Studien zur südamerikanischen Mythologie: Die ätiologischen Motive [Reprint 2022 ed.] 9783112680643


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German Pages 217 [220] Year 1940

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Inhaltsübersicht
Vorbemerkungen
Homo, im allgemeinen
Homo, die einzelnen Stämme
Fauna, im allgemeinen
Säugetiere
Vögel
Reptilien, Amphibien
Fische
Kopffüßler, Mollusken
Gliederfüßler
Flora, im allgemeinen
Flora, im besonderen
Gaea, im allgemeinen
Gaea, im besonderen
Benutzte Literatur
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Studien zur südamerikanischen Mythologie: Die ätiologischen Motive [Reprint 2022 ed.]
 9783112680643

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STUDIEN ZUR

SÜDAMERIKANISCHEN MYTHOLOGIE DIE ÄTIOLOGISCHEN MOTIVE

VON

ROBERT LEHMANN-NITSGHE

f

HAMBURG

F R I E D E R I C H S EN, DE G R U Y T E R & CO. 1939

C o p y r i g h t 1 9 3 9 by F r i e d e r i c h s c n , de G r u y t e r & Co., H a m b u r g D r u c k v o n W a l t e r de G r u y t e r & Co., B e r l i n W 3 5 P r i n t e d in G e r m a n y

Inhaltsübersicht Vorbemerkungen Homo, im allgemeinen „

die einzelnen Stämme

Fauna, im allgemeinen

V 1 15 25



Säugetiere

26



Vögel

62

,,

Reptilien, Amphibien

110

Fische

129

Kopffüßler, Mollusken

133

Gliederfüßler Flora, im allgemeinen „

134 153

im besonderen

153

Gaea, im allgemeinen

160

,,

im besonderen

Benutzte Literatur

163 193

Vorbemerkungen Die unerhörte K r a f t der schaffenden Phantasie, welche die Naturvölker zu den wunderbarsten

Ursprungserklärungen

der für sie auffälligen

Besonderheiten

ihrer Umgebung, j a ihrer eigenen sowohl körperlichen wie sonstigen Eigentümlichkeiten treibt, ist wohl auch in ethnologischen Fachkreisen nicht immer genügend erkannt, geschweige denn gewürdigt worden. Die außerhalb derselben stehenden Wissenschaftler und gebildeten Laien trauen sogar den „Wilden" überhaupt nicht derartige Vorstellungen und Deutungsversuche zu, welche wegen ihrer einschlagenden W u c h t und oftmals ausgreifenden Weite die dichterischen Konzeptionen der sog. Kulturwelt um das vielfache übertreffen. Diese Äußerungen einer denkenden Phantasie entsprechen offenbar dem seelischen Bedürfnis, die Ursachen aller, den Menschengeist beschäftigenden Besonderheiten, zunächst seiner Umwelt, zu erklären; mit anderen Worten, es handelt sich um die Befriedigung des Kausalitätsbedürfnisses des menschlichen Denkens. Da dieser Trieb nun auch bei den primitivsten Vertretern des Homo sapiens und gleich in ziemlich starkem Grade auftritt, muß er eben dem Menschengeschlechte urtümlich sein. W i r gehen nicht fehl, darin die Anfänge philosophischer Spekulationen zu erblicken ; also auch bei den Primitiven wie bei den höchsten Vertretern der Menschheit dieses „Rerum cognoscere causas". Freilich geschieht das auf ihre Weise, da das Bestehende aus m y t h i s c h e n Begebenheiten erklärt wird 1 . Die ältesten uns überlieferten Deutungen von Umwelt-Besonderheiten

finden

sich im Gilgamesch-Epos und im Alten Testament. In jener altbabylonischen Dichtung werden die Gründe dafür angegeben, daß ein (zoologisch soviel ich weiß noch nicht bestimmter) Vogel namens Käppi (scheinbar) gebrochene Flügel aufweist: Einstens war er ein Schäfer und Geliebter der Göttin Ischtar, welche ihn wie bereits seinen Vorgänger zu Grunde richtete; nun flötet er als Vogel kläglich im W a l d e :

