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German Pages [172] Year 1999
HYPOMNEMATA 124
V&R
HYPOMNEMATA UNTERSUCHUNGEN ZUR ANTIKE UND ZU IHREM NACHLEBEN
Herausgegeben von Albrecht Dihle/Siegmar Döpp/Dorothea Frede/ Hans-Joachim Gehrke/Hugh Lloyd-Jones/Günther Patzig/ Christoph Riedweg/Gisela Striker
HEFT 124
V A N D E N H O E C K & R U P R E C H T IN G Ö T T I N G E N
GEORG WÖHRLE
Telemachs Reise Väter und Söhne in Ilias und Odyssee oder ein Beitrag zur Erforschung der Männlichkeitsideologie in der homerischen Welt
VANDENHOECK & RUPRECHT IN GÖTTINGEN
Verantwortlicher Herausgeber: Christoph Riedweg
Die Deutsche Bibliothek -
CIP-Einheitsaufnahme
Wöhrle, Georg: Telemachs Reise : Väter und Söhne in Ilias und Odyssee oder ein Beitrag zur Erforschung der Männlichkeitsideologie in der homerischen Welt / Georg Wöhrle. Göttingen : Vandenhoeck und Ruprecht, 1999 (Hypomnemata ; H. 124) ISBN 3-525-25221-8
© 1999, Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen. Printed in Germany. - Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Druck: Hubert & Co., Göttingen
Im langsamen Dahingehen dachte Siddhartha nach. Er stellte fest, daß er kein Jüngling mehr, sondern ein Mann geworden sei. Er stellte fest, daß eines ihn verlassen hatte, wie die Schlange von ihrer alten Haut verlassen wird, daß eines nicht mehr in ihm vorhanden war, das durch seine ganze Jugend ihn begleitet und zu ihm gehört hatte: der Wunsch, Lehrer zu haben und Lehren zu hören. (Hermann Hesse, Siddhartha. Eine indische Dichtung)
Inhalt
Vorbemerkung I Einleitung: Väter und Söhne in den homerischen Epen
9 11
1. Eine historische Welt?
11
2. Eine Welt aus der Sicht der Väter
18
3. ...und im Blick auf die Frauen
23
4. Strukturen von Vater-Sohn-Beziehungen
32
II Achill als Sohn und als Vater
49
1. Achill als Sohn
49
2. Achill als Vater
62
3. Polemos pantôn pater
67
III Priamos und seine 50 Söhne 1. Gute Söhne - schlechte Söhne 2. Paris, die Provokation der Väter
73 73 78
IV Hektor, der ideale Vater-Sohn
85
1. »freundlich wie ein Vater«
85
2. aneres este
88
3. pro patria mori?
93
V Göttlicher Vater - sterblicher Sohn: Zeus und Sarpedon 1. Der »Vater der Menschen und Götter« 2. Blutige Tränen VI Odysseus und Laertes
99 99 104 Ill
Telemachs Reise
8
VII Telemachs Reise. Eine Annäherung
117
1. Anfängliches Fragen und Erweckung 2. Aufbruch und Bestätigung
117 126
3. Mannwerdung
129
4. Vater und Sohn
131
5. Den Bogen zu spannen
137
6. Vater mit Sohn
140
VIII Nachbemerkung: Das Dilemma zu lösen?
145
IX Literaturverzeichnis
151
X Index
167
Vorbemerkung
Diese Studie ist aus einem Seminar zu Homers Odyssee hervorgegangen, in dessen Verlauf auch die Frage nach dem Verhältnis zwischen Odysseus und Telemach erörtert wurde. Schnell hat sich gezeigt, daß darüber angemessen nur vor dem Hintergrund der anderen von Homer geschilderten Vater-Sohn- bzw. Vater-Sohn ähnlichen Beziehungen zu urteilen wäre. Und dann tritt auch sofort die Frage nach dem Realitätsbezug hinzu, die aus verschiedenen, in der Einleitung noch näher zu bezeichnenden Gründen im Falle der homerischen Epen besonders knifflig ist. Immer gilt es jedenfalls, mindestens drei Bezugsebenen zu unterscheiden: die der (wenigstens im modernen Sinne) >fìktiven< heroischen Vergangenheit, die der in ihr geronnenen Gegenwart des Dichters und die der Autor-Intention schließlich. In der mittlerweile schon generationenlangen Diskussion um die homerische Ethik stellt die durchdringende Komplexität dieser drei Bezugsebenen die jeweiligen, zusätzlich von ihren eigenen Wertvorstellungen geprägten Interpreten vor nicht eben geringe Schwierigkeiten bei der Suche nach einem Archimedischen Punkt, von dem aus etwa eine homerische >Adelsethik< mit Bestimmtheit zu zeichnen wäre. Wie sollte es anders sein bei einem großen Kunstwerk? Wenn wir in einer Untersuchung nun die Kategorie >Geschlecht< zur Analyse der von Homer geschilderten Gesellschaft heranziehen, so tritt auch hier natürlich die Frage auf, inwieweit der Dichter eine bestimmte Ideologie anbietet und inwieweit Rückschlüsse auf ein je historisches Geschlechterverhältnis zur Zeit des Dichters möglich sind. Es schien mir nicht sinnvoll oder noch verfrüht, dies sauber voneinander trennen zu wollen. Wenn es mit dieser Untersuchung gelingt, das Vater-Sohn-Verhältnis in seiner gesamten Spannweite als ein bedeutsames kulturelles Konstrukt herauszuarbeiten, das auch die Handlung der homerischen Epen motiviert, scheint mir schon ein Ziel erreicht. Wenn darüber hinaus noch, wenigstens in Ansätzen, die Stellung des Dichters dazu Kontur gewinnt, ein weiteres.
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Vorbemerkung
Mein Dank gilt allen, mit denen ich über meine Fragestellung diskutieren konnte. Immerhin bewegt sich diese Studie nicht gerade auf den ganz traditionellen Bahnen jedenfalls der deutschsprachigen Homerphilologie (die ich andererseits nicht völlig verlassen zu haben hoffe). Wichtige Hinweise und Verbesserungsvorschläge verdanke ich Dr. Paul Dräger (Trier), Dr. Bernhard Herzhoff (Trier), Prof. Dr. Wolfgang Kullmann (Freiburg i. Brsg.) und vor allem Prof. Dr. Walter Nicolai (Mainz). Heidi Hein danke ich für die Hilfe bei der Erstellung der Druckvorlage und den Herausgebern der Hypomnemata, insbesondere Prof. Dr. Christoph Riedweg, für die Aufnahme der Arbeit in ihre Reihe.
Trier, im August 1998
I Einleitung: Väter und Söhne in den homerischen Epen1
1. Eine historische Welt? Wer sich mit dem Verhältnis von Geschlechtern oder, wie hier, mit dem Verhältnis von Verwandten und Angehörigen des gleichen Geschlechts zueinander befaßt, muß sich, wenn die homerischen Epen der zwangsläufig und im wesentlichen einzige Ausgangspunkt der Betrachtung bleiben, dem großen und hochdiskutierten Komplex der Historizität von Dichtung im allgemeinen und der der homerischen Epen im besonderen stellen. Hier gewinnt immer mehr an Bedeutung, inwieweit man bereit ist, von einer individuellen schriftlichen Komposition der Epen auszugehen. Schriftlichkeit beendet den von anthropologischer Seite für rein mündliche Dichtung postulierten Einfluß der sich wandelnden gesellschaftlichen Realität auf die Überlieferung. Dichterische Individualität trägt das Ihre zur >Verformung des Überliefertem bei.2 Auf der anderen Seite kann man dafürhalten, die Kriterien, unter denen mündliche Dichtung zu betrachten ist, auch auf Ilias wie Odyssee anzuwenden; als epische Texte nämlich, die, »wenn nicht selbst direkt oraler Produktion entsprungen, so doch den unmittelbaren Abschluß dieser Art von Textproduktion darstellen«3. Und es muß kaum eigens betont werden, daß gerade die homerischen Epen, die auch noch lange nach ihrer Entstehung als eine Art Erziehungsliteratur verstanden wurden,4 erst recht in einer noch weitgehend mündlichen Gesellschaft von höchster Bedeutung als Träger kultureller Überlieferung (mémoire collective), als Medium für auf den
1 Nachfolgend werden die Bücher der ¡lias mit römischen, die der Odyssee mit arabischen Zahlen aufgeführt. 2 Siehe W. Kulimann, >Oral tradition/Oral History homerischen Gesellschaft« vgl. weiterhin Austin/VidalNaquet 29ff. und den ausgezeichneten Überblick mit Forschungsdiskussion bei Raaflaub (Homer und die Geschichte des 8. Jh.s v. Chr. 207ff.). Kullmann (Homers Zeit und das Bild des Dichters 60) spricht davon, daß in den homerischen Epen »in größerem Maße Geschichte nach den Vorstellungen und Bedürfnissen der eigenen Zeit zurückentworfen wurde«. Die Diskussion ist jedenfalls noch lange nicht beendet. Eine eher optimistische Sicht bei Latacz (Vergangenheitsbewahrung in der mündlichen Überlieferungsphase des Heldenepos). 9 10
Wickert-Micknat, Dichtung als historische Quelle 58. Gschnitzer 27.
Väter und Söhne in den homerischen Epen
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anax, Odysseus und Telemach hat es als historische Persönlichkeiten nicht gegeben. Aber es hat Väter und Söhne zu Homers Zeit gegeben, die im Spannungsfeld von Zuneigung, Konkurrenz und Generationen-Konflikt11 die gleichen oder ähnliche Probleme wie ihre mythologischen Vorbilder hatten. Sollte das Verhalten der >historischem Vorbilder je verstanden werden und der Dichter mit seinem Publikum in Kommunikation treten können, dann kann die Realität strukturell nicht viel anders ausgesehen haben: »Even if the situations described are not true, they must be realistic«12. Wahrscheinlich gibt es sogar die Möglichkeit, tatsächlich hinter die Kulissen zu schauen, nicht nur, wenn auch die Schwierigkeiten nicht übersehen werden dürfen,13 Realistisches, sondern zugleich Reales zu fassen: die Realität einer gehobenen Gesellschaftsschicht notabene, wie immer wieder hervorgehoben werden muß, in der die Söhne wie Astyanax (VI 399f.; ΧΧΠ 500ff.) und Telemach (1, 428ff.) von Ammen aufgezogen werden, ein Vater seinem Sohn einen halben Obstgarten schenkt (24, 336ff.) oder junge Männer ihre ersten Verdienste bei der Jagd erwerben (19, 428ff.). Es ist die >unbetonte Hintergrunds- und Zustandsschilderungunbetont< im eigentlichen auf jene Stellen zu beschränken, die für die konkrete Situation nicht bedeutsam oder motivierend sind, dafür eben um so mehr Licht auf den zeitgenössischen Hintergrund werfen.14 Sie unterscheiden sich von solchen Stellen, die im Gegenteil aus 11 »The earliest evidence of generational conflict in the Greek and Roman world appears in Homer's Iliad« (Querbach 55). 12 Cantarella 25. Vgl. auch noch H. Strasburger, Der soziologische Aspekt der homerischen Epen 105: «[...] im Bereiche seiner alltäglichen Wirklichkeit verlangt der Hörer Homers [im Gegensatz zur märchenhaften heroischen Sphäre] Wahrscheinlichkeit«. Vgl. auch noch Naerebout, der darauf hinweist (126f.), daß jedes literarische Werk nicht nur auf die eine oder andere Weise in der Realität wurzelt, »but also (re)creates reality«. In diesem Sinn können die Epen auch gelesen werden als »source of, a fons et origo and part of the system (though not of the practice) of some past reality«. 13 »Although a story must bear some relation to or comment in some way upon the life of its audience if it is to be found interesting or important, therefore, the nature of that relationship or comment can be highly nuanced and complex, and no particular detail in the narrative need conform on a surface level to the audience's real day-to-day experience« (Olson 200). 14 Vgl. auch Wickert-Micknat, Dichtung als historische Quelle 58f.: »Spur der Realität in der Dichtung wäre somit einerseits alles Alltägliche, Gewohnte, sozusagen Unauffällige, das sich mit geringer Variationsbreite überall und immer ereignen kann, andererseits alles, was sich als zeittypischer Zug erschließen läßt [...]. Nicht in der phantasievoll und planmäßig ausgestalteten Hauptsache der Dichtung ist Historie zu
14
Telemachs Reise
der Situation heraus gesprochen werden und entsprechend gewertet werden müssen.15 So sagt Aias etwa, um Achills unerweichlichen Starrsinn zu charakterisieren, als der sich weigert, Agamemnons großzügiges Versöhnungsangebot anzunehmen:16 »Der Erbarmungslose! Hat doch auch mancher für den Mord eines Bruders / Buße angenommen oder für seinen Sohn, den gestorbenen. / Und der blieb dort im Gau, nachdem er viel gezahlt hatte, / Dem aber hielt sich zurück das Herz und der mannhafte Mut, / Wenn er die Buße empfing. Dir aber haben einen unnachgiebigen und schlimmen / Mut in die Brust gesetzt die Götter eines Mädchens wegen, / Eines einzigen!« (IX 632-638) Aias geht es an dieser Stelle darum, einen Fall zu finden, bei dem nach menschlichem Ermessen Wiedergutmachung nur schwer geleistet werden kann. Und das ist, wenn der eigene Bruder oder - wohl noch mehr - der eigene Sohn getötet wurde. Und doch kommt es hier vor, daß auf die sicher grundsätzlich geforderte Blutrache17 verzichtet und statt dessen eine Bußzahlung angenommen wird und der Mörder nicht zum Flüchtling werden muß. In Anbetracht dessen nimmt sich Achills Weigerung »eines finden, sondern im Nebensächlichen, das beiläufig, unabsichtlich, manchmal sogar versehentlich vorgebracht wird.« Den Begriff >unbetont< verwendet Raaflaub (Homer und die Geschichte des 8. Jh.'s v. Chr.) in relativ weitem Sinne (»die große Masse des epischen Materials«) im Gegensatz zum durch stete Neugestaltung und Uminterpretation veränderten faktischen Kern. >Unbetont< und insofern weitgehend konsistent sind nach Raaflaub »die den Hintergrund und die Lebensumwelt der Ereignisse und Personen bildenden [...] sozialen, wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse, Beziehungen und Werte« (211). 15 Man kann zum Beispiel nicht auf typische Familien- und Wohnverhältnisse in Troia und anderswo schließen, wenn, um seine besondere integrative Kraft und vielleicht orientalische Dimension zu zeichnen, Priamos als Vater von 50 Söhnen, die gemeinsam mit ihren Frauen, den zwölf Töchtern und Schwiegersöhnen in einem kunstvoll arrangierten Palast wohnen, dargestellt wird (vgl. Kirk 193 zu VI 242-50: »There is a distinct air of unreality about this charming and naive description of Priam's palace«; vgl. auch unten Kap. III). 16 Die Übersetzung der Ilias- sowie der Odysseestellen - wie üblich - von Wolfgang Schadewaldt: Homer. Dias, Frankfurt am Main 1975, und: Homer: Die Odyssee, Hamburg 1958ff. 17 Vgl. etwa XVII 34ff. Eine Bußzahlung bei Mord deutet auch die Schildbeschreibung an (XVIII 497ff.). Weitere Belege bei Lacey 62. Vgl. auch Tiypanis 290, der in den beiden Stellen zur Bußzahlung (>later< passagesVäterchen< (atta IX 607) wie auch Telemach (16, 31) den Eumaios.19 Solche Stellen ermöglichen uns also eine Art objektiven Blick auf die soziale Stellung von Söhnen, ihre Wertigkeit in homerischer Zeit bzw. auf bestimmte Rechtsverhältnisse sowie auf emotionale Bindungen zwischen Söhnen und Vätern. Hinzu kommen noch mittelbare oder unmittelbare Äußerungen des Erzählers, Apophthegmen, Vergleiche und Gleichnisse, vermittels derer er seinem Publikum einen Sachverhalt anschaulich ma18 Vgl. noch VI 46ff.; XI 131ff. Den absoluten >Wert< des leiblichen Sohnes unterstreichen auch Aussagen der Art, daß jemand >wie ein (leiblicher) Sohn< geehrt wird. So V 70f. (Theano zog den Bastard-Sohn des Antenor gleich den eigenen Kindern auf, aus Gefälligkeit gegen ihren Gatten) oder V 534-536 (die Troer ehrten den De'ikoon, den Pergasos-Sohn, gleich des Priamos' Söhnen, »denn er war schnell, unter den Vordersten zu kämpfen«). 19 Vgl. noch V 408 und 21, 42f.
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Telemachs Reise
chen will. So, wenn Athene/Mentor davon spricht (2, 274ff.; siehe unten Kap. VII), daß die meisten Söhne schlechter als ihre Väter würden, oder wenn Phoinix die Liebe, die ihm, dem Verbannten, Peleus entgegenbrachte, damit vergleicht, wie »ein Vater seinem Sohn Liebes antut« (IX 481; siehe unten Kap. II). Damit wird deutlich an die Vorstellungswelt der Hörer appelliert, von der wir einen Teil zu fassen bekommen.20 Wie immer man aber den Realitätsgehalt der entsprechenden Stellen letztlich einschätzen mag, entscheidend ist, daß wir damit bestimmte Grundnormen fassen, die von Sohneswert, von väterlicher Liebe, aber auch von väterlicher Überlegenheit sprechen, und die, eingefügt in den allgemeinen Kontext der epischen Erzählung, den Beurteilungshintergrund des Vater-Sohn-Verhältnisses bilden, wie es sich, als Bestandteil der Erzählung, in den homerischen Epen spiegelt. Dieser >Beurteilungshintergrund< soll im folgenden weiter aufgehellt werden; das heißt aufgrund expliziter und impliziter, in typischen Konstellationen faßbarer Normen soll der Raum abgesteckt werden, innerhalb dessen sich Väter und Söhne zueinander und zu ihrer Umgebung verhalten. Dabei wird es sinnvoll sein, zunächst die grundsätzliche Stellung des Mannes als Vater in der homerischen Gesellschaft - auch im Blick auf diejenige der Frau - zu umreißen und dann auf das spezielle Verhältnis von Vätern und Söhnen und dessen Bedingungen einzugehen. Man kann die vorliegende Studie somit als einen Beitrag zur Geschlechterrollenforschung verstehen, oder, wenn man das eben zum Realitätsbezug Gesagte ernst nimmt, zur historischen Anthropologie.21 Unter diesem Gesichtspunkt bietet die von Homer geschilderte Gesellschaft natürlich auch nur ein Beispiel für die von der vergleichenden Anthropologie festgestellte Tatsache, daß bei aller Differenziertheit im Einzelnen die meisten Gesellschaften dazu tendieren, »die biologischen Möglichkeiten zu übertreiben, indem sie die Rollen deutlich gegeneinander abgrenzen und das adäquate Verhalten von Männern und Frauen als gegensätzlich oder
20 Hier gilt, was Mark W. Edwards (35) grundsätzlich zum alltäglichen Hintergrund der Gleichnisse sagt: »The purpose of a simile is to encourage the listener's imagination by likening something in the narrative of the heroic past to something which is directly within his own experience«. 21 Der Begriff zeichnet ein >großes Zimmergender-studies< standen. Doch sollen die homerischen Epen nicht nur gleichsam Steinbruch für außerpoetische Fragestellungen sein. Die Qualität der Dichtung tritt immer dann zutage, wenn deutlich wird, wie sich psychologische Feinsicht mit poetischer Kunst vereint Dies wird sich vor allem ab dem nächsten Kapitel zeigen, wenn von den bedeutenden bei Homer geschilderten Vater-Sohn-Beziehungen zu reden sein wird und wir es mit Personen wie Achill, Odysseus, Telemach zu tun haben, deren individuelle Lebensbedingungen und Handlungsmotive genauer zu erfassen sind. Nicht zuletzt formt Homer auch hier als erster in der europäischen Literatur so fruchtbare literarische Motive wie das des Vater-Sohn-Konfliktes und der Vatersuche.23 Im Blick auf die Struktur der Handlung und die Charakterisierung der Personen sind wir dann auch mit der Frage konfrontiert, wie der Autor das Handeln der einzelnen Personen innerhalb des Vater-Sohn-Verhältnisses bewertet und ob sich mit dieser Bewertung über den Weg einer bewußten Rezeptionssteuerung eine bestimmte Wirkungsabsicht verbindet.24
22 Gilmore 24f. 23 Diese und daraus abgeleitete Motive finden sich durch alle Zeiten und in allen Literaturen; vgl. etwa D. Kulimann 225ff. und siehe den Überblick bei Frenzel 727-757. 24 Zur >Rezeptionssteuerung< und zu den >Wirkungsabsichten< vgl. Nicolai, Rezeptionssteuerung, und dens., Wirkungsabsichten (bes. 83f.).
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Telemachs Reise
2. Eine Welt aus der Sicht der Väter Daß das Gesellschaftsideal, wie es sich in den homerischen Epen darstellt, weitestgehend vaterrechtlich bestimmt ist, ja in der Odyssee sogar ein »Urbild der patriarchalischen Daseinsform« gezeichnet ist,25 scheint nicht eigens hervorgehoben werden zu müssen. Denn wir sehen doch, wie in der Ilias und in der Odyssee Väter auf allen Ebenen maßgeblich agieren. Als Götter, wie Zeus, der »Vater der Menschen und Götter«, der mit mehr oder weniger autoritärer Willkür den Himmelsstaat lenkt, oder wie der Windgott Aiolos (10, Iff.), der auf seiner ummauerten Insel mit Frau, sechs Töchtern und sechs Söhnen residiert. Auf menschlicher Ebene wird das Geschehen wesentlich von Vätern bestimmt. Teils von Familienvätern großer (Priamos) wie kleiner (Odysseus)26 Familien, teils von Männern, die aufgrund ihrer hierarchischen Stellung, etwa als Heerführer wie Agamemnon,27 oder aufgrund ihres Alters, wie Nestor, ein vaterähnliches Verhältnis zu den ihnen Untergeordneten oder den Jüngeren einnehmen. Himmlische wie menschliche Väter haben Söhne, die geliebt werden, die aber auch mit ihren Vätern konkurrieren, sich unterordnen müssen und deren Aufbegehren gelegentlich heftige Auseinandersetzungen hervorruft. Hephaistos weiß davon ein Lied zu singen, den der Vater Zeus einmal, als jener seiner Mutter helfen wollte, aus dem Olymp auf die Insel Lemnos schleuderte (I 590ff.). Auch der die Ilias tragende Grundkonflikt zwischen Agamemnon und Achill läßt sich als eine Auseinandersetzung innerhalb eines patriarchalisch geordneten Systems verstehen, das funktioniert, weil, wie wir noch genauer sehen werden, die Söhne, oder besser einzelne Söhne zwar ihre Väter in Frage stellen, niemals aber das System selbst.28 Eine wachsende Zahl alt- bzw. sozialhistorischer Untersuchungen hat schließlich das Bild verfeinert und herausgestellt, welche Bedeutung dem Vater in der homerischen Gesellschaft aus seiner Stellung als Grund- und 25 H. Strasburger, Zum antiken Gesellschaftsideal 16 [20]. Zu verweisen ist noch auf die häufige Bezeichnung der Heimat als >Vaterland< (patrê, patris gaia). 26 Eine Besonderheit, die von Telemach (16, 115-120) hervorgehoben wird. Vgl. Ulf 249, Anm. 90. 27 Dessen Position wiederum dadurch bedingt ist, daß er »bei weitem die meisten Männer anführte« (II 580). 28 »Yet despite the generational tensions that exist in the Iliad, there does not seem to be any fundamental discrepancy between the basic value system of the young and old« (Querbach 64).
Väter und Söhne in den homerischen Epen
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Hausherr, als anax oikoio,29 als >König< (basileus) und Heerführer - auch im Spiegel der göttlichen Patriarchie - gegenüber den ihm Untergeordneten, Ehefrau, Kindern, Untertanen und Sklaven zukommt.30 Man kann somit wohl sagen, daß die herausgehobene Stellung des Mannes als Vater zu den grundlegenden Normen der homerischen Gesellschaft oder genauer der Gesellschaft der homerischen Epen gehört, die das Zusammenleben wesentlich regeln und bei Interessenkonflikten entscheidungsgebend sind. In diesem Sinne einer fast ausschließlich männlichen Präsenz an den gesellschaftlichen Macht- und Funktionsstellen, die ihrerseits auf einer patrilinearen Deszendenz basiert - fast das ganze epische >Personal< wird mit patronymer Herkunft eingeführt - 31 , läßt sich also wohl mit Recht von einem >Patriarchat< reden. Der differenzierte Blick weist dabei gewiß auch auf Einschränkungen. So, wenn man als gewissermaßen reduzierten Baustein des Patriarchats die sogenannte >Mannfolge< - die Frau geht durch Heirat in die Familie des Mannes über - in Betracht zieht. Hier gerät man für die Ilias jedenfalls in Schwierigkeiten, wie Gisela Wickert-Micknat ge-
29 Siehe Deger 51ff., Austin/Vidal-Naquet 32ff.; Lacey 38ff., Nicolai, Zur Bedeutung des Oikos-Gedankens 36ff., Yamagata 3ff., der besonders darauf hinweist, daß der Begriff anax in gewisser Weise eine Funktion des Begriffes pater darstellt. 30 Siehe besonders die materialreiche Studie von Cobet. 31 Siehe Lacey 42 und 238, Aiunm. 11 und 12, Gisela Strasburger 16ff. Ausnahmen von der Regel (»fatherless and metronymic Heroesjemand, der seinen Vater liebtunbetonten< Hintergrundsinformationen einen selbstverständlichen Reflex der Gesellschaft Homers zu sehen, der Tatsache also, daß der oder die Dichter der homerischen Epen, selbst in einer patriarchalisch organisierten Gesellschaft aufgewachsen, für eine solche Gesellschaft dichteten. Daß dem Modell im Sinne der schon erwähnten normativen Kommunikation auch pragmatische Bedeutung zukommen mag, darauf wird am Schluß noch einmal einzugehen sein. Bevor wir aber in diesem Bild einer patriarchalischen Gesellschaft auf die spezifischen Beziehungen zwischen Vätern und Söhnen eingehen, scheint zuerst noch der Blick auf diejenigen zwischen angehenden und aktuellen Vätern und Frauen notwendig.
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Siehe dazu unten Kap. II.
