Geschlecht. || Das ist: || Eine in G o t tes Wort gegru[e]ndte Predig || von dem || gesetzten Sterben der Menschen | vnd dem darauff erfol= || genden Ju[e]ngsten Gericht. ||Auß der Epistel an die Hebreer am 9. Cap. v. 27. außgelegt | || vnd vber dem seeligen Abieiben | || D e ß Weyland Ehrnvesten vnd H o c h Achtbarn Herrn || Hieronymi Egen | || gewesten Fu[e]rstl. Wu[e[rtembergischen || Hoffmeisters zu Kircheimb | welcher diß hinlauffende 1639. Jahr | den letsten Tag Februarii [...] || zu Eßlingen [ . . . ] | sanfft vnd seelig in dem H E R R N eingeschlaffen |[...] || In der Pfarrkirchen zu Eßlingen geprediget | || Durch [ . . . ] . U l m : Balthasar Kühnen, 1639. Ü B T : L X V I 5 3 . 4 ° (ang.). Zit.: Leichenpredigt Egen. G Y M N A S I U M E U T H A N A S I A E , || Das ist | Christliche Vbung der Hochseeligen Sterbkunst | ||Auß der siebenden Bitt deß VatterVnser | || von Luthero Gesangsweiß vbersetzt | Auff begehren außgelegt | vnd vber dem || seeligen Abieiben | || D e ß Weiland Ehrnvesten | H o c h A c h t = || barn | Wolweisen Herrn || Lorentz Dathen | || gewesnen Burgermeisters deren deß || H. ReichsStadt Eßlingen | welcher Freytags || den 14. tag Decembr. diese hinlaufenden 1638. Jahrs | [ . . . ] see= ||liglich eingeschlaffen | [ . . . ] || In der Pfarrkirchen geprediget | || Durch [ . . . ] . U l m : Balthasar Kühnen, 1639. Ü B T : L X V I 136.4°. Zit.: Leichenrede Dathen. Historia ||Von der || Susanna und Daniel | ||Jn viertzig Predigten außgelegt | und || sambt angeha[e]ngter Predigt || von der || K i r c h e n = B u ß . || Z u Tu[e]bingen gepredigt | und [...] i n T r u c k außgelassen | || Durch || [ . . . ] . Stuttgart: Johann-Andreas Endter, 1658. W L B : T h e o l . qt. 7 3 9 8 . Zit.: Historia. M E M O R I A || V I R I Admodüm R E V E R E N D I & A M P L I S S I M I , || D N . J O H A N N - U L R I C H P R E G I T Z E R I , || S. S. T H E O L O G I A E D O C T O R I S , E C C L E S I A E || T U B I N G E N S I S P R A E P O S I T I , A C U N I V E R S I T A T I S || C A N C E L L A R I I D I G N I S S I M I : || Consecrata ||A || [...]. Tübingen: T h e o d o r Werlin, 1659. Ü B T : L XV.80.40. Zit.: M e m o r i a für J . U. Pregitzer.

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Quellenverzeichtiis

P O S T I L L A T E X T U A L I S : || Das ist; || Schrifft= vnd Textma[e]sige Außlegung | || Der Son=Fest= || vnd Feyrta[e]glichen Evangelien desz || Jahrs: In welcher die HauptLehr jeder Predigt allein auß j| den Gru[e]nden deß Texts wird gefu[e]hret | auch zu jhren heilsamen Nutzen | Wiederlegung j| falscher Lehr | Erinnerung Christlicher Gedancken | StarfFder Su[e]nden | ¡Warnung vor dem Bo[e]sen |Vermahnung zum Guten | j| vnd Trost im Creutz verwendet: || Zur Ehre Gottes | vnd Erbawung || der Christlichen Gemeine: || Erster Jahrgang | || In sich fassend die Eingangs Text: Sampt beygefu[e]gter ¡| Vorred an den Christlichen Leser; auch angeheng= j| tem nutzlichen Register | || Durch [...]. Ulm: Balthasar Kühnen, 1650. Ü B T : Gi 387.4°. Zit.: Evangelien-Postille 1. P O S T I L L A T E X T U A L I S : || Das ist: || Schrifft= vnd Textma[e]ssige Außlegung | || Der Sonn=Fest= j| vnd Feyerta[e] glichen Evangelien desz || Jahrs: In welcher die HauptLehr jeder Predigt allein auß || den Gru[e]nden deß Texts wird gefu[e]hret | auch zu j h r e m heilsamen Nutzen | Widerlegung || falscher Lehr | Erinnerung Christlicher Gedancken | Starff der Su[e]nden j ¡Warnung vor dem Bo[e]sen ¡Vermahnung zum Guten | j| vnd Trost im Creutz verwendet: || Zur Ehre Gottes | vnd Erbawung || der Christlichen Gemeine: || Anderer Jahrgang | || fortfahrend | wo es im Ersten Jahrgang verbliben: |j Sampt beygefu[e]gter Vorred an den Christlichen Leser; ||Auch angeha[e]ngtem nutzlichen Register | || Durch [...]. Ulm: Balthasar Kühnen, 1652. Ü B T : Gi 387.4°. Zit.: Evangelien-Postille 2. P O S T I L L A T E X T U A L I S ; || Das ist: || SchrifFt= vnd Textma[e]ssige Außlegung | || D e r Sonn=Fest= || dnd Feyerta[e]glichen Evangelien deß || Jahrs; J n welcher die Haupt=Lehr j e d e r Predigt allein || auß den Gru[e]nden deß Texts wird gefu[e]hrt | auch zu j h r e n heilsamen || Nutzen | Widerlegung falscher Lehr | E r innerung Christlicher Gedancken j Straff der || Su[e]nden | Warnung fu[e]r dem Bo[e]sen | Vermahnung zum Guten | || vnd Trost im Creutz verwendet: || Zur Ehre GOttes | vnd Erbawung || der Christlichen Gemeine: || Dritter Jahrgang | || Fu[e]rfahrend | wo es im Andern Jahrgang verblieben | || Sampt angehengtem Register; || Durch [...]. Ulm: Balthasar Kühnen, 1652. W L B : Theol. qt. 7402. Zit.: Evangelien-Postille 3. Propheten=Predigt | ¡¡Von dem vermeinten | durch gantz Teutschland |j verrufften Gerlinger=Propheten in Wu[e]rtem= || berger=Land. || Neben angefu[e]gtem Tractafe]tiein | in sich || begreiffend eine || Entschuldigung deß Propheten= || Streits. || Gehalten zu Eßlingen am Ostermontag | ¡¡Anno 1648. In: Tobias Wagner: Casual= || Predigten. ||Vber allerhand bedenckliche, schwe= || re Fa[e]ll || Welche sich in nechst verflossenen Jahren || vnd gefa[e]rlichen Zeiten haben begeben, || Sampt underschidlichen, mitteinlauffenden, || wichtigen Tractaten vnd Discursen, ||

