Studien zur Praxis der Übersetzung antiker Literatur: Geschichte – Analysen – Kritik 9783110422085, 9783110426496

This volume is a collection of studies on the translation of Greek and Latin authors (Sappho, Alcaeus, Thucydides, Herod

226 26 5MB

German Pages 423 [424] Year 2015

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Table of contents :
Vorwort
Inhalt
Alkaios Fr. 129 und Sappho Fr. 94 Voigt: Wie übersetzt man Gedichtfragmente?
Prosastile und Übersetzungsstrategien: Zur Geschichte und zum Verhältnis deutscher Thukydides- und Herodot-Übersetzungen
»Haben wir Deutsche Ciceronen?« Zur Rolle von Übersetzungen der Reden Ciceros für die deutsche Rhetorik
Ovids Verwandlungen verteutscht. Übersetzungen der Metamorphosen seit dem Mittelalter und der Frühen Neuzeit bis zum Ende des 20. Jahrhunderts
Die Freigelassenengespräche der Cena Trimalchionis. Deutschsprachige PetronÜbersetzungen vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart
Deutsche Übersetzungen der Metamorphosen des Apuleius seit 1780
Reflexionen über ein mögliches Instrumentarium zur Analyse von Übersetzungen griechischer und lateinischer Texte
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Studien zur Praxis der Übersetzung antiker Literatur: Geschichte – Analysen – Kritik
 9783110422085, 9783110426496

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Studien zur Praxis der Übersetzung antiker Literatur

Transformationen der Antike

Herausgegeben von Hartmut Böhme, Horst Bredekamp, Johannes Helmrath, Christoph Markschies, Ernst Osterkamp, Dominik Perler, Ulrich Schmitzer

Wissenschaftlicher Beirat: Frank Fehrenbach, Niklaus Largier, Martin Mulsow, Wolfgang Proß, Ernst A. Schmidt, Jürgen Paul Schwindt

Band 35

De Gruyter

Studien zur Praxis der Übersetzung antiker Literatur Geschichte  Analysen  Kritik

Herausgegeben von

Josefine Kitzbichler und Ulrike C. A. Stephan

De Gruyter

Gedruckt mit Mitteln, die die Deutsche Forschungsgemeinschaft dem Sonderforschungsbereich 644 »Transformation der Antike« zur Verfügung gestellt hat.

ISBN 978-3-11-042649-6 e-ISBN (PDF) 978-3-11-042208-5 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-042215-3 ISSN 1864-5208 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.  2016 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Einbandgestaltung: Martin Zech, Bremen Logo »Transformationen der Antike«: Karsten Asshauer  SEQUENZ Druck und Bindung: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen  Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com

Vorwort Der Beitrag der Klassischen Philologie zum Programm des Sonderforschungsbereichs »Transformationen der Antike« bestand seit dem Beginn der Arbeit im Jahre 2005 in der Beschäftigung mit der Übersetzung antiker Literatur ins Deutsche. Hierfür wurde das Teilprojekt »Übersetzung der Antike« systematisch konzipiert. Mit der evidenten Zugehörigkeit dieser Thematik zu der übergreifenden interdisziplinären Fragestellung des SFB verband sich der Umstand, dass bereits vorher im Institut für Klassische Philologie der Humboldt-Universität damit begonnen worden war, Übersetzung aus eigenem, disziplinärem Interesse, das sich aus der Beobachtung eines aktuell stattfindenden Wandels von deren Funktion entwickelt hatte, zum Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchung zu machen. Die Gründung des Sonderforschungsbereichs und bereits aufgenommene Aktivitäten trafen somit günstig zusammen. Die angesprochene Aktualität des Themas besteht darin, dass Übersetzungen antiker Texte in der heutigen Zeit im Bewusstsein der Öffentlichkeit mehr und mehr die Stelle der Originale einnehmen, nicht nur im kulturellen Leben allgemein, sondern auch dort, wo Wissenschaftsdisziplinen auf antike Quellentexte, z. B. aus Geschichtsschreibung und Philosophie, angewiesen sind. Übersetzungen avancieren so selbst zu Objekten von Interpretation und Auswertung. Diese Entwicklung liegt nicht einfach nur an einem Rückgang der erforderlichen Fremdsprachenkenntnisse, sondern auch, ja vor allem an einem gesunkenen Problembewusstsein, mit der Konsequenz, Original und Übersetzung als weitgehend gleichrangig aufzufassen.1 Doch muss, wer Übersetzungen als Ersatz für die Originale nimmt, sich darüber im Klaren sein, dass ihr diesbezüglicher Wert im Einzelnen höchst unterschiedlich ausfällt. Hierfür ein Bewusstsein zu wecken und bei der Beurteilung der Eigenart und des Wertes von Übersetzungen ins Deutsche Hilfestellung zu geben, wäre, so drängt sich auf, am ehesten von der Klassischen Philologie im deutschsprachigen Raum zu leisten. Doch diese war, so die seinerzeitige Diagnose, der Aufgabe bislang kaum nachgekommen, obwohl doch die Konzeption eines die spezifischen Eigenschaften des Originals erschließenden Übersetzens einst gerade in Deutschland entwickelt, erprobt und theoretisch ausgearbeitet wurde. Ihre Begründer waren um 1800 Johann Heinrich Voß, Friedrich Schleiermacher und Wilhelm von Humboldt, neu belebt wurde sie anderthalb Jahrhunderte später, seit der Mitte des 20. Jahrhundert, von Wolfgang Schadewaldt. Mit dieser Konzeption wurde dem spezifischen Umstand Rechnung 1

Auf eine Folgeerscheinung in der gegenwärtigen Praxis der Bühneninszenierung griechischer Tragödien weist Flashar (2014), 555 f., hin: »Beliebt sind Kombinationen und Mixturen mehrerer stark gekürzter Dramen zu einem Erzählzusammenhang«, wobei es »von untergeordneter Bedeutung [ist], aus welchen Übersetzungen der gespielte Text zusammengestellt ist«.

Vorwort

getragen, dass bei der Übersetzung antiker Literatur ein großer zeitlicher und kultureller Abstand zu überbrücken war, der aber als solcher bewusst gehalten werden sollte. Diese Sonderstellung verschaffte der Übersetzung antiker Literatur eine prominente Bedeutung innerhalb der gesamten deutschen Übersetzungsliteratur. Heute, in Anbetracht der geschilderten Situation, stellt sich die Besinnung auf diese Fragen von Neuem als relevant, ja notwendig dar. Grund genug also – so der beherrschende Eindruck, als der Beitrag der Klassischen Philologie zum Sonderforschungsbereich zu bestimmen war – , nunmehr in diesem Verbund auf die Probleme von Theorie und Praxis der Übersetzung antiker Texte zurückzukommen. Für die erste Förderperiode des Sonderforschungsbereichs (2005–2008) wurde unter der Projektleitung von Wolfgang Rösler und Ulrich Schmitzer die Aufarbeitung der Geschichte der Übersetzungstheorie seit 1800, soweit sie im Rahmen der Übersetzung antiker Texte entwickelt wurde, in Angriff genommen. Die Absicht war, die Gesamtentwicklung der Theorie, die von erheblichen Wandlungen der Übersetzungsideale und -ziele gekennzeichnet war, bis zur Gegenwart darzustellen und in diesem Zusammenhang auch die übersetzungstheoretischen Quellentexte, die oft an heute entlegenen Orten publiziert sind, neu verfügbar zu machen. Die Ergebnisse der Arbeit wurden dann vor allem in den beiden Gemeinschaftswerken von Josefine Kitzbichler, Katja Lubitz und Nina Mindt vorgelegt.2 Damit war – abgesehen von der eigenständigen Bedeutung dieses Forschungsertrages – zugleich eine wesentliche Grundlage für die Weiterführung des Projekts geschaffen, das sich in der zweiten Förderperiode (2009–2012) unter gleicher Projektleitung nunmehr der Analyse und Kritik von Übersetzungen aus demselben Zeitraum zuwandte. Es sollte nun untersucht werden, in welcher Wechselbeziehung Praxis und Theorie des Übersetzens in den verschiedenen Entwicklungsphasen standen. Dabei legte die Fokussierung auf die Praxis vor allem die Vorgehensweise nahe, die jeweils ausgewählten Übersetzungen mit den maßgeblichen übersetzungstheoretischen Paradigmen der betreffenden Zeit abzugleichen. Indes erfolgte die Hinwendung zu Übersetzungsanalyse und -kritik nicht allein unter einem historischen Blickwinkel. Es ging angesichts der Erfordernisse der gegenwärtigen Situation auch darum, einen Beitrag zur Entwicklung und Erprobung eines übersetzungsanalytischen und -kritischen Instrumentariums zu leisten, das auch für die notwendige Evaluation heutiger und künftiger Übersetzungen brauchbar ist. Dies verlangte der Arbeitsgruppe einen nicht unerheblichen theoretischen und methodischen Aufwand ab. Da die Klassische Philologie über kein ausgearbeitetes, allgemein anwendbares Konzept zur Analyse von Übersetzungen antiker Texte verfügt, musste zunächst in beträchtlichem Umfang Grundlagenarbeit geleistet werden. Dabei waren einerseits die im Fach selbst und in angrenzenden Disziplinen vorhandenen Ansätze zu integrieren, andererseits konnte inzwischen auf Anregungen und ge2

Kitzbichler/Lubitz/Mindt (2009a und b). Vgl. Harbsmeier/Kitzbichler/Lubitz/Mindt (2008), Mindt (2008) und Kitzbichler (2014). Zu Voß ist besonders auf den unter Beteiligung von Mitgliedern der Arbeitsgruppe verfassten Sammelband von Baillot/Fantino/Kitzbichler (2015) zu verweisen.

Vorwort

meinsam erzielte Ergebnisse Bezug genommen werden, die bei der übergreifenden Theoriediskussion im Sonderforschungsbereich zur Beschreibung und Analyse von Transformationsprozessen gewonnen worden waren. Nachdem für den SFB in seiner Anfangsphase, wie der Band der ersten Jahrestagung dokumentiert, Übersetzung noch lapidar als eine exemplarische Transformation gegolten hatte,3 wurde sein theoretisches Instrumentarium zur Analyse von Transformationen nunmehr ausdifferenziert4 und mit dem Begriff »Allelopoiese« sein Grundgedanke prägnant bezeichnet: Allelopoiese beschreibt solche kulturell situierten Akte, in denen das, was als Gegenstand der Antike kommuniziert wird, überhaupt erst erzeugt oder zumindest modelliert werden muss, um als Kommunikat in der jeweils gegenwärtigen Kultur wirksam gemacht zu werden.5

Damit stellte sich auch die Aufgabe der Übersetzungsanalyse insofern neu, als einerseits die Übersetzungstypologie zu den Typen und Modi der Transformation in Beziehung gesetzt werden musste, andererseits Übersetzung als ein Sonderfall der alleloipoetischen Transformation klarer gefasst werden konnte. Übersetzung bezieht sich nach diesem Verständnis nicht einfach re-konstruierend, interpretierend, ergänzend oder modifizierend auf einen als fraglos gegeben angesetzten antiken Sachverhalt, sondern erschafft einen neuen Gegenstand in der Zielsprache, dessen Struktur und Semantik mit dem antiken zwar in (möglichst) enger Korrelation stehen sollte, der aber doch Eigenständigkeit besitzt und in Konkurrenz um Aufmerksamkeit und Geltung mit der sprachlich-literarischen Produktion der Zielkultur steht. Zugleich wird durch die Selektion der für den Zieltext als relevant erachteten Merkmale jeweils auch der antike Bezugstext neu gelesen, beleuchtet, akzentuiert und damit, wie man sagen kann, seinerseits verändert: Ein oft – zumal wenn auch gut, im Sinne nachhaltiger Wirkung − übersetzter Text ist danach eben ein anderer Text als ein nicht oder nur unzureichend übersetzter. Die spezifische Transformation der Übersetzung bezieht ihre Problematik, nicht minder aber ihren Reiz aus der Spannung zwischen höchster Bindung an das im Verstehen zu rekonstruierende kulturelle Objekt der Ausgangssprache und dessen Darstellung in einem neu geschaffenen, ebenso komplexen kulturellen Produkt in der Zielsprache. Näheres zu den Ergebnissen des in der Arbeitsgruppe entwickelten Instrumentariums zur Analyse von Übersetzungen griechischer und lateinischer Texte findet sich am Ende des vorliegenden Bandes in dem von Thomas Poiss (in Zusammenarbeit mit Josefine Kitzbichler und Enrica Fantino) verfassten Beitrag. Seine ursprüngliche interne Bezeichnung als »Vademecum« wäre geeignet, noch stärker die Erwartung von nach einer verbindlichen Methodik gearbeiteten, uniformen Analysen zu wecken, auf die der Leser des Bandes sich einzustellen hätte. Tatsächlich ist aber eher das Gegenteil der Fall. Von den Anregungen aus der Theoriearbeit wurde in durchaus 3 4 5

Böhme (2007), IX: »Man kann die Übersetzung als den elementaren Mechanismus von Transformation verstehen.« Bergemann/Dönike/Schirrmeister/Toepfer/Walter/Weitbrecht (2011). Böhme in: Böhme et al. (2011), 15; vgl. Bergemann et al. (2011), 39 f.

Vorwort

unterschiedlicher Weise Gebrauch gemacht, wobei individuelle Prägungen und Präferenzen, aber auch die verschiedenartigen Erfordernisse maßgeblich waren, die aus unterschiedlichen Textsorten und Themenstellungen erwuchsen. Bei der Auswahl der in diesem Band behandelten Texte musste aufgrund der immensen Fülle vorhandener Übersetzungsliteratur äußerst selektiv verfahren werden. Doch war andererseits sicherzustellen, dass zentrale Bereiche der antiken Literatur erfasst und ebenso Versdichtung wie Prosaliteratur repräsentiert wurden. Der vorliegende Band vereinigt Untersuchungen, die in Anwendung dieses Prinzips Übersetzungen signifikanter Teilgebiete der antiken Literatur behandeln. Für die Reihenfolge im Band war die chronologische Abfolge der antiken Texte maßgeblich. Als Monographien sollen noch die im Manuskript abgeschlossenen Arbeiten zu Thukydides-Übersetzungen vom 18. bis zum 20. Jahrhundert (Johann Martin Thesz) und zum jungen Johann Heinrich Voß als Übersetzer von Pindar und Horaz (Enrica Fantino)6 sowie eine in Vorbereitung befindliche Arbeit über Homer-Übersetzungen vor allem im 19. Jahrhundert hinzukommen. Zunächst beiseitegelassen wurden aus Gründen der Arbeitsorganisation die dramatischen Gattungen, Tragödie und Komödie, die aber im dritten, seit 2013 laufenden Förderzeitraum behandelt werden. Am Schluss dieses Vorwortes kann, nicht ohne eine gewisse Genugtuung, darauf hingewiesen werden, dass das Interesse an einer wissenschaftlichen Beschäftigung mit Übersetzungen antiker Literatur im vergangenen Jahrzehnt im deutschen Sprachraum erkennbar zugenommen hat.7 Bei dieser Entwicklung mag eine Rolle spielen, dass »Übersetzung« als allgemeine Bezeichnung für interkulturelle Transferprozesse im gleichen Zeitraum in den Fokus kulturwissenschaftlichen Interesses gerückt ist und in diesem Zusammenhang sogar von einem »translational turn« gesprochen wurde,8 woraus eine beträchtliche Ausstrahlung des Begriffs erwuchs. Wichtiger dürften jedoch Impulse sein, die von einschlägigen Aktivitäten im Ausland, speziell im angloamerikanischen Bereich, ausgehen, mit denen letztlich auf ähnliche kulturelle Entwicklungen und Herausforderungen reagiert wird, wie sie eingangs für den deutschen Sprachraum konstatiert wurden.9 Für seine Mitarbeit an diesem Vorwort danken wir Thomas Poiss, auf den die Ausführungen zur Theorie der Übersetzungsanalyse zurückgehen. Die redaktionelle und editorische Betreuung des Bandes lag in den Händen von Josefine Kitzbichler und Ulrike Stephan, denen die studentischen Hilfskräfte Julia Heideklang und Jessica Casties tatkräftig zur Seite standen. Um die englische Über6

7

8 9

Bei beiden Arbeiten handelt es sich um Dissertationen, die in inzwischen abgeschlossenen Promotionsverfahren an der Humboldt-Universität (Thesz) bzw. an der Universität Leipzig (Fantino) angenommen wurden. Zu erwähnen ist insbesondere die Innsbrucker Pontes-Tagung, die sich 2007 unter einem allgemeinen vermittlungs- bzw. rezeptionsgeschichtlichen Blickwinkel dem Thema »Übersetzung als Vermittlerin antiker Kultur« widmete und aus der ein Tagungsband von über 400 Seiten Länge hervorging: Kofler/Schaffenrath/Töchterle (2009). Bachmann-Medick (2009), 238–283. Vgl. Lukas/Olszewska/Turska (2013). Dies kann hier nicht näher dokumentiert werden, doch sei als Beispiel wenigstens auf den Sammelband von Lianeri/Zajko (2008) und dort besonders auf den Beitrag von Hall hingewiesen.

Vorwort

setzung der Abstracts machten sich Orla Mulholland und Johann Martin Thesz verdient. Allen gilt unser herzlicher Dank. Wolfgang Rösler Ulrich Schmitzer

Literaturverzeichnis Bachmann-Medick, Doris, Cultural Turns. Neuorientierungen in den Kulturwissenschaften, 3. Aufl., Reinbek 2009. Baillot, Anne/Fantino, Enrica/Kitzbichler, Josefine (Hgg.), Voß ’ Übersetzungssprache. Voraussetzungen, Kontexte, Folgen (Transformationen der Antike, Bd. 32), Berlin/Boston 2014. Bergemann, Lutz/Dönike, Martin/Schirrmeister, Albert/Toepfer, Georg/Walter, Marco/Weitbrecht, Julia, »Transformation. Ein Konzept zur Erforschung kulturellen Wandels«, in: Böhme et al. (2011), 39−56. Böhme, Hartmut, »Vorwort«, in: Hartmut Böhme/Christof Rapp/Wolfgang Rösler (Hgg.), Übersetzung und Transformation (Transformationen der Antike, Bd. 1), Berlin/New York 2007, V–XIII. Böhme, Hartmut/Bergemann, Lutz/Dönike, Martin/Schirrmeister, Albert/Toepfer, Georg/Walter, Marco/Weitbrecht, Julia (Hgg.), Transformation, München 2011. Flashar, Hellmut, »Inszenierung der Antike. Supplement II«, in: Gymnasium 121 (2014), 555–579. Hall, Edith, »Navigating the realms of Gold: Translation as Access Route to the Classics«, in Lianeri/Zajko (2008), 315–340. Harbsmeier, Martin/Josefine Kitzbichler/Katja Lubitz/Nina Mindt (Hgg.), Übersetzung antiker Literatur. Funktionen und Konzeptionen im 19. und 20. Jahrhundert (Transformationen der Antike, Bd. 7), Berlin/New York 2008. Kitzbichler, Josefine/Katja Lubitz/Nina Mindt, Theorie der Übersetzung antiker Literatur in Deutschland seit 1800 (Transformationen der Antike, Bd. 9), Berlin/New York 2009a. Kitzbichler, Josefine/Katja Lubitz/Nina Mindt (Hgg.), Dokumente zur Theorie der Übersetzung antiker Literatur in Deutschland seit 1800 (Transformationen der Antike, Bd. 10), Berlin/New York 2009b. Kitzbichler, Josefine, Poetische Vergegenwärtigung, historische Distanz. Johann Gustav Droysens Aristophanes-Übersetzung (1835/38) (Transformationen der Antike, Bd. 30), Berlin/Boston 2014. Kofler, Wolfgang/Florian Schaffenrath/Karlheinz Töchterle, Pontes 5: Übersetzung als Vermittlerin antiker Literatur (Comparanda, Bd. 11), Innsbruck/Wien/Bozen 2009.

Vorwort

Lianeri, Alexandra/Vanda Zajko (Ed.), Translation and the Classic. Identity as Change in the History of Culture, Oxford 2008. Lukas, Katarzyna/Izabela Olszewska/Marta Turska (Hgg.), Translation im Spannungsfeld der cultural turns, Frankfurt a. M. 2013. Mindt, Nina, Manfred Fuhrmann als Übersetzer der Antike. Ein Beitrag zu Theorie und Praxis des Übersetzens (Transformationen der Antike, Bd. 5), Berlin/NewYork 2008.

Inhalt Vorwort ............................................................................................................................... V WOLFGANG RÖSLER Alkaios Fr. 129 und Sappho Fr. 94 Voigt: Wie übersetzt man Gedichtfragmente? ... 1 JOHANN MARTIN THESZ Prosastile und Übersetzungsstrategien: Zur Geschichte und zum Verhältnis deutscher Thukydides- und Herodot-Übersetzungen ................................................ 63 NINA MINDT »Haben wir Deutsche Ciceronen?« Zur Rolle von Übersetzungen der Reden Ciceros für die deutsche Rhetorik ...................................................................... 89 ULRICH SCHMITZER Ovids Verwandlungen verteutscht. Übersetzungen der Metamorphosen seit dem Mittelalter und der Frühen Neuzeit bis zum Ende des 20. Jahrhunderts ....... 113 ANTONIA RENZ Die Freigelassenengespräche der Cena Trimalchionis. Deutschsprachige PetronÜbersetzungen vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart .......................................... 247 ULRIKE C. A. STEPHAN Deutsche Übersetzungen der Metamorphosen des Apuleius seit 1780 .................... 277 THOMAS POISS / JOSEFINE KITZBICHLER / ENRICA FANTINO Reflexionen über ein mögliches Instrumentarium zur Analyse von Übersetzungen griechischer und lateinischer Texte ........................................... 361 Register ............................................................................................................................. 403

Alkaios Fr. 129 und Sappho Fr. 94 Voigt: Wie übersetzt man Gedichtfragmente? WOLFGANG RÖSLER Die Übersetzung poetischer Texte war längst ein zentraler Bereich der Übersetzung griechischer (wie römischer) Literatur, als eine Herausforderung auftrat, aus der ganz neue Bedingungen für übersetzerische Tätigkeit erwuchsen. Denn mit dem Auffinden fragmentarischer Texte im ägyptischen Wüstensand, die vor allem auf Resten antiker Papyrusrollen überliefert waren, und der folgenden Edition der Funde gab es nunmehr Objekte, die nur teilweise kohärenten Wortlaut besaßen und sich vielfach als Ansammlung von bloßen Wort- und Buchstabenresten darstellten. Solche Fragmente unterschieden – und unterscheiden – sich auch fundamental von der anderen Erscheinungsform des Fragments, die es seit jeher gegeben hatte: dem erhaltenen antiken Zitat aus einem Text, der selbst nicht erhalten ist. Zitatfragmente bewirken keine speziellen Probleme des Übersetzens, sie sind üblicherweise innerhalb ihrer Grenzen kohärent. Die naheliegende Frage, warum Papyrusfragmente in Anbetracht ihres defizitären Charakters dann überhaupt eine nennenswerte Bedeutung als Objekte des Übersetzens gewinnen konnten, erklärt sich leicht aus der Lückenhaftigkeit der Überlieferung griechischer Dichtung. Vor allem ist ein äußerst wichtiger Bereich, die frühe griechische Lyrik, lediglich in sehr geringem Umfang durch mittelalterliche handschriftliche Überlieferung bewahrt worden (es handelt sich um die Epinikien Pindars); Zitatfragmente fallen dagegen kaum ins Gewicht, wobei allerdings zwei bedeutende Gedichte Sapphos, die Ode an Aphrodite und das seit jeher im Zentrum der Sappho-Interpretation stehende Gedicht Φαίνεταί μοι κῆνος Ausnahmen bilden. Jedenfalls wurde frühe griechische Lyrik in einer gewissen Breite überhaupt erst kenntlich, als ab der Mitte des 19. Jahrhunderts relevante Papyrusfunde vorlagen und diese dann – zunächst mit einiger Verzögerung – auch übersetzt wurden. (Der hierbei zutage tretende spezielle ästhetische Reiz des Fragmentarischen ließ sich sogar poetisch imitieren, wie Ezra Pounds Gedicht »Papyrus« von 1916 zeigt.1) Der erste spektakuläre Text, der auf diese Weise ans Licht kam, war das 1855 in Ägypten erworbene und 1863 publizierte umfang1

Erschienen in der Sammlung Lustra von Pound (London 1916, S. 49). Der aus lediglich vier Wörtern bestehende Text basiert auf dem Anfang von Sappho Fr. 95 Voigt, das demselben Pergamentcodex entstammt (strenggenommen also kein »Papyrus« ist) wie das unten behandelte Fr. 94: »Spring … / Too long … / Gongula … «. Zu dem Eigennamen eines Mädchens aus Sapphos Kreis tritt in den beiden vorausgehenden Zeilen die tentative Wiedergabe zweier Buchstabengruppen jeweils am Zeilenbeginn. Die lyrische Spannung, die durch die wenigen Wörter und den Assoziationen freisetzenden Raum des Nichterhaltenen aufgebaut wird, begründet den Reiz des Gedichts.

Wolfgang Rösler

reiche Lied für einen Mädchenchor des in Sparta wirkenden Dichters Alkman. Die erste umfassende Übersetzung dieses – allerdings auch äußerst komplizierten – Textes ins Deutsche erschien dann freilich erst 70 Jahre nach der Editio princeps (Dornseiff [1933]). Im folgenden Beitrag wird anhand zweier Gedichtfragmente von Alkaios (Fr. 129 Voigt, Erstpublikation 1941) und Sappho (Fr. 94 Voigt, Erstpublikation 1902) exemplarisch untersucht, wie die beiden Texte, nachdem sie zunächst Objekte fachwissenschaftlicher Entzifferung und Exegese gewesen waren (was sie weiterhin blieben), auch durch Übersetzungen erschlossen und vermittelt wurden. Die beiden Beispiele wurden deswegen ausgewählt, weil das jeweils fragmentarisch Erhaltene – es stammt im einen wie im anderen Fall aus dem Inneren eines Gedichts, dessen Textanfang und -ende nicht überliefert sind – nicht ohne weiteres zu erkennen gibt, innerhalb einer wie beschaffenen Gedichtform bzw. eines wie beschaffenen Gedichtaufbaus es situiert war. Für dieses Problem aber muss ein Übersetzer sich interessieren; er muss eine begründete Vorstellung vom Kontext zu gewinnen versuchen, in dem das als Fragment Überlieferte sich ursprünglich befunden hat. Wie die Absicht, Erschließung und Vermittlung zweier Lyrik-Fragmente anhand ihrer Übersetzungen untersuchen zu wollen, nahelegt, ist der – doppelsinnige – Titel dieses Beitrages vor allem deskriptiv, weniger präskriptiv gemeint. Doch liegt es in der Natur eines Durchganges durch eine Reihe von Übersetzungen, dass sich über die gemachten Beobachtungen fast zwangsläufig Überlegungen einstellen, wie besser verfahren bzw. was besser vermieden worden wäre. Es wäre somit nicht unerwünscht, wenn sich dem Leser im Ergebnis seiner Lektüre auch individuelle Anregungen für eigene künftige Übersetzungspraxis ergeben würden.

Alkaios Alkaios Fr. 129 wurde während des Zweiten Weltkrieges im 18. Band der Oxyrhynchus-Papyri von Edgar Lobel ediert (Lobel/Roberts/Wegener [1941]), zusammen mit dem nicht minder bedeutenden Alkaios-Fragment 130b vom selben Papyrus. Lobel legte dann 1955 zusammen mit Denys Page eine Ausgabe aller erhaltenen Texte von Sappho und Alkaios vor, die mehrfach nachgedruckt wurde und kanonischen Rang gewann (Lobel/Page [1955]). Ihr folgt weitgehend die Ausgabe von EvaMaria Voigt (Voigt [1971]), die seit ihrem Erscheinen die Referenzausgabe darstellt.2 Aus der Folgezeit ist schließlich die Ausgabe von Gauthier Liberman (1999) zu nennen, die mit einer Übersetzung ins Französische versehen ist. Nur vorübergehende Bedeutung im Deutschland der späten Kriegs- und unmittelbaren Nachkriegszeit erlangte dagegen die 1944 im Rheinischen Museum erschienene, von Ernst Diehl besorgte Ausgabe der Sappho und Alkaios betreffenden Fragmente eben aus Band 18 der Oxyrhynchus-Papyri (Diehl [1944]), die den Text von Fr. 129 in einer Zeit verfügbar 2

Nach der Zählung dieser Ausgabe werden sämtliche Alkaios- und Sappho-Fragmente in dem vorliegenden Beitrag zitiert.

Alkaios Fr. 129 und Sappho Fr. 94 Voigt

machte, als die Versorgung mit im Ausland erschienener Literatur daniederlag. Sie ist aber hier zu beachten, da sich die frühen Übersetzungen überwiegend auf sie stützen. Zunächst zum Text des in seinem äußeren Umfang erschließbaren Gedichts, das im Versmaß der Alkäischen Strophe verfasst ist. Am Ende ist nach den sieben hier wiedergegebenen Strophen noch der Raum einer weiteren Strophe fassbar, zwar ohne entzifferbaren Text, doch mit einer nachfolgenden klar erkennbaren Koronis, dem antiken Zeichen für Gedichtende. Das Gedicht umfasste also, wenn man die dritten und vierten Zeilen jeder Strophe, auch wenn sie metrisch zusammengehören, entsprechend antiker wie moderner Editionspraxis getrennt zählt, 32 Zeilen. Dass die erste Zeile des Fragments auch die erste Zeile des Gedichts bildet, wird sich im Weiteren durch Interpretation mit Gewissheit herausstellen. Bei der Wiedergabe des griechischen Textes kann von einer allzu detaillierten Dokumentation des Überlieferungsbefundes, wie sie die wissenschaftlichen Ausgaben bieten, Abstand genommen werden. Zur Geltung gebracht wird der Maßstab, nach dem auch in einer zweisprachigen Ausgabe das Entscheidende darzustellen ist: der fragmentarische Zustand des Textes in seinen wesentlichen Zügen (unter Hinzufügung sicher erscheinender Ergänzungen), angezeigt durch eckige Klammern sowie Punkte, die ausgefallene Buchstaben bezeichnen (die Unterscheidung gegenüber dem Punkt als Satzzeichen ergibt sich unschwer aus dem Zusammenhang).3 Der folgende Text ist weitestgehend identisch mit dem der Editio princeps und längst als Standardtext des Gedichts etabliert – an ihm hat sich konsequentermaßen die vorzunehmende Übersetzungsanalyse zu orientieren (wobei es allerdings zu berücksichtigen ist, wenn einer Übersetzung im Einzelfall ein abweichender Ausgangstext zugrunde gelegen hat):

4

].ρα.α τόδε Λέσβιοι ]….εὔδειλον τέμενος μέγα ξῦνον κά[τε]σσαν, ἐν δὲ βώμοις ἀθανάτων μακάρων ἔθηκαν

8

κἀπωνύμασσαν ἀντίαον Δία σὲ δ᾽ Αἰολήιαν [κ]υδαλίμαν θέον πάντων γενέθλαν, τὸν δὲ τέρτον τόνδε κεμήλιον ὠνύμασσ[α]ν

Ζόννυσσον ὠμήσταν. ἄ[γι]τ᾽ εὔνοον θῦμον σκέθοντες ἀμμετέρα[ς] ἄρας ἀκούσατ᾽, ἐκ δὲ τῶν[δ]ε μόχθων 12 ἀργαλέας τε φύγας ῤ[ύεσθε· τὸν ῎Υρραον δὲ πα[ῖδ]α πεδελθέτω κήνων �[ρίννυ]ς ὤς ποτ᾽ ἀπώμνυμεν τόμοντες ἄ..[ ]ν.. 16 μηδάμα μηδ᾽ ἔνα τὼν ἐταίρων

3

Eine entsprechende Praxis z. B. in der zweisprachigen Sammlung von Latacz (1991); Fr. 129: ebd. 374–377.

Wolfgang Rösler ἀλλ᾽ ἢ θάνοντες γᾶν ἐπιέμμενοι κείσεσθ᾽ ὐπ᾽ ἄνδρων οἲ τότ᾽ ἐπικ..ην ἤπειτα κακκτάνοντες αὔτοις 20 δᾶμον ὐπὲξ ἀχέων ῤύεσθαι. κήνων ὀ φύσγων οὐ διελέξατο πρὸς θῦμον, ἀλλὰ βραϊδίως πόσιν ἔ]μβαις ἐπ᾽ ὀρκίοισι δάπτει 24 τὰν πόλιν ἄμμι δέδ[ ].ί.αις οὐ κὰν νόμον [·]ον..[ γλαύκας ἀ[ γεγρά.[ 28 Μύρσιλ[ο

Die erste deutsche Übersetzung des Gedichts legte der Schriftsteller Manfred Hausmann vor. Sie erschien zunächst 1946 im 2. Band der von Bruno Snell gegründeten Zeitschrift Antike und Abendland 4 und dann wieder 1948 in Hausmanns bei Suhrkamp verlegter Sammlung Das Erwachen. Lieder und Bruchstücke der griechischen Frühzeit 5. Die Vorgeschichte sei kurz ausgeführt. Sie wirft ein Licht auf die Bedingungen des Kulturbetriebes um 1945. Hausmann hatte sich seit einiger Zeit der Übersetzung griechischer, vor allem lyrischer Dichtung zugewandt, wozu er als Schüler des renommierten altsprachlichen »Königlichen Gymnasiums« in Göttingen (nach dem Zweiten Weltkrieg »Max-Planck-Gymnasium«) eine fachliche Grundlage erhalten hatte.6 Snell, der von dieser Aktivität wusste, lud ihn in eine Vortragsreihe der DeutschGriechischen Gesellschaft nach Hamburg ein, in deren Rahmen Hausmann Ergebnisse seiner Übersetzertätigkeit vorstellen sollte, und zwar im Besonderen »seine neuen Sappho-Übertragungen zusammen mit eigenen Dichtungen aus dem Umkreis des Griechischen«.7 Wenn auch der Vortrag infolge einer Erkrankung Hausmanns ausfallen musste, stellte er die Sappho-Übertragungen für den 1. Band von Antike und Abendland zur Verfügung, der nach Snells Angabe auf Manuskripten jener Vortragsreihe basierte.8 Dieser 1. Band erschien, wie Snell im Vorwort zum 2. Band der Zeitschrift präzisiert,9 noch im Krieg, im Februar 1945 (»es ist dies wohl das letzte Buch, das damals noch erscheinen konnte«). Offenbar plante Hausmann kurz nach Kriegs4 5 6 7 8

9

Hausmann (1946), 167 f. Hausmann (1948b), 52–55. Eine Übersetzung von Chorpartien aus der Medea des Euripides wurde nicht lange danach ebenfalls in Antike und Abendland publiziert (Hausmann [1948a]). Snell (1945), 7. Ebd.; vgl. Snell (1946a), 7. Die Sappho-Übertragungen: Hausmann (1945a). Im selben Band erschien auch der von Hausmann gedichtete Dialog Protesilaos und Laodameia (Hausmann [1945b]), bei dem es sich offenkundig um ein Beispiel jener »eigenen Dichtungen aus dem Umkreis des Griechischen« handelt, die ebenfalls für den Vortrag vorgesehen waren. – Zur kulturpolitischen Bedeutung der Hamburger Sektion der Deutsch-Griechischen Gesellschaft, deren Vorsitz Snell 1938 übernommen hatte, in der Spätphase des nationalsozialistischen Regimes siehe Lohse (1991), 795–797. Snell (1946a), 7.

Alkaios Fr. 129 und Sappho Fr. 94 Voigt

ende dann bereits jene eigenständige Sammlung – Das Erwachen – , die 1948 herauskam, denn in seinem Beitrag für Antike und Abendland im folgenden Jahr (Hausmann [1946]) mit Übertragungen weiterer Texte (darunter unseres Alkaios-Gedichts) sowie mit »einigen Anmerkungen zu ihrer Übertragung«, die sich auch in der Einleitung der Sammlung finden,10 schließt Snell einen Dank an den Suhrkamp-Verlag für die Druckerlaubnis an.11 Hausmann wiederum bedankt sich am Ende der Sammlung bei Snell, »ohne dessen Vertrautheit mit den neuesten Ergebnissen der Papyros-Entzifferung, ohne dessen freundschaftliche Beratung, Hilfsbereitschaft und Geduld dies Werk nicht hätte geschaffen werden können«;12 darüber hinaus ist die Sammlung Snell gewidmet. Daraus zeichnet sich ab, dass es wohl bereits einige Zeit vor Kriegsende zu einer Kooperation Snells mit dem in Worpswede bei Bremen ansässigen Hausmann gekommen war, aus der auch die Einladung nach Hamburg hervorging und bei der Snell, eben in seiner »Vertrautheit mit den neuesten Ergebnissen der Papyros-Entzifferung«, Hausmann mit den kürzlich publizierten lyrischen Texten im 18. Band der Oxyrhynchus-Papyri bekannt machte.13 Schon in den frühen fünfziger Jahren (1951) erschien sodann noch eine Teilübersetzung des Fragments, die, vermutlich ohne Kenntnis der Übersetzung Hausmanns, von Hermann Fränkel angefertigt worden war. Auch sie muss bereits in der Mitte oder bald nach der Mitte der vierziger Jahre entstanden sein, denn in der Vorrede seines Buches Dichtung und Philosophie des fruehen Griechentums, in dem sie steht,14 teilt Fränkel mit, er habe im Sommer 1948 in Kalifornien die letzte Revision des Ganzen abgeschlossen.15 Die fachlichen Voraussetzungen der beiden Übersetzer und der Stellenwert, den die Übersetzung griechischer Dichtung für sie besaß, konnten verschiedener nicht sein. Für Hausmann war das Ganze ein Parergon im Rahmen eines vielfältigen literarischen und journalistischen Werks; Fränkel andererseits, in Göttingen habilitierter Philologe, der 1935 in die USA emigriert war,16 war speziell an der Stilistik griechischer Literatur und der genauen Erfassung der Bedeutung griechischer Begriffe interessiert, und er hatte in dem genannten Werk, in dem das Alkaios-Gedicht steht, eine Vielzahl vor allem poetischer griechischer Texte übersetzt. Bevor wir die beiden Übersetzungen für sich und im Vergleich miteinander betrachten, muss darauf eingegangen werden, dass Fränkel nur eine – innerhalb von Zeile 9 mit ἄ[γι]τ᾽ εὔνοον / θῦμον σκέθοντες einsetzende – Teilübersetzung bietet. In sie leitet er mit den Worten ein:17 »Wenn er [Alkaios] auch zur Zeit nicht mit Waffen kämpfen konnte, so doch mit seinem Vers und seinem Fluch, wie in diesem Gebetslied an eine 10 11 12 13

14 15 16 17

Sie bilden dort den größten Teil der Einleitung (10–17 u. 23–26, mit leichten Anpassungen). Bei Hausmann (1946), 179. Hausmann (1948b), 128. Aus dem Dank, den Diehl zu Beginn seiner Edition ([1944], 1) ebenfalls an Snell richtet, wird deutlich, dass Snell sich durch Kontakte in die Schweiz eine Fotokopie der relevanten Teile der Editio princeps hatte beschaffen können, die er auch Diehl zur Verfügung stellte. Fränkel (1951), 257. Ebd. IX. Näheres bei von Fritz (1978). Fränkel (1951), 257.

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Götterdreiheit«. Die Bitte an die angerufenen Götter mitsamt der Verfluchung des ärgsten Feindes lässt sich also übersetzen; doch was davorsteht, verschließt sich für Fränkel der Wiedergabe. In der Tat liegt hier das größte Problem für Verständnis und Übersetzung des Fragments. Wir werden deshalb so verfahren, dass wir uns bei der Analyse zunächst überhaupt, d. h. bei allen zu betrachtenden Übersetzungen, auf den mit Zeile 9 beginnenden Teil beschränken und erst dann zur davorliegenden Partie übergehen – bevor zuletzt das Ganze in einer neuen Übersetzung wieder zusammengeführt wird. Zuerst Hausmann:

4

Vor Zeiten haben Männer von Lesbos am beglänzten Strande diesen geweihten Raum umfriedet und Altäre für die seligen Götter gestiftet innen.

8

Sie nannten Zeus den Hörer des Flehns und dich, o große, o aiolische Göttin, die Allmutter, nannten diesen dritten, nämlich Dionysos, der nach Blut lechzt,

den Hirschgott. Nehmt, ihr Mächtigen, das Gebet, das wir euch sagen, gnädigen Sinnes auf und rettet uns aus der Bedrängnis, 12 und aus der Bitterkeit der Verbannung! Doch ihn, den Sohn des Hyrras, soll furchtbar die Erinys18 treffen, da wir beim Opferrauch vor allem Volk geeidet haben, 16 keinen der Unseren je zu lassen, vielmehr ins Grab zu sinken, getilgt vom Schwert der machtvoll damals Waltenden, oder sie mit unserm Schwert zu tilgen und das 20 Volk zu erlösen aus seinen Ängsten. Der Dickwanst führte jene Verhandlung nicht, wie wir’s beschlossen, sondern zertrat den Eid bedenkenlos. Und nun verschlingt er 24 gierig die Stadt und bedräut mit grimmen Gebärden ohne Fug uns und ohne Recht, wir seien’s, die den Eid in die graue See geschrieben hätten . . . 19

18 19

Beim Wiederabdruck in Das Erwachen (Hausmann [1948b], 53) zu »Erynis« verschrieben; in Zeile 22 fehlt das Komma nach »beschlossen«. Die Form, in der in den zitierten Übersetzungen Auslassungspunkte, mitunter auch -striche, erscheinen (Abstand, Anzahl) orientiert sich hier und im Folgenden an den jeweiligen Originalpublikationen.

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Hausmanns Entscheidung, im Versmaß des Originals, also der Alkäischen Strophe, zu übersetzen, verwehrt von vornherein eine nahe am griechischen Text bleibende Wiedergabe. Der hinzugefügte Vokativ »ihr Mächtigen« (9) ist ebenso der Notwendigkeit der Strophenfüllung geschuldet wie die Erweiterung durch Relativsatz »das Gebet, das wir euch sagen« statt »unser Gebet« (9 f.); Gleiches gilt für das Adverb in »soll furchtbar die Erinys treffen« (13), das frei hinzugefügte »vor allem Volk« (15) und ebenso für »getilgt vom Schwert« (17). Der Zusatz »vor allem Volk« bei der Erinnerung an den gemeinsamen Eid offenbart darüber hinaus, dass Hausmann die Konstellation, die das Gedicht voraussetzt, nicht erfasst hat: Der Sohn des Hyrras, Pittakos, war Mitglied der adligen Hetairie gewesen, zu der Alkaios in diesem Gedicht spricht. Er hatte einst an dem Eid teilgenommen, in dem sich die Mitglieder zu der kompromisslosen Alternative verpflichteten, entweder ihre Gegner, bei denen es sich um eine konkurrierende Gruppe handelte, zu töten oder selbst gemeinsam den Tod zu erleiden (bei Alkaios in umgekehrter Reihenfolge bezeichnet). Diesen Eid hatten die Mitglieder der Hetairie im intimen Rahmen einer Zusammenkunft, wie sie auch dieses Gedicht voraussetzt, geleistet, nicht jedoch in der Öffentlichkeit »vor allem Volk«. Begleitet wurde der Eid von einem Opferritual, bei dem ein Tier geschlachtet wurde. Davon spricht der griechische Text (τόμοντες, 14), nicht vom späteren Braten des Fleisches (Hausmann: »beim Opferrauch«). Aus der Bestimmung des Eides ergibt sich auch, dass er konkret das Verhalten in der extremen Situation eines Kampfes auf Leben und Tod definierte. Hausmann wurde durch den metaphorischen Ausdruck im folgenden Satz κήνων ὀ φύσγων οὐ διελέξατο / πρὸς θῦμον (»darüber besprach der ›Aufgeblasene‹ sich nicht mit seinem Herzen«, d. h. er nahm es sich nicht zu Herzen) in die Irre geführt und dachte offenbar an eine vorausgehende Verhandlung, die Pittakos im Auftrag der Gruppe mit einer bestimmten Strategie hatte führen sollen (»Der Dickwanst führte jene Verhandlung nicht, wie wir’s beschlossen«). Die Zwänge, die aus der Entscheidung resultieren, im Versmaß des Originals zu übersetzen, ziehen bei Hausmann auch noch folgende Auswirkung nach sich. Im Griechischen wird vermieden, dass am Periodenende (d. h. in der Alkäischen Strophe: am Ende der ersten und zweiten Zeile) eng zusammengehörige Wörter wie Artikel und Substantiv oder Präposition und Substantiv getrennt werden. Das müsste dann auch bei der Übersetzung beachtet werden, wurde aber von Hausmann offenkundig nicht als Problem erkannt. So übersetzt er: »Doch ihn, den Sohn des Hyrras, soll furchtbar die / Erinys treffen, […]« (13 f.; gehäuft finden sich Beispiele in der Anfangspartie des Gedichts, etwa gleich in der ersten Zeile: »[…] haben Männer von Lesbos am / beglänzten Strande«). Der Übersetzung von Hausmann liegt im Übrigen – ungeachtet der Beratung durch Snell – die Edition von Diehl (1944) zugrunde, die in der Buchausgabe auch mit abgedruckt ist.20 Sie weist verschiedene Abweichungen gegenüber dem oben zitierten Text nach Lobel/Roberts/Wegener (1941) auf (zumal bei Ergänzungen am Ende, doch auch am Anfang des Fragments), was sich auf die Übersetzung nicht unerheblich auswirkt. Dies hier darzustellen würde jedoch zu weit führen. Auch so dürfte deutlich geworden sein, dass die Übersetzung von Hausmann, sowohl was ihren Cha20

Hausmann (1948b), 52 u. 54; vgl. 128.

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rakter im Ganzen als auch was einzelne übersetzerische Entscheidungen angeht, künftiger Perfektionierung noch breiten Raum ließ. Hier nun der von Fränkel (1951), 257 übersetzte Ausschnitt: – – So seid mir denn gnädig, hört auf meinen Fluch, und erlöst mich aus den jetzigen Leiden und der drückenden Verbannung! [9–12] Doch ihn, des Yrras Sohn (Pittakos), soll die Erinnys dessen ereilen21 was wir einst heilig beschworen haben: daß niemals einer der Genossen (vom Kampf ablassen würde), [13–16] sondern entweder würden wir von der Hand der damaligen (Gewalthaber) fallen und uns in Erde kleiden, oder dann unsrerseits sie töten und das Volk aus seiner Not befreien. [17–20]

Davon hat der Dickwanst nichts aufrichtig gemeint (?); leichthin tritt er seinen Eid mit Füßen und frißt die Stadt auf (= tut sich gütlich auf Kosten des Landes) – – . [21–24]

Fränkel übersetzt nicht metrisch und verzichtet überdies auf jede freie Rhythmisierung. Dazu passt, dass er in den Text Erläuterungen integriert. Er lässt allerdings die Strophengliederung, wenn auch ohne Zeileneinteilung, im Druckbild hervortreten. Wie zu erwarten ist, ist Fränkels Wiedergabe genauer als jene von Hausmann. Er übersetzt ἄρα (10), das allgemein das Gebet, aber speziell auch die Verfluchung bezeichnen kann,22 in diesem Kontext passend mit »Fluch«, beachtet anders als Hausmann das deiktische τῶνδε (»aus den jetzigen Leiden«, 11) und ebenso κήνων �ρίννυς (»die Erinnys dessen, was wir einst beschworen […]«, 14). Die Wiedergabe von γᾶν ἐπιέμμενοι (17) mit »uns in Erde kleiden« (scil. nach dem Tode) nimmt die Metapher präzise auf, wenn auch passives Verständnis weniger befremdend gewesen wäre (»mit Erde bekleidet« oder – eingängiger – »von Erde umhüllt«). Ein Fortschritt ist auch die Übersetzung von δᾶμον ὐπὲξ ἀχέων ῤύεσθαι (20): »das Volk aus seiner Not befreien« gegenüber »das Volk zu erlösen aus seinen Ängsten« (Hausmann). Konsequenterweise bricht Fränkel die ohnehin nicht vollständige Übersetzung des Fragments am Ende von Zeile 24 ab. Er, der als Textausgabe die Editio princeps im 18. Band der OxyrhynchosPapyri benutzte, sah, dass hier kein Zusammenhang mehr herzustellen war (wo Hausmann noch versucht hatte, den Ergänzungen von Diehl zu folgen). Blass ist dagegen die Wiedergabe von τόμοντες (»beim« oder »nach dem Opfer«, 15) durch »heilig« (»was wir einst heilig beschworen haben«), in sich widersprüchlich im gegebenen Kontext die vordergründig wörtliche Übersetzung »oder dann« (mit ausgeführtem Zeitadverb) von ἤπειτα (19), das aber hier allein disjunktive Funktion (»oder«) hat,23 vage schließlich die tastende Paraphrase »Davon hat der Dickwanst nichts aufrichtig gemeint (?)« (21 f.) für κήνων ὀ φύσγων οὐ διελέξατο / πρὸς θῦμον, woran schon Hausmann gescheitert war. Am gravierendsten ist freilich Fränkels Entscheidung, das Gedicht gegen den griechischen Text (ἀμμετέρας ἄρας, 10) konsequent als Fluchgebet eines Einzelnen zu lesen und zu übersetzen: »So seid mir denn gnädig, hört auf meinen 21 22 23

Orthographische Eigenheiten wie das hier fehlende Komma gehen auf die Originalpublikation zurück. Zur Namensform Yrras siehe Anm. 41. Vgl. Burkert (2011), 119. Dazu Page (1955), 166.

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Fluch, und erlöst mich aus den jetzigen Leiden«. Er macht sich nicht klar, dass die Gruppe, die einst diesen gemeinsamen Eid leistete, sich in der vom Gedicht entfalteten Situation wieder konstituiert hat, wenn auch ohne den abtrünnigen Pittakos, dem nun die heftige Verfluchung gilt. Insofern ist auch die Übersetzung »leichthin tritt er seinen Eid mit Füßen« unglücklich; was Pittakos mit Füßen getreten hatte und immer noch trat, war der gemeinsame Eid, in der Übersetzung zwingend »unser Eid«. Das hatte Hausmann besser erfasst. Diese Übersetzung war freilich nicht Fränkels letztes Wort. In der Neubearbeitung seines Buches legte er gut zehn Jahre später auch eine veränderte Übersetzung derselben Partie aus dem Alkaios-Fragment vor:24 12

16

20

24

mit gnäd’gem Sinne hört unsre Bitte an, erlöst uns von den jetz’gen Qualen, laßt diese bittre Verbannung enden! Doch ihn, den Sohn des Hyrras (d. i. Pittakos) ereile die Erinnys dessen was wir zu jener Zeit hochheilig schworen: daß wir keinen unsrer Gefährten verraten (?) würden, sondern man solle betten in kühlen Grund die Leiber uns, erschlagen von Feindes Hand (?), oder wir würden jene töten und unser Volk aus der Knechtschaft reißen. Anders der Dickwanst (d. i. Pittakos): er hat von alledem nichts ernst genommen, sondern er trat den Eid leichthin mit Füßen, um sich nunmehr gütlich zu tun auf des Volkes Kosten.

Wesentlichste Veränderung ist, dass Fränkel nun metrisch übersetzt hat. Die zweimalige Erläuterung »(d. i. Pittakos)« unterbricht freilich den Duktus der Alkäischen Strophe und wäre besser jeweils als Anmerkung plaziert worden. Am Anfang der Übersetzung ist die Beziehung der »Bitte« (abmildernd gegenüber »Fluch«) auf Alkaios selbst als einzelnes Individuum (so in der Prosaversion) korrigiert und nunmehr die Gruppe, das »Wir«, dafür eingesetzt. Im Folgenden kann Fränkel die ursprüngliche Prosaübersetzung zunächst ohne wesentliche Veränderung dem Metrum anpassen, doch rekonstruiert er – sachlich plausibel – die erste Bestimmung des Eides (15 f.), deren entscheidendes Wort, das im Infinitiv stehende Prädikat, ausgefallen ist, nunmehr anders, so dass die folgende nominale Wortgruppe im Akkusativ nicht mehr als Subjekt eines a. c. i., sondern als Objekt erscheint. Ohne Not übergeht die Übersetzung das emphatische μηδάμα (»niemals«), das sich leicht hätte bewahren lassen (»[…] daß wir niemals / einen Gefährten verraten würden«). Der folgende Fortgang des Eides, der in der Prosaübersetzung klar und zutreffend wiedergegeben war, ist in der Überarbeitung dann allerdings nicht gelungen. Die entscheidende Weichenstellung nimmt Fränkel dadurch vor, dass er unnötigerweise das »Wir« des vorausgehenden Satzes (»daß wir keinen unsrer Gefährten verraten würden«), das im Griechischen weiterhin 24

Fränkel (1962), 218 f.

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Subjekt ist – entsprechend wäre in der Übersetzung fortzufahren: »sondern entweder selbst zugrunde gehen würden oder […]« – , nunmehr als Dativ (»uns«) in eine unpersönliche Formulierung einbaut, bei der paradoxerweise die in diesem Dativ, einem Dativus commodi, genannten Nutznießer zum vorgestellten Zeitpunkt gar nicht mehr am Leben wären: »sondern man solle betten in kühlen Grund / die Leiber uns, erschlagen von Feindes Hand«. Warum Fränkel so verfahren ist, bleibt unerfindlich; die Zwänge metrischen Übersetzens liefern keine hinreichende Erklärung. Die Alternative, welche die Schwörenden anschließend benennen (»oder die Feinde zu töten«), ist dann wieder passend übersetzt, wobei auch ἤπειτα (19) in gegenüber der Prosafassung verbesserter Weise wiedergegeben ist (nur mit »oder«). Die Wiedergabe von δᾶμον ὐπὲξ ἀχέων ῤύεσθαι (»und unser Volk aus der Knechtschaft reißen«, 20) entfernt sich unnötig von der dichter am Text orientierten Prosafassung, die sich mühelos auch in die metrische Übersetzung so hätte integrieren lassen: »und unser Volk aus der Not befreien«. In der folgenden letzten von Fränkel übersetzten Strophe entfaltet sich die metrische Fassung nahe an der Prosaversion. Es war sachlich zwingend, die spätere Übersetzung von Fränkel in unmittelbarem Anschluss an seine frühere zu behandeln, auch wenn dadurch die Chronologie durchbrochen wurde. Kehrt man zu dieser zurück, so ist als nächste die metrische Übersetzung von Max Treu (1952) zu nennen, die ein Jahr nach der Prosaübersetzung von Fränkel im Rahmen einer zweisprachigen Ausgabe erschien. Treu, der sich im selben Jahr in München habilitiert hatte, war danach ebendort als Dozent und außerplanmäßiger Professor tätig. Griechische Lyrik war sein Hauptarbeitsgebiet; große Verbreitung fanden neben dem Alkaios-Bändchen zwei gleichartige zweisprachige Ausgaben von Sappho (1954) und Archilochos (1959). Auch die Übersetzung von Treu ist metrisch, wenngleich nicht ohne Härten:25 Freund, Lesbos’ Männer haben dies Heiligtum gemeinsam einst geschaffen am hohen Strand weit sichtbar, haben hier errichtet 4 Opferaltäre den selgen Göttern Sie riefen Zeus, der widrigen Winden wehrt, und Dich, die ruhmreich segnete unsern Stamm, Du Mutter alles Lebens, Hera, 8 und den Dionysos als den dritten, den Ricken-reißenden, wilden. Schenkt auch heut huldreichen Sinnes meinem Gebet Gehör und löst aus diesem Leid mich endlich! 12 Nehmet von mir der Verbannung Elend! Den Sohn des Hyrras aber erreiche bald der Rachegeist der Toten, wie wir’s dereinst gelobten am Altar beim Opfer: 16 nie zu verlassen der Freunde einen,

25

Treu (1952), 19. Härten besonders in den Zeilen 9 und 17.

Alkaios Fr. 129 und Sappho Fr. 94 Voigt zu sterben lieber, zu decken der Erde Sand mit unsren Leibern vor der Tyrannenbrut, noch besser: sie zum Hades schicken 20 und unser Volk von der Schmach erlösen! Um all das schiert sich freilich der Dickwanst nicht: mit Füßen tritt er, was er einst selbst gelobt, ein Würger unsrer Stadt, uns aber 24 droht er noch gar und schmäht uns höhnisch, wohl nicht den Brauch, den . . . . . . . . . . . . . ins blaue (Meer?) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . geschrieben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 Myrsilos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Treu stützte sich wie Hausmann auf die Edition von Diehl (1944) und übernahm, anders als Hausmann, auch dessen Einrückungspraxis (Einrückung der dritten und, noch weiter zurückgesetzt, der vierten Zeile),26 und zwar nicht nur im griechischen Text, sondern, wie im voranstehenden Zitat berücksichtigt, auch in der Übersetzung. Im Ergebnis zeigt sich auch bei Treu, dass der metrische Zwang, wenngleich nicht allein, Ungenauigkeiten bewirkt und speziell auch Hinzufügungen mit sich bringt, die den Textsinn des Originals mitunter signifikant verändern: Der Übersetzer steht unter dem Druck, sich stärker um die Herstellung eines metrisch einigermaßen korrekten Textes als um die konzentrierte Wiedergabe des originalen Wortlautes zu bemühen. Dies trifft sogleich auf die Stelle zu, an der auch hier die Analyse einsetzt: Der Appell an die Götter »Schenkt auch heut […] meinem Gebet Gehör« (9 f.) mit dem durch »auch heut« erweckten Eindruck, Alkaios berufe sich auf früher bereits gewährte Hilfe, ist in dieser Hinsicht ganz eigene Zutat, bei deren Genese – neben den metrischen Motiven (Erreichung des Periodenendes) – Sapphos Ode an Aphrodite (Fr. 1) Pate gestanden haben mag. Treu kennt bereits das im Jahr davor erschienene Buch von Fränkel (Fränkel [1951]), von dessen Übersetzung er in der dritten Strophe hier und an weiteren Stellen durch die ausschließliche Verwendung der ersten Person Singular (»meinem Gebet« – »löst […] mich« – »nehmt von mir«) gegen den griechischen 26

Diese Anordnung geht auf die traditionelle Darstellung der Alkäischen Strophe in den Oden des Horaz zurück, die man als Abfolge zweier »Elfsilbler« und je eines »Neun-« und eines »Zehnsilblers« analysierte, wobei vor jedem Wechsel des Versmaßes eine Einrückung gegenüber der vorausgehenden Zeile erfolgte. Längst ist diese Sicht durch die Auffassung einer metrischen Dreiteiligkeit der Alkäischen Strophe abgelöst worden: Auf die zweimalige Periode Iambos – akephaler Glyconeus folgt die Periode zwei Iamben – akephaler Hipponacteus mit innerer Erweiterung durch Verdoppelung des »Dactylus« (nach Snell [1982], 46; zur Dreiteiligkeit der Strophe vgl. auch West [1982], 32 f.). Da die dritte Periode wesentlich länger ist als die beiden vorausgehenden, pflegte bereits antike Editionspraxis sie auf zwei Zeilen aufzuteilen, und zwar nach der ersten Silbe des zweiten Elements, des akephalen und im Inneren erweiterten Hipponacteus. Um jedoch die metrische Zusammengehörigkeit dieser beiden Zeilen anschaulich zu machen, wird in einem Teil der modernen Ausgaben (so bei Voigt [1971], entsprechend im vorliegenden Beitrag) die vierte Zeile eingerückt (womit die Einrückung eine veränderte Funktion erhält), während andere (z. B. Lobel/Page [1955]) der antiken Editionspraxis folgen und ohne Einrückung teilen. Wie Treu verfahren die sogleich zu behandelnden Franyó (1976 [Text und Übersetzung]) und Ebener (1976 [Übersetzung]).

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Text die Verengung auf das eigene, individuelle Schicksal des Sprechers übernimmt (was Fränkel beim zweiten Versuch korrigierte). Die Übersetzung in Zeile 14 – den Pittakos ereile »der Rachegeist der Toten« (gemeint ist: zu Tode gekommener Gefährten) – beruht auf einer freien, weit hergeholten Interpretation von κήνων, die zuerst von Gallavotti aufgebracht und später wieder verworfen wurde.27 Näher liegt es allemal, von einem Neutrum Plural auszugehen und das Pronomen in Verbindung mit dem folgenden ὤς ποτ᾽ ἀπώμνυμεν zu sehen: »Den Pittakos ereile dafür (für jene Vorgänge) die Erinye, wie einst wir schworen […]«. Anschließend werden drei Optionen unterschieden, auf die sich die Gruppe damals durch feierlichen Eid verpflichtet hatte und die bei Alkaios in ein klares Verhältnis zueinander gebracht sind: keinen der Gefährten je im Stich zu lassen, sondern entweder selbst den Tod zu erleiden oder ihrerseits die Feinde zu töten. Das ist eine etwas andere Struktur als die dreigestufte Klimax bei Treu: »nie zu verlassen der Freunde einen, zu sterben lieber […], noch besser: sie [scil. die Feinde] zum Hades schicken«. Auch im Detail bietet die Übersetzung an dieser Stelle des Gedichts manches Befremdliche: Der Ausdruck »zu decken der Erde Sand mit unsern Leibern« (17 f.) verkehrt die Vorstellung des griechischen Originals (»uns mit Erde zu bekleiden, zu umhüllen«, d. h. nach Tod und erfolgter Bestattung von Erde bedeckt zu sein) ins Gegenteil. Auch die unmittelbare Fortsetzung bei Treu – (die Erde zu decken) »vor der Tyrannenbrut« – offenbart Missverstehen, denn diese Formulierung bedeutet ja: die Erde vor der »Tyrannenbrut« zu schützen. Tatsächlich verbindet sich ὐπ᾽ ἄνδρων mit θάνοντες (»getötet von den Männern, die […]«). Der Begriff »Tyrannenbrut« als solcher ist dabei ganz und gar eine Schöpfung von Treu; auch die Übersetzung »sie zum Hades schicken« (für das abstrakt-technische κακκτάνοντες ) und »unser Volk von der Schmach erlösen« statt »aus seinen Qualen« (ὐπὲξ ἀχέων) dokumentieren das hohe Maß an Unempfindlichkeit für Nuancen des griechischen Textes, das für die Übersetzung kennzeichnend ist. Statt weiterer Beispiele übersetzerischer Willkür aus der folgenden Strophe soll der Hinweis genügen, dass Latte in seiner Rezension zum gleichen Ergebnis gelangt. Man liest dort nach einer Reihe von Beispielen:28 »Schlimmer [scil. als Mängel im Textverständnis] ist, daß auch im Deutschen sein [Treus] Stilgefühl ganz unzulänglich ist. [Es folgen zwei weitere Beispiele.] Von den Mißverständnissen des griechischen Textes ganz abgesehn – Prosa wird noch nicht dadurch zur Poesie, daß man sie in ein metrisches Schema zwängt und gelegentlich ein unbetontes e zusetzt oder wegläßt.« Konsequenterweise endet die Rezension als dezidiertes Plädoyer für eine Abkehr von metrischen Übersetzungen, jedenfalls im Rahmen zweisprachiger Ausgaben. Lässt man die zweite Auflage von Fränkels Dichtung und Philosophie beiseite, so dauerte es nach Treu fast ein Vierteljahrhundert, bis neue Gesamt- bzw. größere Teilübersetzungen der Alkäischen Lyrik erschienen. Es handelt sich um die Übersetzungen von Zoltan Franyó und Dietrich Ebener, beide aus dem Jahre 1976.

27 28

Näheres bei Rösler (1980), 198–201; vgl. Meyerhoff (1984), 213. Latte (1953), 349.

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An der Übersetzung des aus dem Banat stammenden Franyó hat Bruno Snell, der schon jene von Hausmann förderte, einen wesentlichen Anteil. Über die Genese informiert er selbst im ersten Teil des Werkes:29 Im Sommer 1939 schickte mir Zoltan Franyó, den ich bis dahin nicht kannte, aus Timişoara (Temesvár) in Rumänien einige Proben von deutschen Übersetzungen frühgriechischer Gedichte. Ehrfurcht vor den griechischen Originalen verband sich hier mit einem großen formalen Talent. Z. Franyó gestattete mir freundlich, daß ich 1941 einige seiner Übertragungen in der »Antike« bekanntgab.30 Von vornherein hatte er es darauf abgesehen, möglichst alles an altgriechischer Lyrik zu verdeutschen; er bat mich, für eine zweisprachige Ausgabe die griechischen Texte zu besorgen. In den langen Jahren einer intensiven Korrespondenz (die allerdings zwischendurch des öfteren unterbrochen war) haben wir versucht, unsere Meinungen aufeinander abzustimmen. Dankbar muß ich bekennen, daß der mir zum Freunde Gewordene mit rührender Geduld immer wieder auf meine Mäkeleien eingegangen ist. […] Zoltan Franyó ist 1887 geboren,31 hat in Wien orientalische Sprachen studiert und hat aus vielen Sprachen übersetzt: aus dem Chinesischen, Arabischen, Französischen, Ungarischen, Rumänischen. In seinem Lande hat er reiche Anerkennung gefunden.32

Auch die Übersetzung von Franyó orientiert sich am Versmaß des Originals:33

4

[Vor Zeiten] haben Männer an Lesbos’ Strand, Dem leuchtenden, ein ragendes Heiligtum Gegründet und den Göttern allen Diese Altäre am Meer gestiftet.

8

Sie nannten Zeus den ›Hörer des Flehens‹ und Ruhmreiche dich, aiolische Göttin, die ›Allmutter‹; nannten dann als dritten Dich, den Dionysos, fleischbegehrend,

Den ›Hirschgott‹. Nehmt, ihr Mächtigen, das Gebet, Wie wir’s euch bringen, gnädigen Sinnes auf Und rettet uns aus der Bedrängnis, 12 Uns aus der Bitterkeit der Verbannung;

29 30

31 32

33

Bei Franyó (1971), 9 f. Snell (1941); ebd. 34 der Hinweis auf Franyó. Der Aufsatz wurde später, kurz nach dem Zweiten Weltkrieg, mitsamt den Übersetzungen von Franyó, als drittes Kapitel in Snells Entdeckung des Geistes aufgenommen (1946b). Er verstarb 1978. Zum griechischen Text fügt Snell noch an (10): »Ich habe möglichst den Text von E. Diehl (Anthologia Lyrica Graeca, fasc. 1, 2. Aufl., Leipzig 1935, 3. Aufl. cur. R. Beutler, Leipzig 1949) beibehalten, da dieser dem Übersetzer vorlag, bin aber auch oft von ihm abgewichen, wo es mir notwendig schien.« Snells Aussage bezieht sich hier auf die Elegiker, gilt aber in der Sache für alle Teile. Als Beteiligten an der Übersetzung nennt Snell auch noch einen Dritten (9): »Im Einverständnis mit Zoltan Franyó hat Peter Gan (Dr. Richard Moering) noch einiges an dem deutschen Text geändert.« Näheres zu Gan (Moering) bei Kayser (1972), Stüssi (1978) und Kemp (1997). Zu den Anteilen der Genannten vgl. Staiger (1982). Franyó (1976), 71–74.

Wolfgang Rösler Den Sohn des Hyrras sollt ihr, Erinnyen, Mit Rache treffen; haben wir doch den Eid [Vor allem Volk dereinst] geschworen, Keinen der Unseren je zu verlassen: 16 Entweder selbst von Erde umhüllt zu sein, Erschlagen von den Mächtigen jener Zeit, Oder sie selbst zu töten und das 20 Leidend geknechtete Volk zu retten. Der Dickwanst aber redete davon nicht Mit seinem Herzen; leichtfertig tritt er frech Geschworene Eide mit den Füßen, 24 Richtet die heilige Stadt zugrunde.

Wie bereits in der Übersetzung von Hausmann ist auch in der von Franyó die störende Trennung zusammengehöriger Wörter am Periodenende, wenn auch nur einmal, nicht gemieden: »die / ›Allmutter‹« (6 f.); in diesen Zusammenhang gehört auch »und« unmittelbar vor Periodenende (5; richtig dagegen danach in Zeile 11). Wie die Duplizität zu zeigen scheint, hat Snell dies in beiden Übersetzungen letztlich unbeanstandet gelassen. Ins Auge fällt darüber hinaus und vor allem, dass zwischen beiden Übersetzungen in den Formulierungen selber Übereinstimmungen bestehen, die kaum zufällig sein können. Man vergleiche, auch hier zunächst auf die Partie ab der dritten Strophe des Gedichts beschränkt, jeweils Zeile 9 f.: »das Gebet, das wir euch sagen« (Hausmann) – »das Gebet, wie wir’s euch bringen« (Franyó), d. h. Relativsatz, wo im griechischen Text ein einfaches Possessivpronomen steht (»unser Gebet«); Zeile 11 f.: beide Zeilen sind mit Ausnahme eines Wortes identisch; statt »und« (Hausmann) bei Franyó ein emphatisch wiederholtes »uns«; Zeile 15: jeweils wurde der seinerzeitige Eid »vor allem Volk« geleistet (Kritik daran oben zu Hausmann); Zeile 16: »Keinen der Unseren je zu lassen« (Hausmann) – »[…] zu verlassen« (Franyó). Dass Franyó als der Spätere, was das Erscheinungsjahr seiner Übersetzung betrifft, Lösungen von Hausmann benutzt hat, ist das Nächstliegende, doch kann auch das umgekehrte Verhältnis in Anbetracht der langen Entstehungszeit der Übersetzungen von Franyó nicht ausgeschlossen werden. Dann müsste freilich Snell als Vermittler fungiert bzw. einen Kontakt zwischen Franyó und Hausmann hergestellt haben, was reine Spekulation ist. Ansonsten ist bei Franyó zunächst die Abweichung vom griechischen Text in Zeile 13 f. – »Den Sohn des Hyrras sollt ihr, Erinnyen, / Mit Rache treffen« statt in dritter Person: »Den Sohn des Hyrras soll die Erinnye treffen« (so in Abwandlung der Formulierung) – unglücklich, da die Anredesituation des Gedichts, die noch genauer zu behandeln sein wird, durch eine neue, eingeschobene Hinwendung zu anderen Gottheiten verändert und kompliziert wird. In Zeile 14 f. ist das mit dem Eid verbundene Opfer und damit die fundamentale religiöse Dimension des Eides ersatzlos fortgefallen. Hätte Franyó auf das vom griechischen Text nicht vorgegebene »vor allem Volk« verzichtet (»[Vor allem Volk dereinst] geschworen«), wäre z. B. möglich gewe-

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sen: »Nach / Bei einem Opfer einst geschworen«.34 Bei weiteren Abweichungen vom griechischen Text bietet es sich im Gegensatz zu dieser Stelle an, sie aus metrischen Bedürfnissen zu erklären: Die Nichtübersetzung des sinntragenden Infinitivs κείσεσθ᾽ (18), die nicht mehr in die Strophe passte, lässt die Antithese »selber tot daliegen« – »die Feinde töten« blasser erscheinen, als der griechische Text sie vermittelt. Dem stehen Hinzufügungen gegenüber, die ebenfalls die Aussage des Originals verändern: Mit der Wendung »das / Leidend geknechtete Volk zu retten« (19 f.) für das weniger pathetische δᾶμον ὐπὲξ ἀχέων ῤύεσθαι werden die beiden »Daktylen«35 gewonnen, die gegen Ende der Alkäischen Strophe benötigt werden. Gleiches gilt für »Richtet die heilige Stadt zugrunde« (24), das nur noch ganz vage Ähnlichkeit mit dem griechischen Text aufweist. Am Beginn dieses Satzes (22) war mit »leichtfertig« das griechische Adverb βραϊδίως übersetzt und noch »frech« (ohne griechisches Pendant) zur Verstärkung hinzugefügt worden, womit das Periodenende erreicht ist. Doch erscheint »leichtfertig« (unbesonnen, unüberlegt, vorschnell) in Anbetracht der Schwere des Delikts, eines Eidbruchs, als schwach und verharmlosend, was auch der Zusatz »frech« nicht aufhebt.36 Die Übersetzung von Ebener steht in einer Anthologie griechischer Lyrik, die sich – unter Zugrundelegung eines sehr weiten Lyrikbegriffs – von den Homerischen bis zu den Orphischen Hymnen hin erstreckt und auch einen knapp zehnseitigen AlkaiosAbschnitt enthält. Der in der DDR wirkende Ebener (1920–2011), der 1967 eine Professur für Klassische Philologie in Greifswald zugunsten einer Tätigkeit als freier Autor aufgab, war zweifellos der fruchtbarste Übersetzer antiker, vor allem griechischer Literatur ins Deutsche nach dem Zweiten Weltkrieg.37 Auch seine Wiedergabe von Fr. 129 orientiert sich am Versmaß der Alkäischen Strophe:38

4

34

35 36 37

38

Das Volk von Lesbos gründete einstmals hier dies große, weithin leuchtende Heiligtum und weihte drinnen die Altäre gleichzeitig dreien der hohen Götter.

Irreführend, geradezu unverantwortlich sind die eckigen Klammern an dieser Stelle der deutschen Übersetzung, durch die in scheinbar akribischer Dokumentation ein Bezug zur Lücke in Zeile 15 des griechischen Textes vorgespiegelt wird. Doch ist tatsächlich die Verbform der von ἀπώμνυμεν abhängigen Infinitivkonstruktion ausgefallen. Franyó hätte also »zu verlassen« in eckige Klammer setzen müssen. Was statt dessen von ihm als ausgefallener Text markiert ist, ist seine eigene bzw. die von Hausmann übernommene Erfindung. – Aufgrund der präzise festgelegten Funktion eckiger Klammern in Papyrustexten (Dokumentation des Überlieferungsumfangs des Textes), welche in einer Übersetzung in keiner Weise wiedergegeben werden kann, sollte in Übersetzungen auf eckige Klammern ganz verzichtet und ausschließlich mit runden gearbeitet werden. Zu der Bezeichnung im Rahmen der äolischen Lyrik vgl. Anm. 73. Die implizite moralische Verurteilung klingt dagegen mit »leichthin« (Fränkel [1951]) an, das die Bedeutung »ohne Bedenken, skrupellos« annehmen kann. Nachruf von Uwe Walter: http://blogs.faz.net/antike/2011/08/29/der-unberuehmte-uebersetzerzum-tode-des-philologen-dietrich-ebener-287/ (Stand: 17.2.2015). Vgl. Mindt in: Kitzbichler/Lubitz/Mindt (2009a), 325–328, und Kitzbichler/Lubitz/Mindt (2009b), 443. Ebener (1976), 100 f.

Wolfgang Rösler

8

Man flehte dich an, Zeus, als den Rettenden, und dich, die edle Gottheit Aioliens, den Ursprung aller, und als dritten schließlich Dionysos, Rohfleischfresser,

Kemelios. Erweiset die Gnade mir und schenket meinem innigen Wunsch Gehör: Erlöset mich von der Verbannung, 12 diesen so schrecklichen, bittren Qualen! Den Sohn des Hyrras aber verfolge die Erinys, weil er schimpflich gebrochen den Eid, den wir beim Opferfest geleistet, nie die Gefährten im Stich zu lassen, 16 nein, tapfer vor dem Feinde zu fallen und ins Grab zu sinken, oder mit eigner Hand die Gegner zu erschlagen und das 20 Volk zu befreien von schwerer Bürde. Der Dickwanst aber lehnte es ab, mit uns in unsrem Sinn zu sprechen; bedenkenlos trat er den Schwur mit Füßen. Heute 24 mästet er selber am Mark der Stadt sich.

Einzelnes, das schon bei anderen Übersetzungen kritisch angesprochen wurde, findet sich auch hier: Artikel bzw. »und« vor Periodenende (13 und 17), Bitte an die Götter als Bitte einer Einzelperson (9–11). Gravierender aber ist eine durchgehend festzustellende Bereitschaft zu einer nur ungefähr am originalen Text orientierten Wiedergabe, die in signifikantem Gegensatz steht zu dem von Ebener proklamierten Ideal philologischer Exaktheit, das nur durch Rücksicht auf die Konventionen des Deutschen eingeschränkt werde.39 Aber weder die Konventionen des Deutschen noch die Rücksicht auf das antike Versmaß vermögen die Fülle von Weglassungen, Hinzufügungen und Veränderungen zu erklären, die hier nur in knapper Auflistung (zunächst wieder nur ab der dritten Strophe) festgehalten werden können: Von einem »innigen« Wunsch (10) steht nichts bei Alkaios; die Konnotationen des deutschen Adjektivs sind schwerlich kompatibel mit dem Rachedurst, den das Gedicht atmet. In Zeile 11/12 erhält μόχθων zwei adjektivische Attribute, φύγας dagegen verliert das seine. Warum die Erinys über Pittakos kommen möge, wird von Ebener mit einer freien Begründung ohne Bezug zum Wortlaut des Originaltextes versehen. Entsprechendes gilt für den Fortgang in der folgenden (17–19) und der übernächsten Strophe (die »Übersetzung« von 21 f. ist frei erfunden). In 23/24 ist aus dem knappen »zerfleischt er die Stadt« in Ebeners Wiedergabe »mästet er selber am Mark der Stadt sich« geworden. Es würde zu weit führen, auch solche Übersetzungen in die Analyse einzubeziehen, die im Rahmen von wissenschaftlichen Untersuchungen das Textverständnis von Autor oder Autorin dokumentieren oder Behandeltes belegen oder illustrieren sollen. 39

Dieses Ideal erscheint als fundamentales Anliegen Ebeners in der Darstellung von Mindt ([2009a], 325–328, nicht ohne entsprechende Selbstaussagen von Ebener).

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Eine Ausnahme wurde aufgrund der besonderen Bedeutung von Autor und Werk bei Fränkel gemacht. Nur en passant können dagegen die Prosaübersetzungen des AlkaiosFragments von Dirk Meyerhoff (1984) und Anne Broger (1996) erwähnt werden, die mehr (Meyerhoff ) oder weniger (Broger) technisch angelegt und von erläuternden Anmerkungen (Meyerhoff ) oder gar einem veritablen Kommentar (Broger) flankiert sind. Als jüngste Übersetzung ist die von Joachim Latacz zu besprechen, die 1991 in dem der archaischen Periode gewidmeten Teilband der Anthologie Die griechische Literatur in Text und Darstellung erschienen ist (versehen auch mit einigen kommentierenden Anmerkungen). Im Vorwort führt Latacz aus (8): Die Gewissensfrage, ob Prosa- oder Vers-Übersetzung, konnte ich in der Lyrik nur zugunsten des Verses beantworten. Sappho zu Prosa zu zerrühren war ich außerstande. Das »Versmaß der Urschrift« anzustreben kam auf der anderen Seite […] ebenfalls nicht in Betracht. Die Kompromisse, die ich von Fall zu Fall gefunden habe […], befriedigen mich selbst oft nicht. Sie gar nicht erst zu wagen war mir dennoch ganz unmöglich.

Im konkreten Fall der Übersetzung von Fr. 129 zeigt sich, dass diese Konzeption im Wesentlichen dann doch zu einer Prosaübersetzung führt, deren Zeilenwechsel mit der Abfolge der griechischen Verse äußerlich koordiniert sind. Dass in der ersten Strophe sowohl die erste als annähernd auch die letzte Zeile dem Metrum der Alkäischen Strophe folgen, erscheint in Anbetracht des Folgenden eher als Zufall. Man kann den Sprachrhythmus der Übersetzung, im Unterschied zum griechischen Vers, mitunter als unruhig empfinden, etwa wenn betonte einsilbige Wörter am Strophenende als Hebungen hervortreten – z. B. in Zeile 12: (wollet aus) »drückender Verbannung retten uns« (statt »uns retten«) oder in Zeile 16 durch Wiederholung der Zeitangabe: (Verrat) »niemals zu üben, an nicht éinem der Gefährten – nie!« Andererseits ermöglicht die Freiheit von der Anpassung der deutschen Formulierungen an die Vorgaben des Metrums eine inhaltliche Nähe zum Originaltext, die von keiner der metrischen Übersetzungen erreicht wird:40

4

dieses Heiligtum weit sichtbarem die Lesbier – groß – als allgemeine Stätte gründeten – und hinein seliger Götter Altarsteine setzten

8

und sie mit Namen benannten: mit dem des Bitten-Erhörers Zeus, mit Deinem, Aiolische ruhmreiche Göttin, dann, Du Ursprung von allem! und diesen dritten hier hießen sie schließlich ›Kemelios

Dionysos, Rohfleisch-Schlinger‹. – Auf denn! freundliche Gesinnung hegend wollet unser Bittgebet erhören und aus diesen Mühen hier 12 und drückender Verbannung retten uns!

40

Latacz (1991), 374–377.

Wolfgang Rösler Den Hyrrhas-Sohn41 jedoch, den hetze vor sich her jenes Versprechens Rachegeist – so wie wir’s schwuren einst, nachdem zerschnitten wir 16 niemals zu üben, an nicht éinem der Gefährten – nie! vielmehr: entweder tot in Erde eingehüllt zu liegen – Opfer jener Männer, die damals – , sonst aber umzubringen sie – und so 20 das Volk von seinem Kummer zu befrei’n! Jenes Versprechens hat der Dickwanst nicht gedacht bei sich, nein: hat mit Füßen, leichten Sinns, getreten auf die Eide! Und so weidet er nun aus 24 die Stadt. – Uns aber [….] nicht nach Gesetz [….] der hellen [....] geschrieben ist [?....] 28 Myrsilos [....]

Vor dem Hintergrund der vorausliegenden Analysen ist die überlegene Textnähe dieser Übersetzung so evident, dass sie nicht eigens Zeile für Zeile ausgeführt werden muss. Deshalb sei lediglich auf die wenigen Stellen hingewiesen, die Kritik erlauben. Gleich zu Beginn der – auch hier vorab betrachteten – Partie ab der dritten Strophe erscheint die Wiedergabe von ἄγιτ᾽ mit »Auf denn« der Stilebene einer Bitte an Götter nicht angemessen; der den Appell anschließend weiterführende Imperativ »wollet« leitet eine umständlich und altertümlich wirkende Umschreibung der eigentlichen Imperative ein, die der griechische Text in knapper, einfacher Ausdruckweise bietet (ἀκούσατ᾽ und ῤύεσθε). Die Alternative, die der seinerzeitige Eid zum Ausdruck brachte – entweder (ἢ) selbst zu sterben oder (ἤπειτα) die Feinde zu töten (17/19) – wird mit »entweder« – »sonst aber« unglücklich strukturiert. Das Töten der Feinde war eigentliches und vordringliches Ziel der Gruppe, doch bringt »sonst aber« eine Abwertung im Sinne der nur zweitbesten Möglichkeit zum Ausdruck. »Vom Kummer befreien« für ὐπὲξ ἀχέων ῤύεσθαι (20) ist eine verharmlosende Wendung (treffender »aus seinen Qualen / von seiner Qual zu befreien«). Damit kann endlich der Anfang des Fragments bis zum Beginn der dritten Strophe in den Blick genommen werden, der zunächst aufgrund der besonderen Schwierigkeiten, die er bietet (weswegen ihn Fränkel nicht übersetzte), übersprungen wurde. Wie sich zeigen wird, ist es hier nicht sinnvoll, die Übersetzungen in entsprechender Weise der Reihe nach durchzugehen und Schwierigkeiten dort zu behandeln, wo sie jeweils auftreten. Vielmehr muss die Problematik des Textes in systematischer Weise in Angriff genommen werden. Der unmittelbare Fragmentbeginn findet sich in den Übersetzungen vor Latacz auf zweierlei Weise wiedergegeben: entweder mit einer Anrede an eine Person und anschließender Erzählung oder als Erzählung ohne Anrede. 41

Hyrrhas ist eine alternative Schreibung mit aspiriertem zweiten Rho in der Gemination (neben Hyrras). Freilich unterblieb Aspiration im Äolischen überhaupt. Wollte man dem konsequent Rechnung tragen, wäre Yrras zu schreiben, wie es Fränkel (1951), 257, tut.

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Erstere Idee geht auf Diehl zurück, der die Buchstabenfolge ].ρά.α zu ὦ (�)ράξα ergänzte und als Vokativ eines mutmaßlichen Personennamens Araxes interpretierte.42 Auf dieser Linie ließ dann Treu (der damit freilich allein blieb) seine Übersetzung mit der Anrede »Freund« beginnen – eine unglückliche Entscheidung, bei der unbeachtet blieb, dass eine solche Anrede mit der eindeutig überlieferten Anrede an eine Göttin in Zeile 6 nicht zusammenpasst. Wesentlich verbreiteter ist denn auch die, so scheint es, wörtliche Übersetzung, die davon ausgeht, dass der Fragmentbeginn innerhalb eines Hauptsatzes liegt, der zu der Erzählung von der Gründungsgeschichte des Heiligtums gehört, welche der Bitte an die Götter vorausgeht. Von dieser Prämisse her erklären sich Übersetzungen wie die zitierten von Hausmann, Franyó und Ebener. Ganz entsprechend verfahren Meyerhoff 43 und Broger, und ein gleiches Bild ergibt sich, wenn man Übersetzungen namhafter Philologen ins Englische, Französische und Italienische einbezieht, so Page (»[…] the Lesbians founded this precinct, conspicuous and great«),44 West (»[…] the Lesbians founded this great, conspicuous precinct«),45 Liberman (»[…] les Lesbiens ont établi […] ce grand sanctuaire«)46 oder Gentili (»[…] questo grande santuario […] innalzarono i Lesbi«)47. Doch verfehlt auch diese Struktur der Übersetzung den Text des griechischen Originals. Denn aus der Anrede an eine namentlich nicht genannte Göttin in Zeile 6 ergibt sich, wie schon Lobel in der Editio princeps annahm,48 dass diese Gottheit bereits zuvor im Gedicht mit ihrem Namen bezeichnet worden sein muss. Das ist ein äußerst wichtiger Punkt, der bei einer Rekonstruktion wie auch Übersetzung des Textes im Blick behalten werden muss. Die Anrede wird von der Erwähnung zweier männlicher Gottheiten Zeus und Dionysos in der dritten Person eingerahmt (Zeile 5 und 7–9). Auf alle drei Gottheiten bezieht sich dann die in Zeile 9 ff. ausgesprochene Bitte (drei Imperative im Plural), mit der das bereits behandelte Textstück einsetzt. Durch Parallelüberlieferung in einem Sappho-Fragment (Fr. 17) wird die offenbar gleiche Götterkonstellation ein weiteres Mal in einem Gedicht von der Insel Lesbos fassbar, auf der sie, wie naheliegt: in Verbindung mit dem Heiligtum, eine gewichtige kultische Rolle spielte. Sappho wendet sich hier direkt an Hera (πότνι’ �ρα [2]) und spricht später in dem stark zerstörten Text in der dritten Person von Zeus – wobei sie auch denselben Kultnamen (ἀντίαος) zu verwenden scheint wie Alkaios49 – und vom Sohn der Thyone, d. i. Dionysos. Die Parallelität ist frappierend, und so kann, ja muss, wie

42 43

44 45 46 47 48 49

Diehl (1944), 9. Meyerhoff (1984), 211, Anm. 1, weist ergänzend zu seiner Übersetzung allerdings auf die von Gallavotti begründete und vom Verfasser dieses Beitrages interpretatorisch gestützte Rekonstruktion des Gedichtanfanges hin, auf die im Folgenden noch eingegangen wird, und bezeichnet sie als »sehr wahrscheinlich«. Page (1955), 162. West (1993), 54. Liberman (1999), 61a. Gentili (2010), 93. Lobel/Roberts/Wegener (1941), 35 (zu Zeile 6). Überliefert ist in Zeile 9: πρὶν σὲ καὶ Δί’ ἀντ[.

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ebenfalls bereits Lobel in der Editio princeps erkannte, davon ausgegangen werden, dass Hera die weibliche Gottheit ist, die Alkaios in seinem Gedicht anredet.50 Allerdings wurde der von Lobel gegebene Anstoß erst mit Verzögerung weiterverfolgt, und, als die Lösung erkannt war, fand sie, was erstaunlich ist, kaum Beachtung. Es war der italienische Philologe Carlo Gallavotti, der sich sogleich nach der Erstpublikation des Papyrus intensiv mit dem neuen Text beschäftigt und über ihn publiziert hatte, aber erst einige Jahre später die entscheidende Idee entwickelte, die von Antonino Luppino im Rahmen einer eigenen Publikation als briefliche Mitteilung Gallavottis veröffentlicht wurde.51 Es mag mit diese unauffällige Form der Publikation in der Arbeit eines anderen, seinerzeit noch kaum bekannten Verfassers52 gewesen sein, die der Entdeckung von Gallavotti die Resonanz vorenthielt, die sie verdiente. Gallavotti nahm überzeugend an, dass die zu erschließende vorausgehende Nennung Heras ebenfalls die Form einer Anrede gehabt haben müsse, und er entdeckte den Vokativ dort, wo Diehl den dubiosen Personennamen Araxes im Vokativ rekonstruiert hatte: in der ersten Zeile des Fragments, die sich dadurch auch als erste Zeile des Gedichts erwies. Man musste nur, Sappho folgend, deren Anrede an Hera unverändert in den nur teilweise erhaltenen Anfang der Zeile einfügen. Dann ergab sich: � πότνι’ �]ρα, τᾶ τόδε Λέσβιοι … τέμενος … κάτεσσαν (»Herrscherin Hera, der dieses Heiligtum die Lesbier gründeten«). An den Vokativ schließt sich also ein Relativsatz mit Relativpronomen im Dativ Singular Femininum an (mit Ausfall des Iota adscriptum, wie häufig in den Papyri53). Dabei handelt es sich um eine überaus verbreitete Gebetsstruktur (»Der Relativstil der Prädikation«), wie Norden in Agnostos Theos mit reichstem Belegmaterial gezeigt hat.54 Der von Gallavotti wiedergewonnene Gedichtanfang ist in den späteren Editionen äolischer Lyrik unberücksichtigt und nahezu unerwähnt geblieben. Die Ausnahme bildet die Ausgabe von Voigt, die ihn im kritischen Apparat aufführt. Nachdem der Verfasser dieses Beitrages in seinem Alkaios-Buch die zwingende Evidenz der Lösung von Gallavotti dargestellt hatte,55 wurden auch andere darauf aufmerksam. Ob dies so 50

51 52 53 54 55

Siehe Lobel/Roberts/Wegener (1941), 31 u. 35. Dasselbe Heiligtum ist offenkundig auch der Ort von Alkaios Fr. 130b, wie sich aus dem von Voigt zu Zeile 17 ff. zitierten Ilias-Scholion ergibt. Vgl. Burkert (2011), 71. Luppino (1950), 207. Nach der Année Philologique handelt es sich um die erste Arbeit überhaupt, die Luppino veröffentlichte. Siehe Kuhlmann (2011), 265. Norden (1913), 168–176. Rösler (1980), 196 f. – Der Anfangsbuchstabe des Relativpronomens weist, wie die Fotokopie des Papyrus in der Editio princeps zeigt, eine Anomalie gegenüber der sonst auf dem Papyrus beim T befolgten Schreibweise auf. Man gewinnt den Eindruck, dass der Schreiber dem intendierten und zunächst auch normal geschriebenen T zusätzlich einen waagerechten Strich am Fuß des Buchstabens angefügt hat. Dadurch ergibt sich auch eine gewisse Ähnlichkeit mit einem Ξ (dies eben hatte ja zu den Spekulationen über einen zu ergänzenden Namen Araxes geführt); doch besteht ein deutlicher Unterschied zum Ξ sowohl in ὐπέξ als auch in διελέξατο in den Zeilen 20 f. von Fr. 129 (vgl. Page [1955], 163). Noch gravierender ist, dass bei einer Lesung als Ξ nicht zu verstehen ist, wie der sich dann ergebende mehrsilbige Name unter den Bedingungen äolischer Barytonesis endbetont sein

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auch für Latacz gilt oder ob er unabhängig davon auf die Rekonstruktion von Gallavotti stieß, tut nichts zur Sache. Auf jeden Fall hat durch ihn der wiedergewonnene Anfang des Gedichts auch in das Corpus der Alkaios-Übersetzungen Einzug gehalten. Alle älteren Übertragungen, die von einem erzählenden Hauptsatz ausgingen, sind damit überholt und brauchen deshalb in diesem Punkt nicht näher miteinander verglichen zu werden. Doch soll unabhängig davon in knapper Analyse noch untersucht werden, inwieweit die vorliegenden Übersetzungen Alkaios’ Darstellung von kultischen Sachverhalten in den ersten beiden Strophen und am Anfang der dritten gerecht werden. Dies sind Gründung und Bau des Heiligtums unter besonderer Hervorhebung der Altäre und der Akt der Benennung der dort verehrten Gottheiten mit speziellen Kultnamen. Wenn man bedenkt, dass die griechische Gebetsform nach der elementaren Anrufung der betreffenden Gottheit die Nennung weiterer Epitheta vorsieht,56 erkennt man, dass die Angabe der seinerzeit, bei der Gründung des Heiligtums, definierten Kultnamen der drei Götter durch Alkaios die subtile Erfüllung ebendieser formalen Anforderung darstellt. Dabei werfen die fünf Zeilen des Gedichts (5–9), die dem Thema der Benennung gewidmet sind, eine Reihe von Schwierigkeiten der Interpretation und auch der übersetzerischen Bewältigung auf. Zunächst soll kurz erläutert werden, warum sich folgendes Verständnis sowohl in der Sache als auch in übersetzerischer Hinsicht empfiehlt: und sie nannten Zeus »Antiaos« und dich »die Äolische«, dich machtvolle Göttin, Ursprung von allem, und ihn hier, den dritten, nannten »Kemelios« sie, ihn, Dionysos, der Rohes beim Opfer empfing.

Da es sich um Namen handelt, über die das Gedicht informiert, ist es konsequent, sie in der originalen Form zu belassen und die Bedeutung in einer begleitenden Erläuterung mitzuteilen. Der Beiname des Zeus, »Antiaos«, bedeutet »der (gütig) ent-

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kann: Denn das auf T folgende A ist auf dem Papyrus mit Längenzeichen und Akzent versehen. Lobel (1941), 35, hebt diese Aporie nicht ohne Resignation hervor. Bei einem einsilbigen Relativpronomen jedoch, wie Gallavotti es erkannte, hat beides, Akzent und Längenzeichen, Sinn und Funktion. Da der Buchstabe so, wie er dasteht, sieht man von Ξ ab, erst recht keinem weiteren Buchstaben auf dem recht umfangreichen, die Fragmente 129, 130a und b enthaltenden Papyrusstück ähnelt – »not like any other letter in the papyrus« (Lobel [1941], 34) – , ergibt sich bei Betrachtung der Gesamtumstände die Unausweichlichkeit der Lösung von Gallavotti. Was den dadurch gewonnenen Text angeht, so hat sich ihm bei abermaliger Herausgabe des Fragments auch Page angenähert (ohne Hinweis auf Gallavotti), auch wenn er sich letztlich nicht zu einer Anerkennung der Lesung des Buchstabens als T durchzuringen vermochte (Page [1968], 68): »fort. ].ρα, τὰι voluit, sed τ non est scriptum«. Nicht unerheblich ist, dass der Schreiber ansonsten auch einige orthographische Fehler nicht vermieden hat (Näheres bei Gallavotti [1942], 164). Vgl. Burkert (2011), 120, über den Eingang eines griechischen Gebets: »Am Anfang steht […] der Name der Gottheit; es kommt dabei darauf an, den richtigen Namen zu finden, insbesondere den treffenden Beinamen; tunlichst häuft man die Beinamen […].«

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gegenkommt«.57 In den beiden anderen Fällen (Hera und Dionysos) ist dagegen nicht einmal von vornherein klar, welches – unter scheinbar mehreren bestehenden Möglichkeiten – derjenige Beiname ist, den Alkaios als den bei der Gründung des Heiligtums festgesetzten Namen, als den Kultnamen bezeichnen will. Doch kommt bei Hera letztlich, und zwar aus terminologischen Gründen (ein Kultname bezeichnet etwas Spezielles und besteht aus nur einem Wort) wie aus solchen der Wortstellung (er steht in nächster Nähe zum anzusetzenden Platz des aus der vorausgehenden Zeile zu ergänzenden Prädikats ἀπωνύμασσαν) dann doch einzig Αἰολήιαν in Betracht; κυδαλίμαν θέον und πάντων γενέθλαν dagegen sind Bezeichnungen mit einer allgemeineren rühmenden Tendenz. Dass die Lesbier, als sie einst das Heiligtum gründeten, Hera, die aus der Göttertrias besonders herausgehobene Gottheit, »die Äolische« nannten, passt überdies genauestens damit zusammen, dass das Heiligtum als ein »gemeinsames« (Zeile 3), d. h. nicht einer bestimmten Polis zugehöriges, konzipiert war;58 offenbar (eben darauf deutet der Kultname der Göttin) erstreckte sich seine Geltung auf die gesamte kleinasiatische Aiolis, d. h. die Inseln Lesbos, Nasos (mit den anderen Hekatonnesoi) und Tenedos und Gebiete in der Troas. Im Fall des Dionysos erscheinen nach dem terminologischen Kriterium sowohl »Kemelios« als auch »Omestais« als möglich; nach dem Kriterium der Wortstellung ist dann aber »Kemelios« eindeutig vorzuziehen. Die Bedeutung dieses nur hier überlieferten Wortes liegt ganz im Dunkel; jene von ὠμήσταις ist durch einen lückenhaft überlieferten antiken Kommentar zu der Stelle (P.Oxy. 371159), der 1986 publiziert wurde, überraschend zum Problem geworden. Der gelehrte Kommentator tritt der, wie er sagt, verbreiteten Ansicht entgegen, die Bezeichnung beziehe sich auf die Mänaden, die Tiere roh zerreißen. Er bringt den Namen statt dessen mit einem Opfer zur Zeit des Makar, des mythischen Oikisten von Lesbos, in Verbindung, von dem sich auch die identische Bezeichnung eines Dionysos-Priesteramtes herleite. Die gegebene Übersetzung von ὠμήσταν – »der Rohes beim Opfer empfing« – ist der verzweifelte Versuch, die von dem Kommentator mitgeteilten komplexen Sachverhalte in einer einigermaßen kurzen Formulierung wiederzugeben. Die Übersetzungen vor Latacz konnten von dieser Entwicklung nichts wissen. Ein rascher Durchgang durch die Übersetzungen erbringt in stichwortartiger Darstellung folgenden Befund. Hausmann: »am beglänzten Strande« nach der Ergänzung von Diehl (einzig überliefert ist davon εὔδειλον; das Adjektiv wird in Regel 57 58

59

Ein Scholion zu der Stelle erklärt ἀντια]ῖον ἱκέσιον (siehe Voigt [1971], 234, unter TEST). Vgl. Broger (1996), 183. Theoretisch könnte ξῦνον auch die Koexistenz der Gottheiten im Heiligtum unterstreichen: »als gemeinsames für die drei Götter«. Nach Page ([1955], 163; zustimmend Meyerhoff [1984], 211, Anm. 3) bietet das Gedicht keinen Hinweis zugunsten dieser oder jener Entscheidung. Doch werden Zeus und Dionysos als die Götter neben Hera erst im Folgenden überhaupt bezeichnet. In Zeile 3 weiß man noch nichts von ihnen. Als politische Präzisierung verstanden – für die Lesbier insgesamt, nicht die Einwohner einer bestimmten Polis, z. B. Mytilene – , leistet ξῦνον dagegen an seiner Stelle einen wichtigen Beitrag zur Aussage, die durch Heras Kultepitheton »die Äolische« dann noch weiter präzisiert wird. Hg. von Michael W. Haslam (Bd. 53); vgl. Rösler (1993).

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als Variante von ep. εὐδείελος verstanden mit der Bedeutung »weithin sichtbar«); das wichtige ξῦνον, »als gemeinsames«, bleibt unübersetzt; κάτεσσαν (von καθίζω) bedeutet nicht »(sie haben) umfriedet«, sondern »gegründet«; Identifikation und Zuordnung der Kultbezeichnungen in der zweiten Strophe sind teilweise problematisch; »Hirschgott« (Dionysos) basiert auf ungewisser Ableitung der Bezeichnung κεμήλιον von κεμάς, »(junger) Hirsch«. – Treu: »haben gemeinsam erschaffen«: Bezug von ξῦνον ist missverstanden; »am hohen Strand« (vgl. zu Hausmann; »hoch« ist besonders unglücklich, da für Strand die Vorstellung »flach«, »auf Meereshöhe« konstitutiv ist); dass es sich in der zweiten Strophe um Akte des Benennens handelt, bleibt in der Übersetzung unklar; die Wiedergabe der Bezeichnungen erfolgt großenteils ohne hinreichende Rückbindung an den griechischen Text; das deiktische τόνδε, mit dem auf ein Bild (eine Statue) des Dionysos im Heiligtum Bezug genommen wird, bleibt unberücksichtigt. – Franyó: Wie bei Hausmann bleibt das wichtige ξῦνον, »als gemeinsames«, unübersetzt; »diese Altäre am Meer«: ἐν bezieht sich auf das Heiligtum (»in dessen Innerem«); bei der Wiedergabe und Zuordnung der Kultnamen ist bei Hera von der Wortstellung her »Ruhmreiche«, von der Zeichensetzung her aber »Allmutter« als der verliehene Name markiert; bei Dionysos bleibt τόνδε unbeachtet (vgl. zu Treu); ungeachtet der fraglichen Bedeutung von ὠμήσταις ist jedenfalls das Bedeutungselement »roh« konstitutiv, was »fleischbegehrend« nicht erfasst. – Ebener: »dies große, weithin leuchtende Heiligtum«: εὔδειλον kann sich zwar theoretisch – es wäre dann das erste von insgesamt drei adjektivischen Attributen – auf τέμενος beziehen, aber wahrscheinlicher ist ein eigenes Beziehungswort in der vorausgehenden Lücke (vgl. zu Hausmann und Treu); »gleichzeitig« trifft nicht ξῦνον; in der zweiten Strophe ist der Akt der Benennung als solcher nicht erfasst, dadurch werden auch Zuordnung und Wiedergabe der Bezeichnungen beeinträchtigt; die Anrede an Zeus (»man flehte dich an, Zeus«) stammt allein vom Übersetzer, dadurch wird die Struktur des Gebetseinganges vollends zerstört; bei Dionysos bleibt auch hier τόνδε unbeachtet. – Latacz: »als allgemeine Stätte gründeten« erfasst nicht adäquat die Bedeutung von ξῦνον, die aber in einer Anmerkung zutreffend erläutert wird; unklar bleibt in der Wiedergabe, welches genau die Kultnamen waren, die die Lesbier Hera und Dionysos gaben; die drei Akte der Benennung werden in der Übersetzung durch Zeitadverbien strukturiert (»dann« – »schließlich«), wozu sich nichts Entsprechendes im griechischen Text findet. Die in diesem letzten Durchgang gewonnenen Befunde konvergieren mit den Eindrücken, die sich davor ergeben haben. Das Bemühen, metrisch zu übersetzen, führt jedenfalls bei Texten wie denen der äolischen Lyrik, d. h. Texten mit einem festen Silbenschema und somit ohne die Möglichkeit der Variation, wie sie Auflösungen einer Länge in zwei Kürzen in gewissem Umfang eröffnen, zu einer solchen Beschränkung der übersetzerischen Ausdrucksmöglichkeit, dass eine textnahe Wiedergabe eher selten gelingt. Innerhalb dieses Rahmens gibt es dann gleichwohl Unterschiede, die erheblich sein können. Dass unter den behandelten Übersetzungen gerade zwei von philologisch ausgewiesenen Verfassern eine besondere Ferne zum Ausgangstext aufweisen (Treu, Ebener), ist bemerkenswert. Des Weiteren ist deutlich geworden, wie sehr die Übersetzung von Papyrusfragmenten auf eine aufwendige philologische Vorarbeit und

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Begleitung angewiesen ist, die, wenn auch nicht ausschließlich, so doch überwiegend auf die Rekonstruktion des unvollständig überlieferten Originals entfällt. Man kann jedenfalls den Vorgang des Übersetzens nicht von einem einlässlichen Studium des Textes abtrennen. Beides vermag sich freilich wechselseitig zu befruchten. Nicht auf die schlechtesten Ideen zum Verständnis eines Textes kommt man, wenn man über dessen Übersetzung nachdenkt. Somit ist die Funktion von Übersetzungsanalyse nicht lediglich die Kritik, sondern – über die Kritik – auch die Schärfung des eigenen Textverständnisses und die Verfeinerung des übersetzerischen Ausdrucks. Wenn Übersetzen, wie Friedrich Schlegel erkannte,60 eine »unendliche« – d. h. nie abgeschlossene – »Aufgabe« ist, dann wohnt der Übersetzungskritik auch der natürliche Impuls inne, die bei der Analyse gewonnenen Einsichten in eine eigene Übertragung zu überführen, die als Momentaufnahme, die sie ist, späterer Verbesserung sei es durch den Übersetzer selbst, sei es durch andere offensteht. In diesem Sinne soll die Beschäftigung mit Alkaios Fr. 129 mit folgender Übersetzung des Kritikers enden. Wie nach dem Gesagten zu erwarten, ist es keine Versübersetzung, doch ist – als Ergebnis wiederholten Experimentierens – ihre Prosa so rhythmisiert, dass sie, mündlich vorgetragenen, hoffentlich nicht gar zu sehr prosaisch und papieren klingt:

4

(Herrscherin) Hera, der die Lesbier an weithin sichtbarem (Ort) dies große Heiligtum als gemeinsames gründeten, und drinnen errichteten sie Altäre der unsterblichen Götter,

8

und sie nannten Zeus »Antiaos« und dich »die Äolische«, dich machtvolle Göttin, Ursprung von allem, und ihn hier, den dritten, nannten »Kemelios« sie,

ihn, Dionysos, der Rohes beim Opfer empfing. – Helft,61 habt ein wohlwollendes Herz und erhört unser Fluchgebet, und aus diesen Nöten 12 und schmerzlicher Vertreibung befreit uns. Des Hyrras Sohn jedoch ereile dafür die Erinye, wie einst wir schworen, nachdem wir geopfert ( ), 16 niemals (im Stich zu lassen) auch einen nur der Gefährten,

60 61

Schlegel Das unmittelbar am Beginn der Bitte stehende, allgemein deren Dringlichkeit betonende und deshalb strukturell wichtige ἄγιτ᾽ entzieht sich wörtlicher Übersetzung und kann im Rahmen eines Gebetes auch nicht durch gebräuchliche Adverbien auffordernden Charakters wie »Auf!« oder »Wohlan!« wiedergegeben werden; unbefriedigend auch das betulich klingende »Nun denn« (Broger [1996], 181). Passend dagegen erscheint zunächst »Kommt!« (entsprechend der englischen Übersetzung von Page [1955], 162), doch verweist der deiktische Ausdruck τὸν δὲ τέρτον / τόνδε (»und ihn hier, den dritten«) auf das am Ort stehende Kultbild des Dionysos (7 f.). Dionysos und mit ihm gewiss auch Zeus und Hera sind also als präsent vorgestellt. Mit »Helft!« wird dieses Problem umgangen.

Alkaios Fr. 129 und Sappho Fr. 94 Voigt nein: entweder dazuliegen, von Erde umhüllt, getötet von jenen, die damals ( ), oder vielmehr sie zu töten 20 und das Volk aus seiner Qual zu befreien. Darüber besprach der Vielfraß62 sich nicht mit seinem Herzen, sondern leichthin mit Füßen trat er auf den Bund – und er zerfleischt63 nun 24 die Stadt. Uns jedoch ( ) nicht der Ordnung gemäß ( blau ( ) geschrieben ( ) 28 Myrsilos ( )64

)

In Ergänzung der dieser Übersetzung vorausgehenden Betrachtung zum Nutzen von Übersetzungsanalyse sei hier noch eine kurze Vergewisserung eingeschoben. Sie soll die vorgelegte übersetzungsanalytische Untersuchung, auf deren beide Teile (Alkaios- und Sappho-Abschnitt) sie sich bezieht, ansatzweise in den theoretischen Horizont des Transformationskonzepts einordnen, wie er sich im Hinblick auf die besonderen Gegebenheiten und Erfordernisse des Teilprojekts »Übersetzung der Antike« im Verlauf der internen Diskussion entwickelt hat und zuletzt von Thomas Poiss (in Zusammenarbeit mit Josefine Kitzbichler und Enrica Fantino) für diesen Band auch in einer kohärenten Darstellung ausgearbeitet wurde. Die Übersetzung fragmentarisch überlieferter Texte lässt sich in diesem Horizont elementar als spezieller Fall von Allelopoiese, d. h. wechselseitiger »Hervorbringung« des Ausgangs- wie des Zielobjekts von Transformation, auffassen, bei der die Analyse des griechischen Textes, genauer: dessen, was von ihm erhalten ist, und die kritische Prüfung vorliegender Übersetzungen in ein gleichsam interaktives Verhältnis treten.65 Spezieller, aber von besonderer 62

63

64 65

Das griechische Wort φύσγων pflegt mit »Dickwanst« übersetzt zu werden, da es in der Pittakos-Vita des Diogenes Laertios (1, 81 = Alkaios Test. 429 Voigt) zusammen mit γάστρων in einem Katalog von herabsetzenden Bezeichnungen erscheint, mit denen Alkaios Pittakos belegt habe, im Falle von φύσγων und γάστρων, weil (so Diogenes) Pittakos dick war (ὅτι παχὺς ἦν). Das Wort φύσγων (bei Diog. Laert. φύσκων) ist verwandt mit dem mehrfach in der Alten Komödie (auch bei Aristophanes Equ. 364) vorkommenden φύσκη, »Dickdarm«, davon abgeleitet »Wurst«. Die beiden Bezeichnungen für Pittakos, die somit nach Verdauungsorganen gebildet sind, apostrophieren demgemäß nicht in erster Linie eine äußerliche Fettleibigkeit als vielmehr eine intensive Verdauungstätigkeit und weisen damit, wie naheliegt, auf das anschließend folgende δάπτει τὰν πόλιν voraus. Dann aber ist die »Gefräßigkeit« des Pittakos analog zu δάπτει metaphorisch zu verstehen (vgl. folg. Anm.) und hat erst recht nichts mit Pittakos’ äußerer Erscheinung zu tun. »Zerfleischt«, d. h. er zerstückelt (zerstört) sie und sättigt sich zugleich selbst daran. Ganz ähnlich die sarkastische Aussage in Fr. 70, 7: Er (Pittakos) »soll nur die Stadt zerfleischen wie (vorher) mit Myrsilos«. Auch in Fr. 129 wird wenig später (in Zeile 29) Myrsilos erwähnt, der frühere Tyrann von Mytilene, mit dem Pittakos sich verbündete. In Fr. 332 wird sein Tod bejubelt. Vgl. Dale (2011). Gedichtende, wie schon ausgeführt, nach einer weiteren Strophe, von der nichts erhalten ist. Poiss et al. (im vorliegenden Band), § 6. Zur Allelopoiese als Basisprozess von Transformation siehe Bergemann/Dönike/Schirrmeister/Toepfer/Walter/Weitbrecht (2011); behandelt wird dort (52) auch die Erscheinungsform der Rekonstruktion und Ergänzung, wenn auch mit Blick auf andere Konstellationen als diejenige, um die es hier geht.

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Wichtigkeit ist in Anbetracht der Eigenart und historischen Funktion des anhand zweier Beispiele untersuchten Textcorpus, eben der frühen griechischen Lyrik, die Unterscheidung dreier Funktionen sprachlicher Kommunikation, die nach Franziska Münzberg bei der Übersetzungsanalyse sowohl im Ausgangs- als auch im Zieltext zu beachten sind.66 Demnach wird bei einer Übersetzung nicht einfach ein Text, sondern ein komplexer, sich mittels Sprachzeichen vollziehender Kommunikationsvorgang transformiert, der Symbol- oder Darstellungsfunktion (den Bezug auf Gegenstände bzw. Sachverhalte), Symptomfunktion (den Bezug auf den Autor) und Appellfunktion (den Bezug auf die Rezipienten) verbindet.67 Diese Komplexität muss auch in der Übersetzung wiedergegeben und erfahrbar gemacht werden. Frühe griechische Lyrik war für den mündlichen Vortrag bestimmt; sie wurde, zumindest an ihrem Ursprungsort, vom Dichter selbst vorgetragen oder – bei Darbietung durch einen Chor – unter seiner Aufsicht aufgeführt; dargestellte Sachverhalte und Steuerungsabsichten standen, besonders deutlich bei Alkaios und Sappho, in enger Verbindung mit der jeweiligen sozialen Institution, der die Dichter und ihre primären Zuhörer angehörten. Aus dieser Konstellation folgt, dass in derartigen Texten damit zu rechnen ist, dass auch Wesentliches als bekannt vorausgesetzt und nur ansatzweise ausgeführt sein kann, verbunden mit Ausdrücken der Deixis, die auf das Hier und Jetzt der Sprechsituation verweisen.68 Konsequentermaßen fordern deshalb Poiss et al., dass in diesen Fällen bei der Analyse darauf zu achten sei, wie der Übersetzer mit dem »Hic et nunc« des Ausgangstextes umgegangen ist.69 In der Tat liegt hierauf ein Hauptaugenmerk der vorliegenden Untersuchung. Wegen dieser Schwerpunktsetzung und in Anbetracht der großen Anzahl herangezogener Übersetzungen, die von vornherein nur eine mehr oder weniger kursorische, oft selektiv verfahrende Analyse zuließ, mussten – und müssen auch im Folgenden – andere relevante Aspekte und Möglichkeiten von Übersetzungsanalyse zurücktreten, wie sie besonders umfassend von Acartürk-Höß (2010) zusammengestellt worden sind.70

66 67

68

69 70

Poiss et al. (im vorliegenden Band), § 4. Die Grundlagen bei Münzberg (2003), 56–85 (in Anwendung des Organon-Modells von Karl Bühler auf den Übersetzungsvorgang). In der Begriffserläuterung von Münzberg (2003), 56 (nach Bühler): »Das Zeichen ›ist Symbol kraft seiner Zuordnung zu Gegenständen und Sachverhalten, Symptom (Anzeichen, Indicium) kraft seiner Abhängigkeit vom Sender, dessen Innerlichkeit es ausdrückt, und Signal kraft seines Appells an den Hörer, dessen äußeres oder inneres Verhalten es steuert […]‹.« Das Bühler’sche Organon-Modell hat sich dem Verfasser dieses Beitrages schon früher in anderem Zusammenhang als äußerst hilfreich bei der Erklärung deiktischer Elemente in antiker Lyrik erwiesen: Rösler (1983). Poiss et al. (im vorliegenden Band), § 4. Vgl. Poiss et al. (im vorliegenden Band), Appendix 1: Die Struktur des Parameter-Gitters nach Acartürk-Höß (2010).

Alkaios Fr. 129 und Sappho Fr. 94 Voigt

Sappho Sappho Fr. 94, einem Pergamentcodex entstammend, also materialiter kein Papyrusfragment (was jedoch im Rahmen der hier verfolgten Fragestellung unerheblich ist), wurde 1902 unter Mitwirkung von Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff von Wilhelm Schubart ediert,71 zusammen mit Fr. 95 und dem bedeutenden Fr. 96. Die editorische Weiterarbeit, die in der Ausgabe von Edgar Lobel (1925) einen ersten, für die Folgezeit bereits maßgeblichen Abschluss erreichte (Fr. ε 3), ist bei Zuntz dokumentiert.72 In Deutschland waren auch die Editionen von Ernst Diehl (1908 [19102, 19173] bzw. 1925 [19352]) verbreitet und einflussreich. Für die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg sind dann diejenigen Ausgaben hervorzuheben, die bereits zu Alkaios Fr. 129 aufgeführt wurden: Lobel/Page (1955) und Voigt (1971). Der folgende Text basiert weitestgehend auf diesen beiden Editionen (lediglich ist dazu in Zeile 10 die Rekonstruktion von Slings [1994] aufgenommen): 2

τεθνάκην δ᾽ ἀδόλως θέλω· ἄ με ψισδομένα κατελίμπανεν·

5

πόλλα καὶ τόδ᾽ ἔειπέ [μοι· ὤιμ᾽ ὠς δεῖνα πεπ[όνθ]αμεν, Ψάπφ᾽, ἦ μάν σ᾽ ἀέκοισ᾽ ἀπυλιμπάνω.