Väter und Söhne in den homerischen Epen
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3. ...und im Blick auf die Frauen Eine solche Väterwelt, wie wir sie bei Homer vorfinden,41 kann nur auf der entsprechenden Unterordnung der Frau gründen bzw. auf der weitgehenden Reduktion der Frau auf ihre scheinbar sich aus ihrer biologischen Bestimmung ergebenden Aufgaben, was nicht weiter dargestellt werden muß.42 Es geht hier, wie schon vorhin gesagt, nicht um Fragen der Entstehung männlicher bzw. weiblicher Geschlechterrollen, das heißt etwa darum, ob sich die in patriarchalischen Gesellschaften entsprechend stark determinierte Rolle der Frau als Gebärerin und ihre Beschränkung auf den Hausbereich biologistisch erklären läßt. Ein ohnehin gefahrvolles Unternehmen, das die Gegner einer derartigen Anschauung dazu verleiten könnte, in ihr ein normatives Postulat zu sehen.43 So wird der verbreitete, auf ethnographisches und verhaltensbiologisches Material gestützte Deutungsversuch der geschlechtsbedingten Asymmetrie aus der Formung der Jagdgemeinschaft, der Entwicklung des >hunting ape< heraus, von Seiten einer feministischen Anthropologie als männliche Konstruktion in Frage gestellt, die letztlich »die gegenwärtig bestehende männliche Dominanz auf eine willkommene Weise zu rechtfertigen scheint und die heute lebenden Männer von aller Verantwortung für ihr dominantes Verhalten freistellt«.44 Weniger 41 Im Ausdruck »freundlich wie ein Vater« wird diese beinahe schon terminologisch fixiert. Vgl. H. Strasburger, Zum antiken Gesellschaftsideal 25 [21] zur Übertragung des Ausdrucks auf den an sich noch jungen Odysseus (2, 47; 2, 230; 5, 8): »Der Odysseedichter führt also das Motiv der väterlichen Milde künstlich, um des Gesamtplanes willen, ein. Seine Odysseusgestalt soll ein Ideal zeigen, in welchem das Politische und das Soziale, der König und der Hausvater, nicht nur für uns nicht mehr trennbar sind, sondern gar nicht auseinandergehalten werden sollen«. Entsprechend kann das Epitheton êpios nicht nur dem Vater, sondern auch dem basileus beigegeben werden (2, 230f.; 5, 8f.). 42 Vgl. dazu etwa Zoepffel, Mann und Frau 449: »Bereits im homerischen Epos findet sich die grundsätzliche Aufteilung der Lebensräume zwischen Frau und Mann, die für die gesamte Antike verbindlich bleiben wird: das Drinnen, das Haus als der Raum der Frau, das Draußen, die Landwirtschaft und die öffentliche Kooperation innerhalb der Gemeinschaft in Frieden und Krieg, als der Lebensraum des Mannes«. 43 Vgl. dazu die methodischen Erläuterungen bei Vowinkel sowie Bischof 581ff. (Wissenschaft und Ideologie) und den grundsätzlichen Beitrag von Tiger. 44 Lerner 36. Vgl. Gilmore 26f. Auf altertumswissenschaftlicher Seite argumentiert etwa Burkert mit der >Der Mann-als-JägerSymbiose< verpflichteten Geschlechter in gewissen Grenzen miteinander kooperieren müssen. 45 Da »die reproduktiven Eigeninteressen jedoch keineswegs übereinstimmen, wird jedes Geschlecht versuchen, das andere im Hinblick auf eigene Präferenzen zu manipulieren. Der letztlich notwendige Kompromiß wird je nach den gegebenen Machtverhältnissen etwas mehr nach der einen oder anderen Seite verschoben sein«46. Diese Machtverhältnisse werden ihrerseits wieder von einer Anzahl von Faktoren determiniert - etwa der Anzahl der Individuen je Geschlecht, vor allem aber der Verteilung der Ressourcen -, wobei das, »was die natürliche Selektion favorisiert, [...] von der Kultur mit unterschiedlichen traditionalen Mitteln stabilisiert und ausgebaut [wird]«47. Für das archaische Epos bedeutet jene geschlechtsbedingte Differenz mit der Folge einer >Monopolisierung< der Frau durch den Marin48 jedenfalls ein soziales, gewissermaßen sich selbst erklärendes Faktum. Ein beredtes Zeugnis davon legt selbst der Mythos ab, der im Epos evoziert wird und dem ohne Zweifel auch in dieser Hinsicht eine wichtige didaktische Funktion49 zukommt: Wenn eine von den Heldenfrauen, denen Odysseus in der Nekyia (11, 225ff.) begegnet, positiv hervorgehoben wird, 50 dann vor allem wegen der Söhne, die sie geboren und aufgezogen hat. Finley wurde zwar heftig angegriffen, 51 weil seine Zurückweisung der Matriarchatshypothese letztlich von männlichen Vorurteilen über das >zweite Geschlecht< getragen sei. Und doch ist die An(Homo necans 25). Kritisch hinterfragt werden verschiedene Erklärungsstrategien (u. a. die biologische) zur >Notwendigkeit< geschlechtlicher Differenzierung im Beitrag von Hartmann Tyrell, bes. 55ff. 45 Jedenfalls gilt das beim augenblicklichen Stand der medizinisch-wissenschaftlichen Forschung noch weitgehend. 46 Vogel/Sommer 37. 47 Vogel/Sommer 33. 48 Wie sie bis heute (wenn auch nicht mehr unangefochten) in der Mittelmeerwelt besonders ausgeprägt ist und sich in der >imperativen Triade< (Gilmore 244f.) vom Mann als >Erzeuger-Beschützer-Versorger< formuliert. 49 Vgl. Lefkowitz 22. 50 Und grundsätzlich läßt sich sagen: »Von der Jugend bis zum Alter bildete der Mythos Frauen in mehr oder weniger negativer Weise ab« (Bremmer, Götter, Mythen und Heiligtümer 84); vgl. Lefkowitz 133. Zur Projektion der Geschlechterrollen in die Götterwelt siehe Burkert, Weibliche und männliche Gottheiten 162ff. 51 Pomeroy, Andromache - Ein verkanntes Beispiel für das Matriarchat 220. Konstruktivere Kritik unter Herausarbeitung der spezifischen Rolle der Frau findet sich bei Monsacré 97ff.
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sieht kaum widerlegbar, »daß Homer völlig enthüllt, was für die gesamte Antike gültig blieb, daß nämlich Frauen für von Natur untergeordnet gehalten wurden und deshalb in ihrer Funktion auf Hervorbringung von Nachwuchs und Erfüllung der Haushaltspflichten beschränkt waren, während die bedeutungsvollen sozialen Beziehungen und die starken persönlichen Bindungen unter Männern gesucht und gefunden wurden.«52 Und es sind sicher eher schlecht gewählte Beispiele, wenn (auch) man diese Ansicht für unvereinbar hält »mit den hervorragenden poetischen Rollen der Andromache und Penelope, der höfischen Verehrung, die Arete und Helena genießen, der Entscheidungsfreiheit der Penelope in der Frage ihrer Wiedervermählung usw.«53 Man braucht nicht nur auf die ohnehin rein materiell bestimmte Rolle von Sklavinnen zu verweisen. So, wenn Achill als Siegespreis für einen Ringkampf einen Dreifuß aussetzt, »den die Achaier unter sich auf zwölf Rinder schätzten«. Für den Besiegten stellt Achill dann eine Frau in die Mitte: »Und sie verstand viele Werke: die schätzten sie auf vier Rinder« (ΧΧΠΙ 700ff.). Gewiß sagen solche Stellen nur etwas über die mit dem Besitz einer Frau verbundene Ehre, die timé, aus, nicht aber über irgendwelche Gefühlsbeziehungen, die natürlich auch zwischen Sklavinnen als Konkubinen und ihren Besitzern bestehen konnten;54 aber eine Helena steht letztlich auch bloß am anderen, oberen Ende der Skala, und entsprechend hoch ist der Einsatz, den man für sie zu leisten bereit ist. Es ließe sich weiterhin durchgängig zeigen, und wird an Einzelfällen auch deutlich 52 Finley 134. Auch auf weiblicher Seite besteht eine derartige Sichtweise. So kommt Cantarella zu dem noch radikaleren Schluß (33): »The true female condition in Homer was this: total exclusion from political power and participation in public life; subordination to the head of the family and submission to his punishment; and finally, ideological segregation. Forbidden to think about anything but domestic matters, the woman cannot even talk about male matters. Faithless, weak, fickle, she was regarded with suspicion. The roots of Western misogyny go back to a more remote epoch than is usually thought - they are already well fixed in the oldest document in European literature«. 53 H. Strasburger, Zum antiken Gesellschaftsideal 22 [26] Anm. 63. Auch Latacz, Frauengestalten Homers 51, hebt hervor, daß »alles in allem [...] der zuverlässige Eindruck [entsteht], daß diese Frauen in einem Verhältnis gleichwertiger Partnerschaft zu ihrem Manne leben und eher den Status geachteter Führungspersönlichkeiten als den abhängiger Hausmütterchen besitzen«. Er selbst macht aber auch deutlich, daß uns Homer ohnehin nur »in einer überdimensionierten Ausschnittsvergrößerung ganz überwiegend die Lebensweise von Frauen aus der Oberschicht vor Augen« führt (49). 54 Und damit auch zur Bedrohung für die rechtmäßige Ehefrau werden konnten (siehe unten Kap. II zur Phoinix-Geschichte).
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werden, obwohl dies nicht das Thema dieser Abhandlung ist, wie >weibliche Entscheidungsfreiheit oder >höfische Verehrung< in väterlichen Kategorien funktionieren, oder anders ausgedrückt daß sich die Frau in einer dermaßen bestimmten Sicht nur dann durchsetzen kann, wenn sie die männlichen Ausdrucksmittel und Verhaltensweisen adaptiert bzw. ihnen sich gewachsen zeigt.55 In diesem Sinne kommt Penelope jedenfalls eine hervorragende poetische Rolle zu, sie gestaltet innerhalb der gesellschaftlichen Möglichkeiten >mit den Waffen einer Frau< ihr Schicksal und erweist sich dem Protagonisten Odysseus gegenüber in ihrem taktischen Geschick, in ihren Verhaltensstrategien, in der Verwendung der List durchaus ebenbürtig und geistesverwandt.56 Ja, man kann ohne weiteres soweit gehen und sagen, daß der Odysseus unserer Odyssee ohne Penelope nicht wäre, genausowenig wie ohne Telemach.57 Und man würde den Frauen der homerischen Gesellschaft jedenfalls denen der angesprochenen Schicht - Unrecht tun, traute man ihnen ein entsprechendes Verhalten nicht zu. Wie man ebenso dem homerischen Publikum Unrecht täte, traute man ihm nicht zu, ein solches vom Dichter geschildertes Verhalten entsprechend einschätzen zu können. Umgekehrt dürfen misogyne Äußerungen nicht überbewertet 55 Arêtê, die Phaiakenkönigin, eigentlich die >ErflehteSpielräume< nicht zu unterschätzen, die möglicherweise im epischen Zeitalter mehr >Freiheit und Möglichkeit zur Entfaltung< besaßen als in späteren Zeiten59 - wobei die grundsätzlich notwendige Unterscheidung zwischen Ideal und Wirklichkeit, zwischen Verhaltensstandard und sozialer Realität mangels anderer Quellen für den Bereich der in den homerischen Epen geschilderten Gesellschaft notwendig besonders schwierig bleibt.60 Jedenfalls konnten Männer >auch nicht immer tun, was sie wolltenfemale voiceshomerischen< Frau fast zu einem agnostischen Standpunkt gelangen. 61 Das spiegelt sich etwa in der Aussage über Eurykleia (Odyssee 1, 430-433): »Die hatte einst Laertes mit eigenem Gut erworben, als sie noch in erster Jugend war, und hatte den Wert gegeben von zwanzig Rindern; und er hielt sie in Ehren gleich der sorglichen Gemahlin in den Hallen; doch nahte er niemals ihrem Lager, er scheute den Zorn der Frau«. Vgl. auch die Amyntor-Geschichte IX 448ff. (unten Kap. II) und siehe die Zusammenfassung von Mauritsch (127) über die Verhaltensstandards für Männer und Frauen hinsichtlich ihrer sexuellen Beziehungen. 62 Siehe dazu den Beitrag von Easterling. 63 Adkins, Merit and Responsibility 37.
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asymmetrisch auffassen,64 so wie es Michel Foucault für die klassische Zeit gezeigt hat: Bestimmte Verhaltensweisen oder Gebote, wie das der sexuellen Beschränkung, ruhen auf unterschiedlichen, aber eben männlich definierten Fundamenten. Während Penelopes Treue aus ihrer Abhängigkeitsstellung als verheiratete Frau heraus gefordert ist,65 ist die Treue des Odysseus,66 soweit sie thematisiert wird, selbstbestimmt:67 »[...] und wie er zur Insel Ogygia und der Nymphe Kalypso kam, die ihn festhielt, begehrend, daß er ihr Gatte wäre, in den gewölbten Höhlen, und ihn ernährte und beständig sagte, daß sie ihn unsterblich und alterslos machen werde alle Tage - allein, sie konnte ihm niemals den Sinn in seiner Brust bereden« (23, 333-337). Und während Telemachs Schritt zum erwachsenen Menschen (siehe unten Kap. VI) seinen Entscheidungsraum erweitert, wird er bei Nausikaa (6, 25ff.) neu bestimmt: »Telemach wird in die Öffentlichkeit und in die große Welt gewiesen, Nausikaa wird an die bevorstehende Heirat erinnert und aufgefordert, ihre Wäsche zu waschen. Läßt sich das vergleichen? Durchaus, denn eben dies ist die unterschiedliche Weise, auf die in der Odyssee Männer und Frauen erwachsen werden. Daß beides parallel gesehen wird, zeigt sich darin, daß Telemach und Nausikaa auf den Ruhm hingewiesen werden, den sie gewinnen können: Die Heirat, das Hauswesen verschaffen der jungen Frau ein Ansehen, das mit dem Namen verglichen werden kann, den ein Mann aus seiner Bewährung unter den anderen Männern gewinnt«.68
64 Vgl. dazu den Beitrag von Naerebout, die die Asymmetrie männlich-weiblicher Beziehungen in ein grundlegendes »Eurasian pattern« einzuordnen sucht (bes. 115ff.). 65 Vgl. 23, 149-151, wo die Worte von Außenstehenden wiedergegeben werden, die die von Odysseus nach dem Freiermord im Haus angeordnete Tanzmusik hören: »Da hat doch wahrhaftig einer die vielumworbene Königin heimgeführt! Die Schlimme! und sie hat es nicht vermocht, das große Haus des ehelichen Gatten beständig zu bewahren, bis er gekommen wäre«. 66 Die im übrigen natürlich nicht beinhaltet, daß er niemals mit Kalypso geschlafen hat. 67 Vgl. Mauritsch 61ff. 68 Rüter 222. Zu einem Vergleich der dichterischen Gestaltung Telemachs und Nausikaas, die in posthomerischer Tradition gelegentlich auch heiraten, siehe auch Belmont und vor allem Beselich, der die Unterschiede gerade auch aus den Geschlechterrollen begründet (bes. 114f.).
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Sucht man Beispiele weiblichen Verhaltens in den homerischen Epen, die derartig männlich geprägten Idealen widersprechen, so findet man sie wohl am ehesten in Gestalten wie den Sirenen, Kirke69 oder Kalypso,70 märchenhaften Wesen, männerverzehrender Zauberinnen, Gestalten also, in denen sich männliche Sehnsüchte gewiß, vor allem aber auch Ängste vor einer übermächtigen weiblichen Sexualität materialisieren. 71 »Zuerst wirst du zu den Sirenen gelangen«, warnt Kirke Odysseus, »die alle Menschen bezaubern, wer auch zu ihnen hingelangt. Wer sich in seinem Unverstände ihnen nähert, und den Laut der Sirenen hört, zu dem treten nicht Frau und unmündige Kinder, wenn er nach Hause kehrt, und freuen sich seiner, sondern die Sirenen bezaubern ihn mit ihrem hellen Gesang, auf einer Wiese sitzend, und um sie her ist von Knochen ein großer Haufen, von Männern, die verfaulen, und es schrumpfen rings an ihnen die Häute ein« (12, 39-46). An kaum aber einer zweiten Stelle wird diese irrationale Botschaft besser in einer rationalen Norm gefaßt als in den Worten Kalypsos, mit denen sie auf den von Hermes überbrachten Auftrag, Odysseus in sein >väterliches Land< zu entlassen, reagiert: »Hart seid ihr, Götter, eifersüchtig ausnehmend vor andern! die ihr den Göttinnen neidet, daß sie bei Männern ruhen offenkundig, wenn eine sich einen zum lieben Lagergenossen gemacht hat. So habt ihr, als sich den Orion die rosenfingrige Eos holte, ihn ihr solange geneidet, leichtlebende Götter! bis auf Ortygia Artemis, auf dem goldenen Stuhl, die Reine, mit ihren sanften Geschossen über ihn kam und ihn 69 Vgl. unten Kap. IV. 70 Vgl. etwa W. Kullmann, Das Bild des Menschen in der Odyssee 286: »Während die Göttin Kalypso eine Frau ist, vor der Odysseus eher Angst hat (er hat sich von ihr einen Eid auf die Ernsthaftigkeit ihrer Rede von seiner Heimkehr schwören lassen), und während Nausikaa ihm in ihrer Jugendlichkeit unterlegen erscheint und nur sehr behutsam um Unterstützung angegangen wird, ist Penelope die Frau, die ihm kongenial ist.« Die Nymphe Nausikaa ist in dieser Reihe jedenfalls eher eine >Versuchung< auf dem Weg hin zur rechtmäßigen Ehefrau Penelope als eine >Bedrohung< (vgl. dazu den Beitrag von Gross sowie Beselich 105ff.). 71 Zur männlichen Angst vor Frauen, wie sie sich vor allem im Mythos widerspiegelt, siehe Zoepffel, Mann und Frau 485f. mit Anm. 119 (dort weitere Literatur).
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Telemachs Reise tötete. So auch, als die flechtenschöne Demeter ihrem Verlangen nachgab und sich mit Iasion in Liebe und Lager auf dreimal umbrochenem Brachfeld vereinigte. Jedoch nicht lange blieb Zeus ohne Kunde, der ihn traf mit dem weißglühenden Blitz und tötete. Und so neidet ihr hinwieder jetzt auch mir, Götter! daß ein sterblicher Mann bei mir ist« (5, 118-129).
Auch und gerade in der himmlischen Dynastie wird Promiskuität allenfalls bei Männern, nicht aber bei Frauen toleriert. Männer aber, die sich auf entsprechend veranlagte Frauen einlassen, leben gefährlich, und es ist bezeichnend, daß im einen Falle die männliche Inkarnation einer Göttin, die reine Artemis, im anderen der Vater selbst, Zeus, die Strafaktion durchführt. Einer derartigen Einstellung zur Frau, der Einordnung ihres Geschlechtes und ihrer Sexualität72 in eine männliche Herrschaftskultur, entspricht auf der anderen Seite, so hat man auch gesehen,73 eine große Ausdruckskraft hinsichtlich der Gefühlsbeziehungen von Männern untereinander. Es ist wohl von weiblichen Vorzügen die Rede, die eine entsprechende Attraktivität auf die Männer ausüben. Die alten Männer in Troia können sehr gut verstehen, weshalb Troer und Achaier um Helena Krieg führen (ΠΙ 156ff.), und wenn Penelope von Athene verschönt vor den Freiern erscheint, lösen sich denen »auf der Stelle die Knie, und von Verlangen wurde ihr Herz bezaubert, und alle begehrten sie, bei ihr in dem Bett zu liegen« (18, 212f.). Bezeichnend ist, daß Agamemnon offenbar ohne weiteres von Chryseïs sagen kann, daß er sie selbst der Klytaimestra vorgezogen habe:
72 Daß hier der weibliche Schwachpunkt, nicht natürlich bei Penelope, liegt, macht Eumaios gegenüber Odysseus in einer gnomischen Äußerung deutlich. Phoinikische Seeleute verführten eine Sklavin im Hause von Eumaios' Vater: »Zuerst vereinigte sich einer mit ihr, als sie zum Waschen ging, bei dem hohlen Schiff in Lager und Liebe, wie dieses ja den weiblicheren Frauen den Sinn verführt, und wenn eine auch rechtschaffen ist« (15, 419-422). Siehe zu dieser Stelle und zum Gebrauch des Komparatives von >weiblich< (thêlus) Zoepffel, Mann und Frau 453f. 73 Finley 131ff.
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»Der ehelichen Gefährtin, da sie nicht geringer ist als sie, / Nicht an Gestalt noch Wuchs, an Verstand oder irgend an Werken« (1113-115). Es ist sicher besser, hier Schadewaldts Übersetzung »Gattin« für alochos, in (>Bett-)gefährtinGattin< an dieser Stelle ein wenig in die Irre führt; denn offensichtlich kommt es nur auf die Rechtsstellung, die durch das Wort »ehelich« (kouridios) markiert ist, an.74 Deswegen betont Agamemnon, daß er Chryseïs vorziehe, nicht um eine besondere Liebesbeziehung mit der Ehefrau zu implizieren. Im neunten Gesang (336) bezeichnet Achill Briseis, die sich mittlerweile in Agamemnons Besitz befindet, als alochos. Zwar nur eine Sklavin, stellt er sie doch gleich mit Menelaos' Helena und fragt: »Lieben allein denn ihre Gefährtinnen von den sterblichen Menschen / Die Atreus-Söhne? Wo doch jeder gute und verständige Mann / Die Seine lieb hat und für sie sorgt, so wie auch ich diese / Von Herzen lieb hatte, war sie auch eine Speergefangene« (IX 340-343). Damit ist schon ein hohes Maß an Intensität männlicher Gefühle gegenüber einer Frau formuliert.75 Wenn hier überhaupt von Gefühlen gesprochen werden darf. Tatsächlich appelliert Achill eher an die verstandesmäßigen Pflichten des agathos gegenüber seiner alochos. Und so sieht der Dichter »no conflict between Akhilleus' love for Briseis and his sleeping with Diomede this same night«76 (664-5). Selbst in der Odyssee erreicht die Gefühlsbeziehung zwischen Odysseus und Penelope niemals die gleiche Ausdrucksstärke, wie sie etwa diejenige zwischen Patroklos und Achill in der Ilias erreicht - jedenfalls soweit Odysseus' Gefühle gegenüber Pene-
74 Vgl. Wickert-Micknat, Die Frau, 81f. Zu kouridiê 82 Anm. 443. Vgl. auch Zoepffel, Geschlechtsreife und Legitimation 338. 75 Die zudem vom Kontext der Stelle wieder relativiert wird; denn Achill spricht diese Worte im Zorn gegen Agamemnon. Andernorts äußert er sich weniger zartfühlend für Briséis (XIX 59f.); siehe Mauritsch 30 Anm. 20. 76 Hainsworth 107 zu IX 341. Ohnehin enthält das Verb >lieben< Konnotationen, die im griechischen Wort philein nicht unbedingt enthalten sind, und umgekehrt. Entscheidend für den Inhalt des Begriffes philein ist offensichtlich zunächst der soziale Bezug. Siehe Adkins, >Friendship< 34ff. Aber zweifellos bedarf die »Vielfältigkeit der Erscheinungsformen der Liebe« in ihrer Terminologie und ihrer Darstellung im homerischen Epos noch eingehender Untersuchung (vgl. Gordesiani 183).
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lope betroffen sind. Auf dem Höhepunkt der Wiedererkennungszene im 23. Gesang heißt es von Odysseus, daß er »weinte, die Gattin haltend, die ihm nach dem Herzen war, die Sorgsames wußte« (23, 232). Penelopes Gefühle finden ihren Ausdruck im Bild eines Schiffbrüchigen, der sich an Land retten kann (233ff.). Die Frau als Schiffbrüchige, die mit der Rückkehr ihres Mannes wieder Boden unter den Füßen findet »Odysseus' Abwesenheit bedeutete einen weit größeren Verlust an Zuwendung für Penelope und beeinträchtigte sie gefühlsmäßig und psychologisch weit mehr als ihren Gatten«77. Ob das für eine >reale< Penelope, einen >realen< Odysseus tatsächlich so zugetroffen hätte, wissen wir nicht, aber daß es so gemeint war - als Ausdruck nämlich einer ungleichen Partnerschaft -, ist offensichtlich.
4. Strukturen von Vater-Sohn-Beziehungen Die das Verhältnis von Mann und Frau bestimmende kulturelle Konstruktion zu kennen ist wichtig, um etwa das Auftreten Telemachs richtig einschätzen zu können, zu dessen >Mannwerdung< es eben auch gehört, gegenüber seiner Mutter Penelope entsprechend gebieterisch aufzutreten (siehe unten Kap. VII). Und es ist ebenso wichtig zu sehen, wie mit dieser Konstruktion einer geschlechtlichen und damit auch sozialen Asymmetrie eine Voraussetzung für die Einordnung des Mannes in die männlich-patriarchale Gemeinschaft geschaffen wird. Ist die Stellung des Mannes gegenüber der Frau eindeutig festgelegt, so muß er sie unter Seinesgleichen erst finden, in dem von den >Vätern< geschaffenen >RaumDimension der Vaterrolle< eben in hohem Maße von dem sozialen Gewicht der Geschlechter und der Art, wie sie sich in die Erziehung einbringen, ab. Das soziale Übergewicht des männlichen Geschlechtes wurde bereits hervorgehoben, die Bedeutung des Vaters für 77 Das Zitat aus Finley 134, der noch auf Aristoteles, Nikomachische Ethik VIII 8, 1158b23ff. hinweist: »Bei allen Freundschaften, die durch das Übergewicht des einen Partners charakterisiert sind, muß auch der Grad der Zuneigung proportional sein, nämlich: der wertvollere Teil muß mehr Zuneigung empfangen als selber schenken und der nützlichere auch, und jeder von den übrigen in gleicher Weise« (Ubers.: Franz Dirlmeier, Aristoteles. Nikomachische Ethik, übersetzt und kommentiert, Berlin 81983). 78 Siehe Fthenakis 80ff.
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die Erziehung des Sohnes in einer im Wesentlichen auf den Vorzügen des Mannes als Krieger wie als Redner und Ratgeber79 bauenden Gesellschaft leuchtet ebenfalls unmittelbar ein. Schon von frühester Kindheit an kümmern sich Väter oder Vatergestalten um ihre Söhne wie Phoinix um Achill oder Laertes (bzw. der Großvater Autolykos) um Odysseus und unterrichten sie gewiß in den für das Erwachsenenleben notwendigen Fähigkeiten. Wir haben keine ausdrücklichen Informationen über Initiationsriten in der homerischen Gesellschaft, aber sie sind wenigstens strukturell zu erkennen (siehe unten und Kap. VII). Jedenfalls spielt sich mit und nach der Pubertät das Leben des Mannes im wesentlichen im >Draußen< ab, in der Öffentlichkeit der Versammlung, bei der Arbeit, beim Sport, bei der Jagd, im Krieg. Das heißt aber: unter anderen Männern, in deren Kollektiv er spätestens die Regeln >wie man ein Mann wird< lernen muß, oder sie besser schon gelernt hat, um zu überleben oder wenigstens zu bestehen. Es verbindet sich damit gewiß auch eine Verschiebung emotionalen Erlebens auf Beziehungen unter Männern, wie das besonders im Verhältnis zwischen Achill und Patroklos gespiegelt ist (siehe unten Kap. II) oder in Telemachs Worten (15, 195ff.) gegenüber Peisistratos, daß sie, ohnehin von den Vätern her Gastfreunde, der gemeinsame (Reise-)Weg »noch mehr zu einmütiger Gesinnung« bringen werde. Die Einordnung in Gruppierungen von hetairoi bekommt nun existentielle Bedeutung. Hier gilt es, sich unterzuordnen oder sich den entsprechenden Respekt und gegebenenfalls die Zuneigung zu gewinnen, um die Führung unter den hetairoi zu übernehmen.80 Solche Gruppierungen bilden engere und weitere Verwandte, die Freier der Penelope, die Gefährten, mit denen Telemach seine Reise nach Kunde vom Vater unternimmt, verschiedene Ethnien und ihre Anführer vor Troia oder auch die Achaier insgesamt um Agamemnon.81 Für den einzelnen ist dieser Prozeß, das Zurechtfinden in der Gruppe, immer mit einer mehr oder weniger starken Ablösung vom Einfluß des (leiblichen)
79 Auf diese männlichen Qualitäten insbesondere weisen auch die den Männern am häufigsten beigegebenen Epitheta; wobei in der Ilias einleuchtender Weise Eigenschaften wie Kraft, Mut und Stärke dominieren. Siehe Zoepffel, Mann und Frau 456f., Cobet 19ff. 80 Je größer die Anzahl der Männer, die man um sich scharen kann, um so höher natürlich das soziale Ansehen. Vgl. II 580 (Agamemnon), V 546 (Orsilochos), XIII 452 (Idomeneus). 81 Zu den »Typen von Hetairos-Verbänden«, ihren Organisationsformen und den Formen und Wegen ihrer Hierarchisierung siehe Ulf 127ff.