„ K ä p p i ! " , d . h . „Mein F l ü g e l ! " 2 . Daß Genesis 3 , 1 4 erklärt wird,

warum unter den Tieren allein die Schlange auf dem Bauche kriecht und (angeblich), wie es weiter heißt, „Erde i ß t " , wußte man lange 3 , aber erst Franz Dornseiff 4 hat noch eine ganze Menge anderer ätiologischer Motive, die in der Genesis auftreten, erkannt und festgestellt: „Aitia auf Grund von Namendeutungen 'volksetymologischer' Art hat man in keinem Buch der Weltliteratur so zahl1 So Krickeberg, Indianermärchen aus Nordamerika, p. II, cf. p. V, Jena 1924 ( = D i e Märchen der Weltliteratur). 2 Ungnad und Gressmann, Das Gilgamesch-Epos, p. 117, 126 (cf. Text VI 48—50), Göttingen 1911. 3 Über das Weiterleben und die Entwicklung dieses Themas bei Juden, Arabern, Maltesern, Franzosen und Ungarn s. Dähnhardt, Natursagen . . . I, p. 216—217, 207, 223, 116. 4 Dornseiff, Antikes zum Alten Testament 1. Genesis. Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft und die Kunde des nachbiblischen Judentums, N. F. XI, p. 57—75, Gießen 1934.

VI

Vorbemerkungen

reich wie im Pentateuch", und der erste Abschnitt des Schöpfungsberichtes laufe auf ein Aition des Sabbaths hinaus (p. 60). Weiterhin folgten lauter Aitia (p. 61): „Begründung für die Sünde, das Übel, den Tod 2 16—3 24, die Sprache 19—20, weibliches Geschlecht und das Wort ischa 20—24, eheliche Gemeinschaft (etwas mutterrechtlich), [vermeintliche] Rippenzahl des Mannes elf, der Frau zwölf, geschlechtliches Erwachen, Scham und Bekleidung 2 35 . 3 7 . 3 21, für das Kriechen der Schlange und ihr Beißen [in die Ferse der Frau] 314—15, die Wehen und die unterdrückte Stellung des Weibes 3 16, die Plagen des Ackerbaues 3 17—19, die Klugheit der Menschen 3 22" (betr. einiger weiterer Aitia s. Original). Da auch noch Herodot, lesen wir auf p. 64, sein Geschichtswerk mit aitiologischen Mythengeschichten (über die Kriegsschuldfrage zwischen Asien und Europa) beginnt, haben wir „also hier altvorderasiatische Erzählungsform zu erkennen", natürlich, füge ich hinzu, soweit Genesis und Herodot in Frage kommen. Daß Kallimachos' Aitia und Ovids Metamorphosen eine große und großartige dichterische Bearbeitung sicherlich zum großen Teil volkstümlicher ätiologischer Motive darstellen, daran mag kurz erinnert werden. In der Neuzeit hat man wieder begonnen, diesem Stoffe wissenschaftliches Interesse entgegenzubringen. Eine große Materialsammlung ätiologischer Motive aus der ganzen Welt liegt in den vier Bänden vor, welche wir dem Fleiße Oskar Dähnhardts verdanken und welche unter dem Titel „Natursagen" (Leipzig und Berlin 1907—1912) bequem zugänglich sind 1 . Als besonderer Wert derselben sei betont, daß die betreffenden Texte ungekürzt, und so weit sie es nicht schon waren, in deutscher Sprache wiedergegeben werden. Süd- und Mittelamerika einschließlich Mexiko sind darin freilich mehr wie stiefmütterlich davongekommen; mit rund dreißig Nummern ist alles erledigt. Die Gründe dafür liegen auf der Hand: wohl keine völkerkundliche Literatur ist so unbekannt, zersplittert und unauffindbar wie gerade die, welche sich auf das iberische Amerika bezieht. Ich habe mir daher vorgenommen, diese empfindliche Lücke, und zwar gleich möglichst vollständig auszufüllen und glaube, mit den rund 1100 Nummern, welche ich jetzt vorlegen kann, dem Ziele verhältnismäßig nahe gekommen zu sein. Die wirtschaftliche Ungunst der Zeit verhinderte einen ungekürzten Abdruck der Originale, jedoch dürfte eine Inhaltsangabe mit den Hauptzügen für die Zwecke unserer Sammlung vollständig ausreichend sein, ja manchesmal ist sie direkt vorzuziehen, weil viel Ballast fortbleiben kann; außerdem läßt eine gekürzte deutsche Überarbeitung 1 Als Vorläufer derselben ist die von verschiedenen Autoren zusammengebrachte Sammlung zu betrachten, welche unter dem Titel „Les pourquoi" in der „Revue des traditions populaires", Band 2—29 passim, Paris 1887—1914 erschienen ist; sie umfaßt 150 Nummern, deren bequemes Studium durch die Spärlichkeit der Zeitschrift und die häufigen Irrtümer in der Nummerierung der einzelnen Texte recht erschwert ist. Ob die Zeitschrift noch Band 30ff. erlebt hat, habe ich nicht feststellen können; jedenfalls sind auf der Berliner Staatsbibliothek nur Band 1—29 vorhanden.