8

τὰν δ᾽ ἔγω τάδ᾽ ἀμειβόμαν· χαίροισ᾽ ἔρχεο κἄμεθεν μέμναισ᾽, οἶσθα γὰρ ὤς σε πεδήπομεν·

αἰ δὲ μή, ἀλλά σ᾽ ἔγω θέλω ὄμναισαι, [σὺ δὲ] δ[ὴ φράσ]αι, 11 ὄσ[σ(α) ] καὶ κάλ᾽ ἐπάσχομεν· πό[λλοις γὰρ στεφάν]οις ἴων καὶ βρ[όδων ]κίων τ᾽ ὔμοι 14 κα..[ ] πὰρ ἔμοι περεθήκαο καὶ πόλλαις ὐπαθύμιδας πλέκταις ἀμφ᾽ ἀπάλαι δέραι 17 ἀνθέων .[ ] πεποημμέναις καὶ π.....[ ]. μύρωι βρενθείωι .[ ]ρυ[ ]ν 20 ἐξαλείψαο κα[ὶ βασ]ιληίωι

71

72

»Bei der Herstellung des Textes habe ich mich der beständigen Theilnahme und Unterstützung des Hrn. von Wilamowitz-Moellendorff erfreut […]« (Schubart [1902], 195). Wilamowitz war es auch, der die Ausgabe in der Preußischen Akademie der Wissenschaften zur Aufnahme in die Sitzungsberichte vorlegte (ebd.). Schubart gab dann den Text erneut und im Einzelnen wesentlich verändert 1907 heraus (in: Schubart/Wilamowitz-Moellendorff [1907], 10–14), diesmal in gemeinschaftlicher Publikation mit Wilamowitz (wenn auch allein als Verantwortlicher für den Sappho-Abschnitt genannt). Zuntz (1939), 83.

Wolfgang Rösler καὶ στρώμν[αν ἐ]πὶ μολθάκαν ἀπάλαν πα.[ ]..ων 23 ἐξίης πόθο[ν ].νίδων κωὔτε τις[ οὔ]τε τι ἶρον οὐδ᾿ ὐ[ ] 26 ἔπλετ᾽ ὄππ[οθεν ἄμ]μες ἀπέσκομεν, οὐκ ἄλσος .[ [ 29 [

].ρος ]ψοφος ]...οιδιαι

Das Fragment entstammt dem Inneren eines Gedichts in dreizeiligen Strophen, in denen jeweils drei Glyconeen aufeinander folgen, der dritte Glyconeus mit innerer Erweiterung durch Wiederholung des »Dactylus«.73 In dem Text spricht Sappho davon, wie sie ein Mädchen, das eine Zeitlang bei ihr gelebt hatte, verabschiedet hat und welche Empfindungen diese Situation bei beiden auslöste. Er ist zugleich ein bedeutendes Zeugnis für die Lebensform, die im Mädchenkreis der Sappho gepflegt wurde. Dessen historische Funktion muss hier zunächst in aller Kürze rekapituliert werden. Sappho wurde aufgrund der homoerotischen Inhalte ihrer Lyrik seit Ende des 17. Jahrhunderts Gegenstand eines erbitterten Streites, der durch den französischen Aufklärer Pierre Bayle ausgelöst worden war und der sich um 1900, also zum Zeitpunkt der Editio princeps von Fr. 94, auf einen scheinbar unversöhnlichen Gegensatz zugespitzt hatte:74 Je nachdem erschienen die einschlägigen Gedichte von Sappho als Dokumente einer autobiographischen Chronique scandaleuse, oder das homoerotische Element wurde von Verteidigern der Dichterin auf eine abstrakte Stufe des Poetischen gehoben und zugleich verharmlost. In diesem Sinne porträtierte Wilamowitz, der bedeutendste Gräzist seiner Zeit und, wie gesagt, an der Editio princeps von Fr. 94 beteiligt, Sappho als Vorsteherin einer Erziehungsanstalt,75 die, wie man treffend gesagt hat, nach dem Modell eines preußischen Mädchenpensionats gezeichnet war. Erst wesentlich später, in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, wurde erkannt, dass beide Sachverhalte, sowohl das homoerotische Element in Sapphos Lyrik als auch ihre Rolle als Leiterin eines Kreises junger Mädchen, gar keinen Gegensatz bilden, sondern dass 73 74 75

Die Bezeichnung »Dactylus« in diesem Zusammenhang nach Snell (1982), 45. Näheres bei Rüdiger (1933). Wilamowitz-Moellendorff (1916). Zu den Voraussetzungen Calder (1986). Schon vorher hatte sich Wilamowitz 1896 mit einer belletristischen Neuerscheinung, den im Jahr davor erschienenen Chansons de Bilitis von Pierre Louys (1894) auseinandergesetzt (die Besprechung ist wiederabgedruckt in Wilamowitz-Moellendorff [1913], 63–78; danach die folgenden Zitate), einer Sammlung von homoerotischen Gedichten in Prosaform; diese geben sich als Übersetzung eines kürzlich aufgefundenen altgriechischen Originals, dessen Verfasserin mit Sappho in Kontakt gestanden und eine ähnliche Lebensform gepflegt habe. Das in Frankreich hochgeschätzte Werk erlangte durch Vertonungen von Debussy auch musikhistorische Bedeutung. Wilamowitz missverstand es als Beschmutzung Sapphos – »Mir ist es um die Reinheit einer großen Frau [scil. Sappho] zu tun; da scheue ich mich nicht, herzhaft in den Kot zu fassen« ([1913], 63) – und gelangte zu folgendem Fazit ([1913], 78): »Dieser Liebe […] irgend etwas grobsinnliches zuzuschreiben ist nicht nur sündhaft, sondern zeugt von einer groben Unfähigkeit, Texte zu verstehn.«

Alkaios Fr. 129 und Sappho Fr. 94 Voigt

sie auf eine soziale Institution verweisen, die im archaischen Griechenland in Geltung war: den temporären Zusammenschluss junger Mädchen in Gruppen, in denen sie im Durchlaufen eines abgestimmten, auf die Hochzeit hinführenden Curriculums, ihre »Initiation«, den Übergang von der Kindheit zum Erwachsensein, vollzogen. Ursprünglich ein Untersuchungsgegenstand von Ethnologie und Religionswissenschaft, wurde die Initiation, die sich in verschiedensten Ausformungen und sich auf beide Geschlechter erstreckend über die gesamte Welt hin in traditionalen Ethnien findet,76 zuerst von Reinhold Merkelbach als Schlüssel für das Sappho-Verständnis zur Geltung gebracht.77 Während ihrer Zugehörigkeit zu dem von Sappho geleiteten Kreis wurden die Mädchen in fundamentale Verhaltensweisen und Techniken eingeführt, deren Kenntnis und Beherrschung ihnen die Normen der Erwachsenenwelt abverlangten. Zu nennen ist zunächst der Gesamtkomplex dessen, was sich als körperliche Kultur bezeichnen lässt: die Pflege von äußerer Erscheinung und Ausstrahlung; weiter die Bereiche des Musischen, d. h. Tanz und Gesang, sowie der Religiosität, d. h. der gemeinsamen Teilnahme am Kult, der Anrufung der Götter in Gebet und Hymnos. Ein vierter Bereich stellt endlich die Verbindung zwischen den beiden Sphären der Erziehung und der Sexualität her, auf deren vermeintliche Unvereinbarkeit sich der Dissens der Sappho-Rezeption um 1900 zugespitzt hatte. Zur weiblichen Initiation gehörte nicht zuletzt das, was man als vorbereitende Hinführung zu Erotik und Sexualität bezeichnen kann. Diese geschah hier, im Kreis der Sappho, eben auf dem Wege homoerotischer Beziehungen, wie sie in der Initiationsgruppe gezielt angeregt und gefördert wurden. Dass in den Gedichten Sapphos immer wieder die Liebe Thema ist, die Sappho mit Mitgliedern des Kreises und diese untereinander verbindet, hat seine Grundlage in der komplexen Erziehungsfunktion dieser Institution. Dabei wird man sich Sappho selbst grundsätzlich in der Rolle der Anregenden und Moderierenden, sich auch verbal Einbeziehenden, nicht aber als wirklich aktiv Beteiligte vorzustellen haben.78 Ein entgegengesetztes Verhalten wäre mit ihrer Funktion in der Gruppe unvereinbar gewesen und hätte diese binnen kurzem zerstört. Bezeichnend ist, dass sie von eigener Liebe nur in allgemeiner, auf Namensnennung verzichtender Weise oder in Abwesenheit der Betreffenden bzw. im Rückblick spricht. Auch was die homoerotischen Beziehungen der – soeben dem Kindesalter entwachsenden – Mädchen untereinander betrifft, wird man sich ihre Funktion und Ausgestaltung im Einklang mit dem thematischen Befund der Gedichte vor allem als ein erstes Erfahren, Zulassen und Verarbeiten von erotischen Gefühlen und Stimmungen, weniger als Praktizieren und Ausleben homoerotischer Handlungen vorzustellen haben. Aus allen genannten Bereichen gewinnt Sappho die Themen ihrer Gedichte. Deren bei weitem größerer Teil war ursprünglich für den Vortrag innerhalb des Mädchenkreises bestimmt. Daneben stehen die Hochzeitslieder, die Sappho für ausschei76 77 78

Die klassische ethnologische Darstellung der Initiation stammt von van Gennep (1909). Merkelbach (1957). Ein heftiger Angriff auf diese Sicht durch Parker (1993) blieb einen historisch plausiblen Gegenentwurf schuldig und vermochte sie nicht zu erschüttern. Anders z. B. Calame (1996), 121 f.

Wolfgang Rösler

dende Mitglieder des Kreises verfasste und die man sich im größeren Rahmen der jeweiligen Feierlichkeiten aufgeführt denken muss. Anders als bei dem zuvor betrachteten Alkaios-Fragment, dessen Übersetzungen ins Deutsche großenteils erfasst, zitiert und im Einzelnen behandelt werden konnten, ist dies bei Sappho Fr. 94 aufgrund der wesentlich größeren Zahl von Übersetzungen nicht möglich. Diese Asymmetrie hat zwei Ursachen: Zum einen hat Sappho in Anbetracht der Faszination, die von der Person der Dichterin und ihrem Werk ausgeht, stets mehr Übersetzungen angestoßen als Alkaios; zum anderen ist im konkreten Fall der beiden ausgewählten Fragmente der Zeitraum seit der Erstpublikation bei Sappho um mehrere Jahrzehnte länger als bei Alkaios (1902 gegenüber 1941), wodurch sich das quantitative Verhältnis der Übersetzungen zugunsten Sapphos noch zusätzlich verstärkt. Die folgende Darstellung behandelt ausführlicher fünf Übersetzungen von vier Übersetzern aus unterschiedlichen Zeiten (zwischen 1913 und 2009) und geht auf weitere knapper zusammenfassend ein.79 Wie im Falle von Alkaios Fr. 129 ist es auch bei dem Sappho-Fragment sinnvoll, sich zunächst mit seinem zweiten Teil zu beschäftigen, dessen Aufbau ungeachtet der Lückenhaftigkeit der Überlieferung klar zutage liegt. Das Fragment bietet ab Zeile 12 eine detaillierte Darstellung von »schönen Dingen«, die zu den genannten Bereichen des Lebens in der Initiationsgruppe gehörten; an ihnen hatte das Mädchen, dessen Verabschiedung Sappho zuvor geschildert hat, teil, solange es dem Kreis angehört hatte. Daran hat Sappho beim Abschied erinnert. Anders als bei dem Alkaios-Fragment stammt hier die erste Übersetzung, die wir betrachten, von einem Autor von höchster philologischer Autorität: nämlich von keinem Geringeren als von Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff. (Bei ihr handelt es sich allerdings nicht um die erste Übersetzung von Fr. 94, die überhaupt erschien; ihr war im Jahr davor jene von Siegfried Mekler vorausgegangen, auf die in dem angekündigten zusammenfassenden Überblick zurückzukommen ist.) Zunächst sei aber noch auf ein Stilmerkmal des griechischen Textes in diesem Abschnitt hingewiesen, das die klare Funktion hat, die Fülle, ja Unerschöpflichkeit des Schönen hervortreten zu lassen, das das Mädchen erfahren hat: Am Beginn der drei ab Zeile 12 aufeinander folgenden Kurzstrophen wird jeweils eine Form von πολύς betont vorangestellt und jede der vier Kurzstrophen ab Zeile 15 mit καί anaphorisch eingeleitet: πό[λλοις γὰρ στεφάν]οις ἴων (12) – καὶ πόλλαις ὐπαθύμιδας (15) – καὶ π.....[ ]. μύρωι (18)80 – καὶ στρώμν[αν ἐ]πὶ μολθάκαν (21) – κωὔτε τις[ (24). Aus dieser gezielten stilistischen Gestaltung lässt sich ein Kriterium gewinnen, an dem sich im Folgenden – unter anderem – der Grad einer genauen sprachlichen Orientierung am griechischen Text ermessen lässt, der bei der Wiedergabe maßgeblich war und zur Anwendung gelangte.

79 80

Nur die ganz frühen Übersetzungen bis Bethe (1920) sind erfasst bei Rüdiger (1934), 45–48; die jüngeren wurden vom Verfasser ermittelt. Eine (nahezu zwingend vorauszusetzende) Form von πολύς ergänzten bereits Schubart, Wilamowitz und Lobel.

Alkaios Fr. 129 und Sappho Fr. 94 Voigt

Hier nun die Übersetzung von Wilamowitz:81 Viele Kränze aus Rosen und Veilchen hast du bei mir um Locken und Zöpfe gelegt, [12–14] viele Guirlanden geschlungen um den weichen Nacken, aus Frühlingsblumen gemacht. [15–17] Mit vielen Salben, königlichem Brenthos hast du dir .... gesalbt. [18–20] Auf weichem Polster .... hast du das Bedürfnis (der Ruhe) gestillt .... [21–23] kein Heiligtum ... kein (Fest) war, .... [24–26] kein (heiliger) Hain ... [27]

Wenn man sich dieser Übersetzung in der Erwartung genähert hat, Ähnliches wie das zu finden, was Wilamowitz in seinen Tragödienübersetzungen geboten und in seinem Aufsatz Was ist übersetzen? konzeptionell erläutert hat, erkennt man bereits nach wenigen Worten, dass hier etwas ganz anderes vorliegt. Dort ein Verständnis von Übersetzung als »Metempsychose«, die gerade nicht in vordergründiger Treue gegenüber dem Original Ausdruck gewinnt; vielmehr müsse »der Geist des Dichters […] mit unseren Worten reden«.82 Hier dagegen eine Arbeitsübersetzung, deren Autor an der Rekonstruktion des fragmentarischen Textes mitgewirkt hat und hiervon in der Übersetzung einen Eindruck zu geben versucht. Da auch zu berücksichtigen ist, dass der zugrunde liegende griechische Text83 einen erst von Lobel (1925) integrierten kleineren Textzuwachs sowie eine Reihe von Lesungen und Ergänzungen noch nicht enthielt, die in der Folgezeit Geltung erlangten, sollen hier nur zwei Beobachtungen festgehalten werden: Nicht beachtet ist die auffällige Wiederkehr von καί als erstem Wort in vier aufeinander folgenden Strophen. Und der erläuternde Einschub in Zeile 23 – »Auf weichem Polster .... hast du das Bedürfnis (der Ruhe) gestillt« – ist Reflex des oben skizzierten Sapphobildes von Wilamowitz. Dieses Verständnis konnte nicht ohne Widerspruch bleiben. Ambitionierter ist die Übersetzung, die Wolfgang Schadewaldt in seinem SapphoBuch von 1950 vorlegte. Das Buch blieb leider ein Torso, da der vorgesehene Anhang (»Nachweise und Anmerkungen – Der griechische Text – Register«, wie auf der Rückseite des Titelblattes steht) niemals erschienen ist.84 Das Buch muss in Scha81 82

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Wilamowitz (1913), 49 f.; die im Original fortlaufende Übersetzung (neben dem griechischen Text) wird hier im Druckbild der Strophengliederung angepasst. Näheres bei Lubitz in: Kitzbichler/Lubitz/Mindt (2009a), 196–207 (die wörtlichen Zitate dort 201). Der genannte Aufsatz (Erstfassung 1891, überarbeitet 1925) ist wiederabgedruckt in: Kitzbichler/Lubitz/Mindt (2009b), 326–349. Es handelt sich um die – hier an einigen Stellen großzügiger ergänzte – Version von Schubart/Wilamowitz-Moellendorff (1907). Schadewaldt äußerte sich dazu in seiner Lyrik-Vorlesung von 1959/60 (Schadewaldt [1989], 134 f.): »Allerdings hat das Buch das Unglück gehabt, nur zur Hälfte gedruckt zu werden, ohne den Anmerkungsband, für den die Zahlen im Text schon eingetragen waren, weil der Verleger Stichnote damals von Potsdam fortging. Darum hat man das Buch wissenschaftlich nicht recht ernst genommen, auch die Übersetzung wird als solche nicht genannt, weil sie eben in einem Buch enthalten ist. Ich hatte eigentlich nicht nur die Fragmente und die Stellenangaben drucken wollen, sondern wollte das Zitat jeweils im Zusammenhang des zitierenden Autors bringen, weil man es oft nur aus dem Zusammenhang heraus beurteilen kann.«

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dewaldts Berliner Zeit entstanden sein; wann genau, ist ungewiss.85 Es handelt sich um eine interpretierende Darstellung der Lyrik Sapphos, in die die Fragmente in deutscher Version integriert sind.86 Was speziell Fr. 94 angeht, so hat die Übersetzung Schadewaldts von 1950 freilich ihrerseits bereits eine Vorstufe: nämlich jene Übersetzung, die Schadewaldt 1936 im Rahmen eines Aufsatzes über eben dieses Gedicht im Hermes vorlegte. Es drängt sich deshalb auf, beide Übersetzungen in Verbindung miteinander zu betrachten, auch hier zunächst beschränkt auf den zweiten Teil des Fragments. Zunächst die ältere Übersetzung:87 Viele Kränze aus Veilchen und Rosen und … und … hast du dir bei mir angelegt, [12–14] und viele Duftgewinde um den zarten Hals, aus lieblichen Blumen gemacht; [15–17] und mit viel Salbe, Brenthos und Königssalbe, hast du dich gesalbt, [18–20] und, auf ein weiches Polster die zarte [Wange gebettet?], hast du das Sehnen … gestillt; [21–23] und da war kein [Reigen] und kein Heiligtum und kein …, wo wir nicht dabei waren, [24–26] kein Götterhain … [wo nicht] der Schall [der Kastagnetten] … [27–28]

Im Vergleich mit der Übersetzung von Wilamowitz fällt zunächst ins Auge, dass Schadewaldt die Wiederkehr von καί als erstem Wort in vier aufeinander folgenden Strophen ab Zeile 15 beachtet und Wilamowitz’ Verständnis von Zeile 23 – »Auf weichem Polster .... hast du das Bedürfnis (der Ruhe) gestillt« – nicht übernimmt. Er stellt fest, dass πόθος auch an anderen Stellen bei Sappho »in die erotische Sphäre weist«88 und dass, dazu passend, die Ergänzung νεα]νίδων naheliegt89 – womit die

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Bei seinem Erscheinen war der Verfasser allerdings bereits nach Tübingen gewechselt (im selben Jahr, 1950) – auf dem Klappentext wird Schadewaldt als »der bekannte Tübinger Alt-Philologe« vorgestellt. »In diesem Buch habe ich alles damals (1950) Erhaltene übersetzt, auch kleinste Fetzen«, (Schadewaldt [1989], 134). Schadewaldt (1936), 363 f. Wie bei Wilamowitz wird die im Original fortlaufende Übersetzung hier im Druckbild der Strophengliederung angepasst. – Als Textvorlage konnte Schadewaldt noch den kurz zuvor erschienenen Faszikel IV von Vol. I der 2. Auflage der Anthologia Lyrica von Diehl (1935) benutzen (Sappho Fr. 96 mit Addendum auf S. 223; vgl. Schadewaldt [1936], 363, Anm. 1), die Lobel (1925) zur Grundlage hat, allerdings mehr Ergänzungen in den Text aufnimmt. Schadewaldt (1936), 364, Anm. 4. Vgl. Page (1955), 10; zu ἐξίης πόθον ebd. 79: Der Ausdruck ist in Analogie zum Homerischen ἐξ ἔρον εἷναί τινος zu sehen, »›you got rid of your longing‹, […] ›disposed of it by indulging it‹«. – Was die Bedeutung der Homoerotik im Kreis der Sappho betrifft, gibt sich Schadewaldt ansonsten, gerade auch in seinen späteren Äußerungen, sehr zurückhaltend. Vgl. Stanzel (2005), 37 f., der als mögliches Argument gegen solche Bedenken seinerseits auf die hier behandelte Sappho-Stelle hinweist, ohne zu vermerken, dass Schadewaldt selbst sie in dem frühen Aufsatz von 1936 dezidiert im homoerotischen Sinne verstanden hat. Dass Schadewaldt in dieser Frage tatsächlich eine Wandlung vollzog, zeigt unmittelbar eine Änderung in seiner späteren Übersetzung von 1950. Hatte er ἐξίης πόθον 1936 noch übersetzt: »hast du das Sehnen … gestillt«, d. h. befriedigt, formulierte er 1950 ganz ambivalent: »hast Du dir vertrieben die Sehnsucht nach …«.

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homoerotische Dimension des Kreises der Sappho explizit angesprochen wäre. Eine genauere Übersetzung als »auf ein weiches Polster die zarte [Wange gebettet?]« am Strophenbeginn hätte diese Tendenz noch stärker hervortreten lassen: στρωμνή bezeichnet konkret das Bett,90 der Ausdruck στρώμν[αν ἐ]πὶ μολθάκαν ist als Genitiv Plural, nicht als Akkusativ Singular zu bestimmen91 und naheliegenderweise direkt mit ἐξίης πόθον zu verbinden. Will man den bis hierher gewonnenen Eindruck zusammenfassen, so handelt es sich auch bei der früheren Übersetzung von Schadewaldt wie bei jener von Wilamowitz um eine Arbeitsübersetzung, deren Funktion im wesentlichen in der Unterstützung der philologischen Argumentation liegt, der sie beigegeben ist. Größeren literarischen Anspruch zeigt die jüngere Übersetzung,92 auch wenn sie manche Formulierung der älteren verwendet. Anders als bei jener ist bereits in der Originalpublikation die Strophengliederung im Druckbild dargestellt: (Viele Kränze) von Veilchen und Rosen und Krokussen auch zugleich· 14 (Und von Anis) hast du bei mir dir angelegt, Und auch vieles geflochtene Duftgewind um den zarten Hals, 17 Von lieblichen Blumen hergestellt. Mit viel Salbe auch hast du (glatt,) Brenthossalbe, (die schöne Haut) 20 Dir gesalbt und, wie sie der König braucht. Und auf ein weiches Ruhebett Hingestreckt die zarte … hast 23 Du dir vertrieben die Sehnsucht nach …, Und kein einziger (Reigen,) kein Einzig Opfer, (kein Brunnengang) 26 Ist gewesen, wo jemals wir gefehlt, Und kein Hain, wo zur Frühlingszeit Nicht (der Kastagnetten) Geräusch 29 (Tönte oder der Mädchen) Liedersänge.

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Schadewaldt (1936), 364, Anm. 4. Entsprechend bereits Lobel (1925), 79 (Addendum zu ε 3); anders dann in Lobel/Page (1955), im kritischen Apparat zur Stelle (vgl. Page [1955], 80): Nunmehr wird ausgeschlossen, dass vor νίδων ein α gestanden habe. Als Objekt des πόθος käme in diesem Fall alternativ das isolierte Adjektiv im Genitiv Plural Femininum ἀπάλαν mit ausgefallenem Substantiv in Betracht (Page [1955], 79). Auf jeden Fall ist ein Genitivus objectivus der Person anzusetzen: »deine Sehnsucht nach (anderen) jungen Mädchen (bzw. nach zarten …)«, nicht ein subjectivus, wie es Zuntz annahm ([1939], 90): »Explebas desiderium id, vel tale, quale puellae sentire solent.« Vgl. Page (1955), 79: »στρωμνή regularly means not a couch, for reclining, or a seat of any kind, for sitting, but a bed, a place where you lie down for the night: it is not a ›Polster‹ (Wilamowitz) […]«. Vgl. Tzamali (1996), 327 (mit luzider Erläuterung). Schadewaldt erwog nur die andere Möglichkeit ([1936], 364, Anm. 3). Schadewaldt (1950), 114 f. Diese Übersetzung wurde später auch in die Lyrik-Vorlesung von 1959/60 übernommen (Schadewaldt [1989], 181 f.).

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Ein wichtiger Aspekt der literarischen Ambition erschließt sich anhand von Zeile 18, bei der zunächst ein Mangel auffällt. Schadewaldt hat hier das »und« am Zeilenbeginn weggelassen93 und dadurch die Reihe der vier durchweg mit καί beginnenden Kurzstrophen ab Zeile 15 in der Übersetzung durchbrochen. Der Grund dafür ergibt sich, wenn man erkennt, dass er sich bestrebt zeigt, die Glyconeen in den ersten und zweiten Zeilen der Strophen nach Möglichkeit zu imitieren. In dem Abschnitt, den wir hier betrachten, gilt dies für die Zeilen 1294, 13 (mit der ungriechischen Lizenz einer Doppelkürze »-sen und« am Zeilenbeginn), 15 (eben um den Preis des fortgelassenen »und«), 16, 18, 19, 21, 24, 25, 27.95 Ein gleicher (nicht im Einzelnen darzustellender) Befund ergibt sich für den vorausliegenden Teil des Fragments.96 In seiner Konzeption der dokumentarischen Übersetzung, die Schadewaldt nicht lange nach dem Erscheinen des Sappho-Buches auszuarbeiten begann, wird er ein solches Verfahren metrischer Imitation zugunsten des Zieles aufgeben, »der Wortgestalt des Originals auch in der Übersetzung so nah wie möglich« zu bleiben.97 Dies sei erreichbar nur vermöge eines großen Opfers – des Opfers der äußeren sinnlichen Form des Originals, wie diese sich in Versmaß, Zahl der Verse, in Klängen aller Art, kurz: in der gesamten sinnlichen Lautgestalt der Dichtung darstellt. Wörtlich übersetzen und zugleich jene äußere sinnliche Form bewahren, ist unmöglich. Wer sich auch nur an die Verszahl des Originals bindet, muß notgedrungen, wie die Erfahrung lehrt, im Deutschen einmal kürzen, einmal strecken, die Sätze umbauen, die Vorstellungen verbiegen […]. Der Übersetzer, er mag anstellen, was er will, muß sich entweder für das Wort oder für die äußere Form entscheiden.98

Für die Praxis dokumentarischen Übersetzens stellt Schadewaldt drei Forderungen auf: Erstens die Forderung, vollständig zu übersetzen, nichts wegzulassen und nichts hinzuzufügen. Zweitens die Forderung, die genuinen Vorstellungen des Dichters, die ihm eigentümlichen Ideen und seine Bilder in ihrer Reinheit und Eigentümlichkeit zu bewahren. Und drittens die Forderung, die Abfolge der Vorstellungen des Dichters bis auf die Wortstellung im Satz soweit wie nur irgend möglich auch im Deutschen einzuhalten.99

Auch hinter diesen Forderungen bleibt die Sappho-Übersetzung – nicht nur bei dem metri causa nicht übersetzten καί (vordergründig eine Petitesse, aber aufgrund der anaphorischen Sequenz an dieser Stelle doch eben mehr als das) – um einiges zurück, 93 94

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Das spätere »auch« vermag die Durchbrechung der anaphorischen Struktur nicht auszugleichen. Der deutsche »Glyconeus« kommt freilich nur um den Preis eines »und« unmittelbar vor dem Periodenende zustande, was griechischer Praxis, die man gerade in diesem Fragment gut beobachten kann, zuwiderläuft (καί gehört zum Folgenden; vgl. oben zur Alkaios-Übersetzung von Franyó). Am Beginn von Zeile 27 hat Schadewaldt ein »und« eingefügt, wo der griechische Text kein καί bietet. Dadurch wird ein deutscher »Glyconeus« überhaupt erst erzeugt. Demgegenüber ist das (etwas kompliziertere) Metrum der dritten Strophenzeile nur in Zeile 11 glatt nachgebildet. Schadewaldt (1970a), 657. Zahlreiche gleichgerichtete Äußerungen seit den fünfziger Jahren (vgl. Mindt, in: Kitzbichler/Lubitz/Mindt [2009a], 286–291). Schadewaldt (1958), 540. Schadewaldt (1970a), 657. Über die Ergänzungsbedürftigkeit dieser Maximen, die relevante Aspekte ausblenden, Poiss et al. (im vorliegenden Band), § 2.

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woran freilich die Tatsache, dass der übersetzte Text fragmentarisch ist, wesentlichen Anteil hat.100 Die Forderung, »vollständig zu übersetzen, nichts wegzulassen und nichts hinzuzufügen«, ist in der gegebenen Übersetzungssituation undurchführbar. Tatsächlich integriert Schadewaldt in seine Übersetzung, wie die in Klammern gesetzten Stellen zeigen, sogar zahlreiche Ergänzungen. Aber auch da, wo gesicherte Überlieferung vorliegt, finden sich, wenn man den Maßstab dokumentarischen Übersetzens antizipiert, Verstöße gegen das Gebot, sich spekulativer Hinzufügungen zu enthalten. So übersetzt er in der mit Zeile 18 beginnenden Strophe die Bezeichnung der Duftöle, mit denen sich das Mädchen, wie Sappho erinnert, in der Gemeinschaft mit den anderen gesalbt habe: »Mit viel Salbe auch hast du (glatt,) Brenthossalbe, (die schöne Haut) dir gesalbt und, wie sie der König braucht.« Im griechischen Text steht: μύρωι βρενθείωι … ἐξαλείψαο καὶ βασ]ιληίωι. Tzamali101 stellt dazu fest, dass die adjektivischen Attribute βρενθείωι καὶ βασιληίωι jedenfalls zwei Arten von Salböl unterscheiden – so hatte es auch Schadewaldt in der älteren Übersetzung noch verstanden. Die jüngere Übersetzung dagegen trifft diesen Sachverhalt nicht: Der Zusatz »und, wie sie der König braucht« bezeichnet keine zweite Art von Salbe, ist aber auch für sich unverständlich und leistet es nicht ansatzweise, »die genuinen Vorstellungen des Dichters […] in ihrer Reinheit und Eigentümlichkeit zu bewahren«. Da nicht klar ist, was die Attribute im gegebenen Zusammenhang genau bedeuten, wäre bei einer dokumentarischen Übersetzung im Sinne Schadewaldts somit eine zurückhaltende Wiedergabe gefordert gewesen, etwa: »und mit (viel) Duftöl hast du dich (oder: dir die Haut) gesalbt, mit Brenthon-102 und mit Königsöl«. An dieser Stelle machen wir einen zeitlichen Sprung von gut vier Jahrzehnten und wenden uns der Übersetzung von Latacz zu, die in demselben Band erschienen ist wie jene von Alkaios Fr. 129, die uns bereits beschäftigt hat.103 Auch hier beschränken wir uns zunächst auf die Zeilen 12 ff. des Fragments: Viele Kränze ja aus Veilchen und Rosen und aus [....] zugleich 14 und [auch aus? ...] hast du bei mir dir umgelegt und viele Blumengewinde ja, geflochtene, um den zarten Hals, 17 aus Blüten [von . . . . . . . . . .] gemacht,

100 Schadewaldt selbst stellte auch die Sappho-Übersetzung in den Zusammenhang des dokumentarischen Übersetzens (ebd.); dagegen berechtigte Vorbehalte bei Mindt, in: Kitzbichler/Lubitz/Mindt [2009a], 278 (»noch nicht konsequent dokumentarisch«). 101 Tzamali (1996), 325 f. 102 Die Analyse des Wortes durch Page (1955), 79 (»rare and obscure«), legt nahe, es in der Übersetzung gleichsam als Fremdwort zu belassen und dabei die von Hesych – noch dazu für eben diesen Sachbereich – bezeugte neutrale Substantivform βρένθον (βρένθον· μύρον τι … ὡς βάκκαρις, οἱ δὲ ἄνθινον μύρον), nicht das von Übersetzern meist vorgezogene Masculinum βρένθος (Bezeichnung einer Vogelart) zu verwenden. Bagordo (2009) gewinnt in seiner noch zu behandelnden Übersetzung aus Hesych die Wiedergabe »mit Salböl, dem blumigen«. 103 Latacz (1991), 408–411.

Wolfgang Rösler und mit [....] Creme aus Brenthon [... den Körper] 20 hast du dir eingecremt und aus Basilēïon auch, und auf weichem Bett [gelagert?] nach zarten [, Kind, ...] 23 hast du gestillt das Sehnen [, nach ...] und weder ein [... noch] irgendein heiliges [Fest? ...] 26 gab es ja, dem wir je ferne geblieben sind – kein Hain [..., kein] Tanzplatz [....] Klang 29 [. . . . . . .]

Wie bei der Alkaios-Übersetzung handelt es sich auch hier weitgehend um eine Prosaübersetzung, deren Zeilenwechsel mit der Abfolge der griechischen Verse äußerlich koordiniert sind. Allerdings ist insofern ein rhythmisches Element in den Übersetzungstext eingearbeitet, als Latacz soweit möglich in der dritten Strophenzeile an gleicher Stelle eine Zäsur verwirklicht, die er durch einen vergrößerten Wortzwischenraum auch im Druckbild hervortreten lässt (Zeile 14, 20, 26; davor in Zeile 2, 5, 8, 11). Nach der Zäsur findet sich stets eine gleiche metrische Struktur, die mit dem Teil des griechischen Verses übereinstimmt, der vom Beginn des wiederholten »Dactylus« bis zum Versende reicht (z. B. ὤς σε πεδήπομεν). Allerdings hat der griechische Vers an dieser Stelle gar keine feste Zäsur, so dass sich der Eindruck einer Übereinstimmung mit dem griechischen Metrum relativiert. Das Bemühen um Nähe zum Ausgangstext ist auch bei der Sappho-Übersetzung deutlich, so beim viermal stropheneinleitenden »und«; bei den aufeinander folgenden Formen von πολύς sind nur die beiden ersten in der Übersetzung berücksichtigt, während die nur ansatzweise überlieferte dritte Form in Zeile 18 legitimerweise unübersetzt bleibt. Doch lässt sich auch einzelnes Kritische anmerken: So erscheint die ergänzte Anrede »Kind« in Zeile 22 unmotiviert, und man kann die – noch dazu zweifache – Verwendung des Lehnwortes Creme (»mit Creme … hast du dich eingecremt«, im griechischen Text ist gar keine Wiederholungsfigur vorgegeben: μύρωι … ἐξαλείψαο) hinsichtlich der Stilhöhe als unglücklich empfinden. Schließlich zur Wiedergabe von γάρ in Zeile 12: In der vorausgehenden Zeile hat Sappho das Mädchen allgemein daran erinnert, wie viel Schönes man zusammen erlebt habe. Nun folgen in dem Abschnitt, den wir hier zunächst betrachten, Einzelheiten jener schönen Erlebnisse. Die Partikel γάρ hat somit ersichtlich explikative Funktion, für deren Wiedergabe im Deutschen mannigfache Möglichkeiten bestehen: »denn«, »nämlich«, »ja«; auch der Verzicht auf explizite Wiedergabe ist manchmal vertretbar, empfiehlt sich hier aber nicht. Entscheidet man sich, wie es Latacz tut, für die deutsche Partikel »ja«, so ist unbedingt darauf zu achten, dass sie in dem zu bildenden Satz eine unbetonte Position einnimmt. Das hieße (unter Verwendung der Formulierung von Latacz): »Viele Kränze aus Veilchen … hast du bei mir dir ja umgelegt« (gleichwertige Varianten lassen sich durch leichte Umstellungen gewinnen). Die von Latacz gewählte Wortstellung in Zeile 12, noch

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dazu in Verbindung mit der Wiederholung von »ja« in Zeile 15, betont hingegen das Wort in einer Weise, dass sich die explikative Funktion des griechischen γάρ überhaupt nicht mehr erschließt. Eine gewisse Neigung zu exzentrischer Wortstellung, auf die bereits oben zur Alkaios-Übersetzung hingewiesen wurde, lässt sich somit auch hier konstatieren. Die jahrzehntelang immer wieder nachgedruckte zweisprachige Sappho-Ausgabe von Max Treu in der Sammlung Tusculum wurde 2009 durch Andreas Bagordo ersetzt. Die Prosaübersetzung, die auch auf jede Rhythmisierung verzichtet, nimmt die Zeilenstruktur des Originals äußerlich auf und integriert sogar einzelne editorische Elemente des griechischen Textes in die Übersetzung wie die (teils überlieferten, teils zu ergänzenden) horizontalen Trennstriche zwischen den Strophen,104 Angaben über die Anzahl ausgefallener Buchstaben im griechischen Text (Zeile 14 und 17), die Imitation einer Ergänzung des griechischen Textes in der Übersetzung (Zeile 27: ].ρος – »[ein Ta]nz«105). Man kann dies teils als überflüssig (Strophentrennung und ausgefallene Buchstaben sind ja bereits im beigegebenen griechischen Text angezeigt), teils (bei der imitierten Ergänzung) als »pseudodokumentarische« Spielerei empfinden. Andere mögen hier günstiger urteilen. Auch hier zunächst der Blick auf die Zeilen 12 ff.: Denn mit vielen Kränzen von Veilchen und Rosen und Krokussen … 14 … [ –7– ] bei mir hast du … gelegt und viele Girlanden, mit Blumen eingeflochten, hast du dir um den zarten 17 Hals [ –6– ] gehängt. und … mit Salböl, dem blumigen … 20 riebst du dich ein und dem königlichen und auf weichen Lagern zart(en) … 23 hast du befriedigt deine Wollust … Und kein(e) und kein Opfer … 26 gab es, dem wir uns fernhielten,

104 Bei der Umsetzung sind leider Versehen unterlaufen: Verwendung unterschiedlicher Klammern nach Zeile 2 in Text und Übersetzung, nach Zeile 23 ist das Trennzeichen in der Übersetzung ganz ausgefallen. 105 So, wie sie dasteht, ist die Angabe allerdings ganz und gar kryptisch. Man muss in einer wissenschaftlichen Ausgabe nachsehen (oder selbst die Eingebung haben), dass hier wohl χόρος zu ergänzen ist (erwogen zuerst von Lobel/Page [1955], im kritischen Apparat zur Stelle). Das hätte unbedingt angegeben werden müssen. – Die Imitation der Darstellung von Lücken in der Übersetzung wird in weit extensiverer und – im Unterschied zu Bagordo – irreführender Weise von Franyó praktiziert (sowohl bei Alkaios als auch, worauf noch einzugehen ist, bei Sappho).

Wolfgang Rösler

nicht ein Hain, [ein Ta]nz … Geräusch 29 …

Die Übersetzung beachtet das viermal aufeinander folgende καί am Strophenanfang wie auch die zwei durch die Wortstellung entsprechend hervorgehobenen Formen von πολύς (die dritte, nur zu erschließende ist dagegen, wie bei Latacz, legitimerweise ausgespart). Das sich hierin zeigende Streben nach Nähe zum Ausgangstext erscheint dann freilich an anderen Stellen durchbrochen. Teilweise sind übersetzerische Entscheidungen geradezu unverständlich. Die Zeilen 12–14 erlauben eine einfache wörtliche Übersetzung: »Denn viele Kränze von Veilchen und Rosen zusammen mit (…) hast bei mir du dir umgelegt.« Die Übersetzung von Bagordo verfährt mit den Akkusativformen, als stünden Dative da, und lässt auch die mediale Verbform περεθήκαο mitsamt dem Präverb106 unbeachtet, so dass nur eine sehr verzerrte Wiedergabe zustande kommt. Auch in der folgenden Strophe (15–17) entfernt sich die Übersetzung ohne Not und ohne jeden Gewinn vom griechischen Text. Auszugehen ist davon, dass auch die Akkusativformen in dieser Strophe von dem vorausgehenden Prädikat περεθήκαο abhängig sind, so dass es eines zusätzlichen, ad hoc gebildeten Prädikats (»hast du dir … gehängt«) in der Übersetzung nicht bedarf. Zwanglos bietet sich stattdessen als Fortsetzung des Satzes an: »… und viele Gebinde,107 geflochtene, um deinen zarten Hals, aus (…) Blüten108 gemacht.« Zur Kritik gibt schließlich auch die Übersetzung der übernächsten Strophe Anlass (21–23), vor allem von deren letzter Zeile: »… hast du befriedigt deine Wollust«. Das Bedeutungsspektrum von πόθος reicht vom Gefühl des Sichsehnens nach Nähe bis zu sexueller Begierde, das passende Wort für die Übersetzung ist also nach Maßgabe des Kontexts zu bestimmen. Leider muss konstatiert werden, dass Bagordo die denkbar unglücklichste Wahl getroffen hat. Sappho lässt in diesem Gedicht im zweiten Teil des Erhaltenen die schönen Dinge noch einmal Revue passieren, die das Mädchen in der Gruppe erlebt hat. Die Rede ist vom Sichschmücken mit Blumenkränzen, vom Sichsalben mit duftendem Öl, im Folgenden auch von der Teilnahme an kultischen Handlungen. Dazwischen, an der gerade behandelten Stelle, spricht sie von der homoerotischen Dimension dieser Lebensform, der Hingabe an die neue emotionale Erfahrung der Liebe, an die das Mädchen, vor kurzem noch ein Kind, in Sapphos Kreis herangeführt worden ist. Dieses neuerweckte Gefühl als »Wollust«, d. h. als unmittelbare sexuelle Begierde, zu bezeichnen,109 stellt

106 Dazu klärend Tzamali (1996), 323 f. 107 Diese Bedeutung ergibt sich aus Athenaios: 15, 674c–d. 108 »Adverbialer Genitiv des Stoffes, vom Partizip πεποημέναις abhängig« (Tzamali [1996], 325). Nicht nachvollziehbar deshalb die Übersetzung von Bagordo. 109 Daraus, dass »der πόθος auf weichen Lagern gestillt« wurde, ergibt sich keine Tendenz zugunsten dieses Verständnisses. Zur Bedeutung von στρωμνή vgl. Anm. 90. Die Mädchen verbrachten die Nächte, wie naheliegt, in einem gemeinsamen Schlafraum, wo Nähe und Verbundenheit sinnfällig erfahrbar wurden.

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geradezu die Zerstörung der in dem Gedicht evozierten Atmosphäre dar und kann nur als gravierender übersetzerischer Fehlgriff bezeichnet werden.110 Die angekündigte Übersicht über weitere Übersetzungen muss aus Platzgründen sehr gedrängt erfolgen und sich darauf beschränken, sie in ihrer Anlage vorzustellen (meist mit einer kürzeren Textprobe), wobei weiterhin speziell die zweite Hälfte des Fragments in den Blick genommen ist. Allgemein ist vorauszuschicken, dass, sieht man vom bereits behandelten Spezialfall der »Arbeitsübersetzung« von Wilamowitz ab, gerade die frühen Übersetzungen, jene aus dem ersten Viertel des 20. Jahrhunderts, sehr frei mit der griechischen Vorlage umzugehen pflegen, d. h. – in übersetzungstheoretischer Begrifflichkeit – eine zielsprachliche Konzeption verfolgen. Die Ergebnisse sind nichtsdestoweniger sehr unterschiedlich und reichen von Nachklängen der banalisierenden Sappho-Übersetzungen aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts111 über die Anwendung der erwähnten, von Wilamowitz in seinen Tragödienübersetzungen zur Geltung gebrachten Konzeption – Übersetzung als Metempsychose, bei der »der Geist des Dichters mit unseren Worten redet« – bis hin zu der Auffassung, »dass nur ein berufener Dichter in der Lage sei, die Inkommensurabilität des Kunstwerks zu erfassen und sie auf seine eigene Dichtersprache so einwirken zu lassen, dass in einem kreativen Prozess gegenseitiger Durchdringung ein eigenständiges künstlerisches Gebilde, d. h. eine dem Original angemessene und daher existenzberechtigte Übersetzung entstehen kann«.112 Diese Vielfalt zugrunde liegender und wirksamer Motive und Traditionen kann hier nur allgemein umrissen werden. Noch vor Wilamowitz hatte Siegfried Mekler 1912 im Rahmen einer weitgespannten Anthologie griechischer Dichtung das kürzlich publizierte Gedicht im Versmaß des Originals übersetzt (allerdings nur bis zur Zeile 20). Dabei befleißigt sich der Autor einer äußerst freien, Lücken souverän füllenden Wiedergabe von großer Eingängigkeit. Bei der letzten berücksichtigten Strophe (18–20) ist schon kaum mehr von einer Übersetzung zu sprechen: »Denk des köstlichen Wohlgeruchs, / Wenn mit persischem Rosenöl / Du die prächtigen Locken dir badetest.«113 110 Die Übersetzung lässt im Übrigen offen, auf wen sich der πόθος des Mädchens nach Auffassung des Übersetzers gerichtet hat. Da Bagordo der Lesung von Lobel und Page folgt und νε]aνίδων nicht in den Text aufnimmt, wäre naheliegend gewesen, ersatzweise ἀπάλαν heranzuziehen: πόθος gegenüber zarten (Mädchen). Doch lässt Bagordo das Wort in der Übersetzung ganz unverbunden für sich stehen. Oder ist an »Wollust« von Seiten des Mädchens gedacht, die sich auf Sappho gerichtet hätte? In der Einleitung des Bandes spielt Sappho als Liebhaberin der Mädchen ihres Kreises – im Unterschied zu der im vorliegenden Beitrag vertretenen Ansicht – eine nicht geringe Rolle; angenommen wird (Bagordo [2009], 14), »dass Sappho […] individuelle Beziehungen zu allen oder wenigstens einigen Mädchen pflegte«. 111 Vgl. Rüdiger (1934), 44–46. 112 Lubitz in: Kitzbichler/Lubitz/Mindt (2009a), 220. Repräsentanten dieses Ideals sind Rudolf Borchardt und der Georgekreis; es spielt im Fall des hier betrachteten Sappho-Fragments allerdings keine große Rolle und wird nur von einem Übersetzer (Walther) für sich reklamiert. 113 Mekler (1912), 23 f. – Zu Mekler (1852–1912), der als Gymnasiallehrer in Wien tätig war, aber auch durch zahlreiche wissenschaftliche Publikationen hervortrat, siehe Fussl (1975). 1886 wurde Mekler die venia legendi für Klassische Philologie an der Wiener Universität erteilt. Seine bedeutendste, wenn auch durch wissenschaftlichen Fortschritt inzwischen überholte Leistung ist die Herausgabe des

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Ebenfalls in einer Anthologie, und zwar von griechischer Lyrik im modernen, Elegie und Iambos einschließenden Sinne, erschien 1914 die Übersetzung von Karl Preisendanz, die im Bereich von Vers 21 endet. Auch hier handelt es sich um einen Grenzfall von Übersetzung, wie sich beispielshalber an den letzten drei Zeilen zeigen lässt, die nur vage zum griechischen Text in Beziehung stehen: »Und königlicher Salbe Duft / Umfloß dich, wenn du müde dich / Auf weichen Kissen hin zur Ruhe strecktest . . .« Die dezidierte Zielsprachenorientiertheit der Übersetzung findet auch in der Entscheidung für einen, wie die Textprobe zeigt, jambischen Rhythmus ihren Ausdruck, wie er Lesern aus deutscher Dichtung vertraut war.114 »Und nicht der zünftige Gelehrte, sondern nur der Dichter hat das Recht der Uebertragung und Umformung«: so erhob der 25-Jährige Sappho-Übersetzer Wilhelm Walther – die Übersetzung erschien ebenfalls 1914 – seinen Anspruch. Bei nüchterner Betrachtung lässt sich im Hinblick auf Fr. 94 feststellen, dass die Übersetzung im Vergleich mit Mekler und Preisendanz dem griechischen Text teilweise enger folgt, mitunter aber auch ganz frei verfährt. Beides findet sich z. B. in der Strophe 12–14: »Viele Kränze von Veilchen, von / Rosen habt ihr bei mir gewunden / um die Locken und Haargeflechte euch.« Unter anderem ist der Wechsel des Numerus vom »Du« zum »Ihr« ganz unmotiviert und in der Sache verfehlt. In metrischer Hinsicht ist die Übersetzung in einer rhythmisierten Prosa gehalten, die sich bisweilen aber auch an das Versmaß des Originals annähert oder sogar mit ihm konvergiert.115 Academicorum Philosophorum Index Herculanensis (Berlin 1902), bei der ihn sein Lehrer Theodor Gomperz, dem die Anthologie gewidmet ist, unterstützte. Zur Geschichte der Erschließung und zur Bedeutung dieses Textes siehe Burkert (1993). 114 Preisendanz (1914), 25 (zu seiner Autorschaft siehe S. 62; die Sammlung enthält ansonsten großenteils Übersetzungen anderer Autoren). – Zu Preisendanz (1883–1968), der beim ersten Erscheinen des Buches gerade die Dreißig überschritten hatte und sich später als Papyrologe – vor allem als Herausgeber der Papyri Graecae magicae (2 Bde., 1928 und 1931) – und leitender Bibliothekar einen Namen machte, siehe Dirlmeier (1969); zusammenfassend Buder (2001). Verblüffend ist die hohe Auflage, auf die die Anthologie es brachte: Nach den Angaben im Internet-Katalog der Staatsbibliothek zu Berlin war ca. 1920 das 11.–15. Tsd., 1924 das 21.–25. Tsd., 1936 das 26.–35. Tsd. und 1959 (mit der überarbeiteten Neuauflage: Preisendanz [1959]) das 39.–48. Tsd. erreicht. Eine möglicherweise hinreichende Erklärung liegt in der Tatsache, dass das Bändchen in der 1912 gegründeten, insgesamt sehr erfolgreichen »Insel-Bücherei« erschien. Für die Neuauflage von 1959, 45 Jahre nach der Erstpublikation der Sammlung, machte Preisendanz eine völlig neue Übersetzung von Fr. 94 (Preisendanz [1959], 25 f.). Sie folgt nun dem Versmaß des Originals und erstreckt sich auch bis zum Ende des Fragments. Ein zunächst erkennbares Bemühen um Nähe zum griechischen Text schwächt sich zum Ende hin ab; die Strophe 21–23 lautet in der neuen Übersetzung: »Weiche Kissen, sie haben dir, / kehrtest müde vom Spielen du, / dein Verlangen nach Ruhe so oft gestillt.« Das hat mit dem griechischen Text kaum noch etwas zu tun. 115 Walther (1914), 31 f.; das Zitat: 11. – Zu Walther (1889–1940), Lyriker und Erzähler, siehe BiglerMarschall (2008). Walther hatte persönliche Kontakte zum Georgekreis. Wie zwei Briefe von Friedrich Gundolf – der eine an Walther selbst aus dem Jahre 1909 (Gundolf [1965], 56 f.), der andere an Friedrich Wolters (Gundolf/Wolters [2009], 75 f.), ebenfalls eine zentrale Gestalt des Kreises, aus dem Jahre 1911 – zeigen, war das Verhältnis zwischen Walther und Gundolf allerdings zerrüttet (Weiteres in den Erläuterungen zu den Briefen). Eine negative Einschätzung von Walthers SapphoÜbersetzung insgesamt gibt Rüdiger (1934), 49, der aber dem philologiekritischen Impetus an und für sich durchaus Zustimmung entgegenbringt. Walther starb im Konzentrationslager Mauthausen,

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Für sich spricht eine Textprobe aus der Übersetzung des mutmaßlichen Schulmannes Reinhold Wagner, der 1916 in einem Zeitschriftenartikel neben einigen anderen Sappho-Fragmenten auch Fr. 94 übersetzte. Es handelt sich um eine Strophe (21–23), bei der die Ergänzungen nicht weniger über die Vorstellungen des Übersetzers aussagen als die – dem Versmaß des Originals folgende – Übersetzung selbst: »Ruh’n auf molligem Polster , / Wenn du dich gesehnt, / .«116 Jedenfalls ist ein beträchtlicher Registerwechsel gegenüber dem Original zu konstatieren.117 Entsprechendes gilt paradoxerweise auch für die Übersetzung eines renommierten Philologen jener Zeit, Erich Bethe, der 1920 in einer populären Darstellung der griechischen Lyrik, Fränkels Dichtung und Philosophie118 vergleichbar, immer wieder Übersetzungen relevanter Texte integriert, darunter auch von Sappho Fr. 94 (wobei irritierenderweise die erste Zeile, als wäre sie nicht überliefert, weggelassen ist; auch endet der Text bereits mit Zeile 17). Man fasst es nicht, was Bethe aus dem Original gemacht hat (das er in metrischer Hinsicht in Strophen von vier vierhebigen Trochäen mit Reim am Ende der dritten und vierten Zeile umgewandelt hat). Zitiert sei die Transformation der beiden Strophen 12–17; der einsetzende deutsche Text hängt ab von einem »Denn stets werde ich gedenken« (anstatt wie im Original: »ich will dich daran erinnern«): » … / Wie du oft um schlanke Sprossen // Veilchen wandest, Rosen bandest / Und du mich119 damit bekränzt, / Und die duft’gen Purpurblüten / Deinen zarten Hals umglühten.«120 Geschmackvoller ist die Übersetzung, die die Münchner Lyrikerin Frieda Port 1923 in einer Anthologie vorlegte, in die sie Lieder, Elegien und Epigramme griechischer und römischer Dichter in eigenen und fremden Übersetzungen aufgenommen hatte. Bei Sappho Fr. 94, das sie, dem Versmaß des Originals nicht ohne Härten folgend, selbst übersetzt hat, lässt sich eine Technik der Montage beobachten, bei der Textelemente zusammengefügt werden, die bei Sappho an verschiedenen Stellen standen. So wird in die Übersetzung von Strophe 12–14 die durch die Überlieferung entstandene Lücke durch Integration eines Textstücks aus Zeile 16 (»um den schönen Hals«) geschlossen: »Wieviel Kränze von Veilchen und / Wieviel Rosengewinde auch / Hast du dir um den schönen Hals geschlungen!« Die Übersetzung endet bereits

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in das er deportiert wurde, nachdem er bei dem Versuch, aus Deutschland zu fliehen, verhaftet worden war. Wagner (1916), 262–264. Über den Verfasser ließ sich nichts in Erfahrung bringen. Der Erscheinungsort legt die Annahme nahe, dass es sich um einen Württembergischen Gymnasiallehrer handelt, der sich mit dem Beitrag an seine Fachkollegen wendet. Zur Kategorie des Registers siehe Poiss et al. (im vorliegenden Band), § 2. Fränkel (1951) und (1962). Offenbar ist πὰρ ἔμοι missverstanden. Bethe (1920), 35 (mit »Veilchen« beginnt eine neue Strophe des deutschen Textes). – Zu Bethe, Schüler von Wilamowitz und seit 1906 Professor in Leipzig, siehe Kern (1941) und Burck (1993), 68 f. – Zusammenfassend urteilt Rüdiger (1934), 46 f., über Mekler, Wagner und Bethe, sie hätten die neugefundenen Sappho-Fragmente (gemeint sind neben Fr. 94 vor allem Fr. 5 und Fr. 96) übersetzt, »ohne mit ihrer teilweise schwülstigen, teilweise moralisierenden Version den Originalen entfernt gerecht zu werden«.

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mit Zeile 23 in freiester, stark verändernder Version. Das Ganze ist ein Experiment, das – auch aufgrund verschiedener Missverständnisse – eine Vorstellung von dem SapphoGedicht nur vage zu vermitteln vermag.121 Der Verfasser einer Geschichte der deutschen Sappho-Übersetzungen von 1934, Horst Rüdiger, auf die hier im Anmerkungsteil bereits mehrfach Bezug genommen wurde, legte 1949 eine zweisprachige Sammlung griechischer Lyrik vor, in der auch eine Übersetzung von Sappho Fr. 94 enthalten ist (bis Zeile 23). Die Übersetzung, die nur ungefähr die metrische Struktur des Originals aufnimmt, bemüht sich überwiegend um genauere Wiedergabe des griechischen Textes, als dies im ersten Drittel des Jahrhunderts üblich war, wobei aber manches misslingt. Ein klares Beispiel bietet die Strophe 21–23: »Ruhtest auf weichen Pfühlen dann: / So erwecktest du immerdar / Zarter ionischer Mädchen Sehnsucht nach dir . . .« Nicht beachtet ist, dass ἐξίης von der räumlichen Vorstellung her einen inneren Vorgang beim Subjekt bezeichnet (»aus dir selbst«, nicht »aus anderen heraus«).122 Für die Zeit nach dem zweiten Weltkrieg ergeben sich ansonsten zahlreiche Berührungen mit dem vorausgehenden Alkaios-Abschnitt dieser Arbeit, da die dort behandelten Übersetzer überwiegend auch das Sappho-Fragment übersetzt haben. Die Übersetzung – eher eine Nachdichtung – von Hausmann im Versmaß des Originals bietet bis auf die letzte Strophe einen Text ganz ohne Lücken und nimmt sich auch da, wo originale Überlieferung vorliegt, viele und große Freiheiten.123 Auch Fränkel, der anders als im Fall des Alkaios-Fragments in beiden Auflagen seines Buches die (nahezu) gleiche Übersetzung bringt, ebenfalls im Versmaß des Originals, wenn auch mit einigen Lizenzen, legt einen weitgehend geschlossenen Text vor, 121 Port (1923), 35 (zu ihrer Verfasserschaft siehe S. IX). – Zu Port (1854–1926), Lyrikerin und Autorin einer Lebensgeschichte des Dichters Hermann Lingg, siehe Bigler (1990). Sie ist hinsichtlich ihres literarischen Profils eher einer älteren Generation zuzurechnen als jener Richtung, die (wie der bereits behandelte 35 Jahre jüngere Walther) den Dichter in einer privilegierten, ja exklusiven Rolle auch als Übersetzer sah. Port stand, in München lebend, in engerem Kontakt mit dem Schriftsteller Paul Heyse und konnte sich für ihre Anthologie antiker Dichtung, wie sie im Vorwort ausführt (ebd. VII), auf die Hilfe namhafter Münchner Philologen stützen wie Rudolf Pfeiffer und Albert Rehm, den sie als ihren Freund bezeichnet. 122 Rüdiger (1949), 94–97. In einer Neubearbeitung der Sammlung knapp zwei Jahrzehnte später hat Rüdiger (1968), 98–101, einzelnes geändert, so auch in der zitierten Strophe, die nun – auch unter Fortfall der rätselhaften ionischen Mädchen (hierzu Rüdiger [1949], 297) – so übersetzt ist: »Ruhtest auf weichen Pfühlen aus / Zarte … / Stilltest die Sehnsucht.« Man erkennt deutlich, dass in der dazwischen liegenden Zeit eine Tendenz hin zu bewussterem, konzentrierterem Umgang mit dem Fragmentarischen aufgekommen war, die nicht ohne Einfluss auf Rüdigers Übersetzungsstil blieb. Auch ist ἐξίης nun richtig verstanden. – Zu Rüdiger (1908–1984), Professor in Mainz und Bonn, der als Germanist (Schüler von Friedrich Gundolf) die Vergleichende Literaturwissenschaft als Universitätsfach in Deutschland begründete, siehe Repgen/Koppen/Allemann/Beller/Tiedemann (1988). 123 Hausmann (1948b), 82–85 (vorher bereits in Hausmann [1945a], 12 f.). Was die Komplettierungen im beigegebenen griechischen Text angeht, ist der Hinweis wichtig: »Abweichende Textstellen und Ergänzungen [scil. gegenüber Diehl (1935)] – insbesondere die kühnen aber gewiß nicht leichtfertigen Ergänzungen einiger Sappho-Gedichte – stammen von Bruno Snell […]« (Hausmann [1948b], 128).

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der konzentrierte Genauigkeit ersichtlich nicht anstrebt. Eine deutlich markierte größere Lücke findet sich allein in der Strophe 21–23, wo Fränkel sich jeder Andeutung seines Verständnisses zum Bezug von πόθος enthält.124 Die Übersetzung von Treu, auch sie dem Versmaß des Originals folgend und in den weiteren Auflagen nicht mehr verändert, ist gelungener als die mangelhafte Alkaios-Übersetzung, doch keineswegs zuverlässig. In Zeile 14 wird die Ergänzung κρο]κίων von Sitzler übersetzt (»Kränze … von Krokos«), obwohl daneben im griechischen Text das von Wilamowitz ergänzte πλο]κίων steht (κρο]κίων wird überhaupt nirgendwo erwähnt). Die »duftenden Blumen« in Zeile 16 f. und die gesamte Zeile 30 – es gab keinen Hain, »(wo nicht eure) Lieder (erklungen sind)« – sind freie Erfindungen, zu denen sich auch in den Erläuterungen keinerlei Versuch einer Rechtfertigung findet.125 Vor der Übersetzung des ebenfalls bereits von Alkaios her bekannten Franyó ist hier die bald nach Treu erschienene metrische Übersetzung von Emil Staiger einzureihen, die in einer allein Sappho gewidmeten kleinen Sammlung enthalten ist. Manche übersetzerischen Entscheidungen sind nicht glücklich: etwa die Auslassung des strukturell wichtigen γάρ (12); die abweichende Wiedergabe des zweiten καί (hier »auch«, sonst »und« [18]), wodurch die anaphorische Reihe im Deutschen aufgehoben wird); auch die durch Formen von πολύς gebildete Reihe wird in der Übersetzung unkenntlich; irritierend ist die »freihändige« Wiedergabe der Strophe 18–20, in der unvermittelt, d. h. ohne griechisches Bezugswort, von »Essenzen« die Rede ist (auch stilistisch kaum passend). Mehrfach lässt Staiger auch zu, dass durch das Versende zusammengehörige Wortgruppen zerrissen werden (»aus / Krokosblüten«, »hast / du«, »und / Brenthossalbe«), was im Griechischen, wie schon mehrfach konstatiert wurde, gemieden wird.126 Franyó, der ebenfalls dem Versmaß des Originals folgt, übersetzt so frei und oft fern vom griechischen Text, dass sich bei vergleichender Lektüre wiederholt Irritation einstellt. Diese wird verstärkt durch die »pseudodokumentarische«, philologische Präzision simulierende Praxis (wie schon bei der Alkaios-Übersetzung), analog zum griechischen auch im deutschen Text mit eckigen Klammern Lücken anzuzeigen und durch »Ergänzung« zu füllen – wo dann der Vergleich wieder und wieder den Befund erbringt, dass das im deutschen Text »Ergänzte« an der betreffenden Stelle im griechischen Text keinesfalls gestanden hat, etwa in Zeile 22 f.: »… hast du dein Sehnen dir / Zärtlich, [liebevoll Schmeichelnde, gern] gestillt«, oder in Zeile 25 f.: »Gab kein heiliges Opferfest, / Das [uns heiter] nicht unter den Zeugen sah«.127 124 Fränkel (1951), 242; (1962), 202 f. Zur letzten Strophe der Übersetzung stellt Fränkel klar, dass sie die Reste zweier Originalstrophen vereinigt (Anm. 16 bzw. 23). 125 Treu (1956 und spätere Auflagen), 74 f.; Erläuterungen: 213. 126 Staiger (1957), 10–13. – Zu Staiger (1908–1987), seinerzeit hochrenommierter Germanist an der Universität Zürich, als Übersetzer griechischer Dichtung vgl. Mindt, in: Kitzbichler/Lubitz/Mindt (2009a), 273–276; ein übersetzungstheoretischer Text von Staiger in: Kitzbichler/Lubitz/Mindt (2009b), 419–423. 127 Franyó (1976), 40–43.

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Bei Ebener gilt das zu der Übersetzung des Alkaios-Fragments Gesagte auch für jene des Sappho-Fragments: dass durchgehend nicht mehr als eine ungefähr am griechischen Text orientierte Wiedergabe erreicht wird. Auch wird – im Versmaß des Originals – ein ganz und gar lückenloser deutscher Text hervorgebracht, sogar für die beiden letzten, höchst lückenhaft überlieferten Strophen des Fragments.128 An dieser Stelle ist in der chronologischen Reihe der bereits bei Alkaios behandelten Übersetzer abermals eine Ergänzung vorzunehmen: der Schriftsteller Joachim Schickel, der 1978 eine Sammlung eigener Sappho-Übersetzungen vorlegte. Bei der Textpartie, die wir hier betrachten, beschränkt sich die – metrische – Übersetzung zwar weitgehend auf das Überlieferte, gestattet sich jedoch manch unnötige oder gar nachteilige Freiheit bei Interpretation und Wiedergabe einzelner Stellen. So erscheint die Strophe 18–20 in einer Deformation, hinter der man den originalen Text kaum wiedererkennt: »viel . . . . Essenz, / blumenduftend . . . . / hast gesalbt dich, das steht einem König an«.129 Wie bereits bei dem Alkaios-Fragment würde es auch und erst recht bei Sappho zu weit führen, auf Übersetzungen, die im Rahmen von wissenschaftlichen Untersuchungen über Sappho zur Unterstützung der Argumentation vorgelegt wurden, mit einzugehen. Eine Ausnahme wurde freilich auch hier bei Fränkel gemacht. Erwähnt werden sollen aber wenigstens die Prosaübersetzungen von Broger (auch bereits zu Alkaios genannt) und Tzamali, die beide von Kommentaren flankiert sind. Der sprachlich-stilistische Kommentar von Tzamali zu nahezu einhundert Fragmenten stellt im Übrigen eines der wertvollsten Hilfsmittel für das Sappho-Verständnis überhaupt dar. Was den hier betrachteten Abschnitt, die zweite Hälfte von Sappho Fr. 94, betrifft, zeichnen sich beide Übersetzungen durch Nähe zum griechischen Text und nüchterne Beschränkung auf das Überlieferte aus.130 Es folgen zum Abschluss vier Übersetzungen, deren Autoren, wie Schickel, im Alkaios-Teil ebenfalls noch nicht vorgekommen sind: Kurt Steinmann hat einige Sappho-Fragmente 1998 in eine Anthologie antiker Dichtung aufgenommen. Die zweite Hälfte von Fr. 94 wird – in leicht rhythmisierter Prosa – großenteils nah am überlieferten griechischen Text wiedergegeben, wenn auch mit Ausnahmen: Von der Übersetzung von Strophe 18–20 lässt sich allein zu dem Ausdruck »salbtest du dich« das Analogon ohne weiteres im griechischen Original auffinden. Wo Ergänzungen mitübersetzt sind, ist nicht konsequent darauf geachtet, dass der abgedruckte griechische Text mit der Übersetzung zusammenstimmt (Entsprechendes ist bei Treu aufgefallen). Beispielsweise lassen sich von den in der Übersetzung der Strophe 12–14 genannten vier Blumen- bzw. Blütenarten (»Viele Kränze aus Veilchen, / aus Rosen und Krokus128 Ebener (1976), 111 f. 129 Schickel (1978), 39 f. – Zu Schickel (1924–2002), Rundfunkredakteur und Schriftsteller, der vor allem als China-Experte zur Zeit Mao Tse-tungs hervortrat, siehe Stüssi (1992). Über die Veranlassung zum Sappho-Projekt und seine eigenen fachlichen Voraussetzungen äußert sich der Übersetzer selbst (Schickel [1978], 2); der Abschnitt schließt mit dem Bekenntnis: »als klassischer Philologe möchte ich dilettieren, also mich delektieren«. – »Essenz«: vgl. Staiger. 130 Broger (1976), 88–90; Tzamali (1976), 306–308. Gleiches gilt für die einem Aufsatz als »Verständnishilfe« vorangestellte Prosaübersetzung von Schmitz (2002), 55 f.

Alkaios Fr. 129 und Sappho Fr. 94 Voigt

blüten zugleich / und aus Anis«) nur die beiden erstgenannten im griechischen Text verifizieren. Auch in dieser Übersetzung wird an zwei Stellen durch eckige Klammern in der Übersetzung der Eindruck von Textergänzungen analog zum griechischen Text hervorgerufen. Zwar ist dies in dem einem Fall – »[Reigen]«, griech. χ]όρος (27) – sogar zutreffend,131 nicht jedoch bei »[hingestreckt]« am Anfang von Zeile 21, wo sich im Original keine Spur eines entsprechenden griechischen Wortes findet.132 Michael Schroeder hat seine Übersetzung von Fr. 94 zweimal, zuerst 2006 und, nahezu unverändert, wieder 2014, publiziert.133 Sie kommt ohne größeres Bemühen um Nähe zum griechischen Text aus und verfehlt durch Missverständnisse bei sinntragenden Wörtern mitunter völlig das von Sappho Gemeinte. Krass zeigt sich dies in der Strophe 21–23, wo die Wiedergabe bei der zentralen Aussage »und auf weichem Lager, / zart gebettet, / hast du dein Sehnen vergessen« ungefähr das Gegenteil dessen ausdrückt, was der griechische Text vermitteln will. Auch die vorausgehende Strophe, um auch diese noch einzubeziehen, ist ganz frei vom Übersetzer gestaltet. Man kann das Ergebnis nicht einmal als Paraphrase bezeichnen: »und mit saftigem Myrtenöl, / blumenduftend,134 / hast du dich, einer Königin würdig, gesalbt«. Die Sammlung von Dirk Uwe Hansen stellt Prosaübersetzungen von SapphoFragmenten eigenen freien Variationen (»Nachdichtungen«) gegenüber. In der Übersetzung der zweiten Hälfte von Fr. 94 sind die beiden Reihen, die durch wiederholtes καί bzw. durch Formen von πολύς gebildet werden, berücksichtigt. Daneben stehen Formulierungen, die sich über den überlieferten Text ohne Not hinwegsetzen: Das wichtige γάρ in Zeile 12 ist ignoriert; die eindeutig instrumentalen Dative μύρωι βρενθείωι … καὶ βασιληίωι (18–20) werden aus ihrer Verbindung mit ἐξαλείψαο gelöst (»Und … Öl, / edles … / hast du dich gesalbt … königliches«). Unglücklich auch die Entscheidung, den Ausdruck πόλλοις … στεφάνοις … περεθήκαο (12–14) im Deutschen mit zwei stammverwandten Wörtern wiederzugeben (»Mit vielen Kränzen … hast du dich … bekränzt«) – im Übrigen auch eine Satzkonstruktion, die die äolischen Akkusativformen, um die es sich hier handelt, in keiner Weise nahelegen.135 Zu den besten Sappho-Übersetzungen zählt dagegen die jüngste der hier betrachteten, die Albert von Schirnding 2013 vorgelegt hat. Sie strebt keine puristische Präzision in der Wiedergabe des Originals an und müht sich auch nicht um metrische 131 Ähnlich verfuhr dann auch Bagordo in seiner zweisprachigen Ausgabe von 2009 (siehe Anm. 105). 132 Steinmann (1998), 45 f. – Zu Steinmann, geb. 1945, einem der gegenwärtig produktivsten Übersetzer antiker, besonders griechischer Dichtung, vgl. Mindt, in: Kitzbichler/Lubitz/Mindt (2009a), 350 f. 133 Schroeder (2006), 41 f.; (2014), 29 f. – Dem Klappentext von Schroeder (2014) lassen sich die biographischen Informationen entnehmen, dass der Übersetzer Klassische Archäologie, Alte Geschichte und Kunstgeschichte studiert und in Süditalien, Griechenland und Syrien geforscht hat und anschließend als (Verlags-)Lektor tätig war. Eine populärwissenschaftlich-belletristische »Biographie« (so der Untertitel) Sapphos von ihm erschien 2008. 134 In der jüngeren Ausgabe: »von frischem Duft«. In Zeile 13 ist bei der dritten Blumenart »Pimpinell« nun durch das bedeutungsgleiche »Wiesenknopf« ersetzt. Tatsächlich gestattet das Wenige, das an der Stelle überliefert ist, gar keine Identifikation der Pflanze. 135 Hansen (2012), 42. – Informationen über den an der Universität Greifswald tätigen Übersetzer, der 2005 eine zweisprachige Ausgabe früher griechischer Elegien vorgelegt hat, finden sich auf dem hinteren Buchdeckel.

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Imitation, wenngleich einzelne Annäherungen auftreten. Doch führt die in zweierlei Hinsicht bestehende Kompetenz des Übersetzers, nämlich als im Schuldienst unterrichtender Gräzist und als Autor eines breit angelegten literarischen Œuvres, zu einer Wiedergabe des griechischen Textes, die Treffsicherheit im Verständnis der Vorlage mit stilistischer Gewandtheit und sprachrhythmischem Gespür verbindet. Das gehäufte Auftreten, um auch zu Einzelnem zu kommen, von Formen von πολύς bzw. von καί wird übersetzerisch weitgehend mitvollzogen (nur nicht κ(αί) in Zeile 24). Freier Übersetzung (»wie ein Mädchen am Perserhof«) wird an einer inhaltlich dunklen Stelle das Detail geopfert, dass zwei Salböle unterschieden werden (Strophe 18–20). Die lange begründende Periode, angezeigt durch γάρ (12), wird als rhetorische Frage in vergleichbarer Funktion ausgeführt (»Hast du nicht, als du bei mir warst, / Kränze aus Veilchen und Rosen, / gar viele, dir umgelegt« usw.).136 Wie schon im Fall des Alkaios-Gedichts sollen nun auch hier die Einsichten, die sich bei der Analyse der betrachteten Übersetzungen ergeben haben, für eine eigene Übersetzung fruchtbar gemacht werden, die sich aber zunächst ebenfalls auf die zweite Hälfte des Fragments beschränkt: Viele Kränze von Veilchen und Rosen zusammen mit ( ) 14 ( ) hast du dir ja bei mir137 umgelegt und viele Gebinde, geflochtene, um deinen zarten Hals, 17 aus ( ) Blüten gemacht. und mit (viel) ( ) Duftöl hast du dir (die Haut) gesalbt, 20 mit Brenthon- ( ) und mit Königsöl, und auf weichen Lagern hast du nach zarten ( 23 dein Sehnen gestillt (

) ).

136 Schirnding (2013), 54–57. – Schirnding, der jahrzehntelang am altsprachlichen Ludwigsgymnasium in München unterrichtete, entfaltete gleichzeitig eine erstaunlich weitgespannte literarische, bildungspolitische und journalistische Aktivität, die durch seine Aufnahme in die Bayerische Akademie der Schönen Künste und die Mainzer Akademie der Wissenschaften und der Literatur auch äußere Anerkennung erfuhr. Von den Wurzeln seiner kulturellen Produktivität, die in einer von reichen Anregungen geprägten Jugend lagen – sein Vater war Verwaltungsleiter auf dem Stammsitz der Fürsten von Thurn und Taxis in Regensburg, er selbst erhielt als junger Student die Gelegenheit, zeitweilig als Privatassistent Ernst Jüngers tätig zu sein – , handelt sein autobiographisches Werk über diese Zeit Jugend, gestern (Schirnding 2015). Zu seinem Œuvre siehe die Angaben im Online-Katalog der Deutschen Nationalbibliothek: https://portal.dnb.de/opac.htm?method=simpleSearch&query=Schirnding (Stand: 25.2.2015). Vor Sappho übersetzte Schirnding bereits Hesiod, Platon und Lukian. 137 Im Sinne von »in meinem Kreis«, nicht – wie in manchen Übersetzungen vorausgesetzt – »(in der betreffenden Situation) neben mir sitzend«.

Alkaios Fr. 129 und Sappho Fr. 94 Voigt Und weder ein ( ) noch ein Götterfest138 und auch kein139 ( 26 gab es, wo wir nicht gewesen sind; kein Hain140 ( (

)

) ) Geräusch

Wir können uns nun endlich der ersten Hälfte des Gedichts zuwenden. Die Ausgangslage ist vergleichbar mit der Situation, die sich beim eingangs behandelten AlkaiosFragment ergab. Wie dort muss auch hier die Problematik des Textes aufgrund besonderer Verständnishürden in systematischer Weise behandelt werden, wobei die vorliegenden Übersetzungen Anstöße geben, in welcher Richtung weiterführende Überlegungen anzustellen sind. Es wird sich zeigen, dass bestimmte interpretatorische und – in der Folge – übersetzerische Fehlentscheidungen, die bereits die erste Zeile des Fragments betreffen, irreparablen Schaden verursacht und das Verständnis des Gedichts in elementarer Weise vereitelt haben. Als Hauptproblem erweist sich dabei das zweite Wort des Fragments: ἀδόλως. Die Ausgangsbasis der Analyse bilden auch im Folgenden die Übersetzungen von Wilamowitz, Schadewaldt, Latacz und Bagordo. Die anderen wurden durchweg ebenfalls ausgewertet, doch konnte aus Platzgründen auf sie nur punktuell Bezug genommen werden. Zunächst noch einmal die Zeilen 1–11 im griechischen Original: 2

τεθνάκην δ᾽ ἀδόλως θέλω· ἄ με ψισδομένα κατελίμπανεν·

5

πόλλα καὶ τόδ᾽ ἔειπέ [μοι· ὤιμ᾽ ὠς δεῖνα πεπ[όνθ]αμεν, Ψάπφ᾽, ἦ μάν σ᾽ ἀέκοισ᾽ ἀπυλιμπάνω.

8

τὰν δ᾽ ἔγω τάδ᾽ ἀμειβόμαν· χαίροισ᾽ ἔρχεο κἄμεθεν μέμναισ᾽, οἶσθα γὰρ ὤς σε πεδήπομεν·

138 Als einziges Wort zwischen οὔ]τε τι und οὐδ᾿ ist ἶρον naheliegenderweise als Substantiv zu betrachten. Die gewählte Übersetzung empfiehlt sich im gegebenen Zusammenhang – schöne Erlebnisse, an die das Mädchen erinnert wird – gegenüber anderen Bedeutungen wie Opfer, Weihgeschenk, Heiligtum. 139 Zur Folge οὔτε … οὔτε … οὐδέ vgl. Denniston (1954), 193. 140 In dieser letzten, nur mehr stark fragmentarisiert erhaltenen Strophe scheinen die sprachliche Struktur der Litotes und der inhaltliche Bezug auf gemeinschaftliche kultische Aktivitäten weitergeführt worden zu sein: Das voranstehende ἄλσος bezeichnet einen heiligen Hain. Am Ende der Zeile erwägen Lobel/Page (1955) im kritischen Apparat ihrer Ausgabe: »fort. χ]ορος supplendum«, sei es also als Substantiv, sei es als Bestandteil eines Adjektivkompositums; dann wäre hier zum Zusammenhang passend von – ebenfalls kultischem – Chortanz die Rede gewesen. In diese Thematik fügt sich schließlich auch ψοφος, ebenfalls entweder Substantiv oder Bestandteil eines Adjektivkompositums, trefflich ein; Sappho selbst verwendet das Substantiv mit dem Genitivattribut κροτάλων (»Geräusch von Klappern«) bei der Schilderung des von rituellen Gesängen begleiteten Hochzeitszuges von Hektor und Andromache durch Troia (Fr. 44, 25), das in jenem Gedicht im Übrigen wenige Zeilen zuvor (12) als εὐρύχορος bezeichnet worden ist.

Wolfgang Rösler αἰ δὲ μή, ἀλλά σ᾽ ἔγω θέλω ὄμναισαι, [σὺ δὲ] δ[ὴ φράσ]αι, 11 ὄσ[σ(α) ] καὶ κάλ᾽ ἐπάσχομεν·

Hier als erste die Übersetzung von Wilamowitz: .... ganz ehrlich, ich wollt’ ich wäre tot. Als sie fortging, hat sie unter vielem Schluchzen [1–2] zu mir gesagt »Ach, Sappho, wie schwer haben wir es. Wahrhaftig, ich gehe ungern von dir fort.« [3–5] Da gab ich ihr zur Antwort »Glückliche Reise und denk an mich. Du weißt ja, wie wir für dich gesorgt haben. [6–8] Und wenn nicht, will ich dich erinnern. Du vergißt, wie leicht und lustig wirs gehabt haben. [9–11]

Es folgt Schadewaldt, zunächst mit der Übersetzung von 1936: … ganz ehrlich, ich wollte, ich wäre tot! Als sie schied, hat sie viel geschluchzt [1–2] und dies zu mir gesagt: ›Ach, wie schrecklich ergeht es uns, Sappho! Gar so ungern scheide ich von dir!‹ [3–5] Da hab ich ihr dies erwidert: ›Glück auf den Weg und gedenke mein! Du weißt ja, wie wir dich gehegt haben. [6–8] Und wo nicht, nun, so will ich dich dran erinnern, ..: [fein] und schön ist es uns ergangen. [9–11]

Hier Schadewaldts spätere Übersetzung aus dem Jahre 1950:

2

………………………………………. Doch ehrlich! ich wollt’, ich wäre tot. Sie hat geschluchzt, wie sie mich verließ,

5

Viel und dieses zu mir gesagt: ›Ach, wie schrecklich ergeht es uns, Sappho! Wirklich, ungern verlaß ich dich!‹

8

Da hab ich dies erwidert ihr: ›Froh zieh hin und gedenke mein! Denn du weißt ja, wie sehr wir dich gehegt.

Wo aber nicht, nun so will ich dich Dran erinnern, (denn du vergißt’s,) 11 Wie es (köstlich) und fein uns ergangen ist.

Nun die Übersetzung von Latacz:

2

[. . . . . . .] nein, tot sein – wirklich! – möchte ich: Die unter Tränen, laut weinend zurück mich ließ,

5

hat vieles und auch dies zu mir gesagt: »O wie Schlimmes erleiden wir, Sappho! Wahrlich, so ungern verlaß ich dich!«

Alkaios Fr. 129 und Sappho Fr. 94 Voigt

8

Ihr hab’ ich dies erwidert drauf: »Getrost und wohlbehalten geh – und meiner erinnre dich! Weißt ja doch, wie wir umhegten dich.

Wenn aber nicht, dann will dich ich erinnern [....] und (?) 11 [….] und Schönes erlebten wir:

Schließlich Bagordo: 2

Fürwahr, ich wäre lieber tot. Und sie verließ mich jammernd,

5

lang, und dies sagte sie zu [mir:] Ach, welch fürchterliche Pein erleiden wir, Sappho, wirklich gegen meinen Willen verlasse ich dich.

8

Und ihr erwiderte ich dies: Geh und sei froh und an mich erinnere dich, denn du weißt, wie gern wir dich hatten.

Und wenn nicht, dann will ich dich daran erinnern … 11 wie viel[ –10– ] und Schönes erlebten141

Die erste hier zu behandelnde Frage ergibt sich allerdings aus keiner der fünf zitierten Übersetzungen unmittelbar: In allen wird die erste Zeile Sappho als der Sprecherin des Gedichts zugewiesen. Doch wird seit jeher, d. h. seit der Editio princeps von Schubart, die Alternative vertreten, als Sprecherin sei das Mädchen anzunehmen, von dessen Weinen in der folgenden Zeile die Rede ist. Schubart nahm diese Interpretation, ohne ein einziges Wort darüber zu verlieren, auf subtile Weise dadurch vor, dass er ans Ende von Zeile 1 ein schließendes Anführungszeichen setzte.142 Dieses Textverständnis hat bis heute Anhänger.143 Doch verbietet es sich schon aus formalen Gründen: Mit Zeile 3 kündigt Sappho an, anschließend mitzuteilen, was das Mädchens ihr in der Situation des Gedichts gesagt hat – was auch geschieht. Nach den Regeln, die in erzählenden griechischen Texten aus Epos und Lyrik gelten, ist dann aber auszuschließen, dass bereits unmittelbar zuvor eine direkte Rede ebenderselben Person gestanden haben könnte. Abgesehen davon wird sich im Folgenden auch aus anderen Gründen zeigen, 141 Unverständlich ist, dass Bagordo zwei Informationen, die sich aus dem griechischen Text, wie er vorliegt, klar ergeben, nicht berücksichtigt: »wir« als Subjekt und die Koinzidenz von Zeilen- und Satzende: »… Schönes wir erlebten.« 142 Schubart (1902), 199 (in der dort verwendeten Zählung: Zeile 2); begeisterte Zustimmung und interpretatorische Unterstützung bei Solmsen (1902), 331. Getilgt, ebenfalls stillschweigend, ist das Anführungszeichen dagegen in Schubart/Wilamowitz-Moellendorff (1907), 12. 143 An Übersetzungen sind zu nennen: Mekler, Port, Franyó, Schmitz (ersichtlich aus einer angeschlossenen Erläuterung: [2002], 57), Hansen. Auch in reiner Forschungsliteratur wird diese Sicht vertreten, so von Tsomis (2001), 223 f. (mit Hinweisen auf ältere Arbeiten). Schrott kombiniert in seiner freien »Übersetzung« spielerisch beide Varianten: »Ehrlich · ich wollte ich wäre tot / sie hat geweint / als sie mich verließ und zu mir / sagte: wirklich ich wollte ich / wäre tot« (Schrott [1997], 125).

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dass ἀδόλως, korrekt verstanden, nur von Sappho, nicht jedoch von dem Mädchen gesprochen sein kann. Damit haben wir den Punkt erreicht, der für das Verständnis des Gedichts von ausschlaggebender Bedeutung ist. Das Adverb pflegt so verstanden zu werden, dass Sappho die überraschende, ja bestürzende Radikalität ihres Wunsches – nämlich tot zu sein – dadurch bekräftigt, dass sie erklärt, es damit ehrlich zu meinen. Es ist denn auch eben diese Formulierung, die in den Übersetzungen des Fragments seit Wilamowitz (»ganz ehrlich«) die häufigste ist (ebenso Schadewaldt, in der jüngeren Übersetzung ohne »ganz«; andere, aber ebenfalls beteuernde Wendungen bei Latacz und Bagordo).144 Man kann eine solche pathetische Versicherung für etwas, das doch gar nicht auf Verwirklichung angelegt ist und keinesfalls eintreten wird, befremdlich, gar peinlich finden – und das hieße zugleich: schon allein deswegen zu der Einschätzung gelangen, sie sei Sappho nicht zuzutrauen. Philologisch gewichtiger ist freilich das Faktum, dass ἀδόλως die Grundbedeutung »ohne List, ohne täuschende Verstellung« hat. Von dieser Bedeutung ist somit auszugehen. Da es aber erst recht als widersinnig auszuschließen ist, dass Sappho dem Publikum des Gedichts ausdrücklich zu verstehen geben will, sie sehe ihm gegenüber von einer List ab, müsste der Gedanke von List bzw. Verstellung, der, geht man von der Grundbedeutung aus, in der Wortverwendung unaufhebbar enthalten ist, einen anderen Bezug haben. Dafür bietet die Konstellation in der Tat eine offenkundige Möglichkeit: den Bezug auf das Mädchen, von dessen Abschied von Sappho das Gedicht handelt. Das würde bedeuten: Sappho hätte sich gegenüber dem Mädchen verstellt und sich anders gezeigt, als ihr eigentlich zu Mute war.145 Nachdem das Mädchen aber weggegangen ist, kann sie nun »ohne Verstellung« ihre Befindlichkeit artikulieren. Die erste Zeile des Fragments wäre dann etwa so zu verstehen und zu übersetzen: »Tot – ohne Verstellung (gesprochen)146 – möchte ich sein!« Das ist freilich zunächst erst ein Gedankenspiel, das nur dann Überzeugungskraft gewinnen kann, wenn sich tat144 An dieser Schlüsselstelle des Gedichts rechtfertigt sich eine – chronologisch angelegte – ergänzende Dokumentation (die allerdings diejenigen Übersetzungen unberücksichtigt lässt, die die Zeile dem Mädchen geben): »es ist mein Ernst« (Preisendanz), »wahrhaftig« (Walther), »… sag’ ich offen« (Wagner), »innigst« bzw. »wahrlich« (Rüdiger), »ach« (Hausmann), »ehrlich« (Fränkel), »ganz im Ernst« (Treu), »ich lüge nicht« (Staiger), »ehrlich« (Ebener, Schickel, Broger), »aufrichtig« (Tzamali), »ohne Trug« (Steinmann), »ehrlich« (Schroeder), »ganz ehrlich« (Hansen), »im Ernst« (Schirnding). Entsprechend namhafte ausländische Übersetzer: »Honestly I wish I were dead« (übereinstimmend Page [1955], 76, und West [1993], 42) – »Voglio davvero essere morta« (Gentili [2010], 71). 145 Eine solche List gegenüber dem Mädchen lässt sich im gegebenen Zusammenhang nur als eine wohlmeinende denken. Hier zeigt sich, dass Steinmanns »ohne Trug«, das, isoliert betrachtet, unter den zitierten Übersetzungen der Grundbedeutung von ἀδόλως noch am nächsten kommt, aber eben eine negative Konnotation aufweist, tatsächlich in andere Richtung geht. Steinmann dürfte seine Formulierung, die er interpretatorisch nicht weiter erläutert, ganz auf der Linie des traditionellen Verständnisses, d. h. als Klarstellung gegenüber dem Publikum (im Sinne von »ich spreche zu euch ohne Trug«), aufgefasst haben. 146 Die Knappheit der griechischen Formulierung lässt sich im Deutschen nicht vollständig imitieren. Deutlicher, aber noch wortreicher wäre: »(wenn nun) ohne Verstellung (ich spreche)«.

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sächlich zeigen lässt, dass es ein δόλος war, den Sappho gegenüber dem Mädchen inszeniert hat. Die Verfolgung dieser Frage wird zugleich Gelegenheit bieten, an Feinheiten der Übersetzung der betreffenden Gedichtzeilen weiterzuarbeiten. Ausgangspunkt ist die Befindlichkeit des Mädchens in der von Sappho berichteten Abschiedssituation. Es weint – und kann trotzdem noch »vieles zu Sappho sagen«. Das rare Partizip ψισδομένα (Bedeutung laut Hesych: κλαίουσα) ist deshalb mit »schluchzend« (nach Wilamowitz und Schadewaldt) sehr passend übersetzt. Das Imperfekt κατελίμπανεν bezeichnet den Gesamtvorgang des Abschiednehmens, der von einzelnen Verbalhandlungen strukturiert wird.147 Die Zuordnung von πόλλα als Akkusativobjekt zu ἔειπε (und nicht als Adverb zu ψισδομένα, wie als erster Wilamowitz annahm) wird von Tzamali luzide begründet.148 Das folgende καὶ hat dann steigernde Funktion: »Schluchzend verließ sie mich. Vieles und dies (vor allem) sagte sie mir: …«. Bei der Übersetzung der folgenden Klage des Mädchens beachten etliche Übersetzer nicht, dass ἐπάσχομεν in Zeile 11 auf πεπόνθαμεν in Zeile 4 bezugnimmt, ja es geradezu zitiert. Wir werden sehen, dass diese Korrespondenz von höchster interpretatorischer Bedeutung ist. Übersetzerisch muss dem durch Verwendung ein und desselben Verbs im Deutschen Rechnung getragen werden, weshalb »erleiden« für Zeile 4 ausscheidet. Vielmehr ist ein Verb mit neutraler Bedeutung erforderlich, das als Objekt sowohl »Schlimmes« als auch »Schönes« zulässt – naheliegend sind »erfahren« oder »erleben«. Noch andere Möglichkeiten identischer Formulierung nutzen Wilamowitz und Schadewaldt; verschieden übersetzen an beiden Stellen dagegen Latacz und Bagordo. Der Entschluss, dass das Mädchen Sapphos Kreis verlassen muss, wurde naturgemäß schon einige Zeit vorher getroffen. Dem entspricht das Perfekt πεπόνθαμεν. Es »zeigt den aus einem abgeschlossenen Vorgang resultierenden Zustand des Subjekts an, der noch in der Gegenwart des Sprechenden fortdauert«.149 Hier ist es sogar so, dass das Leid des Mädchens in eben dieser Situation der unmittelbar bevorstehenden Trennung ihren Höhepunkt erreicht: »Weh! Wie Schlimmes erleben wir! Sappho! Wirklich, ganz wider Willen verlasse ich dich!« Die Ausnahmesituation, in der sich das Mädchen befindet, zwingt Sappho zu einer Intervention, von der sie im Folgenden berichtet (»Ihr gab dies ich zur Antwort: …«). Ihre Ansprache an das Mädchen nimmt das gesamte restliche Fragment ein und ging im vollständigen Text noch darüber hinaus. Wir erfahren deshalb nichts über den Ausgang der Intervention. Es ist aber sehr wahrscheinlich, im Grunde unzweifelhaft, dass es Sappho, der genialen Psychologin, als die sie sich nach dem Befund ihrer Texte immer wieder erweist, gelang, das Mädchen zu trösten und den Abschied in ruhige Bahn zu lenken. Am Ende des Gedichts könnte, was natürlich reine Spekulation ist, mit knappen Worten geschildert worden sein, wie das Mädchen gefestigt wegging

147 Vgl. Tzamali (1996), 310. 148 Tzamali (1996), 310–312. Bei Annahme dieser Satzstruktur muss im griechischen Text nach κατελίμπανεν interpungiert werden. 149 So Tzamali (1996), 67 f., zu πέπονθα in Sappho Fr. 1, 15.

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(»Sie aber …«) – im Kontrast zu der Befindlichkeit Sapphos, mit deren Offenlegung das Fragment begonnen hat. In ihrer Intervention ist Sappho bemüht, dem Mädchen eine diametral entgegengesetzte Wahrnehmung der Situation nahezubringen. Die antithetische Struktur ihrer Rede setzt unmittelbar mit deren erstem Wort ein: χαίροισ᾽ ἔρχεο, »Frohgemut geh!« Die Frage, ob das Partizip als emphatische Aufforderung zu froher Gestimmtheit (im Sinne der Grundbedeutung von χαίρειν, entsprechend die gegebene Übersetzung) oder lediglich als konventioneller Abschiedsgruß (im Sinne des automatisiert als Grußformel gebrauchten Imperativs χαῖρε)150 zu verstehen ist, klärt sich vor dem entfalteten Hintergrund eindeutig zugunsten der erstgenannten Möglichkeit. Im Grunde hätte es sich freilich stets und von ganz allein verbieten müssen, der Sappho des Gedichts als Reaktion auf die Verzweiflung des Mädchens einen routiniert-konventionellen Gruß zuzutrauen. Bei der Übersetzung der Stelle erfordert es also die Tendenz der Ansprache Sapphos, dass χαίροισ᾽ als die von ihr eingeschärfte Alternative zur bestehenden Traurigkeit des Mädchens in ebendieser Funktion betont zum Ausdruck kommt, d. h. – ein ganz entscheidender Punkt – dass das betreffende deutsche Wort gleichfalls an die Spitze gestellt wird. Die Übersetzung »Geh und sei froh« (Bagordo) zerstört dagegen diesen Zusammenhang, der allerdings auch in den anderen zitierten Übersetzungen (Wilamowitz, Schadewaldt, Latacz) und darüber hinaus nicht adäquat wiedergegeben ist.151 Doch wie soll bzw. kann es dem Mädchen gelingen, wieder frohgemut zu werden? Sappho stellt für das, was es nun aufgeben muss, buchstäblich im selben Atemzug eine Art von Ersatz in Aussicht, nämlich die bisherige Lebensform künftig in der Imagination zu wiederholen und für sich damit gleichsam zu erhalten: »Frohgemut geh und an mich erinnere dich« (χαίροισ᾽ ἔρχεο κἄμεθεν / μέμναισ᾽ – der gesamte Satz besteht, je nach Zählung, aus nur vier oder fünf Wörtern). Das wird möglich sein, weil das Mädchen alles, was es im Kreis erlebt hat, in seinem Bewusstsein gespeichert hat: »Du weißt ja, wie wir (stets)152 dich umsorgten.153« Dies ist die allgemeine Voraussetzung. Um so überraschender ist nun, dass Sappho das, was sie gerade vorausgesetzt hat, im nächsten Augenblick sogleich wieder in Zweifel zieht: »Wenn aber nicht – dann will ich154 dich erinnern.« Für den Zweifel gibt es sachlich überhaupt keinen Grund. Der Schmerz des Mädchens über die Trennung zeigt ja gerade, dass ihm all das, was es nun aufgeben muss, vor Augen steht. Doch bekommt der Zweifel Sapphos in dem 150 Besonders dezidiert Page (1955), 77: »not ›rejoicing‹ (Edmonds), ›gladly‹ (Bowra), ›en joie‹ (Reinach-Puech); χαίροισα is purely conventional, as in the common χαῖρε […]«. 151 Das im Einzelnen zu dokumentieren, würde zu weit führen. Besonders enttäuschend hier und überhaupt die Übersetzung (einschließlich der beigegebenen Interpretation) von Fränkel (1951), 241 f., und (1962), 202 f. 152 Der gemachte Zusatz unterstreicht die iterative Bedeutung des Imperfekts (vgl. Tzamali [1996], 319). Der Plural »drückt die Gemeinschaft aus, in die die redende Person sich hineinstellt«, d. h. Sappho und die anderen Mitglieder des Kreises (Tzamali, ebd.). 153 Die Übersetzung von πεδήπομεν in Anlehnung an Tzamali (1996), 319. 154 »Ich« ist betont – im Griechischen dadurch, das das Personalpronomen ausdrücklich gesetzt ist (»wenn du nicht selbst, dann ich … «).

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Augenblick Sinn und Funktion, in dem man ihn als psychologisch-rhetorischen Kunstgriff erkennt, das tun zu können, was notwendig ist, um das Mädchen tatsächlich umzustimmen. Mit ὄσ[σ(α) ] καὶ κάλ᾽ ἐπάσχομεν setzt Sappho in präziser Formulierung, wie gerade schon festgestellt, den Gegenakzent zur Klage ὠς δεῖνα πεπ[όνθ]αμεν des Mädchens. Und mit der damit verbundenen Aufforderung an das Mädchen »Und du mach dir das klar« ([σὺ δὲ] δ[ὴ φράσ]αι)155 verschafft sie sich einen Grund, von all dem Schönen, das man zusammen erlebt hat, nun selbst in der frohgemuten Gestimmtheit zu sprechen,156 die sie bei dem Mädchen hervorrufen möchte. Sappho muss selbst vorleben, was sie als Reaktion erreichen will. Ihre eigene Freude bei der Erinnerung an das Vergangene muss gleichsam ansteckend sein, um die aufgrund der bevorstehenden Trennung schmerzvolle Erinnerung, die das Mädchen belastet, zu verdrängen. Tatsächlich aber – was sie dem Mädchen vorenthält – teilt sie dessen Trauer, will lieber tot sein: So sehr leidet sie selbst unter der Trennung. An dieser Stelle erkennt man, dass die in ἀδόλως enthaltene Charakterisierung ihres Verhaltens gegenüber dem Mädchen als δόλος, als täuschende Verstellung, die wir zunächst aus der Wortbedeutung des Adverbs hypothetisch, als Möglichkeit des Verständnisses erschlossen haben, dem von Sappho erzählten Ablauf tatsächlich genau entspricht. Für wen kann dieses Gedicht ursprünglich, am historischen Ort der Lyrik Sapphos, bestimmt gewesen sein? Es stellt zwei Sachverhalte heraus, deren besondere Bedeutung auch daraus ersichtlich wird, dass beide in anderen Gedichten variiert wiederkehren: Dies ist zum einen die Intensität der Zuneigung, die Sappho dem einzelnen Mitglied ihres Kreises entgegenbringt und die sich im Erleben bzw. im Verarbeiten der Trennung geradezu zur existentiellen Krise, hier bis zum Todeswunsch zuspitzen kann,157 zum anderen aber auch die von Sappho als tröstlich vermittelte Aussicht, dass die menschliche Fähigkeit zur Erinnerung auf ihre Weise einen Fortbestand der physisch beendeten Verbindung ermöglicht.158 Das eine wie das andere den Mädchen eindrücklich zum Bewusstsein zu bringen musste Sappho ein stetes Anliegen sein; beides auch in Verbindung zueinander zu setzen lag nahe. Von daher drängt es sich auf, eine ursprüngliche Bestimmung des Gedichts für den Vortrag im Mädchenkreis anzunehmen.159 Dass sich Sappho gegenüber dem scheidenden Mädchen einer – zutiefst menschen-

155 Gemäß der ingeniösen Ergänzung φράσ]αι von Slings (1994). 156 In die Lücke von Zeile 11 würde deshalb ein Adjektiv der Freude besonders gut passen, wie es Jurenka (1902), 292, ergänzte: τέρπνα τε] καὶ κάλ᾽ ἐπάσχομεν. 157 »Dem Tode nah« erscheint sich Sappho bei der Vorstellung einer, wie zu erschließen ist, früheren, nun verheirateten Angehörigen des Kreises in der Gemeinschaft mit ihrem Mann (Fr. 31, 15 f.; vgl. Rösler [1990]). In Fr. 95, 8–13, erzählt sie, wie sie ihre Todessehnsucht einem Gott mitteilte, wobei auch hier ein Zusammenhang mit einem Mädchen des Kreises (Gongyla; vgl. Test. 253) fassbar ist (Zeile 4). 158 Das Band der Erinnerung zwischen zwei Mädchen des Kreises, die nun getrennt sind, wird buchstäblich ins Bild gesetzt in Fr. 96. In Fr. 16, 14–20, spricht Sappho von ihrer eigenen Erinnerung an Anaktoria, ein Mädchen (vgl. ebenfalls Test. 253), das »nicht (mehr) da ist«. Auch auf Fr. 31 ist hier nochmals hinzuweisen (vgl. Anm. 157). 159 Zu dieser Einschätzung gelangt im Ergebnis auch Tsomis (2001), 225 f.

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freundlichen – »List«160 bedient hatte, dürfte aus Sicht der anderen keinen Schatten auf ihr Handeln geworfen haben. Die hier vorgetragene Interpretation, die Sapphos subtilen δόλος ins Zentrum stellt, ist neu161 und liegt somit auch keiner der bisherigen Übersetzungen zugrunde. Die zuvor etappenweise erarbeitete Übersetzung soll nun noch einmal im Zusammenhang dargeboten werden: 2

Tot – ohne Verstellung (gesprochen) – möchte ich sein! Schluchzend verließ sie mich.

5

Vieles und dies (vor allem) sagte sie mir: »Weh! Wie Schlimmes erleben wir! Sappho! Wirklich, ganz wider Willen verlasse ich dich!«

8

Ihr gab dies ich zur Antwort: »Frohgemut geh und an mich erinnere dich. Du weißt ja, wie wir (stets) dich umsorgten.

Wenn aber nicht – dann will ich dich erinnern, und du mach dir klar, 11 wie viel ( ) und Schönes wir erlebt haben: Viele Kränze von Veilchen und Rosen zusammen mit ( ) 14 ( ) hast du dir ja bei mir umgelegt und viele Gebinde, geflochtene, um deinen zarten Hals, 17 aus ( ) Blüten gemacht.

160 Eine – auch in der Sache – enge Parallele für eine positive Bewertung von δόλος bietet das 19. Buch der Odyssee: Der als Bettler auftretende Odysseus erzählt Penelope von seiner angeblichen Begegnung mit Odysseus, zu der es einst, vor dem Troianischen Krieg, auf Kreta gekommen sei. Da bricht Penelope in Tränen aus, und nun kann auch Odysseus nur unter Aufbietung aller Selbstbeherrschung die seinen – die ihn verraten würden, was zu diesem Zeitpunkt jedoch auf keinen Fall geschehen darf – zurückhalten: δόλωι δ᾿ ὅ γε δάκρυα κεῦθεν (212). Diese Aussage, ins Femininum umgeformt, würde auch auf Sapphos Verhalten gegenüber dem Mädchen passen! Folgende präzisierte Bedeutung von δόλος erfasst sowohl die Odyssee- als auch die Sappho-Stelle: »kluge Verstellung zur Erreichung eines übergeordneten Ziels, das auch oder ganz im Interesse der getäuschten Person liegt«. Positiv bewertet erscheint δόλος bei Sappho auch in dem Epitheton δολόπλοκος, mit dem sie Aphrodite, die Hauptgottheit ihres Kreises, belegt (Fr. 1, 2). 161 Sie hat allerdings eine längere Vorgeschichte, die ins Sommersemester 1984, genauer in ein Seminar über Sappho und Alkaios zurückreicht, das ich damals an der Universität Konstanz abhielt. Die Idee, dass in dem Adverb ἀδόλως die Charakterisierung der von Sappho gegenüber dem weinenden Mädchen angewandten Strategie als δόλος zum Ausdruck gebracht sei, wurde in der Diskussion von einer studentischen Teilenehmerin, Eva Sabine Bauer, entwickelt. Angesichts der von mir sogleich realisierten Bedeutung dieser Erkenntnis bemühte ich mich wiederholt darum, Frau Bauer zur Ausarbeitung und Publikation einer darauf basierenden Interpretation des Gedichts anzuregen, wofür ich ihr alle notwendige Unterstützung anbot. Der Misserfolg dieser Bemühung und die seither verstrichene Zeit haben mich nunmehr veranlasst, die sich aus jener Anfangsidee ergebende Interpretation des Gedichts in Anerkennung der Urheberschaft von Eva Sabine Bauer, zu der ich heute keine Verbindung mehr herstellen kann, selbst auszuarbeiten und in diesem Rahmen vorzulegen.

Alkaios Fr. 129 und Sappho Fr. 94 Voigt und mit (viel) ( ) Duftöl hast du dir (die Haut) gesalbt, 20 mit Brenthon- ( ) und mit Königsöl, und auf weichen Lagern hast du nach zarten ( 23 dein Sehnen gestillt (

) ).

Und weder ein ( ) noch ein Götterfest und auch kein ( 26 gab es, wo wir nicht gewesen sind; kein Hain ( (

)

) ) Geräusch

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162 Übersetzungen in Sekundärliteratur sind im folgenden bibliographischen Abschnitt »Sekundärliteratur« durch ein hinzugefügtes [Ü] bezeichnet. Daneben wird durch die Buchstaben A bzw. S angegeben, ob es sich um eine Übersetzung von Alkaios Fr. 129 oder um eine von Sappho Fr. 94 handelt.

Wolfgang Rösler

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Abstract: Alcaeus fr. 129 and Sappho fr. 94 Voigt: How to Translate Poetic Fragments? This study examines the German translations of two fragments of Alcaeus and Sappho (fr. 129 and fr. 94 Voigt) that have appeared since the initial publication of the Greek originals in 1941 and 1902 respectively. It becomes evident that an extraordinary effort in terms of textual criticism, textual analysis and interpretation is required in order to convey in translation the three interconnected functions of representation, expression and appeal that constituted the act of communication that the complete poems once generated in their original historical setting (the three functions as based on Franziska Münzberg’s application of Karl Bühler’s organon model to the process of translation). At the same time, if such an effort is made, the process of translating literary fragments can, beyond producing a translation, also lead to subtle philological insights and thus contribute to the reconstruction and better understanding of the Greek text. The process of translation then functions as a paradigmatic form of ›allelopoiesis‹, i. e., the

Wolfgang Rösler

mutual generation of the original object of transformation and that which is generated through the act of transformation.

Prosastile und Übersetzungsstrategien: Zur Geschichte und zum Verhältnis deutscher Thukydides- und Herodot-Übersetzungen JOHANN MARTIN THESZ Ziel von Herodots Geschichtswerk ist es, wie er im Proömium erklärt, große Leistungen der Vergangenheit vor dem Vergessen zu bewahren.1 Seine Historien erscheinen somit geradezu als ein Monument. Auch der eine Generation jüngere Thukydides hat sein Geschichtswerk als ein auf Dauerhaftigkeit und langfristige Wirkung angelegtes konzipiert, er bezeichnet es geradezu als κτῆμα ἐς αἰεί, als »Besitz für immer«.2 Mit dieser Betonung der angestrebten Permanenz ihrer Werke und mit ihrer Ausrichtung auf zukünftige Leser erweisen sich beide als Vorreiter einer Buchkultur, wie sie sich in Griechenland im letzten Drittel des fünften und ersten Drittel des vierten Jahrhunderts aus der vormals überwiegend mündlich geprägten Kultur entwickelte. In der sprachlichen Form der Darbietung unterscheiden sich ihre Werke jedoch diametral voneinander. Herodot, der ältere von beiden, hatte in seiner der Abfassung des schriftlichen Werkes vorausgehenden Vortragstätigkeit einen Stil entwickelt und verinnerlicht, der den Bedürfnissen eines zuhörenden Publikums entsprach: Dieser Stil war darauf angelegt, die Inhalte im ruhigen Fluss einer Rede zu vermitteln, die nicht durch komplizierten Satzbau und ungeklärte sachliche Voraussetzungen die Rezeption erschwerte, sondern sie durch sprachliche und sachliche Klarheit begünstigte. Antike Stillehre bezeichnete diesen Stil als λέξις εἰρομένη, als reihenden Stil. Herodot galt Aristoteles hierfür als das Stilmuster.3 Diesen mündlichen Stil behielt Herodot auch bei, als er an die Aufzeichnung seines monumentalen Geschichtswerkes ging, in dem er für zukünftige Generationen von Lesern unter anderem festhalten wollte, was er in seinem bisherigen Leben in mündlichen Vorträgen Zuhörern vermittelt hatte.4 Von 1 2 3 4

Hdt. prooem. Thuc. 1, 22, 4. Arist. Rh. 1409a. Zu den mündlichen Merkmalen des Herodoteischen Stils vgl. Slings (2002). Zur Entstehung des Herodoteischen Geschichtswerks und dessen Verhältnis zur mündlichen Vortragstätigkeit Herodots vgl. Rösler (2002), der die relativ späte Entscheidung des Herodot, seine Nachforschungen schriftlich aufzuzeichnen, mit dem Wunsch nach Aufbewahrung des sonst nur in seinem Gedächtnis gespeicherten Wissensschatzes erklärt. Dass Herodot bei der Abfassung seines Werkes zukünftige Leser im Blick hatte – und nicht Zuhörer – , beweist u. a. sowohl die Verwendung des Verbs γράφειν, das im Kontext einer mündlichen Darbietung offenkundig unpassend wäre, als auch die ›Selbsthistorisierung‹ Herodots, der seine eigene historische Tätigkeit durch entsprechende Tempusformen in der Vergangenheit ansiedelt und damit die Perspektive eines zukünftigen Lesers in seinem Werk anlegt. (Zu dieser ›Selbsthistorisierung‹ Herodots vgl. auch Rösler [1991]). Dafür, dass die Historien so, wie sie uns vorliegen, als schriftliches Werk konzipiert waren, spricht auch das über-

Johann Martin Thesz

ganz andersartigen Überlegungen war dagegen die Entwicklung der stilistischen Strategien bei dem eine Generation jüngeren Thukydides bestimmt, der zum Zeitpunkt der Abfassung seines Geschichtswerkes schon den Leseakt des einsamen Lesers als kommunikatives Modell der Zukunft erkannte und mit Konsequenz darauf hinarbeitete, durch sprachlich-stilistische Komplizierung und dadurch Retardierung der Lektüre den Leser zu angestrengtem Studium des Textes zu veranlassen.5 Im Folgenden soll der Frage nachgegangen werden, ob bzw. inwieweit Übersetzer zu verschiedenen Zeiten versucht haben, die stilistischen Charakteristika des Herodot und des Thukydides wiederzugeben und damit die unterschiedlichen Voraussetzungen und Zielvorstellungen zur Geltung zu bringen, die sich mit ihren Werken verbanden. Ausgangspunkt der Untersuchung ist dabei die Prämisse, dass eine Übersetzung idealerweise als »umfassendes Informationsangebot über den Ausgangstext in seiner gesamten kommunikativen und kulturellen Einbettung« zu fungieren vermag.6 Die unterschiedliche Kommunikationssituation, die in den Geschichtswerken des Herodot und des Thukydides angelegt ist, und die unterschiedliche Stellung ihrer Prosastile innerhalb des bezeichneten kulturellen Entwicklungsprozesses müssten also im Idealfall weitgehend, zumindest aber im Ansatz auch in der Übersetzung dargestellt werden. Da ich die Geschichte der deutschen Thukydides-Übersetzungen in meiner Dissertation ausführlich behandelt habe, wobei ich auch dort besonders auf die Wiedergabe des Stils eingegangen bin,7 sollen hier nur noch einmal die Konturen der Entwicklung rekapituliert werden. Ausgangspunkt der Betrachtung waren die Übersetzungen des 18. Jahrhunderts: die anonyme Übersetzung von 1757, der vollständige Thukydides des Johann David Heilmann (1760) sowie die Übersetzung der Reden aus dem Thukydideischen Geschichtswerk von Johann Jacob Reiske (1761). Diese Übersetzungen folgen noch ganz klar einem zielsprachlichen Übersetzungsparadigma und entsprechen somit grundsätzlich den Übersetzungsprinzipien Gottscheds, was allerdings nicht bedeutet, dass sie in ihrer jeweiligen Ausprägung nicht auch große Unterschiede aufweisen. Im 19. Jahrhundert zeigen die Übersetzer demgegenüber durchweg eine stärkere Orientierung am Ausgangstext; teilweise wird sogar der Versuch unternommen, die originale sprachliche Form des Thukydideischen Geschichtswerks im Deutschen nachzubilden. So zeigen die Übersetzungsproben von Gabriel Gottfried Bredow aus dem Jahre 1808 eine stilmimetische Tendenz, die stark an Voß erinnert. Das sprachmimetische Übersetzen, das von Schleiermacher und Humboldt im zweiten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts theoretisch fundiert worden war, kann sich jedoch nicht als Paradigma dauerhaft durchsetzen, vielmehr lässt sich schon Ende des ersten

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greifende Thema des Gegensatzes zwischen Griechen und Barbaren, das sich durch das ganze Werk hindurchzieht. Zur Retardierung der Lektüre als Strategie der Leserlenkung vgl. Rösler (1985), 21. Vgl. außerdem Yunis (2003), 200: »Rejecting both the epideictic speaker’s pursuit of acclaim and the inclination of docile audiences to enjoy fleeting pleasure […], the self-professed critical writer proclaims a didactic purpose and requires a critical reader […].« Vgl. Poiss et al. (im vorliegeden Band), § 4. Deutsche Thukydidesübersetzungen vom 18. bis zum 20. Jahrhundert, Diss. Humboldt-Universität zu Berlin 2013 (noch unpubliziert).

Prosastile und Übersetzungsstrategien in Thukydides- und Herodot-Übersetzungen

Drittels des 19. Jahrhunderts eine Abwendung von dessen Radikalität feststellen. Man kann seit dieser Zeit eine Tendenz zu Kompromisslösungen beobachten, indem Übersetzer einen Mittelweg zwischen Ausgangstextnähe und zielsprachlicher Akzeptabilität anstreben, so etwa Christian Nathanael Osiander (1826–1829). Dieser Tendenz entspricht die Kritik am ausgangssprachlichen Übersetzen überhaupt, die in verschiedenen übersetzungstheoretischen Beiträgen des weiteren 19. Jahrhunderts geäußert wird, besonders vehement von Wilamowitz.8 Anfang des 20. Jahrhunderts lässt sich dann in Fortsetzung dieser Entwicklung eine dezidierte Hinwendung zum zielsprachenorientierten Übersetzen beobachten, die sich in den ThukydidesÜbersetzungen von August Horneffer (1912) und Theodor Braun (1917) deutlich niederschlägt. Seit der Jahrhundertmitte zeigen dann allerdings mehrere Übersetzer wieder ein deutliches Bemühen um die griechische Sprachform. Singulär erscheint hier die Teilübersetzung Otto Regenbogens (1949),9 der dem Leser ganz ähnliche Verständniserschwerungen bietet, wie sie sich im griechischen Text finden. Mit dieser Übersetzung antizipiert Regenbogen in praktischer Anwendung das von Wolfgang Schadewaldt in den folgenden Jahren entwickelte Konzept des dokumentarischen Übersetzens.10 Insgesamt bietet die Übersetzungspraxis in ihrer Entwicklung also ein ganz ähnliches Bild wie die Übersetzungstheorie, ja beide sind offenbar aufs engste miteinander verwoben.11 Noch nicht aufgearbeitet ist demgegenüber die Geschichte deutscher HerodotÜbersetzungen, um die es im Folgenden gehen soll. Da eine umfassende Behandlung den in diesem Band zur Verfügung stehenden Raum sprengen würde, soll anhand von exemplarischen Fallstudien, an denen sich die Veränderungen der Übersetzungsparadigmen besonders gut nachvollziehen lassen, versucht werden, die Hauptlinien der Entwicklung nachzuzeichnen, um so durch den Vergleich mit der Geschichte der Thukydides-Übersetzungen die Frage nach der übersetzerischen Darstellung der Prosastile beider Historiker zu beantworten.

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In der Einleitung zu seiner 1891 erschienenen zweisprachigen Ausgabe des Hippolytos. Zur Übersetzungskonzeption von Wilamowitz vgl. Lubitz (2008) und (2009), 196–207. Die Übersetzung Regenbogens umfasst im Wesentlichen die Reden, es sind jedoch auch einige weitere zentrale Partien miteinbezogen (so die »Pathologie des Krieges« und der »Melierdialog«). Zu Schadewaldts Konzeption des dokumentarischen Übersetzens vgl. Mindt (2009), 277–297; zu ihren Grenzen und Defiziten Poiss et al. (im vorliegenden Band), § 2. Die einschlägige Übersetzungstheorie ist in ihrer Entwicklung dargestellt von Kitzbichler/Lubitz/ Mindt (2009a und 2009b).

