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German Pages 521 [524] Year 2000
de Gruyter Studienbuch Hans-Werner Eroms Syntax der deutschen Sprache
Hans-Werner Eroms
Syntax der deutschen Sprache
w DE
G_ Walter de Gruyter · Berlin · New York 2000
© Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.
Die Deutsche Bibliothek —
CIP-Einheitsaufnahme
Eroms, Hans-Werner: Syntax der deutschen Sprache / Hans-Werner Eroms. — Berlin ; New York : de Gruyter, 2000 (De-Gruyter-Studienbuch) ISBN 3-11-015666-0
© Copyright 2000 by Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, D-10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Druck und Buchbinderische Verarbeitung: WB-Druck, Rieden / Allgäu Einbandgestaltung: Hansbernd Lindemann, Berlin
Vorwort
Das vorliegende Buch soll einen Überblick über die wichtigsten Bereiche der deutschen Syntax geben. Die ersten Kapitel zeigen die syntaktisch relevanten Strukturzüge der deutschen Sprache auf, fuhren an syntaktische Fragestellungen heran und entwickeln ein konsistentes Beschreibungsmodell. Die darauf folgenden Abschnitte behandeln ausfuhrlich die einzelnen Module des deutschen Satzbaus. Theoretische und empirische Zugänge halten sich dabei die Waage, der aktuellen Forschung und den sogenannten Fakten - die immer erst durch die Sehweise des Syntaktikers zu solchen werden - wird gleichermaßen Rechnung getragen. Die meisten Teile des Buches sind in Vorlesungen, Seminaren und Übungen vorgestellt, erprobt und sehr häufig auch revidiert worden. Dabei hat sich immer wieder gezeigt, dass der Bezug auf ein Modell, mit dem die empirischen Gegebenheiten erfasst, geordnet und vielfach erst aufgespürt werden können, sehr hilfreich ist. Das gewählte Modell ist das dependenzgrammatische. Warum dieses und nicht ein anderes zugrunde gelegt wird, ist an den entsprechenden Stellen dieses Buches eingehend begründet. Es versteht sich von selbst, dass in dieses Modell auch Beschreibungsansätze zu integrieren waren, die außerhalb der Dependenzgrammatik entwickelt worden sind. Dies sind in erster Linie Konzeptionen der generativen Schule und solche pragmatischer Forschungsrichtungen. Allein die Divergenz im Formalisierungsgrad dieser beiden Ansätze zeigt, dass ein Modell zu suchen war, mit dem man sich in der Mitte zwischen wünschbarer formaler Exaktheit und empirisch erzwungener Fülle zu bewegen hat. Von hier aus sollten die Pfade in die Höhe abstrakter Gebirge, aber auch in die breiteren Wege ebenerer Flächen begehbar sein. Dass es überall noch viele trittunsichere Stellen im grammatischen Gelände gibt, ist nur zu bekannt. Es wird versucht, auch für solche Bereiche einen Darstellungsvorschlag zu finden. Hier war vieles neu zu entwickeln; andererseits musste darauf verzichtet werden, die gesamte Valenzdiskussion wieder aufzurollen. Dabei muss nicht eigens betont werden, dass jede grammatische Darstellung immer nur ein Beschreibungs- und Erklärungsangebot ist, das neuen Erkenntnissen anzupassen ist. Wäre das nicht der Fall, müssten wir unser syntaktisches Wissen immer noch in den Beschreibungsrahmen der alten Griechen einfügen - von denen wir aber mit Recht so viel übernommen haben. Das Zustandekommen dieses Buches macht mich vielen Freunden, Kolleginnen und Kollegen und Studierenden gegenüber sehr dankbar. Ich kann nicht alle
VI
Vorwort
nennen, mit denen ich konzeptionelle oder empirische Fragen besprochen habe, einige möchte ich aber doch namentlich hervorheben: Meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Privatdozent Dr. Thomas Fritz, Sigrid Graßl, M.A., Dr. Dorothea Kobler-Trill und Günter Koch, M.A., haben das Manuskript kritisch gelesen und kommentiert und mich auf sehr vieles gestoßen, was ich sonst übersehen hätte. Dies gilt auch für eine erste Version, die Prof. Dr. Karin Donhauser gelesen hat. Prof. Dr. Marc Van de Velde, Gent, und Dozent Dr. Jaromir Zeman, Brno, haben das Wortstellungskapitel, in dem ein neuer Weg eingeschlagen wird, unter die Lupe genommen, was zur Revision so mancher Überspitzungen geführt hat. Mit Prof. Dr. Ludwig M. Eichinger und der Grammatikgruppe des Instituts für Deutsche Sprache, Mannheim, hatte ich viele anregende Gespräche. Die Hilfskräfte am Lehrstuhl für Deutsche Sprachwissenschaft der Universität Passau, Larissa Vogl, Katrin Flexeder, Gabriele Wieand, Guta Rau und Thomas Stolz haben bei der Klärung sehr vieler Einzelfragen geholfen. Allen sei für ihre Hilfe herzlich gedankt. Meine Frau, Imme Eroms, hat nicht nur die jahrelangen Fragen nach der Bewertung von grammatischen Zweifelsfällen ertragen, sondern in vielen Fällen auch entschieden. Ihr möchte ich ganz besonders danken. Sehr dankbar bin ich der Deutschen Forschungsgemeinschaft, die mir ein Forschungsfreisemester bewilligt hat, in dem ich das Manuskript zum Abschluss bringen konnte. Last, but not least, ein großer Dank an Frau Imelda Wagner. Sie hat das Manuskript in unzähligen Versionen mit seinen hunderten von Stemmata klaglos hergestellt und mir so manchen Verbesserungsvorschlag gemacht. Alles, was jetzt noch zu verbessern ist, geht natürlich auf meine Verantwortung.
Passctu, im Juli 2000 Hans-Werner Eroms
Inhaltsverzeichnis
Vorwort Abkürzungen und Symbole 1. Einführung: Grammatische Theorie und linguistische Einsicht 1.1. Motivation für die Syntax 1.2. Beschreibungsziele 1.3. Beschreibungsmodelle 2. Der Satzbegriff und die grammatische Tradition 2.1. Syn-und Diachronie, System und Norm
V ΧΠ 1 1 4 7 13 13
2.1.1. Diachrone Abgrenzung - 2.1.2. Regionalsprachliche Abgrenzung 2.1.3. Funktionalstilistische Abgrenzung
2.2. Gliederungsvorgaben 2.3. Wörter und Wortarten 2.4. Der Satzgliedbegriff
18 20 34
2.4.1. Phrasentypen - 2.4.2. Attribute
2.5. Weitere Strukturmerkmale des Deutschen und universale Aspekte der Syntax
38
2.5.1. Flektierte und unflektierte Wörter im Deutschen - 2.5.2. Wortstellung 2.5.3. Intonation
2.6. Ausdrucks- und Inhaltsseite des Satzes 2.7. Semantische und pragmatische Bedingungen und die Aufgaben syntaktischer Analyse 3. Neuere grammatische Konzeptionen 3 .1. Neue Entwicklungen in der Generativen Grammatik
47 49 55 55
3.1.1. Grundannahmen - 3.1.2. Prinzipien generativer Syntax-3.1.2.1. Das Xbar-Prinzip - 3.1.2.2. Die Grundstruktur des Satzes - 3.1.2.3. Die Bewegungsregel 'move α' - 3.1.3. Das 'Minimalistische Programm' und die Konvergenzmöglichkeiten mit anderen Theorien
3.2. Kategoriale Grammatik
68
3.2.1. Grundlagen - 3.2.2. Einzelüagen
3 .3. Dependenz und Valenz als Module der hierarchischen Bindung 3.3.1. Die Grundgedanken der Dependenzsyntax Lucien Tesnières - 3.3.2. Grundprinzipien der Dependenzsyntax - 3.3.3. Das Valenzprinzip als erweitertes Rektionsprinzip - 3.3.3.1. Die Bindung von Ergänzungen (Aktanten) und Angaben (Circonstanten) - 3.3.3.2. Parallelen im Aufbau der Phrasen - 3.3.4. Der Satznukleus
75
VIII
Inhaltsverzeichnis
4. Die Satzarten und ihre grammatische Darstellung 4.1. 4.2. 4.3. 4.4. 4.5.
Satzarten, Satztypen und Satzmodi Satzarten und Sprechakte Kriterien für die Bestimmung der Satzarten Form- und Funktionsmerkmale der deutschen Satzarten Die syntaktische Ableitung der Satzmodi
5. Die verbalen Teile des Satzes und ihre Verkettung 5.1. Die verbale Valenz
97 97 98 102 106 113 119 119
5.1.1. Grundsätzliches - 5.1.2. Die Abgrenzung der Ergänzungen von den Angaben
5.2. Das Finitum und der Aufbau der verbalen Gruppe
129
5.2.1. Das Finitum - 5.2.2. Die verbale Periphrase und die Klammerbildung im Aussagesatz - 5.2.3. Der kohärente verbale Komplex - 5.2.4. Weitere Klammerformen - 5.2.4.1. Adverbialklammer - 5.2.4.2. Konjunktionalklammer 5.2.4.3. Nominalklammer
5.3. Die Valenz der Hilfsverben
137
5.3.1. sein - 5.3.2. haben - 5.3.3. bleiben - 5.3.4. Die Modalverben - 5.3.5. Der epistemische Gebrauch der Modalverben - 5.3.6. Weitere modalveibverdächtige Verben - 5.3.7. Modalitätsverben - 5.3.8. Aktionsartverben
5.4. Die verbale Periphrase 5.5. Negation und Adverbialia bei Modalverben 5.6. Funktionsverbgefuge
152 154 162
5.6.1. Die Funktionsverbperiphrase - 5.6.2. Typenliste der FVG - 5.6.3. Die Leistung der Funktionsverbgefuge - 5.6.3.1. Aktionale Differenzierung 5.6.3.2. Diabetische Differenzierung
6. Die Ergänzungen 6.1. Klassifizierung der Ergänzungen 6.2. Kasus und Kasusfunktionen im Deutschen
171 171 173
6.2.1. Oberflächenkasus - 6.2.2. Zum Status der Kasus und ihrer syntaktischen Funktionen - 6.2.3. Die Suche nach einheitlichen Kasusbedeutungen
6.3. Kasusrollen und Kasusfunktionen
178
6.3.1. Tiefenkasus - 6.3.2. Das Singularitätsprinzip - 6.3.3. Listen von Kasusrollen
6.4. Ergänzungstypen 6.4.1. EJub, Subjekt und subjektlose Konstruktionen - 6.4.2. E ^ , Akkusativobjekt - 6.4.3. Egen, Genitivobjekt - 6.4.4. Ε Λι , Dativobjekt - 6.4.5. E ^ , Präpositionalobjekt - 6.4.5.1. Nichtsatzförmige Typen - 6.4.5.2. Satzförmige Typen - 6.4.6. E,it, Situativergänzuung - 6.4.7. Direktionalergänzung 6.4.8. EraelB, Mensural-, Maßergänzung - 6.4.9. E™,,,,, Nominalergänzung, Gleichsetzungsergänzung, substantivisches Prädikatsnomen, Einordnungsergänzung - 6.4.10. Eadj, Adjektivalergänzung, Artergänzung, adjektivisches Prädikatsnomen - 6.4.11. Komparative und Superlative in prädikativen Strukturen - 6.4.12. Eprop, Obligatorisch satzförmige Ergänzungen
183
Inhaltsverzeichnis
7. Die nicht-valenzgeforderten Glieder 7.1. Angaben als Komplementärklasse der Ergänzungen 7.2. Die Satzadverbien (Modalwörter) 7.3. Die verbbezogenen Angaben
IX
215 215 222 230
7.3.1. Die moiphologische Form von Angaben - 7.3.2. Die Subklassifizierung der Angaben - 7.3.3. Situierende Angaben - 7.3.3.1. Temporalangaben, Atomp - 7.3.3.2. Lokalangaben, Alok - 7.3.4. Handlungskennzeichnende Angaben 7.3.4.1. Kausalangaben, A ^ - 7.3.4.2. Konditionalangaben, A * ^ - 7.3.4.3. Konzessivangaben, Akon2 - 7.3.4.4. Restriktivangaben, A ^ - 7.3.4.5. Konsekutivangaben, Afcon, - 7.3.4.6. Finalangaben, Afm - 7.3.5. Prädikatmodifizierende Angaben - 7.3.5.1. Instrumentalangaben, A ^ - 7.3.5.2. Modalangaben, Amod - 7.3.5.3. Quantifizierende Angaben, A ^ , - 7.3.6. Subjektbezogene Angaben, A,ubj - 7.3.7. Sprecherbezogene Angaben, A,pr - 7.3.8. Weitere Angabetypen
8. Der Aufbau der Nominalphrase 8.1. Kennzeichen der Nominalphrase 8.2. Die Bestimmungsrichtung in der Nominalphrase 8.3. Artikelwörter
247 247 252 255
8.3.1. Artikel, Determinative und Quantoren - 8.3.2. Deiktische und referentielle Determinative - 8.3.3. Quantifizierende Determinative und Zahlwörter 8.3.4. All-Quantifikationen - 8.3.5. Eingeschränkte und negierte Quantifikationen - 8.3.6. Possessive Determinative - 8.3.7. Kombinationsformen
8.4. Die attributiven Adjektive
266
8.4.1. Determinativähnliche Attribute - 8.4.2. Qualifizierende und klassifizierende Attribute - 8.4.3. Nachgestellte Adjektive - 8.4.4. Partizipiale Attribute - 8.4.5. Gerundivbildungen
8.5. Flexionsregelung in der Nominalphrase 8.6. Die Genitivattribute
278 280
8.6.1. Die Leistung der Genitivattribute - 8.6.2. Der Valenzstatus der Genitivattribute
8.7. Durch Präpositionen angeschlossene und weitere nominale Attribute
285
8.7.1. Präpositionalattribute - 8.7.2. Situativattribute - 8.7.3. Direktivattribute - 8.7.4. Expansivattribute - 8.7.5. Gleichsetzungsattribute - 8.7.6. Qualitativattribute - 8.7.7. Attributive Konjunktionalsätze, uneingeleitete Sätze und Infinitivkonstruktionen
8.8. Relativsätze
289
8.8.1. Das Relativsatzproblem - 8.8.2. Die Abgrenzung der restriktiven von den appositiven Relativsätzen - 8.8.3. Die weiterführenden Relativsätze 8.8.4. Die freien Relativsätze - 8.8.5. Fazit
8.9. Appositionen
300
8.9.1. Engere Appositionen - 8.9.1.1. Pränominale Appositionen - 8.9.1.2. Postnominale Appositionen - 8.9.2. Weitere Appositionen - 8.9.3. Zusätze
8.10. Sonderformen der Nominalgruppe 8.11. Eigennamen und Pronomina
306 307
χ
Inhaltsverzeichnis
9. Die Wortstellung 309 9.1. Die hierarchische Struktur des Satzes und ihre lineare Abbildung.... 309 9.1.1. Giundannahmen-9.1.2. Projektion auf die lineare Kette - 9.1.3. Grundserialisienmg - 9.1.4. Phrasen und Wörter - 9.1.5. Verbale Verkettungen und die Grundserialisierung
9.2. Die Linearstruktur des Satzes im Text
323
9.2.1. Feldergliederang - 9.2.2. Ergänzungen und Angaben
9.3. Die Stellungsregularitäten für die Ergänzungen
327
9.3.1. Die Ergänzungen von dreiwertigen Verben - 9.3.1.1. Esub E ^ E ^ 9.3.1.2. Esub Egen - 9.3.1.3. Esub E ^ E piip - 9.3.1.4. E ^ E ^ E ^ - 9.3.1.5. Esub E ^ Enom - 9.3.1.6. E,ub Ep[äp Epiäp - 9.3.2. Die Ergänzungen von zweiwertigen Verben
9.4. Die Stellungsregularitäten für die Angaben
340
9.4.1. Grundannahmen - 9.4.2. Die Hauptgruppe der Angaben - 9.4.3. Partikeln
9.5. Die Gesamtabfolge von Ergänzungen und Angaben
346
9.5.1. Die Kombination von Ergänzungen und Angaben - 9.5.2. Grammatische und kommunikativ-diskursive Regularitäten der Wortstellung
9.6. Die Besetzung des Vorfeldes
351
9.6.1. Das Vor-Vorfeld - 9.6.2. Das eigentliche Vorfeld - 9.6.3. Die Besetzung der Vorfeldpositionen durch unterschiedliche Elemente - 9.6.3.1. Ergänzungen - 9.6.3.2. Angaben - 9.6.4. Teil- und Überbesetzungen des Vorfelds - 9.6.4.1. Teilbesetzungen - 9.6.4.2. Komplexe Besetzungen
9.7. Die Besetzung des Nachfeldes
370
9.7.1. Nachträge und Ausklammerungen - 9.7.2. Ausklammerungen - 9.7.3. Die Serialisierung von Nebensätzen - 9.7.3.1. Obligatorische Besetzung des Nachfeldes durch Ergänzungssätze - 9.7.3.2. Nachgestellte Angabesätze 9.7.3.3. Die Serialisierung von Infinitivkonstruktionen - 9.7.3.4. Konstruktionen mit als und wie - 9.7.3.5. Präpositionalphrasen - 9.7.3.6. Nominalphrasen - 9.7.3.7. Koordinationen und ähnliches - 9.7.3.8. Ausklammerungen und Rechtsversetzungen im Nebensatz - 9.7.3.9. Abschließendes zur Nachfeldbesetzung und zur Ausklammerung
10. Passiv, Konversen und Verbmodifikationen 10.1. Grundleistungen von Konversen 10.2. Das Passiv 10.3. Aktiv- und Passivkonversen
383 383 384 387
10.3.1. Passivsätze auf der Folie der Aktivsätze - 10.3.2. Das System der verbalen Diathesen im Deutschen
10.4. Die einzelnen Typen des persönlichen Passivs 10.4.1. Das Akkusativpassiv - 10.4.1.1. Vorgangs- oder wenferc-Passiv 10.4.1.2. Zustande- oder sein-Passiv - 10.4.1.3. Intransformativitäts- oder bleiben-Passiv - 10.4.1.4. Modalisierte Passivkonstruktionen - 10.4.1.5. Reflexivkonstruktionen - 10.4.1.6. Subjektsumsprünge und Ergativstrukturen - 10.4.2. Das Dativpassiv - 10.4.2.1. Vorgangs- oder kriegen-, bekommen· und erhalten-fassvv - 10.4.2.2. Zustands- oder Aaéen-Passiv 10.4.2.3. Intransformativitäts- oder behalten-Passiv - 10.4.3. Abschließende Bemerkungen
400
Inhaltsverzeichnis 10.5. Unpersönliches Passiv 10.5.1. Typen des unpersönlichen Passivs - 10.5.1.1. wenfen-Passiv 10.5.1.2. -fern-Passiv 10.6. Konversen und Verbmodifikationen 10.6.1. Konversionen bei Veibidentität - 10.6.2. Konversionen bei Präfixverben - 10.6.3. Abschließende Bemerkungen 11. Weitere syntaktische Module 11.1. Zentrierungen und Pertinenzkonstruktionen 11.1.1. Subjektzentrierte Präpositionalphrasen - 11.1.2. Objektzentrienmgen 11.2. Negationen 11.2.1. Einführende Überlegungen - 11.2.2. Die Position des Negatore nicht und die Folgerungen fur seine Semantik und Syntax - 11.2.3. Die Syntax von nicht - 11.2.4. Fokussierende Negation, „Sondemegation" 11.2.5. Andere Negationswörter - 11.2.6. Negationsverstärkungen 11.3. Ellipsen und Koordinationen 11.3.1. Verkürzungen und Einsparungen - 11.3.2. Koordinationen- 11.3.3. Einfache, addierende Nektionen - 11.3.4. Kontrastierende Nektionen 11.3.5. Paarige Nektive - 11.3.6. Vergleichskonstruktionen 12. Vom Satz zum Text 12.1. Konjunktionen und Konnektoren 12.1.1. Konnektivpartikeln 12.2. Zur Syntax der Abtönungspartikeln
XI 423
431
441 441
444
462
480 480 484
Literaturverzeichnis
489
Register
507
Abkürzungen und Symbole A Acl AG APPOS BEN C COM Comp DAT Det DIR E EXP INFL INSTR Κ KM Kon LOC Mw NEG NEK OBJ Part PAT Q Rh rh: Th th1: th: TRG Ζ G1 I I / , 71 Hervorhebung
η
Angabe Akkusativ mit Infinitiv Agens Apposition BENEFAKTIV Subjunktion, nebensatzeinleitende Konjunktion COMITATIV Complementizer DATIV Determinator DIREKTIV Ergänzung; Ergänzungstypen: S. 172 EXPERŒNCER Flexionsmoiphem Instrumental Konjunktion Kommunikative Minimaleinheit Konnektor LOCATIV Modalwort, Satzadverb Negator Nektiv, Satzteilkonjunktion OBJEKT Partikel PATIENS Quantor Rhema Rhematisierung Thema markierte Thematisierung Thematisierung Thema-Rhema-Gliederung Zentrierung Angabe Ergänzung fallender Offset steigender Offset Satzgipfelakzent Dependenz Bindung von Angaben Interdependenz
1. Einfuhrung: Grammatische Theorie und linguistische Einsicht
1.1. Motivation für die Syntax In den vergangenen Jahren ist die Entwicklung in der Linguistik in die Richtung einer vertieften Befassung mit der kommunikativen Seite der Sprache gegangen: Textlinguistik, Stilistik, vor allem das, was sich unter dem Titel 'Pragmatik' subsumieren lässt, von der Sprechhandlungstheorie bis zur Diskursanalyse, haben das Bild der Sprachwissenschaft beherrscht. Hier war ein großer Nachholbedarf aufzuarbeiten. Und inzwischen wissen wir viel besser Bescheid über das Funktionieren der Kommunikation. Mit Recht ist der Sprachwissenschaft entgegengehalten worden, das sei auch ihre eigentliche und wichtigste Aufgabe: das Funktionieren der Kommunikation, die regelgeleitete sprachliche Handlungsweise zu beschreiben und zu erklären. Vor allem wenn die Linguistik als Teil der Sozialwissenschaften begriffen wird, ist es selbstverständlich, dass der Sprache und ihrer Beschreibung dieser Aufgabenbereich zugewiesen wird. Wir wollen wissen, wo sich Menschen miteinander verständigen, wie sie untereinander sprachlich handelnd umgehen. Wir beobachten die Kommunikation in der Zweierbeziehung über die Kommunikation in der Gruppe bis zum internationalen Gedankenaustausch. Wir registrieren dabei Verstehensakte und Missverständnisse, wir entdecken überall Regeln der an Sprache geknüpften Handlungsrelationen; vor allem sehen wir, wie Sprache in ein jeweiliges Handlungsfeld eingebettet ist und in ihrem Funktionieren nur im Einbezug der nichtsprachlichen Handlungsfaktoren verstanden werden kann. Betrachten wir dazu zwei Beispiele: Die neueste Verhaltensforschung, die vergleichende Human-Ethologie, hat sich unter anderem mit den Lautreflexen beschäftigt, die sich in der MutterKind-Kommunikation feststellen lassen. Der Säugling verfugt über ein Repertoire von fünf verschiedenen Lautäußerungen, die er motorisch-automatisch einsetzt, um mit der Mutter zu kommunizieren. Zum Beispiel äußert er - so kann man bei Eibl-Eibesfeld (1984, S.261) nachlesen - während des Schlafes etwa alle 15 Minuten einen 0,3 sec. langen diffusen, aber durchaus exakt sonographisch lokalisierbaren 'Kontaktlaut'. Eibl-Eibesfeld ist kein Linguist, aber er beschreibt den Zeichencharakter dieses kommunikativen Aktes völlig richtig. In
2
Einführung: Grammatische Theorie und linguistische Hinsicht
die tradierte linguistische Terminologie übersetzt heißt das: Die Ausdrucksseite, das Signifikans, ist der Geräuschlaut, seine Inhaltsseite, sein Signifikat, trägt die Bedeutung 'alles in Ordnung'. Bleibt er nämlich aus, dann wird die Mutter unruhig und schaut nach dem Rechten. Dies alles ist unbewusst, angeboren, reflektorisch, nicht gelernt. Nicht alle Sprachtheorien würden das überhaupt zur menschlichen Sprache rechnen. Vielmehr fassen wir hier einen stammesgeschichtlichen Reflex, der uns mit den Primaten und anderen Lebewesen verbindet. Aber kommunikativ ist der geschilderte Akt in jedem Fall. Er lässt sich nämlich nicht nur mit der Zeichen-Konzeption Ferdinand de Saussures (1931) erfassen, sondern ebenso - und funktional adäquater - mit den Kategorien, die Karl Bühler (1934) entwickelt hat. Bühler unterscheidet bekanntlich drei Aspekte des sprachlichen Zeichens: seinen Sach- oder Darstellungsbezug als Symbol, seinen Ausdrucksbezug als Symptom und seinen Aufforderungsbezug als Signal. In unserem Beispiel liegt ein dominanter Symptomfall vor. Der Säugling macht auf seine Befindlichkeit aufmerksam. Gleichzeitig ist es ein Signal für die Mutter. Als zweites Beispiel soll ein kurzes Zitat aus Goethes 'Wilhelm Meisters Lehrjahre' angeführt werden. Wilhelm hat einen ausgefeilten Brief seines Freundes Werner bekommen, der ihn von seinen Plänen, sich selbst „ganz wie ich da bin, auszubilden" abbringen will und schreibt zurück: Dein Brief ist so wohl geschrieben und so gescheit und klug gedacht, daß sich nichts mehr dazusetzen läßt. Du wirst mir aber verzeihen, wenn ich sage, daß man gerade das Gegenteil davon meinen, behaupten und tun, und doch auch recht haben kann. (Goethes Werke: Hamburger Ausgabe, Bd.7, Hamburg 1959, S.289) Modern ausgedrückt, werden hier Sprechaktkategorien mit Handlungskategorien verbunden - und die wohlgesetzen Worte und Sätze waren nicht eindeutig, wahr und verlässlich. Kommunikation ist aber selbstverständlich noch viel umfassender. In einer aktuellen kommunikativen Beziehung laufen viele kommunikative Stränge nebeneinander her. Die von der Verhaltensforschung entdeckten sind vielfach solche, die wesentliche, konstante oder sich wiederholende betreffen. Zum Beispiel, dass bei den kommunikativen Beziehungen ständig Signale des Kontaktes oder der freundschaftlichen Bereitschaft benötigt und gegeben werden. Bei diesem Stand der Dinge fragt man sich, ob die Syntax, die Lehre vom Satz, überhaupt noch ihre Berechtigung hat. Ist sie nicht eine Disziplin, die peripher zu werden beginnt? Verengt sie nicht den inzwischen erreichten weiten Begriff von Sprache unzulässig auf rein formale Dinge? Oder verstellt die Syntax nicht gar den Blick auf das Wesentliche? Aber demgegenüber lässt sich einfach feststellen: Das Interesse an der Syntax ist ungebrochen, es ist seit einiger Zeit sogar wieder stark gewachsen. Allein für das Deutsche gibt es einige neuere Einführungswerke: Erben (1998), Van der Elst/Habermann (1997), Altmann/Hahnemann (1999), Engelen (1984/1986).
Motivation für die Syntax
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Das Deutsche auf dem Hintergrund einer universalen Theorie, der generativen Transformationsgrammatik (GTG), behandelt Abraham (1994). Im Rahmen dieser Theorie gibt es weiter spezielle Darstellungen von Grewendorf/Hamm/Stemefeld (1988) und Fanselow/Felix (1987). Ohne direkten Bezug auf das Deutsche, aber in deutscher Übersetzung zugänglich ist Borsley (1997). - Es ist ein großes zweibändiges Handbuch zur Syntax erschienen: Jacobs/von Stechow/Sternefeld/Vennemann (1993/1995). Mehrere große Grammatiken enthalten umfangreiche Kapitel zur Syntax, so die Duden-Grammatik (Duden 1998), Heidolph/Flämig/Motsch (Hrsg.) (1981), Eisenberg (1989), Zifonun/Hoffmann/Strecker (1997). In die Valenz- und Dependenzgrammatik führen ein: Engel (1977, 3. Aufl. 1994), Tarvainen (1981), Wolf (1982), Latour (1985), Rall/Engel/Rall (1985), Nikula (1986), Itälä (1986), Weber (1992), Groß (1999). Es gibt textsemantisch orientierte Darstellungen mit ausführlichem Bezug auf die Syntax von v.Polenz (1985) und Weinrich (1993), die didaktische Relevanz betont Klotz (1996). Wie lässt sich dieser neue Aufschwung in der Syntaxforschung, dieser Syntax-Boom erklären? Fällt die linguistische Forschung nicht auf Positionen zurück, die gerade überholt sind? Sehen wir uns kurz an, wie einige der genannten Werke ihr Erscheinen begründen. Das geschieht auf sehr unterschiedliche Weise. Johannes Erben will den Versuch unternehmen, „gesichertes oder konsensfähiges Wissen für den Bereich der neuhochdeutschen Syntax wenigstens abrißartig darzustellen" (Erben 1998, S.7). Dies ist nicht sein ausschließliches Anliegen. Sondern es liegt darin begründet, dass die Syntax für ihn der konstruktive Teil der Sprache par excellence ist und damit ein zentrales linguistisches Arbeitsfeld nach wie vor. Bernhard Engelen will sich in seiner Einfuhrung in die Syntax der deutschen Sprache (Engelen 1984/1986) nicht auf ein einziges Modell beziehen, wie es Van der Elst/Habermann (1997) tun, die sich auf das Dependenzmodell stützen. Er ist der Auffassung, dass die verschiedenen Theorien die Probleme eher verdeckten und unterdrückten, als dass sie sie ansprächen. Ganz anders geht das Buch 'Deutsche Syntax im Sprachenvergleich' von Werner Abraham (Abraham 1994) vor. Hier werden die neuesten Entwicklungen der Theorie der Generativen Grammatik (GTG) Noam Chomskys unter Einbezug anderer Grammatiktheorien in eine Gesamtdarstellung umgesetzt, mit der Absicht „Einsichten über Zusammenhänge zu vertiefen und das große Ziel einer theoretischen fundierten, über eine Taxonomie hinausreichenden synchronen Gesamtsyntax zu erreichen" (Abraham 1994, S.14f). Die Chomsky-Grammatik hatte in den 60er und 70er Jahren die Syntax, ja die Linguistik revolutioniert. Denn sie wollte die Syntax als die autonome, automatisierbare Disziplin verstehen, die der sprachlichen Kreativität gerecht wird. Sie war es, die den entscheidenden Durchbruch in der Entwicklung der Linguistik brachte, auch wenn die Kritiker an erheblichen und wesentlichen Punkten Einspruch erhoben, ja die
4
Einführung: Grammatische Theorie und linguistische Einsicht
ganze Theorie als zu bedeutungsfern und esoterisch, zu kommunikationsfremd zurückwiesen. So wurde es auch stiller um die GTG, bis mit den neueren Arbeiten von Chomsky, vor allem mit 'On Government and Binding' (Chomsky 1981), der Anspruch der generativen Theorie wieder deutlich vernehmlich wurde. Mit dieser Syntaxtheorie soll die Sprachleistung universal erklärt werden. Sie gibt nicht nur eine Beschreibung und Erklärung einzelsprachlicher und übereinzelsprachlicher syntaktischer Strukturen, sondern sie will damit den Nachweis führen, dass die wesentlichen Prinzipien der Syntax angeboren sind; sodann, daraus folgend, dass es nur ganz wenige syntaktische Prinzipien gibt, die in ihrem Wechselverhältnis und ihrem Vorkommen dennoch die sprachliche Vielfalt auf der Erde erklären. Ein solcher Theorieanspruch beflügelt, wie sich denken lässt. Er lässt aber auch über das Ziel hinausschießen, wenn andere Theorien abgewiesen werden. Hier wird zu leicht vergessen, dass die Sprachwissenschaft mit ihrer jahrhundertelangen Geschichte immer theoretische, insbesondere erklärende Interessen verfolgt hat, auch wenn die dahinterstehenden Theorien nur implizit zu greifen sind. Im gegenwärtigen Stadium wird aber vorausgesetzt, dass theoretische Annahmen explizit gemacht werden. Für den Aufbau dieser 'Syntax der deutschen Sprache' ergibt sich daraus folgendes Vorgehen:
1.2. Beschreibungsziele Was wollen wir über unsere Sprache 'Deutsch' und über die Sprache allgemein in syntaktischer Hinsicht eigentlich wissen? Welchen Wert und welchen Stellenwert haben dabei formalisierte Theorien? Das soll in 1.3. bedacht werden. Bei dem neuen theoretischen Impetus darf nicht vergessen werden, dass die Erforschung der deutschen Sprache auch im Bereich der Syntax erstens eine spezifische Wissenschaftstradition hat und zweitens, dass sich dabei - nimmt man alles zusammen - ein großer Wissensbestand angesammelt hat, der für die konsistente Beschreibung der deutschen Syntax bereitzustellen ist. Zudem hat sich gezeigt, dass Elemente der verschiedenen theoretischen Ansätze auch von jeweils anderen Konzeptionen übernommen worden sind. Dies gilt bei den neueren Dependenzgrammatiken für das „generative Prinzip", nämlich eine Syntax so anzulegen, dass sie zur Erzeugung und Analyse von Sätzen gleichermaßen geeignet ist und für die generativen Grammatiken, dass sie Ansichten über die besonders in den Dependenz- und Valenzgrammatiken entwickelten Steuerungsfunktionen des Verbs aufgenommen haben. Schließlich muss akzeptiert werden, dass bei der Komplexität des Gegenstandes und den zunehmend aufwendiger werdenden Wegen zu seiner Beschreibung nicht alle an der Sprache Interessierten auch für die Theorieentwicklung in
Β eschreibungsziele
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allen ihren Verzweigungen Verständnis aufbringen, sondern die Ergebnisse der Analysen bereitgestellt haben möchten. Im Kapitel 2 werden deswegen wichtige Struktureigenschaften des Deutschen im Vergleich mit anderen Sprachen behandelt und im Anschluss daran die syntaktischen mit anderen Theorieanforderungen, vor allem semantischen und pragmatischen entwickelt. Syntaktische Theorie ist nicht Selbstzweck, obwohl der Bau formaler Theorien, das Ausloten ihrer Reichweite ein anspruchsvolles intellektuelles Unterfangen ist, das für mathematisch und logisch Interessierte faszinierend ist. Syntaktische Theorie soll zu Ergebnissen über die syntaktischen Strukturen in universaler Hinsicht führen, wenn hier auch naturgemäß die Syntax des Deutschen das primäre Beschreibungsziel ist. Welche Möglichkeiten syntaktischer Analyse im ausgearbeiteten theoretischen Rahmen sich gegenwärtig bieten, zeigt das dritte Kapitel. Hier wird zunächst in knapper Form die neue Entwicklung in der generativen Theorie skizziert und - als Beispiel einer semantisch orientierten Theorie - der Ansatz der Kategorialen Grammatik beschrieben. Zunehmend wird in allen theoretischen Konzeptionen heute das Ineinandergreifen von Theorieteilen als das jeweils relativ unabhängige Agieren von Modulen begriffen, die sich im Rahmen einer globalen Theorie integrieren lassen, die aber in ihren Leistungsbereichen selbständig sind. Für die Darstellung der hierarchischen Struktur des Satzes wird hier ein erweitertes Modell der Dependenzsyntax vorgestellt (Kap. 3.3.). Nicht nur sind dependentielle Ansätze die derzeit verbreitetsten in eher informellen Beschreibungen des deutschen Satzes, auch die Entwicklung der dependentiellen Theorie hat etwa durch die Arbeiten von Hudson (1984) und Melcuk (1987) und durch die Head Driven Phrase Structure Grammar (Pollard/Sag 1994) große Fortschritte gemacht, die es rechtfertigen, den dependentiellen Ansatz weiter zu verfolgen. Die materielle Ausarbeitung der deutschen Syntax beginnt in Kapitel 4 mit einer Darstellung der Satzarten. Diese werden aufgefasst als die eigentlichen syntaktischen Grundformen. Das heißt, es wird von der Annahme ausgegangen, dass „Sätze" nicht schlechthin, sondern stets in einer besonderen Ausprägung auftreten. In diesem Kapitel findet sich auch eine Darstellung des Verhältnisses der Syntax zur Sprechakttheorie. Die Satzarten werden aufgefasst als Formtypen, die eine illokutive Bewertung ermöglichen. Nichtsatzförmige „Kommunikative Minimaleinheiten" werden hier angeschlossen. An der Spitze von Sätzen, das heißt an der Spitze von satzmodal klassifizierten Sätzen, steht ein syntaktisches Startsymbol, das das syntaktische Programm in nuce enthält. Die Erfassung der Sätze in ihren je spezifischen Formen und dies nicht durch nachträgliche Änderungen oder Bewegungen ist ein Erfordernis, das nicht auf die dependentielle Theorie beschränkt ist. Insbesondere ist die Regelung für die Anordnung der verbalen Teile einzig vom Satz her zu treffen. Damit ist bereits eines der syntaktischen Module betroffen: Der gesamte verbale Bereich hat seine eigenen Gesetzmäßigkeiten. Welches grammatische Mo-
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Einführung: Grammatische Theorie und linguistische Einsicht
dell auch immer man wählt, der Verbalbereich ist relativ einheitlich und rechtfertigt eine geschlossene Darstellung (Kapitel 5). Auch die nächsten Kapitel behandeln einzelne Module. In Kapitel 6 werden die nominalen Komplemente des Verbs dargestellt. Dies ist der Bereich, in der sowohl in der generativen Theorie wie auch in der Dependenzgrammatik die meisten substanziellen Ergebnisse erzielt worden sind, die zudem ein hohes Maß an Konvergenz aufweisen. Das Modul der nichtvalenzgeforderten Teile des Satzes (Kapitel 7) kann auf theorieunabhängige Zugänge zurückgreifen, der Integration in ein konsistentes Modell kann aber nicht ausgewichen werden. Der Bereich ist sehr heterogen, sowohl herkömmlich wie in neueren Zugängen sind die Adverbialia als Hauptgruppe der hierher gehörigen Kategorien vielfach zu stark vereinheitlicht worden. Die Differenzierung der verschiedenen Typen erfordert einigen Aufwand. Theoriekonvergenzen sind auch für die Beschreibung des internen Aufbaus der Nominalphrase (Kapitel 8) ratsam. Hier hat die intensive Diskussion um die Frage, ob die Nominalphrase durch das Substantiv oder durch obligatorische begleitende Determinative dominiert wird, zu einsichtigen Ergebnissen geführt. Die spezifische Lösung, die vorgeschlagen und ausgearbeitet wird, erlaubt eine klare Strukturierung des nominalen Komplexes. Unter anderem wird sich zeigen, dass hier wie im Bau der Verbalverkettung die Anordnungsregularitäten so gut wie unbeeinflussbar sind. Damit wird für diese beiden Module ihre Parallelität gezeigt. Die Linearstruktur des Satzes als nächstem zu behandelnden Modul ist insgesamt völlig anders zu beurteilen (Kapitel 9). Denn hier stoßen zwei Anordnungsprinzipien aufeinander, die sorgfältig zu trennen sind. Während in der Nominalphrase und für die Verkettung komplexer Verbstrukturen fast ausschließlich syntaktische Regularitäten gelten, wird die Anordnung aller Einheiten des Satzes, abgesehen von den verbalen Teilen, aus unterschiedlichen Quellen gespeist. Dieses sind zunächst typologisch bestimmte; sie regeln die Anordnungsrichtung generell, sodann spezifisch syntaktische; sie regeln die Abfolge im Einzelnen, je nach ihren syntaktischen Funktionen und nach ihrer morphologischen Form. Als letzte Quelle für die Linearstruktur sind die textuellen Vorgaben zu nennen. Sie führen zu Strukturverschränkungen, die ohne solche regelnden Instanzen nicht zu durchschauen sind. Wenn man den modularen Aufbau der Syntax akzeptiert, lassen sich einige Teile besonders gut in abgeschlossenen Kapiteln behandeln. Dies gilt insbesondere für das Passiv und andere Konversenformen (Kapitel 10). Hier darf der Blick zudem nicht durch erzwungene Vorgaben vor allem der grammatischen Tradition verengt werden. Was überhaupt als eine Passivform des Deutschen zu gelten hat, ist erst in jahrzehntelanger intensiver Diskussion geklärt worden. Weder das System des Lateinischen noch das des Englischen ist im Deutschen maßgeblich. Hier ganz besonders rechtfertigt sich die unvoreingenommene Prüfung der Phänomene, die in Paradigmen zusammengestellt werden.
Beschreibungsmodelle
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Weitere syntaktische Module, die (in Kapitel 11) behandelt werden sollen, sind bestimmte Teil-Ganzes-Verhältnisse, die unter anderem als Pertinenzrelationen bekannt geworden sind. Hier werden einige sonst disparat behandelte Typen als „Zentrierungen" zusammengefasst. Weiter werden Negationen und Koordinationen, die sich selbstverständlich auch erheblich ausführlicher behandeln ließen, als eigenständige Module geführt. Ihnen liegen, syntaktisch betrachtet, wenige universale Regularitäten zugrunde, die in ihrer Anwendung auf das Deutsche allerdings zu vielfältigen Formen fuhren. In den meisten Kapiteln werden die textuellen Erfordernisse für die adäquate Darstellung syntaktischer Strukturen an den entsprechenden Stellen bedacht, dies gilt insbesondere für das Kapitel über die Wortstellung. Im abschließenden 12. Kapitel, das den Titel "Vom Satz zum Text' trägt, werden explizite und implizite Bezüge noch einmal knapp zusammenfassend dargestellt. Explizite Signale werden einerseits durch Konnektoren und andere Verknüpfungsausdrücke gegeben, Modal- und Abtönungspartikeln betten den Satz in die kommunikative Konstellation ein.
1.3. B e s c h r e i b u n g s m o d e l l e
Beschreibungsmodelle, die sich formaler Elemente bedienen, sind in allen linguistischen Teildisziplinen seit einigen Jahrzehnten selbstverständlich. Die Klarheit, Übersichtlichkeit und Überprüfbarkeit, die damit zu erzielen ist, lässt sich informell nicht erreichen. Ob allerdings für die Sprache eine auch im mathematischen Sinne axiomatische, algebraische Theorie die einzig mögliche Art der Formalisierung darstellt, ist sicher zu bezweifeln. Keine der gängigen grammatischen Modelle würde im Übrigen diesem Anspruch genügen. Der Grund für die Favorisierung eines „mittleren Formalisierungsgrades" liegt jedoch in der Natur der Linguistik. Zwar sind gerade in jüngster Zeit wesentliche Einsichten gewonnen worden, aber doch noch längst nicht über alle Bereiche, vor allem ist das Ineinandergreifen der Module vielfach noch kontrovers diskutiert. Zudem existieren konkurrierende Beschreibungsmodelle auf dem Markt der syntaktischen Theoriebildung, wobei unverkennbar ist, dass hier auch versucht wird, Konkurrenten den Platz streitig zu machen. Dem muss man entgegenhalten, dass die Vielfalt der linguistischen Theorien schon immer befruchtend gewirkt hat. Die Geschichte der Sprachwissenschaft ist ein ständiger Diskurs um grundsätzliche Auffassungen. Wer sich einmal in die ältere Kasusforschung vertieft hat, weiß, dass die vehementen Auseinandersetzungen der „lokalistischen" versus der „grammatischen" Kasustheoretiker sich insgesamt befruchtend auf die Theoriebildung ausgewirkt hat (vgl. Eroms 1981, Willems 1997, Dürscheid 1955). Heute sollten die unterschiedlichen syntaktischen Schulen über die Theo-
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Einführung: Grammatische Theorie und linguistische Einsicht
riegrenzen hinweg die Ergebnisse, die mit den konkurrierenden Modellen erzielt worden sind, aufnehmen - wie es in der allerletzten Zeit zunehmend auch geschieht. Wir dürfen jedenfalls davon ausgehen, dass in der Linguistik ein Beschreibungsstand anzustreben ist, der in anderen exakten Wissenschaften, namentlich in den Naturwissenschaften selbstverständlich ist. Alle Aussagen, die wir über unseren Gegenstandsbereich treffen, sollen nachprüfbar, kohärent und widerspruchsfrei sein. Nicht ein naiver, sondern ein theoretisch fundierter Zugang wird erwartet. Und die Sprachwissenschaft ist früher eigentlich den Naturwissenschaften voraus gewesen: Bei den Griechen sind die naturwissenschaftlichen Einsichten den sprachwissenschaftlichen keineswegs überlegen. Hier mag man nur an die Elementenlehre denken und sie mit den Aussagen über die Wortarten vergleichen, die wir noch heute gebrauchen können. Für formale Aussagen bietet sich die Sprache geradezu an. Sätze sind dadurch gekennzeichnet, dass sie offenbar mit einer begrenzten Menge von Regeln erfasst werden können. Die Paradigmen, die sich bilden lassen, sind überschaubar. In der unendlichen Fülle von Spracherzeugnissen sind es immer wieder die gleichen Strukturen, die wir erfassen, ordnen und zusammenfügen können. Für die Fülle der sprachlichen Daten gibt es sprachwissenschaftliche Zugriffe mit ganz unterschiedlichen Traditionen, die in einer Sprachtheorie geordnet werden müssen. Nur über eine Sprachtheorie können wir in unserem Gegenstandsbereich überhaupt sinnvolle Ordnungen vornehmen. Dabei ist auch das gesamte ältere Wissen über Sprache, das man heute gern als 'traditionell' ausgibt, Ausfluss von Sprachtheorien. Das gilt nicht nur für die Wortarten, sondern bereits für noch elementarere Dinge. Wir wissen z.B. über unseren Gegenstandsbereich, dass er in Sätze und in Wörter gegliedert ist. Neuere Theorien haben weitere Gliederungselemente sowohl nach oben als auch nach unten systematisch erfassbar gemacht: die Texte und die Morpheme. Das alles soll uns in Bezug auf den Satz im 2. Kapitel noch genauer beschäftigen. Hier soll zunächst kurz vom Wert und vom „Impetus" von sprachwissenschaftlichen Theorien und insbesondere von formalisierten im Allgemeinen gesprochen werden. Ein notwendiges Korrektiv dazu gibt es in Kapitel 3. Wissenschaftliche Theorien sind Rahmen, in denen Aussagen getroffen werden. Sie definieren ihren Phänomenbereich, ihr Beschreibungsvokabular und die Typen ihrer Aussagen darüber. In der Syntax sollten wir eigentlich erst einmal wissen, was ein Satz ist, bevor wir eine Syntaxtheorie formulieren. Wir können aber auch axiomatisch vorgehen, indem wir eine praktikable und möglichst adäquate Ausgangsdefinition setzen und darauf eine konsistente Theorie entwickeln, die dem Gegenstandsbereich gerecht wird. Niemand wird widersprechen, wenn behauptet wird, dass Sätze gegliederte, strukturierte kommunikative Einheiten sind. Wichtiger aber noch ist es, dass sie sich untereinander sehr ähnlich sind. Daraus hat die von Noam Chomsky entwickelte generative Transformationsgram-
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Β eschreibungsmodelle
matik (GTG) (Chomsky 1957 und Chomsky 1965) den Schluss gezogen, Sätze aufzufassen als Expansion eines Ausgangssymbols S: S-> Die GTG ist am Englischen entwickelt worden. Das Englische wie das Deutsche ist eine verbenthaltende Sprache. Vergleichbare Wortarten gibt es aber in den meisten Sprachen. Da Verben meist Ausdrücke an sich ziehen, die Personen, Dinge, Sachverhalte bezeichnen, die mit Namen, 'nominal' wiedergegeben werden, hat die GTG die Expansion von S so formuliert: S NP + VP 'Der Satz wird expandiert zu einer Nominalphrase und einer Verbalphrase'. Dies ist ein Axiom. Eine theoretische Aussage, die im Rahmen der Theorie selber nicht mehr bewiesen zu werden braucht. Sie muss allerdings empirisch zu rechtfertigen sein und darf nicht zu Widersprüchen führen. Sollten also etwa Einwortsätze vorkommen, dann muss die formale Theorie erweisen, dass auch sie dieser Strukturformel genügen. Wie könnte das geschehen? Man könnte ansetzen, dass Positionen „ 0 gesetzt" werden dürfen. Dann ließe sich bilden: S / NP
bzw
S
\
Feuer
VP
/ NP
0
0
\ VP komm!
Der Weg von solchen Grundstrukturen zu den empirisch belegbaren Äußerungen kann nur durch eine Erweiterung der Theorie gehen. Hier ist es die sogenannte transformationeile Komponente, durch die die ganze Theorie ihren Namen bekommen hat. Die Transformation, die am leichtesten in diesem Fall angesetzt und eingesehen werden kann, ist die Tilgungstransformation (TT): Eine Konstituente wird getilgt: S
/ \
NP
Feuer
Τ τ : VP VP ist ausgebrochen
-> 0
=> S
I
NP
Feuer!
Voraussetzung ist, dass sich dabei die Bedeutung nicht ändert (was in diesem Fall nicht unproblematisch ist). Diese Art einer formalen Theorie zeigt nun noch weitere Besonderheiten, die den Gang der grammatischen Theoriebildung in besonderem Maße geprägt haben: Wir haben gesehen, dass die erste, die Grund-Regel dieser Syntax ist: S —> NP + VP. Damit wird unterstellt, alle Sätze (in allen Sprachen der Welt) ge-
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Einführung: Grammatische Theorie und linguistische Einsicht
horchten diesem Muster. Eine Grammatik soll nun alle und nur die Sätze zunächst einer bestimmten Sprache erzeugen. Wenn der axiomatische Satz gültig ist, müssen alle vorkommenden Sätze darauf zurückgeführt werden können. Oder aber, in der „generativen Richtung" gesprochen, den Erzeugungsprozess im Auge behaltend, alle Sätze, von den einfachsten zweigliedrigen bis zu den umfangreichsten und verschachteltsten, müssen sich daraus ableiten lassen. Eine Möglichkeit, mit den empirischen Gegebenheiten zurecht zu kommen, ist angedeutet worden, die Transformationen. Aber auch mit anderen Mitteln lässt sich die Fülle und Vielfalt der Sätze erzeugen: Nehmen wir die Sätze (1) Die Feuerwehr hilft. (2) Die Feuerwehr schickt einen Löschwagen. (3) Die Freiburger Feuerwehr schickt einen Löschwagen, der das Feuer löscht. Dies sind - und hier beziehen wir uns auf unsere Intuition - Sätze, die vollständig sind, die gleiche Elemente aufweisen, die aber unterschiedlich komplex sind. Der erste Satz ist sehr rudimentär. In die andern ist zunehmend mehr Information hineingepackt. Es liegt nahe, dass man versucht, diese Einsicht für eine formale Darstellung zu nutzen. Die Struktur der komplexeren Sätze soll so gedeutet werden, dass sie nur mit zusätzlichen Regeln, die sich an das einfache Ausgangsmuster anschließen, „abgeleitet" werden. Dabei kommen wir automatisch zu dem Regeltyp der Rekursivität, der Wiederkehr des Gleichen: S —» NP + VP NP —» Art + N/Adj + N/Art/N + S Ν (Adj +) Ν VP -> V/V + NP Ν —> Feuerwehr, Löschwagen, Feuer V -> hilft, schickt, löscht Art —> die, einen, das Adj —» Freiburger Die Regeln sind so zu lesen: Der Pfeil bedeutet, statisch gesehen: „besteht aus", dynamisch betrachtet: „ersetze durch", S = Satz, NP = Nominalphrase, VP = Verbalphrase, Art = Artikel, Ν = Substantiv, Adj = Adjektiv, V = Verb, ( ) = fakultative Regel, / = alternative Regel. Am Schluss stehen Lexikonregeln, mit denen man aus der Syntax in den Wortbestand der Sprache gelangt. Mit diesen Regeln können wir nun den 3 Sätzen Beschreibungen zuordnen, die ihre Struktur abbilden. Wir haben damit diese Sätze analysiert (wenn auch noch lange nicht vollständig). Wir können sie aber auch „erzeugen". Und wir können die Regeln erweitern, um mehr Sätze erzeugen zu können, z.B. indem wir mehr Nomina aufnehmen oder mehr Verben. Wir können, ja wir müssen die Regeln erheblich verbessern, wenn wir der Anforderung genügen wollen, nur
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Beschreibungsmodelle
die Sätze des Deutschen beschreiben zu wollen und nicht auch Ausschuss zu produzieren. Folgende Strukturbäume liegen hier vor - im Rahmen einer sogenannten Konstituentenstrukturgrammatik, die uns als Beispiel für eine formale Grammatik dienen soll. (Konstituentenstrukturgrammatiken liegen der GTG zugrunde.) Die Strukturen verzweigen sich oder auch nicht. Wenn sie sich verzweigen, sind sie binär. (2·)
Art die
Ν
τ
VP
NP / Art
V
\ Ν
NP / Art
Feuerwehr hilft
Ν
die Feuerwehr schickt einen Löschwagen (31) NP' Art
VP Ν
V
NP
\
Adj
Ν
schickt Art
Ν
die Freiburger Feuerwehr NP
VP
einen Löschwagen Art V
NP Art
Ν
der löscht das Feuer Die Vorteile eines solchen Vorgehens sind: Mit wenigen Axiomen (die allerdings nicht kontraintuitiv sein dürfen) können wir unseren Gegenstandsbereich in den Griff bekommen. Wir benutzen zu Aussagen über ihn ausschließlich Sätze der Theorie: Axiome und Regeln. Die Regeln ließen sich hier nur andeuten. Sie sollen ebenfalls empirisch motiviert sein. Aber ihren Platz bekommen sie allein innerhalb der Theorie, und sie sollen ihren Gegenstand so knapp wie möglich beschreiben.
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Einführung: Grammatische Theorie und linguistische Einsicht
Die Syntaxtheorie soll uns eine Einsicht in das Wesen unseres Gegenstandes vermitteln. Natürlich stehen diese Einsichten im Wechselspiel mit den Axiomen, den Ausgangsannahmen, die wir benutzen. Syntaxtheorie stellt sich damit in den Zusammenhang anderer wissenschaftlicher Theorien. Sie unterliegt damit auch den Ansprüchen, die dort gelten: Widerspruchsfreiheit und Vollständigkeit. Weiter ist vorausgesetzt, dass die verwendeten Beschreibungseinheiten wohldefiniert sind. Hier haben wir die 'traditionellen' linguistischen Kategorien aufgegriffen: NP, VP, Ν, Adj., Art. usw. Aber nicht nur die Kategorien selber, auch ihre Erfassung des Gegenstandsbereichs muss empirisch adäquat sein. Wenn alles stimmig ist, wenn die Axiome einsichtig sind, wenn die Beschreibungseinheiten wohldefiniert und die Regeln elegant sind, dann führt das zu Beschreibungsadäquatheit und darüber hinaus zu Erklärungsadäquatheit in Bezug auf unseren Gegenstandsbereich, die Syntax. Dies ist einstweilen ein ideales Ziel. Die ältere Sprachwissenschaft, insbesondere die Germanistik, hat in diesem Sinn keine formale Syntaxtheorie betrieben, sondern im Rahmen der Tradition Fragestellungen und Lösungen entwickelt, deren Sinn und Reichweite seit einiger Zeit durchaus wieder gewürdigt wird. Beiden Positionen, der idealen wie der realistischen, soll sich in diesem Buch genähert werden.
2. Der Satzbegriff und die grammatische Tradition
2.1. Syn- und Diachronie, System und Norm 2.1.1. Diachrone Abgrenzung Was unseren Gegenstandsbereich betrifft, die Syntax, so liegen durchaus methodisch klare, wenn auch nicht formale ältere Arbeiten vor. Die bedeutendste ist Otto Behaghels 'Deutsche Syntax' in vier Bänden (Behaghel 1923-1932). Sie ist historisch ausgerichtet, indem sie Belege von den frühesten Quellen bis zur Gegenwart heran anführt. Sie unterstellt dabei - und darin ist sie ganz modern ein Kontinuum in der deutschen Sprache, das es erlaubt, von einer einheitlichen Syntax vom Althochdeutschen bis zum Neuhochdeutschen zu sprechen. Der Grund dafür ist einmal, dass das Deutsche im Kreis seiner verwandten Sprachen gesehen wird und dabei Strukturmerkmale offenbart, die es als Musterfall einer reich flektierenden Sprache erweisen. Ein anderer Grund ist, dass das Deutsche sich damit als relativ einheitliches Gebilde darstellt, wenn man die Lautveränderungen und den Wortschatz einmal ganz ausklammert. Die Syntax ist das Grundgerüst der Sprache. Veränderungen gehen hier nur langsam vonstatten. Als kleines Beispiel mag der folgende Text dienen: (1)
6. V. Luc. 2, 1-7. 5, 11. Uuard tho gitan in then taFactum est autem in diebus illis, exiit gun, framquam gibot fon demo aluualedictum a Cesare Augusto, ut describereten keisure, thaz gibrievit wurdi al these tur universus orbis. 2. Haec descriptio umbiuuerft. Thaz giscrib iz eristen uuard prima facta est a praeside Syriae Cyrino, gitan in Syriu fon demo graven Cyrine, 3. et ibant omnes ut profiterentur singuli inti fuorun alle, thaz biiahin thionost ioin suam civitatem. 4. Ascendit autem et giuuelih in sinero burgi. Fuor tho Ioseph Ioseph a Galilea de civitate Nazareth in fon Galileu fon thero burgi thiu hiez NaIudaeam civitatem David, quae vocatur zareth in Iudeno lant inti in Davides burg, Bethlehem, eo quod esset de domo et thiu uuas ginemnit Bethleem, bithiu familia David, 5. ut profiteretur cum uuanta her uuas fon huse inti fon hiuuiske Maria desponsata sibi uxore pregnante. Davides, thaz her giiahi saman mit Mari6. Factum est autem cum essent ibi, imun imo gimahaltero gimahhun so scaffapleti sunt dies ut pareret, 7. et peperit fineru. Tho sie thar uuarun, wurdun taga lium suum primogenitum et pannis eum gifulte, thaz siu bari, inti gibar ira sun involvit et reclinavit eum in presepio, eristboranon inti biuuant inan mit quia non erat eis locus in diversorio. tuochum inti gilegita inan in crippea, (nach Wilhelm Braune/Ernst A. Ebbingbithiu uuanta im ni uuas ander stat in haus, Althochdeutsches Lesebuch, 16. themo gasthuse. Aufl., Tübingen 1979, S.51)
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Der Satzbegriíf und die grammatische Tradition
Dieser Text beginnt gleich mit einer Konstruktion, die es so heute nicht mehr gibt, wir müssen ein es voransetzen. Weiter stehen manchmal keine Artikel bei den Substantiven. Aber dennoch ist der Eindruck wohl berechtigt, dass der Satzbau dem unserer Gegenwartssprache doch sehr ähnlich ist. Was den Text uns fremd erscheinen lässt, ist nämlich die Morphologie, die „Endsilben" sind mit klingenden Vokalen gefüllt, wo wir heute meist nur e-haltige Formen haben oder aber gar keine. Wenn wir die Wörter kennen, dann macht uns die Syntax keine Probleme. Sie ist tatsächlich relativ konstant. Aber dafür drängt sich die Frage geradezu auf: Wieweit dürfen oder müssen wir in historische Zeiträume ausgreifen, wenn die Syntax des Deutschen beschrieben werden soll? Sicher nicht bis ins Althochdeutsche, aber vielleicht doch bis zur Sprache Goethes? Die Frage ist aber, ob wir uns überhaupt auf einen Begriff vom synchrongegenwartssprachlichen System des Deutschen einigen können. Denn wo hört die 'Geschichte' der Sprache auf, was ist synchron nicht mehr verbindlich? Das folgende Dokument ist aus der ersten Nachkriegszeit: (2)
Rückkehr zur Überparteilichkeit oder Spaltung der Gewerkschaften von unserem Bonner Büro H.-J. K. Bonn, 9. Sept. Die CDU/CSU, insbesondere ihr starker Geweikschaftsflügel, drängt jetzt darauf, von der Führung des DGB Garantien für eine künftige parteipolitische Neutralität der Gewerkschaften zu erhalten. Die Bundesregierung wird sich, wie von zuständiger Seite verlautet, nicht in diese Auseinandersetzung einmischen, sondern diese Aufgabe den ehemaligen Gewerkschaftsführern der CDU überlassen, als deren maßgebliche Vertreter Ministerpräsident Arnold, die Bundesminister Kaiser und Storch sowie der Sicherheitsbeauftragte Blank gelten. Politische Beobachter weisen in diesem Zusammenhang darauf hin, daß in der CDU/CSU-Fraktion jetzt mehr Gewerkschaftler sitzen als in der SPDFraktion. Bundeskanzler Adenauer empfing am Mittwochnachmittag Ministerpräsident Arnold, um mit ihm die Möglichkeiten zu erörtern, den DGB zu einer Rückkehr zur parteipolitischen Neutralität zu veranlassen. Der Geweikschaftsflügel der CDU denkt nicht daran, etwa in der Form eines „Ultimatums" eine sofortige per-
sonelle Umbildung des DGB-Vorstandes zu verlangen. Zum Ausgang der Wahl hatte der DGB erklärt, daß er als Einheitsgewerkschaft selbstverständlich das Votum des Volkes für Adenauer und seine Partei respektieren werde. Nach diesem Kommentar sieht die CDU/CSU Möglichkeiten einer Verständigung, die allerdings nicht nur durch weitere schriftliche oder mündliche Erklärungen, sondern nun durch einen Wechsel an der Spitze des DGB gesichert werden soll. (Die Welt, 9.9.1953)
Dieser Text erscheint uns im Vergleich mit dem althochdeutschen Text völlig vertraut - abgesehen vielleicht von allzu umfangreichen Sätzen, die sich ein wenig betulich lesen. Satzlänge, Verschachtelung der Sätze, Ausführlichkeit - ist das überhaupt ein diachron zu bewertendes Faktum oder liegen hier synchrongegenwartssprachliche Variationsmuster vor? Auch wenn das letzte sicher gilt, ist damit noch nicht gesagt, dass die Bevorzugung mancher Formen sich nicht
Syn- und Diachronie, System und Norm
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geändert haben könnte. Gebrauchsunterschiede, besonders wenn sie krass sind, fuhren aber unweigerlich zum Verlust von ganzen Formbereichen. Wir haben ein gutes Gespür dafür, was im Veralten begriffen ist. Eben das ist ja eine der Voraussetzungen, synchron vorgehen zu können. Dennoch: In der Synchronie müssen Elemente der Diachronie erkennbar sein. Wir dürfen die Grenzen nicht starr handhaben. Archaisches muss beschreibbar sein. Denn wir erkennen es.
2.1.2. Regionalsprachliche Abgrenzung Schwierig ist es auch, eine regionale Abgrenzung zu geben. Von Johannes Erben gibt es einen schönen Aufsatz mit dem Titel 'Er sitzt, weil er gestanden hat' (Erben 1970). Die witzige Doppeldeutigkeit basiert auf einer eher nördlichen Variante des Deutschen. Im Süddeutschen müsste die konkrete Bedeutung in der Perfektform von stehen lauten 'Er sitzt, weil er gestanden ist'. Ähnlich wie die Diachronie in die Synchronie hineinreicht, reichen die regionalen Varianten des Deutschen in die Standardsprache hinein. Auch sie dürfen wir nicht abschneiden. Was aber ist die Standardsprache? Sicher nicht die Vereinigungsmenge der Regionalsprachen oder gar der Dialekte. Der folgende Text mag als Beispiel dienen: (3)
Schlesische Worte Ein solches sagte der Elsner-Bauer. Wie sie im Frühjahr, Mai 37, und hatten ihre Kartoffeln gesteckt, da kam den Praunsberg 'rein ein Gewitter. Es goß so als wie mit Fleischermulden und schweifte das ganze Gesteckte aus. Da meinte der Eisner, wie ihn drauf einer in Hirschberg nach dem Gewitter frag: „Weg'm Gewitter, dâs hoot nischt zu soin. Aber, was meine Aapem betrifft - " „Was soll denn mit Euem Kartoffeln sein?" „Su zeitige hâ iech no nie gehät. Om Montiche, doo hon mer se gestackt, und gestern, do kunnt ma schun laasa giehn." (Will-Erich Peuckert, Schlesisch, München [o.J.J, S.83)
Dieser Beispieltext zeigt die ganze Problematik, der wir bei der Einbeziehung regionaler Sprachformen ausgesetzt sind. Wir fassen hier nichts Einheitliches. Von den 'schlesischen Wörtern' in ihrer Lautform abgesehen, findet sich hier eine Menge Regionales auch im Satzbau. Die Sätze 1 und 4 weisen eine Form auf, die in vielen deutschen Regionalsprachen vorkommt, der Eisner Bauer. Satz 2 ist ein Satz der gesprochenen Sprache: Er kommt uns, die wir an der Standardsprache orientiert sind, als Verschränkung von zwei Sätzen vor. Es scheint ein Satzbruch vorzuliegen. Er ist aber 'schlesisch': In anderen Anekdoten, die das Büchlein enthält, kommen Sätze vor wie: (4) Wie mittags der Briefträger und trauscht vorbei, steht da s 'Fenster sperrangelweit auf, und er hört 's singen. (S.83)
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Der Satzbegriff und die grammatische Tradition
(5) Und wenn er, und treibt an den Kachelofen, da stößt er sich sacht mit dem Fuß ab. (S.84) Satz 3 hat die syntaktische Besonderheit, dass zwei Vergleichspartikeln, die das Gleiche leisten, kombiniert sind, auch dies ist nicht auf das Schlesische beschränkt. In dem wirklich mundartlichen Satz, den der Elsner-Bauer dann äußert, sind nun erstens mundartliche Syntaxelemente: Weg'm Gewitter, das ..., aber auch Interferenzen aus der Standardsprache: was... betrifft zu finden. Regionalsprachen, Orts-(oder Basis)Dialekte stellen eigene Systeme dar. Aber diese reichen in das System des Deutschen hinein, sie sollen mindestens von daher erkannt werden können. Schließlich sind es deutsche Regionalsprachen, deutsche Dialekte.
2.1.3. Funktionalstilistische Abgrenzung Es ist nicht nötig, längere Beispiele für individuelle Varianten der deutschen Sprache anzuführen. Einige Sätze aus Christa Wolfs 'Kassandra' mögen reichen, um zu zeigen, dass auch individueller Satzgebrauch vom Standardsystem her erfasst werden, nicht aber Grundlage seiner Beschreibung sein kann: (6)
Warum nicht ich, mit ihm? Die Frage stellte sich nicht. Er, der sie mir stellen wollte, hat sie zuletzt zurückgenommen. Wie ich, leider, unterdrücken mußte, was ich ihm jetzt erst hätte sagen können. Wofür ich, um es wenigstens zu denken, am Leben blieb. Am Leben bleibe, die wenigen Stunden. Nicht nach dem Dolch verlange, den, wie ich weiß, Maipessa bei sich führt. Den sie mir vorhin, als wir die Frau, die Königin gesehen hatten, nur mit den Augen angeboten hat. Den ich, nur mit den Augen, abgelehnt. Wer kennt mich besser als Marpessa? Niemand mehr. (Christa Wolf: Kassandra. Erzählung. Darmstadt/New York 1983, S. 7)
Hier finden sich Auslassungen (Ellipsen), spezifische Wortstellungen, die die Sätze sehr eng aneinanderklammern. Hier dominiert ein bestimmter Anschlusstyp und vieles andere mehr. Das synchrone Sprachsystem kommt uns viel enger vor. Es gibt noch weitere Probleme, die wir zumindest nennen müssen: Nach dem eben Gesagten bliebe uns eigentlich nichts anderes übrig, als uns auf schriftliche Texte unserer unmittelbaren Gegenwart zu beschränken, wenn wir die in den Standardbereich nur hineinragenden Subsysteme des Deutschen ausgrenzen wollen. Aber auch da hätten wir noch Schwierigkeiten. Die folgende Passage ist einer aktuellen Werbebroschüre entnommen: (7) Den nötigen Wettbewerbsvorsprung in der Produktion kann Ihnen eine SperryGesamtlösung verschaffen. Durch verbesserte Planung, Steuerung und Kontrolle. Durch mehr Transparenz und höhere Flexibilität. Das Ergebnis: Zuverlässige Liefertermine. Kürzere Durch-
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Auch hier sei von den spezifisch fachsprachlichen Wörtern abgesehen und nur der Blick auf die syntaktischen Besonderheiten des ersten Absatzes gelenkt. Es finden sich dort u.a. „unvollständige Sätze": Durch verbesserte Planung, Steuerung und Kontrolle. Durch mehr Transparenz und Flexibilität und konjunktionsähnliche Ausdrücke mit einem nachfolgenden Doppelpunkt. Das Ergebnis:, Also:, deren syntaktische Einbindung herkömmlich nicht zu beschreiben ist. Dies ist ein Beispiel für Fachsprache, und es handelt sich gleichzeitig um Werbungssprache. Und sicher müssen wir auch bei der syntaktischen Beschreibung des Deutschen solche Besonderheiten im Auge behalten. Wenn man die letzten beiden Beispiele zusammen betrachtet, muss man sich fragen, ob nicht alle Texte, alle Sprachäußerungen, alle Sätze nach je besonderen Intentionen klassifizierbar und insbesondere je bestimmten Textsorten zuzuweisen sind. Von der angenommenen normalen - schriftlichen - Standardsprache bliebe bald gar nichts mehr übrig, wenn alles Auffällige aus der Zugehörigkeit zu verschiedenen besonderen Systemen erklärt würde. Als Ausweg böte sich an, eine Auswahl von repräsentativen Texten der deutschen Standardsprache, zeitlich auf einen nicht zu weiten Bereich fixiert, zu nehmen und ihn statistisch aufzubereiten. Allzu seltene Konstruktionen sollten als nicht zentral erfasst werden, die häufigen sollten den Kernbereich der Regeln bilden. Ein solches Unternehmen gibt es bisher noch nicht. Außerdem ist eine direkte korpusgestützte Beschreibung vielleicht gar nicht einmal günstig. Unsere sprachliche 'Intuition' ist immer noch viel weiter, und 'seltene' Konstruktionen, die uns durch Zufall vielleicht gar nicht dokumentiert würden, erkennen, verwenden und verstehen wir auf Anhieb, z.B. den folgenden Satz, der das höchst seltene Futur II des Zustandspassivs enthält: (8) Dieser Satz wird verstanden gewesen sein. Auf unsere Intuition, auf unsere Kompetenz dürfen wir uns im Allgemeinen verlassen. Aber wir müssen sie durch Korpusanalyse (also das Nachprüfen, ob eine fragliche Konstruktion auch sonst belegt ist) oder durch Informantenbefragung absichern. Auch in der Syntaxforschung gelten die allgemeinen Gesetzmäßigkeiten hermeneutischen Vorgehens: Unterstellte, angenommene Regularitäten müssen durch Hypothesen und Untersuchungen gesichert werden. Allge-
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Der Satzbegriff und die grammatische Tradition
mein wissenschaftstheoretisch gesehen, herrscht die Methode der Falsifikation, denn die ist zumindest einfacher: Wenn mit Regeln Falsches erzeugt wird, dann muss man sie ändern. Spezieller linguistisch gesehen kann man sich bei einem solchen Vorgehen auf die Überlegungen von E. Coseriu (1974) stützen. Coseriu stellt den uns hier berührenden Zusammenhang so dar: Das Deutsche (wie andere große Kultursprachen auch) ist ein „Diasystem" mit synchronen, diachronen, diatopischen (regionalen) und funktionalen Dimensionen. Wir erschließen es uns über zwei Vorkommensbereiche, einmal beobachtend, zum andern bewertend: Was wir beobachten (registrieren oder selber verwenden), ist Rede (parole). Was wir als „üblich und gut" bewerten, ist Norm. Was synchron verbindlich, diachron belegbar und regional, fach- und individualspezifisch möglich ist, ist System. So können wir sagen, dass wir den synchronen System-Ausschnitt, mit den hereinreichenden diachronen, regionalen, fachsprachlichen und individuellen Komponenten auch für die Syntax erfassen wollen. In Anlehnung an Überlegungen von Coseriu (1974) und Engelen (1984/1986) ließen sich die Zusammenhänge so darstellen:
Nach dieser Bereichsfestlegung können nun weitere spezielle syntaktische Vorkehrungen getroffen werden.
2.2. Gliederungsvorgaben In der Syntax wird, wie oben bereits angegeben, die linguistische Tradition in besonderem Maße weitergetragen. Nach dem Aufkommen formaler Grammatiken wurde die herkömmliche Grammatik auch, abwertend, „traditionelle" genannt. Dabei arbeitet etwa die GTG, wie viele andere neue Konzeptionen auch, mit einer Reihe traditioneller Vorgaben. Dazu gehören die folgenden: 1. Sätze sind zweigliedrig. Insbesondere bestehen sie (normalerweise) aus Subjekt und Prädikat. Die „traditionellen" Termini der deutschen Schulgrammatik 'Satzgegenstand' - 'Satzaussage' nutzen diese Auffassung. Sie legen damit die Syntax aber auch in rigoroser Weise fest. Ob diese angenommene Zweigliedrigkeit überhaupt übernommen werden kann angesichts von Einwortäußerungen, komplexen Sätzen und einer genaueren Prüfung der internen Strukturverhältnisse, steht in Frage.
Gliederungsvorgáben
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2. Sätze bestehen aus Wörtern Auch dies ist eine traditionelle Vorgabe. Sie ist aber besser abgesichert. Denn sie kann sich im Gegensatz zur ersten auf die 'linguistische Einsicht' stützen, die sich jederzeit abrufen lässt. Mit den Wörtern fassen wir sprachliche Elemente, die Ausdrucks- und Inhaltsseite aufweisen. Wörter haben eine konkrete, feste Gestalt - eine Laut- oder Schriftgestalt - und sie bedeuten etwas. Sie sind sprachliche Zeichen. Da sie nun aber zweifellos kleinere Einheiten als der Satz darstellen, ist die Frage naheliegend, doch gleich nach den kleinsten Teilen zu suchen und anzugeben, dass der Satz daraus besteht. Denn Wörter sind nicht die kleinsten Zeichen. Und aus unserem Beispieltext (7) ist klar zu sehen, dass auch ohne großen linguistischen Aufwand die Auffassung aktiviert werden kann, dass unterhalb der Wörter Teile mit angebbarer Bedeutung liegen, die Morpheme: (1) Fertigung hängt auch mit Fertigkeit zusammen. Dieser Satz spielt mit der Morphemsegmentation. Die Morpheme sind die kleinsten Zeichen. Wir haben hier ihre Ausdrucksseite vor uns. Ihre Inhaltsseite, ihre Bedeutung, lässt sich durch Paraphrasen angeben: (la) Fertig 'völlig hergestellt' ((+Veib))
ung häng 'Subst. verbale Basis; ('Ak'sich
auch t '3. Pers. 'außerdem' Sg. +Präs. +Indik.'
mit 'zus. gehörig'
Fertig -
keit 'Subst.,' adjekt. Basis; ('Resul-
zusammen 'vereint'
Dieser Text spielt nur mit der Morphemsegmentation, denn die Bedeutung von fertig in Fertigung und fertig in Fertigkeit ist nicht genau identisch. Sind nun die Wörter beliebige Integrationsinstanzen für Morpheme? Was machen wir mit Wörtern, die nicht Kombinationen von Morphemen sind? Hier sind dies: auch und mit. Was passiert, wenn wir den Satz so umstellen, dass hier zwei Wörter zusammentreten? Nämlich: (Wir gehen davon aus, dass) Fertigung auch mit Fertigkeit zusammenhängt. Ist das letzte Wort dann ein Doppelwort oder waren in dem ersten Satz teilweise gar keine Wörter enthalten? Dies ist ein Problem der sogenannten diskontinuierlichen Konstituenten, die für den deut-
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Der Satzbegriff und die grammatische Tradition
sehen Satz besonders typisch sind. Es kann Sprechern, für die das Deutsche nicht Muttersprache ist, große Schwierigkeiten bereiten. V o n Marc Twain ist das bekanntlich mit dem folgenden Satz karikiert worden: (10) „Er reiste, als die Koffer fertig waren und nachdem er Mutter und Schwester geküßt und nochmals sein angebetetes, einfach in weißen Musselin gekleidetes, mit einer frischen Rose in den sanften Wellen ihres reichen braunen Haares geschmücktes Gretchen, das mit bebenden Gliedern die Treppe herabgeschwankt war, um noch einmal sein armes gequältes Haupt an die Brust desjenigen zu legen, den es mehr liebte, als das Leben selber, ans Herz gedrückt hatte, ab", (aus: Reiners 1976, S.93f.) 3. Wörter gehören bestimmten Wortarten an. Diese Annahme erfordert eine eingehendere Überprüfung.
2.3. Wörter und Wortarten In der älteren schulgrammatischen Tradition findet sich die folgende Liste: 1. 2. 3. 4. 5.
Nomen/Substantiv Adjektiv Pronomen Artikel Zahlwort
6. 7. 8. 9. 10.
Verb Adverb Präposition Konjunktion Interjektion
Hier wirkt die Tradition in ganz besonders auffalliger Weise. Denn allenfalls die ersten wird der linguistische Laie benennen können. Hier ist die Tradition eine spezifisch sprachwissenschaftliche. Die Wortartenlehre ist uns von den griechischen und römischen Grammatikern, insbesondere von Dionysios Thrax überkommen. Sie umfasst sowohl das, was heute als Wortarten, aber auch das, was unter dem Begriff Satzglied verstanden wird. Die „partes orationes" werden erst seit Becker (1827) in der deutschen grammatischen Tradition getrennt (vgl. Knobloch 1988, S.179). Die obige Liste geht auf Adelung zurück. Sie wirkt in der sogenannten Schulgrammatik bis heute. Sie ist, als Ausfluss ihrer Tradition, an den 'klassischen' Sprachen, vor allem am Griechischen und am Lateinischen, orientiert. Wie lassen sich nun Morpheme und Wörter exakt zusammenführen? Denn dass hier ein Problem steckt, sieht man, wenn man das Morphem fertig betrachtet. Also, dass fertig einmal zu einem Verb fertigen, einmal zu Nomina, Fertigung, Fertigkeit, wird, oder aber als Adjektiv autonom begegnet. Greifen wir noch einmal kurz auf unsere „formale Grammatik" zurück, die wir in Kapitel 1.3. skizziert haben. Sie geht davon aus, dass der Satz sich in NP + VP und dann weiter in kleinere Teile zerlegen lässt. Wenn wir nun die Zerlegung bei den Morphemen enden ließen, dann hätten wir dem Zeichencharakter der Sprache konsequent Genüge getan. Aber die Wörter sind dann für die Syntax aufgelöst, nichts aber ist so konstant wie der Wortbegriff. Weiter ist die Art der Zusammensetzung der Wörter, die in unserem Beispiel vorkommen, ganz unterschiedlich. Das Verb häng-t setzt sich aus einem lexikalischen Grundbaustein, dem Basis-Lexem, und einem grammatischen Morphem zusammen.
Wörter und Wortarten
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Bis auf geringe Ausnahmen (etwa geh! schlaf) setzen sich Verben, Nomina und Adjektive bei ihrem Vorkommen im Satz zusammen aus einem Lexem und einem (grammatischen) Morphem. Von anderer Art sind die Kombinationen, die wir bei den auf Wortbildung beruhenden Morphemkombinationen haben. Sie sind vor dem Vorkommen im Satz bereits zusammengesetzt, jedenfalls dann, wenn es sich um nicht-spontane Wortbildungen handelt. So sind sie auch im Lexikon abgespeichert. Es wäre wenig sinnvoll anzunehmen, aus unabhängigen Bausteinen träten sie jedesmal erst für einen Satz neu zusammen. So dürfen wir syntaktisch gesteuerte und durch Wortbildung lexikalisch gesteuerte Morphemkombinationen annehmen. Beides führt zu Wörtern. Wörter können kurz oder lang sein, das ändert nichts an ihrem einheitlichen Status. Diese Wörter sind - da dürfen wir uns auf die Tradition verlassen durch Wortartzugehörigkeit vorgeprägt. Ob es die genannten zehn Wortarten sind, oder ob wir die Wortarten funktional aus unserer deutschen Sprache entwickeln müssen, ist eine Frage, die in der Forschung unterschiedlich beantwortet wird. Der einfachste Weg ist der, sich auf die traditionellen Vorgaben zu verlassen und allenfalls im Bedarfsfall Differenzierungen vorzunehmen. Der andere, anspruchsvollere und viel aufwendigere Weg ist der, ein einziges Kriterium für die Konstitution der Wortarten heranzuziehen. Wie mehrfach gezeigt worden ist (vgl. zusammenfassend Hundt 2000), ist dies in der Praxis nicht durchführbar, weil jedes ausschließlich verwendete Kriterum schnell an seine Grenzen stößt. So lassen sich die Wortarten danach einteilen, ob sie flektierbar sind oder nicht. Dann ergeben sich die folgenden beiden Gruppen: Substantiv, Adjektiv, Pronomen, Artikel, Zahlwort, Verb; Adverb, Präposition, Konjunktion, Interjektion. Abgesehen davon, dass von den Zahlwörtern in der Gegenwartssprache nur noch die Ordinalzahl eins voll flektierbar ist und daher die Klasse der Zahlwörter auf die beiden Gruppen verteilt werden müsste, wird über die Funktion von Flexion versus Nichtflexion damit noch nichts deutlich. Es liegt auf der Hand, dass in einer Darstellung der Syntax der deutschen Sprache die Heranziehung des syntaktischen Kriteriums besonders willkommen ist. Helbig/Buscha (1986, S.19) etwa gehen von Substitutionsrahmen aus, in denen Wörter nur je einer einzigen Wortart eingesetzt werden können: (1) (2) (3) (4)
Der... arbeitet fleißig. Der Lehrer... fleißig. Er sieht einen ... Arbeiter. Der Lehrer arbeitet... .
Zwar kann in (1) nur ein Substantiv, und in (2) nur ein Verb eingesetzt werden, in (3) aber anstelle des zu erwartenden Adjektivs fleißig ohne weiteres auch eine komplexere Gruppe (z.B. sich auf den Feierabend vorbereitenden) und in (4) anstelle des Adverbs gern auch ein Adjektiv in adverbialer Funktion (fleißig) oder eine größere und gänzlich andere Adverbialgruppe {am Feierabend, ohne Unterbrechung, ohne Bezahlung) stehen (vgl. Hundt 2000). Sinnvoll ist es allerdings, von einer Besetzung der Strukturstellen auszugehen, die besonders naheliegend, „prototypisch" sind. Aber damit rekurrieren wir wieder auf die schon bei der ersten Prozedur vermissten semantischen und pragmatischen Leistungsbereiche der Wortarten.
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Der Satzbegriff und die grammatische Tradition
Wenn man die Substitutionsrahmen jedoch erheblich verfeinert, lassen sich manche Schwierigkeiten ausräumen. Wenn z.B. in (4) alle denkbaren Alternativsetzungen für das Adjektiv schon vergeben sind, kann dieses als einziges noch fehlendes übrigbleiben. Vor allem aber können die zehn Klassen weiter aufgegliedert werden, was allerdings zu einer großen Vermehrung der Wortarten führen kann. Bei Bergenholtz/Schaeder (1977) werden auf diese Weise 51 Klassen etabliert. Auch dies kann unter funktionalem Gesichtspunkt durchaus sinnvoll sein. Wenn man, wie Admoni (1966, S.155f.), - der allerdings im Sinne der grammatischen Tradition von „Redeteilen" spricht - die Negationswörter als eigene Klasse heraushebt, wird man ihrer wichtigen semantischen Funktion gerecht, muss für sie aber weitere Unterklassen ansetzen. Zwar können nicht, nie, nirgends und andere Negationsadveibien an den gleichen syntaktischen Plätzen stehen, nicht aber das ebenfalls Negationen zum Ausdruck bringende kein oder keinerlei. Die meisten neueren Grammatiken gehen bei der Wortartkonstitution nach mehreren Kriterien vor, etwa Van der Elst/Habermann (1997, S. 154-166), Duden-Grammatik (1998, S.85407), Zifonun/Hoffmann/Strecker (1997, S.27). In den Wortarten sind gänzlich unterschiedliche semantische, syntaktische und pragmatische Anforderungen gebündelt. In der folgenden Musterung werden wichtige Eigenschaften herausgehoben, ohne dass auf alle Aspekte eingegangen werden kann. Es sind Bedingungen, die syntaktisch relevant sind. Ihre Grundfunktionen sollen im Vordergrund stehen. Verben Offensichtlich gibt es eine Aufgabenverteilung bei den Wortarten, die wir als 'natürlich' empfinden. Selbst beim reduzierten Vorkommen von Sprache, der Comic-Sprache, können wir für die Verben Wortartprägung vermuten. Hier sind es klapper, tapp, schnauf, watschel, surr. (5)
(aus: Walt Disneys Lustige Taschenbücher 81, Stuttgart 1982, S.94f.) Das Verb - hier reduziert, w i e in den Comics auch sonst, auf Lautnachahmung, Schall-Imitation - bringt 'aus der Wirklichkeit' in die 'versprachlichte Situation' Tätigkeiten, Vorgänge, Zustände ein. Das wissen wir, wenn wir Verben hören, gebrauchen, abrufen, um sie im Satz zu verwenden. Sprachwissenschaftlich exakter gesprochen: Sie haben die Grundfunktion, Prädikationen direkt in den Satz einzubringen. Die andere sprachliche Grundfunktion, das Benennen, Zeigen oder Referieren können wir auch nichtsprachlich vornehmen. Wir können uns mit Zeigegesten begnügen. In den Comics, bei denen Bilder die Personen
Wörter und Wortarten
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und Gegenstände einbringen, wird ja auch nur die an die Wortart Verb geknüpfte sprachliche Urfunktion wiedergegeben. Im Deutschen sind die Strukturmerkmale des Verbs denen in den anderen indogermanischen Sprachen im Prinzip sehr ähnlich. Wir dürfen zunächst davon ausgehen, dass ein Satz in diesen Sprachen auch ein Verb enthält. Nun enthält ein Satz nicht ein beliebiges Verb, sondern jeweils eins (oder mehrere) ganz bestimmter Sub-Klassen der Verben. Ein Satz wie
(6) Fridolin schläft. ist etwas ganz anderes als
(7) Eduard hatte zu überlegen begonnen, wie er die Sache in den Griff bekommen könnte. In (6) liegt - traditionell gesprochen - ein einfaches intransitives Verb, in (7) liegen sehr komplexe Verbfügungen vor. Zunächst lässt sich Folgendes erkennen: Von den Substantiven aus betrachtet, sieht es so aus, als seien alle Verben zunächst auf die strukturellen nominalen Vorgaben zugeschnitten: Sie sind auf das Kasussystem hingeordnet. Die Kasus der Nomina haken sozusagen in gewisse Verbindungsteile der Verben ein. Diese sind aber genauso wie die nominalen Morpheme nicht leicht zu isolieren, was die Darstellung schwierig macht: Genau wie die Nomina (und die anderen flektierten Wortarten) lassen sich die Verben in einen lexematischen und einen grammatischen Bestandteil segmentieren. Die Verbindung mit bestimmten Nomina und die Organisation dieser Verbindungen über die Kasus wird nun klar von der Verbsemantik, also von der lexematischen Seite aus geregelt. Für eine Syntax ist das eine wichtige Vorentscheidung. Für das obige Beispiel: Dass schlafen nur ein Subjekt bindet, beginnen, überlegen, bekommen mehrere Nomina binden und welche Typen von Nomina es sind, das wird lexematisch geregelt. Was steckt in den verbalen grammatischen Morphemen? Diese sind - genau wie die nominalen Morpheme - zum großen Teil multifunktionale, sogenannte Portemanteau-Morpheme: Sie verschränken mehrere grammatische Informationen. Im Deutschen wird obligatorisch am Verb durch das Morphem Modus, Tempus, Numerus und Person gekennzeichnet, diese Morpheme sind aber nur bei den schwachen Verben segmentierbar (Beispiel 8). Die starken Verben regeln Tempus/Modus-Unterschiedlichkeiten durch Ablautalternanzen, die sich am einfachsten als lexematische Allomorphe auffassen lassen (andere Deutungsmöglichkeiten lasse ich hier außer Betracht). Auch die Umlautformen lassen sich am leichtesten als Stamm-Allomorphe deuten. (Beispiel 9, Ablaut für das Präteritum, Umlaut für das Präsens). Stammallomorphie verlegt das grammatische Signal einen Schritt weiter hin zum lexikalischen Kern des jeweiligen Verbs; die Amalgamierung mit dem grammatischen Morphem ist nicht durch Segmentation rückgängig zu machen. Das Verb tritt sozusagen in mehreren Ge-
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Der Satzbegriff und die grammatische Tradition
stalttypen auf: als Präsensstamm, als Präteritalstamm und als Partizip, jeweils mit den dazugehörigen Formtypen. Seit dem Mittelhochdeutschen ist dabei eine - schon seit althochdeutscher Zeit nicht mehr funktionale - zusätzliche Numerusunterscheidung im Präteritum verloren gegangen, so etwa mit unterschiedlichem Präteritalausgleich bei der 3. Ablautklasse: (er) sang - (wir) sungen -» (er) sang - (wir) sangen; 5. Ablautklasse: (er) gap, (wir) gäben —> (er) gab (wir) gaben. (8) leg-t
leg-e
leg-t-e
leg-t-e
(9)
schlaf-e
schiief-0
schlief-e
schläft
paradigmatisch isoliert: (10) schwaches Veib
Ind.Präs. e (e)st (e)t en (e)t en
Konj.I e est e en et en
Ind.Prät. te test (e)te t en tet t en
Konj.II te test (e)te t en tet t en
(11) starkes Verb
Ind.Präs. e (e)st
Konj.I e est e en et en
Ind.Prät. 0 (e)st 0 en
Konj.II e est e en et en
(e)t
en (e)t en
(e)t
en
Modus- und Tempus-Moiphem sind ähnlich, aber beileibe nicht identisch. Auf jeden Fall sind die Personmorpheme ohne weiteres im Präteritum der schwachen Verben vom Tempus- bzw. Modusmorphem zu segmentieren. Auch für das Präsens könnten wir ansetzen: (12) leg -
Präsens 0
1. oder 3. Pers. Sg. e
Aber weil wir Portemanteaumorpheme ohnehin zulassen müssen, dürfen wir auch hier annehmen, dass das grammatische Morphem einheitlich nach den genannten drei Kategorien simultan geregelt ist. Syntaktisch müssen allerdings die Bezugswege dieser drei Kategorien auseinandergehalten werden. Ein dreifach bestimmtes Morphem bzw. Morphemkompexe - das ist schon recht kompliziert. Es gibt nun durchaus noch andere verbale Kategorien. D i e s e sind: Aspekt, Aktionsart, Genus Verbi. 1. Aspekt D i e s e Kategorie fehlt weitgehend im gegenwärtigen Deutsch. In den slawischen Sprachen ist sie regelmäßig; sie ist im Normalfall an zwei etymologisch verwandte Stämme geknüpft. Sie entlastet zudem das Tempussystem. Ein Beispiel: russ. pisatj, napisatj heißt beides 'schreiben'. D i e Formen v o n p i s a t j verwendet man, w e n n man die verbale Handlung in ihrer Dauer, an sich, betrachtet; napisatj, w e n n ein Abschluss, ein Versuch, ein Beginn, ein Ziel (mit)gemeint ist. Ersteres ist der imperfektive, letzteres der perfektive Aspekt. D e s w e g e n verfügt der imperfektive Aspekt nicht über das Präsens; das formale Präsens bedeutet
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Wörter und Wortarten
etwas Futurisches: ja napisu pismó 'ich werde einen Brief schreiben' ja pisu pismó 'ich schreibe' (jetzt gerade an einem Brief). In den nicht standardsprachlichen Versionen des Deutschen finden wir vergleichbare Typen aber durchaus:
(13) Ich bin am Arbeiten. (14) Ich war gerade am Arbeiten, als sich die Tür öffnete. Τ imperfektiv
t perfektiv (hier: die 'eintretende' Handlung)
Es gibt in den Dialekten weitere Möglichkeiten, dieses unterschiedliche Verhältnis auszudrücken Eine ist die sogenannte /««-Periphrase, vgl. Kap.5.2. 2. Aktionsarten Diese Kategorie, die in den slawischen Sprachen die Aspekt-Kategorie überlagert, liegt auch im Deutschen vor. Sie ist syntaktisch dann vor allem wichtig, wenn sich regelmäßige Paradigmen bilden lassen. Das aber ist im Deutschen wiederum nur in Ansätzen der Fall. Das formale Mittel dazu sind hauptsächlich die Präfixe.
(15) arbeiten (16) steigen (17) kaufen
bearbeiten ersteigen verkaufen
ausarbeiten absteigen abkaufen
Das Simplex ist meist 'kursiv' ('imperfektiv' oder 'statai'), das Präfix- oder Partikelverb 'perfektiv' ('transformativ' oder 'mutativ') (vgl. Kotin 1998, Fabricius-Hansen 1975 und Leiss 1992). Gewissermaßen ist das deutsche System eine Kombination von Aspekten und Aktionsarten. Wirklich volle Paradigmen gibt es aber nicht; es gibt immer nur Ansätze. Die ungemein häufigen Präfix- und Partikelverben stehen im Dienst der lexikalischen Bedeutungsdifferenzierung, z.B. kaufen, verkaufen, einkaufen, aufkaufen, sich bekaufen, erkaufen; schreiben, beschreiben, aufschreiben, ausschreiben, umschreiben, überschreiben, einschreiben, hineinschreiben, herausschreiben.
3. Das Genus Verbi Wenn man in einer Grammatik des Althochdeutschen unter 'Passiv' nachschlägt, dann findet man dort den Hinweis auf 'Passiversatzformen'. Das Althochdeutsche unterscheidet sich in der Struktur aber kaum vom Neuhochdeutschen. Und das 'Passiv' ist ein zentraler Teil jeder modernen deutschen Grammatik. Wie löst sich dieser Widerspruch? Vergleichen wir dazu das Deutsche mit dem Lateinischen. Dort finden wir in den Grammatiken volle Paradigmen für das Passiv. (18)
Passiv
Präs. Indik. Präs. Konj. Impf. Indik.
moneor monear monebar
ich werde gemahnt ich möge gemahnt werden ich wurde gemahnt
26 Impf. Konj. Futuri Perf. Indik. Perf. Konj. Plqupf. Indik. Plqupf. Konj. Futur II
Der Satzbegriff und die grammatische Tradition monerer monebor monitus sum monitus sim monitus eram monitus essem monitus ero
ich würde gemahnt ich werde gemahnt werden ich bin gemahnt worden ich sei gemahnt worden ich war gemahnt worden ich wäre gemahnt worden ich werde gemahnt worden sein
Ein reiches System - und doch schon 'gestört'! Denn die sonst durchgehend synthetische Flexion beim Passiv wird durchbrochen, diese Formen werden im Perfekt, Plusquamperfekt und Futur II analytisch gebildet und sind im Sinne der Schulgrammatik eigentlich bereits 'Passiversatzformen', genau wie alle deutschen Passiva. Hier wird, in der Tradition der sogenannten 'Schulgrammatik' stehend, die Kategorie aus einer (Schul-)Sprache in die andere übertragen, ohne zu fragen, welchen Strukturwert sie in der 'Ziel'-Sprache hat. Dem lateinischen monerer etwa entspricht eine deutsche Form ich würde gemahnt (werden), die völlig anders gebaut ist und einen ganz anderen Strukturplatz inne hat.
Das Lateinische ist eine, bis auf kleinere 'Einbrüche', noch eindrucksvoll geschlossene synthetisch konjugierende Sprache, wobei sich die Flexionsmorpheme z.T. auch noch gut segmentieren lassen: Die Aktiv- und Passivpersonalflexive: o/m, s, t, mus, tis, nt; r, ris, tur, mur, mini, ntur sind meist deutlich vom Tempus- und/oder Modusmorphem segmentierbar. Die Tendenz aber geht in den 'modernen' Sprachen (d.h. vom Lateinischen aus gesehen) zur analytischen Flexion, konkreter: zur Aufteilung der verbalen Aussage auf ein Ensemble von Formen, zur sogenannten verbalen Periphrase. Im Deutschen haben wir einfache, synthetische Formen nur noch im Präsens und im Präteritum des Aktivs. Aber es ist deutlich, dass das Präteritum ein 'hochsprachliches', vor allem schriftlich realisiertes Register ist. In der Umgangssprache wird dafür weitgehend das Perfekt verwendet, insbesondere im Oberdeutschen. Zusammenfassend lässt sich sagen: Was als 'Verb' in den Satz eingeht und wie es in einer Syntax des Deutschen behandelt wird, muss sich aus der deutschen Sprache ergeben. Wir dürfen nicht Kategorien aus anderen Sprachen auf das Deutsche blind übertragen - sonst finden wir schon im Althochdeutschen etwa gar kein Passiv, oder wir unterstellen, dass wir für alle Formen der lateinischen Paradigmen genaue Entsprechungen im Deutschen haben. Dies betrifft die vermuteten Fehlstellen im Deutschen. Noch gravierender ist, dass bei dieser Sichtweise Paradigmen unter den Tisch fallen, die es in den Vorbildsprachen gar nicht gibt, dies wären vor allem die Dativpassivtypen, sowie die werdenund die würde + Inf.-Konstruktionen. Die Syntax muss so angelegt werden, dass sie deutsche Regularitäten 'ungezwungen' erkennen lässt, dass sie aber auch den Vergleich mit anderen Sprachen offen lässt. Insbesondere müssen adäquate Tempus-, Modus- und Passivkategorien für das Deutsche vorgesehen werden (vgl. Simmler 1998 und Darski 2000).
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Wörter und Wortarten
Substantive und Pronomina Die Wortart Nomen wird in den traditionellen Listen als 'Nr.l' geführt. Das Nennen, Referieren durch Namen, Appellativa oder Pronomen, die nur kontextuell oder kotextuell begegnen dürfen, ist in völlig versprachlichten Situationen, etwa schriftlichen Texten, Voraussetzung, um Prädikationen vornehmen zu können. Die Pronomina sind dann also bereits eine Wortart, die nur durch Bezüge auf Nomina (oder auf Personen, Dinge und Sachverhalte) eingesetzt werden. 1. Substantive Im Deutschen sind die Substantive nach Genus vorgeordnet. Die Genuszuordnung ist semantisch weitgehend funktionslos und syntaktisch unproblematisch. Allerdings haben sich gewisse Reste einer wohl noch im Althochdeutschen funktional bestimmten Verteilung erhalten (vgl. Leiss 1997). Von herausragender Bedeutung ist die Kategorie Kasus. Im Deutschen haben wir ein voll funktionierendes 4-Kasus-System. Es ist zusammen mit der Numerusflexion sehr kompliziert, vor allem, weil es - je nach Zählung - 10-13 Deklinationsklassen gibt. Immerhin ist der Singular einfacher als im Althochdeutschen, was am Beispiel des starken Substantivs tag/Tag gesehen werden kann:
Nominativ Genitiv Dativ Akkusativ Instrumental
Althochdeutsch Singular Plural taga tag tages tago tage tagum tag taga tagu -
Neuhochdeutsch Singular Plural Tag Tage Tages Tage Tag(e) Tagen Tag Tage
Uns soll hier nur die syntaktische Seite interessieren. Synchron müssen wir klären, wo die Instrumentalfunktion geblieben ist. Sie wird jetzt durch präpositionale Kasus zum Ausdruck gebracht. Das nun wieder deutet generell darauf hin, dass die Kasus morphologische Ordnungskategorien sind, die etwas Bedeutungsmäßiges signalisieren. Die Kasus haben ganz verschiedene Aufgaben. Diese werden in Kap.6.3. auf dem Hintergrund neuerer syntaktischer Theorien genauer angegeben. Hier ist darauf hinzuweisen, dass wir im Deutschen ein ganz anderes System als z.B. im Englischen haben. Das Englische unterscheidet bei den Nomina die Kasus formal nicht. Es müssen deswegen andere Mittel gewählt werden. Wortstellung und Präpositionen. Insbesondere gibt es im Englischen keinen Genitiv und keinen Dativ als Objektskasus. Aus dieser Tatsache zieht die GTG weitgehende Folgerungen, die sie auf andere Sprachen überträgt. Ob das angemessen ist, ist noch zu diskutieren. Dennoch lässt sich sagen, dass die Satzfunktionen universal bestimmbar sind. Die Mittel allerdings sind sehr unterschiedlich. Die morphologische Komponente bei den Substantiven des Deutschen kombiniert Informationen der Deklinationsklasse (starke - schwache Substantive), der Genera, des Numerus und des
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Der Satzbegriff und die grammatische Tradition
Kasus. Da nur die Kasusinformation ausschließlich syntaktisch zu verstehen ist, erscheint es angemessen, das substantivische Lexem als mit einem Portmanteaumorphem kombiniert anzusetzen, auch wenn die Regelungsinstanzen verschiedene Wege durchlaufen. Die Alternative wäre, mehrere Morpheme anzusetzen, die jeweils zu amalgamieren wären. Das heißt aus dem anzusetzenden morphologischen Inventar der deutschen Substantive wäre für ein beliebiges Substantiv die jeweilige Information direkt abzurufen, z.B. (20)
Ν 'Dativ Plural des schwachen Maskulinums Bote ' : Boten
Boten Ν
'Genitiv Singular des starken Neutrums Wort' : Wortes Wort es Da, wie schon das Paradigma von Tag zeigt, viele Formen nicht mehr eindeutig sind, werden die morphologischen Informationen, d.h. die Genus-, Numerusund Kasusinformation (nicht die offenbar endgültig irrelevante Deklinationsklasseninformation) auf „Begleiter" des Substantivs übertragen, vor allem auf die Artikel. Man spricht hier von „Gruppenflexion" (vgl. dazu genauer Kap.8.2.). 2. Pronomina Bezugs-, Verweis- und Begleitwörter des Substantivs sind im Deutschen wie in seinen verwandten Sprachen außerordentlich reich distribuiert. Pronomina können in Begleitung eines Substantivs oder in seiner Vertretung selbständig erscheinen. Sie haben hauptsächlich referentielle Aufgaben, doch sind sie mehr als bloße deiktische Verweiswörter. Sie haben jeweils spezifische Aufgaben, sind häufig dichotomisch verteilt (dieser - jener; alle - keine) und haben auch selbständige prädikative Aufgaben (sie ist mein; dies ist meiner). Darin gleichen sie in vielem den Adjektiven. Und man könnte sie syntaktisch kaum eindeutig von diesen abgrenzen, z.B. könnte in Satz (3), der die Adjektive syntaktisch herausfiltern soll, auch ein Pronomen stehen: Er sieht einen jeglichen Arbeiter. Syntaktisch von eminenter Bedeutung sind die Kongruenzverhältnisse bei den Pronomina und ihre Flexionsregelungen. Auf die attributiven Anschlüsse wird genauer in Kap.8.3., auf die in selbständiger Verwendungsweise in Kap.8.11. eingegangen. Die Trennung in diese beiden Gebrauchstypen hat vor allem darstellungstechnische Vorteile. Baerentzen (1999) hat ein System entworfen, in dem die Pronomina als Worteinheiten, also im Anschluss an ein Substantiv oder in freier Verwendung, zusammengenommen werden und ihr flexivisches Verhalten nach den Kategorien Deklinationsart, Genus, Kasus und Nume-
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Wörter und Wortarten
rus geprüft wird. Danach lassen sich folgende Gruppen bilden, die hier etwas vereinfacht und in Tabellenform gebracht wiedergegeben werden. (21) Klassifikation der Pronomina im Deutschen
stark
solch aller mancher welcher anderer beide jeder jeglicher dieser jener einiger etlicher mehrere der wer - was derjenige derselbe mein dein... einer keiner ich du... jedermann jemand niemand
+
+ +
+ + + + +
+
+
+ +
+ + +
+ (l.Teil) + ( 1 -Teil) + +
+ + + + + + +
schwach
unflektiert
mit best. Art.
+
+ + +
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-
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mitunohne best. Art., Art., Sp. SR. + + -
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+ (2.Teil) + (2.Teil)
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dem Artikel vorannachgestellt gestellt
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+ +
entfallt Sonderfalle
Adjektive Auch sie sind keine 'autonomen' Wörter. Zwar erlauben sie die abstrakte Nennung von begrifflichen Eigenschaften: klug, langsam, farblos. Sie benötigen aber eine Konkretisationsbasis, an der diese Eigenschaften zu Tage treten. Anders als die Pronomina aber sind sie nicht über die Satzgrenze hinweg abgebunden, sondern geben innersyntaktische Bestimmungen von Nomina. Traditionell werden sie auch als Nomina adiectiva bezeichnet. Ihre Grundleistung ist die (genauere) Qualifikation von Personen, Dingen und Sachverhalten. Doch werden sie auch prädikativ und adverbial gebraucht. Besonders Farbadjektive (roí, gelb, grün) oder die Qualitätsbezeichnungen {gut, schlecht, sauer) zeigen die Grundleistung der Wortart Adjektiv: Qualifizierungen.
