Sylt: Eine Wanderung durch die Natur- und Kulturwelt der Insel [Reprint 2020 ed.] 9783112312742, 9783112301470


245 80 14MB

German Pages 174 [188] Year 1951

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD PDF FILE

Table of contents :
Inhalt
Vorwort
Einleitung
Natur
Kultur
Ausblick
Personenverzeichnis
Sachverzeichnis
Schrifttum
Erläuterungen zu den Bildertafeln
Bildertafeln
Inserate
Recommend Papers

Sylt: Eine Wanderung durch die Natur- und Kulturwelt der Insel [Reprint 2020 ed.]
 9783112312742, 9783112301470

  • 0 0 0
  • Like this paper and download? You can publish your own PDF file online for free in a few minutes! Sign Up
File loading please wait...
Citation preview

E I N E F R A U Z U G O T T E S T I S C H A U F D E R I N S E L SYLT Tracht des 18 Jahrhunderts — Nach J. Rieter

SYLT Eine W a n d e r u n g durch Naturder

die und

Kulturwelt

Insel

Von H e n r y Koehn

Cram, de Gruyter & Co., Hamburg 1

Alle Rechte, insbesondere das übersetzungsrecht, vorbehalten. Copyright 1951 Cram, de Gruyter & Co., Hamburg 1. Satz, Druck und Einband: Chr. Jessen Sohn, Niebüll und Leck. Umschlag: Karl Gröning jr., Hamburg

M e i n e r Schwester QERTRVD gewidmet

INHALT Vorwort Einleitung Natur Inselraum Allgemeines Erdgeschichte Meeresraum Luftraum Pflanzenwelt Tierwelt

Seite

1 15 22 33 44 54

Kultur Allgemeines Zivilisation Vorgeschichte Stammeskunde Hausbau Tracht und Schmuck Sprache Seefahrt Landwirtschaft Geistesleben Ausblick Karte Personenverzeichnis Sachverzeichnis Schrifttum Erläuterungen zu den Bildertafeln Bildertafeln Inserate

Seite

68 72

VORWORT „Von hier und heute geht eine neue Epoche der Weltgeschichte aus, und ihr könnt sagen, ihr seid dabei gewesen." Es war die Kanonade von Valmy in der Kampagne von Frankreich im Jahre 1792, die G o e t h e zu diesem Ausspruch veranlaßte. Die geschichtlichen Ereignisse unserer Gegenwart bilden gleichfalls den Anbruch einer neuen Epoche, die sich diesmal aber auf die Völkerwelt der ganzen Erde erstreckt. Goethe besaß den Blick für das Werdende und sich Verwandelnde in der Natur und also auch in der Geschichte. Bei einer Orientierung über die Fragen unserer Gegenwart, kommt es auf die Erkenntnis des inneren Prozesses an, der im Vollzuge ist. Die Frage der Völkergeschichte ist neben der biologischen Artfrage des Menschen wesentlich auch eine Frage der zugehörigen Landschaftsgeschichte. Die Landschaft bildet nicht nur den Raum, in dem sich die Geschichte abspielt, der Geist der Landschaft kennzeichnet weitgehend Art und Charakter der Kultur. Im Sinn für die Natur liegt der Schlüssel für das Geschehen im Weltganzen und somit auch für den Ablauf der Menschheitsgeschichte. Diesem Sinn im kleinen Rahmen und bescheidenen Maß am Beispiel einer Insel etwas näher zu kommen, dienen die Betrachtungen der vorliegenden Schrift. Der Verfasser dieser Abhandlung stammt mütterlicherseits vom 18. Jahrhundert her von der westfriesischen Insel Vlieland. Er lernte Sylt zuerst im Jahre 1912 kennen. Nach einem mehrjährigen Aufenthalt nach dem ersten Weltkrieg im Innern von Java gab ihm 1922 das Werk von Oswald S p e n g l e r „Der Untergang des Abendlandes" den Anstoß zum Studium der Kulturgeschichte. Die persönliche Verbindung mit Spengler währte bis zu dessen Tod 1936. Vier Jahre kulturmorphologischer Arbeiten waren von 1923 ab im Forschungsinstitut von Leo F r o b e n i u s der Völkerkunde von Afrika gewidmet. Es folgten danach Studien mit eigenen Reiseunternehmen in verschiedenen europäischen Ländern und zwar vornehmlich im Norden unseres Erdteiles. Von 1928 bis 1939 wurden die Nordfriesischen Inseln systematisch durchforscht. Es war der Versuch, ein in sich geschlossenes Gebiet allseitig im Zusammenhang zu erfassen. Unter dem Titel: „Die Nordfriesischen Inseln. Die Entwicklung ihrer Landschaft und die Geschichte ihres Volkstums' erschien 1939 ein Niederschlag dieser Arbeit. Eine auf den neuesten

Stand gebrachte Überarbeitung dieses Buches liegt für die vierte Auflage heute druckfertig vor. Viele zehntausende deutscher Menschen aus allen Teilen unseres Landes besuchen alljährlich zur Erholung die Insel S y l t . Auch zahlreiche Ausländer wählen sie zu ihrem Reiseziel. Es ist von ihnen oftmals der Wunsch nach einer Veröffentlichung geäußert worden, die die Möglichkeit zur Unterrichtung über die vielfältige Erscheinungswelt der Insel gibt. Mit der vorliegenden Schrift hat der Verfasser sich bemüht diesem Verlangen nachzukommen. Bei der Fülle des vorhandenen Stoffes können die Einzelheiten natürlich nur kurz aufgezeigt werden. Die Darlegung ist so gehalten, daß sie jedem verständlich sein kann; sie ist trotz ihrer Kürze so gefaßt, daß sie tunlichst allen Interessen gerecht wird. Der Kampf um die Existenz, wie er durch unsere Zeitgeschichte heute jedem einzelnen und jedem Volk auferlegt ist, verlangt einen Blick auf das Ganze des Lebens und ein Eindringen in die Tiefe der Dinge. Die Darlegungen versuchen diesem Erfordernis Rechnung zu tragen. Wenn der Rahmen hier und da über das unmittelbar gegebene etwas weiter gespannt wurde, so bedeutet dies daher nicht eine Beschwerung durch vermeidbaren Ballast. Um die Arbeit einem möglichst großen Leserkreis zugänglich zu machen, konnten dem Text nur wenige Bilder beigegeben werden. Von der sehr umfangreichen Literatur über Sylt enthält das Verzeichnis nur eine Auswahl der wichtigeren Veröffentlichungen. Die Beschreibung von Sylt ist nicht in Form eines sonst üblichen Reiseführers erfolgt. Es schien dem Verfasser sinnvoller und für den Leser nützlicher, sie nach stofflichen Gesichtspunkten zu gruppieren. Das beigefügte Sach- und Personenverzeichnis ermöglicht eine leichte Auffindung des Gewünschten im Text. Auf einer beigegebenen Karte sind die wichtigsten örtlichkeiten verzeichnet. Allen denen, die durch Auskünfte und sonstige Mithilfe die Veröffentlichung gefördert haben, sei herzlich gedankt. Der Buchdruckerei C h r . J e s s e n S o h n danke ich für die Bereitwilligkeit, die sie bei der Drucklegung allen Wünschen gegenüber gezeigt. Ich gebe schließlich meiner besonderen Freude Ausdruck, daß der Verlag C r a m , d e G r u y t e r & Co. auch diese nordfriesische Arbeit von mir wieder zur Veröffentlichung brachte. Ein besonderer Dank dabei gebührt erneut Herrn Richard F r i e d erichsen. K a m p e n auf Sylt, Frühjahr 1951. Henry Koehn.

EINLEITUNG „Die Geschichte der Wissenschaften ist eine große Fuge, in der die Stimmen der Völker nach und nach zum Vorschein kommen." Was hier von G o e t h e für die Wissenschaften als Teilstück der Kultur gesagt wird, gilt für sie auch im ganzen. Jede Einzelkultur des Abendlandes greift fugenhaft in den Ablauf der Gesamtkultur ein. In der faustischen Symphonie dieser hat jedes Volk seine Stimme, mit der es das Thema zum Ausdruck bringt. Jede L a n d s c h a f t eines der Länder ist dabei mit ihrem besonderen Stimmungsgehalt wirksam und verleiht der Musik eine Eigennote. Die Landschaft charakterisiert die Völker nach Rassen und Kulturen, in den Sprachen klingt ihre Sprache auf. Die unendliche Mannigfaltigkeit der Pflanzen und Tiere mit ihrer gesamten Entwicklungsgeschichte spiegelt ihrerseits das Wesen der Landschaft nach Zonen und Regionen wider. In der Formengeschichte aller Gestaltung hat die Welt ihre Sprache. Den Sinn für die Morphologie der Natur hat uns Goethe gelehrt. Ihre Übertragung auf die Geschichte ist Spenglers Tat. Es ist der gleichermaßen aus Kunst und Wissenschaft geborene Geist, der die Voraussetzung ist für das Verständnis des großen Fugenspiels. Ein dreifacher R a u m umgibt den Deutschen, der seines eigenen Landes, der von Europa und der der Welt. Eine dreifache Z e i t ist hierdurch bedingt. Sie betrifft das geschichtliche und politische Alter des Volkes selbst, den Zeitstand der abendländischen Kultur und die Weltzeit der Menschheitsgeschichte. In diese Räume und Zeiten gebettet liegt unsere Gegenwart. Eine Gegenwart, die der Anbruch einer neuen Epoche in der Weltgeschichte ist. Wenn die Politik die „Kunst des Möglichen" ist, so ergeben sich die Möglichkeiten aus der Beherrschung der Geschichte als der Kunst der Fuge. Das aber heißt für uns, daß der d e u t s c h e G e d a n k e durch den dreifach gegebenen Raum und die damit verbundenen dreifachen Zeitabläufe hindurchzuführen ist; er ist gleichzeitig auf alle hin abzustimmen. Eigenes und anderes sind gegeneinander abzuwägen. Seiner Lage nach ist Deutschland das Land der Mitte Europas und des Abendlandes. Seiner Zeit nach trat es erst vor einem Menschenalter in die Reihe der Großvölker ein. Um die damalige Zeit schrieb N i e t z s c h e : „Das deutsche Wesen ist noch gar nicht da, es muß erst werden; es muß irgendwann einmal herausgeboren werden, damit es vor Allem sichtbar

und ehrlich vor sich selber sei. Aber jede Geburt ist schmerzlich und gewaltsam." Die Bedeutung des geschichtlichen Augenblickes in dem wir uns gegenwärtig bef'nden, wird erst voll erkenntlich, wenn wir ihn am Gang der Weltgeschichte messen. Aus dieser heben sich acht Hochkulturen heraus. Der zeitlichen Folge nach stehen an erster Stelle um 3000 v. Chr. Ägypten und Babylonien; es folgen Indien am oberen Pandschab um 1500, China am mittleren Hoangho um 1400, Griechenland um 1100, Arabien um 0, Mexiko von etwa 200 n. Chr. ab und das Abendland seit 900 n. Chr. Eine Bildung von Hochkulturen dieser Art ist künftig nicht mehr möglich. Die dazu erforderlichen Voraussetzungen, zu denen vor allem eine gewisse Abgeschlossenheit des Wachstums zu ungestörter Eigenbildung, ein dominierendes Landleben und eine folgerichtige Entwicklung der Stände gehört, ist nicht mehr gegeben. Das um 1800 kenntlich werdende Ende der abendländischen Kultur bildet zugleich den Übergang in eine neue Weltzeit. Am Beginn der Geschichte der abendländischen Kultur steht die Entwicklung des römischen Reiches. Wesenheiten der Randvölker des Mittelmeeres strömen in diese ein. Griechischer Geist kommt im Verlauf unserer Hochkultur zunehmend zur Entfaltung. In der Renaissance gibt Italien abermals einen Auftakt. Ihm folgen in der jeweiligen Vorherrschaft Spanien, Holland, Frankreich und England. Die Jahrhunderte der Entdeckung und Kolonisation seit 1500, verbunden mit dem Humanismus, haben uns die Bereiche aller vorgenannten Hochkulturen erschlossen und mit ihnen die weiteren Länder und Völker der Erde. Das Gefüge der Menschheitsgeschichte liegt in großen Zügen erkenntlich vor uns. Für die Zukunftsgestaltung ist hieraus die Lehre zu ziehen. In der Bildung von Großvölkern steht Deutschland an letzter Stelle im Abendland. Es bildet den Schlußstein im Gewölbe unserer Gesamtkultur. Seine Aufgabe ist es, den Substanzgehalt der abendländischen Vergangenheit mit dem Formwillen des Weltgeistes der Zukunft zu verbinden. In einer reichen Fülle von Uberlieferungen ist uns deutsches Geistesgut vermacht. Die Möglichkeit des Deutschseins hat uns G o e t h e als Mensch und Genie in der „Summe seiner Existenz" vorgelebt. Seiner ist daher an zahlreichen Stellen dieser Schrift gedacht. Untrüglicher Ausdruck vom Wesen eines Volkes ist vor allem di« K u n s t . In seinen .Sonderleistungen der deutschen Kunst"

hat P i n d e r den. Versuch unternommen, aus den Schöpfungen eines Jahrtausends das rein Deutsche herauszustellen. Läßt man die von ihm dazu gegebenen Abbildungen aller Zeiten, Kunstgattungen und Darstellungen an sich vorüberziehen, so könnte man glauben, daß sie der Hand e i n e s Meisters entstammen, der mit einer genialen Vielfalt begabt war. Das „Urphänomen" des Deutschseins ist jedem dieser Werke eigen. Wenn das Nationalbewußtsein im wesentlichen durch die Politik bestimmt wird, so findet das Volksbewußtsein seine tiefste Begründung in der Kunst. Das überzeitliche des Seins in der deutschen Kunst, kann uns der beste Garant sein für das noch Werdende. Das dabei aus der Einfachheit und Einsamkeit geborene, wird uns die Möglichkeit geben, alle Verluste zu überwinden. Der ferne Horizont der Gläubigkeit, der diese Werke umgibt, ist der Weltmitte unmittelbar nahe. Das Jahrtausend der zurückliegenden deutschen Kunst gibt uns eine geistige Verpflichtung. Von der Kunstgeschichte her ist eine Möglichkeit gegeben, das Eigenwesen der abendländischen Völker zu erfassen und damit für den Europagedanken das Wissen voneinander zu fördern, durch Erkenntnis von Eigenleistung und Übertragung den Sinn für die Ganzheit zu vertiefen. Ein geheimer Strom schöpferischer Bildungskraft durchflutet die Völker, er kommt aus den Urgründen frühester Existenz des Menschen und führt in Vermählung mit dem Geist der Landschaft zur Geburt ihrer Werke. Das Walten in der Natur ist ein in sich selbst gegründeter Entwicklungsprozeß. Die ursächlich damit verbundene Geschichte des Menschen ist das in gleichem Maß. Beide bedeuten für uns die Welt, die wir nicht machen, von der wir nur etwas ahnen können, die uns in Staunen versetzt und uns Ehrfurcht abnötigt. Das Zusammenwirken der beiden Reiche der Natur und Kultur ist da am ersichtlichsten, wo die Vorgänge kraftvoll ineinander greifen. Das trifft in vorzüglicher Weise nun auch für die Insel S y l t zu. Hier ist die Landschaft ursprünglich und einfach, alt und jung, vielgestaltig und beweglich, friedlich und gewaltsam, kleinförmig und kosmisch. Hier stehen Übergänge aller Art neben schroffen Gegensätzen, Verbindungen neben Vernichtungen. Jahrmillionen der Erdgeschichte und Jahrtausende der Menschheitsgeschichte liegen hier offen vor unsern Augen. Durch ständigen Wechsel der Witterung erscheint die Natur dabei jeden Tag immer wieder wie neu.

Hier durchdringt die Natur den Menschen in stärkerem Maße als andernorts. Vom Menschen sagt G o e t h e in den „ Wahlverwandtschaften": „Dem einzelnen bleibe die Freiheit, sich mit dem zu beschäftigen, was ihn anzieht, was ihm Freude macht, was ihm nützlich deucht; aber das eigentliche Studium der Menschheit 'st der Mensch." Den Weg vom Menschen zum Menschen weist uns am besten die Natur. Wenn mit der Erkenntnis aus der Lebensklugheit der Wahlverwandtschaften Mensch und Natur sich in Wahlverwandtschaft finden auf Sylt, dann ist damit ein Doppeltes gewonnen. Auf diesem Feld ist für jeden, voran für die Jugend, noch eine Welt zu erobern. Wenn sich in der Renaissance der Blick des Menschen von der seelischen Tiefe der Gotik zur geistigen Weite des Barock hinwandte, so ist heute eine Umkehr in den inneren Bezirk wieder im Vollzug. Nach der Verengung des Sinnes durch die Einzelforschung des 19. Jahrhunderts und dem Wirtschaftsgeist im 20. Jahrhundert, ist es erforderlich wieder Dimension zu gewinnen, um der Zeit, in der wir leben, gewachsen zu sein. Raumweite und Zeittiefe in der Natur und Geschichte sind auf Sylt bevorzugt vorhanden. Reisen ist eine Kunst Von seiner italienischen Reise schrieb G o e t h e am 17. September 1786 aus Verona; „Ich mache diese wunderbare Reise nicht, um mich selbst zu betrügen, sondern um mich an den Gegenständen kennen zu lernen."