Johann Martin Thesz

Zielsprachliches Übersetzen im 18. Jahrhundert: Die Herodot-Übersetzungen von Johann Eustachius Goldhagen und Johann Friedrich Degen Als Johann Eustachius Goldhagen12 im Jahre 1756 seine Herodot-Übersetzung publizierte, war allgemein die Übersetzungskonzeption Johann Christoph Gottscheds maßgeblich.13 Deren Hauptprinzipien waren die korrekte Wiedergabe des Sinns sowie die zielsprachliche Angemessenheit. Die Übersetzungskonzeption, die Goldhagen in der Vorrede zu seiner Herodot-Übersetzung skizziert, zeigt insofern eine gewisse Nähe zu Gottsched, als er von dem »Sinn des Geschichtschreibers« spricht, den er auszudrücken sich bemüht habe. Er ist insofern der Konzeption Gottscheds grundsätzlich verpflichtet. Doch steht andererseits für ihn nicht die zielsprachliche Angemessenheit im Vordergrund, sondern die Bewahrung der Eigenart des Herodoteischen Stils:14 Ich habe mir angelegen seyn lassen, so viel als möglich, diese schöne Einfalt der Natur auszudrücken, und mich sorgfältig gehütet, dem Exempel solcher Uebersetzer zu folgen, welche den Personen des Alterthums ein Kleid nach der Mode umhängen, und sie eben so reden lassen, als wenn sie zu unsern Zeiten an einem europäischen Hofe gelebet hätten, oder in der Schule unserer witzigen Schriftsteller erzogen wären.

Seiner eigenen Übersetzungsmethode stellt Goldhagen das modernisierende bzw. ›travestierende‹ Übersetzen gegenüber. Er richtet sich damit – wie die Distanzierung von höfischer Manier deutlich macht – vor allem gegen die französische Übersetzungstradition, die mit der Bezeichnung belles infidèles apostrophiert wird und im Frankreich des 17. Jahrhunderts dominierend gewesen war. Die Übersetzer, die dieser Schule zuzurechnen sind, hatten eine radikal modernisierende Übersetzungsmethode favorisiert und vor allem die Eleganz des französischen Ausdrucks im Blick gehabt.15 Angesichts des starken Einflusses Frankreichs auf den deutschen Kulturraum des 18. Jahrhunderts verwundert es kaum, dass diese Art des Übersetzens zu jener Zeit im deutschsprachigen Raum weite Verbreitung fand. Dies zeigt sich z. B. in den Übersetzungen antiker Werke, die während der 1750er Jahre in der »Neuen Sammlung der merkwürdigsten Reisegeschichten« erschienen sind. Als Vorlage dienten hier französische Übersetzungen des 17. und frühen 18. Jahrhunderts. In meiner Dissertation habe ich zu zeigen versucht, wie stark sich die in dieser Reihe erschienene anonyme 12

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Johann Eustachius Goldhagen (1701–1772) hatte in Halle studiert und war dann zunächst Lehrer an den Francke’schen Stiftungen, bevor er als Konrektor an das Gymnasium von Nordhausen ging, dessen Rektor er 1744 wurde. Schließlich war er von 1752 oder 1753 bis 1771 Rektor der Domschule zu Magdeburg. Neben der Übersetzung des Herodot publizierte er Übersetzungen der Hellenika des Xenophon (Berlin 1762), des Pausanias (Berlin 1766) sowie eine Griechische und römische Anthologie in deutschen Übersetzungen (Brandenburg 1767/68). (Die biographischen Angaben nach Eckstein [1871], 201 und B. [1879], 333 f.) Zur Übersetzungstheorie der frühen Aufklärung vgl. Huber (1968), Senger (1971), Münzberg (2003). Goldhagen, Des Herodotus neun Bücher der Geschichte, o. P. Zu den belles infidèles vgl. die Überblicksdarstellung von Graeber (2007).

Prosastile und Übersetzungsstrategien in Thukydides- und Herodot-Übersetzungen

Thukydides-Übersetzung aus dem Jahre 1757, die weitgehend auf der Übersetzung d’Ablancourts16 von 1662 beruht, vom griechischen Text entfernt. Die Übersetzung Goldhagens zeigt demgegenüber ganz deutlich das Bemühen um die sprachliche Form des griechischen Textes. Sein Verfahren soll an einem Beispiel aus dem 2. Buch der Historien illustriert werden (Kap. 100), das auch den später betrachteten Übersetzungsbeispielen zugrunde gelegt wird. Herodot gibt hier eine Überlieferung wieder, die ihm, wie er erklärt, ägyptische Priester aus einer schriftlichen Quelle vorgetragen haben. Es handelt sich um die Geschichte der Königin Nitokris, der einzigen weiblichen Herrscherin über Ägypten, die an den Mördern ihres Bruders Rache übt, indem sie sie in ein unterirdisches Gebäude lockt und dieses unter Wasser setzen lässt: Μετὰ δὲ τοῦτον κατέλεγον οἱ ἱρέες ἐκ βύβλου ἄλλων βασιλέων τριηκοσίων καὶ τριήκοντα οὐνόματα. ἐν τοσαύτῃσι δὲ γενεῇσι ἀνθρώπων ὀκτωκαίδεκα μὲν Αἰθίοπες ἦσαν, μία δὲ γυνὴ ἐπιχωρίη, οἱ δὲ ἄλλοι ἄνδρες Αἰγύπτιοι. τῇ δὲ γυναικὶ οὔνομα ἦν, ἥτις ἐβασίλευσε, τό περ τῇ Βαβυλωνίῃ, Νίτωκρις· τὴν ἔλεγον τιμωρέουσαν ἀδελφεῷ, τὸν Αἰγύπτιοι βασιλεύοντα σφέων ἀπέκτειναν, ἀποκτείναντες δὲ οὕτω ἐκείνῃ ἀπέδοσαν τὴν βασιληίην, τούτῳ τιμωρέουσαν πολλοὺς Αἰγυπτίων διαφθεῖραι δόλῳ. ποιησαμένην γάρ μιν οἴκημα περίμηκες ὑπόγαιον καινοῦν τῷ λόγῳ, νόῳ δὲ ἄλλα μηχανᾶσθαι· καλέσασαν δέ μιν Αἰγυπτίων τοὺς μάλιστα μεταιτίους τοῦ φόνου ᾔδεε πολλοῦς ἱστιᾶν, δαινυμένοισι δὲ ἐπεῖναι τὸν ποταμὸν δι᾿ αὐλῶνος κρυπτοῦ μεγάλου.

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Nach diesem Könige17 erzählten die Priester aus einer Schrift die Namen von dreyhundert und dreyßig andern Königen. In so vielen Menschenaltern waren achtzehen Ethiopier, eine Weibsperson aus dem Lande selbst, und die andern lauter egyptische Männer. Die Weibsperson hieß Nitokris, welchen Namen auch eine babylonische Königinn geführet hat. Sie sagten, dieselbe habe ihren Bruder gerächet, welchen die Egypter, über welche er König war, umgebracht, und nach dessen Ermordung ihr selbst die königliche Regierung übergeben hatten: Dessen Tod zu rächen habe sie viele Egypter mit List hingerichtet: Denn sie habe ein sehr langes Gebäude unter der Erde bauen lassen, unter dem Vorwande, etwas neues und sonderbares zu machen, in der That aber eine ganz andre Absicht auszuführen: denn sie berief, wie man weiter erzählet, diejenigen Egypter, von welchen sie wußte, daß sie am meisten an dem Morde Schuld hatten, in dieses Haus zu einem Gastmahle: als sie aber speiseten, ließ sie den Fluß durch einen verborgenen großen Kanal hinein schießen.

Nicolas Perrot d’Ablancourt (1606–1664), der bedeutendste Vertreter der belles infidèles und seit 1637 Mitglied der Académie française, übersetzte zahlreiche antike Autoren ins Französische, darunter Thukydides, Xenophon, Arrian, Plutarch, Lukian und Tacitus. Gemeint ist Min, den Herodot II 99 als ersten König Ägyptens genannt hatte.

Johann Martin Thesz ταύτης μὲν πέρι τοσαῦτα ἔλεγον, πλὴν ὅτι αὐτήν μιν, ὡς τοῦτο ἐξέργαστο, ῥίψαι ἐς οἴκημα σποδοῦ πλέον, ὅκως ἀτιμώρητος γένηται.

Man erzählet noch dabey, sie habe, als dieses geschehen, das Haus voll Asche geschüttet, damit man keine Rache an ihr ausüben könnte.18

Es lässt sich beobachten, wie Goldhagen dem griechischen Text über weite Strecken sehr genau folgt und die grammatikalische Struktur, soweit möglich, beibehält. Daneben fallen vereinzelt auch verdeutlichende Übersetzungen und Anpassungen an deutsche Sprachnormen auf. So nimmt Goldhagen in seiner Übertragung von μετὰ δὲ τοῦτον eine offenbar auf bessere Verständlichkeit abzielende, aber keineswegs notwendige Ergänzung vor (»Nach diesem Könige«); in dem mit τῇ δὲ γυναικὶ οὔνομα ἦν beginnenden Satz wiederum fällt auf, dass die betonte Endstellung von Νίτωκρις nicht nachgebildet wird und der Relativsatz ἥτις ἐβασίλευσε unübersetzt bleibt. Dieser ist zwar für das Verständnis nicht unabdingbar – der Leser versteht auch so, dass es sich um die zuvor erwähnte Königin handelt – , doch ist gerade diese Überdeutlichkeit für den mündlichen Stil des Herodot charakteristisch und wäre insofern nach den von Goldhagen erläuterten Grundsätzen in der Übersetzung darzustellen. Solche maßvollen Veränderungen, wie Goldhagen sie vornimmt, waren aber durch die Übersetzungskonzeption Gottscheds vollkommen abgedeckt. Näher betrachtet werden soll der mit τὴν ἔλεγον beginnende Satz, der im Ganzen ein gutes Beispiel für den mündlichen Stil Herodots bietet: Am Anfang ist von der Rache der Nitokris für ihren Bruder die Rede (τιμωρέουσαν ἀδελφεῷ), woran sich verschiedene Erläuterungen anschließen. Um zu verhindern, dass das zu Anfang angeschlagene Thema der Rache für den Bruder über diese Erläuterungen hin verblasst, greift Herodot es mit einer kurzen rekapitulierenden Wendung (τούτῳ τιμωρέουσαν) nochmals auf und führt dann Gedanken und Satz zu Ende.19 Blickt man nun auf die Übersetzung Goldhagens, so findet sich eine ganz entsprechende Rekurrenz (»[…], dieselbe habe ihren Bruder gerächet […]: Dessen Tod zu rächen […]«), wobei Goldhagen das Verb »rächen« allerdings – im Gegensatz zu Herodot – jeweils in einer unterschiedlichen Form verwendet, wodurch der Effekt der Wiederholung abgemildert wird. Charakteristisch für den mündlichen Stil Herodots ist auch die Wiederaufnahme des Prädikats ἀπέκτειναν durch das Partizip ἀποκτείναντες.20 Diese Art der Wiederholung entspringt dem Bedürfnis, durch explizite Abgrenzung von Handlungselementen den Ablauf des Geschehens zu verdeutlichen. Goldhagen berücksichtigt die Wiederholung zwar, doch variiert er zwischen den beiden Verben »umbringen« und »ermorden«. Er hält es also offenbar für erforderlich, gewisse Zugeständnisse an die zielsprachlichen Stilnormen zu machen, indem er eine direkte Wortwiederholung, wie

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Goldhagen, Des Herodotus neun Bücher der Geschichte, 162. Vgl. Asheri/Lloyd/Corcella (2007), 312, zu τιμωρέουσαν … τιμωρέουσαν: »This rather loose stylistic feature probably reflects the affinity of Herodotus’ style with that of oral narrative […].« Zahlreiche weitere Beispiele für die Wiederholung des Verbs bei Herodot bietet Müller (1980), 58– 63.

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sie im Deutschen außer für besondere literarische Effekte als unschön, ja geradezu fehlerhaft gilt,21 vermeidet. Auch was die angemessene Wiedergabe des Sinns anbelangt, lassen sich bei Goldhagen mehrere Abweichungen vom griechischen Text konstatieren. So gibt er in dem mit ποιησαμένην γάρ μιν beginnenden Satz die Partikel γάρ mit »[d]enn« wieder, eine vordergründig ›wörtliche‹ Übersetzung, die jedoch, wenn man den gedanklichen Zusammenhang mit dem vorangehenden Satz reflektiert, nicht den Sinn trifft. Es handelt sich hier nämlich ganz klar um ein explikatives γάρ, das die nähere Ausführung des zuvor mit τούτῳ τιμωρέουσαν πολλοὺς Αἰγυπτίων διαφθεῖραι δόλῳ summarisch beschriebenen Geschehens ankündigt; die angemessene Übersetzung wäre also »nämlich«. Schließlich ist noch auf Goldhagens inkorrekte Übersetzung von πλὴν ὅτι αὐτήν μιν, ὡς τοῦτο ἐξέργαστο, ῥίψαι ἐς οἴκημα σποδοῦ πλέον hinzuweisen. Goldhagen scheint den Satz in seiner grammatikalischen Struktur nicht verstanden zu haben, offenbar war ihm der reflexive Gebrauch des Pronomens μιν nicht geläufig. Dies führt dann zu einer grob sinnwidrigen Übersetzung des Satzes (»[…], sie habe, als dieses geschehen, das Haus voll Asche geschüttet […]« statt »sich in ein Zimmer voll Asche gestürzt«). Die unübersehbaren Mängel der Goldhagen’schen Übersetzung wurden von Johann David Heilmann, dem berühmten Thukydides-Übersetzer,22 in einer 1757 erschienenen, sehr ausführlichen Rezension deutlich herausgestellt. Was er an dessen Übersetzung bemängelt, ist in erster Linie deren mangelhafte philologische Qualität. Außerdem kritisiert er eine »knechtische Beibehaltung einzelner Worte und Idiotismen der Sprache«.23 Ganz ähnlich lautet die Kritik Johann Friedrich Degens,24 der mit Goldhagen als Herodot-Übersetzer in Konkurrenz trat. Seine Übersetzung erschien in den Jahren 1783 bis 1791. Degen wirft seinem Vorgänger vor, dass er sich allzu »sklavisch an den griechischen Gang der Rede, an einzelne Wörter, und Partikeln gehalten«25 habe. In diesen Äußerungen zeigt sich deutlich die Dominanz des zielsprachlichen Paradigmas im 18. Jahrhundert, das vom Übersetzer die Anpassung an die herrschenden Sprach- und Stilnormen verlangte. Eine allzu große Nähe zum Ausgangs21

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Vgl. Adelung in seiner 1785 erschienenen Schrift Ueber den Deutschen Styl, 1. Tl., 247: »Zu dem fehlerhaften Gleichklange ganzer Wörter gehöret vornehmlich: 1. Die unnöthige allzunahe Wiederhohlung eines und eben desselben Wortes, wenn man es durch ein gleich bedeutendes geben kann.« Seine Thukydides-Übersetzung erschien 1760. Heilmann, Prüfung, o. P. Johann Friedrich Degen (1752–1836) hatte das Gymnasium zu Coburg besucht und studierte ab 1772 in Erlangen Philologie. Anschließend war er ab 1775 Collaborator am Gymnasium zu Erlangen, 1776 ging er als Lehrer ans Gymnasium zu Ansbach. 1790 oder 1791 wurde er Direktor des Gymnasiums in Neustadt an der Aisch, ab 1802 oder 1803 war er dann am Gymnasium in Bayreuth tätig, zunächst als Professor, schließlich von 1811 bis 1821 als Rektor. Degen veröffentlichte zahlreiche Schriften zur Antike. Zu nennen ist insbesondere seine 1797/1798 erschienene Litteratur der deutschen Übersetzungen der Griechen (Die biographischen Angaben nach Eckstein [1871], 114 und Halm [1877]). Degen, Herodots Geschichte, Bd. 1, o. P.: »Hätte sich Goldhagen weniger sklavisch an den griechischen Gang der Rede, an einzelne Wörter, und Partikeln gehalten, mehr Fleiß auf den Bau und auf die Abründung der teutschen Perioden verwendet, so würde sich seine Uebersetzung weniger hart und mühsam lesen lassen.«

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text wird dabei geradezu als Mangel angesehen; gefordert ist vielmehr der souveräne Umgang mit dem Original, der sich in der Fähigkeit zeigt, sich von dessen sprachlicher Form zu lösen. Ganz entsprechend beschreibt Degen in seinem Vorwort die Überlegungen, die seiner Übersetzung zugrundeliegen:26 Denn würde man den Herodot Wort für Wort, Zeile für Zeile, griechische Wortfügung für teutsche Wortfügung übertragen, so befürchte ich, der gute Alte mögte, ohne sein Verschulden, und ehe er sichs vermuthete, in der ersten besten Ecke oder wohl gar im Kamin liegen. Indes wird niemand den Schriftsteller in dieser27 Uebersetzung etwa modernisirt, oder in einem neuen Stutzerkleid gleich einem jungen süssen Herrn einhertreten sehen, sondern wer ihn genauer betrachtet, wird bemerken, daß er in einem anständigen, nicht ganz unangenehmen, dem Kostum seines Landes und Zeitalters gemäsen Gewande sich zeigt, ohne Allegorie, daß die griechische Urschrift in eine verständliche, teutsche und lesbare Uebersetzung übertragen ist, wenigstens daß der Verfasser derselben dieses zu erstreben sich bemüht habe.

Wie Goldhagen verwendet Degen die in der übersetzungstheoretischen Diskussion des 18. Jahrhunderts geläufige Kleidungsmetaphorik und bekräftigt ebenfalls, Herodot kein modernes Kleid überziehen zu wollen.28 Allerdings ist ein deutlicher Unterschied in der jeweiligen Verwendung der Metapher zu konstatieren: Während Goldhagen nämlich ›travestierendes‹ Übersetzen grundsätzlich ablehnt, geht es Degen darum, die angemessene Form der ›Verkleidung‹ zu finden und Herodot, wie er es formuliert, »in einem anständigen, nicht ganz unangenehmen, dem Kostum seines Landes und Zeitalters gemäsen Gewande« zu präsentieren. Degens ganze Formulierung ist dabei von einer gewissen Ambiguität geprägt. Man fragt sich insbesondere nach dem von ihm vorausgesetzten Maßstab für das Adjektiv ›anständig‹: Ist es die Kultur des Ausgangstextes oder die deutsche Kultur des 18. Jahrhunderts? Unklar ist auch, ob Degen mit dem »nicht ganz unangenehmen […] Gewande« darauf abhebt, dass er dem griechischen Original bzw., um im Bild zu bleiben, Herodot keine Gewalt antue, oder nicht vielmehr darauf, dass er eine (dem deutschen Leser) ›angenehme‹ Schreibart gewählt habe. Wo die Prioritäten für Degen liegen, wird dann gegen Ende des Abschnitts aber ganz deutlich, wenn er davon spricht, dass seine Übersetzung »verständlich«, »teutsch« und »lesbar« sein solle; letztlich erscheint er also doch ganz klar einem zielsprachlichen Paradigma verpflichtet. Dass dies tatsächlich der Fall ist, zeigt sich, wenn man seine Übersetzung der ausgewählten Stelle betrachtet: Μετὰ δὲ τοῦτον κατέλεγον οἱ ἱρέες ἐκ βύβλου ἄλλων βασιλέων τριηκοσίων καὶ τριήκοντα οὐνόματα. ἐν τοσαύτῃσι δὲ γενεῇσι ἀνθρώπων ὀκτωκαίδεκα μὲν Αἰθίοπες ἦσαν, μία δὲ 26 27 28

Ausser diesem König sagten mir die Priester aus einer geschriebenen Urkunde noch die Namen von dreyhundert und dreissig andern Königen her. Unter diesen waren in so vielen Menschenaltern achtzehn Aethioper und eine

Degen, Herodots Geschichte, Bd. 1, o. P. Degen bezieht sich hier auf seine eigene Übersetzung. Zur Verwendung von Gewandmetaphern in der Übersetzungstheorie vgl. Kitzbichler (2013), 242– 248.

Prosastile und Übersetzungsstrategien in Thukydides- und Herodot-Übersetzungen γυνὴ ἐπιχωρίη, οἱ δὲ ἄλλοι ἄνδρες Αἰγύπτιοι. τῇ δὲ γυναικὶ οὔνομα ἦν, ἥτις ἐβασίλευσε, τό περ τῇ Βαβυλωνίῃ, Νίτωκρις· τὴν ἔλεγον τιμωρέουσαν ἀδελφεῷ, τὸν Αἰγύπτιοι βασιλεύοντα σφέων ἀπέκτειναν, ἀποκτείναντες δὲ οὕτω ἐκείνῃ ἀπέδοσαν τὴν βασιληίην, τούτῳ τιμωρέουσαν πολλοὺς Αἰγυπτίων διαφθεῖραι δόλῳ. ποιησαμένην γάρ μιν οἴκημα περίμηκες ὑπόγαιον καινοῦν τῷ λόγῳ, νόῳ δὲ ἄλλα μηχανᾶσθαι· καλέσασαν δέ μιν Αἰγυπτίων τοὺς μάλιστα μεταιτίους τοῦ φόνου ᾔδεε πολλοῦς ἱστιᾶν, δαινυμένοισι δὲ ἐπεῖναι τὸν ποταμὸν δι᾿ αὐλῶνος κρυπτοῦ μεγάλου. ταύτης μὲν πέρι τοσαῦτα ἔλεγον, πλὴν ὅτι αὐτήν μιν, ὡς τοῦτο ἐξέργαστο, ῥίψαι ἐς οἴκημα σποδοῦ πλέον, ὅκως ἀτιμώρητος γένηται.

einige innländische Regentinn. Die übrigen aber sämmtliche Aegypter von männlichem Geschlecht. Die Regentin hieß, wie eine babylonische Königinn, Nitokris. Sie soll ihren Bruder, den die Aegypter als ihren König ermordeten und darauf ihr die Krone überreichten, dadurch gerächt haben, daß sie viele Aegypter durch List umzubringen veranstaltete. Sie ließ nemlich ein sehr langes unterirdisches Gebäude, unter dem Schein einer ganz neuen Erfindung errichten; ihre Absicht dabey aber gieng auf etwas ganz anderes. Dann lud sie eine Menge Aegypter, die ihr als die vorzüglichsten Mitschuldigen, an der Ermordung ihres Bruders bekannt waren in dasselbe zur Tafel. Während derselben ließ sie durch einen verborgenen grosen Kanal den Fluß über sie herstürzen. Soviel erzählte man mir von dieser Königinn. Ausserdem soll sie nach Vollführung dessen, sich, wie man sagt, der Rache zu entgehen in ein mit Asche gefülltes Zimmer gestürzt haben.29

Die Übersetzung stimmt in einigen Punkten mit derjenigen Goldhagens überein, allerdings nimmt Degen, offenbar im Bemühen um einen nach zeitgenössischen Sprachnormen angemessenen Ausdruck, stärkere Anpassungen vor. So sieht er sich z. B. gezwungen, γυνή mit »Regentinn« zu übersetzen, und auch für ἄνδρες Αἰγύπτιοι wählt er mit »Aegypter von männlichem Geschlecht« eine umschreibende Übersetzung. Aufschlussreich sind aber vor allem die Unterschiede in dem mit τὴν ἔλεγον beginnenden Satz. Degen eliminiert hier konsequent diejenigen stilistischen Merkmale, die, wie ausgeführt, besonders charakteristisch für den mündlichen Stil des Herodot sind, nämlich die Rekurrenz von τιμωρέουσαν und die Epanalepse ἀπέκτειναν – ἀποκτείναντες. Der ganze Satz erhält dadurch eine völlig andere stilistische Signatur. Was die philologische Korrektheit an entscheidenden Stellen anbelangt, erweist sich die Übersetzung Degens jedoch als derjenigen Goldhagens überlegen. So gibt er in dem mit ποιησαμένην γάρ μιν beginnenden Satz das explikative γάρ angemessen wieder, und auch seine Übersetzung des letzten, mit ταύτης μὲν πέρι beginnenden Satzes ist, obgleich Degen in der Satzstruktur mehrfach vom Griechischen abweicht und das an sich überflüssige »wie man sagt« hinzufügt, im Gegensatz zu Goldhagen doch in der Sache korrekt. 29

Degen, Herodots Geschichte, Bd. 1, 253 f.

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Der Befund, der sich aus dem Vergleich der Übersetzungen von Goldhagen und Degen ergibt, ist insofern überraschend, als er der übergreifenden Entwicklung von einer zielsprachenorientierten Übersetzungsnorm, wie sie um die Mitte des 18. Jahrhunderts dominant war, hin zu einem ausgangssprachlichen Übersetzen, wie es dann zu Anfang des 19. Jahrhunderts favorisiert wurde, entgegenläuft. Der frühere Übersetzer, Goldhagen, ist nämlich – was ihm denn auch zum Vorwurf gemacht wurde – verhältnismäßig nah am Ausgangstext, während Degen, der die charakteristischen Stilmerkmale Herodots konsequent eliminiert, einem modernisierend-assimilierenden Übersetzungsparadigma30 verpflichtet ist. Es wird hier deutlich, dass sich die Veränderung der Übersetzungskultur nicht als kontinuierlicher Prozess vollzog und dass die übersetzungstheoretischen Grundsätze Gottscheds noch bis in die Zeit kurz vor 1800 einen maßgeblichen Einfluss auf die Übersetzungspraxis ausübten. Für die vorliegende Fragestellung ist jedoch noch etwas anderes wichtig: nämlich dass sich in den HerodotÜbersetzungen des 18. Jahrhunderts nicht die Art von teils radikaler stilistischer Veränderung beobachten lässt wie in den genannten Thukydides-Übersetzungen aus den Jahren um 1760. Auch unterscheiden sich die Herodot-Übersetzungen nicht annähernd so stark voneinander wie die betreffenden Thukydides-Übersetzungen. Der Unterschied zwischen den Übersetzungen von Goldhagen und Degen, was die Nähe zum Ausgangstext betrifft, ist ein gradueller; in ihrer Übersetzungskonzeption zeigen sie sogar gewisse Übereinstimmungen.

Der Wandel der Übersetzungsnormen um 1800: Die archaisierende Herodot-Übersetzung Friedrich Langes Nur wenige Jahre nach Erscheinen der Herodot-Übersetzung Degens vollzog sich in der deutschen Übersetzungskultur ein tiefgreifender Wandel, der vor allem durch die Homer-Übertragung von Johann Heinrich Voß in Gang gesetzt wurde.31 War bereits seine Odyssee-Übersetzung von 1781 wegweisend in ihrem Bemühen um die sprachliche Form des griechischen Originals, so setzte die überarbeitete Fassung, die zusammen mit seiner Ilias-Übersetzung im Jahre 1793 veröffentlicht wurde, vollends neue Maßstäbe. Voß verfolgt das Prinzip der Sprachmimesis hier mit äußerster Konsequenz und bemüht sich in allen sprachlichen Aspekten, von der Wortbildung über die Wortstellung und Grammatik bis hin zur Metrik, um möglichste Nähe zum griechischen Text. Aufgrund der Radikalität seines Übersetzungsverfahrens stieß Voß zunächst auf teils vehemente Ablehnung,32 doch wich die anfängliche Kritik dann nach

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Nach der von Poiss et al. (im vorliegenden Band), § 9, entworfenen Übersetzungstypologie, die in dieser Untersuchung kontinuierlich herangezogen wird. Die Übersetzung Goldhagens lässt sich dagegen nur schwer einem der Übersetzungstypen zuordnen; einerseits orientiert sie sich nämlich am Ausgangstext, zugleich sind aber durchaus auch assimilierende Tendenzen zu verzeichnen. Zur Homer-Übersetzung von Voß vgl. Häntzschel (1977). Vgl. Häntzschel (1977), 203–208; 212–215.

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und nach einer allgemeinen Wertschätzung,33 so dass seine Übertragungen Anfang des 19. Jahrhunderts einen paradigmatischen Status erlangten und geradezu eine »Voßische Manier« des Übersetzens begründeten.34 Auch die Herodot-Übersetzung Friedrich Langes35, die in den Jahren 1811/1812 erschien, zeigt deutlich die Hinwendung zu dem neuen Paradigma, setzt aber zugleich, wie im Folgenden deutlich gemacht werden soll, auch ganz eigene Akzente. Hier zunächst die Übersetzung von Lange im Wortlaut: Μετὰ δὲ τοῦτον κατέλεγον οἱ ἱρέες ἐκ βύβλου ἄλλων βασιλέων τριηκοσίων καὶ τριήκοντα οὐνόματα. ἐν τοσαύτῃσι δὲ γενεῇσι ἀνθρώπων ὀκτωκαίδεκα μὲν Αἰθίοπες ἦσαν, μία δὲ γυνὴ ἐπιχωρίη, οἱ δὲ ἄλλοι ἄνδρες Αἰγύπτιοι. τῇ δὲ γυναικὶ οὔνομα ἦν, ἥτις ἐβασίλευσε, τό περ τῇ Βαβυλωνίῃ, Νίτωκρις· τὴν ἔλεγον τιμωρέουσαν ἀδελφεῷ, τὸν Αἰγύπτιοι βασιλεύοντα σφέων ἀπέκτειναν, ἀποκτείναντες δὲ οὕτω ἐκείνῃ ἀπέδοσαν τὴν βασιληίην, τούτῳ τιμωρέουσαν πολλοὺς Αἰγυπτίων διαφθεῖραι δόλῳ. ποιησαμένην γάρ μιν οἴκημα περίμηκες ὑπόγαιον καινοῦν τῷ λόγῳ, νόῳ δὲ ἄλλα μηχανᾶσθαι· καλέσασαν δέ μιν Αἰγυπτίων τοὺς μάλιστα μεταιτίους τοῦ φόνου ᾔδεε πολλοῦς ἱστιᾶν, δαινυμένοισι δὲ ἐπεῖναι τὸν ποταμὸν δι᾿ αὐλῶνος κρυπτοῦ μεγάλου. ταύτης μὲν πέρι τοσαῦτα ἔλεγον, πλὴν ὅτι αὐτήν μιν, ὡς τοῦτο ἐξέργαστο, ῥίψαι ἐς οἴκημα σποδοῦ πλέον, ὅκως ἀτιμώρητος γένηται. 33 34 35

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Nach diesem lasen mir die Priester aus ihrem Buche her die Namen von dreihundert und dreißig anderen Königen. Unter so vielen Menschengeschlechtern waren achtzehn Aethioper und ein Weib des Landes, die übrigen waren Männer aus Aegypten. Und das Weib, die da Königin gewesen, hieß wie jene Königin von Babylon, Nitokris. Dieselbige, sagten sie, rächete ihren Bruder, der auch König gewesen und den die Aegyptier umgebracht, und nachdem sie ihn umgebracht, hatten sie ihr das Königreich übergeben – diesen rächete sie, und tödtete der Aegyptier viele durch List. Nämlich sie bauete einen weiten Saal unter der Erde und gab vor, sie wollte ihn einweihen, hatte aber etwas ganz anderes im Sinn, und lud ein diejenigen von den Aegyptiern, die sie als die vornehmsten Urheber des Mordes kannte und bewirthete sie, eine große Menge, und als sie bei’m Mahle saßen, ließ sie den Fluß hinein durch einen großen verborgenen Graben. Weiter erzähleten sie nichts von dieser Königin, ohne noch, daß sie, wie sie solches gethan, sich in ein Zimmer voll Asche gestürzet, auf daß sie der Rache entginge.36

Vgl. ebd., 215–223. Vgl. Apel (1982). Friedrich Heinrich Wilhelm Lange (1779–1854) hatte in Halle und Jena studiert. Seit 1808 war er auf dem Gut Quilitz bei Müncheberg als Hauslehrer beim Grafen Prittwitz angestellt, bevor er 1809 oder 1810 nach Berlin ging, wo er als Lehrer am Friedrich-Wilhelms-Gymnasium und später am Friedrich-Werderschen-Gymnasium unterrichtete. Nach den Befreiungskriegen war Lange in der Schulverwaltung tätig, zunächst als Schulrat in Koblenz, dann von 1833 bis 1850 als Provinzialschulrat in Berlin. (Die biographischen Angaben nach Eckstein [1871], 316; König [1963], 106; Bartmuß/Kunze/Ulfkotte [2008]). Lange, Die Geschichten des Herodotos, 172.

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Die sprachmimetische Tendenz der Übersetzung Langes zeigt sich allenthalben. Der griechischen Wortstellung folgt er, von kleinen Ausnahmen abgesehen, durchgängig, so etwa in seiner Wiedergabe von μία δὲ γυνὴ ἐπιχωρίη (»ein Weib des Landes«).37 Näher betrachtet werden soll seine Übersetzung des mit τὴν ἔλεγον beginnenden Satzes. Durch seine Übersetzung »Dieselbige, sagten sie, rächete ihren Bruder …« gelingt es Lange, die Wortfolge des griechischen Satzes genau nachzubilden und insbesondere die betonte Anfangsstellung von τὴν zu bewahren. Lange bildet aber auch die für den mündlichen Stil des Herodot charakteristischen Erscheinungen nach. So gibt er die Wiederholung von τιμωρέουσαν ἀδελφεῷ durch τούτῳ τιμωρέουσαν genau wieder (»rächete ihren Bruder« – »diesen rächete sie«). Auch in der Wiedergabe der Epanalepse ἀπέκτειναν, ἀποκτείναντες zeigt sich das entschiedene Bemühen Langes um den Stil Herodots. Frühere Übersetzer hatten diese Wiederholung vermieden: Goldhagen, indem er zwischen »umbringen« und »ermorden« variierte; Degen dadurch, dass er sie gänzlich eliminierte. Lange bildet sie demgegenüber so genau nach, wie dies angesichts der sprachsystemischen Unterschiede möglich ist (»[…] den die Aegyptier umgebracht, und nachdem sie ihn umgebracht, hatten sie ihr das Königreich übergeben«). Teilweise übersteigert Lange den Herodoteischen Stil sogar. Indem er nämlich griechische Partizipialkonstruktionen parataktisch auflöst und die verbindende Partikel δέ mit »und« wiedergibt, erreicht Lange einen Stil, der noch stärker parataktisch und polysyndetisch geprägt ist als bei Herodot selbst. (Dies lässt sich auch in seiner Übersetzung des mit καλέσασαν δέ μιν beginnenden Satzes beobachten.) Im Gegensatz zu Degen, der die Charakteristika des mündlichen Stils überspielt hatte, lässt Lange diese also in aller Deutlichkeit hervortreten. Lange berücksichtigt in seiner Übersetzung auch den Chiasmus καινοῦν τῷ λόγῳ, νόῳ δὲ ἄλλα μηχανᾶσθαι: »[…] und gab vor, sie wollte ihn einweihen, hatte aber etwas ganz anderes im Sinn, […]«. Neben dem mündlichen Charakter wird also auch das Kunstvolle der Sprache Herodots wiedergegeben. Was der Übersetzung Langes neben ihrer konsequenten Sprach- bzw. Stilmimesis ein besonderes ästhetisches Profil verleiht, ist ihr archaisierender Stil, der sich an die Sprache der Lutherbibel anlehnt. Dies zeigt sich in dem vorliegenden Beispiel etwa in der Wiedergabe des Relativsatzes ἥτις ἐβασίλευσε mit »die da Königin gewesen«. Da Lange sich zu seiner Übersetzungskonzeption nicht geäußert hat, lassen sich nur Vermutungen darüber anstellen, welche Überlegungen seiner Übersetzungsmethode zugrunde gelegen haben dürften. Einen möglichen Anhaltspunkt bieten die theoretischen Überlegungen Schleiermachers, die dieser in seiner Akademierede aus dem Jahre 1813 formuliert hat.38 Zwar kann Lange diese bei der Abfassung seiner Übersetzung noch nicht gekannt haben, doch scheint es, sofern man die Akademierede als Kulmination der Entwicklungen in der Übersetzungstheorie und -praxis seit dem Ende 37 38

Um die Wortstellung des griechischen Textes beibehalten zu können, muss Lange das Adjektiv aufgeben, das nach der deutschen Worstellung vor dem Substantiv hätte stehen müssen. Eine ausführliche Behandlung der Akademierede Schleiermachers findet sich bei Kitzbichler (2009), 53–63. Zu Schleiermachers Übersetzungstheorie vgl. Sdun (1967), 55–58 und Apel (1982), 136– 145.

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des 18. Jahrhunderts liest, durchaus legitim, sie für die Bestimmung des theoretischen Hintergrunds der Übersetzung Langes heranzuziehen. Ein zentrales Anliegen Schleiermachers besteht darin, das Fremde in der Übersetzung sichtbar zu machen; um dies zu erreichen, fordert er »[…] eine Haltung der Sprache, die nicht nur nicht alltäglich ist, sondern die auch ahnden läßt, daß sie nicht ganz frei gewachsen, vielmehr zu einer fremden Aehnlichkeit hinübergebogen sey […]«39. Dieses Bemühen teilt Lange offensichtlich; durch das Archaische der von ihm verwendeten Sprache wird in seiner Übersetzung aber zusätzlich zur sprachlich-kulturellen Distanz (dem ›Fremden‹) die zeitliche Distanz (man könnte dies entsprechend zum ›Fremden‹ als das ›Ferne‹ bezeichnen) dargestellt.40 Doch welche Wirkung sollte diese Darstellung von zeitlicher Ferne erzielen? Aufschlussreich für das Verständnis der Funktion von Langes archaisierendem Stil ist der von Pudor41 im Jahre 1814 – also zwei Jahre nach Erscheinen der Lange’schen Übersetzung – publizierte Aufsatz mit dem Titel »Ueber die Farbengebung des Alterthümlichen in Verdeutschung alter klassischer Prosa«. Pudor steht dem sprachmimetischen Übersetzungsparadigma, wie sein Hinweis auf die Mustergültigkeit der Voß’schen Homerübersetzung zeigt,42 nahe, und fordert, »sich mit möglichster Treue und Innigkeit an die Ursprache an[zu]schließ[en]«43, wobei er insbesondere die Berücksichtigung der Partikeln sowie die Nachbildung der Wortfolge und des Periodenbaus hervorhebt.44 Das zentrale Element ist für ihn jedoch das »Antike«45, das es

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Schleiermacher, Methoden des Uebersetzens, 81: »[E]in unerlaßliches Erforderniß dieser Methode des Uebersetzens ist eine Haltung der Sprache, die nicht nur nicht alltäglich ist, sondern die auch ahnden läßt, daß sie nicht ganz frei gewachsen, vielmehr zu einer fremden Aehnlichkeit hinübergebogen sey; und man muß gestehen, dieses mit Kunst und Maaß zu thun, ohne eigenen Nachtheil und ohne Nachtheil der Sprache, dies ist vielleicht die größte Schwierigkeit, die unser Uebersetzer zu überwinden hat. Das Unternehmen erscheint als der wunderbarste Stand der Erniedrigung, in den sich ein nicht schlechter Schriftsteller versetzen kann. Wer möchte nicht seine Muttersprache überall in der volksgemäßesten Schönheit auftreten lassen, deren jede Gattung nur fähig ist? Wer möchte nicht lieber Kinder erzeugen, die das väterliche Geschlecht rein darstellen, als Blendlinge? Wer wird sich gern auflegen, in minder leichten und anmuthigen Bewegungen sich zu zeigen, als er wohl könnte, und bisweilen wenigstens schroff und steif zu erscheinen, um dem Leser so anstößig zu werden als nöthig ist, damit er das Bewußtseyn der Sache nicht verliere? Wer wird sich gern gefallen lassen, daß er für unbeholfen gehalten werde, indem er sich befleißiget, der fremden Sprache so nahe zu bleiben, als die eigene es nur erlaubt, und daß man ihn, wie Eltern, die ihre Kinder den Kunstspringern übergeben, tadelt, daß er seine Muttersprache, anstatt sie in ihrer heimischen Turnkunst gewandt zu üben, an ausländische und unnatürliche Verrenkungen gewöhne!« Langes Herodot-Übersetzung erscheint somit als Musterbeispiel für den Typus der archaisierenddistanzierenden Übersetzung; vgl. Poiss et al. (im vorliegenden Band), § 9. Es handelt sich hierbei um Carl Heinrich Pudor (1777–1839), der von 1806 bis 1811 am Conradinum im bei Danzig gelegenen Jenkau (heute: Jankowo Gdańskie) unterrichtete und 1812 Konrektor der Kathedralschule im westpreußischen Marienwerder (heute: Kwidzyn) wurde. (Die biographischen Angaben nach König [1972], 137, Anm. 128; Kitzbichler/Lubitz/Mindt [2009b], 83). Pudor, Farbengebung des Alterthümlichen, 103. Ebd., 108. Ebd., 109.

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in der Übersetzung zu bewahren gelte, indem man ihr eine »antike Farbengebung« verleihe.46 Dem »Antiken« stehen nach Pudor als »seine feindlichen Pole« das »Moderne und Conventionelle« gegenüber.47 Damit richtet er sich also gegen modernisierend-assimilierende Übersetzungsparadigmen, insbesondere gegen die bereits erwähnte französische Übersetzungskultur. Den Franzosen unterstellt Pudor nämlich, die antiken Werke im Grunde nicht zu verstehen; zudem sei die französische Sprache für deren Übersetzung unzulänglich.48 Solche antifranzösische Polemik hatte zu jener Zeit aufgrund der Befreiungskriege gegen Napoleon eine besondere Aktualität. Es handelt sich also gewiss nicht nur um eine übersetzungstheoretische Frage, die hier verhandelt wird, sondern letztlich um die Frage nach der kulturellen Vormachtstellung in Europa. Ganz entsprechend hatte Schleiermacher Deutschland als prädestiniert für die Aufgabe des Übersetzens bezeichnet.49 Mit Schleiermacher teilt Pudor außerdem die Überzeugung, dass die deutsche Sprache sich in besonderem Maße dazu eigne, antike Texte zu übersetzen bzw., wie Pudor es formuliert, »des Alterthums machtvolle Stimmen mit treuer Fülle und Würde wiederzutönen«50, wobei Pudor neben der sprachlichen Nähe eine Art Seelenverwandtschaft zwischen ›Deutschen‹ und ›Hellenen‹ reklamiert.51 Was nun allerdings die Übersetzungen Schleiermachers betrifft, so schätzt Pudor diese zwar, doch fehle ihnen die »Zauberfarbe«52, also eben jene »antike Farbengebung«, von der die Rede war. In dieser Hinsicht erscheint ihm vielmehr die Herodot-Übersetzung Langes vorbildlich.53 Insbesondere findet dessen Idee, sich an dem Bibeldeutsch Luthers anzulehnen, seine volle Zustimmung, da Luthers »Sprache als auf immer gestempelt für die Uebertragung alter schriftlicher Denkmale, die da Kunde geben von dem Leben und Weben der Urzeit« gelten müsse.54 Pudor bezieht 45

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Ebd., 105, definiert Pudor das ›Antike‹ unter Bezugnahme auf Winckelmann als »[…] jene edle prunklose Einfalt, jene stille Größe mit ihrem doch so lebendigen und so gewaltigen Zauber, wovon alle Gebilde alter Kunst so innig beseelt sind.« Ebd., 116. Ebd., 106. Ebd., 103: »Hingegen waltet der Hang zum Modernisiren der Werke der alten Kunst, besonders bei dem Volke vor, dem es im Ganzen an ergreifender Anschauung, an Tiefgefühl, an nahe verwandter Sinnesart, so wie an einer mächtigen Sprache mangelt, und dessen Verdollmetschungen altklassischer Meisterwerke daher nur zu oft kraftlose Abbilder antiker Herrlichkeit wurden. Messieurs Athéniens, – so lautet der gar höfliche Nachhall der hochherzigen �νδρες �θηναῖοι, und läßt den kundigen Leser schon im Voraus eine winzig durchgeführte Darstellung erwarten.« Schleiermacher, Methoden des Uebersetzens, 92: »Und damit scheint zusammenzutreffen, daß wegen seiner Achtung für das Fremde und seiner vermittelnden Natur unser Volk bestimmt seyn mag, alle Schätze fremder Wissenschaft und Kunst mit seinen eignen zugleich in seiner Sprache gleichsam zu Einem großen geschichtlichen Ganzen zu vereinigen, das im Mittelpunkt und Herzen von Europa verwahrt werde, damit nun durch Hülfe unserer Sprache, was die verschiedensten Zeiten schönes gebracht haben, jeder so rein und vollkommen genießen könne, als es dem Fremdling nur möglich ist.« Pudor, Farbengebung des Alterthümlichen, 103 f. Ebd., 120, spricht Pudor von dem »verbrüderten hellenischen Genius«. Ebd., 119. Pudor, Farbengebung des Alterthümlichen, 116 f. Ebd., 114.

Prosastile und Übersetzungsstrategien in Thukydides- und Herodot-Übersetzungen

sich hier auf Friedrich Ludwig Jahn (den »Turnvater«), der in seiner 1810 erschienenen Schrift Deutsches Volksthum die Mustergültigkeit der Sprache Luthers betont hatte.55 Wie wir wissen, teilte auch Friedrich Lange die nationalistische Haltung Jahns, mit dem er seit seiner Studentenzeit befreundet war und dem er auch später, als er 1809 oder 181056 als Lehrer nach Berlin kam, nahestand. Die Anlehnung an die Sprache Luthers in seiner Herodot-Übersetzung dürfte also in der Tat die Art von nationalistischer Sprachhaltung reflektieren, wie sie Pudor zum Ausdruck bringt. Die nationalistischen Bestrebungen Jahns, Langes und der ihnen Nahestehenden beschränkten sich allerdings nicht auf den Bereich der Kultur. Vordringlichstes Ziel war zu der Zeit, als Langes Herodot-Übersetzung erschien, vielmehr der bereits erwähnte Kampf gegen Napoleon, an dem sich Lange aktiv beteiligte. So fungierte er 1812 als Agent in dem von Justus Gruner aufgebauten Netzwerk, das französische Truppenbewegungen ausspionieren sollte.57 Aufgrund dieser Tätigkeit wurde er zusammen mit Gruner in Prag verhaftet, jedoch nach seiner Überführung nach Berlin bald wieder freigelassen. Im Jahr 1813 beteiligte er sich dann an der Organisation des Lützow’schen Freikorps, das gegen Napoleon kämpfte. Vor diesem Hintergrund lässt sich auch eine Vermutung anstellen, warum Lange ausgerechnet Herodot übersetzte: Die Vereinigung der Hellenen im Freiheitskampf gegen die übermächtigen Perser, wie sie von Herodot dargestellt wird, musste zu dieser Zeit geradezu als Allegorie für die Vereinigung Deutschlands im Freiheitskampf gegen das napoleonische Frankreich gelesen werden.58 Sowohl in der Wahl des zu übersetzenden Textes als auch in der sprachlichen Ausgestaltung greift Lange mit seiner archaisierenden HerodotÜbersetzung also offenbar unmittelbar Impulse seiner Zeit auf. Doch ist dabei zu betonen, dass sie keineswegs ihrer Zeit verhaftet ist, sondern geradezu zeitlos wirkt. Sie ist denn auch vielfach nachgedruckt worden, sogar noch in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts.59

55 56 57 58 59

Vgl. Jahn, Deutsches Volksthum, 161–164. (Der Verweis auf Jahn findet sich bei Pudor, Farbengebung des Alterthümlichen, 114, Anm. 11.) Das Jahr ließ sich nicht sicher ermitteln. Die Angaben zu den Aktivitäten Langes nach König (1973) und Bartmuß/Kunze/Ulfkotte (2008). Vgl. in diesem Zusammenhang auch Kipf (1999), 63–65, der die von Friedrich Thiersch propagierte nationalpädagogische Funktionalisierung Herodots auf den Freiheitskampf gegen Napoleon bezieht. In der Reihe Exempla Classica der Fischer-Bücherei (1961). Es handelt sich bei dem von Hermann Strasburger herausgegebenen Band allerdings lediglich um eine Auswahl, die die Bücher V und VI nur sehr knapp berücksichtigt.

Johann Martin Thesz

Vielfalt der Übersetzungsmethoden im 20. Jahrhundert: Von der modernisierend-assimilierenden Übersetzung Theodor Brauns zur dokumentarischen Übersetzung Walter Margs Ungeachtet des nachhaltigen Erfolges mehrerer ausgangssprachlich orientierter Übersetzungen – neben Langes Herodot sind insbesondere der Voß’sche Homer sowie Schleiermachers Platon zu nennen – lässt sich, wie schon zu den ThukydidesÜbersetzungen bemerkt, im weiteren Verlauf des 19. Jahrhunderts eine Abkehr von der Sprachmimesis und eine stärkere Orientierung hin zu zielsprachlichem Übersetzen konstatieren. Das zielsprachliche Paradigma blieb auch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zunächst beherrschend, wie sich bei Theodor Braun60 erkennen lässt, der 1917 mit einer Thukydides-Übersetzung hervorgetreten war und dann zehn Jahre später auch eine Herodot-Übersetzung vorlegte. Beide Übersetzungen wurden im renommierten Insel-Verlag publiziert. In seiner Thukydides-Übersetzung wird die sprachliche Gestalt gegenüber dem Ausgangstext massiv verändert, indem die Härten des Thukydideischen Stils zugunsten leichterer Rezipierbarkeit beseitigt werden. Besonders auffällig sind außerdem die umgangssprachlichen Ausdrücke, die der Übersetzung einen von der Austerität und Strenge der Thukydideischen Sprache stark abweichenden entspannt-kolloquialen Ton geben. In seiner Herodot-Übersetzung von 1927 verfolgt Braun eine grundsätzlich ähnliche Strategie, u. a. in der Tendenz zur Beseitigung stilistischer Besonderheiten. Dies soll auch wieder anhand der Partie aus der Nitokris-Geschichte veranschaulicht werden: Μετὰ δὲ τοῦτον κατέλεγον οἱ ἱρέες ἐκ βύβλου ἄλλων βασιλέων τριηκοσίων καὶ τριήκοντα οὐνόματα. ἐν τοσαύτῃσι δὲ γενεῇσι ἀνθρώπων ὀκτωκαίδεκα μὲν Αἰθίοπες ἦσαν, μία δὲ γυνὴ ἐπιχωρίη, οἱ δὲ ἄλλοι ἄνδρες Αἰγύπτιοι. τῇ δὲ γυναικὶ οὔνομα ἦν, ἥτις ἐβασίλευσε, τό περ τῇ Βαβυλωνίῃ, Νίτωκρις· τὴν ἔλεγον τιμωρέουσαν ἀδελφεῷ, τὸν Αἰγύπτιοι βασιλεύοντα σφέων ἀπέκτειναν, ἀποκτείναντες δὲ οὕτω ἐκείνῃ ἀπέδοσαν τὴν βασιληίην, τούτῳ τιμωρέουσαν πολλοὺς Αἰγυπτίων διαφθεῖραι δόλῳ. ποιησαμένην γάρ μιν οἴκημα περίμηκες ὑπόγαιον καινοῦν τῷ λόγῳ, νόῳ δὲ ἄλλα μηχανᾶσθαι· καλέσασαν δέ μιν Αἰγυπτίων τοὺς μάλιστα μεταιτίους τοῦ φόνου ᾔδεε 60

Nach ihm führten die Priester aus ihrem Buche noch dreihundertdreißig andere Könige mit Namen an. Unter den Königen in so viel Menschenaltern waren achtzehn Äthiopier, e i n e einheimische Frau, alle übrigen aber Männer aus Ägypten. Die Frau hieß wie jene babylonische Königin Nitokris. Ihren Bruder, sagten sie, der vor ihr König gewesen wäre, hätten die Ägypter ermordet und sie auf den Thron gesetzt; sie aber hätte, um ihren Bruder zu rächen, viele Ägypter hinterlistig umgebracht. Sie hätte nämlich einen großen unterirdischen Saal gebaut und angeblich, um ihn einzuweihen, in der Tat aber in ganz anderer Absicht, eine Menge der ihr als

Näheres zur Biographie Theodor Brauns ließ sich nicht ermitteln. Aus den Vorworten zu seinen Übersetzungen geht hervor, dass er sowohl einen theologischen als auch einen philosophischen Doktorgrad besaß und dass er, als er seine Übersetzungen abschloss (1917 bzw. 1925), in Hildesheim lebte.

Prosastile und Übersetzungsstrategien in Thukydides- und Herodot-Übersetzungen πολλοῦς ἱστιᾶν, δαινυμένοισι δὲ ἐπεῖναι τὸν ποταμὸν δι᾿ αὐλῶνος κρυπτοῦ μεγάλου.

ταύτης μὲν πέρι τοσαῦτα ἔλεγον, πλὴν ὅτι αὐτήν μιν, ὡς τοῦτο ἐξέργαστο, ῥίψαι ἐς οἴκημα σποδοῦ πλέον, ὅκως ἀτιμώρητος γένηται.

Haupturheber des Mordes bekannten Ägypter dahin zu einem Gastmahl geladen und dann, als sie bei Tisch gesessen, durch einen geheimen Kanal den Fluß hineingelassen. Weiter erzählten sie mir nur noch von ihr, daß sie sich hinterher, um sich der Rache zu entziehen, in ein Gefäß voll glühender Asche gestürzt.61

Genauer betrachtet werden soll Brauns Übersetzung des mit τὴν ἔλεγον beginnenden Satzes, die in ihrer gesamten Struktur deutlich vom griechischen Text abweicht. Auf die Wiederaufnahme von τιμωρέουσαν ἀδελφεῷ durch τούτῳ τιμωρέουσαν wurde bereits hingewiesen. Von diesem Aufeinanderbezug findet sich bei Braun allerdings nichts, denn er hat das erste τιμωρέουσαν unübersetzt gelassen. Auch die Wiederaufnahme von ἀπέκτειναν durch ἀποκτείναντες ist durch eine Kürzung verschwunden. Die Merkmale des mündlichen Stils Herodots werden also konsequent eliminiert. Eine weitere Besonderheit des von Braun praktizierten Übersetzungsverfahrens wird in seiner Wiedergabe von ἐκείνῃ ἀπέδοσαν τὴν βασιληίην deutlich, das er mit »(hatten) sie auf den Thron gesetzt« wiedergibt. Brauns Herodot-Übersetzung ist – wie seine Übersetzung des Thukydides – von solchen Redensarten, aber auch von kolloquialen Redewendungen und umgangssprachlichen Ausdrücken durchzogen. Das vorliegende Beispiel ist dabei noch vergleichsweise unauffällig.62 Doch nimmt Braun keineswegs nur stilistische Veränderungen vor, sondern weicht auch vom Sinn des Ausgangstextes ab. So ist die Wiedergabe von δόλῳ mit »hinterlistig« geradezu falsch. Weitere Beispiele für einen äußerst sorglosen Umgang mit dem griechischen Text lassen sich dann in seiner Übersetzung des mit ποιησαμένην γάρ μιν beginnenden Satzes beobachten. Braun setzt sich über die grammatikalische Struktur des griechischen Satzes in diesem Fall vollständig hinweg und fasst zwei griechische Sätze zu einem deutschen Satz zusammen, wobei er die Satzfunktion der einzelnen Elemente großenteils überhaupt nicht berücksichtigt. Zudem wird in seiner Übersetzung das spannungsbildende Moment beseitigt, das Herodot erzeugt, indem er mit νόῳ δὲ ἄλλα μηχανᾶσθαι zunächst noch vage auf das Vorgehen der Nitokris hinweist, bevor er dann zur Darstellung des konkreten Geschehensablaufs übergeht. Abgerundet 61 62

Braun, Das Geschichtswerk des Herodotos, 173. Um einen Eindruck von der Sprache Brauns zu vermitteln, seien hier einige besonders auffällige Beispiele aus seiner Herodot-Übersetzung zitiert: III 53 (S. 250): »Hochmut kommt vor dem Fall, heile nicht Übel mit Übel.« III 145 (S. 297): »Mich, du Lausekerl, deinen eigenen Bruder, warst du Manns genug, in ein dunkles Loch zu sperren, […], und jetzt, wo die Perser kommen, um dich von Haus und Hof zu jagen, hast du nicht den Mut, ihnen die Zähne zu zeigen, […].« VII 39 (S. 550): »Als mein Knecht müßtest du denn doch mit Kind und Kegel mit mir ziehen.« VII 103 (S. 572): »Aber Scherz beiseite!«; VII 159 (S. 599): »Wahrlich, der Pelopide Agamemnon würde sich im Grabe umdrehen, […].« VII 172 (S. 606): »[…], denn Not kennt kein Gebot.« VIII 24 (S. 648): »Hansnarren«; VIII 65 (S. 663 f.): »[…]; denn wenn der König es erfährt, so wird es dir den Kopf kosten, […].« IX 48 (S. 732): »Denn wir haben ja gesehen, wie ihr, […], euch aus dem Staube machtet […].«

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wird der Eindruck übersetzerischer Sorglosigkeit schließlich durch die fehlerhafte Wiedergabe von οἴκημα mit »Gefäß« im letzten, mit ταύτης μὲν πέρι beginnenden Satz. Dadurch, dass Braun sowohl in seiner Thukydides- als auch in seiner HerodotÜbersetzung die charakteristischen Stilmerkmale eliminiert und zugleich eine von Redensarten und kolloquialen Ausdrücken durchsetzte Sprache wählt, werden die sehr unterschiedlichen Prosastile des Herodot und des Thukydides in der Übersetzung nivelliert. Um es etwas überspitzt auszudrücken: Herodot klingt, übersetzt von Braun, wie Thukydides. Es kommt ihm offenkundig nicht ansatzweise darauf an, die sprachliche Eigenart der beiden Autoren darzustellen, sondern allein darauf, Texte zu produzieren, die, für sich betrachtet, lesbar und verständlich sind. Dass die Veränderungen gegenüber dem Ausgangstext bei Herodot geringfügiger ausfallen als bei Thukydides, liegt – in Anbetracht der unterschiedlichen stilistischen Zielsetzungen beider Autoren – in der Natur der Sache. Auf einen gut lesbaren deutschen Text zielt auch die Herodot-Übersetzung von Josef Feix 63 ab, die 1963 in der »Sammlung Tusculum« erschien und vielfach nachgedruckt wurde.64 Feix schlägt einen leichten, etwas betulichen Ton an, der dem mündlichen Stil des Herodot nicht unangemessen erscheint. Es lässt sich dabei das Bemühen erkennen, die sprachliche Gestalt des Ausgangstextes wiederzugeben, doch bildet Feix den Stil des Herodot auch wieder nicht konsequent nach. Zudem begegnen häufiger übersetzerische Ungenauigkeiten, die das Verständnis erschweren oder gar unmöglich machen. Beides lässt sich am Beispiel der Nitokris-Geschichte sehr gut zeigen: Μετὰ δὲ τοῦτον κατέλεγον οἱ ἱρέες ἐκ βύβλου ἄλλων βασιλέων τριηκοσίων καὶ τριήκοντα οὐνόματα.

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Auf Menes folgten 330 Könige, deren Namen die Priester aus einem Buch vorlasen.

Josef Feix (geb. 1908) hatte in Breslau und Wien Klassische Philologie und Geschichte studiert und war 1934 in Breslau mit einer Arbeit zu Petron promoviert worden. Im selben Jahr legte er auch die Staatsprüfung für das Lehramt an höheren Schulen ab. (Die biographischen Angaben bis zu diesem Zeitpunkt lassen sich dem Lebenslauf in seiner Dissertation [Feix (1934), 95] entnehmen.) Anschließend war Feix (aufgrund des Krieges möglicherweise mit Unterbrechung) im Schuldienst tätig, zunächst wohl in Breslau (oder Umgebung), nach dem Krieg in Rheydt und Mönchengladbach. (Wie aus Bjornson [1970], 232, hervorgeht, musste Feix gegen Ende des Krieges aus Schlesien fliehen. Er verbrachte zunächst mehrere Jahre in der Nähe von Bayreuth, bevor er spätestens 1949 nach Rheydt übersiedelte.) Nachweise über seine Tätigkeit als Gymnasiallehrer, die nicht lückenlos recherchiert werden konnte, finden sich im Philologen-Jahrbuch für das höhere Schulwesen (»Kunzes Kalender«) 58.–68. Jg., hier: Landesausgabe für Nordrhein-Westfalen, Schuljahr 1958/59–1968/69, hg. im Auftrage des Philologenvereins (58. Jg.) bzw. des Philologenverbandes von Nordrhein-Westfalen, Köln/Münster 1958–1969. Neben der Herodot-Übersetzung trat Feix als Herausgeber von Schullektüren und als Übersetzer weiterer griechischer und lateinischer Schriftsteller (Thukydides, Livius, auch zweier Dialoge Platons sowie einer Schrift Senecas) in Erscheinung. Näheres über die mangelhafte Qualität der Thukydides-Übersetzung findet sich in meiner Dissertation. Die Übersetzung von Feix dürfte heute die bei weitem verbreitetste Herodot-Übersetzung im deutschen Sprachraum sein. Sie wurde neben dem zweisprachigen Format der »Sammlung Tusculum« in Lizenz auch als einsprachige Sonderausgabe aufgelegt.

Prosastile und Übersetzungsstrategien in Thukydides- und Herodot-Übersetzungen ἐν τοσαύτῃσι δὲ γενεῇσι ἀνθρώπων ὀκτωκαίδεκα μὲν Αἰθίοπες ἦσαν, μία δὲ γυνὴ ἐπιχωρίη, οἱ δὲ ἄλλοι ἄνδρες Αἰγύπτιοι. τῇ δὲ γυναικὶ οὔνομα ἦν, ἥτις ἐβασίλευσε, τό περ τῇ Βαβυλωνίῃ, Νίτωκρις· τὴν ἔλεγον τιμωρέουσαν ἀδελφεῷ, τὸν Αἰγύπτιοι βασιλεύοντα σφέων ἀπέκτειναν, ἀποκτείναντες δὲ οὕτω ἐκείνῃ ἀπέδοσαν τὴν βασιληίην, τούτῳ τιμωρέουσαν πολλοὺς Αἰγυπτίων διαφθεῖραι δόλῳ. ποιησαμένην γάρ μιν οἴκημα περίμηκες ὑπόγαιον καινοῦν τῷ λόγῳ, νόῳ δὲ ἄλλα μηχανᾶσθαι· καλέσασαν δέ μιν Αἰγυπτίων τοὺς μάλιστα μεταιτίους τοῦ φόνου ᾔδεε πολλοῦς ἱστιᾶν, δαινυμένοισι δὲ ἐπεῖναι τὸν ποταμὸν δι᾿ αὐλῶνος κρυπτοῦ μεγάλου. ταύτης μὲν πέρι τοσαῦτα ἔλεγον, πλὴν ὅτι αὐτήν μιν, ὡς τοῦτο ἐξέργαστο, ῥίψαι ἐς οἴκημα σποδοῦ πλέον, ὅκως ἀτιμώρητος γένηται.

In allen diesen Generationen befanden sich 18 Aithiopier und nur eine einzige einheimische Frau; alle anderen waren Männer aus Ägypten. Die Königin hieß wie jene babylonische: Nitokris. Sie rächte, wie es heißt, ihren Bruder, den die Ägypter während seiner Regierungszeit ermordet hatten. Darauf übergaben sie ihr selbst den Thron. Aus Rache für ihren Bruder ließ sie viele Ägypter durch eine List umbringen. Es heißt, sie ließ einen riesigen unterirdischen Saal bauen und wollte ihn dann angeblich einweihen. In ihrem Sinne aber plante sie anders. Sie lud alle Ägypter ein, deren hauptsächliche Mitschuld an dem Morde sie kannte, und bewirtete sie zahlreich. Aber während des Gelages ließ sie den Strom durch einen großen geheimen Kanal in den Saal leiten. Mehr berichtet man von dieser Königin nicht; nur soll sie sich nach der Tat in einen Raum voller Asche gestürzt haben, um der Rache zu entgehen.65

Es fallen in dieser Passage mehrere Abweichungen vom griechischen Wortlaut auf. Gleich zu Anfang des Abschnitts verändert Feix – im Gegensatz zu den anderen in diesem Beitrag behandelten Übersetzern – massiv die Satzstruktur Herodots. Diese Veränderung lässt sich eventuell dadurch erklären, dass Feix die Sachinformation (»Auf Menes folgten 330 Könige«) in den Vordergrund des Satzes rücken wollte. Doch ist zu betonen, dass diese Veränderung in keiner Weise notwendig erscheint und auch nicht zu einer besseren Verständlichkeit beiträgt. Selbst Degen und Braun hatten in ihren dezidiert zielsprachlichen Übersetzungen die Struktur des Satzes im Wesentlichen beibehalten. Dass es Feix nicht darum geht, die sprachliche Form des griechischen Textes nachzubilden, wird dann auch im Folgenden deutlich, wo er die für den Herodoteischen Stil typische Rekurrenz von γυνὴ – τῇ δὲ γυναικ eliminiert, indem er die griechische Formulierung τῇ δὲ γυναικὶ οὔνομα ἦν, ἥτις ἐβασίλευσε komprimierend mit »Die Königin hieß« wiedergibt. Demgegenüber erscheinen dann allerdings die geradezu verfremdende Übersetzung von τῇ Βαβυλωνίῃ (»jene babylonische«) sowie seine Beibehaltung der Endstellung von Νίτωκρις überraschend. Von einer kohärenten Methode kann man angesichts so divergierender Übersetzungslösungen bei Feix offenkundig nur begrenzt sprechen. 65

Feix, Herodot, 281/283.

Johann Martin Thesz

Dass Feix’ Übersetzung von einer gewissen Beliebigkeit geprägt ist, lässt sich auch an seiner Wiedergabe des mit τὴν ἔλεγον beginnenden Satzes demonstrieren. Zum einen zeigt sich hier, wie inkonsequent Feix in der Wiedergabe des Herodoteischen Stils verfährt. Während er nämlich die Wiederholung von τιμωρέουσαν darstellt (»Sie rächte … Aus Rache«), lässt er die Rekurrenz ἀπέκτειναν – ἀποκτείναντες unberücksichtigt. Gravierender als diese stilistische Inkonsequenz erscheint allerdings ein anderer Aspekt seiner Übersetzung, nämlich die fehlende Kohärenz des deutschen Textes. Diese führt dazu, dass der gedankliche Zusammenhang an dieser Stelle für den Leser der Übersetzung fast unverständlich bleiben muss. Insbesondere die Verbindung der beiden ersten Sätze ist missglückt. Bei Feix kann nämlich aufgrund seiner sorglosen Formulierung beim Leser zunächst der Eindruck entstehen, dass die Übergabe der Königsherrschaft nach der Rache der Nitokris stattgefunden habe: »Sie rächte […] ihren Bruder, den die Ägypter während seiner Regierungszeit ermordet hatten. Darauf übergaben sie ihr selbst den Thron«. Störend erscheint hier außerdem die als zeitliche Bestimmung der Ermordung des Bruders widersinnige Formulierung »während seiner Regierungszeit«. Sofern man βασιλεύοντα temporal auflösen will, müsste man übersetzen »als er König war« o. ä. Der Anschluss des nächsten Satzes, der dem griechischen τούτῳ τιμωρέουσαν πολλοὺς Αἰγυπτίων διαφθεῖραι δόλῳ entspricht, ist ebenfalls unglücklich. Feix greift hier, wie gesagt, die bereits erwähnte Rache auf, doch anders als im griechischen Text, wo der Rückbezug auf das vorhergehende τιμωρέουσαν ἀδελφεῷ durch die Verwendung des Pronomens markiert wird (τούτῳ τιμωρέουσαν), setzt bei Feix die erneute Erwähnung der Rache unvermittelt ein, so als ob zuvor davon noch gar nicht die Rede gewesen wäre: »Aus Rache für ihren Bruder ließ sie viele Ägypter durch eine List umbringen«. Insgesamt erscheint die Übersetzung hier konfus und zusammenhangslos, so dass das angemessene Verständnis des von Herodot in aller Klarheit dargestellten Ereigniszusammenhangs für den Leser erheblich erschwert, wenn nicht gar unmöglich gemacht wird. Der Übersetzung von Feix weit überlegen ist, was die philologische Qualität anbelangt, diejenige von Walter Marg, die in zwei Bänden 1973/1983 in der Reihe »Bibliothek der Alten Welt« des Artemis-Verlages erschien. Marg, mit dem erstmals in neuerer Zeit ein renommierter Universitätsgelehrter in den Kreis der HerodotÜbersetzer eintrat,66 hatte zunächst lediglich eine Bearbeitung der Übersetzung Friedrich Langes geplant, dessen Herodot er als »eine der besten Übersetzungen aus dem Griechischen überhaupt«67 bezeichnet. Aus seiner Bearbeitung des Lange’schen Herodot erwuchs dann aber eine eigenständige Übersetzung, in der er allerdings, wie er selber erklärt, Wendungen Langes übernommen hat.

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Walter Marg (1910–1983) studierte in Königsberg, Freiburg i. Br. und Kiel, wo er 1935 mit einer Arbeit zur frühgriechischen Dichtung promoviert wurde und sich 1942 mit einer Edition und Übersetzung der Timaios Lokros zugeschriebenen Schrift Περὶ φύσιος κόσμω καὶ ψυχᾶς habilitierte. Nach dem Krieg war er zunächst in Kiel als Dozent tätig, von 1953 bis 1975 dann Ordinarius für Gräzistik in Mainz. (Die biographischen Angaben nach Nicolai [1990]). Marg, Herodot, XIII f.

Prosastile und Übersetzungsstrategien in Thukydides- und Herodot-Übersetzungen

Ein Hauptanliegen seiner Herodot-Übersetzung ist, wie Marg im Vorwort erklärt, die Wiedergabe des mündlichen Stils Herodots.68 Damit hängt auch seine Betonung der rhythmischen Qualitäten der Historien zusammen, die er durch einen »vergleichbare[n] Sprachrhythmus« in der Übersetzung bewahren will.69 Darüber hinaus betont Marg, dass für die angemessene Wiedergabe der Herodoteischen Sprache die richtige Nuancierung in der Wahl der Ausdrücke entscheidend sei:70 Der Übersetzer muß sich hüten, zu farbig zu werden. Er muß dem, was unausgesprochen zwischen den Zeilen steht, sein Recht lassen. […] Auch die Pointen und das Geistreiche dürfen nicht überbetont werden. Die Ausdrücke dürfen in der Regel nicht ungewohnt, aber auch nicht gewöhnlich und abgegriffen sein. Vulgarismen sind zu meiden, aber die Rede soll sich einem ungezwungenen Sprachton zuneigen und einfach und dabei wendig sein.

Ein weiteres aus Sicht Margs zentrales Element der Herodoteischen Sprache, dessen Wiedergabe aber besondere Probleme bereite, ist »der Hauch von unverbrauchter Frische«71. Um diese zumindest anzudeuten, schlägt er vor, der Übersetzung einen »leichte[n] Schimmer altertümlicher Sprechweise« aufzusetzen, lehnt allerdings »zu starkes Archaïsieren« ab.72 Um einen Eindruck von seiner Übersetzung zu vermitteln, soll auch bei Marg das Beispiel der Nitokris-Geschichte betrachtet werden: Μετὰ δὲ τοῦτον κατέλεγον οἱ ἱρέες ἐκ βύβλου ἄλλων βασιλέων τριηκοσίων καὶ τριήκοντα οὐνόματα. ἐν τοσαύτῃσι δὲ γενεῇσι ἀνθρώπων ὀκτωκαίδεκα μὲν Αἰθίοπες ἦσαν, μία δὲ γυνὴ ἐπιχωρίη, οἱ δὲ ἄλλοι ἄνδρες Αἰγύπτιοι. τῇ δὲ γυναικὶ οὔνομα ἦν, ἥτις ἐβασίλευσε, τό περ τῇ Βαβυλωνίῃ, Νίτωκρις· τὴν ἔλεγον τιμωρέουσαν ἀδελφεῷ, τὸν Αἰγύπτιοι βασιλεύοντα σφέων ἀπέκτειναν, ἀποκτείναντες δὲ οὕτω ἐκείνῃ ἀπέδοσαν τὴν βασιληίην, τούτῳ τιμωρέουσαν πολλοὺς Αἰγυπτίων διαφθεῖραι δόλῳ. ποιησαμένην γάρ μιν οἴκημα περίμηκες ὑπόγαιον καινοῦν τῷ λόγῳ, νόῳ δὲ ἄλλα μηχανᾶσθαι· 68 69 70 71 72

Marg, Herodot, IX. Ebd., X. Ebd., XII. Ebd. Ebd.

Nach diesem zählten die Priester aus einer aufgeschriebenen Liste die Namen von dreihundert und dreißig anderen Königen her. Unter all diesen Menschengenerationen waren achtzehn Aithiopen, eine aber war eine Frau, eine einheimische, alle andern aber ägyptische Männer. Und die Frau, die Königin gewesen war, hatte den gleichen Namen wie die Babylonierin, Nitokris. Die hat Rache genommen für ihren Bruder, erzählten sie, den Ägypter umgebracht hatten, als er König war über sie, und nachdem sie ihn umgebracht, gaben sie ihr die Königsherrschaft – für den nahm sie also Rache und brachte viele Ägypter durch eine List um. Sie baute nämlich einen weiten unterirdischen Saal und gab vor, ihn einzuweihen, hatte aber ganz anderes im Sinn.

Johann Martin Thesz καλέσασαν δέ μιν Αἰγυπτίων τοὺς μάλιστα μεταιτίους τοῦ φόνου ᾔδεε πολλοῦς ἱστιᾶν, δαινυμένοισι δὲ ἐπεῖναι τὸν ποταμὸν δι᾿ αὐλῶνος κρυπτοῦ μεγάλου. ταύτης μὲν πέρι τοσαῦτα ἔλεγον, πλὴν ὅτι αὐτήν μιν, ὡς τοῦτο ἐξέργαστο, ῥίψαι ἐς οἴκημα σποδοῦ πλέον, ὅκως ἀτιμώρητος γένηται.

Sie lud Ägypter ein, die sie vor allem an dem Mord schuldig wußte, und bewirtete sie, eine große Menge, und als sie beim Mahl waren, leitete sie den Fluß hinein durch einen großen versteckten Tunnel. Das wäre alles, was sie von der erzählten, nur noch, daß sie, als sie dies vollbracht hatte, sich in eine Kammer voll Asche stürzte, damit man keine Rache an ihr nehmen könne.73

Die sprachliche Genauigkeit der Übersetzung fällt hier sofort ins Auge. Insbesondere werden die für den mündlichen Stil des Herodot charakteristischen Merkmale, auf die bereits mehrfach hingewiesen wurde, sämtlich nachgebildet. Unübersehbar ist, sowohl in der ganzen Sprachhaltung als auch im einzelnen Detail, die Ähnlichkeit zur Übersetzung Langes. In seiner Übersetzung von καινοῦν τῷ λόγῳ, νόῳ δὲ ἄλλα μηχανᾶσθαι (»[…] gab vor, ihn einzuweihen, hatte aber ganz anderes im Sinn«) folgt Marg der Übersetzung Langes (»[…] gab vor, sie wollte ihn einweihen, hatte aber etwas ganz anderes im Sinn«) fast wörtlich, seine Übersetzung von πολλοῦς ἱστιᾶν entspricht derjenigen Langes exakt. In einigen Punkten geht Marg in der Sprachmimesis sogar noch über Lange hinaus, so übersetzt er z. B. in dem mit τῇ δὲ γυναικὶ οὔνομα ἦν beginnenden Satz τῇ Βαβυλωνίῃ wörtlich (»die Babylonierin«), wohingegen Lange in diesem Fall eine Ergänzung vorgenommen hatte (»wie jene Königin von Babylon«).74 *** Wie sich gezeigt hat, weist die Geschichte deutscher Herodot-Übersetzungen vom 18. bis zum 20. Jahrhundert in ihren Konturen deutliche Parallelen zur Geschichte der Thukydides-Übersetzungen auf. Doch sind auch gewisse Unterschiede zu konstatieren, die offenkundig mit dem unterschiedlichen Entstehungshintergrund der beiden Geschichtswerke und den damit verbundenen stilistischen Unterschieden zusammenhängen. Der – um Eduard Nordens treffende Formulierung zu verwenden – ›autokratische‹ Stil des Thukydides75 eröffnet, da er sich nicht einfach übersetzen lässt, eine außergewöhnliche Vielfalt an Übersetzungsmöglichkeiten; folglich ist die Varianz der Übersetzungslösungen bei Thukydides besonders groß. Dabei zeigt sich – von einigen Ausnahmen abgesehen – durchgängig die Tendenz, die äußerst komplizierte Syntax des Thukydides zu vereinfachen und seine Unregelmäßigkeiten abzumildern bzw. zu beseitigen. Teilweise lässt sich sogar eine radikale Verformung des Thukydideischen Stils 73 74 75

Marg, Herodot, 171 f. Margs Übersetzung ließe sich nach der von Poiss et al. (im vorliegenden Band), § 9, vorgeschlagenen Typologisierung am ehesten als kognitiv-ästhetisch klassifizieren. Norden (1915), 96 f.: »Thukydides hat sich nicht mit dem vorliegenden Sprachstoff begnügt, um ihm seine Gedanken anzupassen, sondern seine Gedanken sind ihm die Hauptsache, und wo sich ihnen die Sprache nicht fügt, schafft er den ihnen konformen Ausdruck mit der Rücksichtslosigkeit eines Autokrators.«

Prosastile und Übersetzungsstrategien in Thukydides- und Herodot-Übersetzungen

beobachten. Anders die Situation bei Herodot: Der mündliche Stil des Herodot bereitet der Übersetzung keine grundlegenden Schwierigkeiten; eine Übersetzung, die recht nahe am Ausgangstext ist, stellt sich vielfach gewissermaßen von selbst ein. Dies hat zur Folge, dass Übersetzungen, die unter dem Einfluss unterschiedlicher Übersetzungsparadigmen entstanden sind, dennoch über weite Strecken recht ähnlich ausfallen können. Die sprachlichen Veränderungen, die sich beobachten lassen, umfassen dabei wie im Fall der Thukydides-Übersetzungen die Beseitigung bzw. Abmilderung der charakteristischen Stilmerkmale. Als Tendenz der Übersetzungsgeschichte lässt sich also die mehr oder weniger starke stilistische Nivellierung der Prosastile des Herodot und des Thukydides konstatieren. Die in den beiden Texten angelegte kommunikative Situation sowie ihre mediengeschichtliche Stellung innerhalb der Entwicklung von der Mündlichkeit zur Schriftlichkeit werden in den meisten Übersetzungen somit nicht dargestellt. Allerdings darf nicht unterschlagen werden, dass es Übersetzern vereinzelt gelungen ist, den Stil des Herodot und des Thukydides kongenial wiederzugeben. An erster Stelle sind hier die Herodot-Übersetzung Friedrich Langes sowie die – leider weitgehend auf die Reden beschränkte – Thukydides-Übersetzung von Otto Regenbogen (1949) zu nennen. Hält man diese beiden Übersetzungen nebeneinander, so wird der stilistische Kontrast, den die griechischen Texte bieten, auch im Deutschen fassbar.

Literaturverzeichnis Primärliteratur Adelung, Johann Christoph, Ueber den Deutschen Styl, 3 Tle., Berlin 1785 (ND Hildesheim/New York 1974). Braun, Theodor, Das Geschichtswerk des Herodotos von Halikarnassos, übertragen von Th. B., Leipzig 1927. Degen, J. F., Herodots Geschichte, 6 Bde., Frankfurt a. M. 1783–1791. Feix, Josef, Herodot, Historien. Griechisch-deutsch. Herausgegeben von J. F., 2 Bde., München 1963. Goldhagen, Johann Eustachius, Des Herodotus neun Bücher der Geschichte, aus dem Griechischen übersetzt und mit einem Register, in welchem einige nöthige Erläuterungen mit eingeschaltet sind, versehen, von J. E. G., Lemgo 1756. Heilmann, Johann David, Prüfung einer neulich herausgekommenen Uebersetzung des Herodotus; mit einigen Gedanken vom Uebersetzen, Osnabrück [1757]. Jahn, Friedrich Ludwig, Deutsches Volksthum, Lübeck 1810. Lange, Friedrich, Die Geschichten des Herodotos übersetzt von F. L., 2 Tle., Berlin 1811/1812.

Johann Martin Thesz

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Abstract: Prose Styles and Translation Strategies: German Translations of Thucydides and Herodotus In the latter part of the fifth century, Greece witnessed a dramatic shift from a predominantly oral culture to a reading culture. This transformation becomes particularly apparent in the extremely different prose styles of Herodotus and Thucydides. Whereas Herodotus’ prose still maintained many stylistic features characteristic of oral performance, Thucydides developed a decidedly ›written‹ style aimed at critical readers. Building upon the author’s dissertation on German translations of Thucydides from the 18th to the 20th century, this contribution examines German translations of Herodotus from the same period and addresses the question as to whether translations can convey an adequate impression of these two distinct prose styles. Special emphasis is also placed on the interconnection between translation practice and translation theory.

»Haben wir Deutsche Ciceronen?« Zur Rolle von Übersetzungen der Reden Ciceros für die deutsche Rhetorik NINA MINDT Hier möchte ich nur noch die besondere Vermerkung hinzufügen, daß die Verdeutschung eines rhetorischen Meisterwerkes aus dem Alterthum ihre ganz eigenthümlichen Schwierigkeiten hat, welche auch nur annähernd zu überwinden jetzt wenigstens noch unmöglich sein dürfte. H. Köchly 1871

In drei Schritten wird die Rolle von Übersetzungen der Reden Ciceros für die deutsche Rhetorik aufgearbeitet, oder andersherum, aus übersetzungstheoretischer und -praktischer Perspektive formuliert: Es soll untersucht werden, inwieweit spezifisch rhetorische Charakteristika dieser antiken Gattung bei der Diskussion um Cicero-Reden und deren Transformation ins Deutsche berücksichtigt und wie sie umgesetzt wurden. Im ersten Schritt wird die Rolle der antiken Rhetorik, speziell der Reden Ciceros, für die rhetorische Kultur Deutschlands der letzten zweieinhalb Jahrhunderte skizziert, um den Kontext der Transformation zu ermitteln. Im zweiten Schritt werden Stellungnahmen eben dieses Zeitraums über das Übersetzen von Cicero-Reden exemplarisch vorgestellt. Gerade solche, die das performative Moment des antiken Originals betonen (bzw. die Spuren des Performativen in der überarbeiteten schriftlichen Fassung), die jeweilige Anwendungssituation beachten und auf positive Auswirkungen auf die deutsche Rhetorik hoffen, sind interessant. Denn gerade die jeweiligen kommunikativen Kontexte (derjenige der antiken Rede und derjenige der deutschen Übersetzung) sind wichtige Bedingungen des Übersetzens und können von ganz unterschiedlichen Parametern bestimmt sein, wie wir sehen werden.1 Diese Überlegungen von Übersetzern bereiten den dritten Schritt vor, insofern schon konkrete Anforderungen an eine deutsche Übersetzung von Cicero-Reden zur Sprache kommen. Im dritten und letzten Abschnitt wird das Problemspektrum – unabhängig von Reflexionen anderer, sondern mit Blick auf das Transformationsprodukt, die Übersetzung selbst – vollends konkretisiert: Anhand von exemplarischen Schwierigkeiten, die auftreten können, und teils mit Beispielen versehen, wird gefragt, inwieweit sich der Über1

Dass das Kommunikationsschema im Organon-Modell von Karl Bühler bei Übersetzungen gewissermaßen zu verdoppeln ist, wird bei Poiss et al. (im vorliegenden Band), § 4, ausführlich dargelegt.

Nina Mindt

setzer römischer Rhetorik als Redner wahrnimmt und wie sich das auf die Übersetzung auswirkt. Mit der Rede Ciceros in Pisonem, einer hasserfüllten Großinvektive, wird ein spezieller Teil der Übersetzungsgeschichte römischer Reden ins Deutsche aufgearbeitet. Wie kann der Übersetzer mit dort auftretenden Sprach-, Zeit- und Kulturdifferenzen umgehen? Gerade beim Übersetzen antiker Reden ist dem Kriterium der Situationaliät2 sicher schwer gerecht zu werden. I. Die Vorbildhaftigkeit der Reden Ciceros steht seit jeher (weitgehend) außer Frage.3 Was sehr wohl immer wieder hinterfragt wurde, ist ihr wirklich praktischer Wert: Gibt es überhaupt einen Ort, an dem man mustergültige Reden wie solche Ciceros sinnvollerweise halten kann? Das fragte bereits, doch bei weitem nicht als erster,4 Erasmus in seinem dialogus cui titulus Cicerianus sive de optimo dicendi genere (Basel 1528), der eine einseitige Nachahmung Ciceros ablehnte. Zur Zeit Ciceros waren die politischen Rahmenbedingungen ideal, Glanzstücke in allen drei großen Funktionsgattungen der Rede (genus deliberativum / demonstrativum / iudicale) hervorzubringen. Doch schon mit dem Ende der römischen Republik beginnt der Einfluss der Beredsamkeit zu schwinden. Seitdem schaute man rückwärtsgewandt und wehmütig auf diese Blütezeit der Rhetorik zurück. Es herrsche eben keine Republik mehr – eine solche Klage begegnet schon in Tacitus’ dialogus de oratoribus, wo nicht, wie bei Quintilian in de causis corruptae eloquentiae (und später Ende des 18. Jahrhunderts bei Johann Michael Heinze, s. u.), der schlechte Geschmack der Zeitgenossen, sondern die politischen Umstände dafür verantwortlich gemacht werden. Zwischen 1730 und 1820 verknüpfte man auch in Deutschland die Frage, warum es keine florierende Redekunst in Deutschland gebe, immer wieder an die Verfassung.5 Johann Georg Sulzer (1720–1779), tonangebender Literaturkritiker der Spätaufklärung, konstatiert in seiner Allgemeinen Theorie der Schönen Künste im Artikel

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Das textlinguistische Kriterium der Situationalität steht im engen Zusammenhang mit der Rede(und Schreib-)konstellation des Ausgangstextes, in diesem Fall der antiken Rede, und umfasst alle die Faktoren (örtliche, zeitliche, literaturgeschichtliche usw.), die den Text für eine Kommunikationssituation relevant machen, etwa auch deiktische Ausdrücke. Wie oben bereits dargelegt, verdoppelt sich die Kommunikationssituation durch das Übersetzen, die örtlichen und zeitlichen Faktoren sind aber gerade bei Reden stark an die Ausgangssituation gebunden. Zu textlinguistischen Kriterien der Übersetzung s. Poiss et al. (im vorliegenden Band), § 3. Eine Erweiterung des Kriterienkatalogs für antike Übersetzungen unter Einbeziehung der Maximen Schadewaldts wird ausführlich ebd. in § 7 dargelegt. Zum Cicero-Bild in der Antike vgl. zuletzt ausführlich Innocenti-Pierini (2003). Einen Überblick über Ciceros Ansehen in den ersten Jahrzehnten nach seinem Tod gibt Winterbottom (1982). Zum Cicero-Bild der Kaiserzeit vgl. Richter (1968). S. schon Tacitus, dial. 19: Die Mittel der politischen Beredsamkeit Ciceros könnten keine Wirkung mehr in der Gegenwart zeitigen. Vgl. Jens (1983), 9 ff.

»Haben wir Deutsche Ciceronen?«

›Beredsamkeit‹: »Mit Cicero starb das Große dieser Kunst.«6 Cicero ist nicht nur bei Sulzer neben Demosthenes das exemplum für den idealen Redner überhaupt, der heutzutage kaum mehr möglich sei.7 Sulzer formuliert noch ein wenig hoffend, aber eigentlich doch eher resignierend: »Also wird auch ein Genie, wie Demosthenes oder Cicero gewesen, – vielleicht – niemal [sic] zu der Größe kommen, die wir an diesen Männern bewundern.«8 Von den genera dicendi mag vielleicht noch die Lobrede, das genus demonstrativum, seinen Platz zu behaupten. Joseph von Sonnenfels (1732/33–1817) kleidet den damals gängigen Vergleich zwischen zeitgenössischer deutscher und antiker Beredsamkeit, welcher seinerseits aus rhetorischer synkrisis-Tradition stammt, so: Demosthenes und Cicero würden in einer Staatsverfassung, die das Talent des Redners auf unbedeutende Geprängsreden und beinahe auf die Universitätsreife einschränkt, ungefähr Rhetoren wie Maximus Tyrius gewesen: und Bassedow, Gärtner, Gellert, Sulzer, Engel würden in Athen und Rom, Demosthene und Cicerone gewesen seyn. Die Kanzelberedsamkeit beweist wenigstens, daß der Deutsche bei gleichen Anlässen nicht unter anderen Nationen sinkt.9

Einstimmig klagen Johann Christoph Gottsched (1700–1766) und Johann Gottfried Herder (1744–1803) darüber, dass einfach der Stoff und die Gelegenheit fehlten, um große Redekunst hervorzubringen. Herder schreibt: »Uns ist kein Griechenland, kein Rom, wir reden weder vor dem Senat noch auf dem Markte.«10 Auch Adam Müller (1779–1829) kommt in seinen 1812 gehaltenen Zwölf Reden über die Beredsamkeit und deren Verfall in Deutschland zu einer pessimistischen Einschätzung der Lage, gerade die politische Rede betreffend. Hingegen gewinnt das genus iudicale an Wichtigkeit: Die antike Rhetorik wird zum Vorbild für die juristische Beredsamkeit, so etwa bei Karl Salomo Zachariä (1769–1843) in seiner Anleitung zur Gerichtlichen Beredsamkeit (1810). Ein Großteil der rhetorischen Lehrbücher gilt außerdem, das wird im Folgenden noch deutlicher, der geistlichen Rede, während das genus deliberativum, die politische Beratungsrede, in der Tat nur eine Randstellung einnimmt.11 Zwar war für die gesamte Frühe Neuzeit die antike Rhetorik die unbestrittene Grundlage der Poetik in Theorie und Praxis. Martin Opitz (1587–1635) oder Georg Philipp Harsdörffer (1607–1658) verfassten deutschsprachige Poetiken, deren Struktur und Inhalt sich am Vorbild der antiken Rhetoriken orientierten. Das Gedicht galt als Rede im Sinne der Lobrede, und vom Poeten wurde Gelehrsamkeit und rhetorische 6 7

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Sulzer (1771), 146–153 , hier 151 (bzw. 364–380 der 2. Auflage von 1792, hier 372). Die rhetorische Theorie setzt sich primär mit dem genus iudicale auseinander und der Großteil der Cicero-Reden gehört diesem Genus an (zum genus deliberativum gehören natürlich die berühmten Catilinarien und Philippika, zum genus demonstrativum natürlich das Negativbeispiel der PisoInvektive und, als Hybridform, die Pompeiusrede). Die politische Rede als solche vor Senat und Volksversammlung nimmt im erhaltenen Redecorpus Ciceros insofern gar nicht die zentrale Position ein. Diesbezüglich scheint eher Demosthenes der Bezugspunkt der Debatte im 18. und 19. Jahrhundert zu sein. Sulzer (1786), 19–22, hier 19. Sonnenfels (1781), V. Herder (1808), 39. Vgl. Ueding (2000), 61.

Nina Mindt

Schulung verlangt. Doch dies war freilich eine Transformation der antiken Rhetorik im engeren Sinn, eine Umkontextualisierung der wirklich praktischen Beredsamkeit von ihrem eigentlichen politisch-sozialen Nutzen weg hinein ins literarische (Lehr-)System.12 Und natürlich hatte die Rhetorik ihren Platz auch in basaleren Lehrsystemen, konkret in der Schule. Gottsched hat zur »Transformation der Rhetorik in den didaktischen Zusammenhang«13 durch mehrere Schriften beigetragen: durch den Grundriß zu einer Vernunfftgemäßigen Redekunst (1729), durch die Ausführliche Redekunst, nach Anleitung der alten Griechen und Römer (1736) und vor allem durch die Akademische Redekunst, zum Gebrauche der Vorlesungen auf hohen Schulen als ein bequemes Handbuch eingerichtet und mit den schönsten Zeugnissen der Alten erläutert (1759). Freilich war ihm der Unterschied zwischen praktischen Vorübungen und echter Beredsamkeit präsent, doch er ist noch eher dem Klassizismus, verbunden mit Rationalismus, zugetan. Auch Herder trennt »Beredsamkeit« von der »Wohlredenheit«, deren niederer Vorstufe auf Übungsniveau – vielleicht vergleichbar mit den antiken controversiae und suasoriae, Schul- und Übungsreden, deren wirklicher Nutzen auch damals schon hinterfragt wurde. In einem Fragment aus den Literaturbriefen aus dem Jahre 1767 gibt er auf die von ihm gestellte Titelfrage »Haben wir deutsche Ciceronen?« folgende Antwort: »Die erste [d. h. die Beredsamkeit] mangelt uns, und wir können keinen Redner haben, den wir mit Cicero und Demosthenes messen können.«14 Gerade die politische Beredsamkeit hatte ihren ›Sitz im Leben‹ verloren, Herder meint sogar: »Wir haben keine politische Beredsamkeit«.15 Wo gab es Rhetorik außer in Theorie, in theoretischer Behandlung noch? Herder konstatiert daher: »So ist die Beredsamkeit, wie es scheint, in die Tempel geflohen, und auf den Kanzeln stehen noch viele Ciceronen.«16 Kanzelreden aber könnten nun eben nicht denselben Grad von Beredsamkeit hervorbringen. So weit der verbreitete Topos von der Diskrepanz zwischen den völlig anderen – eben ungünstigen – gesellschaftlichen Umständen und den eigentlichen geistigen Kapazitäten, eine Diskrepanz, die bisweilen mit dem Aufrufen antiker Muster zu ignorieren versucht wird. Meist werden die Unterschiede aber nicht überschrieben. Das Bewusstsein für die historische Verschiedenheit von Sprachen, Epochen und Kulturen Ende des 18. Jahrhunderts machte die Diskrepanz zwischen forensisch-politischer Beredsamkeit in Rom und Kanzelreden (oder das Fehlen rhetorischer Kultur überhaupt) in deutschen Landen erst besonders deutlich. In Sollen wir Ciceronen auf der Kanzel haben? (1766/67) verneint Herder ja gerade, dass Kanzelredner Ciceronen sein können. Und mehr noch: Sie sollen es auch gar nicht sein. Ciceronianische Perioden allein nützten eben nicht viel; diese an sich hätten 12 13 14 15 16

Die Integration in ein Lehrsystem, nämlich ins Bildungssystem, ist schon besonders deutlich bei Quintilians institutio oratoria ablesbar. Robling (1993), 17. Herder (1805), 344. Ebd. Ebd., 353.

»Haben wir Deutsche Ciceronen?«

nichts mit Cicero gemein. »Ich will nur das ungeheure Vorurtheil bestürmen: Cicero ist ein Muster der Beredsamkeit, schlechthin und ohne Einschränkung: ihn nachahmen, heißt Original seyn.«17 Uns soll hier nicht weiter interessieren, dass Herder von seinem idealen Kanzelrhetor in Der Redner Gottes (um 1763) fast gerade das Vermeiden des Rhetorischen verlangt: […] groß im Stillen, ohne Ciceronische Perioden beredt, mächtig ohne dramatische Zauberkünste […] kein Anstand des Redners, kein Brüsten, kein rhetorischer Donner und Blitz, kein rednerischer Schwung […] und keine Schraubengänge und überraschenden Einfälle.18

Darin macht sich freilich der rhetorische Paradigmenwechsel durch den Wechsel des Stil-Ideals im 18. Jahrhundert hin zum schlichten Stil, genus humile, (oder höchstens zum genus mediocre) bemerkbar. Doch an dieser Stelle kann keine Geschichte der Rhetorik nachgezeichnet werden.19 Vielmehr soll die Verbindung von Rhetorikgeschichte und Übersetzungsgeschichte in den Blick genommen werden. Schließlich ist die Geschichte der Übersetzungen antiker Reden, sowohl aus dem Griechischen wie aus dem Lateinischen, bisher nicht aufgearbeitet, weder Theorie noch Praxis betreffend. Dabei nimmt etwa Herder durchaus Übersetzungsschwierigkeiten und Bemerkungen von Cicero-Übersetzern wahr (etwa die von Johann Christian Gottlieb Ernesti [1707–1781], s. u.), nimmt indirekt auf übersetzerische Auseinandersetzungen Bezug (etwa auf die zwischen Thomas Abbt und Heinze, s. u.) und liest und wertet Übersetzungen von antiken Reden oder rhetorischen Schriften (Cicero und Quintilian). Es gab also vor der so wichtigen übersetzungstheoretischen Schwelle 1800 eine auch in Bezug auf antike Beredsamkeit schwelende Diskussion über das Übersetzen. Sie entzündete sich nicht wie später bei zum übersetzungstheoretischen Kanon gehörigen Texten an griechischer Philosophie (Friedrich Schleiermacher) oder an den attischen Tragikern (Wilhelm von Humboldt). Auch in Bezug auf antike Reden hätte sich Übersetzungstheorie auf einem ähnlichen Niveau mit ähnlichen Grundannahmen entwickeln können. Doch scheinen antike Reden vielleicht auch wegen des Praxisbezugs (Stichworte ›Lehrsystem‹ und ›Kanzelrede‹) kein geeigneter Gegenstand gewesen zu sein, um breitenwirksam zentrale Übersetzungsprobleme zu verhandeln. Außerdem werden die Schwierigkeiten der Übersetzung von lateinischen Prosatexten bis heute vielfach unterschätzt, und das Übertragen von (griechischer) Dichtung schien und scheint mehr Prestige zu besitzen. Und so wurden die im Zusammenhang mit dem Übersetzen antiker Reden gemachten übersetzungstheoretischen Überlegungen wohl auch weniger wahrgenommen. Diesem Defizit soll durch folgende Darstellung entgegengewirkt werden: Es folgen Reflexionen zur konkreten Form der Transformation von antiker in deutsche Rhetorik, nämlich der Übersetzung von Reden.

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Herder (1805), 367. Herder (1830), 306–318, hier 308 und 309. Dafür bieten die historischen Kapitel in Gerd Uedings Moderne Rhetorik (2000) einen geeigneten Überblick.

Nina Mindt

Daher zurück zu Herder: Er verweist kurz auf die Bemerkungen Ernestis gegen »einige im Schwange gehende Fehler der wörtlichen Nachahmung«20. Doch ist es bezeichnend, dass er im Folgenden nicht weiter in übersetzungstheoretische Grundfragen einsteigt, sondern sofort abbricht: »wie weit der veränderte Geist der Zeiten und Situationen selbst dem Geiste der Beredsamkeit eine andere Gestalt gegeben – will ich nicht untersuchen«21. Richtigerweise nennt Herder neben der historischen Distanz auch unüberbrückbare Sprachunterschiede und befindet sich damit in einem sprachphilosophischen Diskurs, der eben für die Übersetzungsthematik zentral ist. Zudem hinterfragt er die herrschende Nachahmungspoetik in Bezug aufs Übersetzen; »Original seyn« könne man gerade nicht durch die einfache Imitation. Durch diese Abwertung rhetorisch handwerklichen Schreibens nach bestimmten Vorbildern zugunsten künstlerischer Schöpfungen, die bei Herder anklingt, kam es um 1800 dazu, dass in der Blütezeit übersetzungstheoretischer Diskussionen (wirkungsmächtig waren, wie schon erwähnt, die Reflexionen Wilhelms von Humboldt und vor allem Friedrich Schleiermachers) zumeist nur mehr das Übersetzen metrisch gebundener – vor allem griechischer – Dichtung diskutiert und die speziellen Übersetzungsanforderungen für lateinische Rhetorik vernachlässigt wurden, obwohl gerade Ciceros Reden zum schulischen Kanon gehörten, immer wieder übersetzt wurden und Bezugspunkt für die rhetorische Kultur im deutschsprachigen Raum blieben (mit welchen Abstrichen auch immer). Diese Orientierung auf die Verwendbarkeit im schulischen Kontext wirkt sich insofern auf die Übersetzungen der Reden aus, als diese keine eigenständige Wirkung entfalten, sondern primär eine Hilfsfunktion bei der Erschließung des Orignaltextes übernehmen sollen. Die skizzierte Spannung zwischen eigentlicher Vorbildhaftigkeit, dem fehlenden Rahmen, es dem Vorbild nachzutun und im Extremfall dann dem letztlichen Hinterfragen der Vorbildhaftigkeit wird, wie gesehen, in einigen allgemeinen ästhetischen Schriften oder solchen zur Beredsamkeit, aber weniger ausgiebig in Vorreden zu Cicero-Übersetzungen überhaupt thematisiert und diskutiert. Wenn man versuchen will, deutsche Beredsamkeit auf den Rang der antiken zu heben, (wie) soll man sich an Cicero orientieren? Einige Übersetzer hoff(t)en jedenfalls, der deutschen Rhetorik durch ihr Tun einen Dienst erweisen zu können. Soll man es aber durch wörtliche Nachahmung tun? Welche sprachlichen Elemente sind zu beachten? Wird dabei das ursprüngliche performative Moment der antiken Rede berücksichtigt und reproduziert? Dies sollen Leitfragen sein, denen im Folgenden zunächst in den Übersetzungsreflexionen (II.) und schließlich anhand von einigen konkreten Übersetzungsproblemen (III.) nachgegangen wird, eben seit der Umbruchszeit vom letzten Viertel des 18. Jahrhunderts bis in die Gegenwart.

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Herder (1805), 367 f. Ebd., 368.

»Haben wir Deutsche Ciceronen?«

II. Wichtiger Ausgangspunkt für einige der bereits zitierten Stellungnahmen über das Verhältnis von antiker zu moderner Beredsamkeit war Johann Michael Heinze (1717– 1790), Schüler des Klassischen Philologen Johann Matthias Gesner (1691–1761). Auch er war zwar um eine Reform der überkommenen Rhetorik bemüht, hielt aber, als Cicero-Verehrer, weiterhin an der normativen Geltung des antiken Rednerideals fest.22 In der Übersetzung zu de oratore (1762) legt er im Vorwort seine Überzeugung dar. Er ging von einer positiven konkreten Wirkung antiker Rhetorik auf die Moderne aus; durch seine Übersetzung habe er »den jungen deutschen Rednern, und, durch sie, unsrer Beredsamkeit einen Dienst zu thun gesuchet« (X), denn »die höhere Beredsamkeit ist gewiss ihrem Ziele so nahe noch nicht« (XI). Viele der bereits angesprochenen Probleme und deren vermeintliche Zusammenhänge bringt er zur Sprache, so das Fehlen bestimmter Bereiche der Rhetorik (»Wir bleiben auch fast nur bey der einzigen Art der Kanzelberedsamkeit stehen: von der panegyrischen haben wir sehr wenig; und fast noch weniger von der politischen und akademischen«, XII) oder ihr reduziertes Dasein in didaktischem Zusammenhang (»Die meisten und gewöhnlichsten Rhetoriken sind für hohe oder niedrige Schulen geschrieben, und behandeln die Beredsamkeit als eine Disciplin, das ist, methodisch und trocken.«, XV). Die Änderungen in der Funktion der Übersetzung (oder anders ausgedrückt: in der Wirkungsabsicht des Darstellungszweckes)23 hat er erkannt und will selbst der Wirkung des Ausgangstextes näher kommen. Die eigene Übersetzung betreffend hebt er hervor, er wolle die »Perioden und deren Klang wiedergeben« (XXXII), auch wenn das Deutsche in der Wortstellung weniger frei sei.24 1767 gibt Heinze seiner Übersetzung einer Auswahl von Cicero-Briefen und Reden aus Livius einen »Anhang[] dreyer Briefe« unsere Thematik betreffend bei: »1. Von der Absicht eines Übersetzers der Alten. Von deutschen Perioden. Ob es eine deutsche Beredsamkeit gebe. 2. Verteidigung des Germanismi; 3. Von den Verbesserungen meiner Übersetzung«. Er tritt darin für das »alte reine Deutsch«, für die Reinerhaltung der deutschen Sprache ein und unternimmt eine Verteidigung der deutschen Beredsamkeit. Seine Übersetzung ist unter dieser Voraussetzung zu bewerten. Wichtig ist seine tiefe Überzeugung, schon 1762 formuliert, dass die Orientierung an Reden nach antiken Vorbildern nicht unzeitgemäß sei, auch in anderen Bereichen der Beredsamkeit. So können die politischen Reden Ciceros durchaus Vorbild für die

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Vgl. Robling (2007), 153 f. Zur Funktionsübernahme einer Übersetzung vgl. zum einen die Skopos-Theorie von Reiß/Vermeer (s. Poiss et al. [im vorliegenden Band], § 1), zum anderen die Ausführungen gerade Darstellungszweck betreffend, ebd. § 7 (Punkt 5), wo die mediale Situation und Wirkungsabsicht berücksichtigt sind. Zum Sprachpaarvergleich von Ausgangs- und Zielsprache, welcher übersetzungsrelevante Differenzen zwischen den beiden Sprachen, in diesem Fall Latein und Deutsch, sowie Kompensationsmöglichkeiten in der Übersetzung berücksichtigt, s. Poiss et al. (im vorliegenden Band), § 7,1. Unterschiede in der Wortstellung gehören in der Tat zu den Übersetzungsschwierigkeiten.

Nina Mindt

zeitgenössische geistliche Rede sein.25 Die Auffassung rief Widerspruch hervor: Thomas Abbt (1738–1766) rezensierte Heinze ziemlich negativ, bestreitet diese Parallelisierung und verweist dabei auf die fehlende rhetorische Kultur in genus iudicale und genus deliberativum der Gegenwart und die andere Staatsverfassung – eben auf die, wie oben gesehen, immer wieder beklagten Defizite. Nimmt Herder in Sollen wir Ciceronen auf der Kanzel haben? eher indirekt auf diese Auseinandersetzung zwischen Abbt und Heinze Bezug, so schreibt er klar wertend im August 1769 an Nicolai: »Von Heinzes Cicero und Steffens Quintilian bitte ich mich im Ernst zu erlösen« (Nantes 5./16. Aug. 1769). Schauen wir also in die Übersetzung Heinzes von Ciceronischen Reden. Er hatte etwa die ersten Sätze gegen Catilina: Quo usque tandem abutere, Catilina, patientia nostra? quam diu etiam furor iste tuus nos eludet? quem ad finem sese effrenata iactabit audacia? Nihilne te nocturnum praesidium Palati, nihil urbis vigiliae, nihil timor populi, nihil concursus bonorum omnium, nihil hic munitissimus habendi senatus locus, nihil horum ora voltusque moverunt?

folgendermaßen wiedergegeben: Wie lange denkest du meine Geduld noch zu ermüden, Catilina? Wie lange will deine Raserey ihr Gespött mit mir treiben? Wenn willst du deiner zügellosen Frechheit Grenzen setzen? Hat dich die Besetzung des Palatium in den vorigen Nächten, haben dich die Scharwachten durch die ganze Stadt, hat dich die Furcht des Volkes, hat dich die Unruhe aller rechtschaffenen Leute, hat dich dieser wohlbesetzte Ort, wo ich den Senat versammelt habe, haben dich die Blicke und die Minen aller Anwesenden noch nicht scheu gemacht?

Keine strenge Beibehaltung der Wortreihenfolge und die Zielsetzung einer wirkungsvollen deutschen Rede sind zu konstatieren – wie sich nach Heinzes eigenen Worten zur Zielsetzung seiner Übersetzungen vermuten ließ. Die Übersetzung der Ersten Catalinarie von Carl Simon Morgenstern (1796) hingegen wurde größtenteils positiv aufgenommen. In seiner Vorrede zu Marci Tulli Ciceronis in Lucium Catilinam oratio prima erklärt er als Zielgruppe seiner Übersetzung vor allem Schüler höherer Klassen und Studenten mit Übersetzungsschwierigkeiten.26 Man könne sie zum Selbstunterricht verwenden, und auch für Lehrer sei sie geeignet. Nicht nur Anmerkungen habe er liefern wollen, sondern er habe zur besseren Hilfe gleich die deutsche Version beigegeben: »Möglichste Deutlichkeit im Verstehen des Originals war mir aber hier das erste Gesetz. Deshalb ist auch eine neue Deutsche Übersetzung hinzugefügt.«27 Die Wirkungsabsicht ist bei ihm eine ganz andere als bei 25

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S. Heinze (1762), XXIII: »So gewiß also Cicero der größte Prediger wäre, wenn er unter uns lebte, und unsre Religion bekennete, so gewiß können seine Regeln und Beispiele die besten Prediger bilden.« Morgenstern (1796), VII f.: »Sie ist nicht zunächst für Gelehrte bestimmt, sondern vorzüglich für junge Leute, die gerade nicht Gelegenheit hatten, Ciceronische Reden auf eine zweckmäßige Art mündlich erklärt zu hören: besonders zwar für die, welche noch in den obern Classen der Schule sind; jedoch auch für diejenigen auf der Akademie, die im genauern Interpretiren noch keine sonderlichen Fortschritte gemacht zu haben fühlen.« Morgenstern (1796), XI.

»Haben wir Deutsche Ciceronen?«

Heinze. Möglichste Ausgangssprachenorientierung aufgrund dieses didaktischen Zwecks der Texterschließung ist die Folge. Er wolle eine bisher unerreichte Treue erreichen: Mein Bestreben ging dahin, den Römischen Redner so unverändert, als nur möglich, in unserer Sprache hören zu lassen. Ich bemühte mich also, nicht nur die Ausdrücke gegen gleichgeltende unserer Sprache auszutauschen, sondern auch in der Wortstellung, in welcher oft ein grosser Theil der oratorischen Kraft liegt, so weit die wesentliche Verschiedenheit beider Sprachen es nur immer erlaubte, mich dem Originale möglichst nahe zu halten.28

Gerade im Punkt der Wortstellung differieren also beide Übersetzer und ihre Übersetzungen. Morgenstern überträgt: Wie lange noch wirst Du, Catilina, unsre Geduld missbrauchen? wie lange will Deine rasende Wuth ihr Gespött mit uns treiben? wie lange noch Deine Kühnheit die freche Stirn erheben? Nichts hat bey Dir die nächtliche Besatzung des Palatium’s gefruchtet, nichts die Wachen der Stadt, nichts die Furcht des Volkes, nichts der Auflauf aller Patrioten, nichts dieser so stark beschützte Versammlungsort des Senats, nichts die Blicke und Mienen der Väter.

Die Differenz wird im ersten Satz schon durch die Positionierung der Apostrophe deutlich: Heinze setzt sie nicht in den Satz, sondern verschiebt sie ans Satzende; Morgenstern lässt auf Ciceros Satzende patientia nostra nur noch den zweiten Teil der deutschen Verbform von abutere folgen, der unvermeidlicherweise die Endstellung verlangt (jedenfalls wenn das Futur mit einer analytischen deutschen Verbform wiedergegeben wird). Doch die Intention Heinzes, der Wirkung des Originals zu entsprechen (was in der heutigen übersetzungstheoretischen Diskussion unter dem Begriff der ›Wirkungsäquivalenz‹ gefasst wird), lässt ihn nicht automatisch sehr weit vom lateinischen Text weg verdeutschen. Zwar ersetzt er die nihil-Anapher durch Wiederholung des Verbbestandteils »hat« (Substitution)29, Ciceros variatio der Fragepronomen (quo usque, quam diu, quem ad finem) aber gibt er wenigstens teilweise wieder (»wie lange noch«, »wie lange«, »wenn […] Grenzen«); Morgenstern hingegen bleibt stets bei »wie lange (noch)«. Gewiss gibt es Freiheiten, die er sich mit interpretatorischen Eingriffen nimmt: Das nos des zweiten Satzes etwa setzt er in den Singular, oder nihil hic munitissimus habendi senatus locus wird zu »dieser wohlbesetzte Ort, wo ich den Senat versammelt habe«. Angemessener als Morgensterns »Väter« für die Senatoren, auf die mit dem Demonstrativum horum verwiesen wird, wählt er »(aller) Anwesenden« und verweist so auf den an dieser Stelle deiktischen Charakter des Demonstrativpronomens, wobei er eine Explikation vornimmt. Die Rechnung, dass das Streben nach Wirkungsäquivalenz gleichbedeutend mit freier zielsprachenorientierter Übersetzung sei, geht also nicht ganz auf.

28 29

Ebd., VIII f. Zu Techniken der Übersetzung, zu der eben auch die Substitution gehört, s. Poiss et al. (im vorliegenden Band), § 10.

Nina Mindt

Friedrich Carl Wolff (1766–1845), der ausdrücklich die Morgenstern’sche Übersetzung lobt, entspricht dieser zwar in einigen Punkten, in anderen aber (ApostropheStellung, Fragepronomen-variatio), ist er Heinze nahe (bei horum bietet er gleichsam eine Kombination beider: »der anwesenden Väter«). In den 1805 erschienenen Reden gegen Catilina übersetzt er: Wie lange noch, Catilina, willst du unsre Geduld mißbrauchen? Wie lange soll dein Rottengeist uns sogar Hohn sprechen? Bis zu welchem Ziele wird deine ungebändigte Tollkühnheit sich zu blähen fortfahren? Nicht die nächtliche Besetzung des Palatiums, nicht die Nachtwachen in der Stadt, nicht die Furcht des Volkes, nicht der Aufstand aller wohldenkenden Staatsbürger, nicht dieser so sicher beschützte Versammlungsort des Senats, nicht die Blicke und Mienen der anwesenden Väter vermochten dich zu erschüttern?

Wolff, der sich mit seinen Cicero-Übersetzungen einen Namen machte, bringt die Schwierigkeiten im Ringen zwischen wörtlicher Treue und Wirkung in der Vorrede des ersten Bandes seiner Cicero-Auswahl auf den Punkt, indem er diese Grundfragen stellt: Denn was ist für den Übersetzer einer Ciceronischen Rede die billige Aufgabe? Soll er bloß den richtig verstandenen Sinn des Originals, mit allen Nebenbegriffen, in erträglichen Deutschen Wendungen und Ausdrücken, ehrlich zurückgeben? Oder soll er vielmehr, dieses freilich nicht vernachlässigen, aber zugleich das Leben und die Kraft der Darstellungen mit übersetzen? Wollen wir einen Weisen des Catheders hören, wie er, was Cicero dachte, in seiner Sprache ausdrücken würde, oder Cicero selbst, wie er in den Gemüthern einer zahlreichen, an seinen Lippen schwebenden, Versammlung den Tumult der Leidenschaften bald erregt, bald besänftigt?30

Er will auch die »Lebendigkeit der Darstellung« zum Ausdruck bringen. Dazu seien (a) semantische Genauigkeit – und zwar kontextbezogene – und (b) Beibehaltung des Satzbaus (auch der Länge bzw. Kürze der Perioden) und der Wortstellung nötig, jedoch unter Berücksichtigung der Wichtigkeit, der Betonung innerhalb des Satzes. Zentral ist die Forderung nach sprachlicher Treue, aber unter Beachtung von »Adel, Bedeutsamkeit und Stärke der Stelle«. Auf eine Besonderheit lateinischer Kunstprosa weist Wolff auch hin, auf den Prosarhythmus und überhaupt das Akustische (Heinze hatte dieses besondere Charakteristikum ebenfalls angedeutet und für wichtig befunden). Das Klangliche müsse beim Übersetzen beachtet und möglichst wiedergegeben werden: Wer nicht durch Abwechslung der Wortfüße, durch Vermeidung mißtönender und ähnlicher Klänge fürs Gehör arbeitet, zerstört ihren Zauber. So wenig ein Gedicht in Prosa übersetzt dasselbe Kunstwerk bleibt, so wenig kann eine Ciceronische Rede in der Übersetzung dieselbe bleiben, wenn wir nicht das Eigentümliche ihrer Darstellung mit ausgedrückt haben.31

Insgesamt kann man sagen, dass Wolff eine größtmögliche Nähe zum Original in dessen zentralen Charakteristika fordert, ohne dabei die Wirkung zu vernachlässigen. Er 30 31

Dieses und die folgenden Zitate stammen aus der Vorrede zum ersten Band Des Marcus Tullius Cicero auserlesene Reden (1805), die nicht paginiert ist. Wolff (1805).