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Der Satzbegriff und die grammatische Tradition
Ihr auffallendstes Wortklassenmerkmal ist die Komparierbarkeit. An den Adjektiven und ihren Verwendungsmöglichkeiten im Satz lässt sich sehr gut erkennen, dass Wortarten generell keine starren Klassen sind, sondern dass es prototypische Vertreter gibt und dass deren feststellbare Eigenschaften bei anderen Wörtern nur eingeschränkt auftreten. So sind die angeführten Charakteristika der Adjektive längst nicht bei allen zu finden.
(22) Komparierbarkeit attributive Verwendung prädikative Verwendung adverbiale Verwendung
gelb
gut
heutig grau
monatlich
? + + -
suppletiv + + +
+
+
-
+ + + -
+
Besonders kompliziert ist im Deutschen die Flexion des Adjektivs in attributiver Verwendung. Die Typen und sonstige Besonderheiten des Adjektivs, seine Position und seine Kombinationsmöglichkeiten werden in Kap.8.4. behandelt.
Artikel Während die bisher betrachteten Wortarten im Deutschen im Grunde wie im Latein begegnen, ist der Artikel etwas, was nicht in allen Sprachen vorkommt. Zwar gibt es ihn im Griechischen und im Französischen und Englischen, nicht aber im Lateinischen und im Russischen. Auch im Deutschen hat es ihn nicht immer gegeben. Im Althochdeutschen fassen wir, wie aus dem Textbeispiel (1) hervorging, gerade den Moment seines Aufkommens. Zwar haben sich die Artikel unabhängig in den Sprachen entwickelt, sie sind also nicht homologe Erscheinungen. Da wo sie auftreten, haben sie aber starke analoge Züge. Die Duden-Grammatik fasst sie mit den Pronomina als Begleiter und Stellvertreter der Nomina zusammen: Sie haben einerseits textuelle Aufgaben, nämlich Bekanntes aufzunehmen - das leistet der bestimmte Artikel - andererseits Unbekanntes, Neues einzuführen - das leistet der unbestimmte Artikel:
(23) Dort steht eine alte Ulme. Dieser/der Baum ist noch gesund. Ob und wie diese textuellen Vorgaben im Rahmen der Syntax zu behandeln sind, muss noch diskutiert werden. Syntaktisch besonders relevant ist, dass die Artikel, wie die Adjektive, auf ihr Bezugsnomen hingeordnet sind durch Kongruenz. Im Laufe der Sprachentwicklung haben sie nicht nur Übereinstimmungen in Kasus und Numerus mit ihren Bezugsnomina erhalten. Sie haben, wie oben angegeben wurde, sogar mehr und mehr Aufgaben der grammatischen Identifizierung dieser Nomina übernommen. Wie die nominale Gruppe auf Grund dieses Faktums zu bewerten ist, wird eingehender in Kap.8.2. und 8.3. behandelt.
Wörter und Wortarten
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Der Artikel ist weder in der linguistischen noch gar in der 'naiven' Tradition eindeutig abrufbar.
Zahlwörter Das Gleiche gilt für das Zahlwort. Hier ist die traditionelle Vorgabe sachlich bedingt. Zahlwörter haben etwas mit Zahlen zu tun. Aber hier tut sich die engere linguistische Bestimmung sehr schwer: Das Benennen, das Prädizieren, das Qualifizieren und das Verweisen ist ja schon durch die Wortarten Nomen, Verb, Adjektiv und Artikel vergeben. Welche davon abgehobene Aufgabe sollen dann die Zahlwörter bekommen? Sie sind einmal Prädikatoren (24) oder Qualifizierungen (25):
(24) Dort stehen drei. (25) Dort stehen drei Bäume. Das ist kombiniert mit Identifikationsaufgaben, die dem Artikel zukommen:
(26) Dort stehen die drei Bäume. Traditionell werden auch Ordinalzahlen und Indefinita als Zahlwörter aufgefasst. Bei ihnen ist der adjektivische oder pronominale Charakter dominant.
(27) Dies ist der dritte Baum, der... (28) Hier ist so mancher/hier sind unzählige Bäume krank. Daher wird das Zahlwort in den meisten Grammatiken auch als eigene Wortart aufgegeben und bei anderen, je nach Funktion eingeordnet. Mit Recht, denn wir setzen ja auch z.B. für die Farbadjektive keine eigene Wortart an.
Adverbien Mit den Adverbien beginnt die Gruppe der unflektierbaren Wortarten. Wörter wie dort, hier, jetzt können im eigenen Wortartcharakter von Nichtlinguisten sicher nicht erkannt werden. Dass die ganze Kategorie wirklich linguistisch theorieabhängig ist, sieht man am besten daran, dass auch hier die neueren Grammatiken den Umfang dieser Wortart auf solche und ähnliche Wörter beschränken, nicht aber Ausdrücke wie
(29) Erlief eilig davon. (30) Sie arbeitete sorgfältig. als Adverbien buchen. Seit Glinz (1962) werden diese Wörter als Adjektive in adverbialer Funktion aufgefasst. Dem sind so gut wie alle Grammatiker gefolgt. Zwar wissen wir, dass andere Sprachen, vor allem das Englische oder alte deutsche Sprachstufen, Wörter in dieser Funktion morphologisch kennzeichnen {-ly; -o), aber man darf davon ausgehen, dass das nur eine syntaktische Kennzeichnung ist: Hier werden Wörter von Wortarten, die nach ihrer Sachprägung als
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Der Satzbegriff und die grammatische Tradition
Adjektive eindeutig erkennbar sind, in bestimmten speziellen syntaktischen Zusammenhängen verwendet. Allerdings ist es nicht von der Hand zu weisen, dass dem Ansatz einer Wortart 'Adverb' eine gewisse Logik innewohnt: Wenn auf das Nomen eine Wortart hingeordnet ist, das Adjektiv, das genauer qualifiziert, dann darf man beim Verb etwas Analoges ansetzen: das Ad-Verb. Wortarten sollen eindeutig erfassbar sein. Bei den Wörtern hier, jetzt, dort haben wir dann immerhin eine Restklasse, die Gemeinsamkeiten aufweist: lokale oder temporale Bestimmung nach einfachen Orientierungsstrategien. Die Adverbien lassen sich nach sachlichen Gebrauchskategorien einteilen; Lokaladverbien da, dort, dorthin, herum; Temporaladverbien: heute, sofort, zuletzt, Modaladverbien: hinterrücks, überaus. Wenn an das Adverb syntaktische Aufgaben geknüpft sind, spricht man von Konjunktionaladverbien: daher, deswegen, andererseits, insofern. Pronominaladverbien sind Wörter wie daran, davor, womit, sie haben deutlich relationierende syntaktische Aufgaben. Adverbien, die sich auf den Satz als Ganzes beziehen und ihn einer Bewertung unterziehen, sind Satzadveibien, sie werden auch Modalwörter genannt: unglücklicherweise, zweifellos, leider. Alle Klassen werden in ihrem syntaktischen Verhalten an den entsprechenden Stellen eingehender behandelt (Kap.7).
Partikeln In älteren Darstellungen wurden zur Klasse der Adverbien auch die häufig begegnenden unflektierten Wörter gerechnet, deren syntaktische Aufgaben völlig anders zu beurteilen sind, wie eben, recht oder besonders. Sie sind lexikalisch schwer zu bestimmen, um so wichtiger ist ihre syntaktische und textuell-diskursive Funktion. Folgende Klassen sind zu unterscheiden, besonders die Abtönungspartikeln werfen dabei Probleme auf (vgl. Kap. 12.2.). Abtönungspartikeln: halt, mal, aber, eigentlich... Gradpartikeln: sehr, ziemlich, gar... Fokuspartikeln: allein, bloß, besonders... Gesprächspartikeln: ja, nein, gell?, oder? ...
Präpositionen Hier tun wir uns wieder leichter. Schon mit den einfachen Adverbien haben wir Wörter, die nicht abgewandelt werden, die unveränderlich sind. Das ist leicht erkennbar, abrufbar und linguistisch bedeutsam. Die Präpositionen sind - jedenfalls in ihrem Kernbereich - eine klar eingrenzbare Klasse von Funktionswörtern. Sie relationieren die Bezeichnungen von Personen, Dingen und Sachverhalten nach einfachen Bezügen: vor, hinter, neben, auf, über, nach usw. Das geschieht lokal, temporal und 'übertragen'. Präpositionen gehören, wie die schon angeführten Pronomina und Artikel einer geschlossenen Klasse an, während die Nomina, Verben und Adjektive offe-
Wörter und Wortarten
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ne Klassen bilden. Offene Klassen umfassen Wortarten, die (beliebig) vermehrbar sind. Geschlossene Klassen sind - jedenfalls synchron gesehen - mit einem nicht vermehrbaren Bestand versehen. Es liegt auf der Hand, dass die offenen Klassen den an die Wörter gebundenen lexikalischen sprachlichen Reichtum einer Sprache repräsentieren. Jederzeit kann - durch Wortbildung, Wortneuschöpfung oder durch Fremdwörter - der Bestand vermehrt werden. In den geschlossenen Klassen befinden sich solche Wörter, die vornehmlich grammatische Funktionen wahrnehmen. Sie sind darin den grammatischen Morphemen vergleichbar, mit denen sich die Lexeme, die lexematischen Bestandteile der Wörter der offenen Klassen, obligatorisch verbinden (eben zu Wörtern). Wie diese sind die grammatischen Funktionswörter meist kurz und prägnant. Was die Frage betrifft, ob die geschlossene Klasse der Präpositionen nicht auch „geöffnet" werden kann, so ist zu sagen, dass, diachron gesehen, selbstverständlich ein Zu- oder Abnehmen registriert werden kann. Wir haben seit dem Althochdeutschen etwa die Präpositionen ob (noch erhalten in Rothenburg ob der Tauber) oder sonder ('ohne') verloren und solche Präpositionen wie wegen, zwecks, gegen gewonnen. In der Gegenwartssprache scheint sich das Feld der Präpositionen rapide zu vermehren, Fügungen wie auf Grund von; mit Hilfe von; im Bereich, betreffs, angesichts usw. haben als Ganzes präpositionsähnliche Funktion (vgl. Wellmann 1985).
Konjunktionen Auch sie sind Synsemantika. Sie relationieren nicht die Bezeichnung von Personen, Dingen und Sachverhalten, sondern sie organisieren den Anschluss von Sätzen. Entweder von (vollständigen) Sätzen: und, denn, aber oder von Nebensätzen: dass, ob; weil, obgleich, wenn, als ... . Sie sind nun mit linguistischer Intuition kaum noch zu greifen. Auch sie signalisieren, isoliert geäußert, bestimmte Bedeutungen, und auch sie haben Bindungseigenschaften. Traditionellerweise werden auch solche Wörter wie zu, um in Fügungen wie Er ging ins Büro, um zu arbeiten als Konjunktionen aufgefasst. Auch das sind 'Bindewörter'; sie sind in manchem auch den Präpositionen zu vergleichen. Die syntaktischen Aufgaben aller herkömmlich als Konjunktionen bezeichneten Wörter sind sehr unterschiedlich. Sie werden in den entsprechenden Kapiteln eingehend behandelt. Es wird dabei folgende Terminologie verwendet: K: Satzverbindende Konjunktionen. NEK: Satzteile und wörterverbindende Konjunktionen, Nektive. C: Nebensatzeinleitende Konjunktionen, Subjunktionen. Andere Konjunktionen werden mit Subskripten erfasst. K vergl : Vergleichskonjunktionen, „Äquationen" (Heringer 1996): als und wie. Kint-: Infinitivkonjunktionen, „Translative" (Tesnière 1976): um, zu.
Interjektionen Diese sind ein Sonderfall. Sie sind erstens im Satz nicht voll integriert, wenn sie nicht sogar gänzlich isoliert stehen. Zweitens sind sie viel universaler als alle
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Der Satzbegriff und die grammatische Tradition
anderen Wörter. Sie repräsentieren weithin universale Möglichkeiten der Kommunikation. Als Beispiel seien hier die vokalischen Inteijektionen im Deutschen herausgegriffen. Sie lassen sich wie folgt in ein Paradigma bringen: (31)
zustimmendes 'Erstaunen' 'Abscheu' 'Überraschung' 'Schauder' 'Schmerz' 'Zuwendung' (Begleitlaut beim Streicheln etc.) redupliziert 'ironische' Überraschung Überraschung
Es fehlt in dieser Liste ein wichtiger Laut: 'schon benannt, genannt, gewusst'. Er wird im Oberdeutschen als Partikel genutzt. (Zu den Inteijektionen vgl. Ehlich 1986.)
In den traditionellen Darstellungen fristen Wortarten wie die Gradpartikeln (sehr, überaus, besonders) und vor allem die erst seit Weydt (1969) ins Bewusstsein gehobenen ungemein häufigen und wichtigen Abtönungspartikeln (eh, halt, doch, denn, mal) ein Randdasein. Meist werden sie den Adverbien zugeschlagen. Auch ihre Erfassung stellt eine syntaktische Herausforderung dar. Ihre Vernachlässigung in traditionellen Darstellungen lässt sich damit erklären, dass ihnen so gut wie keine eigenständigen Bedeutungskonzepte zugewiesen werden können. Die Bestimmung der traditionellen Vorgaben dürfen wir für die Wortarten hier abschließen. Positiv ist festzuhalten, dass die Wortarten reale Ordnungskategorien für die Wörter darstellen. Auch hier hat die vergleichende Sprachforschung festgestellt, dass insbesondere die Grundentscheidung Verb - Nomen universal zu sein scheint.
2.4. Der Satzgliedbegriff Ein weiterer in der germanistischen Tradition besonders favorisierter syntaktischer Ordnungsbegriff ist der des Satzgliedes. Während die ältere Schulgrammatik den Satz in Subjekt ('Satzaussage') und Prädikat ('Satzgegenstand') teilte und damit die traditionelle Vorgabe von der Binarität des Satzes übernahm, wollte Hans Glinz (1962) die Satzglieder aus der jeweiligen Einzelsprache gewinnen. Für das Deutsche bietet sich ein praktikables Verfahren an, das allerdings auch mit Problemen behaftet ist. Glinz geht dabei davon aus, dass wir wissen, was ein finîtes Verb - er nennt es „Leitglied" - ist (Glinz 1962, S.85) und setzt damit bei dem traditionellen Stand an, dass wir das Verb, das in einem 'vollständigen' Satz die temporale und modale Einordnung und einen Bezug auf
Der Satzgliedbegriff
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das Subjekt erkennen lässt ('Kongruenz'), erkennen. Dann dürfen wir die Beobachtung nutzen, dass im Deutschen das finite Verb insofern der Dreh- und Angelpunkt des Satzes ist, indem sich alles, was sonst noch im Satz vorliegt, um das Verb 'drehen' lässt: Alles was bei diesen Drehoperationen vor das Verb zu stehen kommen kann, ist nach dieser Auffassung ein Satzglied: (1) Leichtsinnigerweise berücksichtigte der Trainer gestern bei der Aufstellung der Mannschaft nicht den erfahrenen Nationalspieler. Welche Drehbewegungen, welche Verschiebungen oder Permutationen gibt es? Die Aussage des Satzes soll sich dabei nicht ändern. Mit dieser wichtigen Voraussetzung wird die Sinn-Einheitlichkeit des Satzes genutzt. Damit wird unterstellt, dass die Ausdrucksseite des Satzes in gewissen Grenzen variabel gehalten werden kann, dass die Inhaltsseite ein (komplexes, gegliedertes) Ganzes ist und dass diese Satzbedeutung erst vollständig erfasst ist, wenn der Satz vollständig aufgenommen ist. Die Bedeutungskonstanz, von der wir ausgehen, impliziert nicht, dass die kommunikativen Unterschiede, die wir bei diesen Permutationen oder Verschiebungen registrieren, irrelevant wären. Mit Permutationen kann der Platz vor dem finiten Verb folgendermaßen besetzt werden. (Die vielfaltigen Umstellungsmöglichkeiten nach dem finiten Verb bleiben außer Betracht): (la) Der Trainer berücksichtigte gestern bei der Aufstellung der Mannschaft leichtsinnigerweise nicht den etfahrenen Nationalspieler. (lb) Bei der Aufstellung der Mannschaft berücksichtigte gestern der Trainer leichtsinnigerweise nicht den erfahrenen Nationalspieler. (lc) Den erfahrenen Nationalspieler berücksichtigte gestern der Trainer bei der Aufstellung der Mannschaft leichtsinnigerweise nicht. (ld) Gestern berücksichtigte der Trainer bei der Aufstellung der Mannschaft leichtsinnigerweise nicht den erfahrenen Nationalspieler. (le) Nicht berücksichtigte der Trainer gestern leichtsinnigerweise bei der Aufstellung der Mannschaft den erfahrenen Nationalspieler. Die Permutationsprobe grenzt Satzglieder schlechthin ab: Das, was vor das Finitum gestellt werden kann, ist danach ein Satzglied. Mit dem Satz (le) ist ein problematischer Typ angeführt. Ein weiterer Fall wäre: ( l f ) 7Leichtsinnigerweise nicht berücksichtigte gestern der Trainer bei der Aufstellung der Mannschaft den erfahrenen Nationalspieler. Wenn derartige problematische Typen zunächst außer Acht gelassen werden, lässt sich die Glinzsche Ansicht jedoch rechtfertigen. Mit einer zweiten Probe, der Kommutations- oder Ersetzungsprobe, kann nun die spezifische Art der Satzglieder bestimmt werden. Auch hier soll die Bedeutung insofern konstant gehalten werden, als bei konstantem Verb mit der Erset-
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Der Satzbegriff und die grammatische Tradition
zung der gleiche kommunikative Effekt erzielt werden soll. Die Benennung der Satzgliedtypen stellt sich dann als eine heraus, die in der sprachwissenschaftlichen Tradition stillschweigend auf prototypische Besetzungen abgestellt ist. Bei kasusbestimmten Formen führen sie zum Subjekt und zu den Objekten. Bei allen anderen Formen hat man seit jeher zu inhaltlichen Bestimmungen gegriffen. Sie fuhren zu den Adverbialia. Prototypisch sind dort häufig einwortige Adverbien. Die Satzglieder des Ausgangssatzes lassen sich wie folgt kommutieren. (Auch hier werden nicht alle denkbaren Möglichkeiten angeführt.) (2) Leichtsinnigerweise
berück- der Trainer gestern bei der nicht den erfahrenen sichtigte AufstelNationallung der spieler Mannschaft
Weil er leichtsinnig war,
der, der die Mannschaft trainiert
Aus Leichtsinn
Ribbeck er
am als er die gestri- Mannschaft gen aufstellte, Tage
den, der als Nationalspieler erfahren ist Matthäus ihn
Mit leichten Bedeutungsänderungen lässt sich die Liste für das erste Element noch erweitern: Gänzlich unerwartet/Auf die Richtigkeit seiner Entscheidung vertrauend/Um nichts zu provozieren Auf diese Weise gelangt man zunächst zu folgenden kasuell bestimmten Satzgliedern: Subjekt {der Trainer/der, der die Mannschaft trainiert/Ribbeck/er) Akkusativobjekt (den erfahrenen Nationalspieler/... /ihn) Auf die gleiche Weise ließe sich ermitteln: Dativobjekt (dem Publikum/... /ihm) Genitivobjekt (des Stadions/... /seiner) Präpositionalobjekt im Akkusativ (an die Spieler/... /an sie) Präpositionalobjekt im Dativ (beim Auswärtsspiel/dabei) Alle anderen Satzglieder sind nicht direkt über Kasusformen bestimmt. Es sind die Adverbialia, die „Umstandsangaben". Sie umfassen u.a.: Temporaladverbialia (gestern/am gestrigen Tage/nachdem er den Plan bedacht hatte...) Lokaladverbialia (dort/im Stadion...) Kausaladverbialia (weil er leichtsinnig war/leichtsinnigerweise ...) Vollständige Typenlisten finden sich in Kap.7. Hier kam es nur darauf an zu zeigen, wie die Typen prinzipiell zu ermitteln sind. Man darf nicht vergessen, dass in der Konstitution dieser Typisierung, auf
Der Satzgliedbegriff
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die in allen modernen grammatischen Konzeptionen zurückgegriffen wird, das Erfahrungswissen jahrhundertelanger Beschäftigung mit der Gliederung des Satzes steckt. Die Kommutationsformen lassen nun ein Zweites erkennen. Sie sind morphologisch völlig unterschiedlich. Die gleiche Funktion kann also von den jeweils prototypischen Formtypen oder aber von anderen erreicht werden. Für die formalen Kommutationsformen finden sich unterschiedliche Bezeichnungen: „Form der Satzglieder" (Lühr 1986, S.33f.), „Satzglieder unter formalgrammatischem Aspekt" (Duden 1998, S.629), „Grammatische Formen" (Hentschel/ Weydt 1994). Hier soll, weil alle modernen Grammatik-Konzeptionen so vorgehen, der aus der angelsächsischen sprachwissenschaftlichen Tradition stammende Phrasenbegriff gewählt werden, dessen jeweilige genauere Bestimmung noch vorzunehmen ist, insbesondere für die einwortigen Typen (Adverbien) und für das andere Extrem, die Nebensätze. Wir finden folgende Phrasen:
2.4.1. Phrasentypen Nominalphrasen (der Trainer, den erfahrenen Nationalspieler, dem Publikum, Ribbeck) Pronominalphrasen (er, ihn) Präpositionalphrasen (an die Spieler, am gestrigen Tage) Adverbphrasen/Adverbien (gerade gestern, dort unten, leichtsinnigerweise) Satzförmige Typen (weil er leichtsinnig war, nachdem er den Plan bedacht hatte, der als Nationalspieler erfahren ist) Infinitivkonstruktionen (um nicht zu provozieren, zu veranlassen) Partizipialkonstruktionen (gänzlich unerwartet, auf die Richtigkeit seiner Entscheidung vertrauend)
2.4.2. Attribute Die Formtypen können nun auch, mit gewissen Einschränkungen, auf einer Stufe der internen Struktur des Satzes verwendet werden, die unter den Satzgliedern liegt, genauer, die nominale Teile genauer bestimmen. Dies sind die Attribute. So lassen sich dem Substantiv Mannschaft attributiv Adjektive, genitivische Nominalphrasen, Präpositionalphrasen, Adverbien, Attributsätze und Infiniti vkonstruktionen hinzufügen: (3) die erfolgreiche Mannschaft der Bundesrepublik die Mannschaft mit dem Erfolgsrezept die Mannschaft gestern
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Der Satzbegriff und die grammatische Tradition
die Mannschaft, die gut trainiert hatte eine Mannschaft, um zu gewinnen eine auf Sieg vertrauende Mannschaft Wie die Artikel und Partizipialkonstruktionen hier zu beurteilen sind, bleibt noch zu klären (vgl. 8.3. und 8.4.4.). Es tritt auch zu Tage, dass zumindest für die Attribute Adjektivphrasen angesetzt werden müssen. Es lässt sich z.B. bilden
(4) die in letzter Zeit nicht sehr erfolgreiche Mannschaft Mit den beiden Gliederungsebenen, der funktionalen und der formalen, sind Zugriffsmöglichkeiten auf die Struktur des Satzes gegeben, die zumindest für die Beschreibung gute Ansätze bieten. Bevor nach syntaktischen Erklärungsprinzipien gesucht wird, müssen noch die im Vorangehenden stillschweigend als bekannt vorausgesetzten Struktureigentümlichkeiten des Deutschen so weit bewusst gemacht werden, dass Erklärungsmodelle sinnvoll genutzt werden können.
2.5. Weitere Strukturmerkmale Aspekte der Syntax
des Deutschen
und
universale
Die bisher behandelten strukturellen Merkmale des Deutschen und der Rückgriff auf die germanistische Tradition könnte den Eindruck erwecken, dass universale Aspekte der Syntax des Deutschen erst in zweiter Linie zu betrachten wären. Dies wäre ein falscher Eindruck. Vielmehr sind alte Forschungstraditionen und neuerdings die modernen syntaktischen Konzeptionen ganz bewusst darauf aus, den universalen Aspekt von Syntax zu betonen. Einzelsprachliches und Universales müssen in ihrem jeweiligen Geltungsgrad beachtet werden. In der Konfrontation zweier Sprachen machen sich ganz praktische Erkenntnisinteressen bemerkbar, etwa die der Übersetzung. Gerade da sind es die einzelsprachlichen Interferenzen, die zu Fehlern führen. Dafür zwei Beispiele: Deutschlerner aus dem angelsächsischen Bereich machen häufig Fehler vom Typ: (1)* Gestern ich habe gemacht einen schönen Ausflug. Deutsche Englischlerner konstruieren gern fälschlich: (2)* I left quickly the house. Die Sätze müssen lauten: (3) I quickly left the house. oder, bei Betonung, (4) I left the house quickly.
Weitere Strukturmerkmale des Deutschen und universale Aspekte der Syntax
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Das sieht nun so aus, als ob wir die interferierenden Syntaxen nach fehlerträchtigen Partien absuchen müssten, um die Störquellen auszuschalten. Jeder, der Sprachunterricht betreibt, weiß, dass es im Vergleich zu lexikalischen Fehlern ungleich schwieriger ist, die syntaktischen den Lemern auszutreiben! Der Grund muss in einer übermächtigen Disposition zu diesen Fehlem gesehen werden. Die syntaktischen Strukturen der eigenen Sprache drücken durch auf die andere, und die Sprachspezifika müssen sich in Bezug auf solche universalen Grundstrukturen erklären lassen. Die GTG ist es gewesen, die diesen Fragenkomplex vehement eingebracht hat, insbesondere, wie es kommt, dass und wie Kinder syntaktische Strukturen lernen, worauf in Kap. 3.1. noch weiter eingegangen wird.
2.5.1. Flektierte und unflektierte Wörter im Deutschen Im vorangegangenen Abschnitt sind die einzelnen Wortarten für sich betrachtet worden. Es ist aber auch ihr Zusammenspiel zu beachten. Im Deutschen gibt es zwei Kategorien von Wortarten: flektierte und unflektierte. Diese beiden Kategorien entsprechen weitgehend der bedeutungsmäßigen Scheidung in Autosemantika und Synsemantika. Syntaktisch heißt das genauer: Die unflektierten Wortarten (Konjunktionen, Präpositionen, Adverbien) sind auf das Zusammenwirken mit anderen syntaktischen Mitteln zwingend angewiesen. Dies ist besonders die Wortstellung. Konjunktionen stehen im Deutschen voran. Präpositionen im Allgemeinen auch; es gibt aber auch Postpositionen (der Kinder wegen) und 'Zirkumpositionen' (um der Kinder willen). Hier sieht man, wie ein traditioneller Name (Prä-Position) den Blick auf Strukturmerkmale der Sprache verstellen kann. Adverbien sind relativ frei in ihrer Anordnung. Adverbien und Konjunktionen haben oft Berührungen. Schon die Konjunktion aber muss nicht an der Satzspitze stehen, wie und und denn. Noch variabler ist doch.
(5) Das ist aber eine merkwürdige Angelegenheit. (6) Doch das ist... /doch ist das/das ist doch Man sieht: Die unflektierten Wörter müssen in größerem Zusammenhang betrachtet werden. Die 'Subjunktionen', die Nebensatz einleitenden Konjunktionen, sind in ihrer Stellung absolut fest: Ein Zeichen, dass das von ihnen eingeleitete Satzglied in der Wortstellung starrer ist. Variabler, semantisch und syntaktisch quasi autonom sind die flektierten Wörter im Deutschen. Die Substantive und Verben tragen ihre syntaktischen Bezüge in ihrem grammatischen Morphem zum großen Teil bis heute mit sich.
2.5.2. Wortstellung Oben ist bereits einiges dazu gesagt: Die relative Autonomie der Wörter im Deutschen erlaubt eine relativ freie Wortstellung. Aber Freiheit heißt hier nicht, dass wir mit den für stilistische Variation freien Wortstellungsregularitäten wie
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Der Satzbegriff und die grammatische Tradition
im Lateinischen zu rechnen hätten. Dies sei an einem willkürlich herausgegriffenen Beispiel gezeigt: In Quintilians 'Institutio oratoria χ' findet sich folgender Satz: (7) Maximus vero studiorum fructus est et velut proventus quidam plenus longi laboris ex tempore dicendi facultas, quam qui non erit consecutus, mea quidem sententia civilibus ojficiis renuntiabit et solam scribendi facultatem potius ad alia opera convertet. Dieser Satz würde deutsch lauten: (8a)
Der größte Ertrag der Studien aber und gleichsam gewissermaßen die volle Ernte langer Mühe ist die Fähigkeit, aus dem Stegreif zu reden, wer diese nicht erlangt hat, wird wenigstens nach meiner Meinung, von öffentlichen Aufgaben Abstand nehmen und besser seine alleinige Fähigkeit zu schreiben an andere Aufgaben wenden.
Wenn die deutschen Wörter an der Position der lateinischen stünden, ergäbe sich: (8b)
Der größte aber der Studien Ertrag ist und gleichsam die Ernte gewissermaßen volle langer Mühen aus dem Stegreif zu reden die Fähigkeit dieser wer nicht wird haben erlangt meiner wenigstens Meinung nach von öffentlichen Aufgaben wird Abstand nehmen und die alleinige zu schreiben Fähigkeit besser an andere Aufgaben wenden.
Dieser Vergleich zeigt, wie eine Sprache mit noch vollerer Flexionsmorphologie als das Deutsche so variabel sein kann, dass sie die Wortstellung maximal zu stilistisch motivierten Anordnungen nutzen kann. Wir müssen daher in der Syntax eine Regelkomponente vorsehen, die die Wörter an- und gegebenenfalls umordnet. Unter den Merkmalen des Deutschen ist nun vorweg eine Wortstellungseigentümlichkeit zu behandeln, die die Satzstrukturen anders als in anderen Sprachen prägt. Im Deutschen werden satzförmige Satzglieder, 'Nebensätze', d.h. Gliedsätze und Teilgliedsätze, durch die Endstellung des finiten Verbs gekennzeichnet. Der Hauptsatz dagegen weist 'Verbzweitstellung' auf. Davon abgehoben sind Entscheidungsfragen und (als markierter Fall) Aufforderungssätze (und Ausrufesätze). Diese Positionsunterschiedlichkeiten sind fest; sie können nicht umgangen werden. (9) ... dass der Nikolaus den Kindern Nüsse geschenkt hat ( 10) Der Nikolaus schenkt den Kindern Nüsse. Aussagesatz (11) Schenkt der Nikolaus den Kindern Nüsse? Entscheidungsfrage (12) Schenk den Kindern Nüsse, Nikolaus! Aufforderungssatz Der wichtigste Einschnitt ist zwischen (9) und (10). Wir werden später noch genauer sehen, dass die Wortstellung im Nebensatz insgesamt viel starrer ist als im Hauptsatz. Diese Tatsache müssen wir unter syntaktischem Aspekt in zweifacher Weise genauer betrachten. 1. Die Nebensatz-Wortstellung ordnet die Satzglieder in einer Weise an, die sie nach Bindefestigkeit mit dem Verb ablaufen lässt. Diese Tatsache ist das wichtigste Argument, das Deutsche dem Serialisierungstyp SOV (Subjekt Objekt - Verb) zuzuweisen.
Weitere Strukturmerkmale des Deutschen und universale Aspekte der Syntax
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2. Nun sind Nebensätze aber kommunikativ unselbständige Glieder. Deswegen ist es noch nicht ausgemacht, ob die Nebensatz- oder die - unmarkierte Hauptsatz-Wortstellung als Grundstruktur anzusehen ist. Dazu sind weitere, echte syntaktische Argumente notwendig. Mit der unterschiedlichen Serialisierung von Haupt- und Nebensätzen jedenfalls liegt eine außerordentlich wichtige strukturelle Eigenschaft des Deutschen vor.
2.5.3. Intonation Vergleichen wir Aussagesatz und Entscheidungsfrage, dann bemerken wir einen entscheidenden intonatorischen Unterschied. Am Ende des Aussagesatzes wird die Stimme gesenkt, am Ende der Entscheidungsfrage gehoben. Diesem Intonationstyp ist auch die Ergänzungsfrage zuzurechnen, die wFrage: (13) Wer schenkt den Kindern Nüsse ? Diese sogenannte ' Satzintonation' ist ein Hauptmittel, die Satztypen zu differenzieren (dazu genauer Kap.4). Es ist ziemlich universal. Davon ist abzuheben der Satzakzent. Wir können registrieren, dass in jedem Satz ein Wort besonders hervorgehoben wird, und gleichzeitig bemerken wir eine sehr reiche Tonstärke-Abstufung im Satz. (14) Der Nikolaus (7\) schenkt den Kindern (7\) Nüsse. Im Einzelnen ist die Satzintonation und die Frage, was der Satzakzent ist, sehr umstritten. Es lässt sich aber sagen, dass der Satz- oder Gipfelakzent eine Kombination aus (höherer) Druckstärke und schnell und steil abfallender Tonhöhe ist. Er hat eine wichtige Funktion: Er signalisiert das Rhema des Satzes. Was ist darunter zu verstehen? Jeder Satz besteht aus sogenannten thematischen und rhematischen Elementen. Thematische Elemente (Th) sind solche, die entweder schon bekannt sind aus der Situation und/oder dem Kontext (das ist der kontextuelle Aspekt der Thema-Rhema-Gliederung, TRG) oder aber an die das Rhema (Rh), das Mitteilungszentrum des Satzes, festgemacht wird. Th und Rh sind die kommunikativen Äquivalente der 'logischen Kategorien' Subjekt und Prädikat. Die Satzglieder sind darauf abgestimmt. Es gibt aber keine 1:1 -Entsprechung, sondern nur Wahrscheinlichkeitshierarchien. So ist das Subjekt in der Regel Thema, wie in unserem letzten Satz, aber es kann durchaus auch Rhema sein: (15) Die Tür,h öffnete sich. Und herein kam der Nikolausrh. Hier bekommt das Subjekt den Satz- oder Gipfelakzent. Denn es ist der Aussageschwerpunkt des Satzes.
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Der Satzbegriff und die grammatische Tradition
Um zu bestimmen, welches die syntaktischen Leistungen der Intonation sind, ist es angebracht, zunächst einmal sämtliche intonatorischen Funktionen zu mustern. Hier kann man sich auf die konzise Darstellung von Eberhard Stock (1996, S.211-240) stützen. Stock geht zu Recht davon aus, dass die Intonation ein „begrenzt autonomes multifunktionales System" ist, „das in Kookkurrenz mit anderen Kommunikationsmitteln fungiert" (S.230). Bei ihm werden acht Funktionen aufgezählt, die als Ausgangspunkte für weitere Überlegungen dienen können: 1.) Die intonatorischen Mittel der Wortakzentuierung Hier ist die phonetische Realisierung der Silbenstrukturen gemeint, nämlich, dass in jedem Wort eine Silbe hervorgehoben wird, „durch Steigerung der Artikulationsspannung und als Folge dessen durch Erhöhung der Tonhöhe, der Lautheit und der Artikulationsdauer." (S.231). Dadurch werden die nichtakzentuierten Silben geschwächt. Dies ist syntaktisch insofern relevant, als diese Funktion der Worterkennung dient. Das Deutsche hebt die Wörter als solche durch die eben genannten Prozesse hervor. Es ist ein indirektes syntaktisches Mittel. 2.) Direkt syntaktisch relevant ist dagegen das jedem Satz beigelegte „Informationsprofil" durch die Intonation. Die Wörter werden dabei überlagert durch ein Abstufungssystem, das s a t z w e i s e zu errechnen ist: In jedem Satz gibt es einen Hauptakzent. Er befindet sich im Informationszentrum. Dazu gibt es Nebenakzentuierungen und vor allem Nichtakzentuierungen. Diese Grundverteilung des Satzes wird von der Thema-Rhema-Gliederung beschrieben: Das Thema ist - wenn wir die eben textuell getroffene Festlegung syntaktisch anwenden der Ausgangspunkt des Satzes. In ihm befinden sich prototypisch die bekannten, nicht-neuen und kommunikativ nicht (mehr) strittigen Glieder. Das Neue, der Aussageschwerpunkt, bildet das Rhema: (16)
Der Krampus bringt den Kindern Nüsse. Th
Rh
Wenn nun die offensichtlich falsche Aussage dieses Satzes korrigiert werden soll, resultiert folgender Satz: (17)
Der Nikolaus bringt den Kindern Nüsse.
Hier ist alles außer dem korrigierenden Element unbetont. Ganz am Schluss auch des Kontrastsatzes fällt die Intonationskontur noch etwas weiter ab, wie auch im nichtkontrastiven Aussagesatz. Im Normalfall gibt es ein Auf und Ab von informativ bewerteten und nichtbewerteten Wörtern, genauer: den durch das Akzentabstufungssystem unterschiedlich bewerteten Wörtern. Das Deutsche macht von diesen intonatorischen Mitteln, im Vergleich mit anderen Sprachen, besonders intensiv Gebrauch, kennt aber auch lexikalische Mittel, um Beschwerungen und Hervorhebungen zu erzielen: (18) Nein, es ist der Nikolaus, der den Kindern Nüsse bringt. Hervorhebung mittels Kontrastakzent: (19) Den braven Kindern bringt der Nikolaus Nüsse. Hervorhebung durch lexikalische Fokussierungsmittel: (20) Der Nikolaus bringt nur den braven Kindern Nüsse. Hervorhebung durch Passivierung: (21) Den braven Kindern werden vom Nikolaus Nüsse gebracht. (22) Die braven Kindern bekommen vom Nikolaus Nüsse gebracht.
Weitere Strukturmerkmale des Deutschen und universale Aspekte der Syntax
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Hervorhebung durch besondere Wortstellung: (23) Es sind die braven Kinder, denen der Nikolaus Nüsse bringt. (24) Es sind die braven Kinder, denen vom Nikolaus Nüsse gebracht werden. (25) Es sind die braven Kinder, die vom Nikolaus Nüsse gebracht bekommen. Die letzten Sätze klingen im Deutschen etwas geschraubt. Das Deutsche nutzt die Mittel, die ziemlich universal sind, in anderer Verteilung als etwa das Französische, in dem Herausstellung und „Linksversetzungen" organischer wiiken: (26) Aujourd'hui, c 'est le jour des Rois. (26a) Heute ist Dreikönigstag. (27) C'est une langue bien difficile, le français. (27a) Französisch ist (gewiss) eine schwierige Sprache. In jedem Fall lässt sich sagen, dass die Mittel der Diathesen, der Lexik und der Wortstellung es erlauben, die intonatorische Kennzeichnung der Informationsabstufung im Satz in Richtung auf einen gleichmäßigen Fluss zu ermöglichen. Umgekehrt ist die Intonation ein Mechanismus, der die anderen Mittel überlagern kann. 3.) Die Intonation dient der Gliederung von Sätzen und Texten in kleinere Einheiten. Auch hier lassen sich die Regelfälle und besondere Kennzeichnungen und Kontrastierungen gegeneinander abheben. Das „materielle" Element sind vor allem die Pause und, besonders bei größeren Komplexen, ein intonatorisch tiefer gewählter Neueinsatz. Dieser betrifft die Textebene, bei der sich so Abschnitte und größere Komplexe herausheben lassen. Im Satz können Pausen vor allem bei Einschüben und Hervorhebungen verwendet werden: (28) Der Nikolaus - dieser den Kindern Furcht einflößende Mann - bringt ihnen die Nüsse. (29) Der Nikolaus bringt den Kindern - Nüsse! Hier konkurriert oder interagiert die Pause mit lexikalischen Mitteln, etwa Fragepartikeln: (30) Der Nikolaus bringt den Kindern - na was wohl? - Nüsse! Dabei wird der interaktive Charakter der Intonation besonders auffallig. 4.) Die Intonation gibt das sehr wichtige Signal, ob eine Passage abgeschlossen ist oder nicht. Sie betrifft Wortgruppen und Sätze. Dadurch organisiert sie im Satz die interne Struktur. Über den Satz hinaus kann sie größere Komplexe aneinander binden. Die Mittel sind die gleichen: fallende oder steigende Tonhöhenbewegung am Ende der in Frage stehenden Einheit. (31) (32)
Er bringt sie wirklich, Bringt er sie wirklich?
il („fallender Offset") 71 („steigender Offset")
Was die Texteinbindung betrifft, so bindet der steigende Offset am Ende von Aussagesätzen diese zu größeren Komplexen zusammen, hat also den gleichsam umgekehrten Effekt wie die Verwendimg von Pausen: (33) Er bringt sie wirklich. (71 ) Aber ergibt sie nur den braven Kindern. Dieser Leistungsbereich der Intonation interagiert mit vorausweisenden Adverbien oder Partikeln und den darauf bezüglichen Konjunktionen: (34) Er hat die Warnung zwar gehört. Aber (35) Das ist im Prinzip s c h ο η richtig. Nur
er hat/D och hat er sie nicht beachtet. ist mir das einerlei.
Auch dieses intonatorische Mittel ist fakultativ. Für die Syntax sind diese Offset-Konturen insofern besonders wichtig, als damit deutlich Einheiten aufgebaut werden, die den Einzelsatz überschreiten. Auch innerhalb des Satzes kann die Intonationskontur am Ende von Wortgruppen steigen, und dies ist ebenfalls fakultativ:
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(36) Am Frühlingsanfang ( 71 ), wenn die Tage und Nächte gleich lang sind ( 71 ), gibt es meist (71), aber nicht immer ( 7\ ), einen Wetterumschwung ( il ). Obligatorisch ist diese Konturierung bei Prädikatsnektionen mit und·. (37) Das Osterwetter ist unsicher (71) und hat schon manchen in seinen Plänen gestört. Nektionen mit aber sind dagegen auch mit fallender Intonation möglich: (38) Das Osterwetter ist unsicher ( il ), hat aber noch niemanden in seinen Planungen gestört. 5.) Die Intonation dient dem Ausdruck von Emotionen. Dieses für die Syntax in indirekter Weise relevante Nutzungspotential äußert sich in der Veränderung der Sprechspannung, der Vergrößerung der Tonhöhenbewegung, der Lautstärkeerhöhung oder -abschwächung, der Variation der Geschwindigkeit und interagiert mit weiteren Mitteln. Stock führt hier Stimmklang, Atemführung, Mimik und Gestik an (Stock 1996, S.233). Emotionale Bedeutungskomponenten lassen sich mit Fries (1996) als Bestandteile von Äußerungsbedeutungen erfassen. Die intonatorisch markierten interagieren mit grammatischen in ganz verschiedenen Ebenen. Sie machen eine Abgrenzung zur Illokutionsebene nötig (vgl. Kap.4.2.). 6.) Syntaktisch nicht relevant sind ideolektale, soziolektale und regionale Variationen in der Intonation. Sie geben Aufschluss über den Sprecher. Weitere hierher zu setzende Möglichkeiten sind im weitesten Sinne funktionalstilistische. Von Stock wird hierher gerechnet: „der feierlich-getragene Ton des Predigers, das überhöhte Pathos mancher Deklamatoren und Politiker oder die veräußerlichte freundlich-heitere Sprechweise in Dienstleistungsberufen. Der Intonation ist folglich auch eine rollensignalisierend-rituelle Funktion zuzuschreiben." (1996, S.233). Obwohl die direkten syntaktischen Bezüge hier ausfallen, ist doch anzunehmen, dass zum Beispiel die mit viel größeren Tonhöhenschwankungen vor sich gehende Sprechweise etwa der Rheinländer für andere Regionen die Erkennung der Informationskontur erschweren kann. 7.) Die steigende Tonhöhenbewegung kann auch als bloßes Signal der Kontaktbereitschaft eingesetzt werden. Dies lässt sich auch durch leichte Erhöhung der Tonfrequenz erreichen. Auch dies ist nicht direkt syntaktisch relevant, lässt aber wieder die Multifunktionalität der Mittel erkennen. 8.) Die zuletzt angeführten Funktionen heben die interaktiven Funktionen der Intonation hervor. Noch deutlicher werden diese in den Signalen, die für die Fortsetzung oder Beendigung der Sprecherrolle oder für deren Beanspruchung eingesetzt werden. Auch hier ist eine Verknüpfung mit lexikalischen Mitteln (ich fuge noch hinzu; ich komme zum Schluss; zuletzt Bitte; ja, hören Sie) festzustellen: Sprechgeschwindigkeit (Erhöhung, Verlangsamung bzw. Senkung), Frequenz und andere Signale lassen die herausgehobene Bedeutung der Intonation auch in diesem Bereich erkennen. Man könnte nun geneigt sein, gerade deswegen anzunehmen, dass die zu Anfang dieser Liste aufgeführten Funktionen der Intonation abgeleitete, nicht primäre seien und dass die Intonation in der Syntax nur unterstützende Aufgaben hätte. Eine Entscheidung ist nicht einfach zu treffen. Sie kann aber doch durchaus im positiven Sinne ausfallen. Einmal hat sich gezeigt, dass alle eingesetzten Mittel überhaupt interagieren, es ist eine Frage der Schwerpunktsetzung in der Darstellung, welche Mittel als primäre, welche als unterstützende angesehen werden. Andererseits ist die Intonation hochgradig polyfunktional. Sie ist nicht ausschließlich entweder dialogisch oder interaktiv oder syntaktisch oder liegt auf der Beziehungsebene. Die Musterung der Funktionsbereiche ergibt nun, dass
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- von wenigen Fällen, etwa bei Sprecher- und Hörerinterferenzen verschiedener Regio- oder Funktiolekte abgesehen - die Bedeutung der Mittel klar erkannt wird. Die vielfach noch anzutreffende Bewertung der Intonation als unterstützendes, zusätzliches Mittel resultiert aus der Priorität der geschriebenen Sprache in der linguistischen Tradition. Dies ist zumindest ein merkwürdiges Phänomen, ist doch kein semiotisches System so an das akustische Medium geknüpft wie die Sprache. Die Relevanz der Akustik ist nun aber nicht auf Phonologie, Silben- und Morphemstruktur zu beschränken, sondern betrifft die oben genannten Bereiche ebenso. Die intonatorischen Mittel, die sich im syntaktischen Bereich nach unten und nach oben ermitteln lassen, sind nicht wenige. Dass sie aus der verschrifteten Sprache in den meisten Fällen nur zu rekonstruieren sind, spricht nicht dagegen, sie auch als syntaktische zu werten. Im andern Fall müsste der Schluss gezogen werden, dass alles, was sprachlich relevant ist, auch tatsächlich verschriftet wird. Auch viele Partikeln und paramorphematische Mittel wie hm, äh gelangen meist nicht aufs Papier. Dennoch ist die Intonation insgesamt ein eigenes sprachliches Modul. Denn alle im Vorstehenden knapp charakterisierten Funktionen lassen sich als sprechsprachliche Steuerungsmechanismen der grammatisch zu Diskursteilen verbundenen Wörter, Phrasen und Sätze auffassen. Die Skala der Funktionen ist, wie zu sehen war, sehr weit. Nicht alles ist obligatorisch, sondern fakultativ oder zusätzlich. Aber dieser Eindruck des „Hinzugefügten" ist in zweifacher Hinsicht zu korrigieren: Es gibt keine sprachlichen Einheiten ohne Intonation. Die aus dem „Lexikon" hervorgeholten „Einträge" - dies gilt sowohl konzeptionell als auch ganz real - werden bei ihrer Verwendung obligatorisch intonatorisch geprägt. Die Intonation gehört also zur Verwendung von Sprache untrennbar dazu. Jede Hör- oder auch nur Lesbarmachung von verschrifteter Sprache stellt sie wieder her - wobei selbstverständlich auch Irrtümer und Fehlinterpretationen geschehen können. In voraussehbaren Zweifelsfallen behilft sich der Schreiber deswegen auch bisweilen mit einer Kenntlichmachung, etwa durch Akzente oder Fettdruck. Das zweite, was es zu bedenken gilt, ist, dass intonatorische Konturen sich, je nach Blickrichtung, in auf- oder absteigender Linie überlagern: So wird die Wort- in die Phrasenintonation, diese in die Satz- und diese wiederum schließlich in die Diskurs- oder Textintonation eingebunden. Unter syntaktischem Aspekt ist besonders das letztere relevant. So lässt sich die folgende Satzsequenz nach dem ersten Satz mit je unterschiedlichen Offsets realisieren: (39) Die Obsternte fällt in diesem Jahr überdurchschnittlich gut aus. ( ^ ). Apfel gibt es so viel wie seit langem nicht mehr ( ÌJ oder 7\ ). Der Beerenertrag ist vorzüglich gewesen ( oder 71 ). Nüsse, insbesondere Walnüsse sind ebenfalls in Mengen geerntet worden ( M oder 71 ). Mit einem Wort:
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ein hervorragendes Jahr für den Kleingarten wie für den professionellen Obstbauern )• Mit dem letzten Satz ist wieder eine obligatorische fallende Markierung zu verzeichnen. Doch auch diese ließe sich wieder ändern, falls der Text etwa so fortgesetzt würde:
(40) ... Obstbauern ( 71 ). Und dies im nationalen wie im internationalen Rahmen. Steigender Offset ist mithin ein Diskurssignal, dass der Text noch nicht beendet ist. Einzelsätze, definitive Schlusssätze erfordern den fallenden Offset ( iJ). Es sei denn, die so gekennzeichnete Einheit ist nicht als Aussagestruktur, sondern zum Beispiel als Frage gekennzeichnet.
(41) Wenden wir uns der Pilzernte zu. Π
oder 71).
Dieser Satz ist je nach Offset ein Aufforderungs- oder ein Fragesatz. Und dies ist das einzige manifeste Kriterium. In Kap.4 wird dies ausführlich dargestellt. Daher sollen als direkt syntaktisch zu interpretierende Komponenten der Intonationskontur des Satzes nur die Mittel gewertet werden, die wenigstens potentiell auch verschriftet werden können und fakultativ auch verschriftet werden. Dies sind einmal die in den Satzschluss- und anderen Zeichen niedergelegten syntaktischen Signale für größere Einheiten. Zum andern sind es die durch Unterstreichung, Fettdruck oder Kursivsatz positiv markierten Hervorhebungen. Beides sind auch in der Schriftsprache Zeichen, im einen Fall autonome Zeichen, im andern 'Zeichen an Zeichen', Signale für die Interpretation von Wortzeichen. Beide Bereiche geben Anlass, den jeweils eingesetzten Teil der Intonation für die syntaktische Beschreibung zu generalisieren. Das heißt einmal, die Signale als materielle Elemente und ihre Bedeutung für die Kennzeichnung der Satzarten vorzusehen und zum andern die intonatorische B e w e r t u n g von Wörtern und Morphemen als Erklärung für die gewählten syntaktischen Formen heranzuziehen. Das erste hat darstellungstechnisch Konsequenzen; es stellt dem dependenzgrammatischen Zugriff das Satzsymbol bereit. Es wird in Kap.3.3. bei der Behandlung der dependenzgrammatischen Grundlagen und in Kap.4 bei der Darstellung der Satzarten weiter begründet. Das zweite gilt für alle syntaktischen Konzeptionen und wird vielfach auch bereits so praktiziert. Im Kapitel über die Anordnungsregularitäten (Kap.9) wird das Zusammenspiel von Intonation und Wortstellung in Bezug auf die kontextuelle Einbindung behandelt. Im nächsten Gliederungspunkt müssen wir darauf zurückkommen, was hiervon in die Syntax gehört.
Ausdrucks- und Inhaltsseite des Satzes
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2.6. Ausdrucks- und Inhaltsseite des Satzes 'Syn-taxis' heißt die 'Zusammenordnung'. Soll sich eine Syntax verstehen als die technische Regelung der Verbindbarkeiten im Satz? Das ist vielfach so begriffen worden, aber umfasst doch sicher zu wenig. Die meisten Konzeptionen gehen von der ' Satzbedeutung' als einem geschlossenen Sinngebilde aus. Sätze sind komplexe Zeichen, sie haben eine strukturierte Bedeutung. Komplexe Zeichen ergeben sich nicht einfach aus der Summe ihrer Einzelzeichen, sondern bauen durch integrierende Regeln ein komplexes Ganzes auf. Das ist immer noch nicht genug: Die 'integrierte Komplexität' ist nicht Selbstzweck, sondern hat eine ganz konkrete Aufgabe in einer konkreten, aktuellen kommunikativen Situation. Mit der Kategorie der Thema-Rhema-Gliederung (TRG) fassen wir eines der formalen Mittel, wie der kommunikative Stellenwert eines Satzes im Diskurs zu errechnen ist. Das ist das materielle und formale Mittel, zu signalisieren, welche Bedeutungsstruktur der Satz transportiert. Es ist gleichsam der oberste integrierende Zugriff. Schwierigkeiten gibt es nur dadurch, dass sich die Bezüge auf unsere deutsche Standardsprache so schlecht exakt angeben lassen. Um die verbalen Paradigmen aufzugreifen: Formen wie
(1 ) Er sagte, er würde kommen. (2) Er hatte sich erinnert, dass er das schon gemacht gehabt hatte. sind nach den in Kap.2.1. dargestellten Ansichten über den Zusammenhang von Norm und System zulässig. Aber sie werden nicht von jedermann akzeptiert. Selbstverständlich sind sie von unserer Syntax zu erzeugen. Unsere Syntax soll also nicht, um es zu wiederholen, evaluativ, sondern deskriptiv adäquat sein. Damit keine Missverständnisse aufkommen: 'Norm', 'Stil', sprachliches Gelingen sind selbstverständlich wichtige Kategorien, nur eben keine der Syntax. Da die Satz-'Grundbausteine', die Wörter, die aus Lexemen und grammatischen Morphemen bestehen, 'Zeichen' mit Ausdrucks- und Inhaltsseite sind, müssen die syntaktischen Regeln darauf abgestellt sein, wie die Inhaltsseite der Lexeme und Morpheme in den Satz eingebracht wird. So sind von Fillmore (1968, deutsch von Abraham (Hrsg.) 1971) die Kasusbezüge der Nomina zu den Verben, worauf diese, wie oben gezeigt wurde, ja abgestellt sind, als ein eigenes Konzept entwickelt worden, mit dem von vornherein der Bedeutung Rechnung getragen wird. Fillmore nannte die Bezüge, die zwischen Nomen und Verb bestehen, 'Tiefen-Kasus', heute spricht man von Kasusrollen, Thetarollen oder einfach von Rollen: (vgl. v. Polenz 1985). Fillmore unterschied die Tiefenkasus streng von den Oberflächenkasus und sagte, dass die ersteren 'Rollen' zum Ausdruck bringen, die die mit den Nomina bezeichneten Personen, Gegenstände und Sachverhalte im Satz wiedergeben. Ob sie als Agens (AG), Objekt (OBJ),
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Instrumental (INSTR) oder andere Tiefenkasus aufzufassen seien, das regele sich durch das Verb: (3) Albrecht malt das Bild mit dem Pinsel. AG OBJ INSTR Der Agens sei gleichzeitig das natürliche Subjekt - und damit etwa im Deutschen Nominativ; aber man könnte über das Passiv auch eine abweichende sekundäre Subjektwahl vornehmen. Hier sieht man, dass die Auffassung von der 'Rollenzuweisung' in die GTG eingegangen ist, was in Kap.3.1. genauer dargestellt wird. Das ist ein Beispiel für eine Aufnahme von 'Semantik' in eine formale Grammatik, die zunächst nur von der Herstellung richtiger, allerdings 'bedeutungsvoller' Sätze ausgegangen war. Diese Vorstellung, dass es in der Syntax primär auf die richtige Zusammenordnung ankäme, dass man die Bedeutung aber, sozusagen in einem Zug, durch 'Verständnis' oder durch 'Prüfen an der Welt' festzustellen habe, ist ein Erbe aus der Logik. Ihr kommt es darauf an, Aussagesätze richtig zu (re)konstruieren und ihnen dann einen Wahrheitswert, nämlich 'wahr' oder 'falsch' zuzuweisen.
Unser Satz (3) hat, logisch vereinfacht und mit Konstanten anstelle von Variablen ausgedrückt, die Struktur F (a, b, ρ). Das heißt, er enthält ein dreistelliges Prädikat, das mit drei Argumenten belegt ist. Wenn Albrecht wirklich das Bild mit dem Pinsel malt, ist der Satz wahr, sonst falsch. Es ist dann eine Aufgabe semantischer Analyse, die Wahrheitsbedingungen (die vielfach erheblich komplizierter sind) zu formulieren. Eine gänzlich andere Auffassung vom Zusammenhang von Syntax und Semantik lässt sich aus der vor allem am Deutschen entwickelten sogenannten 'Inhaltbezogenen Grammatik' herleiten. Sie ist vor allem mit den Namen Leo Weisgerber (Weisgerber 1962), Hennig Brinkmann (Brinkmann 1971) und zum Teil auch mit Hans Glinz verbunden. In dieser Grammatikrichtung werden die ausdrucksseitigen grammatischen Kategorien einer Sprache direkt mit 'inhaltbezogenen' 'Zugriffen' der Sprache verknüpft. So sei, um ein Beispiel von Weisgerber (1962) anzuführen, die Unterscheidung zwischen haben- und seinFormen in der Perfektbildung im Deutschen nicht zufällig, sondern entspreche einem Betrachtungsunterschied, bei dem die haben-Formen stärker die Verfügbarkeit betonten. Noch deutlicher zeigten sich sprachtypische Zugriffe auf die Welt im Kasussystem einer Sprache. Im Dativ z.B. stehe im Deutschen so gut wie ausschließlich eine Personbezeichnung, dies sei eine in der Grammatik fixierte Abbildungsfunktion, der man Rechnung zu tragen habe. Mit einer solchen Annahme liegt eine direkte Verknüpfung zwischen grammatischer Form und inhaltlicher Aussage vor. Die inhaltbezogene Grammatik interpretiert die syntaktischen Relationen nicht nur in diesem Fall als mit - einzelsprachlich angebbarer - Bedeutung versehen, so dass die Sätze direkt aus dem syntaktischen, und d.h. hier inhaltbezogenen konstant voraussagbaren Gerüst, in das die Wörter sinnvoll einzuhängen sind, bestehen.
Semantische und pragmatische Bedingungen und die Aufgaben syntaktischer Analyse
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2.7. Semantische und pragmatische Bedingungen und die Aufgaben syntaktischer Analyse Welche Aufgaben hat nun die Satzanalyse? Nach dem eben Gesagten könnte es den Anschein haben, als ob wir ein globales Erklärungssystem ansteuerten, das möglichst allen empirischen Faktoren gerecht wird und aus allen vorgeschlagenen Analyseprozeduren nur „das jeweils Beste" enthält. Dieser Eindruck würde trügen. Zunächst ist Syntax als Lehre von der Organisation des Satzes so zu verstehen, dass die Satzlinguistik auf die Kooperation mit einer pragmatischen Diskurs- und Textlinguistik abgestellt ist. Wie die Sätze in der Kommunikation nicht in der Luft hängen, sondern eingebettet sind in situationelle und kontextuelle Zusammenhänge, so ist die Syntax als Lehre vom Satz nicht die linguistische Enddisziplin. Wir müssen daher die Syntax so anlegen, dass sie die Anschlussstellen für die textuellen Vorgaben deutlich markiert. Gewöhnlich wird das - wenn es überhaupt bedacht wird - im semantischen Teil des Satzes notiert, genauer durch die Angabe der sogenannten Präsuppositionen bereitgestellt. Da wir aber, wie wir bei der oben gegebenen knappen Skizze der TRG gesehen haben, im Satz klare ausdrucksseitige Indikatoren dafür finden (Intonation, Satzakzent, Wortstellung, Subjektswahl), müssen wir zumindest eine Notation bereitstellen, die uns die thematische Vorgabe des Satzes eröffnet. Die Wahl des Subjekts kann dabei als der unmarkierte Fall aufgefasst werden. Das soll heißen, dass wir in einem Satz wie: (1) Der Nikolaustag ist schon vorbei. den Satz als nach Th und Rh zweigeteilt aufzufassen haben, (la) Th: Der Nikolaustag - Rh: ist schon vorbei. Mit der Zweiteilung wird nun nicht die traditionelle Teilung des Satzes in Subjekt und Prädikat nachgezeichnet. Ein Satz kann auch mehrere thematische Elemente umfassen: (2) Den Nikolaustag haben wir verpasst. Hier sind das Akkusativobjekt und das Subjekt thematisch. Thema und Rhema haben grundsätzlich unterschiedliche Aufgaben. Sie sind außerdem, wie in Kap.5.2. näher ausgeführt wird, um das „Phema" zu ergänzen. Eine solche Grundbestimmung des Satzes geht auf Zemb (1972) zurück. Wenn man sie mit anderen semantischen Zugängen zum Satz verbindet, lässt sich die Funktion der Teile so angeben: In den thematischen Teilen werden textuell bereits gebundene oder - bei isolierten Sätzen oder am Textbeginn - neue Redegegenstände eingeführt. Sie bilden die Grundlage für die darauf bezogene Prädikation, den Aussageschwerpunkt. Dieser gibt den rhematischen Teil des Satzes ab. Mit den phematischen
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Teilen, insbesondere dem zentralen Modusmorphem, bringt sich der Sprecher des Satzes ein. Hier erfolgt das Signal für die Verbindlichkeit des Gesagten -
in unmittelbarer Garantie für die Wahrheit des Satzes: dafür steht der Indikativ, - mit Verschiebung des Garanten: dafür steht der Konjunktiv I, - mit Entwurf einer Möglichkeit: dafür steht der Konjunktiv II. Diese Bestimmungen gelten für Aussagesätze. Andere Satztypen lassen sich auf deren Hintergrund erfassen (vgl. Kap.4). Schwerpunkt der thematischen Teile ist die Erfüllung referentieller Aufgaben, im rhematischen Teil erfolgt eine geschlossene Prädikation. Satzsemantisch gesehen bilden Referenz und Prädikation die Proposition des Satzes. In der Sprechakttheorie wird der propositionale Teil der Satzbedeutung der illokutiven Komponente gegenübergestellt. Während die Proposition aus den Teilen des Satzes errechenbar ist, ist seine Illokution konventionell daran geknüpft. Ob mit einem Aussagesatz gewarnt, geraten oder gedroht wird, wird im Sprachlernprozess durch einen gänzlich anders gearteten Regeltyp vermittelt. Diese Regeln sind an das sprachliche Handlungswissen geknüpft (vgl. Kap.4). Der oben angeführte Satz (1) ist eine Aussage, für deren Wahrheit der Sprecher die Garantie übernimmt; er versichert durch die Wahl des Indikativs seine Wahrheit. Das - eingliedrige - Th befindet sich im Subjekt. Dieses steht an der Satzspitze. Daraus schließen wir, dass es unbetont ist. Und daraus wiederum schließen wir, dass 'über den Nikolaustag' nun eine Aussage folgt. Dies ist das Rh. Sollte der Satz durch eine Konjunktion im Vor-Vorfeld eingeleitet sein, dann ist das ein textuelles Signal für die spezifische Einbindung dieses Satzes in den Text: (3) Denn/Und/Aber der N... Mit der semantisch basierten, textorientierten und die ThRh-Verteilungen berücksichtigenden analytischen Vorgabe ist gleichzeitig zum Ausdruck gebracht, dass die Bedeutung der Sätze immer zu berücksichtigen ist. Das heißt, nach der Erfassung der textuell eingebundenen Grundunterscheidung (Th, Rh), die uns im Einzelnen hier nicht beschäftigen soll, muss die syntaktische Ordnung so beschrieben werden, dass der jeweilige kommunikative Zweck erkannt werden kann. Das heißt bei Aussagesätzen, ob es sich dabei um Behauptungen, Ratschläge oder andere Illokutionen, wie sie in der Sprechakttheorie beschrieben werden, handelt (vgl. Kap.4.2.). Mit der Erfassung der Bedeutung in dieser Weise soll die sprechakttheoretische Interpretation anschließbar sein. Syntaktisch müssen wir eine Illokution als konventionalisiertes Grundverständnismuster, das einem relativ geschlossenen Paradigma entnommen ist, auffassen. So ist der Aussagesatz (1) eine Behauptung. Sollte eine andere Illokution intendiert sein, etwa wenn jemand sagt, „Du musst aber noch Geschenke zum Nikolaustag besorgen" und man sein Erstaunen ausdrücken möchte, dass der andere offensichtlich den 6. Dezember verschlafen hat, dann könnte man sagen: (4) Der Nikolaustag ist doch schon vorbei!
Semantische und pragmatische Bedingungen und die Aufgaben syntaktischer Analyse
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Dieser Satz enthält eine Menge von illokutiven Indikatoren: die Partikel doch und eine spezifische Intonation.
Wir müssen die Syntax so anlegen, dass wir die konkreten Bedingungen, ob es sich um einen Aussagesatz, einen Ausrufesatz, einen Fragesatz handelt, wie die Proposition beschaffen ist, ob der Satz illokutive Partikeln enthält usw., adäquat generieren und analysieren. Die illokutive Interpretation selber aber ist wie die textuelle Einbindung des Satzes von der Syntax her nur zu markieren, nicht syntaktisch oder satzsemantisch zu leisten. Da aber diese beiden Bereiche zusammenspielen, lassen sie sich auch zusammen erfassen: Der textuell verankerte Satz (St) ist demnach ein Tripel aus textueller Vorgabe (T), errechenbarer (= strukturierter) Satzbedeutung als Funktion aus den Wörtern und ihren syntaktischen Verkettungen (S) und einer kommunikativen Illokution (I) (5) St = Wir befassen uns mit S und haben nun zu begründen, wie wir vorgehen wollen. Die Beschäftigung mit dem Satz ruht ausgesprochen oder unausgesprochen auf einer jahrhunderte-, ja jahrtausende langen Tradition. Diese hat allerdings mehrere Stränge, die Unterschiedliches in den Vordergrund rücken. Satz ist eine im Deutschen seit dem Mittelalter gebräuchliche Bezeichnung für das, was im Französischen proposition, im Englischen sentence genannt wird, eine Bezeichnung, die deutlich gebrauchersprachliche, nicht spezifisch linguistische Vorstellungen zwangsläufig hervorruft. Etymologisch gesehen, ist Satz eine ablautende Bildung zu sitzen. Das Substantiv als Bezeichnung der grundlegenden linguistischen Einheit ist sicher keine direkte Abstraktion von mhd. saj, 'Lage', 'Festsetzung' - von noch konkreteren Bezeichnungen wie sie im Satz als 'Festgewordenes' vorliegen (Kaffeesatz) abgesehen - sondern hat seine nächsten Begriffsanschlüsse bei 'Satz' in 'Satzung, Tonsatz, Satz' als Einheitsbezeichnungen (ein Satz Schlüssel, Fische usw.), vor allem aber in der rechtssprachlichen Bedeutung - Schriftsatz, auch Vorsatz, vorsätzlich. Das Grimmsche Wörterbuch (Bd.8, Sp. 1837-1840) führt die linguistische Bezeichnung als getrennte auf. Deutlich ist in Satz der kompositionale Gedanke, die Geschlossenheit und die Verbindlichkeit der Setzung - ein höchst aufschlussreiches Faktum, dass diese Gebrauchsbezeichnung derart wesentliche und in der philosophischen und linguistischen Tradition getrennte Stränge umfasst. Weiter ist vor allem von Glinz (1962, S.99-113) gezeigt worden, dass das finite Verb als für einen Satz unverzichtbar bewusst gemacht werden kann. Schröder (1973, S.265) führt dafür folgendes schöne Beispiel an (zitiert bei Bahnemann 1999), mit der im Elementarunterricht der Satzbegriff abgerufen wird: (6) Lehrerin: Im Schaufenster eines Spielwarengeschäfts siehst du zwei Rennautos. Jedes Rennauto hat vier Räder. Wieviel Räder haben beide Rennautos zusammen? Schüler: Acht! Lehrerin: 'n Satz! Schüler: Die beiden Rennautos haben zusammen acht Räder. Lehrerin: Gut! Pointiert ist, dass die Lehrerin selber elliptisch formuliert.
Die abendländische philosophische Tradition stützt sich bis weit in die Neuzeit auf Piatons Definition im 'Kratylos' „Aus der Verbindung von 'ónoma und
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rhema entsteht der Satz" (zitiert nach Seidel 1935, S. 121). Die Konzentration auf eine wahrheitswertfunktionale Definition beginnt mit Aristoteles „Der Satz ist eine bejahende oder verneinende Aussage" (Seidel 1935, S. 114). Auch die Auffassung des Satzes als Sinneinheit ist schon antik. Dionysios Thrax' Definition lautet: „Der Satz ist eine Verbindung von Wörtern, welche einen in sich vollständigen Sinn darstellen." (Seidel 1935, S.10, angeführt und problematisiert bei Hoffmann 1992, S.370). Aus der deutschen Tradition seien folgende Aussagen herausgegriffen: Kant: „Der Satz ist ein assertorisches Urteil" (Seidel 1935, S. 118); Johann Christoph Adelung: „Die Rede zerfällt in Sätze, deren jeder aus einem Subj. und dessen Präd. besteht" und „Ein jedes einem Subj. entweder zu- oder abgesprochenes Präd. macht einen Satz aus." (Zitate nach Ries 1931, S.208). Die Thema-Rhema-Tradition geht im wesentlichen auf den Völkerpsychologen Wilhelm Wundt zurück. In seinem Gefolge definierte Hermann Paul, der Satz sei „der sprachliche Ausdruck, das Symbol dafür, dass sich die Verbindung mehrerer Vorstellungen oder Vorstellungsgruppen in der Seele des Sprechenden vollzogen hat, und das Mittel dazu, die nämliche Verbindung der nämlichen Vorstellungen in der Seele des Hörenden zu erzeugen." (Paul 1920, S. 121). Auf die fundamentale Bedeutung der Intonation wird seit der Jahrhundertwende eingegangen, als sich die Satzbetrachtung von der Fixierung auf die Schriftsprache zu lösen beginnt. „Das konstituierende Merkmal des Satzes ist der Ton." schreibt der Schulgrammatiker Walter Hoch 1914 (Zitat nach Ries 1931, S.213). Eugen Lerchs Bestimmung: „Der Satz ist eine sinnvolle sprachliche Äußerung, die durch die Stimmführung als abgeschlossen gekennzeichnet ist." (1938, Zitat nach Bahnemann 1999, S.25) ist Vorbild für Hans Glinz: „Die innige Verbindung, ja Verschmelzung des inneren, geistigen Gesamtbildes, das sich aus allen Einzelinhalten der Wörter oft in vielen Stufen aufbaut, mit der äußeren, musikalischen Gesamtgestalt, in die sich die Klangbilder all dieser Wörter einbetten, das i s t , nach seiner allgemeinsten Bestimmung gefaßt, der Satz" (Glinz 1972, S.27). Für Wunderli (1979, S.326) weist der Satz eine sie konstituierende Tonstruktur auf, das Phrasem. Auch für die Sprechakttheorie lassen sich im Nachhinein Ansatzpunkte finden, denn schon etwa Humboldt spricht von „geschlossenen Gedanken", die durch die Absicht des Sprechenden zustande kommen (Zitat nach Ries 1931, S.214). Was den Komplexitätsgrad der Satzdefinitionen betrifft, so sind zwei Pole zu markieren: Kommunikativ vollständige Einheiten ohne finite Verben auf der einen Seite und mit Signalen der Zusammengehörigkeit versehene Komplexe mit finiten Verben, die nicht in Unter- und Überordnungsrelation stehen. Dass Haupt- und Nebensätze einen Satz bilden, ist unstrittig. Aber ob die Syntax von „Kommunikativen Minimaleinheiten" ausgehen und den Satz als deren unmarkierten Fall auffassen soll, ist noch zu klären. Einfacher sind die komplexen reihenden Formen zu bestimmen:
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(7) Das Gesetz ist angenommen, es hat alle Gremien passiert. (8) Das Gesetz ist angenommen, denn es hat alle Gremien passiert. (9) Das Gesetz ist angenommen, weil es alle Gremien passiert hat. (10) Das Gesetz ist angenommen, nachdem es alle Gremien passiert hat. Während der Satz (10) mit dem eingebetteten Temporalsatz, aber auch der kausale we/7-Satz (9) keine unabhängige Einheit konstituieren, bilden der Satz mit der Konjunktion denn (8) und die konjunktionslose Verknüpfung eines begründenden Satzes (7) neue Einheiten, sie sind syntaktisch unabhängig von ihrem Vorgängersatz. Bei (7) ist jedoch das für die Einheitsstiftung wichtige intonatorische Kriterium zu behandeln: Die Terminalkontur findet sich erst am Schluss auf passiert, nicht auf angenommen. Doch ist dies, wie oben gezeigt wurde, eine Erscheinung, die jeden Satz mit seinem Folgesatz stärker verknüpfen kann: Die Terminalkontur kann durch textuelle Regularitäten aufgehoben werden. (Vgl. grundsätzlich dazu Selting 1992.) Die in der grammatischen Literatur gewählte Terminologie ist sehr uneinheitlich. Für den durch Interpunktion abgegrenzten Satz findet sich, wenn er aus verbenthaltenden Teilen besteht, auch die Bezeichnung Ganzsatz. Unter Satzreihe oder Satzverbindung wird ein Komplex verstanden, der aus mehreren isolierbaren vollständigen Sätzen besteht, wie Beispiel (7) und (8). Nebensätze, Gliedsätze oder Konstituentensätze sind Sammelbezeichnungen für nicht selbständig verwendbare Satzformen. Es ist sinnvoll, hier zu unterscheiden zwischen Glied- und Gliedteilsätzen. Letztere sind Attributsätze. Die Verbindung von selbständigen und nichtselbständigen Satzformen bezeichnet man als Satzgefüge oder Periode. Uneinheitlich ist die Terminologie in Bezug auf deren Teile. Als Hauptsatz oder Obersatz oder aber genauer als Hauptsatzrest oder Matrixsatz wird der Teil bezeichnet, der ohne den anderen stehen kann, wie der erste Teil in dem Beispiel (9) und (10). Die Bezeichnung der einzelnen Typen der Nebensätze ist theorieabhängig. In (9) und (10) liegen Adverbialsätze oder Angabesätze vor. Ihre funktionale Differenzierung in Temporal·, Kausal-, Modalsätze erfolgt in Kapitel 7. Nebensätze in der Funktion eines kasusbestimmten Satzgliedes bezeichnet man als Subjekt- oder Objektsätze; wenn diese, als dass-S&Xze, den wesentlichen Inhalt des Satzes ausmachen, als Inhaltssätze. Der andere Pol, nichtfinite Strukturen als kleinste Einheiten, wird besonders durch die 'Grammatik der deutschen Sprache' favorisiert. Zifonun/Hoffmann/ Strecker geben folgende Definition: Kommunikative Minimaleinheiten sind die kleinsten sprachlichen Einheiten, mit denen sprachliche Handlungen vollzogen werden können. Sie verfügen über ein illokutives Potential und einen propositionalen Gehalt. In gesprochener Sprache weisen kommunikative Minimaleinheiten eine terminale Intonationskontur auf - es sei denn, sie werden mit weiteren kommunikativen Minimaleinheiten koordinativ verknüpft.
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Der Satzbegriff und die grammatische Tradition
Sätze sind übergreifende Konstruktionsformen, die mindestens aus einem finiten Verb und dessen - unter strukturellen und kontextuellen Gesichtspunkten - notwendigen Komplementen bestehen. In Vollsätzen konvergieren die Bestimmungsstücke für kommunikative Minimaleinheiten und Sätze. (Zifonun/Hoffmann/Strecker 1997, S.91f.) Ausdrücke wie Einverstanden. Feuer! Wirklich?, die Aussage-, Aufforderungs- und Fragesätzen äquivalent sind, belegen, dass das Vollständigkeitskriterium bis auf das finite Verb erfüllt ist: Die Kommunikativen Minimaleinheiten (KM) weisen eine Terminalkontur auf, bilden also Intonationseinheiten und haben jeweils eine erkennbare Illokution (hier etwa: 'Zustimmung', 'Warnung', 'Einwand'). Nur geht nicht nur die linguistische Tradition, sondern auch das nichtlinguistische Vorverständnis davon aus, dass Sätzen eine herausgehobene Rolle in der Einheitenbildung zukommt. Die Definition von Bußmann, ein Satz sei eine „nach sprachspezifischen Regeln aus kleineren Einheiten konstruierte Redeeinheit, die hinsichtlich Inhalt, grammatischer Struktur und Intonation relativ vollständig und unabhängig ist" (Bußmann 1990, S.658) und Engel, ein Satz sei „ein sprachliches Konstrukt", „das ein finîtes Verb enthält, kein Element enthält, das ihn anderen Elementen unterordnet, somit (mindestens potentiell) autonom ist und sich in besonderer Weise zur Vereindeutigung von Sprechakten eignet" (Engel 1988, S.180) erfassen den Satz nicht von archetypischen Formen her. Die linguistische Tradition und die kommunikative Praxis, die sich metasprachlich bewusst machen lässt, bieten dafür Ansatzpunkte. So läge es nahe, nach einer ganz informellen, beschreibenden Syntax zu suchen, die die Komplexität unseres Gegenstandsbereiches erfasst, aber keine zu rigorosen Vorentscheidungen enthält. Die moderne Syntaxforschung geht aber einen anderen Weg. Und dies mit guten Gründen. Eine Syntax muss sich auf ein einheitliches und abgesichertes Prinzip gründen. Nur so können analytische Aussagen nachvollzogen werden. Nur bezogen auf ein klares Modell können wir Unzulänglichkeiten bei Beschreibungszugriffen aufdecken. Und schließlich wird eine syntaktische Entscheidung nur auf diese Weise kritisierbar, falsifizierbar - und regt Alternativen an. Der Aufschwung der Disziplin ' Syntax' in den letzten Jahrzehnten ist nur dadurch zu erklären, dass die GTG ein konsistentes und damit auch kritisierbares Modell aufgestellt hat. Im Rahmen dieses Modells wurde argumentiert; es wurde weiterentwickelt, und es gibt eine Reihe von Alternativmodellen. Im folgenden Kapitel werden knapp die neueren Entwicklungen in der GTG dargestellt, sodann wird auf ein stärker semantisch orientiertes Modell eingegangen, das als Kern über einen Ansatz verfugt, der mit dem valenzbasierten dependentiellen vergleichbar ist. Dieser wird sodann ausführlich behandelt.
3. Neuere grammatische Konzeptionen
3.1. Neue Entwicklungen in der Generativen Grammatik 3.1.1. Grundannahmen Nach einem relativen Stillstand hat sich die generative Grammatik seit den achtziger Jahren erheblich weiterentwickelt. Die im Rahmen der neuen, aber auch der Ausgangskonzeption formulierten syntaktischen Konzeptionen werden zunehmend als Teil einer umfassenden Sprachtheorie präsentiert. Dabei werden die früheren Annahmen über den Status der syntaktischen Komponenten eingebunden in die Theorie einer kognitiv verstandenen Linguistik. Die Syntax ist danach ein mit anderen sprachlichen Teilbereichen interagierendes Modul, das wiederum im Verbund mit den sonstigen kognitiven Bereichen der Menschen steht. Bevor auf einige für die Entwicklung genereller syntaktischer Prinzipien wichtiger Grundannahmen eingegangen wird, soll kurz die universalistische Annahme der Generativen Grammatik skizziert werden. Danach ist die sprachliche Disposition des Menschen angeboren, und zwar nicht als Spezifikation allgemeiner Lerndispositionen, sondern als relativ autonomes Anlagesystem. Sprache ist eine kognitive Fähigkeit, die über ein eigenes, sich zum großen Teil selbststeuerndes Aneignungsprogramm verfugt: Im Prozess des Spracherwerbs, den man früher als eine Aneignung sozialer Fertigkeiten unter anderen aufgefasst hat, wird heute ein genetisch bedingtes, also angeborenes Gefüge von Prinzipien und Abläufen gesehen. Unter den Argumenten, die diese These stützen, sind zwei besonders schlagend: Kinder erlernen die Sprache stets aus einem unvollständigen Inventar von Äußerungen und können dennoch nach relativ kurzer Zeit Phrasen und Sätze bilden. Sie müssen also ein - wie immer geartetes - Regelsystem dispositionell bereits besitzen, damit aus den unvollständigen Beispielen und fehlerhaften Sätzen Regeln abstrahiert werden können, die die Bildung von Sätzen prinzipiell und unbegrenzt möglich machen. Diese Einsicht baut z.T. auf älteren Vorstellungen über den Sprachenverb auf, so zum Beispiel, dass im phonologischen Bereich eine strikte Reihenfolge des Systemaufbaus herrscht, überträgt dies auf die Syntax und fügt Beobachtungen hinzu, die die ungleich größere Komplexität syntaktischer Strukturen einbeziehen. Das andere Argument ist, dass nicht nur ontogenetisch, sondern auch phylogenetisch universale Prozesse ablaufen, die sich nur durch eine genetisch bedingte Disposition erklären lassen: Sowohl Sprachveränderungen allgemein, als auch etwa die Prozesse der „Kreolisierung" im Besonderen können nur begriffen werden, wenn die dabei beobachtbaren Regularitä-
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Neuere grammatische Konzeptionen
ten einfachen und uneingeschränkt verfugbaren Anlagedispositionen gehorchen. In beiden Bereichen laufen stets identische Prozesse ab. Bei den Sprachwandelprozessen, den internen Sprachveränderungen, lassen sich etwa Wortstellungsveränderungen über lange Zeiträume hinweg verfolgen, die im Prinzip nach immer gleichen Mustern ablaufen. Viel rascher geht die Entwicklung von Kreolsprachen vonstatten. Hier liegt das Faktum vor, dass eine sozial diskriminierte Sprechergemeinschaft auf eine sozial akzeptierte, prestigehaltige Sprache trifft, in der Konfrontation ihre eigene Sprache im Wesentlichen aufgeben muss und sich der Prestigesprache anpasst. Die neu entstehenden Sprachen sind, wie sich an den im Einzelnen sehr unterschiedlichen Kreolsprachen auf der Basis des Englischen, Französischen oder Niederländischen beobachten lässt, in den Strukturen überraschend ähnlich. Dies kann nur an in diesen Fällen raschen und komprimierten Durchläufen universal vorhandener Regelsysteme liegen.
So lässt sich schließen, dass die Spracherlernung die Aktivierung weniger, dispositionell vorhandener 'Prinzipien' darstellt. Die durchaus zu beobachtenden Unterschiede in den einzelnen Sprachen werden als sprachspezifische 'Parameter' begriffen. Sie betreffen fast ausnahmslos weniger wichtige Bereiche der Sprache, insbesondere der Syntax. Im Deutschen ist, verglichen mit anderen Sprachen, etwa das relativ reiche Kasussystem parametrisch zu verstehen. Die Einzelheiten dieser Annahmen können hier nicht weiter dargestellt werden (vgl. dazu z.B. Fanselow/Felix (1987), Grewendorf (1988), Haider (1993)). Um die auch für andere als generative Grammatiken wichtigen Einsichten zu bewerten und zu nutzen, soll jedoch auf das Zusammenwirken der sprachlichen Komponenten und die wichtigsten syntaktischen Prinzipien eingegangen werden. Hierzu ist vorweg zu sagen, dass, trotz aller Unterschiede im einzelnen und vor allem in den gewählten Darstellungsformalismen, sich die verschiedenen syntaktischen Schulen deutlich aufeinander zu bewegen. Eingangs ist davon gesprochen worden, dass die dependentiell orientierten Syntaxen sich um eine Integration der Serialisierungsregularitäten bemühen, umgekehrt nutzen so gut wie alle im generativen Paradigma arbeitenden Grammatiken etwa das Valenzprinzip. Die Konvergenzen zwischen den hier einschlägigen sprachlichen Theorien erstrecken sich auch auf den Anspruch der Erklärungsadäquatheit, wenn hier auch Unterschiede in der Spezifik zu verzeichnen sind: Theorien über einen Phänomenbereich sollen zunächst beschreibungsadäquat sein, d.h. sie sollen ihren Phänomenbereich vollständig und widerspruchsfrei beschreiben. Bereits diese Anforderungen werden bei der Komplexität der menschlichen Sprache nur im Idealfall erfüllt, doch sind die Grammatiken der sprachwissenschaftlichen Tradition für Teilbereiche durchaus in der Lage, diesen Bedingungen auch in der Praxis zu entsprechen. Eine weitergehende Forderung ist die nach Erklärungsadäquatheit. Auch hier gibt es in der sprachwissenschaftlichen Tradition Ansätze, indem zum Beispiel alle Formen des Passivparadigmas als agensvermeidende Strukturen begriffen werden. Moderne linguistische Theorien fassen die Forderung nach Erklärungsadäquatheit viel strenger. So wird in der generativen Theorie unter Erklärungsadäquatheit etwa die Übereinstimmung von produzierten Daten im Sprach-
Neue Entwicklungen in der generativen Grammatik
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lernprozess mit den angesetzten universalgrammatischen Prinzipien in ihrem Ablauf angenommen. Allgemein und etwas 'weicher' formuliert, gehen neuere linguistische Theorien davon aus, dass die vor allem in der Syntax angenommenen Prinzipien, die auf ein minimales Grundinventar reduziert sind, in ihrer Kombination die Erzeugungsmöglichkeiten von Phrasen und Sätzen rechtfertigen und nicht mögliche verhindern. Zentraler Teil der generativen Sprachkonzeption ist die Syntax und das darauf abgestellte Lexikon. Die phonetische Seite wird als interpretative angesetzt, ebenso die semantische. Diese Lösung hat Vor- und Nachteile. Der Vorteil besteht zunächst darin, dass die Äußerungsform und die Bedeutung die zentralen generativen Module nicht beeinflussen, indem z.B. auch Strukturen erzeugt werden können, die auf den ersten Blick keinen Sinn ergeben. Dazu gehört z.B. die gesamte Metaphorik. Chomskys berühmter Satz (1) Farblose grüne Ideen schlafen wütend. ist syntaktisch (und phonetisch) völlig korrekt und kann durchaus auch interpretiert werden. Seine spürbare Metaphorik ist kein Ergebnis einer syntaktischen Prozedur, sondern liegt auf einer anderen Ebene. Nachteilig ist an dieser Vorstellung, dass auch die gesamte Intonationskontur aus dem Blick gerät. Dies werden wir an späterer Stelle deswegen auch anders regeln. Das Lexikon - auch dies ist keine auf die generative Theorie beschränkte Annahme - besteht aus Wörtern, die je einer Wortart angehören, also nicht kategorial ungeprägt sind und etwa erst im Zuge der syntaktischen Erzeugung mit einer Wortartcharakteristik versehen würden. (Dass mit einer Matrix, die die Hauptwortarten nach einer Merkmalsverteilung [± verbal] [± nominal] bestimmt, versucht wird, die Gnmdprägung auf atomare Bestandteile zurückzuführen, kann hier außer Betracht bleiben.)
3.1.2. Prinzipien generativer Syntax Die Syntax besteht aus einem Set von Modulen, die nach dem Prinzip der Minimalisierung möglichst klein gehalten werden. Diese sind 1.) das X-bar-Prinzip zum Aufbau von Phrasen 2.) der Bau der größten Phrase auf der D-Struktur 3.) die Bewegungsregel 'move α ' 4.) die Bewegungsbeschränkungen 5 .) die Kasustheorie 6.) das C-Kommando 7.) die Bindungstheorie. Auf diese Module soll hier nur so weit eingegangen werden, als damit der Gesamtzusammenhang der generativen syntaktischen Konzeption deutlich wird.
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Neuere grammatische Konzeptionen
Soweit die Prinzipien an anderen Stellen dieser Darstellung genutzt werden, brauchen sie ohnehin nur knapp behandelt zu werden. 3.1.2.1. Das X-bar-Prinzip Das auf Jackendoff (1977) zurückgehende X-bar-Prinzip ist deswegen für eine valenzbasierte Dependenzgrammatik so interessant, weil es die valenzielle Einsicht, dass Wörter Leerstellen um sich eröffnen, die von anderen Wörtern besetzt werden müssen, als ein syntaktisches Grundprinzip formuliert: Wörter kommen entweder autonom vor oder regeln den Bau von Strukturen derart, dass sie selber als deren Köpfe bis zu einer maximal möglichen Reichweite für die Struktur bestimmend sind. In beiden Fällen bilden sie Phrasen. Zwischen dem Kopf und seiner maximalen Ausdehnung liegen Zwischenstufen. Diese werden Projektionen, die letzterreichbare maximale Projektion genannt. Dabei ist in allen Fällen der Kopf der Phrase bestimmend. Umgekehrt kann von den Projektionen schrittweise zum Kopf gelangt werden. Hier liegen - rein syntaktisch - vergleichbare Operationen vor wie beim kategorialgrammatischen Ansatz. Das allgemeine X-bar-Schema lautet: Xmax = XP
(2) / ZP
\ / YP
X' \
X
Ein lexikalischer Kopf, X, führt über Projektionen (hier nur eine X') bis zu einer maximalen Projektion. Dieses ist die Phrase, die nach X benannt wird. Alle Schwesterkonstituenten von X und seinen Projektionen sind wiederum Phrasen. Dies sei für eine Nominalphrase und eine Verbalphrase gezeigt: (3) der junge Romeo aus Florenz (4) (der) Julia den Becher reicht Die Nominalphrase soll schrittweise aufgebaut werden. (3')
Nmax = NP
N mix = NP
Ν Romeo
der
junge
Romeo
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Neue Entwicklungen in der generativen Grammatik
(3«) Nmax = NP Detí^
Det
1
\¡"
PrapP 'N
der junge Romeo aus Florenz
Julia
den Becher
reicht
Analog den Schemata der Kategorialen Grammatik bauen sich die Nominalphrase und die Verbalphrase so auf, dass der junge Romeo und den Becher reicht nominal beziehungsweise verbal konstituiert sind, die maximale Projektion in der junge Romeo aus Florenz beziehungsweise Julia den Becher reicht fuhrt die nominale beziehungsweise verbale Qualität noch eine Stufe weiter. In diese Phrasen sind Determinativ-, Adjektiv- und Präpositionalphrasen eingebunden, die hier nicht weiter verfolgt werden. Es ist nun zu fragen, ob in der maximalen Verbalphrase Julia den Becher reicht das Subjekt, hier der, angeschlossen werden kann. Dies ist sicher nicht möglich, obwohl die Valenzbindung von reichen eine AGENS-Phrase erfordert. Ein Kriterium für die Bewertung, was eine Phrase ist und was nicht, ist die gemeinsame, gesamthafte Verschiebungsmöglichkeit vor das finite Verb. Dies ist für die Schwesterknoten von V und V' möglich, nicht aber für den Schwesterknoten von VP: (4a) Den Becher reicht Romeo Julia. (4b) Julia den Becher reicht Romeo. (4c) *Romeo Julia reicht den Becher. Dieses Kriterium ist nicht ganz unproblematisch, denn (4b) wird in seiner generellen Akzeptabilität möglicherweise bezweifelt, aber geeignete Kontexte erlauben wohl derartige Sätze. Die phrasale Anbindung des Subjekts in (4c) ist jedoch ganz sicher ungrammatisch. Bezogen auf das Verb lassen sich dann die in der VP gebundenen Argumente als seine internen, das Subjekt als sein externes Argument bezeichnen. Die herkömmlichen Dependenz- und Valenzgrammatiken machen diesen Unterschied nicht, doch ist er, wie in Kap.6.4.1. mit weiteren Überlegungen gezeigt wird, wohlbegründet. Lexikalische Valenzpotentiale und deren syntaktische Nutzung sind unterschiedliche grammatische Bereiche. 3.1.2.2. Die Grundstruktur des Satzes In den generativen Konzeptionen werden von Beginn an die Serialisierungsverhältnisse als Ausgangsgrößen für die Generierung der Sätze gesehen. Während
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Neuere grammatische Konzeptionen
diese früher stark am Englischen orientiert waren, werden jetzt einzelsprachliche Verhältnisse berücksichtigt. Für das Deutsche wird davon ausgegangen, dass diese Sprache eine SOV-Sprache ist, d.h. die Phrasen ordnen sich im Satz in einer anzusetzenden Grundstruktur nach der Abfolge Subjekt-Objekt-Verb an. Dieser Ansatz ist inzwischen Konsens und liegt auch unserer Konzeption zugrunde. In der D-Struktur, die der Tiefenstruktur in früheren Versionen der generativen Grammatik vergleichbar ist, bauen sich die Phrasen nach der SOV-Abfolge auf. Welches aber ist der Kopf der Phrase, beziehungsweise wie ist der Gesamtsatz zu bezeichnen? Gegenwärtig wird angenommen, dass sowohl das Flexionselement des finiten Verbs, I (von engl, inflection), als auch die Nebensatzkonjunktion, bezeichnet als Comp oder C (von complementizer) die übrigen Phrasen zu einer Complementizer-Phrase zusammenführen. Der Ansatz dieses Kopfes, beziehungsweise der Zwischenstufen, also weiterer Köpfe, erlaubt die phrasenweise Verrechnung von temporalen, aspektuellen und Kongruenzinformationen (an I, Γ ... Imax = IP) und des den Satz „komplettierenden" C-Kopfes. Schematisch lässt sich dies so darstellen: (5)
COMP TOP
[ ] Nebensatz- Subjekt Objekt(e) Verb Verbkonjunktion flexion In der aus der D-Struktur resultierenden Reihenfolge stehen die Phrasen des Satzes in der Reihenfolge, die sie auch in der real vorkommenden Nebensatzstruktur einnehmen. Auch das flexivische Element des finiten Verbs ist an der richtigen Stelle piaziert. Es wird deutlich, dass das Deutsche eine „kopffinale" Sprache ist. 3.1.2.3. Die Bewegungsregel 'move α ' Während die älteren Konzeptionen der generativen Grammatik einen differenzierten und vielfach geänderten Apparat an Regeln aufwiesen, die aus der Tiefenstruktur die realen Positionsverhältnisse der Oberflächenstruktur durch
Neue Entwicklungen in der generativen Grammatik
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Transformationen herstellten, wird jetzt nur noch eine einzige generalisierte Bewegungsregel angenommen, die die Position der D-Struktur in die S-Struktur (als Assoziation von surface structure, Oberflächenstruktur) überführt. Diese Regel besagt: „Bewege ein Element an eine andere Stelle". Da diese Regel außerordentlich allgemein ist, benötigt sie Beschränkungen. Diese werden in den nächsten Abschnitten dargestellt. Der Vorteil einer solch generellen Regel ist, dass sie bereits ohne diese Beschränkungen die prinzipielle Herstellung der drei wichtigsten Vorkommenstypen des deutschen Satzes, des Nebensatzes, des Entscheidungsfragesatzes und des Aussagehauptsatzes erlaubt, und zwar dann, wenn man die Regel 'move α' nur dann zulässt, wenn eine lexikalische Position leer geblieben ist. Im Falle des Nebensatzes wird aber COMP durch die Nebensatzkonjunktion besetzt, die Regel kann nicht angewendet werden; aus den DStrukturen erscheint die C'-Phrase als S-Struktur, als Nebensatz. Im anderen Fall aber muss in die leere Position ein Element bewegt werden. Dies ist der Kopf der I-Phrase, also das finite Verb. Wird es in die COMPPosition bewegt, entsteht der Entscheidungsfragesatz: (6) Reicht Romeo Julia den Becher? (6')
[ ]
[ ]
das rotbedachte Haus oder eine Präposition überfuhrt ein Substantiv in ein „Adverb":
(3) er kommt mit Absicht -» er kommt absichtlich Funktionswörter
(4) Junktive
aber, denn...
Translative
Subjunktionen
Relativpronomen
Präpositionen
dass, weil...
der, dessen...
auf, mit...
(Artikel) (enklitische Personalpronomina) ein, der.
-ma, -ste...
Die eingeklammerten Formen, Artikel und enklitische Personalpronomina, bilden den Übergang zu den Morphemen. Was bedeuten nun die Linien, die Kanten oder Konnexionen im Stemma? Sie sind die Indikatoren für die Dependenzverhältnisse: Die O und E sind vom Verb, die A von O abhängig. Die O sind fest an das Verb gebunden, E sind nicht durch das Verb bedingt. Es gibt also nach Tesnière im Satz nur zwei abhängigkeitsstiftende Einheiten: die Verben und die Substantive. Welcher Art ist diese Dependenz? „Dependenz" ist ein rein hierarchischer Begriff. Damit sollen die Verhältnisse der syntaktischen Struktur nachgezeichnet werden. Das heißt, „von oben" ist in dieser Sicht syntaktisch gebaut, „konstruiert", aber „von unten" wird Bedeutung in den Satz gebracht. Tesnière hat sich für die hierarchische Struktur des Satzes interessiert, also dafür, wie die Abhängigkeiten im Satz Zustandekommen, wie sie gestiftet werden. Dies führt zunächst zu einer eindimensionalen Vorstellung über die Struktur des Satzes. Die Über-AJnterordnungsrelation ist irreflexiv, d.h. nicht umkehrbar und vermittelt das Bild einer rein vertikalen Struktur des Satzes. Aus der hierarchischen Struktur gelangt man zur linearen Kette durch die Operation der „Projektion", auf die weiter unten noch eingegangen wird. Im Idealfall ist die Linearstruktur die Spiegelung senkrechter Strukturen auf waagerechte. Dass die Linearstruktur viel mehr zu verrechnen hat, wird in Kap.9 genauer gezeigt. Tesnières primäre Interessen galten dem Verb. Das Verb als oberstes Regens organisiert den Satz. Es eröffnet um sich sogenannte Leerstellen, die besetzt werden müssen, damit der Satz vollständig und sinnvoll wird. Dem Verb kommt damit eine je spezifische Valenz oder Wertigkeit zu. Die Valenz bringt das Verb lexikalisch mit; sie ist in seinem Lexikoneintrag vorgesehen. Die Valenz muss gefüllt sein, Leerstellen müssen besetzt werden,
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damit syntaktisch vollständige und semantisch sinnvolle Sätze entstehen. Hier werden nun mehrere Dinge ganz anders als in der herkömmlichen Grammatik gesehen. Sie sollen im Folgenden genannt und kurz einzeln begründet werden. Zuvor noch einige Bemerkungen zur Verbreitung und Reichweite von Dependenzgrammatiken: Während das Valenzkonzept sich in irgendeiner Form in so gut wie allen neueren Grammatiken in gut vergleichbaren Versionen findet, sind Dependenzgrammatiken in sehr unterschiedlichen Ausprägungen entwickelt worden. Wie die generativen Grammatiken sich auf Chomsky berufen können, knüpfen die Dependenzgrammatiken stets an Tesnière (1959) an, arbeiten aber vielfach nur in losem Bezug untereinander an der Weiterentwicklung des Konzepts. Einen Überblick geben die Arbeiten von Baum (1976), Heringer (1993) und Hudson (1993). Einführungen an deutschem Beispielmaterial sind Engel (1977), Tarvainen (1981) und Weber (1992). Die früheste ausgearbeitete Syntax des Deutschen, in der ein expliziter Dependenzteil enthalten ist, stammt von Heringer (1970). Die Grammatik von Engel (1988) ist die umfangreichste Grammatik einer Einzelsprache, die auf einem dependentiellen Ansatz beruht. In einer Anzahl von kontrastiven Grammatiken (z.B. Engel/Mrazovic 1986, Engel/Isbaçescu/ Stäne§cu/Nicolae 1993, Engel/Rytel-Kuc et.al 1999) ist dieses grammatische Beschreibungsverfahren weiter genutzt worden. Auf einem ausgefeilten Dependenzansatz beruhen die Grammatiken von Hudson (1984), Schubert (1987), Mel'cuk (1988) und Heringer (1996), die auch z.T. andere Darstellungsmechanismen als die herkömmlichen Baumgraphen entwickelt haben. - Vgl. zur Stemmatologie grundsätzlich Groß (1999).
3.3.2. Grundprinzipien der Dependenzsyntax Die Subjekt-Prädikat-Trennung, die Teilung des Satzes in NP + VP, ja die binäre Teilung überhaupt, wird, wie aus dem Vorangehenden nur implizit deutlich werden konnte, in der Dependenzsyntax nicht zur Grundlage der Satzanalyse genommen. Stattdessen ist das Stemma auf die n-näre Valenz des Verbs hin angelegt. So gibt es ein-, zwei- und dreiwertige Verben: (1)
schläft Ottilie
(2)
(3)
liest Eduard
die Zeitung
gibt Eduard
die Zeitung
Otto
vielleicht auch höherwertige:
(4)
verkauft Eduard Charlotte
das Auto
für 5000 Euro
Die Idee, von der Wertigkeit der Verben, von ihrer Valenz, bei der Satzanalyse auszugehen, ist eine radikale Neuerung, deren Konsequenzen nicht hoch genug
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eingeschätzt werden können. Dadurch nämlich erscheint der Bau des Satzes in einem ganz anderen Licht als bisher: Nicht die Zweiteilung (an sich), sondern die vom Verb her gesetzte, je nach dem speziellen Verb andere Hierarchie ist es, die einen Satz ausmacht. Der Valenzbegriff ist eine Metapher, die aus der Physik oder der Chemie entlehnt worden ist und soll besagen: So wie ein spezifisches Atom Elektronen bindet, so bindet das Verb, als atomarer Kern des Satzes, andere Einheiten an sich. Oder: So wie Elemente aufgrund ihrer Wertigkeit chemische Verbindungen eingehen, so werden Sätze zu spezifischen Einheiten verbunden. Kristallisationspunkt ist in jedem Fall das Verb. Es eröffnet Leerstellen für die Aktanten, die actants; diese hängen von ihm ab. Ohne das Verb würden diese in der Luft hängen. Das Verb und seine Aktanten, die Akteure, die 'Mitspieler' oder 'Ergänzungen', gestalten das 'Schauspiel' des Satzes, wie es Tesnière in einer anderen Metapher ausgedrückt hat. Neben den Akteuren im Satz gibt es nun auch die 'Kulissen', die 'begleitenden Umstände'. Dieses sind die Circonstanten, die 'Angaben'. Auch sie sind auf das Verb hin geordnet. Aber ihre Abhängigkeit ist schwächer als die der Aktanten. Wir müssen sie auch ganz anders zu erklären suchen. Wenn das Verb den Satz organisiert, ist damit auch gesagt, dass der Satz nicht aus der 'Spannung' von Subjekt und Prädikat zu erklären ist. Überhaupt sei das Subjekt ein Mitspieler wie die anderen auch. Es gibt, so wurde zunächst argumentiert, auch Sätze, die gar kein Subjekt aufweisen, die also überhaupt nur durch Bezug auf komplizierte Transformationen in die NP + VP-Version gebracht werden können. So gibt es in der Tat im Deutschen subjektlose Konstruktionen: (5)
friert I mich
(5a)
ist / mir
\ kalt
Dazu kommt der Typ des „unpersönlichen Passivs". Es ist im Deutschen recht häufig: (6)
kann werden geholfen dem lilanne
Die Zurückstufung des Subjekts war sicher eine notwendige Schärfung unseres Blicks für die Natur des Satzes. Aber es fragt sich, ob damit nicht des Guten zuviel getan worden ist, d.h. ob die Sonderstellung des Subjekts, die wir textuell
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ja begründet sehen (es ist das unmarkierte thematische Element), wirklich so radikal weggefiltert werden muss. Die Sätze (5) und (6) sind im Deutschen selten, und abgesehen von den unpersönlichen Passivkonstruktionen sind die subjektenthaltenden der Normalfall. So wird hier nach einem tragfáhigen Kompromiss aus der spezifisch dependentiellen Sicht und den Auffassungen zu suchen sein, die sich in so gut wie allen anderen grammatischen Konzeptionen finden. Die Stemmata sind hierarchisch, nicht linear. Dies setzt eine andere Priorität in der Auffassung darüber, was als syntaktisch zentral anzusehen ist. Auch und gerade in der Sicht der Dependenzgrammatik setzt sich der Satz aus Wörtern zusammen. Es kommt der Dependenzgrammatik darauf an, die hierarchischen Beziehungen zwischen den Wörtern zu erfassen, das heißt, zu bestimmen, welches Wort von welchem abhängig ist bzw. welches Wort welches andere dominiert oder regiert. Verkürzt könnte man nun sagen, dass sich auf diese Weise die 'wichtigen' Wörter oben, die unwichtigen unten in der Struktur des Satzes befinden. Oder: Von oben nach unten nimmt die Wichtigkeit ab. Dies würde Tesnière als rein syntaktische Organisation gelten lassen. Der Bedeutungstransport in den Satz hinein scheint sogar gegenläufig zu sein: Was unten steht, ist semantisch relevant, es ist voller (Tesnière 1976, S.40). Darauf ist noch näher einzugehen. Jetzt ist zunächst zu sehen, dass eine Dependenzgrammatik, die nur die hierarchische Struktur des Satzes erfasst, auf jeden Fall noch die Linearisierung, die Serialisierung der Wörter regeln muss. Es sei denn, man fasse 'syntaktische Struktur' als nur hierarchische auf. Oben haben wir aber Wortstellung und dazu Intonation als wichtige, unverzichtbare Mechanismen in der Syntax kennengelemt. Auf diese Komponenten kann nicht einfach verzichtet werden. Um sie adäquat einzubeziehen, bieten sich zwei Möglichkeiten: 1.) Wir legen die Dependenzstemmata so an, dass sie die Linearisierung gleich mit erfassen. Die Stemmata sind dann automatisch „projektiv". Eine solche Vorgehensweise ist nun aber nicht direkt an die Dependenzgrammatik, wie sie von Tesnière und in seiner Nachfolge entwickelt wurde, anzuschließen. Doch es gibt noch einen anderen dependentiellen Ansatz, den von Hjelmslev (1943), worauf oben schon hingewiesen wurde. Er steht in einer Tradition, die Sätze ansieht als aus 'Konstituenten' zusammengesetzt. Das ist der grundlegende Ansatz, den wir auch bei der GTG finden. Sätze sind danach durch Teilungsschnitte zu gliedern. In einer Dependenzgrammatik nun kann man zusätzlich angeben, welcher Teil einer Konstituente abhängigkeitsstiftend ist. Dafür sind geeignete Notationen von Hays (1964), Gaifman (1965) und Heringer (1972) entwickelt worden. Der Satz (7) Eduard verkauft Charlotte sein altes Auto vor der Nibelungenhalle. wäre nach Tesnière so darzustellen:
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Neuere grammatische Konzeptionen
(7')
verkauft Eduard
Charlotte
sein Auto altes
vor Nibelungenhalle der
Seine 'virtuelle' Struktur (mit herkömmlichen Wortartsymbolen) sähe folgendermaßen aus: (7") Ν,
Ν
Dem käme folgende Dependenzgrammatik (DG) zu: *(V) V (N b *, N „ N 3 , Präp) N 2 (Art, *) N 3 (Pron poss , Adj, *) Präp (*, N 2 ) mit folgenden Lexikonregeln, die auch weitere grammatische Sätze ermöglichen:
N] = Eduard, Charlotte, Otto, Wolfgang N2 = Nibelungenhalle N3 = Auto Pron poss = sein
Adj = altes, neues, defektes V = verkauft, übergibt Präp = vor, hinter, neben Art = der Die Regeln sind wie folgt zu lesen: Mit * wird der (lineare) Platz des jeweiligen Wortes in seiner Hierarchieebene angegeben. Das Verb (V) ist das Startsymbol. Weil es hier nur auf das Schema der syntaktischen Struktur ankommt, werden die Substantive (N für Nomina) in drei Klassen eingeteilt: Nj: Personennamen, N 2 : Toponyme, N3: Appellativa, Präp: Präpositionen, Adj: Adjektive, Pron poss : Possessivpronomen, Art: Artikel.