Vorbemerkungen

VII

namentlich indianischer Texte sofort die Hauptsachen erkennen und prägt sie besser dem Gedächtnisse des Mythenforschers ein. Nur wo es sich um seltene und unbekannte südamerikanische Drucke handelte, war ich ausführlicher, sodaß sich niemand mehr mit dem gewöhnlich erfolglosen Suchen nach dem Originale abzuquälen braucht. Bemerkt sei schließlich noch, daß Mexiko ebenfalls in den Begriff Mittelamerika miteinbezogen wurde. Im Titel vermerkte ich indes nur Südamerika, da Mittelamerika auch in dem hier angewandten weiteren Sinne doch nur eine bescheidene Rolle spielt. Vorliegende Arbeit begann ich am 1. Januar 1922 in La Plata und schließe sie nun nach etwas mehr als fünfzehnjährigem Sammeln ab. Für den Zweck, zu dem sie a priori geeignet erschien, nämlich gewissermaßen Leitfossilien für die verschiedenen mythologischen Zonen zu liefern, konnte sie freilich, wie es sich allmählich herausstellte, nicht dienen. Dagegen wird sie, ich hoffe es, für vergleichend mythologische Studien, welche die gesamte Erde umfassen und vorläufig noch Zukunftsmusik bilden, gute Dienste leisten können; es scheint, als ob unter den hier zusammengestellten ätiologischen Motiven sich mancherlei „Urgedanken" der gesamten primitiven Menschheit finden, welche nicht auf Übertragung zurückzuführen sind, wie z. B. die Vorstellung und Erklärung über das Warum des Todes (vgl. Tiere — einige — häuten sich). Zur Aufrollung dieser so wichtigen Frage findet sich nun sicherlich in folgendem Corpus brauchbares Material. Die Deutung der vom Indianer beachteten Besonderheiten der Umwelt erfolgt gewöhnlich innerhalb eines Mythus und auch da nur meistens recht nebenbei; vielfach ist sie in die Vorstellung vom Weltbilde, von der Entstehung der Erde u. dgl. gelegentlich hineingewebt. Direkt zur Erklärung einer Besonderheit erfundene Fabeln sind spärlich; man darf solche wohl als spätere Schöpfungen der Phantasie ansehen, welche bereits den Eindruck von beginnender „Kunstliteratur" hinterlassen. Der gleiche Text, mag er nun der ersten, rein mythologischen oder der mehr fabel- und märchen-, wohl auch anekdotenartigen Form angehören, bringt öfters die Deutung für gleich zwei, ja mehrere Besonderheiten. Daß es sich um beabsichtigte Erklärungen handelt, wird vielfach nicht ausdrücklich hervorgehoben, etwa durch den in europäischen Erzählungen beliebten Zusatz: Seitdem oder deswegen (hat z. B. das Rotkehlchen einen großen roten Fleck auf der Brust, fliegt die Eule nur nachts auf Raub usw.). Ich habe den Eindruck, daß dieses etwas schulmeisterliche Finale nicht ursprünglich ist, und mehr für den nicht landeskundigen Hörer der betr. Geschichte ein- bzw. angefügt wurde, denn der Eingeborene selber, der ja die kleinsten Einzelheiten seiner heimatlichen Natur aufs genaueste kennt, weiß ja ohne weiteres, ob überhaupt und worauf angespielt wird. Der auswärtige Hörer (bzw. Leser von Aufzeichnungen) ist daher oft außer Stande zu erkennen, ob ein ätiologisches Motiv vorliegt oder nicht, falls nicht etwa darauf aufmerksam gemacht wird, und auch dem Sammler des in diesem

