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German Pages 144 [164] Year 1954
S A M M L U N G G Ö S C H E N B A N D 5767576a
TECHNIK DER DEUTSCHEN GESANGSKUNST von P r o f . D. Dr. H A N S J O A C H I M
MOSER
Direktor des Städt. (Sternschen) Konservatoriums Berlin
Mit 5 F i g u r e n s o w i e T a b e l l e n u n d N o t e n b e i s p i e l e n Dritte, durchgesehene u n d verbesserte Auflage
WALTER DE GRUYTER & CO. vormals G. J . Göscben'sche Verlagahandlung • J . Guttentag, Verlagsbuchhandlung • Georg Reimer • Karl J . T r ü b n e r • Veit & Comp.
BERLIN
1954
Alle Rechte, einschl. der Rechte der Herstellung von Photokopien und Mikrofilmen, von der Verlagshandlung vorbehalten
Archiv-Nummer 110 576 Satz una Druck von Mercedes-Druck • Berlin SW 61 Printed in Germany
Inhalt Seite
Einleitung: Wege und Ziele des Gesangunterrichts I. Theoretischer Teil A. Ästhetische Grundlagen B. Psychologische Grundlagen C. Anatomische, physiologische, tische Grundlagen
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akustische und phone-
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IL Praktischer Teil A. Die Elemente der Technik 1. Das Atmen 2. Die Aufgaben des Ansatzrohres 3. Die Betätigung der Stimmlippen
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B. Anwendung der Technik Von der Darstellung des Ausdrucks 1. Dynamik 2. Rhythmik 3. Die Klangfarben
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Anhang: Einiges über Stimmpflege
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Register
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Empfehlenswerte Werke zur Gesangskunst H. H e l m h o l t z , Die Lehre von den Tonempfindungen. C. S t u m p f , Tonpsychologie. H. G u t z m a n n , Die Physiologie der Stimme und Sprache. H. G u t z m a n n , Stimmbildung und Stimmpflege. E. Sie vers, Grundzüge der Phonetik. Tr. H e i n r i c h , Studien über deutsche Gesangsaussprache. Th. Siebs, Deutsche Bühnenaussprache (unter Mitwirkung von K. S c h e i d e m a n t e l ) . M. Garcia, Mémoire sur la voix humaine. J. S t o c k h a u s e n , Gesangsmethode. J. Hey, Deutscher Gesangsunterricht I (Sprachlicher Teil). H. G o l d s c h m i d t , Gesangspädagogik. A. I f f e r t , Gesangsschule. F r i t z Winckel, Klangwelt unter der Lupe. A. T h a u s i n g , Die Sängerstimme. Gebr. F o r c h h a m m e r , Theorie des Singens und Sprechens. A. B o r u t t a u , Über Grundlagen der Stimmkunst. F r a n z i s k a M a r t i e n ß e n , Das bewußte Singen, dies., Stimme und Gestaltung, dies., Berufung und Bewährung des Opernsängers. P. L o h m a n n , Die sängerische Einstellung, ders., Stimmfehler, Stimmberatung. 0. Iro, Diagnostik der Stimme, ders., Pädagogik der Stimmbildung. H. J. Moser, Lebensvolle Musikerziehung, ders., Gesangskunst, Geschichte der (in Die Musik in Geschichte und Gegenwart).
Einleitung*) Wege und Z i e l e des G e s a n g u n t e r r i c h t s „Gesang ist Steigerung des musikalischen Elements der Rede."
Wenn man eine Rundfrage darüber anstellen wollte, welche Gesangsart die beste sei, so würden wohl die meisten Antworten auf das Schlagwort „die altitalienische" hinauslaufen. Diese würde des weiteren dahin erklärt werden, daß sie auf dem Wege des Solfeggiensingens und sorgfältigster Tonbildung zu jenem Ideal des „Bei canto" emporführe, welches leider in der Vergangenheit liege oder wenigstens nur selten mehr zu erreichen sei. In der Tat, die glänzendsten Tage des „Bei canto" scheinen vorüber zu sein. Ohne in die alten, fruchtlosen Klagen über den „Verfall" der Gesangskunst einstimmen zu wollen, wird man doch fragen müssen: heißt die Losung „Zurück zur alten Gesangskunst" oder „Vorwärts zu einer zeitgemäß neuen"? Die Alleinherrschaft der italienischen Gesangsart war so lange unbestritten, als das „Singen an sich" die Hauptaufgabe des Sängers darstellte und der Text kaum mehr als den Vorwand für ein im besten Sinne des Wortes „musikantisches" Musizieren abgab. Das Kennwort „Italienische Oper in der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts" wird am besten bezeichnen, was wir meinen. Hier war — natürlich von Ausnahmen abgesehen — das Augenmerk weniger auf Verständlichkeit des Textes, als auf Kehlfertigkeit, ausgeglichene Ton*) Als Oskar N o e am 20. März 1910 durch einen allzu frühen Tod seinem Wirken als Lehrer für Sologesang am Kgl. Konservatorium zu Leipzig entrissen wurde, hinterließ er mir knappe Skizzen zu diesem Buch mit der testamentarischen Verfügung, es fertigzustellen. Ich mußte also, damals einundzwanzigjährig, die Lehre meines Meisters so gut wie völlig neu formulieren. Die zweite Auflage berücksichtigt meine inzwischen gesammelten Erfahrungen zumal hinsichtlich der Atemstütze. I n den 30 Jahren seither ist durch meine praktischen und unterrichtlichen Ers h m t E t n m s i x b e i k i d£iU£ekcir.inen. H.J.Moser
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Wege und Ziele
gebung und geschmackvolles Phrasieren gerichtet. Diese Eigenschaften haben auch heute noch nichts von ihrer Wichtigkeit eingebüßt; aber es sind neue Forderungen hinzugetreten, denen der „Bei canto" allein kaum mehr gerecht zu werden vermag. Die Aufgabe ist keine andersgeartete, sondern eine erweiterte und darum schwerere geworden. Sehen wir ganz davon ab, daß schon die physischen Anforderungen an die Stimme infolge der stark besetzten Orchester, der geräuschvollen Instrumentation und der oft wenig gesangsmäßigen Schreibweise der Komponisten im Durchschnitt nicht unerheblich gewachsen sind, und betrachten wir zunächst nur die geistige Seite des Problems. S c h u b e r t hat in seinen Liedern eine bis dahin wohl unerreichte Ausschöpfung des Dichterworts, des Stimmungsgehalts gewonnen; Schumann, Brahms, Wolf, Pfitzner und R. Strauß, haben diese Errungenschaften weitergepflegt und bezeichnenderweise den Text immer mehr in den Vordergrund treten lassen, bis jüngst A. Knab, Pepping, Hindemith darin wieder mehr rückläufig geworden sind. Auf der andern Seite hat W a g n e r in seinen Musikdramen jenen Sprech- oder besser Sprachgesang zum Prinzip erhoben, der dem Wort die größte Bedeutung zuweist, ohne daß darum das „schöne Singen" vernachlässigt werden dürfte. Die ehemals an keine Grenzen gebundene Weltsprache Musik ist auf diese Weise im Gebiet der Gesangskomposition immer mehr in den Bann der Einzelsprache, ihres besondern Tonfalls und Wesens, geschlagen worden, hat sich demnach immer mehr von einer klassischen Allgemeingültigkeit nach der Seite einer nationalen Ausdruckskunst hin entwickeln müssen. Es ist klar, daß dem Sänger der Gegenwart damit andere Aufgaben gestellt werden. Seine Interessen drehen sich heute ebenso um das deutsche Lied seit Schubert und das Musikdrama von und seit Wagner wie um die Rezitative und Arien Bachs, Mozarts und Webers — anscheinend die denkbar größten Gegensätze. Um ihrer gleichmäßig Herr zu werden, hat man von einer modernen Gesangskunst zu fordern: eine gemeinsame Grundlage für „Bei canto" u n d Sprachgesang, also einen möglichst vollkommenen Ausgleich zwischen dem musikalisch-gesanglichen und dem sprach-
Schwierigkeit, Klang zu beschreiben
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lich-deklamatorischen Ideal. Diese Grundlage für die darauf hinzielenden Studien gibt uns die Beschäftigung mit der Muttersprache, ihren Lauten, ihrer Melodik und Rhythmik; konnten doch nur aus ihrer Eigenart heraus jene vorhergenannten Meisterwerke der Gesangskomposition entstehen. Der Leser wird sich vielleicht wundern, daß die eigentliche Tonbildung in unserer Darstellung verhältnismäßig kurz, die Lautbildung dagegen sehr ausführlich abgehandelt wird. Die Gründe sind folgende: Einmal ist es so gut wie unmöglich, jene feinsten Unterschiede der Klangfarbe, auf die es beim Tonstudium ankommt, wirklich eindeutig zu b e s c h r e i b e n , und noch so ausführliche Erörterungen würden deshalb ziemlich zwecklos bleiben. Der Schüler muß eben vor allem selber h ö r e n lernen, und es wird dann Sache des erfahrenen Lehrers sein, im persönlichen Unterricht jene Klangverbesserungen durchzusetzen, die seine geschulte Erkenntnis den jeweiligen Anlagen des Singenden gegenüber f ü r unerläßlich hält. Auf sie kann man in einem Buche nicht wesentlich eingehen, weshalb sich auch die berühmten Altitaliener, wie beispielsweise T o s i , über die eigentliche Tonbildung fast ganz ausgeschwiegen oder auf ziemlich allgemeine Umschreibungen beschränkt haben. Auf der andern Seite kann der Sänger, im Gegensatz zum Instrumentalisten, keinen musikalischen „Ton an sich" erzeugen, dem nicht gleichzeitig irgendwelche Bedeutung als Sprachlaut, zumal als Vokal, zukäme. Übt man nun nach der alten Weise i m m e r nur jene lautlich wenig ausgeprägten „Töne" (meistens wird es hier wohl auf denVokal a hinauslaufen, den wir übrigens f ü r einen recht schwierigen und deshalb erst später in Angriff zu nehmenden Selbstlauter halten), so wird dem Schüler nachher die Bildung jedes wirklichen Vokals, etwa eines charakteristischen i oder u, ein stetes Hindernis bleiben, oder er wird die Eigenart des sprachlichen Lautes, die für die Verständlichkeit so unerläßlich ist, zugunsten des „Toncharakters" verwischen. Die alten Vokalisen müßten — wie es J u l i u s H e y schon versucht hat — zum mindesten stark erweitert werden, besitzen wir doch im Deutschen eine sehr große Zahl von Einzelvokalen, deren jeder sorgfältigste Unterscheidung beanspruchen darf. Wir gewannen neuestens in der Schallbandaufnahme
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Wege und Ziele
eine ausgezeichnete Möglichkeit der Selbstkontrolle, deren dokumentarischer Wert von der Aufnahmeprüfung an ausgenutzt werden sollte, um die Entwicklung zu begleiten. Der Studienweg soll nicht so verlaufen, daß man erst die Stimme mit Hilfe eines „idealen" Tons nach oben und unten zu erweitern sucht, um schließlich auch an eine ordentliche Lautbildung zu denken, sondern umgekehrt: erst lehre man eine fehlerfreie Artikulation in der bequemsten Mittellage, wodurch zugleich die Gefahr der Überanstrengung des anfangs meist zarten Organs vermindert wird, und denke erst dann an eine ganz allmähliche Erweiterung des Stimmumfangs unter gleichmäßiger Berücksichtigung sämtlicher Laute. Es ist ein müßiges Beginnen, unsere Sprache „unmusikalisch" zu schelten und mit Neid nach dem Lautstand des Italieners hinüberzuschielen. Denn selbst zugegeben, daß man auf italienisch leichter, für die Stimme vorteilhafter und schöner singt als auf deutsch — welchen Nutzen soll uns diese Erkenntnis bringen ? Es wird darum doch niemanden einfallen, unsere Texte ins Italienische zu übersetzen. Andererseits wäre es geschmacklos, wollte man die Aussprache des Deutschen unter die Gesetze der italienischen Phonetik zwingen, bloß um sie klanglich „lohnender" zu gestalten. Dabei soll nicht geleugnet werden, daß dem Italiener durch vielhundertjährige, gewiß oft einseitige Kultur des rein Klanglichen eine Empfindlichkeit des Ohres und eine Erfahrung nach der Seite des Tonbildnerischen hin zugewachsen ist, von der wir Allzugedanklichen viel lernen können. Musikalisch-literarische Ansprüche lassen uns gar zu leicht über technische und sinnliche Reize gering denken und eine spröde, unrationelle Stimmbildung als notwendiges Übel mit in Kauf nehmen, wo strengere Ansprüche an die Klangkultur leicht zu Besserem befähigen würden. Aber, wie gesagt: nicht einfache Nachahmung, sondern organische Um- und Neubildung der südländischen Werte muß unser Ziel sein. Die Solfeggien allein, so unentbehrlich sie zur Erlernung des reizvollen Koloraturgesanges sein mögen, genügen nicht, um eine brauchbare deutsche Aussprache zu begründen, sondern es müssen besondere Übungen erfunden werden, um unsere
Verhältnis von Wort und Gesang
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„schwierigen" Vokale, unsere „ungesanglichen" Konsonantenhäufungen klanglich fruchtbar zu machen. Haben wir auf diesem Wege erst die Herrschaft über die Sprachtechnik gewonnen, so ist damit zugleich ein beträchtliches Gebiet der Stimmbildung erobert, und der Text wird uns in Zukunft kein Hindernis mehr, sondern eine erwünschte Unterstützung beim Singen bedeuten. Damit dürfte wohl die Berechtigung einer „deutschen Gesangskunst" erwiesen sein. Vielleicht mehr denn je spielt heute die Darstellung des seelischen Ausdrucks und der Leidenschaften eine Rolle in der Gesangskunst. Aber leider schließen bei manchen Sängern „schönes Singen" und „dramatisches" oder auch nur „intelligentes Singen" einander aus. Wahrscheinlich kommt das einmal daher, daß der Sänger bei der Wiedergabe leidenschaftlicher Stellen oft versäumt, die gelernten Fähigkeiten richtig zu verwenden, während er gerade hier am allermeisten ihrer Unterstützung bedarf. Zum anderen sind die Gesangsregeln häufig nur auf eine Norm der leidenschaftslosen Schönheit angelegt, so daß jede Abweichung von ihr nach der Seite des Charakteristischen, Ausdrucksvollen hin ein Verlassen des gepflegten Gebietes bedeutet. Wir werden deshalb die Grenzen unseres Interessenkreises erweitern und die b e w u ß t e D a r s t e l l u n g d e r A f f e k t e in die Aufgaben der Gesangskunst einbeziehen. Der nachschaffende Künstler hat nicht Sklave, sondern Gebieter seines Temperaments zu sein, er soll weniger heiß w e r d e n als vielmehr heiß m a c h e n . Deshalb möge Bewußtsein überhaupt das Leitmotiv unserer technischen Bemühungen sein. Damit soll natürlich nicht ein plattes Verstandeswesen auf dem Gebiet des künstlerischen Nachschaffens zum Gesetz erhoben werden. Der Künstler muß sich von dem darzustellenden Kunstwerk einmal, in stiller Studierstube, restlos überwältigen und erschüttern lassen — sonst wird er ihm nie ganz ins Herz schauen. Dann aber hat er sich ü b e r seine Aufgabe zu stellen, bewußt und freischaltend über seine Mittel zu verfügen. Tritt er so vorbereitet als Interpret vor andere, so wird er nicht durch die Hingabe an seine Nerven die Handhabung seines Werkzeuges und damit die Güte seiner Leistung ge-
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Wege und Ziele
fährden, sondern das vordem leidenschaftlich Durchlebte und Erschaute in den Herzen seiner Hörer lebendig werden lassen als ein wahrer Künder des Schönen. Fleiß im Handwerklichen ist die Grundlage aller künstlerischen Leistung. Man lasse sich immer wieder vom Lehrer kontrollieren, suche sich selbst auf Schallplatte und Schallband zu hören, schwöre auf keine „Methode", sondern suche überall zu lernen, wo irgend etwas lernenswert erscheint. Der wahre Künstler lernt nie aus!
I. Theoretischer Teil Das Problem der Stimmbildung führt auf drei Grundfragen : 1. Was k a n n die menschliche Stimme leisten? 2. Was soll sie leisten? 3. Wie erziehen wir sie zu der geforderten Leistungsfähigkeit ? Auf die erste Frage antworten Anatomie und Physiologie der Stimmwerkzeuge. Für die Frage, was die Stimme zu leisten hat, werden die sprachlichen und musikalischen Forderungen maßgebend sein; das ist also ein rein künstlerischer Gesichtspunkt. Zur Beantwortung der dritten Frage, der methodischen, wird zunächst zu untersuchen sein, wieweit und in welcher Weise wir beim gewöhnlichen Gebrauch der Stimme die vorhandenen Möglichkeiten ausnützen, welche Hemmnisse sich ihrer vollen Inanspruchnahme entgegenstellen, und wieweit wir die Fähigkeiten beim richtigen, vollen Gebrauch der Stimme steigern können; ferner, wie man zu einer völligen, willkürlichen Beherrschung des Organs gelangt. Bevor wir jedoch in diese Untersuchungen eintreten, ist es notwendig, zu der immer wieder aufgeworfenen Frage Stellung zu nehmen, ob die Kenntnis von Anatomie, Physiologie, Akustik, Phonetik usw. für den Sänger nützlich oder gar nötig sei, da doch die alten Italiener auch ohne diese Kenntnisse mit später Ausnahme G. B. Mancinis (1774) 1 ) — angeblich sogar schöner als wir — gesungen haben. Die Vertreter des alten „Bei canto" gründeten ihre Lehre rein auf die Erfahrung und vererbten ihre „Geheimnisse" auf mündlichem Wege ihren Schülern. Diese Überlieferung ist teils getrübt, teils verschüttet auf uns gekommen, teils für uns ästhetisch unbrauchbar geworden. Dann aber begann das naturwissenschaftliche Zeitalter. Die von L i s c o v i u s 1814 und Johs. M ü l l e r 1836 ausgeführten Experimente am Kehlkopf der menschlichen Leiche, die Erfindung des Kehlkopf' ) B. Ulrich, Die altital. Gesangsmethode (1933).
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Entwicklung der Stimmkunde
spiegeis durch den Gesanglehrer Manuel Garcia in London 1855, und vor allem die „Lehre von den Tonempfindungen" von H. v. H e l m h o l t z (1863) haben der Methodik des Gesanges nicht nur neue Bin- und Ausblicke erschlossen, sondern auch als willkommene Hilfsmittel rasch ihren Einzug in die Gesangslehrbücher gehalten. Auf keinem Gebiet der Kunstlehre ist die Gefahr so groß wie beim Gesangsunterricht, das subjektiv und individuell vermeintlich Beobachtete und für vorteilhaft Befundene als objektiv existierend und allgemeingültig anzusehen. Die wichtigsten Muskelfunktionen vollziehen sich zum großen Teil unsichtbar, und die entscheidenden Kunstgriffe verlaufen innerhalb so winziger Ausmaße, daß dauernd an die feinste Selbstbeobachtung appelliert, ja mit vergröbernden Umschreibungen, mit selbstgebildeten Ausdrücken, Andeutungen, Vergleichen operiert wird, um dem Schüler das Beabsichtigte faßlich zu machen. Wie leicht und wie oft kommt der Praktiker und der ungeschulte Pädagog zu grotesken Verzeichnungen der wirklichen Verhältnisse, wenn er nicht dauernd seine klare Vorstellung von den physiologischen Tatsachen zur Kontrolle heranzieht! Wie will sich der Lehrer vor dem gebildeten Schüler in Ehren behaupten, wenn er sich seine Unkenntnis in den Elementen der Hilfswissenschaften beweisen lassen muß ? Oft entdeckt ein Gesangslehrer etwas Richtiges, aber es wird falsch und schädlich, sobald der Entdecker glaubt, hiervon hänge Alles und Jedes ab — nichts wichtiger, als auch die wirkliche Geltungsgrenze des Gefundenen kritisch zu erkennen. Jeder Sänger kann in die Lage kommen, unterrichten zu müssen; ihm will unser Büchlein ein Helfer sein. Beim G e s a n g s s c h ü l e r liegen die Dinge etwas anders. Dem Anfänger wird man das Wissenswerte vorsichtig in der seinem Bildungsgrad entsprechenden Form und Menge verabreichen und an guten Beispielen erläutern. Denn wie sonst überall ist auch beim Sänger eine Unklarheit gerade in den Elementen verhängnisvoll und später schwer ausrottbar. Aus diesem Grunde hüte sich der Lehrer auch, zuviel mit H i l f s v o r s t e l l u n g e n zu wirken. Sagt er dem Schüler z. B., um ihm die Beweglichkeit des Gaumensegels klarzumachen: „Stellen Sie sich für den A u g e n b l i c k vor, der Oberkiefer sei beweglich", so wird der Schüler in neun von zehn Fällen für immer an die Beweglichkeit des Oberkiefers glauben. Mit solchen falschen Vorstellungen wird oft Mißbrauch getrieben; über die Schädlichkeit derartiger Irrtümer braucht wohl kein Wort verloren zu werden. Aus den angeführten Gründen ist vom Sänger eine gewisse Kenntnis der Hilfswissenschaften zu verlangen.