NATUR

INSELRAUM Allgemeines. Die Insel S y l t erstreckt sich zwischen dem 54°44' und dem 55°3' nördlicher Breite. Der 55° läuft durch die im Norden der Insel gelegene Blidselbucht. Sylt liegt damit auf einer annähernd gleichen Höhe wie Königsberg einerseits und Newcastle in England andererseits. Die Insel ist der Westküste von Schleswig-Holstein in einer Entfernung vorgelagert, deren geringster Abstand IOV2 km (Nössespitze—Klanxbüll) und deren weitester 27xk km (Hörnum—Dagebüll Nord) beträgt. Die von Ellenbogen bis Hörnum Odde reichende Westküste hat eine L ä n g e von 38V2 km. Die B r e i t e der Insel schwankt zwischen 400 m (am Königshafen-Listland) bzw. 425 m (nördlich Rantum) und 13,3 km (Westerland-Süd bis Nösse Ostspitze). Die gesamte U f e r l ä n g e beträgt 107 km. Die Westküste verläuft von Hörnum bis Westerland annähernd Nord-Süd und weicht von dort bis Ellenbogen um etwa 19° nach Osten ab. Westerland bildet somit einen Scheitelpunkt. Er ist dadurch bedingt, daß verschiedene Hauptströmungen der Nordseegezeiten sich vor der Sylter Westküste vereinigen, daß der Hauptflutstrom auflandig auf Westerland stößt und sich hier so teilt, daß j e ein Küstenstrom nach Nord und Süd an der Insel entlangstreicht. Dieser Küstenstrom ist für die das Wattenmeer betreffenden Wasser zugleich Flut- und Ebbstrom. Die Abweichung der nördlichen Inselhälfte ist hauptsächlich verursacht durch den vom Südweststurm hier in stärkerem Maß bewirkten Abbruch. Derselbe erreicht sein größtes Ausmaß auf der Höhe des Königshafens bei dem Buhnenprofil 37. Hier sind von 1883 bis 1935 im ganzen 300 m. d. h. pro Jahr durchschnittlich 5,77 m Inselboden verloren gegangen. Der F l ä c h e n i n h a l t der Insel umfaßt nach der letzten Vermessung aus den 70er Jahren 93,48 qkm. Er bemißt auf Föhr 82,06 auf Amrum 20,43 qkm. t

Die Flächengröße der einzelnen Sylter Gemeinden beträgt von: Archsum 692,26,58 ha ; Hörnum 714,10,97 ha; Kampen 808,6V,73 ha ; Keitum 1045,89,69 ha; List 1906,43,33 ha; Morsum 1164,94,21 ha; Rantum 715,62,55 ha ; Tinnum 761,83,44 ha; Wenningstedt 636,58,84 ha; Westerland 842,46,53 ha. Abzurechnen sind hiervon die inzwischen eingetretenen Landverluste durch Küstenabbruch. Ihr Ausmaß wird sich aus der Vermessung ergeben, die gegenwärtig auf der ganzen Insel durchgeführt wird. Sylt ist die größte der nordfriesischen Inseln und der Lage nach die nördlichste. Der Ellenbogen, der nördlichste Ausläufer des Listlandes, ist das nördlichste Grenzgebiet von Deutschland. Die höchste E r h e b u n g der Bodenoberfläche beträgt nach der Landesaufnahme von 1932 27,2 m ü. N. N. Auf ihr, südlich von Kampen, wurde 1855 ein Leuchtturm von 38 m Höhe errichtet. Die höchste D ü n e n b i l d u n g der Insel zeigt die ebenfalls bei Kämpen, südlich des Kurhauses liegende 52,5 m ü. N. N. messende UweDüne, die dem hier etwa noch 25 m hohen Roten Kliff aufgelagert ist. Zu den größten Höhen, die die Dünen im übrigen erreichen, gehören von Nord nach Süd u. a. die folgenden: Jensmetten Berg westlich List 30,4 m; Sand Berg westlich List 34,7 m; Sütterknoll im SW von List 36,9 m; die große Wanderdüne (1 km lang) bei den Norder Strandtälern inmitten des Listlandes 26,4 m; Düne westlich Blidselbucht 30,9 m ; Düne im NO von Klappholttal 34,3 m; die Stranddünen beim Denghoog von Wenningstedt 42,8 m. Auf dem Südhaken erreichen die höchsten Dünen bei Rantum 23 m; die Thörhörndüne südlich Puan Klent ebenfalls 23 m; der Budersandberg im N von Hörnum 32 m; die sonstigen Dünen bei Hörnum bis zu 27 m. Die höchsten Dünen von A m r u m liegen im SW von Norddorf und im S der Vogelkoje mit je 31,5 und 31,4 m Höhe. Die Satteldüne im SW von Nebel ist 27,7 m hoch. F ö h r weist nur bei Witsum ein kleines jetzt aufgeforstetes Binnendünengelände auf. Die höchsten Geländehöhen des Sylt entsprechenden Diluviallandes liegen auf Amrum mit 16 m beim Esenhugh (19,55 m) bei Steenodde und mit 18 m bei der Mühle südlich Nebel. Die höchste Stelle des Litorinakliffs bei A Hörn hat 13 m Höhe. Das Kliff zwischen Steenodde und Nebel, Ual Anj, schwankt zwischen 3 und 9 Meter Höhe. Föhrs höchstes diluviales Gelände liegt westlich Wrixum mit 13,2 m; das Gotingkliff erhebt sich bis zu etwa 4 Meter. Die E n t f e r n u n g auf der Durchgangsstraße von Hörnum nach List beträgt jeweils von Hörnum Bahnhof bis Puan Klent 2

km 5,600; bis Rantum Bahnhof km 11,050; bis Westerland Ortsdurchfahrt km 16,332 — km 19,237; bis Wenningstedt Ortsmitte km 21,050; bis Kampen Ortsdurchfahrt km 23,800 — km 24,466; bis Kampener Vogelkoje km 27,800; bis Biidsel Bahnkreuzung km 29,900; bis List Strandhalle etwa km 33,000; bis Möwen-Berg km 35,500; bis List Bahnhof km 38,362. Von Westerland beträgt die Wegstrecke nach: Tinnum-Ortsmitte km 1,9; Keitum-Ortsmitte km 4,5; Archsum-Ortsmitte km 7,9; Morsum Bahnhof km 11,2. Von Keitum beträgt die Wegstrecke nach Munkmarsch-Hafen km 3,8; BraderupOrtsmitte (alter Weg) km 5,5: Wenningstedt-Ortsmitte km 7,1. Von der Weggabelung der Lister Straße (nördlich der Strandhalle) bis zum Ellenbogen-Westfeuer sind es km 2,2; bis zur Ellenbogen-Ostspitze km 5,6. Die öffentlichen V e r k e h r s m i t t e l auf der Insel bestehen aus zwei Autobuslinien und der „Sylter Inselbahn". Die Züge der letzteren stellen von Westerland aus die Verbindung mit List und Hörnum her. Der Raum der Nordfriesischen Inseln bildet landschaftskundlich eine W a t t e n m e e r k l i f f k ü s t e . Dieser Charakter trifft am ausgesprochensten zu für Sylt. Der Naturraum um Sylt ist ein Zweiwasserweltengebiet, das durch die offene Nordsee und das geschützte Wattenmeer sich zusammensetzt. Das Wesen der Insel, seiner Natur und Kultur nach, ist hierdurch bestimmt. Das gilt in erster Linie für die Gestalt des Inselkörpers selbst. Dieser hat sich durch die Wirksamkeit von See und Watt, vornehmlich seit dem Mittelalter, darüber hinaus aber auch durch Geschehnisse während der letzten Jahrtausende auf Grund erdgeschichtlicher und meerischer Gegebenheiten in vielfachem Wandel geformt und unterliegt gegenwärtig noch steter Veränderung. Wasser und Wind im Verein sind die Hauptwirkungselemente der Natur. Innerhalb der Nordsee ist Sylt unter allen Inseln beiden am stärksten ausgesetzt. Es hat damit unter allen deutschen Landschaftsgebieten die größte N a t u r s t ä r k e und zeigt auch, wie schon angedeutet, die größte Veränderlichkeit. Das Wort Goethes von der „Gestaltung, Umgestaltung, des ewigen Sinnes ewige Unterhaltung" tritt hier am sichtbarsten in Erscheinung. In dieser Tatsache liegt das eigentliche Wesen der Insel begründet. Das Herbe, Heroische und Dramatische, die ganze Dynamik der Kräfte, der weitgespannte Bogen vom Dur des tosenden Orkans der offenen See bis zum Moll einer pastellfarbenen Traumstimmung des Wattenmeeres wird damit umfaßt. Hier berührt der auf den 3

Kosmos weisende Horizont auf der Höhe des Meeres den Menschen ebenso, wie die Vertrautheit, mit der ihn die kleine Dünenrose aus ihrem zarten, elfenbeinfarbenen Gesicht ansieht. In dem mit vielen K a r t e n ausgestatteten W e r k von Caspar Danckwerth „Newe Landesbeschreibung der zwey Herzogthümer Schleswich und Holstein" vom Jahre 1652 sind mehrere Darstellungen auch von Sylt aus jener Zeit enthalten. Für die Karte von 1240 wird hier bemerkt, daß sie in der Datierung vermutlich zu früh angesetzt ist. Wenn uns Vorlagen hierfür auch unbekannt sind, muß doch angenommen werden, daß solche dem Kartographen Johannes Meyer bekannt waren. Die Karte auf dem Blatt „Das Ambt Tondern Anno 1648" entspricht im Prinzip den heutigen Verhältnissen. Aus den Bestätigungen auch anderer Überlieferungen wissen wir, daß im Mittelalter und noch danach zahlreiche Inselorte dem Meer und auch dem Sandflug zum Opfer gefallen sind. Hierüber seien nur einige Angaben gemacht. Inmitten der Dünen, westlich des heutigen Ortes L i s t hat einstmals ein Listum gelegen, das vermutlich in der großen Flut von 1362 (Rungholtflut) seinen Untergang gefunden hat. Heute noch erhaltene Kulturspuren dieser Stätte sind uns bekannt. Das erste und älteste List soll vom Meer verschlungen sein. Das jetzige B 1 i d s e 1 leitet seinen Namen von einem früheren Ort Blidsum oder Blydum ab, von dem Reste, wie C. P. Hansen schreibt, um 1859 in den dortigen Dünen noch nachzuweisen waren. Vor W e n n i n g s t e d t hat der Uberlieferung nach das angeblich wie Alt-List ebenfalls 1362 in den Fluten versunkene Wendingstadt gelegen, von dem aus die Angelsachsen die überfahrt nach England angetreten haben. Westerland führt seine Entstehung auf den Ort E i d u m zurück. Dieser lag einst im Südwesten von Westerland. Es war dies aber bereits schon ein Nachfolgeort eines gleichnamigen, der seinerseits noch weiter westwärts gelegen hatte. Das zweite Eidum wurde in der Allerheiligenflut 1436 zerstört. In seinem Buch: ,,Der Badeort Westerland auf Sylt und dessen Bewohner" berichtet C. P. Hansen 1868 über die Entstehung von W e s t e r l a n d folgendes: „Die (seit Allerheiligen 1436) übrig gebliebenen Eidumer baueten sich mehrenteils jetzt nordöstlicher, auf einer höheren, ehemaligen Haidegegend voller altheidnischer Grabhügel wieder an, nannten diese neuen Dorfstheile die Hedigen (Hedken), nemlich Südhedig, Osthedig, Nordhedig und Westhedig, verschmäheten aber, ihr Kirchspiel noch nach dem treulosen und rachsüchtigen heidnischen Meeresgotte (Eigir) Eidum zu nennen, sondern nannten dasselbe von nun an stets Westerland, so daß von

4

1450 an der alte Kirchspielsname aufhörte." Ein ähnliches Schicksal erlebte R a n t u m . C. P. Hansen führt auf seiner „Antiquarischen Karte der friesischen Bergharden" einschließlich des heutigen Ortes vier Stätten dieses Namens auf. Alt-Rantum, der dritte Ort, fiel 1801 dem Sandflug zum Opfer. In diesem Jahr staute sich der Dünensand bereits bis zu den Fenstern des Gotteshauses hinauf, über die Geschichte von Rantum berichtet der Sylter Schiffskapitän und Chronist Henning Rinken (Hinrich Reinert Hinrichs 1777 bis 1862) und in seiner Folge in unsern Tagen Wilhelm Jessen und Hermann Schmidt. Vom Abbruch der Insel bei Rantum im 18. Jahrhundert schreibt Rinken: „Wie es in der Gegend bei Rantum abgenommen hat, kann aus Folgendem beurtheilt werden! 1725 stand die vorletzte Kirche noch 162/3 Ruthen von den Dünen entfernt; von dem Westkirchhofwall bis zu den nächsten Dünen war noch ein schönes Stück Grasland vorhanden; dennoch mußte diese Kirche wegen Untergang vom Sande 1757 abgebrochen werden, und in selbigem Jahre wurde die letzte Kirche gebaut (südöstlich von der früheren). — Also waren innerhalb 32 Jahren die Dünen 162/8 Ruthen oder 100 Schritte nach Osten fortgerückt. (Die Häuserzahl war in derselben Zeit aus ähnlichen Ursachen von 40 auf 26 vermindert worden.) — 1794, den 26. Januar, mit einem starken Sturm und hoher Fluth nahmen die Sanddünen gerade neben Rantum in ihrer Breite 36 Schritte ab (die See hatte während des Sturmes 36 Schritte oder 100 Fuß von der Westseite der Dünen weggespült), und es blieben nur 24 Schritte Dünenbreite übrig. Mit diesem Sturm kam der alte Kirchhof zum Vorschein. Ein schauderhafter Anblick! Die Hälfte von der Länge der Gräber war über das sogenannte Kliff hinabgestürzt. Die Wellen hatten die Asche der Todten aus den Gräbern gespült, und so konnte man unter die gewölbten Grabeshügel von Westen hineinsehen, wo die Vorväter dereinst zur Ruhe hinabgesenkt waren. Der alte Schwibbogen der Kirche, aus Feldsteinen und Kalk gemauert, kam außer der obersten Rundung unter den Dünen hervor. Ich ging diesen Winter zur Confirmation nach Westerland und hatte jeden Tag diesen Anblick. 1795 brachen meine Eltern unser Haus in Rantum ab und zogen nach Westerland." Das älteste Haus des heutigen Ortes Rantum ist der stattliche Bau des Bürgermeisters Bernhard Nissen. Er wurde 1818 auf einer Warf in schöner Lage unmittelbar am Wattenmeer aufgeführt, sicherheitshalber also gleich ganz nach dem Osten hinüber verlegt. In diesem Hause befindet sich heute eine im friesischen Stil gehal5

tene Gaststätte. Wenn der Weststrand von Rantum gelegentlich sandfrei wird, kann man dort noch Siedlungsspuren wie Brunnenringe aus Soden, in den festen Kleiboden eingedrückte Spuren von Rinderfüßen und Wagenrädern und anderes finden. Dar Wattenmeer der Nordfriesischen Inseln zeigt an vielen Stellen, teils über weite Flächen hin, Spuren vergangener Tage. Ein großer Teil von ihnen datiert von 1634, dem Jahr des Unterganges von Altnordstrand; wie auch von 1362, der Flutkatastrophe von Rungholt; doch reichen solche auch bis in die Vorzeit zurück. Zur U r k r a f t der Natur, wie sie uns hier ihre Verwandlungsund Vernichtungsmacht zeigt, kommt aber noch eine zweite Wesensart. Es ist die E i n f a c h h e i t der Natur. Das Landschaftsbild von Sylt ist durchweg von einfacher Art, vielfach ganz unscheinbar. Das gilt vor allem für die tafelebenen Wattwiesen und die Marsch. Aber auch die Geestrücken mit den weiten Heideflächen, die einstmals deren ganze Oberfläche bedeckten, haben ein denkbar schlichtes Aussehen. Selbst die Dünengebiete bilden einen Primitivzrustand der Naturbildung, wenn auch der Wellenrhythmus, der durch die Sandberge läuft, belebend wirkt. Daß mit dem äußeren Erscheinungsbild sehr vielseitige und verwickelte, vielfach noch ungeklärte biologische, physikalische und andersartige Vorgänge verbunden sind, ist eine Frage und eine Sache für sich. Durch diese Verdecktheit und Verschlossenheit verwahrt die Natur von Sylt ihr Geheimnis. Bei aller Einfachheit der äußeren Gestalt ist ihr inneres Wesen nicht leicht zu entdecken. Das aber gerade verleiht der Insel einen besonderen Reiz. Zur Stärke und Einfachheit der Natur tritt als drittes Merkmal noch die V i e l f a l t d e r e i n z e l n e n L a n d s c h a f t s t e i i e . In ihrer Zusammenwirkung liegt die besondere Anziehungskraft begründet, die sie ausübt. Die drei genannten Faktoren klingen im Gesamtbild der Nordfriesischen Inseln, örtlich verteilt, wieder auf. Aus den Vertikalkräften der Erdkrustenbewegungen und den Horizontalkräften der Wassermassen ergibt sich das vielgestaltige Bild, das uns die Uthlande heute nach Lage, Form, Größe, Höhe, Bodenbeschaffenheit und Alter zeigen. Diese Faktoren bestimmen damit euch die Biologie und nicht zuletzt die Lebensweise des Menschen. Die Nordfriesischen Inseln setzen sich zusammen aus den drei großen alten tertiären Geestinseln Sylt, Amrum und Föhr im Norden, aus den nacheiszeitlichen, alluvialen beiden großen Marsch-

