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German Pages 243 Year 2002
FRANK HENNINGS
Teleologische Reduktion des Betrugstatbestandes aufgrund von Mitverantwortung des Opfers
Schriften zum Strafrecht Heft 131
Teleologische Reduktion des Betrugstatbestandes aufgrund von Mitverantwortung des Opfers unter besonderer Berücksichtigung des Kapitalanlage- und Kreditbetruges
Von Frank Hennings
Duncker & Humblot . Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Hennings, Frank: Teleologische Reduktion des Betrugstatbestandes aufgrund von Mitverantwortung des Opfers : unter besonderer Berücksichtigung des Kapitalanlage- und Kreditbetruges / Frank Hennings. Berlin : Duncker und Humblot, 2002 (Schriften zum Strafrecht; H. 131) Zug!.: Hamburg, Univ., Diss., 2001 ISBN 3-428-10672-5
Alle Rechte vorbehalten
© 2002 Duncker & Huniblot GmbH, Berlin
Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0558-9126 ISBN 3-428-10672-5 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 §
Vorwort Diese Arbeit entstand in den Jahren zwischen meinen beiden Juristischen Staatsexamina. Sie hat dem Fachbereich Rechtswissenschaft der Universität Hamburg im Wintersemester 2000/2001 als Dissertation vorgelegen. Ihr Thema geht auf eine Anregung meines Doktorvaters Professor Dr. iur. Michael Köhler zuriick. Ihm möchte ich meinen besonderen und herzlichen Dank sagen für die Betreuung dieser Dissertation und seine wissenschaftlichen Ratschläge. Daneben danke ich Herrn Professor Dr. iur. Reinhard Merkel für die Erstellung des Zweitgutachtens.
Danken möchte ich auch meinen Eltern für ihre wohlwollende und großzügige Unterstiitzung. Sie haben mir immer wie selbstverständlich all das ermöglicht, was ihnen selbst verschlossen war. Mein größter Dank gilt jedoch meiner Frau, Vivien Hennings, für ihren liebevollen Beistand und ihr großes Verständnis in den vergangenen Jahren. Ihr möchte ich diese Arbeit widmen. Die Arbeit befindet sich auf dem Stand vom 24. Juli 2001. Hamburg, im August 2001
Frank Hennings
Inhaltsverzeichnis
Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
17
A. Rechtsgeschichtlicher Überblick .... . ..................................... . .......
19
I. Historische Entwicklung bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts............. . .......
19
1. Rechtsphilosophischer Hintergrund..........................................
21
2. Die Gesetzgebung in Deutschland und anderen Ländern .....................
23
a) Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794 . . . . . . . . . . . ..
23
b) Ausländische Gesetzgebung und Rechtsprechung .........................
25
aa) Frankreich ...........................................................
25
bb) England . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
27
c) Bayerisches Strafgesetzbuch von 1813 ...................................
28
d) Das Strafgesetzbuch für das Königreich Württemberg von 1839 ........... 30 e) Crirninalgesetzbuch für das Herzogtum Braunschweig von 1840 ..........
31
f) Crirninalgesetzbuch für das Herzogtum Sachsen-Altenburg (1841) ........
31
g) Das Strafgesetzbuch für das Großherzogtum Hessen von 1841 ............
32
h) Das Strafgesetzbuch für das Großherzogtum Baden von 1845 .............
32
i) Das Strafgesetzbuch für die Thüringischen Staaten (1850) ................
34
j) Zusammenfassung........................................................
34
3. Darstellung der in der Rechtslehre vertretenen Auffassungen. . . . . . . . . . . . . . . . .
34
a) Berücksichtigung eines Mitverschuldens des Betrugsopfers ...............
35
aa) Besondere Qualifikation der Tauschungshandlung ....................
36
bb) Prinzip der Subsidiarität des Strafrechts ..............................
38
cc) Weitere Lösungsvorschläge ..........................................
38
dd) Restriktiver Betrugsbegriff in Vertragsverhältnissen ..................
39
8
Inhaltsverzeichnis b) Kritik an einer Berücksichtigung des Mitverschuldens ....................
40
c) Zusammenfassung........................................................
41
11. Das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten von 1851 .....................
41
1. Die Entstehungsgeschichte des § 241 PrStGB ................................
42
a) Der Ausgangsentwurfvon 1828 ..........................................
42
b) Ausdehnung der Betrugsstrafbarkeit bis zum Entwurf von 1836 ...........
43
c) Beschränkung des Tatbestandes bis zur endgültigen Fassung..............
44
aa) Entwurf von 1843 ....................................................
44
bb) Entwurf von 1845 ....................................................
45
cc) Entwurf von 1847 .......................... . .........................
47
d) Die endgültige Fassung des § 241 PrStGB ................................
47
2. Die Meinung der Rechtslehre nach dem Erlaß des PrStGB ...................
48
a) Auflösung der einst herrschenden Ansicht ................................
48
b) Weitgehende Ablehnung einer restriktiven Betrugskonzeption ............
49
aa) Keine Berücksichtigung im geltenden PrStGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
50
bb) Einwände aus dogmatischer Sicht ....................................
50
cc) Kritik an einer Privilegierung des Betruges in Vertragsverhältnissen ..
52
c) Restriktive Bemühungen innerhalb der herrschenden Ansicht.............
53
aa) Bezugspunkt der Täuschung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
53
bb) Täuschung durch Unterlassen ........................................
55
d) Zusammenfassung........................................................
56
3. Die Rechtsprechung des Preußischen Obertribunals ..........................
56
III. Fortentwicklung ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts .......... . .........
57
1. Das Bayerische Strafgesetzbuch von 1861 ...................................
57
2. Vorn Strafgesetzbuch für den Norddeutschen Bund zum RStGB ..............
58
3. Die Meinung der Rechtslehre bis 1945 .......................................
59
a) Vereinzelte Befürworter einer tatbestandlichen Berücksichtigung .........
59
b) Weitgehende Ablehnung einer Berücksichtigung im Tatbestand .. . . . . . . . . .
60
aa) Täuschungshandlung .................................................
61
bb) Verfügung unter Zweifeln......... . ..................................
62
Inhaltsverzeichnis
9
c) Zumindest Einbeziehung in die Strafzumessung
63
d) Widersprüche und restriktive Bemühungen innerhalb der h.L. ............
65
e) Diskussion um eine Reform des Betrugstatbestandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
67
aa) Der Entwurf aus dem Jahre 1909 .....................................
67
bb) Weitere Reformversuche ................ . .................... . .......
68
f) Zusammenfassung ......... :..............................................
69
4. Die Ansicht der Rechtsprechung zu § 263 RStGB ............................
70
a) Keine Berücksichtigung eines Mitverschuldens durch das PrOT ..........
70
b) Fortsetzung dieser Rechtsprechung durch das Reichsgericht ..............
71
c) Auslegung des Irrtumsbegriffes durch das Reichsgericht ... . . . . . . . . . . . . . . .
72
d) Zusammenfassung und Kritik ............................................
74
IV. Zusammenfassung von Teil A .... . ..................... . .......................
74
B. Die Berücksichtigung der Mitverantwortung nach dem gegenwärtigen Stand der Betrugsdogmatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
76
I. Ausdrückliche Ablehnung durch die heute h.M. ................................
76
11. Die zunehmende Ausdehnung der Betrugsstrafbarkeit ..........................
79
1. Die Gesetze zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität ....................
79
2. Der Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Union ..............
80
3. Ergebnis.....................................................................
82
III. Ausländische Gesetzgebung und Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
83
1. Frankreich ...................................................................
83
2. Belgien, Niederlande ........................................................
84
3. Schweiz ............................ . ........................................
84
4. Österreich ...................................................................
85
5. England, USA...............................................................
86
6. Ergebnis .....................................................................
87
IV. Ansätze zu einer latenten Berücksichtigung der Opferrnitverantwortung innerhalb der herrschenden Betrugsdogmatik ........................................
88
1. Im Bereich der Tauschungshandlung .........................................
88
a) Die Abgrenzung von Tatsachenbehauptungen und Werturteilen ...........
88
10
Inhaltsverzeichnis aa) Kritik an der herrschenden Abgrenzung Tatsache - Werturteil
91
bb) Latente Berücksichtigung der Opferrnitverantwortung ................
92
cc) Die Ansichten von Samson und Hilgendorf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
93
b) Täuschung durch konkludentes Verhalten .................................
94
aa) Die Abgrenzung zur Täuschung durch Unterlassen ...................
95
bb) Die schwierige Bestimmung konkludenter Täuschungen . . . . . . . . . . . . . .
96
cc) Betrügereien mit Warenterrninoptionen ...............................
98
dd) Latente Berücksichtigung der Opferrnitverantwortung ................
99
c) Täuschung durch Unterlassen................................ . ............ 101 aa) Restriktive Bestimmung von Garantenstellungen ..................... 101 bb) Betrügereien mit Warenterrninoptionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 d) Zusammenfassung........................................................ 109 2. Im Bereich des Verrnögensschadens ......................................... 110 a) Schadensausgleich durch Gegenrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 aa) Die Konstellation des Eingehungsbetruges ........................... 112 (1) Gesetzliche Ausgleichsrechte .................................... 112 (2) Vertragliche Gegenansprüche .................................... 113 bb) Die Situation des Erfüllungsbetruges ................................. 115 cc) Die Ansicht von Luipold ............................................. 118 dd) Ergebnis............................................................. 119 b) Persönlicher Schadenseinschlag .......................................... 119 aa) Die Auffassung der herrschenden Betrugsdogmatik .................. 119 bb) Latente Berücksichtigung der Opferrnitverantwortung ................ 121 cc) Betrügereien mit Warenterrninoptionen ............................... 121 c) Betrug als unbewuBte Selbstschädigung .................................. 124 aa) Funktionaler Zusammenhang zwischen Irrtum und Verrnögensschaden .................................................................. 124 bb) Kritik an dieser Auffassung .......................................... 126 cc) Latente Berücksichtigung der Opferrnitverantwortung ................ 127 d) Ergebnis .............................. . .................................. 128
V. Zusammenfassung von Teil B .................................................. 128
Inhaltsverzeichnis
c. Dogmatische Vorschläge einer Betrugsrestriktion auf der Tatbestandsebene ....
11
130
I. Selbstverständnis und Entwicklung der Viktimologie ........................... 130
11. Tatbestandsbeschränkungen im Hinblick auf die Intensität der Fehlvorstellung .. 131 1. Die Problematik des Irrtums bei Zweifeln auf der Opferseite ................. 132 2. Die sog. Wahrscheinlichkeitstheorie ......................................... 133 a) Die Ansichten von Giehring und Krey ............................ . ....... 133 b) Kritik an der sog. Wahrscheinlichkeitstheorie ............................. 135 3. Die sog. viktimologische Theorie ............................................ 135 a) Der Ausgangspunkt von Amelung ........................................ 135 b) Die Fortentwicklung durch R. Hasserner.................................. 137 c) Kritik an der sog. viktimologischen Theorie .............................. 140 aa) Methodologische Einwände.................. . .................... . .. 140 bb) Verfassungsrechtliche Ableitung ..................................... 143 ce) Kriminalpolitische Bedenken ........................................ 144 4. Die sog. Einwilligungstheorie ................................................ 148 a) Die Auffassung von Herzberg ............................................ 148 b) Kritik an der Einwilligungslehre Herzbergs ............................... 149 5. Abschließende Stellungnahme............................................... 151 III. Tatbestandsbeschränkungen durch die Abschichtung einfacher Täuschungen.... 151 1. Kausalzusammenhang zwischen Täuschung und Irrtum ...................... 152 a) Adäquater Ursachenzusammenhang (Naucke) ............................ 152 b) Kritik an der Auffassung Nauckes ........................................ 154 aa) Methodologische Einwände .......................................... 154 bb) Kriminalpolitische Befürchtungen.................................... 156 ce) Weitere kritische Stimmen ........................................... 157 2. Beschränkung durch die Lehre vom Schutzzweck der Norm ................. 158 a) Die Auffassung von Kurth ................................................ 158 b) Kritik an der Ansicht von Kurth .......................................... 160 3. Restriktionen im Bereich der Täuschungshandlung ........................... 161 a) Ansicht der herrschenden Betrugsdogmatik ............................... 162 b) Tatbestandseinschränkung bei unberechtigtem Vertrauen (Ellmer) ........ 162
12
Inhaltsverzeichnis c) Weitere Forderungen nach einer besonderen Qualifikation der Täuschungsmittel ............................................................ 163 d) Kritik an der Ansicht Ellmers ............................................. 164 4. Abschließende Stellungnahme
166
IV. Zusammenfassung von Teil C .................................................. 168
D. Der eigene Lösungsansatz ........................... . .......................... . .. 169 I. Bisherige Ansätze als Ausgangspunkt einer eigenen Konzeption................
169
1. Fragmentarischer Charakter des Strafrechts.................................. 169
2. Der Grundsatz der strafrechtlichen Subsidiarität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 3. Das Prinzip der Selbstverantwortung ................ . .......... . ............. 172 11. Verknüpfung des Selbstverantwortungsprinzips mit der allgemeinen Unrechtslehre ........................................................................... 174 1. Selbstverantwortung und Freiheit .............................. . ............. 174 2. Die Reichweite des Prinzips der Selbstverantwortung ........ . ........ . ...... 175 3. Selbstverantwortung, Unrecht und Verbrechen...... . .......... . ............. 175 4. Ergebnis ..................................................................... 176 III. Einschränkung des § 263 StGB über den Gedanken der Opfermitverantwortung
177
1. Die Struktur des Betrugstatbestandes ........................................ 177 a) Leitgedanke der erfolgreichen Überlistung des Opfers .................... 177 b) Kennzeichnung des speziellen Deliktscharakters .......................... 178 c) Parallele zur mittelbaren Täterschaft.. . . .. . . .. . . ... . .. . . . .. . . . .. . .. .. . .... 179 d) Das Erfordernis der Zurechnung des Opferverhaltens ..................... 181 2. Abgrenzung der Verantwortungsbereiche .................................... 181 a) Allgemeine Kriterien bei vorsätzlichen Verletzungsdelikten ............... 182 b) Besonderheiten im Bereich der Vermögensdelikte ........................ 183 c) Opfermitverschulden als besonderes Phänomen des Betruges............. 184 d) Zumutbarkeit als Regulativ der Selbstschutzmöglichkeiten ............... 185
Inhaltsverzeichnis
13
e) Schutzwürdigkeit des Vertrauens ..................... . ................... 186 aa) Ableitung aus dem Verbrechensbegriff ............................... 186 bb) Notwendigkeit des Vertrauens im Geschäftsverkehr .................. 187 cc) Bewußte Vernachlässigung wirtschaftlicher Selbstverantwortung ..... 188 3. Kriminalpolitische Bedenken................................................ 189 a) Entwicklung zu einer Gesellschaft des Mißtrauens........................ 189 b) Einwand der Schutzlosigkeit des Opfers.................................. 189 4. Ergebnis..................................................................... 191 5. Methodische Umsetzung des gefundenen Ergebnisses........................ 191 a) Empfehlung einer Änderung des Gesetzeswortlautes ...................... 191 b) Teleologische Reduktion des Betrugstatbestandes ......................... 192 IV. Anwendung auf durch hohes Mitverschulden des Opfers geprägte Fallgruppen, insbesondere im Bereich der Risikogeschäfte ................................... 193 1. Konstellationen des Beteiligungs- und Kapitalanlagebetruges als typische aus dem Schutzbereich des Betrugstatbestandes herausfallende Risikogeschäfte .. 194 a) Schwierigkeiten bei der tatbestandlichen Erfassung....................... 194 b) Kriminologische und viktimologische Erkenntnisse über den Kapitalanlagebetrug ................................................................ 197 aa) Biographische Daten der Opfer von Kapitalanlagebetrügereien ....... 198 bb) Vertrauensbildung bei der Kontaktanbahnung ........................ 199 cc) Leichtsinn und Leichtgläubigkeit als Phänomen des Anlageschwindels .................................................................. 200 c) Ergebnis ................................................................. 203 d) Verbleibende Schutzmöglichkeiten des Opfers ............................ 204 aa) Im Bereich des Strafrechts ........................................... 204 bb) Zivilrechtliche Ansprüche............................................ 206 2. Konstellationen des Kreditbetruges als weitere typische aus dem Schutzbereich des § 263 StGB herausfallende Risikogeschäfte ...................... 207 a) Schwierigkeiten bei der tatbestandlichen Erfassung ....................... 207 b) Profitstreben als typische Motivation leichtfertiger Darlehensgewährung .. 208 c) Der Fall ,,Dr. Schneider" ................................... . ............. 210 d) Ergebnis ................................................................. 212
14
Inhaltsverzeichnis e) Verbleibende Schutzmöglichkeiten des Opfers ............ ~............... 213 aa) Im Bereich des Strafrechts ........................................... 213 bb) Zivilrechtliche Ansprüche............................................ 215 3. Ergebnis. . .. . . . .. . . .. . . .. . . ... . . ... . . .. . . .. . . .. .. .... ... . .. .. . . .. . . ... . ... . .. 215 V. Zusammenfassung und Ergebnis des eigenen Lösungsansatzes .................. 216
Gesamtzusammenfassung .............................................. . ............. 218
Literaturverzeichnis .................................................................. 221
Sachwortverzeichnis .................................................................. 241
Abkürzungsverzeichnis ArchCrim bzw. BGE Diss. Fn. GA GerS Gerichtspraxis NArchCrim
N.F. PKS PrStGB RO RStGB SchwZStR WiKG
Archiv des Criminalrechts, 1799 ff. beziehungsweise Bundesgerichtsentscheid, zitiert nach der Amtlichen Sammlung der Entscheidungen des Schweizer Bundesgerichts Dissertation Fußnote Go1tdammer's Archiv für Strafrecht, 1953 ff. Der Gerichtssaal, 1874 ff. Zeitschrift für Gerichtspraxis und Rechtswissenschaft in Deutschland, Neue Folge, 1872 ff. Neues Archiv des Criminalrechts neue Folge Polizeiliche Kriminalstatistik Preußisches Strafgesetzbuch Rechtssprechung des Königlichen Obertribunals, 1861 ff. Reichsstrafgesetzbuch Schweizerische Zeitung für Strafrecht, 1888 ff. Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität
Im übrigen wird verwiesen auf Kirchner, Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache, 4. Auflage, Berlin 1993.
Einleitung Nach der polizeilichen Kriminalstatistik weist der Betrug seit Anfang der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts eine stark ansteigende Tendenz auf. Im Berichtsjahr 1999 wurden in Deutschland 717.833 Betrugsfälle und damit 11.804 mehr als im VoIjahr registriert, von denen 82,7% (VoIjahr 82,1 %) aufgeklärt wurden. l Diese vergleichsweise hohe Aufklärungsquote ist darauf zurückzuführen, daß wegen des regelmäßig bestehenden Kontaktes zwischen Täter und Opfer auch ein Tatverdächtiger namentlich angegeben werden kann, sofern es zu einer Strafanzeige kommt. Andererseits wird ein sehr großes Dunkelfeld vermutet, da die Entdeckung eines Betruges vorwiegend vom Opfer ausgeht, dieses jedoch die Tat oft gar nicht bemerkt oder sie aber nicht zur Anzeige bringt, weil es um den Verlust seines Ansehens fürchtet oder seinerseits etwas zu verbergen hat. 2 Es wird geschätzt, daß sich nur etwa 5 - 10% der Betrugsopfer an die Polizei bzw. die Staatsanwaltschaft wenden. 3 Die besondere deliktische Beziehung zwischen Täter und Opfer ist seit jeher dadurch gekennzeichnet, daß der erfolgreiche Betrüger typischerweise durch sein sicheres Auftreten, seine Gerissenheit, Anpassungsfähigkeit und Überredungskunst die Unerfahrenheit, Arglosigkeit oder Leichtgläubigkeit, aber auch bestimmte Motive seines Opfers ausnutzt. Dies gelingt bisweilen derart mühelos, daß sich die Frage stellt, ob eine etwaige Mitverantwortung des Opfers als besonderes Phänomen innerhalb des Betrugstatbestandes zu berücksichtigen ist. Teil A dieser Arbeit wird aufzeigen, daß die Diskussion darüber eine sehr weit zurückreichende Tradition aufweist. Während die herrschende Literaturmeinung noch bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts aus diesen Erwägungen eine qualifizierte Täuschung verlangte, gerieten derartige Forderungen seit dem Erlaß des preußischen Strafgesetzbuches zusehends in Vergessenheit. Sowohl die Rechtsprechung als auch die herrschende Lehre berücksichtigen seitdem das Verhalten des Betrugsopfers - jedenfalls explizit - nicht mehr und lehnen die seit den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts vorgebrachten sog. viktimo-dogmatischen Vorschläge, diesem Topos durch eine restriktivere Auslegung der einzelnen Tatbestandsmerkmale des Betrugstatbestandes Rechnung zu tragen, ausdrücklich ab. 1 Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) 1999, Betrug (§§ 263-265b StOB), S. 184; demgegenüber wurden etwa 1992 nur 407.492 Fälle registriert. 2 Vgl. Wesselsl Hillenkamp, Rdnr. 491, mit dem Hinweis, daß so manche schwarze Kasse von Steuersündem beim Oeldanlageschwindel wieder verloren geht. 3 Eisenberg, Kriminologie, § 45 Rdnr. 117.
18
Einleitung
Wie im einzelnen in Teil B noch näher darzulegen ist, läßt sich aber die Opfermitverantwortung in vielen Einzelproblemen dieser herrschenden Betrugsdogmatik zumindest indirekt nachweisen. Gerade weil dies im Gegensatz zu der expliziten Absage an alle viktimo-dogmatischen Ansätze erfolgt, kommt es in diesen Bereichen häufig zu einer unübersichtlichen Kasuistik, die bisweilen einen widersprüchlichen Eindruck vermittelt und damit dem Vorwurf einer willkürlichen Rechtsfindung ausgesetzt ist. Auch insofern stellt sich die Frage, ob und in welchen Fällen durch die Einbeziehung der Opfermitverantwortung ein methodologisch besser vertretbarer Lösungsweg gangbar ist, der vom Rechtsanwender eher nachvollzogen werden kann und deshalb die Hoffnung auf eine breitere Akzeptanz in sich trägt. In Teil C sind dann die bisherigen dogmatischen Vorschläge einer Betrugsrestriktion auf der Tatbestandsebene zu untersuchen. Eine kritische Auseinandersetzung wird ergeben, daß diese Lösungen dogmatisch und kriminalpolitisch nicht überzeugen können. Deshalb soll im Rahmen einer eigenen Konzeption (Teil D) untersucht werden, ob die Verknüpfung des Prinzip der Selbstverantwortung mit der allgemeinen Unrechtslehre eine sachgerechtere Einbeziehung des Opferverhaltens ermöglicht. Von einem noch aufzuzeigenden Begriff des Verbrechens (verstanden als strafrechtliches Unrecht) ist dann unter Berücksichtigung der besonderen Struktur des § 263 StGB sowie kriminalpolitischer Bedenken zu klären, ob die immer wieder auftretenden - und teils als unfaßbar anzusehenden - Fälle größter Leichtgläubigkeit der Betrugsstrafbarkeit zuzuordnen sind oder nur als zivilrechtlich zu beurteilendes Unrecht anzusehen sind.
A. Rechtsgeschichtlicher Überblick Zunächst soll der historischen Entwicklung der modernen Betrugsdogmatik nachgegangen werden. Während Diebstahl, Raub, Meineid oder Mord auf eine ehrwürdige Vergangenheit hinweisen, ist der Betrugstatbestand in seiner jetzigen typischen Gestalt im wesentlichen ein Ergebnis der Rechtsentwicklung des 19. Jahrhunderts. Seine begriffliche Abgrenzung verdankt er vorwiegend der damaligen materialistischen Denkweise des wirtschaftlichen Liberalismus. 1 Die historische Untersuchung wird aufzeigen, daß es schon damals nicht an Versuchen gefehlt hat, der Mitverantwortung des Opfers auf der Tatbestandsebene des Betruges Geltung zu verschaffen. Zudem soll der gesetzgeberische Hintergrund beleuchtet werden, auf dem die heute geltende Fassung des § 263 StGB beruht.
I. Historische Entwicklung bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts Im römischen Strafrecht existierte zunächst das Instrumentarium des falsum. Es war nicht als abstrakter Betrugstatbestand mit einer genauen Begriffsbestimmung ausgestaltet, sondern urnfaßte verschiedenste spezielle Handlungen, denen nur gemeinsam war, daß ihnen ein Tauschungselement zukam und sie daher als Angriff auf die "publica fides" galten, d. h. auf das zu schützende öffentliche Vertrauen hinsichtlich eines funktionsfahigen Rechts- und Wirtschaftslebens. Aufgeführt wurden etwa Testaments- und Urkundsdelikte, wie z. B. die wissentliche Geltendmachung einer gefalschten letztwilligen Verfügung. Auch Edelmetall- und Münzdelikte unterfielen diesem "Allerweltsverbrechen", während Betrugstaten nach unserem heutigen Verständnis nur in einem geringen Maße geregelt waren. 2 Der sich stark ausdehnende Handel der Römer brachte es dann mit sich, daß im Geschäftsverkehr neuartige betrügerische Machenschaften im zunehmenden Maße um sich griffen. Zwar hatte die Rechtsprechung im Laufe der Zeit auch Fälle, die nicht unter die gesetzliche Regelung des falsum fielen, ihnen aber ähnlich waren, in einer Art Analogie als "quasi-falsum" abgeurteilt. 3 Trotzdem zeigte sich sehr bald, daß neben der insofern nicht ausreichenden rein zivilrechtlichen Regelung 1 Vgl. Lackner; in LK, § 263 Rdnr. 1; Maurach/Schroeder/Maiwald, § 41 I Rdnr. 1; Kempermann, ZStW 57 (1938),126. 2 Vgl. dazu Kausch, S. 12 f.; Marezoll, S. 542 f.; Kempermann, S. 127; Höchli, S. 5; Schütz, S. 2; Ellmer; S. 22; Naucke, Betrug, S. 62 f. 3 Vgl. Temme, Betrug, S. 11; Feuerbach, S. 648; Kempermann, S. 127.
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A. Rechtsgeschichtlicher Überblick
der actio doli eine weitere strafrechtliche Sanktionierung von Betrügereien erforderlich war. 4 Um die Lücke in der Gesetzgebung zu füllen, schuf die Praxis ca. 200 nach Christi die Rechtsfigur des stellionatus als crimen extraordinarium. Dieser stellte sich als subsidiärer, diffuser Arglisttatbestand dar, der ohne feste Grenzen die verschiedenartigsten Fälle der Unrechtfertigkeit umfaßte. 5 Die einzeln aufgeführten Fallbeispiele wiesen die Begriffsmerkmale "Täuschung", "Irrtumserregung" und "Vermögensschaden" auf, durch die auch der heutige, abstrakt gefaßte Betrugsbegriff charakterisiert ist. Dies läßt darauf schließen, daß er auf die Figur des stellionatus zurückzuführen ist. 6 Zu betonen ist allerdings, daß der stellionatus selbst kein abstraktes, nach objektiven und subjektiven Merkmalen abgrenzbares Vermögensdelikt darstellte. 7 Anders als beim falsum mit seinem Schutzobjekt des öffentlichen Vertrauens scheint zwar jeweils ein durch das täuschende Verhalten bewirkter Vermögensschaden erforderlich gewesen zu sein. Jedoch beschrieb der stellionatus nur eine umfangreiche Kasuistik, aus der sich entnehmen läßt, daß er nicht etwa das Vermögen als Ganzes gegen täuschendes Verhalten schützen, sondern als besonders unerträglich geltende Täuschungshandlungen erfassen sollte, die regelmäßig einen Vermögensschaden zur Folge hatten. 8 Nach ganz überwiegender Auffassung zeichneten sich allerdings sämtliche Fallbeispiele insofern durch ein gemeinsames Handlungsunrecht aus, als daß nicht die erste beste Lüge ausreichen sollte. Erfaßt werden sollten vielmehr nur solche Täuschungsmanöver, die mit besonderer Raffinesse ausgeführt worden waren; das täuschende Verhalten mußte arglistig sein. 9 Bei diesem unscharfen Tatbestand des "Betruges" blieb es im wesentlichen über Jahrhunderte. In Deutschland kommt der weiteren Entwicklung des Betruges bis 1800 nur eine sehr geringe Bedeutung zu, da sie zur Entstehung des heute geltenden Rechts nicht nur kaum etwas beitrug, sondern vielmehr eher im Gegenteil die etwas unklaren, aber dennoch im Ansatz erkennbaren Unterschiede des römischen 4 Vgl. Hupe, S. 40 f.; Dohna, Zycha-FS, S. 469, 480; Escher; S. 11; vgl. dazu auch Schütz, S. 3; Ellmer; S. 22 f. 5 Kausch, S. 19; Hupe, S. 41; Schaffstein, Wieacker-FS, S. 281, 285; Dohna, Zycha-FS, S. 469, 480; Köstlin, Abhandlungen, S. 125 ff.; Mommsen, S. 678 ff.; Merkei, Abhandlungen 11, S. 1 ff.; Lackner; in LK, § 263 Rdnr. 2; Onloff, S. 152 f.; Allfeld, S. 471; Höchli, S. 6; Escher; S. 77 ff.; Feuerbach, S. 468; vgl. zudem Schütz, S. 3; Naucke, Betrug, S. 63. 6 Ebenso v. Lisztl Schmidt, § 139 I; Windgassen, S. 4; Merkei, Abhandlungen 11, S. 1; vgl. auch Dohna, Zycha-FS, S. 469, 480; Schütz, S. 4; Ellmer; S. 22; Reese, S. 4. 7 In diesem Sinne aber Köstlin, Abhandlungen, S. 126; v. Liszt I Schmidt, S. 666; Onloff, S. 169; Hupe, S. 49; Merkei, Abhandlungen 11, S. 2; weitere Nachweise bei Naucke, Betrug, S.63. 8 So auch Mommsen, S. 680 f.; Rommel, S. 2 f.; Schaffstein, Wieacker-FS, S. 281; Naucke, Betrug, S. 63; vgl. zudem Köstlin, Abhandlungen, S. 126; Lackner; in LK, § 263 Rdnr. 2; Maurach/Schroeder/Maiwald, § 41 IA Rdnr. 3; Sauer; BT, S. 74; Blei, BT, § 60 I; v. Hippel, Lehrbuch, S. 255 Fn. 6; Hirschberg, S. 76. 9 Onloff, S. 152 f.; Rommel, S. 2 f.; Merkei, Abhandlungen 11, S. 2; Marezoll, S. 533; dabei berief man sich auch auf Digestenstellen, vgl. dazu Hilgendorf, Tatsachenaussagen, S. 24 und Ellmer; S. 23, jeweils m. w. N.
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Rechts zwischen Betrug und Fälschung beseitigte. lO Die Anfang des 19. Jahrhunderts beginnende Entwicklung zu einer arbeitsteiligen Industrie- und Handelsgesellschaft sowie die damit einhergehende Intensivierung geschäftlicher Beziehungen erforderte dann jedoch einen effektiveren strafrechtlichen Schutz gegen Betrügereien. Die Umsetzung dieser wirtschaftlichen Interessen vollzog sich zunächst lediglich im System des Verwaltungsrechts. Örtliche Polizeinormen reichten aber als Instrumente des Vermögensschutzes bald nicht mehr aus, so daß man sich um die Schaffung eines klar strukturierten und konturierten Betrugstatbestandes bemühte. ll Damit kam ein bis heute noch nicht abschließend gelöster Konflikt auf: Einerseits ist der wirtschaftliche Verkehr auf ein gewisses Maß an gegenseitigem Vertrauen angewiesen. Es ist regelmäßig überhaupt nicht oder nur unter unverhältnismäßig hohen Kosten möglich, die tatsächlichen Angaben seines Geschäftspartners in jeder Hinsicht lückenlos auf ihre Richtigkeit zu überprüfen. Der Handelsverkehr würde erheblich erschwert, wenn man den tatsächlichen Angaben seines Geschäftspartners grundsätzlich mißtrauen müßte und diese nicht zur Grundlage von ökonomischen Entscheidungen machen dürfte. Soziale Funktion des Betrugstatbestandes muß es deshalb sein, ein Minimum an Redlichkeit im Geschäftsverkehr zu gewährleisten. Auf der anderen Seite sind hingegen Spekulation und Gewinnstreben in einem System der Marktwirtschaft unverzichtbare Voraussetzungen individuellen und sozialen Wohlstands, so daß das Strafrecht keinesfalls zu massiv in diesen lebensnotwendigen Freiraum eingreifen darf. Man erkannte also, daß erwünschte Geschäftstüchtigkeit und strafbarer Betrug sehr dicht beieinander liegen und sah es als ein zentrales kriminalpolitisches Problem an, ab welcher Intensität gegen Betrügereien strafrechtlich eingeschritten werden sollte. Dementsprechend war es eine wesentliche Aufgabe der Gesetzgebung und Dogmatik des 19. Jahrhunderts hinsichtlich der Lehre vom Betrug, die Abgrenzung zwischen strafbaren Betrügereien und dem nur privatrechtliche Folgen nach sich ziehenden illoyalen Verhalten zu finden und dieselbe im Tatbestand zum Ausdruck zu bringen. 12
1. Rechtsphilosophischer Hintergrund
Gerade die noch im einzelnen darzustellenden restriktiven Stimmen des 19. Jahrhunderts, die die Verbrechensqualität des Betruges verneinten, wurden sichtbar beeinflußt durch die Rechtsphilosophie von Kant und Hegel. Auch im Hinblick auf den weiteren Gang dieser Untersuchung soll diese nachfolgend kurz dargestellt werden. Nach der Auffassung von Kant sollte nur das öffentliche Verbrechen 10 Vgl. dazu im einzelnen Köstlin, Abhandlungen, S. 128 ff.; Ortloff, S. 98 ff.; 170 ff.; Reese, S. 4. II Sehr anschauliche zeitgenössische Zitate bei Hilgendorf, Tatsachenaussagen, S. 25; vgl. auch Schaffstein, Wieacker-FS, S. 281, 283; Reese, S. 5; Würtenberger, S. 80 f. m. w. N. 12 Vgl. zum ganzen Schütz, S. 190; Buschmann, S. 4; Ellmer, S. 24 f.
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(crimen publicum) strafrechtlich zu beurteilen sein, da hier das "gemeine Wesen" und nicht bloß eine einzelne Person gefährdet sei. Dazu zählten etwa Geld- und Urkundenfälschung sowie Diebstahl oder Raub. Allein durch die Zivilgerichte zu beurteilen seien demgegenüber Privatverbrechen (crimen), die den Einzelnen und sein subjektives Recht verletzen, wie z. B. "Veruntreuung, d.i. Unterschlagung der zum Verkehr anvertrauten Gelder oder Waaren, Betrug im Kauf und Verkauf bei sehenden Augen des Anderen".13 Auch wenn diesen Delikten eine moralisch verwerfliche Lüge zugrunde liege, fehle ihnen die Sozialschädlichkeit, da das Opfer sich sehenden Auges täuschen lasse. 14 An der Grenze zwischen Zivil- und strafrechtlich zu beurteilendem Unrecht ist auch der Betrugsbegriff Hegels angesiedelt. Hegel unterschied das Unrecht in die Erscheinungsformen des unbefangenen - oder bürgerlichen - Unrechts, des Betruges und des Verbrechens. Am wenigsten schwerwiegend ist das bürgerliche Unrecht. Hegel zufolge ist es dadurch gekennzeichnet, daß der Tater irrig annimmt, dem Recht gemäß zu handeln, und somit nur unbefangen Unrecht tut. Da das allgemeine Recht vom Tater respektiert werde, erfolge als Sanktion auch keine Strafe. 15 Demgegenüber setze sich der Tater bei der Erscheinungsform des Betruges bewußt über das allgemeine Recht hinweg und degradiere es zum bloßen Schein. Dessen Anerkennung werde dem Opfer nur vorgespiegelt, wodurch immerhin der Wille des Opfers respektiert werde. Wegen der Verletzung des allgemeinen Rechts müsse aber auch hier der Tater bestraft werden. 16 Den größten Unrechtsgehalt weise das Verbrechen auf. Während beim Betrug das Recht in der äußeren Form der Handlung noch eine Scheinanerkennung finde, mißachte es der Tater beim Verbrechen bemühe sich der Tater beim Verbrechen nicht einmal, sich mit dem Schein des Rechts zu umgeben, sondern mißachte es auch nach außen hin offen. 17 Der Betrug nimmt also nach Hegel eine MittelsteIlung ein: Er kann zwar wegen der bewußten Mißachtung des Rechts nicht dem bürgerlichen Unrecht zugeordnet werden, erweist sich aber wegen der vorgespiegelten Anerkennung des Rechts und der darin liegenden Respektierung des Opferwillens als weniger strafwürdig gegenüber den Verbrechen. Die Philosophie Hegels setzte sich im Strafrecht in den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts durch und begann damit erst nach seinem Tode im Jahre 1831 großen Einfluß auf die Strafrechtswissenschaft zu entfalten. 18 Als Vertreter des "Hegelianismus" sind in diesem Zusammenhang vor allem vier deutsche Straf13 Kant, Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre (1797), neu herausgegeben von Bernd Ludwig, Hamburg 1986, S. 155. 14 Kant, a. a. 0., S. 154 f.; vgl. dazu Ellmer; S. 52; s. auch Flechtheim, S. 78 ff. 15 Regel, Grundlinien der Philosophie des Rechts (1821), Suhrkamp Theorie Werkausgabe, Band 7, 1970, Zusatz zu § 86. 16 Regel, a. a. 0., Zusatz zu § 89 und § 83, Notizen und Zusatz zu § 87. 17 Regel, a. a. 0., Zusatz zu § 90 und zu § 83. 18 E. Schmidt, S. 294 f.; Kurth, S. 36.
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rechtler von Bedeutung, deren Grundlage und Terminologie dem Hegelschen System weitgehend entsprechen. Am zeitlichen nähesten steht Abegg (1796-1868), dessen Betrachtungen mit der Hegeischen Unrechtslehre weitgehend übereinstimmen. 19 Auch bei Köstlin (1813 -1856) ist die Beeinflussung durch Hegels Rechtsphilosophie unverkennbar. 2o Streng im Banne Hegels arbeitete zudem Bemer (1818-1907)21; allerdings milderte sich im Laufe der Jahre der HegeIsche Einfluß?2 Schließlich ist Hälschner (1817 - 1889) als ein unbedingter Anhänger des Hegelianismus in straftheoretischer Beziehung anzuführen. 23
2. Die Gesetzgebung in Deutschland und anderen Ländern Die heutige Form des Tatbestandes des Betruges im deutschen Recht ist vor allem auf die Ausgestaltung des Betrugsbegriffs im Preußischen Strafgesetzbuch von 1851 zurückzuführen. Von dort ist er in nur leicht veränderter Form in das Strafgesetzbuch für den Norddeutschen Bund eingegangen und anschließend in das Reichsstrafgesetzbuch. Gleichlautend ist er von dort als unser heutiger § 263 StGB übernommen worden. Vor diesem Hintergrund werden nachfolgend die historischen Entwicklungen dargestellt, die dazu geführt haben, daß ein etwaiges Mitverschulden des Betrogenen nach dem gesetzlichen Wortlaut nicht zu berücksichtigen ist und eine derartige Forderung nur von einem kleinen Teil der rechtswissenschaftlichen Literatur erhoben wird.
a) Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794 Die Entwicklung zu einem eigenständigen allgemeinen Betrugstatbestand ging aus vom Preußischen Allgemeinen Landrecht von 1794 (ALR). Am Anfang seiner Betrugsvorschriften (Teil 11, Titel 20, 15. Abschnitt) fand sich in § 1256 eine allgemeine Umschreibung des Betruges: ,,Jede vorsätzliche Veranlassung eines irrtums, wodurch jemand an seinem Rechte gekränkt werden soll, ist ein strafbarer Betrug".24 Dieser sehr weit gefaßte Grundtatbestand urnfaßte sowohl den strafrechtlichen als auch den Zivilbetrug und enthielt selbst keine Strafandrohung. Welche Vermögensverletzungen durch Täuschung wirklich bestraft werden sollten, er-
Vgl. v. Bubnoff, S. 52; E. Schmidt, S. 297; v. Hippel, Strafrecht, S. 309. E. Schmidt, S. 295 f.; v. Bubnoff, S. 57; v. Hippe!. Lehrbuch, S. 309 f.; vgl. dazu auch Mayer, Das Strafrecht des deutschen Volkes, Stuttgart 1936, S. 1 ff. 21 E. Schmidt, S. 299 f.; v. Hippel, Strafrecht, S. 310. 22 Dies läßt sich anband seines Lehrbuchs des deutschen Strafrechts von der 1. Auflage im Jahre 1857 bis zur letzten, 18. Auflage (1898) gut nachvollziehen. 23 Vgl. v. Bubnoff, S. 52; E. Schmidt, S. 301 f. 24 Zitiert nach Ellmer, S. 54; vgl. auch Schütz, S. 220; Hilgendorj, S. 30. 19
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gab sich erst aus dem System des ALR, das zwischen gemeinem, grobem und qualifiziertem Betrug unterschied. 25 Die Vorschrift des § 1325 ALR erklärte den gemeinen Betrug für strafbar, der sich auf Täuschungen bezog, die im Rahmen von "Kontrakten oder sonst im Handel und Wandel" verübt wurden. Überwiegend wurde der gemeine Betrug dahingehend charakterisiert, daß hier eine Täuschung vorliegt, die bei Anwendung nur gewöhnlicher Aufmerksamkeit in Leben und Verkehr nicht vermieden werden kann. 26 Diese Art des Betruges löste keine strafrechtlichen Sanktionen aus, vielmehr sollte es "bei den Vorschriften des bürgerlichen Rechts sein Bewenden" haben. Im Gegensatz zum gemeinen wurde hingegen der grobe Betrug nach § 1326 ALR für strafwürdig erachtet. Begründet wurde dies teilweise damit, daß ein größerer Schaden das Wesen des groben Betruges ausmache. 27 Dies läßt sich aber mit der sprachlichen Gegenüberstellung zwischen "gemein" und "grob" kaum vereinbaren?S Nach überwiegender Ansicht wurde der grobe Betrug hingegen durch die Qualität der Täuschung charakterisiert. Im Gegensatz zum gemeinen sei er der mit "feinen" und "listigen" Mitteln begangene Betrug, "der auch bei einer sorgsamen Aufmerksamkeit im menschlichen Verkehr nicht vermieden werden kann, bei dem also ungeachtet ungewöhnlicher Aufmerksamkeit und Vorsicht die Täuschung gelungen ist". Dabei sollte die Abgrenzung anhand des "allgemeinen rechtlichen Willens im Volke" vorgenommen werden. 29 Die Strafbarkeit des groben Betruges hatte allerdings enge Grenzen. Zum einen erfüllte - jedenfalls nach der Lehre nicht jede Veranlassung eines Irrtums den Begriff der Täuschung. 3o Darüber hinaus bestimmte § 1326 ALR, daß nur dann, wenn bei Gelegenheit eines Zivilrechtsstreits ein solcher grober Betrug entdeckt wurde, vom Zivilrichter zugleich mit dem Urteil in der Hauptsache eine Strafe verhängt werden sollte. 31 Die einzige strafrechtlich relevante Fonn des Betruges, die dem Strafrichter unterstand und "von Amts wegen untersucht werden soll", war der qualifizierte Betrug, § 1328 ALR. Vom groben Betrug unterschied er sich schon durch die aufgezählten Fallgruppen der Untreue, der Verfälschung, des Betruges des Publikums sowie durch Verletzung anderer Pflichten?2 Außerdem bestimmte § 1377 ALR, Vgl. Goltdammer; S. 534; Temme, Betrug, S. 53. Temme, Betrug, S. 55 f.; Goltdammer; S. 534. 27 Vgl. dazu die Anmerkung von Temme, Betrug, S. 55. 28 So auch Naucke, Betrug, S. 68; vgl. ferner Goltdammer; S. 536 f. 29 Vgl. Temme, Betrug, S. 55 f. sowie Ellmer; S. 55 mit Nachweisen u. a. auch auf das Fehlverständnis von Naucke, Betrug, S. 68 und Kurth, S. 10. 30 Vgl. i.e. Naucke, Betrug, S. 69, insbesondere Fn. 21 und 22. 31 Diese Einschränkung wurde erst durch ein Reskript vorn 15. August 1815 aufgehoben, das entgegen dem Wortlaut des § 1326 festlegte, die Ahndung des groben Betruges sei nicht davon abhängig, daß ein Zivilprozeß geführt werde, da eine solche, den Grundsätzen des Strafrechts zuwiderlaufende Straflosigkeit nicht in der Absicht des Gesetzgebers liegen könne; vgl. dazu Mittermaier; in Feuerbach, § 411, Note V; Schütz, S. 35 f.; Naucke, S. 69 Anm.4. 25
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daß es sich hier um Betrügereien handeln mußte, welche auf eine vorzüglich listige und schwer zu entdeckende Weise verübt wurden. 33 Mithin wurden an die Beschaffenheit der Tauschungshandlung sowie die Vermeidbarkeit des Irrtums noch höhere Anforderungen gestellt als beim groben Betrug. 34 Betrug im heutigen Sinne war also nach dem ALR kaum strafbar. Man glaubte, der bloßen Vermögensverletzung durch nicht weiter qualifizierte Tauschungen mit Hilfe zivilrechtlicher Sanktionen Herr zu werden. 35 Die Veranlassung eines Irrtums sollte nur dann zur Betrugsstrafbarkeit führen, wenn die Tauschung durch besonders listige Mittel erfolgte. Ein staatliches Eingreifen sei dagegen nicht erforderlich bei "gewöhnlichen" Betrügereien, die mit durchschnittlichen Fähigkeiten zu durchschauen waren, wie z. B. übertriebene Anpreisungen im Handel. Erst "wo der Einzelne sich selbst nicht mehr schützen konnte, wo er trotz der möglichen Anstrengungen von seiner Seite, der Bosheit unterliegen mußte, da ist ein natürliches allgemeines Verlangen, daß nun der Staat strafe".36 Damit ergibt sich, daß in der Schaffung des ALR die ersten Bemühungen um eine Grenzziehung zwischen dem bloß zivilrechtliche Folgen auslösenden und dem strafrechtlich zu verfolgenden Betrug zu finden sind. Die bis dahin ergangenen Gesetze und das gemeine Recht gingen von einer Identität des zivil- und strafrechtlichen Betruges aus und wiesen dementsprechend eine ganz andersartige Betrugskonzeption auf. Gerade aus den Einschränkungen im Hinblick auf den weit gefaßten Betrugstatbestand des § 1256 ALR läßt sich schließen, daß ein Gedanke dieses Systems schon damals das Mitverschulden des Opfers war, spürbar getragen von der aufkommenden liberalistischen Denkweise?? b) Ausländische Gesetzgebung und Rechtsprechung Im 19. Jahrhundert versuchte der überwiegende Teil der deutschen Lehre und Gesetzgebung den strafbaren Betrug durch besondere Anforderungen an die Tauschungshandlung abzugrenzen. Dies geschah oftmals in Anlehnung an die Rechtsordnung anderer Staaten, so daß die insofern relevante damalige ausländische Gesetzgebung und Rechtsprechung hier kurz dargestellt werden soll.
aa) Frankreich In Frankreich entschied man sich nicht für einen allgemeinen Betrugstatbestand - wie etwa im Sinne des § 1256 ALR -, sondern man wollte durch Spezifizierung 32 33 34 35
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Vgl. Naucke, Betrug, S. 68; Goltdammer, S. 534; Schütz, S. 30 f.; Friedsam, S. 35 Fn. 2. Goltdammer, S. 534. Vgl. Ellmer, S. 55. Vgl. Kurth, S. 11; Naucke, Betrug, S. 69; Goltdammer, S. 534. So Temme, Betrug, S. 56. Vgl. dazu Schütz. S. 34 f.; Ellmer, S. 55 f.
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der Tauschungsmittel zu einer Abgrenzung zwischen dem strafbaren Betrug ("escroquerie") und dem nur zivilrechtliche Folgen auslösenden "stellionat" im Sinne des Art. 2059 Code civil gelangen. Dementsprechend wurde die Strafbarkeit durch eine abschließende Aufzählung der Betrugsmittel im Code penal von 1810 begrenzt mit der Folge, daß vom Gesetz nicht erwähnte Übervorteilungen straflos blieben. 38 Dabei verlangte der Artikel 405 Code penal zur Herbeiführung des Irrtums jeweils die Anwendung arglistiger Kunstgriffe39 ("emploi de manreuvres frauduleuses,,4o). Wörtliche Vorspiegelungen oder bloße lügenhafte Behauptungen (sogenannte "paroles artificieuses" bzw. "allegations mensongeres") waren demgegenüber nicht strafbar, außer es wurde ein falscher Name oder eine falsche Eigenschaft verwendet ("usage de faux noms ou de fausses qualites"). Es wurden also nur solche Handlungen unter Strafe gestellt, die entweder als besonders gefahrlich oder besonders geeignet zur Begehung eines Betruges galten. Alle anderen Tauschungen - erst recht das bloße Verschweigen von Tatsachen oder die Ausnutzung eines bereits bestehenden Irrtums - fielen aus dem strafrechtlich relevanten Bereich heraus und hatten allenfalls zivilrechtliche Konsequenzen. 41 Das vorwiegende Ziel dieser Regelungen war es, den Kreis der strafbaren Handlungen enger zu ziehen. Der französische Gesetzgeber wollte eine Trennung zwischen dem dol criminel und dem dol civil herbeiführen und klarstellen, daß nicht jede einfache Lüge, deren sich jemand zur Tauschung bedient, strafrechtlich sanktioniert wird. Die genauen Beschreibungen sollten aber auch den Vorteil haben, daß jeder Bürger schon dem Gesetz entnehmen konnte, welche Verhaltensweisen bestraft werden, während sie gleichzeitig der Rechtsprechung als Anhaltspunkt dienten. 42 Auch die französische Rechtsprechung ließ "einfache Lügen", "trügerische Versprechungen" oder "dolose Verschweigungen" für eine betrugsrelevante Tauschung nicht genügen. Vielmehr mußte der Gebrauch eines falschen Namens, die Vorspiegelung falscher Eigenschaften oder die ,,Anwendung arglistiger Künste" vOrliegen. 43 Dabei hielt sie "une mise en scene, qui a pour but de donner credit au mensonge" für erforderlich: Es mußte ein über die bloße Vorspiegelung hinausge38 Vgl. Goltdammer, S. 534 f., Fn. 1; Merkel, Abhandlungen 11, S. 410; Mittennaier, GerS 10, 122, 133 und in Feuerbach, § 411, Note V; Naucke, Betrug, S. 73 Fn. 22; Escher, S. 211 ff.; Temme, Betrug, S. 22; Ortloff, S. 217. 39 Vgl. Buschmann, S. 50; Roxin, GerS 60, 241, 258; v. Preuschen, S. 82; Merkel, Abhandlungen 11, S. 410; Mittennaier, GerS 10, 122, 140 ff. 40 Den vollständigen Wortlaut zitieren Reese, S. 6; Schütz, S. 225; Escher, S. 171 f.; Merkel, Abhandlungen 11, S. 54 f.; vollständige deutsche Übersetzung bei Ortloff, S. 218 f.; Visini, S. 57 Fn. 1. 41 So Adolphe/Helie, Tome cinquieme, S. 298 ff.; Reese, S. 6 f.; Köstlin, Civilrecht, S. 375 ff.; vgl. dazu auch Escher, S. 173; Schütz, S. 90. 42 Vgl. Kohlmann, S. 353; Mittennaier, GerS 10, 122, 133; Merkel, Abhandlungen 11, S.320. 43 Vgl. Ortloff, S. 82 f.; 481 f.; Escher, S. 158; Hegler, S. 449 Anm. 3 mit Nachweisen.
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hender, die wörtliche Lüge unterstützender, auf Täuschung berechneter anderweitiger Akt hinzukommen. 44 Keine Strafe sollte für den Betrüger nach Ansicht des französischen Kassationshofs eintreten, sofern die gewöhnliche Klugheit ("prudence ordinaire") ausreiche, um sich zu schützen. Damit wurden die Anforderungen an die Täuschungshandlung im Ergebnis auf ein arglistiges Verhalten gesteigert. 45 bb) England
Auch in England wurde der kriminell strafbare Betrug ("cheats") von dem nur zivilrechtlich zu verfolgenden Betrug ("fraud") durch die Qualität der Täuschungshandlung abgegrenzt. 46 Einfache Behauptungen und gewöhnliche Lügen ("cheats effected by a mere false affirmation or a bare lie") sollten nach dem common law als dem gemeinen Recht Englands noch keinen strafbaren Betrug begründen. 47 Man hielt den durch die "bare naked lies" Getäuschten nicht für schutzwürdig, da dieser sich durch gewöhnliche Umsicht und Vorsicht dagegen hätte verwahren können: " ... and it is said to be needless to provide severe laws for such mischiefs, against which common prudence and caution may be a sufficient security".48 Deshalb mußte die Täuschungshandlung durch künstlich angelegte Überlistungen ("by means of some artful device,,49) erfolgt sein, gegen die "common prudence" nicht schützen konnte. Strafbarer Betrug wurde also erst dann angenommen, wenn das Opfer selbst bei der Anwendung von gewöhnlicher Lebensklugheit den Irrtum nicht vermeiden konnte. 50 Teilweise hielt man diese Regel des common law zwar für aufgehoben durch das von der Legislative geschaffene "statute law", das einzelne Arten des Betruges besonders hervorhob. 51 Allerdings wurde es dann jeden44 Vgl. Köstlin, Civilrecht, S. 376; Merkei, Abhandlungen 11, S. 315; Hegler; S. 449 Anm. 3; vgl. auch Roxin, GerS 60, 241, 258 und Riegger; S. 37 f. 45 So Adolphe/Helie, Tome cinquieme, S. 303 f.; Köstlin, Civilrecht, S. 378; vgl. auch Mittermaier; in Feuerbach, § 411 Note V; Goltdammer; S. 545 Fn. 1; Geib, ArchCrim N.F. 21,97, 117 f. jeweils m. w. N., insb. auf die französische Rechtsprechung. 46 Vgl. dazu Temme, Betrug, S. 23; Ortloff, S. 224 ff.; Kurth, S. 27. 47 Goltdammer; S. 534 f. Fn. 1; Escher; S. 158; Köstlin, Civilrecht, S. 375. 48 Vgl. Hawkins, chapter 71, section 2; Geib, ArchCrim N.F. 21 (1840),97, 117; Darby, ZStW 108 (1996), 549, 551. 49 Siehe Tomlins, Law-Dictionary, 4 th edition, London 1835, Volume 1 unter "cheats", "false pretences" und "forgery, IV"; Hawkins, chapter 71, sections 1, 2; vgl. dazu auch Smith/Hogan, S. 581; Geib, ArchCrim N.F. 21 (1840),97, 117; Köstlin, Civilrecht, S. 375; vgl. auch Ortloff, S. 81 und Escher; S. 159. 50 RusselI, S. 1125 ff.; Birnbaum, ArchCrim N.F. 15 (1834), 527, 543; Geib, ArchCrim N.F. 21 (1840),97,117; Goltdammer; S. 534 f. Fn. 1; Mittermaier; GerS 10, 122, 129; Temme, Betrug, S. 23; Escher; S. 108 f.,159, 276; Ortloff, S. 224, 412 Fn. 1,482; vgl. zudem Arzt, in Arzt/Weber; LH 3, 2. Auflage 1986, Rdnr. 246 Fn. 1 mit dem Hinweis, auch die rechtswidrige Zueignung einer rechtmäßig erhaltenen Sache sei im friiheren englischen Recht wohl deshalb straflos gewesen, als daß der Eigentiimer sich hätte schützen können durch die Wahl einer vertrauenswürdigeren Person. 51 Vgl. dazu Escher; S. 191 f.; Ortloff, S. 228; Goltdammer; S. 534 f. Fn. 1.
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falls als Rechtsübung angesehen, daß falsche Vorspiegelungen ("false pretences") ohne das "Hinzukommen von Trugkünsten", mithin die bloße Äußerung von falschen Behauptungen oder Versicherungen, keinen strafbaren Betrug begründeten. Denn man war der Auffassung, daß jeder einzelne die in Rechtsgeschäften nötige Vorsicht walten lassen müsse. Das Gesetz sei keineswegs zum Schutz der Unvorsichtigen und Nachlässigen berufen, so daß eine Betrugsstrafbarkeit nicht in Betracht komme, wenn das Opfer die zum Selbstschutz erforderliche gewöhnliche Sorgfalt nicht angewendet habe und sich durch eine einfache Lüge habe täuschen lassen. 52 Auch im englischen Gerichtsgebrauch wurde betont, daß der strafbare Betrug eine Täuschung erfordere, durch die die "Meisten" getäuscht würden. 53 Kennzeichnend für die damalige Denkweise der Rechtsprechung ist die Äußerung eines englischen Richters: "Shall we indict one man for making a fool of another?".54 In diesem Zusammenhang ist allerdings noch darauf hinzuweisen, daß die Geschworenen die Möglichkeit hatten, auch ein strafloses betrügerisches Verhalten als "unfair dealing" zu bezeichnen. Dies hatte die gerade für englische Kaufleute verheerende und oftmals ruinöse Konsequenz einer entsprechenden Brandmarkung in der öffentlichen Meinung. 55
c) Bayerisches Strafgesetzbuch von 1813 Die gesamte deutsche Strafgesetzgebung des 19. Jahrhunderts wurde maßgebend bestimmt durch das Bayerische Strafgesetzbuch von 1813, das die Handschrift Feuerbachs trug56 und dem sich einige Partikularstrafgesetzbücher fast wörtlich anschlossen. 57 Nach Art. 256 wurde wegen vollendeten Betruges bestraft, "wer, um einen anderen in Schaden zu bringen oder sich selbst einen unerlaubten Vorteil zu verschaffen, wissentlich und vorsätzlich falsche Tatsachen für wahr ausgibt oder darstellt, 52 Vgl. Ortloff, S. 228, 230, 484; Gryziecki, S. 66; Merkei, Abhandlungen II, S. 320; Mittermaier, GerS 10, 122, 130; Escher, S. 191 f. 53 Vgl. Temme, Betrug, S. 50, 56 sowie Escher, S. 159 ff. mit Berichten von englischen Gerichtsentscheidungen. 54 "Sollen wir den einen strafen dafür, daß der andere ein Esel war?" fragte chief justice Holt "ergrimmt" bei einem Verfahren, indem es vereinfacht darum ging, daß Adern B vorgetäuscht hatte, C hätte ihn geschickt, um 20 Pfund für einen bestimmten Zweck zu leihen, und B dem A daraufhin die geforderte Summe aushändigte in der fälschlichen Annahme, daß A tatsächlich von C geschickt worden war; vgl. RusselI, S. 1128; Smith/Hogan, S. 556; Darby, ZStW 108 (1996), 549, 551; Wehrle, S. 22; Escher, S. 113 in der Fn. und S. 159 f.; Goltdammer, S. 534 f. Fn. 1; Ortloff, S. 81; kritisch dazu Merkei, Abhandlungen 11, S. 329; Köstlin, Civilrecht, S. 395. 55 Mittermaier, GerS 10, 122, 128 f.; Ortloff, S. 230,483. 56 Vgl. E. Schmidt, S. 262 f.; Bemer, Strafgesetzgebung, S. 78 ff.; Schütz, S. 48. 57 So etwa Oldenburg mit seinem Strafgesetz von 1814; vgl. dazu Schütz, S. 73 ff.
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wahre Tatsachen unerlaubterweise vorenthält oder unterdrückt, oder auch von fremden Betruge, sich selbst zum Vorteile oder einem Dritten zum Nachteile, wissentlich Gebrauch macht".58 Es handelt sich hierbei um die erste gesetzliche Betrugsnorm, die bestimmte, daß sich die Täuschung auf Tatsachen zu beziehen hat59 und die überhaupt eine wissenschaftliche - wenn auch sehr allgemeine - Bestimmung des Betrugsbegriffes enthielt. 60 Die Weite dieses Grundtatbestandes wurde allerdings durch die folgenden Vorschriften sogleich wieder eingeschränkt, insbesondere durch eine restriktive Regelung des Betruges in Vertragsverhältnissen. Bei diesem Bereich stand man vor dem bereits erwähnten Dilemma, daß einerseits ,jeder Kontrahent auf seinen Vortheil bedacht sein darf, daß der Vortheil des Einen gewöhnlich mit einem Uebervortheilen des Andern verbunden ist", während man es andererseits für ebenso richtig hielt, "daß eine übertriebene Einschränkung der Staatsgewalt den auffallendsten Betrügereien freien Spielraum lassen, und selbst dem öffentlichen Zutrauen, welches zur Belebung des Verkehrs unter den Menschen so nothwendig ist, nachtheilig seyn würde".61 Feuerbach schlug in seinem schließlich auch umgesetzten Entwurf einen Mittelweg vor zwischen der Aufgabe der Staatsgewalt, vor Betrügereien in Vertragsverhältnissen zu schützen und der Gefahr, daß zu strenge Strafgesetze den kaufmännischen Verkehr behindern und dem Zivilrecht vorgreifen. So hatten Täuschungen bei Eingehung oder Vollziehung von zweiseitigen, auf gegenseitigen Vorteil gerichteten Verträgen gemäß Art. 259 regelmäßig keine strafrechtlichen Konsequenzen. 62 Sie sollten neben den zivilrechtlichen Nachteilen vielmehr nur polizeiliche Ahndung zur Folge haben. 63 Darüber hinaus bestimmte Art. 260, daß Betrügereien bei Verträgen, die urspriinglich bloß zum Vorteil des anderen Teils gereichen sollten - wie Schenkung, Leihe oder Darlehen - nur nach bürgerlichem Recht beurteilt werden sollten. 64 Diese Regelung übernahm später auch Art. 312 Ziffer 2 des Criminalgesetzbuchs für das Königreich Hannover von 1840.65 Hingegen unterlagen der Betrugsstrafbarkeit in Bayern erhebliche Vertragsverletzungen wie der Verkauf einer nicht mehr vorhandenen, einer bereits anderweitig veräußerten Sache, eines aliuds oder eines Gegenstandes, an dem der Käufer kein Eigentum erlangen konnte. 66 Ortloff, S. 203; Bader S. 12. Vgl. Bader, S. 13; Ellmer, S. 212. 60 Kritisch deshalb Ortloff, S. 204; Mittermaier, GerS 10, 122, 135 f. 61 Anmerkungen zum Strafgesetzbuch für das Königreich Baiern, Band 2, S. 240 f. 62 Vgl. Mittermaier, GerS 10, 122, 136. 63 Diese privilegierende Behandlung galt nicht bei Vertragsverletzungen erheblicher Art oder wenn sich der Täter falscher Maße und Gewichte bediente, Art. 263 IV. 64 Ortloff, Betrug, S. 406; Anmerkungen zum Strafgesetzbuche für das Königreich Baiern, Band 2, S. 240. 65 Nach Ziffer 1 wurden außerdem geringere Betrügereien, die die Gültigkeit des Vertrages unberührt ließen, nicht strafrechtlich, sondern lediglich polizeilich geahndet, vgl. Stenglein, Sammlung, Band 2, VI; Mittermaier, in Feuerbach, § 411 Note V; kritisch Köstlin, Civilrecht, S. 306: "prinzip- und charakterlos". 66 Vgl. Mittermaier, in Feuerbach, § 411, Note V. 58
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Die damalige Literatur kritisierte an diesen Bestimmungen die zu großzügig bemessene Gestaltung der Straflosigkeit, insbesondere beim Betrug in einseitigen Vertragsverhältnissen. Außerdem sei die Grenze zwischen strafrechtlicher und zivilrechtlicher Verfolgung des Betruges nicht deutlich und konsequent genug gezogen. 67
d) Das Strafgesetzbuch für das Königreich Württemberg von 1839 Das Württembergische Strafgesetzbuch, das überwiegend auf dem Bayerischen Strafgesetzbuch von 1813 beruhte,68 bestimmte in Art. 352: "Wo in VertragsverhäItnissen nach civilrechtlichen Grundsätzen wegen rechtswidriger Täuschung auf Aufhebung des Geschäftes oder auf Schadensersatz geklagt werden kann, hat es hierbei sein Bewenden, und das Strafgesetz kommt in solchen Fällen nicht zur Anwendung, ausgenommen, wenn ein Teil den anderen durch besondere Arglist zur Eingehung des Vertrages verleitet hatte" (Absatz 3). "Auch darf wegen Betrugs in Vertragsverhältnissen nur auf Klage des Beschädigten eingeschritten werden" (Absatz 4).69 Außervertragliche Betrügereien sollten von Amts wegen zu bestrafen sein, denn hierbei mache der Täter gleich einem Diebe einen Angriff auf das Vermögen des Getäuschten, ohne daß dieser zur Aufmerksamkeit und Vorsicht gegenüber dem Betrüger verpflichtet sei. Abgesehen vom Erfordernis eines Strafantrages waren demgegenüber Täuschungen in Vertragsverhältnissen nur strafbar, wenn sie für den Vertragsschluß selbst ursächlich waren, nicht aber solche, die erst im Rahmen eines bereits bestehenden Vertrages verübt wurden?O Außerdem mußte der Betrug mittels besonderer Arglist begangen worden sein. Die Strafwürdigkeit des Täters bestimmte sich also nach der Geschicklichkeit seiner Täuschung. 71 Die Unbestimmtheit "besonderer Arglist" wurde in der Literatur kritisiert. 72 Nach Auffassung des Gesetzgebers ließ sich dieser Begriff zwar gesetzlich nicht genauer bestimmen und sollte erst durch die Rechtsprechung ausgefüllt werden. 73 Gerade deswegen gab man aber zu bedenken, daß in der Praxis "die größte Verschiedenheit richterlicher Ansichten vorkommen wird".74 Dem Ermessen des Richters komme ein "bedenklicher Spielraum" zu, "indem er nicht die in der Handlung lieVgI. Ortloff, S. 204; Mittermaier, GerS 10, 122, 136 und in Annalen 6, 1,24. So Stenglein, Sammlung, Band 1, IV, Einleitung. 69 Stenglein, Sammlung, Band 1, IV. 70 VgI. Hufnagel, zu Art. 352, S. 593 f. 71 VgI. dazu Mittermaier, Annalen 6, 1,26 f. 72 Aschbach, Annalen 16, 30, 45; Hufnagel, zu Art. 352, S. 593 ff.; Mittermaier, in Feuerbach, § 411 Note VI. 73 So die Motive zu dem Entwurf eines Strafgesetzbuchs für das Königreich Württemberg, zitiert bei Hufnagel, zu Art. 352, S. 594. 74 Mittermaier, Annalen 6, 1,27. 67
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genden Merkmale an einem gesetzlich festgestellten Begriffe zu priifen, sondern in concreto ein Strafgesetz blos nach subjektivem Dafürhalten erst zu geben hätte". "So wie aber auch ein höherer oder niederer Grad von Leichtsinn oder Dummheit auf Seite des zu Täuschenden die anzuwendende Arglist bedingt, so würde auch die Criminalität der Handlung von ... individuellen, und zufälligen Umständen und von den Eigenschaften der Person des Getäuschten abhängen".75
e) Criminalgesetzbuch für das Herzogtum Braunschweig von 1840 Nach § 227 des Criminalgesetzbuchs für das Herzogtum Braunschweig von 184076 war Betrug in Vertragsverhältnissen nur dann strafbar, wenn dem Betrogenen der gestiftete Schaden auf sein Anfordern nicht sofort ersetzt wurde. 77 Damit ging Braunschweig in seiner freiheitlichen Gesetzgebung zum Betrug bei Verträgen noch weiter als Württemberg. Unabhängig von einer "besonderen Arglist" oder der Höhe des entstandenen Schadens, blieb jeder Betrug in Vertragsverhältnissen straflos, sofern der Täter nur imstande war, für den erlittenen Schaden des Opfers aufzukommen.
f) Criminalgesetzbuch für das Herzogtum Sachsen-Altenburg (1841)
Das sächsische Criminalgesetzbuch bestrafte in Art. 245 wegen Betruges, "wer wissentlich falsche Thatsachen für wahre ausgiebt".78 Zwar wurden in der Literatur einschränkende Zusätze gefordert, wie etwa "durch auf Täuschung des Andern berechnete und hierzu geeignete Vorspiegelungen und listige Veranstaltungen".79 Die sächsischen Gesetzgeber zeigten sich davon jedoch unbeeindruckt und behielten die gewählte Fassung bei. Allerdings versuchte man, dadurch eine Grenze für die Bestrafung bei Verträgen zu ziehen, indem in Art. 246 die Strafbarkeit des Betruges von einem Antrag des Geschädigten abhängig ausgestaltet wurde. Überdies mußte sich die Täuschung bei zweiseitigen, auf gegenseitigen Vorteil gerichteten Verträgen auf wesentliche Vertrags gegenstände beziehen. 8o Aufgrund ihrer unbestimmten Fassung wurde diese Regelung in der Lehre kritisiert. So sei es etwa häufig zweifelhaft, welche Gegenstände wesentlich seien. Vorgeschlagen wurde deshalb die Normierung von Fallgruppen, die für den Richter leicht erkennbare Merk-
So Cucumus, ArchCrim, N.F. 18,431,442 f.; vgl. dazu Schütz, S. 113 f. Stenglein, Sammlung, Band 1, V; Ortloff, S. 207; Merkel, Abhandlungen 11, S. 54. 77 Kritisch dazu Hälschner, Deutsches Strafrecht, S. 266 Pn. 78 Übereinstimmend mit dem Könglich Sächsischen Criminalgesetzbuch von 1838, vgl. Stenglein, Sammlung, Band 1, III. 79 Mittermaier, Annalen 6, 1, 19 f.; vgl. dazu auch Schütz, S. 9l. 80 Ortloff, S. 205 f. 75
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male aufweisen sollten. 81 Auch Art. 286 des Strafgesetzbuches für das Königreich Sachsen von 1855 behandelte den Betrug bei Verträgen nur als Antragsdelikt. 82
g) Das Strafgesetzbuch für das Großherzogturn Hessen von 1841 Nach der allgemeinen Definition in Art. 391 des Hessischen StGB machte sich wegen Betruges strafbar, wer "mit Verletzung einer besonderen Rechtspflicht wissentlich falsche Tatsachen für wahr ausgibt, oder wahre Tatsachen vorenthält oder unterdrückt, oder auch ohne Verletzung einer besonderen Rechtspflicht arglistiger Weise täuschende Handlungen vornimmt". 83 Die Tauschung über Tatsachen war also nur bei einer bestehenden Rechtspflicht strafbar, ansonsten mußte der Täter arglistig gehandelt haben. 84 Dabei wurde das Merkmal der Arglist in Anlehnung an den Art. 405 Code penal aufgenommen, der in der Provinz Rheinhessen schon jahrelang vor Erlaß des Hessischen StGB galt. Die Verfechter einer Einführung des Code penal in ganz Hessen hatten sich jedenfalls in dieser Hinsicht durchgesetzt. 85 Sehr ähnlich wie Art. 352 des Württembergischen StGB bestimmte sein Art. 392, wo in Vertragsverhältnissen auf Aufhebung des Geschäfts oder Schadensersatz nach zivilrechtlichen Grundsätzen geklagt werden kann, es damit sein Bewenden hat und das Strafgesetz nur zur Anwendung kommt, "wenn ein Teil den Anderen durch besondere Arglist zur Eingehung des Vertrages im Ganzen oder einzelner Bestimmungen desselben" bewog. Dieser Betrug war nicht von Amts wegen zu untersuchen. 86 Die Betrugsnormen des hessischen StGB bewährten sich anscheinend in der Praxis, denn sie wurden acht Jahre später wortwörtlich vom nassauischen Gesetzgeber übernommen. Dementsprechend verlangte Art. 386 des Strafgesetzbuches für das Herzogtum Nassau von 1849 bei Betrug in Vertragsverhältnissen ebenfalls "besondere Arglist" des Tauschenden. 87
h) Das Strafgesetzbuch für das Großherzogturn Baden von 1845 Wegen Betruges machte sich gemäß Art. 450 des badischen StGB strafbar, wer "außer den Fällen der Fälschung einen Anderen aus gewinnsüchtiger Absicht durch arglistige Entstellung der Wahrheit, oder durch vorsätzliche Vorenthaltung Mittermaier, Annalen 6,1,25; vgl. auch Aschbach, Annalen 16, 30,44. Vgl. Krug, Zweiter Theil, S. 201; Merkel, Abhandlungen II, S. 53; Stenglein, Sanunlung, Band 3, XIII; Onloff, Betrug, S. 214. 83 Vgl. Merkel, Abhandlungen II, S. 53. 84 Kritisch Onloff, S. 209; Köstlin, Civilrecht, S. 306 und in Annalen, S. 142 ("prinzipund charakterlos"). 85 Vgl. dazu Bemer, Strafgesetzgebung, S. 173 sowie Schütz, S. 145. 86 Vgl. Stenglein, Sammlung, Band 2, VII. 87 Vgl. Stenglein, Sammlung; Band 2, IX, Einleitung; Onloff, Betrug, S. 210. 81
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der Wahrheit, mit Verletzung einer besonderen Rechtspflicht, wissentlich zu einer das Vermögen beschädigenden Handlung oder Unterlassung verleitet".88 Mit dem Merkmal der Arglist nahm auch der Gesetzgeber in Baden Bezug auf das französische Recht, speziell auf Art. 405 Code penal. 89 Betrug in Vertragsverhältnissen erklärte die Sonderregelung des Art. 452 für strafbar, wenn der Täter entweder die Eingehung des Vertrages als Täuschungsmittel benutzt (Ziffer 1) oder nach Ziffer 2 "sich zugleich den Entschädigungsansprüchen des Anderen zu entziehen sucht oder daß er doch sein Unvermögen zur Entschädigungsleistung bei künftiger Erhebung jener Klagen vorausgesehen haben müsse".90 Auch hier wurden demnach zivilrechtliche Ersatzmöglichkeiten in Betracht gezogen. Aus den Berichten der Gesetzeskommission91 ist zu entnehmen, daß während der Vorarbeiten diskutiert wurde, die Ziffer 2 auch auf andere Fälle zu erstrecken, in denen der Täuschende voraussehen kann, daß das Opfer seinen Schaden nur schwer ersetzt bekommen wird. Es wurde zwar anerkannt, daß der Getäuschte wertungsmäßig ähnlich wie in den anderen gesetzlich geregelten Fällen zu behandeln sein müßte. 92 Allerdings war ein derartiger Vorschlag nicht mit der Gesamtkonzeption der badischen Betrugsstrafbarkeit in Einklang zu bringen. Diese basierte auf der Ansicht, Verträge seien schon ihrer Natur nach dadurch geprägt, daß jeder versuche, dem anderen gegenüber das angestrebte Übereinkommen von der vorteilhaften Seite darzustellen und die negativen Aspekte zu verschleiern. Denn beim Kampf um den größeren Gewinn führe erfahrungsgemäß nur die Waffe der Darstellung und Überredung zum Sieg. Insbesondere dann, wenn der einzelne dazu imstande sei, sich auf diese Umstände einzustellen und die erfahrungsgemäß erforderliche Umsicht aufzubringen, dürfe im Interesse eines freien Handelsverkehrs diesem nicht zu enge Schranken gezogen werden. 93 Dementsprechend suchte man nach leicht erkennbaren, die Strafbarkeit sicher begründenden Merkmalen. Die in Württemberg normierte "besondere Arglist" wurde wegen des unbestimmten, zu Rechtsunsicherheit führenden Begriffes abgelehnt. 94 Als beste Lösung empfand man es schließlich, nur solche Verfälschungen der Wahrheit zu bestrafen, die über den herkömmlich anerkannten Geschäftssinn zur Erlangung von Vertragsvorteilen hinausgingen. Derartige strafwürdige Hauptfälle seien vor allem diejenigen, in denen der Täter die Eingehung des Vertrages nur als Täuschungsmittel mißbrauche. 95
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VgJ. Ortloff, Betrug, S. 210; Merkei, Abhandlungen 11, S. 54; Thilo, S. 379 ff. VgJ. dazu Thilo, S. 361; Schütz, S. 145. VgJ. Stenglein, Sammlung, Band 2, VIII. Berichtet von Aschbach, Annalen 16, 30 ff. VgJ. Aschbach, Annalen 16, 30,43. So Aschbach, Annalen 16, 30, 43. Siehe oben unter lId). VgJ. Aschbach, Annalen 16,30,45; s. auch Ellmer; S. 62.
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i) Das Strafgesetzbuch für die Thüringischen Staaten (1850) Nach Art. 236 des thüringischen Strafgesetzbuches sollte wegen Betruges bestraft werden, "wer den Irrtum eines Anderen rechtswidrig veraniaßt oder benützt, um demselben einen Vermögensnachteil zuzufügen, und diesen Zweck erreicht".96 Die Strafbarkeit wegen Betruges trat nach Art. 238 aber nicht ein, "wenn der Irrtum des Anderen auf seiner eigenen Nachlässigkeit oder Unvorsichtigkeit beruht und der den Irrtum Benützende sich riicksichtlich desselben nur untätig verhalten hat".97 Insoweit blieben auch Täuschungshandlungen straflos, die lediglich in der Abgabe allgemeiner Anpreisungen oder Urteile bestanden. 98 Für Vertragsverhältnisse war sowohl das Erfordernis eines Strafantrages als auch die Bedingung normiert, daß der Getäuschte bei Kenntnis der wahren Verhältnisse den Vertrag gar nicht oder wenigstens anders abgeschlossen hätte. 99
j) Zusammenfassung Die unterschiedlichen Regelungen in den verschiedenen Partikulargesetzgebungen sowie die dariiber geführte Diskussion verdeutlichen, wie problematisch es damals empfunden wurde, als strafwürdig empfundene Täuschungen zu bestrafen, ohne die für den Wirtschaftsverkehr unverzichtbare Geschäftstüchtigkeit zu sehr einzuschränken. Zur angestrebten Abgrenzung der erlaubten Geschäftstüchtigkeit von dem strafbaren Betrug bedienten sich die Gesetzgeber damals zum einen des Tatsachenbegriffs, zum anderen des Merkmals der Arglist, das meist in Anlehnung an den Art. 405 des französischen Code penal aufgenommen wurde.
3. Darstellung der in der Rechtslehre vertretenen Auffassungen Auch die rechtswissenschaftliche Literatur der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts hielt das Festsetzen einer Grenzlinie zwischen den bloß privatrechtliche Folgen nach sich ziehenden und den kriminell zu ahndenden Fällen des Betruges für "eine der schwierigsten Aufgaben der Kriminalpolitik, bei deren Lösung die verschiedenen positiven Legislationen bedeutend von einander abweichen". 100 Diese Problematik versuchte v. Gönner schon im Ansatz zu vermeiden, indem er sich dafür aussprach, Betrug am besten überhaupt nicht zu bestrafen. 101 Er begriinVgl. Stenglein, Sammlung, Band 3, X. Merkei, Abhandlungen II, S. 53. 98 Vgl. Ortlaff, S. 211 f. 99 Ortlaff, S. 212. 100 Eindringlich mit diesem Wortlaut Marezoll, 1. Auflage 1841, S. 442. 101 "Soll die Untersuchung bei Verbrechen wider veräußerliche Privatrechte, wenn sie nicht mit gemeiner Gefahr verbunden sind, von Amtswegen oder nur auf Anzeige des Beleidigten eintreten?", Neues Archiv des Criminalrechts, 7. Band (1825), S. 459 ff. 96
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dete dies mit einer später sehr häufig zitierten Fonnulierung, die im wesentlichen der Äußerung des englischen Richters gleich kam, der einen Mann nicht verurteilen wollte, nur weil er aus dem anderen einen Dummkopf gemacht hat: 102 "Stellionat, die bekannte Qual und Klippe aller Strafgesetzbücher, welche ihre natürliche Grenze übersteigen, gehört ohnehin, als verschieden von Escroquerie, nur vor den Civilrichter, und selbst diese dürfte vielleicht besser dem Civilgericht oder höchstens der Polizei überlassen werden; denn es ist allemal eine Vermischung der Moralität oder Delicatesse mit reinen strafrechtlichen Rücksichten, nur eine starke Zumuthung an das Strafgesetz, wenn man eine Strafe verlangt, weil - ein leichtgläubiger oder gutmütiger Mensch sich - überlisten oder täuschen ließ, oder wenn man von der Obrigkeit verlangt, sie solle den Champion für jeden Einfältigen machen". \03
a) Berücksichtigung eines Mitverschuldens des Betrugsopfers Die damals herrschende Ansicht in der Rechtslehre stellte sich zwar nicht auf einen derartigen exponierten Standpunkt, ging aber gleichwohl von einer subsidiären Bedeutung des strafrechtlichen Schutzes aus. Er habe dem Zivilschutz nur dort an die Seite zu treten, wo dieser als unzureichend erscheine, den Bestand der rechtlichen Ordnung zu sichern. Das Wirken der Strafgesetzgebung sei "nur da gerechtfertigt, wo durch andere gelindere Mittel, insbesondere diejenigen, welche die Civilgesetzgebung darbietet, nicht der Zweck ebenso gut erreicht werden kann und wo die Art des Angriffs die Anwendung des Strafrechts fordert". 104 Eine Betrugsstrafbarkeit komme nur dann in Betracht, wenn die allgemeine Sicherheit gefährdet sei oder die "civilrechtlichen Mittel nicht ausreichen, den Lädirten schadlos zu machen".105 Es wurde versucht, einer Ausweitung des strafbaren Betrugs entgegenzuwirken, indem man nicht jeden Betrug als strafbar ansah, sondern zwischen strafbarem und bloß zivilrechtlich zu beurteilendem Betrug differenzierte. 106 Für die Abgrenzung zog man als entscheidendes Kriterium die Beschaffenheit der Handlung heran. Eine einfache Lüge sollte für den strafbaren Betrug nicht genügen. 107
Siehe oben unter I 1 b) bb). NArchCrim 7, 459, 468; vgl. dazu Merkel, Abhandlungen 11, S. 322; Goltdammer, S. 533 Fn. 3; Escher, S. 58 Fn.; Geib, ArchCrim N.F. 21, 97, 102 f.; kritisiert wurde diese Fonnulierung von Friedreich, Annalen 16,305,331 sowie von v. Preuschen, S. 19 f. 104 So Mittermaier, Annalen 6, 1 f.; ähnlich auch noch Merkel, in HoltzendO/ff-Handbuch, Band III, S. 770; vgl. dazu Buschmann, S. 20. 105 Kleinschrod, ArchCrim 2, l35, 142; Escher, S. 66/153; vgl. dazu Buschmann, S. 20; Naucke, Betrug, S. 64 f. 106 Cucumus, Programm, S. 69; v. Preuschen, S. 23; vgl. auch Hälschner, Preußisches Strafrecht, S. 347. 107 Vgl. Escher, S. 164. 102
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aa) Besondere Qualifikation der Thuschungshandlung
Ausgehend von der Abhandlung von Cucumus 108 wurde ein strafrechtlicher Betrug teilweise nur dann angenommen, wenn durch das Vorbringen äußerlich existierender falscher Griinde auf das Erkenntnisvermögen des Opfers Gewalt oder Zwang ausgeübt wird, so daß dieses gegen seinen Willen genötigt werde, die fremden Vorspiegelungen für wahr zu halten. 109 Sofern der Betrug dagegen ausschließlich auf einer bloßen einfachen Aussage beruhe, sei dies nur zivilrechtlich oder höchstens polizeilich zu beurteilen. 110 Denn derjenige, der lediglich einer "simplen" Behauptung Glauben geschenkt habe, unterliege nicht dem erforderlichen Zwang. Lasse er sich trotzdem zu einer Vermögensverfügung bestimmen, könne er nur über die "eigene Albernheit" klagen. Es sei aber nicht Aufgabe des Gesetzgebers, jeden "Albernen, Leichtgläubigen oder Schwachen durch Strafgesetze zu schützen".11I Solche betrügerische Handlungen, bei denen das Zivilrecht ausreichende Hilfe biete, sollten deshalb nicht strafrechtlich geahndet werden. 1I2 Viele Vertreter des Schrifttums forderten in Anlehnung an die französische und englische Gesetzgebung sowie die dortige Rechtspraxis 113 eine genaue Charakterisierung derjenigen Vorspiegelungen im Strafgesetz, die den strafbaren Betrug begriinden solltenY4 Nach Mittermaier sollten für die Bestrafung von Betrügereien entweder besondere Veranstaltungen hinzukommen, durch die den Lügen Nachdruck gegeben und Glaubwürdigkeit in der Weise verschafft werde, "daß auch ein vorsichtiger Mann getäuscht werden" könne, oder der Betrug müsse in solchen Vorspiegelungen liegen, die geeignet sein, "auch einen Vorsichtigen zu täuschen".115 Es wurde auch die Forderung nach einer planmäßigen, arglistigen, durch künstliche Mittel hervorgebrachten Täuschung formuliert, wobei aber auch eine "mit Umständen ausgemalte und auf listige Weise glaubhaft dargestellte Lüge" ausreichen sollteY6 Visini verlangte für den strafbaren Betrug eine "potenzierte 108 Über das Verbrechen des Betrugs als Bey trag für Criminalgesetzgebung. Ein Programm, Würzburg 1820. 109 Cucumus, Programm, S. 75 f.; Visini, S. 70 f.; Aschbach, Annalen 16, 30, 34; Brackenhöjt, ArchCrim N.F. 29, 227, 228; Mittermaier, Annalen 6,1,17 m. w. N.; vgl. dazu auch Merkel, Abhandlungen 11, S. 323; Goltdammer, S. 533 Fn. 4; kritisch hierzu Temme, Betrug, S. 52; v. Preuschen, S. 21; Friedreich, Annalen 16,305,321 ff.; Geib, ArchCrim N.F. 21, 97, 109; Henke, S. 13; Köstlin, Civilrecht, S. 370 ff.; genauere Ausführungen zur Kritik bei Kurth, S. 39 Fn. 3. 110 Cucumus, Programm, S. 78; Visini, S. 71; vgl. auch Ortloff, S. 181; Merkel, Abhandlungen 11, S. 322 f. III Mittermaier, Annalen 6,1,17. 112 In diesem Sinne v. Preuschen, S. 24, 59 f.; Mittermaier, Annalen 6, 1, 2; Escher, Betrug, S. 541. ll3 Siehe oben unter I 1 b). ll4 Vgl. etwa Visini, S. 73; Escher, S. 186; Mittermaier, Annalen 6, 1, 15. ll5 So in Annalen 6, 1, 18.
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Tauschung": Nur eine zu der "erklärten psychologischen Gewalt erhöhte Tauschung" könne das Charakteristikum des strafbaren Betruges bilden. 117 Zur Beurteilung dieser besonderen Qualität der Betrugshandlung wurde insbesondere darauf abgestellt, ob der Getäuschte seinen Irrtum hätte vermeiden können. Habe das Betrugsopfer sich leichtgläubig oder fahrlässig verhalten, sei lediglich der Zivilrechtsweg eröffnet. In diesen Fällen könne man sich über eine eigentliche Rechtsverletzung nicht beklagen, so daß derartige selbst verschuldete Tauschungen von der Betrugsstrafbarkeit ausgenommen werden müssen. 118 Hinsichtlich des Maßstabes für das insofern zu berücksichtigende Mitverschulden des Opfers verlangte man, daß die Tauschung im konkreten Einzelfall durch solche "ungewöhnliche" Mittel bewirkt wurde, daß die "Meisten,,119 bzw. Personen von "hinreichender Klugheit und Aufmerksamkeit,,120 derselben nicht entgehen konnten. Durch diese objektivierte Grenzziehung sollte es erreicht werden, einerseits durch Leichtgläubigkeit selbstverschuldete Tauschungen aus dem strafrechtlichen Begriff des Betruges auszuscheiden und andererseits zu verhindern, dem öffentlichen Verkehr, der auf ein gewisses Maß an gegenseitigem Vertrauen angewiesen sei, ins Stocken zu bringen. 121 Dabei wurde allerdings teilweise auch eine Rücksichtnahme auf die individuelle Persönlichkeit des Opfers gefordert zum Schutz detjenigen, die trotz besten Willens zu jener "fingierten Normalklugheit" unfahig seien. 122 Denn der Staat habe "die Pflicht, schwache Personen (Mindetjährige, Blödsinnige u. f.f.) gegen planmäßige Spoliation zu schützen".123 Gerade bei einer geistigen Beschränktheit des Geschädigten sei eine Bestrafung des Taters unbedingt erforderlich, so daß es nur darauf ankommen sollte, ob die konkrete Vorspiegelung des Taters tatsächlich zur Tauschung geeignet war. 124 Da jedoch eine subjektive Prüfung des Einzelfalls häufig unpraktikabel sei, könne regelmäßig unter dem Gesichtspunkt der Zweckmäßigkeit auf einen gewissen intellektuellen Durchschnittsmaßstab abgestellt werden. 125
Vgl. Escher; S. 186; kritisch dazu Temme, Betrug, S. 52; Ortloff, S. 196. Bey träge zur Criminal-Rechtswissenschaft mit besonderer Rücksichtnahme auf das österreichische Criminal-Recht, 1. Band, Wien 1839, S. 73. 118 Escher; S. 66, 99, 102; Geib, ArchCrim N.F. 21, 97, 101 ff. m. w. N. 119 Temme, Betrug, S. 56. 120 Escher; S. 66. 121 Escher; S. 66, 99. 122 Aschbach, Annalen 16, 30, 36; Geib, ArchCrim N.F. 21,97, 119 ff.; Mittermaier; Annalen 6, 1, 18. 123 So Escher; S. 99. 124 Mittermaier; Annalen 6, 1, 18; Aschbach, Annalen 16, 30, 36. 125 Geib, ArchCrim N.F. 21, 97, 196 ff. 116
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bb) Prinzip der Subsidiarität des Strafrechts
Eine Berücksichtigung des Mitverschuldens des Betrugsopfers wurde auch mit der Eigenverantwortlichkeit und Selbständigkeit des einzelnen Bürgers begründet. 126 Denn jeder habe sich selbst zu schützen gegen leicht abzuwehrende Betrügereien, die man schon mit normalen Geisteskräften zurückweisen könne, auch wenn man diese einmal etwas mehr als gewöhnlich anstrengen müsse. 127 Nach dem Subsidiaritätsprinzip setze der Anspruch auf eine staatliche Strafverfolgung voraus, daß der einzelne sich nicht mehr selbst schützen könne oder trotz möglicher Anstrengung der Raffinesse des Täters unterliege. Wer sich durch Leichtgläubigkeit oder Fahrlässigkeit habe überlisten oder täuschen lassen, könne deshalb nicht von der Obrigkeit verlangen, daß diese von Amts wegen einschreite. 128 Für derartige "alltägliche Fälle" müsse schon nach dem "allgemeinen rechtlichen Willen im Volke" die staatliche Strafgewalt nicht in Bewegung gesetzt werden. 129 Es wurde geradezu als große Zumutung gegenüber dem Staat empfunden, wenn dieser dem leichtsinnigen Betrugsopfer die Verfolgung des Täters abnehmen sollte. 130 Wer aus Trägheit nicht aufgepaßt habe, könne schließlich auch nicht zum Vorteil der eigenen Sorglosigkeit vom Gesetzgeber den Erlaß von Strafgesetzen verlangen. Begründet wurde diese ablehnende Haltung auch wiederum damit, daß der öffentliche Verkehr ins Stocken gerate, wenn jeder aufgrund der geltenden Rechtslage die ersichtlichen äußeren Merkmale der Wahrheit ängstlich und mißtrauisch überprüfen müßte. Gegenseitiges Zutrauen sei gerade die wesentliche Grundlage des gesamten öffentlichen menschlichen Verkehrs. Ohne ein gewisses Maß von Vertrauen auf die unter gewissen Umständen gegebenen Versicherungen oder wahrgenommenen Handlungen Dritter sei ein rascher, lebendiger und wohltätiger Verkehr überhaupt nicht möglich. 131 cc) Weitere Lösungsvorschläge
Abweichend von den anderen Rechtslehrem, die das Verhalten des Betrogenen zur restriktiven Handhabung des Tatbestandes heranziehen wollten, vertrat von Quistorp die Auffassung, daß die Tatsache, daß das Opfer den Schaden durch seine eigene Unvorsichtigkeit erlitten habe" einen Strafmilderungsgrund darstelle. 132 Während dieser Vorschlag damals nicht weiter aufgegriffen wurde, finden sich einige Stimmen dafür, den strafbaren Betrug nicht wie jedes andere Verbrechen von 126 127
Escher, S. 66, 246; Temme, Betrug, S. 56; v. Gönner, NArchCrim 7, 459, 468. Temme, Betrug, S. 56.
v. Gönner, NArchCrim 7,459,468; Escher, S. 66, 246. So Temme, Betrug, S. 56. 130 Escher, S. 66; vgl. dazu auch Ortloff, S. 194. 131 Aschbach, Annalen 16,30, 34; Temme, Betrug, S. 56. 132 Grundsätze des deutschen Peinlichen Rechts, 2. Band, 6. Auflage, Rostock, Leipzig, Schwerin 1812, § 415, S. 146. 128 129
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Amts wegen zu verfolgen, sondern die Strafverfolgung von einem Antrag des Betrogenen abhängig zu gestalten. 133 Dies habe den Vorzug, daß es gerade der Beurteilung des Opfers unterliege, ob man bei einem Geschäft nur benachteiligt oder doch in dem Maße geschädigt worden sei, daß man die "Mißlichkeit eines Criminalprocesses" auf sich nehmen wolle. 134 Die Pflicht der Polizei- und Kriminalbehörden, alle nur mutmaßlich widerrechtlichen Täuschungen von Amts wegen zu untersuchen, stelle eine immense, geradezu unmöglich zu erfüllende Last dar. Dies gelte um so mehr, wenn der Verletze überhaupt nicht klage und sich vielleicht nicht einmal betrogen glaube. Mit Ausnahme der qualifizierten Begehungsarten sei diese Verpflichtung deshalb gesetzlich aufzuheben, um sich so den im Zivilrecht geltenden Grundsatz "Wo kein Kläger, da ist kein Richter" anzunähern. 135 dd) Restriktiver BetrugsbegrijJ in Vertragsverhältnissen
Der Gesichtspunkt der Eigenverantwortung des einzelnen wurde besonders hervorgehoben in der Diskussion über die Berücksichtigung des Mitverschuldens im Rahmen von Vertragsverhältnissen. Dabei war man sich allerdings bewußt, daß eine exakte Grenzbestimmung des Betruges hier keinesfalls einfach war. 136 Deshalb ging v. Jagemann eher vorsichtig davon aus, daß die Strafverfolgung bei Betrügereien in Verträgen erst nach sorgfältiger Prüfung diverser Umstände, wie der ,,Natur der denunciirten Kunstgriffe, des Intelligenzverhältnisses zwischen Betrüger und Betrogenem, wie auch des wirklichen oder möglichen Schadenbetrages" eingeleitet und "im Zweifel" den Anträgen nicht stattgegeben werden sollten. 137 Geib stellte dagegen deutlicher heraus, daß bei Betrügereien in Verträgen jedermann auf Täuschungen des Vertragspartners gefaßt sein müsse, "solange diese Täuschungen nicht ungewöhnlich feiner und schwer zu durchschauender Art" seien. Gerade normale Warenanpreisungen müssen straflos bleiben, da jedermann mit der Unwahrheit solcher Aussagen zu rechnen und daher jede Täuschung seiner eigenen Leichtgläubigkeit zuzuschreiben habe. 138 Auch hier sei allerdings die Individualität des Betrogenen zu berücksichtigen. Andere Vertreter des Schrifttums sprachen sich ebenfalls für eine restriktive Handhabung des Betruges in Vertragsverhältnissen aus. So sollten Täuschungen bei der Eingehung von Verträgen nur in bestimmten Fällen bestraft werden, etwa wenn der Betrug mittels falscher Maße oder Gewichte verübt werde. Wer beab133 Aschbach, Annalen 16, 30, 39; v. Jagemann, ArchCrim N.F. 27, 206, 211; Escher; S. 59; vgl. auch Ortloff, S. 197. 134 So v. Jagemann, ArchCrim N.F. 27, 206, 211. 135 Escher; S. 59. 136 Mittermaier; Annalen 6, 1,24. 137 Ueber Fälschung und Betrug, ArchCrim N.F. 27, 206, 213; vgl. auch Ortloff, S. 197 f.; kritisch Köstlin, Civilrecht, S. 440 Fn. 1. 138 Ueber die Gränze zwischen civilrechtlichem und criminellem Betruge, ArchCrim N.F. 21, 195,206 f.