A. Ästhetische Grundlagen Was ist das Singen? Eine Körperbewegung wie andere, insbesondere eine Affektbewegung. Den mimischen, s i c h t b a r e Gesten der Körpers entspricht als h ö r b a r e Ausdrucksbewegung die Stimme. Die Psychologie bezeichnet sie deshalb als „Lautgebäude". Die Körperbewegung eines langen, schlanken Menschen wird bei einer kleinen, gedrungenen Gestalt lächerlich und häßlich wirken, umgekehrt genau ebenso. Und warum? Weil sie jetzt nicht mehr die einzig zweckentsprechende und naturgemäße, sondern unverhältnismäßig zu groß oder zu klein ist. D i e Schönheit einer K ö r p e r b e w e g u n g ist aber gleichbedeutend mit ihrer Zweckmäßigkeit und Einfachheit. Da jedem menschlichen Körper andere Bewegungsformen natürlich sind, so empfinden wir auch bei jedem andere Bewegungen als schön. Das gleiche gilt für die Stimme. Derjenige Ton ist der schönste, der auf die einfachste und freieste Art hervorgebracht wird. Nun ist aber „einfach" und „frei", wie oben gezeigt wurde, bei jeder Persönlichkeit etwas anderes. Infolgedessen läßt sich weder ein absoluter Schönheitsbegriff noch eine absolute Zweckmäßigkeit des Mechanismus feststellen, sondern beide hängen sehr von der jeweils verschiedenen Anlage des Sängers ab. Man muß sich das klarmachen, um zu erkennen, daß an einem gewissen Punkte die individuelle Veranlagung des Schülers der Allgemeingültigkeit stimmbildnerischer Kegeln Grenzen setzt. Der Begriff der „Freiheit" übrigens bezieht sich auf das Verhalten der beteiligten Muskeln; er ist aber nicht in jedem Falle mit „locker" im Gegensatz zu „gespannt" zu identifizieren. Denn so wenig wie die allgemeine krampfige Versteifung soll auch eine allgemeine Schlaffheit der Muskeln angestrebt werden. Gerade die unabhängige Anspannung dieses und Abspannung jenes Muskels ist das schwer zu erreichende Ziel. Also ist hier „Freiheit" eher gleichbedeutend mit „Disziplin". Man kann zwar dem Nutzeffekt günstigste Bedingungen schaffen, aber „von nichts kommt nichts", also verlangen starke Töne auch
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Ästhetisches
entsprechende Kraft. Thausing hat richtig gesehen, daß Magere mit Knickhals und schmalem Schädel benachteiligt sind gegen den Athletentyp des „geborenen" Stimmriesen. Andererseits verlangt man von Spieltenor und Soubrette und beim Liedgesang keine großen, sondern „tragende" Stimmen. Stimme und Körperbau kommen ursächlich überein. An dieser Stelle möchten wir einen wichtigen pädagogischen Rat geben: der Lehrer hüte sich, beim Schüler von vornherein ein bestimmtes, ihm als Ideal vorschwebendes K l a n g r e s u l t a t zu verlangen, sondern strebe vielmehr danach, ihm erst einen möglichst idealen M e c h a n i s m u s beizubringen, wobei er dessen gegebene Möglichkeiten genau erkunden und abmessen muß. Ist diese besteHandhabung des Gesangsapparats erreicht, so wird der Schüler den ihm natürlichsten Ton erzeugen; erst danach haben gewisse, abtönende Klangkorrekturen mit Vorsicht einzusetzen. Der Lehrer ziehe deshalb dem allzu häufigen Vorsingen eine lebendige B e s c h r e i b u n g der t e c h n i s c h e n F u n k t i o n e n vor. Denn sonst sucht der Schüler den Klangcharakter des Lehrers um jeden Preis nachzuahmen und macht bei seinem sicher etwas anders gearteten Apparat die unnatürlichsten Muskelbewegungen, um dies vermeintliche Ideal zu erreichen. Der Lehrer arbeite viel mehr mit dem „abschreckenden Beispiel", indem er die Fehler des Schülers übertreibend vorführt, um ihn so zu eigenem Nachdenken zu bringen. B. Psychologische Grundlagen Das Stimmorgan ist Musikinstrument und Sprachwerkzeug zugleich, also muß man es in beiden Beziehungen völlig beherrschen lernen. Außerdem aber soll unser Apparat auch noch alle möglichen Stimmungen und Affekte wiedergeben. Der Sänger muß also jene technischen Mittel der Stimmerzeugung studieren, welche den Seelenzustand widerzuspiegeln geeignet sind. Die unausgebildete Stimme schon ist ein starkes und empfindliches Ausdrucksmittel, da sich jeder Affekt sofort im Klangcharakter der Stimme äußert. Wie sehr kann der Sänger diese Erscheinung steigern, wenn er es versteht, die bloße
Muskelgedächtnis
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Nervenregung zum Ausdrucksmittel letzter und feinster Kunst zu erheben! Um zur künstlerischen Wiedergabe fähig zu sein, muß der Sänger eine solche Reaktionsfähigkeit besitzen, daß er all jene Erregungen noch einmal mitzumachen vermag, aus denen das Kunstwerk selbst einst entstanden ist. Er muß sich also auch in jene Gefühle umdenken können, die aus der eignen Natur allein vielleicht nie bei ihm eintreten würden. Mimesis, Verstellung, ist eben im höchsten Sinn die Wurzel jedes künstlerischen Nachschaffens. (Außerdem bedarf er natürlich noch der Gabe, diese Gefühle zum A u s d r u c k zu bringen, aber hier haben zum großen, ja wichtigsten Teil Fleiß und Streben einzutreten, denen jener ersten, reinen Talentforderung gegenüber erst eine Bedeutung zweiten Grades zukommt.) Die Muskeln besitzen ein merkwürdig gutes Gedächtnis für das, was ihnen aus alter Gewohnheit „bequem" ist, und daraus erklärt sich, wie schwer bei den Muskelbewegungen schlechte Angewöhnungen auszuschalten sind, zumal beim Singen, wo es zum größten Teil auf Muskeln ankommt, die man nicht sehen kann. Darum hüte sich auch ein Schüler, der beim neuen Lehrer umlernt, früher studierte Stücke zu singen — ihnen haften noch lange alle alten Fehler an und werfen ihn zurück. Infolgedessen wird es meist ein aussichtsloses Unternehmen sein, wenn man beim Anfänger hier und dort nur flickenweise Fehler zu verbessern sucht. Man wird vielmehr im allgemeinen, trotz des scheinbaren Rückschritts, schneller zum Ziel kommen, wenn man rein nichts voraussetzt und die Stimmbildung aus den elementarsten Vorgängen allmählich aufbaut. Es gilt, alle gewohnheitsmäßigen, falschen Muskelbewegungen auszuschalten, oder anders ausgedrückt: der Schüler muß einsehen lernen, daß das, was ihm j e t z t natürlich erscheint, darum noch nicht immer und von vornherein das ihm Natürliche gewesen zu sein braucht. Um das zu erreichen, muß der Lehrer die hergebrachten Begriffskomplexe in ihre Teile zerlegen, z.B. das Erzeugen des Vokals a als Summe verschiedener Teilvorgänge darstellen, die bei der Vorstellung des a sofort, und zwar ohne, ja selbst gegen unsern Willen eintreten. Wir haben also hauptsächlich an den Mechanismus zu denken, und werden
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Psychologisches
deshalb zunächst nicht vom Klangbild ausgehen, sondern diesem nur eine Rolle als Prüfstein für den richtigen Verlauf der Muskelbewegungen zugestehen. Das von den gewohnheitsmäßig erzeugten Lauten Gesagte gilt in ebenso hohem Maße von den zwangsweise ausgeführten M i t b e w e g u n g e n a n d e r e r Körperteile. Der Sänger ahnt oft gar nicht, wieviel häßliche, krampfhafte Verzerrungen er mit dem Munde vornimmt. Krausziehen der Stirn und Augenbrauen, Ballen der Fäuste, krampfhaftes Wegstrecken des Notenbuchs oder Schlenkern der Arme, auf den Zehenspitzen stehen, den Kopf nach hinten werfen, eine Hand ans Ohr drücken, sich dauernd räuspern oder mit der Hand durch die Haare fahren, zu häufige Schluckbewegungen und Augenzwinkern — all das sind Unarten, vor denen sich der Sänger während des Vortrags zu hüten hat. Man wird sie nicht nur zu beseitigen suchen, weil sie häßlich und lächerlich wirken, sondern auch weil sie eine allgemeine Unfreiheit des Leibes bekunden. Überdies zehrt solche Energie am falschen Ort Kräfte auf, die der Sänger an der richtigen Stelle mit Gewinn verwerten könnte. Systeme der rhythmischen Erziehung wie das von E . JaquesDalcroze oder Hinr. Medau und Rud. Bode sind geeignet, die erstrebte gegenseitige Unabhängigkeit der Muskeln zu erhöhen und den Schüler in den beglückenden und beschwingenden Vollbesitz seines Körpers zu setzen. C. Anatomische, physiologische, akustische und phonetische Grundlagen Der S t i m m a p p a r a t besteht aus drei Teilen: 1. dem Atmungsorgan, das als Blasebalg w i r k t ; 2. dem Kehlkopf m i t den S t i m m b ä n d e r n als dem eigentlichen Tonerzeuger; 3. dem aus R a c h e n - , Mund- und Nasenhöhle bestehenden Ansatzrohr oder Sprachwerkzeug. 1. Das Atmungsorgan Abgesehen von den Poren der H a u t , welche dem K ö r p e r einen beträchtlichen Teil der ihm notwendigen L u f t zuführen, ist das eigentliche Almungsorgan die L u n g e , die aus zwei
Physiologie der Lunge
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kegelförmigen, nach oben spitz zulaufenden Teilen, den b e i d e n L u n g e n f l ü g e l n , besteht. Sie ist ein schwammartiges Gebilde und setzt sich aus zahllosen Bläschen zusammen, die sich mit Luft füllen. (Verhindert ein Krampf die Entleerung, so spricht man von Asthma). Feine Röhrchen führen aus ihnen heraus und sammeln sich in größeren Röhren, den B r o n c h i e n , die sich in jedem der beiden Flügel zu einem großen Ast vereinigen. Beide Bronchialäste laufen in der Mitte der Brust zur L u f t r ö h r e zusammen, deren oberen Abschluß der K e h l k o p f bildet. Die Lunge selbst hat keine Muskeln, ist daher zu Eigenbewegungen nicht fähig. Ihr Volumen wird nur durch die Größenveränderung des Brusthohlraumes bestimmt, an den sie luftdicht angefügt ist, so daß sie dem Antrieb der sie bewegenden Organe folgen muß, nämlich dem der Rippenmuskeln und des Zwerchfells. Der Eindruck der Saugbewegung beim Atmen beruht demnach auf einer subjektiven Täuschung, denn in Wahrheit verhält sich die Lunge nicht tätig, sondern leidend. Die R i p p e n b e w e g u n g verläuftin der Weise, daß die oberen Rippen das Brustbein nach vorn heben, die unteren Rippen den Brustkorb (Thorax) besonders in der Flankengegend erweitern. Wichtiger sind die Bewegungen des Z w e r c h f e l l s . Das Zwerchfell (Diaphragma) ist ein entspannt kuppeiförmig nach oben gewölbter Muskel, der Brust- und Bauchhöhle völlig voneinander trennt. Lunge und Herz ruhen auf ihm, Magen, Gedärm, Milz, Leber und Nieren unter ihm. Bei der Kontraktion des Zwerchfells (Zusammenziehung zum Zweck des Luftholens) flacht sich die Kuppe teilweise ab, so daß der Brustraum nach unten erweitert wird und auch die Lunge, die dieser Bewegüng folgen muß, eine Erweiterung nach unten erfährt. Falls es nicht ein Verschluß der Stimmlippen, der Mund- oder Nasenhöhle verhindert, dringt die Luft durch ihr eigenes Gewicht nach. Natürlich wird die Abwärtsbewegung des Zwerchfells sich auf den weichen Inhalt der Bauchhöhle übertragen, was sich beim Einatmen durch Vorwölben, beim Ausatmen durch Einziehen der Bauchdecke äußert. Wir haben im Zwerchfell selbst kaum Muskelgefühl, können uns also seiner Bewegungen besser bewußt werden, wenn 2
M o s e r , Technik der deutschen Gesangskunst
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Das Atmungsorgan
wir die Vorwölbung am oberen Teil des Bauches mit leicht aufgelegter Hand kontrollieren. Bei der gewöhnlichen a u t o m a t i s c h e n Atembewegung werden die Muskeln der Bauchdecke nicht wesentlich zusammengezogen. Die Ausatmung erfolgt dann in der Hauptsache nur durch Nachlassen der Zwerchfellzusammenziehung und die Schwerkraft der wieder einsinkenden Brust. Beim w i l l k ü r l i c h e n Atmen dagegen, wie es der Redner und der Sänger braucht, werden die Rumpfmuskeln stark benutzt. Es ist dabei wichtig, das Zurückgehen der gespannten Muskeln auf eine längere Zeit gleichmäßig zu verteilen. Atmet man also willkürlich tief ein und läßt dann bei der Ausatmung die beteiligten Muskeln p l ö t z l i c h erschlaffen, so drängt die Luft zu jäh nach außen, als daß sie zweckdienlich für den Gesang ausgenützt werden könnte. Doch auch vor dem Gegenteil sei gewarnt. Glaubt man den Atem dadurch sparen zu können, daß man die Bauchmuskeln gewaltsam nach außen drückt und so die Luft übermäßig „staut", so wird sich eine unerfreuliche Versteifung der Bauchmuskulatur zeigen. Außerdem wird dadurch den Stimmbändern das Amt aufgeladen, den stark andrängenden Atem um keinen Preis durch die Stimmritze hindurchgehen zu lassen, und diese empfindlichen Organe werden in unzweckmäßiger, ja gefährlicher Weise überlastet. Man pflegt von drei A t e m t y p e n zu sprechen, je nachdem die Erweiterung des Brustraumes mehr durch die oberen oder die unteren Rippen oder durch das Zwerchfell geschieht, und unterscheidet danach die „Schlüsselbein-" oder „Schulteratmung", die „Flankenatmung" und die „Bauch-" oder „Zwerchfellatmung". In Wahrheit wird keiner dieser drei Typen für sich allein rein in Erscheinung treten. Denn von den Nerven der untersten Rippenmuskeln greifen kleine Ausläufer auf den Rand des Zwerchfells über, so daß eine Innervierung der Rippenmuskeln stets auch das Zwerchfell zu entsprechenden Mitbewegungen zwingt. Die angenommenen Atemtypen sind also, rein p h y s i o l o g i s c h genommen, nicht ganz korrekt, lassen sich aber p ä d a g o g i s c h mit Gewinn verwenden, um dem Schüler klarzumachen, in welche Richtung hauptsächlich er die Atembewegungen verlegen soll.
19 2. Der Kehlkopf Der Kehlkopf ist der wichtigste Teil des Stimmapparates und eins der verwickeltsten Gebilde im menschlichen Körper überhaupt. E r ist ziemlich frei beweglich auf der Vorderseite des Halses zwischen Muskeln eingebettet und verbindet die Luftröhre mit dem Hachen. E r besteht aus a) von Schleimhaut überkleideten Knorpeln, b) elastischen Bändern, c) Muskeln. a) K n o r p e l . An den obersten Ring der Luftröhre schließt sich der R i n g k n o r p e l ; nach vorne hin schmal, erhebt er sich an der Rückseite des Kehlkopfes zu einer Platte, auf der die beiden G i e ß b e c k e n k n o r p e l sitzen, die 1. D e r K e h l k o p f v o n h i n t e n ihrerseits wieder die S a n t o r i n - aFig. Luftröhre, b Kingknorpel, c Schildschen Knorpelchen tragen. knorpel, e Santorinsche Knorpeln, f Zungenbein, g Kehldeckel Über dem schmalen Teil des Ringknorpels, also auf der Vorderseite des Kehlkopfes, befindet sich der S c h i l d k n o r p e l , der aus zwei symmetrischen Hälften besteht; beide Teile laufen unter einem stumpfen Winkel in jenen Vorsprung zusammen, der beim Manne als „Adamsapfel" deutlich fühlbar hervortritt. Die Seiten des Schildknorpels laufen nach oben in Hörner aus, die mittels eines elastischen Bandes am Z u n g e n b e i n aufgehängt sind. Am oberen Teil des Schildknorpels ist der Stiel des K e h l d e c k e l s befestigt, der den Kehlkopf verschließt, sobald Speisen oder Getränke über ihn hinweg in die Speiseröhre gelangen sollen; waltet er einmal seines Amtes nicht, so „kommt uns etwas in die falsche [in Wahrheit: richtige!] Kehle", man „verschluckt sich", wie das Volk sagt. b) B ä n d er. Von ihnen seien hier nur zwei Paare aufgezählt: die Stimmbänder und die Taschenbänder (auch „falsche" Stimmbänder genannt). Die S t i m m b ä n d e r oder S t i m m 2
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Der Kehlkopf
l i p p e n , aus elastischen Fasern bestehend, laufen in waagerechter Lage, indem sie nach hinten etwas auseinandertreten, von der halben Höhe des Schildknorpels zum unteren Teil der Gießbeckenknorpel. In der Richtung der Stirnebene durchgeschnitten (vgl. Fig. 2), erscheinen die Stimmbänder ungefähr als Dreiecke, die mit einer Seite an der Knorpelwand anliegen, und deren gegenüberliegende Spitzen einander zustreben, getrennt durch die S t i m m r i t z e . Etwas oberFig.2. F r o n t a l s c h n i t t d u r c h halb der Stimmbänder und in gleicher d e n K e h l k o p f . a Stimmband, b Morgagnische Grube, c Ta- Richtung mit ihnen verlaufen die schenband, d Stimmritze, e Schildknorpel, f ltingknorpel beiden T a s c h e n b ä n d e r vom oberen Teil des Schildknorpels zum oberen Teil der Gießbeckenknorpel. Sie stehen weiter auseinander als die Stimmbänder, so daß sie einem von oben schauenden Beobachter die einander benachbarten, mittleren Partien der Stimmbänder nicht verdecken. Sie sind weniger elastische Bänder als vielmehr mit absondernden Drüsen angefüllte Falten der S c h l e i m h a u t . Diese weicht zwischen den Taschenund den Stimmbändern in die Stimmtasche oder M o r g a g n i s c h e G r u b e zurück. c) Muskeln. Die Anatomie und Physiologie der Kehlkopfmuskeln ist so schwieriger Natur, daß wir uns darauf beschränken müssen, die wichtigsten durch sie bewirkten B e w e g u n g e n aufzuzählen. 1. Der Abstand zwischen den oberen Teilen des Ring- und Schildknorpels kann sich, da der Schildknorpel als stillstehend anzusehen ist*), durch Bewegungen des Ringknorpels nach vorn und hinten verkleinern und vergrößern, wodurch die Stimmbänder in ihrer Längsrichtung abgespannt bzw. angespannt werden. 2. Indem der von beiden Schildknorpelhälften gebildete Winkel zunimmt, können die Stimmbänder in die Quere gespannt werden. 3. Indem die Gießbecken*) Durch die neueren Arbeiten von K a t z e n s t e i n und K u t t n e r , F i s c h e r und M ö l l e r fällt die ältere Anschauung L u d w i g s , als sei der Ringknorpel als Grundknorpel, der Schildknorpel als Stellkuorpel anzusehen.
Die Stimmritze als Pfeife
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knorpel sich um ihre senkrechte Achse drehen, kann die Stimmritze erweitert oder verengert werden. 4. Innerhalb der Stimmbänder selbst läuft ein Muskel. Schwillt er an, so werden die Stimmbänder dick und schlagen mit einer beträchtlichen Fläche gegeneinander (Brustregister); wird er dünner, so werden die Stimmbänder ebenfalls dünn und schlagen nur noch mit einer schmalen Kante gegeneinander (Falsettregister). Man unterscheidet also dieserhalb Voll- und Kandschwingung. 5. Der Kehldeckel kann sich von oben vorn nach unten hinten bewegen, doch hat dieser Vorgang auf die Stimmbildung an sich wohl keinen nachweisbaren Einfluß. 6. Endlich kann der ganze Kehlkopf auf- und niedersteigen. E r pflegt einmal mit wachsender Tonhöhe zu steigen und bei tiefen Tönen zu sinken. Außerdem pflegt er auch bei hellen Vokalen in die Höhe zu gehen und bei dunklen zu sinken. Man flüstere i, und er wird sich hoch einstellen, während er bei geflüstertem u beträchtlich hinabgeht. d) A k u s t i k des K e h l k o p f e s . Der Gesangston entsteht dadurch, daß die Stimmbänder unter dem Druck der aus der Lunge ausströmenden Luft als Gegenschlags- oder Polsterpfeifen wirken (vgl. Fig. 3). Sie funktionieren also nicht, wie früher angenommen wurde, nach Art freidurchschlagender Zungenpfeifen (d. h. nur in der Richtung von unten nach oben). Durch eine Horizontalbewegung gegeneinander verschließen die Stimmbänder die Stimmritze. Dieser Verschluß wird durch den Luftdruck für einen Moment gesprengt, die Stimmbänder schnellen wieder kraft ihrer elastischen Spannung zuJj IL sammen usw. Die Anzahl dieser kleinen Explosionen in der Sekunde ist gleich der Schwingungszahl des entstehenden . Tones: je öfter die Stimmbänder zusammenschlagen, desto höher wird der Ton, je seltener, desto tiefer. Doch gibt der Kehlkopf allein Fifí. 3. Schema einer Gegenschlags- oder noch keinen brauchbaren Polsterpfeife, nach Ewald
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Der Kehlkopf
Ton, sondern die Stimmbänder wirken ähnlich wie das Mundstück einerOboe oder wie die Lippen des Bläsers bei einem Metallblasinstrument (daher auch der Name „Stimmlippen" für „Stimmbänder"), indem sie ihre Schwingungen der oberhalb des Kehlkopfes befindlichen Luftsäule aufzwingen und so im Kopf eine „stehende Welle" erzeugen*). Der Klang dieser Welle kann mittelster in den übrigen Hohlräumen des Oberkörpers befindlichen Luft durch das Phänomen des Mitklingens verstärkt werden, weshalb man die Brust-, Mund-, Stirn- und Nasenhöhle auch als „Resonanzräume" bezeichnet und besonders Brust- und Kopf resonanz unterscheidet. Man unterschätze derenBedeutung nicht, ist doch die mittönende Luftmenge sehr beträchtlich. Die T o n s t ä r k e hängt, wenn wir von der Ausnützung der Resonanzen absehen, von der W e i t e der T o n s c h w i n g u n g e n ab, und diese wieder von der S t ä r k e des A t e m d r u c k s : je intensiver der Luftdruck, desto lauter der Ton — aber nur bis zu einem gewissen Maximum. Wird nämlich der Druck so stark, daß die Stimmbänder den für die Güte des Klanges notwendigen, vollständigen Verschluß zwischen den kleinen „Explosionen" nicht mehr aufrechterhalten können, so wird der bis dahin konzentrierte Klang hauchig und heiser. Die T o n h ö h e hängt von der S c h w i n g u n g s z a h l und diese wieder von der S p a n n u n g der S t i m m l i p p e n ab, deren Regulierung wir unter c) Muskeln erörtert haben. Liscovius und Müller (vgl. S. 11) vermochten auch durch verstärktes A n b l a s e n des Leichenkehlkopfes die Tonhöhe bis um eine Quinte zu erhöhen, wobei der Luftstrom vermutlich gleichfalls als Spanner auf die Stimmlippen einwirkte. Deshalb ist die Ursache für dauerndes Zuhochsingen meist zu starker Atemdruck. Aber auch das Gegenteil ist zu beobachten: daß zu viel Atem zu tiefes Intonieren nach sich zieht. Das scheint zunächst dem Müllerschen Experiment zu widersprechen, erklärt sich aber wohl so, daß durch den zu starken Druck der Luft die Stimmbänder schließlich ermüden und in ihrer Spannkraft gemindert werden. *) Über all diese Begriffe, die wir hier als bekannt voraussetzen müssen, unterrichte sich der Leser in der „Musikalischen Akustik" von K . L. S c h ä f e r {Samml. Goschen Nr. 21).
Registerbegriffe
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Die R e g i s t e r entstehen durch verschiedenartige Formierung der Stimmbänder (vgl. oben die vierte Bewegung der Kehlkopfmuskulatur). Es ist klar, daß eine größere und daher schwerere Masse bei übrigens gleichem Bewegungsimpuls langsamer schwingt, als eine kleinere und deshalb leichtere Menge der gleichen Substanz. Daher ist z. B. auf der Geige die einen hohen Ton gebende E-Saite dünn, die einen tiefen gebende D-Saite dick. Schwingen die Stimmbänder mit ihrer ganzen Masse (also gleichsam als dicke D-Saiten), so entstehen die tieferen Töne: das Brustregister. Schwingen sie dagegen nur mit einem Teil ihrer Masse (also als dünne E-Saiten), so entstehen höhere Töne: das Falsett; bei diesem legen sich überdies die Taschenbänder leicht auf die Stimmbänder auf und bilden so, ähnlich dem Flageolett der Geiger, eine neue Schwingungslinie, wodurch der Ton ebenfalls erhöht wird und jene dem Falsett eigentümliche Klangfarbe erhält. Der Begriff „Register" bedeutet also: „eine Reihe von Tönen, die mit dem gleichen Stimmbandmechanismus erzeugt werden". R e g i s t e r w e c h s e l ist danach der Übergang von der einen zur andern Stimmbandformation. Dieser liegt bei allen Stimmgattungen, vom Standpunkt der absoluten Tonhöhe aus, ungefähr an der gleichen Stelle, nämlich zwischen e' und fis', also für den Baß am obersten Ende seines Stimmumfanges, beim Tenor in der oberen, beim Alt in der unteren Hälfte, beim Sopran noch näher am unteren Ende des Gebietes. Während das tiefere Register bei allen Stimmgattungen „Bruststimme" heißt, wechselt die Bezeichnung für das andere: beim Baß, der es nur sehr selten benutzt, und beim Tenor, der es bei hochgelegenen, lyrischen Stellen verwendet, heißt es „Fistel" oder (bei Einhaltung verstärkender Resonanz) „Falsett"; bei den Frauen, wo es das wichtigste Gebiet der Stimme darstellt, ist der Ausdruck „Mittelstimme" allgemein gebräuchlich. Zu diesem Register kommt bei den Frauen noch ein drittes, die „Kopfstimme". Singt man mit der Mittelstimme aufwärts, so kommt man bei fis" (oder auch schon früher) an eine Stelle, wo die Spannung der Stimmbänder so stark wird, daß die Stimme ermüdet oder „umschlägt". Hier nun setzt im Piano das K o p f r e g i s t er ein: in den Stimmbändern bildet sich ein
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Der Kehlkopf
leichter Knick, und sie schwingen jetzt nicht mehr in ihrer ganzen Länge. Es tritt, um wieder an das Beispiel der Geige zu erinnern, etwas Ähnliches wie eine Verkürzung der Saite durch Aufsetzen eines Fingers ein, wodurch (geradeso wie bisher beim Wachsen der Spannung) der Ton in die Höhe steigt. Das schwingende Gebiet der Stimmbänder wird bei der Kopfstimme mit zunehmender Höhe immer kleiner, bis etwa bei c'" die Grenze erreicht ist. Einzelne Sängerinnen, auch schon Schulkinder, können mit dem von Flatau und Gutzmann beschriebenen P f e i f r e g i s t e r sogar noch bis über das c"" kommen. Bei diesem Mechanismus wirken die Stimmbänder wahrscheinlich nicht mehr als Gegenschlagspfeifen, sondern wie die scharfe Kante am Aufschnitt der Flöten. Für den Kun'stgesang aber kommt dieses Register einerseits wegen seiner Seltenheit, andererseits wegen der physikalisch begründeten Unfähigkeit, in so großen Höhen noch Vokale von deutlich unterschiedener Farbe zu bilden*), kaum in Betracht. Hält man sich an die oben aufgestellte Definition des Registerbegriffes, so ist die ganze Frage recht einfach. Leider aber hat eine Begleiterscheinung der Register große Verwirrung in den Bezeichnungen angerichtet: die Verteilung der Resonanz. Bei der dicken Stimmbandformation entsteht im allgemeinen von Natur mehr Brustresonanz, bei der dünnen Stimmbandformation mehr Kopfresonanz (vgl. S. 23f.) — daher wohl auch fälschlich der Name „Kopfstimme" für Fistel, Falsett, sogar für Mittelstimme. Das tatsächliche Vorhandensein von Registerunterschieden ist also nicht zu leugnen, und der Ausdruck „Einregister" ist nur insoweit berechtigt, als er den vollkommenen Klangfarbenausgleich zwischen den Einzelregistern als E n d z i e l der Ausbildung meint. Eine weitere Unklarheit hat man durch Verwechslung der Stimmbandregister mit den Unterteilungen innerhalb derselben infolge Vorherrschens verschiedener Reso•) Der Grund beruht, nach Helmholtz, darin, daß der Vokalcharakter durch gewisse Obertöne entsteht und diese bei sehr hohen Tönen oberhalb der Grenze des menschlichen Unterscheidungsvermögens liegen. Noch einleuchtender ist die auf verschiedenem Wege von Lummer und von mir (H. J. Moser) gefundene Tatsache, daß bei diesen höchsten Tönen die Vokalformanten unterhalb des gesungenen Grundtons zu liegen kämen, also überhaupt ausfallen.