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M a [ e ] n i g l i c h e n , so wol StattsPersonen, als || andern, zu erwegen nöthig vnd er= || bawlich. || D u r c h || [ . . . ] . Stuttgart: J o h a n n W e y r i c h R ö ß l i n , 1 6 5 8 . W L B : T h e o l . qt. 7 3 9 1 . Z i t . : Casualpredigten (Propheten-Predigt). R e g e n t e n = P r e d i g t | ||Vom Obrigkeitlichen Straff=Ampt | was || es fu[e]r ein A m p t sey. ||Auß d e m B u [ e ] c h l e i n Syrach Cap. 4. v. 9 || [ . . . ] In:Tobias Wagner: Casual= || Predigten. || V b e r allerhand bedenckliche, s c h w e = || re Fa[e]ll || W e l c h e sich in nechst verflossenen Jahren ||vnd gefa[e]rlichen Zeiten haben b e g e b e n , || Sampt u n derschidlichen, mitteinlaufFenden, || wichtigen Tractaten vnd Discursen, || M a [ e ] n i g l i c h e n , so wol StattsPersonen, als || andern, zu erwegen n ö t h i g vnd er= || bawlich. || D u r c h || [ . . . ] . Stuttgart: J o h a n n W e y r i c h R ö ß l i n , 1 6 5 8 . W L B : T h e o l . qt. 7 3 9 1 . Z i t . : Casualpredigten ( R e g e n t e n - P r e d i g t ) . R e g i m e n t s = P r e d i g t j || Von Vera[e]nderungen der R e g i m e n t e r || aufF Erden: || A u ß den S p r u [ e ] c h e n S a l o m o n Cap. 2 8 . v. 2. || [ . . . ] || U b e r d e m hochbetrawrlichen | den 2 3 . Tag Mertzens || dises 1 6 5 7 . Jahrs fu[e]rgangenen to[e]dtlichen || Abieibens | weylund || D e ß Aller=Durchleuchtigsten | Großma[e]chtigsten || Fu[e]rsten und H e r r n | H e r r n || F E R D I N A N D I , | D e ß Dritten dises N a m e n s | || R o j e ] m i s c h e n Ka[e]ysers j ec. || Vnsers Allergna[e]digsten H e r r n s | H o c h l o b = || seligster Geda[e]chtnuß. || [ . . . ] ||Am Sonntag Cantate [ . . . ] || dises 1 6 5 7 Jahrs z u T u [ e ] b i n g e n [ . . . ] gehalten. || In: Tobias Wagner: Casual= || Predigten. ||Vber allerhand b e d e n c k liche, s c h w e = || re Fa[e]ll || W e l c h e sich in nechst verflossenen Jahren || vnd gefa[e]rlichen Zeiten haben b e g e b e n , || Sampt underschidlichen, mitteinlaufFenden, || wichtigen Tractaten vnd Discursen, || Ma[e]niglichen, so wol StattsPersonen, als || andern, zu erwegen nöthig vnd er= || bawlich. || D u r c h || [ . . . ] . Stuttgart: J o h a n n W e y r i c h R ö ß l i n , 1 6 5 8 . W L B : T h e o l . qt. 7 3 9 1 . Z i t . : Casualpredigten (Regimentspredigt). Schlachtordnung || D e ß KampfFs der Kinder G O t t e s ; || Das ist: || E i n Christliche S e r m o n auß der 2. Epistel || Pauli an T i m o t h . CAp. 4 . v. 7. 8. || [ . . . ] || U b e r d e m Seeligen Abieiben || D e r weiland H o c h = W o l g e b o h r n e n Frauen | || Frauen || M A R I A E , || Freyherrin von C r o n e g h | g e b o r = || ner H e r r i n von H o h e n f e l d | j| Freyin | ||Welche den 16. Febr. A O . 1 6 7 1 [ . . . ] in ihrem Erlo[e]ser |j [ . . . ] entschlafFen | [ . . . ] in der K i r c h e n zu S. G e o r g e n beygesetzet || worden || gehalten durch || [ . . . ] . [Tübingen?]: G r e g o r Kerner, [o. J.]. Ü B T : L X V I 51 (ang.). Zit.: Leichenpredigt C r o n e g h . S c h l e c h t vnd R e c h t || D e ß wahren vngefa[e]rbten C h r i s t e n t h u m b s ; || Das ist: || E i n e Christliche Leichpredigt | ||Auß den scho[e]nen W o r t e n Davids | Psal. 2 5 . || vers. 2 1 . 2 2 . || [ . . . ] ||Vber d e m Seligen Ehrnvesten || H o c h A c h t b a r n j v n d W o l w e i -

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sen | H e r r n || Lucas Plattenhardtens | || Burgermeisters der ReichsStatt || Eßlingen. || Welcher dieses hinlaufFenden 1648. Jahrs | j| Dienstags | den 29. Februarij | [...] || sanfft vnd Selig entschaffen | [...] || Gehalten durch [...]. Ulm: Balthasar Kühnen, [o. J.]. Ü B T : L XVI 78.4° (ang.). Zit.: Leichenpredigt Plattenhart. Schul=Ordnungs= |j Predigt | || Nach welcher sich Studenten insge= || mein | sonderlich aber Studiosi Theo= || logiae sollen richten. || Auß d e m Evangelio Luc. 2. v. 45. 46. 47. 48. || [...] In: Tobias Wagner: Casual= || Predigten. ||Vber allerhand bedenckliche, schwe= || re Fa[e]ll || Welche sich in nechst verflossenen Jahren || vnd gefa[e]rlichen Zeiten haben begeben, ]| Sampt underschidlichen, mitteinlauffenden, || wichtigen Tractaten vnd Discursen, || Ma[e]niglichen, so wol StattsPersonen, als || andern, zu erwegen nöthig vnd er= || bawlich. || Durch || [...]. Stuttgart: Johann Weyrich Rößlin, 1658. WLB: Theol. qt. 7391. Zit.: Casualpredigten (Schul-Predigt).

Schwerdt=Predigt | ||Von der Land= || straff desz Krie= || ges | || Auß dem 7. Psalmen | v. 13. || [...] || Gehalten Montags | nach dem || SontagTrinitatis, den 21. Maii 1649. || [...] ¡¡Durch [...]. Ulm: Balthasar Kühnen, [o.J., Vorrede datiert 1649]. Ü B T : Gi 1021.8° (ang.). Zit.: Schwert-Predigt.

Segens= und Valet=Predigt. || Auß dem 128. Psalm, v. 5 || [...] Daß Christliche Eheleutlein | was sie im Zeit= || liehen haben || es sey wenig oder vil | solches || nicht änderst sollen halten | || Als || I. Fu[e]r ein Gab Gottes | weil es der H E r r gibt. || II. Fu[e[r ein Gnaden=Gab || weil es ein Segen. || III. Fu[e]r ein fliessenden Ba[e]chlein auß Zion | da Go= |j tes Wort wird gepredigt. Angebunden an: Tobias Wagner: Epistel=Postill | || Das ist: || SchrifFtma[e]ssige Auslegung || der ganzen Sonn=Fest= u n d || Feyerta[e]glichen Episteln deß Jahrs || Mit beygefu[e]gten Anmerckungen aus den Schafften ¡Lutheri u[e]ber die Hauptlehren einer j e d e n Predigt; || Erster | nämlich Winter= und Fru[e]hlings=Theil | || vom I. Advent biß auf Pfingsten. || Z u Erbauung deß waaren | u n d Einwerffung deß || u[e]berhand gen o m m e n e n Un=Christenthumbs. || Auf unabla[e]ssiges Begehren abgefasst und || an Tag gegeben || Durch || [...]. Tübingen: [o. Dr.], Johann Georg Cotta (Verleger), 1668. Ü B T : Gi 828.4°. Zit.: Segens-Predigt.