6

inseln Nordstrand und Pellworm (ursprünglich Altnordstrand) im Süden und den zehn jungen, erst seit dem Mittelalter (nach 1362) bestehenden kleinen Marscheilanden der Halligen, die sich kreisförmig um Pellworm herumziehen. Jede dieser Inseln hat ihr Individualwesen. Sie alle zusammen ergeben erst den seltsamen Akkord der „Uthlande", der Außenlande vor der Festlandsküste. Eine Rundreise über Sylt, Amrum und Föhr macht das grundverschiedene Eigenwesen selbst der drei Geestinseln untereinander unmittelbar fühlbar. Jede von ihnen bildet eine Welt für sich vom Charakter der Landschaft bis zu den Sprachdialekten der Bewohner und anderem mehr. Während die ebenen Marschinseln und -halligen eine einseitige Bodenbeschaffenheit haben, weisen die drei Geestinseln eine Vielgestaltigkeit solcher auf. Bei Sylt findet sie ihre stärkste Ausprägung. Sie besteht aus den Stranden und Wattufern, der Geest and Marsch, den Dünen und Heiden, den Flachländern und Hügelzügen, wie den Kliffen. Der reichhaltigste Zusammenklang liegt bei K a m p e n . Hier ist es die Inselbreite von zweieinhalb Kilometern zwischen dem Meer und dem Watt, die in abwechslungsreicher Folge den Strand, das Kliff, die Dünen und Heiden mit den Wattwiesen auf der anderen Seite verbindet. Der Wechsel erfolgt über das höchste Höhengelände der Insel, das nach allen Seiten hin die verschiedenartigsten Fernblicke ermöglicht, das nach Norden hin sich abdacht zum einstigen Kliffrand des Geestkörpers auf der Höhe von Kliffende, übergeht in das Dünengebiet des Listlandes und mit diesem in der Ferne am Horizont verschwebt. Der prachtvolle Ausblick auf dieses Nordland von der hohen Uwe-Düne, auf die seltsame erdgeschichtliche Bildung dieses Hakens, die künstlerische Formung und Tönung einer scheinbar aller Erdenschwere ledigen zwischen zwei Wassern schwimmenden Dünenlandschaft, steigert sich hier ins überwirkliche. Der Eindruck wird noch verstärkt durch den ständigen Wandel der athmosphärischen Stimmung. Wenn die Sandberge der Dünen Wogenbildungen des Windes sind, so haben die Kräfte der Eiszeit durch Ablagerung und Auswaschung (Erosion) der Oberfläche von Sylt auch ein Relief, eine Dünung, gegeben. Von dem Mittelrücken der Insel aus verlaufen Schmelzwassertäler nach allen Seiten. Sie bilden reizvolle Schluchten im Gelände, wie die Wuldeschlucht bei Kampen, das südlicher davon gelegene Puktal, die Talung zum Hafen von Munkmarsch hinunter, das Affental bei Wenningstedt und andere mehr. 7

Die als Folge der letzten Eiszeit, der Saale-Eiszeit, vor etwa 180 000 Jahren infolge Ablagerung von Geschiebelehm geschaffene hohe Geest hat neben den in der jüngsten Zeit erst erfolgten beiden Hakenbildungen im Norden und Süden und der Ablagerung der Marschländereien wie der Anwachswiesen der Insel das Gepräge gegeben. Die langwelligen Hügelzüge der Geestkuppen, die, wie schon angeführt, einst alle von Heide überzogen waren, ergeben in ihrem Verlauf, aus den Niederungen betrachtet, durch die Berührung mit Wasser und Himmel reizvolle Horizonte. Dort, wo die weiten Heideflächen noch erhalten sind, das Land ungestört daliegt, ist der Vorgang des Eiszeitgeschehens unmittelbar noch nacherlebbar. Der Blick vom östlichen Kliffrand beim Puktal, südlich von Kampen, in das bergige Heideland, erinnert an Landschaften auf Island. In solchen Schwingungen der Bodenfläche lebt und atmet, wie in den Dünenbildungen, den Rippelmarken der Strandufer, den Wogen des Meeres ein seltsamer Rhythmus v n ursprünglich kosmischem Geschehen. Die Vielzahl der Landschaften unserer Erde gliedern sich in natürliche und künstliche. Zu den ersteren gehören alle diejenigen, die unmittelbar von Natur gegeben sind, wie etwa die Wüsten> Steppen, Graslandschaften (Savannen) und Urwälder, die beispielsweise das Gesicht von Afrika bestimmen. Es sind U r l a n d s c h a f t e n. Zur zweiten Art gehören die vom Menschen beeinflußten und abgeänderten, oder mehr oder weniger gänzlich entstellten Landschaften. Es sind dies die K u l t u r - bzw. Z i v i l i s a t i o n s landschaften. Die U r l a n d s c h a f t e n sind in Deutschland bis auf geringe Reste verschwunden. Der deutsche Wald ist eine nach forsttechnischen Gesichtspunkten zweckbedingte Anpflanzung. Den Inbegriff eines Waldes und sein urtümliches Wesen kann nur der Urwald vermitteln. Das gesamte sich darin abspielende mannigfaltige Leben weist einen sich immer wieder erneuernden Gleichgewichtszustand auf, der bei der Einseitigkeit des künstlichen Waldes nicht besteht. Will man diese Abwandlung recht begreifen, so kann man allerdings in anderem Sinn aber mit entsprechender Auswirkung diesem Verhältnis Vorgänge des Völkerlebens an die Seite stellen. Es bezieht sich das auf das Naturleben von Urvölkern und höher organisierten Völkern und deren Abänderung durch entartende Eingriffe von Fremdmächten. Beispiele hierfür sind die' Zwergvölker, die Polynesien Malaien, Neger, Indianer und Eski8

mos. A n die S t e l l e e i n e s n a t u r g e g e b e n e n Kreislaufes e i n e s b i o l o g i s c h e n D a s e i n s tritt Mechanisierung, Bastardierung und Ausrottung. S o l a n g e die Natur im V o l k s l e b e n d e n b e s t i m m e n d e n Faktor bildet, k a n n im e i g e n t l i c h e n Sinn v o n Kultur g e s p r o c h e n w e r d e n . Das gilt für uns bis zum A u s k l a n g des Barock im R o k o k o g e g e n 1800. Trifft das nicht mehr zu, dann beginnt die N a c h f o l g e p e r i o d e der A u f l ö s u n g , Zersetzung, des Absterbens, d e s M e c h a n i s i e r e n s , die Entartung in der Zivilisation. Bei dem g l e i c h f ö r m i g e n A n b a u v o n Kulturpflanzen in der Land- und Forstwirtschaft ( N a d e l w ä l d e r — B o d e n v e r a r m u n g und S c h ä d l i n g s w e s e n ) , tritt g e g e n ü b e r der eins e i t i g z u n e h m e n d e n E n t w i c k l u n g v o n S c h ä d l i n g e n die G e g e n w e h r der natürlichen Feinde zurück. ü b e r die B i o l o g i e der k l e i n e n uns n o c h v e r b l i e b e n e n T Jrlands c h a f t e n in Deutschland, der Sümpfe, M o o r e , H e i d e n , Dünen, Kratts, H o c h a l p e n u s w . s i n d wir w i s s e n s c h a f t l i c h nur erst t e i l w e i s e unterrichtet. Ihre Erhaltun ist deshalb ein u n b e d i n g t e s Erfordernis. D i e G r u n d g e s e t z e in der Natur e n t s p r e c h e n prinzipiell auch denen der Kultur. Ihre Erkenntnis ist damit e i n e u m s o w i c h t i g e r e . Auf Sylt ist das g e s a m t e D ü n e n g e b i e t d e s N o r d h a k e n s , v o n Kliffende bei K a m p e n nordwärts zum Listland, e i n s c h l i e ß l i c h des Ellenbogen, s e i t 1923 N a t u r s c h u t z g e b i e t . Im g l e i c h e n Jahr w u r d e auch das Morsumkliff und d i e a n g r e n z e n d e Morsumh e i d e unter N a t u r s c h u t z gestellt. Es f o l g t e 1935 die „Kampener V o g e l k o j e " und 1937 die „ V o g e l f r e i s t ä t t e W a t t e n m e e r östlich Sylt", d. h. der g e s a m t e nördlich d e s H i n d e n b u r g d a m m e s eins c h l i e ß l i c h der Lister Tiefe l i e g e n d e d e u t s c h e W a t t e n m e e r r a u m v o n rd. 207 qkm. Eine g l e i c h a r t i g e Unterschutzstellung der „Baggerkuhle" im R a n t u m b e c k e n und der Eidumer bzw. „ W e s t e r l ä n d e r V o g e l k o j e " ist in Bearbeitung. Mit der g e g e n w ä r t i g e n A u f s t e l l u n g e i n e s F l ä c h e n n u t z u n g s p l a n e s im Rahmen der Landesplanung w e r den im Interesse der Erhaltung der Inselnatur und des Fremdenv e r k e h r s w e i t e r e Gebiete, m e i s t Dünenlandschaften, unter L a n d s c h a f t s s c h u t z gestellt. D i e E n t s t e h u n g s g e s c h i c h t e einer j e d e n Landschaft erfolgt auf G r u n 4 bestimmter G e s e t z l i c h k e i t e n . D i e b o d e n k u n d l i c h e n und klim a t i s c h e n G e s e t z l i c h k e i t e n w i r k e n b e s t i m m e n d auf die z u g e h ö r i g e B i o l o g i e der Pflanzen und Tiere, w i e die des M e n s c h e n und s e i n e r Kultur. So ist auch die friesische Kultur in Landbau und Seefahrt, Hausbau. Hausrat und Tracht, im G e i s t e s l e b e n , in Sprache, Recht und Sitte ein Ausdruck ihrer natürlichen U m w e l t . N u r s o l a n g e die I n i e i l a n d s c h a f t in ihrer Ursprünglichkeit besteht, g e a c h t e t und ver-

9

standen wird, können die Geisteskräfte der Natur auf das Dasein der Menschen wirksam bleiben. Besteht dieser Einklang nicht mehr, dann hat der Inselraum seinen Sinn verloren. Mit seiner Entartung entartet der Mensch. In der „Geburt der Tragödie" sagt N i e t z s c h e : „ W e r durch sein Wissen die Natur in den Abgrund der Vernichtung stürzt, hat auch an sich selbst die Auflösung der Natur zu erfahren." Die Zivilisation ist ein Kennzeichen der Auflösung der Natur in uns. Die weltpolitische Anarchie unserer Tage liegt hierin begründet, ist dafür Beweis. Eine zukünftige Technisierung der Erde durch die Atomenergie, kann das Maß der Entartung und Auflösung nur steigern. Es wird damit der Zustand eintreten, den S c h u l t z e N a u m b u r g im 8. Band seiner „Kulturarbeiten" mit folgenden Worten beschreibt: „ W e n n der Mensch alles gewonnen hätte, was sich mit seiner Technik gewinnen läßt, dann würde er zur Erkenntnis kommen, daß das so maßlos erleichterte und einfach gewordene Leben auf der entstellten Erde nicht mehr lebenswert ist; daß wir alles an uns gerissen, was der Planet herzugeben hatte, daß wir aber bei diesen Wühlarbeiten ihn und uns selbst zerstört haben." Hieraus ergibt sich nun der besondere W e r t der Erkenntnisse, die aus der L a n d s c h a f t s k u n d e gewonnen werden können. In e i i e m vierbändigen W e r k über: „Die Grundlagen der Landschaftskunde" schreibt Siegfried P a s s a r g e in der Einleitung: „Die Landschaftskunde ist ein neuer Zweig der Erdkunde, der sich mit Gewalt endlich Platz schafft, den Platz erobert, den er längst hätte einnehmen müssen; denn die Kenntnis des Raumes und seines Inhalts ist ja notwendig, wenn man das Leben der Tierwelt und der Menschheit, ihr Dasein, ihre Entwicklung verstehen will." Die Wechselwirkungen, die zwischen dem Menschen und der Umwelt bestehen, hat W i l l y H e l l p a c h in seinem W e r k „Geopsyche. Die Menschenseele unter dem Einfluß von Wetter und Klima, Boden und Landschaft" in ihrer ganzen Vielfältigkeit zur Darstellung gebracht. Die Landschaftskunde und die Geopsyche sind von grundlegender Bedeutung für die Geopolitik und die Kulturkunde. Der Umweltforschung als solcher hat J. von U e x k ü 11 seine Lebensarbeit gewidmet. Für die Menschen und Völker der Frühzeit, w i e für jedes Kind und das Genie ist die W e l t mit allen Erscheinungen ein ungeteiltes Ganzes. Das Erleben und Gestalten erfolgt im freien Spiel der Kräfte, es ist schöpferisch. Aus der unmittelbaren geistigen Beziehung zum Weltganzen, zur Weltmitte, sind die Schöpfungssagen der 10

Völker, ist „Die heilige Sage der Polynesier" hervorgegangen und sind auch die Mythen entstanden. Die Naturkulte aller Art, wie -ie der Steine, Pflanzen und Tiere, der Luft und des Feuers, der Flüsse und Berge, wie die der Sterne sind so zu verstehen. Das Weltbild ist das einer Kosmogonie und Theogonie. Die Welt wird in ihrem natürlichen Zusammenhang erlebt. Ihre „Gestaltung und Umgestaltung" hat etwas Allverbindendes und Allverwandelndes. Eine solche Urerkenntnis deckt sich letztlich mit den neuesten Erkenntnissen der Atomistik durch die Mikrophysik. Ein großer Kreislauf geistiger Entwicklung hat damit, ausgehend von einer Synthese ahnungsvoller Eingebung, über eine Analyse kritischer Betrachtung der Wissenschaft in neuer Form und auf anderer Ebene zum Bereich ersterer zurückgeführt. Die allbelebte Natur und das Gefühl der Abhängigkeit des Menschen von dieser, führte in den Anfängen der Religion zunächst zum A n i n i s m u s einer Beseelung, die gekennzeichnet ist durch den Pflanzen- und Tierkult; Naturgeister (Baum- und Wäldgeister), Flußverehrung (Stromgeister, Flutsagen), Stein- und Bergkultus, Erdkultus (Luft- und Windkultus, Feuerkultus, Licht- und Sternkultus). Der Animalismus, die Verehrung heiliger Tiere, geht hieraus hervor. Die Beziehung des Menschen zu den Mitmenschen, den Lebenden und Toten, ließen in der Folge den M a n i s m u s , sowie den Ahnenkult entstehen. Die Wiederverkörperung der Verstorbenen in Tieren und Pflanzen führte zum T o t e m i s m u s , der seinen Ausdruck in Ahnenbildern aller Art gefunden hat. Animalismus und Manismus sind die natürlichen Frühformen, die Vorläufer der wissenschaftlichen Erkenntnis des 19. Jahrhunderts von der Stammeseinheit aller Lebewesen, die von der Geistesschau Goethes ausgehend im Biogenetischen Grundgesetz von Haeckel heute anerkanntes Lehrgut der Wissenschaft geworden ist. Den letzten und höchsten Ausdruck für die Einheit von Natur und Mensch in einer göttlichen Welt verkörpert der S o l a r i s m u s , die Vorstellung eines Einsseins von Mensch und Sonne, der Glaube an einen Sonnengott, die Verehrung des Königs als Sonnengott oder als Sohn der Sonne und in letzter Folge das Gottesgnadentum. Die sich hieraus ergebende religiöse Naturerklärung bildet die M y t h o l o g i e . Sie verbindet mit sich den Kultus und die Mystik. Aus ihrer Dreieinheit erwachsen alle höheren Formen der Religion. 11