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Dieses Stemma ließe sich automatisch projektiv anlegen:
In diesem projektiven Dependenzgraphen finden wir sogenannte regressive (linksgerichtete, /) als auch progressive (rechtsgerichtete, \) Projektivität. Projektivität ist nicht immer automatisch herstellbar. Sie ist nicht erzielbar, wenn die Konnexionen sich kreuzen, was sie häufig tun. Wir sehen dies z.B., wenn der Satz (7) im Perfekt steht und das Akkusativobjekt an die Satzspitze tritt: (7"")
V
(Part. Partizip) Wie mit diesem Problem umzugehen ist, wird in Kap.9 genauer gezeigt. Die vielen periphrastischen Fügungen im Deutschen sollten so behandelt werden, dass von den Ergänzungen die Subjekte an die finiten Teile, alle anderen Teile an die infiniten Teile angehängt werden. Dafür benötigen wir allerdings noch eine Begründung aus der Wertigkeitslehre. Mit Projektivitätsüberlegungen allein ist das nicht zu leisten. 2.) Die andere Möglichkeit, mit der Linearisierung fertigzuwerden, wäre, Transformationen vorzunehmen. Das heißt, wir stellen die dependentielle Struktur, die rein hierarchisch ist, eines Satzes her und legen in einem zweiten Schritt
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die Wortfolge fest. Dann haben wir natürlich alle Freiheit, die Wörter umzustellen. Wir können dann z.B. die Hauptsatz- aus der Nebensatzstellung ableiten (oder umgekehrt). Wir können die periphrastischen Strukturen zusammenlassen und können sie je nach Bedarf auseinanderziehen und vieles andere mehr. Aber die Entwicklung in der GTG hat gezeigt, dass nichts anfälliger ist als das Konzept der Transformation selber. Da hat die Auffassung, was zulässig ist, was nicht, ständig gewechselt. In den neueren Versionen gibt es nur noch eine einzige Bewegungstransformation, und es treten andere Regelmodule ein, um die Zulässigkeit von Bewegungen zu erfassen. Serialisierung sowie die Intonation klammern wir für das nächste Unterkapitel aus. Sätze werden zunächst in ihrer Grundstruktur betrachtet. Syntaktisch neutral und textuell am wenigsten eingebunden ist die deutsche Nebensatzstruktur. In ihr tritt auch das typologische Anordnungsmuster zu Tage, das das Deutsche als SOV-Sprache ausweist: das Subjekt steht im Nebensatz vor dem direkten Objekt, und dieses geht dem Verbverband voran. So ist als Grundstruktur des deutschen Satzes die unmarkierte Nebensatz-Wortstellung anzusehen:
(7a) dass er ihm dort sein altes Auto verkauft hat Für praktische Zwecke eignet sich jedoch fast immer auch die Hauptsatzwortstellung, weil im unmarkierten Fall das Subjekt an die Satzspitze tritt.
(7b) Er hat ihm dort sein altes Auto verkauft.
3.3.3. Das Valenzprinzip als erweitertes Rektionsprinzip 3.3.3.1. Die Bindung von Ergänzungen (Aktanten) und Angaben (Circonstanten) Dependenz als hierarchisches Organisationsprinzip des Satzes und Valenz als Bindungseigenschaft des obersten Regens ergänzen sich, sind aber nicht zwingend notwendige gemeinsame Bestandteile einer Theorie. Engel (1994) weist in seinem Vergleich von Konstituentenstruktur- und Dependenzgrammatiken darauf hin, dass für diese beiden Grammatiktypen als gemeinsame Basis 'Konkomitanz' anzusetzen ist, Zusammen-Vorkommen. Dependenz lässt sich dann als „gerichtete Konkomitanz" (Engel 1994, S.28) auffassen. Es ließe sich ohne weiteres eine Dependenzgrammatik konstruieren, in der auch etwa vom Subjekt regierende Kanten ausgingen. Warum das Verb die zentrale Regensstelle im Satz einnimmt, lässt sich mit verschiedenen Argumenten begründen: Das Wichtigste ist das Valenz-Kriterium. Wie Valenz genauer zu beurteilen ist und welche Konsequenzen sich für die empirische Frage der Abgrenzung der E von den A ergeben, wird genauer in Kap.5.1. behandelt. Ganz gleich, ob Valenz eher logisch-semantisch oder strukturell-syntaktisch begriffen wird, es stellt in jedem Fall die ökonomischste Lösung dar, die Distributionsmöglichkeiten im
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Satz vom Verb her zu beschreiben. Das Verb ist das Organisationszentrum des Satzes. Die generelle Zulässigkeit der Aktanten wird - für jedes Verb einzeln lexikalisch - von ihm her geregelt. Dies entspricht nun vor allem dem logischen Stelligkeitsprinzip von Prädikaten. Seit Frege (1879) werden Korrespondenzen zwischen logisch-mathematischer Formulierung und sprachlichen Verhältnissen aufgesucht. Sätze im sprachlichen Sinne, genauer Aussagesätze, sind Verortungen von Prädikaten. Wie ein Prädikat Argumente erfordert, erfordert ein Verb Aktanten. Diese Analogie (bei der letztlich wieder die mathematisch-logische eine Abstraktion sprachlicher Ur-Verhältnisse ist) ist aber nur eine der Voraussetzungen für die zentrale Stellung des Verbs. Die andere ist ein genuin sprachliches Bauprinzip: Auch die meisten Angaben sind in Hinblick auf das Verb geregelt. Im Gegensatz zur Regelung bei den Aktanten, deren Anschluss positiv bestimmt wird, die also lexikalisch vorbestimmt sind, sind die Angaben generell unbegrenzt zulässig. Hier lassen sich jedoch gewisse Restriktionen formulieren, etwa indem bestimmte Temporal- oder Instrumentalangaben als unzulässige markiert werden: ( 1 ) *Gestern wird es regnen. (2) *Er löffelt die Suppe mit dem Messer. Wenn sich auch gewisse Kontexte denken lassen, in denen diese Sätze vorkommen könnten, so zeigt sich doch, dass Temporal- oder Instrumentalangaben und viele andere Angaben an sich unbeschränkt sind. Dies lässt sich ebenfalls als eine verbale Voraussage begreifen. Die logisch-semantischen Verhältnisse sind dabei wesentlich komplizierter als bei den Ergänzungen. Während diese mit dem prädikatenlogischen Stelligkeitskonzept in Deckung gebracht werden können, muss man bei den Angaben von Prädikaten zweiter Stufe (Bondzio 1974) oder Hyperprädikaten zu Sätzen bzw. „Valenzpartnern" (Heibig in Stepanowa/ Heibig 1978, S.186, Welke 1988, S.81) sprechen. Während also die Schreibweise (3)
V
V
V
I
Λ
/l\
Et
E] E j
E] Ej E 3
für ein-, zwei- und dreiwertige Verben semantisch und syntaktisch gleichermaßen die Bindungsverhältnisse zum Ausdruck bringt, ist die Schreibweise (4)
V
V
\l
\l A-lok
Α-temp
V \l A,,^
oder Atemp A|0j, A ^ j A j ^
eine kompakte Zusammenfassung, deren syntaktische Adäquatheit auf jeden Fall für die genaue Bindungsstelle der jeweiligen Angabe zu diskutieren ist.
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Neuere grammatische Konzeptionen
(Vgl. genauer Kap.7). Die Schreibweise ^ für die Kanten, die A binden, geht auf Engel (1977) zurück; sie wird hier übernommen. Dadurch erübrigt sich die Indizierung als A, doch der Verdeutlichung halber wird dies gewöhnlich hinzugesetzt. Durch / und 1/ für E bzw. A ist eine Grundentscheidung für Bindungen getroffen, die teilweise dem bekannten Rektionsbegriff entspricht. Valenz ist dabei die positiv ausgezeichnete („subklassenspezifische", Engel 1977) Bindungskapazität des Verbs. Dass die E nicht, wie die ältere Valenzgrammatik meinte, strukturell gleichartig sind, wird in Kap.6 gezeigt. Für die A ist die Staffelung über die Bindungsstelle zu regeln (Kap.7). Wenn Valenz und Rektion ein gemeinsames Grundprinzip verkörpern, lässt sich fragen, ob sich dies nicht auf andere Wortarten übertragen lässt. In der Tat ist dies möglich. Verbale und andere Phrasen weisen weitgehend parallele Baupläne auf. Für die adäquate Erfassung des Satzbaus stellt diese Erkenntnis einen großen Vorteil dar. Die Dependenzgrammatik kann sich mit der Erweiterung des Valenzprinzips diese in der Grammatikforschung weitgehend akzeptierten Ansichten zu eigen machen. 3.3.3.2. Parallelen im Aufbau der Phrasen Schon frühzeitig sind in der Valenztheorie Parallelen zwischen Verben, Nomina, Adjektiven und andere Wortarten behandelt worden (z.B. Stepanowa/Helbig 1978, Welke 1988, S.155-162 mit älterer Literatur, Eroms 1991). In der Grammatiktheorie durchgesetzt hat sich jedoch die von Jackendoff (1977) zuerst begründete Ansicht, dass Phrasen generell als Expansionen ihrer Köpfe aufgefasst werden können (vgl. Kap.3.1), im Rahmen der GTG näher ausgeführt u.a. bei Fanselow/Felix (1987, S.40-61). Dependenziell liegt die Formulierung für die Verbalphrase auf der Hand: Verben sind die Köpfe ihrer Phrasen; in der hierarchischen Darstellung der Dependenzgrammatiken kommt dies besonders gut zum Ausdruck; sie stehen über den Wörtern, die sie binden. Wenn jedoch das Subjekt wie alle anderen Ergänzungen behandelt wird, wird gegen eine Grundeinsicht des Phrasenbaus und der Valenzbindung verstoßen: Der Bau von Phrasen ergibt sich durch die syntaktische und semantische Beschränkung. Das Subjekt jedoch ist, von den oben genannten Fällen und wenigen anderen abgesehen, unbeschränkt, d.h. nicht subklassenspezifisch und geht in eine anders organisierte Phrase ein, nämlich eine, die durch das Finitheitsmorphem des Verbs geregelt wird (vgl. Eroms 1985, S.313Í). Für die Differenzierung der verbalen Phrasen genügt es hier, die Subjektsbindung von den Bindungen der anderen Ergänzungen abzuheben: (5)
V INFL
V -t
Dependenz und Valenz als Module der hierarchischen Bindung
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Verbalphrasen sind mithin in eine engere Phrase, die die Ergänzungen in obliquen Kasus bindet, und eine äußere, die die Subjektsvalenz abbindet, zu trennen. Dem INFL-Phrasenkopf der GTG entspricht also das Finitheitsmorphem in der Dependenzgrammatik. Wenn in den Stemmata das Subjekt direkt dem finiten Verb untergeordnet ist, zieht dies die Strukturverhältnisse kompakt zusammen. Bei allen periphrastischen Fügungen - und dies ist der häufigere Fall der verbalen Bindung - sind engere und äußere Verbalphrase deutlich getrennt: (6)
hat Eduard
verkauft Ottilié^^
Auto / sein
Dass INFL (der Verbmorphemkomplex) noch weiter zu differenzieren ist, wird in Kap.5.2. gezeigt. Argumente für die Sonderstellung des Subjekts werden in Kap.6.4.1. angeführt. In der dependentiellen Darstellungsweise wird der hierarchische Aufbau der Phrasen besonders deutlich. Oben stehen die Köpfe der Phrasen. Für die Bestimmung ihrer Position lassen sich verschiedene Kriterien heranziehen, die in der einschlägigen Literatur (vor allem Owens 1984, Zwicky 1985, Hudson 1987, Nichols 1986) teilweise kontrovers diskutiert worden sind. Da sich, wie gesagt, der Valenzbegriff partiell mit dem traditionellen Rektionsbegriff überschneidet, können auch Gesichtspunkte der Rektion für die Bestimmung der Köpfe herangezogen werden. Nach der Darstellung von Jung (1995) sind für die Veibalphrase folgende Kriterien relevant: 1. Morphologisches Kriterium: Der Kopf bestimmt die morphologische Form der abhängigen Glieder. Danach ist in der Verbalphrase das Verb für die kasuelle Form des Substantivs verantwortlich. (7) Er liebt Bücher./*Er liebt Büchern. 2. Semantisches Kriterium: Das allgemeinste semantische Kriterium ist die Funktor(Prädikator)Argument-Relation. Danach bestimmt bei verbalen Prädikaten dieses die Zahl der Leerstellen. Es regelt den Stelligkeitstyp. 3. Syntaktisches Kriterium: Hier lässt sich das Subkategorisierungsprinzip heranziehen. Dasjenige Element, das das Verhalten anderer lexikalischer Klassen bestimmt, ist der Kopf. Danach bestimmt wiederum das Verb, was in den folgenden Sätzen stehen darf. Es regelt die Form der Stellenbesetzung: (8) Er glaubt die Geschichte./Er glaubt, dass er Recht hat. (9) Er kennt die Geschichte./*Er kennt, dass er Recht hat.
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Neuere grammatische Konzeptionen
Weitere von Jung herangezogene Kriterien sind u.a. die Operator-Operand-Beziehungen und die Kriterien der X-bar-Theorie. Im Allgemeinen führen bereits die ersten drei Kriterien zu überzeugenden Lösungen. Allerdings gibt es in manchen Fällen Gewichtungsprobleme, so dass die Entscheidung sich auf die Dominantsetzung bestimmter Kriterien stützen muss. Dies ist bei der Nominalphrase der Fall. Darauf wird in Kap.8 eingegangen.
Kopf-Dependentien(head-dependents)-Relationen spielen eine entscheidende Rolle in der Generalized Phrase Structure Grammar (GPSG) (Gazdar/Klein/Pullum/Sag 1985) und der Head Driven Phrase Structure Grammar (HPSG) (Pollard/Sag 1994). Diese Grammatiken arbeiten mit einem valenzbasierten Modell, integrieren die X-bar-Theorie auf lexikalistischer Basis (Pollard/Sag 1994, S.362f.) und intendieren, wie die Kategoriale Grammatik, einen syntaktisch und semantisch analogen Aufbau der sprachlichen Strukturen (Renz 1993, S.71). Sie sind im Übrigen der Auffassung, dass in Nominalphrasen das Substantiv Kopf ist (Pollard/Sag 1994, S.363-371). Eines ihrer Argumente für diese Annahme ist, dass Specifiers (u.a. Determinantien), die dennoch ihren Kopf selegieren, nicht unbedingt Wörter sein müssen (vgl. Kap.8.2.). Von besonderer Wichtigkeit ist die Regelung der morphologischen Form der Dependentien. Die Dependenzrelation ist transitiv, erstreckt sich also auf alle Wörter einer Phrase; die morphologische Form jedoch wird schrittweise durch den jeweiligen unmittelbaren Kopf bestimmt. Insbesondere gilt dies für die Bestimmung des Kasus. Die GTG, und auch die HPSG und verwandte Ansätze, die auf einem dependentiellen Grundansatz beruhen, sprechen von Kasuszuweisung. Dieser Auffassung wird hier gefolgt. In der äußeren Verbalphrase erfolgt demnach die Kasuszuweisung 'Nominativ' an die Esub, das Satzsubjekt, durch das INFL-Morphem des Finitums, die Kasus der inneren Verbalphrase durch die infiniten Formen. Für die einfachen nominalen Glieder, Substantive und Pronomina, erfolgt die Kasuszuweisung direkt, je nach der lexikalischen Festlegung im Verbeintrag. Für einen generativistischen Ansatz erscheint diese Form der Kasuszuweisung als „inhärent" und nicht „strukturell". Strukturelle Kasus sind in der generativen Theorie solche, die sich konsequent aus der syntaktischen Struktur ergeben, sie sind der Normalfall der Kasuszuweisung. Sie sind unmarkiert. Erwartbar ist als erster Kasus der inneren Veibalphrase der Akkusativ. Inhärente Kasus sind lexikalisch gebundene, seltenere und daher markierte Fälle. Für das Deutsche werden dafür unerwartbare Kasus bei einwertigen Verben, die nicht den Akkusativ aufweisen, wie helfen + Dativ oder sich erinnern + Genitiv, genannt. Die Kasusverhältnisse im Deutschen sind insgesamt noch wesentlich komplexer, doch kann auch bei einem dependentiellen Ansatz davon gesprochen werden, dass der Akkusativ der unmarkierte Objektskasus ist. Die Kasusregelung generell ist davon nicht betroffen, für die E im reinen Kasus erfolgt sie aus dem Verb. Auch die Kategorie der Veibnähe, auf die in Kap.9 im Zusammenhang mit der Wortstellung näher eingegangen wird, erweist den Akkusativ als den „DefaultFall" bei den Objektskasus. Präpositionale E verhalten sich anders, denn Präpositionen haben selber Kasusforderungen. Präpositionen und Kasusmorpheme weisen funktionale Konvergenzen auf. So lässt sich bei präpositionalen E davon sprechen, dass das Verb die Präposition mit ihren Regentien bindet und der Kasus sodann aus der Präposition an das Nomen zugewiesen wird.
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Mit dem Valenzprinzip lassen sich die beiden verbalen Phrasen nun zunächst mit der Α-Bindung erweitern. A, die sich auf die engere V-Phrase beziehen, sind z.B. die Modalangaben, temporale A beziehen sich auf die äußere.
(10)
^
^
E
Afemp
Eakk
Amod
Kompakt zusammengefasst, mit Wortstatus, z.B. (11)
hat
Eduard gestern verkauft Auto
schnell
/ sein Anstelle von einwortigen adverbialen oder adjektivischen Angaben können auch Präpositional- oder Nominalphrasen stehen, vor der Nibelungenhalle, am Morgen, mit Vergnügen; den ganzen Tag. Weder die Setzung der Präposition, noch die Kasuszuweisung ist hier durch das Verb bedingt. Die lockere Bindung von Präpositionalphrasen zeigt sich im unterschiedlichen syntaktischen Verhalten. Während etwa eine Direktionalergänzung sich in der Wortstellung wie eine E ^ verhält und nur in markierter Verwendung an die Satzspitze tritt, kann eine Lokalangabe unmarkiert an der Satzspitze vorkommen: (12) (13) (14) (15)
Ich sehe einen Mann. (E^ Die Maus läuft unter den Tisch. (Edir) Unter den Tisch läuft die Maus. Unter dem Tisch (A^jJ läuft eine Maus.
Welche Angabetypen im Einzelnen vorkommen, wird in Kap.7 behandelt. Analog zu den Verbalphrasen verhalten sich 1. Adjektivphrasen (AdjP) a) prädikativ verwendete (16)
ähnlich Bruder
/
\ außerordentlich
/
seinem Dass prädikativ verwendete Adjektive Verben sehr ähnlich sind, ist seit längerem erkannt.
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Neuere grammatische Konzeptionen
(18)
/
/
ähnliche
gewachsene
/
ihm
hoch
/
\
außerordentlich
2. Nominalphrasen (NP) Hier sind zunächst Abstrakta und Konkreta zu unterscheiden. Bei Verbalabstrakta kann davon ausgegangen werden, dass sie ihre Valenz von den zugrandeliegenden Verben geerbt haben. (19) Der Verkauf an Ottilie erfolgte rasch. (20) Die Betreuung der Alten ist wichtig. Ob auch andere Abstrakta und auch Konkreta über notwendige Attribute („Adjunkte", Wolf 1982, S.57) verfügen, ist umstritten. (21) Die Theorie der Geldwirtschaft ist kompliziert. (22) Der Bruder seines Vaters ist schon sehr alt. Von den Adjunkten als Ergänzungsäquivalenten sind die eigentlichen Attribute abzuheben. Sie sind frei hinzufugbar und den A bei den Verben insofern vergleichbar, als sich auch bei ihnen allenfalls semantisch motivierte Restriktionen angeben lassen. (23) Die sorgfältige, ten/der schnelle
verantwortungsbewusste Verkauf/der große Baum im
Betreuung der AlGarten
Einzelheiten des Baus der Nominalphrase, insbesondere die Behandlung der Determinatoren (Artikel und äquivalente Ausdrücke) werden in Kap.8 behandelt. Im Prinzip ist die Dichotomie E/A, d.h. Valenzbindung und Angabeäquivalenz, bei den NP gut begründbar. Ob die NP ihrerseits in eine Determinatorphrase (DP) eingebettet ist, wird in Kap.8.2. behandelt. 3. Präpositionalphrasen (PP) Der Regensstatus von Präpositionen ist nicht zu bezweifeln. Als Relatorwörter, deren eines Argument asymmetrisch bereits syntaktisch abgebunden ist (vgl. Kap.6.4.5.), werden sie im Satz einwertig verwendet. Sie binden eine NP: (24')
vor dem Haus
(25')
nach
Weihnachten
(26')
über
meine Verhältnisse
(27') zwischen Ostern - u. - Pfingsten
Für die Bestimmung der Analogie zu anderen Phrasen ist es wichtig zu sehen, dass auch Angabeäquivalente vorkommen:
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Dependenz und Valenz als Module der hierarchischen Bindung
(24a')
vor
(25a')
l/ \ unmittelbar dem Haus
nach
(26a')
l / \ kurz Weihnachten
über
l/ \ deutlich Verhältnisse / meine
Diese hinzutretenden Ausdrücke brauchen nicht als phrasenkonstituierende analysiert zu werden. Die E/A-Dichotomie ergibt eine viel einfachere Lösung. Eine konstitutionelle Darstellung (24a1) könnte im Vergleich mit einer dependentiellen (24a") so aussehen: (25a") PP ; kurz
(25a'") PP' nach
NP I Ν
Präp U-" ! Adv
Ν
kurz nach Weihnachten
Weihnachten Die A-Indizierung bei der dependentiellen Darstellung lässt sich - und dies gilt generell - als kompakte Zusammenfassung der syntaktischen Verhältnisse in der Phrase (hier einer einfachen Präpositionalphrase, die um ein spezifizierendes Adverb erweitert ist) verstehen. 4. Subjunktionalphrasen (Nebensätze, CP) Subjunktionen eröffnen eine Leerstelle, die obligatorisch zu besetzen ist. Auf den Status der Nebensätze braucht hier nicht eingegangen zu werden. Es gibt solche, die eine verbale Leerstelle besetzen, wie die dass- und oè-Sâtze, und solche, die in eine Angabeposition eintreten: (28) dass/ob; weil/obwohl/nachdem/bis/falls... er es verkauft hat Die Subjunktionen stehen obligatorisch linksperipher, während die von ihnen zunächst gebundene äußere Verbalphrase ihren Kopf rechtsperipher hat. C-Phrasen, Nebensätze, bilden Strukturen, die semantisch bis auf die fehlende Illokution vollständig sind. Sie sind normalerweise syntaktisch unmarkiert, d.h. sie weisen die Grundstellung auf. In dem hier interessierenden Zusammenhang ist der Hinweis wichtig, dass auch die C Α-Äquivalente zulassen, wenn auch selten: (29>
, / c \ gerade weil Chat verkauft^ / \ er es
, / unmittelbar
c
\ nachdem _L
/ \ er es
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Neuere grammatische Konzeptionen
5. Sätze In den herkömmlichen Dependenzgrammatiken, bei Tesnière angefangen, über Engel (1988, 1994), Tarvainen (1981) bis zu Weber (1992) und Heringer (1996) wird vom Verb als dem hierarchisch am höchsten stehenden Wort ausgegangen. Es steht in dieser Konzeption an der Spitze des Satzes und organisiert ihn. Dass das Verb den Hauptteil des Satzes organisiert, ist nicht zu bestreiten. Aber die hierarchischen Verhältnisse an der Satzspitze sind damit noch nicht ausreichend beschrieben. Wir wollen deswegen anders vorgehen und nicht das Verb, sondern S an die Satzspitze stellen. Für diese Entscheidung lässt sich auf die Abhängigkeitsgrammatik von Kunze (1975) verweisen. Kunze sieht allerdings nur einen Knoten vor, indiziert ihn aber nicht. Nach ihm wäre unser - etwas vereinfachter - letzter Satz so darzustellen:
Er
verkauft
ihm
sein
altes
Auto.
Wenn wir kategoriale Symbole wählen, also ein „virtuelles" Stemma herstellen, ließe sich das so schreiben:
Er verkauft ihm sein altes Auto . Welche Begründung gibt es für eine solche Entscheidung? Semantisch gesehen liegen in den Verben mit ihrer Valenz komprimierte Urteilsmuster vor. Diese werden im aktuellen Satz in diesem realisiert. Dazu werden sie in den Satz e i n g e b r a c h t . Diese Ausdrucksweise soll betonen, dass das Verb mit seinen Ergänzungen und Angaben im Satz erscheint, in ihm enthalten ist. Sätze sind nicht einfach Verbalphrasen höherer Ordnung. Die VerbArgument-Struktur „enthält ihren Status syntaktischer Aktualität durch die Finitisierung des Verbs" (Eichinger 1995, S.214).
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Wichtiger aber noch scheint eine auch von Kunze nicht genutzte Konsequenz dieses Ansatzes zu sein: Auch Sätze können nun in manchen Fällen als abhängige Glieder aufgefasst werden: abhängig von bestimmten Konjunktionen: der Konnektor (die Konjunktion) und ist nämlich nicht von S abhängig, sondern umgekehrt, S ist von und abhängig. Man umgeht auf diese Weise gravierende Probleme der Konstituentenstrukturgrammatiken, wo die Konjunktionen als Bindeglieder von Sätzen in Bezug auf einen Hypersatz angenommen werden. S können wir, wenn die Auffassung aufrecht erhalten bleiben soll, dass die Dependenzgrammatik eine Wortverkettungsgrammatik ist, als Äquivalent eines Wortes, das den jeweiligen Satz in nuce enthält, auffassen. Das ist für die geschriebene Sprache unproblematisch. Da müssen die Satzzeichen ja als obligatorische Satz-Schlusssignale entsprechend behandelt werden. Kennzeichen von Wörtern nun ist es, dass sie sich paradigmatisch ordnen lassen. Es gibt keine einelementigen Wortklassen. Und eine erste Bestätigung dafür, dass die Aufnahme von S ins Dependenzstemma sinnvoll ist, ist die Tatsache, dass auch die Satz-Schlusszeichen aus einem Paradigma genommen sind, nämlich: ., ?, ! Der Übersichtlichkeit halber schreiben wir S., S?, S! Nun darf nicht der Eindruck entstehen, dass diese „Wortäquivalente" Aussage-, Frage- und Ausrufesätze wirklich sind. Sie sind nur der charakteristische suprasegmentale Teil derselben, das, was über die Verkettung der Wörter hinausgeht, und zwar im ausdruckssyntaktischen wie im inhaltlichen Sinne. Genau das bilden die Satzschlusszeichen ab. Sie geben ein klares Signal dafür, dass es sich jeweils um einen spezifischen Satz, nämlich einen Aussage-, einen Frageoder einen Aufforderungssatz und eben nicht um einen „Satz schlechthin" handelt (vgl. Simmler 1994). Eichinger (1995, S.215) vergleicht den Satzbeginn, insbesondere wenn ihm eine Konjunktion vorausgeht, mit dem „Eröffnen eines Menüs", wo einem „'Satzmodusformatvorlagen'" offeriert werden. Daraus ist eine Wahl zu treffen. Die Satzschlusszeichen sind echte Zeichen, auch wenn sie das, was sie signalisieren, außerordentlich kompakt leisten, sie verfügen über eine Ausdrucks- und eine Inhaltsseite. Wie lässt sich nun aber der ZeichenCharakter auch in der gesprochenen Sprache für diese Wörter nachweisen? In der geschriebenen Sprache manifestiert die Ausdrucksseite der Satzschlusszeichen der Punkt, das Fragezeichen und das Ausrufezeichen. Die Inhaltsseite dieser Zeichen hat die Bedeutung 'Aussagesatz kennzeichnend', 'Fragesatz kennzeichnend', 'Ausrufesatz kennzeichnend'. In der gesprochenen Sprache darf man die Rechtfertigung in der paradigmatischen Differenzierung der Satztypen erblicken, die sich vor allem in einem je spezifischen intonatorischen Überschuss - das wäre das materielle Äquivalent der geschriebenen Satzschlusszeichen - manifestiert. Die Inhaltsseite ist gleich. Die Aufnahme von S in das Dependenzstemma bietet für die adäquate Erfassung der Zusammenhänge im Satz weitere Vorteile. Die analogische Ausweitung des Valenzprinzips mit seiner Trennung in E und A, die für die anderen Wortarten gilt, kann um ein weiteres Element, näm-
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lieh das Satztyp bezeichnende, erweitert werden. Damit ist die Analogie zu V komplett, sie gilt für alle dependentiellen Stufen und erfasst auch S. Erst damit ist die Analogie zur X-bar-Syntax vollständig. Von S ist also obligatorisch ein V mit seinen weiteren Dependentien abhängig. Erst mit diesem Schritt lässt sich sinnvoll davon sprechen, dass das Verb seine Dependentien in den Satz „einbringt". Wenn die Analogie von S und V (, sowie von C, N, Adj. und P) gilt, dann sollte auch für S die Dichotomie E/A nachweisbar sein. Das ist sie in der Tat. Denn auf S bezieht sich die Klasse der Modalwörter, die auch Satzadverbien genannt werden. Ausdrücke wie wahrscheinlich, leider, unglücklicherweise beziehen sich stets auf den ganzen Satz. Sie sind nicht Parallelfälle zu Modal- oder anderen Adverbien. Semantisch gesprochen geben sie eine Einschätzung oder Bewertung des an das Prädikat gebundenen Sachverhalts. Sie lassen sich gewöhnlich durch Sätze paraphrasieren: (32) Er kommt wahrscheinlich. Es ist wahrscheinlich, dass er kommt. Unglücklicherweise kommt er. Es ist ein Unglück, dass er kommt. Diese semantische Leistung wird dadurch ausdrucksseitig manifest, dass die Modalwörter auch meist syntaktische Randplätze einnehmen oder, falls sie in den Satz eingeordnet sind, intonatorisch heraushebbar sind. Sie lassen sich dann in der Art von Parenthesen auffassen. Genauer werden die Modalwörter in Kap.7.2. behandelt.
3.3.4. Der Satznukleus Mit dem X-bar-Schema bzw. dem generalisierten Rektionsprinzip handelt es sich um den Kern der syntaktischen Strukturen. In dependentieller Sichtweise, d.h. unter Aufnahme der kompakten Bindung von E und A lässt sich sagen, dass dies die „genetische Bauformel" für den Satz, sein rekursiver Nukleus ist: (1)
X nA
nE
„Ein Phrasenkopf X bindet eine Folge von Ergänzungen und lässt eine Folge von Angaben zu." Schematisch lässt sich der Satz dann so darstellen: Um Verwechslungen mit anderen grammatischen Konzeptionen vorzubeugen: Die S (mit S., S?, S!) sind nicht genau dem S in einer Konstitutentenstrukturgrammatik zu vergleichen. Sie sind nicht Startsymbol fiir die (binären) Teilungen des Satzes, sondern sie sind oberstes Element des Satzes, von dem alle anderen Wörter abhängig sind.
Dependenz und Valenz als Module der hierarchischen Bindung
(2)
Κ
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\S
l / \ Mw
V INFL
'sub ^mod...
Ejjj,
Mit dieser Entscheidung gewinnen wir nun über die Struktur der Satzspitze, hierarchisch gesehen und auf die textuelle und diskursive Einbindung bezogen genauere Vorstellungen. Wir sehen nun nämlich klar, dass die Konjunktionen, die ja berechtigterweise bei der (linearen) Stellenforderung im Satz unberücksichtigt bleiben, wirklich über ihrem Satz stehen. Sie regieren ihren Satz, bzw. der Satz, an dessen Spitze sie stehen, wird durch sie gesteuert, er ist von ihnen abhängig. Im Falle der Konjunktionen sind also lineare Anordnung und hierarchische Struktur nicht variabel. Sie sind obligatorisch aneinandergebunden. Allerdings gibt es Ausnahmen: Die Konjunktion aber ist auch in den Satz integrierbar. Für die Konjunktionen und, denn, (doch) aber gilt: Sie stehen vor ihrem S, sie geben sich damit eindeutig einer suprasyntaktischen Ebene als zugehörig aus. Sie sind die „Scharniere" der Sätze, die diese textuell auffällig einbinden. Oder, anders ausgedrückt: Sie sind direkte Textelemente, die gleichsam zwangsläufig im Satz begegnen. Indikatoren für die Zulässigkeit einer solchen Auffassung sind die fakultativen Pausen, mit denen Konjunktionen von ihren Sätzen abgehoben werden können. Dies schlägt sich bisweilen in Doppelpunkten nieder, die nach ihnen gesetzt werden.
(3) Aber: So habe ich es doch gar nicht gemeint. (4) Denn: Das hörte ich gestern. (4') Denn
\
S. -te hör
ich
das
gestern
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Neuere grammatische Konzeptionen
Besonders gilt dies für die in der Gegenwartssprache, besonders in der Pressesprache und vergleichbaren Registern zunehmend begegnenden „syntaktisch hervorgehobenen Konnektoren" (Ortner 1983) oder „Parakonjunktionen" (Thim-Mabrey 1985, Glück/Sauer 1997). Hierbei handelt es sich um Hebungen von satzintegrierten Wörtern auf die Text- oder Diskursebene. Wörter, die konnektive Aufgaben haben wie die Konjunktionaladverbien oder haben können, wie manche Modalwörter, werden in solchen Fällen als diskursive Steuerungselemente uminterpretiert (vgl. genauer Kap. 12.1.).
4. Die Satzarten und ihre grammatische Darstellung
4.1. Satzarten, Satztypen und Satzmodi Im Unterschied zu Konstituentenstrukturgrammatiken ist 'S' in einer reinen Dependenzgrammatik kein Kategoriensymbol, das erst in der Expansion mit Elementen gefüllt wird, sondern als Repräsentant eines realen Zeichens aufzufassen. 'S' ist daher für einen realen Satz stets als 'S.' oder 'S?' oder 'S!' zu lesen, nämlich als oberstes Regens einer davon abhängigen Struktur. Ob die Menge dieser Belegungen von 'S' ausreicht, wird noch zu diskutieren sein. Es ist jedenfalls unbezweifelbar, dass mit dieser syntaktischen Sichtweise eine Entscheidung über den jeweiligen Satz bereits „an der Spitze" erzwungen wird: Dies gilt für die reale syntaktische Darstellung, indem die Zuweisung von syntaktisch verketteten Elementen zu einer 'Satzart' nicht umgangen werden kann. Es wird aber auch ein generelles linguistisches Problem angesprochen, nämlich die „Aufgabenverteilung" von Syntax, Semantik und Pragmatik, beziehungsweise konkreter, was in der Syntax, was in der Sprechakttheorie zu behandeln ist. Mit der Entwicklung der Sprechakttheorie konnte der Eindruck entstehen, dass die Satzarten in der Syntax weniger relevant seien, weil ihre Nutzung ohnehin pragmatisch zu bestimmen sei. Mittlerweile mehren sich aber die Stimmen, die in den Satzarten eine oberste Einordnungsklasse für das Vorkommen von Sätzen sehen (grundlegend Heibig 1998). Satzarten lassen sich dependentiell als syntaktische Muster rechtfertigen. Vor allem hat die Diskussion um die sogenannten Satzmodi dazu beigetragen, die formalen Eigenschaften von Sätzen auf ihre semantischen Grundfunktionen zu beziehen (vgl. u.a. Meibauer (Hrsg.) 1987, Pasch 1989, Altmann 1993, Näf 1995). Dies macht zunächst eine terminologische Klärung und dann eine Abgrenzung von den Sprechakten nötig. Für die Differenzierung von Aussage-, Frage- und Aufforderungssätzen und anderer vergleichbarer Funktionstypen soll im Folgenden von S a t z a r t e n gesprochen werden. Unter dem vielfach synonym begegnenden Ausdruck S a t z t y p e n (so noch Eroms 1998) könnte die Differenzierung von Haupt- und Nebensätzen, überhaupt verbstellungsbedingte Vorkommen von Sätzen oder auch das, was in einigen Grammatiken Satzbaupläne oder Satzmuster genannt wird, verstanden werden. S a t z m o d i sollen mit Heibig die den Satzarten „zukommende Bedeutung" (Heibig 1998, S.134) genannt werden. Dies ist der satzsemantische Teil der Formklassen der Satzarten. Zeichentheoretisch gesprochen
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sind damit Satzmodi die Inhaltsseite ihrer jeweiligen Satzarten. Da aber Ausdrucks- und Inhaltsseite aneinander gekoppelt sind, rufen Satzarten und Satzmodi die gleichen funktionalen Zusammenhänge auf, sie lassen sich daher auch insoweit synonym verwenden. Von Satzarten wird jedoch eher gesprochen werden, wenn die formalen Kennzeichen von Sätzen in ihren Grundfunktionen, von Satzmodi, wenn ihre inhaltliche Leistung gemeint ist. Allerdings setzt dies voraus, dass damit Unterschiede zur sprechakttheoretischen Bestimmung von Sätzen bestehen.
4.2. Satzarten und Sprechakte Zunächst sind deswegen einige Klärungen nötig, bei denen es um die Abgrenzung von Satzarten und Sprechakten geht. Denn in der herkömmlichen Linguistik haben die Satzarten, wenn sie überhaupt als Problem der Klassifizierung erkannt werden, zumeist den Status von Anwendungsformen der Sätze. Sie sind aber a l t e r n a t i v e Vorkommensformen, was etwas ganz anderes ist. Der Bezug zur Sprechakttheorie ist dennoch nicht so leicht zu geben. Über die Kategorien von 'Konstruktion' versus 'Interpretation' lässt sich aber zu einer befriedigenden Abgrenzung kommen. In den meisten Darstellungen zur Syntax des Deutschen werden die sogenannten Satzarten, wenn überhaupt, am Ende der eigentlichen Satzbeschreibung behandelt. (Vgl. Heibig 1998, S.130f., der die Zurückhaltung der Grammatiken bei dieser Problematik kommentiert.) Ausnahmen bilden u.a. der DUDEN (1995, S.590-597), der das Kapitel über den Satz mit einer Beschreibung der Satzarten beginnt und Hentschel/Weydt (1994, S.368ff.), die die Satzarten auch von den Sprechakten abheben.
Wenn also der Unterschied zwischen (1) und (2) (1) Er kommt morgen.
(2) Kommt er morgen?
darzustellen ist, wird meist davon ausgegangen, dass der Aussage- und der Fragesatz auf eine gleichartige Struktur zurückgehen, von der die eine, nämlich der Aussagesatz, in gewisser Weise rudimentärer, näher liegend oder ursprünglicher ist. Das ist eine insofern verständliche Sichtweise, als Aussagesätze ungemein häufiger vorkommen als Fragesätze, also diesen gegenüber unmarkiert sind. Zudem zeigt die Entwicklung der generativen Transformationsgrammatik, dass die Herleitung eines Fragesatzes aus einer aussagenahen Struktur ein Musterfall für Ableitungsbeziehungen überhaupt ist. Aber ein Indikator für die 'Frage' ist in der Tiefenstruktur oder gar der logischen Form auch vorgesehen, und so lässt sich durchaus überlegen, ob man nicht unter semantischem Gesichtspunkt die Gleichartigkeit und die Unterschiedlichkeit der beiden Sätze auf einen konstanten und einen variablen Teil projizieren könnte.
Satzarten und Sprechakte
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Für den Ersteren liegt es nahe, von der Proposition zu sprechen, den variablen Teil könnte man mit den Kategorien der Sprechakttheorie in Beziehung bringen, so dass die 'Illokution' 'Aussage' versus 'Frage' als eine funktionale Einsetzung der Proposition aufzufassen wäre. Doch wenn man so vorgeht, ist zu fragen, ob nicht das ganze Problem der Satzartendifferenzierung überhaupt in der Sprechakttheorie gelöst werden sollte, wenn der wesentliche Gesichtspunkt, der funktionale, ohnehin daher genommen wird. Altmann (1993), Heibig (1998) und Zifonun/Hoffmann/Strecker (1997) beschreiten einen anderen Weg, ebenso Eroms (1998). Denn die Sprechakttheorie ist gar nicht an der syntaktischen Lösung des Satzmodusproblems interessiert. Sie ist eine Theorie über die Einsetzung, die Verwendung von Sätzen als den kleinsten isolierbaren vollständigen Kommunikationsakten, und zwar in ihrer Steuerungsfunktion der kommunikativen Interaktion. Sätze - als Normalfälle 'kommunikativer Minimaleinheiten' (vgl. Zifonun/Hoffmann/Strecker 1997) - lassen sich nun zunächst genauso definieren, nämlich als isolierbare Einheiten der Kommunikation, die eine erkennbare Illokution aufweisen. Was an ihnen primär interessiert und sich sowohl materiell als auch inhaltlich bestimmen lässt, ist ihr Aufbau aus kleineren Teilen: Sätze sind komplexe Zeichen, deren Konstitution die Sprecher auf- und die Hörer abbauen, um zu signalisieren bzw. herauszufinden, welche Bedeutung die einzelnen Teile haben, damit sie in der Kommunikation spezielle Zwecke erfüllen können. Es kann davon ausgegangen werden, dass die Sätze eine Illokution aufweisen, also eine oberste Einordnungsklasse zeigen, aber es wäre verfehlt, anzunehmen, dass es bei der Bildung und Analyse von Sätzen nur darauf ankäme, die jeweilige Illokution und nur diese herauszufinden. Jedes Element, das syntaktisch gebunden ist, ist auch syntaktisch wichtig und kann etwa im weiteren Textverlauf durch Fortführung, Wiederaufnahme oder Korrektur aktiviert werden und damit in neuen Sätzen eine Rolle spielen. Ein Text ist keine bloße Addition, keine Summe von Illokutionen, sondern eine Verkettung von Sätzen, die ganz unterschiedliches Material enthalten. Von daher bereits rechtfertigt sich 'Syntax' auch im semantisch-pragmatischen Sinne, weil sie die Ordnungsregularitäten erarbeitet, die die Plätze jedes einzelnen Elements regeln. Eine letzte vorläufige Bestimmung des Unterschieds von Sprechakttheorie und Satzlinguistik kann damit gegeben werden, dass man auf die vielfaltigen sogenannten 'indirekten Sprechakte' verweist. Ein Musterfall ist etwa (3) Können Sie mir sagen, wieviel Uhr es ist? Darauf mit Ja zu antworten, hieße den Satz auf seine satzmodale Qualität zu beschränken. Kommunikativ adäquat sollen wir natürlich die Aufforderungsillokution erkennen und darauf reagieren. Immerhin ist mit den indirekten Sprechakten bereits zugegeben, dass Sätze „auf der obersten Ebene" zwei Regelungsinstanzen erkennen lassen, die der Syntax und die der kommunikativen Konvention.
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Die Satzarten und ihre grammatische Darstellung
Das Problem der Abgrenzung ist damit aber noch nicht gelöst, denn in der Logik etwa werden gerade Fragesätze mit guten Gründen als eine bestimmte Art von Aufforderungen verstanden (vgl. etwa Hartmann 1990, S.160). Am Beispiel des Satzes (3) sieht man das besonders gut: Es ist durch die Frage eine konkrete Handlungsanweisung gegeben, die der kooperationswillige Partner im Normalfall auch vollzieht. Das Moment der Indirektheit unseres Beispiels ist dennoch der „Normalfall": Illokutionen sind generell konventionell an bestimmte Sätze und Satzarten geknüpft. Sie werden stets satzweise gesamthaft bestimmt, und zwar durch eine Interpretation, die sich der Elemente der Sätze, der Sätze selber und vor allem des konventionellen Wissens, welche Funktionen diese Sätze haben können, bedient. Die sprechakttheoretische Kategorisierung ist der eigentliche pragmatische Bereich, den die Syntax vorbereitet, aber den sie nicht mehr als syntaktisch geregelt ansieht. Nicht nur bei den Fragesätzen sind die indirekten Verwendungen häufig: (4) Könnten Sie mir bitte noch ein Bier einschenken? (5) Jetzt schenkt mir sicher einer noch ein Bier ein. Wie man sieht, gibt es ganze Ketten von Indirektheiten. (4) lässt sich analog (3) begreifen. Der Fragesatz wird als Aufforderung und nur so verstanden. In (5) liegt, unterminologisch gesprochen, eine Vermutung vor, die an den Aussagesatz geknüpft ist. Zweifellos ist (5) dennoch eine Aufforderung. Allerdings ist der Satz noch 'indirekter' formuliert als (4). Wie steht es mit den Aussagen selber? Kann man auch hier erkennen, dass der Satzmodus von der Sprechaktbestimmung getrennt ist? Dies ist durchaus der Fall. Das Beispiel (5) ist vielleicht ein Maximalfall, denn die 'Vermutung' ist nicht einmal direkt an die Aussage geknüpft, sondern es ist eine 'Behauptung'. Mit der Vermutung wird nur gespielt. Man sieht auch, dass die Aussagen im Normalfall 'Behauptungen' sind. Behauptungen, als illokutive Klasse, sind Aussagen, die über die einfache Wahrheitswertbestimmung hinaus (wahr/nicht wahr) mit einer Versicherung durch den Sprecher oder die Sprecherin versehen sind, 'dass es sich so verhält', wie er oder sie es sagt, und dass mit dieser Versicherung die Aussage für einen bestimmten Zweck bereitgestellt wird. Was die modale Indizierung betrifft, muss hier ein Hinweis genügen: In jedem Satz finden wir, zumindest in nuce, die Stelle, an der die propositionale Bewertung abgesichert ist: das „Phema" (nach Zemb), das Modus-Morphem. Normalerweise ist dies der Indikativ. Der Indikativ signalisiert, dass der Sprecher die Wahrheit der Aussage des Satzes garantiert. Wird der Konjunktiv gewählt, wird die Aussage einem anderen kommunikativen Zweck bereitgestellt. Betrachten wir dazu den Satz (6), - in der Liste der Satzarten (s. Abschnitt 4.4.) ist es der Typ [1] - , und vergleichen wir ihn mit dem Satz (6a): (6) Der Bundestrainer ist zurückgetreten. (6a) Der Bundestrainer könnte zurückgetreten
sein.
Beides sind, satzmodal gesehen, Aussagesätze. In (6) wird v o m Sprecher die Wahrheit, dass der Bundestrainer zurückgetreten ist, garantiert, in (6a) aber gerade nicht. Das Konjunktivmorphem ist dafür verantwortlich, wenn auch nicht ausschließlich. Auch mit (6b): (6b) Der Bundestrainer
kann zurückgetreten
sein.
Satzarten und Sprechakte
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also mit einem indikativischen Modalverb, kann diese Deutung erreicht werden, wobei allerdings wiederum die generelle Leistung der Modalverben zu bedenken wäre. (Zur Grundleistung der Modalverben vgl. Fritz 1995.) Sie sind, was die Wahrheitswertbewertung des Satzes betrifft, Potentialitätssignale und etablieren „Redehintergründe" (Kratzer 1978, Zifonun/Hoffmann/Strecker 1997, S. 1882-1887). Genauer: Sie geben Realisierungsbedingungen des Satzes an. Morphematische und lexematische (auxiliare) Signalisierungen gehen jedenfalls auch hier zusammen. Da dies ausgesprochen konstruktioneile, nicht konventionell-interpretative Verfahren sind, müssen sie auch in ihrer syntaktischen Regelung verfolgt werden. Sie sprechen ebenfalls deutlich dafür, die Satzartentypologie und die Sprechakttypologie getrennt anzugehen. - In (6c) (6c) Der Bundestrainer hätte rechtzeitig zurücktreten können. ebenfalls einem Aussagesatz, ist wieder eine Behauptung vorhanden. Generell lässt sich daraus schließen, dass das Modusmorphem sich auf den semantischen Status des Satzes bezieht, d.h. auf seine Wahrheitswertkriterien. Diese aber werden über Sprecherentscheidungen eingebracht: Es wird entweder die Welt genommen, wie sie ist, oder „eine mögliche Welt entworfen". Beides sind sprecherverantwortete Kategorisierungen. Dieser Teil der semantischen Festlegung des Satzes bleibt im Rahmen seiner konstruktionellen Bedingungen. Er betrifft den Satzmodus. Satz (6c) ist genau wie (6), (6a) und (6b) ein Aussagesatz. Auch Satz (5) ist ein Aussagesatz, aber seine kommunikative Funktion ist aus seinen konstruktionellen Wegen nicht zu erkennen. Nur das konventionelle Wissen darüber, dass bei seiner Äußerung ganz bestimmte Eingabe- und Ausgabebedingungen herrschen und Erwartungen und Realisationen hervorrufen, die daran geknüpft sind, kann dazu führen, dass dem Satz eine Aufforderung entnommen wird. Die Bedingungen dafür genau festzulegen, ist Aufgabe der Sprechakttheorie. Aufgabe der Syntax ist es, das Inventar von Satzarten mit ihren Modi festzulegen und Kriterien für ihre Binnendifferenzierung anzugeben. Auf die logisch-semantische Seite der Satzmodi kann hier nur kurz eingegangen werden. (Eine ausführliche Diskussion der hier auftretenden Probleme findet sich bei Zifonun/Hoffmann/Strecker 1997, S.616-630). Wenn auch die Einsatzmöglichkeit der Sätze in der Kommunikation, ihre pragmatischen Grundfunktionen, von der Sprechakttheorie zu beschreiben sind, so muss doch für die Satzmodi eine sie gegeneinander differenzierende Leistungsabgrenzung gegeben werden, damit die syntaktisch relevante Bestimmung der Kriterien für die Satzarten funktional gegründet ist. Wenn von der, vor allem im Morphem des finiten Verbs verankerten, Sprecherverbindlichkeit ausgegangen wird, dann kann die propositionale Seite des Satzes als sprecherverantwortete Einbringung von Wissensbeständen in die Kommunikation verstanden werden. Die drei Kernbereiche der Satzmodi lassen sich dann folgendermaßen erfassen: Der Aussagemodus ist der Modus, mit dem Wissen über die Welt für den Hörer bereitgestellt wird. Der Fragemodus bezieht sich auf den gleichen Wissenstyp, nur markiert er eine Leerstelle, die der Hörer füllen soll: entweder eine, die die gesamte Proposition (bei Entscheidungsfragen) oder eine, die einen Teil betrifft (bei w-Fragen). Der Modus der Aufforderung aktiviert einen anderen Wissenstyp, nämlich einen solchen, der in der Proposition noch nicht als geltend mar-
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Die Satzarten und ihre grammatische Darstellung
kiert ist. Er soll erst heibeigeführt werden. Dies geschieht durch Aufforderung des Sprechers an den Hörer.
4.3. Kriterien für die Bestimmung der Satzarten
Auch und gerade, wenn mit S., S! und S? jeweils eine spezifische Satzart bestimmt und damit die jeweilige Kategorie entschieden wird, muss festgelegt werden, welche Eigenschaften es sind, die die Differenzierung ermöglichen. Die in Abschnitt 4.4. gegebene Liste enthält nun aber nicht nur drei Satzarten, sondern fünf Hauptarten mit insgesamt 17 verschiedenen Arten. Die Liste umfasst damit immer noch nicht alle, wohl aber die wichtigsten Arten, die sich für das Deutsche ermitteln lassen. Sie enthält, mit einigen Ergänzungen, die Typen, die Altmann (1993) als die gängigsten zusammengestellt hat. Die Diskussion, welche Typen möglicherweise noch einbezogen werden müssen, ist noch längst nicht abgeschlossen (vgl. etwa für die „unselbständigen VerbzweitSätze" Reis 1997). Zu ihrer Etablierung werden Kriterien aus den verschiedensten Bereichen benötigt, nämlich solche der verbalen Morphologie, der Lexik, der Wortstellung und der Intonation. Im Einklang mit der Grundentscheidung, ein Spitzenzeichen anzunehmen und die unter S liegenden Wörter durch interne dependentielle, hierarchische Verkettung geregelt aufzufassen, sind zunächst global Wortstellung und Intonation als Satzarten regelnde Kriterien anzusehen. Sie sind für die Satzartendifferenzierung die wichtigsten. Doch ist dies noch genauer zu bestimmen: Erstens sind die syntaktischen Mittel nicht einfach als wichtige, weniger wichtige und/oder redundante zu betrachten, sondern alle spielen zusammen und signalisieren die entsprechende Satzart. Denn es darf nicht vergessen werden, dass die Satzartenkennzeichnung eine Ordnungsklammer für die Propositionen darstellt, damit diese illokutiv bewertet werden können. Zudem treten Sätze fast nie isoliert in der Kommunikation auf. Ihre Kontexteinbindung als Ganzes und aller ihrer Teile ist wichtig. Zweitens sind die für die Satzartenermittlung relevanten Kriterien immer auch für die eben genannten Zwecke benötigt, d.h. entweder „satzintern" oder „kontextuell". Und so sind die Kriterien häufig auch nur in Zweifelsfällen, d.h. wenn man sich nicht sicher ist, ob man einen Satz nun dem einen oder dem anderen Modus zuweist, entscheidend. Ideal wäre es, wenn sich die Satzarten erstens über ausdrucksseitige Kriterien eindeutig gegeneinander differenzieren ließen und zweitens die Entscheidung sich auch noch auf ein einziges Merkmal gründen könnte. Dies ist nicht der Fall, und das ist offensichtlich der Grund, warum nicht nur materielle Abgrenzungsschwierigkeiten bestehen, sondern auch die Kategorie der Satzarten als Gesamtheit Probleme aufgeworfen hat.
Kriterien für die Bestimmung der Satzarten
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Zunächst ist zu beachten, dass alle Kriterien polyfunktional sind: Die Wortstellung differenziert u.a. die Satztypen Haupt- versus Nebensatz, die terminale Intonation markiert textuelle Abgeschlossenheit versus Fortsetzung, lexikalische Elemente sind entweder fakultativ wie die Partikeln oder intern vorhanden oder nicht wie die w-Formen bei den Fragesätzen. Diese Ambiguitäten wären jedoch kein methodischer Einwand gegen eine Satzartenbestimmung über diese Kriterien, denn mit dem Festlegen ihrer jeweiligen Quelle, d.h. ihrer Stelle im Stemma, sind immer auch andere Kriterien verbunden, die zusammen eine eindeutige Entscheidung ermöglichen. So sind die folgenden Satzpaare auf Grund eines Kriterienverbundes bestimmbar:
(7a) (7b) (8a) (8b) (9a) (9b)
Ob er kommt? ob er kommt Er weiß es nicht. Er weiß es nicht? Wen hat er zum Rücktritt aufgefordert? Er hat wen zum Rücktritt aufgefordert?
(7a) erweist sich bei identischer Wortstellung zu (7b) durch die Intonation als Satzart, während (7b) mit terminaler Intonationskontur kein selbständiger Satz ist. Er muss in eine Struktur wie (7c) eingebunden sein.
(7c) Ich weiß nicht, ob er kommt. (8a) wird gegen (8b) dagegen einzig durch die Intonation differenziert. (9a) gegen (9b) trennt durch Wortstellung und Intonation innerhalb einer satzmodalen Hauptart zwei Unterarten. Daraus lässt sich der Schluss ziehen, dass offenbar nicht ein einziges ausdrucksseitiges Kriterium ausreicht, um die Satzarten generell zu differenzieren, aber auch, dass ausdrucksseitige Kriterien insgesamt die Differenzierung ermöglichen. Allerdings ist der Verbmodus als einziges Kriterium für die Bestimmung eines Imperativsatzes ausreichend.
(10) Komm jetzt endlich! Doch zeigen funktionsäquivalente Sätze wie (11), die zweifellos in eine gleiche Satzartenklasse gehören, dass dieses Kriterium nur für eine, allerdings prototypische Aufforderungsart gilt:
(11) Ob der jetzt endlich kommt! Ausdrucksseitig als einheitlich ist bei (10) und (11) Folgendes zu erkennen: Es ist eine bestimmte intonatorische Kontur, der abrupte Tonabfall auf dem Rhemagipfel, der sich am Schluss des Satzes findet. Nur fragt es sich, ob dies als letztgültiges Kriterium für die Kennzeichnung der Aufforderungsarten akzeptiert wird.
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Die Satzarten und ihre grammatische Darstellung
Der von Rosengren (1988, S.12) angesetzte Algorithmus zur Identifizierung von Satzarten erfasst ihre Kerngruppe, d.h. Aussage-, Frage- und Aufforderungssätze, nicht aber Ausrufe- und Wunschsätze und sieht von der Intonation ab: + -» Imperativsatz + [w-Ausdruck]
w-Fragesatz
( 1 2 ) Imperativmodus \
[w]-Element
^ - [w-Ausdiuck] -» Entscheidungsfragesatz
- [w]-Element
Aussagesatz
Heibig (1998, S.128) weist darauf hin, dass das hier angesetzte [w]-Element kein ausdrucksseitiges Element darstellt (dies ist ausschließlich der [w-Ausdruck]). Es ist offenbar eingeführt, um die Einheitlichkeit der Fragesätze zu repräsentieren. Semantisch gesehen, ist ein solches Element ein adäquates Kennzeichen für Fragesätze, die in der Tat eine 'Lücke' im Kenntnisstand des Sprechers markieren, entweder, um die Proposition als Ganzes zu verifizieren oder zu falsifizieren (13) oder eines ihrer Teile (14a), (14b), (14c): (13) Liest er? (14a) Wer liest?
(14b) Was liest er? (14c) Was tut er?
Die Markierung der Proposition als Ganzes als „in Frage stehend" wird nun aber so gut wie immer und eindeutig durch die Intonationskontur geleistet. (13) wird mit Stimmhebung realisiert. Die Wortstellung, die auf den ersten Blick so unbezweifelbar diese Satzart kennzeichnet, ist es nicht. Denn es begegnen auch Sätze wie (15): (15) Erliest? Gleichwohl wäre es inadäquat, die Kriterien, die zur Abgrenzung der Satzarten herangezogen werden, von vornherein zu hierarchisieren, sowohl, was ihre Quantität als auch was ihre Obligatorik betrifft. Vielmehr muss darauf geachtet werden, generell den richtigen Kriterienverbund und im Minimalfall das entscheidende Kriterium zu ermitteln. Es ist fast immer die Intonation, die die letzten Zweifel ausräumt. So macht die Stimmhebung am Schluss bei (6) aus dem Aussagesatz einen Fragesatz, und nur diese Maßnahme ist es, die diese gravierende Auswirkung hat: (6d) Der Bundestrainer ist zurückgetreten? Dies ist der Grund, warum die Intonation als suprasegmentales Zeichen in S angesetzt werden kann (vgl. Kap.2.7.). Sie liegt im wahrsten Sinne des Wortes „über" dem Satz. Da der Satz restfrei aus Wörtern besteht, kann sie sich nur in
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Kriterien für die Bestimmung der Satzarten
einem Wort ansiedeln, die Wortartikulation überlagern und Differenzierungen der Sätze bewerkstelligen. Was die Gesamtintonation des Satzes betrifft, so sind für die Satzartendifferenzierung längst nicht alle Faktoren relevant. So ist die Thema-Rhema-Signalisierang normalerweise propositionsbezogen und betrifft die Satzartendifferenzierung nicht direkt. Sie liegt darunter. Das heißt, die Lage des Satzhauptakzentes und die mögliche Abstufung von Nebenakzenten ist normalerweise nur für den propositionalen Teil des Satzes wichtig. Es gibt aber einige Besonderheiten, denn der Hauptakzent kann bei manchen Satzarten eine charakteristische Verstärkung erfahren, die sich wiederum als Überlagerung erklären lässt: (16) Hat der vielleicht gestaunt! (17) Der hat vielleicht gestaunt!
(18) Hat der vielleicht gestaunt! (19) Der hat vielleicht gestaunt!
Dies sind alles Exklamations- oder Ausrufesätze. Der charakteristische Akzent wird je nach Stellungstyp verschieden plaziert. Von einer Aussage aber ist der Ausrufesatz vor allem durch diese Akzentverstärkung abgegrenzt. Allem Anschein nach behält der Satz unterhalb dieser besonderen Akzentregelung seine Thema-Rhema-Gliederung, denn etwa in (16) liegt in gestaunt immer noch der „normale" Hauptakzent vor. Nicht betroffen von der Satzartendifferenzierung ist weiterhin der Kontrastakzent. Normalerweise ist das nur bei Aussagen der Fall. Kontrastierende Aussagen sind (meist punktuelle) Korrekturen, daher bleiben bis auf die kontrastierten Glieder alle anderen unbetont. (Für die Unterscheidung „normaler" und „kontrastiver Akzent" immernoch grundlegend Fuchs 1976). (6e) Der Bundestrainer hat der ARD (und nicht dem ZDF) ein Interview gegeben. ÌJ Wie die angeführten Beispiele zeigen, ist von der Thema-Rhema-Gliederung und der Kontrastmarkierung der sogenannte Offset, d.h. die Stimmführung am Schluss des Satzes, nicht betroffen.
Trotz der oben angeführten Bedenken, ist für die Satzartendifferenzierung die Wortstellung wichtig, vor allem die Position des finiten Verbs. Im Deutschen gilt die Zweitstellung des Finitums als die satzkennzeichnende Position schlechthin. Aber es gibt eine Fülle von anderen Möglichkeiten. Und, strukturell gesprochen, ist erstens gerade eine Differenzierung benachbarter Typen wie der Entscheidungsfrage gegen die w-Frage über die Wortstellung möglich. Zweitens ist auch die Verbend-Satzstruktur für kommunikative Minimaleinheiten zulässig. Dies ist aber immer ein Signal fur eine auffällige Besonderheit. Weitere positioneile Bedingungen sind noch anzugeben. Schließlich ist das Vorkommen gewisser Partikeln für die Satzarten kennzeichnend. Ausdrücke wie vielleicht, doch, aber, auch sind, wenn sie satzbezogen verwendet werden, lexematische Steuerungsoperatoren. Sie sind satzartgebunden. Auch die morphologischen Besonderheiten können satzartendifferenzierend sein. Hier ist, wie schon gesagt, der Imperativ prototypisch für eine ganze Klasse. Aber auch dies darf nicht dazu verführen, die sonstigen Merkmale der Sätze des Aufforderungsmodus als bloß redundante anzusehen.
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Die Satzarten und ihre grammatische Darstellung
4.4. Form- und Funktionsmerkmale der deutschen Satzarten
Liste der wichtigsten Satzarten Formkriterien Verbstellung
Position
LexematiMoiphemaOffsche Beson- tische Beson- set derheiten derheiten
Akzent
Aussagemodus 1 Veib-Zweit-Aussagesatz 2 Verb-Erst-Aussagesatz
V2 VI
doch
Indikativ \
Fragemodus 3 4 5 6 7
Entscheidungsfragesatz oò-Verb-Letzt-Fragesatz Alternativfragesatz Assertivfiagesatz w-Verb-Zweit-Fragesatz
8 w-Versicherungsfragesatz 9 w-Verb-Letzt-Fragesatz
VI VL VI V2 V2 V2 VL
/ / \ / /
wohl oder w.Vorfeld w:Mittelfeld w.Vorfeld
w-Pronomen w-Pronomen w-Pronomen, wohl
/ /
Aufforderungsmodus 10 Veib-Erst-/Verb-ZweitImperativsatz 11 dass- (und ob-) VerbLetzt-Aufforderungssatz 12 Heischesatz
V1(V2) VL
Imperativ
\
Indikativ
\
Konjunktiv I
\
(doch) doch
Konjunktiv II Konjunktiv II
\ \
X X
(vielleicht)
Indikativ
\
X
(so)
Indikativ
\
X
(aber auch)
Indikativ
\
X
ja/nur nicht
V1(V2)
X
Wunschmodus 13 Verb-Erst-Wunschsatz 14 we«»-Verb-LetztWunschsatz
VI VL
Exklamativmodus 15 Veib-Erst-/Verb-ZweitExklamativsatz 16 ¿ass-Veib-LetztExklamativsatz 17 w-Verb-Zweit-/VerbLetzt-Exklamativsatz
V1(V2) VL V2(VL)
Form- und Funktionsmerkmale der deutschen Satzarten
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Die Tabelle führt 6 Parameter auf: - Zwei positionelle, darunter als wichtigstes die Stellung des finiten Verbs (VI: Verberststellung; V2: Verbzweitstellung; VL: Verbletztstellung), sodann, als internes Differenzierungskriterium bei den w-Fragesätzen die Stellung des w-Elementes. - Zwei wortbezogene, darunter erstens das Vorkommen von Partikeln, sodann morphologische Kriterien. Bei diesen handelt es sich um die Form des finiten Verbs. - Zwei intonatorische, darunter als wichtigstes die Plazierung der Terminalkontur des Intonationsbogens, der Offset, sodann das Vorkommen eines bestimmten Akzenttyps bei den markierten Satzarten. [ 1 ] Der Bundestrainer ist zurückgetreten. [2] Ist der Bundestrainer doch zurückgetreten. [3 ] Ist der Bundestrainer zurückgetreten? [4] Ob der Bundestrainer wohl zurückgetreten ist? [5] Ist der Bunde strainer zurückgetreten oder bleibt er im Amt? [6] Der Bundestrainer ist zurückgetreten? [7] Wer ist zurückgetreten? [8] Der Bundestrainer hat was getan? [9] Wer wohl zurückgetreten ist? [10] Treten Sie zurück! [11] Dass Sie mir ja/nur nicht zurücktreten! [12] Möge er uns noch lange erhalten bleiben. [13] Wäre er (doch) rechtzeitig zurückgetreten! [ 14] Wenn er doch rechtzeitig zurückgetreten wäre! [15] Ist der doch einfach/Der ist doch einfach zurückgetreten! [ 16] Dass er so einfach zurückgetreten ist! [ 17] Wie hat sich der Bundestrainer (aber auch) geärgert! Es werden im Einklang mit der Mehrzahl der Grammatiken fünf Modi angesetzt: Aussagemodus (Aussagesätze, Deklarativsätze) Fragemodus (Fragesätze, Interrogativsätze) Aufforderungsmodus (Aufforderungssätze) Wunschmodus (Wunschsätze) Exklamativmodus (Ausrufesätze, Exklamativsätze) Die Modi sind nach ihrer ungefähren Häufigkeit angeordnet. Während die Aussagesätze zahlenmäßig dominieren, sind Wunsch- und Ausrufesätze eher seltene Typen. Zifonun/Hoffmann/Strecker (1997, S.610) sprechen hier von peripheren Modi. 1. Die Sätze des A u s s a g e m o d u s umfassen zwei Typen. Der erste ([1]) ist der „Default"-Typ, er ist überdies der Prototyp der Sätze schlechthin. Er ist in jeder Hinsicht unmarkiert. Aussagesätze sind sprechàkttheoretisch überwiegend
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Die Satzarten und ihre grammatische Darstellung
'Behauptungen', eine Sprechaktklasse, die deswegen nicht auffallig in Erscheinung tritt, weil sie sozusagen der Normalfall der Kommunikation ist. Zifonun/ Hoffmann/Strecker (1997, S.626 und S.638f.) unterscheiden 'Aussagen im engeren Sinne' und 'Festlegungen'. Letztere sind u.a. zukunftsbezogene Aussagen, bei denen der Sprecher das Wahrwerden der Proposition mit dem Aussprechen des Satzes im Vorgriff auf das Eintreten selber garantiert (Morgen wird es regnen) oder eine Instanz beruft, die die Garantie übernimmt (Morgen soll es (laut Wetterbericht) regnen). Die Sprechaktbewertung soll im Folgenden nur am Rande interessieren. Es gibt auch Aussagesätze mit Verbspitzenstellung [2], Hier angeführt ist der Typ, der einen Vorgängersatz fortsetzt und Normalakzent, keinen Kontrastakzent aufweist. (20) (Es hat sich eine neue Lage für die Nationalmannschaft ergeben.) Ist der Bundestrainer doch zurückgetreten. = [2] Die Intonationskontur weist allerdings Ähnlichkeiten zu Kontrastsätzen auf. Eine solche wäre: (21) Ist der Bundestrainer doch zurückgetreten. Es gibt weitere Aussagesätze mit Verberststellung im Deutschen: (22) Kommt doch der DFB-Sprecher und sagt... Dies sind spezielle Einleitungssätze von Texten oder Textabschnitten. Weitere Verberstaussagesätze, die mehr oder weniger häufig begegnen, sind in der umfassenden Studie von Önnerfors (1997) ermittelt worden. Der durch (23) repräsentierte Typ, der durch „aufzählende Reihung" gekennzeichnet sei (Önnerfors 1997, S.124), kommt nur mit wenigen Verben wie bleiben, hinzukommen und folgen vor. (23) Dies ist soweit erledigt. Bleibt uns nur noch, die entsprechende Mitteilung weiterzugeben. Diesem Typ ließe sich auch der von Önnerfors als gesonderter gebuchte (Önnerfors 1997, S.156) mit sein an die Seite stellen: (23a) Dies ist soweit erledigt. Ist doch die ganze Angelegenheit schon vorher so gut wie geregelt gewesen. Die Verwendungsweise wie in (24) umfasst deontische Modalverben, insbesondere sollen, es schwinge eine Nuance des Desinteresses, der Gleichgültigkeit seitens des Sprechers mit (Önnerfors 1997, S. 151). (24) Die Angelegenheit ist soweit erledigt. Sollen sich künftig andere damit herumplagen. Ist hier immer eine 3. Person involviert, so ist der jüngst von Simon (1998) entdeckte und gewürdigte dialektale Typ obligatorisch auf die 2. Person bezogen: (25) Kinnan-S fei aa nachher zahln. Auch dieser Satztyp transportiert, wie Simon herausarbeitet, eindeutige Konnotationen, etwa „Beschwichtigung, Beruhigung" (Simon 1998, S.149).
2. Bei den F r a g e s ä t z e n ([3-9]) ist in jedem einzelnen Fall die Intonation das entscheidende und letzte Kriterium. So könnte man (26) (= Typ [3]) und
Form- und Funktionsmerkmale der deutschen Satzarten
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(27) (= Typ [10]) verwechseln, wenn wir die Stimmhebung bei (26) nicht hätten:
(26) Versprechen wir es? (27) Versprechen wir es! Entscheidungsfragesätze sind im Deutschen, wie in vielen anderen Sprachen, einfach strukturiert und klar signalisiert. Sie sind überwiegend kurz, haben einen konkaven Gesamtintonationsverlauf und fordern den Partner gleichsam zur unmittelbaren Antwort auf. Der Οό-Verb-Letzt-Fragesatz [4] kann mit dem „ultimativen" Aufforderungssatz ([11]) konkurrieren. Beide sind sehr spezielle Satzarten. Abgesehen von der eindeutig differenzierenden Intonation weisen sie darüber hinaus meist unterschiedliche Partikeln auf. Selbst wenn wohl im Typ [11] vorkommt:
(28) Ob du wohl endlich dein Versprechen einlöst... ist es die Intonation, die hier alles andere überlagert. Die Alternativfragen [5] sind sehr auffällig durch ihre obligatorische Stimmsenkung am Schluss. Dies ist ein im Grunde merkwürdiges Faktum. Man kann es sich vielleicht so erklären, dass der Sprecher sich auf mehr festlegt als er erfragt. Die Assertivfrage [6] ist eine typische kontextgebundene Form. Denn es muss schon etwas vorausgegangen sein, damit ein Satz wie [6] geäußert werden kann. Es sind dialogische Reaktionen. Auch wenn dieser Typ, wenn man seinen Wortbestand betrachtet, wie ein Aussagesatz aussieht, so ist er auf Grund der Intonationskontur ein Fragesatz. Die Intonation wird dependentiell gesehen an der Satzspitze geregelt. Sie ist es, die den Satz dominiert und in diesem Fall eindeutig und einzig den Satzmodus festlegt. Die w-Fragesätze bilden den zweiten großen Bereich der Fragesätze. Der Offset ist steigend, er kann aber auch fallend sein. Aber dieser Satztyp wird durch die Fülle der möglichen w-Wörter deutlich genug gekennzeichnet. Diese stehen auch an der Satzspitze, und so ist auch hier, wie bei Typ [3], eine Art Bogen gebildet. Es folgen zwei Spezialtypen. Bei [8] ist das w-Wort betont. Umgekehrt kann man sich fragen, warum es in den normalen Fragen eigentlich nicht betont ist. Der Typ [9] ließe sich auf den ersten Blick auch als ein Exklamativsatz auffassen. Aber es ist doch eine echte Frage; der Offset ist allerdings nicht einfach steigend, sondern weist eine charakteristische Kurve auf. Und der Satz hat keinen Sonderakzent. Die Situationen, in denen dieser Typ auftritt, sind meist dialogisch.
Vergleicht man die Arten der Fragesätze mit den Aussagesätzen, so lässt sich auf den ersten Blick bei letzteren eine größere Artenvielfalt feststellen. Fragesätze sind Satzarten, die obligatorisch Kommunikationspartner benötigen und auf die Vielfalt möglicher Kommunikationsformen abgestellt sind. Typ [3] und Typ [7] stellen die Fragesatznormalfälle dar. Es ist schon darauf hingewiesen,
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Die Satzarten und ihre grammatische Darstellung
dass ihre Gemeinsamkeit ausdrucksseitig allenfalls in der Klammerbildung, der sie unterliegen, gesehen werden kann. Beim Entscheidungsfragesatz wird in Sätzen mit periphrastischen Verbformen eine Maximalklammer gebildet:
(29) Ist er sogleich oder erst nach längerem Überlegen zurückgetreten? Bei w-Fragesätzen kann man zwischen w-Fragewort und dem letzten Verbteil eine Klammer erblicken. Gleichzeitig geben die Fragesätze Anlass, über das Problem der Selbständigkeit von Sätzen nachzudenken. Bei allen Satzarten wird davon ausgegangen, dass sie kleinste isolierbare, in sich vollständige Einheiten sind. Im Gegensatz vor allem zu Nebensätzen, die nur Teil einer Illokution sind und in ihrer syntaktischen Unselbständigkeit durch ein Bündel von Merkmalen deutlich gekennzeichnet sind, werden alle 17 hier behandelten Satzarten als selbständig angesehen. Sie sind propositional komplett und lassen eine Illokution erkennen. In den prototypischen Fällen der einzelnen Modi liegen gleichzeitig auffällige Sprechakttypen vor: Aussagesätze als 'Behauptungen', Fragesätze als 'Wissensergänzungen' usw. Während aber Aussagen als Behauptungen, wenn sie im Diskurs nicht angegriffen werden, selbständig und abschließend sind, sind Fragen diskursiv erst durch ihre Antwort komplett. Diese sind auf jeden Fall semantisch unvollständig, wenn man sie von ihren Fragen isolieren und nur ihre kommunikative Minimalform betrachten würde. Diese wären bei den Entscheidungsfra-
gen ja, nein und Alternativformen wie wahrscheinlich, ich glaube, natürlich, nie, bei denen entweder ja oder nein impliziert ist oder einer solchen Festlegung ausgewichen wird. Derartige Formen sind auch keine 'kommunikativen Minimaleinheiten', denn sie weisen z.B. keine eindeutigen Illokutionen auf. Syntaktisch müssen sie als Repliken auf ihre zugehörigen Fragen bezogen werden. Wie der für die Syntax der Satzarten zu wählende Mechanismus zu erklären ist, wird am Ende dieses Abschnitts dargestellt. Dies kann z.B. durch einfache Markierung geschehen:
[3] Ist der Bundestrainer zurückgetreten? Ja.
Det
Ν
Ist der Bundestrainer zurückgetreten? (R = Replik)
Ja.
Form- und Funktionsmerkmale der deutschen Satzarten
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3. Es folgen die A u f f o r d e r u n g s s a t z f o r m e n . Die hierher gehörenden Spechakttypen reichen von Befehlen, Anordnungen und Weisungen über Vorschläge und Anleitungen bis zu Warnungen, Ratschlägen und Bitten. Der klassische Imperativsatz ([10]) mit dem Imperativmorphem des finiten Verbs weist ein unbesetztes Vorfeld auf, es kann aber ein Glied dazutreten, etwa ein Subjekt oder ein Zeitadverbial (vgl. Donhauser 1986, S.98-112): (30) Du versprich das nicht! (31) Jetzt tritt doch zurück! Auch die sogenannten Adhortativsätze gehören hierher. (32) Gehen wir in den Garten! Dazu gibt es eine Fülle von Parallelformen: (33) Lasst uns in den Garten gehen! (33 a) Wollen Sie bitte in den Garten gehen! Die Intonationskontur derartiger Sätze ist nicht ganz genau die gleiche wie bei den Aussagesätzen. Der Fokusgipfel (Rhemagipfel) fällt normalerweise steiler ab. Die größere Stärke lässt ihn dennoch nicht als Sonderakzent, als überlagernden Akzent, verstehen. Die dass- oder oi-Sätze ([11]) sind selten, sie sind sprechakttheoretisch ultimative Aufforderungen oder aber gutgemeinte Ratschläge: (34) Dass ihr mir nur sicher wieder nach Hause kommt! Eine häufig begegnende syntaktische Schablone sind Aufforderungssätze des folgenden Typs: (35) Seien Sie so freundlich und parken Sie bitte woanders! Hier wird mit dem ersten Konjunkt eine Höflichkeitsmaxime berufen, sie dient als Aufhänger für die eigentliche Aufforderung (dazu eingehend Donhauser 1982). Falls man nicht einen eigenen Modus ansetzt, wie es Zifonun/Hoffmann/ Strecker (1997, S.664-667) tun, lassen sich Heischesätze als Sondergruppe dem Aufforderungsmodus zuweisen: [12], Ihr Kennzeichen ist der Konjunktiv I in der Funktion, eine Annahme oder einen Wunsch zu benennen. Von daher könnte man die Heischesätze auch zusammen mit den Wunschsätzen behandeln. Doch ist als gemeinsames Merkmal am ehesten eine indirekte Aufforderung anzusetzen, einen als erfüllbar gedachten Sachverhalt herzustellen. Dieser Satztyp ist auf dem Weg der Erstarrung, wie vor allem die Schablonen (36) und (37) zeigen. (36) Sei g die Verbindung zweier Punkte a und b. (37) Das walte Gott.
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Die Satzarten und ihre grammatische Darstellung
4. Die W u n s c h s ä t z e umfassen zwei Typen (Genaueres bei Scholz 1991). Die beiden Untertypen [13] und [14] sind abgesehen von der Verbstellung, beziehungsweise dem Beginn mit wenn, sehr ähnlich: Sie weisen neben dem Konjunktiv die Partikel doch auf, die in [13] auch fehlen kann. Semantisch ließe sich dafür plädieren, sie als ersten Teil eines dann noch fortzuführenden Gebildes aufzufassen, sie also als Ellipsen zu werten. (38) Wenn er doch bessere Leistungen gebracht hätte - dann brauchte er jetzt nicht zurückzutreten! Mit guten Gründen gehen die neueren Darstellungen nicht diesen Weg. Denn die Formen kommen eben tatsächlich so vor, nämlich isoliert. Aber sie weisen noch eine andere Eigenschaft auf, und diese ist für die Satzartenbestimmung generell von größter Wichtigkeit. Auf einer der Silben der Sätze kann ein Sonderakzent, der meist eine Dehnung darstellt, liegen: (39) Hätte... (40) ...Lästungen... Bereits beim dass- und ob-Verbletzt-Aufforderungssatz findet sich dieser Akzenttyp und ferner bei der letzten noch zu besprechenden Gruppe der Satzarten, bei den Ausrufesätzen. Allerdings sind, vor allem bei den Wunschsätzen, die intonatorischen Markierungen teilweise fakultativ. Das bedeutet jedoch nicht, dass sie für die Differenzierung zu vernachlässigen wären. Im Gegenteil, wie bei den Fragesätzen steigender Offset im Konfliktfall d.h. wenn die satzmodale Qualität nicht deutlich ist - , also das intonatorische Merkmal als letztlich entscheidendes zu wählen ist, so ist auch bei den Wunschsätzen und Ausrufesätzen der gedehnte Sonderakzent die letztgültige Markierung des entsprechenden Modus. Auch dies wertet die anderen Merkmale der Modi keineswegs ab, sondern belegt nur wieder, dass das suprasegmentale Mittel variabel eingesetzt werden kann, vor allem, dass der Intonation überhaupt entscheidende Funktionen im Rahmen der Syntax zukommt. 5. Über die E x k l a m a t i v s ä t z e ([15-17]) ist, im Vergleich mit den anderen Typen, schon manches gesagt worden. Es ist sicher der am wenigsten klare Modus. Für seine Konstituierung spricht, dass auch hier der Sonderakzent zu finden ist. Während bei den Wunschsätzen der Sonderakzent in einer größeren Längenausdehnung besteht, ist es hier eine Druck-Verstärkung. Man könnte aber auch dafür plädieren, dass es sich bei den Ausrufen um eine besondere Klasse von Aussagesätzen handele. Dafür spricht ihre Sprechaktklassifizierung, wenn man das „Erstaunen" als eine emphatische Behauptungsklasse werten will. Aber die formalen Kriterien sprechen hier, wie bei den Wunschsätzen, doch eher für eine syntaktische Sondergruppe, vor allem der auffällige Akzent ist zu registrieren.
Die syntaktische Ableitung der Satzmodi
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Auch semantisch-funktional sind die Exklamativsätze gut zu erfassen. Sie markieren alle eine emphatische Bestätigung des Sprecher und Hörer gemeinsamen Wissensausschnittes, der in der Proposition gefasst ist.
4.5. Die syntaktische Ableitung der Satzmodi Bevor der syntaktische Ableitungsweg skizziert wird, soll auf drei Bereiche noch einmal hingewiesen werden: Erstens lassen sich über die Formkriterien die Satzmodi und die einzelnen Arten zweifelsfrei gegeneinander differenzieren. Dies haben wir eingehend geprüft, was nicht heißt, dass nicht noch sehr viel mehr Sonderbedingungen einbezogen werden könnten. Dies gilt insbesondere bei den selteneren Typen (vgl. für die Sätze mit Spitzenstellung des finiten Verbs Önnerfors (1997), weiteres bei Rosengren (1992), wo auch der Zusammenhang von Satztypen und Illokutionsklassen behandelt wird). Zweitens sieht man deutlich, dass die herangezogenen Kriterien im entscheidenden Fall aus der gesprochenen Version des verschrifteten Satzes genommen werden, ein klares Zeichen für die Notwendigkeit der Einbeziehung ebendieser Kriterien in die Syntax allgemein. Denn Druckstärke und Länge von Akzenten, Tonhöhenverläufe und insbesondere On- und Offset sind materielle Eigenschaften der Sprache, die in der Syntax auch zu repräsentieren sind. Drittens schließlich zeigen die Satzmodi, dass die Syntax diesen „übergeordneten Bereich", diesen Bereich über den Wörtern, nicht nur überhaupt bedenken und behandeln muss, sondern da einsetzen muss, wo er seinen Platz hat, eben „über den Wörtern". Dies ist der Satz und so lassen sich die Satzartensymbole als Kerne ihrer Sätze ansehen, die den Satzmodus in nuce enthalten: (41) S S. S? S! SS\
{S., S?, S!, S-, S\> Aussagesatz Fragesatz Aufforderungssatz Wunschsatz Ausrufesatz
Eine alternative Darstellungsform wäre: (41a)
S - > { S D , SQ, SJ, SO, S E }
Aber einmal wäre hier für die zu wählenden Subskripte eine Entscheidung zu treffen. Denn die Terminologie ist in den Darstellungen völlig uneinheitlich. (Mit den Subskripten wäre hier angespielt auf D: Deklarativsatz, Q: Question, I:
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Die Satzarten und ihre grammatische Darstellung
Imperativsatz, 0 : Optativsatz, E: Exklamativsatz.) Zum andern sollte mit dem Startsymbol materiell und direkt zum Ausdruck gebracht werden, dass es sich damit um ein suprasegmentales Zeichen handelt. Schließlich kann damit auch der Operatorstatus, den dieser Marker für den Satzmodus aufweist, erfasst werden. Der Satzmodus kann als Operator aufgefasst werden (vgl. Bierwisch 1980, S.24), der Propositionen in einstellungsbewertete Äußerungen überführt. Damit hat man die Satzmodi realistisch dargestellt, nämlich materiell in einem Zeichen. Sie werden also nicht interpretativ erfasst, dies ist der Fall bei den Sprechakten, die wir aus der Kenntnis der Sprache und ihrer Handlungsformen bewertend den Sätzen, genauer: jedem einzelnen Satz, hinzufügen. Die Satzmodi liegen vor diesem Schritt. Sie sind der oberste Bereich, in dem Rektion gilt, Rektion aufgefasst als die Zeichen-Eigenschaft, die jeweils spezifische Dependenzen regelt. Die syntaktische Ableitung lässt sich dann folgendermaßen darstellen: Die Leitidee bei der Regelung der Satzartendarstellung über das regierende Startzeichen ist, dass mit dem jeweiligen Paradigmenglied S., S?, S!, S-, S\ die Wortstellungs- und Intonationsregelung der jeweiligen Satzart ausgelöst wird. Im Kapitel über die Serialisierungsregularitäten (Kap.9) wird genauer dargestellt, dass und wie die Wortstellung aus unterschiedlichen Quellen geregelt wird. Die wesentlichen Gesichtspunkte sind dabei die folgenden: Grundlage der Anordnungsregularitäten sind die universal festgelegten und/oder sprachtypologisch gebundenen Anordnungsgesetzlichkeiten der Grundreihenfolge. Von dieser Annahme gehen so gut wie alle syntaktischen Konzeptionen aus. Im Deutschen sind diese Regularitäten in textneutralen Nebensätzen zu fassen, d.h. solchen, in denen möglichst nur rhematische Glieder auftreten. Der textuell neutrale Satz baut sich für die Ergänzungen von rechts nach links auf. Thematische Glieder, d.h. solche, die text- und diskursgebunden sind, haben für die nominalen valenzgebundenen Glieder Linkstendenz. Ergänzungen werden - nach Regeln, die in Kap.9 eingehend behandelt werden - schrittweise, d.h. jeweils um eine Position, nach links verschoben. Mit geeigneten intonatorischen Maßnahmen können derartige Linksverschiebungen auch für rhematische Glieder vorgenommen werden. Angaben weisen einerseits eine kompliziertere Anordnungsregularität auf, indem sie keine einfachen Linksverschiebungen zulassen, andererseits sind sie einfacher zu regeln, weil sie in ihrer Grundreihenfolge im Großen und Ganzen verbleiben. Sie haben - auch hier kann auf Einzelheiten verzichtet werden - Rechtstendenz, gleichzeitig sind sie skopusindizierend: Ihr Geltungsbereich erstreckt sich im Wesentlichen nach rechts. Dieses Anordnungssystem wird im Deutschen durch das sogenannte Feldersystem entscheidend beeinflusst. Die verbalen Teile legen ein zweites Ordnungssystem über die Grundgliederung, beziehungsweise, diese muss sich in das relativ starre Felderschema vor allem des Aussage-Hauptsatzes einpassen. In neueren, vor allem generativen, Arbeiten wird die Mittelfeldreihenfolge als Ausgang für weitere Veränderungen betrachtet. Die Randpositionen des Sat-
Die syntaktische Ableitung der Satzmodi
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zes, insbesondere das Vorfeld, d.h. der Platz vor dem klammeröffnenden Teil, dem Finitum, wird durch Extrapositionsregeln besetzt. Wie in Kap. 9 genauer gezeigt wird, bildet aber für die Masse der Sätze, eben die Aussagesätze, die Felderstruktur kein Hindernis. Das Vorfeld, bei dem die Barriere des finiten Verbs übersprungen werden muss, ist für so gut wie alle Glieder des Satzes, E und A, erreichbar. Es ist das Topic des Satzes. Dieses ist unter diskursiv-textueller Hinsicht die ausgezeichnete Position im Satz; gewöhnlich befindet sich dort die thematische Basis. Welche Auswirkungen haben nun die Satzmodi? Sie lassen sich als Auslöser auffassen, das lexikalische Material nach den fünf Klassen anzuordnen. Sie sind sozusagen 'Makros' für die Wortstellung in Kombination mit der Intonation und enthalten diese Regularitäten in nuce. Es darf nicht vergessen werden, dass in so gut wie allen syntaktischen Konzeptionen stillschweigend davon ausgegangen wird, dass ein Satz „eine normale Intonationskontur aufweist". Intonation ist aber eine materielle Eigenschaft, die mess- und feststellbar ist. Sie ist ein suprasegmentales Zeichen, das über den Wörtern liegt, sich aber zwangsläufig in diesen festmacht. Als Zeichen, auch wenn es Zeichen am Zeichen ist, m u s s die Intonation im Ableitungsgang des Satzes repräsentiert sein. Bedeutungstragende Elemente - und dazu gehört die Intonation - können nicht sich selbst überlassen werden, sondern müssen geregelt werden wie alle anderen Elemente des Satzes auch. [1] Für die Aussagesätze ist beim Typ [1] keine zusätzliche Erklärung nötig. Dieser Typ wird bei der Einführung der Wortstellungsregeln als Defaultfall genommen. Im Vergleich mit allen anderen Satzarten ist nun in Bezug auf ihn nur zu sagen, dass obligatorisch ein Satzglied das Vorfeld zu besetzen hat. [2] Bei diesem Aussagesatztyp fehlt das Vorfeld. In Kombination mit dem Vorkommen von doch wird dieser - seltene - Aussagesatz erzeugt.
Pärtdoch
Ist der Bundestrainer doch zurückgetreten . [3]
Der Entscheidungsfragesatz wird durch das Makro S? ausgelöst. D.h. auch hier wird kein Vorfeld konstituiert. Für diesen Satztyp sei der Ableitungsweg in den hier nötigen zwei Schritten skizziert:
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Die Satzarten und ihre grammatische Darstellung
[3·]
[3"]
S? V,infin Det Ν
der Bundes- zurücktrainer getreten
ist Ist der Bundestrainer zurückgetreten ?
Mit dem Entscheidungsfragesatz soll nun zunächst der w-Fragesatz verglichen werden. S?
[7"] fin ' Pron„
V:infln
Wer ist zurückgetreten? Die Oberflächenform wird durch das Makro S? in Kombination mit dem w-Element ausgelöst. Der Unterschied zu [1] liegt ausdruckssyntaktisch ferner in der Intonationskontur, die nur fakultativ als steigend ausgelöst wird. [4] Hier wird dem Satz durch das Makro S? eine andere Intonationskontur, nämlich steigender Offset, aufgeprägt. [5] Der erste Teil des Satzes wird analog [3] erzeugt; für den zweiten wird die Senkung der Offset-Kontur durch den Konnektor oder ausgelöst. [6] Vom Aussagesatz unterscheidet sich dieser Satz nur durch den steigenden Offset. Dieser resultiert aus S?. [8] Das w-Element ist betont, der Offset nur fakultativ steigend. Die Ableitung ist im Vergleich mit den anderen Typen kompliziert.
(dass) der Bundestrainer was getan hat was ist betont, ausgelöst durch eine Rhematisierungsregel (vgl. Kap.9.2.). Dies verhindert seine Bewegung ins Vorfeld. Stattdessen wird die Wortstellung des Aussagesatzes ausgelöst.
Die syntaktische Ableitung der Satzmodi
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Der Bundestrainer hat was getan ? [9] Dieser Typ wird analog [4] erzeugt. [10] Der Auforderungsmodus wird durch S! ausgelöst und umfasst ein Bündel von Merkmalen. Satzfunktional ist der Rhemagipfel, der mit dem Offset zusammenfällt, das auffälligste Kennzeichen der ganzen Klasse. Zu Recht werden aber die singularischen Imperative, also Satzformen, bei denen ein „semifinites Verb" vorliegt (Donhauser 1986, S.124) als prototypisch angesehen. Es wäre nicht sinnvoll, hier zunächst eine Grundreihenfolge zu generieren, in der die verbale Flexionsform der 2. Pers. Sg. angesetzt und dann die flexivischen Elemente wieder getilgt würden. Vielmehr muss die tempus-, modus- und personneutrale Verbwurzel als Ausgang angesehen werden. Sie stellt nicht nur typologisch, sondern auch genetisch eine archaische Form dar. Damit repräsentiert sie aber auch ein archaisches Serialisierungsmuster, nämlich eines, bei dem Verbspitzenstellung anzusetzen ist. Dies ist offenbar für die urgermanische Sprache als regulär anzusehen (vgl. Fourquet 1938). Daher kann der Aufforderungssatz mit der Imperativischen Verbform als ohne Bewegungsregeln ablaufend aufgefasst werden, so dass sich direkt ergibt:
Tritt
zurück !
Imperative lassen sich damit als archaische kopfinitiale Strukturen auffassen. Dies muss nicht als Inkonsequenz für die Behandlung der Wortstellungsregularitäten angesehen werden. Im Gegenteil, es wäre merkwürdig, wenn sich alle Strukturen des Deutschen ausnahmslos auf den unsere Sprache bestimmenden kopffinalen Typ ausgerichtet hätten. Imperative scheinen im Übrigen generell archaischere Strukturen zu konservieren. Der Vergleich aller Satzmodi zeigt, dass bis auf den Typ [10] alle durch das Merkmal -Imperativ gekennzeichnet
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Die Satzarten und ihre grammatische Darstellung
sind. Darin schlägt sich dieser für die Wortstellungsregularitäten des Deutschen so wichtige typologische Unterschied nieder. [11] Dieser Typ ist analog [4] und [9] zu beurteilen. Für die 2. Pers. Sg. tritt die flektierte Form ein, womit nicht die Imperativische, sondern die flektierte Normalform des Verbs den Ausgang bildet. [12]-[17] Über die Ableitungsbeziehungen und darüber, dass der Status dieser Satzarten weniger klar ist als der der Haupttypen, ist oben bereits schon das Wichtigste ausgeführt. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass darstellungstechnisch die Satzarten sich als in den Startzeichen S., S?, S!, S-, S\ komprimierte „Makros" auffassen lassen. Sie enthalten das Ablaufprogramm für die von ihnen abhängigen Sätze. Die Einzelausformungen ergeben sich in Kombination mit dem jeweils unterschiedlichen lexikalischen Material, von dem einiges allerdings wiederum satzartentypisch ist.
5. Die verbalen Teile des Satzes und ihre Verkettung
5.1. Die verbale Valenz 5.1.1. Grundsätzliches Umfang und Reichweite des Valenzkonzeptes lassen sich an der verbalen Valenz am besten bestimmen. Dies steht nicht nur im Einklang mit dem Gang der Forschung, es ist auch leichter abrufbar: Verben erscheinen in anderer Weise und viel offensichtlicher 'unvollständig' oder ungesättigt als Substantive: schlafen, hören, wohnen, schreiben, schenken, denken verlangen geradezu nach geeigneten Substantiven, beim Benennen von Verben werden nominale Ausdrücke als Beteiligte von kleinen Handlungs- oder Vorgangsszenen oder Zuständlichkeiten spontan mitgedacht. Dies ist bei Substantiven wie Brief, Haus, Nachricht nicht so unmittelbar der Fall, wenn auch durchaus nicht ausgeschlossen. Denn Verben und Substantive sind, wie es dem Tesnièreschen Grundstemma und auch allen herkömmlichen Zugängen zu entnehmen ist, aufeinander hingeordnet. Unvollständig, „sättigungsbedürftig" sind aber eindeutig die Verben. Substantive und die durch sie bezeichneten Personen, Gegenstände und Sachverhalte denkt man sich eher als von Verben ge- oder mit einander verbundene. Die grammatische Tradition fasst diesen Vorstellungskomplex teilweise mit dem Begriff der Rektion. (Zu Vorläufern der Valenzlehre vgl. Naumann 1986.) Der in der Nachfolge Tesnières stehende und sich auch zeitgleich mit seiner Konzeption herausbildende Valenz- und Wertigkeitsbegriff (vgl. Eiben 1995) fuhrt eher, wie wir schon in Kap.3.3. gesehen haben, eine naturwissenschaftliche Vorstellung weiter: Wie ein Element aufgrund seiner Valenz andere Elemente an sich zu Molekülen anlagert oder im Atom selber der Kern Elektronen bindet, bindet auch das Verb aufgrund seiner Wertigkeit andere „Elemente" an sich. Metaphern sind hilfreich, aber auch verführerisch. Schwerer wiegt, dass Sprache, anders als die gesamte Materie, ein von Menschen eingesetztes Handlungssystem ist zur Erreichung kommunikativer Zwecke. Bei der Übertragung des Valenzbegriffs aus der Chemie oder Physik in die Sprachwissenschaft darf diese radikale Abstraktion auf den Kristallisationskern von kommunikativen Einheiten nicht vergessen werden. Unter dieser Prämisse ist die Metapher dann hilfreich: Es ist ein organisierendes Zentrum anzusetzen, das mit unterschiedlicher Wertigkeit Elemente anderer Klassen binden kann, ja binden muss. Denn auch im Bereich der Materie werden Verbindungsprozesse gleichsam erzwungen. Schließlich ist daran zu erinnern, dass auch der naturwissenschaftliche Wertigkeitsbegriff selber eine Modellvorstellung ist, also zumindest eine Abstraktion darstellt.
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Die verbalen Teile des Satzes und ihre Verkettung
Eine noch formalere Deutung des der verbalen Valenz zu Grunde liegenden Phänomens ist der Bezug auf logische Vorstellungen: Wie ein Prädikat Argumente erfordert und dabei seine Stelligkeit von entscheidender Bedeutung ist, so gibt es ein-, zwei- und höherwertige Verben, die entsprechende Füllungen ihrer Leerstellen verlangen. Mit dieser Vorstellung wird auch der Unterschied von Einstelligkeit gegenüber Bindungen mit mehreren Gliedern, echten Relationen, plastisch. „Logische" und „sprachliche" Vorstellungen brauchen in ihrem Verhältnis zueinander nicht als gebender (Logik) und nehmender Teil (Sprache) aufgefasst zu werden. Die logischen Vorstellungen haben sich aber aus den sprachlichen entwickelt; sie sind die formalen Abstraktionen und helfen nunmehr, die Leistung sprachlicher Prädikationen zu beurteilen.
Was in der Sprache durch Valenz der Wörter miteinander verbunden wird, ist, weil es sich wieder um Wörter handelt, zeichentheoretisch fassbar. Wörter sind inhalts- und ausdrucksseitig bestimmbar, aber sie sind, wie alle Zeichen, gesamthaft funktional. Entsprechend lässt sich von ausdrucks- und von inhaltsseitiger Valenz sprechen, wie überhaupt der Schichtung des Valenzbegrifîs in logische, semantische, logisch-semantische, semantisch-pragmatische und syntaktische Facetten nachgegangen wird. Derartige Schichtungen können Einsichten in die jeweiligen Bereiche vermitteln. Für den Sprachvergleich etwa ist es hilfreich, von einer abstrakten Stelligkeit eines Konzeptes auszugehen, somit gleichsam eine neutrale logische mögliche Grundstruktur anzunehmen und die Realisierung in verschiedenen Sprachen zu verfolgen. Isolierungen von logischen, semantischen, syntaktischen und pragmatischen Valenzen sind jedoch immer Abstraktionen vom Gesamtbegriff der Valenz, der dadurch als ein Bündel verschiedener Schichten erscheint. Die Differenzierung der Valenz in Ebenen oder Schichten bestimmt die Valenzdiskussion, wie sie bei Heidolph/Flämig/Motsch (1981) zusammengefasst ist (vgl. dazu Welke 1988, S.97-106). Valenz als sprachliche Ordnungsrelation ist ein im Grunde unteilbares Konzept. Allerdings ist es, weil es die Verbindung von Verben und Substantiven in funktionierender Kommunikation benennt, also in aktuellen Prädikationen, bedeutungsseitig gedacht. Die daran geknüpfte, zeichentheoretisch gesehen nicht eliminierbare Ausdrucksseite ist die syntaktische Konsequenz des Konzeptes. Die Einheitlichkeit des Valenzbegrifîs darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass in der älteren Literatur zur Valenz sehr unterschiedliche Vorstellungen herrschten, die ganz verschiedene Dinge hervorgehoben haben und zu teilweise widersprüchlichen Ansichten gelangt sind. Diese Unzulänglichkeiten sind von Joachim Jacobs aufgedeckt und in einer Abhandlung mit dem Titel 'Kontra Valenz' als jeweils unabhängige Valenzbeziehungen kommentiert worden (Jacobs 1994). Einige dieser Beziehungen sind dabei als weniger relevant wieder aufgegeben worden, die verbleibenden sind die folgenden: Notwendigkeit, Beteiligtheit, Argumenthaftigkeit, formale/inhaltliche Spezifiziertheit. In der Tat sind diese Relationen zunächst unabhängig zu formulierende Bedingungen für das Valenzkonzept, beziehungsweise, es kann keine Rede davon sein, dass sie stets alle vorliegen. Um das Verfahren des Nachweises abzukür-
Die verbale Valenz
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zen, soll davon ausgegangen werden, dass die schon angegebene Argumenthaftigkeit die logisch-semantische Grundlage des Valenzkonzepts bildet. Dies kann nur so verstanden werden, dass Ergänzungen zu Verben i η d e r A r t von Argumenten zu Prädikaten aufgefasst werden, nicht aber eine l:l-Entsprechung vorliegt. Vor allem ist erst noch zu bestimmen, was als ein Argument zu werten ist. Manifest wird diese Valenz-Grundschicht in der 'Beteiligtheit' der Aktanten in der „Verbszene". Dieser Aspekt ist der von Tesnière ursprünglich gefasste. Die formale/inhaltliche Spezifiziertheit bezieht sich auf die Tatsache, dass einzelsprachlich bestimmte Bedingungen einzuhalten sind und sich in der Rektion niederschlagen (Jacobs 1994, S.27). Wir haben schon in Kap.3.3. gesehen, dass für das Deutsche - für das Englische gilt Entsprechendes - das Subjekt als anders regiert anzunehmen ist, als die übrigen Aktanten. Das Notwendigkeitskriterium ist am offensichtlichsten mit den anderen Beziehungen nicht in Einklang zu bringen. Sätze wie (1) Sie schreibt./Er hilft bei der Gartenarbeit. füllen die Argumentstellen des zweiwertigen Verbs schreiben und des dreiwertigen helfen nicht vollständig. Die Weglassbarkeit von Ergänzungen macht es notwendig, sich zu entscheiden, ob man bei der Valenzbestimmung von maximalen Besetzungsmöglichkeiten ausgehen oder die Bewertung nach den jeweils aktuellen Einbindungsbedingungen der Sätze vornehmen soll. Für beides gibt es plausible Begründungen. Besteht man auf dem lexikalisch gebundenen Grundansatz des Valenzkonzepts, ist die erste Möglichkeit zu favorisieren. Dies hat zum Konzept der „fakultativen Ergänzungen" geführt. Bei allen Entscheidungen zwischen Ergänzungen (E) und Angaben (A), die auf Testprozeduren beruhen, müssen die möglichen fakultativen Ergänzungen eigens berücksichtigt werden.