Siebenf[e]ltiger || Ehehalten= || Teuffei | || Das ist: || Ein ernsthaffte || S e r m o n | von v b e r h a n d n e m m e n = || der Boszheit der Ehehalten vnd Dienst= || b o t t e n jetziger Zeit: || A m n e u n d t e n Sontag Trinitatis, auß d e m ordinari || Evangelio Luc. 16

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vom vntrewen Haußhalter | an stat || einer R e g e n t e n Predigt gehalten | [ . . . ] || Durch || [ . . . ] . Ulm: Balthasar Kühnen, 1651. Ü B T : Gi 828.b. Zit.: Predigt über Ehehalten. Tax=Predigt | || Uber deß Hochlo[e]blichen Schwa[e]bischen Kreises ||Anno 1651. publicirter Tax=Ordnung | || Auß dem Evangelio Luc. 6. v. 38. || [...]. In: Tobias Wagner: Casual= || Predigten. ||Vber allerhand bedenckliche, schwe= || re Fa[e]ll || Welche sich in nechst verflossenen Jahren || vnd gefa[e]rlichen Zeiten haben begeben, || Sampt underschidlichen, mitteinlauffenden, || wichtigen Tractaten vnd Discursen, || Ma[e]niglichen, so wol StattsPersonen, als || andern, zu erwegen nöthig vnd er= || bawlich. || Durch || [...]. Stuttgart: Johann Weyrich R ö ß l i n , 1658. W L B : Theol. qt. 7391. Zit.: Casualpredigten (Tax-Predigt). T E T P A r Q N N O X || C H R I S T I A N V S : || Das ist | || Ein Lehrhaffte vnd Trostreiche LeichtPredig || auß der Offenbarung Johannis | || am 2. Capitel | vers. 10. ||Von der Christgla[e]ubigen erforderten | || Bestandhafftigkeit | vnd der verhaißnen || Cron deß Lebens: ||Vber dem Seeligen Abieiben | || D e ß Edlen vnd Hochgelehrten H e r r n | || J O H A N - E R H A R D C E L L I I , || Medicinae Doctoris vnd bestehen Physici || deren deß heiligen R e i c h s Statt || Eßlingen: || Welcher am fu[e]nffzehenden Sonntag || nach Trinitatis, namhafftig den 6. Tag Septem= || bris, dises hinlauffenden 1635igsten Jahrs [ . . . ] in H E R R E N eingeschlaffen | [ . . . ] || Gehalten | durch || [ . . . ] . Tübingen: Philibert Brunn, 1636. Ü B T : L X V I 50.4° (ang.). Zit.: Leichenpredigt Cellius (med.). Tobiae Wagners | [ . . . ] || Z w o sonderbare Predigten | || Deren die Erste || Ein Valet=Predigt | || D e n 2. Sontag nach Trinitatis dieses lauffen= || den 1 6 5 3 . Jahrs | in der lo[e]blichen deß Heil. ReichsStatt | Eßlingen gehalten | als er in dem neun vnd zwantzigsten Jahr seines da= || selbsten gefu[e]hrten Predigampts | nacher Tu[e]bingen [ . . . ] ist beruffen worden: || D i e Ander aber || Ein Salve=Predigt | || D e n 5. Sontag nach Trinitatis lauffenden Jahrs z u T u [ e ] = || hingen gehalten | als er dass erste mal daselbsten | als ein Ordinarius die Cantzel b e tretten. || Psalm 3 1 . v. 16. || [ . . . ] . Ulm: Balthasar Kühnen, 1653. Ü B T : Gi 828.a.4°. Zit.: Zwei Sonderbare Predigten. Tu[e]bingische || Friedens=Predig | || Dieses fu[e]rbey lauffenden 1679. Jahrs den 25. Tag May | || welcher war der Soontag Rogate. || Auff dem damals im Hertzogthum Wu[e[r= || temberg angesetzten || Danck=Fest | || Uber dem durch GOttes

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Gnad im H. Ro[e]mischen Reich || zu Nimmo[e]gen geschlossenen || Frieden | ¡| Bey Volckreicher Gemein [...] || gehalten || durch || [...]. Tübingen: Johann Heinrich Reiß, [o. J.]. WLB: Theol. qt. 7396. Zit.: Tübinger Friedenspredigt (1679).

Eine Predigt | || Der kohlschwartze TeufFel || genant. || Auß der ersten Epistel Petri im 5. v. 8. 9. || Uber einem erschro[e]cklichen Fall einer || jungen Mannsperson von Eßlingen | die sich in || Schwermut dem TeufFel mit eignem Blut verschriben | dar= || u[e]ber in Verzweifelung gerathen | aber durch Gottes Gnad || wider zu recht gebracht | und dem Teuffei auß || dem Rachen gerissen worden. || Den 24. Sonntag Trinitat. Anno 1642. in || deren deß H. Reichs Statt Eßlingen [...] gehalten. || Sambt angeha[e]ngter Apologie u[e]ber dise Pre= || digt | wider ein außgesprengtes | zu Dillingen gemachtes || Jesuitisches Paßquill. || In:Tobias Wagner: Casual= || Predigten. ||Vber allerhand bedenckliche, schwe= || re Fa[e]ll || Welche sich in nechst verflossenen Jahren || vnd gefa[e]rlichen Zeiten haben begeben, || Sampt underschidlichen, mitteinlauffenden, || wichtigen Tractaten vnd Discursen, || Ma[e]niglichen, so wol StattsPersonen, als || andern, zu erwegen nöthig vnd er= || bawlich. || Durch || [...]. Stuttgart: Johann Weyrich Rößlin, 1658. WLB: Theol. qt. 7391. Zit.: Casualpredigten (Teufel).

Zehend=Predigt | || Daß man den Zehenden | Kirchen und || Schulen zu unterhalten | trewlich || reichen soll. || Auff sonderbahres Anbefehlen eines Ehrsamen ||Wolweisen Raths | Anno 1646. den 23. Sonntag nach Trinitatis gehalten; umb Unterhaltung der Schul= || Diener willen disen Schul=Dis || cursen annectirt. || Auß dem damaligen Sonntags-Evangelio || Matth. 22. v. 21 || [...]. In: Tobias Wagner: Casual= || Predigten. ||Vber allerhand bedenckliche, schwe= || re Fa[e]ll || Welche sich in nechst verflossenen Jahren || vnd gefa[e]rlichen Zeiten haben begeben, || Sampt underschidlichen, mitteinlauffenden, || wichtigen Tractaten vnd Discursen, || Ma[e]niglichen, so wol StattsPersonen, als || andern, zu erwegen nöthig vnd er= || bawlich. || Durch || [...]. Stuttgart: Johann Weyrich Rößlin, 1658. WLB: Theol. qt. 7391. Zit.: Casualpredigten (Zehnt-Predigt).

Zwo ernsthaffte | scharpffe || Buß=Predigten | || u[e]ber den || Fortsetzenden Erdbidem ||Jm || Hertzogthumb Wu[e]rttemberg | || vnd dero Orten | || So den 19. Tag Mertzens dieses 1655. Jahrs | || Morgens vmb 3. Vhr außgebrochen j mit Ta[e]glich= vnd || Na[e]chtlichem Wiederkommen noch biß auff den 29. April. || hat continuirt. || Sampt angehengter Beschreibung der Vmsta[e]nd desselben: || Bey Volckreicher Gemein zu Tu[e]bingen | die erste am Son= || tag Judica, die andere

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am Ostermontag gehalten | vnd auff insta[e]ndiges Be= || gehren | ma[e]nniglich zur Warnung vnd Büß | in Truck gegeben || Durch || [...]. Tübingen: Gregor Kerner, 1655. WLB: Theol. qt. 7390. Zit.: Zwei Erdbebenpredigten. Zwo Gewissenhaffte || Regenten=Predigten | ||Vom j| Straff=Ampt | der || Obrigkeiten: Ausz dem Bu[e]chlein || Syrachs Cap: 4. v: 9. || [...] || I. Wie nothwendig | nu[e]tzlich vnd wolsta[e]ndig dasselbe im Regiment? || II. Mit was Ernst vnd M o deration solches zufu[e]hren? || [...] || Die erste aufFden 31. Tag Julij, welcher war der 9. Son[n]tagTrinit: || Die andere auff den darauff erfolgten 1. August: Als dann zumahlen ein || Newer Burgermeister vnd Stattamman | der lo[e]blichen Reichs Statt Eßlingen er= || wo[e]hlt | vnd die Vacirende Rathsstellen ordenlich ersetzt worden. || Durch || [...]. Heilbronn: Christoph Krausen, 1642. U B HD: 1, 6679. Zit.: Regenten-Predigten.

