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German Pages 299 [300] Year 1998
'(matron
Studien zur Geschichte und Theorie der dramatischen Künste
Herausgegeben von Hans-Peter Bayerdörfer, Dieter Borchmeyer und Andreas Höfele
Band 23
Katharina Keim
Theatralität in den späten Dramen Heiner Müllers
Max Niemeyer Verlag Tübingen 1998
D 19 Philosophische Fakultät für Geschichts- und Kunstwissenschaft Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Keim,
Katharina:
Theatralität in den späten Dramen Heiner Müllers / Katharina Keim. - Tübingen : Niemeyer, 1998 (Theatron ; Bd. 23) ISBN 3-484-66023-6
ISSN 0934-6252
© Max Niemeyer Verlag GmbH & Co. KG, Tübingen 1998 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Druck: Weihert-Druck GmbH, Darmstadt. Einband: Buchbinderei Siegfried Geiger, Ammerbuch.
Vorwort
Die vorliegende Studie entstand in den Jahren 1992-95 im Rahmen des Graduiertenkollegs »Theater als Paradigma der Moderne« an der Johannes-Gutenberg-Universität, Mainz. Während der Durchführung dieser Untersuchung genoß ich nicht nur eine großzügige finanzielle Unterstützung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft, sondern durfte auch stets von den wertvollen Anregungen und der hilfreichen Kritik aller am Kolleg beteiligten Wissenschaftler profitieren. Die Konzeption dieser Arbeit wurde maßgeblich durch die Leiterin des Kollegs, Prof. Erika Fischer-Lichte, sowie durch die Gastvorträge von Prof. Helmar Schramm und Bonnie Marranca beeinflußt. Sehr förderlich war auch die Kooperationsbereitschaft, die mir bei der Materialrecherche von Seiten der Theater und Archive entgegengebracht wurde. Vor allem Prof. Jean Jourdheuil, Paris, Robert Wilson sowie den Mitarbeitern der Byrd Hofmann Foundation, New York, dem Deutschen Theater und dem Zentrum für Theaterdokumentation und -information, Berlin, bin ich für Ihre Hilfestellung sehr verbunden. Mein ganz besonderer Dank gilt meinem langjährigen Lehrer Prof. HansPeter Bayerdörfer, der mir während meiner gesamten Studienzeit stets seine Unterstützung zuteil werden ließ und die Fertigstellung und Publikation dieser Arbeit unermüdlich förderte. Für die Aufnahme des Bandes in die Reihe »Theatron« möchte ich ihm sowie Prof. Dieter Borchmeyer und Prof. Andreas Höfele danken.
München, im Juni 1997
Die Verfasserin
V
»Qu'est-ce que theätraliser? Ce n'est pas dicorer la representation, c'est illimiter le langage.« (Roland Barthes: Sade, Fourier, Loyala)
Inhalt
Zum Stand der Heiner Müller Forschung
1
I.
Theatralität des dramatischen Textes
5
1.
Zur Problemlage
7
2. 2.1. 2.2. 2.3.
Der kulturhistorische Ansatz von Helmar Schramm . . . . Theater als metaphorisches Modell Theater als rhetorisches Modell und als schöne K u n s t . . . Thesen zur Theatralität und zum Funktionsverständnis Von Kunst in der späten Dramatik Heiner Müllers
II. Dramenanalysen
12 12 26 38 43
1.
»DIE HAMLETMASCHINE«
45
1.1. 1.2 1.3. 1.4. 1.4.1. 1.4.2. 1.4.2.1. 1.4.2.2. 1.5.
Methodische Vorbemerkungen Typographische Markierung der Interferenz Der Rollenbegriff Intertextualitätsstrukturen Die Prätexte Kontiguitäts-und Similaritätsbeziehungen Die Rekurrenz von Lexemen und Motiven Die Montage von Stilebenen und Zitaten Der dramatische Text als Inszenierung der Sprache
45 51 55 59 59 63 63 69 72
2.
»QUARTETT«
79
2.1. 2.2. 2.3.
Zur Tektonik des Dramas Kommunikationsstrukturen in der Briefromanvorlage... Der Diskurs des Körpers - Die semantische Ebene der dramatischen Rede Ein überkommenes Konversations- und Denkmodell im Leerlauf - Die syntaktische Ebene der dramatischen Rede
79 82
2.4.
87
94 VII
3.
»VERKOMMENES UFER MEDEAMATERIAL LANDSCHAFT MIT ARGONAUTEN«
3.1. 3.2. 3.3.
Die Verwendung des Medea-Mythologems in den Werken Müllers Entmythologisierung des Mythos Das »Verschwinden des Subjekts« als philosophisches und poetologisches Programm
101
101 103 112
4.
»BILDBESCHREIBUNG«
122
4.1. 4.2. 4.3.
Theatergeschichtliche Situierung des Textes Der selbstreflexive Blick Analyse des Autorkommentars
122 127 140
5.
Zusammenfassende Bemerkungen zur Produktions-und Wirkungsästhetik Müllers
III. Aufführungsanalysen
150 159
1.
Zur Methode
161
2.
Robert Wilson
169
2.1. 2.2. 2.3. 2.4 3. 3.1. 3.2.
»Hamletmaschine« »Quartett« »Medea« »Alkestis« Jean Jourdheuil und Jean-Frangois Peyret »Le cas Müller« »Paysage sous surveillance«
172 185 192 200 219 222 231
4. 4.1. 4.2.
Heiner Müller »Hamlet/Maschine« »Mauser Quartett Der Findling«
240 240 248
5.
Transformationsprinzipien der Inszenierungen
259
Schlußbemerkung
265
IV. Literaturverzeichnis
269
VIII
Zum Stand der Heiner Müller-Forschung
Das dramatische Werk des Schriftstellers Heiner Müller wurde bislang fast ausschließlich vom literaturwissenschaftlichen Standpunkt aus untersucht. Dieser Tatbestand ist um so verwunderlicher, als doch bereits Marc Silbermann in seinem 1980 entstandenen Forschungsbericht schon eingangs darauf hinweist, daß Müllers Theatertexte gerade gegen das Theater geschrieben sind: »Für Müller ergibt sich die Bedeutung eines Stückes aus seiner Herausforderung an die Schöpferkraft und die Veränderbarkeit des modernen Theaters (hierzu zählt auch das Publikum).« 1 Silbermann betont, daß für eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der Rezeption eines dramatischen Textes eine Differenzierung zwischen Lese- und Aufführungspraxis getroffen werden müsse und konstatiert im Hinblick auf die Heiner MüllerForschung: »Was die Rezeption Müllers betrifft, wird diese Unterscheidung noch kaum zur Kenntnis genommen.«2 An dieser Situation hat sich bis heute wenig geändert. Die 1993 erschienene, von Ingo Schmidt und Florian Vaßen zusammengestellte »Bibliographie Heiner Müller« dokumentiert, daß Müllers Stücke, die seit den siebziger Jahren zunehmend mit den traditionellen dramatischen Kategorien brechen, von der wissenschaftlichen Literatur bislang kaum auf ihre spezifisch »theatralen« Qualitäten hin untersucht worden sind.3 Eine Ausnahme stellt hierbei lediglich die Dissertation von Gerda
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Silbermann, Marc: Heiner Müller (Forschungsbericht), Amsterdam, 1980, S. 10. Ebd. S . U . Schmidt, Ingo / Vaßen Florian: Bibliographie Heiner Müller, Bielefeld, 1993. Hierin finden sich eine weitgehend vollständige Bibliographie sämtlicher Veröffentlichungen der Werke und Äußerungen Heiner Müllers, eine Auflistung der wissenschaftlichen Artikel sowie der Rezensionen überregionaler Zeitungen und Zeitschriften zu den einzelnen Dramen bzw. ihren Aufführungen und ausführliche Kommentare zu allen selbständigen Publikationen über Heiner Müller. Daher kann hier auf die Darlegung der Schwerpunkte und Thesen der einzelnen Arbeiten weitgehend verzichtet werden und es sei zu diesem Zweck auf die Bibliographie verwiesen. Müllers außerordentlich vielschichtige Texte erlauben natürlich die verschiedensten Interpretationsmöglichkeiten. Eine neokonservative Vereinnahmung, wie sie Richard Herzinger unternimmt, ist jedoch angesichts der Komplexität von Müllers Werk nicht ganz unproblematisch. Siehe hierzu: Herzinger, Richard: Masken der Lebensrevolution. Vitalistische Zivilisations- und Humanismuskritik in Texten Heiner Müllers, München, 1992.
1
Baumbach aus dem Jahre 1977 dar, die allerdings nicht veröffentlicht werden konnte und daher von der Forschung weitgehend unbeachtet blieb. Baumbach kommt es in ihrer Untersuchung darauf an, »die Aneignungsangebote der Texte [Müllers] für Theater und Publikum« sowie »das Verhältnis des Autors zur Realität, zu literarischen Traditionen, zum Theater« herauszuarbeiten.4 Sie gelangt dabei zu der Schlußfolgerung, daß die Dramen Müllers »Versuchsanordnungen« sind, die auf eine Neuordnung der literarischen und theatralen Kommunikation abzielen: Diese Texte [Müllers aus den sechziger und frühen siebziger Jahren] reißen den Leser/Zuschauer in einen Prozeß hinein, der weder Anfang noch Ende hat. [...] Sie bieten Raum zum Mitschaffen, mit ihnen muß gearbeitet werden. Nicht der Autor ist es, der sie >fertigmachen< könnte, denn er macht schreibend die >Werkstatt< auf. Die Texte sind Versuchsanordnungen für ein >Laboratorium sozialer Fantasie^
Vorliegende Arbeit schließt an Baumbachs These der Modifikation der theatralen Praxis durch die dramatische Produktion an und wird sie anhand der späten Dramen Heiner Müllers »DIE HAMLETMASCHINE«, »QUARTETT«, »VERKOMMENES UFER MEDEAMATERIAL LANDSCHAFT MIT ARGONAUTEN« und »BILDBESCHREIBUNG« sowie ausgewählter Aufführungen dieser Stücke diskutieren und erheblich erweitern. Während Baumbach Müllers Dramen noch in der Tradition der Brechtschen Lehrstücke verortetet,6 - was für die von ihr untersuchten Texte mit Einschränkungen auch noch berechtigt ist - wird hier davon ausgegangen, daß Müller ab Mitte der siebziger Jahre das Brechtsche Lehrstückmodell in seinen Dramen verabschiedet hat. Vielmehr sind diese, wie Hans-Thies Lehmann bereits 1982 dargelegt hat, von den Theorien der französischen Poststrukturalisten beeinflußt. 7 Dieser Einfluß wurde in fast allen neueren Publikationen zwar generell konstatiert, jedoch nur selten im Hinblick auf die von Müller vorgenommene Definition seiner Texte als Dramen und die damit einhergehende Anbindung an die Theaterpraxis hinterfragt. 8 So setzt sich zwar
4
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2
Baumbach, Gerda: Dramatische Poesie für Theater. Heiner Müllers »Bau« als Theatertext, Dissertation zur Promotion Α (Masch.), Karl-Marx-Universität, Leipzig, 1977, S. 11. Ebd. S. 186. Ebd. S. 188ff. Lehmann, Hans-Thies: Raum-Zeit. Das Entgleiten der Geschichte in der Dramatik Heiner Müllers und im französischen Poststrukturalismus, in: Text + Kritik Nr. 73: Heiner Müller, München, 1982, S. 71-81. Vergleiche hierzu auch die folgenden Arbeiten: Maltzan, Carlotta von: Zur Bedeutung von Geschichte, Sexualität und Tod im Werk Heiner Müllers, Frankfurt/M., 1986; Teichmann, Klaus: Der verwundete Körper - Zu Texten Heiner Müllers, Freiburg, 2. Aufl. 1989. Teraoka hingegen ordnet Müllers Stücke gleich eingangs der Postmoderne
Norbert Otto Eke im Einleitungskapitel seiner Dissertation zu Müllers neueren Dramen mit diesem Aspekt auseinander und bestimmt als Impuls der »Schriftpraxis« Müllers » d i e Idee einer grundlegenden Neuordnung der kommunikativen Bedingungen von Kunst und des Funktionszusammenhangs zwischen Text/Bühne und Publikum mittels einer ästhetischen Praxis, die einen neuen Umgang mit Kunst voraussetzt - als offener Spielvorlage und Material einer kollektiven Selbstverständigung zur Erkundung und Erweiterung des kulturellen Möglichkeitsspielraums.« 9 In den aus philologischer Sicht sehr ausführlichen und genauen Einzelanalysen der Texte Müllers berücksichtigt er jedoch den gesellschaftlichen Modellcharakter des Theaters, der bisweilen auch in den Dramen selbst durch metadramatische Techniken und metatheatrale Anspielungen reflektiert wird, nur unzureichend. Ein ähnliches Manko weist auch die Arbeit von Andreas Keller auf. Zwar konstatiert er im theoretischen Teil seiner Arbeit den Einfluß der historischen Avantgarde - wie etwa den von Artaud - auf Müllers spätere Dramatik, doch werden diese Erkenntnisse dann im weiteren Verlauf der Arbeit in den exemplarischen Besprechungen von Texten der siebziger und achtziger Jahre überhaupt nicht funktionalisiert. 10 Die vielleicht produktivste Annäherung an das späte Werk Müllers stellt Joachim Fiebachs essayistische Studie »Inseln der Unordnung« dar.11 Seine Untersuchung erlaubt die Schlußfolgerung, daß das dramaturgische Konzept der Müllerschen Texte als eine künstlerische Reaktion auf die allumfasssende Inszenierung sämtlicher Lebensbereiche und -praktiken in der medialisierten postindustiellen Gesellschaft verstanden werden kann, die in den Dramen demaskiert wird. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, daß die Theaterkunst heutzutage längst nicht mehr eine der wichtigen symbolischen Öffentlichkeiten darstellt und daher nur noch marginal wirksam sein kann.
zu und etikettiert sie dann - aufgrund der unübersehbaren politisch-sozialen Gebundenheit der Texte - mit dem im Kern zwar treffenden, jedoch in der Wortwahl etwas unglücklichen Label des »revolutionären Postmodernismus«. Teraoka, Ariene Akiko: The Silence of entropy or universal discourse: the postmodern poetics of Heiner Müller, N e w York, 1985. Einen repräsentativen Überblick über die Ergebnisse der neueren Forschung, die inzwischen auch Müllers eigene Inszenierungen berücksichtigt, bieten die wissenschaftlichen Beiträge in dem folgenden Sammelband: Klussmann, Paul Gerhard / Mohr, Heinrich (Hrsg.): Spiele und Spiegelungen von Schrecken und Tod. Zum Werk von Heiner Müller. Sonderband zum 60. Geburtstag des Dichters ( = Jahrbuch zur Literatur in der D D R , Bd. 7), Bonn, 1990. 9
Eke, Norbert Otto: Heiner Müller - Apokalypse und Utopie, Paderborn, 1989, S. 23.
Ό Keller, Andreas: Drama und Dramaturgie Heiner Müllers zwischen 1956 und 1988, Frankfurt/M., 1992. ''
Fiebach, Joachim: Inseln der Unordnung. Fünf Versuche zu Heiner Müllers Theatertexten, Berlin, 1990.
3
Müller hat diesen Wandel des Verhältnisses von Theaterkunst und Gesellschaft im Autorkommentar zu seinem Stück »ANATOMIE TITUS FALL OF ROME - EIN SHAKESPEAREKOMMENTAR« thematisiert: »Die Theatralisierung der Wirklichkeit durch Politik als Dependance von Technologie wirft das Theater auf seine Wirklichkeit zurück, deren Zeitmaß die gebremste Explosion.« 12 Die Konzentration auf die eigene Spezifität der Theaterkunst angesichts einer allgemeinen Krise der Systeme führt zu einer Revision der ästhetischen Kategorien und Regeln im Werk selbst. 13 Hierzu insistiert Müller zum einen auf der Materialität, der »Oberfläche« des Textes, wodurch eine vorschnelle Bedeutungszuschreibung verunmöglicht wird. Zum anderen experimentiert er mit unterschiedlichen Spielarten von Intertextualität, die nicht nur den Bezug zu anderen Kunst-Texten herstellen, sondern auch ganz massiv auf deren geschichtliche Entstehungskontexte und die Bedingungen ihrer Textproduktion eingehen. 14 Diese Merkmale von Müllers Schreibpraxis geben Anlaß, sein vielschichtiges Spätwerk von einem neuen Blickwinkel aus zu beleuchten. Während bislang in den meisten wissenschaftlichen Untersuchungen zu seinen Texten die sich in ihnen manifestierende Haltung zur Geschichte bzw. zu einem bestimmten Geschichtsmodell den Schwerpunkt bildet, 15 wird hier eine andere Fragestellung im Mittelpunkt stehen: Müllers späte Dramen sollen als eine mit intertextuellen Verfahren operierende, metadramatische und metatheatrale Reflexion des europäischen Dramen- und Theatermodells der Neuzeit, das als Spiegel der okzidentalen Kultur und ihrer Denkweisen fungiert, angesehen werden, wobei zunächst die Schreib- und Lesepraxis und anschließend die Aufführungspraxis Gegenstand der Analyse sind.
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Müller, Heiner: ANATOMIE TITUS FALL OF ROME - EIN SHAKESPEAREKOMMENTAR, in: ders.: Shakespeare Factory 2, Berlin, 1989, S. 125-225, Zitat S. 224. In diesem Punkt entspricht Müllers Dramenästhetik der Bestimmung »postmoderner« Kunstwerke durch Lyotard. Siehe hierzu: Lyotard, Jean-Fransois: Beantwortung der Frage: Was ist postmodern?, in: Welsch, Wolfgang: Wege aus der Moderne. Schlüsseltexte der Postmoderne-Diskussion, Weinheim, 1988, S. 193-203. Es sei allerdings darauf hingewiesen, daß das seine eigenen Regeln produzierende Kunstwerk bereits in der historischen Avantgarde eine gängige Praxis war. (Vergleiche hierzu auch die Ausführungen im folgenden Kapitel.) Siehe hierzu Fiebach, 1990, S. 154-156. Vergleiche hierzu besonders: Schulz, Genia: Heiner Müller, Stuttgart, 1980. Schulz' Arbeit hat die westdeutsche Müller-Rezeption lange Zeit entscheidend geprägt. Zum Geschichtesverständnis Müllers siehe auch die Dissertation von Raddatz, Frank M.: Dämonen unterm roten Stern. Zu Geschichtsphilosophie und Ästhetik Heiner Müllers, Stuttgart, 1991.
I. Theatralität des dramatischen Textes
1.
Zur Problemlage
Vorliegende Arbeit geht davon aus, daß Müllers späte Dramatik als eine produktive Auseinandersetzung mit der europäischen Dramen- und Theatertradition gelesen werden kann und daß sich in seinen Werken ein Beharren auf einem in der historischen Avantgarde verwurzelten gesellschaftlichen Funktionsverständnis von Kunst ausmachen läßt. Während diese jedoch laut Peter Bürger die naive Forderung nach einer »Überführung von Kunst in Leben« 1 proklamierte, operiert Müllers innovative Dramaturgie angesichts einer veränderten gesellschaftlichen Wirklichkeit auf einer anderen Ebene. Die traditionellen dramatischen Kategorien des Illusionstheaters werden hier revidiert zugunsten eines metadramatischen Spiels mit den Versatzstücken abendländischer Kulturtradition, das deren künstlerische und gesellschaftliche Strukturen bloßlegt. Dabei entwirft die Organisationsform der symbolischen sprachlichen Zeichen gleichzeitig die Voraussetzungen für eine veränderte theatrale Bedeutungsproduktion in ihrer szenischen Umsetzung, die beim Rezipienten einen modifizierten Wahrnehmungsmodus bewirken soll und so dem Theater die Funktion eines subjektiven Erfahrungsund Möglichkeitsspielraums angesichts einer medialisierten, fraktal und undurchschaubar gewordenen Alltags weit zurückgeben soll. Müllers Theaterkonzeption insisitiert hierzu in besonderer Weise auf der Materialität der Zeichen, die den internen theatralen Code bilden. Die Besonderheit des Theaters liegt im Unterschied zu den anderen ästhetischen Systemen ja darin begründet, daß jene ihre Zeichen in homogenem Material realisieren, während das Theater das heterogene Material der umgebenden Kultur als seine eigenen theatralen Zeichen, die Zeichen von Zeichen sind, verwendet. Dieses Spezifikum der theatralen Bedeutungserzeugung, in der Körper und Objekte der umgebenden Kultur als mobile Zeichen eingesetzt werden, ermöglicht eine quasi-faktische Umstrukturierung des materiellen Zeichengefüges dieser Kultur; damit wird die Spannung zwischen Sein und Bedeuten, Natur-/Objekthaftigkeit und Zeichencharakter für das Theater konstitutiv
Vergleiche hierzu: Bürger, Peter: Theorie der Avantgarde, Frankfurt/M., 1974, Kap. II. 3. Negation der Autonomie der Kunst durch die Avantgarde, S. 63-73, bes. S. 67.
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und in ihr realisiert sich »Theatralität«.2 Die theatrale Zeichenhervorbringung kann als Modell für die Bloßlegung, Bewußtmachung und eventuell Kritik der vorherrschenden Art der Bedeutungsproduktion einer Kultur verwendet werden. Im Bereich der Literatur sind ähnlich geartete Bestrebungen in der Moderne Ende des 19. Jahrhunderts zu verzeichnen. So versuchte etwa Mallarme, beeinflußt von den linguistischen Forschungen seiner Zeit, in seinen poetischen Texten mit dem Material der natürlichen Sprache eine Emanzipation des Signifikanten vom Signifikat zu erzielen, und die kommunikative und referentielle Sprachfunktion zugunsten eines den Gesetzen des Unbewußten gehorchenden universalen Beziehungsnetzes zwischen den Signifikanten zu entthronen. Die Möglichkeit der Organisation der theatralen Zeichen gemäß diesem Prinzip hat Mailarme zwar anvisiert und theoretisch formuliert, realisiert wurde sie aber erst von der historischen Avantgarde, am radikalsten wohl von Artaud. 3 Müllers spätere Dramatik knüpft an diese Traditionslinie der »Revolution der poetischen Sprache« (Kristeva) wie auch an Artauds Kritik des europäischen Theaters als Paradigma für den okzidentalen Denkstil an. In der Verabschiedung konventionalisierter klassizistischer Dramenkategorien und in der Überwindung der Trennung zwischen den literarischen Gattungen entwirft er eine Theaterkonzeption, die den Modellcharakter der theatralen Wahrnehmungssituation für eine Kritik kultureller und gesellschaftlicher Repräsentationssysteme fruchtbar macht. Die »Theatralität« seiner Dramentexte ist somit nicht nur als eine auf das Kunstmodell Theater zu beziehende Größe anzusehen, sondern muß auch in ihrer kulturwissenschaftlichen Dimension beschrieben werden. Geprägt wurde der Begriff »Theatralität« in der historischen Avantgarde. Im Zuge der anti-naturalistischen Bestrebung der »Retheatralisierung« des Theaters, d.h. einer Betonung des anti-illusionistischen und artifiziellen Charakters der theatralen Darstellung, wurde zu diesem Zweck auch eine Minderung der Dominanz der sprachlichen Zeichen und eine Aufwertung der außersprachlichen Mittel als Bedeutungsträger gefordert. Theatralität als Bestimmungskriterium des »spezifisch Theatralischen« wird nicht zuletzt aufgrund der in der Entstehungszeit des Begriffs herrschenden Tendenz einer
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3
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Fischer-Lichte, Erika: Semiotik des Theaters, Bd. 1: Das System der theatralischen Zeichen, Tübingen, 2. Aufl. 1988, S. 194-197. Theatralität als theaterwissenschaftlicher Terminus zur Beschreibung der Spezifika der theatralen Gattung wurde von der französischen Theatersemiologie analog zur Jakobsonschen Distinktion von Literatur und »Literarizität« eingeführt. Vergleiche hierzu: Finter, Helga: Der subjektive Raum, Bd. 1: Die Theaterutopien Stephane Mallarmis, Alfred Jarrys und Raymond Roussels: Sprachräume des Imaginären, sowie Bd. 2: »...der Ort, wo das Denken seinen Körper finden soll«: Antonin Artaud und die Utopie des Theaters, Tübingen, 1990.