Kopfstimme
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nazen hereingebracht, wozu noch die Verstärkung des männlichen Falsetts und des weiblichen Kopftons durch die Atemstütze (Brustresonanz) kommt. Um Verwechslungen unmöglich zu machen, sollte man, statt von Brust-, Kopf-, Falsett- usw. Stimme zu sprechen, einfach t i e f e s , m i t t l e r e s u n d h o h e s Register unterscheiden und bei jedem von ihnen zwei Unterarten annehmen, eine dunklere („Brustresonanz") und eine hellere („Kopfresonanz"), von denen die eine jeweils die natürliche, die andere die künstliche ist. Bei vielen Sängern ist die Stelle, wo die Resonanz „umgesetzt" werden muß, so deutlich markiert, daß man einen Registerwechsel, ähnlich dem echten bei e' fis', zu hören glaubt, und aus dieser Täuschung hat man die Existenz noch weiterer Register, ja sogar einen Registerwechsel von Quarte zu Quarte herleiten wollen. So sprechen z. B. viele Bassisten von „Kopfstimme", meinen aber damit die dicke Stimmbandformation mit künstlichem Überwiegen der Kopfresonanz — nach unserer Begriffsbestimmung also die hellere Unterart des tiefen Registers. Gerade diese Handhabung der Stimme, welche der Sänger benutzt, wenn die schmetternden, hohen Töne der reinen Bruststimme zu derb und anstrengend, die bequemen Töne der Fistel zu weibisch klingen würden, läßt sich der Klangfarbe des Oberregisters sehr anähneln, und hier ist auch erfahrungsgemäß der Übergang von einem Register zum andern besonders leicht. Man hat daher diese Singart für ein aus Brust und Kopfstimme „gemischtes" Register (voix mixte, voce mista) ansprechen wollen. In Wahrheit ist ein solches Mittelding von dicker und dünner Stimmbandformation nur ganz kurz beim Registerwechsel erzeugbar, denn bei längerem Verweilen auf diesem kritischen Punkt schlagen die Stimmbänder in eine der beiden, ihnen allein natürlichen Formationen um. Da aber der „voix mixte" große Wichtigkeit zukommt, so wäre auch für sie zur Not (ungeachtet des physiologischen Tatbestandes) die Benennung „Mittelregister" diskutierbar, um eine Parallele zu den drei Registern der weiblichen Stimme zu erhalten. Zu der Tabelle noch einige Bemerkungen. Die Männer haben es bei der Benutzung der Register leichter als die Frauen, weil sie nur einen Hauptregisterwechsel kennen, nämlich den zwischen e' und fis'. Dieser kommt für den Bassisten und Baritonisten meist nur so weit in Frage, als er die Grenze seines Umfangs nach oben hin bedeutet. Die Tenöre setzten früher in der Regel bei f', ja manchmal sogar schon bei c' ins Falsett um, bis wohl als erster der Tenor D u p r e z
Der Kehlkopf
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Umfangs- und (Die angegebenen Grenzen sind natürlich nach der Anlage des werte angegeben, um zugleich bei Fällen von Register Baß
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Kopfstimme
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(Die eckigen Klammern bedeuten, daß das betreffende
Stimmgattungen
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Registertabelle einzelnen Sängers verschieden; hier werden nur Durchschnittsverbildung eine ungefähre Norm aufzustellen.)
Gebiet unsicher zu begrenzen oder nur selten vorhanden ist.)
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Der Kehlkopf
(Paris 1836) die ganze Partie des „Arnold" in Rossinis „Teil" mit Bruststimme bis zu den höchsten Tönen hinaufschmetterte und damit großes Aufsehen erregte. Recht eigentlich seit dieser epochemachenden Leistung scheint das Falsett in Verruf gekommen zu sein — aber zu Unrecht, weil es öfters flach und ohne die notwendige Vertiefung und Verstärkung (durch „Brustresonanz") gebildet wird. Richtig und an der rechten Stelle angewendet, vermag es dagegen die schönsten Wirkungen zu tun und sollte auch aus hygienischen Gründen nach Möglichkeit berücksichtigt werden, da die übermäßige Spannung der Stimmbänder bei den höchsten mit Brustregister gesungenen Tönen zum Ruin der Stimme führen kann. Das berühmte „hohe C" der Tenöre kann gewöhnlich auf zwei, selten sogar auf drei Arten gesungen werden: einmal stark, nämlich mit dünner Stimmbandformation, aber Brustresonanz (nur daraus ist der italienische Ausdruck ,,il do di petto" — das „das Brust-C" zu erklären, da die Italiener keinesfalls das mit Brustregister erzeugte meinen); dann zart, nämlich mit dünner Stimmbandformation, aber „Kopfresonanz". Bei seltenen Fällen von Ausdehnung der Bruststimme nach oben kommt dazu schließlich noch: dicke Stimmbandformation und „Kopfresonanz" —-man könnte dieses vielleicht als das „hohe C der Wagnertenöre" bezeichnen, denn eben diese pflegen das Brustregister möglichst zu bevorzugen. Die F r a u e n haben in der Regel zwei große Registersprünge: zwischen Brust- und Mittelstimme bei e' fis'; und zwischen Mittelund Kopfstimme bei e" fis". Der zweite Sprung ist häufig nicht so deutlich ausgeprägt wie der erste, und auch seine Lage kann nicht unbeträchtlich variieren. Besonders die Anfängerin sei davor gewarnt, die Bruststimme über fis', die Mittelstimme über fis" emporzutreiben. Ist der Gesamtorganismus völlig ausgewachsen und die Stimme in gesunder Schulung erstarkt, so wird ein „hochdramatischer" Sopran die Mittelstimme schließlich auch sehr viel höher hinaufführen können, ohne Schaden zu erleiden. — Altistinnen singen zwar manchmal mit Bruststimme wie die Tenöre bis b' und c', aber der Eindruck ist kein sehr weiblicher, und die ganze untere Hälfte der Mittelstimme wird dadurch kraft- und klanglos: es entsteht jener für das J o d e l n charakteristische, unüberbrückbare Gegensatz der Register. Die verstärkte Kopfstimme ist für die Sängerinnen von ähnlicher Wichtigkeit wie das verstärkte Falsett für die Tenöre. Man findet daher die Anschauung, das Falsett der Männer sei mit der Kopfstimme der Frauen und ihre Bruststimme mit der weiblichen Mittelstimme identisch; das aber ist, wie ein Blick auf die mitgeteilte Registertabelle lehrt, unrichtig. Den Knabenstimmen gewöhnt man das gefährliche Hochpressen des Brustregisters bis
Register-Übergänge
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c" dadurch ab, daß man sie pp bei f" einsetzen läßt und diese Kopfstimme (die allmählich immer klangvoller werden muß) bis e' hinabführt.
Das Ziel der Stimmbildung in betreff der Register muß nun dahin gehen, die Gegensätze an den Registergrenzen nach Möglichkeit zu überbrücken und die Klangfarben der einzelnen Register an den Übergangsstellen einander so anzunähern, daß eine völlige Kontinuierlichkeit in der Tonleiter erreicht wird. Die Erscheinung, daß die Register teilweise nebeneinander herlaufen, so daß also einzelne Töne zwei verschiedenen Registern gleichermaßen angehören, wird uns die Möglichkeit geben, dieses Ziel leichter zu erreichen. Dabei ein pädagogischer R a t : einzelne glücklich'veranlagte Stimmen besitzen schon von Natur den gesuchten Registerausgleich. In solchen Fällen wäre es unsinnig zu fordern, der Schüler müsse erst wieder den scharfen, ruckartigen Registerwechsel willkürlich erzeugen lernen (wie es Stockhausen tatsächlich mehrfach zu erzwingen versucht hat). Das hieße, den, der schon am Ziel ist, eines bloßen Prinzips wegen an den Ausgangspunkt zurückreißen! Hier wird der Lehrer im Gegenteil suchen müssen, das glücklicherweise schon Vorhandene auf das sorgfältigste zu erhalten und zu befestigen. Überhaupt experimentiere der Lehrer am Anfang nicht zu viel gerade an den Registergrenzen und gehe in der Regel nicht eher an die Verbindung mehrerer Register, als bis der Schüler erst in e i n e m von ihnen einigermaßen heimisch geworden ist. Die w i l l k ü r l i c h e E i n s t e l l u n g des K e h l k o p f e s wird vielfach erörtert, und es wird bald ein „tiefgestellter", bald ein „hochfixierter" Kehlkopf als künstlich einzuhaltende Normalstellung empfohlen. Welchen Einfluß auf das Klanggepräge die Kehlkopfstellung überhaupt ausübt, ist noch ungewiß, denn hier widersprechen sich zum Beispiel Berühmtheiten wie Stockhausen und Helmholtz durchaus. Nur eins erachten wir als gewiß: sobald der Schüler an den Kehlkopf „denkt", will er ihn auch „fühlen". Das Muskelgefühl stellt sich eben nur ein, wenn die betreffenden Muskeln innerviert werden, „denkt" also der Schüler an seinen Kehlkopf, so heißt das: er macht unnötige Muskelanspannungen, und das gerade ist
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Der Kehlkopf
diesem empfindlichen Organ gegenüber das Allerschädlichste. Auch ein Kehlkopfarzt (Flatau) möge das bezeugen: „ J e mehr man seine Untersuchungen an gut durchgebildeten Sängern und Sängerinnen ausdehnt, in desto weiterem Umfange bestätigt sich, daß das Organ sich in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle a u t o m a t i s c h a m v o r t e i l h a f t e s t e n einstellt und um so weniger Neigung zeigt, aus der Indifferenzlage oder einer ihr sehr nahekommenden Stellung abzuweichen, je mehr die Schulung, Ausbildung und Anpassung des Ansatzrohres und selbstverständlich der Atmung vorgeschritten ist." Bei der F l ü s t e r s t i m m e ist die Stimmritze weit geöffnet, so daß trotz der übrigens gleichen Funktionen jene Explosionen der eingeschlossenen Atemluft nicht stattfinden können, die zur Erzeugung der Vollstimme nötig sind. Das Reibegeräusch der L u f t muß hier den Vokalklang ersetzen. Durch das Zusammenwirken von Kehlkopf und Atmung sind also folgende Arten des allgemeinen Klanggepräges möglich: 1. F l ü s t e r s t i m m e ; 2. V o l l s t i m m e : a) h a u c h i g , f l a t t r i g , h e i s e r (bei mangelhaftem Stimmbandschluß und unruhigem Atem), b) k o n z e n t r i e r t (bei gutem Stimmbandschluß und richtiger Atmung), c) k e h l i g (bei krampfiger Anspannung der um den Kehlkopf sitzenden Muskeln). Daraus ergibt sich wohl zur Genüge, auf welchen Bedingungen sich der schöne Ton aufbaut, und es wird zugleich gezeigt, welche Gefahren sich durch die zu geringe oder übermäßige Inanspruchnahme der betreffenden Teile des Stimmapparates der richtigen Tonbildung hindernd entgegenstellen können. 3. Das Ansatzrohr a) A n a t o m i s c h e s u n d P h y s i o l o g i s c h e s . Das Ansatzrohr oder Artikulationsorgan besteht aus einem komplizierten Höhlensystem. H a t die Atemluft die Stimmritze verlassen, so strömt sie an dem steilaufgerichteten Kehldeckel entlang aufwärts in die langgestreckte S c h l u n d h ö h l e . Diese wird nach hinten von der Wirbelsäule begrenzt, nach vorn mündet sie in die Mundhöhle und Nasenhöhle. Die M u n d h ö h l e wird begrenzt von den Lippen, dem Oberkiefer mit den Oberzähnen,
Die Höhlen des Kopfes
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dem Unterkiefer mit den Unterzähnen, der Zunge und den Wangen; an den Oberkiefer schließt sich die Platte des harten Gaumens, daran nach hinten der bewegliche weiche Gaumen mit dem Gaumensegel, welches in das Zäpfchen ausläuft. Die N a s e n h ö h l e wird begrenzt durch die Nasenscheidewand, die Nasenflügel, das Nasenbein, Stirnbein, Keilbein, Oberkiefer und Gaumen. Der Übergang zwischen Nasen- und Schlundhöhle heißt Nasenrachenraum. Hängt das G a u m e n s e g e l in der Indifferenzlage, so teilt sich der aus der Schlundhöhle kommende Luftstrom in zwei Äste, d. h. ein Teil der Luft geht durch den Mund, ein Teil durch die Nase. Dieser Vorgang spielt sich z. B. bei dem Nasallaut (besser gesagt „nasalierten Vokal") in den französischen Worten „vient", „changeant", „on" und „un" ab. Hebt sich das GaumenStirnhöhle segel, so schließt es die Nasenhöhle Keilbeinhöhle vom Luftstrom ab, und dieser JQa&cnrachen • räum geht ganz durch den Mund. Man Schlundhöhle kann das am Nasenhöhle besten bei dem Vokal i beob- JSiundhöhle achten, während dessen Erzeugung man die Nasenlöcher beliebig öffnen und •hlkupf zudrücken kann, ohne daß der Fig. 4. Das Ansatzrohr (schematisch), a Oberkiefer, b harter Gaumen, c weicher Gaumen, d Gaumensegel, Klang des Vokals e Unterkiefer, f Zunge, g Kehldeckel, h Zungenbein, i Speiseröhre, k Stimmbänder sich merklich ändert. Senkt sich dagegen das Gaumensegel, und kommt ihm der hintere Teil der Zunge etwas entgegen, so wird der Mundhöhle die Luftzufuhr gänzlich abgeschnitten, und der Atemstrom entweicht allein durch die Nase. Dieser Fall tritt z. B. bei dem stimmhaften Konsonanten ng in Worten wie „Sang", „Menge"
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Das Ansatzrohr
ein, was daran leicht zu erkennen ist, daß ein Versehließen des Mundes von außen den Klang kaum beeinflußt, während ein Zudrücken der Nasenlöcher den Stimmprozeß unmöglich macht. Die ganz knochigen Stirnbein-, Keilbein- und Oberkieferhöhlen lassen sich beim Singen nicht verändern, so daß ihre Rolle bei der Stimmbildung ziemlich gering ist: sie wirken bestenfalls als Eesonanzräume zur Verstärkung des Klanges mit. Die Gestalt der Schlund- und Nasenhöhle kann nur wenig, die der Mundhöhle dagegen stark und auf verschiedenste Weise verändert werden, so daß dieser unsere Hauptaufmerksamkeit gebührt. Die Lippen können durch ihre Bewegungen eine große, kleine, breite, hohe Mundöffnung bewirken. Sie können auseinandergezogen und ans Zahnfleisch angelegt werden („Zähne fletschen") oder zusammengezogen und zu einem Schallbecher vorgestülpt werden („Karpfenschnute"). Die Zahnreihen können durch Senken des Unterkiefers auseinandertreten, was durch Innervierung der dicht am Ohr befindlichen Kaumuskeln geschieht. Der weiche Gaumen kann sich heben; die Bewegungsmöglichkeiten des Gaumensegels haben wir schon beschrieben. Der vielseitigsten Bewegungen jedoch ist die Zunge vermöge ihres höchst komplizierten Muskelsystems fähig: sie läßt sich herausstrecken und zurückziehen, nach beiden Seiten, nach oben und unten umstülpen, vorn, in der Mitte und hinten heben und senken, breit und schmal, konkav und konvex formen. Ziel sei insgesamt der „weite Hals", also (nachW. Ruth) das „Überwinden der Schluckkontraktion". Alle denkbaren Stellungen und Bewegungen der Lippen und der Zunge müssen vom Sänger auf das fleißigste geübt werden, damit sie dem leisesten Willensimpuls zu gehorchen lernen. Vor allem gilt es, in der Zunge, die man den talentvollsten und dabei doch meist ungehorsamsten Muskel unseres Körpers nennen kann, das schlummernde Muskelgefühl zu wecken und auszubilden. Auch übe man, das Gaumensegel willkürlich zu bewegen, was sich freilich nur in engen Grenzen bewußt wird ausführen lassen, und nehme dabei im Notfall einen Handspiegel zu Hilfe, um den Vorgang selbst zu beobachten. Auch
Klanggepräge
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das Öffnen und Schließen des Mundes sei dem Anfänger als Übung empfohlen, weil ihn viele Menschen teils schief, teils ruckweise und in ungleichen Absätzen, teils überhaupt nie ganz zu öffnen pflegen. Auch das Singen mit verschiedenem Gesichtsausdruck sei als Übungsmittel für solche empfohlen, die ihre Gesichtsmuskeln nicht sehr in der Gewalt haben. Denn der Gesichtsausdruck ist, ganz abgesehen von mimischen Aufgaben, von nicht zu unterschätzender Wichtigkeit für die Tongebung: wenn alle Muskeln des Gesichts schlaff und energielos herunterhängen, so klingt der Ton anders, als wenn sie wach und froh gespannt sind. Bei dieser Gelegenheit warnen wir auf das eindringlichste vor der Benutzung aller H i l f s a p p a r a t e zur Erziehung der Ansatzrohrmuskeln, als da sind Löffel, Kugeln, Bleistifte, Pflöcke u. dgl. Denn sie erzeugen nicht die erstrebte Beweglichkeit der Muskeln, sondern deren Verhärtung, da jede Beeinflussung dieser Art von außen her die Muskeln zu Abwehrbewegungen reizt. b) A k u s t i s c h e s . Ist die Lunge für den Stärkegrad, der Kehlkopf für die Höhe des Gesangstons maßgebend, so bestimmt das Ansatzrohr seine K l a n g f a r b e , und zwar sowohl das allgemeine Klanggepräge wie insbesondere die Eigenart der Sprachlaute. Betrachten wir zunächst, wie das a l l g e m e i n e K l a n g g e p r ä g e zustande kommt. Man vergegenwärtige sich, wie an dem Mundstück einer Gartenspritze jene beweglich angebrachte, spateiförmige Metallzunge die Richtung und Gestalt des an ihr entlangschießenden Wasserstrahles zu bestimmen vermag. Ähnlich vermögen die Zunge und das Gaumensegel, vielleicht'auch schon die Rachenwand, durch sehr geringe Veränderungen ihrer Lage dem Atemstrom ebenso wie den Schallwellen Form und Richtung zu geben. Bei dieser Gelegenheit sei von neuem betont, daß Atemstrom und Schallwellen nicht gleichbedeutende Begriffe sind, denn während ersterer sich fortbewegt, bleiben letztere als „stehende Welle" auf der Stelle. Während die Atemluft (wie man bei kaltem Wetter am dampfenden Hauch sehen kann) vor dem Munde sich bald verliert, kommt den Schallwellen eine mathematisch genaue Ge3
M o s e r , Technik der deutschen Gesangskunst
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Das Ansatzrohr
stalt und Länge zu. Die Verwechslung beider hat dem weitverbreiteten Begriff des A n s c h l a g s p u n k t e s zum Entstehen verholfen und dieser Gegenstand ist von solcher Bedeutung, daß er eine kurze Besprechung verlangen darf. Wenn der Ton gut klingt, d. h. wenn das Ansatzrohr richtig eingestellt ist, so verspürt man an einer Stelle, etwa in der Mitte des harten Gaumens, ein gewisses Vibrieren, als wenn dort „der Ton" aufschlägt; diese Empfindung weckt leicht die Vorstellung, der Ton entstehe „vorn im Munde", und darauf gründet sich die beliebte Redensart, der Ton „dürfe nicht hinten sitzen, sondern müsse nach vorn gebracht werden". Nun aber wissen wir erstens, daß der Ton nicht „im Munde", sondern in der Stimmritze entsteht, und zweitens, daß die T o n w e l l e n nicht an dem geschilderten „Anschlagspunkt" am harten Gaumen anschlagen können, denn einmal sind sie zumeist von sehr bedeutender Länge, und zum andernmal vermeiden sie ihnen entgegenstehende Hindernisse (nach neueren Forschungen) durch Abbiegen aus der alten Richtung. Was also im Munde „anschlägt", ist die für den Klangcharakter ziemlich unwesentliche A t e m l u f t . Dem Anschlagspunkt kann mithin kein d i r e k t e r Einfluß auf die Gestalt der Tonwellen zugestanden werden, höchstens darf er als A n z e i c h e n für eine gute Resonanz in der Mundhöhle angesprochen "werden. Ist diese erreicht, so brauchen wir nicht zu befürchten, daß scheinbar die Stimme „vor dem Munde stehenbleibt", sondern sie wird jene stählerne Durchschlagskraft besitzen (ständiges elastisches Nachschieben des Atems außerdem vorausgesetzt), die man im großen Raum braucht und als „Tragfähigkeit" bezeichnet. Die aus jener irrtümlichen Anschauung von der Rolle des Anschlagspunktes erwachsene Vorstellung, als „sitze der Ton hinten" (überhaupt ein unerfreulicher Ausdruck des Sängerjargons, denn der Ton „sitzt" nicht, sondern er „wird gebildet"), führt außerdem den Schüler leicht zu dem Glauben, das „Nachvornbringen" des Tones besorge allein die ausströmende Luft, so daß er nun leicht mit zuviel Atem singt. In Wahrheit ist die richtige A n s a t z r o h r e i n s t e l l u n g für den Klangcharakter des Tones entscheidend, und wir können
Anschlagspunkt
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daher sagen, daß eine schlackenfreie, schöne Tonbildung am sichersten durch eine gute Schulung des Ansatzrohres, und diese wieder durch eine fehlerlose L a u t b i l d u n g (als das klangliche Ergebnis der richtigen Ansatzrohreinstellungen) erreicht wird. Wobei wichtig ist, daß gleich beim Toneinsatz alle Obertöne gebildet werden und nicht etwa (wie bei einer schlechten Pedalkoppel der Orgel) merkbar später einsetzen. Dagegen ist jedes unfreie, d. h. unrichtige, krampfige Verhalten der Muskeln des Ansatzrohres von ganz auffälliger Wirkung auf die Qualität des Tones, und man hat daher in ganz richtiger Übertragung den Ausdruck vom „unfreien Ton" gebildet. So ist z. B . der häufigste Feind einer freien Tonbildung, der sog. „Knödel", in einem unfreien Verhalten der Zunge, speziell der Zungenwurzel begründet; „gaumig" klingt die Stimme, wenn das Gaumensegel stets schlaff herabhängt und das Ausströmen des Tones behindert. Durch die verschiedenartige Gestaltung des Ansatzrohres lassen sich mithin folgende Klangqualitäten erzeugen: „klirrend, zahnig", wenn die Empfindung des „Anschlagspunktes" bei wenig geöffneten Zahnreihen zu weit vorne gespürt wird; „stumpf, dumpf", wenn er sich zu weit hinten zu befinden scheint; ferner knödelnd, gaumig, halsig; und als erwünschtes Mittelding „frei, biegsam, tragfähig". Qualitäten wie „offen" und „gedeckt", „hell und dunkel" hängen von der Farbe der Einzellaute ab und lassen sich nur erst in bezug auf diese des genaueren erörtern. Wir kommen zur Akustik der V o k a l k l ä n g e . Ein gesungener Ton erscheint dem naiv urteilenden Ohr als ein Einfaches, während er in Wahrheit ein ganzer Komplex von Klängen ist, welcher aus einem Grundton und verschiedenen, zu diesem harmonischen Obertönen besteht. Nur das darauf eingeübte Ohr vermag einen Klang in seine Teilfrequenzen zu zerlegen, so innig pflegen diese zu einer Einheit zu verschmelzen. Von den musikalischen Instrumenten geben nur die gedackten Orgelpfeifen und die Stimmgabel einigermaßen einfache, d. h. obertonfreie Klänge. Auch der Kehlkopf erzeugt, wenn man das Ansatzrohr ausschaltet, nahezu einfache Klänge: der reine Stimmlippenton weist beinah reine Sinuskurven auf (Experi3*
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Das Ansatzrohr
ment von Katzenstein), also die elementarste Form von Schwingungen*). Da nun aber die Kurve eines frei durch den Mund ausströmenden Tones durch die Beimischung von Obertönen in sehr komplizierter Gestalt erscheint, so müssen eben diese Obertöne im Ansatzrohr entstehen, und zwar durch die mancherlei Ablenkungen und Verengerungen, welche das Höhlensystem des Ansatzrohres der Klangsäule aufzwingt. Dank den Forschungen von Laubinger und Win ekel kann man jetzt durch Mikrophon und Schallband Stimmbildungsfehler an einzelnen Teiltönen nachweisen und korrigieren. Klänge mit zu wenigen Obertönen klingen spröde und nicht sehr ausdrucksvoll (z. B. die Töne der Flöte), solche mit mehreren wichtigen Obertönen weich und warm (z. B. die Töne der Violine), solche mit überwiegend tiefen Obertönen dumpf (nach Art des Vokals u), solche mit überwiegend hohen Obertönen scharf und spitz (nach Art des Vokals i). H e l m h o l t z hat durch Analyse und Stumpf durch Synthese der menschlichen Sprachlaute bewiesen, daß die Verschiedenheit der Vokale auf abweichender Mischung der Teiltöne beruht, und diese wieder besonders auf der verschiedenartigen Gestaltung der Mundhöhle. Wenn man von a als der Normalstellung ausgeht, so kann man einmal die Mundöffnung allmählich verkleinern und die Mundhöhle durch Flachlegen der Zunge vergrößern: dadurch wird aus a ein o, schließlich ein u. Sodann kann man, wieder von a aus, die Mundwinkel auseinanderziehen, so daß die Mundöffnung zu einem horizontalen Spalt wird, und die Zunge bei liegenbleibender Zungenspitze in der Mitte heben, hinten senken. Die Mundhöhle gleicht alsdann einigermaßen einer Flasche, deren Hals nach vorn, deren Bauch nach hinten liegt: so kommt man von a über ä, e nach i. Schließlich kann man, von der a-Stellung ausgehend, bei kleiner runder Mundöffnung den Vorderteil der Zunge senken („Flaschenbauch") und den hinteren Teil heben („Flaschenhals"), wodurch man über ö nach ü gelangt. Ein Schema von F. H. du Bois-Reymond („Kadmus" 1811) veranschaulicht in einfacher Weise diese Möglichkeit (vgl. Fig. 5). *) Vgl. Schäfer, Musikalische Akustik (Samml. Göschen)
Phonetik
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Man kann die Vokale noch nach einem anderen Prinzip ordnen, nämlich nach der relativen akustischen Höhe, die sie in der Flüsterstimme einnehmen. Hierbei ergibt sich eine Helligkeitsskala, die bei u beginnt und mit i nach der Höhe zu schließt. Die „offenen" Vokale (wie in „soll", „still", „Fell") unterscheiden sich von den „geschlossenen" (wie in „Sohn", „Stiel", „Fehl") bezüglich ihrer Erzeugung hauptsächlich dadurch, daß der Unterkiefer bei ihnen durchgehend etwas sinkt, so daß die Mundhöhle um ein geringes erweitert, die Mundöffnung ein bißchen vergrößert wird. Der Sänger soll nur o f f e n e und g e s c h l o s s e n e , nicht aber k u r z e und l a n g e Vokale unterscheiden, denn der „kurze" Vokal kann auf der längsten, der „lange" auf der kürzesten Note stehen. c) P h o n e t i s c h e s . Die Phonetik ist eine registrierende Wissenschaft. Sie will die Erzeugung der Sprachlaute beobachten, es kommt ihr aber dabei weniger darauf an, die Fülle der Erscheinungen auf ein paar Formeln und Regeln zu vereinfachen, wie es z. B. die Grammatik tut, sondern sie sucht gerade die Mannigfaltigkeit des lebendigen Wortes zu fassen. Sie ist dadurch zu einer recht umfänglichen und nicht leicht übersehbaren Disziplin geworden. Uns kommt es hier nicht auf natur- oder sprachwissenschaftliche Sammelkenntnisse, Sonderkauf pädagogische Vereinfachungsmöglichkeiten an, damit die Aussprache vor allem leicht l e h r b a r wird. Deshalb soll im folgenden z. B. der Begriff L a u t h a r m o n i e ausgeschaltet werden, welcher besagt, daß die einzelnen Laute einander beeinflussen, so daß z. B. ein sch anlautend wie auslautend in der Verbindung mit i anders klingt als in der mit u. Kann der Schüler überhaupt erst einmal ein sch ordentlich bilden, so überlasse man das Weitere seinem Ohr — die Lautharmonie wird sich dann automatisch einfinden. Die Hauptsache ist zunächst, daß der Schüler jeden Laut recht typisch und eindeutig zu bilden lernt. Dann aber lasse der Lehrer die Zügel etwas lockerer, damit die Einzellaute sich
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Das Ansatzrohr
wirklich zum lebendigen Wortorganismus zusammenfinden können. Daß unser reicher Konsonantismus musikalisch alles andere als ein Nachteil ist, beweisen neueste Erkenntnisse der „Einschwingvorgänge" (rasch abklingende unharmonische Frequenzen): schneidet man diese soweit ab, daß der Ton erst nach dem Ausgleichsvorgang gehört wird, so verliert er jedes spezifische Timbre (Klanggepräge).