Personalwien: KELLER, G E O R G H E I N R I C H

Der Kinder GOttes Seeligkeit | || Vor | Jn und nach dem Tod | ||Aus der Offenbahrung Johannis Cap. 14. v. 13. || [...] || Bey Christlicher Leich=Bega[e]ngnus || Deß || Hoch=Wu[e]rdigen | Groß=Achtbaren | und Hoch= || gelehrten Herrn | j| T O BIAE Wagners | || der Heil. Schrifft hoch=beru[e]hmten || Doctoris, bey allhiesig Tu[e]bingischer Aca= || demi Vil=ja[e]hrigen Cancellari, Cotroversia= || rum Professoris Publici, und der Kirchen allda || StifFts=Prbsten ec. || Welcher Donnerstags den 12. Augusti Anno 1680. || [...] in seinem Erlo[e]ser ein= || geschlaffen | [...] vorgetragen | [...] || von || [...]. Tübingen: Johann Heinrich Reiß, [o. J.]. ÜBT: L XVI 92.4° (ang.). Zit.: Leichenpredigt Wagner.

WEISMANN, CHRISTIAN EBERHARD

(*1677 in Hirsau, f 1747 in Tübingen): Vater: Erich Weismann (Klosterpräzeptor in Hirsau; Prälat zu Maulbronn) 1689 Studium im Ev. Stift 1693 Magister 1699 Repetent 1701 Diakon in Calw 1705 Hofkaplan in Stuttgart 1707 Gymnasialprofessor und Stiftsprediger in Stuttgart 1721 a.o. Prof. der Theologie und Stadtpfarrer in Tübingen 1722 Dr. theol. 1725/6 Prof. der Theologie in Tübingen

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WEISMANN, CHRISTIAN EBERHARD

D. Christian Eberhard Weißmanns || [...] || Christliche || Einseegnungs-Predigt |j Von den || Versuchungen des Satans bey den || Lehrern, sonderlich bey dem Eintrit || in das Predigt-Amt, || Nebst einer |j Antritts-Rede || Von dem j| Gecreutzigten J E S U , als dem || Haupt-Jnnhalt aller Predigten des || N e u e n Bundes || gehalten |j und auf Verlangen zum Druck u[e]bergeben |[von D.Johann Friedrich Cotta [...]. Tübingen: Christian Gottfried Cotta, 1740. W L B : Theol. 4° 7518. Zit.: Einsegnungspredigt

Der herrliche Schatz heiliger Wahrheiten ||in dem Wohlgefallen GOttes || an denen | die ihn fu[e]rchten und auf seine || Gu[e]te hoffen || Bey der traurigen || Leichbega[]ngniß || Des weiland || Hochwu[e]rdigen | Hochgeachten | und Hochgelehrten || H E R R N || Christian Hagmajers | | | T H E O L . D. und P R O F E S S O R I S || P V B L I C I O R D I N A R I I bey lo[e]blicher Vniuer= || sitaetTu[e]bingen, auch Stadtpfarrers und Superintendenten || allhiesiger Stadt und Gemeine; zuletzt Hochfu[e]rstl. ||Wirtembergischen Raths und Pra[e]laten des || Closters Hirschau, || Nachdeme Derselbe || D e n 5. Jan. 1746 nach einem [...] Krankenlager in dem HErrn entschlafen, || [...] Aus Ps C X L I I . 11. || [...] ||Von || [...]. Tübingen: Johann David Bauhof und Johann Gottlieb Frank, [o.J.]. Ü B T : L X V I 15.2° (ang.). Zit.: Leichenpredigt Hagmajer. Die hefftige und gefa[e]hrliche || Feuers=Brunst, || Als || Der Greuel der Verwu[e]stung, || Mit welchem G O T T uns empfindlich heimgesucht, || Auch dabey gna[e]diglich verschonet, || D e n Er aber || ins ku[e]nfftige mit Ernst will verhu[e]tet wissen: ||An || D o m . X X V . nach Fest. Trinit. A. D. M D C C X L I I . || Als dem dazu erwehlten besonderen || Buß= Bett= und Dancktag || in öffentlicher G e meine vorgestellt | || [...] || von || [...]. Tübingen: Joseph Sigmund Witwe, [o.J.]. Ev. Stift: 10 an q 1828. Zit.: Feuersbrunst. Die || Zwar tieff verborgene || Aber || Heyls= volle und seelige || Leitungen und Fu[e]hrungen || G O T T E S | ||Aus Psalm L X X I I I . 2 3 = = 2 6 . || An dem Tage der Beerdigung || Des weyland || Hoch=Wu[e]rdigen | Hoch=Achtbaren und || Hochgelehrten || Hrn. Gottfried || Hoffmanns, || Hochberu[e]hmten Doctoris und Professoris Theologiae || Ordinarii, der hiesigen Kirchen Decani, und Ober=Superattendenten || des Hochfu[e]rstl. Stipendii, || Welcher || Den 8. dec. nechstverwichenen Jahres nach einem ausge= || standenen langwierigen Lager von dem HErrn sanfft und seelig aufgelo[e]set | || [...] || vorgetragen | von || [...]. Tübingen: Hiob Frankens Witwe, [o.J.]. Ü B T : L X V I 17. fol. (ang.). Zit.: Leichenpredigt Hoffmann.

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WÖLFFLIN, CHRISTOPH

( * 1 6 2 5 in Kirchheim/T., f 1 6 8 8 in Stuttgart): Vater: Georg Wölfflin (Diakon in Kirchheim; Pfarrer in O w e n ) Mutter: Catharina Tritschler (Tochter des Ulrich Tritschler, Bürgermeister in N ü r tingen) Verheiratet seit 1651 in 1. E h e mit Maria Lederer (Tochter des J a c o b Lederer, Pfarrer in Frickenhausen); in 2. Ehe mit Judith (Witwe des Johann J a c o b Christmann, Prediger von St. Jacob in Augsburg; Tochter des Georg Albrecht, Superintendent in Nördlingen; in 3. Ehe seit 1680 mit Johanna R ö ß l e r (Tochter des Anton R ö ß l e r , Fürstlicher Oberratssekretär) 1639 1643 1648 1651 1657 1660 1661 1669 1671 1680

Immatrikulation in Tübingen Magister Vikar in Heidenheim Diakon in Urach Diakon in Tübingen a.o. Prof. der T h e o l o g i e in Tübingen Dr. theol. Oberhofprediger in Stuttgart (designierter) Abt in Lorch Propst zu Stuttgart