Vili

Vorbemerkungen

Werke vorgelegten Materials wird selbstverständlicherweise aus diesem Grunde mancherlei entgangen sein1. Eine weitere Schwierigkeit bietet die Definition und Abgrenzung der ätiologischen oder, wie die Angelsachsen sagen, explanatorischen Motive. Koch-Grünberg hatte wohl erkannt, daß es da Übergänge gibt. Er faßt z. B. die Erklärung der Taulipang vom Ursprung des Geschwürs als ein solches auf (diesen Indianern zufolge verwandelte sich eine magische Angel, die selbsttätig den ganzen Körper eines Menschen durchdrang und ihn verfaulen ließ, in das Geschwür, cf. Vom Roroima . . . II, p. 27, Text dazu p. 96). Ich hatte lange Zeit Bedenken, ob man dem verdienstvollen Forscher beipflichten darf, glaube nun aber, daß er Recht hat. In anderen Fällen spricht er von einem „stark explanatorischen Charakter", speziell was die Taulipäng-Sage von Mai'uäg und Korötoikö anbelangt: „Mai'uäg stürzt sich auf der Flucht vor seinen Schwägern in das Wasser, taucht unter und verwandelt sich in die nach ihm benannte Ente. Der faule Korötoikö, der am Tag in seiner Pflanzung, anstatt zu arbeiten, auf einem Baumstamme sitzt und schläft, verwandelt sich in die Eule, die seinen Namen trägt. Der Name ist onomatopoetisch. Die bösen Schwäger, die auf der Verfolgung des Mai'uäg über Bäume klettern, werden zu Affen. Auch die selbsttätigen Ackergeräte verwandeln sich in Tiere, die Axt in den Specht, das Grabscheit in den Ameisenlöwen, der im Fußboden der Häuser und in den Sandbänken unzählige kleine Gruben aufwühlt, das Messer in den Prionus cervicornis, jenen merkwürdigen Käfer des Guayana-Waldes, der mit seinen sägeartigen Mandibeln einen Zweig bis zur Stärke eines Handgelenkes packt und dann mit der Schnelligkeit einer Windmühle im Kreise um ihn herum fliegt, bis er den Zweig in kurzer Zeit durchgesägt hat" (Vom Roroima . . . II, p. 27—28). Auch hier handelt es sich nicht nur um einen „stark explanatorischen Charakter", sondern direkt um eine S e r i e solcher Motive. Übrigens zeigt gerade dieser Text, wie versteckt mitunter die ätiologischen Motive sind: dem doch so erfahrenen Aufzeichner und Bearbeiter ist es entgangen, daß ja auch der Ruf der beiden Taubenarten erklärt wird (vgl. unten 1

Wie vorsichtig man sein muß, um aus irgendeinem Texte ein nicht direkt als solches bezeichnetes ätiologisches Motiv herauszulesen, bezeuge folgender Mythus der Mundurukü vom Oberen Tapajoz (Amazonasgebiet): Es kam eine Feuersglut daher und verbrannte alle Menschen. Der Japimvogel (Cacicus sp. und Ostinops decumanus) warf die gewaltige Sonne herunter. Zweimal setzte er sie auf seinen Kopf. Als die glühende Sonne vom Firmament auf die brennende Erde fiel, da starben alle Kinder (Strömer, Die Sprache . . . p. 137). Man sollte nun meinen, daß dem Vogel nach einem derartigen Unterfangen auf seinem Scheitel irgendein Anzeichen zurückgeblieben wäre, doch ist das nicht der Fall, wie ich mit Hilfe von Herrn Dr. Niethammer im Berliner Zoologischen Museum feststellen konnte. Daselbst wurde mir auch von anderen Herren, insbesondere von Herrn Professor Neumann, und Prof. Dr. Stresemann durch Vorzeigen der Bälge vielfach Aufklärung zuteil. Überhaupt erkennt man das Arbeiten der primitiven Phantasie eigentlich erst recht, wenn man namentlich bei exotischen Lebensformen sich zunächst einmal genau mit den von der Natur gegebenen Vorlagen bekannt macht.