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Vaters verbunden, mit der Anerkennung neuer oder der Gewinnung eigener, an der Vater-Beziehung gelernter, gleichsam väterlicher Autorität. Daß das Epos dies ähnlich sieht, zeigt sich daran, daß VaterSohn-Beziehungen keineswegs auf rein leibliche Beziehungen beschränkt sind.82 Mit >Söhnen< sind nicht nur eheliche Söhne und in den engeren Kreis des Oikos aufgenommene >uneheliche< nothoi gemeint, wie Megapenthes (Od. 4,11; siehe oben), der Sohn einer Sklavin mit Menelaos, oder wie Odysseus in seiner Lügengeschichte gegenüber Eumaios (14, 199ff.) selbst vorgibt, einer zu sein. Vorstellung und Sprachgebrauch des Epos berechtigen dazu, von >Vätern< und >Söhnen< nicht nur im strikt verwandtschaftlichen, sondern auch im weitestgehenden sozialen Sinne zu sprechen. Wie das Epos von Zeus als dem >Vater< redet, von den >Söhnen der AchaierVater< (XXIV 362) anspricht, Menelaos Telemach und Peisistratos als >liebe Kinder< (4, 78), oder jemand einen Nichtverwandten >wie einen Sohn< liebt; ja die beiden treuen Sklaven des Odysseus, Eumaios und Philoitios, sollen nach dem Sieg über die Freier als >Gefährten und Brüder< (kasignêtoi) des Telemach in den Oikos aufgenommen werden (21, 214-216): »Die Assimilation neuer Erfahrungsgegenstände an Bezeichnungen für vertraute Erfahrungsgegenstände verbindet die neue Erfahrung mit geläufigen Gedanken und Gefühlen. Sie erlaubt, Verwandtschaftstermini und die damit bezeichneten sozialen Rollen mit emotionalen Erfahrungs-, Bewertungs- und Handlungsmustern zu verbinden, die in anderen Zusammenhängen entwickelt wurden«. 83 Im weiteren ist daher ein differenzierter Blick auf eben jene Beziehungen von Vätern und Söhnen bzw. zwischen Männern als >Vätern< und >Söhnen< notwendig, um die stabilisierenden Faktoren bzw. Mechanismen, die die divergierenden Neigun-
82 Insofern greift Jochen Martin in seiner historisch anthropologischen Studie zur Stellung des Vaters in antiken Gesellschaften zu kurz. Da er sich auf die rein leiblichen Vater-Sohn-Beziehungen beschränkt, kommt er zu dem Schluß, daß die »wechselseitige Abhängigkeit von Vätern und Söhnen [...] in der besonderen Situation der frühgriechischen Gesellschaft ihren Grund [hat]« (90). Martin bezieht sich dabei auf die existentielle Abhängigkeit in einer Gesellschaft, in der es eine politische Organisation >höchstens in rohen Ansätzen< gab. Er übersieht aber jene Übertragung von Vater-SohnBeziehungen auch über den Oikos hinaus. 83 Vowinckel 78.
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gen bündelnden Spielregeln, zu erkennen - eine kritische Bestandsaufnahme gewissermaßen der existierenden Vater-Sohn-Rollenbilder. Die >Grundspielregel< besteht nun darin, daß die Welt der Väter zwangsläufig nur in ihren Söhnen weiterbestehen kann. So sagt Menelaos zu Nestors Sohn Peisistratos: »[...]stammst du doch auch von einem solchen Vater, daher du auch verständig redest, und ist leicht zu erkennen doch der Sohn von einem Mann, dem Segen zugesponnen hat Kronion, als er gefreit hat und als er geboren wurde: so wie er jetzt dem Nestor fort und fort gegeben hat die Tage alle, daß er selbst von Salben glänzend altere in den Hallen, die Söhne aber so verständig wie tüchtig mit den Speeren sind« (4, 206-211). Eurykleia erwähnt Odysseus' häufige Gebete an Zeus (19, 367f.), »in ein von Salben glänzendes Alter zu gelangen und den strahlenden Sohn aufzuziehen«. Und Odysseus selber wünscht den Phaiaken im Palast des Alkinoos (7, 149f.) göttlichen Segen, »daß sie leben und ein jeglicher den Söhnen den Besitz in den Hallen überlassen möge«. Für Peleus stellt es eine existentielle Bedrohung dar, sollte sein einziger Sohn Achilleus vor Troia fallen (siehe unten Kap. II), während Menelaos in dieser Hinsicht wohl noch schlechter gestellt war, weil er überhaupt nur von einer Sklavin Söhne hatte; der Helena, so heißt es (Od. 4, 12-14), »hatten die Götter keinen Sproß (gonos) mehr ans Licht geführt, nachdem sie einmal die liebliche Tochter geboren hatte, Hermione«. Pausanias weiß später zu berichten (II 18, 6), daß für die Lakedaimonier diese unebenbürtigen Söhne nicht für die Herrschaftsnachfolge des Menelaos in Frage kamen. Sie trugen diese statt dessen dem Orest an. Immerhin bestand die Möglichkeit, bei Fehlen eines leiblichen Sohnes die Vaterschaft in einem nothos weiterzugeben.84 War auch dies verwehrt, so mußte man sich eben,
84 Die oben schon erwähnte Stelle 14,199ff. beleuchtet im übrigen die Schwierigkeiten, die natürlich zwischen ehelichen und unehelichen Söhnen entstehen konnten, wenn es um die Erbteilung ging. Siehe Zoepffel, Geschlechtsreife und Legitimation 340. Grundsätzlich waren nothoi den vollbürtigen Söhnen (gnêsioi) natürlich nicht gleichrangig. Wenn Halbbrüder im Kampf zugleich auftreten, muß der nothos die Zügel des Streitwagens führen (siehe Gisela Strasburger 23). Ob göttliche >BastardAufpolierung< von Genealogien dienten? Vgl. XVI 173ff. und 179ff. über Menesthios und Eudoros. Beide sind >Bastardzum Sohn machenGeschäftsfähigkeit< der jungen Männer, wie es etwa von Menelaos formuliert wird. Vor dem Zweikampf mit Paris fordert er dazu auf, daß Priamos das >Eidopfer< schlachte85: »Er selbst, denn seine Söhne sind übermütig und ohne Verlaß. / Daß keiner durch Übertretung die Eidopfer des Zeus verletze. / Denn immer sind die Sinne der jüngeren Männer schwankend; / Wo aber der Greis dabei ist: nach vorn zugleich wie nach rückwärts / Blickt er, wie es am weit besten zwischen beiden Seiten geschehe« (III 106-110). Antilochos, der Sohn Nestors, gesteht die prinzipiell fast geforderte Unterlegenheit des jüngeren Mannes gegenüber dem älteren selbst ein. Anläßlich der Leichenspiele zu Ehren des Patroklos im ΧΧΠΙ. Gesang nimmt er an einem Wagenrennen teil und besiegt mit Geschick und einem gewissen regelverletzenden Wagemut trotz seines schlechteren Pferdegespannes Menelaos und sein Gespann, dessen Schicksal es offenbar irgendwie ist, von jüngeren Männern übertrumpft zu werden. Als ihn Menelaos an einer engen Stelle dazu auffordert, die Pferde zurückzuhalten, treibt Antilochos sie sogar noch stärker an und glich dabei, heißt es (430), »einem, der nicht hörte«. Nach dem Rennen kommt es zum Streit zwischen den beiden Wagenlenkern, und Menelaos fordert Antilochos auf
Großvater aufgenommen: »Den aber [Eudoros] nährte gut auf der alte Phylas und pflegte ihn, / Ihn mit Liebe umgebend, als wäre er sein eigener Sohn« (191f.). 85 Es entspricht offensichtlich einer Realität, daß die Funktionen beim Opfer durch Altersunterschiede bestimmt werden. So tötet beim Opfer - nach Gebet und erster Weihung durch den Vater - der ältere Sohn des Nestor, Thrasymedes, das Rind mit einem Axthieb, während der dem Telemach gleichaltrige (15, 197) Junggeselle (3, 401) Peisistratos anschließend mit einem Schnitt das Blut herausfließen läßt (3, 447ff.). Zur Einschätzung der jungen Männer, der kouroi, und ihren dementsprechend untergeordneten Aufgaben in Krieg und Frieden siehe auch Ulf 62ff. Vgl. Redßeld llOff.
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zu schwören, nicht absichtlich seinen Wagen mit List behindert zu haben. Dieser lenkt ein: »Halte ein jetzt! denn um vieles jünger bin ich / Als du, Herrscher Menelaos! du aber bist der Ältere und Bessere. / Du weißt, wie es ist mit den Übertretungen eines jungen Mannes! / Denn rascher ist der Sinn und schwach die Einsicht. (ΧΧΙΠ 587-589)« Menelaos solle den Preis an seiner Statt erhalten. Und der freut sich entsprechend und tritt jetzt großzügig den Preis doch an Antilochos ab, nicht allerdings ohne noch einmal seine Vorrangstellung zu betonen.86 Bemerkenswert ist auch, daß Agamemnon in dem den Totenagon abschließenden Speerwerfen der Preis kampflos zugesprochen wird, weil, wie Achill meint, man ja wisse, wie weit er allen voranstehe und wie weit er an Kraft und mit Speerwürfen der Beste sei (XXIII 890f.). Darin drückt sich die Vorangstellung des Atriden aus,87 die ihm Achill jetzt wieder einräumt, nachdem er diese zu Beginn der ffiashandlung ja heftig in Frage gestellt hatte (vgl. bes. 1223ff.). Um das Prinzip zu wahren, müssen die Söhne lernen, stärker zu sein als ihre Brüder - Patroklos erschlägt seinen Kameraden, den Sohn des Amphidamas, im Affekt beim Würfelspiel (ΧΧΙΠ 85ÎÏ.)88, doch was im Krieg erlaubt ist, verbietet das Spiel - und als neue Väter schließlich die alten zu ersetzen. Ein Prinzip, das auch im Himmel gilt, wo der Bruderzwist mehr oder weniger an die Oberfläche tritt Poseidon, der auf der Seite der Achaier steht, leidet daran, daß diese infolge von Achills Rückzug und der Intervention der Thetis bei Zeus von den Troern hart 86 Als Antilochos später beim Wettlauf Odysseus und Aias unterliegt, sucht er dies mit einem Scherz zu bewältigen: Die Götter haben die Preise offensichtlich nach dem Alter verteilt (XXIII 785ff.). Vgl. zu dieser Stelle auch Ulf 73 mit Anm. 50, der die Qualifizierung des Odysseus als ômogerôn (ein >frischer GeronFrischgreisgeregelte< Ausfechtung des gesellschaftlichen Konkurrenzkampfes« bezeichnet. Es versteht sich im übrigen aus dem zuvor Gesagten, daß die neoi, auch wenn sie hervorragende Wettkämpfer sind und unter ihresgleichen herausragen, die älteren Helden nicht erreichen können. Siehe Ulf 62. 92 So ist es ganz verständlich, daß Nestor, der stets ein Garant für die Wahrung der Väterordnung ist, seinem Sohn Antilochos vor dem Wagenrennen genaue Instruktionen
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herzustellen, die erst in ihrer hierarchisch gestimmten Struktur, fern von je möglichen
weiblich-mütterlichen
Einflüssen, 93
für
die
stets
neue
Rechtfertigung des patriarchalischen Modells s o r g t So heißt es von Euphorbos, einem Sohn des Panthoos, daß er »ausgezeichnet war vor den Altersgenossen /
Mit Lanze
und Wagenlenkung und mit behenden Füßen. Denn auch damals / Hatte er schon zwanzig Männer von den Gespannen gestoßen, / Als er zuerst gekommen mit dem Wagen, den Krieg noch lernend (didaskomenos polemoio)«
(XVI 808-
811). Und Nestors Vater Neleus freut sich (XI 683f.), weil sein Sohn in einem Raubzug
als >Neuling im Krieg< reichliche Beute mit nach
Hause
brachte. 94 Kriegerische Befähigung und Auszeichnung ist somit ein eindeutiges Kriterium für die »Einordnung in das soziale Gradationsschema«, 9 5 wobei gerade Rache-, Vergeltungs- und sogenannten >PrestigeHerden< (agelai) älterer Knaben vor allem in Sport und auch Kampf: »ein Erziehungssystem, dessen Ziel es ist, die heranwachsende männliche Jugend fest einzubinden in den Staatskörper und sie gleichzeitig insbesondere zu schlagkräftigen Kriegern zu formen, die im Verband kämpfen können« (Graf 32). Siehe auch Bremmer, Götter, Mythen und Heiligtümer 51ff. mit weiterer Literatur und Badinter 91ff. zu Initiationsriten und >homosexueIler PädagogikMann< zu sein, bedingt also gewissermaßen die Pflicht zum Kampf, was in dem - durchaus auch im Sinne eines als >Gewissen< zu fassenden96 - Handlungsregulativ >Scham< (aidos) zum Ausdruck kommt »Freunde! Seid Männer (atieres este) und legt euch Scham in den Mut! / Und habt Scham voreinander in den starken Schlachten«, so heißt es (XV 561f.) in einem typischen Appell, während physische Schwäche und mangelnde Kampfbereitschaft andererseits mit Weiblichkeit identifiziert werden (VII 96ff.; vgl. Vili 163f., XXII 124f.). Eine entsprechende Tapferkeit verweist auf soziales Ansehen. »Wahrhaftig! nicht ruhmlos herrschen in Lykien / Unsere Könige und speisen fette Schafe«, legt Sarpedon den Lykiern in den Mund, »Und Wein, auserlesenen, honigsüßen; nein, auch die Kraft / Ist tüchtig, da sie bei den Lykiern unter den ersten kämpfen!« (XII318-321). Und Telemachs kurze, aber entscheidende Entwicklung (siehe unten Kap. VII) zeichnet sich eben vor allem dadurch aus, daß er in der Lage sein wird, mit Gewalt für sein Recht zu sorgen. Hat nicht Orest Ruhm erworben, weil er den Mörder seines Vaters erschlagen hat? So spricht Athene/Mentes zu Odysseus' Sohn: »Auch du Freund [...] sei mannhaft, auf daß man dich noch unter den Spätgeborenen preise!« (1, 301f.). Die Willkür der Freier herrscht, weil noch kein Mann darüber steht, »wie Odysseus war, um den Verderb vom Hause abzuwehren« (2, 58f.). Es ist jedenfalls ein erbarmungsloser Kampf, der da ausgetragen wird, »where no man can win but by another man losing«97, womit noch keineswegs gesagt ist, daß dieser Kampf nur positiv bewertet wird. Ja im Gegenteil, es gibt genügend implizite wie explizite Hinweise darauf, daß das nicht so ist.98 Aber die geschilderte Realität läßt auch nichts zu wünschen übrig. Als Adrestos von Menelaos überwältigt wird und jener diesen mit dem Hinweis auf ein unermeßliches Lösegeld seines Vaters um sein Leben bittet, zögert Menelaos tatsächlich einen Augenblick lang. Doch Agamemnon stimmt ihn um: »O Lieber! o Menelaos! was sorgst du dich so sehr um diese Männer? / Oder ist dir zu Haus von den Troern das Beste 96 97 98
Siehe Kemper 42f. MacCary 111. Siehe unten Kap. II.
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geschehen? / Nein, von denen soll keiner entgehen dem jähen Verderben / Und unseren Händen. Auch nicht, wen im Leib die Mutter / Trägt als einen Knaben: auch er soll nicht entrinnen!" Sondern allesamt / Sollen sie gänzlich vertilgt sein aus Dios, unbestattet und spurlos!« (VI 55-60). Letztlich bedeutet für den jungen Mann, >Vater< zu werden, den alten >Vater< zu ersetzen, erst psychisch und dann auch physisch. Formulierungen daher wie »freundlich wie ein Vater« (2, 234 von Odysseus, der zu den Männern seines Volkes, über die er Herr war, so freundlich wie ein Vater war) 100 , Bilder, wie das von der Begrüßung des spät heimgekehrten Sohnes (16, 17ff.: »Und wie ein Vater seinen Sohn liebevoll willkommen heißt, der aus einem fernen Lande kommt, im zehnten Jahre, den einzigen, spätgeborenen, um den er viele Schmerzen ausgestanden - so umfing damals der göttliche Schweinepfleger den gottgleichen Telemachos am ganzen Leibe und küßte ihn [...]«)1Generationen-Konflikt< in der Formel >so wie jetzt die Sterblichen sind< (hoioi nun brotoi eisin) auf den Punkt gebracht. Natürlich ist das zunächst eine allgemeine Formulierung zur Verklärung vergangener Zeiten, wie darin zugleich auch ein Ansatz zu einer historischen
99 Es scheint mir zweifelhaft, daß diese Aussage, wie Kirk meint (161 zu VI 57-60), eher rhetorisch als realistisch gemeint ist. 100 Vgl. 2, 47; 5, 12; 15, 152. Derartige Formulierungen machen noch einmal deutlich, wie Herrschaftsbeziehungen an Verwandtenbeziehungen assimiliert werden. Die Autoritätsfigur wird als Vater verstanden und zumindest implizit die Untergebenen, Geringerstehenden, Jüngeren als Söhne oder Töchter (Vgl. Vowinckel 97f. und 131 zur Struktur von Patron-Klienten-Beziehungen als Ersatzfamilien). 101 Vgl. noch 5, 394ff. : »Und wie Söhnen willkommen das Leben erscheint des Vaters, der in Krankheit liegt und harte Schmerzen leidet, schon lange siechend, ein böser Daimon hat ihn angefallen, und willkommen haben ihn die Götter von dem Übel erlöst: so willkommen erschien dem Odysseus Land und Wald«. 102 Lemke 120. 103 Siehe unten Kap. VII.
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Gliederung enthalten ist,104 aber sie wird doch jeweils auf eine vergangene Vätergeneration bezogen, die eben in vielfacher Weise besser und fähiger war, und damit wird sie zu einer Art grundsätzlichen Maxime. So beruft sich Nestor (I 254ff.), als er sich in die Auseinandersetzung zwischen Agamemnon und Achill beschwichtigend einmischen will, darauf, daß er schon vor Zeiten mit besseren Männern, als sie es seien, verkehrt habe: Helden wie Theseus und anderen, mit denen keiner von denen, die heute die Sterblichen seien auf Erden (272), kämpfen könne. Auch aus der unmittelbaren Perspektive des Dichters sind Helden wie Diomedes (V 302ff.), Aias (XII 378ff.), Hektar (ΧΠ 445ff.), Aineias (XX 285ff.) den Menschen der eigenen Zeit überlegen, etwa weil sie einen Stein mit der Hand heben konnten, den zu seiner, des Dichters Zeit also, nicht einmal mehr zwei Männer zu tragen imstande waren. Daß diese persönliche Ansicht des Dichters von der Überlegenheit der mythischen Helden gegenüber den Menschen der eigenen Zeit in gewisser Weise jedenfalls von dem Glauben an die Überlegenheit der Väter über die Söhne gespeist wird, zeigt der vierte Gesang. Hier kommt es anläßlich einer Heerschau, die Agamemnon abhält, regelrecht zum Streit über die Frage, welche Generation die überlegene sei.105 Agamemnon sucht Diomedes zum Kampf zu ermuntern, indem er ihm die Tüchtigkeit seines Vaters Tydeus, eines Angehörigen der Generation des Zuges der Sieben gegen Theben, vorhält (IV 370ff.). Nachdem er dessen Taten geschildert hat, schließt Agamemnon: »Ein solcher Mann war Tydeus, der Aitoler. Jedoch den Sohn / Zeugte er schlechter als sich im Kampf, doch in der Versammlung besser« (IV 399-400).106 Anstelle des Diomedes, der sich nicht zu entgegnen traut, antwortet Sthenelos, seinerseits - wie Diomedes - einer der Epigonoi, der Nachkommen der Sieben gegen Theben, die nach seinen Worten (404ff.) sogar
104 Siehe W. Kulimann, >Oral Tradition/Oral History< 158 und dens., Homers Zeit und das Bild des Dichters 61. 105 Siehe W. Kullmann ebd. 106 Vgl. auch V 800ff., wo Athene Diomedes in einer paränetischen Rede seine im Vergleich zum Vater mangelnde Kampfesstärke vorhält: »Dann bist du gewiß nicht / des Tydeus Sohn, des kampfgesinnten Oineus-Sohns!« (812f.) sowie V 633ff. (der Heraklide Ήβροΐβιηοβ fordert Sarpedon heraus [635]: »Fälschlich sagen sie, du seist ein Sohn des Zeus, des Aigishalters!«).
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besser waren als die Väter. Mit weniger Volk hätten sie ein Theben mit stärkeren Mauern eingenommen, während die Väter an ihren eigenen Freveltaten zugrunde gegangen seien (410): »Darum stelle mir niemals die Väter uns gleich an Ehre!« An dieser besonders bemerkenswerten Stelle wird der pure Vater-Sohn- oder Generationen-Konflikt sogar noch ausgeweitet und erhält die Dimension eines Konfliktes alte Zeit versus neue Zeit. In Sthenelos' Satz werden die Werte der Alten, der >VäterTadelVater< und einem >SohnVäter< bitten um die >Rückkehr< des Sohnes; Priamos um die des toten Hektor, Phoinix »desires not the physical return of his child, but the affective and spiritual« (249). 6 Die ganze Ambivalenz der Szenerie ist sehr gut von Lynn-George (230ff.) herausgearbeitet. 7 Er faßt Achilleus' Knie und küßt seine Hände (478). »The only other kiss in the Iliad (VI. 474) is that bestowed by a father on his own son, held in the air by the hands of the father in the gesture of affection which precede the return of wife and child to the house of >manslaying HectorVater< nennt, wie es zuvor Hermes getan hatte (XXIV 362), sondern >Armer< (deilos, 518). 9 Siehe dazu W. Kullmann, Gods and Men in the Iliad and the Odyssey 11 (252).
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Wohl mag es auch Ausdruck für das von einem gewissen anachronistischen Individualismus geprägte Heldenideal der Ilias10 sein, wenn sich Achills Sorge vor allem darin formuliert, daß der Vater nach des Sohnes (prophezeitem) frühzeitigem Tod keine Stütze mehr im Alter haben werde. Doch, wie auch immer, der Verlust des einzigen Sohnes bedeutete möglicherweise die Gefahr sozialer Verelendung, jedenfalls aber eben das Ende der eigenen väterlichen Linie. Das wird als eine der existentiellen Grundsorgen von Mimnermos in der zweiten Hälfte des siebten Jahrhunderts formuliert, die Bedrohung der vorhin (Kap. I) genannten >Grundspielregel< des Weiterlebens der Väter in ihren Söhnen:11 »[...] dort muß ein andrer ohne Söhne, die er sich am meisten / ersehnt, den Weg unter die Erde in den Hades gehn« (fr. 2 WEST, 13f.). Aber auch andernorts in der Ilias finden wir diese Sorge formuliert12 So tötet im fünften Gesang Diomedes Xanthos und Thoon, die beiden >spätgeborenen Söhne« des Phainops: »doch der war aufgerieben von dem traurigen Alter / Und zeugte keinen anderen Sohn, ihn über den Gütern zurückzulassen. / Da erschlug er [Diomedes] diese und raubte ihnen das Leben, / Beiden, dem Vater aber ließ er Klage und traurige Kümmernisse / Zurück, da er sie nicht lebend empfing, aus der Schlacht heimkehrend, / Und entfernte Verwandte teilten sich in den Besitz« (V153-158).13 Etwas besser ergeht es dem Hephaistospriester Dares (V 9ff.), dessen beide Söhne ebenfalls an Diomedes geraten. Nur einer wird jedoch getötet, den anderen rettet Hephaistos aus der Schlacht, »daß ihm der Greis nicht gänzlich bekümmert bliebe« (24).14 In Priamos, der in gewisser Weise auch den >einzigen Sohn< (499) verloren hat, findet Achill jedenfalls einen >VaterBester< zu erweisen (XI784), in den Krieg geschickt wurde und der seinen besten Freund und >Sohn< Patroklos (siehe unten) verloren hat, schwebt der Tod wie über Priamos, der ebenfalls »virtually dead«15 ist. Nur für eine Zeit lang gelingt es beiden, in der gemeinsamen Trauer die völlige Entfremdung von der menschlichen Gemeinschaft zu überwinden.16 Eine weitere >Vatergestaltan Vaters Statt< mit Achill vor Troia gezogen ist.20 Phoinix' Geschichte wird im IX. Gesang, im Rahmen der Bittgesandtschaft an Achill, erzählt. Aias, Odysseus und Phoinix sollen Achill dazu bewegen, wieder in den Kampf einzutreten, doch dieser beharrt zunächst auf seinem Groll und droht mit der Abreise am nächsten Morgen. Phoinix solle aber im Lager Achills bleiben und mit in die Heimat zurückfahren: freilich nur aus freien Stücken (427-429). Der antwortet in bewegten Worten: »Wie sollte ich dann ohne dich, liebes Kind, hier zurückbleiben, / Allein?« (437f.). Als junger Mann habe er auf Bitten seiner Mutter hin mit einer Sklavin geschlafen, um sie dem Vater abspenstig zu machen; denn der liebte diese und mißachtete seine eigene Frau. Als der Vater Amyntor davon Wind bekam, verfluchte er im Zorn seinen Sohn.
15 Schein 159. 16 Diese Rückkehr in die menschliche Gemeinschaft wird unter anderem im wunderschönen Bild vom Schlaf der Hauptbeteiligten (XXIV 673ff.) formuliert: »ein utopisches Durchscheinen einer Welt des Friedens und der Versöhnung inmitten einer Welt leid- und todbringenden Krieges« (Effe, Krieg und Frieden 22). 17 Hesiod fr. 96, 49ff. RZACH = 204, 87ff. MERKELBACH/WEST 18 XI832. 19 Vgl. von Scheliha 224. 20 Vgl. Marrou 40ff. Siehe auch das Epitheton >Rossetreiberväterliche< Autorität nicht mehr anerkennt. Wohl bietet er ihm an, mit ihm »König zugleich zu sein und die Hälfte der Ehre zu empfangen« (616). Doch klingen seine Worte eher 21 »In view of Homer's euphemisms, it might be suspected that originally the angry father castrated his son. In fact, Phoenix reveals many character traits of a eunuch minister, and his name is directly associated with Phoenicia« (Hirvonen 165f, Arun. 54. Vgl. auch Zoepffel, Geschlechtsreife und Legitimation 342 mit Anm. 51). 22 Vgl. den Inhalt des Fluchs 455: »Daß niemals auf seine Knie gesetzt werde ein eigener Sohn«. 23 von Scheliha 229.