Christliche || Heimfu[e]hrungs=Predigt | ¡¡Als || D e r Durchleuchstigste Fu[e]rst und H e r r | || H e r r || W i l h e l m Ludwig | || H e r t z o g zu W u [ e ] r t e m b e r g und T e c k | || G r a f zu M o [ e ] m p e l g a r t | || H e r r zu H e y d e n h e i m | ec. j| M i t || D e r auch Durchleuchtigsten Fu[e]rstin und Frawen | || Frawen || Magdalena Sibylla | || verma[e]hlter H e r t z o g i n zu W u [ e ] r t e m b . und Teck | || Gra[e]fin zu M o [ e ] m p e l g a r t | Frauen zu H e y d e n h e i m ec. || G e b o r n e r Landgra[e]fin zu hessen | Fu[o]rstin zu Hersfeld | ec. || Sein Hochfu[e]rstliches || Heimfu[e]hrungs=Fest || in Stuttgart | Donnerstags den 12. Februarij, A n n o 1 6 7 4 . || Hochfu[e]rstlich b e g i e n g e | || Freytags h e r n a c h | den 13. ejusdem in der Fu[e]rstl. H o f = C a p e l l || auf Gna[e]digstes A n b e f e h l e n gehalten | [ . . . ] ||Von || [ . . . ] . Stuttgart: J o h a n n W e y r i c h R ö ß l i n , 1 6 7 5 . W L B : w.G. fol. 2 5 7 . Z i t . : Heimfuhrungs-Predigt. Christliche || Landtags=Predigt | || Als || D e r Durchleuchtigste Fu[e]rst und H e r r | || H e r r W i l h e l m Ludwig | || H e r t z o g zu W u [ e ] r t e m b e r g und T e c k | G r a f || zu M u [ e ] m p e l g a r t | H e r r zu H e i d e n h e i m | ec. || N a c h angetrettener Hochfu[e]rstl. R e g i e r u n g | || und e i n g e n o m m e n e r || E r b = H u l d i g u n g | || dero trew=gehorsamste || Praelaten und Landschafft | || den 2 6 . Februarij, A n n o . 1 6 7 5 . || das Erstemahl gna[e]digst convocirt. ||Jn der Fu[e]rstl. H o f = C a p e l l zu Stuttgarten | [ . . . ] gehalten II! [ . . . ] ||Von [ . . . ] . Stuttgart: J o h a n n W e y r i c h R ö ß l i n , [ o . J . ] . Ü B T : L X I I I 38.4°. Z i t . : Landtags-Predigt ( 1 6 7 5 ) .

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Christliche || Landtags=Predigt | || aus den Worten || 1. R e g n u m IV. vers. 2 4 . 25. || [...] || Anno. 1670. Mittwochs den 12. Januarii, in der || Fu[o]rstl. Hof=Capell zu Stuttgarten ( nach geschehener || Landtags=Proposition, [...] || gehalten | || [...] || Durch [...]. Stuttgart: Johann Weyrich R ö ß l i n , [o. J.]. Ü B T : L X I I I 38. 4°. Zit.: Landtags-Predigt (1670). Christliche || Landtags= || Predigt | || U b e r die Wort || Matthaei X X I I . V e r s 21. || [ . . . ] || Anno 1672. Freytags | den 31. Maji, in der Fu[e]rstlichen || Hof=Capell zu Stuttgarten | nach geschehener Landtags=Pro= || position, [...] j| gehalten j || [ . . . ] || Durch || [ . . . ] . Stuttgart: Johann Weyrich R ö ß l i n , [o.J.]. Ü B T : 13 A 8 2 6 0 . Zit.: Landtags-Predigt (1672). Glu[e]ckwunsch=Predigt | || an dem Hoch=Fu[e]rstl.Verma[e]hlungs=Fest | ||Deß || Durchleuchtigsten Fu[e]rsten und Herrn | || Herrn ||WILHELMI L U = || D O V I C I , || Hertzogens zu Wu[e]rtemberg u n d T e c k h | || Grafens zu Mo[e]mpelgart | Herrens || zu Heydenheim | ec. || So dann || D e r Durchleuchtigsten Fu[e]rstin und Princessin | || Princessin || Magdalena[e] Sibylla[e] | || geborner Land=Gra[e]fin zu Hessen | Fu[e]rstin || zu Hersfeld | Gra[e]fin zu Catzenelnbogen | Dietz | Z i e = || genhain | Nidda | Schawenburg |Ysenburg | und || Bu[e]dingen | ec. || Welches den 6. N o vembris, Anno 1673. in der H o c h = || Fu[o]rstl. Residentz Darmstadt mit Hoch=Fu[e]rstl. Solennita[e]ten || celebrirt worden. ||Jn Gegenwart gna[e]digster Herrschafft | und anderer Fu[e]rstlicher und || Gra[e]fl. Personen | auch sehr volckreicher Versamlung | || in der Fu[e]rstl. Hof=Capell zu Stuttgart abgeleget | [ . . . ] || Von || [ . . . ] . Stuttgart: Johann Weyrich R ö ß l i n , 1673. W L B : w.G. fol. 2 5 6 . Zit.: Hochzeitspredigt.

Personalien: SCHMIDLIN, J O H A N N L A U R E N T I U S

Die Allerseeligste Vergnu[e]gung || Rechtschaffener Kinder Gottes | || Nach Anleitung || Des letzten Vers | in dem 17. Psalmen Davids: || [...] || B e y || Sehr trauriger Leich=Bega[e]ngnuß || D e ß weiland || Hoch=Ehrwu[e]rdigen Groß=Achtbarn und || Hochgelehrten Herrn || C H R I S T O P H O R I || Wo[e]lfflins | || S. S. T h e o l . D o c t . Consistorial=Raths | auch || Hochangesehenen und wol=meritirten Pro= || sten der Kirchen allhier. || Welcher || D e n 30. Octobr. Anno 1688. [...] | in seinem j| H e i land J E S U sanfft [...] entschlaffen | [...] ||Von || [ . . . ] . Stuttgart: Paul Treu, [o.J.]. Ü B T : L X V I 140.4°. Zit.: Leichenpredigt Wölfilin.

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WÜRTTEMBERGISCHE SUMMARIEN

Summarien || Oder gru[e]ndliche || Auslegung || Uber die gantze Heil. SchrifFt || Alten und Neuen Testamentes, || W i e auch Uber die so genannten Apocrypha, || Samt nu[e]tzlicher Unterweisung zum heilsamen Gebrauch im Glauben, || Leben und Leiden, || Hiebevor so wol zu o[e]ffentlicher Kirchen=Andacht, in denen Vesper= || Lectionen in dem Hertzogthum Wu[e]rtemberg und andern || Evangelischen La[e]ndern, || Als auch auf eines ieden Christlichen Haus=Vaters sonderbahre || Haus=Kirche || gestellet: || Nunmehro aber mit Fleiß u[e]bersehen, und mit vielen nu[e]tzlichen || Anmerckungen vermehret, ||Durch || Die ietztmalige Theologische Faculta[e]t bey der Universita[e]t zu ||Tu[e]bingen, nebst besagter Faculta[e]t neuen Vorrede, || Die zweyte Auflage, so zu bequemen Gebrauch in 6. Theile eingerichtet, || und mit no[e]thigen Register versehen worden. || Leipzig: Johann Friedrich Gleditsch, 1709. W L B : Theol. qt. 6 9 0 7 - 1 (Teil 1 - 3 ) . Theol. qt. 6 9 0 7 - 2 (Teil 4 - 6 ) . Zit.: Summarien.

2. Kompendien

HAFENREFFER, MATTHIAS

Loci T h e o l o - || gici || C E R T A M E T H O D O | AC R A T I O N E , I N || tres Libros tributi. || Q V I II E T R E R V M ||THEOLOGICA- || R V M S V M M A S , SVIS || S C R I P T U R A E T E S T I M O - || nijs confirmatas, breuiter continent: earumque || Christianam Praxin paucis commonstrant: ac || nostri denique seculi praecipuas || èxepoSl5aGKaXia Sakrament Alltag 3, 6, 8, 10 f., 13 f., 32, 42, 49, 67, 70, 74, 83, 86, 89, 93, 104, 112, 121, 138, 143, 146, 174, 186 ff., 296, 314, 316, 320, 322, 326 f., 330, 337 f., 348, 354, 365, 372, 374, 376 Amt 18 f., 81, 83, 114, 142, 149, 170, 183, 189, 219 ff., 225, 230, 234, 238-241, 243, 250, 255, 300, 303, 321, 325, 351 f., 355-358, 360 Annihilatio mundi —> Eschatologie Apologie / Polemik 27, 46 f., 134 f., 138 f., 166, 171, 184, 317 f., 372, 374 Arbeit 217 ff, 2 2 1 - 2 2 6 , 228 ff, 235 f., 245, 247 ff, 260, 263, 285, 309, 319, 329, 336, 340 f., 344 Auferstehung —» Eschatologie Aufklärung 41, 222 f., 229, 348 Augsburger Bekenntnis —> Confessio Augustana Augsburger Religionsfrieden 15, 26