Bezüglich der A u s s p r a c h e ist zu verlangen, daß der Schüler erstens von der Mundart zur korrekten musikalischen Bühnenaussprache fortschreite, und zweitens sich vom Schriftbild losmache, um zum Lautbild zu gelangen. Es ergibt sich die Frage: Was ist Dialekt, was ist reines Deutsch? Man hat hierüber erst 1898 eine Einigung erzielt durch eine Konferenz in Berlin, an welcher Germanisten, Schauspieler und Theaterdirektoren teilgenommen haben. Die Ergebnisse sind als für ganz Deutschland verbindlich erklärt und in dem Buche „Th. S i e b s , Deutsche Bühnenaussprache" niedergelegt worden. Das kleine Werk hat mit jeder Auflage Verbesserungen erfahren und später durch K. S c h e i d e m a n t e l einen Anhang für Sänger erhalten. Wie man auch persönlich zu einzelnen Fragen stehen mag — die Freude über die endlich erzielte Einigung verbietet Eigenbrötelei, und auclj wir wollen uns nach diesem Leitfaden richten, der endlich die Forderungen der Praxis mit den Ergebnissen der Sprachwissenschaft in Einklang bringt, während vorher — mit wenigen Ausnahmen — der persönliche Geschmack oder die alte Gewohnheit als einziger Maßstab in diesen Dingen gegolten hatte. Fast noch schwerer als vom Dialekt scheint sich der Schüler von der „ O r t h o g r a p h i e a u s s p r a c h e " losmachen zu können, denn hier beruft er sich gläubig darauf: „ J a , aber es wird doch so g e s c h r i e b e n ! " Die Sprachlaute sind älter als unsere Schrift, und wenn man versucht hat, sie durch diese wiederzugeben, so konnte man naturgemäß nur bis zu einer annähernd ähnlichen Umschreibung des Lautbildes gelangen, zumal da unsere Buchstaben ursprünglich gar nicht für d e u t s c h e Laute bestimmt waren. Schon der Versuch, einen gewissen stimmlosen Reibelaut durch
Aussprache
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seh wiederzugeben, obwohl keiner dieser drei Laute wirklich in dem Klange vorkommt, zeigt, wie ungeschickt man oft bei diesen Umschreibungsversuchen verfahren ist. Daß ng ein einheitlicher Laut sei, in welchem weder n noch g vorkommt, daß in eu weder ein e noch ein u gesprochen wird, daß der Vokal in sengen und sängen genau der gleiche sei — all das ist dem Schüler oft schwer klarzumachen, da er in den seltensten Fällen einen Begriff von der historischen Entwicklung der deutschen Sprache hat. (Man unterrichte sich darüber in „Germanische Sprachwissenschaft" v. H. Krähe, Samml. Göschen Nr. 238.) Das Übel der Orthographieaussprache wird nicht weichen, solange man in unserer „Rechtschreibung" die ewige Wahrheit zu erblicken glaubt, während sie in Wirklichkeit doch immer nur ein Notbehelf und der Versuch einer ungef ähren Annäherung bleibt, belastet von vielhundertjährigen Überlieferungen. Unsere Stellung zum Schriftbild möge in dem Satz gipfeln: „Ein Sprachlaut ist nicht ein ausgesprochenes Schriftzeichen, sondern ein Bestandteil des Klanges unserer konventionellen Wortbilder" (Traug. Heinrich). Im folgenden sei eine Ü b e r s i c h t ü b e r die d e u t s c h e n L a u t e gegeben, und zwar nicht vom philologischen Standpunkte aus, sondern nur für die Bedürfnisse des Sängers. Die wichtigste Einteilung für ihn ist die in stimmhafte und stimmlose Laute, d. h. in solche, bei denen die Stimmbänder schwingen, und solche, bei denen nur Atem und Ansatzrohr beteiligt sind. Man wird vielleicht verwundert sein, b, d, g unter den stimmlosen zu finden. Da wir aber vom musikalischen Standpunkt aus die Forderung glauben aufstellen zu müssen, daß der eventuelle Stimmton des Konsonanten stets auf der akustischen Höhe des nachfolgenden Vokals stehen müsse, was aber bei den den Stimmton der weichen Explosivlaute repräsentierenden „Blählauten" unausführbar ist, so entscheiden wir uns für den oberdeutschen Gebrauch, diese Laute stimmlos zu bilden. Sie unterscheiden sich dann von p, t, k immer noch genug in bezug auf die Plötzlichkeit des Verschlusses und den Grad der Explosion. Die Verstärkung an Stellen affektvoller Hervorhebung überlassen wir nicht dem Blählaut, sondern der Dauer des Verschlusses. Zugelassen wird der Blählaut nur bei verdoppeltem weichen Verschluß im Inlaut, z. B. bei Edda, Ebbe, Egge. Was die
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Das Ansatzrohr
B e h a u c h u n g der T e n u e s p , t , k a n g e h t , so darf m a n sie i m D e u t s c h e n w e d e r n a c h r o m a n i s c h e r A r t f o r t l a s s e n (wie z . B . i n d e m f r a n z ö s i schen W o r t e „ p a t h é t i q u e " ) , n o c h ü b e r t r e i b e n (z. B . „ K h e i n e P h e i n des T h o d e s " ) , s o n d e r n h a l t e j e n e s M i t t e l m a ß ein, w e l c h e s w i r i n leidenschaftsloser Rede a n z u w e n d e n pflegen.
Deutsche
Lauttafel
Stimmhaft
u o a ö e ü i
offen (Bulle) (sollen) (Wanne) = (Hölle) (stellen) = (gegebene) (füllen) (still)
Vokale geschlossen ü (Buhle) 5 (Sohlen) - ä, (Wahn) ö (Höhle) = ä (stählen) 6 (stehlen) ü (fühlen) 1 (Stiel)
Halbvokale m (Samen) n (Sahne) q (sangen) Doppelvokale äe (weinen, Kaiser) ko (laufen) oö (heute. Häute)
Reibelaute I (Elle) r (Herren) w (ewig, Eva) j (jener) / (Esel, Sein)
Stimmlos Reibelaute h (Haß, behüten) f y % s s
(Feuer, Veilchen) (ich. Kirche) (ach, auch, Fluch) (es, essen) (Asche, spiele, stehe)
Verschlußlaute hart p (Pein) k (Kuß) t (Thorn)
weich b (Bein) g (Guß) d (Dorn)
x = k +8 y = ü oder ü oder i z = t + s
I n der o b e n s t e h e n d e n T a f e l sind die V o k a l e n a c h ihrer H e l l i g k e i t g e o r d n e t , j e d o c h in o f f e n e u n d geschlossene e i n g e t e i l t w o r d e n , d a m i t der S ä n g e r auf einen seiner b e l i e b t e s t e n A u s s p r a c h e f e h l e r h i n g e w i e s e n w e r d e : die u n g e n ü g e n d e U n t e r s c h e i d u n g v o n i u n d 1, ü u n d ü u s w . D e r ich- u n d a c h - L a u t w e r d e n als % u n d y s t r e n g g e s c h i e d e n , d e n n d a die A r t i k u l a t i o n s s t e l l e n g a n z v e r s c h i e d e n e sind, k a n n m a n h i e r nicht mehr g u t v o n bloßer L a u t h a r m o n i e sprechen. D e r später noch genau zu behandelnde Nebensilbenvokal wurde durch a ausgedrückt, n g d u r c h rj, sch d u r c h d a s s l a w i s c h e s. B e i d e n D i p h t h o n g e n ( V o k a l z w i l l i n g e n , D o p p e l l a u t e n ) z e i g t der B o g e n an, d a ß b e i d e B e s t a n d t e i l e n i c h t u n g e m i s c h t n e b e n e i n a n d e r stehen, s o n d e r n a l l m ä h l i c h inein-
Deutsche Bühnensprache
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ander übergehen. Der erste Vokal nimmt zeitlich mehr als drei Viertel, der zweite weniger als ein Viertel der Gesamtdauer ein. Wegen dieser Kürze und Unbetontheit des zweiten Vokals kann man im Zweifel sein, ob ei als äe oder als äe, ob au als äo oder als äo, ob eu als oö, oö oder oü zu sprechen ist. Das reine i bzw. ü darf aber auf keinen Fall erreicht werden, denn main, hoite und häüs wäre unverfälschter schwäbischer Dialekt. Das stimmhafte s ist durch J, das stimmlose durch s bezeichnet. Im Zusammenhang hiermit geben wir die wichtigsten Ausspracheregeln 1. Verdoppelte Konsonanten halte man länger als einfache, z. B. „alle" und „Aale", „Koller" und „Kohler", „Schiffer" und „Schiefer". Abgesehen von der Verschiedenheit der Vokale hat auch der Unterschied einzutreten, daß der Konsonant im ersten Fall plötzlich und energisch, im zweiten Fall allmählich und sanft gebildet wird. Denn beispielsweise in „alle" und „Aale", wo der Gegensatz von offenem und geschlossenem Vokal geringer als bei anderen Vokalen ist und die Unterscheidung von „kurzem" und „langem" Vokal durch den musikalisch entgegengesetzten Rhythmus hinfällig werden kann, bleibt die Art, wie der Konsonant gebildet wird, der wichtigste Anhalt für die verschiedene Bedeutung der beiden Wörter. 2. Auslautende, weiche Verschlußlaute (Mediae) werden zu harten (Tenues), z. B. K r u g = krük, Rad = rät, Leib = läep; nicht aber, wenn der inlautende Konsonant nur durch Apostroph vor anlautendem Vokal scheinbar zum auslautenden wird, z. B. „ich leb' in Frieden". 3. Auslautendes g wird (trotz dem niederdeutschen, entgegengesetzten Gebrauch) nicht zum Reibelaut also z. B. „Krieg" = krik, nicht = krfy. Eine Ausnahme bildet nur die Endung ig. Also: König = köni^, wenig = weni^, einig = äcni/. Aber: königa weniger, äeniga. 4. Anlautendes und inlautendes S in deutschen Worten ist immer stimmhaft, also Jö, ejol, nicht ßö, eßal. Auslautendes s ist dagegen immer stimmlos, also waß, nicht waj. 5. Bei ng wird kein g gesprochen. Man vergleiche „singen" und „sinken": Jiqen, aber Jirjten, Jag, aber Jaijk. Gehören n und g zu verschiedenen Silben, so dürfen sie nicht zu ij ineinanderfließen: t. B. angeji&n, nicht aqanem.
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6. Wenn ein inlautendes h nur deshalb in die Orthographie gekommen ist, um zu bewirken, daß nicht u und e als ü, o und e als ö, e und i als ei gelesen werden, so darf es nicht ausgesprochen werden. Also: ruhen = rüan, sehen = Jean, fähig = fei/. Aber natürlich behalten, gehofft usw. 7. Anlautendes st und sp wird in deutschen Worten stets zu st und sp. Also nicht, wie die Hanseaten sagen, ß-tellon und ß-pre/an, sondern stellen und spre/en. Anders liegt der Fall natürlich, wenn s und t, s und p verschiedenen Silben angehören, wie in Ras-pel, Inns-bruck. Im Auslaut wird st nicht zu st, also nicht ist, sondern ist, nicht maenst, sondern maenst. 8. Man verwechsle nicht den ich- und ach-Laut. Also nicht (wie man in Österreich spricht) Kirye, sondern Kir/a, nicht (alemannisch) iy, sondern iy_9. chs, lcs, cks, gs sind immer wie x auszusprechen; also nicht „Fuchs" = fuys, sondern = fuks, „flugs" nicht = flugs, sondern = fluks. 10. Beim gesamten Vokalismus unterscheide man geschlossene und offene Vokale auf das strengste. Also nicht bin, sondern i / bin, nicht die fiile, sondern die fülle, nicht ganüs, sondern ganus; aber auch nicht tötan, sondern tötan, nicht fälan, sondern feien, nicht sträm, sondern ström. Auch hüte man sich vor dem zu starken VerA färben der Vokale: nicht sola, sondern sele, nicht bülduq, sondern bildui), nicht kloön, sondern kläen. ••—'
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11. In den Vorsilben ver-, zer-, er- wird nicht der Nebensilbenvokal angewendet. Also z. B. „zerrissene". Das Wort „der" mit Nebensilbenvokal bedeutet den Artikel (der), mit e das hinweisende Fürwort (der). Nicht wintar, sondern winter. 12. Man hüte sich vor der lächerlich wirkenden Einschiebung von Sproßkonsonanten und Sproßvokalen. Also nicht „kompt", sondern „kommt", nicht „Mentsch", sondern „Mensch". Nicht „Schäwan", sondern „Schwan", nicht ,,essa lachte dera Mai", sondern „es lacht der Mai", nicht „Häwintärästirmä", sondern winterstürme. Für die F r e m d w ö r t e r gelten natürlich andere Regeln, die gleichfalls sorgfältig beachtet werden wollen. In allen unsichern Fällen befrage man die „Deutsche Bühnenaussprache" von Th. Siebs oder das große phonetische Wörterbuch von W. Vietor. Greifen wir auf den Anfang unserer theoretischen Betrachtungen zurück und erinnern wir uns der drei dort aufgestellten
Ausspracheregeln
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Fragen: „Was k a n n die Stimme leisten?" „Was soll sie leisten?" und „Wie erziehen wir sie zu den geforderten Leistungen?", so können wir auf Grund der bisherigen Auseinandersetzungen die Antwort in folgende Sätze zusammenfassen: Durch falsche oder ungenügende Ausnutzung unseres Stimmapparates erreichen wir bei weitem nicht das, was er, gut geleitet, leisten könnte. Zu erstreben ist ein Höchstmaß von Arbeitsleistung bei einem geringen Maß von Kraftentfaltung und der völlige Gehorsam des Apparates auf jede Willensregung. Dieses Ziel läßt sich nur erreichen, wenn man die vollendete g e g e n s e i t i g e U n a b h ä n g i g k e i t der einzelnen Vorgänge herzustellen sucht, und so durch sorgfältige Erziehung der Teilorgane den Gesamtorganismus für die Bedingungen des künstlerischen Nachschaffens gefügig macht. Im Endstadium der Ausbildung soll der Automatismus auf höherer Ebene zurückgewonnen werden. II. Praktischer Teil Wenn wir es jetzt unternehmen, die praktische Seite des Stimmbildungsproblems abzuhandeln, so müssen wir gestehen, daß—wenigstens für uns—jene unfehlbare ßtxaiXixr] irganöc;, jener „Königsweg", den König Ptolemäus von Euklid für die Erlernung der Geometrie forderte, auch für die Gesangskunst noch nicht gefunden ist. Die Suche wird wohl auch für immer vergeblich bleiben, ist doch hier in vielleicht noch höherem Grade als bei der Aneignung jeder anderen Disziplin die persönliche Anlage des Zöglings von Bedeutung. Der Geiger, der Klavierspieler kann sein Instrument, wenn es ihm nicht mehr zusagt oder er es beschädigt hat, gegen ein anderes umtauschen; der Sänger hingegen ist an seinen Gesangsapparat für immer gefesselt. Einmal verdorben, läßt sich sein Instrument durch kein anderes mehr ersetzen. Hieraus erklärt sich das Mißtrauen des Publikums dem Gesanglehrer gegenüber; denn wenn der Geiger sich eine steife Bogenführung, der Pianist sich einen harten Anschlag angewöhnt hat, so geht er zu einem andern Lehrer und lernt in kürzerer oder längerer
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Praktischer Teil
Zeit um — der Sänger wäre im entsprechenden Falle froh, wenn er sich auch gleich einen anderen Kehlkopf anschaffen könnte, denn der erste ist vielleicht schon durch die falsche Handhabung für immer verdorben. Nun ist es ganz unmöglich, eine allgemein brauchbare „Methode" b i s i n s D e t a i l auszuarbeiten, eine solche im guten Sinne läßt sich höchstens auf jene grundsätzlichen Richtlinien festlegen, die den gemeinsamen Unterbau für die je nach der Eigenart der Schüler notwendig voneinander abweichenden Erziehungswege bilden. Der wahre Lehrer wird jeden Schüler auf dem gerade seiner Anlage und Wesenheit angepaßten Weg zum Ziele bringen, und dieser' wird naturgemäß jedesmal ein anderer sein. Nur eine festgefügte, klare Anschauung von den Grundlagen wird den Lehrer von der handwerklichen Schablone des Methodenbegriffs zur Bewegungsfreiheit des dank fruchtbar improvisierender Phantasie wahrhaft pädagogischen Künstlers emporführen. Und nur in diesem einschränkenden Sinne wollen wir es versuchen, eine „Methode" der Stimmbildung aufzustellen. A. Die Elemente der Technik Suchen wir die Grundfunktionen des Stimmapparates auf, jene einfachsten Vorgänge, aus denen sich alle anderen, auch die kompliziertesten, zusammensetzen. Die Beschaffenheit des Apparates gibt uns den natürlichsten Hinweis: er gliedert sich, wie wir gesehen haben, in drei Teile, deren jedem völlig gesonderte Verrichtungen zukommen. Diese entsprechen den drei wichtigsten Eigenschaften jedes musikalischen Klanges: Tonstärke, Tonhöhe und Klangfarbe. Es lassen sich also folgende Grundfunktionen aufstellen: 1. A t e m b e w e g u n g e n bei unveränderter Einstellung des Kehlkopfes und des Ansatzrohres: a) bei gleichbleibendem Druck, b) bei stärker oder schwächer werdendem Druck (cresc. und dim.), c) mit plötzlicher Unterbrechung des Stromes.
Stoffverteilung
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2. V e r ä n d e r u n g e n im K e h l k o p f bei gleichbleibendem Atemdruck und unveränderter Stellung des Ansatzrohres: a) allmähliche Veränderung der Spannung (Portamento), b) Wechsel von Flüster- und Vollstimme (h + Vokal). 3. V e r ä n d e r u n g e n des A n s a t z r o h r e s bei gleichbleibendem Atemdruck und unveränderter Stimmbandspannung: die verschiedenen Laute. Jeder gesangliche Vorgang läßt sich als ein Zusammenwirken dieser einfachsten Vorgänge nachweisen. Die Bewegungen des Ansatzrohres lassen sich unter Ausschaltung des Atmens und des Kehlkopfes, die des Atems unter Ausschluß der Kehlkopf- und Ansatzrohrbewegungen, die Bewegungen der Stimmbänder dagegen nur im Zusammenhang mit dem ganzen Apparat üben. Beginnen wir also mit der am wenigsten komplizierten Funktion, dem Atmen, schließen wir daran die Bewegungen des Ansatzrohres, um endlich zu den Verrichtungen der Stimmbänder zu gelangen. 1. Das Atmen Es wurden im theoretischen Fall drei Atemtypen aufgestellt: Schulter- oder Schlüsselbeinatmung, Flankenatmung und Bauch- oder Zwerchfellatmung. Jetzt ist zu untersuchen, welche Art von Luftversorgung wir als brauchbar annehmen können, welche dagegen abgelehnt werden muß. Denn entscheiden müssen wir uns — Unklarheit oder Gleichgültigkeit in so grundlegenden Dingen wird der Stimme sicher gefährlich werden. Wenn es auch in einem späteren Stadium der Ausbildung unsere Aufgabe sein wird, eine Atemform zu finden, die den Sänger durch möglichst große Aufspeicherung von Luft zu besonderen stimmlichen Kraft- und Dauerleistungen befähigt, so haben wir v o r l ä u f i g eine andere Absicht: es kommt uns vor allem auf die Genauigkeit und den richtigen Verlauf der Vorgänge, also weniger auf die Quantität als auf die Qualität an, und das Ziel lautet wieder: bei einem Mindestmaß von Kraftverbrauch ein Höchstmaß von Leistung zu erreichen.
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Das Atmen
Wenn gleich anfangs gesucht wird, möglichst viel Luft einzuatmen, so liegt die Gefahr nahe, daß man gar zu leicht mit dem Überfluß verschwenderisch umgeht, d. h. hauchig und unrein singt und später, wenn wirklich bei langen Bindungen gespart werden muß, nicht mehr hauszuhalten versteht. J e mehr Atem wir einnehmen, desto mehr Muskeln müssen wir in Bewegung setzen, das heißt: um so mehr Kraft brauchen wir, ohne darum eine größere Endleistung zu erzielen; also wäre das Prinzip, Atem unnötig „aufzustauen", einigermaßen unwirtschaftlich. Unser Grundsatz lautet vielmehr, wenigstens für den Anfang: Man soll nie m e h r A t e m e i n n e h m e n , als m a n geb r a u c h t ; eine Regel, der auch die bald zu erörternde „Atemstütze" nicht widerspricht. Es sind jedenfalls bei der Wahl eines bestimmten Atemtypus zwei Forderungen zu erfüllen: einmal müssen wir diesen Atem völlig in unserer Gewalt haben, zum anderen darf mit dieser vorläufigen Atemart eine spätere, endgültige nicht im Widerspruch stehen, sondern soll nur deren Steigerung darstellen. Die reine S c h l ü s s e l b e i n a t m u n g muß entschieden abgelehnt werden. Erstens greift die Spannung der betreffenden Muskeln stets auch auf die Muskeln des Halses über, und die zu fordernde Unabhängigkeit von Atmung und Kehlkopf ist auf diese Weise gefährdet; ein aufgeblähter oder außen geröteter Hals zeigt stets, daß Kraft an falscher Stelle vergeudet wird. Zweitens wird bei der Schulteratmung nur der oberste Teil der Lunge prall mit Luft gefüllt und dadurch das Zustandekommen der tiefen „Brustresonanz" unmöglich gemacht, welche eine gewisse elastische (aber auch nicht krampfhafte!) Spannung der Höhlenwände gerade im unteren Teil der Brust voraussetzt. Die hohe Atmung sieht man hauptsächlich von Frauen angewendet, denen die Schnürung durch das Korsett jede tiefere Atmung unmöglich macht. Frauen neigen überhaupt mehr zur Schlüsselbeinatmung, weil bei ihnen die obersten Rippen viel elastischer als bei den Männern verbunden sind, und sie daher auch im oberen Teil des Brustkorbes mehr Luft aufspeichern k ö n n e n als diese. Die aufgezeigten Nachteile der Schulteratmung bleiben jedoch für beide Geschlechter gleichmäßig bestehen.