Das aus dem magischen Geist der arabischen Kultur hervorgegangene Urchristentum (Spengler) ist eine dieser Formen. Sein ungebundener Geist einer allesumfassenden Gotteswelt berührt sich mit dem Geist der nordischen Gottnatur ebenso sehr wie auch mit dem Taoismus in China. Bei einem allseitigen Verständnis für die Geschichte und Kultur der Erdvölker, wie sie gegenwärtig angezeigt ist, hat man von diesem gemeinsamen Ursprung auszugehen und dabei die jeweils geopsychisch bedingte Sondurbildung zu würdigen wissen. Der „Westöstliche Diwan" von Goethe entspringt solcher Auffassung. Es ist der besondere Erdgei.-' in den einzelnen Landschaften, auf dem die Mannigfaltigkeit der einzelnen Völker, Rassen, Kulturen und Religionen beruht. Das Gesicht der Natur spiegelt sich wider im Gesicht der Kultur. Nur solange das Gesicht der Natur ursprünglich ist, gibt es auch Kultur. Der Rhythmus, der Charakter und Stil der Landschaft, die ganze Eigenart ihres Wesens prägt den Menschen, damit auch seinen Geist in Wissenschaft, Kunst und Glauben. Aus der Stammeskunde eines Volkes setzt sich das Mosaik seiner Volkskunde zusammen. Der „Atlas der deutschen Volkskunde" veranschaulicht uns dies treffend. Pflanzen- und Tiergeographie, Anthropogeographie und Kulturgeographie bilden einen geschlossenen Zusammenhang. Ein Verständnis für die Volkskunde, die Völkerkunde und die Weltgeschichte setzt somit Kenntnis der Landschaftskunde voraus. Die G e l ä n d e k u n d e , d. h. der Blick für die Landschaft mit einem Auge, das wissenschaftlich und künstlerisch zugleich zu sehen vermag, ist eine Kunst für sich. Ihr steht der Blick für das Menschenantlitz und für die Geschichte zur Seite. Der geistige Grundgedanke und somit der Gestaltungswille unserer faustischen Kultur des Abendlandes ist ein naturzentrierter. Der in den Himmel ragende Geist der Gotik mit dem Säulenwald der Dome und die bunte Lebensfreude des Barock legen davon mit einer Fülle von Schöpfungen und Erscheinungen in Kunst und Gesellschaft, Wissenschaft und Glaube Zeugnis ab. Wahlverwandt mit dem faustischen Geist ist der kosmogonische Geist des Taoismus der Chinesen. Auch dort treten uns in Lehre, Kunst und Leben alle Naturelemente, Steine und Berge, Bäume und Bäche vergeistigt entgegen. Im Einsseins mit der Natur findet der Chinese die Harmonie seiner Existenz, im Ahnenerbe die Erhaltung von Familie und Volk. In der aus der Zeit um 1650 stammenden chinesischen Uberliefe12

rung des Shih Tao aus „Hua Yii Lu heißt es: „Die Landschaft ist formgewordene Naturkraft". — Meere haben (sichtbare) Strömungen, Berge haben sie im Verborgenen. So wie das Meer Ebbe und Flut hat, haben auch die Berge wechselseitige Beziehung. Das Meer kann seine lebendigen Kräfte zum Ausdruck bringen; und auch der Berg kann seine pulsierenden Ausläufer aussenden." Was hier von der Landschaft im allgemeinen und vom Meer, wie den Bergen im besonderen gesagt wird, gilt in gleicher Weise für die Höhenzüge des Insellandes und die Dünenhügel nun auch von Sylt. Dort, wo die D ü n e n auslaufen in die Heide und der Kliffrand des Inselkörpers übergeht in die Wattwiesen, werden die pulsierenden Ausläufer sichtbar. Besonders eindrucksvoll ist das Miteinander von Heide und Düne zwischen Kampen und Wenningstedt. Inniger jedoch noch gestaltet sich dies inmitten der Dünen im Nordund Südhaken, wo von den Tälern aus die Sandberge Bewuchs haben. Beide Haken verkörpern verschiedene Dünenwelten. Bei einer Wanderung oder Fahrt von der Kampener Vogelkoje nach dem Norden gelangt man in das Gebiet der großen Wanderdünen, in ein unabsehbares Sandgebirge von teils afrikanischem Charakter. Durchstreift man dagegen auf stundenlangem Marsch von Rantum aus nach Süden die mit Heide und Krähenbeere bewachsenen langwelligen Hügelzüge, so umfängt uns eine ganz andersartige, seltsame Urnatur. Möge diese Erkenntnis dazu beitragen, die Natur von Sylt, dort, wo sie noch ungestörten Auslauf hat, zu erhalten. Ein kluges französisches Sprichwort lautet: „On ne peut pas corriger la nature" (Man kann die Natur nicht verbessern). Die Vor- und Frühgeschichte unseres Volkes war wesentlich vom Naturgeist bestimmt. Der Nomadismus der Nacheiszeit, die lebensvolle Blüte der Bronzezeit und das Tierornament der Wikingerzeit geben davon Kunde. Auf die nach innen gewandte und zugleich in die Unendlichkeit ausstrahlende Blickrichtung der Gotik wandte sich, als Gegenstück zur Bronzezeit, im Barock und Rokoko der Mensch erneut der Außenwelt zu. Die Renaissance und der Humanismus gaben um 1500 den Auftakt dazu. Dürer (1471—1528), Cranach d. Ä. (1472—1553), Grünewald (1475/80—1528) und Altdorfer (ca. 1480—1538, Alexanderschlacht) sind um 1500 die frühesten Meister deutscher Landschaftsmalerei. Im 15. Jahrhundert schon waren ihnen in Flandern Jan van Eyck (um 1386—1440, Genter Altar) und der aus der Gegend von Mainz gebürtige Hans Memling (um 1430—1495) vorangegangen. Ihnen 13

folgten später JanBrueghel d. Ä. (1568—1625), Rubens (1577—1640) und andere. In Holland ist im 17. Jahrhundert Jacob van Ruysdael (um 1628/29—1682) der große Landschaftsmaler, wie andererseits dort auch die Blumen- und Insektenmalerei einen Höhepunkt erreicht. Maria Sybilla Merian (1647—1717) fertigte gleichzeitig in Deutschland in meisterhafter Naturtreue ihre Malereien von Schmetterlingen und Insekten anderer Art an. Ganz auf naturhafter Zusammenschau beruhend ist die aus dem Geist des 17. Jahrhunderts erwachsene Konzeption der Philosophie von Leibniz (1646—1716) und dessen Monadenlehre. Rein im Geist der Natur steht dann bei uns weiter im Lauf der Zeit als Ausklang des Rokoko die Musik von Mozart (1756—1791). Das Vollendetste, das dieser Musik an Architektur im Kirchenbaustil in Deutschland und Europa überhaupt zur Seite steht, ist die von Dominicus Zimmermann von 1746—1754 bei Steingaden in Oberbayern erbaute Wies-Kirche. Der ebenso feierliche wie festliche Ovalbau vereinigt alle Künste: Architektur, Stukkatur, Plastik und Malerei in vollkommener Einheit in sich. Die Harmonie des Ganzen ist eine so hervorragende und seltene, daß jeder Ausschnitt von jedem Standort gesehen, ein in sich geschlossenes Bild gibt. Durch den Klang einer schönen Orgel erfährt diese Raumwelt ihre letztmögliche Steigerung. Die Wies-Kirche ist eine Schöpfung reinster und höchster Lebenskunst. Ihr steht als weltlicher Bau der Dresdner Zwinger gegenüber. Von ihm sagt S p e n g l e r : „Der Dresdner Zwinger ist das vollkommenste Stück Musik in der gesamten Weltarchitektur, mit Ornamenten wie der Ton einer edlen alten Geige, ein allegro fugitivo für kleines Orchester." Alles, was deutscher Geist ersann, was in Kunst und Wissenschaft aus innerer Natur entstand, gipfelte als Ausklang der abendländischen Kultur in Deutschland in Goethe. In G o e t h e ist den Deutschen gezeigt, was sie ihrem Wesen nach sind, sein sollten und welche Möglichkeiten sie haben. Schiller zog nach seiner ersten Begegnung mit Goethe in Jena im Brief vom 23. August 1794 „die Summe seiner Existenz". Es liegt an uns, diese Existenz zu erkennen, in einer Zeit, wo die eigene in Frage gestellt ist. Vom Menschen sagte Goethe: „Das Beste, was man von einem Menschen sagen kann, ist, daß er naturhaft ist." A. v. Humboldt (Ansichten der Natur), W. Schelling (Die Weltalter) und andere, Romantik, Naturalismus und Impressionismus sind die Träger des Naturgedankens im 19. Jahrhundert. Ganz besonders ist aber die Naturwissenschaft, deren allgemeine Grund14

linien von Linné über Lamarck, Geoffroy de St. Hilaire, Darwin, Mendel und Haeckel verläuft, der Ergründung der Natur zugetan. Ihre auf Synthese ausgerichtete Zielsetzung verfolgt nach innen die Vererbungslehre und nach außen die Umweltforschung (Hesse, v. Uexküll, von Frisch u. a.). Innerhalb der Physik gilt das gleiche für die Mikro- und Astrophysik. Nach der Vereinigung der Chemie mit der Physik, gliedert sich nun auch der Bereich der Biologie ein in die Schau eines geschlossenen Weltbildes. Hiermit formt sich erneut eine Kosmogonie, wie sie am Anfang bestand, verbunden mit einer Theogonie in ihrer letzten Verdichtung. Fausts Erkenntnis ist damit Wirklichkeit geworden: „Was kann der Mensch im Leben mehr gewinnen, Als daß sich Gott — Natur ihm offenbare, W i e sie das Feste läßt zu Geist verrinnen, W i e sie das Geisterzeugte fest bewahre."

INSELRAUM Erdgeschichte. Das Antlitz der Erde zeigt eine Verteilung von Meer und Land im Verhältnis von etwa 12:5 zueinander. Mächte aus dem Innern der Erde und Kräfte aus dem Kosmos haben in vereinter Wirkung bei stetem Wandel durch lange Zeiträume das Gesicht gezeichnet, wie es heute vor uns liegt. Ausschnitte dieser Welt bilden die einzelnen Erdräume und innerhalb jener deren besondere Landschaften. W o die Bildungskräfte vulkanischer oder meerischer Art ihren Einfluß unmittelbar ausübten, wo uns Einblicke möglich sind in das Tagebuch der Erdgeschichte, in geologische Profile, wo Landuntergänge nachweisbar sind, weitet sich unser Blick auf Zeitfernen, die das eigene Lebensmaß vielfach, j a unendlichfach übertreffen. Durch den Zusammenhang alles Belebten (Organischen) mit dem Unbelebten (Anorganischen) wird damit aber auch die Frage der Herkunft und Zukunft alles Lebendigen und somit auch die der menschlichen Existenz berührt. Die Weitenblicke in den Makrokosmos des Weltganzen und die Tiefenblicke in den Mikrokosmos kleinster Einheiten treffen letztlich auf den ewigen Bestand der Weltmitte auch in uns. Worte für eine Aussage hierüber bestehen nicht. Hier beginnt die Sprache der Metaphysik. Eine Sprache, wie 15

sie von den hohen Gewölben gotischer Dome ausgeht, von jenen baulichen Sinnzeichen des Welterlebnisses aus abendländischer Seele. Das gewordene Bild einer Landschaft trägt die Züge seines Werdeganges in sich. Mehr oder weniger sind sie offensichtlich zu erkennen. Dort, wo uns Aufschlüsse vorliegen, geologische Profile und Grenzhorizonte (Bildungsstufen) vorhanden sind, wird dies besonders deutlich. (Taf. 4.) Es gilt das aber auch für andere bodenkundliche Zusammensetzungen, wie eine solche etwa aus Marsch und Geest. Hierfür bildet nun gerade Sylt ein besonders anschauliches Beispiel. Vorgänge, die bei der Gestaltung unseres Erdbildes im großen wirksam waren, wie die des amphibischen Urzustandes, die der Erdkrustenbewegungen, der Niveauveränderungen des Meeresspiegels, der Gezeitenwirkungen, des Klimawechsels, sind in der Geologie und Geophysik des Nordfriesischen Inselraumes im kleinen auch nachweisbar. Mit ihnen verbindet sich eine entsprechende Biologie. Das Interesse von Forschern und Naturfreunden, zumal das an der Ergründung der vielen noch bestehenden Rätsel und Geheimnisse ist daher auch ein überaus reges. Die Literatur, die darüber bereits vorliegt, ist so reichhaltig, wie sie sonst wohl kein zweiter deutscher Lebensraum dieser Größe auf sich vereinigt. Tief im Untergrund von Sylt liegt ein Gebirge der Z e c h s t e i n z e i t , das die Gebirgszüge von Mitteldeutschland und Skandinavien miteinander verbindet. Die Zechsteinzeit fällt in das Perm, d. h. in die jüngste Periode der Altzeit unserer Erde. Kurz vorher fand die Bildung des Nordseebeckens statt, das nunmehr ausgefüllt wurde durch das Zechsteinmeer, das somit als Urnordsee gelten kann. Von der Zechsteinzeit bis zum Miozän, den ältesten Aufschlüssen, die Sylt aufweist (am Morsumkliff), haben die Meere des Nordseebeckens sich neunmal verändert. Eine kartographische Darstellung davon hat K. G r i p p in einem „Die Entstehung der Nordsee" betitelten Beitrag des Buches „Werdendes Land am Meer", herausgegeben von G. Wüst, veröffentlicht. Aus dem sehr viel später auftretenden E o z ä n , im Alttertiär, stammt der Bernstein, der zuweilen Einschlüsse von Insekten und Pflanzenteile enthält und der in früheren Zeiten, vor allem während der Bronzezeit (1800—600 v. Chr.), aber auch noch im vergangenen Jahrhundert reichlich gefunden wurde. Bei günstigen Wind- und Wasserverhältnissen wird er auch jetzt noch in einzelnen Stücken an den Strand gespült. 16

Die durch die Geest gekennzeichneten Gebiete von Sylt, wie auch die von Amrum und Föhr, ruhen auf t e r t i ä r e n K e r n e n . Sylt besteht aus drei solcher Inselkerne. Das Hauptgebiet bildet das Dreieck der Gemarkungen Kampen, Westerland und Keitum; es schließen sich ihm im Osten diejenigen von Archsum und Morsum an. Fährt man auf der Landstraße von Keitum über Archsum nach Morsum, dann kann man, die zwar nur schwach, sich aber doch deutlich von den dazwischenliegenden Marschländereien abhebenden Geländewellen erkennen. Auf ihnen haben sich naturgemäß die Menschen schon in vorgeschichtlicher Zeit angesiedelt und auf ihnen sehen wir auch heute noch die zumeist auf Warfen errichteten Bauernhäuser liegen. Der Munkehoi am Morsumkliff liegt auf einer Bodenhöhe von 23,2 m (höchste Diluvialerhebung der Insel beträgt 27,2 m = Kampener Leuchtturm). Diese drei diluvialen Skeletteile sind in alluvialer, d. h. nacheiszeitlicher Zeit durch Ablagerung von Marschland miteinander verbunden worden und haben in noch jüngerer Zeit die beiden Hakenbildungen mit ihren Dünenauflagerungen im Norden zum Listland und im Süden nach Hörnum hin erhalten. Der Aufbau und die Entstehung der Insel ist an den K l i f f e n von Morsum, Braderup und Kampen-Wenningstedt vom Miozän und Pliozän, d. h. vom Ende des Tertiärs an bis in das jüngere Diluvium, d. h. bis in die vorletzte Eiszeit unseres Quartärzeitalters zu erkennen. Es ist ein Zeitraum, den die Forschung auf über 2 Millionen Jahre berechnet. Das M o r s u m k l i f f zeigt die ältesten Schichten von Sylt und zwar in der Bildung einer eiszeitlichen Umlagerung. Es ist das einzige Vorkommen in Deutschland, an welchem die Grenzschichten zwischen Tertiär und Diluvium zutage anstehen. Auf Grund seiner geologischen Bedeutung wurde es, wie schon gesagt, im Jahre 1923 zum Naturschutzgebiet erklärt. In dreifacher Schichtung lagerten ursprünglich schwarzer miozäner G l i m m e r t o n , brauner pliozäner L i m o n i t s a n d s t e i n und weißer pliozäner K a o l i n s a n d übereinander. Diese horizontale Ablagerung ist durch Gletscherschub während der vorletzten Eiszeit infolge Quetschung und Faltung so umgelagert worden, daß die drei Erdreiche jetzt nebeneinander liegen und zwar sogar in dreimaliger Folge, in einer Erstreckung von 750 Metern. Wenn uns sonst im allgemeinen die Geologie statisch entgegentritt, erleben wir hier ein Bild voller Dynamik. Aus der Lagerichtung des K a o l i n s a n d e s ersehen wir, daß der Eisschub sich von Nordosten kommend nach Südwesten hin auswirkte. Das Profil 17

des Kaolin zeigt außerdem SchräcjscliiclituncjGn, die jeweils nach verschiedenen Richtungen verlaufen. Der Kaoiinsand ist eine Ablagerung von Flußschotter eines weitverzweigten Stromsystems, der nach iilies, im Aitpieistozän (Günz-Eiszeit) aus Mittelskandinavien zum Nordseebecken befördert wurde. Im Miozän war Sylt Meeresgrund, zur Zeit des Limonitsandsteins erfolgte eine „Landhebung", es wurde Verlandungszone (Brandungszone) und während der Ablagerung des Kaolinsandes war es Land. Das Morsumkliff gehört zu den reizvollsten Landschaften Sylts. Es ist wissenschaftlich ebenso bedeutsam, wie künstlerisch mit Strand und Watt motivreich. über den Vorgang der Ablagerung des Kaolinsandes auf Sylt hat 111 i e s in neuester Zeit Forschungen angestellt. Er hat an sieben Stellen, am Roten Kliff, bei Braderup und bei Keitum nahezu 200 Schrägschichtenmessungen (Diagonalschichtung, Rippelschichtung, bogige Schrägschichtung) vorgenommen. Wir gewinnen hierdurch von dem geologischen Geschehen damaliger Zeit ein unmittelbares Bild, das uns die Entstehung und den Aufbau der Insel eindrucksvoll und lebendig veranschaulicht. Bei Braderup besteht das Kliff östlich des Dorfes aus Kaolin. Südöstlich von Braderup, am Feldweg, der nach Munkmarsch führt, sind vor dem 2. Weltkrieg zwei große bis zu 20 m tiefe Kaolingruben durch Ausschachtung für Bauzwecke entstanden. Sie geben uns ein gutes Bild von der Mächtigkeit der Kaolinschicht, die vom Morsumkliff zum Roten Kliff unter dem Geschiebelehm durch die ganze Insel hindurchstreicht. Bei schweren Sturmfluten, zumeist im Herbst, wird durch Unterspülung des Fußes die Steilwand des Roten Kliff im ganzen Profil freigelegt. Es tritt dann auch dort der Kaolinsand in Erscheinung, der sonst durch Regenwirkung von oben her mit Lehm überlagert ist. (Taf. 4.)Der Grenzhorizont von Geschiebelehm und Kaolinsand, der im Bereich des Kampener Strandes auf etwa halber Höhe des Kliffs liegt, wird dabei als messerscharfer, horizontal verlaufender Trennstrich sichtbar. Nach Wenningstedt zu sinkt der Kaolin ab. Es verliert auch das Kliff an Höhe. Bei der Seenotstelle nördlich von Westerland erhebt es sich nur noch etwa einen Meter über den angrenzenden Strandsand. Für die museale Aufbewahrung bodenkundlicher Profile hat E. V o i g t , der Direktor des geologischen Staatsinstitutes in Hamburg eine hervorragende Konservierungsmöglichkeit mittels einer besonderen L a c k f i l m - M e t h o d e entwickelt. Das Verfahren 18