»Entliterarisierung« des Theaters zuweilen vorschnell als Summe dessen definiert, was im Theater nicht durch Sprache konditionierbar ist, und so in Opposition zum theatralen sprachlichen Zeichen oder gar zum dramatischen Text gesetzt. 4 Diese Opposition wird sich bei näherer Betrachung der Schriften der historischen Avantgarde als nicht haltbar erweisen. Umgekehrt kann Theatralität ebensowenig einfach als Summe der einem dramatischen Text eingeschriebenen und zu aktualisierenden Verweise für seine szenische Konkretisierung angesehen werden. Diese Fragestellung nach dem »Gelenkstück« zwischen Aufführung und dramatischem Text, 5 also denjenigen Indizien im Drama, die Aufschluß über seine szenische Transformation geben könnten, wird in der Forschung als das »theatrale Potential« von Dramentexten diskutiert. Andreas Höfele weist in einem Forschungsüberblick zu diesem Thema allerdings nach, daß viele Untersuchungen letztlich eine Werkeinheit von Drama und Aufführung unterstellen. 6 So spricht Manfred Pfister von der »Mehrschichtigkeit« des dramatischen Textes, der als szenisch realisierter (variabler) Text gesehen wird, dessen eine Komponente der sprachlich manifestierte (konstante) Text sei. 7 Herta Schmids Ansatz beruht auf der Idee einer Werkeinheit im Sinne Ingardens, der literarisches Werk und Schauspiel als »ein- und dasselbe Drama in verschiedenen Gestaltungen« versteht.8 Die Position der Hermeneutik (Gadamer, Stamm) kritisert Höfele dahingehend, daß diese vom Primat des Dramas ausgeht, aus dem sich die Aufführung ableite, und so unterschwellig wieder die Kategorie der »Werktreue« und somit eine ästhetische Normierung einführt. Neuere Ansätze billigen hingegen der Aufführung den Status eines eigenständigen Kunstwerks zu. Keir Elam schlägt vor, das Verhältnis von Drama und Aufführung als eine Intertextualitätsrelation zu beschreiben, die Drama und Aufführung als gleichwertigen Prä- und Posttext ansieht, die 4
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Vergleiche hierzu die Auflistungen der verschiedenen Annäherungen an diesen Begriff in: Pavis, Patrice: Dictionnaire du Theätre, Paris, 2. Aufl. 1986, Stichwort »Theätralite«, 5. 395-397. So situieren Horst Turk und Herta Schmid ihre Untersuchungen. Siehe hierzu: Schmid, Herta: Das dramatische Werk und seine theatralische Konkretisation im Lichte der Literaturtheorie Roman Ingardens, in: Fischer-Lichte, Erika (Hrsg.): Das Drama und seine Inszenierung, Tübingen, 1985, S. 22-35; sowie Turk, Horst: Soziale und theatralische Konventionen als Problem der Dramenübersetzung, in: Fischer-Lichte, Erika u.a. (Hrsg.): Soziale und theatralische Konventionen als Problem der Dramenübersetzung, Tübingen, 1988, S. 9-53, hier S. 9. Höfele, Andreas: Drama und Theater: Einige Anmerkungen zur Geschichte und gegenwärtigen Diskussion eines umstrittenen Verhältnisses, in: Forum Modernes Theater, Bd. 6, Heft 1, 1991, S. 3-23. Pfister, Manfred: Das Drama, München, 4. Aufl. 1984, S. 25. Schmid, 1985; sowie Ingarden, Roman: Das literarische Kunstwerk, Tübingen, 4. Aufl. 1972, S. 342f.
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sich gegenseitig konditionieren.9 Ähnlich geht auch die Theorie der »impliziten Inszenierung« von der Voraussetzung aus, daß der dramatische Text Darstellungsmittel voraussetzt, die er selbst nicht besitzt (»Präsuppositionen«). 10 Die implizite Aufführung ist laut Höfeies Zusammenfassung »zu bestimmen als das Ensemble von Anweisungen, die das Drama für den Fall seiner Inszenierung bereithält: dem Dramentext eingeschriebene Verweise auf den zu erstellenden >Text< der Aufführung, jedoch nicht dieser selbst; vielmehr das Dazwischen, der >Inter-TextIdee< reduziert, die Sinne jedoch ausgrenzt, allenfalls das Auge noch gelten läßt. Wahre Erkenntnis und Täuschung: das sind die Gegensätze, die sich hier abzeichnen.«21 Diese Differenz zwischen Schein und Wirklichkeit wird im 17. Jahrhundert zentral, den Bildern wird eine sichtbare und eine unsichtbare Existenz zugesprochen. Der gerichtete, ordnende Blick, den die Zentralperspektive hervorgebracht hat, legitimiert jetzt die absolutistische, auf den Fürsten zentrierte Gesellschaftsform. Dies spiegelt sich besonders deutlich in der geometrischen Raumkonzeption des barocken Theaterbaus, der in seiner Anordnung die hierarchisch gegliederte gesellschaftliche und göttliche Ordnung repräsentiert. In den als Rang- und Logentheatern konzipierten Bauten kam dem Fürst ein besonders markierter Platz zu, nämlich der »ideale Aug18
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Vergleiche hierzu: Matzat, Wolfgang: Dramenstruktur und Zuschauerrolle. Theater in der französischen Klassik, München, 1982. Kleinspehn, Thomas: Der flüchtige Blick. Sehen und Identität in der Kultur der Neuzeit, Reinbek, 1989. Leonardo da Vinci: Das Buch von der Malerei, Wien, 1882, S. 69, zitiert nach Kleinspehn, 1989, S. 51. Kleinspehn, 1989, S. 51.
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punkt«, auf den die gesamte Gestaltung der symmetrisch konzipierten Kulissenbühne perspektivisch ausgerichtet ist. Die »richtige Wahrnehmung« auf die Distanz gewährende Guckkastenbühne wird hier zum Privileg des Herrschers: 22 Aus jedem anderen Zuschauerpunkte neben dem des idealen Betrachters zerfällt die Illusion, die repräsentative Realität, und kann nur dadurch wiederhergestellt werden, daß alle anderen Zuschauer sich fortwährend an den Platz des idealen Zuschauers versetzt denken können. Im wesentlichen besteht das Schauspiel darin, daß sie den König in seiner Rolle als idealer Betrachter sehen und verfolgen. Die Rolle des Hofes ist es, Zeugen dieser idealen Betrachterrolle zu sein... 2 -'
Diese Instrumentalisierung der Wahrnehmung durch die gesellschaftliche Hierarchien zementierende Lenkung des Blicks gibt Aufschluß darüber, wie sehr die Repräsentation, auf deren Ebene die Erfassung von Welt geschieht, vom jeweiligen Blickwinkel dominiert wird und somit wie »Wirklichkeit« durch Wahrnehmung konditioniert wird. Epistemologisch hat diese These von der Abhängigkeit der Wirklichkeitsauffassung (und somit auch des Wissens) vom betreffenden Erkenntnisvorgang eine lange wissenschaftsgeschichtliche Tradition; Wirklichkeit und Wissen werden heutzutage bekanntlich von den Vertretern des sogenannten »radikalen Konstruktivismus« als keine objektiven Gegebenheiten, sondern als »Anpassung in funktionalem Sinn« verstanden. 24 Dieses Dilemma der Präformation und des Scheincharakters des über Wahrnehmung vermittelten Wissens umgeht Descartes - um Schramms eingangs zitiertes Beispiel wiederaufzunehmen - durch den Dualismus von Res extensa und Res cogitans, der die spätere Unterscheidung von Subjekt und Objekt begründet. Das rationalistische Wahrheitskriterium, das die sinnlichen Erscheinungen systematisch ordnet, ist kennzeichnend für die spezifische Form des Wissens, also die Repräsentation der Dinge in der Moderne, ihre Abstraktion und Loslösung von der gelebten Erfahrung. Dieser Repräsentationscharakter ist stets mit einer bestimmten Ideologie verbunden. Das Beispiel der Verwendung der Zentralperspektive am absolutistischen Hof zeigt, daß hier mit der Einschränkung der Erfahrung auf einen festgelegten Blickwinkel die Rezeption nur in determinierten Erwartungsmustern möglich ist und letztlich der Intemalisierung der sozialen Ordnung 22
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Zur Raumkonzeption des Barocktheaters siehe: Fischer-Lichte, Semiotik des Theaters, Bd. 2, 1989, Kap. 1.2.3.1., S. 70ff. Zur Lippe, Rudolf: Hof und Schloß. Bühnen des Absolutismus, in: Merkur, 37, Heft 2 1983, S. 161, zitiert nach Kleinspehn, 1989, S. 86. Vergleiche hierzu: Watzlawick, Paul: Die erfundene Wirlichkeit. Wie wissen wir, was wir zu wissen glauben? Beiträge zum Konstruktivismus, München, 6. Aufl. 1990 (1981), S. 9 - 1 1 ; sowie: von Glasersfeld, Emst: Einführung in den radikalen Konstruktivismus, in: Watzlawick, 1990, S. 16-38.
dient. Ebenso nehmen die Wissenschaften zur Konstruktion von scheinbar objektiven Ordnungsmustern zur Erfassung und Darstellung der Welt einen bestimmen vorgefaßten Standpunkt ein, der ihre Perspektive auf die Dinge bestimmt. Schramms These vom Zusammenhang von »Theatralität und Denkstil« wird im Zeitalter des Barock offenkundig und für die Moderne bestimmend: der perspektivierende Darstellungsmodus propagiert scheinbar eine objektive Repräsentation der Dinge, verpflichtet aber im Grunde die Wahrnehmung nur auf einen, von der Ordnung schaffenden Instanz festgelegten Blickwinkel und legt sie somit auf eine bestimmte Sinnkonstellation fest, die mögliche andere Interpretationsweisen ausgrenzt. Eine ähnliche Omnipräsenz der Schauspielmetapher wie im Barock ist auch für das 20. Jahrhundert kennzeichnend. Dies ist zu einen durch die Übernahme der dramaturgischen Kategorie der Rolle zur Beschreibung menschlicher Verhaltensweisen in der modernen Sozialwissenschaft bedingt. Beginnend mit dem Wandel der mittelalterlichen Ständeordnung in der Renaissance und verstärkt im Leben am absolutistischen Hof hat der einzelne im »Prozeß der Zivilisation« (Elias) durch Affekt- und Körperkontrolle zunehmend stärker abgegrenzte soziale Rollen zu erfüllen, um nicht aus dem gesellschaftlichen Zusammenhang herauszufallen. Gleichzeitig konnte sich durch die Trennung von den ablösbaren Rollen das souveräne Ich überhaupt erst konstituieren. Diese Verfügbarmachung des mimetischen Repertoires zwecks Herausbildung der Ich-Identität geht im Barock mit der Entwicklung des neuzeitlichen europäischen Dramas und Theaters einher, das eben diesen Prozeß (eines die ihm zugewiesene Rolle ausgestaltenden Ich) auf der Bühne zur Schau stellt. Die Affinität von inszenierter Bühnenhandlung und inszenierter Realität liefert der Soziologie die Voraussetzung, mit Hilfe des Theatergleichnisses ein Verhaltensmodell des modernen Menschen anschaulich zu machen. Dabei bestehen allerdings einige Unterschiede zwischen der Theatersituation und ihrer metaphorischen Verwendung in der Gesellschaftswissenschaft. So weist Goffmann darauf hin, daß sich sein Modell lediglich auf die binnendramatische Interaktion von Ensemblemitgliedern oder -gruppen bezieht, die Instanz des Publikums wird hingegen nicht berücksichtigt. 25 Er orientiert sich also offensichtlich an der »geschlossenen Form« des bürgerlichen Illusionstheaters. Dahrendorf sieht die Differenz zwischen dem Schauspielgleichnis im Barock und dem soziologischen Ansatz vor allem darin begründet, daß in der Welttheatermetapher dem einzelnen nur eine Rolle zukommt, während die Rollentheorie den »homo socio-
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Goffman, Erving: Wir alle spielen Theater. Die Seibstdarstellung im Alltag, München, 1969, S. 3.
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logicus« als Summe von verschiedenen, zu erfüllenden sozialen Rollen bestimmt. 26 Eine ähnliche Konzeption des Menschen als Träger unterschiedlicher und z.T. widersprüchlicher Rollen findet sich auch in der Dramenliteratur ab der Moderne. Die theozentrische, auf einen Spielleiter ausgerichtete Rollenkonzeption und die Welttheateridee des Barock werden in der Klassik umfunktionalisiert zugunsten eines geschichtsmächtigen Einzelhelden, der das Ideal individueller Selbstbestimmung verkörpert und dessen moralische Autonomie die der Spielhandlung verbürgt, um dann zu Beginn des 20. Jahrhunderts angesichts einer zunehmend radikaler formulierten Infragestellung des autonomen Ich wieder reaktiviert zu werden. 27 Dabei ist weniger die direkte Wiederaufnahme des Topus vom Theatrum mundi in Hofmannsthals »Das Salzburger Große Welttheater« von Interesse als vielmehr seine Weiterentwicklung zur Darstellung der Außenbestimmtheit des modernen Menschen wie in Strindbergs »Traumspiel«, bzw. seiner Orientierungslosigkeit in der Welt, wie sie im Stationendrama »Nach Damaskus« und in der dramatischen Literatur des deutschen Expressionismus zum Ausdruck kommt. Die Problematisierung der Ich-Identität bis hin zur Spaltung wird im modernen Drama zunehmend mit Hilfe von bereits im Barockdrama zu findenden episierenden und illusionsdurchbrechenden Techniken, wie Etablierung von Rollendistanz durch Reflexion der eigenen Rolle, Kommentar oder Vorhandensein eines Spielleiters, präsentiert. Diese Thematisierung der Theatersituation erfüllt nun aber natürlich andere Zwecke als im Barocktheater, wo sie die diesseitige Wirklichkeit als theatralischen Schein enthüllte. Im dezidiert politischen Theater Brechts dient sie dazu, die Strukturen der Realität, also des Dargestellten, durch eigens entwickelte Verfremdungstechniken in der Darstellung sichtbar zu machen und die Wirklichkeit dem Publikum als ein historisches und somit veränderbares Produkt zu präsentieren. Mit zunehmendem Verlust des Glaubens an eine inhaltlich vermittelbare agitatorische Wirkung des Theaters zielen die Verweise auf die Realität der Theaterbühne jedoch nicht mehr auf den Einbezug des Zuschauers. Bei Beckett drückt die Akzentuierung der Wirklichkeit der Theatersituation gegenüber der Banalität des Dargestellten gerade den Zweifel am Vorhandensein einer überhaupt noch objektiv zugänglichen Realität und somit auch die Unmöglichkeit ihrer Repräsentation aus. Die »Bedeutung« eines Stückes wie »Warten auf Godot« hebt sich, wie Schwanitz bemerkt, »nicht mehr von den physischen Bedingungen der Aufführung ab; vielmehr reduziert sich sein 26 27
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Dahrendorf, Ralf: Homo Sociologies, Köln u. Opladen, 9. Aufl. 1970 (1958), S. 23ff. Siehe hierzu: Karnick, Manfred: Rollenspiel und Welttheater, München, 1980, bes. Kap. V, S. 231-243.
Sinn auf die theatralische Präsenz selbst, auf das bloße Dasein der Figuren auf dieser konkreten Bühne.« 28 Der Verlust der Wirklichkeit als nachzuahmender und maßgeblicher Referenzgröße von Drama und Theater findet in der Dramenliteratur der letzten drei Jahrzehnte seinen Niederschlag in der gehäuften Verwendung metadramatischer Prinzipien. Besonders interessant ist dabei die auch von Müller häufig benutzte Form des adaptiven Metadramas, d.h. der intertextuelle Bezug auf einen oder mehrere früher entstandene literarische Texte. 29 Anders als die schon im Barock häufig anzutreffende Fiktionspotenzierung durch die Spiel-im-Spiel-Struktur hat es seine letzte Bezugsebene nicht in der Wirklichkeit der dramatischen Ausgangssituation bzw. Rahmenhandlung oder, wie bei Beckett, in der realen Theatersituation, sondern in der fiktiven Struktur des literarischen Prätextes. Die Dramatik reflektiert damit nicht nur den eigenen fiktiven Modus, sondern auch die schon von Nietzsche formulierte These vom »Fiktionscharakter alles Wirklichen«, die in der heutigen Informationsgesellschaft angesichts der totalen Medialisierung der Wahrnehmung durch die Entwicklung der Bildmedien (wie Fernsehen, Video und die neuen Informationstechnologien) ungeheure Aktualität erlangt hat. 30 So geht Baudrillard, wenn er die Verwischung der Grenzen von Fiktion und Wirklichkeit in einer Gesellschaft der Simulation konstatiert, soweit, das Reale als das zu definieren, »wovon man eine äquivalente Reproduktion herstellen kann.« 31 Die Erfahrung von Realität wird hier ersetzt durch die Herrschaft eines in sich geschlossenen, auf kalkulierten Wahrnehmungscodes basierenden Systems von nur auf sich selbst verweisenden Zeichen, deren Referenten sich in der Verdopplung verflüchtigen und so ausgegrenzt werden. Diesen Zustand der Verdopplung des Realen auf der Grundlage eines anderen reproduktiven Mediums bezeichnet Baudrillard als »Hyperrealität«. Nicht zufällig vergleicht er die Gesellschaft der Simulation mit einem »totalen >TheaterBlicknicht mehr Natur< sind, aber gerade aufgrund dieser Bedingung in der Lage sind, auf der Bühne die Illusion der wirklichen Natur hervorzurufen.«45 Die Bedeutungserzeugung der theatralen schauspielerbezogenen Zeichen erfolgt hier nicht i.S. einer Repräsentation der empirischen Natur, sondern als symbolische Realisierung eines nicht sichtbaren, abstrakten allgemeinen Ideals, das der rational gesteuerten Vorstellung des Schauspielers oder des Autors entspringt: Überlegen Sie einmal einen Augenblick, was es im Theater heißt wahr zu sein. Bedeutet das, die Dinge so zu zeigen, wie sie in der Natur sind? Keineswegs. Das Wahre in diesem Sinne wäre nur das Gewöhnliche. Was ist also das Wahre auf der Bühne? Es ist die Übereinstimmung der Handlungen, der Reden, der Gestalt, der Stimme, der Bewegung, der Gebärde mit einem vom Dichter erdachten ideellen Modell
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Zum bürgerlichen Drama und zur Entwicklung des bürgerlichen Trauerspiels in Deutschland siehe: Wierlacher, Alois: Das bürgerliche Drama. Seine theoretische Begründung im 18. Jahrhundert, München, 1968; Lothar Pikulik: Bürgerliches Trauerspiel und Empfindsamkeit, Köln, 1966. Vergleiche hierzu: Fischer-Lichte, Semiotik des Theaters, Bd. 2, 1989, S. 134. Dabei wird im Drama das Mienenspiel als untrüglicher Ausdruck der menschlichen Seele bisweilen selbst thematisiert. Ein typisches Beispiel findet sich in Lessings »Miss Sara Sampson«, wo Sir Sampson in der 1. Szene des III. Akts dem Diener Waitwell den Brief an seine Tochter Sara mit folgender Aufforderung überreicht: »Gib auf alle ihre Mienen acht, wenn sie meinen Brief lesen wird. In der kurzen Entfernung von der Tugend kann sie die Verstellung noch nicht gelernt haben, zu deren Larven nur das eingewurzelte Laster seine Zuflucht nimmt. Du wirst ihre ganze Seele in ihrem Gesichte lesen. Laß dir j a keinen Zug entgehen, der etwa eine Gleichgültigkeit gegen mich, eine Verschmähung ihres Vaters anzeigen könnte.« (Vers 23-30)
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Fischer-Lichte, Semiotik des Theaters, Bd. 2, 1989, S. 129. 6 Diderot, Denis: Das Paradox über den Schauspieler, in: ders.: Ästhetische Schriften, Bd. 2, Frankfurt/M., 1968, S. 481-538, Zitat S. 492.