»Haben wir Deutsche Ciceronen?«

versucht also, Skylla und Charybdis des Übersetzens zu vermeiden, indem er sowohl eine ästhetisch-kongnitiv wie auch transponierend vorgeht.32 In der Vorrede zu den Ciceronischen Reden für Murena, Sulla und Plancius fasst er 1819 die Gefahren in ihren Extremen so: Wer nur den Sinn zurückgibt, ohne sich um Kürze, Adel und Kraft des Ausdrucks zu kümmern, oder mit ängstlicher Treue dollmetschend, in schwerfälligen Perioden sich fortbewegt, hat Ciceros Geist nicht erfasst.33

Eine Rede erhalte ihre Schönheit durch den »Schmuck der Darstellung«, den er in den Worten und der Wortfolge ausmacht. Gleichsam Wolfgang Schadewaldt (1900– 1974) vorausnehmend, fordert er: »Es ist also die unerlässliche Pflicht des Übersetzers, dass er, wenn möglich, die Worte mit eben so vielen entsprechenden Worten, und in eben der Folge zurückgebe.«34 Schon in der Vorrede von 1805 hatte Wolff geschrieben: »[W]er, was Cicero mit wenigen Worten sagt, durch weitläufige Umschreibungen wiedergiebt, wird der Rede, die er übersetzt, das Leben und die Kraft rauben.« Er präzisiert seine Forderung nach Übereinstimmung in der Wortzahl folgendermaßen: Der Übersetzer ciceronischer Reden darf also schwerlich fragen, ob er gerade so viele Worte zähle, als Cicero gebraucht hat; aber sehr muss er sich fragen, ob er die Worte auf die rechte Stelle gebracht habe, dass sie mit Nachdruck ins Ohr fallen, ob überhaupt Cicero bei denselben Gedanken, und in derselben innern und äussern Lage, wäre er ein Deutscher gewesen, sich wohl so ausgedrückt haben würde, als er jetzt reden soll. Fast immer fand ich, dass, wenn ich die von Cicero gebrauchte Wortfolge verliess, die Rede selbst viel von ihrer Kraft verlor; woraus ich schloss, dass diese Folge die Naturgemäße sei, und dass Cicero, wäre er ein Deutscher gewesen, die Worte wohl nicht viel anders geordnet haben würde.35

Wolffs Maximen entsprechen also im Großen und Ganzen Schadewaldts erster und dritter Forderung an eine »dokumentarische Übersetzung«36: vollständig übersetzen (nichts weglassen, nicht hinzufügen); Reihenfolge der Worte (bei Schadewaldt: der »Vorstellungen«) beibehalten. Die zweite Forderung nach »Reinheit der Vorstellungen« (also keine Modernisierungen im Ausdruck, vor allem in der Bildhaftigkeit) diskutiert Wolff nicht, aber es dürfte klar sein, dass er weit davon entfernt ist, Aktualisierungen vorzunehmen. Dies war übrigens ein Punkt, in dem ein Rezensent, in beliebter Kleidungsmetapher, die Übersetzung von Ernesti kritisierte. Der Germanorum Cicero (s. etwa die Cicero-Editionen 1737–1739; 1757; 1774–1777) hatte 1799 Cicero’s Geist und Kunst. Eine Sammlung der geistreichsten, vollendetsten und gemein32 33 34 35 36

Zu Typen der Übersetzung s. Poiss et al. (im vorliegenden Band), § 9, zu deren vier Grundtypen eben ästhetisch-kognitiv und transponierend gehören. Wolff (1819), III. Ebd., V. Ebd., VII. Zu Schadewaldts Beitrag zur Theorie der Übersetzung antiker Literatur vgl. Kitzbichler/Lubitz/Mindt (2009), 277–298 u. 299–353 ( passim). Zur Einbeziehung der Maximen Schadewaldts in eine moderne Übersetzungsanalyse, die auch textlinguistische Kriterien berücksichtigt, s. ausführlich Poiss et al. (im vorliegenden Band), v. a. § 7.

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nützigsten Stücke aus den Ciceronianischen Schriften mit Übersetzung herausgegeben. Der Rezensent problematisiert den bisweilen modernisierenden Übersetzungsmodus Ernestis: […] allein gegen seine Einführung dieser modernen Höflichkeiten in den Cicero werden mit dem Rec. wohl alle die protestieren, die von einer antiken Consularstatue, der jemand einen Modefrak umgehängt hat, sich unwillig wegwenden würden. Durch die Übersetzung soll allerdings die Aufgabe gelöst werden: Wenn Cicero deutsch geredet hätte: wie würd’ er Deutsch geredet haben? Aber nicht: wie würd’ er Deutsch geredet haben auf der Ostermesse in Leipzig im Jahr Christi 1800? sondern vielmehr: wie ein vierzig Jahr vor Christi Geburt auf Römischem Grund und Boden?37

Auch Heinze hatte »nichts neumodisches und glänzendes«38 einfügen wollen. Darin sind die bisher vorgestellten Übersetzer der Ersten Catalinarie einig. Zu stark zu transponieren oder gar völlig modernisierend-assimilierend vorzugehen, kommt für keinen Übersetzer in Frage. Es gilt ja stets, das Niveau der deutschen Sprache und der Beredsamkeit zu heben; eine Angleichung an zeitgenössische Sprache und Stil wäre in diesem Fall kontraproduktiv, weil nivellierend. Wolff setzt, wie ein wenig später etwa Wilhelm von Humboldt und in dessen Tradition eben Schadewaldt, durchaus auch auf die »Bildsamkeit unsrer Sprache«39. Mit Blick auf seine Übersetzungen treibt er diese Bildsamkeit aber weniger weit als Schadewaldt. Denn eine Grenze nennt er selbst: Dies nun gethan, beinahe wörtlich übertragen zu haben, ohne dass man irgendwo auf Härte des Ausdrucks stösst, ohne dass es irgendwo an Licht mangelt, ohne dass man das Steife und Erkünstelte fühlt, das ist die Vollendung der Kunst für den Übersetzer.40

Eine wirkliche Mimesis kommt für ihn daher nicht in Frage. Oberster Grundsatz sei ihm letztendlich »Deutlichkeit und Gefälligkeit des Ausdruckes«41 gewesen. Ganz ähnlich wird sich der Latinist Manfred Fuhrmann (1925–2005) Ende des 20. Jahrhunderts positionieren: Er bekennt sich zum ausgangssprachenorientierten Übersetzen, sogar in den Fußstapfen von Schadewaldts dokumentarischem Übersetzen. Das setzt er allerdings nicht konsequent in seinen Übersetzungen um.42 Denn seine doppelte Übersetzungstypologie in Orientierung an Werk und Wirkung sowie seine »rhetorische Übersetzungstheorie« verlangen auch die Berücksichtigung von Deutlichkeit, Klarheit, Lesbarkeit bzw. Verständlichkeit.43 Etwa zweihundert Jahre später als Heinze (allerdings ohne dessen nationalen Impetus) wagte Fuhrmann wieder zu hoffen, was in der Zwischenzeit kein Übersetzer der 37 38 39 40 41 42

43

Anonymus (1801), 267. Heinze (1767), XXXIII. Wolff (1805). Wolff (1819), V. Ebd., VI. Für einen ausführliche Darstellung und Vergleich der übersetzungstheoretischen Positionen Schadewaldts und Fuhrmanns und ihre Übersetzungspraxis vgl. Mindt (2008), insb. 76–78, sowie Kitzbichler/Lubitz/Mindt (2009), 277–298 u. 339–342. Vgl. Mindt (2008), 78–87 u. 130–144.

»Haben wir Deutsche Ciceronen?«

Cicero-Reden formuliert hat: durch seine deutsche Version der Ciceronianischen Reden einen Beitrag zur Rhetorikkultur Deutschlands zu leisten, und zwar durch eine Gesamtübersetzung sämtlicher 58 Cicero-Reden aus einer – seiner – Hand (1970– 1982). Ein solches übersetzerisches Großunternehmen war in dieser Form etwa hundert Jahre davor das letzte Mal verwirklicht worden, allerdings von einer Übersetzergruppe. Als Motivation gibt er an: »Ich habe festgestellt, daß im deutschen Sprachgebrauch überhaupt nichts für die große rhetorische Tradition aus der Antike geschehen ist.«44 Die Situation gab damals auch einigen Anlass zur Hoffnung, die Rhetorik schien im Aufschwung: Walter Jens hatte seit 1963 (bis 1988) den bundesweit ersten Lehrstuhl für Allgemeine Rhetorik in Tübingen inne – den ersten seit 1829. Eine Zwischenstation für diese zweihundert Jahre ist noch zu ergänzen: Hermann August Theodor Köchly (1817–1876) drückt im Vorwort zu seiner Übersetzung der Cicero-Rede für Sestius seine Überzeugung aus, dass er derzeit aufgrund des Standes des deutschen Rhetorik keine der antiken Beredsamkeit angemessene CiceroÜbersetzung vorlegen könne, obgleich nach 1848 die politischen Rahmenbedingungen besser geworden seien: [V]on den künstlerischen Elementen und Grundlagen der Beredsamkeit aber, wie sie in Theorie und Praxis von den Griechen auf die Römer übergegangen und von letzteren nicht in sclavischer Nachahmung wiederholt, sondern mit frei schöpferischer Thätigkeit wiedergeboren worden sind, haben wir bis zur Stunde, wenigstens für die wirkliche Anwendung im Leben, weder Sinn noch Ahnung. Allerdings hat seit einem Menschenalter und insbesondere seit dem auch in dieser Beziehung Epoche machenden Jahre 1848 die Gewandtheit und Sicherheit, öffentlich zu sprechen, in allen Schichten der Gesellschaft zugenommen und ist, so zu sagen, bereits ein Gemeingut der Nation geworden. Dagegen aber sind selbst unsere gewandtesten und schlagfertigsten Sprecher nicht im Stande, vorbereitet oder unvorbereitet eine auch nur kurze Rede zu halten, die nicht fast in jedem Satze Verstöße gegen das Abc der antiken rhetorischen Technik enthielte. Daß diese Reden nichts desto weniger ihren Zweck erreichen, daß sie, wie wir täglich sehen, auf ihre Zuhörer eine »zündende Wirkung« ausüben, ist eine ebenso unzweifelhafte als natürliche Thatsache: die Zuhörer wissen es selbst nicht besser. Zu einem Demosthenes gehören eben auch Athener! Die Folge davon ist, daß wir noch nicht einmal den Anfang eines rhetorischen Stils in Theorie und Praxis besitzen.45

Einige konkrete Probleme, zu denen wir gleich zurückkommen, nennt Köchly ebenso wie Fuhrmann. Trotz den dazwischenliegenden Zeiten der Republik konnte deutsche Rede also nicht auf das Niveau der antiken Rhetorik gehoben werden. Doch beide gehen die Herausforderung der Cicero-Übersetzung trotzdem – oder gerade deshalb – an.

44 45

Fuhrmann (1984), 14. Köchly (1871), [Vorrede].

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Manfred Fuhrmanns Version lautet: Wie lange noch, Catilina, willst du unsere Geduld mißbrauchen? Bis wann soll deine Tollheit uns noch verhöhnen? Wie weit wird zügellose Dreistigkeit sich noch vermessen? Erschütterte dich nicht der nächtliche Posten auf dem Palatin, nicht die Wachen in der Stadt, nicht die Furcht des Volkes, nicht die Zusammenkunft aller Rechtschaffenen, nicht diese fest verwahrte Stätte der Senatssitzung, nicht die Mienen und Blicke der Anwesenden?

Fuhrmann beschreibt in der Dankrede für den Voß-Übersetzerpreis der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, die bezeichnenderweise den Titel Rehabilitierung der Beredsamkeit und der Rhetorik, trägt, das Ergebnis seiner Übersetzungsbemühungen mit folgender Metapher: Ich habe mich […] um ein Deutsch bemüht, das nicht das Original in der Weise durchschimmern läßt, wie bei einem dürftig übertünchten Fresko dessen Farben und Konturen durchschimmern.46

Die obligatorischen Normen der Zielsprache müssten berücksichtig werden. Die Orientierung an der Zielsprache bei den fakultativen Normen schränkt Fuhrmann allerdings ein: Doch ein zeitgenössisches Deutsch habe ich nicht angestrebt, hätte ich gar nicht anstreben können, ohne meinem Autor, dem Redner Cicero, in erheblichem Maße Abbruch zu tun.47

Fuhrmann stellt dabei die berechtigte Frage nach (entfernt) Vergleichbarem, nach Analogem im zeitgenössischen deutschen Sprach-, Stil- und Literatursystem und findet keinen entsprechenden Standard. Die Schwierigkeiten sind dieselben geblieben, wie sie Köchly formulierte: [D]aß wir z. B., um nur ein paar der schreienden Mißstände herauszugreifen, von der Nothwendigkeit einer gewissen Gleichmäßigkeit des Stils in derselben Rede ebenso wenig, wie von dem, was die Alten Rhythmus oder Numerus der Rede nannten, einen Begriff haben; daß wir daher einerseits die kühnsten hochpoetischen Bilder und die trivialsten Phrasen von der Gasse unmittelbar neben einander stellen, andererseits nicht selten Worte und Sätze in einer Weise durcheinander werfen, welche deren ausdrucksvollen Vortrag selbst dem geübtesten Meister unmöglich macht. Man kann daher unsere gegenwärtige Beredtsamkeit einfach mit dem Worte bezeichnen; loquentiae plurimum, eloquentiae parum. Ich halte es darum bis auf Weiteres geradezu für unmöglich, die Meisterwerke eines antiken Redners in genügender Weise stilistisch treu zu verdeutschen.48

Wie bereits festgehalten, gilt dies noch für Fuhrmann: Für Reden, so bedauert dieser, habe sich bisher kein fester Stil gebildet. Als besonderes Problem, die die Beschäftigung mit antiken Reden und damit den Umgang mit den Ausgangstexten betreffen, bemerkt er im Beitrag Diabolé – Zwei Bemerkungen zur Übersetzungsliteratur in Sachen Rhetorik (1982), dass die praktische Beredsamkeit und die dazugehörige Theorie, die Rhe46 47 48

Fuhrmann (1990), 60. Ebd. Köchly (1871), [Vorrede].

»Haben wir Deutsche Ciceronen?«

torik, in der deutschen Übersetzungsliteratur – im Gegensatz zu metrischer Dichtung und Geschichtsschreibung – in auffälligem Maße Lücken zeige49 und führt dies auf poetikalische Bedingungen zurück: Dieser Befund ist eine Folge jener überaus bedauerlichen diabolé der Goethezeit, welche die Rhetorik für überflüssig erklärte und aus dem Schulunterricht vertrieb: im Namen vom Originalgenie, des Glaubens an die autonome Kunst, des bürgerlichen Apolitismus – die Folge einer Position, die das allgemeine Bewußtsein angesichts der rhetorischen Künste von Diktatoren, Werbestrategen und Technokraten längst revidiert hat.50

Aus diesen Gründen fiel die Entscheidung, wie das Deutsch seiner Übersetzung aussehen solle, so aus: So spricht denn mein deutscher Cicero wie ein Anwalt und Politiker des 19. Jahrhunderts, nicht wie ein heutiger; meine Wiedergabe wahrt Distanz zur Gegenwart, sie ist durch einen Schleier von ihr getrennt – nicht in der vossischen Manier der Übernahme von Syntagmen oder Phrasen des Originals, sondern durch ihren an die Prosa des 19. Jahrhunderts anknüpfenden Duktus.51

Fuhrmanns Überzeugung nach brachte das Jahrhundert Köchlys also doch wenigstens etwas hervor, was annähernd der ciceronischen Beredsamkeit entspreche. Die Entscheidung Fuhrmanns für ein Deutsch des 19. Jahrhunderts ist das Ergebnis seiner übersetzungstheoretischen Maxime nach Wirkungsäquivalenz: Der Eindruck und die Wirkung auf den Rezipienten müsse von der Übersetzung reproduziert werden. Somit gehört die Fuhrmann’sche Übersetzung der Cicero-Reden nicht dem ästhetisch-kognitiven Übersetzungstypus (wie Schleiermacher oder Schadewaldt), aber auch nicht dem transponierenden an, sondern liegt wohl eher zwischen diesen Idealtypen. Man könnte sie vielleicht als emotive Übersetzung bezeichnen. Dass er im Duktus nicht zu zeitgenössischem Deutsch greift, sondern hundert Jahre zurückgeht, führt nicht dazu, dass er den archaisierend-distanzierenden Übersetzungstypus wählt, der die Alterität der Kultur, aus der der zu übersetzende Text stammt, wie auch seine spezifisch fremde Sprachgestalt betont – wie an der Übersetzungsprobe gesehen, entspricht das Deutsch den deutschen Sprachnormen. Um eine äquivalente Wirkung reproduzieren zu können, sei aber, so Fuhrmanns Überzeugung, zeitgenössisches Deutsch nicht brauchbar – er denkt als Klassizist wohl vor allem an gängige moderne Floskeln und Ausdrücke, modernen Anwalts-Slang: Was er vermeiden will, ist, den modernisierenden-assimilierenden Übersetzungstypus anzuwenden, der ein Werk den veränderten Sprachstandards der Zielsprache anpasst. Fuhrmanns Anliegen war, das Funktionieren rhetorischer Strategien durch die Wirkung des Stils zu zeigen. Dabei stößt er natürlich auf mehrere Problemkomplexe. Folgende Charakteristika seien für die Reden Ciceros wichtig: (a) der sinnfällige Bau der Sätze, die parallelen Satzglieder und die nach festen Regeln rhythmisierten Satz49

50 51

S. Fuhrmann (1982), 27. Vgl. ebenso Köchly (1871), [Vorrede]: »wir haben zwar in unserer Literatur poetische und historische Meisterstücke ersten Ranges und der verschiedensten Gattungen; wir haben daher auch einen poetischen, wie einen historischen Stil«. Fuhrmann (1982), 30. Fuhrmann (1990), 60.

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schlüsse. Gerade in Bezug auf den Prosarhythmus, ein übersetzungstheoretisches Sonderproblem der lateinischen Kunstprosa, müsse man Abstriche im Deutschen machen: In dieser Hinsicht hätte Originaltreue Manier bedeutet. So wurde lediglich darauf geachtet, daß die Sprache sich nicht staut und nicht zerfließt. Hingegen wurde auf die Wiedergabe der ciceronischen Klauseln verzichtet. Die deutsche Prosa kennt nichts Ähnliches; eine strenge Folge von Längen und Kürzen oder richtiger von betonten und unbetonten Silben würde sich, wenn überhaupt, nur unliebsam bemerkbar machen.52

(b) Rhetorische Figuren sollen weitestgehend, sofern sie in der Zielsprache vorhanden sind, übernommen werden: Zur Form der Rede gehören weiterhin die rhetorischen Figuren, insbesondere alle Spielarten der Klang- und Wortwiederholung. In diesem Falle ist die genaue Wiedergabe meist möglich und angezeigt. Die deutsche Prosa kennt die Paronomasie, die Anapher, das Asyndeton ebenso wie die lateinische; sie sträubt sich lediglich gegen das Hyperbaton.53

Allerdings nimmt sich Fuhrmann auf diesem Gebiet die Freiheit der analogen, nicht der identischen Ersetzung heraus. »Die vorliegende Übersetzung hielt sich allerdings nicht für verpflichtet, die Figur stets in demselben Material auszudrücken wie der lateinische Text.«54 Als Beispiel führt er anaphorisches cum an, das auch mit der Wiederholung eines Pronomens wiedergegeben werden könne. Die Substitution einer Anapher hatten wir, vielleicht nicht zufällig, bereits bei Heinze (nihil durch Verbbestandteil) beobachtet. (c) Art der Satzgliederung: Um das wechselnde Vortragstempo auch im Deutschen spürbar zu machen, soll die Art der Satzgliederung (breite versus abgehackte Kola) beibehalten werden. So hatten es auch Heinze, Wolff und Morgenstern gehalten. Doch macht Fuhrmann Einschränkungen: Ciceros Perioden »verlieren oft den Schwung oder werden gar unverständlich, wenn man versucht, sie auch im Deutschen beizubehalten. Längere Satzgebilde wurden daher nicht selten aufgelöst und Hypo- in Parataxe verwandelt«.55 (d) Der Wechsel der Stillagen und der affektischen Haltung solle möglichst auch im Deutschen spürbar werden.56 Dass stilistische Elemente und Wirkungsäquivalenz Vorrang vor Syntax und Semantik gewinnen können, liegt auf der Hand. Fuhrmann räumt selbst ein, es seien bisweilen Freiheiten bei der Wiedergabe der grammatischen Struktur zu akzeptieren, um die Wirkung des Stils beizubehalten. Dasselbe gilt auch in lexikalischer Hinsicht, wo »vermeintliche Treue die Wirkung des Originals beeinträchtigen«57 könne. Denn in verschiedenen Sprachen haben Wörter unterschiedliches Gewicht, so dass »sich die Verwendung des lexikalischen Äquivalentes nicht selten verbietet«, weil die Rechnung 52 53 54 55 56 57

Fuhrmann, (1985), Bd. 1, 46. Ebd. Ebd. Ebd., 46 f. Fuhrmann (1985), Bd. 1, 47. Ebd.

»Haben wir Deutsche Ciceronen?«

»Wort für Wort« nicht aufgehe.58 So gibt Fuhrmann auch eine »pedantische Wortarten-Äquivalenz«59 auf. In diesen direkt zur Übersetzung gehörenden Erklärungen scheint sich Fuhrmann als Philologe gegen Vorwürfe aus den eigenen Reihen wappnen zu wollen: Gegen eine allzu schematische, streng-philologische Version deutscher Cicero-Reden stellt er den Versuch, die formal-stilistische Wirkung des Originals zu transportieren, anstatt eine Übersetzungshilfe zu sein. Er versteht sich also gewissermaßen als Redner. Und damit entspricht Fuhrmann vollkommen dem von ihm übersetzten Autor: Bereits Cicero selbst hatte in der heute allgemein als echt geltenden rhetorischen Schrift de optimo genere oratorum (wohl 46 v. Chr.) einige immer wieder angeführte Äußerungen zum Übersetzen verfasst. Diese Schrift stellt das Vorwort zu seinen nicht erhaltenen Übersetzungen der Plädoyers der griechischen Redner Aischines und Demosthenes im Prozeß gegen Ktesiphon dar, jedenfalls präsentiert sie sich als solche. Dort erklärt Cicero, er habe nicht ut interpres, sondern ut orator übersetzt, nicht wie ein Dolmetscher, sondern wie ein Redner. Gewissermaßen fordert Cicero übersetzerische Adäquatheit in der Wirkung, dem Effekt, der Funktion.60 III. Bisher wurde der Umgang mit spezifischen Übersetzungsproblemen lateinischer Rede vor allem unter Berücksichtigung expliziter übersetzungstheoretischer Erörterungen betrachtet. Nun soll der Blick unabhängig von den Stellungnahmen der Übersetzer (oder Rezensenten) auf das Transformationsprodukt selbst gelenkt werden. Folgende zum Teil bereits angesprochene Problemkomplexe sind speziell für das Übersetzen lateinischer Reden ins Deutsche zu berücksichtigen (wobei dieser Abschnitt nur als Aufriss zu verstehen ist und als Ausblick auf weitere Studien zur Übersetzung lateinischer Reden dienen kann): a) Wortfolge und Betonungsgewichtung Bei den vorgestellten Übersetzern wurde wiederholt darauf verwiesen, dass die Gewichtung der Worte, weil ihr in der lateinischen Rede große Wirkungsmächtigkeit zukommt, auch in der deutschen Version beibehalten werden müsse. Dass eine identische Wortfolge aufgrund von Sprachunterschieden unmöglich ist, ist offensichtlich. Dennoch besteht ein Zusammenhang zwischen Wortfolge und Betonungsgewichtung, der auch beim Übersetzen bedeutsam ist. Die Flexibilität in der lateinischen Wortstellung bedeutet ja nicht, dass die Positionen im Satz vollkommen beliebig sind, sondern sie geben auch die logische oder chronologische Ordnung wieder und können 58 59 60

Ebd. Genannte Beispiele sind: Demonstrativpronomina, iam, ipse, videri. Fuhrmann (1986/88), 29. Funktionale Übersetzungsmethoden beziehen den unter Umständen neuen Zweck, die neue Intention einer Übertragung mit ein. Im Falle der modernen Skopostheorie legt dieser Zweck, der Skopos, gar die übersetzerischen Entscheidungen fest. Vgl. Reiß/Vermeer (1984).

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eben als Mittel zur rhetorischen Betonungsgewichtung dienen.61 Besonderheiten der Informationsstruktur bzw. Informationsverteilung sind daher zu beachten,62 sowohl im ausgangssprachlichen Text als auch in seinem Transformationsprodukt, der deutschsprachigen Übersetzung. Größtenteils aufgrund von Unterschieden in den Sprachüblichkeiten und wegen der geringeren Variabilität des Deutschen im Vergleich zur relativ freien Wortfolge und Möglichkeit zu Sperrstellungen im Lateinischen muss die lateinische Wortstellung in vielen Übersetzungen nicht selten geändert werden. Beispielsweise kann das Genitivattribut im Lateinischen vorangestellt werden, im Deutschen steht es allerdings üblicherweise hinter dem Bezugswort, so größtenteils auch in Fuhrmanns Übersetzung, um eine altertümelnde oder sonstige auffällige Wirkung (in diesem Fall archaisierenden Übersetzens) zu vermeiden, z. B. Cic. Verr. 1,12: aedium sacrarum publicorumque operum depopulatio […] bonorum possessionumque addictio et condonatio – »die Verwüstung der Heiligtümer und der öffentlichen Bauten […] ein einziges Zuerkennen und Verschenken von Vermögen und Besitz«. Meistenteils erkennt man bei den Änderungen in der Wortstellung jedoch das Bemühen, dabei die inhaltliche Betonungsgewichtung des Satzes beizubehalten. Dort, wo eine markierte Satzstellung und damit Betonung auch im Deutschen ohne weiteres möglich ist, sollten die Redner-Übersetzer durchaus die Wortstellung Ciceros nachkonstruieren, und sie tun es auch: siehe etwa die Hintanstellung der Adjektive in Cic. Catil. 1,2: Habemus senatus consultum in te, Catilina, vehemens et grave, und in Fuhrmanns Übersetzung »Wir haben einen Senatsbeschluß wider dich, Catilina, wirksam und scharf«. b) Stilfiguren als zentrales Element der elocutio Sprachrichtigkeit (latinitas), Klarheit ( perspicuitas) und Redeschmuck (ornatus) waren wichtige rhetorische virtutes.63 Aus dem für die Wirkung einer Rede zentralen Bereich des Redeschmuck blieben von diesem Teil der antiken Theorie und Praxis der Beredsamkeit oftmals nur die Stilfiguren in rhetorikfeindlichen Zeiten das einzig wirksame Rede-Relikt, wenngleich nicht selten in basaler Schulvermittlung und vor allem als Analyseinstrumentarium. So wenig sie in den Schulen in Texten praktisch und aktiv angewandt wurden / werden, so selten wurden / werden sie wohl von den Rednern bewusst eingesetzt. Beim Übersetzen antiker Reden sind sie jedoch ein nicht zu vernachlässigendes Element. Einige Stilfiguren wie Parallelismen oder Trikola verursachen kaum Probleme im Deutschen; dies gilt auch für Asyndeta oder Polysyndeta. Die Bewahrung des Hendiadyoin (oratio bimembris) kann aufgrund von Wortschatzdifferenzen durchaus Schwierigkeiten bereiten und muss dann durch Wortartenänderung (Verbindung von Substantiv mit Adjektiv) aufgelöst werden (was bisweilen

61 62 63

Vgl. Blänsdorf (2004), 183. Zu Informationsstruktur und Informationsverteilung im Lateinischen vgl. Pinkster (1988) und Devine/Stephens (2006). Zur elocutio in antiker Theorie und römischer Praxis vgl. Kirchner (2010).

»Haben wir Deutsche Ciceronen?«

auch aus stilistischen Gründen bevorzugt wird, jedoch eine zum Teil vermeidbare Abweichung vom lateinischen Text bedeutet). Gedankenfiguren wie Antithese, Oxymoron oder Personifikation sollten ohnehin bewahrt werden, da sie leichter als sprachliche Stilfiguren zu reproduzieren sind. Die Wiedergabe von Klangfiguren, wie etwa die häufige Alliteration, ist aufgrund von anderer Lexik der Sprachen hingegen nicht ohne weiteres realisierbar, in den seltensten Fällen mit identischem Klang.64 c) Affektische Haltungen und der Spezialfall Invektive Ciceronische Reden weisen eine Vielzahl von Stillagen auf, die sich aus mit der jeweils (zur Schau gestellten) affektischen Haltung des Redners zusammenhängenden rhetorischen Strategien ergeben. Den habitus bei der Übersetzung mitzutransportieren, sollte ein Ziel jedes Übersetzers sein, der sich ut orator, »als Redner« versteht. Besonders markant sind diesbezüglich Invektiven. Sicherlich gehören sie, gerade wenn man die unterschiedlichen consuetudines antiker und zeitgenössischer deutscher Rhetorik betrachtet, zu den am weitesten entfernten Arten der Redekunst: Anspruchsvolle Schmähreden gehören heute nicht zu den von deutschen Politikern gepflegten Gattungen; gerade persönliche, auch den Körper und Sexualität betreffende Attacken, würden nach gegenwärtiger Einschätzung die Regeln des guten Geschmacks und der political correctness verletzen. Fuhrmann, einer der wenigen, der überhaupt über die Möglichkeiten reflektierte, die affektische Haltung des Redners in einer Übersetzung abzubilden, ist sich der zeitlich-kulturell bedingten Unterschiede in diesem Punkt bewusst. Er entschließt sich: »es ist nicht Aufgabe einer Übersetzung, die Dosierung der Ausdrucksmittel dem eigenen Zeitgeschmack anzupassen.«65 So lässt sich beobachten, dass er bei invektivischen Reden in der Tat zu drastischeren Worten, umgangssprachlicheren Wendungen und verschiedenen Mitteln der Betonung greift, um Ciceros Empörung zum Ausdruck zu bringen.66 Diese mildert er in seiner Übersetzung der Rede in Pisonem, einer Großinvektive, in der es massive Schimpfworte und grelle Szenen gibt,67 keinesfalls ab. Vergleichen wir exemplarisch den Beginn des uns überlieferten Teils der Rede und deren deutsche Version: [I] iamne vides, belua, iamne sentis quae sit hominum querela frontis tuae? nemo queritur Syrum nescio quem de grege noviciorum factum esse consulem. non enim nos color iste servilis, non pilosae genae, non dentes putridi deceperunt; oculi, supercilia, frons, voltus denique totus, qui sermo quidam tacitus mentis est, hic in fraudem homines impulit, hic eos quibus erat ignotus decepit, fefellit, induxit. 64 65 66 67

Dies gelingt Fuhrmann etwa für mitem et misericordiam (Cic. Sull. 1): «Milde und Mitleid«. Fuhrmann (1985), Bd. 1, 47. Zu Ciceros Invektiven vgl. Koster (1980) und Corbeill (2002). Über die römische invektivische Rede insgesamt gibt Arena (2010) einen Überblick. Zur Rede in Pisonem und deren invektischen Stil vgl. Paratore (1961); Koster (1980), 210–218, und Koster (2011), 44 ff.; Arena (2010), 152–154, sowie natürlich den Kommentar von Nisbet (1961), mit einer kurzen hervorragenden Einführung in die antike Invektive. Eine alphabetische Liste der Schimpfwörter in dieser Invektive s. Demandt (2005), 13.

Nina Mindt […] siehst du jetzt, du Ungeheuer, merkst du jetzt, was die Leute gegen deine finstere Miene haben? Niemand hat etwas dagegen, daß ein Syrer, ein Kerl aus einem frisch importierten Haufen, Konsul geworden ist. Denn nicht der dunkle Teint des Sklaven, nicht die behaarten Wangen, nicht die faulenden Zähne haben uns getäuscht: die Augen, die Brauen, die Stirn, überhaupt die ganze Miene, die ja ohne Worte die Gesinnung ausspricht – das hat die Leute zum Irrtum verleitet, das hat alle, die dich nicht kannten, getäuscht, betrogen, hinters Licht geführt.

Die Beschimpfungen sitzen allesamt, nur für color iste servilis scheint mir »der dunkle Teint des Sklaven« fast noch zu zurückhaltend und vornehm, auch wenn sich die Entscheidung Fuhrmanns erklären lässt: In color ist implizit die (negativ konnotierte) dunkle Farbe enthalten, und der Übersetzer hat dies nach der Maxime der Verständlichkeit, die in der Übersetzung dieser Passage an einigen Stellen hervortritt (z. B. bei quae sit hominum querela frontis tuae – »was die Leute gegen deine Miene haben« [wörtlich kaum zu übersetzen, in etwa: »was für ein Problem die Leute mir deiner Miene haben«]; qui sermo quidam tacitus mentis est – »die ja ohne Worte die Gesinnung ausspricht« [wörtl. »die eine Art schweigende Sprache der Gesinnung ist«]), explizierend wiedergegeben. Allerdings ist m. E. »Teint« für eine Beschimpfung des Äußeren stilistisch zu elaboriert; »diese dunkle Hautfarbe eines Sklaven da« wäre angemessener. Das Demonstrativum iste ist in Fuhrmanns Übersetzung sprachlich nicht hervorgehoben, ihm schien vielleicht die Deixis durch die Betonung des bestimmten Artikels hinreichend. Ein weiterer Blick auf den lateinischen Text und dessen Übersetzung brächte noch mehr Diskussionsstoff hervor. Dass es vor Fuhrmanns Übersetzung nicht allzu viele deutsche Versionen dieser Rede gab – mir sind aus dem betrachteten Zeitraum nur Binder (1869) und Kasten (1969) bekannt, die sich beide nicht zu ihren übersetzerischen Maximen äußern – spricht Bände. Das Übersetzen römischer Reden war und ist eine Herausforderung mit zahlreichen besonderen Herausforderungen, die dem Übersetzer schwierige Entscheidungen aufzwingen. Die Wirksamkeit dieser Mühen ist zudem fraglich: Ob Fuhrmanns Gesamtübersetzung der Reden Ciceros zu einer merklichen Rehabilitation der Beredsamkeit beigetragen hat – immerhin gibt es das Rhetorikmagazin Cicero? Ich wage es zu bezweifeln. Doch aus wissenschaftlicher Sicht, gerade auch aus interdisziplinärer Perspektive, ist zu hoffen, dass sich immer wieder Übersetzer antiker Reden finden, die die Herausforderung annehmen, ut orator zu verfahren.

»Haben wir Deutsche Ciceronen?«

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Nina Mindt

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»Haben wir Deutsche Ciceronen?«

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Abstract: »Do we have German Ciceros?« On the role of translations of the speeches of Cicero in German rhetoric In three steps this paper will examine the role played in German rhetoric by translations of the speeches of Cicero. The aim is to investigate the extent to which specifically rhetorical characteristics of this ancient genre were taken into account in discussions of Cicero’s speeches and implemented in their transformation into German. The first step is to sketch the role played by classical rhetoric, and in particular the speeches of Cicero, in Germany’s rhetorical culture of the past two centuries, in order to establish the context of these transformations. The second step is to present examples of positions adopted in that period about the translation of Cicero’s speeches. Of particular interest here are contributions that stress the performative aspect of the ancient original (or the traces of the performative in the written version), attend to the situation in which it was deployed, and hope for positive effects on German rhetoric, because communicative contexts (both of the classical speech and of its German translation) are important conditions for translation and may be determined by widely differing parameters. These reflections by translators prepare the ground for the third step, inasmuch as they voice concrete demands set for a German translation of Cicero’s speeches. In this third and last section, the range of problems is then examined in concrete cases, with regard to the product of transformation, the translation itself. On the basis of specific problems encountered and with the help of examples the question is raised of how far translators of Roman rhetoric regarded themselves as orators and how this affected their translation.

Ovids Verwandlungen verteutscht. Übersetzungen der Metamorphosen seit dem Mittelalter und der Frühen Neuzeit bis zum Ende des 20. Jahrhunderts1 ULRICH SCHMITZER 1. Grundlagen Die Geschichte der deutschen Übersetzungen von Ovids Metamorphosen ist bisher noch nicht einmal ansatzweise geschrieben. Dieses Forschungsdefizit ist umso schmerzlicher, als die Metamorphosen nicht nur ein seit der Antike immer wieder bewundertes Werk der Dichtung sind, sondern auch zu den Grundlagentexten der europäischen Wissenskultur bis in die Moderne hinein gehören. Die Metamorphosen sind schon durch ihren von Ovid selbst gegebenen Titel die schlechthinnige Verkörperung von Transformation, sie stellen darüber hinaus ihrerseits die definitive Transformation des antiken Mythos in die Form dar, in der er die Antike überdauerte. Sie schufen also eine neue Realität des Mythos in der Synthese aus vielen unterschiedlichen Strömungen. P. Ovidius Naso wurde 43 v. Chr. im mittelitalischen Sulmo geboren, 8 n. Chr. aus bis heute nicht geklärten Gründen von Augustus nach Tomi am Schwarzen Meer (im heutigen Rumänien) verbannt und starb dort ca. 17/18 n. Chr. Er verfasste Liebeselegien (Amores), liebesdidaktische Werke (Ars amatoria, Remedia amoris), die Tragödie Medea, die (Doppel-)Briefe von Frauen aus dem Mythos (Heroides), ein elegisches Lehrgedicht über den römischen Festkalender (Fasti) sowie die Metamorphosen. Aus der Exilzeit stammen Elegien (Tristia, Expistulae ex Ponto) und das Schmähgedicht Ibis. Die Metamorphosen umfassen ca. 12 000 Verse, aufgeteilt auf 15 Bücher, und behandeln die Zeit von der Entstehung des Kosmos ( prima ab origine mundi) bis in die eigene Zeit Ovids (ad mea tempora). Ihre zahllosen Sagen, denen das Verwandlungsmotiv zugrunde liegt, ohne stets dominant im Vordergrund zu stehen, sind auf bis zu fünf Erzählebenen aufgeteilt, so dass der chronologische Faden vor allem in den zentralen Teilen kaum mehr spürbar ist. Rezipiert sind sie meist nach isoliert betrachteten 1

Alle bibliographischen Hinweise auf online-Dokumente sind 2013/2014 geprüft worden und waren zu diesem Zeitpunkt verfügbar. Aus Gründen der leichteren Lesbarkeit ist auf eine detaillierte Datumsangabe verzichtet. Digitalisierte Quellen, insbesondere historische Übersetzungen, sind im Literaturverzeichnis um die URL bzw. URN ergänzt; wo immer möglich, wurde aus Gründen der bibliographischen Stabilität auf das Zentrale Verzeichnis Digitalisierter Drucke (www.zvdd.de) und die angeschlossenen Bibliotheken zurückgegriffen.

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Einzelsagen (z. B. Apollo und Daphne, Philemon und Baucis, Arachne, Niobe) – was etwa bis heute auch die schulische Beschäftigung prägt. Seit dem Mittealter ist Ovid selbstverständlich Schulautor, wobei die Metamorphosen fast immer im Zentrum stehen. Dass Übersetzung eine Repräsentationsform der Transformation κατ’ ἐξοχήν ist, ist eine mittlerweile beinahe triviale Feststellung.2 Nicht trivial ist aber, wie Ovids Metamorphosen je nach angestrebtem Zielpublikum unterschiedliche übersetzerische Formen annehmen und damit allelopoietisch eine neue Realität des antiken Mythos entstehen lassen.3 Das macht die Untersuchung der deutschen Metamorphosen-Übersetzungen über die Aufarbeitung des Materials4 hinaus zu einem Testfall für die Tragfähigkeit des Transformationskonzepts.5 Denn die Metamorphosen sind ihrerseits eine transformierte Transformation, nämlich die Übertragung griechischer Mythologeme ins Lateinische und deren Einpassung in das Konzept des carmen perpetuum.6 Die so entstandene lateinische Metamorphosen-Dichtung wiederum ist in nachantiker Zeit in so gut wie alle europäischen Sprachen übersetzt worden.7 Und mehr noch: Das allelopoietische Potential der Metamorphosen bereits in der Antike zeigt sich paradigmatisch daran, dass sie zu den wenigen lateinischen Texten gehören, die ins Griechische (rück-)übersetzt wurden, als sich in byzantinischer Zeit Maximos Planudes ihrer annahm.8 So wird also die Übernahme aus dem Griechischen umgekehrt. Es gilt also eine Forschungslücke9 zu schließen, die die Rezeption und Transformation Ovids auf allen Ebenen der kulturellen Milieus, nicht nur bei den lateinkundigen Eliten umfasst. Während für den Bereich der italienischen Renaissance die fundamentalen Studien von Bodo Guthmüller zu verzeichnen sind,10 während für die englischsprachige Renaissance und Frühe Neuzeit und neuerdings auch für den französischen und niederländischen Sprachraum11 eine Reihe von wichtigen Einzelarbeiten vorliegen,12 hat für den deutschsprachigen Raum eigentlich nur die mittelhochdeutsche Umsetzung des Albrecht von Halberstadt und deren Bearbeitung durch Jörg Wickram im 16. Jahrhundert größere Aufmerksamkeit auf sich gezogen.13

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Vgl. Böhme/Rapp/Rösler (2007); Böhme et al. (2011), 53. Dazu die Beiträge in Böhme et al. (2011). Vgl. Landfester (2007). Böhme et al. (2011). Vgl. Schmitzer (2008). Vgl. etwa die Zusammenstellung bei Hofmann (1981), 2171–2177. Siehe Fisher (1990), außerdem Fodor (2004) (nicht zu den Metamorphosen [Bibl. 317], aber u. a. zu den Heroides). Eine weitere, in näherer Zukunft aufzuarbeitende Forschungslücke betrifft die Übersetzungen der Werke Vergils, dazu aber immerhin Kleßmann (2009) und (speziell zu Schillers Vergilübersetzungen) und Jarislowski (1928). Z. B. Guthmüller (1975) und (1997), siehe jetzt auch Bucchi (2011). Faems/Minet-Mahy/Van Coolput-Storms (2011). Fielitz (2000); Lyne (2002), 249–263; Oakley-Brown (2006). Z. B. Rücker (1997), Klein (2008), außerdem Hexter (2007).

Ovids Verwandlungen verteutscht

Die Suche nach der Geschichte der Metamorphosen-Übersetzungen bedeutet nicht zuletzt den Schritt in eine terra incognita. Die Übersetzungen, die bis zum Ende des 18. Jahrhunderts entstanden sind, sind weitestgehend aus dem Gedächtnis selbst der Fachwelt verschwunden, sie sind am ehesten noch über die großen bibliographischen Zusammenstellungen des 19. Jahrhunderts zu eruieren.14 Damit sind auch die Instanzen der Wissensvermittlung – der Vermittlung vor allem über sprachliche Barrieren hinweg – vergessen, die für die bildende Kunst, die Musik und besonders die Oper oder die nationalsprachlichen Literaturen immense rezeptionsvermittelnde Bedeutung besaßen, wie die bisweilen in den Titeln explizit genannten Zweckbestimmungen ausweisen. Vieles, was solcherart weitgehend in der Vergessenheit versunken war, kann durch die in den letzten Jahrzehnten entwickelten Hilfsmittel nun leichter gehoben werden: zuerst durch die OPACs und digitalisierten Zettelkataloge der einschlägigen Bibliotheken, die auch historische Bestände bequem und ortsunabhängig erschließen, und danach durch die großen Digitalisierungsprojekte, durch die bislang in abgelegenen Magazinen verborgene, gemeinfreie Bücher (beinahe15) weltweit verfügbar wurden. Das stellt ein handhabbares, allerdings nur schwer systematisch nutzbares Gegenmittel gegen solche Amnesie dar, wenn man denn die Instrumente sachgerecht und gezielt einsetzt. Ovids Metamorphosen sind mit ihrer langen Übersetzungsgeschichte besonders dafür prädestiniert, den üblicherweise (auch in diesem Band) gewählten, mit der Wende zum 19. Jahrhundert einsetzenden Untersuchungszeitraum erheblich auszuweiten. Mit dem erarbeiteten theoretischen und methodischen Rüstzeug kann man nämlich im Mittelalter auf die Urgeschichte der literarischen Übersetzung16 aus dem Lateinischen ins Deutsche stoßen. Aus diesem zeitlichen Ansatz der Analyse ergibt sich auch die inhaltliche Gliederung (nach 1. Einleitung): (2.) Die Übersetzungen vom Mittelalter bis zum Beginn der Goethezeit, bis zu Rode und Voß, die in weiten Teilen (nach heutigen Kategorien) von disziplinären Außenseitern stammen und sich auch bisweilen explizit an ein nichtphilologisches Publikum wenden. (3.) Die Übersetzungen der Goethezeit: Rode und Voß, die – anders als ihre Vorgänger – bis heute immer wieder (z. T. bearbeitet) nachgedruckt werden und damit den Beginn der modernen Übersetzungsgeschichte Ovids markieren.

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Z. B. Schweiger (1834), Bd. 2,2, 667–670; Engelmann, Enslin (1847), 384–392. Eine Ausnahme stellt nur Elit (2002) (eventuell wegen des Titels bisher von der Forschung zur Ovid-Rezeption nicht berücksichtigt), bes. 142–150, dar, der auch kursorisch auf die Ovid-Übersetzungen des 18. Jahrhunderts eingeht. Google Books etwa unterscheidet nach (über IP-Adresse abgefragter) Provenienz des jeweiligen Nutzers und sperrt manche digitalisierten Bücher außerhalb der USA, um wegen der unterschiedlichen Schutzfristen nicht in juristische Schwierigkeiten zu kommen. Selbstverständlich gibt es frühere Übersetzung aus dem Lateinischen ins (Althoch-)Deutsche, etwa der Evangelienharmonie des Tatian (Katschorke, LexMA 8 [1997], 489–490), aber eben nicht paganer fiktionaler Texte.

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(4.) Die Übersetzungen des 19. und der ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts, die z. T. im Rahmen der großen Übersetzungsbibliotheken entstanden sind oder aus der Feder von Schulmännern stammen (und auch für den Schulgebrauch gedacht sind). (5.) Die Wiederentdeckung der Metamorphosen durch eine breitere Öffentlichkeit am Ende des 20. Jahrhunderts, wofür als Epochenjahr das Erscheinen von Christoph Ransmayrs Die letzte Welt (1988) benennbar ist. Selbstverständlich ist es unmöglich, alle diese Übersetzungen vollständig zu analysieren. Stattdessen soll anhand von besonders signifikanten Passagen (s. u.) beleuchtet werden, welche Schwerpunkte und Vorlieben die jeweiligen Übersetzungen in Prosa bzw. in metrische Formen (ab dem Ende des 18. Jahrhunderts meist im dem lateinischen Original entsprechenden Hexameter) aufzuweisen haben. Das Konzept der Transformation warnt von vornherein generell davor, die Auseinandersetzung mit der Antike als Fortschrittsgeschichte zu lesen. Die Geschichte der Ovid-Übersetzungen unterstreicht das nachdrücklich: Wir haben es vielmehr mit rekurrenten Phänomenen zu tun, die oft von geringer Reflexion der Übersetzer über ihr eigenes Tun (von Ausnahmen wird noch die Rede sein) und von noch geringerer Kenntnis der jeweiligen Vorläufer zeugen. Das hängt ursächlich mit der tendenziellen Dekanonisierung Ovids seit dem späten 18. Jahrhundert zusammen,17 die verhinderte, dass es in der ganzen kulturellen Elite verbreitete Übersetzungen gab wie Voß’ Homer im 19. und Schadewaldts Homer im 20. Jahrhundert oder Schleiermachers Platon seit gut zweihundert Jahren. Durch diese Entwicklungen kam es (wie überhaupt für die lateinische Literatur) auch nicht zu kanonischen, die außerphilologische Rezeption durch ihre spezifische Sprachform wesentlich bestimmenden Übersetzungen. Sogar die Übersetzer wissen wenig bis nichts von ihren Vorgängern: Im Jahr 1981 veröffentlichte Michael von Albrecht seine Prosaübersetzung der Metamorphosen in der festen Überzeugung, die erste deutsche Prosafassung überhaupt vorgelegt zu haben.18 Doch nur wenige Jahre später (1989) gab es von Gerhard Fink die Adaption der »ersten Prosaübersetzung durch August von Rode« (1791, 21817; Fink 1989). Aber auch dieser Anspruch ist falsch, wie der übersetzungshistorische Durchgang zeigen wird. Übersetzungen stellen einen Spezialfall der Deutungsgeschichte dar. Sie sind deshalb mit anderen interpretatorischen Zugriffen zu kontextualisieren, den jeweils vorliegenden Editionen und Kommentierungen,19 aber auch mit dem wissenschaftlichen und außerwissenschaftlichen Ovid-Bild ihrer Zeit, um vor diesem Gesamthintergrund das in ihnen zu Tage tretende Ovid- und Mythenverständnis sichtbar werden zu lassen. Gerade bei den vormodernen Übersetzungen ist besonderes Augenmerk auf das Verhältnis von Übersetzer und (angestrebtem) Publikum zu legen. Denn es wird sich zei17

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Einige (vornehmlich negative) Urteile aus der Frühen Neuzeit finden sich auch in der Vorrede zur anonymen Ausgabe Metamorphoseon libri XV Nürnberg 1759 (ohne Paginierung), siehe außerdem Stroh (1969). von Albrecht (1981), 393: »Soweit mir bekannt, ist dies der erste Versuch einer vollständigen Wiedergabe der ›Metamorphosen‹ in deutscher Prosa.« Die Basis bilden die Kommentare von Bömer (1969–2006) und Barchiesi/Rosati (2004–2007)

Ovids Verwandlungen verteutscht

gen, dass diese Übersetzungen oftmals in genau definierte regionale und soziale Kontexte eingebunden sind, etwa in das Meistersingermilieu der selbstbewussten süddeutschen Städte oder in das Selbstbild der Lehrer als Gelehrte im 19. Jahrhundert. Ferner ist nicht immer restlos klärbar, ob und in wieweit sie auf tatsächlicher Kenntnis der Originalsprache beruhen (s. u. bei Jörg Wickram und Hans Sachs) oder ob in ihnen lediglich vorhandene Versionen fortgeschrieben sind, ohne Abgleich mit dem lateinischen Text. Jedenfalls scheint dies bis ins 18. Jahrhundert hinein selbst bei Lateinkundigen ein keineswegs ehrenrühriger Usus gewesen zu sein. Auch hierin unterscheidet sich die vormoderne Übersetzungspraxis programmatisch und konzeptionell erheblich von späteren Ansprüchen. Generell sind die hier behandelten Umsetzungen für an gegenwärtige Formen des Übersetzens gewöhnte Leser bisweilen gewiss befremdlich. In der Terminologie dieses Sammelbandes handelt es sich bis weit ins 18. Jahrhundert meist um »modernisierendassimilierende Übersetzungen«,20 natürlich ohne dass dieser Praxis ein explizites theoretisches Konzept zugrunde läge. Aber nicht nur die sprachliche Gestaltung unterscheidet die frühen Übersetzungen von den modernen, sondern auch der Umgang mit der äußeren Gestalt des zu übersetzenden Werks (dem nicht der neuzeitliche, von Quasi-Unantastbarkeit geprägte Werkbegriff zugrunde liegt), so dass Kürzungen, Umakzentuierungen und auch Zusätze gang und gäbe sind. Die makrostrukturelle Frage nach Vollständigkeit, Kürzung oder Ergänzung des Gesamten hat ihr Gegenstück in der auf die Wortebene heruntergebrochenen, mikrostrukturellen Vollständigkeit. Die Einzelanalysen werden diesen Aspekt immer wieder zu berücksichtigen haben.21 Die Basis dafür bildet der Kriterienkatalog, wie er in Poiss et al. (in diesem Band), bes. § 7, expliziert ist und wo die Schadewaldt’schen Übersetzungsmaximen fortentwickelt werden (auch wenn die Benutzung dieses Katalogs nicht in jedem Einzelfall genannt ist). Die aus den Analysen abgeleiteten Folgerungen haben bisweilen wertenden Charakter, doch sind damit nicht absolute, gar objektive Urteile gemeint, sondern Aussagen über den Grad, in denen die Übersetzungen diesen Kriterien nahekommen oder eigene, etwa in Vorworten erhobene Ansprüche einlösen können. Um die Verfahren der jeweiligen Übersetzungen zu konturieren, sind (sofern möglich: s. u.) drei Passagen der Metamorphosen als exemplarisch ausgewählt und werden mit den jeweiligen Umsetzungen verglichen: a) Das Proömium (met. 1,1–4): Die Forschung der letzten Jahrzehnte hat übereinstimmend gezeigt, wie der Autor zu Beginn seines Werks durch die exakt kalkulierte Reihenfolge der Wörter über die prinzipielle Focus-Topik-Beziehung hinaus eine strategisch gezielte Gedankenführung herbeiführt: Durch die Sperrung von in nova und corpora wird der innovative Charakter von Ovids die ganze Weltgeschichte umfassenden Epos betont. Ins Spiel kommt weiter die Frage nach Inspiration für ein solches Universalepos, das Verhältnis von großem Zugriff und qualitätvoller Verarbeitung im Detail (carmen perpetuum vs. carmen deductum), die das zeitliche Konzept mit dessen 20 21

Poiss (in diesem Band), § 9; vgl. Böhme et al. (2011), 48, zum Transformationstyp der Assimilation. Vgl. auch Mindt (2009), bes. 277–297.

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stilistischer Realisierung verknüpft. Zugleich zeigt sich hier ebenfalls exemplarisch, dass die Beurteilung der Übersetzungen nur unter Berücksichtigung des Forschungsstandes möglich ist – und zwar auf zwei Ebenen: auf der Ebene des zur jeweiligen Übersetzung zeitgenössischen Textverständnisses und als Kontrollinstanz auf der Ebene des aktuellen Wissens. b) Die Episode von Pyramus und Thisbe (met. 4,51–166), die in betont schlichtem Ton beginnt und sich dann zu höchster Emotionalität steigert, also das stilistische Register des jeweiligen Übersetzers auf die Probe stellt. c) Die Künstlergeschichte von Pygmalion (met. 10,243–297), die erzählerisch auf einen (gerade noch abgewendeten) Skandal hinsteuert und an der entscheidenden Stelle auch durch ein artistisches, für das Textverständnis punktuell signifikantes Wortspiel auffällt. Noch nicht recht einzuschätzen ist beim aktuellen Stand der Übersetzungsforschung der Einfluss der Metamorphosen-Übersetzungen in moderne Fremdsprachen, v. a. ins Französische, die durch Lektüre oder gar als direkte Vorlagen auf die deutschen Übersetzungen eingewirkt haben.22 1.1 Das Proömium Das Proömium23 ist von Ovid nicht als Teil des metamorphischen Prozesses gestaltet, sondern paratextuell abgesetzt. Das führt dazu, dass es in einer Reihe von Paraphrasen und Übersetzungen nicht als dem Werk zugehörig begriffen und folglich weggelassen wird, so bei Wickram 1545 und auch bei Voß 179824 (met. 1,1–4):25 In nova fert animus mutatas dicere formas corpora; di, coeptis (nam vos mutastis et illa)26 adspirate meis primaque ab origine mundi ad mea perpetuum deducite tempora carmen.

Diese Passage hat in der jüngeren Metamorphosen-Forschung intensive Aufmerksamkeit gefunden. Die Trennung von in nova und corpora durch das über das Enjambement hinweg weitgestreckte Hyperbaton führt zu einer doppelten semantischen Akzentuie-

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Safft (1766) etwa beruft sich auch auf seine Kenntnis der französischen Ovid-Forscher (vgl. generell Renger [2002]), auch die von ihm gewählte Lesart carebat in der Erzählung von vom Goldenen Zeitalter (met. 1,110; s. u.) könnte auf solchen französischen Einfluss hinweisen. Siehe Barchiesi (2004), 133–145. Die Übersetzungen sind im bibliographischen Anhang chronologisch zusammengestellt. Textgrundlage ist, soweit nicht anders angegeben, Tarrant (2004), verglichen mit Anderson (1993) und Magnus (1914). Außerdem wird, wo es nötig erscheint, jeweils versucht, die in einer bestimmten Epoche gebräuchlichen Textfassungen und Editionen anzuführen. Das wird allerdings dadurch erschwert, dass die Übersetzer selbst ganz überwiegend keine einschlägigen Auskünfte geben. Die heute am weitesten verbreitete Lesart illa (beziehbar auf corpora und coepta) ist eine Konjektur Lejays vom Ende des 19. Jahrhunderts (vgl. Magnus [1914] ad loc.); zuvor war illas die übliche Variante.

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rung, nämlich zum einen als initiale programmatische Ankündigung einer neuartigen Dichtung, zum anderen als Ankündigung einer Dichtung von körperlicher Verwandlung. Die Ambiguität wird von der artistischen Wortstellung getragen.27 Ein sprachlich so genau kalkulierter Anfang stellt damit auch eine besondere übersetzerische Herausforderung dar: Er kann nach der Sprachstruktur des Deutschen nicht unmittelbar nachgeahmt werden, sondern erfordert andere, kreative Lösungen, sofern man die spezifische Form nicht einfach ignorieren möchte. Am Ende, in den letzten eineinhalb Versen, betont Ovid nicht nur den chronologischen Rahmen der Metamorphosen, die die ganze Geschichte des Kosmos umfassen, sondern auch deren epischen Charakter (carmen perpetuum), der sich mit den kallimacheisch-hellenistischen Tugenden des feingesponnen Poems (carmen deductum) trifft und damit eine Synthese aus zwei eigentlich für unvereinbar gehaltenen poetischen Konzeptionen formt. Dieses artistische Proömium hat schon früh die Leser aufmerksam werden lassen, etwa einen frühmittelalterlichen Grammatiker, der Ovids Wortfolge »richtig« stellt: »Est enim ordo talis: ›fert animus in noua corpora mutatas dicere formas; di, coeptis adspirate meis, nam et uos mutatis illas‹«.28 Grundlegend für das Textverständnis der Metamorphosen seit der frühen Neuzeit ist der erstmals 1493 erschienene Kommentar des Raphael Regius, der vielfach nachgedruckt, noch öfter nachgeschrieben wurde.29 Dieser ersetzt damit sukzessive den Ovidius moralizatus des Petrus Berchorius,30 der mit seinen christlichen Allegorien die wichtigste mittelalterliche Leseanleitung gewesen war und auch noch im 16. Jahrhundert (bisweilen paraphrasiert) nachgedruckt wurde.31 Regius geht den Text Lemma für Lemma durch und erläutert ihn sprachlich wie inhaltlich:32 […] IN NOVA : Est inquit mihi animus describendi mutationes corporum in novas figuras hac autem propositione, quae summam eorum continet quae in toto opere tractantur et dociles et attenti lectores efficiuntur. FERT ANIMUS: Cupit. Nam ferre inter alia significata est etiam cupere. […] ASPIRATE: Spiritum ac favorem immittite. Est autem a ventis sumta translatio, qui dum navium vela implent, aspirare proprie dicuntur […] DEDUCITE: pro-

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Wheeler (1999), 8–33; Barchiesi (2004) ad loc.; allgemein zu Ovid: Lateiner (1990); generell zur Wort- und Satzreihenfolge im Lateinischen Devine/Stephens (2006) (naturgemäß mit Blick auf die Prosa, 524–610 zu Hyperbata und damit auch zu Sperrungen wie an unserer Stelle) sowie Spevak (2010); zum Unterschied zwischen Deutsch und Latein Kienpointner (2009), 359–385. – Prinzipiell ist zu bedenken, dass die einschlägigen Untersuchungen fast ausschließlich die lateinische Prosa (und allenfalls die Komödie) betreffen, die Dichtersprache in dieser Hinsicht so gut wie nicht untersucht ist. Eine Ausnahme ist Lateiner (1990), der sich aber im Rahmen seiner Untersuchung der »mimetic syntax« einen Sonderfall herausgreift. Iulianus Toletanus, Ars grammatica, poetica rhetorica, pars 2, 19,51 (7. Jh. n. Chr.). Siehe auch Benedetti (2008). Bersuire (1979). Zur partiellen Koexistenz von Berchorius und Regius im 16. Jahrhundert siehe auch Guthmüller (1997); vgl. Thimann (2002), 35–37, über den Einfluss der Deutungen Regius’ auf die Kunst; zum Wandel des Ovid-Bildes zwischen Mittealter und Renaissance außerdem Gatti (2011). Text nach Benedetti (2008).

Ulrich Schmitzer ducite, protrahite. Proprie autem, ut inquit Fabius (Quint. Inst. Orat. VIII 2,933) deduci carmina dicuntur, cum scribuntur. PERPETUUM: Continuum, sic ut nulla transmutatio pretermittatur alteraque alteri concinne apteque connectatur: id quod facile a diis impetravit poeta. Ita namque fabulam fabulae annectit, ut una ex alia nasci videatur. Sed quidam non minus insulsus quam temerarius, quorundam ineptirarum interpositione ea in multis exemplaribus separare conatus sit, quae deorum benignitate tam eleganter fuerant copulata. Id vero flagitium, quo totum opus inquinabatur, in primis curaui tollendum. IN NOVA : Er sagt, ich habe im Sinn, die Verwandlungen der Körper in neue Gestalten zu beschreiben. Durch diese Voranstellung also, die die Zusammenfassung dessen enthält, was im ganzen Werk behandelt wird, werden die Leser belehrbar und aufmerksam gemacht. FERT ANIMUS: Er möchte. Denn ferre bedeutet unter anderen Bedeutungen auch mögen, wollen […] ASPIRATE: Sendet euren Atem und eure Gunst hinein. Es ist dies aber eine von den Winden genommene Übertragung, die, während sie die Segel anfüllen, wörtlich mit »behauchen« bezeichnet werden […] DEDUCITE: Führt weiter, zieht weiter. Im eigentlichen Sinne spricht man aber, wie Fabius sagt […] davon, dass Gedichte weitergeführt werden. PERPETUUM: so zusammenhängend, dass keine Verwandlung übergangen wird, sich die eine an die andere flüssig und passend anschließt. Das kann der Dichter leicht von den Göttern erhalten. Denn so reiht er eine Sage an die andere, dass die eine aus der anderen zu entstehen scheint. Aber jemand, der nicht weniger witzlos als verrückt war, hat versucht, sie durch die Einfügung von Unpassendem in viele Teile aufzuspalten, die sie doch durch die Gnade der Götter so geschmackvoll verbunden waren. Diese Schande freilich, durch die das ganze Werk entstellt wird, habe ich vor allem zu beseitigen mich bemüht.

Der Kommentar des Regius enthält eine Reihe von gerade auch für Übersetzungen wichtigen Beobachtungen, so die Gleichsetzung von fert animus mit cupere, den Hinweis auf die metaphorische Bedeutung von aspirare als »einen günstigen Verlauf geben«. Deducere dagegen ist offenbar noch nicht als eine aus der Textilverarbeitung übernommene Metapher des textlichen Webens erkannt (auch der Zusammenhang dieser Stelle mit Verg. ecl. 6,5 – deductum carmen – ist noch nicht hergestellt, so dass die poetologische Signifikanz für qualitätvolle Kleindichtung bis ins 20. Jahrhundert unentdeckt bleibt34). Man findet allerdings einen Hinweis auf die hinter deducere stehenden realen Vorstellungen schon in den deutschen Anmerkungen einer anonymen Ausgabe von der Mitte des 18. Jahrhunderts (Nürnberg 1759): Deus coeptis adspiret meis. Gott gebe Glück zu meinem Vorhaben, befördere dasselbe. Die metaphora ist von dem Winde hergenommen, welcher das Schiff fort treibet, wenn er in die Segel blaset […] perpetuum carmen heißet ein aneinander hangendes Getichte […] Deducere: fortführen, wie ein Leineweber einen Faden an den andern webet, bis das Stück gantz und völlig wird.

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Quint. inst. 8,2,9: »At illud iam non mediocriter probandum, quod hoc etiam laudari modo solet ut proprie dictum, id est, quo nihil inueniri possit significantius, ut Cato dixit C. Caesarem ad euertendam rem publicam sobrium accessisse, ut Vergilius ›deductum carmen‹, et Horatius ›acrem tibiam‹ ›Hannibalemque dirum‹. In quo modo illud quoque est a quibusdam traditum proprii genus ex adpositis (epitheta dicuntur), ut ›dulcis musti‹ et ›cum dentibus albis‹.« Vgl. aber schon Scheller/Lünemann (1807) s. v. deduco: »spinnen: daher kommen die metaphorischen Redensarten bei Dichtern, deducere carmen, versum, Ovid […]«.

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Dafür erkennt Regius die mit perpetuum verknüpfte Wichtigkeit der durchgängigen Erzählung, wobei nicht ganz klar ist, ob sich seine Polemik auf eine bestimmte Person (etwa Lactantius Placidus) oder allgemein auf die mittelalterliche Praxis der Unterteilung nach Einzelsagen bezieht. 1.2 Pyramus und Thisbe Die Sage von Pyramus und Thisbe im 4. Buch der Metamorphosen ist eine der zahlreichen Digressionen Ovids aus der prinzipiell linearen Erzählung seines carmen perpetuum. Unbeeindruckt von dem sich ringsherum entwickelnden Bacchus-Kult tragen die Töchter des Minyas einander beim häuslichen Spinnen Geschichten vor, darunter die von Pyramus und Thisbe. Diese Episode gehört zu den rezeptionsgeschichtlich erfolgreichsten Sagen Ovids.35 Das liegt wohl nicht zuletzt an ihrer ohne gelehrte und intertextuelle Anspielungen auskommenden Vollständigkeit und der damit gegebenen Voraussetzungslosigkeit des Lektüreverständnisses, während mögliche Vorlagen völlig unbekannt sind, so dass man – zumindest in dieser Form – von einer Erfindung Ovids ausgehen kann. Seit dem christlichen Mittelalter ist sie bevorzugtes Objekt für ethischreligiöse Deutungen, auch in der bildenden Kunst (vgl. die drei Kapitelle im Basler Münster aus dem späten 12. Jahrhundert), worin Pyramus und Thisbe manchmal als positive exempla (z. B. für christliche Tugenden wie treue Ergebenheit), manchmal auch als Narren erscheinen. Eine solche moralische Lesart ist von Ovid gewissermaßen der ganzen Erzählung implementiert, ist dieses Mal doch weder von vorsätzlicher Täuschung noch erotischer Gewalt, auch nicht seitens der Götter (die aus der Erzählung ausgespart bleiben), die Rede. Wie solche ethisch-religiöse Deutungen über das Mittelalter in den Humanismus und die Frühe Neuzeit fortgeschrieben wurden, zeigt die in der Mitte des 16. Jahrhunderts entstandene, 1606 gedruckte Auslegung des Georg Sabinus (1508– 1560):36 Exemplum Pyrami ac Thisbes docet, qualem vitae exitum sortiantur, nempe tristem et infelicem, qui illicitos suos amores charitati parentum anteferunt. idque exemplum quo sit illustrius, ac iuvenum animis inculcetur, Poeta fabulam exornat tanta affectuum et figurarum suavitate, vix ut possit quicquam excogitari suavius. Inseri miserabiles querelas infelicium amantium, & crebras sermonis conversiones: nunc ad parietem, cum quo, perinde quasi intelligat, expostulant: nunc ad feras, a quibus alter optat afferri sibi interitum propter magnitudinem doloris ex alterius nece accepti: nunc ad parentes, a quibus officium sepeliendi flagitatur: nunc ad arborem, quam Thisbe alloquitur iam moritura, & precantur, ut perpetuo servet gemini monimenta doloris. Eiusmodi siquidem conversiones, praesertim ad res inanimes, sunt haud mediocre condimentum suavitatis, ac mirifice afficiunt animum lectoris.

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Vgl. Schmitt-von Mühlenfels (1972); Schmitzer (1992); Schmitzer (2001), 209–216; Barchiesi/Rosati (2007), 256–269; Klein (2008); Thimann (2005), 198. Scheible/Ebneth (2005), 320 f.

Ulrich Schmitzer Das Beispiel von Pyramus und Thisbe lehrt, welches Ende ihres Lebens denen zugeteilt ist, nämlich ein trauriges und unglückliches, die ihre unerlaubten Liebschaften der Zuneigung ihrer Eltern vorziehen. Und damit dieses Beispiel umso plastischer sei und sich in die Sinne der jungen Leute tief einfurche, schmückt der Dichter die Erzählung mit einer solchen Süße an Affekten und Figuren aus, dass man sich kaum etwas Süßeres denken könnte. Es sind die traurigen Klagen der unglücklichen Liebenden eingefügt und häufiger Umgang im Gespräch: nun an die Wand gerichtet, von der sie etwas fordern, als ob sie es verstünde, nun an die wilden Tiere, von denen der eine für sich den Tod erhofft wegen der Größe seines Schmerzes, die er durch den Tod der anderen erfahren hat, nun an die Eltern, von denen der Dienst des Begräbnisses gefordert wird, nun an den Baum, den Thisbe schon todgeweiht anredet und ihn bittet, dass er auf Dauer als Andenken an den doppelten Schmerz diene. Hinwendungen solcher Art besonders an unbelebte Dinge sind keine geringe Würze der Süße und ergreifen wunderbar das Herz des Lesers.

Sabinus betont über die moralische Botschaft hinaus das hohe Potential an emotionalen Situationen, die in der Tat für das sprachliche Register und sein Spektrum in dieser Erzählung bestimmend scheinen – von der sachlichen Einleitung bis zu den Klagemonologen und zum Tod von Pyramus und Thisbe reichend. Sie stellen für Übersetzer eine besondere Herausforderung dar, da hier die Gefahr der inadäquaten, auch lächerlichen Wiedergabe besonders groß ist. Letzteres Potential hat bekanntlich Shakespeare im Sommernachtstraum realisiert. Andererseits legt gerade die Nähe zu bühnenhaften, ja opernmäßigen Formen eine besondere Berücksichtigung der Affekte nahe. Weiter ist für die nachantike Sagenbehandlung typisch, dass Ovids carmen perpetuum nicht nur in Einzelepisoden unterhalb der Bücher aufgeteilt wird (das gibt es bis heute in Übersetzungseditionen oder Schulausgaben37), sondern dass sich auch innerhalb der Einzelsagen Unterkapitel finden, die auch jeweils eigene Deutungen mit bisweilen unterschiedlichen Akzenten erhalten. Ovid lässt seine (Binnen-)Erzählerin mit den folgenden Sätzen beginnen (zitiert nach der für das 18. Jahrhundert repräsentativen Ausgabe des Nikolaus Heinsius,38 hier im Druck von 1758): Pyramus et Thisbe, iuvenum pulcherrimus alter, altera, quas Oriens habuit, praelata puellis, contiguas tenuere domos: ubi dicitur altam coctilibus muris cixisse Semiramis urbem. notitiam primosque gradus vicinia fecit. tempore crevit amor. taedae quoque iure coissent; sed vetuere patres, quod non potuere vetare.39 37 38 39

Erstmals finde ich diese Unterteilung in den Narrationes fabularum Ovidianarum des Ps.-Lactantius Placidus aus dem frühen Mittelalter (abgedruckt bei Magnus 1914). Vgl. Reeve (1974), 133–166. Die syntaktische Struktur wird heute anders abgeteilt (erstmals sehe ich das im lateinischen Text so in: Bach, Metamorphoseon libri XV (1831); aber auch schon in den Übersetzungen von Rode und Voß wird so interpungiert, vgl. Magnus (1914) ad loc.: »distinxerunt […] JHV Voss et Gierig« [Leipzig 1804], wo es heißt: »Post patres posui interpunctionem maximam, quam vir doctus ap. Clark. ad Hom. Il. γ 39 et in alius Obersvatt. Miscel. Vol. II T. I p. 34 suasit.«): Der zweite Halbvers wird auf den folgenden Vers im Sinne einer vorweggenommenen Erläuterung bezogen, während bei Heinsius

Ovids Verwandlungen verteutscht Ex aequo captis ardebant mentibus ambo. conscius omnis abest; nutu signisque loquuntur, quoque magis tegitur, tectus magis aestuat ignis.

Die Namen der beiden Protagonisten stehen überschriftartig am Anfang. Die genauere Vorstellung erfolgt trotz des dichotomischen, Parallelität suggerierenden alter – altera mit syntaktischer, inhaltlich chiastischer Variation. Nach der Parenthese entfaltet Ovid ekphrastisch den lokalen Handlungsrahmen weiter, wobei sich der Blick von den Häusern auf die Stadt Babylon und ihre sagenhafte (dicitur) Gründung durch Semiramis weitet. Dann kehrt die Erzählerin zu den beiden Hauptpersonen zurück und zur Entwicklung ihrer persönlichen Beziehung bzw. der Retardierung durch die Eltern (ob »patres« pars pro toto für jeweils beide Elternteile steht – vgl. 4,155 »parentes« – oder für den bestimmenden männlichen Part, ist nicht klar zu entscheiden40), worin dann auch schon die Vorbedingung für die Katastrophe liegt, nämlich die Flucht vor dem Verbot der Eltern aus der Stadt, die Begegnung mit der Löwin und die wechselseitigen falschen Annahmen des Todes, aus denen sich der Selbstmord entwickelt. Markiert der Anfang der Erzählung Ovids Fähigkeit zur knappen, sachlichen Exposition des narrativen Rahmens, so sind die Reden der emotionale Kontrapunkt, da in den Worten sowohl des Pyramus als auch der Thisbe Verzweiflung, Schuldgefühl und Todeswunsch eine Einheit formen. Am Ende ist die Metamorphose des Maulbeerbaums vorbereitet (met. 4,105–127): Serius egressus vestigia vidit in alto pulvere certa ferae totoque expalluit ore Pyramus ut vero vestem quoque sanguine tinctam repperit, »una duos« inquit »nox perdet amantes, e quibus illa fuit longa dignissima vita; nostra nocens anima est. ego te, miseranda, peremi, in loca plena metus qui iussi nocte venires nec prior huc veni. nostrum divellite corpus et scelerata fero consumite viscera morsu, o quicumque sub hac habitatis rupe leones! sed timidi est optare necem.« velamina Thisbes tollit et ad pactae secum fert arboris umbram,

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und anderen älteren Editionen eine Art Sentenz geformt ist: »Sie verboten, was sie nicht verbieten konnten.« Doch steht das nicht im Einklang mit dem weiteren Verlauf der Erzählung, denn die Heirat bleibt ja tatsächlich untersagt. – Vgl. den Kommentar des Regius ad loc.: »Sed vetuere patres: fatue quidem hoc esse dictum videtur. Si enim vetuere: quo modo vetare simul et lepide est dictum. Vetuerent enim ne nuptiarum iure coirent: prohibere autem non potuerunt ne animis: affectuque copularentur.« – »Sed veture patres: Dies scheint freilich albern gesagt zu sein. Wenn sie nämlich verboten, dann ist zugleich witzig gesagt, wie sie verbieten wollten. Sie verboten nämlich, dass sie sich nach dem Recht der Ehe vereinten. Sie konnten aber nicht verbieten, dass sie das mit den Herzen taten und sich in Zuneigung verbanden.« Vgl. Scheller/Lünnemann (1807), s. v. pater: »patres, Eltern Ovid«; so auch der Kommentar von Gierig (1804) ad loc.: »patres possent esse omnino parentes, ut alibi fratres pro fratribus et sororibus, reges pro rege et regina […]« – »Väter kann auch insgesamt ›Eltern‹ heißen, wie anderwärts Brüder für Brüder und Schwestern, Könige für König und Königin […]«.

Ulrich Schmitzer utque dedit notae lacrimas, dedit oscula vesti, »accipe nunc« inquit »nostri quoque sanguinis haustus!« quoque erat accinctus, demisit in ilia ferrum, nec mora, ferventi moriens e vulnere traxit. ut iacuit resupinus humo, cruor emicat alte, non aliter quam cum vitiato fistula plumbo scinditur et tenui stridente foramine longas eiaculatur aquas atque ictibus aera rumpit. arborei fetus adspergine caedis in atram vertuntur faciem, madefactaque sanguine radix purpureo tinguit pendentia mora colore.

Diese Passage ist geprägt von zahlreichen Kontrasten: zum betont sachlichen Anfang, zwischen der hochemotionalen Rede des Pyramus und dem illusionszerstörenden technischen Gleichnis, das wiederum die Charakterentwicklung des Pyramus spiegelt. 1.3 Pygmalion41 Auch die Erzählung von Pygmalion scheint zumindest in der uns vorliegenden Form eine Erfindung Ovids zu sein. Ovid baut nicht auf ein Vorwissen seiner Leser, sondern erzählt ohne Anspielung auf Vorlagen und ohne damit verbundene Kürzungen, sondern vollständig und ausführlich.42 Die Pygmalion-Sage entwickelte sich vor allem in der Neuzeit zu einem Schlüsseltext für die Künstlerpersönlichkeit, die sogar totes Material zum Leben erwecken kann. Bei Ovid ist sie zunächst eingebunden in den Gesang des Orpheus, der mit der Ankündigung puerosque canamus / dilectos superis inconcessisque puellas / ignibus attonitas (met. 10,152–154) beginnt, also von Knabenliebe und perversen sexuellen Gelüsten künden will. Und in der Tat ist Ovids PygmalionErzählung über weite Strecken eine Variation auf Erzählungen, in denen Menschen sich in Skulpturen verliebten und diese Leidenschaft bis zur sexuellen Perversion führte (am berühmtesten ist die Anekdote über die Aphrodite von Knidos, etwa bei Ps.-Lukian, Erotes 15).43 Ovid unterstützt die sinnliche Dimension durch eine streckenweise deut41 42

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Vgl. Aurnhammer/Martin (2003); Feldherr (2010); James (2011); Stoichita (2011). Die intertextuelle Pointe der Pygmalion-Sage liegt in ihrem kontrafaktischen Bezug auf bekannte Künstleranekdoten und – wie in einer eigenen Studie gezeigt werden wird – auf Vergils DidoErzählung, nicht auf stoffliche Vorlagen. Für die christliche Kritik am antiken Heidentum ist dieser Aspekt natürlich besonders produktiv, vgl. Clemens von Alexandria, Protreptikos eis tous Hellenas 4,57, 3–5: Οὕτως ὁ Κύπριος ὁ Πυγμαλίων ἐκεῖνος ἐλεφαντίνου ἠράσθη ἀγάλματος∙ τὸ ἄγαλμα ᾿Αφροδίτης ἦν καὶ γυμνὴ ἦν∙ νικᾶται ὁ Κύπριος τῷ σχήματι καὶ συνέρχεται τῷ ἀγάλματι, καὶ οῦτο Φιλοστέφανος ἱστορεῖ∙ ᾿Αφροδίτη δὲ ἄλλη ἐν Κνίδῳ λίθος ἦν καὶ καλὴ ἦν, ἕτερος ἠράσθη ταύτης καὶ μίγνυται τῇ λίθῳ∙ Ποσίδιππος ἱστορεῖ, ὁ μὲν πρότερος ἐν τῷ περὶ Κύπρου, ὁ δὲ ἕτερος ἐν τῷ περὶ Κνίδου. Τοσοῦτον ἴσχυσεν ἀπατῆσαι τέχνη προαγωγὸς ἀνθρώποις ἐρωτικοῖς εἰς βάραθρον γενομένη. Δραστήριος μὲν ἡ δημιουργική, ἀλλ’ οὐχ οἵα τε ἀπατῆσαι λογικὸν οὐδὲ μὴν τοὺς κατὰ λόγον βεβιωκότας∙ ζωγραφίας μὲν γὰρ, δι’ ὁμοιότητα σκιαγραφίας περιστερᾶς, προσέπτησαν πελειάδες καὶ ἵπποις καλῶς γεγραμμέναις προσεχρεμέτισαν ἵπποι. ᾿Ερασθῆναι κόρην εἰκόνος λέγουσιν καὶ νέον καλὸν Κνιδίου ἀγάλματος, ἀλλ’ ἦσαν τῶν θεατῶν καὶ νέον καλὸν Κνιδίου ἀγάλματος, ἀλλ’ ἦσαν τῶν θεατῶν αἱ ὄψεις

Ovids Verwandlungen verteutscht

lich erotisch aufgeladene Sprache. Erst kurz bevor Pygmalion tatsächlich über sein eigenes Werk herfällt, wird Venus als eine Art von dea ex machina tätig, gibt der in der Antike namenlosen Statue (die seit dem 18. Jahrhundert, wohl seit Rousseau, den Namen Galat[h]ea trägt44) Leben und eröffnet damit den Weg zu einer glücklichen Mann-Frau-Beziehung auf Dauer. Selbst daraus konnte die christliche Nachantike einen moralischen Sinn gewinnen, wie im Ovidius moralizatus des Petrus Berchorius:45 Per istum factorem imaginum intelligo praedicatores qui animam sciunt sculpere: et pingere correctionibus et virtutibus: per istam puellam eburneam intelligo quamlibet sanctimonialem: quae eburnea dicitur pro eo quod casta frigida ponderosa et honesta esse dici-

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ἠπατημέναι ὑπὸ τῆς τέχνης. Οὐδὲ γὰρ ἂν θεᾷ τις συνεπλάκη, οὐδ’ ἂν νεκρᾷ τις συνετάφη, οὐδ’ ἂν ἠράσθη δαίμονος καὶ λίθου ἄνθρωπος σωφρονῶν. ῾Υμᾶς δὲ ἄλλῃ γοητείᾳ ἀπατᾷ ἡ τέχνη, εἰ καὶ μὴ ἐπὶ τὸ ἐρᾶν προσάγουσα, ἀλλ’ ἐπὶ τὸ τιμᾶν καὶ προσκυνεῖν τά τε ἀγάλματα καὶ τὰς γραφάς. (»So verliebte sich jener Pygmalion von Kypros in eine elfenbeinerne Statue; die Statue war ein Bild der Aphrodite und war nackt. Der Kyprier wird von der schönen Form überwältigt und umarmt die Statue, und das erzählt Philostephanos. Eine andere Aphrodite in Knidos war aus Marmor und war schön; ein anderer verliebte sich in sie und vermählt sich mit ihr; Poseidippos erzählt es, der erstere in dem Buch über Kypros, der andere in dem über Knidos. In solchem Maß vermochte Kunst zu täuschen, dass sie lüsternen Menschen Verführerin zum Abgrund wurde. Mächtige Wirkung hat die bildende Kunst, aber sie ist nicht imstande, ein vernünftiges Wesen oder gar solche zu täuschen, die vernunftgemäß gelebt haben. Zwar flogen wegen der Ähnlichkeit der Malerei zu gemalten Tauben andere Tauben hinzu, und schön gemalten Stuten wieherten Hengste zu. Ein Mädchen soll sich in ein Gemälde und ein schöner Jüngling in eine Knidische Statue verliebt haben, aber nur die Augen der Betrachtenden waren von dem Kunstwerk getäuscht. Denn kein vernünftiger Mensch hätte eine Göttin umarmt oder sich mit einer Toten zusammen begraben lassen oder hätte sich in eine Gottheit oder in einen Stein verliebt. Euch aber berückt mit einem anderen Zauber die Kunst, die euch, wenn sie euch auch nicht zum Verlieben verführt, doch dazu bringt, daß ihr die Statuen und die Gemälde verehrt und anbetet.« – Übers. O. Stählin). Arnobius, adversus nationes 6,22: »Philostephanus in Cypriacis auctor est, Pygmalionem regem Cypri simulacrum Veneris, quod sanctitatis apud Cyprios et religionis habebatur antiquae, adamasse ut feminam mente anima lumine rationis iudicioque caecatis solitumque dementem, tamquam si uxoria res esset, sublevato in lectulum numine copularier amplexibus atque ore resque alias agere libidinis vacuae imaginatione frustrabiles. Consimili ratione Posidippus in eo libro, quem scriptum super Cnido indicat superque rebus eius, adulescentem haud ignobilem memorat – sed vocabulum eius obscurat – correptum amoribus Veneris, propter quam Cnidus in nomine est, amatorias et ipsum miscuisse lascivias cum eiusdem numinis signo genialibus usum toris et voluptatum consequentium finibus.« (»Philostephanus berichtet in den Kyprien, dass der König von Zypern, Pygmalion, sich in ein Bild der Venus, das bei den Kypriern im Ruf der heilig und von alters her ehrfürchtig behandelt wurde, wie in eine Frau verliebt habe, so dass sein Sinn, seine Seele, sein Scharfsinn und sein Urteilsvermögen erblindeten. Er war in seinem üblichen Verhalten so verblendet, dass er – gerade als wäre es seine Ehefrau – die Gottheit auf sein Bett legte und sich mit ihr unter Umarmungen vereinte und mit dem Mund andere Dinge nichtiger Leidenschaft beging, getäuscht von seiner Einbildung. Auf ähnliche Weise erwähnt Posidippus in dem Buch, das den Titel ›Über Knidos‹ trägt, einen vornehmen jungen Mann – verschweigt aber dessen Namen – , der von der Liebesleidenschaft zu Venus ergriffen worden sei, wegen der Knidos im Ruhm steht, und dass er selbst erotische Ausgelassenheiten mit ihr ausgetauscht habe, wobei er das Bild der Gottheit auf das Ehebett legte und das Ende der folgenden Vergnügungen erreichte.«) Bömer (1980), 96 f. Bersuire (1979), fol. LXXV R.

Ulrich Schmitzer tur. Sed saepe contingit quod aliquis bonus pigmaleon id est aliquis bonus religiosus proponit perpetuo nec mulierem nec carnales amplexus appetere et talis convertit se ad imagines eburneas faciendas id est ad benignas sanctimoniales: et matronas in castitate et sanctitate informandas: et in moribus spiritualibus sculpendas: et accidit quod quandoque unam inter caeteras sibi eligit quam sororem vel filiam dicit et eam bono ac casto animo et amore associat et tangit. In diesem Verfertiger von Bildern erkenne ich die Prediger, die die Seele zu formen wissen und durch Berichtigungen und Tugenden malen. In diesem elfenbeinernen Mädchen erkenne ich irgendeine Gottesfürchtige: Sie wird elfenbeinern deshalb genannt, weil man sagt, sie sei keusch, nicht heißblütig noch leichtlebig und vielmehr ehrbar. Aber oft kommt es vor, dass irgendein guter Pygmalion, d. h. irgendein guter und frommer Mann sich vornimmt, auf Dauer weder eine Frau noch fleischliche Umarmungen zu erstreben und sich so dazu wendet, elfenbeinerne Bildwerke zu schaffen, das heißt gutgesinnte und gottesfürchtige Wesen und Ehefrauen, die in Keuschheit und untadeliger Sittlichkeit auszubilden sind und in den geistlichen Wesenzügen zu schaffen sind. Und es kommt dazu, dass er irgendwann einmal sich eine unter den übrigen auswählt, die er Schwester oder Tochter nennt und sie mit gutem und reinem Geist und Liebe sich verbindet und berührt.

Diese positive Einschätzung von Pygmalions Handeln bleibt auch nach der Wende zum Humanismus und der Reduktion der Allegorisierung bestehen, wie sich in den folgenden Kapiteln anhand der Fassungen von Lorichius bei Wickram, verbunden mit dem Kommentar des Lorichius (1545) und Spreng (1564), zeigen wird. Für die Analyse wird die Passage ausgewählt, in der der Erzähler46 in letzter Sekunde von der auf den Statuenfrevel hinzielenden Erzählrichtung abbiegt. Durch das Auftreten der dea ex machina Venus und ihr Wunder mündet das Geschen in ein happy end mit einer gegenüber der üblichen Verwandlungsrichtung umgekehrten Metamorphose: Aus dem Stein wird ein Mensch (met. 10, 280–297): ut rediit, simulacra suae petit ille puellae incumbensque toro dedit oscula: visa tepere est; admovet os iterum, manibus quoque pectora temptat: temptatum mollescit ebur positoque rigore subsidit digitis ceditque, ut Hymettia sole cera remollescit tractataque pollice multas flectitur in facies ipsoque fit utilis usu. dum stupet et dubie gaudet fallique veretur, rursus amans rursusque manu sua vota retractat. corpus erat! saliunt temptatae pollice venae. tum vero Paphius plenissima concipit heros verba, quibus Veneri grates agat, oraque tandem ore suo non falsa premit, dataque oscula virgo

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Der innerepische Erzähler ist Orpheus, der den gesamten zweiten Teil des 10. Buches dominiert, rezeptionsgeschichtlich blieb aber diese narrative Arbeitsteilung zwischen den verschiedenen Erzählinstanzen in den Metamorphosen folgenlos.

Ovids Verwandlungen verteutscht sensit et erubuit timidumque ad lumina lumen attollens pariter cum caelo vidit amantem. coniugio, quod fecit, adest dea […]

2. Metamorphosen-Übersetzungen vom Mittelalter bis zum Ende des 18. Jahrhunderts 2.1 Auf dem Weg zu einem deutschen Ovid. Übersetzerische Anverwandlungen der Metamorphosen vom Mittelalter bis zum Barock Mag auch die Gelehrten- und Kirchensprache des Mittelalters selbstverständlich das Lateinische gewesen sein, so stellte sich schon früh die Frage nach Möglichkeiten der Vermittlung lateinischer Texte für ein volkssprachliches Publikum, am drängendsten natürlich im sakralen Raum, wie die althochdeutsche Übersetzung der Evangelienharmonie des Tatian (830) zeigt. Nicht selten spielte auch der romanische Sprach- und Kulturraum eine wichtige vermittelnde Rolle, so für die Aeneis. Die Metamorphosen nahmen dagegen einen besonderen Weg. 2.1.1 Albrecht von Halberstadt (ca. 1180–nach 1251)47 Die Geschichte der deutschsprachigen Ovid-Übersetzungen beginnt schon im Hohen Mittelalter,48 mit Albrecht von Halberstadt, der um 1200 die Metamorphosen in mittelhochdeutsche Verse brachte. Er tat das am Hofe des Hermann von Thüringen, an einem der führenden kulturellen Zentren dieser Zeit.49 Auch wenn über die näheren Umstände der Entstehung dieses höfischen Unternehmens nichts bekannt ist (weder sind Selbstaussagen noch zeitgenössische Testimonien erhalten), so ist doch festzuhalten, dass es sich um eine der frühesten Übersetzungen eines lateinischen Poesietextes ins Deutsche handelt, früher selbst als der Werke Vergils. Die Gründe für diese Bevorzugung liegen mangels externer Zeugnisse im Dunkeln, dürften aber zumindest zu einem erheblichen Teil der generellen Hochschätzung Ovids (vgl. etwa die Carmina Burana) und auch seiner Rolle als Schulautor50 geschuldet sein. Während der ebenfalls in dieser Zeit am Thüringer Hof entstandene Eneasroman des Heinrich von Veldeke auf die französische Vorlage des Roman d’Énéas zurückgreift und kaum direkt auf Vergil, scheint sich Albrecht unmittelbar Ovid zugewandt zu haben. Albrecht adaptiert die Metamorphosen an die durch den Minnesang und die Ependichtung ausgebildete mittelhochdeutsche Dichtersprache. Dabei werden die 47 48 49 50

Vgl. Rosenfeld (1953), 178: »die erste ohne französ. Zwischenschritte gemachte Übersetzung aus der klassischen Antike«. Vgl. Hexter (2007), bes. 1319–1320; Schmitzer (2010), 566 f. Vgl. Peters (2004); Frölich (2007) (zu Albrecht nur sehr am Rande); Stackmann (1997), 34–36. Vgl. zuletzt Gatti (2014), 53–85.

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heidnischen Mythen für den Zeitgeschmack entschärft51 und in ein christliches Ambiente überführt. Von den ca. 2000 mittelhochdeutschen Versen sind allerdings nur noch ca. 780 Verse erhalten,52 so etwa aus der Sage von Tereus, Philomela und Procne.53 Der Beginn der Bitte, die Procne an ihren Ehemann, den König Tereus, richtet und mit der sie ihre Schwester aus Athen zum Besuch nach Thrakien kommen lassen will, lautet im lateinischen Original (met. 6,440 ff.): »cum blandita viro Procne si gratia« dixit »ulla mea est, vel me visendae mitte sorori, vel soror huc veniat.«

Albrecht formt daraus einen nach Vers- und Wortzahl deutlich längeren Text:54 Diu ]vrowe irem manne ob] ich etteswanne Ju v]Iiz in hulden icht getete, vo]lgt herre, miner bete. Lat ]mich varen über se, vf ] daz daz ich gese Den] vater vnde die swester min. ma]ch des aber nicht sin, Diu] swester kome zu mir here.

Natürlich handelt es sich nicht um eine Übersetzung im neuzeitlichen Sinne, sondern um eine zeitgemäße Paraphrase bzw. Umdichtung, die die Inhalte Ovids in die mittelhochdeutsche Dichtersprache einkleidet.55 Damit naturnotwendig verbunden ist die Aufgabe von wesentlichen Charakteristika von Ovids Erzählung, nicht nur des klassischen Hexameters, sondern der gesamten poetischen Diktion nebst auch der mythologischen Einkleidung (das wurde gewiss nicht als tatsächlicher Verlust empfunden, sondern als Zugewinn an Qualität). Die in den Metamorphosen vom epischen Erzähler gestaltete Erläuterung von Procnes schmeichelndem Ton ist bei Albrecht in die Rede integriert und Ovids gezielte brevitas zugunsten der Explizitheit aufgegeben.56 Damit 51

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Vgl. Frölich (2007), 42: »Die Vorstellung von der Abgötterei der Heiden wirkte sich auf die Rezeption antiker Stoffe aus: Albrecht von Halberstadt in seiner Übersetzung von Ovids ›Metamorphosen‹ und Herbort von Fritzlar in seinem ›Liet von Troye‹ distanzieren sich ausdrücklich von den heidnischen Göttern.« Vgl. Klein (2008); Rücker (1997), 29–91; auch Runge (1908). Der thrakische König Tereus heiratet die athenische Königstochter Procne. Als diese Sehnsucht nach ihrer Schwester Philomela verspürt, bringt Tereus sie nach Thrakien, vergeht sich aber an ihr, schneidet ihr, um sein Verbrechen zu verschleiern, die Zunge heraus und hält sie gefangen. Philomela gelingt es, einen Bildteppich zu ihrer Schwester zu schmuggeln, die sie dann befreit. Gemeinsam planen sie Rache: Sie töten den Sohn des Tereus, Itys, und setzen ihn seinen Vater zum Mahl vor, der diese grausige Gabe zu spät bemerkt und seinen eigenen Sohn verschlingt. Tereus wird in einen Wiedehopf, Procne in eine Schwalbe, Philomela in eine Nachtigall verwandelt. Vgl. dazu Behmenburg (2009), 141–186, mit Hinweis auf Bräuer (1990). Vgl. Poiss et al. (in diesem Band), § 9 (modernisierend-assimilierende Übersetzung: der Ausgangstext wird in die Welt der Zielkultur übertragen); vgl. auch Botley (2007) und Müller (2007). Ausführlich dazu Klein (2008).

Ovids Verwandlungen verteutscht

zeigt sich schon am Beginn der Übersetzungsgeschichte der Metamorphosen eine Tendenz, die einen Großteil der späteren Umsetzungen fundamental prägen wird. Trotz ihrer Modernität ist Albrechts Übersetzung isoliert geblieben.57 Es gibt offenbar weder zeitgenössische Rezeptionszeugnisse noch weitere Versuche solcher Übersetzungen. Das steht im Gegensatz zu Entwicklungen in den romanischsprachigen Ländern, zu Frankreich und Italien (und partiell auch zu England58), wo am Ende des Mittelalters volkssprachliche Nachdichtungen und Kommentierungen59 in beträchtlicher Zahl entstehen. 2.1.2 Jörg Wickram (ca. 1505–1562) Diese Situation änderte sich mit dem Beginn des 16. Jahrhunderts, mit der medialen Revolution des Buchdrucks.60 Dieser hatte nicht nur seit der editio princeps (Bologna 1471)61 die Verbreitung der originalen, kommentierten oder unkommentierten Metamorphosen in ungeahnter Weise befördert. Es existierte jetzt auch die kommunikative Basis für die Distribution der Übersetzungen (so etwa der italienischen Übersetzung Venedig 1497), die nun nicht mehr nur, wie die Albrechts, in wenigen, stets von Verlust gefährdeten Handschriften vorlagen. Mit dem Kommentar des Raphael Regius (zuerst Venedig 1493),62 der schon zwei Jahrzehnte nach dem Erstdruck in einer Auflage von kaum glaublichen 50 000 Exemplaren63 verbreitet war, kehrte die humanistische Nüchternheit und Wortorientierung auch in die Ovid-Deutung ein, ohne dass die früheren allegorisierenden Formen (wie im Ovidius moralizatus) damit ganz eliminiert worden wären – diese existierten vielmehr komplementär weiter. Die nun selbstverständlich auf Latein geführten gelehrten Auseinandersetzungen ließen die europäische scholarly community ohne nationale Unterschiede diskriminierungsfrei teilhaben. Auch auf der Ebene der nationalsprachlich geführten Diskurse, die bisweilen sogar regional definiert waren, wurde Ovid nun neue Aufmerksamkeit zuteil. Im deutschsprachigen Raum sieht das 16. Jahrhundert eine beträchtliche Zahl von volkssprach-

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Vgl. Rosenfeld (1953), 177 f. – Gescheitert ist der Versuch von Bartsch (1861), aus der Bearbeitung Wickrams die gesamte Fassung Albrechts zu re-konstruieren. Siehe prinzipiell Rücker (1997). Schmitzer (2010), 565–567. Schmitzer (2010), 565 f. Zum weiteren übersetzungs- und geistesgeschichtlichen Rahmen siehe Giesecke (1991) sowie Müller (2007); außerdem Möckel (2007). – Die erste gedruckte Ovid-Übersetzung überhaupt – eher eine Paraphrase – galt den liebesdidaktischen Elegien: Capellanus/Hartlieb (1482); vgl. Rössig (1997), Nr. 19; der dem gedruckten Buch zugrundeliegende Text selbst war schon gut 50 Jahre älter. Vgl. Guthmüller (1997). Guthmüller (1975) und vor allem Benedetti (2008) mit ausführlichen Hinweisen zur Text- und Editionsgeschichte. Guthmüller (1997), 59.

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lichen Umsetzungen, die vor allem aus dem Umfeld des Meistersanges stammen.64 Diese Meistersinger führten sich auf die Handwerkstradition zurück und verorteten sich dezidiert im städtischen Milieu. Das besagt aber a priori wenig über ihren tatsächlichen Bildungsgrad (so waren unter ihnen Juristen oder städtische Amtsträger), war doch in den großen Städten das Schulwesen auch unterhalb des akademischen Niveaus auf einer beachtlichen Höhe angesiedelt. Der bekannteste und früheste Vertreter der so verorteten MetamorphosenÜbersetzer ist Jörg Wickram aus Colmar. Er brachte es trotz zwar patrizischer, aber unehelicher Herkunft (wodurch ihm ein höherer Bildungsgang verwehrt blieb) immerhin zum Stadtschreiber im elsässischen Burgheim und hinterließ ein umfangreiches schriftstellerisches Werk.65 Er hatte auf nicht näher bekannte Art von Albrechts Übersetzung Kenntnis erlangt66 und modernisierte sie 1545 nach Erfordernissen seiner Zeit, wie ausdrücklich in der Vorrede festgehalten ist. Auch nach gut 350 Jahren sieht er erstaunlicherweise keine Notwendigkeit zu einem völligen Neueinsatz, wie er unter den Rahmenbedingungen des städtischen Humanismus erwartbar gewesen wäre, vielmehr ist ihm der nicht nur deklaratorische Anschluss an die vorliegende Tradition wichtiger als Originalität – so wichtig, dass er sogar die Vorrede Albrechts mit ihrer Adresse an den Landgrafen Hermann bewahrt. Diese Betonung der Kontinuität, die den Autor weiterer legitimatorischer Zwänge enthebt, ist für das gewählte Verfahren wohl eher ausschlaggebend als der im Gestus der topischen Bescheidenheit vorgetragene Mangel an Lateinkenntnissen.67 Die oben für Albrecht zitierte Passage liest sich in der Diktion des 16. Jahrhunderts folgendermaßen:68 Progne irn man batt hertzlich sehr Er sollt sie lossen uber Meer Zù ihrer schwester Philomelam Dann sie ihr entlich solchs furnam Das sie wollt jren vatter sehen Wo das jr man wolt lossen bschehen So aber solchs je nit mag sein

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Zum sozialen Status und Bildungsgrad der Meistersinger siehe (anhand von Nürnberg) Kugler (1977), 20–39; vgl. auch schon mit Blick auf Augsburg Pfeiffer (1919), 1–32. Vgl. M. E. Müller/Mecklenburg (2007), darin generell vor allem den Beitrag von Jan-Dirk Müller, 21– 40. In Straßburg ist im 16. und 17. Jahrhundert eine Handschrift bezeugt: vgl. Bartsch (1861), CXXXIII. Nach Lübben (1865) war wohl auch eine Abschrift im 16. Jahrhundert in der gräflich-oldenburgischen Bibliothek vorhanden, also außerhalb des süd- und mitteldeutschen Raumes. Ob das tatsächlich auf mangelnde Kenntnis des Lateinischen zurückzuführen ist (so z. B. scharf urteilend Erich Schmidt [1897]) ist eine andere Frage; differenzierter dazu Rücker (1997), 116–121, die darauf hinweist, dass in einer Reihe von Fällen Wickrams Abweichungen von Albrecht näher an Ovids Text führen. Vgl. zu den Unterschieden zwischen Albrecht und Wickram (der stärker moralische Kategorien einführt) Behmenburg (2007) und (2009), 141–186.

Ovids Verwandlungen verteutscht So bitt ich Koenig und Herre mein Bringt mir mein Schwester zù mir her […]69

Neu gegenüber Albrecht ist, dass Wickram den Text Ovids nicht für sich allein stehen lässt, sondern – vielleicht nicht zuletzt aufgrund der konfessionell angespannten Atmosphäre in der Entstehungszeit – sich gegen mögliche Anstöße am heidnischen Kern des Textes absichert: Wie der »gelehrte« Ovid durch gelehrte lateinische Kommentare bereichert wurde, so fügt Wickram seinem Übersetzungstext die deutschsprachige Auslegung des scharf antireformatorisch ausgerichteten Theologen Gerhard Lorichius bei:70 Wie nun dieser Tereus seyn eygen schwägerin und haußfrauwe geschendt hat / muß er nun inn seinem eygenem quadt (sc. Kot) sitzen. Die Glosa uber den Leuiticum sagt: Upupa est lugubris avis, luctum amans. Das ist / der Widhopff ist eyn leyd vogel / ist gerne wo leydt und jamer ist. Schickt sich wol auff alle ketzer / so gemeyniglich nichts stifften dann jammer und leydt. Jsidorus sagt er neste gern inn todten grebern und mit menschen quadt. Er hat noch heut zu tag sein Königlich Kron auff seinem haupt.

Damit formt die christliche Ovid-Auslegung, die eine lange mittelalterliche Tradition hat,71 einen neuen Text, der die Namen und Sagen der antiken Mythologie in ein christlich-humanistisches Bedeutungsraster einfügt. Diese Inanspruchnahme ist zwar nicht mehr so willkürlich und geradezu gewaltsam wie im Mittelalter, im Ovidius moralizatus etwa, sie geht dennoch von der These einer intentionalen Vereinbarkeit der Metamorphosen mit dem (postreformatorischen) Christentum aus, von der sich der wissenschaftliche Humanismus, z. B. der Kommentar des Regius, gerade zu entfernen suchte. Der nach Episoden gegliederte Text erhält so einen dreistufigen Aufbau: die leserlenkende Überschrift, die deutsche Wiedergabe und schließlich die religiös-moralische Nutzanwendung, wobei keine direkte Wechselwirkung v. a. zwischen der zweiten und der dritten Stufe feststellbar ist, vielmehr eine additive Zusammenstellung vorliegt.72 Aber die Metamorphosen Wickrams machen Ovid nicht nur erbaulich, sie weisen ihm auch eine konkrete Nutzanwendung zu, die aus dem vollständigen Titel des Werks deutlich hervor geht: P. Ovidii Nasonis, des aller sinnreichsten Poeten Metamorphosis. Das ist von der wunderbarlicher Verenderung der Gestalten der Menschen, Thier, und andere Creaturen etc. Jederman lüstlich, besonder aber allen Malern, Bildthauwern, und dergleichen allen künstnern nützlich, von wegen der ertigen Invention und Tichtung. Etwan durch den Wolgelerten M. Albrechten von Halberstat in Reime weiß verteutscht. Jetz erstlich gebessert und mit Figuren der Fabeln gezirt durch Georg Wickram zu Colmar etc. EPIMYTHIUM. 69

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Hier und im Folgenden sind die Texte möglichst den Originaldrucken getreu wiedergegeben (mitsamt allen Eigenheiten der Graphie und Zeichensetzung und der nicht immer gegebenen Konsistenz der Rechtschreibung), lediglich bei der Darstellung der Umlaute sind dem mimetischen Prinzip Grenzen gesetzt, da die vorhandenen Zeichensätze kein kleines e über dem a, o oder u erlauben, weshalb in diesen Fällen auf die modernen Umlaute ausgewichen wird. Vgl. Stackmann (1967) und (1997), 36–41; Rücker (1997), 277–322; Schmitt (2008). Schmitzer (2010), 564 f. Bisweilen, so bei Spreng (s. u. S. 137), steht vor der deutschen Fassung noch eine kurze versifizierte Zusammenfassung des Inhalts.

Ulrich Schmitzer Das ist, Der lüstigen Fabeln des obgemelts buchs Auslegung, jederman kurzweilig, vornemlich aber allen liebhabern der Edeln Poesie stadtlich zu lesen Gerhardi Lorichii Hadamarii (Mainz 1545).

Natürlich war Ovid schon lange vorher zu einer Inspirationsquelle für Künstler geworden – man denke nur an Sandro Botticellis Primavera (um 1480; Florenz, Uffizien), deren Ovid-Bezug durch Aby Warburgs Deutung73 Wissenschaftsgeschichte geschrieben hat. Aber auch die italienische Renaissance griff beileibe nicht immer auf den Originaltext, sondern auf deutende, teils paraphrasierende volkssprachliche Ausgaben zurück.74 Speziell in Italien hatten sich die volkssprachlichen Ausgaben der Metamorphosen in Form der metamorphoseos vulgare als umfassende mythologische Handbücher etabliert, in denen keineswegs auf philologische Genauigkeit geachtet wurde, sondern vom Autor gelassene scheinbare Lücken stillschweigend und selbstverständlich ergänzt wurden.75 Im Zeitalter des Humanismus erhalten auch die an einem handwerklichen Ideal orientierten Künstler, die Maler, Kupferstecher, Verfertiger von Holzstichen etc., Zugang zum antiken Wissensreservoir, indem Übersetzer wie Wickram76 (und Spreng) das notwendige Material bereit stellen.77 In welche Richtung man das noch weiter treiben und die Anleitung mit der Praxis verschränken konnte, zeigt sich deutlich in der 1563 (und erneut 1569) erschienenen Metamorphosen-Adaption Schöne Figuren auß dem fürtrefflichen Poeten Ovido, allen Malern, Goldschmieden und Bildhauwern zu nutz und mit Teutschen Reimen kürzlich erkleret des Johann Post von Germersheim ( Johannes Posthius):78 Zuerst gibt es dort eine jeweils gereimte Inhaltsangabe der wichtigsten Sagen der Metamorphosen, dann zu den so ausgewählten Sagen Illustrationen mit deutschen und lateinischen Versen.79 Ovids Text wird damit endgültig seiner spezifischen poetischen Form und Narrativität entkleidet und auf den plot reduziert, ist gerade dadurch aber als Basis für künstlerische Umsetzungen geeigneter.80 Wickrams Übersetzung81 geht nicht ganz so weit, sie lässt aber v. a. durch die Zwischenüberschriften und die Reimform transformatorisch einen neuen Ovid,82 einen Ovid des deutschen 16. Jahrhunderts entstehen:83 73 74 75 76 77 78 79

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Warburg (1893). Schmitzer (2008). Guthmüller (1975). Zu Wickrams eigenen Illustrationen siehe Schreurs (2007) und Rücker (1997), 248–267. Zur Bedeutung der Metamorphosen-Editionen für die Emblemkunst siehe Cappelletti (1997). Horn (1995); Thimann (2002); 154; Karrer (1993), 374. Karrer (1993), 378: In die 1581 erschienene Neuauflage (nachgedruckt 1609 und 1631) der Wickram’schen Bearbeitung wurden ohne ausdrückliche Nennung auch Posts Verse sowie Sprengs Fassung als Korrektiv und zur Füllung der vermeintlichen Lücken herangezogen. Zu Ausnahmen – etwa bei Pieter Brueghel – , in denen Bildern tatächlich der ovidische Wortlaut zugrunde liegt, vgl. Schmitzer (1989) und (1992), bes. 539–544, mit weiterer Literatur. Siehe prinzipiell Rücker (1997), 123–175. Dieser Befund steht in Einklang mit dem im SFB »Transformationen der Antike« entwickelten Konzept der »Allelopoiese«; vgl. Böhme et al. (2011), 11 u. ö. Dazu kurz Sieber (2007), 153 f.

Ovids Verwandlungen verteutscht Von der traurigen lieb Thisbe uñ Pyrami von jrer nechtlichç flucht und erbermlichen endt. Es hat gewohnt zu Babilon Eyn Jüngling auß der mossen schon Der hieß mit namen Pyramus Auch was eyn Junckfraw überaus An schön und junckfrelicher tuget Der gleich man nit fand irer juget Thisbe was der junckfrawen nam Ir schön die junckfrawen alsam Fürtraff in Babilon der statt Dise Thisbe ir wonung hatt Zu nechst an dem haus Pyrami Nichts dann ein wandt thet scheiden sie Cupido hat die zwey verwunt Mit seinem geschoss inn herzens grunt Die noch beywonung semlichs macht Doch ward auf sie mit fleiß geacht Von iren eltern beider seit Daß sie beide zu keiner zeit zu red noch gesprech nit mochten kummen Doch ward jr keim die lieb benummen Dann sie mit wincken und mit deuten Ir lieb übten zu allen zeiten So mehr man huot auff sie thet han Jhe mer in ihn die liebe bran.

Aus der präzisen lateinischen Erzählung wird eine Art von volkssprachlicher Ballade,84 eine Paraphrase in Versen, die die konventionellen Vorstellungen auch da ins Spiel bringt, wo sie von Ovid gar nicht gesucht sind, etwa in der Erklärung der wechselseitigen Liebe durch die Verwundung vom Pfeil des Amor/Cupido.85 Die in den Metamorphosen überschriftartig zusammengestellten Namen der beiden Liebenden werden von Wickram so separiert, dass Pyramus zunächst allein als Protagonist erscheint, während Thisbe demnach erst sekundär dazu träte. Thisbe ist entsprechend den Vorstellungen der Zeit nicht nur als schön, sondern auch als tugendhaft gerühmt, und damit von vornherein in einen spezifischen Wertekanon gerückt, während bei Ovid aus der äußerlichen Attraktivität und der zunächst erwartbar anmutenden Liebesgeschichte erst allmählich ein Lehrstück über Charakterstärke und deren Grenzen wird. Auch die sentenzartige Wendung quoque magis tegitur tectus magis aestuat ignis ist in ihrer Signifikanz entstellt, da die Aufsicht (wohl der Eltern), nicht das Verbergen seitens der Liebenden in den Focus gerückt ist.

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Vgl. Stackmann (1997), 31, über volksliedhafte mittelalterliche Rezeptionen der Metamorphosen (z. B. im »Abendgang«). Zur transformationstheoretischen Relevanz dieser Veränderungen vgl. Böhme et al. (2011), 48 (Transformationstyp der Assimilation).

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Während Pyramus und Thisbe notgedrungen nur eine keusche Beziehung haben,86 ist die Pygmalion-Sage von manifester, gerade noch in unanstößige Bahnen gelenkter Begierde ihres Protagonisten geprägt. Eine Grundentscheidung, vor der alle Übersetzer dieser Passage stehen, besteht darin, wie weit man es wagen kann, Ovids erotische Sprache ins Deutsche zu bringen, oder ob man sich auf den als moralisch eruierten Kern zurückzieht. Wickrams Position in dieser impliziten querelle ist deutlich: Von dannen gieng Pygmalion Und wie er vor dik was gewon Zu knien vor das schloffbet sein Und küßt sein geschnites schons bülin Welchs do nacket an seim bett lag Sein mundt vernemend als ich sag Pygmalionem jetz bedeucht Wie er ganz warm wer / dazu feucht Aber und aber er sie kußt Und legt sein handt uff ihre brust Do daucht ihn wie das fleisch wer zart Und wich den henden ganz verwart Pygmalion forcht noch das wunder Und frewet sich danoch darunder Wiewol er trawet der geschicht Noch genzlich an ir selber nicht So lang biß er das mit den henden Begreiffen thet an allen enden Umb das herz und an den armen Befand er das es fast thet warmen Darzu hats eyn weichen leichnam Die adern klopfften alle sam Zustundt begundt er sunder wohn Der Goettin Venus danken schon Er kust freuntlich seins bulins mundt An welchem kein bedzug mehr stundt Die magt zu stundt auch do empfandt Des küssens und blickt uff zuhandt Sie sach jren Bulen freuntlich ahn Der hernach wardt jr ehlich man Venus ihn selb die Bretlauff hielt Pygmalion sehr groß freid wielt

Wickram scheut sich nicht, Ovids Erotik in die eigenen Verse zu überführen. Pygmalions Fühlen und Tasten, das Küssen schließlich sind unverkürzt erhalten. Bemerkenswert ist, wie Wickram der puella gegen Ende selbst eine aktive Rolle zuschreibt, während sie bei Ovid – selbst lebendig geworden – stets nur Objekt bleibt.

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Zum Ehediskurs bei Wickram siehe auch Sieber (2007), 149.

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Lorichius bestätigt in seinem Kommentar mit ausführlicher Erörterung die in der Metamorphosen-Handlung enthaltenen Maximen des Neuen Testaments: Es ist für den Menschen besser, die Ehe zu suchen, als in ständiger sexueller Not zu leben. Durch Gottes Gnade findet der Mensch also zu einem ihm zuträglichen Leben.87 2.1.3 Ambrosius Metzger (1573–1632)88 Auch der Nürnberger Ambrosius Metzger gehört in das Milieu der Meistersinger. Nach dem Besuch der Nürnberger Lateinschule zu St. Sebald (wo er sich auch am Griechischen versuchte) und der als Magister abgeschlossenen theologischen Ausbildung an der Altdorfer Akademie wirkte er bis zu seinem Tod als Lehrer an der Lateinschule zu St. Egidien in Nürnberg, allerdings als schlecht bezahlter infimus und in einem Umfeld, das das Niveau ihrer Gründung durch Philipp Melanchthon nicht hatte bewahren können. Dennoch besaß er dadurch die Fähigkeit, sich Ovid im lateinischen Original anzueignen.89 Wie in vormodernen Anverwandlungen gebräuchlich, fehlt auch bei Metzger eine Umsetzung des Proömiums. Die eigentlichen Sagen sind nun, anders als bei Wickram und auch Spreng, dezidiert in die Form des Meistergesangs gegossen, z. B.:90 Folget das virtte Buch Ovidij von verEndrung Der Gestalten. Erstlich von der traurigen Lieb Thißbe vnd pyrami, von ihrer Nächtlichen Flucht vnd erbärmlichen Ende Jn Orphei sehnlichen Klagweiß M. Metzgeri 1 Als P y ra mum th i ß b e thet liben, vnd er hin wiederum von gleicher lieb getriebn gegen th i ß b en der Jungfraw ward, (doch nicht konden zu sammen kommen, weil ihr Eltren waren dar wider hart, nach dem Sie beeder liebes Brunst vernommen,) bei Ninj grab, am wald gelegen, 87 88

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Vgl. Rücker (1997), 312–315, über die rigiden Ehe- und Moralvorstellungen des Lorichius. Grundlegend immer noch Kugler (1977) zusammen mit seiner Edition Metzgers (1981); vgl. Rupprich/de Boor/Newald (1973), 267: »Noch im Barock versifizierte und vertonte Ambrosius Metzger Ovids ›Metamorphosen‹ nach Wickrams Bearbeitung des Albrecht von Halberstadt in 155 ›Liedern‹.« Zur Biographie Kugler (1977), 40–42. Text nach Metzger (1981).

Ulrich Schmitzer beschloßen Sie vorab, da hin sich zu bewegen bey kommenter morgen tags zeit.

Metzgers Fassung entfernt sich deutlich weiter als diejenigen seiner Meistersingerkollegen Wickram und Spreng von Ovids originaler Gestaltung, die epischen Metamorphosen sind nun in ein genuines Meistersingerlied transformiert. Die Beziehung zur Vorlage ist auf das Stoffliche reduziert, sogar der Handlungsort Babylon fehlt, ebenso die Rahmenerzählung von den Minyaden. Damit schließt sich Metzger eng an seinen Nürnberger Vorgänger an, den Erzmeistersinger Hans Sachs, den »Schuh- / Macher und Poet dazu«, der sich in sehr freier Weise antiker Stoffe, auch ovidischer, bediente.91 Sachs’ Bibliothek, deren Katalog erhalten ist,92 umfasst sowohl lateinische Texte als auch Übersetzungen. Nach dem Erscheinen von Wickrams Version wurde diese seine Hauptquelle, was zum einen zeigt, welche Bedürfnisse Wickram befriedigte, und zum anderen die kulturellen Querverbindungen zwischen den Zentren des Meistersanges belegt. Allerdings erhebt Hans Sachs nicht den Anspruch, die gesamten Metamorphosen zu umfassen, sondern bedient sich daraus selektiv, während Metzger das ganze Corpus im Blick hat. Dennoch ist deutlich zu sehen, wie Metzger in der durch Sachs gesetzten spezifisch Nürnberger Gattungstradition steht: Es wird hieran besonders deutlich, dass übersetzerische Kontinuitäten und Übersetzernetzwerke beinahe ebenso wichtig sind wie die Kenntnis der originalsprachlichen Vorlagen, die gerade in vormoderner Zeit des öfteren vernachlässigbar erschien.93 Hartmut Kugler hat in seiner Grundlagenstudie u. a. die Gestaltung des Pygmalion-Stoffes durch Metzger analysiert.94 Er weist darauf hin, dass genau in der Mitte der 48 Verse Metzgers Pygmalion von »liebs Brunst« zu seiner Statue ergriffen wird (und sich danach die erotische Sprache deutlich wandelt), dass der Autor also die Komposition genau kalkuliert habe.95 Gegenüber der ausgeschmückten Fassung Wickrams mit ihren 115 (längeren) Versen ist hier »Raffung, Konzentration und Konstruktion« zu verzeichnen. Hinzu kommt ein bislang offenbar nicht gesehener Aspekt, der möglicherweise die Kompetenz Metzgers weiter unterstreicht. Sein Text beginnt folgendermaßen: In t y ro wohnt ein könig reich, Pi g ma l i on genennet. weil er keim weib trug lieb vnd gunst, wolt er Allein verbleiben.