Beichte 113, 138, 149, 181, 258, 310, 323, 336, 343 Beruf 58, 85 f., 104 f., 142, 170, 189, 191 f., 206, 216-221, 224 f., 227, 229 f., 237, 260, 268, 341, 351, 357 f. Berufsarbeit 217 f., 220 f., 228, 236, 341 B e r u f u n g 20, 28, 216 , 218, 220, 238, 253, 256, 330, 355, 357, 362, 370 Bibel 4, 24, 28, 31, 37, 41, 46, 48, 53 ff., 58, 61, 79, 81, 88, 119, 122, 132, 149, 152, 174, 216, 253, 255, 281, 284, 292, 300 f f , 304, 306 f., 330, 332, 338 f., 358, 360 f., 369 Buße 3, 12, 69 f., 79 f., 82, 87, 89, 9 1 100, 103-107, 121, 126, 158, 169 f., 271 f., 276 f., 292, 300-310, 312, 320, 334, 340, 363

Calvinisten 33, 38, 114, 117, 141, 262, 318 Christologie 55, 109, 111 f., 114, 118 ff., 135, 137, 162, 182, 309 Confessio Augustana 24-29, 74, 76, 166, 219 Confessio Virtembergica 21, 24, 26, 28

Disziplinierung —> Sozialdisziplinierung Dogmatik 6, 8, 11, 29, 32, 35, 37, 41, 46, 55, 62, 64, 79, 97, 99, 143, 145, 152, 169, 179, 187, 269, 324, 372 D o k t r i n —> Lehre Dreißigjähriger Krieg 39, 41, 147, 158, 214, 279

Ehe / Heirat 49, 85, 127, 132, 172, 179, 187, 189-194, 196-200, 215, 219, 261 f., 331 - Ehebruch 77, 132, 159, 161, 198, 243, 259, 262, 265, 277, 288, 299, 301 f., 325, 333 - Ehehalten —> Hausgesinde - Ehepartner 189-192, 194, 196-200, 204, 206, 215, 262 Eltern 77, 123, 125 ff, 130, 158, 175 f., 189, 192 ff, 196, 2 0 0 - 2 1 0 , 212, 225, 228, 240 f., 246, 251, 267, 308, 341 Epicureer 86, 158, 259, 266 ff, 286, 305, 313, 321, 357 Erbsünde —> Sünde Erziehung —> Kinder Eschatologie 59, 143, 145 f., 148, 153, 155, 162 f., 166, 168 ff, 183 - Annihilatio m u n d i 166, 168 f. - Auferstehung 53, 115, 118, 120, 131, 143 ff, 147, 152 ff, 158, 165 f., 183, 370 - Jenseits 72, 108, 164, 295, 308

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Sachregister

- Jüngstes G e r i c h t / Weltgericht 52, 59, 66 ff., 73, 93, 106 f., 125, 1 3 8 - 1 4 1 , 143 f., 1 4 9 - 1 6 1 , 1 6 3 - 1 7 0 , 182 f., 229, 263, 266, 271 f., 277 f., 283, 289, 294 f., 302 f., 309, 319, 321, 324, 331, 337, 356, 370, 3 7 6 - Tod 3, 11 f., 16, 19, 44, 65 ff., 77, 96, 101, 115, 117 f., 125, 131, 133, 137 f., 141, 1 4 3 - 1 4 8 , 1 5 0 - 1 5 5 , 161, 163, 166, 170, 174, 182, 196, 200, 204, 206, 212, 227, 231, 266, 277, 280 f., 284, 2 8 8 - 2 9 5 , 309, 361, 370 f. - W e l t e n b r a n d 166 - W e l t e n d e 59, 157, 163, 166 Ethik 5, 9, 11 f., 29, 49, 62, 64, 68, 70 ff., 75, 78, 89, 93, 107, 121, 169 f., 178, 181, 186 f., 219, 233, 237, 240, 253, 326, 338 f., 343, 345, 348, 374 Familie —» Haus Formula C o n c o r d i a e 21, 2 5 - 2 8 , 33, 41, 47, 72, 83, 109, 113, 116, 120, 361 Frau —> H a u s m u t t e r F r ö m m i g k e i t 3, 8, 23, 111 f., 116, 129, 163, 242, 294, 304, 312, 315, 319, 323, 329, 373, 375 f. G e b e t 12, 31, 35, 48, 94 f., 112, 116, 147, 150, 152, 180, 182, 224, 276 f., 3 0 6 f., 366 G e l e h r t e n k u l t u r 9, 323, 373 Gesellschaft 1 - 4 , 6 ff., 12, 17, 27, 49 ff., 69, 89, 105, 115, 128, 133, 178 f., 187, 189, 193, 204, 206, 220, 226, 253, 256, 258, 271, 273, 276, 318, 327, 333, 335, 341, 349, 360, 3 6 7 370, 372, 3 7 6 Gesetz 12, 22 f., 27, 31, 43, 52, 60 ff., 64, 67, 70, 74 f., 77, 79 ff., 83 ff., 8 7 91, 9 3 - 1 0 0 , 1 0 2 - 1 0 8 , 112, 132, 136 f., 139 f., 149, 159, 163, 175, 181, 205, 235, 237 f., 240 f., 253, 255, 261 ff., 268, 273, 277 ff., 283, 2 9 3 f., 301, 304, 309 f., 312, 315 f., 320 f., 325 ff., 330 f., 338 f., 355, 358 ff, 362 ff, 3 6 7 - 3 7 0 , 373, 376 - D e k a l o g 30 f., 62, 69, 77 f., 84 ff., 94 f., 100, 105, 136 f., 178, 1 8 0 - 1 8 3 , 1 8 5 - 1 8 7 , 189, 206, 210, 237, 242, 262, 264, 268 f., 288, 296, 310, 312, 319 ff., 328, 335, 339, 351, 359, 362, 368, 374 f.

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Gesetzespredigt 79, 82, 103 f., 276, 283, 296, 302, 316, 323, 352, 354, 358, 360 - Tertius usus legis 62 f., 74, 79, 82 f., 89, 106, 364, 3 7 3 Gewissen 87, 91, 93, 100, 119, 131 f., 136 f., 141, 227, 229, 235 f., 248, 260, 294, 296, 310 f., 327, 334, 336, 340, 342, 345, 352, 3 6 2 - 3 6 9 , 374, 3 7 6 - Gewissensprüfung 136, 327, 340, 365, 367 G l a u b e n 3 f., 6 f., 12, 26, 31, 34, 45, 53 f., 57 f., 62 f., 65 ff, 72 ff., 77 f., 80, 84, 90, 92, 94, 9 6 - 9 9 , 103, 105 ff., 114, 117, 119, 122, 124, 127 f., 134 ff., 139, 159 f., 162, 171, 174 f., 177, 1 8 0 - 1 8 3 , 217, 233, 249, 259 f., 277, 292 f., 3 0 9 ff., 313, 3 1 5 - 3 1 9 , 321, 324 f., 350, 358, 3 6 3 - G l a u b e n s b e k e n n t n i s 24, 30 f., 185, 206 Gottesdienst 21, 46, 132, 213, 217, 2 2 3 f., 229, 240, 242, 247, 249, 275, 279, 286, 3 3 6 - G o t t e s d i e n s t o r d n u n g 29, 3 0 H a u s 2, 12, 31 f., 37, 49 f., 58, 65, 81, 85, 105, 130 f., 142, 150, 158, 176, 178, 1 8 6 - 1 9 0 , 1 9 3 - 1 9 7 , 199 f., 202, 204, 206, 208 f., 2 1 1 - 2 1 6 , 224, 231 f., 236, 241, 246, 263, 285, 294, 327, 331, 344, 3 6 3 - Hausgesinde 194, 214 f., 231, 361 - H a u s m u t t e r 49, 128, 190, 193 f., 202, 204, 211, 215 Frau 132, 155, 163, 189 f., 194 ff, 200, 211, 213, 215 f., 221, 230 f., 260, 265, 285 f., 298, 301 - Hausvater 19, 49, 60, 63, 80, 130, 175 f., 180, 190, 194, 202 f., 209 f., 215, 231 f., 241, 266, 277, 294, 306, 373 M a n n 48, 65, 128 f., 190 ff., 1 9 4 - 1 9 8 , 200, 211, 213, 215, 226, 236, 249, 265, 280, 285 f., 297 Heilige Schrift - > Bibel Heirat —> E h e H e x e n 274, 281 f. H o m i l e t i k 8, 38, 42 f., 45 f., 64 Individualisierung / Individualismus 87, 91, 153, 164 f., 346, 362, 365, 3 6 9 f., 376