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sichtige, einen Vertrag abzuschließen, müsse wissen, daß hierbei den gegnerischen Versicherungen kein Wert beizumessen sei. Denn es liege in der Natur von Vertragsverhältnissen, daß sich jeder Kontrahent mit dem anderen in einer Konkurrenz befinde und versuche, den günstigsten Vorteil für sich zu gewinnen. Jeder Teilnehmer am Geschäftsleben müsse deshalb besondere Vorsicht walten lassen und alle ungewissen Umstände genau prüfen. Habe z. B. ein Käufer einer Ware dies unterlassen, könne allein deswegen keine Kriminalisierung des Verkäufers erfolgen. 139 Auch innerhalb eines bereits eingegangenen Vertragsverhältnisses stünden sich beide "Kämpfer" mit den "Waffen" des Spekulationsgeistes und der Klugheit gleichberechtigt gegenüber. Im Rahmen dieses "Wettkampfes" obliege es jedem selbst, die Vertrauenswürdigkeit des anderen zu überprüfen. l40 Die Verletzung bloßer Vertragspflichten sollte vor allem deshalb nicht strafrechtlich sanktioniert werden, um den Handelsverkehr nicht zum Erliegen zu bringen. 141 Darüber hinaus sei es unangebracht, dem Leichtsinn der Bürger durch das Strafrecht Vorschub zu leisten, indem sich der Betrogene zur Ausgleichung der von ihm versäumten oder hinausgeschobenen Vorsicht immer auf die Strafgerichtsbarkeit im Hintergrund verlassen könnte. 142
b) Kritik an einer Berücksichtigung des Mitverschuldens Eine andere Auffassung in der damaligen Rechtslehre wandte sich gegen eine Berücksichtigung des Mitverschuldens des Betrugsopfers und hielt jede Tauschungshandlung vom Betrugsbegriff erfaßt. Dies wurde zum einen schon damit begründet, daß eine Identität zwischen dem strafrechtlichem und dem Zivilbetrug bestehe, so daß sich jegliche Differenzierung verbiete. Gerade wegen der besonderen Gefahrlichkeit des Betruges seien rechtswidrige Lügen sowohl zivilrechtlich als auch strafrechtlich zu verfolgen. Daran ändere sich auch nichts angesichts eines etwaigen gesunden Volksempfindens bezüglich der Straflosigkeit bestimmter Tauschungen im gewöhnlichen Verkehr. Denn der Gesetzgeber dürfe solche Ansichten, sofern sie überhaupt klar feststellbar seien, nicht auch noch begünstigen. 143 Darüber hinaus könne eine besonders arglistige Tauschungshandlung nicht verlangt werden. Die Frage, ob die vom Betrogenen für wahr gehaltene Tatsache leicht oder schwer als Unwahrheit zu erkennen war, sei völlig unbedeutend. Dies gelte selbst dann, wenn die Tauschung so beschaffen sei, daß sie "gewiß nur bei einem höchst einfältigen und bis zur größten Schwäche gutmüthigen Menschen gelingen" könne, aber "einen nur einigermaßen verständigen Menschen" keineswegs 139 Vgl. Mittermaier; Annalen 6, 1,22 f.; Köstlin, Civilrecht, S. 408; Geib, ArchCrim N.F. 21, 195,203; Aschbach, Annalen 16,30,39. 140 Escher; S. 243. 141 Mittermaier; Annalen 6, 1,28; vgl. dazu Köstlin, Civilrecht, S. 379; Gryziecki, S. 150. 142 So v. Jagemann, ArchCrim N.F. 27, 206, 212; Mittermaier; Annalen 6, 1,23. 143 Klien, NArchCrim 1, 124, 141; Friedreich, Annalen 16,305,328.
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zu einer für ihn nachteiligen Handlung zu bestimmen vermöge. l44 Auch die "noch so handgreifliche Lüge" sei als strafbarer Betrug anzusehen, sofern "sie vom Belogenen wirklich geglaubt und er hierdurch in einem Irrtum über die Voraussetzungen seines HandeIns versetzt wurde".145 Schließlich widerspreche es den Prinzipien des Strafrechts, eine Straflosigkeit des Taters damit zu begründen, daß das Opfer seinen Schaden aufgrund der eigenen Unvorsichtigkeit erlitten habe. 146 Dabei könne insbesondere nicht die "gewöhnliche Vorsicht eines Menschen" als Maßstab für ein etwaiges Mitverschulden herangezogen werden. Anderenfalls würden gerade diejenigen Menschen schutzlos gestellt, "welche des Staats schutzes am würdigsten und bedürftigsten sind".147 Außerdem führe auch der noch so plumpe und damit an für sich wenig erfolgversprechende Betrugsversuch keinesfalls zu einer Änderung dessen verbrecherischer Natur. Vielmehr charakterisiere dies den Tater nur "als desto geflissentlicher und frecher" und damit strafwürdiger. 148
c) Zusammenfassung Zusammenfassend läßt sich festhalten, daß in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts der überwiegende Teil der Rechtslehre den strafbaren von dem bloß zivilrechtlich zu verfolgenden Betrug über das Erfordernis einer besonders qualifizierten Tauschungshandlung abzugrenzen versuchte. Eine Berücksichtigung des Mitverschuldens des Betrugsopfers wurde insbesondere auch im Hinblick auf die Eigenverantwortung des einzelnen Bürgers befürwortet. Dagegen lehnte nur ein kleiner Teil der Literatur die Forderung nach einer Qualifikation des Tauschungsmittels ab und verneinte jegliche Bedeutung des Opferverhaltens im Rahmen des Betrugstatbestandes.
11. Das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten von 1851
Im Jahre 1851 wurde das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten (PrStGB) erlassen, das die weiteren deutschen Strafgesetzbücher wesentlich beeinflußte. Besonders im Hinblick auf die Strafbarkeit des Betruges trat eine grundlegende Wende ein: Denn mit der Schaffung des § 241 PrStGB entstand ein allgemeiner Betrugstatbestand, der nunmehr unabhängig von den Fälschungsdelikten war und den Vermögensschutz in den Vordergrund stellte. 149
144 145
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Vgl. Karl Friedrich Günther, S. 8l. Karl Friedrich Günther, S. 82. So Friedreich, Annalen 16,305, 328. Friedreich, Annalen 16, 305, 327. Vgl. Friedreich, Annalen 16,305,329. Lackner, in LK, § 263 Rdnr. 3; vgl. dazu auch Naucke, Betrug, S. 69.
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1. Die Entstehungsgeschichte des § 241 PrStGB
Die Vorschrift des § 241 PrStGB wurde später mit nahezu unverändertem Wortlaut zum § 263 Abs. 1 des derzeitigen Strafgesetzbuches. Deshalb sind nachfolgend die wesentlichen Gedanken herauszustellen, die der Gesetzgebung zugrunde lagen. Die unübersichtliche Entstehungsgeschichte setzt sich zusammen aus einer bereits 1826 beginnenden Reihe vieler Beratungen und Entwürfe. Sie soll in dieser Arbeit nur insoweit wiedergegeben werden, als es das Thema erfordert. a) Der Ausgangsentwurfvon 1828 Beim Entwurf von 1828 ging man zunächst davon aus, daß nicht jede Täuschungshandlung eine Rechtsverletzung sein könne, da es kein besonderes Recht auf Wahrheit als "Angriffsobjekt" des Betruges gebe. Eine solche ,,Fiktion" sei dem "natürlichen Umfange des Rechts als einer vernünftig erzwingbaren Notwendigkeit zuwider". Die bloße Verursachung eines Irrtums sei kein Verbrechen, sondern lediglich ein Mittel zu dessen Begehung. 150 Auch sollte nicht jede durch Täuschung verursachte Vermögensverletzung für strafbar erklärt werden. Denn man vertrat die Ansicht, der Staat könne nicht alle Handlungen bestrafen, die eine Privatperson schädigen. 151 Jede Strafe sei ein Übel, zu dessen Anwendung der Staat erst dann berechtigt werde, wenn die Rechtssicherheit in erhöhtem Maße gefährdet sei und es ,,keine anderen Wege zur Verhütung und Genugtuung" gebe, wie etwa "gesetzliche Vermutungen" und "liberale Gewährung des Schadensersatzes".152 Die Gefahr eines derartigen, außerordentlich weiten Tatbestandes liege darin, daß dann "eine Vielzahl im gewöhnlichen Lebensverkehr vorkommender täuschender Handlungen zum Verbrechen gestempelt" würden. Die Masse der zu erwartenden Untersuchungen bewirke eine Bindung vieler Beamten, Störungen des "gemeinen Lebens" und eine zu häufige Anwendung der Strafe, so daß "zu viele Bürger mit dem Zeichen des Verbrechens belegt wären". 153 Dementsprechend enthielt der Entwurf von 1828 keine generelle Betrugsdefinition, sondern in Anlehnung an die französische Gesetzgebung 154 nur Strafdrohungen gegen einzelne Arten des Betruges, bei denen man den zivilrechtlichen Schadensersatz für nicht ausreichend hielt. Dazu zählte die Täuschung durch Mißbrauch 150 Vgl. dazu Motive zum Entwurf von 1828, S. 178 f. (abgedruckt bei Regge, Gesetzrevision, I. Abteilung, Band 2, Vaduz 1982); Goltdammer, S. 535 f.; Temme, Kritik, 2. Teil, S. 348 sowie die Zitate bei Beseler, S. 457 f. 151 Motive zum Entwurf von 1828, S. 182 f.; Kleinschrod, ArchCrim 2, 135, 140 f.; vgl. dazu auch Schütz, S. 164. 152 Vgl. die Zitate bei Beseler, S. 458; Goltdammer, S. 535. 153 Vgl. Motive zum Entwurf von 1828, S. 181. 154 Siehe oben unter I 1 b) aa); vgl. zudem Naucke, Betrug, S. 73 Fn. 22.
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der Religion, Benutzung des Aberglaubens, Fälschung und Mißbrauch von Schriften. 155
b) Ausdehnung der Betrugsstrafbarkeit bis zum Entwurf von 1836 Nur wenig später hielt man jedoch die Normierung spezieller Vorschriften nicht mehr für "ausreichend und erschöpfend", um zu einer "gerechten" Erfassung sämtlicher strafwürdiger Betrugstaten zu gelangen. Auch bei der Anwendung des französischen Rechts, das nur bestimmte Arten des Betruges für strafbar erklärte, hatte man Strafbarkeitslücken ausgemacht. Aus der Erfahrung mit dem ALR kannte man solche praktischen Schwierigkeiten nicht, so daß man sich wieder zu der Schaffung eines allgemeinen Betrugstatbestandes entschied. 156 Bei den notwendigen neuen Beratungen erachtete man es als schwierig, in Bezug auf das Merkmal der vorsätzlichen Täuschung die "unbedenklich als strafbar geltende Verschmitztheit und List" abzugrenzen von denjenigen Geschäften, die für den täglichen Verkehr wesensnotwendig seien und regelmäßig nicht einmal zivilrechtliehe Konsequenzen auslösten. 157 Zur Lösung dieses Problems könne der Gesetzgeber nur gewisse Anhaltspunkte aufstellen und müsse die Abgrenzung weitgehend dem vernünftigen Ermessen der Gerichte überlassen. Insofern genüge es, die Täuschungshandlung auf die arglistige Täuschung zu beschränken, um "anzudeuten, daß nicht jede Täuschung, nicht jede im gewöhnlichen Leben vorkommende unrichtige Empfehlung einer Sache als strafbarer Betrug betrachtet werden solle".158 In der Rechtsanwendung sollten also die Richter mit dem Merkmal der "Arglist" die Beschränkung des Betrugstatbestandes vornehmen. Trotzdem lautete Art. 395 des Entwurfes von 1830 schließlich: "Wer des Vorteils wegen durch vorsätzliche Veranlassung eines Irrtums jemanden zum Nachteile seines Rechts am Vermögen beschädigt, ist des Betruges schuldig". 159 Entgegen den nachvollziehbaren Beratungen wurde seltsamerweise nicht das Merkmal der Arglist, sondern der Begriff "vorsätzlich" in den endgültigen Entwurf aufgenommen. l60 Eine Beschränkung dieses allgemeinen Tatbestandes wurde aber insoweit vorgenommen, als daß nicht jede Rechtsverletzung ausreichte, sondern - wie im ALR - durch den Betrug das Vermögen des Getäuschten verletzt werden mußte. 161 Daneben wurde das Erfordernis eines Strafantrages vorgeschlagen, und Vgl. dazu Temme, Kritik, 2. Teil, S. 348. Motive zu dem revidirten Entwurf des Strafgesetzbuchs für die Preußischen Staaten, Berlin 1833, S. 320; Beseler; S. 458 f.; Temme, Kritik, 2. Teil, S. 348; siehe auch Schütz, S. 166 f. 157 So die Zitate bei Beseler; S. 458. 158 Vgl. die Zitate aus den Protokollen bei Beseler; S. 459. 159 Vgl. Beseler; S. 459. 160 Der Hintergrund dazu ist unbekannt, vgl. Naucke, Betrug, S. 75 Fn. 34. 161 Vgl. dazu Naucke, Betrug, S. 74 f. 155
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zwar gemäß § 396 parallel zum Diebstahl sowie nach § 397 auch für "Betrug bei Verträgen", sofern "der beabsichtigte Gewinn im Verhältnis zum Gegenstand des Vertrages beträchtlich" war. 162 Derartige ergänzende Strafbarkeitsvoraussetzungen wurden zwar auch in den Entwürfen von 1833 und 1836 beibehalten. 163 Ansonsten dehnten diese Empfehlungen aber die Strafbarkeit des Betruges noch weiter aus. Im Scheitelpunkt dieser Entwicklung stand der § 608 des Entwurfes von 1836, der auch die Verletzung "persönlicher Rechte" mit einbezog. l64 Begründet wurde dies mit der übereinstimmenden Geflihrlichkeit, wie sie sich etwa bei der Herbeiführung einer ehelichen Verbindung durch arglistige Täuschungen über Eigenschaften und Verhältnisse der Person zeige. 165
c) Beschränkung des Tatbestandes bis zur endgültigen Fassung Als Ausprägung einer dazu konträren Entwicklung versuchte die Gesetzgebungsarbeit nach 1836 vor allem, den bisherigen weiten Fassungen wieder vernünftige Schranken zu setzen. 166 aa) Entwurf von 1843 Die Immediat-Kommission von 1843 strich allerdings die Voraussetzung eines Antrages für die Strafbarkeit des Betruges bei Verträgen, da sie eine solche Ausnahmeregelung für unzulässig erachtete. 167 Auch enthielt der Entwurf von 1843 keine Einschränkung auf Vermögensverletzungen, sondern schützte gleichermaßen persönliche Rechte. Ebenfalls abgelehnt wurde der Vorschlag, die Bestrafung nur auf schriftlich verübte Täuschungen zu beschränken, da die "Geflihrlichkeit" einer Betrügerei regelmäßig nicht davon abhänge, ob sie schriftlich oder mündlich begangen werde. 168 Bei den Beratungen versuchte man vielmehr, eine Begrenzung des Betrugstatbestandes durch eine genaue Beschreibung der Täuschungshandlung zu erreichen, um eine uferlose Ausweitung zu vermeiden. 169 In Anlehnung an den Art. 405 Code penal, der nur die "manreuvres frauduleuses", also die besonders listigen Handlungen im Gegensatz zur bloßen Lüge unter Strafe stellte,17o wurden 162 Durch die zweite Modifikation sollten ,,kleinere Betrügereien" ganz ausgeschlossen werden, vgl. Goltdammer; S. 537. 163 Vgl. Goltdammer, S. 537. 164 Vgl. Naucke, Betrug, S. 76; Hirschberg, Vermögensbegriff, S. 265; den genauen Wortlaut zitiert Beseler, S. 459. 165 Goltdammer, S. 539, vgl. auch Beseler, S. 460. 166 So auch Ellmer, S. 66; Naucke, Betrug, S. 76. 167 Vgl. den Bericht von Goltdammer, S. 537 f.; diese unterbliebene Differenzierung mißbilligt Schwarze, ArchCrim 1843, 163, 164. 168 Vgl. Goltdammer, S. 537 f.; siehe auch Schütz, S. 175. 169 Vgl. Naucke, Betrug, S. 76 f.
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zunächst Fonnulierungen wie ,,List und Ränke" oder "List und Schlauheit" diskutiert, um dasselbe zum Ausdruck zu bringen wie das französische Recht. 171 Im Ergebnis verständigte man sich darauf, "dem richterlichem Ennessen eine gewisse Leitung" zu geben mit Hilfe des Merkmals "arglistig", so daß § 448 des Entwurfes wie folgt lautete: "Wer zum Nachteil der Rechte eines anderen, es mag dabei ein Vorteil beabsichtigt sein oder nicht, jemanden arglistigerweise in einen Irrtum versetzt und dadurch in Schaden bringt, begeht einen Betrug". 172 Diese vorgeschlagene Gesetzesfassung war starker Kritik ausgesetzt. Zum einen hatte man Bedenken wegen eines eventuell zu weiten Ennessensspielraums der Gerichte. 173 Außerdem wurde die Definition als unzweckmäßig und völlig ungenügend beanstandet. 174 Sie erkläre selbst solche Verletzungen für strafbar, die sogar die Zivilgerichte als nur unbedeutend und geringfügig erachteten. Dazu zählten insbesondere alle im Handel gewöhnlichen Vorspiegelungen, deren wahrer Wert bei einiger Vorsichtigkeit entdeckt werden könne, wie etwa "die von Leichtgläubigen erbetenen Deutungen von Träumen oder Karten". Kein anderes Gesetzbuch habe eine solche generelle Begriffsbestimmung gegeben, während sich doch die beschränkte Definition des Sächsischen StGB in der Praxis bewährt habe. 175 bb) Entwurf von 1845
Deshalb wurde nur wenig später auch der Entwurf von 1843 einer Revision unterzogen. Dabei war man sich schnell einig, statt des zu unbestimmten Merkmals der "Arglist" die Täuschungshandlung genauer zu umschreiben. 176 In § 280 des Entwurfes von 1845 wurde dann fonnuliert: "Wer vorsätzlich einen anderen dadurch Schaden zufügt, daß er ihn durch Vorbringen falscher oder durch Unterdrükken wahrer Tatsachen in Irrtum versetzt, begeht einen Betrug". 177 Die Täuschung mußte sich also nach dem Vorbild diverser Partikulargesetzgebungen 178 auf Tatsachen beziehen. Diese Einschränkung erfolgte, "damit allgemeine, anpreisende oder tadelnde Äußerungen, die mehr die Natur eines Urtheils haben, ausgeschlossen werden". 179 Siehe bereits oben unter I I b) aa). Goltdammer, S. 538; vgl. dazu auch Buschmann, S. 51; Schütz, S. 175; Ellmer, S. 66. 172 Schwarze, ArchCrim 1843, 163; vgl. dazu auch Kempermann, ZStW 57,126,133. 173 Vgl. den Bericht von Goltdammer, S. 538. 174 Schwarze, ArchCrim 1843, 163; vgl. auch Merkei, Abhandlungen 11, S. 313 sowie die Revision des Entwurfes des Strafgesetzbuches von 1843, Band 3, Berlin 1845, S. 33 f. 175 So Schwarze, ArchCrim 1843, 163, 165. 176 Vgl. Temme, Lehrbuch, S. 978 Fn. 2; Goltdammer, S. 538; Mittermaier; Annalen 6, 1, 26; Revision des Entwurfes von 1843, Band 3, S. 34; Buschmann, S. 51; Friedsam, S. 37; siehe auch Schwabacher; S. 43. 177 Vgl. Goltdammer, S. 538; Buschmann, S. 51. 178 Insbesondere die Strafgesetzbücher von Sachsen, Württemberg und Hessen; vgl. Beseler, S. 461. 170
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Der Betrug in Vertragsverhältnissen wurde auch hier nicht mehr speziell geregelt. Man hielt eine Sonderstellung dieser Fallgruppe für verfehlt. Eine Privilegierung sei sachlich nicht gerechtfertigt, da im täglichen Verkehr überall betrogen werde und der Vertrag nur eine Form des Verkehrs sei. Zudem bestehe die Gefahr einer unzulässigen Vermischung von Zivil- und Strafverfahren. Denn sofern der Strafrichter nicht jedesmal die rechtskräftige Entscheidung des Zivilprozesses abwarten könne, müsse er selbst über die Gültigkeit des Vertrages entscheiden. Dann aber sei es möglich, daß das spätere Zivilverfahren zu einem anderen Ergebnis komme und sich somit die - vielleicht sogar bereits vollstreckte - Strafe im nachhinein als unzulässig erweise. 180 In den Beratungen zum Entwurf von 1845 wurde ausdrücklich hervorgehoben, daß zur Erfüllung der Handlungsalternative "Unterdrücken von wahren Tatsachen" die Ausnutzung eines bereits bestehenden Irrtums nicht ausreichte, denn das "Unterdrücken" setze gerade eine Verhinderung der Erkenntnis der Wahrheit durch ein positives Tun voraus. 181 Außerdem gebe es keine rechtliche Verpflichtung, einen anderen vor der Eingehung eines für ihn nachteiligen Geschäfts zu warnen. Wer einen Schaden erleide als Folge eines Irrtums, an dessen Entstehung der andere Teil nicht mitgewirkt habe, müsse sich diesen deshalb selbst zuschreiben. Das Strafrecht dürfe den Betrugsbegriff wohl enger, nicht aber weiter als das Zivilrecht ausgestalten. Allein aufgrund einer derartigen Unterlassung könne deshalb auch niemand strafbar sein, wenn das Geschäft etwa wegen des Irrtums ungültig sei: ,,Der entgegengesetzte Grundsatz würde in Handel und Wandel ein unangemessenes Feld für strafbare Handlungen eröffnen".182 Im Mittelpunkt der kriminalpolitischen Diskussion stand also neben dem Kriterium des Verhältnisses zwischen Strafrecht und zivilrechtlichen Konsequenzen wiederum die Befürchtung, daß eine zu übertriebene Kriminalisierung menschlicher Verhaltensweisen eine Unzahl wegen Betruges vorbestrafter Bürger zur Folge haben könnte. 183 Ausweislich der überlieferten Materialien hat sich der Gesetzgeber des PrStGB mit der Streichung des Merkmals "arglistig" im Entwurf von 1845 zwar bewußt für den strafrechtlichen Schutz des leichtgläubigen Betrugsopfers entschieden. 184 Der Entschluß dazu beruhte aber nicht etwa auf Überlegungen bezüglich der Schutzwürdigkeit von Opfern, die auf plumpe Täuschungen hereinfallen. Vielmehr war man der Auffassung, solchen Betrogenen nur durch eine präzise Abgrenzung gegenüber arglistigen Täuschungen den strafrechtlichen Schutz des Betrugstatbestandes versagen zu können. Dies sei aber aufgrund der Unbestimmtheit des Merk179 Vgl. Beseler; S. 461; Goltdammer; S. 538; Revision des Entwurfes von 1843, Band 3, S. 34; siehe auch Hegler; Betrug, S. 420 f. 180 Goltdammer; S. 537; vgl. dazu auch Beseler; S. 462. 181 Revision des Entwurfes von 1843, Band 3, S. 34; Goltdammer; S. 539 rn. w. N. 182 Vgl. Beseler; S. 461; Goltdammer; S. 538 f. 183 Vgl. dazu auch Naucke, Betrug, S. 79. 184 Vgl. Goltdammer; S. 544 f.
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mals "Arglist" unmöglich, man könne lediglich durch die exakte Formulierung der Tauschungshandlung einfache Lügen als strafrechtlich irrelevant herausfiltern. 185 Letztendlich gaben also gesetzestechnische Erwägungen den entscheidenden Ausschlag für die Einbeziehung plumper Tauschungen. 186
ce) Entwurfvon 1847 Gegenüber dem Entwurf von 1845 änderte die Immediat-Kommission die Tauschungshandlung lediglich insofern ab, als daß sie alternativ zum "Vorbringen falscher" und "Unterdrücken wahrer" auch das ,,Entstellen wahrer Tatsachen" ergänzte. 187 In Anlehnung an das französische Recht, das im größten Teil der rheinischen Provinzen galt, wurde der Betrugstatbestand zudem ausschließlich auf Vermögensbeschädigungen beschränkt, wie schon im Entwurf von 1830. 188 Man hatte eingesehen, daß anderenfalls, insbesondere bei der Einbeziehung auch persönlicher Rechte, "der Begriff so allgemein werde, daß man die mannigfachsten und verschiedenartigsten Verbrechen, welche weder die bisherige Gesetzgebung noch die öffentliche Meinung unter Betrug susbsumirt hätten, darunter begreifen könne" .189 Überdies schloß man sich der französischen Auffassung an, wer einen anderen bloß in der Absicht, ihm zu schaden, in einen Irrtum versetze, könne sich nicht des Verbrechens des Betruges strafbar machen. Deshalb wurde das subjektive Merkmal der gewinnsüchtigen Absicht eingeführt, wie bereits schon einmal im Entwurf von 1833 geschehen. Nur ein derartiges ehrwidriges Verhalten könne die für einen Betrug angedrohten Ehrenstrafen rechtfertigen. 190
d) Die endgültige Fassung des § 241 PrStGB Der Entwurf von 1847 führte schließlich zur endgültigen Fassung des allgemeinen Betrugstatbestandes. Die Vorschrift des § 291 wurde unverändert in das StGB von 1851 übernommen, so daß nach § 241 des PrStGB wegen Betrug zu bestrafen war, "wer in gewinnsüchtiger Absicht das Vermögen eines anderen dadurch beschädigt, daß er durch Vorbringen falscher oder durch Entstellen oder Unterdrücken wahrer Tatsachen einen Irrtum erregt". 191
Revision des Entwurfes von 1843, Band 3, S. 34; Goltdammer, S. 538. So auch Kurth, S. 23; vgl. dazu Hillenkamp, Vorsatztat, S. 87; Amelung, GA 77, 1,9; Lackner, in LK, § 263 Rdnr. 80; siehe auch Schütz, S. 199. 187 Vgl. Goltdammer, S. 538; Schütz, S. 181; Buschmann, S. 51. 188 Siehe oben unter 11 1 b). 189 Vgl. die Zitate bei Goltdammer, S. 539; Beseler, S. 460 m. w. N. 190 Beseler, S. 460; Goltdammer, S. 541; vgl. auch Naucke, Betrug, S. 82. 191 Vgl. Bader, S. 14; Goltdammer, S. 532. 185
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Diese Ausgestaltung des Betrugsbegriffes ist letztendlich zu einem großen Teil auf den rheinischen Einfluß bei den Gesetzgebungsarbeiten zurückzuführen. Allerdings ging die Orientierung am französischen Begriff nicht so weit, daß man die Bestrafung auf einzelne Arten des Betruges wie in Art. 405 Code penal übernahm. Vielmehr wich man von der Vorstellung der französischen Gesetzgeber ab, die nur die "arglistigen Kunstgriffe" für strafbar hielten. Zwar wurde auch in Preußen überwiegend die Notwendigkeit erkannt, den Betrugsbegriff einzuschränken. Jedoch sollte diese Beschränkung allein mit Hilfe des Tatsachenbegriffs erfolgen, dem man im Gegensatz zu dem als unbestimmt angesehenen Merkmal der Arglist diese Funktion zutraute. 192 Als Ausdruck dieser Überzeugung erachtete man auch Sondervorschriften für Betrügereien in Vertragsverhältnissen als nicht mehr notwendig und gab erstmals deren Sonderstellung auf, während solche Regelungen in fast allen anderen Partikularstrafgesetzbüchern enthalten waren.
2. Die Meinung der Rechtslehre nach dem Erlaß des PrStGB
Als sich mit dem Inkrafttreten des PrStGB im Jahre 1851 der Betrugstatbestand grundlegend gewandelt hatte, zeichnete sich auch innerhalb der Diskussion über eine Berücksichtigung eines Mitverschuldens des Betrugsopfers ein Umschwung ab. Das ursprünglich schwache Lager der Gegner einer solchen Einbeziehung gewann allmählich die Oberhand.
a) Auflösung der einst herrschenden Ansicht Zwar ging man teilweise immer noch von einer grundsätzlichen Subsidiarität des Strafrechts aus. Dabei wurde vereinzelt der Vorrang des Zivilrechts im Bereich des Vermögensschutzes auch anband der zu schützenden Rechtsgüter bestimmt. Während es mehr dem Strafrecht vorbehalten sei, bei Verletzungen von Leben, Gesundheit, Freiheit und Ehre einzuschreiten, sah man die Sicherung vermögensrechtlicher Interessen als die originäre Aufgabe des Zivilrechts an. 193 Es gab auch noch Stimmen, die jedenfalls prinzipiell zwischen straf- und zivilrechtlichem Unrecht differenzierten. Restriktive Auffassungen wurden wiederum mit der Überlegung vertreten, daß "die für den Aufschwung der ganzen modemen Civilisation so unendlich wichtige Freiheit des Verkehrs in Frage steht, welche durch eine rigorose Ausdehnung der Strafbarkeit des Betruges über die durch die Vernunft gebotene Grenze hinaus in die unerträglichsten Fesseln geschlagen würde". 194 Es sei zu beVgl. Goltdammer, S. 542 f.; Schütz, S. 186 f.; Ellmer, S. 68 ff. So Merkel, Lehrbuch, S. 315; vgl. auch Ortloff, S. 413, der es zumindest rechtspolitisch für denkbar hielt, den Betrug als Antragsdelikt auszugestalten, sofern Verrnögensrechte betroffen seien. 194 Vgl. etwa Köstlin, Civilrecht, S. 396. 192 193
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denken, daß "bei einem und demselben Volke in gewissen Geschäften eine größere Wahrheitsentstellung zugelassen oder nachgesehen wird, als in anderen Verkehrsverhältnissen".195 Im Handelsverkehr könne keinesfalls jede Überlistung oder Übervorteilung als strafbarer Betrug angesehen werden. Vielmehr müsse man eben damit leben, daß der Wirtschaftsverkehr betrügerische Übervorteilungen mit sich bringe und könne deshalb den strafrechtlichen Betrug nicht gleichermaßen wie den zivilrechtlichen bestrafen. 196 Zu den ganz ausdrücklichen Befürwortern einer Berücksichtigung des Mitverschuldens gehörte allerdings - wie schon 1838 197 - nur noch Mittermaier, obwohl auch er in der Zwischenzeit an den verschiedenen Abgrenzungsvorschlägen die mangelnde Rechtssicherheit und Praxistauglichkeit kritisiert hatte. 198 Im Jahre 1858 äußerte er sich dann jedoch wieder ähnlich wie schon 20 Jahre zuvor. Er führte aus, das Wesen des strafbaren Betruges bestehe darin, "daß der Betrüger das bei dem Volke in dem Verkehre vorausgesetzte Maaß von Redlichkeit und Wahrhaftigkeit zum Behufe eines unrechtmäßigen Gewinns verletzt". Deshalb sei die Abgrenzung zwischen dem strafwürdigen Betrug und der straflosen Schlauheit richtigerweise so vorzunehmen, "daß überall, wo nur solche Vorspieglungen angewendet sind, auf deren Anwendung als allgemein bei Geschäften dieser Art bekannte Künste jeder verständige Mann gefaßt sein muß, und sich daher auch nicht durch sie bestimmen läßt, so wie überall, wo jemand in Folge schlauer Veranstaltungen des Gegners nur durch Unterlassung seiner Vorsicht getäuscht wird, welche jeder verständige Mann in Verhältnissen dieser Art anwendet, kein strafbarer Betrug eintritt".199 Außerdem schlug er vor, die prozessuale Behandlung von Betrügereien am besten der Beurteilung von Geschworenen zu überlassen. 2OO
b) Weitgehende Ablehnung einer restriktiven Betrugskonzeption Der ganz überwiegende Teil der rechtswissenschaftlichen Literatur wandte sich aber zunehmend gegen die Berücksichtigung eines etwaigen Mitverschuldens des Betrugsopfers. Dazu zählten mit Hälschner201 und Köstlin202 auch zwei namhafte Anhänger der Hegeischen Schule. 195 So Osenbrüggen, S. 101 f., der die durch Treu und Glauben gezogene Grenze der Vorteilssuche am weitesten im Pferdehandel zurückgeschoben hält. 196 Köstlin, Civilrecht, S. 408; Osenbrüggen, S. 101 f.; vgl. dazu auch Dohna, Zycha-FS, S. 469, 484 f. 197 Siehe oben unter I 2 b) aa). 198 In Feuerbach, S. 663 Note IV a.E. 199 Mittermaier, GerS 10, 122, 138 f.; kritisch hierzu Ortloff, S. 411 f.; Merkel, Abhandlungen 11, S. 325 f. 200 Mittermaier, GerS 10, 122, 138; vgl. auch Köstlin, Civilrecht, S. 381. 201 Die Beeinflussung durch Hegel zeigt sich besonders deutlich in seinem Werk "Das gemeine deutsche Strafrecht" (1881/1884); die Auffassung des Verbrechens als "einer aktiven
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aa) Keine Berücksichtigung im geltenden PrStGB
Zur Begründung wurde insbesondere auf das inzwischen erlassene PrStGB sowie seine Gesetzgebungsgeschichte hingewiesen. So lehnte man schon die Abgrenzung zwischen zivil- und strafrechtlichem Betrug verstärkt mit dem Argument ab, daß beide nunmehr als identisch anzusehen seien. Damit komme es auf das Erkenntnisvermögen oder die Aufmerksamkeit des Betrogenen nicht mehr an. Man betonte, daß der Betrugstatbestand des PrStGB hinsichtlich der Täuschungshandlung nur den Bezug auf Tatsachen voraussetze und somit auch eine einfache Täuschung ausreichend sei. 203 Der Gesetzeswortlaut verlange lediglich, daß die Täuschung für den Irrtum des Getäuschten ursächlich gewesen ist, so daß selbst das Behaupten undenkbarer Tatsachen eine strafbare Täuschungshandlung darstelle. 204 Auch Temme vertrat entgegen seiner früheren Aussage205 nunmehr die Ansicht, daß der strafbare Betrug keine "besondere Arglist" voraussetze. 206 Damit schloß er sich ebenfalls der vordringenden Auffassung an, daß die Täuschung nur so beschaffen sein müsse, daß sie für den Irrtum des Betrogenen ursächlich sein konnte. 207 Es wurde also bereits de lege lata nur noch auf das kausale Verhalten des Betrügers bezüglich der Irrtumserregung abgestellt, so daß der Frage der leichten Vermeidbarkeit des Irrtums schon insoweit keine strafrechtliche Relevanz mehr beigemessen wurde. bb) Einwände aus dogmatischer Sicht
Bei der strafrechtlichen Beurteilung von Betrügereien sollte das Verhalten des Opfers aber auch aus anderen Gründen keine Rolle spielen. So sei schon die UrBetätigung des Willens wider das Recht" reflektiert etwa Hegels These, das Verbrechen sei als "Negation des Rechts" und die Strafe als "Negation der Negation des Rechts" anzusehen (E. Schmidt, S. 301 f. m.N.); vgl. zu den Werken Hälschners auch v. Bubnoff, S. 77 ff. sowie v. Hippel, Strafrecht, S. 310, der hier bereits den Beginn der Abschwächung der "Hegelschen Herrschaft" sieht. 202 Freilich ist anzumerken, daß Köstlin nicht Hegels Dreiteilung des zivilen Unrechts, des Betruges und des Verbrechens (s. oben unter All) übernahm; vielmehr sprach er sich in Abhandlungen, S. 121 f.; Civilrecht, S. 299 Anm. 2 gegen das "Mittelglied" Betrug aus und teilte das Unrecht in die Formen des polizeilichen, zivilen und kriminellen Unrechts ein; kritisch dazu wiederum Hälschner; Preußisches Strafrecht, S. 366 f.; vgl. zum ganzen auch Kurth, S. 59. 203 Hälschner, Preußisches Strafrecht, S. 364 f., 371; Goltdammer, S. 543. 204 So Goltdammer; S. 545; enger verstanden von Köstlin, Civilrecht, S. 341 Fn. 3; vgl. auch Schwabacher, S. 48 Fn. 2 m. w. N. 205 Aus dem Jahre 1841, bezogen auf das Preußische Allgemeine Landrecht; vgl. oben unter I 2 a). 206 Temme, Lehrbuch, S. 978. 207 So namentlich Hälschner; Preußisches Strafrecht, S. 364; Oppenhoff, PrStGB, § 241 Note 49; Gryziecki, S. 65 ff.; siehe auch Zimmermann, GerS 29 (1878), 120, 129.
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sache des Vermögens schadens nicht die Unachtsamkeit des Irrenden an sich, sondern liege in der arglistigen Einwirkung, die durch die Leichtgläubigkeit nur erleichtert worden sei. 208 Der ,,Dolus" des Betrügers brauche dabei keinen "Charakter einer besonders gefährlichen Schlauheit, Planmäßigkeit und höher potenzierten Raffinität zu haben", zumal dies nur schwer konkret zu bestimmen sei. 209 Köstlin hielt es für "sehr verkehrt, die Größe des dolus prinzipiell nach dem Grad der Intelligenz des Verletzten zu messen". Durch eine solche Berücksichtigung der Leichtgläubigkeit erleichtere man es dem Verteidiger im Strafverfahren, bei den "schnödesten Prellereien", vor allem in den Fällen des Mißbrauchs des Aberglaubens, "den Angeklagten durch die Ausmalung der culpa seines Opfers weiß zu brennen". Letztendlich würde also jeder Betrüger versuchen, auf Kosten des Betrogenen den angewandten Trick als besonders plump darzustellen?lO Auch ein Dieb könne sich weder im Zivil- noch im Strafverfahren damit entschuldigen, daß der Bestohlene dem Täter die Arbeit erleichtert habe durch die eigene Zerstreutheit oder eine sorglose Verwahrung der entwendeten Sachen. 211 Dementsprechend dürfe es auch beim Betrug keine Rolle spielen, ob das Opfer dem Täter die Arbeit durch seine Nachlässigkeit erleichtert habe. 212 Der erlittene Schaden sei zwar dem Verschulden des Betrogenen zuzuschreiben, sofern er auf einem leicht zu vermeidenden Irrtum oder der Unterlassung der möglichen Vorsicht bei Anwendung "gewöhnlicher Klugheit" beruhe. Diese culpa des Getäuschten sei aber insoweit irrelevant, als daß sie den dolus des Betrügers nicht aufwiegen könne, da der Nachlässigkeit des Betrugsopfers keine rechtliche Bedeutung zukomme. 213 Den Gedanken einer solchen Kompensation bezeichnete Merkel als "kriminalpolitisches Unding".214 Er unterstrich die Schutzbedürftigkeit des Betrogenen mit folgender häufig zitierter Feststellung: "Weder für das Strafrecht noch für das Zivilrecht gilt der Grundsatz, daß der dolus des Verletzenden durch die Culpa des Verletzten purgirt werde".215 Gryziecki hielt daher die Bestrebungen für "unstatthaft und absurd", den vorhandenen Dolus des Betrügers nur deshalb völlig zu ignorieren, als daß ihm eine "nicht das Niveau des Gewöhnlichen erreichende Intelligenz und Aufmerksamkeit auf Seite des passiven Subjekts der rechtsverletzenden Handlung gegenübersteht".216 Ortloff, S. 413; Köstlin, Civilrecht, S. 396. Gryziecki, S. 125 ff., 127. 210 Köstlin, Civilrecht, S. 406. 211 So Köstlin, Civilrecht, S. 408; zust. Friedreich, Annalen 16, 305, 328 f.; vgl. auch Merkei, Abhandlungen 11, S. 314. 212 Merkei, Abhandlungen 11, S. 261. 213 Gryziecki, S. 70, 86, 180; Merkei, Abhandlungen II, S. 261. 214 So in Abhandlungen 11, S. 265. 215 Merkei, Abhandlungen 11, S. 261; vgl. dazu Binding, BT 1, § 85, S. 350 Fn. 1; Friedsam, S. 40; Hegler, S. 529 Anm. 2; Arzt/Weber, Lehrbuch, § 20 Rdnr. 4; ders., MSchrKrim 67 (1984), S. 105, 106; Hillenkamp, Vorsatztat, S. 41. 216 Studien über den strafbaren Betrug, Lemberg 1870, S. 69 f. 208
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Zudem erweise sich die Annahme einer Fahrlässigkeit beim Getäuschten, die den Verlust verdient erscheinen lassen mag, oft als "Fiktion".217 Abgesehen davon wurde außerdem zu bedenken gegeben, daß die Justiz jeweils psychologisch untersuchen müsse, wie sich die allgemeine Intelligenz zu der im Einzelfall an den Tag gelegten verhalte. Dies stelle eine äußerst schwierige und unzumutbare Anforderung an die Rechtspflege dar, die sich darüber hinaus schon im Interesse der Freiheit des Verkehrs besser zurückhalten sollte. 218 Außerdem sei ein Betrüger, der eine leicht durchschaubare Täuschung verübe, um so schamloser anzusehen, so daß das "nach den Grundsätzen der Gerechtigkeit unzweifelhaft Strafbare'" auch nicht durch kriminalpolitische Überlegungen eingeschränkt werden könne. 219 Insbesondere betonte man aber die Notwendigkeit, die Opfer von Betrügereien zu schützen. Daher sei jeder Betrug zu bestrafen, unabhängig davon, ob er klug oder ungeschickt ausgeführt worden sei. Die Nachlässigkeit, Leichtgläubigkeit oder Unvorsichtigkeit von Betrugsopfern könne und dürfe keinen Freibrief für die ungestrafte Ausnutzung dieser Umstände darstellen. 22o Der Staat habe den beschränkten oder leichtgläubigen Bürger vor Rechtsverletzungen zu wahren221 ; vor allem bedürften aber Geisteskranke, Minderjährige oder sonstige Personen, denen es an Umsicht und Klugheit generell mangele, eines verstärkten strafrechtlichen Schutzes. 222 Durch das Erfordernis eines besonders qualifizierten Täuschungsmittels würden damit oft diejenigen schutzlos, die gerade auf den kriminalrechtlichen Schutz angewiesen seien. 223 Auch die Möglichkeit einer Berücksichtigung des Mitverschuldens auf der Rechtsfolgenseite bei einer "vorzüglichen Unvorsichtigkeit und Unklugheit des Betrogenen" wurde verworfen, da die Betrugshandlung als solche immer dieselbe bleibe. An dem Vorschlag, die Strafe des Betrügers aufgrund des Verhalten des Betrogenen zu mildem, wurde außerdem kritisiert, daß dies "ungeschickt" sei und dadurch der Willkür die Tür geöffnet werde. 224 ce) Kritik an einer Privilegierung des Betruges in Vertragsverhältnissen
Der Wandel in der rechtswissenschaftlichen Literatur erstreckte sich auch auf die Frage einer gesonderten Behandlung von Betrügereien bei der Eingehung und Durchführung von Verträgen. Man hielt die besondere Hervorhebung und damit verbundene Privilegierung des Betruges in Vertragsverhältnissen für überflüssig 217 218 219 220 221
222 223
224
Merkel, Abhandlungen 11, S. 263. Merkel, Abhandlungen 11, S. 264 f. Gryziecki, S. 70. Ortloff, S. 413; Gryziecki, S. 70. Gryziecki, S. 70. Ortloff, S. 414. Gryziecki, S. 181. So Köstlin, Abhandlungen, S. 168; vgl. auch schon Tittmann, S. 525.
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und ungerecht, so daß es im PrStGB einer speziellen Bestimmung über die Eingehung und Vollziehung von Verträgen überhaupt nicht bedürfe. 225 Andere empfanden schon die Abgrenzung zum Betrug außerhalb von Vertragsverhältnissen als unfruchtbar?26 Teilweise wurde hier zwar immer noch eine Straflosigkeit befürwortet. Allerdings wurden dann gleichzeitig viele Ausnahmen zugelassen, so etwa "wenn der Thäter bei Vornahme der Tauschung nicht bloß einfach auf die Unaufmerksamkeit des Andern speculirt, sondern wenn er sogleich darauf ausgeht, dessen Aufmerksamkeit von vom herein zu lähmen und wirkungslos zu machen, indem er sich der Fälschung als Mittels der Tauschung bedient". Ebenfalls liege ausnahmsweise dann strafbarer Betrug vor, "wenn die Tauschung gerade solche Eigenschaften der Person oder der Sache betrifft, die ausdrücklich zur Bedingung des Geschäfts gemacht worden sind". Hier ziele der Tater ebenfalls nicht mehr auf die Unaufmerksamkeit, sondern auf die Arglosigkeit des Vertragspartners ab. 227
c) Restriktive Bemühungen innerhalb der herrschenden Ansicht Ergänzend zu der bisher dargestellten Entwicklung in der Literatur bleibt aber noch zu erwähnen, daß auch Gegner einer Berücksichtigung des Mitverschuldens des Opfers außerhalb der offen geführten Diskussion diesem Gesichtspunkt durchaus Bedeutung zukommen ließen. aa) Bezugspunkt der Tiiuschung
Dies erfolgte insbesondere im Zusammenhang mit den Bemühungen um eine restriktive Auslegung des Begriffs der Tatsache, auf die sich die Tauschung beziehen mußte. Man war der Auffassung, daß die Kundgabe von Ansichten und Meinungen streng von tatsächlichen Behauptungen abzugrenzen sei. Wer sich von solchen Äußerungen bestimmen lasse, von denen er wisse, daß "Ihnen der Andere nur den Werth einer subjectiven Ueberzeugung beilegt", könne nicht als Betrogener im Sinne des Strafrechts gelten. Auch wenn der Erklärende beabsichtige, durch unwahre Meinungsäußerungen den anderen zu beeinflussen, bleibe dessen Wille vollkommen frei, sofern nur nicht die für seine Schlußfolgerung entscheidenden Tatsachen verfalscht worden seien. Falls sich jemand trotzdem zu einer Selbstschädigung habe verleiten lassen, müsse dies der Handelnde selbst verantworten?28 Dementsprechend könne etwa der häufige Fall, daß sich ,,Jemand durch schwindelhafte Vorspiegelungen über die mögliche und zu erwartende Rentabilität eines geschäftlichen Unternehmens zur Teilnahme an demselben bestimmen läßt", solange 225 226 227 228
Gryziecki, S. 143 ff.; vgl. auch Ortloff, S. 413.
Merkel, Abhandlungen 11, S. 338.
Köstlin, Civilrecht, S. 436 f. Hälschner; Preußisches Strafrecht, S. 360 f.
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nicht als Betrug angesehen werden, als sich die Wahrheitsentstellung nicht zugleich auf die relevanten Tatsachen beziehe. 229 Außerdem sollten zu unbestimmte Äußerungen, wie etwa allgemeine Versicherungen, Anpreisungen, Übertreibungen oder allgemein gehaltene Redensarten nicht vom strafrechtlichen Tatsachenbegriff erfaßt werden. 23o Schon aufgrund ihrer Allgemeinheit seien derartige Behauptungen so relativ und unbestimmt, daß dadurch niemand betrogen werden könne. Denn jedenfalls nach der am Orte allgemeinen Sitte müsse es jedermann bekannt sein, daß man sich auf solche alltägliche Formeln des geschäftlichen Verkehrs nicht verlassen dürfe?31 Bei Täuschungen in Vertragsverhältnissen liege die für den strafbaren Betrug notwendige "prinzipielle Negation des Rechts" nicht vor. 232 Gerade bei dem Abschluß von Kaufverträgen sei es allgemein bekannt, daß der Verkäufer seine Waren mit vielen Mitteln schön rede, so daß sich niemand dadurch täuschen lassen dürfe. Auch der Käufer versuche schließlich, den Preis herabzudrücken durch entsprechende gegenteilige Behauptungen, wie etwa daß er die Sache eigentlich gar nicht brauche oder anderswo billiger haben könne. 233 Ein Betrug komme daher nur in Betracht, wenn hinsichtlich der Waren ganz bestimmte und konkrete Eigenschaften behauptet würden. Verlasse sich der Käufer dagegen lediglich auf allgemeine Ausführungen, ohne durch Nachfragen den Verkäufer zu einer konkreten Aussage zu zwingen, handele er im höchsten Maße sorglos. Eine für den strafbaren Betrug relevante Täuschung könne dann nicht vorliegen. 234 Aus dieser Argumentation wird deutlich, daß eine restriktive Auslegung des Tatsachenbegriffs aus den Erwägungen der Vermeidbarkeit des Irrtums und der Eigenverantwortung des Opfers befürwortet wurde. Ein eventuell vorliegendes Mitverschulden des Betrugsopfers wurde also indirekt immer noch von vielen Rechtslehrern zu einer Einschränkung der Betrugsstrafbarkeit herangezogen, obwohl sich inzwischen sehr deutlich die Tendenz verstärkt hatte, diesen Umstand Gedenfalls) ausdrücklich nicht mehr zu berücksichtigen.
So Hälschner; Preußisches Strafrecht, S. 361. Vgl. OppenhojJ. PrStGB, § 241 Anm. 38; Temme, Lehrbuch, S. 978; Hälschner; Deutsches Strafrecht, S. 264. 23l So Köstlin, Civilrecht, S. 346 f.; ebenso schon Klien, NArchCrim 1, 124, 154 f.; vgl. auch den Bericht von Wallmann, S. 351 f. über die damalige Rechtsprechung. 232 So Köstlin, Civilrecht, S. 399 in unmittelbarer Anlehnung an Hegel (Grundlinien der Philosophie des Rechts, 1821, § 82); ähnlich Köstlin, Abhandlungen, S. 157; vgl. dazu auch E. Schmidt, S. 295 f. 233 Köstlin, Civilrecht, S. 346; vgl. dazu auch Temme, Betrug, S. 40 ff. 234 Vgl. Temme, Betrug, S. 38 ff.; OppenhojJ. PrStGB, § 241 Anm. 38. 229
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bb) Tciuschung durch Unterlassen
Der Gesichtspunkt der Eigenverantwortung des Opfers wurde daneben auch als Grund dafür angeführt, daß die Tauschung beim Betrug nur durch ein positives Handeln möglich sein sollte. Die überwiegende Meinung in der Strafrechtswissenschaft ließ nur ein aktives wahrheitswidriges Verhalten dem strafbaren Betruge unterfallen. Das bloße Verschweigen einer Tatsache oder die Benutzung des Irrtums eines anderen reiche dagegen nicht aus. 235 Dies wurde damit begründet, daß die Verwirklichung des Betrugstatbestandes durch ein Unterlassen schon falschlicherweise voraussetze, daß man zur Offenbarung verpflichtet sei und dementsprechend jedem einzelnen Bürger ein Recht auf Wahrheit zustehe. Es existiere aber überhaupt kein derartiges allgemeines Recht, dessen Verletzung auch noch strafrechtlich verfolgt werde. 236 Die Anerkennung einer solchen Strafbarkeit verlange von der Gemeinschaft etwas, "was gerechterweise nicht gefordert werden kann, weil Niemand verpflichtet ist, jedem Neugierigen oder unbescheidenen Frager zu antworten". Selbst einem Verkäufer könne es nicht zugemutet werden, dem Käufer alle geheimen Fehler des Kaufgegenstandes mitteilen zu müssen?37 Beim Betrug durch positives Tun beweise der Tater seinen bösen Vorsatz und täusche auch einen sehr vorsichtigen Menschen, während er bei einer Tauschung durch Unterlassen "nur schweigt, die plötzlich sich ihm aufdringende Gelegenheit benutzt, und zum Nachtheil einer Person handelt, die durch ihre Leichtgläubigkeit und Mangel an Vorsicht sich selbst täuscht".238 Auch im Rahmen dieser Diskussion wurde herausgestellt, daß sich die Auseinandersetzung zwischen Tater und Opfer als ein Wettkampf charakterisieren lasse. Gerade im Geschäftsverkehr als dem "natürlichen Kampfplatz der Intelligenz" sei eine Aufklärung aber alles andere als üblich. Sofern man die Verpflichtung des einzelnen befürworte, den anderen über alle relevanten Umstände sowie über deren richtige Beurteilung zu informieren, führe dies letztendlich zu einer unerwünschten Bevormundung des Geschäftsgegners. 239 Die Ausscheidung der Tauschung durch Unterlassen auch damit begründet, daß es in solchen Fällen am Kausalzusammenhang zwischen dem willens gesteuerten Taterverhalten und der schädigenden Handlung des Opfers fehle. Der Wille des Getäuschten werde weder widerrechtlich untergeordnet noch dienstbar gemacht. Vielmehr werde dem Irrenden 235 Oppenhoff, PrStGB, § 241 Anm. 43; Temme, Lehrbuch, S. 977; Ortloff, S. 467; Hälschner; Preußisches Strafrecht, S. 361; Bemer; Lehrbuch, 3. Aufl. 1866, S. 311 Anm. 2.; Escher; S. 161 ff.; Mittermaier; Annalen 6, I, 11 ff.; Geib, ArchCrim, N.F. 21, 195, 220 ff.; Merkel, Abhandlungen II, S. 138 ff.; differenzierend Köstlin, Civilrecht, S. 401 ff.; Klien, NArchCrim 1, 124, 156 ff.; vgl. dazu Buschmann, S. 48 sowie Naucke, Betrug, S. 87 ff. mit Nachweisen auf die Rechtsprechung. 236 Temme, Lehrbuch, S. 977 f.; Mittermaier; Annalen 6, I, 11 f. 237 So Mittermaier; Annalen 6, I, 11 f. 238 Mittermaier; Annalen 6, I, 14 f. 239 Vgl. Merkel, Abhandlungen II, S. 140 f.; Köstlin, Civilrecht, S. 402; Mittermaier; Annalen 6, I, 12 f.; a.A.: Feuerbach, § 411.
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die Erkenntnis der Wahrheit vollkommen frei gelassen, wenn auch der Täter vielleicht hoffe, daß der Andere in seinem Irrtum beharren werde?40 Aus diesen Gründen könne das rein passive Verhalten selbst in den Fällen nicht gestraft werden, in denen sogar eine rechtliche Pflicht zur Aufklärung bestünde?41 Eine Rechtspflicht zur Offenbarung der Wahrheit, deren Verletzung selbst bei fehlendem Kausalzusammenhang strafbar sei, wurde allerdings von der älteren Lehre gelegentlich angenommen. 242
d) Zusammenfassung In der rechtswissenschaftlichen Literatur ist nach dem Erlaß des PrStGB eine Kehrtwende festzustellen, bei der letztendlich alle angedachten Lösungsmöglichkeiten verworfen wurden. Entscheidend war nur noch der Kausalzusammenhang zwischen Täuschung und Irrtum. Dem Verhalten des Betrugsopfers wurde insofern keine Bedeutung mehr zugemessen. Allerdings zog man außerhalb der bewußten und ausdrücklichen Diskussion über die Berücksichtigung eines etwaigen Mitverschuldens diesen Gesichtspunkt bei anderen Bemühungen um eine Restriktion des Betrugstatbestandes weiterhin argumentativ heran.
3. Die Rechtsprechung des Preußischen Obertribunals Konsequenter stellte sich schließlich die Rechtsanwendung des § 241 PrStGB durch das Preußische Obertribunal dar. Schon in der Rechtsprechung zum PrALR von 1794 wurde das Kriterium einer besonderen Arglist regelmäßig nicht beachtet und nach § 1256 ALR jede Veranlassung eines Irrtums bestraft, durch die eine Rechtsverletzung herbeigeführt wurde. Dazu zählten sogar Fälle, die nach dem Willen des Gesetzgebers an für sich straflos bleiben sollten?43 Nach dem Erlaß des PrStGB im Jahre 1851 schloß sich die Rechtsprechung zum strafbaren Betrug der damals herrschenden Auffassung innerhalb des rechtswissenschaftlichen Schrifttums an und sprach sich ausdrücklich gegen eine besondere Qualifikation der täuschenden Handlung aus. Denn es sei nicht entscheidend "ob der Irrthum, in welchen der Betrogene durch den Angeklagten versetzt worden, ein mehr oder minder leicht vermeidlicher war und ob sich der Thäter zur Erregung desselben eines Mittels bedient, durch welches sich der Betrogene bei richtiger 240 Hälschner, Preußisches Strafrecht, S. 361; ähnlich Geib, ArchCrim N.F. 21, 195, 220 ff.; vgl. speziell zu Hälschners Erwägungen bezüglich der Unterlassungsproblematik v. Bubnoff, S. 86 f. 241 Köstlin, Civilrecht, S. 402; Merkel, Abhandlungen 11, S. 138, und in HoltzendorffHandbuch, Band III, S. 752; vgl. dazu Buschmann, S. 48. 242 So etwa Henke, S. 8 ff.; Bauer, S. 385 f.; vgl. dazu Buschmann, S. 48. 243 Vgl. Temme, Betrug, S. 59; Goltdammer, S. 534 Fn. I; Kurth, S. 80.
III. Fortentwicklung ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts
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Würdigung der Sache nicht hätte täuschen lassen sollen". Vielmehr genüge es, daß "das angewendete Mittel den von dem Angeklagten beabsichtigten Erfolg der Irrturnserregung gehabt hat". 244 Das preußische Obertribunal stellte also bei der Anwendung des § 241 PrStGB allein auf die kausale Verursachung der vom Opfer vorgenommenen Vermögensschädigung durch den bei ihm hervorgerufenen Irrtum ab?45 Begründet wurde dies regelmäßig mit dem knappen Hinweis darauf, daß die Unvermeidlichkeit des Irrtums nicht zum tatbestandlichen Begriff des Betruges gehört. 246 Daneben setzte sich das Preußische Obertribunal im Jahre 1864 erstmals mit dem Intensitätsgrad der Vorstellung des zu Tauschenden auseinander. Es stellte hierbei fest, daß es zur Annahme einer Irrtumserregung nicht genüge, wenn bei dem Anderen nur ein Zweifel hervorgerufen werde. Denn bei Zweifeln sei "nicht der irrtümliche Glaube ... die wirkende Ursache", sondern das Opfer nehme die schädigende Handlung nur deshalb vor, um diese "Zweifel zu lösen und ... die Wahrheit zu erkennen,,?47 Demnach fehle "ein durch den Angeklagten bewirkter Irrthum und der nach § 241 notwendige innere Kausalzusammenhang zwischen der Handlungsweise des Angeklagten und der Vermögens beschädigung des Empfangers".248
111. Fortentwicklung ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts
1. Das Bayerische Strafgesetzbuch von 1861 Im Königreich Bayern empfand man das StGB von 1813 als zu doktrinär und unpraktikabel. Schon wegen des Gegensatzes zwischen dem französischen Rechtsgebiet in der Pfalz und dem bayerischen Hauptgebiet mußte man sich mit Novellen begnügen, bis dann nach 1848 die politische Situation reif geworden war, die Forderung der Verfassungsurkunde von 1818 nach einem einheitlichen Strafrecht zu erfüllen. Aber erst im Jahre 1861 trat ein modemes, neu ausgearbeitetes StGB für das Königreich Bayern in Kraft, das eine erhebliche Verwandtschaft mit dem PrStGB von 1851 aufwies. 249 244 So PrOT, RO 13,568,571; vgl. dazu auch Wallmann, S. 349; Merkei, Abhandlungen 11, S. 314; OppenhojJ, PrStGB, § 241 Note 49 mit Nachweisen auf weitere Entscheidungen. 245 Vgl. PrOT, RO 7, 64, wonach dies sogar dann gelten sollte, wenn das angewandte Mittel an für sich überhaupt nicht zur Veranlassung einer Irrtumserregung geeignet gewesen ist; siehe auch PrOT, RO 9, 77, 78. 246 So PrOT, GA 2, 127; RO 1, 255, 256; 5, 538; 11, 213, 214; 12, 137, 139; vgl. dazu auch Wallmann, S. 349 sowie Hahn, § 263 Fn. 515 m. w. N. 247 PrOT, GA 5, 538, 541 f. = OT 13,446,447. 248 Im konkreten Fall hatte der Angeklagte an verschiedene Empfanger unaufgefordert Zigarrenkisten mit Postvorschuß versandt. 249 E. Schmidt, S. 321; Bader; S. 13; Schweisthal, S. 40; Schütz, S. 74; v. TIppelskirch, GA 12,233,234 m. w. N.
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Sein Art. 314 lautete: "Wer in der Absicht, sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vorteil zu verschaffen, mittels Vorspiegelung falscher oder mittels Unterdrückung wahrer Tatsachen oder mittels Anwendung arglistiger Kunstgriffe eine Täuschung hervorruft oder unterhält und dadurch jemanden an seinem Vermögen benachteiligt, macht sich des Betruges schuldig".25o Mit den Worten "oder mittels Anwendung arglistiger Kunstgriffe eine Täuschung hervorruft" sollte der gesetzgeberische Wille besser zum Ausdruck gebracht werden. 251 Man ging aber davon aus, daß die Feststellung der Arglistigkeit jedenfalls beim vollendeten Betrug nicht davon abhängig sein könne, ob das täuschende Täterverhalten überhaupt notwendig bzw. leicht zu durchschauen sei oder ob es möglich gewesen wäre, durch die angewendeten Täuschungsmittel "auch einen vorsichtigen und erfahrenen Menschen zu täuschen".252 Vielmehr genüge es, wenn die Täuschung - wenn auch mit noch so unvollkommenen Mittel- gewollt und auch tatsächlich bewirkt werde. 253 Schon im Gesetzeswortlaut lasse sich kein Anhaltspunkt für eine derartige Betrachtungsweise finden. Außerdem dürften Unvorsichtige oder Unerfahrene nicht straflos betrogen werden. Sofern dagegen bei nicht erfolgreichen Täuschungen nach einer Gesamtwürdigung aller Fallumstände anzunehmen sei, daß die angewendeten Täuschungsmittel bei einem unerfahrenen, unvorsichtigen oder abergläubischen Menschen wohl kaum zu einem Irrtum führen könnten, sei wegen der Untauglichkeit der Mittel nicht einmal ein strafbarer Versuch gegeben. 254 Betrug sei auch keinesfalls dann ausgeschlossen, wenn die Täuschung nicht allein bestimmend war, sondern noch andere Motive, wie etwa Mitleid oder Gewinnsucht mitursächlich waren. 255 Im Gegensatz zum Bayerischen StGB von 1813 wurde schließlich auf eine Regelung von Betrügereien bei Verträgen verzichtet. 256
2. Vom Strafgesetzbuch für den Norddeutschen Bund zum RStGB Nachdem sich Preußen 1866 mit den übrigen norddeutschen Staaten zum Norddeutschen Bund zusammengeschlossen hatte, diente das PrStGB von 1851 als Vorlage für das neu geschaffene Strafgesetzbuch des Norddeutschen Bundes von 1870, das dann ein Jahr später mit lediglich redaktionellen Änderungen als Reichsstrafgesetzbuch (RStGB) verkündet worden ist. 257 250 Vgl. Merkei, Abhandlungen 11, S. 52; ähnliche Tathand1ung in Art. 189 des Hamburgisehen StGB, vgl. Hegler, S. 413 f. Anm. 6. 251 Mittermaier, GerS 10, 122, 137; Weis, S. 205 f.; vgl. auch Ortloff, S. 409; kritisch v. Tzppelskirch, GA 13, 3, 7. 252 Weis, S. 208. 253 Stenglein, Commentar, 2. Theil, S. 459 mit Hinweis auf Urteil des Obertribunals v. 12. 10. 1853, GA 2, 127; Oppenhoff, PrStGB, § 241 Anm. 49. 254 Weis, S. 208. 255 Stenglein, Commentar, 2. Theil, S. 459. 256 Mittermaier, GerS 10, 122, 137 f.; vgl. auch Ortloff, Betrug, S. 487.
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Dabei wurde der Betrugstatbestand jeweils nicht weiter erörtert, vielmehr verwies man in den Motiven sogar ausdrücklich auf die Gesetzgebungsgeschichte des § 241 PrStGB. 258 Bei der Formulierung von § 263 des StGB für den Norddeutschen Bund wurde die Betrugsbestimmung des PrStGB nur insoweit inhaltlich weiterentwickelt, als daß anders als bei § 241 PrStGB die Absicht des Taters genügte, einen Dritten zu bereichern und man das Unterhalten eines Irrtums als zusätzliche Handlungsalternative ergänzte. 259 Diese Vorschrift wurde unverändert in das RStGB von 1871 übernommen und existiert in der identischen Form als unser heutiger § 263 StGB. Da keine andere Motivierung ersichtlich ist, ist davon auszugehen, daß das RStGB mit den Formulierungen des PrStGB auch die Entscheidung des preußischen Gesetzgebers für den strafrechtlichen Schutz des leichtgläubigen Betrugsopfers übernommen hat. 260 Allerdings ist hier erneut darauf hinzuweisen, daß vor dem Hintergrund des als zu unbestimmt empfundenen Arglistmerkmals plumpe Tauschungen aus gesetzestechnischen Erwägungen in den strafrechtlichen Bereich einbezogen wurden.
3. Die Meinung der Rechtslehre bis 1945 Auch nach dem Erlaß des RStGB von 1871 setzte sich in der Rechtslehre die Entwicklung fort, im Hinblick auf eine etwaige Leichtgläubigkeit oder ein sonstiges Mitverschulden des Betrugsopfers ausschließlich auf den Kausalzusammenhang im Sinne der Äquivalenztheorie zwischen der Tauschung und dem Irrtum abzustellen.
a) Vereinzelte Befürworter einer tatbestandlichen Beriicksichtigung Zu den nur noch sehr vereinzelten Stimmen, die dem Mitverschulden des Opfers eine zentrale Bedeutung innerhalb des Betrugstatbestandes zumessen wollten und eine qualifizierte Tauschung forderten gehörte etwa Friedsam. Er erachtete eine Tauschung erst dann als rechtswidrig und damit strafbar bei der Anwendung von Mitteln, gegen die "auch der Vorsichtige und der normale Verständige sich deshalb nicht schützen kann, weil ein gewisses Maß von gegenseitigem Vertrauen und Glauben ... im wechselseitigen Verkehr unentbehrlich" sei?61 257 Hegler; S. 418; Hahn, § 263 Fn. 510; Hirschberg, S. 268; Reese, S. 13; Lackner; in LK, § 263 Rdnr. 3. 258 Vgl. dazu Naucke, Betrug, S. 97 ff. m. w. N. 259 Vgl. Hahn, § 263 Fn. 510; Bader; S. 15; Hirschberg, S. 269. 260 So auch Hillenkamp, Vorsatztat, S. 87; Lackner; in LK, § 263 Rdnr. 80; Kurth, S. 24; Amelung, GA 1977, 1,9. 261 Der Begriff der Thatsache im § 263 des Reichsstrafgesetzbuches, Diss. Erlangen, München 1893, S. 33 f.
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Auch andere ließen nicht jede bloße bewußt unwahre Behauptung genügen, sondern forderten darüber hinaus eine Vorspiegelung, die sich dadurch auszeichnet, daß das falsche Vorgeben durch irgendwelche Veranstaltungen bekräftigt wird. Dafür sollte es aber schon ausreichen, wenn die Erklärung wiederholt, bestätigt oder ausgeschmückt wird. 262 Schütze wollte dagegen den Ursachenzusammenhang verneinen, wenn statt der Täuschung lediglich die eigene Schuld oder Leichtgläubigkeit des Getäuschten den Irrtum und letztlich den Schaden bewirkt hat. 263 Zur Begründung wurde angeführt, daß ein Schutz der "Einfältigen, Leichtgläubigen, Leichtsinnigen, unter dem Niveau der allgemein im Volke herrschenden Verstandesreife Stehenden" gegen Betrügereien nicht möglich, aber auch nicht erforderlich sei. 264 Die große Masse des Volkes wurde zudem als "außerordentlich töricht" und vor allem unempfänglich im Hinblick auf erzieherische Maßnahmen zur Bekämpfung der Leichtgläubigkeit sowie des Aberglaubens erachtet. Klug werde sie nur durch den Schaden: "Das einzige und beste Mittel gegen den an Strafbarkeit grenzenden Leichtsinn des Volkes" sei nach wie vor "die Selbstschädigung, das sprichwörtlich gewordene "teure Lehrgeld", das die Dummen stets und überall zu zahlen haben".265 Aber selbst dieses Mittel helfe leider nicht immer, da manche Betrugsopfer trotz einschlägiger Erfahrungen auch weiterhin besonders plumpen Täuschungen erlägen. Sofern der Getäuschte aber die "einfachsten Gebote des Selbstschutzes und der Vorsicht trotz Warnung außer Acht lasse", verdiene er kaum den "weitgehendsten Schutz und zwar immer ganz auf Kosten des verleiteten, gereizten Übeltäters".266 Er habe vielmehr einer möglichen Rechtsgutverletzung vorzubeugen und könne nicht einfach den Ausgleich des entstandenen Unrechts dem Strafrecht auferlegen. Der Strafzwang dürfe nur bei absoluter Erforderlichkeit eingreifen, so daß die Anwendung des insofern subsidiären Strafrechts restriktiv zu handhaben sei?67
b) Weitgehende Ablehnung einer Beriicksichtigung im Tatbestand Demgegenüber entsprach es nunmehr der ganz herrschenden Ansicht, daß eine tatbestandliehe Beriicksichtigung eines etwaigen Mitverschuldens des Getäuschten abzulehnen sei.
KohleT; S. 130; Wachenfeld, S. 406; vgl. dazu auch Dohna, Zycha-FS, S. 469, 484. Schütze, Lehrbuch des Deutschen Strafrechts, 2. Auflage, Leipzig 1874, S. 472 Fn. 10. 264 Friedsam, S. 33; vgl. dazu Gross, S. 65. 265 Schneickert, Archiv Kriminalistik 18 (1905), 193 f.; so auch schon Aschbach, Annalen 16,30,35. 266 Schneickert, Archiv Kriminalistik 18 (1905),193,211. 267 Vgl. Friedsam, S. 33 f. 262 263
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aa) wuschungshandlung Eine "besondere Arglist,,268 oder eine sonstige Qualifikation der Täuschungshandlung könne nicht verlangt werden. Das Gesetz enthalte keine derartige Beschränkung, so daß es bei § 263 StGB völlig irrelevant sein müsse, "ob die Täuschung eine recht plumpe, bei Vorsicht leicht zu vermeidende war oder nicht".269 Ebenso sei die Einwendung gleichgültig, ob sich andere Personen durch dasselbe Vorbringen täuschen lassen würden. 27o Vielmehr sei allein auf den Kausalzusammenhang zwischen der Täuschungshandlung und dem Irrtum abzustellen. Dieser werde aber auch durch eine "mitunterlaufende Fahrlässigkeit" des Betrugsopfers nicht unterbrochen. 271 Selbst wenn sich "der Streich später noch so simpel und auf der Hand liegend" darstelle, werde es gerade durch den Erfolg der Täuschung hinlänglich dokumentiert, daß die angewendeten Täuschungsmittel ausgereicht haben. Im Prinzip reiche deshalb schon diejenige List für den strafbaren Betrug aus, die die Täuschung tatsächlich bewirkt habe; eine besonders raffinierte Vorgehensweise könne nicht verlangt werden?72 Gross gab zu bedenken, daß das Abstellen auf eine gewöhnliche Aufmerksamkeit in der Praxis völlig untauglich sei: "Das eine Mal lassen sich wirkliche Kenner durch die allerplumpesten Fälschungen irre führen, ein andermal wird die raffinierteste, alle Errungenschaften von Kunst und Wissenschaft ausnützende Fälschungsarbeit vom ersten besten, dem sie in die Hände fällt, sofort entdeckt".273 Teilweise wurde sogar unterstrichen, daß selbst völlig ungeeignete Vorspiegelungen ausreichend sein sollten, wenn sie nur im konkreten Fall dem Willen des Täters entsprechend eine Täuschung veranlaßten. 274 Dementsprechend sei es auch unbeachtlich, ob der Irrtum leicht vermeidbar gewesen war oder nicht, sofern er sich nur als Folge der Täuschung nachweisen lasse. 275
268 Mitunter wurde zwar von einer "arglistigen" Täuschungshandlung gesprochen. Durch diese Wendung wurde aber keine "besondere" Arglist gefordert, sondern "der Kürze wegen" die Vorspiegelung falscher oder Entstellung oder Unterdrückung wahrer Thatsachen bezeichnet; so ausdrücklich v. Liszt, § 138 II 1; vgl. auch Schwabacher; S. 49. 269 So Rommel, S. 36 unter Berufung auf die Rechtsprechung; vgl. auch Roxin, GerS 60 (1902),241,257 ff. 270 Schwarze, Konunentar, § 263 Bem. 20. 271 Roxin, GerS 60 (1902), 241, 257 ff.; Binding, BT-l, S. 350; v. Olshausen, § 263 N. 17; Frank, § 263 Anm. III a.E.; Gerland, S. 504; Gross, S. 72; Begier; S. 423 ff. m. w. N. 272 Gross, S. 66; Oppenhoff/ Delius, § 263 Note 49. 273 Der Raritätenbetrug, Berlin 1901, S. 70 f.; vgl. dazu auch Dohna, Zycha-FS, S. 469, 485 f. 274 So Rommel, S. 36; Oppenhoff/ Delius, § 263 Note 39; Frank, § 263 II, 1 b a.E.; vgl. auch Rüdorff, § 263 Note 6; Schwabacher; S. 48 Fn. 2 m. w. N.; als zu weitgehend empfand dies Zimmermann, GerS 29 (1878), 120, BI. 275 So Rommel, S. 63; vgl. auch Gerland, S. 504; Oppenhoff/ Delius, § 263 Note 58; Binding, BT 1, S. 350; Rüdorff, § 263 Note 6 m. w. N.
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Im Hinblick auf die dogmatische Begründung dieser Ablehnung einer besonderen Qualifikation des Tauschungsmittels ist festzustellen, daß sie in noch stärkerem Maße auf dem Argument fußte, im Ergebnis blieben gerade die Angriffe auf die geeignetsten Betrugsopfer, "die Leichtgläubigen", straflos. 276 Der Rechtsschutz des § 263 RStGB dürfe aber nicht nur dem vorsichtigeren und klügeren Teil der Staatsbürger zugute kommen, sondern auch der übrigen Masse, gerade den "vielleicht nur in einer Richtung minder Starken", da diese erfahrungsgemäß Betrügereien am meisten ausgesetzt seien. 277 Der Tater könne sich deshalb auch nicht "auf die übergroße Vertrauensseligkeit des Getäuschten zu seiner Entschuldigung berufen", auch wenn dieser einer ihm vielleicht zivilrechtlich obliegenden Pflicht zur Sorgfalt und Aufmerksamkeit nicht nachgekommen sei. 278 bb) Veifügung unter Zweifeln
Man wandte sich aber nicht nur gegen eine Einschränkung der Tauschungshandlung, sondern setzte sich auch - soweit ersichtlich - erstmals mit der Frage auseinander, ob ein betrugsrelevanter Irrtum auch dann vorliegt, wenn der Verfügende an den Angaben des Tauschenden zweifelt. Oppenhoff und Rommel kamen dabei übereinstimmend zu dem Schluß, daß es keineswegs erforderlich sei, daß der Getäuschte fest und unerschütterlich von der Wahrheit der behaupteten Tatsache überzeugt sei. Vielmehr komme es nur darauf an, ob die Angaben des Tauschenden bestimmenden Einfluß auf das Verhalten des Getäuschten hatten. 279 Rommel führte weiter aus, es genüge schon, daß der Getäuschte die behauptete Tatsache für wahrscheinlich wahr halte. Denn bei einer Verfügung unter Zweifeln gebe er gerade durch seine Handlungsweise zu erkennen, daß er die "vorgespiegelte Thatsache für wahrer hielt, als ihr Gegenteil" und genau diese Konstellation werde durch das Wort "wahrscheinlich" bezeichnet. 280 Auch im Rahmen der in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts geführten Diskussion zum Problemkreis des Prozeßbetruges wurde der Zweifel als vom Irrturnsbegriff erfaßt angesehen. Man war der Auffassung, daß die auf einer Tauschungshandlung beruhende Ungewißheit über die Wahrheit oder Unwahrheit einer Tatsache dem Irrtum dort gleichstehen müsse, wo sie die Grundlage einer Vermögensverfügung bilde, die bei Kenntnis der wahren Sachlage nicht erfolgt wäre. 276 277 278
Vgl. Hegler; S. 528 f. Rommel, S. 36. So Rommel, S. 63.
279 Oppenhoffl Delius bereits in der 4. Auflage, Berlin 1872, § 263 Anm. 57; Rommel, Der Betrug, Strafrechtliche Studie unter vollständiger Berücksichtigung der einschlägigen Rechtsprechung des Reichsgerichts, Leipzig 1894, S. 62; beide weisen auf PrOT, RdO 9, 347 f. und 10, 233 hin, wonach der Tatbestand des Betruges nicht dadurch ausgeschlossen sein soll, daß der Getäuschte bei einem Vertragsabschluß die Möglichkeit einer Täuschung vorhergesehen und sich für diesen Fall eine Konventionalstrafe ausbedungen hatte. 280 So Rommel, S. 62.
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Bei dieser Auslegung des Irrtumsbegriffes wurde allerdings eingeräumt, daß sie mit dem allgemeinen Sprachgebrauch nicht übereinstimme, der zwischen Irrtum und Zweifel deutlich unterscheide. 28t
c) Zumindest Einbeziehung in die Strafzumessung Mit fortschreitender Durchsetzung der Äquivalenztheorie setzte sich also immer mehr die Erkenntnis durch, daß es mit dem Gesetzeswortlaut nur kaum zu vereinbaren war, ein Mitverschulden des Opfers innerhalb des Betrugstatbestandes zur Geltung zu bringen. Die kriminalpolitischen These, daß es dort des strafrechtlichen Schutzes nicht bedürfe, "wo mäßige Lebenskunde und einfacher Verstand ausreichen, um sich vor Schaden zu hüten", wurde deshalb eher als Vorschlag de lege ferenda vertreten: Der Gesetzgeber solle "zur Specilalisirung schreiten und diejenigen Arten des Betruges, welche gestraft werden sollen, mit Ausschließung aller anderen im Gesetze angeben".282 Ansonsten entwickelte sich hingegen das Mitverschulden Anfang des 20. Jahrhunderts zunehmend von einem zentralen Problem des Betrugstatbestandes zu einem auf der Rechtsfolgens~ite zu berücksichtigenden Umstand. So befürwortete Schneickert im Jahre 1905 eine Berücksichtigung der "Schuld" des Leichtsinnigen oder Leichtgläubigen beim Betrug, wenn das Betrugsopfer den Täter durch seinen Leichtsinn zu einer außerordentlich günstigen Gelegenheit verleitet habe. Es "verstößt nicht gegen die strafrechtliche Moral, wenn wir einen geradezu strafbaren Leichtsinn des Geschädigten dem durch die außerordentlich günstige Gelegenheit zum Verbrechen verleiteten Täter bei der Ausmessung der Schuld zugute kommen lassen".283 Je mehr Schuld der Geschädigte am Verbrechen selbst trage, desto mehr sei man dazu geneigt, den Täter zu entschuldigen und die Verantwortung auf das Opfer zu verlagern. Dies gelte insbesondere in den Fällen, wo der Leichtsinn des Geschädigten zur Entrüstung herausfordere und könne ein sehr heilsames Mittel zur erfolgreichen Verbrechensbekämpfung darstellen. 284 Hier sind also erste Tendenzen zu erkennen, die auf die Frage einer Schuldkompensation im Strafrecht hinauslaufen. 285 Bei verschiedenen kriminalsoziologischen Untersuchungen des Betruges wurde außerdem immer deutlicher herausgestellt, daß die Psychologie des Betrogenen zu281 So Else Koffka, ZStW 54 (1935), 45, 49; vgl. dazu auch Lenckner, Prozeßbetrug, S. 104; Amelung, GA 1977, 1,4. 282 Bemer, Lehrbuch, 17. Auflage, S. 571; vgl. dazu auch Ellmer, S. 79; E. Schmidt, S. 299 f., sieht Bemer als Musterbeispiel dafür, wohin sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts der Hegelianismus in der Strafrechtswissenschaft entwickelt hatte. 283 Leichtsinn und Leichtgläubigkeit des Publikums und Kriminalität, Archiv Kriminalistik 18 (1905), 193, 194. 284 Vgl. Schneickert, Archiv Kriminalistik 18 (1905), 193, 195. 285 Kritisch dazu Beger, S. 35, der diese Frage "besser nicht befürworten" will.
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mindest ebenso wichtig sei wie die des Betrügers. 286 Auch wenn der Betrugstäter regelmäßig seine überlegene Intelligenz oder seine Menschenkenntnis "als Schlüssel zur Beherrschung der Menschen,,287 einsetzen müsse, so werde doch das Gelingen der Tat überhaupt erst durch das Verhalten des Betrugsopfers ermöglicht, das als typischerweise leichtsinnig oder leichtgläubig beschrieben wurde. Dies sei häufig auf bestimmte Charaktereigenschaften (wie etwa Gutmütigkeit, Arglosigkeit, Vertrauensseligkeit, mangelnde Sorgfalt in geschäftlichen Dingen) oder auf intellektuelle Mängel des Opfers (wie etwa Dummheit, Einfältigkeit, Unerfahrenheit, Gedankenlosigkeit) zurückzuführen,z88 Aus diesen Erkenntnissen wurden allerdings sehr unterschiedliche Schlußfolgerungen gezogen. Nach v. Cleric289 sollten ,,Einstellungen (Bereitschaftsgrade)" der Geschädigten, die auf Schwäche, Dummheit oder auf übertriebener Gewinnsucht beruhen, "dem Tadel unterzogen werden". Dies wurde nur insoweit näher erläutert, als daß hier für Rücksicht kein Raum sei und es dementsprechend schon vorgekommen sei, daß die Geschworenen bei Schwindeleien im Zusammenhang mit hohen Zins versprechen die Schuldfrage verneint hätten, soweit Betrug in Frage stand. Sauer verneinte bei seiner psychologischen Betrachtung der Opferseite entschieden die in der Literatur aufgeworfene Frage, ob das Opfer überhaupt des strafrechtlichen Schutzes bedürfe, wenn es dem Täter keinen erheblichen Widerstand mehr entgegensetze, sondern ihm "sein Delikt nur noch erleichtert". Denn der Betrugsparagraph solle nicht den Betrogenen schützen, sondern vorwiegend den schuldigen Betrüger bestrafen. Aber auch wenn der "sträfliche Leichtsinn" des Opfers nicht die Rechtswidrigkeit entfallen lassen könne, "etwa nach Art der Einwilligung des Verletzten in eine Beleidigung", so führe ein derartiges "Entgegenkommen" des Opfers dennoch zu einer Minderung der Schuld des Betrügers,z9o Nagler trat dann 1944 dafür ein, daß ein "konkurrierendes Verschulden", insbesondere die ,,Nachlässigkeit" des Verletzten eine Strafminderung begründen könne. Diese finde ihre Grundlage und letzte Rechtfertigung in dem - anscheinend nationalsozialistisch geprägten - allumfassenden Gedanken, vermöge dessen dem einzelnen schon nach der deutschen Volksmoral gegenüber der Gemeinschaft die Pflicht obliege, bei einer drohenden Straftat eines anderen die ungestörte Lebensordnung des Volkes nach seinen Kräften aufrecht zu erhalten. Er betonte, daß es dabei keinesfalls etwa um eine Verbindlichkeit des Verletzen gehe, sich selbst möglichst vor Schaden zu bewahren, sondern "um die höhere Obliegenheit gegenüber der Volksgemeinschaft im ganzen".291 Ein derartiges mitwirkendes Verschulden könne zum 286 So sehr deutlich Beger, S. 35; Sauer, Kriminalsoziologie, S. 402; vgl. auch Wulffen, S. 251; v. Cleric, SchwZStR 39 (1926), 16,47 f. 287 Beger, S. 35. 288 Sauer, Kriminalsoziologie, S. 402; Beger, S. 35; vgl. auch die Untersuchung von Wulffen, S. 99 ff. 289 Der Hochstapler, SchwZStR 39 (1926), 16,49. 290 Sauer, Kriminalsoziologie, S. 402; s. auch Sauter, S. 174.
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einen vor der Tat festzustellen sein bei "unterlassenen oder mangelhaften Vorkehrungen gegen zu besorgende Rechtswidrigkeiten, denen man sich aus Nachlässigkeit schutzlos aussetzt". Bei der Bestrafung des Taters müsse das Verhalten des Opfers aber auch dann mildernd berücksichtigt werden, wenn der Getäuschte die Herbeiführung des Erfolges während der Handlung unmittelbar erleichtere oder ermögliche, indem er "mangels pflichtgemäßer Prüfung auf plumpe Tauschungen" hereinfalle. 292 Nur Sicking kam bei seiner kriminal soziologischen Untersuchung des Betruges zu entgegengesetzten Resultaten. Der erfolgreiche Betrugstäter zeichne sich zwar in der Regel durch Menschenkenntnis sowie Lebenserfahrung aus, mit deren Hilfe er die Interessen und insbesondere die Schwächen seines Opfers aufdecken könne. Seine Überlegenheit basiere dagegen nur selten auf überdurchschnittlichen Fähigkeiten. Gleichwohl dürfe aus dem so häufig angeführten "sträflichen Leichtsinn" des Betrogenen "bei wertender Betrachtung" an für sich niemals eine Entschuldigung oder Strafmilderung resultieren. Denn "die aus dem Zusammenleben sich ergebenden Gebote müssen gerade dann berücksichtigt werden, wenn die Möglichkeit ihrer erfolgreichen Verletzung besteht".293 Im Ergebnis finden sich also einige Stimmen, nach denen den Tater ein geringerer Vorwurf trifft bei "günstigen Bedingungen" wie etwa Leichtgläubigkeit oder Leichtsinnigkeit des Opfers. Nicht weiter aufgegriffen wurde allerdings der Gedanke von Nagler, daß der äußere Unrechtsgehalt aufgrund eines etwaigen ,,konkurrierenden Verschuldens" geringerer sei; dies wurde eher damit versucht zu erklären, daß der Betrugsangriff an sich weniger intensiv sei. 294
d) Widersprüche und restriktive Bemühungen innerhalb der h.L. Die gefestigte Auffassung innerhalb des Schrifttums weist zum Teil aber auch abweichende Tendenzen oder sogar Widersprüche auf. So stellte etwa Gross zwar grundsätzlich auch auf die reine Verursachung des Irrtums durch die Tauschung ab. Ausnahmsweise ließ er allerdings eine Berücksichtigung des Mitverschuldens zu, wenn das Verhalten des Opfers als ganz grober Leichtsinn oder Sorglosigkeit zu bewerten sei, etwa wenn jemand etwas kaufe, ohne es zu besehen oder die allergewöhnlichste und leicht durchzuführende Prüfung vorzunehmen. Denn hier sei der Schaden nicht mehr auf die List oder Vorspiegelung des Taters zurückzuführen, sondern beruhe allein auf dem "offenen Leichtsinn" des Opfers?95 Binding ließ ebenfalls Unstimmigkeiten erkennen. 291
292 293 294 295
Nagler, in LK, 6. Auflage, S. 165. So Nagler, in LK, S. 166.