Vorbemerkungen

IX

sub: Menschen, Leben schwer), sonst h ä t t e er das an der eben wiedergegebenen Stelle erwähnt und in der Ausgabe seiner Indianermärchen" (p. 136) die nur der Karaibensprache entsprechenden Rufdeutungen nicht ins Deutsche übersetzt, wo sie keinen Sinn haben. Die Erzählung von Mai'uäg u n d Korötoikö ist aber auch deswegen lehrreich, weil m a n wohl selten einen Fall findet, in welchem eine solche Menge ätiologischer Motive zu kurzem Texte verarbeitet w u r d e n : ein wunderbares Beispiel dafür, wie es die primitive Phantasie versteht, eine große Zahl innerlich zusammenhangloser biologischer Tatsachen zu einem großartigen Bilde zu vereinigen, das die Entstehung der Arbeit und der Mühen des Menschengeschlechts erklärt. Wie logisch sind auch die Eigenschaften der beiden feuerländischen Kormoranarten von den Y a m a n a zu einer ätiologischen Erzählung kombiniert worden! Die Einzelheiten der Natur, welche die Aufmerksamkeit des primitiven Menschen erregen, gehören in der übergroßen Mehrzahl dem Tierreiche an und sind hier fast ausschließlich körperlicher Art. Interessant ist es, daß öfters der Gedanke von der Vererbung erworbener Verletzungen zum Ausdruck k o m m t . Auch an seinem eigenen Körper und bei den Nachbarstämmen findet der Indianer manches, was eine Erklärung auslöst; dazu gehört die von uns sicher kaum erwartete Frage, warum wir sterblich sind, schon zu den Äußerungen höherer geistiger Tätigkeit. Die Flora als nicht sinnfällig belebt und, wohl ebendeshalb, auffällige Bildungen der Erdoberfläche treten weniger in den Bannkreis der menschlichen Sinnessphäre. In besagter Reihe wurden daher die einzelnen ätiologischen Motive im folgenden Corpus aufgeführt. Betr. der engeren Anordnung erschien die einfache alphabetische Aufzählung am geeignetsten, nachdem erst einmal die größere Gruppierung nach den natürlichen, ohne weiteres gegebenen Abteilungen (Säugetiere, Vögel usf.) vorgenommen war; alles Nähere ersieht man ohne Schwierigkeit aus der Sammlung selber, doch sei auf Folgendes aufmerksam gemacht. Texte zweifellos altweltlichen bzw. europäischen Ursprungs wurden anstandslos mitaufgenommen, jedoch bei Beginn mit einem Sternchen versehen; dazu gehört z. B. die Erklärung, warum das Maultier u n f r u c h t b a r ist. Auf amerikanischem Boden aber n a c h der Gonquista entstanden ist der Schluß der Fabel, warum das Fell des Jaguars ringförmige Kringel hat, denn der Lasso, der hierbei eine Rolle spielt, ist ja aus Spanien eingeführt worden. Im übrigen ist der T e x t amerikanisch. Derartige Geschichtchen kursieren zwar wohl fast ausschließlich in der einheimischen Bevölkerung einer bestimmten Gegend, doch h a t diese von den indianischen Vorgängern nicht nur mehr oder weniger Blut, sondern auch geistiges Kulturgut aufgenommen und dieses nach Verschwinden der indianischen Schöpfer am Leben erhalten und uns überliefert; gerade die argentinische Volkskunde bietet in ihren verschiedenen Zweigen mancherlei Belege dafür. Es erschien daher ratsam, überhaupt a l l e s einschlägige Material vor- u n d durch Markieren mit einem Sternchen das ohne weiteres als altweltlich erkennbare festzulegen. b