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Diese Perfektionierung der illusionistischen, auf die vollkommene Nachahmung der bürgerlichen Lebenswelt ausgerichteten Schauspielkunst kann im Zusammenhang mit der von Schramm als charakteristisch für die Aufklärung gesehenen, die menschlichen Sinne rationalisierenden »Simulationspädagogik« verstanden werden, die auch das Theater mit zunehmendem Einfluß der Schriftkultur mehr und mehr der Herrschaft des Logos und der Ratio unterwirft. 47 Während Schiller 1784 in seinem Vortrag »Was kann eine gute stehende Schaubühne eigentlich wirken?« die Funktion der Schaubühne noch bezeichnet als »eine Schule der praktischen Weißheit, ein Wegweiser durch das bürgerliche Leben, ein unfehlbarer Schlüssel zu den geheimsten Zugängen der menschlichen Seele«, die »auf Sitten und Aufklärung wesentlich wirke«, 48 kritisiert er in seinen nachkantischen Schriften diese Zweckgerichtetheit und setzt ihr das ästhetische Ideal einer »spielerischen Produktivität« entgegen. 49 Diese Wendung basiert auf einer fundamentalen Kritik der einseitigen Ausrichtung des Menschenbildes in der sich allmählich herausbildenden arbeitsteiligen Gesellschaft, in der »der Nutzen das [...] große Idol der Zeit ist« 50 und die Person nur noch nach ihrem gesellschaftlichen Stand bestimmt wird: »Wenn das gemeine Wesen das Amt zum Maaßstab des Mannes macht [...] - darf es uns dann wundern, daß die übrigen Anlagen des Gemüths vernachlässigt werden, um der einzigen welche ehrt und lohnt, alle Pflege zuzuwenden.« 51 Der fragmentarischen Ausrichtung des Menschen stellt er das Ideal eines ganzheitlichen (sinnliche Triebe und »Formtrieb« vereinigenden) Menschenbildes entgegen. Dieses findet im zweckfreien Spiel der Kunst seinen symbolischen Anschauungsraum. 52 Der ästhetische Autonomieanspruch führt denn auch in Drama und Theater der Weimarer Klassik zur Abkehr von dem wirkungsästhetischen Postulat der identifikatorischen Einfühlung des Zuschauers in das Dargestellte, und die Geschlossenheit der innertheatralen Kommunikation wird durchbrochen. Auf diese Weise wird eine ästhetische Distanz etabliert und auf den Kunstprozeß selbst verwiesen. Dies äußert sich in der Dramenliteratur durch Ersetzung des bür47 48
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Vergleiche hierzu: Schramm, 1990, S. 220; und Schramm, 1993, S. 103-105. Schiller, Friedrich: Was kann eine gute stehende Schaubühne eigentlich wirken? (1784), in: ders.: Werke, Nationalausgabe. Hrsg. von Benno v. Wiese von Helmut Koopmann, Bd. 20.1. Philosophische Schriften, Weimar, 1962, S. 88-100, Zitat S. 95 und 99. Vergleiche hierzu: Schramm, 1990, S. 208-210; sowie Schillers Schrift: Über den Grund des Vergnügens an tragischen Gegenständen (1791), in: Schiller, 1962, S. 133147, bes. S. 134f. Schiller, Friedrich: Über die ästhetische Erziehung des Menschen in einer Reihe von Briefen (1973), in: Schiller, 1962, S. 309-412, hier: 2. Brief, S. 311. Ebd. 6 Brief, S. 324. Ebd. 12., 14. und 15. Brief.
gerlichen Personals durch mythologische Figuren, Rückgriff auf die Verssprache sowie Gebrauch des Chors und in der theatralen Darstellungen durch einen eher zum Publikum gerichteten, idealischen und weniger naturalistischen Schauspielstil. 53 Der Produktivitätsentwurf einer freien Persönlichkeitsbildung durch die ästhetische Erziehung des Menschen im zweckfreien Spiel legitimiert sich allerdings nur im Hinblick auf das dahinterliegende triadische geschichtsphilosophische Modell. Während der Mensch in der Antike noch eine harmonische sinnliche Einheit darstellt, zeichnet sich der moderne Mensch der Übergangsepoche durch seine Fragmentarisierung aus, die es zur Herausbildung eines ganzheitlich ausgerichteten Menschenideals zu überwinden gilt. Bei Schiller heißt es: »Es lassen sich also drey verschiedene Momente oder Stuffen der Entwicklung unterscheiden, die sowohl der einzelne Mensch als die ganze Gattung nothwendig und in einer bestimmten Ordnung durchlaufen müssen, wenn sie den ganzen Kreis ihrer Bestimmung erfüllen sollen. [...] Der Mensch in seinem physischen Zustand erleidet bloß die Macht der Natur; er entledigt sich dieser Macht in dem ästhetischen Zustand, und er beherrscht sie in dem moralischen.« 54 Im ästhetischen Autonomiekonzept offenbart sich also bereits der Widerspruch zwischen dem Theater als zweckgebundenem, der Emanzipation des Individuums und der menschlichen Gattung dienendem Öffentlichkeitsforum einerseits und als autonomem Raum der Kunst andererseits. Symptomatisch für das Fortbestehen dieser Opposition zwischen dem Theater als einem »rhetorischen Medium« und als »schöner Kunst« ist auch die im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts zu konstatierende Akzentuierung der »4. Wand«: Das Ideal der ästhetischen Bildung des Volkes durch die Bühne wird um den Preis ihrer totalen Abgrenzung vom Publikum erkauft. Schramm sieht in der 4. Wand die »Geburtsnarbe des ästhetischen Grundbegriffs Theater«: »die Zuschauer sollen angesprochen [...] werden, gleichzeitig aber im Interesse der in sich geschlossenen Kunstvollkommenheit am besten gänzlich verschwinden.« 55 Daher ist auch die Abschaffung der Rampe die vorderste Bestrebung der Theaterreformer der historischen Avantgarde. Damit verbunden ist eine Verlagerung des Schwerpunktes von der internen theatralen Kommunikation der Bühnenfiguren zur externen Kommunikation zwischen Schauspielern und Publikum. Diese wird zum einen erzielt durch eine die Einheit von Spielern und Zuschauern ermöglichende veränderte theatrale Raumkonzeption, bzw. Verlagerung der Spielstätten außerhalb der Theaterbauten. Zum anderen
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Vergleiche hierzu: Fischer-Lichte, 1993, Kap. 2.3.3., S. 1 4 7 - 1 5 5 . Schiller, Friedrich: Über die ästhetische Erziehung des Menschen in einer Reihe von Briefen, 24. Brief, in: Schiller, 1962, S. 388. Schramm, 1990, S. 231 f.
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entwickelt die Avantgarde eine betont anti-illusionistische Darstellungsweise. Sie funktioniert nach dem Prinzip der Kombination von abstrakten, semantisch neutralen theatralen Zeichen (oder den Theaterformen anderer Kulturkreise - wie etwa dem femöstlichen, der Schaubudentradition und der Commedia dell'Arte - entlehnten und semantisch neutralisierten Zeichen), deren Bedeutungskonstitution vom Rezipienten interaktiv mitvollzogen werden muß und die nicht wie im Naturalismus aufgrund ihrer Wirklichkeit abbildenden Funktion decodiert werden können. 5 6 Meyerhold beschreibt diesen kreativen Prozeß 1907 in »Das stilisierte Theater«: Die Stilisierung verlangt schließlich neben Autor, Regisseur und Schauspieler noch nach einem vierten Schöpfer - dem Zuschauer. Das stilisierte Theater schafft Inszenierungen, in denen der Zuschauer mit seiner Vorstellungskraft schöpferisch beendet, was die Bühne nur andeutet. Es will, daß der Zuschauer nicht einen Augenblick vergißt, daß vor ihm ein Schauspieler steht, der nur spielt, und der Schauspieler nicht vergessen soll, daß er den Zuschauer vor, die Bühne unter und die Dekoration neben sich hat. [...] D i e Stilisierung bekämpft die Illusion. 5 '
Die Reformierung des Theaters um die Jahrhundertwende umfaßte allerdings nicht nur eine Veränderung der theatralen Mittel und der Wirkungsästhetik, sie war in weiten Teilen auch als eine extratheatrale Angelegenheit konzipiert. Hierbei lassen sich allerdings zwei Tendenzen unterscheiden. Während die Entgrenzung des Theaterbegriffs im bürgerlichen Lager auf die Zelebrierung eines (z.T. kultischen) Gemeinschaftserlebnisses und auf die Ästhetisierung des Alltags durch die kulturschaffende Potenz des Theaters abzielte, intendierte das politische Theater linksgerichteter Kreise die Funktionalisierung der Bühne zu agitatorischen Zwecken. 58 Dem Wirken Brechts kommt dabei eine Sonderstellung zu. Während die Reformierung des Theaters in der Avantgarde vor allem auf der Bühne vonstatten geht, realisiert Brecht das Projekt der Retheatralisierung und der Neudefinition der Beziehung zwischen Schauspielern und Publikum auch durch die Entwicklung einer neuen, nicht-aristotelischen Dramenform. 5 9 56
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Zur Zeichenkonstitution im Theater der Avantgarde vergleiche: Fischer-Lichte, 1993, Kap. 4.2.1., S. 3 0 1 - 3 0 7 . Meyerhold, Wsewolod, E. Das bedingte Theater, in: ders. Schriften, Bd. 1, Berlin, 1979, S. 131-136, ZitatS. 135. Vergleiche hierzu: Fischer-Lichte, 1993, Kap. 4.1., S. 2 6 1 - 2 7 2 . Brechts in Abgrenzung zum in sich geschlossenen, »absoluten« aristotelischen Drama entworfene Konzeption des »epischen Theaters« zeichnet sich durch das Vorhandensein einer vom Spielgeschehen abgetrennten Reflexionsebene aus. Eine solche Zweistufigkeit ist allerdings bereits in der attischen Tragödie (durch den Chor) wie auch im geistlichen Spiel des Mittelalters (durch den Spielleiter), also in den beiden Ursprungsperioden abendländischer Theatergeschichte gegeben und läßt sich im Drama des Barock wie auch im 20. Jahrhundert (etwa bei Claudel und Wilder) nachweisen. Günther Mahal
Eine Extremform stellen dabei die Ende der zwanziger Jahre entstandenen Lehrstücke dar, die als Übungsstücke konzipiert sind und das System der Trennung zwischen Spielern und Zuschauern im bürgerlichen Theater in Frage stellen sollten: »Das Lehrstück lehrt dadurch, daß es gespielt wird, nicht dadurch, daß es gesehen wird. Prinzipiell ist für das Lehrstück kein Zuschauer nötig, jedoch kann er natürlich verwendet werden.« 60 Brecht kreiert hier extreme Modell-Situationen, anhand derer Handlungsweisen in einer theatralen Experimentiersituation, in der Konsumtion und Produktion zusammengehen, kritisch betrachtet werden können. Diese pädagogisch-didaktische Ausrichtung des Theaters wird dann in der Dramatik des »epischen Theaters« durch die Einführung der Verfremdungseffekte (Reihungsstruktur, Verssprache, Kommentierung der szenischen Aktion, Verlagerung des Geschehens in andere Epochen oder fremde Kulturen etc.), die den Vorgängen den Charakter des Vertrauten nehmen und eine Distanz zu ihnen etablieren, auf die Rezeptionsebene verlagert. Der Zuschauer soll eine emanzipierte, kritische Haltung gegenüber dem Bühnengeschehen einnehmen, die ihn letztlich auch zu einer neuen Denkweise gegenüber seiner undurchschaubar gewordenen Umwelt befähigen kann, nämlich diese als eine potentiell veränderbare zu begreifen. Abgesehen von Brechts Versuch der Reform des Theaters durch eine neue Dramatik fordert die historische Avantgarde jedoch vehement die »Entliterarisierung«. Das Theater sieht sich als eigenständige, von der dramatischen Literatur unabhängige Bühnenkunst und nicht mehr als deren
schlägt daher vor, all jene Dramenformen, die mehrfache Durchbrechungen des szenischen Handlungskontinuums und die extratheatrale Ausrichtung auf ein autoritäre Geltung beanspruchendes weltanschauliches (kultisches, religiöses, konfessionelles oder politisches) System aufweisen, unter der formaltypologischen Kategorie »auktoriales Theater« zu subsumieren. Dabei ist zu unterscheiden zwischen jenen Formen auktorialen Theaters, in denen ein bereits bestehendes Autoritätssystem in seinem Anspruch bewußt erhalten und bestätigt werden soll, und solchen, in denen ein noch nicht etabliertes Autoritätssystem erst durchgesetzt werden soll. Mit dem »epischen Theater« knüpft Brecht also an die Traditionslinie des »auktorialen Theaters« an. Indem er jedoch keine abschließende eindeutige ideologische »Lehre« formuliert, sondern vielmehr die Widersprüche der Handlung auktorial kommentiert, favorisiert er eine distanzierte, kritisches eingreifendes Denken provozierende Rezeptionshaltung. Vergleiche hierzu: Mahal, Günther: Auktoriales Theater - die Bühne als Kanzel, Tübingen, 1982. 60
Brecht, Bertolt: Zur Theorie des Lehrstücks, in: ders.: Schriften zum Theater, Bd. 3 (= Gesammelte Werke Bd. 17), Frankfurt/M., 1982, S. 1024f. Es ist natürlich irrig, aus dem Produzentengedanken eine Eingrenzung des Lehrstücktyps auf das Spielen ohne Zuschauer abzuleiten, wie es Steinweg tut. Vergleiche hierzu die Kritik von Werner Mittenzwei: Die Spur der Brechtschen Lehrstücktheorie. Gedanken zur neueren Lehrstück-Interpretation, in: Steinweg, Reiner (Hrsg.): Brechts Modell der Lehrstücke. Zeugnisse, Diskussionen, Erfahrungen, Frankfurt/M., 1976, S. 225-254.
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»rhetorisches Medium«. Diese Wendung gegen das Primat der Sprache auf dem Theater zielt weniger auf eine Verdrängung des sprachlichen Zeichens als vielmehr auf eine Veränderung der mit der Dominanz der Schriftkultur auf der Bühne einhergehenden Strukturen. In »Balagan« fordert Meyerhold als Bedingung eines antiillusionistischen, die tradierten Kommunikationsstrukturen verändernden Theaters vom Dramatiker, daß er »nur dann dem Schauspieler das Wort geben dürfe, wenn das Szenarium der Bewegungen geschaffen ist.« Weiter heißt es: Die Worte sind im Theater nur Muster im Gewebe der Bewegungen. [...] Das Drama für die Lektüre ist vor allem ein Dialog, ein Streit, eine spannungsreiche Dialektik. Das Drama auf der Bühne aber ist vor allem Handlung, spannungsgeladener Kampf. Hier sind die Worte sozusagen nur die Obertöne der Handlung. 6 '
Meyerhold zielt hier auf eine am »canevaggio« der Commedia dell'Arte und an den (pantomische Elemente integrierenden) Spielvorlagen der mittelalterlichen Mysterienspiele orientierte neue Dramenform für ein »Theater der Improvisation«: 62 Will der Dramatiker dem Schauspieler helfen, dann läuft seine Tätigkeit im Theater auf den ersten Blick auf eine sehr einfache, tatsächlich aber sehr schwierige Rolle hinaus, Verfasser von Szenarien oder Prologen zu sein, die dem Publikum den Inhalt dessen skizzieren, was die Schauspieler spielen werden. 6 3
Meyerhold fordert hier nichts Geringeres als eine Umkehrung des traditionellen Verhältnisses von Geste und Sprache. Die Geste ist nicht mehr dem Wort untergeordnet, sie motiviert das Wort überhaupt erst. Dem Autor fällt eine völlig andere Aufgabe zu: Während er in der bürgerlichen Dramatik durch Figurenrede und Szenenanweisungen die theatrale Bedeutungserzeugung autoritativ steuert, soll er nun eine Art Partitur verfassen, die die Ebene der Darstellung und nicht eine darzustellende Aktion thematisiert. Somit dient die Sprache auf dem Theater nicht mehr der Repräsentation einer außerhalb der Bühne liegenden Bedeutung. Sie unterstützt jetzt die materiellen Vorgänge der Bühne und hat den gleichen Status wie diese, determiniert sie nicht. Diese Reform des Theaters fußt auf den »Prinzipien des Balagan«: »Vergöttlichung der Maske, der Geste und der Bewegungen.« 64 Durch die Bindung des Wortes an die sich in Raum und Zeit realisierenden kinesischen Zeichen tritt seine semantische Dimension zurück. Es fungiert nun nicht mehr in erster Linie als Ideenträger, sondern unterstützt die materiale Kon61 62 63 64
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Meyerhold: Balagan (1912), in: Meyerhold, 1979, Bd. 1, S. 196-220, Zitat S. 201. Ebd. S. 204. Ebd. Ebd. S. 211.
struktion einer innertheatralen Wirklichkeit, die nach ihren eigenen Gesetzmäßigkeiten funktioniert, die nicht mit denen der extratheatralen Welt identisch sein müssen. In eine ähnliche Stoßrichtung geht auch Artauds Kritik an der konventionellen Verwendung von Sprache auf dem Theater. Er verlangt für das Theater »infolge seines körperlichen Charakters [...] nach Ausdruck im Raum«, der »den magischen Mitteln der Kunst und des Wortes in ihrer Gesamtheit eine organische Entfaltung [...] erlaubt.« Hierzu muß der Stellenwert des Worts auf der Bühne fundamental revidiert werden: Anstatt auf Texte zurückzugreifen, die als endgültig, als geheiligt angesehen werden, kommt es vor allem darauf an, die Unterwerfung des Theaters unter den Text zu durchbrechen und den Begriff einer Art von Sprache zwischen Gebärde und Denken wiederzufinden. Diese Sprache ist nur durch die Möglichkeiten des dynamischen Ausdrucks im Raum zu definieren, die den Ausdruckmöglichkeiten mittels des dialogischen Wortes entgegengesetzt sind.
Eingefordert wird hier, wie Derrida bemerkt, eine vorbegriffliche, nicht-diskursive Sprache, die im Unterschied zur grammatisch artikulierten Sprache des geschriebenen Wortes nicht der Logik der Repräsentation verpflichtet ist und ihre Anschauungsformen selbst erst konstituiert: »Verräumlichung, das heißt Erzeugung eines Raums, den keine Sprache zusammenfassen oder begreifen kann, weil sie ihn zunächst selbst voraussetzt und so an eine Zeit appelliert, die nicht mehr die der sogenannten phonischen Linearität ist: Appell an >einen neuen Begriff von Raum< und an eine >besondere Vorstellung der ZeitSchöpfers< repräsentieren.« 67 Diese von Artaud kritisierte, in der französischen Schauspieltradition vorherrschende Struktur der nicht-originären Repräsentation, in der das Nichtdarstellbare der lebendigen Gegenwart in die unendliche Kette der Repräsentationen entrückt wird, basiert laut Derrida auf der Logik der Sprache: Alle bildhaften, musikalischen und sogar gestuellen Formen, die in das okzidentale Theater eingeführt wurde, leisten bestenfalls nicht mehr, als einen Text, ein verbales Gewebe, einen Logos, der sich anfänglich benennt, zu illustrieren, zu begleiten, zu bedienen oder zu verzieren. 6 ®
Die hier konstatierte Dominanz des Logozentrismus in der abendländischen Theaterkultur wird allerdings nur in ihrer vollen Dimension faßbar, wenn man bedenkt, daß die Instanz des Logos nach Derrida das Strukturmerkmal der metaphysischen abendländischen, auf der »Logik der Präsenz« basierenden Denktradition ist. Deren Spuren sieht er auch im dualistischen Zeichenbegriff, wo die Idee des nur intelligibel erfaßbaren Signifikanten grundsätzlich diesem Denken verhaftet sei. 6 9 Um diesen »metaphysischen Denkstil« aus dem Theater zu verbannen, bedarf es eines Bruchs mit dem Verweischarakter der theatralen Zeichen auf ein außerhalb verortetes Sinnzentrum, denn die Szene ist solange »theologisch, sofern sie durch die Sprache, durch einen Willen zur Sprache, durch das Ziel eines ersten Logos beherrscht wird, der, dem theatralischen Ort nicht angehörend, ihn von ferne beherrscht.« 70 Diese Prinzipien eliminiert das »Theater der Grausamkeit« mit einer Rückkehr zur
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Derrida, 1976, S. 355f. Ebd. S. 356. Derrida, Jacques: Grammatologie, Frankfurt/M., 1983, S. 28f. Derrida, 1976, S. 355. Julia Kristeva hat diese Struktur als konstitutiv für den Roman nachgewiesen. Trotz veränderter dualistischer Zeichensetzung zeigt das Sinngebungsprinzip des theologischen Symbols, das auf eine Transzendenz verweist, auch in der Moderne immer noch durch die Finalität der Handlung im Roman seine Spuren. Er erhält dadurch ein Sinnzentrum außerhalb seiner selbst, das die Romanwelt zusammenhält. Erst die »Revolution der poetischen Sprache« seit dem Ende des 19. Jahrhunderts stellt dem eine veränderte Textpraxis gegenüber, die die Illusion eines festen Sinns angreift und den Prozeß des Entstehens von Sinn aus dem ihm Heterogenen sichtbar macht. Diese poetischen Texte zeigen, daß sich Subjekt und Sinn erst durch sprachliche Strukturen konstituieren und somit auch als potentiell veränderbare angesehen werden können. Siehe hierzu: Kristeva, Julia: Der geschlossene Text, in: Zima, Peter V. (Hrsg.): Textsemiotik als Ideologiekritik, Frankfurt/M., 1977, S. 194-229; sowie Kristeva, Julia: Die Revolution der poetischen Sprache, Frankfurt/M., 1978, Kap. 1.12 und 1.13, besonders S. 91 ff. und S. 107ff. Vergleiche hierzu auch: Suchsland, Inge: Kristeva zur Einführung, Hamburg, 1992, Kap. 3 und 4.
»originären Repräsentation«, 71 die wesentlich auf der Entwicklung einer neuen, vorbegrifflichen Ausdrucksweise basiert, die die phonetische Struktur des Worts (Klang, Betonung, Intensität) akzentuiert und so den sprachlichen Ausdruck auf den physischen Aspekt (Laut, Schrei) reduziert. Artaud hat diese neue theatrale »Sprache« wie folgt beschrieben: Es geht darum, die artikulierte Sprache durch eine von ihr abweichende Natursprache zu ersetzen, deren Ausdrucksmöglichkeiten der Wörtersprache ebenbürtig sein werden, deren Ursprung aber an einem noch verborgeneren und weiter zurückliegenden Punkt des Denkens erfaßt werden wird. Die Grammatik dieser neuen Sprache bleibt noch zu finden. [...] Sie fördert wieder die in den Schichten der menschlichen Silbe eingeschlossenen und festgelegten Beziehungen, die diese abgetötet hat, indem sie sich in sich selbst verschloß, zutage. [...] Denn meiner grundsätzlichen Annahme nach wollen die Wörter gar nicht alles sagen, infolge ihrer Beschaffenheit und auf Grund ihres festgesetzten, ein für allemal festgelegten Charakters halten sie das Denken an und paralysieren es, anstatt seine Entwicklung zu ermöglichen und zu begünstigen. Und unter Entwicklung verstehe ich wirklich konkrete, ausgedehnte Eigenschaften, befinden wir uns doch in einer konkreten und ausgedehnten Welt. Die Sprache zielt darauf ab, die Ausdehnung, das heißt den Raum zu umfassen und zu nutzen, und, indem sie ihn nutzt, zum Sprechen zu bringen. 7 2
Dieser kurze Überblick über die historische Avantgarde bis hin zu Artaud verdeutlicht die kulturrevolutionäre Rolle, die das Theater in dieser Epoche einnahm: Die Ablösung von den Prinzipien des bürgerlichen Illusionstheaters führt zur Herausbildung einer Theatersprache, die der Rezipient aktiv mitvollziehen muß. Diese Theatersprache wird ihrerseits nach wirkungsästhetischen Kriterien jeweils neu konstruiert, das Theater funktioniert nach dem »Prinzip eines ständigen Codewandels.« 73 Der Prozeß der Bedeutungskonstitution im Theater und die damit einhergehende Forderung nach Zuschaueraktivität reflektieren in gewisser Weise auch die Verfassung und die Wahrnehmung in der damaligen Gesellschaft, die sich angesichts technischer und wissenschaftlicher Innovationen einem rasanten Wandel unterworfen sieht. Diese Übereinstimmung von Theater und umgebender Kultur durch das Prinzip der permanenten Verwandlung - also dem hervorstechendsten Charakteristikum von Theater überhaupt - kann als Indiz für die überragende Rolle des Theaters in dieser Epoche und für seine Tendenz zur Entgrenzung gesehen werden. Theatralität realisiert sich hier als Perzeptionsmodus einer durch Wandel charakterisierten Theater- und Lebenswelt, die der ihnen ausgesetzte Mensch aktiv zu deuten hat. Im Gegensatz zur Omnipräsenz der Schauspielmetapher im Barock, die auf die Repräsentation
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Derrida, 1976, S. 360. Artaud, 1969, 2. Brief über die Sprache, S. 118-122, Zitat S. 118f. Fischer-Lichte, 1993, S. 307.