Typen der Muskelspannung
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Die möglichst reine F l a n k e n a t m u n g wird von manchen Seiten den anderen Atmungsformen vorgezogen, und sie gewährleistet allerdings die Unabhängigkeit zwischen den Funktionen der Atem- und Kehlkopfmuskulatur sowie das Zustandekommen der „Brustresonanz". Was uns aber von ihrem Gebrauch f ü r den A n f ä n g e r abraten läßt: bei der Flankenatmung muß man, auch um kleine Luftmengen einnehmen zu können, gleich s ä m t l i c h e in Betracht kommenden Muskeln in Aktion setzen. Nun aber ist es recht schwer, gleichzeitig die Bewegungen so vieler Muskeln genügend zu beobachten. Und ihr unbezweifelbarer Vorzug, daß sie dem Sänger sehr viel Luft zur Verfügung stellt, ist zugleich mit einem nicht unbeträchtlichen Nachteil verbunden: man kommt dadurch leicht in die Gefahr, den Reichtum gewohnheitsmäßig zu verschwenden. Gerade die sparsame Ausnutzung der Luft ermöglicht nun die überwiegende B a u c h - o d e r ' Z w e r c h f e l l a t m u n g , welche auch jene beiden oben aufgestellten Forderungen durchaus erfüllt. Ihre Natürlichkeit ersieht man daraus, daß sie von Kindern und Wilden vorzugsweise angewendet wird. Da wir im Zwerchfell selbst kein Muskelgefühl haben, so stellt sie sich der Beobachtung als ein Vorwölben und Zurücksinken des sog. „epigastrischen Dreiecks" dar, jenes Teiles der Bauchdecke, dessen Spitze durch das untere Ende des Brustbeins, dessen Schenkel durch die freien Rippenenden gebildet werden. Gewiß — diese Funktion gewährt zunächst nur einen „kurzen" Atem, aber mehr als dieser wird vorläufig gar nicht verlangt, und er erfüllt die Forderung leichter Regulierbarkeit, denn die betreffende Muskelgruppe ist klein, und der Schüler lernt sie daher schnell und ohne Anstrengung regieren. Später, wenn der Atem vor große Aufgaben gestellt ist, muß man die Bauchatmung organisch zur „kombinierten Zwerchfell- und Flankenatmung" vertiefen, darf sogar im No t f a l l einmal die Schlüsselbeinatmung zur Unterstützung heranziehen. Aber auch dann wird die ursprüngliche „kurze" Atmung immer noch das Zentrum der Atembewegung bleiben müssen, um das herum in immer weiterem Umkreis die Muskeln innerviert werden, womit auch jene zweite Forderung erfüllt ist. Und da auf diese
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Das Atmen
Weise beim Ausatmen die unteren Partien der Lungenwand immer noch einigermaßen gespannt bleiben, so sind die Voraussetzungen für die „tiefe Brustresonanz" gleichfalls erfüllt. Wesentlich für das Singen und Sprechen ist, daß die Einatmung möglichst kurze Zeit in Anspruch nimmt, die Ausatmung dagegen möglichst ruhig geschieht. Man stelle sich frei und in aufrechter Haltung hin, das Körpergewicht auf beide Beine gleichmäßig verteilt, die gesamte Muskulatur des Leibes in geringer Spannung, lege nötigenfalls auch eine Hand ganz leicht auf das epigastrische Dreieck, um den Verlauf und Stärkegrad der Vorwölbung kontrollieren zu können, und atme (zunächst bei geschlossenem Munde) durch die Nase schnell ein. Öffnet man später auch beim Einatmen den Mund, und macht sich dann beim Lufteinnehmen in der Kehle ein schluchzendes Geräusch bemerkbar (das „hörbare" Atmen), so ist die Stimmritze nicht weit genug geöffnet, und man muß sogleich auf völlige Abstellung dieses Übelstandes bedacht sein — die Ursache wird meist in dem unfreien Verhalten der Kehlkopfmuskulatur begründet liegen. Man achte auch darauf, daß sich beim Einatmen nicht die Schultern heben; zeigen sie (meist eine Erinnerung an die Schlüsselbeinatmung) starken Hang dazu, dann suche man sie für eine Weile beim Ausatmen zu heben, beim Einatmen zu senken — so wird jede Neigung zur Schulteratmung gründlich vereitelt. Hat man eingeatmet, so vergesse man nicht eine zweite kleine, aber wichtige Bewegung: die Verlagerung der Luft durch ein wenig Zurücknahme der Bauchdecke und Geradestellen des Brustkorbs, wodurch die Luft „etwas nach oben verpackt wird", um sie besser beherrschen und als „Stütze" sparen zu lernen. Dabei ist zu beachten, daß nicht die Stimmlippen durch krampfigen Verschluß, sondern die Bauchmuskeln durch Verharren im Spannungszustand die Luft am Ausströmen hindern. Der unnötige, „gedrückte" Stimmritzenverschluß läßt sich dadurch am besten abgewöhnen, daß man tief einatmet, in diesem Zustand kurze Zeit verharrt und dann bei gefüllter Lunge in schneller Folge ganz geringe Ein- und Ausatmungen vornimmt; wenn diese unbehindert, d. h. ohne Keibegeräusch der Luft vonstatten gehen,
Die Stütze
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so ist die Stellung der Stimmritze wie gewünscht. Beim Ausatmen hat die kontrollierende Hand darauf zu achten, daß die Abschwellung des Dreiecks ganz allmählich vor sich geht, die Anspannung der Muskeln nicht zu früh, sondern im Verhältnis zur Menge der ausgeatmeten Luft erfolgt. Zur Kontrolle der Ausatmung lasse man die Luft durch eine kleine Mundöffnung entströmen, bilde also eine jener Konsonantenengen, die wir bei den Funktionen des Ansatzrohres bald genauer schildern werden, z. B. f, s, s. An dem entstehenden Reibegeräusch kann man dann genau beobachten, ob der Atemdruck richtig ist. Die Atemübungen sollen mit großer Vorsicht, d. h. nicht zu häufig und zu lange gemacht werden, mit sehr allmählicher Steigerung der Luftmenge und der Ausatmungsdauer, denn sie dürfen keinesfalls Selbstzweck werden, sondern wollen nur Vorbereitung für Wichtigeres sein. Bei Übertreibung tritt eine Ermüdung der Muskeln ein, die sich besonders durch zittriges Ausatmen, Stiche beim Einatmen, Schwarzwerden vor den Augen und allgemeines Unbehagen äußert. Man gewöhne sich, nach einem bestimmten, genau eingehaltenen Rhythmus zu üben; nur so erzieht man die Muskeln zu Genauigkeit und Gehorsam. Man stelle sich z. B. einen langsamen | - T a k t vor: auf „eins" einatmen, auf „zwei" Verlagern, auf „drei" Bildung der Konsonantenenge, auf „vier bis sechs" ausatmen. H a t man diese Übung zur Zufriedenheit ausführen gelernt, so gehe man an eine zweite: der Luftdruck soll beim Ausatmen anwachsen oder abschwellen. Das Reibegeräusch macht also ein crescendo oder decrescendo. Die dritte Übung ist besonders wichtig, zunächst allerdings auch anstrengender als die vorigen: man unterbreche beim Ausatmen willkürlich den Strom, achte aber darauf, daß nur die Bauchmuskeln ihre Funktion verändern. Überhaupt sollen Ansatzrohr und Kehlkopf, Gesicht und alle übrigen Körperteile bei den Atemübungen ihre Ruhe und Unabhängigkeit bewahren. Man beachte auch, daß der Stromunterbrechung nicht eine ruckartige Verstärkung des Luftstroms vorausgeht — man lernt so frühzeitig einen Hauptfehler beim „Tonschluß" vermeiden, nämlich das „Abschnappen" des Tones. 4
M o s e r , Technik der deutschen Geaaugskunst
50 2. Die Aufgaben des Ansatzrohres Die Schwierigkeit der folgenden Übungen beruht darin, daß die Teile des Ansatzrohres verschiedenartigster und feinster Einstellungen fähig sind, daher auch außerordentlich viel Gelegenheit zu falschen und krampfigen Bewegungen geben. Man kontrolliere sich während des Übens dauernd in einem Spiegel daraufhin, daß das Gesicht freundlich-gelassen bleibe — die Lockerheit der Gesichtsmuskeln wird auch die unsichtbaren Muskeln des inneren Ansatzrohres wohltätig entspannen. Aus dem gleichen Grunde vermeide man es auch, alles löblichen Eifers ungeachtet, beim Üben aufgeregt hin und her zu laufen und die Glieder irgendwie krampfhaft zu versteifen. Die L i p p en haben eher die breite Mundstellung als die runde „Karpfenschnute" zu bevorzugen, denn während sie beim zweiten Fall fleischig und wulstig erscheinen, bilden sie in der ersten Stellung schmalere und festere Ränder, funktionieren daher viel genauer und geläufiger. Auch sind wir überzeugt, daß die Lippen, sobald sie leicht gespannt werden, dem Zustandekommen der Resonanz im Vordermund günstiger sind als im schlaffen Zustande. Der Franzose spricht deshalb treffend von einem „eingerahmten" Ton. Aber man meide jede grimassenartige Übertreibung, die nachher kaum abzugewöhnen ist. Die Z u n g e befindet sich am ehesten in der fürs Singen günstigsten Lage, wenn die Spitze an den Wurzeln der Unterzähne liegt, die Zahnkronen also nicht mehr berührt. Der hintere Teil der Zunge wölbt sich bei dieser Haltung um ein geringes nach oben. Nimmt die Zunge diese Lage ein, so klingt der Ton freier als im anderen Fall, und sie besitzt nun überdies einen Anhaltspunkt, wodurch sie verhindert wird, sich krampfhaft zurückzuziehen. Man senke den Unterkiefer bei unveränderter Lage der Zunge und atme bei dieser Stellung durch den Mund aus: das ergibt den Vokal a der Flüsterstimme, aus dem sich nach Maßgabe des früher mitgeteilten Vokalschemas alle anderen Vokale leicht ableiten lassen.
Bildung der Halbvokale
51
Atmet man durch die Nase aus bei geschlossenen, aber nicht festzusammengepreßten Lippen und unveränderter Zungenstellung und bläst dabei die Mundhöhle an, so erhält man das geflüsterte m ; ebenso bei lächelndem Munde, also gehobener Oberlippe, und Heben des Vorderteiles der Zunge an den harten Gaumen das geflüsterte n. Atmet man durch die Nase aus und schließt den (übrigens an den Lippen geöffnet bleibenden) Mund durch Senken des Gaumensegels und geringes Heben der hinteren Zunge vom Atemstrome ab, so entsteht das q der Flüsterstimme. Für die Bildung des 1 stehen zwei Wege offen: entweder man legt bei leicht geöffnetem Munde die Zungenspitze so an den vorderen Teil des harten Gaumens, daß die Luft auf den beiden Seiten frei durchströmen kann; oder man legt die nach abwärts gerichtete Zungenspitze so an die Unterzähne an, daß der mittlere Zungenteü den harten Gaumen berührt, die Luft aber noch an den beiden Seiten ausströmen kann. Läßt man nun den Kehlkopf einen beliebigen Ton geben (der übrigens für den Anfang ja nicht zu stark sei), so erhält man bei den verschiedenen beschriebenen Ansatzrohrstellungen die Vokale der Vollstimme und die tönenden Konsonanten oder Halbvokale m, n, q, 1. Wir kommen zur Bildung der Reibelaute, welche dadurch zustande kommen, daß an einer Stelle des Ansatzrohres (oder, wie bei dem alleinstehenden Fall des h, in der Stimmritze) eine Enge gebildet wird, an der sich der Strom der Atemluft reibt, so daß ein Geräusch entsteht; dazu tritt bei den stimmhaften Reibelauten außerdem noch ein Stimmlippenton. f bildet man, indem man die Oberlippe etwas hebt, die Unterlippe an die oberen Schneidezähne anlegt und zwischen der so entstehenden Enge die Atemluft hindurchpreßt; f ist also ein Zahn-Lippen-Laut (labiodental), und die andere mögliche Bildung des f „wie wenn man Stäubchen wegbläst" (bilabial) ist für das Neuhochdeutsche abzulehnen. Daher soll auch der entsprechende stimmhafte Reibelaut, das w, nicht nach englischer und sächsischer Art bilabial, sondern labiodental gebildet werden. 4*
52
Das Ansatzrohr
X (der ,,Ich"-Laut) entsteht, wenn man den Mund etwas öffnet, und bei herabgedrückter Zungenspitze den M i t t e l t e i l der Zunge dem harten Gaumen so weit nähert, daß die Luft in der entstehenden Enge den für das Entstehen des Reibegeräusches nötigen Widerstand findet. Beiy (dem ,,Ach"-Laut) wird die Enge von dem h i n t e r e n Teil der Zunge und dem weichen Gaumen gebildet, liegt also weiter nach dem Schlünde zu. s (sch) entsteht, wenn die Luft sich zwischen beiden Zahnreihen reibt, die Zungenspitze etwas nach oben geht und die Lippen einen Schallbecher bilden („schu") oder die Zähne gefletscht werden („schi"). Bei s wird die Enge, durch welche die Luft hindurchgedrückt wird, gleichfalls von den beiden Zahnreihen gebildet, aber die Zungenspitze geht nach unten, und die Unterlippe wird bedeutend gesenkt. Sehr verbreitet ist der Sprachfehler des „gelispelten" s, welches dadurch entsteht, daß die Zungenspitze sich an die Oberzähne anlehnt oder sogar zwischen den Zahnreihen hindurch nach vorn tritt. Zuletzt erst übe man h, weil hier die Gefahr der Luftvergeudung wegen der weiten Ansatzrohrstellung groß ist. Bei h ist die Stimmritze etwas geöffnet, bedeutet aber trotzdem, da sowohl der Kehlkopf wie das Ansatzrohr noch weitere Röhren bieten, die Reibungsstelle, in der das Luftgeräusch entsteht. Gibt man nun bei den geschilderten Ansatzrohreinstellungen noch den Stimmton hinzu, so wird aus f das w, aus % das j, (aus s das g oder j in französischen Wörtern wie „blamage" oder „jamais"), aus s wird J. Man beachte bei den tönenden Reibelauten, daß sie, obwohl klangvoller, viel weniger Luft beanspruchen als die stimmlosen; durch die klangerregende Schließung der Stimmritze wird der vorher frei fließende Atemstrom in eine beinahe stillstehende Klangsäule umgewandelt — wieder ein Beweis, wie wenig Atem ein Sänger bei richtiger Ausnützung des Apparates braucht. Nun zu den V e r s c h l u ß l a u t e n . Sie sind durch einen doppelten Verschluß gekennzeichnet: einmal wird durch Gaumensegel und Rachenwand der Nasenrachenraum nach unten hin
Formung der Mitlauter
53
abgeschlossen, zum andernmal wird durch verschiedene Ansatzrohreinstellungen der Mundhöhle oder Mundöffnung die Atemausfuhr abgeschnitten. Ein Verschlußlaut besteht aus drei Teilen: 1. der Schließbewegung, die bei b, d, g allmählicher, bei p, t, k plötzlicher geschieht; 2. der Pause, während deren die Atemluft zusammengepreßt wird, da ihr der Ausweg durch Nase und Mund gesperrt ist; 3. der Explosion, die in der Regel bei b, d, g schwächer, bei p, t, k stärker erfolgt. Steht der Verschlußlaut zwischen zwei Vokalen, so müssen seine drei Teile auf jeden Fall ausgesprochen werden, z. B. in hakka, ratta, pappa, wo die erste Silbe mit dem Verschluß aufhört, die zweite mit der Explosion beginnt und beide durch die Pause getrennt sind. Man verstehe das richtig dahin, daß also insgesamt immer nur ein p, t oder k gesprochen wird, dieses allerdings vollständig — aber nicht etwa zwei Explosionen hintereinander. Die Pause kann lang gehalten werden, kann aber bei bestimmten Zwecken sich auch dem Wert „Null" nähern, so daß der vollständige Verschlußlaut unter Umständen außerordentlich kurze Zeit in Anspruch nimmt. Dagegen wird man, wenn in schnellem Tempo oder konsonantenreichen Sätzen die Aussprache Mühe macht, in Wörtern wie paol, tus, kus die Aussprache des anlautenden Konsonanten auf den Explosionslaut, in rukk, nett, hopp die des Endkonsonanten auf den Verschlußlaut beschränken dürfen, ohne die Verständlichkeit zu gefährden. Treten zwei Verschlußlaute zusammen, so ist es in schnellerem Zeitmaß zu rechtfertigen, wenn man vom ersten nur den Verschluß, vom zweiten nur die Explosion ausspricht, z. B. in „behaupte, sagte, reckte, Pappkarton, abkommen, Hutkoffer". Allerdings ist es dann notwendig, daß die Bildung des ersten Verschlußlautes wirklich energisch ausgeführt wird, damit z. B. aus „und Dank" nicht „Undank" wird. Bei der Verbindung mit einem Reibelaut wird die Explosivluft des voranstehenden Verschlußlautes gleich für den Reibelaut verwendet, so daß also die beiden Anfangskonsonanten in „Trichter", „Platz", „Quelle" (kw) nicht durch ein h getrennt werden. Die Stellung des Ansatzrohres bei b und p unterscheidet sich von der bei m nur dadurch, daß bei dem Halbvokal der Luft-
54
Das Ansatzrohr
weg durch die Nase offen bleibt; da bei dem Verschlußlaute wegen der doppelten Absperrung ein gewisser Luftdruck im Munde entsteht, so müssen die Lippen (und das ist der zweite Unterschied) den Verschluß durch stärkeres Zusammenpressen aufrechterhalten. Ebenso verhalten sich d und t zum n, g und k zumq, wobei dann der Preß Verschluß nicht mehr den Lippen, sondern der Zungenspitze bzw. dem Zungenrücken zufällt. Läßt man von der t-Stellung aus durch einen intensiven Atemstrom die Zungenspitze in regelmäßige, schnelle Vibration geraten, so erhält man r. Es wird stets mit Stimmton angewendet und gerät dann schon an sich so klangvoll, daß jene Gewohnheit, ihm noch einen Sproßvokal anzuhängen („wunderabara" statt „wunderbar"), sehr unnötig ist. Das durch Vibration des weichen Gaumens gegen den Zungenrücken gewonnene Gaumen- oder Rachen-r ist für den Gesang durchaus unbrauchbar, weil es ungesund für die Schleimhaut des weichen Gaumens ist und sich nicht so präzis anwenden läßt wie das Zungen-r. Letzteres muß nämlich ebensowohl als langanhaltendes Rollen wie auch als kurzer Schlag geübt werden. In Worten wie „Harren", „Rache" ist es u. U. mit vielen Schlägen, in „Ehre", „vergehen" möglichst mit einem einzigen Zungenschlag zu bilden. Dadurch, daß wir beim Sprechen nie in einer Stellung des Ansatzrohres verharren, sondern ununterbrochen von einer in die andere übergehen, bekommen wir leicht eine falsche Vorstellung von dem für die Bildung der einzelnen Sprachlaute notwendigen Mechanismus, und vor allem ist man versucht, der Artikulationsstelle eines Lautes eine gewisse Aktivität bei seiner Hervorbringung zuzuschreiben, während in Wahrheit (mit einziger Ausnahme des r) das aktive Element nur in den Atemmuskeln liegt. Das Ansatzrohr hat lediglich die Aufgabe, eine bestimmte passive Stellung einzunehmen und beizubehalten. Irrig ist z. B. die Vorstellung, m werde vermittelst der Lippen gesprochen, weil wir beim m natürlich nach einem vorangehenden Vokal den Mund schließen und ihn für einen darauffolgenden wieder öffnen müssen. Diese Bewegung der Lippen hat aber mit der Bildung des m selbst nichts zu tun, ist vielmehr bloß die notwendige Formveränderung, um von einem
Wortbildung
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Laut in den anderen zu gelangen*), m entsteht vielmehr dadurch, daß bei geschlossenem Munde ein T o n in d e r K e h l e erzeugt und die Mundhöhle angeblasen wird, es ist also sozusagen ein Vokal der Brumm- oder Summstimme; die Lippen haben dabei ebensowenig zu leisten, wie wenn bei geschlossenem Munde durch die Nase geatmet wird. m, n und q klingen also, wenn sie richtig gebildet werden, a n s i c h fast gleich und erhalten ihre charakteristischen Klangunterschiede recht eigentlich erst durch die Verbindung mit anderen Lauten. Macht man sich klar, daß auf diese Weise alle stimmhaften Laute zunächst durchaus T ö n e sind, denen durch G e r ä u s c h e höchstens gewisse Unterscheidungsmerkmale aufgedrückt werden, so erkennt man, daß sie durch dieses wesentliche m u s i k a l i s c h e Element hinter den Vokalen gar nicht weit zurückstehen. E s kommt nur darauf an, wie sie gebildet werden, denn natürlich kann man auch ihre musikalische Natur ziemlich unterdrücken und die „Geräusche" über die „ T ö n e " überwiegen lassen. S ä m t l i c h e s t i m m h a f t e L a u t e sind m u s i k a l i s c h a u f d a s s o r g f ä l t i g s t e zu b e h a n d e l n , d. h. in b e s t i m m t e r T o n h ö h e , T o n s t ä r k e u n d r h y t h m i s c h e r D a u e r zu ü b e n . D e u t l i c h e A r t i k u l a t i o n e n t l a s t e t den K e h l kopf! Da hierbei die eigentliche Gesangstimme eine wesentliche Rolle spielt, so behandeln wir im folgenden, bevor wir bestimmte Übungen geben: 3. Die Betätigung der Stimmlippen Bei den Singübungen gebe man die Töne vorläufig mezzoforte. Das laute Singen ist für den Anfang zu verwerfen, weil es die Stimmbänder unnötig anstrengt, zu krampfigen Spannungen im Ansatzrohr verführt und zuviel Atem verlangt. Das leise Singen ist zwar hygienischer, aber es führt leicht zu jenem *) Für die klanglichen Produkte solcher Übergangsformationen hat die Phonetik den Begriff der „Gleitlaute" eingeführt, den wir hier aber ebenso wie den der Lautharmonie geflissentlich außer acht lassen.
56
Die Stimmlippen
klanglosen, hauchigen, verschleierten Piano, welches für den Gesang durchaus unbrauchbar ist und sich nur schwer wieder abgewöhnen läßt. Man bevorzuge mithin, soweit nicht die besondere Anlage des Schülers ein Abweichen von der Regel verlangt, zunächst die mittlere Tonstärke, dann in planmäßiger Abwechslung das forte und das piano. Besondere Aufmerksamkeit verlangen der Anfang und das Ende eines Tones: T o n e i n s a t z u n d T o n s c h l u ß . Es sind drei Arten des Toneinsatzes möglich: a) Der g e h a u c h t e . Die Stimmritze ist zunächst geöffnet, so daß dem Anfang des Tones der Konsonant h vorausgeht. b) Der h a r t e (Coup de glotte = Stimmritzenschlag). Die Stimmritze ist fester geschlossen, als zum Singen nötig ist, weshalb die Luft den Verschluß mit Gewalt sprengen muß. Hierbei kann man noch jene schädliche Gewohnheit'unterscheiden, den Verschluß so übermäßig fest zu machen, daß er unter einem häßlichen „Krächzgeräusch" gesprengt wird. Die schlimmen Folgen dieser Ausführungsart (Reizung der Schleimhaut, Ermüdung der Muskeln, Knötchen im Stimmband) haben den g e m ä ß i g t e n und in dieser Form für gewisse Ausdruckszwecke unentbehrlichen „Coup de glotte" unnötig in Verruf gebracht. E r bildet arabisch einen Eigenlaut. c) Der n o r m a l e oder auch der „weiche" Einsatz. Die Spannung der Stimmlippen und die Festigkeit des Verschlusses sind die gleichen wie beim Singen selbst; es tritt also im Verlauf weder (wie beim gehauchten Einsatz) eine Festigung, noch (wie beim harten Einsatz) eine Lockerung des Stimmbandverschlusses ein. Dies ist der richtige Einsatz in allen Fällen, wo nicht ein besonderer Ausdruck Abweichungen verlangt*). Bevor man anfängt zu singen, stelle man sich jedesmal genau die beabsichtigte T o n h ö h e vor: denn einmal führt das unsichere Suchen nach der Stimmbandspannung im Augenblick des Toneinsatzes zu sehr schädlichen, krampfigen Bewegungen *) Der von mancher Seite warm empfohlene „hauchige" Ansatz sollte lieber nicht angewendet werden, denn er gibt dem Gesänge etwas Schwächliches und führt überdies leicht zu Mißverständnissen im T e x t ; so kann man ein beliebtes Hochzeitslied über den Text B u t h 1 , 1 6 in folgender Aussprache hören: „ H u n d , wo du bleibst, da bleibe auch i c h " s t a t t : „ U n d wo du b l e i b s t . . . " .
Einsatzübungen
57
der Kehlkopfmuskeln (daher ist für den Apparat eines Ungeübten das Vomblattsingen so anstrengend), und anderseits ist das ungenaue Intonieren, besonders die Unsitte des „Heraufziehens" (wenn damit nicht etwas Besonderes ausgedrückt werden soll) häßlich. Die Spannung der Stimmlippen suche man nicht durch das M u s k e l g e f ü h l zu kontrollieren, denn sie stellt sich dann nur durch unnötige Knorpelbewegungen ein; sondern es genügt, sich die beabsichtigte Tonhöhe genau v o r z u s t e l l e n — darauf pflegen die Stimmbänder von selbst zu reagieren. Alsdann gewöhne man sich, möglichst nicht erst im letzten Augenblick einzuatmen; das erzeugt rhythmische Verspätung, kann zu einem schnappenden, keuchenden Atemgeräusch führen und schädigt auch die Tonhöhen-Genauigkeit des Einsatzes. Geistige Vorratswirtschaft treiben! Wenn der Ton beginnen soll, müssen die Lungen gefüllt, die Stimmlippen gespannt und das Ansatzrohr fertig eingestellt sein, so daß nur noch die Luft sich in Bewegung zu setzen braucht. Daraus ergibt sich folgende Vorbereitungsregel für alle Gesangsübungen: 1. Einatmen. 2. Atem umpacken. 3. Ansatzrohr einstellen. später gleichzeitig 4. Tonhöhe vorstellen. 5. Singen. Nur wenn diese Regel auf das sorgsamste eingehalten wird, ist die Genauigkeit des Vorganges gewährleistet. Man kleide deshalb, wie vorher die Atemübungen, so jetzt auch die Singübungen in einen bestimmten Rhythmus. Will man z.B. n auf eine bestimmte Tonhöhe singen, so nehme man die Übung in folgendem Rhythmus vor (die Zahlen entsprechen den einzelnen Vorgängen in der oben gegebenen Regel): 1.
später:
2.