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als Befehl denn als Wunsch, und es ist jetzt auch nicht mehr davon die Rede, daß Phoinix aus freien Stücken bei Achilleus bleiben solle, anstatt zu Agamemnon zurückzukehren. Natürlich ließe gerade die Phoinix-Episode viel Raum für eine psychoanalytisch orientierte Interpretation, denn das Verhältnis zwischen Phoinix und Amyntor stellt in diesem Sinne ja eine beinahe musterhafte ödipale Konstellation dar. Jedenfalls aber gibt die Erzählung ein verdichtetes Bild der beiden Pole eines Vater-Sohn-Verhältnisses. Der auch sexuellen Konkurrenz einerseits: Der Sohn macht die Geliebte des Vaters abspenstig; dieser wünscht ihm darauf die Unfruchtbarkeit 24 Der innigen Liebe zwischen Vater und Sohn andererseits, die sich in Phoinix7 Wiedergeburt in Peleus' Haus 25 und vor allem in der rührenden Szene aus Achills Kindheit spiegelt. In Achills eher harten Worten auf seine, auf eigentlich geschuldete Dankbarkeit verweisende Bitte hin26 muß Phoinix allerdings ein zweites Mal, nur jetzt aus >väterlicher< Perspektive, erfahren, daß das Verhältnis zwischen Vater und Sohn ambivalent ist und Freundschaft, aber auch Haß umfangen kann. Achill: »Verstöre mir nicht den Mut mit Wehklagen und Betrübnis, / Dem Atriden, dem Heros, Gunst erweisend. Nicht sollst du ihm / Freund sein! Daß du mir nicht verhaßt wirst, der ich dir freund bin« (IX 612-614). Man muß sich weiterhin fragen, weshalb Phoinix Achill die lange Geschichte seiner Herkunft erzählt. Phoinix' bewegendesSchilderung des kleinen Achill auf den Knien des väterlichen Betreuers soll diesen gewiß zunächst einmal rühren und so zur Einsicht bewegen. Entscheidend ist aber wohl die abschließende Aussage: »Doch dich habe ich mir zum Sohn gemacht [...]«. Da bildet die ganze Erzählung ein gutes Beispiel dafür, was einem Sohn geschehen kann, wenn es mit dem Vater zum Konflikt 24 Bemerkenswert ist (siehe Zoepffel, Geschlechtsreife und Legitimation 342f.), wie man schon in der Antike versucht hat, die Geschichte vom Eingriff des Sohnes in die Rechte des Vaters durch Interpretation bzw. durch Eingriff in den Textbestand (siehe auch Hainsworth 122 zu IX 453 und 123 zu IX 458-461) zu entschärfen. 25 Garland 155: »Phoinix's own >rebirth< in the home of Peleus is a wonderfully optimistic celebration of the father/son relationship, an admittedly ambivalent dynamic whose potential for good here succeeds in dispelling the negative impulses to which it had previously given rise«. 26 Reucher (204): »Es gehört zum Schema des Vaterbildes, daß Phoinix für seine Sorge auch Dank von Achill erwartet«.
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kommt, wobei freilich der Blick nicht nur einseitig auf dem Vergehen des Sohnes ruht. Es wird ja das Verhalten des Vaters nicht gutgeheißen, beide, Phoinix wie Amyntor, der Sohn wie der Vater, sind >Zürnende< (459 bzw. 463). Aber es wird ganz klar, wie sehr die Auseinandersetzung das Gleichgewicht der ganzen Sippe ins Wanken bringt 27 Das Schlimmste, der Vatermord, wird von den Göttern verhütet. Die Verwandten, die etai und anepsioi, versuchen verzweifelt,28 Phoinix im Haus festzuhalten. Mit einem gewaltigen Festgelage, bei dem sogar Wein »aus den Krügen des Alten« (469) getrunken wird,29 und mit Wachen, die vor dem Hof postiert werden. Das ist kaum anders erklärlich, als daß es um die Wahrung des Systems geht. Und - darin verweist die Phoinix-Episode dann auf das Ganze - dieses väterliche System wird vor Troia vor allem von Agamemnon, dem Heerführer, repräsentiert,30 der sich eben darauf in einer eindrucksvollen Traditionslinie berufen kann, auch und gerade wenn dadurch nicht im eigentlichen eine regelrecht institutionalisierte Rechtsstellung im Sinne eines feudalen Königtums begründet ist,31 sondern ein Machtanspruch legitimiert wird: »Und auf stand der gebietende Agamemnon / Und hielt den Stab, den Hephaistos mühsam gefertigt - / Hephaistos hatte ihn gegeben dem Zeus Kronion, dem Herrn, / Doch Zeus gab ihn dem Geleiter, dem Argos-Töter. / Hermes aber, der Herr, gab ihn dem Pelops, dem Pferdestachler, / Doch Pelops wieder gab ihn dem Atreus, dem Hirten der Völker. / Atreus aber, als er starb, hinterließ ihn dem schafereichen Thyestes, / Doch Thyestes wieder hinterließ ihn dem Agamemnon zu tragen, / Daß er über viele Inseln und ganz Argos gebiete« (II 100-108).
27 Vgl. Reucher 204. 28 lissomenoi (465); vgl. Hainsworth 123 (zu 464) zu möglichen Parallelen. 29 Vielleicht ist das eine Art Verweis auf die später Phoinix zukommende väterliche Macht. 30 Man kann die Parallele sogar darin sehen, daß, wie Phoinix mit seinem Vater wegen einer Frau in Streit geriet (und unterlag), so Achill mit Agamemnon. Siehe Schein 111. Skeptisch Held 247. 31 Zur Anführerstellung Agamemnons siehe Ulf 85ff. (zum Szepter speziell 85f. Anm. 2). Zu Agamemnons Vaterrolle gegenüber dem Heer siehe Schein 107, Anm. 26 und Yamagata 7.
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Wenn das Szepter also auch kein >Rangabzeichen< ist, sondern »eher ein Indikator für die allgemeine Bedeutsamkeit, die mit einer Person [hier Agamemnon], einer Rede oder einer Aktion [...] verbunden wird«32, so ist es an dieser Stelle in jedem Falle gerade die >Koalition< oder Allianz zwischen dem höchstem Vater Zeus und dem Heerführer und seinen Vorfahren, die den väterlichen Machtanspruch33 in eindrucksvoller Weise dokumentieren soll. Es ist somit die Grundform einer Art metaphysischen Machtanspruchs, wie er später tatsächlich zur Untermauerung >adliger< Herrschaft führt. Achills Verweigerung der Unterordnung und Agamemnons kompromißloses Beharren auf ihr bilden Ausgangspunkt und Kern der üiasHandlung. Es ist zweifellos auch der Konflikt zwischen zwei ganz unterschiedlichen »Menschentypen«34. Zwischen dem letztlich seiner Aufgabe nicht gewachsenen Heerführer und dem physisch ohnehin, aber vor allem auch in seiner Willenskraft überlegenen jüngeren Unterführer. Ein gewaltiges spannungsgeladenes Problem also schon, daß »der Stärkere [...] sich [...] dem Mächtigeren unterzuordnen [hat]«35. Aber es ist damit auch die Auseinandersetzung zwischen zwei Generationen, zwischen einem Alteren, der krampfhaft auf seiner angestammten Autorität beharrt (Π 185-87: »[...] daß du es gut weißt, / Wieviel besser ich bin als du, und daß auch ein anderer sich hüte, / Sich mir gleich zu dünken und gleichzustellen ins Angesicht!«), und dem Jüngeren, der sich nur auf göttliche Intervention hin (II 193ff.) vor dem Äußersten zurückhält und dennoch offen den Gehorsam aufkündigt (II 296). Beinahe rührend wirkt in diesem Konflikt die Mahnung des irgendwie schon immer alten Nestor (I 247ff.), die Ordnung doch zu wahren: »Aber folgt mir, denn ihr seid beide jünger als ich!« (259). Nestor ist »the living embodiment of the generational process«,36 das inkarnierte Vaterprinzip, dessen Gleichgewicht durch
32 Ulf 86 Aran. 2. Der Versuch jedoch, über die Patrilinie einen als Rangposition verstandenen Besitzstand zu wahren (vgl. dazu Bischof 60f.), ist unverkennbar. 33 Das Szepter ist >vom Vater ererbt< (patrôïon II 46, II 186). 34 Latacz, Homer 123. Und es ist klar, daß aufgrund einer Reihe von schicksalhaften Verkettungen einerseits und einer besonderen Affektlabilität der beteiligten Protagonisten andererseits das Thema >Unterordnung oder nicht< überhaupt erst seine fatale Bedeutung gewinnt. 35 Raaflaub, Die Anfänge des politischen Denkens bei den Griechen 11. 36 Nash 2.
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beide, Achill und Agamemnon (wie in der Phoinix-Episode durch Phoinix und Amyntor), gestört ist Also haben sich beide zu fügen. Joachim Latacz hat unlängst in seiner Lectio Teubneriana den homerischen Achill als kompromißlosen Verteidiger des alten Wertekanons, einer spezifischen Adelsethik, und damit als gleichsam personifizierten Appell an die adlige Gesellschaft seiner Zeit in aller Nachdrücklichkeit zu interpretieren gesucht. Möglicherweise wird die üias als eine Achilleis, mit dem Peliden als wirkungsmächtigster Figur - auch und gerade dann, wenn er >scheinbar passiv< ist -, erst recht verständlich. Bei dieser Fixierung auf die Achill-Gestalt wird jedoch übersehen, daß, wenn auch Agamemnon den Bogen überspannt hat, das Problem der (angemessenen) Hierarchie dennoch bestehen bleibt. Achill muß sein Prinzip der unveräußerlichen Ehre durchsetzen in Konkurrenz zu dem anderen Prinzip einer hierarchisch geordneten >Vater-SohnAdelsmottoWeisung zu Rekordsucht verstanden werden darf. Der Satz meint, so Latacz:38 »Sei dir stets bewußt, daß du zu der Schicht der άριστοι (áristoi), der Besten gehörst! Verhalte dich also stets und überall so, wie es sich für einen άριστος (áristos) gebührt, und in diesem Bemühen darfst du dich von keinem übertreffen lassen, sondern mußt im Gegenteil versuchen, es in allem noch ein wenig besser zu machen als die andren Standesgenossen!« Aber selbst wenn dieser Satz so schichten- oder klassenspezifisch gemeint wäre,39 die zweite 37 Vgl. Latacz, Achilleus 46f.: »Worum es geht in diesem Streit, ist klar: Für Agamemnon steht im Vordergrund die unbedingte Aufrechterhaltung des hierarchischen Gefälles, für Achilleus geht es zunächst um Gerechtigkeit in der Gemeinschaft und um pragmatische Kooperation [...]. Dann aber, als Agamemnon dem Achill persönlich die eigenhändige Wegnahme seines Ehrengeschenkes androht, im Rahmen eines Beliebigkeitszugriffs, also als reinen Willkürakt, kann es nicht mehr vornehmlich um die anderen gehen. Jetzt geht es ganz allein um ihn - um seine Ehre«. Das mag so sein. Wenn Latacz aber (56) schreibt, daß Agamemnon immer noch nicht verstanden habe, daß es nicht um Rang und Position gehe, so ist das allenfalls in dem Sinne richtig, daß es Achill - wenigstens vordergründig - nicht darum geht. Auch für den Hörer oder Leser bleibt doch gerade diese Frage spannend. 38 Latacz, Achilleus 39. 39 Was schon seit längerem bestritten wird und jetzt wohl ganz in Frage stehen muß. Siehe dazu den ausgezeichneten Uberblick bei Nicolai, Gefolgschaftsverweigerung 318ff. (»Für eine Dreiteilung in König, Adel und Volk finden sich im Homertext in der Tat so
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Hälfte sagt dem aristos unmißverständlich, daß er sein Sosein ständig durch ein »Trefflichersein« zu erweisen habe. Und dies kann allenfalls in sekundärer Weise durch >adlige< Tugenden wie >FreundlichkeitLoyalitätMitleidRitterlichkeitGerechtigkeit< geschehen, vielmehr durch nicht zuletzt gewaltsame Durchsetzung seiner >EhreErfolgsprinzipständischer< Rücksichten.41 Auf der anderen Seite kann kein Zweifel sein, daß die zerstörerische Wirkung des >Erfolgsprinzips< ebenso gesehen wird, indem nämlich die Gewaltsamkeit, deren höchster Ausdruck der Krieg ist, in der Mas immer wieder in Frage gestellt wird.42 Weil jedoch der Zwang zum Erfolg im Wesen der hierarchisch-väterlichen Ordnung begründet liegt, entsteht, zumal dann, wenn die Hierarchie ihre Rechte mit mehr oder weniger willkürlicher Gewalt durchzusetzen sucht, eine unheilige Allianz, das oben (Kap. I) bereits erwähnte Dilemma von Unterwerfung oder schlimmstenfalls selbstzerstörerischem Kampf, ein Dilemma, an dem Achill jedenfalls scheitert.43 Im neunten Gesang versucht Agamemnon, nun von den Umständen der schlechten Kriegslage gezwungen, Achill in gewisser Weise nachzugeben, dennoch die hierarchische Ordnung, die Fassade des Besserkönnens, Besserwissens, Rechthabens, zu wahren (IX 114ÎÏ.).44 Dazu bietet gut wie keine Anhaltspunkte« [319]) und passim die umsichtige Untersuchung von Ulf zur homerischen Gesellschaft. Zum aien aristeuein-Satz vgl. speziell Ulf 41f. 40 Vgl. etwa Adkins 34: »we discover a society whose highest commendation is bestowed upon men who must successfully exhibit the qualities of a warrior [...] men, too, who must display their valour both in war and in peace to protect their dependents: a function in which they must succeed, for the most powerful words in the language are used to denigrate those who fail«. 41 Zur Diskussion der Adkinsschen Thesen vgl. den Beitrag von Rowe. 42 Siehe auch unten Kap. V und Latacz, Achilleus 63: »Es wäre leicht zu zeigen, daß die Dias ein zutiefst antikriegerisches Werk ist«. Es ist die Frage, ob man mit Ferla 35 davon sprechen sollte, daß Achill nicht den Idealtyp des Adligen verkörpert, »sondern das Altideal des Sich-Durchsetzens um jeden Preis, das für die neue Realität [einer >interaktionsnahen Gesellschaft] Gefahr in sich birgt«. Das (auch individuelle) >Erfolgsprinzip< verliert seine Bedeutung wohl in kaum einer Gesellschaft und Zeit. Problematisch ist nur, wie es jeweils integriert wird. Darum linter anderem geht es in den homerischen Epen. 43 Fraglich ist gewiß, ob wirklich ein Achill als »Ideal und Vorbild« offeriert werden soll (Latacz, Achilleus 61), dessen Beharren soviel Leid über alle Beteiligten (einschließlich Patroklos) bringt. Auf alle Fälle ist es ein bitterer Appell, bei dem »die Achaier [sterben] müssen [...], damit ihr Führer sehend wird« (Latacz ebd. 53). 44 Siehe Ulf 96f.
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er zunächst >unermeßliche Buße< materieller Art einschließlich der Rückgabe der Briséis an. Indem Agamemnon den Schwur anbietet, diese noch nicht beschlafen zu haben (132ff.), ist oder wäre auch die männliche Ehre Achills in diesem ganz wichtigen Punkt unverletzt. Denn die Vergewaltigung einer Frau trifft in männlicher Perspektive in ganz besonderem Maße den Mann, unter dessen Verfügungsmacht die Frau eigentlich steht. So ist sie im Krieg - nicht nur in homerischen Zeiten - ein Mittel des Siegers, den Besiegten zu entehren, eine »symbolische Kastration« der Männer.45 Ein vergleichbares, ehrabschneidendes >Eigentumsdelikt< begehen die Freier in Odysseus' Haus (siehe unten Kap. VI), wenn sie mit den Mägden schlafen, und hätte eben Agamemnon begangen, wenn er mit Briséis geschlafen hätte. Wegen der Bedeutung der Sache wird der Eid dann später (XIX 258ff.) von Agamemnon in aller Form geleistet. Der eigentliche Schachzug Agamemnons besteht aber darin, daß er zusätzlich anbietet, Achill zu seinem Schwiegersohn zu machen46 und ihn seinem Sohn Orestes gleich zu ehren (141ff.). Denn auf diese Weise ist es ihm sowohl möglich, alle weiteren erdenklichen und großzügigen Geschenke anzubieten, auf der anderen Seite aber seine weitere Unterordnung zu fordern: »Diese Dinge wollte ich ihm erfüllen, wenn er abläßt vom Zorn. / Bändige er sich! Hades, wahrlich ist unversöhnlich und unbezwinglich, / Darum ist er auch den Sterblichen der Verhaßteste aller Götter! / Und er ordne sich mir unter! um soviel königlicher ich bin / Und soviel an Geburt ich mich rühme, früher geboren zu sein!« (IX 157-161)47 Achill freilich geht auf diese Angebote nicht ein, wobei es zunächst einleuchtend und psychologisch gut motiviert ist, daß Odysseus, der Agamemnons Worte ziemlich wörtlich wiedergibt (IX 225ff.), dessen letzte explizite Forderung nach Unterordnung ausläßt. Statt dessen 45 Siehe Lerner llOf. Duerr 428ff., der u. a. einen Ausspruch Dschingis Khans zitiert, wonach das höchste Glück eines Mannes darin liege, einmal die Pferde und die Frauen seiner Feinde zu reiten. 46 Siehe Finlay 269f.: »The most remarkable of the king's offers to Achilleus is one of his daughters, a cunning attempt to use a gift as an instrument of submission«. 47 Bezeichnend ist, wie hier die (eben nicht klar definierte) soziale Stellung (basileuteros) mit dem Hinweis auf das Alter verbunden wird. Siehe aber Hainsworth 79f. zu IX 160-1, der geneê im Sinne von >ancestry< versteht.
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appelliert er (300ff.) an Achills Erbarmen gegenüber den anderen Achaiern und >transponiert< die Forderung nach Unterordnung in das dem >Erfolgsprinzip< konkurrierend gegenüberstehende48 väterliche Gebot, >den großherzigen Mut in der Brust festzuhalten< und Freundlichkeit zu üben. Lasse er von dem unheilstiftenden Streit ab, so würden ihn die Argeier mehr ehren, die Jungen wie auch die Alten (255-258). Achill jedoch hat Agamemnons Versuch durchschaut, »der das eine verbirgt im Sinn und anderes ausspricht« (313). In bemerkenswerten Worten enthüllt er das System von Ehre und Herrschaft, das ihn wie andere dazu zwingt, >mit feindlichen Männern unablässig immer< zu kämpfen (317). Doch: »Gleiches Teil wird dem, der zurückbleibt, und wer noch so sehr kämpft, / Und in gleicher Ehre steht der Schlechte wie auch der Tüchtige. / Gleichermaßen stirbt der Tatenlose und wer vieles getan hat. / Nichts hat es mir verschafft, daß ich Schmerzen litt im Mute, / Immer mein Leben daransetzend, um zu kämpfen. / Und wie eine Vogelmutter den unflüggen Jungen hinträgt / Den Bissen, wenn sie ihn findet, und schlecht geht es ihr selber, / So habe auch ich viele schlaflose Nächte hingebracht / Und Tage, blutige, durchgemacht im Kampfe, / Mit Männern kämpfend um der Frauen willen von denen!« (IX 318-327). Nach solchen Worten49 ist es sogar verständlich, wenn Achill auf Briseis50 verzichten will und Agamemnons Schwur, diese nicht beschlafen zu haben,51 sogar mit der Aufforderung beiseite wischt (336f.): »Mag er liegen / Bei ihr und sich ergötzen!« Nachdem er schließlich die ganzen Geschenke abgelehnt hat, geht Achill noch auf Agamemnons Heiratsangebot ein (388ff.). Zu seinem Schwiergersohn will er sich nicht machen lassen, zu Hause wird ihm der Vater Peleus eine Frau aussuchen bzw. wird er sich eine zur Gattin machen, die er, Achill, wolle. Der //ios-Dichter läßt hier die 48 Vgl. Ferla 18. 49 Vgl. auch noch V 211 von Pandaros, der als Führer nach Troia kam »und Gunst erweisend dem göttlichen Hektor«, ohne selbst etwas davon zu haben. Vgl. noch Od. 5, 307. 50 Die Deutung der alochos an dieser Stelle (336) als Agamemnons Frau Klytaimestra oder gar noch als eine andere dritte Person hat wenig Wahrscheinlichkeit für sich; siehe dazu den Kommentar von Hainsworth 106f. zur Stelle sowie Mauritsch 29 Anm. 19. 51 Kaum weiter führt die Spekulation, daß Agamemnon dabei ist, einen Meineid zu schwören. Siehe dazu Mauritsch 31 Anm. 22.
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gegenläufigen Tendenzen des patriarchalischen Denkens gewissermaßen ihren Höhepunkt erreichen. Und er läßt Achill selbst zum Schluß aussprechen, was ein Verzicht auf unbegrenztes >BesserseinwollenHeldenideals< interpretiert (Heldenideal 267). Aber auch wenn sich Achill letztlich für >unvergänglichen Ruhm< entscheidet, bleibt doch die von ihm vorgebrachte Anfrage an das Ehrprinzip (vgl. Effe, Krieg und Frieden, 17: »alternativer Wertehorizont«) bestehen. Und diese korrespondiert insofern auch mit einer bekannten Stelle im elften Gesang der Odyssee. Hier sagt die Seele des toten Achill zu Odysseus, der ihn wegen seiner Ehre im Leben wie im Tode gepriesen hatte, daß er lieber als Ackerknecht Lohndienste leisten wolle, als Herr über alle Toten zu sein (11, 477ff.). Mir scheinen hier eher die Worte Achills im neunten Gesang der Ilias aufgenommen zu werden (»jene Worte wenden sich gegen alle romantische Verklärung des frühen Todes«, von Scheliha 290), als daß »der ganze Ruhmesgedanke der Ilias [...] durch diese Äußerung diskreditiert« wird (W. Kullmann, Das Bild des Menschen in der Odyssee 287). Zu verweisen wäre noch auf den berühmten Aufschrei der Mutter Thetis in XVIII 54: »O mir, ich Arme! o mir Unglücksheldengebärerin (dusaristotokeia)\« Die größte >Chance< und > Aufgabe < der Frau ist es (auch wenn sie, wie hier, eine Göttin ist), Mutter eines Helden, eines aristos zu werden (siehe Monsacré 99). In dem bemerkenswerten DreifachKompositum (vgl. Mark W. Edwards 151 zur Stelle) klingt die grundsätzliche
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2. Achill als Vater Auch wenn sich Achill der Autorität Agamemnons widersetzt, ja bisweilen - vom Väterkollektiv an den Rand seiner Existenz gedrängt - das ganze System in Frage zu stellen scheint, so denkt er natürlich dennoch in väterlichen Kategorien, ist selbst Vater des leiblichen Sohnes Neoptolemos und, in gewisser Weise jedenfalls, des Mitkämpfers vor Troia und engsten Freundes Patroklos. Im neunzehnten Gesang der Utas kann Achill im Denken an den toten Patroklos kein Mahl vor dem Kampf zu sich nehmen und spricht: »Ja, da hast auch du mir einst, Unseliger! Liebster der Gefährten! / Selber hingestellt in der Hütte ein wohlschmeckendes Mahl, / Schnell und eifrig, sooft die Achaier sich beeilten, / Gegen die pferdebändigenden Troer den tränenreichen Ares zu tragen. / Jetzt aber liegst du da, zerfleischt, und mein Herz ist / Ungestärkt von Trank und Speise, obwohl sie im Haus sind, / In der Sehnsucht nach dir. Denn nichts anderes, Schlimmeres könnte mir geschehen, / Auch nicht, wenn ich von dem Vater erführe, daß er hingegangen, / Der jetzt wohl in Phthia die zarte Träne vergießt / In der Entbehrung eines solchen Sohnes; doch der unter fremdem Volk / Um der schaudererregenden Helena willen kämpfe ich mit den Troern! / Oder auch, der mir in Skyros wird aufgenährt, der eigene Sohn - / Wenn er denn noch lebt, Neoptolemos, der gottgleiche! / Denn früher hoffte mir immer der Mut in der Brust, / Daß ich allein hinschwinden werde, fern von Argos, dem pferdenährenden, / Hier in Troia; du aber würdest nach Phthia heimkehren, / Daß du mir den Sohn im schnellen Schiff, dem schwarzen, / Herausführtest von Skyros und ihm all und jedes zeigtest / Meinen Besitz und die Knechte und das hochüberdachte große Haus. / Denn schon meine ich, daß Peleus entweder gänzlich / Gestorben ist oder wohl nur noch ein wenig lebt, bekümmert / Durch das verhaßte Alter und immer die trau-
Ambiguität eines so definierten Daseins an, auch wenn Thetis sich auf das individuelle Schicksal ihres Sohnes bezieht.
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rige Botschaft / Von mir erwartend, daß er erfährt, ich sei dahingegangen!« (XIX 315-337) Das ist in der flias die einzige Stelle, an der Neoptolemos namentlich erwähnt wird,55 der freilich in der nachiliadischen Sage eine prominente Rolle bei der Zerstörung Troias spielt und dabei unter anderem Priamos und Astyanax tötet. Weil er sich zur Zeit der ffiashandlung auf der Insel Skyros befindet und erst später nach Troia gelangt, hat man seinen Namen >junger Kriegen in diesem Sinne gedeutet.56 Begründeter ist jedoch die Annahme, daß Neoptolemos seinen Namen nach dem Schicksal des Vaters trägt (der als junger Krieger kämpfte) ähnlich wie auch Telemach (>FernkämpferErsatzsohn< Patroklos die Heimkehr zu bewahren. Soweit die Beurteilung aus der Sicht der Odyssee, worauf im Gesamtzusammenhang (unten Kap. VII) noch einmal einzugehen sein wird. Aus der eindeutigen Wertordnung, die Achill in der vorhin zitierten Passage im neunzehnten Gesang der Ilias aufstellt, geht hervor, daß Patroklos in Troia noch vor Vater und Sohn für Achill steht. Patroklos war mit seinem Vater Menoitios einst an den Hof des Peleus geflohen, weil er im Affekt eine Mordtat begangen hatte (ΧΧΙΠ 84ff.). Als die beiden Väter ihre Söhne nach Troia ziehen lassen, werden sie zuvor von ihnen unterwiesen: (Nestor spricht zu Patroklos): »Peleus, der Alte, trug seinem Sohn auf, dem Achilleus: / >Immer Bester zu sein und überlegen zu sein den anderen. < / Dir aber wieder trug so Menoitios auf, der Sohn des Aktor: / >Mein Kind! Von Geburt ist der Höhere Achilleus, / Der Ältere aber bist du, doch an Kraft ist er viel besser. / Doch du sprich ihm gut zu mit dichtem Wort und rate ihm / Und gib ihm Weisung, und er wird dir folgen zum GutenErfolgsprinzip< formulierenden Worte »immer Bester zu sein [...]« werden, indem Patroklos als eine Art >Aufpasser< mitgeschickt wird, zwar nicht relativiert, aber doch in das väterliche System von Ordnung und Unterordnung einzufügen gesucht. Zur Nestorrede im XI. Gesang insgesamt siehe Ferla 28f., die deutlich macht, daß dessen Erzählungen aus der Vergangenheit »als Beispiel richtigen Verhaltens dienen, über das der Handelnde zu Ruhm gelangen kann: nämlich der erste und beste zu sein, aber zusammen mit den anderen und, als Führer, für die anderen« (29).