eignet sich in gleicher Weise wie für die Geologie, so auch für die Paläontologie (¡Jrweltkunde, Versteinerungskunde) und die Vorgeschichte. An bodenkundlichen Vorkommen auf Sylt könnten hierzu u. a. die Schichtprofile und Grenzhorizonte des Morsumkliff und des Roten Kliff (Taf. 4), sowie die Auflandungs- bzw. Aufsandungsprofile der Marschen und Dünen in Betracht kommen. Forschungen auf Grund von B o h r u n g e n durch Gripp in Mitarbeit von Simon und Becker, fußend auf älteren Arbeiten von Meyn, Mager, Wolff, Solger, Braun, Ordemann, Jessen, Koluinbe u. a., haben unsere Kenntnis vom Aufbau und der Entstehung Sylts weitgehend gefördert und exakt fundiert. Prof. W. Wolff hat in einer kleinen Schrift: „Die Entstehung der Insel Sylt" eine sehr anschauliche Darstellung davon gegeben. In den Schichten des Morsumkliff sind Fossilien (Versteinerungen) und andere Überlieferungen pflanzlicher und tierischer Art aus jenen Zeiten erhalten geblieben. Sie haben höheres Alter wie das Menschengeschlecht. In der Zeit des miozänen G l i m m e r t o n s war das Klima sehr viel wärmer. Amerikanische Sumpfzypressen, Lorbeeren und Magnolien gehörten zu der damaligen reichen Waldvegetation. Flußläufe, die Überschwemmung verursachten, führten zur Vermoderung des Waldes und damit zur Bildung von Braunkohle. Auch das Wasser war wärmer als das der heutigen Nordsee, es hatte zeitweilig unmittelbare Verbindung mit dem Mittelmeer. Der Glimmerton ist eine Schlammbildung des betreffenden Meeres. An tierischen Überresten aus jener Zeit finden wir Schnecken, Muscheln, Krebse, Zähne und Gehörsteine von Fischen (Haifisch), Wal- und Delphinwirbel. Als besonders bemerkenswerter Fund ist ein Backenzahn des noch dreizehigen Zebras Hipparion gracile zu nennen. Dieser Fund des Pferdes aus dem unterpliozänen Glimmerton ist der nördlichste, der bisher in Europa gemacht wurde. Er deutet daraufhin, daß in nicht allzu weiter Entfernung Land gewesen sein muß. Bei der Zerstörung des Mineralogischen-Geologischen Museums in Hamburg 1943, in dem er verwahrt wurde, ging er leider verloren. Reichhaltige Schneckenfunde bergen auch bestimmte Schichten des L i m o n i t s a n d s t e i n s . Der K a o l i n s a n d enthält u. a. versteinerte Schwämme und Korallen, sowie die lavendelblauen Hornsteine aus dem Silur, die aus Estland oder Schweden hierher verfrachtet wurden. Unter den vorkommenden Halbedelsteinen nennt W. Wolff Achate, Rauquarze und Amethyste. 19

Eine reichhaltige Sammlung solcher Funde, die von dem Chronisten der Insel C. P. Hansen (1803—1379) stammt, verwahrt das Keitumer Heimatmuseum. Die wissenschaftliche Bearbeitung solcher Einschlüsse ist vor allem durch Gripp und jüngst durch Wirtz erfolgt. W i r t z führt allein an Mollusken aus dem Glimmerton 29 Arten und aus dem Limonitsandstein 28 bestimmbare und 8 nicht näher bestimmbare Arten auf. Vergleichende Forschungen hierzu wurden von Wirtz in England 1949/50 (Corailine Crag) unternommen. Während der vorletzten Eiszeit vor etwa 180 000 Jahren erfolgte dann die Ablagerung der obersten Bodenschicht der Syiter Inselkerne, die des G e s c h i e b e l e h m s (Taf. 4), dessen Mächtigkeit am Steilhang des Roten Kliff zutage tritt. Gesteine aller Art, wie Granite (Taf. 1) und Gneis aus Schweden, Rhombenporphyr aus dem Oslogebiet von Norwegen, Rapakiwi von den Äland-Inseln aus Finnland u. a. wurden dabei in allen Größen bis zu den riesenhaften Decksteinen des Denghoog, des jungsteinzeitlichen Ganggrabes bei Wenningstedt, mit hertransportiert. Auch B r o d e 1 b o d e n ist am Plateau des Roten Kliff in Erscheinung getreten. Er ist gekennzeichnet durch rundliche Steinwälle, • die in Polargebieten beim Auftauen der Bodenoberfläche durch eine kreisende Bewegung aus den unteren Schichten nach oben herausgeschwemmt werden. Die Letzte Eiszeit, deren Rückgang vor etwa 20 000 Jahren erfolgte, drang über die Ostsee kommend, nur bis zum Mittelrücken von Schleswig-Holstein vor; Sylt blieb eisfrei. Die Z w i s c h e n e i s z e i t e n waron infolge der Eisschmelze jeweils von einer „Landsenkung" bezw. einem Wasserspiegelanstieg begießet. So trat auch nach der letzten Eiszeit, im Altalluvium (5500—4000 v. Chr.) eine starke „Landsenkung" ein, die als Corbula-Transgression oder allgemein als flandrische Transgression bezeichnet wird. Sie fällt zeitlich mit der Litorinasenkung des Ostseeraumes zusammen. Der südliche Teil der Nordsee bis etwa zur 40 m Tiefenlinie (Doggerbank—Skagen), der vorher Land war, wurde Meer. Der Geologe D i 11 m e r von der Forschungsstelle Westküste, Husum, berichtet in diesem Zusammenhang, daß am Ende dieser Periode die Nordsee den Geestrand in Dithmarschen, die Heverinsel und den Kern von Sylt erreicht hat. Während des anschließenden Mittelalluviums (4000—2000 v. Chr.), das vorgeschichtlich mit der jüngeren Steinzeit (3500—1800 v. Chr.) zusammenfällt, drang 20

die Nordsee auch nach Nordfriesland vor, es bildete sich hier ein Wattenmeer, in der nachchristlichen Zeit erfolgte dann eine weitere Überflutung, die sogenannte Dünkirchner Trartsgression, die sich von Sylt bis Calais erstreckte. Diese für das nordfriesische Küstengebiet allgemein und für den Küstenschutz und die Landgewinnung im besonderen außerordentlich wichtigen Fragen finden durch die Forschungsstelie Westküste, Husum, unter der Leitung von Dr. E. W o h l e n b e r g in Mitarbeit von Dr. K ö n i g und Dr. D i 11 m e r ihre Bearbeitung. Dittmer hat hier geologisch ein besonderes Aufgabengebiet gefunden. Im Rahmen der ausgezeichnet durchgeführten Neuaafstellung des Museums im N i s s e n h a u s , deren Besuch jedem nur empfohlen werden kann, hat Dittmer die geologische Entwicklung der Westküste unter Verwendung natürlicher Bodenstoffe in einem großen Schaubild sehr eindrucksvoll zur Darstellung gebracht. Das geologisch und biologisch besonders vielseitige Westküstengebiet gibt der Forschungsstelle Westküste einen entsprechend mannigfaltigen und wichtigen Aufgabenkreis. Zum Arbeitsbereich der Forschungsstelle gehört vornehmlich auch die Trage der L a n d g e w i n n u n g . Sie steht in unmittelbarer Berührung mit den Aufgaben des K ü s t e n s c h u t z e s , für den das Marschenbauamt Husum, mit einer Zweigstelle in Westerland zuständig ist: Der Küstenschutz wacht über die Existenzgefahren, die der Insel Sylt durch den vereinten Ansturm von W i n d und Meer drohen. Beide Gewalten haben den Abbruch des tertiärdiluvialen Inselkörpers verursacht, der sich einstmals vielleicht bis zur 10 m Tiefenlinie, d. h. v o m heutigen Weststrand gerechnet, etwa 2 km westwärts erstreckt hat. Mit dem Küstenschutz durch B u h n e n b a u wurde in den Jahren 1869—71 begonnen. Man errichtete damals zunächst Stein- und Pfahlbuhnen. Einige dieser sind heute noch vorhanden und zeugen damit für deren Dauerhaftigkeit. Material und Bauart haben sich im Lauf der Zeit im allgemeinen jedoch als unzweckmäßig erwiesen. So ging man von 1927 ab dazu über, Eisenbuhnen zu bauen. W i e heute ersichtlich ist, befinden sich indes auch diese stark im Verfall. Man ist nun dazu übergegangen, von Westerland ausgehend, sie durch Stahlbetonpfahlbuhnen zu ersetzen. Von gleich großer Wichtigkeit wie der Buhnenbau ist für die Erhaltung der Insel die Bepflanzung des Vorstrandes und der Stranddünen mit Helm. W i n d und Meer bringen mit vereinter Macht immer neue Sandmassen auf den Strand. Aus ihnen haben sich im Laufe der Zeit auf 21

den Haken im Norden und Süden die viele Kilometer langen Ketten von Dünengebirgszügen gebildet. Auch die Dünen auf dem Geestrücken der Insel, wie die zwischen Kampen und Wenningstedt, sind so entstanden. Die Erhaltung der Nordfriesischen Inseln ist die Vorbedingung für die Sicherung der Festlandsküste. V o n allen Inseln ist Sylt den Elementargewalten am weitaus meisten ausgesetzt. Seine hagere Gestalt zeugt davon. Den Hauptangriffspunkt bildet, wie schon eingangs gesagt, Westerland. Dessen Ortslage ist zum Scheitelpunkt der Abtragung geworden. Gefahrenpunkte für einen möglichen Durchbruch des Meeres liegen insbesondere westlich des Königshafens, bei Kliffende, bei der Seenotstelle von Westerland und nördlich von Rantum beim Seeheim. Die Natur von Sylt ist die weitaus bewegteste Deutschlands. Im freien Spiel der Kräfte sind die W i n d e das eigentlich bestimmende Element. Ihre Wirksamkeit kommt zum Ausdruck in den Windkantersteinen der Eiszeit, den Sturmfluten und dem Inselabbruch, dem Dünenaufbau, der Wolkenbewegung, dem Salzgehalt der Luft, der Wuchsform der Pflanzen, in der Lage der Ortschaften, der Bauweise des Hauses und der Errichtung der Friesenwälle. Das M e e r aber wirkt als unmittelbare Schicksalsmacht. Erdkrustenbewegungen und Klimaschwankungen mit Eisbildung und Eisschmelze verursachten Niveauveränderungen des Wasserspiegels. Beide haben das Raumbild im Bereich der heutigen Insel im Lauf v o n Jahrmillionen mehrfach grundlegend gewandelt. Der schließlich entstandene Inselsockel ist zum Lebensfeld einer menschlichen Bevölkerung geworden, deren Dasein wir von der Gegenwart bis in die Nebelferne der Steinzeit zurück verfolgen können. Die Insel wurde den seefahrenden Friesen ein Ausgangspunkt zu allen Teilen der Erde. Die Erdgeschichte der Insel ihrerseits eröffnet uns Fernblicke in Zeitalter und Vorgänge von einem gleichfalls erdumspannenden Ausmaß.

MEERESRAUM A u s der Vereinigung von Land und Wasser ergeben sich Naturbilder ganz eigener Art und besonderen Erlebnisgehaltes. Das lehren uns schon Teiche, Seen und Flüsse. Die Eindrücke, die uns dabei vermittelt werden, sind außerordentlich unterschiedlich. Sie erfahren eine Steigerung ins Große, wenn es Meere und Ozeane 22

betrifft. Jede Küste und Insel hat in dieser Doppelnatur ihren Eigencharakter, ihre Einmaligkeit. Man braucht hierbei nicht einmal an den Unterschied tropischer oder arktischer Meere zu denken, oder etwa das Mittelmeer mit der Nordsee zu vergleichen. Selbst innerhalb unseres Nordens ist beispielsweise die Wasserwelt bei den gebirgigen Färöern eine andersgeartete als die der norwegischen Schärenwelt. Innerhalb der Nordfriesischen Inseln treten uns nun' auch mannigfache Erscheinungen entgegen. Es ergibt sich das aus der Bodenart, Größe und Lage der Inseln, wie das aus dem Kartenbild ohne weiteres erkenntlich ist. Die langgestreckte hagere Gestalt von Sylt weist daraufhin, daß diese Insel dem Meereseinfluß in besonderer Weise ausgesetzt ist. Das halbmondförmige Amrum, das eine ähnliche Außenlage hat, liegt demgegenüber wesentlich geschützter durch den vorgelagerten Kniepsand und weitere Bänke, die sich viele kilometerweit in die See hinauserstrecken. Sylt ist umgeben von einer Zweiwasserwelt. Nach dem Westen breitet sich bis an den fernen Horizont die freie Nordsee aus. Im Osten liegt wie ein Binnenmeer, umrahmt von der Festlandsküste, das Wattenmeer. Durch schmale Arme von den Nachbarinseln im Norden und Süden getrennt, umspült und umpulst das Meereswasser die Insel. Die Meereswirkung auf Sylt ergibt sich aus dreierlei Strömungen: aus der G e z e i t e n s t r ö m u n g , die durch die Gezeiten (Flut und Ebbe) verursacht wird, aus dem durch den Wind hervorgerufenen D r i f t s t r o m und aus dem R e s t s t r ö m . Der letzte und in seiner Wirkung geringfügigste ist jedoch nur bedingt als Strömung anzusehen. Er bezieht sich auf eine Auswirkung des Golfstromes, die durch den Kanal und von den Shetlandinseln her erfolgt. Es handelt sich hier um Wasserteile, die in den Nordseeraum hineingelangen und von den beiden ersteren Strömungen aufgenommen und mitverfrachtet werden. Aus dem universalen Geist seiner Weltbetrachtung heraus schreibt L e o n a r d o d a V i n c i über die Natur des Wassers: „Wie der Mensch in sich den Blutsee hat, wo die Lunge beim Atmen zunimmt und abnimmt, so hat der Körper der Erde sein Weltmeer, das alle sechs Stunden abnimmt und zunimmt mit dem Atem der Welt." Als die eigentlichen Gezeiten bezeichnet man die senkrechten Bewegungen des Wassers, also das Steigen und Fallen, während die waagerechten Bewegungen Gezeitenströme genannt werden. Die 23

gezeitenerzeugenden Kräfte auf der Erde werden hauptsächlich vom Monde hervorgerufen, sie sind etwas mehr als doppelt so groß, wie die von der Sonne verursachten. Bei dieser Wirkung handelt es sich vornehmlich um eine Schiebewirkung in der Horizontalen; die Anziehungskraft in der Vertikalen ist demgegenüber nur gering. Durch die breite Verbindung, die die Nordsee zum Atlantik hat (im Gegensatz zur Ostsee), nimmt sie an dessen Gezeitenbewegungen teil, diese werden daher auch Mitschwingungszeiten genannt. Die aus dem Nordostatlantischen Ozean in die Nordsee eindringende Gezeitenwelle nimmt ihren Lauf um Schottland herum, läuft an der Ostküste von England südwärts bis zu den Hoofden und schwenkt dann ostwärts auf die Deutsche Bucht und die Westküste von Schleswig-Holstein zu. Die in die Nordsee eindringenden Wassermassen stauen sich naturgemäß am meisten im südlichen Teil, so daß dort auch die höchsten P e g e l s t ä n d e (Wasserstandsmessungen) verzeichnet werden. Auf Grund einer Beobachtung von 19 Jahren weisen die mittleren Werte des Tidenhubs (Unterschied zwischen Hoch- und Niedrigwasser) für die nachfolgenden Orte jeweils für die Springzeit und Nippzeit (Zeit des Voll- und Neumondes bzw. Zeit des ersten und letzten Mond-Viertels) folgende Beträge auf: Wilhelmshaven 4.01 bis 2.99; Cuxhaven 3.20—2.45; Helgoland 2.60—1.90; Sylt-Hörrum 2.13—1.96; Sylt-List 1.81—1.60; Hanstholm (NW-Punkt von Dänemark) 0.5 bis etwa 0.5. Die Lageverhältnisse und die Gestalt von Sylt bedingen an dessen West- und Ostküste entsprechend erhebliche G e z e i t e n u n t e r s c h i e d e . Bei Munkmarsch tritt das Hochwasser 2 Stunden und 16 Minuten und das Niedrigwasser 1 Stunde und 9 Minuten später ein als bei Westerland. Der normale S a l z g e h a l t des Weltozeans beträgt 3,5 %>, der Salzgehalt der Nordsee etwa 3,4 °/o. Die größten bisher bekannten Salzgehaltswerte haben das Rote Meer und der Persische Golf mit ungefähr 4,0 °/o bis 4,1 °/o. Die Ostsee weist demgegenüber im westlichen Teil nur etwa 1,5 °/o und im mittleren Teil nur 0,7 °'o auf. Die stärkste B r a n d u n g , die innerhalb der Nordsee zu verzeichnen ist, steht auf der Küste von Sylt. Die vom Westen her mitten durch die Nordsee auf die Insel zulaufenden Strömungen teilen sich bei Westerland nach Norden und Süden. Westerland wird dadurch, wie schon angeführt, zu einem Scheitelpunkt. Die Gefahr der Zerstörung ist hier besonders groß und der Küstenschutz entsprechend vordringlich. Durch die Stromteilung fließt 24