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und Zementierung einer bestimmten Weltsicht zielt, dient die Beobachterperspektive im Theater jetzt dazu, die Mechanismen der Welt durch den »fremden Blick« (Brecht) durchschaubar zu machen: »Es müssen die Gesetze sichtbar werden, welche den Ablauf der Prozesse des Lebens beherrschen. Diese Gesetze sind nicht auf Photographien sichtbar.« 74 Ähnlich, wenn auch im Hinblick auf eine andere Perspektive, konstatiert auch Meyerhold: Im Leben gibt es außer dem, was wir sehen, noch das riesige Gebiet des Nichtenträtselten. Die Groteske, die das Übernatürliche sucht, verbindet in einer Synthese die Extrakte der Gegensätze, schafft ein Bild des Phänomenalen und läßt den Zuschauer das Rätsel des Unbegreiflichen erraten.^
Symptomatisch für die damalige Entgrenzung des Theaterbegriffs ist auch die lebensweltlich ausgerichtete Definition von Theatralität, die der russische Theateravantgardist Evreinov gibt. Er versteht Theatralität (»teatral'nost«) ganz umfassend als ein auf die verschiedensten Untersuchungsbereiche (Ethologie, Ritualforschung etc.) anzuwendendes präästhetisches Phänomen, als ein allen Lebewesen inhärenter »Instinkt« zum individuellen sowie sozialen Rollenspiel und zur Verwandlung seiner selbst und seiner Umwelt. 7 6 Trotz der extremen Konturlosigkeit des Begriffs bei Evreinov läßt sich Theatralität hier doch auch wieder als Form der Selbstwahrnehmung und als spezifische Sichtweise des Menschen auf die umgebende Wirklichkeit konkretisieren. Diese Idee findet zunehmend Verbreitung und führt dazu, daß der entgrenzte Theaterbegriff dann auch von verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen als heuristisches Modell eingesetzt wird und in der zeitgenössischen Diskussion den Stellenwert eines »interdisziplinären Diskurselements« erlangt. 77 Für das Theater als Kunstmodell kann diese Idee der Entgrenzung des Theaters, wie sie etwa im russischen Theateroktober erprobt wurde, hingegen als gescheitert angesehen werden. Die Überführung des Theaters in die Lebenswelt ist heutzutage allenthalben in seiner pervertierten Form einer »Gesellschaft des Spektakels« 74
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Brecht, Bertolt: Der Messingkauf, in: ders.: Schriften zum Theater Bd. 2 (= Gesammelte Werke Bd. 16), Frankfurt/M., 1982, S. 501-657, Zitat S. 520. Meyerhold, 1979, S. 216 (Balagan). Evreinov, Nicolas: Das Theater als solches, hier zitiert nach: Carnicke, Sharon Marie: L'Instinct theätral, in: Revue des etudes slaves, Paris, 1981, S. 97ff. Die Hauptthesen Evreinovs finden sich auch in seiner Schrift: Le Theätre dans la vie, Paris, 1930. Zu Evreinovs Theatralitätsbegriff siehe auch: Xander, Harald: Theatralität im vorrevolutionären russischen Theater - Evreinovs Entgrenzung des Theatralitätsbegriffs, in: FischerLichte, Erika / Greisenegger, Wolfgang / Lehmann, Hans-Thies (Hrsg.): Arbeitsfelder der Theaterwissenschaft, Tübingen, 1994, S. 111-124. Schramm, 1990, S. 234.
zu verzeichnen. 78 Diese Einsicht in die Unmöglichkeit einer direkten lebensweltlichen Wirksamkeit des Theaters führt in der zeitgenössischen Dramen- und Theaterlandschaft zu einer Wiederaufnahme des Kunstautonomiegedankens in Form von metadramatischer und metatheatraler Selbstreflexion. Innerhalb dieser Strömung ist Müllers Dramatik zu verorten. Es erhebt sich somit die Frage, wie die dramatischen Texte Müllers die innovative Tendenz einer veränderten theatralen Bedeutungsgenerierung, die ihre Konditionierung durch die Sprache unterwandert, in der Organisation der sprachlichen Zeichen realisieren kann. 79 Theatralität ist hier zuvorderst als eine dem dramatischen Text inhärente Qualität anzusehen. Diese Auffassung vertritt schon Roland Barthes, der davon ausgeht, daß Theatralität bereits eine Gegebenheit der literarischen Schöpfung und nicht nur der theatralen Realisierung ist: »Der geschriebene Texte wird im voraus durch die Äußerlichkeit der Körper, der Objekte, der Situationen davongetragen, das Wort ertönt sogleich in den Substanzen.« 80 Jean Jachymiak sieht darüber hinaus Theatralität als eine generelle Gegebenheit der Schrift (»ecriture«) an, von der das theatrale Genre nur eine bestimmte historische Ausprägung ist. 81 Die theatralen Zeichen wie auch die Sprache als System von gegenseitigen Abhängigkeiten ohne positiven »Wert« (i.S. de Saussures) der einzelnen Glieder seien dem selben Mechanismus der Repräsentation eines jenseits ihrer Materialität liegenden, externen Referenten verpflichtet; die Forderung nach Entliterarisierung des Theaters verschleiere somit die Tragweite des Problems lediglich. Die vorausgegangenen Ausführungen dürften allerdings deutlich gemacht haben, daß sich bereits die Vertreter der historischen Avantgarde dieser Problematik bewußt waren und einen direkten Zusammenhang zwischen der Reform des Theaters und einer hierfür notwendigen Modifikation des dramatischen Textes herstellten. Um nun jedoch den Zusammenhang zwischen Theatralität und Schrift genauer bestimmen zu können, schlägt Regis Durand vor, den Dramentext nicht mit den gleichen Maßstäben wie Literatur zu betrachten, sondern die Idee seiner Verräumlichung
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Vergleiche hierzu: Debord, Guy: La Societe du Spectacle, Paris, 1987 (1967). Zur Erschütterung und Potenzierung des Codes durch den ästhetischen Ideolekt siehe: Eco, Umberto: Einführung in die Semiotik, München, 1972, S. 1 6 2 - 1 6 6 und S. 168— 178. Eco weist darauf hin, daß die Sprache als primäres modellierendes System nicht vollständig von den sekundären modellierenden Systemen determiniert ist und somit auf der Ebene der »parole« die »langue« erschüttert werden kann.
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Barthes, Roland: Le Theatre de Baudelaire, in: ders.: Essais critiques, Paris, 1964, S. 4 1 47, hier S. 42. 8 ' Jachymiak, Jean: Sur la Theätralite, in: Literature, Science, Ideologie, Nr. 2, 1972, S. 4 9 - 4 7 , hier S. 42.
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und seiner Materialität zu berücksichtigen. 82 Die anfangs anhand einiger Standpunkte der Forschung zum »theatralen Potential« von Dramentexten diskutierte Beziehung zwischen dramatischem Text und seiner Inszenierung erfährt dadurch eine Akzentverschiebung. Theatralität (im in vorliegender Arbeit gebrauchten Sinne) bezeichnet nicht allein die - wie auch immer geartete - Relation des dramatischen Textes zur szenischen Umsetzung seiner Bedeutungspotentiale durch die theatralen Zeichen. Neben ihrem Stellenwert als philosophisches und begriffsgeschichtliches Denkmodell der Neuzeit ist Theatralität zuvorderst eine Qualität der Sprache und beinhaltet die Möglichkeit, jenseits ihrer Repräsentationsfunktion die Determinierung der Welterfassung durch sprachliche Kategorien in einem »Drama der Schrift« augenfällig zu machen. Dabei ist allerdings vor dem Hintergrund von Artauds Kritik am Logozentrismus des okzidentalen Theaters davon auszugehen, daß ein avanciertes dramatisches Theatralitätskonzept dazu beitragen muß, »Spiel-Raum für einen veränderten Denkstil gegen die lineare Folge/Richtigkeit der Schriftsprache zu entwerfen.« 83
2.3. Thesen zur Theatralität und zum Funktionsverständnis von Kunst in der späten Dramatik Heiner Müllers Die kulturhistorische Analyse nach Schramm hat ergeben, daß Theatralität als eine dem dramatischen Text inhärente Kategorie angesehen werden kann, die die innere und die äußere Kommunikationssituation (d.h. das Verhältnis von Spielern und Rezipienten) wie auch die gesellschaftliche Bedeutungsproduktion der logozentrierten Kultur kritisch reflektiert. Die Entgrenzung des Theaters, die sich in der historischen Avantgarde - abgesehen von Brecht - primär in der »Kunst der Inszenierung« vollzieht, kann auch als »Kunstumdefinitionsbewegung« in der dramatischen Literatur praktiziert werden. Dabei wird allerdings keine Fusion von Theater und Wirklichkeit intendiert, vielmehr soll innerhalb des autonomen Bereichs der Kunst ein Erfahrungsspielraum kreiert werden, in dem die Mechanismen und die Bedeutungsgenerierung einer als zunehmend fiktional empfundenen, umgebenden Kultur erfahrbar gemacht werden. Odo Marquard stellt diesbezüglich die provozierende These von »Kunst als Antifiktion« auf: [...] wenn - wo Wirklichkeit modern zur Fiktur wird - die Kunst durch ihre Fiktionaldefinition, die sie verwechselbar macht und auswechselbar mit der modernen Wirklich82
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Durand, Regis: Problemes de l'analyse structurale et semiotique de la forme theätrale, in: Helbo, Andri: Simiologie de la representation, Brüssel, 1975, S. 112-120, Zitat S. 117. Schramm. 1993, S. 103.
keit, aufhört, das Unersetzliche zu sein, und in diesem Sinn zuende ist, muß die Kunst diese Fiktionaldefinition preisgeben, um das Unersetzliche zu bleiben. Sie tritt dann sozusagen das Attribut, das Fiktive zu sein, an die Realität ab und geht zugleich auf die Suche nach einer neuen Definition. Die Konsequenz ist also - formal angezeigt - diese: die Kunst bleibt - unter Bedingungen des modernen Wegs der Wirklichkeit ins Fiktive unbeendet d.h. unersetzlich nur dann, wenn sie sich >gegen< das Fiktive definiert: als Antifiktion, was immer das des näheren bedeutet.
Wie könnte nun eine solche Problematisierung des Verhältnisses von Realität und Fiktion im dramatischen Text erreicht werden? Grundsätzlich gilt, daß das Verhältnis von Realem und Fiktivem nicht als reine Opposition bestimmbar ist. Vielmehr verweist die Fiktion als intentionaler Akt in der Kunst - »obgleich sie über das Reale hinausgeht - auf das Reale, in einer Weise, welche zugleich die Determiniertheit des Realen wiederholt, - allerdings, um in solcher Wiederholung einen Zweck [nämlich eine >Zurüstung des ImaginärenDer Lohndrücker^, für das Theater geschrieben statt für ein Publikum. [...] ich denke, daß wir uns vom Lehrstück bis zum nächsten Erdbeben verabschieden müssen. Die christliche Endzeit der Massnahme ist abgelaufen [...]. (M 85)
Trotz diesem eindeutigen Votum für eine neue Dramaturgie wurde »DIE HAMLETMASCHINE« zu ihrer Entstehungszeit ziemlich einseitig als »eine Selbstreflexion des marxistischen Intellektuellen« 2 betrachtet. Eine solche Annäherung an den Text durch die literaturwissenschaftliche Forschung hat natürlich, besonders kurz nach Erscheinen des Stückes, ihre Berechtigung, doch erscheint es verfehlt, eine so eindimensionale historisierende Lesart auch noch in den neunziger Jahren aufrecht zu erhalten, wie es etwa Frank M. Raddatz tut.3 Im Hinblick auf die Untersuchung des Theatralitätskonzepts Müllers ist diese Bezugnahme auf ein bestimmtes Gesellschaftsmodell jedenfalls ziemlich irrelevant und soll daher nicht berücksichtigt werden. Im Mittelpunkt der folgenden Analyse steht vielmehr die in der »HAMLETMASCHINE« stattfindende Auseinandersetzung mit der dramatischen Gattung und das Prinzip der Bedeutungsgenerierung, also nicht die - fast unermeßliche - referentielle Bedeutung der Metaphern, Anspielungen und Zitate. 4 Dabei steht der Interpret allerdings vor dem Dilemma, daß das 1
Müller, Heiner: DIE HAMLETMASCHINE, in: ders.: Mauser, Berlin, 1978, S. 8 9 - 9 7 ; Seitenangaben im fortlaufenden Text in Verbindung mit der Sigle »M«.
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Siehe hierzu: Schulz, 1980, S. 149. Raddatz, 1991. Diese findet sich am ausführlichsten bei: Eke, 1989, S. 7 1 - 1 0 7 .
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Drama mit der herkömmlichen Terminologie der Literaturwissenschaft schwer zu erfassen ist. Dies ist bereits Teil von Müllers ästhetischem Programm: »Kunst legitimiert sich durch Neuheit = parasitär, wenn mit Kategorien gegebner Ästhetik beschreibbar.« 5 »HAMLETMASCHINE« erschließt sich erst vor dem Hintergrund des poststrukturalistischen Denkens, das den Versuch einer Hinterfragung der Klassifizierungs- und Ordnungssysteme der Neuzeit unternommen hat. Die in diesem Werk realisierte Textpraxis soll hier verstanden werden als der poetische Entwurf jener Perspektive, die Foucault am Ende von »Die Ordnung der Dinge« stellt: Der Mensch ist eine Erfindung, deren junges Datum die Archäologie unseres Denkens ganz offen zeigt. Vielleicht auch das baldige Ende. Wenn diese Dispositionen [die von ihm untersuchten Ordnungs- und Klassifizierungsstrukturen] verschwänden, so wie sie erschienen sind, wenn durch irgendein Ereignis [...] diese Dispositionen ins Wanken gerieten, [...] dann kann man sehr wohl wetten, daß der Mensch verschwindet wie am Meeresufer ein Gesicht im Sand. 6
In der Analyse wird von der Prämisse ausgegangen, daß Müller die dramatischen Kategorien als diskursive Formationen ansieht, die für die Bedeutungsproduktion und für die Subjektkonzeption in unserer Gesellschaft exemplarisch sind. In einer intertextuellen Revision der traditionellen Konstituenten des Dramas kann der Versuch einer spielerischen Neukonstitution des Ich unternommen werden und dabei die Funktion von Sprache und Theater neu definiert werden. Diese poetische Sprachpraxis, die die Bedingungen ihrer eigenen Kondition als gesellschaftliche freilegt und sie gleichzeitig überwindet, ist in »HAMLETMASCHINE« durch einen besonderen Kunstgriff realisiert: Das Drama verwendet die Theatermetapher als ein Erkenntnismedium, um die in der dramatischen Gattung exemplarisch dokumentierte Logik der Welt als »ein Reich der Zeichen« (Roland Barthes) zu entlarven, es produziert also seinen eigenen Metadiskurs mit. Die abendländische Kulturtradition seit der Neuzeit wird hier als ein System von sich gegenseitig bedingenden und reproduzierenden Texten gesehen, deren auf der Logik des binären Zeichens basierende Strukturen es zu entziffern und zu überwinden gilt, um in der Kunst ein »Reich der Freiheit« zu entwerfen. Die Möglichkeit der Überwindung dieser Ordnung ist per se in der poetischen Sprache angelegt: Erst in der poetischen Sprache verwirklicht sich in praxis die Totalität des Kodes, über den der Mensch verfügt. [...] In dieser Perspektive offenbart sich die literarische Praxis als Erforschung und Entdeckung der Möglichkeiten der Sprache: als Tätigkeit, die den
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Müller, Heiner: Ein Brief, in: ders.: Theaterarbeit, Berlin, 1986, S. 124-126, hier S. 126. Foucault, Michel: Die Ordnung der Dinge, Frankfurt/M., 1974, S. 462.
Menschen von gewissen linguistischen, psychischen, gesellschaftlichen Rastern befreit, als Dynamik, die die Trägheit der Sprachgewohnheiten sprengt und dem Linguisten die einzigartige Möglichkeit gibt, das Werden der Bedeutungen der Zeichen zu untersuchen.^
Um Müllers vom »archäologischen Denken« Foucaults inspirierte Dramatik adäquat beschreiben zu können, muß eine Methodik verwandt werden, die nach der Logik des Denkens in Schichten und nicht in zu verortenden Sinnzentren funktioniert. Denn der Text zeigt nur die »Spitze des Eisbergs.« 8 Einen solchen Ansatz bietet die Intertextualitätstheorie. In ihrer radikalisierten ideologiekritischen Ausprägung geht sie davon aus, daß »jeder Text sich aus einem Mosaik von Zitaten zusammensetzt«, daß jeder Text die »Vereinnahmung und Verwandlung eines anderen Wortes ist.«9 Nun verhält es sich aber in »HAMLETMASCHINE« so, daß dieses radikale Intertextualitätsprinzip im dramatischen Diskurs selbst durch die Technik des überdeterminierten Anzitierens bloßgelegt wird. Für die Analyse muß daher Intertextualität auch als Beschreibungskategorie für das Phänomen der Rückbezüglichkeit auf andere Texte gelesen werden. Hierzu bietet sich Renate Lachmanns Systematisierung der verschiedenen »Ebenen des Intertextualitätsbegriffs« an. 10 Lachmann unterscheidet zunächst folgende vier erprobte Größen: 1. Phänotext, 2. Referenztext, 3. Referenzsignal und 4. Intertextualität (als jene neue textuelle Qualität, die sich aus den durch das Referenzsignal garantierten implikativen Beziehungen zwischen Phäno- und Referenztext ergibt). Die aus der Intertextualitätsbeziehung resultierende neue textuelle Qualität kann der Rezipient nur aufgrund der Identifizierung der Referenzsignale konkretisieren, er erfährt sie als Ambivalenz oder Polyvalenz des Textes. Diese Beziehung ist allerdings nicht als einseitige Affizierung des Phänotextes durch den Referenztext anzusehen, sondern die im Phänotext durch die Intertextualität gewonnene Sinnkomplexion affiziert auch den Referenztext, es entsteht ein dynamisches Geflecht. 11
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Kristeva, Julia: Zu einer Semiologie der Paragramme, in: Gallas, Helga (Hrsg.): Strukturalismus als interpretatives Verfahren, Darmstadt/Neuwied, 1972, S. 163-200. 8 Müller, Heiner: Was ein Kunstwerk kann, ist Sehnsucht wecken nach einem anderen Zustand der Welt - ein Gespräch mit Urs Jenny und Hellmuth Karasek über »Verkommenes Ufer«, den Voyeurismus und die Aufführungspraxis in beiden deutschen Staaten (1983), in: ders.: Gesammelte Irrtümer, 1986, S. 130-140, Zitat S. 139. 9 Kristeva, Julia: Le mot, le dialogue et le roman, in: dies.: Semeiotike: Recherches pour une semanalyse, Paris, 1969, S. 142-172, Zitat S. 145. Ό Lachmann, Renate: Ebenen des Intertextualitätsbegriffs, in: Stierle, Karlheinz / Warning, Rainer (Hrsg.): Das Gespräch (= Poetik und Hermeneutik XI), München, 1984, S. 133138. 11 Ebd. S. 136.
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Die Referenzsignale zeigen laut Lachmann hauptsächlich zwei Arten der Beziehung zwischen Phäno- und Referenztext an, die als Kontiguitäts- und als Similaritätsbeziehung bezeichnet werden können: Die Kontiguitätsbeziehung liegt vor, wenn ein konstitutives Element eines fremden Textes [...) im Phänotext wiederholt wird, das den Referenztext als ganzen evoziert, oder wenn eine signifikante Textstrategie eines fremden Textes repräsentiert wird, die den Referenztext in seiner Zugehörigkeit zu einer Poetik [...] aufruft. [Pars-pro-totoRelation] [...] Wenn im Phänotext Strukturen als fremdtextlichen Strukturen äquivalente signalisiert sind, läßt sich von einer Similaritätsbeziehung sprechen. Diese Relation realisiert sich nicht in zitierten Elementen oder Verfahren, sondern im Aufbau von analogen Strategien, die ihre Entsprechungen in bestimmten Referenztexten haben.' 2
Die Anordnung der Referenzsignale im Phänotext läßt zwei Arten von Intertextualitätsstrukturen ablesen: Kontamination und Anagramm: Die Kontamination erscheint als Ergebnis der Selektion von Einzelelementen von verschiedenen Refenztexten (oder von Textstrategien, die verschiedenen Poetiken zugehören) und deren Kombination - im Sinn einer Montage - oder einer Über- und Ineinanderschaltung im Phänotext. [...] Das Anagramm hingegen besteht aus über den Phänotext verteilten Elementen, die, zusammengesetzt, die kohärente Struktur eines fremden Textes erkennen lassen, der Referenztext ist als Anatext präsent. Die anagrammatische Signalisierung schafft eine Rätselstruktur, die durch ein kombinatorisches, rück- und vorverweisendes Lesen dekodiert wird.
Die Bestimmung der Sinnkomplexion ist auf das Konzept der Zeichengemeinschaft angewiesen. Im radikalen Intertextualitätsverständnis markiert das Sich-Einflechten des Textes in den Zeichenkontext auch den kulturellen und ideologischen Ort, der die Funktionen der Zeichenkreuzung, die Funktionen der intertextuellen Organisation des Textes selbst offenlegt. Der Text erscheint somit im sozialen Kontext als ideologische Handlung, die in den sozialen Zeichenkontext eingreift.14 Kristeva bezeichnet diesen Vorgang des »Einschreibens« des literarischen Textes in die Gesamtheit aller Texte als »geschriebene Antwort« (»ecriture-replique«): Indem er den [sie!] vorausgegangenen bzw. synchronen literarischen Korpus liest, lebt der Schriftsteller mittels seiner Schreibweise in der Geschichte, und die Gesellschaft schreibt sich in den Text ein. Die paragrammatische Wissenschaft muß also einer Ambivalenz Rechnung tragen: die poetische Sprache ist Dialog zweier Diskurse. Ein fremder
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Ebd. Ebd. S. 136f. Ebd. S. 137. Lachmann weist darauf hin, daß Kristeva hier das Konzept von V. Volosinov aufgreift. (V. Volosinov: Das Wort im Leben und das Wort in der Poesie, in: Zvezda 6 (1926), S. 244-267).