X i e h m a n n - N i t s c h e t> Südamerikan. Mythologie

X

Vorbemerkungen

Zur Feststellung der Verteilung der einzelnen Komponenten (europäisch, amerikanisch, event. afrikanisch oder Mischformen), welche das Sagen- und Fabelgut einer bestimmten Gegend bilden, ist eben die Einsicht des gesamten Materials notwendig. Soweit Argentinien in Frage kommt, konnte ich die vielen handschriftlichen Aufzeichnungen ausziehen, welche von dem Nationalen Erziehungsrat zu Buenos Aires veranlaßt wurden und sobald nicht veröffentlicht werden dürften; manch einer wird für die hier gebrachten Regesten dankbar sein. Der Nachweis des Woher bei dem eingeschleppten Fabelgute war meistens nicht möglich; Dähnhardts „Natursagen" geben nicht immer Auskunft. Das liegt in erster Linie daran, daß die betr. Mittelmeerländer, wo ein bestimmter Text herstammt, also vor allem Spanien (für Brasilien Portugal), volkskundlich eben noch nicht genügend durchforscht sind. Manch einer wird sich wundern, daß ich den aus Surinam, Westindien usw. stammenden Fabeln der dort lebenden N e g e r 1 einen so großen Platz eingeräumt habe. Einerseits entsprach das der Anlage dieses Werkes, überhaupt alles südund mittelamerikanische Material vorzulegen; andererseits jedoch spielt gerade in den Fabeln der afrogenen Bevölkerung Guayanas die Spinne eine so ausschlaggebende Rolle, daß fast der gesamte, ätiologische Motive bietende Stoff unter dieser Rubrik in ununterbrochenem Zusammenhange steht und eine geschlossene Vorstellung von der grotesken Phantasie der „schwarzen" Seele bietet, welche von der amerikanisch-autochthonen so ganz grundverschieden ist. Nun noch etwas über ein hier fortgelassenes, die Phantasie anregendes Umweltmotiv. Der Kosmos und seine Einwirkungen auf die menschlichen Vorstellungszentren nehmen bekanntlich einen wichtigen Raum im Geistesleben gerade der Primitiven ein, und auch in dem hier gewählten riesigen Gebiete unserer Erde können wir die interessantesten Erklärungen z. B. der Eklipsen, des Mondumlaufs mit seiner Beziehung zum Lauf der Sonne, des Wärmeunterschiedes beider Großgestirne u. dgl. aufzeigen, jedoch erschien es ratsam, diesen Stoff abzusondern und mit den Ansichten der Indianer über die anderen astralen Körper und Vorgänge zusammenzubringen, so daß alles vielleicht einmal später im Rahmen einer besonderen Studie vorgelegt werden kann. Erörtern wir nun die vorher nur gestreifte Frage, welche Stellung die ätiologischen Motive innerhalb der süd- und mittelamerikanischen Mythologie einnehmen. Als ich mich an die recht mühsame und zeitraubende Kärrnertätigkeit heranmachte, schwebte mir, ich weiß nicht warum, der Gedanke vor, daß diese 1

Diesbezüglich äußern sich die beiden Penard (Surinam folk-tales . . . p. 240) folgendermaßen: „As may be expected, many of the stories may be traced to African sources, naturally influenced by the New-World surroundings. A number are of undoubted European origin, retold with characteristic alterations and additions. There are also some which seem to have no exact counterpart elsewhere."