3.
4.
1.2.
5.
n
58
Die Stimmlippen
Der T o n s c h l u ß wird wiederum nur durch einen Stillstand in den Bewegungen der Atemmuskeln bewirkt. Man verweile noch über den Schluß hinaus in der Vorstellung des betreffenden Tones, damit ja keine vorzeitige Veränderung in der Stellung des Ansatzrohres, der Spannung der Stimmbänder oder dem Atemdruck den verklingenden Ton verändere. Hierbei wird wieder die ungezwungene Ruhe des Gesichts zu kontrollieren sein. Auch die Haltung des Kopfes ist für die Tonbildung nicht ohne Bedeutung. Streckt man das Kinn vor und legt den Kopf zurück, so werden die Muskeln um den Kehlkopf herum angespannt und seine Schmiegsamkeit und Beweglichkeit während des Singens eingeschränkt. Zieht man im Gegenteil das Kinn gar zu sehr an, so wird leicht durch die Zungenwurzel auf den Kehlkopf gedrückt, was zum Knödeln führen kann. Es ist also die Mitte zwischen den beiden geschilderten Gegensätzen einzuhalten, so daß bei ganz leicht geneigtem Kopf der Bück frei geradeaus gehen kann und der Hals weder gespannt noch gepreßt wird. Lockerheitskontrolle durch Kopfschütteln! a) Ü b u n g e n
bei
gleichbleibender
Tonhöhe
Wie oben gezeigt wurde, läßt sich die Bildung eines Konsonanten am besten in Verbindung mit einem Vokal auf ihre Richtigkeit hin kontrollieren. Da der Vokaleinsatz und Vokalschluß zunächst eine gewisse Schwierigkeit zu bilden pflegen, so soll vorläufig mit dem Konsonanten begonnen und geschlossen werden. Senkt man bei j, n und q den Unterkiefer ein wenig, so daß bei m der Verschluß von Ober- und Unterlippe, bei n der von vorderer Zunge und hartem Gaumen, beim q von hinterer Zunge und Gaumensegel etwas gelöst wird, so erhält man einen Vokal, der etwa in der Mitte zwischen e und ä liegt. Da es zunächst weniger auf die Schönheit des V o k a l s als auf die richtige und geschmeidige Bildung des K o n s o n a n t e n ankommt, so verweile man länger auf diesem, achte auf seine Tonhöhe, Stärke und Klangfarbe, um dann den Verschluß immer nur auf kürzeste Zeit zu lösen. Man beachte vorläufig den Vokal nur soweit, als er jedesmal gleich und zwar hell, ohne Neben-
Rhythmik des Lautwechsels
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geräusch, klingen soll. Auch darf während der Öffnung nicht zuviel Luft aus dem Munde dringen. Der Atemdruck hat, unabhängig von den Geschehnissen im Ansatzrohr, der gleiche zu bleiben, und ebenso haben sich die Stimmbänder um nichts anderes als um einen reinen, ununterbrochenen Ton zu kümmern. Diese Summübungen sind so besonders geeignet für den Anfangsunterricht, weil sie kaum falsch gemacht werden können; würde doch jede Unfreiheit des Ansatzrohres — insbesondere der Zunge — den Summton sogleich ersticken und damit die Übung unmöglich machen. Man hüte sich nur, zwischen Konsonant und Vokal noch einen Laut wie j einfließen zu lassen, der als „Gleitlaut" entsteht, wenn man zu langsam von der einen in die andere Stellung übergeht; also nicht mjäm, ljäl, sondern mäm, läl. Die Übungen haben in der bequemsten Lage der Stimme zu beginnen, eher auf tieferen als auf höheren Tönen, damit sich die Aufmerksamkeit weniger auf den Kehlkopf als'auf das Ansatzrohr lenkt. Wenn diese Übungen auf zwei, drei Nachbartönen gesungen werden, so genügt das für den Anfang vollkommen. Bei Männerstimmen wird man natürlich mit dem Brustregister, bei Frauenstimmen in der Regel mit dem Mittelregister beginnen. Wieder achte man auf den Rhythmus bei den vorbereitenden Einstellungen und besonders auf das gegenseitige Längenverhältnis von Konsonant und Vokal, wie es im folgenden Beispiel die Notenzeichen über der Linie annähernd darstellen mögen. Konsonant und Vokal sollen sich auf das engste aneinanderschließen.
Andante
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I.
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Die Stimmlippen
60
Der große Bindebogen soll daran erinnern, daß der Tonstrom durch die verschiedenen Ansatzrohrbewegungen in keiner Weise beeinflußt wird, sondern ununterbrochen weiterfließt. Man achte darauf, daß die verschiedenen Konsonanten einander an Klangfülle nicht nachstehen, und kombiniere daher auch in folgender Art: m e l e n e r e w e n e / e j e,
um schließlich die Konsonanten ohne zwischengeschobenen Vokal unmittelbar aneinanderzureihen. Der Tonstrom fließt ungestört fort, man kann sogar cresc. und dim. in bescheidenen Grenzen anwenden. j
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1
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Allmählich kann man dem Vokal längere Dauer geben und zwischen die Konsonanten a und schließlich auch alle anderen Vokale einschieben. - u — n — n — j ~ 3 m n ii)
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i j, a ö
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m n
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usw. in allen denkbaren Kombinationen.
Bei der folgenden Übung setzt die Stimme nur auf dem zweiten und viertel Viertel des ersten Taktes ein, während der Luftstrom ununterbrochen weiterfließt. Man achte darauf, daß die Bildung des Vokals pünktlich erfolgt, und daß besonders bei Verbindungen mit h das Beibegeräusch nicht auf den Vokal
61
Reibe- und Verschlußlaute
übergreift, wodurch dieser heiser und ohne die nötige Konzentration erklingen würde. f
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X
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X
Y ä y ä, Y s o s o s s ü s ü s h o h o h In dem nächsten Beispiel kommen die Vokale zu noch größerer Bedeutung als vorher, und außerdem gewinnt der Schüler das Bewußtsein von der möglichen Dauer eines Verschlußlautes. Die Übung beginnt mit der Explosion, in der Mitte steht der vollständige, dreiteilige Verschlußlaut, und am Ende kehrt man in die Verschlußlage zurück, ohne daß nochmals eine Explosion erfolgen darf. Man achte darauf, daß während des langen Verschlusses die Spannung der Lippen und der Atemmuskeln gewahrt bleibt. Denn die Verschlußpause bedeutet keine Lücke des Artikulationsvorganges, sondern geradezu seinen — freilich stummen — Höhepunkt. Wir legen auf diese Übung besonderen Wert, weil später die Verlängerung der Verschlußlaute durch Verweilen auf der Pause ein Hauptmittel für die Wiedergabe der Affekte sein wird. i
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Treten mehrere Konsonanten zusammen, so suche sie der Sänger für sein Bewußtsein möglichst auf zwei Nachbarsilben zu verteilen. Das Wort „Geschwister" in der orthographisch gebräuchlichen Einteilung „Ge-schwi-ster" ist viel schwerer zu singen, als wenn man es sich in die Silben „gesch-wis-ter" geteilt vorstellt. Im Ergebnis müssen natürlich die verschiedenen Silbeneinteilungen auf dasselbe hinauskommen, da die Konsonanten an den Silbengrenzen auch untereinander möglichst eng zu verkoppeln sind. So hört z. B. in den Worten „die Sprache" f ü r den Gesang die erste Silbe mit dem Schließlaut des p auf, und die zweite beginnt mit der Explosion des p , welche gleich die L u f t f ü r das Rollen des r liefert. Wenn p das eine Mal den Schließlaut, das andere Mal den Explosionslaut bedeutet, so würde die phonetische Umschrift also etwa folgendermaßen auszusehen haben: disp~präya T"
i r r
Der Sänger wird jetzt imstande sein, einfache Sätzchen langsam auf einen Ton zu singen. E r denke aber vorerst ja nicht an den Ausdruck, an die Bedeutung der unterlegten Worte, suche nicht „seelenvoll" zu singen, wodurch sich sogleich alle alten, schlechten Sprech- und Singgewohnheiten einzustellen pflegen, sondern achte einzig auf die Genauigkeit und den Klang der zu bildenden Laute. Wie S t o c k h a u s e n seinen Schülern immer zurief: „Sie sollen vorläufig nicht s c h ö n , sondern erst einmal r i c h t i g singen!" Um dieser Versuchung nicht zu unterliegen, singe m a n möglichst gleichgültige Texte, denke dabei weder an crescendo noch vibrato, bilde die Nebensilben zunächst ebenso klangvoll wie die Hauptsilben, achte aber darauf, daß der erstrebte
Klingende Wortformung
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Ausgleich in betreff der Helligkeit und Fülle der Vokale erreicht werde. Da als Norm der Vokaleintritt auf den Beginn des betreffenden Taktteils zu fallen hat, so ist die dem anlautenden Konsonanten zugehörige Zeit von der vorhergehenden Silbe abzuziehen.
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M o s e r , Technik der deutschen Gesangskunst
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66
Die Stimmlippen
Selbstverständlich sind die in diesen Beispielen angegebenen Längenzeichen nur grob umschreibende Andeutungen, da die lebendige Sprache viel feinere Unterscheidungen macht. Immerhin wird der Schüler hieran einen ungefähren Anhalt besitzen. Die durch das Verhältnis der Haupt- und Nebensilben und die Bedürfnisse des Ausdrucks bedingten Besonderheiten lasse man vorläufig außer acht; sie werden uns bei der „Anwendung der Technik" noch genug zu beschäftigen haben. Man wiederhole jetzt die sämtlichen Übungen, aber unter dem d y n a m i s c h e n Gesichtspunkt, d . h . man singe sie erst forte, dann piano, dann crescendo, dann decrescendo. Vorsichtige und gründliche Behandlung verlangt der S c h w e l l t o n . Doch gehe man möglichst spät an sein ausführlicheres Studium, da die Technik und der Apparat leicht durch zu häufige oder zu intensive Ausführung dieses Vorganges ermüdet werden. Man achte beim Schwellton darauf, daß während der dynamischen Veränderung die Tonhöhe und Vokalfarbe gleichbleiben, daß mit dem Anschwellen kein Flackern und Hauchigwerden des Tones Hand in Hand gehe. Zunächst begnüge man sich mit dem Erreichen benachbarter Tonstärken und übe etwa nach folgendem Schema: 1. P
3. P —=:
2.
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p
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Vorausgesetzt, daß keine Vokalveränderung eintritt, darf man bei zunehmender Tonstärke die Mundöffnung allmählich verbreitern und die Mundhöhle vergrößern, bei abnehmender Stärke entsprechend umgekehrt, da die Größe des Schalltrichters (wie man an jedem Grammophon beobachten kann) auf die Tonstärke wesentlichen Einfluß ausübt. Haben wir bis jetzt alle Übungen unter dem Gesichtspunkt der G e n a u i g k e i t betrieben, so müssen nun auch solche zum Zweck der G e l ä u f i g k e i t vorgenommen werden, weil sonst der Mechanismus eine gewisse Schwerfälligkeit nie abzulegen lernt. Natürlich wird man bei der Abmessung von Art und Menge dieser Aufgaben darauf achten müssen, daß jene durch die Genauigkeitsübungen gewonnenen Fertigkeiten nicht ver-
Schwellton und Geläufigkeit
67
dorben oder verschlechtert werden, wenn sie jetzt durch Geläufigkeitsübungen ergänzt werden. Man vermeidet diese Gefahr am besten dadurch, daß man die bisher benutzten Übungen allmählich in ihrer Geschwindigkeit steigert, innerhalb des schnelleren Tempos aber immer noch den alten Rhythmu? ordentlich beibehält. Daneben treibe man noch S p r e c h ü b u n g e n , um die Zunge für schwierigere Konsonantenhäufungen gefügig zu machcn, und um die später für das Parlando so notwendige Zungenfertigkeit vorzubereiten. Zum Beispiel nimmt man dafür jene bei den Schulkindern beliebten Sätzchen wie „Frische Fische kauft Fischers Fritze" oder „Der Kottbusser Postkutschkasten oder „Konstantinopolitanische Dudelsackpfeifergesellenherberge". Auch hier steigere man die Geschwindigkeit ganz allmählich, achte aber darauf, daß die Worte trotzdem hoch klangvoll bleiben und nicht schließlich zu einem Geraschel und Gezischel vieler Konsonanten herabsinken. J. H e y hat im sprachlichen Teil seines „Deutschen Gesangunterrichts" eine große Anzahl solcher schwierigen Sätze zusammengestellt. b) Ü b u n g e n b e i b e w e g l i c h e r T o n h ö h e Hatten wir uns bisher vorwiegend mit der Klangfarbe und Stärke der Töne beschäftigt, so werden wir jetzt vorzugsweise der Höhenveränderung unsere Aufmerksamkeit zuwenden. Wir müssen dabei auf die Frage der S t i m m g a t t u n g eingehen, bringt doch schon das Intervall der Sexte oder der Oktave den Anfänger leicht an die obere und untere Grenze seines Stimmumfangs. Es erhebt sich bei solcher Gelegenheit meist die Frage: „Hohe oder tiefe oder mittlere Stimme?" Darauf wird dem Lehrer gerade im Anfang der Ausbildung oft eine entscheidende Antwort schwer fallen, denn gewöhnlich entwickeln sich erst allmählich und spät wichtige Gebiete der Stimme. Wenn auch natürlich gesucht werden muß, den Umfang der Stimme zu erweitern, so sollte bei den betreffenden Übungen doch mit großer Vorsicht verfahren werden, damit die Stimme nicht ermüdet wird, weil sich sonst an einer anderen Stelle des Umfanges leicht Lücken und Schwächen heraus5*
68
Bewegliche Tonhöhen
bilden. Im übrigen entscheidet für die Erkenntnis der eigentlichen Stimmgattung weniger der (oft nur vorläufige, technisch gekonnte) Umfang als das Timbre der Stimme. U. U. kann auch der Stimmarzt aus der Länge der .Stimmbänder Schlüsse ziehen. Überhaupt hüte man sich, Stimmen künstlich „in die Höhe zu schrauben", um etwa einer Vorliebe für ein besonderes Rollenfach entgegenzukommen. Denn einmal pflegen diese „aufgesetzten" Töne doch nicht so recht leicht und frei zu klingen, und andererseits droht den forcierten Stimmen frühzeitiger Verfall. Damit soll natürlich nichts gegen eine planmäßig und mit geduldiger Vorsicht betriebene Erweiterung des Stimmumfangs gesagt werden; nur wechsle man hier mit tiefen und hohen Übungen ab, und kapriziere sich nicht auf einen bestimmten schwierigen Ton — der wird von unvernünftig andauerndem Probieren eher schlechter als besser! Auch ist es gewiß, daß die wachsende Ausbildung der M i t t e l l a g e auf die G r e n z e n der Stimme ganz von selbst günstig einwirkt. Bei den ersten Übungen mit Tönen von verschiedener Höhe suche man jene Töne auf, die der Stimme am mühelosesten erscheinen. Man übe zunächst o h n e P o r t a m e n t o , schließe aber die einzelnen Töne möglichst nahe aneinander. Wir geben die ersten ITotenbeispiele ohne Schlüssel, weil die Tonhöhe für jede Stimme eine andere zu sein pflegt. Doch wird für die meisten tieferen Stimmen zwischen f und g, für die höheren zwischen a und h die Normalregion liegen.
//
1.
W/3
W//
3.
\\
\\ kö fi
tö bi
pö yi
kö fi
ta bi
pö x*
tö bi
kö fi
Wechsel der Spannungen
//5 ^
69
W//6 ,
,
,
/a no
da ko
/a no
/A\,. fu mü
w//7.
„
ru tü
fu
/A\ roü
lä sö
W//8 lä sö
gä jö
lä §ö
gä jö
\\
ha - be e - ben
sie die
ge - sehn Ge - fahr.
Beginnt eine Silbe mit einem klingenden Konsonanten, so hat dieser auf der Tonsilbe des folgenden Vokals zu stehen; sehließt eine Silbe mit ihm, so hat er noch der Tonhöhe des vorhergehenden Vokals anzugehören, z. B.:
m
ist auszuführen :
mei-nen Namen
Sehr häßlich
n i e
n 9 n^
würde folgende falsche Ausführung des
gleichen Beispiels wirken: ina e
nan_na
man
Man wende stets große Sorgfalt auf die Einhaltung dieser Regel, weil der Gesang sonst unsauber und weinerlich klingt. Ebenso ist auf die r e i n e I n t o n a t i o n mit unermüdlicher Geduld zu achten, und zwar muß das Ohr hier auf eine Feinheit der Unterscheidung gedrillt werden, wie sie z. B. der Klavierspieler kaum zu kennen braucht, da er nur immer seine „gleichschwebende Temperatur" benutzt, während der Sänger ebenso wie der Violinist der melodischen und der harmonischen Intonation gleichermaßen Genüge zu tun hat*). *) Eine genauere Ausführung dieser Unterschiede würde hier zu weit führen Man lese das Entsprechende in meiner „Allg. Musiklehre" {Samml. Göschen Nr. 220 nach.
70
Bewegliche Tonhöhen
Zunächst übe der Sänger die genaue Unterscheidung der ganzen und halben Töne. Seine Bekanntschaft mit dem Bau der Dur- und Molltonleiter muß vorausgesetzt werden*). Er übe:
m
für höhere Stimmen:
b§ de gS fe b§ dö g e
bö dö g6 f ö bö dö g ö
m m m
ifür tiefere Stimmen:
b§
gö fö bö de g e
bö dö go fö bö dö gö
Alsdann nehme man folgende Dreiklangsübungen vor: 1. Dur.
2. Übermäßig.
ma na Da na
m
ma
re
le
me
4. Vermindert.
3. Moll.
fö
me le
E^S sö
jö
sö
fö
/I
wi
bi
wi
f\
Wir kommen zum P o r t a m e n t o . Wenn bisher die Spannungsveränderung der Stimmbänder möglichst unmerklich geschehen sollte, so hat jetzt der Ton vernehmbar hinauf- oder herunterzugleiten, um die Verbindung zwischen verschiedenen Tonhöhen während des gleichen Vokals herzustellen. Man beachte, daß das verbindende Portamento keine Lücken aufweist, sondern unter gleichmäßiger Mitwirkung des Stimmtones steigt oder fällt. Besonders hüte man sich, zwischen die Töne einer Bindung das h einfließen zu lassen, damit es nicht folgendermaßen klingt: «) Vgl. Fußnote S. 69.
Portamento
71
B r a h m s , op. 121, N r . 1.
Dehenn ehes
ge - het dem Mehenschehen wie dem Vieh.
Vielmehr ist darauf zu achten, daß während.des Portamento die Stimmbänder die notwendige Spannungsveränderung mit vollendeter Geschmeidigkeit und Ruhe, also ohne jede krampfhafte Beeinflussung der Muskulatur vornehmen. Graphisch dargestellt soll das Portamento nicht wie J ^ f , sondern wie verlaufen. Man verwende auf das Studium der Bindungen große Sorgfalt, weil man nur so eine sichere Grundlage für das Legatosingen im allgemeinen und für die Koloraturen im besonderen erhält. Um den Verlauf des Portamento genau beobachten zu können, gestehe man ihm für den Anfang eine unverhältnismäßige Dauer zu; mögen die Übungen dann auch „heulend" oder „weinerlich" klingen — es kommt uns ja nicht gleich auf die ä s t h e t i s c h e Wirkung an, sondern vorläufig allein auf die R i c h t i g k e i t des Vorganges. Man übe zunächst bei gleichbleibender, mittlerer Tonstärke:
72
Bewegliche Tonhöhen
m
tiefere Stimmen:
i
\v/
2.
//
/A\ 4.
3. //
w /
w
/A\
\\
\\
/•
Allmählich erweitere man die Tonschritte nach oben und unten. Wir geben Beispiele onne Angabe einer absoluten Tonhöhe, man achte auf die Intonation!
// \\
// w
1.
wa-
wa-
2.
m.
ni-
/ä-
// w
3.
A
0
W/ inen men
/A\
wann, nun, rot,
wann, nun, grün,
73
Übungen zunehmenden Tonumfangs 5.
W wann nun gelb,
wann nun grün, 6.
m
// w
//
frohfrüh. fruh_
\\
//
wann nun rot,
w
//
sah sie so _ 7.
w
//
//
w
•TO
Jj7]
w //
ach doch, sich _
8. w
\\ .
//
Wenn der Text einer Bindung einen Diphthong enthält, so wäre es falsch, wenn man den zweiten Bestandteil des Doppellautes schon auf dem Portamento oder dem zweiten Ton bringen wollte; der erste Vokal reicht noch bis auf die letzte Note der Bindung.
74
Bewegliche Tonhöhen
Also nicht:
P
sondern:
mein: jnaen, ma-en
ma - en ma - - en
Brauch: brä-oy, brä-oy
brä - oy brä - - oy
Alsdann beachte man die dynamischen Verhältnisse. Die Sänger zeigen häufig eine Vorliebe dafür, w ä h r e n d des Portamento zu crescendieren, was dann immer heulend und schwerfällig klingen wird. Diese schlechte Manier läßt sich am besten dadurch beseitigen, daß man übt, gerade während des Portamento zu decrescendieren, ohne daß freilich der Stimmton dabei „auslassen" dürfte — sogleich erhält man den Eindruck eines geschmackvollen Legatosingens.
Also nicht:
i
S e
sondern: gen
i
-pp-
gen
Man mache sich's überhaupt zur Eegel, nicht auf dem Portamento selbst anzuschwellen. Wird ein Portamento u n d crescendo gefordert, so schwelle man während der liegenbleibenden Tonhöhe an, um die nun erreichte Tonstärke während des Portamento unverändert beizubehalten.
sondern
Also nicht •
m
sa
- -
gen
$
« / —
gen
Sollen zwei Silben auf verschiedenen Tonhöhen gesungen werden, so können sie durch Portamento verbunden werden oder ohne Übergang nebeneinander stehen. Jeder stimmhafte Konsonant muß auf der Tonhöhe des zugehörigen Vokals stehen, also wird das Portamento auf dem vorangehenden Vokal stattfinden müssen, nicht auf dem nachfolgenden Selbstlauter. Wenn der musikalische Geschmack in einem Falle kein
Dynamik im Steigen und Fallen
75
Portamento duldet, so h a t die neue Stimmbandspannung gleichzeitig mit der neuen Ansatzrohrstellung einzutreten, z. B.: B. ohne Portamento.
A. mit Portamento.
be
- - neh
m
-
-
men,
-
men,
D. ohne Portamento.
C. mit Portamento.
r - gu
be - neh
ten,
ve - r - gü - ten.
Der Schüler hüte sich, diese Beispiele in der folgenden Manier vorzutragen, die' man höchstens zu parodistischen Zwecken oder zur Darstellung eines weinerlichen Ausdrucks wird gelten lassen:
Ì
A. mit Portamento. • „ J* , 1 . » f f *
B. ohne Portamento. • „ I „ / f=W
be - - iT^"eh - - m - e - n,
be - neh
m
C. mit Portamento.
r - gii
- men,
D. ohne Portamento.
-
te - n,
ver - gü - ten.
Überschreitet man mit dem Portamenti einen gewissen U m f a n g und läßt dabei Ansatzrohr und Atmung ganz unverändert, so wird man bemerken, daß der zweite Ton, mit dem Mechanismus des ersten gesungen, unbequemer und mit Anstrengung hervorgebracht sowie leicht unrein wird. Hier müssen gewisse, sehr feine Korrekturen in der Atmungsweise und Ansatzrohrstellung vorgenommen werden.