je ein Küstenstrom nordwärts und südwärts der Westküste entlang. Er macht sich noch bis auf 4 Seemeilen Abstand vom Lande bemerkbar. Mit der Flut strömen die ankommenden Wassermassen um den Ellenbogen durch das Lister-Tief und um Hörnum Odde durch das Vortrapp-Tief in das Wattenmeer ein und kehren zur Ebbezeit auf demselben Weg zurück. Die reißende Strömung an den Enden hat das an engster Stelle zweieinhalb Kilometer breite Lister-Tief bis zu 34 m Tiefe und das viereinhalb Kilometer breite Vortrapp-Tief bis zu 21 m Tiefe ausgefurcht. Die Stärke der Strömung tritt besonders deutlich an der NW-Ecke des Ellenbogens (Ostindienfahrer-Huk) und an dessen Ostende in Erscheinung. Die Strudel der ersteren Stelle sind ein beliebter Aufenthaltsort für die nahrungsuchenden Eiderenten. Die beiden Tiefs verzweigen sich wurzelartig mit Wasserrinnen im Wattenmeer. Das ListerTief gliedert sich in das Hoyer-Tief und das Lister-Ley, das sich seinerseits wieder verzweigt in das Wester-Ley und das Pander-Tief. Das Vortrapp-Tief findet eine Fortsetzung durch das Hörnum-Tief, von dem aus die Rantum-Lohe, das Eidum-Tief, sowie das Osterley und nochmals ein Westerley ausstrahlen. Die den übrigen Wattenmeerraum ausfüllenden Gründe, Sande usw. erreichen bei mittlerem Springniedrigwasser nur bis gegen 1 Meter Tiefe. Durch die Strömungen im Wattenmeer unterliegen die Bodenverhältnisse natürlich laufend Veränderungen. Von dem Sedimenttransport des Flutstroms zeugen die Anlandungen am Festland. Der Ebbstrom bewirkt Abtragung (Erosion). Die Tiefenverhältnisse des Wattenmeeres werden gegenwärtig neu vermessen, die entsprechenden Arbeiten sollen im Sommer 1951 zum Abschluß kommen. Im Zusammenhang mit der Brandung sei kurz auf die durch diese am Strande und1 im Inselinnern hervorgerufene B o d e n u n r u h e hingewiesen. Durch E. Balensiefer, K. Büttner, H. Pfleiderer und W. Wetzel ist hierüber in der „Zeitschrift für Geophysik", Jahrg. 15, Heft 7/8, 1939, eine Veröffentlichung unter dem Titel „Untersuchungen über die Bodenunruhe auf Sylt" erschienen. Neben „Erdschallempfänger", d. h. elektrischen Seismographen, wurden auch „Böenmesser" zur Erkundung der Bedeutung des Windes verwendet. Bei der Küstenbodenunruhe am Sylter Weststrand verdient neben der Gezeitenstärke und dem Unterschied von Flut und Ebbe, der Windwirkung, den Bodenstoffen und -schichten, der Strandböschung auch das parallel dem Weststrand der Insel in 230 bis 430 m Abstand verlaufende Sandriff Beachtung. An Brandungswellen wurden am Westerländer Strande mit ziem25

licher Regelmäßigkeit bei normalen Bedingungen 9 ( + 1) Wellen festgestellt. Bei Ostwind erhöht sich dem Westwind gegenüber die Zahl auf 15 Wellen pro Minute. Die unterschiedliche Stärke der einzelnen Wellen läßt einen Gruppenrhythmus der Meereswellen erkennen. Von dem zeitlichen Verlauf der O b e r f l ä c h e n g e s c h w i n d i g k e i t des Wassers kann folgende Messung eine Vorstellung geben, die im Hoyer-Tief, östlich von List auf 55° 1' 51" nördlicher Breite und 8° 29" 18" östlicher Länge am 22. 7. 1941 vorgenommen wurde. Unter den damals durchgeführten Messungen weist diese Messung die höchsten Geschwindigkeiten auf. Sie betrug für den Ebbstrom um 4.35 h MEZ 108 cm/sec gleich 3.88 km/std Maximalgeschwindigkeit und für den Flutstrom um 9.35 h 135 cm/sec gleich 4.86 km/std Maximalgeschwindigkeit. Die angegebenen Geschwindigkeiten sind naturgemäß außer vom Tidenhub abhängig von der Tiefe des Wassers, von der Bodengestaltung und der Morphologie, insbesondere vom Küstenverlauf der Insel, den Winden usw. Vor der Seeseite der Insel beträgt der entsprechende Gezeitenstrom etwa 1 bis 1,5 sm/h ( = 1852 m/std). Infolge S a n d v e r f r a c h t u n g der Westküste der Insel entlang wachsen die Enden, so daß sie an Länge zwar langsam, aber stetig zunimmt. Bei tiefer Ebbe sieht man in 200 bis 500 m Entfernung parallel des Strandes auf weite Strecken hin Sandbarren liegen. An diesen brechen sich bei Sturm die Wellen. Je nach der Jahreszeit und anderen Umständen bildet sich an der Hochwasserlinie auf dem Strand durch Ablagerung von Treibsei und Ausspülung ein F l u t s a u m . Pflanzliche und tierische Bestandteile verschiedenster Art werden durch die Brandungswellen aus näherer oder weiterer Entfernung kommend hierher verfrachtet. Aber auch aus ferneren Regionen des Atlantischen Ozeans werden durch den Kanal und weiter auf den Bahnen der genannten Strömungen Gegenstände aller Art herantransportiert. Einen Beleg für die unter Mitwirkung von Winden von der englischen Küste her strömenden Wasser sind die im Gewicht sehr leichten, teils noch mit Gase gefüllten Schlackestücke der britischen Hochöfen, die man oftmals am Strande finden kann. Es mögen nun einige Angaben über die N o r d s e e selbst folgen. Diese hat eine durchschnittliche T i e f e von nur 40 Metern. Ihre größte Tiefe in den südlichen Zweidritteln mißt 99 Meter. Der Starnberger See hat dazu vergleichsweise eine größte Tiefe von 123 Metern. Bei der Doggerbank flacht das Wasser bis zu 13 Meter ab. Erst 26

von der Höhe Aberdeen—Stavanger, d. h. vom Fladen Grund ab bis zu den Shetland-Inseln hinauf, vertieft sich die Nordsee, und zwar auch nur bis zu 140 Metern. Die Weltmeere haben eine mittlere Tiefe von 3800 Metern; ihre größte Tiefe beträgt 10 490 Meter im Stillen Ozean. Die 10-m-Tiefenlinie liegt bei Sylt mit Ausnahme vor dem nördlichen Listland, bei Westerland und an der Südspitze in nur etwa 2 km Entfernung vom Weststrand, während diesem bei Amrum, wie bei Rom, noch bis zu 8 und 9 km flachliegende Sande vorgelagert sind. Der in früherer Zeit vielleicht einmal bis zu dieser Grenze von 2 km reichende tertiäre Geestkern ist somit dem Meer zum Opfer gefallen. Bei Sturmwetter (Tai. 6) können die W e 11 e n in der Nordsee eine Höhe von 4 bis 6 Metern erreichen. Im Atlantischen Ozean betragen sie bis zu 14 und 16 Meter. Für die Seefahrt früherer Tage, d. h. die reine Segelschiffahrt sind solche Stürme immer gefährlich gewesen. Die Küste von Sylt, insonderheit deren südlicher Teil, die Hörnumhalbinsel, und das anschließende Gebiet von Amrum mit den vorgelagerten Sandplatten, ist manchem Schiff schon zum Verhängnis geworden. (Taf. 7) Außer der Mannschaft der gestrandeten Schiffe haben bei der Bergung auch viele Insulaner ihr Leben lassen müssen. Unter dem Titel: „Strandungen an der Küste von Sylt" hat Friedrich Ball, Westerland, auf Grund von Auszügen aus den Strandprotokollbüchern eine Zusammenstellung von Schiffbrüchen veröffentlicht. Es sind danach in der Zeit von 1788, dem Beginn der Protokollführung, bis 1923 im ganzen 202 Schiffe bei Sylt gestrandet. ü b e r den Rettungsdienst an den deutschen Küsten folgen im Abschnitt „Seefahrt" einige Angaben. Die letzte größte S t u r m f l u t ereignete sich bei Sylt am 18. Oktober 1936. Der Weststurm steigerte sich in der Mittagszeit bis zu Böen in Windstärke 11. Der höchste Wasserstand betrug 3.50 m über MHW (mittlerem Hochwasser). Die ganze Nordsee glich bis an den Horizont einer weißschäumenden, brodelnden, kochenden Gischt. Das gewaltige Schauspiel, das die Oktoberflut 1936 bot, fand ein Gegenstüds in der V e r e i s u n g der Nordsee während des Winters 1946/47. Wer diesen Winter auf Sylt erlebt hat, wird ihn zeitlebens in Erinnerung behalten. Ein wochenlang anhaltender eiskalter Ostwind brachte zunächst das ganze Wattenmeer zum Erstarren. In strengen Wintern konnte vor dem Bau des Hindenburgdammes im Jahre 1927 der Verkehr zwischen der Insel und dem Festland nur mittels eines E i s b o o t e s aufrecht erhalten werden, um auf diese Weise neben der Post wenigstens das Notwendigste an Medika27

menten usw. zu befördern. Das Eisboot bestand nur aus einem Ruderboot, das von einer Anzahl von Männern vielfach über weite Strecken auf dem Eise geschoben werden mußte. Die Kälte des Winters 1946/47 ließ jedoch auch das Wasser der offenen Nordsee gefrieren. Soweit man vom hohen Roten Kliff aus bei Kampen nach Westen sehen konnte, bot sich einem das Bild eines Polarmeeres. Eine geschlossene Masse von Eisschollen bedeckte die ganze Oberfläche bis an den Horizont (Taf. 6). In etwa 75 m Abstand vom Strand war die Eisdrift des Küstenstromes zu beobachten. In ganz schwacher Dünung atmete die Gezeitenbewegung unter der Last der Eisschollen. Nach den Feststellungen des Eisnotdienstes des Deutschen Hydrographischen Instituts, Hamburg, erreichte die Eisbildung in Form eines geschlossenen Feldes in der östlichen und südlichen Nordsee ihren Höchststand am 22. Februar 1947. Die Aufzeichnungen der Eisverhältnisse an den deutschen Küsten, die bis 1903 zurückreichen, enthalten kein Beispiel einer ähnlich weiten Eisausdehnung dieser Art. An dem genannten Tag war die Nordsee westlich Sylt bis auf 60 Seemeilen, d. h. bis auf 111 km Entfernung vereist. Von der Südküste, d. h. von Ostfriesland aus, erstreckte sich das Eisfeld 30 Seemeilen weit nordwärts. Es war also die ganze Deutsche Bucht bis weit über Helgoland hinaus in ein Eismeer verwandelt. Die Naturbilder des Meeres, wie sie hier nur kurz aufgezeigt und angedeutet werden konnten, zeigen uns, wie wechselvoll die See zu sein vermag und welch eine beherrschende Rolle sie der Insel gegenüber spielt. Das Meer kann wohl überwältigend wirken, es langweilt nie. Das wird jeder Seefahrer bestätigen. Wellenbewegung und Farbgebung unterliegen steter Veränderung. Die Bildwerke von Schnars-Alquist bringen uns das Wellenmotiv nahe. Uber die See bei Sylt führt keine Schiffahrtslinie. Nur gelegentlich sieht man im Sommer auf der Höhe des Horizontes vereinzelt kleine Fischerboote. Die Meereswirkung bei Sylt ist durch ihre Unberührtheit eine umso großartigere. über die Bedeutung des Meeres als Verkehrselement und Nahrungsquelle wird an anderer Stelle berichtet. Das heutige Inselleben steht im Zeichen des F r e m d e n v e r k e h r s und innerhalb seiner Insel bildet das Meer den Hauptanziehungspunkt für die Besucher und Erholungsuchenden. Die Gründung von B a d e o r t e n geht bereits auf das frühe 19. Jahrhundert zurück. Am 15. Juli 1819 wurde als erstes Bad der Nordfriesischen Inseln dasjenige von Wyk auf Föhr eröffnet, und zwar mit 3 Badekarren und 61 Besuchern. 28

Es folgte W e s t e r l a n d . Hier war es in erster Linie ein Dr. med. Gustav Ross aus Altona, der als Besucher in den Jahren 1854 und 1855 die Heilkräfte des Meeres und des Klimas erkannte. Zugleich mit dem Bau einer „Dünenhalle" wurde am 29. September 1857 die Gründung des Badeortes Westerland vollzogen. Während die Besucherzahl 1859 — 470 Badegäste betrug, stieg sie 1865 bereits auf 1000 und erreichte 1892 die Zahl von 7292 Kurgästen. Die bisherigen Höchstzahlen erreichte Westerland 1935 mit 26 175; 1936 mit 28 495; 1937 mit 30 865 und 1938 mit 30 396 Besuchern. W e n n i n g s t e d t setzte in den sechziger Jahren mit etwa 50 Besuchern ein. Auf Grund seiner bevorzugten Ortslage entwickelte sich auch K a m p e n zu einem beliebten Badeort. Bs waren anfänglich besonders Künstler, die sich dorthin gezogen fühlten. Nach dem zweiten Weltkrieg bildeten sich dann auch L i s t , R a n t u m und H ö r n u m im Bereich der weiten Dünengebiete zu Badeorten aus. So verfügt die ganze Westküste heute über eine Kette von Erholungsstätten mannigfaltiger Art. Jeder Ort hat die ihm eigenen Stammgäste gefunden. Auf der Wattenmeerseite bietet das hübsche, ländliche K e i t u m ruheliebenden Gästen ebenfalls einen schönen Aufenthalt. Die Westküste ist von dort durch Bus und Bahn leicht zu erreichen. Im Jahre 1950 betrug die Gesamtzahl der von den Kurverwaltungen verzeichneten Besucher 63 386 Personen. Davon entfallen auf die einzelnen Orte, jeweils für Kurgäste und Jugendliche, auf Hörnum 3503 — 4471; Kampen 4609 (K.); Keitum 362 — 200; List 4291 — 4536; Puan Klent 3869 (J.); Rantum Ort 1224 (K.); Rantum Eisenbahnerheim 2922 (K.); Wenningstedt (Braderup) 4933 — 1349; Westerland 14 852 — 3871 und 8394 Passanten. Das ergibt im ganzen 36 696 Kurgäste, 18 296 Jugendliche und 8 394 Passanten (nur Westerland betreffend). Zählt man hierzu die Passanten der übrigen Orte, die Gäste der Vor- und Nachsaison, die Pfleglinge weiterer Heime, die Angehörigen der Kreisjugendverbände und sonstige Ausflügler, unter denen sich ganze Schulen befinden, so dürfte die Gesamtzahl der Inselbesucher wohl achtzigtausend oder mehr betragen. Hiermit ist die außerordentliche Bedeutung aufgezeigt, die Sylt heute in gesundheitlicher Hinsicht hat. Unter allen Kurorten Deutschlands steht es mit der Wirksamkeit seiner Heilfaktoren mit an erster Stelle. Sie gründen sich auf das Meer, die Luft und die Insellandschaft. Ihre Wirkung ist eine gleichermaßen körperliche wie geistige. Sylt ist ein Regenerationsfaktor erster Ordnung, von tiefgreifendem und nachhaltigem Einfluß. 29

Die Wirkung des S e e b a d e s geht aus von dem Gehalt des Wassers an Salzen und anderen Substanzen, von dem Temperaturwechsel und von der Massage des Wellenschlages. Der Genuß des Badens wird noch erhöht durch den prachtvollen breiten Strand, der sich an der ganzen Küste entlangzieht. Er bietet eine vorzügliche Gelegenheit, das Seebad durch ein Luft- und Sonnenbad zu ergänzen, den Körper durch Spiel, Sport und Gymnastik zu stählen und sich auf stundenlangen Wanderungen zu ergehen. Die schier endlose Kette der Stranddünen und die Steilwand des Roten Kliffs umsäumen den Strand in landschaftlich reizvollen Bildern. Im südlichen Teil der Insel ist der Strand auf weite Strecken hin buhnenfrei, also rein naturgegeben. Zur Wirkung des Meeres auf den Menschen soll hier noch kurz auf eine Besonderheit hingewiesen werden. Bei den Bewohnern unserer Küsten besteht seit altersher der Glaube an einen Zusammenhang zwischen den Gezeiten einerseits und Geburt und Tod andererseits. Es gilt als V o l k s r e g e l , daß die Geburten durch die Flut beeinflußt werden bzw. mit der Flut zusammenfallen und daß eine entsprechende Verbindung auch zwischen den Todesfällen und der Ebbe besteht. Nachprüfungen, die hierüber bisher von Ärzten und anderen vorgenommen wurden, haben bisher noch zu keinem eindeutigen Urteil geführt. Daß der kosmisch-planetarLsche Vorgang 1er Gezeiten, der die ganzen Weltmeere in Bewegung zu versetzen vermag, biologisch auch den Menschen zu beeinflussen imstande ist, dürfte als sicher angenommen werden. Es darf dabei aber als ebenso sicher gelten, daß sich diese Wirkung nur auf solche Menschen erstrecken kann, die in unmittelbarem Kontakt mit dem Meer als Umwelt stehen. Das bezieht sich nun nicht nur auf die Nähe des Wohnortes vom Meer, sondern vielmehr darauf, daß solchem Einfluß, mit Ausnahmen, nur Menschen unterliegen können, die seit Generationen akklimatisiert sind. Letztlich ist diese Frage dann natürlich auch noch eine individuelle. Bei den Beobachtungen verdient außer der schon genannten Entfernung des Wohnsitzes vom Meer, die Ausschaltung von Medikamenten und anderer Eingriffe, die jeweilige Stärke, in der die Gezeiten auftreten usw., eine Beachtung. Es gibt Gezeitenwechsel, die so gut wie unmerklich sind. Die Gezeiten selbst wird man bei dieser Frage überdies als sekundär ansehen müssen und die auslösende Kraft dieser als das Primäre, das gleichzeitig den Menschen beeinflußt. Bioklimatische Untersuchungen über die Veränderungen der Luft-Ionen beim Tidenwechsel und andere Vorgänge, die im 30