Strafrechtliche Abhandlungen, Heft 415, Breslau/Neukirch 1940, S. 45. So Sauter, S. 174 Fn. 1. Gross, S. 73.
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Einerseits sprach auch er einem eventuellen fahrlässigen Verhalten des Betrogenen jegliche Relevanz im Hinblick auf den Kausalzusammenhang zwischen der Täuschungshandlung und dem Irrtum ab. Dennoch sollte dieser Konnex nicht gegeben sein, "wenn die Handlung zwar dem Willen des Täters entspricht", aber auf einem Irrtum des Handelnden beruht, den der Täter weder erzeugt noch unterhalten habe. Denn "wer den bestehenden Aberglauben nur ausbeutet, wie dies die Wahrsager, Kartenschläger, Zeichendeuter, die Händler mit sogenannten Sympathiemitteln meist tun, betrügt nicht". 296 Gerade diese aufgeführten Fälle aus dem Bereich des Okkultismus sind aber regelmäßig dadurch gekennzeichnet, daß bei den Geschädigten ein hohes Maß an eigenem Verschulden feststellbar ist. Letztendlich sollte die Vermeidbarkeit des Irrtums also doch beachtlich sein, so daß sich eine widerspriichliche Argumentation ergibt. 297 Außerdem beeinflußte der Umstand eines eventuellen Mitverschuldens des Getäuschten immer noch (indirekt) die Auslegung des Betrugstatbestandes. Dies gilt vor allem hinsichtlich der Bemühungen, den Tatsachenbegriff einzuschränken. Tatsachen wurden als äußere und der Gegenwart angehörige Verhältnisse umschrieben, wobei aber auch aus Erwägungen der Schutzwürdigkeit des Vertrauens sowie der Eigenverantwortung des Einzelnen nach wie vor die Äußerung von Ansichten, Meinungen und Absichten nicht erfaßt sein sollte, soweit sie keinen Bezug zu Tatsachen aufweisen. 298 Denn wer sich durch ein falsches Urteil zu einer nachteiligen Vermögensverfügung habe bewegen lassen, "büße seine eigene Vertrauensseligkeit,,?99 Ebenso habe derjenige, der einer bloßen Ansicht vertraue, die Vermögensbeschädigung sich selbst zuzuschreiben als ,,Folge seines eigenen fehlerhaften Gedankengangs, einer unrichtigen Prüfung und Schätzung jener lügenhaften Vorspiegelungen". 300 Aus ähnlichen Griinden forderte man auch weiterhin die Behauptung von ganz konkreten und bestimmten Umständen. Auf lediglich allgemeine Äußerungen dürfe sich das Opfer nicht verlassen, so daß dann keine strafbare Täuschung vorliege. 301 Die im Verkehr gebräuchlichen, oft genug der Wahrheit wenig entsprechenden allgemein gehaltenen Versicherungen oder Redensarten könnten kaum als strafbare Täuschung aufgefaßt werden. Gerade die tagtäglich vorkommenden Anpreisungen der Güte oder Preiswürdigkeit von Waren würden selten für bare Münze genommen und eigneten sich zumeist überhaupt nicht dazu, eine Täuschung im 296 Binding, Lehrbuch des Gemeinen Deutschen Strafrechts, Besonderer Teil, I. Band, 2. Auflage, Leipzig 1902, S. 351. 297 So auch Ellmer, S. 79. 298 Vgl. Schwarze, Kommentar, § 263 Bem. 12, 14; Wachenfeld, S. 407 f.; Zimmermann, GerS 29, 120, 130 ff.; Merkei, in HoltzendOlff-Handbuch, Band III, S. 754 sowie in HoltzendOlff-Rechtslexikon, Band I, S. 345. 299 Wachen/eid, S. 407 f. 300 So Friedsam, S. 84. 301 Vgl. Rommel, S. 17; Schwarze, Kommentar, § 263 Bem. 18; Friedsam, S. 37 f.; siehe auch Merkel, in Holtzendorff-Handbuch, Band III, S. 754 Fn. 14.
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Sinne des Gesetzes zu verursachen. 302 Zum einen seien die behaupteten Eigenschaften der Ware schon nicht objektiv überprütbar, sondern vielmehr von "individuell verschiedener Meinung und Geschmack" abhängig. Von einem Betrug könne aber auch deshalb keine Rede seien, weil es genügend bekannt sei, daß sich die "moderne Reclame" solcher Mittel bediene, um die Aufmerksamkeit, Neugier und Kauflust des Publikums zu erregen und man sich deshalb dadurch nicht täuschen lassen dürfe. Daraus sollte aber nicht folgen, daß eine gewisses, im Geschäftsverkehr unentbehrliches Maß von Täuschung und Übervorteilung erlaubt und nur ein über die Grenze hinausgehendes Verhalten als Betrug zu bestrafen sei. Vielmehr habe derjenige, der solchen Aussagen "Glauben schenkt und es unterläßt dafür zu sorgen, daß ihr Inhalt in bestimmter, faßbarer Formulierung bei Anschluß des Geschäftes als bindende Verpflichtung festgestellt werde", keinen Anspruch auf Rechtshilfe. Denn es fehle der zivilrechtlich geltend zu machende Anspruch, den der stratbare Betrug in allen Fällen zur Voraussetzung habe. 303
e) Diskussion um eine Reform des Betrugstatbestandes Innerhalb der immer wiederkehrenden Diskussion, wie der strafbare Betrug von den nur zivilrechtlich zu beurteilenden Täuschungen deutlich abzugrenzen ist, beruhen die verschiedenen Standpunkte im Kern durchgehend auf den gleichen Argumenten. Gleichzeitig wird deutlich, daß der Begriff der Tatsache die Hoffnung nicht erfüllen konnte, diese Aufgabe zu bewältigen. Dies spiegelt sich auch in den diversen Versuchen wider, das geltende Strafrecht zu reformieren. aa) Der Entwurf aus dem Jahre 1909
So schlug man in dem Entwurf von 1909 erneut vor, die verschiedenen Täuschungsmittel des geltenden § 263 zusammenzufassen als "arglistige Täuschung". Denn der Tatsachenbegriff habe allein, ohne eine weitere tatbestandliche Beschränkung, "zu unfruchtbaren Unterscheidungen und Streitfragen geführt" und "die volle Sicherheit für die erhoffte Abgrenzung nicht erbracht". Dabei sollte schon aus dem Begriff der arglistigen Täuschung folgen, daß sich diese nur auf Tatsachen bezieht. Allgemeine Anpreisungen oder Urteile seien hingegen von der Strafbarkeit ausgeschlossen, da sie nach den maßgebenden "Gewohnheiten des Verkehrs" kaum unter den Begriff der Arglist subsumiert werden könnten?04 Der Begründung dieses Entwurfes ist zu entnehmen, daß die Wendung "arglistige Täuschung" weder eine sachliche Erweiterung des Tatbestandes noch eine ReSchwarze, Kommentar, § 263 Bem. 18; Rammel, S. 19 f. Hälschner; Deutsches Strafrecht, S. 264 f. 304 So die Begründung zu § 276 in dem Vorentwurf zu einem Deutschen Strafgesetzbuch, Berlin 1909, S. 761 f. 302 303
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striktion im Hinblick auf die subjektive Seite herbeiführen sollte?05 Trotzdem wurde an diesem neu eingefügten Tatbestandsmerkmal einerseits kritisiert, daß es in der Praxis schwer zu handhaben sei und deshalb faktisch zu einer Einengung der Betrugsstrafbarkeit führen werde. 306 Demgegenüber bemängelte man aber auch eine angebliche Ausdehnung des Tatbestandes. Denn gerade das nun fehlende Merkmal der Vorspiegelung habe die im Interesse des Verkehrsleben gebotene Abgrenzung gewährleistet zwischen den nur zivilrechtlich relevanten und den schwerwiegenden, strafrechtlich zu verfolgenden Betrügereien. Auch dürfe die Auffassung des Verkehrslebens nicht außer Betracht bleiben, da es etwas anderes sei, ob jemand seinen Mitkontrahenten betrüge oder sich durch "arglistiges Vorgehen um Steuer oder Zoll herumdrückt". Der Staat habe ganz andere Möglichkeiten als ein Privatmann, eine aufgestellte Behauptung zu überprüfen. Dementsprechend müsse auch die Schutzwürdigkeit des Vertrauens unterschiedlich beurteilt werden. 307 bb) Weitere Reformversuche
Das Arglistmerkmal findet sich in sachlicher Übereinstimmung auch in den Entwürfen aus den Jahren 1913 und 1919, in denen empfohlen wurde, die Handlungsbeschreibung des Betruges als "arglistige Täuschung über Tatsachen" zusammenzufassen. 308 Darunter sollte jedes Erregen oder Unterhalten eines Irrtums fallen, das den Gewohnheiten des redlichen Verkehrs widerspricht; eine besondere Hinterhältigkeit des Täters wurde dabei nicht verlangt. Durch die ausdrückliche Beschränkung auf Tatsachen wurde unterstrichen, daß "allgemeine Anpreisungen und Meinungsäußerungen, wie sie im Verkehr üblich sind und von niemandem auf Wort geglaubt werden, nicht den Tatbestand des Betruges erfüllen,,?09 Genau mit dieser Formulierung begründete man dann die Entwürfe von 1925 und 1927, in denen die Tathandlung des Betruges auf "Täuschung über Tatsachen" reduziert wurde310 und das Merkmal der Arglist nicht mehr auftauchte?1J Hier 305 Vorentwurf zu einem Deutschen Strafgesetzbuch, Begründung, Berlin 1909, S. 762; zustimmend Paul Ko.fflw.. in Aschrottlv. Liszt. S. 388, der auch die Beseitigung von sprachlichen Ungenauigkeiten begrüßt; kritisch demgegenüber v. Lilienthai, ZStW 30, 224, 244. 306 Vgl. Binding, GerS 77 (1911), 22, 54. 307 Kohler, GA 56 (1909), 285, 299 f.; vgl. zum ganzen auch die Zusammenstellung der gutachterlichen Äußerungen über den Vorentwurf zu einem Deutschen Strafgesetzbuch, Berlin 1911, S. 378 f.; Ellmer, S. 82 f. 308 Vgl. Entwürfe zu einem Deutschen Strafgesetzbuch, Berlin 1920: § 366 des Entwurfs der Strafrechtskommission von 1913, S. 85 f. (1. Teil); § 376 des Entwurfs von 1919, S. 83 (2. Teil). 309 Vgl. Denkschrift zu dem Entwurf von 1919, in Entwürfe zu einem Deutschen Strafgesetzbuch, Berlin 1920, S. 325 (3. Teil). 310 Vgl. Amtlicher Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuchs nebst Begründung, Berlin 1925, S. 164; Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuchs nebst Begründung und zwei Anlagen, Berlin 1927, S. 177. 3ll Dies wurde damit begründet, daß das Arglistmerkmal praktisch fast jeder Bedeutung entbehre, vgl. H. Mannheim. in Aschrott I Kohlrausch. S. 340, 357.
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sollte also wiederum allein der Tatsachenbegriff die gebotene Abgrenzung gewährleisten, ohne an der geltenden Rechtslage etwas zu ändern. Eine erneute Kehrtwendung vollzog dann jedoch der Entwurf aus dem Jahre 1936, wonach Betrug begehen sollte, "wer jemanden durch arglistige Täuschung oder durch arglistiges Verschweigen zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung bestimmt. .. ".312 Mit dieser Neufassung versuchte man zum einen, den Tatbestand zu vereinfachen, da die Aufzählung verschiedener Täuschungsarten erfahrungsgemäß zu schwierigen, aber praktisch meist irrelevanten Differenzierungen führe?13 Mit dem einschränkenden Merkmal der Arglist wollte man freilich auch auf die "Gesinnung des Täters" abstellen, "die im Einzelfall richtig zur würdigen Sache des Richters ist,,?14 Bezeichnend für das nationalsozialistische Rechtsverständnis sollte also die Entscheidung des Einzelfalls dem richterlichen Ermessen überlassen bleiben, um Betrügereien nach dem "gesunden Volksempfinden" bestrafen zu können?15 Diese Empfehlung unterscheidet sich aber wesentlich vom damals geltenden Recht und den Vorentwürfen darin, daß sich die Täuschung nicht mehr auf Tatsachen zu beschränken brauchte. Die Preisgabe der durch die Rechtsprechung und damaligen herrschenden Lehre entwickelten Unterscheidung in strafbare Tatsachenbehauptungen und die straflose Abgabe von Werturteilen wurde damit gerechtfertigt, daß hier eine sachgerechte Abgrenzung kaum möglich sei. Denn derjenige, der ein Werturteil abgebe, behaupte schließlich gleichzeitig die Tatsache, daß er sein Werturteil für zutreffend halte. Nach wie vor betonte man aber, daß "allgemeine Anpreisungen und persönliche Werturteile, wie sie etwa im Reklamewesen häufig sind, wo sie niemand wörtlich nimmt", den Tatbestand des Betruges nicht erfüllen sollten. 316
f) Zusammenfassung
Auch nach dem Erlaß des RStGB von 1871 wurde in der Rechtslehre im Hinblick auf eine etwaige Leichtgläubigkeit oder ein sonstiges Mitverschulden des Betrugsopfers fast ausschließlich auf die reine Verursachung des Irrtums durch die Täuschung abgestellt. Mit fortschreitender Durchsetzung der Äquivalenztheorie entwickelte sich das Mitverschulden von einem zentralen Problem des Betrugstatbestandes zu einem allenfalls im Rahmen der Strafzumessung zu berücksichtigenden Umstand. Die herrschende Literaturmeinung des frühen 19. Jahrhunderts, die 312 Entwurf eines Deutschen Strafgesetzbuchs 1936 nebst Begründung, Nachdruck, Bonn 1954, § 446 (S. 57); Hervorhebung vom Verfasser. 313 Außerdem sollten sprachliche Bedenken ausgeräumt werden; vgl. die Begründung zum Entwurf von 1936, S. 275. 314 So die Begründung zum Entwurf von 1936, S. 275; siehe auch Dahm, in Gürtner, S. 458 ff. 315 Vgl. dazu auch Kurth, S. 90. 316 Begründung zum Entwurf von 1936, S. 275; Dahm, in Gürtner, S. 458 ff.
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eine qualifizierte Täuschung forderte, geriet in der folgenden Zeit zusehends in Vergessenheit, und dem Verhalten des Betrugsopfers wurde so gut wie keine Bedeutung mehr beigemessen. Auch wenn sich der Schwerpunkt der Dogmatik zu anderen Auslegungsfragen des Betrugstatbestandes verlagerte, wurde neben der offen geführten Diskussion über eine bewußte und ausdrückliche Berücksichtigung eines Mitverschuldens des Opfers diesem Gesichtspunkt hierbei Rechnung getragen, indem mit den Kriterien der Vermeidbarkeit des Irrtums und der Eigenverantwortung des Opfers restriktiv argumentiert wurde. 4. Die Ansicht der Rechtsprechung zu § 263 RStGB Auch in der praktischen Anwendung des § 263 RStGB wurde allein darauf abgestellt, ob die Vorspiegelungen des Täters für die Vermögensbeschädigung ursächlich im Sinne der Bedingungstheorie waren. 31 ? Dabei sollte der Kausalzusammenhang auch dann vorliegen, "wenn der Getäuschte sich nicht hätte täuschen lassen sollen oder dürfen"? 18 a) Keine Berücksichtigung eines Mitverschuldens durch das PrOT Entsprechend der bisherigen Praxis stellte das Preußische Obertribunal weiterhin weder auf die Vermeidbarkeit des Irrtums ab noch verlangte es eine qualifizierte Täuschung. 319 Ein etwaiges Mitverschulden des Betrugsopfers wurde nicht einmal im Rahmen der Strafzumessung berücksichtigt. Vielmehr sollte es irrelevant sein, ob sich der Betrogene "bei Anwendung größerer Sorgfalt von der Unwahrheit des gegentheiligen Vorbringens" hätte überzeugen können?20 Zur Annahme einer Täuschung genüge vielmehr ,jede auf die Erregung eines Irrthums berechnete Veranstaltung,,?21 Denn für die Betrugsstrafbarkeit kämen lediglich die in § 263 RStGB aufgestellten Merkmale in Betracht. Dabei könne man schon dem Merkmal der Rechtswidrigkeit des erstrebten Vermögensvorteils entnehmen, daß ein strafbarer Betrug ohne zivilrechtlichen Betrug undenkbar sei. Deshalb lehnte etwa das Ober. Appellationsgericht zu Oldenburg auch eine entsprechende Differenzierung ausdrücklich ab. 322 Außerdem äußerte es sich kritisch zu der in der Literatur vorge317 Vgl. PrOT, RO 17,443; 18,625,629; so auch das Sächsische Ober-Appellationsgericht, Gerichtspraxis, Band IV (1875), 184, 185; Band V (1876), 374, 375 sowie der Bayerische Cassationshoj, Gerichtspraxis, Band III (1874), 217, 218; Band V (1876), 93; Band VII (1878),329,331. 318 SoPrOT, RO 17,443. 319 PrOT, RO 13,568,571; 14, 181; 18, 18; 19,425,426; weitere Nachweise bei Rommel, Betrug, S. 36. 320 Sächsisches Ober-Appellationsgericht, Gerichtspraxis, Band I (1872), S. 57, 58. 321 So das Großherzoglich badische Oberhofgericht, Gerichtspraxis, Band V (1876), 371, 372. 322 Gerichtspraxis, Band I (1872), 200, 202.
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brachten Ansicht, daß im Verkehrsleben ein gewisses Maß absichtlicher Täuschung und dadurch verursachter Vermögensbeschädigung unvermeidlich sei. "Rücksicht auf die allgemeine Volksansicht über das im Verkehr erlaubte Maaß der Vorspiegelung falscher Thatsachen ... könne nur beim Beweise Platz greifen".323
b) Fortsetzung dieser Rechtsprechung durch das Reichsgericht Ebenso wie das Preußische Obertribunal hielt auch das Reichsgericht an der Rechtsprechung fest, daß es auf qualifizierte Täuschungsmittel bzw. auf die leichte Vermeidbarkeit des Irrtums nicht ankomme. Während der gesamten Zeit seines Bestehens vertrat es durchgehend die Bedingungstheorie 324 und machte allein diese zur Voraussetzung seiner insoweit interessierenden Entscheidungen. 325 Danach sollte der Kausalzusammenhang auch dann gegeben sein, wenn das Opfer für den Erfolg mitursächlich gewesen ist. Dies läßt sich zum einen in Entscheidungen zu § 222 RStGB feststellen, bei denen auch eine Fahrlässigkeit des Getöteten den Tod mitherbeigeführt hatte. Nach Ansicht des Reichsgerichts werde der Kausalnexus durch eine solche "konkurrierende Fahrlässigkeit" nicht ausgeschlossen, da die volle Ursächlichkeit durch den Umstand, daß auch andere für den Erfolg mitursächlich geworden sind, nicht wegfallen könne. 326 Dabei wies das Reichsgericht allerdings in einigen Urteilen darauf hin, daß dieser weitgehende Ursächlichkeitsbegriff durch das subjektive Erfordernis der Vorhersehbarkeit des Erfolges ausgeglichen werde, um zu große Härten zu vermeiden. 327 Aber auch im Hinblick auf den Betrugstatbestand des § 263 RStGB sollte die Annahme des Ursachenzusammenhanges nicht dadurch ausgeschlossen sein, daß der Getäuschte zu einer Verfügung über sein Vermögen nicht allein durch seinen Irrtum, sondern auch durch andere "Mitursachen" oder "Bedingungen" bestimmt wurde. 328 Vielmehr sollte es schon ausreichend sein, wenn die Irrtumserregung überhaupt eine Bedingung des Erfolges in dem Sinne ist, daß die Vorspiegelungen des Täters nicht hinweggedacht werden können, ohne daß zugleich die Vornahme der Vermögensverfügung entfiele. 329 Nach dem Prinzip der Gleichwertigkeit aller Bedingungen werde der Kau323 Ober-Appellationsgericht zu aidenburg, Gerichtspraxis, Band I (1872), 200, 202; vgl. auch Großherzoglich badisches Oberhofgericht, Gerichtspraxis, Band V (1876), 371, 372. 324 Siehe nur RGSt 1, 1,373,374 und RGSt 75,372,374. 325 Vgl. RGSt 1,373,374; 15, 151, 153; 56, 343, 348; speziell bei § 263 RStGB: RGSt 44, 230,248; 69, 44, 47; 76, 82, 86 f. 326 So bereits RGSt 1, 373, 374; vgl. auch RGSt 6, 249, 250; 15, 151, 153; 22, 173, 175; 50,37,43; 56, 343, 348; 64, 316, 318, 319 und 370, 372, 373. 327 RGSt 29, 218, 219 f.; 56, 343, 348; 61, 316, 318. 328 RGSt 69, 44, 47 f. zum Prozeßbetrug durch eine wissentlich falsche Zeugenaussage bei gleichzeitiger Verletzung verfahrensrechtlicher Vorschriften durch den Richter, vgl. dazu auch R. Raimund Hassemer; Schutzbedürftigkeit, S. 103. 329 So RGSt 44, 230, 244 zum Betrug mit untauglichen Abtreibungsmitteln durch Tauschung "leichtgläubiger Frauen"; siehe auch RGSt 76, 82, 86 f.
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salzusammenhang nicht dadurch beseitigt, daß das Betrugsopfer sich nicht hätte täuschen lassen sollen. 33o Es komme überhaupt nicht darauf an, ob der Irregeführte bei gehöriger Aufmerksamkeit die Unwahrheit der vorgespiegelten Tatsachen hätte erkennen können und insofern durch ihre Außerachtlassung seinen Irrtum mitverschuldet habe. Denn die Täuschung brauche nicht die einzige Ursache des Irrtums zu sein, der Betrugstatbestand setze nur voraus, daß die Täuschung für den Irrtum zumindest mitursächlich gewesen sei?3! Im Rahmen der Strafzumessung wurde es ebenfalls nur ganz ausnahmsweise berücksichtigt, daß die "Versuchung" für den Betrüger gegenüber dem leichtgläubigem Opfer sehr groß war?32 Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang der damals sehr bekannte Fall der Hochstaplerin Martha Kupfer,333 die sich mit äußerst hohen Zins- und Gewinnversprechungen etwa eine Million Mark erschwindelt hatte. Die über hundert Opfer wurden dabei zumeist als leichtgläubig, gewinnsüchtig und eitel beschrieben. Soweit Betrug in Frage stand, verneinten die Geschworenen die Schuldfrage und "gaben damit ihre Meinung zu erkennen, daß die Geschädigten sich selbst durch ihre Leichtgläubigkeit und Gewinnsucht gern geschädigt hätten".334
c) Auslegung des Irrtumsbegriffes durch das Reichsgericht Während bis zum Erlaß des PrStGB die Berücksichtigung einer etwaigen Mitverantwortung des Betrogenen fast ausschließlich anhand des Kriteriums einer "arglistigen" oder "qualifizierten" Täuschungshandlung diskutiert wurde, konzentrieren sich heute die noch im einzelnen darzustellenden aktuellen Lösungsansätze auf die Auslegung des Irrtumsmerkmals. Deshalb soll hier noch ergänzend die Rechtsprechung des Reichsgerichts zum Irrtumsbegriff angeführt werden. Älteren Entscheidungen liegt ein enger Irrtumsbegriff zugrunde, was vor allem in der Rechtsprechung zum Prozeßbetrug deutlich wird. 335 Denn hier befürwortete das Vgl. RG, GA 53,174; siehe auch Lenckner, Prozeßbetrug, S. 93. So RG, HRR 1940, Nr. 474; die Auffassung der Vorinstanz, in der das Landgericht den Tatbestand des Betruges verneint hatte, weil "eine geringe Überlegung und einfache Nachforschung" den Irrtum vermieden hätte, wurde für "verfehlt" erklärt; vgl. auch RGSt 69, 44, 47 und RG, GA 43,31,32. 332 So Hellwig, Archiv für Kriminologie 86 (1930), 220, 222 in seinem Bericht über ein Strafverfahren vor dem Amtsgericht Oldenburg, in dem der Angeklagte leichtgläubige Spiritisten betrogen hatte durch die Ausnutzu~g ihres naiven Glaubens an Brillen, mit denen man Geister sehen könne und an (zumeist aus 01 und Wasser) bestehende Zaubertränke sowie Salben zum Schutz vor bösen Geistern; vgl. dazu auch Nagler, in LK, 6. Auflage, S. 166. 333 Schwurgericht Berlin, DStRZ 1917, S. 295 f. 334 So der Bericht von Wulffen, S. 367 f.; vgl. auch Beger, S. 35; v. Cleric, SchwZStR 39 (1926), 16,49; Daniels, S. 58 Fn. 2; Kurth, S. 96. 335 Vgl. Giehring, GA 1973, 1, 3; Samson, in SK, § 263 Rdnr. 55; siehe auch Raimund Hassemer, S. 101 ff. 330 331
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Reichsgericht zunächst eine Straflosigkeit, wenn der Richter "ohne Rücksicht auf Glauben oder Nichtglauben" verpflichtet ist, auf eine Parteierklärung hin eine Entscheidung zu treffen, wie insbesondere im Mahn- oder Versäumnisverfahren. 336 So wurde Betrug bei der Erwirkung eines Zahlungsbefehls mit der Begründung abgelehnt, daß der Richter einseitigen Parteibehauptungen als solchen keinen Glauben schenke. 337 Während es hier also noch auf die Irrtumserregung abstellte, verneinte das Reichsgericht dann aber später den ursächlichen Zusammenhang zwischen der unrichtigen Parteibehauptung und der Entscheidung des Zivilrichters über den Erlaß des Zahlungsbefehls. Diese Erwägung beruhte auf dem Gedanken, daß der Zivilprozeß von dem Grundsatz des Parteibetriebs beherrscht werde, wonach die Tatbestandsfeststellung in gewissen Umfang nicht von der Überzeugung des Prozeßrichters, sondern von der Verfügung der Parteien abhänge. Da der Richter dem Gesuch auch dann hätte entsprechen müssen, wenn er sich nicht hätte täuschen lassen, sei auch ein Irrtum des Richters über die wirkliche Sachlage ohne ursächliche Bedeutung für das Urtei1. 338 Während hier also noch ein bestimmter Intensitätsgrad der Vorstellung des zu Tauschenden erforderlich scheint, dehnte das Reichsgericht den Irrtumsbegriff ansonsten immer weiter aus. Schon eine frühe Entscheidung ließ die Auffassung erkennen, daß die volle richterliche Überzeugung nicht Voraussetzung eines Irrtums ist, da der Verwirklichung des Betrugstatbestandes nicht entgegen stehen sollte, daß die richterliche Prüfung nur zu einem Wahrscheinlichkeitsurteil führt. 339 Späteren Urteilen zufolge sollten auch bloße Möglichkeitsvorstellungen und schließlich offenbar sogar richterliche Entscheidungen unter Zweifeln ausreichen, wobei das Reichsgericht dies jeweils nicht weiter begründete. So wurde etwa ohne weitere Ausführungen festgestellt, daß durch eine falsche Zeugenaussage bei dem Prozeßrichter der Irrtum erregt worden sei, daß die Angeklagte möglicherweise 340 nicht das Mädchen gewesen sei mit dem der Mehrverkehrszeuge Geschlechtsverkehr hatte. 341 Später hielt das Reichsgericht dann einen Prozeßbetrug auch im Versäumnisverfahren möglich und bejahte den Ursachenzusarnmenhang zwischen dem Irrtum des Richters und dem Erlaß des Versäurnnisurteils, ohne auf das Vorliegen eines Irrtums überhaupt näher einzugehen. Die Aufgabe der früheren Rspr. wurde lediglich begründet mit einem Hinweis auf das Gesetz über die Änderung des Verfahrens in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten vom 29. 10. 1933,342 das die Wahrheitspflicht der Parteien in § 138 Abs. 1 ZPO einführte. Danach habe die bewußt falsche Parteibehauptung keinen Anspruch auf Rechtsschutz, so daß der Richter auch im Versäurnnisverfahren das
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Vgl. dazu RGSt 69,44,48 mit Hinweis auf RGSt 20, 391, 393; 42, 410. So RGSt 20,391,392; vgl. dazu Giehring, GA 1973, 1,3. Vgl. RGSt 42,410,411; 59, 104, 105 f.; 63, 391; siehe auch RGSt 69, 44, 48. RGSt 5,321,323. Hervorhebung vom Verfasser. So RGSt 69, 44, 48; vgl. auch RG, JW 1936, 1376; 1937,2391. RGBI 1933,780.
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Urteil dann versagen müsse, wenn er die Parteibehauptung für bewußt falsch halte. 343
d) Zusammenfassung und Kritik Während das Reichsgericht also zunächst von einer engen Konzeption des Irrtumsmerkmals ausging, ließ es im Laufe seiner Rechtsprechung auch bloße Möglichkeitsvorstellungen ausreichen. Allerdings beruhte diese weiter gefaßte Begriffsbestimmung keinesfalls auf einer ausdrücklichen Erörterung der Irrtumsproblematik. 344 Hinsichtlich des hier untersuchten Problems der Berücksichtigung eines etwaigen Opfermitverschuldens wird allein darauf hingewiesen, daß auch die plumpe Täuschung kausal im Sinne der (erst später so bezeichneten) "Äquivalenztheorie" sei. Dies liegt zwar auf einer Linie mit der sonstigen Anwendung der Kausalitätsgrundsätze und der weitgehend extensiven Rechtsprechung des Reichsgerichts zu § 263 StGB. Im Ergebnis entspricht sie auch der Zielsetzung des preußischen Gesetzgebers. Allerdings wird zu Recht kritisiert, daß die Rechtsprechung hier allein auf die Kausalität im Sinne der Bedingungstheorie abstellt und sich dem Gesetzeswortlaut bzw. den gesetzgeberischen Zielsetzungen in diesem Maße unterwirft, während die dahinter stehenden Wertungen nicht zur Entscheidungsbegründung herangezogen werden. Dies ist insofern bemerkenswert, als daß die Gerichte ansonsten im Rahmen der Betrugsdogmatik dazu neigen, sich von den gesetzlichen Vorgaben durch eine ,,kriminalpolitische Dogmatik" zu lösen. 345
IV. Zusammenfassung von Teil A Als Ergebnis des historischen Teils läßt sich festhalten, daß die Tendenz zur Beschränkung des Betrugstatbestandes eine sehr weit zurückreichende Tradition aufweist. Derartige Bemühungen finden sich in vielfältiger Form schon im römischen Recht sowie in den Partikulargesetzgebungen des 19. Jahrhunderts. Mit dem damaligen Aufkommen des modernen wirtschaftlichen Denkens und dem Siegeszug des Liberalismus kam der Geschäftstüchtigkeit und damit der Ausnutzung überlegenen Wissens eine immer größere Bedeutung zu. Dabei erwies es sich als Kernproblem, den strafbaren Betrug von allenfalls zivilrechtlich zu beurteilenden Täuschungshandlungen abzugrenzen. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob ein 343 RGSt 72, 113, 115; vgl. zum ganzen auch Giehring, GA 1973, 1, 11 f.; Raimund Hassemer, S. 104. 344 Ebenso Giehring, GA 1973, 1,3, 11; vgl. auch Raimund Hassemer, S. 101, der darauf hinweist, daß es nicht etwa an einer jeweils anderen Sicht des Problems liege, daß das Reichsgericht seine Erkenntnisse mit unterschiedlichen sprachlichen Wendungen begriindet, sondern daß dieser Umstand infolge des völligen Fehlens eines Problembewußtseins gerade ein Zeichen für die Beliebigkeit und inhaltliche Leere dieser Formulierungen sei. 345 So Naucke, Betrug, S. 127; zustimmend Amelung, GA 1977, 1,9 (Fn. 43); Kurth, S. 97.
IV. Zusammenfassung von Teil A
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eventuelles Mitverschulden des Opfers Berücksichtigung finden soll, als "keineswegs neu" dar. 346 Selbst wenn die Diskussion nur selten ausdrücklich unter diesem Stichwort erfolgte, läßt sich dennoch feststellen, daß es immer wieder erörtert wurde, ob aus der Beziehung zwischen Tater und Opfer Konsequenzen de lege lata im Sinne einer restriktiven Auslegung des Betrugstatbestandes oder de lege ferenda im Hinblick auf die Gesetzgebung zu ziehen sind. 347 Allerdings verloren diese Ansätze nach dem Inkrafttreten des PrStGB im Jahre 1851 in zunehmenden Maße an Bedeutung. Man war der Auffassung, den Betrugstatbestand mit Hilfe eines konkreten Tatsachenbegriffes besser einschränken zu können, um als strafwürdig empfundene Tauschungen zu bestrafen, ohne Handel und Verkehr zu enge Fesseln anzulegen. Dementsprechend fanden auch die Bemühungen um eine Restriktion schließlich keinen Eingang in das Reichsstrafgesetzbuch von 1871. Trotz der Reformversuche durch verschiedene Entwürfe spiegelt sich diese gesetzgeberische Entscheidung bis heute in der geltenden Fassung des § 263 StGB wider. Insofern hat sich gezeigt, daß der preußische Gesetzgeber ausweislich der überlieferten Materialien mit der Streichung des Merkmals "arglistig" im Entwurf von 1845 zwar eine bewußte Entscheidung für den strafrechtlichen Schutz des leichtgläubigen Betrugsopfers getroffen hat. Allerdings beruhte dies nicht etwa auf Überlegungen bezüglich der Schutzwürdigkeit von Opfern, die auf plumpe Tauschungen hereinfallen, sondern auf gesetzestechnischen Erwägungen. Denn man meinte, solchen Betrogenen nur durch eine präzise Abgrenzung gegenüber arglistigen Tauschungen den strafrechtlichen Schutz des Betrugstatbestandes versagen zu können, was jedoch wegen der Unbestimmtheit des Arglistmerkmals unmöglich sei. Aufgrund dieser terminologischen Unsicherheit sowie vor dem Hintergrund, daß das Mitverschulden des Opfers historisch immer eine Rolle gespielt hat, ist es aber bei der Anwendung des geltenden § 263 StGB durchaus geboten, im Rahmen der Auslegung oder einer Restriktion des Betrugstatbestandes spezielle systematische Zusammenhänge oder rechtsstaatliche Prinzipien heranzuziehen, wie im einzelnen noch näher auszuführen sein wird.
346 So Schultz, Kriminologische und strafrechtliche Bemerkungen zur Beziehung zwischen Täter und Opfer, in SchwZStR 1956, 171, 174, der die Geschichte des Problems bis ins Jahr 1560 zurückverfolgt. 347 Vgl. dazu auch Arzt, MSchrKrim 67 (1984), 105, 106.
B. Die Berücksichtigung der Mitverantwortung nach dem gegenwärtigen Stand der Betrugsdogmatik I. Ausdrückliche Ablehnung durch die heute h.M. Auf der Tatbestandsebene wird ein etwaiges Mitverschulden des Betrugsopfers bis heute weder von der herrschenden Ansicht innerhalb der Literatur l noch von der Rechtsprechung 2 berücksichtigt. Entsprechend den Regeln der Bedingungstheorie wird vielmehr nach wie vor eine bloße Mitverursachung des Irrtums als ausreichend angesehen. Dabei soll ein Irrtum im Sinne des § 263 StGB nicht nur dann vorliegen, wenn der Getäuschte von der Gewißheit der behaupteten Tatsache ausgeht, sondern auch dann, wenn er trotz gewisser Zweifel die Vermögensverfügung vornimmt. Der Getäuschte müsse die Wahrheit der fraglichen Tatsache nur für möglich halten und sich durch diese Möglichkeitsvorstellung zur Vermögensverfügung motivieren lassen. Für die Bejahung eines Irrtums komme es außerdem nicht darauf an, ob der wahre Sachverhalt bei hinreichend sorgfältiger Prüfung erkennbar gewesen wäre. Denn maßgebend sei nicht, wovon der Getäuschte bei gehöriger Aufmerksamkeit hätte ausgehen müssen, sondern wovon er tatsächlich ausgegangen ist. Auch werde der ursächliche Zusammenhang zwischen der Täuschung und der Irrtumserregung selbst durch extreme Leichtgläubigkeit oder eine sonst mitwirkende Fahrlässigkeit des Getäuschten nicht ausgeschlossen. 3 Auch die seit den siebziger Jahren bis Mitte der achtziger Jahre des 20. Jahrhunderts verstärkt erhobenen Forderungen nach einer Berücksichtigung des Mitver1 Achenbach, Jura 1984,602 f.; Bockelmann, § 11 All 2 e; Cramer, in Schönke/Schröder; § 263 Rdnr. 40-43; Eser, Strafrecht IV, Nr. 11 A 48al S. 118 und A 541 S. 119; Fischer; in Tröndle 1Fischer, § 263 Rdnr. 18 ff.; Kindhäuser, in Bemmann-FS, S. 339,357 f.; Lackner/ Kühl, § 263 Rdnr. 18; Lackner, in LK, § 263 Rdnr. 79 f.; Loos/Krack, JuS 1995,204,207 f.; Maurach/Schroeder/ Maiwald, BT-l, § 41 II Rdnr. 59 ff., 68; Otto, BT, § 51 III 2 a; ders., JZ 1993,652, 654; Ranft, Jura 1992,66,68; ders., JA 1984,723,732; Rengier, JuS 1983,402, 406 f.; Samson, in SK, § 263 Rdnr. 58, 62; ders., JA 1978,469, 474; Schmidhäuser, BT, 11 1 11; Welzel, § 54 2; Wesselsl Hillenkamp, Rdnr. 510. 2 Vgl. BGHSt 34,199,201; BGH, NJW 1995, 1844, 1845; wistra 1990,305; 1992,95,97; OLG Franlifurt, NStZ 1997, 187; so auch schon BGH, 3 StR 151 und 152171, bei Dallinger, MDR 1972, 387 im Anschluß an RG, HRR 1940, Nr. 474; OLG Hamburg, NJW 1956,392; vgl. auch OLG Celle, NdsRpfl. 72, 281 f. 3 So BGHSt 34, 199, 201; BGH, wistra 1990, 305; 1992, 95, 97; Cramer, in Schönke/ Schröder; § 263 Rdnr. 40, 43; Wesseis 1Hillenkamp, Rdnr. 511; Lackner, in LK, § 263
Rdnr.91.
I. Ausdrückliche Ablehnung durch die heute h.M.
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schuldens 4 haben sich nicht durchsetzen können. Vielmehr hat der BGH in einer Entscheidung aus dem Jahre 1986 bestätigt, daß die Leichtgläubigkeit des Betrogenen bzw. die unterlassene Überprüfung der Tatsachenbehauptung im Rahmen des Betrugstatbestandes unbeachtlich sein soll, ohne sich allerdings ausführlich mit der Problematik auseinanderzusetzen, obwohl sich dies geradezu angeboten hätte: Nach dem festgestellten Sachverhalt dieses sog. "Haarverdoppler-Falls"s vertrieb der Angeklagte zu Preisen zwischen 46,50 und 76,- DM Verjüngungs- und Abmagerungsmittel sowie "Haarverdicker" und "Nichtraucherpillen", die, wie er wußte, ebenso wirkungslos wie hannlos waren. In den vorwiegend in der sog. Regenbogenpresse und Trivialromanen inserierten Werbeanzeigen schrieb er seinen Produkten Wirkungen und Eigenschaften zu, die sie nicht hatten, versprach aber zugleich ein "Rückgaberecht innerhalb von 14 Tagen mit voller Geldzurückgarantie". Sämtliche Produkte wurden mit einer äußerst übertrieben geschilderten Wirkung angepriesen, wobei die Werbung sich zusammensetzte aus einem wissenschaftlichen oder zumindest fachmännischen Hintergrund, einer erfolgreichen Benutzung durch Testpersonen und einer ,,100% igen Garantie": Das "Hollywood-LiftingBad", angeblich aus "taufrischem Frischzellenextrakt" sollte im Blitztempo von nur zwölf Bädern wieder schlank, straff und jung formen, und zwar "mit 100% iger Figurgarantie". Verblüfft, aber zufrieden hätten Testpersonen festgestellt, "daß sie um herrliche zehn, fünfzehn oder mehr Jahre verjüngt" und zur Figur eines Filmstars geliftet worden seien. Mit dem angeblich von einem Schweizer Schönheitschirurgen erfundenen Mittel "Frischzellen-Formel Zellaplus 100" könne man schon nach der ersten Anwendung von nur zehn Minuten "mindestens fünf Jahre jünger" werden, nach vollständiger Behandlung "so jung wie vor 25 Jahren". Beim Einnehmen der Schlank-Pille M-E-D 300 müsse man sogar reichlich essen, "damit die ungeheure Fettabschmelzkraft mit genügend Nahrung ausgeglichen" werde. Der "Haarverdicker-Doppelhaar" verdopple das Haar schließlich binnen zehn Minuten, auch Schuppen, Flechten, zu fettige oder zu trockene Haare würden mit 100% iger Garantie beseitigt. Der BGH hat einen Betrug angenommen und hierzu im wesentlichen ausgeführt, daß der Angeklagte trotz marktschreierischer Reklame in den Anzeigen nicht lediglich ein persönliches Werturteil abgegeben, sondern über der Nachprüfung zugängliche Tatsachen getäuscht habe. Durch die Tauschung über die Wirksamkeit der Präparate habe er bei den Bestellern auch einen Irrtum erregt, denn es sei anzunehmen, daß diese aufgrund der Angaben in den Werbeanzeigen geglaubt haben, "die Präparate hätten im Kern die versprochene - wenn vielleicht auch übertrieben geschilderte - Wirkung".6 Auf die nicht unproblematischen Diese werden im Teil C dieser Arbeit noch näher dargestellt. BGHSt 34,199 = NJW 1987,388 =JR 1987,427 m. Anm. Bottke, der die Entscheidung als "Ieading case strafrechtlicher Betrugsdogmatik" (S. 428) bezeichnet; vgl. zum "Haarverdoppler-Fall" auch Müller-Christmann, JuS 1988, 108; Sonnen, JA 1987,212,213; Winfried Hassemer, JuS 1987,499; Otto, BT, § 51 III 2 a; ders., JZ 93, 652, 654 sowie in JK, StGB § 263/22. 6 BGHSt 34,199,201; vgl. zur Irrtumsproblematik auch Schauer, S. 92. 4
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B. Die Berücksichtigung der Mitverantwortung nach Stand der Betrugsdogmatik
Entscheidungsgründe wird im Rahmen dieser Arbeit nachfolgend bei den einzelnen Problembereichen näher eingegangen. Während also weder die Erkennbarkeit der Täuschung noch die Leichtgläubigkeit des Opfers auf der Tatbestandsebene berücksichtigt werden sollen, kann nach Ansicht der Literatur diesen Umständen im Einzelfall bei der Strafzumessung im Rahmen der Würdigung der kriminellen Energie des Täters oder durch den Einsatz strafprozessualer Einstellungsmöglichkeiten angemessen Rechnung getragen werden. 7 Auch nach Auffassung der Rechtsprechung kann ein etwaiges Mitverschulden des Betrugsopfers allenfalls im Bereich der Strafzumessung von Bedeutung sein: "Ist die Tat eines Angeklagten durch sorgloses und nachlässiges Verhalten eines anderen erleichtert worden, läßt dies einen Rückschluß auf die zur Begehung der Straftat notwendige und tatsächlich eingesetzte kriminelle Energie zu und ist deshalb strafmildernd zu berücksichtigen". 8 Die im einzelnen noch näher darzustellende Begründung für diese ablehnende Haltung gegenüber der Berücksichtigung eines Opferrnitverschuldens basiert im wesentlichen auf kriminalpolitischen Argumenten und weist große Parallelen zu der bereits im 19. Jahrhundert geführten Diskussion auf. Es wird befürchtet, daß eine Einschränkung des Strafrechtsschutzes letztendlich den Schutz der Hilflosen, Ungewandten und Lebensfremden zum Vorteil der Geschäftstiichtigen unangemessen verkürzen und die Schwachen weitgehend zur Schädigung freigeben würde. 9 Eine generelle Heranziehung des Mitverschuldens des Opfers zur Begrenzung des Betruges würde zur Ausbeutung der Schwächen der Menschen in einer kriminalpolitisch kaum erträglichen Weise anreizen. lO Gerade für Unerfahrene und Leichtgläubige sei aber der strafrechtliche Schutz unentbehrlich. 11 Außerdem seien bei einer Berücksichtigung eines etwaigen Mitverschuldens des Opfers auf längere Sicht Einstellungsveränderungen potentieller Täter zu befürchten, die sich geradezu auf Leichtgläubige stürzen werden, was kriminalpolitisch nicht zu verantworten sei. Deshalb sei die Entziehung des strafrechtlichen Schutzes aufgrund der Mitverantwortung des Opfers eine ,,rechtspolitisch grundsätzlich verfehlte Friedlosstellung des Betrogenen".12 Als Legitimation wird - wie schon früher - die sozial7 Müller-Christmann, JuS 1988, 108, 111; Maurach/Schroeder/Maiwald, § 41 II Rdnr. 68; Achenbach, Jura 1984, 602, 603; Ranft, JA 1984,723, 730; Bruns, S. 156; Lackner, in LK, § 263 Rdnr. 91; Otto, BT, § 51 III 2 ajeweils m. w. N.; vgl. zum ganzen auch Schütz, S. 200 f. 8 So BGH, StV 1983, 326; vgl. auch LG Mannheim, NJW 1993, 1488, 1489; OLG Düsseldorf, StV 1993, 76; OLG Köln, JZ 1968, 340 mit Anmerkung von Schweichel, JZ 1968,341. 9 Vgl. etwa Lackner, in LK, § 263 Rdnr. 91; Hillenkamp, Vorsatztat, S. 88; Brammsen, MSchrKrim 1986, 375, 377 f. 10 So Arzt, Verh. 51. DIT, S. N 57. 11 WesseIs I Hillenkamp, Rdnr. 510; Ranft, JA 1984, 723, 730. 12 So Hillenkamp, Vorsatztat, S. 204 ff.; Tröndle, IR 1974,221, 224; vgl. dazu auch Arzt, MSchrKrim 1984, 105, 107 ff.
11. Die zunehmende Ausdehnung der Betrugsstrafbarkeit
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staatliche Schutzaufgabe des Strafrechts herangezogen, die es hierbei besonders zu beachten gelte. 13
11. Die zunehmende Ausdehnung der Betrugsstratbarkeit Neben der ablehnenden Haltung der herrschenden Ansicht gegenüber der Berücksichtigung eines etwaigen Opferrnitverschuldens ist im Bereich der betrugsrechtlichen Vorschriften gegenwärtig aber auch eine bedenkliche Tendenz zu einer Ausdehnung der Betrugsstrafbarkeit zu konstatieren. Denn durch die Reformarbeiten der letzten Jahrzehnte wurden Verletzungstatbestände durch abstrakte Gefährdungstatbestände ergänzt, vereinzelt auch leichtfertige Verhaltensweisen einbezogen und zahlreiche unbestimmte Rechtsbegriffe zur Begrenzung der Strafbarkeit verwendet. 14
1. Die Gesetze zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität Ein Motor dieser Entwicklung ist insbesondere das als gravierend empfundene Bedürfnis nach einer intensiveren Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität. Dies hat den deutschen Gesetzgeber schon 1976 dazu veraniaßt, durch das 1. Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität (WiKG) die Strafvorschriften über den Subventionsbetrug (§ 264 StGB) und den Kreditbetrug (§ 265 b StGB) als spezielle Gefährdungstatbestände einzuführen, bei denen schon falsche Angaben zur Strafbarkeit genügen und der Eintritt eines Vermögensschadens sowie des darauf gerichteten Vorsatzes nicht nachgewiesen werden muß. Diese kriminalpolitische Linie wurde dann im Jahre 1986 durch das 2. WiKG fortgesetzt, das zum Schutze von solchen Opfern, die zunehmend durch (angeblich) steuersparende und/ oder spekulative Geldanlagen geschädigt werden, unter anderem den Kapitalanlagebetrug gemäß § 264 a StGB als weiteren Gefährdungstatbestand im Vorfeld des Betruges einführte. Der Gesetzgeber hat hierbei auf das Erfordernis einer Vermögensbeschädigung, auf die Vornahme einer irrtumsbedingten Vermögensverfügung des Opfers sowie auf die in subjektiver Hinsicht bei § 263 StGB unerläßliche Bereicherungsabsicht verzichtet. Zwar ist zuzugeben, daß derartige strafrechtspolitisch motivierte "Reformen" zur wirksameren Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität geeignet und hilfreich sein mögen, gerade auch wegen der in diesem Bereich typischen Beweisnot. Allerdings steht eine solche Ausdehnung der Strafbarkeit, die mit einer Häufung unbestimmter Begriffe einhergeht, im Widerspruch zu den allgemeinen ReformbestreAchenbach, Jura 1984,602,603; vgl. zum ganzen auch Schütz, S. 201. Vgl. dazu Lacknerl Kühl, vor § 263 Rdnr. 1 ff.; Kritik an der Kriminalisierung im Vorfeld von Rechtsgutsverletzungen etwa auch bei Jakobs, ZStW 97,751 ff. 13
14
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B. Die Berücksichtigung der Mitverantwortung nach Stand der Betrugsdogmatik
bungen nach einer Einschränkung des kriminellen Strafrechts sowie nach höchstmöglicher Bestimmtheit der tatbestandlichen Grenzen. 15 Zudem bestehen aber auch insofern Bedenken gegen diese Vorverlagerung des strafrechtlichen Schutzes, als daß gerade auf solche "klassischen" Tatbestandsmerkmale des Betruges verzichtet wird, über die die Opfersphäre ins Blickfeld gerät. Damit wird aber eine Berücksichtigung eines eventuellen Mitverschuldens des Opfers - anders als beim Betrugstatbestand des § 263 StGB - vereitelt und damit die Taterseite zu Unrecht einseitig belastet.
2. Der Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Union Diese zweifelhafte Tendenz läßt sich auch bei der Entwicklung eines europäischen Strafrechts durch Angleichung der nationalen Strafrechts systeme der Mitgliedsländer feststellen. Dies wurde in den letzten Jahren vor allem durch den als unzureichend empfundenen strafrechtlichen Schutz der finanziellen Interessen der EU vorangetrieben. Die Bekämpfung von Betrugshandlungen zu Lasten der EU stellt dabei einen geradezu klassischen Bereich des europäischen Strafrechts dar, insbesondere im Agrarbereich. 16 Während die finanziellen Interessen der EU bisher zweigeteilt durch die in den nationalen Gesetzgebungen verankerten Tatbestände des (Subventions-)Betruges sowie das Zoll- und Steuerstrafrecht geschützt wurden, wird es seit einiger Zeit neben der Harmonisierung der einzelnen Strafgesetze auch in Erwägung gezogen, auf europäischer Ebene einen "Europäischen Betrug" als Straftatbestand einzuführen. 17 Dabei ist zwar noch nicht endgültig abzusehen, welches der nationalen Betrugsmodelle sich durchsetzen wird und ob die Zukunft eher in einer generalisierenden oder in einer konkreten Betrachtung liegt. 18 Allerdings wurde durch den 1998 vorgelegten Entwurf eines "Corpus Juris strafrechtlichen Regelungen zum Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Union,,19 eine eher bedenkliche Richtung eingeschlagen. Die hierzu vom Europäischen Parlament beauftragte Arbeitsgruppe schlägt in dem materiellrechtlichen 15 Zur weitergehenden Kritik an der Ausdehnung von Gefährdungstatbeständen vgl. bezüglich § 265 b etwa die Nachweise bei Lenckner, in Schönke/Schröder, § 265 b Rdnr. 2 ff. sowie Lampe, S. 54 ff. mit dem Fazit, daß der Gesetzgeber "anstatt in dieser Weise besser gar nicht tätig geworden wäre" (S. 56); vgl. zu § 264a auch Worms, S. 244, sowie Zaczyk, Gesellschaftsgefährlichkeit, 116 ff. (,,§ 264a sollte aus dem Strafgesetzbuch wieder gestrichen werden", S. 127). 16 Vgl. dazu Hamacher, Kriminalistik 1996,778; Kuhl, Kriminalistik 1997, 105; Dannekker, JZ 1996, 869 f. 17 Vgl. zu den einzelnen Harmonisierungsbestreben Dannecker, JZ 1996, 874 ff. IS SO Dannecker, ZStW 108 (1996), 577, 613. 19 Corpus Juris der strafrechtlichen Regelungen zum Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Union, herausgegeben von Mireille Delmas-Marty, Köln, Berlin, Bonn, München 1998.
11. Die zunehmende Ausdehnung der Betrugsstrafbarkeit
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Teil des Corpus Juris - ausgehend vom Gesetzlichkeitsprinzip - acht neue Straftatbestände sowie in einem neunten Artikel die in Betracht kommende Strafe vor. Nach Art. 1 des Corpus Juris liegt ein "Betrug zum Nachteil des Gemeinschaftshaushaltes" insbesondere vor bei unvollständigen, unrichtigen oder auf falschen Urkunden beruhenden Angaben bei der zuständigen Behörde über Tatsachen (die für die Gewährung einer Subvention oder einer sonstigen Hilfe oder für die Begleichung einer Steuerschuld wesentlich sind), "wenn dadurch der Gemeinschaftshaushalt gefährdet werden kann".2o Nach der Begriindung zu diesem Vorschlag ergibt sich die Notwendigkeit, den Betrug als Geflihrdungsdelikt zu definieren, daraus, daß es hierbei gerade nicht erforderlich sei, ob die bezeichneten Verletzungshandlungen bereits zum Erfolg geführt haben. 21 Wegen der Schwierigkeit, einen materiellen Schaden nachzuweisen, wird in ähnlicher Weise die Straftat des Ausschreibungsbetruges in Art. 2 des Corpus Juris definiert als eine Täuschung im Verfahren über die Vergabe öffentlicher Aufträge, wenn "sie geeignet ist, die finanziellen Interessen der Gemeinschaft zu gefährden,,?2 Hauptstrafen hinsichtlich dieser Delikte sind nach Art. 9 des Corpus Juris für natürliche Personen Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren und/ oder Geldstrafen?3 Art. 10 des Corpus Juris zufolge wird zwar insofern ausdriicklich am Schuldprinzip als Voraussetzung strafrechtlicher Verantwortlichkeit festgehalten, als daß alle acht vorgeschlagenen Straftaten vorsätzliches Handeln voraussetzen. Eine Ausnahme soll allerdings für den Betrug zum Nachteil des Gemeinschaftshaushaltes gelten, für den "Leichtfertigkeit" genügt. 24 Bei der Erläuterung dieser, dem Eventualvorsatz "ähnlichen" Schuldform wird ausdriicklich auf das deutsche Strafrecht, namentlich auf den Subventionsbetrug (vgl. § 264 Abs. 4 StGB) sowie die Geldwäsche (vgl. § 261 Abs. 5 StGB) verwiesen. Die Verfasser des Corpus Juris lassen offen, wie ihre Vorschläge in Kraft gesetzt werden sollen. Allerdings wird dem Entwurf aufgrund seines Modellcharakters bescheinigt, ein "trojanisches Pferd" für die Vereinheitlichung des europäischen Strafrechts darzustellen. 25 Auch wenn die Vorteile einer Annäherung der europäischen Rechtsordnung generell begriißt werden können, darf gleichzeitig nicht übersehen werden, daß der vorgeschlagene Entwurf zumindest hinsichtlich seiner betrugsrechtlichen "Innovationen" doch erheblichen Bedenken unterliegt. Zum einen werden durch die Ausdehnung der Strafbarkeit des Betruges zum Nachteil finanzieller Interessen der EU auf leichtfertiges Handeln nunmehr auch fahrlässige Handlungen bei einer Straftat erfaßt, die typischerweise plan voll und berechnend ausgeführt wird. Diese Mißdeutung strafwürdigen Verhaltens ist nur schwer mit 20
Corpus Juris, S. 31.
21 Corpus Juris, S. 32. 22
Corpus Juris, S. 34.
23 Corpus Juris, S. 39. 24 Vgl. auch den Wortlaut des Tatbestandes, Corpus Juris, S. 31. 25 So SiebeT, Corpus Juris (Einführung), S. 9.
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B. Die Berücksichtigung der Mitverantwortung nach Stand der Betrugsdogmatik
dem Schuldprinzip sowie dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in Einklang zu bringen?6 Außerdem sind sowohl der Betrug nach Art. 1 des Corpus Juris als auch der Ausschreibungsbetrug gemäß Artikel 2 des Corpus Juris als abstraktes Gefährdungsdelikt konzipiert, da nicht nur Handlungen, die eine Vermögensverletzung tatsächlich verursacht haben, als strafbar eingestuft werden, sondern auch solche, die den Haushalt der Gemeinschaft lediglich schädigen können. Der Verzicht auf eine Vermögensschädigung bedeutet aber eine gefährliche Ausweitung des strafrechtlichen Vermögensschutzes auf das Vorfeld einer bloßen, unbestimmt gelassenen Gefährdungsmöglichkeit. 27 Da gleichzeitig Leichtfertigkeit dem vorsätzlichen Handeln gleichgestellt wird, führt dies insgesamt zu einem überhöhten strafrechtlichen Schutz des Vermögens, der in einem eklatanten Wertungswiderspruch zum strafrechtlichen Schutz anderer individueller Rechtsgüter (insbesondere zum Schutz des Lebens und des Körpers) steht. 28 Hinzu kommt, daß zwar im Entwurf ausdrücklich auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit der Strafe hingewiesen wird, den es zu beachten gelte. 29 Trotzdem wird der ultima-ratio-Gedanke vernachlässigt: Nicht einmal im Katalog der im Rahmen der Strafzumessung zu beriicksichtigenden Kriterien (Art. 15) kommt ansatzweise der Gedanke auf, inwieweit die EU als "Opfer" von Angriffen auf ihre finanziellen Interessen möglicherweise für die Verletzung ihrer Rechtsgüter mitverantwortlich sein könnte und ob es Möglichkeiten gibt, die Opferinteressen vor einem Einsatz strafrechtlicher Mittel auf eine mildere, aber ebenso effiziente Weise zu schützen. 3o Denn auch im Bereich des Betruges zum Nachteil öffentlicher Haushalte liegt es durchaus nahe, dem Opfer zuzumuten, vor dem Ruf nach strafrechtlichen Mitteln seinen eigenen Schutz durch ihm mögliche Maßnahmen zu verbessern. Insgesamt stellen sich die vorgelegten Vorschläge damit als einseitig dominiert von den Interessen des Opferschutzes und der Strafverfolgung dar. Die an sich zu begriißende Erweiterung des strafrechtlichen Schutzes zugunsten des Vermögens der EU erfolgt in nicht akzeptabler Weise gegen die freiheitsschützenden Prinzipien des Strafrechts sowie des strafrechtlichen Verfassungsrechts?l
3. Ergebnis
Im Ergebnis bleibt festzuhalten, daß sich sowohl auf nationaler wie auf europäischer Ebene fragwürdige Tendenzen feststellen lassen, den Bereich des strafbaren Betruges auszudehnen. Angesichts dieser Vorverlagerung des strafrechtlichen 26 27 28 29
30 31
Manoledakis, KritV 1999, 181, 187 f. Winfried Hassemer, KritV 1999, 133, 139; Manoledakis, KritV 1999, 181, 187. Otto, Jura 2000, 98, 100. Vgl. Corpus Juris, S. 30. So auch Winfried Hassemer, KritV 1999, 133, 137. Winfried Hassemer, KritV 1999, 133, 136 f.; Manoledakis, KritV 1999, 181, 188.
III. Ausländische Gesetzgebung und Rechtsprechung
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Schutzes, die die Berücksichtigung eines eventuellen Opfermitverschuldens unter fortschreitender Vernachlässigung des ultima-ratio-Gedankens 32 zunehmend erschwert, stellt sich um so dringlicher die Frage, ob und wie ein etwaiges Mitverschulden im Rahmen des § 263 StGB berücksichtigt werden sollte; gegebenenfalls sind zudem die Konsequenzen hinsichtlich betrugsrechtlicher Gefährdungstatbestände zu klären.
In. Ausländische Gesetzgebung und Rechtsprechung Bevor näher auf die herrschende deutsche Betrugsdogmatik eingegangen wird und deren innere Widersprüche herausgearbeitet werden, soll diese noch kurz mit ausländischer Gesetzgebung und Rechtsprechung unter dem Aspekt der Mitverantwortung verglichen werden. Dabei ist schon einleitend festzustellen, daß sich in den europäischen Rechtsordnungen zwei verschiedene Grundmodelle des Betruges voneinander abgrenzen lassen. Auf der einen Seite befindet sich das französische Tatbestandsmodell, auf der anderen das des deutschen Rechts. 33
1. Frankreich
In Frankreich ist seit dem 1. März 1994 ein neuer Code penal in Kraft getreten, der den Betrugstatbestand in Art. 313 - 1 gegenüber dem Art. 405 des Code penal von 1810 neu formuliert. 34 Allerdings sind, abgesehen von dem Gebrauch eines falschen Namens oder einer falschen Eigenschaft, unverändert "manreuvres frauduleuses" erforderlich. Es kommen also nur betrügerische Machenschaften einer bestimmten Art in Frage. Zu deren näheren Bestimmung existiert eine ausführliche Rechtsprechung, die nach wie vor eine "mise en scene" fordert, d. h. die unwahre Behauptung muß - selbst wenn sie schriftlich erfolgt - von einem äußeren Element begleitet sein, um sie glaubwürdiger und damit auch strafwürdiger zu machen. 35 Die französische Betrugsdogmatik basiert weiterhin auf dem Grundsatz, daß eine einfache Lüge ohne weitere Maßnahmen zu ihrer Bekräftigung, keine tatbestandsmäßige Täuschungshandlung sein kann. Der Ausgangspunkt dieser Betrachtung liegt darin, jenen Opfern den strafrechtlichen Schutz zu versagen, die solchen Lügen Glauben schenken, bei denen sie allen Anlaß hätten, mißtrauisch zu sein. 36 So auch Kaiafa-Gbandi, KritV 1999, 162, 179 m. w. N. Dannecker; ZStW 108 (1996), 577, 588 f. 34 Das französische Strafgesetzbuch, Code penal, deutsche Übersetzung von Gesine Bauknecht und Lieselotte Lüdicke, Freiburg i. Br. 1999. 35 Vgl. die Nachweise bei Faure, ZStW 108 (1996), 527 ff. sowie bei Walter; Betrugsstrafrecht in Frankreich und Deutschland, Freiburg i. Br. 1999, S. 112. 36 Walter; S. 80 f. m. w. N. 32 33
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B. Die Berücksichtigung der Mitverantwortung nach Stand der Betrugsdogmatik
Anders als im 19. Jahrhundert37 stellt die Praxis jedoch schon seit längerem nicht mehr derart hohe Anforderungen an die Tauschungshandlung, daß diese einem arglistigen Verhalten entsprechen. 38
2. Belgien, Niederlande Auf dem französischen Tatbestandsmodell beruhen auch die Betrugstatbestände des Art. 496 des belgischen Code penal sowie der Art. 326 des niederländischen Strafgesetzbuchs. 39 Ebenso wie in Frankreich werden in bezug auf die betrügerischen Mittel spezifische Erfordernisse aufgestellt und gefordert, daß ein falscher Name bzw. eine falsche Eigenschaft oder aber "betrügerische Machenschaften" bzw. "listige Manöver" eingesetzt werden. 4o Gemeinsamer Grundgedanke ist es offenbar, daß eine Lüge im Geschäftsverkehr nur dann strafbar ist, wenn sie geeignet ist, auch einen vorsichtigen Menschen zu überlisten. Unter der Prämisse, daß der einzelne sich aufmerksam verhalten und ein gewisses Maß an Sorgfalt gegenüber sich selbst aufbringen müsse, wird die Strafbarkeit auf die Schädigung besonders schutzbedürftiger Opfer beschränkt. 41 Vor allem beim Warenbetrug wird sowohl in Belgien als auch in Frankreich angenommen, daß der strafrechtliche Schutz im Hinblick auf solche Mängel entbehrlich ist, die bei Lieferung der Ware leicht vom Käufer entdeckt werden können. 42 In allen drei Rechtssystemen kann ein strafbarer Betrug außerdem nur durch positives Tun, nicht aber auch durch ein Unterlassen begangen werden. 43
3. Schweiz Nach Art. 148 des schweizerischen Strafgesetzbuches begeht einen Betrug, wer in Bereicherungsabsicht einen anderen arglistig zu einer schädigenden Vermögensverfügung veranIaßt. Mit dem Tatbestandsmerkmal der Arglist schlägt das schweizerische Recht einen Mittelweg ein zwischen der französischen Fassung der Betrugshandlung, die betrügerische Machenschaften verlangt, und der deutschen BeSiehe oben unter Teil A I I b aa). Siehe bereits Hegler, S. 449 Fn. 3 m. w. N. 39 Vgl. Schaffmeister, Das niederländische Strafgesetzbuch, S. 157; Pompe, in Mezger/ Schönke /lescheck, Band V, S. 7, 206 ff. 40 Dannecker, ZStW 108 (1996), 577, 588; Faure, ZStW 108 (1996), 527, 530 ff. 41 Faure, ZStW 108 (1996), 527; vgl. auch den Diskussionsbericht von Zieschang über die Arbeitssitzung der Fachgruppe Strafrechtsvergleichung bei der Tagung der Gesellschaft für Rechtsvergleichung am 21. 3. 1996 in Jena, ZStW 108 (1996), 609, 610 f., 612. 42 Vgl. Faure, ZStW 108 (1996), 527, 546. 43 Faure, ZStW 108 (1996), 527, 531 sowie Dannecker, ZStW 108 (1996), 577, 588 mit dem Hinweis, daß der die Tathandlung umschreibende Begriff der "manceuvres frauduleuses" insofern freilich weit ausgelegt wird. 37 38
III. Ausländische Gesetzgebung und Rechtsprechung
85
trugskonzeption, nach der auch eine einfache Lüge ausreicht. 44 Die Interpretation des Arglistmerkmals ist dabei geprägt durch die Rechtsprechung des schweizerischen Bundesgerichts. Danach handelt der Täter zum einen dann mit Arglist, wenn er ein ganzes "Lügengebäude" errichtet, das von besonderer Hinterhältigkeit zeugt, oder Kniffe (manreuvres frauduleuses) bzw. betriigerische Machenschaften (mise en scene) anwendet und damit die Täuschung zusätzlich stütZt. 45 Wahrend es bei einem derartigen Täterverhalten allein schon wegen der geringeren objektiven Gefährlichkeit auf das Opferverhalten nicht ankommt, wird eine bloße einfache Lüge dann als arglistig angesehen, wenn sie für das Opfer ohne besondere Mühe nicht zu überprüfen ist. Daneben soll auch bei leichter Überprüfbarkeit eine arglistige Täuschungshandlung vorliegen, wenn dem Opfer eine Kontrolle nicht zumutbar sei, wenn der Täter das Opfer davon abhalte oder aufgrund besonderer Umstände damit rechne, daß das Opfer von einer Überprüfung absehen werde. 46 Hier führt also die Berücksichtigung der Mitverantwortung des Opfers zu einer restriktiven Interpretation des Arglistmerkmals. Damit soll verhindert werden, daß besonders Leichtsinnige und Leichtgläubige strafrechtlich geschützt werden. Diese Wertung kommt besonders deutlich darin zum Vorschein, daß eine Überprüfung dann als unzumutbar angesehen wird, wenn der Täter durch sein Verhalten sehr hohes Vertrauen beim Opfer hervorgerufen hat. 47 Ein etwaiges Mitverschulden des Opfers ist demgegenüber ohne Relevanz bezüglich des Irrtumsmerkmals, da es hier keine Rolle spielen soll, ob das Opfer imstande ist, "mit normaler Geisteskraft einen Irrtum vorzubeugen oder einen solchen zu überwinden".48
4. Österreich
Im österreichischen Strafrecht nennt der Betrugstatbestand als Tathandlung eine Täuschung über Tatsachen. Darunter wird zwar wie in Deutschland die Einwirkung auf das Vorstellungsbild eines anderen verstanden, allerdings umfaßt dieses Merkmal sowohl die Täuschungshandlung selbst als auch die Herbeiführung des Irrtums beim Betrugsopfer.49 Im Gegensatz zu Art. 148 des schweizerischen Strafgesetzbuches verlangt der österreichisehe Betrugstatbestand als Tathandlung keine argli44 BGE 72 IV 12, 13; Stratenwerth, Schweizerisches Strafrecht, Band I, § 15 Rdnr. 16; Trechsel, Schweizerisches StGB, Art. 148 Rdnr. 7; vgl. auch BGE 99 IV 75, 76 f. m. w. N. 45 BGE 71 IV 13, 17; 99 IV 80, 85 f.; Stratenwerth, § 15 Rdnr. 18; Trechsel, Art. 148, Rdnr.8. 46 BGE 72 IV 126, 128 f.; 99 IV 75, 77; 100 IV 273, 274; 106 IV 358, 360; 107 IV 169, 170 f.; Stratenwerth, § 15 Rdnr. 17; Trechsel, Art. 148 Rdnr. 7. 47 Trechsel, Art. 148 Rdnr. 10. 48 BGE 80 IV 156, 157; Hafter, BT-l, S. 264 f.; Trechsel, Art. 148 Rdnr. 14. 49 Vgl. Foregger/Serini, Strafgesetzbuch, § 146 Anm. 11/3; Leulwuf/Steininger, Strafgesetzbuch, § 146 Rdnr. 4.
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B. Die Berücksichtigung der Mitverantwortung nach Stand der Betrugsdogmatik
stige Täuschung. Das früher dem Betrug inhärente "schillernde" Merkmal der List wurde nach Ansicht des österreichischen Gesetzgebers entweder zu weit oder zu eng ausgelegt, so daß § 146 des österreichischen Strafgesetzbuches nunmehr eine Täuschung über Tatsachen ausreichen läßt. 5o Gleichzeitig wird aber betont, daß unwahre oder übertriebene Anpreisungen, wie sie im modemen Geschäftsverkehr üblich sind und von niemanden wörtlich genommen werden, nicht erfaßt sind. 51 Sowohl in der Rechtsprechung als auch im Schrifttum wird die Ansicht vertreten, daß die Tathandlung nicht nur nach dem Willen des Täters zur Irreführung eines anderen bestimmt, sondern hierzu auch objektiv geeignet sein muß. Danach kommt es also auf die spezifische Eignung der verwandten Mittel zur Täuschung des potentiellen Betrugsopfers an, wobei allerdings kein besonders raffiniertes Vorgehen verlangt wird, sondern ein tatbestandsmäßiger Betrug auch bei plumpen und leicht zu durchschauenden Täuschungsmanövern bejaht wird. 52 Ebenso wie nach herrschender deutscher Betrugsdogmatik hat auch in Österreich selbst eine sehr ausgeprägte Leichtgläubigkeit des Betrogenen keinen Einfluß auf das Vorliegen der Kausalität des täuschenden Verhaltens für die Vornahme der schädigenden Vermögensverfügung. 53
5. Eng/and, USA In England unterfallen betrügerische Verhaltensweisen dem Theft Act 1968, der in seetion 15 "dishonestly obtaining property of another by deception" unter Strafandrohung stellt. Diese Regelung steht dem deutschen Recht wesentlich näher als dem französischen Rechtssystem. Gerade die Anforderungen an die Tathandlung entsprechen im wesentlichen dem deutschen Betrugstatbestand. 54 Im Gegensatz zu frühe~5 wird nunmehr die Ansicht vertreten, daß es auf die Erkennbarkeit der Täuschung sowie auf die Vermeidbarkeit des Irrtums bei Anwendung der üblichen Aufmerksamkeit nicht ankomme. Entscheidend sei lediglich, daß der Täter aufgrund seiner Vorspiegelung falscher Tatsachen einen Vermögensvorteil erlangt habe. Deshalb liege eine betrugsrelevante Täuschungshandlung auch dann vor, wenn eine Person von gewöhn50 So die Dokumentation zum Strafgesetzbuch, Wien 1974, S. 169; Liebseher, in Wiener Kommentar, § 146 Rdnr. 10. 51 Dokumentation zum Strafgesetzbuch, S. 169; Foregger/Serini, § 146 Anm. 11/3; Liebscher, in Wiener Kommentar, § 146 Rdnr. 11 a.E. 52 Vgl. Tschulik, in Wiener Kommentar, Ergänzung zu § 146, Rdnr. 15c; Leukauf/Steininger, § 146 Rdnr. 12,20; Foregger/Serini, § 146 Anm. 11/3; vgl. aber auch Kienapfel, Grundriß des österreichischen Strafrechts, Besonderer Teil, Band 11, § 146 Rdnr. 64 f. und dazu Ellmer, S. 209 ff. 53 Kienapfel, § 146 Rdnr. 93; Leukauf/Steininger, § 146 Rdnr. 20. 54 Vgl. Dannecker, ZStW 108 (1996), 577, 589. 55 Siehe oben Teil All b bb).
111. Ausländische Gesetzgebung und Rechtsprechung
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licher Klugheit ("common prudence") diese leicht durchschaut hätte durch eine einfache Nachfrage, oder die behauptete Tatsache gar nicht möglich sein kann. 56 Selbst eine sehr ausgeprägte Leichtgläubigkeit kann in England den Betrugsvorwurf nicht entkräften, obwohl sie bei betrügerischen Handlungen gerne zur Verteidigung herangezogen wird. Zum Schutz der Schwachen und Gutgläubigen, aber auch zur Gewährleistung einer geordneten Strafrechtspflege bleibt der Gedanke der Mitverantwortung des Opfers ohne Einfluß auf die Beurteilung der Schuld des Taters. 57 Diese Sachlage gilt auch für das US-amerikanische Recht, das maßgeblich durch die strafrechtliche Entwicklung in England beeinflußt ist. In fast allen Bundesstaaten wurde zunächst das englische common law übernommen. Inzwischen hat aber neues Gesetzesrecht die Bedeutung der Tradition des common law einschließlich der Doktrin in bezug auf Betrügereien zurückgedrängt und sich der neueren Entwicklung der Betrugsdelikte in England entsprechend angepaßt. 58 Die gleiche Tendenz ist auch bei der Gesetzgebung auf Bundesebene zu verzeichnen, auf der allerdings kein bundesweit geltender allgemeiner Betrugstatbestand existiert. Vielmehr verbietet das Bundesrecht nur einige spezielle Betrugsarten, z. B. wenn die Bundesregierung selbst betrogen wird oder wenn zur Begehung des Betrugs die Post, das Telefon oder andere Kommunikationsmittel einzelstaatsübergreifend bzw. im Auslandshandel benutzt werden. 59
6. Ergebnis
Damit ergibt sich, daß auch in anderen Rechtsordnungen die Frage diskutiert wird, ob eine eventuelle Mitverantwortung des Opfers innerhalb des Betrugstatbestandes zu berück!?ichtigen ist. Allerdings wird von den hier untersuchten Ländern nur in der Schweiz und in Frankreich die Opfermitverantwortung tatbestandlich berücksichtigt mittels des restriktiv ausgelegten Arglistmerkmals bzw. durch das Erfordernis betrügerischer Machenschaften. 6O
56 Smith/Hogan, Criminal Law, 7 th edition, London 1992, S. 562 ff.; Stephen, A Digest of the Criminal Law, 9th edition, London 1950, S. 352; Wilshere, The Elements of Criminal Law and Procedure, 4 th edition, London 1935, S. 124 f.; vgl. auch die Entscheidungsnachweise bei Wehrle, S. 29 f. 57 Smith/Hogan, S. 568; Kielwein, S. 177 ff.; GTÜnhut, in Mezger/Schönke/Jescheck, Band m, S. 133, 237 ff.; Wehrle, S. 77 f. m. w. N. 58 Darby, ZStW 108 (1996), 549, 553, 575. 59 Darby, ZStW 108 (1996), 549, 556. 60 Vgl. aber auch Riegger, S. 164 ff., zur Regelung des Betruges im ibero-amerikanischen Strafrecht, das sich sehr intensiv mit den Anforderungen an die Täuschungshandlung auseinandersetzt.
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B. Die Berücksichtigung der Mitverantwortung nach Stand der Betrugsdogmatik
IV. Ansätze zu einer latenten Berücksichtigung der Opfermitverantwortung innerhalb der herrschenden Betrugsdogmatik
Wie sich auch schon in der Diskussion während der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts abzeichnete, lassen sich im Gegensatz zu der ganz überwiegenden Ablehnung einer tatbestandlichen Berücksichtigung der Opfermitverantwortung in verschiedenen Einzelbereichen der deutschen Betrugsdogmatik entgegengesetzte Gedankengänge nachweisen. Dabei ist gerade innerhalb der konkreten Problemlösung oftmals eine starke - und zumeist wohl auch unvermeidbare - Einbeziehung von individuellen Maßnahmen des Selbstschutzes zu ermitteln.
1. Im Bereich der 1äuschungshandlung
Dies ist bereits im Bereich der Täuschungshandlung gleich an mehreren Punkten festzustellen, was schon darauf zurückzuführen ist, daß der (historische) Gesetzgeber gerade mit diesem ersten Tatbestandsmerkmal des Betrugstatbestandes versucht hat, sozial mißbilligte von sozial adäquaten Vermögensschädigungen abzugrenzen.
a) Die Abgrenzung von Tatsachenbehauptungen und Werturteilen Der Gesetzeswortlaut des Betrugstatbestandes nennt als Objekt der Täuschungshandlung nur den Begriff der Tatsache, so daß sich die Notwendigkeit ergibt, die Täuschung über Tatsachen von der Täuschung über Wertungen abzugrenzen. Nach der noch aus Zeiten des Reichsgerichts stammenden Terminologie werden unter Tatsachen nur konkrete Vorgänge oder Zustände der Vergangenheit oder Gegenwart verstanden, die dem Beweis zugänglich sind. Aus dem Tatsachenbegriff scheiden daher reine Werturteile und zukünftige Ereignisse grundsätzlich aus. 61 Die herrschende Betrugsdogmatik nimmt jedoch zahlreiche Korrekturen dieses Tatsachenbegriffes vor. Das hat zur Folge, daß nur wenige Behauptungen untaugliche Täuschungshandlungen sein können. Die grundsätzliche Ausgrenzung von zukünftigen Tatsachen wird zum einen durch die Annahme relativiert, man könne auch über innere Tatsachen, also über gegenwärtige Überzeugungen und Hoffnungen täuschen. Denn nach h.M. erlaßt der Tatsachenbegriff neben Erscheinungen in der Außenwelt (äußeren Tatsachen) auch psychische Gegebenheiten und Abläufe, wie etwa das Vorhandensein einer Überzeugung oder bestimmter Kenntnisse und Absichten,62 wenn sie nur in er-
61 RGSt 56, 227, 230; OLG Düsseldoif, wistra 1996, 32; Ouo, JZ 1993, 652; eramer, in Schönke/Schröder, § 263 Rdnr. 8; Lackner/Kühl, § 263 Rdnr. 4; Wesselsl Hillenkamp, Rdnr. 494; Lackner, in LK, § 263 Rdnr. 11 rn. w. N.
IV. Ansätze zu einer latenten Berücksichtigung der Opfennitverantwortung
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kennbarer Beziehung zu Vorgängen oder Zuständen der Vergangenheit oder Gegenwart gesetzt sind. 63 Dogmatisch wird die Anerkennung von inneren Tatsachen damit begründet, daß die einbezogenen Werturteile zugleich die Behauptung enthielten, der Urteilende sei von der Richtigkeit seines Urteils überzeugt oder er sei zu der Abgabe des Urteils aufgrund besonderer Sachkenntnis befähigt. So könne die Prognose eines künftigen Ereignisses insofern Gegenstand einer betrugsrelevanten Täuschungshandlung sein, als daß sie die Behauptung der gegenwärtigen inneren Tatsache enthalte, man sei jetzt überzeugt, das Ereignis werde eintreten oder beabsichtige bzw. sei bereit, es herbeizuführen. 64 Zudem soll für die Abgrenzung von Tatsachen gegenüber Werturteilen darauf abzustellen sein, ob sich aus dem Erklärungswert der Äußerung ein objektivierbarer Tatsachenkern ergibt, über dessen Vorhandensein oder Fehlen beim Getäuschten unrichtige Vorstellungen geweckt werden sollen. 65 Als tauglicher Gegenstand einer Täuschungshandlung werden deshalb auch die sog. Werturteile mit Tatsachenkern angesehen, bei denen der Täter dem Empfänger neben einem an sich vom Tatsachenbegriff nicht erlaßten Werturteil zugleich die Vorstellung von gegenwärtigen oder vergangenen Tatsachen übermittelt. 66 Schließlich werden auch solche reinen Werturteile unter den Tatsachenbegriff subsumiert, bei denen der Erklärende eine besondere Fachkompetenz besitzt oder vortäuscht. Entscheidend sei dabei, daß der wirklichen oder vorgetäuschten überlegenen Kompetenz des Erklärenden eine Unterlegenheit im Wissen des Erklärungsempfängers korrespondiere. Ein derartiges intellektuelles Machtgefälle zwischen Täter und Opfer soll insbesondere dann bestehen, wenn für letzteres keine zumutbaren Möglichkeiten bestehen, die tatsächlichen Grundlagen des Werturteils nachzuprüfen, wie dies etwa bei Sachverständigengutachten und Rechtsauskünften von Anwälten der Fall sei. 67 62 Der BGH hat z. B. auch die Bereitschaft ausreichen lassen, von abergläubischen Tatopfern erhaltene Wertgegenstände an religiösen Stätten in den Opferstock zu legen, um Unheil abzuwehren; vgl. BGH, wistra 1987,255,256. 63 aLG Düsseldorf, wistra 1996,32 f.; Lackner; in LK, § 263 Rdnr. 11. 64 Vgl. RGSt 24, 216, 217; BGHSt 15, 24, 26; aLG Düsseldorf, wistra 1996, 32; aLG Stuttgart, NJW 1958, 1833; aLG Braunschweig, NJW 1959, 2175, 2176; Arzt/Weber; Lehrbuch, § 20 Rdnr. 33 f.; Tröndle, in Tröndle / Fischer; § 263 Rdnr. 3; Lackner; in LK, § 263 Rdnr. 11; eramer; in Schönke/Schröder; § 263 Rdnr. 10; Maurach/Schroeder/Maiwald, § 41 11 Rdnr. 28; vgl. auch Lampe, S. 10 f. 65 eramer; in Schönke/Schröder; § 263 Rdnr. 9; Maurach/Schroeder/Maiwald, § 41 11 Rdnr. 28; vgl. auch Tröndle, in Tröndle / Fischer; § 263 Rdnr. 4 sowie Lackner; in LK, § 263 Rdnr. 12 m. w. N. 66 RGSt 20, 3; 70, 152, 153; BGH, bei Dallinger, MDR 1973, 18; vgl. zum ganzen auch BGHSt 34, 199,201 sowie Samson, in SK, § 263 Rdnr. 12; ders., JA 1978,469,471. 67 aLG Stuttgart, NJW 1979, 2573, 2574; H. Schröder; JR 1958, 106 f.; Graul, JZ 1995, 595,597 f.; eramer; in Schönke/Schröder; § 263 Rdnr. 10; Krey, Rdnr. 342 f.; vgl. dazu auch BGH, NJW 1981,2131,2132; Samson, in SK, § 263 Rdnr. 13 und in JA 1978,469,471; Seelmann, JuS 1982,268,269.
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B. Die Berücksichtigung der Mitverantwortung nach Stand der Betrugsdogmatik
Im Ergebnis erweist sich der Kreis der von der h.M. aus dem Betrugstatbestand ausgeschlossenen Behauptungen als sehr klein. Neben Rechtsausführungen der Parteien im Prozeß sowie der Äußerung von Gewinn- oder Verlusterwartungen 68 wird die Unterscheidung zwischen Tatsachenbehauptungen und Werturteilen vor allem bei allgemeinen Redewendungen, übertreibenden Anpreisungen und der sog. marktschreierischen Reklame relevant. 69 Hier fehle es zumeist an einem greifbaren Tatsachenkern, so daß - abhängig von der jeweiligen Fonn, dem Grad der Bestimmtheit der einzelnen Angaben und den Begleitumständen - allgemeine und verschwommene Äußerungen keine Tatsachenbehauptungen darstellen sollen wie z. B. das "beste Waschmittel" oder die "meistgelesene Illustrierte"?O Außerdem sei zu berücksichtigen, daß die Verkehrsanschauung derartige Äußerungen im Bereich der Werbung häufig nicht als ernsthafte Behauptungen von Tatsachen mit Wahrheitsgehalt auffasse. 71 So hat der BGH das Vorliegen einer Täuschungshandlung verneint im Hinblick auf die Werbung für ein Franchisesystem mit der Behauptung, es handele sich um gehobene Geschenkeartikel, "die sich von selbst verkaufen und eine Marktlücke darstellen".72 Denn in diesen Erklärungen seien keine Tatsachenbehauptungen, sondern lediglich Meinungsäußerungen werbenden, reklamehaften Charakters zu sehen, die sich in der Prognose einer künftigen, geschäftlichen Entwicklung erschöpfen. 73
Andererseits weist die h.M. darauf hin, daß auch bei übertreibenden Anpreisungen genau untersucht werden müsse, ob diese nicht doch einen Tatsachenkern enthalten. 74 Dies soll z. B. gegeben sein, wenn auf - unter Umständen sogar frei erfundene - wissenschaftliche Bestätigungen verwiesen wird, wie etwa im bereits angesprochenen sog. "Haarverdoppler-Fall", in dem u. a. der "Haarverdicker-Doppelhaar" mit der Wirkung angepriesen wurde, das Haar binnen zehn Minuten zu verdoppeln und man mit einem angeblich von einem Schweizer Schönheitschirur68 Als eigentliche Prognose über eine zukünftige Entwicklung soll sie freilich dann eine betrugsrelevante Tauschung darstellen, wenn sie auf der Grundlage unzutreffender gegenwärtiger Verhältnisse aufgestellt wird; vgl. auch BGHSt 30, 177, 180 zur Tauschung über Chancen und Risiken einer Warenterminoption unter Berufung auf Börsentrends; dazu Geerds, Wirtschaftsstrafrecht, S. 84; Wonns, Anlegerschutz, S. 177. 69 Vgl. dazu auch § 4 UWG und dessen Kommentierung bei Baumbachl Hefermehl, Wettbewerbsrecht, 22. Auflage, München 2001. 70 MaurachlSchroederlMaiwald, § 41 II Rdnr. 33; Fischer, in Trondlel Fischer, § 263 Rdnr. 4; Samson, in SK, § 263 Rdnr. 16; Lackner, in LK, § 263 Rdnr. 15 m. w. N. 71 So eramer, in SchönkelSchroder, § 263 Rdnr. 9; Lackner, in LK, § 263 Rdnr. 15; Wessels I Hillenkamp, Rdnr. 496. 72 BGH, wistra 1992, 255, 256; zustimmend Otto, JZ 1993,652,653. 73 Anders zu beurteilen soll es nach Ansicht des OLG FrankjurtlMain (wistra 1986, 31, 32) zwar sein, wenn Waren der Wahrheit zuwider wegen angeblich besonderer Eigenschaften als ,,konkurrenzlos" bezeichnet werden; diesem Sachverhalt lag allerdings die progressive Kundenwerbung nach einem sog. Pyrarnidensystem zugrunde, dessen materieller Anreiz nicht in der Weiterveräußerung der Produkte, sondern in der mit einer Provision verbundenen Anwerbung neuer Verkäufer besteht; vgl. dazu auch Otto, JZ 1993,652,653. 74 Samson, in SK, § 263 Rdnr. 16; MaurachlSchroederl Maiwald, § 41 II Rdnr. 33.
IV. Ansätze zu einer latenten Berücksichtigung der Opfermitverantwortung
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gen erfundenen Mittel schon nach der ersten Anwendung von nur zehn Minuten "mindestens fünf Jahre jünger" werde, nach vollständiger Behandlung sogar "so jung wie vor 25 Jahren".75 Der BGH hat hierzu lediglich ausgeführt, daß der Angeklagte "trotz marktschreierischer Reklame ... in den Anzeigen nicht lediglich ein persönliches Werturteil abgegeben, sondern über der Nachprüfung zugängliche Tatsachen getäuscht" habe, so daß eine Täuschung über Tatsachen vorliege. 76 aa) Kritik an der herrschenden Abgrenzung Tatsache - Werturteil
Schon anband der Kasuistik läßt sich erkennen, daß der h.M. die Abgrenzung zwischen Tatsachenbehauptungen und Werturteilen häufig erhebliche Schwierigkeiten bereitet, da - ebenso wie bei den entsprechenden Begriffen im Beleidigungsrecht - die Grenzen fließend sind.77 Die Einstufung übertreibender Anpreisungen und marktschreierischer Reklame als Werturteil mit der Begründung, diesen Fonnen der Werbung fehle zumeist ein greifbarer Tatsachenkern oder der Charakter einer ernsthaft aufgestellten Behauptung, wird teilweise zu Recht als Scheinargumentation angesehen, da auch in ganz allgemein gehaltenen Aussagen ein objektiv nachprüfbarer Kern stecken kann. Selbst die Anpreisung als ,,Deutschlands Meistgekaufter" oder als "bestes Waschmittel der Welt" enthält die überprüfbare Tatsachenbehauptung, kein anderes Produkt erreiche im Vergleich zu Konkurrenzerzeugnissen eine derartige Verbreitung oder Beliebtheit bzw. bessere Waschergebnisse?8 Die herrschende Begriffsbildung ist außerdem der Kritik ausgesetzt, daß jede Behauptung von Tatsachen notwendigerweise ein Element der Stellungnahme beinhaltet und jedes Werturteil zugleich die Behauptung der inneren Tatsache enthält, man sei von der Wahrheit des Erklärten überzeugt. 79 Bei einer konsequenten Anwendung des Begriffes der inneren Tatsache läßt sich letztendlich aus jeder Äußerung auch die Behauptung einer Tatsache folgern, so daß auch die Fälle der sog. marktschreierischen Reklame unter das Merkmal der Tatsachenbehauptung subsumiert werden müßten. Trotz dieses vom Ausgangspunkt her zwingenden Ergebnisses wird aber weder in der Rechtsprechung noch in der Literatur ein derart umfassender Tatsachenbegriff vertreten. Damit erweist sich auch die dogmatische Anerkennung innerer Tatsachen als - offenbar vom gewollten Ergebnis her motivierter - Kunstgriff. Insgesamt bleibt festzuhalten, daß sich die von der herrschenden BeBGHSt 34, 199; siehe bereits oben unter BI. BGHSt 34, 199,201. 77 Vgl. dazu Hilgendorj, S. 230 ff.; 237. 78 Baumbach/Hejennehl, § 3 UWG Rdnr. 57 ff.; Müller-ChristrrUlnn, JuS 1988, 108, 110; Ellmer; S. 91; dies klingt in den Entscheidungen aber teilweise auch an. 79 So Lackner; in LK, § 263 Rdnr. 12; Bockelmann, ZStW 79 (1967), 28, 44; Maurach/ Schroeder / Maiwald, § 41 II Rdnr. 33; vgl. dazu auch Müller-ChristrrUlnn, JuS 1988, 108, 109. 75
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B. Die Berücksichtigung der Mitverantwortung nach Stand der Betrugsdogmatik
trugsdogmatik vertretenen Ergebnisse der Abgrenzung von Tatsachen und Werturteil als oftmals nur wenig überzeugend darstellen. 80
bb) Latente Berücksichtigung der Opfermitverantwortung Gerade die oftmals nur schwer nachvollziehbare Annahme eines bloßen persönlichen Werturteils und die Vemeinung einer der Nachprüfung zugänglichen Tatsachenbehauptung läßt sich damit erklären, daß häufig sachfremde Erwägungen ausschlaggebend sind. Dazu gehört auch der Gedanke der Selbstverantwortung sowie der Schutzbedürftigkeit des Opfers, von dem sich sowohl die Rechtsprechung als auch das Schrifttum entgegen ihrer ausdrücklichen Ablehnung, ein etwaiges Mitverschulden des Betrugsopfers im Rahmen des Tatbestandes zu berücksichtigen, vielfach leiten lassen. An für sich ist die Gegensatzbildung von Tatsache und Werturteil zur Ermittlung täuschungsrelevanten Verhaltens zwar durchaus brauchbar,81 wobei freilich der Bereich der Tatsachenbehauptungen schon begrifflich sehr umfassend ist. Vor dem Hintergrund, daß die herrschende Betrugsdogmatik entsprechend den Regeln der Bedingungstheorie eine bloße Mitverursachung des Irrtums als ausreichend ansieht, kommt es insgesamt zu einer Ausdehnung des tatbestandlich erfaßten Verhaltens. Da der modeme Wirtschaftsverkehr gerade darauf beruht, daß zwischen Leistung und Gegenleistung nicht stets eine völlige Äquivalenz besteht, kann nicht schon jede Unredlichkeit bestraft werden, so daß sich das Bedürfnis nach einer Restriktion ergibt. Eine Beschränkung auf solche Täuschungshandlungen, die von der Rechtsgemeinschaft als besonders schwerwiegend angesehen werden, hat der Gesetzgeber nur durch das ausdrückliche Erfordernis einer Täuschung über Tatsachen zu erkennen gegeben. Geht man nun davon aus, daß dem § 263 StGB ein Bild des "besonnenen" Menschen zugrunde liegt, der seine Entscheidungen über den Einsatz seines Vermögens auf der richtigen Tatsachenbasis treffen können soll, schützt die herrschende Betrugsdogmatik dementsprechend nur denjenigen, der sich auf das Vorliegen von behaupteten Tatsachen und damit auf objektive, dem Beweis zugängliche Fakten verläßt. 82 Derartige vertrauenswürdige Werturteile erscheinen aufgrund ihres objektiven Erklärungswertes als generell besonders geeignet, beim Erklärungsempfänger einen Irrtum hervorzurufen und werden deshalb über das Instrument der inneren Tatsache in den Schutzbereich des § 263 StGB einbezogen. Dagegen wird derjenige als weniger schutzbedürftig angesehen, der lediglich einem subjektiv gefärbten reinen Werturteil vertraut, außer dieses wird aufgrund bestehender oder vorgetäuschter besonderer Fachkompetenz abgegeben. Der Wahrheitsgehalt einer derartigen Aussage ist empirisch nicht nachprüfbar und schon 80 Vgl. zur Kritik auch Samson, in SK, § 263 Rdnr. 18; Hilgendorj, S. 192 ff.; Worms, S. 177; Ellmer, S. 96; Kühne, S. 65 f. Fn. 203 a.E. 81 Zweifelnd Samson, in SK, § 263 Rdnr. 18. 82 Joecks, S. 55; vgl. auch Samson, in SK, § 263 Rdnr. 3.