Text dringt in den Raster der Schreibweise ein; diese absorbiert ihn nach eigenen Gesetzen, die es noch zu entdecken gilt. So betätigen sich alle Gesetze des vom Schriftsteller gelesenen Raumes im Paragramm eines Textes. Der Schriftsteller ist aufgrund seiner Entfremdung in die entfremdete Gesellschaft durch eine paragrammatische Schreibweise einbezogen. [...] Schreiben wäre demnach ein zur Produktion, zur Tätigkeit gewordenes >Lesensich erweise, man steht richtig dort, wo man zu stehen habeShakespeare FactoryUnvermögen< (impouvoir) [...] ist, wie man weiß, nicht die bloße Unfähigkeit (impuissance), die Sterilität des >Nichts-zu-sagen-habens< oder der Mangel an Inspiration. Es ist im Gegenteil die Inspiration selbst: die Macht einer Leere, der Wirbel des Atems eines Souffleurs, der sie aspiriert und mir genau das raubt, was er mir zukommen läßt, und das ich in meinem Namen zu sagen können glaubte. Die Freigiebigkeit der Inspiration, der positive Einbruch einer Rede, von der ich nicht weiß, woher sie kommt, von der ich, bin ich Antonin Artaud, weiß, das ich nicht weiß, woher sie kommt und wer sie spricht: diese Fruchtbarkeit des andern Atems ist das Unvermögen: nicht die Abwesenheit, sondern die radikale Verantwortungslosigkeit der Rede, die Verantwortungslosigkeit als Vermögen und Ursprung der Rede. Ich beziehe mich auf mich selbst im Äther einer Rede, die mir fortwährend souffliert wird, und die mir das raubt, mit dem sie mich in Beziehung bringt. Das Sprachbewußtsein und damit das Bewußtsein schlechthin ist das mangelnde Wissen um denjenigen, der im Augenblick und am Ort, an dem ich mich äußere, spricht.4^
Eben diese Geste der Zerstörung führt »DIE HAMLETMASCHINE« dramaturgisch aus, indem Fragmente der abendländischen Kultur als Zitate präsentiert werden und so die poetische Konvention der Widerspiegelungsästhetik als »soufflierte Rede« entlarvt wird. Die Hamletkonstellation bezeich46
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Derrida, Jacques: Die soufflierte Rede, in: Derrida, 1976, S. 259-301, Zitat S. 268f.
net genau jenes »Unvermögen« zum originären Ausdruck und die daraus resultierende Verantwortungslosigkeit. Derrida führt nun aber auch aus, welchen Ausweg Artauds Kritik vorsieht: Dieses Bewußtsein ist daher ebenfalls eine Bewußtlosigkeit [...] gegen die ein anderes Bewußtsein rekonstituiert werden muß, das diesmal auf grausame W e i s e sich selbst präsent sein wird und das sich sprechen hören wird. D i e Definition dieser Verantwortungslosigkeit fallt weder der Moral, noch der Logik, noch der Ästhetik zu: sie ist totaler und ursprünglicher Verlust der Existenz selbst. 4 7
Dieses andere Bewußtsein wird in den Ophelia/Elektra-Textpassagen entwickelt. Auch hier findet sich die Technik der Rekurrenz von Lexemen und Motiven, doch ist hier keine Rücknahme, sondern eine Entwicklung auszumachen, die sprachlich nicht durch Zitate, sondern durch analoge Textstrategien, die auf der Innen-Außen-Opposition basieren, dargestellt wird. Im Kursivtext des zweiten Bildes heißt es: »Ophelia. Ihr Herz ist eine Uhr« (M 91). Die Uhr symbolisiert in ihrer Eigenschaft als Meßinstrument der Zeit jenes klassifizierende Ordnungsdenken, das auch die Subjekt-ObjektKonzeption hervorgebracht hat. Durch die Ambivalenz der Verlautbarungsinstanzen wird diese Einheit zerbrochen. Die Vergangenheit, der die Diskursinstanz Hamlet im Unterschied zu Ophelia in seiner retrospektivischen Rede im ersten Bild verhaftet bleibt, wird verabschiedet, und es bleibt nur ein Körper übrig: »Ich bin Ophelia. Die der Fluß nicht behalten hat. Die Frau am Strick D i e Frau mit den aufgeschnittenen Pulsadern D i e Frau mit der Überdosis A u f den Lippen Schnee D i e Frau mit dem Kopf im Gasherd. Gestern habe ich aufgehört mich zu töten. Ich bin allein mit meinen Brüsten meinen Schenkeln meinem Schoß.« (M 91)
Nach der Gewahrwerdung ihres Körpers reißt sie die Türen auf und läßt den »Schrei der Welt« (M 92), also die Möglichkeit einer originären Rede, hinein, formuliert also eine Bewegung von außen nach innen. Am Ende des Bildes reißt sie »die Uhr [als Symbol der Fremdbestimmung] aus meiner Brust die mein Herz war« (M 92) und geht hinaus auf die Straße. Diese Körperteile dienen im fünften Bild der Elektra-Diskursinstanz als Instrumente der Revolte: »Ich verwandle die Milch meiner Brüste in tödliches Gift. Ich ersticke die Welt zwischen meinen Schenkeln. Ich begrabe sie in meiner Scham.« (M 97) Sie adressierte ihre Rede »an die Metropolen der Welt« (M 97). Es ist also jeweils eine Außen-Innen-Opposition zwischen der Ophelia- und der Elektra-Diskursinstanz bezüglich ihrer Körperlichkeit wie auch ihrer Rede zu verzeichnen. In der Komplementarität des zweiten und
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Ebd. S. 269f.
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fünften Bildes wird über diese Opposition eine Metamorphose des Körpers angedeutet. Nachdem die Diskursinstanz Ophelia ihrer Physis gewahr wurde und den »Schrei der Welt« hineingelassen hat, vollzieht sie in der Trennung von Verlautbarungs- und Diskursinstanz eine neue symbolische Ich-Konstitution und kann so als Verlautbarungsinstanz Ophelia ein anderes Bewußtsein rekonstituieren. Hierzu dient als Katalysator die Diskursinstanz Elektra. Es handelt sich dabei zwar auch wieder um eine literarische Figur, aber im Gegensatz zu Hamlet und den im Hamletkomplex zitierten Figuren ist sie nicht an das Werk eines bestimmten Autors gebunden, sondern seit der Antike ein Motiv der abendländischen Literatur. Elektra, die die Erinnerung an den toten Vater wachhält, personifiziert hier die produktive Rolle von Literatur als »geronnener Erfahrung«. 48 Dies wird anschaulich im Bild des Schreis. Elektras Schrei am Ende der antiken Tragödie als stimmliche, nicht-diskursive und nicht-soufflierte Äußerung des Entsetzens wird im zweiten Bild als »Schrei der Welt« in den Text eingeführt. Dabei werden gleichzeitig andere Bilderwelten aufgerufen, wie etwa Münchs Gemälde oder die Bilderwelten des deutschen Expressionismus. Im fünften Bild wird nun ein im Kontrast mit der Evokation anderer sekundärer Zeichensysteme zutage tretendes Spezifikum der verschrifteten Sprache durch die Trennung von Verlautbarungs- und Diskursinstanz verdeutlicht, nämlich die Abhängigkeit der Idee der Subjektivität von den sprachlichen Formen. Benveniste bemerkt diesbezüglich: In der Sprache und durch die Sprache stellt der Mensch sich als Subjekt hin; weil in Wirklichkeit die Sprache allein, in ihrer Realität, die die des Seins ist, den Begriff des >ego< begründet. D i e >SubjektivitätSubjekt< hinzustellen. [...] Wir bestehen darauf, daß diese >SubjektivitätEgo< ist derjenige, der >ego< sagt. Hier finden wir die Grundlage der >SubjektivitätPerson< bestimmt wird. D a s Selbstbewußtsein ist nur möglich, wenn es sich durch einen Kontrast erfährt. Ich benutze ich nur dann, wenn ich mich an jemanden wende, der in meiner Anrede ein du sein wird. Diese Bedingung des Dialogs ist es, welche die Person konstituiert, denn sie impliziert umgekehrt, daß ich zu einem du werde in der Anrede desjenigen, der sich seinerseits als ich bezeichnet. Darin sehen wir ein Prinzip, dessen Konsequenzen in allen Richtungen zu entwickeln sind. Die Sprache ist nur möglich, weil jeder Sprecher sich als Subjekt hinstellt, indem er sich in seiner Rede auf sich selbst als ich bezieht. Aufgrund dieser Tatsache stellt ich eine andere Person auf, jene Person, die außerhalb von >mir
Müller, Heiner: Brief an Robert Wilson, in: Hörnigk, Frank (Hrsg.): Heiner Müller Material, Göttingen, 1989, S. 5 1 - 5 4 , S. 51.
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selbst< liegt und mein Echo wird, zu dem ich du sage und die du zu mir sagt. [...] >ego< besitzt im Hinblick auf du immer eine transzendentale Position [...]/*"
»DIE HAMLETMASCHINE« vollzieht, vorbereitet durch die monologische Struktur der Bilder eins und vier, in denen das »ich« sich im Selbstgespräch allein mit Hilfe der Rollenthematik und ohne die Bestätigung der Anrede eines anderen vergeblich seiner Identität zu vergewissern sucht, im fünften Bild qua Sprache eine Demontage des Subjekts: Im Auseinanderfallen von Diskurs- und Verlautbarungsinstanz wird decouvriert, daß die Grundlage der Subjektivität gerade in der Ausübung der Sprache liegt. Ebenso wie durch die Rekurrenz von sich wechselseitig umcodierenden, anderen sekundären Zeichensystemen entstammenden Lexemen und Motiven im Verlauf des Textes durch permanente Bedeutungsverschiebung die Idee einer Referenzsemantik, also die Auffassung, daß sprachliche Ausdrücke auf außersprachliche Objekte der »Wirklichkeit« verweisen, zurückgewiesen wird, offenbaren sich auch die Kategorien des Denkens als Kategorien der Sprache. Das einzige nicht-semiotisierbare Ereignis ist allein der (eingetretene) Tod. 5 0 Dieses Ereignis wird durch das als solches nicht gekennzeichnete Schlußzitat aus dem Zeugenbericht von Susan Atkins, einem Mitglied der Manson»Familie«, angedeutet: »Wenn sie mit Fleischermessern durch eure Schlafzimmer geht, werdet ihr die Wahrheit wissen.« (M 97) »DIE HAMLETMASCHINE« formuliert so, nach der sprachlichen Erkundung der Bedingtheit der menschlichen Subjektivität durch die Sprache, jenen Extrempunkt, an dem sich, um mit Foucault zu sprechen, ankündigt, »daß der Mensch >endlich< ist und daß beim Erreichen des Gipfels jeden möglichen Sprechens er nicht zum Zentrum seiner selbst gelangt, sondern zur Grenze dessen, was ihn einschließt: zu jenem Gebiet, wo der Tod weilt, wo das Denken erlischt, wo die Verheißung des Ursprungs unendlich sich zurückzieht.« 51
1.4.2.2. Die Montage von Stilebenen und Zitaten Auffallend an den Stilebenen des Textes ist der Wechsel von Verssprache und Prosa, den bekanntlich schon Brecht zu Verfremdungszwecken einsetzte. Im ersten Bild erfolgt die Vergegenwärtigung der Hamlet-Konstellation zunächst in Prosa, die sich durch das Prinzip der konsekutiven Reihung von Satzteilen mit gelegentlichen Ellipsen - das Verb fehlt - auszeichnet.
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Benveniste, Emile: Über die Subjektivität in der Sprache, in: Benveniste, 1974, S. 2 8 7 297, hier S. 289f. Siehe hierzu: Eco, 1972, S. 74. Foucault, 1974, S. 458.
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Der Erzählfluß wird jedoch durch eingeschobene, typographisch hervorgehobene, Passagen unterbrochen. Innerhalb eines Satzes wird die Abfolge z.B. durch eine Parenthese unterbrochen: »FLEISCH UND FLEISCH GESELLT SICH GERN« (M 89). Zwischen den einzelnen Sätzen der Deskription sind Passagen in Verssprache eingefügt; so der Knittelvers: »Wer ist die Leich im Leichenwagen / um wen hört man viel schrein und klagen / die Leich ist die eines großen / Gebers von Almosen« (M 89) und der Blankvers »Er war ein Mann nahm alles nur von allen.« (M 89) Der Beschreibung folgt nun eine Zitatmontage von unzusammenhängenden Blankversen aus verschiedenen Werken, und zwar »Hamlet«, »Richard III«, Eliots »Aschermittwochsdichtung« und Müllers »Der Bau«. 52 Diese werden dekontextualisiert und entsemantisiert. Durch das Fehlen einer autonomen Verlautbarungsinstanz und durch die mangelnde Kohärenz der Textteile funktionieren sie nur im Hinblick auf die kulturgeschichtliche Bestätigung des Hamlet-Paradigmas. Die Unfähigkeit, über diese kulturelle Tradition produktiv zu verfügen, äußert sich durch die fehlende syntaktische Integration dieser Zitate in die Monologe der Hamlet-Diskursinstanz. Sie sind sozusagen nur als Parenthese präsent. Das gleiche Verfahren finden wir auch am Beginn und am Ende des vierten Bildes, wo variierte Fragmente aus Eliots »Journey of the Magi«, Müllers »Zement«, »Macbeth«, »Doktor Schiwago« und »Schuld und Sühne« aufgerufen werden. Die Passagen in metrisch gebundener Sprache wie auch die mehr oder weniger identifizierbaren literarischen Zitate fungieren jeweils nur als textueller Stimulus für die Zugehörigkeit zu bestimmten Werken oder historisch konventionalisierten literarischen Formen und Gattungen, die über den »Metatext der Erinnerung« wahrgenommen werden. Der Text konstituiert sich hier als eine Anhäufung von »mimetischen Klischees«, die lediglich Ideolekte und Stile evozieren, ohne eine aus dem Kontext resultierende neue semantische Qualität zu erlangen. 53 Das Unvermögen zur Aktion äußert sich - neben der fehlenden Produktivmachung der literarischen Zitate - auch in den Sprechakten. Der Inzest mit der Mutter wird als imaginiertes Spiel ausgewiesen, und die sprachliche Evokation des Aufstands steht im Modus des Irrealis. Beide Aktionen der Hamlet-Diskursinstanz sind - trotz sprachlich dynamischer Darstellung in parataktischen Sätzen mit Anaphern (»jetzt« Μ 91 und »ich« Μ 94), die die
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Zum Montageverfahren bei Heiner Müller siehe: Fischer-Lichte, Erika: Zwischen Differenz und Indifferenz. Funktionalisierungen des Montageverfahrens bei Heiner Müller, in: dies. / Schwind, Klaus (Hrsg.): Avantgarde und Postmoderne. Prozesse struktureller und funktionaler Veränderungen, Tübingen, 1991, S. 231-246. Siehe hierzu: RiffaterTe, 1973, S. 139-156.
Unmittelbarkeit des oralen Sprechens und somit den Gegensatz zur Verssprache reflektieren - nur Produkte der Vorstellung. Anders verhält es sich hingegen mit der Ophelia Diskursinstanz. Sie wird im zweiten Bild ihrer selbst gewahr und bricht explizit mit der Opferrolle. Die performativen Sprechakte der Selbstbefreiung sind in keine relativierende Spielsituation gestellt. Dabei gleicht die parataktische Sprache mit Verwendung von Anaphern und häufiger Reihung von Substantiven derjenigen der Hamlet-Diskursinstanz. Im Unterschied zur Hamlet-Diskursinstanz gelangt die Elektra-Diskursinstanz zu einer anderen Form der Zitatmontage. Im zweiten Bild findet sich in der Rede der Ophelia-Diskursinstanz noch die Parenthese »AUF DEN LIPPEN SCHNEE« (M 91), im fünften Bild hingegen werden die Zitate »im Herzen der Finsternis« (M 97, - nach dem Romantitel »Das Herz der Finsternis« von Joseph Conrad) und »Unter der Sonne der Folter« (M 97, - der Titel von Sartres Vorwort zu Frantz Fanons »Die Verdammten dieser Erde«) bruchlos in den Redefluß der Elektra-Diskursinstanz integriert und sind typographisch nicht mehr als Zitate gekennzeichnet. Durch die Trennung in Ophelia-Verlautbarungsinstanz und Elektra-Diskursinstanz, also durch die Herauslösung des Selbst aus der Realität des Diskurses, kann das Ich jetzt eine Verfügungsgewalt über die literarische Tradition erlangen, sie »produktiv rezipieren« und zur Artikulation des Selbstbefreiungsprozesses funktionalisieren. »DIE HAMLETMASCHINE« oszilliert also zwischen einer durch Verssprache, Zitate und Parenthesen vermittelten »fremden Rede« der Diskursivität einerseits und der Suche nach einem nicht-soufflierten, in gesellschaftliche Aktion umsetzbaren Ausdruck andererseits. Diese Ausdrucksform zeichnet sich durch die Verwendung von Parataxen, Anaphern, Ellipsen und Reihungen aus. Ihre Syntax entspricht der der gesprochenen Sprache und steht im Gegensatz zur elaborierten Verssprache. In den Monologen findet der vergebliche Versuch einer sprachlichen Selbstverortung der Diskursinstanzen statt, deren Fluchtpunkt jedoch nicht die »historische« Zeit und der »historische« Ort ist, sondern immer nur der Verlautbarungsakt selbst. Dies äußert sich in der häufigen Verwendung von sprachlichen Zeichen, die in bezug auf die »Realität« nicht referentiell sind und erst in der pragmatischen Sprachverwendung durch einen Sprechenden eine jeweils individuelle Referenz annehmen, nämlich des Personalpronomens in der 1. Person Singular sowie der Adverbien »jetzt« (M 91) und »hier« (M 97). 54 Demgemäß kann auch die bruchlose Integration von Fragmenten der poetischen Sprache, die als Zitate nicht mehr erkennbar sind, in die eigene Rede, d.h. also die Amalgamierung von »literarischer«
54
Siehe hierzu: Benveniste, 1974, S. 282f.
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Sprache und Umgangssprache, 55 auch als eine »mise en abyme« der Wirkungsästhetik, die »DIE HAMLETMASCHINE« formuliert aufgefaßt werden. Die »Bedeutung« eines Kunstwerks bemißt sich allein am Anteil der Subjektivität des Rezipienten am Prozeß der Bedeutungskonstitution, ist also eine pragmatische Dimension; die durch das Kunstwerk gemachten Erfahrungen werden unabhängig von ihrer Herkunft zu Instrumenten der menschlichen Praxis, und auf diese Weise kann das Verstehen eines Kunstwerks zur Veränderung der Praxis des verstehenden Subjekts führen. 5 6 Diese Potentialität eines Kunstwerks jenseits der Autorintention hat schon Valery in die folgende Worte gefaßt: »Einmal veröffentlicht, ist ein Text wie ein Apparat, dessen jeder sich nach seinem Gutdünken und nach seinen Mitteln bedienen kann.« 57
1.5. Der dramatische Text als Inszenierung der Sprache Müllers Sprachkonzeption ist eng verbunden mit der physischen Präsenz, der Materialität des Körpers. Dies wird im zweiten Bild der »HAMLETMASCHINE« in der Gewahrwerdung der eigenen Körperlichkeit als Voraussetzung der Trennung von Verlautbarungs- und Diskursinstanz deutlich. Die Bindung des Wortes an die Geste und seine Verräumlichung, die schon Artaud eingefordert hat, ist ein hervorstechendes Kennzeichen dieser poetischen Sprache. Brechts noch an die individuelle Rollenfigur gebundene Konzeption der Gestik erfährt hier eine Neudefinition. 58 Der gestische Sprachduktus wird in »HAMLETMASCHINE« als metaphorische Vermessung des Raums durch das Prinzip einer sprachlich gesteuerten permanenten, kontextabhängigen Umcodierungsmöglichkeit und Bedeutungserweiterung 55
Beispiele für die »Grenzüberschreitung« von stilistisch als solche gekennzeichneter literarischer Sprache und Umgangssprache finden sich in der Moderne und in der historischen Avantgarde, so etwa in der Poesie Mallarmes, Apollinaires, Cummings' und Eliots. Siehe hierzu auch: Riffaterre, 1973, S. 32. 56 Diese Auffassung der pragmatischen Bedeutungskonstitution eines literarischen Kunstwerks wird von Mukarovsky vertreten: Mukarovsky, Jan: Ästhetische Funktion, Norm und ästhetischer Wert als soziale Fakten, in: ders.: Kapitel aus der Ästhetik, Frankfurt/M., 4. Aufl. 1982 (1970), S. 7-112. Eine eingehende Analyse dieses Aufsatzes findet sich in: Fischer-Lichte, Erika: Bedeutung. Probleme einer semiotischen Hermeneutik und Ästhetik, München, 1979, bes. Kap. Π.2., S. 138-153. 57 Valery, Paul: Memoires du poete. Au sujet du »Cimetiere marin«, in: ders.: (Euvres I, Paris, 1957, S. 1507, hier zitiert nach Riffaterre, 1973, S. 163. 5 ® Vergleiche hierzu Brechts Forderung »die Sprache soll ganz dem Gestus der sprechenden Personen folgen.« in: Brecht, Bertolt: Über reimlose Lyrik mit unregelmäßigen Reimen (1939), in: ders.: Schriften zur Literatur und Kunst 2 (= Gesammelte Werke Bd. 19), Frankfurt/M., 1982, S. 395^103, Zitat S. 398.
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der Signifikanten durchgeführt. Der so kreierte poetische Sprachraum basiert auf dem Prinzip des Rhythmus. Die dem zugrunde liegene Auffassung von Rhythmus unterscheidet sich allerdings wesentlich von der gängigen Idee von Rhythmus als metrisches Maß. Benveniste hat in einer etymologischen Begriffsanalyse nachgewiesen, daß die Idee von Rhythmus als Formprinzip und Zeitmaß (also die Begriffs Verwendung im Sinne von »μέτρον«), die in der Neuzeit seit der Renaissance dominiert, in der Antike erst von Piaton propagiert wurde. 59 Heraklit und Demokrit war der mit Rhythmus verbundene Ordnungsgedanke noch fremd, sie sahen im Rhythmus (»£>υΦμος« im Unterschied zu » σ χ ή μ α « ) das Veränderliche, Bewegliche, Fließende, also gemäß ihrer Philosophie das Naturprinzip schlechthin. Im Bereich der Literatur wurde Rhythmus lange Zeit weitgehend mit Metrik gleichgesetzt. Mit der Einführung des »vers libre« im Symbolismus wurde jedoch wieder eine vom Versmaß unabhängige, eigenständige Dimension des sprachlichen Rhythmus aktualisiert. Auch die historische Avantgarde berief sich im Zuge der Entliterarisierung des Theaters auf einen solchen veränderten RhythmusBegriff. Leopold Jessner konstatiert 1925 bezüglich des Gegensatzes zwischen dem neuen und dem »metrischen« Rhythmus: Seit man den Eigenwert des Worts, den eigenen Laut, das eigene rhythmische Gesetz seines Gefüges entdeckte, erkannte man, w i e abgesondert und unvereinbar dies von der Individualität des Tons, der Klangart und Kontrapunktik eine musikalischen Ablaufs war.60
Auch Lothar Schreyer sah im Rhythmus »das Gestaltungsprinzip der Gegenwart« und schreibt ihm die Fähigkeit zu, die Linearität des Wortes zu durchbrechen: Der Rhythmus gestaltet die Sprachtonbewegtheit. [...] Das Wortkunstwerk wirkt in der Zeit, ist ein Nacheinander von Wortgestalten, die nur durch die Bewegung, das Nebeneinander zu einer Einheit zusammengeschlossen werden können. 6 1
Wie wird nun aber in der »HAMLETMASCHINE« die Sprache nach rhythmischen Prinzipien gestaltet und welcher besondere Effekt wird damit erzielt? Zur Beantwortung dieser Frage empfiehlt es sich, zunächst einige allgemeine Überlegungen über die Funktion des Rhythmus in der Sprache
" 60
6
Benveniste, Emile: Der Begriff des »Rhythmus« und sein sprachlicher Ausdruck, in: ders.: 1974, S. 3 6 3 - 3 7 4 . Jessner, Leopold: Heutige Bühnenmusik, in: ders.: Schriften. Theater der zwanziger
Jahre, hrsg. von Hugo Fetting, Berlin, 1979, S. 158f. ' Schreyer, Lothar: Expressionistische Dichtung, in: ders: Zwischen Sturm und Bauhaus, hrsg. von Brian Keith-Smith, Stuttgart, 1985, S. 11-20, hier S. 14-16.