5.1.2. Die Abgrenzung der Ergänzungen von den Angaben Damit können wir uns den empirischen Bedingungen des Konzepts zuwenden: Sind die Verben gegeben, dann ist die valenzgrammatische Frage zunächst: welches sind die valenzgebundenen Substantive? Terminologisch ist die Redeweise von Tesnière, von Aktanten zu sprechen, hilfreich. Hier wird die Schauspielmetapher aktiviert, die mit den Assoziationen von Handlung, Szenen, Umständen und Kulissen den verbalen Handlungskern einsehbar, wenn auch ein wenig suggestiv, erweitert. Andere Bezeichnungen sind Ergänzungen, Mitspieler oder Komplemente. Unsere Ausgangsverben waren schlafen, hören, wohnen, schreiben, stellen, schenken, denken. Sätze, die damit gebildet werden können, sind etwa: (1) Arne schläft. (2) Gisi schreibt an Sigi.
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Die verbalen Teile des Satzes und ihre Verkettung
(3) Gisi schreibt einen Brief. (4) Gisi schreibt einen Brief an Sigi. (5) Gisi schreibt am Tisch einen Brief an Sigi. (6) Gisi schreibt. (7) Gisi kann schon schreiben. (8) Gisi schreibt am Tisch. (9) Mona hört BS. (10) Mona hört im Radio BS. (11) Oma hört nicht mehr gut. (12) Mona hört am Morgen BS. (13) Wanda wohnt am Inn. (14) Wanda wohnt nicht, sondern haust. (15) Wanda wohnt nicht schlecht. (16) Vera stellt die Tassen auf den Tisch. (17) Vera stellt Oma die Tassen auf den Tisch. (18) Vera schenkt Sigi die Jandl-CD. (19) Vera schenkt Sigi die Jandl-CD zu Weihnachten. (20) Vera schenkt grundsätzlich nur CDs. (21) Vera schenkt. (22) Vera denkt an Sigi. (23) Vera denkt.
Alles dies sind grammatische und akzeptable Sätze. Welches sind die Ergänzungen? Ehe ein empirisches Verfahren entwickelt wird, kann ein Blick auf diese sehr unterschiedlichen Sätze zeigen, dass es alles andere als offensichtlich ist, was eine Ergänzung (Komplement) ist und was eine Angabe (Supplement) als Komplementärmenge der dependenten Glieder. Die vollständige Prädikatsvorstellung ist an das einzelne Verb gebunden, sie ist einzelverbspezifisch. Welches E- und welches Α-Kandidaten sind, muss also jeweils eigens bestimmt werden. Die nächstliegende Lösung ist die Weglassung der fraglichen Elemente. Offenbar ist das Subjekt nie weglassbar, aber es lassen sich durchaus Situationen denken, in denen die folgenden Sätze adäquat sind. Etwa indem auf eine Frage geantwortet wird: (24) Schläft. (25) Schreibt an Sigi. Sinnvolle Fragen dazu wären etwa: (26) Was macht Gisi? Was macht Arne ? Für die anderen Sätze ließen sich analoge Situationen denken. Diesen Typ von Reduziert»arkeit kann man aber sicher nur für bestimmte Situationen, in denen das weggelassene Glied quasi doch präsent ist, zulassen. Für das Akkusativobjekt gilt teilweise Entsprechendes. Aber hier bereits zeigen sich starke verbspezifische Unterschiede:
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Die verbale Valenz
(27) Gisi schreibt. ist möglich, (28) Mona hört. (29) Vera stellt auf den Tisch. (30) Wanda schenkt Sigi. sind in zunehmendem Maße inadäquat, bis hin zur Blockade. Umgekehrt ist es nicht einfach anzugeben, warum die weglassbaren Glieder wie Sigi, Oma, am Tisch in (6), (16) und (18) auch Ergänzungen sein sollen oder aber Angaben sind. Deutlich wird, dass Ergänzungen unterschiedlich stark gebunden sind. Die kasuelle Form spielt dabei eine Rolle. Die 'reinen' Kasus sind mit größerer Wahrscheinlichkeit E als die präpositionalen. Was diese betrifft, so sind bereits hier drei Klassen auszumachen. Alle diese Bedingungen und darüber hinaus solche, die auf die Reichweite der jeweiligen Einheiten gehen, werden nun in einem Testverfahren verbunden, das Zifonun/Hoffmann/Strecker (1997, S.1030-1064) entwickelt haben. Dieses Verfahren sei hier in aller Kürze und ohne die dort verwendete Terminologie vorgestellt. Es ist ein Testverfahren, das fragliche Elemente, „E-Kandidaten", einem Filter-System (hier vereinfacht wiedergegeben) unterwirft: (3"
+
* fakultative E
V /
A Ein fragliches Syntagma mit einem Ausdruck, der auf seinen Status geprüft werden soll, wird zunächst positiv (+) auf Weglassbarkeit getestet, mit dem R-
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Die veibalen Teile des Satzes und ihre Verkettung
Test, dem R e d u k t i o n s t e s t . Voraussetzung ist, dass von kommunikativ isolierbaren Sätzen ausgegangen wird. Ellipsen wie (32) (Kann Gisi schreiben?) Gisi kann. gehorchen eigenen Bedingungen. Wenn das zu prüfende Syntagma ohne den Ausdruck unvollständig ist, dann liegt eine obligatorische E vor. Dies trifft z.B. auf alle Subjekte zu, auf die Akkusativobjekte aber nur zum Teil. (33) Gisi liest. (34) *Gisi schenkt. Die Ausdrücke, die den Filter passieren, werden nun in den nächsten Filter eingegeben. Es sind also noch vorhanden: die fakultativen E und alle A. Aber noch ein Nebenergebnis hat der R-Test. Wir stoßen dabei auf das Problem der Verbvarianten: (35) Du hast das Problem erkannt. (36) Ich habe ihn gleich an seinen langen Haaren erkannt. Hier kann man vielleicht noch der Meinung sein, dass bei einer Reduktion des Satzes (36) um an seinen langen Haaren die Bedeutung von erkennen die des Satzes (35) ist. Aber die Bedeutung des Verbs erwarten in den beiden Sätzen (37) Wir erwarten heute abend Gäste. (38) Das hätte ich nicht (von dir) erwartet. ist sehr unterschiedlich. In jedem Fall geht die Sichtung nun weiter. Mit dem F o l g e r u n g s t e s t lassen sich die fakultativen E positiv herausfiltern. Es wird folgende Operation angesetzt: Der fragliche Ausdruck wird durch eine Variable, durch ein Indefinitpronomen, ersetzt, und es muss zwischen der reduzierten und der indefiniten Version eine Folgerungsbeziehung bestehen und zwar so, dass man sagen kann: „So ließe sich immer folgern": (39) Wir erwarten heute jemanden. —» Geiste (40) Das hätte ich nicht von einem/jemanden erwartet. -» von dir Das Problem aber ist, dass damit nicht die A ausgeschieden werden können. Denn wir können z.B. folgern: (41) Gisi schreibt den Brief irgendwo. —» am Tisch Das Problem sehen Zifonun/Hoffmann/Strecker natürlich auch und sie sagen u.a. dazu: „Bei Paraphrasen [ihrer Sätze] und in ähnlichen Fällen hingegen gibt es keinen Anlass, Orts- oder Zeitbestimmungen oder Angaben von Gründen und so weiter ins Spiel zu bringen. Da alle Geschehnisse in Raum und Zeit stattfinden und alle Ereignisse Ursachen und Gründe haben kön-
Die veibale Valenz
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nen, gehören solche Spezifikationen nicht zur Verifikationsregel bestimmter einzelner Verben" (Zifonun/Hoffmann/Strecker 1997, S.1048). - Das können wir jedoch nicht automatisieren, sondern müssen es allein aus unserer Vor-Kenntnis in Rechnung stellen. Allerdings werden im Vergleich mit den obligatorischen Aktanten von diesen die fakultativen abgehoben. Wenn man die Überlegungen zu Sätzen des Typs (44) gelten lässt, dann hat man im negativen Fall die A herausgefiltert. In jedem Fall werden a l l e Elemente gleich noch einmal einem nächsten Test unterworfen, nämlich dem A n s c h l u s s - T e s t . Dieser besagt, kurz: Ist die zu testende Phrase durch und das χ der um das fragliche Element reduzierten Phrase anknüpfbar? Ihr Ausgangs-Beispiel ist: (42) Er fand im Wald eine Mark. (43) Er fand eine Mark, und das im Wald. Und dieser Test ist valide. So kann man etwa nicht sagen: (44) *Er las, und das ein Buch. (45) *Er erwartete, und das Gäste. In einer Reihe von Fällen ergeben sich weniger klare Abgrenzungen. So gerät man in Zweifel etwa bei: (46)
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Er hatte das nicht erwartet, und das von ihm.
Mit dem geschehen-Test, auf den noch eingegangen wird, scheinen hier etwas klarere Ergebnisse erzielbar zu sein, die die Entscheidung von Zifonun/Hoffmann/Strecker, hier für Aktanten zu plädieren, bestätigen. Schließlich sind Fälle wie (47) Er erwachte durch den Straßenlärm. (48) Er trug den Koffer für sie. zu betrachten. Bei ihnen zeigt der Test, dass hier die Grenze zu den Möglichkeiten, sie noch als E zu werten, überschritten ist. (47a) Er erwachte, und das durch den Straßenlärm. (48a) Er trug den Koffer, und das für sie. Sie werden daher als A gewertet.
Bevor die Art und die Reichweite einer insgesamt etwas einfacher anwendbaren Testprozedur dargestellt werden, muss auf einige grundsätzliche Fragen des Valenzkonzeptes eingegangen werden: Ist Valenz ein primär lexikalisches Phänomen, das die syntaktisch-konstruktionelle Seite als eher technische Begleiterscheinung auffasst oder ist umgekehrt das Valenzkonzept ein syntaktisches Grundprinzip? Alle Auffassungen haben ihre Berechtigung. Es ist allerdings darauf hinzuweisen, dass forschungsgeschichtlich die engere Auffassung der Ausgangspunkt für die Adaptation des Konzeptes in den verschiedensten grammatischen Richtungen gebildet hat. Mit 'Valenz' wird der Rolle des Veibs, wie ein logisches Prädikat Argumente zu binden, die Organisation des Kembereichs des Satzes, der Proposition zugewiesen. Gerade die Tatsache, dass ein Komplementärbereich, die Angaben, zugelassen wird, verbaut nicht die Möglichkeit, andere syntaktische Regelungsinstanzen anzusetzen. Denn nur die Schichtung der Konstituenten und ihre gestufte Einbindung in die Gesamtsyntax kann eine bloß reihende, „flache" Verkettung vermeiden. Es bringt, syntaktisch gesehen, wenig, wenn in der Umgebung des Veibs alle Möglichkeiten nur aufgelistet würden. Die in den verschiedenen Valenzwörteibüchem (Helbig/Schenkel 1969/
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Die verbalen Teile des Satzes und ihre Verkettung
1978, Engel/Schumacher 1976, Schumacher (Hrsg.) 1986) vorgenommenen Valenzeinträge versuchen gerade, die Möglichkeiten zu beschränken, also den Kernbestand der Valenzumgebungen festzulegen, indem sie die 'Ergänzungen' bestimmen. Wie leicht festzustellen ist, kommen sie zu teilweise erheblichen Unterschieden. So wird etwa das Verb kaufen im Valenzwörterbuch von Helbig/Schenkel (1978, S.370f.) als zweiwertig, bei Engel/Schumacher (1976, S.205, ähnlich auch Schumacher (Hrsg.) 1986, S.747f.) als dreiwertig angesetzt, wobei aber mit einer Besetzungsvariation auch Vierwertigkeit zugelassen wird: (49) Er hat sein Auto beim Gebrauchtwagenhändler fur 1000 DM gekauft. Entweder die eine oder die andere Präpositionalphrase müsse im Normalfall stehen. Bei verkaufen lassen Helbig/Schenkel (1978, S.371) fakultative Dreiwertigkeit, Engel/Schumacher (1976, S.284) und Schumacher (Hrsg.) (1986, S.741f.) fakultative Vierwertigkeit zu („der a verkauft dem χ den ζ run den k [Kaufpreis]"). Aus solchen Divergenzen hat Storrer (1992) den Schluss gezogen, syntaktische Bestimmungen des Valenzrahmens zugunsten situationeller Festlegung aufzugeben. Einem solchen Konzept kann die Berechtigung nicht abgesprochen werden, doch ist unter dem Gesichtspunkt, Valenz als verbales Konzept in den Rahmen einer dependentiell motivierten Syntax einzusetzen, eine engere Bestimmung notwendig. Die Divergenzen der Valenzwörterbücher sind überdies anders zu interpretieren: Einmal stehen Valenzwörterbücher durchaus in der Tradition der Lexikographie, indem auch jedes herkömmliche Wörterbuch Kollokationen für die Gebrauchsbestimmungen von Verben enthält. Dabei werden gerade nicht alle möglichen Verwendungsweisen repräsentiert, sondern die typischen. Die Valenzwörterbücher haben darüber hinaus vor allem die Subjektstelle, die in herkömmlichen Wörterbüchern weniger beachtet worden ist, systematisch herangezogen, wie im Übrigen alle Subkategorisierungsregeln, die in Konstituentenstrukturgrammatiken und insbesondere den generativ-transformationellen Grammatiken erstellt worden sind.
Die Valenzwörterbücher haben nicht zuletzt durch ihre Unterschiedlichkeiten den Blick auf die Schwierigkeit der Bestimmungen der Ergänzungen und den Ansatz von verbalen Varianten erst eröffnet. Die vorgeschlagenen Testprozeduren werden im Einzelnen bei Heibig (1992, 72-98) gründlich gemustert und ihre jeweilige Leistungsfähigkeit hervorgehoben. Sie greifen auf unterschiedliche Ebenen zu. Diese reichen von morphologischen über positionale bis zu satzsemantischen Kriterien und aktivieren damit unterschiedliche Aspekte der Valenz. Allerdings sind operationale Verfahren immer nur Näherungslösungen. Es sei noch einmal daran erinnert, dass auch Valenzunscharfen, d.h. nichteindeutige Festlegungen für die eine oder für die andere Kategorie ihren Wert haben: Entweder ist in solchen - begrenzten - Fällen der Unterschied neutralisiert oder es ist der beginnende Prozess der Festwerdung eines freien Satzgliedes, einer A zu einer E, markiert. Auch die oberflächenstrukturellen Kriterien sind immer solche, bei denen inhaltsseitige Bedingungen eine Rolle spielen. Bei ihnen sind folgende Beobachtungen für die Abgrenzung von E und A relevant: Da Verben mit ihrer Valenz die Zahl und die Art der E spezifizieren, A aber morphosyntaktisch unabhängig sind, lassen sich bedeutungsähnliche Verben nur in Bezug auf die A, nicht auf die E gegeneinander austauschen (Andresen 1973, S.54fF., Heibig 1992, S.82): (50) (51) (52) (53) (54)
Er Aa//ihm eine ganze Woche. (E+A) Er unterstützte ihn eine ganze Woche. (E+A) Er wohnt am andern Ort. (E) *Er bewohnt am andern Ort. Er bewohnt ein Einfamilienhaus. (E)
Die verbale Valenz
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(55) *Er wohnt ein Einfamilienhaus. (56) Er trifft ihn im Dorf. (A) (57) Er arbeitet im Dorf. (A) Dieses Kriterium nutzt die S u b k l a s s e n s p e z i f i k der Verben. Auf die Bedeutung dieses Kriteriums ist noch einmal ausdrücklich hinzuweisen: Verben bilden idiosynkratische, unverwechselbare und eigenständige Prädikatoren. An ihnen ist jeweils ein spezifisches syntaktisches Programm festgemacht. Die freie Hinzufugbarkeit von A lässt dagegen umgekehrt den Austausch von Verben fast unbegrenzt bei konstanter A zu (vgl. Heibig 1992, S.81). Aber auch A sind nicht völlig unrestringiert, worauf schon hingewiesen worden ist. So lässt sich z.B. nicht bilden: (58) *Er las es morgen. (59) *Er verschlang es mit der Brille. (wohl aber: Er las es mit der Brille.)
Dieses sind jedoch keine Einwände gegen die Testoperationen, denn es wird ja nicht behauptet, dass A prinzipiell zu grammatischen Sätzen führen. Gleichwohl zeigt dieses Faktum wieder, dass eine weitgehend mechanische Prozedur zur Bestimmung von E oder A nicht möglich ist. Unter den anderen eher mit oberflächenstrukturellen Kriterien arbeitenden Abgrenzungsverfahren sei hier noch die von Fourquet/Grunig (1971, S.15) und Günther (1978, S.135) (vgl. Heibig 1992, S.83) vorgeschlagene Prozedur genannt, bei zu testenden Verben die vermutete gleiche Klasse mit einem anderen Glied zu wiederholen. Dies sei bei A, nicht aber bei Ε-Typen möglich: (60) *Er legt das Buch auf den Tisch auf die Kante. (61) Er besuchte sie gestern nach dem Theater um 11 Uhr. Auch dies ist nicht gänzlich zu operationalisieren, weil z.B. bei Instrumentalangaben unerwünschte Ergebnisse auftreten: (62) *Er arbeitete mit der Säge mit dem Mann. Bei Lokal-, Modal- und Kausalangaben ist der Test anwendbar. Die Komplementärklasse zu den primär an oberflächenstrukturellen Eigenschaften festgemachten Tests sind die Operationen, die die A auf in den zu bestimmenden Satz integrierte unabhängige Prädikationen, „verkürzte Sätze", zurückführen. Theoretisch liegt diesen Verfahren die Vorstellung zugrunde, dass der propositionale Teil des Satzes gestuft aufzufassen ist. Dies ist Gemeingut aller neueren grammatischen Konzeptionen, nicht nur valenzorientierter, sondern kategorialgrammatischer und generativ-transformationeller (von der frühen GTG bis zu GB-Theorie). Mit der Zurückführung von kompakten Strukturen auf expandierte Paraphrasestrukturen kann versucht werden, die propositionsbildende Prädikatorfunktion von Verben sichtbar zu machen. Dies ist für die unbezweifelbaren A und E unproblematisch, wie wir oben gesehen haben. Erstere führen zu akzeptablen, letztere zu unakzeptablen Sätzen.
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Die verbalen Teile des Satzes und ihre Verkettung
(63) Er arbeitete in Moskau. —> Er arbeitete, als er in Moskau war. (64) Er wohnte in Moskau. —» *Er wohnte, als er in Moskau war. Schwieriger zu begründen sind auch hier die Grenzfälle. Eine automatische Prozedur kann es hier sowenig wie sonst bei sprachlichen Bewertungsverfahren geben. Eine Einebnung des Unterschieds von E und A macht natürlich die Prozedur überflüssig, aber dies würde die Einsicht in ein - für alle grammatischen Konzeptionen wichtiges - Bauprinzip des Satzes unmöglich machen: E und A tragen in prinzipiell unterschiedlicher Weise zur Satzbedeutung bei. Dass es Übergangselemente gibt, also Syntagmen, bei denen die Entscheidung für die eine oder die andere Klasse nur mit Wahrscheinlichkeit gegeben werden kann, ist kein Einwand. Mit den für die E/A-Abgrenzung angesetzten Satzparaphrasen wird nun das in Frage stehende Verb mit seinen Ergänzungen in einem Folgesatz durch spezielle Proformen konstant gesetzt. Angenommen wird dabei, dass auf diese Weise über eine anders geartete kommunikative Gewichtung, die sich mit der Thema-Rhema-Gliederung beschreiben lässt, hinaus kein Textfortschritt gegeben wird. Das heißt, in den TestSatzparaphrasen wird durch geeignete Pro-Verben und Proformen für die E das in Frage stehende Syntagma bewertet. Eine lexikalische Voraussetzung ist dabei, dass Verben als virtuelle „Urteilsmuster" (Seyfert 1976, S.360) kompakt Ereignisse mit ihren gebundenen Ereignisbeteiligten abbilden. Dies ist weder eine bloße materiell-konstruktivistische Annahme über die Struktur und die Leistung des verbalen Wortschatzes noch eine platte Widerspiegelungsannahme. Denn dann wären etwa sprachspezifische Unterschiede nicht erklärbar. Die Valenztheorie geht aber seit ihren Anfängen davon aus, dass die Bestimmung der verbalen Valenz einzelsprachlich vorzunehmen ist. Ein „Ereignis", das in diesem Sinne durch ein Verb wiedergegeben wird, ist eine Handlung oder ein Vorgang, der mit seinem Verb als prädikativem Kern insofern vollständig ist, als damit kontextfreie Sätze gebildet werden können (zum Ereignisbegriff vgl. Krause 1977, S. 17-40, Vendler 1967, S. 122-146, Kiparski/Kiparski 1970, S.143-173, Kishitani 1965). Wird nun in einem Folgesatz über die reine Wiederaufnahme des Satzinhaltes hinaus, d.h. mittels nichtkontrastierender und nicht korrigierender Proformen ein weiteres Element angeschlossen, dann darf dieses für den Ausgangssatz als A gewertet werden. Unter den herangezogenen verbalen Proformen haben sich tun, machen (die allerdings eher auf Handlungsereignisse beschränkt sind) und geschehen bewährt. Bei Zifonun/Hoffmann/Strecker (1997) wird, wie wir gesehen haben, die verbale Form ganz eliminiert. Doch scheint das Verb geschehen ebenfalls inhaltlich leer zu sein, indem es nur den Ereignisvollzug benennt (vgl. Krause 1977, S.65): (65) Die alte Mühle ist abgebrannt. Dies/das geschah in der Nacht zum Mittwoch.
Das Finitum und der Aufbau der verbalen Gruppe
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Bei dieser prototypischen Verwendung von dies/das wird der gesamte Vorgängersatz wiederaufgenommen. Textuell gesprochen, wird das von ihm bezeichnete Ereignis wieder aufgerufen. Mit dem Verb geschehen wird nun nicht das Ereignis in seinem Kern noch einmal benannt, sondern der Anknüpfoperator für ein weiteres Ereigniselement gegeben. Im Sinne Tesnières wäre dies ein Begleitumstand (Circonstant) zu dem Ausgangssatz. Denn dieser referiert das Ereignis bereits vollständig in Bezug auf seine Aktanten. Die „Brandszene" mit allen ihren Facetten ist damit natürlich noch nicht vollständig wiedergegeben. Es ist auch damit in keiner Weise über die reale Gewichtung (etwa in juristischem Sinne) der einzelnen Faktoren etwas ausgesagt. Einzig die lexikalisch mögliche und damit beschränkte Fassung über das Verb abbrennen wird ergänzt durch das inhaltlich „leere" Verb geschehen. Syntaktisch gesehen ist die A^p im geschehen-Satz selber obligatorisch. Weil sie in Sätzen mit Nicht-Proverben einer A entspricht, darf dies als entscheidender Faktor des Tests gewertet werden. E des Vorgängersatzes lassen sich nicht ergänzen: (66) Zündelede hat wieder angesteckt. *Dies geschah die alte Mühe. Nicht genannte E, die im Nachfolgesatz eigens hervorgehoben werden, d.h. als rhematische Kerne erscheinen sollen, müssen durch Proformen vorbereitet werden und werden durch andere verbale Formen gebunden. (67) Zündelede hat wieder etwas angesteckt. Es war diesmal die alte Mühle. E im reinen Kasus auf der einen Seite und die 'klassischen' A, wie die Atemp und Alok auf der anderen Seite sind bei der Abgrenzung unproblematisch. Ein von mir durchgeführter Test hat ergeben, dass insbesondere die Präpositionalphrasen schwierig zu beurteilen sind (Eroms 1981, S.45-49). Es sind aber nicht situationelle Faktoren, die hier die Prozedur erschweren (Storrer 1992), sondern durchaus syntaktische. Syntaktisch gesehen müssen a l l e Elemente in der verbalen Umgebung adäquat generiert oder analysiert werden. So ergeben sich gegebenenfalls unterschiedliche konstruktioneile oder analytisch-interpretatorische Wege. Es wäre eine völlige Verkennung der Kont-roversen in der Syntaxforschung der letzten Jahrzehnte, wenn man dies ausschließlich dem Problem der Abgrenzung von E gegen A zuschreiben wollte. Es gibt so gut wie kein syntaktisches Phänomen, das unterschiedlich beurteilt worden ist.
5.2. Das Finitum und der Aufbau der verbalen Gruppe Das finite Verb steht an der Spitze der Abhängigkeitspyramide, es ist Kopf des Satzes, besser gesagt, des Satzradikals, soweit es sich um Hauptsätze handelt,
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Die verbalen Teile des Satzes und ihre Verkettung
denn es wird seinerseits noch durch das Satzmodus-Makro dominiert. Vom Satzmoduszeichen sind nur noch die Satzadverbialia als satzbezogene Angaben abhängig. Sieht man von diesen überlagernden Kontraktionsteilen ab, gehen alle syntaktischen Strukturlinien vom Verb aus. Das Finitum ist dabei selber kein einfaches lexikalisches Element, sondern besteht aus dem Verblexem und einem wiederum komplexen grammatischen Morphem („INFL"), dessen wortinterne Dependenzen noch zu bestimmen sind. Einfache finite Verben werden im Deutschen zunehmend durch periphrastische Fügungen ersetzt. Diese leisten als Ganze den einfachen Finita Vergleichbares, sind aber sowohl intern nicht einfach blockhaft zusammengesetzt, sondern strukturiert als auch für den hierarchischen Aufbau der vom Verb abhängigen Glieder nicht bloß hintereinandergeschaltete Einheiten. Es sind sowohl die Valenzwege zu verfolgen als insbesondere die syntaktische Aufgabenverteilung, die sich aus der Verteilung von lexikalischen und grammatischen Informationen auf verschiedene Wörter, die einen auxiliaren Verband bilden, ergibt.
5.2.1. Das Finitum Der interne Bau eines finiten Vollverbs im Aktiv lässt sich so darstellen:
0)
Vfm Verblexen
VerbmorphemKomplex
Modus Tempus Person
Wegen unterschiedlicher morphematischer Regelungen werden im Deutschen starke und schwache Verben unterschieden. Synchron lässt sich an den schwachen Verben der Aufbau leichter zeigen, weil die Morpheme sich nicht in der Weise überlagern, wie bei den starken Verben. Trotzdem sind auch hier Portmanteau-Eigenschaften zu verzeichnen, d.h. Polyfunktionalität der gebundenen Morpheme. Die Einzelheiten können aus syntaktischer Perspektive außer Betracht bleiben. Linear segmentiert stellt sich ein Finitum wie folgt dar: (2) Minimale Form, z.B. arbeit-et t
arbeit - e t Verblexem
'
Verblexem "Modus, Tempus, Person (3) Maximale Form, z.B. arbeit-ete t
Verblexem Person Modus, Tempus
Modus, Tempus, Person
Das Finitum und der Aufbau der vexbalen Gruppe
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In jedem Fall ist das verbale Morphem ein amalgamierter Komplex, der auf folgende Kategorien reagiert: . Indikativ (4) 1. Modus " Konjunktiv . Präsens 2. Tempus ' Präteritum
3. Person.
Singular: 1. 2. 3. Plural: 1. 2. 3.
Person Person Person Person Person Person
Die Kategorien gehören zu ganz verschiedenen semantischen Klassen. Mit dem Analysesystem von J.M. Zemb (vgl. Kap.2.3.) lässt sich die satzfunktionale Verteilung der Morpheme so bestimmen: (5) Modus: Tempus: Person: Lexem:
Phema, als Verbindungssignal zwischen Thema und Rhema Thema entweder Thema oder Rhema Rhema
Das Finitum stellt dadurch in nuce die Trias Thema-Phema-Rhema des gesamten Satzes dar. Was nun die interne Hierarchie betrifft, so ergibt sich eine weitere Komplizierung: Modus und Tempus sind Kategorien, die im Gegenwartsdeutsch häufig nicht zu trennen sind. Universal gesehen, ist zudem eine die Tempuskategorie dominierende Kategorie 'Aspekt' zu bedenken. Für die historischen Sprachstufen des Deutschen ist sie zweifellos anzusetzen. Die aspektuell-textuellen Kategorien müssen als überlagernde angenommen werden, da sie textuell-diskursiv bestimmt sind. Am Beispiel des Präteritums lässt sich am besten erkennen, dass 'Tempus' eine Ordnungskategorie ist, die den Satz in seinem Kontext betrifft. Denn isolierte Sätze im Präteritum kommen praktisch nicht vor. Dagegen weisen (schriftliche) Erzähltexte kohärent Preterita auf. Dies ändert nichts an der Tatsache, dass die semantische Bestimmung einer Tempusform fur jeden Satz einzeln vorzunehmen ist. Hier kommt es nur auf die interne Hierarchie der Moipheme an. Modus ist die eigentliche sprecherbezogene Kategorie. In ihr legt sich der Sprecher in Bezug auf die Proposition fest, entweder indem er ihre Wahrheit garantiert, dies geschieht über das Indikativmorphem, oder indem er die Wahrheitsgarantie auf eine andere Quelle projiziert (Konjunktiv I) oder aber indem er eine mögliche Welt entwirft (Konjunktiv II). Dass sich hier erstens starke Interdependenzen zwischen den Modus-Kategorien und zweitens über die Tempuskategorien ergeben, ist bekannt, kann aber für die Hierarchiewege im Folgenden außer Betracht bleiben. Als Nächstes folgt nun nicht das Personmoiphem, sondern das verbale Lexem. Ob es überhaupt hierarchisch von Tempus und Modus dominiert wird, ist fraglich, denn es hat gänzlich andere syntaktische Aufgaben. Der lexematische Teil ist für die Valenzen des Satzes maßgeblich. Das verbale Lexem eröffnet Leerstellen für Ergänzungen und lässt die Bindung von Angaben zu. Dies ist für die konstruktionale Seite der Syntax die wichtigste Erscheinung. Am Schluss steht das Personmorphem. Mit dem Ansatz von Ágel (1993) lässt sich davon sprechen, dass hier ein Fall von „Mikrovalenz" vorliegt: Mikrovalenziell sind solche Aktantenrealisationen, die am Verb selber mit Hilfe eines Morphems oder Moiphemteils vorgenommen werden. Makrovalenz liegt vor, wenn Aktanten durch selbständige Wörter realisiert werden.
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Die verbalen Teile des Satzes und ihre Verkettung
Im Deutschen gibt es, anders als etwa im Ungarischen oder Russischen, keine ausschließlich mikrovalenziellen Realisationen. Das Personmoiphem interagiert im Deutschen mit dem Satzsubjekt. Diese Erscheinung wird gewöhnlich als Kongruenz bezeichnet. Außerdem gibt es im Deutschen keine mikrovalenzielle Besetzung etwa eines Objekts.
Die Entscheidung, in welcher Weise das Subjekt an das Finitum gebunden ist, ist nicht so leicht zu treffen. Es ergeben sich die Möglichkeiten, es als dependent oder wegen der Kongruenz als interdependent anzusehen. Die Entscheidung für Dependenz wird in Kap.6.4.1. begründet. Finitumintern ist jedenfalls das Personmorphem als mikrovalenzielle Aktantenrealisierung unter den anderen kategorialen Teilen anzusetzen, so dass sich ergibt: (6)
Υπ, Aspekt/Tempus Modus Verblexem Personmorphem
Denn in dieser Weise werden die Rektionswege plausibel. Sie lassen sich so auffassen: (7) V«fill
i Aspekt/Tempus Modus
Verblexem "Personmorphem
i
Esub
EjUL
Wie angedeutet, ist die Möglichkeit gegeben, die Subjektsbindung auch so zu regeln: (8)
Dies würde dem Kongruenzgedanken besser entsprechen. Wie man sich auch entscheidet, es ist deutlich, dass die Bindung des Subjektaktanten von ganz anderer Qualität als die der anderen Aktanten ist.
Das Finitum und der Aufbau der verbalen Gruppe
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5.2.2. Die verbale Periphrase und die Klammerbildung im Aussagesatz Die Realisierung des verbalen Prädikats in einem Einzelwort ist in der deutschen Gegenwartssprache nur noch für das Präsens und das Präteritum des Aktivs im Indikativ und Konjunktiv möglich. Alle anderen Formen werden periphrastisch gebildet. Die periphrastischen Verbände sind nicht als einfacher Block aufzufassen, sondern als strukturierte Komplexe darzustellen. Im Folgenden muss die bei mehrteiligen verbalen Formen strikt einzuhaltende Reihenfolge geregelt und begründet werden. Dies soll im Zusammenhang mit der Klammerbildung geschehen, mit der der in der Grundreihenfolge ungestörte Ablauf verbaler Formen beim Aussagehauptsatz sich in einen einelementigen linken Klammerteil und einen rechten, der alle sonstigen Teile enthält, aufspaltet. Die Tatsache, dass das Deutsche über eine diskontinuierliche Verbalgruppe im Aussagesatz verfügt, hat seit den Arbeiten von Drach (1937), Bech (1955) und Boost (1955) das Interesse der Forschung auf sich gezogen. Sie hat aber auch Anlass zu Kritik gegeben (z.B. Reiners 1976, S.93). Die Verbalklammer lässt sich auf ganz unterschiedliche Weise deuten und verstehen: Dadurch, dass nach dem meist thematischen Topic des Vorfeldes ein Thematischer verbaler Teil folgt, dieser aber größtenteils nur grammatische Kerninformationen vermittelt, die eigentliche lexikalische Füllung und damit das rhematische Zentrum aber im hinteren Teil des Satzes liegt, wird ein „Spannungsbogen" aufgebaut. Gleichzeitig „umklammern" die verbalen Teile ein mehr oder weniger umfangreiches Mittelfeld, das im Normalfall die rhematischen Ergänzungen und Angaben umfasst. Der kommunikative Nutzen dieser Struktur liegt auf der Hand: Der Hörer wird gezwungen, in seiner Aufmerksamkeit bis zum Schluss nicht nachzulassen. Zieht man weiter in Betracht, dass sowohl die verbalen Teile als auch das eingeklammerte Mittelfeld in seiner Größenordnung die kognitiv zu verarbeitenden Normaleinheiten, nämlich „7 + η chunks" umfasst (vgl. Thurmair 1991) und damit das Kurzzeitgedächtnis optimal ausgenutzt wird, lässt sich eine Ratio in der Ausbildung dieser Strukturen erkennen. Schwieriger zu beurteilen ist ihr grammatischer Status. Hierzu gibt es aus jüngster Zeit eine reichhaltige Literatur, etwa Weinrich (1993), RonnebergerSibold (1994), Thurmair (1991), Eichinger (1991) und (1995), Eroms (1998) und in der Weiterentwicklung der Felderlehre Askedal (1991). RonnebergerSibold spricht vom „klammernden Verfahren" des Deutschen, Weinrich von der „Klammersprache Deutsch". Damit soll angedeutet werden, dass die Klammerstruktur eine Eigenschaft des Deutschen ist, die für die Topologie des Satzes als eigene Komponente in Rechnung zu stellen ist. In generativ orientierten Arbeiten wird die Versetzung des Finitums in die COMP-Position als spezifischer Aufbau des Hauptsatzes angesehen. Alle übrigen verbalen Teile bilden je eigene Konstituenten. Damit wird dem Faktum Rechnung getragen, dass die verbale Gruppe in sich strukturiert ist, wie es auch hier angenommen wird.
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Die veibalen Teile des Satzes und ihre Verkettung
Bevor die Verkettungen in der Verbalgruppe in ihrem Prinzip dargestellt werden können, ist zu klären, welche Formen überhaupt vorkommen und vor allem, in welcher Reihenfolge sie auftreten. Denn die Abfolge der verbalen Glieder ist bis auf ganz geringe Ausnahmen absolut fest. Im Gegensatz zu dem im Deutschen äußerst variablen Aufbau des Mittelfeldes und auch der Unrestringiertheit des Vorfeldes ist die Verbalgruppe unbeeinflussbar. Alle Formen können nicht miteinander kombiniert vorkommen, z.B. (9) *Das Fenster bleibt geschlossen sein. Die Abfolge der verbalen Elemente ist gut untersucht. In seiner Textgrammatik der deutschen Sprache (1993) unterscheidet Weinrichbei den Verbalklammem Lexikalklammem, die alle lexikalischen diskontinuierlichen Konstituenten des deutschen Verbs umfassen, Grammatikalklammem mit den Untertypen der Tempus-, Passiv- und Modalklammem und Kopulaklammern mit den Prädikatsnomina. Er vereinigt ihre Kombinationsformen, deren Strukturdominanzen sich folgendermaßen darstellen lassen: Klammerschema nach Weinrich (10)
Futurklammer PerfektKl I ModalKl
^ModalKl I PerfektKl
KopulaKl PassivKl I LexikalKl In diesem Schema kommen Modal- und Perfektklammer zweimal vor. Es handelt sich um das Problem der epistemischen und nichtepistemischen Gebrauchsweisen von Modalverben. Diese beiden Typen begegnen aber auch kombiniert, und die nichtepistemischen können ebenfalls verbunden werden, so dass die Strukturformel zu erweitern ist. (11) Dies sollte geändert werden können. (12) Ich will heute nicht an den CIA denken müssen. (Martin Walser, Jagd, Frankfurt 1990, S.112)
Die Formel (13) im nächsten Abschnitt sieht neun Positionen vor. Wenn die in der Weinrichschen Formel enthaltenen Kopulaverben (die Prädikativkonstruktionen) aufgenommen würden, wären es zehn. Die Verrechnung der Klammerelemente im kompakten Block macht einen komplizierten Vorgang nötig. Es führt nämlich zu nichts, wenn man annimmt, hier läge eine einfache Determinans-Determinatum-Struktur vor: Die kohärente Serialisierung im rechten Klammerteil im Deutschen ist nicht als Anweisung zu verstehen, linear einfach verkettete Strukturen zu bilden, sondern jedes einzelne Element gibt das Signal, eine unterschiedliche verbale Kategorie aufzurufen. Die von Weinrich und die in Eroms (1993, S.23) angesetzten Formeln sind auf den Aussagesatz bezogen und so zu lesen, dass für einen Satz mit Zweitstellung des Finitums (Deklarativsatz) das am weitesten links stehende Element den
Das Finitum und der Aufbau der verbalen Gruppe
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linken Klammerteil bildet. Alle anderen verbalen und nichtverbalen Elemente folgen dann rechts und zwar in invertierter Folge. Dies ist eine Formulierung der Klammerregularitäten aus der Dominantsetzung der Hauptsatzserialisierung. In der Nebensatzstruktur erfolgt eine kohärente Serialisierung. Bei Fourquet (1970, S.91) wird diese als Komplex jeweils höherer Ränge, bei Zemb (1978, S.384-727) als die Grundstruktur, die die logisch-semantischen Verhältnisse repräsentiert, zum Ausgang genommen. Die generativen Ansätze gehen ebenfalls so vor. Diesem Muster soll hier gefolgt werden. Die deutsche Nebensatzabfolge ist zentripetal, im Gegensatz etwa zur englischen und französischen, die zentrifugal ist. Sowohl in der Hauptsatz- als auch in der Nebensatzserialisierung ergeben sich gewisse Inkonsistenzen bei der Aktivierung der Formel, denn die eben genannten Determinans-Determinatum-Verhältnisse sind als globale Verkettungsprozeduren durchaus wirksam, zeigen im Deutschen aber nicht immer die zentripetalen Abfolgen, worauf noch einzugehen ist. In jedem Fall hat die abstrakte Anordnung der verbalen Teile, die im Deklarativsatz die Klammerung bilden, nach ihrem Vorkommen im Nebensatz Vorteile: Einmal wird so gleichsam eine diskursiv unbeeinflusste Abfolge erzeugt, und zwar eine, die auch real vorkommt, nämlich in den so häufigen Nebensätzen, andererseits ist diese Anordnung auch unter einer logischen oder satzsemantischen Betrachtungsweise adäquat, wenn der Verbalkomplex im Sinne von Zemb (1978, S.503-515) als rhematisch, E und A aber je nach ihrer Kontexteinbindung als thematisch oder aber als rhematisch und das verbindende Element zwischen den beiden Teilen als „phematisch" begriffen wird. Dass in der Strukturformel für den deutschen Verbkomplex mit dem Negator ein phematisches Element enthalten ist, ist keine zusätzliche „Verunreinigung" einer sonst homogenen Strukturierung, denn im Verbkomplex ist, wie oben gezeigt, obligatorisch immer ein thematisches und ein phematisches Element enthalten: nämlich das Tempusmorphem als thematisches und das Modusmorphem als phematisches Steuerungselement dieses Komplexes. Wenn diese kompakte Satzinformation im Deklarativsatz die Achsenstellung des linken Klammerelements einnimmt, ist das nur konsequent. So wird frühzeitig eine kategoriale Grundinformation gegeben. Zeman (1996, S.18) weist darauf hin, dass die links befindlichen grammatischen Elemente auch noch rechts eine Korrespondenz haben, nämlich die grammatischen Morpheme, „als sollte eine Art grammatische 'Schale' den lexikalischen 'Kern' von beiden Seiten einhüllen". Auch hier finden wir mithin wieder eine Klammerbildung.
5.2.3. Der kohärente verbale Komplex Einschließlich des Negators und der Verbzusätze, die selber keine verbalen Formen sind, müssen 17 Kategorien verarbeitet werden. Einige davon sind Alternativen, die anderen können, bis zu einer maximalen Grenze von vier Typen, unter
136
Die veibalen Teile des Satzes und ihre Verkettung
Einschluss des Negators und der Verbzusätze auch sechs, miteinander kombiniert vorkommen. So ergibt sich: (13) Abfolge der verbalen Elemente des Deutschen: Negator > Verbzusatz > Vollverb / Funktionsverbgefüge > /osjert-Konstruktionen > Passivauxiliar / Intransformativauxiliar / Wahrnehmungsverb > Modalverb2 > Modalverb, > Perfekt- / Plusquamperfektauxiliar2 > Perfekt- / Plusquamperfektauxiliar, > Modalverbepi„ / werden > tun Im Nebensatz läuft diese Serialisierung im Deutschen so gut wie immer ungestört, ohne dass Angaben oder gar Ergänzungen dazwischentreten, ab (vgl. im Einzelnen Eroms 1999 und Kap.9.1.).
5.2.4. Weitere Klammerformen Die Klammerung als Prinzip ist nicht nur in der Verbalphrase manifest, sondern findet sich in anderen Bereichen (vgl. Eichinger (1999): 5.2.4.1. Adverbialklammer (14) Da halte ich nichts von. Im Deutschen ist dieser Typ nur regional verbreitet, besonders im Nordwesten. Im Englischen ist er in gesprochener Sprache häufig und wird unter dem Begriff 'prepositional stranding' diskutiert (vgl. z.B. Radford 1997, S.279f.). Im Aussagesatz baut die Struktur im Deutschen eine Maximalklammer auf. In Kombination mit periphrastischen Verbformen ergibt sich eine eigentümliche Doppelklammerung:
(15) Da habe ich nichts von gehalten.
\
S
5.2.4.2. Konjunktionalklammer (16)
obwohl er nichts davon gehalten hatte
Bisweilen wird der „Spannungsbogen" zwischen Nebensatzkonjunktion und fmitem Verb als Klammerung angesehen. Zweifellos ist die Divergenz zwischen hierarchischer minimaler Nachbarschaft und topologischer maximaler Entfernung eine Klammer:
Die Valenz der Hilfsverben
137 S.
(16')
\C Vfin Pron
. obwohl er nichts davon gehalten hatte . Es fragt sich jedoch, ob hier nicht allgemeine Bauprinzipien des Satzes, eben Hierarchie und Topologie, in Spannung zu halten, nicht überinterpretiert werden. Auch das Subjekt und das finite Veib sind (um das konjunktionale Spitzenelement vermindert) in maximaler Spannung. 5.2.4.3. Nominalklammer (17) der neue überdimensionale schwarze blecherne Spoiler Nominalklammem (vgl. Kap.8.4. und generell Eichinger 1991) sind nicht auf das Deutsche beschränkt, zudem werden im Deutschen von Determinator und Substantiv längst nicht alle Attribute umklammert. Gleichwohl ist die Parallele zwischen Verbal- und Nominalphrase, die mit der X-bar-Theorie und dem allgemeinen Valenzprinzip Strukturgleichheit zwischen lexikalischen Köpfen unterschiedlicher Art nachweist, auch für den topologischen Bau, in gewissem Maße jedenfalls, aufweisbar.
5.3. Die Valenz der Hilfsverben Wir können uns nun der Frage zuwenden, ob die Hilfsverben über Valenz verfügen, und falls ja, welcher Art diese ist. Bislang ist in der Forschung dieses Problem als eines von „entweder-oder" behandelt worden, so etwa in der gründlichen Darstellung von Welke (1988, S. 149-162), dem der folgende Abschnitt in vielem verpflichtet ist, wenn er auch zu teilweise anderen Ergebnissen kommt. Zunächst ist es offensichtlich, dass Hilfsverben ergänzungsbedürftig sind; betrachtet man sie außerhalb komplexer periphrastischer Verbände, sind sie zweiwertig, außer dem Subjekt erfordern sie einen Infinitiv oder ein Partizip: (1) Er wird/kann/will/muss schwimmen. (2) Er ist geschwommen/bekommt den Brief (3) Der Brief ist/wird vorgelesen.
vorgelesen.
Dennoch wird ihnen zumeist Valenz abgesprochen. Dafür werden verschiedene Gründe angeführt. Die wichtigsten sind die folgenden:
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Die verbalen Teile des Satzes und ihre Verkettung
1. Die Hilfsverben, insbesondere die für die Tempusbildung und für die verbalen Genera benötigten, verhalten sich ähnlich wie die Tempusmorpheme von Vollverben, zumindest haben sie vergleichbare Aufgaben. 2. Während die erste Leerstelle durch einen vollen nominalen Ausdruck besetzt wird, wird die zweite durch einen verbalen besetzt, der selber als der „eigentliche" Valenzträger aufgefasst wird. Modalverben etwa modifizierten nur die Bedeutung des Vollverbs. 3. Von Valenz lasse sich allenfalls bei den Modalverben und dann auch nur Oberflächenstrukturen, sprechen. In einer angenommenen Tiefenstruktur schlage die modifizierende Kraft der Modalverben durch. Ohnehin betreffe dies nur die objektiven Modalverben (1), nicht die epistemischen (2):
(4) Er kann schwimmen. (5) Er kann krank sein. Bei (4) lässt sich annehmen, dass die Bedeutung des Modalverbs sich mit 'über die Fähigkeit verfügen' paraphrasieren lässt, bei (5) führen Paraphrasen stets in eigenständige Hypersätze:
(5a) Es ist möglicherweise der Fall, dass er krank ist. Ein direkter Weg von (5a) zu (5) ist aber nicht gegeben. Daher sei allenfalls bei den objektiven Modalverben von Valenz zu sprechen, diese Modalverben verfügen über Vollverbähnlichkeit, auch wenn ihre zweite Leerstelle von Infinitiven besetzt wird. Auf dem Hintergrund der Überlegungen des vorangegangenen Abschnitts lassen sich diese Gründe entkräften.
5.3.1. sein Es ist im vorigen Abschnitt gezeigt worden, dass einfache und periphrastische Tempus- und Passivbildung eben nicht völlig identisch sind. Die durch Hilfsverbverkettungen erzeugten Strukturen sind nicht nur aufwendiger, sie stehen auch jeweils in anderen paradigmatischen Beziehungen. Von daher muss ihre eventuell vorhandene Restsemantik beurteilt werden. So sind folgende Vergleichsgruppen zu betrachten:
(6) (7) (8) (9)
Er ist gelaufen. Er ist gelesen. Er ist ehrgeizig. Er ist Lehrer. (10) Er ist da. (11) Mir ist kalt. (12) Das ist mir lieb.
(„Perfekt") („Zustandspassiv") („adjektivisches Prädikatsnomen", Eadj) („substantivisches Prädikatsnomen", Enom)
Die Valenz der Hilfsveiben
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Sprachhistorisch gesehen gehören die ersten drei Typen enger zusammen, da Kopulakonstruktionen mit Adjektiven darstellen. Die folgenden zeigen in der Gegenwartssprache dagegen klarer die „Vollwertigkeit" des Verbs sein. Aber auch diese Sätze sind in Bezug auf die Kopula nicht mit Verben wie arbeiten, angeben, stehen, frieren, gefallen gleichzusetzen: (8a) Er gibt an. (9a) Er arbeitet als Lehrer. (10a) Er steht da. (IIa) Ich friere. (12a) Das gefällt mir. Der semantiche „Mehrwert" der letzten Sätze ist nicht zu übersehen. Dennoch wird man davon sprechen dürfen, dass die Kopula enthaltenden Sätze letztendlich das Gleiche ausdrücken, das heißt in einer vergleichbaren Situation synonyme Ausdrücke darstellen können. Bei ihnen ist die semantische Masse nur anders verteilt. Im Grunde sind alle angeführten Sätze logisch einwertig; ein einstelliges Prädikat wird einem Argument zugewiesen: ι χ [P (x)] Nur die Sprache signalisiert Zweiwertigkeit. Dieser Widerspruch ist aber nur scheinbar, denn in dem Signal, dass über das Hilfsverb sein zwei sprachliche Entitäten miteinander verbunden werden, liegt ein Hinweis darauf, dass genau dies die sprachlich intendierte Ordnungsstruktur ist. Zumindest darf man daraus schließen, dass das hier benötigte Verb primär ein ordnender Relator ist.
Wenn dies bei den Sätzen (8)-(12) der Fall ist, lässt es sich auch für (6) und (7) nicht ausschließen. Dennoch soll dem Faktum der sprachgeschichtlich lange abgeschlossenen Grammatikalisierung bei den Tempus- und den Passivformen dadurch Rechnung getragen werden, dass die hier anzusetzende Valenz des Hilfsverbs sein als eine auf bloße grammatische Bindung reduzierte verstanden werden soll, für die sich der Ausdruck Strukturvalenz anbietet. Strukturvalenz ist einerseits semantisch reduzierte Valenz, andererseits ist sie syntaktisch gesehen um so fester: Keine der angeführten Konstruktionen ermöglicht die Weglassung des zweiten gebundenen Elements, sein ist in diesem Sinne obligatorisch, nicht fakultativ, zweiwertig.
5.3.2. haben Gelten für haben die gleichen Bedingungen? Auch hier lassen sich Vergleichsgruppen bilden: (13) (14) (15) (16) (17) (18)
Er hat das Buch gelesen. Er hat gearbeitet. Er hat verloren. Er hat ein neues Auto. Er hat Hunger. Er hat Recht.
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Die verbalen Teile des Satzes und ihre Verkettung
Die Sätze (13), (14), (15) zeigen den historischen Gang der periphrastischen „Tempus"-Bildeweise. Aus einem attribuierten Objekt ('er hat das Buch als gelesenes') wird eine subjektbezogene Ausdrucksweise, die dann auch auf einstellige Handlungsveiben (14) und Vorgangsverben (15) übertragen wird. In (16)-(18) zeigt sich die Ausgangssemantik von haben deutlich: Das Verb bedeutet 'in Besitz haben', und es ist auch in logischer Hinsicht wirklich zweistellig: i x i y [HABEN (x, y)]
Interessant ist, dass auch in der nichtperiphrastischen Konstruktion eine Tendenz zur Abschwächung der prototypischen nominalen Qualität, also der Möglichkeit, auf ein abgrenzbares Element zu referieren, besteht: Hunger haben lässt sich mit hungrig sein paraphrasieren und ist sogar jünger als die Ausdrucksweise mit sein. Es besteht also offenbar das Bedürfnis, zweigliedrige, formal zweiwertige (strukturell bivalente) Konstruktionen dieser Art zu bilden, was auch die Mundarten erweisen, z.B. im Lothringischen: (19) Hasch de immer noch Schlof? (Wörterbuch der deutsch-lothringischen Mundarten, S.445) Als Fazit lässt sich festhalten, dass auch haben eher eine strukturelle Valenz als eine lexikalisch volle aufweist. Aber die Zweiwertigkeit ist deutlicher als bei sein. Für die periphrastischen Konstruktionen mit haben gelten die gleichen Bedingungen: Die Zweiwertigkeit ist als strukturelle Bindungskapazität vorhanden. - Im Gegensatz zu sein ist Reduktion in bestimmten Fällen möglich: (20) Hat er die Tür zugemacht? Er hat. (21) Ist das Buch gelesen ? ' Es ist. Die elliptischen Ausdrucksweisen sind aber kein Erweis einer nur fakultativen Zweiwertigkeit. - Die syntaktische Konstitution der periphrastischen Verbgruppe mit haben wird nachdrücklich auch von Mariliier (1998) favorisiert.
5.3.3. bleiben Als Nächstes ist das Verb bleiben zu prüfen, das auxiliar in Konstruktionen wie (22) Die Tür bleibt geschlossen. (23) Das bleibt zu erledigen. begegnet. In die paradigmatische Vergleichsreihe gehören Ausdrucksweisen wie (24) Er bleibt hier. (25) Die Verordnung bleibt bestehen. (26) Sie bleibt stehen. (27) Er bleibt gelassen. Die lexikalische Bedeutung ist in allen Fällen konkreter als bei sein. Hier könnte man umgekehrt dafür plädieren, die Passivform (22) gar nicht als periphrasti-
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sehe Konstruktion aufzufassen, sondern als prädikative Konstruktion zu behandeln. Vergessen werden darf dabei aber nicht, dass in allen Fällen bleiben zwar eine „volle" Semantik aufweist, die sich mit 'nicht verändern' umschreiben lässt, dass dies aber doch ein Musterfall einer grammatischen Strukturbedeutung ist, denn das deutsche Verbsystem ist darauf angelegt, im Normalfall die Veränderungsmöglichkeit, die Transformativität, zum Ausdruck zu bringen und benötigt konsequenterweise eine Signalisierungsmöglichkeit für das Nichteintreten dieser Bedingung. Die Masse des verbalen Wortschatzes im Deutschen ist transformativ. Kursiv sind nur wenige Verben. Bei ihnen wird die Kategorie der Veränderung nicht aktiviert:
(28) Er schläft/ruht/ist ruhig. (29) Die Sonne scheint. Sowohl transformative wie kursive Verben können „intransformativ" eingesetzt werden, die transformativen eher über die passivische Diathese: (30) Das Tor bleibt geschlossen. (31) Das Buch bleibt zu lesen. (32) Er bleibt ruhig. Der Typ (26) ist höchstwahrscheinlich aus einer Präsenspartizipbildung hervorgegangen und zeigte in älteren Sprachstufen vergleichbare Paradigmenmöglichkeiten wie sein und werden, worauf für das letztere Verb noch einzugehen ist. (33) Es ist störend./Es bleibt störend. (34) Sie ist geöffnet./Sie bleibt geöffnet. Auch sein + Partizip I ist in der Standardsprache nicht mehr lebendig, die in solchen Konstruktionen verwendeten Präsens-Partizipien sind heute Adjektive, die der è/e/ien-Konstruktionen Infinitive, während in beiden Fällen die Partizip II-Bildungen erhalten sind.
Bleiben in periphrastischen Konstruktionen kann unter strukturellen Gesichtspunkten somit wie sein behandelt werden.
5.3.4. Die Modalverben An dieser Stelle geht es primär um die Frage der Wertigkeit der Modalverben. Ihre Semantik ist so vielfältig und wird so kontrovers beurteilt, dass hier nur auf die syntaktischen Bedingungen ihres Gebrauchs eingegangen werden kann. Weitere Fragen werden im nächsten Abschnitt (Kap. 5.4.) behandelt. Den Modalverben wird in ihrer objektiven Variante, wie wir gesehen haben, Valenz zuerkannt. Sie sind zweiwertig:
(35) Er kann/soll/darf/muss/mag/möchte/will kommen. Die zu den Auxiliaren haben, sein und bleiben angeführten paradigmatischen Vergleichsreihen sind unterschiedlich. Immer ist möglich:
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Die verbalen Teile des Satzes und ihre Verkettung
(36) (37) (38) (39) (40) (41) (42) (43) (44) (45) (46) (47) (48) (49) (50) (51) (52) (53) (54) (55) (56) (57) (58) (59) (60) (61) (62) (63) (64) (65) (66) (67) (68) (69) (70)
Er kann/soll darf/muss/mag/möchte/will es. Er kann schon sprechen. Er kann Deutsch. Er kann das Gedicht. Ich kann auch anders. Du kannst jetzt ins Haus. Ich kann nicht mehr. Ich kann aber. Du sollst das Buch lesen. Du sollst sofort zum Direktor! Was soll das denn? Du darfst spielen. Du darfst zum Spielen. Du darfst auf den Spielplatz. Wir müssen pünktlich anfangen. Ich muss zum Arzt. Die Sachen müssen auf den Speicher. Sie mag jetzt essen. Sie mag keinen Fisch. Sie mag ihn. Ich mag noch nicht ins Bett. Ich mag nicht, dass du ins Kino gehst. Ich möchte schwimmen. Ich möchte ins Kino. Er möchte, dass du mitkommst. Niemand will mitkommen. Er will nur Geld. Er will, dass du mitkommst. Er will hier weg. Er will es wissen. Sie hat es doch gewollt. Sie will zum Theater. Er hat kein Geld gewollt. Der alte Mensch will Ruhe. Ich bin all diesen Leuten gegenüber unfreier geworden, seit ich etwas von ihnen will. (Klemperer, Tagebücher S.57)
Alle Modalverben sind, w i e man sieht, auch in Konstruktionen verwendbar, bei denen kein Infinitiv in ihre zweite Leerstelle tritt. Allerdings lassen sich die meisten derartigen Verwendungen so deuten, dass eine Ellipse angenommen oder doch historisch vorausgesetzt werden kann: (38a) (39a) (41a) (45a) (46a) (48a) (51a) (52a)
Er kann Deutsch sprechen. Er kann das Gedicht hersagen. Du kannst jetzt ins Haus gehen. Du sollst sofort zum Direktor kommen. Was soll das denn bedeuten? Du darfst zum Spielen gehen. Ich muss zum Arzt gehen. Die Sachen müssen auf den Speicher gebracht
werden.
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Die Valenz der Hilfsverben (54a) (59a) (69a)
Sie mag keinen Fisch essen. Ich möchte ins Kino gehen. Der alte Mensch will Ruhe haben.
Aber gerade die weitgehend stereotype Ersetzbarkeit von Verben wie kommen und gehen zeigt, dass es für die syntaktische Konstruktion lexikalische Implikationen sind, um die es sich hier handelt. Auch in anderen Fällen wird darauf verzichtet, alles zu restituieren, was für das Verständnis von Syntagmen bedeutsam ist (vgl. Kap.6.4.5 ). Die Modalverben sind also mit gutem Grund als zweiwertig anzusehen, am Ende der Reihe steht mit (70) auch ein echter dreiwertiger Gebrauch: (70a) Ich will etwas von ihm. (70a') S. will ich
etwas
von
I
ihm Bei der Bestimmung des Typs der Aktanten gibt es Unterschiede. Eine E ^ lassen sicher können (38) und sollen (46) zu, jedoch offenbar nur pronominal, ferner mögen (55) und wollen (68), eine Epiäp ist bei allen möglich. Eine satzförmige Ergänzung ist bildbar bei nicht mögen (57), möchten (60) und wollen (63). Damit werden die volitiven Modalverben deutlich von den anderen abgehoben, auch wenn dies nur ihren Gebrauch als „Vollverben" betrifft. In ihrer Bedeutung sind die Modalverben mit den vollen Varianten identisch. Allerdings weisen sie jeweils mehr oder weniger unterschiedliche Varianten auf: (71) (72) (73) (74) (75)
Er kann radfahren/Rad fahren. Er kann jetzt hereinkommen. Du sollst kommen. Er will arbeiten. Es will Abend werden.
Die zweite Bedeutung der Zweiergruppen zeigt Steuerungsbezüglichkeiten, die außerhalb des Satzsubjekts liegen. Damit leiten sie zur zweiten Großgruppe der Verwendungsweise der Modalverben über, dem epistemischen Gebrauch (Kap.5.3.5.).
Nun ist aber noch nicht eindeutig geklärt, dass das Subjekt des Satzes mit einem Modalverb wirklich von diesem und nicht vom Infinitiv abhängt. Engel (1988, S.463f.) hält die Kongruenz zwischen Subjekt und Modalverb für nichts „als eine Oberflächenerscheinung, ein sekundäres Phänomen". Sie sei zwar eine wichtige Bedingung für korrektes Sprechen, habe aber strukturell gesehen eine ganz untergeordnete Bedeutung. Seine Argumente, warum das Subjekt vom Infinitiv abhänge, sind, dass nur dieser bestimme, ob überhaupt ein Subjekt zugelassen sei: (76) Dich wirdfrieren.
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Die verbalen Teile des Satzes und ihre Verkettung
Satz (76) weise deshalb kein Subjekt auf, weil auch dich friert keines erfordere. Das Verb werden wird von Engel als Modalverb aufgefasst, eine Lösung, der wir uns mit gewissen Modifikationen anschließen. Die anderen Modalverben lassen auch diese Konstruktion zu:
(77) Dich kann/soll/mag ...frieren. Dies ist aber nur ein Sonderfall der zweiten von Engel angeführten Bedingung, dass nämlich der Infinitiv festlege, welcher Art das Subjekt des das Modalverb enthaltenden Satzes sei. Auch dies ist unbestreitbar. Hier ist zu diskutieren, wie die „Modifikation" des Vollverbs durch das Modalverb zu denken ist. Zunächst lassen sich, mit gewissen Übergängen, im Bereich der objektiven Modalverben zwei Gruppen ausmachen (vgl. die Beispiele 71-75). Subjektgesteuerte Modalverben: können, mögen, möchten, wollen Mit den Untergruppen nichtvolitive: können; volitive: mögen, möchten, wol-
len Auch dies ist keine feste Unterscheidung, weil mögen höchstens partiell steuerbar ist. Nichtsubjektgesteuerte Modalverben: dürfen, sollen, müssen Bei der Annahme, dass syntaktisch derartige Unterschiede zu repräsentieren seien, lassen sich informell folgende Erzeugungswege denken.
(78) Er kann zuhören. (79) Er darf zuhören. (78')
S. I (es ist ihm möglich, dass)
=>
^uhort
S. I kann tx^
Zuhören
/
er (79') S.
S.
(x veranlasst, dass)
\zuhört
=>
darf
/ \zuhören er
er Derartige Zerlegungen, die des öfteren vorgeschlagen worden sind, würden eine ausgefeilte transformationelle Komponente nötig machen und sind dennoch nicht eindeutige Entscheidungen. Welche Folgerungen ergeben sich daraus für die Bestimmung der Leerstellen, die die Modalverben eröffnen? In ihrer jeweiligen Bedeutung ist der Platz für das Subjekt enthalten, das mit der im Infinitiv
Die Valenz der Hilfsverben
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ausgedrückten verbalen Handlung, dem Vorgang oder Zustand, eine Verbindung eingeht: (80) (81) (82) (83) (84) (85) (86)
χ χ χ χ χ χ χ
kann versteht es zu) arbeiten. muss (κ. ist es aufgetragen zu) arbeiten. darf ist es erlaubt zu) arbeiten. soll f» ist es notwendig zu) arbeiten. mag (κ· hat die Absicht zu) arbeiten. möchte hat die Absicht zu) arbeiten. will f« hat die (dringende) Absicht zu) arbeiten.
Die jeweiligen Modalverben gehen mit dem Infinitiv eine kompatible Verbindung ein. Selbstverständlich lässt sich dies auch vom Infinitiv her formulieren. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass die syntaktische Steuerung vom Modalverb aus organisiert ist. Einmal ist die Kongruenz mit dem Subjekt ein derart starkes Signal dafür, dass zwischen dem Modalverb und dem Subjekt die engsten Beziehungen bestehen, zum andern lassen sich die Modalverben, wie alle anderen Verben auch, nicht mit beliebigen Ergänzungen verbinden, sondern nur mit jeweils kompatiblen. Für den Infinitiv in Modalverbkonstruktionen bedeutet das, dass er mit dem Modalverb (und damit auch mit dem Subjekt) verbindbar sein muss. Was seine Valenzen betrifft, so sind sie, wie bei allen periphrastischen Konstruktionen, so geregelt, dass das Modal- oder Hilfsverb als Konsequenz seiner strukturellen Valenz die Esub abbindet, alle andern von ihm aus geregelt werden.
5.3.5. Der epistemische Gebrauch der Modalverben Der Unterschied zwischen den in 5.3.4. behandelten und den im Folgenden zu behandelnden Gebrauchsweisen ist seit Fourquet (1970a) in der Grammatikforschung fest etabliert. Die Bezeichnungen sind unterschiedlich (vgl. die Zusammenstellung bei Heibig 1995, S.211). Die Bezeichnungen deontische versus epistemische Verwendung scheinen die in der einschlägigen Literatur am häufigsten gewählten zu sein. Unter syntaktischem Gesichtspunkt ist der epistemische Gebrauch der Modalverben wesentlich schwieriger als der objektive zu beurteilen. Es handelt sich um Gebrauchsweisen wie (87) Er kann es nicht gewesen sein. (88) Das Mädchen eine Hysterische, Lungenkranke ... soll verlogen sein. (Klemperer, Tagebücher S.54) (89) Das gibt sicher Reibungen, zumal J. mir sowieso nicht grün sein dürfte. (Klemperer, Tagebücher S.54) (90) Es muß Großes geplant gewesen sein.
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Die verbalen Teile des Satzes und ihre Verkettung
(91) Gewiß mögen wir momentan mehr ausgeben als Neuberts. (Klemperer, Tagebücher S.56)
(92) Das möchte wohl wahr sein. (93) Er will es nicht gewesen sein. Die Grundbedeutung aller dieser Gebrauchsweisen ist die gleiche: Wiedergabe einer Annahme oder Vermutung, zumeist des Sprechers {können, dürfen, müssen, mögen) oder der Ansicht eines Dritten (sollen) oder des im Subjekt Genannten (wollen). Wie die Beispielreihe (87)-(93) zeigt, sind trotz dieser Ähnlichkeiten erhebliche Gebrauchsunterschiede zu verzeichnen. 'Modalisiert' wird in allen diesen Fällen nicht der propositionale Teil des Satzes, sondern die gesamte Aussage. Daher ist zu überlegen, ob diese hierarchisch höhere Bezüglichkeit nicht stemmatisch zum Ausdruck gebracht werden muss. Informell kämen Lösungen wie die folgenden in Frage:
(94) Er soll krank sein. S.
S.
I
(man sagt, dass)
=>
soll
\ seier
krank
er
krank
Auch hier wären schlecht motivierbare Transformationen zu bewerkstelligen. Daher muss auch hier der direkte Erzeugungsweg beschritten werden. Die Bedeutung einer epistemischen Modalverbkonstruktion errechnet sich aber auf andere Weise als die der objektiven. Es handelt sich um jeweils unterschiedliche Sprechakte. Syntaktisch lässt sich dies am ehesten mit der Verfolgung der Kasusrollen (auf die näher in Kap.6.3. eingegangen wird) erfassen:
(95) Er hat Klavier spielen können. (96) Er kann Klavier gespielt haben. Die epistemischen Modalverbkonstruktionen sind prototypisch die von Satz (96), wobei eine aktuale (nicht generische, habituelle) Aussage über ein vergangenes Geschehen vorliegt. Diese Sätze stehen formal im Präsens. Die kontrastierenden objektiven Modalverbkonstruktionen stehen aber meist nicht im Perfekt, sondern im Präteritum.
(95a) Er konnte Klavier spielen. Das heißt, die beiden Sätze sind normalerweise durch zwei Signale voneinander getrennt, so dass Verwechslungen der Lesarten ziemlich ausgeschlossen sind. Gleichwohl gibt es Übergänge, vor allem in den - selteneren - gegenwartsbezogenen Aussagen, vgl. (89), (90) und (97):
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Die Valenz der Hilfsveiben
(97) Er kann es sein. In diesen Fällen zeigt die Kasusrollenverteilung die Unterschiede zwischen den Modalverbkonstruktionen. (95a1)
S.
er
(97')
konnte \ spielen I AG Klavier
S.
er
kann \ E X P sein / es
Ausreichend ist dies nicht, denn ein Satz wie (98) ist tatsächlich ambig: (98) Er kann schlafen. Auch hier geben zumeist Signale deutlich an, ob die objektive Lesart, die dann habituell ist (98a), oder die epistemische, die aktual ist (98b), vorliegt: (98a) Er kann/seit einiger Zeit/wieder/gut (98b) Er kann jetzt/durchaus/schlafen.
schlafen.
5.3.6. Weitere modalverbverdächtige Verben brauchen In die Gruppe der Modalverben drängt in der Gegenwartssprache brauchen, das normativ mit zu verbunden wird, aber im umgangssprachlichen Gebrauch mehr und mehr ohne zu begegnet. Es finden sich objektive (99), (100) und vielleicht auch epistemische Gebrauchsweisen (101): (99) Du brauchst heute nicht kommen. (100) Du brauchst nur anrufen, dann kommt er. (101) Das braucht nicht stimmen. werden Auch werden hat mit den Modalverben so viel gemeinsam, dass eine Einordnung des Verbs unter ihnen gerechtfertigt erscheint. Fritz (2000) hat herausgearbeitet, dass man bei keinem Verb so ausdrücklich die Festlegung des Sprechers auf seine mit dem Satz getroffene Aussage erfassen kann wie mit dem Verb werden. 'Modale' und 'temporale' Gebrauchsweisen sind häufig nicht zu trennen. So ist (102) zwar primär temporal zu interpretieren, (103) modal. Aber die Festlegung des Sprechers für die Aussage, seine (sich selbst gegebene - es handelt sich um Tagebucheintragungen - ) Versicherung, dass der berichtete Sachverhalt eintreten wird, ist der gleiche:
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Die verbalen Teile des Satzes und ihre Verkettung
(102) Ich redete recht offen von meinen privaten Verhältnissen u. gab nachher das Feuilleton an H. Er wird dafür Sorge tragen, daß es mindestens ohne den Dozententitel erscheint. (Klemperer, Tagebücher S.51) (103) Aber mit den Berichten aus München für die N.N. wird es nun wohl nichts werden. (Klemperer, Tagebücher S.51) In (103) konkurriert werden mit sollen und können. Dass 'objektive', temporale Voraussage und 'modalisierte' Einschätzung eines Sachverhalts sich überlappen, zeigt (104): (104) Die jetzige Regierung wird zerrieben werden im Aufeinanderprallen linker Verzweiflung u. rechter Erbitterung. (Klemperer, Tagebücher S.51) Gebrauchsweisen wie (105) und (106) zeigen aber, dass werden im Vergleich mit den eigentlichen Modalverben noch über andere Aufgaben verfügt. Bei (105) handelt es sich um das würde + Inf.-Gefüge zur Bezeichnung einer sonst mit dem Konj. II wiederzugebenden Ausdrucksweise, was der Fortgang des Satzes zeigt. Er weist aber auch darin eine Konkurrenzform mit Modalverben auf (wollte). (105) Ich würde gern die Univ.-Laufbahn aufgeben, wenn ich nur einen festen Posten bei der Presse bekäme, wenn man mich etwa nach Paris oder Rom schicken wollte. (Klemperer, Tagebücher S.50) In (106) liegt die Bezeichnung einer 'Zukunft aus der Vergangenheit' vor. Thieroff (1992, S.289-291) bucht sie als eigenständige Tempusform: (106)
Wir sprachen von Paris .... Es würde diesmal um eine größere Entscheidung gehen als damals. (Klemperer, Tagebücher S.50)
Hier von der Konjunktiv II-Form von werden zu sprechen wäre müßig.
Syntaktisch verhält sich werden nicht anders als die Modalverben, zumal auch werden in vielfältige andere Paradigmen eingebunden ist, die seine volle Valenz zeigen. ( 107) Er wird Journalist. (108) .Er wird wieder tätig.
5.3.7. Modalitätsverben Einige weitere Verben verhalten sich ähnlich wie die Modalverben, sie sind ebenfalls nur strukturell zweiwertig und binden neben dem Subjekt einen Infinitiv, dieser wird mit dem selbständigen Rektionsmorphem zu angeschlossen. Wie bei den Modalverben schlägt das Subjekt auf die Valenz des Infinitivs durch, das heißt, auch die Modalitätsverb + Infinitivkonstruktion wird als „Modifikation" der im Infinitiv ausgedrückten Handlung, beziehungsweise des Vorgangs oder Zustande interpretiert und auf das Satzsubjekt bezogen. Den „gleitenden Übergang" zu den Modalverben bildet brauchen.
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Die Valenz der Hilfsverben
(109) Am Sonntag braucht niemand zu arbeiten. (109')
S. braucht
/
niemand
\
η zu arbeiten
X am
\
Sonntag Die Darstellung des Rektionsmorphems erfordert eine stemmatische Entscheidung. Es böte sich die Möglichkeit an, es wie eine Präposition oder Subjunktion als Regens seines Bezugswortes aufzufassen. Dagegen spricht aber, dass es ausschließlich über strukturelle Valenz der reduziertesten Form verfügt. Es verhält sich wie ein Morphem. Da der Infinitiv bereits durch das Infinitivmorphem -en gekennzeichnet ist, lässt es sich in seiner wortmäßigen Positionierung, und zwar obligatorisch vor dem Infinitiv und in Kontaktstellung, durch folgende Konvention adäquat erfassen: zu". Die Kontaktstellung fuhrt zu Wortverschmelzungen, wenn es sich bei dem gebundenen Infinitiv um ein trennbares Partikelverb handelt: (110) Niemand braucht umzusteigen. s.
(110·)
braucht niemand
umzusteigen
In periphrastisch gebildeten Tempusstufen ist die Position des Rektionsmorphems zu beachten: (110a) Niemand hat hier umzusteigen brauchen. (110b) Niemand braucht hier umgestiegen zu sein. Bei brauchen ist die Einordnung in eine Klasse, die den Modalverben nahesteht, offensichtlich. Schwieriger ist es, Infinitivkonstruktionen, bei denen der Infinitiv eine reguläre Aktantenposition besetzt, hiervon abzugrenzen. (111) Er entschließt sich, abzureisen. (112) Er bestreitet, die Tat begangen zu haben. Das Gleiche betrifft aktionale Modifizierungen von Verben.
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Die verbalen Teile des Satzes und ihre Verkettung
(113) Er beginnt zu arbeiten. (114) Er fährt zu lesen fort. Eine Möglichkeit der Abgrenzung der Modalitätsverben ist ihre Nähe zu den Modalverben. In der folgenden Liste der Modalitätsverben wird daher versucht, die Einordnung über eine bedeutungsähnliche Paraphrase mit einem Modalverb zu begründen: brauchen, s.o. (110) (110c) Niemand muss hier umsteigen. drohen (111) Ein Unwetter droht auszubrechen. ( l i l a ) Ein Unwetter will ausbrechen. gedenken (112) Er gedenkt in dieser Sache zu schweigen. (112a) Er will in dieser Sache schweigen. sich (ge)trauen (113) Endlich traute er sich, ihr gegenüberzutreten. (113a) Endlich konnte er ihr gegenübertreten. haben (114) Dies hat sofort erledigt zu werden. (114a) Dies muss sofort erledigt werden. scheinen (115) Dies scheint zu stimmen. (115a) Dies kann stimmen. sein (116) Diesisi sofort zu erledigen. (116a) Dies muss sofort erledigt werden. suchen (117) Er sucht sie zu verstehen. (117a) Er will sie verstehen. stehen (118) Es steht zu hoffen, dass die Steuersenkung in Kraft tritt. (118a) Es kann gehofft werden, dass die Steuersenkung in Kraft tritt. umhin kommen (119) Er kam nicht umhin, nachzugeben. (119a) Er musste nachgeben. sich unterstehen (120) Unterstehen Sie sich, ihm den Parkplatz wegzunehmen. (120a) Sie dürfen ihm nicht den Parkplatz wegnehmen. vermögen (121) Sie vermochte es nicht, ihr die Wahrheit zu sagen. (121a) Sie konnte ihr nicht die Wahrheit sagen. versprechen (122) Das Wetter verspricht schön zu werden. (122a) Das Wetter soll schön werden.
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Die Valenz der Hilfsveiben verstehen (123) Er verstand es, die anderen zu überzeugen. (123a) Er konnte die anderen überzeugen. wissen (124) (124a) wagen (125) (125a)
Sie wusste ihn zu überraschen. Sie konnte ihn überraschen, Niemand wagte dies heiße Eisen anzupacken. Niemand mochte dies heiße Eisen anpacken.
Historisch gesehen, lassen sich hier Bewegungen hin zu (brauchen) und weg von (wissen) den Modalverben feststellen, oder es haben bedeutungsähnliche Modalverben bestanden (mhd. turren 'wagen'). So kann diese Liste weder vollständig noch fest sein. Auch der Übergang in die nächste Gruppe ist gleitend.
5.3.8. Aktionsartverben Diese Verben modifizieren die im Infinitiv gefasste Vollverbbedeutung nach Beginn, Verlauf, Ende und ähnlichen Kategorien (vgl. Hyvärinen 1989, S.356381). anheben/anfragen/beginnen aufhören anstehen bleiben pflegen
(126) (127) (128) (129) (130)
Er begann, die Sachen einzusammeln, Sie hörte auf zu arbeiten, Die Sache steht noch an, erledigt zu werden, Die Sache bleibt noch zu erledigen, Er pflegt sonntags einen Ausflug zu machen.
(128) lässt sich etwa mit (128a) Die Sache muss noch erledigt werden. paraphrasieren. Bei den vielfältigen lexikalisch freien Infinitivkonstruktionen ist zu prüfen, ob das Subjekt des Matrixsatzes auf den Infinitiv durchschlägt oder nicht: (131) Ich deutete ihm an, mitzukommen. (132) Ich überzeugte ihn, mitzukommen. Im Allgemeinen handelt es sich dabei um höherwertige Verben, doch begegnen sie auch mit reduzierter Valenz: (131a) Ich deutete an, mitzukommen. In solchen Fällen bilden sie wiederum die Verbindung zu den eben behandelten Gruppen.
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Die veibalen Teile des Satzes und ihre Verkettung
5.4. Die verbale Periphrase Allgemein müssen alle verbalen Verkettungen auf den Kasusrollentransport abgefragt werden. Die zugewiesenen Rollen verschwinden nicht einfach oder werden einfach gar nicht zugewiesen, sondern ihre letztgültige Interpretation ergibt sich durch Verrechnung aller Rollenmöglichkeiten bei jedem einzelnen Prädikatsteil. (1) (2) (3) (4) (5) (6) (7) (8) (9)
Ich bin nach Hause gegangen. Sie ist über den Großen Teich geschwommen. Er ist/hat im großen Teich geschwommen. Die Titanic ist untergegangen. Er hat auf diesem Stuhl gesessen. Er ist auf diesem Stuhl gesessen. Sie hat damit schon angefangen. Sie ist damit schon angefangen. Ich habe fertig!
Hier müssen nun als erstes die se/'w-Perfekta betrachtet werden. Haben- und Sem-Perfektbildungen sind im Deutschen strikt geregelt, allerdings mit einigen regionalen Unterschiedlichkeiten. Satz (6) ist nur im ganzen Süden, Satz (8) nur in einigen nördlichen Gebieten gebräuchlich. Bewegungsverben, bei denen eine spezifische Tätigkeit vorliegt, erlauben beide Auxiliare (3). Trappatonis belächelter Ausspruch (9) ist deswegen so suggestiv, weil er tatsächlich die letzte Konsequenz der deutschen Systemmöglichkeit darstellt. Auch bei den sem-Perfekta kann der Blick auf die Sprachgeschichte zur Klärung beitragen. Insgesamt sind die sem-Perfekta viel älter als die Aaèen-Perfekta. Sie sind bereits im Gotischen vorhanden und im Althochdeutschen regulär, während die Bildungen mit haben dort erst gerade entstehen. Im Gegensatz zu diesen sind sie primäre Subjektkonstruktionen, d.h. sie sagen über das Satzsubjekt aus, dass es sich im 'erreichten Zustand nach Abschluss der Verbalhandlung' befindet. Mit den ie/n+Part.II-Konstruktionen haben wir in der Gegenwartssprache die Reste eines ausgefeilten Systems, bei dem das Auxiliar sein mit dem Auxiliar werden in paradigmatischer Konkurrenz und das Partizip II jeweils mit dem Partizip I wechselt. In dieses System waren alle Verben des Althochdeutschen über ihre Partizipialbildungen einbezogen, die höherwertigen erscheinen hier dann nur „passivisch" (wie (4)), weil es die /laien-Perfekta nur erst im Ansatz gibt. Das althochdeutsche System braucht uns hier nicht im Einzelnen zu interessieren (dazu Eroms 1997). Festzuhalten ist aber, dass sowohl die sem-Perfekta - und es gab auch wercfe/j-Perfekta! - als auch die sein- und wenfe/j-Passivformen subjektzentrierte Konstruktionen sind, die also eine Aussage über das Subjekt mit Hilfe einer partizipialen seinbeziehungsweise wmfen-Konstruktion treffen. - Die Isidorstelle (10) (Christus) ist fona himile nidharquheman endi uphstigan (Isidor 201f.) bedeutet wörtlich 'Christus ist ein vom Himmel Herab- und (wieder) Aufgestiegener'. Im Grunde ist dies ein Prädikatsnomen. Vielfach wird im Althochdeutschen das Partizip noch flektiert, woran man dann den nominalen Charakter deutlich erkennt. Auch bei den se/w-Perfekta ist im Lauf der Sprachgeschichte der nominale Charakter (also die Funktion des Partizips als Prädikatsnomen) fast ganz verlo-
Die verbale Periphrase
153
rengegangen. Die Sätze (1) (2) (4) sind also nur konstruktioneil in einer Interpretation (I1) (2') (4')
'Ich bin ein Nach-Hause-Gegangener. ' 'Sie ist eine über den Großen Teich Geschwommene. ' 'Sie ist eine Untergegangene. '
akzeptabel. Immerhin wäre (4') nicht ganz abwegig, auch als real geäußerter Satz, und die anderen sind in ihrem Bedeutungsgehalt immerhin akzeptable Paraphrasen. Auch bei den se/w-Perfekta ist zu erkennen, dass die entsprechenden 'Präsens'-Sätze nicht einfach in jeder Hinsicht gleiche Aussagen abzüglich der oder zusätzlich zu den anderen Tempusformen darstellen. Es sind unterschiedliche Aussagen. (11) Ich gehe nach Hause. (12) Sie schwimmt über den Großen Teich. (13) Sie geht unter. Die Sätze (11), (12) und (13) sind kursive Handlungs- oder Vorgangsbezeichnungen für die Gegenwart (also in der Tempusform 'Präsens') oder für die Zukunft (als Tempusimplikation des Präsens). Die Kasusrollen für das Subjekt sind in (11) AGENS, in (12) AGENS oder PATIENS, je nach der aktualisierten Variante des Verbs schwimmen, also ob die aktive Tätigkeit oder der ungesteuerte Vorgang benannt wird, in (13) PATIENS. Die entsprechenden 'Perfekt'Sätze führen auch zu diesen Rollen, aber, analog zu den Aaiew-Perfekta über eine Inferenz: Konstruktioneil durchlaufen sie die Version der Prädikatsnomina. An diese ist für das Subjekt die Kasusrolle EXPERIENCER gebunden. Sie wird durch die aus dem Partizip stammende Kasusrolle AGENS oder PATIENS überlagert, trägt aber insgesamt dazu bei, dass den 'Perfekt'-Sätzen, die formal Präsensaussagen sind, die aspektuell-aktionsartlichen Züge, hier wiederum die resultativ-perfektive Interpretation, zukommen. Beim Passiv ergeben sich ganz analoge Konstruktionswege, was in Kap. 10 gezeigt wird. Zum Abschluss dieser Überlegungen soll noch einmal darauf hingewiesen werden, dass die hier betrachteten periphrastischen Konstruktionen in ihrer Bildeweise in den Blick genommen worden sind. Dadurch mag es den Anschein haben, als ob die Periphrasen insgesamt nicht nur komplexer, sondern auch komplizierter als die nichtperiphrastischen Konstruktionen seien Das wären sie nur, wenn man bei der Analyse der Konstruktionswege stehen bliebe. Diese werden aber zweifellos kompakt geregelt, das heißt, die semantische Bewertung zielt sogleich auf den Effekt der Kasusrolleninterpretation. Aber da die Auxiliare in der Kongruenz das deutliche Kennzeichen ihrer Subjektbezüglichkeit tragen, müssen diese Signale beachtet werden. Die Periphrasen sind im Gegenwartsdeutsch nun einmal die Normalkonstruktionen. Ihre Vorteile liegen in der Portionierung der semantischen Informationen auf Einzelwörter. Wörter aber sind mehr als Morpheme, und auch die Auxiliare haben Wortstatus, auch wenn ihre semantische Leistung sich erst im Zusammenhang ihrer Konstruktion ergibt.
154
Die verbalen Teile des Satzes und ihre Verkettung
5.5. Negation und Adverbialia bei Modalverben
Die Syntax der Modalverben wirft noch eine Reihe von Fragen über die hinaus auf, die im Abschnitt 5.3. behandelt worden sind. Dass die Modalverben nicht einfach den Hilfsverben zugeschlagen werden können, obwohl sie manche Gemeinsamkeiten mit ihnen aufweisen, ist schon gesagt worden. (Die Argumente, die in der Literatur dazu angeführt worden sind, u.a. bei Welke 1965, Reinwein 1977, Buscha 1984 und Diewald 1994, mustert eingehend Heibig 1995.) Auch in der Modalverbstudie von Öhlschläger (1989) wird mit überzeugenden Argumenten für den eigenständigen Charakter der Modalverben plädiert. Einerseits haben sie Gemeinsamkeiten mit den Hilfsverben haben, sein und werden, andererseits weisen sie Eigenschaften von Vollverben auf, die für ihre syntaktische Darstellung relevant sind. Die von Öhlschläger herangezogenen Eigenschaften sind allerdings unterschiedlich zu beurteilen. Was die Valenzen betrifft, so sind Öhlschlägers Beobachtungen nicht zu bezweifeln: Es ist das lexikalische Vollverb, das die Satzbaupläne regelt. Daraus folgt, dass in den Sätzen (lb) und (2a) die Ungrammatikalität auf den Eigenschaften des Infinitivverbs beruht (Öhlschläger 1989, S.75): (la) Der Junge darf/kann/mag/muss/soll seinen Großvater besuchen. ( 1 b) *Der Junge darf/kann/... seinen Großvater helfen. (2a) *Der Junge darf/kann/... seinem Großvater besuchen (2b) Der Junge darf/kann/... seinem Großvater helfen. Wie Öhlschläger selber anführt, ist dies aber noch nicht für die Belegung der Subjektsposition entscheidend. Erst wenn nachgewiesen werden kann, dass die Infínitiwerben mit ihren Valenzen auf das - vom Modalverb gebundene Subjekt durchschlagen, ließe sich den Modalverben eine Regelungseigenschaft gänzlich absprechen. Dies ist aber offenbar nicht der Fall. Zwar lassen sich Satzpaare bilden, bei denen die Subjektsposition einmal zulässig, einmal unzulässig ist (Öhlschläger 1989, S.77), wie in: (3 a) (3b) (4a) (4b)
Der Junge darf/kann/... nach Hause gehen. *Esexpi darf/kann/... nach Hause gehen. *Der Junge darf/kann/... regnen. Esexpi darf/kann/... regnen.
//geht nach Hause. //geht nach Hause. //regnet. //regnet.
Aber die Unzulässigkeiten sind auch als solche zu erklären, die sich aus der Semantik der Modalverben ergeben. Schwerer wiegt allerdings, dass auch in Konstruktionen wie in (5a) versus (5b) die Parallelität besteht. (5 a) Esexp¡ darf/kann getanzt werden. (5b) Es wird getanzt. Allerdings sind dies eben gerade subjektlose Konstruktionen.
Negation und Adverbialia bei Modalverben
155
Schließlich ist die Kasusrolleninterpretation heranzuziehen. Auch hier ist nicht zu bestreiten (vgl. Öhlschläger 1989, S.77f.), dass in Sätzen wie (6a) Der Junge darf/kann/... Paula besuchen. (6b) Paula darf/kann/... von dem Jungen besucht werden. die Kasusrolle des Subjekts vom lexikalischen Vollverb her geregelt wird. Nun sind aber, worauf immer wieder hinzuweisen ist, die Kasusrollen Interpretationsleistungen, und der 'Modalisierung' der Sätze (6a) und (6b) im Vergleich zu Sätzen ohne Modalverben muss auch in Bezug auf die Kasusrollen Rechnung getragen werden. Konstruktionen ist der Weg bei den passivischen Sätzen mit Modalverben der gleiche wie bei den aktivischen. Allerdings erscheinen die Passivsätze noch um eine Stufe kompakter. Denn in (6b) handelt es sich nicht um ein 'Dürfen'/'Können' ... von Paula, sondern von dem Jungen. So scheint es, wenn die in die Modalverben eingegangene Fokussierung nicht bis zu ihrem letzten Schritt, der im finiten Verbalmorphem festgemachten Sprecherverortung verfolgt würde. Dies aber ist der letzte Fokuspunkt des Satzes, was in der Konzeption von Zemb als Phema begriffen wird. Die in Rede stehenden Passivsätze sagen aus, dass der S ρ r e c h e r der Ansicht ist, dass der Junge Paula besuchen darf, kann, soll oder muss. Dies gilt aber für den Aktivsatz gleichermaßen: Die Proposition 'der Junge besucht Paula' wird im Aktivsatz auf der Junge, im Passivsatz auf Paula perspektiviert. Die Modalisierung ist die gleiche, sie wird im vom Sprecher gesetzten Finitum fassbar. Die Kasusrollen (hier AGENS Ρ ATENS) erscheinen dadurch zwangsläufig als p o t e n t i e l l e . Syntaktisch ist dies nicht darstellbar, weil dies in die Verwendungspostulate des Verbmorphems und in die Gebrauchsbedingungen der Modalverben eingegangen ist. Auch im Bereich der Modalverbverknüpfungen ist eine Einbeziehung der Gebrauchsbedingungen aufschlussreich. Passivische Sätze sind zwar fast völlig unrestringiert, doch müssen die Korrespondenzen zu entsprechenden Aktivsätzen beachtet werden. (7a) Ihr dürft den Kuchen jetzt aufessen. (7b) Der Kuchen darf jetzt (von euch) aufgegessen werden. (8a) Ihr könnt den Kuchen jetzt aufessen. (8b) Der Kuchen kann jetzt (von euch) aufgegessen werden. (9a) Ihr könnt den Wagen selber reparieren. (9b) Der Wagen kann von euch selber repariert werden. (10a) Ihr müsst den Kuchen jetzt aufessen. (10b) Der Kuchen muss jetzt von euch aufgegessen werden. (IIa) Ihr sollt den Kuchen jetzt aufessen. (1 lb) Der Kuchen 7soll/muss jetzt von euch aufgegessen werden. (12a) Ihr mögt/möchtet/wollt also den Kuchen jetzt aufessen? (12b) Der Kuchen soll also jetzt von euch aufgegessen werden? (13a) Die Abgeordneten möchten/wollen die Experten befragen. (13b) Die Experten möchten/wollen von den Abgeordneten befragt werden. (14a) Paul mag/möchte/will Paula besuchen. (14b) Paula mag/möchte/will von Paul besucht werden.
156
Die veibalen Teile des Satzes und ihre Verkettung
Die meisten Passivsätze haben eine Tendenz zur epistemischen Leseweise. Am deutlichsten sieht man das bei können, das offenbar nicht die Bedeutung 'die Fähigkeit haben' im Passiv zulässt. Sollen/müssen versus mögen/möchten/wolien zeigen dieses Verhältnis von einer anderen Seite. Zugrunde liegen nicht nur Markierungsverhältnisse, bei denen müssen klarer die nichtepistemische Lesart zeigt (IIb) (vgl. dazu generell Fritz 2000), sondern auch die Sensibilität der Subjektstelle im Passiv für die oben angegebenen Verhältnisse: Die modalisierten Sätze bringen primär die Sprechereinschätzung, erst daran geknüpft die propositionalen Verhältnisse zum Ausdruck. Das ist selbst bei (13a)-(14b) nicht ganz auszuschließen, bei denen allerdings die volitive Komponente so stark durchschlägt, dass das Modalverb auf das Satzsubjekt bezogen wird. Öhlschläger spricht davon, dass wollen und möchte dem Subjekt eine semantische Rolle zuweisen (Öhlschläger 1989, S.79).
Es sind zwei weitere Bereiche kurz zu diskutieren. Bei Öhlschläger (1989) wird das Verhalten von modalisierten Sätzen unter Negation und mit Adverbialia geprüft. Was die Negation betrifft, so scheint keine Skopusambiguität bei Sätzen mit Modalverben zu bestehen. (15) Ihr könnt/dürft... den Wagen nicht reparieren. Im Deutschen gibt es keine oberflächenstrukturellen Signale für unterschiedliche Bezüglichkeiten des Negators. (15a) Ihr könnt/dürfi... nicht den Wagen reparieren. (15b) ... dass ihr den Wagen nicht reparieren könnt/dürft. (15c) ... dass ihr nicht den Wagen reparieren könnt/dürft. Die Satznegation bezieht sich stets auf die gesamte Proposition. Das heißt aber nicht, dass nicht einzelne Konstituenten thematisiert (in den Hintergrund piaziert) oder Thematisiert (in den Vordergrund piaziert) werden könnten: (15d) Den Wagen könnt ihr nicht reparieren. (15e) Ihr wollt also nicht den Wagen reparieren. Was den Skopus der Negation betrifft, so verhalten sich die deontischen und die epistemischen Gebrauchsweisen der Modalverben unterschiedlich. In der deontischen Verwendung gibt es syntaktisch gesehen keinerlei Hinweise darauf, dass sich der Skopus der Negation ausschließlich auf das infinite Verb bezieht: (16) Er darf/kann/soll/muss/mag/möchte/will NICHT singen. hat jeweils nur eine Lesart, und so kann auch nur ein konstruktioneller Weg angesetzt werden. Davon unbetroffen ist die Möglichkeit, jedes einzelne Element des Satzes und daher auch die Modalverben oder aber das infinite Verb oder Teile des infiniten Verbkomplexes kontrastiv zu fokussieren, wie in (17)-(19). (17) Er will nicht singen. (18) Er will nicht singen. (19) Er hat nicht singen wollen.
Negation und Adverbialia bei Modalveiben
157
In diesen Fällen haben die Sätze jeweils andere Präsuppositionen oder Satzmodi: (17) [Es gilt eine andere Modalisierung, etwa 'er kann/darf singen']. (18) [Es ist behauptet worden: 'er singt']. (19) [Es gilt trotz Widerspruch: 'er hat nicht singen wollen']. Hier handelt es sich um den sogenannten Verumfokus (vgl. Höhle 1991/1992). Bei Plazierung des Gipfelakzentes auf dem infiniten Verb, dem Nonnalfall, bezieht sich der Negator auf den periphrastischen Komplex. Auch in Nichtaussagesätzen wie (20) Du sollst nicht stehlen! (21) Willst du nicht endlich aufhören? lässt sich kein 'sollen' gegenüber einem 'nicht stehlen', beziehungsweise 'wollen' gegenüber einem 'nicht aufhören' isolieren. (Nur die Klasse der dekalogischen Verbote lässt sich allenfalls als positive Sollen-Vorschriften insgesamt auffassen.) Umgekehrt gehen allerdings die Negationen mit den Modalverben, semantisch gesehen, durchaus spezifische Verbindungen ein. Bestes Beispiel dafür ist, dass brauchen ausschließlich in der negierten Variante in die Klasse der Modalverben eindringt: (22) Du brauchst heute nicht kommen! Hier ist der Negator quasi Teil der Modalverbbedeutung. Auch die Übergänge von nicht müssen zu nicht brauchen und die Isolierung beispielsweise von können und nicht dürfen sind Indiz dafür, dass hier Amalgamierungen entstehen und die Negation und Modalisation zusammenziehen als Operatoren über der Verbbedeutung. (23) Du musst/brauchst dich hier nicht so abquälen. (24) Wir dürfen nicht vergessen, noch einzukaufen. (24a) Wir müssen noch einkaufen. (24b) Wir dürfen vergessen, noch einzukaufen. (25) Das kannst du vergessen! [« darfst du] (25b) *Das kannst du nicht vergessen! [« darfst du] Hier ist allerdings die Frage, ob Sätze wie (26) Wir müssen nicht/dürfen nicht schweigen, sondern (müssen) laut anklagen. nicht Gegenbeispiele darstellen. Sie werden z.B. in der Dudengrammatik (§ 164, S.97) als solche aufgefasst, bei denen sich die Verneinung auf den Sachverhalt beziehe. (Das ist im Übrigen der einzige Fall, der überhaupt zur Diskussion gestellt wird). Auch hier wäre eine Paraphrase mit müssen zu stark, eher wäre sollen möglich:
158
Die verbalen Teile des Satzes und ihre Verkettung
(26a) Wir müssen: nicht schweigen. (27) Wir sollen: nicht schweigen = reden. Es ist eher eine metasprachliche Operation, die hier vorliegt. Denn die normalsprachliche (Gebrauchs-)Version wäre: (28b) Wir dürfen nicht schweigen. Allenfalls bei wollen wäre eine Trennung des Negationsskopus vom Modalverb denkbar: (29c) Er will: nicht schweigen. Er will laut anklagen. Doch auch hier scheint ein pointierter Gebrauch vorzuliegen, mit dem ein stilistischer Effekt erzielt wird. Beim epistemischen Gebrauch lassen sich dagegen durchaus Bezüglichkeiten ausschließlich auf das infinite Verb oder den infiniten Verbkomplex feststellen, doch auch hier gibt es keine Skopusambiguitäten: (3 0) (31) (32) (33) (34) (35)
So dürfte es sich nicht zugetragen haben. Er kann es nicht gewesen sein. So kann es nicht gewesen sein. Er muss es nicht verstanden haben. Er soll es nicht zugegeben haben. Er will es nicht gewesen sein.
Die Grundfunktion der epistemischen Gebrauchsweise ist die Sprecherannahme über den mit der Proposition ausgedrückten Sachverhalt, beziehungsweise bei sollen das Referat einer derartigen Vermutung durch den Sprecher und bei wollen eine Äußerung der im Subjekt genannten Person. Vermutungen, auch referierte, lassen sich nicht negieren. Doch kann man zum Ausdruck bringen, dass man die Vermutung 'nicht äußert'. Dies lässt sich nun für die Sätze (30)-(33) annehmen, fur die Sätze (34) und (35) entfällt das, weil es sich um Referate des Sprechers handelt: (30a) (31a) (32a) (33a)
'Es wird 'Es wird 'Es wird 'Es wird
nicht die Vermutung geäußert, nicht die Vermutung geäußert, nicht die Vermutung geäußert, nicht die Vermutung geäußert,
dass es sich so zugetragen hat.' dass er es gewesen ist.' dass es so gewesen ist.' dass er es verstanden hat.'
Diese Sätze enthalten die pragmatischen Implikationen: (30b) (3 lb) (32b) (33b)
'Es ist zu vermuten, dass es sich so nicht zugetragen hat.' 'Es ist zu vermuten, dass er es nicht gewesen ist.' 'Es ist zu vermuten, dass es so nicht gewesen ist.' 'Es ist zu vermuten, dass er es nicht verstanden hat.'
Dagegen sind (34) und (35) „direkter" auf den negierten Sachverhalt zu fuhren:
159
Negation und Adverbialia bei Modalveiben
(34a) 'Es ist gesagt worden, dass er es nicht zugegeben hat.' (35a) 'Er sagt, dass er es nicht gewesen ist.' In den epistemischen Gebrauchsweisen der Modalverben sind die angegebenen Verhältnisse kompakt angelegt, daher ergeben sich syntaktisch auch keine unterschiedlichen Ableitungen im Vergleich mit den deontischen, bis auf sollen und wollen, bei denen die epistemische Verwendung den referierten Sachverhalt einbindet, nicht aber eine Vermutung in Frage gestellt wird. So wären die Sätze (19) und (35) folgendermaßen darzustellen: (19)
S.
(35')
S.
hat
will
/
/ V
er
wollen nicht
er
singen
sein gewesen
nicht es Aber die aufgeführten Paraphrasen zeigen, dass der Unterschied oberflächenstrukturell nur unter Vermeidung von Modalverben erfassbar ist. Die Satzbedeutung ist ohnehin stets die gleiche, von TRG-Unterschiedlichkeiten, die generellen Gesetzen gehorchen, natürlich abgesehen. Bei mehrfachen Adverbialia wird dies noch deutlicher: (36) Ihr sollt heute den Wagen sorgfältig reparieren. (36a) Ihr sollt heute (im Gegensatz zu gestern): den Wagen sorgfältig reparieren. Situierende Adverbialia haben generell weiteren Skopus als modale (vgl. Kap.7). Dies ist also kein spezifisches Modalverbproblem. Die Skopus-Unterschiedlichkeiten der Adverbialia werden stemmatisch durch Links-Rechtsabfolge deutlich gemacht: (36·)
S. sollt
J \ reparieren .
ihr heute
sorgfältig
den Wagen
Wenn wirklich ein propositionsbezogener Bedeutungsunterschied vorliegen sollte, müssten sich oberflächenstrukturelle Indikatoren dafür finden lassen, ins-
160
Die veibalen Teile des Satzes und ihre Verkettung
besondere Wortstellungsunterschiedlichkeiten. Im Französischen ist dies durchaus der Fall; Zemb (1978, S.442) führt den folgenden Satz an: (37) II η 'a jamais pu facilement être définitivement battu. (37a) Er hat niemals leicht endgültig geschlagen werden können. (37b) ... dass er niemals leicht endgültig hat geschlagen werden können. Diesen Sätzen ließen sich folgende Stemmata zuweisen: (37') NEGV fm
il
n'a
jamais
pu facilement être
définitivement
battu .'
Hier sei im Übrigen darauf hingewiesen, dass im Französischen der Negator mit dem vokalisch anlautenden Auxiliar vollkommen verschmilzt. Dies macht sich besonders bei den vokalisch anlautenden Auxiliarformen von avoir und être bemerkbar, so dass man in diesen Fällen von „Negationsverben" sprechen kann. Im Deutschen käme dem Satz (37b) das Stemma (37b1) zu. Etwas anders als bei den Negationen sind die Skopusveriiältnisse bei Adveibialia zu beurteilen. Auch hier sind selbstverständlich konstruktionelle Wege der folgenden Art denkbar: (38) (38a) (39) (39a)
dass ihr den dass ihr den dass ihr den dass ihr den
Wagen ''heute repariereri! könnt. Wagen 1heute] reparieren ^könnt\ Wagen 1schnell reparieren1 sollt. Wagen ''schnell'* reparieren [sollt\
In entsprechenden Aussagesatzformen: (40) (40a) (41) (41a)
Ihr1könnt1 heute den Wagen lreparieren\ Ihr lkönnt heute1 den Wagen reparieren. Ihr sollt den Wagen 1schnell reparieret»'. Ihr sollt den Wagen schnell reparieren.
Mit folgenden Paraphrasen: (42) (42a) (43) (43a)
Ihr seid heute in der Lage, den Wagen zu reparieren. Ihr seid in der Lage, den Wagen heute zu reparieren. Es wird von euch erwartet, dass ihr den Wagen schnell repariert. Es wird gleich von euch erwartet, dass ihr den Wagen repariert.
161
Negation und Adveibialia bei Modalverben
(37b1)
(dass)
(dass) er η iemals leicht endgültig geschlagen werden können hat. Die unterschiedlichen Skopusverhältnisse lassen sich auch stemmatisch darstellen: (40')
S.
(40a')
S. könnt
könnt ihr
repaneren den Wagen
heute
ihr
eute reparieren
rN
den Wagen Im Deutschen bilden die Verbalteile einen periphrastischen Komplex. Die A ordnen sich in Skopus-Anzeige davor. Der konsequent kopfinitialen, zentrifugalen Sprache Französisch steht die konsequent kopffinale, zentripetale Sprache Deutsch gegenüber. Dies ist aber nicht der einzige Unterschied. Im Französischen baut sich der Verbkomplex sukzessive, im Deutschen blockweise auf. Es sind wohlgemerkt nur konstniktionelle Unterschiedlichkeiten, die semantischen Effekte, also die Gesamtbedeutung des Prädikats, wird auf beide Weisen erreicht.