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der Achaierseite vertritt, spricht er natürlich im hierarchisch-paternalen Sinne. Eine Vaterstellung gegenüber Achill,61 wie sie doch Phoinix besitzt, hat er aber nicht, sondern ist eher anstelle des Neoptolemos in Troia. Als er im sechzehnten Gesang zu Achill tritt, um ihn zu überzeugen, angesichts der bedrohlichen Lage wenigstens ihn mit Achills Rüstung versehen zusammen mit den Myrmidonen in den Kampf zu schicken, wird er von Achill zunächst fast demütigend, aber jedenfalls in einer »protective parental role«62 empfangen: »Warum bist du in Tränen, Patroklos, so wie ein Mädchen, / Ein kleines, das neben der Mutter herläuft und bittet, es aufzunehmen, / Und faßt sie am Kleid und hält sie zurück, die Eilende, / Und in Tränen blickt es sie an, bis sie es aufnimmt / Dem gleichend, Patroklos! vergießt du die zarte Träne« (XVI7-11). Patroklos nimmt dann in seiner Bitte an Achill fast wörtlich Nestors Formulierung (XI 791ff.) auf und erwähnt einen Götterspruch, den Achill vielleicht (XVI 36f.) meiden wollte. Doch weiß er natürlich wie Nestor, daß es Achill um die verletzte Ehre wegen der ihm von Agamemnon geraubten Briséis geht, worauf dieser in seiner Antwort noch einmal ausdrücklich hinweist (52ff.). Die Ökonomie der Ehr-Restitution läßt es aber jetzt, nachdem die Situation sich aufs Äußerste zugespitzt hat, zu, den >Sohn< in den Kampf zu schicken - an >Vaters< Statt und in der Rüstung des >VatersSohn< dabei nicht zu weit gehen. Er soll verhindern, daß die Troer die Schiffe verbrennen und den Achaiern die Heimkehr nehmen. Dann aber soll er zurückkehren: »Daß du nicht ohne mich verlangst zu kämpfen mit den Troern, / Den kampfliebenden - geringer an Ehre würdest du mich machen!« (XVI 89f.). 61 So Schein (107) und Finley, der spätestens Schwierigkeiten bekommt, wenn er erklären muß, weshalb Achill nach Patroklos' Tod um diesen trauert, >wie ein Vater wehklagt um seinen Sohn< (XXIII 223) : »Patroklos had acted as a substitute father for Achilleus, but now the latter must perform that function for Patroclos« (273); kritisch dazu Held 246 mit Anm. 9. Siehe auch das Gleichnis in XVIII 316-23 und Moulton 99ff.: Gerade das Motiv Vater-Sohn beherrscht die Gleichnisse, die das Verhältnis Achills zu Patroklos beschreiben. 62 Janko 316 zu XVI 7-10. 63 Auch Achill selbst trägt schon die Waffen des (leiblichen) Vaters und wird in ihnen nicht alt: XVII 194ff.
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Achill sieht d e n Opfertod des Patroklos, d e r d e r » F r e u d e a n K a m p f u n d Feindseligkeit« (91) entspringt, voraus. D o c h w i e dieser kann a u c h jener seinen sozialen B e d i n g u n g e n nicht entgehen. A u c h Patroklos w i r d v o m >Vätergesetz< gedrängt, w i e d a s d e r E i n g a n g seiner R e d e an Achill (XVI 20ff.) markiert. E r nennt ihn d e n »weit Besten d e r A c h a i e r « u n d sagt, d a ß schon alle, »so viele die Besten w a r e n , « v e r w u n d e t bei d e n Schiffen lägen. So m ö c h t e u n d m u ß a u c h er »ein Licht d e n D a n a e r n « w e r d e n (39). H e r ausgeschickt aber, u m für die E h r e Achills z u kämpfen (XVI 278ff.), w i r d er d a n n d o c h d a s paternale Gebot überschreiten u n d seinen eigenen T o d herbeiführen. Er, d e r Achill >zum Guten< raten sollte, w i r d d a m i t z u m »groß Kindischen« (mega nêpios X V I 4 6 Í . ) 6 4 , w i e es in einer auktorialen Bem e r k u n g heißt; g e w i ß a u c h g e g e n ü b e r Achill, eben weil er, w i e d a s der Dichter später n o c h einmal ausdrücklich bemerkt, d a s » W o r t des Peliden« nicht b e w a h r t e (XVI 684ff.). 6 5
64 Zum Begriff nêpios als Vorwurf an den Erwachsenen, der in Einschätzung und Handeln einer Situation nicht gerecht wird, vgl. Ulf 54f. 65 Natürlich ist Patroklos' Tod auch schicksalhaft, denn Zeus reizte ihm »den Mut in der Brust« auf (XVI 691). Das ändert aber nichts daran, daß die eigentliche Determinante seines Handelns eben jener >Mut< ist, der ihn zum Kampf zwingt. Wie er selbst zuvor (275) menos und thumos der Myrmidonen antreibt (unter Hinweis auf das Gebot, >Mann zu sein< [279] ), so bewirkt dasselbe bei ihm jetzt Zeus. Es ist die persönliche Tragik des Patroklos, daß er, der nicht anders kann, als sich für >den Besten< zu opfern, sterben muß, als er es einmal wagt, über das Gebot eben jenes >Besten< hinwegzugehen. In verkleinerter Form findet sich das Motiv des ungehorsamen Sohnes, der seinen eigenen Untergang herbeiführt, als »father-seer motif« (Kirk 73 zu V 148-9). So zieht Euchenor, der Sohn des Sehers Polyïdos, trotz der Vorhersage des Vaters, daß er vor Troia den Tod finden werde, in den Krieg und stirbt durch Paris (XIII 663ff.). Diomedes tötet zwei Söhne des Merops (XI 328ff.), »der sich vor allen / Auf Wahrsagung verstand, und nicht wollte er seine Söhne / Ziehen lassen in den Krieg, den männerverderbenden. Aber die beiden / Folgten ihm nicht: die Göttinnen führten sie des schwarzen Todes« (329-332). Auch Polydoros, ein Sohn des Priamos aus der Ehe mit Laothoë, soll nach dem Willen des Vaters nicht kämpfen, »weil er ihm unter den Söhnen der jüngste war von Geburt / Und ihm der liebste war« (XX 409f.). Trotz des väterlichen Verbotes wagt er sich »in seinem kindischen Sinn« in den Kampf und wird durch Achill getötet (XX 411ff.).
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3. Polemos pantôn patêr Die Beziehung zwischen Achill und Patroklos ist ohne Zweifel nach dem Vorbild einer Vater-Sohn-Beziehung modelliert, in der Dominanz und Unterordnung eine so große Rolle wie die Zuneigung spielen.66 Nur in seiner Aristie im sechzehnten Gesang der Mas wächst Patroklos über sich selbst hinaus, er, der sonst Achill gegenüber eher als unsicher, fast hörig, jedenfalls geflissentlich hörend, gezeichnet wird (vgl. I 346 und IX 205: »Und Patroklos gehorchte seinem Gefährten«). Die Zuneigung findet ihren vielleicht höchsten Ausdruck in dem Wunsch der Achill erscheinenden Seele des Patroklos, daß im Tode beider Gebeine nicht getrennt, sondern vereint in der gleichen Urne liegen mögen (ΧΧΙΠ 82ff.). Es ist bekanntlich seit der Antike viel Tinte um die Frage geflossen, ob das Verhältnis zwischen Achill und Patroklos über eine Freundschaft hinaus auch erotisch definierbar sei.67 Da Homosexualität in den homerischen Epen nicht explizit erwähnt wird, bleibt natürlich Platz für allerlei mehr oder weniger fruchtlose Spekulation. Soviel kann zunächst nur festgestellt werden, daß, während die außerhomerische Achilleussage »Achill in zahlreiche Liebesabenteuer verflicht und ihn auch noch nach seinem Tod mit den berühmtesten Heroinen umgibt, [...] Homer die Frauen in Achills Leben zurücktreten [läßt]. Wir sehen ihn um die ihm weggenommene Briseis ernsthaft betrübt, wir erfahren auch am Ende des neunten Gesanges, daß er mit der erbeuteten schönwangigen Diomede zusammen ruht, aber nirgends spielen bei ihm Frauen eine wichtige Rolle. So viel auch die außerhomerischen Sagen von Achill zu erzählen wissen, kein Zug weist auf den homerischen Achill, für den im Mittelpunkt des Lebens die Freundschaft steht. Wir müssen annehmen, daß Homer jene Sagen bewußt ausließ, weil sie sich nicht mehr in Übereinstimmung bringen ließen mit jenem Achill, den er selbst gestaltet und der mit
66 Trypanis verweist in seinem Beitrag (295ff.) sicher zu Recht auf die gleichsam verwandtschaftliche Verpflichtung - unter anderem die der Blutrache -, die Achill gegenüber Patroklos nach dessen Aufnahme in das Haus und die >Familie< des Peleus erwächst. Doch impliziert diese Verpflichtung nicht automatisch eine bestimmte Art und Intensität der Beziehung. Auch daß Patroklos' Wunsch nach der gemeinsamen Beerdigung in der fruhgriechischen Welt »inconceivable for men belonging to a different genos« war (295), läßt diese Intensität dennoch nicht als weniger außergewöhnlich erscheinen. 67 Vgl. Dover 169f., 172ff.; Mauritsch 115ff.; Hooker (Homer, Patroclus, Achilles) 35, Anm. 13: »futile question«.
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Patroklos lebt und für Patroklos stirbt«68. Man kann daher ein homoerotisches Verhältnis nur hypothetisch annehmen69 und sich dabei auf Stellen wie die vorhin erwähnte (ΧΧΙΠ 82ff.) berufen oder auf XXIV 3ff.: Achill weint und kann keinen Schlaf finden, sondern »er wandte sich hin und her, / Sich sehnend nach des Patroklos Manneskraft70 und tapferem Ungestüm«. Auf der anderen Seite kann man (beruhigt?) darauf hinweisen, daß, während sich in der ganzen nias eben keine einzige Stelle findet, in der eindeutig von homosexuellen Handlungen zwischen Achill und Patroklos die Rede ist, »beide sehr wohl mit Frauen schlafen«, Achill seine »heterosexuelle Potenz« gelegentlich (IX 663ff.) »unter Beweis« stellt.71 Bereits in der Antike, jedenfalls seit Aischylos' Achilleus-Trilogie, wurde das Verhältnis zwischen den beiden Helden homosexuell gedeutet und die Frage, wie es sich bei Homer verhalte, späterhin kontrovers diskutiert72 Und nichts spricht dagegen, daß man es im endenden achten Jahrhundert auch entsprechend deuten konnte - ungeachtet der Intention des Dichters, der poetologischen Anforderungen des archaischen Heldenepos73 und schließlich der Frage, inwieweit Homosexualität in der Zeit der Entstehung des Epos in Ionien gesellschaftlich annehmbar erschien.74 Jedenfalls aber wird im Verhältnis zwischen Achill und Patroklos in der üias ein Bild entworfen, das sich einfügt in eine Erklärung des homosexuellen Eros als gesellschaftlichen Bedürfnisses in der griechischen Antike, wie sie Dover (176) versucht. Ein Bild oder ein 68 von Scheliha 244f. 69 Eine obsessive Deutung in diese Richtung hat Hubert Fichte in seinem Essay >Patroklos und Achill. Anmerkungen zur Dias< (1985) unternommen. Siehe dazu Koller und Böhme 284ff. (zur rezeptionsgeschichtlichen Bedeutung). 70 »It must mean >manhoodhomosexuellen Pädagogik< (vgl. Badinter 107) wäre es allerdings angesichts des Alters der beiden Personen nur vorstellbar, daß sich eine je vorhandene sexuelle Leidenschaft in Freundschaft gewandelt hat.
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>Mythosliebt< auch Achill seine Lagergefährtin, aber es ist deren >Wert< in erster Linie und nicht seine Liebe, die sein Handeln ihr gegenüber bestimmt. Und wenn er nach Phthia zurückkehrt, sagt er (IX 365f.), werde er von Troia mitführen: »Gold wie auch rötliches Erz / Und Frauen, gutgegürtete, und graues Eisen«. Auch Diomedes' Empfindungen äußern sich gegenüber dem Gefährten, Deïpylos, »den er über alle Altersgenossen ehrte« (V 325f.).76 Gegen Aphrodite aber wendet er, wenn ihn, ähnlich wie Achill, eine übermenschliche, fast unmenschlich zu nennende Raserei im Kampfgeschehen packt, all seine Feindseligkeit, »denn er erkannte, daß sie kraftlos war als Gott und nicht eine / Der Göttinnen, die da über den Krieg der Männer gebieten« (V 331f.). Es entstand im griechischen Patriarchat, wie in anderen Vatergesellschaften, in der männlichen, militärischen, politischen, religiösen und gesellschaftlichen Gruppe eine »nahezu perfekte Kampfmaschine«77. Gerade indem die Restriktionen der Verwandtschaft aufgelöst wurden, wies das Ideal der männlichen Freundschaft auf die geeignete Quelle der Unterstützung im notwendigen Überlebenskampf.78 Als Modell kann das Verhältnis zwischen Vater und Sohn fungieren, wobei die unmögliche Intimität zwischen Vater und leiblichem Sohn gleichsam vergesellschaftet wird.79 Achill klagt um Patroklos
75 Zur weiteren Tradierung dieses >Mythos< in die moderne Gesellschaft siehe den Beitrag von Hammond und Jablow. 76 Siehe Winkler 254f. 77 Dover 176. Achill sehnt sich nach Patroklos: »Und wie viele Kämpfe er mit ihm abgewickelt und Leiden erduldet, / Durchmessend die Kriege der Männer und die schmerzlichen Wogen« (XXIV 7f.). Zum Männerbund als >kultureller Universalie< siehe den Beitrag von Schweizer. 78 »With hindsight, the narratives of friendship seem to be political propaganda for abrogating familial ties in favor of male solidarity. In them friendship was idealized, war glorified, and the warrior the ideal man« (Hammond und Jablow 246). Besonders bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang die »Heilige Schar«, eine aus männlichen Liebespaaren zusammengeschlossene thebanische Kampftruppe, die bei Chaironeia bis zum letzten Mann kämpfte (Plutarch, Pelopidas 18). Zu soziobiologischen Erklärungsversuchen von Männerbünden siehe den Beitrag von Meyer/Wind/Roele. 79 Siehe Pilgrim 29f., Badinter 109f.
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nach dessen Tod »wie ein Vater wehklagt um seinen Sohn« 8 0 (ΧΧΙΠ 222). Die Söhne konkurrieren um die Liebe von Ersatzvätern - offen im griechischen, 81 verdeckt und sublimiert im christlich-jüdischen Patriarchat - , die Aggression trifft die >Brüder< in einer, mindestens im Blick späterer Zeiten, oft hoch erotisch-sexuell aufgeladenen Atmosphäre von Kampf und Krieg. 8 2 Und das die >Kampfmaschine< produzierende System bleibt erhalten, auch wenn und indem der alte >Vater< schließlich durch den nachrückenden ersetzt wird und manche der >Söhne< in der Auseinandersetzung emotional oder sogar physisch zugrunde gehen. Sozialhistorisch gesehen erweist sich der Zwist zwischen Achill und Agamemnon, der sich auf das ganze Heer ausweitet, »als ein Streit um die Einhaltung und Erfüllung für den Basileus gültiger Normen und, in notwendiger Folge davon, um die Führungsposition unter den Basilees, die dem Anführer der stärksten Streitmacht innerhalb des Heeres nur dann streitig zu ma80 Es wird gelegentlich darauf hingewiesen, daß das Verhältnis zwischen Achill und Patroklos in gewisser Weise wenigstens dem zwischen einem Mann und einer Frau vergleichbar strukturiert ist; so läßt sich auf die Meleager-Erzahlung des Phoinix im neunten Gesang verweisen. Meleagers Frau Kleopatra und Patroklos, deren Namen schon spiegelbildlich sind, haben auch übereinstimmende Funktionen: »beiden gelingt es, den zürnenden Helden zur Nachgebigkeit zu bewegen, jedoch erst in dem Augenblick höchster Gefahr, als der Feind schon mit Feuer herangedrungen ist; in der Meleagergeschichte, die als Beispiel einen allgemeineren Charakter trägt, geht der entscheidende Einfluß von der Gattin, nicht von dem Freund des Helden aus. Die Erfindung des neuen Namens, Kleopatra, für die Gattin des Meleager erklärt sich also aus der Absicht des Dichters, die Parallele dieser Gestalt zu Patroklos zu betonen« (von Scheliha 248); siehe auch Hooker (Homer, Patroclus, Achilles) 32 und Beye (88f.), der das Verhältnis zwischen Achill und Patroklos ebenfalls eher am Verhältnis zwischen Mann und Frau modelliert sieht, wobei dessen erotische Natur unklar und unwichtig sei. Es ist aber nicht richtig, daß es sich dabei um ein »non-competitive relationship« handelt, »something unusual in the competitive society of Homer« (89), denn Patroklos handelt ja in seiner Aristie gegen Achills Gebot. Wenn das Verhältnis Mann-Frau Hinweischarakter hat, dann, indem es auf Patroklos' Unterordnung deutet (wie auch die schon zitierte Stelle XVI 7ff., wo er von Achill ills >kleines Mädchen< tituliert wird). Grundsätzlich aber ist das Verhältnis >VaterSohn< ein anderes als die >wohletablierte Sozialstruktur einer EheMaskulinisierungsprozesses< angesehen wurde, nicht gleichzeitig mit der Vorstellung eines Mangels an Männlichkeit verknüpft war. Siehe Gilmore 170f. Platon (Politela IX 574b-c) weist auf die seiner Meinung nach destruktive Wirkung gleichgeschlechtlicher Beziehungen für das Verhältnis zwischen Vater und Sohn hin. 82 Vgl. auch unten Kap. III zu XXII 124ff.
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chen ist, wenn sein Versagen offensichtlich geworden ist«83. Aus anthropologischer Perspektive aber entfaltet sich in diesem Zwist und seinen Weiterungen paradigmatisch jene Auseinandersetzung zwischen >Vätern< und >SöhnenNeue< an der Version der Ilias hinsichtlich der Beziehung zwischen Achill und Patroklos nicht nur die Schilderung ihrer menschlichen Tiefe ist, sondern vor allem die Dramatisierung der sozialen Folgen von Achills Groll. Denn dieser Groll zerstört nicht nur Achills Beziehungen zu den anderen griechischen Helden,86 sondern auch »his community of understanding with Patroclus, who does not share that wrath and cannot fathom Achilles' behavior«87. Darüber hinaus wird aber an der Geschichte deutlich, daß die zerstörerische Wirkung des Grolls von einem sozialen Grundmuster gespeist wird, dem, wenn, wie es der ffias-Dichter zeigt, Verblendung über Klugheit siegt, weder der >Vater< noch der >Sohn< entgehen können und das im Krieg seinen exzessiven Höhepunkt findet Einen atavistischen Ausdruck jener blutigen Auseinandersetzung bildet die Opferung von zwölf troischen Söhnen am Grab des Patroklos (XXIII 175f.).88 Die Zaghaftigkeit und unhomerische Kürze, mit der der 83 Ulf 91. 84 Siehe Vowinckel 45. 85 Vgl. Janko 328 zur Stelle: »he still wants glory yet would reject the heroic society which can alone confer it«. 86 Vgl. Aias' bereits (oben Kap. I) zitierte Worte im neunten Gesang (632ff.), mit denen er Achills Verhalten als außerhalb jeglichen menschlichen Gemeinschaftsdenken stehend beschreibt (vgl. dazu Ferla 28). 87 Halperin 84. 88 Ein >VernichtungsopferSchwindler< wäre etwa an Paris' Entrückung aus dem Zweikampf mit Menelaos im EL Gesang zu denken, aber weiter führt hier natürlich der Blick auf die vorhomerische, prä-iliadische Epik, insbesondere auf die in den Kyprien erzählte Sage von der Entführung der Helena. Schließlich wird Paris' erotische >Kompetenz< oder Ausstrahlung - kaum ein Signum kriegerischer Stärke - 10 in der Rias unter anderem gerade mit dem Hinweis auf seine tänzerischen Fähigkeiten angedeutet So lockt Aphrodite im ΠΙ. Gesang Helena mit den Worten: »Komm her! Alexandros ruft dich, nach Hause zu kommen! / Er ist im Schlafgemach und auf der gedrechselten Bettstatt, / An Schönheit strahlend und Kleidern, und du würdest nicht sagen, / Er sei vom Kampf mit einem Mann gekommen, sondern zum Reigen / Gehe er oder habe gerade den Reigen geendet und sich niedergesetzt« (ΙΠ 390394). Unklar bleibt lediglich der Hinweis auf den Diebstahl von Lämmern und Ziegen im eigenen Volke, was man aber einfach als eine besondere Be-
9 Reucher 431. 10 Siehe Bernsdorff 31f. und 33: »überall dort, wo Paris' Schönheit ausführlicher [...] beschrieben wird, zeigt sie eine andere Qualität als die sonst in der Dias beschriebene Schönheit von Männern. Der Leser lernt sie als verweichlichte, blendende und verführende Eigenschaft kennen, die er nach Maßstäben der Dias überhaupt nicht positiv bewerten kann«.
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Zeichnung des Übermutes verstehen kann.11 Natürlich können Priamos' Beschimpfungen außer Paris auch die anderen genannten, noch lebenden Söhne treffen, besonders die auch sonst noch gelegentlich gemeinsam mit Paris erwähnten Deiphobos und Helenos, die in der kyklischen Epik eine prominente Rolle spielen. Nach Paris' Tod kommt es zwischen diesen beiden zum Streit, wer Helena heiraten solle (Apollodor, epit 5, 9). Wenn man allerdings in Betracht zieht, daß die Worte des Priamos in flies XXIV 239ff. unter dem Eindruck der unausweichlichen Zerstörung Troias stehen (244-246: «[...] Ich aber wollte lieber, / Ehe ich geplündert die Stadt und niedergerissen / Sehe mit den Augen, eingehen in das Haus des Hades!«), so werden diese Worte vor allem im Blick auf den letztlich am Untergang schuldigen Sohn gesprochen sein.
2. Paris, die Provokation der Väter Ebenso steht es wohl mit Priamos' Bewertung der bereits gefallenen Söhne. Die nennt er zwar die Besten, von denen keiner geblieben sei, Mestor nämlich, Troilos und Hektor. Mestor aber und Troilos werden überhaupt nur an dieser Stelle in der Utas erwähnt Deren Taten bzw. deren Tod werden nun zwar in vorhomerischer mündlicher Epik erzählt worden sein, wofür gerade die Beiläufigkeit der Erwähnung spricht,12 dennoch kommt es augenscheinlich an dieser Stelle ganz auf Hektor an, der die Gruppe der besten Söhne oder eben den besten Sohn repräsentiert und mit dessen Tod der Untergang Troias besiegelt ist. Paris und Hektor werden somit an dieser zentralen Stelle noch einmal als Antipoden gegenübergestellt. Hektor, wenn man so will, das Prinzip des guten Sohnes, »der mir«, wie Priamos zu Achill sagen wird (XXIV 499), »einzig war und beschützte die Stadt und die Männer«. Der Sohn, in dem sich der Vater und seine väterliche Herrschaft gespiegelt sieht, in dem der Stamm und das System fortgeführt werden soll. Der gute Sohn, der aber auch, das erstgeborene Kind (zumindest aus der Ehe mit Hekabe), geopfert wird >auf dem Altar des VaterlandesUnglücksparisan Aussehen Bester - im Kampfe Schwachem gegrün-
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dete Tadel, den Hektor ausspricht, ein typisches Mittel der Kampfparänese1. Zum anderen denkt Hektor bei Paris' Aussehen offensichtlich weniger an eine >heroische Schönheit^ wie sie auch anderen Helden, etwa Achill, zukommt, als an die erotische Ausstrahlung des Bruders,2 so daß der Tadel letztlich ins Leere geht oder zumindest kaum recht ernst gemeint sein kann; denn Hektor wird von seinem derart qualifizierten Bruder kaum große Kampfesleistungen erwarten. Dessenungeachtet macht er deutlich, daß auch er ihn als große Gefahr betrachtet, wenn er davon spricht (48ff.), die Entführung der Helena sei dem Vater, der Stadt und dem ganzen Volk zu großem Leid geschehen. Dennoch klingt aus Hektars Worten ein gewisses Verständnis, das sich in Paris' Entgegnung widerspiegelt (59ff.). Nach Gebühr und nicht über Gebühr habe der Bruder ihn gescholten. Habe dieser einen furchtlosen Sinn in der Brust, so solle er ihm, Paris, nicht seine erotische Begabung vorwerfen, die schließlich auch eine Göttergabe sei. Doch kann er die väterlich-brüderliche Mahnung akzeptieren und sich zum Zweikampf mit Menelaos stellen, was wiederum die Freude Hektars hervorruft (76). Als Paris am Ende des VI. Gesanges Hektor in die Schlacht folgt, hebt Hektor nicht nur dessen Wehrhaftigkeit hervor, die er allerdings absichtlich vernachlässige,3 sondern er fügt sogar noch hinzu, daß es ihn kränke, wenn er über ihn die Schmähungen von den Troern höre, die viele Mühsal um seinetwillen hätten (VI 524-526). Und noch an einer weiteren Stelle klingt die Ambivalenz des Verhältnisses der beiden Brüder heraus. In einer kritischen Kampfsituation tritt Hektor (ΧΙΠ 768ff.) mit den gleichen Schmähworten wie im dritten Gesang (»Unglücks-Paris! an Aussehen Bester! Du weibertoller Verführer!«) an Paris heran und fragt ihn, wo seine Mitkämpfer geblieben seien: »Jetzt geht vom Gipfel herab zugrunde / Die ganze Dios, die steile: jetzt ist dir gewiß ein jähes Verderben!« (ΧΠΙ 772f.).4
1 Vgl. Latacz, Kampfparänese 246. 2 Siehe dazu Bernsdorff 29ff. 3 Siehe oben Kap. III. 4 Dies eine Steigerung zu VI 331: »Doch auf! daß nicht bald die Stadt verbrannt wird von feindlichem Feuer!«
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Explizit wird also hier der Untergang Troias mit Paris verknüpft, und doch gelingt es diesem in seiner Antwort erneut, Hektar zu überzeugen. Denn geschickt verkürzt er die von Hektar angesprochene Schuldfrage auf den Vorwurf angeblich mangelnder Kampfkraft, die er dann auch in Maßen eingesteht (775f.: »Hektar! Da dir der Mut danach ist, einen Schuldlosen zu beschuldigen: / Sonst einmal mag ich wohl eher zurückgewichen sein vom Kampf«), um im gleichen Atemzug herauszustellen, daß auch er einen gebührenden Beitrag zum Kampf geleistet habe (778ff.). Mit seinen Worten, so heißt es (788f.), stimmte er den Sinn des Bruders um, und »sie schritten hin und gingen dorthin, wo am stärksten die Schlacht und das Gewühl war«. Der jüngere Bruder akzeptiert die Autorität des älteren, der seinerseits und trotz des Wissens um die Bedrohung, die von jenem auch für ihn ausgeht, so daß er ihm gelegentlich (VI 280ff.) durchaus den Tod wünscht, 5 mit einer gewissen väterlichen Nachsicht seine Schwächen toleriert. Hektar repräsentiert so gegenüber Paris ein Vatersein in seiner ganzen Spannweite, von der liebevollen Nachsicht bis zum Beharren auf der gegebenen Ordnung. Jedenfalls braucht der >verkommene Sohn< einen >VaterDer ist viel besser als der Vater! der Beste zu sein< über die Maßen wie Achill,12 und er macht sich nicht der mehr oder weniger latenten Insubordination schuldig wie Paris. Er erfüllt seine Pflicht in einem Verteidigungskrieg, und die menschliche Not, die daraus entspringt, wird durchaus deutlich (siehe gleich unten Abschnitt 3). Dem Sohn aber muß er dieses Denken
12 Hektars Scheitern beruht eher auf einer Fehleinschätzung seiner Kräfte, einem übergroßen Selbstvertrauen, das besonderen Ausdruck dann findet, wenn er die von Patroklos geraubte Rüstung des Achilleus, des »besten Mannes« (XVII 201ff.), anzieht.