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voranzuschalten. Nach Hans-Ulrich Gumbrecht schreibt die poetologische Tradition wie auch das Alltagswissen dem sprachlichen Rhythmus drei Funktionen zu: 1. die gedächtnisstützende Funktion, 2. die affektive Funktion, 3. die koordinierende Funktion. 62 ad 1.: Wenn man sich an eine Sequenz nicht rhythmisch geformter Sprache erinnern will, so muß man sich sukzessiv die einzelnen Laute, Wörter und Sätze der zu erinnernden Äußerung vergegenwärtigen. Das rhythmisch geformte Sprachmuster, d.h. die Wiederkehr von bestimmten Folgen begleitender Laut-Qualitäten, die der sprachlichen Äußerung ihre spezifische Form geben, ermöglicht hingegen als - sozusagen »metonymische« - Gestaltvorgabe eine drastische Reduktion der sich primär in der Zeitlichkeit entfaltenden Komplexität der zu erinnernden Sprachsequenz. ad 2.: In der Produktion wie auch in der Rezeption einer rhythmischen Lautfolge wird die eigene bzw. die fremde Stimme als Träger der Äußerung erlebt. Diese Perzeption des eigenen Körpers als Organ der rhythmischen Lautproduktion bzw. -rezeption ist zugleich Auslöser für kinästhetische Empfindungen. Affektivität ist somit definierbar als die Unfähigkeit/Unmöglichkeit, die Konstitution semantischer Formen (als kognitives Resultat der Perzeption) vom Empfinden des eigenen Körpers abzusetzen, ad 3.: Im Kontext der Biologie von Maturana und Varela sind Operationen im sprachlichen Bereich (= Gesamtheit der sich gegenseitig überschneidenden Felder des ontogenetischen, kommunikativen und sprachlichen Verhaltens) sprachliche Koordinationen von Handlungen, die auf sprachlichen Unterscheidungen basieren. Das sprachmächtige Wesen nimmt innerhalb des sprachlichen Bereichs die Rolle eines Beobachters ein. Es erzeugt sein Ich und die Umstände seiner Existenz als rekursive sprachliche Unterscheidungen im Rahmen seiner Teilnahme an einem sprachlichen Bereich. Auf diese Weise entsteht Bedeutung (Sinn) als eine Beziehung von sprachlichen Unterscheidungen. 6 3 Durch den Einsatz rhythmischer Sprache, die nicht unmittelbar auf die Ebene der semantischen Beschreibung überführt werden kann, da sie durch die Rekurrenz von Lautketten die Erzeugung von sprachlichen Unterscheidungen retardiert, kann der Lautproduzent bzw. -rezipient partiell seiner scheinbaren alltagsweltlichen Verfügungsgewalt über die Sprache verlustig gehen. Indem sein Beobachterstatus gegenüber der Sprache gefährdet wird, kann er (mitbedingt durch die affektive Funktion des
62
Gumbrecht, Hans-Ulrich: Rhythmus und Sinn, in: ders. / Pfeiffer, Ludwig K. (Hrsg.): Materialität der Kommunikation, Frankfurt/M., 1988, S. 7 1 4 - 7 2 9 .
63
Maturana, Humberto R. / Varela, Francisco J.: Der Baum der Erkenntnis. Die biologischen Wurzeln des menschlichen Erkennens, München, 1992 (1984), Kap. 9: Sprachliche Bereiche und menschliches Bewußtsein, S. 2 2 1 - 2 5 4 .
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Rhythmus) die Sprache als einen das eigene Bewußtsein koordinierenden Faktor erfahren. Die drei Funktionen des sprachlichen Rhythmus lassen sich zusammenfassend bestimmen als: 1. Aufhebung des Sukzessionsprinzips der Sprache durch die »metonymische« Struktur des Rhythmus, 2. Simultaneität von Körperempfindung und Sinnkonstitution und 3. Aufhebung des Beobachterstatus des Sprechers/Hörers im sprachlichen Bereich. Die in der »HAMLETMASCHINE« thematisierte Gewahrwerdung der eigenen Körperlichkeit kann durch die rhythmische Gestaltung des Textes auch im Rezeptionsprozeß gleichsam somatisch nachempfunden werden. Durch eine Vielzahl von rhetorischen Figuren und Abweichungen von der Normgrammatik wird im Drama ein Prosarhythmus kreiert, der bisweilen von Passagen in gebundener Sprache (meist im Blankvers) durchsetzt ist. Dieser Sprachduktus knüpft an die von der modernen Lyrik seit Rimbaud und Mallarme vollzogene Destruktion der Syntax der Normalsprache an. Hugo Friedrich charakterisiert in seiner Studie »Die Struktur der modernen Lyrik« die Intention dieses Sprachstils wie folgt: Mit seinen Unruhen, Brüchen und Befremdungen zieht der abnorme Stil die Aufmerksamkeit auf sich selbst. Man kann nicht mehr, wie bei älterem Dichten, über dem Gesagten das Sagen vergessen. Unstimmigkeit zwischen Zeichen und Bezeichnetem ist ein Gesetz moderner Lyrik wie moderner K u n s t . ^
Die Rhythmisierung der Prosasprache geschieht bei Müller durch die häufige Verwendung von Wort- und Satzfiguren wie Anapher, Ellipse, Inversion und Parallelismus sowie durch interessante Klangfiguren. So findet sich in dem Satz »ER WAR EIN MANN NAHM ALLES NUR VON ALLEN« (M 89) eine durch die häufige Verwendung des Vokals »a« erzielte Assonanz. Es handelt sich bei dieser Wendung um eine nach homophonen Gesichtspunkten durchgeführte, den semantischen Gehalt verballhornenden Übersetzung einer Replik aus Shakespeares »Hamlet«. Dort heißt es über Hamlets Vater: »'A was a man, take him for all in all, I shall not look upon his like again.« (1,2 Vers 187f.) Die »korrekte« deutsche Übersetzung in der verwendeten Textausgabe lautet: »Er war ein Mann, nimm alles nur in allem, ich werde seinesgleichen nicht mehr sehn.« Müller übernimmt hier also die Lautfolge der literarischen Vorlage bei gleichzeitiger Umdeutung des semantischen Gehalts. In dem Satz »HAMLET [...] VON LOCH ZU LOCH AUFS LETZTE LOCH« (M 96) wird durch die Alliteration die Bedeutung des Satzes, also der repetitive Charakter der Aktion, akzentuiert. Darüberhinaus könnte die permanente Wiederholung des Phonems »[ 1 ]« auch As-
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Friedrich, Hugo: Die Struktur der modernen Lyrik, Reinbek, 1985, (1956), S. 149.
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soziationen zum Eingangsmonolog herstellen, wo die sprachliche Äußerung Hamlets auf ein phatisches »BLABLA« reduziert ist. Die durch die sprachlichen Techniken geschaffene Lautkette schafft nun als akustisches Phänomen durch den Wechsel zwischen rhythmischer Prosa und Verssprache, die Freiheit der Syntax, die Stereotypie der Anaphern und Alliterationen sowie die über die lexematischen Rückverweise geschaffenen Störungen ganz besondere Bedingungen für den Rezeptionsprozeß beim (lauten) Lesen des Textes. Hierzu trägt auch die Interpunktion in der »HAMLETMASCHINE« bei; die grammatikalisch-syntaktische Zeichensetzung ist durch eine rhythmisch-musikalische ersetzt. So fehlen in den Passagen in Verssprache die Interpunktionszeichen, und in der Rede der Ophelia im zweiten Bild findet sich bisweilen kein Punkt zwischen den jeweils mit einem Großbuchstaben beginnenden Teilsätzen wie auch kein Komma zwischen den Substantivreihungen innerhalb eines Satzes: Die Frau am Strick Die Frau mit den aufgeschnittenen Pulsadern Die Frau mit der Überdosis [...] Ich bin allein mit meinen Brüsten meinen Schenkeln meinem Schoß. Ich zertrümmere die Werkzeuge meiner Gefangenschaft den Stuhl den Tisch das Bett. (M 91)
Der Einsatz dieser Rhythmisierungstechniken führt beim lauten Lesen zu einer Aufwertung der Suprasegmentalia (Akzent, Intonation, Junktur und in manchen Sprachen die Tonhöhe) und stellt sie als bedeutungstragende Elemente der Sprache jenseits ihrer verschrifteten Form heraus. Gleichzeitig wird durch diese Verfahren dem Leser im Rezeptionsprozeß aber auch eine veränderte Wahrnehmung der Zeit ermöglicht. Der lineare, fortschreitende Zeitbegriff mit seiner Einteilung in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft wird durch die Rhythmisierungstechniken, Wiederholungen, Pausen und Rückkopplungseffekte des Textes aufgehoben zugunsten einer individuellen, nicht-historischen Zeiterfahrung. 65 Diese Erfahrung einer - um mit Artaud zu sprechen - »nicht-metaphysischen«, nur an die eigene Körperlichkeit gebundenen »Präsenz« kann im Verlautbarungsakt des (lauten) Lesens des Textes bzw. im Akt des Hörens physisch erlebt werden, indem das Sukzessionsverhältnis zwischen der Perzeption einer Lautkette und einer eventuell dadurch ausgelösten kinästhetischen Empfindung tendenziell außer Kraft gesetzt und durch die Simultaneität von Wahrnehmung und Körperempfindung ersetzt wird. 66 Hierdurch wird die Möglichkeit geschaffen, die alltagsweltli65 66
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Auf diese Thematik wird in Kap. II.5. noch ausführlicher eingegangen werden. Gumbrecht weist in diesem Zusammenhang auf G.H. Meads evolutionsgeschichtliche Studie »Die Philosophie der Sozialität« (1932) hin, in der die These vertreten wird, daß beim »Urmenschen« Fremdwahrnehmungen bestimmte körpernahe Wahrnehmungen ausgelöst hätten, die unmittelbar mit unwillkürlichen Körperbewegungen (etwa des
che Distanz zwischen dem Ich und dem sprachlichen Bereich punktuell zum Einsturz zu bringen. Neben diesem, auf das Gehör bezogenen, zeitlichen Aspekt, werden durch die Gestaltung des Schriftbilds auch auf der visuellen Ebene rhythmische Strukturen geschaffen. 6 7 Die Verwendung von fünf verschiedenen Schriftschnitten sowie der Wechsel zwischen Fließtext und durch Absätze hervorgehobener Verssprache durchkreuzen die gewohnte topographische Durchmessung der Buchseite. Statt den Text in der für die lateinische Schrift gewohnten Hierarchie von links nach rechts und von oben nach unten zu erfassen, wird der Betrachter dazu verleitet, die unterschiedlich gesetzten Textpassagen wie Elemente eines Puzzles zu lokalisieren und zusammenzusetzen. Die Repräsentationsfläche der Buchseite wandelt sich so zu einem dreidimensionalen Raum für ein Theater der Wörter, die in ihrer unterschiedlichen typographischen Präsentation die Grenzen des Satzspiegels und der Buchseite aufzusprengen scheinen. Eine derartige typographische Gestaltung weisen bereits manche lyrische Texte der historischen Avantgarde auf, wie etwa Apollinaires »Calligrammes«. Auch die Dadaisten sowie später die Lettristen und die Vertreter der »Konkreten Poesie« behandeln die sprachlichen Signifikanten als konkretes, lautliches bzw. graphisches »Material« und erzielten dadurch unterschiedliche, gegen die konventionelle Metrik gerichtete rhythmische Effekte. Ebenso verwendeten auch die Theaterreformer der historischen Avantgarde den Rhythmus als eine semantisch neutrale Größe, mit deren Hilfe »Raum«, »Zeit« und »Mensch« funktional aufeinander bezogen werden sollten; bei Adolphe Appia und Emile Jaques-Dalcroze avancierte er zum primären Gestaltungsmerkmal für Musik, Bühnenraum, Beleuchtung und Darstellungsstil. Müller führt nun diese beiden Traditionsstränge - Rhythmus als akustisches wie auch als typographisch dargestelltes visuelles Prinzip und als zentrale Bezugsgröße der dramatischen bzw. theatralen Kategorien Raum und Zeit - im dramatischen Text zusammen. Er inszeniert so ein »Theater der Wörter«, das den der Sprache wie auch dem Theater zugrundeliegenden Re-
Angriffs oder der Flucht) verbunden gewesen wären. Der zivilisierte Mensch zeichnet sich hingegen durch die Fähigkeit aus, solche stimulierten Körperbewegungen zu unterdrücken oder aufzuschieben. Die Wirkung des Rhythmus besteht nun gerade darin, das menschliche Verhalten aus dem zivilisatorischen Stadium in das Stadium der Vorgeschichte »zurückzuspielen«. Er vermag also die für den zivilisatorischen Menschen charakteristische Sukzession der Verhaltensformen zugunsten ihrer Simultaneität wieder aufzuheben. Siehe hierzu: Gumbrecht, 1988, S. 722f. Vergleiche hierzu: Meschonnic, Henri: Espace du rythme, in: ders.: Critique du rythme. Anthropologie historique du langage, Paris, 1982, S. 299-335.
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präsentationsanspruch bloßlegt und ihm die theatrale Präsentation der graphischen und phonetischen Materialität der sprachlichen Zeichen entgegensetzt.
78
2.
»QUARTETT«
2.1. Zur Tektonik des Dramas Müllers 1980 entstandener Dramentext »QUARTETT«1 nimmt Bezug auf den 1782 erstmals veröffentlichten Briefroman »Les Liaisons dangereuses« von Pierre Choderlos de Laclos. 2 Hier wird die Intrige des Libertinageromans von den Protagonisten Marquise de Merteuil und Vicomte de Valmont in einem Prolog und vier wechselnden Spiel-im-Spiel-Konfigurationen, in denen sie auch den Part der verführten Opfer Cecile de Volanges und Madame de Tourvel übernehmen, aus der Erinnerungsperspektive nachgespielt. Zu Beginn des Stückes tritt die Rollenfigur Merteuil auf, die einen an ihren abwesenden einstigen Liebhaber Valmont adressierten Monolog hält, in dem sie dessen imaginiertes Werben um sie abweist (HS 71f.). Im anschließenden Dialog mit dem hinzutretenden Valmont werden die jeweils von ihnen geplanten Intrigen, nämlich Valmonts Verführung der Präsidentin
1
2
Müller, Heiner: QUARTETT, in: ders. Herzstück, Berlin, 1983, S. 71-90; Seitenangaben im fortlaufenden Text in Verbindung mit der Sigle HS. Eine kurze Besprechung des Textes findet sich in: Erdmann, Michael: Die Haltlosigkeit der Wollust. Heiner Müllers »Auftrag« in Frankfurt und sein neuer Text »Quartett«, in: Theater heute 7/1981, S. 42-45, bes. S. 45. Die Uraufführung des Dramas fand am 7.4.1982 unter der Regie von B.K. Tragelehn am Schauspielhaus Bochum statt. Siehe hierzu: Stoessel, Marleen: Mit Dolchen reden. Heiner Müllers »Quartett« in: Theater heute 6/1982, S.2^t. Choderlos de Laclos, Pierre-Ambroise-Frangois: Les Liaisons dangereuses, in: ders.: (Euvres completes, hrsg. von Laurent Versini, Paris, 1979, S. 1-386. Auf die französische Ausgabe wird in allen Zweifelsfällen rekurriert, ansonsten wird der Roman hier im folgenden in der deutschen Übersetzung von Heinrich Mann aus dem Jahre 1905 zitiert: Choderlos de Laclos: Schlimme Liebschaften, Frankfurt/M., 1972 (1920); Seitenangaben in Verbindung mit der Sigle SL mit fortlaufenden Text. Eine Übersicht über die verschiedenen deutschen Übersetzungen des Romans findet sich bei: Fleck, Rudolf: Reception, traductions, influence de Laclos dans les pays de langue allemande, in: Laclos et le libertinage, 1782-1982, Actes du colloque du bicentenaire des »Liaisons dangereuses«, Paris 1983, S. 243-253. Siehe hierzu auch: Fleck, Rudolf / Wesemann, Eberhard: Nachrede des Herausgebers: »Les Liaisons dangereuses« im Deutschen. Ein Beitrag zur Editionsgeschichte, in: Choderlos de Laclos: Die gefährlichen Bekanntschaften, übersetzt von Christian von Bonin (1783), herausgegeben von Rudolf Fleck und Eberhard Wesemann, München, 1988.
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de Tourvel und die von der Merteuil initiierte Verführung ihrer Nichte Cecile de Volanges durch Valmont, verhandelt (HS 72-78). Nach diesen als Exposition fungierenden Szenen wird durch das Abtreten Valmonts die erste Spiel-im-Spiel-Konfiguration eingeleitet. In dieser übernimmt die Merteuil die Rolle Valmonts und simuliert, zunächst wieder in einem Selbstgespräch mit der imaginierten Madame de Tourvel, die Rede des männlichen Verführers, der wiederum einen sentimentalen, mit pseudoreligiösen Argumenten gespickten Diskurs der Tugendhaftigkeit simuliert. Der wieder auftretenden Valmont übernimmt nun den Sprechpart der in Versuchung geführten Tourvel. In dieser wie in den folgenden Spiel-im-Spiel-Konfigurationen ergibt sich nun die jeweils eingenommene sprachliche Identität der Protagonisten nur aus der dramatischen Rede und nicht aus dem Nebentext. Hinweise auf schauspielerbezogene Zeichen, die auf die Verkörperung einer Rollenidentität schließen ließen, finden sich nicht. Es handelt sich um simulierte Sprechhandlungen, in denen Merteuil und Valmont die travestierte Rede ihrer Opfer wiedergeben und die hier als »Sprachmasken« bezeichnet werden sollen. Ihre Komik resultiert gerade aus der Inkongruenz zwischen der Figur und ihrer jeweiligen Sprachmaske. Der Spielcharakter dieser Szenen bleibt ständig bewußt, da die christliche Heilsmetaphorik in der dramatischen Rede sexuell travestiert wird und mit umgangssprachlichen Vulgarismen durchsetzt ist. Zudem formulieren die Figuren bisweilen illusionsdurchbrechende Spielanweisungen wie »Tränen My lord« (HS 81) oder »bin ich gut, Marquise« (HS 95) und reflektieren die eigene Verstellung. In der zweiten Spiel-imSpiel-Konfiguration, der »Vernichtung der Nichte«, nimmt die Merteuil die Sprachmaske Ceciles ein, und Valmont simuliert seinen eigenen Part (HS 84-87). Die kurze dritte Konfiguration läßt die Merteuil als Madame de Tourvel und Valmont abermals als er selbst auftreten (HS 88, Zeile 1-11). Im vierten Spiel-im-Spiel, dem »Damenopfer«, redet Valmont - wie in der ersten Konfiguration - wieder in der Sprachmaske der Tourvel und die Merteuil in der Valmonts (HS 88-90). Das Stück besteht also aus einer Art Exposition, in der die Rollenfiguren Merteuil und Valmont auftreten, sowie vier Spiel-im-Spiel-Konfigurationen. 3 Diese gehorchen in ihrem Aufbau der Logik einer Spiegelstruktur: In der ersten und vierten Spiel-im-Spiel-Einlage nimmt die Marquise jeweils die Position des männlichen Verführers ein, und Valmont übernimmt den Part der verführten Tourvel. Umgekehrt verhält es sich hingegen in der zweiten und dritten Szene, wo der Vicomte seine eigene
3
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Diese Gliederung des Textes ist übernommen von Eke, 1989, Kap. 6: Spielende - SpielEnde-Endspiel? - »Quartett«, S. 155-189. Zum Aufbau des Dramas vergleiche auch: Berg, Jan: Heiner Müllers »Quartett«, in: Weber, Peter (Hrsg.): Deutsches Drama der 80er Jahre, Frankfurt/M., 1992, S. 210-221.
Rede simuliert und die Marquise in den Sprachmasken der Opfer Cecile und Madame de Tourvel auftritt. Darüberhinaus werden in den zwischen den Spiel-im-Spiel-Szenen stehenden drei Intermezzi die gerade vorher gesprochenen Parts und das Spiel-im-Spiel-Geschehen von Valmont und Merteuil kommentiert. Diese Spiel-im-Spiel-Dramaturgie bricht die konventionelle Chronologie des Dramas auf. Während in der Exposition auf der primären Fiktionsebene des Dramas eine Intrige vorausgeplant wird, wird diese auf der sekundären Ebene der Spiel-im-Spiel-Szenen retrospektivisch nachgespielt Die Figurenrede ist somit in diesen Spiel-im-Spiel-Konfigurationen kein konventioneller performativer dramatischer Sprechakt. Indem die Figuren Valmont und Merteuil in die Sprachmasken ihrer Opfer schlüpfen, werden ihre Dialoge zum Zitat einer fremden und gleichzeitig verfremdeten Rede. Das dramatische Geschehen wird so als ein Nachspiel der fiktiven Intrige der Briefromanvorlage kenntlich gemacht. Damit geht auch eine Veränderung der Kategorie der Zeit einher. Die sprachliche Vergegenwärtigung des Vergangenen in der als solche ausgestellten sekundären Spielsituation, die in den Intermezzi immer wieder bewußt gemacht wird, verweist auf die (im konventionellen Drama durch die fiktive Gegenwart der jeweils dargestellten Situation nicht thematisch werdende) Differenz zwischen der fiktiven Zeit des Dargestellten und der Zeitstufe der Darstellung. Dementsprechend situiert auch die Szenenanweisung »Zeitraum: Salon vor der Französischen Revolution / Bunker nach dem dritten Weltkrieg« (HS 71) das dramatische Geschehen in einem Zeitraum, der gerade die maximal mögliche Spannweite zwischen der dargestellten Zeit (Französische Revolution) und der - im folgenden noch zu kommentierenden - Zeit der Darstellung (nach dem dritten Weltkrieg) umreißt. Die Akzentuierung des Spielcharakters des in den Spiel-im-Spiel-Konflgurationen Präsentierten wird nun allerdings am Ende des Stückes durchbrochen. Durch die direkt an die Merteuil (und nicht an deren momentan eingenommene Sprachmaske als Valmont) adressierte Aussage »Sie brauchen mir nicht zu sagen, Marquise, daß der Wein vergiftet war« (HS 90) des (die sterbende Tourvel sprechenden) Valmont wird die Differenz zwischen der primären Fiktionsebene des dramatischen Spiels und der sekundären Fiktionsebene des Spiels-im-Spiel verwischt. Diese überraschende Grenzüberschreitung zwischen den beiden Fiktionsebenen durch das Sterben der Figur Valmont stellt das einzige situationsverändernde Handlungsmoment auf der Spiel-Ebene des Dramas dar. Im Moment des Todes läßt Valmont seine Sprachmaske fallen. Seine letzte Replik »Ich hoffe, daß mein Spiel Sie nicht gelangweilt hat. Dies wäre in der Tat unverzeihlich.« (HS 90) läßt sich darüberhinaus auch als eine Anrede an das Publikum verstehen. Neben der Amalgamierung der beiden Fiktionsebenen des Dramas findet sich hier also 81
auch eine zumindest angedeutete Überschreitung der Grenze zwischen gedoppelter interner und externer theatraler Kommunikation.