Spiel sein mögen, sind.vielleicht geeignet, uns der Klärung dieser Erscheinung etwas näher zu bringen. Die Erkenntnis, daß das M e e r w a s s e r auch medizinisch von heilsamer Wirkung ist, ist eine sehr alte. Wir kennen Berichte von Hippokrates, Plinius und anderen, die das bezeugen. Die heilsame Wirkung bezieht sich sowohl auf äußerlichen wie innerlichen Gebrauch, Neuzeitliche Analysen haben dargetan, daß das Meerwasser von außerordentlich vielfältiger Zusammensetzung ist. Prof. Wattenberg führt in einer Arbeit: „Die Meerwasser-Trinkkur auf Grund wissenschaftlicher Untersuchungen und Beobachtungen, Herausgeber Prof. Dr. H. Vogt" in 2 Tabellen 10 Hauptbestandteile und 28 spurenweise vorkommende Elemente auf. Zu den ersteren zählen mengenmäßig vornehmlich Chlor (18,97 g/kg) und Natrium (10,47 g/kg). Die Zusammensetzung des Meerwassers zeigt eine große Ähnlichkeit mit der des Blutserums und der der Zell- und Gewebesäfte des Menschen. Die naturwissenschaftliche Annahme, daß alles Leben aus dem Meere stammt, daß das erste Leben sich mutmaßlich im feuchtwarmen Schlamm der Meeresküste gebildet hat, findet durch die Analyse eine Stütze. Es ist von jeher Brauch gewesen bei Küstenbewohnern, Fischern und Seefahrern, Meerwasser zu Heilzwecken gelegentlich auch zu trinken. Seit der Mitte des 18. Jahrhunderts hat man seitens der Wissenschaft in Europa der M e e r w a s s e r - T r i n k k u r erhöhte Aufmerksamkeit geschenkt. Im Jahre 1931 gründete das Nordseebad Westerland als erstes deutsches Unternehmen dieser Art das „Westerländer Kurwasser-Werk" zur Herstellung und Abgabe von Meerwasser für Trinkkuren. Das Werk wurde später von Fritz Neumann übernommen. Es stellt heute unter dem Firmennamen „Sylter Meerwasser-Vertrieb" dieses Kurmittel nach entsprechender Aufbereitung, Entbitterung, Verdünnung (Mineral- und Metallsalzgehalt in der Konzentration des Blutwassers von ca. 0,9 v. H.) usw. in Westerland her. Eine Trinkhalle mit Brunnen für die Kurgäste befindet sich auf der Westerländer Wandelbahn am Strand. Die Nutzanwendung des Meereswassers mit seinem reichen Substanzgehalt bietet der Wissenschaft noch eine Fülle zu lösender Fragen. In der Bäckerei von Hans Clausen in Westerland, wird auch ein besonderes Roggenbrot, ohne Zusatz von Kochsalz, ausschließlich mit Verwendung von gereinigtem Meerwasser (Westerländer Natursole) gebacken. Die Herstellung erfolgt in einer elektrischen 31

Dampfkammer, in einem achtstündigen Backprozeß, im eigenen Saft. Weitere meerische Kurmittel, die Westerland in seinem Warmbadehaus zu bieten hat, sind die warmen Seebäder (Solbäder), die Schlickbäder und Schlickpackungen sowie die Meerwasser-Inhalationen. In einer Schrift: „Westerland als Heilbad" schreibt der Leiter der „Bioklimatischen und meereskundlichen Forschungsstation" in Westerland, Prof. P f l e i d e r e r , bezüglich des Sylter Schlickes, daß dieser „dank seiner physikalischen Beschaffenheit und dem Gehalt an chemischen Stoffen (u. a. Schwefel, Kalium, Kieselsäure) besonders hochwertig" ist. Westerland hat 1950 den Titel eines staatlich anerkannten Heilbades erhalten. — In List befindet sich eine neuzeitliche, besteingerichtete Schwimmhalle. Wyk auf Föhr hat sich auf Grund seines milden, meerischen Klimas im Lauf der Zeit zu einem besonderen ganzjährigen Kurort für Kinder entwickelt. Auch auf Sylt sind in größerer Zahl K i n d e r h e i m e entstanden. In Klappholttal, inmitten der Dünen auf der Höhe der Vogelkoje von Kampen wurde durch den Arzt Dr. Knud Ahlborn im Jahre 1919 ein Kindergenesungsheim gegründet, das noch heute unter seiner Leitung steht. Unter den weiteren Jugendstätten sei nur noch auf das unter der Leiung von Max Henry Schubart stehende „Hamburger Jugendferienheim Puan-Klent" im gleichnamigen Puan-Klent und auf das „Fünf-Städte-Heim" in Hörnum hingewiesen. Seine erste Begegnung mit dem Meer hatte G o e t h e am Lido. Er schreibt darüber in seiner „Italienischen Reise" am 8. Oktober 1786 aus Venedig: „Ich hörte ein starkes Geräusch: es war das Meer, und ich sah es bald, es ging hoch gegen das Ufer, indem es sich zurückzog, es war um Mittagszeit der Ebbe. So habe ich denn auch das Meer mit Augen gesehen und bin auf der schönen Tenne, die es weichend zurückläßt, ihm nachgegangen. Da hätte ich mir die Kinder gewünscht, um der Muschcln willen; ich habe, selbst kindisch, ihrer genug aufgelesen; doch widme ich sie zu einigem Gebrauch: ich möchte von der Feuchtigkeit des Tintenfische-, die hier so häufig wegfließt, etwas eintrocknen. — Das Meer ist doch ein großer Anblick!" Goethe schreibt dann, wie er unter anderen salzliebenden Pflanzen dort auch die Stranddistel (Eryngium maritimum) gefunden hat; sie ist ihm zwar als solche noch unbekannt, seine Beschreibung läßt sie uns aber als diese erkennen. Am 9. Oktober stieg er abends auf den Markusturm, um von dort aus das Meer noch einmal zu betrachten. Er schreibt darüber: „Heute 32

abend ging ich auf den Markusturm; denn da ich neulich die Lagunen in ihrer Herrlichkeit, zur Zeit der Flut, von oben gesehen, wollte ich sie auch zur Zeit der Ebbe, in ihrer Demut, schauen, und es ist notwendig, diese beiden Bilder zu verbinden, wenn man einen richtigen Begriff haben will. Es sieht sonderbar aus, ringsum überall Land erscheinen zu sehen, w o vorher Wasserspiegel war. Die Inseln sind nicht mehr Inseln, nur höher bebaute Flecke eines großen graugrünlichen Morastes, den schöne Kanäle durchschneiden. Der sumpfige Teil ist mit Wasserpflanzen bewachsen und muß sich auch dadurch nach und nach erheben, obgleich Ebbe und Flut beständig daran rupfen und wühlen und der Vegetation keine Ruhe lassen. Ich wende mich mit meiner Erzählung nochmals ans Meer. Dort habe ich heute die Wirtschaft der Seeschnecken, Patellen und Taschenkrebse gesehen und mich herzlich darüber gefreut. W a s isi doch ein Lebendiges für ein köstliches, herrliches Ding! W i e abgemessen in seinem Zustande, wie wahr, w i e seiend! W i e viel nützt mir nicht mein bißchen Studium der Natur, und wie freue ich mich es fortzusetzen!"

LUFTRAUM Neben der Landschaft der Insel und dem Meer, das diese erweiternd umgibt, ist der L u f t r a u m der dritte Bestandteil der Natur. Bei einer landschaftlichen Betrachtung findet der Himmelsraum und die mit ihm verbundene Wetterkunde im allgemeinen eine zu geringe Beachtung. Und doch spielt das Licht und das Klima mit allen seinen Faktoren eine nicht nur bedeutende, sondern vielfach ausschlaggebende Rolle. Boden und Klima sind die beiden Grundelemente der Umwelt. Sieht man von dem geologisch bedingten Bild der Landschaft ab, d. h. von der Bodenart und -formation, von dei anorganischen Natur also, so hängt die belebte Welt ihrer Art und Gestaltung nach wesentlich vom Klima ab. Die Pflanzen- und Tiergeographie der Erde lassen das auf den ersten Blick erkennen. Es gilt entsprechend auch für den Menschen, für die Rassenbildung und Kulturgestaltung. W i r wissen von den großen Klimaschwankungen und -Veränderungen, die im Lauf der Jahrmillionen und im Wechsel von Zeiträumen erfolgt sind, die sich auf Hunderttausende von Jahren erstrecken, die aber selbst auch schon innerhalb einiger Tausende von Jahren und in noch kürzeren Zeiträumen sich ereignet haben. V o n den Polargebieten bis an den Äquator zeigt die Erde heute

33

ein sehr mannigfaltiges Klimabild. Selbst innerhalb von Europa sind die Verhältnisse sehr verschieden. Es sei dabei nur an die Italiensehnsucht des nordischen Menschen gedacht. Unserem meist fahlen Himmel steht das tiefe Blau gegenüber, das den Himmel der Akropolis kennzeichnet. Die Frage nun des K l i m a s von Sylt im besonderen ist in der Vergangenheit und Gegenwart eine außerordentlich bedeutsame und lehrreiche. Im Abschnitt der Erdgeschichte wurde bei der Besprechung des Morsumkliffs bereits darauf hingewiesen, daß das Klima zu dessen Bildungszeit im Miozän wärmer gewesen ist als heute. Die Miozänstufe des Tertiär fällt zeitlich mit der Braunkohlenformation zusammen. In Skandinavien wuchsen damals Palmen. Die seinerzeitige „Nordsee" hatte zeitweise unmittelbare Verbindung mit dem Mittelmeer, aus dem subtropische Lebewesen nach .Sylt" einwanderten. Die anschließend im Quartär sich ereignenden Eiszeiten und wärmeren Zwischeneiszeiten, deren Verursachung wissenschaftlich noch umstritten ist, schufen ihrerseits dann wiederum einen völligen Wandel und Wechsel. Die sogenannten Windkantersteine, die wir heute auf der alten Bodenoberfläche der Insel finden, geben uns eine Vorstellung von der Schärfe und der Dauer der Winde, die damals über „Sylt" hinweggegangen sind. Es sind dies kleinere oder größere mehrseitig, flächenhaft abgeschliffene und dadurch mit Kanten versehene Steine. Die reiche Kultur der Bronzezeit (1800—600 v. Chr.) dann, ist mit begünstigt worden durch das damals wärmere Klima, das den Pflanzenwuchs, wie im besonderen die Waldbildung förderte und auch wirtschaftlich der Bevölkerung zugute kam. Allein an Hand des klimatisch bedingten Pflanzenwuchses, wie Jin uns in Marsch und Watt versunkene Moore und Baumstämme aus früheren Jahrtausenden belegen und wie wir ihn durch pollenanalytische Untersuchungen am Tuul (Seetorf) nachweisen können, ließe sich eine Geschichte von der Entstehung von Sylt bildlich und textlich darstellen. Durch seine Lage und Höhe unterliegt Sylt extremen Verhältnissen. Es sind in erster Linie die W i n d e die „bildhauerisch und zeichnerisch" am Werke sind. Bei den Darlegungen über den Meeresraum wurde auf die Ausführungen des Driftstromes hinsichtlich der Küstengestaltung hingewiesen. Die langen Dünenhaken im Norden und Süden mit der erstaunlichen Masse der Sandberge sind ein Erzeugnis der Winde (Taf. 7). Der Pflanzenwuchs auf der Insel steht ganz im Zeichen der Winde. Es ist das erkenntlich an dem niedrigen Wachstum und an der Windwüchsigkeit der Sträucher und Bäume 34

(Taf. 8); der vorherrschende Westwind schert sie ab. Die Bauweise des friesischen Hauses in Westostrichtung, Grundriß und Raumgestaltung des Hauses, selbst die Staffelung der Soden auf dem First von West nach Ost und die Einfriedigung der Gärten und Gewese mit Friesenwällen, sind klimatisch bedingt. Daß das Wesen der Menschen ebenso mitbeeinflußt wird, ist nur natürlich. Der Windwirkung, wie sie hier für Sylt aufgezeigt wurde, unterliegt ganz Schleswig-Holstein, als einer nur etwa 70 bis 90 km breiten Landbrücke zwischen der Nord- und Ostsee. Die Rolle, die die Winde hier auf der Geest spielen, wird aus den Knidcs ersichtlich. Auch in der Marsch ist man zur Zeit bemüht, besondere Windschutzmaßnahmen durchzuführen, d. h. Windschutzbäume bei den Höfen und an den Straßen anzupflanzen. Die Breite des Festlandes entspricht etwa nur der doppelten Länge von Sylt. Bei dem Einfluß des Klimas auf ein Gebiet hat man das G r o ß k l i m a und das K l e i n k l i m a zu unterscheiden. Das erstere bezieht sich auf den geographischen Großraum in dem das betreffende Gebiet liegt. Wir sprechen dabei, unseren Raum betreffend, zum Beispiel von Grönland als einer Wetterküche. Innerhalb eines Großraumes können aus verschiedenen Gründen besondere Areale sich wieder herausheben. Auf ein solches hat in unserem Gebiet der Botaniker und Pflanzensoziologe Dr. Willi C h r i s t i a n s e n , Kiel, auf Grund einer Auswertung der „Pflanzenkundlichen Landesaufnahme" hingewiesen. Er bezeichnet nach seinen Feststellungen das Gebiet, das seinen Kern etwa zwischen St. Peter—Angeln—Rom hat, also Sylt miteinschließt, das somit ein Dreieck ausmacht im Westen Schleswigs als den „ A t l a n t i s c h e n K l i m a k e i l " . Neun Kartenskizzen seiner Arbeit veranschaulichen in diesem Raum besondere Vorkommnisse, oder das Fehlen solcher. Studienrat R. O r tm a n n , Niebüll, ergänzt die Ausführungen von Christiansen in einem in „Die Heimat", Nov. 1950, unter dem Titel: „Die meteorologische Besonderheit des atlantischen Klimakeils in SchleswigHolstein" erschienenen Aufsatz. Prof. E m e i s , Flensburg, hat außerdem in den Schriften des naturwissenschaftlichen Vereins Schleswig-Holstein XXIV, Heft 2, eine Veröffentlichung gebracht über das Thema: „über die Bedeutung des atlantischen Klimakeils für das Verbreitungsbild unserer Flora und Fauna". Die genauere örtliche Bestimmung des Klimas fordert darüber hinaus natürlich noch weitere Unterteilungen. Sieht man sich hierzu auf Sylt das von vielen hohen Bäumen umstandene Keitum (Taf. 3, 8) an und vergleicht diesen Ort mit dem nur 4 km entfernten Wester35

land, so wird das beiderseitige L o k a 1 k 1 i m a sehr augenfällig. Noch exakter hat man vorzugehen, wenn es sich etwa um biologische Studien der Kleinlebewelt von Insekten im „Buschwerk" der Heidepflanzen handelt. Zum Leben der Mikrolepidopteren (Kleinschmetterlinge) gehört ein entsprechendes Mikroklima. Die Klimabedeutung von Sylt interessiert uns nun aber im allgemeinen hinsichtlich des F r e m d e n v e r k e h r s , d. h. der Kurgäste, die die Insel zur Erholung besuchen. Sie kommen des Meeres und des Klimas wegen. Beide sind auf Sylt von besonderer Naturstärke. Der Wirkkraft des Meeres entsprechend ist das Klima als ein besonderes B i o k l i m a zu bezeichnen. Wenn die Naturwelt heute die Existenzgrundlage der Inselbewohner bildet, so nimmt innerhalb dieser die Klimafrage den ersten Rang ein. In Anbetracht ihrer Bedeutsamkeit sollen daher im folgenden einige Ausführungen gemacht werden, die auf Besonderheiten des Sylter Klimas hinweisen. Die Angaben hierzu, w i e auch die Aufstellung der beigefügten T a b e l l e über die „Klimawerte von Westerland und List auf Sylt", verdankt der Verfasser Herrn Dr. Rudolf R e i d a t vom Meteorologischen Institut, Hamburg. Im Bereich des Inselklimas bilden S o n n e und W i n d die Hauptfaktoren. Die Bräunung der Haut und die Auffrischung des Körpers durch die Seeluft, gehören zu den begehrenswerten Zielen der Ferienreisenden, um derentwillen diese die Städte verlassen oder ihre sonstwie von Licht und Luft abgezogenen Aufenthaltsorte wechseln wollen. Auf Grund langjähriger klimatologischer Beobachtungen ist zunächst bezüglich des S o n n e n s c h e i n s folgendes zu sagen. „Im Jahresmittel weist Westerland 1600 Stunden Sonnenschein auf gegen nur 1400 Sonnenscheinstunden in Hamburg. Der Inselfriese erhält also eine jährliche Sonnenscheinzuteilung, die um 15 °/o größer ist als die des Großstädters an der Niederelbe. Der Sonnenschein verteilt sich auf die Jahreszeiten folgendermaßen: Westerland Hamburg