Im Rahmen von GB stellt Öhlschläger die Modalverben dürfen, können, mögen und sollen als Hebungsverben, wollen und möchten als Kontrollverben dar. Bei Hebungsverben handelt es sich um solche Verben, die einen infiniten Satz einbetten, bei dem dem Subjekt aber keine Theta-Rolle zugewiesen wird, im Gegensatz zu den Kontrollverben. Öhlschläger benutzt aber auch den Gesichtspunkt, dass auch die Subjekte im Deutschen subkategorisiert werden - ein für die Valenzgrammatik entscheidendes Argument. Die sonstigen Argumente für die Hebungsverb-Analyse stützen sich hauptsächlich auf das Verhalten bei Negationen und bei Adverbialia. Die postulierten Skopusunterschiede (Öhlschläger
162
Die verbalen Teile des Satzes und ihre Verkettung
1989, S.l 10) sind zwar, wie wir gesehen haben, konstruktionell möglich, fuhren aber zur gleichen Interpretation. Gleichwohl sollte der offensichtliche Unterschied zwischen den beiden Modalverbgruppen auch dependentiell darstellbar sein. Zu fragen ist also, ob die Verben wollen und möchten Kontrollverben sind, oder zumindest dieser Verbgruppe nahestehen. Die subjektskontrollierten (versprechen, vorschlagen) lassen sich über Paraphrasierungsunterschiede darstellen; die quantitativen valenziellen Verhältnisse geben keine Unterscheidungsmöglichkeiten ab: (44) Ich verspreche dir zu kommen. (44a) Ich verspreche dir, dass ich kommen werde/will. (45) Ich rate dir zu kommen. (45a) Ich rate dir, dass du kommen sollst! musst. Die Modalverbfestlegung in (45a) scheint zu stark zu sein, im Gegensatz zu Satz (44a), bei dem das Modalverb die Vollverbsemantik in der Paraphrase kopiert. Es fragt sich aber, ob man umgekehrt daraus schließen darf, den offenbaren Zusammenhang zwischen subjektskontrollierten Verben und volitiven Modalverben für deren syntaktische Darstellung heranzuziehen. In den Modalverben sind derartige Verhältnisse kompakt eingelagert. Bei Nebensätzen - und nur bei wollen und möchte sind sie zulässig - schlägt diese Eigenschaft dann durch, sonst aber nicht: (46) Ich will, dass er das Buch liest. (46')
S. will ich
dass^ liest er
ΓΛ das Buch
5.6. Funktionsverbgefìige 5 .6.1. Die Funktionsverbperiphrase Einen besonderen Typ periphrastischer Verbindungen stellen die Funktionsverbgefìige (FVG) dar. Früher in grammatischen und stilistischen Arbeiten häufig
Funkûonsverbgefïige
163
kritisiert, ist ihre Eigenständigkeit seit den Arbeiten von von Polenz (1963), Engelen (1968), Heringer (1968), Herrlitz (1973), Persson (1975), Wolf (1987) und anderer nicht mehr zu bezweifeln. Bei den FVG liegt eine verbale Streckform vor, bei der das lexikalische Vollverb nominalisiert ist und der strukturelle Verbalkomplex ein in seiner vollen Bedeutung reduziertes Verb als lexikalischen Kern aufweist. Darin ist dieses Verb den übrigen Auxiliaren zu vergleichen. Prototypisch sind kommen, bringen und erstatten. In ihrer Vollverbvariante lassen sie sich etwa so paraphrasieren: (1) kommen bringen erstatten
'eintreffen, sich nach χ bewegen' 'herantransportieren, hertragen' 'ersetzen, aufkommen für'
Diese Bedeutungen finden sich in den Sätzen (3a), (4a), (5a). In der Funktionsverbvariante (FV) bedeuten die Verben dagegen Folgendes: (2) kommen bringen erstatten (3 a) (3b) (4a) (4b) (5a) (5b)
'werden [Passiv]'; 'veranlassen zu'; 'geben';
z.B. zum Einsatz kommen z B. zum Abschluss bringen z.B. Bericht erstatten
Die Feuerwehr kommt mit drei Löschzügen. Die Feuerwehr kommt zum Einsatz. Er bringt das Manuskript selber in die Druckerei. Er bringt das Manuskript zum Abschluss. Er erstattet ihm seine Auslagen. Er erstattet dem Chef Bericht über seine Reise.
Zu den (b)-Sätzen lassen sich jeweils Paraphrasen bilden, bei denen das aus dem Verbalnomen extrahierbare Verb genutzt wird: (3b!) Die Feuerwehr wird eingesetzt. (4b j) Er schließt das Manuskript ab. (5bj) Er berichtet dem Chef über seine Reise. Syntaktisch gesehen ließen sich die Wertigkeiten und die Abhängigkeitswege in den Konstruktionen ohne und mit Funktionsverb folgendermaßen darstellen: (3a')
S.
(3b·)
S.
kommt die Feuerwehr
kommt mit
I Löschzügen drei
die Feuerwehr
zum
/ Einsatz
164
Die verbalen Teile des Satzes und ihre Verkettung
(4a1)
S.
(4b')
^bringt ^ er
zum Abschluss
das Manuskript
in
selber η das Manuskript
η die Druckerei (5a')
(5b·)
S. erstattet / / /ihm
\ Auslagen
S. erstattet / \ er Bericht
d e PChef seine
η dem Chef
ijber Reise / seine
In den b-Fällen bilden FV und FV-Nomen einen periphrastischen Komplex. Die Wertigkeit für die Ergänzungen außer dem Subjekt kommen in diesen Fällen aus dem Verbalnomen. Die Ergänzungen werden aber dennoch nicht völlig analog den gewöhnlichen Attributen gebunden. Denn sie verhalten sich wie normale Satzglieder, sie besetzen z.B. das Vorfeld: (3 c) Zum Einsatz kommt die Feuerwehr bei allen Bränden. (4c) Zum Abschluss hat er das Manuskript doch rasch gebracht. (5c) Über seine Reisen erstattet er regelmäßig seinem Chef Bericht. Die Wertigkeit der Funktionsverben ist jedenfalls immer an eine Vollverbvariante anschließbar, die gewöhnlich Konkreta bindet, z.B. (6) zum Einsatzort kommen; zum Einsatz kommen (7) Geschenke geben; Einwilligung, das Geleit geben (8) zur Versammlung bringen; zur Verzweiflung bringen (9) in die nächste Klasse versetzen; in Aufregung versetzen (10) seine Wunde zeigen; Reue zeigen Eisenberg (1989, S 312), der sich auch mit der Syntax der FVG eingehend befasst, ist skeptisch gegenüber der Auffassung, dass die FVG als ganze Valenz
Funktionsveibgefüge
165
aufweisen. Als Lösung, die dem kompakten Charakter des FVG gerecht wird, aber die ursprünglichen Wertigkeitsverhältnisse konserviert, bietet sich an, die Bindungsstelle für den nicht in das FVG integrierten Aktanten am Verb zu belassen und für das FVG einen periphrastischen Komplex anzusetzen:
/ seine
5.6.2. Typenliste der FVG Die Abgrenzung der FV ist umstritten. Jie (1986, S. 114-116) rechnet auch Fälle wie (11) (12) (13) (14)
Ein Vorgang erfolgt. Es besteht kein Hindernis. In den Straßen herrscht Ruhe. Er hat Durst.
zu den FVG. Hier sind jedoch keine Paraphrasen möglich, auch wenn sich parallele Konstruktionen bilden lassen: (15) (16) (17) (18)
vorgehen: hindern: ruhig sein: dürsten:
Es geht (etwas vor). Es hindert nichts. In den Straßen ist es ruhig. Er dürstet.
Dennoch kann die Einteilung der syntaktischen Grundtypen der FVG nach Jie (1986, S. 114-119) zur Grundlage genommen werden. Denn sie ordnet die Typen nach Wertigkeiten und nach den morphologischen Bedingungen. Allerdings wird im Folgenden eine andere Anordnung und Bezifferung gewählt. Zur Differenzierung werden, falls nötig, die relevanten thematischen Rollen (die genauer in Kap.6.3. gegeneinander abgegrenzt werden) angegeben. 1. 1.1.
FVG mit Nomina im reinen Kasus Eatt.pvo ohne Det; Esub: EXP Anwendung finden
166
1.2.
1 -3 •
Die verbalen Teile des Satzes und ihre Verkettung Das Verfahren findet Anwendung bei der Papierherstellung. Das Verfahren wird bei der Papierherstellung angewandt. E^-FVO mit DetunbaLArt. einen Vergleich anstellen Man hat über die beiden Verfahren Vergleiche angestellt. Man hat die beiden Verfahren verglichen. E ^ f v g mit Det^Art.
den Nachweis erbringen Die Untersuchungen haben den Nachweis erbracht, dass das neue Verfahren besser ist. Die Untersuchungen haben nachgewiesen, dass das neue Verfahren besser ist. 14. Eaj^.pvo mit Detpo,, seinen Dank abstatten Ich habe ihm für seine Hilfe meinen Dank abgestattet. Ich habe ihm für seine Hilfe gedankt. 1.5. E ^ . f v g ohne Det; E,ub: AG Anklage erheben Der Staatsanwalt hat Anklage gegen ihn erhoben. Der Staatsanwalt hat ihn angeklagt. (Diese Paraphrase ist aber allenfalls syntaktisch korrekt, der das FVG enthaltende Satz ist fachsprachlich gebunden.) 1-6. E^-FVG ohne Det; E^PAT Beachtung schenken Wir haben seinem Vorschlag Beachtung geschenkt. Wir haben seinen Vorschlag beachtet. 1.7. E ^ . f v g ohne Det; Epiäp:OBJ Nachricht geben Er gibt ihm Nachricht von seinem Vorschlag. Er benachrichtigt ihn von seinem Vorschlag. 1 - 8 E ^ í v g ohne Det; Epräp0nit):KOM Verhandlungen fiihren Die PapierAG flihrt Verhandlungen mit der PappAG über eine Fusion. Die PapierAG verhandelt mit der PappAG über eine Fusion. 2. FVG mit präpositional angeschlossenen Nomina 2.1. Ep^pvG ohne Det; Esub:EXP in Erscheinung treten Die Delegation ist noch nicht in Erscheinung getreten. Die Delegation ist noch nicht erschienen. 2.2.
E ^ i ^ g m i t Detunb.rt.Art.
in ein Gespräch eintreten Die Delegationen sind in ein Gespräch eingetreten. Die Delegationen haben (untereinander) zu sprechen begonnen. (Diese erheblich weitere Paraphrase findet ihre Erklärung in der Tatsache, dass die FVG aktionale Aufgaben, hier die Bezeichnung der Ingressivität, übernehmen können, s.u.) 2.3. Epjäp.pvo ohne Det; ^sub :AG in Erwägung ziehen Er zieht den Fusionsplan in Erwägung. Er erwägt den Fusionsplan. 2.4. Epriip.pvG (mit DetpoJ; Esub:AG in (seinen) Besitz nehmen Die PapierAG nimmt die PappAG in ihren Besitz.
Funktionsverbgefüge
167
Die ΡapierAG beginnt die PappAG zu besitzen. (Vgl. das zu 2.2. Gesagte) 2.5. Epräp_pvG mit verschmolzenem Det; (fak.) Everb dass zum Ausdruck bringen Die PappAG bringt zum Ausdruck, dass sie damit nicht einverstanden ist. Die PappAG drückt aus, dass sie damit nicht einverstanden ist. (Vgl. das zu 1.5. Gesagte) 2.6. Eprtp.pvo mit verschmolzenem Det; Pertinenzbeziehung zwischen Esub und E^, zum Vorteil gereichen Ihre Ehrlichkeit gereicht ihr zum Vorteil. Ihre Ehrlichkeit ist vorteilhaft fiir sie. (Auch hier ist nur eine weite Paraphrase möglich.) 2.7. Epripjrvo ohne Det; Komitativbeziehung zwischen E ^ und E ^ mit in Verbindung bringen Die Muttergesellschaft hat die Papier AG mit der PappAG in Verbindung gebracht. Die Muttergesellschaft hat die PapierAG und die PappAG miteinander verbunden. (vgl. das zu 2.2. Gesagte) Hier zeigt sich, dass die Präposition mit und die Konjunktion und manche Gemeinsamkeiten haben, indem sie beide konnektive Aufgaben übernehmen (vgl. dazu Eroms 1981, S. 170).
5.6.3. Die Leistung der Funktionsverbgefüge Wie bei den meisten periphrastischen Verbfügungen - und bei den verbalen Paradigmen allgemein - lässt sich bei den FVG nicht eine einzige und stets identische syntaktische oder semantische Funktion ermitteln. Offensichtlich ist aber, dass die F V G im Zusammenhang mit den auch im Deutschen latent vorhandenen Kategorien des Aspekts und der Aktionsarten zu sehen sind. Mit guten Gründen argumentiert Leiss (1992, S.255-271) dafür, die FVG genetisch als Strukturen aufzufassen, die diese ursprünglich auch im Germanischen vorhandenen Ausdrucksmöglichkeiten wieder zugänglich machen. Insbesondere gelte dies für spezielle perfektive Ausdrucksweisen, nämlich ingressive: ins Gerede kommen, unter Beschuss nehmen, in Gang setzen. Synchron-funktional sind weitere Nutzungspotentiale der FVG zu beachten, vor allem die in der Typenliste schon benannten passivischen Aufgaben. Dennoch lässt sich bei den Aktionsartdifferenzierungen beginnen. Stets ist mit dem FVG ein anderes syntaktisches Programm verbunden, so dass sich die semantische Leistung als Konsequenz der syntaktischen Möglichkeiten begreifen lässt. 5.6.3.1. Aktionale Differenzierung ingressiv/inchoativ : lw BENEFAKTIV in Gang kommen 2w AGENS, BENEF AKTIV in Gang setzen 3w AGENS; PATIENS BENEFAKTIV in Erregung versetzen
(beginnen)
168
Die verbalen Teile des Satzes und ihre Verkettung
durativ: lw BENEFAKTIV kontinuativ: lw BENEFAKTIV 2w AGENS OBJECT resultativi lw BENEFAKTIV 2w AGENS OBJECT
in Abhängigkeit sein in Zorn sein
(abhängen) (zornig sein)
in Gang bleiben in Gang halten
(weiterlaufen)
zu Ende gehen zum Abschluss bringen
(beendet werden) (abschließen)
Dies sind nur Beispiele für aktionale Differenzierungen, die sich mit FVG erreichen lassen. Die jeweils angeführten Paraphrasen zeigen, dass oft gar keine einfache verbale Ausdrucksweise zur Verfügung steht, ein weiterer Beleg für die Selbständigkeit der FVG. Sie sind jedenfalls nicht einfach „Ersetzungen" (noch gar stilistisch negativ zu bewertende) nichtperiphrastischer Ausdrucksweisen. Es ergeben sich auch Bezüge zu reflexiven, passiven und kausativen Ausdrucksweisen.
5.6.3.2. Diabetische Differenzierung a) Reflexive Verhältnisse lw BENEFAKTIV zum Ausdruck kommen, sich ausdrücken Furcht empfinden, sich fürchten Trost finden, sich trösten seinen Abschied nehmen, sich verabschieden b) Passivische Verhältnisse Dieser Bereich ist außerordentlich stark ausgebaut. Wie bei den reflexivähnlichen Typen sind die passivisch zu interpretierenden FVG solche Bildungen, bei denen zwischen dem FVG und dem einfachen Vergleichsverb Subjektsgleichheit besteht. Dies ist unter syntaktischem Gesichtspunkt besonders interessant. Wenn es im Allgemeinen ein Hauptvorteil der Passivdiathese ist, zu einer anderen Subjektwahl zu gelangen, so gibt es durchaus Fälle, wo dies gar nicht intendiert zu sein braucht. Auch hier lässt sich sehen, dass für den Ausdruck eines bestimmten kommunikativen Zwecks stets der gesamte - einfache oder periphrastische - verbale Wortschatz abzuprüfen ist. Auch einfache Verben weisen teilweise „passivische" Sichtweisen auf, d.h. solche, bei denen BENEFAKTIV oder Ρ ATIENS im Subjekt erscheinen: BENEFAKTIV: einen Brief erhalten PATIENS: eine Niederlage erleiden Im Bereich der FVG sind es die folgenden Verben, die passivische Ausdrucksweisen abgeben. (Zunächst werden exemplarisch für bekommen alle - bei Jie (1986, S.337-349) verzeichneten Bildeweisen aufgeführt). bekommen
Angst die/eine Anregung (die/eine) Antwort den/einen Auftrag den/einen Befehl (die/eine) Bestätigung
geängstigt werden angeregt werden geantwortet werden, unpers. beauftragt werden befohlen werden, unpers. bestätigt werden, unpers.
Funktionsveibgefüge Besuch die Einladung die Einwilligung eine Erkältung die/eine Erlaubnis die/eine Garantie die Genehmigung ein Lob (die/eine) Nachricht Prügel den/einen Rat einen Schrecken einen Tadel Unterricht die Zusage die/eine Zusicherung
169 besucht werden eingeladen werden eingewilligt werden,ηnpers. sich erkälten, reflexiv erlaubt werden, unpers. garantiert werden, unpers. genehmigt werden gelobt/belobigt werden benachrichtigt werden geprügelt werden beraten werden erschreckt werden, sich erschrecken, refi. getadelt werden unterrichtet werden zugesagt werden zugesichert werden, unpers.
Eine größere Zahl der FVG-Paraphrasen weist ihrerseits nominale Ableitungen, unpersönliche Konstruktionen oder Reflexivkonstruktionen auf. Es wird deutlich, dass mit den FVG ein vielschichtiges Perspektivierungssystem im verbalen Bereich vorliegt, das in mehrere Konversenbereiche hineinragt. Die FVG weisen, was die Kasusrolle betrifft, im Subjekt entweder BENEFAKTIV (die/eine Bestätigung bekommen, eine Erkältung bekommen und einige andere), meist aber PATIENS auf. Das FV bekommen ist das gleiche Auxiliar wie beim Dativpassiv (vgl. 10.4.2.). Die syntaktischen Signale sind nicht zufällig gleich. Wie bei den Passivkonstruktionen werden die nichtagentivischen Kasusrollen bereits deutlich mit dem Auxiliar gesetzt, ein weiterer Beleg dafür, dass den Hilfsverben zumindest strukturelle Valenz zukommt. Die wichtigsten weiteren passivischen FV sind (jeweils mit nur einem Beispiel): gefährdet sein (Parallelen bei bleiben hier wie bleiben in Gefahr sonst auch mit sein, nicht mit werden) gelobt werden einheimsen Lob getadelt werden empfangen Tadel verbessert werden erfahren eine Verbesserung eine Einladung eingeladen werden erhalten überrascht werden erleben eine Überraschung verletzt werden erleiden eine Verletzung gelobt werden ernten Lob getröstet werden Trost finden verteilt werden zur Verteilung gelangen anerkannt werden genießen Anerkennung verdächtigt werden geraten in Verdacht beendet werden haben ein Ende aufgeführt werden zur Aufführung kommen erschreckt werden kriegen einen Schreck beendet werden nehmen ein Ende gebaut werden sein im Bau bezweifelt werden stehen im Zweifel
170
Die verbalen Teile des Satzes und ihre Verkettung stoßen unterliegen
auf Kritik der Zensur
kritisiert v/erden zensiert werden
Die Paraphrase-Konstruktionen mit wrdew-Passiv-Fügungen sind, wie gesagt, nur ein Paraphrase-Sektor. Vielfach ist zusätzlich eine aktionale Komponente deutlich, so bei sein eine kursive, bei kommen eine perfektive Gebrauchsweise: im Besitz, in Gang, im Gebrauch, in Mode, in Sorge sein Die perfektiven lassen so gut wie alle denkbaren aktionalen Handlungsdifferenzierungen erkennen. Ingressive: ins Rutschen kommen, in Gefahr kommen. Dies ist zudem nur eine modalisierte Gebrauchsweise, denn der tatsächliche Eintritt der Gefahr ist gerade nicht perspektiviert. Paraphrasen mit drohen bieten sich an. Resultative: in Fortfall kommen, zum Stillstand kommen, aus der Mode kommen. Unter semantischen Gesichtspunkten ist zu fragen, welches die übergreifenden konstruktioneilen Vorteile der FVG außer den schon genannten sind. Es sind zwei komplementäre Bedingungen: Die nominale Fassung des Ausgangsverbs führt zu einer konkreteren, kompakteren Formulierung. Substantive sind tendenziell „realer", d.h. referentiell eher festmachbar als Verben. Auf der anderen Seite zeigt sich bei den Funktionsverben, also den Köpfen der periphrastischen Konstruktionen, ein Sog zur Auxiliarisierung, von dem mithin nicht nur die klassischen Hilfsverben betroffen sind, sondern eine Zahl von etwa einhundert weiteren funktionalen Verben, ein bemerkenswertes Faktum, mit dem tendenziell Teile des verbalen Wortschatzes im Deutschen einer Aushöhlung unterliegen. Allerdings sind FVG wiederum nur eine Ausdrucksmöglichkeit im verbalen Bereich. Andere Perspektivierungsmöglichkeiten kompensieren diese Tendenz. Es lassen sich weitere semantische Nutzungspotentiale ausmachen, etwa, dass bei manchen FVG sich explizite Markierungen durch Negationselemente ersparen lassen: in Ruhe lassen « nicht stören, in Betrieb lassen » nicht abschalten oder dass die Kasusrolle BENEFAKTIV deutlicher als mit dem Ausgangsverb signalisiert wird, wie in einen Fund machen versus finden, in Konkurrenz stehen versus konkurrieren.
6. Die Ergänzungen
6.1. Klassifizierung der Ergänzungen Die Ergänzungen (Aktanten, Komplemente) sind die Leerstellenfüller der Verben. Prototypisch sind sie nominale Glieder und „ergänzen" die verbalen in dem Sinne, dass sich in dieser Kombination vollständige Sätze ergeben. So jedenfalls lassen sich die Auffassungen Tesnières über die Bildungen von Sätzen verstehen, und auch zu anderen, älteren und neueren grammatischen Traditionen ergeben sich so keine Widersprüche. Wie Ergänzungen bestimmt und von den Angaben abgehoben werden können, ist in Kap.5.1. eingehend dargestellt. Im folgenden Kapitel geht es um die Bestimmung der Ergänzungen im Einzelnen, um den Ansatz einzelner Ergänzungsklassen und um deren interne Abgrenzung. Über alle Punkte bestehen bei den Grammatikern nicht die gleichen Auffassungen, wenn auch die Konstitution der wichtigsten Klassen unkontrovers ist. Insbesondere gilt dies für das Subjekt und die Objekte im reinen Kasus, während die präpositionalen Ergänzungen bereits unterschiedliche Aufgliederungen erfahren. Daher muss nach Kriterien gesucht werden, mit denen die Ergänzungsklassen eindeutig gegeneinander abgegrenzt werden können. Die Tabelle auf S.172 listet die hier angesetzten Ε-Klassen auf und vergleicht sie mit anderen Ansätzen. Bereits der Überblick kann deutlich machen, dass die verwendeten Kriterien selber nicht gleichartig sind, dennoch führen sie jeweils zu begründbaren Einteilungen. Diese Liste zeigt die meisten Berührungspunkte mit der Konzeption von Engel. Sie wählt nur andere Bezeichnungen und geht in der Begründung für den Ansatz der einzelnen Klassen etwas anders vor und kommt im Einzelnen zu etwas anderen Ergebnissen. Die verwendeten Kriterien sind solche der Flexion, der Bindung über Präpositionen, der Bindung von Adjektiven und Sätzen zu Konstruktionen, die den allgemeinen Ε-Bedingungen gehorchen, d.h. z.B. den Testfilter als E passiert haben. Wenn die Kriterien nicht einheitlich sind, sich aber dennoch Ε-Glieder ergeben, so kann daraus geschlossen werden, dass die in der Dependenz- und Valenzgrammatik zunächst angesetzte Beschränkung auf kasuelle E zu eng war. Und es ist weiter zu folgern, dass die nichtkasuellen Ergänzungen strukturell Vergleichbares wie das Subjekt und die Objekte leisten, d. h. über den Valenz-
172
Die Ergänzungen
Einteilung und Bezeichnung der Ergänzungen in ausgewählten Grammatiken
Subjekt
DudenGrammatik Subjekt
Eisenberg
Subjekt
Heibig/ Buscha
Heringer
Subjekt
E,
(Ejub)
Akkusativ- Àidcusatìv- Akkusativ- Akkusativobjekt objekt objekt objekt
E4
(Eakk)
Genitivobjekt
Genitivobjekt
.(Eg-)
DativDativobjekt objekt (ETO) Präpositio- Präpositionalnalobjekt objekt (Epräg) RaumSituativergänzung ergänzung Zeit(Eût) ergänzung Begründungsergänzung_ Direktionalergänzung (ED.)
Genitivobjekt
Genitivobjekt
E2
Dativobjekt
Dativobjekt
E3
Präpositionalobjekt
Präpositionalobjekt
E5
adverbiale Ergänzung
ms
Engel
Subjektkomplement (K,ub) Akkusativkomplement ( K ^ ) Genitivkomplement ( K J J J Dativkomplement ( K j J Piäpositivkomplement ( K ^ ) Situativkomplement (K,it)
Subjekt
(1973)
adverbiale Bestimmung (Ergänzungen und Angaben)
Direktivkomplement (Kji,)
(E»ub)
Akkusativergänzung (Ealdt)
Genitivergänzung (EGJ Dativergänzung (Edat)
Präpositivergänzung (Eprp)
Situativergänzung (E,it)
Direktivergänzung (Edir)
Mensuralergänzung
Expansivergänzung
(Emern)
(Ε.χρ)
Gleichsetzungsnominativ/ (Enom) -akkusativ Adjektival- Artergänzung ergänzung
Nominalergänzung
(Eadj)-
Obligatorisch satzförmige Ergänzung (Eprop)
Prädikatsnomen
(E6)
DilativNominalkompleergänzung ment (Kdll) ( E o m ) n
Adjektivalergänzung (E,dj)
Acl- und VerbativVerbativergänzung komple(EVA) ment (KvA)
Kasus und Kasusfunktionen im Deutschen
173
rahmen der betreffenden Verben eine minimal komplette Sachverhalts- oder Ereigniskomprimierung virtuell bereitstellen. Gleichzeitig muss davon ausgegangen werden, dass alle Ε-Klassen eine jeweils einheitliche Grundleistung erbringen. Diese kann und muss möglichst abstrakt sein. In den ersten Arbeiten zur Valenz ist die jeweilige Grundleistung mehr oder weniger als idiosynkratische oder auch historisch zufallige Festwerdung in einer Verb-E-Konfiguraüon gesehen worden. Auf die schlecht begründbare Unterscheidung von E^* und E ^ bei semantisch ähnlichen Verben wie helfen gegenüber unterstützen ist schon hingewiesen worden. Dennoch kann in der unterschiedlichen kasuellen Bindung ein Unterschied im Zugriff auf die jeweilige Ergänzung gesehen werden, zumindest dadurch, dass im einen Fall die Paradigmenklasse aller Akkusativobjekte, im anderen die aller Dativobjekte betroffen ist. Die in der grammatischen Tradition für solche Unterscheidungen herangezogenen Begriffe wie 'Zielgröße' für das Akkusativobjekt und 'Zuwendgröße' für das Dativobjekt stellen solche abstrakten Verallgemeinerungen dar. Die Ausdrücke 'direktes Objekt', 'indirektes Objekt' fassen im Grunde das Gleiche. Die Kasusgrammatik hat eine reiche Tradition. Auch wenn man sich vor zu direkten Festlegungen bei kasuellen Funktionen in Acht nehmen muss und eine einheitliche Bestimmung von Kasus praktisch nicht zu finden ist, ist doch nicht zu bezweifeln, dass mit den Kasus Grundfimktionen verbunden sind. Man muss sich nur davor hüten, anzunehmen, dass derartige Grundfunktionen in jedem Diskurs aktiviert werden. Es handelt sich um paradigmatische Ordnungsbegriffe. Dies sei in aller Kürze dargestellt.
6.2. Kasus und Kasusfunktionen im Deutschen 6.2.1. Oberflächenkasus Während die Kasusrollen Deutungskonzepte für die Relationen zwischen den Prädikaten und den nominalen Aktanten sind, sind die Oberflächenkasus konkrete Manifestationsformen der Nomina. Wenn davon gesprochen wird, dass das Gegenwartsdeutsche vier Kasus aufweist, ist damit gemeint, dass für jedes Nomen (und Pronomen) Paradigmenklassen bestehen, in denen generell vier Formen zu unterscheiden sind. Damit ist nicht gesagt, dass jedes Substantiv auch vier unterschiedliche kasuelle Formen aufweist. Dies ist sogar nie der Fall. Nicht einmal der Vergleich von Formen mit deutlichen Flexionselementen anstelle kasuell gleich oder unklar markierten erlaubt die Redeweise von den vier Kasus. Die vier Kasus Nominativ, Genitiv, Dativ und Akkusativ werden eindeutig nur durch „Begleiter", insbesondere die Determinative gekennzeichnet, und hier sind es nur die maskulinen Singularformen, die alle Kasus eindeutig unterscheiden. Ν G D A
der Mann des Mannes dem Mann den Mann
174
Die Ergänzungen
Es ist nicht Aufgabe einer Deutschen Syntax, die substantivischen Paradigmenklassen herzuleiten. Dies gehört in die morphologische Komponente der Grammatik. Wohl aber muss der Status der Kasus und ihre generelle syntaktische Funktion bestimmt werden, bevor zu der am Ende des vorangegangenen Kapitels aufgeworfenen Frage, wieweit ihnen analog den Kasusrollen Einheitlichkeit zuzuweisen ist, Stellung genommen werden kann.
6.2.2. Zum Status der Kasus und ihrer syntaktischen Funktionen Die Oberflächenmerkmale der Kasus sind entweder am Substantiv selber und/ oder an anderen Wörtern in der Nominalphrase, insbesondere den Determinativen, in der Form von Flexiven vorhanden. Die Kennzeichnung von Kasus erfolgt also durch Morpheme, mithin durch Zeichen. Morpheme als Bedeutungsträger erlauben auch in diesem Fall die Suche nach Bedeutungen. So lässt sich etwa fragen - und so wird häufig gefragt - welches die Bedeutung des Nominativs ist. Die Antwort darauf zeigt, dass anders als bei der Frage nach der Bedeutung von Wörtern nicht die referentielle und prädikative Leistung gemeint ist, sondern der Umweg über die syntaktische Funktion, in die das entsprechende Wort eingebunden ist, gesucht werden muss. Während beim Aufsuchen der Bedeutung des lexematischen Kerns eines Substantivs im Satz an den Verweis auf die Wirklichkeit gedacht ist, wobei die potentielle oder lexikalische Bedeutung, die ein Wort hat, aktuell manifest wird, verweist ein Kasusmorphem zunächst auf die syntaktische Kategorie, in die das Substantiv gestellt ist. Im folgenden Satz sichern die nominativischen Morpheme die Einordnung des Wortes Mann als Subjekt des Satzes, bzw. in der Valenzterminologie als Esub, die des Akkusativs als direktes Objekt bzw. E ^ für das Wort Römern zusammen mit ihren Attributen: (1 ) Der neugierige Mann liest den neu erschienenen Roman. Vielfach wird in diesem syntaktischen Aspekt die ausschließliche Leistung der Kasusmorpheme gesehen. Die derart eingebundenen Wörter, in diesem Fall 'Mann' und 'Roman', deren lexikalische Bedeutung in einer Merkmalschreibweise mit 'erwachsene männliche Person' bzw. 'umfangreiche fiktive Erzählung' umschrieben werden können und so im Lexikon gespeichert sind, sind (bei konkreter, nicht generischer Lesart des Satzes) auf einen bestimmten Mann bzw. Roman festgelegt. Die Kasusflexive sind dabei als die Oberflächenmerkmale des Satzes zu erfassen, die den prädikativen Bereich organisieren, d.h. die die über das Verb vorgenommene Regelung, in welcher Weise die Nomina damit verbunden sind, organisieren, so dass die Satzbedeutung konstituiert werden kann. Die Flexive leisten dies durchaus nicht ausschließlich, sondern im Verbund mit Stellungsregularitäten und der Intonation. Dies genauer zu beschreiben
Kasus und Kasusfunktionen im Deutschen
175
ist zentrale Aufgabe der Syntax und erfordert eine eingehende Bestimmung der dazu benötigten Subkategorien. Die Kasusflexive hätten dabei nur strukturelle Aufgaben. Seit alters aber wird in der grammatischen Literatur danach gesucht, ob den Kasus nicht darüber hinaus auch konkrete Bedeutungen zukommen.
6.2.3. Die Suche nach einheitlichen Kasusbedeutungen So lässt sich fragen, ob der Nominativ als Subjektskasus und als Kasus des substantivischen Prädikativs nicht etwas Gemeinsames, Konstantes aufweise, so dass, unabhängig von seinen syntaktischen strukturellen Aufgaben, seine Bedeutung, zumindest eine Grundbedeutung, angegeben werden kann. Analog wäre auch bei den anderen Kasus so vorzugehen. In der Kasusliteratur hat es auf diese Fragen kontroverse Antworten gegeben. Die ältere Forschung ist durch das Bemühen gekennzeichnet, entweder unter einem räumlichen Deutungskonzept allen Kasus solche Raummarkierungen, konkrete oder übertragene, zuzuschreiben. So lässt sich „lokalistisch" der Nominativ als Ruhe- oder Ausgangskasus, der Akkusativ als der volle Zielkasus, der Dativ als der nur angezielte Kasus und der Genitiv als der partiell betroffene Kasus deuten. Die gewaltsame Einebnung vieler Gebrauchsweisen liegt dabei auf der Hand. So lassen sich damit nur sehr schlecht z.B. die Objektsgenitive und die akkusativischen Angaben vereinen:
(1) Den ganzen Tag gedachte er der unangenehmen Geschichte. Die Kombinationen von 'grammatischen' und 'lokalen' Deutungen sind schon realistischer. Bei ihnen werden vor allem der Nominativ als Subjektskasus und die grammatikalisierten Gebrauchsweisen wie die obige als lokalistisch neutral angesehen. Insbesondere die Präpositionalobjekte sind mit lokalistischen Konzepten betrachtet nicht uninteressant:
(2) Er blickte auf die neuen Romane. (3) Er dachte an die unangenehme Geschichte. 'Konkret' oder auch 'abstrakt' gesehen, ist die mit den präpositionalen Fügungen auf etwas blicken bzw. an etwas denken verbundene Richtungsanweisung nicht von der Hand zu weisen. Bevor auf das syntaktisch Nutzbare an solchen Konzeptionen eingegangen wird, sei ein aktueller Versuch, den Kasus Gesamtbedeutungen zuzuschreiben, in aller Kürze behandelt: Auf dem Hintergrund der grammatischen Tradition, auch unter Einbezug der Überlegungen, die in der Auseinandersetzimg mit der lokalistischen Auffassung geführt worden sind und unter Rückgriff auf strukturalistische Konzeptionen, bei denen - ähnlich wie bei der Bestimmung der Kasusrollen - die Oberflächenkasus in der Abgrenzung zueinander betrachtet werden, hat Willems (1997) die Grundfunktionen der Kasus im Deutschen zu bestimmen unternommen.
176
Die Ergänzungen
Der N o m i n a t i v ist danach der 'Ansatz der Aussage' (Willems 1997, S.183). Dies gilt zunächst für seine Funktion als Subjektskasus. Aber darauf ist der Nominativ nicht beschränkt, er kommt auch als Gleichsetzungsnominativ in Sätzen des Typs (4) Er ist Schreiner/verhält sich wie ein Großwildjäger. vor. Auch dafür kann man die Bestimmung akzeptieren. Der G e n i t i v lässt sich als 'Kasus der adnominalen Bestimmung' auffassen. In der Gegenwartssprache ist er im lebendigen Gebrauch auf die Attributsbezeichnung in der Nominalphrase beschränkt. Andere Gebrauchsweisen sind erstarrt, so die als adverbialer Genitiv: (5) Des Morgens ging er in den Wald. oder im Objektgebrauch: des Vaters gedenken, sich einer Sache annehmen. Auch die Tatsache, dass so gut wie alle neuentstehenden Präpositionen im Deutschen mit dem Genitiv verbunden werden, kann man von daher verstehen. Denn Gebrauchsweisen wie (6) bezüglich/im Bereich/mittels/auf Grund erfordern, falls sie noch volle Substantive sind und nicht mit von verbunden werden, den Genitiv. Hier wirkt die nominale Bindung weiter. Dass der Genitiv für präpositionale Neubildungen der Normalkasus geworden ist, lässt sich auch daran erkennen, dass er den Dativ bei trotz, dank und wegen verdrängt. Dies ist ein überzeugender Beleg dafür, dass die Kasus sich tendenziell nach einmal angelegten Grundverteilungen ausrichten. Eine letzte, unabhängig von den angeführten Argumenten gewonnene Bestätigung, dass der Genitiv adnominale Signale abgibt, ist der Ansatz von Ogawa (1998). Ogawa unternimmt den Versuch, den Nachweis zu führen, dass auch der adnominale Genitiv als „struktureller Kasus" gewertet werden kann. Die Idee dabei ist, dass der Genitiv im verbalen Anschluss ein elimiertes nominales Element voraussetze. Der Satz (7) Das Kind bedarf der Liebe. sei zurückzuführen auf (8) Das Kind bedarf [etwas/der Tatsache/des Umstands] der Liebe. Zwar hat dies auch andere syntaktische Konsequenzen und für die deutsche Gegenwartssprache wären weitgehende strukturelle Folgerungen zu bedenken, aber ältere Gebrauchsweisen wie (9) Er trank [ein wenig/ein Glas] des Weines. könnten als Bindeglied zu partitiven und von daher zu anderen adnominalen Gebrauchsweisen angesehen werden. Als Gegenkasus zum nominal ausgerichteten Genitiv lässt sich der A k k u s a t i v ansehen. Er ist der eigentliche verbale Zielkasus. Dies gilt zunächst in lokalistischer Betrachtungsweise: Er ist Zielpunkt der verbalen Handlung: Brot backen, Bücher lesen, Äpfel pflücken. Doch müssen die damit 'anschaulich' verbindbaren Vorstellungen in ihrer abstrakten Geltung begriffen werden: Die mittels des Akkusativs verbal gebundenen Nominalphrasen sind die unmittelbaren, direkten nominalen Anschlüsse, der Defaultfall in der 'transitiven' Verbindung. Andere Anschlüsse, etwa im Dativ, müssen auf diesem Hintergrund erklärt werden. Um die 'lokalistischen' Vorstellungen, die sich, besonders in der germanistischen Tradition mit Ausdrucksweisen wie 'Zielkasus' oder 'Zielgröße' verbinden, auszuschalten, bestimmt Willems (1997, S.193) die 'Kernbedeutung' des Akkusativs als 'Kohärenz'. Dass es Schnittstellen zwischen verbaler und nominaler Ausdrucksweise gibt, zeigen im Deutschen besonders deutlich die Funktionsveibgefüge (vgl. Kap.5.6.). Konstruktionen wie Nachforschungen vornehmen, Bestimmungen geben statt nachforschen, bestimmen ziehen verbale Ausdrucksmöglichkeiten in nominale hinein. Hier ist die 'Kohärenzeigenschaft' besonders deut-
Kasus und Kasusfunktionen im Deutschen
177
lieh zu greifen. Allerdings zeigt sich auch, dass die Festlegung der Kasus auf eine Grundbedeutung nicht strapaziert werden darf. Überhaupt ergibt sich die genauere designative Bestimmung einer Verb-Nominalverbindung, vor allem wenn Präpositionen dazwischengeschaltet sind, erst unter Verrechnung aller Größen. Der isolierte Kasus ist nur ein virtuelles Signal. Der D a t i v muss im Vergleich mit dem Akkusativ betrachtet werden. Er wird konsequenterweise von Willems (1997:203) als der Kasus der 'Inkohärenz' bestimmt. Damit soll ausgedrückt werden, dass die im Dativ benannte Größe als von der Handlung 'isoliert', 'abgelöst' oder 'frei' erfasst werde. Dadurch erscheint der Dativ autonomer.
Während der Akkusativ in seinem Bezug nicht festgelegt ist, hat der Dativ seine Domäne bei der Kennzeichnung belebter Wesen. Diese Tatbestände in Worte zu fassen, ist allerdings mit Risiken verbunden. Denn allzu leicht stellen sich hier Überdeutungen ein, wie die Kontroverse um die Kasusauffassung der sogenannten 'inhaltbezogenen Grammatik' (Weisgerber 1962) gezeigt hat. Sie hat den Akkusativ prototypisch auf die Bezeichnungen von Dingen und Sachverhalten, den Dativ als Personenkasus festzulegen versucht. In Wirklichkeit ist das Verhältnis zwischen Akkusativ und Dativ aber nur das eines von unmarkierter versus markierter Ausdrucksweise, und die Funktionsverteilung der Kasus ist nur in einer strukturalistischen Betrachtungsweise zu bestimmen: Es sind Grundverteilungen, die im Einzelfall nicht festzulegen sind. Dies lässt sich an dem häufig diskutierten Beispielpaar (10) Sie hilft ihm. /Sie unterstützt ihn.
zeigen. Hier davon zu sprechen, dass den Kasus überhaupt keine Bedeutung zukämen, weil der Dativ im einen Fall und der Akkusativ im anderen genau das Gleiche leisteten, liegt auf der Hand, ist aber eine zu weitgehende Folgerung: Kasus sind, isoliert gesehen, paradigmatisch nach Markiertheitsrelation geordnete Zeichen. Historisch gesehen ist die den Dativ erfordernde Konstruktion jemandem helfen der Rest einer Konstruktion jemandem einer Sache helfen (etwa: einem gerihtes helfen, Schwabenspiegel 107, 17, nach Lexer I, Sp.1230). Da der adnominale Genitiv außer Gebrauch gekommen ist, weist die 'Restkonstruktion' den Dativ der Person auf. Die Dingbezeichnung wird durch präpositionale Konstruktionen vor allem mit bei vorgenommen. Helfen ist die unmarkierte Konstruktion, die markierte ist die Konstruktion mit unterstützen. Doch ist die generelle Kasusbestimmung genau umgekehrt, wie oben dargestellt worden ist. Deswegen zeigt auch diese Konstruktion keinerlei Auffälligkeiten. Im Übrigen sind die bildbaren Sätze mit helfen und unterstützen keineswegs synonym. Generell wird in syntaktischen Arbeiten häufig außer Acht gelassen, dass die Gebrauchsbedingungen für Sätze sich unter anderem nach funktionalstilistischen Regularitäten ausrichten. Unterstützen dominiert in Kontexten „offiziellen" Charakters oder in gehobenen Stilregistem. Ein Satz wie (11)
?
Eltern unterstützen ihre Kinder bei den Hausaufgaben.
wäre eher unangebracht.
In der Valenzsichtweise wird der Kasus bei den Aktanten durch die übergeordnete verbale Regelung bestimmt. Sie ist im Lexikoneintrag des jeweiligen Verbs mitgesetzt, ergibt sich also nicht in jeweils freier Wahl, sondern zwangs-
178
Die Ergänzungen
läufig. Dies unterbindet dennoch nicht die Suche nach kasuellen Grundbedeutungen, genauso wenig wie in generativen Konzeptionen die Unterscheidung von 'strukturellen' und 'lexikalischen' Kasus nicht berechtigt wäre. Die Kasus sind Zeichen, die nicht autonom vorkommen, sondern obligatorischer syntaktischer Regelung unterliegen. Ihre Bedeutung ist im Allgemeinen nur potentiell isolierbar.
6.3. Kasusrollen und Kasusfunktionen 6.3.1. Tiefenkasus Mit „Kasusrollen", „Theta-Rollen" oder „Tiefenkasus" werden seit der Arbeit von Ch. Fillmore, The Case for Case (1968), die Funktionsindikatoren von Satzgliedern in Hinblick auf ihre Bindung an das Prädikat bezeichnet. Kasusrollen bündeln zunächst Leistungsaspekte nominaler Glieder, aber auch deren Kommutationsformen in prägnante Funktionsbezeichnungen wie AGENS, BENEFAKTIV, OBJECT und ähnlichen Begriffen. Ihr Status ist je nach grammatischer Theorie unterschiedlich zu beurteilen. Sie lassen sich als Kurzbezeichnungen für die Grundfunktion etwa des Subjekts auffassen in Sätzen wie (1) Karl liest ein Buch. AGENS (2) Karl schläft. BENEF AKTIV (3) Ein Buch wird gelesen. OBJECT Die Belegung des Subjekts mit unterschiedlichen Funktionen bewertet es damit in Bezug auf seine Beziehung zum Verb und damit auch auf seinen außersprachlichen Referenzaspekt. In (1) tut der mit dem Subjekt genannte Karl etwas, in (2) geschieht etwas mit ihm, in (3) geschieht etwas mit einem Gegenstand, und belebte und unbelebte Entitäten, das Einsetzen und Ausüben von Willensentscheidungen, das hier deutlich wird, ist, wie leicht zu sehen ist, im verbalen Wortschatz und damit in der Valenztypologie angelegt. Bei dieser Nutzung des Kasusrollen-Konzepts, so praktikabel es erscheint, muss auf jeden Fall der Unterschied zwischen der sprachlichen Fassung eines Wirklichkeitsausschnittes, wie er im Satz vorliegt, und eben diesem selber bedacht werden, und es ergibt sich eine Reihe von Fragen: Lässt man sich mit der Kasusrollenkonzeption auf eine Ontologie ein? Ist dies dann einzelsprachlich gefasst oder gehen darin universelle Vorstellungen ein? - Eine weitere Frage ist die nach der Zahl der verwendeten Kasusrollen. Schon die Abgrenzung von BENEF AKTIV und OBJECT macht Mühe, wenn man etwas komplexere Fälle einbezieht wie
179
Kasusrollen und Kasusfunktionen
(4) Ein Buch liegt auf dem Tisch. (5) Der Leser wird überrascht. Gilt die Bestimmung BENEFAKTIV auch für unbelebte Gegenstände und kann umgekehrt ein Mensch auch als OBJECT bezeichnet werden? Entstanden ist die Tiefenkasuskonzeption in einem bestimmten Stadium der generativtransformationellen Grammatik. Inzwischen sind die Tiefenkasus als Theta-Rollen-Konzepte ein fester Bestandteil der GB-Theorie. Sie werden an die entsprechenden NPs nach einem Filtersystem oder in der neuesten Konzeption durch ein Prüfsystem zugewiesen. Das Wort zuweisen ist keine Metapher, sondern bezeichnet den Regelungsmechanismus bei der Verbindung verbaler und nominaler Teile, mit dem nicht nur das Vorkommen, bzw. die Nichtzulässigkeit von Verbindungen, sondern auch deren Grundfunktion, ihre Rollen-Interpretation festgelegt wird. Um zu verstehen, mit welchen Modifikationen dies in einer dependentiell motivierten Grammatik zu leisten ist, müssen zunächst einige weitere Vorklärungen getroffen werden.
6.3.2. Das Singularitätsprinzip Alle Kasusrollen kommen im Satz nur einmal vor. Dies ist das sogenannte oneinstance-per-clause-principle (Fillmore 1970). Nur mit Hilfe von Koordinationen sind mehrere Besetzungen der gleichen Rollenpositionen möglich.
(6) Karl und Otto haben Bücher und Zeitungen gelesen. AGENS
OBJECT
Schwierigkeiten machen nur Fälle wie
(7) Karl ähnelt Otto. (8) Schweden grenzt an Norwegen. Hier erkennt man zunächst, dass es der Kasusrollenkonzeption nicht um „die Wirklichkeit" selber geht, sondern um deren Erfassung: Die Ähnlichkeitsrelation zwischen Karl und Otto ist bereits „perspektiviert" (vgl. Welke 1987 und Ickler 1990, sowie Primus 1999). Denn dass Otto dem Karl ähnelt, wenn Karl dem Otto ähnelt, ist bereits eine Folgerung, die aus dem Satz (7) gezogen wird; es wird aber nicht direkt ausgesagt. Analoges gilt für den Satz (8): Es ist im Satz davon die Rede, dass Schweden an Norwegen grenzt, nicht dass Norwegen an Schweden grenzt, was sachlich identisch ist. Man könnte nun für solche „Grenzfälle" eine eigene Rolle ansetzen, etwa THEMA. Damit wären die Fälle zu erfassen, bei denen eine Nominalphrase, die in der Wirklichkeit sich nicht anders darstellt als eine andere, die mit dieser verglichen wird, im Satz „in die Perspektive" genommen wird. Aber dieser Vorgang des Perspektivierens gilt, genau betrachtet, auch für die bereits behandelten Fälle: Insbesondere, was im Satzsubjekt steht, ist in bestimmter Weise perspektiviert. - Dies wird im nächsten Abschnitt noch genauer darzustellen sein.
180
Die Ergänzungen
Wie schon angedeutet, gibt es ganz unterschiedliche Kasuslisten. Vergleichen wir die drei folgenden:
6.3.3. Listen von Kasusrollen Ch. Fillmore, "The Case for Case', 1968 AGENTIVE INSTRUMENTAL DATIVE FACTITIVE LOCATIVE OBJECTIVE
der belebte Urheber der durch das Veib identifizierten Handlung die unbelebte Kraft/das unbelebte Objekt, die/das in die Handlung verwickelt ist das belebte Objekt, das durch den Zustand/die Handlung betroffen wird das Objekt oder Lebewesen, das aus einer Handlung oder einem Zustand resultiert der Raum oder die räumliche Orientierung des Zustandes oder der Handlung alles sonstige Affi zierte (semantisch neutralste Klasse)
Ch. Fillmore, 'Some Problems for Case Grammar', 1971 AGENT EXPERIENCER
der belebte Urheber der durch das Veib identifizierten Handlung der Betroffene eines echten psychologischen Ereignisses oder geistigen Zustandes
INSTRUMENTAL OBJECT SOURCE GOAL PLACE
die unmittelbare Ursache eines Ereignisses, der Stimulus Entität, die einer Veränderung unterworfen ist frühere Lokalverhältnisse, Zustände, Zeitpunkte spätere Lokalverhältnisse, Zustände, Zeitpunkte Raumbegriffe, die von Veränderungen oder Bewegungen unabhängig sind und bei jedem Prädikat stehen können Zeitbegriffe, die von Veränderungen oder Bewegungen unabhängig sind und bei jedem Prädikat stehen können
TIME
P.V.Polenz, 'Deutsche Satzsemantik', 1986 AGENS (AG) EXPERIENS (EXP) PATIENS (PAT) BENEFAKTIV (BEN) CONTRAAGENS COMITATIV (COM) SUBSTITUTIV
Person, die eine Handlung ausführt Person, die einen psychischen Vorgang oder Zustand an sich erfährt Person als betroffenes Objekt einer Handlung Person, zu deren Nutzen/Vorteil oder Schaden/Nachteil eine Handlung ausgeführt wird Person, auf die hin eine Handlung als Interaktion gerichtet ist Person, die mit dem Agens zusammen eine Handlung ausführt Person oder Sache, an deren Stelle eine andere Person oder Sache bei einer Handlung oder einem Vorgang tritt
Kasusrollen und Kasusfunktionen
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AFFIZIERTES OBJEKT (OBJ.it)
Person oder Sache, die von einer Handlung oder einem Vorgang betroffen wird, durch die/den auf sie eingewirkt wird
EFFIZŒRTES OBJEKT (OBJefl)
Person oder Sache, die durch eine Handlung oder einen Vorgang entsteht
INSTRUMENT (INSTR)
Person, Sache oder Handlung;,, die bei einer Handlung, vom AGENS als Instrument (Werkzeug, Mittel, Methode, Verfahren) zur Erreichung eines Handlungszwecks! benutzt wird Sachverhalt,, der die Ursache für Sachverhalt2 darstellt etwas, das Teil von etwas ist etwas, das im Besitz oder in der Verfügung von jemandem ist etwas, das bei einer Handlung zu einer Person oder Sache hin bewegt wird, so dass es danach in einer Teil-, Besitz- oder Verfügungs-Beziehung dazu steht etwas, das bei einer Handlung oder einem Vorgang aus einer Teil-, Besitz-, oder Verfügungs-Beziehung zu einer Person oder entfernt wird Ort oder Raum, in/an dem ein Sachverhalt geschieht bzw. der Fall ist Ort oder Raum, von woher eine Handlung oder ein Vorgang geschieht Ort oder Raum, wohin eine Handlung oder ein Vorgang geschieht Zeitpunkt oder -räum, an/in dem eine Handlung oder ein Vorgang geschieht bzw. ein Zustand der Fall ist
CAUSATIV (CAUS) PARnmv POSSESIV ADDITIV
PRIVATIV
LOCATIV (LOC) ORIGATTV DIREKTIV (DIR) TEMPORATTV
Im Einzelnen zeigt der Vergleich zwischen den beiden Konzeptionen von Fillmore folgendes: Der AGENS (AGENTIVE oder AGENT) als belebter Urheber einer Handlung steht an der Spitze der Kasushierarchie. Doch ist dies auf den Sprachtyp hin formuliert, dem das Englische und auch das Deutsche angehören: den sogenannten Akkusativsprachen. Bei ihnen spielt das aktiv gesteuerte Handlungsmoment eine derart herausgehobene Rolle, dass der gesamte grammatische Bau darauf abgestellt ist. Handlungsbeziehungen, bzw. vom AGENS ausgehende Handlungen, die sich in verbalen Mustern wie arbeiten, schlagen, reisen aber auch veranlassen, nachdenken, bezweifeln niederschlagen, sind gleichsam das Normale. Anthropologischontologische Ausdeutungen liegen nahe: diese Sprachen sind auf die Wiedergabe des Tuns aktiv handelnder Menschen hin angelegt. Dass dies aber eine viel zu weit gehende Annahme darstellen würde, zeigen zum Beispiel die Passivformen. (9) Das neue Buch von Grass wird von vielen Lesern verschlungen werden.
Die drei personenbezeichnenden Rollen gegeneinander abzugrenzen, ist nicht problemlos möglich, wie der Vergleich der folgenden Sätze zeigen kann: (10) Es gelang Friedrich, die Sache wieder in Gang zu bringen. (11) Diese Tatsache überraschte Walter. (12) Das wiederum kümmerte Friedrich nicht. Noch am ehesten wird man sich in (12) in Bezug auf Friedrich für EXP entscheiden, während in (11) EXP und BEN konkurrieren und in (10) EXP und
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Die Ergänzungen
AGENS, in (10) lässt sich für EXP plädieren, weil für AGENS die bewusste, intendierte Handlungssteuerung anzusetzen ist, was hier nicht der Fall ist. Analoges gilt für (11). Walter ist zwar Betroffener der Handlung, aber nur in indirekter Weise, nicht als Nutznießer. Teilweise noch weiter ist im Objektbereich auszuholen. Bei v. Polenz treten zu AOB (affiziertes Objekt/Betroffener) und EOB (effiziertes Objekt/Resultat/ Produkt) als konkurrierende Rollen noch PATIENS (Person als betroffenes Objekt einer Handlung) und CAG (CONTRAAGENS) als Person, auf die hin eine Handlung als Interaktion gerichtet ist, hinzu. Hier wäre vorzuschlagen, OBJ^ (AOB) und OBJeff (EOB) für Sachen festzulegen. (13) (14) (15) (16)
Bachmeier (AGENS) backt kleine Semmeln (OBJeff). Bachmeier (AGENS) siebt das Mehl (OBJ^). Friedrich (AGENS) legt Walter (BEN) den Sachverhalt (OBJ^) dar. Er (AGENS) schreibt eine Stellungnahme (OBJeff).
Schwieriger ist eine Festlegung im Bereich der Lebewesen. Zunächst wird man zwangsläufig auf ontologisch-historische Überlegungen geführt, wenn eine Entscheidung in Bezug auf Tiere zu treffen ist. Sind sie 'Sachen' (wie es die Gesetzbücher sehen) oder Wesen? Hier wird man sich individuell oder von Fall zu Fall zu entscheiden haben: (17) Am Horizont erkennt man (EXP) die Gruppe der Jäger/der Bären (PAT). (18) Scheuche die Fliegen (OBJ^) am besten mit einer Handbewegung weg! Zu fragen ist sodann vor allem, ob neben dem PATIENS, also der Rolle für nicht aktive Lebewesen, die von einer Handlung oder einem Geschehen betroffen sind, noch die weiteren Rollen CAG und COM (COMITATIV) angesetzt werden sollten. Wenn die Rolle PATIENS nicht nur für passiv betroffene wie bei schlagen, bevorzugen, sondern generell für Personen, auf die sich Handlungen richten, angesetzt wird, wie bei einladen, erkennen, erblicken, erübrigt sich CAG. Mit COM kann bereits die einfach strukturierte Prädikatsgruppe überschritten werden. Die syntaktischen Mittel, die hier einzusetzen sind, sind vor allem Präpositionalgruppen mit mit und vergleichbare Ausdrucksweisen. (19) Er (AGENS) kommt mit/samt seiner Kinderschar (COM). Nichtpersonale Handlungs- und Vorgangsbegleitungen sind INSTR, LOC, ORIGO (SOURCE), DIR und TEMP. (20) Er (AGENS) verließ das Haus (SOURCE) um 10 Uhr (TEMP) und traf am Bahnhof (DIR) um 10.30 (TEMP) ein. Als Kasusrollen sind diese Typen unproblematisch. Unter Valenzgesichtspunkten bzw. bei der Entscheidung, wie sie syntaktisch zu bewerten sind, werfen sie Probleme auf. Wie die Beispiele erkennen lassen, sind sie nicht einfach als 'obligatorisch' venus 'frei' zu bewerten. Dies gilt auch für die letzten noch zu nennenden Rollen CAUS und INSTR sowie die von v. Polenz angesetzten Rollen PARTTTIV, POSSESSIV, ADDITIV, PRIVATIV. - CAUS: (21) Wegen des schlechten Wetters (CAUS) mussten wir die Wanderung abbrechen. (22) Ich bin von seiner Hartnäckigkeit (CAUS) beeindruckt. Hier ist eine weitere, etwa von Wegener (1997) angesetzte Rolle, zu nennen: STIMULUS. (23) Er (BEN) grault sich vor Fledermäusen (STIM).
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Ergänzungstypen
Aus dieser - kritischen - Musterung der Kasusrollenkonzeption lässt sich Folgendes entnehmen: Weder eine 'minimale' noch eine 'maximale' Liste der Rollen ist ohne Probleme. Je nach Darstellungszwecken wird man die eine oder die andere favorisieren. Geht es darum, Grundkonstellationen des Satzbaus, etwa für den typologischen Sprachvergleich aufzudecken, bieten sich die knappen Listen an. Möchte man die Vielfalt prädikativer Ausdrucksmöglichkeiten von den gebundenen nominalen Konstituenten her belegen, sind die ausgefeilten Listen von Vorteil. Hier ist versucht worden, eine mittlere Linie einzuschlagen.
6.4. Ergänzungstypen
6.4.1. Esub, Subjekt und subjektlose Konstruktionen In der Abhängigkeitsgrammatik, hier wieder ganz ausdrücklich auf Tesnière zurückgehend, wird das Subjekt in seiner syntaktischen Relevanz deutlich zurückgestuft. Es ist zu fragen, ob dies berechtigt ist oder ob damit nicht wesentliche Funktionen unbeachtet bleiben. Denn es gibt eine auffällige syntaktische Konsequenz der Sonderstellung des Subjekts, die bei den Dependenzgrammatikem gewöhnlich heruntergespielt wird: die Kongruenz mit dem finiten Verb. In Eroms (1972) ist Folgendes ausgeführt worden: Es lässt sich davon sprechen, dass das Subjekt zweimal im Satz repräsentiert wird, einmal kategorial - historisch ist das wahrscheinlich ein Reflex einer abgestorbenen und mit dem Verb verschmolzenen analytischen Pronominalflexion - und „kommunikativ-explizit", meist als „thematisches" Glied. Die Unterscheidung von Mikro- und Makrovalenz, die Ágel (1993) trifft, fasst diesen Sachverhalt präzise. Im Ansatz lässt sich ein Satz wie (1) mithin so repräsentieren: (1) Karl schläft. (1·)
S.
(1")
s.
schläft Mikrovalenz Karl
Karl Makrovalenz
Solchen Schemata ist zumindest der enge Bezug des Subjekts zum finiten Verbalmorphem des Verbs zu entnehmen. Dies ist die entscheidende Stelle seiner Bezüglichkeit. Da das finite Verbalmorphem außer der Regelung der Kongruenz
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Die Ergänzungen
mit dem Subjekt noch weitere Instanzen markiert, lässt es sich als syntaktische Zentralstelle auffassen (vgl. Kap.5.2.). Isoliert man das Kongruenzphänomen, dann ließe sich auch von Interdependenz zwischen Subjekt und finitem Morphem sprechen. Eine hierarchische Bestimmung wäre dann unnötig. Gegenseitige Bindung der beiden Teile wäre dann eine gute Korrespondenz der im Subjekt sich manifestierenden prototypischen Thematizität eines Satzgliedes und der Verbindung des finiten Verbs als Kern des prädikativen rhematischen Abschnitts des Satzes. (2) Karl
schläft
Die anderen Instanzen des finiten Morphems führen aber auf eine komplexe Lösung (vgl. Kap.5.2.1.). Bevor eine endgültige Entscheidung getroffen werden kann, sind die oben angesprochenen weiteren Regelungsinstanzen für das Finitum und die Probleme der Kasusregelung und der semantischen Rollen zu betrachten. Doch bereits jetzt ist zu erkennen, dass dem berechtigten Einwand gegen die herkömmliche dependentielle Darstellung, hier würden „flache" Strukturen erzeugt, begegnet werden kann. Diese Charakterisierung der Dependenzgrammatik ist vor allem in einem gründlichen Vergleich der GB-Theorie und der Dependenztheorie von Wegener (1990) getroffen worden. Wegener zieht für die Hinordnung des Subjekts auf das Finitum noch andere Eigenschaften heran. Darunter ist das Argument, die „Zitierformen" des Verbs, nämlich die Lexikonform im Infinitiv, die die grammatische Tradition mit guten Gründen als „Nennform" begreift, weise alle Komplemente des Verbs, das Subjekt aber gerade nicht auf: (3) nach Hause gehen, jemandem etwas übertragen, einer Sache bedürfen, über etwas nachdenken Dieses Argument findet sich auch bei Eroms (1985, S 314). Erst mit der Bindung des Verbs in seiner finiten Form an ein Subjekt wird aus der lexikalischen Zitierform, der virtuellen Speicherform, eine aktuelle Satzform. Das heißt aber nun, dass wir auch von dieser Seite her auf die zentrale Stellung des finiten Morphems geführt werden. Für Zemb (1972, 1978) ist das Finitum das Phema des Satzes. In seiner satzsemantischen Konzeption gibt das Phema das Signal, dass dem Thema ein Rhema zugeordnet wird. Mit den Kategorien des Themas und des Rhemas, die bei Zemb in ihrer logisch-semantischen Qualität im Anschluss an die antike Grammatiktradition begriffen und neu gedeutet werden, sind die prototypischen Terme beziehungsweise die prädikativen Teile des Satzes benannt: die 'Gegenstände' (Themata), über die die 'Aussage' (das Rhema) getroffen wird. Aber erst mit dem Phema wird die Zuordnung im eigentlichen Sinne hergestellt. Auf die nichtmorphematischen Phemateile, insbesondere die Modalisatoren und Negato-
Ergänzungstypen
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ren, braucht an dieser Stelle nicht eingegangen zu werden (vgl. Kap.5.5 ). Im finiten Verbalmorphem ist jedenfalls obligatorisch für jeden Satz dieses Signal der propositionalen Qualität enthalten. Von daher lassen sich sowohl die subjektenthaltenden als auch die subjektlosen Strukturen bestimmen: Phematisch gebundene Teile weisen eine temporale und modale Bestimmung auf. Subjektenthaltende binden einen Term herausgehoben ab, indem über die Kongruenz eine besonders deutliche enge Verbindung zwischen diesem und dem verbalen Teil errichtet wird, subjektlose Konstruktionen weisen keinen Primärterm auf. Infinite Konstruktionen stehen den finiten gegenüber, und das fehlende ausdruckssyntaktische Signal des Phemas ist ein deutliches Zeichen dafür, dass diese Konstruktionen als sowohl phemalose und als subjektlose und damit das primäre thematische Element entbehrende anders zu beurteilen sind als finite und subjektenthaltende. Hier ist nach Subjekts- bzw. Objektskontrolle und nach weiteren Regelungswegen zu suchen. Welche Informationen werden über das Phema mit seinen temporalen und modalen Teilen in den Satz eingebracht? Es ist keineswegs als zufalliger Entwicklungsendstand des verbalen Systems zu begreifen, dass die beiden Informationen aneinandergeknüpft sind. Syntaktisch lässt sich dieses Faktum jedenfalls so verstehen, dass in einem Zug Verbindungen zum Satzmodus, zum Subjekt und prädikativen Kernteil der Proposition hergestellt werden. Das finite Verbalmorphem ist nicht frei platzierbar, sondern an den lexematischen Teil eines Vollverbs oder eines Auxiliare geknüpft. Gleichwohl kann man sich die Wegeverläufe folgendermaßen denken: (4)
S.
Verblexem
Tempus Modus Person
Subjektlexem Numerusmorphem Dieses Schema soll den Verlauf morphematischer und lexematischer Informationen im Satz nachzeichnen: Die temporale Information ist satzgebunden, damit also hierarchisch am höchsten positioniert. Das daran gebundene verbale Lexem regelt die Subjektsvalenz (andere valenzielle Bedingungen seien hier außer Betracht gelassen). Das gewählte spezifische Subjekt mit seinem Personalmorphem-Anteil greift auf den entsprechenden Teil des finiten Verbalmorphems zurück. Der fur die Proposition relevanteste Teil ist jedoch der Modusindikator. Er ist der Platz in der syntaktischen Verkettung, der die Sprecherbindung unmittelbar
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Die Ergänzungen
und vor allem obligatorisch einbringt. Die Masse der Sätze ist in dieser Hinsicht unmarkiert: Das Indikativmorphem ist, zumal es mit den anderen Morphemteilen amalgamiert ist, völlig unauffällig. Erst im markierten Fall, wenn ein Konjunktiv gewählt wird, wird die generelle Funktion dieses morphematischen Teils deutlich: die vom Sprecher besiegelte und damit verantwortete Gültigkeitsmarkierung der Zuordnung der propositionalen Teile. Beim Konjunktiv ist sie mit einem Vorbehalt versehen: entweder als „referiert", beim Konj.I, oder hypothetisch-irreal, beim Konj.II. Mit dem phematischen Modusmorphem ist der Sprecher des Satzes in jeder finiten Teilstruktur verortet. Alle morphematischen Regularitäten des finiten Verbs werden nun aber in einem kompakten Morphem geregelt, das in der oben dargestellten Weise über die Kongruenz an das Subjekt gebunden ist. So ist die Annahme, dass das Subjekt ein herausgehobener Term ist, völlig berechtigt. Die grammatische Tradition hat das nie als ein Problem angesehen. In der generativ-transformationellen Grammatik ist bis hin zur GBTheorie diese Auffassung ständig weiter präzisiert worden. In der Dependenztheorie hat die Dominanz des Valenzprinzips diese Einsicht hinter der lexematischen Regelung der Valenzen zurücktreten lassen. Hier ist nun zu fragen, wie die Regelung der Kasus und der Rollen mit dieser Auffassung in Deckung gebracht werden kann. Mit den Rollen werden die kasuellen und sonstigen (z.B. adverbiellen) Markierungen der dependenten Glieder in ihrer syntaktischen Funktion interpretiert. Für das Subjekt bedeutet dies, dass die Valenzbindung unseres Ausgangssatzes über die lexematische Information des Vorgangsverbs schlaf- und der Bindung eines Terms im Nominativ, das Satzsubjekt, für dieses die Rolle EXPERIENCER (Vorgangsbetroffener) festlegt. Analog verhält es sich bei einwertigen Verben wie arbeiten, bei denen das Subjekt in der Rolle AGENS erscheint. Schwieriger zu beurteilen sind alle peiiphrastischen Verhältnisse. Hier müssen Regelungen vorgesehen werden, die die Durchlässigkeit, bzw. Blockade bei den Auxiliaren gewährleisten. In den Grundzügen ist dies in Kap.5.4. dargestellt worden. Für den Unterschied der beiden Sätze (5) und (6) in der Perfektform lässt sich von folgenden Verhältnissen ausgehen: (5) Karl hat geschlafen. (6) Karl hat gearbeitet. Der konstruktioneile Weg über die Auxiliare ist zunächst dem der Vollverben analog: (5')
S.
(6·)
S.
hat Karl
hat geschlafen
Karl
gearbeitet
Während in (5') die tentative Zuweisung von EXPERIENCER an das Subjekt durch das Partizip geschlafen bestätigt wird, wird sie bei (6') durch die partizipiale Semantik, die AGENS ergibt, überlagert. Gleichwohl führt nichts darum herum, dass dieser Weg durchlaufen wird. Denn das grammatische Kennzeichen der Auxiliare ist, dass in ihnen die morphematische Information, die sonst im kompakten finiten Morphem des Vollverbs enthalten ist, zentriert ist. Dazu gehört aber vor allem, wie wir gesehen haben, die Sprechereinbindung im Modusteil und
Ergänzungstypen
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daran geknüpft die temporale und damit immer auch aktionale Einbindung des Vabs. Haben-, sein- und -werden-Formen geben zunächst das Signal, dass hier subjektbezügliche periphrastische Formen vorliegen, in denen die verbale Handlung oder der Vorgang eine sprecherbezogene aktional-temporale Bewertung durchlaufen hat. Die „Tempusformen" vor allem dürfen auch syntaktisch gesehen nicht den einfachen Präsens- und Präteritumsformen analog behandelt werden. Erst nach dem Enddurchlauf aller Form-Teile ergeben sich die satzsemantischen Inteipretationen, hier für Subjekt EXPERIENCER bzw. AGENS.
Gegen die Annahme, das Subjekt sei generell vom Finitum abhängig, hat Engel (1988, S.188f.) gewichtige Bedenken vorgetragen. Im Einklang mit den meisten Valenzgrammatikern ist er der Auffassung, dass das Subjekt direkt vom Hauptverb abhängig sei. Er fuhrt vor allem zwei Argumente für diese Auffassung an: 1.) Das Vorkommen sämtlicher Ergänzungen, also auch des Subjekts, werde durch die Valenz des Hauptverbs, nicht des finiten Verbs gesteuert. Man könne dies daran erkennen, dass Sätze mit demselben finiten Auxiliarverb „nur dann und nur deshalb verschiedene Ergänzungen haben, weil die jeweiligen Hauptverben verschiedene Valenz haben". Seine Beispiele sind (7) Heide hat mir Kartoffeln geliehen. (8) Wir haben vergebens auf den Besucher gewartet. (9) Mir hat vor ihm gegraut. Die Sätze (7) und (8) enthielten ein Subjekt, weil es in der Valenz der Hauptverben leihen und warten vorgesehen sei; grauen aber lasse kein Subjekt zu, und daher könne das Auxiliar haben auch nicht als Regensstelle für Subjekte allgemein angenommen werden, weil erst das Hauptverb entscheide, ob der Satz überhaupt ein Subjekt enthält. Dass das Hauptverb die Gesamtvalenz des Satzes regelt, ist nicht zu bezweifeln. Damit ist aber noch nichts über die Wegeverläufe im Einzelnen ausgesagt. Auxiliaren kann zumindest eine struktuelle Valenz nicht abgesprochen werden, was in Kap.5.3. näher begründet worden ist. Das Vollverb haben hat jedenfalls Valenz, es ist zweiwertig: (10) Fast jeder hat ein Auto. Vom Vollverb haben unterscheidet sich das Hilfsverb haben dadurch, dass es obligatorisch mit seiner zweiten Leerstelle verbale Formen bindet. Syntaktisch ist sodann das Kongruenzphänomen ein derart zwingender Mechanismus, dass ihm Rechnung getragen werden muss. Auch die Infinitivprobe (Engel 1998, S.190) weist eindeutig daraufhin, dass die Valenzen geschichtet sind, die infiniten Formen binden alle Valenzen mit Ausnahme eben der Subjektsvalenz: (11) Kartoffeln leihen, auf den Besucher warten, den Wagen vorfahren, mit dem Schicksal hadern Für grauen gelten aber andere Bedingungen, auf die noch einzugehen ist.
188
Die Ergänzungen
2.) Engels zweites Argument für die Annahme, dass das Subjekt vom Hauptverb abhänge, gründet sich auf die Tatsache, dass dieses die Bedeutungsbeschränkungen im Satz festlege, also etwa „unkorrekte" Sätze wie (Engels Beispiele) ( 12) *Das Pferd hat meinen Handschuh gegessen. (13) * Sabine ist ergrünt. verhindere. Auch das lässt sich natürlichnicht bezweifeln. (Die Sätze sind im Übrigen durchaus interpretierbar.) Was das Verb grauen betrifft, so wird gerne angenommen, dass bei den finiten Formen auch hier eine Kongruenzbeziehung vorläge. Dies ist jedoch nicht der Fall, wie durch Kommutation leicht gezeigt werden kann: (14) Mir/dir/ihm/uns/euch/ihnen hat/*haben/*habt/vor ihm gegraut Gleichgültig, welche Person auch in die Edat eintritt, die Form hat gegraut ist unveränderlich. Ein anderes Faktum ist jedoch noch wichtiger. Die „Infinitprobe" ergibt, dass grauen auch hier kein Subjekt elidiert, es behält seine Zweiwertigkeit bei. Ungrammatisch wäre (16): (15) sich vor jemandem grauen (16) *vor jemandem grauen Daraus ergibt sich zunächst, dass Verben wie grauen eine andere Darstellung benötigen als subjektenthaltende Konstruktionen: (IT)
S.
(18')
S.
graut mir
hat vor I ihm
gegraut mir
vor
ihm Gegen (18') lässt sich nun einwenden, dass - wenn schon die Auxiliare grundsätzlich als zweiwertig angesehen werden - haben hier unterwertig verwendet würde. Doch dies ist nur scheinbar der Fall. Wie bei den unpersönlichen Passivkonstruktionen für die Auxiliare sein und werden genauer ausgeführt wird, wo subjektlose Konstruktionen viel häufiger sind (vgl. Kap. 10.5.), ist die Besetzung der ersten Leerstelle von haben mikrovalenziell vorgenommen, denn im Portmanteaumorphem -t von hat steht nicht nur die Modus- und Tempusinformation, sondern auch eine rudimentäre Personalform. Subjektlose Konstruktionen, gleich welcher Art, setzen im Deutschen eine archaische Bildeweise fort, die es
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Ergänzungstypen
z.B. im Englischen nicht gibt. Doch auch das Deutsche hat eine starke Tendenz, die Subjektstelle explizit zu besetzen. Dafür haben sich zwei Möglichkeiten herausgebildet. Einmal werden die subjektlosen Konstruktionen immer weiter zurückgedrängt. Statt (19) findet sich zunehmend (20): (19) Mich friert. /Mich hungert. (20) Ich friere./Ich habe Hunger. Auch bei grauen finden sich umgangssprachlich Subjektivierungen wie (21): (21) Ich grau(l)e mich. Dass derartige Erscheinungen zunächst in normativ weniger restringierten Registern begegnen, ist der natürliche Vorgang bei jeder Sprachentwicklung. Außerdem soll überhaupt nicht bestritten werden, dass das Deutsche die subjektlosen Konstruktionen beibehält. Die unpersönlichen Passiva sind das beste Beispiel dafür. Ein zweites Faktum, das sich bei den Verben grauen, frieren und einigen anderen beobachten lässt, ist, dass sie entweder ein fakultatives oder in der überwiegenden Mehrzahl sogar ein obligatorisches es aufweisen. Dazu sei hier die Liste der von Engel (1988, S.190) zusammengestellten einschlägigen Verben, die um einige fehlende ergänzt wurde, angeführt: (22) Liste der wichtigsten subjektlosen Verben des Deutschen bedürfen, e5 blitzen, es donnem, es^ frieren, es frieren, (es) geben, es geben, es^ Ilt> gehen, es^ (»dj>> gelten, es Instrumentalangabe (23) Hermine schreibt den Brief mit aller Sorgfalt. 'abstrakt' => Modalangabe (24) Hermine tarnt mit einem Schleier. => 'Begleitumstand' Sind Personenbezeichnungen durch mit angeschlossen, ergeben sich sachverhaltsidentische Kommutationen mit ««¿/-Sätzen. (25) Hermine tanzt mit Otto. (26) Otto kommt mit seinen Eltern. (25a) Hermine und Otto tanzen. (26a) Otto und seine Eltern kommen. Trotz ihrer Wortartunterschiedlichkeit haben und und mit etwas gemeinsam: mit lässt sich als Grenzfall der Nektive einordnen. Es stiftet jedoch anders als und ein Abhängigkeitsverhältnis. (27) Karl kommt mit seinen Eltern.
(27a) Karl und seine Eltern kommen.
scheinen sachverhaltsidentisch zu sein. Es sind aber nicht gleichbedeutende Varianten. In (27) wird eine Aussage über Karl gemacht, in (27a) über Karl und seine Eltern. Trotzdem lässt sich (27) und (27a) analog ableiten. Wir sind so sehr gewohnt, mit als Präposition zu anzusehen, dass wir oft außer Acht lassen, dass auch die Klasse der Präpositionen sehr heterogen ist. Und verbindet stets gleichrangige Glieder; fasst man mit in (27) als Nektiv auf, dann wird auch der Unterschied zu (28) nicht verbaut: (28) Karl mit der roten Backe kommt. (28')
kommt I Karl I mit η I der Backe I roten Das Fazit dieser Vorüberlegungen ist, dass bei der syntaktischen Darstellung der Angaben die Bedeutung der durch Konnexion verbundenen Elemente komposi-
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Die nicht-valenzgeforderten Glieder
tional in Rechnung zu stellen ist. Dies macht es nötig, für alle Angaben die genauen Regens-Verhältnisse zu bestimmen.
7.2. Die Satzadverbien (Modalwörter) Die Satzadverbien oder Modalwörter bilden die hierarchisch höchste Gruppe der A. Sie sind als eigenständige Klasse erst verhältnismäßig spät entdeckt worden. Während die grammatische Tradition sie meist zu den Modaladverbien rechnete, ist in der russischen Linguistik (Krivonosov 1963, Admoni 1966) frühzeitig ihr besonderer Bedeutungsbeitrag zum Satz hervorgehoben worden. Inzwischen ist die Auffassung, dass die Modalwörter deutlich andere Funktion haben als etwa die Modaladverbien unstrittig. (Vgl. im Einzelnen Heibig 1984). Der Unterschied kann an den folgenden Satzpaaren gezeigt werden: (1) Er hat den Kuchen schnell aufgegessen. (la) Er hat den Kuchen leider aufgegessen. (2) Sie hat das Buch sorgfältig gelesen. (2a) Sie hat das Buch möglicherweise gelesen. Der Bedeutungsunterschied zwischen den Sätzen (1) und (la), beziehungsweise (2) und (2a) ist offensichtlich. Die Paraphrasen zeigen, dass schnell und sorgfältig sich auf das verbale Prädikat, leider und möglicherweise aber auf den ganzen Satz beziehen. (lb) (lc) (2b) (2c)
Er hat den Kuchen verschlungen. Es ist bedauerlich, dass er den Kuchen aufgegessen hat. Sie hat das Buch durchstudiert. Es kann sein, dass sie das Buch gelesen hat.
Mit den Paraphrasen soll der Bezugsbereich des Adverbs deutlich werden, identisch sind die Bedeutungen nicht. Modaladverbien bilden zusammen mit dem Verb, von dem sie abhängen, ein komplexes Prädikat. Sie können auch durch eine Präpositionalphrase ersetzt werden. Ihre Bezugsstelle ist unbestreitbar das jeweilige Verb, und zwar bei periphrastischen Verbkomplexen der lexikalische Teil. Dass nicht alle A vom lexikalischen Teil regiert werden, wird im nächsten Abschnitt gezeigt. Die Satzadverbien hängen aber nicht vom Verb ab, sondern von S, wie in Kap.3.3.3. schon ausgeführt wurde. Die Tatsache, dass sie sich unter anderem mit Sätzen paraphrasieren lassen, und dass diese Sätze fakultativ sind, ist ein überzeugendes Kriterium dafür, dass sie von S regiert werden, so dass sich ergibt:
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Die Satzadverbien (Modalwörter)
Er hat den Kuchen schnell aufgegessen. (2")
S.
leider er
aufgegessen
'u den Kuchen Er hat den Kuchen leider aufgegessen. Das nichtprojektive Stemma in (2") kommt dadurch zustande, dass das Satzadverbial in (2) nicht in seiner Grundposition steht. Die Grundposition für diese Wörter ist das Vorfeld. Steht das Satzadverb dort, ergeben sich projektive Stemmata (vgl. Kap.9.4.3): (2b) Leider hat er den Kuchen aufgegessen. (2b')
S. Mw
Vfm
Leider hat er den Kuchen aufgegessen . Auch satzintegriert kommen die Modalwörter vor: (3) Es muß ja 'ne wahnsinnige Einschrcmkung sein; wahrscheinlich kann sie nicht jeden Sport mitmachen. (Bloomsday '97, S.36)
224
Die nicht-valenzgeforderten Glieder
(4) Und danach gab es Grünkohl, weil ich dachte, wenn ich richtig weggehe, gibt es dort wahrscheinlich keinen, also sollte ich vorher noch welchen essen. (Birgit Vanderbeke, Ich sehe was, S. 12) Die Anordnungsregularitäten der Modalwörter sind nicht einfach zu beurteilen. Bei der Annahme, (la) bzw. (2a) bildeten die Grundreihenfolge, ergeben sich dafür nichtprojektive Stemmata. Dies entfällt bei (2) und (3), aber hier erfordert die Versetzung des Subjekts eine Erklärung. Sie kann zunächst damit gegeben werden, dass die Stellungsregularitäten von (2) und (3) den Skopus der Modalwörter adäquat zum Ausdruck bringen: Hier wird, wie oben schon ausgeführt wurde, der gesamte rechts stehende Bereich als im Skopus des Modalworts befindlich deutlich. Die Modalisierung der Proposition, die mit derartigen Wörtern bewirkt wird, ist so am direktesten ausdrückbar. Das Subjekt rückt dabei zwangsläufig in das Mittelfeld. Was die Positionierung des Modalworts im Mittelfeld betrifft, so ist es aufschlussreich, dass es vielfach mit Pausen vom übrigen Satz abgetrennt wird, in der Schriftsprache durch Kommata. Dadurch wird zudem der Status der Satzadverbien als verkürzte Sätze, die bewertenden oder Kommentarcharakter haben, gut deutlich. (5) Das ist, hoffentlich, eine konsensfähige Lösung. (5a) Das ist, wie ich hoffe, eine konsensfähige Lösung. (5b) Ich hoffe, dass das eine konsensfähige Lösung ist. Dieser selbständige Status der Modalwörter hat Isaöenko (1968) dazu bewogen, sie als „Schaltwörter" zu bezeichnen und sie als im Grunde „asyntagmatisch" aufzufassen (vgl. Heibig 1984, S. 105). Dafür, dass die Modalwörter unabhängigen Status haben, spricht auch ihre direkte Erfragbarkeit bei Entscheidungsfragen, im Gegensatz zu prädikatsbezogenen Adverbien, die mit Ergänzungsfragen gefunden werden: (6) Ist das eine konsensfähige Lösung? Vermutlich/Selbstverständlich. (7) Wie hat er den Kuchen aufgegessen? Schnell/Mit einer Gabel. (7a) Wann/Wo hat er den Kuchen aufgegessen? Gestern/In der Küche. Eine Gruppe von Modalwörtern kann aber nur im Anschluss an eine Satzbestätigungs- oder Verneinungspartikel unabhängig verwendet werden. (8) Ist das eine konsensfähige Lösung? Ja, dummerweise/angeblich. Nein, unglücklicherweise. So sind also zumindest zwei Gruppen von Satzadverbien anzusetzen, was sogleich noch eingehender zu prüfen ist. Es werden aber bei der ersten Gruppe nur markierte Ausklammerungen zugelassen:
Die Satzadveibien (Modalwörter)
225
γ
(9) Den Kuchen isst er auf, wahrscheinlich. (10) Den Kuchen isst er wahrscheinlich auf. Die zweite Gruppe erlaubt die Ausklammerung leichter:
(11) Den Kuchen hat er aufgegessen, leider/leichtsinnigerweise. Für die erste Gruppe ist der Platz im Vorfeld auf jeden Fall der natürlichere. Dass die Satzadverbien vielfach auch satzintegriert vorkommen, ist im Übrigen eine Eigenschaft, die sie mit Konnektoren teilen.
(12) Er hat aber/allerdings/doch den Kuchen aufgegessen. Wie bei den Konnektoren lassen sich die satzintegrierten Vorkommen bei den Satzadverbien als Attraktionen an Wörter im Satz auffassen; die eigentliche Regensstelle bleibt bestehen, hier ist es S, das die Modalwörter als A bindet. Genau wie bei den Konnektoren sind dies alles fakultative Verhältnisse. Schließlich ist das Vorkommen von Satzadverbien in Nebensätzen zu prüfen. Doch da sich, wie bereits deutlich wurde, mindestens zwei unterschiedliche Klassen ansetzen lassen, muss zunächst die Subklassifizierungen genauer festgelegt werden. Bei Heibig (1984, 127f.) findet sich die folgende Liste: MW 1 : [ - factiv] [+ Sprecher] [ - Subjekt] [ - emot]
vermutlich, hoffentlich, wahrscheinlich, möglicherweise, vielleicht, mutmaßlich, womöglich, wohl, anscheinend, kaum, schwerlich, scheinbar... MW 2: [+ factiv] [+ Sprecher] [ - Subjekt] [ - emot]
sicherlich), offensichtlich, selbstverständlich, gewiss, zweifellos, zweifelsohne, natürlich, bestimmt, tatsächlich, wirklich, fraglos, wahrhaftig, augenscheinlich, allerdings, freilich, selbstredend, offenbar, offenkundig, unbedingt... MW 3: [+ factiv] [+ Sprecher] [ - Subjekt] [+ emot]
bedauerlicherweise, begrüßenswerterweise, enttäuschenderweise, anerkennenswerterweise, dankenswerterweise, erstaunlicherweise, erfreulicherweise, ärgerlicherweise, (unglücklicherweise, gottlob, leider... MW 4: [+ factiv] [+ Subjekt] [von] [± Sprecher] [ - emot]
dummerweise, klugerweise, leichtsinnigerweise, vorsichtigerweise, neugierigerweise,freundlicherweise,fälschlicherweise, korrekterweise, richtigerweise, eigennützigerweise... MW 5: [+ factiv] [+ Subjekt] [für] [+ Sprecher] [ - emot]
günstigerweise, schädlicherweise, nützlicherweise, beschämenderweise, vergeblicherweise, nutzloserweise... MW 6: [ - factiv] [+ Subjekt] [Ag] [± Sprecher] [ - emot]
angeblich, vorgeblich... Es sind 6 Klassen, die nach Merkmalen, bzw. Merkmalkombinationen unterschieden werden. Die Modalwortklasse 1 und 2 umfassen im Wesentlichen die
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Die mcht-valenzgeforderten Glieder
von Engel (1988 , S.229-231) angesetzten judikativen und verifikativen Angaben. Die Merkmale bedeuten: + factiv: Das Geschehen hat sich tatsächlich ereignet. - factiv: Ob das Geschehen sich ereignet hat, ist nicht gesagt. + Sprecher: Der Sprecher des Satzes ist impliziert in der Einschätzung. + Subjekt: Das Subjekt des Satzes ist impliziert in der Bewertung. + emot: Das emotionelle Verhältnis des Sprechers zur Aussage. Modalwörter können nur sehr beschränkt kombiniert werden. Eine modale Einschätzung kann im Grunde nur einmal gegeben werden. Auch dieses Faktum rechtfertigt die Entscheidung, sie von S abhängig sein zu lassen und damit als 'Schwesterknoten' zu V aufzufassen. Kombiniert werden können anscheinend in eingeschränktem Maß die Mw 2 und 4: (13) Augenscheinlich hat er leichtsinnigerweise die Lampen brennen lassen. (14) Tatsächlich ist die Alarmanlage korrekterweise eingeschaltet gewesen. Dies deutet darauf hin, dass sich die Bewertungen der Modalwörter auf unterschiedliche Teile des Satzes beziehen können. Dies ist syntaktisch von Belang, die eher semantische Subklassifizierung der Modalwörter weniger, wenn die Regensstelle immer S ist und nur jeweils ein Modalwort im Satz vorkommt. Bei Kombinationen ist der Skopus zu beachten. In den Sätzen (13) und (14) beziehen sich augenscheinlich beziehungsweise tatsächlich auf die Wahrheitsbewertung der Proposition. Tatsächlich versichert die Wahrheit, augenscheinlich gibt eine Kautel an. Die Modalwortklasse 1 bewertet den Wahrheitswert mit deutlichem Vorbehalt, Mw 6 macht diese deutlichen Vorbehalte gegenüber einer Referenzinstanz. (15) Vermutlich haben in der Nacht zum Samstag radikale Gruppen Barrikaden errichtet. (16) Angeblich haben Radikale die Barrikaden errichtet. Die meisten anderen Modalwörter bewerten den Inhalt der Proposition, nicht ihren Wahrheitswert, so etwa in (13) mit leichtsinnigerweise, in (14) mit korrekterweise. Besonders offensichtlich ist die inhaltliche Einschätzung der Proposition durch das Modalwort normalerweise, in süddeutscher Umgangssprache durch das in Repliken begegnende Modalwort normal, das stets an der Satzspitze erscheint. (17) Normalerweise wird die Alarmanlage abends eingeschaltet. (18) Wird die Alarmanlage immer eingeschaltet? Normal schon. Mit normalerweise, beziehungsweise normal wird der Wahrheitswert der Proposition nur indirekt positiv bewertet und dies auch nur vermittels einer Zusatzbe-
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Die Satzadverbien (Modalwörter)
deutung, womit aus (17) oder (18) auf einen bestimmten Anwendungsfall geschlossen werden kann, bei dem das Zutreffen auch offen bleiben kann. Die inhaltliche Bewertung eines propositional gebundenen Sachverhalts in (13), (14), (17) und (18) dominiert, impliziert aber immer einen Bezug auf den Wahrheitswert der Proposition. So lässt sich etwa (14) folgendermaßen paraphrasieren: (14a) Die Alarmanlage ist eingeschaltet gewesen, dieser Sachverhalt ist wahr; dass das so war, ist als korrekt zu beurteilen. Mit (13) ergeben sich nicht so klare Verhältnisse. Zudem ist der Skopus des Modalworts nicht immer primär der ganze Satz, sondern kann von einer im Fokus stehenden Konstituente nur sekundär darauf bezogen werden. (19) In Thüringen haben vermutlich Rechtsradikale mehrere Menschen angegriffen und verletzt. (Bloomsday '97, S.93) Dieser Satz bewertet nicht die Wahrheit der gesamten Proposition mit vermutlich, sondern nur die mögliche Täterschaft, d.h. einen Ausschnitt aus dem referentiellen Teil. Auch hier ist zu fragen, welche Konsequenzen sich daraus fiir die Syntax ergeben. Während Modalwörter, die sich auf die gesamte Proposition beziehen und entweder den Wahrheitswert bewerten oder den Inhalt einschätzen, von S abhängig sind, sind Modalwörter wie in (19) auf die Konstituenten zu beziehen, die in ihrem Skopus stehen. Diese Elemente sind rhematisch und tragen den Gipfelakzent. (15')
S. Ζ Mw
Det Ν
Ν
Ν
Präp
\Ν
Adj
Vermut- haben in der Nacht zum Sams- radikale Gruppen Barrikaden errichtet lieh tag
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Die nicht-valenzgeforderten Glieder
(19·)
Vinfin - NEK - Vi,ínfín .Ν Adj In Thürin- haben vermut- Rechts- mehrere Menschen ange-und verletzt. gen lieh radikale griffen Um den Skopusverhältnissen Rechnung zu tragen, muss die Verschiebung eines Modalwortes so aufgefasst werden, dass es hierarchisch einen Schwesterknoten zu seinem Bezugsausdruck bildet. (20) In Thüringen haben Rechtsradikale mehrere Menschen angegriffen und angeblich verletzt. (20')... NEK
-V,infin Mw
... und angeblich verletzt Einzig die Modalwortkombinationen könnten Probleme aufwerfen, weil die Einschätzung eines Sachverhaltes im Grunde nur einmal gegeben werden kann; sonst würden Widersprüche entstehen. Aber da in Sätzen wie (13) und (14) die Modalwörter an getrennten Positionen vorkommen, kann die für (19) und (20) vorgeschlagene Lösung auch hier angesetzt werden: (14') Mw
Tatsächlich ist die Alarmanlage korrekterweise eingeschaltet gewesen .
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Die Satzadveibien (Modalwörter)
Ein umgekehrter Skopus ergibt eine andere Bedeutung: Korrekterweise ist die Alarmanlage tatsächlich eingeschaltet gewesen. Die Domäne der Modalwörter ist der Aussagesatz. Aber auch zum Beispiel in Fragesätzen kommen sie vor, jedoch nicht Modalwörter aus allen Klassen: (21) Hat er es tatsächlich [Mw2] getan? Hat er es freundlicherweise [Mw4] getan? *Hat er es vermutlich [Mwl] getan? Hat vermutlich er es getan [Mwl] ? Hat er es bedauerlicherweise [Mw3] getan? Auch in Nebensätzen können sie auftreten: (22) Ich höre soeben, dass er es tatsächlich/freundlicherweise/vermutlich/bedauerlicherweise ... getan hat. Außer in cHoss-Sätzen begegnen sie häufig in Relativsätzen: (23) ... und man muß sich überlegen, was macht man nun für eine Figur auf diesen Sketch drauf, macht man da einen sehr smarten Engländer, der möglicherweise in einem kleinen englischen Akzent spricht, ja, oder so was. (Bloomsday '97, S.15) Ν
Pron
Adj
(23')... Engländer, der möglicher- in einem kleinen englischen Akzent spricht, weise
230
Die nicht-valenzgeforderten Glieder
7.3. Die verbbezogenen Angaben Obwohl im vorangegangenen Abschnitt mit den Modalwörtern, die einen Thematisierten Fokus aufweisen, bereits Angaben erfasst sind, die in gewissen Fällen vom Verb aus gesteuert werden, ist die Domäne dieser Angabe-Typen eine ganz andere. Wie eingangs des Kapitels 7 deutlich wurde, ist die Annahme, Temporal-, Lokal- und Modalangaben seien vom Verb aus regiert, berechtigt. Einmal sind es verbal gesteuerte Restriktionen, die darauf hindeuten, dass im positiven Fall die Quelle der Zulässigkeit für ein Adverbial im Verb zu suchen ist (1), (2), zum anderen gibt es gleitende Übergänge zu den Ergänzungen (3), (4), womit das generelle Problem der Abgrenzung von Ergänzungen (Komplementen) und Angaben (Supplementen) angesprochen wird, dem an dieser Stelle nicht mehr nachgegangen werden muss. ( 1 ) *Gestern wird es regnen. (2) *Er hat das Buch mit Löffeln gelesen. (3) Er hat das Buch mit riesigen Lettern gedruckt. (4) Ich habe ihm den Brief zum Briefkasten getragen. Syntaktisch von großer Relevanz sind erstens die genauen Bezugsstellen im verbalen Bereich und damit verbunden der Skopus der A, zweitens das Miteinandervorkommen verschiedener A und drittens die Subklassifizierungen. Da mit dem letzteren auch die morphologische Form, in der die A auftreten, zusammenhängen, muss dies als erstes geklärt werden. Was die Bezeichnung 'verbbezogene Angaben' betrifft, so sind damit, dependentiell gesprochen, die Hierarchieverhältnisse im Satz gemeint. Bis auf die Satzadverbien sind alle Angaben von verbalen Teilen abhängig. In logisch-semantischer Hinsicht handelt es sich um propositionsbezügliche Angaben.
7.3.1. Die morphologische Form von Angaben Angaben können in folgenden morphologischen Typen auftreten: (1) einwortig: gestern, dort, schnell (2) als Präpositionalphrasen: am Abend, mit Vergnügen, wegen der ungeklärten Verhältnisse (3) als Nominalphrasen im Genitiv: des Abends (4) als Nominalphrasen im Akkusativ: den ganzen Tag, den Weg nach Wegscheid (5) in Satzform, als er das Licht einschaltete, weil er Hunger hatte, obwohl ich ihn gewarnt habe (6) als Infinitivkonstruktionen (IK): um reich zu werden, ohne aufzuhören
Die verbbezogenen Angaben
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(7) als Nominalphrasen im Dativ: mir (in: Du bist mir ein feiner Kandidat!) (8) als Adjektiv: vorläufig (in: Sie sind vorläufig festgenommen!) Die einzelnen Typen sind nicht beliebig bei den verschiedenen Angabeklassen einsetzbar. Ν im Akkusativ kommen nur als Temporal- und Lokalangaben vor, IK nur als Final- und bestimmte Modalangaben. Bei den Nominalphrasen im Dativ sind die sogenannten freien Dative als spezifische Valenzerhöhungen zu betrachten. Sie werden bei den Ergänzungsdativen behandelt.
7.3.2. Die Subklassifizierung der Angaben Für die Einteilung der Angaben werden in der Literatur sehr unterschiedliche Vorschläge gemacht. Die grammatische Tradition hatte sich meist mit einer Auflistung der Typen und deren Abgrenzung begnügt. Entscheidende Impulse sind von konstitutionellen, generativen und logisch-semantischen Ansätzen ausgegangen (Steinitz 1969, Bartsch 1972, Heidolph/Flämig/Motsch 1981). Funktionalgrammatische Gliederungen finden sich unter anderem bei Eisenberg (1989) und Dik (1981). Unter den dependenzgrammatischen sind die Gliederungen bei Engel (1977, 1988) und Helbig/Buscha (1996) bei weitem die vollständigsten. Zwei neuere umfassende Darstellungen haben frühere Vorschläge kritisch bewertet und neu geordnet: Zifonun/Hoffmann/Strecker (1997, S. 1119-1236) erarbeiten auf kategorialgrammatischer Basis eine Subklassifizierung der Angaben (Supplemente), die auch auf subtile Gebrauchsunterschiede achtet. Pittner (1999) stellt die neueste monographische Behandlung der Adverbialia im Deutschen dar und bezieht dabei auch valenzgebundene Typen ein. Da im Rahmen einer Syntax nicht auf alle Fragen der Adveibialia eingegangen werden kann, sei auf die zuletzt genannten Arbeiten verwiesen. Wenn auch in wesentlichen Fragen über die grammatischen Konzeptionen hinweg Einigkeit besteht, so sind doch auch erhebliche Unterschiede zu verzeichnen. Dies betrifft bereits die Kriterien, die für die Abgrenzung der Angaben gegen die Ergänzungen und untereinander herangezogen werden. So werden solche des reinen Skopus, der Operatorqualität (bei Negationen), der Geltungsrestriktionen und andere Kriterien zusammen verwendet. Auch dies hat seine Berechtigung, denn das syntaktische Verhalten zum Beispiel von Negationen entspricht weitgehend dem von situierenden Angaben wie etwa den Temporalangaben. Es sind noch weitere Kriterien einzubeziehen, und zwar die Frage, ob sich für die jeweiligen Angaben prototypische Formen, etwa Einzelwort-Adveibien oder aber satzförmige Realisationen finden. Die Grundlage bilden jedoch satzhierarchische Verhältnisse, das heißt die Bestimmung der Regensstelle in Verbindung mit den Skopusverhältnissen.
7.3.3. Situierende Angaben Dieser Angabetyp umfasst die wichtigsten und am häufigsten vorkommenden Angaben. Prototypisch sind die Temporalangaben. Mit ihnen wird der Aussage-
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Die nicht-valenzgeforderten Glieder
rahmen einer gesamten Proposition, ihr Geltungsbereich, festgelegt. Mit dem Prädikat müssen sie daher nur im weitesten Sinne kompatibel sein, im Übrigen sind sie unabhängig. Daher lassen sie sich auch besonders leicht in unabhängige Paraphrasesätze überfuhren:
(9) An der gefährlichen Kreuzung sind gestern zwei Autos zusammengestoßen. (9a) Zwei Autos sind zusammengestoßen. Das geschah an der gefährlichen Kreuzung. Das geschah gestern. Dennoch sollte man A enthaltende Sätze nicht pauschal als Satzkomprimierungen auffassen. Die Tatsache, dass es eine gleitende Linie zu den E gibt, zeigt, dass der Satz der Ort ist, in dem prädikatsgebundene, vom Prädikat zugelassene und an anderen Stellen gebundene oder zugelassene E beziehungsweise A auf Grund von syntaktischen Regularitäten vereinigt werden. Situierende Angaben sind dabei solche, die sich auf die gesamte Proposition beziehen. Da aber die Skopusverhältnisse eine gleich wichtige Rolle spielen, muss die genaue Bindungsstelle für die einzelnen Typen ermittelt werden. In kategorialgrammatischer Darstellungsweise haben Angaben die Kategorie S/S (vgl. Kapitel 3.2.). In der Darstellung der GB-Grammatik bilden sie jeweils eine höhere Konstituente. In dependenzgrammatischer Schreibweise wird dies an der jeweiligen Bindungsstelle analog behandelt. 7.3.3.1. Temporalangaben, A temp Temporalangaben sind temporale Festlegungen von Sachverhalten. Sie haben den weitesten Skopus und dominieren alle anderen adverbialen Festlegungen. Pragmatisch sind sie als der zeitliche Geltungsrahmen von Aussagen zu verstehen. Dieses Verhältnis kann sehr unterschiedlich sein.
(10) Gestern hat es geregnet. (11) Als wir nach Hause kamen, brannte das Licht. (10')
(Il 1 )
S.
S
hat
brannte η
gestern
es
geregnet
als
das Licht
kamen wir
nach Hause In (10) wird eine auf einen Zeitraum bezogene temporale Situierung gegeben, in (11) eine punktuelle. Syntaktisch ist dies nicht weiter relevant. Dies betrifft auch die Unterscheidung von sprechzeitverankerten versus kontextverankerten Temporaladverbialia, die bei Zifonun/Hoffmann/Strecker (1997, S. 1142-1144) ge-
Die veibbezogenen Angaben
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macht wird. Gestern ist z.B. ein sprechzeitverankertes Adverbiale, ersetzt man es durch davor, bezieht es sich auf eine Kontextinformation. Temporalangaben lassen sich nicht zuletzt wegen der Nähe zum Tempusmorphem des finiten Verbs als von diesem abhängig auffassen. Außerdem erklären sich von daher Restriktionen am ehesten. (12) *Morgen hat es geregnet. Temporalangaben kommen in folgenden morphologischen Formen vor: (13) (14) (15) (16) (17)
gestern, später (Adverbien) am Abend, nach Sonnenuntergang (Präpositionalphrasen) vorübergehend (Adjektive) den ganzen Tag (Nominalphrasen im Akkusativ) wenn das Wetter wieder besser wird (Sätze)
Semantisch gesehen, gibt es eine große Zahl von Restriktionen beim Tempusgebrauch in den Gesamtsätzen und den Subjunktionen (C) der temporalen Nebensätze. Dies sind keine syntaktischen Probleme, so dass temporale Subjunktionen hier nur aufzulisten sind: als, bei, bevor, ehe, nachdem, seit, sobald solange, sooft, sowie, während wenn. Syntaktisch von Belang ist aber die Bestimmung des Angabetyps bei ambigen Subjunktionen. Dies trifft auf wenn, das neben der temporalen auch eine konditionale und auf nachdem, das außer der temporalen auch eine kausale Interpretation aufweist, zu. Generell ist an dieser Stelle zu sagen, dass die spezifische Deutung von Angaben sich aus einer Verrechnung der Subjunktion mit ihrem Satz und dem Obersatz ergibt. Alle situierenden Angaben aber setzen den Geltungsrahmen für die Proposition des Obersatzes. Mögliche Ambiguitäten entstehen dabei durch Übergänge von einer Klasse in die andere, was die nachdem-Sätzjt zeigen. (18) Nachdem er das erledigt hatte, ging er nach Hause. (19) Nachdem er das nicht erledigen konnte, ging er nach Hause. (20) Nachdem wir das nicht erledigen können, gehen wir nach Hause. (18) lässt sich in der deutschen Gegenwartssprache nur temporal, (19) sowohl temporal, als auch kausal, (20) (nicht in allen Sprachregistern akzeptiert) nur kausal interpretieren. Wenn ist auch häufig konditional zu interpretieren. (21) Wenn die Sonne scheint, gehen wir spazieren. (22) Wenn wir pünktlich ankommen, können wir noch ein Bier trinken. (23) Wenn wir ankommen, können wir gleich ein Bier trinken. (22) lässt sich kaum anders als konditional auffassen. In (21) und (22) kann die konditionale Interpretation durch die spezifische Subjunktion falls anstelle von wenn deutlich gemacht werden. Bei (19), (20) und (21) lässt sich aber davon sprechen, dass die Sätze latent auch eine andere als die naheliegende Interpreta-
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Die nicht-valenzgeforderten Glieder
tion aufweisen. Der Deutungsrahmen ist jeweils die Situierungsbedingung der Proposition des Obersatzes, und zwar in einem allgemein zeitlichen Sinne, der syntaktisch nicht weiter spezifiziert werden kann. 7.3.3.2. Lokalangaben, AIok
(24) dort/an der Ecke/den ganzen Weg/wo sich die Wege gabeln Genau wie die temporale Situierung eines Geschehens ist die lokale jederzeit explizit möglich. Aber im Gegensatz zu der temporalen gibt es erheblich mehr bereits valenzgebundene Ausdrucksmöglichkeiten, und zwar in Gestalt von E sit und E dir . Diese Ε-Typen bilden somit auch einen gleitenden Übergang zu freien Lokalangaben. Deren Domäne sind Adverbien und Präpositionalphrasen. Satzförmige Realisationen finden sich nur mit dem Relativum wo, das sich wie eine Subjunktion verhält. Es kann durch ein Korrelat anaphorisch vorbereitet werden.