2.2. Kommunikationsstrukturen in der Briefromanvorlage Um der in der Sekundärliteratur verbreiteten Auffassung entgegenzutreten, daß Müllers Drama mit »Les Liaisons dangereuses« »augenscheinlich so viel zu tun hat wie >HAMLETMASCHINE< mit Shakespeare«, nämlich: »nahezu nichts«,4 sollen hier die Relationen zwischen dem Drama und seinem Prätext detailliert behandelt werden. Der ausführliche Rekurs auf den Libertinageroman wird anschaulich machen, wie Müllers dramatische Lesart eine intertextuelle Analyse und Revision des sich in der literarischen Tradition niederschlagenden Theatralitätsmodells vollzieht. Die Analogie zwischen »QUARTETT« und dem Briefroman Laclos' besteht - neben der Übernahme des plot und Metaphorik der Jagd, des Kriegs und des Schauspiels - darin, daß beiden Texten ein ähnliches Kommunikationsmodell zugrunde liegt. Die Besonderheit des Briefromans liegt in der Absenz einer autonomen vermittelnden Erzählinstanz, er hat also schon von daher eine gewisse Affinität zum theatralen Kommunikationsmodell. 5 Zudem handelt es sich bei den Briefen in »Les Liaisons dangereuses« nicht um eine uni- oder bilaterale Korrespondenz, sondern um einen polyphonen Austausch von insgesamt 14, größtenteils auch untereinander korrespondierenden Figuren (wobei allerdings der Graf von Gercourt und die Marschallin von *** nur als Briefschreiber auftreten und Sophie Carney nur als Adressatin fungiert). Der private Charakter der Korrespondenz der Tourvel sowie Ceciles und Dancenys wird jedoch gebrochen, indem Merteuil und Valmont auch die nicht an sie gerichteten Briefe dieser Verfasser zu lesen bekommen. So übersendet Valmont in einem Schreiben an die Merteuil (25. Brief) dieser auch die Entwürfe seines eigenen Briefs an Madame de Tourvel sowie den Brief der Tourvel, in dem letztere sein Werben zurückweist (26. Brief). Außerdem findet er durch Erpressung der Kammerfrau der Tourvel ein Mittel, auch deren gesamte Korrespondenz mit Madame de Volanges und Madame 4
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Zitiert wird hier die Auffassung von Emrich, Elke: Vm Rokokosalon zum Atombunker: Zwei Bühnenstücke nach dem Briefroman »Les liaisons dangereuses« von Choderlos de Laclos, in. Ester, Hans: (Hrsg.): >Ars et ingenium< Studien zum Übersetzen, Festgabe für Frans Stoks zum 60. Geburtstag, Amsterdam, 1983, S. 209-218. Auch Eke erwähnt nur rein inhaltliche Übereinstimmungen bzw. Abweichungen zwischen dem Roman Laclos' und dem Drama Müllers. Vergleiche hierzu: Rousset, Jean: Les lecteurs indiscrets, in: Laclos et le libertinage, 1983, S. 89-96.
de Rosemonde einzusehen (44. Brief, 115. Brief)· Der Inhalt der Briefe von Cecile und Danceny wird durch die Wahl von Merteuil und Valmont als ihren Vertrauten (29., 57., 60., 92. und 93. Brief etc.) dem jeweils Dritten zugänglich gemacht (z.B. im 76. Brief Valmonts an die Merteuil, der einen Brief von Cecile an Danceny und zusätzlich eine Antwort der Tourvel an Valmont enthält). Zudem sind Danceny und Cecile in einigen Fällen gar nicht mehr die eigentlichen Autoren ihrer Briefe. Im 66. Brief berichtet Valmont der Merteuil, daß der Entschuldigungsbrief Dancenys an Madame de Volanges (64. Brief) wie auch der Liebesbrief an Cecile (65. Brief) von ihm selbst diktiert worden seien. Ebenso gesteht er der Merteuil im 115. Brief, auch Cecile einen Liebesbrief an Danceny (117. Brief) diktiert zu haben und gibt im 158. Brief zu, der wahre Urheber des 156. Schreibens zu sein, in dem Cecile Danceny zu sich einlädt, obwohl dieser eigentlich zum gleichen Zeitpunkt ein Stelldichein mit der Merteuil hat. Neben dieser direkten Beeinflussung der Rede der Opfer durch das Diktat gibt es auch Indizien für eine indirekte Manipulation ihres sprachlichen Ausdrucks.6 So wird etwa Ceciles Einschätzung von sich selbst durch den Wortschatz der Merteuil gesteuert. Letztere bezeichnet ihre Nichte im 2. Brief an Valmont als »wirklich hübsch«, »linkisch allerdings« (SL 27). Im 3. Brief an ihre Freundin Sophie nimmt Cecile diese, am Vorabend von der Marquise in ihrer Gegenwart ebenfalls gebrauchte Beschreibung wieder auf: »Ich glaube doch zwei- bis dreimal das Wort >hübsch< gehört zu haben. Aber ganz deutlich habe ich das Wort >linkisch< gehört [...].« (SL 27f.) Im folgenden übernimmt nun Cecile die Begrifflichkeit ihrer Tante zur Bezeichnung ihres eigenen Verhaltens: »Ich will Dir aber doch noch etwas erzählen, wobei ich wieder mal >linkisch< war. Oh! Ich glaube, die Dame hat recht!« (SL 28) Die Manipulation Ceciles durch die Marquise wird also verdeutlicht durch das Zitieren und die anschließende Internalisierung der Rede einer anderen Romanfigur. Diese, z.T. typographisch markierte, 7 Intratextualität findet sich auch in der Korrespondenz zwischen Madame de Tourvel und Valmont. Die Verführungsstrategie Valmonts besteht darin, daß er die Rollen umkehrt und der Tourvel in seinen Briefen vorwirft, das Opfer dieser gnadenlosen, unerbittlichen Dame geworden zu sein. Somit zwingt er sie zur permanenten brieflichen Rechtfertigung, in der sie seine Argumente wieder-
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Siehe hierzu: Delon, Michel: Le discours italique dans »Les Liaisons dangereuses«, in: Laclos et le libertinage, 1983, S. 137-150. Die Markierung der Intra- und der Intertextualität erfolgt in der französischen Ausgabe durch Kursivtext, in der zitierten deutschen Ausgabe stehen hingegen halbe Anführungszeichen.
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holt und ihre Position darzulegen versucht. Im 24. Brief gesteht der Vicomte der Präsidentin seine Liebe: Kraft w e l c h e s Schicksalsfluchs vermag das süßeste der Gefühle Ihnen nur Schrecken einzuflößen? Was fürchten Sie denn? Ach gewiß nicht, mein Gefühl zu teilen: Ihr Herz, das ich verkannt habe, ist zur Liebe nicht geschaffen. Meines, das Sie unausgesetzt verleumden, ist das einzig fühlende; Ihres kennt nicht einmal Mitleid. (SL 7 4 f )
Im folgenden gibt er sogar vor, sich ihren Aktionen und ihrer Sprache unterwerfen zu wollen: Ich will Sie nicht täuschen, Sie werden es nicht dahin bringen, meine Liebe zu besiegen; aber Sie werden mich lehren, sie zu regeln. Wenn Sie meine Schritte lenken, meine Rede mir vorschreiben, werden Sie mich wenigstens vor dem gauenhaften Unglück bewahren, Ihnen zu mißfallen. (SL 76)
Der weitere Verlauf der Korrespondenz zwischen dem Vicomte und der Präsidentin zeichnet sich nun aber gerade dadurch aus, daß er ihr geschickt seine Argumente, die sie des öfteren zitiert, aufdrängt und ihre Repliken immer ins Gegenteil verkehrt sowie ihre zukünftigen Reaktionen voraussagt (26., 35., 36., 52., 56., 58., 67. und 68. Brief). Die Doppeldeutigkeit der Rede Valmonts zeigt sich besonders im 48. Brief an die Tourvel, der - wie im 47. Brief an die Merteuil berichtet wird - in einer ausschweifenden Nacht auf dem Rücken der Kurtisane Emilie verfaßt wurde. Für die Empfängerin Madame de Tourvel präsentiert sich das Schreiben als übersteigerte Gefühlsäußerung; für die Mitlesenden Emilie und Merteuil sowie für den Rezipienten offenbart sich durch Kenntnis der Schreibsituation gleichzeitig seine sexuelle Denotierbarkeit: Nach einer stürmischen Nacht, während derer ich kein Auge geschlossen habe; nachdem ich immerfort von verzehrender Glut hin und her geworfen worden bin [...]. Nie war mir, wenn ich an Sie schrieb, s o wohl [...] die Unterlage [= Emilies Rücken] sogar, auf der ich Ihnen schreibe und die zum ersten Mal dieser Bestimmung geweiht ist, wird für mich zum heiligen Altar der Liebe. (SL 131 f.)
Die aufgezeigten Beispiele verdeutlichen, daß im Briefroman die sprachliche Manipulation der Opfer durch Enthebung von der Autorschaft der eigenen Rede der sexuellen Verfügungsgewalt über ihre Körper vorausgeht. Erst im 96. Brief berichtet Valmont der Marquise über seine erste Nacht mit Cecile de Volanges, im 12. Brief rühmt er sich, die Tourvel besiegt zu haben und im 150. Brief gesteht Danceny der Marquise seine Liebe. Die epistoläre Kommunikation zeichnet sich dadurch aus, daß nur Valmont und Merteuil über den Inhalt der gesamten Korrespondenz und den jeweiligen Stand der Intrige unterrichtet sind. Sie nehmen also eine doppelte Perspektive ein. Einerseits führen sie in ihrem Briefwechsel einen Metadiskurs über den der84
zeitigen Stand und den weiteren Verlauf der Handlung, nehmen also eine vermittelnde Kommunikationsperspektive ein. Andererseits sind sie selbst als agierende Figuren, die ihre wahren Intentionen vor dem übrigen Figurenpersonal durch Verstellung verbergen, in die Romanhandlung involviert und fallen zum Schluß der eigenen Intrige und ihren gegenseitigen Rivalitäten zum Opfer. Die Struktur des gleichzeitigen Agierens von Valmont und Merteuil auf zwei Kommunikationsebenen (der Ebene des internen wie auch des vermittelnden Kommunikationssystems) findet sich auch in »QUARTETT« wieder. Hier treten sie auf der primären Spielebene in der Exposition und in den Intermezzi als Rollenfiguren auf und auf der sekundären Ebene der vier Spiel-im-Spiel-Einlagen fungieren sie als wechselnde Verlautbarungsinstanzen von Cecile, Madame de Tourvel und Valmont. Die im Prätext aufgezeigte Technik der Manipulation der Sprache der Opfer durch die Libertins, die schließlich zur Verfügungsgewalt über deren Körper führt, findet sich im Drama in modifizierter Form wieder, indem die Verführer jeweils in die Sprachmaske ihrer Opfer schlüpfen. Die Naivität der Rede der Verführten ist nun allerdings gebrochen, ihr simulierter Diskurs weist in der theatralen Sprechsituation die für die Libertins charakteristische religiöse und sexuelle Doppelbödigkeit auf. Die in der theatralen Zur-Schau-Stellung präsentierte distanzierende Sicht auf das Geschehen als inszenierter Nachvollzug eines vorgefertigten fiktiven Musters läßt sich allerdings bereits im Briefroman nachweisen. So bezeichnet die Merteuil in der Darlegung ihres geplanten Rachefeldzugs gegen Gercourt im 2. Brief Cecile de Volanges als die »Heldin dieses neuen Romans« (SL 28), und im 105. Brief verspottet sie diese mit den Worten »Sie würden eine prachtvolle Romanfigur abgeben« (SL 307). Des weiteren betitelt sie im 63. Brief auch Danceny als »der schöne Romanheld; von ihrer eigenen Doppelrolle als Vertraute von Cecile wie auch von deren Mutter sagt sie: »Nun bin ich also wie die Gottheit [...]. Ich habe aber diese eigene Rolle beiseite gelegt, um die des trostbringenden Engels zu spielen.« (SL 161) Valmont wird von der Marquise aufgefordert, »die Rolle des Vertrauten« (SL 165) gegenüber Cecile einzunehmen, und die Opfer der Intrige werden als »Darsteller« (SL 165) bezeichnet. Durch diese Vergleiche der Opfer mit Romanfiguren und Darstellern erhebt sich die Merteuil in die Position eines Autors und Regisseurs der Intrigen; die Libertinage präsentiert sich als inszenierte Manipulation der Lebenswelt eines gesellschaftlich funktionslos gewordenen Hochadels. Dementsprechend beschreibt die Marquise auch den Effekt ihrer Verstellungen als »Theaterwirkung« (85. Brief, SL 246) und bezeichnet das gesellschaftliche Parkett, auf dem sie agiert, als »große Bühne« (81. Brief, SL 228). Darüberhinaus finden sich in den Briefen der Libertins eine Fülle 85
von markierten literarischen Zitaten, die vom fiktiven Herausgeber der Briefe mit Anmerkungen versehen sind (44., 58., 63., 66., 71., 85. und 110. Brief). Mit Hilfe dieser Zitate wird die jeweils geschilderte Situation kommentiert, und die Romanhandlung reiht sich als bestätigende Wiederholung der literarischen Modelle in diese Traditionslinien ein. Besonders deutlich tritt die literarische Rückbezüglichkeit des Briefromans im 110. Brief Valmonts an die Merteuil zutage. Die Eroberung der Tourvel wird hier als Nachvollzug literarisch fixierter Muster erwogen: Darum gehe ich auch seit acht Tagen vergebens alle bekannten Mittel durch, alle die aus den Romanen und aus meinen geheimen Denkwürdigkeiten. Ich finde keines darunter, das auf die Umstände dieses Abenteuers paßt noch auf den Charakter der Heldin. (SL 325)
Valmonts Instrumentalisierung der literarischen Vorbilder für seine diabolischen Zwecke konterkariert hier gleichzeitig den Diskurs der Empfindsamkeit. Er vergleicht seine Befindlichkeit ironisch mit der von Saint-Preux aus Rousseaus »Julie ou la Nouvelle Heloi'se« und Madame de Tourvel wird zu Richardsons »Clarissa« in Bezug gesetzt (SL 324ff.). Zudem wird durch die Intertextualität die vorgebliche Authentizität der Rede und des Gefühls in der Gattung Briefroman als Illusion entlarvt. Eine besondere Steigerung erfährt dieses Agieren nach einem vermittelten Muster im Bruch Valmonts mit der Tourvel. Merteuil liefert hierzu als Vorlage ein anonymes, praktisch universal einsetzbares Schreiben, das die Beendigung einer Liaison zum Inhalt hat, und welches dann von Valmont an die Tourvel übersandt wird. Während also die Intertextualität in den Briefen der Opfer auf deren sprachliche Manipulation durch die Libertins verweist, dient die Intertextualität in den Briefen der Marquise und des Vicomte dazu, einerseits die Virtuosität ihrer Sprachbeherrschung zu unterstreichen und andererseits ihr vermeintlich selbstbestimmtes Handeln als eine distanzierende Inszenierung von vorgegebenen literarischen Handlungsmustern in der (fiktiven) Lebenswelt des Romans auszuweisen. Ebenso verwendet das Spektakel der Libertinage auch die Schauspielmetapher auf zwei Ebenen. Valmont und Merteuil nehmen auf der Bühne der höfischen Gesellschaft des Ancien Regime eine übergeordnete Perspektive ein, in der sie sich sogar mit Gott vergleichen: So prophezeit Valmont im 6. Brief, daß er der Gott der Tourvel sein werde (SL 36) und die Merteuil bezeichnet sich im 63. Brief als »Gottheit« (SL 161). Gleichzeitig ist ihr Agieren auf dieser Bühne durch permanente Verstellung und (z.T. intertextuell) reflektiertes gesellschaftliches Rollenspiel geprägt. Theatralität im Sinne der kulturwissenschaftlichen Bestimmung nach Helmar Schramm präsentiert sich also im Briefroman als distanzierender Wahrnehmungs86
modus des Gesamtgeschehens wie auch des eigenen Verhaltens der Libertins.
2.3. Der Diskurs des Körpers - Die semantische Ebene der dramatischen Rede In Müllers »QUARTETT« wird nun dieses Theatralitätsmodell offenkundig gemacht, indem die Libertinage als ein auf der primären Fiktionsebene geplantes und in den Spiel-im-Spiel-Situationen ohne spielinternes Publikum von den Protagonisten sprachlich selbst in Szene gesetztes und somit funktionslos gewordenes Geschehen präsentiert wird. Hierdurch wird der exemplarische Charakter der Libertinage als ein der Öffentlichkeit bedürfendes, zeremonielles Handlungsmuster einer bestimmten historischen Kulturgemeinschaft, das auf dem komplexen Zusammenspiel von symbolischer und physischer Gewalt basiert, zu Bewußtsein gebracht. 8 Schon bei Laclos dient die Instrumentalisierung der Sprache und die dadurch bewirkte Unterwerfung der Opfer ja nicht etwa dem sexuellen Genuß, sondern der Zweck der Libertinage besteht in der Wahrung des »Rufs« der Libertins (5. Brief, SL 33), also in der Steigerung des öffentlichen Ansehens und der eigenen Macht durch Publikmachung der Eroberungen. Daher werden in den Briefen des Romans zwar die Vorbereitung, die Begleitumstände und eventuell die öffentliche Wirkung der Affären beschrieben, der erotische Akt selbst jedoch nicht. Letzterer wird nur in diskursiven Periphrasen, wie etwa Valmonts Bezeichnung der Instruktion Ceciles als »Katechismus der Ausschweifung« (11. Brief, SL 328) evoziert. In »QUARTETT« wird die Verführung hingegen völlig entfunktionalisiert und als ein »zweckfreies« Spiel präsentiert. In flktionalen und figuralen Brechungen bespiegeln die Figuren ihre eigenen travestierten, für sich selbst wie auch für den Rezipienten transparenten Diskurspraktiken, die zum Selbstzweck erhoben werden. Durch die fehlende Instrumentalisierung kann im selbstbezüglichen Spiel der Herrschaftsanspruch der symbolischen Gewalt der Sprache bloßgelegt werden. Gleichzeitig steht das gleichsam
Weitere Beispiele für die Theatralisierung der Lebenswelt in öffentlichen Zeremonien aus der Zeit des Ancien Regime, die sich durch ein Zusammengehen von symbolischer und physischer Gewalt auszeichnen, nämlich zwei Beschreibungen von öffentlichen Hinrichtungen und ein Auszug aus den Memoiren von Casanova, führt Müller in den (im gleichen Band der Rotbuch-Ausgabe wie das Drama abgedruckten »Materialien« zu » Q U A R T E T T « an. (HS 1 1 8 - 1 2 7 ) Zum Zusammenhang von öffentlichen Zeremonien und Theater vergleiche auch: Schramm, 1996, Exkurs: Zeremonieller Schein und Theater, S. 2 1 2 - 2 2 5 .
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»körperlose«, rein sprachliche Geschehen - das Drama kennt außer den Sprecherangaben keinen Nebentext - in krassem Kontrast zur Semantik der dramatischen Rede, wo auf beiden Fiktionsebenen permanent (aus der Romanwelt ausgeschlossene) physische Sachverhalte, nämlich der Sexualakt, der physische Verfall des Menschen sowie der Tod thematisiert werden. So bemerkt etwa die Marquise gegenüber Valmont: »Ein wenig Jugend im Bett, wenn schon der Spiegel sie nicht mehr hergibt.« (HS 74) Valmont kontert: »Denken Sie manchmal an den Tod, Marquise. Was sagt ihr Spiegel. Es ist immer der andre der herausblickt.« (HS 76) Die Libertinage wird hier nicht als »Krieg der Geschlechter« präsentiert, sondern es geht vielmehr, wie bereits im Eingangsmonolog der Merteuil deutlich wird, um die sprachliche Auseinandersetzung des aufgeklärten, seines metaphysischen Horizonts verlustig gegangenen Menschen mit seiner eigenen, aus der aufklärerischen Diskurspraxis mehr und mehr verdrängten Leiblichkeit und der Paradoxie seiner physischen Existenz, die ihre Bestimmung allein im Tod findet. Merteuil und Valmont werden schon in der Romanvorlage als exemplarische Vertreter des rationalistischen Menschen ausgewiesen. Die Marquise legt im 81. Brief ihre »Grundsätze« der weiblichen Libertinage als Möglichkeit eines selbstbestimmten, emanzipierten Daseins in einer von Männern dominierten Gesellschaft dar. Rationales Kalkül des eigenen Verhaltens und scheinbare äußere Anerkennung der moralischen Werte ihrer Umgebung verschaffen ihr zwar die gewünschte persönliche und sexuelle Freiheit, doch geschieht dies um den Preis der totalen Selbstkontrolle und der Verleugnung der eigenen Affekte. Anne Deneys-Tunney weist in ihrer Analyse des Briefromans darauf hin, daß der 81. Brief, in dem die Merteuil sich als ihr »eigenes Werk« (SL 222), als Produkt der disziplinierten Herausbildung ihrer eigenen Fähigkeiten und ihrer Stellung bezeichnet, auf der intertextuellen Folie von Descartes' »Discours de la Methode« gelesen werden könne, da er den Kerngehalt des cartesianischen Projekts der Setzung des Subjekts als Begründer des Wahrheitskriteriums zum Ausdruck bringt. 9 Ebenso korrespondiert die für die Libertinage kennzeichnende Affektkontrolle mit der von Descartes eingeforderten Trennung des Subjekts von seinen Leidenschaften sowie mit der Konzeption des Körpers als einer Maschine bzw. als einer den Sinnestäuschungen ausgelieferten Res extensa. Diese cartesianische Distinktion von Geist und Körper bzw. den Sinnen findet sich auch in der dramatischen Rede der Figuren auf der primären Fiktionsebene in »QUARTETT«. So reduziert Merteuil in ihrem Eingangsmonolog die vergangene Liebesbeziehung völlig auf den physischen Akt, in9
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Deneys-Tunney, Anne: Ecritures du corps. De Descartes ä Laclos, Paris, 1992, S. 2 8 3 321.
dem sie den menschlichen Körper und seine Gefühlregungen als eine »Maschine« bzw. als ein »Instrument« (H 71) bezeichnet und die »Lust des Körpers« und das »Gehirn« als zwei völlig voneinander unabhängige Prinzipien bezeichnet. Gleichzeitig zweifelt sie aber auch an dieser Trennung zwischen souveränem Geist und Physis: »Ein Bewußtsein zu haben und keine Gewalt über die Materie.« (H 72) Selbst in der solitären Redesituation des imaginären Dialogs weist sie ihre eigenen Körperreaktion noch in den Bereich des Simulakrums zurück: »Das war gut gespielt, wie.« (H 72) Der Zwang zur Beherrschung der eigenen Gefühle erscheint hier doppelt motiviert. Einerseits dient er der Wahrung einer strategischen Distanz gegenüber Valmont, andererseits auch der Abgrenzung von den Unterschichten, denen ihre angebliche Triebbestimmtheit angelastet wird: »Was geht mich die Lust meines Körpers an, ich bin keine Stallmagd.« (H 72) bzw. von ihrer eigenen Evolutionsgeschichte: »Vier Tagesreisen von Paris in einem Schlammloch, das meiner Familie gehört, dieser Kette aus Gliedern und Schößen, [...] lebt etwas zwischen Mensch und Vieh. Ich hoffe es in diesem Leben nicht zu sehn« (H 77). Merteuils obsessive Negation der eigenen Körperlichkeit ist das Produkt eines internalisierten zivilisatorischen Zwangs zur Affektkontrolle, auf dessen perfekter Beherrschung sich ihr Herrschaftsanspruch auf sozialer und privater Ebene letztlich gründet. 10 Ebenso nimmt auch der hinzutretende Valmont eine distanzierte Haltung gegenüber seinen libertinistischen Ausschweifungen sowie der eigenen Rede darüber ein, indem er sie jeweils mit Theatergleichnissen belegt und sich selbst von den niedrigeren Schichten absetzt: Meine besten Finten [bei der Verführung Ceciles] werden mich zum Narren machen wie den Schauspieler das leere Theater. Ich würde mir selbst applaudieren müssen. Der Tiger als Komödiant. Mag der Pöbel sich bespringen zwischen Tür und Angel [...]. (H 75)
Diese Struktur der Distanzierung bis hin zur »Gefühlpanzerung« zur Wahrung des eigenen Herrschaftsanspruchs und des sozialen Status ist nach Norbert Elias für die höfische Gesellschaft der Neuzeit kennzeichnend. In seiner Analyse von Honore d'Urfes Roman »L'Astree« (erschienen 1607-27) zeigt er auf, wie die Erfüllung des dort propagierten, bis in die bürgerliche Literatur hineinwirkenden Liebesideals bereits auf dem Vermögen zur Distanzierung in der zwischenmenschlichen Beziehung wie auch zur Natur generell beruht. Siehe hierzu: Elias, Norbert: Die höfische Gesellschaft, Frankfurt/M., 1983, Kap. VIII. Zur Soziogenese der aristokratischen Romantik im Zuge der Verhofung, bes. S. 364-393. Diese Strategie der Distanzwahrung in den zwischenmenschlichen Beziehungen durch Verstellung kennzeichnet auch die Liebeswerbung in Marivaux' Dramen, am deutlichsten wohl in »Le jeu de l'amour et du hazard«. In Lessings »Minna von Barnhelm« wird sie von der Titelheldin in den verschiedenen dramatischen Situationen taktisch geschickt für ihre Zwecke eingesetzt.