IV. Ansätze zu einer latenten Berücksichtigung der Opferrnitverantwortung
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aufgrund des fehlenden Wahrheitsanspruches vom Erklärungsempfänger nur mit Vorsicht und Mißtrauen aufzunehmen. Insbesondere marktschreierische Anpreisungen, die gerade keine Basis rationaler Entscheidungen darstellen, werden folglich als Werturteile behandelt und aus dem Betrugstatbestand ausgeschlossen. Damit soll gewährleistet werden, daß man sich auf das Vorliegen bzw. Fehlen bestimmter Fakten, nicht aber auf diffuse Bewertungen verlassen kann. Auch die Einbeziehung von Urteilen Fachkompetenter in den Tatsachenbegriff ist insoweit nur konsequent. 83 cc) Die Ansichten von Samson und Hilgendorf
Noch weitergehend sieht Samson in der vordergriindigen Abgrenzung zwischen Tatsachenbehauptungen und Werturteilen das eigentliche Bestreben der herrschenden Betrugsdogmatik, mit Hilfe des Tatsachenbegriffs die Fälle auszugrenzen, in denen sich das Opfer angesichts der gelieferten Entscheidungsgrundlage extrem leichtfertig verhält. Denn in Wahrheit entziehe das Merkmal der Täuschung über Tatsachen solchen Opfern den strafrechtlichen Schutz, die im Vertrauen auf ein Werturteil und damit aufgrund einer durch keinerlei tatsächliche Grundlage fundierten Hoffnung über ihr Vermögen verfügen. Nur so lasse sich auch die Annahme begriinden, daß Werturteile ausnahmsweise dann in den Tatsachenbegriff einbezogen werden sollen, wenn der Erklärende eine überlegene Fachkompetenz aufweise oder zumindest vorgebe. 84 Allerdings betont Samson, daß der Strafrechtsschutz keinesfalls dem "Einfältigen" entzogen werde, der Tatsachenbehauptungen für wahr halte, deren Unwahrheit nahezu jedem anderen sofort evident wäre. 85 Den von Samson angedeuteten Gedanken der Abgrenzung der Verantwortungsbereiche von Täuschendem und Getäuschtem hat Hilgendorf fruchtbar gemacht, indem er unter ausdriicklicher Heranziehung der Opfermitverantwortung ebenfalls marktschreierische Anpreisungen und übertriebene Reklame nicht unter den Betrugstatbestand subsumiert. Statt aber wie die herrschende Betrugsdogmatik zu leugnen, daß es sich dabei um Tatsachenaussagen handeln kann, erscheint es ihm vorzugswürdig, hier Tatsachenaussagen in Form bloßer Meinungsäußerungen an83 Vgl. Krey, Rdnr. 341 a.E., 342; Arzt/Weber, Lehrbuch, § 20 Rdnr. 32; Ellmer, S. 97; Naucke, Peters-FS, S. 109, 112; siehe auch Hilgendorj, S. 108; H. Schröder, JR 1958, 106 sowie die "quasi viktimodogmatische" Interpretation des "Haarverdoppler-Falls" von Bottke, JR 1987,427,429; dazu Graul, JZ 1995,595,599. 84 So Samson, in SK, § 263 Rdnr. 18 f. und in JA 1978, 469, 471; zustimmend Lackner, in LK, § 263 Rdnr. 12 Fn. 30; Seelmann, JuS 1982, 268, 269; ähnlich Arzt / Weber, Lehrbuch, § 20 Rdnr. 32. 85 Samson, in SK, § 263 Rdnr. 19; vgl. demgegenüber aber Hirsch, ZStW 74 (1962), 78, 130, der bei übertriebenen Anpreisungen, allgemeinen unverbindlichen Redewendungen und marktschreierischer Reklame, "auf die im Verkehr kein Wert gelegt zu werden gepflegt und daher auch nicht gelegt werden darf', das Vorliegen einer Täuschungshandlung gerade mit der Behauptung verneint, daß durch die Betrugsstrafbarkeit die "Törichten und lebensfremden" nicht geschützt werden sollen.
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B. Die Berücksichtigung der Mitverantwortung nach Stand der Betrugsdogmatik
zunehmen und diese dem Anwendungsbereich des § 263 StGB zu entziehen. Demgegenüber sollen solche Anpreisungen, in denen nach der Verkehrsauffassung ernstgemeinte Informationen über die angepriesene Sache vermittelt werden, die also mit unvermindertem Geltungsanspruch auftreten, betrugsrelevante Tatsachenbehauptungen darstellen. 86 Die Auffassung von Hilgendorf kommt zu mit der h.M. weitgehend übereinstimmenden Ergebnissen. 87 So liegen seiner Ansicht nach etwa im Geschenkeartikel-Fall 88 durchaus Tatsachenaussagen vor; allerdings sei es aufgrund ihres Auftretens mit "vermindertem Geltungsanspruch" gerechtfertigt, diese Äußerungen als nicht betrugsrelevant anzusehen. 89 Im Gegensatz zum BGH nimmt Hilgendorf aber im "Haarverdoppler-Fall" bloße - vom Betrugstatbestand nicht erfaßte - Meinungsäußerungen an. Zwar beziehen sich die erwähnten Behauptungen auf empirisch nachprüfbare Fakten und seien deshalb als Tatsachenaussagen zu qualifizieren. Jedoch stellten sie sich als so abenteuerlich dar, daß sie von vornherein nicht ernstgenommen werden könnten. Jedem Durchschnittsbürger müsse klar sein, daß sie nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmen können. 9o Der neuere Ansatz von Hilgendorf verdeutlicht über die bereits aufgezeigten Schwierigkeiten der tatbestandlichen Erfassung bestimmter Tauschungshandlungen hinaus, daß sich die herrschende Betrugsdogmatik zumindest im Rahmen des Tatsachenbegriffs entgegen ihren Beteuerungen am Gedanken der Opfermitverantwortung sowie an der Schutzbedürftigkeit des Betrogenen orientiert. Diese beim Merkmal der Tauschung über Tatsachen sachfremden Erwägungen dienen der (verdeckten) Korrektur von Ergebnissen, die sich dadurch ergeben, daß man eine bloße Kausalität im Sinne der Bedingungstheorie ausreichen läßt.
b) Tauschung durch konkludentes Verhalten Als Tauschung wird allgemein ein auf Irreführung gerichtetes Verhalten verstanden, das durch ausdrückliches Vorspiegeln, konkludentes Handeln, oder durch pflichtwidriges Unterlassen erfolgen kann. 91 In diesem Stufenverhältnis befindet sich die dogmatische Figur der konkludenten Tauschung auf der wichtigen Trennungslinie zwischen ausdrücklicher Tauschung und der Tauschung durch Unterlassen. Denn während letztere nur unter den zusätzlichen Voraussetzungen des § 13 Abs. 1 StGB strafbar ist, stellt die Verwirklichung des Betrugstatbestandes durch
86 Hilgendoif, Tatsachenaussagen und Werturteile im Strafrecht, entwickelt am Beispiel des Betruges und der Beleidigung, 1998, S. 193 f. 87 Dies betont Hilgendoif auch selbst, vgl. S. 194. 88 Siehe oben unter B III 1 a). 89 Hilgendoif, S. 195. 90 So Hilgendoif, S. 194 mit dem Hinweis, daß auch BGHSt 34, 199,201 diesen Gedanken andeutet. 91 Vgl. nur Lackner, in LK, § 263 Rdnr. 17,20.
IV. Ansätze zu einer latenten Berücksichtigung der Opferrnitverantwortung
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schlüssiges Handeln positives Tun dar, so daß insbesondere keine Garantenstellung erforderlich ist. aa) Die Abgrenzung zur Ttiuschung durch Unterlassen
Für die deshalb bedeutsame Abgrenzung kommt es nach allgemeinen Grundsätzen darauf an, wo bei nonnativer Betrachtung und bei Berücksichtigung des sozialen Handlungssinnes der Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit liegt. 92 Speziell bei einer Täuschung hängt dies nach Lackner davon ab, ob der Getäuschte aus dem Verhalten des Täters im Vertrauen auf dessen Pflichtrnäßigkeit falsche Schlüsse zieht oder ob er seine falsche Vorstellung bereits vorher hatte oder zumindest aus anderen Hinweisen entnommen hat. 93 Von einem gänzlich anderen Ansatzpunkt aus unterscheidet Kühne positives Tun und Unterlassen danach, ob der Täter eine bereits vorgefundene "schadens stiftende Ausgangssituation" bloß ausgenutzt oder ob er eine solche erst durch sein eigenes Verhalten herbeigeführt hat und bejaht im letzteren Fall eine aktive Täuschungshandlung. 94 Diese Abgrenzungskriterien erweisen sich jedoch in der Praxis häufig als schwierig durchzuführen und führen gerade in Grenzfällen kaum zu eindeutigen Festlegungen. 95 Da außerdem die Gründe für die Ablehnung einer Vorspiegelung durch konkludentes Handeln nicht selten auch die Ablehnung einer Rechtspflicht zur Offenbarung tragen,96 wird bei der Bestimmung strafbarer konkludenter Täuschungshandlungen teilweise nur auf das engere Erfordernis einer Aufklärungspflicht zurückgegriffen. 97 Damit soll auch der Tendenz entgegenwirkt werden, durch die unkritische Subsumtion unter die dogmatische Konstruktion der konkludenten Täuschung die mühsamere Darlegung zum Unwertgehalt eines bloßen Unterlassens zu umgehen, insbesondere die oftmals schwierige Begründung einer Garantenpflicht. Gerade angesichts einer überlasteten Strafverfolgung besteht die Gefahr, daß hierbei sachfremde Gesichtspunkte für die Rechtsfindung herangezogen werden, wie es die oben erwähnten unscharfen Kriterien zur Abgrenzung von positiven Tun und Unterlassen dem Rechtsanwender nahelegen. 98 Dazu gehört auch der Topos der Opfermitverantwortung. 92 BGHSt 6, 46, 59; OLG Naumburg, NStZ-RR 1996, 229, 230; OLG Karlsruhe, NJW 1980,1859,1860; BaumanniWeber, § 18 II 1; Stree, in SchönkelSchröder, Vorbem. §§ 13 ff. Rdnr. 158 m. w. N. 93 Lackner, in LK, § 263 Rdnr. 53; vgl. auch Runte, Jura 1989, 128, 129. 94 Kühne, S. 41; ablehnend Lackner, in LK, § 263 Rdnr. 53 Fn. 89a; Maaß, GA 1984,264, 267 f.; Cmmer, in SchönkelSchröder, § 263 Rdnr. 15. 95 Vgl. nur Cmmer, in SchönkelSchröder, § 263 Rdnr. 14 f.; Maaß, GA 1984,264,268. 96 So Maumehl Schroeder I Maiwald, § 41 II Rdnr. 40. 97 Vgl. Lackner, in LK, § 263 Rdnr. 53; Volk, JuS 1981, 880, 881 f.; Sonnen, wistra 1982, 123, 125; siehe auch Arzt / Weber, Lehrbuch, § 20 Rdnr. 44; Samson, in SK, § 263 Rdnr. 36 ff.; weitergehend Seelmann, NJW 1980,2545,2547; das., NJW 1981,2132, der eine konkludente Tauschung als unechtes Unterlassen im technischen Sinne ansieht und deshalb ausdrücklich das Vorliegen einer GarantensteIlung fordert; vgl. zum ganzen auch Ellmer, S. 105. 98 Vgl. dazu Kühne, S. 15 f. und Ellmer, S. 101, jeweils m. w. N.
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B. Die Berücksichtigung der Mitverantwortung nach Stand der Betrugsdogmatik
bb) Die schwierige Bestimmung konkludenter Tciuschungen
Nach h.M. liegt eine konkludente Täuschung bereits dann vor, wenn dem Gesamtverhalten des Täters ein bestimmter Erklärungswert zukommt. 99 Maßgebend dafür ist es, wie der Adressat die Erklärung nach der Verkehrsauffassung versteht und bei objektiver Beurteilung vernünftigerweise verstehen durfte. 1oo Aufgrund der Einbeziehung der Verkehrsanschauung kommt es angesichts der vielfältigen Gestaltungsmöglichkeiten des Geschäftsverkehrs zu einer umfangreichen und vielfach widersprüchlichen Kasuistik. Auch wenn die dabei vertretenen Ergebnisse nach rechtspolitischer Wertung des Einzelfalls gerechtfertigt seien mögen, sind dennoch sowohl die höchstrichterliche Rechtsprechung als auch deren Kommentatoren der Kritik ausgesetzt, kein dogmatisch einheitliches und vor allem nachvollziehbares System mehr erkennen zu lassen. 101 Zur Vermeidung dieser unbefriedigenden Situation wendet sich Lackner gegen das Erfordernis eines Erklärungswertes und bestimmt den Kreis konkludenter Täuschungen ausschließlich mit Hilfe einer "normativen Deutung". Neben der faktischen Verursachung eines Irrtums komme es entscheidend darauf an, ob der Täter in der konkreten rechtlichen Beziehung zur Aufklärung eines etwaigen beim Opfer bestehenden Irrtums verpflichtet gewesen sei, was sich nach der geschäftstypischen Verteilung des Irrtumsrisikos bestimme. Dabei betont Lackner, daß der einzelne bereits bei normalen, besonders aber bei spekulativen Geschäften für sich selbst zu sorgen und sich vor Benachteiligung zu schützen habe. Allein das Bestehen eines Informationsvorsprunges im Hinblick auf die Wertschätzung von Gegenständen oder die Vorhersage künftiger Entwicklungen führe nicht zu der Verpflichtung des insoweit Überlegenen, seine Sachkenntnis nicht zum Nachteil des anderen auszunutzen. Vielmehr müsse nach der Verkehrsanschauung ein besonderer Grund vorliegen, um diese grundsätzliche Verteilung des Orientierungsrisikos ausnahmsweise zu ändern. So könne z. B. die Übernahme einer Beratungspflicht oder die Unterschreitung des unerläßlichen Minimums an Redlichkeit im Geschäftsverkehr den Überlegenen verpflichten, seine Sachkunde dem anderen zugute kommen zu lassen. 102 99 Vgl. BGH, NJW 1995,539,540; BGHSt 16, 120, 121 f.; Otto, JZ 1993,652,653; Cramer, in Schönke / Schröder, § 263 Rdnr. 12. lOO Vgl. OLG Köln, wistra 1991, 115, 116; OLG Stuttgart, NStZ 1985, 503; Cramer, in Schönke/Schröder, § 263 Rdnr. 14; Wessels/Hillenkamp, Rdnr. 498; Samson, in SK, § 263 Rdnr. 27 ff. m. w. N. lOl Vgl. dazu Hilgendorf, S. 67 mit konkreten Beispielen; ebenso Kühne, S. 15 f.; Schauer, S. 8; Reese, S. 23 ff.; Lackner, in LK, § 263 Rdnr. 28 ff.; Samson, in SK, § 263 Rdnr. 37 f.; Volk, JuS 1981, 880, 881; demgegenüber ergibt sich nach Cramer, in Schönke/Schröder, § 263 Rdnr. 14 eine Anzahl von Leitlinien, die "eine sachgerechte Beurteilung der vielfältigen Fallgestaltungen ... ermöglichen und ... zugleich die kasuistische Ergebnisse der h.M. widerspiegeln. Eine weitergehende Präzisierung der Abgrenzung von (konkludentem) Tun und Unterlassen ... erscheint wegen der Natur der Sache unmöglich"; siehe auch Maaß, GA 1984,264,267, der zutreffend darauf hinweist, daß teilweise anstelle allgemeiner Abgrenzungskriterien nur noch die Kasuistik wiedergegeben wird.
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Trotz der unterschiedlichen dogmatischen Ansätze herrscht im Ergebnis allerdings weitgehend Einigkeit bezüglich des konkreten Vorliegens einer Tauschung durch schlüssiges Verhalten. 103 Dies gilt beispielsweise im Hinblick auf die besondere Problematik des Preisgestaltungsbetruges, bei dem der Tater für eine Ware oder Leistung eine überhöhte, d.h den marktüblichen Preis übersteigende Vergütung fordert und allein durch die Höhe des verlangten Preises einen entsprechenden Sachwert suggeriert. 104 Hierbei vertritt sowohl die Rechtsprechung lO5 als auch die herrschende Lehre 106 die Ansicht, daß derjenige, der eine Ware oder Leistung zu einem bestimmten Preis anbietet, damit allein nicht zugleich konkludent dessen Angemessenheit oder Üblichkeit erklärt. Als Begründung wird darauf verwiesen, daß in einem marktwirtschaftlichen System, in dem die Preise durch Angebot und Nachfrage bestimmt werden, jeder Partner eines Vertrages das Risiko der Ausgewogenheit der vereinbarten Vertragsbedingungen selbst trage. Vereinbarungen über den Austausch von Gütern und Leistungen unterlägen der Vertragsfreiheit, so daß es grundsätzlich ausgeschlossen sei, die Angemessenheit des Preises zu einer Minimalforderung der Redlichkeit im Geschäftsverkehr zu erheben, solange sich der Vertrag nicht nachhaltig von dem Idealbild eines frei vereinbarten Übereinkommens entferne. Es sei regelmäßig Sache des Käufers oder Bestellers, abzuwägen und sich zu entscheiden, ob er die geforderte Vergütung aufwenden wolle oder nicht. 107 Auch dürfe prinzipiell jeder Teilnehmer am Wirtschaftsverkehr seinen Informationsvorsprung oder seine überlegene Sachkunde zum eigenen Vorteil ausnutzen. 108 Von diesem "allgemein anerkannten Grundsatz,,109 hat die Rechtsprechung allerdings Ausnahmen anerkannt, und zwar zum einen dann, wenn für eine Leistung ein bestimmtes Entgelt öffentlich-rechtlich festgesetzt ist, der Empfänger der Leistung die Forderung nicht Lackner, in LK, § 263 Rdnr. 29. Vgl. Samsan, JA 1978, 469, 472; Seelmann, JuS 1982, 268, 269; davon geht auch Lackner selbst aus, vgl. in LK, § 263 Rdnr. 28 Fn. 46. 104 Vgl. speziell zu den "Grenzen der Preisgestaltungsfreiheit im Strafrecht" die so betitelte Dissertation von Schauer, die allerdings darauf hinweist, daß die Problematik auch bei der Täuschung durch Unterlassen und beim Irrtumsbegriff angesiedelt ist, S. 5 f.; siehe auch Kühne, S. 66. 105 RGSt 42, 147, 150; BGH, NJW 1990,2005,2006; BayObLG, NJW 1994, 1078, 1079; OLG Stuttgart, NStZ 1985, 503. 106 Lackner/Werle, NStZ 1985,503; Lackner, in LK, § 263 Rdnr. 46; Ranft, Jura 1992,66; Lackner/ Kühl, § 263 Rdnr. 10; Fischer, in Tröndle / Fischer, § 263 Rdnr. 7; Cramer, in Schönke/Schröder, § 263 Rdnr. 16d, 17c; Wessels/ Hillenkamp, Rdnr. 499; Otto, JZ 1993, 652,653; vgl. auch Graul, JZ 1995, 595, 596 m. w. N. 107 BGH, LM § 263 StGB Nr. 5; BayObLG, NJW 1994, 1078, 1079; OLG Stuttgart, NStZ 1985,503; Otto, JZ 1993,652,653; Lackner/Werle, NStZ 1985,503 f.; Lackner, in LK, § 263 Rdnr. 46; vgl. auch Kühne, S. 66 f. 108 So Wonns, wistra 1984, 123, 128; Seelmann, NJW 2545,2548; Cramer, in Schönke/ Schröder, § 263 Rdnr. 17c; Lackner, in LK, § 263 Rdnr. 29; vgl. auch Bockelmann, SchmidtFS, S. 437, 445 f.; ders., ZStW 79 (1967), 28, 33. 109 So Lackner/Werle, NStZ 1985,503; vgl. zum ganzen auch Graul, JZ 1995, 595, 596. 102 103
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B. Die Berücksichtigung der Mitverantwortung nach Stand der Betrugsdogmatik
ohne weiteres auf ihre Übereinstimmung mit dem amtlich festgesetzten Vertrag überprüfen kann und der Fordernde die mangelnde Sachkunde sowie das ihm entgegengesetzte Vertrauen des Vertragspartners zur Erzielung eines erhöhten Entgelts ausnutzt. 110 Dies ist beispielsweise bejaht worden bei der Vergütung eines bahnamtlichen Spediteurs 111 oder bei den durch Taxen festgelegten Preisen für Arzneimittel. 112 Außerdem soll ein Betrug allein durch die Forderung und Erzielung einer im Verhältnis zur Gegenleistung überhöhten Vergütung ausnahmsweise dann vorliegen, wenn es sich um ein Geschäft handelt, bei dem der an Sachkunde Unterlegene auf Vertrauen angewiesen ist, weil er die Angemessenheit nicht bzw. nur mit unverhältnismäßigen Aufwand nachprüfen kann oder bei dem die vertragliche Beziehung ein Beratungselement enthält. 113 ce) Betrügereien mit Warenterminoptionen
Die Feststellung einer konkludenten Täuschung über Tatsachen bereitet der herrschenden Betrugsdogmatik ganz besondere Schwierigkeiten beim Anbieten von Warenterminoptionen durch Zwischenhändler, in deren Allgemeinen Geschäftsbedingungen sich zwar ein Hinweis darauf findet, daß sämtliche Kosten und Provisionen in der Optionsprämie enthalten sind, die Höhe des geforderten Prämienaufschlag gegenüber den Kunden aber verschwiegen wird. Übersteigen diese Kosten dann die Börsenprämie erheblich,I14 reduziert sich die Gewinnchance entsprechend gegenüber der Originalprämie und tendiert regelmäßig gegen Null. 115 Aufgrund der Problematik, nach welchen Kriterien eine bestimmte marktübliche Vergütung im Rahmen der Vermittlung von Warenterminoptionen zu bestimmen ist,I16 begründet die Rechtsprechung eine schlüssige Täuschung damit, daß sich aus dem Auftreten der Warenterminfirmen als fachmännische Vermittler ein Vertrauensverhältnis zwischen dem Optionshändler und ihren auf dem Gebiete des Optionshandels nicht versierten Kunden ergebe. Daraus folge eine Rechtspflicht zur Offenbarung der für die Kaufentscheidung maßgebenden Umstände, bei deren Vgl. BGH, NJW 1990, 2005, 2006; OLG Stuttgart, NStZ 1985,503. BGH, LM § 263 StGB Nr. 5. 112 RGSt 42, 147, 150. 113 BGH, LM § 263 StGB Nr. 5; JZ 1952, 46; RGSt 42, 147, 150; OLG Stuttgart, NJW 1966, 990 f. und NStZ 1985, 503; Lackner, in LK, § 263 Rdnr. 46 sowie Lackner / Kühl, § 263 Rdnr. 10 verweisen auf Käufe in gewissen Bereichen des Fachhandels wie etwa Apotheken-, Antiquitäten- und Schmuckgeschäfte sowie auf die Reparatur von komplizierten Geräten. 114 In Extremfällen haben sie bis zu 392% der Börsenprämie betragen, vgl. den BGHSt 31, 115 zugrunde liegenden Sachverhalt. 115 V gl. zu den einzelnen Geschäftstypen und Gestaltungsformen etwa Seelmann, NJW 1980,2545 ff.; Koch, JZ 1980,704 ff.; U. Schmidt, Kriminalistik 1981, 18 ff.; Sonnen, wistra 1982, 123 ff. 116 Sogenannte Aufschlagsproblematik, vgl. dazu Wonns, Anlegerschutz, S. 178 f. sowie S. 187 Fn. 235. IlO
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IV. Ansätze zu einer latenten Berücksichtigung der Opfennitverantwortung
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Verletzung über die Gewinnerwartung getäuscht werde. 117 Auch im Schrifttum wird die Auffassung vertreten, daß das Verschweigen der Höhe des Aufschlags auf den Börsenpreis eine Tauschung durch konkludentes Handeln darstelle. Dabei wird vor allem darauf hingewiesen, daß gerade dieser Umstand für den Kunden von wesentlicher Bedeutung sei, da sich mit zunehmender Höhe des Aufschlags der Substanzwert der Option immer mehr verringere. 118 Ein anderer Teil der Literatur betont dagegen, daß das Verschweigen der Höhe des Prämienaufschlags nur Elemente der Preisgestaltung betreffe. Strafrechtliche Relevanz komme einem solchen Verhalten erst dann zu, wenn der Anschein eines anderen Leistungsgegenstandes erweckt worden sei. 119 Der Betrugstatbestand schütze den Kunden nicht generell vor versteckten Aufschlägen auf die Prämie, sondern nur vor dem Erwerb substanzloser Optionen, weil sein Schutzgut das Vermögen, nicht aber die Redlichkeit im Geschäftsverkehr sei. 120 Mit dem Anbieten derartiger Optionen werde zumindest konkludent miterklärt, daß überhaupt eine Gewinnchance vorhanden sei, so daß eine schlüssige Tauschung über diese Eigenschaft des Kaufgegenstandes jedenfalls dann vorliege, wenn durch den versteckten Prämienaufschlag die Werthaltigkeit der Gewinnchance praktisch aufgehoben werde. 121 dd) Latente Berücksichtigung der OpJermitverantwortung
Gerade der abweichende, allein auf die Risikoverteilung abstellende, aber im Ergebnis mit der h.M. weitgehend übereinstimmende Ansatz von Lackner verdeutlicht, daß die Annahme einer konkludenten Tauschung von der herrschenden Betrugsdogmatik mittels zweifelhafter Fiktionen dogmatisch untermauert wird, während sie letztendlich auf rein normativen Erwägungen beruht. 122 Dazu zählt auch der Gedanke der Opferrnitverantwortung, dessen Umsetzung schließlich gerade voraussetzt, die Verantwortungsbereiche von Tater und Opfer gegeneinander abzugrenzen. 123 117 BGHSt 30, 177, 181 f.; ebenso BGHSt 30, 388; 31, 115; 32, 22, 25; OLG München, NJW 1980,794,795; anders aber OLG Hamburg, NJW 1980,2593,2594. 118 Rochus, NJW 1981, 736; Koch, JZ 1980, 704, 709; Scheu, MDR 1981,467 und JR 1982, 121, 122 m. w. N.; vgl. allgemein zu Aufklärungspflichten im Rahmen von Anlagegeschäften Lackner, in LK, § 263 Rdnr. 63. 119 Seelmann, NJW 1980, 2545, 2549; ders., NJW 1981, 2132. 120 So Sonnen, wistra 1982, 123, 125 f. 121 eramer, in Schönke/Schröder, § 263 Rdnr. 31b; Lackner/Kühl, § 263 Rdnr. 10; Seelmann, NJW 1980, 2545, 2549; NJW 1981, 2132; Sonnen, wistra 1982, 123, 125 f.; NStZ 1981,24: vgl. auch Maurach/Schroeder/Maiwald, § 41 II Rdnr. 46; Maaß, Betrug, S. 131 Fn. 550 sowie in GA 1984,267,281. 122 Vgl. dazu Seelmann, NJW 1980, 2545, 2546 f.; Samson, JA 1978,469,472; ders., in SK, § 263 Rdnr. 37. 123 So auch Hilgendorf, S. 66 ff.
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B. Die Berücksichtigung der Mitverantwortung nach Stand der Betrugsdogmatik
Denn der Grundsatz, daß jeder Partner im Rahmen von vertraglichen Beziehungen seinen Informationsvorsprung oder seine überlegene Sachkunde zum eigenen Vorteil ausnutzen darf, wird im gleichen Maße zurückgenommen, in dem das Informationsgefälle ansteigt und die Geschäftsbeziehung ihren Charakter als frei ausgehandeltes Übereinkommen verliert. Mit zunehmendem Vorsprung des an Information oder Sachkunde Überlegenen wird sein Gesamtverhalten über das dogmatische Instrument der Verkehrsanschauung als konkludente Täuschungshandlung interpretiert und insofern das Orientierungsrisiko auf ihn verlagert. Insbesondere wenn die vertragliche Beziehung nach der Verkehrsanschauung ein Beratungselement beinhaltet oder soweit es ansonsten zur Wahrung eines unerläßlichen Minimums an Redlichkeit im Geschäftsverkehr erforderlich scheint, verpflichtet die herrschende Betrugsdogmatik mehr oder weniger deutlich den an Information und Sachkunde Überlegenen zur Aufklärung über solche Umstände, anhand derer der insoweit wirtschaftlich Schwächere die Angemessenheit des Preises beurteilen kann und schützt damit diesen in seinem Vertrauen, allein von der Höhe des Preises auf den tatsächlichen Wert einer angebotenen Ware oder Dienstleistung zu schließen. Allerdings rechtfertigt allein das Bestehen eines Informationsgefälles keine unterschiedslose Einschränkung des Prinzips der wirtschaftlichen Eigenverantwortung. Vielmehr soll eine konkludente Täuschung und damit ein stratbarer Betrug nur dann ausnahmsweise gegeben sein, wenn aus der Sicht des Opfers eine eigene Überprüfung der Angemessenheit des Preises ausgeschlossen oder zumindest wesentlich erschwert ist. In der herrschenden Betrugsdogmatik finden sich insoweit vor allem Fallkonstellationen, bei denen der wirtschaftlich schwächere Partner deshalb auf Vertrauen angewiesen sein soll, weil er einem Fachmann gegenübersteht, von dessen Gegenleistung er sich nach Art und Umfang weder selbst ein Urteil bilden noch in zumutbarer Weise ein fremdes einholen kann. Dabei wird zwar beispielsweise in "Geschäften des gehobenen Bedarfes" bei mangelnder eigener Sachkenntnis ein konkretes Nachfragen zumindest im Hinblick auf die Echtheit des Kaufgegenstandes durchaus für zumutbar gehalten, so daß im Falle einer wahrheitswidrigen Auskunft eine ausdrückliche Täuschungshandlung vOrliegt. 124 Aufwendigere Maßnahmen zur Überprüfung der Angemessenheit des Preises werden hingegen dem Unterlegenen nicht zugemutet, da sie den schnellen und reibungslosen Ablauf des Wirtschaftsverkehrs hemmen. 125 Im Ergebnis nimmt also auch hier die herrschende Betrugsdogmatik mehr oder weniger deutlich eine Abgrenzung der Verantwortungsbereiche zwischen Täter und Opfer vor. Wegen der nur latenten Berücksichtigung der Opferrnitverantwortung erweist sich die dogmatische Begründung für die Feststellung konkludenter Täuschungen aber als dogmatisch wenig fundiert. Dies wird gerade im Bereich der 124 Seelmann, NJW 1980,2545,2548; vgl. dazu auch Lackner; in LK, § 263 Rdnr. 29; mer, in Schönke/Schröder; § 263 Rdnr. 14. 125 Vgl. Ellmer; S. 104 f.
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IV. Ansätze zu einer latenten Berücksichtigung der Opfermitverantwortung
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Warentenninoptionen augenscheinlich, die sich als Risikogeschäfte auf der Grenze zwischen strafloser Geschäftstüchtigkeit und strafbarem Betrug bewegen. Denn hier wird das Vorliegen einer konkludenten Täuschung allein über die lapidar aus einem besonderen Vertrauensverhältnis hergeleitete Aufklärungspflicht begründet, die sich an die von angeblichen Fachleuten offerierte Beratung anknüpft. Vor dem Hintergrund dieser Kritik ist es zwar dogmatisch überzeugender, wenn man sich wie ein Teil der Literatur, s.o. - darauf beschränkt, nur in den Fällen wertloser Optionen eine (konkludente) Täuschung über den Kaufgegenstand, d. h. die Gewinnchance als Eigenschaft der Option anzunehmen. Allerdings liegt auch dem wiederum die nicht zweifelsfreie und und auf den Gedanken der Opfennitverantwortung zurückgehende Annahme zugrunde, zukünftige Ereignisse bzw. innere Tatsachen seien tauglicher Täuschungsgegenstand. 126 Festzuhalten bleibt, daß in der Diskussion um die konkludente Täuschung der Gedanke der Mitverantwortung des Opfer eine große Rolle spielt, was sich gerade in der - teilweise sogar ausdrücklich - vorgenommenen Abgrenzung der Verantwortungs- und Risikobereiche zeigt. c) Täuschung durch Unterlassen Auch innerhalb des Problembereichs der Täuschung durch Unterlassen werden mittels der Betonung des Prinzips der Eigenverantwortung des Opfers bestimmte Fallgruppen dem vermeintlichen Täter nicht zugerechnet und damit aus dem strafbaren Betrugsbereich ausgeschieden. aa) Restriktive Bestimmung von GarantensteIlungen Während vereinzelt eine Strafbarkeit des Betrugs durch Unterlassen generell abgelehnt wird,127 finden sich auch innerhalb der h.M., die eine Strafbarkeit nach §§ 263 Abs. I, 13 Abs. 1 StGB grundsätzlich anerkennt,128 durchweg Bemühungen, die Verwirklichung des Betrugstatbestandes durch Unterlassen zu begrenzen. Diese Restriktionsversuche sind nicht selten auf den Gedanken der Opfennitverantwortung zurückzuführen, obwohl die Befürworter einer derartigen Einschränkung an für sich eine Berücksichtigung dieses Umstandes ausdrücklich ablehnen. Bei den Unterlassungsdelikten ist es im Gegensatz zu den Begehungsdelikten möglich, alle Überlegungen, die auf die Eigenverantwortung des Irrenden abstellen, in den Tatbestand zu integrieren. Denn über das Merkmal der GarantensteIlung können alle Erwägungen einfließen, um die Fehlvorstellung des Opfers dem VerSiehe oben unter B III 1 a) bb). So etwa Mayer, AT, S. 152; Naucke, Betrug, S. 106 ff., 110,214; Grünwald, Mayer-FS, S. 281, 291; Herzberg, Unterlassung, S. 70 ff., 82. 128 Vgl. BGHSt 39, 392, 397; Otto, JZ 1993, 652, 653; Geerds, Jura 1994,66,67; Lackner / Kühl, § 263 Rdnr. 12; eramer; in Schönke / Schröder; § 263 Rdnr. 18 m. w. N. 126 127
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B. Die Berücksichtigung der Mitverantwortung nach Stand der Betrugsdogmatik
antwortungsbereich des die Aufklärung Unterlassenden zuzurechnen. 129 Neben anderen Wertungen kommt dabei auch der Einfluß des Prinzips der wirtschaftlichen Eigenverantwortung, der sich auch schon bei der Dogmatik der konkludenten Täuschungshandlung nachweisen ließ, noch mehr zum Tragen. Dies liegt schon daran, daß der einzelne von jedermann verlangen kann, nicht rechtswidrig in seine Rechtsgüter einzugreifen, aber nur von den sog. Garanten erwarten darf, aktiv für den Schutz seiner Rechtsgüter tätig zu werden. Deshalb besteht für das virtuelle Opfer eine sehr viel höhere Verantwortung zum Schutz seiner eigenen Rechtsgüter, wenn sich der Täter lediglich passiv verhält, als wenn dieser aktiv handelnd die Rechtsgüter des Opfers verletzt. 130 Teilweise wird sehr weitgehend versucht, die betrugsrelevanten Aufklärungspflichten über eine vom Tatbestand der Untreue ausgehende Sperrwirkung einzugrenzen. Die Garantenpflicht zur Aufklärung von Intümem beruhe letztendlich auf einer Vermögensfürsorgepflicht, deren Verletzung in § 266 StGB nur in sehr begrenztem Umfang unter Strafe gestellt werde. Eine Ausdehnung der Aufklärungspflichten beim Betrug unterlaufe deshalb unzulässigerweise diese allgemein anerkannte restriktive Interpretation der Vermögensbetreuungspflichten im Rahmen des Untreuetatbestandes. 131 Andere Stimmen im Schrifttum weisen dagegen darauf hin, daß die untreuespezifische Vermögensfürsorgepflicht und die betrugsspezifische Aufklärungspflicht nach Voraussetzungen und Folgen verschieden sind und lehnen deshalb eine Sperrwirkung des Untreuetatbestandes ab. 132 Auch wegen der gleichzeitigen Normierung dieser beiden Tatbestände ist man sich aber jedenfalls darüber weitgehend einig, als daß bei einer Täuschung durch Unterlassen enge Auslegung geboten ist. 133 Dies gilt schon für die Ableitung von Garantenstellungen aus Vertragsverhältnissen, innerhalb derer auch schon friiher eine restriktive Handhabung der Betrugsstrafbarkeit befürwortet wurde. 134 Angesichts der Gefahr, daß die Voraussetzungen einer Strafbarkeit durch privatrechtliche Vereinbarungen geschaffen werden, obwohl dies nach Art. 103 Abs. 2 GG dem parlamentarischen Gesetzgeber vorbehalten ist, wird einschränkend wenigstens verlangt, daß die Garantenpflicht gerade dem Schutz des Vermögens des anderen Partners dienen muß. 135 Zudem soll sich eine Garantenpflicht nur bei Vorliegen eines besonderen Vgl. Kühne, S. 62 f.; ElImer, S. 106 ff. Vgl. nur Ellmer, S. 107 m.N. 131 So Seelmann, NJW 1980, 2545, 2547 f.; NJW 1981, 2l32; Sonnen, wistra 1982, 123, 125; ähnlich Samson, in SK, § 263 Rdnr. 43; Samsonl Horn, NJW 1970,593,596; Kühne, S. 87 f. 132 Worms, wistra 1984, 123, 127 und Anlegerschutz, S. 182; Cramer, in Schönke/ Schröder, § 263 Rdnr. 19; Schauer, S. 183 f.; vgl. auch Lackner/Kühl, § 263 Rdnr. 16 sowie Kamberger, S. 236 ff. 133 Vgl. Samson, in SK, § 263 Rdnr. 43; Hilgendorf, S. 69. 134 Siehe oben unter A 11 2 c) bb). 135 So Lackner, in LK, § 263 Rdnr. 62; Eser, S. 116; Wesselsl Hillenkamp, Rdnr. 506 a.E.; vgl. auch Cramer, in Schönke / Schröder, § 263 Rdnr. 22. 129
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IV. Ansätze zu einer latenten Berücksichtigung der Opfermitverantwortung
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Vertrauensverhältnisses ergeben, an das erhöhte Anforderungen zu stellen sind. Keinesfalls könne man jede vertragliche Beziehung als ausreichende Grundlage für die Bejahung von Aufklärungspflichten ansehen. Wer Verträge schließe, bei dem jeder seine Interessen und seinen Vorteil zu wahren suche, dürfe nicht erwarten, daß sein Partner ihm das verkehrsübliche Geschäftsrisiko abnehme. Die Rechtspflicht zur Aufklärung könne sich vielmehr von vornherein nur auf Umstände beziehen, die für die Willensentschließung des anderen erkennbar von wesentlicher Bedeutung sind. 136 Hier zeichnet sich also schon das Bemühen ab, eine vom Gedanken der Opfermitverantwortung zumindest mitgetragene Abschichtung der Verantwortungsbereiche des Tauschendem und seines Vertragspartners durchzuführen. 137 Noch deutlicher wird dies aber im Hinblick auf die Begriindung von GarantensteIlungen aus dem Grundsatz von Treu und Glauben, den die ältere Rechtsprechung als ausschließliche Grundlage für die Anerkennung einer Aufklärungspflicht ausreichen lassen hat,138 wobei sie allerdings trotz grundsätzlicher Anerkennung einer derart abgeleiteten GarantensteIlung eine Aufklärungspflicht im konkreten Fall häufig abgelehnt hat. 139 In der Literatur wurde kritisiert, daß derartige Billigkeitsentscheidungen im Hinblick auf das Bestimmtheitsgebot rechtsstaatlich bedenklich seien, da die Strafbarkeit über das angemessene Maß ausgedehnt wird und zweifelhafte nebenvertragliche Pflichten den Rang von GarantensteIlungen erhalten. 140 Inzwischen hat sich die Rechtsprechung dem Schrifttum angeschlossen und fordert, daß für das Vorliegen einer Offenbarungspflicht regelmäßig ein besonderes Vertrauensverhältnis vorliegen müsse, wonach der Unterlassende auf Grund einer besonders begründeten Einstandspflicht für die vermögensrechtliche Entscheidungsfreiheit des anderen "auf Posten gestellt" ist. 141 Konkret sollen hauptsächlich sollen nur solche Geschäfte ausnahmsweise Aufklärungspflichten begründen, bei denen bereits die Vertragsanbahnung erkennbar mit der Erwartung einer fachkundigen Beratung verbunden ist und sich der eine Vertragspartner gewissermaßen dem Sachverstand des anderen anvertraut. 142 Dementsprechend ist auch nach der Vgl. nur BGHSt 39, 392, 399 ffi. w. N. So auch Hilgendorj, S. 69. 138 RGSt 70, 151, 155, 156; BGHSt 6, 198 f.; OLG Nürnberg. MDR 1964,693; vgl. auch OLG Hamm. NJW 1987,2245 sowie BayObLG. NJW 1987,1654,1655; kritisch dazu Runte. Jura 1989,128,129 f.; Hillenkamp. JR 1988, 301, 303; Seier; NJW 1988,1617,1620. 139 Vgl. eramer; in Schönke/Schröder; § 263 Rdnr. 23 mit Nachweisen. 140 So Ranft. Jura 1992, 66; Kamberger; S. 157 ff., 184 ff.; Otto. JZ 1993, 652, 653; Wonns. Anlegerschutz, S. 186; Maaß. Betrug. S. 145 ff.; vgl. auch Volk. JuS 1981,880, 882 sowie Lackner, in LK. § 263 Rdnr. 65. 141 BGH. wistra 1988, 262, 263; BGHSt 39, 392, 398, 400 ffi. w. N. unter Berufung auf Ranft. Jura 1992, 66; zustimmend Joerden. JZ 1994,422, 423; Naucke. NJW 1994, 2809, 2810; Lackner/Kühl. § 263 Rdnr. 14; Maurach/Schroeder/Maiwald. § 41 II Rdnr. 49; Fischer; in Tröndle I Fischer; § 263 Rdnr. 13. 136 137
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B. Die Beriicksichtigung der Mitverantwortung nach Stand der Betrugsdogmatik
Rechtsprechung beispielsweise der Verkäufer eines gebrauchten Kraftfahrzeuges dazu verpflichtet, den Kaufinteressenten auch ungefragt darauf hinzuweisen, daß es sich um einen sog. Unfallwagen handelt. Sie geht zwar auch hier davon aus, daß das Aufklärungsrisiko eines Kaufvertrages regelmäßig der Käufer trage, dem es möglich sei, sein Informationsdefizit durch gezielte Fragen auszugleichen. Trotzdem könne eine Aufklärungspflicht des Verkäufers bestehen, da nach der Verkehrsanschauung die Unfalleigenschaft für die Entscheidung des Interessenten erkennbar VOn maßgeblicher Bedeutung sei. Im Einzelfall wird dies dann sowohl VOn dem Umstand abhängig gemacht, ob der Verkäufer ein Fachmann ist als auch VOn dem Gesichtspunkt, ob der Unfallschaden schwer, möglicherweise erst durch einen Sachverständigen zu erkennen ist. 143 Auch hier wird also maßgeblich auf zumutbare Selbstschutzmöglichkeiten abgestellt. Nicht dem Betrugstatbestand unterfallen soll dagegen nach einem Teil der Rechtsprechung die praktisch äußerst relevante Versendung von Anzeigenofferten für die Aufnahme in ein privates Telefax- oder Branchenverzeichnis,l44 die aufgrund ihrer irreführenden Gestaltung den Eindruck einer (Behörden- bzw. Telekom-)Rechnung vermitteln, indem sie ihren wahren Charakter als Angebot nicht deutlich genug erkennen lassen und häufig auch noch amtliche Bezeichnungen enthalten. 145 Denn selbst wenn derartige Anschreiben auf der Vorderseite als "Rechnung" mit dem Zusatz "zahlbar sofort ohne Abzug" gekennzeichnet und insofern "wettbewerbsrechtlich sehr bedenklich,,146 seien, ergebe sich der Umstand, daß es sich um ein Angebot handele, "eindeutig" aus den regelmäßig rückseitig abgedruckten Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Da sich das Angebot nicht etwa an im geschäftlichen Verkehr unerfahrene Personen, sondern an Kaufleute richte, 142 Lackner, in LK, § 263 Rdnr. 63; Cramer, in Schönke/Schröder, § 263 Rdnr. 19, 22; Wesseis / Billenkamp, Rdnr. 506; Maaß, S. 131 f. 143 Vgl. BayObLG NJW 1994,1078,1079; OLG Nürnberg, MDR 1964,693 f.; siehe auch BGB, NJW 1967, 1222 f.; zustimmend Lackner, in LK, § 263 Rdnr. 63; Lackner/Kühl, § 263 Rdnr. 14; Wesseis / Billenkamp, Rdnr. 506; kritisch aber z. B. Arzt / Weber, Lehrbuch, § 20 Rdnr. 41; Maaß, Betrug, S. 135 f.: "pauschale Annahme". 144 Ähnlich gelagert ist auch die "Bekanntgabe" und "Bestätigung" von HandelsregisterEintragungen nebst beigelegten Formularen zur Überweisung vermeintlicher Gebühren an private Adreßveriage, die die riickständige Bearbeitung durch das zuständige Amtsgericht ausnutzen, vgl. dazu DER SPlEGEL Nr. 51/1998, S. 47. 145 Vgl. BGB, Beschluß v. 27. 2. 1979 (5 StR 805/78), erstmals veröffentlicht in NStZ 1997, 186; ebenso OLG Frankjurt/Main, NStZ 1997, 187 mit kritischer Anmerkung von Mahnkopj/Sonnberg, NStZ 1997, 187; zustimmend Cramer, in Schönke/Schröder, § 263 Rdnr. 16c a.E.; vgl. aber neuerdings BGB in NJW 2001, 2187, der eine konkludente Täuschung bei Zusendung von "Insertionsofferten" für die (bereits anderweitig erfolgte) Veröffentlichung von Todesanzeigen im Internet annimmt; einen Überblick über weitere (unveröffentlichte) Entscheidungen der Rechtsprechung gibt Garbe, NJW 1999,2868,2869. 146 Nach der zivilrechtlichen Rechtsprechung des BGB stellt der planmäßig erweckte Gesamteindruck eines nach Art einer Rechnung aufgemachten Angebotsschreibens eine zur Irreführung geeignete und daher gegen die guten Sitten verstoßende Handlung i.S. des § 1 UWG dar, vgl. BGHZ 123,330,334; BGB, NJW 1995,1361,1362; WRP 1998, 383, 385.
IV. Ansätze zu einer latenten Berücksichtigung der Opferrnitverantwortung
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könne auch erwartet werden, daß diese ein kaufmännisches Schreiben ganz lesen und ohne besonderen Hinweis auf der Rückseite als Vertragsangebot erkennen. 147 Auch in dieser Begründung kommt der Gedanke der Opfermitverantwortung sowie des Selbstschutzes zum Tragen, wobei anzumerken ist, daß sich derartige Geschäftspraktiken gerade den Umstand planmäßig zunutze machen, daß in der kaufmännischen Praxis häufig - jedenfalls bei großen, arbeitsteilig organisierten Unternehmen - die Bearbeitung derartiger "Rechnungen" mit verhältnismäßig geringen Beträgen nicht in den Händen geschäftserfahrener Kaufleute liegt. 148 Vor dem Hintergrund einer notwendigen Abgrenzung der Verantwortungsbereiche wird die Einbeziehung der Mitverantwortung des Opfers also auch innerhalb der Diskussion über die Täuschung durch Unterlassen deutlich. Dies erfolgt allerdings nicht ausdrücklich, sondern zeigt sich etwa darin, daß die Annahme einer Täuschung letztendlich mit der Begründung abgelehnt wird, daß das Opfer nicht erwarten durfte, vom Täter informiert zu werden. 149 Damit wird auch das etwaige Vertrauen zwischen dem Unterlassenden und dem Opfer entscheidungsrelevant. bb) Betrügereien mit Warenterminoptionen
In diesem Zusammenhang sind auch wiederum die Betrügereien mit Warenterminoptionen als Grenzfälle noch strafloser Geschäftstüchtigkeit aufschlußreich. Denn sofern hierbei nicht schon eine strafbare konkludente Täuschung vorliegt, 150 ist fraglich, ob das Verschweigen der Zusammensetzung des Optionspreises eine Täuschung durch Unterlassen darstellt. Der BGH stellt bei derartigen Risikogeschäften strenge Anforderungen und bejaht eine Garantenpflicht aus einem vorvertraglichen Vertrauensverhältnis entsprechend der zivilrechtlichen Rechtsfigur der culpa in contrahendo als Konkretisierung des Grundsatzes von Treu und Glauben mit dem mehr oder weniger lapidaren Hinweis "Kapitalanlage sei Vertrauenssache".151 Letztendlich wird hier die zivilrechtliche Rechtsprechung zu derartigen 147 So OLG FranlifurtlMain, NStZ 1997, 187; ähnlich BGB, NStZ 1997, 186; zustimmend Wesseis I Billenkamp, Rdnr. 506; vgl. auch die von Garbe, NIW 1999, 2868, 2869 Fn. 10 zitierten Zivilurteile. 148 Zu Recht kritisch deshalb MahnkopjlSonnberg, NStZ 1997, 187; demgegenüber betont BGB, NIW 2001, 2187, 2189, nicht von den BGB, NStZ 1997, 186 tragenden Erwägungen abzuweichen, da es sich bei nalJen Angehörigen, die die rechnungsähnlichen Angebote zur Veröffentlichung von Todesanzeigen erhielten, nicht um einen gerade durch ErfalJrung in geschäftlichen Angelegenheiten ausgewiesenen Personenkreis handele. 149 So auch Arzt I Weber, Lehrbuch, § 20 Rdnr. 42 ff.; ähnlich schon Naucke, Peters-FS, S. 109, 112. 150 Siehe oben unter B III 1 b) cc). 151 BGBSt 30, 177, 182 in einem obiter dictum unter Berufung auf BGB (11. Zivilsenat), NIW 1981, 1266 (= BGHZ 80,80) und Urteil v. 1. 4. 1981-2 StR 64/81; zustimmend Arztl Weber, Lehrbuch, § 20 Rdnr. 44; vgl. zum ganzen auch Fischer, in TTÖndle I Fischer, § 263 Rdnr. 13; Worms, Anlegerschutz, S. 184 f. und in wistra 1984, 123, 127 m. w. N. auf die Literatur.
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B. Die Beriicksichtigung der Mitverantwortung nach Stand der Betrugsdogmatik
Warentenningeschäften in ihrem sachlichen Gehalt auf das Strafrecht übertragen. Diese oktroyiert den Vennittlern Aufklärungspflichten als vorvertragliche Schutzpflichten zugunsten künftiger Anleger mit der Begründung, daß die Vennittler ihre Beratung geradezu anpreisen und ihre eigene Sachkunde hervorheben, wobei insbesondere betont wird, daß die Anleger auf die Auskünfte der Vennittler als maßgebliche Entscheidungsgrundlage angewiesen seien, da sie regelmäßig keine Möglichkeit haben, sich die notwendigen Informationen selbst zu verschaffen. Außerdem sei gerade die Prämienhöhe für die Kaufentscheidung der Erwerber einer Warentenninoption von ausschlaggebender Bedeutung, um die Chancen und Risiken eines solchen Geschäftes richtig einschätzen zu können. 152 Auch hier wird also darauf abgestellt, ob dem Opfer zumutbare Selbstschutzmöglichkeiten zur Verfügung stehen und in welcher Weise es dem potentiellen Tater Vertrauen entgegengebracht hat. Diese vom BGH faktisch vorgenommene Übertragung zivilrechtlicher Aufklärungspflichten auf das Strafrecht wird jedoch weitgehend abgelehnt. Eine Rechtspflicht des Optionsvennittlers zur Offenbarung seiner Kalkulation bei derartigen Spekulationsgeschäften lasse sich regelmäßig nicht aus vorvertraglichen Pflichten oder womöglich aus dem Grundsatz von Treu und Glauben ableiten. 153 Denn aufgrund des Interessenwiderstreites zwischen Verkäufer und Käufer könne der Kunde nicht erwarten, über die für die Preisbildung in Betracht kommenden Umstände unterrichtet zu werden. 154 Vielmehr trage er das Aufklärungsrisiko, so daß der Verkäufer ungefragt weder dazu verpflichtet sei, dem Käufer mitzuteilen, daß dieser den Kaufgegenstand woanders billiger erwerben könne noch zur Aufklärung über seine Kalkulation. 155 Außerdem lasse sich eine zivilrechtliche Aufklärungspflicht aus einem vorvertraglichen Vertrauensverhältnis nicht einfach zur Begründung einer Garantenpflicht in das Strafrecht transferieren. Denn im Gegensatz zur zivilrechtlichen Haftung diene der strafrechtliche Tatbestand des Betruges allein dem Schutz des Vermögens, nicht aber der Redlichkeit im Geschäftsverkehr. 156
152 BGJrZ 80, 80, 81 f. (ähnlich schon OLG München als Vorinstanz, NJW 1980, 786); BGJrZ 105, 108, 109 f.; seitdem ständige Rechtsprechung, vgl. BGH, ZIP 1988,635,636 ff.; 1991, 87, 88; 297, 298; 1207; 1992,612,613 f.; 1614, 1615; vgl. zum ganzen auch Otto, JZ 1993,652,654; Worms, wistra 1984, 123, 127. 153 Vgl. nur eramer, in Schönke/Schräder, § 263 Rdnr. 31b m. w. N. 154 So das Berliner Kammergericht, NJW 1980, 1471, 1472, nach dem zumindest ein börsentermingeschäftsfähiger Kaufmann nicht über das Risiko aufgeklärt werden müsse, weil es nach den Regeln des kaufmännischen Verkehrs grundsätzlich Sache des Käufers sei, welchen Kaufpreis er zahle; generell zustimmend Sonnen, NStZ 1981,24: nur so sei eine sachgerechte Beriicksichtigung der unterschiedlichen Interessen sowie der jeweiligen Risikosphäre möglich. 155 Vgl. Hohenlohe-Oehringen, BB 1980,231 f. 156 Worms, Anlegerschutz, S. 184 f.; ders., wistra 1984, 127 f. unter Berufung auf Maaß, S. 25 mit zahlreichen Nachweisen; vgl. dazu auch Sonnen, NStZ 1981, 24, 25; BGHSt 16, 220,221; 16,367,372 f.
IV. Ansätze zu einer latenten Berücksichtigung der Opfennitverantwortung
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Neben der unterschiedlichen Schutzrichtung lehnt darüber hinaus ein Teil des Schrifttums die Herleitung einer Garantenpflicht aus einem besonderen Vertrauensverhältnis wiederum unter Berufung auf das Prinzip der wirtschaftlichen Eigenverantwortung ab. Allerdings wird hierbei eine weitaus engere Ansicht befürwortet, was auch auf die unterschiedliche Erwartungshaltung zurückzuführen ist, zu der das Opfer im Vergleich zur konkludenten Tauschungshandlung berechtigt iSt. 157 Zwar wird auch hier eine Ausnahme von dem Grundsatz des erlaubten Ausnutzen eines Informationsgefälles gemacht, wenn gleichsam institutionell ein Informationsgefälle besteht oder der eine Geschäftspartner dem anderen seinen überlegenen Sachverstand zur Verfügung stellt, also etwa ein Element der Beratung des Käufers durch den fachkundigen Händler den Vertrag wesentlich mitprägt, so daß dieser auf die Vollständigkeit der Informationen vertrauen darf und damit seines Informationsrisikos entledigt ist. ISS Allerdings wird betont, daß sich eine besondere Vertrauensbeziehung noch nicht bereits daraus ergebe, daß ein Geschäftspartner gegenüber dem anderen einen Wissensvorsprung besitze oder ihm einseitig Vertrauen entgegengebracht werde. Vielmehr müsse sich der an Sachverstand Überlegene auch tatsächlich zur Aufklärung bereit zeigen, um ein einseitiges Aufdrängen derartiger wettbewerbshindernder Pflichten zu vermeiden. 159 Außerdem könne von einem Informationsgefälle lediglich bezüglich der Eigenschaften der angebotenen Ware, nicht hingegen bezüglich des Standortes derselben im Gefüge der Marktwirtschaft die Rede sein, da hier ein Informationsgefälle gerade nicht vorgegeben sei. 160 Deshalb erstrecke sich die Aufklärungspflicht des Erbringers einer Leistung in der Regel nur auf die Eigenschaften der angebotenen Leistung. Dagegen sei er nicht zur Offenbarung der Marktsituation, der Angemessenheit des Preises oder der Kalkulationsgrundlage verpflichtet,161 zumal hier eventuell sogar die Gefahr einer Kollision mit wettbewerbsrechtlichen Vorschriften bestehe. Überhöhte Preise, Gebühren und Provisionen können daher einen Betrugsvorwurf regelmäßig nicht begründen. 162 Dieser Ablehnung einer Garantenstellung liegt vor allem eine spezielle Risikoverteilung zugrunde: Danach nimmt derjenige, der eine Ware oder Dienstleistung zu einem ungewöhnlich hohen Preis anbietet, lediglich das strafrechtlich irrelevante Risiko auf sich, daß potentielle Kunden entweder zur günstiger anbietenden Konkurrenz wechseln oder von dem ins Auge gefaßten Geschäft gänzlich Abstand nehmen. Dagegen unterfällt es dem Risikobereich des Interessenten, sich zu erkundigen, ob die angebotene Ware oder Dienstleistung ihren Preis auch wert ist. Bei Siehe oben unter B III I b) aa). So Maaß, Betrug, S. 129 f.; ähnlich Kühne, S. 64, 67 f.; Lackner, in LK, § 263 Rdnr. 46. 159 Worms, Anlegerschutz, S. 186; ders., wistra 1984, 123, 127 f.; Kühne, S. 67 f.; Maaß, Betrug, S. 129 f. 160 Kühne, S. 65. 161 Vgl. Seelmann, NJW 1980,2545,2548. 162 So Kühne, S. 67; zustimmend Maaß, S. 129 f.; Worms, Anlegerschutz, S. 186; wistra 1984, 123, 127 f. 157 158
108
B. Die Berücksichtigung der Mitverantwortung nach Stand der Betrugsdogmatik
mangelnder eigener Sachkenntnis sei es diesem in jedem Fall zumutbar, beim Anbietenden konkret nachzufragen mit der Folge, daß bei der Erteilung einer wahrheitswidrigen Auskunft eine ausdrückliche Tauschungshandlung vorliegt. 163 Dementsprechend habe auch beim Options geschäft nicht etwa der Verkäufer das gesamte Prämiensystem zu erklären, da es sich nicht um den Preis der Leistung, sondern um deren Beschaffenheit handele. 164 Außerdem müsse bei Spekulationsgeschäften die besondere Interessenlage der Beteiligen berücksichtigt werden. Danach sei es dem potentiellen Anleger durchaus bewußt, daß der Optionsvermittler als Kaufmann vorrangig am Absatz seiner Ware interessiert sei. Dem wirtschaftlich eigenverantwortlichen Kunden obliege es daher, sich über die Chancen und Risiken zu informieren. 165 Denn bei spekulativen Geschäften sei es in besonderem Maße anerkannt, daß jeder Vertragspartner sein Risiko selbst zu tragen habe. Demzufolge obliege auch dem Erwerber einer Option insbesondere dann das Aufklärungsrisiko über die Höhe der Gewinnchance, wenn er nicht konkret nach der Höhe der Vermittlungsprovision gefragt habe - eine dann unrichtige Auskunft wäre Tauschen durch Begehen - und sich auch nicht anderweitig über die unterschiedlichen Optionspreise informiert habe, zumal eine unzureichende Information seitens der Vermittlerfirmen die notwendige Skepsis hervorrufen müsse. 166 Keinesfalls könne man deshalb bei derartigen Risikogeschäften einen bloßen Vertreiber von Kapitalanlagen zum Vermögens berater des Anlegers hochstilisieren. 167 In diesem Zusammenhang wird auch in kriminalpolitischer Hinsicht darauf hingewiesen, daß die Kunden den Manipulationen des Verkäufers keineswegs schutzlos ausgeliefert seien, da sie die Kurse und damit auch den Prämienaufschlag z. B. aus der Zeitung entnehmen können. 168 In der Literatur zeigen sich also deutliche Tendenzen, trotz ausdrücklicher Ablehnung das Mitverschulden des Betrugsopfers dennoch über §§ 263, 13 StGB zu berücksichtigen. Auch das OLG Hamburg hat eine Betrugsstrafbarkeit mit der Erwägung verneint, daß eine Warenterminoption einen rein spekulativen Charakter besitze und die Kunden auf den Zufall spekuliert hätten. Da bei der Option das Spekulationselement dominiere, bestehe allein aufgrund eines 100% igen Preisaufschlages für Kosten und Provision keine Aufklärungspflicht des Vermittlers, solange dem Anleger noch eine spekulative Gewinnchance verbleibe. Darüber hinaus 163
2548.
Worms, wistra 1982, 123, 128; Kühne, S. 66 f.; vgl. auch Seelmann, NJW 1980, 2545,
Vgl. dazu Maaß, Betrug, S. 131 f. Geerds, S. 86 m. w. N. 166 eramer, in Schönke/Schröder, § 263 Rdnr. 31b; Sonnen, NStZ 1981, 24; vgl. auch Seelmann, NJW 1980,2545,2548. 167 So Geerds, S. 86. 168 So Sonnen, NStZ 1981, 24, 25; vgl. auch OLG Hamburg, NJW 1980, 2593, 2594; Geerds, S. 86 f.; ähnlich Raimund Hassemer, S. 161 ff. und Kurth, S. 188 f., die derartige Fälle des kalkulierten Risikos vor allem unter kriminalpolitischen Gesichtspunkten aus dem Schutzbereich des § 263 StGB ausscheiden wollen. 164
165
IV. Ansätze zu einer latenten Berücksichtigung der Opferrnitverantwortung
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könne auch nicht vom Vorliegen eines Irrtums ausgegangen werden, weil die Anleger als mündige Bürger die mangelnde Ernsthaftigkeit überzogener Gewinnversprechungen im Rahmen eines Spekulationsgeschäftes erkennen müssen. 169
d) Zusammenfassung Sowohl innerhalb des Problemkreises der konkludenten Tauschung als auch bei der Tauschung durch Unterlassen finden sich Ansätze zu einer Berücksichtigung der Opfermitverantwortung innerhalb des Betrugstatbestandes. Dies gilt in ganz besonderem Maße für risikoreiche Spekulationsgeschäfte, wie etwa Betrügereien mit Warenterminoptionen. Auch die vielfach im Ergebnis fragwürdige Abgrenzung von Tatsachenbehauptungen und Werturteilen durch die herrschende Betrugsdogmatik läßt sich oftmals mit dem Gedanken der Mitverantwortung des Opfers erklären sowie mit dem Umstand, ob und in welcher Weise das Opfer dem potentiellen Tater Vertrauen entgegengebracht hat. In diesem Zusammenhang ist erneut darauf hinzuweisen, daß sich der Tatsachenbegriff und seiner Anwendung als unfähig erwiesen hat, die von ihm erhoffte Restriktion zu vollbringen. Neben seiner begrifflichen Weite liegt dies auch daran, daß im Rahmen des § 263 StGB weiterhin eine bloße Kausalität im Sinne der Bedingungstheorie ausreichen soll. Statt sich dies aber einzugestehen, greift die herrschende Betrugsdogmatik auf fragwürdige dogmatische Konstruktionen zurück. Dies wird besonders deutlich in den Versuchen, bestimmte Tauschungen als verkehrsüblich oder sozialadäquat zu bewerten, da das Opfer den Erklärungen des Taters nicht vertrauen durfte und sie mit dieser Begründung aus dem Tatbestand des Betruges herauszunehmen. 170 Zum einen werden schon solche Handlungen als verkehrsüblich, deliktstypisch oder sozial allgemein toleriert ausgeschieden, die nach herrschender Betrugsdogmatik nicht einmal eine Tauschung durch Unterlassen darstellen, etwa wenn ein höchst individuelles Interesses an einem Kaufgegenstand dem Verkäufer nicht mitgeteilt wird. 171 Daneben werden aber bezeichnenderweise gerade übertriebene Anpreisungen, allgemein unverbindliche Redewendungen, marktschreierische Reklame und ähnliche Vorspiegelungen genannt, denen doch angeblich bereits der betrugsrelevante Tatsachenkern fehlt. l72 Damit erweist sich auch der Begriff der sozialadäquaten Tauschung innerhalb der betrugsrechtlichen Dogmatik als überflüssiges Auffanginstrument, das in Wahrheit ebenfalls auf das 169 So OLG Hamburg, NJW 1980,2593,2594; zustimmend Sonnen, NStZ 1981,24; kritisch aber Scheu, MDR 1981, 467, 468, da es nach ganz h.M. doch gerade nicht darauf ankommen soll, wovon der Getäuschte hätte ausgehen müssen, sondern nur, wovon er tatsächlich ausgegangen ist. 170 Siehe etwa Jescheck/Weigend, § 25 IV 1, S. 252; Hirsch, ZStW 74 (1962), 78, 130. 171 So Roxin, Klug-FS, S. 303, 312; Jescheck/Weigend, § 25 IV 1, S. 252. 172 Vgl. schon v. Hippel, Lehrbuch S. 260; ebenso Hirsch, ZStW 74 (1962), 78, 130 mit Nachweisen auf die Rechtsprechung.
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B. Die Berücksichtigung der Mitverantwortung nach Stand der Betrugsdogmatik
Bemühen zurückgeht, besonders durchsichtige, aber für wahr genommene Behauptungen abzuschichten und folglich auf der Selbstverantwortung des Opfers beruht. 173
2. Im Bereich des Vermögensschadens
Auch bei der Bestimmung des betrugsrelevanten Vermögensschadens lassen sich weitgehende Tendenzen feststellen, den Gedanken der Opfermitverantwortung einzubeziehen. Dies liegt vor allem daran, daß die Rechtsprechung und h.L. den von ihr vertretenen wirtschaftlichen Vermögens begriff zur Lösung vieler kriminalpolitischer Probleme des § 263 StGB heranziehen und ihn damit nahezu aller Konturen berauben. 174 Bei einer derartigen Betrachtung besteht freilich die Gefahr einer schon angesichts des aus Art. 103 Abs. 2 GG folgenden Analogieverbotes bedenklichen uferlosen Ausdehnung des betrugsrelevanten Vermögensbegriffes. Außerdem wird durch eine solche Vorverlagerung des Zeitpunktes der Tatvollendung dem Täter die ihm gemäß § 24 StGB eingeräumte Rücktrittsmöglichkeit genommen und damit auch jeder Anreiz, den endgültigen Schadenseintritt zu verhindern. 175 Deshalb wird eine Restriktion des äußerst umfassenden wirtschaftlichen Vermögensbegriffes befürwortet, die häufig auf das Opfer abstellende Erwägungen miteinbezieht. Dies ist insbesondere der Fall bei einer bloßen Vermögensgefährdung, die überwiegend als Vermögensschaden anerkannt wird, sofern bei wirtschaftlicher Betrachtung bereits eine Verschlechterung der gegenwärtigen Vermögenslage konkret nahe liegt. 176 Hier weisen viele Stimmen in der Literatur zu Recht darauf hin, daß die nur abstrakte Möglichkeit eines späteren Schadenseintritts keinesfalls genügt, sondern daß die Konkretheit der Gefährdung einer sehr genauen Prüfung bedarf. 177 Das zunehmende Bemühen, die Vorverlagerung der Vollendung einzuschränken, zeigt sich etwa in der Forderung, daß eine schadensgleiche Vermögensgefährdung jedenfalls dann zu entfallen habe, wenn der endgültige Schadenseintritt zumindest 173 Vgl. schon Naucke, Peters-FS, S. 109, 112 sowie Arzt I Weber, Lehrbuch, § 20 Rdnr. 36, 49 a.E; ElImer, S. 117; demgegenüber hält ein Teil der Literatur den Rechtsgedanken der sozialen Adäquanz als Begrenzung von Tatbeständen des Besonderen Teils für unentbehrlich; so Jescheck/Weigend, § 25 IV 1, S. 252; Wesseis I Beulke, Rdnr. 57; Roxin, Klug-FS, S. 303 ff. jeweils m. w. N. 174 Vgl. dazu Schünerrumn, Bockelmann-FS, S. 117, 131 und in Schneider, S. 407, 416; Ellmer, S. 129 m. w. N. 175 Riemann, S. 63; Cramer, S. 179; Samson, in SK, § 263 Rdnr. 167. 176 So etwa BGHSt 21, 112, 113; 23, 300, 303; 34, 394, 395; vgl. auch Eser, S. 138; Krey, Rdnr. 448; Samson, in SK, § 263 Rdnr. 166 ff.; Cramer, in Schönke/Schröder, § 263 Rdnr. 143 m. w. N. 177 Siehe nur Tenckhoff, in Lackner-FS, S. 677, 679; Maurach/ Schroeder / Maiwald, § 41 11 Rdnr. 130, jeweils m. w. N.
IV. Ansätze zu einer latenten Berücksichtigung der Opferrnitverantwortung
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auch noch vom weiteren Verhalten des Täters abhänge. Dementsprechend könne ein Vermögensschaden eines Vermieters nicht schon in der bloßen Überlassung eines Appartements an ein Callgirl durch den Mieter liegen 178 oder darin, daß ein Versicherungsnehmer bei mehreren Gesellschaften gleichartige Unfallversicherungen zu seinen Gunsten lediglich abgeschlossen, aber noch nicht (durch eine weitere Täuschung) in Anspruch genommen habe. 179 Denn bei derartigen Konstellationen, in denen der endgültige Schaden noch von einem weiteren positiven Tun des Täters abhänge, weise die Gefahr des endgültigen Schadenseintritts nicht die zur Bejahung einer Vermögensgefährdung erforderliche Konkretheit auf, da sie vom Täter beherrschbar ist und damit den allgemeinen Begriff einer konkreten Gefahr nicht erfüllt. Anders sei allerdings dann zu entscheiden, wenn der Täter zur endgültigen Herbeiführung des Schadens lediglich etwas zu unterlassen brauche, aber zu dessen Abwendung noch aktiv handeln müsse. Denn hier hänge es vom Zufall ab, ob ihm dies noch möglich sei, wie etwa im Regelfall des Eingehungs- und Kreditbetruges, bei dem der Schaden endgültig eintritt, sofern der Täter das Opfer über die Unbrauchbarkeit der Ware vor der Zahlung des Kaufpreises nicht aufklärt bzw. das erhaltene Darlehen bei Fälligkeit nicht vollständig zurückzahlt. Aufgrund der mangelnden Beherrschbarkeit der Gefahr liege in solchen Fällen mithin eine schadensgleiche Vermögensgefährdung schon zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses vor. 180 Mehr im Vordergrund der Dogmatik zum betrugsrelevanten Schadensbegriff wird demgegenüber diskutiert, ob eine Begrenzung möglich ist für den Fall, daß der Getäuschte die Abwendung des endgültigen Schadenseintritt noch in seiner Hand hält, ob ein Vermögensschaden auch unter dem Gesichtspunkt des sog. individuellen Schadenseinschlages zu bejahen ist sowie bei einer bewußten Selbstschädigung. Innerhalb dieser rechtswissenschaftlichen Auseinandersetzungen beruhen viele Beiträge auf den Gedanken der Opfermitverantwortung.
a) Schadensausgleich durch Gegenrechte Zunächst soll der Gedanke der Mitverantwortung des Opfers innerhalb der unterschiedlichen Bewertung von etwaigen Gegenrechten des Getäuschten in den Fällen des sog. Eingehungs- und Erfüllungsbetruges durch die herrschende Betrugsdogmatik aufgezeigt werden.
178 So aber LG Mannheim, NJW 1977,160; kritisch dazu Beulke, NJW 1977, 1073; Lackner, in LK, § 263 Rdnr. 223 Fn. 357. 179 Vgl. dazu BGH, JR 1986,345; siehe auch BGHSt 31,178. 180 Vgl. Seelmann, JR 1986, 346, 347; D. Meyer, MDR 1971, 718, 719; H. Schröder, JZ 1965,513,516; siehe auch Lackner, in LK, § 263 Rdnr. 143 f.
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B. Die Berücksichtigung der Mitverantwortung nach Stand der Betrugsdogmatik
aa) Die Konstellation des Eingehungsbetruges Nach h.M. kann bereits die täuschungsbedingte Eingehung einer rechtsgeschäftlichen Verpflichtung einen Betrugsschaden in Form einer schadensgleichen Vermögensgefährdung begründen, wenn der vertraglichen Verpflichtung des Getäuschten kein wirtschaftlich gleichwertiger Gegenanspruch gegenübersteht. Bei einem derartigen Eingehungsbetrug wird schon zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses ein Vermögensschaden angenommen. 181 (1) Gesetzliche Ausgleichsrechte
Zivilrechtliche Abwehrmöglichkeiten gegen eine Inanspruchnahme werden dabei nach ständiger Rechtsprechung des BGH im Hinblick auf das Prozeß- und Beweisrisiko als nicht kompensationsfähig angesehen. So sollen Anfechtungs- und Gewährleistungsrechte außer Betracht bleiben, weil es hier von Zufälligkeiten abhinge, ob der Getäuschte den Vertrag beseitigen könne. Gleiches gelte für gesetzliche Ansprüche, die dem Opfer gerade infolge der Täuschung erwachsen sind, wie etwa Schadensersatzansprüche aus §§ 823 Abs. 2, 826 BGB oder Bereicherungsansprüche aus §§ 812 ff. BGB.\82 Die Literatur folgt dieser Auffassung grundsätzlich, begründet sie aber nicht nur damit, daß sich der wirtschaftliche Wert der Gegenrechte dadurch mindere, daß der Täuschende die Ausgleichsmöglichkeiten zu vereiteln suchen werde,183 sondern führt daneben auch das kriminalpolitische Argument an, daß anderenfalls der Schutz vor Betrug mit Hilfe des Zivilrechts praktisch aus den Angeln gehoben wäre, 184 zumindest aber entgegen dem Schutzzweck des § 263 StGB plumpe Täuschungsmanöver aus der Betrugsstrafbarkeit herausgenommen würden. 18S Allerdings werden in der rechtswissenschaftlichen Literatur gesetzliche Ausgleichsansprüche ausnahmsweise dann als kompensationsfähig angesehen, wenn nach wirtschaftlicher Betrachtung der Betroffene durch etwaige Gegenrechte ausreichend abgesichert ist. So wird teilweise darauf abgestellt, ob der Täter fähig und bereit ist, etwaigen Ersatz- oder Erstattungsansprüchen jederzeit nachzukom181 Ständige Rechtsprechung des BGH, vgl. etwa BGHSt 16, 220, 221; 21, 384, 385 f.; 23, 300,302; ebenso Samson, in SK, § 263 Rdnr. 165; Seelmann, JuS 1982,509,512; Fischer, in Tröndle I Fischer, § 263 Rdnr. 32a; Lackner, in LK, § 263 Rdnr. 222; Maurach/ Schroeder / Maiwald, § 4111 Rdnr. 129; Krey, Rdnr. 447 ff. m. w. N. 182 BGHSt 21,384,386; 23, 300, 302 f.; BGH, bei Dallinger, MDR 1970, 13; NJW 1985, 1563,1564 m. w. N. 183 Maurach/ Schroeder / Maiwald, § 41 11 Rdnr. 11 0; Lackner / Kühl, § 263 Rdnr. 36a; eramer, in Schönke/Schröder, § 263 Rdnr. 120; vgl. auch Fischer, in Tröndle I Fischer, § 263 Rdnr. 36; weitere Nachweise bei Lackner, in LK, § 263 Rdnr. 187 f. 184 So etwa Eser, S. 136 f.; Krey, Rdnr. 458; Lackner, in LK, § 263 Rdnr. 188; Seelmann, JuS 1982,509,511. 185 Vgl. Tenckhoff, in Lackner-FS, S. 677, 682 f.; Lackner, in LK, § 263 Rdnr. 188; Lenckner, JZ 1971,320,324; s. auch Ellmer, S. 131 Fn. 242.
IV. Ansätze zu einer latenten Berücksichtigung der Opfennitverantwortung
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men 186 oder ob dem Opfer der ungehinderte Zugriff auf andere Sicherheiten offensteht. 187 Eine starke Meinungsgruppe läßt nur solche gesetzlichen Ausgleichsrechte ausreichen, die ihren Ursprung im Vertrag haben wie etwa das Anfechtungsrecht als Folge der täuschungsbedingten Willenserklärung. Dabei wird auch verlangt, daß die Täuschung nach objektiv-individuellen Kriterien erkennbar ist und daß der Getäuschte seine Rechte ungehindert durchsetzen, also insbesondere ohne Schwierigkeiten beweisen kann. 188 Hier wird also entscheidend darauf abgestellt, ob dem Opfer zivilrechtliche Möglichkeiten des Selbstschutzes offenstehen, da ein Vermögensschaden nur dann vorliegen soll, wenn das Opfer den drohenden Schaden nicht aus eigener Kraft zu verhindern vermag. 189 Dieser Gedanke der Opfermitverantwortung zeigt sich auch in der Einschränkung, nur solche zivilrechtlichen Anspriiche als kompensationsfähig anzusehen, deren Geltendmachung dem Getäuschten zumutbar ist. 190 (2) Vertragliche Gegenanspriiche
Demgegenüber sind sich die höchstrichterliche Rechtsprechung 191 und die Literatur l92 weitgehend dariiber einig, daß vertragliche Anspriiche, die dem Betroffenen zu seiner Sicherung bei der späteren Vertragserfüllung eingeräumt oder gewährt werden, kompensationsfähig sind, wenn sie einen ungehinderten Zugriff ermöglichen. Auch bei einem vertraglich vereinbarten Rücktrittsrecht wird der Eintritt eines Vermögensschadens abgelehnt, sofern der getäuschte Vertragspartner seine Leistung noch nicht erbracht hat und lediglich vertraglichen Anspriichen des Täters ausgesetzt ist, "weil der Getäuschte den ungünstigen Vertrag durch einfache einseitige Erklärung beseitigen kann".193 Das OLG Köln hat etwa im sog. "Wun186 Eser, S. 137; Lackner, in LK, § 263 Rdnr. 188; v. Ungem-Stemberg, ZStW 88, S. 653, 687 ff. 18? Lackner, in LK, § 263 Rdnr. 187 f.; MaurachlSchroederlMaiwald, § 41 II Rdnr. 110; Eser, S. 137; nach Lenckner, JR 1974,337 f.; Amelung, NIW 1975,624,625; D. Meyer, MDR 1975, 357, 358; MaurachlSchroederlMaiwald, § 41 II Rdnr. 110 sowie Lackner, in LK, § 263 Rdnr. 187 sollen gesetzlich erworbene Sicherungspfandrechte einen betrugsrelevanten Vermögensschaden ausschließen entgegen BayObLG, JZ 1974, 189 f. =JR 1974, 336 f.; vgl. auch Lacknerl Kühl, § 263 Rdnr. 36a; RGSt 74,129, 130; BGHSt 15,24,27 f. 188 Tenckhoff, in Lackner-FS, S. 677, 684; Samson, in SK, § 263 Rdnr. 167; Cramer, Vermögensbegriff, S. 176 f.; ders., in SchönkelSchröder, § 263 Rdnr. 131; Otto, Struktur, S. 278; Hefendehl, S. 302, 340; für den Fall des Kreditbetruges Lampe, S. 26 f. vgl. dazu aber auch Lackner, in LK, § 263 Rdnr. 187 f. 189 Vgl. dazu auch Seelmann, JuS 1982,509,512; Ellmer, S. 131. 190 So ausdrücklich Tenckhoff, in Lackner-FS, S. 677, 684; Cramer, in SchönkelSchröder, § 263 Rdnr. 131; ähnlich Lackner, in LK, Rdnr. 223 ff.; Lenckner, JZ 1971, 320 ff. 191 BGH, bei Dallinger, MDR 1973, 370; 75, 196; BGH, StV 1985, 186, 187; 1986,203; 1992, 117; 1995,255; wistra 1992, 142; 1993,265; NIW 1986, 1183 m. w. N. 192 Lackner, in LK, § 263 Rdnr. 189; Samson, in SK, § 263 Rdnr. 167c; LacknerlKühl, § 263 Rdnr. 36a; MaurachlSchroederl Maiwald, § 41 II Rdnr. 109; Fischer, in Tröndle I Fischer, § 263 Rdnr. 32a; weitere Nachweise bei Müller-Christmann, JuS 1988, 108, 113.
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B. Die Berücksichtigung der Mitverantwortung nach Stand der Betrugsdogmatik
derbürstenfall", in dem eine einfache Massagebürste übertrieben als "verblüffender amerikanischer Apparat" angepriesen wurde, das hierbei vertraglich eingeräumte Rücktrittsrecht, das zwar befristet, aber an keine Voraussetzungen gebunden war, als vollwertigen Ausgleich für die Pflichten aus dem Vertrag angesehen. 194 Diese Ansicht wird auch hinsichtlich der durch § 7 VerbrKrG bzw. §§ I ff. HaustürWG 195 eingeräumten gesetzlichen Widerrufsmöglichkeiten vertreten. 196 Diesen Entscheidungen läßt sich entnehmen, daß ein Vermögens schaden trotz Rücktrittsrecht jedenfalls dann anzunehmen ist, wenn der Getäuschte keine Kenntnis davon hat und die Ausübung dieses Rechts nicht bedingungslos nach seinem Belieben erfolgen kann. Es wird also auf effektive Selbstschutzmöglichkeiten abgestellt, wobei der Gedanke der Mitverantwortung maßgeblich davon abhängt, ob sich das Opfer dieser Mittel auch bewußt ist. Dementsprechend läßt es die Rechtsprechung in solchen Fällen nicht ausreichen, daß der Vertragspartner erfahrungsgemäß jederzeit bereit ist, die Ware zurückzunehmen und den Kaufpreis anstandslos zu erstatten, sofern dem Getäuschten diese Stornierungsbereitschaft verborgen bleibt. Denn in diesem Fall sei es äußerst ungewiß, ob das Opfer nach Erkennen der Unbrauchbarkeit des Gegenstandes seine Möglichkeiten ausnutze, sich vom Vertrag zu lösen. Dies könne auf Unerfahrenheit in geschäftlichen Angelegenheiten, Verärgerung oder Bequemlichkeit des Getäuschten beruhen, aber auch darauf, daß es ihm nicht zumutbar ist, ein etwaiges Prozeßrisiko auf sich zu nehmen. 197 Auch das Schrifttum ist grundsätzlich der Auffassung, daß ein dem Opfer von vornherein ausdrücklich eingeräumtes Recht zum Rücktritt vom Vertrag in der Situation des Eingehungsbetruges einen Vermögensschaden ausschließen kann. Denn die zur Annahme einer hierbei allenfalls in Betracht kommenden schadensgleichen Vermögensgefährdung erforderliche konkrete Gefahr sei nicht gegeben, wenn der Rücktrittsvorbehalt dem Opfer eine Prüfungs- und Bedenkzeit vor Erbringung seiner Leistung einräume. Vielmehr liege es in der Hand des Getäuschten, sich vor einem endgültigen Verlust ohne vollen Gegenwert zu bewahren, solange er seine Leistung aus einem gegenseitigen Vertrag noch nicht erbracht habe. 198 Allerdings 193 So BGHbei Dallinger, MDR 1971,546; ebenso OLG Köln, MDR 1975,244 und NJW 1976, 1222; Lenckner, JZ 1971, 320, 323; eramer, in Schönke/Schröder, § 263 Rdnr. 131; Samson, in SK, § 263 Rdnr. 167c; vgl. auch BGHSt 34, 199,202 sowie dazu die Anmerkung von Bottke, JR 1987,428,430. 194 MDR 1975, 244 (undifferenziert zwischen Eingehungs- und Erfüllungsbetrug); anders Arzt/ Weber, Lehrbuch, § 20 Rdnr. 101; vgl. auch Lackner, in LK, § 263 Rdnr. 225. 195 Bzw. früher zu §§ 1 b, c AbzahlungsG. 196 BayObLG, MDR 1986, 1046; Fischer, in Tröndle / Fischer, § 263 Rdnr. 32a; vgl. auch Krey, Rdnr. 452; Sonnen/ Hansen-Siedler, JA 1988, 17,26 f. 197 So vor allem BGHSt 23, 300, 304; vgl. auch OLG Hamm, NJW 1969, 2256; OLG Köln, NJW 1976,1222; anders noch BGH, GA 1962,213. 198 Vgl. Maurach/Schroeder/Maiwald, § 4111 Rdnr. 109; Fischer, in Tröndle/Fischer, § 263 Rdnr. 32a; Graba, NJW 1970,2221; Blei, JA 1975, 315, 317; Seelmann, JuS 1982, 509, 512; Krey, Rdnr. 451a; weitere Nachweise bei Lackner, in LK, § 263 Rdnr. 225 sowie bei Luipold, S. 162 Fn. 244.
IV. Ansätze zu einer latenten Berücksichtigung der Opferrnitverantwortung
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wird teilweise einschränkend gefordert, daß eine derartige generelle Aussage nach den Umständen des Einzelfalls durch die konkrete Prognose bestätigt werden muß, daß der Getäuschte zur Wahrnehmung seiner Rechte nicht imstande sein wird. 199 Danach setzt die Ablehnung einer konkreten Gefährdung die faktische und rechtliche Durchsetzbarkeit des Rücktrittsrechts voraus, die insbesondere von dessen Erkennbarkeit sowie den Modalitäten und Zumutbarkeit seiner Geltendmachung abhängt. Nur wenn das Rücktrittsrecht nach seiner konkreten Ausgestaltung im Einzelfall dem Opfer keine Möglichkeit biete, sich schon vor Zahlung des Kaufpreises ohne weitere Bedingungen, Beweisschwierigkeiten und ins Gewicht fallenden Aufwand von der vertraglich übernommenen Verpflichtung loszusagen, könne eine dem Schaden gleichstehende Vermögensgefährdung vorliegen. Im Rahmen dieser Bewertung von Selbstschutzmaßnahmen soll es auch darauf ankommen, ob das Opfer Erfahrung im Geschäftsverkehr habe oder sich vor rechtlichen Auseinandersetzungen bzw. schon vor dem zu hohen Aufwand einer eventuell erforderlichen Rücksendung der Ware im Verhältnis zu ihrem Preis scheue. 2OO bb) Die Situation des Erfüllungsbetruges
Demgegenüber kommt nach herrschender Betrugsdogmatik etwaigen Gegenrechten des Getäuschten eine andere Bedeutung zu in der Situation des sog. Erfüllungsbetruges, bei dem für die Schadenserrnittlung darauf abzustellen ist, ob die erbrachten oder empfangenen Leistungen jeweils den schuldrechtlichen Verpflichtungen gleichwertig sind?OI Zum einen stimmt hier die Literatur durchweg der Rechtsprechung zu, daß etwaigen gesetzlichen Ausgleichsanspriichen des Getäuschten keine strafrechtliche Relevanz zukommt. 202 Daneben ist es aber äußerst aufschlußreich, daß im Gegensatz zum Eingehungsbetrug einem etwaigen dem Getäuschten eingeräumten Rücktrittsrecht weitgehend strafrechtliche Relevanz zugemessen wird. Denn sobald das Opfer erfüllt habe, soll nach herrschender Betrugsdogmatik ein vertragliches Rücktrittsrecht den Vermögensschaden schon deshalb unberiihrt lassen, als daß dieses nur noch eine Möglichkeit der Wiedergutmachung des Schadens darstelle. Anders als beim Eingehungsbetrug handele es sich lediglich um eine Schadensbeseitigung (reparatio darnni), die eben nicht den bereits eingetretenen Schaden ver199 So Cramer, in SehönkelSehräder, § 263 Rdm. 131; Laekner, in LK, § 263 Rdm. 225; Lenekner, JZ 1971, 320, 321; ders., JR 1974, 337, 338 f.; D. Meyer, MDR 1971, 718, 720; H. Sehröder, JR 1971,74. 200 Müller-Christmann, JuS 1988, 108, 113; Laekner, in LK, § 263 Rdm. 225; vgl. auch Lenekner, JZ 1971, 320, 321 Blei, JA 1971,435,437 f. sowie Hefendehl, Vennögensgefährdung, S. 339: "viktimodogmatische Korrektur"; ferner Luipold, S. 160 ff. 201 Vgl. nur LaeknerlKühl, § 263 Rdm. 53 m. w. N. 202 Samson, in SK, § 263 Rdnr. 36; Cramer, in SchönkelSehröder, § 263 Rdnr. 120; LaeknerlKühl, § 263 Rdnr. 36a; Müller-Christmann, JuS 1988, 108, 114; MauraehlSehroederl Maiwald, § 41 11 Rdnr. 110; vgl. dazu auch Luipold, S. 190 ff.