76
Bewegliche Tonhöhen Singt man z. B. JL
j*
, so wird natürlich, bei dem
tieferen Ton die „Brustresonanz" überwiegen. Diese auch beim zweiten Ton mühelos beizubehalten oder wenigstens durch ein klanglich Entsprechendes zu ersetzen, ist nur möglich durch Anwendung der sog. „Atemstütze": die elastische Anspannung der Rumpfmuskeln in Gürtelhöhe (man spürt sie am deutlichsten, wenn man z. B. mit „Untergriff" ein Klavier unter der Klaviatur anzuheben versucht) gibt der Resonanz einen festen Stützpunkt, der bei steigender Tonhöhe von zwei Punkten etwa am Ende der untersten Rippe beiderseits nach dem Rücken zu etwa in die Nierengegend wandert und zur federnden Basis der jeweiligen Klangsäule wird. Bei den hohen Tönen wird gleichzeitig durch weites Öffnen des Mundes und Heben des Gaumensegels (leichte Gähnbewegung) die Kopfresonanz verstärkt. Dies in der Weise richtig zu lernen, daß der Ton immer noch gut „gefaßt", „eingerahmt", d. h. konzentriert und metallisch bleibt, ist die Hauptkunst aller Stimmbildung. Man verwechsle damit nicht die nur subjektive „Größe" des Tones, wie sie durch starkes Nasalieren in der Höhe gewonnen wird. Nie die „Stütze" zu verlieren und durch immerwährenden Atemnachschub den Ton aus den weitoffenen Hohlräumen mühelos herauszuschleudern, ist die Hauptsache. Auch das Piano in der Höhe (unter Beibehaltung der Stütze) lernt sich am besten unter breiten Gähnbewegungen, die ein vorübergehendes Tiefstellen des Kehlkopfes zur Folge haben. J e höher der Ton, in desto größere Tiefen muß die durch die Stütze bewirkte Brustresonanz reichen. Werden hierbei die Vokale zu flach und hell, so darf man (aber nur in vorsichtigen Maßen!) das Hilfsmittel des „Dekkens", d. h. eine ganz geringe, absichtliche Verdunklung der Vokale, anwenden, die es nie bis zu einer Veränderung wie zwischen offenem und geschlossenem Vokal oder gar Umlaut bringen darf. Also nachstehend nie „Seäele", „Liüibe" oder „Waoage", sondern höchstens:
Das Decken
77
ß-
6 - e - la Ii - i - 5 - ba wä - ä - ä - ga Doch mache man sich klar, daß ein wirklich gut gestützter Ton an sich nicht flach klingen kann, also eine künstliche Veredelung durch Vokalumfärbung gar nicht nötig hat. Singt man Tonleitern aufwärts, so hat die Stützenverlegung ganz allmählich und möglichst unauffällig zu geschehen, damit nicht der Eindruck eines Registerwechsels entsteht. Über die Stelle, wo Kopfresonanz durch die leichte Gähnbewegung hinzutreten muß, unterrichte man sich gegebenenfalls in der Registertabelle. Die durch die Gähnbewegung verursachte Aufhellung und die durch die Stütze bewirkte Verdunkelung der Stimme in der höheren Lage müssen auch a,us ästhetischen Rücksichten stets Hand in Hand gehen; denn das Ausbleiben einer von beiden würde der betreffenden Region der Stimme einen allzu verschiedenen Klangcharakter geben, und in der Tat glaubt man bei Sängern, die diese Regel nicht beachten, zwei ganz verschiedene Stimmen nacheinander aus dem gleichen Munde kommen zu hören. Wird es dem Schüler schwer, das rechte Gefühl für die „Stütze" zu bekommen, die neben Kraft und Wärme des Klanges allein auch die Einheitlichkeit des Stimmcharakters von den tiefsten bis zu den höchsten Tönen gewährleistet (Ideal des „Einregisters"), so erleichtert eine geringe Rumpfneigung, ja Singen in „krummem Sitzen" das Zustandekommen der gesuchten Empfindung. Geeignete Turnübungen stärken die Gürtelmuskeln für diese Aufgabe (Rumpfschwingen). Die Stütze allein schützt auch vor jenem flachen, halsigen „Schreien", das dem Hals des Sängers wie des Zuhörers weh tut und die „offenen Brusttöne" des Natursängers kennzeichnet. Dehnt man den Umfang der Stimme noch weiter aus, so kommt man nach oben (bei den Frauen auch nach unten) an
Bewegliche Tonhöhen
78
die R e g i s t e r g r e n z e . Um den hier meist vorhandenen Sprung auszugleichen, bedarf es sorgfältiger Übungen, die freilich nur für die höheren Stimmen in Betracht kommen, da für Bariton und Baß der obere Registerwechsel meist die Grenze des Gesamtumfariges darstellt. Übrigens sei dringend davor gewarnt, diese Übungen zu anhaltend und zu oft zu machen, da sie sehr anstrengend sind und geradezu gefährlich für die Stimme werden können. Der Registerwechsel kann sich auf dreierlei Arten vollziehen. Erstens können die Register u n v e r b u n d e n aneinandergesetzt werden, wie in folgenden Beispielen, bei wclchen hauptsächlich darauf zu achten ist, daß die Klangverschiedenheit möglichst versteckt wird: Für Tenor und Sopran. Bruststimme (b. Tenor) Mittelstimme (b. Sopran) Falsett (beim Tenor) Kopfstimme (b. Sopran).
i - m Son - ne Für Alt und Sopran. M- I
I ft A r.
I B.
| J
Die
Son - ne
| M. * sank
| i
| B.|
M. = Mittelstimme I J t = B. — Briiststimme.
ins Meer
Zweitens läßt sich der Registerwechsel während des Portamento bewerkstelligen, und zwar ist es dann gut, das Portamento bis zum pp abschwellen zu lassen, weil dieser Stärkegrad das Umstellen der Stimmbänder am meisten begünstigt; z. B.: |B.MJ
Für Tenor C f e und Sopran: Du
-PP-
F.K.
Sü
| |B.M.
ße
79
Registerausgleiche
FB.
IM.]
m
Für Sopran und Alt: Ach
nie
-
raals
Endlich muß der Schüler lernen, auf ein und demselben Ton den Registerwechsel auszuführen. Hier nimmt man das Crescendo zu Hilfe, um in das tiefere Register zu gelangen, das Decrescendo, um das höhere zu erreichen. I F.K.| HBAdagio. Für Sopran und Tenor:
i
M.
pp_
lig
|B.M | | F.K. PP
Für Sopran und Tenor: lig m Für Sopran und Alt:
Ì
r
a se
m
B. U
J lig
rri
Für Sopran und Alt:
-pp
lig
Jetzt haben Sopran und Tenor die Verstärkung des Falsetts bzw. der Kopfstimme durch Brustresonanz zu üben, ohne daß
Bewegliche Tonhöhen
80
die Stimmbandveränderung zum unteren Register vorgenommen zu werden braucht. Adagio, p
Die
und
Lie
- los
end
Um nun Geläufigkeit im Registerwechsel zu erlangen, übe man im Piano gebrochene Akkorde und Tonleitern; allmählich transponiere man nach Bedarf in andere : ; Tonarten.
Sopran und Tenor:
V„f ^ a. w u
b. s S -
c. r ü -
\\
// wieg-
f a s o l l a s i d o r e m i f a solfamire do si lasol
wi
se
fa
81
Skalen und Akkordbrechung
££ ir , und =— Der letzte Typus ist am meisten geeignet, die Aufmerksamkeit
94
Dynamik
des Hörers gefangenzunehmen; denn diese Rundung charakterisiert die betreffende Silbe als ein selbständiges Ganzes und dient zur Darstellung eines intensiven Ausdrucks. Doch ist es aus musikalisch-rhythmischen Gründen unratsam, seine Anwendung als Regel zu empfehlen, denn auf diese Weise fällt das Schwergewicht des Tones nicht auf den Anfang, aufs „gute Taktteil", wie es der Rhythmus verlangt, sondern auf einen späteren Zeitpunkt, so daß leicht eine synkopenartige oder an den „falschen Akzent" erinnernde Betonung zustande kommt. Aus diesem Grunde müssen wir den Typus als Norm aufstellen, dem jene musikalisch bedenkliche Eigenschaft nicht zukommt. Darum braucht aber der Typus nicht auf jeden Fall verworfen'zu werden; gerade auf lang ausgehaltenen Noten, Fermaten usw., wird er sehr wohl am Platz sein; besonders zur Darstellung gewisser Affekte und tonmalerischer Absichten ist er unentbehrlich: S c h u b e r t , Gruppe aus dem Tartarus..
S c h u b e r t , Grenzen der Menschheit.
Uns hebt
die
Wel - le,
ver-schlingt die Wel - le
Bei den folgenden Beispielen jedoch müssen die Hauptsilben nach dem Typus betont werden:
»~
Wenn der
ur - al * te,
hei - Ii - ge
•
Va - ter
Der Schwellton
95
S c h u b e r t , Wanderers Nachtlied.
f, >
i
*
J M l
J U E g 3
Der du von dem Him-mel bist,1 al • les Leid und Schmerzen stillst.
Will man sich über den fundamentalen Unterschied beider Vortragsarten klar werden, so betone man einmal die beiden ersten Beispiele nach dem Typus , die beiden letzten nach dem Typus ; dann werden die ersteren ausdruckslos, die letzteren schwülstig klingen, während, richtig ausgeführt, die ersteren aufgewühlt, die letzteren feierlich erscheinen. — Der Typus sollte auf Hauptsilben eigentlich von keinem geschmackvollen Interpreten angewendet werden; wie häßlich würde es z.B. klingen, wenn man in,, Wotans Abschied" aus Wagners „Walküre" folgendermaßen akzentuieren wollte:
leb
wohl,
leb
wohl,
leb
wohl— I
Der Ausführende wäre sich wohl nicht bewußt, welch häßliche Unart diese Manier darstellt, oder glaubte damit der Deklamation einen energischen Charakter zu geben. In Wahrheit klingt es nur „bockbeinig" und unmusikalisch. Wir kommen zur Dynamik der Nebensilben. Man stelle ja nicht die Forderung auf, die Nebensilben seien möglichst klanglos und unbedeutend zu singen. Eine solche Vorschrift wäre aus zwei Gründen scharf zurückzuweisen. Erstens verleitet dieses „Hinweghuschen" zur Ungenauigkeit in der Intonation; gelegentlich hört man Sänger, welche die Hauptnoten ganz rein singen, die Reinheit der Nebensilben aber außer acht lassen, so daß ihre Leistungen zu einem recht zweifelhaften Ohrenschmaus werden. Zweitens — und das ist unser Hauptargument — wird durch diese Manier jede breithinströmende Kantilene unmöglich gemacht; denn durch die
96
Dynamik
tiefeinschneidenden „Quertäler" der Nebensilben wird die dynamische Kontinuität andauernd unterbrochen, und das gesangliche Element tritt vor einem bellenden Deklamieren zurück. Die Nebensilben dürfen nicht unter ein gewisses Stärkeminimum herabgehen, wo immer noch eine satte Tongebung und genaue Intonation erreicht werden kann. Außerdem ist zu beachten, daß die Stärke der Nebensilben stets im Verhältnis zur allgemeinen dynamischen Vorschrift stehen muß, daß also in einer mit f bezeichneten Stelle die Nebensilben stärker sein müssen als in einer mit p bezeichneten Phrase. Man singe deshalb, abgesehen von der dynamischen Belebung der Hauptsilben, ein Wort zunächst mit durchschnittlich gleicher Stärke aller Silben. Also nicht;
f
f
f
f
un - ge - wis - se
sondern: un - ge - wis-se
Damit nun aber die Nebensilben nicht zu sehr hervorstechen, was ganz unleidlich wirken würde, ist auf folgende zwei Bedingungen zu achten: Einmal darf die spezifische Helle der Nebensilbenvokale nicht zu sehr zunehmen; also niemals A
A
„genommän", sondern „genommen"*). Und dann darf die Nebensilbe niemals dynamisch belebt werden, darf sich also nicht durch — = = = - oder > = — oder als Individuum zu erkennen geben. Vor allem vermeide man den Typus - = = - und das Vibrato. Dagegen läßt sich das und —=r, wenn es nicht, wie bei den Hauptsilben, mit einem Akzent vereinigt ist, auf Nebensilben sehr wohl anwenden. Weist doch gerade ein solches cresc. oder decresc. darauf hin, daß der Höhepunkt nicht auf dieser Nebensilbe selbst, sondern erst auf der folgenden oder schon der vorhergehenden Hauptsilbe liegt, und kennzeichnet dadurch das Wesen einer Nebensilbe aufs beste. Nur ist darauf zu achten, daß einem solchen — = ja *) In dieser Beziehung sind besonders gefährlich die Silben „ m e i " und „ d a s " , bei denen man, wenn sie unbetont bleiben sollen, den Mund möglichst wenig öffne.
97
Wortcrescendo
kein auf der gleichen Nebensilbe folge, was der Aufmerksamkeit des Sängers aus alter Gewohnheit gar zu leicht entgeht Also nicht
m
sondern:
ge - won - nen
m
- won - nen
Wie ein solches cresc. und decresc. sich auf mehrere Nebensilben zu verteilen hat, zeigt oben bei dem Beispiel aus Schubert „Wanderers Nachtgesang" die dynamische Bezeichnung über dem Notenbilde. Wir sehen mithin, daß die dynamische Behandlung der Nebensilben recht vielfältig sein kann und das Verhältnis zwischen Haupt- und Nebensilben sorgfältige Betrachtung verdient, daß aber die zu geringe Beachtung der Nebensilben, ihr „Verschlucken", auf jeden Fall abzulehnen ist. Auch das V e r h ä l t n i s von T o n h ö h e u n d T o n s t ä r k e darf eine gesonderte Betrachtung verlangen. Der Natursänger neigt dazu, tiefe Töne leise und hohe Töne laut zu singen, weil das dem ungebildeten Stimmechanismus am -besten entspricht. Das drastische Beispiel bietet uns ein beliebtes Studentenlied, das an der Kneiptafel meist in folgender Weise verunstaltet wird:
Wohl-auf noch ge - trun-ken den f u n - kein - den
Wein
Ähnlich hört man eine Arie aus Webers „Freischütz" oft falsch betont:
Durch die
Wäl-der, durch die Au - en
Hier wird fälschlich der melodische Akzent statt des rhythmischen bevorzugt. Daß diese Unart bei gewissen Affekten Moser, Technik der deutschen Gesangkunst
100
Dynamik
danke darunter zu leiden hätte, beweist der Anfang von Schuberts „"Winterreise", wo die gleiche Melodiephrase in der zweiten Strophe zweifellos ganz gegensätzlich betont werden muß:
»tuet
Frßmd bin ich 6in-ge - zo-gen, fr6md zieh'ich wie-der
aus
Der Mai war mir ge - wögen mit man-chem Blüten-strauß.
Das anschaulichste Beispiel für die Notwendigkeit einer feinen dynamischen Korrektur bietet Schumanns „Armer Peter" Nr. 3. Die dynamischen Zeichen über dem Notenbild beziehen sich auf die Musik. Ganz abgesehen von dem Sinne des Textes würde ihre strenge Befolgung die Stelle zu einer langweiligen Sequenz stempeln. Die Zeichen unter dem Notenbilde beziehen sich auf die vom Text geforderte Dynamik. Ihr wird der Sänger zu folgen haben, und jetzt ergibt sich durch die*'verschiedenartige Betonung des gleichen Sequenzgliedes ein reizendes Spiel wechselnder Beleuchtungen.
Er
hat
ver - lo - ren
sei - nen Schatz, drum
101
Satzbogen und Taktakzent
Man singe das einmal mit dem „musikalischen" Akzent, und die wundervolle Stelle wird geradezu karikiert wirken. In dem folgenden Liede von Brahms wird durch den inneren Widerstreit zwischen musikalischer und textlicher Akzentuierung das Gefühl des Wogenden, Strebenden meisterlich dargestellt. Der Sänger wird natürlich die untere Phrasierung anwenden:
Wie
bist du,
durch sanf - te
mei - ne
Gü - te
Kö - ni - gin,
won - ne - voll!
Du lach - le nur, Lenzdüf-te ziehndurchmeinGe-mü-te
Dazu noch zwei kleine Beispiele aus Schuberts „Müllerliedern", die geradezu nach Taktstrichverschiebungen verlangen :
Nr. 3. Ei willkommen, ei willkommen, sü-ßer Mühlengesang.
Nr. 13. Daß
es
ver-bleicht hier
an
der Wand.
104
Dynamik
erweckt den Eindruck größter Intensität des Gefühls. Wir werden einer entsprechenden Erscheinung auf rhythmischem Gebiet bald begegnen. Um die Erörterungen über die Dynamik abzuschließen, sei noch in Kürze auf das Verhältnis von P h r a s e n d y n a m i k u n d W o r t d y n a m i k eingegangen. Wir haben gesehen, daß jedes mehrsilbige Wort als Individuum seinen dynamischen Höhepunkt besitzt, der auf den Vorsilben anschwellend erreicht und in den Nachsilben abschwellend verlassen werden kann. Wollte man bei der Wiedergabe eines Satzes nur der Wortdynamik nachgeben, so würde er als eine beliebige Zusammenstellung mehrerer gleichberechtigter An- und Anschwellungen erscheinen und nimmermehr den Eindruck einer wohlgegliederten Einheit machen, welche in einem bestimmten Höhepunkt ihr Zentrum hat. Es war die unvergeßliche Kunst von J o s e p h Kainz, lange Tiraden in dieser Weise zu zentralisieren, alles Nebensächliche als unwesentlich zu behandeln, um den leidenschaftlichen Ausdruck endlich auf einer einzigen Silbe zusammenzufassen, die er dann zu unvergleichlicher Wirkung brachte. Das war der geniale Gegensatz zu der bis dahin und auch heute noch beliebten „klassischen" Manier, j e d e s einzelne Wort als unendlich bedeutend und wichtig zu „deklamieren", wodurch der Satz lahm und unübersichtlich zutage gefördert wird. Genau wie beim Sprechen hat sich auch beim Singen die dynamische Kleinwelt des Wortes dem großen Ganzen des allgemeinen Satzgefüges unterzuordnen. Die kleinen cresc. und decr. brauchen darum nicht vergewaltigt zu werden, nur wandelt sich ihre absolute in eine relative Geltung. Garcia hat hierfür eine sehr anschauliche Zeichensprache gegeben: die großen äußeren Zeichen beziehen sich auf die Phrasendynamik, die kleinen inneren auf die Wortdynamik: S c h u b e r t , Ganymed. mir! mir! in eu - rem Scho - Be
auf-wärts, um-
Klein- und Großschwellung fan - gend um-fan-gen! auf-wärts an
'y- r c & ' r -
Hu - gon
l
lie
t
105 dei - nen \
* -
- ben-der Va-ter!
j«—1 | [ — i f — 1p | 1 f.—J—|»—p—^—-j—1| 1 1
1
•
//
Weitere Beispiele hierfür aufzuzählen ist wohl unnötig, sie finden sich fast in jedem Liede. 2. Rhythmik
Betrachteten wir im vorigen Kapitel die dynamischen Vortragsmittel, so sind die rhythmischen, mit ihnen verglichen, weit vielseitigerer Natur; denn wenn es sich dort im wesentlichen um die einfache Übergangsskala zwischen „laut" und „leise" handelte, so bietet die künstlerische Belebung der Dimension der Zeit unvergleichlich reichere Möglichkeiten: zwei- und dreiteilige, gleiche und punktierte, einfache und komplizierte, normale und synkopierte Rhythmen lassen sich einander entgegensetzen und zu unendlichen Kombinationen verschlingen. Vergleichen wir die Ausdruckskraft des Rhythmus und der Dynamik, so ist sie im ersten Falle mehr qualitativer, im zweiten mehr quantitativer Art, sie verhalten sich wie die Energie des Geistes zu der des Stoffs. Ein Beispiel: Worte des Schmerzes sollen vorwiegend mit d y n a m i s c h e n Mitteln illustriert werden. Hier kann nur ein gewaltiges Fortissimo die denkbar stärkste Erscheinungsform des betreffenden Affekts wiedergeben, — die Darstellung bleibt also bei der handgreiflichen, physischen Schilderung des Schmerzes stehen. Nun wende man die r h y t h m i s c h e n Ausdrucksmittel des Schmerzes an: die Verschlüsse, die tönenden Konsonanten werden überlang gehalten, als vermöchte sie der
108
Rhythmik
mischen Gliederung seines Inhalts. Das Ausdruckgebende ist hierbei nicht das Zeitmaß, sondern der Rhythmus in seiner Relativität. Will man also den Ausdruck eines Stückes steigern (und gibt in dieser Beziehung nicht der Komponist einen bestimmten Willen kund), so begehe man nicht den Fehler, bei gleichbleibender Schärfe der Rhythmen schneller zu werden; denn dadurch werden doch offenbar die Rhythmen relativ stumpfer, d. h. ihre Ausdruckskraft und damit die des ganzen Stückes wird geringer. Sondern man suche r h y t h m i s c h e r zu werden, und wenn eine weitere Verschärfung der Rhythmen nicht angängig ist, so v e r l a n g s a m e man das Tempo, wodurch die relative rhythmische Schärfe und damit die allgemeine Ausdruckskraft verstärkt wird. Unter der gekennzeichneten „Verhetzung des Tempos", die eigentlich aus nichts anderem als einem mangelhaften Gefühl für die Ausdruckskraft des Rhythmus entspringt, leidet bei uns die Wiedergabe fast aller marsch- und tanzartigen Musik. Wenn solche Stücke hinreißend und eindrucksvoll wirken sollen, können sie gar nicht breit genug und — das ist der springende Punkt — auch gar nicht rhythmisch genug genommen werden. Die relative Verschärfung des Rhythmus aber wächst mit der Verbreiterung des Zeitmaßes, und jede Beschleunigung ist daher gleichbedeutend mit einer Verflachung des Ausdrucks! Gehen wir von diesen allgemeineren Betrachtungen zu spezielleren Anweisungen über die Ausführung der punktierten Rhythmen, Synkopen und Fermaten über, um mit einer kurzen Betrachtung des Tempo rubato die reinmusikalische Seite der Rhythmik zu verlassen. Was die Wiedergabe p u n k t i e r t e r R h y t h m e n betrifft, so dürfte folgender Hinweis zweckdienlich sein: Behandelt man sie nach dem dynamischen Schema J T ^ j j
J , so wirkt
die Figur wenig ausdrucksvoll und läßt den ihr meist innewohnenden Charakter des Energischen nicht zum Ausdruck gelangen. Singt man dagegen in der Weise, daß das dritte Sechzehntel einen kleinen Akzent erhält, so wird die Figur prall und lebendig auftreten: J . — J .
Doch sei dieser Druck nur
Dehnbarkeit des Notierten
109
ganz gering, damit nicht die Vorstellung eines „falschen Akzentes" entsteht. Übrigens ist die Ausführung dieses Rhythmus auch sehr abhängig von dem Inhalt des Textes. Folgende Beispiele aus drei Schumannschen Liedern mögen das illustrieren. 1. Freisinn. (Frisch)
f t Laßt mich nur
n
I, I
auf mei - nem Sat - tel
1
J'
J
gel - ten
2. Der N u ß b a u m (Allegretto).
Es
grü - net
ein
Nuß - bäum
vor
dem Haus
3. T a l i s m a n e (Feierlich, nicht zu langsam )
Got - tes
ist
der
0 - ri - ent
Im ersten Fall wird man den Rhythmus überscharf nehmen, annähernd als J q. 3 J^ > u m den Charakter des Übermütigen, Kecken zu betonen, wozu vor allem die Pause zwischen der ersten und der zweiten Note beiträgt. Dadurch wird die zweite Note als eine Art von Vorschlag zur dritten gezogen, und es entsteht der Eindruck des Vorwärtsstürmens. Im zweiten Beispiel dagegen wird man das Sechzehntel möglichst pausenlos an die punktierte Note anzuschließen haben und den Rhythmus zwar deutlich, aber nicht überscharf wiedergeben, um die Stimmung des mühelosen Gleitens, der träumerischen Ruhe zu malen. Im dritten Fall endlich werden die Sechzehntel eher breiter zu nehmen sein, als sie notiert sind, um
112
Rhythmik
(aus der 88. Kirchenkantate von Bach) unverbindliche Vorschläge für die Belebung des Zeitmaßes: accelerando
gleichmäßig
Andante allegro.
Da so - len
/
sie fi
«/
rlt
sehen Das Zeichen -r* soll hier nur ein kleines „tenuto" bezeichnen. Der naive Zuhörer muß den Eindruck eines einheitlichen Stärkegrades und Zeitmaßes behalten, sonst würde die beabsichtigte Belebung zur Z e r s t ö r u n g der Linien werden. An dieser Stelle wird wohl am besten eine Betrachtung der A t m u n g s e i n s c h n i t t e ihren Platz finden, handelt es sich doch darum, einen technischen, an sich unmusikalischen Vorgang mit den Forderungen der musikalischen Struktur ebenso wie mit denen der Wortbildung in Einklang zu bringen. Die Stelle, an der geatmet wird, hat möglichst mit einer musikalischen Zäsur zusammenzufallen, damit die Melodie nicht unschön oder widersinnig unterbrochen wird. In schnelleren Stücken, wo man mit einem Atemzug mehrere Takte bewältigt, werden sich kaum Schwierigkeiten ergeben, und man atmet einfach, wo im Text eine Interpunktion steht. In langsamen Stücken dagegen kann es unter Umständen schon Mühe machen, ein einziges längeres Wort auf einen Atem zu singen. Da ist dann möglichst nach der Regel zu verfahren: N i c h t i n n e r h a l b eines W o r t e s a t m e n ! Höchstens bei zusammengesetzten Wörtern und sehr langen Bindungen sind Ausnahmen zulässig. So kann man zur N o t in der „Fußwanderung" von H. Wolf folgendermaßen atmen:
113
Das Atemzeichen
Erst-Iings-pa - ra - die
-
-
ses - won
-
-
-
no
Doch ist in solchem Falle noch zwischen zwei Atmungsarten zu unterscheiden, nämlich zwischen dem vollen, t i e f e r Atmen, wie es vor Beginn einer Phrase zu geschehen hat, und jenem halben, kurzen Atmen, welches allein durch Vorschieben des epigastrischen Dreiecks zustande kommt und, geschickt ausgeführt, fast an jeder Stelle sich unauffällig einschmuggeln läßt (Leopold Mozart nennt es „sospir"). Müssen besonders lange Koloraturen auf einen Atemzug gesungen werden, so versorgt man sich am besten mit der nötigen Luft, indem man vor Beginn der Phrase den tiefen Atem (Zeichen: V ) benutzt und unmittelbar vor der Koloratur selbst den ^kurzen Atem (Zeichen:') zum Nachfüllen heranzieht, z. B.: L ö w e , Der Nock.
I ^ H
W f l J ' i ^ r m K ' L j j f i r gall
I
und at-mend horcht
die Nach
-
-
ti-gall
Wenden wir uns jetzt vom musikalischen Rhythmus zu dem der Sprache, in welchem wir die bedeutsamsten Ausdrucksmittel für die Darstellung der Affekte finden werden. Betrachten wir zunächst das Verhältnis von Vokal und Konsonant, also die Rhythmik innerhalb der Silbe, und dann das Verhältnis der Haupt- und Nebensilben. Das r h y t h m i s c h e V e r h ä l t n i s zwischen Vokalen und K o n s o n a n t e n ist das der gegenseitigen Gleichber e c h t i g u n g . "Wir betonen diese Regel mit Lebhaftigkeit ge 8 Mose r, Technik der deutschen GesangBkuDBt
116
Rhythmik
was
siehst mich im - mer
keck,
an
so
stolz,
so
so scha - den-froh
Nr. 18:
m und
Die
5
Blüm-lein
%
denkt im
al - le,
Her - zen:
der
die
sie
meint
mir
es
^ab
treu!