Metzger rekurriert hier auf Vergils Aeneis, wo Pygmalion als Bruder der aus Tyrus stammenden Dido erscheint und selbst dort als König residiert. Metzger bringt also auch seine Kenntnis des Vergil in die Sagengestaltung ein (ein Vorbild dafür ist nicht zu 91 92 93 94 95

Heinzmann (2001), 169, mit weiterer Literatur; ausführlich Baro (2009); vgl. auch Holzberg (2013). Carlsohn (1960); vgl. Huber (2008), 81. Vgl. generell Poiss et al. (in diesem Band), § 10. Kugler (1977), 90–92. Vgl. auch Kugler (1977), 126, über die kompositionelle Nähe zum Holzschnitt des Virgil Solis mit der Pygmalion-Szene.

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erkennen) und beweist auf diese Weise, dass er mit den antiken Texten selbständig umgehen kann, nicht nur auf Vorlagen zur Weiterverarbeitung angewiesen ist.96 Ansonsten ist Metzgers Fassung parallel zur Verknappung auch von einer Reduktion der Perspektive geprägt. Denn die Statue, die im Prozess der Erkenntnis ihrer Menschwerdung und des Erwachens der Liebe bei Ovid ja selbst auch zu Aktivität kommt, ist perspektivisch bei Metzger völlig ausgeblendet, der Focus bleibt auf Pygmalion und Venus gerichtet. 2.1.4 Johann Baptist Spreng (1524–1601) Wie breit Ovid im Meistersängermilieu des 16. Jahrhunderts verankert war, zeigt weiter der Blick auf den Augsburger Meistersinger und Notar Johann Baptist Spreng.97 Seine Beschäftigung mit den Metamorphosen führte 1563 zunächst zu einer lateinischen Umsetzung mit Prosaparaphrase und einer in elegischen Distichen gehaltenen, ebenfalls lateinischen moralischen Auslegung, illustriert mit farbigen Holzschnitten98 des Virgil Solis.99 Sprengs Verleger Siegmund Feyerabend, auf dessen Initiative schon der lateinische Ovid zurückging, öffnete im folgenden Jahr den Weg für eine weitere Verwertung der Holzschnitte des Virgil Solis, indem er Spreng dazu anhielt, eine ebenfalls illustrierte deutsche Übersetzung der Metamorphosen (oder genauer: eine deutsche Umsetzung des lateinischen Ovid) zu erstellen (1564),100 und dabei den Metamorphosen aus eigenem Vermögen einen moralischen Sinn beifügte: Also hat auch der alt und hochberühmt Poet P. Ovidius Naso / seine fünfftzehen Buecher von den verenderungen der gestalten / on zweiffel zu keinem andern end und zil gerichtet / dann daß dardurch ehr / scham / und tugend bey menigklich gepflanzet / hergegen aber schand / laster / und allerley mutwillen (wiewol dise seine Lehr vil anderst im Buchstaben scheinet) außgereut und abgestelltet werde.

Durch diese Parallelität zweier Editionen desselben Autors in unterschiedlichen Sprachen, die in der Übersetzungsgeschichte der Metamorphosen singulär ist und die die ursprüngliche lateinische Edition nun auch in der Volkssprache zugänglich macht, können auch weniger gebildete Kreise davon profitieren, wie der Schluss des Titels demonstriert: […] darneben auch vilen Handwercksleuten / insonders den Goldschmiden / Malern / Formschneidern / Etzern / und andern kuenstreichen Meistern / der Figuren halben / dienlich / und zu jrer Handtierung befürderlich sein möchte.

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Zu den der Ovid-Tradition zugehörigen Quellen Metzgers siehe Kugler (1977), 148. Roethe (1893), 288–291; Pfeiffer (1919), 34–41. Zu solchen illustrierten Ausgaben und zum Verhältnis von Bild und Text siehe prinzipiell HuberRebenich (2001) und (2009). 99 Vgl. Pfeiffer (1919), 46–49, mit genauerer Würdigung und Hinweis auf eine zweite Ausgabe Paris 1583. 100 Pfeiffer (1919), 50.

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Die explizite moralische Belehrung wird durch die konkrete, beruflich spezifizierte Nutzanwendung ergänzt, die sich nicht zuletzt aus dem städtischen Meistersingermilieu ergibt, zu dem handwerklich orientierte Produzenten von bildlichen Darstellungen aller Art gehörten. Diese Anwendbarkeit betraf eben keineswegs nur die solitärhaften künstlerischen Eliten, sondern auch die alltägliche Lebenswelt.101 Dennoch ist Spreng durch seinen Bildungshintergrund ein übersetzungsgeschichtlicher Sonderfall im Rahmen der Meistersingertradition. Er absolvierte ein regelrechtes Studium (u. a. in Wittenberg bei Melanchthon). Auch später wirkte er hauptsächlich als Verfasser deutscher und lateinischer Dichtungen und als Übersetzer, sein Beruf als Notar in Augsburg schuf ihm dafür die nötige Basis. Er trat zuerst mit der genannten lateinischen Adaption der Metamorphosen hervor, die er auf Wunsch des Verlegers um die hier interessierende deutsche Fassung ergänzte. Aber auch u. a. Vergil und Homers Ilias102 transformierte er ins Deutsche. Trotz dieser Breite des Zugriffs fügt sich Spreng in die generellen Tendenzen und Erfordernisse der Frühen Neuzeit ein. Dazu gehört der doppelte Nützlichkeitsanspruch – als moralische Instanz und als künstlerisches Repertorium – sowie die Aufteilung der ovidischen Sagen in mehrere Episoden (hier: drei), die jeweils von einer Inhaltsbeschreibung in Prosa eingeleitet werden, worauf die Übertragung folgt, um dann von einer Auslegung abgeschlossen zu werden. Die Übertragung der hier zu behandelnden Stelle lautet folgendermaßen: Ein Juengling Pyramus genannt / Und Jungkfrauw Thysbe weit erkannt / Zwo Personen gleicher gestalt / Begabt mit schöne mannigfalt / Gegen den Orient so klar / Wirt nit funden ein solichs bar / Die zwey wohnten gar nach beysammen / Waren entzündt in liebes flammen / Die Häuser an einander stiessen/ Zusammen sich die zwey offt liessen / Cupido mit sein Pfeil und Bogen / Hett dises bar an sich gezogen / Und jre herzen starck verwundt / Die liebe wuchs auch alle stund / Und sie hetten zusammen sich / Verpflicht in ehren gütiglich / Wann nur die Elteren darneben / Hetten dareyn den willen geben / Aber sie haben jnen das / Hefftig verboten aller maß / Daher das Feuwer unergründt / Bey jnen mehr wurd angezündt.

101 Zu Sprengs eigenständigem Zugriff vgl. Pfeiffer (1919), 50 f. 102 Vgl. Pfeiffer (1919), 62–90.

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Trotz mancher Abweichung im Detail – etwa der engeren, sich dem Original annähernden Zusammenrückung von Pyramus und Thisbe, der Konzentration auf die optische Attraktivität etc. – , ist doch der Wickram und Spreng gemeinsame Duktus unverkennbar, der nicht als Problem empfundene Verzicht auf Textnähe (einschließlich der auslösenden Rolle Cupidos) oder Wörtlichkeit zugunsten der Integration in ein dem aktuellen Stand der deutschsprachigen Poesie entsprechendes Reimschema, das insbesondere durch den Meistergesang und die gegenüber dem lateinischen Hexameter wesentlich kürzeren Verszeilen von vornherein eine andere Verteilung des Gedankenganges im Vers generiert.103 Die Sagenerzählung mündet in die moralische Auslegung, die anders als in der sich allmählich entwickelnden ovidischen Erzählung (tempore crevit amor ist auch eine narratologische Botschaft) das unglückliche Ende explizit vorausnimmt und in eine Schuldzuweisung ummünzt:104 Die ungebuerlich liebe schon / Empfaht zu letzt ein boesen lohn / Bringt mit sich schaden / spot und schand / Zu loben ist der Ehelichstand / Den jren Kinden zu den tagen / Die Eltern nit sollen abschlagen / Sonst mehr ubels darauß entstaht / Und mercklicher grosser unraht / Gott den Ehestand eyngesetzt / Der Sathan die Ordnung verletzt.

Mit dieser exegetischen Ausweitung und den integralen Abbildungen wird die Episode zu einer Einheit geformt. Ovids Erzählung erhält eine charakteristische Veränderung in ihrer Ausrichtung, die sich auch in der Übertragung niederschlägt: Die Reaktion der Eltern, die bei Ovid mit größtmöglicher Sachlichkeit genannt ist (sed vetuere patres), ist von Spreng als übermäßig qualifiziert, so dass die Hoffnung auf eine »guetigliche« Verbindung umso schärfer kontrastiert ist (von der Ehe ist bei Spreng explizit nicht die Rede, nur in der Auslegung). In der Pygmalion-Erzählung ist Spreng bei den erotischen Passagen außerordentlich knapp und umschifft alle Klippen durch Kürzung: Venus war jn erhören bald / Und thet eingiessen allermeist Dem Bild ein lebendigen Geist / Darauß ein schöne Jungkfrauw ward /

103 Vgl. auch die Unterschiede in den Bildunterschriften je nach verwendeter Sprache bei Bauer (1703), z. B.: »Dum votum expectat Thisbe ardens rege ferarum / Per tenebras viso territa nuda fugit.« – »Am Brunnen einen Löwen siht / die Thisbe, und deßwegen fliht.« 104 Vgl. die lateinische Fassung: »haec illegitimo merces debetur amori / vincula coniugii sunt retinenda pii: / Quae natis quoties cupiunt prohibere parentes, / in mala tum suboles deteriora ruit. / Principio thalamos Deus ipse sacravit honestos, / Hostis at est Sathanas ordinis huius atrox.«

Ulrich Schmitzer Am ganzen leib subtil und zart / Sie wurd jm zu der ehe gegeben / Das er mit jr solt fridlich leben.

Das ist schon beinahe die äußerste Reduktionsform des Geschehens: Spreng beschränkt sich auf das Handlungsgerüst und lässt alles – womöglich als anstößig empfundene – Beiwerk beiseite, so dass Ovid auch für ein christliches Publikum konsensfähig wird und der Verfasser alle Anstößigkeit vermeidet.105 Dieses Verfahren stimmt mit der moralischen Zielsetzung der Ausgabe überein und ist einer der möglichen Modi vormodernen Umgangs mit Ovid, denn die gefährliche erotische Aufladung von Ovids Szenerie ist nur schwer mit dem Lob des traditionellen Ehestandes zu vereinbaren, die Spreng in seiner »Außlegung« ansteuert:106 Ein Weyb geziert mit zucht und Ehr / von Gott allein tut kommen her / Der ist darumb zu rueffen an / Dieweil der Mensch je schwerlich kan / Dempffen sein fleisch / und leben rein / Wie uns lehrt das Exempel fein.

Die volkssprachlichen Metamorphosen des 16. Jahrhunderts bleiben ein Text der vielfältigen Nutzanwendung, die trotz der in ihnen präsenten heidnischen Götterwelt auch für einen Christen leitende Maximen enthalten. 2.1.5 Joachim von Sandrart / Carl von Mander (1679) Die Verwendung der Metamorphosen als multifunktionales Repertorium reicht bis weit ins 18. Jahrhundert. Die transmediale Anverwandlung, die sie in den Dienst künstlerischer inventio stellt, ist in der Barockzeit besonders in einem Text anzutreffen, in Joachim von Sandrarts (1606–1688)107 zusammen mit Sigmund von Birken108 verfasstem universellen künstlerischen Kompendium, der Teutschen Akademie (1675– 1680). Dieser ist die ursprünglich niederländische Paraphrase des Carl von Mander 105 Zu solchen Ausblendungen vgl. Poiss et al. (in diesem Band), § 10, sowie Böhme et al. (2011), 50. 106 In der lateinischen Fassung von 1563 heißt es in vergleichbarer Weise: »Coniugio quicunq; cupit felice potiri, Hoc sine divina non potietur ope: Uxor amica placens & moribus aucta pudicis, Est à clementi saepe petenda Deo: Quam grave sit motus etenim frenare uagantes, Edocet ardescens Pygmalionis amor.« (»Wer auch immer eine glückliche Ehe erlangen will, der erreicht das nicht ohne göttliche Hilfe: Eine freundliche und gewinnende Gattin, die durch sittsames Wesen erhoben ist, muss man häufig vom milden Gott erflehen. Wie schwer es nämlich ist, die umherschweifenden Bewegungen zu zügeln, das lehrt die brennende Liebe des Pygmalion.«) 107 A. Schreurs, in: Kuhlmann/Schneider (2012), 1107 f. 108 Laufhütte (1997).

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(Karel van Mander, 1548–1606) beigegeben, die ihrerseits zuerst Teil von dessen Schilder-Boeck gewesen war, der ersten nicht-italienischen Kunsttheorie. Lateinische Auslegungen waren für das in Auge gefasste Zielpublikum nicht geeignet, die vorhandenen deutschsprachigen wie die Sprengs offenbar zu knapp und auch nicht zielgerichtet genug: Wie Ovidius in seinen Verwandlungs-Büchern thut: Allda/ mit genauer Aufmerkung/ alle Eigenschafften klüglich/ und die mancherley Erdichtungen/ mit grosser Kunst/ aneinander gehängt sind: Aus welchen Vermummungen die Griechen ein solches Behagen schöpfften/ daß sie dieses Buch aus dem Latein ins Griechische übersetzten. Und dieweil es bey uns gemein/ und/ wegen Abmahlung der vielen Historien/ der Mahler Bibel genennet ward: hätte ich schon vorlängst gewünscht/ eine Erklärung oder Auslegung drüber zu sehen/ oder/ daß die darinnen verborgene schöne Lehren/ aus dem tunkeln Chaos zu dem hellen Phoebus hätten aufgeführt werden mögen; erwartete demnach und sahe mich fast nach jemanden um/ der gelehrt/ unserer Sprach kundig/ und hierzu Beliebung tragen möchte; allein ich habe unsers Flämischen Castellani Sprichwort/ daß diese Busen (oder Geheimnüsse) zu fest geschlossen und vermacht wären/ nur allzuwahr befunden. Halte aber darfür/ daß sie ihre Gedancken/ zu höhern Vornehmen und Dingen/ anwendende/ sich nicht bekümmert/ mit ihren Achaischen und Lateinischen Schlüsseln/ uns/ oder den Hochteutschen/ der Minerva Tempel aufzuschliessen. Nachdem ich solches vermerckt/ hab ich wiewol/ mit mehrerm Willen/ als Vermögen/ auch aller Bereitschafft/ so ich nur finden mögen/ Fleiß angewandt/ diese verborgene/ herrlich und köstliche Schätze zu entdecken. Sintemal ich nicht geringe Begierde hatte/ unsern Teutschen Schülern und Kunst-liebenden edlen Geistern einen Dienst zu thun. Ich habe/ meiner Meinung nach/ in dieser Verwandlungsbücher Auslegung/ einiger massen/ eine gewissenhaffte Vorsichtigkeit gebraucht/ und dasjenige/ was mich ungeziemend zu seyn gedünckt/ und von andern/ in andern Sprachen/ geschehen war/ nemlich die Heydnische Fabeln auf einen geistlichen Sinn zu ziehen/ und auf Christum zu deuten/ vermieten: in Erwegung/ daß diese Dinge keine Gemeinschafft oder Vergleichung miteinander haben. Der Poet kannte Christum nicht. Seine Gedichte dienen auch nicht Christum zu verkündigen; wie dann geschrieben ist: Wir haben nicht gefolgt denen klugen Fabeln/ da wir euch verkündigten die Krafft und Zukunfft unsers HERRN. Dann sie zwar/ als bereits erwähnt ist/ sehr nützlich/ die Sitten zu verbessern/ und den Menschen zu einem aufrichtig-tugendhafften/ ehrlichem/ Bürgerlichem Leben anzuspornen/ auch andere natürliche Dinge erkennen zu lernen; weiter aber gleichwol nicht zu ziehen sind. In Vielen hab ich mich bedient der Weise/ daß ich erstlich die Geschicht erzehlt/ worauf die Fabel gegründet ist: darnach was ihre natürliche Bedeutung sey; und dann endlich die Lehr und erbauliche Auslegung beygefügt. Und wo ich auf einen Namen der Götter/ oder andern dergleichen merckwürdigen/ kommen; erzehle ich das Geschlecht/ Leben/ und was dardurch verstanden/ oder gelehret werde: jedoch setze ich nicht viel vom Text des Poeten: den man darneben lesen mag/ und alsdann sehen/ was darmit angedeutet seye. Wann der Poet einige Fabel berührt/ die von denen Griechen/ oder andern/ weitläufftig beschrieben ist/ bricht er solche vorsetzlich kurtz ab: damit er nicht das/ was von andern beschrieben/ oder damals bey dem Volcke gemein war/ wiederholen dörffen. An solchen Oertern/ bin ich genöthigt worden/ den Dingen nachzusuchen/ und sie weitläufftiger zu erzehlen: auf daß man sie desto besser verstehen möchte. Endlich achte ich so viel Eröffnung oder Entdeckung allhier gethan zu haben/ daß nicht allein der Grund dieses Buchs/ sondern auch vieler anderer Poetereyen/ leichtlich begriffen und verstanden werden könne;

Ulrich Schmitzer und zwar nicht/ sonder Nutz/ sondern viele erbauliche und gute Unterweisungen damit zu fruchten.

Die Metamorphosen sind also ein allumfassender Wissensspeicher109 und zugleich als exemplarische Verkörperung der pictura poiesis-Synthese zu sehen. In späteren Auflagen blieb diese Metamorphosen-Beigabe allerdings weg, da (so die seinerzeitigen Herausgeber) der Text eine völlige Neubearbeitung erfordert hätte – auch das ein Indiz für die Schwierigkeiten, einen zeitgemäßen Ovid zu schaffen. Mit Sandrart ist ein Gipfelpunkt einer solch enzyklopädischen Anwendung der Metamorphosen erreicht. Doch blieb der Anspruch der Übersetzer auf eine solche Vermittlung das ganze 18. Jahrhundert bestehen. Dies wurde ergänzt durch den Hinweis auf junge Leute und Frauen110, womit das Spektrum der Lateinlosen, aber prinzipiell Interessierten etabliert ist. 2.2 Metamorphosen-Übersetzungen des 18. Jahrhunderts unterschiedlicher Provenienz111 Die lingua franca nicht nur der Altertumswissenschaft war im 18. Jahrhundert weiterhin das Lateinische. Insofern sahen auch die universitären Vertreter keine Notwendigkeit, sich um Übersetzungen in die Nationalsprachen zu bemühen. Die Übersetzungen waren die Angelegenheit von Schulmännern und Theologen, Privatgelehrten oder Gebildeten mit universalen Interessen oder in manchen Fällen (gegen Ende des 18. Jahrhunderts) auch von aufstrebenden oder etablierten Dichtern. Mit den editorischen Bemühungen des 17. und 18. Jahrhundert und dem dadurch erzielten philologischen Fortschritt112 gab es nur lose, selten wirklich gesuchte Berührungen (vgl. im einzelnen zu den jeweiligen Übersetzungen). Ein Verbindungsglied zwischen den gelehrten Editionen (etwa der Heinsii und von Onkel und Neffe Burmann, gegen Ende des 18. Jahrhunderts der editiones Bipontinae113) und den auf Vermittlung in die Volkssprache ausgerichteten Übersetzungen bilden kommentierte Ausgaben (so die anonyme, mit deutschen Erläuterungen angereicherte Ausgabe, ersch. Nürnberg 1759) ohne eigenen wissenschaftlichen Anspruch.114

109 Thimann (2007), zu Mander 59–61. 110 Vgl. Voß (1789), III: »Aus Gefälligkeit gegen einige Damen, die Virgils Landgedicht von mir übersetzt wünschten, versuchte ich […]«. 111 Vgl. Schmitzer (2010), 568. – Zum übersetzungstheoretischen Kontext vgl. Fantino (2013). 112 Hierzu generell Bursian (1883), 260–516, außerdem die jeweiligen Einträge bei Kuhlmann/Schneider (2012). 113 Butters (1877). 114 Vgl. zu Vergil, dessen ewiges Pendant Ovid ist, immer noch die Zusammenstellungen von Jarislowski (1928), bes. 27–89.

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2.2.1 Johann Georg Schmid(t) (Straßburg 1712)115 Der erste belegte Versuch eine Verdeutschung im 18. Jahrhundert stammt vom Straßburger Juristen Johann Georg Schmid(t) (Straßburg 1712):116 P. Ovidii Nasonis / XV. Bücher der Verwandlungen / In das Teutsche übersetzt / Dergestalt / Daß die in denselben vorkommende / Gemüths=Reden der Götter / Göttinnen / Helden ec / Meistens in Reimen / Die übrigen Erzehlungen aber in ungebundener Rede vorgetragen werden […] von Johann Georg Schmidt

Schmidt bezeichnet sein Unternehmen in der Einleitung als ein Jugendwerk aus der Studentenzeit117 (die Betonung der Entstehung im Jugendalter ist für literarische Werke der Frühen Neuzeit topisch, vgl. etwa Jakob Balde über seine Batrachomyomachie118), doch habe es sich nicht um eine reine Freizeitbeschäftigung und Fingerübung gehandelt, sondern er habe damit einen auch auf Ovid und dessen Vermittlung an weitere Kreise abzielenden Aspekt bedacht: Noch eine andere Ursach / so mich antrieb / war / daß mir noch keine Ubersetzung dieser Ovidischen Verwandlungen / nach ihrem buchstaeblichen Verstand unter die Augen gekommen […].

Es ist nicht zu entscheiden, ob Schmidt hier eine bestimmte Fassung – etwa die Jörg Wickrams ebenfalls aus dem südwestdeutschen Raum – im Auge hat oder ob er sich ganz generell in einer salvatorischen Klausel äußert. Auf jeden Fall kommt mit dem Postulat des »buchstäblichen Verstandes« eine gegenüber den bisherigen Paradigmen neuartige Kategorie ins Spiel, die der Treue und auch der Angemessenheit, der antiken stilistischen Tugend des πρέπον.119 Zugleich verbindet sich damit eine Abkehr vom allegorischen Verständnis auch noch in dessen spät-humanistischer Spielart. Andererseits ist schon durch einen Blick auf die Form klar, dass hier keine Wörtlichkeit im Sinne von Humboldt oder Schleiermacher ins Auge gefasst ist, denn die Wahl einer aus Vers und Prosa gemischten Fassung steht in evidentem Widerspruch zu morphologischer Äquivalenz. Die Wahl des Prosimetrums120 begründet Schmidt sogar aus

115 Vgl. Elit (2002), 146–149. 116 In der Unterschrift des Vorworts: »Schmid«. Vgl. das Morgenblatt für gebildete Stände 3 (1809), 202 (anläßlich der Besprechung einer Aeneis-Travestie): »Der ungenannte Verfasser ist nach aller Untersuchung ein gewisser Johann Georg Schmidt, Licentiat der Rechte, geboren zu Straßburg im Jahre 1673, gestorben im Jahre 1730. Poesie war seine Lieblingsbeschäftigung. – Er versuchte sich unter anderem mit Glück im epigrammatischen Fache. Er hatte eine metrische Übersetzung Lucan’s angefangen, aber nicht fortgesetzt. Von Ovid’s Metamorphosen ist eine deutsche Übersetzung von ihm zu Strasburg 1712 im Drucke erschienen, gemischte Prosa und Verse.« Weitere Angaben zur Biographie sind mir nicht bekannt (auch nicht bei Elit [2002]). 117 Gemäß dem möglichen Geburtsdatum 1673 (siehe vorige Anm.) käme man also etwa in das letzte Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts. 118 Schmitzer (2011). 119 Vgl. Kitzbichler (2009), 70–72 u. ö. 120 Zum Metrum der Verspassagen, der »Schäferliedstrophe«, vgl. Elit (2002), 148, Anm. 476.

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antiken Vorbildern, nämlich mit der Consolatio Philosophiae des Boethius,121 aber auch mit den unterschiedlichen emotionalen Qualitäten des Textes: […] theils weil die Abwechslung an sich selbst in andern natürlichen Sachen etwas Anmuthiges in sich enthaelt / theils weil die Gemüths=Reden / worauff ich vornhemlich gesehen / gleichsam aus einer Poetischen Wut / da die Lebens=Geister hin und wieder getrieben werden / heraußgeschüttet worden / wo die feurige Imaginatio mehr Theil gehabt / als die gelaßne Ordnung der schlechten Erzehlung.

Bisher kann ich in der Geschichte der Übersetzungen antiker Literatur kein Gegenstück finden, in dem ein formal einheitlicher Prosa- oder Poesietext übersetzerisch so unterschiedlich behandelt wurde.122 Es kann dies auf eine implizite Prototheorie der Emotionalität zurückzuführen sein, die in ästhetischem Zusammenhang mit den sich herausbildenden musikdramatischen Formen steht, so dass die Erzählung von der Rede als einer quasi-dramatischen Form geschieden ist. Das Vorbild könnte in zeitgenössischen Entwicklungen etwa in der Oper zu finden sein, namentlich der aus Frankreich stammenden opéra comique (die in Straßburg eventuell wegen der geographischen Nähe besonders bekannt war),123 oder dem sich um 1700 verbreitenden Singspiel, möglicherweise auch in der genuin literarischen Form des heroischen Romans. Konkret liest sich bei Schmidt (1712) das Metamorphosen-Proömium folgendermaßen:124 Ich hab mir vorgenommen zu beschreiben / wie die Cörper in andere Gestalten sich verkehret. Ihr Götter, die ihr diese Wunderwerck verrichtet / seyd meinem Vorhaben geneigt und führet mein Gedicht glücklich von dem Anfang der Welt biß auff meine Zeit.

Man sieht auf den ersten Blick, dass es sich um eine Mischung aus recht wörtlicher Wiedergabe und interpretierender Paraphrase handelt. Nicht berücksichtigt ist die

121 Möglicherweise sind tatsächlich die vorliegenden Boethius-Übersetzungen für das gewählte Verfahren auslösend gewesen, z. B. die Schmidt zeitlich nächst stehende: Des Fürtrefflichen Hochweisen Severini Boetii, Weil. Bürgermeisters zu Rom, Consolatio Philosophiae, Oder Christlich-vernunfft-gemesser Trost und Unterricht in Widerwertigkeit und Bestürtzung über dem vermeinten Wohl- oder Ubel-Stand der Bösen und Frommen: Verteutschet, und Mit beygefügten kurtzen Anmerckungen über etliche dunckele Ort desselben, Lüneburg 1697. 122 Auch nichts Vergleichbares bei Kitzbichler (2012b) zu Homer. Dass nicht in das Versmaß des Originals, sondern entweder in Prosa oder zeitgenössische metrische Formen übersetzt wird, ist prinzipiell für das frühe 18. Jahrhundert der Normalfall: Kitzbichler (2009), 16 f.; vgl. auch Schmidt (1998) zu metrischen und prosaischen Übersetzungen von Horaz’ Oden im 18. Jahrhundert. 123 Vgl. Harper (1992), 192, über die barocke Operntheorie z. B. bei Barthold Feind: »Die drei theoretischen Schriften zeugen von der zentralen Bedeutung der Arie als Vehikel der Affektäußerung.« 124 Die weit verbreitete Ausgabe des Nikolaus Heinsius (Amsterdam 1664) hat folgenden Text: In nova fert animus mutatas dicere formas Corpora. Di, coeptis (nam vos mutastis & illas) Adspirate meis; primaque ab origine mundi Ad mea perpetuum deducite tempora carmen. Da die Bestände der Straßburger Stadtbibliothek im deutsch-französischen Krieg 1870 ein Opfer des Beschusses der Stadt wurden, lässt sich der mögliche intellektuelle Hintergrund Schmidts auch nicht aus den ihm damals prinzipiell zur Verfügung stehenden Ressourcen rekonstruieren.

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programmatische Anfangsstellung von in nova, dafür wird die Autor-Person an die Spitze gerückt (das entspricht auch den Vorgaben der Kommentare). Das syntaktische Verhältnis von formae und corpora ist umgedreht: Schon Regius, aber auch seine Nachfolger diskutieren nämlich teils heftig darüber, ob bei in nova … mutatas … formas corpora eine Hypallage vorliege – eine Auffassung, der auch Schmidt gefolgt zu sein scheint. Bei der Parenthese am Ende von Vers 2 ist die schlichte Aussage Ovids, die Götter hätten für die Verwandlung gesorgt (und seien deshalb auch für sein Verwandlungsgedicht zuständig) in die Wertung »Wunderwerck« interpretierend erhöht. Und am Ende fällt perpetuum gänzlich aus, eventuell weil es der nachantiken Tradition einer faktischen Kapiteleinteilung unverständlich ist;125 dafür ergänzt Schmidt mit glücklich (eine Wiederaufnahme von »seyd […] geneigt«, was eine gedeutete Umsetzung von aspirate erklärlich macht) gewissermaßen ein konventionelles incipit feliciter. Die Abweichungen vom lateinischen Text sind also unspektakulär, aber spürbar, ohne dass es dafür eine wirkliche zielsprachliche Notwendigkeit gäbe. Vielmehr wird Ovids spezifischer Zugriff in die Bahnen der Konventionalität gelenkt. Wie sehr die Wahl der äußeren Form die übersetzerischen Resultate präfiguriert, zeigt Schmidts Prosafassung von Pyramus und Thisbe (der die gesamte Sage wie in der Tradition üblich aufteilt, allerdings nur in zwei Abschnitte: die vergebliche Liebe in Babylon und die Flucht mitsamt der Katastrophe): Der Pyramus und die Thisbe, jener der schönste von allen Jünglingen / diese von den Jungfern / so im Morgen-Land waren / hatten in Babylon / welche Stadt die Königin Semiramis mit gebackenen Steinen ummauert / ihre Haeuser neben einander. Weil sie nun Nachbarn waren / so gab es die erste Gelegenheit zur Bekandschaft / und bißweilen zur Besuchung. Je mehr nun die Zeit verfloß / je aerger wuchs die Lieb. Sie haetten auch einander wol geheurathet / aber die Eltern verboten es / welches sie doch nicht verbieten konnten. Auff solche Weiß liebten sie sich inniglichst / eines so herzlich als das andre. Niemand erfuhr was darvon. Dann sie sich auch mit Wincken und Zeichen unter einander zu verstehen gaben. Je mehr aber ein Feur verborgen ist / je mehr sucht es hervor zu dringen.

Sofort zu sehen ist die Verwendung der vormodernen Interpunktion nach sed vetuere patres.126 Schmidt löst auch Ovids Periphrase des Orts des Geschehens in das eindeutige »Babylon« auf. Ebenso neigt er generell zu mehr Explizitheit als die Vorlage, indem er etwa die Nachbarschaft noch einmal erwähnt. gradus wird im eigentlichen Sinn der Bewegung verstanden (»Besuchung«), nicht als »erste Stufen« der Liebesbeziehung. Auch im folgenden ist Ovids präzise Beschreibung zu eher allgemeinen Darstellungen aufgelöst: taedae iure bezeichnet den juristisch korrekten Akt der Eheschließung; ardebant nicht nur »innigliche«, sondern leidenschaftlich brennende 125 Dass die Signifikanz von perpetuum in der vormodernen Ovid-Gelehrsamkeit bekannt war, zeigt der Kommentar des Raphael Regius ad loc.: »perpetuum: continuum, sic ut nulla transmutatio pretermittatur alterque alteri concinne, apteque connectat.« (»perpetuum: zusammenhängend, so dass keine Verwandlung übergangen wird und sich die eine an die nächste eng und passend verbindet«). Siehe Moisan (1992) über andere renaissancezeitliche Anmerkungen zu dieser Stelle. – Vgl. auch Schlüter (1763), XXXII, über Safft: »Gleich im Anfang fehlt der Ausdruck: perpetuum, fortdauernd ununterbrochen, welches doch höchst nöthig war, indem Ovid dadurch sein Gedicht ein Ganzes nennt.« 126 Vgl. Anm. 39.

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Liebe, captis mentibus hat im Lateinischen auch schon die Konnotation des Wahnsinns127 und weist damit auf das Ende, den überstürzten Selbstmord des Pyramus voraus. Und schließlich ist mit Ovids Sentenz quoque magis tegitur … eben nicht das Sichtbarwerden des Liebesfeuers, sondern die Intensität im Verborgenen gemeint. Trotz dieser ohne sprachlichen Zwang vorgenommenen Abweichungen vom lateinischen Original, die auch nicht auf leitenden ästhetischen Konzepten basieren, ist unverkennbar, wie sehr sich diese Prosafassung im Vergleich mit denen Wickrams und Sprengs an die lateinische Vorlage annähert. Die Transformation besteht nun nicht mehr in der Überführung in eine neue poetische Form, sondern in der Prosaisierung, der Reduzierung von Ovids Erzählung auf das Inhaltliche unter Verzicht auf den Großteil der poetischen Mittel.128 Wie schon im Titel angekündigt, greift Schmidt zur Wiedergabe emotionaler Reden zur metrischen Form:129 So bald er aber das blutige Gewand selbst gefunden / hat er erbaermlich angefangen aufzuschreyen: Weh / eine Nacht wird zwey in ihren Schatten reißen Von welches eines noch was laenger leben solt. Mich kan man / allein die grausam Ursach heissen / Dieweil ich es so haben wolt. Ich habe dich umgebracht / du hasts von mir vernommen. Ich / Ich bestimmte dieses Ort Mit Schrecken angefuellt / mit Finsternuß umschwommen Und bin doch nicht vor dir gekommen Ich hab die Schuld an diesem Mord. Ihr Loewen die ihr hie um diese Felsen wohnet Zerfleischt mein Eingeweid / verschlingt mich und belohnet Die grausamkeit an mir / daß ich bey solcher Noth Der Thisben Jugend nicht schohnet. Doch nur ein Feiger wuenscht den Todt. Damit hub er der Thisben Haupt-Zierd auff und begab sich an den unter sich verglichnen Baum. Daselbst netzte er das Gewand mit den zahrtesten Thraenen / kueßte es wol tausend mal und sagte: Du traegst der Thisben Blut / ich und sie waren einig Du hast ihr Blut / nehm auch das meinig. Zugleich zog er sein Schwerdt auß und stieß es sich in den Leib. Drauff eh er noch starb / riß er es wieder auß der warmen Wunden und warff sich ruecklings auff die Erden. Das Blut schoß heraus nicht anders als wie das Wasser auß einem langen Rohr / wann das bleyerne Gelenck etwan verderbt wird und das Rohr ein Loch bekommen. Die Fruechten an dem

127 Vgl. Thes. III, p. 340, 31–48, s. v. capio. 128 Vgl. generell Poiss et al. (in diesem Band), bes. § 10, Nr. 12 (»Reduktion«). 129 Die theoretische Basis für die Versifizierung (bei Schmidt und den späteren Übersetzern des 18. Jahrhunderts) sind deutsche Poetiken wie die von Opitz (1624/1690), 44–67 (»Von den Reimen / ihren Wörtern / und Arten der Gedichte«), oder Birken (1679), z. B. 40–51 (»Das V. Redstuck von der Reimung«) und 51–73 (»Das VI. Redstuck von den Gebändzeil-Fehlern«).

Ovids Verwandlungen verteutscht dabeystehenden Maulbeer-Baum wurden besprizt / die Wurzel mit dem Blut angefeuchtet und die Beeren ganz schwarz.

Die Schilderung des Geschehens gewinnt in dieser Weise eine vom Ausgangstext unerwartete Dynamik und nähert sich in der Tat dem Wechsel von Rezitativ und Arie und damit dem Opernhaften an. Wenn es um den Handlungsfortschritt geht, ist die Prosaform gewählt; wenn sie durch die wörtlichen Reden vordergründig zum Stillstand kommt (in Wahrheit versteht es Ovid auch, die Reden als Vehikel des Handlungsfortschritts zu nutzen), setzen die Verspassagen mit ihren Paar- und Kreuzreimen begleitend die emotionalen Akzente. Diese literarische Aufgabenteilung transformiert Ovids carmen perpetuum in ein gewissermaßen dialogisches, sich wechselseitig kommentierendes Gebilde. Die Pygmalion-Sage ist weniger von emotionalen Höhen und Tiefen geprägt denn von einer sich steigernden erotischen Spannung, die – wie bereits erwähnt – narrativ in den sicheren Hafen der Ehe umgeleitet wird. Für die Kernpassage findet Schmidt folgende übersetzerische Lösung: Wie er wieder nach Hauß kehrete / verfügte er sich zu seinem angenehmen Bildnuß. Er fiel auff das Bett / und küßte es inbrünstig. Es schien ihm etwas lau zu seyn. Er küßte es noch ein mal und befühlete mit den Händen die Brust. Das befühlete Helffenbein ward weich / verließ die Härtigkeit und nahm die Finger an / nicht anders als wie das Wachs vom Berg Hymettus, wann es die Sonn erweicht / so kan man allerhand Figuren darauß bilden und es wird durch den Gebrauch selbst gebräuchlich. Indem er erstaunete / zweiffelte / sich gleichwol freute und doch förchtete / er möchte betrogen werden / so begriff er zwey / dreymal sein Verlangen. Kurz es war ein Leib / die Adern schlugen unter dem Daumen. Da hat Pygmalion auff das allerersinnlichste der Göttin Venus gedancket, darauff mit seinem Mund seines Bildnußes natürlichen Mund gedrucket. Die Jungfer empfand die Küß und entfärbte sich / also sah sie forchtsam in die Höh und zugleich den Himmel / zugleich ihren Buhlen. Die Göttin wohnete der Hochzeit-Feyer / welches sie angestiftet hatte / bey.

Es ist eine kleine, aber bedeutsame Änderung, die Schmidt an seiner Vorlage vornimmt. Bei Ovid steht erubuit, was auf jeden Fall die Möglichkeit eines erotischen Vergnügens einschließt,130 Schmidt macht daraus »entfärbte sich«, das eher ein Erschrecken denn ein Vergnügen markiert. Weder die zeitgenössischen noch die rezenten Wörterbücher (z. B. Stephanus, Schuller, Thes. ling. Lat.) kennen eine solche Bedeutung, vielmehr scheint Schmidt einer irrigen Etymologie aufgesessen zu sein: In erubescere in Analogie etwa zu emendare hat für ihn das e einen privativen Aspekt. Doch hat dieser Irrtum den Vorteil, dass er sich damit auch vor seinen Lesern salviert. Die übersetzerische Crux dieser Passage ist nicht nur die Sinnlichkeit des lateinischen Textes, die in einem christlich geprägten Umfeld zum Problem werden kann, wenn der Übersetzer nicht davon ausgeht, durch den klassisch-antiken Text salviert zu sein.131 Die Unterschiede zwischen Wickram und Spreng sind in dieser Hinsicht durchaus paradigmatisch. Denn darüber hinaus hat Ovid ein raffiniertes Wortspiel eingebaut: ad lumina lumen attollens bezeichnet das Aufschlagen der Augen der 130 Vgl. Verg. Aen. 12,64–71: das Erröten der Lavinia. 131 Zur Erotisierung des Pygmalion-Stoffes im 18. Jahrhundert siehe Aurnhammer/Martin (2003), 254 f.

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eburnea virgo, die natürlich das Tageslicht, aber auch die Augen des über sie gebeugten Pygmalion sieht,132 was im abschließenden Hauptsatz weiter ausgeführt wird (entsprechend ist der Bezug von ad ἀπὸ κοινοῦ gestaltet). Bei Schmidt ist die Erotik der Szene (wie gezeigt) recht gedämpft, das Wortspiel ist auf die Dimension des Aufblickens reduziert, während der lumina-Aspekt beiseite bleibt. Wie viele, wenn nicht die meisten Übersetzungen des 18. Jahrhunderts ist Schmidt nur wenig rezipiert worden. Sein Werk versank schon bald in Vergessenheit, vielleicht nicht zuletzt deshalb, weil seine prosimetrische Lösung keine Nachfolge fand und so ästhetisch obsolet wurde, vielleicht aber auch, weil seine Auseinandersetzung mit Ovid als Lokalereignis nicht weit über Straßburg hinauskam (allerdings zeigen die Bibliothekskataloge auch heute noch einen recht weit gestreuten Bestand). 2.2.2 Johann Balthasar Sedlezki (1727–1772)133 Johann Balthasar Sedlezki (auch: Sedletzki) war eine nicht zu gering zu achtende Größe im kulturellen Leben Augsburgs im 18. Jahrhundert, wo etwa zwei Jahrhunderte früher auch der Meistersinger Spreng gewirkt hatte. Auch er setzte die Metamorphosen (1763) in eine der zeitgenössischen Ästhetik gemäße Form um, nämlich in gereimte Verse (so auch noch in seiner Odyssee-Übersetzung von 1784).134 Mit seiner Metamorphosen-Übersetzung möchte Sedlezki nützlich sein, allerdings nicht in dem vordergründigen Sinn einer religiös-ethischen Allegorese oder eines Künstlerhandbuchs, sondern zur Bereicherung der deutschsprachigen Literatur, wobei der »zärtliche Ovid« (also der tenerorum lusor amorum aus trist. 4,10,1) in den Kontext der Empfindsamkeit gerückt ist (Vorrede, S. 5): Das weitlaufigste und größte Werk des zärtlichen Ovid wird hier der Welt in einer deutschen Übersezung vor Augen gelegt. Man muß sich wundern, daß unsere Zeiten, die sich sonderlich der deutschen Poesie geneigt erzeigen, eines Dichters von so feinem Geschmacke entbehren koennen.

Sedlezki ist es um die Integration des Autors in den deutschen Sprach- und Gedankenraum zu tun, er will den Autor zum Leser holen, während der Übersetzer zum Autor kam (Vorrede o. p.): So wie ich durch seinen Umgang, so zu reden, lateinischer geworden, so wurde er durch den meinigen ganz deutsch, und in dieser Tracht, die er mir doch gleichwohl zu danken hat, mag er nun hingehen und sein Glück suchen, wo er will. […]

132 Bömer (1980), 109 ad loc.; Thes. ling. Lat. VII,2 s. v. lumen (1817): »veterum doctrinae: Avg. nat. bon. 41 p. 875,17 oculi sine aliquo -e -n videre non poterant, unde […] -a nominantur. Isid. orig. 11,1,36 oculi vocati, […] quia occultum -n habeant […]; oculi autem idem et -a; et dicta -a, quod ex eis -n manat vel quod […] clausam teneant lucem eqs. cf. Wilpert, RAC I 957 sqq.«; Maltby (1991), 351 s. v. lumen. 133 Meusel (1813), 5; Veith (1795), 162 f. 134 Vgl. Kitzbichler (2012b).

Ovids Verwandlungen verteutscht Ich hätte meinen Dichter mit leichter Mühe in eben so viele oder auch wohl weniger deutsche Verse, als seine lateinischen sind, übersezen können. Aber er war mir allzulieb, als daß ich ihn hätte radbrechen und hier und da verstümmeln sollen […] Seinen Sinn zu treffen, und einen leichten Wohlklang in den Versen zu beobachten, war meine erste Sorge. Meine zweite Sorge aber richtete ich darauf, um die Deutlichkeit, so viel in meinen Kräften stund, zu erreichen: welches insonderheit bey einigen kleinen Fabeln etwas schwer war, indem sich der Dichter daselbst oft gar zu kurz ausdrücket […] und darüber dunckel wird.

Übersetzerisches Ziel ist in diesem Konzept, die Treue gegenüber dem Sinn über formale Äquivalenz zu stellen. Darin besteht auch die hier wie selten explizit gemachte Legitimation, sich in der deutschen Fassung vom Umfang des Originals zu emanzipieren. Ja die ursprüngliche Verszahl ist überhaupt nicht von Belang, so dass man problemlos in mehr, weniger oder auch gleich vielen Verse übersetzen kann. Damit nimmt er implizit, aber dezidiert Partei in einer alten querelle, die bis auf Hieronymus zurück reicht und die z. B. im 18. Jahrhundert in Frankreich mit den belles infidèles einen ähnlichen Ausdruck gefunden hatte.135 Das führt gleichzeitig zur prominenten Umsetzung des antiken Prinzips der ἐνάργεια / perspicuitas,136 das gegenüber der verrätselten obscuritas Vorrang haben muss: Die Mythen Ovids müssen dem Leser des 18. Jahrhunderts ohne weitere Studien verständlich sein.137 Wie dieses Konzept in der Praxis aussieht, zeigt schon seine Fassung des Proömiums: Ich fühle einen Trieb von körperlichen Dingen, Die sich in andere veränderten, zu singen. Ihr, große Götter wißts, wie dieß geschehen sey. Denn Ihr habt sie verkehrt. Drum steht mir jetzo bey, Und laßt mich mein Gesang auf diese meine Zeiten Vom Anbeginn der Welt ununterbrochen leiten!

Auffälligstes Resultat ist die Ausweitung der Verszahl: Aus den vier Hexametern des Originals werden sechs paarweise gereimte Verse im für das 18. Jahrhundert charakteristischen Metrum des sechshebigen Jambus, des Alexandriners.138 Er steht damit in der bis auf Albrecht von Halberstadt zurückreichenden Tradition einer unproblematischen Ausweitung des Textes bis in den Wortbestand hinein (»große Götter«, »jetzo«). Daraus resultiert offenbar auch die Füllformel »[…] wißts, wie dieß geschehen sey«, die keinerlei Gegenstück im lateinischen Text besitzt. Die temporale Abfolge prima ab origine mundi – ad mea tempora ist invertiert und zum Hysteron proteron geworden. Allerdings war eine solche Vorstellung schon zu Sedlezkis Zeit beinahe obsolet – nicht

135 136 137 138

Kitzbichler (2007), 31 f.; Poiss et al. (in diesem Band), § 8. Zur visuellen Dimension der Metamorphosen selbst siehe Fondermann (2008). Vgl. Poiss et al. (in diesem Band), § 10., Nr. 13, über explikative Übersetzungen. Vgl. auch Jaruslowski (1928), 42 f., über den Umgang der Aeneis-Übersetzer des 18. Jahrhunderts mit dem Umfang des Originals.

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nur im Allgemeinen, sondern konkret auch für Ovid, wie die Debattenbeiträge in den gelehrten Zeitschriften zeigen.139 Der aus dem Proömium gewonnene Befund hat auch für die narrativen Passagen Gültigkeit: In einer stolzen Stadt, um die Semiramis Den hohen Mauerbau von Ziegeln führen lies, War Pyramus, dem sich ein Jüngling nie verglichen, Und Thisbe, deren Reiz die schönsten Mädchen wichen, Womit der Morgen prahlt. Dieß angenehme Paar Ward bald genug bekannt, weil es benachbart war. Durch Zeit und Umgang wuchs die Größe ihrer Flammen: Der Eltern Eigensinn schien diese zu verdammen; Dadurch die Hofnung denn, sich durch eine Eheband Fest zu vereinigen, den Liebenden verschwand. Allein, was half der Zwang. Er flammte ihre Sinnen Um desto starker an, und niemand ward es innen.

Aus den zehn Versen Ovids werden bei Sedlezki abermals aus metrischen Gründen zwölf. Der systematische Zwang zum Reim bringt inhaltliche Umstellungen mit sich, teils auch syntaktische Verunklärungen. So ist der Anschluss von »womit der Morgen prahlt« unklar, auch die Bedeutung von oriens als geographische Bezeichnung (also eher »Morgenland« als »Morgen«) ist getrübt. Auch die Kausalverbindung, dass der Zwang die Liebe umso stärker entflammt habe, findet sich so nicht bei Ovid. Daraus ergibt sich die dem Übersetzungskonzept inhärente Neigung zur paraphrasierenden Neudichtung, deren Resultat allerdings keineswegs ästhetisch zukunftsweisend ist, wenn man etwa an die Wirkung von Klopstocks Dichtungen in dieser Zeit denkt. Es scheint, dass Sedlezki gewollt Anschluss an einen als volkstümlich oder balladenartig empfundenen Sprachduktus sucht. In der Pygmalion-Passage zeigt Sedlezki keine Scheu, Ovid erotisch noch zu überbieten: Kaum kame er nach haus, als er begierig ist, Sein liebes Bild zu sehn. Indeme er es küßt, Schien es ihr zimlich lau. Er lies es sich gelüsten Und streckte gar die Hand nach den erhabnen Brüsten. Das Helfenbein ward weich. Die starre Härte wich Und gab den Fingern nach, wie bey der Sonne sich Das Wachs erweichen läßt und allerley Gestalten, In die man es gedrückt, sehr gern pflegt zu behalten. Indem er stuzt, und sich darein nicht finden kann, Rührt er es zwischen Furcht und Hofnung nochmals an. 139 Vgl. die anonmye Besprechung in der Allgemeinen deutschen Bibliothek 24 (1775) 83 f., zu Haymanns Versübersetzung des ersten Buches (1772): »Armer Ovid! Wie sind deine Verwandlungen von Händen des H. Haymann verwandelt worden, wie siehst du hier aus! […] Gehe also wieder heim, woher du gekommen bist, zu deinem H. Haymann, giebt ihm das ganze Gottschedische mit allen den hie und da ausgesuchten Flitterchen und kritischen Blümchen verbraemte Kleid, das er in der Rüstkammer einer deutschen Gesellschaft zu einem andern Gebrauch aufhängen mag, samt den Schellen des Reims wieder zurück, und bitte ihn, dich künftig lieber in deiner Toga laufen zu lassen […]«.

Ovids Verwandlungen verteutscht Da wars ein rechter Leib. Er konnte schon das Spielen Der Puls, die er berührt, mit seinem Daumen fühlen. Da sagt Pygmalion von seines Herzensgrund Der Göttinn Dank davor und heftet seinen Mund Erst auf den ihren fest, der nunmehr klar empfunde Und den gegebnen Kuß jungfräulich klug verstunde. Sie schlägt die Augen auf, entfärbt sich und erblickt Den Himmel und zugleich den Mann, der sie beglückt. Die Göttinn segnete dieß Band, das sie gebunden.

Bezeichnend ist der Anfang des Textausschnitts. Sedlezki reimt »gelüsten« auf »Brüsten«140 und übertrifft nicht nur damit Ovid noch, sondern auch durch die Hinzufügung des Epithetons »erhaben«. Überhaupt ist Sedlezki – vielleicht auch aus dem Zwang heraus, das Versmaß füllen zu müssen – durchaus freigiebig im Umgang mit Fortlassungen und Ergänzungen: Hymettia bleibt ganz weg, auf der anderen Seite wird das Wachs mit »sehr gern« angereichert. Wie Schmidt hat auch Sedlezki für erubescit die Bedeutung »entfärbt«. Das kann entweder auf eine ansonsten nicht dokumentierte Querverbindung zu Schmidt verweisen oder darauf, dass die irrige etymologische Ableitung im 18. Jahrhundert implizit weiter verbreitet war. Sedlezki lässt das Wortspiel lumina lumen ganz unberücksichtigt. Sein Geheimnis wird es darüber hinaus bleiben, wie man einen Kuß »jungfräulich klug« verstehen kann. Bei Ovid ist das Gegenteil gemeint, nämlich dass die Geliebte erst allmählich gewahr wird, was geschieht und erst ganz am Ende, wenn sie Himmel und Mann sieht, das Geschehene begreift. 2.2.3 Johann Samuel Safft (gest. 1772)141 Johann Samuel Saffts Ausgabe stammt aus dem Jahr 1766 (Safft war seit 1763 Prediger in Marienfelde und Mariendorf bei Berlin, zuvor seit 1755 Subrektor am Köllnischen Gymnasium in Berlin,142 so dass es sich womöglich um ein spätes Parergon seiner schulischen Tätigkeit handelt). Erschienen ist sie bei August Mylius, einem für das Berliner literarische Leben im 18. Jahrhundert nicht unbedeutenden Verleger (der u. a. auch Goethes Skandalstück Stella mit großem kommerziellem Erfolg herausbrachte – er wird uns später bei August Rode noch einmal begegnen). So wenig Safft über seine Metamorphosen-Übersetzung hinaus publizistisch tätig geworden ist, eignet sich sein Verdeutschungsversuch dennoch zu einem – knapp zu haltenden – Einblick in die im 18. Jahrhundert gegebenen Rahmenbedingungen.

140 Reime wie »erblickt« / »beglückt« sind nicht anstößig, vgl. Opitz (1690), 51. 141 Meusel (1812), 12 f. 142 Vgl. die Angaben in: Die Kirchenbücher der vor 1874 aufgenommenen und konzessionierten Kirchengemeinschaften im Bezirke der General-Superintendentur Berlin, Berlin 1905, 174 (online: http://wikide.genealogy.net/w/index.php?title=Datei:Berlin_Kirchenbuecher_1905.djvu&page=181); Klöden/ Schmidt 1825, 22 u. 26–28.

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In seiner Vorrede gibt Safft zunächst eine allgemeine Einführung in das Wesen der antiken Mythologie. Das zeigt die schulische Provenienz seiner Bemühungen an, wurden doch die Metamorphosen (und werden es bis heute noch) als mythologische Propädeutik genutzt. Ovid habe die bei älteren Dichtern vorhandenen Sagen gesammelt und in ein einheitliches Gewand gekleidet (22 f.). Dann kommt er auf das Zielpublikum zu sprechen, nämlich die Künstler (s. o.),143 die Stoffe für ihre Werke bisher nur aus den vorliegenden französischen Übersetzungen gewinnen konnten: »[…] dem deutschen Künstler, den Ovid dergestalt in die Hände zu geben, daß er seinen Geschmack darnach bilden oder verbessern oder beurtheilen könne, ist der Hauptzweck bey gegenwärtiger Uebersetzung gewesen« (25). Aber auch ein allgemeineres Publikum hat Safft im Blick, nämlich die Frauen und die Dilettanten: Sollte nicht der Ovid (ich verstehe die Verwandlungen) die Hände einer Schöne eben so gut zieren, und ihren Geschmack bilden können, als ein anderer heutiger Dichter? Sollte ein Liebhaber der eigenthümlichen Sprache des Römers, sich nicht die Erlernung derselben, und sonderlich das Lesen der Urschrift dadurch erleichtern können?

Damit soll Ovid Teil der deutschen Literatur werden, wodurch ein ähnliches Ziel deutlich wird wie zuvor bei Sedlezki. Wie viele seiner Zeitgenossen und Vorgänger gibt Safft nicht zu erkennen, ob er die früheren Ovid-Übersetzungen kennt. Doch im Unterschied zu diesem wählt Safft die Umsetzung in Prosa, offenbar die erste durchgängige Prosaversion der Metamorphosen überhaupt. Safft versteht – was traditionsgeschichtlich keineswegs selbstverständlich ist – das Proömium als Teil der zu übersetzenden Metamorphosen: Ich habe mir vorgesetzet, die in so viele neue Gestalten verwandelten Körper zu besingen. Beglücket, o ihr Götter! mein Vorhaben, (denn eben ihr seyd es, welche dieselben verwandelt habet) und führet mein Lied, vom Anfange der Welt, bis auf jetzige Zeiten.

Die Prosa zwingt zu deutlich weniger sprachlichen Anstrengungen als die metrische Form. Das konventionelle Verständnis der Verse ist gewahrt und liegt auf dem bereits skizzierten Niveau des zeitgenössischen Wissens. Erneut ist perpetuum nicht berücksichtigt, Ovids ad mea tempora ist gewissermaßen entindividualisiert und durch den allgemeinen Verweis auf die Gegenwart ersetzt. Wie bis heute üblich, wird das DichterIch an den Anfang gesetzt und damit animus substituiert, wobei in nova aus der betonten Anfangsstellung verdrängt wird. Die Sage von Pyramus und Thisbe beginnt Safft mit großer Ausführlichkeit: Pyramus, der schönste Jüngling im ganzen Orient und Thisbe, welche allen ihres gleichen, den Vorzug streitig machte, wohneten in jener prächtigen Stadt, welche Semiramis, wie man sagt, in hohe Mauren einschloß und ihre Häuser gränzten aneinander. Diese Nachbarschaft legte den ersten Grund zu einer Bekanntschaft; welche sich mit der Zeit in Liebe verwandelte, und sie würden sich auch durch das Recht der Hochzeitfackel, mit einander verbunden haben: wofern der Väter Eigensinn nicht verbothen haette, was sie doch nicht verbiethen konnten. Ihre beyderseitigen Gemüther brannten indes von einer Flamme; kein Mensch aber wußte um ihre Liebe. 143 Vgl. generell Kitzbichler (2008).

Ovids Verwandlungen verteutscht

An dieser Passage zeigt sich, wie Safft noch mit dem Medium der Prosa nicht wirklich über die Experimentierphase hinaus gelangt ist. Misstrauisch gegenüber der prosaischen Nüchternheit greift er zu aufgefüllten Formen wie »wohneten«,144 die später Voß als sogar für den deutschen Hexameter ungeeignet geißeln wird (vgl. unten S. 176). Überhaupt wirkt sein Zugriff deutlich bemüht. Er zieht die Namen weit auseinander, ersetzt puella durch »ihres gleichen« und kehrt vor allem Ovids Reihenfolge »aneinander grenzende Häuser« – »Babylon« um. Das tut er, um den anaphorischen Bezug in »diese Nachbarschaft« zu ermöglichen, während bei Ovid nach dem geographischen setting die Beziehung der beiden Protagonisten mit syntaktischem und inhaltlichem Neueinsatz erörtert wird. Dass »von einer Flamme« tatsächlich »von einer einzigen« meint, wird mangels prosodischer Unterstüzung nicht deutlich. Wie schwer sich die Prosa des 18. Jahrhunderts (und nicht nur sie) mit dem Register emotionaler Exaltation tut, zeigt exemplarisch die von Safft gefundene Lösung, die ein grundlegendes Misstrauen gegen emotionales Aufwallen verrät, das aber verbunden ist mit explikativer Auxesis: […] wie er aber auch die mit Blut gefärbte Kleidung antrift, so spricht er: »Eine einzige Nacht wird zwey Verliebte unglücklich machen; doch mit dem Unterschiede, daß die eine ewig zu leben, der andere aber den Tod verdienet hat. Ach! unglückliche Thisbe! ich bin derjenige, so dich erwürget hat; weil ich dich bey der Nacht, an einen so fürchterlichen Ort habe kommen lassen, und nicht zuerst hieher gekommen bin. O! zerreisset doch diesen Körper, und verzehret die boshaften Eingeweide desselben, mit langsamen145 Bissen, ihr Löwen, die ihr in diesen Hölen und Steinklüften wohnet! Allein, Zaghaften gebühret es nur den Tod zu wünschen, den sie selbst in Händen haben.« Zugleich hebt er den Schleyer der Thisbe auf, nimmt ihn mit sich unter den Schatten des besagten Baumes; und nachdem er ihn vielmals geküsset, spricht er: »So empfange denn nun auch die Tropfen von unserem Blute.« Indem er solches spricht, durchbohret er zugleich seine Brust, mit dem an der Seite befindlichen Eisen; und als er dasselbe bald darauf sterbend aus der heißen Wunde, heraus ziehet: so sprützet das Blut, da er rücklings auf der Erde liegt, dergestalt in die Höhe, als wenn eine bleyerne Röhre zerreisset, und ein zarter Wasserstrahl, indem er aus den Ritzen mit zischen heraus sprützet, die Lüfte zertheilet. Die Früchte des Baumes nehmen sogleich, von dem Ansprützen des Blutes, eine schwarze Gestalt an, und die mit Blut befeuchtete Wurzel färbt die herabhängenden Maulbeeren, mit einer Farbe von Purpur.

Die deutsche Umsetzung ist von tiefem Misstrauen gegen Ovids Prägnanz geprägt. Das timidi est optare necem wird durch einen ganzen Relativsatz pedantisch erläutert, »doch mit dem Unterschiede« hat keine wirkliche Entsprechung im Lateinischen. Pyramus nocens anima (mit dem Doppelsinn von »schädlich« und »schuldig«) wird in »den Tod verdienet« aufgelöst etc. Dafür fällt notae lacrimas […] vesti ersatzlos weg, ohne dass damit eine sachliche Notwendigkeit verbunden wäre. Die auf artifizielle Fülle angelegten Verbformen wie »verdienet« oder »wohnet« sind eher Manier denn aus dem Sprachstand begründet.146 Damit wird Saffts Übersetzung unabhängig von 144 Vgl. Poiss et al. (in diesem Band), § 10, Nr. 11. 145 sero […] morsu findet sich (statt fero morsu) in einigen vormodernen Ausgaben, so in der anonymen Edition Nürnberg 1759, mit dem Kommentar ad loc., und in der Bipontina von 1783. 146 Im 17. Jahrhundert ist das noch problemlos möglich: z. B. Buchner (1663), 104.

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den bereits thematisierten sprachlichen Problemen auch zu einem Musterfall für die Grenzen einer Übersetzung in Schulmanns- und Predigerprosa. Die bereits konstatierte Neigung Saffts zur Abundanz, zur Auffüllung von durch die ovidische Prägnanz offen gebliebenen Leerstellen ist auch in der Pygmalion-Sage zu verspüren, wie allein schon der Blick auf den Umfang der Passage bei Safft zeigt. So wird aus Ovids visa tepere est bei Safft »so däuchte es ihm, daß er einige Wärme an ihm bemerke« – aus drei Wörtern macht er elf, ohne dass ein inhaltlicher oder stilistischer Zugewinn damit verbunden wäre: Da er nun nach seiner Wohnung zurückkehret: so eilet er gleich nach dem Bilde seines Mädchens. Und indem er sich über das Ruhbette neiget, und es küsset: so däuchte es ihm, daß er einige Wärme an ihm bemerke. Er küsset es also wiederum, und legt, um seiner Sache gewiß zu seyn, die Hand auf seine Brust, und siehe! er fühlet es, daß das Elfenbein weich zu werden anfängt. Es verlieret seine Härte allmählich, und lässet sich eindrücken, und weichet den Fingern aus, nicht anders, als ein hymettisches Wachs, das die Strahlen der Sonne biegsam machen, und wenn es durch ziehen und unter dem Druck der Finger, mancherley Gestalten annimmt, alsdenn erst anfängt nützlich und brauchbar zu werden. Pygmalion erstaunet anfänglich darüber, und freuet sich mit zittern; indem er sich vielleicht selbst zu betrügen besorgt ist. Er untersucht also den Gegenstand seiner Wünsche von neuem, und will von ihrer Erfüllung durchs Gefühl gewiß werden; allein seine Empfindung betrügt ihn keinesweges. Er fühlet wirklich einen natürlichen Körper, und die Adern schlagen unter seinen Fingern. Da fällt der Held von Paphos, für Freuden nieder, auf seine Kniee. Sein Mund bricht in lauter Danksagungen aus, gegen die Göttin und seine Dankbarkeit kann nicht Ausdrücke genug finden. Endlich versiegelt er ihre nunmehr wahrhaftige Lippen, mit einem zärtlichen Kuß. Die Jungfrau empfindet es und erröthet; und indem sie mit einiger Furchtsamkeit das Licht ihrer Augen, zu jenem himmlischen Lichte erhebt: so siehet sie zum erstenmal den Himmel und ihren Geliebten. Die Göttin, welche diese Ehe gestiftet hatte, begnadigte sie auch in der Folge, mit ihrer Gegenwart […].

Um die Mitte des 18. Jahrhunderts hatte sich im Zeichen der Aufklärung das literarische Leben so sehr intensiviert, dass auch die Übersetzungen nun explizit in den literarischen Diskurs eingebunden waren, was zugleich zu einem verschärften Wettbewerb unter den Übersetzern führte. Das zeigt sich an der ausführlichen, anonymen Besprechung von Saffts Übersetzung in der Neuen Bibliothek der schönen Wissenschaften und freyen Künste.147 Der Rezensent scheint sich – so ist aus seiner Übersetzungprobe aus met. 13 (S. 267 f.) zu schließen – auch selbst an einer Ovid-Übersetzung versucht zu haben. Allerdings lässt sich eine tatsächliche Publikation nicht verifizieren. Er spricht damit jedenfalls als potentieller Mitbewerber. Ausgangspunkt der Rezension ist die Zweckbestimmung der Metamorphosen als künstlerisches Inventar. Dieses Lob der Nützlichkeit wird erweitert durch den Ovid attestierten Witz, eine Eigenschaft, die sich ex eventu unter den sich zum Ende des Jahrhunderts hin ändernden ästhetischen Paradigmen – siehe Lessings Verdikt über den »witzigen Hofmann« Vergil – rasch als zweischneidiges Lob erweiset. Ebensowenig uneingeschränkt poisitv ist die Aussage,

147 Bd. 3,2 (1767), 256–274 (online: http://resolver.sub.uni-goettingen.de/purl?PPN556514408_0003).

Ovids Verwandlungen verteutscht

dass durch Ovid Einblicke in die griechischen Originale gewährt werde. Bald las man zumindest deklaratorisch lieber gleich die Griechen: Für den Künstler, dem zur Erfindung und zum Ausdruck in seinen Gemälden und Statuen die Mythologie bekannt sein muß, ist der fleißige Ovid das nächste und leichteste Handbuch. Seine Erzählungen sind nicht nur Materialien zur historischen Wissenschaft der Fabel; sein Witz, seine Erfindung, sein Ausdruck leiten selbst den Witz, die Erfindung, den Ausdruck des Künstlers, so sehr als es ein Dichter tun kann. Man setze zum Werthe der ovidischen Erzählung noch dieses hinzu, daß sie, nebst der glücklichsten Nachahmung, auch zugleich der vollständigste Auszug der griechischen Poesie ist.

Doch schon der Anfang der Auseinandersetzung mit dem vorliegenden Text verheißt nichts Gutes: Wie sehr würden wir uns über die Erfüllung so sehnlicher, aber oft betrogener Wünsche erfreuen, wenn wir viele Übersetzungen griechischer und lateinischer Autoren ankündigen könnten, die wahrhafte und getreue Vorstellungen ihrer Originale wären, die den unphilologischen, aber doch nicht geschmack- und verstandlosen Liebhaber oder Beflissenen der schönen Künste, für seine Unwissenheit in der alten Literatur, schadlos halten, und es ihm begreiflich machen könnten, wie würdig diese Werke des Genies des Althertums der Lobsprüche sind, welche so viele Jahrhunderte hindurch, immer einer dem andern nachgesprochen hat, und welche jetzt von jedermann, als ausgemachte und eigene Erfahrungen (leider mit wie wenig Wahrheit!) nachgesprochen werden müssen. Wie stolz würden wir auf solche Übersetzungen sein!

Und so kommt es bald ziemlich dick: Die Übersetzung haben wir mit dem lateinischen Text148 verglichen; aber auch ohne Vergleichung wird der Leser bey manchen Stellen anstoßen, die ihn auf die Richtigkeit der Übersetzung […] mißtrauisch machen müssen.

Auch wenn der Rezensent nicht mit einem »Fehlerverzeichnis ermüden« will, so füllt er doch die nächsten 15 Seiten mit einer keineswegs vollständigen Auflistung – dafür nur ein Beispiel: S. 10. »Und keinem unerneuertem Acker mangelte es an schwangeren Ähren« Nec renovatus ager gravidis canebat aristis. Warum mußte der Üb. carebat für canebat lesen? – fast sollte man vermuthen, daß er die Construktion nicht verstand. Etiam ager non renovatus etc. das hieße wohl: Auch das Feld, welches niemand im Frühlinge bearbeitet hatte, war von vollen Ähren weiß.

Doch diese Kritik träfe nur ins Schwarze, wenn Safft nicht in der Tat einen anderen lateinischen Text als Vorlage gehabt hätte.149 Die Lesart carebat findet sich im 18. Jahrhundert in der Ausgabe von Walchius (1714) und auch in Werken allgemeineren Inhalts, so schon bei Gonet (1669), 523, und bei de Boyer (1743), 278. Demnach gibt es offenbar einen Zweig der Drucktradition der Metamorphosen, in dem Saffts Übersetzung (da ja kein lateinischer Text, der die Kontrolle ermöglichen würde, beigegeben 148 Welche Ausgabe der Rezensent verwendet (zu Safft siehe Anm. 149), darüber gibt er keine Auskunft. 149 Die Lesart carebat ist nicht in der editio maior von Magnus (1914) verzeichnet: ad 1,110: »canebat t candebat f.«

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ist) eine denkbare Lösung darstellt. Trotz solch teilweiser Rehabilitierung erweist sich Saffts verbose und umständliche Übersetzung als wenig zukunftstauglich. Das attestiert ihm auch sein Nachfolger, der allerdings ebenfalls stark angefeindete Johann Georg Karl Schlüter (1786), der in einem kurzen Überblick über die vorhandenen Ovid-Übersetzungen (s. u. S. 160) zu Sedlezki lakonisch »erbärmlich« anmerkt und sich zu Safft ausführlicher, aber keineswegs positiver äußert: Saft hat den Ovid fast immer verstanden, und in so fern kann seine Übersezzung helfen, und hat mir auch in manchen Stellen geholfen. Das wäre denn auch ihr einziger Nuzzen: den guten Geschmack verdirbt sie ganz gewiss bei dem, der nun zuerst die Höhe ersteigen, und von den Alten das Edle Gute und Schöne lernen will. Weh ihm, wehe dem Künstler, wenn sie die Ursprache nicht verstehen, keinen Freund, keinen Lehrer haben, der sie auf bessere Wege leitet, und zu der lauteren Quelle führen kann. Ich habe sie genutzt, aber ich lege sie weg, und dicker Staub mag sie begraben. Die Noten sind so elend, als die Übersetzzung.

Unabhängig von diesen harten Urteilen150 gehört Saffts Übersetzung in einen Kontext, der Ovids Metamorphosen möglichst denjenigen Kreisen erschließen möchte, die von einer Lektüre besonders profitieren können, indem sie daraus entweder künstlerischen oder moralischen Nutzen ziehen können. Aus dieser im weiteren Sinne pädagogischen Absicht erklärt sich auch die Wahl der Prosa, da es eben nicht um Mimesis (das ist auch gar nicht Gegenstand des Übersetzungsdiskurses), sondern um die Vermittlung von Inhalten geht. Der verlegerische Erfolg (s. u. S. 163) gab diesem Projekt auch recht und belegt, welches Bedürfnis in dieser Zeit nach deutschen Fassungen der antiken Texte bestand. Während sich diese Übersetzungen aufs Ganze gesehen der Texttreue und Wörtlichkeit näherten, machten sie dadurch auch Platz für explizite Paraphrasen und Nacherzählungen, wie diejenige von Johann Gottlieb Lindner151 (zu dieser Zeit Lehrer in Langensalza) aus dem Jahr 1764, die ihre pädagogische Absicht im Titel trägt: Lehrreicher Zeitvertreib in Ovidianischen Verwandlungen. In einem ausführlichen Vorwort streift er zunächst kurz die künstlerische Verwendbarkeit, um dann detailreich die Eignung der ovidischen Mythenerzählung für die moralische Erbauung zu entwickeln und sie beinahe auf eine Ebene mit den Darstellungen der Bibel zu setzen. Das ist aber nicht unbedingt ein Rückfall in voraufgeklärte Allegorese, sondern eher eine Nivellierung der diversen literarischen Genres, die alle in den Metamorphosen zusammenkommen. Am Ende vergleicht er die Metamorphosen mit der sich in dieser Zeit entwickelnden Romanliteratur v. a. englischer Provenienz:

150 Vgl. auch Bremer (1781), 3: »Mit gegenwärtigen Verwandlungen aus dem Ovid fängt der Übersezer an, eine Idee auszuführen, die man hie und da angegeben hat: dieses Dichters Metamorphosen, denen Sedlezky und Safft übel mitgespielt haben, nicht ganz, sondern nach einer gewissen Auswahl zu verteutschen; und er hat dabei die Nebenabsicht, die groben Mißhandlungen, die dem Ovid von den erstgenannten Übersetzern wiederfahren sind, durch seine Verteutschung […] einigermaßen wieder gut zu machen.« 151 Anemüller (1883); Horn (2001); siehe ausführlicher unten S. 185 f.

Ovids Verwandlungen verteutscht Andere hingegen, mögen diese Verwandlungen ebenso lesen, wie etwan der Grandison, oder die Pamela152 gelesen wird, ohne daß man sich bekümmert, wer diese oder jene Person gewesen sey oder, wo dieses oder jenes Dorf lieget.

2.2.4 »Ferdinand ***« (1786) Gegen Ende des 18. Jahrhunderts war die Zeit offenbar reif auch für MetamorphosenÜbersetzungen im Versmaß des Originals. Im Jahr 1786 erschienen gleich zwei solche Umsetzungen. Die erste hier behandelte ist augenscheinlich das Werk eines jungen Dilettanten, die mit »Ferdinand ***« anonymisiert wurde.153 Sie zeigt noch deutliche Spuren des Tastenden und Experimentellen, auch fehlen sämtliche Beigaben wie ein Vorwort oder Erläuterungen, so dass die explizite Einbettung in den übersetzerischen Metadiskurs der Zeit ausbleibt.154 Ferdinand wählt einen eigenen Weg im Umgang mit dem Proömium. Wie für viele ältere Übersetzungen sind die vier Einleitungsverse auch für ihn kein integraler Teil des Textes, sie werden aber nicht ganz unterschlagen, sondern zum vorangestellten Motto umfunktionalisiert und damit als Paratext ausgeklammert. Euren Beystand, ihr Götter, erfleh ich, wenn ich es wage, ferner und naher Zeiten Verwandlungen würdig zu singen. Trafen sie nicht auf euer Geheiß der Erden Bewohner?

Aus Ovids vier Hexametern sind drei deutsche geworden. Anders als im lateinischen Original stellt Ferdinand die Inspirationsbitte an den Anfang – eine Rekonventionalisierung von Ovids Verfahren – , dafür entfällt die Nennung des zeitlichen Rahmens mitsamt der göttlichen Verantwortlichkeit völlig, woraus sich auch die Kürzung ergibt.155 Wenn die Übersetzung tatsächlich ein Jugendwerk ist, dann müsste auch ein jugendliches Personal dem Verfasser besonders gelegen kommen. Pyramus, unter den Jünglingen so der Schönste, als Thisbe, unter den blühenden Töchtern des Morgenlandes, bewohnten 152 Sir Charles Grandison und Pamela oder die belohnte Tugend (Pamela, or Virtue Rewarded): zwei auch in Deutschland überaus erfolgreiche Briefromane von Samuel Richardson (1740/1753). 153 Als »Schulz« aufgelöst schon bei Schweiger (1834), 669 (und seither in den Bibliothekskatalogen). Siehe auch Schmidt/Voight (1834), Nr. 138, 362 f. über Joh. Ernst Ferdinand Schulze (1765–1834): »Schon in seinem 20. Jahre übersetzte er ›Ovids Verwandlungen‹, was zu einem Briefwechsel mit dem Dichter Wieland führte, der ihm unter anderen schrieb: ›Ich finde Ihre Übersetzung sehr gut und schön; Ihre Versification fast immer leicht, fließend, angenehm, dem Ohre schmeichelnd und den Gegenständen angemessen.‹« – Solche anonymen Originalpublikationen (und auch Rezensionen, s. o. S. 154) sind im 18. Jahrhundert nicht selten, vgl. auch die kommentierte Ausgabe Nürnberg 1759. Schlüter (s. u. S. 163) bemüht sich offenbar erfolglos um die Identifizierung eines anonymen Rezensenten. 154 Zur moralisierenden Tendenz dieser Übersetzung, die deshalb auch anzügliche Passagen unmarkiert auslässt, vgl. Elit (2002), 150, Anm. 482. 155 Vgl. generell Poiss et al. (in diesem Band), § 10, Nr. 6.

Ulrich Schmitzer Einst Semiramis Stadt, und lernten als Nachbarn sich kennen. Mit den Jahren erwuchs die Liebe: und eheliche Bande sollten sie ewig verbinden. Doch trennten die grausamen Eltern beide Liebende: aber umsonst! sie liebten noch immer, schwuren sich ewige Treue, und doppelt glimmte die Flamme, da sie verdekt war.

Die überschriftsartige Anfangsstellung von »Pyramus« ist beibehalten, dagegen ist die syntaktische Gleichstellung von »Thisbe« zugunsten eines Vergleiches aufgegeben – verbunden mit dem Verzicht auf die Positionierung an zweiter Stelle. Auffällig sind vor allem zwei Phänomene, die beide auf metrischen Zwang, also die ungenügende Beherrschung des literarischen Handwerkszeugs zurückzuführen sind. Dadurch kommt es zur Einfügung von tatsächlich funktionslosen Füllwörtern ohne Gegenstück im Lateinischen wie »blühenden Töchtern« (bei Ovid nur sachlich puellis) oder »ewig«. Darüber hinaus ist es für den Übersetzer nicht möglich, den ovidischen Gedankengang mit seinen Sinneinschnitten in Einklang mit den metrischen Grenzen zu bringen, so dass es zu gehäuften Enjambements kommt, die auch die abschnittsweise Gliederung unklar machen.156 Das zeigt sich besonders deutlich im dritten Vers: Der Gedankengang über den Handlungsrahmen in Babylon ist deutlich kürzer als bei Ovid, so dass Ferdinand sogleich im selben Vers mit dem Kennenlernen fortfährt. Dadurch fällt aber die von Ovid durch die Versgrenze bewusst gesetzte gedankliche Zäsur zwischen Ort und Beginn der Handlung weg. In die bereits öfter beobachtete Kategorie der Rekonventionalisierung fallen Zusätze wie »ewig«, »grausam« oder »umsonst«: Ovids betont sachliche Einleitung wird auf diese Weise ihres die gesteigerte Emotionalität vorbereitenden Effektes beraubt. Um nicht zu ermüden, kann hier die Behandlung der Dialogszene beiseite bleiben, da auch die Pygmalion-Passage hinreichenden Aufschluss gibt Er kehrte zurük, und küßte sein Mädchen: und o Wunder, schon schien sie zu athmen, schon wichen die zarten Glieder dem Drucke, wie Wachs. In süssem Entzücken verlohren staunte der liebende Jüngling der Göttin holdes Geschenk an; bis ihm ihr pochender Busen sein Glük bezeugte: da küßt’ er wonnetrunken die Lippen der Schönen. Erröthend erwacht sie, schlägt das Auge empor, und Venus knüpfet das frohe Band der glüklichsten Ehe in ihrer ersten Umarmung.

Ferdinand normalisiert den Ovid weiterhin: Das Kunstwerk ist bei ihm gleich das Mädchen, das Resultat des Verwandlungsvorgangs ist vorweggenommen. Damit werden die nachfolgenden Schilderungen nur noch Erläuterungen des Geschehens, nicht Teil eines dramaturgischen Spannungsaufbaus. Dafür finden sich wieder Ergänzungen, die Ovids Text an die Lesererwartungen anpassen: »süssem Entzücken«, »liebende 156 Solche Enjambements prangert schon Birken (1697), 60 an: »Die Rede sol / mit dem Verse sich etlichermaßen schließen / und ja nicht ein oder zwei hinterstellige Wörter in die nächstfolgende bringen / noch sich mit einem oder zweyen im vorhergehenden anfangen […].« Vgl. Jaruslowski (1928), 47 f. zu den Aeneis-Übersetzungen des 18. Jahrhunderts.

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Jüngling«, »wonnetrunken« etc. Wo Ovid den Leser zur steten Überprüfung und Anpassung des Entwurfes zwingt, der im Lektüreprozess vom Text entsteht, ist die Sache bei Ferdinand viel schneller entschieden und wird nur noch im Nachhinein redundant illustriert. * Die bisher behandelten Paraphrasen und Übersetzungen unterscheiden sich an dieser spezifischen Stelle vor allem spürbar im Umgang mit den sinnlichen Passagen, die von einigen Verfassern auffällig knapp und oberflächlich, gleichsam nur pflichtgemäß und der Vollständigkeit halber behandelt werden. Andererseits scheut sich etwa der Prediger Safft nicht, die Handlungen und Gefühle des Pygmalion, aber auch die Reaktion der zur Frau werdenden Statue ausführlich und auch mit deutlichem Vergnügen zu beschreiben. Diese Spannweite ist durchaus repräsentativ für den zeitgenössischen Umgang mit Ovid, wie die Verteidigungen und Verdammungsurteile über die Ars amatoria flankierend belegen. Allerdings wird man wohl nicht so weit gehen können, offensiven Umgang mit der Erotik der Metamorphosen mit den die Moralschranken angreifenden Bemühungen des Sturm und Drang in eins zu setzen. Denn die lateinischen Schulautoren gehörten zum Establishment, gegen das man anlief, das man sich nicht dienstbar machte. Wenn etwa im Werther antike Prätexte eine Rolle spielen, dann sind das Homer und allenfalls der ebenfalls unkanonische Catull.157 So nützen offenbar geistliche Schulmänner wie Safft vielmehr das erotische Potential der PygmalionErzählung, um geschützt durch den klassischen Ausgangstext literarisch-papierene Sinnlichkeit ausleben zu können. 2.2.5 Johann Georg Karl Schlüter (1774–1798) Mit Schlüter treffen wir erstmals auf einen Übersetzer, der eine sukzessive Gesamtübersetzung Ovids anstrebte und damit offenbar einen systematischen Ansatz verfolgte. Entsprechend stellte er auch eine auf Vollständigkeit abzielende, nach Art einer bibliographie raisonée gestaltete Übersetzungsbibliographie zusammen.158 Offenbar 157 Schwindt (1996) und (1997). 158 Volständige Samlung aller Uebersezzungen der Griechen und Römer vom 16. Jahrhundert bis 1784, Frankfurt/Leipzig 1785. Vgl. Vorrede p. V: »[D]er Nutzen der Uebersetzungen ist groß. Man sage nicht, daß sie den Lernenden, den Jünglige [sic], der kaum mit den Grazien der Alten, oder dem Anfänger, der kaum mit griechischen und lateinischen Wörtern bekannt gworden ist, verführen, und unthätig machen, daß er nicht zur Quelle gehe und daselbst schöpfe. Der Jüngling nehme das Original und die Uebersetzug und lese, aber man lasse ihn nicht ohne Führer. Der Lehrer sage ihn [sic] wie er die Uebersetzung gebrauchen sollte, es versteht sich, daß der Lehrer ein heller Mann ist, und das Ding wird gut gehn.« Die Metamorphosen-Übersetzungen sind p. 192 aufgeführt und bewertet: Albrecht von Halberstadt, Wickram, Spreng, Schmidt, Lau (scil. Theodor Ludwig Lau, »de[r] monströse Uebersezer des Virgils« [1743], ohne Orts- und Jahresangabe: die Übersetzung ist nicht eruierbar), Peter Schenk, J. C. Schwarz (jeweils nur angekündigt), Sedlezky (»im höchsten Grade schlecht«), Lindner (ausführlich negativ besprochen), Saft (höchst negativ besprochen, vgl. oben), Schlüter

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konnte er neben den gelehrten Zeitschriften und Verlagsanzeigen die Bibliotheken159 an den verschienden Orten, an denen er als Lehrer wirkte,160 produktiv nützen. Schlüter neigt, wie sich schon an seiner Auseinandersetzung mit Safft zeigte,161 zu harschen Urteilen, z. B.: »Die beiläufigen Proben, die Herr Sella von seiner Kunst im Uebersetzen gegeben hat, sind uns hinlänglich Bürge, daß er den Ovid in den Grund verderben wird.«162 Schlüter ist auch der erste mir bekannte Übersetzer, der versucht, aus Ovids lateinischen Hexametern äquivalente deutsche zu machen.163 Zwar fehlt noch die theoretische Untermauerung und Reflexion (stattdessen ist der Vorbericht teils polemisch gegenüber den Vorgängern, meist mit beinahe identischen Urteilen wie in der Vollständigen Sammlung, teils apologetisch über den Wert von Übersetzungen überhaupt), doch ist damit der Weg gewiesen für eine Modernisierung der OvidÜbersetzungen auf der Höhe der Zeit. Schlüters hexametrische Fassung des Proömiums lautet folgendermaßen: Von der Dinge Verwandlung in fremde Gestalten zu singen Streb ich! ihr Götter! denn ihr, ihr habt sie verwandelt, begeistert Mein Beginnen, und leitet vom ersten Werden der Welt an, Mein fortdauerndes Lied bis auf meine Zeit herüber.

Schlüter geht mit der lateinischen Vorlage zunächst eher unbekümmert um. Aus den corpora werden »Dinge«, nova wird enallagetisch zu forma gezogen und mit »fremd« statt »neu« wiedergegeben (nichts in diesem Sinne bei Scheller/Lünnemann [1807]). Adspirate ist geradezu etymologisch wörtlich verwendet, wobei spiritus als »Geist« transparent zugrunde liegt. Dafür gestaltet er das syntaktische Enjambement zwischen Vers 2 und 3 nach und bemüht sich auch sonst im zweiten Teil um möglichste Textnähe und Angleichung an die Wortabfolge. Ein wenig störend wirkt dabei allenfalls das doppelte »mein« im vierten Vers. Noch schwieriger ist die Bewältigung narrativer Strecken mit im Lateinischen wie im Deutschen gleicher Versfußzahl, wie bei Pyramus und Thisbe: Pyramus war der Iünglinge Schönster, Thisbe die Fürstin Unter den Mädchen, die der Orient zählte: sie hatten Beide benachbarte Hütten, in jener Stadt, die mit hohen Mauren von Bakstein Semiramis rings umzog. Die Bekanntschaft Und die erste Liebe machte die Nachbarschaft. Täglich

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(»komt Michaelis [1784] erst heraus«, tatsächlich erst 1786), außerdem verschiedene Teilübersetzungen. Vgl. Schlüter (1786), XXXV. Vgl. Meusel (1798), 179; Daten nach http://zs.thulb.uni-jena.de/receive/jportal_jparticle_00011641. Siehe oben S. 156. Schlüter (1785), 190. Prinzipiell ist die Diskussion über die Möglichkeit, deutsche daktylische Verse zu schreiben, schon wesentlich älter und reicht bis in das 17. Jahrhundert zurück, auf Buchner (1663), 143–148; der Hexameter wurde durch Klopstocks Messias (s. u. S. 181) tatsächlich in der deutschen Literatur verbreitet. Etwa parallel zu Ovid finden sich auch Versuche hexametrischer Übersetzungen der Aeneis: Jarislowski (1928), 38 f.

Ovids Verwandlungen verteutscht Aber wuchs die Lieb’ und sie hätten sich feierlich verbunden, Wenn nicht die Aeltern, was sie nicht konnten, hätten verboten. Beide brannten gleich stark von gegenseitiger Liebe: Keiner wußte darum, sie sprachen durch Zeichen und Winke, Je mehr sie das Feuer verdekten, je heftiger brannt es.

Schlüter kämpft neben prosodischen deutschen Schwierigkeiten vor allem mit der Verteilung des Gedankenganges auf die Verse, die nicht kongruent zu der bei Ovid ist, wodurch die Zahl der Enjambements deutlich ansteigt, ohne dass die damit verbundenen Einschnitte inhaltliche Relevanz hätten. Auch punktuell sind einige Abweichungen vom Original ohne Funktionalität zu verzeichnen. Altam wird von Schlüter mit den Mauern, nicht mit der hoch aufragenden Stadt verbunden. Captis mentibus ist ausgelassen, das die Sentenz bezeichnende Passiv tegitur ist persönlich aufgelöst. Dieser Befund gilt tendenziell auch für die Auffindungsszene: Da er nun auch den Schleier fand mit Blute gefärbet, Sprach er: so soll denn eine Nacht zwei Liebende tödten: Sie war des längeren Lebens würdig, und ich bin an ihrem Tode schuldig: ich habe dich Thränenwerthe getödtet; Denn ich ließ dich an grauenvolle Oerter zur Nachtzeit Kommen, und kam nicht zuerst! Ihr Löwen, die ihr bewohnet Diese Hölen, zerreisset meinen Leib, und verzehret Mein verruchtes Herz mit wüthenden Zähnen. Der Feige Wünscht sich den Tod nur. Er erhob den Schleier der Thisbe, trug ihn unter den Schatten des Baumes, Küst’ und benezte Das ihm bekannte Gewand mit Thränen, und sprach: so empfange Nun auch mein Blut, und da rant er das Schwert in die Brust sich, Zog es dann sterbend aus der zischenden Wunde, zur Erde Rükwärts stürzend. Hoch ergoss sich das Blut, wie aus einer Aufgerissenen schadhaften Röhre von Blei, aus der kleinen Zischenden Oefnung das Wasser heraussprizt, und hoch in die Luft steigt. Von dem Besprizzen des Blutes wurden die Früchte des Baumes Schwarz, und die Blut befeuchtete Wurzel färbte mit Purpur Die am Baume hangenden Beeren.

Es kommt hier v. a. auch in der Wortstellung zu unidiomatischen Verwendungen (Ausklammerung des »sich« bei »rant das Schwert in die Brust sich«, noch dazu mit einem Monosyllabon am Versende), sinnstörenden Enjambements (»zur Erde / rükwärts«) etc. Mit der Hinwendung zum Hexameter verbindet sich von vornherein eine stärkere Angleichung des Umfangs von Original und Übersetzung, was gerade gegenüber paraphrasierenden Umsetzungen deutlich spürbare Folgen hat. Dafür ergeben sich neue prosodische Probleme164 und auch die Notwendigkeit, das Verhältnis von Form und Inhalt in der Verteilung auf die Verse neu auszuhandeln. Eine typische Folge der Inkongruenz zwischen dem Deutschen und dem Lateinischen ist das gesteigerte Auftreten von Enjambements ohne Rücksicht auf syntaktische oder sinnhafte Einheiten. 164 Dazu mehr bei Voß, s. u. S. 175 f.

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Dies ist etwa bei den Versen 112 f. und 114 f. gegeben, wobei in letzterem Fall die gnomische Aussage des Pyramus, die seine Entscheidung zum Selbstmord begleitet, in ihrer Signifikanz gestört ist. Eine weitere Konsequenz des noch wenig erprobten Umgangs mit solchen Versifikationen sind inhaltliche Diskrepanzen: So füllt das Wasserrohrgleichnis gut einen Vers weniger als im Lateinischen und beginnt noch dazu mitten im Vers. Bei Ovids Pygmalion-Sage ließe sich vermuten, das Schlüters übersetzerisches Interesse auch an Ovids erotischen Elegien produktiv werden könnte. Allerdings gibt Schlüter in seiner Wiedergabe der Ars amatoria auch recht offen zu, dass ihm die Sprache des »verrufenen« Ovid manche Schwierigkeit bereitet hat: »Es ist wahr, sie (scil. die Bücher der Ars amatoria) enthalten hin und wieder Schlüpfrigkeiten, die das Ohr beleidigen und ein keusches Herz empören.« Daraus ergibt sich als Notwendigkeit: »[…] ich mußte Treue mit Sittsamkeit verbinden, und durfte weder der einen noch der anderen Tugend das geringste vergeben«165. Dieses Prinzip der Unanstößigkeit scheint auch für den Umgang mit der Pygmalion-Sage leitend gewesen zu sein: Da er zurück kam, verlangt er das Bildnis seiner Geliebte, Sezte sich auf das Bett’, und küsst’ es. Da schien es, als würd’ es Warm. Er küsst es von neuem, berührte die Brust mit den Händen, Und vom Berühren wurde das Elfenbein weich, und die Härte Schwand, und es wich und gab nach dem Eindruk der Finger, wie von der Sonne hymettisches Wachs schmilzt, und von den Fingern gedrükket, Viele Gestalten annimmt, und durch die Arbeit erst gut wird. Da er noch staunt, und schüchtern sich freuet, getäuschet zu werden Fürchtet, bald es kosst’, und wieder durch Abziehn der Hände Seine Wünsche verzögert, da ward es zu Fleisch, und die Adern Schlugen vom Finger berührt. Da dachte Pygmalion wie er Würdigen Dank der Venus darbrächt, er küsste mit seinem Munde den würklichen Mund: das Mädchen empfand schon die Küsse Und erröthete, hob empor die schüchternen Augen, Und erblikte zugleich mit dem Lichte den Liebling. Die Göttin War bei dem Bündnis, das sie gestiftet, zugegen […].

Auch in dieser Passage wird deutlich, wie schwierig es tatsächlich ist, die lateinische Gedankenfolge mitsamt ihrer syntaktischen Gestalt in eine parallele deutsche Sprachgestalt zu überführen. Wieder fallen die zahlreichen Enjambements auf, die durch die Versgrenzen interne Sinngrenzen erhalten und die zur Besetzung der eigentlich betonten Versendposition durch blasse Wörter führt, etwa »wie von der« oder »mit seinem« (in beiden Fallen sind sehr enge syntaktische Verbindungen getrennt). Sodann: Ovids admovit os iterum wird simplifizierend zu »er küsst es von neuem«, wodurch die vorsichtige Annäherung Pygmalions verschleiert wird. In der isolierten Stellung von »es wich« bleibt unklar, dass das Wachs dem Druck der Finger nachgibt und nicht einfach verschwindet. Retractat bedeutet gewiss nicht »verzögert« und ist offenbar – unabhängig vom nicht gegebenen Sinn – mit retardat verwechselt (diese 165 Schlüter (1793), VI. Zum in der Übersetzungsgeschichte immer wieder auftauchenden Treue-Postulat vgl. Kitzbichler/Lubitz/Mindt (2009): Register.

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potentielle Lesart findet sich zumindest nicht bei Magnus [1914] im Apparat). Plenissima […] concipit verba wird zum blassen »dachte«, dafür ist »würdig« als Attribut der Venus ohne lateinisches Gegenstück beigefügt. Diese Beispiele können verdeutlichen, dass der Übersetzer es nicht versteht, die Differenziertheit und durch exakte Kalkulation geprägte Dichtersprache Ovids ins Deutsche zu überführen, sondern dass er mit der Wahl des Hexameters einen notwendigerweise unbefriedigenden Kompromiss eingehen muss. Schlüters Fassung fand auch schon bei seinen Zeitgenossen wenig Beifall, so in der mit Dz. unterzeichneten Rezension der Allgemeinen Deutschen Bibliothek: Dieß wäre in kurzer Zeit die zwote elende Übersetzung der Ovidischen Verwandlungen. Der arme Naso hat also für die Sünden seines üppigen und schwelgerischen Witzes noch nicht im Exil gelitten, er muss sie auch nach dem Tode unter den Händen seiner Übersetzer büßen.

Dieses Verdikt betrifft sowohl die »elend geschriebene« Vorrede als auch die eigentliche Übersetzung, in der der Rezensent wenig Lobenswertes findet, »desto mehr elende und holprige Versifikation, desto mehr matte und durchwässerte Stellen, desto mehr Fälle, wo der anspielende Witz oder das Bild untergegangen ist, desto mehr Worte ohne poetische Auswahl, desto mehr, entweder gar nicht, oder ganz falsch verstandene Stellen«.166 Da nützt es auch wenig, dass sich Schlüter in der Vorrede zur ebenfalls metrischen Übersetzung der Ars amatoria (Leipzig 1793)167 heftig wehrt: […] ob ich das geleistet habe, das wird der rechtschaffene Mann nur beurtheilen wollen und können, nicht aber ein, oder der ehrlose Recensent, in der Allg. Deutsch. Bibl. welcher sich als Recensent meiner metrischen Übersetzung der Verwandlung im 73. Bande mit D. Z. unterschrieben hat. Ein solcher ehrloser Mensch hat keine Stimme im Publiko, oder sie ist, wenn er sie erhebt, so widerlich als die Stimme eines gewissen Thiers im Thierreiche, welches sich durch diese Stimme eben so kenntlich macht, als durch sein paar lange Ohren.

Da Schlüters Metamorphosen-Übersetzung offenbar schnell in Vergessenheit geriet, lässt der Verfasser darüber seinem Unmut auch generell freien Lauf: Vor einigen Jahren aber machte Herr Buchhändler Mylius mit großem Lärm und Getöse bekandt, daß ein wackerer Gelehrter in seinem Verlage ein Übersetung [sic] der Verwandlungen herausgeben würde,168 da man außer der ebenfalls in seinem Verlage vor ungefähr 20 Jahren erschienenen elenden? [sic] Saftschen Übersetzung, die nun vergriffen wäre, und wornach noch immer gefragt würde, keine neuere und brauchbare Uebersetzung der Verwandlungen hätte. So etwas vor dem ganzen Publiko zu behaupten, zeigt doch warlich von einer guten Dosi, Arroganz und Ignoranz.

166 Vgl. auch die anonyme Rezension in der Allgemeinen Literaturzeitung, 5. Bd. (1786), Leipzig 1788, 226–229: »Seine Arbeit ist nicht schlecht genug zu amüsieren, und nicht gut genug, zu gefallen.« 167 Außerdem: Mittel wider die Liebe (1796); Lieder der Liebe (1796), Ibis (1796), Fünf Trauerbücher (1798); sowie Petron (1796). 168 Gemeint ist die Prosaübersetzung von August Rode, s. u. S. 171 ff.

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Diese Äußerungen, gerade auch polemischer Art, zeigen, wie intensiv die Debatte im 18. Jahrhundert geführt wurde, wie schwer es aber auch war, tragfähige Kriterien zu benennen, die überhaupt für eine solche Übersetzung maßgeblich sein konnten. 2.2.6 Parodien und Parodienhaftes Nicht aus der Tradition des deutschsprachigen Kulturraums, sondern aus französischhöfischem Milieu stammen die auch in Deutschland publizierten parodistischen Aneignungen der Metamorphosen. So wurden im späten 17. Jahrhundert die Metamorphosen von Isaac de Benserade, einem Mitglied der Académie française, in die modische französische poetische Form des Rundgedichts (»en rondeaux«) gegossen169 und damit möglichweise als Grundlage für ein Ballett verfügbar gemacht. Die hier genannte zweisprachige Ausgabe (Nürnberg 1689170), die Ovid in eine völlig andersartige Gedichtform überführt, macht diese Genealogie auch im Druck deutlich.171 Da diese Version auch in den Bibliotheken sehr selten ist (und erst jüngst digital zugänglich gemacht wurde), sei hier ein etwas ausführlicheres Zitat vorgestellt. Benserade nimmt in völliger Abkehr von der Tradition den Ausgang der Erzählung im Rahmen der Minyadenhandlung bei Semiramis (die bei Ovid nur als Gründerin von Babylon eine Funktion hat), betont ihre negativen, da von erotischen Trieben beherrschten Charakterseiten, rechtfertigt aber die Nennung durch den Hinweis auf die Autorität Ovids. Sodann setzt die Pyramus- und Thisbe-Erzählung (wie auch sonst bei Benserade) mit einem Holzstich ein (Thisbes Selbstmord mit Pyramus’ Schwert unter dem Maulbeerbaum, flankiert von zwei Amoren), darauf folgt schon vorweg die Zusammenfassung (zunächst auf französisch, was hier weggelassen ist, dann auf deutsch): Pyramus und Thisbe hatten einander inniglich liebt / und ihre nah beysammen wohnende Eltern / so einander feind waren / wollten nicht zulassen / daß sie einander heurathen / ja gar nicht sehen solten. Als sie sich nun gleichwol auf einem gewissen Ort zusammen bestimmet; kam Thisbe zu erst / und ließ aus Furcht vor einem Lowen in der Flucht ihren Schleyr fallen / welchen der Löw blutig machte. Als Pyramus solchen ersahe / und sich drüber einbildete sie wäre vom Löwen gefressen worden / erstach er sich aus Verzweiflung: und that darauf desgleichen: und ihr Blut soll gemacht haben / daß der weise Maulbeerbaum / unter welchem sie zusammen kommen wollen / gefärbte Fruchte getragen. Quid non sentit Amor?

169 Benserade (1689), beruhend auf Isaac de Benserade: Metamorphoses d’Ovide en rondeaux (Paris 1676); dazu Moog-Grünewald (1995). 170 Die an die Herzöge Rudolf August und Anton Ulrich von Braunschweig gerichtete Vorrede ist vom Verleger Johann Hoffmann unterzeichnet, der Urheber der deutschen Verse wird nicht genannt (auch der Name Benserade fällt nicht). 171 Vgl. auch Le Metamorfosi di Ovidio. Ridotte da Gio. Andrea dall’ Anguillara in ottava rima, 2. Auflage, Venedig 1582.

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Damit ist der Leser genügend mit Wissen ausgestattet, um die gereimte Fassung genießen zu können:172 Pyramus und Thisbe. Ein Liebes-Paar kam endlich überein Sie wolten doch allein beysammen seyn: Und war der Ort dazu auch schon benennt, Die Thisbe lief / wie wenn ein feuer entbrennt / Und kam zu erst voll Ungedult allein. Der Pyramus erlidte gleiche Pein: Da mengte sich der Unstern mitten drein. Was thut nicht / und wird doch bald getrennet Ein Liebes-Paar? Es kommt ein Löw: die Thisbe flieht mit schreyn; Ihr Schleyr fällt hin / das Thier bringt Bluth hinein. Der Liebst erschrickt: ergreift sein Schwerdt und rennt Selbst in den Tod. Als Thisbe ihn erkennet / Folgt sie ihm nach. So irret insgemein Ein Liebes-Paar.

Das Verhältnis von moralischer Deutung und ovidischem Inhalt ist hier anders als bei den Texten des 16. Jahrhunderts. Die Prosaparaphrase hat nur die Aufgabe der Inhaltsangabe, die Verse (die keine Übersetzung der französischen Fassung sind, sondern völlige Neudichtung – zwangsläufig angesichts des engen formalen Gewandes) mischen eine Variation des Inhalts (zugespitzt auf das erotische Verhältnis von Pyramus und Thisbe) und eine aufs Allgemeine zielende ethische Schlussfolgerung (»so irret insgemein […]«) aus dem konkreten Geschehen. Dass der Verfasser offenbar den lateinischen Originaltext konsultiert hat, wird an der Aussage über die Eile der Thisbe deutlich, wo die Feuermetapher (quoque magis tegitur […]) an einen etwas späteren Zeitpunkt der Handlung transponiert und von der Liebesleidenschaft auf das konkrete Verhalten der handelnden Personen übertragen ist.

172 Pyrame & Tisbe. A deux Amans parfaitement d’accord L’Amour sembloit préparer un doux sort, Du Rende-vous l’heure estoit déja prise, Pour s’y trouver la jeune Fille éprise S’impatiente, & la premiere sort. Le beau garçon suit le mesme transport, Quand l’un pour l’autre ils se donnent la mort, Quelle tragique, & funeste surprise. A deux Amans. Un Lion vient, Tisbé s’ensuit d’abord, Son voile tombe, & soûtient tout l’effort, Ce qui causa la saglante méprise. Voilà comment l’erreur, & la bestise Entrent par tout, & souvent sont grand tort. A deux Amans.

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In der Pygmalion-Sage wird die Abkehr des Künstlers von den Frauen bereits in der Einleitung als Beleidigung der Venus dargestellt, die ihn mit der Liebe zu seinem eigenen Kunstwerk bestraft (das führt variiert zurück zur Vorstellung einer pervertierten Neigung, die Ovids Fassung zugrunde liegt). Doch seine Fähigkeit als Bildhauer hilft ihm, das steinerne Kunstwerk lebendig und so zu seiner Ehefrau werden zu lassen. Das betont (wie in späteren Deutungen der Pygmalion-Sage, ohne dass hier ein Kausalnexus bestünde) die Autonomie des Künstlers gegenüber der göttlichen Sphäre, während die Rundverse dann die Verzweiflung des Pygmalion sowie die erlösende Tat der Venus zum Thema haben. Sie enden: Manch Weibes Bild läst sich so steinhafft finden. Der ist verliebt / wer küßt was kalt und alt / In einen Stein!

Mit diesem misogynischen Schluss fügt sich der deutsche Text dann doch wieder in die Auslegungstradition der Metamorphosen, die gegen die Tendenz des Textes bei Ovid genügend Anlass zum Frauentadel findet.173 Von den Rundgedichten führt der Weg weiter zu anderen Parodien, die sich vor allem im Umkreis des Wiener Hofdichters und Aufklärers Alois Blumauer finden. Dessen Aeneis-Travestie Bist du’s, Aeneas? erreichte große Bekanntheit. Er wird in den 1790/91 publizierten anonymen Verwandelte[n] ovidische[n] Verwandlunge[n] ausdrücklich als Vorbild genannt (»ad modum Blumaueri«).174 Eventuell steht er sogar selbst hinter dem Pseudonym Amalgund Holzbirn175 einer weiteren MetamorphosenTravestie. Holzbirn verzichtet auf eine Adaption des Proömiums (oder was dafür stehen könnte) und setzt mit der Weltschöpfung ein:176 Als einst dem Zeus der Götter-Rath Viel lange Weile machte, 173 Vgl. etwa Bersuire (1979) zu Pygmalion: »Sed procerto tandem accidit quod venus dea luxuriae id est carnis concupiscentia se interponit et ipsam imaginem mortuam convertit in vivam: et ipsam castam mulierem facit carnis stimulos sentire et eam mutat de bona in fatuam.« (»Aber gewiss kommt es schließlich vor, dass Venus, die Göttin der Ausschweifung, das heißt der fleischlichen Begierde, sich einschaltet und selbst das tote Bild in ein lebendiges verwandelt. Und sie selbst lässt eine keusche Frau den Stachel des Fleisches spüren und verwandelt sie aus einer guten in eine Närrin.«) 174 Holzbirn (1790/1791). – Dazu die anonyme Rezension in der Neuen Bibliothek der schönen Wissenschaften und freyen Künste, Bd. 44 (1792), 105–108: »Leider nur zu sehr ad modum Blumaueri, und was noch schlimmer ist, ohne einen Funken von dem aechten Witz, um dessentwillen man jenem Dichter manche Unart verzeiht, die bei einem Versemacher, wie dieser Ungenannte, ganz unerträglich ist.« – Andere Beispiele sind: Verwandlungen, travestiert von Gottlieb Müller, 1–15. Buch in 12 Heften, Wien 1803–1807; Verwandlung, travestiert von Benedikt von Wagemann, 1. Bd. (1.–3. Buch), Frankfurt/Leipzig 1806. 175 Vgl. Weller (1856), s. v.: Aufgenommen in Blumauer (1840). – Weller (1864), 152: tatsächlich gedruckt bei Ferstl in Graz. – Zu den Vergil-Parodien Blumauers und deren Tradition siehe Kallendorf (2007), 196–200. 176 Holzbirn (1792), dazu die Oberdeutsche allgemeine Litteraturzeitung, 6. Jg. ( Januar–Juni 1793): »Unter diesen Bedingungen sieht der Recens. dem zweyten und folgenden Bändchen mit Vergnügen entgegen, weil er sich davon wieder einige heilsame Erschütterungen seines Zwerchfelles, und ein paar recht heitere Stunden verspricht.«

Ovids Verwandlungen verteutscht Und er an des Relati statt, Ganz etwas anders dachte: Da fiel ihm ein – aus nichts etwas Zu machen – sey ein wahrer Spaß, Und werth es zu probiren: »Mich macht, sprach er, das einerley, »In Wahrheit überdrüßig: Auch zieh ich mir den Spleen herbei, »Geh ich so immer müssig; »Parbleu: ich will nicht laenger ruh’n – – »Davor zum Zeitvertreib mir nun, »Ein paar Schock Welten machen.«

Dem genre einer solchen Travestie entsprechend, bietet der Text nicht viel mehr als das äußere Handlungsgerüst (und nicht einmal das ist sakrosankt) und nimmt das zum Anlass (bzw. zum Vorwand), die Ernsthaftigkeit der Vorlage zu unterlaufen. In diesem Fall ist damit auch die Rückkehr zu klischeehaften Vorstellungen verbunden: Der Zeus Holzbirns ist offenbar das Gegenstück zum Schöpfergott der Genesis, nicht zum deus et melior natura (met. 1,21) Ovids, der die Entwicklung aus dem Chaos zum Kosmos ins Werk setzt. Von den mittelalterlichen und frühneuzeitlichen paraphrasierenden Umsetzungen unterscheiden sich Texte à la Holzbirn vor allem dadurch, dass sie nicht anstreben, Ovid in eine zeitgenössische Ästhetik umzusetzen, sondern ihn durch die Konfrontation mit zeitgenössischen ästhetischen und moralischen Maßstäben als veraltet erscheinen zu lassen. Die Herkunft dieser Bestrebungen aus dem französischen höfischen Ambiente ist ja auch noch in den deutschen Titeln und Untertiteln (»mit aecht französischer Freiheit«) erhalten, damit ist auch ihre produktive Phase mit dem Ende des Ancien Régime und dessen Spätformen beendet.177 Schon die Reaktion der Zeitgenossen auf diese Parodie war durchaus geteilt.178 Offenbar war mit dem zu Ende gehenden 18. Jahrhundert die Zeit für solche höfischen Scherze auch vorüber. Wegen der dezidiert nicht gegebenen Nähe zum Ovid-Text bleiben diese Formen im Folgenden außer Betracht.179 2.2.7 Einstweilige Schlussfolgerungen Eine vorläufige Bilanz aus den Übersetzungen bis zum Ende des 18. Jahrhunderts zeigt: Sämtliche Übersetzer gehören nicht den wissenschaftlichen Eliten an. Sie sind zwar – im Rahmen der jeweils zeitgeschichtlichen Möglichkeiten – gut gebildet, nehmen aber nicht an der wissenschaftlichen Debatte, an den Editionen und Kommentierungen, teil. Die Urheber dieser Übersetzungen sind (mit Ausnahme Schlüters) sonst nicht 177 Naiv ist Hannemann (2005), 198,95, über die Ovid-Adaptionen der romantischen Schriftstellerin Sophie Mereau, die Holzbirns Travestie für eine tatsächlich verwendbare Übersetzung hält. 178 Vgl. oben Anm. 174. 179 Vgl. Laird (2010), 1120 f., über Vergil-Parodien des 18. Jahrhunderts als Indiz für das sinkende Prestige dieses Dichters gegenüber Homer; außerdem auch Jarislowksi (1928), 9–14 und 19–25.

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weiter einschlägig hervorgetreten, trotz des Umfanges sind dies also dilettantische (verstanden im Sinne des 18. Jahrhunderts) Parerga. Bis ins 17. Jahrhundert hinein ist allerdings mit nur geringer sprachlicher Kompetenz der Verfasser zu rechnen, woraus sich notwendigerweise ergibt, dass man sich an vorhande Fassungen anschließt und diese fortschreibt. Dennoch überwiegt ihre Rolle als Vermittler der Textkenntnis an die Kreise, die die antiken Texte nicht oder nur schwer im Original lesen können. Die formale Gestaltung entspricht jeweils den ästhetischen Prinzipien der Zeit. Noch die Übersetzungstheorie der Aufklärung forderte keineswegs die Angleichung an das fremdsprachliche Original, sondern sah entweder die Prosa oder eine zeitgenössische deutsche Metrik als die Mittel der Wahl an. Erst am Ende des 18. Jahrhunderts begann sich dies zu ändern; das Prinzip, nicht mehr den Autor zum Leser, sondern den Leser zum Autor zu bringen, die Form der deutschen Wiedergabe also klassisch zu gestalten, erschien am Horizont und sollte den übersetzerischen Diskurs der Folgezeit prägen.180 Die hohe Zahl von Metamorphosen-Übersetzungen bis zum Ende des 18. Jahrhunderts zeigt das Publikumsbedürfnis nach gemeinverständlichen Fassungen eines Basistextes für die Kenntnis der antiken Mythologie und deren künstlerische Umsetzungen. Mit dem Ende des 18. Jahrhunderts ändern sich nicht nur im Zeichen des Kults des Originalgenies die Rahmenbedingungen insgesamt, sondern durch veränderte ästhetische Paradigmen die Bedeutung der Metamorphosen-Kenntnis generell. Übrig bleibt die propädeutische Funktion als vermittelnde Anfangslektüre mit vermeintlich kindgemäßen, märchenhaften Inhalten. Dieser Paradigmenwechsel wird in nuce deutlich in Goethes Bericht über seine Begegnung mit Herder in Straßburg 1770: [Herder] hatte mir den Spaß an so manchem, was ich früher geliebt, verdorben und mich besonders wegen der Freude, die ich an Ovids Metamorphosen gehabt, aufs strengste getadelt. Ich mochte meinen Liebling in Schutz nehmen wie ich wollte, ich mochte sagen, daß für eine jugendliche Phantasie nichts erfreulicher sein könne, als in jenen heitern und herrlichen Gegenden mit Göttern und Halbgöttern zu verweilen und ein Zeuge ihres Tuns und ihrer Leidenschaften zu sein […]: das alles sollte nicht gelten, es sollte sich keine eigentliche unmittelbare Wahrheit in diesen Gedichten finden; hier sei weder Griechenland noch Italien, weder eine Urwelt noch eine gebildete, alles vielmehr sei Nachahmung des schon Dagewesenen und eine manierierte Darstellung, wie sie sich nur von einem Überkultivierten erwarten lasse.181

Die Schule sollte allerdings weiterhin ein Refugium, ja das Refugium für die Metamorphosen bleiben, die damit weiterhin Schüler der ersten lateinischen Lektürejahre in die antike Mythologie einführten. Eine weitere wichtige Zielgruppe von Übersetzungen blieben auch über die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert hinaus die Frauen. Da ihnen üblicherweise eine altsprachliche Bildung verwehrt war, die aber zum intellektuellen Rüstzeug für alle die zählte, die im kulturellen Diskurs auf der Höhe der Zeit mithalten wollten, waren sie in besonderer Weise auf Übersetzungen angewiesen, sei es auf gedruckte, sei es auf ad hoc 180 Zu diesem Komplex ausführlich Kitzbichler (2009), 15–18. 181 Goethe, Dichtung und Wahrheit (MA Bd. 16, 1985), 444 f.

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erstellte.182 Gerade die Frauen aus gebildeten Ständen stellten auch ein zahlungskräftiges Publikum dar,183 was es nicht zuletzt für die Verleger reizvoll machte, diesen Markt zu bedienen.

3. Die klassischen Metamorphosen-Übersetzungen der Goethezeit: August Rode und Johann Heinrich Voß sowie Friedrich Gottlieb Klopstock In die Goethezeit fällt eine tiefe Zäsur auch in der Geschichte der Übersetzungen.184 Mit den Unternehmungen von Voß für Homer, Humboldt für Aischylos und Schleiermacher für Platon wurde ein Niveau und Reflexionsgrad erricht, der Goethe zu einem höchst wohlwollenden Urteil veranlasste: Was aber das Griechische, Lateinische, Italienische und Spanische betrifft, so können wir die vorzüglichsten Werke dieser Nationen in so guten deutschen Übersetzungen lesen, daß wir, ohne ganz besondere Zwecke nicht Ursache haben, auf die mühsame Erlernung dieser Sprachen viele Zeit zu verwenden. Es liegt in der deutschen Natur, alles Ausländische in seiner Art zu würdigen und sich fremder Eigenthümlichkeit zu bequemen. Dieses, und die große Fügsamkeit unserer Sprache macht denn die deutschen Übersetzungen durchaus treu und vollkommen. (Zu Johann Peter Eckermann, 10. Januar 1835.)