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B. Die Berücksichtigung der Mitverantwortung nach Stand der Betrugsdogmatik
hindere, sondern nur dessen nachträglichen Ausgleich ermögliche. 203 Danach gilt das Vermögen des Opfers also als nicht gefährdet bzw. geschädigt, solange dieses den Vermögenswert noch nicht herausgegeben hat und folglich durch einseitige Erklärung ohne weiteres seine Bindung vernichten kann. Demgegenüber soll ein dem Getäuschten eingeräumtes Rücktrittsrecht gerade dann keinen vollwertigen Ausgleich für die schon erfolgte Vermögensminderung darstellen, sofern dessen Realisierung gefahrdet ist, weil dem Opfer die Ausübung des Rücktrittsrechts erheblich erschwert ist. 204 Diese unterschiedliche Bewertung beruht auch auf dem Gedanken der Opfermitverantwortung. Dies geht sehr anschaulich aus der Begründung des "Haarverdoppler-Falls,,205 hervor, in dem der BGH - ohne zur Problematik grundsätzlich Stellung zu nehmen - entschieden hat, daß der durch die Zahlung des Nachnahmebetrages beim Bezug der völlig wirkungslosen und damit nicht vertragsgemäßen Präparate entstandene Vermögensnachteil durch die Möglichkeit, die Geldzurückgarantie in Anspruch zu nehmen, wirtschaftlich nicht ausgeglichen wird. 206 Denn bezogen auf die Gesamtheit aller Geschäfte erhielten schon nicht alle Geschädigten einen realisierbaren wirtschaftlich vollwertigen Anspruch?07 Entscheidend sei aber die Unsicherheit der Betrogenen, ob und gegebenenfalls wie das Rücktrittsrecht überhaupt ausgeübt werden könne, wenn das Präparat teilweise oder - um die erwünschte Wirkung herbeizuführen - sogar vollständig verbraucht worden sei. In diesem Fall werde ähnlich wie bei einer Anfechtung wegen arglistiger Täuschung letztlich ausschließlich dem Getäuschten das Risiko aufgebürdet, vom Vertrag loszukommen. 208 Ferner sei es "von wesentlicher Bedeutung", daß durch die Auswahl der Werbeträger in der sog. Regenbogenpresse und Trivialliteratur gezielt ein Personenkreis angesprochen worden sei, der aufgrund seiner Geschäftsungewandtheit und Unerfahrenheit bei der Ausübung des Rücktrittsrechts faktisch vor erheblichen Schwierigkeiten stünde. 209 Der BGH begründet also - parallel zur 203 BGHSt 34, 199,202; Arzt/Weber, Lehrbuch, § 20 Rdnr. 101; ebenso Samson, in SK, § 263 Rdnr. 168; Sonnen, JA 1987, 212, 213; Bottke, JR 1987,428,430; MaurachlSchroeder I Maiwald, § 41 11 Rdnr. 109; Wesseis / Hillenkamp, Rdnr. 546; Otto, JK, StGB § 263/22; vgl. auch Krey, Rdnr. 449; demgegenüber hat das vom BGH zitierte Urteil der Vorinstanz unter Berufung auf OLG Köln, MDR 1975, 244 (siehe oben) ein vertragliches Rücktrittsrecht
nicht als bloße Wiedergutmachung, sondern als Verhinderung des Schadens angesehen; vgl. auch Hefendehl, Vermögensgefährdung, S. 296 ff.; Riemann, S. 84 Fn. 66; Luipold, S. 207 f. 204 Vgl. dazu noch Cramer, in SchönkelSchröder, § 263 Rdnr. 131; Winfried Hassemer, JuS 1987,499,500; Otto, JZ 1993,652,657. 205 BGHSt 34, 199; siehe bereits oben unter B I. 206 BGHSt 34, 199,201; zustimmend Fischer, in Tröndle / Fischer, § 263 Rdnr. 32a; Müller-Christmann, JuS 1988, 108; Sonnen, JA 1987,212,213; Bottke, JR 1987,428; Winfried Hassemer, JuS 1987,499; vgl. auch Otto, BT, § 51 III 2 a; JZ 93,652,654 und in JK, StGB § 263/22. 207 BGHSt 34,199,203. 208 So BGHSt 34, 199, 203 unter Berufung auf BGHSt 23, 302, 303. 209 BGHSt 34, 199, 203; kritisch dazu Bottke, JR 1987,428, der diese These im Rahmen der Schadensfeststellung für irrelevant hält.
IV. Ansätze zu einer latenten Berücksichtigung der Opfennitverantwortung
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Situation beim Eingehungsbetrug - den Vermögensschaden mit der minderen Qualität des Rücktrittsrechts, das nicht ohne Überwindung von Hindernissen ausgeübt werden konnte. Allerdings bestanden im konkreten Fall derartige Hindernisse weder in rechtlicher noch in tatsächlicher Hinsicht, da sie von dem Angeklagten nicht geltend gemacht werden sollten. Insofern liegt der Annahme eines Vermögensschadens statt einer objektiv-wirtschaftlichen Feststellung allein die Erwartung zugrunde, die meisten Kunden werden das Rücktrittsrecht nicht ausüben. 210 Letztendlich beruht dann aber die Betrugsstrafe auch darauf, daß die Getäuschten (jedenfalls nach der Vorstellung des Angeklagten) keine zumutbare Möglichkeit haben, sich selbst vor Schaden zu bewahren und damit auf dem Gedanken der Opfermitverantwortung. Innerhalb dieser Problematik wird aber auch auf individuelle effiziente Maßnahmen des Selbstschutzes abgestellt. Dies geht neben der BGH-Entscheidung selbst vor allem aus Äußerungen der Literatur hervor, die ihr weitgehend zustimmen, teilweise jedoch abweichend begründen, warum das vertragliche "Rückgaberecht mit voller Geldzurückgarantie" die durch den bereits bei Zugang der Ware entstandene Vermögensminderung nicht ausgleicht. So soll es bei einer juristisch-ökonomischen Schadensbeurteilung auch auf die faktische und rechtliche Durchsetzbarkeit eines Rechts ankommen, da sich etwaige Schwierigkeiten der Rechtsverfolgung wirtschaftlich auswirken können. Deshalb müsse berücksichtigt werden, daß der Gewinn auf der zutreffenden Prognose beruhte, daß die Besteller aufgrund von Trägheit oder Unerfahrenheit die ihnen eingeräumten Rechte regelmäßig nur zu einem geringen Teil verfolgen. Denn im Falle einer Lieferung per Nachnahme müssen die Kunden den Kaufpreis entrichten, ohne die Produkte zuvor auf ihre Wirksamkeit testen zu können. Bei Entdeckung der Minderwertigkeit bzw. völligen Unbrauchbarkeit der Mittel bestehe bei den Bestellern regelmäßig Unsicherheit darüber, ob eine Rückerstattung des vollen Kaufpreises noch möglich sei, da die kurze Rücktrittsfrist dann häufig bereits abgelaufen sei und die Präparate zur Überprüfung der angepriesenen Wirkungen zumindest teilweise verbraucht seien. Außerdem sei anzunehmen, daß der gezielt angesprochene rechtlich und geschäftlich unerfahrene Personenkreis wegen der relativ geringen Preise den Aufwand einer Rechtsverfolgung als unverhältnismäßig scheuen werde?ll Im Ergebnis läuft eine derartige Beurteilung freilich darauf hinaus, je nach den konkreten Fallumständen die Annahme eines betrugsrelevanten Vermögensschadens nach der Schutzwürdigkeit der Opfer auszurichten. Dementsprechend wird etwa die konkrete Entscheidung des BGH im "Haarverdoppler-Fall" auch - eher pragmatisch - als "durchaus plausibel" angesehen aufgrund des betroffenen Personenkreises ("soziale Schicht mit geringer Beschwerdemacht") sowie der Tatsache, daß der Reklamationsanteil sogar noch unter den einkalkulierten 10% lag?12 Kritisch zur Begründung des BGH deshalb OUo, JK, StGB § 263/22. So Bottke, JR 1987,428,430; Müller-Christmann, JuS 1988, 108, 113 f.; Sonnen, JA 1987,212,213; Winfried Hassemer, JuS 1987,499,500. 212 So Sonnen, JA 1987,212,213. 210
211
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B. Die Berücksichtigung der Mitverantwortung nach Stand der Betrugsdogmatik
ce) Die Ansicht von Luipold
Bezeichnend für die versteckte Berücksichtigung der Opfennitverantwortung durch die herrschende Betrugsdogmatik ist es auch, daß Luipold unlängst gezeigt hat, daß man unter ausdrücklicher Heranziehung der Eigenverantwortlichkeit des Opfers für seinen Selbstschutz und den Vorrang solcher Selbstschutzmöglichkeiten vor staatlichem Schutz zu fast identischen Ergebnissen kommt. 213 Während unter diesen Prämissen Maßnahmen des Selbstschutzes innerhalb des sog. Erfüllungsbetruges dem Opfer nicht zugemutet werden könnten (und deshalb auch der Entscheidung des BGH im "Haarverdoppler-Fall" im Ergebnis zuzustimmen sei 214 ), sollen bei den unterschiedlichen Fallgestaltungen des Eingehungsbetruges zivilrechtliche Gegenrechte strafrechtsbegrenzend wirken, sofern es der getäuschte Vertragspartner noch in der Hand hat, die Weiterentwicklung der Gefährdung in einen effektiven Schaden abzuwehren. 215 Dementsprechend führe etwa - in sachlicher Übereinstimmung mit der starken Meinungsgruppe innerhalb der Literatur - die im Vertragsschluß liegende Vermögensverfügung nicht zu einer schadensgleichen Vermögensgefährdung, wenn sich ein bestehendes Anfechtungsrecht als effektive Selbstschutzmöglichkeit erweise. Wegen des Vorrangs der Selbstschutzmöglichkeiten fehle es in diesem Fall an der Schutzwürdigkeit des potentiellen Opfers. Dabei komme es entscheidend darauf an, ob das Opfer das Anfechtungsrecht leicht beweisen und ungehindert durchsetzen sowie ob es die Täuschung vor Erbringung der eigenen Leistung erkennen könne. 216 Allerdings weist Luipold darauf hin, daß ein Anfechtungsrecht den Vermögensschaden nur selten ausschließen könne, weil das Vorliegen einer Täuschung regelmäßig bestritten werde, so daß der Getäuschte sein Recht mit gerichtlicher Hilfe durchsetzen müsse. 217 Dagegen ist ihrer Ansicht nach innerhalb des Eingehungsbetruges ein vertraglich vereinbartes Rücktrittsrecht in der Regel problemlos durchsetzbar und stellt eine für das potentielle Betrugsopfer zumutbare Möglichkeit der Schadensverhinderung dar, zumal der getäuschte Vertragspartner fast immer Kenntnis habe von dieser Möglichkeit, sich vom Vertrag zu lösen. Allerdings komme es auch hier darauf an, ob die Täuschung für das Opfer erkennbar sei, da es das Rücktrittsrecht nur dann wirksam wahrnehmen könne. 218
213 "Die Bedeutung von Anfechtungs-, Widerrufs-, Rücktritts- und Gewährleistungsrechten für das Schadensmerkmal des Betrugstatbestandes", 1998; nach Wesselsl Hillenkamp, Rdnr. 510 f.; 546 beruht die Ansicht Luipolds aber auf einem anfechtbaren Verständnis des Subsidiaritätsprinzips, dessen Heranziehung es hier nicht bedarf. 214 Luipold, S. 207. 215 Luipold, S. 208 f. 216 Luipold, S. 244 f. 217 Luipold, S. 146. 218 Luipold, S. 164 f.
IV. Ansätze zu einer latenten Berücksichtigung der Opfermitverantwortung
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dd) Ergebnis Damit bleibt im Ergebnis festzuhalten, daß sich die herrschende Betrugsdogmatik auch innerhalb der Bewertung von Gegenrechten des Getäuschten entgegen ihrer ausdrücklichen Überzeugung an dem Gedanken der Mitverantwortung des Opfers sowie der Schutzwürdigkeit des Vertrauen orientiert. b) Persönlicher Schadenseinschlag Dies läßt sich auch innerhalb der Diskussion darüber feststellen, ob ein Vermögensschaden unter dem Gesichtspunkt des sog. persönlichen Schadenseinschlages zu begriinden ist. aa) Die Auffassung der herrschenden Betrugsdogmatik Um der bei einer zunehmenden Subjektivierung des Schadensbegriffes drohenden Ausuferung des § 263 StGB entgegenzuwirken, bedient sich die h.M. bei der Feststellung eines betrugsrelevanten Vermögensschadens grundsätzlich eines objektiv-individualisierenden Beurteilungsmaßstabes. Dabei geht sie nach dem Prinzip der Gesamtsaldierung von einem Schaden aus, wenn bei einem Vergleich zwischen dem Vermögens stand vor und nach der Vermögensverfügung eine Minderung des Vermögens eingetreten ist, ohne daß diese Einbuße durch ein unmittelbar aus der Vermögensverfügung herriihrendes Äquivalent wirtschaftlich voll ausgeglichen iSt. 219 Belanglos sei demgegenüber, ob eine erhoffte Vermögensvermehrung ausgeblieben ist, da der Betrugstatbestand nur das schon vorhandene Vermögen schütze?20 Es reiche auch nicht aus, daß der Getäuschte eine vertragliche Verpflichtung ohne die Täuschung überhaupt nicht oder nur zu anderen Bedingungen eingegangen wäre. Denn § 263 StGB bezwecke nach seiner Schutzrichtung nur, den Eintritt von Vermögensschäden zu verhindern, nicht aber die Verfügungsfreiheit oder das Vertrauen im Geschäftsverkehr zu schützen?21 Die Rechtsprechung erkannte jedoch schon friih, daß eine rein wirtschaftliche Betrachtung bei der Schadenserrnittlung zu ungerechten Ergebnissen führen kann, da nicht alle Gegenstände im Wirtschaftsverkehr für jeden den gleichen Nutzen haben?22 Inzwischen ist es weitgehend anerkannt, daß sich trotz objektiver Ausgegli219 Lackner, in LK, § 263 Rdnr. 143; Samson, in SK, § 263 Rdnr. 133 ff.; Maurach/Schroeder / Maiwald, § 41 11 Rdnr. 108; Wessels / Hillenkamp, Rdnr. 538; eramer, in Schönke / Schröder, § 263 Rdnr. 106 ff.; jeweils m. w. N. 220 Vgl. BGHSt 16, 220, 224; BGH, NJW 1991,2573; vgl. auch C. Schneider, JZ 1996, 914,915 m. w. N. 221 BGH, wistra 1986, 169, 170; NJW 1995,539; StV 1995,254,255; OLG Düsseldorf, JZ 1996,913,914; NJW 1991, 1841, 1842; OLG Köln, NJW 1979, 1419, 1420. 222 So bereits RGSt 16, 1,3 f.; der BGH entwickelte dann im sog. ,,Melkmaschinen-Fall" Fallgruppen (vgl. nur den Leitsatz von BGHSt 16, 321); allerdings betonte er, daß die von
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B. Die Berücksichtigung der Mitverantwortung nach Stand der Betrugsdogmatik
chenheit von Leistung und Gegenleistung ein Vennögensschaden ausnahmsweise auch aus den persönlichen Bedürfnissen und Verhältnissen des Erwerbers unter Berücksichtigung der von ihm verfolgten Zwecke ergeben kann. 223 Ein solcher sog. individueller Schadenseinschlag wird insbesondere dann angenommen, wenn der Erwerber die angebotene Leistung bei objektiver Beurteilung unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten nicht oder nicht in vollem Umfang zu dem vertraglich vorausgesetzten Zweck oder in anderer Weise zumutbar verwenden kann. 224 Dies entscheide sich allerdings nicht aus der subjektiven Sicht des Opfers, sondern nach Auffassung eines sachlichen Beurteilers, der nur spezielle individuelle Bedürfnisse des Getäuschten berücksichtigen dürfe, auf die dieser objektiv erkennbar besonderen Wert legt. Denn würde man demgegenüber jedes Interesse berücksichtigen, so wäre letztendlich doch dessen persönliche Einschätzung maßgeblich, ob ein Vermögensschaden eingetreten ist. 225 Dementsprechend soll nach der Rechtsprechung und der herrschenden Ansicht in der Literatur der Käufer eines gebrauchten Kraftfahrzeuges, den die Vorspiegelung eines geringeren Kilometerstandes zum Kauf veranIaßt hat, regelmäßig nur dann einen Vennögensschaden im Sinne des Betrugstatbestandes erleiden, wenn das Fahrzeug objektiv den vereinbarten Preis nicht wert ist. Die Minderwertigkeit der Gegenleistung könne trotz eines an sich angemessenen Marktpreises über einen individuellen Schadenseinschlag ausnahmsweise nur dann begründet werden, wenn der Käufer aufgrund ganz besonderer persönlicher Bedürfnisse - die freilich über das regelmäßig bei jedem Gebrauchtwagenkäufer vorhandene allgemeine Interesse hinausgehen müssen - auf einen Pkw mit geringerer Laufleistung erkennbar besonderen Wert legt, etwa im Hinblick auf die Reparaturanfälligkeit oder Verkehrssicherheit. 226 ihm angeführte Aufzählung wegen der Vielgestaltigkeit der jeweiligen Umstände keineswegs abschließend zu verstehen sei (BGHSt 16, 321, 327 a.E.); siehe dazu auch BayObLG, NJW 1973,633; KüpperlBode, JuS 1992,642 f. 223 BGHSt 16, 321, 326; seitdem ständige Rechtsprechung des BGH; ebenso OLG Düsseldorf, JZ 1996, 913, 914; Lackner, in LK, § 263 Rdnr. 159; Samson, JA 1978, 625, 626; MaurachlSchroederlMaiwald, § 4111 Rdnr. 115; den objektiv-wirtschaftlichen Vermögensbegriff lehnen insbesondere die Vertreter der personalen Vermögenslehre ab, vgl. etwa Otto, Geschäftstüchtigkeit, S. 65 ff.; Ranft, Jura 1992,66,73 f.; Geerds, Jura 1994,309,314, 317; kritisch auch Schmoller, ZStW 103 (1991), 92, 96 ff.; Mohrbotter, GA 1975,41,44 f. 224 BGHSt 16, 321, 326; 22, 88, 89; BGH, wistra 1986, 169, 170; BayObLG, NJW 1973, 633; OLG Köln, NJW 1979, 1419, 1420; OLG Stuttgart, NJW 1980, 1177, 1178; Jakobs, JuS 1977,228,231; WesseisI Hillenkamp, Rdnr. 547; Fischer, in TrändlelFischer, § 263 Rdnr. 35a; Samson, in SK, § 263 Rdnr. 143; vgl. auch Lacknerl Kühl, 263 Rdnr. 48. 225 So BGHSt 16, 220, 222; 321, 326; BGH, wistra 1986, 169, 170; KüpperlBode, JuS 1992,642,643; MaurachlSchroederlMaiwald, § 4111 Rdnr. 113,116; Lackner, in LK, § 263 Rdnr. 156 f.; eramer, in SchönkelSchräder, § 263 Rdnr. 121. 226 OLG Düsseldorf, JZ 1996,913,914; NJW 1991, 1841, 1842; OLG Hamm, NStZ 1992, 593 f.; BayObLG, NJW 1987,2452; OLG Karlsruhe, NJW 1980, 1762 m. w. N., u. a. auch auf die früher von mehreren Obergerichten vertretene abweichende Rechtsansicht; vgl. auch BGH, wistra 1988, 348, 349; bei Dallinger, MDR 1972,571; ferner C. Schneider, JZ 1996,
IV. Ansätze zu einer latenten Berücksichtigung der Opferrnitverantwortung
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bb) Latente Berücksichtigung der Opfermitverantwortung
Die Vertreter des individuell-objektiven Schadensbegriffes sind um eine maßvolle Subjektivierung des Vermögensschadens bemüht. Sie betonen, daß durch die Beriicksichtigung des persönlichen Schadenseinschlages lediglich die Ergebnisse einer im Kern objektiven Betrachtung korrigiert werden, wenn sich dies ausnahmsweise im Interesse einer gerechten Entscheidung des Einzelfalls als unabdingbar erweist. 227 Allerdings beruht es wohl auch auf dem kriminalpolitischen Gedanken der Mitverantwortung des Opfers, daß die h.M. eine Beriicksichtigung des subjektiven Schadensgefühls im Regelfall für nicht gerechtfertigt hält. Denn die vom BGH aufgestellten Kriterien zu der nur ganz ausnahmsweise möglichen Beriicksichtigung des persönlichen Schadenseinschlages ziehen Gesichtspunkte in die Ermittlung des Schadens ein, die an für sich dem Risikobereich des Opfers zuzuordnen sind, wie z. B. die mangelnde wirtschaftlich sinnvolle Nutzung des erworbenen Kaufgegenstandes, die für ein vernünftig und vorsichtig agierendes Opfer erkennbar ist. Für den Regelfall heißt dies aber, daß derartige Umstände aus der Opfersphäre im Rahmen der Feststellung eines im Rahmen des Betrugstatbestandes relevanten Vermögensschadens irrelevant sind. Mit dem Gedanken der Opfermitverantwortung läßt sich auch erklären, warum ein persönlicher Schadenseinschlag dann verneint wird, wenn - wie z. B. beim unseriösen Gebrauchtwagenhandel (s.o.) - jemand eine Sache in dem Irrtum erwirbt, ihr Wert sei höher als der gezahlte angemessene Kaufpreis. Denn in diesem Fall wurde die schädigende Verfügung unter dem Einfluß eines Motivirrtums getroffen. 228 Eine solche Fehlvorstellung stammt aus dem Verantwortungsbereich des Irrenden und wird deshalb auch sonst regelmäßig nicht rechtlich geschützt. 229 cc) Betrügereien mit Warenterminoptionen
Die eigentlichen Hintergriinde bei der problematischen Feststellung eines Vermögensschadens und der Berechnung seiner Höhe lassen sich wiederum durch die "Aufschlagsproblematik,,230 bei Betriigereien im Zusammenhang mit Warentermingeschäften instruktiv belegen.
914, 915; Ranft, JA 1984, 723, 728; Lackner, in LK, § 263 Rdnr. 198; Fischer, in Tröndle I Fischer, § 263 Rdnr. 35; eramer, in Schönke/Schröder, § 263 Rdnr. 123. 227 BGHSt 16, 220, 222; Lackner, in LK, § 263 Rdnr. 159; Seelmann, NJW 1981, 2545, 2551; vgl. auch Ellmer, S. 132 f. sowie Samson, JA 1978, 625, 627, der betont, daß es sich schon bei den vom BGH im sog. "Melkmaschinenfall" (s.o.) aufgestellten grundlegenden Kriterien um nur sehr vorsichtige Schritte in die Richtung eines subjektiven Schadensbegriffes handele. 228 Vgl. dazu Blei, BT, § 61 V 1, S. 233. 229 So auch Ellmer, S. 133 Fn. 249. 230 Siehe schon oben unter III 1 b) cc).
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B. Die Berücksichtigung der Mitverantwortung nach Stand der Betrugsdogmatik
Hier hatte die Rechtsprechung zunächst den Aspekt des subjektiven Schadenseinschlages bei der Schadensberechnung berücksichtigt und einen Vennögensschaden in Höhe der gesamten an den Vennittler gezahlten Optionsprärnie bejaht, wenn der Erwerber überhaupt keine oder allenfalls eine Gewinnchance von theoretischer Bedeutung erlangt hatte, da diese in Wahrheit als Spekulationsobjekt ungeeignet und damit zu dem vertraglich vorausgesetzten Zweck untauglich sei. 231 Dabei hielt der BGH es ausdrücklich für unerheblich, ob die Optionen trotz der hohen Aufschläge während ihrer Laufzeit tatsächlich einen Handelswert hatten, da dieser von den börsenunerfahrenen Käufern nicht in zumutbarer Weise realisiert werden könne. 232 Inzwischen wird jedoch der Schaden lediglich in der Differenz zwischen dem tatsächlich verlangten Options preis und dem wirklichen Wert der Option gesehen, der sich aus den Beschaffungskosten und der Provision eines seriösen inländischen Maklers zusammensetzt. 233 Ein Schaden in voller Höhe des vom Kunden bezahlten Preises könne dagegen nur ganz ausnahmsweise eintreten. So stelle sich die erworbene Option unabhängig von der Höhe eines etwaigen Aufschlags für den Erwerber dann als völlig unbrauchbar und wertlos dar, wenn er über die Eigenart und Risiken einer höchst spekulativen Warentenninoption derart getäuscht worden sei, daß er glaube, ein "wertbeständiges, ertragreiches Anlagegeschäft" getätigt zu haben. Allerdings könne selbst bei einer Aufschlagshöhe von etwa 100% ein derart hoher Schaden unter dem Gesichtspunkt des individuellen Schadenseinschlages nur selten begründet werden. Denn es müsse berücksichtigt werden, daß ein Warentenningeschäft seiner Natur nach nicht als kaufahnliches, sondern als Risikogeschäft einzuordnen ist, bei denen es dem Erwerber regelmäßig nicht auf eine wertbeständige Anlage ankommt, sondern allein auf die in der Option verkörperte Chance, einen schnellen Gewinn zu erzielen. Folglich sei davon auszugehen, daß dem von den Vennittlern angesprochenen Personenkreis der spekulative Charakter des Geschäftes bewußt sei. 234 Insofern handele es sich unabhängig von dem je231 BGHSt 30, 177; 31, 115; vgl. auch OLG München, NJW 1980,794,795; kritisch aber OLG Hamburg, NJW 1980,2593 f.; Seelmann, NJW 1981,2545,2551; siehe auch Cramer, in Schönke / Schröder, § 263 Rdnr. 114a. 232 So BGHSt 31, 115, 117; zustimmend Fischer, in Trondle / Fischer, § 263 Rdnr. 32b; Rochus, JR 1983, 338 f.; Scheu, JR 1982, 121, 122; Otto, BT, § 51 VII 8; ders., Geschäftstüchtigkeit, S. 70 f.; kritisch Geerds, Wirtschaftstrafrecht, S. 152 ff., 179 f. und in Jura 1994,309, 315; vgl. auch Achenbach, NStZ 1988,97,98 f. 233 BGHSt 30,388; 32, 22, 23 ff.; BGH, NJW 1983,292,293; 1917; StV 1986,299,300; ebenso Sonnen, NStZ 1983,73; StV 1984, 175, 178; Lackner/lmo, MDR 1983,969,976 ff.; Worms, Anlegerschutz, S. 92 m. w. N. 234 Geppert, JK, StGB § 263/11; Molketin, NStZ 1992,603; EI/mer, S. 263; Felber, Kriminalistik 1984, 112, 115; vgl. auch BGHSt 32, 22, 23; BGH, wistra 1989, 19, 22, und 223, 224; OLG Hamburg, NJW 1980,2593,2594 ("Spekulation auf den Zufall"); Cramer hält die Berücksichtigung eines subjektiven Schadenseinschlages sogar für realitätsfremd und verortet die Problematik der Optionsgeschäfte bereits innerhalb der Täuschung (in Schönke / Schroder, § 263 Rdnr. 114a).
IV. Ansätze zu einer latenten Berücksichtigung der Opferrnitverantwortung
123
weHs geforderten Aufschlag unverändert um ein Spekulationsgeschäft, bei dem auch in Fällen korrekter Vereinbarung und Abwicklung ein beträchtliches Verlustrisiko bestehe gegenüber einer nur sehr beschränkten Chance, einen Gewinn zu erzielen. Auch wenn die Gewinnchance durch einen überhöhten Preis weiter geschmälert werde, erhalte der Erwerber nicht etwas ganz anderes und für ihn völlig Unbrauchbares. Vielmehr mindere sich nur der Wert des Erworbenen, so daß der Erwerber auch nur insoweit geschädigt sei, als daß zwischen dem von ihm bezahlten Preis und dem Wert der vermittelten Option eine Diskrepanz bestehe. Zwar sei es anerkannt, daß nicht jeder Vermögens gegenstand gleichen Wert für jedermann habe und deshalb der persönliche Schadenseinschlag bei der Feststellung des Vermögensschadens im Sinne des § 263 StGB nicht unberücksichtigt bleiben könne. Hingegen sei Zurückhaltung geboten, da es dem überwiegend objektiv geprägten Begriff des Vermögensschadens und damit der Natur des Betrugstatbestandes als einem Vermögensdelikt zuwiderlaufe, den für die Art einer Geldanlage maßgeblichen Beweggründen zu große Bedeutung bei der Bemessung des Schadens einzuräumen. 235 Bei einer näheren Analyse dieser Entscheidungen wird deutlich, daß auch hier zur Begründung eines individuellen Schadenseinschlages Aspekte der Mitverantwortung des Opfers zumindest einfließen. In diesem Zusammenhang ist zu bemerken, daß die Bestimmung der konkreten Schadenshöhe für den Schuldumfang und die Strafzumessung von großer Bedeutung ist. 236 So weist der BGH z. B. im Rahmen der Anerkennung des Schaden lediglich in Höhe der Differenz zwischen dem verlangten Optionspreis und dem tatsächlichen Wert der Option darauf hin, daß sich die Kunden jederzeit über den wirklichen Wert ihrer Option im Handelsblatt informieren können237 und bezieht insoweit Selbstschutzmöglichkeiten der Opfer mit ein, um einen geringeren Schaden festzustellen. Bemerkenswert sind aber darüber hinaus die strengen Anforderungen, die der BGH an die notwendigen tatrichterlichen Feststellungen und an ihre Darlegungen im Urteil für eine Verurteilung wegen betrügerischen Handels mit Warenterminoptionen stellt. 238 Für die nur ausnahmsweise anzuerkennende Begründung eines Schadens unter dem Gesichtspunkt des persönlichen Schadenseinschlages und die dafür zu klärende Frage, inwieweit die Kunden über das Risiko des Opti235 Vgl. BGHSt 32, 22, 23 ff.; BGH, NJW 1983, 292, 293; 1917; s. auch BGH, wistra 1989, 19, 22 und 223, 224; zustimmend Sonnen, StV 1984, 175, 178; kritisch Otto, Geschäftstüchtigkeit, S. 70 f.; weitergehend sieht Rochus jeden börsenunerfahrenen Erwerber ohne Rücksicht auf die Höhe der Prämie unter dem Gesichtspunkt des persönlichen Schadeneinschlages als geschädigt an, JR 1983,338,339 a.E. 236 Vgl. dazu z. B. BGH, NJW 1983, 1917, 1918; NStZ 1996, 191; so auch Wonns, Anlegerschutz, S. 192. 237 So BGH, NJW 1983,292,293; kritisch dazu Scheu, JR 1983, 338, 339, nach dem dieser Umstand allenfalls bei der Frage der Irrtumserregung eine Rolle spielen könne; außerdem seien diese Notierungen für börsenunerfahrene Personen wenig hilfreich. 238 Ebenso Achenbach, NStZ 1991,409,410 f.; vgl. auch in NStZ 1993, 427, 429.
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B. Die Berücksichtigung der Mitverantwortung nach Stand der Betrugsdogmatik
onsgeschäftes tatsächlich aufgeklärt wurden, hält der BGH im Einzelfall "sorgfältige, auf die Beweggründe, Kenntnisse und Erwägungen des jeweiligen Kunden zugeschnittene Ermittlungen und Feststellungen" in Bezug auf die vorhandene Risikobereitschaft, den Bildungsgrad, die Vorkenntnisse aus anderen Geschäften ähnlicher oder gleicher Art sowie die Vermögensverhältnisse für unerläßlich. 239 Dabei dürfte auch der Umstand eine Rolle spielen, ob und inwieweit die Berater aufgrund der Hinweise auf die eigene besondere Fachkompetenz und den Ausnahmecharakter des bereits erlittenen Verlustes das Vertrauen der Kunden geweckt haben, mit den Folgegeschäften nicht nur überhaupt in die Gewinnzone zu gelangen, sondern darüber hinaus auch noch das bisher verlorene Kapital wieder zurückzuerlangen. Denn gerade hier ist davon auszugehen, daß aufgrund des weniger oder gar nicht berechtigten Vertrauens auf die Fachkompetenz der Berater ein Schaden lediglich in Höhe der Differenz zwischen dem verlangten Optionspreis und dem tatsächlichen Wert der Option anerkannt werden kann. Dementsprechend ist der BGH konsequenterweise bereit, einen Betrugsschaden in voller Höhe der Anlagebetrages anzuerkennen, wenn der Verkäufer von vornherein Serviceleistungen für die Laufzeit der Optionen zugesagt hat, die er überhaupt nicht erbringen kann, wie etwa "Analysen", "exakte Untersuchungen der Marktlage" oder der richtige ,,Einsatz des Spekulationskapitals". Hier erweise sich die Gesamtleistung "als zu dem vorausgesetzten Zweck völlig unbrauchbar", so daß ein individueller Schadenseinschlag zu bejahen sei. 24o
c) Betrug als unbewußte Selbstschädigung Der Gedanke der Mitverantwortung des Opfers kommt außerdem große Bedeutung zu innerhalb der Streitfrage, ob es über den Kausalzusammenhang hinaus einer besonderen funktionalen Beziehung zwischen Irrtum und Vermögenseinbuße in dem Sinne bedarf, daß dem Opfer die vermögensschädigende Wirkung seiner Verfügung verborgen geblieben sein muß. aa) Funktionaler Zusammenhang zwischen Irrtum und Vermögensschaden
Eine im Schrifttum vertretene Auffassung geht davon aus, daß innerhalb des § 263 StGB als eines Selbstschädigungsdeliktes die Täuschung nicht nur die Funktion habe, den Verfügenden zur Minderung seines Vermögens zu motivieren, sondern auch, diesem das Vermögensschädigende seines Verhaltens zu verschleiern. Dieser funktionale Zusammenhang fehle, wenn sich das Opfer bewußt sei, daß es sich durch eine einseitige Vermögensminderung selbst schädige. 241 Die Vertreter 239 So BGH, NJW 1983, 1917; vgl. auch BGH, wistra 1989, 19,20 f.; 223, 224, ferner die Anmerkung von Molketin, NStZ 1992,603 zu BGH, NJW 1992, 1709. 240 BGH, wistra 1991,25,26.
IV. Ansätze zu einer latenten Berücksichtigung der Opferrnitverantwortung
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dieser Ansicht halten allerdings den Betrugstatbestand nicht bei jeder bewußten Selbstschädigung für unanwendbar, sondern relativieren ihren Standpunkt über die sog. Zweckverfehlungslehre. Danach sei bei wirtschaftlich unausgeglichenen Geschäften ein Betrug dennoch möglich, wenn eine irrtumsbedingte Verfügung den ihr immanenten sozialen oder sonstigen wirtschaftlich relevanten Zweck verfehle und aus diesem Grund zu einer wirtschaftlich sinnlosen Ausgabe werde, etwa wenn der Täter für angeblich wohltätige Zwecke Spenden sammele, die er in Wirklichkeit für sich behalten wolle. 242 Die Rechtsprechung läßt demgegenüber auch eine bewußte Vermögensschädigung ausreichen, ohne allerdings näher auf die Ausscheidung bewußter Selbstschädigungen einzugehen. 243 Auch ein Teil des Schrifttums lehnt es ab, das sich nicht aus dem Gesetzeswortlaut ergebende Erfordernis einer unbewußten Selbstschädigung in den Betrugstatbestand hinein zu interpretieren 244 und weist dabei auf die Gefahr von untragbaren "erheblichen Stratbarkeitslücken" hin. 245 Mittlerweile hat der BGR allerdings den Gedanken der Zweckverfehlung übernommen, so daß nicht mehr jeder auf Täuschung beruhende Motivirrtum einen betrugsrelevanten Vermögensschaden begründen soll. Entscheidend sei vielmehr, daß das Opfer einen angestrebten sozialen bzw. indirekt wirtschaftlich relevanten Zweck verfehle, der ihm in der konkreten Situation notwendig und sinnvoll erscheine. Dementsprechend soll etwa ein Irrtum über die Ehrenamtlichkeit der in Wahrheit gewerblich tätigen Spendensammler unbeachtlich sein?46 Denn ansonsten beraube man den § 263 StGB seines Charakters als einer Vorschrift zum Schutze des Vermögens und gestalte ihn zu einer Vorschrift zum Schutze der Dispositionsfreiheit um. 247 241 Cramer; in Schönke/Schröder; § 263 Rdnr. 41,100; ders., Vermögensbegriff, S. 206 ff. sowie in JZ 1971,415,416; Lackner/Kühl, § 263 Rdnr. 55; Lackner; in LK, § 263 Rdnr. 98, 170; Maurach/Schroeder/Maiwald, § 41 11 Rdnr. 73, 24; Rudolphi, Klug-FS, S. 315, 320; Krey, Rdnr. 468 f.; Loos/Krack, JuS 1995, 204, 206; Lenckner; NJW 1971, 599, 600; H. Schröder; NJW 1962,721,722; Eser; Fall 12 A 22; Blei, BT, § 61 IV 1. 242 Rudolphi, NStZ 1995,289, 290; Samson, in SK, § 263 Rdnr. 155 ff., 163; Cramer; in Schönke/Schröder; § 263 Rdnr. 102; Maurach/Schroeder/Maiwald, § 41 11 Rdnr. 119 ff.; Lackner; in LK, § 263 Rdnr. 98, 164 ff., 170; Lenckner; NJW 1971,599,600; Eser; Fall 13 A 64; ablehnend Schmoller; JZ 1991,117,121. 243 RGSt 44,230,244; 52, 134, 136; 70, 255, 256; BGHSt 19,37,45; 31,93,95 f.; BGH, wistra 1987, 255; NJW 1992, 2167; 1995, 539; BayObLG, NJW 1952, 798; 1994, 208; OLG Köln, NJW 1972, 1823, 1824; OLG Düsseldorf, NJW 1988,922,923; 1990,2397. 244 So Fischer; in Tröndlel Fischer; § 263 Rdnr. 19; Bockelmann, § 11 All 2 d; Dölling, JuS 1981,570,571; Herzberg, GA 1977,289,296; ders., MDR 1972, 93 ff.; Ellscheid, GA 1971, 161, 166 ff.; Gerhold, S. 19,56 ff. m. w. N. 245 Hilgendorf, JuS 1994,466,468; ebenso Gallas, Schrnidt-FS, S. 401, 421; Wesselsl Hillenkamp, Rdnr. 527; vgl. dazu auch Samson, in SK, § 263 Rdnr. 161; Maurach/Schroeder/ Maiwald, § 4111 Rdnr. 24. 246 So BGH, NJW 1995,539; zustimmend Rudolphi, NStZ 1995,289,290. 247 BGH, NJW 1992, 2167; 1995,539; über die soziale Zweckverfehlung wird ein Vermögensschaden sogar bei Ausgeglichenheit von Leistung und Gegenleistung begründet vom
126
B. Die Berücksichtigung der Mitverantwortung nach Stand der Betrugsdogmatik
bb) Kritik an dieser Auffassung
Diese Rechtsprechung stellt sich insofern als inkonsequent dar, als daß die Einbeziehung der Lehre von der sozialen Zweckverfehlung allenfalls unter der von ihr abgelehnten Annahme zu begründen ist, daß die bewußte Selbstschädigung nicht vom Schutzbereich des § 263 StGB umfaßt ist. 248 Aber auch wenn man die Prämisse VOn der unbewußten Selbstschädigung anerkennt, ist die Zweckverfehlungslehre in dogmatischer Hinsicht als gekünstelte Hilfskonstruktion ohne systematische Verankerung zu kritisieren. Denn die zu schützenden sozialen Zwecke sind begrifflich nicht präzise definiert und können nur ungewiß beurteilt werden. Es bestehen auch keine klaren Kriterien für die Abgrenzung von nicht geschützten rein subjektiven Zwecksetzungen des Vermögensinhabers. 249 Mit dieser problematischen und willkürlichen Unterscheidung wird noch weitgehender als mit der Lehre vom persönlichen Schadenseinschlag die subjektive Einschätzung des Getäuschten zur Grundlage der Schadensfeststellung gemacht. Auch ist die Saldierung VOn Vermögenswerten mit immateriellen Zweck mit dem herrschenden wirtschaftlichen Vermögensbegriff kaum zu vereinbaren und daher als unzulässig anzusehen. 25o Zudem ist es inkonsequent, einerseits die Dispositionsfreiheit aus dem Schutzbereich des Betruges auszuklammern, andererseits aber die soziale oder wirtschaftliche Zweckverfehlung als Vermögensschaden zu bewerten. 251 Auch unter den Vertretern der Lehre VOn der unbewußten Selbstschädigung sind deren Voraussetzungen und Grenzen im einzelnen höchst umstritten. Dies gilt im besonderen für die damit zusammenhängende Zweckverfehlung, wobei die Differenzen aber weniger das Ergebnis als dessen tragfähige Begründung betreffen. 252 Dabei wird das Erfordernis der unbewußten Selbstschädigung teilweise damit begründet, daß der Betrug als Parallele oder Sonderfall der mittelbaren Täterschaft anzusehen sei, da der Täter den Getäuschten jeweils als Werkzeug für seine Zwecke einsetze. Entsprechend den bei der mittelbaren Täterschaft geltenden Grundsätzen setze insofern auch eine Vermögensverschiebung durch List voraus, daß das Opfer OLG Düsseldorf, NJW 1990, 2397 mit ablehnender Anmerkung Küpper/Bode, JuS 1992, 642, 644 f.; vgl. zum ganzen auch Deutscher/Körner, JuS 1996, 296; Krey, Rdnr. 471 f.; Samson, in SK, § 263 Rdnr. 152. 248 Lackner/Kühl, § 263 Rdnr. 55; Samson, in SK, § 263 Rdnr. 154; Lackner, in LK, § 263 Rdnr.167. 249 So auch Deutscher/Körner, JuS 1996,296,298; Schmoller, JZ 1991, 117, 120; Samson, in SK, § 263 Rdnr. 159; Dölling, Jus 1981,570,571; kritisch auch Joecks, S. 52. 250 Schünemann, in Schneider, S. 407, 416; ders., Faller-FS, S. 357, 363 Fn. 23; Samson, in SK, § 263 Rdnr. 157; Schmoller, JZ 1991, 117, 120; Ellmer, S. 136; Ellscheid, GA 1971, 167 f.; Arzt/Weber, LH 3, 2. Auflage 1986, Rdnr. 494; Herzberg, MDR 1972, 93, 94; Maurach, NJW 1961,625,629 f.; Hartmann, S. 82 ff.; weitere Nachweise bei Gerhold, S. 21 f. 251 Vgl. dazu Kindhiiuser, ZStW 103,398,408. 252 So auch Küpper / Bode, JuS 1992, 642, 644; Lackner, in LK, § 263 Rdnr. 172 f.
IV. Ansätze zu einer latenten Berücksichtigung der Opferrnitverantwortung
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die effektiven Auswirkungen seiner Verfügung nicht überschaue. Im weiteren Verlauf dieser Untersuchung wird auf diesen Gedanken noch näher eingegangen. cc) Latente Berücksichtigung der Op!ermitverantwortung
Die Lehre, die den Betrug für ein Delikt der unbewußten Selbstschädigung hält, kann mit der Schutzwürdigkeit des Opfers erklärt werden. Denn als Folge der Restriktion des § 263 StGB durch die Ausgrenzung bewußter Selbstschädigungen werden nur solche Vorspiegelungen als ausreichend gefahrträchtig angesehen, die dem Getäuschten den vermögens schädigenden Charakter seiner irrtumsbedingten Verfügung verschleiern, während ein solcher betrügerischer Angriff als weniger gefährlich angesehen wird, dessen potentielles Opfer sich zwar in einer Fehlvorstellung befindet, aber sich trotzdem darüber bewußt ist, sein eigenes Vermögen zu mindern. Im diesem Fall ist es in besonderem Maße dazu aufgerufen, die Gesamtsituation nochmals zu überprüfen, bevor es die beabsichtigte Disposition tätigt. 253 Verfügt der Getäuschte aber trotz Kenntnis der vermögensschädigenden Wirkung, so wird er als Folge der Mißachtung seiner wirtschaftlichen Eigenverantwortung als nicht schutzbedürftig angesehen. 254 Auch die Überlegungen zur sozialen Zweckverfehlung lassen sich mit dem Gedanken der Mitverantwortung des Opfers erklären, was schon insofern naheliegt, als daß die Zweckverfehlungslehre vorwiegend auf kriminalpolitischen Überlegungen beruht. 255 Deutlich wird dies gerade in denjenigen Konstellationen, in denen ihr die größte Relevanz zukommt, namentlich im Spenden- und Bettelbetrug. Hier wird das Vorliegen eines Vermögensschadens verneint, wenn jemand durch die Vorspiegelung, die Nachbarn hätten bereits namhafte Beträge gestiftet, zu einer entsprechenden Spende veraniaßt wird, die ihre bestimmungsgemäße Verwendung findet. Denn das Opfer erreiche trotz des erregten Irrtums den mit der Spende verfolgten sozialen Zweck, während der dahinter stehende ideelle Wunsch nach gesellschaftlichem Ansehen und sozialer Geltung keinen strafrechtlichen Schutz genieße. 256 Das reine Affektionsinteresse, nicht hinter anderen Personen zurückzustehen, wird also als nicht sozialtypisch dem Verantwortungsbereich des Opfers zugeordnet, da sich die Fehlvorstellung im Ergebnis als strafrechtlich irrelevanter bloßer Vgl. dazu Ellscheid, GA 1971, 161, 166. Vgl. zum ganzen auch Schünemann, in Schneider, S. 407, 415 f.; Faller-FS, S. 357, 363 f.; ebenso Ellmer, S. 134 m. w. N. 255 So auch Küpper/Bode. JuS 1992,642,644; Schünemann, in Schneider, S. 407, 415 f.; ders., Faller-FS, S. 357, 363 Fn. 23; Ellmer, S. 136 f. m. w. N.; vgl. auch Ellscheid, GA 1971, 161, 166. 256 Lackner, in LK, § 263 Rdnr. 171 ff.; Maurach/Schroeder/Maiwald, § 4111 Rdnr. 122; eramer, in Schönke/Schröder, § 263 Rdnr. 102 m. w. N.; anders aber BayObLG NJW 1952, 798; vgl. auch Fischer, in Tröndle I Fischer, § 263 Rdnr. 19; Seelmann, JuS 1982, 509, 511. 253
254
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B. Die Berücksichtigung der Mitverantwortung nach Stand der Betrugsdogmatik
Motivirrtum entpuppt. Dagegen soll derjenige strafbar sein, der über den Verwendungszweck der gesammelten Beträge täuscht, da in diesem Fall die Ausnutzung der Spendenbereitschaft unter der Vorspiegelung gemeinnütziger Zwecke ausdrücklich als "unerträglich,,257 oder "kriminalpolitisch unbefriedigend,,258 angesehen wird. Dieses Ergebnis ist zwar anzuerkennen, kann aber wesentlich plausibler mit der Schutzbedürftigkeit des Opfers begründet werden. Denn bei einem Irrtum über das mit der Spendensamrnlung verfolgte Ziel liegt der Verfügung eine sozial anerkannte Motivation zugrunde, so daß dem "edlen" Spender unter dem Gesichtspunkt der Eigenverantwortlichkeit keineswegs mangelndes Mißtrauen oder die sonstige Außerachtlassung des erforderlichen Schutzes des eigenen Vermögens vorgeworfen und ihm folglich auch nicht der strafrechtliche Schutz versagt werden kann. 259
d) Ergebnis Ebenso wie bei den anderen Tatbestandsmerkmalen werden auch bei den Versuchen, den äußerst umfassenden wirtschaftlichen Vermögensbegriff einzuschränken, innerhalb vieler Einzelprobleme Erwägungen miteinbezogen, die auf die Mitverantwortung des Opfers abstellen. Zum einen orientiert sich die Betrugsdogmatik innerhalb der Bewertung von Gegenrechten des Getäuschten entgegen ihrer ausdrücklichen Überzeugung an dem Gedanken der Mitverantwortung des Opfers sowie der Schutzwürdigkeit des Vertrauens. Auch beim sog. individuellen Schadenseinschlag ist es diesen kriminalpolitischen Aspekten zuzuschreiben, daß die h.M. eine Berücksichtigung des subjektiven Schadensgefühls im Regelfall für nicht gerechtfertigt hält, was sich sehr anschaulich bei Spekulationsgeschäften aufzeigen läßt. Schließlich kommt dem Gedanken der Mitverantwortung des Opfers große Bedeutung zu innerhalb der Streitfrage, ob es über den Kausalzusammenhang hinaus einer besonderen funktionalen Beziehung zwischen Irrtum und Vermögenseinbuße in dem Sinne bedarf, daß dem Opfer die vermögensschädigende Wirkung seiner Verfügung verborgen geblieben sein muß.
v. Zusammenfassung von Teil B Ein etwaiges Mitverschulden des Betrugsopfers wird bis heute weder von der herrschenden Ansicht innerhalb der Literatur noch von der Rechtsprechung auf der Tatbestandsebene des Betrugstatbestandes berücksichtigt. Da sich der Tatsachenbegriff als unfähig erwiesen hat, die von ihm erhoffte Restriktion zu vollbringen, So Lackner; in LK, § 263 Rdnr. 166 a.E. Gerhold, S. 18; ähnlich Deutscher/Körner; JuS 1996, 296, 298; Joecks, S. 52; vgl. auch Schmoller; JZ 1991,117,119; Kindhäuser; ZStW 103,398,408. 259 Ebenso Schünemann, in Schneider; S. 407, 416; NStZ 1986,439,440; Ellmer; S. 136 f. 257
258
V. Zusammenfassung von Teil B
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greift die herrschende Betrugsdogmatik in vielen Einzelproblemen des Betrugstatbestandes auf fragwürdige dogmatische Konstruktionen zurück, wie etwa bei der Abgrenzung von Tatsachenbehauptungen und Werturteilen. Oft lassen sich die Ergebnisse aber mit dem Gedanken der Mitverantwortung des Opfers sowie der Schutzwürdigkeit des dem Täter entgegengebrachten Vertrauens erklären. Entgegen der ausdrücklichen Ablehnung einer Berücksichtigung der Opferrnitverantwortung innerhalb des Betrugstatbestandes spielt dieser Gedanke - wie bereits während der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts - nach wie vor eine große Rolle. Dies gilt in ganz besonderem Maße für risikoreiche Spekulationsgeschäfte. Sowohl innerhalb des Problemkreises der konkludenten Täuschung als auch bei der Täuschung durch Unterlassen finden sich derartige Ansätze. Teilweise wird hier sogar ausdrücklich eine Abgrenzung der Verantwortungsbereiche von Täuschendem und dem Getäuschten vorgenommen. Auch bei der Bestimmung des betrugsrelevanten Vermögensschadens lassen sich weitgehende Tendenzen feststellen, den Gedanken der Mitverantwortung des Opfers einzubeziehen.
c. Dogmatische Vorschläge einer Betrugsrestriktion auf der Tatbestandsebene
Die herrschende Auffassung innerhalb der Literatur sowie die Rechtsprechung berücksichtigen weder die Erkennbarkeit der Täuschung noch die Leichtgläubigkeit des Opfers auf der Tatbestandsebene des Betruges. Vielmehr soll einem etwaigen Mitverschulden im Einzelfall bei der Strafzumessung im Rahmen der Würdigung der kriminellen Energie des Täters oder durch den Einsatz strafprozessualer Einstellungsmöglichkeiten angemessen Rechnung getragen werden. 1 Demgegenüber finden sich in der neueren Literatur zahlreiche Stimmen, die für eine Restriktion des Betrugstatbestandes durch den Gedanken der Opferrnitverantwortung plädieren. Diese basieren zumeist auf dem sog. viktimologischen Ansatz in der Strafrechtsdogmatik, der in immer stärkerem Maße bei interaktionären Delikten - vor allem aber beim Betrugstatbestand - versucht, dem Opferverhalten einen Einfluß auf die strafrechtliche Beurteilung der Tat einzuräumen.
J. Selbstverständnis und Entwicklung der Viktimologie Die relativ junge2 Wissenschaft der Viktimologie leitet sich begrifflich von victima (lat. = Opfer) ab und befaßt sich mit dem systematischen Studium von Verbrechensopfern. Aus ihren kriminologischen Erkenntnissen werden vordringlich Konsequenzen für die Dogmatik des materiellen Strafrechts abgeleitet. 3 Dabei soll das sog. viktimologische Prinzip die Auslegung der Straftatbestände auf die Konstellationen konzentrieren, in denen ein Strafrechtsschutz erforderlich ist. Als Konsequenz des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes dürfe ein Rechtsgut nur dann als schutzwürdig gelten, wenn es nicht durch außerstrafrechtliche und mildere Mittel ebenso gut geschützt werden kann, da das Strafrecht nur subsidiär zur Verfügung stehe. Die Gewährung strafrechtlichen Schutzes soll dabei maßgeblich von der Vgl. bereits oben unter B I. Die Anstöße zu einer Betrachtung der Rolle des Opfers gehen namentlich zurück auf einen Vortrag von Mendelsohn aus dem Jahre 1947 in Bukarest sowie auf von Hentig, The Criminal and his Victim, 1948; vgl. dazu auch H.-J. Schneider, DRiZ 1978, 141; Jung, in Kaiser/Kemer/Sack/Schellhoss, S. 582; Kaiser, S. 27. 3 Vgl. dazu bereits Amelunxen, Strafjustiz und Viktimologie, in Kriminalistik 1969, 178 ff.; ders., Das Opfer der Straftat - Ein Beitrag zur Viktimologie, Hamburg 1970, S. 49 ff.; Zipf, Die Bedeutung der Viktimologie für die Strafrechtspflege, in MSchrKrim 53 (1970), 1 ff. I
2
II. Tatbestandsbeschränkungen im Hinblick auf die Intensität der Fehlvorstellung
BI
Schutzwürdigkeit und Schutzbedürftigkeit des Opfers als Träger des gefahrdeten Rechtsgutes abhängen. Denn unter dem Gesichtspunkt des Strafrechts als ultima ratio sei dessen Schutz nicht angebracht, wenn es sich selbst hätte schützen können. 4 Diese sog. Viktimo-Dogmatik, für die ein Aufsatz von Schüler-Springorum aus dem Jahr 1970 richtungsweisend war,5 fragt also nach der Bedeutung des viktimologischen Prinzips für die Konstruktion und Interpretation strafrechtlicher Tatbestände. 6 Sie zieht Erkenntnisse aus der Kriminologie des Opferverhaltens für eine einschränkende Auslegung von Straftatbeständen heran, wobei auch verstärkt eine Einschränkung des Betrugstatbestandes im Falle eines mitverantwortlichen Opfers befürwortet wird. Wie allerdings der rechts geschichtliche Teil dieser Arbeit gezeigt hat, ist das Prinzip der Beriicksichtigung eines etwaigen Mitverschuldens des Betrugsopfers keineswegs neu; vielmehr wurde schon im 19. Jahrhundert die Strafrechtsdogmatik von "viktimologischen" Argumente beeinfIußt. 7 Dagegen sind die viktimologischen Erkenntnisse immer weiter vertieft und vermehrt worden, so daß sich im Hinblick auf den Betrugstatbestand verschiedene viktimo-dogmatische Ansätze von Vertretern des strafrechtlichen Schrifttums finden, die eine Beriicksichtigung eventueller Mitverantwortung des Opfers befürworten und innerhalb der einzelnen Tatbestandsmerkmale unterschiedliche Restriktionsversuche vorschlagen. Sie werden zum Teil von ähnlichen, wenn nicht annähernd gleichen kriminalpolitischen Gesichtspunkten wie im 19. Jahrhundert geleitet. 8 Strukturell ist eine Zweiteilung zu erkennen: einerseits die Problematik des Irrtums bei Zweifeln auf der Opferseite, andererseits die Versuche, einfache und plumpe Täuschungen abzuschichten. 11. Tatbestandsbeschränkungen im Hinblick auf die Intensität der Fehlvorstellung
Wahrend bis zum Erlaß des PrStGB die Problematik fast ausschließlich anband des Kriteriums einer "arglistigen" oder "qualifizierten" Täuschungshandlung dis4 Zur Viktimologie im einzelnen siehe: Hans Joachim Schneider (Hrsg.), Das Verbrechensopfer in der Strafrechtspflege, Psychologische, kriminologische, strafrechtliche und strafverfahrensrechtliche Aspekte, Berlin, New York 1982; Kirchhojf/Sessar (Hrsg.), Das Verbrechensopfer, Bochum 1979; Jung, in Kaiser/Kemer/Sack/Schellhoss, S. 582 ff.; weitere Nachweise bei Schünemann, NStZ 1986, 193, 195 Fn. 12. 5 Schüler-Springorum, in Honig-FS, S. 201 ff. 6 Vgl. zur Viktimo-Dogmatik Jung, in Kaiser/Kemer/Sack/Schellhoss, S. 587 m. w. N.; kritisch aber z. B. Weigend, in Kaiser/ Jehle, S. 43, 47 f.; allerdings weist Kurth, S. 164 Fn. 4 zutreffend darauf hin, daß eine Bezugnahme auf die Viktimologie nicht zwingend zur Bejahung der sog. Viktimo-Dogmatik führen muß; vgl. auch Hillenkamp, S. 215, der die bisherigen Ansätze der von ihm so titulierten "Viktimo-Dogmatik" ablehnt, aber dennoch die Heranziehung viktimologischer Erkenntnisse in der strafrechtlichen Dogmatik befürwortet. 7 Vgl. dazu auch Arzt, MSchrKrim 67 (1984), S. 105, 106. 8 So auch Schütz, S. 205.
132
C. Vorschläge einer Betrugsrestriktion auf der Tatbestandsebene
kutiert wurde, konzentrieren sich heute die weitaus meisten Bemühungen, das Mitverschulden des Opfers auf der Tatbestandsebene des Betruges zu berücksichtigen, auf die Auslegung des Irrtumsmerkmals. Diese Ansichten bemängeln, daß der Gedanke des Selbstschutzes hier lange Zeit vernachlässigt worden sei, obwohl gerade an dieser Stelle der Betrugsdogmatik die Opferperspektive der Täuschung deutlich werde. Dies beruhe auf dem übermächtigen Einfluß der Kausalitätslehre, die das Verbrechen als ein einlineares Geschehen darstelle, innerhalb dessen der Täter einem passiven Opfer Schaden zufüge. Demgegenüber könne aber der volle Sinngehalt des Betrugstatbestandes nur dann erfaßt werden, indem man den von einer Täuschung bedrohten Vermögensträger als Mithandelnden ansehe. Diesem Umstand werde nur ein interaktionistisches Verständnis gerecht, also eine viktimologische Betrachtungsweise, in dem auch die Selbstschutzmöglichkeiten des Opfers berücksichtigt werden und das Bedürfnis nach Gewährung strafrechtlichen Schutzes entfallen lassen können. Die in der Literatur vorgebrachten Restriktionen des Irrtumsmerkmals konzentrieren sich auf die Frage, ob begründete Zweifel des Verfügenden an der Wahrheit der Tatsachenbehauptung den für die Erfüllung des Betrugstatbestandes erforderlichen Irrtum ausschließen. 1. Die Problematik des Irrtums bei Zweifeln auf der Opferseite
Nach der herrschenden Ansicht innerhalb des Schrifttums liegt ein Irrtum nicht nur dann vor, wenn sich der Getäuschte der behaupteten Tatsache gewiß ist, sondern auch dann, wenn er die Wahrheit der fraglichen Tatsache lediglich für möglich hält und die vom Täter angesonnene Vermögensverfügung vornimmt. Auch etwaige Zweifel sollen die Möglichkeit eines betrugsrelevanten Irrtums nicht ausschließen, da es allein darauf ankomme, ob der Getäuschte durch die Möglichkeitsvorstellung zur Vermögensverfügung motiviert werde, wobei eine bloße Mitursächlichkeit ausreiche. 9 Dagegen hat die Rechtsprechung die lebhafte Diskussion zur Frage der Behandlung von Zweifeln bisher kaum aufgegriffen. Zwar finden sich zahlreiche Sachverhalte, die Anlaß zur Auseinandersetzung mit dem Irrtumsbegriff bieten, weil feststand oder nahelag, daß der Verfügende die ihm vorgespiegelten Tatsachen nicht geglaubt, sondern angezweifelt und nur für möglich gehalten hatte. Von den Gerichten wird diese Problematik aber "bestenfalls gestreift, meistens umgangen oder durch Fiktion ausgeschaltet".10 Entweder wird in den einschlägigen Urteilen die Irrtumsproblematik durch fragwürdige psychische Feststellungen umgangen 11 oder 9 V gl. nur eramer, in Schönke / Schröder, § 263 Rdnr. 40; Fischer; in Tröndle I Fischer; § 263 Rdnr. 18 b; Wesselsl Hillenkamp, Rdnr. 510; siehe auch schon oben unter I. 10 So Herzberg, GA 1977,289,290. 11 Samson, in SK, § 263 Rdnr. 55, 59 ff.; Raimund Hassemer, S. 106 ff.; Kurth, S. 109; Amelung, GA 1977, 1, 10 jeweils mit Nachweisen.
11. Tatbestandsbeschränkungen im Hinblick auf die Intensität der Fehlvorstellung
133
das Vorliegen eines Betruges wird trotz der Zweifel des Verfügenden bejaht, wobei dann ohne nähere Begründung ein dies ermöglichender weiter Irrtumsbegriff zugrunde gelegt wird. 12 Andere Auffassungen wollen dagegen darauf Rücksicht nehmen, daß sich die Vorstellung des Getäuschten im Hinblick auf die Wahrheit der vorgespiegelten Tatsache meistens nicht als auf jeden Fall ausreichende feste Überzeugung darstellt, sondern daß von der positiven Fehlvorstellung über das Glauben an die überwiegende Wahrscheinlichkeit bis hin zur Annahme der bloßen Möglichkeit ein gewissermaßen stufenlos gleitendes Band von Wahrscheinlichkeitsvorstellungen denkbar ist. Die Skala des Intensitätsgrades der angenommenen Möglichkeiten kann auf der einen Seite an Sicherheit grenzen, zur anderen Seite hin aber bis "nahezu unmöglich" kontinuierlich absinken. \3 Im einzelnen wird es allerdings unterschiedlich beurteilt, welchen Intensitätsgrad die Fehlvorstellung erreicht haben muß und welche Bewußtseinsformen für den Irrtum nach § 263 StGB ausreichend sind, ob sich also die Fehlvorstellung z. B. zu einer subjektiven Gewißheit verdichtet haben muß oder ob auch ein "Für-wahrscheinlich-Halten", ein "Für-möglichHalten" oder die ganz allgemeine Vorstellung, alles habe seine Richtigkeit, sei "in Ordnung" etc. ausreicht.
2. Die sog. Wahrscheinlichkeitstheorie
Nach der sog. Wahrscheinlichkeitstheorie liegt ein betrugsrelevanter Irrtum erst dann vor, wenn der Getäuschte die behauptete Tatsache für wahrscheinlich wahr hält.
a) Die Ansichten von Giehring und Krey Ausgelöst wurde die neuere Diskussion im Hinblick auf die Auslegung des Irrtumsbegriffs bei Zweifeln des Getäuschten durch einen Aufsatz von Giehring, der darauf abstellt, ob der Getäuschte die "Wahrheit der behaupteten Tatsache für wahrscheinlicher hält als ihre Unwahrheit ("überwiegende Wahrscheinlichkeit"). 14 12 Vgl. etwa BGHSt 24,386 zum Irrtum eines Schecknehmers bei mißbräuchlicher Vorlage einer Scheckkarte; außerdem BGHSt 34, 199, 201 f. (Haarverdoppler-Fall, s.o.); LG Mannheim, NJW 1993, 1488 (betrügerische Teufelsaustreibung); BGHSt 24, 257, 260 f. hat die Rechtsprechung des Reichsgerichts zum Prozeßbetrug im Mahnverfahren (bis zur Neufassung des § 692 Abs. 1 Nr. 2 ZPO) fortgeführt und unwahre Behauptungen des Antragstellers trotz der beschränkten Prüfungspflicht des Rechtspflegers in den strafbaren Bereich des § 263 einbezogen; vgl. zum Prozeßbetrug schon oben unter A III 3 b) bb), 4 c) sowie die weiteren Nachweise bei Raimund Hassemer; S. 106 f. \3 Giehring, GA 1973, 1, 5, 10; Raimund Hassemer; S. 131 ff.; vgl. dazu auch Ranft, JA 1984, 723, 732; eramer; in Schönke/Schräder; § 263 Rdnr 40; Lackner; in LK, § 263 Rdnr.79.
134
C. Vorschläge einer Betrugsrestriktion auf der Tatbestandsebene
Ausgangspunkt seiner Überlegungen ist es, daß der Betrugstatbestand den Schutz des Vennögens gegen die Angriffsart der Überlistung bezweckt. Die vom Tater eingesetzte List verliere aber in dem Maße an Gefährlichkeit und das Opfer entsprechend an Schutzwürdigkeit, in dem bei diesem Zweifel an der Wahrheit der vorgetäuschten Tatsachen bestehen und es den wahren Sachverhalt für möglich oder sogar für wahrscheinlich halte. Denn sofern es unter diesen Umständen zu einer vennögensschädigenden Verfügung komme, gehe der Betroffene bewußt das mit der für ihn zweifelhaften Tatsachengrundlage verbundene Risiko ein, das im Regelfall durch die Chance der Erlangung von Vorteilen kompensiert werde, die seinen Vennögenseinsatz übersteigen. Zwar könne man die Verwirklichung des Betrugstatbestandes nicht davon abhängig machen, daß das Opfer fest von der Wahrheit der vorgetäuschten Tatsachen überzeugt sei, da dies zu einer unangemessenen Einschränkung des Betrugstatbestandes führe. Allerdings erscheine das zweifelnde Betrugsopfer nur dann als schutzwürdig, wenn es zumindest an die überwiegende Wahrscheinlichkeit der Angaben des Tauschenden glaube. Deshalb müsse man - analog zur Wahrscheinlichkeitstheorie beim dolus eventualis - die Annahme eines Irrtums auf die Fälle beschränken, in denen der Verfügende die Wahrheit seiner Vorstellung für wahrscheinlicher gehalten habe als deren Unwahrheit. 15 Die von Giehring propagierte sog. Wahrscheinlichkeitstheorie hat keine weitere Gefolgschaft gefunden. Eine Ausnahme bildet nur Krey, der in abgeschwächter Weise versucht, das Kriterium der Wahrscheinlichkeit einschränkend heranzuziehen. 16 Im Gegensatz zu Giehring fordert er aber keine "überwiegende Wahrscheinlichkeit", sondern lediglich die Einschränkung des Irrtumsbegriffs mit Hilfe des Kriteriums der "bloßen Wahrscheinlichkeit". Er vertritt die These, daß kein Irrtum vorliegt, wenn der zweifelnde Tauschungsadressat die Wahrheit der Taterbehauptung für unwahrscheinlich hält. Dadurch werde die in gewissem Umfang notwendige Berücksichtigung der Schutzwürdigkeit des zweifelnden Opfers ennöglicht. Denn der Getäuschte erscheine nur dann schutzwürdig, wenn er es für wahrscheinlich hält, daß die behaupteten Tatsachen zutreffend seien und aufgrund dieser Einschätzung über sein Vennögen verfüge. 17
14 "Prozeßbetrug im Versäumnis- und Mahnverfahren - zugleich ein Beitrag zur Auslegung des Irrtumsbegriffs in § 263 StGB", in: GA 1973, 1 ff. 15 So Giehring, S. 18; dieser Auffassung stimmen Dästner; ZRP 1976,36,37 und Sonnen, wistra 1982, 123, 127 f. ausdrücklich zu. 16 Strafrecht, Besonderer Teil, Band 2, Vermögensdelikte, 11. Auflage, 1997, Rdm. 373 f. 17 Krey, Rdm. 373 f.; diese "Wahrscheinlichkeitstheorie" geht letztendlich schon auf Rommel (S. 62) und OppenhojJ(4. Auflage, Berlin 1872, § 263 Anm. 57) zuriick, siehe oben unter A III 3 b) bb).
11. Tatbestandsbeschränkungen im Hinblick auf die Intensität der Fehlvorstellung
135
b) Kritik an der sog. Wahrscheinlichkeitstheorie Lackner hält diesen Ansichten entgegen, gerade wenn man von der ratio des Betrugstatbestandes ausgeht, das Vermögen gegen die besondere Angriffsart der Überlistung zu schützen, müsse bereits eine bloße Möglichkeitsvorstellung für die Annahme eines Irrtums ausreichen. Denn der Getäuschte sei im Regelfall des Betruges schon dann der List des anderen zum Opfer gefallen, wenn er die Vermögensverfügung trotz eines Zweifels vornehme. Dadurch zeige sich, daß der Verfügende auf die lediglich für möglich gehaltene Wahrheit letztendlich vertraut habe und insofern auch überlistet sei. 1g Durch diese Argumentation wird letztendlich aber nur wiederholt, daß die Möglichkeitsvorstellung für die Verfügung kausal im Sinne der Äquivalenztheorie gewesen ist. 19 Allerdings werden die Auffassungen, die auf die überwiegende oder bloße Wahrscheinlichkeit abstellen, zu Recht wegen der mangelnden Präzision des vorgeschlagenen Abgrenzungsmerkmals kritisiert. 2o Außerdem führen sie zu einem unpraktikablen Ergebnis, weil ein bestimmter Intensitätsgrad einer Möglichkeitsvorstellung kaum verläßlich zu beweisen und regelmäßig auch überhaupt nicht vorhanden ist. Denn der Getäuschte muß sich schließlich nicht entscheiden, ob er die Behauptung für mehr oder weniger wahrscheinlich halten, sondern ob er trotz seiner Zweifel über sein Vermögen verfügen soll. Der Betrogene wird deshalb nur schwer über die Intensität seines Zweifels eine verläßliche Auskunft geben können, zumal seiner Zeugenaussage schon deshalb wenig Glaubwürdigkeit zukommt, als daß er - gerade auch im Hinblick auf einen etwaigen Zivilprozeß - ein gesteigertes Interesse an der Verurteilung des Taters hat. 21
3. Die sog. viktimologische Theorie
Nach der sog. viktimologischen Theorie schließen etwaige Zweifel einen betrugsrelevanten Irrtum nur dann aus, wenn sie auf konkreten Anhaltspunkten beruhen.
a) Der Ausgangspunkt von Amelung Den erstmals von Giehring in die Diskussion gebrachten Gedanken der Schutzwürdigkeit des Opfers hat später Amelung 22 aufgenommen. Er meint allerdings, Lackner, in LK, § 263 Rdnr. 80. So die zutreffende Ansicht von Samson, in SK, § 263 Rdnr. 56. 20 So Samson, JA 1978, 469, 474; kritisch zu der begrifflichen Unterscheidung auch Krack, S. 41, Fn. 110. 21 Lackner, in LK, § 263 Rdnr. 80; Samson, in SK, § 263 Rdnr. 57; Amelung, GA 1977, 1, 7; Ranft, JA 1984, 723, 732; Seier, S. 279; ElImer, S. 152; Kurth, S. 140; weitere Kritik bei Frisch, Bockelmann-FS, S. 647, 663 und Beulke, JR 1978, 390. 18
19
136
C. Vorschläge einer Betrugsrestriktion auf der Tatbestandsebene
die Grenzziehung dürfe nicht bloß von der rein inneren Einstellung des Opfers abhängen und fordert deshalb zur Annahme eines Irrtums das Fehlen konkreter Anhaltspunkte für einen Zweifel. Im Gegensatz zu Giehring, nach dem sozial verbreitete Handlungen allein wegen ihrer Üblichkeit höheren strafrechtlichen Schutz verdienen als andere - offenbar weniger übliche - Verhaltensweisen, zieht Amelung auch die Subsidiarität des Strafrechts heran, um zu begründen, daß das unter Zweifeln verfügende Betrugsopfer weniger schutzwürdig sei als derjenige, der von der Richtigkeit der Behauptungen überzeugt ist. Denn der Zweifelnde könne sich schließlich selbst schützen, in dem er Erkundungen anstelle, notfalls Sicherheiten fordere oder auf die Vornahme des beabsichtigten Geschäfts verzichte. Sehe das Opfer aber sowohl die Möglichkeit, Schaden zu erleiden als auch "Alternativen, die er seiner Entscheidung als Tatsachenbasis zu Grunde legen" könne, so sei er nicht "Werkzeug" des Täters, sondern habe es in der Hand, sich seiner Schädigung zu entziehen. Insofern könne sein Vermögen auf weniger einschneidende Weise als durch die scharfe Waffe des Strafrechts vor Schaden bewahrt werden. Deshalb stehe eine Auslegung des Irrtumsbegriffs, die auch den Zweifel umfaßt, im Widerspruch zu der Aufgabe des Irrtumsmerkmals im Betrugstatbestand, "dem Prinzip der Subsidiarität des strafrechtlichen Rechtsgüterschutzes zur Geltung zu verhelfen".23 Die Annahme eines Irrtums sei allerdings nur dann abzulehnen, wenn die Zweifel an der Richtigkeit der Vorstellung auf einem "konkreten Anhaltspunkt beruhen", der mit dem abgeschlossenen Rechtsgeschäft zusammenhänge. Derartige ,,konkrete Anhaltspunkte" sollen z. B. vorliegen, wenn die behaupteten Tatsachen unwahrscheinlich, widersprüchlich oder mit anderen Informationen des Verfügenden unvereinbar sind. Sie können sich aber auch aus den äußeren Umständen des Geschäfts ergeben, in besonderen Fällen auch aus bestimmten Eigenschaften der Person des Geschäftspartners. Mit dieser Abgrenzung will Amelung die strafrechtlichen Anforderungen an die Bereitschaft des Betrugsopfers zum Selbstschutz "auf einen Bereich beschränken, in dem regelmäßig Erkundungen sinnvoll erscheinen und deshalb als Selbstschutzmaßnahmen in erster Linie in Betracht kommen".24 Demgegenüber seien die Selbstschutzmöglichkeiten des Opfers erheblich reduziert bei lediglich "unfundierten" Zweifeln. Die "allgemeine, durch keinen konkreten Anhaltspunkt gewährte Unsicherheit, ob man einem anderen Menschen trauen kann" erscheine deshalb noch schutzwürdig, so daß ein Irrtum aufgrund derartiger allgemeiner Zweifel nicht entfalle. 25 Hier widerspreche eine Forderung nach Maßnahmen zum Selbstschutz der sozialen Funktion des Betrugstatbestandes, den anonymen Rechtsverkehr zu schützen. Es würde zu beträchtlichen Erschwerungen des
22 23 24 25
,,Irrtum und Zweifel des Getäuschten beim Betrug", in: GA 1977, 1 ff. Amelung, GA 1977, 1,6. Amelung, GA 1977, 1,7 f. Amelung, GA 1977, 1,6 f.
11. Tatbestandsbeschränkungen im Hinblick auf die Intensität der Fehlvorstellung
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Wirtschaftsverkehrs kommen, sofern man nicht mehr ,,relativ gefahrlos Vertrauen in die Behauptungen anderer" investieren könnte. 26 Die Abhandlung von Amelung hat eine breite und kritische Diskussion ausgelöst, aber auch in beachtlichem Maße zumindest im Grundsatz Zustimmung gefunden, wie etwa von Schünemann, der zu einem der größten Verfechter der These zählt, das viktimologische Prinzip müsse bei der Auslegung von Straftatbeständen beriicksichtigt werden.2 7 Auch Blei stimmt Amelung grundsätzlich zu, eine Betrugsstrafbarkeit abzulehnen, wenn die Tauschungshandlung nicht zur Überzeugung des Adressaten, sondern lediglich zu Zweifeln geführt habe. 28 Allerdings hält er die konkrete Umsetzung innerhalb des Tatbestandsmerkmals "Irrtum" mit dem gesetzlichen Wortlaut für unvereinbar. Entsprechend der von Amelung vertretenen Auffassung erwägt er statt dessen (in einem sehr knapp gehaltenen Gedanken) "zumindest LS. einer Leitlinie" die "Ursächlichkeit des Zweifels für die Vermögensverfügung" zu verneinen: Sofern der Zweifel dem Verfügenden eine Gelegenheit gegeben habe, sich vor Schaden selbst zu bewahren, fehle "eine tatbestandsrelevante Kausalität".29 Beulke hält die Ansicht Amelungs für überzeugend, die Irrturnserregung zu verneinen, wenn das Betrugsopfer trotz konkreter Zweifel an den Angaben des Tauschenden über sein Vermögen verfügt. Freilich bemüht er wieder den von ihm als richtig angesehenen Zweck des Betrugstatbestandes, das Vermögen gegen die besondere Angriffsart der Überlistung zu schützen, um festzustellen, das Opfer sei nicht schutzbedürftig, wenn es genügend Möglichkeiten zu hemmenden Selbstschutzmaßnahmen habe. Dieser Gesichtspunkt sei außerdem nicht nur beim Irrtumsbegriff, sondern auch im Rahmen des Schadensbegriffes, insbesondere der Vermögensgefährdung, beachtenswert. 30 b) Die Fortentwicklung durch R. Hassemer Auch R. Hassemer31 zieht in seiner von Schünemann32 betreuten Dissertation bei der Auslegung des Irrtumsmerkmals das Prinzip der Subsidiarität des straf26
624.
Amelung, GA 1977, 1,7; vgl. auch in GA 1984, 579, 582 sowie bereits in NJW 1975,
27 Vgl. in Bockelmann-FS, S. 117, 130 f. sowie in Schneider; S. 407, 415 ("grundsätzlich billigenswert", "im Prinzip richtig"), siehe auch in Faller-FS, S. 357, 362 f. 28 Blei, BT, S. 227; vgl. auch in JA 1977,91 f. ("bruchlose und sachangemessene Konzeption"). 29 So Blei, BT, S. 227; vgl. dazu Hillenkamp, Vorsatztat, S. 24 ff., 140; Ellmer; S. 159. 30 Beulke, JR 1978, 390; NJW 1977, 1073; kritisch Ellmer; S. 160; Hillenkamp, Vorsatztat, S. 3, 36 ff., 141 f. 31 "Schutzbedürftigkeit des Opfers und Strafrechtsdogmatik - zugleich ein Beitrag zur Auslegung des lrrtumsmerkmals in § 263 StGB", veröffentlicht in den Schriften zum Strafrecht, Band 40, Berlin 1981. 32 Schünemann gehört zu den größten Befürwortem der Viktimo-Dogmatik und hatte bereits in ZStW 90 (1978), 11 versucht, das viktimologische Prinzip bei der Verletzung von Privatgeheimnissen nach § 203 StGB fruchtbar zu machen.
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C. Vorschläge einer Betrugsrestriktion auf der Tatbestandsebene
rechtlichen Rechtsgüterschutzes heran. Nach seiner Auffassung ergibt sich dies aus dem insbesondere durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entwickelten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. 33 Die Aufgabe des Strafrechts bestehe darin "diejenigen Rechtsgüter vor Verletzungen zu bewahren, die durch individuelle Schutzmaßnahmen des Rechtsgutträgers nicht oder zumindest nicht umfassend geschützt werden können".34 Angesichts ihrer überaus einschneidenden und auch heute noch häufig existenzvernichtenden Konsequenzen brauchten und dürften strafrechtliche Sanktionen nicht eingesetzt werden, wenn der Rechtsgüterschutz auch durch mildere, außerstrafrechtliche Mittel erreicht werden könne. Deshalb sei eine Kriminalisierung rechtsgutverletzenden Handeins dann unzulässig, wenn sich der Rechtsgutträger durch mögliche und zumutbare Maßnahmen des Individualschutzes selbst schützen könne. Denn bei der Auslegung von Straftatbeständen müsse das Prinzip der Eigenverantwortlichkeit des Rechtsgutträgers berücksichtigt werden, das den einzelnen dazu verpflichte, seine Güter im Rahmen des Möglichen allein und ohne staatliche Unterstützung vor Schaden zu bewahren?5 Insofern bedürfe ein Opfer, das zumutbare individuelle Möglichkeiten des Selbstschutzes nicht wahrgenommen habe, keinesfalls des Strafrechts, dessen Einsatz vielmehr nur dann erforderlich und damit zulässig sei, sofern eine ausreichend hohe "Gefahrintensität" bestehe, die sich aus dem Umfang der individuellen Möglichkeiten des Selbstschutzes sowie der jeweiligen Gefahrdung des Rechtsgutes ergebe. 36 Dabei nehme die Schutzbedürftigkeit des Opfers im gleichen Maße ab, in dem die konkrete Gefahrensituation auf der eigenen Entscheidung des Opfers basiere, bis schließlich die tatbestandlich generell vorausgesetzte Gefahrintensität nicht mehr gegeben sei. Daraus ergebe sich die Funktion des Irrtumsmerkmals im Betrugstatbestand, die R. Hassemer darin sieht, "Handlungssituationen mit mangelnder Gefahrintensität aus dem Strafbarkeitsbereich des § 263 auszugliedern", um so "dem Prinzip der Subsidiarität des strafrechtlichen Rechtsgüterschutzes zur Geltung zu verhelfen". 37 Im Gegensatz zu der Konzeption Amelungs, der allein auf äußerlich erkennbare konkrete Anhaltspunkte und damit "auf die objektive Konkretheit des Ansatzpunktes beim Zweifel" abstellen Will,38 hält R. Hassemer aber ausschließlich die "interne kognitive Situation des Rechtsgutträgers" und die hieran anknüpfende Frage nach der konkreten Schutzbedürftigkeit des betroffenen Opfers für entscheidend. 39 Dabei differenziert er zwischen den verschiedenen "Kognitionslagen" der subjektiven Gewißheit, der diffusen und der konkreten Zweifel. 40 Subjektive Gewißheit 33 34 35
36
37 38 39
Raimund Hassemer; S. 19. Raimund Hassemer; S. 62. Raimund Hassemer; S. 35. Raimund Hassemer; S. 51. Raimund Hassemer; S. 118 mit Hinweis auf Amelung, GA 1977,1,6. Siehe oben unter C 11 3 a). Raimund Hassemer; S. 152 f.
11. Tatbestandsbeschränkungen im Hinblick auf die Intensität der Fehlvorstellung
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liege dann vor, wenn der Entscheidende glaubt, über sämtliche für die Vornahme der von ihm beabsichtigten Handlung relevanten Informationen zu verfügen, obwohl er tatsächlich gar nicht vollständig informiert ist. Seine individuelle Position im Hinblick auf den Stand seiner Information stelle sich deshalb so dar, daß er einen Irrtum kategorisch ausschließe und sich der Richtigkeit dieser Einschätzung gewiß sei. 41 Diffuser Zweifel sei dagegen dann gegeben, wenn der Rechtsgutträger den Wahrheitsgehalt der behaupteten Tatsachen nicht überprüft habe und "er insoweit auf den guten Willen und die Lauterkeit" des anderen angewiesen sei. 42 Habe sich der (diffuse) Zweifel in einer bestimmten Art und Weise in eine definierbare Richtung konkretisiert, so liegen nach R. Hassemers Definition konkrete Zweifel vor. Hier zweifle der Rechtsgutträger über das allgemeine Bewußtsein der Unsicherheit hinaus in einer spezifischen Form an der Wahrheit einer ganz bestimmten relevanten Tatsache. Sein Wissen um die Unsicherheit des Wahrheitsgehalts der Tatsachenbehauptungen des anderen übersteige das Maß des "üblichen" Mißtrauens und spitze sich in irgendeiner Form ZU. 43 Anders als der diffus Zweifelnde, der wisse, daß er seinen undifferenzierten und unspezifizerten Zweifeln nicht nachgehen oder sie durch ein Absehen von der Verfügung gegenstandslos machen könne, habe der Rechtsgutträger bei konkreten Zweifeln "durchaus spezifische Ansatzpunkte und genügend Anlaß zur Erhebung weiterer Informationen" oder zum Unterlassen der beabsichtigten Verfügung. Die von R. Hassemer entwickelten kognitiven Situationen unterscheiden sich somit deutlich hinsichtlich des Anlasses zur Erhebung weiterer Informationen und der Möglichkeit ihrer Beschaffung: Während bei subjektiver Gewißheit der Rechtsgutträger gar nicht darüber nachdenke, weitere Informationen einzuholen und der diffus Zweifelnde nicht wisse, wo und wie er nachforschen solle, unterlasse das konkret zweifelnde präsumtive Opfer schlicht die Beschaffung weiterer Informationen, obwohl ihm sowohl die aktuelle Notwendigkeit wie die Richtigkeit einer diesbezüglichen Aktivität bewußt sei. 44 Hieraus schließt R. Hasserner, daß derjenige, der trotz konkreter Zweifel an der Wahrheit der unterbreiteten Tatsache ohne weiteres verfüge, seine Selbstschutzmöglichkeiten und damit zugleich die konkrete Gefahrintensität in so erheblichen Umfang reduziere, daß seine Schutzbedürftigkeit entfalle. Seine kognitive Situation könne deshalb unter das Tatbestandsmerkmal "Irrtum" nicht mehr subsumiert werden, so daß er zu einem "untauglichen Opfer" werde und der Tauschende "zumindest" wegen vollendeten Betruges nicht bestraft werden könne. Dagegen erfasse der Irrtumsbegriff die beiden Kognitionsstufen der subjektiven Gewißheit und des diffusen Zweifels, da der Rechtsgutträger Raimund Hassemer, S. 131 ff. Raimund Hassemer, S. 132; genannt werden etwa "blindes Vertrauen, Überschätzung der eigenen Fähigkeiten, habituelle oder Routineentscheidungen". 42 Z. B. "aufgrund individueller Ungewöhnlichkeit des Austauschaktes" oder "unspezifizierbaren Mißtrauens an der Glaubwürdigkeit" des Partners; S. 133. 43 Raimund Hassemer, S. 134. 44 Vgl. Raimund Hassemer, S. 136 f. 40
41
140
C. Vorschläge einer Betrugsrestriktion auf der Tatbestandsebene
hier schutzbedürftig und damit "taugliches Betrugsopfer" sei. 45 Dies gelte auch bei plumpen und leicht durchschaubaren Täuschungen; davon zu unterscheiden sei die Frage, ob hier noch von der Schutzwürdigkeit des Betrogenen ausgegangen werden kann, einem von der SchutzbedüTjtigkeit zu unterscheidenden Phänomen, das nicht Gegenstand der Untersuchung sei. 46
c) Kritik an der sog. viktimologischen Theorie Der insbesondere von Amelung begründete und dann von R. Hassemer fortentwickelte viktimo-dogmatische Ansatz hat viel Aufmerksamkeit, aber auch massive Kritik auf sich gezogen. Zu einem der größten Kritiker gehört Hillenkamp, der sich in seiner Habilitationsschrift47 eingehend mit der sog. Viktimo-Dogmatik beschäftigt hat und bei seinen Untersuchungen zu dem Schluß kommt, daß das Mitverschulden des Opfers nur im Rahmen der Strafzumessung Beriicksichtigung finden könne. 48 aa) Methodologische Einwände
Gegenstand seiner Kritik ist es vor allem, daß das Opfermitverschulden als eigentlicher Strafzumessungsgrund zum Tatbestandskorrektiv aufgewertet werde mit einer Argumentation, bei der es sich nicht mehr um eine mit dem Wortsinn zu vereinbarende Auslegung handele, sondern die auf eine teleologische Reduktion des Tatbestandes hinauslaufe. Denn obwohl das Verhalten des Täters auch bei restriktivster Wortlautinterpretation "an sich" tatbestandsmäßig sei, halte man es unter Berufung auf das übergreifende Subsidiaritätsprinzip für nicht strafwürdig oder nicht stratbedürftig.49 So wendet er gegen Amelungs Begriffsbildung ein, daß das Phänomen "vorhandene" oder "nichtvorhandene Selbstschutzmöglichkeit" den Spielraum zwischen Begriffskern und Wortlautgrenze verlasse und im klaren Widerspruch zum Wortsinn des Irrtumsbegriffs stehe. Durch die Einbeziehung solcher Zweifel, die man nicht überpriifen kann und die Ausgrenzung derjenigen, die sich in eigene Schutzmaßnahmen umsetzen lassen, werde der gesetzliche Begriff "Irrtum" nicht bloß teleologisch interpretiert, sondern durch eine individuell für richtig Raimund Hassemer; S. 147. Raimund Hassemer; S. 154 f.; kritisch Arzt, GA 1982,522 f.: "wenig plausible" Kategorien, "dubiose Unterscheidung"; vgl. dazu aber Schünemann, Faller-FS, S. 357, 370 Fn. 41; 362 f. Fn. 18; NStZ 1986,439 ff. 47 "Vorsatztat und Opferverhalten", Göttingen 1981; vgl. daran anknüpfend auch "Der Einfluß des Opferverhaltens auf die dogmatische Beurteilung der Tat - einige Bemerkungen zum Verhältnis zwischen VIktimologie und Dogmatik", Bielefeld 1983. 48 Kritisch dazu wiederum Arzt, MSchrKrim 67 (1984), 105, 109: "Kurzschluß"; 117; Kratzseh, Oehler-FS, S. 65, 71. 49 Hillenkamp, Vorsatztat, S. 139 ff. und Einfluß, S. 13. 45
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gehaltene kriminalpolitische Entscheidung vollständig ersetzt. Damit aber werde im Ergebnis der Wortlaut des § 263 StGB gegen den Willen des Gesetzgebers korrigiert. 5o Dies gelte auch für die Verschiebung der Problematik durch Blei in den Kausalzusammenhang zwischen Zweifeln und der Vermögensverfügung. 51 Denn aus seiner Kritik an Amelungs Konzeption lasse sich entnehmen, daß Blei im Sinne der herrschenden Betrugsdogmatik den Zweifel gerade als Irrtum anerkenne. Unter dieser Prämisse sei aber an der Ursächlichkeit für die Verfügung "nicht zu rütteln", wie sich schon aus dem Vorwurf gerade gegenüber dieser h.M. ergebe, das Bindeglied zwischen Täuschung und Verfügung auf die bloße Kausalität zu reduzieren. Insofern ziele Bleis Erwägung letztendlich darauf ab, solche Ursachen auszunehmen, deren Wirkung das Opfer verhindern könne. Damit entpuppe sich die Formulierung "tatbestandsrelevante Kausalität" aber im Ergebnis als erneuter Versuch einer teleologischen Reduktion. 52 Derartige teleologische Reduktionen von Straftatbeständen hält Hillenkamp für verfassungsrechtlich bedenklich, da sie sich nicht mit dem in Art. 103 Abs. 2 GG verankerten Grundsatz der Gesetzesbindung des Strafrechts vereinbaren lassen. 53 Auch wenn der Täter hierbei lediglich begünstigt werde, bestehe die Gefahr, daß das Gebot der Bestimmtheit der Tatbestände verletzt werde. Denn dieses weise eine doppelte Garantiefunktion auf, wonach das Strafgesetz nicht nur eine Magna Charta des Verbrechers, sondern auch des potentiellen Opfers darstelle, das ihm entnehmen könne, gegen welche Übergriffe der Staat ihm mit strafrechtlichen Mitteln schütze. 54 Insofern füge die Schutzwirkung des Art. 103 Abs. 2 GG als "positive Komplementärentscheidung zum negativen Abwehranspruch der Freiheitssicherung des Täters die Garantie des Schutzraumes des Opfers" hinzu. 55 Diesem Einwand einer unzulässigen Gesetzesreduktion, der freilich auf dem besonderen Verständnis Hillenkamps von der Gesetzesbindung des Strafrechts beruht, ist zwar zuzugeben, daß in der Rechtsanwendung nicht nur eine Überschreitung der Wortlautgrenze unzulässig ist, sondern auch der vom Gesetzgeber als strafbar angesehenen Bereich nicht unterschritten werden darf, sofern nicht außergewöhnliche Gründe wie etwa die Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Regelung dies gebieten. 56 Kann allerdings mit allen Mitteln der Auslegung des Wortlautes keine präzise Entscheidung des Gesetzgebers ermittelt werden, so läßt sich Hillenkamp, Vorsatztat, S. 22 f.; so auch Frisch, Bockelmann-FS, 647, 656. Siehe oben unter C 11 3 a). 52 So Hillenkamp, Vorsatztat, S. 24 ff., 140; vgl. dazu auch Bottke, JR 1987,430; Ellmer, S.159. 53 Hillenkamp, Vorsatztat, S. 153 ff.; zust. Worms, Anlegerschutz, S. 288. 54 Hillenkamp, Einfluß, S. 13 f.; Vorsatztat, S. 159. 55 So Hillenkamp, Vorsatztat, S. 161. 56 Schünemann, Faller-FS, 357, 367 f.; NStZ 1986, 439, 442 m. w. N.; vgl. dazu auch Ellmer, S. 287 ff. 50
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lediglich ein Kernbereich des als strafbar gewollten Bereiches feststellen, der von den Konstellationen gebildet wird, die nach dem Umgangssprachgebrauch fraglos und unbestreitbar dem Gesetzeswortlaut unterfallen. Solange dieser sogenannte Bedeutungshof der Gesetzestermini respektiert wird, handelt es sich immer nur um eine zulässige restriktive Auslegung; eine unzulässige Reduktion contra legern liegt erst dann vor, wenn der Kernbereich selbst tangiert wird. Demzufolge kann man auch den Irrtumskonzeptionen, die das Vorliegen eines Irrtums von der Existenz und der Qualität etwaiger Zweifel des Opfers abhängig machen, keine unzulässige Gesetzesreduktion vorwerfen. Denn Zweifel über die Richtigkeit der behaupteten Tatsachen sind genau dem Bedeutungshof des Irrtums begriffs zuzuordnen, so daß die vorgeschlagenen viktimo-dogmatischen Restriktionen keinesfalls in dessen Bedeutungskern eingreifen. Folglich liegt auch keine unzulässige Auslegung des Betrugstatbestandes vor. 57 Die Konzeption des Irrtumsmerkmals als Ausprägung des Gedankens der strafrechtlichen Subsidiarität begegnet in der rechtswissenschaftlichen Literatur aber auch weiteren methodologischen Bedenken. Verstehe man das Subsidiaritätsprinzip als einen das gesamte Strafrecht durchziehenden Grundsatz, müsse es auch bei anderen Tatbeständen berücksichtigt werden und würde insofern in jeweils neuem sprachlichen Gewande erscheinen. Es bleibe aber unerfindlich, warum der Gesetzgeber jeweils unterschiedliche Begriffe verwandt habe, obwohl diese doch die gleiche Restriktion zum Gegenstand haben.58 Außerdem gehe es nicht an, einem bestimmtem Tatbestandsmerkmal "die spezielle Aufgabe der Tatbestandseinschränkung für den Fall zuzuweisen, daß sich das Opfer bis zu einem gewissen Grad gegen den deliktischen Angriff selbst schützen kann". Denn indem man die Durchsetzung allgemeiner gesellschaftspolitischer Prinzipien, wie etwa des Subsidiaritätsgrundsatzes, einzelnen Begriffen des Gesetzes auferlege, ignoriere man deren eigentliche Funktion und löse sie zugleich aus dem Sinn- und Zweckzusammenhang des Tatbestandes. 59 Dieser Kritik kann aber entgegnet werden, daß der gleiche Grundsatz deshalb im Strafgesetzbuch in unterschiedlichen Verkleidungen erscheint, als daß bei jedem Rechtsgut unterschiedliche Gefährdungen und Selbstschutzmöglichkeiten bestehen, die der Gesetzgeber dementsprechend auch unterschiedlich umgesetzt hat. 6o Dementsprechend ist auch nach der Interpretation von R. Hassemer der Irrturnsbegriff "als Bezeichnung für eine Situation mangelnder Selbstschutzmöglichkeiten und hieraus resultierender hoher Gefahrintensität ... klug und zutreffend gewählt", da der Schutz des Strafrechts nur unter diesen Voraussetzungen erforder57 Ebenso Schünemann, NStZ 1986, 439, 442; Faller-FS, 357, 367 f.; Bocke1mann-FS, S. 130 Fn. 54; vgl. auch Bockelmann, § 11 All 2 e, S. 75. 58 Frisch, Bockelmann-FS, S. 647, 656; vgl. auch Hillenkamp, Vorsatztat, S. 22 f. 59 Lackner, in LK, § 263 Rdnr. 80; Hillenkamp, Vorsatztat, S. 22 f.; Frisch, BockelmannFS, S. 647, 656. 60 So auch Raimund Hassemer, S. 120 f.