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weitergeben. »Werde wie auch ich«, das heißt zugleich: unterwirf dich dem väterlichen Willen - weil das nicht immer so geht, werden folglich (siehe unten, Kap. VII) >die meisten Söhne schlechter als ihre Väterblutige Rüstzeugs Die mütterliche Zustimmung wird dabei vorausgesetzt Astyanax gelingt für einen Augenblick, was Andromache nicht erreicht hatte.13 Hektar zeigt Gefühle (471ff.), er lacht, küßt seinen Sohn, schwingt ihn in den Armen, er streichelt seine Frau mit der Hand. Symbolhaft ist das umrahmt durch das Absetzen und anschließende Wiederaufsetzen des Helms. Vor diesem Sohn braucht der Vater noch keine Angst zu haben, denn er muß erst noch fähig werden, auch Vater zu sein, und das heißt, über andere zu herrschen und sie notfalls zu töten. Dann garantiert der Sohn in der Weiterführung des väterlichen Stammes und Namens14 auch die Weiterführung der Herrschaft der Väter. »Du geh ins Haus«, sagt Hektar zu seiner Frau am Schluß, »und besorge deine eigenen Werke: / Webstuhl und Spindel, und befiehl den Dienerinnen, / An ihr Werk zu gehen. Der Krieg ist Sache der Männer, / Aller, und zumeist die meine, die wir angestammt sind in / Ilios« (VI 490-493). Es ist nur eine logische Fortsetzung der Geschichte in der Kleinen Ilias, wenn Astyanax bei der Eroberung Troias von Neoptolemos, Achills Sohn, dem konkurrierenden Bruder gewissermaßen auf gegnerischer Seite, vom Turm gestürzt wird. 15
13 Siehe Schadewaldt. 14 Prospektiv haben Troer ihn, den Hektor Skamandrios nannte (vgl. Kirk 212f. zur Stelle), ihrerseits nach dem Vater benannt: »Den nannte Hektor Skamandrios, aber die anderen / Astyanax, denn allein beschirmte Ilios Hektor« (VI 402f.). Vgl. auch Sarah P. Morris 239f. 15 fr. 1 3 BETHE (fr. X I X + lliupersis fr. II ALLEN = fr. 2 1 BERNABÉ = 2 0 DAVIES). Andromache macht allerdings deutlich, daß Astyanax auch bei einem Überleben nach dem Tod des Vaters kaum ein erfreuliches Schicksal gehabt hätte (XXII 484ff., bes. 496498: »Auch stößt ihn ein Sohn noch blühender Eltern fort vom Mahle, / Schlägt ihn mit den Händen und fährt ihn an mit Schmähungen: / >Weg da, du! dein Vater ist hier bei uns nicht Tischgenosse! adligen< Herrschaftsanspruch zu stützen. Die väterliche Autorität des Zeus wird entsprechend unterstrichen, durch Aussehen und Auftreten:
1 H. Strasburger, Zum antiken Gesellschaftsideal 21 [25]. 2 Burkert, Griechische Religion 204. Siehe auch Mauritsch 89ff. 3 Siehe hierzu Calhoun, Zeus the Father in Homer 4ff. und Yamagata 5: »Another interesting case is that of Zeus where anax and >father< alternate«. 4 Siehe Schwabl § 2. 5 Vgl. H. J. Rose 46f.; G. Strasburger 22f.
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Telemachs Reise »Sprach es, und mit den schwarzen Brauen nickte Kronion, / Und die ambrosischen Haare des Herrn wallten nach vorn / Von dem unsterblichen Haupt, und erbeben ließ er den großen Olympos« (1528-530).
Er zürnt und straft selbst die Götter, die sich ihm widersetzen (XV 14ff.), wobei gerade im Hinblick auf eine allgemein politische Grundhaltung wichtig zu sehen ist, daß jedenfalls bei Homer noch keine Vorstellung einer völlig abstrakten Allmacht des höchsten Gottes im Hintergrund steht.6 Vielmehr mußte und muß sich dieser höchste Gott seiner Machtstellung gegenüber den anderen Göttern immer wieder vergewissern - ähnlich wie dies auch der >Oberbasileus< gegenüber den anderen basilêes tun muß.7 Ein Kraftakt, der etwa in Zeus' Aufforderung seinen Niederschlag findet, die Götter sollten doch ein goldenes Seil vom Himmel herabhängen lassen und alle daran anpackend versuchen, ihn vom Himmel auf den Boden niederzuziehen. Er, Zeus, werde sie dann mitsamt der Erde und mitsamt dem Meer hinaufziehen und das Seil um die Spitze des Olympos binden (VIH 18ff.). Aus Zeus' - insgesamt gesehen jedenfalls autoritär ausgeübter Macht ergibt sich natürlich auch seine Schutzfunktion. Zeus wacht über den Eid, schützt Haus, Herd, Gastfreunde und Schutzflehende, was sich in entsprechenden Epitheta ausdrückt (herkeios, xeittios, hiketêsios). Und er ist vor allem auch >Anlaufstation< für alle möglichen Anliegen und Wünsche von Menschen und Göttern, wie er denn gelegentlich als >Retter< (sotêr) oder >Helfer< (iamuntôr) apostrophiert werden kann.8 Nun mag es zweifellos unbedingte Intention des Mas-Dichters sein, auch im Spiegel der Götterwelt eine neue Ordnung zu etablieren oder jedenfalls auf sie hinzuweisen, in der durch Anerkennung der >väterlichen< Autorität - denn Zeus »ist gleich dem Oberbasileus nach dem Bild des Vaters geformt« - »die internen Streit bedingende Vielherrschaft (polu-
6 Siehe W. Kulimann, Ein vorhomerisches Motiv im Diasproömium 30f. [188f.]. 7 Siehe dazu Ulf 263ff. 8 Aus menschlicher Perspektive überwiegt gewiß die autoritäre Gewalt, die in ihrer Willkür die Bedingung menschlichen Seins erklärt, gelegentlich Schutz bietet, aber kaum Geborgenheit oder gar etwas, was als >väterliche Liebe< zu bezeichnen wäre. Es fehlt jedenfalls die >GegenliebeNicht, du Bald-so-und-bald-anders!, sitze hier bei mir und winsele! / Der Verhaßteste bist du mir von den Göttern, die den Olympos haben, / Denn immer ist Streit dir lieb und Kriege und Kämpfe. / In dir ist der Mutter Ungestüm, das unbändige, nicht bezähmbare, / Der Here, die ich auch kaum mit Worten bezwinge. / Darum meine ich, du leidest dies durch ihre Anstiftungen. / Aber wahrlich! nicht länger dulde ich, daß du Schmerzen hast! / Von mir bist du der Geburt nach, und mir hat dich die Mutter geboren! / Doch wärst du gezeugt von einem andern Gott, so abscheulich, / Längst schon säßest du tiefer als die Uranionen! < / So sprach er, und dem Paiëon befahl er, ihn zu heilen« (V 888-899).
9
Die Zitate aus Ulf 266.
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Man hat gemeint, daß die schon immer bemerkte offenkundige Abneigung, die in den homerischen Epen Ares gegenüber zu spüren ist, »die Abneigung der Griechen gegen die sinnlose Kriegsfurie barbarisch-roher Fremdvölker« spiegele.11 Jedenfalls ist Ares für den ffies-Dichter gewiß ein negatives Beispiel mangelnder Anerkennung übergeordneter, väterlicher Autorität und daraus erwachsender, zuletzt blutiger Kämpfe, und es ist natürlich in diesem Sinne kein Zufall, daß im ersten Gesang Agamemnon von Achill sagt, daß er ihm der Verhaßteste unter den zeusgenährten basilêes sei, denn immer seien ihm »Streit lieb und Kriege und Kämpfe« (I 176f.). Ich denke aber weiterhin, daß Homer mit dem Stichwort >Uranionen< gewissermaßen ein Koordinatensystem angibt, innerhalb dessen Zeus' Verhältnis zu dem Sohn Ares zu beurteilen ist Eben innerhalb jener von Vaterentmannung und Vatersturz bestimmten Sukzession, der auch Zeus seine Stellung verdankt und durch die er sie immer wieder nach Auskunft verschiedener mythischer Erzählungen bedroht sieht Das heißt nicht, daß Ares tatsächlich die Absicht hätte, Zeus zu stürzen, oder daß Zeus dies aktuell befürchtete. Dies ist natürlich nicht intendiert; es geht dem Dichter hier allenfalls um die Offenlegung der Konfliktlinie. Eine Erklärung für Zeus' Verhalten gegenüber dem Sohn ergibt sich wohl gerade im Blick auf die Tochter Athene, der Ares in ständiger Auseinandersetzung unterliegt (vgl. besonders XXI 424ff.). In ihren kriegerischen Fähigkeiten unterscheidet sich Athene, die »Schlachten schürende, Heeren gebietende, niemals bezwungne / Herrin; die erfreuen Lärm und Kriege und Schlachten«12, nicht von Ares.13 In der Schildbeschreibung treten Athene und Ares geradezu als kriegerisches Paar auf: »[...] und ihnen voran schritt Ares und Pallas Athene, / Beide von Gold und mit goldenen Kleidern angetan, / Schön und groß, in Waffen, wie eben Götter, / Allseits klar erkennbar [...]« (XVIII516-519).
10 Vgl. zu dieser Szene Schäfer 95. 11 Fauth 527. 12 Hesiod, Theogonie 924-926 (Übers.: Luise und Klaus Hallof, Berlin und Weimar 1994).
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Doch Athene ist das Lieblingskind des Zeus, zu ihr will er in typisch paternalem Ausdruck »freundlich« oder »gütig« (êpios) sein. Denn Athene, aus Zeus' Haupt entsprungen, weil dieser, aus Angst, einen übermächtigen Sohn zu bekommen, die von ihm geschwängerte Metis verschlungen hatte,14 ist keine Bedrohung für den Vater. Mag sein, daß sich in der seltsamen Geburt auch ein Verschmelzungs- oder Adaptionsprozeß ausdrückt, ein Akt der >Religionspolitik< also, indem sich die Hauptgottheit der einwandernden Stämme mit der mächtigen und allgemein anerkannten minoisch-mykenischen Göttin vergleichen konnte.15 Dann ist die Kopfgeburt auch ein Beleg für den Wandel von einer ursprünglichen Muttergottheit oder (für den Ertrag und Schutz der Olivenbäume zuständigen)16 Erdgottheit in eine männliche Matrone, für die Eingliederung oder im wahrsten Sinne des Wortes >Einverleibung< ins patriarchalische System.17 Athene in ihrer überlegenen und von Vernunft geleiteten Art repräsentiert die männliche Art der Gewaltausübung im Gegensatz zu Ares, dem das mütterliche Ungestüm18 eine dem männlichen Prinzip bedrohliche, emotional-unkontrollierte Form der Gewalt eingegeben hat 19
13 Sie ist für die Griechen sogar noch »weit wichtiger und lebendiger [...] als der plumpe Kriegsgott Ares« (Burkert, Weibliche und männliche Gottheiten, 169). 14 Hesiod, Theogonie 886ff. 15 H.J.Rose 47. 16 Siehe Simon 180f. 17 Vgl. Jürß 99. 18 Söhne mit starker Mutterbindung neigen weniger zur Identifikation mit dem Vater. Eine solche Bindung ist daher für das Patriarchat »ärgerlich« (Pilgrim 36). Zur Rebellion von Müttern und Söhnen gegen ihre Väter und entsprechende väterliche Gewaltanwendung siehe Olson 164ff. Inwieweit ein solches aus Mythos und Literatur kenntliches Verhaltensmuster tatsächlich die »psychological structure of the real Greek family in the 8th to 4th centuries B. C. E.« reflektiert (Olson 175), ist natürlich schwierig zu sagen. Den Vätern wird jedenfalls eine Warnung vorgehalten (und implizit auch den Söhnen und Müttern): Größte Gefahr droht, wenn sich die Söhne, verführt oder verlockt durch weibliche Unvernunft, Sexualität, nicht dem väterlichen Willen unterwerfen. So künden es die hesiodeischen Sukzessionsmythen (vgl. bes. Theogonie 154ff.), so sagt es Kreon zu Haimon (Antigone 648-51): »Laß jetzt nicht den Gehorsam fahren, lieber Junge, / aus Gier nach einem Weib, nein, bleibe dir bewußt: / Die innige Umarmung wird bald frostig werden, / hast du ein schlechtes Eheweib im Haus«. Und so kann Demeas in Menanders Samia nur glauben (325ff.), daß sein Sohn Moschion sich, von einer Frau (Chrysis) verführt, gegen ihn vergangen hat. 19 Wie diese Art der Interpretation des Mythos einer männlichen Sehensweise jedenfalls naheliegt, können die Worte Walter F. Ottos (111), mit denen er Athene charakterisiert, zeigen: »Was Athene dem Manne zeigt und wozu sie ihn inspiriert, ist wohl
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2. Blutige Tränen Göttliche Söhne göttlicher Väter bilden ein ständiges Konfliktpotential, wie das an Ares symbolhaft scheint, der zwar schon für mykenische Zeit als Gott der Schlachten erwiesen werden kann,20 aber bei Homer in jedem Falle auch der personifizierte Kampf und Streit ist. Sterbliche Söhne von Göttern dürfen geliebt werden, denn sie stellen keine Gefahr dar.21 Auf Herakles' Klagen hin, sagt Athene (VIH 364f.), da schickte sie Zeus vom Himmel herab, um ihm bei den Aufgaben des Eurystheus beizustehen. Der Gott Hypnos will Here nicht bei ihrem Versuch, Zeus zu überlisten, helfen. Er erinnert sie (XIV 249ff.) an dessen Zorn um Herakles, als sie den Zeussohn einmal in einer vergleichbaren Situation in Gefahr gebracht hatte (vgl. XV 24f.). Und als der Sohn des Zeus und der Laodameia, der Lykierkönig und troische Verbündete Sarpedon, im Begriff ist, mit Patroklos im Zweikampf aneinander zu geraten, wendet sich Zeus bei diesem Anblick jammernd an Here: »>0 mir, ich! daß mir Sarpedon, der liebste der Männer, / Bestimmt ist, unter Patroklos, dem Menoitios-Sohn, bezwungen zu werden! / Und das Herz strebt mir zwiefach, der ich das bedenke im Sinn: / Ob ich ihn lebend aus der Schlacht, der tränenreichen, / Emporraffe und niedersetze in Lykiens fettem Gau, / Oder ihn schon unter den Händen des Menoitios-Sohns bezwingen / Darauf erwiderte ihm die Kuhäugige, die Herrin Here: / >Schrecklichster Kronos-
Kühnheit, Siegerwillen und Tapferkeit. Aber all dieses ist nichts ohne die Besonnenheit und erleuchtende Klarheit. Sie sind es erst, denen die echte Tat entspringt. Athene ist der Glanz des klaren, kraftvollen Augenblicks, dem das Vollbringen zufliegen muß [...]. Ihr ist alles Träumerische fremd, alles Sehnsüchtige und Schmachtende. Sie ist Jungfrau und trägt in Athen diesen Namen (Parthenos). Aber sie ist es nicht so wie Artemis, die mädchenhaft herbe, scheue und schroff abweisende. Es gehört zu ihrem Wesen, daß sie sich mit Männern verbindet, immer ihrer gedenkt, immer ihnen nahe ist. Ihre Zuneigung und Verbundenheit ist von der Art der Freundschaft, die der Mann zum Manne empfindet. Sie ist Frau, und ist es doch so, als wäre sie Mann«. 20 Siehe Simon 255ff. 21 Überheben sich die Menschen gegenüber den Göttern, müssen sie schnell damit rechnen, bestraft zu werden. Vgl. Lloyd-Jones 3ff.
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Sohn! was für ein Wort hast du gesprochen! / Einen Mann, der sterblich ist und von jeher dem Schicksal verfallen, / Willst du wieder aus dem schlimmtosenden Tod erretten? / Tu es! doch wir anderen Götter billigen es dir nicht alle! / Doch etwas anderes sage ich dir, du aber lege es dir in deinen Sinn: / Wenn du lebend den Sarpedon in sein Haus geleitest, / Bedenke, ob nicht dann auch ein anderer der Götter gewillt ist, / Seinen eigenen Sohn aus der starken Schlacht zu geleiten. / Denn viele, die um die große Stadt des Priamos kämpfen, / Sind Söhne von Unsterblichen: denen wirst du schrecklichen Groll erregen. / Nein, wenn er dir lieb ist und dich jammert in deinem Herzen, / Wahrhaftig! so laß ihn zwar in der starken Schlacht / Unter des Patroklos Händen, des Menoitios-Sohns, bezwungen werden. / Aber sobald ihn dann Seele verlassen hat und Lebensdauer, / So geleite ihn, daß der Tod und der süße Schlaf ihn tragen, / Bis sie zu des breiten Lykiens Gau gelangen. / Dort werden ihn bestatten die Brüder und Anverwandten / Mit Hügel und Grabstein, denn das ist die Ehre der Gestorbenen. < / So sprach sie, und nicht ungehorsam war der Vater der Männer und der Götter. / Doch blutige Tropfen schüttete er hinab zur Erde, / Seinen Sohn zu ehren, den ihm Patroklos vernichten sollte / In der starkscholligen Troia, fern dem väterlichen Lande« (XVI 433461). Freilich steht im Hintergrund dieser Szene auch der Gesamtplan des Geschehens, der nicht aus den Fugen geraten darf: »Denn indem die Götter und die Menschen in eine Beziehung des Handelns zueinander treten, bleibt auch das Leben der Götter nicht mehr bloßes >SpielVater der Menschen und Götter< fügen sollte. Natürlich hängen auch die anderen Götter an ihren Söhnen. Als Ares vom Tod seines Sohnes Askalaphos erfährt, ist er nur mit Mühe davon abzuhalten, ihn zu rächen (XV llOff.). Schon mancher Bessere, so bedeutet ihm Athene (139ff.), wurde erschlagen und wird künftig noch erschlagen werden: »Schwer ist es, / Von sämtlichen Menschen Geschlecht und Nachkommenschaft zu retten«. Das System der Väter fordert den Kampf der Söhne, zuweilen den Krieg, gelegentlich deren Tod. Als Zeichen dafür steht der Grabstein, die »Ehre der Gestorbenen« oder, wie es vielleicht kaum hundert Jahre später Tyrtaios von Sparta in einem Appell über den wahren Mann und Kämpfer für seine Polis geschrieben hat 23 »Und mußt7 er selbst, gefall'n im ersten Glied, sein Leben lassen, / der Stadt, dem Heer, dem Vater auch, zu schönstem Ruhm, / an vielen Stellen durch die Brust, den BuckelSchutzschild / und durch den Harnisch - doch von vorn\ durchbohrt - / dann klagen über den die Jungen wie die Alten, / in herbem Schmerze trauert tief die ganze Stadt, / sein Grab bleibt bei den Menschen so bekannt wie seine Kinder / und seine Kindeskinder und der ganze künffge
22 Reucher 320f. Vgl. auch Lloyd-Jones 5: »Moira, one's »portion«, is in the last resort identical with the will of Zeus; when Hera reminds him that he cannot save his son Sarpedon she is only warning him that he cannot sacrifice to a sudden whim his own settled policy«. 23 Übers.: Joachim Latacz, in: Die griechische Literatur in Text und Darstellung, hg. v. Herwig Görgemanns, Bd.I, Archaische Periode, hg. von Joachim Latacz, Stuttgart 1991, 175. Die Beurteilung der Kampfparänesen des Tyrtaios schwankt erheblich. Es handelt sich aber kaum um eine Glorifizierung des Kriegstodes an sich, sondern, wie Welwei (51f.) kürzlich noch einmal hervorgehoben hat, um einen Appell an die Opferbereitschaft für die bedrohte Gemeinschaft, mit dem Ziel also, zu siegen und nicht zu sterben. Die Verklärung freilich des Todes als andere Form der väterlichen Überdauerung (»sein Grab bleibt [...] so bekannt wie seine Kinder und seine Kindeskinder und der ganze künft'ge Stamm«) ist augenscheinlich.
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Stamm; / und weder geht sein Ruf je unter noch sein Name, / nein! dem - wiewohl unter der Erde - winkt Unsterblichkeit, / wenn ihn, als er sein Bestes gab im Ausharrn und im Kämpfen / um Land und Kinder, Ares stürmisch hat hinweggerafft« (fr. 12 WEST, 23-34). Über ein solches System, bei dem man erst tot sein muß, um unsterblich zu werden, mag selbst einmal ein Gott blutige Tränen weinen,24 er kann ihm dennoch nicht >ungehorsam< sein. Dabei wird der Krieg, wie schon betont, gerade in der Ilias keinesfalls als etwas an sich Positives herausgehoben,25 wobei möglicherweise bereits volkstümliche oder sagenhafte Erzählung Geschichten von >Kriegsdienstverweigerern< bereitstellte. So kennt eine Version der Vorgeschichte nämlich den Versuch der Mutter Thetis, Achill überhaupt von der Teilnahme am Zug gegen Troia abzuhalten; er hielt sich auf der Insel Skyros, als Mädchen gekleidet, versteckt, Odysseus aber stellte ihn bloß.26 Ebenso suchte auch Odysseus der Teilnahme zu entgehen, indem er vorgab, wahnsinnig zu sein, ein Pferd oder einen Esel und einen Ochsen vor einen Pflug spannte. Palamedes legte daraufhin dem Pflügenden das Kind Telemach in den Weg, und Odysseus mußte dann zugeben, daß er doch klar genug war, die Situation
24 »Even the king of the gods must share the lot of the bereaved fathers whose grief is a leitmotif in the poem« (Janko 375 zu 431-61). 25 Die Prominenz des Krieges in der griechischen Literatur (und notabene in der Geschichtsschreibung) hat moderne Autoren möglicherweise gelegentlich zu einer Überbewertung der Bedeutung des Krieges in der griechischen Gesellschaft und vor allem zu einer Fehleinschätzung seiner Bewertung geführt. Siehe dazu den Beitrag von Connor sowie Meier 555ff. Es ist aber sicher nicht von ungefähr, daß gerade Piaton (Staat 3, 388cd) Zeus' Trauer über Sarpedons Schicksal in der llias tadelt: »Denn wenn unsere jungen Leute, mein lieber Adeimantos, dergleichen im Ernst anhören, ohne darüber als über etwas Unwürdiges zu lachen, dann wird schwerlich einer, der doch nur ein Mensch ist, solche Dinge als seiner unwürdig erachten und sich Vorwürfe machen, wenn es etwa auch ihn ankommt, so etwas zu tun oder zu sagen. Nein, er wird sich nicht schämen und wird ohne Zurückhaltung selbst bei kleinen Leiden ein großes Jammern und Wehklagen ertönen lassen« (Übersetzung: Piaton. Der Staat, eingeleitet von Olof Gigon, übertragen von Rudolf Rufener, Zürich und München 1974). 26 Zum Beispiel Apollodor III 174. Siehe W. Kullmann, Die Quellen der Dias 191, Anm. 3, der vermutet, »daß das Motiv des Versuchs, sich dem Kriegsdienst zu entziehen, sekundär von Odysseus, auf den es viel besser paßt, auf Achill übertragen wurde«.
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zu erkennen. 27 Auf solche eher abenteuerlichen und vielleicht dem heroischen Rahmen weniger einfügbaren Geschichten verzichtet Homer, transponiert sie vielmehr auf eine andere Ebene. Achills negative Haltung gegenüber einer Teilnahme am Kriegszug spiegelt sich vielleicht auch in seinen Worten an Agamemnon wider (I 149ff.), daß er keineswegs der Troer wegen mitgezogen sei, die ihm persönlich nichts angetan hätten, sondern nur um Agamemnons und Menelaos' Ehre willen. 28 Und auch der große Gegner Achills auf troischer Seite, Hektar, zieht, wie wir schon sahen, 29 in die Schlacht keineswegs aus reiner Kriegsbegeisterung, die es eben ohnehin nirgends in der Ilias gibt, sondern auch er der Verpflichtung folgend, die ihm das Gesetz der Ehre und der Väter aufgibt. Sich im Kampf zu schonen, so antwortet er im VI. Gesang auf die Einwände seiner Frau Andromache, verhindere schon sein Mut, »[...] da ich lernte, immer ein Edler / Zu sein und unter den vordersten Troern zu kämpfen, / Zu wahren des Vaters großen Ruhm und meinen eigenen« (VI 444-446). 3 0
27 Kyprien S. 103 Allen / S. 40 Bernabé; Hygin fab. 95. 28 Doch ist Achill deswegen nicht unbedingt »Gefolgsmann auf der Basis purer Freiwilligkeit« (so Latacz, Homer 124); er ist zwar aufgrund seines Alters nicht durch die tyndarischen Eide (Ilias II 339ff.) gebunden, die die Präsenz der meisten achaischen Helden vor Troia bedingen (woraus sich auch Achills große Selbstherrlichkeit gegenüber Agamemnon erst richtig verstehen läßt; siehe W. Kullmann, Die Quellen der Dias, 153, Anm. 1). Aber Achills Worte in I 149ff. besagen nicht, daß sein Kampf um Menelaos' und Agamemnons Ehre und damit seine Präsenz vor Troia nicht weiteren Verpflichtungen folgte (so aus der Anwesenheit des Patroklos als Freier der Helena; siehe W. Kullmann ebd. 152f.; vgl. auch Kirk 68 zu I 154-6). Sicher recht hat Latacz, Achilleus 63, wenn er darauf hinweist, daß die Lykaonszene (XXI 99ff.) nicht als Beleg für die unmenschliche Grausamkeit Achills interpretiert werden kann. Sie ist eher ein desillusionierender Beleg für das unmenschliche Gesetz des Krieges. 29 Oben, Kap. IV. 30 Dem widerspricht nicht, daß Hektor mit diesen Worten »auf dem Boden der >PolisethikHeldenideal< wird natürlich gesteuert vom Kampf um den besten Platz in der paternalen Hierarchie (»Peleus, der Alte, trug seinem Sohn auf, dem Achilleus: / Immer Bester zu sein und überlegen zu sein den anderen« XI 783f.). Freilich wird dieses Ideal in die Polisethik eingebunden.