Aus diesen Worten spricht die Vorstellung einer besonderen Eignung und Affinität des Deutschen für Übersetzungen.185 Während noch Humboldt ausdrücklich die deutsche Sprache durch die griechischen Texte übersetzend bereichern wollte, sieht Goethe nun die Sprachentwicklung zu einer solchen Reife gelangt, dass die Übersetzungen gegenüber den Originalen defizitlos sind. Das in der gesamten Übersetzungsdiskussion immer wiederkehrende Schlagwort von der »Treue« ist von Goethe mit der Hinwendung der Übersetzung zum Original (Schleiermachers »den Leser zum Autor bringen«186) korreliert. Damit können die Übersetzungen jetzt tatsächlich die Rolle einnehmen, die sie außerhalb der Kreise der wirklich zur altsprachlichen Lektüre Befähigten immer schon hatten, nämlich für die Originale stehen.187 Die Wende zum 19. Jahrhundert ist aber auch charakterisiert durch den dramatischen Prestigeverlust der lateinischen Literatur gegenüber der griechischen im Zeichen von Klassizismus und Kult des Originalgenies. Das Lateinische erhielt selbst im Gymnasialunterricht programmatisch nur noch propädeutische und substitutive Funk182 Siehe Müller (2012), 44–73, bes. 55–57, wo über die Bitten Elisa von der Reckes an ihren Bruder berichtet wird, ihr doch »Uebersetzungen aus dem Vergil und Ovid […] zu machen«. 183 Vgl. Müller (2012), 58,469, über die Subskribentinnen der Erstauflage von Voß’ Odyssee-Übersetzung (1781). 184 Vgl. Kitzbichler (2009) bes. 15–28 (»Übersetzungstheoretischer Paradigmenwechsel um 1800«); zur Vorgeschichte vgl. Elit (2002), 113–160. 185 Kitzbichler (2009). 186 Kitzbichler (2009). 187 Vgl. zu dieser auch in der Bedeutung von Antikenrepliken und -kopien ablesbaren Tendenz in dieser Epoche prinzipell Bartsch et al. (2010).

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tion, mochten auch die tatsächlichen Unterrichtsstunden dauerhaft über denen des Griechischen liegen.188 Die intensive übersetzungstheoretische Debatte der Goethezeit fand damit fast zwangsläufig so gut wie vollkommen ohne Berücksichtigung des Lateinischen statt. Voß’ Homer war ein öffentlich heiß diskutiertes Ereignis,189 sein Vergil und sein Ovid nicht. Schleiermacher und Humboldt arbeiteten sich am Verhältnis des Deutschen zum Griechischen ab,190 lateinische Texte zogen sie als Stoff ihrer Bemühungen nicht einmal in Betracht. Und wenn lateinische Texte ins Blickfeld kamen und ein größeres Interesse beanspruchen konnten, dann waren das nicht die Dichtungen Ovids, sondern Vergils.191 Um dessen Aeneis lieferten sich Friedrich Schiller und Gottfried August Bürger einen übersetzerischen Wettstreit,192 der vor allem das 2. und 4. Buch, das von je her beliebte Dido-Buch, betraf.193 Auch dabei ging es in erster Linie um die in diesen Jahrzehnten im Mittelpunkt der Übersetzungsdikussion stehende Metrik: Bürgers deutsche Hexameter194 gegen Schillers den aktuellen Vorlieben entsprechenden Stanzen.195 Vergils 188 Vgl. Fuhrmann (1999), bes. 55–68; Leonhardt (2009), 260–274; außerdem noch immer Paulsen (1885), hier v. a. 518–530; Baumbach (2002), 118, der für die preußischen Gymnasien eine Gesamtstundenzahl 76 (Latein) vs. 50 (Griechisch) nennt. 189 Vgl. August Wilhelm Schlegel, Rezension zu: Homers Werk, von Johann Heinrich Voss (1796), in: Kitzbichler/Lubitz/Mindt (2009a), 3–38; Kitzbichler (2012a) mit weiterer Literatur; Müller (2012), 57–61. 190 Vgl. auch Boeckh (1886) (in: Kitzbichler/Lubitz/Mindt [2009a], 201), der unter den »hervorragend[en] Leistungen« der Übersetzungskunst im 19. Jahrhundert nur solche aus dem Griechischen anführt. 191 Siehe auch Wilke/Suerbaum (2013) mit Streiflichtern zu Aeneis-Übersetzungen und -Illustrationen im 17. Jahrhundert. 192 Gottfried August Bürger und Friedrich Schiller hatten einander 1789 in Weimar kennengelernt und beschlossen, ihre poetischen Fähigkeiten an der Aeneis zu erproben. Dazu gibt es eine Vorgeschichte: Bürger hatte in seiner Abhandlung Bürger an einen Freund über eine teutsche Ilias vehement seinen Versuch einer jambischen Wiedergabe des Homer gegen den Hexameter verteidigt, da ihm dieser als ungeeignet erschien. Umso mehr musste es überraschen, dass er nun für die Aeneis just dieses inkriminierte Versmaß wählte. Deshalb sah er sich zu einer Rechtfertigung gezwungen (in der fiktiven dritten Person): »Ausser einer homerischen Übersetzung aber, meinte mein Mann, müßte man den deutschen Hexameter keineswegs verwerfen, wie er denn auch eine gänzliche Verwerfung in Bürgers Abhandlung nicht fand. So könnte, zum Beispiel, der deutsche Hexameter es ganz gut mit dem lateinischen aufnehmen, und wäre eine hexametrische Verdeutschung der Aeneis möglich, die sich allenfalls getrost neben ihr Original hinstellen könnte.« Bürger (1777), 243. 193 Vgl. prinzipiell Kleßmann (2009) (v. a. mit Blick auf die Übersetzungsgeschichte einzelner Passagen, aber ohne Forschungsliteratur). Hilfreich ist noch immer die Materialsammlung von Jarislowski (1928); außerdem Auhagen (2010); Binder (1950); Dettmer (1899); Müller (1970); Neuhöffer (1893); siehe weiter Laage (1961). 194 Aeneis 4,1–5: »1. Aber die Königinn, längst zerrissen von innigem Aufruhr, Blutet’ an Wunden des Herzens und kocht’ in heimlicher Flamme. Immer rauschte der Ruhm des Helden, und immer der Adel Seines Geschlechts ihr noch dem Seelenauge vorüber. Tief im Busen und fest behafteten Wort und Geberde.« (Bürger, Dido [1777], 244). 195 Aeneis 4,1–5: »Längst aber krank vom Pfeil des Liebesgottes nährt die Königin ein Feu’r, das heimlich sie verzehrt mit immer wachsender Begier umranken

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Georgica erregten Aufmerksamkeit, als sich Johann Heinrich Voß (s. u.) ihrer annahm und das lateinische Gedicht vom Landbau zu einer Parallele zur eigenen durchaus erfolgreichen Idyllendichtung werden ließ. Dennoch hatte auch die lateinische Literatur und darin die Metamorphosen impliziten Anteil an diesem Wandel und Fortschritt, dessen Resultate in Goethes zitierten Äußerungen festgehalten sind. Mit der Prosafassung durch August (von) Rode (1791) und der hexametrischen Umsetzung durch Johann Heinrich Voß (1798)196 erschienen zwei bis heute Maßstäbe setzende Übersetzungen, die gewissermaßen das Ende der Vorgeschichte der Ovid-Übersetzungen markieren. 3.1 August von Rode197 (1751–1837) und Johann Heinrich Voß (1751–1826) August Rode gehört in das kulturelle und politische Umfeld des Dessauer Hofes. Die bedeutendeste dort vollbrachte kulturelle Leistung war die Schaffung des DessauWörlitzer Gartenreichs, an dessen programmatischer Konzeption Rode beteiligt war.198 Von besonderer übersetzungsgeschichtlicher Bedeutung ist seine in diesem Kontext entstandene, schon von den Zeitgenossen eifrig rezipierte Übersetzung der Metamorphosen des Apuleius,199 die mit dem mythologischen Programm des Parks korrespondierte. Er machte sich darüber hinaus durch seinen deutschen Vitruv und auch eine übersetzerische Anthologie verschiedener lateinischer Gedichte einen Namen. Diese Philosophische[n] und andere[n] Gedichte aus dem Lateinischen des Lukrez, Horaz, Catull, Virgil, Ovid, Lukan (Hamburg 1785) tragen den Untertitel »in der Versart der Originale verdeutscht« und enthalten aus den Metamorphosen die NiobeSage (met. 6,155–313).200 In der zugehörigen »Vorerinnerung« stellt Rode eine explizite Verbindung zur bildenden Kunst her: Die Fabel der Niobe ist für die Liebhaber der Kunst höchst interessant wegen eines der schönsten Werke der Bildhauerei aus dem Alterthum, welches die Niobe mit ihren Kindern

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des theuren Gastes Bild die trunknen Gedanken, des Volkes Glanz, des Führers Heldenmut. Sein Anblick, seine Worte brannten tief in ihr Herz, noch nie gefühlte Kämpfe bannten den süßen Schlaf aus dem empörten Blut.« (Schiller, Dido [1791], 304). Hierzu nunmehr die Beiträge in Baillot/Fantino/Kitzbichler (2014). Vgl. Hosäus (1889); Niedermeier (2007), bes. 275–278; Pfeiffer (2002) sowie Stephan (in diesem Band). Rode wurde 1803 geadelt. Vgl. Rode (1798). Dazu Stephan (in diesem Band). Siehe die Erläuterungen bei Rosati (2009), ad loc.; außerdem Feldherr (2004/2005) (auch mit Blick auf die ekphrastische Struktur der Erzählung und damit auf das bildliche Potential).

Ulrich Schmitzer vorstellt und sich zu Rom in der Villa Medicis 201 befindet. Winckelmann nennt diese Niobe mit ihren Töchter die höchsten Ideen der Schönheit […].202

Rode sucht also sehr deutlich den Anschluss an den Klassikdiskurs seiner Zeit, allerdings mit einem gerade dem klassizistischen Verdikt anheim fallenden Dichter. Der Rekurs auf Winckelmann bettet sich in den kulturellen main stream ein, bekommt aber dadurch eine besondere Bedeutung, dass der Fürst Franz von Dessau mit Winckelmann durch Italien gereist war.203 Rodes eigentlicher Text beginnt folgendermaßen (met. 6,155–161):204 Die beglükteste Mutter Priese man izt Niobe, wofern sie nicht Dünkel bethöret. Tiresias Erzeugte, die Zukunftskundige Manto Hatte, durch göttlichen Antrieb erregt, in Mitte der Gassen Thebens geweissagt: »Auf, Ismeniden, erhebt euch in Menge, Bringt Latonen, bringt Latonens unsterblichen Kindern Weihrauch, betet sie an, und umkränzet die Haare mit Lorbeer […].«

Die Kursivierungen verweisen auf die Realienerläuterungen den Anmerkungen Rodes, so dass der Text grundlegend didaktisiert erscheint.205 Die Übersetzung selbst bemüht sich um die Beibehaltung des Verhältnisses von Sinn und Vers, des Satzduktus und auch des Wortmaterials, bisweilen um den Preis der Verständlichkeit, so in »Tiresias Erzeugte«, worin der dem lateinischen Ablativ entsprechende deutsche Genitiv nur mit

201 Seit 1780 in Florenz, in den Uffizien: Rode weiß von dieser Veränderung offenbar nichts. Vgl. generell Geominy (1984); zur Rezeptionsgeschichte in der Goethezeit siehe Dönike (2005),184–210. 202 »Die Niobe und ihre Töchter sind als ungezweifelte Werke dieses hohen Stils anzusehen, aber eins von den Kennzeichen derselben ist nicht derjenige Schein von Härte, welche in der Pallas eine Muthmaßung zur Bestimmung derselben giebt, sondern es sind die vornehmsten Eigenschaften zu Andeutung dieses Stils, der gleichsam unerschaffene Begriff der Schönheit, vornemlich aber die hohe Einfalt, sowohl in der Bildung der Köpfe, als in der ganzen Zeichnung, in der Kleidung und in der Ausarbeitung. Dieses Schönheit ist wie eine nicht durch Hülfe der Sinne empfangene Idea, welche in einem hohen Verstand, und in einer glücklichen Einbildung, wenn sie sich anschauend nahe bis zur göttlichen Schönheit erheben könnte, erzeuget würde; in einer so großen Einheit der Form und des Umrisses, daß sie nicht mit Mühe gebildet, sonden wie ein Gedanke erwecket, und mit einem Hauche geblasen zu seyn scheinet.« Winckelmann (Bd. 3, 1812), 240 f. – Winckelmann konfrontiert seinerseits die Werke der bildenden Kunst mit der Darstellung in Ovids Metamorphosen: vgl. Johann Winkelmanns alte Denkmäler der Kunst, hg. von Friedrich Leopold Brunn, Bd. 2, Berlin 1792, 11 f. 203 Vgl. Ludwig Trauzettel, in: Paul (1994), 170–172. 204 In der Textfassung der Ausgabe London 1745, die Rodes späterer Gesamtübersetzung (s. u. S. 62) zugrunde liegt (met. 6,155–161): »et felicissima matrum dicta foret Niobe, si non sibi visa fuisset. nam sata Tiresia, venturi praescia, Manto per medias fuerat, divino concita motu, vaticinata vias: Ismenides, ite frequentes: et date Latonae, Latonigenisque duobus, cum prece thura pia; lauroque innectite crinem.« 205 Zum Übersetzungsphänomen der Explikation vgl. Poiss et al. (in diesem Band), § 10, Nr. 13.

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Mühe zu erkennen ist.206 Prinzipiell neigt Rode allerdings auch über die Anmerkungen hinaus zur über das Original hinausgehenden Erläuterung. »Theben« ist bei Ovid aus Ismenides zu extrapolieren, die Unsterblichkeit von Latonas Kindern ergibt sich aus der vorauszusetzenden Göttlichkeit der Mutter. Ovids raffiniertes Gedankenspiel, dass Niobe gerade deshalb nicht glücklich war, weil sie sich selbst glücklich vorkam, wird von Rode moralisch transponiert und als Dünkelhaftigkeit gebrandmarkt, ist tatsächlich aber die Auseinandersetzung mit einem Erkenntnisproblem, analog dem des Narcissus, dem Tiresias ein langes und glückliches Leben geweissagt hatte si se non noverit ipse.207 Rode ging den mit seiner metrischen Übersetzung eingeschlagenen Weg nicht weiter. Vielmehr erschien wenige Jahre später (im Verlag von Rodes Schwager Mylius208) die Gesamtübersetzung der Metamorphosen in Prosa (Berlin 1791,209 2. Auflage 1802, Neuausgabe 1816). Damit führt er die ovidischen Metamorphosen mit den Metamorphosen des Apuleius zusammen, die auf diese Weise zwei Versionen ein und desselben Textes werden.210 So bediente sich Rode (1783)211 in seiner ApuleiusÜbersetzung für die unterschiedlichen Sprachebenen dieses Romans der Literatursprache seiner eigenen Zeit, des Rokoko, des Sturm und Drang sowie des hymnischen Stils Klopstocks und des jungen Goethe. Er kann also das vorhandene Register ausschöpfen und gewinnt damit übersetzerische Kompetenz für Ovid. Die beiden Verwandlungstexte werden auf diese Weise zu zwei Spielarten eines deutschen Verwandlungsromans. In der Vorrede legt Rode zunächst Rechenschaft über die Textgrundlage ab: […] ich [habe] die Londoner Ausgabe von 1745 mit R. Brindley’scher Schrift zu Grunde gelegt; dabei aber die neueren Editionen verglichen und die Abweichungen von der Londoner Leseart, wozu ich durch die Anmerkungen der Commentatoren, oder auch durch meine eigenen Muthmaßungen veranlaßt worden bin, unterm Texte angemerkt […].

Das ist ein qualitativ neuartiges Verfahren, das die Tätigkeit des Übersetzers näher an die des Philologen rückt und demgemäß tendenziell entdilettantisiert. Sowohl in der 206 In der Prosafassung von 1791 ist das weitgehend übernommen: »Denn Tiresias Erzeugte, die Seherin der Zukunft, Manto, weissagte mitten in den Gassen, durch göttlichen Antrieb erregt […]«. Die Formulierung findet sich auch in der Prosagesamtübersetzung von Heynemann (1797) (s. u.) und ist ein Indiz für dessen mangelnde Selbstständigkeit: »Denn Manto, Tiresias Erzeugte, der Zukunft Seherin, hatte von göttlicher Begeisterung getrieben, mitten auf den Straßen geweissagt […].« 207 Vgl. Rosati (2009), ad loc. 208 Die genauen Lebensdaten des August Mylius sind nicht bekannt, eventuell leitete zu diesem Zeitpunkt schon dessen Witwe Sophie Christine, die Schwester Rodes, den Verlag. 209 Die Ausgabe Wien 1794 (Sammlung der römischen und griechischen Classiker in deutschen Übersetzungen, 12–14) in drei Bänden ist offenbar ein nicht autorisierter Raubdruck, lt. dem Karlsruher Virtuellen Katalog (http://www.ubka.uni-karlsruhe.de/kvk.html) z. B. in der Bibliothek der Abtei Metten oder der Stadtbibliothek Worms sowie der Herzogin Anna Amalia Bibliothek Weimar vorhanden (non vidi); das bei Google Books digitalisierte Exemplar stammt ausweislich des Bibliotheksstempels aus der Bibliothèque Sainte-Geneviève, Paris. 210 Vgl. Niedermeier (2007). 211 Laut Rüdiger (1960), 552 ff.

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Anthologie als auch in der Übersetzungsvorrede wendet sich Rode allerdings mit traditionellem Gestus an ein Publikum, das aus »angehenden Künstler[n] und ungelehrten Kunstliebhaber[n]« (unter Berufung auf Lessing, der im Laokoon die spezifischen Fähigkeiten der Literatur und der Kunst gegeneinander aufgewogen hatte) bestehen soll. Damit ist zugleich der Focus stärker auf das Stoffliche als auf die sprachliche Form gerichtet (auch in dieser Hinsicht ist der Verzicht auf metrische Wiedergabe konsequent), der sprachpflegerische Aspekt wie bei Humboldt und Schleiermacher ist Rode fremd. Über die Motivation, warum er zur Prosafassung gegriffen hatte, hatte sich Rode schon in der vom Verlag verbreiteten »Ankündigung« seiner Übersetzung (s. o. S. 163) geäußert, die noch einmal der Ausgabe beigegeben ist. Auch hier findet sich der im intertranslatorischen Diskurs topische Anspruch der Treue: Bei all dem haben wir von Ovids Verwandlungen in unsrer Sprache noch keine Uebersetzung, welche als ein getreues Conterfei des Originals anzusehen wäre; hat es gleich nicht an Versuchen dazu gefehlt. Aufmerksam auf diesen Mangel unsrer Litteratur […] hat gegenwärtiger Uebersetzer der Ovidischen Verwandlungen bey seiner Verdeutschung sich bestrebt: so nahe, als es immer Geschmack und Sprache verstatten, sich an das Römische Urbild anzuschließen; die wahren Farben desselben beizubehalten, und den Text eben so wenig durch Verkürzung zu verstümmeln, als durch Paraphrase wässerig zu machen. Diesem Zwecke desto näher zu treten, hat er sich dem Zwange eines Metrums nicht unterwerfen wollen, und um so lieber eine poetische Prosa zu seiner Uebersetzung gewählt; da viele mit dem, doch nur mangelhaft nachzubildenden, Silbenmaaße der Römer und Griechen nicht ganz sich aussöhnen zu können scheinen.

Dieses Programm weist geradezu auf die im 20. Jahrhundert entwickelten Schadewaldt’schen Maximen voraus,212 auch wenn er hilfsweise mit der (noch nicht) vorhandenen Möglichkeit argumentiert, die antike quantitierende Metrik ins Deutsche zu überführen. Nur wenige Jahre nach der Erstauflage von Rodes Übersetzung folgte der erste Band, die Metamorphosen, einer geplanten Gesamtübersetzung Ovids durch Simon Heynemann (Frankfurt 1797), die allerdings durch den frühen Tod des Autors keine Fortsetzung fand. Wie Rode greift er zur Prosa, auch mit einer ähnlichen sprachlichen Begründung: Mein Bestreben war, so treu und richtig zu übersetzen, als es möglich ist, dem Autor keine Schönheiten anzudichten, aber auch nicht ins Matte zu verfallen. Deswegen hielt ich mich so genau an den Periodenbau des Dichters, als es nur geschehen konnte, ohne der deutschen Sprache Gewalt anzuthun, und ich hoffe, dass man in der Uebersetzung noch fühlen wird, dass man einen Dichter liest.

Als Rektor des Gymnasiums von Speyer hat er aber kein so spezifisches künstlerisches Publikum im Auge wie Rode, überhaupt scheint er dessen Übersetzung nicht gekannt

212 Vgl. Poiss et al. (in diesem Band), § 2.

Ovids Verwandlungen verteutscht

zu haben,213 was entweder an den schwierigen Zeitumständen liegt (Heynemann berichtet, er habe daran unter den Bedingungen der französischen Besatzung gearbeitet), oder daran, dass die Kenntnis von Rodes Fassung noch nicht bis in den Südwesten Deutschlands vorgedrungen war, da er eben doch vor allem in den Dessauer Raum gehört. Ein weiteres Jahr später brachte dann Johann Heinrich Voß214 seine hexametrische Übersetzung (1798) heraus, nach Schlüter erst die zweite vollständige Hexameterfassung in der Geschichte der Ovid-Übersetzungen. Voß (1751–1826)215 studierte trotz widriger biographischer Umstände ab 1772 in Göttingen Philologie (zunächst auch Theologie) und kam dadurch sowohl in Kontakt mit der sich ausbildenden Universitätsdisziplin Klassische Philologie (1734 war hier das erste klassisch-philologische Seminar gegründet worden) unter Christian Gottlob Heyne als auch mit der literarischen Avantgarde wie dem Göttinger Hain. Aus dieser doppelten Ausrichtung speisen sich auch seine zahlreichen, intensiv diskutierten Übersetzungen, von denen der Homer am bekanntesten wurde. Voß’ Metamorphosen-Übersetzung kommt ohne jegliches Vorwort aus, so dass man davon ausgehen kann, dass für Voß die metrische Gestalt keiner weiteren Begründung mehr bedurfte. Als Ersatz kann dafür aber dienen, was Voß in der Vorrede zur Übersetzung von Vergils Georgica (Hamburg 1789)216 über den lateinischen und deutschen Hexameter geschrieben hatte und was er nun offenbar nicht noch einmal wiederholen wollte. Dort wehrt er sich gegen verbreitete Meinungen, die metrische Gestalt sei überflüssige Beigabe, beruft sich für die Bedeutung des numerus auf Cicero und kommt darüber zur Notwendigkeit eines präzise der antiken Gestalt entsprechenden Metrums: Der deutsche Hexameter ist, wie jener der Alten, eine rhythmische deutlich begrenzte Periode von sechs vierzeitigen Takten, die mit einer gehobenene Länge anfangen, und entweder mit einer Länge, oder, den lezten ausgenommen, mit zwei Kürzen, aber auch (welches Neuerung ist) mit Einer Kürze, sich senken; d. i. die aus dem Spondäus oder Daktylus oder Trochäus bestehn. Füllt ein Trochäus den Takt, so wird seine Länge dreizeitig, oder, mit dem Musiker zu reden, ein punktirter Halbfuss: welche Ueberlänge, wenn nur der Begrif des Verweilens nicht unwerth ist, weit gefehlt zu beleidigen, auch ein griechisches Ohr durch angenehme und kraftvolle Abwechslung erfreun könnte. Man fordert, wie sich versteht, nicht grade die pünktliche Abzählung des Taktschlägers im Koncert; sondern wie etwa ein empfindender Tonkünstler ein gleichgemessenes Solo voll wechselnder Leidenschaft, bald etwas schneller, bald etwas langsamer, vorträgt. Der vorschallende Ausgang, welcher die rhythmische Periode begrenzt, ist gewöhnlich ein Daktylus mit folgendem Spondäus oder Trochäus: da gleichsam die mächtig gehobene Welle dem Ufer nahe mit 213 Fink (1989), 428, hält in seinen Literaturhinweisen diese Übersetzung der Rodes für »auffallend ähnlich«, suggeriert damit eventuell plagiatorische Ausschlachtung, wofür es allerdings keinen Beweis gibt. 214 Siehe zu Voß jetzt auch Fantino (2014); außerdem zuletzt V. Riedel, in: Kuhlmann/Schneider (2012), 1275 f. 215 Überblick bei Muncker (1896), 334–349; siehe auch die Beiträge in Baillot/Fantino/Kitzbichler (2014). 216 Vgl. Fantino (2014); Korten (2014); Couturier-Heinrich (2014).

Ulrich Schmitzer Heftigkeit singt, und noch einmal aufrauschend im Sande zerfliesst. Getheilt wird der sechstaktige Vers am häufigsten in zwei Hauptglieder, durch einen bald männlichen, bald weiblichen Einschnitt im dritten Takte, oder, wie die Griechen sagten, nach dem fünften Halbtakte (Penthemimeris): Ueber das hohe Gewölk | sich der fliegende Reiter emporschwingt. Oft auch siehest du Sterne, | sobald herdränget der Sturmwind. […] Aber nicht genug, dass die Bewegung des Verses wohlgemessen und gefällig sei; auch der Klang der bewegten Worte muss schmeicheln. Wer hört die selbige Melodie nicht lieber auf Kremonergeige, als auf der Stockfiedel? […] Die Länge, besonders die in der Hebung steht, wechsle mit dunklen und hellen Vokalen, mit austönenden und vielfach abstossenden oder dämpfenden Konsonanten; nie hersche ein Gepiep, nie ein rauhes Hauchen oder Gezisch. Die Kürze des daktylischen Taktes sei leicht; selten mehr als Eine verkürzte Mittelzeit, zumal die zur Länge sich neigt, und diese durch kräftige Längen überschallt; nie ein Geschlepp von schweren oder widerlichen Mitlautern. Im trochäischen Takte dagegen darf die säumende Mittelzeit sowohl, als die vollere Kürze, oft dem schwebenden Spondäus nachahmen. Keine Gleichförmigkeit der Endungen, zumal in Schlussrhythmen, wo das leidige en sich so gerne einstellt. Niemals Zusammenziehungen, wie s chm er z ts , die schon der Redner vermeidet; oder wie h ei l g er, die nur der härtere Iambus zulässt. Eben so wenig Ausdehnungen gegen den Sprachgebrauch, wie ma ch et e ; obgleich g ol d ene und h ö ret e, die jener erlaubt, oft durch Bewegung und Klang willkommener sind. 217

Mit Rode und Voß liegen also erstmals zwei theoretisch untermauerte, wenn auch fundamental divergente Übersetzungen vor. Dabei erwies sich der Voß’sche Ansatz zunächst als deutlich zukunftsträchtiger, wie die (anonyme) Rezension der Neubearbeitung von Rodes Übersetzung (1816) in den Heidelbergischen Jahrbüchern zeigt, in der sich der Rezensent empört: Diese neue Übersetzung schmiegt sich dem Originale näher an, als die alte, aber sie ist, wie jene, in Prosa, und daß solche Uebersetzungen noch h. z. T. gesucht werden, ist ein trauriges Zeichen unserer Zeit. Schülern, und auch wohl mitunter Lehrern dienen sie als eine Brücke des Unfleißes, und angehende Künstler werden wenigstens durch sie nicht in ihrer Kunst gefördert.218

Selbst die Nähe zum Ausgangstext, das sich Anschmiegen, kann den Verzicht auf Metrik in dieser Perspektive nicht aufwiegen. En passant kommt ein neuer, lange Zeit virulenter Aspekt der Übersetzungskritik ins Spiel: Unter den Bedingungen einer nunmehr gymnasial normierten altsprachlichen Ausbildung konnten Übersetzungen, die den Autor zum Leser zu bringen beabsichtigen, als allzu bequem, ja als »Brücke des Unfleißes« und damit schon beinahe als Medium des Betrugs erscheinen. Das Proömium gibt Rode folgendermaßen wieder (bei Voß fehlt es): In neue Gestalten verwandelte Körper will ich singen. Ihr Götter, seid meinem Unternehmen hold, (denn auch ihre Verwandlung ist ja euer Werk) und leitet meinen Gesang vom Urbeginne der Welt ununterbrochen fort bis auf meine Zeit.

217 Voß, Vergil (1789), XIII ff. 218 Heidelbergische Jahrbücher der Litteratur 9 (1816), 1071 f.

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Rode stellt gemäß Ovids in nova-Beginn den Neuigkeitsaspekt, die neuen Gestalten an den Anfang (die Sperrung mit corpora ist im Deutschen nicht nachbildbar). Dagegen weicht er mit der Wiedergabe von dicere als »singen«219 und von fert animus als »will ich« unspektakulär, aber fühlbar vom Lateinischen ab. Deduco ist mit »fortleiten« etymologisch transparent umgesetzt, perpetuum im Gegensatz zu manch anderen Lösungen bewahrt. Der eigenen Forderung, die Gedankenfolge beizubehalten, widerspricht eigentlich nur die Vermeidung der Endstellung von carmen/»Gedicht«. Diese schon am Proömium ablesbare Tendenz setzt sich bei den eigentlichen Sagenerzählungen fort: Pyramus, der Jünglinge schönster, und Thisbe, die reizendste unter den Mädchen des Morgenlandes, bewohnten aneinander stoßende Häuser in der erhabenen Stadt220, welche – der Sage nach – Semiramis mit Mauren von gebackenen Steinen umgeben hat. Die Nachbarschaft stiftet unter ihnen Bekanntschaft, und Freundschaft, die mit der Zeit Liebe wird. Gern hätten sie sich auch durch eheliche Bande verbunden; allein die Väter verbieten es. Doch können diese auch verbieten, daß nicht beider Herzen, von gleicher Liebe eingenommen, brennen?221 Sobald sie unbelauscht sind, sprechen sie durch Blicke und Zeichen mit einander; und je verborgener, desto heftiger lodert ihre Flamme […]. Als er aber auch das blutige Gewand erblickt, ruft er aus: Ha! Eine Nacht vertilgt zwei Liebende! Ach! Sie war des längsten Lebens würdig; aber ich allein bin schuldig. Ich Unglückseliger, ich habe dich ermordet; da an einem so schreckenvollen Ort in der Nacht ich Dich kommen hieß, und nicht vor dir da war. Mich, mich zerreißt, ihr Löwen, die ihre diesen Felsen bewohnt! Meine ruchlosen Glieder verzehrt mit wilden Bissen! Doch, nur ein Feiger wünscht den Tod. Mit den Worten hebt er Thisbens Gewand auf, und mit ihm begiebt er sich in den Schatten des verabredeten Baums. Hier netzt er mit Thränen, hier küßt er das bekannte Kleid. Endlich spricht er: Itzt tränke auch mit meinem Blute Dich! und senkt das Eisen, womit er umgürtet war, sich tief in die Eingeweide, und sterbend reißt er es plötzlich wieder aus der dampfenden Wunde. Als er rückwärts da liegt am Boden, springt hoch das Blut empor; nicht anders, als wenn eine beschädigte Bleiröhre berstet, zischend aus der Oeffnung der dünne Wasserstrahl hervor spritzt, und spritzend die Lüfte zertheilt. Die Früchte des Baumes, besprengt mit Blute, wandeln so fort ihre Farbe, und mit Blute benetzt färbt die Wurzel mit Purpurröthe die herniederhangenden Maulbeeren.

Rode macht aus Ovids Text eine gut lesbare, in den Inhalten unproblematisch verständliche Erzählung. Gemäß den Regeln der deutschen Prosa musste die überschriftsartige Stellung von Pyramus et Thisbe preisgegeben werden. Im Folgenden kommt es (wie auch früher) zu einer narrativen Normalisierung mit Einfügungen wie »Freundschaft« und der Paraphrase des signifikanten taedae iure durch die weniger spezifische Wendung »eheliche Bande«. Die vordergründige Korrektheit und Vollständigkeit geht allerdings auf Kosten der Emotionalität und der Plausibilität der Motivation. Eine 219 Zu canere/dicere als epische Chiffre siehe Bömer (1969), ad loc. 220 Anmerkung Rodes: »Babylon«. 221 Anmerkung Rodes: »Gegen die gewöhnlichen Lesarten mache ich bei patres im Texte einen Punkt, und nehme quod noin potuere vetare zum Folgenden, weil der Sinn dadurch gewinnt.« Das entspricht der heute üblichen Textgestaltung, s. o.

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sprachliche Unachtsamkeit ist die Wiedergabe des Gerundivs miseranda mit »ich Unglücklicher«. Diese Tendenz setzt sich auch bei der Wiedergabe der Pygmalion-Sage fort: Als er heimgekehrt, begiebt er sich wieder zum Bilde seiner Geliebten, drückt neben ihm das Lager und küßt es: Da schien es warm zu sein! Er küßt es noch einmal; fühlt mit der Hand auf die Brust, und unter seiner Hand erweichet das Elfenbein, verliert seine Härte, gibet nach und nimmt Eindrücke an; gleichwie Hymettisches222 Wachs an der Sonne weich wird, und dem Drucke des Daumens folgend, mancherlei Gestalten annimm und durch den Gebrauch nützlich wird. Indem er staunt, der Liebende, schüchtern sich freuet, noch sich zu täuschen fürchtet und wieder und wieder sich mit der Hand von der Erfüllung seiner Wünsche zu überzeugen sucht: Leibt und lebt das Bild, es pochen dem fühlenden Daumen die Adern entgegen! Nun bricht entzückt der Paphische223 Held in Dankgebete an Venus aus, drückt auf den nunmehr wirklichen Mund seine Lippen, und das Mädchen fühlt den Kuß, erröthet, und indem sie schüchtern ihren Blick zum Lichte aufschlägt, sieht sie mit dem Himmel zugleich ihren Geliebten.

Diese Übersetzung kann ihre selbst gesteckten Ziele vollkommen erreichen. Sie liefert einen linear lesbaren Grundeindruck vom Text mit dem Akzent auf dem Stofflichen, wie es einem propädeutisch intendierten Unternehmen gemäß ist. Dagegen geht es Voß um das Einfangen des Gesamteindrucks, der einen inhaltlichen wie einen ästhetischen, d. h. nicht zuletzt metrischen Aspekt hat. Auf die Wiedergabe des Proömiums verzichtet er (ebenso auf Anmerkungen und erklärende Paratexte) und konzentriert sich ganz auf den mythologischen Gedichtkern. Charakteristisch ist seine Version von Pyramus und Thisbe: Pyramus war und Thisbe, der Jünglinge schönster der eine, Hoch die andre gerühmt vor den morgenländischen Jungfraun. Dicht angrenzende Häuser bewohnten sie, dort in der Hauptstadt, Welche Semiramis einst mit thönernen Mauern befestigt. Beide wurden bekannt, und wie Nachbarkinder vertraulich, Dann allmählich verliebt; auch hätte sie Ehe vereinigt; Doch dies wehrten die Väter: was nicht sie zu wehren vermochten, Von gleichseitiger Glut entloderten beiden die Herzen. Fern ist jeglicher Zeug’; Andeutungen sprechen und Winke; Und je enger bedeckt, je heftiger brauset das Feuer.

Voß gelingt es hier in der Tat, Ovids zwei Anfangsverse fast nahtlos ins Deutsche zu bringen (er benötigt lediglich den Zusatz »war« und macht damit den Anfang zu einer syntaktischen Einheit): Er behält die überschriftartige Nennung der beiden Eigennamen bei, auch die nachgeschobene chiastische Erläuterung der Protagonisten. Rodes Syntax ist dagegen konventioneller und entspricht eher den deutschen Hörgewohnheiten, dafür muss er die Spitzenstellung von Pyramus et Thisbe aufgeben, 222 Anmerkung Rodes: »Der Berg Hymettus bei Athen war reich an wohlriechenden Kräutern, daher der auf demselben gewonnene Honig für den besten gehalten wurde. Ovid läßt hier dichterisch das Wachs am Ruhme des Honigs Theil nehmen.« 223 Anmerkung Rodes: »d. i. Pygmalion, hier vermöge einer Figur der Rede zum voraus also genannt, da der Name Paphos erst nachmals von dessen Sohne der Insel oder der Stadt gegeben wurde.«

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bewahrt aber ebenfalls Ovids Chiasmus und auch den Duktus des Satzbaues. Aber gerade die syntaktische Veränderung ermöglicht es Voß, auch im dritten Vers die Spitzenstellung von contiguas domos bei Ovid beizubehalten, allerdings ist diese syntaktische Mimesis im vierten Vers nicht mehr zu halten. Rode wirkt im Ganzen etwas genauer in der Wiedergabe der Einzelwörter (dicitur ist mit »der Sage nach« geradezu schulmäßig beibehalten; eine Ausnahme ist nur das paraphrasierende »Freundschaft« für primos gradus), bisweilen etwas pedantisch und nicht zuletzt durch die Fußnoten auch didaktischer. Selten greift er zu interpretativen Interventionen wie im diese Passage abschließenden Vers, wo er Ovids sprichwortartige und aufs Allgemeine zielende Aussage auf die handelnden Personen hin konkretisiert. Voß hat bei Abweichungen im Wortmaterial eher den Blick auf die formale Angleichung, auf die Wiedergabe des gedanklichen und metrischen Flusses des Originals, was ihm phasenweise fast deckungsgleich gelingt. Damit wird schon aus dieser Passage exemplarisch deutlich, was unterschiedliche Übersetzungskonzepte an Auswirkungen auf die Apperzeption des durch sie vermittelten Originals haben. Noch deutlicher wird dieser Unterschied beim zweiten Abschnitt aus dieser Sage: Als sobald er den Schleier auch findet voll Blutes: Eine Nacht denn soll zwei Liebende tödten! beginnt er. War doch jene von beiden die würdigste längeres Lebens! Schuldig ist meine Seel’; Ich bin, Elende, dein Mörder; Da ich in grauliche Wüsten heraus dich lockte bei Nachtzeit, Und nicht zuerst ankam! O zerreisst mit den Zähnen den Leib mir, Und mein frevelndes Herz verschlingt in den wütenden Rachen, Ihr, ihn jenem Geklipp herbergende Löwen der Wildnis! Doch feig ists, nur wünschen den Tod! und die Hülle der Thisbe Hebt er, und trägt sie zum Schatten des abgeredeten Baumes. Als er mit Thränen genezt das bekannte Gewirk, und geküsset: Jetzt denn, sagt er, empfang’ auch meines Blutes Beströmung! Und er senkt den umgürtenden Stahl in die Weiche des Bauches; Schnell zieht er ihn sterbend hervor aus der kochenden Wunde; Und wie er lag auf den Rücken gestreckt, springt röthliches Blut auf: Anders nicht, als wenn mit beschädigtem Bleie die Röhre Plazt, und gewaltig empor aus zischender Öfnung das Wasser Sprüzt im verdünneten Stral, und hoch in die Lüfte sich auffschwingt. Aber die Früchte des Baums, vom Todesblute gesprenget, Nehmen die schwarze Gestalt; und die blutgefeuchtete Wurzel Färbt mit purpurnem Dunkel die ringsher hangenden Maulbeern.

Bei Voß kommen die im lateinischen Text Ovids zu findenden Affekte, die wiederum mit der sachlichen Erzählung und dem harten technischen Gleichnis kontrastiert sind, erheblich stärker zum Ausdruck als bei Rode. Durch die Anpassung des syntaktischen Verlaufes an die Metrik des Hexameters kann Voß auch sprachliche Härten erträglich abfedern. Das ist kein Zufall, sondern die durchgehende Methode, wie sich auch an Pygmalion erweist:

Ulrich Schmitzer Heim eilt jener zum Bilde zurück des trautesten Mägdleins, Neigt sich über das Lager, und küsst; und sie scheint zu erwarmen. Wieder naht er dem Mund’, und wagt auch die Brust zu versuchen; Weich wirds unter der Hand; des Elfenbeines Erstarrung Senkt sich dem Druck der Finger, und weicht: wie das Wachs des Hymettus Schmeidiger wird an der Sonn’ und dem zwingenden Daum in Gestalten, Immer verändert, sich biegt, und brauchbarer durch den Gebrauch wird. Während der Liebende staunt, und bange sich freut, und Teuschung Wieder besorgt, und wieder den Wunsch mit den Händen berühret; War sie Leib; und es schlagen, versucht vom Daume, die Adern. Jezo erhebt der pafische Held vollströmende Worte, Worte des Danks zu Venus, der gütigen! Endlich vereint er Zum nicht teuschenden Munde den Mund: die gegebenen Küsse Fühlt die erröthende, hebt zu dem Lichte die leuchtenden Augen Schüchtern empor, und schaut mit dem Himmel zugleich den Geliebten.

Rode ist auch hier wieder nahe am Ovid-Text, bisweilen mit geringfügigen explikativen Ausweitungen, z. B. dass sich Pygmalion neben das geliebte Bild legt. Ovids Variation dedit oscula und admovet os iterum ist nicht beibehalten, sondern in »küssen« vereinheitlicht, dafür ist umgekehrt temptat und temptatum (wodurch Ovid die Abfolge der Handlung sprachlich wiedergibt) mit unterschiedlichem Vokabular wiedergegeben, ebenso bei utilis usu und ora ore. Offenbar versucht Rode generell solche auch stilistisch gut motivierten Wortwiederholungen zu vermeiden.224 Voß beweist sein Gespür für Ovids Dichtersprache. Er greift das paronomastische utilis usu durch »brauchbarer durch den Gebrauch« auf, wohingegen Rode lexikalisch korrekt, aber uninspiriert »durch den Gebrauch nützlich« schreibt und so die im Deutschen (wie aber auch im Lateinischen) auffällige Doppelung vermeidet. Geradezu genial ist Voß’ Lösung des lumina-Problems, indem er mit »die leuchtenden Augen« sowohl das Strahlen als auch die Körperlichkeit ausdrückt, wo Rode wieder eine Sicherheitslösung wählt. Was aufs Ganze gesehen dennoch bei Voß vor allem gegenüber seinem Homer fehlt, ist die Möglichkeit, eine eigene deutsche epische Sprachform zu entwickeln, wie sie in seiner berühmt gewordenen Umsetzung der homerischen Formelsprache gelungen und stilbildend geworden ist. Auf der anderen Seite zeigt Voß, dass er auch mit höchst unterschiedlichen antiken Texten – der Formelsprache Homers und der punktgenauen Diktion Ovids – gleichermaßen umgehen kann. Dennoch ist Voß’ Übersetzung vielleicht die am häufigsten nachgedruckte Metamorphosen-Übersetzung, zumal sie Ende des 19. Jahrhunderts (um 1880) in Reclams Universalbibliothek übernommen wurde (lt. Katalog der Deutschen Nationalbibliothek bis 1928) und nach 1995 in 3. Auflage als Insel-Taschenbuch zusammen mit Picassos Graphikzyklus225 von 1931 publiziert wurde.226 Auch im online frei zugäng-

224 Vgl. Stephan 2015 (in diesem Band) über Rodes Apuleius-Übersetzung. 225 Ziolkowski (2005), 97. Zu Ovid als Inspirator der modernen Kunst siehe generell Reinhardt (2001), daneben gibt es zahllose, allerdings oftmals sehr flüchtige Internetseiten mit alten und neueren Illu-

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lichen Projekt Gutenberg227 ist sie eingestellt und damit einer nicht einschätzbaren Zahl von Zugriffen verfügbar. Damit erweist sich Voß’ Übersetzung als die Konstante in der neueren Geschichte des deutschen Ovid schlechthin. 3.2 Friedrich Gottfried Klopstock (1724–1803) Klopstock hatte mit seinem epochemachenden Messias (veröffentlicht sukzessive seit 1748, erste Gesamtausgabe 1772) die deutsche Dichtersprache mitsamt ihrer Metrik in kaum zu überschätzender Weise fortentwickelt. Sein Versuch, als erster den deutschen Hexameter anzuwenden, und die theoretische Untermauerung in der Schrift Vom deutschen Hexameter (1767) beeinflusste auch Voß, der etwa die Auffassung vom »Wortfuß« als kleinster metrischer Einheit übernahm. Wenn diese Bemühungen Klopstocks allerdings ausschließlich auf das Deutsche abhoben, so setzte er sich in seinem poetologischen Fragen gewidmeten Alterswerk, den Grammatischen Gesprächen (1794),228 neben allgemeinen Fragen des Übersetzens auch mit der Spezifik des Übersetzens aus den Alten Sprachen auseinander. Sein Anspruch war es, seine Übersetzungen als den Originalen überlegen zu erweisen, also im Sinne der aemulatio siegreich in den Wettstreit mit der Antike einzutreten.229 Dieser Aspekt sollte allerdings unter den von Humboldt und Schleiermacher gesetzten Prämissen bald über die Maßen unzeitgemäß erscheinen und führt dazu, dass sein Beitrag aus dem sich entwickelnden Übersetzungsdiskurs ausgeblendet blieb, wozu gewiss auch der idiosynkratische, schwer rezipierbare Charakter der »Gespräche« beitrug. In den Gesprächen lässt Klopstock eine Vielzahl von allegorischen Personifikationen auftreten, die die unterschiedlichen Positionen und Stilideale verkörpern und dem Verfasser die Möglichkeit zur komplexen Darstellung des Gesamtphänomens geben. Die mit den Grammatischen Geprächen zusammenhängenden Fragen sind trotz Elit (2002) noch nicht einmal annähernd ausgelotet und sollen hier auch nicht interessieren. Es geht um die Rolle Ovids im Rahmen dieses Textes. Im Gespräch mit »Einbildungskraft« und »Harmosis« übersetzt die »Vereinigung« ausgewählte Passagen des Orpheus-Abschnitts der Metamorphosen (met. 10 und 11), darunter die Pygmalion-Erzählung:230 Einb. Ich habe, Vereinung, die Kürze deiner Sprache durch dich genauer kennen gelernt, als ich sie kante. Jezt bin ich auf etwas ganz anderes neugierig. Hielte sie es auch wohl gegen die lateinische nach der Wendung aus, welche ihr Ovidius gab? ~ Ver. In meinem Munde nicht.

226 227 228 229 230

strationen zu Ovid; vgl. etwa Peter Grau, Eichstätter Datenbank zur Antike-Rezption/Kunst (http:// www1.ku-eichstaett.de/SLF/Klassphil/grau/kunst_intro.html). Vorläufig letzte Ausgabe ist ein Reprint als Ebook im Jazzybee Verlag Altenmünster 2012 – die Belege finden sich im einzelnen bei der Deutschen Nationalbibliothek unter http://portal.d-nb.de. http://gutenberg.spiegel.de/buch/4723/1. Elit (2002). Vgl. Kitzbichler (2009), 34. Ausführlich analysiert von Elit (2002), 306–329.

Ulrich Schmitzer Warum rührest du mich mit dem Stabe an? Ich komme mir wie verwandelt vor! Ich merke, daß ich dir gehorchen muß! Du erlaubest mir doch, daß ich nur hier und da eine Blume breche? ~ Einb. Thu, was du wilst. ~ Harm. Du rächest mich an ihr, Einbildungskraft. Erst so karglaut; und jetzo muß sie Verschwenderin seyn!

Die Debatte dreht sich also um die Prägnanz des Ausdrucks und der Sprache und konfrontiert das Deutsche mit Ovids Diktion, wobei die Vergleichbarkeit auch durch selbstverständliche Verwendung des deutschen Hexameters unterstützt wird. Die Pygmalion-Sage wird abschnittsweise übersetzt, wobei die »Vereinigung« (»Ver.«) jeweils durch das Anzitieren des lateinischen Textes den aktuellen Rahmen bestimmt: Ver. Interea niveum . . lacrimas. Damals schuf sein Meissel aus Paros Marmor mit hoher Glüklicher Kunst, und gab ihm Gestalt, wie gebohren kein Weib wird. Und es ergrif ihn Neigung zu seinem Werke, zum wahren Jüngferlichen Gesicht; sie schien zu leben und wehrte Dieses ihr die Blöde nur nicht, sich bewegen zu wollen, So verbarg er die Kunst durch seine Kunst. Der Bewundrung Voll, von der Liebe Feuer entflamt zum geähnlichten Leibe, Fasset er oft sein Werk mit prüfender Hand, ob es Leib sey? Oder ob Marmor? gesteht den Marmor nicht zu; und er küsset; Glaubt, er werde geküßt, und redet an, und umarmet; Meint, daß er an der berührten die Spur des Fingers erblicke, Fürchtet, es werd’ ihr durch Bläue der Druck die Glieder entstellen. Jezt liebkoset er; bringt Geschenke, wie Mädchen sie lieben, Jezt ihr: Muscheln, geschliffenen Stein, dann Vögelchen, Blumen Aller Farben, und Liljen, und bunte Bälle, der Thränen Auch, wie vom Baume sie weint die Heliade. Cum munere functus . . eburnea. Er hatte geopfert, und stand jezt Bebend an dem Altar: Wenn alles in eurer Gewalt ist, Götter, so sey mein Weib, zu bitten, das marmorne Mädchen! Wagte nicht Pigmalion, bat, dem marmornen ähnlich.231

Elit232 untersucht diesen Abschnitt im Detail und kann zeigen, wie nah (bei punktuellen Abweichungen) sich Klopstock an den Ausgangstext anlehnt. Der florilegienhafte Charakter der Übersetzung erlaubt es zugleich, »anzügliche« Passagen beiseite zu lassen, wie diejenigen, in denen Pygmalion das von ihm geschaffene, noch unbelebte Standbild wie eine reale Frau behandelt (met. 10,263–269). Instruktiv sind die Lösungen, die Klopstock für Passagen findet, die im Deutschen und Lateinischen auf diametral verschiedenen Sprachverwendungsmöglichkeiten fußen: Die Lösung der »Vereinung« angesichts dieser etwas unübersichtlichen Formulierung besteht […] nicht darin, den Ausdruck im Deutschen etwas zu vereinfachen, sondern eine noch schwerer verständliche Wortreihenfolge zu produzieren:

231 Klopstock, Grammatische Gespräche (1794), 264–267. 232 Elit (2002), 314–328.

Ovids Verwandlungen verteutscht Wenn alles in eurer Gewalt ist, / Götter, so sey mein Weib, zu bitten, das marmorne Mädchen! / Wagte nicht Pigmalion, bat dem marmornen ähnlich. Als Erklärung für diese unnötig erscheinende, leicht »dunkle« Fügung kann nur ein Duktus vor allem von Klopstocks eigener Lyrik herangezogen werden. Die Möglichkeiten ungewöhnlicher Wortstellungen sind in vielen seiner Oden extrem ausgeschöpft.233

Doch es gibt auch inhaltliche Unterschiede: Ovids ars latet arte sua wird vom Sentenzhaften und Allgemeingültigen zur punktuellen Strategie Pygmalions umgedeutet. Ovids lapsas nimmt den aus Harz entstandenen Bernstein zunächst als Naturphänomen, der durch den Zusatz Heliadas mythisch erklärt wird, Klopstocks »wie […] weint« wird unmittelbar zur Metapher. Auch die Verteilung des Gedankengangs auf die Verse unterscheidet sich von Ovid, z. B. legt Ovid mit qua femina nasci / nulla potest eine klare Pause zwischen die Entstehung der Frau und deren Unmöglichkeit, die bei Klopstock völlig verschwindet. Ut rediit . . amantem. Da er heimkomt, eilet er hin zu dem Bilde des Lieblings, Wirft sich zu ihr auf den Teppich, und küßt sie; meinet, sie werde Warm, naht wieder dem Munde, berührt die Brust mit den Händen: Und der berührte Marmor wird weich, die Härte verliert sich, Biegt sich dem Finger, giebt nach, wie hymettisches Wachs an der Sonne Länger nicht start, gedrükt von dem Daumen, in alle Gestalten Sich verwandelt, und brauchbarer immer durch den Gebrauch wird. Als er erstaunet, und bang sich freut, noch Täuschungen fürchtet, Wieder umarmt, mit der Hand die Wünsche wieder berühret; Ist sie Leib, und es schlagen, gefühlt von dem Daumen, die Adern! Jetzo strömet der paphische Held in Fülle der Wonn’ aus, Feyert durch jeden Preis die Göttin. Denn endlich vereint sich Mit nicht täuschendem Munde sein Mund. Die gegebenen Küsse Fühlt das Mädchen, wird roth. Sie schlägt nach der Pforte das Auge Schüchtern auf, und erblikt mit dem Himmel den Liebenden.234

Klopstock versucht am Ende gar nicht, Ovids Wortspiel nachzumachen und geht mit der Einfügung der »Pforte« einen ganz anderen Weg. Diese Umgehung der ovidischen Bildersprache ist laut Elit ([2002], 328) bezeichnend für Klopstocks Verfahren, der die Fülle des ovidischen Ausdrucks auf Knappheit reduzieren und damit verbessern möchte, so dass seine Fassung als die überlegene erscheint, die den Sieg des deutschen Textes über Ovids Latein signalisiert.235

233 Elit (2002), 323 f. 234 Klopstock, Grammatische Gespräche (1794), 267 f. 235 Elit (2002), 312.

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4. Epigonales Abseits: Metamorphosen-Übersetzungen im Zeichen ästhetischer Geringschätzung im 19. und frühen 20. Jahrhundert Exkurs (von Amélie Schützsack): Nacherzählungen der Metamorphosen im 18., 19. und 20. Jahrhundert236 Einleitung »Eine Übersetzung des Ovid wird man hier vergebens suchen. Es ist dieses niemals meine Absicht gewesen«,237 so Johann Gottlieb Lindner in seiner Vorrede zu seinem 1764 veröffentlichten Werk Lehrreicher Zeitvertreib in ovidianischen Verwandlungen. Vielmehr sei seine Absicht »keine andere, als die ich auf dem Titelblatte ausgedrückt habe, nämlich meinen Lesern einen angenehmen und nützlichen Zeitvertreib, in ovidianischen Verwandlungen zu verschaffen«. Was aber findet der Leser anstelle einer Übersetzung vor? Lindners Bearbeitung der Metamorphosen Ovids lässt sich als »Nacherzählung« bezeichnen, die sich wiederum, folgt man dem Sachwörterbuch der Literatur, als »Umsetzung in eine andere (jüngere bzw. einfachere) Sprachform oder eine freie, nur sinngemäße Übersetzung«238 definieren lässt. Der Begriff »Nacherzählung« ist demnach ein sehr weitreichender, nach welchem der Leser des Lehrreichen Zeitvertreibs in ovidianischen Verwandlungen – dessen Autor widersprechend – keine Nacherzählung anstelle einer Übersetzung vorfindet, sondern eine Nacherzählung als spezifische Untergruppe der Übersetzung. Als Übersetzungstyp zeichnet sich eine Nacherzählung durch ihren informativen Charakter aus: Dem Autor, der deswegen im Folgenden auch Übersetzer genannt wird, geht es in der Regel um die Vermittlung des Inhalts.239 Welche Übersetzungstechniken240 dafür im Speziellen angewendet werden, hängt von den Einzelentscheidungen des jeweiligen Übersetzers ab und kann dementsprechend nur mit Hilfe einer konkreten Textanalyse festgestellt werden. Aufgrund der in der Definition zu Tage tretenden Freiheit hinsichtlich der Anlehnung an das klassische Original beziehungsweise der gewählten Sprachform, können sich Nacherzählungen stark voneinander unterscheiden und sind nicht immer haarscharf von

236 Dieser Abschnitt (S. 184–196) geht auf eine latinistische Hausarbeit sowie eine fachdidaktische Masterarbeit zurück, die Amélie Schützsack 2012 im Rahmen ihres Master-Studiums an der HumboldtUniversität zu Berlin vorgelegt hat. Damit wird ein wichtiges Seitenstück der Übersetzungsgeschichte Ovids in diesem Kapitel konzentriert vorgestellt. 237 Lindner, Lehrreicher Zeitvertreib (1764), 28. 238 von Wilpert (1989), 659: Der Begriff »Nacherzählung« erhält hier allerdings keine »eigene« Definition, stattdessen wird man auf den Begriff »Paraphrase« verwiesen. 239 Poiss et al. (in diesem Band), § 9, v. a. Typ 2. 240 Poiss et al. (in diesem Band), § 10.

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anderen Übersetzungstypen241 abzugrenzen, so dass es zu fließenden Übergängen kommen kann. Nacherzählungen antiker mythologischer Stoffe in deutscher Sprache stellen einen wichtigen Beitrag zur Antikerezeption in Deutschland dar242 und geraten dennoch oft aus dem Blickfeld wissenschaftlicher Untersuchungen.243 Im Folgenden sollen nun Nacherzählungen von Ovids Metamorphosen näher betrachtet werden, von denen bisher keine Gegenstand einer wissenschaftlichen Fragestellung war. Neben der bereits erwähnten Nacherzählung von Lindner aus der Mitte des 18. Jahrhunderts werden zwei weitere Nacherzählungen behandelt: Zum einen Die Sagenwelt der Alten. Für die Jugend bearbeitet von K. A. Schönke aus dem Jahre 1856, die der Autor selbst »als eine freie, bloß den Sinn in vaterländischer Form wiedergebende Übersetzung«244 bezeichnet. Zum anderen Märchen und Mythen Ovids übersetzt von Karl Kindt, erschienen 1949, in deren Einführung der Autor sogleich klar stellt, dass keine »Neufassungen der ovidischen Märchen, sondern Nacherzählungen aufgrund der Übersetzung«245 gegeben werden. In einem ersten Teil soll nach der Zielsetzung des jeweiligen Autors gefragt werden: Warum verfasst er gerade eine Nacherzählung der Metamorphosen Ovids? Die Intention ist von der Person des Autors ebenso wie von dem von ihm intendierten Adressatenkreis abhängig. Es kann und soll daher nicht nur nach dem Warum gefragt werden, sondern auch: Wer schreibt und für wen? Wird der Adressatenkreis nicht bereits im Untertitel des Werkes genannt, so spätestens im Vorwort, in welchem der Autor auch seine Intention erläutert, weswegen besonders dieses als Quellentext genutzt werden wird. Sind diese Fragen beantwortet, so kann in einem zweiten Teil (»Blick in die Werkstatt«246 der Autoren) die Frage nach der Arbeitsweise des Autors als Übersetzer gestellt werden. Zur Beantwortung dieser Frage soll zunächst die vom Autor im Vorwort erläuterte Arbeitsweise vorgestellt werden, um daraufhin mit Hilfe einer kurzen Textanalyse deren praktische Umsetzung zu überprüfen.247 Innerhalb der genannten zwei Untersuchungsaspekte, deren letzter noch einmal in sich gegliedert ist, werden die Nacherzählungen jeweils in chronologischer Reihenfolge analysiert werden. Der Autor und sein Adressat Johann Gottlieb Lindner, geboren 1726, war zunächst als Lehrer an einem evangelischen Gymnasium in Dresden tätig, nahm danach ein Studium der Philologie in 241 242 243 244 245 246 247

Poiss et al. (in diesem Band), §§ 8 und 9. Evers (2001), 9. Pleticha (1987), 33; Evers (2001), 9/64. Schönke, Die Sagenwelt der Alten (1856), V. Kindt, Märchen und Mythen (1949), 15. So betitelt bei Fink (2001), 459–505. Vgl. dazu Poiss et al. (in diesem Band), v. a. § 7. Hier werden Parameter, die für die Untersuchung einer Übersetzung wichtig sind, vorgestellt.

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Leipzig auf, und kehrte hierauf als Konrektor in den Schulbetrieb zurück, bis er schließlich Schulrektor wurde.248 Sein 1764 veröffentlichter Lehrreicher Zeitvertreib in ovidianischen Verwandlungen richtet sich an die »studirende Jugend«249, aber auch an diejenigen, »welche eben nicht vom Studieren Prozeßion machen, sonderlich dem schönen Geschlechte« (29).250 Lindners Hauptanliegen ist es, den jugendlichen Lesern einen »nützlichen Zeitvertreib in ovidianischen Verwandlungen« (28) zu verschaffen. Denn es sei zwar nichts Verwerfliches an der Meinung vieler Gelehrter, dass die Metamorphosen ein Buch seien, »welches man der Jugend, des Lateins und der Fabellehre wegen, in die Hände geben müsse« (1), aber in Form einer »neuen Übersetzung« (1), durch die sich das Werk besser kennen lernen ließe, könne es vor allem die »Einbildungskraft« der Jugendlichen bilden und ihnen »das Geheimnis so mancher Schildereyen, Gemählde und Statuen« (2) eröffnen. »Nützlich« sei die Lektüre außerdem deswegen, da Ovid ein »vortrefflicher Sittenlehrer« sei (4), von dem man »ohne Furcht eines etwa zu schöpfenden Aergernisses, sehr viel gutes lernen könne« (13).251 Damit argumentiert Lindner gegen diejenigen, »deren traurige Mischung des Blutes ihnen diejenigen lebhaften Empfindungen der Freude versagt, mit welchen witzige Einfälle, wohlangebrachte Wendungen, und abwechselnde Leidenschaften, auf ein fühlbares Herz wirken« (2), und die die Metamorphosen deswegen »als ein Buch, welches der Religion und den guten Sitten schnurstracks zuwider wäre, und die Einbildung mit nichts, als ärgerlichen und schädlichen Bildern, anfüllete« (2) meiden. Schließlich würde die Lektüre der Nacherzählung die Begierde der »studirende[n] Jugend« »zu dem Buche selbst« (29), gemeint ist die Originallektüre, wecken.252 Auch K. A. Schönke war im Schulbetrieb tätig, so wird er im Untertitel seines 1856 erschienen Buches Die Sagenwelt der Alten. Für die Jugend bearbeitet als »Lehrer an der königl. Luisenschule [scil. einer Mädchenschule] und beim königl. Seminar für Erzieherinnen zu Posen« betitelt. Und auch er richtet – das wird bereits ebenfalls im Untertitel deutlich – seine Nacherzählung an »die Jugend«, die dieselbe wohl »mit Beifall« aufnehmen dürfte, da Mythen »von der phantasiereichen Jugend« generell gern gelesen werden und Ovid »die jugendliche[n] Gemüther ganz besonders« (III) anspreche. Schönke denkt hierbei vor allem an diejenigen, »welchen diese Dichtungen im Original unzugänglich oder in ihrer Gesamtheit zum Lesen nicht anzurathen sind« (III). Nachdrücklicher als Lindner verweist Schönke auf die Rezeption der in den Metamorphosen behandelten Mythen innerhalb der (plastischen) Kunst und der Lite248 Anemüller (1883); Horn (2001). 249 Lindner, Lehrreicher Zeitvertrieb (1764), 29. – Im Folgenden werden Seitenzahlen jeweils in Klammern hinter dem Zitat angegeben. 250 An den Höheren Mädchenschulen gab es zu dieser Zeit keinen Unterricht in den Alten Sprachen, vgl. dazu Evers, (2011), 34. 251 Um dies zu unterstreichen, zeigt Lindner Beispiele aus den Metamorphosen (4–11) sowie Parallelen zur Bibel auf (Loth und seine Töchter – Myrrha und ihr Vater [11], Philemon und Baucis – Geschichte Abrahams [13]). 252 Lindner verweist im Vorwort bereits darauf »wie vortrefflich und ausbündig schön« (13) Ovid sich ausdrücke. Dies komme besonders in seinen Vergleichen und Beschreibungen zum Ausdruck, was Lindner abermals mit Beispielen aus den Metamorphosen veranschaulicht (13–28).

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ratur, weshalb »eine Auswahl derselben, mit der der Jugend gebührenden Vorsicht und Schonung bearbeitet und mit hübschen Illustrationen versehen, für dieselbe eine recht passende Lectüre zu sein« (III) scheine. Stark betont Schönke den Gedanken, dass sein »Büchlein« auch zum besseren Verständnis der Originallektüre »nicht unwichtige Dienste leisten kann« (IV f.) und schließlich »durch gelegentliche Mittheilung mythologischer Kenntnisse manchem willkommen sei[n], da es die Jugend in den Mythenkreis der alten Welt einführt und gewissermaßen zur Grundlage des Studiums der Mythologie dienen kann« (VI).253 Dieser gewinnbringende Nutzen der Nacherzählung für Schüler im Hinblick auf den Schulunterricht wird in der dritten Ausgabe des Werkes (1908)254 konkretisiert: Hier weist der Herausgeber im Vorwort darauf hin, dass die Nacherzählung nicht nur für »Schüler[] der lateinlosen Schulen und der Höheren Mädchenschulen« verfasst sei, sondern auch für »die Schüler der Lateinschulen« (IV). Denn da »in der heutigen Zeit des Materialismus und des Utilitarismus« die »allzu nüchterne Verstandesbildung« in den Schulen im Mittelpunkt stehe, würde die »Phantasie der Schüler« (III) sowie die antike Mythologie keine Berücksichtigung finden – und das obwohl ohne Kenntnis der letzteren die griechische und römische Literatur nicht zu verstehen sei (III f.). Selbst in den humanistischen Gymnasien habe man keine Zeit mehr für eine »gründliche Beschäftigung mit diesem anmutigen Dichter« (IV), würde doch die Lektüre der Metamorphosen in den Lehrplänen immer mehr beschränkt werden. Diese Lücke nun solle durch das vorliegende Lesebuch geschlossen werden. Karl Kindt, Jahrgang 1901, war bis 1940 als Studienrat tätig und hatte nach dem Krieg Lehraufträge an der Ruprecht-Karl-Universität in Heidelberg inne, wo er 1954 Leiter des Pädagogischen Institutes wurde. Im Gegensatz zu Lindner und Schönke richtet er seine Nacherzählung nicht explizit an einen jugendlichen Adressatenkreis, sondern spricht allgemeiner – sich selbst mit einbeziehend – von »uns«, die wir wie »Blinde« der Kunst begegnen würden, »hätten wir nicht an dem römischen Dichter einen sachgemäßen Interpreten« (6). Dieser sei besonders aufgrund der Metamorphosen »aus der Substanz des abendländischen Geisteslebens« (6) nicht fortzudenken. Doch Ovid könne nicht nur als der »bedeutendste[] Vermittler der antiken Tradition« fungieren, ferner treten in den Metamorphosen »so tiefsinnige Welt- und Lebensauffassungen zutage« (14), dass sie den Leser »mit ewigem Sinne, mit heiligen Warnungen, Mahnungen, Forderungen, Tröstungen« (13 f.) beglücken können, wodurch sich Ovid »in die Schar der wenigen schöpferischen Geister der Weltliteratur, der großen Seher und Erzieher des Menschengeschlechts« einreihe. Was lässt sich daraus nun über die jeweilige Intention des Autors, eine Nacherzählung zu verfassen, ableiten? Lindners Bezeichnung seiner Nacherzählung als »Zeitvertreib« für die Jugend macht deutlich, dass er diese als Freizeitlektüre verfasste. Diese wirke sich aber nicht nur förderlich auf die allgemeine Bildung der Jugendlichen aus, 253 Brüggemann (1987), 18, betont, dass die Forderung nach Kenntnissen der Mythologie nicht nur mit dem »Streben nach Bildung des Individuums« zu begründen sei, sondern dass es damals vor allem eine »Frage des nationalen Ansehens« gewesen sei »in der Mythologie bewandert zu sein«. 254 Schönke, Die Sagenwelt der Alten (1908).

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sondern es ließe sich auch ein Nutzen für den Schulunterricht aus dieser ziehen, könne sich die Nacherzählung doch auf die Lektüre des Originals förderlich auswirken. Es würde sich somit zwar um eine außerschulische Lektüre handeln, jedoch begleitend zum Unterricht. Auch Schönke verfasste seine Nacherzählung zunächst losgelöst vom Schulkontext, zeigt aber deutlicher als Lindner die Möglichkeit auf, wie diese als Schullektüre im weiteren Sinn255 von Schülern genutzt werden kann.256 Diese Verwendung wird in den folgenden Auflagen stärker betont. Aufgrund ihres konkreten Adressatenbezugs lassen sich die Nacherzählungen Lindners und Schönkes zur Gattung der Kinder- und Jugendliteratur zählen, welche die Schullektüre einerseits sowie die Kinderund Jugendlektüre andererseits mit einschließt.257 Kindt hingegen verfasst sein Werk für einen allgemeinen Leserkreis – ein schulischer Kontext bleibt hier gänzlich unerwähnt. Vielmehr wird weitreichender von Ovid als einem »Erzieher des Menschengeschlechts« gesprochen, sowie – wie auch bei Lindner und Schönke – die Rezeption der Metamorphosen und deren daraus resultierende bedeutende Rolle innerhalb der abendländischen Kultur hervorgehoben. Kindt sieht sich selbst in der Rolle eines »gewissenhaften Konservators, der Schmuckstücke alter Kultur so pflegt und poliert, daß nichts sie mehr hindert, in ihrem eigenen Glanze zu leuchten« (15). Lässt sich also hinsichtlich des Adressatenkreises ein eindeutiger Unterschied ausmachen, so ist der Kern der Zielsetzung aller drei Autoren dennoch derselbe: die Lektüre der Nacherzählung soll dazu dienen, Kenntnisse zu vermitteln. Diese Kenntnisse wiederum führen durch das »Verständlichmachen« von Kunst und Literatur zur Kultur des Abendlandes hin, bewahren dieselbe und fördern die Aneignung von allgemeinem beziehungsweise schulischem Wissen ebenso wie die Ausbildung von ethisch und moralisch wertvollen Verhaltensweisen (»Persönlichkeitserziehung«258). Hinzu tritt bei Lindner und Schönke der Aspekt der Anregung der Phantasie und der daraus resultierenden Freude am Lesen. Der Kern der Zielsetzung ist also ein pädagogisch motivierter, was sich zu einem großen Teil auf die Tätigkeiten aller drei Autoren im Schulbetrieb zurückführen lässt. »Blick in die Werkstatt« der Autoren Intendierte Arbeitsweise Um seine jugendlichen Leser nicht mit unwichtigen »Namen der Hunde […], der Helden […], und dergleichen Sachen mehr« (28 f.) zu unterhalten, habe Lindner sich darum bemüht »alles in möglichster Kürze zusammen zu fassen« und »weder in das 255 Unter Schullektüre im weiteren Sinn werden alle Texte verstanden, die zusätzlich zu den schulischen Lehrbüchern im Unterricht oder auf lehrerseitige Veranlassung hin zu Hause begleitend zu diesem gelesen werden. Vgl. dazu Ewers (2000), 54. 256 Dieser Schulkontext wird auch am Ende des Vorwortes noch einmal unterstrichen, da Schönke sein »Büchlein der lieben Jugend und ihren Lehrern« übergibt; Schönke (1856), VI. 257 Ewers (2000), 16. 258 Brüggemann (1987), 14.

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trockene und seichte, noch in das schwülstige und gekünstelte, zu verfallen, sondern nach Beschaffenheit der Materien bald kürzer, bald weitläufiger zu sein« (29). Er habe jedoch darauf geachtet »die verschiedenen Gemüthsverfassungen der Personen im Reden« (29) mit auszudrücken. Lindner hat seine Auswahl an Erzählungen originalgetreu in 15 Bücher unterteilt, in denen die erzählerische Chronologie aus den Metamorphosen beibehalten wird. Illustrationen wurden keine beigefügt, auch ist auf einen Anhang »zur Erklärung der Mythologie und der alten Erdbeschreibung« verzichtet worden, um – so Lindner – das Buch nicht unnötig zu vergrößern, könne man doch, sofern einem daran gelegen ist, »Nachricht hiervon in den gemeinesten Wörterbüchern finden«. Ebenso sei es jedoch möglich, »diese Verwandlungen […] [zu] lesen, ohne daß man sich drum bekümmert, wer diese oder jene Person gewesen sei, oder, wo dieses oder jenes Dorf liegt« (29 f.). Schönke habe »aus den Ovidischen Mährchen die interessantesten auszuwählen und in einfacher Weise […] und unter sorgsamer Vermeidung alles dessen, was dem jugendlichen Alter anstößig und verderblich sein könnte« (IV) darzustellen gesucht. Im Gegensatz zu Lindner beschreibt er seine Übersetzungsarbeit genauer: Seiner Nacherzählung zugrunde liegen die Übersetzungen259 von Pfitz und Voß sowie die Ausgaben und Hilfsmittel260 von Bach, Lindemann und Siebelis. Er habe sich – wenn möglich – immer an Ovid gehalten, an einigen Stellen jedoch habe er – »um ein leichteres Verständniß herbeizuführen« – auch andere Schriften benutzt; hier vor allem Apollodor, aber auch zeitgenössische mythologische Arbeiten261 wie zum Beispiel von Schwab oder Grimm (VI).262 Seine Auswahl an Erzählungen, die der Chronologie des Originals folgen, gliedert er in 36 Kapitel, die teilweise Unterkapitel enthalten. Anders als bei Lindner findet man bei Schönke nicht nur acht »colorirte Bilder«,263 sondern im Anschluss an die Nacherzählung auch ein ausführliches »Alphabetisches Register zur Sagenwelt der Alten« (244–288), das Erklärungen zu den in der Nacherzählung auftretenden Personen sowie zu Geographie, Speis und Trank und anderen Gegen259 Bei den Übersetzungen handelt es sich vermutlich um die von Heinrich Christian Pfitz (1833) und Johann Heinrich Voß (1798), siehe Literaturverzeichnis. 260 Bei den Ausgaben handelt es sich vermutlich um: P. Ovidii Nasonis Metamorphoseon libri XV, mit kritischen und erläuternden Anmerkungen von E. C. Chr. Bach. Dieses mehrbändige Werk erschien in seiner 1. Auflage in Hannover in den Jahren 1831–1833; Publii Ovidii Nasonis Opera, berichtigt, übersetzt und erklärt von Heinrich Lindemann, Leipzig 1853–1856; Johannes Siebelis, Wörterbuch zu Ovids Metamorphosen, wurde in der 1. Auflage erst 1867 veröffentlicht. Es ist daher anzunehmen, dass Schönke sich hier auf eine Auswahlausgabe beruft, die im Jahre 1856 bereits publiziert worden war. 261 Bei den zeitgenössischen mythologischen Arbeiten handelt es sich vermutlich um: Gustav Schwab, Die schönsten Sagen des Klassischen Alterthums. Nach seinen Dichtern und Erzählern, 3 Bde., Stuttgart 1838–1840; Jacob Grimm, Deutsche Mythologie, Göttingen 1835. 262 Im Vorwort zur dritten Auflage wird die Hinzuziehung anderer antiker und moderner Autoren gemindert. Es wird hier von »geringen Zusätzen und Erweiterungen aus andern Schriftstellern« gesprochen, weswegen der ab der 2. Auflage hinzugefügte Nebentitel Ein Lesebuch aus Ovid gerechtfertigt sei; Schönke (1856), III. 263 Zu folgenden Erzählungen: Narcissus und Echo, Innenseites des Einbandes; Phöbus und Phaethon (17), Europa und Cadmus (41); Pyramus und Thisbe (77); Niobe (115); Nisus und Scylla (143); Orpheus und Eurydice (185); Scylla und Charybdis (227).

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ständen beziehungsweise Naturerscheinungen enthält. Ein solches Verfahren sei nötig, das betont Schönke in seinem Vorwort, »damit das Buch auch solchen Lesern verständlich werde, die wenig oder gar keinen Unterricht in der Mythologie gehabt haben« (VI). Kindt geht in seiner Einführung zwar ausführlich auf Leben und Werk Ovids sowie explizit auf die Metamorphosen als Werk ein, fasst sich jedoch in Bezug auf seine Arbeitsweise äußerst kurz: Es handle sich, wie bereits zitiert, nicht um eine »Neufassung der ovidischen Märchen, sondern nur [um eine] Nacherzählungen auf Grund der Übersetzung« (15). Welche Übersetzungen zugrunde liegen, verrät er – im Gegensatz zu Schönke – nicht. Auch Kindts Auswahl der Erzählungen, die er auf 24 Kapitel aufteilt, folgt der originalen Chronologie. Ähnlich wie bei Lindner findet sich bei ihm im Anschluss an die Nacherzählung kein ausführlicher Anhang, sondern lediglich »Anmerkungen« (157–161) zu den einzelnen Erzählungen, die neben einem genauen Quellenverweis spärliche Worterklärungen,264 Vergleichsaspekte265 und Kommentare266 enthalten. Praktische Umsetzung der Arbeitsweise Um die praktische Umsetzung der Arbeitsweise miteinander vergleichen zu können, wurden für die Analyse Textstellen aus der Geschichte um Pyramus und Thisbe (met. 4,55–166) ausgewählt, anhand derer charakteristische Eigenarten der Übersetzungsweise deutlich werden. Bei den ausgewählten Textstellen handelt es sich um den Beginn der Erzählung (met. 4,55–58), die direkten Reden (met. 4,73–78: das Einreden auf die Wand; met. 4,108–115, 118: Monolog Pyramus’; met. 4,142–144, 148–161: Dialog Thisbes) sowie einen bildlichen Vergleich (met. 4,121–124). Freilich können die Textstellen aufgrund ihrer stichprobenartigen Auswahl nicht repräsentativ für die gesamte Nacherzählung stehen, sollen aber zumindest einen Einblick in die Übersetzungsweise der drei Autoren geben. Ovid beginnt die Erzählung mit der Vorstellung der beiden Protagonisten (met. 4,55 f.): Pyramus et Thisbe, iuvenum pulcherrimus alter, altera, quas Oriens habuit, praelata puellis […]

Lindner fasst knapp zusammen: »Pyramus und Thisbe, das schönste Paar im ganzen Orient […]« (38). Schönke und Kindt hingegen halten zwar nicht die chiastische Wortstellung ein, bemühen sich aber darum, die gegenüberstellende Satzkonstruktion in der Übersetzung nachzuahmen. So heißt es bei jenem: »Pyramus war der schönste aller Jünglinge, Thisbe die Krone der Mädchen des ganzen Orients.« (74), und bei diesem: »[…] Pyramus und Thisbe, er der Herrlichste aller Jünglinge, sie die Schönste 264 Zum Beispiel: »Zu ›Die große Flut‹: Met. I, v. 253 ff. – Der Styx: der das Totenreich neunmal umkreisende Höllenfluß« (157). 265 Zum Beispiel: »Zu ›Athamas und Ino‹: Met. IV, v. 416 ff. – Vgl. die Höllenschilderung bei Virgil, im 6. Buch der Äneis!« (157). 266 Zum Beispiel: »Zu ›Das Schloß der Fama‹: Met. XII, v. 39 ff. – Welch eine archetypische Schau: diese Vorwegnahme der ›Idee‹ des – Rundfunks!« (161).

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aller Mädchen« (54). Handelt es sich bei den beiden letztgenannten Autoren lediglich um eine Reduktion267 im Sinne einer Stilsenkung im Hinblick auf das Original, so lässt sich Lindners Zusammenziehung als ein weitaus massiverer Eingriff in den Text bezeichnen. Nach der Einführung der Charaktere folgt bei Ovid die Lokalisierung der Erzählung, in einer Umschreibung, mit der – das war dem antiken Leser wohl bewusst – die Stadt Babylon gemeint ist (met. 4,57 f.): […] ubi dicitur altam coctilibus muris cixisse Semiramis urbem.

Wie gehen die Übersetzer mit dieser Textstelle um? Lindner lässt die Umschreibung gänzlich weg und nennt die Stadt konkret beim Namen: »Pyramus und Thisbe […] wohneten zu Babel, neben einander« (38). Auch Schönke nennt die Stadt beim Namen, fügt jedoch eine Beschreibung hinzu: »In Babylon, der ältesten und berühmtesten Stadt des Morgenlandes […]« (74), während Kindt dem Stadtnamen lediglich ein Attribut beifügt: »Im alten Babylon lebten einst […]« (54). Die Nennung der Stadt in allen drei Nacherzählungen ist ein erläuternder Zusatz, der die Rezipierbarkeit des Textes erhöhen soll. Es handelt sich demnach um eine Explikation,268 welche bei allen drei Texten eine Elision nach sich zieht: Der Verweis auf die sagenhafte Stadtgründung durch Semiramis bleibt unerwähnt. Diese Elision wird bei Schönke und im Ansatz bei Kindt durch eine zusätzliche Beschreibung neu »gefüllt«. Ein weiterer interessanter Vergleichsaspekt, an welchem charakteristische Vorgehensweisen der Übersetzer ablesbar sind, ist der Umgang mit der wörtlichen Rede. Lindner entfernt sich hier erheblich vom Original, indem er die wörtliche Rede gänzlich weglässt und lediglich deren Kerninhalte äußerst knapp in einer indirekten Formulierung wiedergibt.269 Auch Schönke wendet zunächst das Mittel der Elision an und gibt die erste Rede indirekt wieder,270 übersetzt jedoch die beiden darauf folgenden, weitaus bedeutungsstärkeren Monologe, die die Trauer und Auswegslosigkeit der Protagonisten über den jeweiligen – vermeintlichen – Tod des Anderen ausdrücken, äußerst textnah ins Deutsche.271 Auffällig ist hier der Ausdruck »Memme« für die 267 Poiss et al. (in diesem Band), § 10, Nr. 12. 268 Poiss et al. (in diesem Band), § 10, Nr. 13. 269 Zum Beispiel: met. 4,107–119 gibt Lindner wie folgt wieder: »[…] da er aber vollends das blutige Gewand seiner Geliebten zu Gesichte bekam, so verwies er sich seiner Zauderungen auf das empfindlichste, nahm den Mantel, und, nachdem er ihn auf das beweglichste geküsset, und mit Thränen benetzt hatte, erstach er sich unter dem Baume« Lindner (1764), 40. Vgl. auch ebenda, 39 f. 270 »[…] schalten auch wohl auf die neidische Wand, die sie verhindere näher zu kommen und dankten ihr zuletzt doch, daß sie wenigstens ihren Worten den Durchgang gestattete«; Schönke (1856), 74. 271 Zum Beispiel der Monolog des Pyramus: »›O,‹ sprach er, ›eine einzige Nacht richtet zwei treue Herzen zu Grunde! Ach, und sie war doch des längsten Lebens würdig! Ich allein bin schuld an deinem Tod, ich habe dich, Ärmste, gemordet, da ich dir befahl, bei Nacht an einen so schaurigen Ort zu kommen, und nicht zuerst hieher kam. O, zerreißet meinen Leib in Stücke, ihr Löwen alle, die ihr hier unter diesen Felsen hauset, und verzehret mein schuldiges Herz mit grimmigen Bissen! Doch was wünsch’ ich mir nur den Tod! Das tut jede Memme!‹ […] ›Auch mit meinem Blute sollst Du getränkt werden!‹«; Schönke (1856), 76.

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Wiedergabe von sed timidi est (met. 4,115), wobei eine solche Modernisierung272 im Hinblick auf den restlichen Textverlauf der Erzählung eine Ausnahme bleibt. Kindt bleibt dem Original am stärksten treu: Er gibt jede der drei wörtlichen Reden mit einer äußerst emotional gehaltenen Übersetzung wieder.273 Weiteren Aufschluss über die Übersetzungsarbeit der drei Autoren kann ferner die Untersuchung der Wiedergabe des folgenden, recht ungewöhnlichen bildlichen Vergleichs bringen (met. 4,121–124): […] cruor emicat alte, non aliter quam cum vitiato fistula plumbo scinditur et tenui stridente foramine longas eiaculatur aquas atque ictibus aera rumpit.

Abermals formuliert Lindner sehr knapp: »Das Blut spritzte, wie das Wasser aus einer geöffneten Röhre, in die Höhe […]« (40). Bei Schönke lautet es: »Hoch spritzt das Blut in die Höhe, nicht anders, als wenn die schadhaft gewordene Röhre einer Wasserkunst berstet und aus der dünnen Öffnung zischend der Wasserstrahl in die Höhe fährt und die Lüfte durchschneidet.« Kindt schreibt: »Als er so dalag […], schoß ein Blutstrom hervor, wie ein Bleirohr, wenn es platzt, aus enger zischender Öffnung einen langen Wasserstrahl hoch emporschnellt.« (56). Anders als Lindner bemühen sich Schönke und Kindt darum, den Vergleich anschaulich ins Deutsche zu übertragen, wobei sich Schönke durch den Ausdruck »Wasserkunst« für das schwer wiederzugebende (vitiato) fistula (plumbo), wahrscheinlich um der Rezipierbarkeit willen, stärker vom Original entfernt. Diese, wenn auch kurze, Textanalyse macht bereits deutlich, dass Lindner seinem im Vorwort formulierten Anliegen »alles in möglichster Kürze zusammen zu fassen« ohne Bedenken nachgeht – freilich, das wird sogleich zu Beginn der Erzählung deutlich, auf Kosten des Inhalts und des sprachlichen Ausdrucks: Feinheiten werden zu Gunsten der Rezipierbarkeit für ein jugendliches Publikum ausgeblendet beziehungsweise verkürzt, soll doch die Nacherzählung als angenehme Freizeitlektüre dienen. Seinem weiteren Anliegen allerdings, »die verschiedenen Gemüthsverfassungen der Personen im Reden« auszudrücken, kommt er, zumindest in Bezug auf die Geschichte von Pyramus und Thisbe, in keiner Weise nach. Allerdings muss an dieser Stelle hinzugefügt werden, dass Lindner nicht nur »ausblendet« und »verkürzt«, sondern an Textstellen, wo es der christliche Glaube fordert, sowohl »hinzufügt«274 als auch Ra-

272 Poiss et al. (in diesem Band), § 10, Nr. 4. 273 Zum Beispiel der Monolog des Pyramus: »O kann uns diese Nacht nicht vereinigt sehen, so seh sie uns beide tot! Du Liebe! Ich bin der Frevler, ich habe dich getötet! Ich habe dich hinausgelockt in die schreckliche Nacht und war nicht vor dir zur Stelle! Zerfleischt mich drum, zerreißt mein sündiges Herz, ihr Löwen, die ihr dort in den Felshöhlen haust! Aber den Tod nur wünschen, das ist Feigheit! […] Trink nun auch mein Blut!«; Kindt (1946), 55. Für die Wiedergabe der beiden anderen Reden siehe ebd., 54 und 56 f. 274 Met. 4,96: audacem faciebat amor wird mit »Die Liebe macht sie, wider die Gewohnheiten ihres Geschlechtes, kühn« übersetzt; Lindner (1764), 39.

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tionalität für Leidenschaft eintauscht.275 Schönkes Absicht, die Erzählung auf »einfache[] Weise« darzustellen, schlägt sich in einer verständlichen, wenn auch – im Vergleich zu Lindner und Kindt – teilweise recht ausschmückenden Sprache276 sowie in der Auslassung ganzer Textpassagen277 nieder. Die bemerkenswerte didaktische Aufbereitung unterstreicht den Gedanken, dass bei dieser Nacherzählung von vornherein stark an eine unterrichtsbegleitende Verwendung gedacht wurde. Zur Beantwortung der Frage, ob Schönke seinem Anspruch »Verderbliches« zu vermeiden, gerecht wird, lässt die Textanalyse keine Rückschlüsse zu, fest steht nur, dass die von Lindner »zensierten« Textstellen hier unangetastet bleiben. Allerdings weist die Verwendung des Ausdrucks »Memme« darauf hin, dass Schönke darum bemüht ist, die Sprache der Übersetzung an seine jugendlichen Leser anzupassen. Dass Kindt in seinem Vorwort kaum auf seine Arbeitsweise eingeht, mag damit zu begründen sein, dass er sich von den drei Autoren am Wenigsten vom Original entfernt: Er muss sich weder für Hinzufügungen noch für Auslassungen rechtfertigen. Dies und die spärliche didaktische Aufbereitung wiederum lassen sich darauf zurückführen, dass Kindt die Nacherzählung nicht an die Eigenarten eines jugendlichen Adressatenkreis anpasst. Dennoch passt auch Kindt seinen Text an »seine«, wenn auch nicht explizit definierte, Leserschaft an. Dieser Prozess der Anpassung eines Textes an eine intendierte Leserschaft wird als Akkommodation bezeichnet. Für Nacherzählungen generell gilt, das wird bereits an der Definition deutlich,278 dass deren Akkommodation zu einem großen Teil aus der Reduktion279 besteht. Dies ist bei den drei untersuchten Nacherzählungen allein schon daran erkennbar, dass in Prosa erzählt wird, die Eigentümlichkeiten der Dichtkunst also zu Gunsten der Rezipierbarkeit aufgehoben werden: Im Mittelpunkt steht die Vermittlung des Inhalts. Lindners und Schönkes Nacherzählungen zeichnen sich im Vergleich zu Kindt dadurch aus, dass sie den speziellen Grundsätzen der kinder- und jugendgemäßen Akkommodation280 folgen, was besonders gut durch die Straffungen und Auslassungen sowie die Anpassungen an die damaligen Moralvorstellungen zum Ausdruck kommt. Bei kinder- und jugendgemäßer Akkommodation gilt es, die Balance zu halten zwischen den Anforderungen von Erziehung und Bildung einerseits sowie den Bedürfnissen von Jugendlichen andererseits. Da bei Schönke der Nutzen für die Schule und somit der Pol »Erziehung und

275 Met. 4,60 ff.: taedae quoque iure coissent, | sed vetuere patres; quod non potuere vetare, | ex aequo captis ardebant mentibus ambo wird übersetzt mit: »Sie würden auch wohl Eheleute geworden sein, wenn sie der Aeltern Einwilligung hätten erhalten können. Die Unmöglichkeit, selbige iemals zu erhalten, nöthigte sie, einander ihre Liebe auf eine andere Weise zu offenbaren«; Lindner (1764), 38. 276 So zum Beispiel die Übersetzung von altera, quas Oriens habuit, praelata puellis (met. 4,56) mit »die Krone der Mädchen« (68) und die Beschreibung der Stadt Babylon mit den Superlativen »schönste[n]« und »berühmteste[n] Stadt des Morgenlandes«; Schönke (1856), 68. 277 Indirekte Wiedergabe der ersten wörtlichen Rede. 278 Siehe oben S. 184 f. 279 Poiss et al. (in diesem Band), § 10, Nr. 12. 280 Vgl. Ewers (2000), 178–189.

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Bildung« eine stärkere Rolle spielt als bei Lindner, ist diese Nacherzählung didaktisch besser aufbereitet. Fazit Es wurden Nacherzählungen der Metamorphosen Ovids aus drei Jahrhunderten untersucht: eine jede charakteristisch für sich – und dennoch konnten Gemeinsamkeiten untereinander ausgemacht werden. Freilich können die drei Nacherzählungen nicht als repräsentativ für die jeweiligen Jahrhunderte betrachtet werden, es kann aber die Frage gestellt werden, ob sich diese in den Kontext »ihrer« Zeit einordnen lassen. Im Folgenden wird daher in Kürze zusammenfassend der historische Rahmen abgesteckt werden, in welchem sich die drei Nacherzählungen bewegen. Die ersten Nacherzählungen antiker Mythen und Sagen werden ab der Mitte des 18. Jahrhunderts veröffentlicht – früher als Märchen, Volks- und Heldensagen281 – und stehen somit am Beginn der sich am Ende des 18. Jahrhunderts endgültig herausbildenden Kinder- und Jugendliteratur.282 Das lässt sich damit begründen, dass antike Mythologie im 18. und 19. Jahrhundert als wichtiger Bildungsgegenstand galt und dementsprechend im altsprachlichen Unterricht einen großen Stellenwert einnahm, was zu einem Aufschwung der Darstellung antiker mythologischer Stoffe für Kinder und Jugendliche führte.283 Handelte es sich zunächst fast ausschließlich um didaktisch ausgerichtete systematische Darstellungen mit »Handbuchcharakter«, die explizit für den altsprachlichen Unterricht konzipiert wurden,284 so machte sich im Laufe des 19. Jahrhunderts eine Veränderung bemerkbar: Die systematischen Darstellungen antiker Mythologie wurden – unter romantischem Einfluss – allmählich zu Gunsten einer rein narrativen Darstellungsweise antiker mythologischer Stoffe verdrängt,285 weshalb man von einer »Tendenz zur Popularisierung mythologischen Wissens«286 innerhalb der Kinder- und Jugenliteratur spricht. An dieser Stelle muss freilich Gustav Schwabs 1838 erstmals veröffentlichte Sammlung Die schönsten Sagen des Klassischen Alterthums genannt werden, deren bis heute (!) ungebrochene Popularität287 für die Blüte der Nacherzählungen der damaligen Zeit steht. Diese Veränderung zog einen immer stetiger zunehmenden Verlust der »Schultauglichkeit« der Werke nach sich. Am Ende des 19. Jahrhunderts schließlich beginnt die germanisch-deutsche Sagenwelt die antike Mythologie zu verdrängen, bis diese mit dem Aufkommen des National-

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Pleticha (1987), 33. Hurrelmann (1995), 10; Evers (2001), 53. Petzold (1983), 253; Brüggemann, 1987, 11 f. Pleticha (1987), 36. Evers (2001), 63. Brüggemann (1987), 12. Schwabs Sagensammlung wird nicht mehr in der originalen Form publiziert, bis heute erscheinen jedoch zahlreiche Kurzausgaben, überarbeitet und dem heutigen Sprachgebrauch angepasst.

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sozialismus endgültig der nationalen Sagenwelt weichen muss.288 Nach dem Zweiten Weltkrieg jedoch versuchen die Verlage an die alten Vorlagen anzuknüpfen. Die Nacherzählungen allerdings entfernen sich immer mehr vom Original – ein Bezug zum Schulunterricht ist nun nicht mehr auszumachen.289 Lindner reiht sich mit seiner Nacherzählung nicht nur in die Anfänge der narrativen Darstellungsweise antiker mythologischer Stoffe, sondern in die Anfänge der Kinder- und Jugendliteratur überhaupt ein. Die Tatsache, dass in dieser Zeit systematische Darstellungen, sogenannte Mythologien, für den Schulunterricht verwendet wurden290 und Lindner mit seiner narrativen Darstellungsweise Neuland betritt, mag vielleicht die Begründung dafür sein, dass er die Verwendung der Nacherzählung als Zeitvertreib derart stark betont und bei Unverständnis auf, zu dieser Zeit scheinbar gängige, Nachschlagewerke verweisen kann. Seine Rechtfertigung im Vorwort für eine Nacherzählung der Metamorphosen sowie das »Ausbügeln« moralisch verwerflicher Textstellen, entspricht seiner Zeit, in der die antike Mythologie zwar als unentbehrlich zum Verständnis einer allegorischen Sprache der Künste angesehen, aber dennoch von vielen aus religiösen und moralischen Gründen abgelehnt oder als Aberglaube dargelegt wurde.291 Schönke, rund 100 Jahre später, gliedert sich in die Hochphase der Nacherzählungen antiker mythologischer Stoffe für Jugendliche ein. Die Beschäftigung mit der Antike wird zum alltäglichen Gegenstand gebildeter Bürger, was seinen Niederschlag zum einen in der privaten Lektüre, zum anderen aber auch in der Schullektüre findet – sei es im Unterricht oder diesen unterstützend – wie zum Beispiel auf nichthumanistischen Gymnasien, wo das Lesen einfacher Übersetzungen auf dem Programm stand.292 Womöglich beginnen Nacherzählungen antiker mythologischer Stoffe für den Schulunterricht auch deswegen an Bedeutung zu gewinnen, weil die Anzahl systematischer Darstellungen deutlich abnimmt. Dadurch gewinnt die im Rahmen der kinderund jugendgemäßen Akkommodation zu haltende Balance zwischen Schultauglichkeit einerseits und Lesefreude andererseits an Brisanz, was bei Schönke unter anderem an der Nennung der Vorlagen für seine Nacherzählung auf der einen Seite sowie an der Hinzuziehung anderer Quellen zum besseren Verständnis auf der anderen Seite deutlich wird. Doch nicht nur mit dem Genre der Nacherzählung, sondern auch mit dem Stoff bewegt er sich mit dem Strom der Zeit, erscheint doch gerade im 19. Jahrhundert eine Vielzahl an Schulausgaben der Metamorphosen Ovids.293 Die mit dem Aufkommen des Nationalsozialismus verloren gegangen Tradition der Nacherzählungen antiker mythologischer Stoffe nimmt Kindt nach dem Ende des 2. Weltkrieges wieder auf. Er schreibt aber nicht mehr im Rahmen der Kinder- und Jugendliteratur, sondern für einen allgemein gefassten Leserkreis. Und auch trotz des in 288 289 290 291 292 293

Evers (2001), 10 f.; Pleticha (1987), 40; Brüggemann (1987), 31. Pleticha (1987), 40 f. Evers (2001), 62. Brüggemann (1987), 23, 30. Evers (2001), 36 f. Ebd., 37.

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den 1960er Jahren einsetzenden und bis weit in die 1970er Jahre reichenden Aufschwungs der Verwendung von Kinder- und Jugendliteratur im Schulunterricht,294 lässt sich für die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts bis heute feststellen, dass Nacherzählungen antiker mythologischer Stoffe für Kinder und Jugendliche, besonders im Vergleich zum 19. Jahrhundert, von geringer Bedeutung sind295 und innerhalb des Angebotes zur Antike allgemein (Sachbücher, Romane, Comics, Hörbücher) einen geringen Teil ausmachen.296 Ein Blick auf den aktuellen Buchmarkt zeigt auf, dass es zwar eine Auswahl an Nacherzählungen der homerischen Stoffe, allen voran der Odyssee,297 sowie allgemeiner antiker Sagensammlungen gibt, im Hinblick auf eine akzeptable, didaktisch gut aufbereitete Nacherzählung der Metamorphosen Ovids offenbart sich jedoch – leider – eine große Lücke.298 Und das, obwohl gerade eine solche sowohl die schon seit langem geforderten299 neuen Ansätze zur Behandlung antiker Mythen sowie die Verwendung von Kinder- und Jugendlektüre im Lateinunterricht300 endlich voranbringen könnte. 4.1 Ovid-Übersetzungen im 19. Jahrhundert Die universitäre Klassische Philologie steht gerade im 19. Jahrhundert dem Übersetzen dezidiert ablehnend gegenüber. Die eindringliche Warnung August Boeckhs: »Wenn die Philologie anfängt zu übersetzen, hört sie daher auf, Philologie zu sein«,301 ebenso wie Moriz Haupts Weigerung, selbst im mündlichen Vortrag ins Deutsche (wohl aber vom Griechischen ins Lateinische)302 zu übersetzen, sind zwar pointierte (Berliner), 294 Der Durchbruch gelang Anna Krüger im Rahmen der Reformdiskussionen mit ihrer Publikation Kinder- und Jugendbücher als Klassenlektüre. Analysen und Schulversuche. Ein Beitrag zur Reform des Leseunterrichts, 3. Auflage, Weinheim u. a. 1973. 295 Brüggemann (1987), 31; Evers (2001), 12. 296 Kipf (2003), 78. 297 Die Auswahl an Nacherzählungen der Aeneis ist im Vergleich dazu sehr begrenzt. 298 Aktuell, aber sehr schwer erhältlich und nicht empfehlenswert: Astrid von Schoenebeck, Das Mädchen im Lorbeerbaum, Mythen nach den Metamorphosen des Ovid neu erzählt (nicht nur) für Kinder, München 2008. 299 Schönberger (1979), 193, schrieb bereits vor über 30 Jahren, dass ihm außer einer Darstellung, keine weiteren Ansätze zur Behandlung von antiken Mythen im gymnasialen Unterricht bekannt seien. Bis heute kann von einem befriedigenden Angebot nicht die Rede sein; es zeichnet sich lediglich ein verstärktes Interesse gegenüber der Behandlung antiker mythologischer Stoffe in der Grundschule ab. Hier stehen abermals die homerischen Stoffe im Mittelpunkt. 300 Kipf (2003), 79, konstatiert, dass der Einbeziehung der Kinder- und Jugendliteratur in den Lateinunterricht »in der fachwissenschaftlichen und in der fachdidaktischen Forschung bisher zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt« worden sei. Hurrelmann (2000), 915, meint demgegenüber, dass das Nicht-Verwenden von Kinder- und Jugendliteratur in der Sek. I weniger »fachlich begründeter Überzeugung« zu verschulden sei als vielmehr »pädagogischer Unbeweglichkeit oder schlichter Unkenntnis.« – Siehe jetzt speziell zu Ovid in der Kinder- und Jugendliteratur Janka/Stierstorfer (2015). 301 Vgl. z. B. zuletzt Kitzbichler (2012), 63 f. 302 Wilamowitz (1925), 7.

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aber durchaus repräsentative Stimmen,303 die das übersetzerische Metier als subwissenschaftlich oder gar wissenschaftwidrig brandmarken.304 Demgemäß beteiligt sich die Universitätsphilologie bis weit ins 20. Jahrhundert hinein so gut wie nicht am Übersetzungsgeschäft.305 Dennoch professionalisierte sich im Verlauf des 19. Jahrhunderts die Abfassung und Distribution der Übersetzungen aus den Alten Sprachen. Sie fanden ihren Platz nicht zuletzt in Übersetzungsreihen,306 hinter denen mehr oder minder ausformulierte Verlagskonzepte307 standen (Metzler seit 1827308, Langenscheidt seit 1855309). Auch 303 Die wichtigste Ausnahme ist Wilamowitz mit seinen erfolgreichen Dramenübersetzungen (vgl. Lubitz [2009], 196–207), der auch in dieser Hinsicht eine eigenständige Stellung in der deutschen Klassischen Philologie einnahm. Sein Berliner Kollege Eduard Norden übersetzte z. B. nur im Rahmen des Kommentars zum 6. Aeneis-Buch sowie in einer Lieberhaberedition Apuleius’ Märchen von Amor und Psyche. Ob das stärkere Engagement der Universitätsphilologie zum Ende des 20. Jahrhunderts hin mit den Konzepten der Reihen zusammenhängt, die etwas Besonderes verheißen – Texte zur Forschung (Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt), SAPERE – Scripta Antiquitatis Posterioris ad Ethicam Religionemque pertinentia / Schriften der späteren Antike zu ethischen und religiösen Fragen (Akademie der Wissenschaften, Göttingen) – oder das Prestige des Herausgebergremiums – Edition Antike (hg. von Martin Hose/Thomas Baier/Kai Brodersen, Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt) – , wäre zu untersuchen, würde aber wohl auch in hohem Maß psychologische Faktoren zu berücksichtigen haben. 304 Vgl. auch Wilamowitz (1928), 284: »Wir sahen uns bald genötigt, in unserem sog. Proseminar Neuerungen einzuführen […]. Das erste war die Schaffung einer Oberstufe, in die eine Prüfung hineinführte. Sie bestand aus einer Übersetzung aus dem Lateinischen und Griechischen, was zuerst als zu leicht beanstandet ward, sich aber durchaus bewährte.« – Ebd. 287: »Vollends seit die Intuition als eine höhere und bequemere Methode aufgekommen ist, erlebt man die schauerlichsten Proben der anmaßlichen unwissentlichen, aber auch wissentlichen Verleugnung des sprachlichen Verständnisses, ganz zu schweigen von kaum verhüllter Abhängigkeit von Übersetzungen. Vorsokratiker versteht man nicht aus den Übersetzungen von Diels, philosophische Gedanken überhaupt nicht anders als indem man griechisch denkt, vom Rechte gilt dasselbe. Aber bei den Poeten, auch bei Thukydides, ist es kaum anders.« 305 Lubitz (2009), 182–185. 306 Siehe Bachleitner (2008) und Lubitz (2009), 117–130. – Die Collection Speemann (Lubitz [2009], 123) enthielt keine neue Ovid-Übersetzung, sondern druckte 1883 die Voß’sche Fassung nach, bereichert um eine Einführung von Friedrich Leo. Nicht enthalten war Ovid sowohl in der Cotta’schen Bibliothek der Weltliteratur als auch in den Klassikern des Altertums (zu diesen Reihen Lubitz [2009], 124–126). 307 Wenig profiliert ist noch die Münchener Sammlung der Griechischen und römischen Klassiker in neuen deutschen Uebersetzungen von einem deutschen Gelehrtenvereine unter Leitung des Herrn Professors Oertel in Ansbach (München: Fleischmann; auch unter anderen, leicht abgewandelten Titeln geführt) – gemäß der Anzeige in der Allgemeinen Kirchenzeitung, Beilage 1830, Nr. 22 (o. p.) weist sie folgende Vorzüge auf: »Wohlfeilheit, gefälliges Format, treffliche mit schätzenswerthen Anmerkungen begleitete Uebersetzungen sind die Vorzüge dieser Sammlung, die sich in ganz Deutschland der ausgezeichnetsten Aufnahme erfreut, und jedem Gebildten mit Recht empfohlen werden kann.« Zum Zeitpunkt dieser Anzeige waren Cicero, Horaz, Justin, Ovid (Exildichtungen, s. u. S. 200), Plinius, Tacitus, Homer, Pausanias und Thukydides abgedeckt. – Die ausführliche Ankündigung im Anzeigeblatt zur Münchener allgemeinen Literatur-Zeitung 1821, Nr. 1, 2–4, durch den Herausgeber sprengt leider den zur Verfügung stehenden Rahmen. 308 Diese Übersetzungsbibliotheken konnten auch abonniert werden. So findet sich in der Beilage zur Allgemeinen Zeitung Nr. 8, 1827, 31, über die im Metzler-Verlag erscheinenden Prosaübersetzungen

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die Metamorphosen-Verdeutschungen sind kaum mehr individuelle, spontane Hervorbringungen, sondern in diese großen von den Verlagen veranstalteten Übersetzungsbibliotheken eingebunden und damit auch deren formalen Gestaltungsprinzipien (nicht zuletzt beim Umgang mit metrischen Texten spürbar) unterworfen. Es ist dies auch die große Zeit der übersetzenden Gymnasiallehrer,310 die mit der Normalisierung des Bildungsganges im Zuge der Humboldt-Süvern’schen Refomen und der Professionionalisierung ihrer Ausbildung sich zu Wissenschaftlern aufgewertet sahen311 und das in publizistischen Ehrgeiz umsetzten. Bekanntestes Medium sind die Schulprogramme,312 die häufig textkritische Einzelfragen behandelten, wie sie auch die Universitätsphilologie in jener Zeit umtrieben, oder »Proben einer Übersetzung« (o. ä.) antiker Autoren, darunter prominent vertreten der Schulautor Ovid,313 enthielten. Auf diese Weise wurde nicht zuletzt das unterrichtliche Alltagstgeschäft (wie es Thomas Mann anhand von Hanno Buddenbrooks Schultag mit bitterem Spott gezeichnet hat) sublimiert.

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angemerkt: »Jeden Monat erscheinen vier Bändchen; mittelst einer Auslage, die jährlich nicht über 6 Rhtlr. sächs. oder 11 fl. rhein. steigen kann, kommt auf diese Weise Jeder, der auf das ganze Werk unterzeichnet, in wenigen Jahren in den Besitz einer vollständigen Sammlung von Uebersezungen der vorzüglichsten Klassiker des Alterthums, die Treue mit Verständlichkeit und gefälligem, reindeutschem Ausdruke vereinigen […]«; die Allgemeine Bibliographie für Deutschland, Nr. 34, 25. August 1837, p. 515, Nr. 1108, vermerkt für das »12te[] bis 20te[] Bändchen« (scil. Terenz) einen Subskriptionspreis von 2 Taler (?) 6 Groschen. Dass das bisweilen auch eine Art von Etikettenschwindel war, zeigt die Notiz über die Münchener Sammlung (s. o., Anm. 307) in der Außerordentlichen Beilage zur Allgemeinen Zeitung 1828, Nr. 51, 204: »Es wurde vorgezogen, diese Sammlung nicht in dünnen Heften erscheinen zu lassen, weil es weder für das Publikum noch für den Verleger von Nutzen ist, und weil nur der Unerfahrne durch den Schein der Wohlfeilheit getäuscht wird. Die Münchener Ausgabe erscheint wie bisher in ansehnlichen Bändchen, was von vielen gewünscht wird, die den ephemeren Zwergheftchen-Ausgaben keinen Geschmack abgewinnen können.« – Die institutionellen Rahmenbedingungen werden in einem eigenen Projekt genauer zu untersuchen sein. Wikipedia s. v. »Langenscheidtsche Bibliothek sämtlicher griechischen und römischen Klassiker« (Stand 28. September 2012); der Bd. 74 (Propertius – Statius – Tibullus, Berlin, Stuttgart 1855– 1890) enthält – wie generell in dieser Reihe üblich – eine unpaginierte Übersicht über die erschienenen und geplanten Bände sowie Einige Winke zur Benützung der Langenscheidtschen Bibliothek sämtlicher griechischer und lateinischer Klassiker. Die Properz-Übersetzung z. B. stammt vom (zuletzt Lübecker) Schuldirektor Friedrich Jacob, der auch schon eine lateinische Properz-Edition 1827 vorgelegt hatte (Eckstein [1871], 222; Bursian [1881]), nach dessen Tod überarbeitet von Wilhelm Binder (1810–1876, vgl. die Onlinefassung: http://www.idref.fr/066975956), einem der produktivsten Übersetzer seiner Zeit, über den Eckstein (1871), 40, vermerkt: »Binder, Wilhelm Christian, geb. am 16. April 1810 in Weinsberg, beschäftigt in der Staatskanzlei in Wien, lebte nachher zu Ludwigsburg, 1845 katholisch.« Vgl. außerdem Siemann (1985), 130–134, mit weiterer Literatur. Binder war als Pfarrerssohn und zunächst Gymnasiallehrer eine durchaus zeittypische Erscheinung. Vgl. Kipf (2013); Baumbach (2002). Vgl. Wilamowitz (1892), 14: »Und wenn wir nun keine Schulamtscandidaten mehr unter unseren Zuhörern haben sollten – ja, Schulamtscandidaten kennen wir auch jetzt nicht darunter: wir kennen nun Studierende der Philologie.« Siehe dazu Fritsch (1982). Baumbach (2002), 116–125. Vgl. die Zusammenstellung in der Bibliographie; grundsätzlich Kipf (2013).

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Diese Neuorientierung vollzog sich selbstverständlich nicht schlagartig. So zeugt etwa das Herausgebergremium der Metzler’schen Übersetzungsbibliothek noch von der traditionellen Nähe von Theologie und Philologie314 und von der Permeabilität zwischenden geistlichen und pädagogischen Laufbahnen.315 Demgemäß zeichnet für die Übersetzungen der Metamorphosen, Fasti und der Exildichtung Heinrich Christian Pfitz (1789–1869) verantwortlich, der zuerst im thüringischen Hildburghausen, dann im benachbarten Eishausen als Pfarrer wirkte.316 Auch das Vorwort zum ersten Teilband der Metamorphosen ist eine nach Gedanken und Bibliographie noch tief im 18. Jahrhundert verhaftete Einführung ins Ovids Leben und Werk, von Eberhard Friedrich Mezger (1780–1849), damals Pfarrer in Murrhardt. Letzterer ist ausweislich

314 Das trifft auch für den Herausgeber der bei Fleischmann in München (s. Anm. 307) erscheinenden Reihe zu; vgl. seinen autobiographischen Abriss: Professor Dr. [Eucharius Christian Ferdinand] Oertel in Ansbach, keiner Akademie Mitglied, keiner Behörde Rath, keines Ordens Ritter etc. als Theolog, Philolog und Hydrolog von ihm selbst dargestellt […], Erlangen 1840. 315 Die Herausgeber waren Gottlieb Lukas Tafel, seit 1818 Professor für Klassische Philologie in Tübingen, Christian Nathanael Osiander (1781–1855), Pfarrer – zuletzt Superintendent in Ulm – und zwischenzeitlich Gymnasiallehrer in Stuttgart, und Gustav Schwab (1792–1850), im Brotberuf ebenfalls Gymnasiallehrer in Stuttgart und Pfarrer. Vgl. die Anzeige in der Allgemeinen Kirchenzeitung 12 (1833): »Uebersetzungen alter Klassischer Dichter. Von dem Werke: ›Griechische und Römische Dichter in neuen metrischen Uebersetzungen‹, herausgegeben von den Professoren Tafel, Osiander und Schwab« (Stuttgart, Metzler’sche Buchhandlung) ist so eben erschienen: Ovid’s Verwandlungen, übersetzt von H. C. Pfitz, Pfarrer in Eishausen. Vollständig in 5 Bändchen. 2 fl oder 1 ¼ Thlr Preuß. Früher sind von dieser Sammlung erschienen: Homers Odyssee, übersetzt von E. Wiedasch, Director des Pädagogium zu Ilfeld. Vollständig in 5 Bdchn. 2 fl. oder 1 ¼ Thlr Preuß. Virgils Aeneis, übers. von Ludw. Neuffer, Stadtpfarrer zu Ulm. Zweite durchaus verbesserte Aufl. Vollständig in 4 Bdchn. 1 fl. 36 kr oder 1 Thlr. Preuß. Zunächst werden nun die übrigen Werke Homer’s, Ovid’s und Virgil’s, Kallimachus, Plautus und Terenz in durchaus gelungenen Uebertragungen folgen, von welchen bereits mehrere unter der Presse sind. Der Subscriptionspreis für jedes Bändchen von ungefähr 128 Seiten in Taschenformat ist nur 24 fr. oder ¾ Thlr. Preuß. Durch diese Sammlung von Uebertragungen der vorzüglichsten Dichter des Alterthums, in Verbindung mit den von denselben Herrn Herausgebern in gleichem Formate bei uns erscheinenden ›Griechischen und römischen Prosaikern in neuen Uebersetzungen‹, von welchen bis jetzt 213 Bändchen ausgegeben sind und, bei dem nun vorhandenen Vorrathe an Manuscripten, in der nächsten Zeit die Fortsetzung rascher folgen kann, erhält Deutschland zum erstenmale eine vollständige Riehe von deutschen Uebertragungen aller vorzüglichsten Klassiker des Alterthums, ein Werk, wie keine andere Nation, selbst England und Frankreich nicht, ein ähnliches in ihrer Literatur aufzuweisen im Stande sind.« 316 Die biographischen Daten sind schwer zu eruieren; vgl. Mörike (Bd. 15, 2000), 442. Die Trauerpredigt vom 10. Januar 1869 ist im Landeskirchenarchiv Eisenach (http://lka.allegronet.de/grec.php? urN=17484) aufbewahrt. Der Hildburghauser Superintendent Dr. [Max] Wölfing kommt darin auch kurz auf Pfitz’ gelehrte Bestrebungen zu sprechen (6): »Ich selbst habe zwei Jahre lang als Schüler zu seinen Füßen gesessen und er hat mich eingeführt in die Elemente der lateinischen und griechischen Sprache, er hat mir den Confirmandenunterricht ertheilt […]. Auch als metrischer Uebersetzer lateinischer Dichter hat er sich einen Namen gemacht und es sind einige solcher Werke von ihm im Druck erschienen und haben reiches Lob geerndtet.« Trotz dieser Kürze zeigt sich daran noch einmal die enge Verbindung von geistlichem Amt, Schulunterricht und Publikationstätigkeit, wie sie in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wohl letztmals möglich war. – Ich danke dem Landeskirchenarchiv Eisenach für die freundliche und unkomplizierte Überlassung einer Kopie der Predigt.

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der verfügbaren Bibliothekskataloge publizistisch nicht weiter hervorgetreten,317 seine Rolle als Autor des Vorworts scheint also auf persönlicher Bekanntschaft mit einem oder mehreren Reihenherausgebern im Württembergischen Umfeld (eventuell von Tübingen als Studienort ausgehend) zu beruhen. Was Pfitz für seine Aufgabe qualifizierte und wie der Kontakt hergestellt wurde, ist nur zu vermuten. Womöglich war man auf ihn durch seine Prosafassung von Ovids Exilgedichten318 aufmerksam geworden. Dort hatte er sich knapp über seine übersetzerischen Prinzipien geäußert:319 Dabei ging mein vornehmstes Bestreben dahin, mit wörtlicher Treue die höchste Deutlichkeit des Sinns zu verbinden; und ich schmeichle mir in dieser Hinsicht nicht ganz umsonst gearbeitet zu haben.320

Auch von Pfitz gibt es neben seinen Übersetzungen keine weiteren einschlägigen Arbeiten, wir haben es also mit im Wortsinne Amateurarbeiten zu tun, wie sie für das 18. Jahrhundert noch weit typischer waren. Aus den Paratexten der Übersetzung erfährt man wenig über die Anlage der Übersetzung. Mezger attestiert der Übertragung, dass sie »bei den Völkern deutscher Zunge dem alten Rom und einem seiner gefeiertsten Dichter den längst behaupteten Ruhm fernerhin zu sichern hofft«.321 Die Übersetzung selbst ist fast völlig frei von kritischen und exegetischen Anmerkungen, sie ist gemäß dem Reihenkonzept im Hexameter gehalten. Das Proömium liest sich demzufolge in der metrischen Umsetzung folgendermaßen: Körper, verwandelt dereinst in neue Gestalten, zu singen, Treibt mich der Geist. Ihr Götter (denn ihr auch wandeltet jene) Seyd dem Beginnen geneigt, und vom Uranfange der Schöpfung Führt fortlaufend das Lied auf unsere Zeiten herunter.

Charakteristisch ist die Spitzenstellung von »Körper«, vom zweiten Vers des Originals an den Anfang des gesamten Textes gerückt, so dass der sprachliche Duktus Ovids umgekehrt ist. Dafür ist »dereinst« ein Füllwort ohne Pendant im Lateinischen (dazu zählt auch die enallagetische Auffassung von »neue«). Ansonsten hält sich Pfitz weitgehend in schon traditionell gewordener Weise an Ovids Formulierungen. Erstmals wird in dieser Übersetzung prima ab origine mundi mit »vom Uranfange der Schöp317 Nur die Sammlung Drei Predigten an den vaterländischen Festen, die in den Kirchen Wirtembergs den 28. Mai. den 5. und 6. Nov. 1809 gefeiert wurden wurde Stuttgart 1810 publiziert (vorhanden in der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart). 318 München 1826; vgl. o. Anm. 307. 319 V. a. wegen des Verzichts auf eine metrische Umsetzung wird die Übersetzung scharf kritisiert von Fr. Liebeg. Becher, Jahrbücher für Philologie und Paedagogik, Bd. 5 (1827), 305–310; ähnlich in der Tendenz ist Gräfenhan, Neue Kritische Bibliothek für das Schul- und Unterrichtswesen, Bd. 17 (1827), 93– 95. 320 Pfitz, Klagelieder (1826), 3. – Das entspricht auch dem Programm der Übersetzungsreihe (siehe oben Anm. 307), die u. a. verheißt, »von allem fremdartigen und Gemeinen durchaus frey [zu] seyn, ohne jedoch in das Gezierte zu fallen« (p. 3). 321 Textgrundlage sei das Corpus poetarum latinorum, hg. von W. E. Weber, eine in Frankfurt 1832 erschienene umfangreiche (mehr als 1400 Seiten zählende) Sammelausgabe der wichtigsten lateinischen Dichter, verwendet jedoch »mit eigenem Urtheil und Auswahl der wesentlichen Varianten«.