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lich sei. 61 Insofern setzt also das Merkmal "Irrtum" den Subsidiaritätsgrundsatz nicht unmittelbar, sondern vermittelnd durch, ohne jedoch dabei seine eigene Funktion und seinen eigenständigen Sinngehalt zu verlieren. Setzt man dieses Verständnis des Subsidiaritätsprinzips voraus, läßt sich dementsprechend der viktimodogmatische Ansatz nicht allein aus methodischen Überlegungen ablehnen. bb) VerJassungsrechtliche Ableitung
Damit ist allerdings noch nicht die Legitimationsgrundlage der Irrtumskonzeption von Amelung und R. Hassemer bestätigt, die unausgesprochen auf das Subsidiaritätsprinzip nicht in seiner rein strafrechtsspezifischen, sondern in seiner allgemeinen gesellschaftstheoretischen Bedeutung als Zuständigkeitsregel der gesellschaftlichen Ordnung rekurriert. 62 Gegen dieses weite Verständnis des Subsidiaritätsprinzips wird schon grundsätzlich eingewandt, daß der private Selbstschutz gegenüber dem staatlichen Eingreifen keineswegs generell vorrangig sei. 63 So kritisiert Herzberg, es gehe nicht darum, dem Staat den Einsatz von strafrechtlichen Mitteln deshalb zu verwehren, weil der einzelne Bürger sein Interesse selbst wahren könne. Das Prinzip der Subsidiarität habe vielmehr die Forderung zum Inhalt, sozial unerwünschtes Verhalten dann nicht durch Androhung von Strafe zu unterdriicken, wenn andere staatliche Zwangsmittel, die weder mit einer Diskriminierung noch mit sittlicher Mißbilligung verbunden sind, mindestens genauso effektiv seien. 64 Im Schrifttum wird außerdem die Behauptung angegriffen, daß das Bundesverfassungsgericht den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit u. a. dahin präzisiert habe, daß "gutsverletzendes Handeln" nur dann kriminalisiert werden dürfe, wenn solche Erfolge nicht durch "außerstrafrechtliche Mittel ebenfalls verhindert werden können".65 Denn das Bundesverfassungsgericht habe in seinem Urteil zum Schwangerschaftsabbruch erklärt, "die Strafnorm stellt gewissermaßen die ultima ratio im Instrumentarium des Gesetzgebers dar,,66 und damit lediglich eine Subsidiarität des Strafrechts in der Rangfolge staatlicher Maßnahmen ausgesprochen, nicht aber auch gegenüber privaten Selbstschutzmöglichkeiten. 67 Deshalb resultiere die Behauptung, das Strafrecht dürfe dem Bürger den Schutz seiner Rechtsgüter nicht abnehmen, nur weil dieser selbst Abwehrmöglichkeiten besitzt, aus einem MißverVgl. Raimund Hassemer, S. 12l. Wie insbesondere von der katholischen Soziallehre, aber auch vom Liberalismus vertreten; vgl. dazu Kaufmann, Henkel-FS, S. 89 ff. 63 Herzberg, GA 1977,289,293 f.; Hillenkamp, Einfluß, S. 14; Vorsatztat, S. 177 m. w. N. 64 GA 1977,289,294. 65 So die Formulierung von Raimund Hassemer, S. 20. 66 BVerfGE 39, 1,47. 67 Maurach/Schroeder/Maiwald, ZStW 96, 70, 71; Hillenkamp, Vorsatztat, S. 176. 61
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ständnis des Subsidiaritätsprinzips. Vielmehr gelte für den Bereich der Abwehrrechte des Bürgers gegen Angriffe auf seine Rechtsgüter gerade umgekehrt die Subsidiarität der privaten gegenüber der staatlichen Abwehr, wonach der Bürger also nur eingreifen dürfe, wo der Staat nicht präsent sei. So setze etwa die Notwehrregelung in § 32 StGB gerade voraus, daß keine wirksame staatliche Hilfe zu erreichen ist. 68 Sehe man den Rechtsgüterschutz als primäre Aufgabe des Staates an, werde das Strafbedürfnis keinesfalls dadurch beseitigt, daß es dem Opfer möglich sei, sich selbst zu schützen. 69 Diese Kritik an der verfassungsrechtlichen Ableitung wird im Rahmen der eigenen Lösung noch näher diskutiert und abschließend bewertet. 70 ce) Kriminalpolitische Bedenken
Neben den methodologischen und verfassungsrechtlichen Einwänden ist die sog. viktimologische Theorie zudem einer Reihe von krirninalpolitischen Bedenken ausgesetzt. Denn von vielen Autoren werden die Bestrebungen, die Betrugsstrafbarkeit aufgrund des Opferverhaltens zu beschränken, als krirninalpolitisch gefährliche Tendenzen zur Exkulpation des Täters und zum Rückzug des Strafrechts auf Kosten des Opfers angesehen, die "empfindliche und großflächige Strafbarkeitslücken" zur Folge haben. 7 ! So gibt Hillenkamp zu bedenken, daß eine eventuelle Mitverantwortung des Opfers für seine Schädigung als bloße Mitverursachung nicht zum gänzlichen Entfallen der Strafwürdigkeit und Strafbedürftigkeit der Tat führt. Aufgrund der schon im Bereich des Tatbestandes zu treffenden Alles-oder-Nichts-Entscheidung sei die Verantwortlichkeit somit nicht ausgewogen verteilt, sondern einseitig vom gänzlich entlasteten Täter hin zum ungeschützten Opfer verschoben. Eine viktimologische Betrachtung bewirke deshalb keinen besseren Opferschutz, sondern lediglich eine Entlastung des virtuellen Täters. 72 Diese durch Straflosigkeit erzielte Freiheitserweiterung des vorsätzlich handelnden Täters für sozial mißbilligtes oder sogar widerrechtliches Verhalten bringe aber einen krirninalpolitisch sinnlosen Handlungsspielraum. 73
68 Maiwald, ZStW 96, 70, 73; Maurach/Schroeder/Maiwald, 41 II 2 Rdnr. 61 mit Nachweisen. 69 Hillenkamp, Einfluß, S. 14 und Vorsatztat, S. 173 ff.; siehe auch Ranft, JA 1984, 723, 731 f.; Frisch, Bockelmann-FS, S. 647, 654 f.; Herzberg, GA 1977,289,294; Worms, Anlegerschutz, S. 289. 70 Teil D I 2. 71 Vgl. insbesondere Hillenkamp, Vorsatztat, S. 29, 192 ff. 72 Einfluß, S. 12 f.; Vorsatztat, S. 8, 102 f. 73 Hillenkamp, Einfluß, S. 16; Vorsatztat, S. 176 ff.; 195 f.; ähnlich Kratzsch, Oehler-FS, S. 65,75 f.; Krack, S. 39; vgl. dazu aber auch Schünemann, NStZ 1986,439,442; Faller-FS, S. 357, 366.
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Zudem werden kriminalpolitisch nicht wünschenswerte Auswirkungen des Selbstschutzprinzips auf das gesellschaftliche Leben befürchtet. Bei einer möglichen Straflosigkeit aufgrund des Opferverhaltens bestehe die Gefahr, daß der Strafprozeß zu einem Verfahren gegen den Geschädigten werde, bei dem dessen Beschuldigung zur Pflicht eines Strafverteidigers gehöre und dementsprechend die Bereitschaft zur Strafanzeige bei vielen Opfern sinke?4 Durch die Zurücknahme des strafrechtlichen Schutzes könne es außerdem zu einem sozialen Klima der Angst kommen; eine einstmals offene, vertrauensvolle Gesellschaft sei dann von gegenseitigem Mißtrauen geprägt. Sofern sich auch der Rechtstreue argwöhnisch verhalten und in seinen Mitbürgern potentielle Feinde sehen müsse, werde dessen Freiheit beschränkt. Außerdem kollidiere die These, das Strafrecht habe sich zurückzuziehen, sofern das Opfer sich selbst schützen könne, mit dessen anerkannter Friedensfunktion. Aufgrund des zu erwartenden Vertrauensschwundes und der Ohnmacht der Verbrechensbekämpfung komme es zwangsläufig zu erhöhtem, wenn nicht sogar übertriebenem Selbstschutz. Damit laufe jede viktimo-dogmatische Restriktion auf die unerträgliche Konsequenz eines straffreien Raumes hinaus, in dem nur noch das Faustrecht gelte und eine "Einigelung" der Gesellschaft erfolge. Diese durch das staatliche Gewaltmonopol eigentlich zu vermeidenden Zustände seien unter rechtspolitischen Aspekten nicht akzeptabel. 75 Allerdings vermögen diese insbesondere von Hillenkamp prophezeiten Visionen wohl allenfalls dann Realität zu werden, sofern man eine Berücksichtigung des Selbstschutzgedankens auch innerhalb der Gewaltdelikte befürworten würde. 76 Demgegenüber erscheint es zweifelhaft, ob diese Befürchtungen auch im Rahmen des gewaltfreien Betrugstatbestandes tatsächlich zutreffen. Jedenfalls wird im Rahmen der eigenen Lösung diese Problematik zu berücksichtigen sein. Zu folgen ist demgegenüber aber der Kritik, daß eine einschränkende Auslegung des Irrtumsmerkmals durch den Begriff der konkreten Anhaltspunkte zu praktischen Schwierigkeiten führt. Gerade bei plumpen Täuschungsmanövern eröffnet sich für den Täter die willkommene und nur schwer zu widerlegende (Schutz-) Behauptung, er habe nicht damit rechnen können, daß das Opfer ihm seine Vorspiegelungen ohne Zweifel abnehme. Dementsprechend werden die Strafgerichte häufig zu Freisprüchen kommen, da nicht einmal ein versuchter Betrug nachgewiesen werden kann. 77 In diesem Zusammenhang gibt auch Lackner zu bedenken, sofern das Betrugsopfer überhaupt zweifle, werden in der Regel konkrete Anhaltspunkte vorliegen, die für die Zweifel zumindest mitursächlich waren. Zwar könne man 74 So Hillenkamp, Einfluß, S. 16 f. und Vorsatztat, S. 199 ff. mit Hinweis auf Berichte über "blarning the victim" bei Vergewaltigungsprozessen in den USA. 75 Roxin, § 14 III Rdnr. 21; Lenckner, in Schönke/Schröder, Vorbem. §§ 13 ff. Rdnr. 70 b; Hans-Ludwig Günther, S. 194; Hillenkamp, Einfluß, S. 18 und Vorsatztat, S. 206 ff.; vgl. auch Arzt, MSchrKrirn 67 (1984), 106, 122 f. 76 Vgl. Schünemann, NStZ 1986,439,442; Luipold, S. 33. 77 Herzberg, GA 1977, 289, 293; Hillenkamp, Vorsatztat, S. 29, zustimmend auch Krack, S. 39 Fn. 100.
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diesem Problem durch eine Unterscheidung zwischen relevanten und irrelevanten Anhaltspunkten durchaus abhelfen. Allerdings sei eine solche Differenzierung von vornherein für nur schwer durchführbar und stelle eine "für den Täter nie versiegende Quelle für Tatbestandsirrtümer und für probate Schutzbehauptungen in bezug auf seinen Vorsatz" dar. 78 Der sog. viktimologischen Theorie wird außerdem vorgeworfen, sie verkenne, daß eigene Maßnahmen des Zweifelnden den Schutz seines Vermögens gerade nicht mit gleicher Effektivität erreichen wie die gesetzliche Androhung einer Strafe. Diesen spezifischen staatlichen Schutz könne der Vermögensinhaber aus eigener Kraft nicht kompensieren, da es ihm nicht möglich sei, schon im Vorfeld wirkende general- und spezialpräventive Hemmungen zu schaffen, um potentielle Täter abzuschrecken. Auch die zivilrechtliche Pflicht zur Rückgewährung bilde insofern keinen Ersatz, weil sie für den Täter kein Risiko darstelle. Den Erfolg der Täuschung könne der Getäuschte allenfalls dadurch verhindern, daß er die angesonnene Vermögensverfügung unterlasse. 79 Hiergegen wendet R. Hassemer ein, es sei zwar nicht zu bezweifeln, daß individuelle Schutzmaßnahmen keinesfalls präventiv in einem strafrechtlichen Sinne wirken können; allerdings gebe es in den hier zur Rede stehenden Bereichen ausreichende faktische Möglichkeiten der Rechtsgutträger zur Verhinderung der Verletzung ihrer Rechtsgüter. Denn sofern ein Vermögensverlust ohne "Überredung" des potentiellen Betrugsopfers unmöglich sei, vermöge dieses jedenfalls "im Einzelfall" die Vornahme der vermögensschädigenden Handlung durchaus noch zu verweigern, auch wenn es sich hinsichtlich des für ihn unverzichtbaren Wirtschaftsprozesses nicht völlig der Vornahme von Austauschakten entziehen könne. Angesichts dieses "optimalen und schlicht unüberwindbaren Selbstschutzwalles" bedürfe es nicht des wesentlich lückenhafteren Schutzes strafrechtlicher Generaloder Spezialprävention. 8o Die Argumentation R. Hassemers, daß das grundsätzlich perfekte Selbstschutzpotential des vermeintlichen Betrugsopfers Prävention genug sei, da Attacken bei zweifelnden Opfern "immer zum Scheitern verurteilt sind" geht allerdings schon angesichts des nicht feststellbaren Rückgangs der Betrugskriminalität an der Wirklichkeit vorbei. Auch der Gesetzgeber sah sich zur Ausdehnung der Betrugsstrafbarkeit veraniaßt und hat gegenüber den Bestrebungen, das Irrtumsmerkmal einzuschränken, eine gegenläufige Tendenz erkennen lassen. 81 Denn mit dem Tatbestand des Kapitalanlagebetruges gemäß § 264a StGB wurde ein dritter Tatbestand im Vorfeld des Betruges eingefügt, der ebenso wie der Subventions- und Kreditbetrug nach § 264 bzw. § 265 StGB gerade keine Irrtumserregung erfordert, sondern bereits mit der Täuschungshandlung vollendet
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Lackner, in LK, § 263 Rdnr. 80. Herzberg, GA 1977,289,294; Hillenlwmp, Vorsatztat, S. 179; vgl. auch Krack, S. 39. Raimund Hassemer, S. 118 ff., 128 ff. Kurth, S. 144; Hillenlwmp, Vorsatztat, S. 179 Fn. 617; Schauer, S. 96.
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ist. 82 Hinzuzufügen ist, daß der strafrechtliche Schutz intensiver ist, weil er schärfer und damit auch generalpräventiv wirksamer ist. Außerdem gewährleistet eine Strafandrohung einen besseren Opferschutz gerade bei Betrügereien, bei denen der Täter dem Opfer häufig nicht bekannt ist, weil sie dem Opfer die Ermittlung des Täters abnimmt, während die Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche in diesen Fällen daran scheitert, daß der Täter nicht identifiziert werden kann oder flüchtig ist. Darüber hinaus ist eine strafrechtliche Sanktion auch spezialpräventiv einem zivilrechtlichen Ersatzanspruch überlegen. 83 Festzuhalten bleibt, daß eine Kriminalstrafe gegenüber anderen Rechtsschutzmöglichkeiten eine höhere Präventivwirkung aufweist und deshalb grundsätzlich für den Schutz des Vermögens als besser geeignet erscheint. 84 Die konkret vorgeschlagene Art der "Subsidiarität" des Rechtsgüterschutzes kann außerdem gerade unter der Prämisse, daß der Betrugstatbestand das Vertrauen in die Redlichkeit des Wirtschaftsverkehrs stabilisieren soll, nicht anerkannt werden. Es ist wenig plausibel, gerade bei Zweifeln des Verfügenden einen Irrtum zu verneinen, da der vernachlässigte Selbstschutz auch darauf beruhen könne, daß das Opfer in "dummer Vertrauensseligkeit" gar nicht erst zu Zweifeln gelangt. Die Mitverantwortung eines Opfers, das sich mit den Angaben des Täters kritisch auseinandersetzt und trotz seiner Zweifel an dem Vorbringen des Täters von der Möglichkeit der Wahrheit der behaupteten Tatsache positiv motivieren läßt und daraufhin verfügt, ist aber kaum größer als die eines Opfers, das infolge extremer Leichtgläubigkeit und Gedankenlosigkeit nicht einmal zweifelt. 85 Das leichtsinnige oder vertrauensselige Opfer, das an den Äußerungen des Täters möglicherweise sogar ,,konkret gezweifelt" hat, bedarf unter Umständen sogar eher des strafrechtlichen Schutzes, weil der Betrüger seine Opfer häufig nach diesen Eigenschaften aussucht. 86 Gerade die sozial Schwachen haben häufig nicht die Möglichkeit, Selbstschutz durch umfassende eigene Information und durch entschiedenes Auftreten gegenüber täuschenden Angaben zu üben, und sollten deshalb eigentlich besonders vor betrügerischen Manipulationen geschützt werden. 87 Insofern erscheint es unangemessen, das Urteil der fehlenden StrafwÜTdigkeit mit den Zweifeln des Opfers zu begründen, so daß sich eine solche Verkürzung des strafrechtlichen Rechtsschutzes kriminalpolitisch nicht rechtfertigen läßt. 88 82 V gl. zu der damit verbundenen Ausdehnung der Betrugsstrafbarkeit bereits oben unter Teil Bill. 83 Vgl. dazu Arzt I Weber, Lehrbuch, § 20 Rdm. 4 Fn. 7; Kunh, S. 144. 84 So auch Hans-Ludwig Günther, S. 193. 85 Maiwald, ZStW 96 (1984), 70, 75 und in Maurach/Schroeder/Maiwald, § 41 11 Rdm. 61; Ranft, JA 1984,723,731 f.; Seelmann, JuS 1982,268,270; Lenckner, in Schönke/ Schröder, Vorbem. §§ 13 ff. Rdm. 70 b; eramer, in Schönke/Schräder, § 263 Rdnr. 40; Arztl Weber, Lehrbuch, § 20 Rdm. 68; Krack, S. 39; Ellmer, S. 152. 86 Samson I Günther, in SK, § 263 Rdm. 58; Maiwald, ZStW 96, 70, 75. 87 Maurach/Schroeder/Maiwald, § 4111 Rdm. 61; Wesselsl Hillenkamp, Rdm.51O. 88 Bockelmann, § 11 All 2 e, S. 74; Krack, S. 39.
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Davon abgesehen ist zu berücksichtigen, daß das Hervorrufen eines bloßen Zweifels regelmäßig nicht zur Straflosigkeit des Tciuschenden führt, sondern es in der Regel bei der Strafbarkeit des Taters wegen versuchten Betruges bleibt, selbst wenn man einen Irrtum verneint. Denn der Tater wird sich bemühen, naheliegende Zweifel zu zerstreuen, um sein Opfer zu überzeugen und dadurch die Chance des Gelingens seines Vorhabens zu erhöhen, so daß sein Vorsatz in aller Regel auf die Erregung eines Irrtums gerichtet sein wird. 89 Diesen naheliegenden Einwand erkennt wohl auch R. Hasserner, umgeht ihn aber mit der Formulierung, "daß zumindest eine Bestrafung wegen vollendeten Betruges außer Betracht zu bleiben hat".90 Im Ergebnis erweist sich somit die Restriktion der sog. viktimologischen Theorie nicht nur als kriminalpolitisch unbefriedigend, sondern auch als inkonsequent und ist damit abzulehnen.
4. Die sog. Einwilligungstheorie
Nach der von Herzberg91 aufgestellten sog. Einwilligungstheorie liegt ein Irrtum im Sinne des § 263 StGB nicht vor, sofern die vom Getäuschten vorgenommene Vermögensverfügung bei einem anderen Vermögensde1ikt eine trotz der Zweifel wirksame Einwilligung in die Vermögens schädigung darstellen würde, sondern nur dann, wenn die Zweifel die Wirksamkeit der Einwilligung beseitigen würden.
a) Die Auffassung von Herzberg Herzberg unterstützt im Ergebnis das herrschende weite Verständnis des Irrtumsbegriffs, das auch das bloße Fürmöglichhalten noch einbezieht. 92 Allerdings sucht er eine sachgerechte Lösung im Wege der systematischen Auslegung und verweist auf den engen sachlichen Zusammenhang zwischen dem Irrtums merkmal des Betrugstatbestandes und der in Rechtsprechung und Wissenschaft entwickelten Lehre von den Willensmängeln bei der Einwilligung. Es müsse berücksichtigt werden, daß der Betrug ein Delikt der Vermögensschädigung sei, an der der Getäuschte durch seine Vermögensverfügung selbst mitwirke. Darum sei immer zu prüfen, ob der Verfügung nicht die sachliche Bedeutung eines Einverständnisses mit dem Vermögensverlust zukomme, das im Ergebnis 89 Arzt/Weber, Lehrbuch, § 20 Rdnr. 68; Ellmer, S. 152; nach Samson/Günther, in SK, § 263 Rdnr. 58 rechtfertigt dieses Ergebnis den Begründungsaufwand nicht; vgl. auch Hillenkamp, Vorsatztat, S. 27 f. 90 Raimund Hassemer, S. 167 (siehe oben); vgl. dazu Arzt, GA 1982,522,523. 91 "Funktion und Bedeutung des Merkmals 'Irrtum' in § 263 StGB", in: GA 1977,289, 296 ff. 92 Herzberg, GA 1977,289,297.
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mindestens den Erfolgsunwert ausschließen würde. Daraus leitet Herzberg die eigentliche Funktion des Irrtums innerhalb des Betrugstatbestandes ab, die nicht darin bestehe, das Subsidiaritätsprinzip zu verwirklichen, sondern "den Fall der mangelfreien Einwilligung in den Vermögensverlust aus dem Tatbestand des vollendeten Betruges auszuscheiden".93 Dementsprechend müssen die Kriterien für die Annahme eines Irrtums im Sinne des § 263 StGB harmonieren mit der Lehre von den Willensmängeln, die einer Einwilligung die unwertausschließende Wirkung nehmen. Deshalb liege ein Irrtum dann nicht vor, wenn die vom Getäuschten vorgenommene Vermögensverfügung bei einem anderen Vermögensdelikt in einer vergleichbaren Fallage trotz der Zweifel eine wirksame Einwilligung darstellen würde. 94 So bleibe etwa auch derjenige vom § 246 StGB geschützt, der dem Unterschlagenden trotz etwaiger Zweifel an dessen Ehrlichkeit Vermögensgegenstände zur Aufbewahrung anvertraut habe. Nichts anderes könne gelten, wenn der Tater den Vermögensverlust bei gleichen Zweifeln des Opfers bereits auf betrügerische Weise herbeigeführt habe. Denn eine Straffreiheit aufgrund einer abweichenden Interpretation des Irrtumsbegriffs in § 263 StGB würde zu Wertungswidersprüchen innerhalb des Vermögensschutzes führen. 95 Die von Herzberg geforderte "Harmonisierung" soll aber darauf beschränkt bleiben, daß eine als Einwilligung unwirksame Fehlvorstellung nicht als zutreffende Vorstellung beim Betrug angesehen werden dürfe; beim Fehlen einer wirksamen Einwilligung dürfe hingegen nicht notwendig auch ein Irrtum angenommen werden. 96
b) Kritik an der Einwilligungslehre Herzbergs Die Auffassung Herzbergs hat im Schrifttum keine weiteren Anhänger gefunden. 97 Seiner Argumentation ist zwar einerseits zuzugeben, daß es wenig einleuchtend erscheint, bei einer Eigenschädigung durch das verfügende Opfer einen Betrug anzunehmen, wenn das Verhalten des Opfers im Falle einer korrespondierenden Fremdschädigung als wirksame Einwilligung anzusehen wäre. Eine andere Behandlung des Zweifels ist insofern auch unter Berücksichtigung der bestehenden Unterschiede nur schwer verständlich zu machen. 98 Auch erweist sich der Grundansatz Herzbergs insofern als zutreffend, als daß zwischen einverständlicher Fremdschädigung und Selbstschädigung tatsächlich eine Parallele besteht: In beiden Fällen verursacht das Opfer aufgrund eines Irrtums die Schädigung. Sieht man nun in § 263 StGB einen speziell geregelten Fall der Strafbarkeit der Mitwirkung an einer Selbstverletzung, so liegt es in der Tat nahe, den Irrtum als Tatbestands93
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Herzberg, GA 1977,289,296 f.; vgl. dazu auch Hillenkamp, Vorsatztat, S. 30 ff. Herzberg, GA 1977, 289, 296. Herzberg, GA 1977, 289, 296 f. Herzberg, GA 1977,289,298. Eine Ausnahme bildet lediglich die knappe Rezension von Röhmel, JA 1977,584,585. So Frisch, Bockelmann-FS, S. 647, 653; Lackner, in LK, § 263 Rdm. 80 Fn. 134.
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C. Vorschläge einer Betrugsrestriktion auf der Tatbestandsebene
merkmal beim Betrug und als relevanten Willensmangel bei der Einwilligung parallel zu behandeln. 99 Allerdings ist der Versuch Herzbergs, die Lehre von den Willensmängeln bei der Einwilligung über eine systematische Auslegung für die nähere Bestimmung des Irrtumsmerkmals fruchtbar zu machen, als problematisch anzusehen, weil die beiden zueinander in Beziehung gebrachten Rechtslagen auf verschiedenen Ebenen liegen und insofern Unvergleichbares miteinander verglichen wird. lOo Der unter Zweifeln Verfügende zweifelt nicht an der Tatsache der Verfügung, sondern an der Richtigkeit der ihn motivierenden Vorstellung. Insofern stellt Herzberg bei der Einwilligung auf einen Motivirrtum ab, während sich der Irrtum im Sinne des § 263 StGB aber auf das Rechtsgut bezieht. Das entspricht etwa der ebenso umstrittenen Konstellation, daß der Eigentümer einer Sache in deren Enteignung tatsächlich einwilligt und dabei nicht sicher weiß, ob die ihn motivierende Vorstellung zutreffend ist. 101 Dieser Kritik hält Krack zwar entgegen, daß sie sich nur auf den von Herzberg gebildeten Beispielsfall beziehe, während seine Ausführungen im übrigen sehr wohl auf den rechtsgutbezogenen Irrtum abstellen 102 ; allerdings weist er zutreffend darauf hin, daß in der Dogmatik zu den Wirksarnkeitsvoraussetzungen einer Einwilligung das Problem der mit Zweifeln behafteten Fehlvorstellung nicht behandelt und erst recht nicht gelöst sei. Aufgrund der fälschlichen Annahme, die Frage der Intensität der Fehlvorstellung bei der Einwilligung sei eindeutig geklärt, hält er die von Herzberg vertretene Parallele zur Einwilligung bei den sonstigen Vermögensdelikten zu Recht für nicht stichhaltig. 103 Schon aufgrund dieser Einwände an der sog. Einwilligungstheorie kann auch dem Vorschlag von Herzberg nicht gefolgt werden. Darüber hinaus erweisen sich aber auch die einzelnen Voraussetzungen einer wirksamen Einwilligung als unpassend, wie etwa das Erfordernis einer bestimmten Einwilligungsfähigkeit. 104 Auch Vertreter des viktimo-dogmatischen Ansatzes äußern sich kritisch zu dem der herrschenden Betrugsdogmatik nahestehenden Vorschlag Herzbergs. So ist etwa R. Hassemer der Ansicht, daß der "enge sachlich-systematische Zusammenhang" zwischen dem Irrtumsmerkmal des Betrugstatbestandes und der EinwilliKrack, S. 40. Samson, in SK, § 263 Rdnr. 56; Maurach/Schroeder/Maiwald, § 4111 Rdnr. 62; Lackner, in LK, § 263 Rdnr. 80 Fn. 134; Kurth, S. 140 f.; Ellmer, S. 153; vgl. auch Raimund Hassemer, S. 124 f.; kritisch zu diesem Einwand aber Seier, S. 277. 101 Samson, in SK, § 263 Rdnr. 56; Maurach/Schroeder/Maiwald, § 4111 Rdnr. 62. 102 Krack, S. 41 Fn. 107; vgl. dazu auch Hillenkamp, S. 30 Fn. 46. 103 Krack, S. 40 mit Nachweisen auf die Einwilligungslehre. 104 So Frisch, Bockelmann-FS, S. 647, 653 ("schlicht fehl am Platze"); insgesamt bescheinigt er dem Ansatz Herzbergs eine nur sehr begrenzte Brauchbarkeit, da zwar einige problemlose Fälle aus dem Irrtumsmerkmal ausgeschieden würden, es aber offen gelassen werde, welche Fälle positiv unter diesen Begriff fallen sollen. Vgl. dazu auch Hillenkamp, Vorsatztat, S. 32. 99
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III. Tatbestandsbeschränkungen durch die Abschichtung einfacher Täuschungen
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gungsproblematik bei anderen Vermögensdelikten zumindest in der von Herzberg vorausgesetzten Form nicht gegeben sei. Er hält es für "unerfindlich", warum der Gesetzgeber das Merkmal des Irrtums ausgerechnet beim Betrug und nicht z. B. auch beim Diebstahl in den Tatbestand aufgenommen und auch noch die irreführende Bezeichnung "Irrtum" statt "Einwilligung" gewählt habe. 105 Weitergehend sieht Schünemann in Herzbergs Parallele zur rechtfertigenden Einwilligung eine "verfehlte Lozierung der kriminalpolitischen Probleme im Rechtsgutsbegriff'. Die direkte Ableitung der Strafbarkeit aus der Rechtswidrigkeit verdeutliche exemplarisch das starre Festhalten der herrschenden Betrugsdogmatik an einem einseitigen Rechtsgutdenken. Dadurch verschütte sie die Ansatzpunkte für eine sinnvolle Kriminalpolitik, "die erst die systematische Berücksichtigung der Strafbedürftigkeit bei der Tatbestandsauslegung bietet". 106
5. Abschließende Stellungnahme
Damit hat sich im Ergebnis der Irrtum als ungeeignetes Mittel zur tatbestandlichen Berücksichtigung eines etwaigen Opfermitverschuldens erwiesen. Die Auffassungen, die den Zweifel nicht oder nur unter bestimmten Voraussetzungen als vom Irrtumsbegriff erfaßt ansehen, haben bisher keine überzeugende dogmatische Begründung für die Straflosigkeit des Tauschenden erbracht. Die vorgeschlagenen Kriterien zur Einschränkung des Betrugstatbestandes sind wenig praktikabel; insbesondere das Kriterium des "konkreten Anhaltspunktes für die Zweifel" ist als zu unbestimmt abzulehnen. Diesen Ansichten wird außerdem zu Recht vorgehalten, daß die Mitverantwortung eines Opfers, daß trotz Zweifeln an dem Vorbringen des Taters verfügt, kaum größer ist als die eines Opfers, das so leichtgläubig und gedankenlos ist, daß es nicht einmal zweifelt. Zu berücksichtigen ist außerdem, daß gerade wirtschaftliche Entscheidungen häufig aufgrund bloßer Wahrscheinlichkeits- oder auch nur Möglichkeitsvorstellungen getroffen werden; auch hierfür ist der Schutz des Betrugstatbestandes aber unentbehrlich. 107
III. Tatbestandsbeschränkungen durch die Abschichtung einfacher Täuschungen
Eine andere Gruppe viktimo-dogmatischer Tatbestandsbeschränkungen versucht, den Gedanken der Opfermitverantwortung durch die Abschichtung einfa105 Raimund Hassemer; S. 123 f.; ihm folgend Kurth, S. 120 Fn. 2; vgl. auch Beulke, JR 1978, 390, der die "neue Lehre" durch Herzbergs Einwände nicht als widerlegt ansieht, da die Parallele zur Einwilligung nur zeige, wie wenig die Auswirkungen des Opferverhaltens in der Strafrechtsdogmatik bisher erforscht seien. 106 Schünemann, Bockelmann-FS, S. 117, 131. 107 Ebenso Maurach/ Schroeder; 6. Auflage, S. 409; vgl. dazu auch Amelung, GA 1977, 1,7.
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C. Vorschläge einer Betrugsrestriktion auf der Tatbestandsebene
eher Täuschungen aus dem strafbaren Betrugsbereich umzusetzen. Trotz dieser gemeinsamen Grundlage haben die einzelnen Ansichten allerdings verschiedene dogmatische Ansatzpunkte. 1. Kausalzusammenhang zwischen liiuschung und Irrtum
Wie bereits ausgeführt, wird sowohl in der Rechtsprechung als auch im Schrifttum betont, daß der ursächliche Zusammenhang zwischen Täuschung und Irrtumserregung - in Übereinstimmung mit der allgemeinen Kausalitätslehre - durch Leichtgläubigkeit, eine mitwirkende Fahrlässigkeit oder ein sonstiges mitwirkendes Verschulden des Getäuschten nicht ausgeschlossen wird. 108 a) Adäquater Ursachenzusammenhang (Naucke) Demgegenüber schlägt Naucke vor, beim Betrugstatbestand nicht auf den "äquivalenten", sondern auf den "adäquaten" Ursachenzusammenhang abzustellen, mithin den Äquivalenz- durch den Adäquanzmaßstab zu ersetzen. 109 Zur Begründung zieht auch er die Subsidiarität des Strafrechts heran, so daß seine Überlegungen den viktimo-dogmatischen Ansätzen nahestehen, ohne sich jedoch ausdrücklich auf die (damals noch wenig bekannte) Viktimologie zu beziehen. Naucke geht davon aus, daß durch das Festhalten an der Äquivalenztheorie und der damit verbundenen Ausweitung des Vermögensschutzes gegen Täuschungen der einzelne aus der Zuständigkeit für den Schutz seines Vermögens entlassen wird. l1O Aufgrund dieser Verringerung des Risikos einer auf Täuschung beruhenden Vermögensminderung bestehe aber die Gefahr, daß der Staat zu einem "luxusartigen Dienst durch das Strafrecht" verpflichtet werde und unnötigerweise "bei denjenigen, denen sie zugute kommt, Anhänglichkeit und Bequemlichkeit" begünstige. 111 Zwar erscheine die dogmatische Annahme, Betrügereien seien unabhängig von dem Intensitätsgrad der Täuschungshandlung zu bestrafen, "zweckmäßig", um "die geschäftlich Hilflosen, die im Rechtsverkehr Unerfahrenen, die leicht zu Täuschenden" zu schützen. Die Kehrseite bestehe jedoch darin, die intellektuelle Hilflosigkeit, die unvollständige Unterrichtung über einfache wirtschaftliche SachverSiehe oben unter B I. "Der Kausalzusanunenhang zwischen Täuschung und Irrtum beim Betrug", in: Festschrift für Karl Peters, Tübingen 1974, S. 109 ff., 118; zustimmend Riegger, Betrug, S. 195 f.; vgl. auch Seelmann, JuS 1982,268,269 f., der es zumindest [Ur erwägenswert hält, bei extremer Leichtgläubigkeit des Getäuschten die adäquate Kausalität zwischen Täuschung und Irrtum zu verneinen, um solche Täuschungen straflos zu lassen, bei denen das Opfer extrem leichtgläubig auf die gelieferte Entscheidungsgrundlage reagiert hat. 110 Zustimmend Kindhiiuser, ZStW 103, 398,405. 111 Naucke, Peters-FS, S. 109, 114 f.; kritisch zu dieser Aussage Krack, S. 65 f. 108
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III. Tatbestandsbeschränkungen durch die Abschichtung einfacher Täuschungen
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halte und die mangelnde Übung im Geschäftsverkehr als unveränderlich hinzunehmen und festzuschreiben. 112 Durch die Bestrafung dessen, der die Ungeübtheit und Unsicherheit der Opfer ausnutze, übernehme das Strafrecht die ihm nicht obliegende Aufgabe, die lästigen Konsequenzen dieses Zustandes erträglich zu machen und geradezu die erforderliche breitgefächerte Ausbildung zu ersetzen. Die Dogmatik des äquivalenten Zusammenhangs zwischen Täuschung und Irrtum füge sich damit in die zunehmend zu beklagende Tendenz ein, Risiken des alltäglichen rechts geschäftlichen Verkehrs mit Hilfe strafrechtlicher Begriffsbildungen abzuwälzen, anstatt sie durch individuelle Vorsorge zu mindern. 113 Außerdem weist Naucke darauf hin, daß bei schwach wirkenden Täuschungen die Selbstschädigung eigentlich nicht mehr auf dem hervorgerufenen Irrtum des Opfers, sondern auf dessen mangelnder Aufmerksamkeit beruhe. Durch die Subsumtion dieser Fälle unter den Betrugstatbestand verlagere man demnach letztendlich den Schutzbereich des § 263 StGB vom reinen Vermögensschutz auf den Schutz der Wahrheit. 114 Die demgegenüber vorzugswürdige Alternative bestehe darin, durch Straflosigkeit bestimmter Fallgruppen die Eigenzuständigkeit hinsichtlich des Schutzes des eigenen Vermögens gegen durchsichtige Täuschungen zu unterstreichen. Das Strafrecht trage so dazu bei, eine umfangreiche "Ausbildung" zu veranlassen und gleiche nicht lediglich die aus ihrem Fehlen resultierenden Nachteile durch strafrechtliche Sanktionen aus. 115 Allerdings hält Naucke eine Betrugsstrafe sehr wohl erforderlich, wenn Torheit und Lebensfremdheit im gegebenen Augenblick nicht zu ändern sind (wie z. B. bei Geisteskranken und Kindem l16) oder wenn andere Mittel ("vom Zivilrecht bis zur gezielten sozialpolitischen Maßnahme") versagt haben. 117 Aufgrund dieser Überlegungen müsse die leicht entdeckbare Täuschung und der leicht vermeidbare Irrtum aus dem Schutzbereich des Betrugstatbestandes herausgenommen werden, um dem potentiellen Opfer wieder einen Bereich der Eigenzuständigkeit für den Schutz seines Vermögens zuzuweisen. Diese Wertungen hält Naucke dogmatisch durch Anwendung der Adäquanzformel umsetzbar, da es nur über den Begriff des Kausalzusammenhangs möglich sei, "den Täuschenden, den zu Täuschenden und die Situation, in der sich heide befinden, zugleich zu betrachten"Ys Dementsprechend fordert Naucke einen adäquaten UrsachenzusammenNaucke, Peters-FS, S. 109, 115. • Naucke, Peters-FS, S. 109, 115 f.; zustimmend Kurth, S. 163; vgl. auch Riegger, S. 196. 114 Naucke, Peters-FS, S. 109, 117; zustimmend Ellmer, S. 158 f. 115 Naucke, Peters-FS, S. 109, 115 f. 116 Zustimmend Riegger, S. 196, der betont, daß sich diese Fallgruppen "mittels der eingeschränkten Auslegung der Täuschungshandlung nur bei adäquatem Zusammenhang befriedigend lösen" lassen. 117 Naucke, Peters-FS, S. 109, 117. 118 Peters-FS, S. 109, 118; ähnlich wie die neueren viktimo-dogmatischen Ansätze erkennt also auch schon Naucke die Vorteile einer interaktionistischen Betrachtungsweise; zustimmend Ellmer, S. 158. 112 113
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C. Vorschläge einer Betrugsrestriktion auf der Tatbestandsebene
hang zwischen Täuschung und Irrtum. 119 Danach sind nur solche Täuschungshandlungen tatbestandsmäßig, die allgemein (d. h. nach objektiven Kriterien) zur Verursachung des Erfolges, also des intendierten Irrtums geeignet sind. Die Feststellung der allgemeinen Eignung habe in einem normativen Verfahren zu erfolgen, das sowohl die Täuschungsintensität als auch die Gründe für die Täuschungsanfälligkeit des Opfers bewerte, so daß nur noch die vom Opfer schwer zu entdeckenden Täuschungen strafbar blieben. Dabei sei aber nicht auf das individuelle Opfer abzustellen, sondern es müsse ein objektiver Maßstab angelegt werden. 120
b) Kritik an der Auffassung Nauckes Die Forderung Nauckes, im Rahmen der Kausalität zwischen Täuschung und irrtum nicht auf den "äquivalenten", sondern auf den "adäquaten" Ursachenzusammenhang abzustellen, ist in der rechtswissenschaftlichen Diskussion weitgehend abgelehnt worden. Seinem Restriktionsvorschlag wird vor allem vorgeworfen, daß er entgegen dem Willen des Gesetzgebers zu einer unangemessenen Verkürzung des Schutzes der Hilflosen, Ungewandten und Lebensfremden führe und diese Personen weitgehend zur Schädigung freigebe. 121 aa) Methodologische Einwände
Bereits in methodologischer Hinsicht kritisiert Hillenkamp an der Konzeption Nauckes (wie auch schon gegenüber der sog. viktimologischen Theorie I22 ), daß sie das Mitverschulden des Betrogenen vom Strafmilderungsgrund zum Tatbestandskorrektiv aufwerte. Mit den unscharfen Begriffen der "Mitverantwortung", der "Mitschuld" und der "Sorglosigkeit im eigenen Vermögensschutz" sieht er hier aber auch eine "bisher 119 Naucke, Peters-FS, S. 109, 118 unter ausdrücklicher Anknüpfung in Fn. 17 an Ganske, Prozeßbetrug und Adäquanz, 1931, S. 45 ff. und Sauer, BT, S. 81, nach dem ebenfalls die generelle Eignung der Tathandlung zur Irrtumserregung und damit die adäquate Kausalität zwischen Täuschung und Irrtum entfallen sollte, wenn sich das Opfer grob leichtsinnig verhalten hat und "sich bei der zu erwartenden Sorgfalt nicht hätte täuschen lassen können"; anders hingegen noch ders. im Jahre 1933, Kriminalsoziologie, S. 402, siehe oben unter A m 3
c).
Naucke, Peters-FS, S. 109, 118 f. Lackner, in LK, § 263 Rdnr. 91; Samson, in SK, § 263 Rdnr. 62; Tröndle, JR 1974, 221, 224; Hillenkamp, Vorsatztat, S. 88 f.; Arzt, LH 3, 1. Auf!. 1978, S. 121 Fn. 4; siehe auch Amelung, GA 1977, 1, 9, Fn. 43 a.E.; Krack, S. 64 ff.; vgl. ferner den Beitrag von H. Schröder, Peters-FS, S. 153, der die Begehung eines Betruges auch durch Behauptung wahrer Tatsachen für möglich hält, um zu gewährleisten, "daß sich im Rechtsverkehr nicht der pfiffigere und in seinen Ausdrucksmitteln gewandtere Täter auf Kosten anderer, ihm unterlegener Menschen bereichert" (S. 159); kritisch dazu Kindhäuser, ZStW 103,398,406. 122 Siehe oben unter C II 3 c) aa). 120
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noch nicht beobachtete Dimension einer Art Lebensführungsschuld", die dem Opfer bis zur Wahrnehmung der erhofften staatlichen Bildungsangebote zugewiesen werde. 123 In Wahrheit benutze Naucke das Vehikel der Adäquanztheorie nur dazu, diese zweifelhaften subjektiven Erwägungen zur Strafwürdigkeit des Opfers in den Betrugstatbestand zu transponieren und damit die gesetzliche Wertung zu ersetzen. Denn durch den Erlaß des PrStGB von 1851 habe der historische Gesetzgeber das leichtgläubige Opfer bewußt in den Betrugstatbestand einbezogen und damit auch solche Opfer für schutzwürdig erklärt, die plumpen Tauschungen erlegen. Da sich aus den Materialien zum StGB für den Norddeutschen Bund keine andere Motivation entnehmen lasse, dürfe man davon ausgehen, daß der heute geltende § 263 StGB mit den Formulierungen des PrStGB auch dessen gesetzgeberische Grundentscheidung übernommen habe, so daß die ,,Diskrepanz der Beurteilung der Strafwürdigkeit ... offen zutage" trete. 124 Außerdem habe der preußische Gesetzgeber die erst um 1886 von von Kries entwickelte Adäquanztheorie 125 nicht vor Augen haben können, so daß auch insoweit die gesetzgeberische Entscheidung mißachtet werde. 126 Diesem Einwand ist jedoch entgegenzuhalten, daß er sich ebenso auf die Äquivalenztheorie ausdehnen läßt, die sich in Deutschland als Problem des Allgemeinen Teils auch erst nach 1851 durchgesetzt hatte. 127 Überdies läßt sich auch der Vorwurf der Mißachtung der gesetzlichen Einbeziehung plumper Tauschungen in den Bereich strafwürdiger Betrugsfalle entkräften. Zwar mag der preußische Gesetzgeber damals mit der Streichung des Begriffes "arglistig" (im Entwurf von 1845) eine bewußte Entscheidung für den Schutz des leichtgläubigen Betrugsopfers getroffen haben. Allerdings waren damals - wie der historische Teil dieser Arbeit gezeigt hat - keineswegs Erwägungen über die Schutzwürdigkeit des leichtgläubigen Betrugsopfers entscheidend. Vielmehr sollte die als notwendig erkannte Einschränkung des Betrugstatbestandes allein mit Hilfe des Tatsachenbegriffs erfolgen, dem man im Gegensatz zu dem als unbestimmt angesehenen Merkmal der Arglist diese Funktion zutraute. Das methodische Vorgehen Nauckes ist aber dennoch schon aus systematischen Erwägungen abzulehnen. Denn formulierte man den Begriff der Kausalität nicht für alle Delikte einheitlich, würde man ihn "deliktsspezifisch zersplittern,,:128 Die 123 So Hillenkamp, Vorsatztat, S. 89 f.; zustimmend ElImer, S. 158; gegen diesen Vorwurf wendet sich aber Kurth, S. 162. 124 Hillenkamp, Vorsatztat, S. 87 f. 125 Vgl. dazu Lenckner, in Schönke/Schröder, Vorbem. §§ 13 ff. Rdnr. 87; lescheck, in LK, vor § 13 Rdnr. 57 und ders. I Weigend, § 28 III. 126 Hillenkamp, Vorsatztat, S. 87. 127 Begründet wurde die Bedingungstheorie in Deutschland insbesondere durch v. Buri, Über Causalität und deren Verantwortung, 1873; sie wurde vom Reichsgericht in ständiger Rechtsprechung vertreten (vgl. nur RGSt 1, 373, 374 sowie 17, 17, 18) und vom BGH übernommen, vgl. BGHSt 1,332,333; siehe auch Schlüchter, JuS 1976,312 Fn. 5; Kurth, S. 159, 17m. w.N. 128 So Kindhäuser, ZStW 103,398,405.
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Kausalität als ein Kriterium mit allgemeiner Gültigkeit kann bei seiner Anwendung in verschiedenen strafrechtlichen Tatbeständen nicht unterschiedlich definiert und ausgelegt werden, ohne sich dem Vorwurf der Willkür und Rechtsunsicherheit auszusetzen. 129 bb) Kriminalpolitische Befürchtungen
Abgesehen von diesen methodischen Bedenken ist aber auch die kriminalpolitische Grundthese Nauckes zu kritisieren, der Betrugstatbestand solle nicht zur Kompensation intellektueller Ungeübtheit, Unsicherheit und Leichtgläubigkeit dienen. Hiergegen ist einzuwenden, daß durch die Ausklammerung der für einen wirtschaftlich erfahrenen und kritisch abwägenden Menschen leicht zu durchschauenden Tauschungen auch solche Opfer den strafrechtlichen Schutz einbüßen, deren Verhalten nicht auf intellektuellen Schwächen beruht. Denn die Opferkunde zeigt, daß gerade auch sogenannte "Intellektuelle" oder "Geschäftserfahrene" auf relativ leicht durchschaubare Tauschungen hereinfallen. 130 Häufig beruht der Erfolg von Betrügereien weniger auf intellektuellen Mängeln als vielmehr darauf, daß das Opfer gar nicht erst kritisch oder sogar mißtrauisch wird aufgrund von bewußtseinsdominanten Emotionen, Bedürfnissen oder sonstigen verstandesmäßig nicht steuerbaren Verhaltenskonstitutionen, die die Aufmerksamkeit des Opfers trüben und deshalb vom Tauschenden ausgenutzt werden. 13l Versagt man aber auch in diesen Fällen den Opfern den Schutz des Betrugstatbestandes, impliziert dies oft ein negatives Werturteil, letztendlich sogar eine Zensur des Strafrechts im Hinblick auf deren Emotionen und Bedürfnisse, fördert aber nicht die von Naucke angestrebte Verbesserung der Bildungschancen. 132 In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, daß freilich auch schon die Zuversicht Nauckes nicht geteilt werden kann, die Entziehung des Strafrechts schutzes für Unerfahrene, Lebensfremde und Toren führe zu umfangreichen staatlichen Bildungsrnaßnahmen, die erfolgreich die AnfaIligkeit für Übertölpelungen durch betrügerische Machenschaften herab setzen. 133 129 Einen ähnlichen Einwand vertritt auch Ellmer; S. 157 f., der in dem methodischen Vorgehen Nauckes, die Adäquanzformel nur in einem speziellen Fall anzuwenden, ansonsten aber auf die Äquivalenztheorie abzustellen, einen Verstoß gegen das Gesetz der logischen Stabilität erblickt. 130 Ebenso Arzt/Weber; Lehrbuch, § 20 Rdnr. 2; Krack, S. 64 f.; Kurth, S. 164; Tröndle, JR 1974,221,224. 131 Darauf hat insbesondere schon Amelung, GA 1977, 1, 9 f. hingewiesen unter Berufung auf Ehrlich, Betriiger und ihre Opfer, Hamburg 1967, S. 16 ff.; v. Hentig, Zur Psychologie der Einzeldelikte, Band III, Der Betrug, Tübingen 1957, S. 193 f.; Lenz, Der Betrogene, Diss. Mainz 1960, S. 108, 134 ff.; Daniels, Die Opfer des Betruges, Diss. Freiburg i. Br. 1950, S. 41 ff. 132 Tröndle, JR 1974,221,224; Hillenkamp, Vorsatztat, S. 88; vgl. dazu aber auch Kurth, 163 f.
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Darüber hinaus ist zu bezweifeln, ob die Adäquanzforrnel die ihr von Naucke zugewiesene Funktion überhaupt erfüllen kann. Denn die Realität zeigt, daß plumpe, grobschlächtige, leicht durchschaubare Tauschungen sehr wohl generell zur Erregung eines Irrtums geeignet sind. Dabei entspricht es gerade der allgemeinen Lebenserfahrung, daß Vermögensschäden trotz zur Verfügung stehender, aber nicht wahrgenommener Schutzmöglichkeiten des Opfers herbeigeführt werden. Auch gehört die bewußte Ausnutzung intellektueller Mängel in gleicher Weise zur Adäquanz des Betruges, so daß auch die Vortäuschung überirdischer Kräfte oder die unglaublichsten Behauptungen zur Anpreisung kosmetischer Mittel noch den Tatbestand des § 263 StGB erfüllen. 134 Ergänzend ist darauf hinzuweisen, daß Betrugstäter in der Regel die Art und Intensität ihres täuschenden Vorgehens von der vorhandenen Abwehrbereitschaft des Opfers abhängig machen. Insofern kann man "die" sozialinadäquate Tauschung noch nicht einmal kasuistisch erfassen, so daß die kriminalpolitische Praktikabilität der von Naucke vorgenommenen Abgrenzung insgesamt in Frage zu stellen ist. 135 Sein Ansatz ist deshalb abzulehnen. cc) Weitere kritische Stimmen
Zusätzlich rechnen Nauckes Gegner mit ähnlichen gesellschaftlichen Auswirkungen wie die Kritiker des viktimologischen Ansatzes. 136 So meint Tröndle, die vorgeschlagene Restriktion weise nicht nur einen Mangel an Menschenfreundlichkeit auf, sondern widerspreche auch dem Gerechtigkeitsempfinden des einfachen Mannes. Betriigerische Geschäftemacher werden die nun risikolose Jagd auf die "geistig Unterprivilegierten" verstärken und selbst noch während eines etwaigen Strafverfahrens versuchen, ihren "Trick" als besonders plump darzustellen. Im relativ wahrscheinlichen Falle eines Freispruches müßte das Betrugsopfer dann außer dem erlittenen Schaden auch noch den Spott ertragen. Dies führe wiederum zu einem weiteren Rückgang der Bereitschaft zur Erstattung einer Strafanzeige. 137 Samson befürchtet außerdem, der eigentlich von einem libe133 So auch Müller-Christmann, JuS 1988, 108, 111; Tröndle, JR 1974,221,224 ("schöne und sozialeuphorische", aber "fern der Wirklichkeit" liegende Erwartung); ihm zustimmend Blei, JA 1974,681, 684 f. (,,irreale Hoffnung"); vgl. aber Hillenlwmp, Vorsatztat, S. 90, der die erzieherischen Effekte für durchaus diskutabel und beachtenswert hält; auch Zipf, MSchrKrim 53 (1970), 1,6 meint, daß durch die Vermittlung wirtschaftlicher Zusammenhänge die Betrugsmethoden nicht nur immer raffinierter sein müssen, sondern auch viele Täter aus dem "Wettbewerb" gedrängt werden, da die meisten Betriiger es schwer hätten, vor allem im Hinblick auf die betriigerischen Machenschaften von Vertretern. 134 Müller-Christmann, JuS 1988, 108, 111; Kurth, S. 159, 164 f.; Maeck, S. 42; Maurach/Schroeder, 6. Auflage, S. 408; Hillenkamp, Vorsatztat, S. 87, 147; Nauckes Adäquanzlösung wird aber insoweit verteidigt von Ellmer, S. 157. 135 So auch Kindhäuser, ZStW 103,398,405. 136 Siehe oben unter C 11 3 c). 137 Tröndle, JR 1974, 221, 224; zustimmend Blei, BT, S. 226 f.; vgl. auch Hillenkamp, S. 90 sowie bereits Zirpins, in HWBdK, Band 1, Berlin 1966, S. 81 ff.; Ehrlich, S. 46; v. Hentig, S. 2.
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ralen Ansatzpunkt ausgehende Vorschlag Nauckes führe dazu, daß die erforderliche umfassende Aufklärung durch Massenmedien demjenigen den strafrechtlichen Schutz entzieht, der sich im Gegensatz zur Mehrheit der Bevölkerung nicht über die Techniken des Betruges informiert. Damit laufe der Vorschlag Nauckes letztendlich auf die Pflicht des einzelnen hinaus, sich "anderweitige und vielfach problematische, wenngleich fürsorglich gemeinte Information" zu verschaffen. 138 Auch R. Hassemer 139 beklagt die "sozialdarwinistische" Tendenz der Bemühungen Nauckes, leicht zu durchschauende Täuschungen aus der Betrugsstrafbarkeit herauszunehmen, da gerade die Opfer einer derartigen Täuschungshandlung besonders schutzbedürftig sein können. Dieser Kritik an Nauckes Konzeption hält Kurth entgegen, daß die Intentionen verkannt werden, potentielle Betrugsopfer zu größerer Eigenverantwortlichkeit zu erziehen, indem das Schlagwort vom "mündigen Bürger" ernst genommen wird. 14o Denn Naucke wolle nicht Emotionen und Bedürfnisse zensieren, sondern verlange vom Betrugsopfer zumindest den Versuch, Empfindungen und Wünsche im gegebenen Augenblick zu zügeln. Wolle das Betrugsopfer seine Bedürfnisse aber nicht im Zaum halten, was ihm keiner verbiete, so soll es seiner eigenen Initiative im Sinne des Prinzips der wirtschaftlichen Eigenverantwortung überlassen bleiben, zivilrechtlich den Schaden wieder ersetzt zu bekommen. 2. Beschränkung durch die Lehre vom Schutzzweck der Norm
Kurth teilt also die grundsätzlichen Überlegungen der Ansicht von Naucke, versucht jedoch, die Betrugsstrafbarkeit von einem anderen dogmatischen Standort aus einzuschränken. a) Die Auffassung von Kurth Kurth geht davon aus, daß sich bei einer leicht durchschaubaren Täuschung in der Irrtumsentstehung nicht das durch § 263 StGB rechtlich mißbilligte Risiko realisiert und somit der Schutzzweck der Norm nicht eingreift. 141 Zwar befürwortet er grundsätzlich das von Naucke verfolgte Ziel, im Rahmen bestimmter Fallgruppen die Betrugsstrafbarkeit einzuschränken. Allerdings stimmt er der Kritik zu, daß die Anwendung der Adäquanztheorie ungeeignet ist, dieses Ergebnis zu erreichen und bemängelt zudem, daß sie den "normativ zu bestimmenden funktionalen Zusammenhang" vernachlässigt. 142 Samson, in SK, § 263 Rdnr. 62; siehe auch Hillenkamp, Vorsatztat, S. 90. Raimund Hassemer; S. 155. 140 "Das Mitverschulden des Opfers beim Betrug", Frankfurt am Main 1984, S. 163 f. unter Hinweis auf OLG Hamburg, NJW 1980, 2593, 2594; Peters, Schrnidt-FS, S. 496 Fn. 22 a.E. 141 Ähnlich bereits die (knappen) Überlegungen von Seelmann, JuS 1982,268,270. 142 Kurth, S. 167 f. 138 139
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Als geeigneteres Haftungskorrektiv zieht er statt dessen die Lehre vom Schutzzweck der Norm heran, die gegenüber der zu verallgemeinernden, schematischen Betrachtungsweise der Adäquanzlehre den Vorzug einer am konkreten Normzweck ausgerichteten, individualisierenden und damit präziseren Betrachtungsweise biete. 143 Bereits im Rahmen der objektiven Zurechnung sei der durch das Verhalten des Taters im Sinne der Bedingungstheorie verursachte Erfolg diesem nur dann zuzurechnen, wenn seine Handlung eine rechtlich mißbilligte Gefahr des Erfolgseintritts geschaffen und sich diese auch in dem konkreten Geschehen realisiert hat. 144 Dariiber hinaus müsse nach der Lehre vom Schutzzweck der Norm als "verfeinertem Korrektiv der objektiven Zurechnung" das erfolgsverursachende Verhalten auch noch in den Schutzbereich der verletzten strafrechtlichen Norm fallen. 145 Zur somit erforderlichen Ermittlung des Schutzbereichs des Betrugstatbestandes stützt sich Kurth dann hauptsächlich auf zwei grundlegende Kriterien: Zum einen zieht er den fragmentarischen Charakter des strafrechtlichen Vermögensschutzes heran, demzufolge nicht jede vorsätzliche Vermögensverletzung bestraft werden müsse, da ein umfassender Vermögensschutz in erster Linie Aufgabe des Privatund Vollstreckungsrechts sei. Man könne nicht die Aufgabe des Strafrechts - und schon gar nicht des Betrugstatbestandes - darin sehen, jedem denkbaren Risiko Rechnung zu tragen. Dies gelte um so mehr, wenn dieses Risiko in der eigenen Person begründet sei. l46 Andererseits rekurriert Kurth auf die Subsidiarität des Strafrechts, das die schärfste Reaktion der Rechtsgemeinschaft auf rechtswidriges Verhalten darstelle und deshalb nur als ultima ratio eingesetzt werden dürfe. So hält er den strafrechtlichen Schutz für entbehrlich, wenn der entstandene Schaden durch zivilrechtliche Ansprüche auszugleichen ist. Eine staatliche Verpflichtung zur Hilfestellung bestehe dann nur noch im Hinblick auf die Ermittlung des Taters, damit das Opfer seine Ersatzansprüche auch durchsetzen könne. Gerade wenn der Betrogene über zumutbare Möglichkeiten des Selbstschutzes verfüge, gebiete es das Subsidiaritätsprinzip und das Prinzip der wirtschaftlichen Eigenverantwortlichkeit, den strafrechtlichen Schutz zu verneinen. 147 Anhand des "normativ zu bestimmenden funktionalen Zusammenhanges" bildet Kurth dann einen (nicht abschließenden) Katalog von vier Fallgruppen, die aufgrund der Berücksichtigung des fragmentarischen und subsidiären Charakters des Strafrechts nicht nach § 263 StGB bestraft werden sollten, namentlich ,,(Kalkuliertes) Risiko- bzw. Spekulationsgeschäft", "Mitverschulden eines Kaufmanns bei Handelsgeschäften", "Mißbrauch von Kredit- oder Scheckkarte" sowie "Fälle der Kurth. S. 171, 173. Lenckner; in Schönke/Schröder; Vorbem. §§ 13 ff. Rdnr. 95; Wesselsl Beulke. Rdnr. 80; Maurach/Zipf, § 18 III Rdnr. 49; Rudolphi. in SK. vor § 1 Rdnr. 57; Jescheck. in LK. vor § 13 Rdnr. 59; ders.! Weigend. § 28 IV; alle m. w. N. 145 Kurth, S. 171 f. 146 Kurth. S. 177 f. mit Bezug auf Mohrbotter, GA 1975,41,52; Lenckner; JZ 1971,320, 324. 147 Kurth. S. 178 f. 143
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C. Vorschläge einer Betrugsrestriktion auf der Tatbestandsebene
Bequemlichkeit", in denen das Opfer eine einfache und zumutbare Aufklärungsmöglichkeit aus Trägheit nicht wahrnimmt. Bei diesen Konstellationen habe sich nicht das durch den Tatbestand des Betruges rechtlich mißbilligte Risiko, sondern die vom Opfer durch seine eigene Nachlässigkeit zu verantwortende Gefahr verwirklicht, einem entsprechenden Irrtum zu unterliegen. Kurth zufolge sind diese Fallgruppen deshalb nicht mehr vom Schutzzweck des Betrugstatbestandes umfaßt. 148 Gleichzeitig ist Kurth aber auch darauf bedacht, keine kriminalpolitisch unerträglichen Anreize zur Ausnutzung menschlicher Schwächen zu setzen. Deshalb müsse auch innerhalb der von ihm aufgeführten Fallgruppen eine Bestrafung wegen Betruges erfolgen, wenn der betroffene Personenkreis gerade als besonders schutzwürdig und -bedürftig anzusehen sei, wie etwa Minderjährige, Geisteskranke, ältere Menschen und "sonstige Opfer mit nicht änderbarer Kritikschwäche". Außerdem betont Kurth, daß man nicht jedem Betrugsopfer aufgrund eines etwaigen Mitverschuldens undifferenziert den strafrechtlichen Schutz entziehen könne, sondern dies auf bestimmte typische Fallgruppen beschränken müsse. 149
b) Kritik an der Ansicht von Kurth Der von Kurth vorgeschlagene Lösungsansatz ist vor allem von Ellmer kritisiert worden. 150 Seiner Ansicht nach beruht die Behauptung, die objektive Zurechnung sei im Rahmen der von Kurth gebildeten Fallgruppen zu verneinen, weil sich im Erfolg die Sorglosigkeit des Opfers und nicht die Vorspiegelungen des Täters realisiert habe, auf einer unzulässigen Übergewichtung des Opferverhaltens. Denn sie setze eine nicht bestehende Dominanz des regelmäßig auf Fahrlässigkeit beruhenden Mitverschuldens des Betrogenen gegenüber der vorsätzlichen Täuschung des Täters voraus. Diese fehlerhafte Bewertung stehe auch nicht im Einklang mit der von Kurth bemühten Lehre vom Schutzzweck der Norm. 151 Zwar ist Ellmer zuzugeben, daß diese Lehre die objektive Zurechnung nur dann entfallen läßt, wenn der Verursachungsbeitrag des Täters in einen völlig atypischen Geschehensablauf mündet oder bloß eine untergeordnete Bedeutung hat, wie etwa bei der Förderung einer fremden Selbstverletzung durch ein freies und voll verantwortliches Handeln des Verletzten, weil der Erfolg allein der Risikosphäre des Opfers zuzurechnen sei. 152 Andererseits liegt jedenfalls in einigen von Kurth aufgezählten Fallgruppen - z. B. bei Risikogeschäften - ein sehr deutliches Übergewicht des Opferverhaltens vor, auch wenn sich dies nicht als absolute Dominanz einordKunh, S. 183 ff.; vgl. auch S. 244 f. Kunh, S. 179 f., 245. 150 Ellmer; S. 161 ff.; vgl. aber auch Krack, S. 67 f. 151 EI/mer; S. 162 f. 152 Vgl. dazu nur Wesseis I Beulke, Rdnr. 182; Jescheck/Weigend, § 28 IV, S. 288 m. w. N. 148
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111. Tatbestandsbeschränkungen durch die Abschichtung einfacher Tauschungen
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nen läßt. Insofern besteht eine gewisse Parallele, aufgrund der man tatsächlich in Erwägung ziehen kann, die objektive Zurechnung zu verneinen. Trotzdem ist freilich sein Ansatz abzulehnen, da Kurth - ähnlich wie auch schon Naucke l53 - unzulässigerweise versucht, ein deliktsspezifisches Problem des Besonderen Teils mit Hilfe des verallgemeinernden dogmatischen Instruments der objektiven Zurechnung zu lösen. Die Aufgabe dieser aus dem Allgemeinen Teil stammenden Lehre besteht jedoch nur in der Entwicklung genereller Zurechnungskriterien, während sie zur Festlegung ganz spezifischer Tatbestandsbereiche nicht imstande ist. Insofern läßt sich die Problematik, wie einfache Täuschungen im Rahmen des Betrugstatbestandes zu behandeln sind, nur durch eine präzise Auslegung der einzelnen Tatbestandsmerkmale lösen. 154 Zudem liegt die von Kurth geleugnete objektive Zurechnung des Irrtums sowohl bei einfachen als auch bei schwer durchschaubaren Täuschungsmanövern vor. Denn der Täter begründet jeweils eine Gefahr des Erfolgseintritts, die sich in der beim Adressaten hervorgerufenen Fehlvorstellung realisiert. Zwischen diesen beiden Begehungsweisen existiert aber kein derartiger qualitativer Unterschied, der es rechtfertigen könnte, die vom Wortlaut des Betrugstatbestandes erfaßten einfachen Täuschungen aus der Strafbarkeit auszunehmen. Insofern bleibt Kurth auch den Nachweis schuldig, warum der fragmentarische und subsidiäre Charakter des Strafrechtes nicht auch dazu führen soll, Opfer von schwer durchschaubaren Täuschungen auf den Zivilrechtsweg zu verweisen. ISS Darüber hinaus setzt das von Kurth herangezogene Kriterium der objektiven Zurechnung nicht nur die Schaffung einer Gefahr des Erfolgseintritts, sondern auch dessen rechtliche Mißbilligung voraus. 156 Bei einem Mitverschulden des Betrugsopfers ergibt sich aber schon aus den Regelungen der §§ 123,826 BGB, daß der Täter durchaus ein rechtlich mißbilligtes Risiko geschaffen hat. 157
3. Restriktionen im Bereich der Tciuschungshandlung
Während im 19. Jahrhundert die Problematik fast ausschließlich anband des Kriteriums einer "arglistigen" oder "qualifizierten" Täuschungshandlung diskutiert wurde, finden sich im Schrifttum seit dem Erlaß des PrStGB kaum noch Auffassungen, die die Täuschungseignung der vorgebrachten Behauptungen in Rechnung Siehe oben unter C III b) aa). Ellmer, S. 161 ff.; vgl. dazu aber auch Krack, S. 67, 68 Fn. 211, der meint, daß diese formelle Kritik wenig hilfreich ist und die materiellen Überlegungen Kurths nicht zu entkräften vermag. 155 So auch Krack, S. 67. 156 Rudolphi, in SK, vor § 1 Rdnr. 57; Jescheck/Weigend, § 28 IV S. 287; Maurach/Zipf, § 18 III B Rdnr. 49. 157 So auch Ellmer, S. 162 mit dem zutreffenden Hinweis, daß zur Beurteilung der Rechtswidrigkeit die gesamte Rechtsordnung heranzuziehen ist. 153
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C. Vorschläge einer Betrugsrestriktion auf der Tatbestandsebene
stellen wollen und das Problem des Opfennitverschuldens ausschließlich auf eine besondere Qualifikation der Täuschungshandlung beschränken, um besonders plumpe Vorspiegelungen aus dem strafbaren Bereich des § 263 StGB herauszunehmen. a) Ansicht der herrschenden Betrugsdogmatik Nach ganz h.M. ist das Merkmal der Täuschungshandlung nicht auf geschickte oder listige Verhaltensweisen beschränkt. Vielmehr erfaßt es auch besonders plumpe, sehr leicht durchschaubare oder gar auf den ersten Blick als abwegig erkennbare Täuschungsmanöver. Auch die noch so unwahrscheinliche, absurde Behauptung von Tatsachen, die logisch oder naturwissenschaftlich nicht nachvollziehbar oder sogar unmöglich sind, wird als taugliche Täuschungshandlung angesehen, wie z. B. die Behauptung, ein Gerät schütze vor Erdstrahlen, der Behauptende besitze übernatiirliche Kräfte, die Fähigkeit zum Wahrsagen oder könne den Teufel austreiben. 15S Dabei wird teilweise noch unterstrichen, daß es zur Annahme einer betrugsrelevanten Täuschungshandlung keiner besonderer Maßnahmen zur Wahrheitsverdeckung - d. h. manreuvres frauduleuses im Sinne des französischen Rechts - bedürfe. 159
b) Tatbestandseinschränkung bei unberechtigtem Vertrauen (Ellmer) Zu den nur vereinzelt nachzuweisenden Stimmen, die eine Restriktion im Bereich der Täuschungshandlung vornehmen, gehört vor allem Ellmer. 160 Seine Konzeption knüpft an den Ausgangspunkt von Naucke an und hat es ebenfalls zum Ziel, plumpe Täuschungshandlungen aus dem strafbaren Bereich des § 263 StGB auszuklammern. Ellmer erachtet jedoch das von Naucke gewählte Kriterium der adäquaten Kausalität als unzureichend und stellt statt dessen dem Tatmittel der Lüge auf der Täterseite das schutzwürdige Vertrauen des Opfers gegenüber. Von diesem Ansatz aus verneint er eine tatbestandsmäßige Täuschung, wenn diese nach der individuelle Opferperspektive auf grober Fahrlässigkeit beruht. 161 Ellmer geht davon aus, daß "das Wesen des Betruges in der Täuschung fremden Vertrauens" liegt, das irrtumsbedingt zu einem Vermögensschaden führt. Während der Täter ei158 Vgl. LG Mannheim, NJW 1993, 1488, 1489 mit Bspr. Loos/Krack, JuS 1995,204; BayObLG, NJW 1994, 208 mit Bspr. Hilgendorf, JuS 1994,466, 467; BGH, wistra 1987, 255,256; RG, HRR 1926, Nr. 199; JW 1916, 1200; LZ 1915, 1530; Samson, in SK, § 263 Rdnr. 19 und in JA 1978,469,471; Lockner; in LK, § 263 Rdnr. 16; Müller-Christmann, JuS 1988, 108, 110. 159 So Lackner; in LK, § 263 Rdnr. 17; vgl. zum ganzen auch Kurth, S. 102 f. m. w. N. 160 "Betrug und Opfennitverantwortung", Strafrechtliche Abhandlungen, Band 57, Berlin 1986; diese Untersuchung stellt zugleich seine von Arzt betreute Dissertation dar. 161 Ellmer; S. 282 ff.
III. Tatbestandsbeschränkungen durch die Abschichtung einfacher Täuschungen
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ner Untreue eine ihm bereits eingeräumte Vertrauensstellung ausnutze, mißbrauche der Betrüger typischerweise eine erst von ihm geschaffene Vertrauenssituation. Allerdings bestehe die strafrechtliche Funktion des Betrugstatbestandes darin, nur berechtigtes, nicht aber jegliches Vertrauen in die Behauptungen anderer Personen zu schützen. 162 Eine insofern die Täuschungshandlung kennzeichnende Enttäuschung schutzwürdigen Vertrauens fehle, wenn sich das Opfer blind auf die Aussagen des Betrugstäters verlasse, obwohl nach den konkreten Umständen ein berechtigtes Mißtrauen angebracht sei. Hier bestehe für das Opfer die "Obliegenheit zu Aufmerksamkeit und Kontrolle": Es habe Nachforschungen anzustellen und zumutbare Selbstschutzmaßnahmen zu ergreifen. Komme es diesen Pflichten nicht nach, führe dies zur Einschränkung des Betrugstatbestandes in Anknüpfung an den besonders im Bereich der Fahrlässigkeits- und der unechten Unterlassungsdelikte verbreiteten Vertrauensgrundsatz. 163 Danach sind nur solche Täuschungshandlungen tatbestandsmäßig, die einen bestimmten Grad an konkreter Gefährlichkeit aufweisen. Dies sei zu verneinen, wenn der Irrtum auf grober Fahrlässigkeit beruhe. Dabei sei ein subjektiver Maßstab anzulegen, so daß ein die Täuschung ausschließendes Opfermitverschulden nur dann vorliege, wenn das Opfer unter Berücksichtigung seiner individuellen Kenntnisse und konkreten Fähigkeiten in der Lage gewesen wäre, den Irrtum zu vermeiden. 164 c) Weitere Forderungen nach einer besonderen Qualifikation der Täuschungsmittel Ähnlich wie Ellmer schlägt auch Arzt vor, nicht jede Täuschung, sondern nur eine schwer durchschaubare, listige Täuschung ausreichen zu lassen. 165 Ihm zufolge läuft die Forderung, die Täuschungshandlung einzuschränken, der Sache nach auf eine Übernahme des Zustandes im schweizerischen Recht hinaus, für das "der Ausschluß der strafrechtlichen Haftung des täuschenden Täters bei Mitverschulden (!) des Opfers wegen dessen Verstoßes gegen das Selbstverantwortungsprinzip keine neue Erkenntnis" iSt. 166 Vielmehr solle nach Ansicht des schweizerischen Bundesgerichts deIjenige nicht den Strafrichter anrufen, der "allzu leichtgläubig auf eine Lüge hereinfällt, wo er sich mit einem Mindestmaß an Aufmerksamkeit durch Überprüfung der falschen Angaben selbst hätte schützen können". 167 Ellmer, S. 271 ff. Ellmer, S. 276 ff. 164 Ellmer, S. 282 ff.; damit ist sein Lösungsansatz nahezu identisch mit dem von Gustav Geib bereits im Jahr 1840 entwickelten Betrugsbegriff, vgl. dazu Hilgendorf. S. 27 f., 109 sowie Ellmer selbst, S. 32 f., 48 f., 300. 165 Arzt, in Arzt! Weber, Lehrbuch, § 20 Rdnr. 49 sowie MSchrKrim 1984, 105, 112. 166 Arzt, MSchrKrim 1984, 105, 112. 167 Dieses von Arzt, MSchrKrim 1984, 105, 112 zitierte Urteil aus dem Jahre 1946 (BGE 72 IV 126, 128) enthielt allerdings auch folgenden Zusatz: "Einen Freibrief, auf die Gutgläubigkeit und Unvorsichtigkeit des Gegners zu spekulieren, gibt aber diese Rechtsprechung 162 163
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C. Vorschläge einer Betrugsrestriktion auf der Tatbestandsebene
Arzt billigt ausdrücklich diese Einschränkung des Betrugstatbestandes, die durch die Verse1bständigung der Arglist erreicht werde, so daß nur eine schwer durchschaubare, listige Täuschung die Betrugsstrafbarkeit auslöst. Die von ihm somit befürwortete Ausscheidung leicht durchschaubarer Täuschungen relativiert er allerdings insofern, als daß schwache Opfer nicht schutzlos gestellt werden dürfen. Denn keinesfalls wolle er eine drastische Einschränkung des § 263 StGB erreichen, sondern sehe es vielmehr als notwendig an, sich die Selbstverantwortung des Opfers bei allen Tatbestandsmerkmalen und ihren Unterbegriffen jeweils bewußt zu machen und insofern dieses Prinzip zu einer "Feinsteuerung" der gesamten Betrugsdogmatik heranzuziehen. 168 Hilgendorf erschien der Vorschlag Ellmers zunächst "zumindest bedenkenswert,,169 und hat ihn jüngst in modifizierter Form übernommen. 170 Dies erfolgt im Kontext mit seinem Versuch, die schwierige Abgrenzung von Tatsachenbehauptungen und Werturteil nicht nur im Hinblick auf die Dogmatik des Betruges, sondern auch bezüglich der Beleidigungsdelikte neu zu bestimmen. 171 Auch Hilgendorf schlägt vor, auf die individuelle Opferperspektive abzustellen, setzt im Gegensatz zu Ellmer aber bereits beim Tatsachenbegriff an und sieht solche Meinungsäußerungen als nicht betrugsrelevant an, die mit vermindertem Geltungsanspruch auftreten, um der in dem Vertrauen darauf liegenden Leichtfertigkeit den strafrechtlichen Schutz zu entziehen. l72 Gleichzeitig ist er aber darum bemüht, solche Opfer nicht schutzlos zu stellen, die "geistig deutlich zurückgeblieben erscheinen", "aus Altersgründen benachteiligt" sind oder bei denen sonstige Gesichtspunkte vorliegen, "die die Annahme einer besonderen Schwächesituation zu begründen vermögen". Deshalb müsse bei diesem Personenkreis zusätzlich die konkrete Gefährlichkeit der täuschenden Aussage berücksichtigt werden. Dazu sei zu prüfen, ob der Irrtum aus individueller Opferperspektive grob fahrlässig war. 173
d) Kritik an der Ansicht Ellmers Gegen die von Ellmer vertretene Begründung für die Ausscheidung einfacher Täuschungen bestehen erhebliche dogmatische und kriminalpolitische Bedenken. 174 nicht"; aufgrund dieses "offenbaren Dilemmas" anders noch Arzt, LH 3, 1. Auflage 1978, S. 121; vgl. auch Arzt, Verh. 51. DIT, S. N 57 f. 168 Arzt, in Arzt / Weber, Lehrbuch, § 20 Rdnr. 5, 49; ohne diesen Vorbehalt aber noch in MSchrKrim 1984, 105, 112. 169 Hilgendorf, JuS 1994,466,467. 170 "Tatsachenaussagen und Werturteile im Strafrecht", Berlin 1998, Kapitel 15 III, S. 199 ff. 171 Vgl. dazu schon oben unter Bill a. 172 Hilgendorf, S. 199 ff. 173 Hilgendorf, S. 202 f.
111. Tatbestandsbeschränkungen durch die Abschichtung einfacher Täuschungen
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Der Wortlaut des Betrugstatbestandes beschreibt nicht ausschließlich die Konstellation des durch Täuschung begangenen Mißbrauches von berechtigtem Vertrauen, sondern erfaßt ebenfalls Fälle des unberechtigten Vertrauens. Denn auch wenn der Gesetzgeber bei der Normierung des § 263 StGB primär Fälle des berechtigten Interesses vor Augen gehabt haben sollte, hat er die Schutzwürdigkeit des Vertrauens nicht zur notwendigen Voraussetzung der Betrugsstrafbarkeit erhoben. Insofern widerspricht eine Abschichtung einfacher Täuschungen dem vom Gesetzgeber normierten Wortlaut des Betrugstatbestandes. 175 Es erscheint auch keineswegs zwingend, eine Mißachtung einer nur kurz und recht unzulänglich begründeten Obliegenheit zur Aufmerksamkeit mit dem generellen Verlust der Schutzwürdigkeit zu sanktionieren. Denn die den Betrug ausschließende grobe Fahrlässigkeit des Opfers hängt nicht nur davon ab, wie leicht der Irrtum zu vermeiden war, sondern auch davon, welche Risikobereitschaft noch als schutzwürdig erscheint. Da Ellmer seinen weiten Vertrauensbegriff zu wenig konkretisiert, ergeben sich hier schon bei der Einordnung verschiedener Geschäftstypen erhebliche Schwierigkeiten. Ein allgemein anerkannter Begriff der "publica fides,,176 mit vorgegebenen und vom Strafrecht nur noch festzustellenden Grenzen existiert eben nicht, so daß man letztendlich dem Strafrichter die faktische Kompetenz zu wirtschaftspolitischen Entscheidungen eröffnet, die im Gesetz nicht einmal andeutungsweise vorgezeichnet sind. 177 Außerdem kritisiert Krack, daß man nicht allein die rational handelnden mündigen Bürger für schutzwürdig erklären könne, sondern mindestens ebenso die Einfältigen, Geltungsbedürftigen oder vereinsamten Opfer von Heiratsschwindlern, deren Schwächen im emotionellen, psychischen oder sozialen Bereich vom Täter zielstrebig und unter Vorspiegelung von Anteilnahme, Mitgefühl, Großmütigkeit etc. ausgenutzt werden. 178 Sofern einfache Täuschungen aus der Strafbarkeit herausgenommen werden, würden sich noch mehr "geschäftstüchtig Agierende" auf die erschreckend hohe Anzahl von leichtgläubigen Betrugsopfern stürzen. Die Urteile, in denen vermeintliche Betrüger deshalb freigesprochen werden, weil ihre Täuschungsmanöver zu leicht durchschaubar waren, wären dann gleichsam als Anleitung begehrt unter denjenigen, die ihr Geld ebenfalls auf eine Weise verdienen möchten, die zwar in der Bevölkerung, nicht aber unter Juristen als betrügerisch angesehen werde. Dabei müßten auch zivilrechtliche Ersatzansprüche der Opfer, auf die Ellmer (ebenso wie Kurth) verweist, lediglich als renditemindernder Faktor einkalkuliert werden. 179 Gegen die Abschichtung einfacher Täuschungen spreche 174 Vgl. vor allem Brammsen, MSchrKrim 69 (1986), 375, 377; Krack, S. 69 f.; Samson, in SK, § 263 Rdnr. 57a; außerdem Kaiser, S. 87; Seier, S. 270 f. 175 Vgl. Krack, S. 69. 176 Siehe dazu Ellmer, S. 281. 177 So Samson, in SK, § 263 Rdnr. 57a; vgl. auch Brammsen, MSchrKrim 69 (1986), S. 375, 377; Tischler, Jura 1988, 122, 124. 178 Brammsen, MSchrKrim 69 (1986), S. 375, 377.
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C. Vorschläge einer Betrugsrestriktion auf der Tatbestandsebene
zudem, daß das Strafbedürfnis unabhängig von der Art der eingesetzten Täuschung und gerade bei leichtgläubigen Opfern bestehe. Denn sofern auch eine relativ einfache Täuschung eine Vermögensschädigung verursache, führe sie den gleichen Erfolg herbei wie eine gut überlegte, lange vorbereitete und kaum durchschaubare Vorspiegelung. Ebenso entfalle auch die Strafwürdigkeit des Verhaltens nicht bei leicht durchschaubaren Täuschungen. Vielmehr liege genau die das spezifische Unrecht des Betruges ausmachende Konstellation vor: Durch die Irrtumserregung werde eine unfreie Disposition des Opfers herbeigeführt, die dem Täter deshalb zuzurechnen sei, weil die Fehlvorstellung das genaue Abbild der Erklärung des Täters darstelle. Dadurch realisiere sich die vom Täter gesetzte Gefahr und die normalerweise beim Vermögensinhaber liegende strafrechtliche Verantwortung für die Vermögensdisposition verlagere sich auf den Täter. 180
4. Abschließende Stellungnahme
Wie dem historischen Teil dieser Arbeit zu entnehmen ist, hat der Gesetzgeber von 1851 das Merkmal der Arglist gerade aufgrund seiner Unbestimmtheit nicht aufgenommen bzw. wieder gestrichen und statt dessen die schwierige Ausscheidung nur zivilrechtlich zu verfolgender Täuschungen dem Tatsachenbegriff überlassen. 181 In diesem Zusammenhang ist zu betonen, daß Ellmers Forderung nach einer besonderen Qualifikation der Täuschungshandlung - wie die auch von Arzt befürwortete und schon früher diskutierte Einführung eines Arglistmerkmals - zumindest zu Zweifeln an der hinreichenden Bestimmtheit im Sinn des Art. 103 Abs. 2 GG führt. Eine genaue Bestimmung des noch straflosen Maßes an List dürfte ohne willkürliche Entscheidungen kaum möglich sein. Dies zeigt auch die praktische Anwendung des § 123 BGB, dessen Merkmal der Arglist bereits bei einem bedingten Täuschungsvorsatz als erfüllt angesehen wird. 182 Aber auch die Vorschläge von Naucke und Kurth haben sich als problematisch erwiesen, da sie wie bereits dargestellt - unzulässigerweise versuchen, ein Spezialproblem des Besonderen Teils mit Hilfe einer abweichenden Kausalitätsforme1 bzw. dem allgemeinen dogmatischen Instrument der objektiven Zurechnung zu lösen. Darüber hinaus besteht gegenüber allen diesen Auffassungen der methodologische Vorwurf einer unhaltbaren Reduktion des Straftatbestandes contra legern. Zwar wurde dieser Einwand gegenüber dem viktimo-dogmatischen Ansatz für unbeachtlich erklärt, da diese Restriktionen die viktimologische Maxime lediglich als eine Richtlinie für die Interpretation innerhalb des Bedeutungshofes von GesetzesSo Krack, S. 70: vgl. auch Loos/Krack, JuS 1995,204,208. Loos/Krack, JuS 1995,204,208. 181 Vgl. nur die Zusammenfassung von Teil A unter IV. 182 Ebenso Kurth, S. 105 mit zivilrechtlichen Nachweisen, u. a. auf 8GH, NJW 1971, 1795, 1800; Heinrichs, in Palandt, § 123 Rdnr. 11; vgl. auch Hilgendorj, S. 109. 179
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III. Tatbestandsbeschränkungen durch die Abschichtung einfacher Täuschungen
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tennini einsetzen. 183 Allerdings muß demgegenüber bei den Versuchen des Schrifttums, aus dem viktimo-dogmatischen Ansatz echte Reduktionen des Tatbestandes abzuleiten, berücksichtigt werden, daß das Opfer, solange es zu keinem konkreten Zweifel an der Wahrheit der aufgestellten Behauptungen gelangt, über keinen vom Bewußtsein ausgehenden Kontrollimpuls verfügt und sich deshalb gerade nicht ohne weiteres zu schützen vermag. Insofern liegen aber keine außergewöhnliche Gründe vor, die die befürwortete Reduktion und insbesondere die darin liegenden Aufkündigung des richterlichen Gehorsams gegenüber dem Gesetzgeber rechtfertigen können. Denn die wortlautadäquate Subsumtion einfacher Täuschungen gegenüber einem leichtfertigen bzw. arglosen Opfer unter den Betrugstatbestand stellt sich nicht als Rechtsgewinnung dar, die gegen den Gleichheitsgrundsatz, das Rechtsstaatsprinzip oder andere Grundsätze der Verfassung verstößt und damit zu eindeutig unhaltbaren Ergebnissen führt. Deshalb ist im Ergebnis eine unzulässige Unterschreitung des Wortlauts festzuhalten. l84 Fraglich ist zudem, ob die Opferkunde die von den Überlegungen Nauckes zugrundegelegte und von anderen Autoren aufgegriffene Ausgangsthese bestätigt, daß intellektuelle Defizite für die Leichtgläubigkeit des Opfers verantwortlich sind. Denn viele Untersuchungen weisen darauf hin, daß gerade auch intelligente und geschäftserfahrene Menschen relativ leicht durchschaubaren Täuschungen erliegen, so daß die Anfälligkeit für plumpe Täuschungen weniger auf intellektuelle Mängel zurückzuführen ist, sondern in dem Vertrauen auf die Erklärungen des Täters und somit im emotionalen Bereich begründet ist. 185 Dieses Phänomen, dem im Laufe dieser Arbeit noch weiter nachzugehen ist, zeigt sich sehr anschaulich bei Opfern von Heiratsschwindlern, wird aber auch bei der Ausnutzung des Aberglaubens sehr deutlich und könnte gerade bei einfachen Täuschungen im Bereich von Spekulationsgeschäften praktische Relevanz entfalten. 186 Vor diesem Hintergrund ist auch unter dem Gesichtspunkt der Schutzwürdigkeit des Getäuschten die Ausscheidung einfach zu durchschauender Täuschungen problematisch, da dies oft ein negatives Werturteil über die Bedürfnisdispositionen des Opfers impliziert. Aber selbst wenn man zumindest zwischen schutzwürdigen und weniger schutzwürdigen Bedürfnissen und Emotionen unterscheidet, kann man die dabei erforderlichen Wertungen nicht rational überprüfen. Angesichts dieser Schwierigkeiten ist es als weise Entscheidung des Gesetzgebers anzusehen, sich nicht an einer Bewertung der Opfermotive, sondern allein an der psychologischen Situation zu orientieren, in der sich dieser bei Vornahme der Vermögensverfügung befindet und den Irrenden unabhängig von den zugrunde liegenden Gründen zu schützen, weil er des Schutzes bedarf. 187 Indem das Vorliegen eines tatbestandlichen Betruges also Siehe oben unter eIl 3 c) aa). Schünemann, NStZ 1986,439,442; vgl. auch Faller-FS, 357, 367 f. 185 Dieser Gedanke wurde schon innerhalb der Kritik von Amelung an der Konzeption Nauckes angedeutet, siehe oben unter III 1 b) bb). 186 So auch Loas/ Krad" JuS 1995,204,207 f. 187 Hillenkamp, Vorsatztat, S. 88 f. 183
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C. Vorschläge einer Betrugsrestriktion auf der Tatbestandsebene
allein vom Vorliegen eines Irrtums und eines darauf beruhenden Vermögensschadens abhängt, d. h. nicht auf die Schutzwürdigkeit, sondern allein auf die Schutzbedürftigkeit des Opfers abgestellt wird, liegt die Überlegenheit der jetzigen gesetzgeberischen Entscheidung gegenüber den auf Nauckes Erwägungen basierenden viktimo-dogmatischen Ansätzen.