Winter

Frühling

Sommer

Herbst

Jahr

146 109

520 459

646 564

288 267

1600 1381

Besonders groß ist der Sonnenüberschuß der Insel in den Monaten Mai bis Juli, die zusammen in Westerland 116 Stunden Sonne mehr aufweisen als in der Hansestadt." Es ist indes nicht nur die ¿onnenscheindauer für das Inselklima charakteristisch, sondern auch die besonders große S t r a h l u n g s36

i n t e n s i t ä t , die die Sonnenstrahlung in der Meeresnähe aufweist. Der besonders iür die Bräunung der Haut so wichtige uitraviolette Strahlungsanteil ist in der Dunstglocke über unseren Städten um mindestens 10 °/o geringer als in der reinen Seeluft der Nordfriesischen Inseln. Sand und Meer verstärken an der See außerdem den direkten Strahlenanteil noch durch ihre Reflexion. über den W i n d sagt Dr. Reidat: „Zählt man einmal aus einer mehrjährigen Beobachtungsreihevon Sylt und Hannover die Prozentzahl der Tage, an denen windschwaches oder stürmisches Wetter herrschte, so ergibt sich folgende Häufigkeitsverteilung: schwachwindig 0—2 Beaufort

mäßiger Wind 3—5 Beaufort

starker Wind 6 u. mehr Beaufort

List auf Sylt 26% 57% 17% Hannover 49 % 48 % 3 % Schwachwindiges Wetter herrscht im Küsentgebiet nur halb so oft wie im Harzvorlande. Starke bis stürmische Winde sind auf Sylt dagegen fast sechsmal so häufig wie im Binnenlande. An rund 2/3 aller Tage wehen die Winde auf Sylt von der Nordsee her und führen eine von Staubtrübungen und industriellen Abgasen freie Meeresluft heran. Auch die bei Südost- bis Nordostwinden vom Festlande herangetragene Luft ist bei der landwirtschaftlichen Struktur Schleswig-Holsteins frei von industriellen Verunreinigungen." Bei stärkerer Brandung zerstäubt ein Teil der Meereswoge und reichert die Luft am Strande, wie bei den Gradierwerken der Solbäder, mit feinen Salzkristallen und Gasen an. Der Strand erscheint dann zuweilen in seiner ganzen Länge wie in Dunst gehüllt. Dieser, A e r o s o l genannte Gehalt der Meeresluft, ist von besonderer Heilwirkung für die Atmungsorgane. Dessen Intensität nimmt nach dem Inneren der Insel zu jedoch rasch ab. Es kann bei starkem Sturm aus westlichen Richtungen der Salzgehalt der Luft zuweilen jedoch noch so stark sein, daß die Fenster der Häuser mitten auf der Insel einen Belag davon zeigen. Der Seewind übt außerdem durch seine frottierende Wirkung einen förderlichen Einfluß auf die Haut aus, indem er deren Reaktionsfähigkeit steigert und eine Abhärtung herbeiführt. Die relative Reinheit und Feuchtigkeit der Luft an der Seeküste, wie die ständigen Temperaturschwankungen, tragen das ihrige dazu bei. In Erläuterung zu der beigefügten Tabelle mit den für die Klimatologie charakteristischen Mittelwerten sollen nun die Besonder37

heiten des Inselklimas noch kurz erörtert werden, wie sie sich im Jahreslauf in großen Zügen ergeben. Dr. Reidat schreibt hierzu: „ F r ü h l i n g ( M ä r z b i s Mai). Mit der rasch im Frühjahr wachsenden Sonnenhöhe beginnt im Binnenlande auch eine rasche Erwärmung des Bodens und der darüber liegenden Luftschichten. Im Inselgebiet wird dieser Temperaturanstieg gebremst durch das Meer. Es speichert die von der Sonne empfangene Energie und verfrachtet sie bis in größere Tiefen. Dabei erwärmt es sich langsamer als das Land, das die Strahlen nur in den obersten Bodenschichten in Wärme umsetzt. Deutlich wird die Verzögerung der Erwärmung im Frühjahr, wenn wir uns den Beginn einer Tagesmitteltemperatur von 5°, den Beginn der Vegetationszeit an verschiedenen Orten betrachten. Beginn einer Temperatur von 5° (Beginn der Vegetationsperiode) Hannover 21. 3., Hamburg 27. 3., Meldorf-Büsum 2. 4., Westerland 7. 4., Helgoland 15.4. Der Frühling mit seinem Wachsen und Blühen beginnt also in Westerland mehr als 2 Wochen später als im Harzvorlande und 10 Tage später als an der Niederelbe. Das Meer bremst aber nicht nur die rasche Erwärmung tagsüber, es verhindert auch die starke nächtliche Auskühlung in frostklaren Frühlingsnächten. Es gewährt durch nächtliche Wärmeabgabe an seine Umgebung Schutz vor starker nächtlicher Ausstrahlung, die dem Pflanzenwuchs gefährlich werden kann. Fröste sind auf der Insel schon in der ersten Woche des Mai, also noch vor den „Eisheiligen" selten, während in den Moorgebieten Niedersachsens noch im Juni Schadenfröste auftreten können. über der im Küstengebiet sich nur langsam erwärmenden Luft ist trotz ihrer größeren relativen Feuchtigkeit die Haufenwolkenbildung an windschwachen Tagen geringer als weiter landein. Die mittlere Zahl der Niederschlagstage sinkt von 15 im März auf 12 im Mai ab. Kräftige Gewitterregen sind auf den Inseln wesentlich seltener als über dem .schleswigschen Festlande. Während der drei Frühjahrsmonate fallen in Westerland nur 18°/o des Jahresniederschlages gegenüber 21 °/o in Hamburg und 23 °/o in Hannover. S o m m e r (Juni bis August). Wie im Frühjahr verhindert auch während der Sommermonate die langsame Erwärmung des Meeres eine rasche überhitzung des Landes. Die mittlere tägliche Höchsttemperatur liegt in den drei Sommermonaten im Inneren das benachbarten Schleswig-Holstein (Neumünster) schon um 3° höher als im Inselgebiete. Tage, an denen 38

die Mittagstemperatur über 25° ansteigt, sogenannte Sommertage, weist das den Inseln gegenüberliegende Festland im Mittel 18 (Neumünster) auf gegen nur 4—5 in Westerland. Auch die nächtliche Auskühlung ist an der Inselküste geringer als über dem Festlande. An Tagen mit windschwachem Hochdruckwetter kann der Sommergast die Erscheinungen des Land- und Seewindes beobachten. Tagsüber weht dann ein gleichmäßiger kühler Wind von See her ins Inselinnere hinein. Bei Sonnenuntergang schläft diese Seebrise ein und es beginnt eine Luftströmung in umgekehrter Richtung, über dem sich rasch durch Ausstrahlung abkühlendem Land bilden sich kühlere Luftmassen, die dann zum wärmeren Meer hin abfließen. Auch im Sommer ist die Bewölkung besonders in den Morgenund Abendstunden im Küstengebiet geringer als über dem Festlande. Oft herrscht vormittags am Strande noch wolkenloses Wetter, während im Osten über Schleswig-Holstein schon kräftige Haufenwolken den Beginn der Gewitter- oder Schauerbildung ankünden. Südholstein weist in den Sommermonaten doppelt so viel Gewitter auf, wie die nordfriesischen Inseln. Auch die Zahl der Regentage ist im Küstengebiet relativ gering, wenn auch mengenmäßig etwas mehr Niederschlag fällt als in den Frühjahrsmonaten. Im Mittel beträgt der Anteil der Sommermonate am Jahresniederschlag in Westerland 26 °/o gegenüber 34 °/o in Hannover und 32 °/o Prozent in Hamburg. Stürmische Winde sind in den Sommermonaten selten. H e r b s t (September bis November). Mit Beginn des Herbstes vertauschen Land und Meer ihre Rollen im Wärmehaushalt. Mit sinkender Sonne kühlt das Land rasch aus, während das Meer seine im Sommer gespeicherte Wärme nur langsam abgibt. Die Nordsee wird zur Zusatzheizung für das Inselgebiet. Vom September ab liegt die Monatsmitteltemperatur auf den Nordfriesischen Inseln höher als im nordwestdeutschen Flachlande. Der erste Frost tritt in Westerland später ein als auf dem gegenüberliegenden Festlande. Das Wetter erfährt eine Umstellung. Regen- und Gewittertage sind jetzt im Inselgebiet häufiger als im südlicheren Niedersachsen. Von September bis November fällt in Westerland 32 °/o des Jahresniederschlages gegenüber 24 °/o in Hamburg und nur 22 °/o in Hannover. Die Sturmfähigkeit nimmt rasch zu. Im September und Oktober weisen im Mittel rund 4 %> aller Tage stürmische Winde auf. Im November klingt die Sturmfähigkeit dann wieder etwas ab. Der für Mittel- und Süddeutschland so charakteristische Altweibersommer mit seinem sonnenreichen 39

und windschwachen Wetter ist im Inselgebiet lange nicht so ausgeprägt wie weiter landein. W i n t e r (Dezember bis Februar). Auch die Winterkälte wird auf den Inseln durch die Zusatzheizung des Meeres stark gemildert. Bis in den Febiuar hinein liegt die Mitteltemperatur aui den nordfriesischen Inseln höher als auf dem gegenüberliegenden Festlande. Während bei allen deutschen Landstationen der Januar im Mittel der kälteste Monat ist, weist auf den Inseln die Temperaturkurve im Mittel erst im Februar ihren Tiefstwert auf. In diesem Monat hat auch die Wassertemperatur der Nordsee ihr Minimum erreicht. Ostwindlagen mit anhaltendem Frost sind auf den nordfriesischen Inseln seltener als auf dem Festlande. Während in sehr kalten Wintern in Schleswig-Holstein die Temperaturen bis unter — 30° abgesunken sind, ist in Westerland bisher nur eine Tiefsttemperatur von —20,8° beobachtet worden. Rasch wandernde Tiefdruckgebiete über dem Ozean bringen oft mit stürmischen Winden und kräftigen Regenfällen überraschend Tauwetter. Die Niederschlagsmenge ist im Winter etwas geringer als in den Herbstmonaten. Trotzdem fallen noch 24 % der Jahresniederschlagsmenge im Mittel in den Wintermonaten gegenüber 23 °/o in Hamburg und 21 %> in Hannover. Kräftige Regenfälle treten im Winter im Küstengebiet häufiger auf als über dem Festlande, während sie in den Sommermonaten im Binnenlande überwiegen. Der Schneeanteil am Niederschlag ist aber wegen der Meeresnähe geringer. Im Mittel hat Westerland im Jahr an 21 Tagen Schneefall aufzuweisen gegenüber 36 Tagen mit Schneefall in Neumünster. Die Sturmhäufigkeit nimmt um die Jahreswende wieder zu. Januar und Februar weisen nach windschwächerem November und Dezember wieder fast die gleiche Häufigkeit von stürmischen Winden auf wie der Oktober." Wirksame Mittel, die der Kräftigung des Körpers dienen, sind im Klima von Sylt also in reichem Maß und in vielfältiger Zusammenwirkung gegeben. Es ist für den Erholungsuchenden jedoch wichtig, daß er sie auch sinnvoll und kurmäßig nutzt, daß er Übertreibungen meidet und sich vor sonstigen Schäden schützt. Das Sylter Klima ist ein R e i z - u n d K a m p f k l i m a . Gerade darin besteht sein Wert; daß damit andererseits Gefahren verbunden sind, ist ebenso verständlich. Es ist die besondere Aufgabe der „ B i o k l i m a t i s c h e n u n d m e e r e s k u n d l i c h e n F o r s c h u n g s s t a t i o n " in Westerland, die Sylter Kurmittel zu erforschen. Die Leitung dieser bei der 40

Nordseeklinik untergebrachten Station liegt seit deren Eröffnung im Jahre 1936 in Händen von Professor Dr. med. H. P f l e i d e r e r . über seine Arbeitsergebnisse ist ein umfangreiches und vielseitiges Schrifttum erschienen. Die Bioklimatologie ist eine Grenzwissenschaft zwischen Meteorologie und Medizin in der es viele Rätsel noch zu lösen gilt. Forschungen auf dem Gebiet der Meeresheilkunde sind im Bereich der Nordfriesischen Inseln vor Jahrzehnten schon durch Prof. Dr. Carl H ä b e r l i n , Wyk auf Föhr, eingeleitet und betrieben worden. Sie führten 1925 zur Gründung einer „Bioklimatischen Forschungsanstalt" in Wyk. Im Jahre 1935 wurde diese vom „Reichsamt für Wetterdienst" übernommen. Sie steht unter der Leitung von Dr. W, L e i s t n e r und führt heute den Titel: „Bioklimatische Forschungsstelle". In List auf Sylt befindet sich außerdem noch eine W e t t e r w a r t e , die dem „Meteorologischen Amt für Nordwestdeutschland" untersteht. Von besonderen Erscheinungen des Lichtes und der Luft auf der Insel mögen hier in Kürze nur noch folgende aufgeführt werden. Es ist eine bekannte Tatsache, daß die Blumen auf Sylt eine auffallend starke L e u c h t k r a f t a n F a r b e zeigen, wie das auch im Hochgebirge zu beobachten ist. In wieweit diese nun wirklich besteht und die des Festlandes übertrifft, müßte durch vergleichende photometrische Messungen festgestellt werden. Sylt unterliegt einem auffallend häufigen, oftmals sich stündlich ändernden W i t t e r u n g s w e c h s e l . InVerbindung hiermit ändert sich, wie das die Künstler am besten bestätigen können, auch das Farbbild in der Landschaft. Das gilt für die Tönungen über dem Meer und Watt, wie für die Insel, insonderheit die Dünen, in gleicher Weise. Prachtvolle Schauspiele bieten die Sonnenaufgänge und -Untergänge. Die F a r b g e b u n g e n der Insel gehören dem Tonwert des Aquarell und des Pastell an. In der letzteren Malweise hat Helene Varges, Westerland, ausgezeichnete, naturtreue Inselbilder geschaffen. Typisch für die Insellage von Sylt ist der S e e n e b e l . Wenn eine wärmere Landluft sich über der See abkühlt entsteht Nebelbildung, die mit westlichen Winden zurückkehrend dann plötzlich, aber meist schnell vorübergehend, die Insel so in Wolken einhüllt, wie man das in anderer Weise von den Bergspitzen im Hochgebirge kennt. Jede Landschaft hat die ihr eigentümlichen W o l k e n f o r m e n . Man denke vergleichsweise dabei nur an die niederländischen Seestücke der Malerei des 17. und 18. Jahrhunderts mit den dahin41

segelnden prachtvollen Gebilden von Einzelwolken. Im nordfriesischen Raum sind es zumeist ähnliche Bildungen. An der Festlandsküste, die zugleich Klimagrenze zwischen Land und Meer ist, entstehen im Sommer in den warmen Mittagsstunden bei geringem Aufwind Haufenwolken, „Küstencumuli"; ihre Kette kennzeichnet den Küstenverlauf. Sie steigen etwa 800—1200 m hoch. Die hübschen Schäfchenwolken, die sich über große Flächen des Himmels verbreiten, liegen im allgemeinen in einer Höhe von etwa 2000 bis 4000 Meter. Die Gewittercumuli auf dem Festland, die das Gewitter vorbereiten und die elektrischen Ladungen bringen, können dagegen bis zu 8000 m Höhe erreichen. Allgemein klimatisch mag noch bemerkt werden, daß im JuniJuli selbst wochenlang anhaltende O s t w i n d e auftreten können. Bei vielen Einwohnern erzeugen sie, im Gegensatz zum frischen Westwind, ein körperliches Unbehagen. Für den Zoologen sind sie dadurch bemerkenswert, daß sie vom Festland her Insekten aller Art über das Wattenmeer der Insel zuführen. Der S ü d w i n d ist bekannt als Regenbringer, wie er andererseits das Meeresleuchten begünstigt. Der L u f t r a u m von Sylt wölbt sich wie eine riesenhafte Himmelskuppel über dem flachen Eiland. Die Gegensätzlichkeit zwischen der Erd- und Himmelswelt wird einem besonders deutlich bei einer Umschau von der Höhe einer großen Düne aus. Hierbei sei besonders auch des Ausblickes gedacht, den man von der UweDüne bei Kampen aus auf das scheinbar im Meer schwimmende nördliche Listland hat. Auch der Rundblick von der alten Vorzeitstätte des Stapelhoog auf der östlichen Heide von Kampen, wie der vom Tipkenhoog an der Wattenmeerbucht bei Keitum ist ein großartiger. Das planetarische Wesen unserer Erde macht uns die am fernen Meereshorizont untergehende Abendsonne fühlbar. Sehr eindrucksvoll ist in den Sommer- und Herbstnächten das oftmals zu beobachtende kosmische N o r d l i c h t . In dunklen Nächten erlebt man hier draußen in der freien Natur die Unendlichkeit des Himmelsraumes dann besonders stark, wenn er von den unzähligen Sternenlichtern der Milchstraße erleuchtet ist.

42

ro" to"

CM"

I CNT

oo o"

tägl. Schwankung

mittl. tägl. Min.