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fung« wiedergegeben, was dann auch Lindemann (s. u. S. 205) und Suchier (s. u. S. 209) als metrisch bequem übernehmen. Die textile Metapher in deducere bleibt allerdings unberücksichtigt und wird nur auf die zeitliche Abfolge bezogen. Es zeigt sich also bereits hier eine dezidierte Hinwendung zum vordergründig Inhaltlichen ohne Umsetzung der stilistischen, sehr wohl aber auch das inhaltliche Verständnis tangierenden Feinheiten (wie den Anklang an die Inspirationsvorstellung in adspirate). Während für den Beginn der Metamorphosen Voß nicht als Orientierung zur Verfügung gestanden hatte, lehnt sich Pfitz bei der Erzählung von Pyramus und Thisbe teils deutlich an seinen Vorgänger an: Pyramus war und Thisbe, der schönst’ aus den Jünglingen jener Diese der Jungfau’n Kron’ im Orient. Beide bewohnten Nah’ anstoßende Häuser der Stadt, der erhabenen, welche Einst Semiramis, heißt’s, mit Backsteinmauern umschlossen. Nachbarschaft schuf erst Umgang und Vertraulichkeit, Liebe Wuchs mit der Zeit; auch hätt’ ein ehelich Band sie vereinigt, Doch dieß wehrten die Väter. Was nicht sie zu wehren vermochten: Von gleichmäßiger Gluth entbrannten die beiden im Herzen. Jeder Vertraute gebricht; sie sprechen durch Zeichen und Winke, Und um so mehr aufbraust das Feuer, je mehr es bedeckt. wird.

Der erste Vers ist fast wörtlich aus Voß übernommen (s. o. S. 178), wodurch die Spitzenstellung der Eigennamen bewahrt ist. Wenn Pfitz dann eigene Wege geht und Ovids verbales praelata in »Kron« substantiviert, bekommt er durch den Verzicht auf den Relativsatz seinen deutschen Hexameter nicht mehr voll und wird zum Enjambement gezwungen (ebenso beim darauffolgenden Übergang »Liebe / Wuchs mit der Zeit«). Unglücklich gelöst ist »nah anstoßende«, da zwar das Partizip die Verbindung der beiden Häuser – die ja später wichtig wird – , bezeichnet, was aber durch »nah« wieder konterkariert wird. Geradezu sinnwidrig lässt dann das Enjambement vom fünften auf den sechsten Vers den Gedankengang werden, denn der Leseduktus führt unwillkürlich dazu, »Umgang«, »Vertraulichkeit« und »Liebe« zusammenzunehmen, was erst nach der Versgrenze (und im Unterschied zu Ovids Versbau) korrigiert wird. Auch nach den Maßstäben des 19. Jahrhunderts ist »jeder Vertraute gebricht« hart am Rande des Idiomatischen.322 Am Schluss der Passage greift Pfitz mit »aufbrausen« noch einmal eine Voß’sche Lösung auf, die allerdings das aestuat Ovids uminterpretiert und letztlich unverständlich werden lässt. Man sieht schon aus diesem kurzen Ausschnitt, dass Pfitz erheblich mit dem deutschen Hexameter zu kämpfen hat, der ihn zu mancher aus inhaltlichen Gründen fragwürdigen übersetzerischen Entscheidung zwingt. Dieser Befund lässt sich anhand der Fortsetzung verallgemeinern, ist also nicht punktuell und zufällig: Aber sobald er mit Blut auch findet den Schleier besudelt, Spricht er: Die nemliche Nacht wird nun zwei Liebende morden! Ach von denen doch Sie des längeren Lebens so werth war! 322 Vgl. Grimm (Bd. 4, 1878), 1850–1856 (s. v. »gebrechen«).

Ulrich Schmitzer Schuldig allein bin ich. Ich habe dich, Arme, getödtet! Der ich an Orte der Furcht des Nachts dich kommen geheißen, und nicht zuvor ankam! O meine Gebeine zerreißet Und mein frevelndes Herz mir verzehret mit wüthigem Bisse, All’ ihr Löwen, die nur dieß Felsengeklüfte beherbergt! Doch Feigherzige w üns c h en 323 den Tod! – Und den Schleier der Thisbe Hebt er, und nimmt ihn mit zu des Baums, des bezeichneten, Schatten. Als dem bekannten Gewand’ er Thränen und Küsse gegeben, Nunmehr, spricht er, empfang auch unseres Blutes Benetzung! Und in die Weiche versenkt er den Stahl, womit er umgürtet. Sonder Verzug entreißt er ihn sterbend der brennenden Wunde. Und wie er rücklings lag am Erdreich, sprudelt das Blut auf, Eben nicht anders, als wenn bei beschädigtem Bleie die Röhre Borst, und der dünnere Strahle des Wassers aus zischender Oeffnung Hoch mit Gewalt aufspritzt, und die Luft durchspaltet im Aufschuß. Durch Ansprudeln des Bluts umwandeln die Früchte des Baumes Sich in schwarze Gestalt, und die blutanschluckende Wurzel Färbet mit purpurnem Schmelz die abwärtshängenden Maulbeer’n.

Der Kampf mit dem Metrum und der Verteilung der Wörter darin setzt sich auch in diesem Abschnitt fort. Dadurch wird zwar der Inhalt von Ovids Erzählung weitgehend nachvollziehbar ins Deutsche gebracht, aber syntaktische Härten und gewaltsam wirkende Wortverwendung (»den Schleier […] hebt er«) und Wortbildungen (»blutanschluckende« – ohne Pendant im Lateinischen; »Aufschuß«) bleiben unvermeidlich, ebenso wie das Auffüllen des Verses (»dünnere«, dreisilbig statt des zweisilbigen »dünne«, was tenui eher entspräche), auch wenn das Bestreben zu einer möglichst wörtlichen Umsetzung Ovids im Rahmen des Möglichen unverkennbar ist. Dass die von Ovid mit subtilen Mitteln herbeigeführten Effekte (wie una duos) nicht im Ansatz umgesetzt werden können, versteht sich fast schon von selbst. Der Eindruck redlichen, aber nicht wirklich inspirierten Bemühens wird auch durch die Pygmalion-Sage bekräftigt: Gleich nach der Heimkunft naht er dem Bilde des trautesten Mädchens, neigt sich über den Pfühl und küßt. Sie schien zu erwarmen. Wiederum naht er dem Mund und versucht mit der Hand auch den Busen. Weich wird unter der Hand ihm das Elfenbein, und geschmeidigt Schmiegt es den Fingern sich an, nachgebend, wie Wachs des Hymettus, Wieder erweicht an der Sonn’ und vom Daume behandelt, in viele Formen sich williglich fügt und brauchbarer durch den Gebrauch wird. Während der Liebende staunt und bange sich freut, sich zu täuschen Fürchtet und wieder und wieder sein Lieb mit Händen berühret: Leibt und lebt sie. Geprüft vom Daum schon schlagen die Adern. Aber der Paphische Held volltönende Worte begann er Jetzo, der Venus den Dank zu bezahlen, und heftete nicht mehr Endlich auf fälschliche Lippe die Lipp’, und gegebene Küsse 323 Die Markierung der Betonung durch Druckauszeichnung findet sich auch in anderen Übersetzungen, z. B. bei Fink (s. u. S. 223).

Ovids Verwandlungen verteutscht Fühlt die Erröthende, hebt das Augenlicht zu dem Lichte Schüchtern empor und schaut mit mit Himmel zugleich den Geliebten.

Zur Ergänzung des oben Ausgeführten sei darauf hingewiesen, dass suae durch »trauteste« (metrisch bequemer) wiedergegeben ist, dass bei incumbens toro und admovet os die Bewegungsrichtung unscharf bleibt, utilis in den Komparativ gesetzt ist. Unglücklich, da sinnstörend, ist auf jeden Fall der Enjambement »bange sich freut, sich zu täuschen / fürchtet«. Dagegen ist etwa remollescit durch die Zufügung von »wieder« exakter ausgedrückt als in dem meisten sonstigen Umsetzungen. Insgesamt ist Pfitz’ Übersetzung vor allem als Zeugnis für den Fortgang der metrischen Übersetzungen nach Voß interessant: Der Hexameter ist nun das selbstverständliche Medium geworden, das nicht nur die gesamte Übersetzungsreihe trägt (und deren Fortsetzung über lange Jahre hin zeigt, dass das Kalkül von Verlag und Herausgebern aufgegangen ist), sondern auch keiner Begründung oder gar Rechtfertigung mehr bedarf.324 Pfitz’ Übersetzung bildet ausdrücklich die Folie, mit der sich als nächster Verfasser Heinrich Lindemann325 auseinandersetzt, der Ovids vorexilisches Gesamtwerk zwischen 1853 und 1867 zweisprachig herausbringt, als »vormaliger Gymnasiallehrer«, wie es kaschierend auf dem Titelblatt heißt. Er war nach der Märzrevolution 1848/49, bei der er sich in Sachsen mit konstitutioneller Zielsetzung betätigt hatte, 1849 aus seinem Amt als Lehrer in Plauen entfernt worden, gar zu einer sechsjährigen Zuchthausstrafe verurteilt, offenbar aber vorzeitig entlassen worden, ohne dass er jemals wieder in den Schuldienst hätte gelangen können (das unterscheidet ihn von Moriz Haupt, Otto Jahn und Theodor Mommsen, die gleichfalls – als Professoren – wegen ihrer Haltung in der Märzrevolution aus dem sächsischen Dienst entfernt, aber nicht zu Gefängnisstrafen veruteilt wurden und anderwärts Karriere machen konnten326). So verdiente er seinen Lebensunterhalt vornehmlich mit Nachhilfestunden, fand aber auch noch die Zeit und die Kraft zu einer Ovid-Übersetzung, die den Anspruch von Wissenschaftlichkeit und Zeitgemäßheit keineswegs aufgegeben hat. Die Begleitumstände der Entstehung sind allerdings in der Übersetzung nur mit äußerster Reduktion erwähnt.327 Wahrscheinlich wäre es in einer Zeit der Restauration dem verlege324 Noch nicht dokumentiert, geschweige denn aufgearbeitet sind die angesichts des Verwendungszwecks selbstverständlich in Prosa gehaltenen Übersetzungen und »Präparationen« zu lateinischen und griechischen Autoren, die den Schülern bei der Vorbereitung oder auch im Unterricht selbst das Leben erleichtern sollten. Sie erschienen teils in eigenen Reihen (Freund’s Schülerbibliothek seit ca. 1859), teils auch anonym (»von einem Schulmann«), etwa die auf die 15 Bände aufgeteilten Präparationen zu Ovid’s Metamorphosen (Düsseldorf 1886–1887) oder die im Teubner-Verlag seit 1902 erscheinenden Schülerpräparationen zu lat. und griech. Schriftstellern; vgl. unten Anm. 333. 325 Siehe http://www.pantoia.de/Schiller/Lindemann1859/vita.html (Online-Ausgabe von Schillersche Dichtungen in Lateinischer Uebersetzung. Ein Beitrag zur hundertjährigen Geburtstagsfeier des Dichters, von Heinrich Lindemann, Leipzig 1859). 326 Siehe Rebenich (2005). 327 Lindemann, Ovids Werke (Bd. 1, 1853), XVIII (Schluss des Vorworts): »So mögen denn Ovids Verwandlungen in dem neuen Deutschen Kleide recht Vielen eine Quelle des Genusses werden, wie sie selbst dem Bearbeiter nicht nur seit seiner frühen Jugend eine Quelle hohen Genusses und vielfacher Belehrung, sondern auch in den letzten Jahren eine reiche Quelle des Trostes in Haft und Gefangenschaft waren.« Vgl. Einleitung, ebd., XXIII (über Ovids Verbannung): »[…] nicht durch

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rischen Erfolg abträglich gewesen, wenn der Verfasser im Geruch revolutionärer Umtriebe gestanden hätte, so dass nur das durch den früheren Beruf Lindemanns bewirkte Bildungsprestige und die Seriositätsgarantie erscheinen. Die Übersetzung umfasst sechs Bände, davon drei für die Metamorphosen, sie wird um einen Index zu Ovids Verwandlungen. Mit besonderer Rücksicht auf die Ausgabe des Vfs. (1859) ergänzt. Dieser doppelte Ansatz – einer nach aktuellem wissenschaftlichen Stand hergestellten Ausgabe und einer Übersetzung – ist schon am Beginn des Vorworts herausgestellt: Der Zweck vorliegender Ausgabe der Verwandlungen Ovids ist, dieses altrömische Dichtwerk nach dem jetzigen Standpunkte der Kritik in der Ursprache berichtigt, sinn-, wortund maßgetreu übersetzt und in allen nicht schon durch die Übersetzung deutlich gewordenen Beziehungen erklärt, literarisch wie allgemein gebildeten Freunden des classischen Alterthums vorzulegen und zugleich Lernenden auf dem Gymnasium das Verständniß des Dichters zu erleichtern.328

Entsprechend diesem gelehrten Anspruch geht Lindemann die vorliegenden Editionen seit Burmann und Heinsius kritisch durch und verweist auf seine eigenen Studien, nämlich die Autopsie einer Ovid-Handschrift in der Dresdner Staatsbibliothek,329 wobei sein Plan, auch die übrigen Dresdner Ovid-Handschriften zu kollationieren, wohl unausgeführt blieb.330 Auf der anderen Seite beruht die gedruckte Übersetzung auf der früheren Unterrichtspraxis Lindemanns, der auch seine Schüler zu metrischen Übersetzungen anhielt.331 Es handelt sich also um eine geradezu idealtypische Demonstration, wie im 19. Jahrhundert die Gymnasiallehrer sich im Schnittfeld von Schule und Wissenschaft positionierten.332 Daran zeigt sich nicht zuletzt, dass die ästhetischen Verdikte über Ovid und die lateinischen Dichter insgesamt, die auch die Universitätsphilologie erreicht hatten, in der Schule von geringer oder gar keiner Be-

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richterliches Erkenntniß oder Senatsbeschluß verhängt, sondern von dem Belieben des Herrschers dictirt wurde, mithin fürstliche Ungnade war, die schon damals zu grassiren anfieng […]«. – Lindemann hat ausgerechnet die biographisch naheliegenden Exilgedichte Ovids nicht übersetzt, ohne dass sich dafür eine explizite Begründung finden ließe. Lindemann, Ovids Werke (Bd. 1, 1853), V. Mscr. Dresd. Dc. 143: lt. dem aktuellen Katalog (Manuscripta Mediaevalia, http://www.manuscriptamediaevalia.de/dokumente/html/obj40173063) »schwer beschädigt«: »Ovidii metamorphoseon libri XV. Pergament *? 146 Bll. *? 13. Jahrh.; Äußeres: Cod. membr. 146 foliorum in 8. maj.; Geschichte: saec. 13. a pluribus librariis exaratus. In fronte inscripsit ignotus vir doctus: Hic, quem Lipsiae emi, codex forsitan fuit olim in Bibliotheca Fr. Ben. Carpzovii, is enim mentionem facit Metamorphoseos librorum membranae inscriptorum in Epistola ad Heinsium, quae extat in sylloge Burmanniana t. V nr. 279 p. 338. Regia bibl. eum emit a G. H. J. Stoeckhardto a. 1797 pretio 10 Thalerorum.« Lindemann rekurriert besonders auf die Ausgabe von Vitus Loers (gest. 1862: Eckstein (1871), 284) 1843 (vorausgegangen war seine Schulausgabe 1837), der auf S. X auch den in Anm. 329 beschriebenen Codex erwähnt. Lindemann, Ovids Werke (Bd. 1, 1853), VIII (Vorwort). – Vgl. zum Interesse an der Metrik schon Lindemann, Materialien (1830), wo die Verfertigung lateinischer Verse der metrischen Übersetzung ins Deutsche vorausgeht. Vgl. Kipf (2013).

Ovids Verwandlungen verteutscht

deutung waren, da eben die Faktizität des Lehrplans die lateinischen Autoren zur Hauptlektüre machte. Den doppelten Anspruch, aber auch die apologetische Grundhaltung von Übersetzern in der damaligen Zeit demonstriert der weitere Fortgang des Vorworts: Einerseits hebt sich Lindemann dort gegen seine Vorgänger Voß und Pfitz durch detaillierte, v. a. auf das Metrische und die Wiedergabe einzelner Wörter zielende Übersetzungskritik sowie Aussagen über die korrekte deutsche Sprachverwendung und Metrik ab (ausführlich dann in der Einleitung, XXVIII–XXXIV), andererseits muss er sich auch gegen den Vorwurf verwahren, er leiste durch eine Übersetzung der Faulheit Vorschub: Im Gegentheile werden Sachverständige, besonders erfahrene Lehrer, finden, daß in dieser Übersetzung dem Schüler keine Eselsbrücke erbaut ist, sondern im Gegentheile eine umso sorgfältigere Vorbereitung nöthig ist, als die wenn auch sinn- und möglichst wortgetreue, doch keineswegs wörtliche Übersetzung leicht verführen kann.333

Damit versucht der Übersetzer gewissermaßen eine Synthese der beiden dichotomischen Maximen »nach dem Sinn – nach dem Wort«.334 Wie das in der Praxis aussieht, zeigt die Umsetzung des Proömiums: Wandlungen treibt zu verkünden der Form zu neuer Gestaltung An mich der Geist. Zeigt, Götter – denn ihr auch habt sie verwandelt – Meinem Beginnen euch hold, und vom Uranfange der Schöpfung Führt bis auf unsere Zeit den Faden beständiger Dichtung.

Der Preis, der für den deutschen Hexameter zu zahlen ist, ist hoch und verhindert wohl in der Tat den bequemen Unterschleif: mutatas […] formas wird substantiviert und zur Genitivkonstruktion, das daraus entstehende »Wandlungen« wird durch die Spitzenstellung zum Äquivalent eines antiken Buchtitels. Die Phrase selbst ist beinahe tmesishaft auseinander gerückt, die Stellung des eigentlich zu »Wandlungen« gehörigen »zu neuer Gestaltung« macht den deutschen Satz noch schwerer durchschaubar. »Geist«, bei Ovid bereits als viertes Wort erscheinend, wird durch Enjambement in den zweiten Vers der Übersetzung gerückt. Durch diese Umstellungen wird auch der deutsche Bezug von »sie« in der Parenthese verunklart. Kurz, Lindemann bringt im Proömium weder den Autor zum Leser noch den Leser zum Autor, sondern erschafft gewissermaßen eine künstlich verrätselte Übersetzungssprache, die vom metrischen Diktat getragen den lateinischen Text wesentlich 333 Lindemann, Ovids Werke (Bd. 1, 1853), XVII. Zu einem solchen Vorwurf siehe pars pro toto z. B. die Besprechung eines Griechischlehrbuches in der Zeitschrift für Altertumswissenschaft (1835), Nr. 150, 1202, wo die Notwendigkeit der Neuerscheinung dadurch begründet wird, dass zum bisher verbreiteten Elementarbuch »Präparations- und Uebersetzungshefte von Geschlecht zu Geschlecht fortgepflanzt [werden] und oft selbst einen Handelsgegenstand ausmachen«. Aber noch schlimmer: »Wir meinen die schnödeste aller Sünden einer frechen Speculation auf die Faulheit der lernenden Jugend, jene gedruckte Uebersetzung des Jacobsischen Elementarbuches, mit welcher deren Verfasser nur die stinkenden Quellen, aus denen er die Elemente des Griechischen geschöpft, aufgedeckt und mit ewig denkwürdiger Unverschämtheit die ehrlose Art seiner eigenen Schülerbetriebsamkeit an den öffentlichen Schandpfahl gestellt haben kann.« 334 Kitzbichler (2007).

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komplizierter erscheinen lässt, als er tatsächlich ist, ohne die syntaktisch-verbalen Härten durch ein luzides Verständnis der Gedankenstruktur und -abfolge aufzuwiegen. Auch wenn nichts über Auflagenhöhe und Verkaufserolg der Ausgabe bekannt ist – immerhin wurde das Gesamtprojekt über eineinhalb Jahrzehnte fortgesetzt (1853– 1867) – , so zeigt doch die Tatsache, dass es offenbar weder Neuauflagen noch Nachdrucke gab, dass Lindemanns Übersetzung sowohl in ihrer eigenen Zeit als auch danach aus dem Übersetzungdiskurs herausgefallen war. Erschwerend kam hinzu, dass sie nicht in die übersetzerischen Großunternehmungen des 19. Jahrhunderts eingebunden war und damit auch nicht durch Reihensubskriptionen profitieren konnte. Pyramus und Thisbe, der schönste der Jünglinge Jener, Sie vorragend an Reiz vor den morgenländischen Mädchen, Wohnten in Nachbarshäusern, allwo nach der Sage die hohe Stadt Semíramis einst mit Backsteinmauern umschlossen. Nachbarschaft machte bekannt und knüpfte die Bande der Neigung; Liebe erwuchs mit der Zeit. Auch einte das Recht sie der Fackel, war nicht der Väter Verbot. Was nicht verbieten sie konnten, Von gleichmächtiger Gluth entzündet brannten die Herzen. Jeder Vertraute gebricht, sie sprechen durch Zeichen und Winke; Und je verdeckter sie brennt, je mehr nun lodert die Flamme.

Man tut Lindemann vielleicht nicht zu sehr Unrecht, wenn man an diesen Versen zeigt, wie der Übersetzer sich schwer tut, wenn er seinen eigenen Weg finden will. Das mag auch an der Schwierigkeit liegen, aus der mündlichen Präsentation des Unterrichts (darauf hatte er ja ausdrücklich für die Genese der Übersetzung verwiesen) den Übergang in eine rein schriftliche Kommunikationssituation zu finden, die keine individuelle Betonung erlaubt. Die Juxtaposition von »Stadt« und »Semiramis«, die noch dazu durch das Enjambement enger gestaltet ist, lässt beim Lesen die Assoziation eines Städtenamens entstehen. Diese fehlende Disambiguierung zeigt sich auch gleich darauf in den nicht als Konjunktiv erkennbaren »einte«, was (anders als bei Ovid) zuerst in der Tat die Ehe suggeriert, bevor im folgenden Vers mit »war nicht« (evtl. Druckfehler für »wär nicht«; ansonsten wäre die Quasi-Indikativ-Form sehr irreführend) die Einschränkung vorgenommen wird. Es fällt weiter auf, dass Lindemann nicht überall Distanz zu seinem gescholtenen Vorgänger Pfitz hält. Manche Verse sind beinahe wörtliche Übernahmen, z. B. »Jeder Vertraute gebricht«, »Und in die Weiche […]«; »im Aufschuß spaltet« (Pfitz: »durchspaltet im Aufschuß«). Will man dem Übersetzer nicht Plagiat unterstellen, so wird man von der Suggestion des Gelesenen, die sich über die sprachliche Schwierigkeit legt, auszugehen haben. »Beströmung« ist aus Voß übernommen, korrespondiert aber zugleich mit der ähnlichen Wortbildung »Bespritzung«: Wie er jedoch den Schleier auch triefend von Blut fand, Rufet er: Eine Nacht bricht zwei treu liebende Herzen; Ach und des längsten Lebens doch werth war sie von uns Beiden! Ich nur trage die Schuld, ich habe dich, Ärmste, gemordet, Der ich zu kommen dir hieß bei Nacht an Orte voll Grausen Und nicht zuerst ankam. O reißt mir den Körper in Stücke

Ovids Verwandlungen verteutscht Und verzehrt mein schuldiges Herz mit grimmigem Bisse, All’ ihr Löwen zumal, die ihr haust hier unter dem Felsen! Doch nur zu wünschen den Tod ist feig. Den Schleier der Thisbe hebt er auf und nimmt ihn mit fort zu dem Schatten des Baumes. Und wie Thränen, wie Küsse er giebt dem bekannten Gewebe, Spricht er: Empfange denn jetzt auch meines Blutes Beströmung! Und in die Weiche versenkt er den Stahl, mit dem er umgürtet. Rasch drauf zieht er ihn sterbend heraus aus der brennenden Wunde. Rücklings lag am Boden er da; hoch spritzt das Blut auf; G’rade wie wann schadhaft die bleierne Röhre geworden, Berstet und mächtig empor aus der dünnen zischenden Öffnung Schleudert den langen Strahl und im Aufschuß spaltet die Lüfte. Da nun wandeln die Früchte des Baumes von des Blutes Bespritzung Um sich in schwarze Gestalt, und die Wurzel, vom Blute befeuchtet, Tränkt mit Phönicischem Roth den Saft der hangenden Beeren.

Auffällig ist am Ende noch die Auffüllung »mit Phönicischem Roth«, die aus der weniger verbreiteten Lesart phoeniceo […] colore 335 übernommen ist, was auch die zugehörige Fußnote ausfürhlich belegt,336 doch scheint dies der Übersetzer selbst für erläuterungsbedürftig zu halten, da er colore durch die Angabe der konkreten Farbe vereindeutigt. Darin zeigt sich das Spezifikum von Lindemanns Arbeit, die sich um wissenschaftliche Anerkennung müht (die ihr allerdings versagt geblieben ist – sie ist nicht einmal bei Magnus [1914]337 erwähnt), auf die eigene Manuskriptautopsie abhebt (und dabei einen gewissen lokalpatriotischen Stolz auf die Dresdner Handschrift entwickelt) und der Übersetzung stützende Erläuterungen beigibt, jedoch es nicht wirklich schafft, auf diesem Fundament ein adäquates, überzeugendes Gebäude zu errichten.338 335 Die neueren Editionen ziehen diese Lesart nicht in Betracht, nur bei Magnus (1914) ist sie mit der Sigle ς (aliquot codices deperditi aut ab NHeinsio aut ab aliis collati) genannt; entsprechend auch in Heinsius (1758) und noch in Bach (1831), wo ad loc. purpureo als Glosse verdächtigt wird. 336 Lindemann erläutert: »Puniceo, das auch die Dresd. Hdschrift A hat, ist ohne Zweifel das Ursprüngliche und wird von zwei Pariser Hdschriften mit Poeniceo, der althertümlichen Form, dergleichen Ovid nicht liebte; purpureo ist (gewöhnliche) Glosse«; vgl. dazu die gleichartige Erläuterung von Bach (1831), vor. Anm. 337 Hugo Magnus war selbst Gymnasiallehrer für die Alten Sprachen (geb. 1851: siehe Kössler [2007], s. p.; verstorben 1914: Hermes 60 [1925], 113, Anm. der Redaktion zu Magnus’ letztem Aufsatz); seine Editio maior der Metamorphosen (1914) hat bis heute einen wichtigen Platz in der Editionsgeschichte Ovids. 338 Die Übersetzung der Pygmalion-Passage ergibt keine wesentliche Modifizierung des bisher Gesagten. Lindemann gibt den Text philologisch richtig, aber sehr bemüht, unter Anwendung von aufgefüllten Formen (»nahet«), Doppelungen (»noch« »noch«) und altertümlicher Redeweise (»erwarmet«, belegt bei Schiller und Hölderlin), wieder: Wieder zurück drauf kehrt er zum Bildniß seiner Geliebten. Küsse ihr gab er, geneigt auf das Bett; sie schien zu erwarmen. Wiederum nahet sein Mund, mit den Händen auch prüft er die Brüste: Siehe, das Elfenbein wird weich, und frei von Erstarrung Giebt den Fingern es nach und weicht, wie das Wachs des Hymettus Weich an der Sonne wird und sich schmiegt zu vielerlei Formen

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Von erheblich größerer Langzeitwirkung war die Metamorphosen-Übersetzung Reinhart Suchiers, eines Gymnasiallehrers aus Hanau,339 die bis zum Ende des 20. Jahrhunderts immer wieder nachgedruckt und bearbeitet wurde (vgl. unten S. 225) und damit neben Voß am längsten auf dem Buchmarkt kontinuierlich präsent ist. Programmatisch stellt er in der Vorrede fest: Das erste Erfordernis einer guten Übersetzung ist also Sprachrichtigkeit. Satzfügung, Wortstellung, Ausdruck müssen dem deutschen Sprachgebrauche entsprechen. Der römische Dichter muß, wenn er mit Ehren bestehen will, zu dem Deutschen nicht minder deutlich, edel und geziemend reden wie zu dem Römer; er darf sich nicht in lauter Latinismen bewegen, wie bei Voß, dessen Übersetzung […] oft schwerer zu verstehen ist, als das Original selbst.340

Das ist eine klare Absage an das Humboldt/Schleiermacher’sche Übersetzungskonzept, das eben gerade die Bewahrung der Fremdartigkeit sich zum Ziel gesetzt hatte.341 Die metrische Form ist allerdings beibehalten (ebenfalls in der Vorrede erörtert), von gelehrtem Ehrgeiz zeugen (neben den erklärenden Anmerkungen) die beigegebenen Mythendeutungen (»aus dem uns Deutschen eigenen Bestreben hervorgegangen, einer Sache möglichst auf den Grund zu gehen«, VIII) und der kritische Anhang (u. a. mit Abweichungen von der Teubneriana Rudolf Merkels, zuerst 1852) zeugen vom gelehrten Ehrgeiz, wie er typisch ist für deutsche Gymnasiallehrer im 19. und auch noch im 20. Jahrhundert. Unter des Daumens Druck, und brauchbar durch den Gebrauch wird. Während er staunt und noch zweifelnd sich freut und Täuschung noch fürchtet, Drückt er mit liebender Hand sein Sehnen wieder und wieder. Körper denn war’s; es klopfen, versucht mit dem Daumen, die Adern. Jetzt in strömenden Worten ergießt sich der Paphische Heros, Darzubringen der Göttin den Dank. Und fälschlichen Mund nicht Drückt er mit seinem Mund nun mehr; es empfindet die Jungfrau Schaamerröthend den Kuß; und das schüchterne Auge zum Lichte Hebt sie empor und erblickt mit dem Himmel zugleich den Geliebten. 339 1823–1907, seit 1846 in Hanau; siehe Kössler (2007), s. p., außerdem Suchier (Schulprogramm 1853). 340 Suchier (1868), III. 341 Suchier (1868), IV, gibt sich ausdrücklich die Lizenz zu kreativem Umgang mit der Sprache: »Unsere moderne Sprache trägt sich mit so vielen schwerfälligen durch unnöthige Zusätze erweiterten Formen, daß man es der Poesie nur Dank wissen kann, wenn sie zur ursprünglichen Einfachheit zurückkehrt. Bux für Buxbaum, Bims für Bimsstein, Eben für Ebenholz, Wal für Walfisch haben dieselbe Berechtigung wie Tanne für Tannenbaum, Ur für Auerochs, Bambus für Bambusrohr; Beding, Gewähr, Eigner, gedenk, genehm, verlässig sind hinlänglich bezeichnet ohne den dehnenden Zuwachs. Die Form Eingeweide, die oft im Verse störend gewesen wäre, glaubte ich durch Geweide ersetzen zu können; sagt doch auch der Jäger ausweiden. Für das unbequeme elfenbeinern schien mir das alterthümliche helfen genügend, genüber für gegenüber hat die Analogie von gen für gegen für sich; zweiflig, unzweiflig läßt sich durch adlig, eklig, untadlig, runzlig, knorpelig, schwindlig rechtfertigen. Solche Freiheit der Dichtkunst [sic! die Rede ist ja eigentlich von der Übersetzung] zu benehmen hieße die Sprache in starre Bande zängen und dem Wege zum Fortschritte Thür und Thor zu verschließen.« Schon diese Ankündigung läuft keine geringe Gefahr, sich an das »traun fürwahr« von Heinrich Manns Professor Unrat anzunähern.

Ovids Verwandlungen verteutscht

Schon die Wiedergabe des Proömiums zeigt die Umsetzung dieser Prinzipien: Lust wird rege zum Sang, wie sich Formen in andere Körper Wandelten. Götter, o seid – ihr habt ja sie auch gewandelt – Meinem Beginnen geneigt, und vom Uranfange der Schöpfung Führt bis auf unsere Zeit des Gedichts fortlaufenden Faden.

Alle drei behandelten Übersetzungen des 19. Jahrhunderts schaffen es nicht, Ovids Text, den deutschen Hexameter und idiomatische deutsche Sprachverwendung zusammenzubringen. Die Absetzung von Voß führt zu künstlichen und gewaltsamen Lösungen. Der erste Teil von Suchiers deutschem Hexameter ist eine Art von freier Variation über Ovids Text, wobei die sprachliche Idiosynkrasie »rege zu(m)« (wohl für das übliche »regt an«) in erheblichem Gegensatz zu Ovids geradezu prosahafter Wendung animus fert 342 steht. Trotz dieser Abweichung kann Suchier die prinzipielle Struktur des Versbaus inklusive des Enjambements beibehalten. Daraus ergeben sich aber auch neue Probleme, denn die Parenthese nam vos mutastsis et illa(s) folgt bei Ovid auf coeptis (durch weite Sperrung von adspirate getrennt) und erläutert damit die an alle Götter (nicht nur wie üblicherweise in der epischen Tradition an einen bestimmten Gott oder eine Muse) gerichtete Inspirationsbitte, bei Suchier aber auf das blasse »seid«, das eigentlich keine Erklärung nötig hat. Die Änderung von mea in »unsere« ist eine gewisse Glättung und verschleiert die Beziehung zwischen coeptis meis und tempora mea, passt aber besser in den deutschen Hexameter (vgl. auch die in Anm. 341 zitierte Rechtfertigung, die ebenfalls metrische Aspekte enthält). Die textile Metapher von deducere ist prononciert herausgearbeitet. Insgesamt lässt sich in der deutschen Wiedergabe ein gewisser Hang zu verbaler Überpoetisierung feststellen, ein Misstrauen gegenüber der Ausdruckskraft von Ovids Dichtersprache. Thisbe und Pyramus einst, der Jünglinge schönster der Eine, Hoch die Andre berühmt vor allen Mädchen im Osten, Wohnten als Nachbarn dort, wo die prächtige Stadt nach der Sage Hatte Semiramis rings mit Backsteinmauern umgeben. Umgang bracht zuweg’ und vertrautes Gewöhnen die Nähe; Liebe erwuchs mit der Zeit, und sie wären vereint von den Fackeln, Ohne der Väter Verbot. Was die nicht konnten verbieten: Beider Gemüth war gleich entzündet von heißem Verlangen. Jeglicher Zeuge ist fern. Sie reden mit Winken und Zeichen, Und je enger beschränkt, je mächtiger wallet die Flamme.

Suchier gelingt es, den Gedankengang so auf die Verse zu verteilen, dass Zusammengehöriges nicht durch Enjambements auseinander fällt. Das muss er durch die Auffüllung des Hexameters mit Wörtern wie »einst«, »allen« und »rings« – allerdings vergleichsweise wenig aufdringlich – erkaufen. Schwieriger wird es im folgenden Vers, wo im Deutschen die Kasus (Nominativ oder Akkusativ) unklar sind, so dass die Nachahmung der Endstellung von vicinia/»Nähe«, die im Lateinischen morphologisch kompensiert wird, zur Verunklärung führt, zumal die übliche Wortstellung im Deut342 Belege bei Barchiesi (2004), 134 f.

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schen eben die Reihenfolgen Subjekt – Prädikat – Objekt bildet (die unmittelbare Zusammenstellung von »Umgang« und »bracht« lässt das noch suggestiver werden). Unverständlich im Deutschen ist »vereint von den Fackeln« (auch nicht durch eine Anmerkung erklärt), da dieses Eheschließungsritual mit der Antike verschwunden ist. Am Ende schwingt sich Suchier noch einmal zu gewollter Poetizität auf, indem er aestuat in »wallet« umformt. Doch insgesamt ist ihm hier eine metrische Umsetzung gelungen, die mit Ovids Text deutlich weniger gewaltsam umgeht als oftmals sonst im 19. Jahrhundert üblich. Später entschritten dem Haus nimmt wahr in dem lockeren Sande Sichere Spuren des Thiers und erblaßt im ganzen Gesichte Pyramus. Wie er das Kleid auch findet vom Blute geröthet, Spricht er: »Dieselbige Nacht wird Tod zwei Liebenden bringen; Ach, und die würdigst war doch sie vieljährigen Lebens! Ich nur trage die Schuld; ich habe dich, Ärmste, gemordet, Der ich kommen dich hieß bei Nacht an grausige Stätte, und als der Spätere kam. Reißt unseren Körper in Stücke, Und mit dem grimmen Gebiß zehrt auf die verruchten Geweide, All ihr Löwn zumal, die haus’t hier unter dem Felsen! Aber den Tod zu wünschen ist feig.« Und die Hülle der Thisbe Hebt er vom Boden und nimmt sie mit in den Schatten des Baumes. Wie dem bekannten Gewand er Thränen gegeben und Küsse, Spricht er: »Empfange denn nun auch unseres Blutes Beströmung;« Und er versenkt in die Weichen den Stahl, mit dem er gegürtet; Rasch dann zieht er ihn sterbend heraus aus der brennenden Wunde. Hochauf spritzte das Blut, wie er rücklings lag auf dem Boden; Ähnlicher Art, wie wenn die beschädigte bleierne Röhre Aufplatzt und mit Gewalt weithin feinstrahliges Wasser Schleudert aus zischendem Loch und die Luft wegdrängt mit dem Schusse. Von dem bespritzenden Blut gehn über die Früchte des Baumes Plötzlich in schwarze Gestalt, und die Wurzel vom Blute befeuchtet Tränkt sie mit punischem Saft und färbt die hangenden Beeren.

Suchier hat mit dieser emotionalen Passage (im Vergleich zum sachlichen Anfang) deutlich stärker zu kämpfen. Er mißtraut offenbar der Suggestivität der eigentlichen Erzählung und versucht, durch drastische Wörter dem abzuhelfen. So wird aus plena metu »grausig«, aus fera »grimm« und aus scelerata »verrucht«. Die Übernahme aus Voß, die auch schon Lindemann verwendet hatte, »Beströmung«, kehrt die Blickrichtung um und steht für das relativ sachliche haustus – wie überhaupt Ovids Diktion im Gleichnis selbst von geradezu betonter Nüchternheit ist, um den Gegensatz zum höchst aufgeregten Pyramus – bei aller sachlichen Gemeinsamkeit – deutlich werden zu lassen. Offenbar haben alle Übersetzer Scheu davor, an dieser Stelle Ovid zu folgen, und suchen einen die vordergründige Lesererwartung eher bedienenden Weg. Auch wenn »die Luft wegdrängt mit dem Schusse« ohne Blick auf das lateinische Original

Ovids Verwandlungen verteutscht

unverständlich ist, kann man Suchier auch in dieser Passage attestieren, dass er sich wacker schlägt. Wie er daheim, ging jener sogleich zum Bilde des Mägdleins, Neigte sich über das Bett und küßte sie. Wärme verspürt er. Wiederum nahte sein Mund; mit der Hand auch prüft er den Busen. Siehe das Elfenbein wird weich, und befreit von der Starrheit Sinkt an den Fingern es ein, fügsam wie Wachs vom Hymettus, Das von der Sonne erweicht sich unter dem knetenden Daumen Schmiegt in manche Gestalt und brauchbar durch den Gebrauch wird. Während er staunt und zagend sich freut und Täuschung befürchtet, Naht er mit liebender Hand der Ersehnten wieder und wieder: Ja, es ist Leib. Aufbeben, geprüft mit dem Daumen, die Adern. Da nun richtet beglückt an Venus der paphische Heros Worte des Danks im vollsten Erguß. Nun endlich vereint er Wirklichem Munde den Mund, und die Jungfrau fühlt mit Erröthen Wie er sie küßt und scheu aufschlagend zum Lichte die lichten Augen, erblickt sie zugleich mit dem Himmel des Liebenden Antlitz.

Gegen Ende versucht Suchier – im Gegensatz zu fast allen Vorgängern und auch Nachfolgern – das auf der Doppelbedeutung von lumen basierende Wortspiel umzusetzen: die »zum Lichte lichten / Augen« (das Enjambement ist hier einmal sogar hilfreich, weil es die etymologische Zusammengehörigkeit unterstreicht). Gegen Ende des 19. Jahrhunderts geriet die Übersetzung im »Versmaß des Originals« (o. ä), die lange Zeit die Übersetzungspraxis selbstverständlich geprägt hatte, generell wieder in die Diskussion343 – nicht ganz unverständlich angesichts der soeben vorgestellten Beispiele. Der Hexameter schien als metrisches Medium der deutschen Sprache und Literatur eher fremd und es erfolgte eine partielle Rückbesinnung auf die Traditionen der Dichtersprache im deutschen Sprach- und Literaturraum. Für die Metamorphosen lässt sich das anhand der Übersetzung von Constantin Bulle festhalten, der als Versform der Zielsprache die Stanzen wählte.344 Damit griff er ein mehr als hundert Jahre altes Verfahren auf, das Friedrich Schiller für seine deutsche Version von Teilen der Aeneis verwendet hatte345 und das im Zuge der Schillerbegeisterung im späten 19.346 und frühen 20. Jahrhundert neue Aktualität bekam.347 Diese Grundentscheidung impliziert automatisch eine spürbare Entfernung vom sprachlichen Duktus des Originals, die sich im konkreten Fall nicht zuletzt in einer durchlaufenden Stro343 Lubitz (2009), 148. 344 Bulle (1898). Constantin Bulle (1844–1905) war zunächst Gymnasiallehrer und -direktor in Bremen, dann auch Mitglied der Bremer Bürgerschaft und schließlich (1887–1890) kurze Zeit Reichstagsabgeordneter für die Deutsche Fortschrittspartei. Er publizierte eine Reihe von zeitgeschichtlichen und politischen Büchern. – Zur Biographie siehe die Biographien deutscher Parlamentarier 1848 bis heute (http://biosop.zhsf.uni-koeln.de/ParlamentarierPortal/biorabkr_db/ biorabkr_db.php). 345 Zur Metrik Schillers vgl. Jarislowsky (1928), 162–171. 346 Vgl. auch die Schulprogrammarbeit von Thiele (1887). 347 Vgl. Norden (1927), VIII, der für seine polymetrische Übersetzung von Aen. 6 ebenfalls auf Schiller (als Vorbild für den Verzicht auf den Hexameter, aber metrisch nicht nachahmbar) verweist.

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phenzählung niederschlägt. Bulle wendet sich ausdrücklich an Leser mit einer altsprachlich-gymnasialen Vorbildung (»die sich aus ihrer Schulzeit eine freundliche Erinnerung an die antike Dichtung überhaupt und an so manche fesselnde Erzählung Ovids bewahrt haben«, V). Ihnen verheißt er durch die spezifische Form eine adäquate Umsetzung des Originals, die durch die vorliegenden bisherigen Versuche (ausdrücklich verweist er auf Voß – »hölzern« – , Zwirnmann [1895]348 und Suchier, XIV) noch nicht geleistet sei. Ovid selbst hätte, »wenn er heute seine Metamorphosen einem deutschen Leser in dessen Muttersprache zugänglich machen sollte« (XV), gewiss nicht den Hexameter gewählt. Das Ergebnis erinnert stark an die Übersetzungen vor dem 19. Jahrhundert, in denen das Verhältnis von Vers und Text oder die Abfolge der Vorstellungen eine untergeordnete Rolle spielte. Terminologisch lehnt sich Bulle an die homerischen Epen an, indem er die einzelnen Gedichtbücher als »Gesänge« apostrophiert; in den »ersten Gesang« integriert er auch das Proömium: Mich treibt das Herz, die Wunder zu besingen, Durch die Natur und Mensch Form und Gestalt Gewechselt haben. Laßt es mir gelingen, Ihr Götter, und wie eurer Allgewalt Allein vergönnt war, jene zu vollbringen, So helft auch mir jetzt, daß ich mannigfalt Und lückenlos der Wandlungen Geschichte Vom Weltbeginn bis diesen Tag berichte.

Es ist nicht ganz einfach, im Abstand von mehr als hundert Jahren zu beurteilen, ob die vor allem durch den Reim enstehende Komik – zumal wenn unterschiedliche Wortarten gereimt werden (»Geschichte« – »berichte«) – auch für die Zeitgenossen in dieser Form spürbar war. Mangels (mir bekannter) Rezensionen oder anderer Reaktionen ist das kaum zu rekonstruieren. Eventuell hat durch die Aufrufung des Schiller’schen Vorbilds und – obwohl nicht ausdrücklich genannt – die Analogie zur hochgeschätzen mittelhochdeutschen Epik (die Übersetzung des Nibelungenlieds in Stanzen durch Joseph von Hinsberg 1812 war zwar ein literarisches Fiasko, aber die Reimform war gleichwohl naturnotwendig gegeben) die Dignität dieses Versuches gegen solche Zweifel verteidigt. Angesichts dieser Sachlage ist es nicht nötig, diesen Versuch genauer zu analysieren. Vielmehr soll ein einziges weiteres Beispiel (eine »Strophe«) zur Illustration des Umgangs mit narrativen Passagen genügen – aus der Pygmalion-Erzählung des 10. Buches die Nr. 48: Und während er noch stutzt und nur mit Zagen Sein Glück genießt und vor Enttäuschung bangt, Fühlt wieder er mit liebendem Behagen Und immer wieder, was sein Herz verlangt. 348 Robert Zwirnmann hatte auch einige Gedichte Schillers ins Lateinische übersetzt (Carmina quaedam Schilleri Latine reddidit R. Z., 1871) – ein umgekehrter Beleg für die Bedeutung Schillers für die literarische Landschaft in dieser Zeit.

Ovids Verwandlungen verteutscht Ja, das ist Fleisch! ja, diese Pulse schlagen! Und überschwänglich preist und lobt und dankt er Venus’ Huld aus tiefstem Herzensgrunde Und küßt lebend’gen Mund mit seinem Munde.

Die Stanze gibt nicht nur die Möglichkeit, sich vom Originaltext zu entfernen, sondern zwingt sogar dazu. Es ist dies ein an das Wilamowitz’sche Konzept der »Travestie« (»das Kleid muß neu werden, sein Inhalt bleiben«)349 angelehntes Verfahren, wobei gewissermaßen der plot als der Inhalt verstanden wird, die Form aber als ephemer. In gewisser Weise liefern, so verstanden, die antiken Texte sogar eine Art von Vorwand für eigenes Bemühen, das für sich alleine keinen Bestand gehabt hätte vor kritischer Betrachtung, aber von der Autorität des kanonisierten Autors und Werks seine eigene Dignität ableitet.

5. Wolfgang Schadewaldts Übersetzungskonzept als leitende Maxime oder als Feigenblatt? Die Übersetzungen durch von Albrecht und Fink am Ende des 20. Jahrhunderts Das 19. Jahrhundert ist, wie eben gezeigt, die Blütezeit der übersetzenden Lehrer (und in geringerem Umfang noch der Geistlichen), die ihr Alltagsgeschäft durch Publikation – und gegebenenfalls repräsentative Ausstattung des Drucks – sublimieren konnten350 und damit die von der Universitätsphilologie, aber auch Dichtern und Schriftstellern offen gelassene Leerstelle besetzten.351 Von diesem Anspruch zeugen auch die nicht nur in Schulprogrammen, sondern auch in Büchern und wissenschaftlichen Zeitschriften dokumentierten Interessen an Textkritik und Textkonstitution, wie sie generell die Philologie des 19. Jahrhunderts prägten.352 In erstaunlicher Diskrepanz zu diesen gelehrten Bemühungen steht die Tatsache, dass die gesamte erste Hälfte des 20. Jahrhunderts ohne eine Neuübersetzung der Metamorphosen auskommen musste. Zwischen Bulle (1898) und (Rösch) 1952 gab es offenkundig nur Nachdrucke der vorliegenden Versionen, v. a. derjenigen von Voß und Suchier. Das demonstriert drastisch, wie sehr Ovid in der Wertschätzung selbst der Schulmänner gesunken war, die sich zwar im Unterrichtsgeschehen immer wieder mit den Metamorphosen auseinanderzusetzen hatten, aber sich aus einer eigenen Übersetzung keinen Zuwachs an Prestige erhofften.

349 Lubitz (2009), 196–207, bes. 201. 350 Vgl. auch Fritsch (1987) über Hermann Menge, der seine Erfahrungen als Schulmann (neben dem Repetitorium und den lexikalischen Arbeiten) auch in eine Horaz-Übersetzung in Prosa (besonders für Primaner gedacht) münden ließ. 351 Zum sich ankündigenden Ende dieser Symbiose an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert siehe Baumbach (2002) sowie Cancik/Cancik-Lindemaier (2002). 352 Vgl. generell Schmidt (2002).

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Noch die von der Nachkriegszeit bis in die 80er Jahre des 20. Jahrhunderts am weitesten verbreiteten Übersetzungen (neben Thassilo von Scheffers353 Übersetzung), die Tusculum-Ausgabe354 von Erich Rösch355 (zuerst 1952356) und die Artemis-Ausgabe von Hermann Breitenbach357 (zuerst 1958),358 die in zahlreichen Nachauflagen weite Verbreitung fanden, wählten problemlos den deutschen Hexameter und geben darüber nur mit knappen Worten Rechenschaft.359 Da diese beiden Übersetzungen keine prin-

353 Lebensdaten (siehe http://www.munzinger.de/document/00000004449) 1873–1951; wirkte seit seiner Promotion 1900 als freier Schriftsteller und Übersetzer antiker Autoren. T. von Scheffer übersetzt das Proömium folgendermaßen: »Neue Gestaltung, in die sich Körper verwandeln, zu künden, / Treibt es mein Herz. O Götter, ihr habt ja jene verwandelt. / Fördert meinen Entschluß. Vom ersten Anfang der Schöpfung / fort bis auf unsere Zeit seid stets meines Liedes Geleiter.« 354 Siehe auch die Angaben bei Johannes Saltzwedel, Tusculum – Bibliographie der zweisprachigen Ausgaben antiker Literatur (Onlinefassung: http://www.venturus.de/vframe.htm?vtusc.htm). 355 Erich Rösch, nach den Matrikeln der Unversität Rostock (http://matrikel.uni-rostock.de/id/ 200018714/) geb. 1900 in Heidelberg, studierte in Heidelberg und (im Sommersemester 1923) Rostock Germanistik und Philosophie. 1925 wurde er in Heidelberg mit einer »vergleichenden Märchenstudie« Der getreue Johannes (ersch. Helsingfors 1928) promoviert. Im Frühjahr 1945 (Rösch [1952, �1964], 771) begann er mit der Übersetzung der Metamorphosen (Philemon und Baucis); die Apoll-Daphne-Sage wurde vorab im Gymnasium 56 (1949), 97–99, gedruckt. Weitere biographische Angaben sind nicht zu ermitteln. 356 1988 wurde für die Neuauflage zwar der Einleitungs- und Anmerkungsteil durch Niklas Holzberg neu bearbeitet, die Übersetzung aber blieb unangetastet. Die letzte Ausgabe (1996) scheint nach dem Katalog der Deutschen Nationalbibliothek die 14. Auflage zu sein (so auch Saltzwedel, vorletzte Anm.). 2004 wurde sie durch die Übersetzung von Gerhard Fink ersetzt. Letztmals wurde sie vollständig (einsprachig) in der dtv-Taschenbuchausgabe 1997 gedruckt, 2005 lag sie noch einmal einer Künstleredition zugrunde (Ela Woźniewska, Mythen und Zeichen, Berlin 2005). 357 Hermann Breitenbach (1883–1967) wurde 1908 in Basel mit einer Arbeit De genere quodam titulorum comoediae Atticae promoviert und wirkte seither als Lehrer an der Kantonsschule Solothurn in der Schweiz. Die Metamorphosen-Übersetzung ist also offenbar nach dem Eintritt in den Ruhestand entstanden. Breitenbach übersetzt das Proömium folgendermaßen: »Von den Gestalten zu künden, die einst sich verwandelt in neue / Körper, so treibt mich der Geist. Ihr Götter, da ihr sie gewandelt, / Fördert mein Werk und lasset mein Lied in dauerndem Flusse / Von dem Beginne der Welt bis auf meine Zeiten gelangen!« 358 Vgl. von Albrecht (2004), 48. 359 Vgl Mindt (2007a), 55–57; z. B. weist von Scheffer (1948), XVIII f., nur darauf hin, dass er »einzelne besonders treffende Ausdrücke, ja hin und wieder einen vollen Vers« aus früheren Übersetzungen übernommen habe, ohne auch nur ein Wort über die metrische Gestaltung prinzipiell zu verlieren. Ausführlicher ist Rösch (1952, �1964), 772: »[…] bin ich mir darüber klar, daß der antike Hexameter im Deutschen nicht nachgeahmt werden kann, sondern daß es sich um einen deutschen Vers handelt, der an die Stelle des antiken tritt«. Bezeichnend für die Schwierigkeiten ist die recht offenherzige Fortsetzung: »Daß ich oft die letzte Silbe eines Verses Auftakt zum nächsten werden lasse und dabei gelegentlich auch wage, Wörter auf zwei Verse zu verteilen, wird manchen Leser vielleicht zunächst befremden. Doch möchte ich auf dieses Mittel nicht verzichten, denn es ermöglicht oft, eine natürlichere Wortstellung zu wählen und eine tragfähige Hebung an den Anfang des Verses zu bringen. Daß dabei das sprachliche Einzeldasein des Verses aufgehoben wird, scheint mir kein Schaden, sondern ein Gewinn für den erzählerischen Fluß des Ganzen zu sein.«

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zipiellen Neuerungen gegenüber den bereits besprochenen bieten,360 sind sie hier genauso ausgeklammert wie die wohlfeile Auswahlausgabe von Plankl/Vretska im Reclam-Verlag (zuerst 1951, immer noch im Verlagsprogramm geführt)361. Man kommt also nicht umhin zu konstatieren, dass zwischen Voß und der Mitte des 20. Jahrhunderts keine in irgendeiner Weise als zielgerichtet benennbare übersetzerische Entwicklung feststellbar ist, zumal die einzige nicht-hexametrische Übersetzung, diejenige von Constantin Bulle, in jeder Hinsicht ein Randereignis blieb. Alle Übersetzer kämpfen mit der Verteilung des Gedankengangs auf das Metrum. Sie wählen eine oftmals künstlich archaisierende Sprache, die weder dem Stand der zeitgenössischen deutschen Literatursprache nahe kommt, noch die Tatsache wirklich berücksichtigt, dass Ovids Dichtersprache bei allem Traditionsbezug innovativ war und klassizistische Verkrustungen aufsprengen wollte.362 Insofern konstruieren diese Übersetzungen gewissermaßen einen ahistorisch konservativen Ovid, der einer nostalgischen Antikeverklärung zum Vehikel dienen kann und die zukunftsgerichteten, auch subversiven Potentiale ausblendet. Damit zeichnen die Übersetzungen unwillkürlich, aber unverkennbar, die als Abwehrkampf empfundene Haltung der schulischen wie universitären Klassischen Philologie seit dem 19. Jahrhundert nach. Wolfgang Schadewaldt ist der einzige Vertreter der universitären Klassischen Philologie des 20. Jahrhunderts, der sich sowohl mit einem theoretischen Konzept als auch in viel beachteten Übersetzungen einen Namen verschafft hat, wobei er geschickt auch den Rundfunk zur Verbreitung nützte. Sein Homer (Odyssee: 1958; Ilias: 1975) löste aufs Ganze gesehen Voß’ Übersetzung als den deutschen Homer ab.363 Seine dem »dokumentarischen Übersetzen« zugrundeliegende Konzeption legte er an zahlreichen Stellen variiert nieder, so im Nachwort zur deutschen Fassung der Elektra des Sophokles:364 Erstens: im Übersetzen das wiederzugeben, was dasteht und so wie es dasteht, nämlich vollständig, ohne Verkürzungen, Hinzufügungen. Zweitens: die originalen Vorstellungen, Begriffe wie Bilder, in ihrer griechischen Eigenart unverändert ohne moderne Übermalungen auch im deutschen Wortlaut zu bewahren. Und drittens: die Folge dieser Vorstellungen, ihre »Syntax« – als Abfolge, wie die Dinge und Kräfte der Welt im Nacheinander dem Dichter vor die Augen kommen – bis zur Stellung des einzelnen Wortes in Satz und Vers, soweit irgend möglich, auch im Deutschen einzuhalten. 360 Vgl. z. B. Rösch zu met. 4,55–58: »Pyramus er, der Schönste der Jünglinge, Thisbe, vor allen / Mädchen die Herrlichste, sie, die der Osten nannte sein eigen, / wohnten sie Haus an Haus, wo Semiramis einst um die hohe / Stadt, wie erzählt wird, den Ring aus gebrannten Steinen geschlossen.« 361 Auch hieraus sei das Proömium zitiert: »EINGANG / Körper, in andre Gestalten verändert, will ich besingen; Götter, fördert mein Werk (ihr hab ja auch jene verwandelt), / Schirmend geleitet das Lied, das vom Anbeginne der Welt – / Verse an Verse gereiht – bis zu unseren Zeiten herabführt.« 362 Zahllose Belege für die »Modernität« von Ovids Dichtersprache finden sich bei Bömer (1969– 2006). 363 Siehe ausführlich Mindt (2009), 277–297. 364 Siehe hierzu sowie zur Kritik und Weiterentwicklung von Schadewaldts Maximen den Beitrag von Poiss et al. (in diesem Band), bes. § 2.

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Schadewaldts Wirkung lässt sich nicht nur an der Verbreitung seiner eigenen Publikationen ablesen, sondern auch an der Tatsache, dass er selbst für die nicht von ihm übersetzten Autoren, namentlich auch für die lateinischen, den Prosawiedergaben den Weg öffnete und sich die Übersetzer explizit auf ihn berufen.365 5.1 Michael von Albrecht (geb. 1933)366 Mit den 80er Jahren ändert sich das Bild, sowohl das Ovid-Bild in der Forschung und einer breiteren Öffentlichkeit367 – die »Modernität«368 Ovids wird erkannt und offensiv ausgespielt – als auch das Erscheinungsbild der nunmehr auf den Markt drängenden Übersetzungen, in denen die Prosa den Vers ersetzt:369 Michael von Albrecht (1981) und Gerhard Fink (1989, basierend auf Rode) setzen die Metamorphosen in Prosa um; von Albrecht beruft sich dabei ausdrücklich auf Schadewaldt.370 Michael von Albrecht begann seine akademische Karriere in Tübingen, wo Wolfgang Schadewaldt zu dieser Zeit Inhaber eines Lehrstuhls für Klassische Philologie mit der ergänzenden Denomination »Gräzistik und Fortleben der Antike«371 war. Auch wenn das – soweit ich sehe – an keiner Stelle thematisiert ist, scheint diese Tübinger Prägung ein spätes Movens für von Albrechts Übersetzertätigkeit ab den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts372 zu sein, unbeschadet der Tatsache, dass in die ersten zweieinhalb Jahrzehnte seiner Zeit als Heidelberger Lehrstuhlinhaber keine einschlägigen Publikationen fallen. Das persönliche Erleben spricht auf jeden Fall unverkennbar aus dem Nachwort zur 1981 erstmals publizierten Metamorphosen-Übersetzung, dem Auftakt von Michael von Albrechts übersetzerischem Corpus: W. Schadewaldts Prinzip des »dokumentarischen Übersetzens« hat für die Aneignung griechischer Texte in Deutschland Maßstäbe gesetzt, auch wenn sein Charisma schwer nachzuahmen ist. Auf das Übersetzen aus dem Lateinischen läßt sich seine Methode nicht restlos übertragen, weil das Lateinische dem Deutschen viel ferner steht als das Griechische.

365 Vgl. dazu Mindt (2009), 343–349. 366 Vgl. die Würdigung anlässlich der Verleihung des Johann-Heinrich-Voß-Preises für Übersetzung 2004 der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung durch Kalka (2004) (auch zu den übrigen Übersetzungen: Catull, Vergil, Ovids liebeselegische Dichtungen). 367 Vgl. Schmitzer (2010), 568–570. 368 Vgl. Ziolkowski (2005). 369 Der Topos von der Unübersetzbarkeit (vgl. S. 196 f.) aus den Alten Sprachen findet sich aber immer noch, z. B. bei Reichert (2010), 17 (zu met. 1,522): »Lässt sich das, was Ovid gemacht hat, in irgendeine andere Sprache übersetzen? Übersetzen im üblichen Sinne lässt es sich gewiss nicht.« 370 von Albrecht (1981), 393–399. 371 Heck (1993), 398. 372 Die Belege sind ermittelbar unter http://d-nb.info/gnd/117756873 (ein früher Vorläufer ist die Übersetzung eines griechischen Texts, der Pythagoras-Vita des Iamblich, Zürich 1963).

Ovids Verwandlungen verteutscht Eine wörtliche Übersetzung aus dem Griechischen kann naiv und ursprünglich, eine solche aus dem Lateinischen barbarisch und stillos klingen.373

Michael von Albrecht kehrt zur in der Goethezeit, bei Klopstock, Humboldt und anderen angesiedelten Vorstellung von einer engen Beziehung zwischen dem Griechischen und dem Deutschen zurück, wozu auch die Qualifizierung als »naiv und ursprünglich« und damit die Integration in den klassischen Originalitätsdiskurs gehört.374 Der Übersetzer nützt dieses alte Wahrnehmungsparadigma, um eine partielle Abkehr von der Autorität Schadewaldts zu rechtfertigen, dem er allerdings beim Postulat, die ursprüngliche Abfolge der Vorstellungen zu wahren, folgt (396). Allerdings erfordere das Deutsche wesentlich mehr Nebensätze, in die die lateinischen Partizipialkonstruktionen aufgelöst werden müssten, wie überhaupt die deutsche Syntax und Wortstellung restriktiveren Regeln unterliege als die lateinische.375 Vor allem beansprucht von Albrecht auf einem Gebiet Innovation:376 [Die Übersetzung] beachtet die künstlerische Verwendung der Erzähltempora und spiegelt so die Feinstruktur der ovidischen Erzählung wider. Ovid erzielt duch abwechselnden Gebrauch des historischen Perfekts und des historischen Präsens Reliefwirkungen […]. Dies lässt sich im Deutschen durch den von den bisherigen Übersetzern gescheuten Wechsel von Vergangenheit und Gegenwart nachahmen […]. Nicht nachbilden läßt sich im Deutschen […] die aspekt- und strukturbedingte Abwechslung von Imperfekt und Perfekt, die im Lateinischen eine Scheidung von »Hintergrund« und »Vordergrund« ermöglicht.

In diesem Anspruch schlägt sich nicht zuletzt von Albrechts eigene Forscherbiographie nieder, worin er einen raren Fall in der Übersetzungsgeschichte Ovids darstellt: Seit seiner Dissertation hat sich von Albrecht gerade auch mit stilistischen Fragen der lateinischen Literatur und besonders der Dichtungen Ovids befasst.377 Diesen wissenschaftlichen Ertrag möchte er implizit auch für die Übersetzung fruchtbar machen, was schon an und für sich sehr wünschenswert ist, da das Gesamtbild eines Autors ja genuin wichtig für dessen Übersetzung ist, so dass in diesem Fall eine Koinzidenz möglich erscheint. Deshalb ist es an dieser Stelle nötig, noch einmal einen genaueren Blick auf die Gestaltung von Ovids Erzählung und die Forschungserträge zu werfen, eben da von Albrecht in diesen Diskurs eingebunden ist. Die Probe aufs Exempel, der Blick auf das Proömium als erste Schlüsselstelle führt aber zu einer gewissen Ernüchterung: Von Gestalten zu künden, die in neue Körper verwandelt wurden, treibt mich der Geist. Ihr Götter – habt ihr doch jene Verwandlungen bewirkt – , beflügelt mein Beginnen mit eurem 373 von Albrecht (1981), 397. Ebenfalls im Nachwort zur Übersetzung bezieht sich von Albrecht auch auf seinen Tübinger Lehrer Ernst Zinn und dessen (unpublizierte) Teilübersetzung der Metamorphosen in Prosa mit Illustrationen von Manfred Henniger (1969, als Autograph nachgewiesen im OPAC der Bayerischen Staatsbibliothek, nicht entleihbar). 374 Zur wissenschaftsgeschichtlichen Einordnung der Auffassung von der Nähe des Deutschen zum Griechischen siehe Kitzbichler (2009), 34. 375 Vgl. Kienpointner (2009), 359–385. 376 von Albrecht (1981), 396. 377 Z. B. von Albrecht (1963); von Albrecht (1968); von Albrecht (1970).

Ulrich Schmitzer göttlichen Atem und führt meine Dichtung ununterbrochen vom allerersten Ursprung der Welt bis zu meiner eigenen Zeit.

Entgegen seiner Ankündigung, die gedankliche Reihenfolge zu bewahren, setzt von Albrecht das deutsche Äquivalent zum hexameterschließenden formas an die Spitze. Die Begründung (»habt ihr doch […]«; nam vos mutastis […]) steht vor der Nennung des Unternehmens (»Beginnen«; coeptis), das von Ovid im letzten Wort des Proömiums genannte carmen wird (als »meine Dichtung«) an eine unauffällige Stelle im letzten Satz vorgezogen. Man kann auch noch auf weniger auffällige Abweichungen verweisen, auf die Nichtberücksichtigung von de-ducere, auf die Ausweitung von adspirate in »beflügelt […] mit göttlichem Atem«. Und anders als die zugrunde liegende Teubneriana von Anderson (1977) scheint von Albrecht undokumentiert statt illa das althergebrachte illas zu lesen. Die Übersetzung an sich ist durchaus transparent und sprachrichtig, aber bemerkenswert ist doch, wie folgenlos an dieser exponierten Stelle des Textes die ausdrücklichen Maximen des Übersetzers bleiben. Dieser Befund gilt zumindest in abgeschwächter Form auch für den Beginn der Erzählung von Pyramus und Thisbe, wo die Prosa eigentlich höhere Flexibilität erlauben sollte. Pyramus und Thisbe, er der schönste der jungen Männer, sie herrlicher als alle Mädchen im Orient, bewohnten benachbarte Häuser in der hochgebauten Stadt, die Semiramis mit Mauern aus Lehmziegeln umgeben haben soll. Nachbarschaft machte sie miteinander bekannt und erlaubte ihnen die ersten Schritte der Annäherung. Mit der Zeit wuchs die Liebe; sie hätten auch Hochzeit gefeiert, aber die Väter verboten es. Eines aber konnten sie nicht verbieten: Beide waren gleichermaßen in Liebe entbrannt, die ihnen den Verstand raubte. Keinen Mitwisser gibt es, sie sprechen duch Winke und Zeichen, und je mehr die Liebesglut versteckt ist, desto heftiger ist ihr Feuer.

Dass der Chiasmus in der alter-altera-Konstruktion nicht beibehalten ist, ist nicht zwingend, ebenso wenig die Auflösung des Relativsatzes. Problematischer noch ist die Angleichung der deutschen Übersetzung von contiguas und vicinia, die Ovids Signifikanz abschattet. Ebenso lässt »Hochzeit feiern« das gezielte taedae iure Ovids verblassen, worin die religiös-juristische Regelhaftigkeit der Hochzeitszeremonie enthalten ist.378 Dagegen vollzieht von Albrecht konsequent und seiner Ankündigung gemäß den Tempuswechsel gegen Ende der Passage, der nicht nur die Lebendigkeit der Erzählung erhöht, sondern auch auf die zeitlose Sentenz vorausweist. Allerdings fügt er ein wenig pedantisch »Liebesglut« ein und doppelt damit (in einem etwas schiefen Bild) die Feuermetaphorik.379 Der Übersetzer nützt längst nicht überall, wo er es könnte, die Möglichkeit zur Wahrung der gedanklichen Abfolge. Das setzt sich auch in der emotionalen Passage der Erzählung fort:

378 Das erstaunt ein wenig, denn von Albrecht (1981), bes. 2336, beweist ja eigentlich Sensibilität für das Eindringen von solchen Anachronismen in Ovids mythologische Erzählung. 379 Siehe dazu Huber-Rebenich (1994), 134. – Ob ein gelehrter volksetymologischer Bezug zu πῦρ oder πυρός (»geschnittener Weizen«) besteht, ist unklar (vgl. Bömer [1972], ad loc.), könnte aber die etwas eigenwillige Feuermetaphorik noch weiter motivieren (vgl. Schmitzer [1992], 531).

Ovids Verwandlungen verteutscht Später verließ Pyramus das Haus. Er sah im tiefen Staub ganz deutlich die Spuren des wilden Tieres. Da erbleichte er übers ganze Gesicht. Doch als er auch noch das blutbefleckte Kleidungsstück fand, sprach er: »Eine Nacht wird zwei Liebende vernichten. Thisbe hätte es wahrhaftig verdient, lange zu leben; doch meine Seele ist voller Schuld. Ich habe dich, Bejammernswerte, getötet, da ich dich bei Nacht in eine gefährliche Gegend kommen ließ und nicht als erster hierher kam. Zerfleischt meinen Leib und verzehrt mit wildem Biß meine fluchbeladenen Eingeweide, all ihr Löwen, die ihr unter diesem Felsen haust! Aber es zeugt von Ängstlichkeit, den Tod nur zu wünschen!« Er nimmt Thisbes Umhang, trägt ihn zum Schatten des Baumes, an dem sie sich verabredet hatten. Und nachdem er das vertraute Gewand mit Tränen benetzt und mit Küssen bedeckt hatte, sprach er: »Trinke du jetzt auch mein Blut!« Und das Schwert, mit dem er umgürtet war, stieß er sich in den Leib. Sogleich zog er es sterbend aus der heißen Wunde und lag rücklings am Boden. Da springt das Blut hoch empor, wie wenn lange Wasserstrahlen aus einem schadhaften Bleirohr durch einen feinen Riß zischend hervorschießen und stoßweise die Luft durchbrechen. Vom Mordblut besprengt, werden die Früchte des Maulbeerbaumes schwarz, und von Blut gerötet, färbt die Wurzel die am Baum hängenden Maulbeeren purpurn.

Der Duktus des Textes hat ein wenig Schwierigkeiten, Ovids Emotionalität nachvollziehbar zu machen. Die artistische Stellung von una duos […] nox […] amantes ist zwar schwer in akzeptablem Deutsch nachzuahmen, aber durch die Aufgabe der Schlussstellung von amantes beraubt sich der Übersetzer auch des Anschlusses e quibus und muss mit dem eingefügten Namen »Thisbe« neu einsetzen. Ebenso geht der Superlativ dignissima 380 verloren. Ovids ego te nimmt durch die Zusammenrückung den Gegensatz von una duos wieder auf. Überhaupt wählt von Albrecht die sicheren, dafür unspektakulären Varianten (»es zeugt von Ängstlichkeit«), die auch zu einer gewissen Blässe des Ausdrucks führen, zu einer Art von »Normalisierung«. Das wird auch ganz besonders an dem Satz »Und das Schwert […]« deutlich: Ovid schiebt die Nennung des fatalen Requisits bis zum syntaktisch letztmöglichen Zeitpunkt auf und erzielt damit einen gewissen Überraschungseffekt, denn von einem Schwert war vorher noch nicht die Rede:381 Der Dichter lässt das Schwert genauso überraschend in die Erzählung eintreten, wie es Pyramus überraschend zur Hand hat.382 Diese Reduktion der ovidischen Erzählamplituden umfasst auch die blasse Wiedergabe von nec mora (im Lateinischen zugleich ein Wortspiel mit moriens) als »sogleich«, das die Signifikanz der gezielten substantivischen Ausdrucksweise des Originals mindert. Man könnte das noch ergänzen, doch ist der Tenor des Befundes klar: von Albrecht gibt ein klares Bild von Inhalt und Verlauf der Sage von Pyramus und Thisbe, ohne sich wirklich auf die teils kühne Sprach- und Gedankenwelt Ovids en detail einzulassen. Ob das ein kontingentes Resultat oder durchgängige Machart ist, ist an der Pygmalion-Passage als letzter zu überprüfen: 380 Bömer (1972), ad loc., über die Verbindung zum epigraphischen und elegischen Motiv der mors immatura. 381 Vgl. Bömer (2000) über Ovids »unbekümmerten Umgang« mit solchen erzählerischen Details. 382 Schmitzer (1992), 531. – Tarrant (2004), ad loc.: »Versus mihi suspectus«; Tarrant liest im folgenden Vers im Unterschied zu den übrigen aktuellen Editionen (auch Barchiesi/Rosati [2007]) ut statt et und verändert damit auch die syntaktische Abteilung – womöglich mit Recht.

Ulrich Schmitzer Als er nach Hause kam, zog es ihn zu seinem Mädchenbild. Er warf sich auf das Lager und küßte sie. Da war ihm, als sei sie warm. Wieder legt er Mund an Mund und tastet mit der Hand nach der Brust. Er tastet noch, da wird das Elfenbein weich, verliert seine Starrheit, weicht zurück und gibt den Fingern nach, so wie Wachs vom Hymettus an der Sonne geschmeidig wird, sich unter dem Druck des Daumens zu tausenderlei Gestalten formen läßt und in der Hand des Bildners immer bildsamer wird. Pygmalion staunt. Er traut seiner Freude noch nicht und fürchtet, er täusche sich. Wieder und wieder prüft der Liebende mit der Hand sein Wunschbild. Fleisch und Blut ist’s; mit dem Daumen prüft er, wie es in den Adern pocht. Da dankt der Held von Paphos der Venus mit Worten, die aus vollstem Herzen strömen, und preßt den Mund endlich auf wirkliche Lippen. Das Mädchen hat den Kuß empfunden, sie ist errötet! Jetzt hebt sie scheu zu seinem Auge ihr Auge empor – und zugleich mit dem Himmel erblickt sie den Mann, der sie liebt. Der Ehe, die sie gestiftet, steht die Göttin bei. Schon haben sich die Hörner des Mondes neunmal zur vollen Scheibe gerundet, da gebiert sie Paphos, nach der die Insel benannt ist.

Für sich genommen bietet der Textausschnitt einen problemlosen Einblick in den Gang von Ovids Erzählung, die (in den Metamorphosen in dieser Richtung sehr seltene) Verwandlung des Bildwerks in menschliche Gestalt und menschliches Wesen.383 Bei genauerem Hinsehen ist aber auch hier Ovids sprachliches Vorgehen ohne Zwang in der Zielsprache aufgegeben, auch wenn es sich auf den ersten Blick nur um Marginalien handelt: incumbens ist weit weniger heftig als »warf sich auf«; manibus ist als Singular wiedergegeben; die passive Form temptatum, die die Blickrichtung auf das Objekt der Begierde lenkt, ist bei von Albrecht als aktive Handlung Pygmalions umgesetzt. Das Wortspiel fit utilis usu wird gänzlich aufgelöst (lumen lumina etwas später ist ebenfalls nicht umgesetzt), und ist damit von Ovids Intention abgerückt. Das hypotaktische Gefüge ab dum stupet wird in Parataxe transformiert. Im tum vero Paphius […]-Satz ist das inhaltliche Verhältnis von Haupt- und Relativsatz umgekehrt. Diese Auflistung mag etwas pedantisch erscheinen, doch zeigt sich daran, dass die vom Übersetzer angekündigten Abweichungen von Schadewaldts Maximen nicht aus der sprachlichen, durch den lateinisch-deutsch Kontrast gegebenen Notwendigkeit, sondern offenbar anlasslos, eventuell aus dem Sprachempfinden des Übersetzers heraus geschehen sind. Damit erweist sich der programmatische, sich an die Autorität Schadewaldts anlehnende Anspruch als eher deklaratorisch denn substantiell – ein Befund, der ganz offenbar von genereller Geltung für die Übersetzung der antiken Literatur ist: Schadewaldt legitimiert die Wahl der Prosa, die weitergehenden Implikationen sind allenfalls akzidentiell umgesetzt.

383 Wohl eine Flüchtigkeit ist das »sie« am Beginn der Passage, das keinen syntaktischen Anschluss hat, sich in einer Constructio ad sensum auf »Mädchen« bezieht, wobei diese Verbindung offenbar über das Lateinische simulacrum puellae, nicht über das deutsche Kompositum hergestellt ist.

Ovids Verwandlungen verteutscht

5.2 Gerhard Fink (1934–2013) Etwas anders stellt sich die Sache bei Gerhard Fink dar,384 der sich dem Übersetzungsthema zunächst aus praktischer Schulsicht und fachdidaktischer Perspektive genähert hatte, bevor er seine Adaption von Rodes Übersetzung publizierte. Mit der Wahl dieser Übersetzung als Grundlage – eine Auskunft über das Zustandekommen dieser Konstellation wird nicht gegeben – ist die Prosaform zwingend verbunden und bedarf deshalb nicht der Legitimation durch die Berufung auf Schadewaldt. Vielmehr vertritt er eine deutlich zielsprachenorientiertere Position, die die Lesbarkeit und Rezipierbarkeit durch den zeitgenössischen Leser in den Vordergrund stellt.385 Im Folgenden sei die bereits besprochene Übersetzung anmerkungsweise mit Finks Übersetzung verbunden, um im Vergleich die Weiterverarbeitung deutlicher werden zu lassen: [ Jeder Vers der Metamorphosen] wurde ohne Rücksicht auf die Vorgaben von Rodes neu übersetzt, dann mit dessen Übersetzung verglichen und unter Berücksichtigung der oben genannten Ziele – Verständlichkeit, Lesbarkeit, Wohlklang – neu formuliert. Dabei achteten wir in der Regel energischer als von Rode auf die lateinische Wortfolge, wenn sie für die Darstellung bedeutsam war, und auf die angewandten Stilmittel.386

Fink verschreibt sich damit einer Synthese aus Zielsprachenorientierung (in der Wortwahl) und Ausgangssprachenorientierung (bei der Wortstellung und damit der Gedankenabfolge), also einer partiellen Orientierung an Schadewaldt, ohne dass letzteres explizit gemacht würde. Und in der Tat setzt Fink diese Prinzipien konsequenter als von Albrecht um, so am Beginn der Erzählung von Pyramus und Thisbe:387 Pyramus und Thisbe, von den Jünglingen er der schönste und sie das reizendste unter den Mädchen des Morgenlandes, bewohnten aneinanderstoßende Häuser dort, wo nach der Sage Semiramis ihre hohe Stadt mit Ziegelmauern umgeben hat. Bekanntschaft und erste Stufen der Neigung erlaubte die Nähe; mit der Zeit wuchs die Liebe, und sie hätten sich durch die Bande der Ehe vereint, doch das verboten die Väter. Was sie nicht verbieten konnten, 384 Gerhard Fink (geb. 1934) wurde 1958 mit der Arbeit Pandora und Epimetheus. Mythologische Studien in Erlangen promoviert und wirkte danach als Gymnasiallehrer in Nürnberg. Neben schulpraktischen und fachdidaktischen Arbeiten publizierte er vor allem zum Antikebezug in Nürnberg (Götter in Nürnberg, Nürnberg 1994; Konrad Celtis, Norimberga, Nürnberg 2000 [einsprachige Übersetzung]) sowie (neben den Metamorphosen) Übersetzungen von Seneca (Die kleinen Dialoge, München; Epistulae morales ad Lucilium, 2007) Horaz (Satiren, 2000; Epistulae, 2003), Vergil (Aeneis, 2005) sowie Platon (Große Dialoge, 2001). Für sein Übersetzungskonzept grundlegend ist Fink (1992) (mit fachdidaktischer Ausrichtung). Vgl. auch Mindt (2009), 347 f. 385 Mindt (2009), 347 f. 386 Fink (1989), 421. 387 Rode: »Pyramus, der Jünglinge schönster, und Thisbe, die reizendste unter den Mädchen des Morgenlandes, bewohnten aneinander stoßende Häuser in der erhabenen Stadt, welche – der Sage nach – Semiramis mit Mauren von gebackenen Steinen umgeben hat. Die Nachbarschaft stiftet unter ihnen Bekanntschaft, und Freundschaft, die mit der Zeit Liebe wird. Gern hätten sie sich auch durch eheliche Bande verbunden; allein die Väter verbieten es. Doch können diese auch verbieten, daß nicht beider Herzen, von gleicher Liebe eingenommen, brennen? Sobald sie unbelauscht sind, sprechen sie durch Blicke und Zeichen mit einander; und je verborgener, desto heftiger lodert ihre Flamme.«

Ulrich Schmitzer war, daß beide, gleichermaßen entflammt, voneinander nicht ließen. Niemand weiß davon; sie sprechen durch Winke und Zeichen, und je verborgener es ist, desto heftiger lodert das Feuer.

In der Tat ist der Chiasmus alter altera sprachangemessen im Deutschen bewahrt. »Jünglinge« hat ebenso wie »Morgenland« einen leicht altertümlichen Klang; beides findet sich wie auch »reizendste unter den Mädchen« schon bei Rode, bewahrt auf diese Weise auch im Sprachgebrauch das märchenhafte Ambiente, das auch durch den orientalischen Erzählrahmen hergeführt wird. Generell wählt Fink einen weniger alltäglichen Ton im Deutschen als von Albrecht: »der Sage nach« statt »soll«, »Bande der Ehe« statt »Hochzeit gefeiert«.388 Dafür ist captis mentibus nicht im Sinne der Psychopathologie,389 sondern als Ausdruck der wechselseitigen Verfallenheit aufgefasst. Wie von Albrecht wechselt Fink mit Ovid am Ende das Tempus und lenkt damit narrativ auf die sentenzhafte Schlusswendung des Abschnitts hin.390 Insgesamt ist Finks Adaption von Rodes Fassung der derzeit konsequenteste Nachvollzug der narrativen Abfolge der Metamorphosen in Prosa und tritt damit parallel zur hexametrischen Fassung von Voß. Das führt Fink bis an den Rand der deutschen Sprachüblichkeit: Später davongeeilt, erblickte im tiefen Sand die deutlichen Spuren des Raubtiers Pyramus, und sein ganzes Gesicht erblaßte. Als er aber noch das vom Blut gerötete Gewand fand, sprach er: »So soll eine Nacht zwei Liebende vernichten! Von uns hätte sie vor allem ein langes Leben verdient; schuldig bin ich allein, ich habe dich, Bedauernswerte, gemordet, der ich dich an so schreckensvolle Orte zur Nachtzeit kommen ließ und nicht zuerst da war. 388 Vgl. Fink (1989), 420: »Wir folgen also in diesem Punkt ganz unserem Vorbild von Rode und streben zugleich danach, daß die Prosa, in die wir den Ovid umsetzen, nicht zu prosaisch gerät. ›Poetische Prosa‹ versprach von Rode seinen Lesern, und er hielt sein Versprechen: ›Unter Wünschen des Heils, das ihr selbst gebricht, so du es ihr nicht gibst, grüßt dich ein liebendes Mädchen, der, ach! Schaam verbiethet, sich zu nennen!‹ So beginnt bei von Rode die in ihren Bruder verliebte Byblis einen Brief (Met. IX 528 ff.). Das ist sehr gewählt formuliert, hat aber doch ein wenig Patina angesetzt. Unsere für Leser des 20. Jahrhunderts bestimmte Übersetzung will diese Patina mitnichten völlig entfernen — sonst ginge ja eben der für das Epos kennzeichnende hohe Stil verloren – , sondern nur einen Mittelweg finden zwischen Verständlichkeit, Lesbarkeit und Wohlklang. Bei uns schreibt Byblis folgendermaßen: ›Heil, woran es ihr selbst gebricht, wenn du es nicht spendest, wünscht dir ein liebendes Mädchen. Scham, ach, Scham verbietet es ihr, sich zu nennen!‹ Quam, nisi tu dederis, non est habitura salutem, hanc tibi mittit amans. Pudet, a!pudet edere nomen. Der Vergleich mit von Rode und dem Original zeigt, daß unsere Übersetzung von Rodes Wortwahl zu bewahren trachtet, dabei aber das etwas platte ›gibst‹ mit ›spendest‹ auf eine höhere Sprachebene hebt, durch Ersatz des altertümlichen ›so‹ durch ›wenn‹ und Abänderung des sperrigen ›Unter Wünschen des Heils‹ einige Härten glättet und zugleich die Wortwiederholung pudet, a! pudet nachbaut.« 389 Vgl. oben Anm. 127. 390 Rode wechselt ebenfalls ins Präsens, allerdings zu einem deutlich früheren Zeitpunkt der Erzählung, da er auch mit dem quod non potuere […]-Abschnitt erheblich freier, nämlich mit Blick auf generelle Aussagen, umgeht.

Ovids Verwandlungen verteutscht Zerreißt meinen Leib und verschlingt mein verruchtes Herz mit wütenden Bissen, all ihr Löwen, die ihr in dieser Felsenkluft haust! Doch es ist feige, den Tod nur zu wünschen!« Den Mantel Thisbes hebt er auf und nimmt ihn mit sich in den Schatten jenes Baumes, und als er dem vertrauten Gewand seine Tränen geweiht, seine Küsse gespendet hat, spricht er: »Trinke nun auch mein Blut in vollen Zügen!« Und er stieß sich das Schwert, womit er umgürtet war, tief in die Weichen. Gleich darauf zog er es sterbend aus der brennenden Wunde und lag rücklings am Boden. Das Blut spritzt hoch empor, nicht anders, als wenn ein brüchiges Bleirohr platzt und aus dem schmalen Spalt zischend das Wasser in langem Strahl herausschießt und im Bogen die Luft teilt. Die mordbespritzten Früchte des Baumes färben sich dunkel, und die Wurzeln, vom Blute feucht, lassen die Beeren am Aste sich röten.391

Die Endstellung des Subjekts im ersten Hauptsatz hat im deutschen Sprachgebrauch einen erheblichen Aufmerksamkeitseffekt, da das den üblichen Satzbauplänen nicht entspricht.392 Im folgenden reduziert Fink deutlich die das Emotionale betonende Fassung Rodes, die sich gegenüber Ovid etwa durch die Einfügung von Interjektionen wie »ha« und »ach« eher verselbständigt hat. Dennoch versucht auch Fink den lateinischen Text emotional aufzuwerten, etwa durch die Wiedergabe des doppelten dedit mit »geweiht« und »gespendet«. Einen typographischen Ausweg findet Fink für die Antithese una duos: Um bei »eine« (anstelle von »eine einzige« o. ä.) bleiben zu können und den lateinischen Ausdruck nicht im Deutschen auszuweiten, kursiviert er das Wort und setzt damit ein optisches, vom unbestimmten Artikel unterscheidendes Betonungszeichen.393 Wie bei von Albrecht wird auch hier die von Ovid dezidiert gewählte Stellung von ferrum allerdings normalisiert. Die bisher gemachten Beobachtungen zeigen schon, dass Fink ein weniger auf das bloß Inhaltliche und Sprachübliche zielendes Konzept vertritt als von Albrecht, dass er vielmehr die Rode’sche Vorlage gerade hinsichtlich der Steigerung des Ausdrucks in reduzierter Form fortschreibt, ohne dass sich daraus allerdings ein völlig konsistentes übersetzerisches Konzept gewinnen ließe. 391 Rode: »Ha! Eine Nacht vertilgt zwei Liebende! Ach! Sie war des längsten Lebens würdig; aber ich allein bin schuldig. Ich Unglückseliger, ich habe dich ermordet; da an einem so schreckenvollen Ort in der Nacht ich Dich kommen hieß, und nicht vor dir da war. Mich, mich zerreißt, ihr Löwen, die ihre diesen Felsen bewohnt! Meine ruchlosen Glieder verzehrt mit wilden Bissen! Doch, nur ein Feiger wünscht den Tod. Mit den Worten hebt er Thisbens Gewand auf, und mit ihm begiebt er sich in den Schatten des verabredeten Baums. Hier netzt er mit Thränen, hier küßt er er das bekannte Kleid. Endlich spricht er: Itzt tränke auch mit meinem Blute Dich! und senkt das Eisen, womit er umgürtet war, sich tief in die Eingeweide, und sterbend reißt er es plötzlich wieder aus der dampfenden Wunde. Als er rückwärts da liegt am Boden, springt hoch das Blut empor; nicht anders, als wenn eine beschädigte Bleiröhre berstet, zischend aus der Oeffnung der dünne Wasserstrahl hervor spritzt, und spritzend die Lüfte zertheilt. Die Früchte des Baumes, besprengt mit Blute, wandeln so fort ihre Farbe, und mit Blute benetzt färbt die Wurzel mit Purpurröthe die herniederhangenden Maulbeeren.« 392 Vgl. Kienpointner (2009), 264–290. 393 Auch im folgenden Satz wäre eine solche Auszeichnung (oder eine andere Wortstellung) sinnvoll gewesen, da der Rückbezug von »vor allem« auf »sie« weniger sprachüblich ist als der Vorverweis auf »ein langes Leben«, was erst entweder durch den Blick ins lateinische Original oder durch den Fortgang des Textes modifiziert und korrigiert wird.

Ulrich Schmitzer

Dieser Befund gilt auch für die Pygmalion-Erzählung: Kaum heimgekehrt, begibt sich Pygmalion wieder zu seinem geliebten Bild, legt sich neben ihm nieder und küßt es – da scheint es warm zu sein! Er küßt es noch einmal und legt ihm die Hand an die Brust – da wird unter seiner Hand das Elfenbein weich, verliert seine Härte, gibt den Fingern nach und nimmt Eindrücke an, gleich wie Wachs vom Hymettos in der Sonne erweicht, unter dem Druck des Daumens mancherlei Gestalt annimmt und beim Formen immer formbarer wird. Während der Liebende staunt, sich erst zaghaft freut und noch fürchtet, er könne sich täuschen, sucht er sich wieder und wieder mit den Händen zu überzeugen, daß sich sein Wunsch erfüllt hat – und das Bild leibt und lebt! Es pochen dem tastenden Daumen die Adern entgegen! Nun sucht der paphische Künstler seinen Dank an Venus in eine Fülle feierlicher Worte zu fassen und preßt seine Lippen endlich auf wirkliche Lippen; das Mädchen fühlt den Kuß, errötet, und während es ängstlich sein lichtes Auge zum Licht erhebt, sieht es zugleich mit dem Himmel seinen Geliebten.394

Auch hier bemüht sich Fink um die Beibehaltung des sprachlichen Duktus, auch hier korrigiert er textfernere Entscheidungen Rodes, aber auch hier gibt es wieder Abweichungen, deren Motivation nicht leicht klar wird: »zu seinem geliebten Bild« statt Rodes »zum Bilde seiner Geliebten« (lat. simulacra suae […] puellae), »küßt es noch einmal« (ähnlich auch Rode) für admovit os iterum, worin die körperliche Bewegung hin zum sich erstaunlich verändernden Bild, nicht die Tatsache des Kusses ausgedrückt ist, parallel zur ähnlich intendierten Bewegung der Hände. Mit »beim Formen immer formbarer« reduziert Fink (im Unterschied zu Rode) die aufs Allgemeine zielende, sentenzhafte Aussage Ovids. Für corpus erat übernimmt Fink Rodes wortspielartige Version (corpus > »leibt«), heros gibt er allerdings ohne Gegenstück im Lateinischen mit »Künstler« wieder. Deutlich spürbar (und über Rode hinausgehend) erkennt Fink das abschließende Wortspiel Ovids und öffnet mit »lichtem Auge« den deutschen Text für die beiden Bedeutungen von lumen. 5.3 Fazit Das späte 20. Jahrhundert erlebte eine kaum zu erwartende Steigerung des Interesses an Ovid in einer breiteren kulturellen Öffentlichkeit. Sichtbar wurde das am phänomenalen Erfolg von Christoph Ransmayrs Roman Die letzte Welt (1988) – aber das ist

394 Rode: »Als er heimgekehrt, begiebt er sich wieder zum Bilde seiner Geliebten, drückt neben ihm das Lager und küßt es: Da schien es warm zu sein! Er küßt es noch einmal; fühlt mit der Hand auf die Brust, und unter seiner Hand erweichet das Elfenbein, verliert seine Härte, giebt nach und nimmt Eindrücke an; gleichwie Hymettisches Wachs an der Sonne weich wird, und dem Drucke des Daumens folgend, mancherlei Gestalten annimmt und durch den Gebrauch nützlich wird. Indem er staunt, der Liebende, schüchtern sich freuet, noch sich zu täuschen fürchtet und wieder und wieder sich mit der Hand von der Erfüllung seiner Wünsche zu überzeugen sucht: Leibt und lebt das Bild, es pochen dem fühlenden Daumen die Adern entgegen! Nun bricht entzückt der Paphische Held in Dankgebete an Venus aus, drückt auf den nunmehr wirklichen Mund seine Lippen, und das Mädchen fühlt den Kuß, erröthet, und indem sie schüchtern ihren Blick zum Lichte aufschlägt, sieht sie mit dem Himmel zugleich ihren Geliebten.«

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gewissermaßen nur die Spitze des Eisbergs.395 Ransmayrs Roman verheißt im Untertitel ein »ovidisches Glossar«, das dem Leser den Vergleich zwischen den Romanfiguren und den Figuren der Metamorphosen ermöglichen soll und ausdrücklich auf von Albrechts Übersetzung basiert. Die Taschenbuchausgabe der Letzten Welt erschien im Fischer Verlag, wo flankierend dann auch Finks Übersetzung in einer preiswerten Ausgabe publiziert wurde. Das kann schlaglichtartig zeigen, wie sich am Ende des 20. und am Beginn des 21. Jahrhunderts diese zwei Übersetzungen auf dem Buchmarkt weitgehend durchgesetzt haben – beide existieren obendrein auch als Hörbücher (aber offenbar – Stand 2014 – nicht als E-Books) – , die jeweils das Prinzip der Wiedergabe in Prosa realisieren und sich damit in die von Wolfgang Schadewaldt gesetzten Paradigmenreihe einer zeitgemäßen Übersetzung antiker Texte einreihen. Die metrischen Übersetzungen sind aus den aktuellen Verlagsverzeichnissen (im Unterschied noch zur Situation in der Mitte des 20. Jahrhunderts) entweder verschwunden (so Rösch und Breitenbach396) oder sind Träger von preisgünstigen Reprints (da das Urheberrecht erloschen ist) oder Ausgaben mit speziellem Zielpublikum (so der Voß’ Übersetzung beigegebene PicassoZyklus im Insel-Taschenbuch für an »schönen« Büchern Interessierte).397 Daneben ist als weiteres Phänomen in den letzten Jahren verstärkt die unausgesprochene Wirkung zu berücksichtigen, die durch die im Internet zugänglichen Übersetzungen (die auch durch Suchmaschinen wie Google besonders leicht gefunden werden) verbreitet wird. Dabei ist weniger an die großen Digitalisierungsprojekte gedacht (zusammengefasst etwa in Google Books oder dem von deutschen Bibliotheken betriebenen Zentralen Verzeichnis digitalisierter Drucke: www.zvdd.de; siehe unten), die aufgrund der Frakturschrift oft kaum oder nur schwer maschinenlesbar und damit auch nicht suchmaschinenfreundlich sind, sondern in HTML (also reine, nur mit Formatauszeichnungen angereicherte Textdateien) umgesetzte historische, gemeinfreie Übersetzungen. So ist etwa die erstmals 1858 erschienene, in überarbeiteten Nachauflagen und Nachdrucken verbreitete Übersetzung von Reinhart Suchier auf der gerade für Schulzwecke oft aufgesuchten Internetseite http://www.gottwein.de/Lat/ov/ovmet 01001.php als gemeinfrei (darin auch derjenigen von Voß vergleichbar) verwendet und hat von da ihren Weg in zahlreiche andere Seiten, auch Diskussionsforen und Blogs gefunden (und wird derzeit auch bei E-Books – etwa für Amazon Kindle – als kostengünstige Alternative genutzt). Wie sich solches Recycling in der weiteren Entwicklung der E-Book-Märkte positionieren wird, ist derzeit noch längst nicht abzusehen.

395 Vgl. Schmitzer (2010). 396 Die einsprachige Reclam-Ausgabe mit der Übersetzung Breitenbachs (letzte Ausgabe 1986) ist noch lieferbar, wird aber (auch in den Buchhandelsregalen) dominiert von der zweisprachigen Ausgabe Michael von Albrechts, die auch nur unwesentlich teurer ist (18,80 € statt 13,80 €, Stand 2012). 397 Suchiers Übersetzung (1858) wurde (in der Bearbeitung von Liselot Huchhausen, zuerst 1968) 1992 im Aufbau-Verlag Berlin nochmals gedruckt und liegt etwa dem Internetprojekt Mutatas dicere formas – Ovidprojekt Berlin/Potsdam (2004/2006) (http://www.telemachos.hu-berlin.de/materialien/ovidprojekt/start/start.html) zugrunde.

Ulrich Schmitzer

Ein noch weniger wirklich zu erfassendes Phänomen, das mit dem Internet aufgekommen ist, ist die Verbreitung von Übersetzungen entweder von Schülern oder für Schüler gedacht, die als unauffällige, also jeden literarischen Anschein vermeidende Hausaufgabenhilfe o. ä. Verbreitung finden und frühere gedruckte, oftmals anonym erschienene (»von einem Schulmanne«) Schülerhilfen weitgehend ersetzt haben.398 Diese Publikationen entziehen sich, wie gesagt, einer genaueren Würdigung, da sie äußerst flüchtig sind, sie seien deshalb hier als Paraphänomen wenigstens genannt, aber nicht weiter erörtert. Wieder ans Licht befördert haben nicht zuletzt die Digitalisierungsprojekte verschiedener Träger eine nicht unbeträchtliche Zahl von fast vergessenen Übersetzungen der Metamorphosen vor allem des 18. Jahrhunderts, die aber in den Kontext der generellen Übersetzungsdiskussionen der Vorklassik gehören und damit das missing link zwischen den Versuchen der Frühen Neuzeit und der Goethezeit bilden. Auch diese Übersetzungen haben – allerdings von der Fachwelt beinahe unbemerkt – ein zweites Leben im Internet gewonnen. Die in den »etablierten« Übersetzungen zu findende deklaratorische Orientierung an Schadewaldts Vorgaben,399 die Michael von Albrecht in seinem Nachwort sogar explizit macht, geht aber nicht einher mit einer durchgehenden Übernahme in die tatsächlichen deutschen Textfassungen. Vielmehr schlagen die Übersetzer auch da, wo eine Übernahme diese Prinzipien problemlos (auch was die deutschen Sprachüblichkeiten betrifft) möglich gewesen wäre, nicht selten eigene Wege ein. Damit erweisen sich die Rekurse auf Schadewaldt nicht selten lediglich als Legitimation für die Wahl der Prosa als sprachliches Medium der Übersetzung. Die Frage nach der dualen Sprachenspezifik, den Kontrasten und Gemeinsamkeiten von Ausgangs- und Zielsprache wird über den Wortschatz hinaus nur selten überhaupt andiskutiert (eine Ausnahme ist Fink [1989]), so dass auch die nicht nur poetisch, sondern vor allem auch inhaltlich bedingten Abweichungen von üblicher Syntax, Satzreihenfolge etc. im lateinischen Original nur sehr selten zu Konsequenzen für die syntaktische Form der deutschen Wiedergabe führen, dass also unausgelotet bleibt, inwieweit gewagte lateinische Fassungen ebenso gewagt im Deutschen wiedergegeben werden können.

398 Aktuell erhältlich ist noch die Metamorphosen-Fassung der Reihe Königs Übersetzungen des BangeVerlags (übersetzt von Iris Rogge) mit dem Untertitel »Wortgetreue Übersetzung« und der Verlagsankündigung: »Deutsche Übersetzungen zu lateinischen Texten drücken sich häufig so gewählt aus, dass man den Originaltext dahinter kaum mehr erkennt. Für den Schulunterricht suchen Schüler deshalb wortgetreue Übersetzungen. Der Band Ovid, Metamorphosen bietet Schülern und Lehrern die wortgetreue deutsche Übersetzung aller 15 Bücher dieses Klassikers im handlichen Format zusammengefasst.« (https://www.bange-shop.de/metamorphosen-3). 399 Vgl. Mindt (2009), 343–349. Eine Beispiel ist zuletzt Holzberg (2012), 95 f., der explizit Schadewaldt nennt, aber von der Beibehaltung der Wortstellung in der Vorlage (nicht der Reihenfolge der Vorstellungen) spricht.

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Hinzu kommt, dass (noch immer) keine wirkliche Diskussion über die Leistungen von und Erwartungen an Übersetzungen in Gang gekommen ist.400 Die Theoriediskussion ist weitgehend eingeschlafen, der Anschluss an Textlinguistik und Übersetzungstheorie ist nicht vollzogen worden, trotz mancher Ansätze in früheren Jahrzehnten. Eine öffentliche Debatte hat nur die Ilias-Übersetzung von Raoul Schrott401 (und in geringerem Umfang Christoph Martin)402 ausgelöst, also – wie schon in den letzten mehr als zwei Jahrhunderten – die Übersetzungen griechischer Texte. Während Ovids Metamorphosen ein wahrlich neuartiges dichterisches Unterfangen war, angekündigt schon mit den ersten beiden Worten des Proömiums in nova, das auch keinen tatsächlichen Nachfolger fand, sind die Metamorphosen-Übersetzungen aufs Ganze gesehen viel weniger wagemutig, sondern ziehen sich auf die Vermittlung des stofflichen Gehalts zurück. Eine ästhetische Aneignung der Metamorphosen und eine Integration in den poetischen Diskurs der eigenen Zeit, wie sie schon Albrecht von Halberstadt versucht hatte, steht nicht mehr auf der Agenda der MetamorphosenÜbersetzungen.403

Literaturverzeichnis404 Editionen (chronologisch) Metamorphoseon Libri XV, ed. Io. Georgius Walchius, Leipzig 1714. Opera quæ extant, 5 vols., Londini 1745. Opera omnia: Metamorphoseon libri XV e recensione N. Heinsii, Lipsiae 1758. Metamorphoseon libri XV oder Bücher der Verwandelungen. Mit teutschen Anmerkungen, Nürnberg 1759. Metamorphoses, ed. Gottlieb Ermann Gierig, Lipsiae 1804–1807. Metamorphoseon libri XV mit kritischen und erläuternden Anmerkungen von E. C. Chr. Bach, Hannover 1831–1836.

400 Vgl. für diesen Befund die Dokumente in Kitzbichler/Lubitz/Mindt (2009a). Es steht zu hoffen, dass der Beitrag von Poiss et al. (in diesem Band) neue Impulse auch außerhalb des Sonderforschungsbereichs »Transformationen der Antike« bewirkt. 401 Schrott (2009); vgl. die höchst umfangreiche, aber monomanische Rezension von Dräger (2009). 402 Vgl. Janka (2010). 403 Es wäre allenfalls auf Christoph Ransmayrs Neumontage der Metamorphosen und die dem Roman vorausgehenden quasi-übersetzerischen Vorarbeiten zu verweisen, vgl. Schmitzer (2001a). 404 Vgl. auch (für Ausgaben und Nachdrucke seit 1979) den Unesco-Index translationum (http://www. unesco.org/xtrans/). Die Bibliographie enthält auch Texte und Übersetzungen, die ich nicht einsehen konnte (mit non vidi gekennzeichnet), die aber wenigstens genannt werden sollen, um spätere Recherchen zu erleichtern, wenn etwa die Digitalisierungen historischer Bestände noch weiter voranschreiten.

Ulrich Schmitzer

Metamorphoseon libri XV. recensuit, varias scripturas omnium codicum adhoc collatorum et vetustissimarum editionum apposuit, commentariis instruxit, praefatus est et indicem addidit Vitus Loers, Leipzig 1843. Metamorphosen libri XV, rec. Hugo Magnus, Berlin 1914. Metamorphoses, ed. W. S. Anderson, Stuttgart/Leipzig 51993 (1. Auflage: 1977; 9. Aufl., München et al. 2001 [im Abschnitt 5.1 verwendet]). Metamorphoses, rec. R. J. Tarrant, Oxford 2004. Kommentare (chronologisch) Regio, Raffaele, In metamorphosin enarrationes I (libri I–IV) [1493], a cura di Matteo Benedetti, Firenze 2008. Bersuire, Pierre, Metamorphosis Ovidiana moraliter […] explanata. Introductory Notes by Stephen Orgel, Paris 1509, (Reprint) New York/London 1979. Spreng, Johann, Metamorphoses Ovidii, Argumentis quidem soluta oratione; Enarrationibus autem & allegoriis Elegiaco versu accuratissime expositae summaque; diligentia ac studio illustratae per M. Joh. Sprengium Augustan., Augsburg 1563 (Onlinefassung: http://www.mdz-nbn-resolving.de/urn/resolver.pl?urn=urn:nbn: de:bvb:12-bsb11088660-5). Sabinus, Georg, Fabularum poeticarum P. Ovidii metamorphosi descriptarum interpretatio ethica physica & historica Autore G. S., [Heidelberg] 1606. Gonet, Jean-Baptiste, Clypeus theologiae thomisticae, Bd. 2, 3. Aufl., Berlin/Bordeaux 1669. de Boyer d’Argens, Jean Baptiste, Réflexions historiques et critiques sur le goût et sur les ouvrages des principaux auteurs anciens et modernes, Berlin 1743. Bömer, Franz, P. Ovidius Naso, Metamorphosen. Kommentar von F. B., Bd. 1–8,1, Heidelberg 1969–2006. Barchiesi, Alessandro/Rosati, Gianpero (Hgg.), Ovidio, Metamorfosi Volume I, libri I– II. A cura di A. B. e G. R., traduzione di Ludovica Koch, Milano 2004. Barchiesi, Alessandro/Rosati, Gianpiero, Ovidio, Metamorfosi Volume II, libri III–IV. A cura di A. B. e G. R., traduzione di Ludovica Koch, Milano 2007. Rosati, Gianpiero, Ovidio, Metamorfosi Volume III, libri V–VI. A cura di G. R., traduzione di Gioachino Chiarini, Milano 2009. Kenney, Edward J., Ovidio, Metamorfosi. Volume IV, libri VII–IX. A cura di E. J. K., traduzione di Gioachino Chiarini, Milano 2011. Reed, Joseph D., Ovidio, Metamorfosi. Volume V, libri X–XII. A cura di J. D. R., traduzione di Gioachino Chiarini, Milano 2013. Übersetzungen (chronologisch) Capellanus, Andreas/Hartlieb, Johannes, Das buoch Ovidy von der liebe zu erwerben. auch die liebe ze verschmehen, Augsburg 1482. (Rössig 1997, Nr. 19).

Ovids Verwandlungen verteutscht

de Bonsignori, Giovanni, Ovidio Metamorphoseos vulgare, mit Kommentar und Nachwort aus dem Lateinischen übersetzt von G. de B., Venedig 1497 (Onlinefassung: http://nbn-resolving.de/urn/resolver.pl?urn=urn:nbn:de:bvb:12-bsb00049624-0). Halberstadt, M. Albrechten von, P. Ovidij Nasonis, des aller sinnreichsten Poeten Metamorphosis,das ist von der wunderbarlicher Verenderung der Gestalten der Menschen, Thier, und andere Creaturen etc. Jederman lüstlich, besonder aber allen Malern, Bildthauwern, und dergleichen allen künstnern nützlich, von wegen der ertigen Invention und Tichtung. Etwan durch den Wolgelerten M. Al. v. H. inn Reime weiß verteutscht. Jetz erstlich gebessert und mit Figuren der Fabeln gezirt durch Georg Wickram zu Colmar etc. EPIMYTHIUM. Das ist, Der lüstigen Fabeln des obgemelts buchs Auslegung, jederman kurzweilig, vornemlich aber allen Liebhabern der Edeln Poesie stadtlich zu lesen Gerhardi Lorichii Hadamarii (Mainz 1545 [21551]). (Rössig 1997, Nr. 166). Posthius, Johannes, P. G. Tetrasticha in Ovidii Metam. lib. XV. qvibus accesserunt Vergilij Solis figurae elegantiss. & iam primùm in lucem editae. Schöne Figuren auss dem fürtrefflichen Poeten Ouidio, allen Malern, Goldtschmiden, und Bildthauwern, zu nutz unnd gutem mit fleiss gerissen durch Vergilium Solis, unnd mit Teutschen Reimen kürtzlich erkläret, dergleichen vormals im Truck nie außgegangen, Durch Joh. Posthium von Germerßheim Frankfurt a. M. 1563 (Onlinefassung: http://nbnresolving.de/urn:nbn:de:0128-1-20392). Spreng, M. Johann, P. Ovidii Nasonis deß Sinnreichen und hochverstendigen Poeten Metamorphoses oder Verwandlung mit schönen Figuren gezieret auch kurtzen Argumenten und außlegungen erkläret und in Teutsche Reymen gebracht Durch M. Johan Spreng von Augspurg, Frankfurt 1564. (Rössig 1997, Nr. 206). Dall’Anguillara, Giovanni Andrea, Le Metamorfosi di Ovidio. Ridotte da Gio. A. dall’A. in ottava rima, con l’annotationi die Gioseppe Horologgi, et con gli argomenti di Francesco Turchi, 2. Aufl., Venedig 1587. Metzger, Ambrosius, Metamorphosis Ovidij in Meisterthöne gebracht, hg. v. Hartmut Kugler, Berlin 1981. de Benserade, Isaac, Metamorphoses D’Ovide En Rondeaux. In Zwey hundert und sechs und zwanzig zweyreimichten nemlich acht- und fünf-bündigen Rund-Gedichten Oder Rondeaux, Nürnberg 1689 (Onlinefassung: http://resolver.sub.uni-goettingen.de/purl?PPN740800779). Baur, Johann Wilhelm, Ovidii Metamorphosis oder Verwandelungs-Bücher; Bellissimum Ovidii Theatrum seu: pulcherrimae P. Ovidii Nasonis poetae admodum ingeniosi (qui, teste Hieronymo Wolfio, tanquam Mosis discipulus, de mundi creatione cecinit) historiae; hundert und fünfzig neüe Kunstreiche Kupffer-Bildungen aus des zwar Heidnischen, aber Sinnreichen Poeten Ovidij Fünfzehn Büchern von seltzamer verwandelung der gestalten…mit teutschen Reimen öffentlich herausgegeben Durch den Kunstberühmten Joh. W. Baur inventirt und Durch Abraham Aubry in Kuppfer gestochen, Nürnberg 1703. Schmidt, Johann Georg, P. Ovidii Nasonis XV. Bücher der Verwandlungen In das Teutsche übersetzt Dergestalt Daß die in denselben vorkommende Gemüths=Reden der Götter Göttinnen Helden ec Meistens in Reimen Die übrigen Erzehlungen aber in

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ungebundener Rede vorgetragen werden … von Joh. G. S., Straßburg 1712. (Rössig 1997, Nr. 496). Sedlezki, J. B., Ovids Verwandlungen aus dem Lateinischen übersetzt von J. B. S., Augsburg/Leipzig 1763. Lindner, Johann Gottlieb, Lehrreicher Zeitvertreib in Ovidianischen Verwandlungen, Leipzig 1764 (Onlinefassung: http://www.mdz-nbn-resolving.de/urn/resolver. pl?urn=urn:nbn:de:bvb:12-bsb10242251-0). Safft, Johann Samuel, Ovids Verwandlungen ins Deutsche übersetzt und mit Anmerkungen hg. v. Joh. S. S., Berlin 1766. Haymann, Christoph Johann Gottfried, Versuch einer poetischen Uebersetzung eines Theils der zwey ersten Buecher Ovids von den Verwandlungen, gewagt und mit Anmerk. versehen von Chr. Joh. G. H., der Annen-Schule zu Dresden Rectorn …, Dresden 1772. (Non vidi). Bürger, Gottfried August, Dido, Ein episches Gedicht, aus Virgils Äneis gezogen (1777), in: Bürger’s sämmtliche Werke, hg. v. August Wilhelm Bohtz, Göttingen 1835 (Onlinefassung: https://books.google.de/books/download/B%C3%BCrgers_ s%C3%A4mmtliche_Werke_hrsg_von_Augu.pdf ). Bremer, Johann Christoph, Verwandlungen aus dem Ovid, Leipzig 1781 (Onlinefassung: http://resolver.staatsbibliothek-berlin.de/SBB000032DA00000000). (Rössig 1997, Nr. 1067). *** , Ferdinand, Ovids Verwandlungen, Fünfzehn Bücher, Frey übersetzt von F. ***, o. O. 1786. (Rössig 1997, Nr. 1155) Schlüter, Johann Georg Karl, Ovids Verwandlungen, metrisch übersetzt von Joh. G. K. Schlüter, Leipzig 1786. Krome, F. W., Verwandlungen, metrisch übersetzt, Dresden 1789. (Non vidi: Rössig 1997, Nr. 1232; offenbar nur vorhanden in der Bibliothek des Kaiser-KarlsGymnasium Aachen, lt. KVK). Voß, Johann Heinrich, Publii Virgilii Maronis Georgicon libri quattuor, Publius Virgilius Maro Landbau, vier Gesänge, übersetzt und erklärt von Joh. H. V., Eutin/Hamburg 1789. Starcke, Gotthelf Wilhelm Christoph, Gedanken über die Übersetzung griechischer Dichter, nebst einzelnen Gedichten des Ovid, Mimnermus, Theognis, Pindar, Bacchylides und Simonides, (Schulprogramm) Bernburg 1790. Schiller, Friedrich, Dido, Freie Uebersetzung des vierten Buches der Aeneide (1791), in: Supplemente zu Schillers Werken, aus seinem Nachlaß im Einverständnis und unter Mitwirkung der Familie Schillers, Erste Abtheilung: Nachlese und Variantensammlung, hg. v. Karl Hoffmeister, Stuttgart/Tübingen 1840 (Onlinefassung: https:// books.google.de/books/download/Supplemente_zu_Schillers_Werken_Aus_sein.pdf ). Holzbirn, Amalgund, Verwandelte ovidische Verwandlungen, Ad modum Blumauerii, Mit Anmerkungen, Erstes Buch, Stuttgart 1790, Zweytes und drittes Buch 1791. Holzbirn, Amalgundus, Des weiland wohlbestellt römischen Hofpoeten Publius Ovidius Naso Metamorphos, das ist, Verwandlungen, mit aecht französischer Freyheit übersetzt, und dabey von allen Obscönitaeten sorgsam laxirt und purgirt durch A. H., dermahligen Rector des Gymnasii zu Novazembla, Erstes Buch, Hamburg 1792

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(Onlinefassung: http://www.mdz-nbn-resolving.de/urn/resolver.pl?urn=urn:nbn: de:bvb:12-bsb10111520-0). Schlüter, J. G. Carl, P. Ovids Naso’s Kunst zu lieben. Ein Gedicht in drey Gesängen, metrisch übersetzt von J. G. C. S., Leipzig 1793. Heynemann, [Simon], Des P. Ovidius Naso Verwandlungen, übersetzt von [S.] H., Frankfurt a. M. 1797. Voß, Johann Heinrich, Verwandlungen nach Publius Ovidius Naso von Joh. H. V., 2 Bde., Berlin 1798. (Rössig 1997, Nr. 1907) Rösch, Franz Nikolaus, Versuch einer metrischen Übersetzung der Stelle aus Ovids Verwandungen L. XV. v. 746–870 Nebst kritischer Beleuchtung der vorzüglichsten abweichenden Lesearten, (Schulprogramm) Würzburg 1816. Hindenberg, Karl Wilhelm, Eine metrische Übersetzung der 2. Elegie des 1. Buches der Klagen des Ovidius, nebst einem Vorwort, (Schulprogramm) Heiligenstadt 1826. Pfitz, Heinrich Christian, Die Klaglieder des Publius Ovidius Naso. Übersetzt und erläutert von H. Chr. P., München 1826. Schreiber, Gottfried Adolf, Versuch einer metrischen Übersetzung des 2. Buches von Ovids Klageliedern, (Schulprogramm) Mühlhausen/Thüringen 1828. Helm, Johann Martin, Drei Elegien des Publius Ovidius Naso in metrischer deutscher Übersetzung mit dem Urtexte, (Schulprogramm) Mannheim 1829. Krieger, Johann Peter, Die Trennung, Drittes Lied aus dem ersten Buche der Klagegesänge des P. Ovidius Naso. Metrische Übersetzung, mit Bemerkungen, vorzüglich über die Feststellung des mit abgedruckten Grundtextes, (Schulprogramm) Zweibrücken 1829. Pfitz, Heinrich Christian, Publius Ovidius Naso’s Werke, Verwandlungen, übersetzt von H. Chr. P., Bdch. 1–5, Stuttgart 1833. Blumauer, Aloys, Aloys Blumauer’s gesammelte Werke. Einzig vollstandige und rechtmassige, mit den Gesetzen des Deutschen Bundes conforme, neueste Gesammtausg., Stuttgart 1840. Borscht, Joseph, Das zweite Buch der Metamorphosen des Publius Ovidius Naso metrisch übersetzt, (Schulprogramm) Speyer 1850. Suchier, Reinhart, Kritisches zu Ovid nebst Proben einer Übersetzung des Werkes von R. S., (Schulprogramm) Hanau 1853. Lindemann, Heinrich, P. Nasonis Opera, Ovids Werke. Berichtigt, übersetzt und erklärt von H. L., Leipzig 1853–1867. (Erster Theil: Die Verwandlungen Buch 1–5 1853; Zweiter Theil: Die Verwandlungen Buch 6–10 1854; Dritter Theil: Die Verwandlungen Buch 11–15 1856; Vierter Theil: Liebesergüsse 1859; Fünfter Theil: Die Liebeskunst; Die Heilmittel der Liebe; Die Schönheitsmittel 1861; Sechster Theil: Die Heroiden 1867). (Nicht bei Rössig 1997). Klussmann, Ernst, Proben eine Übersetzung des Ovidschen Festkalenders, (Schulprogramm) Rudolstadt 1855. Schönke, K. A., Die Sagenwelt der Alten. Für die Jugend bearbeitet von K. A. S., Berlin 1856. (In den darauffolgenden Auflagen veröffentlicht unter dem Titel: K. A. Schönke, Die Sagenwelt der Alten. Ein Lesebuch aus Ovid für die Jugend, 3. Aufl., durchgesehen von Dr. H. Clodius, Direktor, Berlin 1908.)