IV. Zusammenfassung von Teil C
Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß ein etwaiges Mitverschulden des Opfers weder durch eine Beschränkung im Hinblick auf die Intensität der Fehlvorstellung noch durch die Herausnahme einfacher Täuschungen aus dem strafbaren Bereich des Betf';1gstatbestandes befriedigend berücksichtigt werden kann. Der Irrtum hat sich - abgesehen von einer überzeugenden dogmatischen Begründung für die Straflosigkeit des Täuschenden - auch deshalb als ungeeignetes Mittel zur tatbestandlichen Berücksichtigung eines Opfermitverschuldens erwiesen, da die vorgeschlagenen Kriterien als wenig praktikabel und zu unbestimmt abzulehnen sind. Zudem ist die Mitverantwortung eines Opfers, das trotz Zweifeln an dem Vorbringen des Täters verfügt, kaum größer ist als die eines Opfers, das so leichtgläubig und gedankenlos ist, daß es nicht einmal zweifelt. Aber auch die Vorschläge, durch eine Abschichtung einfacher Täuschungen der Opfermitverantwortung Rechnung zu tragen, stoßen sowohl auf dogmatische als auch kriminalpolitische Bedenken. Während teilweise schon methodisch verkehrt versucht wird, das hier in Rede stehende Spezialproblem des Besonderen Teils mit Hilfe einer Umformung dogmatischer Instrumente des Allgemeinen Teils zu lösen, führen alle insoweit vertretenen Auffassungen zu einer unzulässigen Unterschreitung des Wortlauts. Denn sie erfassen auch solche Fälle, bei denen das Opfer über keinen vom Bewußtsein ausgehenden Kontrollimpuls verfügt und sich deshalb gerade nicht ohne weiteres vor der Vornahme der schädigenden Verfügung zu schützen vermag.
D. Der eigene Lösungsansatz Aus der dargestellten Kritik ist bereits deutlich geworden, daß die bisherigen Versuche, dem Prinzip der Mitverantwortung des Opfers innerhalb der einzelnen Tatbestandsmerkmale des § 263 StGB Rechnung zu tragen, zu keinen befriedigenden Ergebnissen führen.
I. Bisherige Ansätze als Ausgangspunkt einer eigenen Konzeption Allerdings ist dem sog. viktimologischen Prinzip insofern grundsätzlich zuzugeben und damit diesen Auffassungen insoweit zu folgen, als daß die Auslegung von Straftatbeständen auf die Konstellationen zu konzentrieren ist, in denen ein Strafrechtsschutz erforderlich ist. Denn schon aus dem in Art. 20 und 28 GG verankerten Rechts- und Sozialstaatsprinzip ist abzuleiten, daß dem Strafrecht nur ein fragmentarischer und subsidiärer Charakter zukommt. Gerade vor dem Hintergrund seiner geschichtlichen Entwicklung ist es zudem geboten, bei der Bestimmung strafbaren Unrechts im Rahmen der Auslegung oder einer Restriktion des derzeitigen Betrugstatbestandes spezielle systematische Zusammenhänge oder rechtsstaatliehe Prinzipien heranzuziehen. I
1. Fragmentarischer Charakter des Strafrechts
Es gilt als Vorzug und Kennzeichen eines freiheitlichen Rechtsstaates, daß das Strafrecht kein allumfassendes System des Rechtsgüterschutzes enthält, sondern nur eine fragmentarische Ordnung darstellt. Im Gegensatz zu einer erschöpfenden Regelung soll eine Strafbarkeit nur ausnahmsweise erfolgen und sich auf solche menschliche Verhaltensweisen beschränken, die nach ihrer Gefährlichkeit und Verwerflichkeit im Interesse der Gesellschaft eine strafrechtliche Reaktion als notwendig und damit als gerechtfertigt erscheinen lassen. Auch der Gesetzgeber muß insofern der Versuchung des Perfektionismus widerstehen und darf nur unerträgliche Arten sozialschädlichen Verhaltens pönalisieren. 2 Vgl. die Zusammenfassung des historischen Teils dieser Arbeit (siehe oben unter A IV). Zipf, Kriminalpolitik, S. 52; Mayer, Strafrechtsreform, S. 105 f.; Naucke, Strafrecht, § 2 Rdnr. 13; Maiwald, Maurach-FS, S. 9 ff., 22; vgl. auch Blau, ZStW 89 (1977), 511, 515 f.; Geerds, Engisch-FS, S. 406, 412; Luipold, S. 17 f.; Kaiser, S. 10; ElImer, S. 232 ff.; Kaufmann, Henke1-FS, S. 89, 103 jeweils ffi. w. N. 1
2
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D. Der eigene Lösungsansatz
Dementsprechend sind viele Straftatbestände lückenhaft, indem sie das jeweilige Rechtsgut nicht im Sinne einer "Rundumverteidigung" gegen jeglichen Angriff schützen, sondern vielmehr bestimmte Angriffsmodalitäten bzw. auf seiten des Titers eine gewisse Absicht, Gesinnung oder Tendenz voraussetzen. Die fragmentarische Natur des Strafrechts zeigt sich aber auch darin, daß nur ein kleiner Ausschnitt der nach der gesamten Rechtsordnung als ,,rechtswidrig" angesehenen menschlichen Verhaltensweisen auch einem strafrechtlichen Tatbestand unterfällt. Das wird etwa angesichts der sittenwidrigen Schädigung gemäß § 826 BGB deutlich, aber auch im Bereich der Vertragsverletzungen, die an sich grundsätzlich straflos sind, obwohl sie zu einem ganz beträchtlichen Vermögensschaden führen können?
2. Der Grundsatz der strafrechtlichen Subsidiarität
Über den fragmentarischen Charakter hinaus reicht das Subsidiaritätsprinzip, durch das nicht nur die liberale, sondern auch die soziale Seite des Rechtsstaates betont wird. 4 Es geht zurück auf den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, wonach ein strafender Eingriff nur als ultima ratio eingesetzt werden darf, wenn andere Mittel einen sinnvollen Rechtsgüterschutz nicht garantieren können. 5 Der Staat darf in die Freiheit seiner Bürger nur insoweit eingreifen, als dies zum Schutz existenznotwendiger Rechtsgüter unbedingt erforderlich ist. Denn jede Strafe als stärkste Reaktion der Rechtsgemeinschaft beeinträchtigtet ihrerseits die Rechtsgüter des Betroffenen und führt zu Konsequenzen, die nicht selten existenzvernichtend sein können. Sie ist deshalb nur dann gerechtfertigt, wenn sie zur Wahrung des öffentlichen Friedens und zum Schutze der für unser gesellschaftliches Zusammenleben notwendigen sozialen Gegebenheiten unerläßlich ist. Dagegen fehlt ihr die Legitimation, wenn auch durch die Mittel des bürgerlichen oder öffentlichen Rechts ein ausreichender Rechtsgüterschutz gewährleistet werden kann. 6 Dies gilt insbesondere für den Fall, daß strafrechtliche Sanktionen lediglich der Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche dienen sollen. 7 Eine staatliche Verpflichtung zur Hilfestellung kann hier allenfalls im Hinblick auf die Ermittlung des Titers bestehen, um dem Opfer die Durchsetzung seiner Ersatzansprüche überNäher dazu Maiwald, in Maurach-FS, S. 9 f. So zutreffend Jescheck/Weigend, § 7 11, S. 53. 5 Vgl. BVerfGE 39, 1,44 ff.; Zipf, Kriminalpolitik, S. 52 f.; Schünemann, NStZ 1986, 193, 195; Kaiser, S. 10; Kurth, S. 178; Jakobs, AT, 2127; zur Geschichte und Herleitung im einzelnen Luipold, S. 23 ff. 6 Roxin, JuS 1966, 377,382; Maurach/Zipf, § 2 III Rdnr. 8 ff.; weitere Nachweise bei Rudolphi, in SK, vor § 1, Rdnr. 14. 7 Naucke, Betrug, S. 146 ff.; Mayer; Strafrechtsreform, S. 78, 115; Raimund Hassemer, S. 165; Vogler, ZStW 90 (1978), 132, 146 f.; vgl. auch Peters, Schmidt-FS, S. 488, 492 ff. 3 4
1. Bisherige Ansätze als Ausgangspunkt einer eigenen Konzeption
171
haupt zu ermöglichen. 8 Dem Subsidiaritätsprinzip kommt also die Funktion zu, den Freiheitsbereich des einzelnen zu gewährleisten und ihn vor staatlichen Eingriffen zu schützen. Dieser garantierte Freiraum findet erst dort seine Grenze, wo das Individuum seine Dispositionsfreiheit mißbraucht, indem es in sozialethisch unerträglicher Art und Weise strafrechtlich geschützte Rechtsgüter Dritter verletzt. 9 Gegen dieses weite Verständnis des Subsidiaritätsprinzips als Zuständigkeitsregel der gesellschaftlichen Ordnung wird eingewandt, daß der private Selbstschutz gegenüber dem staatlichen Eingreifen keineswegs generell vorrangig sei. Wie bereits innerhalb der Kritik am sog. viktimologischen Ansatz dargestellt,1O befürwortet das Schrifttum teilweise eine enge Auffassung des Subsidiaritätsprinzips, nach der dieses auf die Konkurrenz staatlicher Handlungsmöglichkeiten begrenzt ist, so daß individuelle Selbstschutzmöglichkeiten als milderes Mittel unberiicksichtigt bleiben müssen. Jedoch kann dieser Einschränkung des Subsidiaritätsprinzips auf alternative "staatliche Zwangsmittel" nicht gefolgt werden, da kein zwingender Grund ersichtlich ist, wieso das Subsidiaritätsprinzip nicht auch im Strafrecht die "individuellen" Selbstschutzmöglichkeiten in die Erwägungen eines milderen Mittels miteinbeziehen sollte. Zwar trifft es zu, daß sich der öffentlich-rechtliche Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, aus dem sich das Prinzip der Erforderlichkeit strafrechtlichen Schutzes ableitet, nur auf die Auswahl zwischen verschiedenen staatlichen Eingriffsmöglichkeiten bezieht. Allerdings kommen im Öffentlichen Recht individuelle Möglichkeiten des Selbstschutzes schon von vornherein nicht in Betracht, da hier regelmäßig ein Über- und Unterordnungsverhältnis vorliegt. Sofern der Bürger etwa einer verwaltungsrechtlichen Anordnung keine Folge leistet, kann die Aufrechterhaltung oder Herstellung rechtmäßiger Zustände nur durch staatliche Zwangsmaßnahmen erreicht werden. Demgegenüber ist das vom Strafrecht - als eigenständiger Teil des Öffentlichen Rechts - verfolgte Ziel des Rechtsgüterschutzes keineswegs ausschließlich mit staatlichen Zwangsmitteln zu erreichen. Vielmehr kann diese Aufgabe auch durch die Inanspruchnahme von Selbstschutzmöglichkeiten des Opfers erfüllt werden, häufig sogar viel effektiver als durch staatliches Eingreifen. Schon deshalb ist das strafrechtliche Subsidiaritätsprinzip nicht auf die Konkurrenz staatlicher Mittel begrenzt. 11
8 Kaufmann, Henke1-FS, S. 89, 92, 98; v. Münch, JZ 1960, 303, 304; ebenso Kurth, S. 178 f. 9 Vgl. v. Münch, JZ 1960, 303 ff.; Kaiser, S. 15 unter Berufung auf Rudolphi, in SK, § 1 Rdnr. 14; Maurach/Zipf, § 2 III Rdnr. 8 ff. 10 Siehe oben unter C 11 3 c) bb). 11 So auch Raimund Hassemer, S. 23; Luipold, S. 34 m. w. N.
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D. Der eigene Lösungsansatz
3. Das Prinzip der Selbstverantwortung
Für das eben Gesagte spricht außerdem, daß die freie Verantwortung des einzelnen für diesen nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht zur Selbstgestaltung seines eigenen Lebensbereiches bedeutet und damit zum Verzicht auf staatliche Hilfe, solange eine Notlage aus eigener Kraft behoben werden kann. 12 Aus dem Subsidiaritätsprinzip leitet sich insofern auch das Prinzip der Selbstverantwortung ab. Danach ist der Träger eines Rechtsgutes für dessen Integrität selbst verantwortlich und hat dieses im Rahmen möglicher und zumutbarer Selbstschutzmaßnahmen ohne staatliche Unterstützung vor Schaden zu bewahren. 13 Der strafrechtliche Schutz muß also gerade dann ultima ratio bleiben, wenn dem Opfer private Abwehrmittel zur Verfügung stehen, mit denen es sich selbst zu schützen vermag. 14 Dies ist aber nicht nur eine Folge des Rechtsstaatsprinzips, sondern wird auch durch das unserer Rechtsordnung zugrunde liegende Menschenbild gestützt. Denn durch den Schutz der Würde des Menschen in Art. I Abs. I GG zeigt sich, daß unsere Verfassung den Menschen als eine eigenverantwortliche, mündige Persönlichkeit ansieht, deren Inititativfreudigkeit gefördert werden muß und die nicht zur Unselbständigkeit korrumpiert werden darf. Die Menschenwürde besteht im wesentlichen aus der Selbstverantwortlichkeit des einzelnen, dem damit die primäre Zuständigkeit für die Gestaltung seines Lebens zukommt. 15 Erst dann, wenn der einzelne hierzu ohne staatliche Hilfe nicht mehr in der Lage ist, endet die Eigenverantwortlichkeit des Individuums. Eine früher einsetzende staatliche Reglementierung würde dem unser Verfassung zugrunde liegenden Menschenbild widersprechen und den Einzelnen zum Objekt staatlichen HandeIns herabwürdigen. 16 Aus dieser Verantwortlichkeit des einzelnen für den Schutz seiner eigenen Rechtsgüter folgt schon die Pflicht, alles zu unterlassen, was andere dazu animieren könnte, in diese Rechtsgüter einzugreifen. Darüber hinaus kommt dem potentiellen Opfer aber auch die Verantwortung zu, im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren zur aktiven Selbsthilfe bereit zu sein und deliktischen Angriffen Widerstand zu leistenY Dabei kann die Vernachlässigung des gebotenen Selbstschutzes 12 So v. Münch, JZ 1960,303,305; zustimmend Kaufmann, Henkel-FS, S. 89, 98; Luipold, S. 40; Ellmer, S. 234; Kurth, S. 142; vgl. auch Raimund Hassemer, S. 35. 13 Kaiser, S. 15 f.; EIlmer, S. 237 ff.; Raimund Hassemer, S. 34 f.: "Prinzip der Eigenverantwortlichkeit"; vgl. dazu auch BVeifGE 10,59, 83. 14 Vogler, ZStW 90 (1978), 132 145 ff.; Baumann, JZ 1972, 1 ff.; Müller-Dietz, Dreher-FS, S. 97, 108 f.; Kaiser, S. 16; vgl. dazu auch Winfried Hassemer, Klug-FS, S. 217, 222 sowie Hillenkamp, S. 174 m. w. N. 15 Vgl. Kaufmann, Henkel-FS, S. 89, 95 ff.; v. Münch, JZ 1960,303,305; Isensee, Subsidiaritätsprinzip und Verfassungsrecht, Berlin 1968, S. 271 f.; ebenso Luipold, S. 40 f.; Ellmer, S. 234 jeweils m. w. N. 16 So Kcliser, S. 16 unter Berufung auf BVeifGE 47, 240, 247. 17 Kaiser, S. 17; Ellmer, S. 231 m. w. N.; vgl. dazu auch Hillenkamp, Vorsatztat, S. 231 mit Hinweis auf Stephen Schafer, The victim and his criminal, a study in functional responsibility, New York 1968, S. 151.
I. Bisherige Ansätze als Ausgangspunkt einer eigenen Konzeption
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durchaus zu einer Minderung oder sogar völligen Versagung des strafrechtlichen Schutzes führen. Denn sieht man das Strafrecht als ultima ratio des Rechtsgüterschutzes an, braucht es nicht einzuschreiten, wenn sich das bedrohte Individuum selbst vor Schaden schützen kann. Das Subsidiaritätsprinzip und das Prinzip der wirtschaftlichen Eigenverantwortlichkeit gebieten es, den strafrechtlichen Schutz zu verneinen, sofern der Rechtsgüterschutz durch individuelle Schutzmöglichkeiten des Rechtsgutträger ausreichend gewährleistet wird. Der Anwendung des Strafrechts bedarf es somit nur dann, wenn das potentielle Opfer sich nicht selbst zu helfen vermag, weil ihm nicht genügend Möglichkeiten des Individualschutzes zur Verfügung stehen. 18 Allerdings können individuelle Selbstschutzmöglichkeiten nur insoweit als vorrangig betrachtet werden, als sie sicheren Schutz gewährleisten. Die strafrechtliche Subsidiarität darf nur gegenüber leicht verfügbaren und ohne weiteres zumutbaren Selbstschutzmöglichkeiten gelten. Das Prinzip der Selbstverantwortung findet seine Grenze, wenn eine eigenverantwortliche Organisation der Gefahrenabwehr vom potentiellen Opfer nicht erwartet werden kann, weil ihm dies auch bei gewissenhaften Vorgehen faktisch unmöglich ist oder ihm wegen unverhältnismäßig hohem Aufwand nicht zugemutet werden kann. 19 Keinesfalls legitimiert das Selbstverantwortungsprinzip eine einseitige Erweiterung der Handlungsfreiheit des Taters auf Kosten derjenigen des Opfers. Insofern überschreitet auch die sog. viktimologische Theorie zu § 263 StGB 20 die Grenze des Prinzips der Selbstverantwortung, wenn sie einen betrugsrelevanten Irrtum etwa schon dann verneint, sofern beim Opfer konkrete Zweifel verbleiben, die sich in konkrete Selbstschutzmaßnahmen umsetzen lassen. In vielen Konstellationen ist es äußerst fraglich, ob potentiellen Betrugsopfern der von dieser Auffassung geforderte Selbstschutz überhaupt zugemutet werden kann. Dem rechtstreuen Bürger werden erhebliche Verzögerungen und Erschwernissen aufgebürdet, da die Berechtigung bestehender Zweifel häufig nur durch entsprechende Ermittlungen überpriifbar ist, die mit unverhältnismäßig hohem Zeit- und Kostenaufwand, aber auch mit Freiheitsbeschränkungen verbunden sind. Damit ergibt sich aber eine einseitige und dem Autonomieprinzip widersprechende Gleichgewichtsverschiebung zu Gunsten des Rechtsbrechers, die in keinem Fall mehr vom Selbstverantwortungsprinzip gerechtfertigt wird. Sie kann nur vermieden werden, indem man potentielle Betrugsopfer von solchen Pflichten zur Informationsbeschaffung freistellt. 21
18 Seelmann, NJW 1980, 2545, 2548; Luipold, S. 43; Raimund Hassemer, S. 34 ff., 51; Kühne, S. 89 f.; vgl. auch Arzt, GA 1982,522 sowie Kurth, S. 177 ff. m. w. N. 19 Kratzsch, Oehler-FS, S. 65, S. 75; Schünemann, in Schneider, S. 407; ebenso Luipold, S.35. 20 Siehe oben unter C II 3. 21 So auch Kratzsch, Oehler-FS, S. 65, 75 f.; Krack, S. 39.
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D. Der eigene Lösungsansatz
Neben den bereits genannten Bedenken22 ist auch deshalb die sog. viktimologisehe Theorie im Ergebnis abzulehnen.
11. Verknüpfung des Selbstverantwortungsprinzips mit der allgemeinen Unrechtslehre
Damit ergibt sich, daß sich sowohl der Irrtum als auch die anderen Tatbestandsmerkmale des § 263 StGB als ungeeignet erwiesen haben, dem Gedanken der Mitverantwortung des Opfers Geltung zu verschaffen. 23 Allerdings ist den grundlegenden Überlegungen der verschiedenen bisherigen Lösungsversuche von ihrem Ausgangspunkt her zuzustimmen. Dies gilt vor allem für das Prinzip der Selbstverantwortung. Um ihm eine grundlegende unrechtsbegrenzende Wirkung zukommen zu lassen, muß es jedoch hinsichtlich seiner Grundlage und seiner Reichweite genauer bestimmt werden. Dazu ist es erforderlich, den Begriff der Selbstverantwortung in Relation zur allgemeinen Unrechtslehre zu setzen und insbesondere mit dem Verbrechensbegriff zu verknüpfen. Dieser gedankliche Ausgangspunkt lag - wie oben dargestellt - bereits der Betrugsdiskussion des 19. Jahrhunderts zugrunde?4
1. Selbstverantwortung und Freiheit
Der Begriff "Se1bstverantwortung" ist unmittelbar mit der Freiheit des einzelnen verbunden. 25 Bereits Kant hat herausgestellt, daß nur der Mensch als vernünftiges Wesen nach der Vorstellung von Gesetzen, also nach Prinzipien zu handeln vermag?6 Aus dem kategorischen Imperativ hatte er die Einsicht abgeleitet, daß die Bestimmung richtigen HandeIns über den Willen selbst geschieht, der dieses Handeln steuert. Unterliegt eine Handlung prinzipiell der eigenen Vernunftbestimmung, kann der einzelne sie "selbst verantworten"; Selbstverantwortung läßt sich also als das Vermögen des Menschen zu vernünftiger Selbstbestimmung und damit als seine Freiheit bezeichnen. 27
22 23 24
Siehe oben unter eIl 3 c). Vgl. oben unter C II 5. Siehe oben unter Teil All, letztendlich beeinflußt durch die Hegel'sche Verbrechens-
lehre. 25 Vgl. zum ganzen Zaczyk. Selbstverantwortung, S. 19 ff. m.N. 26 Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, in: Werke, Band 6, S. 51. 27 Vgl. näher Zaczyk, Selbstverantwortung, S. 19 ff. m. w. N.; ebenso Merz, S. 152 f.
11. Verknüpfung des Selbstverantwortungsprinzips mit der Unrechtsiebre
175
2. Die Reichweite des Prinzips der Selbstverantwortung
Das Verständnis der Selbstverantwortung als eines Rechtsprinzips erfordert aber weiter, daß man die Selbstverantwortung des einzelnen in Verhältnis setzt zu der anderer Personen. Denn das Recht baut auf den Beziehungen des einzelnen zu anderen Menschen auf. Derartige interpersonale Beziehungen werden durch Handlungen hergestellt, Versteht man Selbstbestimmung gerade als Handlungsbestimmung, ist praktisch jede Handlung nicht nur selbstbestimmt, sondern enthält auch einen Bezug zu anderen Menschen. Gegenstand interpersonaler Rechtsbeziehungen ist also nicht nur die betätigte Freiheit des Handelnden, sondern auch - gerade bei der Frage nach der rechtlichen Richtigkeit seines Handeins - die Respektierung der Rechte des jeweils anderen?8 Solche Anerkennungsverhältnisse 29 basieren auf der Erkenntnis, daß neben dem einzelnen als selbstbezügliche Einheit andere mit dem gleichen Anspruch leben. Die einzelnen bestimmen sich selbst zum Richtigen in Anerkennung des freien Daseins anderer und konstituieren damit eine gemeinsame Rechtswelt,3o Aus dieser Warte heraus kann das Selbstverantwortungsprinzip auch die wichtige Aufgabe der Rechtsordnung erfüllen, individueller Selbstbestimmung Grenzen zu ziehen, wenn dies mit den Freiheitsrechten anderer nicht mehr zu vereinbaren iSt,31 Dieser Gedanke spiegelt sich auch im strafrechtlich anerkannten Vertrauensgrundsatz wider, wonach jeder sein Verhalten grundsätzlich nur darauf einzustellen hat, daß er geschützte Rechtsgüter anderer nicht gefährdet, nicht aber auch darauf, daß andere dies nicht tun. Gerade weil bei jedem Menschen die Fähigkeit zu verantwortlicher Selbstbestimmung vorauszusetzen ist, folgt daraus zugleich, daß die grundsätzliche Verantwortlichkeit für eigenes Handeln durch das selbstbestimmte Handeln anderer begrenzt wird. 32 3. Selbstverantwortung, Unrecht und Verbrechen
Der Begriff der Selbstverantwortung verdeutlicht also auch die Grenze der Freiheitsspähre des einzelnen. Er steht insofern im Zusammenhang mit dem Begriff des Unrechts, das sich definieren läßt als ein Verhalten, das dem Recht widerspricht in einer die äußere Freiheit einer Person verletzenden Weise?3 Das Unrecht als Negation des Rechts weist also wie dieses eine Beziehung zur Freiheitssphäre des Taters wie des Opfers auf. 34 Unter der Prämisse eines freiheitlichen Strafrechts Zaczyk, Selbstverantwortung, S. 23. Vgl. dazu eingehend E.A. Wolff, Die Abgrenzung von Kriminalunrecht zu anderen Unrechtsformen, in: Winfried Hassemer, Strafrechtspolitik, S. 137 ff., S. 178 ff. 30 So Zaczyk, Selbstverantwortung, S. 23 f.; ders., Gesellschaftsgefäbrlichkeit, S. 120 ff. 31 Vgl. Pawlik, S. 41. 32 Vgl. Rudolphi, in SK, vor § 1 Rdnr. 73 f.; Stratenwerth, AT, S. 307 f.; emmer, in Schönke/Schröder, § 15 Rdnr. 148 m. w. N. 33 Köhler, AT, S. 20. 34 Zaczyk, Selbstverantwortung, S. 26. 28
29
176
D. Der eigene Lösungsansatz
bedarf es zur Annahme eines Verbrechens (verstanden als strafrechtlich zu ahndendes Unrecht) in Abgrenzung zu bloßem (Zivil-)Unrecht freilich einer fundamentalen Rechtsverletzung, die konkret die rechtliche Selbständigkeit des Opfers betrifft. 35 Dies ist bei solchen Angriffen auf die Rechtsgüter des Opfers anzunehmen, auf die es sich aufgrund des grundlegenden Vertrauens auf die Anerkennung seiner elementaren Daseinsbedingungen der Freiheit nicht einstellen kann?6 Dieses "wechselseitige Basisvertrauen" ermöglicht erst das Bestehen rechtlicher Verhältnisse und ist insofern unverzichtbar in einer freiheitlichen Rechtsordnung. Aufgrund dieser Abgrenzung vom bloßen Unrecht können derartige Verhaltensweisen nicht als Verbrechen angesehen werden, die als solche nicht die allgemeine äußere Freiheit betreffen. Bloße Beeinträchtigungen fremder Rechte, auf die der Betroffene sich selbständig einzustellen vermag oder denen nur Bagatellqualität zuzubilligen ist, können zwar als Unrecht, nicht aber als Verbrechen qualifiziert werden. 37 Andererseits bedarf es in einem freiheitlichen Strafrecht einer besonderen Begriindung, um einen Straftatbestand als abstraktes Gefährdungsdelikt auszugestalten. Erforderlich ist ein Verhalten, das erfahrungsgemäß eine unkontrollierbar schwere Verletzungsgefahr für andere Rechtssubjekte zur Folge hat. 38 Angesichts der unkritischen gesetzgeberischen Ausdehnung der Betrugsstrafbarkeit auf abstrakte Gefährdungsdelikte bestätigt sich insofern auch die bereits im 1. Teil dieser Arbeit geäußerte Beanstandung dieser Tendenz. 39
4. Ergebnis
Die Verknüpfung mit der allgemeinen Unrechtslehre ermöglicht es mithin, dem Prinzip der Selbstverantwortung - über den allgemeinen ultima-ratio-Gedanken hinaus - eine exakter zu bestimmende unrechtsbegrenzende Wirkung zukommen zu lassen. Zur Einordnung eines Verhaltens unter den Begriff des Verbrechens ist wegen dessen unmittelbarer interpersonaler Bedeutung und dem Erfordernis einer bestimmten Verletzung einer fremden Rechtssphäre auch das Opferverhalten zu berücksichtigen. Aufgrund der Selbstverantwortung des Opfers kann sein Verhalten dazu führen, daß sich das Gesamtgeschehen als eigenverantwortliche Handlung des Opfers und damit nicht als strafbares Unrecht darstellt. Dies ist vor allem abhängig von der erforderlichen Qualität des Opferverhaltens, die nachfolgend mit dem Ziel einer Einschränkung des Betrugstatbestandes näher zu bestimmen ist.
38
Köhler; AT, S. 30; ders., Der Begriff der Strafe, S. 50 ff.; jeweils mit Nachweisen. Grundlegend E.A. Wolff, in: Strafrechtspolitik, S. 137 ff., 213. Vgl. Zaczyk, Gesellschaftsgefährlichkeit, S. 124 f.; Köhler; AT, S. 28. Köhler; ZStW 104, 3, 37 f.; E.A. Wolff, in: Strafrechtspolitik, S. 137 ff., 218 ff.
39
Siehe oben unter BIll.
35 36 37
III. Einschränkung des § 263 StGB über den Gedanken der Opfermitverantwortung 177
III. Einschränkung des § 263 StGB über den Gedanken der Opfennitverantwortung Von diesem Ausgangspunkt einer eigenen Konzeption soll zunächst untersucht werden, ob und wie aufgrund des speziellen Charakters des Betrugstatbestandes eine Abgrenzung der Verantwortungsbereiche von Täter und Opfer durchzuführen ist (1. / 2.). In einem weiteren Schritt ist auf kriminalpolitische Bedenken einzugehen (3. / 4.). Schließlich ist das ermittelte Ergebnis auf durch hohes Opfermitverschulden geprägte Fallgruppen des Betruges anzuwenden (5.).
1. Die Struktur des Betrugstatbestandes
Zunächst ist die dem Betrugstatbestand im Hinblick auf die Mitverantwortung des Opfers zugrunde liegende Struktur zu analysieren.
a) Leitgedanke der erfolgreichen Überlistung des Opfers Nach wie vor herrschend ist insofern die sog. Überlistungstheorie, nach der beim Opfer verbliebene Zweifel die Annahme eines betrugsrelevanten Irrtums nicht hindern. Sie wird maßgeblich vom Kausalitätsdenken beherrscht und beruht auf der Annahme, daß das Opfer durch die vorgenommene Verfügung über sein Vermögen zum Ausdruck bringe, daß es etwaige Zweifel verdrängt habe und nunmehr vollständig auf die Wahrheit der vorgespiegelten Tatsachen vertraue. Allein die Tatsache, daß die Möglichkeitsvorstellung motivierend gewirkt habe, erweise deren Herbeiführung als Fall einer erfolgreichen Überlistung. 4o Allerdings verbirgt sich hinter der Prämisse, der Getäuschte sei im Regelfall des Betruges schon dann der List des anderen zum Opfer gefallen, wenn er die Vermögensverfügung trotz eines Zweifels vornehme, der Kurzschluß, daß der Abwägungs- und Entscheidungsprozeß des letztendlich Verfügenden ausschließlich von der Frage der Richtigkeit oder Unrichtigkeit bestimmt werde. Nicht berücksichtigt wird dabei, daß die Zweifel an der Wahrheit nicht unbedingt immer verdrängt werden, sondern dem Opfer auch noch zum Zeitpunkt der Vornahme der schädigenden Handlung bewußt sein können. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn auch andere Beweggründe für das Verhalten des Opfers eine - eventuell sogar beherrschende Rolle spielen, etwa weil es sich eine einmalige Chance nicht entgehen lassen will, auf materiellen Profit spekuliert oder sich ideelle Vorteile verspricht. 41 Schon insofern erweist sich also die psychologische Umschreibung der herrschenden Betrugsdogmatik als angreifbar. Darüber hinaus haben aber auch die grundlegenden Aus40 Siehe bereits oben unter Teil B; vgl. dazu auch Frisch, Bockelrnann-FS, S. 647, 649 f. sowie die Nachweise bei Seier, S. 274. 41 Ebenso Seier, S. 274.
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D. Der eigene Lösungsansatz
führungen Nauckes deutlich gemacht, daß die Berufung auf die Äquivalenztheorie die kriminalpolitische Problemstellung verdeckt. Durch sie kann nicht dargetan werden, daß deIjenige des Schutzes des Betrugstatbestandes bedarf, der angesichts bewußter Ungewißheit in der durchaus zweifelhaften Hoffnung auf eine günstige Sachlage spekulativ verfügt. 42 Außerdem wird beim alleinigen Abstellen auf den ursächlichen Zusammenhang weder das Subsidiaritätsprinzip noch das Prinzip der wirtschaftlichen Eigenverantwortung berücksichtigt. 43 Naucke betont zu Recht, daß der Staat den einzelnen Privaten um so mehr aus der Zuständigkeit für den Schutz seines Vermögens entläßt, je weiter der Rahmen pönalisierter täuschungsbedingter Selbstschädigungen gezogen wird. Reicht selbst die geradezu unfaßbar plumpe Täuschung zur Annahme eines strafbaren Betruges aus, sofern sie nur äquivalente Bedingung der Täuschung ist, so wird der einzelne drastisch von der Aufgabe entlastet, sein Vermögen in acht zu nehmen. 44
b) Kennzeichnung des speziellen Deliktscharakters Im Gegensatz zur sog. Überlistungstheorie ist im Hinblick auf die Struktur des Betruges die Kennzeichnung seines speziellen Deliktscharakters wesentlich aufschlußreicher. Die Verwirklichung des Betrugstatbestandes erfordert die Existenz eines Opfers, so daß sich der § 263 StGB strukturell als ein Delikt der notwendigen Teilnahme charakterisieren läßt. Das potentielle Opfer kann sich gegen Betrügereien dadurch erfolgreich zur Wehr setzen, indem es die vom Täter angesonnene Vermögens verfügung schlichtweg unterläßt. Es verfügt insofern immer über die Möglichkeit der Verhinderung, selbst wenn sich ein etwaiges Mißtrauen (noch) überhaupt nicht als berechtigt herausgestellt hat. 45 Aufbauend auf diesen Gedanken läßt sich die Struktur eines Tatbestandes speziell in viktimologischer Sicht auch danach näher beschreiben, ob es sich um ein sog. Beziehungsdelikt oder ein sog. Zugriffsdelikt handelt. 46 Als Beziehungsdelikte werden solche Straftatbestände angesehen, bei denen der Täter zur VollenSo zutreffend Samson. in SK. § 263 Rdnr. 56; zustirnrnend auch Kurth. 160. Vgl. dazu Kurth. S. 160,245, der darauf hinweist, daß auch in der wohl überwiegenden Lehre die Auffassung vertreten wird. daß die Bedingungstbeorie angesichts ihrer Weite haftungseinschränkender Korrekturmöglichkeiten bedarf. 44 Kindhäuser, ZStW 103,398,405; vgl. auch H. Schröder, Peters-FS, S. 153, 157 f. 45 Vgl. Tiedemann. Verh. 49. DJT, S. C 49; Winfried Hassemer, Klug-FS, S. 217, 219; ebenso EIlmer, S. 286, der zutreffend darauf hinweist, daß dies typischerweise nicht auf solche Fälle zutrifft, in denen dem Verfügenden der vermögensschädigende Charakter seines Verhaltens verborgen bleibt. 46 Diese Unterscheidung hat ihre Grundlage in der bereits von Schultz. SchwZStR 1956, 171,172 entwickelten Kategorie des "Beziehungsverbrechens". 42
43
III. Einschränkung des § 263 StGB über den Gedanken der Opferrnitverantwortung 179
dung des Tatbestandes den Rechtsgutträger oder eine mit diesem in Zusammenhang stehende Person zu einem dem deliktischen Vorhaben förderlichen Verhalten bewegt haben muß. In diese Kategorie ist auch der Betrug einzuordnen, der nicht verübt werden kann, ohne daß der Getäuschte die vermögensschädigende Verfügung vornimmt und damit einen eigenen Handlungsbeitrag leistet. Hier nimmt das Oper also nicht bloß passiv am Tatgeschehen teil und erleidet eine Rechtsgutverletzung als Taterfolg bzw. erduldet eine Handlung des Täters, sondern ist sehr viel intensiver beteiligt. Im Gegensatz dazu setzen die sog. Zugriffsdelikte begrifflich eine Interaktion zwischen Täter und Opfer weder vor noch bei Begehung der Tat voraus, wie dies z. B. beim Diebstahl der Fall ist. 47 Allerdings ist zu beachten, daß diese Differenzierung wohl kaum für alle Delikte des Besonderen Teils nahtlos durchführen ist. 48 Auch bei Zugriffsdelikten kann die Beziehung zwischen Täter und Opfer insofern relevant sein, als daß auch hier das Verhalten des Opfers den tatbestandlichen Erfolg oftmals erst ermöglicht, etwa wenn der Bestohlene äußerst sorglos mit seinen Sachen verfahren ist. Insofern ist es zweifelhaft, ob man bei den Beziehungsdelikten die Schutzbedürftigkeit des Opfers schon durch die Vernachlässigung des von jedermann ohne weiteres zu erwartenden Selbstschutzes entfallen lassen kann und demgegenüber bei den Zugriffsdelikten das Opfer so lange für schutzbedürftig hält, als daß es nicht die Gefahrenquelle selbst zu verantworten hat. 49 Zumindest verdeutlicht aber diese Betrachtungsweise, daß im sozialen Handlungsgeschehen des Betrugstatbestandes Täter und Opfer keine isolierten Größen sind, sondern daß der Täter geradezu einen Mitwirkungsbeitrag des potentiellen Opfers benötigt, um den Tatbestand zu verwirklichen. Im Rahmen des § 263 StGB als Beziehungsdelikt entfaltet das Opferverhalten tatbestandliche Relevanz, wodurch die Beziehung zwischen Täter und Opfer typischerweise von einer besonderen Qualität geprägt ist.
c) Parallele zur mittelbaren Täterschaft Diese besondere Beziehung zwischen Täter und Opfer wird teilweise auch so aufgefaßt, daß der Betrugstatbestand als "vertypte" mittelbare Täterschaft oder als deren Sonderfall angesehen wird, da der Täter den Getäuschten jeweils als Werkzeug für seine Zwecke einsetze. Mit dieser These wird insbesondere von Teilen der Literatur das Erfordernis der funktionalen Beziehung zwischen Irrtum und Schaden bzw. der unbewußten Selbstschädigung begründet. 50 Entsprechend den bei der 47 Raimund Hassemer, S. 54 f. m. w. N.; vgl. auch Kaiser, S. 43 ff.; Schünemann, NStZ 1986,439,440. 48 Kritisch deshalb zu Recht Seier, S. 282 Fn. 461; Arzt, MSchrKrim 67 (1984), S. 105, 108 Fn. 14; GA 1982,522. 49 So aber Schünemann, NStZ 1986,439,440; Raimund Hassemer, S. 63 ff.
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D. Der eigene Lösungsansatz
mittelbaren Täterschaft geltenden Grundsätzen setze auch eine Vermögensverschiebung durch List voraus, daß das Opfer die effektiven Auswirkungen seiner Verfügung nicht überschaue. Nur wenn ihm der vermögensschädigende Charakter seines Verhaltens verborgen bleibe, könne er als Werkzeug angesehen werden. Ansonsten sei nicht der Täuschende für die Vermögensschädigung verantwortlich, sondern der Getäuschte selbst, da die Verantwortlichkeit in Form der Wahlmöglichkeit, das schädigende Verhalten vorzunehmen oder zu unterlassen, die Eigenschaft als Werkzeug ausschließe. 51 Die Täuschung müsse deshalb dazu dienen, dem Opfer das Bewußtsein von dem wirtschaftlichen oder - ausnahmsweise - auch sozialen Sinn seiner Verfügung zu nehmen und ihn damit zum Werkzeug des Täters für die erstrebte Vermögens verschiebung zu machen. Diesem Begründungsansatz wird jedoch zu Recht vorgehalten, nur eine formale, im materiellen Kern aber nicht überzeugende Parallele zu ziehen. Denn die Rechtsfigur der mittelbaren Täterschaft setzt voraus, daß jemand als Werkzeug zur Vornahme einer rechtswidrigen Handlung mißbraucht wird. Gerade daran fehlt es aber bei der als solchen rechtmäßigen Selbstschädigung. 52 Dagegen läßt sich zwar einwenden, daß auch die mittelbare Täterschaft keineswegs notwendig ein Verhalten des Tatmittlers voraussetzt, das per se bei Strafe mißbilligt ist. Vielmehr kommt mittelbare Täterschaft auch in Betracht, wenn der Hintermann sein Opfer durch Täuschung zu einer an sich tatbestandslosen körperlichen Selbstverletzung oder Selbsttötung veranIaßt. 53 Allerdings ist es weitere Voraussetzung einer mittelbaren Täterschaft, daß der Hintermann ohne weiteres strafbar wäre, wenn er selbst anstelle des Vordermannes gehandelt hätte. Es gibt aber kein Delikt, das dem Täter das vermögensschädigende Verhalten des Betrugsopfers bei Strafe verbietet. Vielmehr muß zur Tatbestandsmäßigkeit des Betrugsverhaltens gerade noch die Täuschung hinzukommen, an der das Opfer aber keinen Anteil hat. Deshalb ist beim Betrug die Handlung des Opfers auch dann nicht strafbar, wenn der Täter diese selbst ausführt. Die Schädigung fremden Vermögens ist eben nicht pauschal unter Strafe gestellt, sondern wird nur dann sanktioniert, wenn sie durch bestimmte Verhaltensweisen herbeigeführt wird. Dazu zählt freilich nicht notwendigerweise die Konstellation der mittelbaren Täterschaft, die als Figur des Allgemeinen Teils vielmehr schon bestimmte Unrechtshandlungen als gegeben voraussetzt. Erst bei dieser Sachlage kann über sie in einem zweiten Schritt dem mittelbaren Täter das Verhalten des Tatmittlers zugerechnet werden. Demgegenüber entscheidet sich innerhalb der Betrugsdogmatik, ob bestimmte Verhaltensweisen überhaupt zu mißbilligen und damit strafbar sein sollen. Insofern kann das Erfordernis der unbewußten 50 Siehe bereits die Ausführungen oben unter BIll 2 c); sie wird - mit abweichender Begründung - aber auch von anderen Autoren vertreten. 51 eramer, Vermögensbegriff, S. 207; H. Schröder, NJW 1962,721,722; Lenckner, NJW 1971,599,600; vgl. auch Jakobs, AT, 21/80; kritisch dazu Kindhäuser, ZStW 103,398,411 m. w. N.; siehe auch Krack, S. 54; Merz, S. llO. 52 Vgl. Lackner, in LK, § 263 Rdnr. 172; Frisch, Bockelmann-FS, S. 647, 651 f. 53 So auch Kindhäuser, Bemmann-FS, S. 339, 349 f.; Gerhold, S. 65.
III. Einschränkung des § 263 StGB über den Gedanken der Opfennitverantwortung 181
Selbstschädigung nicht daraus hergeleitet werden, daß der Betrug von seiner Struktur her der Rechtsfigur der mittelbaren Täterschaft vordergründig ähnlich ist. 54 d) Das Erfordernis der Zurechnung des Opferverhaltens Im Ergebnis ist aus diesen Überlegungen jedenfalls abzuleiten, daß der Betrug insofern ein kodifizierter Fall mittelbarer Schädigung ist, als daß seine Grundstruktur in der Schädigung durch ein vom Tater beherrschtes Werkzeug besteht. 55 Diese Struktur ist dadurch gekennzeichnet, daß der Tauschende einen anderen veraniaßt, für ihn eine Handlung vorzunehmen oder sie zu unterlassen. Aufgrund dieses Veranlassungsprinzips findet zwischen dem Tater und seinem Opfer eine Aufteilung der Kausalität, der Gefahrbeherrschung sowie der Folgenzurechnung statt. 56 Damit steht die Abgrenzung der Verantwortlichkeitssphären von Tater und Opfer im Zentrum des Betrugstatbestandes. 57
Berücksichtigt man bei der Ermittlung des Unrechts des Betrugstatbestandes diese ihm immanenten Prinzipien, ergibt sich, daß das Verhalten des Opfers dem Tater stets zugerechnet werden können muß, wobei die Zurechnungskriterien der mittelbaren Taterschaft aus den oben angestellten Erwägungen hier freilich nicht weiter fruchtbar gemacht werden sollen. 58 2. Abgrenzung der Verantwortungsbereiche
Jede strafrechtliche Zurechnung eines Unrechtsverhaltens ist abhängig von den jeweiligen Prinzipen der der Norm zugrunde liegenden Aufgaben- und Risikoverteilung zwischen Tater und Opfer. 59 Im Kern bedeutet dies auch für den Betrugstatbestand eine Abgrenzung der jeweiligen Verantwortungsbereiche, die angesichts der großen Bedeutung des Wirtschaftsverkehrs für unser heutiges Leben sowie der unsicheren Grenze zwischen strafbarem Betrug und strafloser Geschäftstüchtigkeit unverzichtbar ist. Das modeme Geschäftsleben beruht gerade darauf, daß zwischen Leistung und Gegenleistung nicht stets eine völlige Äquivalenz besteht, sondern daß vielmehr nur der erfolgreich ist, der immer etwas schlauer ist als sein Konkurrent. Deshalb muß geklärt werden, welches Maß an Tauschung noch zulässig ist und ab welchem Punkt ein täuschendes Verhalten strafrechtlich relevant wird. 6O 54 Lackner, in LK, § 263 Rdnr. 172; Frisch, Bockelmann-FS, S. 647, 651 f.; 666 f.; Gerhold, S. 65; Ellscheid, GA 1971, 161, 165; vgl. zum ganzen auch Kindhäuser, Bemmann-
FS, S. 339, 358. 55 So auch Joecks, S. 128. 56 Mohrbotter, GA 1975,41,51. 57 Vgl. dazu auch Frisch, Bockelmann-FS, S. 647,652. 58 Siehe dazu Kindhäuser, Bemmann-FS, S. 339, 358. 59 Vgl. Kratzsch, Oehler-FS, S. 65 ff. 60 Hilgendorf, S. 105; 193; Arzt I Weber, Lehrbuch, § 20 Rdnr. 7 ff.
182
D. Der eigene Lösungsansatz
Indem der Gesetzgeber ausdrücklich eine Täuschung über Tatsachen verlangt, hat er zu erkennen gegeben, daß nicht jede Umedlichkeit im Geschäftsverkehr dem Betrugstatbestand unterfallen soll, sondern nur solche Täuschungshandlungen, die einen gewissen Schwellenwert überschreiten. Während sich aber der Tatsachenbegriff als unfähig erwiesen hat, eine befriedigende Grenzlinie zu ziehen, läßt sich die Spannungslage zwischen der an sich restriktiven kriminalpolitischen Konzeption und dem extensiv gefaßten Tatbestand des Betruges über eine Abschichtung der Verantwortungs bereiche auflösen. Auch die herrschende Betrugsdogmatik praktiziert dies häufig, teilweise sogar unter ausdrücklicher Einbeziehung der Bedingungen des modemen Wirtschaftsverkehrs, wie etwa in den Prob1embereichen der Täuschung durch Unterlassen oder der konkludenten Täuschung. 61 Bei der insoweit erforderlichen eigenen Abgrenzung der Verantwortungsbereiche ist unter Berücksichtigung der oben dargestellten rechts- und sozialstaatlichen Prinzipien davon auszugehen, daß die Aufgabe des Strafrechts darin besteht, einen optimalen Rechtsgüterschutz zu verwirklichen, der also soweit wie möglich effektiv funktioniert und das Prinzip der Verhältnismäßigkeit wahrt. 62
a) Allgemeine Kriterien bei vorsätzlichen Verletzungsdelikten Dabei ergibt sich zunächst, daß bei vorsätzlichen Verletzungsdelikten die Aufgaben und Risiken der Gefahrenabwehr im Grundsatz so zu verteilen sind, daß es allein Sache des Täters ist, die zur Erhaltung des Rechtsgutes erforderlichen Maßnahmen zu treffen. Dies muß auch dann gelten, wenn das Opfer insofern eine Mitschuld trägt, als daß es zum Selbstschutz in der Lage gewesen ist, diese Möglichkeit aber nicht wahrgenommen hat. Denn ansonsten müßte auch der rechtstreue Bürger alle Handlungen unterlassen, die auch nur entfernt die Möglichkeit begründen, einen anderen zu einer Straftat zu veranlassen. Die damit verbundenen Freiheitsbeschränkungen führten zu einer einseitigen und dem Prinzip der Autonomie widersprechenden Gleichgewichtsverschiebung zu Gunsten des Rechtsbrechers. 63 Während hier also der Täter im Grundsatz für die Gefahrenabwehr verantwortlich ist, ist demgegenüber das potentielle Opfer von jeder (Mit-)Verantwortung freizustellen, um ihm schon unangemessenen Aufwand zu ersparen sowie seine Handlungsautonomie zu bewahren. Aus der Entlastung von Aufgaben der Rechtsguterhaltung resultiert zugleich aber auch eine Erweiterung seiner Autonomie, da die insoweit freigestellte Handlungsenergie für andere Ziele eingesetzt werden kann. 64
61 62 63 64
Siehe oben unter BIll 1 b), c). Vgl. nur Kratzseh, Oehler-FS, S. 65, 68 ffi. w. N. Vgl. zu den Grenzen des Selbstverantwortungsprinzip schon oben unter D I 3. Kratzseh, Oehler-FS, S. 65, 72.
111. Einschränkung des § 263 StGB über den Gedanken der Opferrnitverantwortung 183
b) Besonderheiten im Bereich der Vermögensde1ikte Im Bereich der Vermögensdelikte kommt es hingegen zu einer Umkehrung dieser strafrechtlichen Aufgaben- und Risikoverteilung, so daß es prinzipiell Sache des Opfers ist, die Erhaltung des betreffenden Rechtsgutes zu organisieren. 65 Hier greift der strafrechtliche Schutz nur in eng begrenzten Fällen besonderer Schutzbedürftigkeit des Opfers ein, namentlich dann, wenn der Tater es für seine deliktischen Ziele vorsätzlich ausnutzt, daß die Fähigkeit des Opfers zum selbstverantwortlichen Handeln durch zielgerichtete Manipulationen herabgesetzt ist bzw. nicht in ausreichendem Maße vorhanden ist, wie etwa im Falle der Erpressung oder des Betruges. Denn der fragmentarische Charakter des Strafrechts kommt gerade beim Schutz des Vermögens besonders zum Tragen. Die Vermögensdelikte gewährleisten keine Verteidigung gegen jeden möglichen Angriff, sondern erfordern vielmehr eine bestimmte Angriffsweise oder eine bestimmte Absicht des Taters. 66 Das grundsätzlich zu befürwortende Ziel, einen möglichst umfassenden Vermögensschutz zu erreichen, ist die primäre Aufgabe des Zivilrechts, so daß nicht jede vorsätzliche Vermögensverletzung zu sanktionieren ist. 67 Deshalb ist zu betonen, daß es schon nicht die Funktion des Strafrechts, aber erst recht nicht die Aufgabe des Betrugstatbestandes sein kann, jedem nur denkbaren Risiko Rechnung zu tragen, zumal wenn dieses auch noch in der eigenen Person begründet ist. 68 Innerhalb der Vermögensdelikte ist zudem der Umstand hervorzuheben, daß dem potentiellen Opfer Möglichkeiten des Selbstschutzes zur Seite stehen, mit denen es seine eigenen Interessen selbst wahren kann. Auch dem rechtstreuen Bürger werden diejenigen Kosten und Rechtsnachteile aufgebürdet, die zum Selbstschutz erforderlich sind. Denn gerade angesichts der knappen Ressourcen für die Strafverfolgung ist es legitim, dem mündigen Bürger, der den Schutz seiner Rechtsgüter vernachlässigt hat, den Beistand des Strafrechts zu entziehen. Durch den oben bereits dargelegten Gedanken der Selbstverantwortung wird insofern eine Verlagerung der Kosten des einzelnen zum Selbstschutz auf den Staat verhindert und dadurch eine optimale Form des Rechtsgüterschutzes insgesamt gefördert. 69
65 Vgl. dazu Arzt, MSchrKrim 1984,105,112; Raimund Hassemer; 1. Teil; Kratzseh, Oehler-FS, S. 65, 73 m. w. N. 66 Maiwald, Maurach-FS, S. 9 f.; Naucke, Strafrecht, § 6 Rdnr. 59. 67 Mayer; Strafrechtsreform, S. 68; Peters, Schrnidt-FS, S. 488, 492; Riegger; S. 196; Kurth, S. 177 m. w. N. 68 So Mohrbotter; GA 1975,41, 52 unter Berufung auf Lenckner; JZ 1971, 320, 324; zustimmend auch Kurth, S. 178. 69 Arzt, MSchrKrim 1984, 105, 110 f.; Kratzseh, Oehler-FS, S. 65, 73.
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D. Der eigene Lösungsansatz
c) Opfermitverschulden als besonderes Phänomen des Betruges Speziell im Hinblick auf den Betrugstatbestand ist darüber hinaus aber noch dessen besonderes Charakteristikum zu berücksichtigen, daß auf seiten des Betrugsopfers immer wieder ein Mitverschulden festzustellen ist. Wie oben bereits erörtert, handelt es sich beim Betrugstatbestand strukturell um ein Delikt der notwendigen Teilnahme sowie um ein Beziehungsdelikt. Häufig ermöglicht das Opfer dem Täter aber nicht nur die Tat, sondern erleichtert sie ihm auch noch durch ein geradezu unfaßbar leichtgläubiges und vertrauensseliges Handeln. Dabei besteht in den meisten Fällen für das Betrugsopfer kein objektiv berechtigter Anlaß, den Behauptungen des Täters ohne weiteres Glauben zu schenken. Vielmehr erweist sich das dem Täter entgegengebrachte Vertrauen sehr häufig als unbegründet, so daß der erfolgreiche Betrüger regelmäßig auch mit plumpen, durchsichtigen Täuschungsmanövern sein Ziel erreicht. Bei allen Betrugsarten - vom Darlehens- über den Bettelbetrug bis hin zum Heiratsschwindel - kommen empirische Untersuchungen zu dem Ergebnis, daß das Opfer dem Täter den Betrug erheblich erleichtert hat durch seine unverständliche Sorglosigkeit, Leichtgläubigkeit, Torheit, Bequemlichkeit oder Gedankenlosigkeit bzw. durch seine Gewinnsucht, Selbstüberheblichkeit, Ängstlichkeit, seinen Aberglauben oder Ehrgeiz. Dabei wird freilich nicht der Einfältige, dem kritisches Denken fremd ist, häufig Opfer von Betrügereien, sondern der Durchschnittsbürger mit an sich gesundem Menschenverstand. Dieses Opferverhalten läßt sich auch nicht auf einen überlegenen Bildungs- bzw. Intelligenzgrad der Täter zurückführen, da diese weniger über eine im Vergleich zum Opfer höhere intellektuelle Leistungsfähigkeit als vielmehr über ein gewisses Maß an geistiger Gewandtheit, Lebenserfahrung, Menschenkenntnis sowie Urteilsvermögen verfügen. 70 Nach der Polizeilichen Kriminalstatistik weisen Jugendliche und Heranwachsende beim Betrug im Berichtsjahr 1999 mit 17,4% nur einen sehr geringen Tatverdächtigenanteil auf, während weibliche Tatverdächtige mit 26,4% vergleichsweise häufig vertreten sind. 71 Der geringe Anteil junger Personen ist vor allem darauf zurückzuführen, daß ihnen die für dieses Delikt notwendigen psychologischen Erfahrungen in der Regel fehlen. 72 Bis zum Alter von 49 Jahren ist die Betrugskriminalität am höchsten und sinkt danach wieder ab. Gerade in diesem Lebensalter verfügen die Täter über die Eigenschaften, die zum Gelingen der Tat beitragen, wobei sie sich weniger durch den im Vergleich zum Opfer überlegenen Intelligenzgrad als vielmehr durch ein gewisses Maß an Unverfrorenheit und schauspielerisches Einfühlungsvermögen auszeichnen. Aufgrund ihres sicheren, häufig sogar formvollendeten Auftretens, ihrer Anpassungsfähigkeit und Überre70 Maeck S. 10; Arzt I Weber, Lehrbuch, § 20 Rdnr. 2; Göppinger, S. 658; Amelunxen, Kriminalistik 1969, 178, 179; Zirpins, in: HWBdK, Band I, S. 81 ff.; v. Hentig, S. 197 ff.; Middendorf, Archiv für Kriminologie 1980, 168, 181; so auch schon Grass, S. 4; weitere Nachweise bei Ellmer, S. 253 f. 71 PKS 1999, S. 186. 72 Eisenberg, § 45 Rdnr. 119 f.; Wesselsl Hillenkamp, Rdnr.491.
111. Einschränkung des § 263 StGB über den Gedanken der Opfermitverantwortung 185
dungskunst gelingt es ihnen bisweilen derart mühelos, die Unerfahrenheit, Arglosigkeit oder Leichtgläubigkeit bzw. bestimmte Daseinsängste oder Zukunftssorgen ihrer Opfer auszunutzen, daß der Erfolg vieler Betrügereien maßgeblich auf das Verhalten des Opfers zurückzuführen ist. 73 Als besonders geeignet werden solche Betrugsopfer angesehen, die derart von Gewinnstreben motiviert werden, daß sie jegliche Vorsichtsmaßnahrnen außer acht lassen und ohne nennenswertes Mißtrauen blind den Angaben des Täters vertrauen. Denn hier besteht für den Betrüger eine perfekte Opferlage, die dieser nur noch auszunutzen braucht. 74 Berücksichtigt man diese Erkenntnisse im Hinblick auf die Betrugsstrafbarkeit, so spricht einiges dafür, jedenfalls in durch sehr hohes Mitverschulden geprägten Konstellationen die nach dem Wortlaut gegebene Betrugsstrafbarkeit über den Gedanken des Selbstschutzes zu verneinen.
d) Zumutbarkeit als Regulativ der Selbstschutzmöglichkeiten Allerdings ist - wie bereits ausgeführt - zu berücksichtigen, daß das Prinzip der Selbstverantwortung keinesfalls eine einseitige Erweiterung des Autonomiebereichs eines der Mitverursacher auf Kosten der Rechte anderer legitimiert. Denn das Prinzip der Selbstverantwortung stößt dort an seine Grenze, wo eine eigenverantwortliche Organisation der Gefahrenabwehr vom potentiellen Opfer nicht erwartet werden kann, weil ihm dies unmöglich ist oder ihm wegen unverhältnismäßig hoher Kosten nicht zugemutet werden kann. Potentiellen Betrugsopfer können demnach lediglich die Vernachlässigung solcher Selbstschutzmaßnahmen vorgeworfen werden, die ihnen auch zumutbar sind. Denn anderenfalls würden auch dem rechtstreuen Bürger erhebliche Verzögerungen und Erschwernissen aufgebürdet, wenn dieser jede auch noch so fernliegende Möglichkeit des Selbstschutzes nutzen müßte. Deshalb sind sie zur Überprüfung einer Tatsachenbehauptung nur insoweit verpflichtet, als die Kontrolle keinen zu großen Aufwand an Zeit und Kosten oder zu weitgehende Freiheitsbeschränkungen erfordern würde. 75 Aber auch sonstige Nachteile sind zu berücksichtigen. So muß der strafrechtliche Schutz bestehen bleiben, wenn die Wahrnehmung von Möglichkeiten des Selbstschutzes aus sozialen oder gesellschaftlichen Gründen für das Betrugsopfer unzumutbar ist. Beispielsweise kann eine Nachprüfung bei einer engen Beziehung zwischen Geschäftspartnern durchaus als Geringschätzung oder Beleidigung aufgefaßt werden. Deshalb würde auch die Forderung nach einem perfekten Kontrollsystem zu einer weitgehenden gesellschaftlichen Isolation des Individuums führen 73 Wesselsl Hillenkamp, Rdnr. 491; Kürzinger, in Kaiser/Kemer/Sack/Schellhoss, S. 111; Göppinger, S. 481, 495, 658; Beger, S. 34 f.; Zirpins, in: HWBdK, Band 1,2. Auflage, Berlin 1966, S. 90 ff. 74 So schon Amelunxen, Kriminalistik 1969, 178, 179. 75 Vgl. bereits oben unter D I 3 sowie Kratzseh, Oehler-FS, S. 65, 75 f.; Ellmer, S. 285; Krad" S. 39; Kühne, S. 12.
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D. Der eigene Lösungsansatz
und damit das kollektive Zusammenleben unerträglich machen. 76 Zur Venneidung derartiger Konsequenzen muß folglich das potentielle Betrugsopfer von der Inanspruchnahme unzumutbarer Selbstschutzmaßnahmen freigestellt werden. Dies muß gerade angesichts der weiterhin anhaltenden Entwicklung zu einer hocharbeitsteiligen Gesellschaft gelten. Denn eine grundsätzliche Pflicht zum Mißtrauen und zur Durchführung von Kontrollen würde den modernen Wirtschaftsverkehr erheblich erschweren. Bei einer Vielzahl von Abhängigkeits- und Vertrauensverhältnissen ist es regelmäßig überhaupt nicht bzw. nur unter unverhältnismäßig hohen Kosten möglich, die Erklärungen anderer Rechtssubjekte vollständig auf ihre Richtigkeit zu überprüfen. 77 Demnach kann mit dem Gedanken der Opfermitverantwortung das Vorliegen eines strafrechtlichen Betruges nur dann verneint werden, wenn dem Opfer zumutbare Maßnahmen zur Überprüfung des eingesetzten Vertrauens zur Verfügung gestanden haben, die es jedoch nicht genutzt hat. Wie bereits ausgeführt, ist dabei zu berücksichtigen, daß das Prinzip der Selbstverantwortung eine Unterschreitung der Wortlautgrenze des § 263 StGB nur rechtfertigen kann, wenn das Opfer über einen vom Bewußtsein ausgehenden Kontrollimpuls verfügt und sich insofern vor der Vornahme der schädigenden Verfügung zu schützen vennag. Deshalb ist die Zumutbarkeit von Selbstschutzmaßnahmen nur dann zu bejahen, wenn deren Aufwand im Vergleich zu einem bewußt eingegangen (Rest-)Risiko noch verhältnismäßig ist. Diese Wertung ist vom Einzelfall abhängig unter Einbeziehung des sozialen und gesellschaftlichen Umfelds. Im Regelfall wird es als unzumutbar anzusehen sein, derartige Maßnahmen zu ergreifen, da entweder deren Kosten gegenüber einem bewußt eingegangen (Rest-)Risiko außer Verhältnis stehen oder das Opfer ein Risiko aufgrund der Täuschung des gar nicht bewußt eingegangen ist.
e) SchutzWÜfdigkeit des Vertrauens Weiterhin ist es erforderlich, die dem Bereich der Selbstverantwortung zuzurechnenden Fälle von der strafrechtlich relevanten Ausnutzung einer Abhängigkeit abzugrenzen. Dies kann über das Kriterium der Schutzwürdigkeit des Vertrauens erreicht werden. aa) Ableitung aus dem Verbrechensbegriff
Unter dem zugrunde gelegten Verbrechensbegriff muß durch die Einwirkung des Täters die Freiheit des Opfers derart konkret betroffen sein, daß das Verhalten des Täters als strafbares Unrecht anzusehen ist. Im Hinblick auf den Betrugstatbestand ist dies der Fall bei einem Angriff auf das Vennögen des Opfers, auf den es 76
77
Ellmer, S. 286; Kaiser, S. 94, 100 f. V gl. dazu schon den historischen Teil dieser Arbeit.
III. Einschränkung des § 263 StGB über den Gedanken der Opfennitverantwortung 187
sich angesichts des grundlegenden Vertrauens in die Erklärungen des Täters nicht in zumutbarer Weise einstellen kann. Der Betrugstatbestand ist gerade durch einen Vertrauensmißbrauch von seiten des Täters gekennzeichnet, indem er die Fälle des durch Täuschung begangenen Mißbrauches von berechtigtem Vertrauen beschreibt, die irrtumsbedingt zu einem Vermögensschaden führen. Während der Täter einer Untreue eine ihm bereits eingeräumte Vertrauensstellung ausnutzt, mißbraucht der Betrüger typischerweise eine erst von ihm geschaffene Vertrauenssituation. Die strafrechtliche Funktion des § 263 StGB besteht insofern darin, nur berechtigtes, nicht aber jegliches Vertrauen in die Behauptungen anderer Personen zu schützen. 78 Das Prinzip der Selbstverantwortung muß also zurücktreten, wenn der Täter die auf schutzwürdigem Vertrauen basierende Abhängigkeit des Opfers ausgenutzt hat. bb) Notwendigkeit des Vertrauens im Geschäftsverkehr
Wie im historischen Teil dieser Arbeit bereits ausgeführt, ist das rechtlich anzuerkennende Maß an gegenseitigem Vertrauen der Grund dafür, daß eine eventuelle Mitverantwortung des Opfers für die Annahme eines tatbestandlichen Betruges zunehmend unbeachtlich wurde und die herrschende Betrugsdogmatik nunmehr lediglich das Vorliegen von Kausalität im Sinne der Bedingungstheorie ausreichen läßt. Angesichts der weiterhin anhaltenden Entwicklung zu einer hocharbeitsteiligen Gesellschaft und der dadurch bedingten Fülle von Abhängigkeits- und Vertrauensverhältnissen ist zu beachten, daß über das Kriterium der Schutzwürdigkeit des Vertrauens ein ausreichendes Maß an gegenseitigem Vertrauen gewährleistet wird, das im modemen Geschäftsverkehr unverzichtbar ist. Denn die Leichtigkeit und Schnelligkeit geschäftlicher Transaktionen, auf die eine modeme Gesellschaft angewiesen ist, wird eingeschränkt, wenn man den tatsächlichen Angaben seines Geschäftspartners grundsätzlich mißtrauen muß und diese nicht unkritisch zur Grundlage von ökonomischen Entscheidungen machen darf. 79 Allerdings ist der Handelsverkehr durch die auf zumutbare Maßnahmen beschränkte Forderung nach Selbstschutz schon keineswegs übermäßig erschwert. Der Regelfall des modemen Wirtschaftsverkehrs, in dem es überhaupt nicht oder nur unter unverhältnismäßig hohen Kosten möglich ist, die tatsächlichen Angaben seines Geschäftspartners in jeder Hinsicht lückenlos auf ihre Richtigkeit zu überprüfen, ist gerade nicht erlaßt. Trotzdem kann die hier vorgeschlagene Einschränkung des § 263 StGB der Förderung und Ausweitung eines lebendigen Handelsund Wirtschaftsverkehrs als der sozialen Funktion des Betrugstatbestandes nur dadurch konsequent Rechnung tragen, indem sie sich an der Vertrauensbeziehung zwischen Täter und Opfer ausrichtet und die beabsichtigte Restriktion über das im Einzelfall noch vorhandene schutzwürdige Vertrauen begründet. 78 79
Arzt/Weber, LH 3, 2. Auflage 1986, Rdnr. 47; Ellmer, S. 271 ff. m. w. N. Vgl. Schauer, S. 95; Bottke, JR 1987,428,429; Tischler, Jura 1988, 122, 123.
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D. Der eigene Lösungsansatz
cc) Bewußte Vernachlässigung wirtschaftlicher Selbstverantwortung
Im Hinblick auf die Schutzbedürftigkeit des Opfers kann das Vorliegen eines strafbaren Betruges nicht schon dann verneint werden, wenn das Opfer ihm zur Verfügung stehende und zumutbare Maßnahmen zur Überprüfung des eingesetzten Vertrauens nicht genutzt hat. Vielmehr kann das Prinzip der Selbstverantwortung zum einen nicht zu einer StrafIosigkeit des Täters führen, wenn dieser die besondere Abhängigkeit des Opfers in seine täuschenden Erklärungen ausgenutzt hat (s.o.). Zudem muß das Opfer aber auch über einen vom Bewußtsein ausgehenden Kontrollimpuls verfügt haben, der es ihm überhaupt ermöglicht hat, sich selbst zu schützen,80 auch wenn dieser möglicherweise durch andere Bewußtseinsvorgänge unterdrückt wird. Dabei muß das Opfer in solch einer Weise bewußt gegen seine eigenen Interessen gehandelt haben, daß sein Verhalten als bewußte Vernachlässigung seiner wirtschaftlichen Eigenverantwortung anzusehen ist. Sofern das Opfer dagegen nicht erkennt, daß ihm zumutbare Selbstschutzmaßnahmen zur Verfügung stehen und den Verstoß gegen die ihm obliegenden Sorgfaltspflichten überhaupt nicht bemerkt, ist es weiterhin vom Schutzbereich des Betrugstatbestandes erfaßt. Denn in diesem Fall liegt ein schutzwürdiges unerschüttertes Vertrauen in die Redlichkeit des Täters vor. Auch wenn das Opfer zumutbare Maßnahmen des Selbstschutzes unterlassen und die Obliegenheit zur Aufmerksamkeit und Kontrolle verletzt hat, kommt es nur darauf an, ob die Vertrauens lage zwischen Täter und Opfer im Zeitpunkt der Verfügung noch fortbestand. Hierzu zählen insbesondere die Fälle des dummen, leichtgläubigen oder unerfahrenen Opfers, die typischerweise entweder schnell ein sehr intensives Vertrauen fassen oder von vornherein deshalb kein Mißtrauen aufkommen lassen, weil sie gar nicht in der Lage sind, das betrügerische Vorhaben des Täters zu durchschauen. 81 Das sorglose Handeln des Opfers führt hier also zur Verwirklichung des Betrugstatbestandes und kann nur auf Strafzumessungsebene berücksichtigt werden. Auch wenn das Verhalten des Opfers dort nicht ausdrücklich aufgeführt ist, so entspricht es dennoch der ganz überwiegenden Auffassung in der Rechtsprechung und Literatur, daß sich eine derartige Nachlässigkeit des Opfers strafmildernd zugunsten des Täters auswirkt. 82 Hat der Getäuschte aber bewußt auf für ihn zumutbare Überprüfungsmöglichkeiten verzichtet und ist es anschließend zu der vom Täter angesonnenen Vermögensverfügung gekommen, so sind die selbstschützenden Maßnahmen regelmäßig und typischerweise aus vom Opfer zu verantwortenden Gründen unterblieben, wie z. B. Gewinnstreben, Nachlässigkeit oder Bequemlichkeit. Dann aber ist das Vertrauen des Opfers gegenüber dem Täter entweder so weit erschüttert, daß es nicht mehr schutzwürdig ist oder es besteht sogar überhaupt keine Vertrauenslage mehr. Gerade unter der Prämisse, daß der Betrugstatbestand das für eiSiehe oben unter D III 2 d). Ebenso Kaiser; S. 89. 82 Stree, in Schönke/Schröder; § 46 Rdnr. 23 f. m. w. N.; vgl. auch Kaiser; S. 97; Hillenkamp, Vorsatztat, S. 313. 80 81
III. Einschränkung des § 263 StGB über den Gedanken der Opfennitverantwortung 189
nen lebendigen Handels- und Wirtschaftsverkehr unverzichtbare Maß an Vertrauen schützen soll, ist es deshalb sachgerecht, diejenigen Verhaltensweisen aus dem Schutzbereich des Betrugstatbestandes herauszunehmen, bei denen sich das Verhalten des Opfers als bewußtes Handeln gegen seine eigenen Interessen, mit anderen Worten als bewußte Vernachlässigung seiner wirtschaftlichen Eigenverantwortung darstellt.
3. Kriminalpolitische Bedenken
Fraglich ist aber, ob der insoweit angedachten Restriktion kriminalpolitische Bedenken entgegenstehen. Denn im Rahmen der jeweiligen Konkretisierung des Selbstschutzgedankens ist es unerläßlich, alle rechtspolitisch relevanten Gesichtspunkte umfassend abzuwägen und insbesondere die Interessen des Opfers und die Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit angemessen zu berücksichtigen.
a) Entwicklung zu einer Gesellschaft des Mißtrauens Wie bereits ausgeführt, wird gegenüber dem viktimo-dogmatischen Ansatz eingewandt, daß die Verwirklichung des viktimologischen Prinzips mit der anerkannten Friedensfunktion des Strafrechts kollidiere und auf die unerträgliche Konsequenz eines straffreien Raumes hinauslaufe, in dem nur noch das Faustrecht gelte und sich der einzelne einigele. Diese Zustände seien unter rechtspolitischen Aspekten nicht akzeptabel und sollen eigentlich durch das staatliche Gewaltmonopol gerade verhindert werden. Zwar mögen diese Befürchtungen durchaus zutreffen für den Bereich der Gewaltdelikte, der sich deshalb auch kaum anbietet für die Berücksichtigung des Opferverhaltens. Allerdings werden sie bei der hier propagierten viktimologisch motivierten Restriktion des gewaltfreien Betrugstatbestandes nicht relevant. Vielmehr folgt - wie gezeigt - die Berücksichtigung des Selbstschutzgedankens beim Betrug schon aus seiner speziellen kriminalpolitischen Bedürfnis- und Interessenlage sowie dem Charakter eines Beziehungs- und Selbstschädigungsdeliktes. 83
b) Einwand der Schutzlosigkeit des Opfers Sehr viel beachtenswerter ist allerdings der Einwand der Schutzlosigkeit des Opfers. Schon seit Beginn der Diskussion im 19. Jahrhundert wird allen Restriktionsvorschlägen vorgeworfen, den Schutz der Hilflosen, Ungewandten und Lebensfremden unangemessen zu verkürzen und diese Personen weitgehend zur 83 Vgl. schon oben III 1 b); ebenso Luipold, S. 33; SchünefTUlnn, Faller-FS, S. 357, 370; ders., NStZ 1986,439,442; siehe auch Kurth, S. 180 ff.
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D. Der eigene Lösungsansatz
Schädigung freizugeben. 84 Gerade für Unerfahrene und Leichtgläubige sei aber der strafrechtliche Schutz unentbehrlich. 85 Außerdem wird befürchtet, daß potentielle Betrugsopfer zum Freiwild erklärt würden und betrügerische Geschäftemacher die nun risikolose Jagd auf die "geistig Unterprivilegierten" verstärken. Eine generelle Heranziehung des Opfermitverschuldens zur Begrenzung des Betruges reize deshalb zur Ausbeutung der Schwächen aller Menschen (nicht nur der so häufig zitierten Dummen und Schwachen) in einer kriminal politisch kaum erträglichen Weise an. 86 Diesen berechtigten Bedenken wird durch die einschränkenden Voraussetzung der hier vorgeschlagenen Restriktion des Betrugstatbestandes allerdings schon weitgehend Rechnung getragen. Denn durch die Beschränkung auf zumutbare Maßnahmen des Selbstschutzes wird auf die individuellen Fähigkeiten des Opfers weitgehend Rücksicht genommen. Außerdem liegt nur im Fall der bewußten Sorglosigkeit kein schutzwürdiges Vertrauen vor, während bei unbewußter Sorglosigkeit das Vertrauen gerade von Unerfahrenen und Leichtgläubigen in die Erklärungen des Täters geschützt wird. Im Hinblick auf die im Ergebnis auszugrenzenden Fälle ist außerdem darauf hinzuweisen, daß das Vermögen als am ehesten verzichtbares Rechtsgut über das Zivilrecht ausreichenden Schutz genießt. 87 Insofern ist das Betrugsopfer bei fehlender Betrugsstratbarkeit des Täters weiterhin geschützt. Auch wenn die Möglichkeit entfällt, Schadensersatz nach § 823 Abs. 2 BGB i.Y.m. § 263 StGB 88 zu verlangen, stehen dem Geschädigten andere gleichwertige Anspruchsgrundlagen zur Verfügung, wie etwa § 823 Abs. 2 BGB i.Y.m. anderen Schutzgesetzen, insbesondere § 123 BGB; dieser Anspruch besteht auch dann, wenn die Anfechtung selbst ausgeschlossen ist. Bei arglistiger, schädigender Täuschung liegen auch die Voraussetzungen des § 826 BGB vor. Dariiber hinaus kommen regelmäßig Anspriiche aus §§ 812 ff. BGB sowie den Rechtsinstituten der positiven Vertragsverletzung (PVV) bzw. culpa in contrahendo (CIC) in Betracht. 89 Zwar hat auch dieser Schutz seine Grenzen, da jeder zivilrechtliche Schadensersatzanspruch das Risiko seiner faktischen Durchsetzbarkeit trägt und ihm eventuell gerade dann der Einwand des Mitverschuldens gemäß § 254 BGB entgegengehal84 Lackner; in LK, § 263 Rdnr. 91; Samson, in SK, § 263 Rdnr. 62; Tröndle, IR 1974,221, 224; Hillenkamp, Vorsatztat, S. 88 f.; Arzt, LH 3, I. Auflage 1978, S. 121 Fn. 4; vgl. auch Amelung, GA 1977, 1,9, Fn. 43 a.E. 85 Wesselsl Hillenkamp, Rdnr. 510; Ranft, JA 1984,723,730. 86 Arzt, Verh. 51. DIT, S. N 57. 87 So Baumann, JZ 1972, 1 ff., 5 f.; zustirnrnend Kaiser; S. 98 f. 88 Der Straftatbestand des Betruges ist als Schutzgesetz im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB anzusehen, vgl. nur Kramer; in MünchKomm, § 123 Rdnr. 30. 89 Heinrichs, in Palandt, § 123 Rdnr. 26 ff.; Kramer; in MünchKomm, § 123 Rdnr. 30 m. w. N.; vgl. darüber hinaus auch die Ausführungen von Ellmer; S. 292 ff. zu den Vorzügen eines rein zivilrechtlichen Rechtsgüterschutzes.
III. Einschränkung des § 263 StGB über den Gedanken der Opfermitverantwortung 191
ten werden kann, wenn der Geschädigte seinen eigenen Sorgfaltspflichten nicht nachgekommen ist. 9o Allerdings ist dies andererseits auch kennzeichnend für unsere Rechtsordnung, die eben das Vennögen "nicht um jeden Preis" zu schützen beabsichtigt, sondern nur unter bestimmten gesetzlichen Vorgaben. 91 Der Einwand der Schutzlosigkeit des Opfers ist aber nur dann vollends ausgeräumt, wenn das Opfer nach seinen individuellen Eigenschaften weder als "dumm" noch als "schutzlos" bezeichnet werden kann. Damit ergibt sich als zusätzliche Voraussetzung der hier vertretenen Einschränkung des § 263 StGB die im Einzelfall festzustellende Schutzbedürftigkeit des Opfers. 4. Ergebnis Im Ergebnis ist damit der strafrechtliche Schutz des Betrugstatbestandes demjenigen Opfer zu versagen, das 1. bewußt gegen seine eigenen Interessen handelt und außerdem 2. als nicht schutzbedürftig anzusehen ist.
Der Betrugstatbestand bedarf, wie dargelegt, gemäß der ihm immanenten Teleologie dieser Einschränkung, auch wenn sie in seinem Wortlaut nicht enthalten ist. Nur dadurch kann die zu weit gefaßte Nonn des § 263 StGB auf den ihr nach dem gesetzlichen Regelungszweck zukommenden Anwendungsbereich zurückgeführt werden. 5. Methodische Umsetzung des gefundenen Ergebnisses
Zu klären bleibt freilich noch, wie die hier entwickelte Notwendigkeit einer EinschrärJkung des Betrugstatbestandes methodisch umgesetzt werden kann.
a) Empfehlung einer Änderung des Gesetzeswortlautes Gerade vor dem Hintergrund des sehr weitgehenden gesetzgeberischen Willens bei der Schaffung des heutigen § 263 Abs. I StGB ist primär die Erforderlichkeit einer Gesetzesänderung in Erwägung zu ziehen, etwa durch Ergänzung des Betrugstatbestandes um einen weiteren Absatz, der die hier entwickelten Kriterien normiert. 92 Allerdings ist gegenwärtig auf nationaler wie auf europäischer GesetzgeVgl. nur Heinrichs, in Palandt, § 254 Rdnr. 5 m. w. N. So zu Recht Kaiser, S. 98 f. 92 Sein Wortlaut wäre dann z. B.: "Wegen Betruges wird nicht bestraft, wenn der Verletzte bewußt gegen seine eigenen Interessen gehandelt hat und außerdem als nicht schutzbedürftig anzusehen ist." 90 91
192
D. Der eigene Lösungsansatz
bungsebene die Tendenz zu verzeichnen, den Bereich des strafbaren Betruges auszudehnen. Zudem wird durch Schaffung von Gefährdungsdelikten der strafrechtliche Schutz vorverlagert und so insgesamt die Berücksichtigung eines eventuellen Opfermitverschuldens unter Vernachlässigung des ultima-ratio-Gedankens zunehmend erschwert. 93 Insofern ist zu befürchten, daß dem Ruf nach der hier befürworteten Reform jedenfalls in absehbarer Zeit nicht nachgekommen wird.
b) Teleologische Reduktion des Betrugstatbestandes Sieht man von der Möglichkeit einer Gesetzesänderung ab, läßt sich die hier vorgeschlagene Restriktion des Betrugstatbestandes methodologisch nur über eine teleologische Reduktion, nicht aber über eine bloße restriktive Auslegung erreichen. Während sich eine restriktive Auslegung noch innerhalb des möglichen Wortsinns bewegt, wird bei einer teleologischen Reduktion unter Rückbesinnung auf das geschützte Rechtsgut sowie den Regelungszweck einer Norm deren Anwendungsbereich reduziert und ihr damit eine Fallgruppe entzogen, die ihr selbst bei extrem restriktiver Interpretation sprachlich unterfällt. Im Gegensatz zu einer restriktiven Auslegung werden also die durch den möglichen Wortsinn gezogenen Grenzen unterschritten, so daß der Tatbestand - wie hier - eine nach dem Gesetzeswortlaut nicht vorgesehene Einschränkung erfährt. 94 Der methodologische Weg einer teleologischen Reduktion des Betrugstatbestandes rechtfertigt sich insofern, als daß nur dadurch eine angemessene Berücksichtigung der den Betrug kennzeichnenden intellektuellen Auseinandersetzung zwischen Täter und Opfer ermöglicht wird. Außerdem kann auf diese Weise der restriktiven kriminalpolitischen Zielsetzung des Gesetzes Rechnung getragen werden. Denn entgegen der Vorstellung des historischen Gesetzgebers hat sich der Tatsachenbegriff als unfähig erwiesen, die von ihm erhoffte Restriktion des weit gefaßten Betrugstatbestandes zu vollbringen. Während die herrschende Betrugsdogmatik vor diesem Hintergrund in vielen Einzelproblemen des Betrugstatbestandes auf fragwürdige dogmatische Konstruktionen zurückgreift, finden sich zwar andere Restriktionsversuche, die die Opfermitverantwortung berücksichtigen und sich in methodologischer Hinsicht letztendlich ebenfalls als teleologische Reduktion darstellen. Wie bereits ausgeführt, sind diese allerdings dem Vorwurf einer unzulässigen Unterschreitung des Wortlauts ausgesetzt. 95 Demgegenüber hat die hier entwickelte Restriktion von vornherein berücksichtigt, daß die der eigenen Kon93
Vgl. Teil B 11 3.
Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 391 m.N.; Jescheck/Weigend, § 17, S. 156, 160; s. auch BOH, NJW 1993, 1145, 1146 f.; speziell zu den Restriktionsversuchen im Rahmen des Betrugstatbestandes Hillenkamp, Vorsatztat, S. 135 ff.; Ellmer, S. 287 ff.; Kaiser, S. 67; vgl. außerdem Schünemann, Klug-FS, S. 169, 177 f.; ders., NStZ 1986, 439, 94
442, jeweils m. w. N. 95 Vgl. nur die Zusammenfassung oben unter C 111 4.
IV. Anwendung auf durch hohes Mitverschulden des Opfers geprägte FaIlgruppen 193
zeption zugrunde liegenden rechts- und sozial staatlichen Prinzipien, insbesondere das Prinzip der Selbstverantwortung, jedenfalls dann eine Aufkündigung des richterlichen Gehorsams gegenüber dem Gesetzgeber legitimieren können, wenn das Opfer über einen vom Bewußtsein ausgehenden Kontrollimpuls verfügt und sich insofern vor der Vornahme der schädigenden Verfügung zu schützen vermag. IV. Anwendung auf durch hohes Mitverschulden des Opfers geprägte Fallgruppen, inshesondere im Bereich der Risikogeschäfte Gerade die Voraussetzung der Schutzbedürftigkeit des Opfers kann freilich nur durch eine individuelle Analyse der jeweiligen Fallgruppe festgestellt werden. Deshalb sollen die entwickelten Abgrenzungskriterien nunmehr auf solche Konstellationen angewandt werden, die durch einen sehr hohen Grad des Opferrnitverschuldens gekennzeichnet sind. Allerdings ist von vornherein festzustellen, daß über die dem § 263 StGB immanente Teleologie hinaus auch die oben dargestellten vorrangigen Prinzipen - insbesondere das Prinzip der Selbstverantwortung - nur ausnahmsweise eine Einschränkung rechtfertigen können. Wie sich bereits im Verlaufe dieser Arbeit abzeichnete, erstreckt sich deshalb die hier vorgeschlagene teleologische Reduktion weniger auf den "Normalfall" des Betruges und erst recht nicht auf die häufig anzutreffende Täuschung von Unerfahrenen und Leichtgläubigen, so daß insbesondere Konstellationen wie etwa der bereits angesprochene Haarverdoppler-, Massagebürsten- oder Teufelsaustreibungs-Fall nicht erfaßt sind. Denn hierbei nutzt der Täter durchweg die Abhängigkeit des Opfers aus, das sich aufgrund des unverzichtbaren Vertrauens in die Erklärungen des Täters nicht in zumutbarer Weise auf den Angriff auf sein Vermögen einstellen kann. Folglich ist durch die Einwirkung des Täters die Freiheit des Opfers derart konkret betroffen, daß das Verhalten des Täters als strafbares Unrecht anzusehen ist. Außerdem kann auch in solchen verbreitet vorkommenden Fällen, in denen die Schutzbedürftigkeit des Opfers zweifelhaft erscheint, kaum davon ausgegangen werden, daß dieses bewußt gegen seine eigenen Interessen verstößt. Dies gilt vor allem für die Fälle der marktschreierischen Übertreibung, bei denen der Täter im übrigen zumeist gerade nicht das Vertrauen des Opfers in eine bestehende oder vorgetäuschte besondere Fachkompetenz und damit dessen besondere Abhängigkeit ausnutzt. Die Untersuchung hat gezeigt, daß einer derart weitreichenden Einschränkung des Betrugstatbestandes sowohl methodische als auch kriminalpolitische Bedenken entgegenstehen. 96
96 Der Gedanke der Mitverantwortung des Opfers kann bei krassen Fällen von Gutgläubigkeit ohne Ausnutzung einer Abhängigkeit allenfalls durch die von der herrschenden Betrugsdogmatik angewandte "Korrekturstrategie" (latent) berücksichtigt werden, vgl. dazu schon oben unter B IV I a).
194
D. Der eigene Lösungsansatz
Aufgrund der typischerweise verminderten Schutzbedürftigkeit und Schutzwürdigkeit des Opfers sowie der fehlenden Ausnutzung einer Abhängigkeit des Opfers stehen vielmehr Risikogeschäfte im Mittelpunkt. In Anlehnung an die im Rahmen des § 266 StGB 97 insofern bestehende besondere Problematik lassen sich diese begrifflich dadurch kennzeichnen, daß die Prognose, ob die fragliche Maßnahme zu einem Gewinn oder Verlust führt, mit einem erhöhten Maß an Ungewißheit belastet ist. 98
1. Konstellationen des Beteiligungs- und Kapitalanlagebetruges als typische aus dem Schutzbereich des Betrugstatbestandes herausfallende Risikogeschäfte
Als typische aus dem Schutzbereich des Betrugstatbestandes herauszunehmende Risikogeschäfte kommen vor allem Konstellationen des Kapitalanlagebetrugs in Betracht.
a) Schwierigkeiten bei der tatbestandlichen Erfassung Dies zeichnete sich im Verlauf dieser Untersuchung auch schon ab anhand der Schwierigkeiten der herrschenden Betrugsdogmatik, beim unseriösen Anbieten von Warenterminoptionen innerhalb der Problemkreise der konkludenten Täuschung sowie der Täuschung durch Unterlassen zu sachgerechten Lösungen zu kommen. Gerade die hierbei aus einem besonderen Vertrauensverhältnis hergeleitete Aufklärungspflicht, die sich an die von angeblichen Fachleuten offerierte Beratung anknüpfte, konnte kaum überzeugen. 99 Auch die für die Strafzumessung wichtige Feststellung der Höhe des entstandenen Vermögens schaden erwies sich oftmals als problematisch, wobei auch hier der Gedanke der Opfermitverantwortung eine Rolle spielte. 1OO Darüber hinaus wird aber bei dieser Fallgruppe des Betruges in der Praxis sowohl die Annahme eines Irrtums als auch dessen Kausalität im Hinblick auf die Vermögensverfügung häufig einfach ohne nähere Prüfung unterstellt. So ist das 97 Näher dazu Hillenkamp, NStZ 1981, 161, 162 ff. m. w. N., vgl. auch die Definition von Maurach/Schroeder/Maiwald, § 45 11 Rdnr. 45 ff. 98 So Lenckner, in Schönke / Schröder, § 266 Rdnr. 20; zutreffend hält er die von Hillenkamp (NStZ 1981, 161, 165) in Anknüpfung an die betriebswirtschaftliche Entscheidungslehre vorgeschlagene Definition "geschäftliche Disposition, die eine Fehlentscheidung sein kann" für zu weitgehend, da die Möglichkeit eines Fehlschlages geschäftlicher Dispositionen immer gegeben ist; vgl. auch 8GH, wistra 1985, 190, 191 sowie Raimund Hassemer, S. 161. 99 Vgl. oben unter BIll 1 b), c). 100 Siehe oben unter B 11; zu weiteren praktischen Problemen beim Nachweis des Betruges vgl. Geerds, S. 98 ff.; Martin, S. 186 ff.