(25) Wir spielen Fußball (da), wo der Rasen fest ist. (25')
S. spielen
wir
Fußball
(da) wo ist
der Rasen
fest
Auch hier sind die Anschlüsse an Esit auffällig.
(26) Wir treffen uns (da), wo sich die Wege gabeln. Temporale Α-Sätze, besonders solche, in denen lokale Verhältnisse zum Ausdruck kommen, situieren das Obersatzprädikat lokal und damit temporal und lokal in einem Zug:
(27) Sie haben die Sache besprochen, als sie zusammen die Straße entlang gingen. Raum- und Zeitverhältnisse als die allgemeinsten, immer vorhandenen, jedoch nicht immer explizit ausgedrückten Situierungen von Geschehen beziehen sich auf das gesamte Prädikat. Dabei gehen temporale Verhältnisse lokalen hierarchisch voraus. Da aber lokale Verhältnisse an die zeitlichen gebunden sind, kann die gleiche Regensstelle, das Finitum, angenommen werden, so dass sich für den Satz (28) das Stemma (28') ergibt:
235
Die verbbezogenen Angaben
(28) Sie haben in Casablanca einen Film gedreht. (281)
S. haben sie
in
gedreht
I Casablanca
η einen Film
Mit der Bindungsstelle des Finitums für die situierenden Angaben wird ihr hierarchisch hoher Platz repräsentiert, denn ihr Skopus ist der ganze Satz. Auch die folgende Gruppe lässt sich so verstehen. Immer ist das gesamte Prädikat, die eventuelle verbale Periphrase betroffen, stärker auf den lexematischen Teil sind andere Angabetypen hingeordnet (vgl. Kap.7.3.5 ).
7.3.4. Handlungskennzeichnende Angaben Die nächste größere Gruppe von Angaben gibt eine erläuternde oder motivierende Spezifizierung der im verbalen Prädikat gefassten Handlung. Sie umfasst die Angaben, die Voraussetzungen, Begleitumstände und Folgen der Handlungen benennen. Ihre Bezugsstelle ist ebenfalls das gesamte Prädikat, jedoch sind sie dem lexikalischen Kern näher, weil sie, anders als die Temporal- und Lokalangaben keine generellen Rahmenbedingungen für das Prädikat, sondern spezielle bilden, die von den Hauptverben aus gesteuert sind. 7.3.4.1. Kausalangaben, A ^ Historisch gesehen sind die Kausalangaben häufig pragmatische Nachfolger von Temporalangaben, weil ihre Subjunktionen, wie z.B. weil, selber aus diesem Feld stammen. Kausalangaben führen Gründe für das Vorliegen des in der Proposition des Obersatzes angeführten Sachverhaltes an. Die semantischen Verhältnisse lassen sich am einfachsten mit w/7-Sätzen verdeutlichen. Ob sie voran- oder nachgestellt sind, hat auf die Gesamtbedeutung des Satzes Auswirkungen. Wie im Kapitel über die Serialisierungsregularitäten (Kap.9.7.3.2.) genauer gezeigt wird, sind vorangestellte thematische w//-S ätze von nachgestellten rhematischen zu unterscheiden. Thematische geben eine Begründung für die im Obersatz gefasste und im Fokus stehende Handlung, rhematische führen den ausschlaggebenden Grund, der damit im Fokus steht, für die im Obersatz gefasste Handlung an. (29) Weil das Auto schmutzig war, habe ich es gewaschen. (30) Ich habe das Auto gewaschen, weil es schmutzig war.
236
Die nicht-valenzgeforderten Glieder
Der Bedeutungsunterschied ist eine Funktion der Anordnungsregularitäten und der damit verbundenen TRG (vgl. Kap.9.7.3 ). Als weitere kausale Konjunktionen kommen vor: da (meist vorangestellt, mit der Benennung „notorischer", offensichtlicher Gründe, nachdem (s.o. Beispiel 20), nun (sehr gehoben), zumal (nachgestellt, ist das Pendant zum vorangestellten da). Auch wo in kausaler Funktion kommt vor. Es werden damit Handlungsrechtfertigungen angeführt. (31) Heute abend geht's zum Griechen, wo wir doch den ganzen Tag so fleißig waren. Gerade an den Kausalsätzen wird deutlich, dass Angabesätze eine aussagerechtfertigende Grundfunktion haben, insbesondere die HO-S ätze, die mit der Abtönungspartikel doch auf einen diskursiv akzeptierten Tatbestand verweisen. Rein kausale Adverbien gibt es nicht, Ausdrücke wie deswegen, daher sind anaphorisch und werden wie Konnektoren verwendet. In kausalen Präpositionalphrasen kommen u.a. vor: Angesichts, aufgrund, bei, dank, durch, infolge, mit, nach, seitens, trotz, um, um ... willen, ungeachtet von, vor, zu, zwecks... Dass Skopusverhältnisse auch für die Syntax von Angaben relevant sind, lässt sich an der Kombination von mehreren Angaben erkennen: (32) Ich habe gestern das Auto gewaschen, weil es schmutzig war. (33) Weil das Auto schmutzig war, habe ich es gestern gewaschen.
Ich habe gestern das Auto gewaschen, weil es schmutzig war. Zwar sind auch hier die Sachverhalte identisch, die unterschiedlichen Aussageschwerpunkte werden aber durch die A noch deutlicher als bei Sätzen mit nur einer A: - In (32) wird die Aussage 'dass ich das Auto gewaschen habe, weil es schmutzig war' durch gestern temporal situiert.
Die veibbezogenen Angaben
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- In (33) wird eine Begründung fur die Tatsache 'dass ich gestern das Auto gewaschen habe' gegeben. Von daher sind die Einbettungsstellen für A ^ und Acaus zu beachten, was sich nur im kompletten Stemma (32'), also bei Einbezug der Serialisierungsregeln zeigt.
Weil das Auto schmutzig war, habe ich es gestern gewaschen. (Vgl. dazu Kap.9.7.3.2., wo auf die Serialisierungsregularitäten genauer eingegangen wird.) 7.3.4.2. Konditionalangaben, A ^ j Konditionalangaben geben die Realisierungsbedingungen für Handlungen und Geschehen an: Der Satz wird wahr unter dem im Adverbial genannten Umstand. Daraus folgt, dass Konditionalangaben potentielle Aussagen betreffen. Die Berührungspunkte mit Temporalangaben sind daher nur äußerliche. Das wiederum ist für die Syntax der Konditionalangaben relevant, indem die gleiche Regensstelle wie bei den Temporalangaben betroffen ist: das oberste verbale Element, das Finitum. Die Differenzierung zu anderen Angaben, die dort gebunden werden, erfolgt durch die lexikalischen Mittel und die Positionsregeln. Der Skopus der Konditionalangaben ist im unmarkierten Fall weiter als der der anderen handlungskennzeichnenden Angaben (34). Diese können aber durch Thematisierung, was eine Markierung darstellt, dominieren (35).
(34) Wenn es kalt ist, hat mein Auto morgens Startschwierigkeiten. (35) Morgens hat mein Auto Startschwierigkeiten, wenn es kalt ist. Mit (34') und (35') wird zum Ausdruck gebracht, dass die vorangestellten, d.h. im Vorfeld befindlichen Konditionalangaben der unmarkierte Fall sind. Darstellungstechnisch ist dies die günstigste Lösung. Sie ist zudem „ikonisch": Die Bedingungen, die für eine Handlung oder einen Zustand maßgeblich sind, müssen zuerst benannt werden; jedenfalls ist dies eine plausible Erklärung, die allerdings empirisch zu untermauern wäre. Doch fehlen bislang statistische Untersuchungen.
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Die nicht-valenzgeforderten Glieder
Auch in den jüngsten Darstellungen wird vor allem auf die semantischen Bedingungen eingegangen (Zifonun/Hoffmann/Strecker 1997, S.2280-2290, Pittner 1999, S.244-260).
Wenn es kalt ist, hat mein Auto morgens Startschwierigkeiten. 1
(35 )
Adv,
Morgens hat mein Auto Startschwierigkeiten, wenn es kalt ist. Folgen die Konditionalsätze, sind sie rhematisch oder sonstwie markiert; etwa: (36) Morgens hat mein Auto Startschwierigkeiten nur, wenn es kalt ist. So ergeben sich auch bei den Konditionalsätzen wie bei den Kausalsätzen zwei Positionstypen. Wie dort sind auch die nachgestellten die markierten. Allerdings sind die vorangestellten unmarkiert, d.h. nicht durch eine Thematisierungsregel markiert. So ergibt sich für die unmarkierte Reihenfolge beim Vergleich von Temporal- (37), Kausal- (38) und Konditionalangaben (39) im Aussagesatz: (37) ^sub ^fin Afgjnp V¡nfm (38) Afcmsth Vfin E sub Vjnfin (39) Afcond V fln E sub Vjnfin Die Voranstellung der Akond ist jedoch eine grammatikalisierte Thematisierung. Denn die Stellung im Mittelfeld ist möglich, wenn auch aus den angegebenen Gründen selten zu belegen. Mit anderen Worten: Beim Kausalsatz muss das Adverbial durch eine Thematisierungsregel in das Vorfeld gebracht werden, ebenso bei den situierenden Temporalangaben, die allerdings weniger häufig
Die veibbezogenen Angaben
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sind. Die A ^ j stehen im Vorfeld in der Grundreihenfolge. Sie kommen auch uneingeleitet mit Verbspitzenstellung vor. Konditionale Nebensätze werden eingeleitet durch wenn, falls, sofern, soweit und andere Subjunktionen. Sätze mit soweit und sofern sind allerdings keine reinen Konditionalia. Sie nennen spezifische Bedingungen, wie die Sprecherannahmen (40), (41): (40) Das hat sich damals in Frankfurt zugetragen, soweit ich mich erinnern kann. (41) Sofern sich nichts Gegenteiliges nachweisen lässt, ist er unschuldig. Außer satzförmigen A kommen Adverbien (42) und Präpositionalphrasen (43) vor: (42) Dann brauchst du dich nicht zu wundern. (43) Bei Kälte/unter Umständen springt er am Morgen schlecht an. Die konditionalen Adverbien sind anaphorisch: Die inhaltlichen Bedingungen müssen im Vortext schon angeführt gewesen sein. Nachgestellte Konditionalsätze sind u.a bei bereits thematisierten Ausdrücken regulär: (44) Aber es gibt Leute, die furchten sich, wenn sie nachts allein nach Hause gehen müssen. (Bloomsday '97, S. 103) Bei den Konditionalsätzen lässt sich eine Reihe von speziellen Formen ausmachen (vgl. Pittner 1999, S.257-260 und 271-276). Irrelevanzkonditionalsätze Diese Adverbialia weisen Eigenschaften der Konditional-, aber auch der Konzessivangaben auf. Semantisch gesehen führen sie Bedingungen an, die für die Proposition des Hauptsatzes nicht relevant sind. Syntaktisch ist an ihnen auffällig, dass sie nicht die Vorfeldposition besetzen, sondern eine freie Linksplazierung einnehmen können. (45) (46) (47) (48) (49) (50)
Auch wenn/Wenn er auch noch so gut ist, kann er nicht gewinnen. Wenn er auch noch so gut ist, er kann nicht gewinnen. Sollte er noch so gut sein, er kann nicht gewinnen. Ob du es glaubst oder nicht, wir haben gewonnen. Wir haben gewonnen, ob du es glaubst oder nicht. Er kann nicht gewinnen, und wenn er noch so gut wäre.
Nichtsatzförmige Typen scheint es nicht zu geben. Sätze mit auch wenn und wenn auch sind im Übrigen durchaus unterschiedlich. Brauße (1994, S. 143-159) und Pasch (1994, S.45-67) haben erstere als 'Extremwertkonditionale' von letzteren, die eine konzessive Interpretation zulassen, abgehoben (dazu Eroms 1998, S.210f.).
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Die nicht-valenzgeforderten Glieder
Exzeptivkonditionalsätze Semantisch stellen sie gewissermaßen das Gegenteil von gewöhnlichen Konditionalsätzen dar, indem sie nicht die Bedingung für das Wahrwerden der Proposition des Hauptsatzes angeben, sondern für das Nichtwahrwerden der Proposition eine Voraussetzung anführen. Diese Sätze sind aber so formuliert, dass auch hier das Wahrwerden der Proposition fokussiert ist, und die Exzeptivkonstruktion eine Ausnahme nennt. Syntaktisch gesehen sind sie, wie der vorige Typ, unabhängig. Sie werden durch einen speziellen Konnektor {außer) eingeleitet, der als K, nicht als C (als Subjunktion) zu werten ist: (51) Ich gehe jetzt nach Hause, außer es gibt noch einen Drink. 7.3.4.3. Konzessivangaben, A konz Dieser Angabetyp benennt den „Gegengrund", die Bedingungen, die „eigentlich" der Handlung entgegenstehen. Es gilt analog das Gleiche wie bei den Konditionalangaben: (52) Trotz des Frostes/Trotzdem/Obwohl
es so kalt war, sprang der Motor an.
Die Gleichheit mit den Konditionalangaben bezieht sich nur auf die hierarchische Ein- und die lineare Anordnung. Das Beispiel (52) zeigt einen fundamentalen Unterschied: Indikativische Konzessivsätze sind aktuelle Sätze. Daher können sie auch im Präteritum vorkommen; dies ist sogar ihre Domäne. Die von der Norm akzeptierten Subjunktionen sind obgleich, obschon, wenngleich, wenn auch, auch wenn (jeweils mit funktionalstilistischen und auch leichten semantischen Unterschieden, vgl. Brauße 1994). Der konzessive Konnektor trotzdem wird zunehmend als Subjunktion verwendet: (53) Trotzdem er anderer Meinung war, gab er nach. 7.3.4.4. Restriktivangaben, A ^ , , Im Unterschied zu den Konditional- und Konzessivangaben sind die Restriktivangaben Restriktionen für die Gültigkeit der Proposition, nicht für ihre Wahrheit. Das soll heißen, während A kond die generellen Voraussetzungen für die Wahrheit der Proposition angeben, tangieren Arestr den Wahrheitsgehalt der Proposition nicht, sie legen nur einen Bereich fest, für den sie wahr ist. (54) (55) (56) (57) (58)
In finanzieller/beruflicher Hinsicht geht es ihm gut. Insofern stimmt die Sache. Für einen Fußballspieler verdient er sehr wenig. Was seine Altersversorgung betrifft, so ist er abgesichert. Finanziell ist sie abgesichert.
Wie die Beispiele zeigen, gibt es eine ganze Palette von Ausdrucksmöglichkeiten für Aussagerestriktionen. In der Umgangssprache wuchern derzeit Adverbien mit -mäßig:
Die verbbezogenen Angaben
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(59) Freizeitmäßig lässt es sich hier leben. (60) In Schottland bin ich schon gewesen, urlaubsmäßig. (Hörbeleg) Diese Geltungsrestriktionen für die Proposition lassen sich auch als Aussagebasierungen begreifen. Daher stehen auch diese Angaben gewöhnlich im Vorfeld. Auch ihre Positionierung dort ist eine grammatikalisierte Thematisierung, wie bei den Konditionalangaben. Einwortig stehen sie durchaus im Mittelfeld. Semantisch gesehen, sind die Arestr von besonderem Interesse: Sie stellen Sprecherfestlegungen dar und damit Einschränkungen der Propositionsgeltung. Als Beschränkung der propositionalen Gültigkeit lassen sich alle Angaben verstehen. Die meisten sind fixierte, d.h. solche, deren Einwirkung auf die Satzbedeutung so verrechnet wird, dass sie zum Prädikat in einer Art Valenzerhöhung dazutreten, was man am besten an den Modalangaben erkennt. Aber auch die situierenden Angaben sind positive Ausgestaltungen der Proposition. Niemand würde einen Satz wie (61) Es hat am Morgen geregnet. so verstehen wollen, dass die Proposition '(es) regnen' in ihrer Geltung auf am Morgen eingeschränkt wird, sondern als positive Spezifikation des Regen-Vorgangs. Anders steht es bei den Α ^ : Sie schränken die Proposition negativ ein, indem der Sprecher ausdrücklich ihre generelle Gültigkeit durch Angabe eines bestimmten pragmatischen Sektors beschneidet. 7.3.4.5. Konsekutivangaben, Akons Akons geben die Folge eines in einer Aussage gefassten Sachverhalts an. Sie kommen meistens in Satzform vor. (62) Er hatte tüchtig gespart, so dass er im Alter ein sorgenfreies Leben führen konnte. (63) Er trieb viel Sport, so dass er gesund blieb. Konsekutivsätze - andere morphologische Formen kommen nicht vor - stehen naturgemäß im Nachfeld. Sie sind daher als komplementäre Pendants zu vorangestellten Kausalsätzen zu begreifen (s.o.). Wie diese sind sie relativ unabhängige Propositionen. Darin sind sie auch den weiterführenden Relativsätzen zu vergleichen. Mit diesen haben sie gemeinsam, dass sie an eine andere Aussage angeschlossen werden. Die 'Folge', die der Akons beschreibt, ist eine, die der Sprecher des Satzes als solche darstellt, auch wenn es so aussieht, als ergäbe sich der jeweilige Sachverhalt gleichsam zwangsläufig. Dies wird an der gleitenden Linie zu unabhängigen Sätzen deutlicher: (64) Er trieb viel Sport. So blieb er gesund (65) Treiben Sie viel Sport! So bleiben Sie gesund Wenn in (65) der Folgesatz als Angabesatz angeschlossen wird, müsste ein Finalsatz gewählt werden.
242
Die nicht-valenzgeforderten Glieder
7.3.4.6. Finalangaben, Afin Im Gegensatz zu den Konsekutivangaben, bei denen eine Handlungsfolge angegeben wird, die relativ unabhängig von ihrem Bezugssatz gesehen wird, sind Finalangaben intendierte Folgen der Prädikatsbedeutungen. Die Intention bezieht sich auf das Satzsubjekt. Es darf aber auch hier nicht vergessen werden, dass der Sprecher des Satzes die Aussage verantwortet. Bei den Finalangaben begegnen wieder mehrere morphologische Typen. Die satzförmigen werden mit damit, aber auch noch mit dass eingeleitet: (66) (67) (68) (69)
Er trieb um seiner Gesundheit willen viel Sport. Er trieb viel Sport, um gesund zu bleiben. Er kaufte eine neue Batterie, damit er keine Probleme beim Starten hatte. Sie hat so große Ohren, dass sie sie besser hören kann.
Die dbss-Finalsätze wirken leicht archaisch. Sie zeigen aber deutlicher als die ¿¡3w//-Sätze, dass ein Übergang zu valenzgebundenen Gliedern besteht. (70) Mach, dass du endlich fertig wirst! Insgesamt sind die Finalsätze wesentlich enger an das verbale Prädikat gebunden als die übrigen bisher behandelten Typen. Das zeigt sich schon daran, dass zwischen dem Prädikat des Obersatzes und der Afin Kompatibilitäten bestehen müssen. Es sind Handlungsprädikate. Die Finalangaben sind meist rhematisch. Aber anders als die Konsekutivangaben können sie auch im Hintergrund stehen: (71) Um zu gewinnen, muss man sich anstrengen.
7.3.5. Prädikatmodifizierende Angaben Die unter 7.3.4.4. angeführten Angabetypen geben im weitesten Sinne Restriktionen, Geltungsbereiche, Voraussetzungen und Folgen von Propositionen an. Die prädikatmodifizierenden Angaben bestimmen das Prädikat selber näher und spezifizieren es genauer, allerdings in sehr unterschiedlicher Weise. 7.3.5.1. Instrumentalangaben, A ^ Instrumentalangaben nennen Mittel, Werkzeuge oder Vorrichtungen, mit denen eine Handlung ausgeführt wird. Bei ihnen ist noch viel deutlicher als bei den A fm die Berührung mit präpositionalen Ergänzungen zu konstatieren. Die Domäne der AinstI ist die Präpositionalphrase, insbesondere mit der Präposition mit. Die einwortigen Vorkommen sind anaphorisch; Instrumentalsätze gibt es nicht. (72) Er hat den Wagen mit einer anderen Batterie gestartet. (73) ... daß mit deutschen Steuergeldern keine Beschäftigungsprogramme den EU-Staaten finanziert werden dürften. (Bloomsday '97, S. 111) (74) Damit haben sie den Baum durchgesägt...
in
Die veibbezogenen Angaben
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Das Mittel muss nicht unbedingt ein konkretes Werkzeug sein, wie (73) zeigt. Die Nähe zu E prtp wird an Sätzen wie (75) und (76) deutlich: (75) Wir sind mit der Eisenbahn gefahren. (76) Er machte die Tür mit einem Dietrich auf. (75) lässt die Nähe zu Prädikaten wie bahnfahren, (76) zu aufbrechen erkennen. Der geschehen-Ίest erweist die A ^ meist eindeutig als A. Die größere Nähe zum lexikalischen Kern des verbalen Prädikats legt es nahe, dort die Bindungsstelle anzusetzen. Dies gilt fur alle prädikatmodifizierenden Angaben.
Det Ν Wir sind mit der Eisenbahn gefahren. Die Stellung der A ^ ist fast ausschließlich das Mittelfeld; auch dies spricht für den Ansatz von ν ώ η η bei periphrastischen Verbfügungen als Regensstelle. Μϊ-Phrasen lassen auch in Angabefunktion noch ihre bei den Ergänzungstypen ermittelte Besonderheit erkennen: Sie sind konnektive Elemente auf Phrasenebene. Doch liegt bei den Ainstr nicht die Konnektorfunktion vor. Bei den Komitativangaben ist sie dagegen ganz deutlich. In den meisten syntaktischen Darstellungen werden die Komitativangaben im Anschluss an oder im Zusammenhang mit den Instrumentalangaben behandelt. Sie sind aber ein ganz anders zu beurteilender Konstruktionstyp, es sind „Zentrierungen" (vgl. Kap. 11.1.). 7.3.5.2. Modalangaben, Α ^ Diese Angabeklasse bezieht sich am engsten auf den lexikalischen Kern der Verbgruppe. Als Ausdrucksformen begegnen Adverbien, Adjektive, Präpositionalphrasen und Sätze. (77) (78) (79) (80)
Sie haben das Buch sorgfältig gebunden. Sie haben das Buch mit Sorgfalt gebunden. Sie haben das Buch gebunden, als ob sie Profis wären. Sie haben das Buch gebunden, indem sie die bewährten Verfahren anwandten.
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Die nicht-valenzgefordeiten Glieder
Es lassen sich bei diesen Angaben komplexe Prädikate ('sorgfaltig binden', 'schnell fahren') konstruktioneil postulieren, nicht aber sind solche Konstruktionen für situierende Angaben denkbar (""gestern fahren', *'dort spielen'). Die Vergleichskonstruktionen lassen sehr gut den Normbezug erkennen, der mit vielen Modalangaben vorliegt: In den Beispielen wird eine Handlung stets als relativ zu Normalmaßstäben bei den verschiedenen Kategorisierungen beurteilt. Es sind Kategorien, die nur dann überhaupt aktiviert werden, wenn sie textuell benötigt werden. Ist eine Handlung weder nach der Einstellung des Subjekts, noch der Geschwindigkeit, der Sorgfalt oder ähnlichen Kategorien qualifiziert, darf diskursiv unterstellt werden, dass sie 'normal' abläuft. Die explizite Nennung aktiviert diese Kategorien und gibt eine Bewertung. In unseren Beispielen ist es eine „positive", d.h. eine das jeweilige Normalmaß überschreitende. Im Übrigen bedeuten (78) und (79) in etwa das Gleiche wie (77), nämlich eine über das Normalmaß hinausgehende Bewertung der Leistung.
Adjmod Sie haben das Buch sorgfältig gebunden . 7.3.5.3. Quantifizierende Angaben, Aquant (81) Wir sind zum erstenmal mit der Eisenbahn gefahren. Quantifizierende Angaben bewerten die prädikativ gefasste Handlung oder das Ereignis singulär (zum erstenmal, zum letztenmat) oder iterativ {immer, immer wieder, stets). Semantisch stehen sie den Restriktivangaben nahe. Sie haben auch Berührungen mit den Temporalangaben. Ihre formalen Ausprägungen umfassen Adverbien (oft, immer, bisweilen, wieder), Adjektive (selten, häufig, wiederholt) und Präpositionalphrasen (zum zweitenmal). Die iterativen lassen sich mit den anderen verbinden. Da sich interne Verbindbarkeiten ergeben (82, 83), ließen sich noch Subklassen ansetzen: (82) Immer hat er es mehrmals machen müssen. (83) Selten ist es beim erstenmal geglückt.
Die veibbezogenen Angaben
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7.3.6. Subjektbezogene Angaben, A ^ j Es empfiehlt sich, vor allem aus Gründen der Anordnungserklärung, einen eigenen Typ für solche Angaben anzusetzen, die sich auf die Haltung des im Subjekt genannten Referenten beziehen. Denn sie können z.B. mit Modalangaben, die sich auf das Prädikat beziehen, kombiniert werden (vgl. Pittner 1999, S.106, von der der Satz (86) angeführt wird): (84) Er tut es gerne/mit Absicht/freiwillig. (85) Er tut es bereitwillig/schnell. (86) Wenn Otto die Radarkontrolle sieht, fährt er schnell langsam. Der Ansatz von A ^ gegenüber A ^ rechtfertigt sich nicht nur semantisch, sondern schlägt sich auch im Stellungsverhalten nieder. Die beiden Angaben in (86) lassen sich ohne Bedeutungsänderung nicht vertauschen. Die Gruppe der A ^ ließe sich weiter subklassifizieren. Hierher lassen sich auch die Komitativangaben stellen: (87) Er kommt mit seiner Frau. Da es sich hier um eine spezifische Ausbauform des Satzes handelt, wird sie an entsprechender Stelle (unter 'Zentrierungen' in Kap. 11.1.) behandelt. Im Grunde kommen alle Formtypen vor, auch wenn die einwortig adverbialen wohl die häufigsten sind. (88) (89) (90) (91)
Wir sind gern mit der Eisenbahn gefahren. Wir sind mit Begeisterung Eisenbahn gefahren. Wir sind wie die Weltmeister mit der Eisenbahn gefahren. Wir sind mit der Eisenbahn gefahren, als ob wir nie etwas anderes getan hätten.
Was die Stellungsregularitäten betrifft ( - sie werden generell in Kap.9 ausführlicher behandelt -), so erkennt man deutlich, dass das Modaladverbial einen engeren Skopus als das subjektbezogene hat, es steht dem Prädikat näher. Der Satz (92) bedeutet, dass das Fahren mit der Eisenbahn mit hoher Geschwindigkeit vonstatten ging, (93), dass der Entschluss zum Eisenbahnfahren schnell erfolgte. (92) Wir sind mit der Eisenbahn schnell gefahren. (93) Wir sind schnell mit der Eisenbahn gefahren.
7.3.7. Sprecherbezogene Angaben, Asp,. Auch diese Klasse ist erstens heterogen, zweitens überlappt sie sich mit den oben behandelten Satzadverbien (vgl. Abschnitt 7.2 ). Vor allem gehören sys-
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Die nicht-valenzgeforderten Glieder
tematisch gesehen auch die Abtönungspartikeln hierher. Diese werden, weil sie über die satzbezogene Sprechereinschätzung hinaus diskursiv-textuelle Bezüge aufweisen, in Kapitel 12.2. behandelt. Das Gleiche gilt für die Gruppe der Adverbien und Präpositionalphrasen, die konnektive Aufgaben haben wie außerdem, erstens, jedoch, überdies, zum Beispiel, in erster Linie. Sie werden als Konnektivpartikeln (adverbiale Konnektive) (AdvK, in der syntaktischen Tradition häufig: Konjunktionaladverbien) ebenfalls in Kapitel 12 behandelt. So bleiben als sprecherbezogene Angaben nur die Gradangaben als hier zu behandelnde Gruppe übrig, wenn sie sich auf den ganzen Satz beziehen. Für sie hat sich die Wortartbezeichnung Gradpartikeln oder Fokuspartikeln durchgesetzt. Obwohl sie als Adverbien sich zumeist syntaktisch auf ein Einzelwort beziehen, also von diesem regiert werden, wodurch sich ein enger Skopus ergibt, haben sie weitere Auswirkungen. Sie können aber auch prädikatsbezogen und mehrwortig sein und sich dann auf den gesamten Satz beziehen: (94) Er ist fast/beinahe hundert Jahre alt. (95) Fast/Beinahe/Um ein Haar hätte ich übersehen, dass ich noch zur Post muss.
7.3.8. Weitere Angabetypen Außer den schon genannten adverbialen Konnektiven, den Komitativangaben und Pertinenzkonstruktionen werden auch die Negationsangaben in einem eigenen Abschnitt behandelt (Kap. 11.2.), diese vor allem deswegen, weil sie logisch-semantisch gesehen sich gänzlich anders als die in diesem Kapitel behandelten Adverbialia verhalten.
8. Der Aufbau der Nominalphrase
8.1. Kennzeichen der Nominalphrase Nominalphrasen können im Deutschen aus einem Substantiv oder einem Pronomen, also minimalen Formen bestehen, oder aber hochkomplex sein: (1) Berlin liegt an der Spree. (2) Sie ist erfolgreich. (3) Jnsgesamt hat die antisemitische und extrem nationalistische, sonst argumentativ diffuse, aber taktisch-berechnende und rabiate Propaganda der 'Bewegung' zuletzt breite Wählerschichten erobern können, ohne daß anscheinend das Wählervotum aus einer genauen Kenntnis der NS-Ideologie oder aus der expliziten Zustimmung zu Büchern wie 'Mein Kampf' resultierte. " (Winfried Becker, in: Passau in der Zeit des Nationalsozialismus, Passau 1999, S.137) Es lassen sich immer noch umfangreichere Nominalphrasen als in (3) denken. Wenn auch nicht alle Ausbauformen zusammenkommen, so bieten die Bestandteile, einzeln und in wechselnden Kombinationsformen, eine fast nicht zu bewältigende Fülle von Möglichkeiten. Dennoch ist die Interpretation, auch der komplexesten Typen, abgesehen von einem möglicherweise die Grenzen des Gedächtnisses belastenden Ausmaß, so gut wie stets gewährleistet. Dies liegt daran, dass im Gegensatz zum Aufbau verbaler Phrasen und des Gesamtsatzes in der Nominalphrase eine praktisch unveränderbare Anordnung der Teile, die wiederum feste semantische Aufgaben haben, vorliegt. Kern der Nominalphrase ist das Substantiv oder das Pronomen. Dies ist jedenfalls die einhellige Auffassung der Dependenzgrammatiker (Engel 1994, S.116, Heringer 1996, S.92, Weber 1992, S.32, Tarvainen 1981, S.12), die sich dabei auf Tesnière berufen können, der als Modifikator des Substantivs einzig das Adjektiv zugelassen hatte und alle anderen Formen durch Translation zustande gekommen sein ließ. In den generativ bestimmten Grammatiken, insbesondere in der Government and Binding-Version, wird aber die Nominalphrase überwiegend als durch ihren „funktionalen Kopf des Determinators, insbesondere des Artikels, geordnet angesehen (vgl. Vater 1998 mit weiterer Literatur). Die dafür herangezogenen Argumente nutzen vor allem die Analogie beim Phrasenaufbau, den auch wir als
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Der Aufbau der Nominalphrase
bestimmend für die Erklärung der Parallelität im Aufbau kleinerer und größerer syntaktischer Komplexe ansehen. Speziell seien der Artikel und die Satzeinleitungspartikel analog (Haider 1992, S.313). Schwierigkeiten bereiten dann allerdings Sätze, die gar keinen Artikel enthalten, wie (1) oder (4), (5) und (6).
(4) Mehl ist weißlich. (5) Städte und Dörfer leiden unter Smog. (6) Großes muss geschehen. In solchen Fällen bleibe der funktionale Kopf leer. Neuere valenziell argumentierende Arbeiten, insbesondere Ágel (1996), weisen daraufhin, dass genau auf die morphematischen Charakteristika in der Nominalphrase geachtet werden muss. Dann lassen sich die Probleme, die scheinbar zwischen Artikel enthaltenden und artikellosen Nominalkonstniktionen bestehen, beseitigen. Agel etwa unterscheidet erstens zwischen Mikro- und Makrovalenz und zweitens macht er darauf aufmerksam, dass in der Nominalphrase die kasuelle und numerale Kennzeichnung des Substantivs im Allgemeinen nur einmal erfolge. Mikrovalenz ist morphematisch oder enklitisch am Bezugswort realisiert, Makrovalenz erfordert die Realisierung durch selbständige Wörter. Im Deutschen ist das Personalmorphem der Verben eine mikrovalenzielle Realisierung. In Beispiel (7) ist das Morphem -en am Verbstamm mög- eine mikrovalenzielle, das Pronomen sie und das Substantiv Wein sind makrovalenzielle Realisierungen. (7) Sie mögen Wein. Für die Sätze (4)-(6) lässt sich jedenfalls annehmen, dass mikrovalenziell durch die entsprechenden Morpheme die fehlende Artikelleistung kompensiert werde. Dieser Aspekt der Artikelsetzung wird von Ágel wiederum als Kompensation der bis zum Althochdeutschen unabhängigen, autonomen Leistung des Substantivs, das alle derartigen Bezüge durch seine flexivischen Morpheme selber regelte, angesehen. Agels Vergleichssprache ist das Ungarische, eine artikellose Sprache. Auch die slawischen Sprachen sind artikellos, Artikelsprachen sind jedenfalls nicht derart selbstverständlich, dass der normale Bau der Nominalphrase nur von ihnen her erklärt werden muss.
In der 'Grammatik der deutschen Sprache' wird als Grundaufgabe der Determinative angegeben: „Determinative überführen Nomina in Nominalphrasen." (Zifonun/Hoffmann/Strecker 1997, S.1929). Prototypische Nominalphrasen sind in dieser Auffassung Eigennamen, und diese sind Terme, d.h. sprachliche Einheiten, die in erster Linie auf Objekte der Wirklichkeit verweisen. In einer Sicht, die den Artikelgebrauch im Deutschen tendenziell als das Normale ansieht, lässt sich davon sprechen, dass sowohl der bestimmte als auch der unbestimmte Artikel ein Signal dafür geben, dass ein Substantiv im Diskurs referentiell verankert ist. Wenn mit der Bezeichnung „Determination" nicht ein zu sehr auf die spezielle Leistung des bestimmten Artikels festgelegter Gebrauch assoziiert würde, wäre dies die adäquate Bezeichnung für die Leistung der Artikelwörter überhaupt (vgl. Oomen 1977). Denn die Artikel legen die Substantive in dem angegebenen Sinne fest. Sie sind die Signale dafür, dass die im Diskurs benannten Personen, Dinge und Sachverhalte wirklich existieren, genauer, dass der Sprecher des Satzes ihre Existenz garantiert (vgl. Vater 1979). Hawkins (1978) bezeichnet diese Eigenschaft als Lokalisation. Durch „Lokalisation",
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Kennzeichen der Nominalphrase
„Determination" oder „Spezifikation" wird nicht zuletzt auch die kategorialgrammatisch bestimmbare Funktion der Artikel erfasst, Substantiven Termqualität zuzuweisen. Die Artikel spezifizieren mithin ihre Substantive. Damit ist unter anderem auch erklärt, dass im Dialekt und in der Umgangssprache auch Eigennamen, die der referentiellen Verortung, der Spezifikation, im Allgemeinen nicht bedürfen, dennoch mit dem Artikel begegnen:
(8) Der Peter ist ein rechtes Mannsbild. Die kategorialgrammatisch benannte Überführung des Substantivs in einen Term mit Hilfe des Artikels darf nicht so verstanden werden, dass dieser generelle funktionale Vorgang auch stets an dieses Mittel gebunden sei und umgekehrt, dass durch Eigennamen eindeutig festgelegte Entitäten dieser Operation nicht mehr bedürften. Es lässt sich vielmehr daraus entnehmen, dass das Signal dafür, eben die Setzung des Artikels, in den Dialekten generalisiert worden ist oder in der Umgangssprache dazu tendiert. Umgekehrt ist Aitikellosigkeit der Beleg dafür, dass das Signal dennoch nicht obligatorisch ist. Letzteres ist auch ein Indikator dafür, dass die rein morphematische Betrachtungsweise, nämlich dem Artikelmoiphem ausschließlich oder auch nur tendenziell die kasuelle Markierung des Substantivs und damit der Nominalgruppe zuzuweisen, dem Artikel zuviel aufbürdet.
Gleichwohl ist die Teilverlagerung dieser Signalisierung auf das Artikelmorphem völlig richtig. Denn die Artikel (9) bestimmter Artikel d-as Ν d-er G d-es d-es D d-em d-em A d-en d-as unbestimmter Artikel Ν ein-0 ein-0 G ein-es ein-es D ein-em ein-em A ein-en ein-0
d-ie d-er d-er d-ie ein-e ein-er ein-er ein-e
d-ie d-er d-en d-ie
0
sind morphologisch „funktional distinkt". Das heißt, sie sind an Stellen, an denen syntaktische Komplikationen bei Formgleichheit auftreten könnte, im Allgemeinen differenziert. Die Auffassung, dass den Artikelmorphemen Kennzeichnungsaufgaben in der gesamten Nominalgruppe zukommen, ist aber vor allem dadurch begründet, dass damit das Substantiv als Kern und nur als Kern der Gruppe erscheint und die Erweiterung durch die Fülle der Attribute als seine organische Komplettierung erscheint. Dies bezieht sich auf die pränominalen Attribute des Substantivs: Vorangestellte Adjektive werden in Kombination mit dem bestimmten Artikel schwach flektiert. Ágel (1996, S.34) sieht dies konsequenterweise als die eigentliche Adjektivdeklination an, die starke ist ein Gruppensignal:
Der Aufbau der Nominalphrase
250 (10) Singular M Ν G D A Ν G D A
Ν
der hohe grüne Baum des hohen grünen Baumes dem hohen grünen Baum den hohen grünen Baum
das hohe grüne Gras die hohe grüne Pappel des hohen grünen Grases der hohen grünen Pappel dem hohen grünen Gras das hohe grüne Gras
der hohen grünen Pappel die hohe grüne Pappel
ein hoher grüner Baum eines hohen grünen Baumes einem hohen grünen Baum einen hohen grünen Baum
ein hohes grünes Gras eines hohen grünen Grases einem hohen grünen Gras ein hohes grünes Gras
eine hohe grüne Pappel einer hohen grünen Pappel einer hohen grünen Pappel eine hohe grüne Pappel
Plural Ν G D
A Ν G D
A
die hohen grünen Bäume
die hohen grünen Gräser die hohen grünen Pappeln der hohen grünen Bäume der hohen grünen Gräser der hohen grünen Pappeln den hohen grünen Bäuden hohen grünen Gräden hohen grünen Papmen sem peln die hohen grünen Bäume die hohen grünen Gräser die hohen grünen Pappeln hohe grüne Bäume hoher grüner Bäume hohen grünen Bäumen hohe grüne Bäume
hohe grüne Gräser hoher grüner Gräser hohen grünen Gräsern hohe grüne Gräser
hohe grüne Pappeln hoher grüner Pappeln hohen grünen Pappeln hohe grüne Pappeln
Diese Funktion des Artikels ist an seinen morphematischen Teil geknüpft. Wie ist nun sein „lexikalischer" Teil 2x1 beurteilen? Die schon in der obigen Tabelle (9) vorgenommene Segmentierung fasst den bestimmten im Gegensatz zum unbestimmten als aus einem Pseudomorphem und einem echten Morphem bestehend auf: d-er, d-as, d-ie; ein-0, ein-0, ein-e Der Dental d lässt sich als prototypisch deiktisch deuten, in den Demonstrativpronomina dieser, derjenige zeigt er sich gleichfalls. Deixis und zwar Diskurs-, beziehungsweise Textdeixis, ist auch seine primäre Aufgabe: Verweis auf ein bereits eingeführtes oder durch Weltkenntnis bekanntes Diskursobjekt. Der unbestimmte Artikel geht demgegenüber auf eine ganz andere Funktion zurück, er leitet sich vom unbestimmten Zahlwort ein her. Dennoch ist er mit diesem nicht identisch. Im Gegensatz zum Zahlwort ist er nie betonbar:
Kennzeichen der Nominalphrase
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(11) Ein Mann betrat den Raum. (12) Dort steht ein Baum. (13) Es ist wirklich nur ein Baum. Die Qualifikation von Substantiva ist neben ihrer Spezifikation eine weitere Kategorisierung, der sie unterworfen werden, wenn sie im Diskurs verwendet werden. Dies geschieht in den meisten Fällen durch Implikation. So implizieren der bestimmte Artikel im Singular und der unbestimmte Artikel „1". Es liegt auf der Hand, dass bei Neueinführungen in den Diskurs dies in direkterer Weise erfolgt als bei der wiederholten Bezugnahme. Die mannigfaltigen Kombinationsformen (der eine der beiden Männer/der zweite Mann o.ä.) und die Ausdrucksweisen unbestimmter Quantifizierung (alle, einige, jeder o.ä.) werden in Kap.8.3. behandelt. Substantive können auch unquantifiziert verwendet werden wie: (14) Er will einmal Maurer werden. (15) Er verfügt über große Erfahrung. Da sich auch bilden lässt (16) Er verfugt über eine große Erfahrung. zeigt sich, dass ebenso wie die Artikelsetzung in Bezug auf die Spezifizierung, die sie bei Eigennamen eigentlich unnötig macht, auch die Quantifizierung aus einem generellen Kennzeichnungszwang dieser Kategorie erfolgen kann. In (14) liegt der prädikative Gebrauch von Nomina vor. Hier zeigt das Substantiv nicht seine prototypische Qualität. Obligatorische Quantifizierungen nach Vollständigkeit des spezifizierten Objekts versus nach seinen Teilen ist im Standarddeutsch der Gegenwartssprache nicht vorgesehen. Es zeigen sich aber in den Dialekten Korrespondenzen zum sogenannten Teilungsartikel der romanischen Sprachen: (17) I drink nur a Wossa. (18) Moi, je bois seulement du vin. Die Verteilung der Artikel ist dominant durch die diskursive und textuelle Einbindung des Substantivs bestimmt: Bei der Neueinfuhrung ist der unbestimmte, bei der Wiederaufnahme der bestimmte oder eine seiner funktionsäquivalenten Formen zu nehmen. Für den Bau der Nominalphrase hat die Dichotomie selber keine Konsequenzen, sie erklärt aber die grundlegende Frühplazierung des Artikels. Im Deutschen, Englischen und Französischen etwa eröffnet der Artikel die Nominalphrase und gibt damit sogleich das wichtige diskursfunktionale Signal, dass es sich um ein neues oder aber um ein bereits eingeführtes Diskursobjekt handelt. Artikelpositionierungen am Wortende finden sich etwa in den skandinavischen Sprachen, doch muss auch dort ein unabhängiger Artikel gesetzt werden, wenn das Substantiv durch ein Adjektiv näher bestimmt wird.
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Der Aufbau der Nominalphrase
(19) Staden 'die Stadt', rummet 'das Zimmer' (20) den stora Staden 'die große Stadt', det stora rummet 'das große Zimmer' Aber gerade (19) zeigt, wie stark der Artikel auf sein Substantiv hingeordnet ist. Hier ist er klitisch mit ihm verschmolzen. Und auch in den deutschen Mundarten und in der Umgangssprache im Deutschen weist er ähnliche Tendenzen auf, im Gegensatz zu den nordischen Sprachen ist er allerdings proklitisch: (21) da Mo, Pfrau Meier [= 'die Frau Meier'] (22) 'nHaus, 'ne Blume In diesen Fällen ist der Artikel mit seinem Bezugswort soweit verschmolzen, dass er mit ihm eine Einheit wie eine morphematischen Verbindung eingeht. Die Standardrealisierung ist jedoch die in je unabhängigen Wörtern. Diese auf Wörter portionierte Funktionsteilung ist nun für die Bestimmung der Abhängigkeiten und damit auch für die Entscheidung, ob die Nominalphrase eine (expandierte) Substantivphrase, oder aber eine Determinatorphrase oder eine noch genauer zu bestimmende Einheit ist, noch genauer darzustellen.
8.2. Die Bestimmungsrichtung in der Nominalphrase Die Spezifikationsaufgaben des bestimmten Artikels, d.h. die Verankerung des Substantivs oder wie es Tesnière (1975, S.85) ganz direkt ausgedrückt hat, die Anzeige seiner Extension rechtfertigen die Annahme seiner Abhängigkeit vom Substantiv. So gehen die meisten Dependenzgrammatiker vor, und sie können sich auch hierin auf Tesnière berufen. Aber es wird im Allgemeinen übersehen, dass Tesnière sehr wohl einen Unterschied zu den sonstigen adjektivischen Attributen macht. Die enkliseartigen Wörter wie die Artikel und die unbetonten Personalpronomina ließen sich, so nimmt er an, im Vergleich mit quantifizierenden und vollen Adjektiven durch unterschiedliche Kantenlängen darstellen (Tesnière 1976, S.397): (1) lt_ trois petits Adäquater sei es allerdings, sie im Nukleus des regierenden Terms anzusetzen. Für die Regensqualitäten des Artikels sprechen dagegen seine Operatoreigenschaften. Als pragmatische Signalwörter geben sie die Anweisung, ein Substantiv in einer bestimmten Weise im Diskurs einzuordnen. Die gerade in der X-bar-
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Die Bestimmungsrichtung in der Nominalphrase
Theorie betonte Parallelität von Nominal- und Verbalphrase sieht im Artikel für die Nominalphrase das Äquivalent der Finitheitsmarkierung der Verbalphrase. Analog verhalten sich nun vor allem die beiden Phrasentypen bei allen Expansionen: Sie bilden eine Klammer. Der Artikel eröffnet in der Linearstruktur obligatorisch die Nominalphrase, falls nicht ein Gradadverb oder der Quantor allvorangeht, deren Abhängigkeitsverhältnisse noch zu bestimmen sind: (2) gerade/genau/all die schönen Bücher Im Gegensatz zur Verbalphrase verfügt das Substantiv über ein ausgeprägtes Nachfeld, die Genitiv- und die präpositionalen Attribute, die Relativsätze und andere Glieder folgen ihm regulär (s. Abschnitt 8.7. und 8.8.), während die aus dem verbalen Rahmen ausgeklammerten Strukturen kommunikativ besonders hervorgehoben sind. Achtet man auf die morphematisch bestimmten Regelungsinstanzen in der Nominalphrase, dann ergibt sich der folgende Wegverlauf:
(3)
I Verb
Θ Artikel"lexem' Artikelmoiphem
Substantivlexem Substantivmorphem f
Substantive sind stets von Verben abhängig. Der Artikel bildet nun keine direkte dependentielle Zwischeninstanz zwischen Verb und Substantiv, sondern spezifiziert mit seinem lexikalischen Teil das Substantiv, der morphematische Teil ist darstellungslogisch mit dem Substantivmorphem redundant, de facto aber stiftet er zumeist die Eindeutigkeit der Bezüge. Wie immer bei multifunktionalen morphematischen Relationen ergibt sich keine einfache und einsträngige Bezüglichkeit. Daher bietet es sich an, zwischen Artikel und Substantiv Gleichstufigkeit anzusetzen: r\ (4) Art Substantiv Dies wird durch die Halbklammer zum Ausdruck gebracht. Der Artikel ist eine auf das Substantiv hingeordnete spezifische Morphemkombination mit Wortstatus, die man am ehesten durch Interdependenzen zwischen den beiden Wörtern erfassen kann. Damit werden sowohl die Regensqualitäten des Artikels (vgl. Erben 1980, S.318f., Korhonen 1985, S.200Í, dazu Eroms 1988, S.293f.) erfassbar, als auch die unbestreitbaren Kopf-Eigenschaften des Substantivs in der Nominalphrase.
254
Der Aufbau der Nominalphrase
Dependentiell gesehen sind hierarchische Struktur und Linearisierung strikt getrennt. So bleibt die Kopplungsinterdependenz zwischen Artikel und Substantiv auch bei den expandiertesten Formen sichtbar: r> das Buch
(5')
schöne neue erschienene
'Asterix bei den Indianern'
das Obelix schon ausgeliehen hat
erst gerade Dieses Stemma ist rein hierarchisch angelegt. Kennzeichen der Nominalphrase ist es aber nun, dass die Serialisierungsregularitäten, im Gegensatz zur Verbalphrase, nur ganz eingeschränkt beeinflussbar sind. Die Abfolge der Elemente in der Nominalgruppe ist, bis auf deutliche Kontrastfälle {das neue schöne Buch) fest. Daher kann ein Stemma wie (5) ohne weiteres projektiv angelegt werden. Artikel und Substantiv werden dabei über den attributiven pränominalen Bereich expandiert. Dies ist die einzige Zusatzregel: Buch
(5") das
'Asterix das Obelix bei den schon ausIndianern' geliehen hat schöne neue
erschienene erst
gerade das schöne neue gerade erst erschienene
Buch
'Asterix bei das Obelix schon den Indianern', ausgeliehen hat
Zwischen dem Artikel und dem Substantiv lässt sich, in Analogie zur Verbalphrase, ein Rahmen (genauer, im Sinne von Kolde 1985, S.257 ein morphologischer Rahmen) erkennen. Der Relativsatz wäre dann, ebenfalls in Analogie zur Verbalphrase, als ausgeklammert zu betrachten. Die vielfach berufene Analogie im Phrasenaufbau, der insbesondere von der X-bar-Theorie nachgegangen wird, zeigt sich so deutlich. Im Folgenden werden die einzelnen Bestandteile der Nominalphrase in ihrem syntaktischen Verhalten mit substantivischem Kern, danach die pronominalen behandelt.
Artikelwörter
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8.3. Artikel Wörter
8.3.1. Artikel, Determinative und Quantoren Wie die Ausführungen im vorangegangenen Abschnitt erkennen lassen, sind die Aufgaben der Artikel, der Determinative und Quantoren vielfach implikativ aneinander geknüpft. So impliziert der bestimmte Artikel stets die Determination des Substantivs, und an den unbestimmten Artikel ist die Qualifikation „1" geknüpft. Historisch gesehen ist der bestimmte Artikel der Fortsetzer eines echten deiktischen Determinative, des Demonstrativpronomens. Diese Funktion kann im Artikel durch Betonung reaktiviert werden: (1)
Wir haben das Buch gemeint.
Nachgestellte Adverbien können diese Funktion unterstützen: (2) Wir haben das Buch dort gemeint. Diese Übergänge zwischen den Kategorien motivieren die Entscheidung, die einfachen deiktischen Determinative wie die Artikel darzustellen, also durch Koppelungsinterdependenzen. (3) Det°N Die einzelnen Typen sind die folgenden: Singular Plural Artikel: der, die das; die (4) der dicke Wälzer, die letzte Neuerscheinung, das dicke Buch, die dicken Bücher Bei artikellosem Gebrauch wird vielfach von der Setzung eines Nullartikels gesprochen. Die Annahme eines Nullartikels hat einige Vorteile, u.a. kann man von daher gut die starke Flexion des attributiven Adjektivs erklären: brünettes Haar, schönes Wetter, oder in Schlagzeilensyntax: deutscher Bundestag aufgelöst (vgl. dazu Trost 1999, S.119, S.157). Unter der Annahme, dass die eigentliche Adjektivflexion die schwache ist, müssen in der Tat alle Abweichungen von dieser Flexionsform erklärt werden. Wenn man jedoch Kopplungsinterdependenzen zwischen Artikelwort und Substantiv annimmt, muss nur erklärt werden, woher die starke Flexion - als die die gesamte Nominalphrase bestimmende flexivische Kennzeichnung - stammt. Die Quelle ist letztlich immer das Substantiv (vgl. das Schema 3 im vorangehenden Abschnitt), denn der bestimmte Artikel als Prototyp eines Determinators hat in seinem Flexionsmorphem bereits selber Aufgaben übernommen, die aus dem Substantiv übertragen sind. Der autonome Teil des Determinativs, das ¿/-Element, ist davon nicht betroffen; gerade dieser aber fehlt beim „Nullartikel", nicht aber das Flexionsmorphem. Es
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Der Aufbau der Nominalphrase
tritt an das Adjektiv, wenn es gesetzt wird, das gilt auch für den pluralischen Gebrauch (vgl. 17, 18). (Zum Problem des „Nullartikels" vgl. Confais 1985). Es sind zwei Typen zu unterscheiden: Singularischer artikelloser Gebrauch: (5) (6) (7) (8) (9)
Peter ist groß. Großes ist geschehen. Hier herrscht (eitel) Freude. Man benötigt Mehl, Zucker und Wasser. Ich trinke am liebsten Rotwein.
In (5) ist das Substantiv ein Eigenname, in (6) ein substantiviertes Adjektiv, in (7) liegt der oben schon genannte prädikative Gebrauch vor, bei (8) handelt es sich um Massewörter, die in der Standardsprache generell artikellos verwendet werden, in (9) um den genetischen Gebrauch. Der Satz betrifft eine habituelle, nicht eine aktuale Aussage. Eine solche kann allerdings daran geknüpft sein: (10) A: Ich schenke jetzt Weißwein aus. B: Ich trinke (generell) nur Rotwein (—> und damit auch jetzt nur). Artikellosigkeit ist ein normativ beeinflusster Bereich. Der Systemdruck geht auf Setzung eines Artikels. Analog zum Gebrauch in den Dialekten kann daher auch in der Umgangssprache hier ein Artikeläquivalent gesetzt werden. (11) Er trinkt wat/was Bier. (12) Ich trinke 'n Rotwein. Abschwächungsformen begegnen ebenfalls ähnlich wie in den Dialekten (vgl. Harweg 1989, insbesondere S.24), ferner Distanzstellungen (vgl. Glaser 1993, S.100): (13) Löwen haben wir schon welche gesehen. Auch Formen wie die folgende gehören hierher: (14) Haben Sie so kleine Rentenreförmchen? (Karikatur in der PNP vom 16.4. 97, S.4) Eigennamen werden auch in standardnaher Umgangssprache bisweilen mit Artikel verwendet: (15) Der Klinsmann hat schon mal besser gespielt. Alle Formen lassen sich so darstellen: η (16) {der, ein, da, 'n, was...} Ν Pluralischer artikelloser Gebrauch: In der Standardsprache wird für den unbestimmten Plural kein Artikel gesetzt: (17) Er liest Bücher. Er liest nur schwere Bücher. (18) Er hat Gelder veruntreut. Er hat bedeutende Gelder veruntreut. Aber auch hier finden sich, aus den Dialekten und den Umgangssprachen kommend, Artikeläquivalente: (19) Er hat welche ... (20) aaneAar, a an e Epfl ('Eier', 'Äpfel') (Belege bei Schmeller, Bayer. Wörterbuch, nach Glaser 1996, S.159) Verbindungen, bei denen eine Gesamtheit oder ein pluralischer Begriff entsteht, sind artikellos: (21) Himmel und Erde/Vater und Mutter/Bundestag und Bundesrat
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Artikelwörter
Insgesamt ist dennoch der artikellose Gebrauch von Substantiven im Deutschen völlig regulär. Er ist die paradigmatische Opposition zu den sehr differenzierten artikelhaltigen Konstruktionen. Syntaktisch gesehen ist er ein Hauptargument für die Annahme, den Determinator nicht an die Spitze seiner Syntagmen zu piazieren. Denn bei artikellosem Gebrauch müsste das Substantiv von einer Nullstelle gebunden werden oder es müssten zwei verschiedene Typen von Nominalphasen angenommen werden. (Zum Pro und Contra dieser Auffassungen vgl. Heringer 1996, S.99.) Bei der interdependentiellen Lösung bleibt der linke Teil leer.
8.3.2. Deiktische und referentielle Determinative Den Anschluss an die Artikel stellen die betonten bestimmten Artikel und die Demonstrativpronomina her. Allerdings lässt sich die betonte Form des Artikels auch als allgemeine Kontrastierung erklären, betonen lässt sich in folgendem Satz jedes Wort: der/die/das (22a) (22b) (22c) (22d) (22e) (22f)
Den Mann Den Mann Den Mann Den Mann Den Mann Den Mann
habe habe habe habe habe habe
ich nicht/nie gesehen. ich nie gesehen. ich nie gesehen. ich nie gesehen. ich nie gesehen. ich nie gesehen.
Die Interpretation der Sätze rekonstruiert gänzlich unterschiedliche Kontexte und zeigt die generelle Möglichkeit der ausschließlich durch die Intonation bewirkten Hervorhebung. Die folgenden Determinative sind wegen ihrer ausgeprägten Eigenbedeutung als selbständige Dependentien ihrer Substantive zu betrachten. dieser/diese/dieses/diese; jener/jene/jenes/jene Deiktische Determinative im Normalgebrauch sind unbetont: (23) Diesen Mann habe ich nie gesehen... (24) Kennst du jenes ferne Land zum Tremmen? (25) Dieses Buch ist schon ausgelesen worden, jenes Werk noch nicht. Dieser, in älteren Darstellungen vor allem in der Korrespondenz zu jener behandelt, wird in der Gegenwartssprache zunehmend als einfaches Diskursverweismittel oder aber textreferentiell verwendet: (26) ... Diese und ähnliche Fälle, ..., sie sind es, die die deutsche Rechtschreibreform so verdammenswert machen. (SZ 13 /14.12. 1997, S.ll)
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Der Aufbau der Nominalphrase
In solchen Beispielen hat dies zusammenfassende Funktion und geht über ein einfaches anaphorisches Mittel weit hinaus. Jener ist auf dem Weg zu veralten. derjenige/diejenige/dasjenige/diejenigen; derselbe/dieselbe/dasselbe/dieselben Diese deiktischen Ausdrücke haben spezielle Aufgaben: (27) Derjenige Briefträger, der vom Hund gebissen worden ist, ist nicht im Dienst. (28) Derselbe Briefträger, der neulich gebissen worden ist, ist wieder krank. Derjenige ist stark kataphorisch, derselbe aktiviert anaphorische Bezüge. Beide setzen deutlich quantifizierende Funktionen mit, spezielle Verweise sind aber ihre Hauptaufgabe. solch, derartig Diese Determinative kommen zumeist in Kombination mit dem unbestimmten Artikel vor: (29) Ein solches/derartiges Unwetter hat es seit langem nicht mehr gegeben. Konsequenterweise werden sie im Plural dann „artikellos" gebraucht. (30) Solche/Derartige Unwetter gibt es in den Alpen oft. Solch begegnet aber auch selbständig: (31) Ich mag solches Wetter. (32) Sie verfiel in eine wehmuth, die ihr um desto ängstlicher ward, als sie solche zu verbergen ... suchte. (Goethe, nach Jacob und Wilhelm Grimm, Deutsches Wörterbuch X/I, Sp.1432) Der Adjektivcharakter ist stark, doch ist die deiktische Funktion dominant.
8.3.3. Quantifizierende Determinative und Zahlwörter Die quantifizierenden Determinative haben dominante Quantifikationsaufgaben und sind damit nur implikativ Determinative. Sie kommutieren mit den Zahlwörtern (Zahladjektiven) und kommen teilweise mit diesen in Kombination vor. Zahlwörter sind Adjektive und weisen wesentliche Eigenschaften dieser Wörter auf, allerdings längst nicht alle. So ist ihr prädikativer Gebrauch stark beschränkt: (33) Die Menge/Zahl der hier abgestellten Autos beträgt zwölf. Dies ist eine quasi metasprachliche Gebrauchsweise, (34) eine spezielle Versetzungsform der attributiven Verwendung (vgl. Kap.9.6.3.):
259
Artikelwörter
(34) Autos stehen hier zwölf. Flektiert wird in attributiver Verwendung nur die erste Grundzahl: (35) die eine Möglichkeit/der einen Möglichkeit/die zwei Möglichkeiten/der zwei Möglichkeiten; aber: die Annahme zweier/dieser Möglichkeiten Die Ordinalzahlen werden wie die Adjektive flektiert, d.h. „schwach" und „stark". (36) Der zweite/hundertste Versuch gilt/hat gegolten. (37) Ein zweiter/hundertster Versuch ist nicht gestattet/hat auch nichts bewirkt. Semantisch gesehen lassen sich Zahlwörter kaum als Qualifikationen ihrer Substantive auffassen. Dies ist die prototypische Aufgabe der echten Adjektive. Auf die Randbereiche dieses Aufgabenfeldes wird im nächsten Abschnitt eingegangen. Auch die Zahlwörter determinieren. Die Ordinalzahlen zeigen das klarer. In (36) legt erst die Ordinalzahl die genaue Spezifikation des Substantivs fest, sowohl in der generischen als auch in der aktuellen Lesart. Artikelbegleitet ist die dependentíelle Darstellung der Zahlwörter wie die der gewöhnlichen Adjektive dennoch naheliegend: (37·) dasnHaus
(37") eiAiaus
zweite
zweites
Analog lässt sich darstellen: (38)
das einzige/andere; ein einziges/anderes Haus
r¡
(38') das/ein Haus einzige(s)/andere(s)
Die Kardinalzahlen sind nicht so leicht zu beurteilen. Zunächst sind ein und alle anderen Zahlen zu trennen. Ab zwei sind die Kardinalzahlen als Dependentien adäquat angesetzt. Sie kommutieren mit indefiniten, d.h. artikellosen Nominalphrasen im Plural:
zwei/zehn/hundert Wegen der strukturellen Parallelität lässt sich auch ein als Zahlwort so darstellen, wenn wirklich eindeutig das Zahlwort gemeint ist. Diese Fälle sind selten. (40) Er besitzt nur/genau ein Grundstück. In allen Fällen, wo ein Artikel primäre Diskursaufgaben hat, muss das Wort als unbestimmter Artikel angesehen werden, selbst in Fällen wie (41) Er besitzt in Kleinbritzendorf ein Haus.
260
Der Aufbau der Nominalphrase
Der unbestimmte Artikel impliziert generell, wie gesagt, die Qualifikation „1". Dabei reicht die Bandbreite von ganz offensichtlichen mitgesetzten Quantitätsprädikationen, wie in (42) bis zu kaum aktualisierbaren wie in (43): (42) Ich habe gestern ein schönes Buch gelesen. (43) Dies ist ein offensichtlicher Irrtum. Fälle wie (40), die eine Fokussierungspartikel aufweisen, zeigen, dass die Signalisierung der Qualifikation manchmal nötig ist.
8.3.4. All-Quantifikationen Alle, jeder, jedweder, jeglicher, lauter Logisch entsprechen diese Ausdrücke dem Aliquanter, V, also Vx. Aber die logische Darstellung zeigt, dass die Bezüge implikativ auf den Existenzoperator bezogen werden. (44) Alle Löwen sind Raubtiere. (44a) Vx (L (x) 3 R (x)) (wenn χ ein Löwe ist, dann ist er ein Raubtier) Diese Darstellung findet ihre Stütze in der Tatsache, dass in der Sprache Allaussagen häufig singularisch formuliert werden: (45) Jeder Löwe ist ein Raubtier. In beiden Fällen lässt sich für den Quantor Dependens-Status annehmen: (44')
(45')
S.
S.
I sind / Löwen alle
ist \ Raubtiere
/
Löwe
>
ein Raubtier
jeder
Die Gebrauchsunterschiede von alle und jeder können hier nicht genauer dargestellt werden, jeder individualisiert jedenfalls gegenüber alle, das globalisiert. Jedweder, jederart, jederlei und jeglicher individualisieren noch stärker, meinen aber logisch wiederum 'alle '. (46) Die Stadt biete jedwede Unterhaltung. (Th. Mann, Felix Krull, nach Duden. Das große Wörterbuch der deutschen Sprache, S.1756) (47) Eines jeglichen Menschen Zeit. (Titel eines Buches von Reiner Kunze)
261
Artikelwörter
Jedweder und jeglicher sind stilistisch gehoben, lauter ist stilistisch neutral und aktualisiert 'Ausschließlichkeit'. Es ist nicht ganz deutlich, ob nicht doch prädikative Bezüge im Vordergrund stehen: (48) Hier sind lauter gute Menschen. (49) Er hat ihnen lauter Lügen aufgetischt.
8.3.5. Eingeschränkte und negierte Quantifikationen 1. viele, mehrere, manche, mannigfache, einige, wenige In abnehmender Reihenfolge sind diese Quantifikatoren auf die Gesamtheit der von ihrem Bezugssubstantiv bezeichneten Menge bezogen. Logisch sind sie alle Exemplifikationen des Existenzoperators: 3x, 'es gibt (mindestens) ein x'. (51) Viele/mehrere/manche/einige/etliche/wenige Menschen haben dies gesehen. (51')
S.
Menschen viele/mehrere/manche/einige/wenige
gesehen dies
Durch Kombinationen lassen sich weitere Differenzierungen ausdrücken: (52) Fast alle/sehr viele/viele/gar nicht wenige... Menschen Einige Beispiele (52')
Menschen / viele / sehr
(52")
Menschen / alle / fast
Für die differenzierte Quantifikation besteht offenbar ein starkes Bedürfnis. In allen diesen Fällen kommutiert mit ihnen das Substantiv im unbestimmten Plural. Handelt es sich um definite Aussagen, steht der definite Artikel. Er lässt sich aber nicht in allen Fällen dazusetzen, dafür gibt es eine weitere spezielle Form: die meisten, die wenigsten. Nach dem ungefähren Umfang der Quantifikation geordnet, ergibt sich: Die meisten Menschen/die vielen Menschen (hier)/die wenigen Menschen hier/die wenigsten Menschen Zwischen die wenigsten Menschen und die wenigen Menschen liegt allerdings
262
Der Aufbau der Nominalphrase
ein Unterschied, der nicht nur semantisch zu beschreiben ist. Die wenigsten Menschen referiert auf eine Teilmenge, die wenigen Menschen (hier) auf die Gesamtmenge. Der Unterschied lässt sich am konsequentesten so darstellen: (52'")
die^Menschen / \ wenigen (hier)
(52"")
Menschen
^
η η die wenigsten/die meisten In (52'") wird die (definite) Menge durch 'wenig' qualifiziert, in (52"") kommutiert etwa die meisten am ehesten mit sehr viele, so dass die gravierende Gebrauchsunterschiedlichkeit der Ausdrücke sich auch syntaktisch problemlos erfassen lässt. Manch kommt häufig mit dem unbestimmten Artikel zusammen vor: (53) Manch ein Polarforscher ist schon gescheitert. und ist dann als von diesem abhängig aufzufassen. η ein Polarforscher /
manch So lässt sich im Übrigen auch solch ein darstellen. Mannigfach ist wie vielfach, vielfältig ein spezialisiertes Zahlwort, das auch als pränukleares substantivisches Attribut begegnet, aber eigentlich adjektivische Aufgaben hat. (54) Ein mannigfaches/vielfaches/vielfältiges Angebot Es bedeutet 'verschiedenartig' und lässt seine Quantorenleistung nur indirekt erkennen. 2. beide Beide ist primär Quantor, hat aber auch Artikelähnlichkeit (vgl. Reis/Vater 1980). Das Wort kommutiert dann mit dem bestimmten Artikel. (55) Beide Verfasser sind gleichberechtigt. (56) Die/jene/alle beiden Verfasser sind gleichberechtigt. Die Determinationsleistung ist implikativ. Daher ergibt sich das folgende Stemma: η (55') Verfasser (56') die Verfasser κ ι beide beiden
Artikelwörter
263
A n den Kombinationsformen {die beiden Verfasser) erkennt man die Quantorenleistung am deutlichsten, hier kommutiert das Wort mit der Kardinalzahl zwei. 3. irgendein, irgendwelche Diese Wörter sind spezielle Indefinitheitsmarker. Auch sie sind logisch dem Existenzoperator gleichzusetzen (3 x). Mit den Wörtern werden die beliebigen Quantorenzugriffe markiert, irgendeine ist dabei für die Singular-, irgendwelche für die Pluralverwendung vorgesehen. (57) Irgendeine
Reform/Irgendwelche
Reformen muss/müssen jetzt
kommen.
4. kein Dies Wort ist ein Spezifikum des Deutschen (und Niederländischen). Es lässt sich als „indefiniter Nominalnegator" oder „negativer Indefinitartikel" auffassen (Eroms 1992a). Denn das Wort nimmt die gleiche Systemstelle w i e der unbestimmte Artikel ein, hat aber negierende Funktion. Auch der Plural, der sich sonst nicht regulär mit dem Artikel verbindet, lässt kein regulär zu. (58) Es gibt immer noch keine Reform/keine
Reformen.
Die bei der Verwendung dieser Wörter zu beobachtenden Prozesse erweisen die Konstruktion als eine spezielle kompakte: Negationen lassen sich generell als prädikat- oder satzbezogene Operationen verstehen, mit denen ein Sachverhalt in Abrede gestellt wird. Für die verbale Negation wird dies in Kap. 11.2. dargestellt, insbesondere, wie dann der Status der sogenannten Sondernegation zu beurteilen ist. Bei der indefiniten Nominalnegation handelt es sich um ein noch stärker komprimierendes Verfahren. Mit dem Negationssignal wird bei Eröffnung der Nominalphrase bereits die Negation deutlich. Im Deutschen bleiben prädikatsbezogene Negationen im Extremfall sonst bis zum Satzende offen: (59) Er las das Buch trotz der dringenden Aufforderung nicht. (60) Er hat trotz der Mahnung das Buch nicht zurückgegeben. Definite Nominalphrasen lassen sich nicht mit kein kompakt umformen, wohl aber indefinite: (61) Bücher las er trotz dringender Aufforderung nicht. (62) Ein Buch hat er trotz der Mahnung nicht zurückgegeben. (61a) Trotz dringender Aufforderung las er keine Bücher. (62a) Trotz der Mahnung hat er kein Buch zurückgegeben. Die entsprechenden Sätze sind nicht bedeutungsgleich, jedenfalls nicht in diskurspragmatischer Hinsicht. Man erkennt aber, dass auch in der kompakt negierten Nominalphrase eine prädikatbezogene Negation vorliegt. Denn es lassen sich auch die folgenden Sätze bilden: (6 lb) Trotz dringender Aufforderung las er Bücher nicht. (62b) Trotz der Mahnung hat er nicht ein Buch zurückgegeben. An (62b) nun wird im Vergleich mit (62a) die Quantifikationsleistung deutlich: In (62b) ist sie direkt, in (62a) ist sie implizit in kein enthalten. Darstellen lässt sich daher kein wie der indefinite Artikel. Dies wird unterstützt durch die besondere Form des Wortes, die historisch auf eine Verschmel-
264
Der Aufbau der Nominalphrase
zung der Negations- beziehungsweise Indefinitpartikel ni als neh, deh mit ein zurückgeht. Negationspartikeln können als Operatoren ihrer Bezugswörter aufgefasst werden. (62')
η η k ein Buch => kein Buch
Die Konstruktionen mit kein ersparen also explizite verbbezogene Negationskonstruktionen und fokussieren direkt die Nominalphrase. Da sich kein morphologisch wie ein verhält, treten die entsprechenden Regularitäten ein, d.h. die Kongruenz mit den Bezugssubstantiven ist zu beachten:
(63) Grammatik hat keinen Anfang und kein Ende. Die kompakte Fokussierung der Nominalphrase ist aber insgesamt ein weiterer Faktor in der seit langem im Deutschen zu beobachtenden Tendenz zur nominalen Ausdrucksweise. Durch kein wird die Bildung negierter Nominalphrasen möglich, ein ganz wesentlicher Schritt zur weiteren Parallelisierung von Verbalund Nominalphrase.
8.3.6. Possessive Determinative Die adjektivischen Possessivpronomina sind in ihrer Leistung dem bestimmten Artikel vergleichbar. Wie er signalisieren sie die „Bekanntheit" des mit ihm verbundenen Substantivs, allerdings wird dies diskursanalytisch über eine sprecherbezogene Präsupposition geleistet, so dass die Determination indirekt erfolgt:
(64) Mein/dein/sein/unser Auto ist in der Werkstatt. (65) Das Auto ist in der Werkstatt. In (64) muss im Kontext schon über 'das Auto' gesprochen sein, damit es mit dem bestimmten Artikel verbunden werden kann, wenn nicht, wie in (66) generischer Gebrauch vorliegt, wenigstens in einer Lesart:
(66) Das Auto ist ständig in der Werkstatt. Mit (64) wird über die Sprecher-Festlegung garantiert, dass der Sprecher ein Auto hat, oder der Angesprochene oder aber ein dritter. Die primäre Leistung des attributiven Possessivausdrucks ist die Besitzkennzeichnung eines Substantivs. Man kann dies als eine spezifische Qualifizierung auffassen. Jedenfalls ist die attributive Qualität des Possessivpronomens deutlich, so dass es syntaktisch entsprechend aufgefasst werden kann (64'). Die Flexion des Possessivums ist die des unbestimmten Artikels. Die pseudomorphematisch mögliche Trennung m-einld-einls-ein ist sicher nicht belanglos, ein; m/d/s-ein undk-ein signalisieren jeweils strukturelle Gemeinsamkeiten, die für die Gesamtbewertung der Nominalphrase in Rechnung zu stellen sind.
265
Artikelwörter
(64')
S. ist / Auto
in η der Werkstatt
mein
8.3.7. Kombinationsformen Über die schon besprochenen Kombinationsfalle (manch ein, solch ein, so ein) hinaus sind noch die Kombinationsformen welch ein und noch einmal irgend ein, all die, all(e) diese/jene, alle beide zu behandeln. Bei welch ein ist die Funktion gemeint, die etwa in Exklamativ-KM begegnet. Sie ist anders als die mit dem Fragepronomen. (67')
S\ Ά ein Spiel
welch Irgendein wird erst seit dem 19. Jahrhundert zusammengeschrieben (vgl. dazu Grimm, Deutsches Wörterbuch IV, Sp.2157f.), die Rechtschreibreform des Jahres 1996 hat die Zusammenschreibung auch auf Fälle wie irgendetwas, irgendjemand ausgedehnt. Der attributive Charakter von irgend käme bei der Getrenntschreibung besser zur Geltung. All erlaubt außer der direkten Quantifizierung auch die Kombination mit Zahlwörtern, auch mit beide. (68) Alle zwei Sieger kommen aufs Treppchen. Alle beiden Sieger kommen aufs Treppchen. Hier ist alle Attribut zum Zahlwort. Das Wort unterstützt das Zahlwort. (68')
Sieger / zwei all/
In (69) ist es eigentlicher und unabhängiger Quantor. (69) Alle zweiten Sieger kommen auch aufs Treppchen. Dieser Satz ist generisch. Alle bezieht sich auf 'den jeweiligen zweiten Sieger' und ist natürlich nicht auf die Zahl „2" festzulegen:
266
Der Aufbau der Nominalphrase
(69')
Sieger / alle
\ zweiten
All in Kombination mit dem bestimmten Artikel und anderen echten Determinativen unterstützt deren Quantifikationsleistung, die, wie gesagt, nur implikativ gegeben ist und daher im Bedarfsfall einer deutlichen Markierung bedarf: (70) All die schönen Obstbäume, all(e) diese schönen Wiesen, alles wurde planiert. (70')
die Obstbäume
/ all
I schönen
Schließlich sind Kombinationsformen wie (71) dieser mein Bruder, in diesem unserem Lande zu behandeln. Sie könnten als spezielle Attribute aufgefasst werden, denn zwischen dieser und mein Bruder besteht eher ein appositives Verhältnis als zwischen Stufungen bei dieser und mein (Eroms 1988, S.307). Es lässt sich auch, analog zu den oben gemachten Annahmen, dass implikative Bezeichnungen oft nicht ausreichen, ansetzen, dass das deiktische und das possessive Determinativ in speziellen Kontexten - diese sind stilistisch deutlich markiert - zusammen vorkommen können. Sie besetzen unterschiedliche Positionen. ΓΛ (72') dieser Bruder mein Damit sind die Platzbesetzungen der Nominalphrase an ihrer Spitze im Wesentlichen erfasst. Die bisher behandelten Ausdrücke stehen vor den eigentlichen Attributen, den „Satelliten" der Nominalphrase. Bei diesen sind noch bedeutend mehr Besetzungsmöglichkeiten zu verzeichnen und vor allem sehr große Kombinationsmöglichkeiten. Doch auch sie unterliegen genauen syntaktischen und semantischen Regularitäten.
8.4. Die attributiven Adjektive Alle syntaktischen Schulen sind sich in der Annahme einig, dass die attributiven Adjektive Modifikatoren ihres Bezugssubstantivs sind (vgl. etwa Bhatt 1990, S.67).
267
Die attributiven Adjektive
Für Tesnière ist ein Adjektiv die prototypische semantische Spezifizierung des Substantivs. Die Attribuierung eines Substantivs durch ein oder mehrere Adjektive lässt sich im Vergleich mit anderen Attributsformen betrachten, insbesondere den Genitiv- und Präpositionalphrasen sowie den Relativsätzen. Bei diesen Typen wird der Status als E oder A zu prüfen sein, bei den Adjektiven ist der Α-Status unbezweifelbar. Adjektive modifizieren ihr Substantiv. Semantisch heißt das, dass sie mit Hilfe einer sekundären Prädikation ein Substantiv diskursiv präzisieren, dies zu ganz unterschiedlichen Zwecken, die von einer präziseren Referenzmarkierung wie in (1) bis zur ausgefeilten Prädizierung reichen wie in (2): (1) Dort steht ein grünes Auto. (2) Ein neuer hochgezüchteter allerdings umweltbelastender Achtzylinder machte Furore. In Diskurseröffnungssituationen wird die aus (2) extrahierbare Information als induzierte Präsupposition eingebracht; sie wird nicht eigens assertiert. Referentielle und prädikative Aufgaben der adjektivischen Attribute sind syntaktisch gleichartig. Kennzeichen der pränominalen Gruppe ist es, dass sie links von Determinatoren und rechts vom Substantiv eingeschlossen werden. Weiter ist ihre Anzahl so gut wie unbegrenzt, Kombinationen sind häufig, wenn auch maximale Füllungen wie Beispiel (3) auf S.247 selten sind. Es ist nun seit längerem beobachtet worden, dass in der Abfolge der Adjektive strikte Regularitäten herrschen. Bei Eichinger (1991) werden die wichtigsten Vorschläge dargestellt, bewertet und systematisiert. Dieser Ansatz wird im Folgenden zugrunde gelegt und mit einigen Erweiterungen versehen. Die Möglichkeiten, besonders der Kombination, sind kaum auszuschöpfen und können vollständig nur monographisch behandelt werden. Hier sind drei syntaktisch relevante Struktureigentümlichkeiten anzuführen: 1.) Wie schon bei den Determinativen sind die Abfolgeregeln der Adjektive strikt an funktionale Kategorien geknüpft. Das heißt, dass die gesamte Nominalphrase in ihrer Linearstruktur direkt auf hierarchische Kategorien projizierbar ist. Umgekehrt lässt sich sagen, dass die Nominalphrase projektiv ist, mehr noch: bis auf Kontrastierungsfälle wie in (4) gegen (3), (3) ein großer grüner Baum
(4) ein grüner großer Baum
bei dem das Farbadjektiv unerwartet vor dem Dimensionsadjektiv steht und eine Korrekturform darstellt, ist die Abfolge im Großen und Ganzen fest. Daher kann bei der Nominalphrase, zumindest bei den pränominalen Adjektiven, die Linearstruktur in einem Zug dargestellt werden. Bei der Linearisierung syntaktischer Strukturen für den Gesamtsatz dagegen interagiert die erzeugte grammatische Struktur stets mit diskursiven Vorgaben und macht daher die Erfassung so komplex.
268
Der Aufbau der Nominalphrase
2.) Wenn die lineare Abfolge mit der hierarchischen Struktur konform ist, kann in ihr eine homogene, (mathematisch gesprochen) stetige Funktion der schrittweisen Determinierung des Substantivs vermutet werden. Mengentheoretisch wäre das ebenfalls für Sätze im Plural einsichtig.
(5) große grüne hölzerne Tische (5a) große (grüne(hölzerne Tische)) (5 ')
~ e grüne hölzerne Tische grüne hölzerne große Tische hölzerne Tische Tische
Damit ist eine klare Skopusfestlegung gegeben. Hier ist allerdings Vorsicht geboten. Ein Syntagma wie
(6) die mutmaßliche sensationelle Entdeckung erlaubt keine Darstellung wie in (5a) oder (5'). Bereits Tesnière hat in der Leistung des attributiven Adjektivs die Weitergabe einer „abstrakten" Idee an das „konkrete" Substantiv angenommen. Attributive Adjektive werden je nach ihrer Leistungsklasse unterschiedlich mit ihrem Bezugssubstantiv verrechnet. Es schlägt sich in (6) eher ein über die (sekundären) referentiellen und prädikativen Funktionen der Adjektivattribute hinausgehender satzadverbialer Faktor nieder: Die mit sensationell prädizierte und durch die Artikelsetzung referentiell verankerte Entdeckung wird vom Sprecher als 'nicht tatsächlich' eingeschätzt. In der Linearstruktur der Adjektive ist daher auch der Platz derartiger Operatoren zu bestimmen. 3.) Nicht nur die maximale Kombination der Adjektive ist geregelt, sie gilt für alle Kombinationen. Kommt nur ein einziges Adjektiv vor dem Substantiv vor, dann ist konsequenterweise seine funktionale Bestimmung, d.h. die Art der Interpretation des durch das Adjektiv erweiterten Substantivs, also die gesamte Nominalgruppe, durch die Kategorie, der das Adjektiv zugehört, bestimmt. Dies wiederum macht es nötig, die Kompatibilitäten zwischen Substantiven und Adjektiven festzulegen. Es ist allerdings grundsätzlich offenzulassen, dass auch Phrasen wie
(7) farblose grüne Ideen (8) schmerzfreie Tage erzeugt werden können. Denn sie lassen sich ohne weiteres interpretieren. Syntaktisch dürfen sie deswegen nicht blockiert werden. Daraus resultiert, dass die Adjektivpositionen semantisch weitgehend offen angelegt sind. Sie erlauben darüber hinaus sehr variable Kombinationen. Trotz-
269
Die attributiven Adjektive
dem lassen sich nicht nur klare Grundfunktionen erkennen, sondern in der gestuften Abfolge der Adjektive spiegelt sich, wie gesagt, direkt die Logik ihres Bezugs auf das Substantiv. Eichinger (1991), dem hier gefolgt wird (weitere Klassifizierungs- und Abfolgevorschläge u.a. bei Kolde 1985, Engel 1988, S.634-636, Chakroun 1991, Schecker 1993, Eisenberg 1994 und Trost 1999), setzt drei Funktionsbereiche an: Artikelklassifikatoren, Qualificativa und Nominalklassifikatoren. Die ersteren beziehen sich primär auf den spezifierenden und determinierenden Komplex in der Nominalphrase, der, wie wir gesehen haben, eine Gesamtaufgabe in der Gruppe hat. Prototypisch ist dies auch der referentiell markierende Bereich. Die Qualificativa charakterisieren die Substantive, sie haben primär prädikative Aufgaben, es handelt sich größtenteils um ie/M-Prädikationen. Die Nominalklassifikatoren spezifizieren das Substantiv genauer. Es ist aber zu betonen, dass an allen Plätzen Aufgaben auch aus anderen Bereichen übernommen werden können. Die folgende Gesamtformel zeigt die Möglichkeit im Umriss: (9) Grundanordnung der attributiven Adjektive Artikelklassifikatoren
Qualificativa
Nominalklassifikatoren
ARTIKEL
SUBSTANTIV Quantificativa
Situativa
Existimativa
Qualitativa
Descriptiva
Classificativa
Die einzelnen Gruppen erlauben weitere Untergruppen.
8.4.1. Determinativähnliche Attribute In (10) dominieren die referentiellen Aufgaben. Die Situativa sind adverbialäquivalent, führen damit also die Α-Klassen im Nominalbereich aus. Analog zu den A in der Verbalphrase lassen sie teilweise Permutationen ohne Bedeutungsänderung zu:
(10a) die langjährigen damaligen/damaligen langjährigen/langjährigen dortigen/dortigen langjährigen... Die hierher gehörenden Adjektive flektieren bei Setzung des bestimmten Artikels schwach, sonst stark, sie sind damit echte Adjektive, allerdings sind sie nicht prädikativ verwendbar (in aktualen se/w-Prädikationen), sie sind nicht steigerungsfähig und nicht negierbar (vgl. Eichinger 1991, S.321). Deutlich wird auch, dass die Klasse der im vorigen Abschnitt behandelten Determinative einen Übergangsbereich aufweist, der wiederum stark polyfunktional ist:
270
Der Aufbau der Nominalphrase
- mit Quantifikationsaufgaben: (die) verschiedenen, unterschiedlichen, vielfältigen, - mit text- oder diskursreferentiellen Aufgaben: (die) genannten, erwähnten, bekannten. (10) Artikelklassifikatoren SITUATIVA
Quant
ART zahl die
indef
temp
loe
mod
zwei verschiedenen damaligen dortigen möglichen/langjährigen
8.4.2. Qualifizierende und klassifizierende Attribute Diese Gruppen umfassen Adjektive mit den prototypischen Aufgaben dieser Wortart, die der Qualifizierungen des Bezugssubstantivs. Eichinger unterscheidet zwei Gruppen, die hier der Einfachheit halber zusammengefasst werden, sie sind bei Eichinger auch mit einer Übergangsstelle versehen (den adnominalen Qualifikativa bzw. den Deskriptiva). (11) Qualificativa
Je weiter rechts ein Adjektiv piaziert ist, um so stärker erfasst es inhärente nominale Qualitäten. Je weiter links es steht, um so stärker gibt es die bewertende Einstellung des Sprechers an. Dabei sind Bewertungen stets auf sozial etablierte oder sprachlich geregelte Vergleichskategorien bezogen. So stehen Dimensionsadjektive und wertende Adjektive vor Farbadjektiven: (13.1) (13.2) (13.3) (13.4)
der riesige braune Teufel (Klemperer, Tagebücher S. 161) die feine weiße Griinwalder Brücke (Klemperer, Tagebücher S. 163) bei einem mürrischen blonden Menschen (Klemperer, Tagebücher S.164) ein stumpfsinniges blondes Mädel (Klemperer, Tagebücher S.161)
Die attributiven Adjektive
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(12) Nominalklassifikatoren
quadratische graue metallene skandinavische Tische 1 CLASSIFICATIVA
DESCRIPTIVA Temporäre Qualifikationen scheinen vor inhärenten zu stehen: (13.5) bei geöffneten umrankten Fenstern (Klemperer, Tagebücher S. 163) Akustische können vor qualifizierenden Adjektiven angeordnet werden: (13.6) laute komische Bemerkungen (Klemperer, Tagebücher S. 160) Doch ist hier wieder zu sehen, dass Adjektive nicht eindeutig festgelegte Positionen besetzen, sondern sich nach - allerdings wiederum weitgehend universalen - Skopusfestlegungen ordnen. Noch wichtiger ist, dass Adjektive systematisch so gut wie unbeschränkt erstens nektiert und zweitens auch noch als weitere Adjektivdependentien vorkommen können. Dadurch ist eine außerordentlich große Variabilität möglich, ein weiteres Zeichen für die der Verbalphrase analoge Nutzungsmöglichkeit der Nominalphrase. Die in ihr enthaltenen sekundären Prädikationen sind, was die Adjektive betrifft, einstellige sez'w-Prädikate. Höherwertige Prädikate werden durch Partizipialbildungen ermöglicht (vgl. Kap.8.4.4.). Durch die Mehrfachsetzung (die nektierende Reihung, bei der die entsprechende Adjektivposition wiederholt wird) und die Stufung ergeben sich derart viele Kombinationsmöglichkeiten, dass sie hier nur exemplarisch angegeben werden können. Teilweise konkurrieren die Adjektiv-Substantivkombinationen mit der nominalen Wortbildung: (14.1) die großen metallenen Tische/die großen Metalltische (14.2) die großen Tische/die Riesentische (14.3) die metallenen Riesentische (14.4) die erwähnten Schwarzhaarigen
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Der Aufbau der Nominalphrase
Mehrfachkombinationen ohne Reihung: (15.1) der verträumte spitzbärtige Donquichotische Handwerker (Klemperer, Tagebücher S. 161) (15.2) der dicke vergnügte blaugekleidete Junge (Klemperer, Tagebücher S.153) (15,2')
der°Junge
dicke vergnügte blaugekleidete Mehrfachkombination mit Reihung und sekundärem Anschluss: einfach, gestuft: (16.1) die sanft sinnliche Orientalin (Klemperer, Tagebücher S. 161 ) η (16,1') die Orientalin \
sinnliche / sanft Reihung, einfach bzw. mehrfach, Nullnektiv: (16.2) die ernsteren, innigeren Märchenillustrationen (Klemperer, Tagebücher S. 161) (16.3) der ungeheure grüngelbe, regelmäßig gemusterte Körper (Klemperer, Tagebücher S.161) (16,3')
dePKörper ungeheure
grüngelbe - gemusterte regelmäßig
(16.4) das große drapierte, gedanklich zurechtgemachte Geschichtsbild (Klemperer, Tagebücher S.161) Reihung, einfach, Nektion durch und: (16.5) über sein suggestives und kategorisches Futurum (Klemperer, Tagebücher S.168) (16.6) bizarre und derbe originelle Bildlichkeit (Klemperer, Tagebücher S. 165) Reihung, mehrfach: ( 16,7) dem schwerhörigen und hinkenden ergrauten Indogermanisten (Klemperer, Tagebücher S. 165)
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Die attributiven Adjektive
Welche kategoriale Position hier die einzelnen Adjektive besetzen, ist kaum noch zu sagen. Auch die Reihenfolge ist bei Nektionen beeinflussbar und teilweise variabel: (16.8)
dem hinkenden ergrauten/ergrauten dogermanisten
hinkenden und schwerhörigen
In-
Die gereihten Adjektive können durch Gradpartikeln und durch adversative Partikeln mit den anderen Adjektiven interagieren: (16.9) in dem großen, fast leeren, aber erleuchteten Garten (Klemperer, Tagebücher S. 158) Die Kombinationsformen sind damit aber noch nicht erschöpft. Die sekundäre Anbindung, die eine zusätzliche Spezifikation ist, kann in eine kompositionale Wortbildung umgewandelt werden, die das gleiche, allerdings noch kompakter, leistet: (16.10) das still vergnügte -> das still-vergnügte —> das stillvergnügte Streichquartett (16.11) das gelb gefärbte -> das gelb-gefärbte -> das gelbgefärbte Sommerkleid (16.12) der selbst gebackene -» der selbst-gebackene -» der selbstgebackene Marmorkuchen mit weiteren Modifikationen: (16.13) eine endlos-sinnlose aber gutmütig scherzende Bierrede (Klemperer, Tagebücher S.164) (16,13')
η eine Bierrede / \ sinnlose aber ^ \ endlos scherzende gutmütig
Die Reihenfolge der Adjektive ist in solchen Fällen nicht umkehrbar, weil mit der Adversativpartikel aber die mit dem ersten Adjektiv aufgebaute Erwartung über weitere (hier negative) Qualifikationen des Substantivs konterkariert werden. Als letzte Beispiele seien solche angeführt, die zeigen, dass von Eigennamen abgeleitete Adjektive offenbar qualifizierend sind: (16.14) die Mischung aus Hegelianischem und bizarrsten eigenen (Klemperer, Tagebücher S.157)
Stilelementen
274
Der Aufbau der Nominalphrase
(16.15) die Mischung von philosophischem und bizarr eigenwilligem Stil (Klemperer, Tagebücher S.162) Schließlich eine sehr ausgebaute Form: (16.16) ein langes ausschließlich politisch nationalistisches und somit entstelltes Referat meines Universitätsvortrages (Klemperer, Tagebücher S.164)
lieh
listisches
8.4.3. Nachgestellte Adjektive Aus den im Deutschen wie in den anderen germanischen Sprachen früher möglichen Stellungsfreiheiten haben sich bei den Adjektiven in poetischer oder sonstiger gehobener Sprache nominale Fügungen mit unflektierten und teilweise auch mit flektierten nachgestellten Adjektiven erhalten: (17) Brünnlein kalt/Röslein rot (Volksliedton, echter und simulierter) (18) Klappe, diezweite! (19) Saupreiss,
japanischer!
In Nektionen sind die Nachstellungen noch regulär, wenn auch selten: (20) Ein Bewohner des Heims, alt und gebrechlich Fügungen wie (21) Forelle blau, Spaghetti Bolognese (22) Tanztheater pur, Rockmusik satt sind auf wenige Typen beschränkt. Zifonun/Hoffmann/Strecker (1997, S. 1991) setzen hier eine elliptisch verwendete Adverbialkonstruktion an. Die Spei-
Die attributiven Adjektive
275
sebezeichnungen lassen sich teilweise als Lehnübersetzungen auffassen. Fremdsprachliche Interferenzen können auch für die aktuellen, in der Gegenwartssprache stark zunehmenden Formen (22) vermutet werden. Der attributive Charakter der Adjektive ist aber nicht ganz unbezweifelbar. Sie haben zumindest appositive Qualität.
8.4.4. Partizipiale Attribute Partizipiale Attribute sind formal Adjektive. Wenn sie unerweitert sind, sind sie in ihrem Stellungsverhalten wie diese darzustellen. Das gilt für die Präsens- und die Perfektpartizipien gleichermaßen: (23) (24) (25) (26)
ein überzeugendes neues Angebot die große belastende Verpflichtung eine unangenehme ungelöste Angelegenheit das dicke zerlesene Buch
Deutlicher als bei den echten Adjektiven lässt sich hier erkennen, dass diese partizipialen Bildungen stark autonom sind. Stehen sie vor dem Bezugssubstantiv, dann lässt sich das wiederum davor stehende Adjektiv nicht als skopuseröffnend, sondern als nektiert verstehen: (23 a) (24a) (25a) (26a)
ein neues, überzeugendes Angebot die große, belastende Verpflichtung eine unangenehme, ungelöste Angelegenheit das zerlesene, dicke Buch
Es finden sich aber vielfach (vor der Rechtschreibreform zusammengeschriebene) Komposita, die auf Stufung zurückgehen, dadurch wird diese Gebrauchsrestriktion teilweise kompensiert: (27) gelb gestrichen, rot gerändert, hoch gebaut Die Domäne der partizipialen Attribute ist aber nicht ihr einfacher Gebrauch, sondern der mit Erweiterung. Die Partizipien können nicht nur die Valenzen ihrer Ausgangsverben reaktivieren, sie erlauben auch die Bindung von A und in noch höherem Maße als die reinen Adjektive die Setzung von Konnektoren und Partikeln. (28) (29) (30) (31)
das den Saal erwartungsgemäß bis zum letzten Platz füllende Publikum die uns dennoch immer mehr tagein, tagaus drückenden Sorgen das schon lange und zu unserer vollen Zufriedenheit erledigte Problem die mir bis dahin verborgenen Architekturschönheiten
Die Präsenspartizipien sind in Bezug auf das jeweilige Substantiv aktivisch, die Perfektpartizipien passivisch interpretierbar:
276 (28a) (29a) (30a) (3 la)
Der Aufbau der Nominalphiase
Das Publikum füllt ...den Saal Die Sorgen drücken uns... => Wir werden von den Sorgen gedrückt Das Problem wurde... erledigt. Die Architekturschönheiten sind mir bis dahin verborgen gewesen.
Die Valenzen der Ausgangsverben werden im Allgemeinen vollständig übertragen, allerdings ist das Ausgangssubjekt genauer zu verfolgen (vgl. Weber 1971, S.156). Wie bei den selbständigen Infinitiv- und Partizipialkonstruktionen ist die E sub nicht realisiert; das Bezugssubstantiv besetzt im Satz selber eine Position. Bei den Präsenspartizipien wird es sekundär als logisches Subjekt der attributiven Konstruktion interpretiert, was in einer Relativsatzparaphrase deutlich wird: (29b) Man hat die uns drückenden Sorgen^ von uns genommen. (29c) Man hat die Sorgen, diemb uns drücken, von uns genommen. Beim Perfektpartizip liegen analoge Verhältnisse wie im Passivsatz vor, d.h. das dem entsprechenden Aktivsatz zukommende Subjekt kann nur erschlossen werden, oder es wird in einer Präpositionalphrase angefügt: (30b) das zu meiner Zufriedenheit (von x) erledigte Problem Wenn die Valenz des Partizips auch übernommen wird, so heißt das nicht, dass alle Realisationsformen auch vorkommen. Nebensätze und Infinitivkonstruktionen können zwar gebildet werden, wirken aber ungewöhnlich: (32) Sie entschließen sich zum Kauf des Autos/das Auto zu kaufen/dass sie das Auto kaufen sollten. (32a) Die sich zum Kauf des Autos entschließende/ die sich das Auto zu kaufen entschließende Familie! die sich dass sie das Auto kaufen sollten entschließende Familie Erweiterte Partizipialattribute sind Klammerkonstruktionen und bilden oft maximale Klammerungen, sie zeigen klarer als umfangreiche Adjektivstufungen und -reihungen, dass die Determinationsrichtung rechtsläufig ist: Die von der Valenz des partizipialen Verbs geforderten Ε-Typen sind nominal, und die AKonstruktionen sind einfache, oft nur einwortige Typen, so dass sich keine Serialisierungsdivergenzen ergeben, die Gruppe läuft homogen in der Grundreihenfolge ab. Es finden sich keine Modalverben. Daher ist die ganze Konstruktion problemlos projektiv und erlaubt im Kopfsubstantiv eine Kumulation von (realer) Satzfunktion und (virtueller) Subjektsfunktion der Esub des Partizipverbs. (32b) Die sich überraschend schnell zum Kauf des Autos entschließende lie hatte man beraten.
Fami-
Die attributiven Adjektive (32b1) Det
277 Ν
In (32b) bildet das Reflexivum und das Partizip zudem eine weitere Klammer. Bei den Perfektpartizipien ist zu beachten, dass Vorgangs- und Zustandsverben (intransitive Verben) aktive (33, 34), transformative Veiben passivische Bedeutung haben (35, 36): (33) (34) (35) (3 6)
die abgelaufene TÜV-Plakette die aufFriedrich Hecker gefallene Wahl (Weber 1971, S. 167) die eingebrachte Ernte/der geschenkte Gaul das geärgerte Kind/das gewaschene Gesicht
Echte Reflexiwerben lassen die Bildung nicht zu (37, 38); in den Fällen, wo es scheinbar doch möglich ist, liegen Adjektive, die aus Partizipien hervorgegangen sind, vor. Sie werden aktivisch interpretiert, das Reflexivuni fehlt (39, 40). (37) *das geschämte Kind (38) "der mit der Tat gebrüstete Dieb (39) der zur Tat entschlossene Dieb (40) ein entschiedener Gegner der Todesstrafe Partizipiale Attribute weisen eine in der Gegenwartssprache stark zunehmende, aber schon länger belegbare Kompositionalbildung auf, bei der ein nominales, pronominales, adjektivisches oder adverbiales Element mit dem Partizip zusammentritt. Hier gibt es eine aktivische und eine passivische Reihe, die jeweils an das Präsens- und das Perfektpartizip geknüpft sind: (41) Eatt biertrinkende Urlauber (42) Epräp mit schamglühenden Gesichtern (Heine; nach Weber 1971, S.161), ein humorsprühender Schauspieler (nach Wilss 1986, S.153), ein handgeschriebener Lebenslauf Eprsp ich lese etwas der Freund => der Freund von irgendjemand Dass der Geschehenstest bei Nominalphrasen nicht angewendet werden kann, liegt auf der Hand, weil er auf der Prüfung unzulässiger Erweiterung von Er-
Durch Präpositionen angeschlossene und weitere nominale Attribute
285
eigniswiedergaben rekurriert. Ereignisse in diesem Sinne müssen „ausgesagt" sein, d.h. in finiten Verbformen vorkommen. Daher ist in Bezug auf die Genitivattribute und die präpositionalen Attribute nur von Ä q u i v a l e n t e n von Ergänzungen von Ε-Typen zu sprechen, soweit diese nicht eindeutig Angaben sind (s.u.). Substantive verfugen demzufolge auch über Wertigkeiten. Die klassischen Α-Typen im Nominalbereich sind die Adjektive. Sie sind im Gegensatz zu den Ε-Typen quantitativ kaum beschränkt und selektional allenfalls kompatibel mit ihrem Bezugssubstantiv, nicht aber erfordert. Die restlichen Attribute werden von Fall zu Fall auf ihren Status geprüft.
8.7. Durch Präpositionen angeschlossene und weitere nominale Attribute 8.7.1. Präpositionalattribute Wie bei den entsprechenden Verben ist hier die Präposition fest, manchmal gibt es Alternativen, die Präposition hat eine fixierte Bedeutung. Es handelt sich um Substantive, die in enger Beziehung zu Verben stehen, meist um Ableitungen. Wie Wiegand (1996) gezeigt hat, wäre die Annahme einer einfachen Valenzübertragung jedoch viel zu undifferenziert. (1) Bitte um Hilfe an/bei/ßir
Dank an Trauer über
Freude auf/an/über Warnung an/vor
Einige lassen gleichzeitig mehrere präpositionale Anschlüsse zu: (2')
ο die Warnung
die Verbraucher
dem Verzehr
Die Wertigkeit der abgeleiteten Substantive entspricht den zu Grunde liegenden Verben: (3) Die Verbraucherorganisation warnt die Menschen vor dem Verzehr der Waren. (3a) Die Warnung der Verbraucherorganisation an die Menschen vor dem Verzehr der Waren.
286
Der Aufbau der Nominalphrase
Was die Serialisierung betrifft, so ist sie in der Nominalphrase auch bei den Präpositionalattributen erheblich strikter als in der Verbalphrase: Einmal sind alle Attribute nachgestellt und verbleiben in der Grundordnung. Abweichungen davon sind ungrammatisch, ein weiteres Zeichen, dass die strikte Serialisierung in der Nominalphrase diese leichter interpretierbar macht und Ambiguitäten verhindert ((4) ist ungrammatisch), kontextuell bedingte Umserialisierungen sind auf andere Weise möglich: (4) *Die Warnung an die Menschen der Verbraucherorganisation vor dem Verzehr der Waren. (4) kann durch Ersetzung des Genitivus subjectivus durch eine Präpositionalphrase mit durch grammatisch gemacht werden. (4a) Die Warnung an die Menschen durch die Verbraucherorganisation vor dem Verzehr der Waren
8.7.2. Situativattribute Bei Nominalgruppen wie (5) das Wohnen im Grünen/das Sitzen im Freien lässt sich analog den Verhältnissen bei den Verben {wohnen, sitzen) von Ergänzungen sprechen. In allen anderen Fällen liegen Angaben vor: (6) Das Spielen auf dem Hof ist verboten. (6a) die Bank im Garten/die Äpfel am Baum Hier finden sich adverbiale Formen, auch für andere als lokale Verhältnisse: (7) der Mann dort/die Pille danach/ein Wort zuvor
8.7.3. Direktivattribute Direktive Attribute wie (8) die Fahrt nach München/die Fahrt ins Blaue/der Flug in die Freiheit sind Ε-Typen. Die Kopfnomina gehen zumeist auf direktionale Verben zurück. Analog zu behandeln sind jedoch auch (9) der Bus nach Paris/die Partikeln aus dem Kometen Hier sind Verkürzungen zu erkennen. Sie lassen sich durch Paraphrasen mit restriktiven Relativsätzen sichtbar machen:
287
Durch Präpositionen angeschlossene und weitere nominale Attribute
(9a) der Bus, der nach Paris geht/die Partikeln, die aus dem Kometen stammen Fügungen wie (10) Sehnsucht nach Freiheit, Hoffnung auf Frieden bei denen eine direktionale Komponente zu erkennen ist, sind präpositionale Attribute mit Ε-Status. Die hier zu Grunde liegenden verbalen Konstruktionen stellen bereits metaphorisierte, abstrakte Richtungsbezeichnungen dar.
8.7.4. Expansivattribute Es handelt sich um Fügungen wie (11) Breite von zwanzig Metern, Wachstum um vier Prozent Auch hier liegt Ε-Status vor. Die entsprechenden verbalen beziehungsweise adjektivischen Konstruktionen weisen nicht immer eine Präposition auf: (IIa) Der Fluss ist zwanzig Meter breit, das Bruttosozialprodukt ist um vier Prozent gewachsen.
8.7.5. Gleichsetzungsattribute Sie entsprechen den Gleichsetzungsnominativen mit als und wie, den limitierten nominalen Prädikativen und verhalten sich ganz analog; sie haben E-Status. (12) seine Tätigkeit als Bäcker/seine Aufführung wie ein Berserker (12a) Er ist als Bäcker tätig./Er führt sich wie ein Berserker auf. Die generellen Gleichsetzungsergänzungen (13) Er ist Bäcker./Er ist Bergsteiger./Er ist Hausmann und Lehrer. können durch Anschluss an ein geeignetes Substantiv, das die generelle Einordnung erkennen lässt, attribuiert werden: (13a) sein Beruf als Bäcker/seine Eigenschaft Rolle als Hausmann und Lehrer
als Bergsteiger/seine
Wie zu sehen ist, sind die Grenzen zwischen den Typen fließend, auf den Status der Attribute hat dies aber keinen Einfluss.