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Die Beziehungen zum anderen Geschlecht werden von den Protagonisten mit jeweils spezifischen Wortfeldern belegt. Die Merteuil verwendet hierzu ökonomische Termini, die auch im Prätext zu finden sind: 11 Ziehen Sie Ihr zartes Angebot nicht zurück, mein Herr. Ich kaufe. Ich kaufe in jedem Fall. (HS 72); [...] der Kaufvertrag [für die Heirat Ceciles mit Gercourt] liegt beim Notar. (HS 74)
Die geplante Verführung Ceciles und damit einhergehend das Vorhaben, Gercourt zum Gehörnten zu machen, werden von Merteuil wie auch von Valmont mit dem Vokabular der Jagd, das ebenfalls in der Briefromanvorlage verwendet wird, bezeichnet: 12 Ich dachte, es könnte Ihnen Vergnügen machen, [...] das schöne Tier Gercourt mit dem unvermeidlichen Geweih zu krönen, bevor er sein Försteramt antritt und alle Wilderer der Hauptstadt in seinen Wald einfallen und ihn abonnieren auf den Kopfschmuck. Seien Sie ein guter Hund, Valmont, und nehmen Sie die Spur auf, solange sie frisch ist. (H 74)
Valmont erwidert darauf: Übrigens ziehe ich vor, meine Jagd selbst zu bestimmen. [...] Und verspreche mir von dem Gegenstand meiner Anbetung [der Tourvel] eine bessere Jagd als von Ihrer jungfräulichen Nichte [...]. Ich wette, nach dem Frost der kindlichen Gebete brennt sie auf den Fangstoß, der ihrer Unschuld ein Ende macht. Sie wird mir ins Messer laufen, bevor ich es gezogen habe. Sie wird keinen einzigen Haken schlagen: sie kennt nicht die Schauer der Jagd. Was soll mir ein Wild ohne die Wollust der Hetze. (HS 75)
In dieser Degradierung der Opfer zur austauschbaren Ware bzw. Beute kommt das von Horkheimer und Adorno kritisierte aufklärerische Phantasma einer unumschränkten Verfügungsgewalt über die Natur zum Ausdruck: Grenzenlos Natur zu beherrschen, den Kosmos in ein unendliches Jagdgebiet zu verwandeln, war der Wunschtraum der Jahrtausende. Darauf war die Idee des Menschen in der Männergesellschaft abgestimmt. Das war der Sinn der Vernunft, mit der er sich brüstete.'-'
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Valmont bezeichnet Cecile im 96. Brief als »Ware« (SL 271). Im 23. Brief vergleicht Valmont seine Taktik gegenüber der Tourvel mit der eines Jägers: »Ach! Sie soll sich ergeben, aber sie soll erst kämpfen. Die Kraft zu siegen soll sie zwar nicht haben, aber doch die zu widerstehen. Sie soll mit Muße das Gefühl ihrer Schwäche auskosten und zum Eingeständnis ihrer Niederlage gezwungen sein. Lassen wir den obskuren Wilderer auf dem Anstand den Hirsch, der er überrascht hat, erlegen; der richtige Jäger muß ihn zu Tode hetzen.« (SL 73) Horkheiner, M a x / Adorno, Theodor W.: Mensch und Tier, in: dies.: Dialektik der Aufklärung, Frankfurt/M., 1971, S. 219-227, Zitat S. 221.
Dieser Mechanismus der Naturbeherrschung, die nur auf Kosten der Unterdrückung der eigenen körperlichen Natur des Menschen zu erlangen ist, offenbart sich exemplarisch im Libertinageroman, wo die Verfügungsgewalt über andere Körper mit der Verdrängung der eigenen Affekte einhergeht. Gleichzeitig wird hier deutlich, daß die Instrumentalisierung des Körpers nur in Verbindung mit bestimmten diskursiven Praktiken möglich ist. In »QUARTETT« wird nun in der dramatischen Rede die hinter der Lust an der Unterwerfung der Objekte der Begierde liegende Kehrseite dieser das Gedankengut der cartesianischen »Methode« in Dienst nehmenden absoluten Souveränität des Subjekts thematisiert. Die übersteigerte Selbstmächtigkeit wird hier hinterfragt, indem die Libertinage nicht mehr, wie noch im Prätext, allein als Behauptung des Subjekts gegenüber den gesellschaftlichen Regeln und Zwängen ausgewiesen wird, sondern im Dialog der Marquise und des Vicomte als ein Aufbäumen gegen die Determinierung der eigenen Körperlichkeit durch die Zeit und die Unterworfenheit der menschlichen Existenz unter den Tod präsentiert wird. Zudem birgt diese Bloßlegung der Geringschätzung des Körperlichen, wie sie die christliche Theologie oder auch teleologisch ausgerichtete Ideologien vertreten, die dem Menschen das Recht auf irdische Selbstverwirklichung absprechen, auch sozialen Zündstoff: Unser erhabner Beruf ist, die Zeit totzuschlagen. Er braucht den ganzen Menschen: es gibt zu viel davon: Wer die Uhren der Welt zum Stehen hingen könnte. Die Ewigkeit als Dauererektion. Die Zeit ist das Loch der Schöpfung, die ganze Menschheit paßt hinein. Dem Pöbel hat es die Kirche mit Gott ausgestopft, wir wissen, es ist schwarz und ohne Boden. Wenn der Pöbel die Erfahrung macht, stopft er uns nach. (HS 75f.)
Die auf der Basis der christlichen Religion argumentierende cartesianische Theorie hat die Frage nach dem Tod ausgeklammert, indem das Ich allein in der Seele verortet wird und der Körper zwar zum Objekt der Wissenschaft erhoben wird, jedoch in seiner Materialität von der Begründung der Identität des Subjekts ausgeschlossen bleibt. 14 Damit einhergehend werden auch die den Sinneseindrücken (und somit der Täuschung) unterworfenen äußeren Erscheinungen - Umgebung, Geschichte, Tradition und auch ganz generell die Dimension der Zeit - der Möglichkeit der Erkenntnis der Wahrheit sowie der Begründung des Cogito enthoben; das Subjekt erscheint als ahistorische, transzendentale Größe. 15 In diesem Ausschluß der Physis im mechanistischen cartesianischen Körperkonzept, das dem Körper weitgehend ein eige-
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Vergleiche hierzu: Descartes, Rene: Discours de Methode, in: CEuvres, Lettres, hrsg. von Andre Bridoux, Paris, 1953, S. 126-179, hier: 4. Teil, S. 147ff. Vergleiche zu dieser Problematik: Grätzel, Stephan: Die philosophische Entdeckung des Leibs, Wiesbaden, 1989.
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nes Leben sowie eine eigene Vernunft abspricht und ihn auf den Objektstatus reduziert, ist letztlich auch die mit der modernen Subjektivitätstheorie einhergehende philosophische Verdrängung des lebendigen und erlebten Körpers, also des »Leibes«, und damit einhergehend des Phänomens des Todes verwurzelt. 16 Zwar wird Descartes' mechanistisches Körpermodell dann von den Sensualisten relativiert und ein Jahrhundert später in LaMettries »Die Maschine Mensch« seiner metaphysischen Prämissen beschnitten, 17 doch nichtsdestoweniger ist die Distanzierung und Instrumentalisierung des Körperlichen in der Neuzeit als Grundlage des historischen Fortschritts anzusehen und hat, wie Adorno und Horkheimer konstatieren, zu einem ambivalenten Verhältnis zum Körper geführt: Die Haßliebe gegen den Körper färbt alle neuere Kultur. Der Körper wird als Unterlegenes, Versklavtes noch einmal verhöhnt und ausgestoßen und zugleich als das Verbotene, Verdinglichte, Entfremdete begehrt. Erst Kultur kennt den Körper als Ding, das man besitzen kann, erst in ihr hat er sich vom Geist, dem Inbegriff der Macht und des Kommandos, als der Gegenstand, das tote Ding, >corpuss< im empirischen Strausberg bei Berlin verschärft, ohne es direkt in ein >SS< zu verwandeln.« Schulz, Genia: Waste Land / Verkommenes Ufer. Auszug aus dem Vortrag »>Ein Fetzen Shakespeare< - >Der Rest ist Lyrik< oder: der Autor als Leser (Heiner Müller)«, gehalten während der Heiner Müller Werkschau am 25. Juni 1988 im Kutscherhaus, in: Storch, Wolfgang (Hrsg.): Explosion of a memory. Heiner Müller DDR. Ein Arbeitsbuch, Berlin, 1988, S. 103f., ZitatS. 104.
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(»Oder der Jugoslawische Traum« HS 99) oder das revolutionäre Potential der Dritten Welt (»Die toten Neger« HS 100) keine Alternative mehr bieten können: In den Uniformen der Mode von gestern vormittag D i e Jugend von heute Gespenster Der Toten des Kriegs der Morgen stattfinden wird (HS 99)
Die Verkehrung des semantischen Gehalts der letzten Zeile aus Hölderlins Hymne »Andenken« (»Was bleibt aber stiften die Dichter«) in »WAS BLEIBT ABER STIFTEN DIE BOMBEN« initiiert nun die Negierung der Aufgabe der Kunst, angesichts dieser Situation noch positive Modelle und Wertmaßstäbe vermitteln zu wollen oder zu können. Das Motiv der Irrfahrt wird auf das Terrain der Kunst verlagert. Der Text bedient sich also auch der Konfiguration des Dichters als Seefahrer, der allerdings keine objektivierende und distanzierte Haltung zur gesellschaftlichen Realität mehr aufrecht erhalten kann und daher seine eigene subjektive Wirklichkeit in den literarischen Text einfließen läßt. 30 Die Konsequenzen dieser Position werden im Text thematisiert. Einerseits weist das lyrische Ich die Möglichkeit einer reflektierten künstlerischen wie auch einer historischen Standortbestimmung zurück: »Der Himmel [= die Utopie] ist ein Handschuhe [= ein Auftrag] auf der Jagd [= ohne Ausführenden]« (HS 100). 31 Andererseits sieht es aber auch die hieraus resultierende Gefahr der Selbstbezüglichkeit einer radikal subjektiven Kunstproduktion, die in eine gesellschaftliche Funktionslosigkeit von Kunst münden könnte und die im Text als »Wortschlamm« und als »Gestrüpp meiner Träume« (HS 100) paraphrasiert wird. Die Position Müllers läßt sich allerdings in der Umkehrung eines anzitierten Brecht-Gedichts über das »Theater des neuen Zeitalters« ablesen. Der Intention und Form des realistischen epischen Theaters das den Zuschauer zur kritischen Reflexion des Dargestellten erziehen soll, wird durch Müllers Zitatvariation eine Absage erteilt. Brechts Gedicht lautet: Das Theater des neuen Zeitalters Ward eröffnet, als auf die Bühne
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Müller hat diese Haltung des Autors zu seinem Stoff 1976 in einem Interview f o r m u liert: »Jetzt kann man über Geschichte nur noch schreiben, wenn man seine eigene historische Situation mitschreibt. [...] Und ich glaube, daß das immer wichtiger wird, daß man sich als Autor immer weniger heraushalten darf. Der Begriff der Objektivität ist völlig entleert.« Müller, Heiner: Einen historischen Stoff sauber abschildern, das kann ich nicht. Ein Gespräch beim Wisconsin Workshop in Madison/USA über Geschichtsdrama und Lehrstücke sowie über den produktiven Umgang mit Brecht und Artaud, in: ders.: Gesammelte Irrtümer, 1986, S. 3 1 - 4 9 , Zitat, S. 31 und 35.
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Die pointierte Deutung dieser Zeile stammt von Eke, 1989, S. 221.
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Des zerstörten Berlin Der Planwagen der Courage rollte. Ein und ein halbes Jahr später Im Demonstrationszug des 1. Mai Zeigten die Müttern ihren Kindern Die Weigel und lobten den Frieden.-^
Müller hingegen bringt die utopische Dimension zu Fall und stellt dem die Vorstellung einer radikal subjektiven Todeserfahrung gegenüber, die jegliche ästhetische Distanz zum Einsturz bringt: Das Theater meines Todes War eröffnet als ich zwischen den Bergen stand Im Kreis der toten Gefährten auf dem Stein Und über mir erschien das erwartete Flugzeug [...] Der Luftdruck fegte die Leichen vom Plateau Und Schüsse knallten in meine torkelnde Flucht Ich spürte MEIN Blut aus MEINEN Adern treten Und MEINEN Leib verwandeln in die Landschaft MEINES Todes (HS 101)
Dieses Eingehen des Ich in die Landschaft des Textes ist weniger im Sinne einer Verbildlichung des Wunsches des Ich nach Regression in einen vorhistorischen Naturzustand zu verstehen, als vielmehr als ein poetologisches Programm. Es bezeichnet das »Verschwinden« des Autor-Ich als textorganisierendes Zentrum, das dem inhaltlich thematisierten Verlust des Ich als Subjekt der Geschichte korrespondiert. Die hier aufgerufene, auf Gertrude Stein zurückgehende, Gleichsetzung eines Stückes mit einer Landschaft beruht vor allem auf der - durch Verzicht auf eine kohärente »story« ermöglichten - weitgehenden Eliminierung der auktorialen Perspektivensteuerung und garantiert rezeptionsästhetisch die Polyperspektivität des Textes. 3 3 Das Verschwinden des Ich präsentiert sich als das Resultat einer im Text sprachlich vollzogenen wie auch explizit thematisierten Implosion der Bilder und anzitierten Mythen:
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Brecht, Bertolt: Das Theater des neuen Zeitalters, in: ders.: Gedichte 3 (= Gesammelte Werke Bd. 10), Frankfurt/M., 1982, S. 968. Vergleiche hierzu die Bestimmung Gertrude Steins des Stückes als Landschaft: »I feit that if a play was exactly like a landscape then there would be no difficulty about the emotion of the person looking on at the play being behind or ahead of the play because the landscape does not have to make acquaintance. You may have to make acquaintance with it, but it does not with you, it is there and so the play being written the relation between you at any time is so exactly that that it is of no importance unless you look at it.« Stein, Gertrude: Writings and Lectures 1909-1945, New York, 1971, Kap. 3: Plays, S. 59-83, Zitat S. 77. Zur Perspektivensteuerung im Drama siehe: Pfister, 1984, Kap. 3.5., S. 90-103.
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Während der Fahrt hörten wir die Leinwand reißen und sahn die Bilder ineinander stürzen Die Wälder brannten in E A S T M A N COLOR Aber die Reise war ohne Ankunft N O PARKING An der einzigen Kreuzung mit einem Auge Regelte Polyphem den Verkehr Unser Hafen war ein totes Kino Auf der Leinwand verfaulten die Stars in Konkurrenz Im Kassenraum würgte Fritz Lang Boris Karloff Der Südwind spielte mit alten Plakaten (HS 100)
Die den glücklichen Abschluß der Seefahrt bildende »Ankunft« findet hier nicht mehr statt; der »Hafen« erweist sich als tote Bilderwelt, und die kolonisatorische Landnahme ist ersetzt durch das umgekehrte Bild des Eingehen des Ich in die Landschaft. Mit dem Einstürzen eines verbindlichen Bezugshorizonts der (sprachlichen und ideologischen) Repräsentation, der hier durch das Reißen der Leinwand symbolisiert wird, erscheinen alle aufgerufenen Phänomene als austauschbare Varianten der immer gleichbleibenen Konstellation mythischer Gewalt. Der Text erweist sich als Ort einer unaufhörlichen Selbstbefragung der herrschenden Diskursformen, die von sprachlich manifestierten Machstrukturen Zeugnis ablegen. In einem Text, den Müller zu Syberbergs Hitler-Film verfaßte, gibt er zugleich auch eine Beschreibung der seinen eigenen Texten zu Grunde liegenden Ästhetik: Mit der Illusion des Horizonts fällt die Lüge der Fiktion, die Aushöhlung der Chronologie drängt das Erzählen in die Oberfläche, der Einbruch der dritten Welt in die Geschichte treibt den Konflikten die Qualität a u s . 3 4
Müller intendiert hier eine radikale Veränderung des Status des Ästhetischen selbst. Die durch die Verwendung der Seefahrermetapher erzielte Einführung des (idealen) Autor-Ich vermischt die interne und die externe Kommunikationsebene des Textes miteinander. Der distanzgewährende Abstand zwischen der übergeordneten, den Sinn des Werks und seine Einheit garantierenden Autor-Instanz und dem Dargestellten wird so zum Einsturz gebracht, der künstlerische Produktionsprozeß erlangt als Metadiskurs Eingang in das Werk. Indem der Akt des Wahrnehmens des textuellen Autor-Ich und die wahrgenommene Landschaft gleichermaßen das Sujet des Gedichts bilden, wird die Art und Weise der Perzeption als konstituierender Faktor von Wirklichkeitsauffassung in Literatur und Realität ausgewiesen. 3 5 Diese
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Müller, Heiner: Die Einsamkeit des Films, in: ders.: Rotwelsch, 1982, S. 104-106, Zitat S. 106. Wolfgang Iser hat diese Feststellung bereits anhand der Lyrik der Imagisten und in einer Analyse von Eliots »The Waste Land« getroffen. Vergleiche hierzu: Iser, Wolfgang:
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Konzeption ähnelt der Definition der »Wirklichkeit«, wie sie heutzutage der »Radikale Konstruktivismus« vertritt, und die in ähnlicher Form auch schon Ortega y Gasset gegeben hat: Die Perspektive ist eine der Komponenten der Wirklichkeit: Sie ist nicht ihre Verzerrung; sie ist ihr Ordnungsschema. Eine Wirklichkeit, die von allen Standpunkten gleich aussieht, ist ein Nonsens. [...] Es war ein hartnäckiger Irrtum, daß die Wirklichkeit an sich, unabhängig vom Standpunkt des Beschauers, eine eigene Physiognomie haben sollte [...] die Wirklichkeit bietet wie die Landschaft unendlich viele Perspektiven, die alle gleich wahr und gleichberechtigt sind. Falsch ist allein die Perspektive, die behauptet, die einzige zu sein.-^
Ebenso wie das die eigene Erfassung von Wirklichkeit und die Bedingungen der literarischen Produktion reflektierende textuelle Ich seine übergeordnete Perzeptionsperspektive aufgibt, wird auch der Zuschauer zur Aufgabe seiner unbeteiligten Rezeptionshaltung veranlaßt. Durch die Ineinanderprojektion von Bruchstücken der Alltagsrealität und mythologischen Fragmenten sowie durch die Vor- und Rückverweise im Text wird eine neuartige Rezeptionssituation kreiert. Die textuelle Verbindung zwischen mythologischer Grundkonstellation und alltäglichen Phänomenen kann eine (nicht mehr rekonstruierbare) Assoziationskette zur eigenen Lebenswirklichkeit initiieren. Somit ist auch von der Empfängerseite her die Möglichkeit der Unterwanderung
Image und Montage. Zur Bildkonzeption in der imagistischen Lyrik und in T.S. Eliots »Waste Land«, in: ders.: (Hrsg.): Immanente Ästhetik. Ästhetische Reflexion. Lyrik als Paradigma der Moderne (= Poetik und Hermeneutik II), München, 1966, S. 361-393, bes. Kap. I. S. 361-376. Müller bemerkt bezüglich des Einflusses der Lyrik der Imagisten und Eliots »The Waste Land« in seiner Autobiographie: »Den dritten Teil [= >LANDSCHAFT MIT ARGONAUTEN«] hätte ich ohne >Wasteland< nicht schreiben können, also auch nicht ohne Ezra Pound.« Müller, 1992, S. 320. Zum Einfluß von Eliots Dichtung auf diesen Text Müllers vergleiche: Schulz, in: Storch, 1988, S. 103104. Wie bereits in der Analyse der »HAMLETMASCHINE« dargelegt wurde, liegt die Affinität zwischen Müller und Eliot in der Art des Zitierens begründet. Folgende Passagen aus Müllers Text entstammen Eliots »The Waste Land«: Medeas Antwort »Sterben« auf Jasons Frage »Was willst du« (HS 93) ähnelt dem Text aus Petronius »Satyricon«, der Eliots Dichtung als Motto vorangestellt ist: »Die Sibylle habe ich nämlich in Cumä mit eigenen Augen gesehen. Sie hing in einer Flasche, und als die Knaben sie fragen: >Sibylle, was willst du?< antwortete sie: >Sterben will ich.nothing?mit Schrift bedecktShakespeare FactoryQuartet< a Masterpiece, in: The Heights, 22.2.1988. DeVries, Hilary: Robert Wilson stages >Quartet< based on >Liaisons< novel, in: The Christian Science Monitor, 29.2.1988. Forman, Debbie: Wilson's strange world returns in Quartet, in: Cape Cod Times, 17.2.1988. Gussow, Mel: The Stage: Heiner Miiller's >Quartet< in: The New York Times, 26.2.1988. Howell, John: Robert Wilsons >QuartetMedee< paired with >Medea< in Lyon, in: The New York Times, 1.11.1984. Samuel, Claude: »Medee« et son double, in: Le Matin, 25.10.1984. Thebaud, Jean-Loup: Bob Wilson et son double, in: Liberation, 9.11.1984.
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1.5.
»Alkestis«
1.5.1. Materialien zur Aufführung The PAJ Casebook >Alcestis