Vorbemerkungen

XI

Motive gewissermaßen Leitfossilien darstellen könnten, um mythologische Zonen besser abzugrenzen und. deren Ausläufer aufzuzeigen. Diese a priori gefaßte Ansicht hat sich nicht bestätigt. Gewiß, und das ist ganz natürlich, findet sich ein bestimmtes Motiv gelegentlich auch in der geographischen Nachbarschaft seines Habitat, das ist aber auch alles (man vgl. z. B. weiter unten die in das Gebiet der Tierfabel gehörige Erklärung dafür, warum der Hase lange Ohren hat, usw.). Was die Beziehungen der ätiologischen Motive zu den Mythen oder Erzählungen, in welchen sie sich finden anbelangt, so sind selbstverständlich die betr. Besonderheiten der Umwelt usw., das P r i m ä r e und haben erst V e r a n l a s s u n g zu einer Erklärung gegeben. Diese ist dann aber, wenigstens in der mittel- und südamerikanischen Mythologie, so geschickt ausgestaltet und vielfach in die kosmogonische Vorzeit verlegt, daß die, eine Deutung herausfordernden Elemente n u n mehr oder weniger in den Hintergrund treten und eine durchaus s e k u n d ä r e Rolle spielen, ja ganz fortfallen können. Falls vorhanden und vor allem, falls e x t r a als solche hervorgehoben, bilden sie gewissermaßen die Rosinen im Kuchen oder die Gewürzkörner, welche ein Gericht durchsetzen; daß die Würze auf dieses abgestimmt sein muß, ist selbstverständlich. So paßt es z. B. vollkommen in den Gang der Handlung vom Fällen des Weltbaumes (wie die Gatios glauben), wenn das Eichhorn hinaufgeschickt wird, um die Lianen zu durchnagen, welche die Baumkrone festhalten, so daß der Baum nicht zur Erde stürzen konnte. W e n n dieser nun, als dies endlich geschieht, dem Eichhorn den Rücken krumm schlägt, so ist das nur ein schmückender Zusatz, der ruhig fortbleiben könnte, ohne die weiteren Folgen des Baumsturzes — das Hervorkommen großer Wasserfluten und die Veränderung der Erdoberfläche mit allem Zubehör — zu beeinflussen. Schaltete man jedoch diesen Zug aus, so ginge damit zweifellos eine dekorative Einzelheit verloren, welche ein Glanzlicht in dem wundersamen Phantasiebilde der primitiven Seele darstellt. Meine Ansichten hinsichtlich der Beziehung der ätiologischen Motive zu den Mythen, in welche sie eingesprengt sind, decken sich also fast vollkommen mit denen des Ethnologen Waterman, welcher hinsichtlich Nordamerikas zu folgenden Resultaten k a m 1 : ,,We saw t h a t the interest of primitive man really centres in the things immediately around him in his environment. This is rendered fairly certain both by a consideration of what is explained and who are the actors and characters. Even where nature does enter into mythologies, the desire for e x p l a i n i n g does not seem to be the moving factor. The explanations, on the contrary, seem to be purely secondary to the story-plots. Explanatory tales do exist, and some tales may be based on the desire to explain. Such tales, however, do not by any means 1

Waterman, The explanatory element in folk-tales of the North-American Indians. The Journal of American Folk-Lore, XXVII, p. 40—41, Lancaster & New York 4914.

XII

Vorbemerkun gen

constitute the bulk of traditional literature to-day. In attempting, moreover, to decide which part of mythology, the explanatory or the non-explanatory, is the older and 'original' part, we must be governed by the consideration that many explanatory tales are not so by nature, but through accident and re-interpretation . . . In other words, as far as the present form of our mythical tales in North America is concerned, the story is the original thing, the explanation an after-thought".

Homo Im allgemeinen Menschen, After, Entstehung; Karaiben (Stamm Taulipáng), Brasilien (Roroimagebiet): s. Tiere, After vorhanden —, —; Maya, Guatemala (Dorf Gomalapa): Ein Mann, der sich vor einem Tiere, dessen zwei Junge er getötet hatte, auf einen Baum rettete, sichtete von dort ein Maisfeld. Er stieg hinunter und pflückte einen Kolben; da schrie das Maisfeld, dei Besitzer kam und der Mann wurde zur Bestrafung in das Dorf geschleppt. Hier aß er die lange aufgehäuften Maisfladen auf; das konnten nämlich die Leute dort nicht, weil sie keinen After zur Entleerung hatten. Sie baten ihn nun, jedem von ihnen einen solchen herzustellen; er wollte das aber nur gegen geldliche Entschädigung tun und wenn man ihm gestattete, die geeignete Medizin aus seinem Dorfe zu holen. Er öffnete nun (erst dem König vom Dorf der Lakandonen und dann den Übrigen ein wenig den Hintern und fuhr dann auf einer Kalebasse in sein Dorf zurück. — Schoembs, Material . . . p. 223-224, No. XV. —, altern und werden häßlich; Karaiben (Stamm Arekuná), Venezolanisch Guayana: Da der junge und hübsche Akalapizéima sich mit den Töchtern des Aasgeiers eingelassen hatte statt eine der Sonnentöchter zu heiraten, verließen ihn diese und er blieb unter den Aasgeiern alt und häßlich zurück. — KochGrünberg, Vom Roroima . . . II, p. 53. —, arm bzw. reich; Tepecanos, México (Azqueltán, Staat Jalisco): Der in der Arche vor der großen Flut gerettete Mann heiratete ein Mädchen, das er als 1