Sachregister

Ml

Interim 15

Kultur 3, 322, 372

Jenseits —> Eschatologie Jüngstes Gericht —> Eschatologie

Laien 9, 30, 32, 37, 112 ff., 1 1 9 - 1 2 3 , 127, 140, 159, 171, 184, 187, 216, 300, 319, 349 f., 354, 360, 367 Laster 5, 48, 51, 77, 95 f., 103 f., 106, 125, 133, 138, 161, 225, 227, 247, 2 5 8 - 2 7 2 , 284 f., 287, 295, 316, 370 - Lasterkatalog 259, 264, 275 - Lasterpredigten 10, 74, 102, 104, 258 f. Leben 8, 10 f. 31, 51, 67 f., 70 f., 74, 77, 85, 8 7 - 9 0 , 92 f., 96 ff, 103 ff, 106, 108, 115 f., 131, 133, 136 f., 142, 147 f., 153, 175, 180 f., 189, 196, 221, 224, 237, 249 f., 258, 271, 286, 288, 290, 292 f., 306 ff, 312, 318, 320, 323, 326, 329, 340, 342 f., 348, 354, 357, 366, 368, 372, 374, 376 - Lebensform 12, 49, 92, 106, 216, 218 - Lebensführung / Lebensgestaltung 2, 10, 87, 92, 105, 125, 144, 163, 174, 184, 208, 271, 302, 312, 319, 326, 339, 354, 356, 365 f., 374 - Lebenspraxis 5, 8 ff, 77, 125, 233, 321 - Lebenswandel 88, 97, 104, 121, 124 f., 134, 139, 141, 145, 211, 241 f., 280 f., 283, 326, 335, 365 - Lebenswelt 2 f., 5, 10, 63, 66, 107, 188, 244, 257, 302, 304, 319, 323, 331, 339, 368, 372, 3 7 6 - Lebenswirklichkeit —> Wirklichkeit (soziale) Lehre 1, 3 - 6 , 8 ff, 13, 15, 17 f., 22, 24 f., 27 f., 32, 36 ff, 42, 46, 48 ff., 53 ff., 63, 68, 71, 74 f., 77, 82 f., 86, 91, 95, 97 f., 100 f., 104 f., 113 ff, 1 1 8 - 1 2 3 , 127, 129, 1 3 2 - 1 3 5 , 139 f., 143 f., 147 f., 150, 1 5 2 - 1 5 5 , 157, 164, 166, 169, 171 f., 1 7 4 - 1 7 7 , 1 7 9 - 1 8 7 , 206, 229, 236 ff, 242, 252 ff, 278, 299 f., 305, 308, 3 1 3 - 3 2 1 , 330, 337 f., 341, 344, 350, 353, 356 ff, 361, 365, 370, 372 ff, 376 Lehrer —» Schulmeister Lutheraner / Luthertum 7, 22, 25 ff, 114, 119, 128, 160, 177, 186, 229, 253 f., 280, 309 ff., 313, 376

Katechismus 27, 2 9 - 3 2 , 38, 48, 171 f., 1 7 4 - 1 8 1 , 1 8 4 - 1 8 7 , 201, 217, 249, 306, 316, 322, 344, 373 - Katechismuspredigt 47, 83, 172, 176, 179, 185 Katholizismus 49, 361, 375 Kinder 60, 70, 78, 121, 123 f., 126 ff., 130, 136, 141 f., 154, 158, 163, 167, 175 f., 189, 1 9 1 - 1 9 4 , 196 f., 199-213, 221, 228, 230 ff, 251, 261, 263 f., 280, 284, 287, 291, 298, 300 f., 306, 308, 341 - (Kinder)Erziehung 23, 175, 201, 2 0 5 208, 210 ff, 227, 276, 344, 366 - Kinderlosigkeit 199 - Kinderreichtum 199 Kirche 3 f., 11, 20 f., 23, 27 f., 32 f., 38, 4 2 - 4 7 , 49 f., 53 f., 58, 115, 117 f., 122 f., 126, 128 ff., 134 f., 147, 162, 166, 171 f., 175 f., 178, 198, 208, 238 f., 249 f., 290, 298, 300 f., 317 f., 329, 333, 3 4 9 - 3 5 2 , 361, 367, 373, 375 - Kirchenbesuch —> Gottesdienst - Kirchenlied 153, 164 f., 207, 222, 296, 375 - Kirchenordnung 18, 2 0 - 2 3 , 25 f., 28 ff., 41, 127 f., 135, 137, 147, 250, 334, 352, 361 - Kirchenregiment 16 f., 21 f., 238, 255, 349 - Kirchenväter 28, 166 - Kirchenzucht 178 f., 333 f. - Landeskirche 21, 348 f., 351, 376 Kompendium 3 2 - 3 8 , 79, 96 ff, 101, 121, 133 f., 137, 150, 152, 159, 161 f., 167, 172, 185, 314, 316, 373 f. Konfessionalisierung 27 f., 187, 233, 326, 374 ff. Konkordienbuch 26 f., 30 Konkordienformel —> Formula Concordiae Krankheit 3, 12, 95, 105, 132, 170, 200, 215, 224, 231, 260, 262, 264, 275, 280, 290 f., 293, 304, 309, 311, 369 Krise 12, 168 f., 260, 295 f., 311, 329