Wir haben in diesen Beispielen das Hervorhebungszeichen weit seltener gesetzt, als mancher Leser vielleicht erwartet hätte, und zwar aus der Anschauung heraus, daß dieses Kunstmittel sofort seine Ausdruckskraft verlieren würde, wenn man es regelmäßig auf alle „Hauptsilben vom grammatischen Standpunkt aus" anwenden wollte. Diese sind auch schon durch ihre rhythmische Stellung und die spezifische Helligkeit oder Fülle ihrer Vokale genügend ausgezeichnet, als daß sie übersehen werden könnten. Es ergibt sich hier die gleiche Regel wie vorher bei der Dynamik: Je geringer die Zahl der Höhepunkte, desto größer wird die Ausdruckskraft des Satzes (s. o. S. 104). Besonders ist davor zu warnen, daß man durch gleichstarkes Unterstreichen mehrerer benachbarter Worte die Ausdruckskraft verzettele. Wenn es z. B. in dem Schubertschen Liede „Am Grabe Anselmos" heißt: „daß du nicht mehr bist", so kann man zweifeln, ob besser „nicht" oder „bist" hervorzuheben sei — aber es wäre recht ungeschickt, wollte man nun beide Worte durch Konsonantenverlängerung auszeichnen.
Vortrag von Stabreimen
117
Besonders erleichtert wird dem Sänger die Auswahl der Hauptsilben in W a g n e r s alliterierenden Dichtungen, also vor allem im Nibelungenring. Denn die Anwendung des Stabreims geschah bei ihm nicht bloß zwecks altgermanischer Stilisierung, sondern vor allem in der klaren Erkenntnis, welches Charakterisierungs- und Ausdrucksvermögen einem ausgeprägten Konsonantismus innewohne. Man braucht bei ihm nur die stabreimenden Anlauter hervorzuheben, und der verlangte Ausdruck ergibt sich von selbst; z. B. „Walküre", letzter Aufzug: „Leb wohl, du kühnes, herrliches Kind, du meines Herzens heiligster Stolz! Muß ich dich meiden, und darf nicht minnig mein Gruß dich mehr grüßen, sollst du nun nicht mehr neben mir reiten, noch Met beim Mahl mir reichen, muß ich verlieren dich, die ich liebe, du lachende Lust meines Auges: " In solchen Fällen muß auch der als unhygienisch berüchtigte und im allgemeinen gewiß mit Vorsicht anzuwendende Coup de glotte beim Vokaleinsatz als Verstärkungsmittel herangezogen werden: z. B.: „Denn einer nur freie die Braut, der freier als ich, der Gott Dem unseligen Ew'gen muß es scheidend sich schließen." Wollte man hier den hauchigen oder geräuschlosen Einsatz benutzen, so würde der Ausdruck ein viel zu unbedeutender werden. Freilich darf der .„Coup de Glotte" nicht zu einem häßlichen „Krächzgeräusch" ausarten, das dem Zuhörer und dem Sänger gleichermaßen weh tut. J e l e i d e n s c h a f t l i c h e r der A u s d r u c k wird, d e s t o l ä n g e r s i n d die b e t r e f f e n d e n K o n s o n a n t e n e i n s t e l l u n g e n b z w . - V e r s c h l ü s s e b e i z u b e h a l t e n . Dieses Grundgesetz der Affektdarstellung sieht vielleicht zunächst verblüffend aus. Denn der Zweifler wird fragen: „Wie, im Moment der höchsten seelischen Unruhe soll der Mechanismus gerade die größten Ruhepausen einhalten?" „ J a eben das", ist darauf zu antworten, „ist psychologisch in mehrfacher
120
Rhythmik
m ä ß i g e W i e d e r h o l u n g . Wenn die Wiederholung zwar ein Mittel von starker formbüdender Kraft darstellt, so wirkt doch, besonders bei der unmittelbaren Folge, die allzu genaue Repetition oft unkünstlerisch. Denn wie ein an sich schöner Gesichtsausdruck, sobald er sich durch genaue Wiederholung als stereotyp erweist, zur Maske wir.d, so ist es auch bei der „Tongebärde". Gerade Schubert ist hier ein Meister der Variante : er wiederholt zwar den Text gern, gibt ihm dann aber durch geringe Änderungen ein ganz neues und doch wieder altvertrautes Gesicht. In dem vorstehenden Liede beachte man diese Kunst bei der Stelle „Seht, wie liebten wir uns beide", wo die Variante vor allem in der Veränderung des Akzentes besteht. An solchen Stellen — und das ist der Grund, weshalb diese Erscheinung hier erörtert werden muß — wird ein geschmackvoller Sänger in der oben vorgeschlagenen Weise der Variante nachgehen, das heißt: beim zweiten Male andere Silbenanlauter unterstützen. Eben deshalb deuteten wir auch an, man solle bei der dreimaligen Wiederholung von „mein Schmerz" den Ausdruck nicht jedesmal mit den gleichen Mitteln darstellen. Da wird man auch mit Glück die verschiedenen dynamischen Möglichkeiten als Ersatz heranziehen können. Wir geben noch einige Varianten dieser Art aus Schuberts Liedern mit .angedeuteter Konsonantenverlängerung: Winterreise Nr. 8 „Rückblick".
mei-nen Hut von je - dem Haus.
121
Wechsel bei Wiederholung
Bei der Wiederholung wäre es dagegen geschmacklos, „meinen" zu betonen; denn dann hätte man logischerweise nach dem Gegensatz von „mein" zu fragen. Dagegen im gleichen Liede:
vor
vor
ih - rem
Hau - se
ih - rem
Hau - se
stil - le
stil - le
stehn.
stehn.
Allerliebst ist diese Nuance im vierten Müllerlied ausgenützt und zu betonen: Etwas langsam.
M
n
War es a l - s o
gemeint, war es al - so ge-meint?
Allerdings hüte man sich in solchen Fällen vor Übertreibung, denn hier ist der Schritt vom Erhabenen zum Lächerlichen schnell getan. Was gewissermaßen als ein „Rubato der Deklamation" zur geschmackvollen Belebung der betreffenden Phrase dienen soll, darf nicht wie müßige Spielerei oder geistreichelnde Tüftelei erscheinen. Von großer Bedeutung werden die geschilderten Feinheiten bei L i e d e r n m i t K e h r r e i m wie Schuberts „Sei mir gegrüßt" oder „Dein ist mein Herz", wo der Refrain bei jeder Strophe einen anderen Ausdruck verlangt. Konsonantismus, Dynamik, Klangfarbe und Portamenti haben in solchem Falle gleichermaßen für die notwendige Abwechslung zu sorgen. Hatten wir bisher darauf gehalten, daß der Vokal, der Konsonantenverlängerung ungeachtet, nicht später als auf den Schlag des Taktteils einsetzen dürfte, so ist auch der
124
Rhythmik
-r
aus dem
CT
Fei - sen - quell.
S c h u b e r t , Der Einsame.
Wenn
mei - ne
Nachts am spät
Gril
len
schwir-ren
er - wärm-ten
des
Herd.
Wir glauben, diese Ausführungsart grundsätzlich verwerfen zu müssen, denn dieses Quasi staccato wirkt auch bei guter Ausführung allzu klanglos und ungesanglich, oder wird, wenn man der einzelnen Silbe mehr Durchschlagskraft zu geben sich bemüht, zu einem Quasi martellato, das dem ursprünglich beabsichtigten Eindruck des Leichten, Schwebenden geradezu zuwiderläuft. Auch kommt die Ausdrucksfähigkeit der Textworte bei der fortwährenden Unterbrechung unnötig zu kurz. Auch hier noch muß das ben legato als Norm festgehalten werden. Nimmt man dann dort, wo die Linie durch Verschlüsse ohnehin unterbrochen werden muß, den Vokal vor der Pause recht kurz und leicht, so wird die beabsichtigte Wirkung des Heiteren, Gewichtlosen sehr gut herauskommen und trotzdem der Charakter einer zuammenhängenden Kurve bestehen bleiben. Die hierdurch entstehende Unregelmäßigkeit in der Verteilung der Staccatosätze ist außerdem reizvoller als die systematische Pausenfolge beim rein musikalischen Quasi staccato. Endlich sorgt auch das Klavier, welches nicht durch Rücksichten auf den Wortrhythmus gebunden ist, für die tonmalerische Schilderung, und schließlich kann der Sänger durch die Anwendung einer helleren Klangfarbe (worüber das folgende Kapitel nachzulesen ist) ein übriges zum Eindruck des Heiteren beitragen. Die beiden Beispiele sollten also etwa
125
Artikulationsfeinheiten
folgendermaßen gesungen werden, wodurch sie wieder der vom Komponisten gewählten Notierungsweise viel näher kommen:
Ich
hört'
ein
iff
Bäch - lein
rau - sehen
wohl
in Aaus
dem
J' Wenn mei - ne
m Nachts
am
Fei - sen - quell.
I
*
Gril - len
spät
schwir - ren
er - wärmten
des
Herd.
Wir sehen auch in diesen Fällen, daß gemäß dem l i e d h a f t e n Charakter der Stücke musikalischer und sprachlicher Rhythmus einander ausgleichend entgegenzukommen haben. Zum völligen Siege kommt eins der beiden Elemente nur in der Darstellungsart des R e z i t a t i v s , dessen Studium als ein Hauptpunkt des Gesangunterrichts bezeichnet werden darf, weil hier die Freiheit anscheinend am größten, dafür aber auch die künstlerische Aufgabe der Gestaltung am schwersten ist. Das R e z i t a t i v unterscheidet sich von allen anderen musikalischen Gebilden dadurch, daß hier n i c h t m e h r der T a k t und der rein m u s i k a l i s c h e R h y t h m u s , s o n d e r n n u r der s p r a c h liche R h y t h m u s herrscht. Das ist selbstverständlich etwas ganz anderes als das Mißverständnis, im Rezitativ herrsche überhaupt kein Rhythmus! Nein, der Rhythmus im Rezitativ
128
Rhythmik
Gegenteil, nämlich hastiges Vorwärtsstürmen, läßt sich hier in völliger Ungebundenheit darstellen. Wir geben ein — hoffentlich nicht mißverständlich wirkendes — Beispiel, wie man das Rezitativ frei ausgestalten kann, aus Bachs Matthäus-Passion. Notiert
r
't
Ct i
J
'l* j
Was be-kümmert ihr das Weib? Sie hat ein lebhaft
Ausführung:
bedeutungsvoll
' h
n
im
,f>
m
Was be - kümmert ihr das Weib ? Sie hat ein
£
gut Werk an mir
T T f
ge - tan! Ihr
ha-bet
p
aJ - le - zeit
vorwurfsvoll
f
f.
gut
Werk an mir
1»
t-
JU9 ge - tan!
r
Ihr ha - bet
f
al - le • zeit
c
Ar - me bei euch, mich a - ber habt ihr nicht al-le-zeit. sanft trauernd
Ar - me bei euch. Mich a - ber habt ihr nicht al-le-zeit. Wie das Rezitativ im Gegensatz zum mehr lyrischen Cha1 akter der Arie das epische Element verkörpert, so bemühe sich auch der Sänger hier größtmöglicher Anschaulichkeit. Wie eine Mutter ihren Kindern Märchen erzählt, wie ein Lehrer
Ausdruck beim Accompagnato
129
seinen Schülern die Taten großer Helden schildert, ebenso warm, ebenso ausdrucksvoll soll der Sänger seiner Gemeinde die Geschehnisse des Oratoriums wiedergeben. Dazu tritt nun- auch das spezifisch m u s i k a l i s c h e E l e ment. Wenn man sich einmal darüber klar wird, wie wunderbar feinfühlig ein Bach die überkommenen, mehr oder minder typischen Rezitationsformeln dem jeweiligen Inhalt der Worte anzupassen verstanden hat, so wird kaum mehr zweifelhaft bleiben, daß hier gesungen werden muß und zwar mit „ u n a p e r f e t t i s s i m a i n t o n a z i o n e " , wie die Italiener es verlangten. Eine Ausnahme machen nur die modernen „Sprechnoten" p z. B. in Humperdincks „Königskindern" (erste Fassung) und „Dornröschen". Vom musikalischen Standpunkt aus sind noch zwei Besonderheiten der Rezitative zu betrachten: das Verhältnis zur Begleitung und die Behandlung der Vorhalte. Man unterscheidet das Recitativo secco von dem Recitativo accompagnato, oder deutsch: das nur von einzelnen Cembaloakkorden und das vom ganzen Orchester mehr in schildernder Weise begleitete Rezitativ. Eine Übergangserscheinung stellt z. B. die Mehrzahl der Rezitative des Jesus in Bachs Matthäuspassion dar, die in der Weise des Seccorezitativs auch nur schlicht akkordisch, aber mit Unterstützung des „wie ein Heiligenschein" wirkenden Streichorchesters begleitet werden. Es ist klar, daß die Freiheit des Sängers bei den Begleitungsfigurationen des Ree. accompagnato einigermaßen eingeschränkt werden muß, denn jenes vom einzelnen Cembalisten zu fordernde Nachgeben ist vom ganzen Orchester kaum zu verlangen. Doch kann hier der Sänger immer noch freier schalten als beim „ariosen Rezitativ", welches sich von der strengen Arie in bezug auf den Vortrag im wesentlichen nur noch durch eine gewisse Hervorhebung des deklamatorischen Elements unterscheidet. Wenn, wie bei allen Arten des Rezitativs, Begleitungsakkorde und Gesang sich in rhapsodischer Weise ablösen (so bei Bach, Händel, Haydn, Mendelssohn und anderen sehr oft), dann warte der Sänger mit seinem Einsatz, bis der Akkord wirklich 9
Moser, Technik der deutschen Gesaneskunst
Rhythmik
130
verklungen ist. Er kann das sogar scheinbar entgegen der musikalischen Notation tun; denn wenn der Komponist die Begleitungsphrase mit männlicher Endung abschließen und die Kezitationsformel trochäisch oder daktylisch beginnen lassen wollte, so ließ sich das nicht gut anders in das Taktbild einfügen, als indem die Begleitung auf dem Taktanfang schloß und die Gesangsstimme ebendort einsetzte. Z. B. eine Stelle aus Haydns Schöpfung:
fr
i
steht
der
c Lö - we
da
ShaTr "W
Hier muß, wenn anders der zweite Einsatz der Singstimme überhaupt noch vernehmbar werden soll, annähernd in folgender Takteinteilung gesungen werden:
steht der Lö - we
da
Ähnlich hat auch die Begleitung gelegentlich mit ihrem Einsatz auf das Ausklingen des Gesanges zu warten. Z. B. Bach, Matthäuspassion: „ . . . trat zu ihm ein Weib, das hatte ein Glas mit köstlichem Wasser,
Notations-Mißverständnisse
131
Rezitativ.
da
er
zu
Ti - sehe
Die rhythmische Ausführung muß sich folgendermaßen stalten:
Î
da
er
zu
Ti - sehe
«> Bei „und küssete ihn" (ebenda) kämen sonst Dominante und Tonika übereinander. Wir kommen zu der freien A n w e n d u n g von V o r h a l t e n im Rezitativ. Zwei Hauptfälle sind besonders hervorzuheben: stehen bei weiblicher Endung die zwei letzten Silben auf gleicher Tonhöhe, doch um eine Quarte tiefer als die letzte Silbe vor ihnen, so hat auch noch die betonte die höhere Quarte zu nehmen; beträgt der Höhenunterschied nur eine Terz, so füllt die betonte den Sprung durch einen Sekundenschritt aus. Z. B.: H a y d n , Jahreszeiten Nr. 30.
n Ge - het 9*
hin
in
sen
sie,
die Stadt
nicht
h
zu
wei - le.
ei - nem
132
Rhythmik
M
C
v
mit mei-nen
fis
l l
c»
Jün-gern
Auch hat Bach fast stets, wo er auf den Vorhalt rechnete, die betr. Note in der Begleitung des Streichorchesters ausgelassen. Das gilt auch für Bachs Ariosi. Wenn heutzutage bei den Theaterkapellmeistern die Unsitte immer mehr um sich greift, Mozart und Weber (z. B. Agathe „Kaum nahte mir der Schlummer") ohne diese Vorhalte singen zu lassen, so kann das als eine Ignoranz, die mit „anderem Geschmack" nichts zu tun hat, nicht scharf genug gegeißelt werden — es ist einfach Denkmalsschändung!*) Sogar ein gelegentliches Übersteigern der vorgezeichneten Linie ist historisch im Rezitativ zu Ausdruckszwecken gerechtfertigt, so in Haydns Jahreszeiten Nr. 22:
pn , d
U n d Freu-de,
d
t
r
u n d Freu-de
3. Die
, F pE^ s t r ö m t in
sei - ne Brust.
Klangfarben
Neben den dynamischen und rhythmischen Auszeichnungen stellen auch die der Klangfarbe ein wichtiges Hilfsmittel des Ausdrucks dar. Jede Stimme besitzt zwar ein ihr angeborenes Timbre, aber es sind neben diesem als Norm anzusehenden Klanggepräge noch andere Farben erzeugbar, wie schon im theoretischen Teil dieses Buches gezeigt wurde. Man kann im ganzen dunkler oder heller, männlicher oder weiblicher, markiger oder zarter singen, als es der neutralen Stimmfärbung entspricht, und diese Wandelbarkeit beruht in der Möglichkeit, die Gesamteinstellung des Ansatzrohres, zu verändern. Außer*) Vgl. auch die ausgezeichnets E e Ausführung von B. Paumgartner „Über die Bogenannte Appoggiatura" in der Wiener Zs. „Die Musikerziehnung" (Juniheft 1951).
Personelles Klanggepräge
133
dem aber sind durch gewisse Funktionsänderungen von Atem, Kehlkopf und Ansatzrohr Klangqualitäten wie hauchig, gepreßt, kehlig, gaumig, zahnig, näselnd, dumpf, schneidend usw. zu erzielen. Wir müssen diese Darstellungsmittel an letzter Stelle erörtern, handelt es sich doch hier fast ßtets um „falsche" Einstellungen, die der Schüler zwar meist leicht erlernt, deren verfrühte Anwendung aber der noch im Entwicklungsstadium befindlichen Stimme gefährlich werden kann. Wir unterscheiden bei der Klangfarbendarstellung erstens Fälle, wo gewisse P e r s o n e n als sprechend charakterisiert werden sollen, und zweitens Fälle, wo gewisse A f f e k t e auszumalen sind. Aufgaben der ersten Art sind sehr häufig. Die rein erzählenden Teile sind mit dem neutralen, normalen Timbre der Stimme wiederzugeben. Wenn dann eine andere Person als sprechend eingeführt werden soll, so ist eine ihrer Eigenart entgegenkommende Klangfarbe zu wählen. Doch hüte man sich hier vor Übertreibungen, wenn es sich nicht etwa um komische Verkleidungsszenen handelt, wie etwa im „Don Giovanni" von Mozart oder in den „Lustigen Weibern" von Nicolai oder in Mozarts Lied „Die Alte". Wir stellen einige Zitate aus klassischen Werken zusammen, um zu zeigen, wie wir uns die Verwendung von besonderen Klangfarben denken: H a y d n , Schöpfung. neutral
markte, 1
,
foi.
etwas dunkel .
i Und Gott sprach: „Es samm-le
sich
das Was-ser
B r a h m s , Verrat.
m
-
normal, männlich
r — :
'
£
'
d :
mein Schatz ließ sacht ein Manns-bild raus: „Laß
134
Klangfarben sehr hell und weich
•
u
. . .
ß
.
mor - gen
..
•
-t—t - r r r
m
mich nie i t
har - ren,
laß
mich
nicht
L ö w e , Der Douglas. weich , i eil, vibrierend.
^
i
!
Ji
daß
ich
ein
Dou - glas
1
1
bin!"
„Ich
hart, dunkel, abgestoßen
i f ^ J T "
J
1
seh' dich nicht,
i r ^ F F Graf Ar - chi - bald.
Auf diesem Gebiet verfällt man leicht in böse Gedankenlosigkeit. Wenn es z.B. in Schumanns Grenadieren heißt: „Der andere sprach: Das Lied ist aus!", so lasse man sich ja nicht verführen, schon die Worte „Der andere sprach" seelenvoll und schmerzzerrissen vorzutragen; hat doch erst bei „Das Lied ist aus!" die charakterisierende Klangfarbe der neutralen zu folgen. Aber das Schlußwort „zu schützen" lenke schon in das gliederweise Zusammensinken des Nachspiels. Übrigens ist die geschmackvolleVerwendung der Klangfarben auch ein Hauptdarstellungsmittel musikalischen Humors, z. B.: L ö w e , Fridericus rex. weich, hell, näselnd
Mit
Po - ma - de
-r'
J
*
-
be - zahlt den Fran - zo - sen
:
sein
fest, dunkel, rauh
i f f - r
'/fj
Kö - nig,
b p j wir
krie - gen
*
t
al - le
ii
"
Wo - che
.' i bei
Charakter-Timbres
f
135
h Hei - 1er und Pfen-nig
H a y d n , Schöpfung. sehr hell und weioh
dunkel,
-T—fr das wol - len-rei - che,
sanf - te
Schaf.
In langen
viel Portamento, schwerfällig
Zü - gen
kriecht am
Bo
-
den
das
Ge-würm.
Betrachten wir nunmehr die Klangfarbe im Dienst der Darstellung gewisser Affekte. Die Schwierigkeit beruht hier weniger in der kritischen Tätigkeit des Geschmacks; denn die Frage, wann und mit welcher Klangfarbe illustriert werden müsse, wird wohl kaum schwer zu lösen sein. Dagegen erfordert die technische Ausführung insofern sicheres Können, als die anderen Faktoren, wie Intonation, Dynamik und Rhythmik, in keiner Weise beeinträchtigt werden dürfen. Nicht leicht ist die Ausführung, wenn die besondere Klangfarbeneinstellung während eines ganzen Liedes beibehalten werden soll. Es sei an Schuberts „Meeresstille" erinnert, die durchweg, der ängstlichen, müden Stimmung entsprechend, etwas hauchig gesungen werden muß; ebenso an Schumanns „Hidalgo", dessen Wesen durch einen etwas scharfen, hellen, festen Klangcharakter wiederzugeben ist (grell das Wort ,Rival'), während des gleichen Meisters „Lotosblume" eine sehr warme, dunkle Tongebung verlangt. Wo es sich dagegen um koloristische Kleinarbeit handelt, wird man durchwegs stärker auftragen dürfen und mit geringerer Mühe seine Absichten in die Tat umsetzen können.
136
Klangfarben
Besser als alle Abstraktionen sprechen folgende Beispiele: S c h u b e r t , Gruppe aus dem Tartarus. sehr hauchis und dunkel bis zum Allegro
Horch,
wie Mur - mein des
em - pör
-
tenMee-res:
hell, schneidend, etwas gepreßt
^
'
i - ' M
Schmerz
ver
-
J H . .
zer - ret
ihr
Ge
J
j
-
i
sieht
sehr weich, warm, dunkel
fol - gen trä-nend sei - nem Trau-er - lauf. S c h u b e r t , Die Wetterfahne.
dunkel, erregt
r y
ii j Der
i
•1
h
^
Wind spielt drin-nen
^ mit
M den
^
H
Her - zen
sehr flach und hell *
wie auf dem Dach, nur nicht so laut.
An dieser Stelle muß auch über den h ö r b a r e n A t e m gesprochen werden, der durch das rasche Einziehen der Luft bei wenig geöffneter Stimmritze zustande kommt. So entschieden man ihn vom Standpunkt der Normaltechnik aus verwerfen muß, so wichtig ist er zur Erzielung gewisser Ausdrucksformen. Einmal läßt er sich fast immer bei Stellen mit dem v e r f r ü h t e n Einsatz (z.B. bei der Anaphora) anwenden; doch darf das Einziehen des Atems hier nicht geradezu in einen
Ungenauer Einsatz
137
inspiratorischen Ton ausarten, was ästhetisch wie hygienisch gleichermaßen abzulehnen wäre. Besonders aber ist der hörbare Atem als Ausdruck des Keuchenden und Beängstigten anzuwenden. Z. B. Löwe, Douglas: „König Jakob, V ich war dein Seneschall V und ich will es nicht länger sein, V ich will nur warten dein Koß im Stall, V und ihm schütten die Körner ein V." Löwe, Erlkönig: „In seinen Armen V das Kind V war V tot!" Endlich sei noch eines Kunstmittels gedacht, das zwar auch nicht eigentlich unter den Begriff der Klangfarbe fällt, aber zu ähnlichen Zwecken wie diese verwendet wird: der in bezug auf die Tonhöhe u n g e n a u e E i n s a t z . Man stelle sich darunter ja nicht vor, wir wollten das Unreinsingen als Kunstmittel empfehlen! Es handelt sich nur darum, zu zeigen, daß jenes bisher von uns als unschön abgewiesene „Heraufziehen des Tones" wirksam zur Darstellung des Schwärmerischen, aber auch des Gequälten verwendet werden kann. Doch achte man darauf, daß dieses „Hinaufschleifen" sich weder zu einem kurzen Vorschlag verdichtet, noch in einem erkennbaren Intervall zur Hauptnote einsetzt; sondern es besteht eigentlich nur darin, daß der anlautende Konsonant ein w e n i g zu tief einsetzt, und schnell die eigentliche Tonhöhe durch ein kleines Portament möglichst schon während des Konsonanten erreicht wird. In den folgenden Beispielen möge das Zeichen J den „ungenauen Einsatz" andeuten: Wagner,
,