288
Der Aufbau der Nominalphrase
8.7.6. Qualitativattribute Dieser Attributstyp hat keine unmittelbare satzförmige Entsprechung, eher ist er als attributsinterne Kommutationsmöglichkeit zur Kernklasse der Adjektive anzusehen: (14) Stuhl aus Holz/hölzerner Stuhl (15) ein Jüngling von hohem Wuchs/ein hochgewachsener Jüngling Es sind allerdings Berührungen mit den subjektzentrierten Präpositionalphrasen vorhanden (vgl. Kap. 11.1), doch sind diese prädikatsbezogen, wobei sie eine Eigenschaft oder eine Modalität hervorheben, während die Qualitativattribute nominale Charakterisierungen darstellen: (16) der Mann mit dem Goldhelm (17) Er fiel mit dem Gesicht zur Erde. Es ergeben sich auch Berührungen mit dem Genitivus qualitatis (vgl. Engel 1988, S.614): (18) eine Dame mittleren Alters/von mittlerem Alter Weiter lassen sich komitative Fügungen wie (19) Kuchen mit Sahne/Haus mit Garten; Haus ohne Hüter/Rose ohne Dornen hierher rechnen, die bei Engel (1988, S.615) (als „Komitativangaben") einen eigenen Typ darstellen. Ihre Funktion ist ebenfalls charakterisierend, sie lassen teilweise Adjektivparaphrasen zu (dornenlose Rose). Daher werden sie hier eingeordnet.
8.7.7. Attributive Konjunktionalsätze, uneingeleitete Sätze und Infinitivkonstruktionen Die stark nominalisierte Ausdrucksweise der deutschen Gegenwartssprache lässt zunehmend auch Nebensätze und Infinitivkonstruktionen als Attributkonstruktionen zu. Als Kopfnomina kommen entweder Verbalabstrakta oder semantisch weite Ausdrücke wie Tatsache, Frage, Zeit, Methode vor: (20a) (20b) (20c) (20d) (21a) (21b) (22a)
die Annahme, dass es sich hier um eine Fälschung handelt die Frage, ob es sich hier um eine Fälschung handelt die Vermutung, es handele sich hier um eine Fälschung der Tag, als der Regen kam die Aufforderung, aufzuhören die Anstrengung, ohne zu ermüden die Tatsache, dass es sich um eine Fälschung handelt
289
Relativsätze
(22b) (22c) (22d) (22e)
die Frage, wieweit man hier gehen kann die Zeit, als man Fälschungen noch nicht sicher erkennen konnte die Methode, wie man Fälschungen sicher erkennen kann die Art, damit umzugehen
Diese semantisch „leeren" Substantive (in 22a-e) mit ihren sie inhaltlich spezifizierenden Attributen sind formal unproblematisch darzustellen: (20b')
η die Frage
J sich handelt
κ \
es
um
n \ eine Fälschung Funktional wirken sie kataphorisch, sie weisen auf den Inhaltssatz voraus. Sie sind ein weiteres Mittel, die initiale Kopfposition mit Funktionswörtern zu besetzen. Sie haben Gemeinsamkeiten mit der größten und wichtigsten Gruppe der satzförmigen Attributsätze, den Relativsätzen, jedenfalls mit dem Typ (23) (23) die Frage, wer das getan haben könnte (24) die Frage, die uns sehr beschäftigt
8.8. Relativsätze 8.8.1. Das Relativsatzproblem Relativsätze sind nach wie vor eine Herausforderung an jede syntaktische Theorie. Dies betrifft weniger ihre interne Struktur als vielmehr die Frage der Bestimmung ihrer genauen Einbettungsstelle im Gesamtsatz. Einerseits sind sie prototypische Attribute und damit im Rahmen einer dependentiellen Darstellung Dependentien von Nomina: ( 1 ) Der Mann, der das getan hat, gibt uns Rätsel auf. (2) Rätsel, die uns die Zeit verkürzen, sind uns willkommen. Diese Relativsätze gehören einer sekundären Gliederungsebene des Satzes an. Andererseits stellen sie mit (3) auch eine Verbindung zur primären Gliederungsebene des Satzes dar.
290
Der Aufbau der Nominalphrase
(3) Wer das getan haben könnte, ist rätselhaft. Hierbei handelt es sich um sogenannte „freie Relativsätze", deren Bezugswörter häufig nur interpoliert werden. In manchen Fällen ist es pronominal restituierbar: (4) Wer nicht hören will, muss fühlen. (5) Der, der nicht hören will, muss fiihlen. Diese Relativsätze besetzen damit primäre E- oder Α-Positionen. Es ist syntaktisch von großem Interesse, sie mit den eigentlichen Relativsätzen zu vergleichen. Wodurch sind Relativsätze gekennzeichnet? Relativsätze sind Sätze, die ein determinatives d- oder w-Element aufweisen, mit dem sie an ihr nominales Bezugswort angeschlossen sind. Die häufigsten Relativelemente sind die ¿-Relativpronomina. Diese besetzen im Relativsatz selber eine syntaktische Position. Dies kann wiederum eine E-, eine A- oder eine attributive Position sein. (6) der Abend, der[Emb]/welcher schön zu werden versprach. (7) Der Abend, an dem[A^mp\/welchem wir nach Hause kamen, versprach schön zu werden. (8) das Bild, dessen[Poss-Atti.]Maler unbekannt geblieben ist Die Relativelemente (d-, w-) werden an der Spitze ihres Satzes positioniert. Daher geht von ihnen eine konjunktionsähnliche Wirkung aus, allerdings ist die Serialisierung des Relativsatzes nicht, wie bei E- oder A-Konjunktionalsätzen, die Grundordnung oder eine nur leicht davon abgewandelte Form. Vielmehr ist das Relativum, das, wie gesagt eine syntaktische Position besetzt, topikalisiert und damit im Sinne der Thema-Rhema-Gliederung (TRG) auch thematisch. Auf diese Weise können beliebige Satzglieder in der Nebensatzstruktur thematisiert werden. Da sie unmittelbar auf ihr Bezugswort folgen, ergibt sich eine sehr organische TRG nicht nur für den Relativsatz selber, sondern auch für den Gesamtsatz. Dies ist sicher ein Grund dafür, dass Relativsätze so außerordentlich häufig vorkommen. Mit dieser einfachen Baustruktur stellen sie auch für DaFLerner auf niedrigen Stufen ein wichtiges Bildemittel dar. Ein weiterer Grund für ihre hohe Vorkommensfrequenz ist, dass sie Propositionen an ein Bezugswort anschließbar machen, ohne dass damit eine erkennbare Illokution verbunden ist: Relatisätze, auch wenn sie noch so umfangreich sind, sind keine selbständigen Aussagesätze, sie assertieren im Allgemeinen nicht, sondern präsupponieren ihren Inhalt. Dies gilt für beide semantisch zu unterscheidenden Gruppen, die restriktiven und die appositiven Relativsätze. Bei den appositiven wird die Präsupposition allerdings als induzierte gewertet, d.h. der Hörer oder Leser nimmt trotz des Determinative, das ja prototypisch auf eine bekannte Tatsache verweist, die übermittelte Proposition als assertierend an:
291
Relativsätze
(9) Die Steuerreform, die alle zufriedenstellt, möchte ich sehen. (10) Die Steuerreform, die schon so lange geplant war, tritt nun in Kraft. Im restriktiven Relativsatz (9) ist hier das Determinativ die in der Nominalphrase betont, in (10) nicht. Bei restriktiven Relativsätzen ist das Determinativ aber durchaus nicht immer betont (11), es kann sogar fehlen (12):
(11) Der Hund, der den Briefträger gebissen hat, gehört eingesperrt. (12) Hunde, die bellen, beißen nicht. (13) Ein Hund, der bellt, beißt nicht. In diesen Sätzen lässt sich aber jeweils eine Paraphrase mit derjenige oder diejenigen bilden, womit die Determination eindeutiger vollzogen werden kann. Da in (11) das Relativum diese Determinationsleistung unterstützt und in (12) und (13) sie überhaupt erst herstellt, bietet es sich an, das Relativum bei restriktiven Relativsätzen analog den pränominalen Determinativen zu behandeln, also als in Interdependenz mit dem Bezugswort stehend, auf der gleichen Ebene anzusetzen. So ergibt sich eine Darstellungsweise, die den gesamten Relativsatz, repräsentiert durch ein Kopfelement d-, wie das Determinativ selber als in Interdependenz zum Kopfnomen stehend, ansetzt. Der Relativsatz ist dem Nomen nachgestellt. Das Determinativ geht ihm voran. Mit der interdependentiellen Darstellungsweise wird der Verlagerung der Funktionssteuerung in der Nominalphrase vom Nomen auf das Determinativ Rechnung getragen. Ol')
S.
gehört /
eingesperrt η der Hund d-
r\
hat der
gebissen
n/
den Briefträger Die Hauptfunktion restriktiver Relativsätze ist es, das Kopfnomen eindeutig zu determinieren. Das schließt, wie gesagt, nicht aus, dass auch ihr propositionaler Teil als solcher kommunikativ relevant ist. Dadurch aber ist ihre Abgrenzung von den appositiven Relativsätzen schwierig und nicht immer zweifelsfrei zu treffen. Über den jeweiligen Kontext scheint aber in den meisten Fällen eine Bewertung möglich zu sein (vgl. Bergmann 1985, S.58).
Der Aufbau der Nominalphrase
292
Prototypisch für appositive Relativsätze sind Sätze wie
(14) Unser Hund, der ein ganz braver Kerl ist, würde nie einen Briefträger beißen. In solchen Fällen hat der Relativsatz dominant qualifizierende Aufgaben und lässt sich konsequenterweise so darstellen. Hier besetzt der Relativsatz eine freie Attributposition seines Bezugsnomens. (14·)
S. würde unser Hund
beißen
I
d-
nie
\ ist
/
einen Briefträger
/ ein V Kerl
der
/
braver / ganz Die Aufspaltung des Relativpronomens in einen konjunktionsäquivalenten ¿-Teil und einen die Satzposition besetzenden pronominalen Teil ist ein Vorschlag von Engel (1994), der Mer aufgegriffen werden soll. Diese Entscheidung lässt sich formal auf dreifache Weise begründen. Einmal ist das Relativum in der linearen Kette obligatorisch linksversetztes Element. Diese Position ist eine, die den linearen Ablauf betrifft. Dabei ist zu beachten, dass in der Nominalgruppe die Linearstruktur einen anderen Status als in der sonstigen Satzstruktur aufweist: die Linearstruktur der Nominalphrase ist kommunikativ nicht beeinflussbar, sondern fest, d.h. sie ist an funktionale Plätze geknüpft. Zinn zweiten sind Relativsätze aber Sätze, die Verben enthalten und daher hierarchisch auch so darzustellen sind. Daher hat hierarchisch der Relativsatz zwei funktionale Köpfe: das finite Verb und das Relativum, genauer sein ¿-Element. Linear gesehen ist die obligatorische Positionierung des Relativums am linken Rand der Ausdruck dafür, denn diese Position wird eben nicht kommunikativ frei gewählt, sondern ist syntaktisch erzwungen. Die Verdichtung der beiden Funktionen - Kopf der Konstruktion und Füllung einer hierarchischen Satzposition - lässt sich hierarchisch in der gewählten Weise trennen. Ein drittes Argument für die Doppelkopfanalyse der Relativsätze sind die in den deutschen Dialekten quasi obligatorisch begegnenden Formen wie (15): (15) Der Mann, der wo das gesagt hat, ist verschwunden.
Relativsätze
293
8.8.2. Die Abgrenzung der restriktiven von den appositiven Relativsätzen Welche Kriterien lassen sich für die Entscheidung, ob es sich um einen restriktiven oder um einen appositiven Relativsatz handelt, heranziehen? Die oben angeführten Fälle sind prototypisch. In Texte eingebunden, sind die Verhältnisse längst nicht so klar. Die Frage ist dahingehend zu präzisieren, ob der Relativsatz dominant determinierende oder dominant qualifizierende Aufgaben hat. Als Kriterien bieten sich daher solche an, die eindeutige Signale in die eine oder andere Richtung geben, und zwar sowohl aus dem Relativsatz selbst als auch aus den anderen Elementen der Nominalgruppe. Das Signal des Determinativpronomens derjenige/diejenige/dasjenige/diejenigen ist kataphorisch. Der Ausdruck steht bei einem semantisch weiten, kategorialen Ausdruck, der durch den Relativsatz erst festgelegt werden soll. So lassen sich für den Kopf der Nominalgruppe, an die der restriktive Relativsatz tritt, erstens semantisch weite Ausdrücke wie Mensch (16), Mann (17), Erfahrungen (18), ausmachen. Thielemann (1990, S.955) spricht hier von „Mantelbegriffen". Zweitens weist das Kopfsubstantiv fakultativ progrediente Intonation, jedenfalls nie fakultativ fallende auf (vgl. Lehmann 1984, S.263). Das Intonationskriterium ist aber nicht automatisch gültig (vgl. dazu Schaffranietz 1997). Dies ist nur bei appositiven Relativsätzen möglich. Die fallende Intonation gibt offenbar das Signal, dass das Kopfsubstantiv ausreichend determiniert, aber auch qualifiziert ist. Dies kann z.B. durch inhaltsreiche pränominale Adjektive oder ein spezielles Kopfnomen oder durch deren Kombination erreicht werden (19), (20). Dann resultieren appositive Relativsätze. Diese Relativsatztypen entsprechen bei der textgrammatischen Analyse von Mikame (1998, S. 104-107) den unmarkierten Fällen, bei denen der Hörer keine referentiellen, sondern prädikative Informationen erwartet. Mikame hebt sodann markierte Fälle ab (Mikame 1998, S. 107-116), bei denen zwei Fälle zu unterscheiden seien, solche die mitteilen, um „was für ein Objekt" es sich handelt (unsere Typen 16-18), und solche, die vornehmlich der referentiellen Identifizierung dienen (unsere Typen 9 und 11). (16) In dieser Stadt leben Menschen, die ihre Namen nicht nennen. (SZ 28.4.97, S 3) (17) Das neue Wahrzeichen sind die jungen Männer, die in den Straßen um die Kesbach herumlungern, die in Bab El-Oued an den Mauern lehnen, in den Hauseingängen des Wohnsilos von E-Harrach stehen ... (SZ 28.4.97, S.3) (18) Zu den Erfahrungen, die Schröder in dem für ihn bedeutsamen Vorwahljahr besonders beflügelten, gehört der Eindruck, wie wenig ihm seine „privaten Auffälligkeiten" schadeten. (Der Spiegel 48, 1997, S.37) (19) Der ihm mindestens ebenso wesentlich erscheinende Imperativ heißt „ Veränderungsbereitschaft", die er insonderheit „im ökonomischen Bereich" einklagen möchte. (Der Spiegel 48, 1997, S.37)
294
Der Aufbau der Nominalphrase
(20) Fundamentalistische Strömungen im Islam könnten nur mit einer „radikaldemokratischen Position" bekämpft werden, meinte der bündnisgrüne Politiker, der auch das Frankfurter Amt jur mulitkulturelle Angelegenheiten leitet. (SZ 28.4.97, S. 34) Hier ist für die Analyse als appositiver Relativsatz weiterhin die durch das Zitat erfolgte genaue Charakterisierung des Politikers maßgeblich. Eigennamen und Personalpronomen „erzwingen" (in der Ausdrucksweise von Lehmann 1984, S.264) die appositive Lesart: (21) Otto Maier/Er, der ein alteingeführtes Geschäft besitzt, hat sich ganz zurückgezogen. Gleiches gilt für eindeutige Bezugsausdrücke wie ihre Eltern: (22) Auf Wunsch ihrer Eltern, die eine Apotheke besaßen, hatte sie ein Pharmaziestudium begonnen. (SZ 28.4.97, S 3) Die Bestimmung eines Relativsatzes als appositiv oder restriktiv ist häufig nur durch den Kontext möglich. Daraus darf aber nicht geschlossen werden, dass es syntaktisch ambige Fälle gäbe. Die unterschiedlichen Leistungsbereiche der Nominalphrase - Determination, Qualifikation, Qualifikation - stehen auch in einem Implikationsverhältnis, beziehungsweise sie können indirekt zum Ausdruck gebracht werden. Aufschluss darüber gibt die Kenntnismenge, die sich aus den gesamten kontextuellen Informationen errechnen lässt. So ist selbst bei Aliquanteren nicht automatisch die erwartbare restriktive Lesart gegeben. (23) Alle Hunde, die beißen, müssen eingesperrt werden. = restriktiv (24) Alle Hunde, die immer auch bissige Exemplare aufweisen, müssen hier einen Maulkorb tragen. = appositiv Die beiden Typen können ohne weiteres verbunden werden: (25) wegen seines Muts, auch einem Lallenden, dem die Welt zerfällt [appositiv], noch eine Sprache zu geben, die mit der unsern zusammenhängt [restriktiv]. (Rolf Vollmann, Die wunderbaren Falschmünzer. Ein Roman-Verführer, Frankfurt 1997, S.1019) Anstelle von Artikeln kommen die Determinative derjenige, diejenige, dasjenige, diejenigen vor. Sie leiten restriktive Relativsätze ein. (26) Derjenige Mensch, der seinen Namen nicht nennen will... Weiterhin kommen w-Relativa vor. Bei pronominalem Bezug sind sie die Regel. Auch sie leiten restriktive Relativsätze ein: (27) „Sport und Musik" heißt das, was sich hinter den Mauern der Polizeireviere abspielt. (SZ 28.4.97, S.3)
295
Relativsätze
(25')
wegen Muts / \ seines zu geben ΓΛ' einem Lallenden
/
auch
in eine Sprache d-
\d- noch/ \zerfallt η / die Welt
\
zusammenhängt die
/ \mit
\ dem
n\ der unsern
D-Formen kommen jedoch auch vor. Sie lassen die Kommutation mit wFormen, den „freien" Relativsätzen, zu, die in Abschnitt 4 behandelt werden. (28) Die, die die Didaktik abschaffen wollen, sollen sich äußern. (28a) Wer die Didaktik abschaffen will, soll sich äußern. Hier ist klar zu sehen, dass dieser Typ restriktiv ist.
8.8.3. Die weiterführenden Relativsätze Zunächst ist aber noch auf die sogenannten „weiterführenden" Relativsätze einzugehen. Sie sind appositiv und bestehen wiederum aus zwei gänzlich verschiedenen Typen. Der eine hat ein nominales Bezugswort, und die Abgrenzung zu den sonstigen appositiven Relativsätzen ist nur durch ein textuelles Merkmal möglich. Die weiterführenden Relativsätze sind „kontinuativ" (Lehmann 1984, S.272), sie führen eine zeitlich folgende Prädikation an. Dieser Typ ist damit assertierend: (29) Sie erbte eine Apotheke, die sie später verkaufte. Die Abgrenzung ist häufig nicht einfach, aber unter Beachtung der angeführten Kriterien (appositives Verhältnis, zeitlich folgend, assertierend) möglich: (30) Der Dekan [hatte] daraufhin eine Fachkollegenkommission eingesetzt, die dem Professor wissenschaftliches Fehlverhalten vorwarf. (SZ 28.4.97, S.34)
296
Der Aufbau der Nominalphrase
Textfunktional ist dieser Typ deswegen besonders interessant, als er erlaubt, eine unabhängige Prädikation, die normalerweise in einem Aussagesatz zu erwarten wäre, in einer Struktur unterzubringen, die formal nicht selbständig ist. Syntaktisch sind die weiterführenden Relativsätze mit nominalem Kern wie die anderen appositiven Relativsätze darzustellen. (29')
S.
sie
eine Apotheke
\d\
verkaufte sie^^die ^^später Dass der Relativsatz in (29), die sie später verkaufte, Assertionsqualität hat, ergibt sich durch die entsprechenden Signale, die der Satz enthält, insbesondere dadurch, dass die Bedeutung von erben und verkaufen auf Grund unseres Weltwissens in einer zeitlichen Folge manifest wird. Mikame (1998, S.10) bucht diesen Relativsatztyp als zweiten unmarkierten Fall seiner Typisierung: Hier macht der Sprecher eine Aussage über ein indefinites spezifisches Nomen. Der zweite Typ der weiterführenden Relativsätze hat kein nominales Bezugselement, sondern bezieht sich auf den ganzen Satz (Bergmann 1985, S.62). (31) Sie verkaufte die Apotheke, was sie später noch bereuen sollte. Es handelt sich stets um w-Relativsätze. Sie stellen Bewertungen des Satzes, auf den sie sich beziehen, dar, sind aber nicht auf Sprecherbewertungen beschränkt, was normalerweise als ihr Charakteristikum angeführt wird. Häufig sind w-Formen, die über die „Glossierung" (Erben 1980, Nr.565) hinaus das Beiläufige oder das Fazit angeben, das ein angeführter, assertierter Sachverhalt ergibt: (32) Sie verkaufte die Apotheke, wobei sie einen schweren Fehler machte. (32a) Sie verkaufte die Apotheke, womit sie einen Fehler beging. Syntaktisch ist hier zu fragen, ob es sich bei diesen Sätzen um eine Sonderform der Aussagesätze handelt, ob also unter den Aussagesätzen ein weiterer, spezieller Typ anzusetzen sei. Denn die weiterführenden w-Relativsätze kommen durchaus in geschriebener Sprache auch selbständig vor: (33) Damit ist die Rechnung aufgegangen. Was zu beweisen war. Diese Möglichkeit wäre durchaus berechtigt. Auch andere Nebensatztypen sind
Relativsätze
297
als unabhängige Sätze, also mit satzmodaler Qualität, bewertbar, wie z.B. die fifass-Exklamativsätze.
(34) Dass sie sich so täuschen konnte! Dennoch erscheint eine Behandlung der weiterführenden Relativsätze, die sich auf Sätze insgesamt beziehen, analog den bisher behandelten Relativsätzen berechtigt. Die Einbeziehung des S-Symbols in das dependentielle Stemma erlaubt eine adäquate Darstellung. Diese w-Relativsätze werden so in ihrem unabhängigen Status erfasst: (31') w-
sie
rv die Apotheke
sollte sie
bereuen was
später
noch
Die Bezugsstelle für den w-Relativsatz ist die einzig richtige, nämlich der gesamte Satz. In früheren Arbeiten zur Dependenzgrammatik ließ sich dies nicht darstellen. In älteren generativen Arbeiten, bei denen die appositiven Relativsätze als Konstituenten von S aufgefasst wurden im Gegensatz zu den restriktiven, die eine Konstituente in der NP bildeten, ließ sich ebenfalls dieser Typ nicht abheben.
8.8.4. Die freien Relativsätze Als letzter Typ relativischer Konstruktion sind die sogenannten freien Relativsätze zu behandeln. Es handelt sich um Konstruktionen, die kein explizites Bezugsglied aufweisen. Deswegen werden sie großenteils gar nicht als Relativsätze aufgefasst, sondern, vor allem in dependenzgrammatischer Sicht, wo fehlende oberflächenstrukturelle Kennzeichen nicht restituiert werden, als besondere Typen von Ergänzungs-, Angabe- oder Attributsätzen. Diese Sätze sind überwiegend, aber nicht ausschließlich, generisch, also nicht aktual. Das w-Pronomen lässt einen deutlichen Bezug zu Fragesätzen erkennen. Es handelt sich somit um einen Satztyp, der Bezüge nach den verschiedensten Seiten aufbaut. Vor allem ist er durch besondere Kürze und Prägnanz gekennzeichnet. (35) Wer hat, hat. E,ub (36) Wer wagt, gewinnt. Esub
(37) Was nicht ist, kann noch werden. Esub
298
Der Aufbau der Nominalphrase
(38) (39) (40) (41)
Wo nichts ist, hat der Kaiser sein Geld verloren. Alok (Ves Brot ich ess, des Lied ich sing. Attr^,, Wem Gott will rechte Gunst erweisen, den schickt er in die weite Welt. E ^ Wer sie nicht zahlen kann, bekommt die Gebühren gestundet. Esub (SZ 28.4.97, S.34) (42) Sie spielen wieder, wo es verboten ist. A ^ Bei einer oberflächenorientierten Analyse besetzt der w-Satz die jeweils angegebene Position. Bei den E- und den Attributtypen ist eine Kommutation der wPronomen durch jeder oder derjenige, wer oder analoge Formen möglich, bei den Α-Typen durch ¿/-Adverbien: da/dort, wo. Diese Paraphrasenmöglichkeit zeigt zunächst, dass mit den w-Formen eine Determinationsleistung erzielt wird. So gesehen handelt es sich also um restriktive Relativsätze, wenn man die Relativsatzanalyse überhaupt akzeptiert. Dass man sie so auffassen darf, zeigen Sätze wie (40), die ein pronominales Bezugsglied für den w-Relativsatz aufweisen. Dieses ist allerdings nicht obligatorisch. Alle Sätze der angeführten Beispielreihe (35)-(42) lassen andererseits ein solches pronominales Glied zu, so dass hier auch vollständige Sätze angenommen werden könnten, die sich aufeinander beziehen. In Fällen wie (35) oder (36) müsste man dann von Ellipsen sprechen. (35 a) Wer hat, der hat. (36a) Wer wagt, der gewinnt. (41a) Wer sie nicht zahlen kann, der bekommt die Gebühren gestundet. Zunächst bietet sich an, für die Sätze (35a) und (41a) genau den Darstellungsweg der restriktiven Relativsätze zu wählen, den wir oben eingeführt haben: (35a1)
S.
(41a1)
S.
hat
w der
bekommt
w der
hat
nicht
wer
gestundet die Gebühren
kann wer
zahlen \ sie
Man erkennt, dass der restriktive Relativsatz im Matrixsatz durch ein Korrelat wieder aufgenommen wird. Der Relativsatz selber hat determinierende Funktion. Daher wird er wie die sonstigen Determinative behandelt.
299
Relativsätze
Umgekehrt lässt sich nun sagen, dass bei freien Relativsätzen ohne pronominales Korrelat, eine analoge Darstellung gewählt werden kann (36'). Die oberflächenorientierte Darstellung, bei der also keine „Spur" der Relativkonstruktion sichtbar gemacht wird, gibt (36") wieder: (36')
S.
(36")
V
gewinnt r \ / w d-
S.
\gewmnt . wagt / wer
wagt / wer Die besondere Leistung dieses Typs im Unterschied zu anderen satzförmigen Leerstellenbesetzungen ließe sich dann nur beschreibend durch die Aufzählung seiner Besonderheiten angeben. Dieses sind: die w-Pronomina, ihre obligatorische Topikalisierung und ihre generische Interpretation. Die Sätze sind singularisch. Trotzdem ist der Alloperator (Vx) maßgeblich (alle die). Allerdings gibt es durchaus auch Fälle, wo der Jotaoperator wirkt: (ix) (derjenige, welcher)·. (43) Wer den Hauptgewinn erzielt hat, wird gebeten, sich zu melden. So ergeben sich als Paraphrasen für (43): (43 a) Der/die (derjenige/diejenige), der/die den Hauptgewinn erzielt hat, soll sich melden. Die ökonomische Kurzform in (43), bei der wer überdies sexusneutral ist, signalisiert zudem deutlicher, dass es sich bei diesem Typ funktional gesehen um einen Fragesatz handelt. Diese satzmodale Qualität wird allerdings nur indirekt vermittelt. Ein Problem wird in den - nicht seltenen Fällen - gesehen, in denen das Korrelat und der w-Ausdruck des freien Relativsatzes im Kasus nicht übereinstimmen, etwa in (40) (vgl. Pittner 1991, Leirbukt 1995, Pittner 1995). Pittner (1995) hat dazu eine Regel formuliert, die die Nichtrealisierung des vom Matrixverb geforderten Kasus nach einer Hierarchie Nominativ>Akkusativ>Dativ/ Präpositionalkasus zulässt. Leirbukt (1995) formuliert weitere Bedingungen. Hierzu ist zunächst zu sagen, dass die Kasusforderungen in den beiden Sätzen vollkommen unabhängig zustande kommen, wie im übrigen bei allen anderen Relativsätzen auch. Was zu diskutieren wäre, ist die w-Form bei sämtlichen freien Relativsätzen. (40) lässt sich paraphrasieren mit (40a) Denjenigen), dem Gott will rechte Gunst erweisen, den schickt er in die weite Welt.
300
Der Aufbau der Nominalphrase
Hier sieht man zunächst die reguläre Relativsatzform. Bei freien Relativsätzen lassen sich die d-^d-Interdependenzen in w-Formen amalgamieren, bei denen der Kasus, der vom Matrixverb gefordert wird, verdeckt wird. Dass die w-Formen selber Bezüge zu Fragesätzen ergeben, ist oben schon gesagt worden.
8.8.5. Fazit Zwar werfen Relativsätze weiterhin semantische Probleme auf; die im letzten Abschnitt angegebenen Deutungswege belegen das zur Genüge. Doch der syntaktische Deutungsrahmen lässt sich durchaus festlegen, wenn ein geeigneter Beschreibungsmechanismus gewählt wird. Mit einer erweiterten Dependenzgrammatik, bei der für die relativischen Subtypen unterschiedliche Einbettungen festgemacht werden, lässt sich ein Zugang zu den Funktionen gewinnen. Denn einerseits sind Relativsätze in ihrer internen Baustruktur homogen. Deswegen ist hier versucht worden, für ihr Spitzenelement eine im Prinzip überall gleiche Form zu finden: d- beziehungsweise w-. Dieses konjunktionsähnliche Element signalisiert ihre Bau-Analogie zu anderen durch Subjunktionen eingeleiteten Nebensätzen, aber auch zum Satz selber, der in der erweiterten Dependenzgrammatik S als Spitzenelement trägt. Auch dieses ist ein suprasegmentales Zeichen, das den Wörtern aufgeprägt wird, und zwar in Form einer spezifischen Intonationskontur. Der d- oder w-Kopf der Relativsätze hinterlässt demgegenüber nur eine leere Spur, weil er in der linearen Kette mit den eine Position im Satz besetzenden d- und w-Relativpronomen verschmilzt. Doch werden auf diese Weise die doppelten Steuerungswege in Relativsätzen deutlich.
8.9. Appositionen Als letzter Typ von Satelliten in der Nominalgruppe sind die Appositionen zu behandeln. Es sind zwei Gruppen zu unterscheiden (vgl. Valentin 1998), engere Appositionen wie (1) Frau Maier, Tante Emma, Staatsminister Huber und weitere Appositionen wie (2) Vizepräsident Fröhlich, dieser allzeit zu Scherzen aufgelegte Kollege Bei (2) handelt es sich um eine verkürzte Prädikation, die in den aktuellen Satz eingeschoben ist. Sie ist auf Substantive und Pronomina bezogen. Ihr satzbezogenes Pendant ist die Parenthese.
301
Appositionen
8.9.1. Engere Appositionen Bei der engeren Apposition handelt es sich im Vergleich mit (2) um eine gänzlich anders zu beurteilende syntaktische Erscheinung. Sie ist ein spezieller Attributstyp. Von Engel (1988) wird sie auch terminologisch, als Nomen varians, für flektierbare Typen (eines Glases warmer Milch) und Nomen invarians (des Monats August) von der eigentlichen Apposition getrennt. 8.9.1.1. Pränominale Appositionen Einige engere Appositionen sind pränominal. Dies sind Vornamen und Verwandtschaftsnamen: (3) Donald Duck, Onkel Dagobert In einigen Grammatiken werden auch Titel und Berufsbezeichnungen hierher gerechnet: (4) Premierminister Blair, Hauptgeschäßsßihrer Oberhuber Diese Ausdrücke werden nicht flektiert. Dies war in früheren Sprachstufen des Deutschen jedoch der Fall: (5) Hartmanns von Aue 'Gregorius' Noch heute zeigt die Betonung auf dem Familiennamen, dass dieser es war, der den Vornamen, den eigentlichen Namen, genauer spezifiziert hat. Daher ist genetisch gesehen der Vorname der Kern der Gruppe. Funktional wird man sich der umgekehrten Determinationsrichtung nicht verschließen können, so dass in (3) und (4) der vorangestellte Ausdruck als engere Apposition zu werten ist. (3')
Duck Donald
Dagobert Onkel
Auch bei diesem Attributstyp ist eine deutliche Determinationsleistung implizit, so dass auch hier Kopplungsinterdependenzen angesetzt werden können, zumal kein Artikel diese Stelle besetzt: ΓΛ η (3") Donald Duck Onkel Dagobert Als Anredewort wird Herr obligatorisch, einige andere Ausdrücke wie Genossin, Genösse, Kollegin, Kollege werden fakultativ flektiert: (6) Herrn Hubers, Kollege(n) Müllers und Genosse(n), Vranitzkis Argumentation
Der Aufbau der Nominalphrase
302
8.9.1.2. Postnominale Appositionen Die vorangestellten engen Appositionen sind, wie zu sehen war, als Ausnahmen zu betrachten. Die nachgestellten sind häufiger. Insbesondere wenn ein Determinativ dazutritt, ist die attributive Struktur deutlich. Es gehören dazu Verwandtschaftsbezeichnungen (7), Anredewörter (8), Titel (9), Standes- und ähnliche Bezeichnungen (10), kategoriale Orts- und Zeitausdrücke (11), Maß- und Mengenbezeichnungen (12), Gattungsbezeichnungen (13). Alle diese Ausdrücke sind die nominalen Kerne, die dazu gesetzten Ausdrücke die appositiven Attribute. (7) der Onkel Gustav, der Vetter Michel (8) der Herr Grundeis, die Frau Lampe (9) der Verwaltungsdirektor Schmidt, der Senator Eberle, der König Ludwig (10) der Abgeordnete Müller-Landau, der Baron Eberning (11) das Land Brandenburg, der Monat Mai, das Jahr 1998 (12) zwei Sack Kartoffeln, das Fass Sauerkraut (13) die Boeing 737, das Kreuzfahrtschiff 'Mozart' Die syntaktische Struktur ist stets die gleiche: r\ (7') der Onkel (12') Sack
\Gustav
/ \Kartoffeln
zwei
η das Fass
\
Sauerkraut
Die nachgestellten engeren Appositionen können die flexivischen Merkmale der Nominalgruppe an sich ziehen: (14) ein Schloss Königs Ludwig des Zweiten von Bayern (14a) ein Schloss König Ludwigs des Zweiten von Bayern (15) das Büro des Ministers Müller (15a) das Büro Minister Müllers Die Einmal-Setzung des Flexionsmorphems ist in der Gegenwartssprache im Vordringen und unterstützt den allgemeinen Trend der kompakten Kennzeichnung der gesamten Nominalgruppe. Gleichzeitig verringert sich damit die explizit appositive Markierung der angeschlossenen Glieder, die dadurch auf dem Wege sind, gewöhnliche Attribute zu werden. Echte Appositionen sind Einschübe zu nominalen Gliedern, die die syntaktische Progression unterbrechen.
8.9.2. Weitere Appositionen Dies sind die eigentlichen Appositionen. Sie sind relativ selbständige Hinzufügungen zum Substantiv oder zum Pronomen und immer nachgestellt. Sie stehen den Parenthesen nahe, weisen im Gegensatz zu diesen aber kein finîtes Verb auf.
Appositionen
303
(16) Venedig, die Traumstadt im Nordosten Italiens, zieht magisch die Besucher an. (17) Venedig - die Stadt ist die Perle des italienischen Nordostens - zieht magisch die Besucher an. Engel (1988, S.610 und S.806) fasst nur die hier gehörenden Typen als eigentliche Appositionen auf. Auch die beiden neueren Monographien zur Appositionsproblematik, Schindler (1990) und Lawrenz (1993), ziehen den Kreis eng. Lawrenz (1993, S.172) schlägt vor, nur die an DP adjungierten Attribute als Appositionen zu werten. Dependentiell gesprochen sind das Elemente, die von der gesamten Nominalphrase abhängen. Sie lassen sich in Bezug darauf als Attribute werten. Schindler (1990, S.330) fasst sie als „freie Angaben (zum Nomen)" auf. Er macht den Unterschied zu eigentlichen Attributen auch terminologisch deutlich und nennt die Appositionen „Hospitanten". Ein meist sicherer Indikator sei die Hinzufügbarkeit von übrigens. Syntaktisch gesehen sollte der Tatsache, dass Appositionen locker angeschlossen werden, Rechnung getragen werden. Sie sind quasi-selbständig. Außer der Möglichkeit, sie mit einem Ausdruck wie übrigens einzuleiten, werden sie, zumindest fakultativ, durch Pausen abgehoben. Mit einer weiteren Metapher aus dem Computerbereich lassen sie sich auffassen als Elemente, die durch „Anklicken" eines Links Hintergrundinformationen bereitstellen. Dies geschieht durch Verlassen des syntagmatischen Zusammenhangs. Es gibt Übergänge zwischen den beiden Gruppen und zwar bei den nachgestellten Adjektiven, wenn sie flektiert sind. Sie zeigen, dass auch die eigentlichen Appositionen Attributsqualitäten haben. (18) Autos, neue und gebrauchte Ein weiteres Zeichen der Bindung an das Substantiv oder an das Pronomen ist die Übereinstimmung im Kasus. (19) Er bestieg den Eiffelturm, das höchste Gebäude von Paris. Dazu gehören auch Appositionen mit als. (20) Horace Bénédict de Saussure, als dem Bezwinger des Montblanc, ein Denkmal errichtet.
wurde
Allerdings finden sich zunehmend Lockerungen in diesem Bereich. Insbesondere wird auf den Dativ ausgewichen (vgl. Leirbukt 1978, Faucher 1982 und Bergenholtz 1985). (21) Von der Spitze des Sears Towers, dem höchsten Gebäude der Welt... (nach Lawrenz 1993, S.165) Es lassen sich zwei Haupttypen unterscheiden, die gemeinsam haben, dass sie das Substantiv oder das Pronomen in der Art eines Prädikatsnomens näher cha-
304
Der Aufbau der Nominalphrase
rakterisieren. Bei expliziten Prädikationen wären dies dann die klassischen Prädikatsnomina E nom und E adj . (22) Die Erben Einsteins, neben Einzelpersonen eine Reihe von großen und kleinen Institutionen, haben damals beim Amt zur Regelung offener Vermögensfragen einen Restitutionsanspruch gestellt. (Bloomsday '97, S.172) (23) Venedig, wasserreich und von Touristen überlaufen Im weiteren Sinne lassen sich genauere Spezifizierungen wie in (24) ebenfalls als Appositionen auffassen. Bei solchen Angaben sind die hinzugefügten Glieder teilweise umstellbar. (24) Der Vertrag wurde am folgenden zeichnet.
Tag, frühmorgens, gegen 8 Uhr, unter-
Auch bei diesem Typ ist der Übergang zu echten Attributen gleitend. Der Unterschied der Haupttypen zu Attributen ist allerdings gravierend. Man erkennt das durch den - in diesem Zusammenhang häufig gezogenen - Vergleich mit Relativsätzen. Die sogenannten appositiven Relativsätze sind zwar strukturähnlich, haben aber andere Eigenschaften. (16a) Venedig, das eine Traumstadt im Norden Italiens ist, zieht magisch die Besucher an. Relativsätze (16a') sind vollständige, Appositionen (16') jedoch insofern unvollständige Strukturen, als bei ihnen eine Gleichsetzungsprädikation erspart wird. (16b') Venedig
(16a') Venedig
\
\
d\
ist
/
das
^
0
\
η eine Traumstadt
eine Traumstadt
Dass appositive Strukturen auf vollständige Propositionen zurückzuführen sind, wird, wie gesagt, durch die progrediente Intonationskontur am Ende des Bezugsnomens und den merklichen intonatorischen Einsatz an ihrem Beginn deutlich. Insofern ist hier eine „Spur" der elidierten Struktur vorhanden. Satzfunktional sind sie damit verkürzte Prädikatsnomina, also E nom und Eadj. Alle Versuche, sie direkt an eine Phrase anzubinden, würden aber außer Acht lassen, dass die weiteren (= echten) Appositionen lokale und lockere Einschübe zu Wörtern sind, dies lässt sich am einfachsten durch eine indizierte Konnexion ausdrücken:
305
Appositionen
(16·) Venedig \APPOS J ·
N
die Traumstadt \
im \ Nordosten \ Italiens
8.9.3. Zusätze Appositionsähnliche Konstruktionen sind Zusätze zu Substantiven, die deren Referenzbereiche näher spezifizieren. Bei Schindler (1990, S.261f.) werden dazu die folgenden Ausdrücke gerechnet: bekanntlich/übrigens, allgemeiner, also, anders gesagt, ausgenommen, beispielsweise, besonders, bzw., d.h., einschließlich, ferner, genauer, hauptsächlich, ich meine, ja, konkret, m.a. W., namentlich, nämlich, nein, nicht so sehr, nochmals, obendrein/überdies, oder besser, präziser, so auch, und zwar, überwiegend, unter Anderem, vielmehr, vor allem, zumindest und in „(1.) spezifizierende (die Haie, vor allem die Hammerhaie,) (2.) nichtspezifizierende (die Haie, obendrein die Barrakudas,) (3.) Alternativen nennende (die Haie, m.a.W. die Räuber der Meere) (4) referenzklärende (die, ich meine die Haie) und (5.) prädizierende Zusätze (die Haie, übrigens eine uralte Tierart,)" (Schindler 1990, S.336) weiter untergliedert. Die genaue syntaktische Bestimmung dieser - sehr häufig begegnenden Zusätze ist weitgehend offen. Während die in 8.9.1. und 8.9.2. behandelten Appositionen vorwiegend prädikative Aufgaben haben - sie tangieren die referentielle Leistung ihrer Bezugssubstantive nicht - präzisieren die Zusätze den Referenzbereich des Kopfnomens mit Ausnahme der von Schindler angesetzten letzten Gruppe, deren Elemente besser als echte Appositionen zu werten sind. (25) Venedig, vor allem der Markusplatz, steht häufig unter Wasser. (25')
steht Venec derjylarkusplatz
Wasser
vor allem Das Adverb gibt die referenzrestringierende oder -präzisierende Information ab. Wie alle appositiven Relationen ist auch diese Konstruktion syntaktisch gelockert.
306
Der Aufbau der Nominalphrase
8.10. Sonderformen der Nominalgruppe
a) Elliptische Formen Das Subjekt des folgenden Satzes weist scheinbar keinen expliziten Kern auf: (1) In einem anderen Kontext zwar, jedoch ebenso deutlich wie theoretische Abhandlungen erinnert das sprachwissenschaftlichste unter allen fiktionalen Werken, 'Alice hinter den Spiegeln ', an diese Wahrheit. (Claude Hagège, Der dialogische Mensch. Hamburg 1987, S. 134) Hier drängt sich der Ansatz einer Nullstelle oder einer Spur für den Kopf der NP auf: (1') das 0 Sprachwissenschaftlichste
unter I Werken
APPOS 'Alice hinter den Spiegeln'
allen Superlativische Adjektive dieser Art stehen in vergleichbaren Konstruktionen regulär ohne Kopfnomen: (2) Helena, die Schönste der Frauen (3) Gulliver, der Größte bei den Liliputanern Hier zeigt die Großschreibung des superlativischen Adjektivs, dass es als KopfSubstitut angesehen wird, nicht aber bei gewöhnlichen Fällen wie (4) Ich habe mir das dickste der dort liegenden Bücher ausgewählt. Dennoch sind die gleichen strukturellen Verhältnisse anzunehmen. Dies gilt nicht nur für den Singular: (4a) Ich habe mir die teuersten der dort liegenden Bücher ausgewählt. Die Beziehung zur abhängigen Präpositional- oder Genitivphrase ist dem engeren appositiven Verhältnis wie bei Maß-/Mengenbezeichnungen vergleichbar. Das superlativische Adjektiv lässt sich so als Kopf der Konstruktion ansehen: η (1") das Sprachwissenschaftlichste
\
unter Werken allen
r\ (2') die Schönste
λ
o \ der Frauen
Eigennamen und Pronomina
307
Der merkliche Unterschied zwischen (5) und (6) lässt sich ebenfalls so darstellen: (5) Die Reichsten der Männer sind Reeder. (6) Die reichsten Männer sind Reeder. (5')
S.
(6·)
S.
sind η / \ die Reichsten Reeder n \ der Männer
sind η / Die Männer I reichsten
\ Reeder
8.11. Eigennamen und Pronomina Pronominalphrasen und Nominalphrasen mit Eigennamen als Köpfen sind wesentlich einfacher gebaut als die sonstigen Nominalphrasen. Daraus darf jedoch nicht geschlossen werden, dass deren Paradigmen und ihre Verwendungsbedingungen einfach seien. Sowohl die Erstellung von Paradigmen als die Erklärung des Gebrauchs der Formen ist auf unterschiedliche Weise möglich (vgl. etwa Eisenberg 1998, S. 163-171, Duden 1998, S.326-361). Syntaktisch relevant sind vor allem die Stellungsregularitäten. Diese werden in Kap.9.3. behandelt. Nicht nur positionell, sondern was den Status und die Bindungsverhältnisse betrifft, werden das Pronomen es und die Reflexivpronomina kontrovers beurteilt. Syntaktisch ist der Status der Reflexivpronomina ein Problem. Bei den echt reflexiven Verben (sich schämen, sich grämen) lässt es sich als Verbteil, bei den partimreflexiven Verben (unechten reflexiven Verben), bei denen es mit unabhängigen Besetzungsmöglichkeiten kommutiert, wie eine normale E auffassen (sich waschen, sich erinnern). Das Pronomen es kann in den Fällen, in denen es nur zur Füllung der Vorfeldposition stehen muss (1 und 2) wie in (l1) aufgefasst werden. (1) Es zogen drei Reiter zum Tor hinaus. (2) Es gibt hier kein Schloss. Problematisch ist auch die Ableitung von Pronominalphrasen wie (3) Wir Studenten sehen das anders. (4) ihr Neunmalschlauen (5) er als der Älteste Hier ist am ehesten ein appositives Verhältnis anzusetzen.
308
Der Aufbau der Nominalphrase
S. zogen es Reiter /
drei
zum / Tor
hinaus
(vgl. Pütz 1975 und Askedal 1999). Dependentiell gesehen sind Eigennamen und Pronomina diejenigen nominalen Ausdrücke, bei denen die flexivischen Regelungskategorien Genus, Numerus und Kasus nicht im Funktionsverbund mehrerer Wörter stehen, sondern in einem einzigen Morphem eines einzigen Wortes vereint sind. Bei Pronomina hat deren lexikalischer Teil dann die spezifischen deiktischen oder anaphorischen Aufgaben. Eine syntaktisch relevante Frage ist, warum die Flexionsparadigmen von Eigennamen und Pronomina im Deutschen so außerordentlich unterschiedlich sind. Die Antwort darauf hat die - trotz referentiell gleicher Ausgangsbasis - unterschiedlichen Verwendungsbedingungen in Rechnung zu stellen: Eigennamen (Vornamen) kommen so gut wie nie im Plural vor, dadurch entfällt bereits die Hälfte des Paradigmenaufwandes der Pronomina. Was die Genusbezeichnung betrifft, so ist der lexikalische Teil fast ausnahmslos deutlich. So bleibt einzig die defekte Kasuskennzeichnung bei den Eigennamen zu erklären. Diese lässt sich, falls ein Eigenname nicht Subjekt ist, durch die starken Redundanzen vor allem bei der Wortstellung im Satz erfassen. Im Gegensatz zu den Eigennamen sind bei den Pronomina nur die geschlechtigen Pronomina {er, sie, es) bereits im Wortstamm eindeutig gekennzeichnet, alles andere muss flexivisch geregelt werden, was zu aufwendigen Paradigmen gefuhrt hat, die im Deutschen auch kaum Abbautendenzen zeigen.
9. Die Wortstellung
9.1. Die hierarchische Struktur des Satzes und ihre lineare Abbildung
9.1.1. Grundannahmen Für die Darstellung der Satzstruktur liegt die folgende Annahme zugrunde: Die hierarchische Struktur ist die eigentlich syntaktische. Die dependentiellen Darstellungsformen seit L. Tesnière fassen dies konsequent. Konstitutionell aufgebaute Syntaxen regeln die Linearstrukturen im primären Darstellungsverfahren mit. Dies ist für einfach gebaute Sätze ein großer Vorteil, weil keine zusätzlichen Mechanismen nötig sind. Dependentielle Syntaxen müssen die Linearstruktur immer erst herstellen. Dieser Nachteil erweist sich aber als Vorteil, wenn a) Strukturen mit unklaren Konstituentenzuordnungen und b) die Satzmodalität in ihrem jeweiligen Status adäquat beachtet werden. - Vergleichen wir dazu die folgenden Sätze: (1) (2) (3) (4) (5) (6) (7) (8)
Karl liest die neuen Bücher. Karl blättert die neuen Bücher durch. Liest Karl die neuen Bücher? Aber Karl liest die neuen Bücher. Karl liest aber die neuen Bücher. Karl liest die neuen Bücher aber. Doch liest Karl die neuen Bücher nur. Karl blättert die neuen Bücher aber nur durch.
(9) Aber liest Karl die neuen Bücher nur? Der Satz (1) ist konstitutionell unproblematisch: (1') [Karl] [liest [die [[neuen] Bücher]]]. (1") s
die Adj
Ν
neuen Bücher
310
Die Wortstellung
Schon (2) zeigt ein Problem: blättert ... durch bildet eine diskontinuierliche Konstituente. Solche Konstituenten stellen allerdings für jeden syntaktischen Typ, nicht nur für die Konstituentenstrukturgrammatiken, eine Herausforderung dar. Man kann prinzipiell auf zweierlei Weise damit fertig werden. Entweder fuhrt man den Satz (2) auf eine Struktur zurück, die sich etwa im deutschen Nebensatz findet. (2a) (dass...) Karl die neuen Bücher durchblättert. und entwickelt dann Regeln, die den Satz (2) herstellen, oder man geht von einer anderen Konstituentenstruktur aus, etwa
(21)
Karl blättert die
neuen Bücher durch
Dies sieht allerdings sehr nach einer ad hoc-Lösung aus. Noch schwieriger ist es, für die Konjunktionen und Partikeln - in unseren Beispielsätzen aber und nur - konstitutionelle Entscheidungen zu treffen. Es liegt auf der Hand, dass dies in einem Grammatiktyp, bei dem die Verkettung von Wörtern das Primäre ist, einfach zu regeln ist. Schwierigkeiten tauchen an anderer Stelle auf. Was den Punkt b), die satzmodale Qualität betrifft, so ist etwa der Unterschied von (1) und (3) besonders schwer zu motivieren. Eine konstitutionell angelegte Syntax kann dies ausschließlich durch Umstellungen regeln, also den Fragesatz auf eine Struktur beziehen, die im Aussagesatz vorliegt, sonst sind die Konstituenten nicht zu durchschauen. Mit dem Ansatz der erweiterten Dependenzgrammatik, bei dem die satzmodale Qualität „an der Quelle", nämlich bei dem Startsymbol S geregelt wird, lässt sich der Unterschied von (1) und (3) erfassen: (3·)
-s.
(Π liest Karl
liest η die Bücher neuen
Karl
rv die Bücher neuen
311
Die hierarchische Struktur des Satzes und ihre lineare Abbildung
9.1.2. Projektion auf die lineare Kette Bevor auf die komplexeren Fälle eingegangen wird, muss grundsätzlich geklärt werden, wie aus der hierarchischen in die lineare Struktur übergegangen wird. In den Stammbäumen (1'") und (3') ist durch die versetzte Schreibweise angedeutet, wie die Linearstruktur Zustandekommen kann: indem die hierarchische Struktur auf die lineare projiziert wird. In diesen Fällen ist dies einfach und eindeutig: Die Kanten, die die Verkettung der Wörter mit dem Startsymbol herstellen, dürfen sich nicht überkreuzen. In diesem Fall liegt ein sogenanntes projektives Stemma vor, und die Linearstruktur ist weiter nichts als die Abbildung der hierarchischen Verkettung auf die Zeitachse in gesprochener Sprache oder auf die Hintereinanderschreibung der Wörter in geschriebener Sprache. „Projektivität" ist in Dependenzsyntaxen zunächst eine theoretisch begründete Anforderung für die Abbildung der hierarchischen Struktur auf die lineare Kette. So lassen sich projektive von nichtprojektiven Strukturen unterscheiden: (10'
ΐγ2 Λ|
ιγ3 ι γ ΐ ιγ3 ιγ2 Λ. J Λ. Q Λ. 2 Λ. 2
Ρ
Mit der Notation wird hier im Wesentlichen Heringer (1993) gefolgt. Danach lassen sich Elemente in ihrem Platz in der gesprochenen oder geschriebenen Kette so festlegen, dass sie die hierarchische Struktur, in der sie stehen, linear auf die Projektionslinie Ρ abbilden. Als Elemente sind in (10') indizierte X angegeben, wofür sich als Beispielbelegungen Wörter denken lassen. Der obere Index legt die hierarchische Struktur fest, der untere Index ist ein Zählindex der jeweiligen Kette. In (10') resultiert ein projektives Stemma. Eine mögliche Belegung wäre (10). Nichtprojektiv wäre demgegenüber das Stemma (11'). (10) Über Grammatik handeln viele Bücher. (10")
(11·)
handeln über
Bücher Grammatik
viele
Ρ Über Grammatik handeln viele Bücher
Ρ ΐγ , γ 1 |γ 3 ι γ 2 Λ ^ Ιγ 2 ,γ Λ 3 ,· Λ
1 -"Ί
1
0
2
2
312
Die Wortstellung
Dafür ließe sich der folgende Satz denken: (11) *Komplizierte über Grammatik handeln viele Bücher. Bei nichtprojektiven Stemmata überkreuzen sich die Strukturkanten und die Projektionslinien. Wenn Projektivität als Bedingung für die Linearisierung der hierarchischen Struktur des Satzes angesetzt wird, werden damit die allermeisten ungrammatischen Sätze verhindert. Was in der generativen Konzeption vor allem durch das c-Kommando des Kasusmoduls und des Subjazenzmoduls geregelt wird, kann dependentiell im Prinzip durch die Projektivitätsforderung erreicht werden. Allerdings müssen sowohl die Bedingungen noch weiter spezifiziert werden als auch etwaige vorkommende nichtprojektive Strukturen erklärt werden. Denn bereits (12) erlaubt in anderen Sprachen eine Belegung: (12) Summa cum laude promoventur eximii studiosi. Wenn dies im Lateinischen sicher auch eine stilistisch markierte Struktur ist, so kommt sie doch vor, und sie führt auf die Frage nach Graden der Grammatikalität und Ungrammatikalität, wie sie besonders in der generativen Konzeption diskutiert werden. Die Projektivitätsannahme lässt sich weiter so nutzen, dass auf die Verzweigungsrichtung der Kanten geachtet wird. Damit lassen sich für die einzelnen Sprachen ihre typologischen Grundserialisierungen beschreiben. So sind idealtypisch zunächst zwei Projektionsrichtungen zu unterscheiden, rechtsverzweigende Stemmata (13', 13a') und linksverzweigende (14', 14a'): (13') XI
ιγ 1 Λ0
(13a·)
ιγ2 Λ,
ιγ3 Aj
X¿
ιΛ γ 1
0
ιΛγ 2
Ι
ιγ2
2
Die hierarchische Struktur des Satzes und ihre lineare Abbildung
313
Sprachen, die die Abfolge von Verb (V), Subjekt (S) und Objekt (O) in der Abfolge VSO erfordern, wären rechtsverzweigende, SOV erfordernde dagegen linksverzweigende. Erstere sind linksperipher oder kopfinitial, letztere rechtsperipher oder kopffinal. Das Deutsche gehört zum letzteren Typus. In kaum einer Sprache lassen sich ausnahmslos reine Typen finden. Es gibt fast immer spezifische Mischungen. So ist im Deutschen die Nebensatzserialisierung im Prinzip kopffinal, Präpositionalphrasen dagegen sind kopfinitial, Determinatorphrasen (DP) sind ebenfalls kopfinitial; bei der „Doppelkopfanalyse" der NP werden die einzelnen Dependentien gesondert erfasst. Alles was vom Nomen abhängig ist (dies gilt dann auch für die Annahme, dass die NP in eine DP eingebettet ist), ist kopffinal, also projektiv und linksverzweigend. In der parallelen Projektionsrichtung von NP und VP zeigt sich eine weitere wichtige Gemeinsamkeit dieser beiden Phrasentypen. Die Projektivitätsanforderung ist, wie gesagt, eine idealtypische Bedingung für die Annahme, dass die syntaktische Struktur, die sich durch Über- und Unterordnungsverhältnisse der Wörter, ihre syntaktischen Bindungen aneinander, festlegen lässt, auf die Linearstruktur gespiegelt wird. Dies sieht von textuellen Bindungen weitgehend ab. In der realen linearen Kette aber schlagen sich neben den syntaktischen Strukturen gerade diskursiv motivierte Regularitäten der Abfolge nieder. So liegt es auf der Hand, dass bei jedem Satz geprüft werden muss, was für die Abfolge der Konstituenten generell grammatisch-typologisch festgelegt und was speziell textuell maßgeblich ist. Es ergeben sich komplizierte Verschränkungen, denen im Folgenden nachgegangen wird.
9.1.3. Grundserialisierung Wenn wir in den Stemmata für die Sätze (1) und (3) anstelle der Wörter Kategorialsymbole einsetzen, lassen sich diese Sätze und alle anderen strukturgleichen erzeugen. Nehmen wir dafür die valenzmotivierten Symbole, dann ergibt sich: (1"")
Karl
liest
314
Die Wortstellung
(3")
S?
Det
Ν
Ν
Adj Liest
Karl
die neuen Bücher ?
Die hier verwendeten Kategoriensymbole sind jeweils aus entsprechenden Paradigmen genommen, die im Einzelnen ausfuhrlich darzustellen sind (vgl. Kap.4). Nebensatzförmige Strukturen mit der Belegung der C-Position durch eine Subjunktion können zunächst als analog abgeleitet angesehen werden: S.
(la')
Pron
Adj (Ich weiß,) dass Karl
die
neuen Bücher liest
In der Nebensatzrealisierung finden wir die Basisform für alle Anordnungsregularitäten. Den Bezug darauf müssen alle anderen Vorkommensformen erkennen lassen. Alle Sätze weisen eine „Ableitungsgeschichte" auf. Sie aufzudecken und die jeweils verwendeten Formen zu klären, wird ein wesentlicher Aspekt dieses Kapitels sein. Zuvor sind noch einige weitere Fragen zu klären. Was die Valenzregelung betrifft, so enthält das Stemma die quantitative und qualitative Valenzangabe in ihrer Standardform. Die Angabe der quantitativen Valenz ist nicht einfach entweder als minimal oder als maximal mögliche Belegung von Aktantenpositionen vorzunehmen, sondern als der „syntaktische Normalfall", d.h. derjenige Gebrauch, der nicht eine spezielle Reduktionsform des entsprechenden Verbs darstellt und auch nicht eine spezielle Erweiterungsform. Bezogen auf den Satz (1) wären Reduktions- und Erweiterungsformen etwa: (lb) (Was tut Karl?) Karl liest. (lc) Karl liest uns die neuen Bücher.
Die hierarchische Struktur des Satzes und ihre lineare Abbildung
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In beiden Fällen wird die lexikalisch geregelte Grundinformation, dass es sich bei lesen um ein zweiwertiges Verb handelt, bei der Stemmaindizierung beibehalten. Der aktuell oder auch generisch r e d u z i e r t e Gebrauch in (lb) bedeutet entweder, dass Karl in diesem Augenblick (etwas) liest oder aber dass er gerne liest, dass er eine Leseratte ist, und der um einen Dativus commodi e r w e i t e r t e Gebrauch (1 c), dass er die Bücher für uns liest. Ebenfalls bringt das Stemma den Aktantentyp zum Ausdruck, und zwar durch die Position der Aktanten relativ zum Verb und zu den anderen Aktanten. Dies gilt ebenfalls nur für die kontextuell unbeeinflussten Sätze. Bei ihnen ist die Aktantenkonstellation eine Regelung, die die verschiedenen Aktantentypen voneinander trennt, so dass wir in Bezug auf ihre Funktion von Esub (Subjekt), Eaifc (Akkusativobjekt), Edat (Dativobjekt) usw. sprechen können. Diese Bewertungen setzen nämlich eine weitgehend konstante Funktion der entsprechenden Aktanten voraus. Dass dies so ist, wird in valenzorientierten Arbeiten bisweilen in Abrede gestellt. Damit ist nur ein rein strukturell-syntaktischer Gesichtspunkt gemeint. Allerdings muss noch nachgewiesen werden, dass die Aktanten in einer kontextuell unbeeinflussten Verwendung, also in isolierter Form oder als Diskurs- oder Texteröffnungssätze, sich wirklich konstant ordnen. Hier darf dies zunächst vorausgesetzt werden; in allen neueren Syntaxkonzeptionen wird dies zu Recht angenommen. Verb und Aktanten (Komplemente) bilden spezifische Konfigurationen. In isolierten Sätzen lässt sich deren Funktion so erklären, dass damit propositionale Inhalte kompakt ausgedrückt werden. Ähnlich wie ein Wort aus dem mentalen Lexikon abgerufen wird, wenn es syntaktisch eingebunden, d.h. in der Kommunikation verwendet wird und dabei aus seiner virtuellen Bedeutung in eine aktuelle übergeht, lassen sich analog die syntaktischen Konfigurationen deuten. In vielen Grammatiken werden sie als Satzmuster oder Satzbaupläne gefasst, in valenzorientierten Syntaxen sind es Verb-AktantenKonstellationen. Die Konfigurationen können entweder so wie sie 'gespeichert' sind, verwendet werden, oder aber quantitativ reduziert bzw. erweitert, vor allem aber positionell je nach den Erfordernissen des Kontextes abgewandelt werden. Das Deutsche gilt, wie gesagt, als sogenannte SOV-Sprache, das Englische dagegen als SVO-Sprache. (15) (Ich weiß,) dass er das Buch gelesen hat. (16) (I know) that he has read the book. Wie man sieht, gibt es in Bezug auf das Subjekt hier keinen Unterschied zwischen dem Deutschen und dem Englischen, wohl aber, was das Verb und das Objekt betrifft. Da, semantisch gesehen, das Verb als Prädikator seiner Argumente aufzufassen ist und sich dieses Bestimmungsverhältnis auch in Strukturen wie dem indirekten Objekt in Bezug auf das direkte oder bei Wortbildungsstrukturen, wenn sie mit Phrasen konkurrieren, findet:
316
Die Wortstellung
(17) einem Freund ein Buch geben - to give a book to a friend Wortbildung - formation of words lässt sich erkennen, dass diese typologische Bestimmung der Sprachen von großer Relevanz ist. Zu fragen ist, ob sie sich auf das Verhältnis Aussage(haupt)satz - Nebensatz auswirkt. Das ist nur bedingt der Fall. Obwohl für die Position des Subjekts im Englischen im Aussagesatz andere Regularitäten gelten als im Deutschen - im Englischen ist es unmittelbar vor das finite Verb zu setzen, im Deutschen gilt diese Regularität nicht - , ist jeweils sowohl der Nebensatz wie der Aussagehauptsatz identisch in der Abfolge der Elemente, die er enthält. Im Deutschen und Englischen findet sich relativ zueinander eine invertierte Folge, immer unterstellt, dass keine textuellen Abweichungen durchschlagen: (18) Ich weiß, dass er gestern einem Freund ein brandneues Buch zum Lesen gegeben hat. (19) / know that he gave a brand new book to read to a friend yesterday. ( 18a) Gestern hat er einem Freund ein brandneues Buch zum Lesen gegeben. (19a) Yesterday he gave a brand new book to a friend to read Strukturelle, syntaktisch bedingte Unterschiede finden sich zwischen Hauptund Nebensatz im Deutschen nicht, auch nicht solche, die sich durch die textuelle Einbindung ergeben. Die gravierenden Unterschiede zwischen Haupt- und Nebensatz im Deutschen sind vielmehr in der Spaltung der verbalen Teile begründet. Da sie im Nebensatz in Kontaktstellung auftreten, ist dies ein weiterer wichtiger Gesichtspunkt, ihn als Grundlage für die Serialisierungsregularitäten anzusehen. (18b) Ich weiß, dass er gestern das neue Buch einem völlig Unbekannten gegeben hat. (18c) *Ich weiß, dass gestern er das neue Buch einem völlig Unbekannten gegeben hat. (18b) Er hat gestern einem völlig Unbekannten das neue Buch gegeben. (18c) Er hat gestern das neue Buch einem völlig Unbekannten gegeben. (18d) Gestern hat er das neue Buch einem völlig Unbekannten gegeben. Einzig für die Besetzung der Position vor dem finiten Verb, der Vorfeldposition, hier durch das Zeitadverbial, gibt es im Nebensatz keine Äquivalenz (vgl. aber Van de Velde 2000). Diese Besetzungsform, die nur dem Aussagehauptsatz offensteht, ist textuell-diskursiv reguliert. Derartige Regularitäten aber müssen als den Grundstrukturen aufgeprägt angesehen werden. Die jeweiligen obersten Regentien, nämlich S., S?, S!, lösen die jeweilige Serialisierung aus, in die die textuellen Regularitäten eingehen. Bei dieser Lösung hat also die erreichte Serialisierung eine andere Ableitungsgeschichte, als sie in der GB angenommen wird. Die Quellen der Seriali-
Die hierarchische Struktur des Satzes und ihre lineare Abbildung
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sierung, nämlich typologisch bedingte Grundserialisierung, satzmodale Unterschiede und textuelle Regularitäten, werden dabei getrennt. Dadurch ergeben sich, wie noch deutlich werden wird, insgesamt kürzere Ableitungswege, wenn auch im Einzelnen verschiedene Schichtungen abzuarbeiten sind. Im Deutschen, wie in anderen Sprachen auch, ist die Linearstruktur ein derart komplexes System von verschiedenartigen, ineinandergreifenden Regeln, dass kaum alle Einzelheiten in einer globalen Regelkomponente erfasst werden können.
9.1.4. Phrasen und Wörter Die syntaktische Struktur ist hierarchisch primär in der Verkettung von Wörtern zu erblicken. Doch liegen zwischen Satz und Wort Ordnungskategorien, die vor allem einen paradigmatischen Vergleich von an bestimmten Stellen wählbaren Alternativen ermöglichen. Die syntaktische Tradition spricht hier von Satzgliedern und Attributen (vgl. Kap.2.4.). Als Erklärungszugriffe auf erkannte Strukturen lassen sie sich in jeder Syntax verwenden, so auch in einer dependentiell organisierten. Auch der Konstituenten- und Phrasenbegriff ist geeignet. So sind alle Satzglieder entweder E oder A. Der Phrasenbegriff lässt sich für das Kopfwort einer E, einer A oder eines Attributes und alle seine Dependentien verwenden (vgl. Kap.3.3 ). Es ist nun aber in der spezifischen Tradition der Dependenzgrammatiken, die auf L. Tesnière zurückgeht, den Hauptwortarten gegenüber den Funktionswörtern eine Grundfunktion im Satz zugewiesen, die hier zwar nicht übernommen werden, aber in ihrem Darstellungsvorteil genutzt werden soll. Bei Tesnière werden alle paradigmatischen Alternativen, die anstelle eines Einzelwortes als E, A oder Attribute stehen können, durch „Translation" auf diese zurückgeführt. So wird etwa ein Relativsatz durch Translation in ein Adjektiv umgewandelt: (20) ein Hund, der beißt —» ein bissiger Hund (20')
ein Hund
der J beißt oder eine Präpositionalphrase kann „anstelle" eines einfachen Adverbs stehen: (21) Am Abend scheint der Mond -> abends scheint der Mond (21')
scheint
der Mond
am J Abend
In dem fj^steht links das Funktionswort, das ein Wort einer anderen Wortart indie jeweils zulässige Wortart überführt. Dieser Weg ist zwar funktional einsichtig, strapaziert aber unter anderem den Wortartbegriff zu stark, von den inzwischen gewonnenen Einsichten über die Kopfstrukturen, die etwa für die Nominalphrase eine viel elegantere Lösung ermöglichen,
318
Die Wortstellung
ganz abgesehen. Die Anordnung mehrwortiger Phrasen, die funktional äquivalent zu einwortigen Besetzungen sind, ist im Normalfall kohärent. Mit der Translationslehre hat Tesnière im Übrigen eine der X-bar-Theorie vergleichbare Vorstellung entwickelt, geht dabei allerdings nicht formal-ausdrucksseitig, sondern semantisch-funktional vor.
Neben mehrwortigen Phrasen, die alternativ zu einwortigen Besetzungen stehen können, wie in den eben angeführten Beispielen, gibt es eine große Zahl von entweder einwortigen oder kumulativ, also nicht durch Regens-/Dependensverhältnisse geregelten Besetzungen. Dies ist der Fall bei den Partikeln. Diese müssen wiederum in zwei Klassen eingeteilt werden: Solche die einen klaren Skopus haben und solche, die sich auf den ganzen Satz beziehen. Zu ersteren gehören die Grad- und Fokuspartikeln: (22) Der Berg ist sehr (Part^) hoch. (23) Besonders (Partfok) der Arber bietet eine schöne Aussicht. Gradpartikeln stehen immer, Fokuspartikeln meist links von ihren Phrasenkopf und beziehen sich auf diesen.
Besonders der Arber bietet eine schöne Aussicht. Eine letzte Bestimmung, die ebenfalls noch eingehender begründet werden muss, betrifft die in der Nominalphrase und im Verbverband begegnenden Verkettungen. Die Nominalphrasen haben als Kopf eine Verkettung: r> Det Ν Damit wird ihrem „Doppelkopfcharakter" Rechnung getragen: Die Nominalphrasen werden funktional vom Determinativ und lexikalisch, vor allem in valenzieller Hinsicht, vom Substantiv, gesteuert. Die Einzelheiten werden im Kapitel über die Nominalphrasen entwickelt (Kap.8.2.). Determinativ und Nomen stehen entweder in Kontakt wie in (24): (24) der Mann, der Arber, die Bücher, ein Mountainbike oder bilden eine Klammer, die im Deutschen außerordentlich variabel sein kann: (25) ein schönes, gerade gekauftes, aber schon wieder veraltetes Mountainbike. Der Klammerbogen in der syntaktischen Darstellung spannt sich „elastisch" über die beiden Kopfelemente:
319
Die hierarchische Struktur des Satzes und ihre lineare Abbildung
(25')
ein
ZZl^lountainbike schönes
gekauftes gerade^
aber ^veraltetes
wieder schon Im Standarddeutschen müssen nicht beide Kopfpositionen besetzt sein. In den Regionalsprachen und den Dialekten wirkt dagegen der Systemdruck, der auf Doppelköpfigkeit geht, viel stärker (vgl. Eroms 1988). Eigennamen, Massenwörter, prädikative Substantive und Substantive im unbestimmten Plural lassen sich in der Standardsprache ohne Determinativ verwenden. (26) Hans hat Hunger. (27) Mehl ist nichtsför Wölfe. In diesen Fällen bleibt der eine Kopf leer.
Hans hat Hunger . (27')
0 Hans hat 0 Hunger .' S.
V. Ν
(27")
/
o Det Ν
Ν Präp
o Det Ν Präp Det Ν
Mehl ist nichts für Wölfe
0 Mehl ist 0 nichts für 0 Wölfe
320
Die Wortstellung
Im Dialekt wäre für (26) anzusetzen: (26a·)
. S.
Der Hans hat einen Hunger .
9.1.5. Verbale Verkettungen und die Grundserialisierung Bei den Verben ist eine Verkettung ganz anderer Art gegeben. Alle verbalen Teile sind nach einem nur in ganz geringem Maße beeinflussbaren System miteinander verbunden. In der Nebensatzstruktur, die die typologische Grundstruktur am klarsten zeigt, ordnen sie sich von rechts nach links. In der Aussagehauptsatzstruktur wird der finite Teil an die zweite Position „versetzt" (vgl. Zemb 1972, S.51; 1978, S.429-431). Die Linearisierung ist problemlos, sie erfolgt durch Projektion: (28) dass Hans den Luchs (29) (30) (31) dass der Luchs von Hans (32) (33)
sah gesehen hat gesehen haben könnte gesehen wurde gesehen worden ist gesehen worden sein könnte (30') C
(28') Ç
Ν
Det~N
dass Hans den Luchs sah dass Hans den Luchs gesehen haben könnte Was die Verben betrifft, so sind die Auxiliare formal zweiwertig, für die infiniten Formen ist ein Valenzast durch die Verkettung abgebunden, die nominal oder in Satzform oder noch anders realisierte Valenz ist an die einzelnen Verbformen entsprechend verteilt. Der den einfachen Valenzgrammatiken zu Recht gemachte Vorwurf, sie könnten nur „flache", d.h. nicht syntaktisch differen-
Die hierarchische Struktur des Satzes und ihre lineare Abbildung
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zierte Strukturen erzeugen, kann für diese erweiterte Dependenzgrammatik nicht zutreffen. Insbesondere das Subjekt wird deutlich von den anderen Aktanten abgehoben. Drei- und höherwertige Verben werden analog behandelt: (34) dass Hans einem Kollegen einen Luchs für 100 Mark verkauft hat
Die Dependenzstemmata dieser Art lassen sich indizieren, so kann die Typologie der Aktanten im Stemma angegeben werden: die am weitesten links stehende Nominalphrase als Esub, die nächste als E ^ die folgende als E ^ . Die Position im Stemma bringt das bereits zum Ausdruck. In kontextuell eingebundenen Sätzen mit ihren Strukturen muss die Gewähr gegeben sein, dass auch bei Umstellungen die einzelnen Aktanten bestimmt werden können. Die Präpositionalphrase für hundert Mark lässt sich ebenfalls als Aktant werten (vgl. Schumacher (Hrsg.) 1986, S.741). In der Grundposition sind diese „Grenzfälle" nach den eindeutigen Aktanten zu finden. Schließlich zeigt dieses Stemma noch eine weitere Besonderheit der Nebensatzstruktur, nämlich die Diskrepanz zwischen den langen Strukturwegen und der hierarchischen Bezüglichkeit der gebundenen Elemente: Subjunktion und finîtes Verb, sowie finîtes Verb und Subjekt gehören am engsten zusammen, sind aber am weitesten getrennt, und zwar in einer Art Scherenstruktur. Die sekundären Valenzen sind 'schneller' zu erreichen. Dies ist natürlich kein Zufall. Die langen Verarbeitungswege im Deutschen sind in ihrer Ausdehnung keineswegs negativ zu beurteilen, sonst hätten sich andere Strukturen herausgebildet, sondern sie geben Signale für die Aufmerksamkeit: Eine Subjunktion fordert kategorial normalerweise ein finîtes Verb. Dieses wird erst am Schluss der ge-
322
Die Wortstellung
samten Struktur lexikalisch realisiert. Gleich nach dem Nebensatzsignal aber wird in der Grundstruktur die reale Besetzung der nach dem Verb wichtigsten, aber an dieses am lockersten gebundenen Aktantenstelle, des definiten Subjekts, gegeben. So wird eine Besetzungshypothese für den Hörer oder Leser möglich, die dann durch die übrigen Aktanten und Angaben weiter konkretisiert wird, bis am Schluss des Nebensatzes die Erfüllung der Prognose oder aber deren Korrektur steht. An dieser Stelle muss es genügen, wenn wir exemplarisch für die Satzmodi die Aussagesatzstruktur mit einem textuell gebundenen Subjekt verglichen mit dem Nebensatz etwas genauer betrachten. Der zuletzt angeführte Satz würde dann lauten: (35) Hans hat einem Kollegen einen Luchs für hundert Mark verkauft. (35·)
Hans hat einem Kollegen einen Luchs für hundert Mark verkauft. Zunächst ist zu sehen: Hier sind Subjekt und finîtes Verb positionell adjazent. Ob dies generell gilt, muss noch eingehend geprüft werden. Der längste Strukturweg ist hier zwischen finitem Verb und dem übergeordneten S-Symbol. Alles andere bleibt so wie in der Grundstruktur. Daher baut sich hier als zweitlängster Weg der zwischen finitem Verb und den infiniten Teilen auf. Der 'Spannungsbogen' ist analog zu dem zwischen der Subjunktion und dem Finitum bei der Nebensatzstruktur zu beurteilen, denn der längste Strukturweg des Aussagesatzes endet ja ebenfalls im letzten infiniten Verbteil: im Offset, der den Aussagesatz durch Tonabfall kennzeichnet - falls er nicht durch ein Fortsetzungssignal überlagert wird. Das heißt, auch bei der Satzintonation müssen wir zwischen jeweiliger Grundstruktur und textueller Einbindung unterscheiden.
Die Linearstraktur des Satzes im Text
323
9.2. Die Linearstraktur des Satzes im Text In jedem Satz müssen die Elemente in die vorgegebenen Schemata eingepasst werden, von ihnen kann nur in seltenen Fällen abgewichen werden. Trotzdem besteht zu Recht der Eindruck, dass eine außerordentlich große Variabilität in der Anordnung vorhanden ist. Alle Elemente ordnen sich nach diskursiv-textuellen Erfordernissen. Dafür lässt sich zunächst eine generelle Tendenz erkennen: Elemente, die in irgendeiner Weise an das schon Gesagte anknüpfen, tendieren nach links. Wie sich diese Linkstendenz für die textuelle Verknüpfung mit anderen Mitteln, nämlich morphologischen, insbesondere der Pronominalisierung, den Diathesen und der Intonation verbindet, soll im Folgenden dargestellt werden. In Kap.9.1. ist im Prinzip die projektiv erzeugbare Grundstruktur des deutschen Satzes behandelt worden. Die Einzelheiten, von denen einige strittig sind, können erst im Zusammenhang mit anderen Faktoren geklärt werden. Denn grammatisch-typologische Anordnungsregularitäten - eben die serielle Grundordnung des Satzes - , satzmodale - die in der Form von 'Makros' geregelte Anordnung der Elemente in den verschiedenen Satzarten - und diskursiv-textuelle Anordnungsregularitäten greifen ineinander. Die Literatur zur Wortstellung ist kaum noch zu überblicken. Umfangreichere Darstellungen, die auch grundsätzliche Fragen berühren, sind u.a. Engel (1970), Lenerz (1977), Hoberg (1981), Lötscher (1981), Altmann (1981), Abraham (Hrsg.) (1982), Höhle (1986), Abraham (1992), Rehbein (1992), Reis (Hrsg.) (1993), Hofmann (1994), Abraham (1995), Haftka (Hrsg.) (1994), Hoberg (1997) und Zeman (2000).
9.2.1. Feldergliederung Wir beginnen die Faktorenanalyse mit der Beschreibung der Anordnungsregularitäten nach der sogenannten Feldergliederung des Satzes. Sie ist für den deutschen Satz insbesondere von Drach (1937), Boost (1964), Glinz (1962) und Erben (1980) erarbeitet worden. In Bezug auf die verbalen Teile sind die wesentlichen Einsichten besonders von der nordischen Germanistik entwickelt worden, von Bech (1955/57) und Askedal (1996). In den Grammatiken von Eisenberg (1989, S.411), Engel (1988, S.304-306) und vielen anderen wird die Feldergliederung ebenfalls als Beschreibungsgrundlage genommen. Für den Aussagehauptsatz im Deutschen stellt sich die Feldergliederung folgendermaßen dar: (1) Seit haben längerer Zeit Vorfeld 1.Klammerteil
wir
die vom Borken- feststellen im käfer angerichte- können Nationalpark ten Zerstörungen Mittelfeld 2.Klammerteil Nachfeld
324
Die Wortstellung
Man sieht, der deutsche Satz ist in Zonen, in Felder eingeteilt. Alle diese Teile sind im Aussagesatz bis auf den 1. Klammerteil variabel, besonders das Mittelfeld. Die Felderstruktur ist nun nicht nur unter dem Gesichtspunkt interessant, was als unausweichliche Strukturvorgabe für den Satz verbindlich ist, sondern wie die Elemente, die im Satz miteinander hierarchisch verbunden sind, in dieses Schema eingepasst werden. Denn jedes Feld hat dabei bestimmte Grundaufgaben. Mit ganz unterschiedlichen Mitteln können die Plätze in den Feldern erreicht und damit genutzt werden. Es ist deutlich, dass die Randplätze besonders hervorgehoben sind, aber durchaus nicht in symmetrischer Weise. Das Vorfeld gibt den Einstieg in den Satz, das Nachfeld stellt eine relativ selbständige Zone dar, die sich als Auslagerung aus dem Mittelfeld erklären lässt. Da bis auf wenige Fälle alle Elemente des Vorfeldes im Mittelfeld angeordnet werden können, ist dieses die Zone, der wir uns zuwenden müssen, bevor die Randplätze analysiert werden können. Das Mittelfeld ist besonders variabel. Hier treffen typologische, syntaktisch-hierarchische und textuell-diskursive Faktoren aufeinander. Nicht betroffen von diskursiv-textuellen Regularitäten sind die Klammerteile. Sie sind vollkommen syntaktisch bestimmt und nur in ganz geringem Maße beeinflussbar. Dennoch liegt in ihrer Abfolge durchaus eine strikte Logik. Die Verkettung verbaler Prädikatsteile ist in 5.2. und 5.4. eingehender behandelt worden. Der kohärente verbale Komplex im Deutschen ordnet sich folgendermaßen: (2)
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
Negator > Verbzusatz > Vollverb/Funktionsverbgefüge > Kausativauxiliar > Passivauxiliar/IntransformativauxiliarAVahrnehmungsverb > Modalverb2 > Modalverb] > Perfekt-/Plusquamperfektauxiliar2 > Perfekt-/Plusquamperfektauxiliar, > Modalverbepi¡¡¿werden >
11 tun
In der Grundserialisierung werden die Elemente, welche hier hierarchisch geordnet sind, in der Weise linear gespiegelt, dass ihre Abfolge ungestört von rechts nach links verläuft. Was in der Formel am weitesten unten steht, steht linear am weitesten rechts. Aus den Altemativregeln wird eine Belegung ausgewählt. Im Nebensatz erscheint damit das finite Verb in der Endposition, alle infiniten und nichtverbalen Elemente unmittelbar davor. Im Aussagesatz bildet das finite Verb den ersten Klammerteil. Alle anderen Elemente verbleiben in situ. Maximale Belegungen aller elf Positionen gibt es nicht, es kommen bis zu sechs vor. Für mögliche Abweichungen von der Kohärenzfolge sei eine in süd-
Die Linearstniktur des Satzes im Text
325
deutschen Dialekten vorkommende angeführt (weitere Beispiele vgl. Van de Velde 1981). (3) Um Mibe siebane hob i scho miassn ausfâon. (Mittelbairisch, nachPatocka 1997, S.177) Standardsprachlich wird bei Modal- und Wahrnehmungsverbkomplexen das Finitum auch im Nebensatz versetzt: (4) dass er das hat mitbringen wollen (5) dass man sie hat singen hören Über den Status des Negators lassen sich unterschiedliche Auffassungen formulieren. Ob er zur Verbalgruppe gehört oder als Negationsangabe (NEG) aufgefasst werden soll, ist für die Abfolgeregelung nicht erheblich. So ergibt sich (6) dass
sie singt 2
sie nicht singt 1
3
sie nicht vorsingt 1
2
3
es nicht zur Entscheidung kommt 1
3
sie es ihm zukommen lässt 2
3
4
sie besungen wird 2
3
5
man dich ankommen sieht 2
3
5
du das schaffen können möchtest 3
6
7
du gesehen werden müsstest 3
5
7
du gesehen worden bist 3
5
8
es zur Entscheidung gebracht worden ist 3
5
8
er ihn abgeurteilt gehabt hatte 2
3
8
9
er gesehen worden sein müsste 3
5
8
10
er sehen wird 3
10
ihr spielen tätet 2 11
Die letzte Form ist nur dialektal zu belegen. Aus der kaum errechenbaren Fülle der Kombinationsformen sind hier einige aufgeführt. Zur Ratio, die genau zu diesen und nicht zu anderen Reihenfolgen fuhrt, ist mehrfach Stellung genommen worden (vgl. Weinrich 1986, Thurmair 1991, Eroms 1999 mit weiterer Literatur). Der allgemeinste Zug, der sich er-
326
Die Wortstellung
kennen lässt, scheint eine Polarität von 'Lexikalisierung' versus 'Grammatikalisierung' zu sein, d.h. links stehen lexikalische, rechts stetig zunehmend grammatikalisierte Elemente. Allerdings ist dies in keiner Weise schematisch zu sehen. Einmal sind mit den spät postierten epistemischen Modalverben lexikalische Elemente vorhanden, die sich auf die Einordnung der Propositionen beziehen, andererseits sind die Wahrnehmungsverben strukturbildend. Mit der Formel ist einzig die Erzeugung der Linearstruktur des Verbalkomplex intendiert. Diese bilden im Deutschen bis auf wenige Ausnahmen (vgl. Kefer/Lejeune 1974) kohärente Komplexe.
9.2.2. Ergänzungen und Angaben Welche Darstellungs- und Erklärungsform für die lineare Abfolge im Satz man auch heranzieht, es stellt sich der Eindruck ein, dass eine derart große Zahl von Makro- und Mikroregeln miteinander zu verrechnen ist, dass die Regularitäten letztlich undurchschaubar sind. So müssen einbezogen werden: - die syntaktischen Kategorien: Ergänzungen und Angaben - bei den Ergänzungen die Dichotomie 'Argument'status - Prädikatszugehörigkeit - die morphologische Realisierung: Pronomina - definite Nominalphrase - indefinite Nominalphrase - die semantische Rollenstruktur: belebte - unbelebte E - die Kasusform: Nom - Akk - Dat/Gen - bei den E ist der dominierende Faktor: die Verbnähe. In einer dependentiellen Sichtweise ist dies ein Gesichtspunkt der syntaktischen Hierarchie. - Bei den A ist der dominierende Faktor: der Skopus - Ferner ist zu unterscheiden die Dichotomie: Situierende A - Qualifizierende A Dazu lassen sich die Abtönungspartikeln in ihrem Stellungsverhalten kategorial zu den situierenden A stellen. E, A und Partit kommen miteinander kombiniert vor. Auf diese Gesamtstruktur werden die Faktoren der Kontexteinbindung aufgeprägt. Wenn hier nur zwei Parameter, Vorerwähntheit versus Neueinführung, beachtet werden, ergeben sich theoretisch bereits derart viele Kombinationsmöglichkeiten, dass die Regularitäten in der Tat undurchschaubar erscheinen. Um dennoch zu adäquaten Regelformulierungen zu kommen, lassen sich zwei Wege denken: A) Die Einzelfaktoren werden für die oben genannten syntaktischen Kategorien im Fall des Aufeinandertreffens angewendet, also indem das Zusammenvorkommen von je zwei Elementen auf die Stellungsregularitäten hin geprüft wird. Daraus werden die Regeln vereinigt und für größere Komplexe zusam-
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mengefasst. Vorausgesetzt wird hier, dass die Regeln der Kontexteinbindung auf eine Grundstruktur, die sich für die E nach den oben angeführten Kategorien alternativ ergibt, aufgeprägt wird. So gehen etwa Hoberg (1997) und auch Engel (1970) vor. Der Vorteil einer solchen Darstellung liegt in der plausiblen Erklärung für alle Vorkommensmöglichkeiten. Beide Grammatiken aber verzichten auf eine formale Herleitung der jeweiligen Strukturen. Das ist so auch gar nicht möglich, weil viel zu viele Regelalternativen berücksichtigt werden müssten. So werden den Beschreibungen auch keine Stemmata beigegeben, mit denen der Weg aus der hierarchischen Struktur in die lineare Kette verfolgt werden kann. B) Wenn dies aber angestrebt wird - und die Grammatiken der generativen Richtung verzichten keineswegs darauf - , muss ein anderer Weg eingeschlagen werden. Dazu muss das Regelsystem für die E auf den Status der dort verwendeten Kategorien überprüft und zunächst in Hinblick auf die syntaktische Grundstruktur von implizit eingegangenen Kontextfaktoren bereinigt werden. Bei der Kombination mit A wird die grundsätzlich unterschiedliche Regulierung - bei den E durch hierarchische Position (also 'Verbnähe') - bei den A durch Skopus - klarer zu Tage treten. Die Abtönungspartikeln genau wie die satzintegrierten Konnektoren, die in den meisten Grammatiken bei der Aufstellung der Abfolgeregeln nicht weiter beachtet werden, sind ebenfalls in ihrem Status anders zu beurteilen. Sie stören die sich ergebenden Regularitäten nicht. Erst auf diese Grundstrukturen, die die unmarkierten darstellen, lassen sich kontextbedingte als aufgeprägte ansetzen. Da aber alle Sätze, bis auf isolierte und allenfalls texteröffnende kontextuell eingebunden sind, sind die KontextEinbindungsregeln keine „Zusatzregeln", sondern die wichtigsten Anordnungsregeln, denn die Grundserialisierung muss sich aus der Satzstruktur ergeben. Kontextregeln für die Linearisierung interagieren in besonderem Maße mit Regeln der Satzintonation, genauer: mit dem Akzentregelungssystem. Die Akzentregelungen, die grammatische (morphologische) Form von Konstituenten und deren Position interagieren, wie gesagt, auch bei der Grundstruktur. So ergibt sich insgesamt kein einfacher Beschreibungsweg für die Linearstruktur. Doch kann die Beachtung der „Quellen" für die Linearität die Wege besser verfolgbar machen.
9.3. Die Stellimgsregularitäten für die Ergänzungen Es soll folgender Weg eingeschlagen werden: Ein einfacher Satz mit einem dreiwertigen Verb soll, ausgehend von seiner Grundstruktur, schrittweise in seinen kontextuellen Einbindungsmöglichkeiten verfolgt werden. Dies wird insbesondere durch die Ersetzung indefiniter Nominalphrasen durch definite erfol-
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Die Wortstellung
gen. Die Grundserialisierung, die Projektion der hierarchischen Struktur, findet sich in der deutschen Nebensatzform. Davon ist auszugehen. Da sie sich auch aus dem Aussagehauptsatz ablesen lässt, wird der besseren Prüfbarkeit kommunikativer Bedingungen wegen diese Satzform zum Ausgang genommen. Dies ist auch deswegen berechtigt, weil bei einer textuell neutralen Form angesetzt wird. Die diskursiv-textuellen Regularitäten werden sukzessive eingeführt. So wird als Ausgangsform ein Aussagehauptsatz mit einem indefiniten Subjekt im Vorfeld genommen. Solche Sätze sind in der kommunikativen Praxis selten, eher stehen situierende Adverbialia am Satzbeginn. Doch sind indefinite Subjekte im Vorfeld der theoretisch und praktisch anzusetzende Neutralfall.
9.3.1. Die Ergänzungen von dreiwertigen Verben 9.3.1.1. Esub Edat E ^ Wie bei dem Verfahren A sind auch bei Β viele Änderungsmöglichkeiten eher hypothetisch, so werden von den folgenden drei Sätzen (2) und (3) mit diesen Anordnungen kaum wirklich vorkommen: (1) Ein Briefiräger hat einem Kollegen einen Brief mitgegeben. (2) Der Briefträger hat einem Kollegen einen Brief mitgegeben. (3) Ein Briefträger hat einem Kollegen den Brief mitgegeben. In Bezug auf das Subjekt ergeben sich bei Sätzen mit Verben dieses Typs so lange keine Serialisierungsänderungen, wie sich der Rhemagipfel auf dem am weitesten rechts stehenden Ν befindet. Anders steht es bei den Objekten. Da ein indefinites Subjekt an der Satzspitze weniger wahrscheinlich ist, wenn ein weiterer Aktant définit ist, wird im Folgenden von der Besetzung der Subjektposition mit einer definiten Nominalphrase ausgegangen. (4) Der Briefträger hat dem Kollegen einen Brief mitgegeben. (5) Der Briefträger hat den Brief einem Kollegen mitgegeben. (6) Der Briefträger hat dem Kollegen den Brief mitgegeben. In (4) und (5) trägt die letzte Nominalphrase den Satzgipfelakzent, resultierend aus der syntaktischen Struktur. Der Akzent kann auch auf dem rechten verbalen Klammerteil piaziert werden, was sich nur bei entsprechender Kontexteinbindung ergibt: (7) Der Briefträger hat dem Kollegen den Brief mitgegeben. Die bisher erkennbaren Stellungsregularitäten lassen sich in ihrer Abweichung von der Grundreihenfolge durch das morphologische Merkmal 'définit' erfassen. Dieses aber ist ein konsequenter Ausdruck der Kontexteinbindung des jeweiligen Satzes. Für dessen Ableitung ist daher die Kontextinformation, die zu
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Die Stellungsregularitäten fur die Ergänzungen
einer definiten anstelle einer indefiniten Nominalphrase fuhrt, zu markieren, so dass sich der jeweilige Satz in seinem Stellungsverhalten ergibt. Das jeweilige kontextgebundene Element wird mit „th" indiziert. Damit wird das Resultat einer textuellen Einbindung bezeichnet, 'th' ist der Thematisierungsoperator, der zu unmarkierten thematischen Strukturen führt. (!')
—
S.
Ein Briefträger hat einem Kollegen einen Brief mitgegeben . Im Vergleich zu (l1) sind bei (4') die Ν des Subjekts und des Dativobjekts thematisch markiert. Weil sich indefinite und definite Subjekte in derartigen Sätzen gleich verhalten, braucht die Indizierung für das Subjekt nicht gegeben zu werden. Dies ist erst bei der Thematisierung eines weiteren Elements nötig. (4·)
η Det Ν
Der Briefträger hat dem Kollegen einen Brief mitgegeben
Der Briefträger hat den Brief einem Kollegen mitgegeben.
330
Die Wortstellung
Auch bei (4') gibt es noch keine Serialisierungsänderungen. Diese treten erst bei (51) ein. Man erkennt daraus, dass die Kontexteinbindung, solange keine Fokussierungen auftreten, etwa dadurch, dass ein besonderer Nachdruck auf eine thematisierte Konstituente gelegt wird, proportional der syntaktischen (hierarchischen) Kategorie 'Verbnähe' verläuft und die Auswirkung hat: 'Bewegung um eine Ε-Position nach links'. Die Stemmata (4') und (5') lassen die serielle Ableitungsgeschichte der Sätze erkennen. Sie enthalten das Resultat der Bewegung. Bevor nun die zahlreichen weiteren Serialisierungsmöglichkeiten behandelt werden, muss das Verhalten von Pronomina geprüft werden. Hier ergeben sich ganz einfache Verhältnisse: Die unmarkierten Personalpronomina entsprechen in ihrem Stellungsverhalten den definiten Nominalphrasen, ebenso die Eigennamen. Sowohl bei den Pronomina als auch bei den Eigennamen ist die Information 'schon eingeführt' bereits morphologisch abgebunden. Für die Serialisierungsableitung ergibt sich daraus, dass sie nicht eigens durch eine th-Markierung hervorgerufen wird; sie ergibt sich automatisch aus der morphologischen Form. Dies gilt auch für Personen, Gegenstände und Sachverhalte, die durch 'Weltkenntnis' bekannt sind {die Sonne, der Bundeskanzler, das Parlament). So hat gegenüber (5) (5b) keine Auswirkungen auf die Serialisierungsregularitäten: (5b) Der Briefträger hat ihn dem Kollegen mitgegeben. Es ist hier der hierarchisch gesehen verbnächste Aktant thematisiert worden wie in (5). Das Gleiche gilt auch für die pronominale Besetzung der beiden Aktantenstellen: (5c) Der Briefträger hat ihn ihm mitgegeben. Aber der folgende Satz, der letzte noch ausstehenden Fall, muss erklärt werden: (5d) Der Briefträger hat ihm den Brief mitgegeben. Hier (wie in 5b) sieht man, dass die pronominale Besetzung generell vor der nominalen Vorrang hat. Was die Form betrifft, so ist dies auch ein Beleg für die Gültigkeit des „1. Behaghelschen Gesetzes" (Behaghel Bd.4, 1932, S.6): längere Einheiten folgen kürzeren. Mit dem Ansatz, von einer Grundreihenfolge mit minimaler Kontexteinbindung auszugehen, ist zu formulieren: Pronomina rücken grundsätzlich eine Position nach links. Im Stemma löst der Phrasenkopf Pron damit die gleiche Linksverschiebung aus wie die Thematisierung. Die auszulösenden Prozesse lassen sich mit folgender Schreibkonvention zum Ausdruck bringen. Es sind nun allerdings noch weitere Gesetzmäßigkeiten einzubeziehen. Im Deutschen, wie in den mit ihm verwandten Sprachen, tendieren die Pronomina, vor allem, wenn sie reduziert sind, dazu, sich an das linke Rahmenelement anzuschließen. Dafür hat sich die Ausdrucksweise Wackernagelposition (Wackernagel 1892) eingebürgert: In der Nebensatzstruktur stehen danach Pronomina
Die Stelhmgsregularitäten für die Ergänzungen
331
im Anschluss an die Subjunktion, im Aussagehauptsatz im Anschluss an das Finitum. Sie schließen sich damit den Phrasenköpfen (C oder Vfin) an. Daher ist die normale Nebensatzserialisierung für (5d) (6). Neuere Arbeiten zeigen aber, dass auch (7) vorkommen kann (Lenerz 1993, Van de Velde 2000).
Der Briefträger hat ihn dem Kollegen mitgegeben'.
Det Ν Der Briefträger hat ihm den Brief mitgegeben .
Der Briefträger hat ihn ihm mitgegeben . (6) dass ihm der Briefträger den Brief mitgegeben hat (7) dass der Briefträger ihm den Brief mitgegeben hat Vor allem aber ist die Annahme, die Wackemagelposition sei beim Vorliegen von Pronomina nicht von anderen Elementen zu besetzen, in dieser strikten Form wohl nicht zu halten. Darauf wird in Abschnitt 9.5.1. eingegangen. - Klitika schließen sich im Allgemeinen vollen Formen an: (7a) dass er 'n ihm mitgegeben hat (7b) dass der Briefträger ihm 'n mitgegeben hat
332
Die Wortstellung
Die normalen Thematisierungsformen im Vorfeld lassen sich nun durch markierte ersetzen. Es sind vor allem ¿/-Formen, die einen deutlichen Nebenakzent an sich ziehen. Wenn wir ihren Weg verfolgen, zeigt sich, dass sie eine weitere Verschiebung nach links auslösen: Da es sich um markierte Themata handelt, die auch die Subjektregularitäten überlagern, ist folgende Markierung angebracht: th". (8) Der hat ihn einem Kollegen mitgegeben. (9) Den hat er einem Kollegen mitgegeben. (10) Den hat er ihm mitgegeben. (11) Dem hat er ihn mitgegeben. (12) Dem hat er einen Brief mitgegeben. (13) Den hat ein Briefträger einem Kollegen mitgegeben. (14) Den hat ihm ein Briefträger mitgegeben. (15) Den hat ihm der Briefträger mitgegeben. Es gibt noch weitere Möglichkeiten, die hier nicht alle angeführt zu werden brauchen. Bei (8) ist die 'Linksversetzung' nicht weiter zu realisieren, da bereits die Extremposition erreicht ist. Allerdings ist bei Überschreiten der regulären Satzgrenze durchaus diese Position zu erreichen. Es ergibt sich die eigentliche 'Linksversetzung' : (16) Der Briefträger, der hat den Brief einem Kollegen mitgegeben. Diese Formen werden in Kap.9.6. zusammen mit anderen Besetzungsmöglichkeiten der syntaktischen Randpositionen behandelt.
Det Ν Den hat er einem Kollegen mitgegeben . (9) ist der „Normalfall" einer rf-Form: die th'-Regel auf der E ^ fuhrt zu einer Verschiebung um zwei Ε-Positionen nach links: Bei (9') erscheint zum erstenmal im Ableitungsmechanismus eine nichtprojektive Struktur. Sie ist deutliches Kennzeichen für die Markierung, die mit diesen ¿/-Formen erzielt wird. Alle Voranstellungen des direkten Objekts bei periphrastischen Verbformen sind nichtprojektiv. Bei der weiteren Musterung der Serialisierungsregularitäten wird besonders darauf zu achten sein, welche
Die Stellungsregularitäten fur die Ergänzungen
333
nichtmarkierten, insbesondere projektiven Konstruktionen überhaupt möglich sind. Die durch die Konsequenz der verbalen Klammerung hervorgerufenen nichtprojektiven Strukturen treten auch bei einfacher Thematisierung auf: (17) Den Brief hat er einem Kollegen mitgegeben.
Den Brief hat er einem Kollegen mitgegeben . Damit ließe sich der Passivsatz (18) vergleichen, der projektiv ist: ( 18) Der Brief ist von ihm einem Kollegen mitgegeben worden. (18')
Der Brief ist von ihm einem Kollegen mitgegeben worden . Darauf wird in Kap. 10.4. eingegangen. Mit (14) und (14a) liegen nun Sätze vor, bei denen das Subjekt die letzte EPosition einnimmt. Dies ist die neutrale rhematische Position. Da die TRG eines Satzes ein jeweils relatives Abstufungsverhältnis darstellt, ist es unnötig, in solchen Fällen das Subjekt mit dem Index „rh" zu versehen. Dies ergibt sich automatisch als Konsequenz der Thematisierung der E ^ , in diesem Fall der markierten Thematisierung: In (14') wird die Markierung dieses Satzes deutlich. Weitere Thematisierungsmöglichkeiten sind (19) und (20).
334
Die Wortstellung
S.
(14')
Det Ν Den hat ihm ein Briefträger mitgegeben. (19) Den hat er ihm mitgegeben. (20) Den hat der Briefträger ihm mitgegeben. Hier liegen deutliche Korrekturfalle vor. Korrektur- oder Kontrastfälle reagieren kontrastierend auf eine Vorgängeräußerung (etwa: Den hat der Briefträger mir mitgegeben.) und sind durch eine Hervorhebung des Gipfelakzents und Nullsetzung sämtlicher anderer Akzentunterschiedlichkeiten zu erkennen. Sie sind mithin von den Thematisierungsprozeduren zu unterscheiden. Sie überlagern die thematisierten Strukturen; sie werden ihnen aufgeprägt. (19)
Proni
; Pron
Den hat er ihm mitgegeben Die Hervorhebung des Subjekts als Κ (Kontrast) in (19) wie auch der Edat in (20) kann nur noch durch die Intonation erfolgen, da die anderen Mittel ausgeschöpft sind. Kontrastierungen können generell auch durch ihr auffälliges Akzentmuster auch ohne Wortstellungsveränderungen bewirkt werden. (20)
Ea
i Pron ;
-
S.
r> Det Ν
PronK
Den hát der Briefträger ihm mitgegeben.
Die Stellungsregulailtäten fur die Ergänzungen
335
Bislang wurde zur Demonstration der Regularitäten nur ein einziges dreiwertiges Verb mit Ε Λ ι und Ejjj. herangezogen, das Verb mitgeben, und es ist zu fragen, ob sich alle dreiwertigen Verben mit dem Bauplan Esub E ^ E ^ so verhalten. In der Tat ist dies der Normalfall. Alle „ Transaktione ert) en", bei denen EJub die Rolle AG, Eakk die Rolle OBJ und E ^ die Rolle BEN trägt, weisen diese Regularitäten auf. (21) Er hat seinem Freund ein Buch geschenkt. (22) Sie hat ihrer treuen Kundin ein faires Angebot gemacht. (23) Er hat ihm ein nagelneues Auto gestohlen. Es gilt auch für freie Dative: (24) Sie hat ihrer Schwester ein Bild gemalt. Einzig Verben mit Rollen wie STIMULUS/THEMA scheinen sich anders zu verhalten. (25) Alte Knaben ziehen Rotwein Weißwein vor. Ohne spezielle Kontextinformation und ohne Hinweis auf die Betonung wird in (25) eher Rotwein als das bevorzugte Getränk ausgemacht. Es steht im Akkusativ. Bei (25) liegen zwei unbelebte E vor. Bei Fällen, in denen zwei belebte Rollen in einer Konstellation mit STIMULUS/THEMA stehen, zeigt sich, dass sich keine Änderungen zur Normalserialisierung ergeben. (26) Der Briefträger stellt einem Kollegen einen neuen Mitarbeiter vor. Allerdings wirkt dieser Satz, wie die meisten kontextlosen Sätze, konstruiert. Der kommunikative Normalfall ist der, bei dem nur ein Glied „neu", d.h. in Bezug auf die morphologische Form indefinit ist, (26a) und (26b) sind in diesem Sinne natürlicher: (26a) Der Briefträger stellt seinen Kollegen einen neuen Mitarbeiter vor. (26b) Der Briefträger stellt den neuen Mitarbeiter seinen Kollegen vor. Diese Sätze mit den Aufprägungen (26a·) Ejat-tf, -> S (26b') Ed,,,.,,,, E^-tt, -> S haben nur im letzten Fall Auswirkungen auf die Reihenfolge, genau wie der Ausgangsfall mit mitgeben. So bleiben als einzige Abweichungen von der hier maßgeblichen Serialisierungsregularität die Sätze des Typs (25) übrig. Dazu ist auch zu rechnen: (27) Man darf Äpfel nicht mit Birnen vergleichen. Hier sind die Äpfel der Term, also derjenige Ausdruck, der bereits in den Konstruktionstyp als thematisierter eingegangen ist, mit dem die Birnen verglichen werden. Daraus darf man schließen: Die - auch für alle anderen Sätze anzunehmende - Konstruktionshierarchie setzt bei den Sätzen dieses Typs eine Stufe später ein. Wie bei (freien) pronominalen Ausdrücken ist bei Themabindungen dieses Verbtyps, der ohnehin viel seltener auftritt als der Standardfall, der Akkusativterm bereits als thematisiert anzusetzen.