M a n n —» Hausvater Mentalität 72, 103, 227, 268, 270, 304, 306, 330

478

Sachregister

Moderne 3 6 2 , 3 6 8 ff., 375 Moralisierung 370, 373, 3 7 5 Naherwartung 59, 155 f., 163 f., 337 N o r m / Normen 1, 5, 9 ff., 13, 50, 55, 63, 69, 79 f., 84, 87 ff., 95, 102, 104, 107, 138, 140, 188 f., 192, 229, 234, 237, 257 f., 260, 269, 312, 3 1 9 ff., 323, 3 3 5 ff., 3 4 3 , 345, 348, 354, 3 6 0 f., 3 6 4 f., 3 6 7 , 372 ff., 3 7 6 Obrigkeit 12, 17, 22, 51, 77, 96, 132 f., 140, 158, 163, 172, 176, 192, 200, 2 0 5 , 207, 210, 215, 226, 2 3 4 - 2 4 7 , 2 4 9 fT., 253 ff., 261, 263, 2 6 5 ff., 2 7 6 f., 281, 2 9 1 , 298, 301, 303, 3 4 0 , 3 4 4 , 3 4 9 - 3 5 5 , 361 f., 367, 3 7 5 Papst / Papsttum 24, 166, 282, 3 1 8 , 325 Perikope / Perikopenordnung 11, 43 f., 46, 137, 159, 186, 236, 274, 276, 329 ff. Pietismus 7, 13, 35, 41, 46, 8 8 - 9 2 , 98, 215, 220, 3 1 4 , 3 2 9 , 3 3 7 - 3 4 4 , 3 4 6 f., 368, 3 7 6 Polemik —> Apologie Politik 24, 49, 2 5 3 f., 2 5 6 f., 327 Praxis / Praxisbezug 4, 17, 29, 32, 34, 51, 74, 81, 89, 93, 105 f., 135, 141, 180, 187, 192, 199, 2 3 1 , 305, 320, 3 3 3 f., 338, 3 7 3 f. Präzeptoren —» Schulmeister Predigthörer 37, 63, 120, 163, 180, 3 0 0 Protestantismus 2, 49, 375 Realität (soziale) —> Wirklichkeit (soziale) Rechtfertigung 7, 11 f., 23, 25, 31, 58, 62 f., 7 1 - 7 8 , 85, 89 f., 93, 1 0 3 - 1 0 7 , 119, 125, 137, 146, 165, 171, 1 8 0 183, 310, 319, 3 2 1 , 326, 3 7 4 Reformation 3 f., 8, 14 ff., 21 ff., 47, 58 f., 63, 134, 150, 155, 166, 193, 219, 221, 2 3 3 , 238, 340, 347 f., 364, 370, 374, 3 7 6 R e l i g i o n 1 ff, 6, 8, 13, 27, 48, 131 ff, 174, 237, 3 2 4 , 336, 354, 3 7 2 Renaissance 2 1 6 Rezeption 4, 6 f., 155, 2 9 9 f., 3 1 9 , 3 3 0 , 373 Sakrament 3, 12, 95, 1 2 1 - 1 2 7 , 129, 132, 134 f , 138, 141, 171, 180, 229, 241, 2 7 5 , 3 1 0 , 319, 355, 3 5 8

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Abendmahl 25, 27, 29, 31, 55, 112 f., 1 2 0 - 1 2 4 , 1 3 4 - 1 4 3 , 146, 149, 162, 168 f. - Taufe 31, 90, 1 2 1 - 1 3 4 , 146, 160, 1 7 9 182, 199, 2 2 8 f., 235, 2 6 4 , 3 3 3 , 3 3 6 Satan —» Teufel Schmalkaldischer Krieg 15, 24 Schuld 43, 60 f., 81, 99, 105, 139 f., 191, 268, 280, 308, 3 2 0 , 3 6 0 , 3 7 0 - Schuldbewußtsein 99, 103 ff, 345, 3 7 3 Schule 21, 23, 32, 43, 68, 132, 176, 178, 184, 208, 2 4 9 ff., 2 6 1 , 3 5 3 , 3 6 1 , 3 7 3 Schüler 176, 222, 251, 3 3 5 Schulmeister 27, 37, 43, 157, 161, 172, 176, 193, 205, 2 0 8 , 222, 240, 2 5 0 f , 309, 3 3 5 Sozialdisziplinierung 49, 178, 302, 3 3 4 f., 349, 367, 370, 372, 3 7 5 Sozialisation 204, 258, 293, 3 4 5 Staat 3, 11, 17, 23, 27 f., 49 f., 58, 194, 2 3 6 ff, 246, 252 f., 256, 333, 3 4 8 f., 351 f., 361 f., 3 7 0 Stand / Ständelehre 2 4 - 2 7 , 50, 68, 115, 142, 158, 191, 193, 199, 2 0 0 , 2 0 6 , 214, 2 1 8 - 2 2 2 , 2 2 5 f., 228, 2 3 9 ff, 247, 2 5 6 f., 2 6 1 , 2 6 4 f., 267, 299, 3 2 7 , 340, 357 Stift, Evangelisches 16, 18 Strafe 3, 5, 42, 70, 77, 80, 87 f., 9 3 ff., 102, 104 ff., 108, 144 f., 158, 164, 191, 207, 2 1 0 , 2 1 2 , 2 1 4 f., 227 f., 243, 261 ff., 266, 268, 2 7 1 - 2 7 8 , 280, 282 f., 291, 295, 299, 302 ff, 308, 310, 320, 3 2 3 f., 326, 3 3 3 ff., 3 5 2 f., 365 Sünde / Sünder 12, 61 f., 66, 72 f., 77, 80 f , 83, 87, 89 f , 92, 94 ff., 9 9 - 1 0 6 , 108, 121, 124 ff, 133, 1 3 6 - 1 4 0 , 145, 156, 161, 171, 180 ff., 205, 226, 242, 247, 254, 2 5 8 - 2 6 3 , 2 6 8 - 2 7 4 , 2 7 8 ff, 281 f., 2 8 4 f., 290, 294, 299, 301 ff, 3 1 2 f., 316, 3 2 0 f., 3 2 4 f., 3 2 7 , 3 3 2 f., 3 4 0 , 356, 358, 3 6 3 - E r b - 26, 60 f., 100 ff., 126 f , 2 0 5 , 2 6 0 , 268 f., 3 2 0 - Sündenbekenntnis 136, 142, 3 1 6 - Sündenbewußtsein 89, 103, 296, 3 7 3 - Sündenerkenntnis 136, 2 6 8 - Sündenfall 59, 61, 79, 191, 224, 2 2 8 , 239, 2 6 0 - Sündenvergebung 31, 72 f., 122, 134, 137, 180, 3 2 4

Sachregister

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Sündenzucht 333, 375

Taufe —> Sakrament Tertius usus legis —» Gesetz Teufel / Satan 54 f., 57 ff., 61, 66, 96, 106, 128, 139 f., 161, 164, 214, 227, 254, 257 f., 260, 264, 266 ff., 271, 274, 281-288, 293, 313, 316 Tod —> Eschatologie Todesstrafe 263 Todschlag 263, 267 Tradition 22, 35, 84, 135, 144, 156, 165 f., 201, 233, 257, 270, 288, 330, 339, 353, 362, 368 f. Transformation 1, 5 ff., 9 f., 13, 38, 64, 112, 269, 300, 302, 321, 373, 376 Trost 3, 5, 42, 45 f., 48, 80, 89, 106, 109, 113, 115, 117 f., 133, 137 f., 141, 150 f., 153, 157, 174 f., 198 f., 230, 249, 280, 293, 296, 298, 309, 312, 321, 354, 357, 365 f. Tugenden 5, 48, 51, 95 f., 103, 107, 133, 196, 205 f., 221 ff., 227, 233, 245, 249, 253, 270, 295, 364 Ubiquität(slehre) 25, 27, 112, 115, 120, 168 f.

479

Universität 14 ff., 18, 26, 28, 32, 38, 109, 298, 353 Untertanen 12, 51, 158, 210, 226, 241 f., 2 4 4 - 2 4 8 , 255 f., 267, 276, 284, 296, 299, 302, 344, 349, 351 f., 362, 367 Visitation 19, 21, 222, 258, 323 — Visitationsordnung 22 f., 245 Volk 8, 10, 22, 102, 122, 127, 171, 186, 237, 249, 261 f., 322, 373 — Volksfrömmigkeit 9, 373 - Volkskultur 9 f., 323, 373, 376 - Volksreligion 8 ff., 305, 323 Weltdeutung Lebensdeutung Weltenbrand —> Eschatologie Weltende —> Eschatologie Wirklichkeit (soziale) 5 f., 8, 10, 12 f., 18, 51, 63, 66 f., 70, 75, 77, 107 f., 117, 152, 168, 178, 253, 256, 258, 277, 279, 305, 322, 359, 372, 376 Württembergisches Bekenntnis —> C o n fessio Virtembergica Z e h n Gebote —> Gesetz Zweireichelehre 22 f., 58, 235, 237 ff., 241, 253 ff., 344, 351, 362