IV. Anwendung auf durch hohes Mitverschulden des Opfers geprägte Fallgruppen 195
Vorliegen eines Irrtums etwa dann fraglich, wenn sich entgegen den mündlichen Versprechungen in dem der Anlageentscheidung zugrunde liegenden Prospektmaterial deutliche Hinweise auf Kosten und Provisionen befinden sowie darauf, daß durch deren Höhe die Gewinnchance erheblich eingeschränkt wirkt und demgegenüber ein beträchtliches Risiko des (Total-)Verlusts besteht. 101 Auch wenn ein betrugsrelevanter Irrtum durch etwaige Zweifel auf der Opferseite nicht entfallt, ist dennoch - jedenfalls nach ganz h.M. - die positive Vorstellung einer der Wirklichkeit widersprechenden Tatsache erforderlich. 102 Obwohl diese - gerade in den Fällen unterlassener Aufklärung - ausdrücklich vom Gericht festgestellt werden muß, begnügen sich viele Urteile mit dem Hinweis, daß Personen mit gewöhnlicher wirtschaftlicher Vernunft bei Kenntnis des Risikos oder des überhöhten Aufschlages die Anlageentscheidung nicht getroffen hätten. 103 In gleicher Weise werden häufig die durchaus naheliegenden Bedenken im Hinblick auf die Kausalität zwischen Irrtum und Vermögensverfügung übergangen. Ob sich die einzelnen Anleger bei umfassender Aufklärung anders entschieden hätten, erscheint insofern äußerst zweifelhaft, als daß sich als Motiv ihrer Anlageentscheidung oftmals nicht die ihnen gegenüber tatsächlich gemachten Angaben herausstellt, sondern allein die vorgespiegelten phänomenalen Gewinnchancen. 104 Dies bemängelt auch der BGH, der (inzwischen) bemerkenswert strenge Anforderungen an die notwendigen tatrichterlichen Feststellungen und an ihre Darlegung im Urteil für eine Verurteilung wegen betrügerischen Handels mit Warenterminoptionen stellt. 105 Für die Frage, inwieweit die Kunden über das Risiko des Optionsgeschäftes tatsächlich aufgeklärt wurden, hält er im Einzelfall "sorgfaltige, auf die Beweggründe, Kenntnisse und Erwägungen des jeweiligen Kunden zugeschnittene Ermittlungen und Feststellungen" in Bezug auf die vorhandene Risikobereitschaft, den Bildungsgrad, die Vorkenntnisse aus anderen Geschäften ähnlicher oder gleicher Art sowie die Vermögensverhältnisse für unerläßlich. 106 Dabei soll es unter anderem maßgeblich sein, welche Vorstellungen sich die Kunden über die Zusammensetzung des in Rechnung gestellten Betrages - vor allem über die Höhe der Aufschläge - gemacht haben und wie sie sich bei deren Kenntnis verhalten hätten. I07 Keinesfalls könne eine mangelnde Aufklärung der Kunden pauschal damit begründet werden, daß diese das Warentermingeschäft nicht getätigt hätten, sofern ihnen das damit verbundene spekulative Moment, insbesondere das Risiko eines Siehe oben unter BIll 1 b) cc), c) bb. Vgl. nur Lackner, in LK, § 263 Rdnr. 75 f. m. w. N. 103 Vgl. etwa OLG München, NJW 1980,794 f.; kritisch dazu auch Seelmann, NJW 1980, 2545,2549; Wonns, Anlegerschutz, S. 189 m. w. N. 104 So auch 1iedemann, Verh. 49. DIT, S. C 47 ff.; ebenso Wonns, Anlegerschutz, S. 190 m. w. N.; vgl. auch Martin, S. 186 ff. 105 Ebenso Achenbach, NStZ 1991,409,410 f.; vgl. auch ders., in NStZ 1993, 427, 429. 106 So BGH, NJW 1983, 1917; vgl. auch BGH, wistra 1989, 19,20 f.; 223 f. sowie ferner die Anmerkung von Molketin, NStZ 1992,603 zu BGH, NJW 1992, 1709. 107 BGH, NJW 1983, 1917. 101
102
196
D. Der eigene Lösungsansatz
(Total-)Verlustes des eingesetzten Kapitals bekannt gewesen wäre. Auch könne eine ausdrückliche und deutliche Darstellung der Gefahren einer Spekulation, insbesondere die Warnung vor der Möglichkeit eines (Total-)Verlustes, nicht einfach als ungeeignet angesehen werden, über das Verhältnis zwischen Risiko und Gewinnchance aufzuklären, nur weil angeblich das Risiko verharmlost und die Gewinnchancen hervorgehoben werden. 108 Vielmehr müsse geklärt werden, warum die Kunden es trotz derartiger Risikohinweise außer Acht lassen, daß es sich um ein "spekulatives Geschäft handelt, dessen Risiken ... nicht übersehen werden dürfen,,109; ob sie das schriftliche Informationsmaterial aus "Mangel an Zeit oder Interesse" nicht bzw. nur flüchtig zur Kenntnis genommen haben oder ob sie geistig nicht in der Lage gewesen sind, aus dem vollständig gelesenen Text zutreffende Schlüsse zu ziehen. no In diesem Zusammenhang ist freilich darauf hinzuweisen, daß die warnende Wirkung der nach der Zivilrechtsprechung erforderlichen schriftlichen Hinweise wieder weitgehend entwertet wird, wenn die Risiken nur allgemein beschrieben werden, jedoch dem Kunden die Gefahren des konkreten Geschäftes nicht nahe gebracht werden. Denn sofern nur die Erzielung hoher Gewinne in Aussicht gestellt wird, während die Risiken aufgrund der angeblichen Betreuung durch seriöse Fachleute zu vernachlässigen seien, verfehlen solche Warnungen ihren Zweck. Zudem stellen die Vermittler die schriftliche Risikoaufklärung in mündlichen Gesprächen mit den potentiellen Kunden häufig nur als formales rechtliches Erfordernis dar und vermitteln den Kunden unter Hinweis auf ihre besondere Fachkompetenz den Eindruck, daß diese Risiken bestimmt nicht gerade ihn treffen können. 111 Außerdem soll es nach Ansicht des BGH (in Strafsachen) auch auf den Grund dafür ankommen, daß Kunden eine Auftragsbestätigung - freilich teilweise als Informations- und Orderticket bezeichnet - unterzeichnen, obwohl sie damit gemäß den mitübersandten und in bezug genommenen Geschäftsbedingungen bestätigen, daß sie die "spekulativen Risiken dieses Geschäfts" kennen und über einen eventuellen (Total-)Verlust aufgeklärt worden sind. 1I2 Im Hinblick auf diese Punkte müsse konkret dargelegt werden, auf welche Weise die Kunden nicht nur durch Täuschungshandlungen zu Vermögensverfügungen veranlaßt worden sind, sondern bei ihnen trotz der ihnen erteilten schriftlichen Informationen auch noch die Vorstellung einer weitgehend sicheren und gewinnträchtigen Kapitalanlage geweckt worden ist und sie insofern in ihrem Vermögen geschädigt worden sind. Dies gelte vor allem, wenn der angesprochene Kundenkreis aus "selbständigen Bürgern des Mittelstandes" bestehe oder "vermögende, in Geldangelegenheiten offensichtlich erfahrene Angehörige akademischer Berufe" umfasse, die zwar vom OptionsgeBGH, wistra 1989, 19,21. So der Text einer Informationsbroschüre in dem BGH, wistra 1983, 1917 zugrunde liegenden Sachverhalt. HO BGH, NJW 1983, 1917; vgl. auchBGH, wistra 1989,19,21. IH Vgl. BGH, ZIP 1991, 1207, 1208. 112 BGH, NJW 1983, 1917; vgl. auch BGH, wistra 1989, 223, 224. 108
109
IV. Anwendung auf durch hohes Mitverschulden des Opfers geprägte Fallgruppen 197
schäft wenig oder nichts wissen, ihnen aber kaum verborgen bleiben könne, daß sich dieses wesentlich vom banküblichen Wertpapiergeschäft unterscheide und bei denen auch davon auszugehen sei, daß sie den Umgang mit Geld und den Abschluß von Geschäften gewohnt sind und insbesondere die Bedeutung von Auftragsbestätigungen kennen. 1I3 Schließlich seien besondere Feststellungen vonnöten, wenn solche Kunden Warentenningeschäfte abschließen, die erwiesenermaßen oder nicht ausschließbar das Risiko kennen. Dies gelte vor allem für dann, wenn diese bereits bei vorangegangenen Käufen, eventuell auch bei einer anderen einschlägigen Firma, einen Verlust erlitten haben, aber trotzdem noch Folgegeschäfte abschließen, von denen dann vielleicht noch ein weiteres tatsächlich einen Gewinn erbringt, die anderen aber lediglich zu erneuten Verlusten führen. Denn hier dränge sich die Annahme auf, daß die Kunden trotz ausreichenden Kenntnisstandes eine Abwägung unterließen oder den Gedanken an weitere Verluste zugunsten der weniger realistischen Hoffnung auf einen Gewinn zurückdrängtenY4 Allerdings ist zu berücksichtigen, daß diese notwendigen Feststellungen in der Praxis - gerade bei den hier häufig anzutreffenden umfangreichen Strafverfahren mit zahlreichen Geschädigten - nur sehr schwer durchzuführen sind. Hinzu kommt, daß die Anleger nach dem Verlust ihres Geldes oftmals behaupten, bei Kenntnis aller Umstände diese Anlage nie getätigt zu haben und ihnen ein anderes Verhalten zum Zeitpunkt der Anlageentscheidung auch nicht einfach unterstellt werden kann. Fraglich ist deshalb, ob die vorgeschlagene teleologische Reduktion anband kriminologischer und viktimologischer Erkenntnisse zu einer sachgerechteren Lösung führt.
b) Kriminologische und viktimologische Erkenntnisse über den Kapitalanlagebetrug Bedingt durch die Einkommensentwicklung der Bevölkerung in den letzten Jahrzehnten bewegen sich auf dem komplexen, oft nur von Fachleuten überschaubaren Gebiet der Kapitalanlage vermehrt unerfahrene und sorglose Anleger. Verschiedene Anlagefirmen haben sehr schnell die Möglichkeiten erkannt, dieses Reservoir an Geldmitteln für ihre Interessen und Ziele anzuzapfen. Dabei nutzen sie nach wie vor durch eine besonders ansprechende und seriöse Aufmachung die allgemein bestehenden Wünsche nach Sicherung, vor allem aber nach Vermehrung des Kapitals der Anleger geschickt aus. I 15 Nach der polizeilichen Kriminalstatistik wurden 1999 im Bereich der Straftatengruppe Beteiligungs- und Kapitalanlagebetrug 17.526 Fälle und damit 2.382 oder 113 114
BGH, NJW 1983, 1917; wistra 1989,223,224. So BGH, wistra 1989, 19,21; wistra 1989,223,224.
115 Vgl. Krieg1steiner, in Poerting, Wirtschaftskriminalität, Teil 2, S. 9; Lackner/Imo, MDR 1983, S. 969, 971 f.
198
D. Der eigene Lösungsansatz
15,7% mehr gegenüber dem VOljahr erfaßt. 116 Im Jahre 1997 wurden noch 33.790 Fälle registriert, wobei hier ausdrücklich darauf hingewiesen wird, daß die Vergleichbarkeit teilweise durch komplexe Ermittlungsvorgänge mit zahlreichen Einzelfällen beeinträchtigt ist, wie z. B. Anlagebetrug nach Maßgabe des § 263 StGB mit ca. 18.000 Einzelfällen allein in Hamburg. 117 Bei Beteiligungs- und Kapitalanlagebetrug wird für 1999 eine Aufklärungsquote von 99,9% (Vorjahr: 99,2%) angegeben,118 der aber wohl ein besonders großes Dunkelfeld gegenübersteht, da die Opfer erfahrungsgemäß gerade beim Kapitalanlagebetrug häufig "Schwarzgeld" investieren und aus Angst vor dem Finanzamt eine Strafanzeige unterlassen. 119 Viele der Geschädigten erstatten nach eigenen Angaben zwar deshalb keine Anzeige, weil die Ermittlungen bereits eingeleitet seien oder weil sie nicht glauben, ihr Geld auf diesem Wege zurückerhalten zu können. Auch wenn die Opfer dies bestreiten, sind aber sowohl Experten als auch Tater der Ansicht, daß das Anzeigeverhalten der Opfer sehr stark davon abhängig ist, ob das angelegte Kapital erspart ist oder "Schwarzgeld" darstellt. 120 Sofern es doch zu einer Strafanzeige kommt, geschieht dies oftmals gerade wegen der Chance auf eine Rückerstattung. Ebenso häufig wird daneben die Bestrafung der Tater als Hauptbeweggrund für eine Anzeige angegeben. 121 aa) Biographische Daten der Opfer von Kapitalanlagebetrügereien Das typische Opfer von Kapitalanlagebetrügereien ist männlich,122 mittleren Alters,123 häufig verheiratet l24 und bezieht ein überdurchschnittlich hohes Einkommen. 125 Letzteres dürfte vor allem damit zusammenhängen, daß die·oftmals angepriesenen Steuervorteile für Bezieher höherer Einkommen besonders interessant sind. Dabei sind angeblich steuerbegünstigte Kapitalanlagen freilich auch für Bezieher mittlerer Einkommen, die nicht dem Spitzensteuersatz unterliegen, wie etwa leitende Angestellte oder höhere Beamte, immer attraktiver geworden. 126 PKS 1999, S. 184. PKS 1997, S. 182. 118 PKS 1999, S. 184. 119 PKS 1997, S. 182 f. 120 Krieg1steiner, S. 10; LiebellOehmichen, Motivanalyse bei Opfern von Kapitalanlagebetrug, BKA-Forschungsreihe, Band 27, Wiesbaden 1992, S. 240; vgl. auch Ellmer, S. 263 m.w.N. 12l Vgl. LiebellOehmichen, S. 93 ff., 113. 122 Bei der von LiebeIl Oehmichen durchgeführten Studie betrug diese Quote etwa 86%, vgl. S. 102, 113. 123 Vgl. die Nachweise bei Worms, S. 112 (zwischen 40 und 60 Jahre alt) sowie die Studie von LiebellOehmichen, S. 102, 113,239 (zwischen 29 und 49 Jahre alt). 124 LiebellOehmichen, S. 103, 114. 125 Sonnen, wistra 1982, 123, 124; LiebellOehmichen, S. 106, 115; Worms, S. 112 m. w. N. 126 So auch Worms, S. 112 ff. mit Nachweisen. 116 117
IV. Anwendung auf durch hohes Mitverschulden des Opfers geprägte Fallgruppen 199
Im Vergleich zur Durchschnittsverteilung der deutschen Bevölkerung können überproportional viele Opfer ein (Fach-)Abitur nachweisen. Schon diese Tatsache weist darauf hin, daß zwar einerseits erst bei einem bestimmten Bildungsniveau überhaupt derartige Kapitalanlagen getätigt werden, dieser Umstand aber andererseits nicht vor Kapitalanlagebetrug schütZt. 127 Dies wird bestätigt durch einen Blick auf die Berufsausbildung: Ein Großteil der Geschädigten verfügt über eine kaufmännische Ausbildung und / oder ist in einem solchen Beruf tätig. Es finden sich vorwiegend Angehörige freier Berufe, selbständige Geschäftsleute (vorwiegend Inhaber von mittleren und kleineren Unternehmen) sowie Handwerker. 128 Dieser Personenkreis verfügt über das Wissen und die praktische Erfahrung im Umgang mit Kapital. Auch der Umstand, daß viele Betrogene schon öfter solche Kapitalanlagegeschäfte getätigt haben, läßt auf die Einsicht in die Abläufe solcher Finanzgeschäfte schließen. Es liegt die Vermutung nahe, daß sich diese Personen aufgrund ihres Wissens im Wirtschaftsbereich als besonders kompetent in Sachen Kapitalanlage betrachten und sich somit auch für ungefährdeter als andere halten. 129 Deshalb werden vielfach auch gerade ,,hartgesottene Geschäftsleute" als ideale Betrugsopfer angesehen, weil sie unbedingt einen Gewinn erzielen möchten und zugleich glauben, vor betriigerischen Manipulationen gefeit zu sein. 130 bb) Vertrauensbildung bei der Kontaktanbahnung
Sehr aufschlußreich für die Berücksichtigung der Mitverantwortung des Opfers innerhalb dieser Risikogeschäfte ist die typische Vertrauensbildung bei der Kontaktanbahnung. Bei den in der polizeilichen Kriminalstatistik verzeichneten bekanntgewordenen Fälle fällt im Hinblick auf Beteiligungs- und Kapitalanlagebetrug schon auf, daß bei der Tatortverteilung Großstädte sehr stark überrepräsentiert sind. 131 Vor dem Hintergrund der hier sehr ausgeprägten Anonymität verläuft die typische Vertrauensbildung bei der Anbahnung des deliktischen Kontakts nach einem ganz anderen Muster, als dies in kleineren Gemeinden der Fall wäre. Nach einschlägigen Untersuchungen kennen fast alle Opfer den Täter überhaupt nicht bis zur ersten Kontaktaufnahme, die dann im weiteren Verlauf der "Überzeugungsarbeit" letztendlich zum Abschluß der Beteiligung bzw. Kapitalanlage führt. 132 Obwohl die Täter in LiebellOehmichen, S. 103 f.; 114. Vgl. BGH, NJW 1983, 1917; Geerds, S. 93 Fn. 78; LiebellOehmichen, S. 105, 111 f.; Arzt I Weber, Lehrbuch, § 20 Rdnr. 2; Worms, S. 112 m. w. N. 129 LiebellOehmichen, S. 114. 130 Vgl. dazu auch Kurth, S. 215; v. Hentig, S. 194. m Für 1999 entfallen 19,4% der Fälle auf Städte über 500.000 Einwohner und 46,5% auf Städte mit 100.000 bis 500.000 Einwohnern (PKS 1999, S. 185); 1998 lagen diese Werte bei 49,0% und 18,8% (PKS 1998, S. 185), 1997 sogar bei 71,2% und 11,3% (PKS 1997, S. 182); die Schwankungen gehen wohl auf die bereits oben angesprochenen Ermittlungsvorgänge mit zahlreichen Einzelfällen zurück. 127 128
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D. Der eigene Lösungsansatz
Wahrheit kaum über qualifiziertes Wissen verfügen und allein ihr verkäuferisches Geschick in den Vordergrund stellen,133 vertrauen die Opfer ihnen sehr häufig von vornherein, teilweise sogar uneingeschränkt. Dieses Vertrauen ist auf den durchweg als positiv geschilderten Ersteindruck vom Täter zuriickzuführen, der als "seriöse Erscheinung", "gut informiert", "fachkompetent", "sympathisch" und "redegewandt" beschrieben wird. 134 Die sog. "Telefonverkäufer" eröffnen dem potentiellen Kunden dabei ungeahnte Gewinnmöglichkeiten, indem sie ihn etwa auf sichere Kenntnisse über kommende Naturkatastrophen oder politische Ereignisse verweisen, die zu ansteigenden Notierungen auf den Rohstoff-Terminmärkten führen werden. Im Falle anfänglichen Mißtrauens auf der Opferseite gelingt es ihnen dann auch, das notwendige Vertrauen aufzubauen und das Opfer zum Abschluß zu überreden. Zwar wird auf ein bestehendes Verlustrisiko in aller Regel hingewiesen, allerdings wird dies unter Herausstellung der angeblichen eigenen Sachkunde als unwahrscheinlich dargestellt. Sehr häufig werden dabei weitere Überzeugungsmittel eingesetzt, wie insbesondere Broschüren oder anderes Informationsmaterial. Die Entscheidung für die vertragliche Vereinbarung einer Kapitalanlage wird zumeist allein auf einer sehr schmalen Informationsbasis getroffen, meistens auch relativ kurzfristig, d. h. nach ein bis zwei, allerhöchstens drei Gesprächen. 135 Auch nach Vertragsabschluß besteht das Vertrauen zum Täter häufig weiter, gerade weil dieser nach der Anlagetätigung in der Regel den Kontakt aufrecht erhält, etwa durch persönliche Gespräche oder zumindest durch regelmäßige schriftliche Abrechnungen. Daher werden die Opfer meistens erst dann mißtrauisch, wenn sie keine Gewinnauszahlung bei Fälligkeit oder nach einer ordnungsgemäßen Kündigung des Vertrages erhalten, zum Teil sogar erst nach Aufnahme der Ermittlungen und entsprechende Information der Anleger durch die Staatsanwaltschaft bzw. die PolizeL 136 Demgegenüber tritt trotz des anfänglich großen Vertrauens in die Person des Täters der Verdacht, betrogen worden zu sein, dann schon relativ friih auf, wenn die Anleger nur unregelmäßig über den Stand der Anlage informiert werden und keinerlei Kontakt mehr zum Täter haben. 137 cc) Leichtsinn und Leichtgläubigkeit als Phänomen des Anlageschwindels
Den Anlegern zufolge stellt der Hauptgrund dafür, die Anlage bei eher unseriösen Unternehmen und nicht bei Banken bzw. Sparkassen zu tätigen, die in Aussicht Bei der von LiebellOehmichen durchgeführten Studie waren es etwa 90%, vgl. S. 240. Martin, S. 163 f.; Lackner/lmo, MDR 1983, 969; Rochus, NJW 1981,736. 134 LiebellOehmichen, S. 85, 109,240. 135 Vgl. etwa den BGHSt 31, 115 zugrunde liegenden Sachverhalt sowie den Bericht aus der staatsanwaltlichen Praxis von Rochus, NJW 1981, 736; ebenso LiebellOehmichen, S. 86, 239. 136 LiebellOehmichen, S. 90 ff. 137 LiebellOehmichen, S. 110 (bis zu einem halben Jahr nach Vertragsschluß). I32
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IV. Anwendung auf durch hohes Mitverschulden des Opfers geprägte Fallgruppen 201
gestellte höhere Rendite und der erwartete schnellere Gewinn dar. 138 Dabei spielt auch die erhoffte Steuerfreiheit der Gewinne sowie die Möglichkeit zur Anlage von Schwarzgeldern eine große Rolle. 139 Sowohl nach Aussagen von Experten als auch von Tatern wird meist eine persönliche Beziehung zwischen Tater und Opfer aufgebaut, um Interesse und Vertrauen bei den Anlegern zu wecken. Die Tater stellen sich auf die Persönlichkeitseigenschaften und Motive der zukünftigen Anleger ein, die sich durch ein Streben nach möglichst schnellem und hohem Gewinn auszeichnen. Wie die Opfer häufig von sich selbst sagen, suchen sie zudem Anerkennung durch Freunde und Bekannte. Neben Bedürfnissen nach Wertschätzung und Selbstachtung treten aber auch übertriebene Geltungssucht Abenteuerlust oder Spieltrieb als eigentliche Motive zutage. 140 Den Tatern kommen bei ihren betrügerischen Manipulationen aber vor allem die Unerfahrenheit und Sorglosigkeit vieler Anleger zugute. Gerade beim Vertrieb zweifelhafter Kapitalanlagen ist häufig eine extreme Leichtgläubigkeit der Opfer zu beobachten, die sich aufgrund der vorgespiegelten hohen Gewinnerwartungen in der Hoffnung auf eine rasche Kapitalvermehrung zum Abschluß derartiger Geschäfte verleiten lassen und damit wesentlich selbst zu ihrer Schädigung beitragen. Denn die nach wie vor hohen Zahlen geschädigter Anleger sind keineswegs ausschließlich darauf zurückzuführen, daß sowohl bei der Konzeption als auch beim Vertrieb von Kapitalanlagen am freien Kapitalmarkt praktisch unbegrenzte Gestaltungs- und Manipulationsmöglichkeiten zum Nachteil der Anleger bestehen und daß unseriöse Initiatoren und Vertreiber von Kapitalanlagen regelmäßig den ihnen strukturell vorgegebenen Informationsvorsprung ausnutzen. Ermöglicht werden die praktisch vorprogrammierten Verlustgeschäfte der Anleger vielmehr regelmäßig erst durch den geradezu unfaßbaren Leichtsinn sowie die Leichtgläubigkeit potentieller Anleger. Wahrend sie bei Anschaffungen des täglichen Lebens die Ware kritisch prüfen und Preisvergleiche anstellen, werden Entscheidungen über die Anlage von mehreren 10.000 oder sogar 100.000 DM vielfach ohne nähere Prüfung der konkreten Anlage sowie der Seriosität der Anbieter und Initiatoren getroffen. 141 Zwar ist der durchschnittliche Anleger sicherlich überfordert im Hinblick auf die Überprüfung und Beurteilung aller wirtschaftlichen, steuerlichen und rechtlichen Aspekte einer Kapitalanlage. Diese Ohnmacht ist allerdings sehr häufig begleitet von einem Mangel an Bereitschaft, sich auch nur ein Minimum an Information als Voraussetzung für die eigene Entscheidung zu beschaffen. Obwohl die meisten Prospekte schon im Hinblick auf die Zivilrechtsprechung deutlich über 138 Daneben wird auch mangelndes Vertrauen gegenüber Banken genannt, vgl. LiebeIl Oehmichen, S. 87, 109. 139 Vgl. Sonnen, wistra 1982, 123, 128 unter Hinweis auf die Schimmelpfeng-Marktuntersuchung 1980, S. 106 f. 140 So LiebellOehmichen, S. 239. 141 Vgl. Krieg1steiner; S. 10; Geerds, S. 93; Arzt I Weber; LH 4, Rdnr. 15.
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D. Der eigene Lösungsansatz
alle relevanten Risiken informieren - mag dies teilweise auch im "Kleingedruckten" versteckt sein - nehmen sich nur die wenigsten Anleger die nötige Zeit zum intensiven Studium der Unterlagen. 142 Auch der BGH beklagt in einer einschlägigen Entscheidung, daß "ein nicht geringer Teil" der Anleger das schriftliche Informationsmaterial aus Mangel an Zeit oder Interesse nur flüchtig gelesen oder sogar ungelesen weggeworfen habe. 143 Neben dem Studium des Prospektmaterials werden zudem andere naheliegende und zumutbare Selbstschutzmöglichkeiten häufig nicht wahrgenommen, obwohl gerade vor dem Hintergrund der oben geschilderten vorschnellen Vertrauensbildung bei der Kontaktanbahnung sowie den typischerweise abweichenden mündlichen Versprechungen der Verkäufer ein gesundes Mißtrauen gegenüber den Angaben in den Hochglanzprospekten selbstverständlich sein sollte. Da kein seriöser Anbieter verständlicherweise erwarten kann, daß ihm die Anleger blind vertrauen, möglicherweise schon nach einem bloßen Telefongespräch, besteht für jeden Anleger die Möglichkeit, die Hausbank des Anbieters zu erfragen und dort eine Bankauskunft einzuholen. Über die eigene Bank können vor der Anlageentscheidung auch Informationen über die fachliche Kompetenz der Initiatoren sowie über den angeblichen Erfolg früherer Anlageprojekte eingeholt werden, notfalls können derartige Auskünfte auch relativ günstig - zumindest im Vergleich zu den typischen Anlagesummen - über spezialisierte Wirtschaftsauskunfteien eingeholt werden. 144 Gerade bei den praktisch äußerst relevanten Warentermingeschäften ist es den angesprochenen Anlegern außerdem selbst überlassen, die tatsächlichen Börsennotierungen mit der Höhe der den von den Vermittlern angebotenen Prämie zu vergleichen und sich damit über deren Eigenverdienst zu informieren. 145 Trotzdem profitieren die Initiatoren und Vertreiber von Kapitalanlagen unverändert von dieser Leichtgläubigkeit der Anleger. So konnten in den letzten Jahren redegewandte Telefonverkäufer - zumeist mit aggressiven Verkaufsmethoden hohe Summen für Warentermingeschäfte akquirieren, ohne sich auch nur einmal persönlich beim Anleger blicken zu lassen. Die Entscheidung für eine bestimmte Anlage ist dabei zumeist rational nicht nachvollziehbar. Regelmäßig verkaufen sich nicht diejenigen Angebote am besten, die auf einer fundierten wirtschaftlichen Grundlage stehen, sondern solche Anlagen, die die höchsten Steuervorteile versprechen. Vor allem zum Jahresende hin werden Beteiligungen an Verlustzuweisungsgesellschaften auf Grund der knappen Zeit ohne nähere Überprüfung eingegangen, um das zu versteuernde Einkommen noch rechtzeitig herabzusetzen. 142 Vgl. nur Wonns, S. 142 mit Nachweisen; allerdings ist die Aufklärung zum Teil auch alles andere als ausreichend, wie z. B. durch Verwendung einer - unvollständigen - Broschüre in französischer Sprache, die das Opfer nicht beherrschte, vgl. OLG Bremen, wistra 1993, 34. 143 So BGH, NJW 1983, 1917; vgl. auch OLG Bremen, wistra 1993, 36. 144 Wonns, 142 f. m. w. N. 145 Vgl. Sonnen, NStZ 1981,24.
IV. Anwendung auf durch hohes Mitverschulden des Opfers geprägte Fallgruppen 203
Gerade bei den (angeblich) steuerbegünstigten Kapitalanlagen wird aufgrund des alleinigen Antriebs, Steuern zu sparen, das Risiko häufig unterschätzt oder überhaupt nicht wahrgenommen. Die angegebenen Modellrechnungen werden weder in betriebswirtschaftlicher noch in steuerlicher Hinsicht näher beleuchtet, ein Fachmann wird erst recht nicht hinzugezogen. Auch Berichte in den Medien über spektakuläre Pleiten und Betriigereien sowie die verstärkte Aufklärung vermag die Anleger - wenn überhaupt - meist nur kurzfristig von der Investition in fragwürdige Anlagen abzuhalten. Viele Anleger vertrauen lieber auf Hochglanzpapier gedruckten Prospektversprechungen, anstatt den gesunden Menschenverstand zu benutzen, nüchtern zu überlegen und den Erfahrungssatz zu beachten, daß mit einer erhöhten Gewinnchance immer ein erhöhtes Verlustrisiko einhergeht. 146 Besonders erstaunlich ist der Erfahrungswert, daß - sofern es zu einem staatlichen Ermittlungsverfahren kommt - in vielen Fällen bereits aus friiheren Anlagebetrugsverfahren bekannte Geschädigte erneut zu den Opfern gehören. 147 Nach einer erlittenen Schädigung glauben die Opfer zwar fast immer, vorsichtiger geworden zu sein, und wollen dementsprechend nunmehr keine Risikoanlagen mehr tätigen, ihr Geld nur noch bei Banken oder Sparkassen anlegen und sich umfassender erkundigen. Gleichwohl schließen sie oftmals selber nicht aus, erneut einem Anlagebetriiger zum Opfer zu fallen. Dennoch kann man wohl noch nicht von "chronischen" Verbrechensopfern sprechen, da nur ein geringer Anteil der Geschädigten etliche Male auf diese Weise betrogen wird. 148
c) Ergebnis Damit ergibt sich, daß bei spekulativen, insbesondere Warentermingeschäften, potentielle Opfer typischerweise bewußt ein Risiko in Kauf nehmen, weil sie das Geschäft für besonders gewinnbringend halten. Dabei erscheint die Schutzwürdigkeit vieler Anleger insofern zweifelhaft, als daß sie in einer Vielzahl von Fällen durch extreme Leichtgläubigkeit bis hin zu purem Leichtsinn ihre Schädigung mitverschulden. 149 Dies muß aber der sorgfältigen Einzelfallanalyse vorbehalten bleiben. Jedenfalls in den häufig anzutreffenden Fällen, in denen sich jemand ohne das erforderliche Minimalwissen in immense Risikogeschäfte spekulativer Art einläßt und dem Geschäftspartner die Ausnutzung seines Wissensvorsprunges damit erheblich erleichtert, kann aber nicht vom Strafrecht unter dem Aspekt der wirtschaftlichen Schwäche geschützt werden. Der spekulative Charakter des RisikogeSo zu Recht Wonns, S. 143 f. m.N. Bei der von LiebellOehmichen durchgeführten Studie betrug diese Quote etwa 40%; s. auch Wonns, S. 111. 148 LiebellOehmichen, S. 110. 149 So auch Wonns, S. 282. 146 147
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D. Der eigene Lösungsansatz
schäfts "neutralisiert" vielmehr den Gesichtspunkt des Informationsgefälles, so daß nach dem Grundsatz der wirtschaftlichen Eigenverantwortung keine Betrugsstratbarkeit vorliegt. 150 Sofern jemand der Verlockung eines hohen Gewinns nicht widerstehen kann und ein derartiges Risikogeschäft abschließt, kann er sich im Falle des Scheiterns des Geschäfts nicht einfach als bedauernswertes Opfer eines gewissenlosen Betrügers hinstellen. Gerade aufgrund des fragmentarischen und subsidiären Charakters des Strafrechts darf die Staatsanwaltschaft insofern nicht zum Beitreibungsinstitut zivilrechtlicher Forderungen werden. Wie oben bereits ausgeführt, kann es nicht Aufgabe des Strafrechts und schon gar nicht des Betrugstatbestandes sein, jedem denkbaren Risiko Rechnung zu tragen, zumal wenn dieses in der eigenen Person begründet ist. Vielmehr sind nach dem Gedanken der Risikoverteilung zwischen Opfer und Täter derartige Risikogeschäfte unter kriminalpolitischen Gesichtspunkten aus dem Schutzbereich des § 263 StGB auszuscheiden. Denn als wahre Ursache für die Vornahme der vermögensschädigenden Verfügung erweist sich hier regelmäßig nicht die Vorspiegelung des Täuschenden, sondern vielmehr der Umstand, daß das Opfers in verantwortungsloser Weise nach hohem Profit strebt und im Hinblick auf den erhofften Gewinn bewußt hohe Risiken in Kauf nimmt. 15I d) Verbleibende Schutzmöglichkeiten des Opfers Es bleibt noch darzustellen, welche sonstige Folgen die Straflosigkeit des Täters nach § 263 StGB im Bereich des Beteiligungs- und Kapitalanlagebetruges auf den Schutz des potentiellen Opfers hat. aa) Im Bereich des Strafrechts
Gerade zur Bekämpfung des unseriösen Vertriebs von Kapitalanlagen auf dem sog. "grauen Kapitalmarkt" dient der durch das 2. WiKG 1986 eingeführte abstrakte Gefährdungstatbestand l52 des Kapitalanlagebetruges nach § 264a StGB, der neben dem Allgemeininteresse an der Funktionsfähigkeit des Kapitalmarktes auch die privaten Vermögensinteressen der Anleger schützt. 153 Allerdings kommt dieser im Vorfeld des Betruges angesiedelten Vorschrift trotz seiner weiten Fassung nur eine geringe praktische Bedeutung ZU. 154 V gl. Seelrrumn, NJW 1980, 2545, 2548; ähnlich Rössner / Lachmair, BB 1986, 340 f. Vgl. zum ganzen auch Mohrbotter, GA 1975,41; Raimund Hassemer, S. 163; Kunh, S. 184 ff. 152 V gl. dazu bereits Teil BIll. 153 Weber, NStZ 1986, 481, 486; Fischer, in Tröndle I Fischer, § 264a Rdnr. 4; Wesseis I Hillenkamp, Rdnr. 692; Lackner / Kühl § 264a Rdnr. 1 m. w. N. 154 Fischer, in TröndlelFischer, § 264a Rdnr. 3; Manin, S. 166 f.; 175 ff.; ders. wistra 1994, 127, 128; C. Schröder, NStZ 1998, 552 f.; Tiedemann, in LK, § 264a Rdnr. 8; jew. m.w.N. 150 151
IV. Anwendung auf durch hohes Mitverschulden des Opfers geprägte Fallgruppen 205
Der Gesetzgeber hat hierbei auf das Erfordernis einer Vennögensbeschädigung, auf die Vornahme einer irrtumsbedingten Vennögensverfügung des Opfers sowie auf die in subjektiver Hinsicht bei § 263 StGB unerläßliche Bereicherungsabsicht verzichtet. Obwohl § 264a StGB zur Aufklärung über alle Umstände verpflichtet, die Einfluß auf den Wert, die Chancen und Risiken einer Kapitalanlage haben,155 bezieht er sich nur auf Angaben in Prospekten, Darstellungen und Übersichten über den Vennögensstand gegenüber einem größeren Kreis von Personen. Dagegen sind entsprechend der überindividuellen Schutzrichtung "Unredlichkeiten in individuellen Verhandlungen" explizit aus seinem Schutzbereich ausgegrenzt. 156 Zu Strafbarkeitslücken kommt es auch insofern, als daß durch die Beschränkung der Tatmittel der praktisch äußerst relevante sog. "Telefonhandel" regelmäßig nicht erfaßt wird. 157 Denn die typische Taktik von unseriösen Telefonverkäufern besteht darin, gegenüber den Kunden einerseits weitreichende mündliche Versprechungen zu machen und sich andererseits schriftlich durch wesentlich realistischere Angaben und zutreffende Risikohinweise gegen mögliche Betrugsvorwürfe abzusichern. 158 Nicht erfaßt sind außerdem Warentermingeschäfte, da diese als Spekulationsgeschäfte keine Kapitalanlagen mit Beteiligung an einem Unternehmensergebnis darstellen. 159 Damit kommt es bei den oben beschriebenen Spekulationsgeschäften wieder auf die Strafbarkeit nach § 263 StGB an und damit gerade in denjenigen Konstellationen, auf die sich die vorgeschlagene teleologische Reduktion des Betrugstatbestandes im Bereich der Risikogeschäfte konzentriert. Demgegenüber hat sich die ebenfalls 1986 eingeführte und speziell für Spekulationsgeschäfte konzipierte Vorschrift des § 89 BörsG zu einer effektiven Sanktion gegen Anlageschwindler mit hoher praktischer Relevanz entwickelt. 160 Dieser Tatbestand ist schon dann erfüllt, wenn der Täter die Unerfahrenheit des Opfers in Spekulationsgeschäften ausnutzt. Dabei wird unter Unerfahrenheit im Sinne des § 89 BörsG ein Mangel an Erfahrung in Börsenspekulationsgeschäften verstanden, der dann vorliegt, wenn der Verleitete infolge fehlender geschäftlicher Einsicht die Tragweite solcher Unternehmungen nicht genügend zu übersehen vennag. 161 Die 155
1iedemann, in LK, § 264a Rdnr. 47 ff.; Wessels/ Hillenkamp, Rdnr.693.
156 BT-Drucksache 10/318, S. 23; 10/5058, S. 31; C.Schröder, NStZ 1998, 552 f.; Eisen-
berg, Kriminologie, § 47 Rdnr. 30; Wessels/ Hillenkamp, Rdnr. 692; Laclcner/Kühl § 264a Rdnr. 10; Otto, Geschäftstüchtigkeit, S. 97; Weber, NStZ 1986, 481, 486; Wonns, wistra 1987,271,274; 1iedemann, in LK, § 264a Rdnr. 44 f. 157 Otto, Geschäftstüchtigkeit, S. 97; Manin, wistra 1994, 127, 128 jew. m. w. N. 158 So Manin, S. 167 f.; vgl. hierzu auch den Bericht von Wonns, S. 95 ff. sowie BGH, wistra 1989, 19. 159 Vgl. Wonns, S. 322; Manin S. 165; Laclcner, in LK, § 264a Rdnr. 4; emmer, in Schönke/Schröder, § 264a Rdnr. 11; 1iedemann, JZ 1986, 865, 872; anders jetzt ders. in LK, § 364a Rdnr. 32. 160 Manin, wistra 1994, 127, 129; Bröker, wistra 1993, 161, 162 f. mit dem Hinweis, daß auch eine ganze Reihe von Urteilen nach § 823 Abs. 2 BGB LV.m. § 89 BörsG erfolgt ist.
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D. Der eigene Lösungsansatz
Rechtsprechung hat dieses Merkmal weit ausgelegt und dabei die Lebensumstände sowie den beruflichen und persönlichen Werdegang des jeweiligen Anlegers berücksichtigt. 162 Ein zunächst vorhandener Mangel an entsprechender Geschäftskenntnis kann allerdings durch eine ausreichende Aufklärung beseitigt werden. Für den Inhalt und die Reichweite der gebotenen Aufklärung sind die konkreten Umstände des Einzelfalls maßgeblich. 163 Sofern der betreffende Anleger bereits Börsenspekulationsgeschäften getätigt hat, kann die Unerfahrenheit unabhängig vom bisherigen wirtschaftlichen Erfolg ausgeschlossen sein. Denn diesem ist dann - gerade bei erlittenen Verlusten - bewußt, daß es sich um Risikogeschäfte handelt, so daß auch an die Aufklärung nur verminderte Anforderungen zu stellen sind, wobei in der Praxis die Anleger auf vorbereiteten Erklärungen häufig auch explizit danach gefragt werden. In diesem Zusammenhang ist erneut darauf hinzuweisen, daß die Anleger in der Praxis häufig umfassende Aufklärungsbroschüren zugeschickt bekommen, während sie allein den verharmlosenden mündlichen Aussagen von Telefonverkäufern vertrauen. Insgesamt können unseriöse Vermittler damit häufig eine Aufklärung ihrer Kunden dokumentieren, so daß diese nicht als unerfahren im Sinne des § 89 BörsG anzusehen sind. 164 Im Ergebnis kommt es auch hier bei vielen typischen Spekulationsgeschäfte wieder auf die Strafbarkeit nach § 263 StGB an und zwar gerade in solchen Fällen, auf die sich die vorgeschlagene teleologische Reduktion des Betruges im Bereich der Risikogeschäfte konzentriert. Als weitere strafrechtliche Spezialvorschriften sind die Vorschriften der §§ 88 BörsG, 4 UWG anzuführen, die aber ebenfalls nicht geeignet sind, einen umfassenden Anlegerschutz zu gewährleisten und denen nur eine geringe praktische Relevanz zukommt. 165 bb) Zivilrechtliche Ansprüche
Daneben ist erneut auf zivilrechtliche Ausgleichsmöglichkeiten hinzuweisen, wobei freilich einzuräumen ist, daß Versuche der Opfer von Kapitalanlagebetrügereien, ihr eingezahltes Geld auf dem Zivilrechtsweg zurückzuerhalten, durchaus des öfteren ins Leere gehen, insbesondere nach Firmenzusammenbrüchen. 166 Dies ist häufig aber auch darauf zurückzuführen, daß die Opfer trotz zunehmender VerBT-Drucksache 10/318, S. 48; RössnerlWorms, wistra 1987, 319, 320. Vgl. OLG Bremen, wistra 1993, 34; OLG Düsseldoif, wistra 1989, 115, 118; s. auch Bröker, wistra 1993, 16, 163; Martin, wistra 1994, 127, 129. 163 OLG Bremen, wistra 1993, 36; OLG Düsseldoif, wistra 1989, 115; RössnerlWorms, wistra 1987, 319, 321. 164 Vgl. Bröker, wistra 1993, 161, 162 f. ffi. w. N. 165 Martin, S. 184 f. 166 Worms, S. 148 ff.; Joecks, wistra 1986, 142, 143; Fischer, in Tröndle 1Fischer, § 264a Rdnr. 2; vgl. auch C. Schröder, NStZ 1997, 552. 161
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IV. Anwendung auf durch hohes Mitverschulden des Opfers geprägte Fallgruppen 207
dachtsmomente erst dann mißtrauisch werden und Nachforschungen anstellen, wenn es für eine erfolgreiche Durchsetzung von Ansprüchen bereits zu spät ist. 167 Sofern nach sorgfältiger Analyse des Einzelfalls eine teleologische Reduktion des Betrugstatbestandes erforderlich ist, rechtfertigt es eben das an den Tag gelegte mitverantwortliche Verhalten, den strafrechtlichen Schutz auf andere Tatbestände zu beschränken bzw. das Opfer allein auf zivilrechtliche Ansprüche zu verweisen.
2. Konstellationen des Kreditbetruges als weitere typische aus dem Schutzbereich des § 263 StGB herausfallende Risikogeschäfte
Weitere aus dem Schutzbereich des Betrugstatbestandes herauszunehmende Risikogeschäfte sind Konstellationen des Kreditbetrugs.
a) Schwierigkeiten bei der tatbestandlichen Erfassung Auch hier kommt es zu praktischen Schwierigkeiten bei der tatbestandlichen Erfassung. Dies ist schon beim Nachweis einer - konkludenten - Täuschung über die Zahlungsfähigkeit bzw. über die ihr zugrunde liegenden Tatsachen (wie z. B. die Einkommensverhältnisse) der Fall. Häufig bleibt die Einlassung des Kreditnehmers unwiderlegbar, er habe subjektiv durch Erwartungen und Hoffnungen der verschiedensten Art darauf vertraut, das Darlehen bei dessen Fälligkeit zurückzahlen zu können. 168 Daneben kommt über das Instrument der inneren Tatsache auch eine Täuschungshandlung im Hinblick auf die Zahlungswilligkeit in Betracht. Dabei begründen selbst erhebliche Zweifel des Schuldners an seiner späteren Rückzahlungsfähigkeit noch nicht den Vorwurf der Täuschung über die Zahlungsunwilligkeit. 169 Auch eine Täuschung durch Unterlassen wird von Rechtsprechung und Literatur im Bereich der Krediterschleichung nur ganz ausnahmsweise bejaht. Insbesondere Aufklärungspflichten aus Treu und Glauben werden äußerst restriktiv gehandhabt. 170 Dieser Dogmatik liegt zwar eine auch auf dem Gedanken der Opfermitverantwortung beruhende Risikoverteilung zugrunde. Danach kann der Gläubiger auf den ernsthaften Erfüllungswillen des Schuldners insoweit vertrauen, als dies im Rahmen des unerläßlichen Minimums an Redlichkeit im Geschäftsverkehr liegt. Dagegen folgt aus dem Charakter des Kreditgeschäftes als einem Risikogeschäft, daß die objektiv und subjektiv noch ungewisse und von der künftigen Entwicklung der Vgl. dazu C. Schröder, NStZ 1998,552 f. TIedemann, Verh. 49. DIT, S. C 66: Samson, in SK, § 265b Rdnr. I mit Nachweisen auf die gesetzgeberische Motivation zur Schaffung des § 265b StGB. 169 Geerds, S. 82 f. 170 Geerds. S. 83. 167
168
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D. Der eigene Lösungsansatz
Verhältnisse des Schuldners abhängende Möglichkeit der Leistung bei Fälligkeit zu den typischen Risiken eines Kreditgeschäfts gehört, die grundsätzlich der Gläubiger zu tragen hat. Sofern dieser mehr über die Chancen und Risiken der zukünftigen Erfüllungsfähigkeit seines Schuldners wissen will, muß er ihn zu ausdrücklichen Angaben veranlassen bzw. eigene Ermittlungen anstellen. 171 Demgegenüber gelangt die herrschende Dogmatik im Bereich des Irrtums sowie der Kausalität zwischen Irrtum und Vermögensverfügung erneut zu einer einseitigen und von der Schutzwürdigkeit des Vertrauens unabhängigen Betrachtung, die die Risikoverteilung vernachlässigt. Denn auch hier werden Zweifel des Getäuschten an der Richtigkeit des durch den Tater vermittelten Vorstellungsbildes als irrelevant angesehen, sofern der Kreditgeber seine Zweifel an der Richtigkeit der Angaben des Kreditnehmers überwindet und dennoch die Vermögensverfügung vornimmt, weil er dem Tauschenden vertraut. Ausgeschlossen ist der Irrtum lediglich dann, wenn feststeht, daß es dem Kreditgeber gleichgültig gewesen ist, ob der Kreditsuchende die Wahrheit sagt, etwa wenn die Bank auf jeden Fall weitere Geldmittel zur Verfügung stellen will, um die Chance zu nutzen, ihn zu sanieren und ältere Kredite zu retten oder weil sie bewußt auf die durch § 18 KWG vorgeschriebene Offenlegung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Kreditsuchenden verzichtet. Auch hier wird letztendlich ein Irrtum als Folge der Tauschungshandlung häufig ohne nähere Prüfung unterstellt. 172 Diese Praxis setzt sich beim Nachweis der Kausalität zwischen Irrtum und Verfügung fort und wird hier mit der einfachen Überlegung bejaht, das Opfer hätte bei Kenntnis der wahren Tatsache die Verfügung nicht vorgenommen. Denn da die bloße Mitverursachung der Verfügung durch den Irrtum ausreichen soll, entfalle der Kausalzusammenhang zwischen Irrtum und Vermögensverfügung nur dann, wenn die Fehlvorstellung des Getäuschten bei der Entscheidung über die Kreditbewilligung irrelevant gewesen sei. Nicht ausgeschlossen werde er dagegen dadurch, daß der Kreditgeber den Kredit auch in Kenntnis der wahren Vermögenslage aus anderen Gründen gewährt hätte oder wenn andere ebenfalls mitwirkende Motive für sich allein ausreichend gewesen wären. 173
b) Profitstreben als typische Motivation leichtfertiger Darlehensgewährung In der Praxis sind damit aber auch solche Fälle des Kreditbetruges erfaßt, in denen ein Darlehen ohne ausreichende Erkundigung über die Vermögenslage zugesagt wird bzw. bei denen ein Kreditinstitut trotz konkreter Zweifel, ob der Darlehensnehmer den Kredit zurückzahlen kann, diesem allein deswegen einen (weiteren) Kredit gewährt, weil der verlangte Zinssatz äußerst profitabel ist. Ebenso wie in vielen Konstellationen von Spekulationsgeschäften entpuppt sich auch hier weniger die Vorspiegelung des Tauschenden als vielmehr das Bestreben des Opfers, 171 172 173
Lackner, in LK, § 263 Rdnr. 35. Vgl. Lampe, S. 21; Geerds. S. 92 ff.,jeweils ffi. w. N. Geerds, S. 96 f.; Lampe S. 23; vgl. auch Tiedemann, Verh. 49. DJT, S. C 66.
IV. Anwendung auf durch hohes Mitverschulden des Opfers geprägte Fallgruppen 209
von einer bestimmten Sachlage zu profitieren, als die wahre Ursache für die Vornahme der vermögensschädigenden Verfügung. 174 Denn in der Praxis der Wirtschaftskriminalität spielen auch die Kreditgeber nicht stets eine seriöse Rolle im Zusammenhang mit Kreditbetrügereien. Vielmehr soll es häufig zu einem Zusammenwirken zwischen Angestellten gerade kleinerer Kreditinstitute und ihrer Kreditnehmer kommen, indem die Prüfung der Kreditwürdigkeit und die Beachtung der Beleihungsgrenzen vernachlässigt werden. Dabei erweist sich als Motiv für das bewußte Eingehen derartiger Risikogeschäfte zum einen die nicht unbeträchtliche Konkurrenz unter den Kreditinstituten und das Streben nach weiterem Profit durch die Gewährung oder Erweiterung von Krediten. Neben dem beachtlichen Wettbewerbsdruck in der Kreditwirtschaft werden in bezug auf die einzelnen Bankangestellten aber auch Erfolgsstreben, vorausgegangene eigene Pflichtverletzungen oder persönliche Bekanntschaft genannt. Diese Faktoren führen typischerweise dazu, daß aufgrund individuellen Leichtsinns, vor allem leichtfertiger Einschätzung der Kreditsituation, äußerst riskante Kredite vergeben bzw. Überschreitungen der bereits eingeräumten Kreditlinien geduldet werden. Dabei wird teilweise durch den bewußten Verzicht auf die Offenlegung der wirtschaftlichen Verhältnisse von Kreditnehmern entgegen § 18 KWG sowie durch Verletzung der Anzeigepflicht für Groß-, Millionen- und Organkredite l75 auch die Verhängung bloßer Bußgelder nach § 56 KWG durchaus in Kauf genommen. 176 Demgegenüber stehen dem Kreditgeber schon insofern hinreichende und auch zumutbare Möglichkeiten des Selbstschutzes zur Verfügung, als daß sie auf die umfassende Offenlegung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Kreditsuchenden bestehen können. Geht man somit davon aus, daß die betroffenen Kreditinstitute in einigen Konstellationen wohl kaum als schutzwürdig angesehen werden können, so deutet dariiber hinaus die äußerst geringe Anzeigebereitschaft nach erfolgten Kreditbetrügereien 177 darauf hin, daß der strafrechtliche Schutz wohl auch nicht erwünscht ist, da die Aussichten, wenigstens einen Teil der Forderung auf zivilrechtlichem Wege zu realisieren, sich durch ein Strafverfahren eher verschlechtern. 178
Vgl. dazu Raimund Hassemer, S. 161 ff.; in diesem Sinne auch Kurth, S. 184 ff. §§ 13 ff. KWG. 176 Vgl. Müller/Wabnitz/ Janovsky, S. 94 ff.; Otto, Bankentätigkeit, S. 68 f.; Tiedemann, Verh. 49. DJT, S. C 68; Eisenberg, Kriminologie, § 47 Rdnr. 26 m. w. N. 177 Dies gilt sowohl für tatbestandliches Verhalten im Sinne des § 263 StGB als auch im Sinne des § 265b StGB. 178 Vgl. zum ganzen Schubarth, ZStW 92 (1980),80, 90 ff.; Tiedemann, in LK, § 265b Rdnr. 18; Eisenberg, Kriminologie, § 47 Rdnr. 26. 174 175
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D. Der eigene Lösungsansatz
c) Der Fall "Dr. Schneider" Wahrend die weitaus meisten Fälle leichtfertiger Darlehensgewährung also der Öffentlichkeit eher verborgen bleiben, wurde durch den spektakulären Zusammenbruch der Schneider-Immobiliengruppe im Jahre 1994 deutlich sichtbar, was für eine geradezu unfaßbare Leichtsinnigkeit mitunter auf dem Gebiete des Kreditbetruges anzutreffen ist. Bis dahin zählte Dr. rer. pol. Jürgen Schneider zu einem der größten privaten Immobilienbesitzer Deutschlands. Sein Firmenimperium urnfaßte 181 Unternehmen mit über 2.000 Mitarbeitern. 179 Die Objekte waren zum größten Teil fremdfinanziert. Das durch Grundpfandrechte besicherte Kreditvolumen betrug im Dezember 1993 ca. 5 Mrd. DM, wovon allein durch die Deutsche Bank AG und deren Hypothekenbanktochter Deutsche Centralboden AG 1,5 Mrd. DM eingeräumt wurden. 180 Schneider kaufte fast ausschließlich Objekte in erstklassiger Lage und ließ sie äußerst aufwendig renovieren, teilweise sogar unter historischen Gesichtspunkten. Das öffentliche Erscheinungsbild als Liebhaber baulicher Antiquitäten und sozialverpflichteter Unternehmer verschaffte Schneider auch bei Banken Sympathie und Vertrauen. 181 Trotz des damals anhaltenden Immobilienbooms führten aber die Umstände, daß viele Immobilien zu teuer erworben und dann auch noch aufwendig restauriert wurden sowie der Rückgang der Büroraurnrnieten in deutschen Großstädten und hohe Verwaltungskosten zu kontinuierlich wachsenden Verlusten, die Schneider nur durch die Beantragung ständig neuer Darlehen mit immer höheren Summen decken konnte, bis er schließlich die Flucht ergriff und die größte Pleite in der deutschen Nachkriegszeit hinterließ. 182 Bei vielen Bauvorhaben wurde später ein krasses Mißverhältnis zwischen dem Marktwert und dem gutachterlich testierten Wert der Immobilie festgestellt. Dies begründet sich zum einen auf die angewandte Verfahrenstechnik der Gutachter, zum anderen aber auf betrügerische Handlungen von Schneider, der z. B. den Banken gefalschte Fotokopien von Mietverträgen vorlegte, in denen Einnahmen angegeben waren, die deutlich unter den mit den Mietern tatsächlich vereinbarten Zahlungen lagen. Darüber hinaus wurde auch in Bauplänen die Anzahl der Quadratmeter der verrnietbaren Fläche oder in Kaufverträgen die Höhe des Kaufpreises gefalscht. Zudem bestand gegen Schneider auch der begründete Vorwurf, Untreue sowie Konkursdelikte begangen zu haben. 183
179 V gl. die Übersichten in DER SPIEGEL Nr. 17/1994, S. 102 f. sowie im Handelsblatt vom 21. 04. 1994, S. 22. 180 FAZ vom 26.04.1994, S. 20; Handelsblatt vom 26.04.1994, S. 23. 181 Everding. S. 31 ff.; DER SPIEGEL Nr. 16/1994, S. 26. 182 Vgl. Handelsblatt vom 18. 05.1994, S. 1; FAZ vom 18. 05.1994, S. 15. 183 Vgl. FAZ v. 21. 04.1994, S. 15; DER SPIEGEL Nr. 16/1994, S. 24; Handelsblatt vom 21. 04. 1994, S. 1,22; weitere Nachweise bei Everding. S. 37 f.
IV. Anwendung auf durch hohes Mitverschulden des Opfers geprägte Fallgruppen 211
Zwar verlautete aus Bankenkreisen, daß zu keiner Zeit Anlaß bestanden habe, "an der Vertrauenswürdigkeit von Schneider zu zweifeln", da er "seine Bankverbindlichkeiten pünktlich beglichen und bis in die Schlußphase hinein Zugang zu Geld und Kredit gehabt" habe, zumal die im Hypothekenbankgesetz manifestierte Grenze, die den Hypothekenbanken nur eine Beleihung von 60% des Verkehrswertes erlaubt, "eine erhebliche Absicherung auch gegen größere Schwankungen des Verkehrswertes" darstelle. Wie der Fall Schneider zeige, sei man gegen überhöhte und möglicherweise betrügerische Wertansätze in Baugutachten eben nicht gefeit. 184 Eine derartige Betrachtung der Dinge erscheint allerdings etwas zu einfach. Denn zum einen hat es durchaus Kreditinstitute gegeben, die das Engagement mit Schneider reduzieren wollten, was letztendlich auch zum völligen Zusammenbruch der Schneider-Gruppe führte. 185 Andererseits wurde die Prüfung der Kreditwürdigkeit wohl auch gerade deswegen sehr oberflächlich durchgeführt, weil die Stellung der Banken größtenteils grundpfandrechtlich gesichert war, während die Zulieferer und Handwerker auf die Kontrollmöglichkeiten der Banken vertrauten. Dabei wären die betrügerischen Handlungen sicherlich früher aufgefallen, wenn die Banken die Überwachung der jeweiligen Immobilienfinanzierung wegen des grenzenlosen Vertrauens in die Person Schneiders nicht so großzügig gehandhabt hätten. 186 Bereits die sogenannte Evidenzliste der Deutschen Bundesbank hätte die Banken warnen müssen. Alle Kreditinstitute müssen jeden Kredit von 1 Mio. DM an aufwärts der Bundesbank melden, die dann die jeweiligen Banken informiert, welcher Kreditnehmer auch Kredit von anderen Instituten in Anspruch nimmt. Die entsprechenden Meldungen wurden offensichtlich aber von keiner der 50 Gläubigerbanken ernst genommen, die sich zum Teil äußerst leichtfertig verhielten. 187 So stellte eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft im anschließenden Konkursverfahren fest, daß der Informationsstand der Deutschen Centralboden AG und das Kontrollbewußtsein ihres Vorstandes außer Verhältnis zu der Komplexität und der Größe der zu finanzierenden Objekte standen. Bei der Durchführung der Kreditwürdigkeitsprüfung sei äußerst unkritisch vorgegangen und auf die Vorlage weiterer Kreditunterlagen sowie auf die Stellung von zusätzlichen Sicherheiten verzichtet worden. Einige Kreditinstitute zahlten die Darlehen nach deren Genehmigung in einer Summe aus, anstatt dies sukzessive unter Nachweis des entsprechenden Bauabschnittes zu tun, etwa durch Vorlage von Rechnungen beteiligter Handwerker. Durch diesen Verfahrensfehler konnte Schneider die ausgezahlten Gelder als Barvermögen zur Erlangung weiterer Kredite ausweisen. Obwohl die Gesamtverschuldung der Schneider-Gruppe sowie die Zahl der Kreditgeber ständig stieg und die Kreditinstitute insofern beinahe zwangsläufig hätten handeln müssen, verzichtete 184 So Dr. Manfred Weber als damaliger Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes deutscher Banken, vgl. Handelsblatt vom 25. 04. 1994, S. 14; s. auch DER SPIEGEL Nr. 16/ 1994, S. 23 sowie FAZ vom 26. 04.1994, S. 17. 185 Vgl. DER SPIEGEL Nr. 16/1994, S. 26. 186 Ebenso Everding, S. 43. 187 DER SPIEGEL Nr. 16/1994, S. 24.
212
D. Der eigene Lösungsansatz
man in vielen Fällen weiterhin auf die Vorlage von Originalverträgen, unterließ es, Sicherheitsabschläge bei den prognostizierten Mieten vorzunehmen und begnügte sich mit Kopien von Grundbuchauszügen. 188 Als die Deutsche Bank dann nach dem Zusammenbruch der Schneider-Gruppe Strafanzeige wegen Betruges erstattete, mußte sie dementsprechend auch einräumen, erst anderthalb Jahre nach Eröffnung des Einkaufscenters ,,Les Facettes" in der Frankfurter Zeil gemerkt zu haben, daß der Bau entgegen den Angaben Schneiders gar nicht 20.000 qm, sondern nur 9.000 qm verrnietbare Fläche aufweist, obwohl ein Spaziergänger von der Zentrale der Deutschen Bank bis dorthin lediglich 5 Minuten benötigt. 189 Im zwei Jahre später eröffneten Strafprozeß erklärte der Vorsitzende Richter, daß die Deutsche Bank als Hauptkreditgeber "fast unfaßbar fahrlässig" gehandelt habe. Auch die übrigen Banken hätten mit "unglaublichem Leichtsinn" Jürgen Schneider "die Türen eingerannt", den Angeklagten "fahrlässig provoziert" und ihm so den Betrug erleichtert. Zuvor hatte einer der Strafverteidiger Schneiders in seinem Plädoyer auf die Rolle der Banken, die seinem Mandanten Kredite nahezu blindlings gewährten, hingewiesen. Dieser Gesichtspunkt führte dann auch immerhin zu einer Schuldminderung für Jürgen Schneider, der vom OLG Frankfurt am Main nur in zwei von fünf Fällen des besonders schweren Betrugs für schuldig befunden wurde und zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und neun Monaten verurteilt wurde. 190
d) Ergebnis Insgesamt ergibt sich, daß auch bei Konstellationen des Kreditbetruges das Opfer des öfteren bewußt gegen seine eigenen Interessen handelt und als nicht schutzbedürftig bzw. -würdig anzusehen ist. Die Ausnutzung einer besonderen Abhängigkeit der Betrugsopfer läßt sich kaum feststellen. Zwar trägt naturgemäß ,jede Kreditbewilligung eine Gefahr in sich".191 Gerade bei Sanierungskrediten fehlt es auch häufig an risiko-kompensierenden Sicherheiten und erweist sich die Hoffnung auf eine Rückzahlung als wenig begriindet. Sofern solche Geschäfte allerdings nicht durch wirtschaftliche oder politische Erwägungen (insbesondere zum Erhalt von Arbeitsplätzen) legitimiert sind, sondern vom Opfer allein aus Gewinnsucht unter bewußter Inkaufnahme erheblicher Risiken gewagt werden, sind nach dem Gedan188 FAZ vom 05. 07. 1994, S. 13; Die Welt vom 05. 07. 1994, S. 13; auch die Nord/LB prüfte einen Kaufvertrag über ein 100 Mio. DM-Objekt nicht näher und zahlte den dafür beantragten Kredit aus, ohne einen Blick ins Grundbuch zu werfen oder den Wert der Immobilie schätzen zu lassen, vgl. DER SPIEGEL Nr. 16/1994, S. 22. 189 So DER SPIEGEL Nr. 16/1994, S. 22. 190 Vgl. den Prozeßbericht von Gisela Friedrichsen, Der Professor und das "Dummenrecht", in DER SPIEGEL Nr. 1/1998, S. 58 f. 191 So BGH, Urteil vom 25.3. 1960-1 StR 606/59, zitiert nach Hillenkamp, NStZ 1981, 161.
IV. Anwendung auf durch hohes Mitverschulden des Opfers geprägte Fallgruppen 213
ken der Risikoverteilung zwischen Opfer und Tater derartige Fälle des kalkulierten Risikos unter kriminalpolitischen Gesichtspunkten aus dem Schutzbereich des § 263 StGB auszuscheiden. 192
e) Verbleibende Schutzmöglichkeiten des Opfers Aufgrund der fehlenden Betrugsstrafbarkeit sind auch hier die potentiellen Opfer keineswegs von vornherein als gänzlich schutzlos anzusehen. aa) Im Bereich des Strafrechts
Gerade wegen der praktischen Schwierigkeiten bei der Anwendung des § 263 StGB im Bereich von Krediterschleichungen wurde 1976 durch das 1. WiKG der Tatbestand des Kreditbetruges gemäß § 265b in das StGB eingefügt. Diese Vorschrift ist ausgestaltet als ein bis auf die Tauschung reduziertes abstraktes Gefahrdungsdelikt im Vorfeld des Betruges, in dem bereits die in unrichtigen oder unvollständigen Angaben bzw. in der Vorlage unrichtiger oder unvollständiger Unterlagen im Zusammenhang mit einem Kreditantrag liegende abstrakte Vermögensgefahrdung 193 unter Strafe gestellt ist, ohne daß es darauf ankommt, ob später ein Irrtum erregt, ein Kredit gewährt oder ein Schaden verursacht wird. 194 Allerdings wird es als kriminalpolitisch unbefriedigend angesehen, daß sich der Anwendungsbereich des § 265b StGB auf Kreditgeschäfte beschränkt, bei denen sowohl Kreditgeber als auch Kreditnehmer ein Betrieb oder Unternehmen im Sinne des § 265b Abs. 3 Nr. I StGB sind. Für Kredite, die an Privatpersonen oder von Privatpersonen gewährt werden, gilt lediglich § 263 StGB. 195 In der Literatur wurden schon früh Zweifel an der Effektivität des § 265b StGB geäußert, vor allem im Hinblick auf die mangelnde Anzeigebereitschaft von seiten der betroffenen Kreditinstitute. 196 Auch in der Praxis hat § 265b StGB lediglich eine sehr geringe Bedeutung erlangt, da es nur relativ selten zu Verurteilungen nach dieser Vorschrift kommt. 197 Das mag allerdings nicht zuletzt daran liegen, 192 Siehe schon oben zum Kapitalanlagebetrug, D III 1 c); vgl. auch Hillenkamp, NStZ 1981, 161, 162; Mohrbotter, GA 1975, 4l. 193 Vgl. zur Kritik bereits Teil BIll. 194 Vgl. dazu C. Schröder, NStZ 1997, 552; Lenckner, in SchönkelSchröder, § 265b Rdnr. 4; Otto, Geschäftstüchtigkeit, S. 84; Lackner I Kühl, § 265b Rdnr. 1; vgl. auch BayObLG, NJW 1990, 1667. 195 BayObLG, NJW 1990, 1667; LacknerlKühl, § 265b Rdnr. 2; Wessels/ Hillenkamp, Rdnr. 694, vgl. auch die kritischen AusfIihrungen von Fischer, in Tröndle / Fischer, § 265b Rdnr. 4 m. w. N. 196 Vgl. nur Schubarth, ZStW 92 (1980), 80, 90: Brodmann, S. 193 f. 197 Im Berichtsjahr 1999 wurden 525 Fälle (Vorjahr 821) erfaßt, von denen 506 aufgeklärt wurden; demgegenüber wurde für Kreditbetrug im Sinne des § 263 StGB 9.034 Fälle gezählt
214
D. Der eigene Lösungsansatz
daß die Geschädigten bei dieser Form des Betruges den strafrechtlichen Schutz häufig überhaupt nicht wollen, da Kreditinstitute an öffentlichkeitswirksamen Strafverfahren regelmäßig kaum interessiert sind und sich vielmehr bemühen, die aus betrügerisch erlangten Kreditausreichungen entstandenen Schäden vergleichsweise zu reduzieren. 198 Die Strafjustiz begrüßt nach empirischen Erhebungen dennoch die prozeßerleichternde Funktion des § 265b StGB als Auffangtatbestand im Vorfeld des § 263 StGB. 199 Schon aufgrund seiner niedrigeren Strafdrohung stellt § 265b StGB keine dem § 263 StGB vorgehende Sonderregelung dar. Uneinheitlich wird es beurteilt, ob § 265b StGB hinter einem vollendeten oder versuchten Betrug zurücktritt. Eine Ansicht geht davon aus, daß nicht nur das Vermögen des einzelnen Kreditgebers geschützt wird, sondern auch das Allgemeininteresse an der Verhütung von Gefahren, die sich aus dem Kreditschwindel für die Wirtschaft im ganzen infolge der vielfältigen Abhängigkeiten von Gläubigem, Schuldnern und Arbeitnehmern durch ungerechtfertigte Vergabe von Wirtschaftskrediten ergeben können. Wegen dieses zusätzlichen Schutzzweckes stehe § 265b StGB zu § 263 StGB im Verhältnis der Tateinheit, und zwar auch im Falle eines versuchten Betruges. 2oo Demgegenüber schützt § 265b StGB nach der Gegenmeinung lediglich das Vermögen des Kreditgebers, so daß der Kreditbetrug als bloßer Gefährdungstatbestand hinter § 263 StGB zurücktritt, sofern die Falschangaben über die wirtschaftlichen Verhältnisse zu einer Kreditgewährung geführt haben. 201 Im Hinblick auf den an dieser Stelle allein relevanten verbleibenden strafrechtlichen Schutz ist zwar eine solche Krediterschleichung, die nach der hier vertretenen teleologischen Reduktion nicht der Vorschrift des § 263 StGB unterfällt, an für sich jedenfalls vom Auffangtatbestand des § 265b StGB erfaßt. Jedoch ist zu berücksichtigen, daß sich der Tatbestand des § 265b StGB in kriminalpolitischer Hinsicht insofern nicht über einen überindividuellen Schutzzweck rechtfertigen läßt, als daß die leichtfertige Kreditvergabe durch Kreditinstitute nicht bestraft wird. Denn wenn der Gesetzgeber die Interessen der gesamten Wirtschaft in dem oben genannten Umfang schützen wollte, hätte er nicht Täuschungen bei Kreditverhandlungen, sondern Verstöße gegen die Grundsätze einer wirtschaftlich vernünftigen Darlehensgewährung unter Strafe stellen müssen. Tatsächlich kommt als Täter des § 265b StGB aber allein die Person des Kreditnehmers in Betracht. Auch wenn der und eine Aufklärungsquote von 98,6% angegeben (PKS 1999, Tabellenanhang, S. 6 f.). Vgl. zum ganzen auch Eisenberg, Kriminologie, § 47 Rdnr. 26; Lackner/Kühl, § 265b Rdnr. 1; Dtto, Geschäftstüchtigkeit, S. 86 ff. 198 So auch Fischer, in Trömlle I Fischer, § 265b Rdnr. 5. 199 Vgl. etwa Schüppen, S. 118; Tiedemann, in LK, § 265b Rdnr. 21 jeweils m. w. N. 200 Brodmann, S. 193 f.; Tiedemann, in LK, § 265b Rdnr. 115; Lenckner, in Schönke/ Schröder, § 265b Rdnr. 51; Arzt I Weber, LH 4, Rdnr. 63. 201 So Samson, in SK, Rdnr. 28; Lackner/Kühl, § 265b, Rdnr. 10; v. Rintelen, S. 152; vgl. auch BGHSt 36, 130 mit Anm. Kindhäuser JR 1990, 520; Maurach/Schroeder/Maiwald, § 41 Rdnr. 166; Krey, Rdnr. 534; Fischer, in Tröndle I Fischer, § 265 b Rdnr. 6; alle m. w. N.
IV. Anwendung auf durch hohes Mitverschulden des Opfers geprägte Fallgruppen 215
Kreditgeber in Kenntnis der schlechten wirtschaftlichen Verhältnisse des Kreditnehmers diesem ein wirtschaftlich nicht vertretbares Darlehen gewährt, kann er selbst wegen Teilnahme am Delikt des § 265b StGB nicht bestraft werden. Dies scheidet schon begrifflich aus, da die Tathandlung des Kreditbetruges eben die Täuschung des Kreditgebers darstellt. Da der Gesetzgeber aber nicht die Konsequenz gezogen hat, auch den Kreditgeber tatbestandlieh zu erfassen, gewährleistet § 265b StGB im Ergebnis nicht dem Schutz der Funktionsfähigkeit der Kreditwirtschaft, sondern schützt allein das Vermögen des Kreditgebers. 202 Geht man aber davon aus, daß der täuschende Kreditsuchende kein weiteres Unrecht verwirklicht, wenn er neben den tatbestandlichen Voraussetzungen des Betruges auch die des § 265b StGB erfüllt und jeweils lediglich das Vermögen des Kreditgebers schädigt,203 so ist in logischer Fortführung der hier vertretenen teleologischen Reduktion des Betrugstatbestandes diese auch auf die Vorschrift des Kreditbetruges auszudehnen, sofern nur der Kreditgeber bewußt gegen seine eigenen Interessen handelt und er aufgrund ihm zur Verfügung stehender und zumutbarer Möglichkeiten des Selbstschutzes als nicht schutzbedürftig anzusehen ist. bb) Zivilrechtliche Ansprüche
Davon abgesehen, bestehen aber auch im Bereich des Kreditbetruges noch zivilrechtliehe Ausgleichsmöglichkeiten, 204 so daß unter Berücksichtigung der fehlenden Schutzwürdigkeit des Opfers als Voraussetzung für eine Versagung des strafrechtlichen Schutzes dieses keineswegs von vornherein als völlig schutzlos anzusehen ist.
3. Ergebnis
Sowohl Konstellationen des Kapitalanlagebetrugs als auch des Kreditbetruges stellen typischerweise Risikogeschäfte dar, bei denen die Anwendung einer teleologische Reduktion des Betrugstatbestandes besonders angezeigt ist. Das Opfer handelt hier sehr häufig - vorbehaltlich einer sorgfältigen Analyse des Einzelfalls - bewußt gegen seine eigenen Interessen und ist zudem als nicht schutzbedürftig anzusehen.
202 Vgl. zum ganzen Schubarth, ZStW 92 (1980), 80, 91 f.; Samson, in SK, § 265b Rdnr. 2; TIedemann, in LK, § 265b Rdnr. 19. 203 Vgl. dazu auch BGHSt, 36, 130, 131; Lackner, in LK, § 263 Rdnr. 331; Kindhäuser, JR 1990, 520, 522. 204 Siehe schon oben unter D 11 3 b).
216
D. Der eigene Lösungsansatz
v. Zusammenfassung und Ergebnis des eigenen Lösungsansatzes Dem sog. viktimologischen Prinzip konnte insofern grundsätzlich zugestimmt werden, als daß die Auslegung von Straftatbeständen auf die Sachlagen zu konzentrieren ist, in denen ein Strafrechts schutz erforderlich ist. Über den fragmentarischen Charakter des Strafrechts und den Grundsatz der strafrechtlichen Subsidiarität hinaus, ermöglicht erst die Verknüpfung des Prinzip der Selbstverantwortung mit der allgemeinen Unrechtslehre und vor allem dem darauf beruhenden Verbrechensbegriff eine sachgerechte Einbeziehung des Opferverhaltens. Eine Kennzeichnung des speziellen Deliktscharakters des Betrugstatbestandes ergab, daß die Beziehung zwischen Täter und Opfer typischerweise von einer besonderen Qualität geprägt ist. Im Zentrum des § 263 Abs. I StGB steht daher die Abgrenzung der beiderseitigen Verantwortlichkeitssphären; das Verhalten des Opfers muß dem Täter stets zugerechnet werden können. Bei der insofern einzubeziehenden strafrechtlichen Aufgaben- und Risikoverteilung kommt es im Bereich der Vermögensdelikte zu einer Umkehrung gegenüber den allgemeinen Kriterien bei vorsätzlichen Verletzungsdelikten. Speziell im Hinblick auf den Betrugstatbestand läßt sich aber zudem das Opferrnitverschulden als besonderes Phänomen auf seiten des Betrugsopfers feststellen. Aufgrund dieser speziellen Charakteristik des § 263 StGB kann die Betrugsstrafbarkeit - auch wenn sie dem Wortlaut nach gegeben ist - über den Gedanken der Selbstverantwortung zu verneinen sein. Allerdings müssen dem Opfer vor der Vornahme der schädigenden Verfügung zum einen zumutbare Maßnahmen zur Überprüfung des eingesetzten Vertrauens zur Verfügung gestanden haben, die es trotz eines vom Bewußtsein ausgehenden Kontrollimpuls nicht genutzt hat. Dabei ist es zudem erforderlich, daß sich das Verhalten des Opfers als bewußtes Handeln gegen seine eigenen Interessen, als bewußte Vernachlässigung seiner wirtschaftlichen Eigenverantwortung darstellt. Und schließlich muß das Opfer als nicht schutzbedürftig anzusehen sein, um kriminalpolitische Bedenken auszuschließen. Abgesehen von der Empfehlung einer Änderung des Gesetzeswortlautes, läßt sich diese eigene Konzeption nur über eine teleologische Reduktion des Betrugstatbestandes umsetzen. Allerdings wurde deutlich, daß eine Einschränkung des § 263 StGB beim "Normalfall" des Betruges und erst recht bei der häufig anzutreffenden Täuschung von Unerfahrenen und Leichtgläubigen unangebracht ist. Vielmehr beschränkt sich ihr Anwendungsbereich auf nur wenige durch hohes Mitverschulden des Opfers geprägte Fallgruppen, insbesondere auf solche im Bereich der Risikogeschäfte. Eine Untersuchung von Konstellationen des Kapitalanlagebetrugs sowie des Kreditbetruges ergab, daß diese typischerweise solche Risikogeschäfte darstellen, bei denen die Anwendung einer teleologische Reduktion des Betrugstatbestandes besonders angezeigt ist. Nur so kann der zu weit gefaßte Wortlaut des § 263 Abs. I StGB auf den ihm nach dem gesetzlichen Regelungszweck zukommenden Anwen-
v. Zusammenfassung und Ergebnis des eigenen Lösungsansatzes
217
dungsbereich zurückgeführt werden. Denn das Opfer handelt hier sehr häufig vorbehaltlich einer sorgfältigen Analyse des Einzelfalls - bewußt gegen seine eigenen Interessen und ist zudem als nicht schutzbedürftig anzusehen. Hinsichtlich des verbleibenden Opferschutzes hat sich gezeigt, daß in Abhängigkeit von der an den Tag gelegten Mitverantwortung entweder andere Straftatbestände zum Zuge kommen oder aber das Opfer eben gerade aufgrund seines Verhaltens zu Recht allein auf zivilrechtliche Ansprüche zu verweisen ist.
Gesamtzusammenfassung Ein etwaiges Mitverschulden des Betrugsopfers wird bis heute weder von der herrschenden Ansicht innerhalb der Literatur noch von der Rechtsprechung auf der Tatbestandsebene des Betrugstatbestandes berücksichtigt. Dabei weisen die Bestrebungen, den Betrugstatbestand aufgrund einer Mitverantwortung des Opfers zu beschränken, eine sehr weit zurückreichende Tradition auf. Derartige Bemühungen finden sich in vielfältiger Form schon im römischen Recht sowie in den Partikulargesetzgebungen des 19. Jahrhunderts. Mit dem Aufkommen des modernen wirtschaftlichen Denkens sowie dem Siegeszug des Liberalismus kam der Geschäftstüchtigkeit und damit der Ausnutzung überlegenen Wissens eine immer größere Bedeutung zu. Dabei erwies es sich als Kernproblem, den strafbaren Betrug von allenfalls zivilrechtlich zu beurteilenden Tauschungshandlungen abzugrenzen. Allerdings verloren diese Ansätze nach dem Inkrafttreten des PrStGB im Jahre 1851 in zunehmenden Maße an Bedeutung. Man war der Auffassung, den Betrugstatbestand mit Hilfe eines konkreten Tatsachenbegriffes besser einschränken zu können, um als strafwürdig empfundene Tauschungen zu bestrafen, ohne Handel und Verkehr zu enge Fesseln anzulegen. Dementsprechend fanden auch die Bemühungen um eine Restriktion schließlich keinen Eingang in das Reichsstrafgesetzbuch von 1871. Trotz der Reformversuche durch verschiedene Entwürfe spiegelt sich diese gesetzgeberische Entscheidung bis heute in der geltenden Fassung des § 263 StGB wider. Ausweislieh der überlieferten Materialien hat der preußische Gesetzgeber mit der Streichung des Merkmals "arglistig" im Entwurf von 1845 zwar eine bewußte Entscheidung für den strafrechtlichen Schutz des leichtgläubigen Betrugsopfers getroffen hat. Indes beruhte dies nicht etwa auf Überlegungen bezüglich der Schutzwürdigkeit von Opfern, die auf plumpe Tauschungen hereinfallen, sondern auf gesetzestechnischen Erwägungen. Denn man meinte, solchen Betrogenen nur durch eine präzise Abgrenzung gegenüber arglistigen Tauschungen den strafrechtlichen Schutz des Betrugstatbestandes versagen zu können, was jedoch wegen der Unbestimmtheit des Arglistmerkmals unmöglich sei. Aufgrund dieser terminologischen Unsicherheit sowie vor dem Hintergrund, daß das Mitverschulden des Opfers historisch immer eine Rolle gespielt hat, ist es aber bei der Anwendung des geltenden § 263 StGB durchaus geboten, im Rahmen der restriktiven Auslegung oder einer teleologischen Reduktion des Betrugstatbestandes spezielle systematische Zusammenhänge oder rechtsstaatliehe Prinzipien heranzuziehen. Da sich der Tatsachenbegriff als unfähig erwiesen hat, die von ihm erhoffte Restriktion zu vollbringen, greift die herrschende Betrugsdogmatik in vielen Einze1-
Gesamtzusammenfassung
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problemen des Betrugstatbestandes auf fragwürdige dogmatische Konstruktionen zurück, wie etwa bei der Abgrenzung von Tatsachenbehauptungen und Werturteilen. Oft lassen sich die Ergebnisse mit dem Gedanken der Mitverantwortung des Opfers sowie der Schutzwürdigkeit des dem Täter entgegengebrachten Vertrauens erklären. Entgegen der ausdrücklichen Ablehnung einer Berücksichtigung der Opferrnitverantwortung innerhalb des Betrugstatbestandes spielt dieser Gedanke wie bereits während der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts - nach wie vor eine große Rolle. Dies gilt in ganz besonderem Maße für risikoreiche Spekulationsgeschäfte. Sowohl innerhalb des Problemkreises der konkludenten Täuschung als auch bei der Täuschung durch Unterlassen finden sich derartige Ansätze. Teilweise wird hier sogar ausdrücklich eine Abgrenzung der Verantwortungsbereiche von Täuschendem und dem Getäuschten vorgenommen. Auch bei der Bestimmung des betrugsrelevanten Vermögensschadens lassen sich weitgehende Tendenzen feststellen, den Gedanken der Mitverantwortung des Opfers zu berücksichtigen. Dies verstärkt das Bedürfnis nach Klärung der Frage, ob und in welchen Fällen durch die Einbeziehung der Opferrnitverantwortung ein methodologisch besser vertretbarer Lösungsweg gangbar ist, der vom Rechtsanwender eher nachvollzogen werden kann und deshalb die Hoffnung auf eine breitere Akzeptanz in sich trägt. Die seit den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts vorgebrachten sog. viktimo-dogmatischen Vorschläge, der Mitverantwortung des Opfers durch eine restriktivere Auslegung der einzelnen Tatbestandsmerkmale des Betrugstatbestandes Rechnung zu tragen, führen zu keinen dogmatisch und kriminalpolitisch gleichermaßen überzeugenden Lösungen. Der Irrtum ist insbesondere schon deshalb ungeeignet zur tatbestandlichen Berücksichtigung eines etwaigen Opferrnitverschuldens, da die vorgeschlagenen Kriterien zur Bestimmung der strafrechtlich relevanten Intensität der Fehlvorstellung wenig praktikabel und zu unbestimmt sind. Zudem ist die Mitverantwortung eines Opfers, daß trotz Zweifeln an dem Vorbringen des Täters verfügt, kaum größer ist als die eines Opfers, das so leichtgläubig und gedankenlos ist, daß es nicht einmal zweifelt. Diejenigen Vorschläge, die durch eine Abschichtung einfacher Täuschungen der Opferrnitverantwortung Rechnung tragen wollen, führen dagegen zu einer unzulässigen Unterschreitung des Wortlauts. Denn sie erfassen auch solche Fälle, bei denen das Opfer über keinen vom Bewußtsein ausgehenden Kontrollimpuls verfügt und sich deshalb gerade nicht ohne weiteres vor der Vornahme der schädigenden Verfügung zu schützen vermag. Richtigerweise ist die Auslegung von Straftatbeständen auf die Sachlagen zu konzentrieren, in denen ein Strafrechtsschutz erforderlich ist. Über den Ansatzpunkt des sog. viktimologischen Prinzips hinaus wird eine sachgerechte Einbeziehung des Opferverhaltens allerdings erst durch die Verknüpfung des Prinzips der Selbstverantwortung mit dem auf der allgemeinen Unrechtslehre beruhenden Verbrechensbegriff ermöglicht. Die Beziehung zwischen Betrüger und Betrogenem ist typischerweise von einer besonderen Qualität geprägt, so daß das Verhalten des Opfers dem Täter zugerech-
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Gesamtzusarnmenfassung
net werden muß. Im Zuge der erforderlichen Abgrenzung der beiderseitigen Verantwortlichkeitssphären läßt sich vor allem das Opfermitverschulden als besonderes Phänomen auf seiten des Betrugsopfers feststellen. Aufgrund dieser speziellen Charakteristik des § 263 StGB kann die Betrugsstrafbarkeit - auch wenn sie dem Wortlaut nach gegeben ist - über den Gedanken der Selbstverantwortung zu verneinen sein. Allerdings müssen dem Opfer vor der Vornahme der schädigenden Verfügung zum einen zumutbare Maßnahmen zur Überprüfung des eingesetzten Vertrauens zur Verfügung gestanden haben, die es trotz eines vom Bewußtsein ausgehenden Kontrollimpuls nicht genutzt hat. Dabei ist es zudem erforderlich, daß sich das Verhalten des Opfers als bewußte Vernachlässigung seiner wirtschaftlichen Eigenverantwortung darstellt. Und schließlich muß das Opfer als nicht schutzbedürftig anzusehen sein, um kriminalpolitische Bedenken auszuschließen. Diese eigene Konzeption ist über eine teleologische Reduktion des Betrugstatbestandes umzusetzen. Allerdings ist eine Einschränkung des § 263 StGB beim "Normalfall" des Betruges und erst recht bei der häufig anzutreffenden Täuschung von Unerfahrenen und Leichtgläubigen unangebracht. Vielmehr beschränkt sich ihr Anwendungsbereich auf nur wenige durch hohes Mitverschulden des Opfers geprägte Fallgruppen, insbesondere auf solche im Bereich der Risikogeschäfte. Konstellationen des Kapitalanlagebetruges sowie des Kreditbetruges stellen typischerweise solche Risikogeschäfte dar, bei denen über eine teleologische Reduktion der Wortlaut des Betrugstatbestandes auf den ihm nach dem gesetzlichen Regelungszweck zukommenden Anwendungsbereich zurückgeführt werden kann. Hierbei handelt das Opfer sehr häufig bewußt gegen seine eigenen Interessen und ist zudem als nicht schutzbedürftig anzusehen. Hinsichtlich des verbleibenden Opferschutzes kommen - in Abhängigkeit von der an den Tag gelegten Mitverantwortung - entweder andere Straftatbestände zum Zuge oder aber das Opfer ist gerade aufgrund seines Verhaltens zu Recht allein auf zivilrechtliche Ansprüche zu verweisen.
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- Die Bedeutung der Viktimologie für die Strafrechtspflege, in: MSchrKrim 53 (1970), 1 Zirpins, Walter, Betrug, in: Handwörterbuch der Kriminologie (HWBdK), begründet von Alexander Elster und Heinrich Lingemann, herausgegeben von Rudolf Sieverts, Band 1, 2. Auflage, Berlin 1966
Sachwortverzeichnis Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten 23 ff., 43 Anfechtungsrecht 112, 118, 190 Angebotsschreiben, rechnungsähnliches 104f. Arglist 20, 26 f., 30 ff., 43 ff., 50 f., 56 ff., 61, 67 ff., 72, 75, 84 ff., 155, 164, 166, 218 Ausland 25 ff., 83 ff. - Belgien 84 - England 27 f., 86 f. - Frankreich 25 ff., 32 f., 42, 48, 83 f. - Niederlande 84 - Österreich 85 f. - Schweiz 84 f., 163 - USA 87 Börsengesetz 205 f. Corpus Juris 80 ff. Eigenverantwortlichkeit 38, 118, 128, 138, 159,172 ff., 219 f. Eingehungsbetrug 112 ff., 118 Einwilligungstheorie 148 ff. Erfüllungsbetrug 115 ff. Europäische Union 80 ff. Garantenpflicht 101 ff. Gebrauchtwagen 120 f. Haarverdoppler-Fall 77, 90 f., 94, 116 ff., 193 Hegel 21 ff., 49 ff. Irrtum 72 ff., 131 ff., 219 Kant 21 ff. Kapitalanlagebetrug 79, 146, 194 ff., 204 f., 220 30 Hennings
Kausalzusammenhang 56, 57 ff., 66, 70 f., 141, 152 ff., 208 Kontrollimpuls 167 f., 186, 188, 193, 216, 219 f. Kreditbetrug 79, 146,207 ff., 213 ff., 220 Kriminalstatistik 17, 184, 197 f. mittelbare Täterschaft 126, 179 ff. objektive Zurechnung 159 Opferkunde s. Viktimologie Option 98 ff., 105 ff., 121 ff., 194 ff. Partikulargesetzgebungen 28 ff. - Baden 32 f. - Bayern 28, 57 f. - Braunschweig 31 - Hessen 32 - Sachsen 31 f. - Württemberg 30 f. persönlicher Schadenseinschlag 119 ff. Philosophie s. Rechtsphilosophie Preisgestaltungsbetrug 97 f. Preußisches Obertribunal 56 ff. Preußisches Strafgesetzbuch s. Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten Prospekt s. Verkaufsprospekt Rechtsphilosophie 21 ff. Reduktion, teleologische 140 ff., 192 ff., 220 Reform des Betrugstatbestandes 67 ff. Reichsstrafgesetzbuch 58 f., 75, 218 Risikogeschäft 101, 105, 108, 122, 160, 193 ff., 220 Römisches Recht 19 ff. Rücktrittsrecht 113 ff. Schaden s. Vermögensschaden Schutzzweck der Norm 158 ff.
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Sachwortverzeichnis
Selbstschädigung 60, 124 ff., 149, 178 ff. Selbstverantwortung s. Eigenverantwortlichkeit Spekulation 21, 106 ff., 123, 129, 159 f., 167, 196,205 f., 219 Subventionsbetrug 79, 146 Strafgesetzbuch für den Norddeutschen Bund 58 f. Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten 41 ff., 155,218 Strafzumessung 38, 63 ff., 78, 130, 140 Subsidiarität des Strafrechts 38, 130 f., 136 ff., 142 ff., 159, 170 f. Täuschung 53 ff., 61 f., 161 ff. - durch konkludentes Handeln 94 ff., 182 - durch Unterlassen 55 f., 95, 101 ff., 182 Tatsachenbegriff 53 f., 66 f., 88 ff., 219 Überlistung 134f., 137,l77ff. Unrecht 174 ff.
Verbrechen 176 f. Vennögensde1ikte 183 Vennögensgefährdung 110 ff., 114 f. Vennögensschaden 110 ff. Verkaufsprospekt 195, 201 ff. Vertrauen 19 ff., 37, 59, 98 ff., 102 ff., 105 ff., 109, 119, 124, 128 f., 145, 147, 162 ff., 165, 167, 176, 185, 186 ff., 193, 199 ff., 208, 211, 216, 219 Viktimologie 17,130f.,219 viktimologische Theorie 135 ff., 173 Wahrscheinlichkeitstheorie 133 f. Warentenninoption s. Option Werturteile 88 ff. Wettbewerbsverstoß 104 Wunderbürstenfall 113 f. zivilrechtliche Anspriiche 112 ff., 190 f., 206 f., 215, 220 Zweckverfehlung 125 Zweifel 62, 132 ff.