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Die schlimmste Form des Krieges freilich ist der Bürgerkrieg; denn Krieg ist (aus Vätersicht) nur notwendig dort, wo sich das Patriarchat noch nicht etabliert hat. Bürgerkrieg aber gefährdet die Stützen des eigenen Systems. So formuliert es Nestor an einer Stelle, die vielleicht ein Ausdruck bereits in der Rias vorhandener Polismoral ist 31 »Ohne Geschlecht (aphrêtôr), ohne Gesetz, ohne Herd muß der sein, / Der sich sehnt nach dem Krieg, dem schaudervollen im eigenen Volk!« (IX 63f.). Die Stelle steht aber gerade in einem Kontext32, in dem Nestor im Konflikt zwischen Agamemnon und Diomedes vermitteln will. Aus seiner Sicht zwischen zwei >SöhnenBruderschaft (phratrie) aufs Spiel zu setzen drohen.34 Kehren wir noch einmal zurück zu Zeus, dem >VaterBruder< schon lange andere Bezeichnungen hat (wie adelphos), schwingt sicher noch die verwandtschaftliche Bedeutung des Begriffes phratêr mit. Siehe Andrewes 137 und Ulf 149 mit Anm. 50. 35 Dodds 34.
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gen und an die Stelle von gegenseitiger Gewaltanwendung die gemeinsame Aktion setzen«36. Die göttliche, auf eine gewisse Art institutionalisierte Oberherrschaft des Zeus ist darin ein Spiegel des Verhältnisses des >Oberbasileus< Agamemnon zu den anderen basilêes. Verbunden ist damit der pragmatische Verweis auf den Vorteil einer autoritativ, nicht autoritär begründeten staatlichen Führung anstelle der Vielherrschaft Und das läßt sich auch als Versuch verstehen, das konkurrierende System mehrerer >BrüderVäter< sein wollen, in einem hierarchisch geordneten Vatersystem zu organisieren und damit zu harmonisieren. Die Rias legt auf göttlicher wie auf menschlicher Ebene die negativen Folgen der Spannungen dar. In der Odyssee wird die >Vaterschaft< des Odysseus allein aus der Person des Mannes heraus als unbestritten zugrunde gelegt, wenn sie auch von den jedenfalls negativ gezeichneten Freiern strittig gemacht wird. Dem wird als Bild einer regelrechten Sukzession das, wenn auch nicht bruchlose und konfliktfreie, so doch gleichsam ideale Verhältnis von Vater und Sohn, Odysseus und Telemach, entgegengehalten.
36 Ulf 262. Siehe Poseidons Worte auf Zeus' Gewaltandrohung hin (XV 184ff.). Jeder der drei Brüder, Zeus, Hades und Poseidon, habe seinen Teil erlost, die Erde aber und der Olymp sei noch allen gemeinsam: »So lebe ich auch durchaus nicht nach dem Sinn des Zeus, sondern ruhig, / Und ist er auch ein Starker, soll er bleiben in seinem Dritteil! / Mit Händen aber soll er mich ja nicht in Furcht setzen wie einen Geringen! / Wäre es doch besser für ihn, die Töchter und Söhne zu schelten / Mit gewaltigen Worten: sie, die er selbst erzeugt hat! / Die werden, wenn er sie antreibt, auf ihn hören, wenn auch gezwungen!« (194-199). Poseidons Worte machen Zeus' tatsächliche und anerkannte Vorrangstellung deutlich, auch wenn aus seinen (in sicherer Entfernung zu Iris gesprochenen) Worten deutlich wird, daß er diesen Vorrang des Bruders so ganz nicht wahrhaben will (siehe Schäfer 101).
VI Odysseus und Laertes Und würde ein Mensch, ein Vater zürnen können, dem sein unvermutet zurückkehrender Sohn um den Hals fiele und riefe: »Ich bin wieder da, mein Vater! Zürne nicht, daß ich die Wanderschaft abbreche, die ich nach deinem Willen länger aushalten sollte. Die Welt ist überall einerlei, auf Mühe und Arbeit, Lohn und Freude; aber was soll mir das? mir ist nur wohl, wo du bist, und vor deinem Angesichte vrill ich leiden und genießen.«1 Bevor das zentrale Vater-Sohn-Verhältnis des alten Epos genauer zur Sprache kommt, sei noch die Beziehung zwischen Odysseus und seinem Vater Laertes in den Blick genommen. Die Anagnorisis zwischen Odysseus und seinem alten Vater Laertes im 24. Gesang der Odyssee hat bei den Interpreten vielfach Anstoß erregt Wie kann Odysseus so herzlos sein und auch jetzt, nachdem alles glücklich auseinandergegangen ist, nachdem er sich der Frau wiederzuerkennen gegeben hat und alle anderen Hauptbeteiligten von seiner Rückkunft wissen, nicht von seiner ihm typischen argwöhnischen, manchmal ins Hinterhältige gleitenden, hier aber jedoch wenigstens unnötig verletzenden Art zu lassen? Denn mit dem Vorsatz, den Vater auf die Probe zu stellen, macht sich Odysseus ausdrücklich auf den Weg: »Ihr geht jetzt in das gutgegründete Haus hinein [...]. Ich aber will meinen Vater auf die Probe stellen (patros peirêsomai), ob er mich erkennt und mit den Augen wahrnimmt, oder nicht erkennen kann, weil ich lange Zeit von ihm getrennt war« (24, 214-218).
1
Goethe, Die Leiden des jungen Werther, Zweites Buch.
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Als er ihn dann sieht, mit schäbiger Kleidung, vom Alter zerrieben und kummergeplagt, »trat er unter einen hochgewachsenen Birnbaum, Tränen vergießend, und überlegte alsdann in seinem Sinne und in seinem Mute: ob er seinen Vater küssen und umfangen und ihm alles Einzelne sagen, wie er gekommen und in das väterliche Land gelangt sei, oder ihn zuerst befragen und im einzelnen auf die Probe stellen sollte. Und so schien es ihm, als er sich bedachte, besser zu sein: daß er ihn zuerst mit anstachelnden Worten auf die Probe stellte« (24, 234-240). Der Sohn verstellt sich also vor dem Vater und behauptet, Odysseus einst als Gastfreund in seinem Hause bewirtet zu haben, worauf Laertes unter Tränen Genaueres wissen möchte. Nur kurz noch hält Odysseus dann sein Spiel mit dem Vater durch. Er umarmt den Vater, küßt ihn, gibt sich zu erkennen und berichtet in aller Kürze von dem Freiermord. Doch jetzt verlangt auch der Alte ein deutliches Zeichen, um überzeugt zu sein. Odysseus gibt ihm zwei: Die Narbe, die ihm einst ein Eber beigebracht hatte und die bereits gegenüber der Amme Eurykleia als Erkennungsmal diente, und die genaue Anzahl und Art der Obstbäume, die einst der Vater Laertes dem noch jungen Knaben im Garten geschenkt hatte. Damit ist der Bann endgültig gebrochen. Vater und Sohn schließen sich gegenseitig in die Arme. John J. Winkler hat diese Szene in einen allgemeinen Kontext der >List< (métis), der die in der Odyssee geschilderte Gesellschaft charakterisiert, eingeordnet ein »Vorherrschen von Verheimlichung und Lüge, das die Einheimischen als bedauerliche Notwendigkeit ansehen, aber nichtsdestoweniger eifrig, mit Ausdauer und Geschick praktizieren«.2 Aber es ist kaum nur ein >überflüssiges Spielchenalte Familiengewohnheitbesserem Hause< einen Teil dieser Erziehung (die >Initiationzürnenmännliches< Selbstbewußtsein zeigt sich zunächst der Mutter und dann den Freiern gegenüber. Penelope, die das Lied des Sängers von der Heimfahrt der Achaier nicht ertragen mag, wird vom Sohn in patriarchalischer Manier zurechtgewiesen. Seine Worte bewegen sich dabei schon auf einem gedanklichen Niveau, das dem der Rede des Odysseus im 18. Gesang (115ff.) an den Freier Amphinomos entspricht. In beiden Fällen fordern die Sprecher ernst dazu auf, die guten wie die schlechten Gaben der Götter anzunehmen. Telemach ist jetzt in der Lage - im Gegensatz zur eher naiven Sicht seiner Mutter - die ästhetische Seite des Kunstwerks, »Denn höher preisen die Menschen stets den Gesang, der ihnen als der neueste zu Ohren kommt« (1, 351f.), von der Realität zu trennen. Wenn er dann Penelope mit den Worten - die in diesem Augenblick natürlich nur einen Anspruch darstellen -, daß ihm die Gewalt im Haus gehöre, wieder ins Haus zurückschickt, so faßt sie
15
Schmitt 75.
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das nicht als eine Kränkung auf, sondern nimmt sich »die verständige Rede des Sohnes zu Herzen« (1, 361). Dann folgt der Aufruf an die Freier, die in den schattigen Hallen lärmen und so nach außen hin keineswegs den Eindruck erwecken, als sei Telemach »die Gewalt in dem Haus«. Doch bei diesem ist jetzt kein Anzeichen von der ursprünglichen Bedrückung mehr zu erkennen. Wenn er sie zur Ruhe auffordert, weil es schön sei, »einen solchen Sänger zu hören, wie dieser ist: den Göttern an Stimme vergleichbar « (1, 371), so gibt er erneut sein künstlerisches Verständnis zu erkennen. Im übrigen mag sich in dieser Szene etwas vom Alltag des homerischen Sängers widerspiegeln, der sicher bisweilen unter wenig kunstsinnigen, zechenden und »lärmenden« Herren seinen Gesang vortragen mußte. Telemach offenbart einen Teil seines Vorhabens. Er will jetzt Herr sein im eigenen Hause und droht mit göttlicher Vergeltung, falls die Freier seinem Wunsche nicht folgen sollten. Auch hier macht die Rede zunächst entsprechenden Eindruck. Da sie so unvermutet kommt, meint Antinoos, daß Telemach die Götter selber lehrten, ein großer Redner zu sein. Mag die folgende Befürchtung, Zeus könnte Telemach gar noch zum basileus auf ganz Ithaka machen, ein wenig ironisch klingen, so fängt Telemach auch diese Ironie selbstbewußt auf. Eurymachos versucht daher, zu beschwichtigen und dem Gespräch mit der Frage nach Mentes eine andere Richtung zu geben. Und auch hier weiß Telemach geschickt auszuweichen, zu antworten, ohne seine Karten auf den Tisch zu legen. Das abschließende Bild - Telemach wird von der alten Amme, die ihn einst genährt hatte, in seine Schlafkammer geleitet, er aber bedenkt jetzt die ganze Nacht hindurch den Weg, den ihm Athene gewiesen hat unterstreicht in eindrücklicher Weise die eingetretene Wandlung des jungen unselbständigen Mannes zum Handelnden auf dem Weg zum Erwachsensein. Der zweite Gesang bringt die erste Bewährungsprobe für Telemach, den Auftritt vor der Versammlung. Auch hier wieder zunächst ein äußeres Zeichen, das auf das Kommende hinweist: Telemach setzt sich in der Versammlung auf den Sitz des Vaters (2, 14). In seiner Rede weist er auf seine mißliche Situation, die vor allem in der Abwesenheit des Vaters begründet ist Der abschließende Gestus - er wirft zornig und tränenerfüllt den Rednerstab zu Boden (2, 80f.) - ist zwar einerseits ein Ausdruck noch
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jugendlicher Unbeherrschtheit und Unsicherheit,16 mit der Lage fertigzuwerden, andererseits aber doch auch schon bestimmter rhetorischer Fertigkeit, das Publikum emotional auf die Seite zu ziehen: »und ein Jammer ergriff das ganze Volk. Da waren alle anderen stumm, und keiner gewann es über sich, dem Telemachos mit harten Worten zu entgegnen« (2, 82f.). In Telemachs Antwort dann auf Antinoos' Vorschlag, Penelope fortzuschicken und zu verheiraten, tritt der ersten, noch stark emotional gefärbten Äußerung ein klarer und bestimmter Wille gegenüber (2, 130ff.). Die Mutter, die ihn geboren, werde er niemals gegen ihren Willen wegschicken, mag der Vater nun leben oder tot sein. Doch nicht nur auf sein Pflichtgefühl beruft sich Telemach, sondern auch auf rationales Kalkül.17 Penelopes Vater würde sich wehren und Penelope selbst die Rachegöttinnen anrufen: »So werde ich niemals dieses Wort aussprechen« (2, 137). Im folgenden werden auf knappem Raum die zwei Grundnormen über den Vater bzw. über das Verhältnis von Vätern und Söhnen formuliert, nach denen der Hörer oder Leser offensichtlich das Geschehen beurteilen soll. Mentor, dem Odysseus bei der Abfahrt seine Güter zur Verwaltung anvertraut hatte, charakterisiert dessen Herrschaft über die Ithakesier als mild, freundlich und gerecht, er war eben »so freundlich wie ein Vater« (patêr d' hôs êpios êen, 2, 234) zu seinen Untertanen. Und als nach Auflösung der Versammlung Athene in Gestalt Mentors zu Telemach tritt, macht sie ihm Mut im Vertrauen auf seine Abstammung. Wenn seines Vaters Kraft in ihm stecke, so werde auch er Erfolg haben: »Doch bist du nicht sein Sohn und Penelopeias, dann wirst du, schätze ich, nicht vollbringen, wonach du trachtest! Werden doch wenige Söhne dem Vater ähnlich, die meisten schlechter; wenige besser als der Vater« (2, 274-277).
16 Siehe Eisenberger 48 und Felson-Rubln 78: «[...] Telemakhos experiences a pendular rather than linear approach toward adulthood«. 17 Vgl. Zoepffel 345: Bei einer Verstoßung der verwitweten Mutter durch den mündigen Sohn müßte dieser die Brautgeschenke (hedna) zurückerstatten.
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Das ist eine Überzeugung, die sich immer wieder in der griechischen Literatur findet, eine Art Dekadenzgedanke, der schon in Nestors Weisheit »Wie heute die sterblichen Menschen sind«, in Hesiods Zeitaltermythos oder dann in Piatons Diskussion um die Frage, weshalb die Söhne hervorragender Väter, wie etwa des Themistokles, Aristeides, Perikles, ihren Vätern in Tüchtigkeit bei weitem nachstanden,18 hervortritt. Es ist der Kern des Generationen-Problems, gesehen aus der Sicht der Väter, die allemal besser als die Söhne sind. Wenn einmal das Gegenteil der Fall ist, wird dies ausdrücklich bemerkt. So heißt es von dem Mykener Periphetes in der Was (XV 641ff.), daß er eines weit schlechteren Vaters besserer Sohn gewesen sei: »In allfachen Tüchtigkeiten, so mit den Füßen wie auch zu kämpfen, / Und auch an Verstand war er unter den ersten Männern Mykenes«.19 Aus dieser Perspektive ist Mentors/Athenes Einschätzung durchaus richtig. Denn wenn Telemach tatsächlich Odysseus' Sohn ist, ist seine statistische Chanceguter Vater< (und damit basileus) ist, der Sohn Telemach jedenfalls an diesem Maßstab zu messen wäre, wie die anderen, die Freier (auch sie eine Art von >SöhnenPfeifen im Walde< haben:
18 Hesiod, Werke und Tage 174ff. Piaton, Menon 93A5ff. Aristoteles (Politik III 13. 1283a36) formuliert im Sinne wohl eines adligen Selbstverständnisses, daß aller Wahrscheinlichkeit nach Kinder, deren Eltern höhere Qualitäten besaßen, auch selber höhere Qualitäten besitzen. Ein Reflex der Homerstelle vielleicht bei Euripides, Herakles 325ff. Siehe den Kommentar von S. West (Omero, Odissea I) 267 zu 276-7. 19 Periphetes' Vater war Kopreus, der im Heraklesmythos eine wohl ungute Rolle spielte. Siehe Janko 298 zu XV 638-52: «[...] and even that rarity in the heroic world, a son better than his father«. 20 Freilich meinen hier Mentors Worte noch mehr, als daß unterschiedliche Fähigkeiten der Kinder als selbstverständlich gelten, und jeder einzelne für sich zu beweisen hat, wie er zu beurteilen ist (Ulf 114). Daß Kinder nicht gleich begabt sind, ist ein Gemeinplatz; an der Odysseestelle wird aber gleichsam eine Gesetzmäßigkeit formuliert, daß die meisten Kinder nicht gleich begabt wie ihre Väter seien.
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Immerhin wird er jetzt zu einem Faktor, mit dem die Freier rechnen müssen, wie der kurze Blick auf deren Überlegungen zeigt (2, 325ff.). Bestärkung des Selbst erhält Telemach schließlich von seiner Amme Eurykleia. Zu Beginn der Handlung war er sich nicht einmal seiner Abstammung gewiß. Jetzt aber sagt sie ihm, daß er der einzige und erwünschte Sohn des Odysseus sei (2, 365). Und endete der erste Gesang mit dem bedenklichen Telemach, so schließt dann der zweite mit dem handelnden, der die Gefährten auf dem Schiff antreibt, »und sie hörten auf ihn, wie er sie antrieb« (2,423).
2. Aufbruch und Bestätigung Der dritte und vierte Gesang konfrontieren Telemach mit drei großen Gestalten des Troianischen Krieges und der Rias, Nestor, Menelaos und Helena, und vermitteln ihm auf diese Weise gewissermaßen eine literarische Würdigkeit. Telemachos macht die Erfahrung, daß er auch außerhalb der vertrauten Umgebung äußerlich und in seinem Verhalten als jetzt erwachsener Sohn seines Vaters akzeptiert wird, und die Freier ahnen, daß sie es jetzt mit einem ernstzunehmenden Gegner zu tun haben werden. Als Antinoos den Vorschlag unterbreitet, ihm bei der Rückkunft in Ithaka aufzulauern, sagt er: »Nein! ist wahrhaftig doch ein großes Werk, voll Übermut, mit diesem Weg vollendet worden von dem Telemachos! Wir aber meinten, es werde ihm nicht vollendet werden! Geht mitten aus so Vielen, gegen unseren Willen, auf eigene Hand hinweg, der junge Knabe (neos pais)21! nachdem er
21 In dem Wort pais, womit Telemach sonst nur noch von der Mutter bezeichnet wird, drückt sich die Fehleinschätzung der Freier aus (siehe Ulf 59), die allerdings von Antinoos schon relativiert wird.
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sich ein Schiff ins Meer gezogen und in dem Volk die besten ausgewählt! Fängt an, uns auch für künftig zum Übel auszuschlagen! Allein, da soll ihm Zeus doch selber die Kraft verderben, ehe er zum Maß der Jugendreife (hêbês metron) kommt!« (4, 663ff.). Bei der Ankunft in Pylos braucht Telemach zunächst noch einmal die Ermunterung Athenes, bevor er selbst wagt, auf Nestor zuzugehen.22 Doch bestätigt der ihm dann erneut seine Ähnlichkeit mit dem Vater, vor allem seine jenem vergleichbaren rhetorischen Fähigkeiten (3,124f.). Und erneut erscheint das Orest-Motiv (3, 193ff.) als Aufforderung zum Handeln an Telemach und zugleich wohl als dichterischer Verweis auf das eigene Lied nicht nur von Odysseus, sondern auch von seinem Sohn Telemach, dessen Taten noch unter den Spätgeborenen gepriesen werden mögen. Telemach selber läßt mit dem Hinweis, daß die Götter wohl weder ihm noch seinem Vater Segen zugesponnen hätten, eine weitere gemeinsame Eigenschaft mit dem Vater erkennen (3, 209): »Nun aber heißt es gleichwohl dulden«. Auch im vierten Gesang erfährt Telemach die gewünschte Bestätigung seiner Herkunft, diesmal besonders durch eine Frau, Helena, die sein, Telemachs, Schicksal zugleich in das große Geschehen des Krieges um Troia einbindet: »Denn ich sage, noch niemals habe ich irgend jemand, weder Mann noch Frau, so ähnlich gesehen - ein Staunen faßt mich, ihn anzusehen -, wie dieser da dem Sohn des großherzigen Odysseus gleicht: Telemachos, den jener Mann neugeboren im Haus zurückließ, als ihr Achaier um meinetwillen, der hundsäugigen, vor Troia zogt und den kühnen Krieg erregtet« (4,141ff.).
22 Telemachs Verhalten muß nicht als Schüchternheit im eigentlichen Sinne interpretiert werden, zumal er in der vorhergehenden Versammlung schon relativ selbstbewußt aufgetreten war. Es ist eher auch hier Zeichen dafür, daß Telemach, nunmehr selber Fremder und Gast, sich angemessen zu verhalten weiß. Siehe Eisenberger 64.
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Telemachs Reisegefährte Peisistratos erklärt dann mit Telemachs Bescheidenheit und Respekt vor Menelaos, daß er sich noch nicht zu erkennen gegeben habe (156ff.). Doch erweist Telemach später, als Menelaos ihm die Gastgeschenke nennt, die er ihm nach Ithaka mitgeben will, ein durchaus seinem Vater vergleichbares, berechnendes Geschick; statt der auf seiner Insel wenig sinnvollen Pferde möchte er lieber ein Kleinod mit auf den Weg nehmen (4, óOOff.).23 Über seinen Vater erfährt Telemach aber in Sparta auch, wie er in der Lage war, sich den weiblichen Versuchungen zu entziehen. Die Begegnung mit Helena, die (immer noch) einer Göttin gleicht (4,121f.), ist auch die Begegnung mit einer Frau, deren höchster erotischer Ausstrahlung Telemach gewissermaßen ungeschützt ausgesetzt ist. Es kommt nicht zu einem unmittelbaren Gespräch zwischen beiden, aber Telemach spürt Helenas Wirkung in dem »kummerstillenden«, »vergessenbringenden« Kraut (4, 221), das sie den Gästen in den Wein gibt (siehe auch oben Kap. IV). Odysseus dagegen, so erfährt Telemach von Menelaos (4, 269ff.), hat Helena widerstanden. Als er nämlich mit den weiteren achaischen Anführern im hölzernen Pferd in Troia saß und Helena, »von einem Daimon getrieben«, wie Menelaos meint, die besten der Danaer beim Namen nannte, indem sie die Frauen von allen Argeiern mit der Stimme nachahmte,24 blieb Odysseus unerschütterlich und hinderte die anderen, die schon hinausgehen bzw. den Ruf erwidern wollten.25
23 Zu Beginn seiner Reise, beim Eintreffen in Pylos, meinte Telemach noch von sich selbst, daß er in >klugen Reden unerfahren< sei (3, 23f.); vgl. Garland 172. 24 Hier mag, wie Eisenberger (78) vermutet, der Gedanke an das Sirenenabenteuer im Spiel sein. 25 Diese Geschichte, von Menelaos ganz arglos erzählt, wirft ohne Zweifel einen gewissen Schatten auf Helenas Integrität und steht in vom Dichter beabsichtigtem Widerspruch zu ihrem vorherigen eigenen Rechtfertigungsversuch. Siehe dazu W. Kulimann, Das Bild des Menschen in der Odyssee 286f., der der Meinung ist, daß Helenas >Drogenabhängigkeit< »nach Meinung des Dichters die einzige Möglichkeit zu sein [scheint], nach so vielen Erlebnissen und soviel Schuld weiterleben zu können und die Fülle des Erlebten zu >internalisierenInvestiturübernatürliche Hilfe< - hier in Gestalt von Athene/Mentes - als Ausdruck der »wohlwollenden, schützenden Macht der Vorsehung«28. Die Begegnung mit der (verführerischen) >Göttin< Helena und die Versuchungen der Fremde.29 Schließlich die Rückkehr in die Welt, das Überschreiten der >SchwelleImtiation< des Telemach entwickelt im einzelnen Moreau 96ff. Howard W. Clarke (141, Anm. 18) vergleicht sie mit der Initiation des jungen Odysseus bei der Eberjagd mit den Söhnen des Autolykos (siehe auch oben Kap. VI): »This [die Initiation der Jagd] is paralleled by Telemachus' experience, bloodlessly of course, because his initiatory trial operates on the social surfaces and his participation in bloodshed - Troy and the nostoi - is vicarious, filtered through the accounts of Nestor and Menelaus«. Eckert (51) hebt auf Riten in anderen Kulturen ab, wonach »initiation often begins with a nocturnal theft of the young boys by the older men [...] and the removal of the boys to a secluded place [...]. For Telemachus, this sacred ground is the lower Peloponnese [...]. It is to Pylos and Sparta, far from his home, his mother, and all childhood associations, that Telemachus must go in order to receive the knowledge without which he cannot become a man«. Zoepffel (326ff.) macht schließlich darauf aufmerksam, daß überhaupt »ähnliche Unternehmungen auch von anderen Helden des Epos für den gleichen Zeitpunkt ihrer Entwicklung berichtet werden« (326). Die Reise kann endlich auch als ein kleines Abbild der großen Fahrt des Vaters angesehen werden (siehe Jones 498, Anm. 5). 27 Campbell 62. 28 Campbell 75. 29 »Wohl hielte ich es aus«, sagt Telemach zu Menelaos (4, 595-598), »bei dir auf ein Jahr zu sitzen, und keine Sehnsucht nach dem Haus und nach den Eltern würde mich ergreifen; denn gewaltig ergötze ich mich daran, deinen Reden und Worten zuzuhören«.