9.3.1.2. Esub Egen E ^ Genitivobjekte in höherwertigen Verbindungen (aber auch sonst) sind sehr selten im Gegenwartsdeutsch: (28) Der Staatsanwalt hat einen/den Agenten des Landesverrats angeklagt. (29) Der Leiter der Dienststelle hat einen/den Mitarbeiter eines Versäumnisses beschuldigt.
336
Die Wortstellung
(28a) Der Staatsanwalt hat des schweren Verbrechens einen anderen Agenten angeklagt. Diese Typen sind archaisch. Bei ihnen ist die Egen verbnächster Aktant. Entsprechend verhält sich die Serialisierung. (28')
Egen:lh Eakkrth ~>
Der Staatsanwalt hat den Agenten des Landesverrats angeklagt . Die erste Stufe einer abgeleiteten Serialisierung wäre. (28a·)
Der Staats- hat des schweren Verbre- einen anderen Agenten ange- ; anwalt chens klagt . 9.3.1.3. Esub Ejtt Epräp Dieses Satzmuster ist ungleich häufiger. (30) Der Briefträger hat einen Kollegen über neue Maßnahmen informiert. (30a) Der Briefträger informiert den Kollegen über neue Maßnahmen. (30b )Der Briefträger informiert den Kollegen über die neuen Maßnahmen. (30c) Der Briefträger informiert über die neuen Maßnahmen einen Kollegen. Auch dieses Satzmuster verhält sich analog zu den bisherigen. Verbnächster Aktant ist die Präpositionalphrase. Auf diese Weise kommt die E ^ in drei von den vier Standardfallen vor die Epräp zu stehen. Nur bei (30c) wirkt sich die Linkstendenz bei E prtp aus:
Die Stellungsregularitäten für die Ergänzungen
337
Der Briefträger hat über die neuen Maßnahmen einen Kollegen informiert . Die pronominale Besetzung der Ε-Positionen verhält sich so: (31) Er hat ihn darüber informiert. (31a) Er hat den Kollegen darüber informiert. (3 lb) Er hat darüber einen Kollegen informiert. Das Verbleiben der pronominalen E prip in situ, wenn auch die anderen E thematisiert sind, lässt sich mit der Prädikatsnähe der präpositionalen E erklären. 9.3.1.4. Esub E ^ Edir Dieses Satzmuster ist semantisch dem vorigen benachbart. Das Stellungsverhalten der Aktanten ist gleich: (32) Er hat die andere Adresse auf einen/den neuen Umschlag geschrieben. (32a) Er hat auf den Umschlag eine neue Adresse geschrieben. 9.3.1.5. Esub Eau Enom (33) Er hat ihn als Kollegen angesehen. (33 a) Er hat als Kollegen einen anderen Briefträger angesehen. 9.3.1.6. Esub E prip Eprtp (34) Er hat mit dem Leiter über einen unangenehmen Vorfall gesprochen. (34a) Er hat über den unangenehmen Vorfall mit einem Neutralen gesprochen. Damit ist der Überblick über das Stellungsverhalten der wichtigsten Satzmuster dreiwertiger Verben abgeschlossen. Es handelt sich bei allen diesen Gruppen um solche, bei denen das Subjekt absolute Linksposition im unmarkierten Aussagesatz und in den einfachen Thematisierungsfällen (definite Nominalphrasen, Pronomina) hat. Bei den beiden anderen E wirkt sich die einfache Thematisie-
338
Die Wortstellung
rung nur auf den verbnächsten Aktanten aus. Unter „Verbnähe" ist ein formales Kriterium zu verstehen, das seine Auswirkungen darin hat, dass eine einfache Projektion auf die lineare Kette möglich ist. Die E im reinen Kasus, Esub, E ^ und Edat, sind prototypische Argumente, also unabhängige Elemente. Die Egen, Epräp und Enom sind „verbnäher" auch in dem Sinne, dass sie prädikatsnäher sind. Die Enom werden in der grammatischen Tradition zu Recht als Prädikatsnomina aufgefasst.
9.3.2. Die Ergänzungen von zweiwertigen Verben Für alle Satzmuster zweiwertiger Verben gilt Analoges. Das heißt bei Esub E ^ (35), bei Esub Egen (36), Esub Edat (37), Esub Eprâp (38), Esub Esil (39), Esub Edir (40) hat das Subjekt in unmarkierten Fällen Linksposition. (35) (36) (37) (38) (39) (40)
Er liest einen/den Brief. Er gedenkt seiner. Er hilft ihm. Er erinnert sich cm die Adresse. Er liegt im Briefkasten. Er schickt ihn ans Briefzentrum.
Das Subjekt gehorcht aber nicht immer dieser Regularität. In den Rollenkonstellationen STIMULUS/THEMA - BENEFAKTIV; OBJECT - BENEFAKTIV, die mit Edat Esub oder E ^ Esub realisiert werden, ist das Subjekt verbnächster Aktant. (41) Die Sache gefällt mir nicht. (41 a) dass mir die Sache nicht gefällt (42) Fußball interessiert Jung und Alt. (42a) dass Jung und Alt Fußball interessiert Die letzteren Typen bilden entweder gar kein Passiv oder das Passiv erscheint als eine stark markierte Struktur. (43) In der Stadt sind einigen Passanten neue Briefkästen aufgefallen. (44) Im letzten Jahr hat den Kindern der Urlaub auf dem Bauernhof gutgetan. Diese Sätze weisen folgende Serialisierung auf. (Dass das Lokaladverbial vom Finitum abhängt, ist eine vereinfachte Schreibweise. Die Abhängigkeit ist auf den gesamten Verbkomplex bezogen, die Regensstelle muss für die einzelnen A gesondert bestimmt werden. Situierende A sind tempusbezogen, d.h. auf den Tempus-Teil des Verbalmorphems hingeordnet, daher ergibt sich das finite Auxiliar als Steuerungsinstanz; vgl. Kap.7.3.3.)
Die Stellungsregularitäten fur die Ergänzungen
339
Im letzten Jahr hat den Kindern der Urlaub auf dem Bauernhof gutgetan . Diese Stemmata sind nicht projektiv. Projektivität ergäbe sich, wenn die Edal als der hierarchisch verbnächste Aktant aufzufassen wäre. In der Tat lässt sich dies ansetzen. Allerdings lassen sich nur schwer überzeugende Sätze erbringen, die zwei nichtthematische E aufweisen. (44a) Im letzten Jahr hat ein Urlaub auf dem Bauernhof Kindern aus der Stadt gutgetan. (44b) Im letzten Jahr hat der Urlaub auf dem Bauernhof den Kindern aus der Stadt gutgetan. Der Satztyp (44a) ist natürlich nur auf dem Hintergrund der in der deutschen Gegenwartssprache herrschenden Subjektsprominenz, d.h. der Bevorzugung des Subjekts als neutralen Thematisierungsterms markiert. Er repräsentiert ein freieres Muster der Zuordnung. Es sind, wie man vielleicht vermuten könnte, nicht nur semantische Hierarchien wie [+ belebt] > [ - belebt], sondern auch andere Verhältnisse, die hier eine Rolle spielen.
340
Die Wortstellung
(44a1)
S.
Präp Ν
Präp
Adj
Ν
Det Ν
Präp
\
η Det Ν Im letzten Jahr hat ein Urlaub auf dem Bauernhof Kindern aus der Stadt gutgetan .
(45) Wahrscheinlich würde den alten Häusern ein neuer Anstrich guttun. Die Akkusatiwerben in dieser Gruppe, z.B. interessieren, langweilen, stören, sind den Strukturen der Hauptgruppe ähnlich, d.h. projektive Strukturen sind häufiger. (46) Gestern hat das Rockkonzert die Anwohner gestört.
(46·) Adv
Det Ν Gestern hat das Rockkonzert die Anwohner gestört .
9.4. Die Stellungsregularitäten für die Angaben 9.4.1. Grundannahmen Die Regularitäten für die Anordnung der Angaben sind einerseits erheblich einfacher als die der Ergänzungen, andererseits sind sie variabler, weil die Angaben nicht valenzgefordert sind und daher theoretisch zahlenmäßig unrestringiert vorkommen können. Tatsächlich ist auch die Zahl von Angaben im Satz be-
Die Stellungsregularitäten für die Angaben
341
schränkt, nicht aber auf Grund der quantitativen Valenz der Verben, sondern aus kommunikativen Gründen; die Sätze dürfen nicht überladen sein. Angaben gehorchen generell einem ganz anderen Anordnungsprinzip als die Ergänzungen. Sie stehen links von ihrem Bezugsbereich, sie sind also skopusbezogen und damit rechtsdeterminierend. Es gibt bei ihnen daher keine analogen Verhältnisse zu den von den verbalen Valenzen her geregelten Satzmustern, die die hierarchischen Verhältnisse des Satzes linear spiegeln. Weiter entfällt ein Großteil der komplizierten Regularitäten, mit denen die Linkstendenz der thematisierten Glieder im Einzelnen zu regeln ist. Allerdings wirft auch die Skopusregelung Probleme auf. Denn es finden sich durchaus auch Serialisierungen, bei denen der Skopus der A nicht automatisch rechts steht, sondern errechnet werden muss. Weiterhin sind einige Angabetypen den Ergänzungen ähnlich, insbesondere die Instrumentalphrasen mit mit. Bei ihnen ist es leicht einzusehen, dass sie sich im Grunde wie valenzgebundene Präpositionalphrasen verhalten. (1) Er hat einen Briefkasten mit einem Nachschlüssel geöffnet. (2) Er hat den Briefkasten mit einem Nachschlüssel geöffnet. (3) Er hat den Briefkasten zusammen mit einem Kollegen montiert. Serialisierungen wie (4) Er hat mit einem Nachschlüssel den Briefkasten geöffnet. (5) Er hat zusammen mit einem Kollegen den Briefkasten montiert. (6) Er hat zusammen mit einem Kollegen den Briefkasten montiert. sind Kontrastfälle, die sich generell anders als die Normalserialisierungen verhalten. Wie die Instrumental- und Komitativangaben verhalten sich auch die Modalangaben: (7) Er hat den Briefkasten leicht öffnen können. (8) Er hat den Briefkasten mit einem Nachschlüssel leicht öffnen können. (9) Er hat den Briefkasten sorgfältig mit gelber Farbe angestrichen. Zu begründen ist hier der Serialisierongsunterschied von (8) und (9). Logisch-semantisch gesehen ist der Skopus der hier verwendeten Angaben eine spezifizierende Prädikatsbildung. Die komplexen Prädikate 'leicht öffnen', 'mit einem Nachschlüssel öffnen', 'mit einem Nachschlüssel leicht öffnen', 'mit gelber Farbe streichen', 'sorgfältig streichen', 'sorgfaltig mit gelber Farbe streichen' lassen erkennen, dass die einzelnen Elemente ganz unterschiedliche Bezüglichkeiten haben. Die Modalia beziehen sich auf das Handlungssubjekt in seinem Verhalten, die Instrumentalia sind Bindungen unabhängiger Entitäten. Für die Erklärung der Serialisierungsunterschiede lassen sich trotzdem nur wieder wie bei den Ergänzungen unterschiedlich starke Kontexteinbettungen anfuhren. Auch hier gilt die 'Linkstendenz'. Umgekehrt kann bei völlig kontextisolierten Vorkommen auch für sie eine Grundreihenfolge angenommen werden. Dann zeigt sich, dass die Angaben die Bildung komplexer Prädikate ermöglichen: (10) Ein Briefträger hat einen Briefkasten sorgfältig mit einer neuen Farbkombination angestrichen.
342
Die Wortstellung
Warum es so schwierig ist, für Angaben den Ergänzungen analoge Grundserialisierungen zu postulieren, liegt daran, dass Angaben insgesamt eine heterogene Klasse darstellen, bei denen auch die sonstigen sprachlichen Mittel, insbesondere die morphematischen, nicht auf die Signalisierung von Kontextbezügen abgestellt sind. Allenfalls die Kennzeichnung 'définit'/'indefinit' bei adverbialen Nominalphrasen lässt sich hier heranziehen. Angaben sind jedoch vielfach einwortige Adverbien. Immerhin lässt sich (11) als spezifische Kontexteinbindung von (10) auffassen mit den entsprechenden Serialisierungskonsequenzen. Bei Temporal- und Lokalangaben (s.d. nächsten Abschnitt) ist das viel klarer. (11) Der Briefträger hat den Brieflcasten mit der neu entwickelten Farbkombination sorgfältig angestrichen. (IIa) Der Briefträger hat sorgfältig den Briefkasten mit der neu entwickelten Farbkombination angestrichen.
Dass es bei Umstellungen (z.B. IIa) keine nichtprojektiven Strukturen gibt, ist ein Zeichen für die allenfalls marginale Funktion von Serialisierungsumänderungen bei diesen Typen.
9.4.2. Die Hauptgruppe der Angaben Hierher gehören die handlungssituierenden Angaben A ^ p und Alok und die handlungsspezifizierenden Akaus, Afin, Akonz.
Die Stellungsregularitäten für die Angaben
343
Um die Serialisierungsregularitäten bei internen Kombinationen der Glieder dieser Angabeklassen zu prüfen, müssen wieder konstruierte kontextfreie Sätze zugrunde gelegt werden. (12) Die Post hat gestern in Passau trotz schlechten Wetters alle Briefe pünktlich zugestellt. Umstellungen wie (12a) Die Post hat trotz des schlechten Wetters gestern in Passau alle Briefe pünktlich zugestellt. erklären sich aus unterschiedlichen Kontexteinbindungen (mit den im vorangehenden Abschnitt genannten Vorbehalten). Das heißt, bei (12a) muss im Vortext über die Witterungsverhältnisse schon gesprochen sein. Was die Kausal-, Final- und Konzessivangaben betrifft, so kommen sie kaum miteinander kombiniert vor, so dass sich keine neuen Probleme ergeben. Die Plazierung dieser Angaben hängt vor allem davon ab, ob sie thematisch oder rhematisch sind. Im ersteren Fall stehen sie eher voran, im letzteren nach, vor allem, wenn sie satzförmig sind. Sie tendieren dann ins Nachfeld (vgl. Abschnitt 9.7.). (13) Deswegen/Dennoch/Mit dieser Absicht hat er die Briefe ausgetragen. (14) Er hat die Briefe ausgetragen, weil es seine Pflicht ist/obwohl schlechtes Wetter herrschte/um sie loszuwerden. Schwieriger ist es, die interne Reihenfolge von Temporal- und Lokalangaben zu bestimmen. Hier gelten neben Kontextregularitäten und damit Regeln der thematischen oder rhematischen Bewertung solche der Subklassifizierung dieser Angaben - immer vorausgesetzt, dass sich dabei keine Skopus-Unklarheiten ergeben. Das Adverbial mit dem weiteren Skopus steht links. (15) Er hat es ihm gestern in Hamburg übergeben. (16) Er hat es ihm in Hamburg am Abend übergeben. (17) Er hat es ihm gestern in Hamburg am späten Abend übergeben. Diese Verhältnisse gelten analog auch für die quantifizierenden Angaben. (18) Er hat es ihm im letzten Jahr in Hamburg tagtäglich erklärt. (19) Er hat es ihm tagtäglich in Hamburg im letzten Jahr erklärt. (20) Er hat es ihm im letzten Jahr immer wieder deutlich gemacht. Es wären in diesem Zusammenhang noch die Negationsangaben zu behandeln. Ihnen ist ein eigenes Kapitel gewidmet (vgl. 11.2 ). Der Negator ist völlig skopusbestimmt. (21) Er hat sie nicht ausgetragen. (21a) Er hat sie gestern nicht ausgetragen.
344
Die Wortstellung
(21b) Er hat sie nicht gestern ausgetragen. Weiter ist darauf hinzuweisen, dass besonders in diesem Bereich die Akzentregularitäten Wortstellungsregularitäten überlagern können. So ist Satz (19) mit der Gipfelbetonung auf dem quantifizierenden (iterativen) Zeitadverbial tagtäglich akzeptabel.
9.4.3. Partikeln Die A b t ö n u n g s p a r t i k e l n sind insofern besonders schwierig zu bestimmen, als weder dependentiell noch konstitutionell ihre hierarchische Position bisher in irgendeiner Grammatik festgelegt worden ist. Als charakteristische Elemente der gesprochenen Sprache sind sie in der grammatischen Tradition, die an der Schriftsprache ausgerichtet war, lange vernachlässigt worden. In Bezug auf die Serialisierung lässt sich ihr Status folgendermaßen bestimmen: Sie sind zunächst nicht wie die ebenfalls sehr häufig einwortig begegnenden Modaladverbialia zu behandeln. Diese sind eindeutig Dependenzien der Verben. (22) Er hat sie schnell/heimlich ausgetragen. (23) Er hat sie halt/eben/denn auch/wohl ausgetragen.
Er hat sie schnell ausgetragen . Das Modaladverbial ist vom lexikalischen Kern des verbalen Verbandes abhängig. Die Abtönungspartikeln beziehen sich jedoch auf die Sprechereinschätzung des Satzes. Semantisch stehen sie daher den Modalwörtern, den Satzadverbialia erheblich näher. (24) Er hat sie leider ausgetragen. Dieser Satz ist eine kontextgebundene Form des Satzes (24a). Modalwörter, die im Vorfeld stehen, sind häufiger als im Mittelfeld piazierte. (24a) Leider hat er sie ausgetragen. Satz (24a) ist projektiv:
Die Stellungsregularitäten für die Angaben
Leider hat
er
345
sie ausgetragen .
Bei Sätzen wie (24) ergäbe sich bei völlig analoger Darstellung das folgende Stemma: (24·)
Pron
Er
hat sie
leider ausgetragen .
Es ist nichtprojektiv. Dies widerspricht aber den sonstigen Eigenschaften nichtprojektiver Stemmata, nämlich eine Markierung anzuzeigen. Es muss also nach einer anderen Lösung gesucht werden. Bei dem Satztyp (23) findet sich nun sowohl für die Modalwörter als auch für in den Satz integrierte Konnektoren und schließlich die Abtönungspartikeln dieselbe Position: (25) Er hat sie aber ausgetragen. Konstitutionell gesehen ist es besonders unwahrscheinlich, hier Gleichheiten anzusetzen. Konnektoren haben ihre Bezugsstellen außerhalb des Satzes, Modalwörter beziehen sich auf den Satzmodus, Abtönungpartikeln sind ebenfalls satzmodal geregelt. So muss für diese drei Wortklassen eine Regens-Substitution angenommen werden. Sie geht vom Verb aus, repräsentiert aber hierarchisch höher gelegene Regentien. Alle gehören nicht zur Proposition. Es lässt sich hier von Attraktion dieser Funktionen ans Verb sprechen. Sie stehen dann funktional den Modaladverbien nahe, sind aber im Stemma anders indiziert. Attraktionen ähnlicher Art sind auch im nominalen Bereich zu finden: (26) der möglicherweise erfolgreiche Antrag
346
Die Wortstellung
S.
(23724725')
/
Pron
PartAbt Mw AdvK (23/24/25) Er
hat sie halt/ leider/ aber ausgetragen .
Sie sind alle in irgendeiner Weise phemabezogen. Daher muss der Attraktionsweg das Finitum durchlaufen. Die Modalwörter sind allerdings in ihrem selbständigen, hierarchisch höher gestuften Verhältnis dadurch zu erkennen, dass sie im Gegensatz zu den Abtönungspartikeln erstens im Vorfeld stehen können und zweitens auch eine parenthetische Intonationskontur erlauben: (24b) Er hat sie, leider, ausgetragen.
9.5. Die Gesamtabfolge von Ergänzungen und Angaben Im Vorangehenden haben wir die Abfolge der einzelnen E- und Α-Typen jeweils relativ zu den Klassen-Mitgliedern verfolgt. Für die Kombination von E und A wäre nun dieses Verfahren analog zu übernehmen. Das heißt, es müssten kontextfreie Sätze aufgesucht werden (etwa Texteröffnungssätze), um das Zusammenspiel der Regularitäten bei der Kontexteinbindung sodann schrittweise zu verfolgen. Schon mit zwei Adverbialia bei einem dreiwertigen Verb, also mit drei Ergänzungen, ergeben sich bei der schrittweisen Kontexteinbindung, wenn wir die drei Formtypen indefinite Nominalphrase, definite Nominalphrase und Pronomina einbeziehen, theoretisch bei fünf Positionen fünfundzwanzig Möglichkeiten. Diese werden aber längst nicht alle genutzt, was die Zahl vermindert.
9.5.1. Die Kombination von Ergänzungen und Angaben Dennoch muss die Kombination der E mit A, vor allem mit den situierenden (temporalen und lokalen), für die Grundserialisierung nicht nur beschreibend, sondern auch erklärend vorgenommen werden, bevor die Kontexteinbindung mit den Kategorien der Thema-Rhema-Gliederung, bzw. der Hintergrund-Vordergrund-Kategorisierung erfasst werden kann.
Die Gesamtabfolge von Ergänzungen und Angaben
347
Auch hier wieder wird der Einfachheit halber ein thematisches, pronominales Subjekt genommen, das im Aussagesatz zunächst im Vorfeld piaziert wird. Sätze mit Angaben im Vorfeld weiden im nächsten Abschnitt behandelt. (1) (la) (2) (2a) (3) (3a) (4) (4a) (5) (5a) (6) (6a) (7) (7a) (8) (8a)
dass er gestern einem Kollegen in einer Stadt im Norden einen Brief übergeben hat Er hat gestern einem Kollegen in einer Stadt im Norden einen Brief übergeben. dass er dem Kollegen gestern in einer Stadt im Norden einen Brief übergeben hat Er hat dem Kollegen gestern in einer Stadt im Norden einen Brief übergeben. dass er den Brief gestern einem Kollegen in einer Stadt im Norden übergeben hat Er hat den Brief gestern einem Kollegen in einer Stadt im Norden übergeben. dass er ihn gestern einem Kollegen in einer Stadt im Norden übergeben hat Er hat ihn gestern einem Kollegen in einer Stadt im Norden übergeben. dass er ihm gestern in einer Stadt im Norden einen Brief übergeben hat Er hat ihm gestern in einer Stadt im Norden einen Brief übergeben. dass er ihm den Brief gestern in einer Stadt im Norden übergeben hat Er hat ihm den Brief gestern in einer Stadt im Norden übergeben. dass er ihn ihm gestern in Hamburg übergeben hat Er hat ihn ihm gestern in Hamburg übergeben. dass er ihn ihm gestern dort übergeben hat Er hat ihn ihm gestern dort übergeben.
Die Links-Tendenz der E ergibt die erwarteten Positionen. Die stärkere Verharrung der A lässt sich auch so erfassen, dass man die Linkstendenz thematischer E als primär begreift, was durchaus verständlich ist. Für die aktuelle Abfolge ergeben sich keine zusätzlichen Probleme. Die Serialisierung ist „informativ" vor allem in dem Sinne, dass Links- versus Rechtsanordnung relativ zur jeweiligen Grundstruktur, d.h. für E- und Α-Positionen getrennt errechnet wird. Kognitiv gesehen, lässt sich das so begreifen, dass eine jeweils relative Gewichtung aller E- und A-Vorkommen gegeneinander kaum zu verarbeiten wäre. - In den Stemmata sind die Α-Typen durch Ovale, die Ε-Typen der Übersichtlichkeit halber nur in (7a') durch Kästchen indiziert. Die A bleiben hier in situ, allerdings lassen sie sich nun ohne weiteres an andere Positionen bewegen. So kann das Temporaladverbial nach rechts bewegt werden, wenn es stärker hervorgehoben werden soll (7, 7a): In allen Sätzen mit Pronomina (7, 8) wird von diesen die „Wackernagelposition" eingenommen. Sätze wie (9) sind zunächst ungewöhnlich. (9) dass gestern in Hamburg er ihn ihm übergeben hat Sie lassen sich aber durchaus nachweisen, vor allem wenn ein Modalwort vorliegt. Van de Velde (2000) spricht hier von einer „Topikposition": (10) vor dem oststädtischen Polizisten, der von dem Passbild ihm in die Augen sah (Uwe Johnson, nach Van de Velde 2000) Tritt das Pronomen direkt an die Verbgruppe, spricht Van de Velde (2000) von „Späterstellung". Reflexivpronomina verhalten sich ähnlich. (10a) ... der von dem Passbild gleich ihm in die Augen sah.
Die Wortstellung
S.
Er hat den Brief gestern einem Kolle- in einer Stadt im Norden übergen geben (7a1)
Er hat ihn ihm gestern in Hamburg übergeben.
9.5.2. Grammatische und kommunikativ-diskursive Regularitäten der Wortstellung Bis jetzt ist versucht worden, die ermittelbaren Wortstellungsregularitäten als grammatisch geregelte zu verstehen. Allerdings hat die Erklärung der Variationsmöglichkeiten bei den Anordnungsmustern schon gezeigt, dass die unter-
Die Gesamtabfolge von Ergänzungen und Angaben
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schiedlichen Formen die grammatischen Konsequenzen der kommunikativen Funktionen darstellen. Dies heißt aber nicht, dass die Abfolge der Elemente im Satz ihrer kommunikativen Gewichtung einfach automatisch analog verläuft. Als Mittel zur Bestimmung der kommunikativen Funktion der Elemente eignet sich die Bewertung nach den Kategorien der Thema-Rhema-Gliederung (TRG). In neueren Arbeiten wird diese Kategorisierung der Elemente des Satzes vielfach durch die Bereichsbestimmungen 'Hintergrund' und 'Vordergrund' ersetzt (vgl. Jacobs 1988 und Zifonun/Hoffmann/Strecker 1997, S.212-245 mit weiterer Literatur). Für unsere Zwecke sind beide Systeme brauchbar und weitgehend austauschbar. Der Grund für die vielfach bevorzugte Wahl der Dichotomie 'Hintergrund' versus 'Vordergrund' ist offenbar der, dass angenommen wird, mit thematischen Elementen würden die Elemente des Satzes bezeichnet, die 'Bekanntes' im Diskurs anfuhren, rhematisch seien dann die Elemente, die 'Neues' einführten. Dies ist in der hier verwendeten TRG-Konzeption nicht der Fall. Die TRG wird hier im Einklang mit der tschechischen Linguistik (BeneS 1962, DaneS 1964, insbesondere Firbas 1971) als Bewertungsoperation aufgefasst, die die Elemente eines Satzes r e l a t i v zueinander ordnet. Auch kontextisolierte Sätze haben eine TRG (vgl. Satz (1)). Kontexteingebundene enthalten anknüpfende, wiederaufnehmende Elemente (2). (1) Im Herbst sammeln sich in Stadt und Land die Zugvögel zu ihrer Winterreise. (2) Sie lassen sich auf Bäumen, Zäunen und Drähten der Hochspannungsleitungen nieder. Eindeutig lässt sich für die TRG eines Satzes immer nur der Kern des Rhemas festlegen: Er trägt den Gipfelakzent des Satzes. Alles andere muss durch eine Errechnungsprozedur bestimmt werden, doch geben die Betonungskriterien einen guten Anhaltspunkt: Unbetonte Elemente sind thematisch. Wenn ein solches, wie in Satz (2), Subjekt des Satzes und dazu pronominal ist und im Vorfeld steht, liegt eine prototypische thematische Basis vor: Von ihr her wird im kommunikativen und im topologischen Sinne der Satz „aufgerollt", die Satzstruktur bildet in solchen Fällen die TRG ikonisch ab. Nun ist aber auf der Präpositionalphrase im Herbst in (1) auch ein Nebenakzent möglich, der erklärt werden muss. Da es sich hier um einen Texteröffnungssatz handelt, kann darin ein komprimiertes Rhema erblickt werden, eine Besonderheit aller Sätze, die einen Text eröffnen. Nur in Märchen finden sich textsortenspezifische Schablonen wie es war einmal, es lebte einst und ähnliche Formen, mit denen die Tatsache überspielt werden kann, dass das Rhema auch im ersten Satz eines Textes an eine thematische Form geknüpft werden muss. Die thematische Basis kann auch im Mittelfeld stehen, wie in dem kontextgebundenen Satz (3), andererseits können auch mehrere thematische Elemente zusammen vorkommen (4): (3) Den Alpenüberflug schaffen sie meist problemlos. (4) Sie halten dort dabei dann untereinander Kontakt.
350
Die Wortstellung
Die hier angesetzte TRG ist ein satzweises Bewertungssystem für die kommunikative Gliederung. Dass die Bestimmung des Themas in einem textuellen Sinne, also inwiefern das in den gerade verwendeten Beispielen angeschlagene Thema 'Zugvögel' nun genau strukturiert und intern hierarchisiert wird, ist eine Frage des Textaufbaus, die an dieser Stelle außer Betracht bleiben kann, weil es hier nur um die Bewertung von Satzpositionen relativ zueinander geht (vgl. zur Bewertung der Satzthemata im eigentlich textuellen Sinne Hoffmann 1996). Dann sind die thematischen Elemente, von wenigen Ausnahmen abgesehen, links, die rhematischen Elemente rechts angeordnet. Dies gilt zunächst für solche Elemente, die eindeutige morphematische Signale dafür tragen. Dieses sind die E, bei denen Thematizität in definiten Nominalphrasen und in Pronomina grammatikalisiert ist. Thematizität ist in dem hier anzusetzenden Sinne gemeint, denn eine definite Nominalphrase muss durchaus nicht kontextuell Bekanntes bezeichnen, sie kann auch 'Weltwissen' abrufen (5). (5) Die Sterne sind eine Orientierungshilfe für sie. (6) Eine Orientierungshilfe sindfür sie dabei die Sterne. (5) und (6) sind keineswegs kommunikativ synonym. Satz (5) erlaubt einen Nebenakzent und Fortfuhrungsintonation auf (Stemel), in (6) ist das spät piazierte Subjekt rhematisch. Wenn die thematischen und die rhematischen Teile durch Position und Intonationsmerkmale voneinander getrennt werden, ist dies zunächst für die prototypischen Fälle unproblematisch. Schwierigkeiten bestehen im Bereich, wo die thematischen und die rhematischen Typen aufeinander stoßen. Es gibt jedoch eine deutliche Markierung ihrer Abgrenzung, und zwar mit Hilfe der Modalwörter. Wenn diese nicht im Vorfeld, sondern im Mittelfeld stehen, befinden sich links von ihnen die thematischen, rechts die rhematischen Elemente: (7) Er hat ihn ihm gestern in Hamburg leider übergeben. wirklich tatsächlich wahrscheinlich (8) Er hat ihm gestern in Hamburg leider den Brief übergeben. wirklich tatsächlich wahrscheinlich Zu diesen Sätzen lassen sich weiter derart viele Positionsvarianten bilden, dass sie gar nicht alle angeführt werden können. Es lässt sich jedoch erkennen, dass die Pronomina links zu erwarten sind. Die anderen Elemente können, auch wenn sie définit oder durch Weltwissen bekannt (in Hamburg) oder neutral sind (gestern) entweder thematisch oder rhematisch sein. Zwei extreme Beispiele mögen das belegen:
Die Besetzung des Vorfeldes
351
(9) Er hat ihn ihm gestern in Hamburg tatsächlich übergeben. (10) Er hat tatsächlich gestern in Hamburg den Brief einem Agenten übergeben. Enthält der Satz einen Satznegator, steht dieser am Beginn des rhematischen Teils: (11) Er hat dem Agenten tatsächlich nicht einen Brief übergeben. (12) Er hat dem Agenten tatsächlich keinen Brief übergeben. Da die Anordnung der Ergänzungen sich nach Regeln erklärt, die ganz verschiedenen Bereichen angehören, ist nicht immer ohne weiteres klar, welche Regel es war, die in einem konkreten Fall eine bestimmte Reihenfolge erzeugt hat. Die syntaktischen werden jedenfalls von textuell-diskursiven überlagert. Auch bei diesen ist keine schematische Regelung gegeben. So scheint ein übergreifendes Thema, ein Textthema, Priorität vor anderen thematischen Elementen zu haben, wie Van de Velde (1987) gezeigt hat: (13) Allzu mysteriös dünkte die Versicherung der Untergang des Schiffes. ('Die Zeit' nach Van de Velde 1987, S.292). Hier war bereits im Vortext die Versicherung thematisch.
9.6. Die Besetzung des Vorfeldes In den Beispielen, die bisher besprochen wurden, war die Vorfeldbesetzung als so geregelt angesehen gewesen, dass dort ein thematisierter Ausdruck steht. Dafür war zunächst das Subjekt des Satzes in Anspruch genommen worden. Ob die Vorfeldbesetzung durch das Subjekt die normale bzw. einfachste Texteinbettung eines Satzes darstellt, muss aber erst noch nachgewiesen werden. Alternative Besetzungsmöglichkeiten müssen geprüft und sodann die generellen Regularitäten für die Vorfeldbesetzung herausgearbeitet werden. Weiter ist bislang unterstellt worden, dass das Vorfeld mit einem einfachen Ausdruck besetzt ist. Darunter ist zu verstehen, dass sich dort eine Konstituente findet, die eine Phrase darstellt, sei diese nun einwortig pronominal oder durch Expansion komplex oder durch einen Nebensatz beliebiger Länge repräsentiert. Die Besetzung des Vorfeldes durch ein „Satzglied" ist eine der Grundannahmen der grammatischen Tradition (vgl. Kap.2.4.). Derartige Annahmen haben entweder für grammatische Zwecke konstruierte Sätze zum Ausgang genommen oder sich auf die geschriebene Sprache konzentriert. Zunehmend werden aber die syntaktischen Strukturen gesprochener Sprache in die Betrachtung einbezogen. Was die Besetzung der Positionen vor dem finiten Verb betrifft, so gerät die Auffassung von der Einfachheit und phrasenbezogenen Strukturierung des Vorfeldes ins Wanken. Eine Möglichkeit, mit den Problemen der Mehrfachbesetzung dieser Position fertig zu werden, ist der An-
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Die Wortstellung
satz eines „Vor-Vorfeldes" vor dem eigentlichen Vorfeld. Auch wenn diese Position in der grammatischen Terminologie bereits wieder für die Besetzung durch Konjunktionen {und, aber, denn usw.) und neue Konnektoren (tatsächlich, freilich, schließlich usw.) in Anspruch genommen wird, kann dieser Terminus als beschreibender für die Erfassung der Elemente vor dem eigentlichen Vorfeld aufgegriffen werden. Das Vorfeld hat in der jüngsten Zeit die gebührende Aufmerksamkeit in der Forschung gefunden (vgl. Van de Velde 1979, Lühr 1984, Lühr 1985, Mode 1987, Mariliier (Hrsg.) 1993, Auer 1993).
9.6.1. Das Vor-Vorfeld Der Platz vor dem finiten Verb ist nicht auf das eigentliche Vorfeld beschränkt. Das haben insbesondere Faucher (1976), Van de Velde (1978), Scheutz (1997) und Auer (1997) gezeigt und damit auch den klassischen Satzgliedtest, der von einer Konstituente im Vorfeld ausgeht, relativiert. Wenn wir einen unserer Briefträger-Sätze nehmen, lässt sich unter anderem bilden: (1) Und tatsächlich, den Briefträger, den habe ich auch gesehen. (2) Ach, den Briefträger, ja, den habe ich auch gesehen. (3) Hallo, Herr Meier, haben Sie den Briefträger heute schon gesehen? Dies ließe sich noch weiter fortsetzen. An Positionen ergeben sich vor dem Finitum (eine funktional noch stärker differenzierende Gliederung bei Schanen 1993): (4)
Κ / Int / Vok / Kon- / Links- / Gesprächs- / emo- / Vor- / Finitum ... nekverset- partikel tives feld tor zung Element
Und ach Herr tatsächlich den Brief-ja Meier träger
zum Don- den nerwetter
habe
Die Besetzungen sind unterschiedlich zu beurteilen. Ob wirklich alles miteinander kombiniert werden kann, ist fraglich. Jedenfalls sind die einzelnen Positionen funktional unterschiedlich. Das sieht man unter anderem an ihren Kommutationsformen. Die K o n j u n k t i o n e n bilden den Anfang. Sie können einerseits bis auf und auch satzintegriert vorkommen. Andererseits können anstelle der Konjunktionen auch andere konnektive Elemente stehen, wie allerdings, freilich, nur (vgl. 12.1). Diese bilden, wenn sie kombiniert vorkommen, die Positionen der Konnektoren.
Die Besetzung des Vorfeldes
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Die I n t e r j e k t i o n e n sind einwortige Elemente und haben in der deutschen Gegenwartssprache Spitzenstellung. Sie können koordiniert werden. Das ist aber im Effekt etwas metasprachlich. (5) Ach und oh... Der V o k a t i v folgt darauf. Hier sind Koordinationen ohne weiteres möglich: (6) Meine Damen und Herren, liebe Studierende Die l i n k s v e r s e t z t e n E l e m e n t e sind schon oben (Abschnitt 9.3.1.) als eine weitere Steigerungsmöglichkeit der thematischen Heraushebung genannt worden. Allerdings wird gerade durch die Linksversetzung eine organischere Einbindung von thematischen Elementen ermöglicht: Einerseits sind sie durch ihre nur lockere Anbindung an die Satzstruktur selbständiger, andererseits ist ihr Bezugselement, das meist im Vorfeld steht, und das man als ein nachgestelltes Korrelat zu ihnen auffassen kann, ein besonders deutliches, auch durch die Betonung herausgehobenes wiederaufnehmendes Element. Am Ende des Vor-Vorfeldes stehen die G e s p r ä c h s p a r t i k e l n ja, nein, ne, also ... Sie gehören pragmatisch-semantisch gesehen der diskursstabilisierenden Ebene an und sichern den Sprecher-Hörer-Kontakt. Sie bestätigen in jedem Fall die aktuelle Themenwahl, ob sie positive, negative oder neutrale Signale setzen: (7) Onkel Otto, ja, der lebt jetzt in Brasilien. (8) Tante Agathe, nein, die schreibt keine Krimis mehr. (9) Die neuen Parteien, also, die müssen sich erst bewähren. Alle diese Elemente sind kataphorisch auf das Prädikat des folgenden Satzes bezogen. Sie ordnen dieses vorausnehmend in positive, negative oder neutrale Aussageklassen ein. Auch dies ist ein hocheffektives diskurskonstitutives Mittel. Ihnen folgen noch e m o t i v e E l e m e n t e , Erstaunensausdrücke, Flüche und ähnliches: (10) Der neue James Bond-Film, ja unglaublich/sowas/Teufel nochmal, der ist spannend. (11) Der Willi, ja, verreck... (aus dem Film von Polt, Fast wie im richtigen Leben) Unter pragmatischen und semantischen Gesichtspunkten müssen die einzelnen Klassen der Vor-Vorfeldbesetzungen und ihr Zusammenvorkommen noch untersucht werden. Syntaktisch gesehen ist zweierlei bei ihnen von Bedeutung: 1.) Sie sind durch ihre Plazierung vor dem Satz aus der engeren Satzstruktur herausgenommen. Da sie, bis auf die Versicherungspartikeln, keine Satzpositionen besetzen, ist ihre syntaktische Regelung einfach. Sie sind als Wörter und Phrasen anzusehen, die nur Serialisierungsregularitäten, nicht aber internen syntaktischen Hierarchieregeln unterliegen.
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Die Wortstellung
2.) Da sie aber, wie die Musterung der Typen zeigt, miteinander kombiniert vorkommen können, weist dies auf eine auch hierarchisch zu verstehende Gliederung hin. Sie lässt sich als eine syntax-externe auffassen. Daher muss für das Vor-Vorfeld doch eine der internen Satzstruktur analoge Regelung vorgesehen werden. Ähnlich wie bei der Nominalphrase, bei der die Funktionen an die Position gebunden sind, sind auch im Vor-Vorfeld die Positionen starr. Es ist aber wesentlich einfacher strukturiert als die Nominalphrase, es hat keinen Kopf; die Elemente lassen sich gereiht, aber mit ihren starren Positionen jeweils direkt auf den folgenden Satz beziehen. Es sind auch Abfolgevariationen möglich. Folgende syntaktische Regelung bietet sich dafür an. (Die Kon werden in Kap. 12.1. behandelt): in o η η ο η η (12) Κ Int Vok Kon LinksV P a r t e s Emot S Dafür einige Beispiele: (14) Vok
(13) Inf
Ach, ist (15) E^-ü,.
das schön.
James, reichen Sie mir den Whisky.
m η LinksV Partoespr Emot
Prontll.
Scotch,
nein, scheußlich,
mag ich nicht .
Auch wenn die Kombinationsmöglichkeiten der Elemente im Vor-Vorfeld sicher nicht unbegrenzt sind, vor allem nicht in geschriebener Sprache, so zeigt sich doch deutlich, dass dieses Anordnungsfeld in der deutschen Gegenwartssprache zunehmend ein Eigenleben gewinnt. Dies wird verstärkt durch die Tatsache, dass fast überall noch Appositionen angefügt werden können. Da sich referentielle und prädikative Elemente nebeneinander finden, lässt sich bis zu einem gewissen Grade von einer Duplizierung der Satzstruktur sprechen. Allerdings mit einem erheblichen Unterschied zur normalen hierarchischen Regelung: Die im Vor-Vorfeld befindlichen und unter Umständen verbundenen Elemente sind in hohem Maße bewertend. Diese Bewertungen beziehen sich eher auf den illokutiven als auf den propositionalen Teil der Satzbedeutung. So steht für vorweg gegebene Einschätzungen - und das sind immer auch deutliche Steuerungen - ein reiches Besetzungspotential zur Verfügung.
Die Besetzung des Vorfeldes
355
Im Vor-Vorfeld können auch konditionale Nebensätze vorkommen, die mit dem folgenden Hauptsatz syntaktisch nicht verbunden sind: (16) Wenn man die Sache genauer betrachtet, hier fehlen einem die Worte. (17) Falls es dich interessiert, morgen findet ein Jazzkonzert statt. (18) Auch wenn er es bestreiten sollte, die Sache ist erledigt. In allen diesen Fällen formuliert der wewn-Satz keine Bedingungen für die Wahrheit des Hauptsatzes wie bei gewöhnlichen Konditionalsätzen (19). (Zur genaueren Abgrenzung vgl. Peyer (1997, S.84-92) und Günthner (1999)). (19) Wenn die Sonne scheint, machen wir einen Ausflug. Die „metapragmatischen" we««-S ätze besetzen eine C-Position:
9.6.2. Das eigentliche Vorfeld Der eigentlich syntaktische Gesichtspunkt bei der Beschreibung und Erklärung des Vorfeldes ist der, wie die Besetzung der Position links vom Finitum zustandekommt. Dazu sind erstens einige grundsätzliche Überlegungen über die Funktion der Vorfeldbesetzung nötig, und zweitens ist der Weg aus der syntaktischen Grundposition für alle Elemente des Satzes unter Beachtung der Vorfeldbesetzung exemplarisch anzugeben. Dabei wird auch eine (kurze) Prüfung der Vorfeldfähigkeit vorzunehmen sein. In unseren bisherigen Beispielen haben wir für die Vorfeldbesetzung fast durchweg thematische Elemente, also definite Nominalphrasen, Eigennamen, Pronomina und Deiktika verwendet. Das Vorfeld ist die thematische Stelle des Satzes par excellence. Zwar gibt es auch rhematische Vorfeldbesetzungen (1): (1) Einen Ausweg gewusst aus der verfahrenen Situation hat er sicher. Aber solche Sätze nutzen gerade die erwartete Besetzung mit einem thematischen Element, um durch die Kontrastwirkung einen größeren Nachdruck zu er-
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Die Wortstellung
zielen. Syntaktisch gesehen stellen die Vorfeldbesetzungen zunächst die Übertragung einer bereits thematisierten, d.h. kontextuell eingebundenen Grundstruktur in eine Struktur mit dem Satzmodus 'Aussage' bzw. 'w-Frage' dar. Die Vorfeldbesetzung ergibt sich dabei zwangsläufig, als Konsequenz der unabhängigen satzmodularen Setzung. (2) (3) (4) (5) (6)
dass er ihr eine Nachricht geschickt hat dass er sie ihr geschickt hat Er hat ihr eine Nachricht geschickt. Er hat sie ihr geschickt. Wer hat sie ihr geschickt?
In diesen Fällen, d.h. wenn das Subjekt einfach thematisch ist, rückt es, so gesehen, automatisch in die Vorfeldposition. Die Vorfeldbesetzung muss aber auch als ein kommunikativer Akt angesehen werden, der eine Bedeutung trägt. Die Vorfeldbesetzung ist nicht beliebig. Im Vorfeld werden Elemente erwartet, mit denen an den Vorgängerkontext angeknüpft wird. Dies zeigt sich z.B., wenn die Besetzung durch ein situierendes Adverbial vorliegt. (7) dass er ihr gestern eine Nachricht mitgegeben hat (8) Er hat ihr gestern eine Nachricht mitgegeben. (9) Gestern hat er ihr eine Nachricht mitgegeben. Mit (8) und (9) liegen zwei Alternativen für die Besetzung vor. Von diesem Satzpaar ist bei der Erklärung für die Vorfeldbesetzung durch situierende Adverbialia auszugehen. Hier trägt die Unterscheidung Hintergrund/Vordergrund nichts ein. Denn wenn die Angabe gestern zum Hintergrund gehören sollte, müsste gestern kontextuell bekannt sein. Zum Vordergrund kann gestern aber auch nicht gerechnet werden, weil die tonal unmarkierte Plazierung dann weiter rechts zu erwarten wäre. Die Zembsche Probe erweist gestern als zum thematischen Teil gehörig aus; das Wort steht links vom Negator: (6a) dass er ihr gestern keine Nachricht mitgegeben hat Angaben, insbesondere die situativen, tragen nicht wie die Ergänzungen deutliche morphologische Merkmale, mit denen ihre Thematizität oder Rhematizität signalisiert wird. Sie lassen sich durch Betonung hervorheben. Wenn sie eindeutig thematisch sind, tragen sie gewöhnlich den Gipfelakzent und weisen positioneil Rechtstendenz auf. (10) Er hat es sehr sorgfältig gemacht. (11) Er hat es getan, um zu überleben. (12) Er hat es (erst) gestern erledigt.
Das generell unterschiedliche positioneile Verhalten der Angaben ist in Abschnitt 9.4. schon behandelt worden. Bei der Plazierung im Vorfeld ergibt das Modaladverbial als Thematisches Element eine markierte Rhematisierung (10a). Für diese Bewegung nach links müssen wir eine der Thematisierungsregel ana-
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Die Besetzung des Vorfeldes
loge Regel vorsehen. Im Gegensatz zu dieser zieht sie den Gipfelakzent an sich, hier Advmod:th ->. Wird dagegen das verbale Element betont (10a), liegt ein sogenannter Verum-Fokus (Höhle 1991/1992) vor, denn dabei wird die Realisierung der Handlung betont, in (10b) handelt es sich dagegen um eine Thematisierung der Angabe. Der Akzent auf der Angabe ist in (10a) und (10b) unterschiedlich. In (10b) ist er der Gipfelakzent, in (10a) der progrediente. ( 10a) Sehr sorgfältig (7\) hat er es gemacht. (10b) Sehr sorgfältig hat er es gemacht.
Sehr sorgfältig hat er (10b·) Adv,
-
Sehr sorgfältig hat er
es gemacht. S
es gemacht.
Beide Strukturen sind nichtprojektiv. Analoges gilt für Finalangaben im Vorfeld. Auch die situierenden Angaben verhalten sich nicht anders. Aber weil ihr Skopus weiter ist und sie sich auf den gesamten propositionalen Teil beziehen, sind die Auswirkungen einer Rhematisierung weniger gravierend als bei den anderen Angaben. Das Stemma (12a1) ist projektiv.
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Die Wortstellung
s.
(12a1) Advtemp
Partos
Pron
(Erst) Gestern hat er es erledigt .
9.6.3. Die Besetzung der Vorfeldpositionen durch unterschiedliche Elemente 9.6.3.1. Ergänzungen Alle Ergänzungen sind vorfeldfähig, und zwar in so gut wie allen morphologischen Formen. Es gibt nur ganz wenige Restriktionen. So lässt sich das Pronomen es nicht in das Vorfeld piazieren. (1) *Es habe ich gesehen. Der Grund dafür kann vielleicht darin erblickt werden, dass im Vorfeld nur das expletive es oder das pronominale es als Subjekt stehen kann. Mögliche Ambiguitäten werden auf diese Weise blockiert. Die Regelungen für die Vorfeldbesetzung von Ergänzungen haben wir in Abschnitt 9.3. kennengelernt. Es sind entweder einfache Projektionen aus der Grundserialisierung, Thematisierungen oder Rhematisierungen einzelner E vorzunehmen. So sind alle einfachen und alle markierten thematischen Formen von Esub im Vorfeld durch die Satzmodusregel 'Aussagesatz' unmarkiert und ergeben projektive Stemmata: (2) Das Ufo landet heimlich. (2a) Es landet heimlich. (2b) Das landet heimlich.
ΡΓΟΠΛ.
Das
landet heimlich
359
Die Besetzung des Vorfeldes
Rhematische Subjekte stehen normalerweise rechts.
(3) Heimlich landet ein Ufo. In (3) ist das Modaladverbial unbetont; es ist thematisch. (31)
Adv m o d Ä
Λ
Adv,
Heimlich landet ein Ufo . Wenn das Adverbial rhematisch ist, trägt es den Gipfelakzent:
(3 a) Heimlich landet ein Ufo. (3a')
Adv m o d ; i h ->
/
S.
Adv,
Heimlich landet ein Ufo. Andere Ergänzungen im Vorfeld sind seltener, lassen sich aber durchaus belegen: (4) Das Böse entdeckt man früh. (Reinhold Schneider, Winter in Wien, Freiburg 1958, S. 104) (5) (Ich bleib die vierzehn Tage allein im Bungalow am Scharmützelsee.) Das Geld hätten wir sowieso nicht wiederbekommen. (I. Schulze, Simple Storys, S.204) (6) Mir fiel nichts mehr ein, worüber ich hätte reden sollen. (I. Schulze, Simple Storys, S.205) (7) Karbolmäuschen nannten wir die früher. Im Krankenhaus rochen alle danach. (I. Schulze, Simple Storys, S.163) (4')
Ε^β, -ν
_
S.
Vfin
ri ' Det Ν«, temp
Das Böse entdeckt man früh Markierte Thematisierungen von E sind ebenfalls möglich.
360
Die Wortstellung
(8) Für den sei die Planung von Bothe, Richter und Teherani „ eine zu große Einschränkung", hieß es. (SZ 18.12.97, S.15) (8')
Für den sei die Planung eine zu große Einschränkung . Eine nur einfache Thematisierung der Epräp hätte die Wortstellung (8a) ausgelöst: (8a) Die Planung sei für ihn eine zu große Einschränkung. Durch die markierte Thematisierung rückt die Epräp eine weitere Position nach links und landet im Vorfeld. Um aber auch Sätze wie (9) eindeutig in ihrer Anordnung ableiten zu können, muss die markierte (starke) Thematisierung auch für Fälle angesetzt werden, wo eine unmittelbare Anknüpfung vorgenommen wird: (9) (Warum Müller dennoch nur leicht bekleidet und mit freiem Oberkörper starb, ist bislang unklar.) An der Todesursache Erfrieren haben die Kriminalbeamten des Kommissariats 112 für Todesermittlungen keinen Zweifel. (SZ, 18.12.97, S.43)
An der Todesursache Erfrieren haben die Kriminal- keinen Zweifel. beamten
Die Besetzung des Vorfeldes
361
Die topikalisierte Präpositionalphrase in (9) lässt sich auch als Attribut zum Nomen des Funktionsverbgefuges auffassen. Auf solche Typen wird im folgenden Abschnitt eingegangen. 9.6.3.2. Angaben Auch alle Angaben können im Vorfeld stehen, haben aber, wie schon ausgeführt wurde, ganz unterschiedliche Funktionen und dementsprechend unterschiedliche Ableitungsgeschichten. Situierende Angaben sind außerordentlich häufig und werfen keine Probleme auf. Sie entstehen durch einfache Thematisierung (10) oder sind rhematisch (11). (10) Damals brauchte man dazu Mut. (SZ, 18.12.97, S.15) (11) Seit einigen Monaten bereits baut die Bahn AG an diesem neuen Fernbahnhof. (SZ, 18.12.97, S.15) Thematisierte Kausalangaben stehen ebenfalls im Vorfeld. (12) Dank des noch aus der guten alten Behördenzeit stammenden Instruments der „Planungshoheit" sind Bahn wie Flughafengesellschaft kaum in ihrem Tatendrang zu bremsen. (SZ, 18.12.97, S.15) Angaben, die anknüpfende Aufgaben haben, insbesondere die modale Anapher so, wie auch das temporale dann, darauf stehen ebenfalls im Vorfeld: (13) So zauberte die Bahn im September 1996 auf der Ausstellung „Renaissance der Bahnhöfe " in Venedig einen bis dahin unbekannten Entwurf aus dem Hut. (SZ, 18.12.97, S.15) Hier stehen Atemp und Alok in der unmarkierten Reihenfolge.
So zauberte die Bahn im Sept. auf der Aus- einen bis aus dem Hut. 1996 Stellung... dahin unbein Venedig kannten Entwurf Die Position Thematischer Angaben ist zum großen Teil bereits durch die Grundwortstellung geregelt. Sie stehen rechts und können nur durch den Rhematisierungsoperator ins Vorfeld gebracht werden. Sie tragen den Gipfelakzent, im Gegensatz zu (15):
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Die Wortstellung
(14) Weil er unbekleidet war ( ÌJ ), ist er erfroren. (15) Weil er unbekleidet war (71), ist er erfroren. Der Grundserialisierung am nächsten ist: (14a) Er ist erfroren, weil er unbekleidet war. (14a·)
___S.
Pron
Pron
Adj
Ér ist erfroren, weil er unbekleidet war (14')
•^causirh ^
Weil er unbekleidet war, ist er erfroren. 1
(15 )
^causrth
Α λ μ ι ο -fil
^
Vfií infin
Pron
Weil er unbekleidet war, ist er erfroren . Bei der Besetzung des Vorfelds durch ein Modalwort wird das Signal für die Gesamteinschätzung der Satzbedeutung vorweg gegeben, was pragmatisch gesehen besonders einleuchtend ist.
363
Die Besetzung des Vorfeldes
(16) Möglicherweise wird die Wahl des Architekten gleich dem Investor überlassen. (SZ, 18.12.97, S.15) Von den Negationswörtem können nie, niemals, nirgends usw. ohne weiteres im Vorfeld stehen, nicht ist markiert (vgl. Ulvestad 1975).
(17) Dies ist eine Erklärung. Nicht ist es eine Entschuldigung.
9.6.4. Teil- und Überbesetzungen des Vorfelds Häufig stehen im Vorfeld nur Teile von E, A oder des periphrastischen Verbalkomplexes oder aber gerade Kombinationsformen, d.h. weniger oder mehr als ein Satzglied. Zwar ist die Besetzung des Vorfeldes durch genau ein Satzglied, mag es noch so kurz wie in Beispiel (9) des vorangegangenen Abschnitts oder komplex wie in (12) sein, der Normalfall, aber die Auszeichnung eines Teilkomplexes oder die Zusammenfassung von mehreren Gliedern zu einem Komplex nutzen diese Satzposition für eine markierte Thematisierung. (1) Ihr Pferdeschwanz, den drei Samtringe im gleichen Abstand voneinander zusammenhielten, pendelte auf ihrem Rücken. (I. Schulze, Simple Storys, S.221) 9.6.4.1. Teilbesetzungen Teile der Periphrase können ins Vorfeld gesetzt werden: (2) Herausgekommen ist ein „Unbegrenztes Freizeit-Objekt", „U.F.O.". (SZ, 18.12.97, S.15) (2')
oder kurz
V ^ Vfm
Herausgekommen ist ein U.F.O. . Die Besetzung des Vorfeldes kann auch durch mehrere verbale Teile erfolgen: (3) Gesehen worden ist dieses U.F.O. nicht. (4) Gesehen haben kann er das U.F.O. nicht. (5) Gesehen worden sein kann dieses U.F.O. nicht. Auch der Verbzusatz kann topikalisiert werden. Doch ist dies bei Einfachverwendungen (6) stark markiert, bei Kontrasten sind auch normalsprachliche Verwendungen möglich: (6) Aufrh steigt der Strahl und fallend gießt er voll der Marmorschale Rund, ... (C.F. Meyer)
364
Die Wortstellung
(7) Herüberrh hat er den Kahn gerudert, nicht hinüber. Auch Attribute können von ihren Bezugsnomina getrennt und ins Vorfeld piaziert werden: (8) Über Reptilien und Vögel gibt es unzählige Bücher. (9) Nur für die Mitglieder sind dies die Eintrittskarten. Die Bedingungen, wann solche Konstruktionen auftreten können, sind sehr eingeschränkt. Es scheinen stets quantifizierende Aussagen vorzuliegen. Darüber gibt es eine große Zahl von Untersuchungen (vgl. Van de Velde 1980, Lötscher 1985, Hoberg 1997, Ballweg 1997). Determinatoren oder Kombinationen von Determinatoren und Adjektiven lassen sich nicht ins Vorfeld bringen: (10) *Die/*Eine können wir Sonnenfinsternis beobachten. (11) *Die/*Eine totale können wir Sonnenfinsternis hier nicht sehen. Etwas weniger ungrammatisch scheint (12) zu sein: (12) 7 Totale haben wir Sonnenfinsternisse bisher nicht gehabt. Bei präpositionaler Bindung steigt die Akzeptabilität sofort stark an: (13) An totale haben wir bei Sonnenfinsternissen bisher nicht gedacht. Hier könnte man an stilistisch zu erklärende Elisionen denken: (14) An totale Sonnenfinsternisse haben wir bei Sonnenfinsternissen bisher nicht gedacht. Doch zeigen (8) und (9), dass nach anderen Erklärungen gesucht werden muss. Hier bieten sich zwei an: Einmal ließe sich argumentieren, dass die präpositionalen Attribute durch die Vorfeldplazierung einen unabhängigen Status erhalten und dann in der Art von vollen E oder A reinterpretiert werden. Zum andern kann hier eine spiegelbildliche Parallele zu den ausgeklammerten Relativsätzen gesehen werden, die allerdings als prädikativ vollständige Attribute ins Nachfeld plaziert werden können: (15) Er hat viele Bücher geschrieben, die alle das Thema Reptilien behandeln. Häufig sind Teilbesetzungen des Vorfelds bei Quantifizierungen. Hier wird, im Gegensatz zu den im Vorausgehenden angeführten Typen, das Kopfnomen, nicht ein gebundener Teil topikalisiert. (16) Bücherlh hat er viele gelesen. (16a) Bücherth hat er keine gelesen. Diese Typen begegnen nur im Plural oder bei Massenomina: (16b) Bücher hat er nur dicke gelesen. (17) Zucker brauchen wir keinen.
365
Die Besetzung des Vorfeldes
Die Überlegungen, warum diese Besetzungsformen auf die angeführten Beispieltypen beschränkt sind, sollten vor allem in Rechnung stellen, dass hier keine singularischen Nomina verwendet werden können. Allerdings scheinen regional auch Sätze des Typs (18) Doktor braucht der keinen mehr. akzeptiert zu werden (vgl. Engel 1972, S.42; Van de Velde 1980, S.190). Schriftsprachlich belegbar sind singularische Kollektiva und Massewörter: (19) Besuch war keiner mehr gekommen. (Birgit Vanderbeke, Ich sehe was, S.72) (20) Und dann müssen sie Angst um die Gesundheit haben, weil es nur einen einzigen Stand mit ungespritztem Gemüse gibt, Vorzugsmilch sowieso keine. (Birgit Vanderbeke, Ich sehe was, S.74) Bei Teilbesetzungen des Vorfeldes sind die im Vorfeld piazierten Elemente besonders auffallig thematisiert. Noch wichtiger aber ist, dass sie zu den im Mittelfeld stehenden Teilen wiederum einen Klammerbogen aufspannen. Das später piazierte Element ist der Rhemagipfel des gesamten Satzes, oder aber das Vorfeldelement ist rhematisch, dann sind alle anderen Teile des Satzes unbetont. So wird das Klammerprinzip des deutschen Satzes für eine weitere Möglichkeit genutzt. Stemmatisch lassen sich der attributive und der nominale Topikalisierungstyp bei Quantifizierungen so darstellen:
ΓΝΕ,Γν.
IN
Über Reptilien und Vögel gibt es unzählige Bücher . (16a1) setzt voraus, dass Bücher als Kopf topikalisiert wird und der Quantor in situ verbleibt. Gegen eine solche Analyse scheint aber zu sprechen, dass der Quantor pronominal (stark) flektiert, wie sich bei (21) zeigt: (21) Mehl hat er keines gekauft. (21a) Er hat kein Mehl gekauft. (21b) dass er kein Mehl gekauft hat
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Die Wortstellung
Pittner (1995, S.31) nimmt deshalb an, dass hier eine „Doppel-NP" vorliege. Das topikalisierte Ν ist dann als eine Art Linksversetzung aufzufassen. (16a')
^
^
S.
Bücher hat er keine gelesen. In Bezug auf den Quantor all, der sich ähnlich verhält, schlägt Ballweg (1997, S.201) vor, einen zweiten Lexikoneintrag vorzusehen. Allerdings tritt das Flexionsproblem bei all nicht auf. (22) Geld haben wir alles ausgegeben. (22a) dass wir alles Geld ausgegeben haben (23) Ich liebe euch doch alle! (24) dass ich euch alle liebe (23) und (24) zeigen, dass erstens bei Distanzstellung wohl wirklich der Quantorenbezug auf die NP lockerer ist. Trotzdem wird die Bindung des Quantors an das Nomen oder Pronomen nicht ganz aufgegeben. Zu erklären bleibt dann die unterschiedliche Flexion bei kein. Hier muss angenommen werden, dass bei Topikalisierung des Kopfnomens der Quantor als Zahladjektiv mit dem Kopfnomen in Genuskongruenz steht, wie es im Deutschen (resthaft) regulär ist: (25) Buch/Bücher hat er eines/zwei/drei/keines/manches gelesen. (26) Satelliten / Sonnenfinsternis(se) hat er einen/eine/keinen/keine/manchen/ manche beobachtet. Was das Flexiv -s bei eines und vor allem bei keines betrifft, so kann es vielleicht auch als der erstarrte Rest eines partitiven Genitivs aufgefasst werden. Dies wäre ein weiteres Argument für die Extraktionsanalyse. Bei Graduierungen scheint Überspringen der Phrasengrenzen auch sonst möglich zu sein, nämlich bei der NP. (27) Dies ist ganz was Schönes/Besonderes. (28) Dies ist ganz etwas Schönes/Besonderes. Der schriftsprachlich formulierte Satz scheint weniger akzeptabel als der sprechsprachliche. Da hier die gleiche Struktur vorliegt wie bei den oben angeführten lateinischen Typen: (29) magna cum laude
Die Besetzung des Vorfeldes
367
und auch im Mittelhochdeutschen ins Vorfeld versetzte Attribute begegnen: (30) mitphelle
von Arabi man truoc im einen mantel dar (Parzival 228.08)
mit phelle von Arabi man truoc im einen mantel dar . (vgl. Barufke 1995, S.184) scheint ein latent vorhandenes Muster vorzuliegen, das für Markierungen aktiviert werden kann. Hier ist noch kurz auf die häufig behandelten Satzverschränkungen (Linksverschachtelung, lange Extraktion) einzugehen (Dyhr 1978 mit älterer Literatur, Kvam 1983 (ihm sind die Beispielsätze entnommen), Lötscher 1985, Grewendorf 1988, Engel 1988, Zifonun/Hoffmann/ Strecker 1997, mit weiterer Literatur): (31) Mit wieviel Geld glaubst du, dass man auskommen kann? (32) In meiner Abteilung wünsche ich nicht, dass das geschieht. Es sind fast ausschließlich in gesprochener Sprache vorkommende Formen. Die verschränkten Fragesätze sind häufiger als die Aussagesätze; insgesamt sind die Konstruktionen selten. Sie enthalten ein Verb des Sagens, Denkens, Wünschens o.ä. und stehen parenthetischen Konstruktionen nahe. Semantisch gesehen liegt ein einfacher zu erfragender Sachverhalt vor. (31a) Mit wieviel Geld kann man auskommen? Das Verb des Glaubens expliziert die generelle Fragesituation, so dass sich der Eindruck zweier verschränkter Sachverhalte ergibt. Strukturen anzusetzen, aus denen extrahiert würde, fuhren auf Hypothesen und Transformationen: (31b) Glaubst du, dass man mit soviel Geld auskommen kann? Der topikalisierte Ausdruck (hier: mit wieviel Geld ) erscheint auch im einfachen w-Fragesatz im Vorfeld. Satzbrüche sind in der gesprochenen Sprache überhaupt nichts Ungewöhnliches (Schwitalla 1997, S.83-93). 9.6.4.2. Komplexe Besetzungen Auch Überdehnungen des Vorfeldes sind möglich. Sie nutzen ebenfalls die Tatsache, dass das Vorfeld als Topik insgesamt eine kohärente Besetzung ermöglicht, sei es nun eine Teil- oder eine Mehrfachbesetzung. Bei komplexen Besetzungen werden die Teile zu einer kommunikativen Einheit zusammengefasst
368
Die Wortstellung
(vgl. Lühr 1984, Hoberg 1997, S.1639, Zeman 2000). Es lassen sich mehrere Typen unterscheiden. a) Prädikatsteile + E. (33) (34) (35) (36) (36a) (36b) (37) (38)
Den Fall wirklich lösen konnte nur Wachtmeister Studer. Den Igeln auf der Straße ausweichen sollte im Herbst jeder Autofahrer. Über das Problem noch einmal nachgedacht haben sie dann doch nicht. Den Kindern Geschenke mitbringen wollen die Großmütter. Geschenke mitbringen wollen die Großmütter den Kindern. *Den Kindern mitbringen wollen die Großmütter Geschenke. *Jeder Autofahrer ausweichen sollte den Igeln im Herbst. *Die Kinder geschlafen haben gut.
Die Beispiele lassen erkennen, dass Bedingung für die gemeinsame Versetzung ins Vorfeld das Prinzip der Verbnähe ist. Nur wenn die verbnächste E mitgenommen wird, kann auch die nächste im Vorfeld piaziert werden (36a versus 36b). Das Subjekt als unabhängiger Term kann nur in besonderen Fällen mit einem verbalen Teil zusammen das Vorfeld besetzen. Die Begründung dafür lässt sich in der Tatsache eiblicken, dass das Subjekt per se auf Thematisierung hin angelegt ist. Durch Sätze wie (33), (34) oder (35) wird diese kontextuelle Disposition des Subjekts außer Kraft gesetzt. Dass Sätze wie (37) und (38) unakzeptabel sind, resultiert ebenfalls aus der Tatsache, dass das Subjekt nicht durch die infiniten Veibteile gebunden wird (vgl. aber die Sätze (39) und (40) unten). Syntaktisch ist die Vorfeldbesetzung eine überzeugende Bestätigung dafür, dass die Subjektsbindung grundsätzlich anders als die Bindung der anderen Valenzstellen zu betrachten ist.
W i e zu sehen, ergeben sich projektive Stemmata. Die angeführten Sätze mit Subjekten oder verbferneren E ergeben nichtprojektive Stemmata (37'). Subjekte können aber bei Phraseologismen mit ins Vorfeld wandern (39), dann, wenn sie thematisierte verbnahe E bilden (40) sowie in manchen Passiwerwendungen (41), (42). Von einigen werden auch bestimmte sonstige negative Quantifizierungen angesetzt (43) (z.B. Haider 1990, S.97, nach Hoberg 1997, S.1631).
369
Die Besetzung des Vorfeldes (39) Eine Laus über die Leber gelaufen ist mir schon lange nicht mehr. (40) Ein Unglück passiert ist hier schon lange nicht mehr. (41) Fälle gelöst worden sind hier keine wirklich. (42) 9Fälle gelöst werden nur von erfahrenen Kriminalisten. (43) Kinder gespielt haben hier noch nie.
Die negativen Quantifizierungen lassen sich als komplementäre Möglichkeiten zu den Teilbesetzungen mit kein auffassen. In jedem Fall sind es nur ganz bestimmte Verwendungsmöglichkeiten, die sich hier finden - negative Quantifizierungen, genetische Sätze, Phraseologismen. Ihre Akzeptabilität ist zudem nicht zweifelsfrei.
(37·)
Det Ν Ν *Jeder Autofahrer ausweichen sollte den Igeln im Herbst. b) Prädikatsteile + Angaben Hier scheint es wenig Restriktionen zu geben, was verständlich ist, weil die A von verbalen Teilen dependent sind, (44)-(46). Satzadverbien (Modalwörter) sind bei komplexen Vorfeldbesetzungen möglich, wenn ihr Skopus sich deutlich darauf bezieht, (47, 48). (44) (45) (46) (47) (48)
Gut geschlafen haben alle Kinder. Mit den Teddybären ins Bett gegangen sind alle Kinder. Im Winter in Heuhaufen geschlafen haben die Igel seit je. Wahrscheinlich geschlafen hat er, als wir anriefen. Leider geschlafen hat er, als wir anriefen.
c) Funktionsverbgefuge (49) Zur Versteigerung gebracht wurde ein falscher van Gogh in New York. (50) Zustimmung gefunden hat der Vorschlag des Generalsekretärs. Als reguläre Expansionen des Prädikats bedürfen diese Typen weiter keiner Erläuterung. d) Kombinationen von Angaben (51) Am Sonnabendmorgen im frühesten Zug war er unausgeschlafen genug, das ganze Unternehmen zu verfluchen. (Uwe Johnson, nach Van de Velde 1978, S. 134)
370
Die Wortstellung
Hier sind eine Temporal- und eine Lokalangabe kombiniert, was offenbar eine recht gängige Möglichkeit darstellt. (52) Auf der Zugspitze, im September haben wir zum erstenmal Schnee gehabt. Durch die gemeinsame Plazierung im Vorfeld ergibt sich eine kompakte einheitliche Situierung der Aussage.
9.7. Die Besetzung des Nachfeldes Als Pendant zur Vorfeldbesetzung lässt sich die Besetzung der Position nach dem rechten Klammerteil des Verbs auffassen, allerdings mit einem bedeutenden Unterschied: Die Vorfeldbesetzung ist die reguläre Besetzung einer strukturell vorgesehenen Satzposition. Insbesondere ist sie bei Aussagesätzen des unmarkierten Typs und bei w-Fragesätzen obligatorisch. Die Nachfeldbesetzung ist dagegen nur fakultativ (1), wenn man von strukturbedingten Nachstellungen wie Satz (2), der mit (2a) zu vergleichen ist, absieht: (1) Wir haben in der letzten Zeit häufig nachgedacht über dieses Problem. (2) Wir haben das geschafft, was wir erledigen mussten. (2a) Wir haben das, was wir erledigen mussten, geschafft. Rein formal gesehen wird in (2a) eine Klammer gebildet und damit auch ein Mittelfeld ermöglicht. Auf die adäquate Behandlung dieses Typs wird in Kap.8.8.4. eingegangen. Solche im Nachfeld piazierten Elemente stehen im Intonationsbogen des Satzes. Dies ist ein auffälliges Zeichen, dass hier eine gesamthafte Struktur vorliegt. Es begegnen jedoch auch außerhalb der Intonationskontur liegende Elemente (3) und solche, die zwar im Intonationsbogen liegen, nicht aber als ausgeklammerte angesehen werden können, weil es gar keinen rechten verbalen Klammerteil gibt (4): (3) Das hat uns gut gefallen wirklich. (4) Das gefällt uns gut ( Herr Abgeordneter. Die Nachfeldbesetzungen, die von der Intonationskontur des Satzes getrennt sind, lassen sich als Nachträge terminologisch von den Ausklammerungen abheben. Die Rechtsversetzungen, die sich auf ein kataphorisches Element beziehen, bilden die Übergänge zu den Ausklammerungen.
Die Besetzung des Nachfeldes
371
9.7.1. Nachträge und Ausklammerungen Es bietet sich an, die Liste der Vor-Vorfeldelemente zu prüfen, w i e sie sich möglicherweise bei einer Plazierung im Nachfeld verhalten. Nicht alle kommen in Frage, dies sind die Interjektionen und die Konjunktionen. D i e übrigen sind auch nicht in der Kumulation w i e im Vor-Vorfeld möglich; statt der Linksversetzung ist analog Rechtsversetzung vorzusehen: (5) Er ist nicht angekommen, nerwetter.
der Brief, Herr Meier,
η η η S RechtsVfcjub Vok Kon
(5·)
Pron
tatsächlich,
ja, zum
Don-
η Partoespr Emot
infïn
Er ist nicht ange-; der Brief, Herr Meier, tatsäch- ja, zum Donnerkommen, lieh, wetter W i e zu sehen, ist die Anordnung der Elemente nicht spiegelbildlich zur VorVorfeldplazierung, allerdings lässt sie noch mehr Freiheit zu. So können etwa der Vokativ und der rechtsversetzte Ausdruck auch an anderer Stelle stehen. Die rechtsversetzten und alle anderen Elemente unterscheiden sich in einer Hinsicht: Erstere sind die eigentlichen Thema-Ausdriicke des Satzes, auf die die pronominalen Elemente kataphorisch verweisen. Dadurch wird das eigentliche Thema nachdrücklich hervorgehoben, ohne allerdings seinen Status zu ändern, es bleibt unbetont. Rhematische Elemente tragen dagegen einen Akzent. (5a) Er ist nicht angekommen, der Brief vom Finanzamt. (6) Es ist heute noch zu erwarten: ein Brief vom Finanzamt. Die Nachfeldplazierung von emotiven Elementen und Versicherungsausdrücken verleiht diesen größeren Nachdruck. Ob man die ersteren dann als rhematisch bewerten kann, hängt davon ab, ob man diesen Nachfeldelementen anders als den rechtsversetzten Elementen größere Unabhängigkeit zuweist. Die Versicherungsausdrücke sind jedenfalls thematisch: (7) Das muß jemand anders sein, klar. (Bloomsday '97, S.250) (8) Dies ist eine gute Geldanlage. Ohne Zweifel. Hier ist die ausgeklammerte Konstituente so weit verselbständigt, dass sie durch die Interpunktion als Aussage mit eigener Intonationskontur gekennzeichnet wird. In manchen Textsorten, insbesondere in der Werbungssprache, wird diese Quasi-SatzKommunikation erweitert auf propositionale Teile: (9) Dies ist ein Angebot der Gesellschaft. Für Sie. Zu einem fairen Preis. An jedem Tag der Woche.
372
Die Wortstellung
Die Nachträge haben sich so verselbständigt, dass sie wie KM rezipiert werden. Sie sind aber nur in Bezug auf den Ausgangssatz verständlich. Es ist eine syntaktische Extremform, die bislang nicht spontan auftritt.
Die Rechtsversetzung dagegen ist ein gängiges syntaktisches Muster. Es lässt sich von allen E bilden: (10) Also hundert Jahre, und in hundert Jahren ist es noch genauso schön wie jetzt, dieses Paar Ohrstecker. (Bloomsday '97, S.274) (11) Wir haben sie noch nicht gesehen, die neue Oper. (12) Darüber haben wir noch nicht nachgedacht, über dieses Problem. Für Angaben lassen sich als analoge Formen nur die folgenden auffassen: (13) Wir haben hier schon immer gespielt, auf dem Kirchplatz. (14) Ich hatte da schon so etwas erwartet, vor drei Tagen.
Stecker Aber auch diese syntaktisch einfachen und häufig genutzten Konstruktionen lassen komplexere Weiterentwicklungen zu. (16) Vor der Tür wirst du ein Paket finden, darin eine Videokassette, sofort (Spiegel Special 3, 1999, S.146 nach Iosof 1999, S.33)
9.7.2. Ausklammerungen Auf dem Hintergrund des im vorangehenden Abschnitts Dargestellten wirken die vielfältigen Ausklammerungstypen als reguläre Besetzungen der Nachfeld-
373
Die Besetzung des Nachfeldes
position. Sie haben nicht den Charakter des Nachtrags, der Übergang ist allerdings fließend. Es ist auch nicht so, dass nur rhematische+ Elemente ausgeklammert würden, wenn diese auch den Hauptanteil bilden. Rhematisch ist das ausgeklammerte Zeitadverbial in (1), thematisch in (2): (1) Ich bin ein alter NDR-Mann, da habe ich Bundfunk gelernt, vor zwei Jahrzehnten. (Bloomsday '97, S.250) (2) Aber Michael Schumacher hat ja auch den Kart-Sport irgendwie initiiert dorm. (Bloomsday '97, S.9) Dieser Unterschied in der Funktion der ausgeklammerten Elemente muss in der syntaktischen Struktur analog den im Vorfeld plazierten Elementen, bei denen zwischen Thematisierungs- und Rhematisierungsoperationen unterschieden wurde, beachtet werden. Für die Ableitung der Sätze lässt sich dies so herstellen, dass die Ausklammerung durch eine Indizierung angegeben wird. Die Wortstellungsveränderungen gegenüber der Grundposition haben wir sonst als durch schrittweise Linksversetzung geregelt angesehen. Das dabei erreichte Vorfeld ist für die thematischen Subjekte die Normalstellung, andere Elemente benötigen Zusatzregeln. Für das Nachfeld gibt es in dem Sinne keine Normalfalle, die Besetzung des Nachfeldes ist immer eine markierte Operation. Insofern lassen sich Vor- und Nachfeldbesetzungen auch nicht einfach als spiegelbildliche Verfahren ansehen. (Zur Ausklammerung vgl. Braun 1987, S. 125-130). Atemp:rii
S.
Adv,
Da habe ich Rundfunk gelernt, vor zwei Jahrzehnten Die thematische oder rhematische Markierung eines Elements mit dem links an S gesetzten ist verantwortlich für die Integration des ausgeklammerten Elements in den Gesamtintonationsbogen des Satzes. Vor allem aber wird mit dieser Markierungsregel die syntaktische Regelung nicht außer Kraft gesetzt; denn die interne hierarchische Dependenzregelung bleibt weiterhin bestehen. Die Satzhierarchien ändern sich nicht, wohl aber, gravierend, die Positionsregularitäten.
374 (2·)
Die Wortstellung
Κ.
Atempith S.
Appos
Aber M. Schumacher hat ja auch den Kart-sp. irgendwie initiiert dann
9.7.3. Die Serialisierung von Nebensätzen 9.7.3.1. Obligatorische Besetzung des Nachfeldes durch Ergänzungssätze Dass- und oö-Sätze im Nachfeld sind unmarkiert. Es liegen zwar Ausklammerungen vor, doch ist ihre Stellung dort völlig regulär und sie befinden sich im Nachfeld sowohl bei periphrastischen als auch bei einfachen Verbstrukturen. (3) Also, das Beschäftigungskapitel im Vertrag ist ja im wesentlichen abgeschlossen, ich glaube nicht, daß da noch sehr viel dran verändert wird. (Bloomsday '97, S.12) (4) Ich weiß gar nicht, ob man dem Wirken der Rechtsradikalen heute mit diesen Vorstellungen kommen kann. (Bloomsday '97, S.12) (5) Aber da muß man auch akzeptieren, daß ich dann sage: Okay, ja, ich hab ' zwei Geschwister... (Bloomsday '97, S 35) Ihre Ableitung ist unproblematisch. Die Nebensatzrealisierung der E ^ erfolgt also im unmarkierten Fall durch Anschluss an das infinite Verb oder bei einfachen Verben an die finite Form nach rechts. Hier ist die Ausklammerung bereits grammatikalisiert. Dies ist ein entscheidender Unterschied zu nominal realisierten Ergänzungsbesetzungen, die in der Grundstruktur links, also im Mittelfeld stehen.Umgekehrt erfordern nun im Vorfeld stehende dass- und oÄ-Sätze zusätzliche Regeln, denn dies sind markierte Strukturen. (6) Dass er sich so täuschen konnte, ist mir rätselhaft. (7) Ob ein Beitritt Italiens Vor- oder Nachteile bringt, wissen doch nur die in Brüssel.
Die Besetzung des Nachfeldes
3 75
m: Aber da muss man auch akzeptieren, dass .... Wenn diese Sätze vorangestellt sind, sind sie thematisch, d.h. ihre Ableitung erfolgt mit der in Abschnitt 9.3.1. eingeführten Regel:
Advmod Dass er sich
so täuschen konnte, ist mir rätselhaft.
9.7.3.2. Nachgestellte Angabesätze Angabesätze sind in Bezug auf die Serialisierungsregularitäten anders zu beurteilen als Ergänzungssätze. Sie kommutieren mit einwortigen Adverbien und sind dann als Versetzungen nach den gewöhnlichen Thematisierungs- und Rhematisierungsregularitäten aufzufassen. Die einwortigen Elemente zeigen den Platz in der Grundstruktur. (8) Nachdem ich mit dem Vogel fertig war, hatte ich ein bißchen Zeit übrig und schaltete den Fernseher ein. (Bloomsday '97, S.15) (9) Das Set wird immer größer und runder, und jetzt geht's, nachdem geschwommen ist. (Bloomsday '97, S.16)
376
Die Wortstellung
(10) Für manche von ihnen wird das Leben erst dadurch zur sinnvollen Wirklichkeit, wenn sie es durch den Spiegel der Sprache betrachten können. (Bloomsday '97, S.21) (11) Und weil ich dich mag, will ich dich verwöhnen. (Bloomsday '97, S. 122) (12) Ich mein ', gut, jeder wird heut' kein Kind mehr vielleicht bekommen, weil es andere Entwicklungen gibt... (Bloomsday '97, S. 127) (8a) dass ich dann ein bisschen Zeit übrig hatte (8b) Ich hatte dann ein bisschen Zeit übrig. (8c) Dannth hatte ich ein bisschen Zeit übrig. Die an die Spitze gestellten Angabesätze situieren wie die dort stehenden einwortigen Elemente, die im Nachfeld befindlichen tragen normalerweise den Rhemagipfel. Die beiden Typen, also Sätze mit vorangestellten beziehungsweise mit nachgestellten Angabesätzen, sind bedeutungsgleich, aber nur, was die Propositionen betrifft. Sie haben damit auch die gleichen Implikationen. Aber ihre TRG ist unterschiedlich. Dies sieht man am besten an den we//-S ätzen. Die vorangestellten fuhren e i n e n Grund für die im Hauptsatz genannte Folge an, die nachgestellten benennen g e n a u den Grund, für den der Hauptsatz die Folge anführt. Ein kataphorisches Element kann dies verdeutlichen: (IIa) Ich will dich deswegen verwöhnen, weil ich dich mag. Soll dies auch für den vorangestellten we//-S atz gelten, muss er eine Fokussierungspartikel aufweisen: (1 lb) Nur weil ich dich mag, verwöhne ich dich. Unter syntaktischem Aspekt müssen diese Hinweise auf die Bedeutungsunterschiede vor- und nachgestellter w/7-Sätze genügen. Für die Position sind die ausdrucksseitigen Indikatoren der Akzentregelung notwendige und hinreichende Merkmale, dass der Unterschied begründet und nicht beliebig ist. So lassen sich auch hier die Thematisierungsregelimgen für die Voranstellung einsetzen. Dann trägt der Angabesatz (von Fokussierungsausnahmen wie (1 lb) abgesehen) nicht den Gipfelakzent des Gesamtsatzes, oder aber er wird Thematisiert, dann liegt auf ihm der größte Nachdruck.
Adj rv · · Nachdem ich mit dem Vogel fertig war, hatte ich ein bisschen Zeit übrig.
Die Besetzung des Nachfeldes
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9.7.3.3. Die Serialisienxng von Infinitivkonstruktionen Analog vor allem zu den Ergänzungssätzen sind Infinitivkonstruktionen (IK) zu behandeln. (12) (12a) (13) (13a) (14) (14a)
Ich habe ja gar nicht daran gedacht, nach Hause zu gehen. Ich habe ja gar nicht daran, nach Hause zu gehen, gedacht. Er hat uns des längeren erklärt, nach Hause gehen zu wollen. Er hat uns des längeren, nach Hause gehen zu wollen, erklärt. Sie hat ihm geraten, den Job anzunehmen. Sie hat ihm den Job anzunehmen geraten.
Hier sind die Sätze (12), (13), (14) die unmarkierten. Auch hier ist schon von einer grammatikalisierten Ausklammerung aus der Grundstruktur zu sprechen. Auch bei Infinitivkonstruktionen, die Subjekte sind, sieht es nicht anders aus. (15) Noch einmal alles aufzurollen, wird hier nicht reichen. (15a) Es wird hier nicht reichen, noch einmal alles aufzurollen.
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Die Wortstellung
Die Nebensatzversion zeigt, dass die Nachstellung die unmarkierte Position ist: (15b) ... dass es nicht ausreichen wird, noch einmal alles aufzurollen. So muss für die Plazierung einer Subjekts-HC im Vorfeld eine Thematisierungsoperation angenommen werden:
Infinitive im ersten Status (reine Infinitive) verhalten sich genauso. (16) Aufbegehren wird hier nicht reichen. Der Grund dafür, verbale Ergänzungen anders zu behandeln als nominale, insbesondere, wenn sie Subjektsfunktion haben, liegt vor allem darin, dass Verben, auch in infiniter Form, primär prädikative Aufgaben haben und damit prototypische Rhemata darstellen. Dementsprechend sind die Wortstellungsregularitäten anzusetzen. 9.7.3.4. Konstruktionen mit als und wie Durch als und wie angeschlossene Syntagmen verhalten sich unterschiedlich. Prädikative Konstruktionen stehen regulär im Mittelfeld: (17) Er hat hier als Lehrer gearbeitet. (18) Er hat sich wie ein Berserker aufgeführt. Ihre Plazierung ins Nachfeld muss durch eine Rhematisierungsregel bewerkstelligt werden und ist für die α/s-Konstruktionen zweifelhaft. ρ
(17a) Er hat hier gearbeitet als Lehrer. (18b) Er hat sich aufgeführt wie ein Berserker. (17a) gewinnt sofort an Akzeptabilität, wenn ein stärker gefülltes Rhema vorliegt: (17b) Er hat hier gearbeitet als ein Lehrer, der sein Bestes gegeben hat.
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Eine derartige rhematische Beschwerung ist der Hauptgrund für die Ausklammerung aller im Folgenden noch zu besprechenden Typen. Auch Vergleichskonstruktionen mit als und wie sind zunächst für das Mittelfeld vorzusehen. (19) Er ist nur halb so wohlhabend wie sein Bruder gewesen. (20) Das Erdbeben in Mittelitalien ist schlimmer als das in Norditalien gewesen. Auch hier bringen Rhematisierungsregeln die wie- oder α/j-Konstruktion ins Nachfeld:
Partf0k Er ist nur halb so wohlhabend gewesen wie sein Bruder . 9.7.3.5. Präpositionalphrasen Diese Strukturtypen sind außerordentlich häufig ausgeklammert, allerdings verhalten sich A und E unterschiedlich. Analog den präpositionalen Attributen im Vorfeld begegnen auch solche im Nachfeld. (1) Wir haben uns darüber unterhalten an einem Abend im Januar. (2) Wir können meinetwegen noch einmal sprechen mit dem Direktor. (3) Wir können meinetwegen noch einmal mit dem Direktor sprechen über die unangenehme Sache. (4) Wir können die Sache noch einmal zur Sprache bringen über die unangenehme Geschichte. Offenbar ist bei den primären Präpositionalphrasen, also den A und E, eine Bedingung für die Ausklammerung die relative Verbnähe. Die ausgeklammerten Attribute (4) liegen an der Grenze der Akzeptabilität.
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Die Wortstellung
9.7.3.6. Nominalphrasen Ausklammerungen des Subjekts sind nur in markierten Konstruktionen möglich: (5) 7Die Verantwortung für das ganze Unternehmen hat hier ausschließlich getragen der Geschäftsführer. Einfache Nominalphrasen im Akkusativ, E ^ , werden normalerweise nicht ausgeklammert. Nur stark rhematische, insbesondere koordinierte, lassen dies zu. Doch kann durch ein kataphorisches Element auch die Nachstellung einfacher Nominalphrasen bewerkstelligt werden. Es liegen dann Rechtsversetzungen vor, die oben bereits bei den Nachträgen behandelt worden sind. Da formal mit dem als kataphorisches Element zu interpretierenden Pronomen der Satz bereits vollständig ist, kann die Rechtsversetzung von E von den Ausklammerungen getrennt werden, wenn auch ihre Funktion vergleichbar ist. (6) 7Sie haben gesehen: den Stern von Bethlehem. (7) Sie haben auf ihrem Weggesehen Oasen, Karawanen und Beduinen. (8) Sie haben ihn gesehen, den Stern von Bethlehem. η S RechtsVEakk
(81) V,
Pron
Sie haben ihn gesehen , den Stern von Bethlehem Analog verhält sich die Edal: (9) Er hat es gegeben einem Freund, der ihm so oft geholfen hatte. Aber dies ist eine Nachfeldbesetzung des ersten Typs. 9.7.3.7. Koordinationen und Ähnliches Koordinierte Elemente werden sehr häufig ausgeklammert. (10) (11) (12) (13)
Wir haben ein preiswertes Buch gekauft und ein teures. Wir haben ein preiswertes und ein teures Buch gekauft. Wir haben ein preiswertes und informatives Buch gekauft. *Wir haben ein preiswertes Buch und informatives gekauft.
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Die Besetzung des Nachfeldes
Als Ausklammerungsform ist nur (11) zulässig, der Satz, bei dem von 'zwei Büchern' die Rede ist. (14) Hast du ein teures Buch gekauft oder ein preiswertes? (15) Hast du ein teures Buch gekauft oder eine günstige CD? 9.7.3.8. Ausklammerungen und Rechtsversetzungen im Nebensatz Auch im Nebensatz sind Ausklammerungen möglich. (16) Als die dann auch hier rumliefen mit ihren Kerzen und Sprüchen, gabs ein Plakat: 'Keine Milde fürMeurer'. (I. Schulze, Simple Storys, S.222) O ^ A k ^ ^
_
liefen
- S.
chen,
(17) Dass ich dort Rundfunk gelernt habe vor zwei Jahrzehnten, habe ich nicht vergessen. (18) Ob er auch noch in hundert Jahren genauso schön ist wie jetzt, dieser Ohrstecker, bleibt abzuwarten. Auch Nebensätze verfugen über eine TRG, wenn sie auch eingelagert ist in die TRG des jeweiligen Gesamtsatzes, so dass es plausibel erscheint, wenn analoge Nutzungen der Randplätze vorkommen wie im Hauptsatz. 9.7.3.9. Abschließendes zur Nachfeldbesetzung und zur Ausklammerung Der rechte Randplatz des Satzes oder dahinter ist tendenziell rhematisch. Wie beim Vorfeld, das tendenziell thematisch ist, bildet sich hier ein Epizentrum des Satzes heraus, wobei diese Position mehr oder weniger stark für Informationen genutzt wird, die einen besonderen Nachdruck erhalten sollen. Aber wie beim Vorfeld, bei dem auch rhematische Elemente begegnen, sind umgekehrt beim Nachfeld auch thematische Elemente möglich. Dies zeigt, dass die Besetzung
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Die Wortstellung
der strukturell möglichen Positionen im Satz nicht schematisch abläuft. Versetzungen aus der Grundposition ins Vor- oder Nachfeld müssen deswegen als thematische oder rhematische markiert werden. Für die thematischen Subjekte sind die Vorfeldbesetzungen und für die rhematischen Ε-Sätze und strukturell ähnlichen Elemente die Nachfeldbesetzung grammatikalisierte Versetzungen. Die für die Bestimmung insbesondere der Thema- oder der Rhemabewertung heranzuziehenden Indikatoren sind die Intonationskonturen der Sätze, insbesondere die Akzentregelungen. Dieser Teil der Intonation gehört in den Bereich der Syntax. Er ist ein primäres Steuerungsmittel.
10. Passiv, Konversen und Verbmodifikationen
10.1. Grundleistungen von Konversen Im Deutschen, wie in den meisten Sprachen, ist der verbale Wortschatz gegenüber den Wörtern anderer Wortarten auch in der Hinsicht ausgezeichnet, als er nicht nur die Grundlage der Satzorganisation darstellt, sondern auch generell die wesentlichen Prädikationsmöglichkeiten enthält, das heißt, die Typen bereitstellt, mit denen über die Welt Aussagen formuliert werden können. Der verbale Grundwortschatz manifestiert sich in den germanischen Sprachen in den Aktivkonstruktionen. Mit ihnen sind Handlungen, Vorgangs- und in gewissem Umfang auch Zustandsbezeichnungen möglich. Vor allem bei den Tätigkeitsverben zeigt sich, dass damit kompakt nicht nur Vorgänge, sondern wegen der meist obligatorischen Besetzung der Position des Subjekts, das in seiner Kasusrolle dann als AGENS interpretiert wird, Tätigkeitsbezeichnungen entstehen. Sätze wie (1) Die unbestechlichen Politiker organisieren, regieren und verwalten effektiv den Staat. sagen aus, dass die 'Staatsorganisation' von den 'unbestechlichen Politikern' vorgenommen wird. Vielfach ist eine Markierung der im Verb gefassten Vorgänge in Bezug auf ihre Urheber oder Verantworter aber gar nicht nötig oder gar erwünscht. Ein Satz wie (2) Der Staat wird effektiv organisiert, regiert und verwaltet. ist fur manche Zwecke vielleicht völlig ausreichend. Hier wird der AGENS nicht genannt, die Gründe dafür können ganz unterschiedlich sein. Vielleicht weiß man nicht, durch wen der Staat (wirklich) regiert wird, oder aber es soll eine Gegenaussage zu einer Behauptung wie (3) Der Staat wird ineffektiv regiert. getroffen werden. Kennzeichen aller Passivstrukturen, aber auch vieler anderer Ausdrucksmöglichkeiten, die identische Sachverhalte aus unterschiedlichen Blickwinkeln fokussieren, ist, dass dies mit dem gleichen verbalen Ausdruckspotential vorgenommen werden kann. Es werden für den Blickwechsel nicht unterschiedliche,
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Passiv, Konversen und Verbmodifikationen
sondern identische Verben verwendet. Unterschiedliche Verben für derartige Änderungen gibt es zwar auch, sie sind aber auf relativ wenige Fälle beschränkt, wie geben versus nehmen oder kaufen versus verkaufen. Im Gegensatz zu solchen lexikalischen Konversen nutzen grammatikalisierte, syntaktische Konversen das verbale Grundpotential, indem sie vor allem verbale Partizipien mit Hilfsverben verbinden, wie bei den angeführten Passivsätzen. Diese Typen werden im Folgenden zunächst und ausführlich behandelt. Es schließt sich die Betrachtung weiterer Konversen an, die bis zum gewissen Grade ähnliche oder analoge Leistungen wie die Passivformen erbringen.
10.2. Das Passiv Unter den Ausbaumöglichkeiten des Satzes stellt das Passiv das bei weitem wichtigste Mittel dar. Im Vergleich zu (1) wird (2) im Deutschen und analog in allen dem Deutschen verwandten und in einer großen Zahl anderer Sprachen als Passiv bezeichnet: (1) Ralf öffnet das Fenster. (2) Das Fenster wird von Ralf geöffnet. Satzpaare dieser Art sind in den Grammatiken die Standardbeispiele, um zu zeigen, dass regelhaft angebbare Korrespondenzen zwischen Sätzen mit großenteils identischem lexikalischen Material bestehen, weiter dass der Satz (2) im Vergleich mit (1) als abgeleitet zu verstehen ist und drittens, dass der zweite Satz eine Ausdrucksweise darstellt, mit der nicht eine aktive Tätigkeit, sondern ein Geschehen fokussiert wird. Dafür hat sich die Bezeichnung 'Passiv' eingebürgert. Diese Bezeichnung stellt gleichzeitig die Verbindung zu Sprachen her, in denen das Passiv durch eine morphologische Markierung am Verb synthetisch ausgedrückt wird, etwa im Lateinischen: (3) Fenestra apertur. Die angegebenen Charakterisierungen des Passivs sind alle richtig, sie sind aber in wesentlichen Punkten noch zu ergänzen. Dies gilt bereits für den Vergleich der ersten beiden Sätze. Denn die Sätze (1) und (2) sind in dieser Form auf den direkten Vergleich hin angelegt und setzen zudem voraus, dass (2) in irgendeiner Weise auf (1) beruht. Bereits der Satz (3) kann deutlich machen, dass eine unabhängigere Betrachtung nicht unbedingt davon ausgehen muss, Sätze in allen ihren Einzelheiten direkt aufeinander zu beziehen. Textuell gesehen ist festzustellen, dass der Typ (4) (4) Das Fenster wird geöffnet.
Das Passiv
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ungleich öfter, nämlich etwa fünfmal so häufig vorkommt wie (2), bei dem sich eine genaue Entsprechung aller Teile dieses Satzes zu denen in (1) verbuchen lässt. (2) ist die Konverse von (1), und die Konversionsanalyse zur Beschreibung des Passivs ist unter syntaktischem Gesichtspunkt auch adäquat. Wir werden sie, wenn wir festgestellt haben, welche Glieder in ein tatsächliches Konversenparadigma gehören, ebenfalls verwenden. Denn wenn (1) und (2) als Konversen voneinander angesehen werden, ist logisch keine Priorität des einen oder des anderen Satzes vorgegeben. Vor allem ist damit der Passivsatz nicht zwangsläufig eine Ableitung aus dem Aktivsatz. 'Passiv' ist eine ziemlich universale grammatische Kategorie (vgl. z.B. Siewierska 1984, Comrie 1978, Shibatani 1988), die allerdings von Sprache zu Sprache mehr oder weniger große Unterschiede aufweist. Unter unseren Beispielen zeigt bereits das Lateinische, wie stark die Unterschiedlichkeiten sein können. Immerhin ist auch das Lateinischen, obwohl es die meisten Formen synthetisch bildet, beim Passiv aufwendiger als das Aktiv. Dennoch ist damit immer noch nicht gesagt, dass das Passiv auf dem Aktiv beruht. Gerade die synthetisch gebildeten Formen, bei denen die Morpheme an das verbale Lexem treten, zeigen, dass dieses - und nicht der gesamte Satz, in dem eine verbale Struktur vorkommt - als Ausgangspunkt des Vergleichs von Aktiv und Passiv zu nehmen ist. Für die Verhältnisse im Deutschen ist zudem ein Blick auf die Sprachgeschichte nützlich, um zu zeigen, dass die - unbestreitbare - Abgeleitetheit des Passivs nicht mechanisch beurteilt werden darf, sondern den genetischen Weg deutlich macht, den die Passivformen auch in der Gegenwartssprache noch durchlaufen. Im älteren Deutsch sind die sogenannten Passivformen Prädikativkonstruktionen. Das heißt, sie beziehen sich auf ein nichtagentisches Subjekt, das durch ein finîtes Verb der Auxiliare sein (sîn oder wesan) bzw. werden (werdan) mit einem partizipialen Adjektiv, das aus einem transitiven Verb stammt, eine Qualifikation des im Subjekt bezeichneten Denotats wiedergibt: (5) Alliu thuruh thaz wurdun gitan inti uzzan sin ni was wiht gitanes thaz thar gitan was. (Tatian 1,2) 'Alle Dinge sind dadurch [= durch das Wort] gemacht worden und ohne dasselbe war nichts gemacht, was gemacht ist'. Qualifikationen des im Subjekt bezeichneten Denotats mit einem partizipialen Adjektiv, das von einem intransitiven Verb stammt, ergibt im Althochdeutschen Formen die später als Perfektformen in das Tempussystem des Deutschen eingebunden wurden: (6) 'Ih bim alt, inti min quena fram istgigangan in ira tagun ' (Tatian 2,8) 'Ich bin alt und meine Frau ist vorangeschritten in ihren Tagen'. Die Aaèen-Perfekt-Formen sind erheblich jünger und ursprünglich Objektspiädikative: (7)
'andero fimvi ubar thaz haben gistriunit' (Tatian 149,4) 'Noch einmal fünf habe ich darüber hinaus gewonnen'.
Die Passivformen des Althochdeutschen lassen die additive Bildeweise der Formen aus dem Auxiliar und dem Partizipialadjektiv jedenfalls noch deutlich erkennen. Der konstruktionelle Weg hat sich für die Bildung des Passivs - analog der Bildeweise anderer ρ eriphras tischer
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Passiv, Konversen und Verbmodifikationen
Konstruktionen - erhalten. Wenn wir das Passiv als Konverse der entsprechenden Aktivform erfassen, dann dürfen die Grundbedingungen nicht außer Acht gelassen werden: Aktiv- und Passivsätze stehen in einem paradigmatischen Verhältnis; sie werden nicht auseinander hergeleitet. Sie lassen sich aber insofern aufeinander beziehen, als es der Passivsatz ermöglicht, die gleichen Argumente bzw. Ergänzungen wie der Aktivsatz zu binden; allerdings auf anderem konstruktioneilen Weg. Vor allem muss im Vergleich mit dem einfachen Veib des Aktivsatzes der Passivsatz als Funktion aus einer zweiwertigen sein- oder wr Präs)
(„doppeltes Perf." ->; Perf
Perf(-> Präs)
Perf (~y Präs)
Aktiv- und Passivkonversen
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Was die verbalen Kategorien insgesamt betrifft, so werden den Verben des Deutschen über das Diathesesystem, eingebunden in periphrastische Konstruktionen, die Kategorien der Zustandsbezeichnungen und Intransformativitätsbezeichnungen eröffnet. Die primäre Ausrichtung des verbalen Wortschatzes auf Transformativität - schon Statalität ist selten - wird somit kompensiert. In Kombination mit der stärker textfunktionalen Kategorie des Tempus und der stärker satzfunktionalen der Aktionsarten ergeben sich mehrfach Doppelbesetzungen funktionaler Plätze. Das sollen die Äquivalenzpfeile andeuten. So hat das Präsens des Aktivs transformativer Verben auch eine Futurbedeutung, besser: -konsequenz oder -implikation. Denn die Bedeutung des Präsenssatzes impliziert eine Weitergeltung der Aussage für die Zukunft. Analog gilt dies für die Perfektformen. Mit den Perfektsätzen wird hier ein Geschehen bezeichnet, das für die Gegenwart weitergilt. Von besonderem Interesse sind nun die Verhältnisse bei den Zustandssätzen. Hier lässt sich davon sprechen, dass mit den Passivformen eine Zeitstufe, die mit dem Aktiv oder auch mit dem Vorgangspassiv um eine Stufe weiter zurückliegt, erspart wird. Dies führt, wie oben angegeben, häufig bei den Zustandsformen des Akkusativpassivs dazu, von einer Elision des worden für die Bildung dieser Formen auszugehen. Dies ist jedoch eine Verkürzung der tatsächlichen Verhältnisse. Der Zustandspräsenssatz präsupponiert einen Vorgang in der Vergangenheit; dieses Verhältnis ist aber nicht durch Elision zustandegekommen. - In den komplexeren Formentypen entsprechen den - selber schon morphologisch aufwendigen - Zustandspassivformen die doppelten Perfektformen des Aktivs, die sich auf diese Weise dann vermeiden lassen.
(20) Die Steine sind dem Kunden vom Juwelier vereint gewesen. ~ (21) Der Juwelier hat dem Kunden die Steine vereint gehabt. Inwieweit der letzte Satz mit einem Plusquamperfektsatz äquivalent ist, kann hier außer Betracht bleiben. (Zum Problem der Doppelformen beim Perfekt und Plusquamperfekt vgl. Eroms 1984, Thieroff 1992 und vor allem Litvinov 1998). Betrachtet man die Sätze (22) und (23) ohne ihre Kontexteinbindung, so wird nicht sogleich deutlich, dass sie in diesem Zusammenhang etwas gänzlich anderes bedeuten:
(22) Der Kunde hat die Steine vereint. (23) Der Juwelier hat die Steine vereint. (22) ist hier die Zustandsvariante des Dativpassivs im Präsens, (23) der gewöhnliche, ungleich häufigere Aktivsatz im Perfekt. Der konstruktioneile Weg zeigt den Unterschied (Schema 22' und 23'). (Welches die genauen konstruktioneilen Bedingungen für das Perfekt sind, ist in Kap.5.4. dargestellt.) Sätze vom Typ (22) sind, wie gesagt, nicht besonders häufig, doch sind sie in modalisierter Form vielfach belegbar:
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Passiv, Konversen und Veibmodifikationen
(24) ... also, dann sehen wir die ganze Geschichte anders, und wir wollen das geändert haben. (Bloomsday '97, S.334) (25) Ich wußte, daß er im Theater war mit der Mutter, aber ich konnte es nicht oft genug bestätigt haben. (Elias Canetti, Die gerettete Zunge, Frankfurt 1982, S.183) Diese Belege, die sich leicht vermehren lassen (vgl. insbesondere Leirbukt 1981), sind in viel stärkerem Maße noch Prädikativkonstruktionen als die anderen hier aufgeführten periphrastischen Konstruktionen. Es ist die Frage, ob dies syntaktisch geregelt oder zumindest hervorgehoben werden muss. (22')
(23')
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