Das uns so befremdende Motiv, wonach früher Menschen und Tiere keinen After hatten, findet sich auch sonst in der mittel- und südamerikanischen Mythologie. Von den mythologischen Figuren der Uitoto in Columbien wird das Fehlen und die Herstellung eines Anus genau geschildert (Preuß, Religion . . . p. 95f., 599—602, dazu die lunare Erklärung p. 119). Nach den Catio Columbiens hatten die Leute des Jenseits, wohin der Weltbaum (mit dem Heros im Gipfel) stürzte, keinen After und ernährten sich nur von dem Dunste der gekochten Chontaduros (Nociones . . . p. 101). Die Cakchiquel von San Juan Sacatepequez in Guatemala fabeln von den sagenhaften Ch'oli; das „sind Menschenfresser, sie töten ihre Kinder und braten sie im Frijol. Sie kommen in hohlen Bäumen zur Welt, ihre Hautfarbe ist die der Indianer und es gibt bei ihnen ein männliches und weibliches Geschlecht. Statt der Hunde halten sie die Chompipes (zahme Truthühner). Ihre hervorstechendste Eigenschaft aber ist der Mangel eines Afters, sie werden demgemäß nicht als rechte Menschen betrachtet" (Stoll, Guatemala, Reisen und Schilderungen aus den Jahren 1878—1883, p. 212, Leipzig 1886). Verwandt mit der Vorstellung von dem ursprünglich fehlenden After ist die vom ursprünglichen Fehlen der Geschlechtsteile. Das erzählten die Taino auf Haiti, vgl. u. a. Frauen, Geschlechtsteil vorhanden. 1

Lehmann-Nitschet.

Südamerika!!. Mythologie

2

Homo

Hündchen in seinem Hause traf und dessen Fell er verbrannte. Die beiden hatten vierundzwanzig Kinder. Die ersten zwölf brachte der Vater zu Gott, damit er ihnen Kleider gäbe, die übrigen zwölf mußten zu Hause bleiben. Von der ersten Gruppe stammen die reichen Leute, von der zweiten die armen; diese mußten arbeiten, um sich Kleidung zu verschaffen. — Mason, Folk-tales . . . p. 164. —, Finger und Zehen mit Gelenken versehen; Kariri, Brasilien (nördlich vom Rio Säo Francisco, Pernambuco): Als nach der Fällung des Weltbaumes (s. Kröte, Rückenhaut. . .) die auf ihm vorher in den Himmel gekletterten Menschen nicht wieder auf die Erde zurück konnten, ließen sie sich an einem Seile herunter; doch das war zu kurz, sie stürzten ab und zerbrachen sich die Knochen. Seitdem haben wir die Finger und Zehen „rompus en tant d'endroits", und „plionsle corps". — Martin de Nantes, Histoire . . . p. 174; auch abgedruckt von Wassén, Cuentos . . . p. 126. —, Fingernägel kurz; Toba, östlicher Chaco: Als die Menschen die in die Erdtiefe gestürzte Frau ausgruben, verbrauchten sich ihre Nägel, die früher ganz lang gewesen waren; so ist wenigstens aus dem Texte zu erschließen. — Lehmann-Nitsche, Mitología . . . VI, p. 284. —, nicht gefressen von der Schlange Boa; Mosetene, Bolivien: s. Schlange Boa, frißt keine Menschen. —, fürchten sich vor dem Regen; Karaiben (Stamm Taulipáng), Brasilien (Roroimagebiet): s. Jaguar, nicht gefürchtet von den Menschen. —, fürchten sich nicht vor dem Jaguar; Karaiben (Stamm Taulipáng), Brasilien (Roroimagebiet): s. Jaguar, nicht gefürchtet von den Menschen. —, Haare rot (bei einigen); Caxinauá, Brasilien (Rio Ibuaijú): Der Tuxáua (Stammvater) der Blitzleute hatte einen kahlen, roten Kopf; daher sind seine Kinder rothaarig. (Offenbar handelt es sich hier um Fälle von Albinismus, bei welchen das Haar, da so wie so äußerst pigmentreich — Indianer! — nicht farblos, d. h. weiß, sondern schmutzig gelb ist). — Abreu, A lingua . . . No. 4917—19. —, Haut braun (bei den Indianern); Caxinauá, Brasilien (Rio Ibua