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- und in Sorge wegen der Gefahren,30 die doch erneut der göttliche Beistand abwehrt. Die Reise jedenfalls hat Telemach deutlich auf dem Weg zum Erwachsen- und Selbstbewußtwerden weitergebracht - eine gleichsam unerläßliche Voraussetzung auch für die spätere Wiederbegegnung mit dem Vater, wie das schon die Gegner früherer analytischer Versuche, die Telemachie einem späteren Dichter oder Kompilator zuzuschreiben, richtig gesehen haben.31 Wenn Athene ihr Ansinnen, Telemach auf Erkundungsreise nach Sparta zu schicken, damit begründet hatte, daß Telemach »edle Kunde [kleos esthlon] unter den Menschen erhebe« (1, 95), so ist dies in dem doppelten Sinne zu verstehen, daß der Odysseussohn in der Handlung zur Persönlichkeit geformt und dadurch in den Kreis der episch würdigen Gestalten erhoben wurde. Die Reise ist ein Mittel, Identität32 und damit das kleos zu erhalten.33 Das Reifwerden bestätigen dem Telemach seine Gesprächspartner basilêes, wie er ein basileus, oder Väter, wie er ein Vater werden will -, und es zeigt sich in seinem Handeln. Nur die Mutter verdrängt dieses, als sie
30 15,300. 31 Siehe dazu den Beitrag von Krischer, der herausgearbeitet hat, wie das Auftreten Telemachs, speziell seine Reise, die die Kämpfer vor Troia ins Blickfeld führt, auch dafür sorgt, daß Odysseus nicht seine »Identität als Held des Troianischen Krieges« gegenüber seiner Rolle als Abenteurer und Heimkehrer verliert. 32 Die Fähigkeit zur >Zeitvergegenwärtigung< in die Zukunft hinein wie in die Vergangenheit, die den Menschen von seinen tierischen Vorfahren und Verwandten unterscheidet, führt dazu, daß »auch das Geschäft der »Ablösung« von den Eltern für den Menschen niemals mit derselben Radikalität vollziehbar [ist], die im Tierreich die Regel ist [...]. Es gehört zur Entwicklungsaufgabe der menschlichen Adoleszenz, über den Ablösungsprozeß hinweg den Identitätsstrang fortzuknüpfen« (Bischof 558). Telemachs Reise ist so, verhaltensbiologisch gesehen, ein Symbol von Autonomiegewinnung einerseits und Identifikationssuche durch Rückbindung an die lineage andererseits. 33 Seit der Antike hat man sich darüber Gedanken gemacht, in welcher Weise Telemach durch seine Reise nach Pylos und Sparta kleos erwerben könne. Siehe dazu die Beiträge von Calhoun (Télémaque et le plan de l'Odyssée) und G. P. Rose sowie besonders den von Jones, der auf die ursprüngliche Wortbedeutung verweist und im Sinne von >einen Namen bei jemandem anderen erhaltene eine >soziale Identität bekommen< versteht (499): »In the light of the root meaning of kleos [...] we may interpret Athena's words to Telemachus at 1.95 as >so that he may receive among men (now and to come) a true - and noble - account of his identityEntwicklungsromanmentaleMannes< zum selbständig handelnden Erwachsenen, ein Reifeprozeß, der sich aber in der Illusion des Lesers oder Hörers über einen längeren Zeitraum hinstreckt, da in der Erzählung die Odysseus-Handlung dazwischentritt. 54 Das >vollendet schöne Jünglingsund Sohnesbild< gewiß als ein Urmuster auch hierin für die abendländische Dichtung: »die melancholische Qual des Nochnicht, die Angst vor unrühmlicher Tatenlosigkeit, aber auch die Aufgeschlossenheit für das Bedeutende, de[r] Drang zum Handeln und Wirken, eine rasch entflammte Begeisterung, natürlicher Anstand und Ehrfurcht« 55 . Aber am Schluß steht tatsächlich eine selbständig agierende junge Persönlichkeit, und insofern handelt es sich eben nicht nur um die Zustandsbeschreibung eines Pubertierenden. 56 Eine Entwicklung schließlich mit einem Sohn, ei-
53 So hat man das bereits seit der Antike (Porphyrios) und dann immer wieder gesehen; siehe Howard W. Clarke 140, Anm. 16 mit Literatur. 54 Die Odysseehandlung, so die landläufige Meinung, erstreckt sich über 40 Tage hin, wovon Telemach etwa 30 Tage in Sparta verbringe. Olson (91ff.) hat diese, vor allem auf der Arbeit von Delebecque (siehe dort [12] den chronologischen Überblick) beruhende Ansicht gehörig dekonstruiert: »there can be little doubt that Homer's treatment of time is far more complex and nuanced than has generally been recognized: Despite appearances, the Odyssey balances uneasily between simultaneous and consecutive action« (118). Der Hörer wird freilich kaum in der Lage sein und der Leser kaum Interesse daran haben, genau zu berechnen, wer sich wie lange und wo aufhielt. Die Illusion einer doch längeren Abwesenheit Telemachs wird noch dadurch erhöht, daß seine Reise in eine vorgeblich weite Ferne führt (vgl. bes. 2, 364), Hin- und Rückfahrt sich dann aber doch in >märchenhafter< Schnelligkeit (jeweils eine einzige Nacht) vollziehen. Siehe Brinkmann 98f. 55 Lemke 123. 56 Siehe Hölscher, Die Odyssee 54: »Alle Momente der Telemachie, in denen der Charakter Telemachs sich zeigt, stellen die Mündigkeit des Jünglings in ihrem zwischen
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nem Vater und mehreren >ErsatzväternErsatzvater< ist, wie gesehen, Eumaios, der vor allem die fehlende emotionale Beziehung, die väterliche Wärme, ersetzt Ersatzfunktion übernehmen aber auch die Freier. In gewisser Weise lassen sie sich als >Brüder< Telemachs ansehen - das ergibt sich schon aus ihrem Alter - 5 7 , die um die >Vaterstelle< im Hause, auf der Insel wetteifern.58 Denn »will der Mann mit seinem Begehren, Vater zu werden, vorankommen, muß er den Vater stürzen, um von ihm die Vaterschaft übertragen zu bekommen. Und er muß die Brüder, die ihm die Vaterwerdung streitig machen, zerschlagen. Nur über den Tod der Gleichen, der Genossen, der Brüder, ist es möglich, der Einzige, der Ungleiche, der Vater zu werden«59. Ersatzfunktion erfüllen die Freier aber auch als >Väter< - jeder ja ein potentieller Stiefvater des Telemach -, indem sie im eigentlichen den Generationen-Konflikt mit dem Sohn anstelle des Vaters austragen müssen.60 Die Freier bedrängen Telemachs Mutter und vernichten sein
Kindheit und Männlichkeit schwebenden Augenblick dar. Die Telemachie ist nichts anderes als die in epische Situationen umgesetzte Terminbestimmung des Märchens: »Sobald unserem Sohn der Bart gewachsen ist«.« 57 Vgl. bes. 21,94 und siehe Ulf 61. 58 Die Freier sind »perfectly >typical sons< in the traditional nightmare vision of the Greek family: violent young men who reside in the father's house and live off his goods but are ready to form an alliance with his wife during one of his periodic absences in order to overthrow him and seize control of the estate« (Olson 177). 59 Pilgrim 30f. Daß man mit seinen Brüdern >uneins< werden konnte, wird durchaus vorausgesetzt. Siehe 16, 97; 16,115. 60 Siehe Felson-Rubin 79.
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Hab und Gut. So müssen sie bald erfahren, daß zwischen ihnen und dem Sohn ein Kampf um Leben und Tod sein wird: »Sinnt uns im Ernst Telemachos doch auf Mord!« (2, 325). Der Kampf mit den Freiern ist in dieser Perspektive nicht nur Odysseus' persönliche Rache, sondern auch die Abrechnung des Sohnes mit den >VäternVaters< im Haus. Entweder indem Odysseus heimkehrte und seine alte Machtstellung (kratos) wieder zurückholte oder indem Telemach dieses kratos, auf das er zu Beginn der Handlung schon einmal gelegentlich Anspruch erhob, übernahm. »The climax and resolution of the poem in fact depend upon the exact coincidence of these two alternative solutions, for it is precisely at the moment when Odysseus reveals his true identity to the suitors that Telemachus finally attains adulthood, a transition that is symbolised [...] by his ability to match his father's strength in stringing the bow«. 63 Es ist aber in dieser Hinsicht interessant zu sehen, daß in dem die Odysseehandlung gewissermaßen fortsetzendem kyklischen Epos der Telegonie, von dem wir aus Inhaltsangaben und wenigen Zitaten wissen,64 geschildert wird, wie Odysseus, der Ithaka vorübergehend verlassen hatte, bei seiner Rückkehr von Kirkes und seinem - ihm unbekannten - Sohn Telegonos getötet wird. Doch die Odyssee hat einen solchen tragischen Schluß, den sagengeschichtlich verbreiteten tödlichen Kampf zwischen Vater und
61 In ähnlichem Sinne läßt sich auch Telemachs Vorgehen gegen die untreuen Mägde (22, 440ff.) als Repräsentanten eines Teiles seiner Mutter interpretieren. Über den Befehl des Vaters hinaus (siehe oben) hängt er sie auf, statt sie mit dem Schwert zu töten: »Nicht mag ich mit reinem Tode denen den Lebensmut nehmen, welche über mein Haupt und unsere Mutter Schande herabgegossen haben und bei den Freiern die Nacht verbrachten!« (462-64). Telemach, so Felson-Rubin (87), »needs to reintegrate and internalize a non-menacing (detoxified) mother-image before he can freely marry. The palace is cleansed; so too is the image of mother and wife«. 62 Krischer 12. 63 Garland 171. 64 Siehe W. Kullmarm, Tragische Abwandlungen von Odysseethemen 340f. [76f.].
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Sohn,65 nicht. Wie schon betont, mündet dieses Epos bei allem Aufzeigen konkurrierender Bestrebungen der Beziehung von Vater und Sohn in einer reifen Partnerschaft gegenseitiger Anerkennung.66 Auch hierin zeigt sich das oft angesprochene andere Menschenbild der Odyssee gegenüber der Ilias.
Und in dieser Hinsicht läßt sich schließlich auch das Finale im 24. Buch verstehen, die Auseinandersetzung mit den Familien der getöteten Freier. Eupeithes, der Vater des von Odysseus erschlagenen Freiers Antinoos, bezichtigt Odysseus vor der Gemeinde, nicht nur viele Söhne vor Troia in den Tod geführt, sondern auch in seinem Hause umgebracht zu haben. Die Rache ergibt sich aus dem System, das männliche Insuffizienzgefühle (>Schamtraditionelle< Gesellschaften behauptet werden, daß aufgrund geringerer sozialer Kontrolle und infolgedessen größerer Autonomie der einzelne Gewalt üben konnte, wenn er stark und mächtig genug dazu war: »Er konnte seinen Neigungen in vielen Richtungen offen nachgehen, die inzwischen mit gesellschaftlichen Verboten belegt und unauslebbar geworden sind«5. Tatsächlich spricht manches dafür, daß die Veränderungen in Lebensweise und Sozialstruktur gerade dann einsetzten, als »die althergebrachten Formen der sozialen Kontrolle nicht mehr so recht >gegriffen< haben«6. Die Zeit des ausgehenden achten Jahrhunderts war jedenfalls die Phase eines Umbruches, die nach Lösungen im Bereich einander widerstrebender Machtvorstellungen und Machtansprüche verlangte und diese nur auf dem Weg einer zunehmenden gesellschaftlichen Differenzierung, der Zulassung von bestimmten Machtmonopolen, das heißt von »befriedeten Räumen« (Elias), finden konnte. Das stammesgeschichtlich sicher alte Modell der Vater-Sohn-Beziehung mit seinen widerstreitenden Koordinaten des Strebens einerseits, selbst Vater werden zu wollen, und der Forderung andererseits, sich dem Vater einstweilig unterordnen zu müssen, bildete offensichtlich eine geeignete >Diskussionsgrundlage< der auftretenden Fragen. Es wird dabei deutlich, daß in der Odyssee ein gewissermaßen >reformiertes< Modell entworfen und angeboten wird, das, ohne die Problematik völlig auszublenden, zugleich deren positive Lösung fordert. Was das letzte Buch der Odyssee ausspricht, daß nämlich ein Ende der Auseinandersetzung zwischen den Männern von Ithaka, den Söhnen, den Brüdern und den Vätern, sein muß, politisch gesehen, daß die Anerkennung eines - freilich >guten< - basileus als Inhaber eines integrierenden Machtmonopols allen förderlich wäre, dafür steht das nahezu, wenn auch nicht völlig konkurrenzfreie Verhältnis zwischen Vater und Sohn, Odysseus und Telemach. Dafür stehen im kleinen die positiven >VaterSohnVater< als in der Ilias, der auch Poseidons, des Bruders, Zorn gegen Odysseus wegen des geblendeten Sohnes Polyphem nicht zu einer weiteren Bluttat werden läßt. Wenn, wie das immer wieder hervorgehoben wird, die Verhältnisse auf Scheria in gewisser Weise vorbildhaft sind,7 so wohl auch hinsichtlich der Vater-Sohn-Beziehungen. Laodamas, der meistgeliebte Sohn des Alkinoos (7, 171), kann in dieser Sicht Telemach verglichen werden. 8 Auch Laodamas steht in seiner Jugendkraft in Konkurrenz zu Odysseus und fordert ihn, den er als »Vater« anspricht, zum Wettkampf heraus (8, 145ff.). Doch Odysseus, der im Diskuswurf seine Überlegenheit beweist, will sich mit Laodamas nicht messen: »denn der ist mein Wirt: wer wollte mit dem, der ihn freundlich aufnahm, streiten!« (8, 208). Die >Rückkehr des VatersIlias< ist kein Geschichtsbuch, in: Franz Hampl, Geschichte als kritische Wissenschaft, Zweiter Band, Althistorische Kontroversen zu Mythos und Geschichte, hg. v. Ingomar Weiler, Darmstadt 1975, 51-99. HATEBUR, Norbert: Antikes Patriarchat und Frauenfeindlichkeit. Entwurf einer nichtpatriarchalen Kultursoziologie, Münster 1987. HELD, George F.: Phoinix, Agamemnon and Achilleus: Parables and Paradeigmata, Classical Quarterly 37,1987, 245-261. HEUBECK, Alfred: Der Odyssee-Dichter und die Ilias, Erlangen 1954. HIRVONEN, Kaarle: Matriarchal Survivals in Homer, in: Beate Wagner-Hasel (Hg.), Matriarchatstheorien der Altertumswissenschaft, Darmstadt 1992, 149-167 (Wege der Forschung Band 651). HÖLSCHER, UVO: Die Atridensage in der Odyssee, in: Herbert Singer und Benno von Wiese (Hgg.), Festschrift für Richard Alewyn, Köln/Graz 1967,1-16. -: Die Odyssee. Epos zwischen Märchen und Roman, München 1988. HOOKER, James: Homeric φίλος, Glotta 65,1987,44-65. -: Homer, Patroclus, Achilles, Symbolae Osloenses 64,1989, 30-35. HOWIE, J. Gordon: The Iliad as Exemplum, in: 0ivind Andersen/Matthew Dickie (Hgg.), Homer's World. Fiction, Tradition, Reality, Bergen 1995 (Papers from the Norwegian Institute at Athens 3), 141-173.
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Index
Abenteuerfahrt 129 Achill 14-18; 21; 25; 31; 33; 35-38; 42; 44; 46; 49-79; 86; 88; 9197; 102; 107f; 114-117; 148 Adel 49; 57f; 117 Adrestos 40 46 Aeschines Agamemnon 14; 18; 27; 30f; 33; 37; 40-45; 54-62; 65; 70; 74; 81; 99; 102; 108ff; 121; 148 Agathon 74f 31; 44; 48 agathos Aias 14, 42; 52 74 Aigyptos 42f; 50; 76; 79; 96 Aineias 18; 147 Aiolos Aischylos 68; 122 Alkathoos 80 Alkinoos 26; 35; 47; 147 alochos 31; 60 Altersunterschied 36 Amphidamas 37 Amyntor 27; 52; 54-57; 148 Anagnorisis 111; 113; 133 anax 13; 15; 19; 63; 87; 90ff; 99; 148 anax oikoio 19 Anchises 80 Andromache 15; 24f; 85; 87; 90ff; 108 anestios 48 Antenor 15; 82 Anthropologie 16; 23 anthropologisch 11; 20; 32; 34; 71; 112; 145 48; 103 Antigone Antikleia 131 36ff Antilochos Antinoos 123-127; 136f; 143 Antiphonos 74f 75 Antiphos
aphrêtôr 48; 109 69; 77; 80; 97; 101; 138 Aphrodite Apollodor 75; 78f; 82; 107 Arêtê 26 Ares 62; 75; 101-107 Argos 27; 55; 62 Aristeides 125 aristos 22; 58; 61; 99 Aristoteles 32; 45; 100; 125 Askalaphos 106 As ty anax 13; 15; 63; 87; 90ff; 148 Athene 16; 30; 40; 42; 89; 101-106; 116-127; 129-136; 141; 143; 146 Atreus 31; 45; 55; 94 Autolykos 33; 39; 114; 129 Bachofen 21 basileia 26 basileus 19; 23; 74; 100; 115; 123; 125; 130; 144; 146-148 Blutrache 14; 67; 121; 144 Briseïs 31; 59f.; 65 Bruder 14f.; 37; 76; 79-82; 85-90; 92; 97; 109f.; 147 Brüder 34; 37f.; 70; 79; 86- 90; 105; 110; 141; 143f.; 144; 146 Bürgerkrieg 109 Cheiron Christa Wolf Chromios Chryseïs Chryses Chrysis
52; 114 20 75 30; 31 27 103
Dañaos Dares David Deïkoon
74 51 70; 113 15
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Deïphobos 74-79 Deïpylos 69 Dekadenz 125 Demeas 103 Demokoon 75 Deszendenz 19; 49; 74 Diomedes 15; 21; 37; 39; 42£f.; 47; 51; 57; 61; 66; 69; 96; 101; 109; 149 Dios 74f. Dolon 15 Doryklos 75 Echemmon 75 Ehe 12; 19; 25; 29; 31; 45; 53; 66; 70; 74f.; 78; 83; 85; 90; 103; 132; 139 Ehemündigkeit 132 Enkidu 70 Entwicklung 23; 40; 72; 82; 117; 119-122; 129f.; 137; 140; 146 58; 60; 64 Erfolgsprinzip Ersatzvater 63; 133; 141 Eteokles 37 Euchenor 66 Euippe 143 Eumaios 15; 30; 34; 113; 115-118; 131-136; 141; 146 Eumedes 15 Euneos 63 143f. Eupeithes 39; 94 Euphorbos 143; 147 Euryalos Eurykleia 27; 35; 112f.; 126 Eurymachos 123; 147 118 Eurynome 104 Eurystheus 78 Frauenraub Freier 28; 30; 33; 40; 59; 79; 108; 110; 112; 116; 118-123; 125ff.; 130; 133144; 147f. Generationen-Debatte 45 Generationen-Konflikt 13, 41, 43 125 Generationen-Problem Generationen-Verhältnis 41 16; 23f.; 28 Geschlechterrolle 70 Gilgamesch Glaukos 21; 57; 94; 139
Gorgythion
75
Hades 38; 51; 59; 78; 87; 110 Haimon 48; 103 Halitherses 143 hêbê 114; 118; 127; 132 Hekabe 73; 75; 78; 85; 87f.; 93; 95; 131 Hektar 12; 15; 38; 42; 45; 50; 60; 73-82; 85-98; 101; 108; 131; 148 Heldenideal 51; 61; 93; 108; 109 Helena 25; 30f.; 35; 62; 77- 82; 85ff.; 89f.; 96; 108; 117; 126-132 Helenos 74-79; 96 Hephaistos 18; 51; 55; 101 Herakles 104; 125 Here 50; 101; 104f. Hermes 29; 34; 50; 55; 89; 118 Herodot 46 Hesiod 19; 45f.; 51f.; 102f.; 125 hetairoi 33 Hexe 89 Hippodameia 80 Hippolochos 21; 139 Hippothoos 74f. Historizität llf. homerische Gesellschaft 47; 146 homoerotisch 68 Homosexualität 67; 70 Hyperesia 46 Idomeneus Initation Initiation Iphidamas Iphthime Iris Isos
33; 76; 80f. 33 39; 114; 129; 137 47 131 38; 110 75
Jagd Jason Jonathan Jungfrau Junggeselle
13; 23; 33; 114; 129 63; 79 70 104 36
Kalypso Kastration Kebiiones Kirke
28f. 59 75 29; 89; 142
Index Klärte Ilías 83; 92 Kleinkinder 15 Kleopatra 70 kleos 130 Klytaimestra 27; 30; 60; 121 kouridiê 31 kotiroi 36 Kreon 48; 103 Krieg 20f.; 23; 30; 33; 36-39; 52; 58; 61; 63; 66; 69; 71; 80; 85; 92; 9497; lOlff.; 106-109; 120f.; 126ff.; 130; 148 Ktesippos 137 kyklische Epen 20 Kyprien 63; 77; 108 Laertes 27; 33; 111-116; 134; 139f.; 144; 146 Laodamas 147 Laodameia 104 Laothoë 66 lineage 130 Lykaon 21; 75; 93; 108 Lykophron 46 Mägde 59; 138; 142 19 Mannfolge 20; 24 Matriarchat 19 Matronymikon 34 Megapenthes 137f. Melanthios 52; 70 Meleager 53 Meleagros 103 Menander Menelaos 31; 34-37; 40; 77; 80ff.; 86; 94; 108; 117; 126; 128f.; 132; 143 Menschenopfer 72 Mentes 40; 119; 121ff.; 129; 141; 147 Mentor 16; 124f.; 141; 147 Meriones 76 Merops 66 Mestor 75; 78 Mimnermos 51 Mord 14; 37; 64; 136; 142; 144 Moschion 103 mündliche Dichtung 11 Mutterbindung 103 Mutterbrust 95; 96
169 Muttermord Mutterrecht Myrmidonen Mythos
122 21 49; 65f.; 115 20; 24; 29; 69; 103; 109
Nausikaa 28f. Nekyia 24; 115 Neleus 39 neoi 38 Neoptolemos 62-65; 92 nêpios 66; 126; 131 18; 35f.; 38f.; 42f.; Nestor 56; 63ff.; 109; 116ff.; 120; 125ff.; 129; 133; 147 nothos 35 Oberbasileus 74; 100; 110 Ödipus 79 Odysseus 13; 15; 17f.; 23f.; 28-35; 37; 39ff.; 44f.; 52; 59; 61; 63f.; 89; 99; 107; 110-144; 146ff. Ogygia 28 Oikos 19; 34; 47f.; 138 Oineus 42; 52 Opfer 36; 38; 66; 71f.; 92; 106 Orest 35; 40; 59; 121; 127 Orient 20; 74 Othryoneus 80 pais 126; 136 Palamedes 107 Pammon 74f. Pandaros 43; 60 Panthoos 39; 94 Paris 36; 39; 66; 74- 80; 81f.; 85-91; 97 patriarchalisch 18; 20; 22f.; 27; 38f.; 45-48; 61; 80; 87f.; 90; 98f.; 101; 103; 122; 131; 144; 147 Patriarchat 19; 20; 69; 103; 109 Patroklos 31; 33; 36ff.; 52; 58; 62; 64-72; 91; 104; 108; 148 patronym 19; 49 Patronymikon 19 Peisistratos 33; 35f.; 120; 128; 147 Peleus 16; 35; 37; 44; 49; 52ff.; 60; 62ff.; 67; 73; 108; 115 Pelops 55
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Telemachs Reise
Penelope 25f.; 28-32; 79; 96; 113; 117; 121f.; 124; 131; 136f.; 139; 143; 147 Pergasos 15 Periander 46 Perikles 125 Periphetes 125 Perseus 79 Pflug 107 Phaiaken 26; 35; 47; 147 Phainops 51 philein 31 PMoitios 34; 113 PMoktet 83 philopator 21 Phoinix 15f.; 25; 33; 36; 46; 50; 52- 55; 57; 65; 70; 148 Phratrie 118 Phthia 53; 62; 64; 69; 115 Pindar 79 Platon 70; 107; 114; 125 Polis 19; 47f.; 93; 106; 108f.; 114; 144 Polites 74ff. Polydoros 66; 75; 93 Polyïdos 66 Polyneikes 37 Polypheides 46 Porphyrios 140 Poseidon 37f.; 110; 147 Priamiden 79 Priamos 14f.; 18; 20f.; 34; 36; 38; 50f.; 63; 66; 73-82; 85; 87f.; 91; 93; 95f.; 105; 148 Pubertät 33 Pylos 120f.; 127-132 Sarpedon 40; 42; 94; 99; 104-107 Scham 40; 93; 138; 143; 146 Schildbeschreibung 14; 102 Schönheit 77; 80; 86; 97 Sexualität 29f.; 82; 103 Sirenen 29; 128 Skamandrios 92 Sklaven 19
Skyros 62f.; 107 Sohnesopier 93f. 46 Solon 45 Sophistik 49; 143 Sophokles Sparta 70; 93; 106; 120f.; 128-131; 140 Sport 33; 38f. Sthenelos 42f.; 149 Sukzession 47; 102f.; 110 Szepter 55f.; 99 Telegonie 142 Telemach 13; 15; 17f.; 26; 28; 32; 36; 40f.; 63; 79; 89; 96; 107; 110; 114; 117-143; 145f.; 148 Theano 15 Themistokles 125 Theoklymenos 37; 133 Theseus 42 Thetis 37; 50; 52; 61; 107 Thoon 51 Thrasymedes 36 Tlepolemos 42 Troilos 75; 78 Tydeus 21; 42 Tyrtaios 93; 106 unehelich Uranionen Väterkollektiv Vatermord Vaterrolle Vergewaltigung Vernichtungsfluch Wettkampf Xanthos
34f. lOlf. 36; 62 46; 55; 122 32; 55; 87 59 82 38; 137; 144; 147 51
Zeus 18f.; 26; 30; 34-38; 42ff.; 46; 49f.; 55; 56; 66; 79; 88f.; 99-110; 123; 127; 141; 143; 147
Untersuchungen zu Homers Sprache und Werk
Hans Bernsdorff
Zur Rolle des Aussehens im homerischen Menschenbild Hypomnemata, Band 97. 1992. 138 Seiten, kartoniert ISBN 3-525-25196-3
Friedrich Eichhorn
Homers Odysee Ein Führer durch die Dichtung. 1965. 160 Seiten, kartoniert ISBN 3-525-25708-2
Ernst Heitsch
Aphroditehymnus, Aeneas und Homer Sprachliche Untersuchungen zum Homerproblem. Hypomnemata, Band 15. 1965. 148 Seiten, kartoniert ISBN 3-525-25013-4
Konrad Heldmann
Die Niederlage Homers im Dichterwettstreit mit Hesiod
Georg Nicolaus Knauer
Die Aeneis und Homer
Studien zur poetischen Technik Vergils mit Listen der Homerzitate in der Aeneis. Hypomnemata, Band 7. 2. Auflage 1979. 550 Seiten, 5 Falttafeln, kartoniert ISBN 3-525-25102-5
Fritz Krafft
Vergleichende Untersuchungen zu Homer und Hesiod Hypomnemata, Band 6. 1963. 200 Seiten, kartoniert ISBN 3-525-25101-7
Christoph Kurt
Seemänische Fachausdrücke bei Homer unter Berücksichtigung Hesiods und der Lyriker bis Bakchylides. Zeitschrift für Vergleichende Sprachforschung, Ergänzungsheft 28. 1979. XVI, 237 Seiten mit 1 Skizze, kartoniert. ISBN 3-525-26215-9
Hypomnemata, Band 75. 1982. 100 Seiten, kartoniert ISBN 3-525-25173-4
Harald Jankuhn
Die passive Bedeutung medialer Formen untersucht an der Sprache Homers Zeitschrift für Vergleichende Sprachforschung, Ergänzungsheft 21. 1969. 127 Seiten, kartoniert. ISBN 3-525-26207-8
V&R
Vandenhoeck SL Ruprecht
Untersuchungen zu Homers Sprache und Werk
Alan J. Nussbaum
Margarita Sotiriou
Two Studies in Greek and Homerick Linguistics
Pindars Homericus
Hypomnemata, Band 120. 1998. 177 Seiten, kartoniert ISBN 3-525-25217-X
Homer-Rezeption in Pindars Epinikien Hypomnemata, Band 119. 1998. X, 295 Seiten, kartoniert ISBN 3-525-25216-1
Hayden Pelliccia
Agathe Thornton
Hypomnemata, Band 107. 1995. II, 389 Seiten, kartoniert ISBN 3-525-25207-2
Hypomnemata, Band 81. 1984. 182 Seiten, kartoniert ISBN 3-525-25179-3
Karl Reinhardt
Jakob Wackernagel
Mind, Body and Speech in Homer and Pindar
Die llias und ihr Dichter Herausgegeben von Uvo Hölscher. 1961. 540 Seiten mit 3 Abbildungen, Leinen. ISBN 3-525-25716-3
Homer's Iliad: its Composition and the Motif of Supplication
Sprachliche Untersuchungen zu Homer 2., unveränderte Auflage 1970. 264 Seiten, Leinen ISBN 3-525-25724-4
Klaus Rüter
Odysseeinterpretationen Untersuchungen zum ersten Buch und zur Phaiakis. Herausgegeben von Kjeld Matthiessen. Hypomnemata, Band 19. 1969. 264 Seiten, kartoniert ISBN 3-525-25109-2
Alexander Sideras
Aeschylus Homericus Untersuchungen zu den Homerismen der aeschyleischen Sprache. Hypomnemata, Band 31. 1971. 311 Seiten, kartoniert ISBN 3-525-25123-8
V&R
Vandenhoeck Ruprecht