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Fertig, Michael, Proben einer Übersetzung von Ovid’s Metamorphosen, (Schulprogramm) Landshut 1857. Fertig, Michael, Drei der schönsten Stellen aus den Metamorphosen Ovid’s, (Schulprogramm) Landshut 1861. Suchier, Reinhart, Ovids Metamorphosen, übersetzt und erläutert von R. S., 3 Bde., 2. Aufl., Stuttgart 1868 (Onlinefassung: http://www.mdz-nbn-resolving.de/urn/ resolver.pl?urn=urn:nbn:de:bvb:12-bsb10702378-7/ sowie http://www.mdz-nbnresolving.de/urn/resolver.pl?urn=urn:nbn:de:bvb:12-bsb10702379-8). (1. Aufl. 1858; Rössig 1997, Nr. 2839). Reinlein, Pius, Der Niobe-Mythus nach Ovid übersetzt und erklärt, (Schulprogramm) Augusburg 1871. Meichelt, Heinrich, Probe einer Ovid-Übersetzung, (Schulprogramm) Offenburg 1882. Thiele, Karl, Übersetzungen aus Ovid in achtzeiligen jambischen Strophen mit Anmerkungen, (Schulprogramm) Sondershausen 1882. Thiele, Karl, Übersetzungen aus Ovid in Stanzen mit Anmerkungen, (Schulprogramm) Sondershausen 1887. Koch, Alwin, Des Publius Ovidius Naso Briefe der Heroiden. 1–9. metrisch übersetzt, (Schulprogramm) Frankenthal 1888. Zwirnmann, Robert, Ovids Verwandlungen, übersetzt von R. Z., Gotha 1895. (non vidi, nicht bei Rössig 1997). Hamelbeck, Wilhelm, Ovids Verwandlungen in deutsche Hexameter übertragen von W. H., Mülheim a. Rhein 1896–1897. (Non vidi; nicht bei Rössig 1997). Bulle, Constantin, Ovids Verwandlungen, in Stanzen übersetzt von C. B., Bremen 1898. (Nicht bei Rössig 1997). Altendorf, Otto, Proben aus einer Ovidübersetzung, (Schulprogramm) Gießen 1903. John, Oskar, Proben aus Ovids Ars amandi und Amores, in Stanzen übersetzt, (Schulprogramm) Königshütte 1904. Stählin, Otto, Des Clemens von Alexandreia ausgewählte Schriften, aus dem Griechischen übersetzt von O. S., 2 Bde., München 1934. von Scheffer, Thassilo, Ovid, Metamorphosen, verdeutscht von T. v. S., Wiesbaden 1948. (Rössig 1997, Nr. 7918). Kindt, Karl, Märchen und Mythen Ovids, Berlin 1949. Rösch, Erich, Ovid, Metamorphosen, übersetzt von E. R., München 1952. (Nicht bei Rössig 1997). Breitenbach, Hermann, Ovid, Metamorphosen, Epos in 15 Büchern, übersetzt und hg. v. H. B., mit einer Einleitung von L. P. Wilkinson, Zürich/Stuttgart 1958. (Rössig 1997, Nr. 9543). Rode, August, Apulejus, Der goldene Esel, übertr. von A. R., hg. v. Horst Rüdiger, Zürich 1960. von Albrecht, Michael, Ovid, Metamorphosen, in deutsche Prosa übertragen von M. v. A., München 1981. (Rössig 1997, Nr. 14213). von Rode, August, Ovid, Metamorphosen. Das Buch der Mythen und Verwandlungen. nach der ersten deutschen Prosaübersetzung durch A. v. R. neu übersetzt und hg. v. Gerhard Fink, Zürich/München 1989. (Rössig 1997, Nr. 16224).

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von Rode, August, Ovid, Metamorphosen. Das Buch der Mythen und Verwandlungen, nach der ersten deutschen Prosaübersetzung durch A. v. R. neu übersetzt und herausgegeben von Gerhard Fink, Düsseldorf/Zürich 2001. Kindt, Karl, Märchen und Mythen Ovids, Berlin 1949. Rode, August, Apulejus, Der goldene Esel, übertr. von A. R., hg. v. Horst Rüdiger, Zürich 1960. Holzberg, Niklas, Liebesgedichte der Antike, hg. v. Ulla Hahn, Auswahl, Übersetzung und Nachwort von N. H., Stuttgart 2012. von Albrecht, Michael, Ovid, Metamorphosen, lateinisch-deutsch, übersetzt von M. v. A., Ditzingen 2010. Andere Quellenschriften (chronologisch) Opitz, Martin, Prosodia Germanica, Oder Buch von der Deutschen Poeterey: Jn welchen alle ihre Eigenschafft und Zugehör gründlich erzählet, und mit Exempeln ausgeführet wird, Breslau 1624 (zitiert nach der Ausgabe 1690). Buchner, August, August Buchners kurzer Weg-Weiser zur Deutschen Tichtkunst, aus ezzlichen Exemplarien ergänzet, mit einem Register vermehret und auff vielfältiges Ansuchen der Studierenden izo erstmalig hervorgegeben durch M. Georg Götzen, Jena 1663. Gonet, Jean-Baptiste, Clypeus theologiae Thomisticae, Paris 1669. von Birken, Sigmund, Teutsche Redebind- und Dicht-Kunst, oder Kurze Anweisung zur Teutschen Poesy mit Geistlichen Exempeln: Samt dem Schauspiel Psyche und Einem Hirten-Gedichte, Nürnberg 1679. de Boyer d’Argens, Jean-Baptiste, Réflexions historiques et critiques sur le goût et sur les ouvrages des principaux auteurs anciens et modernes, Berlin 1743. von Goethe, Johann Wolfgang, Sämtliche Werke nach Epochen seines Schaffens, hg. v. K. Richter, München 1985–1998 (MA). Norden, Eduard, P. Vergilius Maro: Aeneis Buch VI, Leipzig 1927. Winckelmann, Johann Joachim, Geschichte der Kunst des Alterthums, hg. v. Heinrich Meyer u. Johann Schulze, 4 Bde., Dresden 1809–1815 (= Winckelmanns Werke, Bd. 3–6). Scheller, Immanuel Johann Gerhard/Lünnemann, Heinrich Georg, Lateinisch-deutsches und deutsch-lateinisches Handlexicon vornehmlich für Schulen, 4. Aufl., Leipzig 1807. Sekundärliteratur von Albrecht, Michael, Die Parenthese in Ovids Metamorphosen und ihre dichterische Funktion, Hildesheim 1963 (= Diss., Tübingen 1959).

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von Albrecht, Michael, »Zur Funktion der Tempora in Ovids elegischer Erzählung«, in: Ovid, hg. v. Michael von Albrecht/Ernst Zinn, Darmstadt 1968 (= Wege der Forschung, 92), 451–467. von Albrecht, Michael, »Zu Vergils Erzähltechnik. Beobachtungen zum Tempusgebrauch in der Aeneis«, in: Glotta 48 (1970), 219–229. von Albrecht, Michael, »Mythos und römische Realität in Ovids ›Metamorphosen‹«, in: ANRW II.31.4 (1981) 2328–2342. von Albrecht, Michael, »Chancen und Grenzen des Übersetzens. Dankrede«, in: Jahrbuch der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, Göttingen 2004, 45– 50. Anemüller, Bernhard, »Lindner, Johann Gottlieb«, in: ADB 18 (1883), 705 f. (Onlinefassung: http://www.deutsche-biographie.de/sfz51630.html). Auhagen, Ulrike, »Vergilischer als Vergil? Zu Schillers Nachdichtung des vierten Buches der Aeneis«, in: Würzburger Jahrbücher N. F. 34 (2010), 209–230. Aurnhammer, Achim/Martin, Dieter (Hgg.), Mythos Pygmalion. Texte von Ovid bis John Updike, Leipzig 2003. Bachleitner, Norbert, »Der Übersetzungsbetrieb des 18. und 19. Jahrhunderts in soziologischer Sicht«, in: Harbsmeier/Kitzbichler/Lubitz/Mindt (2008), 103–117. Baillot, Anne/Fantino, Enrica/Kitzbichler, Josefine (Hgg.), Voß’ Übersetzungssprache. Voraussetzungen, Kontexte, Folgen, Berlin 2014. Baro, Christine, »Wenn Göttergatten Jungfrauen bezirzen. Erotik und ihre Folgen in der moralisierenden Mythenrezeption bei Hans Sachs«, in: Simpliciana, Schriften der Grimmelshausen-Gesellschaft 31 (2009), 377–397. Bartsch, Karl, Albrecht von Halberstadt und Ovid im Mittelalter, Quedlinburg/Leipzig 1861. Bartsch, Tatjana/Becker, Marcus/Bredekamp, Horst/Schreiter, Charlotte (Hgg.), Das Originale der Kopie. Kopien als Produkte und Medien der Transformation von Antike, Berlin 2010 (= Transformationen der Antike, 17). Bartoněk, Antonín, A Comparative Graeco-Latin Sentence Syntax within the European Context, München 2010 (= Lincom Studies in Indo-European Linguistics, 37). Baumbach, Manuel, »Lehrer oder Gelehrter? Der Schulmann in der Altertumswissenschaft des 19. und frühen 20. Jahrhunderts«, in: Most (2002), 115–141. Behmenburg, Lena, »dieweil ir swester was sein weib. Zur Bedrohung der familiären Ordnung in Georg Wickrams Philomela«, in: Müller/Mecklenburg (2007), 135– 146. Behmenburg, Lena, Philomela. Metamorphosen eines Mythos in der deutschen und französischen Literatur des Mittelalters, Berlin 2009. Benz, Richard, Wandel des Bildes der Antike in Deutschland. Ein geistesgeschichtlicher Überblick, München 1948. Binder, Hermann, »Schiller und Virgil«, in: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 24 (1950), 101–128. Boeckh, August, Encyklopädie und Methodologie der philologischen Wissenschaften, Leipzig 21886.

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Ovids Verwandlungen verteutscht

Wilpert von, Gero (Hg.), Sachwörterbuch der Literatur, 7. verb. und erw. Aufl., Stuttgart 1989. Ziolkowski, Theodore, Ovid and the Moderns, Ithaca/New York 2005.

Abstract: »Des Ovids Verwandlungen verteutscht.« Translations of the Metamorphoses since the Middle Ages and the Early Modern Period The Metamorphoses of Publius Ovidius Naso (43 BC–AD 17/18) is among the earliest non-Christian texts from antiquity to be translated into German. Beginning with Albrecht of Halberstadt (around 1200), they can be studied across more than 800 years of translation history. In doing so, it is possible to compare how differently the Middle Ages, Humanism, the Baroque period, and the Enlightenment dealt with the same textual corpus; how, and to what extent, the classicizing model of translation, developed through Greek texts, could be adapted to Latin texts; what the consequences were of reducing the Metamorphoses’ reception to elementary school readingmaterial in the 19th and 20th centuries; and, finally, what the effects have been of the cultural rediscovery of Ovid in the past few decades. This will be worked out diachronically in passages from the prooemium, the story of Pyramus and Thisbe, and the Pygmalion story.

Die Freigelassenengespräche der Cena Trimalchionis Deutschsprachige Petron-Übersetzungen vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart* ANTONIA RENZ 1. Einleitung Als im Jahr 1804 ein anonymer Nachdruck von Adolf Gröningers Übersetzung des Satyricon (zuerst 1796) erschien, hieß es in einer Kritik der Allgemeinen LiteraturZeitung: Der ungenannte Uebersetzer hat, soviel man aus der Arbeit selbst erkennt – denn sie tritt ohne Vorrede und andere Zugabe auf – , ohne Zweifel die Absicht gehegt, die neuern Grundsätze der Uebersetzungskunst auch auf den Petron anzuwenden. Mit Verzichtleistung auf genialische Freyheiten, wie sich Heinse erlaubt hielt, drängt er sich nach Kräften an das Original, und strebt, auch Latinismen nicht sparend, nach einem antiken Kolorit, woraus auch wohl bisweilen entstand, dass, was in dem lateinischen Werke dunkel ist, hier unverständlich, und vieles Klare hier dunkel wurde. Denn dass die Auffassung einzelner Grundsätze zur Hervorbringung eines lobenswerten Ganzen nicht hinreicht, zeigt diese Arbeit von einem Ende bis zum andern.1

Gegen Ende des 18. Jahrhunderts hatte sich allmählich ein übersetzungstheoretischer Paradigmenwechsel vollzogen: von der adaptierenden Übersetzung zu einer dem Ausgangstext angenäherten Übersetzungsmethode.2 Verhaftet im aufklärerischen Denken seiner Zeit, forderte noch der Leipziger Johann Christoph Gottsched (1736), dass eine Übersetzung vorrangig Rücksicht auf den deutschen Leser nehmen müsse und daher stilistische Unterschiede eingeebnet werden sollten, und formulierte als Hauptregel, dass der Übersetzer sich bemühen solle, »nicht so wohl alle Worte, als vielmehr den rechten Sinn, und die völlige Meynung eines jeden Satzes, den man übersetzet, wohl auszudrücken.«3 Eine Übersetzungspraxis, die den Gewohnheiten der fremden Spra*

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Der folgende Beitrag wurde von Antonia Renz vor ihrer schweren Erkrankung und dem dadurch bedingten vorzeitigen Ausscheiden aus dem Projekt (31.5.2011) verfasst. Der Text blieb inhaltlich unverändert und wurde nur auf offensichtliche Versehen hin überprüft. Allgemeine Literatur-Zeitung (1807), Bd. 2, 69. Vgl. hierzu u. a. Häntzschel (1977), 16 ff.; Kitzbichler/Lubitz/Mindt (2009), 17 f.; Fantino (2012). Zu Gottsched, Bodmer und Breitinger vgl. auch die (ungedruckte) Dissertation von Johann Martin Thesz (2014). Gottsched, Von den Uebersetzungen (1739), 394.

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che folgt, verderbe die eigene Sprache und wird daher als schlecht und mangelhaft abgelehnt. Eine Übersetzung hat nach Gottsched also zu leisten, »das fremde Original bruchlos in die deutsche Sprache zu überführen«4, das bedeutet, den Ausgangstext zu verbessern: und zwar durch Zusätze oder Auslassungen, durch Umgestaltung der Syntax und Wortfolge, durch Umwandlung von langen Sätzen in mehrere kurze Sätze oder – wie im Falle Petrons – durch Zusammenfügen mehrerer kurzer Sätze zu einem langen Satz usw. In Abgrenzung zu dieser adaptierenden Übersetzungsmethode richteten die Schweizer Johann Jakob Bodmer und Johann Jakob Breitinger (1740) ihr Augenmerk auf die Autonomie und individuellen Züge eines fremdsprachigen Werkes, die in einer Übersetzung bewahrt werden sollten, sofern sie die deutsche Sprache bereichern könnten. Allerdings fand diese stärker am Original orientierte Übersetzungsmethode vorerst noch keinen Zuspruch, weiterhin maßgeblich blieben die Grundsätze Gottscheds. Der von Bodmer und Breitinger eingeschlagene Weg fand erst in Herder (1767) seine Fortsetzung, der im Übersetzer ein »schöpferisches Genie«5 sah und von demselben eine transparente Vermittlung des Originalwerkes verlangte: das heißt die Bewahrung aller Fremdheiten der Ausgangssprache. Es sollte allerdings noch fast zwanzig Jahre dauern, bis ein Übersetzer diese theoretischen Überlegungen in die Praxis umsetzte: Es war Johann Heinrich Voß, der mit seiner Homer-Übersetzung (1781 Odüssee; 1793 Homers Werke) das Ende der adaptierenden Übersetzungsmethode einläutete und als Initiator der Etablierung einer ausgangssprachenorientierten Übersetzungsmethode angesehen werden kann. Auch wenn der eingangs zitierte Rezensent der Allgemeinen Literatur-Zeitung, offensichtlich kein Freund und Befürworter der neuen Übersetzungsmethode, mit dem anonymen Petron-Übersetzer des Jahres 1804 zu hart ins Gericht geht, weil dessen Übersetzung durchaus nicht so dunkel ist, wie er behauptet, bringt seine Kritik die Sache doch auf den Punkt: Eine Übersetzung des Satyricon, insbesondere der Cena Trimalchionis mit ihren stark umgangssprachlichen Freigelassenengesprächen voller Idiotismen und Redensarten, wird an vielen Stellen erst dann im Deutschen verständlich, wenn sie sich vom Ausgangstext löst und nicht eine rein ausgangssprachenorientierte Darstellung desselben anstrebt. Tatsächlich scheinen für die Übersetzer, die auf Gröningers Fassung von 1804 folgten, übersetzungstheoretische Erwägungen bei der Übertragung der Reden der Freigelassenen kaum eine Rolle gespielt zu haben.6 4 5

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Häntzschel (1977), 17. Herder, Ueber die neuere Deutsche Litteratur (1767), 274: »[…] der Uebersetzer muß selbst ein schöpferisches Genie seyn, wenn er hier seinem Original und seiner Sprache ein Genüge thun will […]«. Nur zwei Übersetzungen des Satyricon fallen vor bzw. in die Zeit des übersetzungstheoretischen Umbruchs. Der Verfasser der einen war zu sehr Dichter, als dass er sich um irgendwelche theoretischen Grundsätze gekümmert hätte: Wilhelm Heinse, der spätere Autor des Ardinghello. Heinse spricht nach Herausgabe seiner Petron-Übersetzung in einem Brief an Schmidt ironisch-verächtlich von dem »Theorieenschmidt[s]«(vgl. dazu Heinse, An Schmidt, 16.7.1773, in: Schüddekopf [1904], 142). Zur ersten deutschen Petron-Übersetzung, einer Teilübersetzung der Cena Trimalchionis, aus

Die Freigelassenengespräche der Cena Trimalchionis

Die deutschsprachigen Übersetzungen der Freigelassenengespräche der Cena Trimalchionis seit dem übersetzungstheoretischen Paradigmenwechsel entziehen sich auf die für Übersetzungen umgangssprachlicher Diktion so eigentümliche Weise einer generellen Einordnung in übersetzungstheoretische Strömungen. Mit summarischen Bezeichnungen wie »transponierend« oder »ausgangssprachenorientiert« für die gesamte Übersetzung kommt man hier nicht weit. Denn während die eine Stelle desselben Textes ausgangssprachenorientiert übersetzt werden kann, muss eine andere transponierend dargestellt werden, da andernfalls im Deutschen nicht nur der Sinn, sondern oft auch Atmosphäre und Tonfall des Satzes verloren gehen. »Wirkungsäquivalenz« ist das Zauberwort, das schon früh, fast schon von Beginn der Geschichte der deutschen Petronübersetzung an, über vielen Übertragungen des Satyricon schwebte – einmal mehr, einmal weniger konsequent und erfolgreich umgesetzt. Friedrich Nietzsche umschrieb im Jahr 1895 s Problemfeld, das von der Formel »Wirkungsäquivalenz« überbrückt werden soll, wie folgt: Was sich am schlechtesten aus einer Sprache in eine andere übersetzen lässt, ist das tempo ihres Stils […] Es giebt ehrlich gemeinte Übersetzungen, die beinahe Fälschungen sind, als unfreiwillige Verallgemeinerungen des Originals, bloss weil sein tapferes und lustiges tempo nicht mit übersetzt werden konnte […] Der Deutsche ist beinahe des Presto in seiner Sprache unfähig […] So gut ihm der Buffo und der Satyr fremd ist, in Leib und Gewissen, so gut ist ihm Aristophanes und Petronius unübersetzbar. […] Wer endlich dürfte gar eine deutsche Übersetzung des Petronius wagen, der mehr als irgendein grosser Musiker bisher der Meister des Presto ist, in Erfindung, Einfällen, Worten […]?7

Bevor untersucht werden soll, ob und wie die deutschsprachigen Übersetzer sich dem Presto der Cena Trimalchionis im Einzelnen und im Laufe der Übersetzungsgeschichte angenähert haben, müssen zunächst die Besonderheiten der Sprache der Freigelassenen Petrons erläutert werden.

2. Die Sprache der Freigelassenen8 Die Cena Trimalchionis bildet die Mitte und das Hauptstück der erhaltenen Fragmente des Satyricon. Sie spielt, ebenso wie die Gesamthandlung des Romans, in Unteritalien, der Magna Graecia, wohl etwa zur Zeit Petrons selbst (ca. 60 n. Chr.). Der Erzähler und Held des Satyricon ist Encolpius, ein gebildeter junger Mann, der mit seinen Gefährten Giton und Askyltos, beide ebenfalls gebildet, in zahlreiche, oftmals sexuelle Abenteuer gerät und auch mit ebendiesen Gefährten den Redelehrer Agamemnon zu einem Gastmahl begleitet. Der Veranstalter dieser Cena ist ein Neureicher, ein Parvenü und ehemaliger Sklave, aus Kleinasien stammend, Trimalchio,

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dem Jahr 1763, die den übersetzungstheoretischen Grundsätzen Gottscheds verpflichtet ist, siehe unten. Nietzsche, Jenseits von Gut und Böse (1886), 46 f. (§ 28). Vgl. hierzu u. a. Boyce (1991).

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dessen Halbbildung und Geltungsbedürfnis dem seiner ebenfalls freigelassenen und emporgekommenen Gäste in nichts nachsteht. Die Sprache der Freigelassenen in der Cena Trimalchionis unterscheidet sich deutlich von der des Erzählers Encolpius und der übrigen gebildeten Protagonisten des Satyricon. Die Freigelassenen sprechen ein oft unkorrektes, umgangssprachliches Latein: sogenanntes Vulgärlatein. Freilich imitiert Petron das Vulgärlatein in literarischer Weise und gibt es nicht in phonetischer Treue wieder, wie Vergleiche mit den pompeijanischen Graffiti gezeigt haben. Zwar ist die Rede der Freigelassenen nicht durchgehend vulgär, auch weist die urbane Prosa, also die Erzählpartien sowie die Redepassagen der Gebildeten, bisweilen ebenfalls lexikalische und grammatikalische Vulgarismen auf,9 aber nirgends finden sie sich so zahlreich und nirgends werden sie vom Autor so konsequent zur Charakterisierung der Sprecher eingesetzt wie in den Reden der Freigelassenen. Die Abweichungen des Petron’schen Vulgärlateins vom urbanen Latein finden sich auf mehreren Sprachebenen: Phonologie, Lexik, Morphologie und Syntax.10 Die phonetischen Eigenheiten sind vor allem Monophthongisierung (copo statt caupo) und Synkopierung (lamna statt lamina, offla statt offula). Zu den lexikalischen Eigenheiten lässt sich sagen: Die Freigelassenen verwenden mit Vorliebe Diminutivformen (vgl. glebula, sposiuncula, lamellula). Auch finden sich in ihren Reden viele Neologismen (vgl. dignitosus) und – der Herkunft der Freigelassenen der Cena entsprechend – zahlreiche griechische Fremdwörter (vgl. athla). Zudem legt Petron den Freigelassenen immer wieder umgangssprachliche Wörter in den Mund: Das oben erwähnte lamna (Blech) etwa wird von ihnen in der Bedeutung »Geld« benutzt. Auch wählt Petron gezielt zwischen unterschiedlichen Wörtern synonymer Bedeutung aus, um auf diese Weise die Vulgärsprache von der Sprache des Erzählers sowie der Gebildeten zu unterscheiden bzw. einzelne Charaktere unter den Freigelassenen hervorzuheben. Während zum Beispiel die übrigen Freigelassenen für die Vokabel »essen« zwischen einer ganzen Bandbreite an nachklassischen Wörtern wie comedere, devorare, manducare variieren, nimmt sich das klassische cenare aus Trimalchios Mund, das er ausschließlich für den Vorgang des Essens verwendet, gestelzt vornehm aus. Zu den morphologischen Eigenheiten der Freigelassenensprache zählt die Änderung des Genus. Als Vorläufer der romanischen Sprachen, die kein Neutrum mehr aufweisen, tendiert das Vulgärlatein dazu, Nomina im Neutrum in Maskulina oder Feminina umzuformen: So steht amphitheater statt amphitheatrum, caelus statt caelum oder rapam statt rapa (kollektiver Plural Neutrum). Allerdings findet sich bei bestimmten Charakteren unter den Freigelassenen, nämlich bei Trimalchio und Echion, bisweilen auch der umgekehrte Fall: Maskuline bzw. feminine Nomina werden in Neutra umgewandelt. So spricht Trimalchio u. a. von catilla (50,6) statt catillos und Echion etwa von libra (46,7) statt libros. Es handelt sich hierbei um sogenannte Hyperurbanismen. Das heißt: Eine Person, die sich der dialekt- oder soziolektbedingten 9 10

Vgl. Petersmann (1977). Kompakte Übersicht in Smith (1975), 220−224, umfassend Väänänen (1981).

Die Freigelassenengespräche der Cena Trimalchionis

Eigentümlichkeiten der eigenen niedersprachlichen Redeweise bewusst ist und sich bemüht, absichtlich vornehm zu sprechen und sprachliche Fehler zu vermeiden, tut des Guten zuviel und verfällt gerade eben aus Unkenntnis der grammatikalisch korrekten Form in den entgegengesetzten Fehler. Im Vulgärlatein besteht zudem eine Tendenz, die diversen Irregularitäten des Deklinationssystems zu vereinfachen: Nomina der dritten und vierten Deklination werden tendenziell in die erste und zweite Deklination transformiert. So findet sich etwa strabonus statt strabo, vasum statt vas oder der Genitiv Plural pauperorum statt pauperum. Ein weiteres Merkmal des Vulgärlateins ist die Verwendung archaischer, altlateinischer Formen, so wie ja auch die deutsche Umgangssprache gerne auf altertümliche Ausdrücke zurückgreift (vgl. etwa »um Gottes willen«): Trimalchio sagt sanguen (59,1) statt sanguis und gebraucht als Nominativ Iovis (47,4) statt Iupiter. Eine weitere morphologische Eigenheit des Vulgärlateins betrifft das Verbalsystem. Hier ist vor allem das Verschwinden der Deponentien und ihre Umwandlung in aktive Verbformen charakteristisch für die Redeweise der Unterschichten (vgl. exhortavit statt exhortatus est, convivare statt convivari, loquere statt loqui). Insbesondere in den Reden Trimalchios findet sich aber auch das umgekehrte Phänomen, auch dies wieder ein Hyperurbanismus: Deponentien werden hier anstelle der regulären Aktivformen gesetzt (so etwa pudeatur statt pudeat, delectaris statt delectas). Die wichtigsten Abweichungen vom urbanen Latein im Bereich der Syntax sind die Verdrängung der übrigen Kasus durch den Akkusativ (sowohl nach Verben als auch nach Präpositionen, die im klassischen Latein einen anderen Fall regieren) sowie die Zurückdrängung des Konjunktivs. So verwenden die Freigelassenen in indirekten Fragen tendenziell den Indikativ statt des Konjunktivs. Trimalchio und Echion allerdings – auch dies wieder ein Hyperurbanismus – setzen den Konjunktiv nach Konjunktionen, die klassischerweise den Indikativ regieren, offensichtlich in der Annahme, dass dies besonders vornehm sei.11 Die genannten sprachlichen und grammatikalischen Abweichungen charakterisieren jedoch das imitierte Vulgärlatein nicht hinreichend. Ein wichtiges Stilmittel, das Petron gezielt zur Charakterisierung der Freigelassenen einsetzt, ist die Kurzatmigkeit ihrer Redeweise, die nicht nur, aber freilich vor allem im Affekt auftritt:12 Elliptische Sätze, Kurzsätze, partikellose Parataxen, überhaupt eine Vorliebe für Parataxen, das schnelle Springen von einem Gedanken zum nächsten; zudem das häufige Einstreuen von Gemeinplätzen und Redensarten, das Einfügen griechischer Sprachbrocken, derbe Ausdrucksweise – das alles macht den populären Zungenschlag der Petron’schen Freigelassenen aus.

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Vgl. etwa dum […] amplexaret (63,8); etiamsi […] oppresserit (71,1). Zu den affektischen Kurzsätzen vgl. Hofmann (1951), 46: »Die meisten der vom Standpunkt der logischen Schriftsprache als ›Ellipsen‹ anzusprechenden Kurzsätze der Umgangssprache entstammen der zerstörenden Wirkung des Affekts, der stoßweise sich auslebt und sprachlich nur die Gipfelpunkte brüsk anzudeuten imstande ist.«

Antonia Renz

Wie oben schon angedeutet, arbeitet Petron durch gezielte sprachliche Unterscheidung einzelne Charaktere unter den Freigelassenen heraus. So ist Trimalchio stets bemüht, besonders vornehm zu sprechen, und gerade deshalb sind seine Reden voller Hyperurbanismen, die noch grotesker sind als die seines Gastes Echion. Auch verwendet er, eben in dem Bemühen, sich gewählt auszudrücken, gerne satzverbindende Partikeln. Die Reden des Hermeros hingegen zeigen eine ganz andere Tendenz: Er gebraucht besonders viele griechische Wörter, die eigentlich lateinische Äquivalente haben, und wechselt vor allem in den Interjektionen oft ins Griechische (vgl. babae babae, 37,9; io, 58,2). Die Schwierigkeiten für einen Übersetzer liegen auf der Hand: Wie soll er im Deutschen die griechischen Sprachbrocken wiedergeben, damit ihre Fremdheit bewahrt bleibt? Wie die lateinischen Redensarten – transponierend, ausgangssprachenorientiert oder je nach Bedarf, also je nach Verständlichkeit? Und vor allem: Wie soll er dieses diffizile System an sozialen und persönlichen Regelwidrigkeiten und Sprachschichtungen ins Deutsche übertragen? Wie der folgende Überblick zeigen wird, haben sich die weitaus meisten deutschsprachigen Petron-Übersetzer bewusst gegen die Darstellung der vulgärlateinischen Abweichungen von der hochsprachlichen Norm entschieden.

3. Die Sprachfehler der Freigelassenen und die deutschsprachigen Übersetzungen der Cena Trimalchionis Die Geschichte der deutschen Petron-Übersetzung beginnt im Jahr 1763 mit einer Teilübersetzung der Cena Trimalchionis, doch erst 150 Jahre später, im Jahr 1906, nimmt Ludwig Friedländer als erster Übersetzer in seinem Vorwort zu seiner Darstellung der Sprache der Freigelassenen Stellung und läutet damit die bis heute andauernde Phase bewusster Reflexion über die Schwierigkeiten ein, die die Darstellung der Freigelassenengespräche dem Übersetzer bereiten. So heißt es bei Friedländer, dessen Übertragung der Cena Trimalchionis als erste philologisch wissenschaftliche Auseinandersetzung eines deutschsprachigen Übersetzers mit dem Satyricon gelten darf: In meiner Übersetzung habe ich mich bemüht, den Ton des Originals wiederzugeben, doch allerdings nur, soweit dies ohne Reproduktion der in den Reden der Freigelassenen so überaus zahlreichen Idiotismen und Sprachfehler geschehen konnte. Sprichwörter und sprichwörtliche Redensarten habe ich, soweit es erforderlich schien, durch entsprechende jetzt übliche zu ersetzen gesucht. Eine ähnliche Freiheit mußte ich mir bei Wortspielen nehmen. An unverständlichen oder zweifelhaften Stellen ist gesetzt, was der Sinn zu fordern oder zuzulassen schien. Sonst ist die Übersetzung möglichst treu.13

Das waren durchaus keine neuen Ansätze: Schon die Friedländer vorausgehenden Übersetzungen seit 1763 hatten sich bei der Wiedergabe der Freigelassenengespräche weitgehende Freiheiten genommen, offensichtlich in dem Bemühen, eine im Deut13

Friedländer, Cena Trimalchionis (1906), 18.

Die Freigelassenengespräche der Cena Trimalchionis

schen verständliche Übersetzung zu erstellen, und seit dem übersetzungstheoretischen Paradigmenwechsel wohl auch mit der Absicht, den Ton Petrons wenigstens ansatzweise wiederzugeben; jedoch hatten sie ebenfalls die für das Vulgärlatein typischen Sprachfehler im Deutschen nicht dargestellt. Den ersten zaghaften Versuch in diese Richtung sollte erst, im Jahr 1949, ganz vereinzelt und an wenigen Stellen Otto Weinreich unternehmen – übrigens ohne dass er hierauf in seinem Vorwort eingegangen wäre.14 Konsequent ausgebaut hat die Darstellung der vulgärlateinischen Abweichungen im Deutschen allerdings erst der klassische Philologe Wilhelm Ehlers in seiner Übertragung des Satyricon von 1965,15 die auch in manchen sprachlichen Wendungen deutlich von Weinreich beeinflusst ist. So schreibt Ehlers in seinem Vorwort: Eine Neuerung ist der Versuch, die sogenannten vulgären Partien insgesamt auch vulgär zu übersetzen […] mit Vulgarismen und Verballhornungen ist es nicht getan […]. Wer diese stilisierte Vulgarität im Rahmen des überhaupt Erreichbaren nachbilden möchte, wird manches verfälschen oder verfehlen. Aber versucht nicht jeder Übersetzer das Unmögliche? Wenn er gerade hier kapituliert, bringt er sich und den Leser um die Möglichkeit, das reizende Widerspiel zwischen der Sprache des gebildeten Berichterstatters und dem Jargon der geschilderten Gesellschaft wenigstens im Abglanz zu erfassen.17

Wie systematisch Ehlers die meisten der lexikalischen, morphologischen und syntaktischen vulgärlateinischen Abweichungen18 im Deutschen darstellt, hat bereits Christoff Neumeister gezeigt:19 Ehlers bemüht sich, diese Abweichungen »punktgenau ins Deutsche herüberzuholen. ›Punktgenau‹ will sagen: genau an der Stelle, wo sie sich im Original finden, findet sich auch in seiner Übersetzung eine Abweichung vom Normaldeutsch«. Entweder ist es ein entsprechender Fehler (z. B. wird Kasusfehler 14

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Weinreich, Römische Satiren (1949). So übersetzt Weinreich et ideo pauperorum verba derides (46,1): »und darum machst du dich lustig über die Gespräche von uns Plebs«. Grammatikalisch falsch an dem lateinischen Satz ist der Genitiv pauperorum, der korrekterweise pauperum heißen müsste: Hier also ist die Tendenz des Vulgärlateins umgesetzt, ein Nomen der dritten oder vierten Deklination in die erste oder zweite umzuwandeln und damit das Deklinationssystem zu vereinfachen. Weinreich stellt diese Abweichung von der Norm dar, indem er eine für das Deutsche recht ungewöhnliche und sprachlich ungeschickt wirkende Kombination aus Personalpronomen im Plural (uns) und Nomen im Singular (Plebs) wählt. Vgl. dagegen etwa Friedländer: »und deshalb machst du dich über die Worte von uns geringen Leuten lustig«, oder Dorminger (1960): »aber deswegen darfst du doch die Gespräche von uns Ungelehrten nicht verspotten«. Vgl. zudem 39,4 (patrono meo ossa bene quiescant): Auch hier stellt Weinreich die vulgärlateinische Abweichung dar. Er übersetzt: »Meinem seligen Herrn seine Gebeine sollen in Frieden ruhen«, und gibt also den Dativ patrono meo, der hier umgangssprachlicherweise statt des Genitivs patroni mei gesetzt ist, durch die gleiche ebenfalls sehr umgangssprachliche deutsche Dativkonstruktion wieder (Vgl. den Titel des Bestsellers von Bastian Sick, Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod [2004]). Vgl. auch hier wieder Friedländer, sehr hochsprachlich: »Mögen die Gebeine meines ehemaligen Herrn sanft ruhen«, sowie Dorminger: »Ruhet sanft, ihr Gebeine meines Patrons«. Müller/Ehlers, Schelmenszenen (1965). Vorwort zur Teilausgabe Müller/Ehlers, Cena Trimalchionis (1979), 11. Die phonologischen Eigenheiten des Vulgärlateins der Freigelassenen wiederzugeben, versucht Ehlers nicht. Neumeister (2009), 309–317.

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durch Kasusfehler wiedergegeben), oder, zumal wenn dies aufgrund der Unterschiede zwischen Ausgangs- und Zielsprache nicht möglich ist (etwa weil es die betreffenden Erscheinungen, z. B. Verba deponentia, im Deutschen nicht gibt), »wird die Stelle, an der sich im Original die Abweichung fand, in der Übersetzung wenigstens durch einen Ersatzfehler (einen Fehler anderer Art) markiert.«20 Im Folgenden soll Ehlers’ Methode anhand einiger Beispiele erläutert werden: Die falsche Genitivform pauperorum aus 46,1 (et ideo pauperorum verba derides) etwa übersetzt Ehlers: »und deshalb lachst du über dem Plebs seine Worte«. Statt der grammatikalisch korrekten Genitivkonstruktion »über die Worte des (bzw. der) Plebs« gibt Ehlers pauperorum als Dativ wieder und fügt ein zusätzliches Possessivpronomen ein, eine Kombination, die – sehr umgangssprachlich – den Genitiv ersetzt. Die falsche Akkusativform lactem (statt lac bzw. altlateinisch lacte) übersetzt Ehlers recht ungewöhnlich mit »Milchen« statt »Milch«; lacte gallinaceum, si quaesieris, invenies (38,1): »willst du Hühnermilchen – kannst du haben.« Die Präposition prae regiert im klassischen Latein den Ablativ, im Vulgärlatein allerdings verdrängt der Akkusativ, wie oben erwähnt, vielfach die übrigen Fälle. So heißt es bei Petron scimus te prae litteras fatuum esse (46,1) statt prae litteris. Ehlers übersetzt wie folgt: »Wir wissen, du hast vor lauter gelehrtes Zeugs einen Klaps«; er gibt also den falschen lateinischen Akkusativ durch einen ebenso falschen deutschen Akkusativ anstelle des korrekten Dativs wieder, wobei der Eindruck mangelnder Sprachbeherrschung zusätzlich durch die im Deutschen nur umgangssprachlich und despektierlich verwendete Wortform »Zeugs« verstärkt wird. Nicht viele Übersetzer sind Ehlers in der Darstellung der vulgärlateinischen Eigentümlichkeiten gefolgt, was wohl in erster Linie daran liegen dürfte, dass eine solche »punktgenaue« Darstellung mit ihrer teilweise sprachlich doch recht eigenartigen und auch für die deutsche Umgangssprache vielfach ganz untypischen Fehlerwiedergabe (vgl. das erwähnte Wort »Milchen«) nur in einer zweisprachigen Ausgabe sinnvoll ist, die den Leser durch eben jene ungewöhnlichen Formulierungen auf die vulgärlateinischen Abweichungen vom urbanen Latein aufmerksam macht. Nur zwei der bislang sechs auf Ehlers folgenden Übersetzungen des Satyricon versuchen sich in der Wiedergabe der grammatikalischen Schnitzer der Freigelassenen, jedoch weniger konsequent als Ehlers und in entschärfter Form.21 Sprachliche Absonderlichkeiten wie das erwähnte »Milchen« finden sich dort nicht mehr. Die Sprachfehler der Freigelassenen, dieser Aspekt des »reizende[n] Widerspiel[s] zwischen der Sprache des gebildeten Erzählers und dem Jargon«22 der Tischgesellschaft der Cena Trimalchionis geht in den meisten Übersetzungen vor und nach Ehlers also verloren. Dennoch haben auch diese Übersetzungen vielfach versucht, sich dem 20

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Neumeister (2009), 311. Nach Neumeister setzt Ehlers nur dann einen Ersatzfehler, wenn ein Entsprechungsfehler im Deutschen nicht möglich ist, da es eben die entsprechende Erscheinung im Deutschen nicht gibt. Das ist jedoch nicht korrekt. Ehlers übersetzt vielfach auch dann mit Ersatzfehlern, wenn eine Wiedergabe durch Entsprechungsfehler ebenso gut möglich wäre. Krenkel, Satyrikon (1977); Schönberger, Satyrgeschichten (1992). Müller/Ehlers, Cena Trimalchionis (1979), 11.

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Presto Petrons anzunähern, ebenso wie ja auch in Ehlers’ Übersetzung die Wiedergabe des Vulgärlateins nicht das einzige, ja nicht einmal das wichtigste oder überzeugendste Mittel ist, Sprache und Tonfall der Freigelassenen im Deutschen darzustellen. Es soll nun anhand einiger Übersetzungen aus den zurückliegenden 250 Jahren der Übersetzungsgeschichte Petrons untersucht werden, wie die einzelnen Übersetzer hierbei vorgegangen sind: ob sie überhaupt einen umgangssprachlichen Ton in ihren Übersetzungen anstreben; wie sie die Redensarten, die Kurzatmigkeit und die eingestreuten griechischen Sprachbrocken darstellen; und schließlich, ob es ihnen gelungen ist, die unterschiedlichen Charakterzeichnungen, die Petron so gezielt durch sprachliche Mittel vornimmt, im Deutschen wiederzugeben. Der Eindruck der Beliebigkeit bei der Auswahl von Übersetzungen eines Werkes, das selbst nie kanonisch war und auch nie eine kanonische Übersetzung aufgewiesen hat, mag leicht entstehen. Dennoch sollen hier nun vier Übersetzungen aus dem genannten Zeitraum vorgestellt werden, die zwar nicht alle repräsentativ, aber doch auf jeweils spezifische Weise signifikant sind: Die Übersetzung von Wilhelm Ehlers (1965), da sie nicht nur die erste und einzige Übersetzung ist, die sich an einer konsequenten Darstellung der Sprachfehler der Freigelassenen versucht, sondern auch sonst einerseits eine große Nähe zum Ausgangstext aufweist, dabei aber andererseits stets um einen umgangssprachlichen Tonfall bemüht ist; zudem die Übersetzung von Ludwig Friedländer (1906), da sie die erste philologisch wissenschaftliche Auseinandersetzung eines deutschsprachigen Übersetzers mit der Cena Trimalchionis ist und der Übersetzer von sich selbst sagt, dass er sich darum bemüht habe, den »Ton des Originals« wiederzugeben; schließlich die Übersetzung von Adolf Gröninger (1796), die zum Zeitpunkt des übersetzungstheoretischen Paradigmenwechsels entstanden ist und als erste deutschsprachige PetronÜbersetzung eine ausgangssprachenorientierte Darstellung der Cena Trimalchionis vornimmt; und zuletzt die anonyme Übersetzung aus dem Jahr 1763, die die erste deutschsprachige Übersetzung der Cena Trimalchionis überhaupt ist und noch ganz den Grundsätzen Gottscheds folgt. Zunächst sollen diese vier Übersetzungen jeweils in einem allgemeinen Überblick untersucht werden, dann in einer Detailanalyse. Dabei wird in chronologisch rücklaufender Reihenfolge mit Ehlers’ Übertragung begonnen, da sie von diesen Übersetzungen in vielen Punkten dem Presto Petrons am nächsten kommt und somit als Folie – nicht als normativer Maßstab! – für die Untersuchung der übrigen Übersetzungen dienen kann.

4. Übersetzungsanalysen (1) Wilhelm Ehlers, klassischer Philologe und langjähriger Leiter des Thesaurus Linguae Latinae, versucht wie kein anderer deutschsprachiger Petron-Übersetzer in seiner Übertragung der Freigelassenengespräche den Spagat zwischen größtmöglicher Nähe zum Ausgangstext und größtmöglicher umgangssprachlicher Wirkung.

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Seine Übersetzung des Satyricon aus dem Jahr 196523 ist, wie bereits erwähnt, die erste und einzige deutsche Übersetzung, die sich an einer konsequenten Darstellung der Sprachfehler der Freigelassenen versucht.24 Überraschend hierbei ist allerdings, dass Ehlers seiner Übersetzung die Textedition von Konrad Müller zugrundgelegt. Denn Müller tilgt – im Gegensatz zu Bücheler25 – einige vulgärlateinische Elemente. Ehlers’ Übersetzung ist, obwohl in den Details stark umgangssprachlichmodernisierend, in der Regel ausgangssprachenorientiert: Das gilt sowohl für den Satzbau, den Ehlers – soweit möglich – dem lateinischen Satzbau nachzubilden sucht, als auch für die Wortwiedergabe, wobei hier gilt, dass Ehlers in der Regel nur dort transponierend übersetzt, wo der Sinn und der umgangssprachliche Gesamttenor seiner Übersetzung es verlangen. Den salopp-umgangssprachlichen Ton erzeugt Ehlers zum einen durch Anachronismen: Aus mehercules (bei Herkules) etwa wird »weiß Gott«, aus heu eheu »Gott, ach Gott«, aus Saturnalia wird »Karneval«, aus as »Mark«. Zudem übersetzt Ehlers die Reden der Freigelassenen generell in flottem umgangssprachlichem Ton und arbeitet stets sehr differenziert die feinsten sprachlichen Nuancen heraus, die in anderen Übersetzungen vielfach verloren gehen: Die in der lateinischen Umgangssprache fast schon zu Partikeln erstarrten Verben der Aussage und Denktätigkeit wie curare, sperare und rogare, die in unmittelbarer Parataxe vor oder nach dem Hauptgedanken stehen oder in diesen eingeschoben werden, übersetzt Ehlers, ebenfalls in Parataxe, stets wie folgt: curabo gibt er mit »warte« wieder, rogo mit »bitt schön«.26 So übersetzt er curabo, iam tibi Iovis27 iratus sit (58,2) mit »Warte, gleich soll dich Väterchen Jupiter hernehmen«, oder io Saturnalia, rogo, mensis december est (58,2): »Vivat Karneval, bitt schön, sind wir im Monat Dezember?«. Ähnlich fasst Ehlers offensichtlich satzinitiales vides als erstarrte Partikel auf und gibt es stets mit demonstrativem »Da, … « wieder. So übersetzt er etwa vides illum, qui in imo imus recumbit (38,7) mit »Da, der letzte am letzten Tisch«. Satzinitiales et, das vor allem in den Reden des Hermeros zahlreich anzutreffen ist, übersetzt Ehlers stets mit satzinitialem »Na, … «. Die Elision des e im Pronomen »es« und seine Verschmelzung mit vorausgehenden Verben bzw. Pronomina ist ein von Ehlers häufig verwendetes Mittel, um einen umgangssprachlichen Tonfall zu erzeugen. So finden sich oft »gibts«, »werdets«,

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Zahlreiche weitere Auflagen folgten, die zwölfte Auflage der Teilübersetzung der Cena Trimalchionis stammt aus dem Jahr 2008. Allerdings gibt Ehlers nicht umfassend alle – auch durchaus nach seinem sonst angewendeten Verfahren darstellbare – Sprachfehler der Freigelassenen wieder. Bücheler (1982). Zwar ebenfalls in Parataxe, aber nicht in ähnlich erstarrter Formulierung gibt Ehlers sperare wieder: spero tamen, iam veterem pudorem sibi imponit (47,3) übersetzt er mit »Ich hoffe trotzdem, er macht sich endlich seinen alten Anstand zur Auflage«. Iovis ist der altlateinische Nominativ (im klassischen Latein: Iupiter), dessen altertümliche Aura Ehlers durch »Väterchen Jupiter« wiederzugeben versucht.

Die Freigelassenengespräche der Cena Trimalchionis

»ers« etc. Auch nimmt Ehlers in gleicher Absicht häufig Synkopierungen bzw. Akopierungen vor: So z. B. »keins« statt »keines« oder »erfahr« statt »erfahre«. Das lateinische Perfekt in den Reden der Freigelassenen gibt Ehlers in der Regel in umgangssprachlicher Weise ebenfalls im Deutschen als Perfekt wieder, das hochsprachliche Präteritum findet sich in seiner Übertragung der Reden der Freigelassenen kaum. Eine Eigentümlichkeit von Ehlers, der als Leiter des Thesaurus Linguae Latinae lange Zeit seines Lebens in München verbrachte, ist ein hin und wieder anzutreffender bajuwarisch-umgangssprachlicher Einschlag, den er selbst auf die die Reden umgebenden Erzählpartien ausweitet: agite (59,1) übersetzt Ehlers mit »geht zu«, hoc anno (46,2) mit »heuer«, ecce (40,2) mit »da schaut her« und tricas meras (53,12) gibt Ehlers mit »der reinste Schmarren« wieder. Die beiden letzten Beispiele entstammen den Erzählpartien. Überhaupt erhalten die Erzählpartien bei Ehlers oft einen umgangssprachlichen Tonfall, den der Ausgangstext nicht aufweist. So übersetzt dort Ehlers etwa an manchen Stellen satzinitiales et mit »Nun, …« (u. a. 40,4); oder er spricht von »Stümpern« (für comparandos illi homines non fuisse, 40,1). Nebenbei sei erwähnt, dass neben dieser Ausweitung der Umgangssprache auf die Erzählpartien der Cena sich eben dort bei Ehlers überraschenderweise auch Ausdrücke finden, die vornehmer und gehobener klingen als die Entsprechungen im Ausgangstext. Ad cameram (40,1) übersetzt Ehlers mit »zum Plafond«,28 laceraverat (40,5) mit »tranchieren«, subornatus (40,5) mit »drapiert« und amplo (50,3) mit »splendid«. So entsteht in den Erzählpartien eine eigentümliche Mischung aus umgangssprachlichen und sprachlich gehobenen Elementen, die der Ausgangstext gar nicht aufweist. Die griechischen Fremdwörter, die sowohl in den Erzählpartien als auch in den Reden der Freigelassenen vorkommen, gibt Ehlers generell auch im Deutschen mit Fremdwörtern wieder und setzt sie zudem auch gezielt zur Zeichnung der unterschiedlichen Charaktere der Freigelassenen ein: Während er die von Trimalchio verwendeten Fremdwörter generell mit gehobenen Ausdrücken wiedergibt (vgl. »meine Nativität« für genesim meam [39,8], »Gourmands« für cataphagae [39,9]), übersetzt Ehlers die von Hermeros gebrauchten Fremdwörter, bei denen es sich häufig um Neologismen griechischen Ursprungs oder um Interjektionen handelt, lediglich mit fremdsprachlicher und dabei gleichzeitig umgangssprachlicher Färbung. So gibt er etwa die Interjektion babae babae (37,9) französisiernd mit »ohlala ohlala« wieder und babaecalis (37,10) entsprechend mit »Ohlala-Fatzken«. Man erkennt schon hieran, dass Ehlers eine deutliche sprachliche Unterscheidung und damit Charakterisierung der einzelnen Sprecher vornimmt. So stellt er etwa die Sprache Trimalchios – die eine Mischung aus vulgärlateinischen sowie bemüht gehobenen und dabei eben vielfach falschen Elementen, Hyperurbanismen, ist – im

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Anmerkung des Bearbeiters Th. Poiss: Das Wort »Plafond« ist in Wien der familiär ganz gebräuchliche Ausdruck für »Zimmerdecke«; so auch http://www.duden.de/rechtschreibung/Plafond (Zugriff 30.4.2015): »(österreichisch, sonst landschaftlich) [flache] Decke eines Raumes«.

Antonia Renz

Deutschen als ebensolche Vereinigung umgangssprachlich fehlerhafter und gehobener Elemente sowie Hyperurbanismen dar.29 Ehlers arbeitet bei Trimalchio zudem mit dem Stilmittel der Amplifikation und zeichnet durch Verstärkung der gehobenen wie auch der umgangssprachlichen Sprachelemente Trimalchios Charakter gezielt mit dickem Pinselstrich nach, so dass die Sprache Trimalchios in Ehlers’ Übersetzung oft vornehmer, dann aber auch wieder umgangssprachlicher klingt als im Ausgangstext: Ehlers gibt nicht nur die griechischen Fremdwörter als Fremdwörter im Deutschen wieder, sondern wählt auch für etliche lateinische Wörter fremdsprachliche Entsprechungen. So spricht Trimalchio bei Ehlers nicht nur von »Gourmands« und »Nativität«, er redet ebenso von »ausbalancieren« (für expendunt, 39,10), »Malheur« (für mala, 39,12), »Firmament« (für caelus, 39,5), »Drogisten« (für unguentarii, Salbenhändler, 39,10),30 »Tiraden anstimmen« (für canturire), »reüssiert« (für frunitus est, 43,6). Die Übersetzung »reüssiert« für frunitus est dürfte dem Umstand Rechnung tragen, dass Trimalchio – entgegen der Tendenz des Vulgärlateins, Deponentien in Aktivformen umzuwandeln – hier die korrekte, deponentiale Perfektform des Deponens fruniscere verwendet. Die Übersetzung »Firmament« für caelus allerdings erscheint zu hochgegriffen. Denn caelus ist kein Hyperurbanismus, sondern lediglich die Umsetzung der vulgärlateinischen Vorliebe, Nomina im Neutrum in Maskulina oder Feminina umzuwandeln. Andererseits verstärkt Ehlers auch den umgangssprachlichen Tonfall in Trimalchios Reden: So versucht er etwa die umgangssprachlich-schwerfällige Formulierung Trimalchios nam mihi nihil novi potest afferri (39,4: denn mir kann nichts Neues herbeigebracht werden) nicht nur durch eine umgangssprachliche Wiedergabe des Verbs, sondern zusätzlich durch satzinitiale und im Deutschen sehr umgangssprachliche Stellung der Konjunktion »nämlich« wiederzugeben: »Nämlich mir kann keiner mit etwas Neuem kommen«.31 Die Sprache des Hermeros fällt nicht nur durch ihre umgangssprachlichen griechischstämmigen Neologismen auf, sondern auch durch ihre Vorliebe, Sätze mit et zu beginnen, wobei dieser Konjunktion in Hermeros’ Reden vielfach keine satzverbindende Funktion zukommt. Vielmehr dient sie oft dazu, einen neuen Gedanken 29

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Zu Ehlers’ Wiedergabe der Hyperurbanismen vgl. 47,4: Trimalchio versichert seinen Gästen, dass jeder, den es dränge, sein Geschäft auch bei Tische machen könne, und fährt fort: non est quod illum pudeatur (47,4). Ehlers übersetzt den Hyperurbanismus pudeatur (statt des korrekten pudeat) – wohl in Anlehnung an »manierlich« – mit »genierlich«: »er braucht sich ja nicht genierlich sein!« Anmerkung Th. Poiss: »Drogist« ist lexikalisierter Ausdruck, vgl. http://www.duden.de/rechtschreibung/Drogist (Zugriff 30.4.2015): »Inhaber oder Angestellter einer Drogerie mit spezieller Ausbildung (Berufsbezeichnung)«. Die Stellung von nam ist im Lateinischen korrekterweise immer satzinitial. Ehlers gibt an anderer Stelle in der Rede Trimalchios, die nicht umgangssprachlich formuliert ist, das satzinitiale nam (nam cancer et hoc et illoc quadrat, 39,8) mit hochsprachlichem »denn« wieder: »denn der Krebs passt hierhin wie dorthin«. Die übrigen Petron-Übersetzungen geben die Schwerfälligkeit der lateinischen Formulierung nicht wieder. In der Übersetzung von Schnur (1968) etwa lautet der Satz: »und mir kann man nichts Neues erzählen«, Steinmann, Ein antiker Schelmenroman (2004), übersetzt mit hochsprachlicher Stellung der Konjunktion »nämlich«, aber immerhin umgangssprachlicher: »Mir kann man nämlich mit nichts Neuem kommen«.

Die Freigelassenengespräche der Cena Trimalchionis

einzuleiten und ersetzt in diesen Fällen also andere in der Schriftsprache übliche Partikeln wie deinde, autem etc. Ehlers stellt diese satzeinleitenden et als markante Eigenheit des Hermeros dar und gibt es jeweils konsequent mit satzinitialem »Na, …« wieder. So übersetzt er etwa nemo tamen sciit utrum servus essem an liber. et puer capillatus in hanc coloniam veni (57,9) mit: »trotzdem, keiner hat gewußt, ob ich Sklave bin oder freier Mann. Na, als Junge mit langen Haaren bin ich in dieses Nest gekommen«. Auch die Kurzatmigkeit der Reden der Freigelassenen versucht Ehlers in den meisten Fällen darzustellen. Wie oben anhand der zu Partikeln erstarrten Verben curare und rogare gezeigt, gibt Ehlers sehr differenziert die Parataxen wieder. Ebenso stellt er elliptische Sätze im Deutschen in der Regel gleichfalls elliptisch dar. Als Beispiel für solch ein syntaktisches Stakkato diene ferrum optimum daturus est, sine fuga, carnarium in medio (45,6), das Ehlers unter entsprechender Auslassung der Verben übersetzt mit »Er wird für blankes Eisen sorgen, ohne Kneifen, Gnadenstoß auf der Bühne«. Bei der Übertragung der zahlreichen Redensarten und Redewendungen steht für Ehlers, wie auch für die meisten übrigen Übersetzer vor und nach ihm, die Verständlichkeit im Vordergrund. Ehlers entscheidet sich, sofern möglich, für die Beibehaltung des Ausgangstext-Bildes; andernfalls aber für Wiedergabe in entsprechenden deutschen Redenwendungen. So übersetzt Ehlers etwa qui cito credit (43,6) mit »der alles für bare Münze nimmt« (wörtlich: »der rasch glaubt«), nec quid nec quare (37,4) mit »mir nichts dir nichts« (wörtlich etwa: »kein was und kein warum«).32 Soweit zu Ehlers’ Übertragung der Cena Trimalchionis, die die bisher differenzierteste deutschsprachige Darstellung der Sprache der Freigelassenen ist. In der Wiedergabe der vulgärlateinischen Abweichungen im Bereich der Grammatik und Stilistik folgten ihm, wie bereits erwähnt, bisher nur wenige Übersetzer; in der Wiedergabe der vulgären Ausdrucksweise versuchten sich die meisten auf ihn folgenden Übersetzungen, keine jedoch so konsequent wie er. (2) Die zweite Übersetzung der Cena Trimalchionis, die untersucht werden soll, ist die zweisprachige Ausgabe des klassischen Philologen, Archäologen und Kulturhistorikers Ludwig Friedländer aus dem Jahr 1906, die überhaupt die erste philologische Auseinandersetzung eines deutschen Übersetzers mit diesem Fragment Petrons ist. Die wissenschaftliche Etablierung Petrons in Deutschland, der im prüden 19. Jahrhundert wegen seiner pornographischen Inhalte ein Außenseiter- und Untergrund-Dasein fristete, ist Büchelers 1862 erstmals herausgegebener Textedition des Satyricon zu verdanken, auf die sich der lateinische Text in Friedländers Ausgabe auch vor allem stützt. Wie oben bereits erwähnt, urteilt Friedländer selbst über seine Übersetzung, dass sie sich bemühe,

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Vgl. auch durae buccae fuit (43,3): »ein Schandmaul war er«; nescio cui terrae filio (43,5): »einem hergelaufenen Soundso«.

Antonia Renz den Ton des Originals wiederzugeben, allerdings nur, soweit dies ohne Reproduktion der in den Reden der Freigelassenen so überaus zahlreichen Idiotismen und Sprachfehler geschehen konnte. Sprichwörter und sprichwörtliche Reden habe ich, soweit es erforderlich schien, durch entsprechende jetzt übliche zu ersetzen gesucht. Eine ähnliche Freiheit mußte ich mir bei Wortspielen nehmen. An unverständlichen oder zweifelhaften Stellen ist gesetzt, was der Sinn zu fordern oder zuzulassen schien. Sonst ist die Übersetzung möglichst treu.33

Tatsächlich kann sich Friedländers Aussage über die Treue seiner Übersetzung, also ihre Nähe zum Ausgangstext, nur auf die Erzählpartien der Cena beziehen. Denn in den Reden der Freigelassenen – sei es nun bei der Wiedergabe der Sprichwörter oder sonstiger Teile der Reden – entfernt sich Friedländer oft selbst dann vom Ausgangstext, wenn weder der Sinn dies fordert, noch hierdurch sein Bestreben, »den Ton des Originals wiederzugeben«, zum Tragen kommt. So wird etwa bei Friedländer aus Trimalchios Formulierung terra mater (39,15) »unser Mütterchen Erde«, aus villam (46,2) »mein Gütchen«, aus animam ebulliit (42,3: »er hat seinen Geist ausgeblubbert«) wird »[er] ist abgekratzt«34. Zudem gibt Friedländer mitunter umgangssprachliche Ausdrücke und Redewendungen auch hochsprachlich wieder.35 Bei der Wiedergabe der Sprichwörter bleibt Friedländer generell nicht beim Bild des Ausgangstextes, auch wenn dieses im Deutschen verständlich ist. So übersetzt er sed mulier quae mulier milvinum genus (42,7: »aber ein Weib, das ein Weib [ist], ein Milan-[=Raubvogel-]Geschlecht«) »aber die Weiber, eine wie die andere, sind falsche Katzen«. Eine ausgangssprachenorientierte Übersetzung des Sprichworts ist durchaus auch im Deutschen verständlich, wie etwa Schönbergers Lösung (1995) zeigt: »Aber so’n richtiges Weib, das ist ein Geier.«36 Friedländer stellt, wie er selbst angibt, die Sprachfehler und Idiotismen der Freigelassenen nicht dar. Nahezu alle phonologischen, lexikalischen, morphologischen und syntaktischen Eigenheiten der Freigelassenensprache gehen in seiner Übersetzung also verloren.37 Selbst der von Trimalchio verwendete altlateinische Nominativ Iovis (statt 33 34 35 36

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Friedländer (1906), 18. Vgl. hierzu Ehlers, der eine stärker am Lateinischen orientierte, im Bild aber dennoch geläufige deutsche Übersetzung wählt: »[er] hat seinen letzten Schnaufer getan.« Vgl. hierzu unten Kapitel 5. Steinmann, Ein antiker Schelmenroman (2004). Ehlers, etwas weniger nah am Ausgangstext als Schönberger: »Aber ein Weib mit Weiberallüren hat etwas vom Aasgeier.« Vgl. zudem auch Friedländers Übersetzung von longe fugit, quisquis suos fugit (»weit flieht, wer die Seinen flieht«) (43,5): »Wer sein Fleisch und Blut nicht achtet, achtet gar nichts.« Oder facile est autem, ubi omnia quadrata currunt (43,7): »Mit einem Wagen, der von selbst läuft, ist leicht fahren.« Erstaunlicherweise bleibt Friedländer aber bei folgendem, im Deutschen kaum verständlichen Sprichwort beim Bild des Ausgangstextes: de re tamen ego verum dicam, qui linguam caninam comedi (43,3): »Übrigens will ich die Wahrheit sagen, wie einer, der eine Hundezunge gegessen hat.« Vgl. dagegen Ehlers’ transponierende Übersetzung: »Trotzdem, was los war, kann ich genau sagen, weil ich verstehe, was die Spatzen pfeifen.« Die einzige vulgärlateinische Abweichung, die Friedländer – offensichtlich eher ungewollt – andeutet, ist die Nominativform vinus, die anstelle des korrekten Neutrum vinum gesetzt ist. Friedländer übersetzt an dieser Stelle »das Weinchen«.

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Iupiter) wird in keiner Weise markiert, sondern schlicht mit »Jupiter« übersetzt;38 ebenso die gleichfalls von Trimalchio benutzte altlateinische Form sanguen (statt sanguis): sanguen illi fervet (59,1) gibt Friedländer lediglich mit »Sein Blut ist heiß« wieder. Ehlers dagegen übersetzt die altlateinische Form mit einer entsprechend altertümlichen deutschen Wendung: »Der hat ein unruhig Blut«. Eine Eigenheit des Vulgärlateins ist die häufige Verwendung des Demonstrativpronomens ille, das in den Reden der Freigelassenen das Pronomen is gänzlich verdrängt. Es handelt sich hierbei also um ein sehr umgangssprachliches Element. Friedländer allerdings übersetzt an vielen Stellen ille hochsprachlich mit »jener«,39 wo Ehlers umgangssprachlich »der« oder »der da« schreibt. Die umgangssprachlichen Elemente in Friedländers Übersetzung sind in erster Linie auf die Verwendung umgangssprachlichen Vokabulars reduziert, wobei dies in der Regel mit einer Abweichung vom Bild des Ausgangstextes einhergeht. So findet sich etwa neben dem bereits erwähnten »abgekratzt« (für animam ebulliit, 42,3) »Oberstock« für cerebrum (vinus mihi in cerebrum abiit, 41,12: »Das Weinchen ist mir in den Oberstock gestiegen«), »sie haben viel Moos« für valde sucosi sunt (38,7)40 oder »halt dein Maul« für tace (57,4). Neben diesen fast übertrieben umgangssprachlichen Formulierungen gibt Friedländer allerdings, wie oben schon gesagt, manche umgangssprachlichen lateinischen Ausdrücke und Redewendungen hochsprachlich wieder.41 Überhaupt findet sich in Friedländers Übersetzung bisweilen eine Tendenz zu hochsprachlicher Ausdrucksweise, die den ungebildeten und obendrein alkoholisierten Sprechern oft merkwürdig zu Gesicht steht. Den derben und betrunkenen Hermeros etwa lässt Friedländer sagen, Giton solle »den Zorn der Athene fühlen« (für Athana tibi irata sit, 58,7). Ehlers übersetzt diese Stelle mit »Athene soll dich hernehmen«. Umgangssprachlichen Satzbau, wie er bei Ehlers häufig anzutreffen ist,42 setzt Friedländer nicht zur Erzeugung eines umgangssprachlichen Tonfalls ein. Ebenso finden sich bei Friedländer nur selten die von Ehlers so zahlreich eingesetzten Elisionen des Pronomens »es«. In der Darstellung der Kurzatmigkeit der Reden der Freigelassenen ist Friedländer inkonsequent. Einige elliptische Sätze gibt auch er in seiner Übersetzung elliptisch wieder (vgl. etwa heu heu, cotidie peius, 45,6: »Ach ja, alle Tage schlimmer.«; sed rectus, sed certus, amicus amico, 44,7: »Aber aufrichtig, aber zuverlässig, ein Freund für seine Freunde«), in der Regel jedoch weitet Friedländer elliptische Sätze aus, teilweise zu vollständigen Sätzen: So etwa frater eius fortis fuit, amicus amico, manu plena, uncta mensa (43,4), dessen ersten Teil (amicus amico) Friedländer wie oben elliptisch 38 39 40 41 42

Ehlers übersetzt den altlateinischen Nominativ Iovis an einer Stelle mit »Väterchen Jupiter«, an einer weiteren mit »Herrgott«. Vgl. etwa ille stips (43,5): »jener Klotz«; quid ille … (45,11): »was hat jener …«. Sucosus bedeutet »saftreich«. Von diesem Bild ausgehend, übersetzt Ehlers mit einer geläufigen deutschen Redewendung: »Sie platzen aus allen Nähten.« Vgl. hierzu unten Abschnittl 5. Vgl. satzinitiales, parataktisches »Trotzdem …«, z. B. 66,1; 66,2.

Antonia Renz

wiedergibt. Die beiden letzten Satzglieder allerdings baut er wie folgt aus: »Sein Bruder war ein braver Mann, ein Freund für seine Freunde, hatte eine offene Hand und führte einen guten Tisch«, wobei durch die Subjektellipse (»hatte« statt »er hatte«) immerhin auch ein kurzatmiger Tonfall erzeugt wird.43 Die griechischen Fremdwörter und Sprachbrocken deutscht Friedländer allesamt ein und nimmt ihnen damit in seiner Übersetzung den exotischen Klang. Aus Trimalchios cataphagae werden bei Friedländer »Fresser«. Ehlers dagegen gibt sie mit »Gourmands« wieder. Das von Ehlers konsequent mit »Tresor« übersetzte thesaurus gibt Friedländer mit »Schatz« wieder. Aus den vera athla (57,11) macht Friedländer »die richtigen Proben«. Ehlers macht immerhin auf den griechischen Ursprung des Wortes athla aufmerksam und übersetzt: »richtige Herkulesarbeit«. Die griechische Interjektion babae babae, die Hermeros in seiner Rede verwendet, gibt Friedländer mit »Potz Wetter!« wieder, babaecalis mit »dumme Jungen«. Durch diese Eindeutschungen geht aber nicht nur der exotische Klang, sondern auch ein Teil der Charakterisierung der einzelnen Sprecher verloren. Während Ehlers den Sprachstil Trimalchios durch Amplifikation noch erhöht, hebt sich der Trimalchio Friedländers nicht durch den Gebrauch vornehmer Fremdwörter von seinen Freigelassenen-Gästen ab, die sich bei Friedländer bisweilen selbst ungewöhnlich vornehm und hochsprachlich ausdrücken. Dadurch, dass Friedländer viele umgangssprachliche Ausdrücke nicht ebenso umgangssprachlich wiedergibt und zudem die vulgärlateinischen Sprachfehler und Hyperurbanismen nicht darstellt, bleibt von der sprachlichen Charakterisierung der einzelnen Freigelassenen nicht viel übrig. Es muss daher überraschen, dass Friedländer überhaupt vom »Ton des Originals« spricht, den er wiederzugeben sich bemühe, wo er sich doch in so vielen Punkten oft und unnötigerweise vom Ausgangstext entfernt. (3) Die beiden letzten Übersetzungen, die beide ihre Textvorlage nicht angeben, sind insofern von Interesse, als die eine unmittelbar zum Zeitpunkt des übersetzungstheoretischen Paradigmenwechsels gegen Ende des 18. Jahrhunderts entstand, die andere aber, 1763 verfasst, noch den Grundsätzen Gottscheds verpflichtet ist. Es handelt sich bei der ersteren um die eingangs erwähnte Übersetzung von Adolf Gröninger, die zuerst 1796 erschienen war, dann wegen ihrer unmoralischen Inhalte konfisziert wurde, um schließlich 1798, 1804 und 1822 anonym in unveränderten Nachdrucken herausgegeben zu werden.44 Von dem Verfasser ist weiter nichts bekannt, als dass er zum Zeitpunkt der ersten Drucklegung 26 Jahre alt war und sich später noch als Übersetzer von Augustinus einen Namen machen sollte. Seine Petron-Übersetzung, eine 43

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Vgl. dagegen Ehlers: »Sein Bruder war ein ganzer Kerl, Kamerad unter Kameraden, mit offener Hand, leckerer Tafel.« Vgl. zudem piper non homo (44,7), das Friedländer mit »Das war euch nicht ein Mensch, sondern der reine Pfeffer« übersetzt, oder et ubi semel res inclinata est, amici de medio (38,13): Friedländer weitet auch hier das elliptische zweite Satzglied aus: »und fängt die Sache an schief zu gehen, dann machen die Freunde sich aus dem Staube.« Vgl. dagegen Ehlers: »und wenn es einmal schiefgeht, Freunde ab durch die Mitte.« Gröninger, Satyricon (1796).

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Übersetzung des gesamten erhaltenen Satyricon, enthält weder Vorwort noch Anmerkungen, aber es wird auch aus ihr selbst heraus deutlich, dass sie in bewusster Abgrenzung zu den übersetzungstheoretischen Grundsätzen Gottscheds einerseits und der künstlerisch freien Petronübersetzung Wilhelm Heinses andererseits entstanden ist, welche 23 Jahre zuvor, 1773, herausgekommen war und sich zahlreiche dichterische Ungenauigkeiten und Hinzudichtungen erlaubt hatte.45 Gröninger dagegen bemüht sich in seiner Übersetzung, den neuen übersetzungstheoretischen Grundsätzen zu folgen und in der Wortwiedergabe und – soweit dies unter Beibehaltung des normalen deutschen Satzbauplans möglich ist – auch im Satzbau um eine deutliche Nähe zum Ausgangstext, und zwar insbesondere oft auch dort, wo nach der adaptierenden Übersetzungstheorie eine transponierende Darstellung notwendig gewesen wäre – und erntete damit die eingangs zitierte Kritik des Rezensenten der Allgemeinen Literatur-Zeitung.46 Manche der Textpassagen, die in ausgangssprachenorientierter Übersetzungsweise schwer verständlich sind (wie Sprichwörter, Redensarten), gibt Gröninger zwar transponierend wieder – so übersetzt er etwa facile est autem, ubi omnia quadrata currunt (43,7): »Da gehts gut von statten, wo alles nach wunsch’ eintrifft« – , bei manch anderen solcher interpretationsbedürftiger Wendungen jedoch bleibt Gröninger beim Bild des Ausgangstextes. Zum Beispiel übersetzt Gröninger de re tamen ego verum dicam, qui linguam caninam comedi (43,3) mit »Aber ich will die wahrheit sagen: denn ich habe hundezunge gegessen.« Den Satz sed recorrexit costas illius prima vindemia (43,4) über den finanziellen Wiederaufstieg eines bankrotten Freigelassenen gibt Gröninger sehr nah am Ausgangstext und damit im Deutschen recht ungewöhnlich wieder: »doch die erste weinlese brachte seine rippen wieder in stand«. Ganz anders freilich die anonyme Übersetzung von 1763,47 die die erste deutschsprachige Übersetzung der Cena Trimalchionis überhaupt ist und, wie gesagt, noch ganz in der Tradition Gottscheds steht, »das fremde Original bruchlos in die deutsche Sprache zu überführen.«48 Dem Grundsatz Gottscheds folgend, »alles mit solchen Redensarten aus[zudrücken], die in seiner Sprache nicht fremde klingen, sondern derselben eigenthümlich sind«,49 wandelt der anonyme Übersetzer die zahlreichen Redewendungen und Sprichwörter der Freigelassenen in der Regel50 in eine geläufige deutsche Redewendung um – eine Übersetzungspraxis also, worin diese frühe Übertragung der Cena 45

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Dass es sich hierbei tatsächlich um dichterische Freiheiten und nicht um die Befolgung der Grundsätze Gottscheds handelt, zeigt nicht zuletzt ein im Zusammenhang mit seiner Petron-Übersetzung entstandener Brief Heinses an Schmidt, worin Heinse verächtlich von dem Urteil des »Theorieenschmidts« spricht (vgl. dazu Heinse, An Schmidt, 16.7.1773, in: Schüddekopf [1904], 142). Siehe oben S. 247. Anonymus, Das Gastmahl des Trimalchions (1763). Schmeling/Stuckey (1977), 104, vermuten als Autor dieser Übersetzung Karl F. Flögel. Häntzschel (1977), 17. Gottsched, Ausführliche Redekunst (1759), 417. Vgl. für eine lateinische Redewendung, die auch im Deutschen verständlich ist und daher von dem anonymen Übersetzer im Bild ausgangssprachenorientiert wiedergegeben wird, 42,7.

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mit zahlreichen späteren Petron-Übersetzungen übereinstimmt. Den genannten Satz sed recorrexit costas illius prima vindemia (43,4) gibt er wieder mit »allein die erste Weinlese hat ihn aufgerichtet«,51 de re tamen ego verum dicam, qui linguam caninam comedi (43,3) mit »Doch ich will die Wahrheit sagen, da ich nichts bey mir behalten kann«. Das bereits erwähnte animam ebulliit (42,3) etwa übersetzt der anonyme Übersetzer schlicht mit »[er] ist gestorben«, Gröninger dagegen bleibt immerhin beim Bild des Ausgangstextes: »[er] hat seinen Geist ausgehaucht«, auch wenn der umgangssprachliche Tonfall durch seine Wiedergabe von ebulliit mit »er hat […] ausgehaucht« verloren geht. Tendenziell fügt der anonyme Übersetzer die kurzen Sätze der Freigelassenen zu längeren Satzgefügen zusammen, wohingegen Gröninger die Kürze und Kurzatmigkeit der Sätze in der Regel zusätzlich noch durch gezielte Interpunktion unterstreicht: Modo modo me appellavit. videor mihi cum illo loqui (42,3) etwa zieht der Übersetzer von 1763 zu einem Satz zusammen, indem er auch modo modo […] von videor abhängig macht: »Es kommt mir noch vor, als rufte er mich, als wenn ich mit ihm spräche.« Gröninger dagegen behält die Kürze der Sätze in seiner Darstellung bei und übersetzt: »Hört! ruft er mich nicht eben jezt bei namen? Mich deucht, ich rede noch mit ihm!«52 Auch baut der anonyme Übersetzer generell elliptische Sätze aus und ergänzt sie sinngemäß zu vollständigen Sätzen: So übersetzt er etwa aetatem bene ferebat, niger tamquam corvus (43,7) mit »man sahe ihm sein Alter nicht an: Seine Haare waren noch so schwarz, wie ein Rabe«. Gröninger dagegen stellt hier die Ellipse der Kopula auch im Deutschen dar: »man merkte sein alter nicht; noch schwarz, wie ein rabe«. Allerdings ist Gröninger in der Wiedergabe elliptischer Sätze inkonsequent: etliche andere gibt er nicht elliptisch wieder. Dass weder Gröninger noch die Übersetzung von 1763 die Sprachfehler der Freigelassenen darstellt, braucht hier nicht nochmals erwähnt zu werden; dass hierdurch ein Großteil der Charakterisierung der einzelnen Sprecher verloren geht, wurde bereits erläutert. Ebenso wenig geben die beiden Übersetzer die griechischen Wörter durch Fremdwörter im Deutschen wieder.53 Gröninger erzeugt einen umgangssprachlichen Tonfall vor allem durch die Wiedergabe der Kurzatmigkeit der Reden, die er durch gezielte Interpunktion hervorhebt 51 52

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Vgl. Friedländer: »aber die erste Weinlese stellte ihn auf die Füße«; Ehlers: »aber die erste Weinlese hat ihm wieder auf die Beine geholfen«. Vgl. auch 42,6: planctus est optime – manu misit aliquot – etiam si maligne illum ploravit uxor. Der anonyme Übersetzer fügt die drei Satzglieder in einen zusammenhängenden Satz zusammen, indem er die Parenthese manu misit aliquot auch im Deutschen als Parenthese zwischen Haupt- und Nebensatz einschiebt: »Man hat ihn sehr beklagt, er hat etliche Sclaven freygelassen, ob ihn gleich seine Frau nur zum Scheine beweint hat.« Dagegen hebt Gröninger die abgehackte Kurzatmigkeit der Sätze auch hier durch Interpunktion hervor und erhöht sie sogar im Vergleich zum Ausgangstext, indem er das letzte Satzglied etiam si […], das als Nebensatz vom Hauptsatz planctus est optime abhängig ist, als eigenständigen Satz darstellt: »Er ward aufs herrlichste betraurt. Er hat einige frei gelassen; auch sein Weib weint um ihn, obwohl nur verstellt«. Vgl. etwa baba babae, das Gröninger mit »o himmel!« übersetzt.

Die Freigelassenengespräche der Cena Trimalchionis

und unterstreicht. Das Presto Petrons geht hingegen in der Übersetzung von 1763 völlig verloren, denn weder stellt sie kurze oder elliptische Sätze in ihrer Kürze und Ellipse dar, noch gibt sie vulgärsprachliche Ausdrücke und Redewendungen vulgärsprachlich wieder (vgl. etwa »er ist gestorben« für animam ebulliit).54 Im Folgenden sollen nun anhand einer längeren zusammenhängenden Textpassage die Übersetzungsmethoden der vier vorgestellten Übersetzer am konkreten Beispiel erläutert werden. Dabei wird die rückläufige Chronologie beibehalten.

5. Detailanalyse: Der Wutanfall des Hermeros Untersucht werden sollen die ersten zehn Sätze der zweiten Wutrede des Hermeros (58,2–4), die sich gegen Giton, den Begleiter Encolps, richtet. Giton ist in ein unmäßiges Gelächter über Hermeros’ Schimpftiraden gegen seinen Freund Ascyltos ausgebrochen und wird im Folgenden von Hermeros zur Rede gestellt.55 [1] ›tu autem‹ inquit ›etiam tu rides, cepa cirrata? [2] io Saturnalia, rogo, mensis december est? [3] quando vicesimam numerasti? [4] quid faciat crucis offla, corvorum cibaria? [5] curabo, iam tibi Iovis iratus sit, et isti qui tibi non imperat. [6] ita satur pane fiam, ut ego istud conliberto meo dono; [7] alioquin iam tibi depraesentiarum reddidissem. [8] bene nos habemus, at isti nugae [qui tibi non imperant]. [9] plane qualis dominus, talis et servus. [10] vix me teneo, nec sum natura caldicerebrius, cum coepi, matrem meam dupundii non facio. […]‹

(1) Wilhelm Ehlers […] und sagte: »Aber du, du lachst auch, zotteliger Zwiebelkopf? Vivat Karneval, bitt schön, sind wir im Monat Dezember? Wann hast du die fünf Prozent hingezählt? … Was kann der Satansbraten, das Rabenaas anderes leisten? Warte, gleich soll dich Väterchen Jupiter hernehmen, und den da, der dich nicht im Zaum hält! So wahr ich mich an Brot satt essen will: ich verzichte jetzt bloß meinem Mitfreigelassenen zuliebe; sonst hätte ichs dir längst auf der Stelle heimgezahlt. Wir fühlen uns wohl, aber das da sind Taugenichtse! Wirklich, wie der Herr, so’s Gescherr. Ich kann mich kaum bezähmen, dabei bin ich von Natur kein Hitzkopf, aber wenn ich loslege, ist mir die eigene Mutter keine drei Groschen wert. […]«

Schon der erste Satz zeigt, dass Ehlers grundsätzlich auf Vollständigkeit auf der Mikroebene bedacht ist. Die Abfolge der Wörter und Satzglieder wird, soweit es die deutsche Sprache, zumal die deutsche Umgangssprache zulässt, beibehalten. Eine exakte Bei54

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Nicht uninteressant ist folgender Kunstgriff, den diese Übersetzung anwendet, um einen umgangssprachlichen Tonfall zu verstärken: Während der Gast Encolpius von seinem Tischnachbarn Hermeros mit der Höflichkeitsanrede »ihr« und »euch« angesprochen wird, duzen sich die freigelassenen Gäste untereinander und auch Hermeros verfällt in seiner Schimpfrede gegen Ascyltos und Giton, die beiden Freunde des Encolpius, in diese Anredeform. Die Wiedergabe des lateinischen Textes erfolgt nach der Textedition von Müller/Ehlers, Schelmenszenen (1965); Satznummerierung von A. R.

Antonia Renz

behaltung der Reihenfolge der Wörter tu autem […] etiam tu rides (»Du aber, auch du lachst«) würde der Übersetzung den umgangssprachlichen Tonfall nehmen, weshalb Ehlers in seiner Übersetzung die Reihenfolge der Wörter abändern muss (»Aber du, du lachst auch«). Auch im zweiten Satz ist die Reihenfolge der Satzglieder exakt eingehalten. Ehlers modernisiert den Ruf io Saturnalia durch die Wiedergabe mit dem Kölner Karnevalsruf »Vivat Karneval!« – als deutschem Pendant zur Narrenfreiheit an den römischen Saturnalien – , bewahrt aber auch im Deutschen durch das lateinische Wort vivat den fremden Klang des griechischen Ausrufs io. Beides steht im Einklang einerseits mit seiner modernisierend-assimilierenden Übersetzungsmethode, andererseits mit seinem Bemühen, die Fremdheit von Wörtern griechischen Ursprungs auch in seiner Übersetzung erfahrbar zu machen. Das im Vulgärlatein fast zur Partikel erstarrte Verb rogare gibt Ehlers wie im Ausgangstext in Parataxe durch die von ihm konsequent für rogo verwendete Formel »bitt schön« wieder und zeichnet so die Kurzatmigkeit der Rede auch im Deutschen nach. Im letzten Satzglied übersetzt Ehlers mensis december nicht als Nominativ, sondern fügt die umgangssprachliche Wendung »sind wir im […]?« ein. Auch im dritten Satz (»Wann hast du die fünf Prozent hingezählt?«) kann ohne Probleme die Abfolge der Wörter beibehalten werden. Ehlers erzeugt einen umgangssprachlichen Tonfall in seiner Darstellung des Satzes, indem er numerasti statt des einfachen »gezahlt« mit »hingezählt« übersetzt. Man sieht hieran, wie Ehlers stets bemüht ist, unter Beibehaltung der Bildlichkeit des Ausgangstextes nach einer umgangssprachlichen Darstellung zu suchen und so das Sprachniveau des ungebildeten, derben und zusätzlich noch betrunkenen Hermeros im Deutschen angemessen wiederzugeben. Dies zeigt auch der folgende vierte Satz: Aus crucis offla (»Bissen für das Kreuz«) macht Ehlers – indem er die Assoziation der Vernichtung und des Todes, die mit crux verbunden ist, in seiner Wortwahl beibehält, aber einen geläufigen deutschen Ausdruck wählt – »Satansbraten«; aus corvorum cibaria (»Speise für die Raben«) wird bei Ehlers »Rabenaas«, eine geläufige Zusammensetzung aus dem umgangssprachlich verwendeten Schimpfwort Aas und dem Genitiv Raben. Der fünfte Satz (curabo, iam tibi …) ist nicht nur nochmals ein Beispiel für die amplifizierende Übersetzungsmethode Ehlers’ hinsichtlich der umgangssprachlichen Wirkung seiner Darstellung, sondern zeigt zudem auch wieder, wie differenziert Ehlers die Abfolge der Wörter und Satzglieder beibehält, auf die Wortbedeutung achtet sowie die sprachlichen Abweichungen der Freigelassenensprache wiedergibt. Curabo, das ähnlich rogo (vgl. oben) in Parataxe vor dem Hauptgedanken steht, übersetzt Ehlers in seiner Übersetzung gleichfalls parataktisch mit »warte« – hier wie an allen übrigen Stellen in den Reden der Freigelassenen. Der Verwendung des altlateinischen Nominativs Iovis – einem für das Vulgärlatein durchaus üblichen Rückgriff auf altlateinische Formen – versucht Ehlers mit der Formulierung »Väterchen Jupiter« gerecht zu werden. Der Formulierung iam tibi Iovis iratus sit verleiht Ehlers einen für

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Sprecher und Sprechsituation angemessene umgangssprachliche Note, indem er es mit »gleich soll dich Väterchen Jupiter hernehmen« übersetzt. Ehlers’ Übersetzung des folgenden sechsten Satzes (ita satur …) ist nicht nur auf der Satzebene nah am Ausgangstext (Beibehaltung der Abfolge der Wörter und Satzglieder), sie behält zudem die Bildlichkeit des ersten Satzgliedes (ita satur pane fiam) bei, obgleich diese im Deutschen nicht geläufig ist – ein Vorgehen Ehlers’, das an übrigen vergleichbaren Stellen der Reden der Freigelassenen keine Entsprechung hat: In der Regel transponiert Ehlers lateinische Redenwendungen, wenn zum Verständnis nötig, in im Deutschen geläufige Redewendungen. Durch den Ausdruck »jetzt bloß« (»ich verzichte jetzt bloß […]«) bringt er ein dem niedrigen Sprachniveau des Hermeros angemessenes umgangssprachliches Element in seine Übersetzung, das im Ausgangstext zwar keine Entsprechung hat, aber gleichsam das umgangssprachliche Demonstrativpronomen istud ersetzt, das Ehlers ansonsten unübersetzt lässt. Auch im siebten Satz sind Vollständigkeit auf der Mikroebene und Amplifikation, das heißt umgangssprachliche Färbung zu beobachten: So gibt Ehlers reddidissem mit »heimzahlen« wieder und übersetzt die bedeutungsähnlichen Wörter iam (»längst, gleich«) und depraesentiarum (»auf der Stelle«), die hier in umgangssprachlicher Erregung in semantischer Doppelung auftreten, beide separat und zieht sie nicht – wie viele andere Übersetzer – zu einem Ausdruck zusammen. Ehlers’ Darstellung des folgenden achten Satzes ist nicht repräsentativ für seine Wiedergabe elliptischer Sätze oder Satzglieder. Denn hier weitet Ehlers ausnahmsweise at isti nugae unter Ergänzung der Kopula zu einem vollständigen Satz aus (»aber das da sind Taugenichtse«). Ehlers’ Übersetzung des neunten Satzes (plane qualis dominus …) ist dagegen exemplarisch für seine Umwandlung lateinischer Redensarten in gebräuchliche deutsche unter Beibehaltung bzw. nur leichter Modifikation der Bildlichkeit des Ausgangstextes: Aus qualis dominus, talis et servus macht Ehlers »wie der Herr, so’s Gescherr«. Das gleiche Verfahren ist auch im letzten Satzglied des folgenden Satzes angewendet: Aus dupundii [»zwei As«] non facio macht Ehlers das geläufige »keine drei Groschen wert«. (2) Ludwig Friedländer […] und sagte: »Du lachst auch, du betroddelte Zwiebel? Hurrah, Saturnalien! Ich frage, haben wir Dezember? Wann hast du die fünf Prozent bezahlt? Du Galgenfutter, du Rabenfraß! Ich will schon dafür sorgen, daß du den Zorn Jupiters fühlen sollst, und auch jener, der dich nicht in Zucht hält. So wahr ich von Brot satt werden will, es ist nur aus Respekt vor meinem Mitfreigelassenen, sonst würde ich dir gleich dein Teil gegeben haben! Wir sind hier ganz vergnügt, aber jene Hausnarren, die dich nicht in Zaum halten! Natürlich, wie der Herr so der Knecht. Ich kann mich kaum halten und ich bin von Natur kein Hitzkopf, aber wenn ich einmal anfange, respektiere ich meine eigene Mutter nicht. […]«

Schon der erste Satz ist kennzeichnend für Friedländers Darstellung der Freigelassenensprache: Vollständigkeit auf der Mikroebene und exakte Nachbildung der Abfolge der Wörter wird nicht immer angestrebt, obwohl sich Friedländer »Treue« zum

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Ziel gesetzt hatte. Die Konjunktion autem (tu autem […] etiam tu rides) bleibt unübersetzt. Zwar gibt Friedländer die Anfangsstellung und zweifache Nennung des Personalpronomens tu wieder, jedoch zieht er das zweite tu zur Anrede cepa cirrata. Den griechischen Ruf io im folgenden Satz (io Saturnalia, rogo …) gibt Friedländer, wie für seine Wiedergabe griechischer Fremdwörter üblich, in deutscher Entsprechung mit »Hurrah« wieder, bleibt aber in seiner Übertragung bei dem lateinischen Ausdruck »Saturnalien«, ohne in seinen Anmerkungen dem Leser die genaue Bedeutung der Saturnalien und damit den Sinn ihrer Nennung in diesem Satz zu erläutern. Das parataktische rogo übersetzt Friedländer zwar ebenfalls in Parataxe, allerdings kommt in seiner Übersetzung der umgangssprachliche Tenor, der in dieser Parataxe liegt, nicht richtig zum Ausdruck, da Friedländer rogo wörtlich und wenig umgangssprachlich mit »ich frage« übersetzt. Zumindest aber wählt er, ähnlich wie Ehlers, für mensis december est eine umgangssprachliche Wiedergabe mit »haben wir Dezember?«. Tendenziell jedoch gelingt es Friedländer nicht, einen Tonfall in seiner Übersetzung zu erzeugen, der dem betrunkenen, wütenden, ungebildeten Sprecher Hermeros angemessen wäre: Das Prädikat numerasti im folgenden Satz (quando vicesimam numerasti) übersetzt er nicht wie Ehlers amplifizierend, sondern bleibt bei der Grundbedeutung des Wortes. Im fünften Satz (curabo …) gibt Friedländer die Parataxe nicht wieder, sondern schließt den Satz iam tibi … mit einer hochsprachlichen dass-Konstruktion an curabo an. Zwar fügt er ein umgangssprachliches »schon« in seine Übersetzung von curabo ein (»ich will schon dafür sorgen, daß …«), jedoch wird diese umgangssprachliche Wirkung im anschließenden dass-Satz sogleich wieder zurückgenommen, da Friedländer hier tibi Iovis iratus sit allzu pathetisch-hochsprachlich mit »du sollst den Zorn Jupiters fühlen« übersetzt und die vulgärsprachliche Note des Demonstrativpronomens isti (»der da«) im letzten Satzglied (et isti qui tibi non imperat: »und dem da, der dich nicht beherrscht«) in seiner Übersetzung nicht wiedergibt, sondern isti hochsprachlich mit »jener« übersetzt – eine Stilabänderung, die durchaus im Einklang mit Friedländers Gesamtzeichnung des Hermeros steht. Auch die Wiedergabe von imperat mit »in Zucht halten« erscheint zu hochgegriffen angesichts des Sprechers und der Sprechsituation. Das gleiche gilt für Friedländers Übersetzung des nachfolgenden sechsten Satzes, insbesondere des zweiten Satzgliedes (ut ego istud conliberto meo dono: »ich gebe das meinem Mitfreigelassenen zuliebe auf«). Abgesehen davon, dass Friedländer das umgangssprachlich betonte Personalpronomen ego nicht wiedergibt, sondern den Teilsatz unpersönlich formuliert, erscheint seine Wiedergabe des Dativus commodi conliberto meo mit »aus Respekt vor meinem Mitfreigelassenen« angesichts des niedrigen vulgären Sprachniveaus des Hermeros zu hochsprachlich. Im siebten Satz gibt Friedländer zudem die aus der wütenden Erregung des Hermeros resultierende semantische Doppelung iam … depraesentiarum nicht wieder, strebt also auch hier keine Vollständigkeit auf der Mikroebene an: Er übersetzt

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schlicht mit »sonst würde ich dir gleich dein Teil gegeben haben« – die Erregung des Hermeros geht in Friedländers Übersetzung also verloren. Der achte Satz (bene nos habemus …) ist einer der seltenen Fälle, in denen Friedländer ein zusätzliches umgangssprachliches Element in seinen Text einbaut, obgleich dadurch der Sinn des Satzes nicht wirklich getroffen wird: bene nos habemus (»wir verhalten uns gut«) übersetzt er mit »Wir sind hier ganz vergnügt«; auch stellt er im zweiten Satzglied (at isti nugae) die Ellipse der Kopula, und damit die Kurzatmigkeit der Sprechweise des Hermeros dar (»aber jene Hausnarren«), allerdings erscheint seine Wiedergabe von isti mit »jene« wiederum zu hochsprachlich. Das letzte Glied des zehnten Satzes schließlich (matrem meam dupundii non facio), den Friedländer ansonsten nah am Ausgangstext wiedergibt, ist nochmals ein Beispiel dafür, dass sich Friedländer bisweilen unnötigerweise vom Ausgangstext entfernt, wodurch ein Teil des Petron’schen Originaltons verloren geht, den Friedländer doch nach eigenen Worten eigentlich wiederzugeben versucht. Und zwar bleibt Friedländer bei der Übersetzung der Redensart matrem meam dupundii non facio (»meine Mutter achte ich für kein Zwei-As-Stück«) nicht bei der Bildlichkeit des Ausgangstextes, sondern gibt sie transponierend mit »respektiere ich meine eigene Mutter nicht« wieder. Diese Abweichung vom Ausgangstext ist aber nicht nur unnötig – denn zum einen ist die Idiomatik der lateinischen Redensart auch im Deutschen verständlich und zum anderen existiert sogar eine entsprechende deutsche Redensart, wie Ehlers zeigt – , vor allem aber verfälscht Friedländers Übersetzung die Charakterzeichnung des Hermeros, indem sie Hermeros statt einer landläufigen Redensart auch hier wieder ein hochsprachliches Wort (»respektieren«) benutzen lässt. (3) Adolf Gröninger Aber du, sagt’ er, du lachst auch, krausköpfige zwiebel? Sind nun saturnalien? Ich bitte dich, sind wir im decembermonat? Wann hast du den zwanzigsten gezählt? Du eigenthum des kreuzes! Du speise der raben! Ich bring’ es schon dahin, dass jupiter dir zürne, und dem, der dich nicht besser beherrscht. So gewiss ich hier brot zur gnüge hab’: ich mässige mich nur aus rücksicht auf meinen mitfreigelassenen! sonst hätt’ ichs dir schon izt gleich bezahlt. Wir führen uns ordentlich auf; nicht jenes gesindel, das dir freien willen lässt. Ja, grade wie der herr, so der sklav’! Kaum halt ich mich! Ich bin von natur hitzig, pfefferartig; und wann ich einmal anfange, gilt mir meine mutter selbst nicht zween as mehr.

Gleich im ersten Satz wird das Bestreben Gröningers deutlich, die Abfolge der Wörter und Satzglieder abzubilden. Gröninger ist hierbei sogar noch näher am Ausgangstext als Ehlers, da er den Einschub inquit in seiner Übersetzung ebenfalls zwischen die wörtliche Rede stellt und ihn nicht wie Ehlers derselben vorausgehen lässt. Allerdings ändert Gröninger die Folge von tu autem, etiam tu ab – wie dies auch Ehlers tut: »Aber du […] du lachst auch« (statt »du aber, auch du lachst«). Ob Gröninger hiermit einen umgangssprachlicheren Tonfall erzeugen wollte – wie dies offensichtlich bei Ehlers der Fall ist – , kann nur vermutet werden, da unklar ist, was im 18. Jahrhundert als umgangssprachlich galt – ein Problem, dem hier noch nicht ausreichend nachgegangen werden konnte.

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Auch die restlichen Sätze der zitierten Textpassage zeichnen sich durch eine große Nähe zum Ausgangstext aus:56 Dies bedeutet zum einen Vollständigkeit auf der Mikroebene. So gibt Gröninger etwa in Satz 7 alioquin iam tibi depraesentiarum reddidissem die semantisch beinahe deckungsgleichen Adverbien iam (»schon, sogleich«) und depraesentiarum (»auf der Stelle«) in seiner Übertragung beide gesondert wieder: »sonst hätt’ ichs dir schon izt gleich bezahlt«. Auch in der Abfolge der Satzglieder und Wörter folgt Gröninger in den übrigen Sätzen der Textpassage dem lateinischen Ausgangstext, allerdings freilich mit den Einschränkungen, die die deutsche Sprache deutschen Übersetzungen auferlegt: d. h. nur sofern die Wortfolge im Lateinischen den normalen deutschen Satzbauplan nicht durcheinander bringt und beispielsweise im Deutschen keine Hervorhebungen einzelner Wörter entstehen, die der lateinische Text gar nicht aufweist (z. B. übersetzt Gröninger in Satz 8 bene nos habemus mit »Wir führen uns ordentlich auf« und nicht mit »ordentlich führen wir uns auf«). Zudem behält Gröninger die Bildlichkeit des Ausgangstextes bei: Die lateinische Redewendung matrem meam dupundii non facio (Satz 10) gibt Gröninger nicht in ihrer deutschen Entsprechung (Ehlers: »keine drei Groschen wert«) wieder, sondern er bleibt beim Bild der lateinischen Vorlage (»zween as«). Aus den crucis offla (»Bissen für das Kreuz«, Satz 3) allerdings macht Gröninger in leichter Abweichung vom Bild des Ausgangstextes »eigenthum des kreuzes«. Neben der großen Nähe zum Ausgangstext finden sich aber mitunter auch Erweiterungen des Textes, die der Verstärkung des umgangssprachlichen Tonfalls dienen dürften. So fügt Gröninger vor crucis offla und corvorum cibaria (Satz 3) jeweils das Personalpronomen »du« ein und übersetzt: »Du eigenthum des kreuzes! Du speise der raben!« In gleicher Absicht dürfte Gröninger auch rogo (Satz 2) mit »Ich bitte dich« übersetzt haben, mensis december est (Satz 2) mit »sind wir im decembermonat?« sowie curabo (Satz 5) mit »Ich bring’ es schon dahin«. Diese vermutliche Verstärkung der umgangssprachlichen Wirkung beschränkt sich bei Gröninger allerdings auf die genannten Einfügungen; amplifizierendes Übersetzen von Verben etwa, wie bei Ehlers, findet sich hier nicht: iratus sit (Satz 5) übersetzt Gröninger ausgangssprachenorientiert mit »er soll zürnen«, reddidissem (Satz 7) mit »bezahlen«. Auffällig ist, dass Gröninger hier, wie auch in Reden anderer Freigelassener, die ohnehin schon kurzen Sätze oft nochmals durch eingeschobene Interpunktion (Frage- und Ausrufezeichen) verkürzt: »Sind nun saturnalien?«; »Du eigenthum des kreuzes! Du speise der raben!«; »Kaum halt ich mich!«, wodurch er nicht nur die umgangssprachliche Kürze der Rede des Hermeros, sondern auch seine Erregung durch Interpunktion und Schriftbild noch verstärkt.

56

Die Auslassung des griechischen Ausrufs io zu Anfang des zweiten Satzes, die von Ehlers und Friedländer abweichende Übersetzung des dritten Satzes sowie die Auslassung von quid faciat zu Anfang des vierten Satzes gehen auf abweichende Überlieferungen zurück, die hier nicht näher erläutert werden sollen. Gleiches gilt an diesen Stellen für die Übersetzung von 1763.

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(4) Anonymus, 1763 Auch du, aufgekraußte Aelster, auch du lachst? Haben wir etwan Saturnalia, leben wir etwan im December? Wann werden wir den Zwanzigsten haben? Was wird aus diesem Galgenpengel werden? Vermuthlich ein Gerüchte für die Raben. Ich werde auf dich und auf deinen Hofmeister, welcher dich nicht bestraft, den Zorn des Jupiters bringen. Ich werde mein Müthlein an dir kühlen: doch muß ich dir auf die Fürbitte meines Cammeraden verzeihen, sonst hätte ich dich gleich belohnt, wie du es verdient hast. Wir müssen uns von dir beunruhigen lassen, weil die groben Kerle, welche die Aufsicht über dich haben, dich nicht zu deiner Pflicht anhalten. Hier trifft das Sprüchlein ein: Wie der Herr, so der Diener. Ich kann mich kaum halten, denn ich bin von Natur hitzig. Wenn ich Ursache zum Zorne finde, so achte ich auch meine Mutter nicht.

Die Übersetzung von 1763 erlaubt sich die zu ihrer Zeit üblichen und von Gottsched geforderten Freiheiten. Nicht die Nähe zum Ausgangstext ist das Ziel der Übersetzung, sondern ein flüssig zu lesender Text, dem man die Fremdheit der Vorlage nicht anmerken soll. Schon im ersten Satz zeigt sich dieses Prinzip, den Text zu glätten. Die Abfolge der Wörter und Satzglieder wird nicht beibehalten. Statt der lateinischen Formulierung tu autem […] etiam tu rides, cepa cirrata schreibt der Übersetzer: »Auch du, aufgekraußte Aelster, auch du lachst?« Zwar ist die zweifache Nennung des Personalpronomens tu beibehalten, aber offensichtlich nimmt der Übersetzer Anstoß an der Konjunktion autem (»aber«) – deren Sinn an dieser Stelle ja tatsächlich nicht ganz klar ist – und gibt sie mit »auch« wieder. Zudem zieht er die Anrede cepa cirrata in die Mitte des Satzes. Weshalb er aus cepa (»Zwiebel«) eine »Aelster« (Elster) macht, ist freilich ungewiss, sofern man nicht den schäckernden Laut dieses Vogels als Auslöser annimmt, der sich ja auch als höhnisches Lachen deuten lässt. Offensichtlich mit der Absicht, seinem Text eine umgangssprachliche Note zu verleihen, fügt der Übersetzer in den folgenden Sätzen dreimal das Personalpronomen »wir« ein: »Haben wir etwan Saturnalia, leben wir etwan im December? Wann werden wir den Zwanzigsten haben?« Der Versuch des Übersetzers, einen umgangssprachlichen Ton zu erzeugen, bleibt allerdings auf das Einfügen des Personalpronomens »wir« beschränkt. In der Regel nimmt der Übersetzer in seiner Darstellung dem Text die umgangssprachliche Wirkung: So fasst er offensichtlich corvorum cibaria (quid faciat crucis offla, corvorum cibaria, Satz 4) als elliptische Antwort auf die vorausgehende Frage quid faciat crucis offla auf,57 gibt sie allerdings nicht in ebensolcher Kürze wieder, sondern erweitert sie zu »Vermuthlich ein Gerüchte für die Raben«. Auch gibt der Übersetzer das umgangssprachlich parataktisch verwendete curabo im folgenden fünften Satz (curabo, iam tibi …) nicht in Parataxe wieder,58 sondern zieht es in seiner Übersetzung mit tibi Iovis iratus sit zusammen und lässt es den gesamten Satz umschließen (»Ich werde auf dich […] den Zorn Jupiters bringen«). 57 58

Anders Ehlers, Friedländer und Gröninger; siehe hierzu oben. Vgl. auch rogo, mensis december est: Der anonyme Übersetzer gibt rogo überhaupt nicht explizit wieder.

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Überhaupt ist dieser Satz ein gutes Beispiel für die Auswirkung, welche die Umstellung der Satzglieder mit sich bringt: Das in umgangssprachlicher Erregung hinterherklappernde Satzglied et isti qui tibi non imperat gibt der Übersetzer nicht ebenfalls in satzfinaler Stellung wieder, sondern fügt es direkt nach tibi ein (»auf dich und auf deinen Hofmeister, welcher dich nicht bestraft«) – und nimmt dem Satz so seinen umgangssprachlichen Tonfall. Zudem wird in seiner Übersetzung aus dem umgangssprachlich-verächtlichen Demonstrativpronomen isti vornehm-gehoben »dein Hofmeister«. Auch weiteren Sätzen bzw. Formulierungen nimmt der Übersetzer ihre Kürze und damit umgangssprachliche Wirkung: reddidissem etwa (alioquin iam tibi depraesentiarum reddidissem, Satz 7) erweitert er zu »sonst hätte ich dich gleich belohnt, wie du es verdient hast«. Das Adverb plane (plane qualis dominus, talis et servus, Satz 9; im Deutschen etwa: »klar, wie der Herr …«) weitet der Übersetzer zu einem ganzen Satz aus: »Hier trifft das Sprüchlein ein: …«. Das knappe coepi (sed cum coepi) des zehnten Satzes gibt der Übersetzer erläuternd mit »Wenn ich Ursache zum Zorne finde« wieder. Auch dem finalen Satzglied des letzten Satzes schließlich nimmt der Übersetzer seine umgangssprachliche Wirkung, indem er die lateinische Redensart matrem meam dupundii non facio nicht in ihrer Bildlichkeit wiedergibt, sondern übersetzt mit »so achte ich auch meine Mutter nicht«.

6. Schluss Ein Ergebnis dieser Untersuchung ist die Tatsache, dass im Grunde die dritte Hauptregel Gottscheds bis heute für Übersetzer des Satyricon aktuell ist, wollen sie den Tonfall Petrons in ihrer Übersetzung wiedergeben: Daher drücke man denn III. alles mit solchen Redensarten aus, die in seiner Sprache nicht fremde klingen, sondern derselben eigenthümlich sind. Eine jede Mundart hat ihre eigene Ausdrückungen, die sich in keiner andern ganz genau geben lassen. Und da muß ein Redner allezeit etwas gleichgültiges an die Stelle zu setzen wissen, was eben den Nachdruck, und eben die Schönheit hat, als die Redensart des Originals.

Diese Regel hatte Adolf Gröninger zumeist nicht befolgt, als er 1796 den Versuch unternahm, das Werk Petrons nach der neuesten Übersetzungsmethode wiederzugeben. Dennoch hat auch er einen Weg gefunden, sich dem Presto Petrons anzunähern. Die Befolgung aller vier Hauptregeln Gottscheds dagegen hat den Verlust des Petron’schen Tempos zur Folge, wie die Analyse der Übersetzung von 1763 gezeigt hat. Erst eine Verbindung ausgangssprachenorientierter und transponierender Verfahrensweise, wie sie alle Übersetzer nach Gröninger anstreben, kann das Tempo, in dem der Autor seine Figuren auf charakteristische Weise sprechen lässt, auch im Deutschen bewahren. Dass es hierbei dann letztendlich auf die Fähigkeiten des einzelnen Übersetzers ankommt, sein Einfühlungsvermögen in den Text und sein Verständnis desselben, hat die Analyse der Übersetzungen von Friedländer und Ehlers gezeigt.

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Friedländer verfehlt viel vom Ton des Originals, obgleich er sich ihm doch zu nähern versucht, und zwar deshalb, weil er sich oft unnötigerweise vom Original entfernt. Ehlers dagegen weist von allen deutschsprachigen Petron-Übersetzern die größtmögliche Nähe zum Ausgangstext bei gleichzeitigem größtmöglichen umgangssprachlichen Tonfall auf – und nähert sich gerade dadurch dem Presto Petrons wie kein anderer an.

Literaturverzeichnis Primärliteratur Anonym, [Rezension zu] Des Titus Petronius Arbiter Satyricon, mit Nodots Ergänzung, ins Deutsche übersetzt [anonymer Nachdruck der Übersetzung von A. Gröninger von 1796], in: Allgemeine Literatur-Zeitung (1807), Bd. 2, Num. 164, 69–71. Anonym, »Das Gastmahl des Trimalchions aus dem Petronius«, in: Vermischte Beyträge zur Philosophie und zu den schönen Wissenschaften, 2. Bd., Breslau 1763. Dorminger, Georg, Das Gastmahl des Trimalchio, Eumolpius, der Dichter und Sänger. Gaius Petronius übertragen und erläutert von G. D., München 1960. Friedländer, Ludwig, Petronius, Cena Trimalchionis. Mit deutscher Übersetzung und erklärenden Anmerkungen von L. F., Leipzig 1906. Gottsched, Johann Christoph, Beyträge zur critischen Historie der deutschen Sprache, Poesie und Beredsamkeit, 14. Stück, Leipzig 1736. Gottsched, Johann Christoph, Ausführliche Redekunst, 2. Aufl., Leipzig 1739. Gröninger, Adolf, Des Titus Petronius Arbiter Satyricon samt Nodots Ausfüllung übersezt, Berlin 1796. Heinse, Wilhelm, Begebenheiten des Encolp. Aus dem Satyricon des Petron übersetzt, 2 Bde., Rom 1773. Heinse, Wilhelm, Briefe. Erster Band, in: Sämmtliche Werke, hg. v. Carl Schüddekopf, Bd. 9, Leipzig 1904. Herder, Johann Gottfried, Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Eine Beilage zu den Briefen, die neueste Literatur betreffend, Erste Sammlung (1767), in: Herders Sämmtliche Werke, hg. v. Bernhard Suphan, Bd. 1, Berlin 1877. Krenkel, Werner, Petronius, Satyrikon, in: Römische Satiren, hg. v. W. Binder et al., 2. Aufl., Berlin/Weimar 1977. Müller, Konrad/Ehlers, Wilhelm, Petronius, Satyrica. Schelmenszenen. Lateinischdeutsch von K. M. und W. E., München 1965. Müller, Konrad/Ehlers, Wilhelm, Petronius, Cena Trimalchionis. Gastmahl bei Trimalchio, lateinisch-deutsch von K. M. und W. E., München 1979.

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Nietzsche, Friedrich, Jenseits von Gut und Böse (1886), in: Sämtliche Werke. Kritische Studienausgabe in 15 Bdn., hg. v. Giorgio Colli/Mazzino Montinari, Bd. 5, Berlin/New York 1980. Petronius Saturae, ed. Franz Bücheler, Zürich 1862. Petronius Cena Trimalchionis, ed. Martin S. Smith, Oxford 1975. Petronius Satyricon reliquiae, ed. Konrad Müller, München u.a. 2003 (korr. ND der 4. Aufl. Stuttgart/Leipzig 1995) Schnur, Harry C., Satyricon, ein römischer Schelmenroman. Übersetzt und erläutert von H. C. S., Stuttgart 1968. Schönberger, Otto, Petronius, Satyrgeschichten. Lateinisch und deutsch, Berlin 1992. Steinmann, Kurt, Petronius, Satyricon. Ein antiker Schelmenroman. Aus dem Lateinischen übersetzt und mit einem Nachwort von K. S., Zürich 2004. Weinreich, Otto, Römische Satiren. Ennius, Lucilius, Varro, Horaz, Persius, Juvenal, Seneca, Petron, eingeleitet und übertragen von O. W., Zürich 1949. Sekundärliteratur Boyce, Bret, The Language of the Freedman in Petronius’ Cena Trimalchionis, Leiden 1991. Fantino, Enrica, »Die Nachahmung und Aneignung antiker Literatur am Ende des 18. Jahrhunderts in Deutschland: Einige Überlegungen zum Übersetzungswerk von Johann Heinrich Voß«, in: Intrecci di lingue e culture (Festschrift Sandra Bosco Coletsos), hg. von Lucia Cinato/Marcella Costa/Donatella Ponti/Miriam Ravetto, Rom 2012, 89–110. Häntzschel, Günther, Johann Heinrich Voß. Seine Homer-Übersetzung als sprachschöpferische Leistung, München 1977. Hofmann, Johann Baptist, Lateinische Umgangssprache, 3. Aufl., Heidelberg 1951. Kitzbichler, Josefine/Lubitz, Katja/Mindt, Nina, Theorie der Übersetzung antiker Literatur in Deutschland seit 1800, Berlin/New York 2009. Neumeister, Christoff, »Wilhelm Ehlers’ Übersetzung der Freigelassenengespräche in Petrons Cena Trimalchionis«, in: Pontes V. Übersetzung als Vermittlerin antiker Literatur, hg. v. Wolfgang Kofler/Florian Schaffenrath/Karlheinz Töchterle, Innsbruck 2009, 309–317. Petersmann, Hubert, Petrons urbane Prosa. Untersuchungen zu Sprache und Text, Wien 1977. Thesz, Johann Martin, Deutsche Thukydidesübersetzungen vom 18. bis zum 20. Jahrhundert, Dissertation Humboldt-Universität zu Berlin, 2014 (ungedruckt). Schmeling, Gareth L./Stuckey, Johanna Leather, A Bibliography of Petronius (Mnemosyne Suppl. 37), Leiden 1977. Väänänen, Veiko, Introduction au latin vulgaire (3. Aufl.), Paris 1981.

Die Freigelassenengespräche der Cena Trimalchionis

Abstract: The freedmen’s speeches in the Cena Trimalchionis. Germanlanguage translations of Petronius from the 18th century to the present The paper aims to use four translations to illustrate how Petronius’ Cena Trimalchionis can be translated into German. What is unusual about this central part of the Satyricon is the fact that the exchanges exhibit features of vulgar and colloquial language, as the figures involved are social-climbing arrivistes from the lower classes (so-called freedmen). The linguistic form of the Latin differs from the written standard in its phonetics, morphology, lexis, grammar and in the presto tone created by the short spoken sentences, as well as failed attempts to produce high class expressions (socalled hyperurbanisms). For translators this creates the problem of whether and by what means these linguistic deviations from the norm in the source text should be represented in the target text. Wilhelm Ehlers in his translation (1965), oriented to the source text, attempts to recreate the deviation from linguistic norms as far as possible and, when this is not possible, tries to provide a compensatory substitute. The translation by Ludwig Friedländer (1906), the first with explicit philological ambitions, attempts to reproduce the tone of the original without recreating the form of the linguistic deviations, which leads to inconsistencies and discrepancies between the Latin and German texts. The translation by Adolf Gröninger (1796) is from a time when the paradigm of source-text-oriented translation was developed in Germany. Gröninger attempts to stay close to the Latin in syntax, at times at the cost of comprehensibility. Breaches of the rules are not re-created in form, but the presto tone of the text is indeed matched by punctuation and short sentences. The anonymous first translation (1763), in contrast, takes its orientation from Gottsched’s principle of transposition; colloquial deviations and presto-like syntax are here adapted to the norms of the target language.

Deutsche Übersetzungen der Metamorphosen des Apuleius seit 1780 ULRIKE STEPHAN 1. Einleitung Der Asinus aureus, der Goldene Esel, hat in der Geschichte seines Stoffes so einige Kapriolen geschlagen. Gebürtig aus Griechenland als noch recht zahmes Arbeitstier, ist er im lateinischen Werk des Apuleius in das ungebärdige Zirkuspferd verwandelt worden, das seitdem im Zickzack durch die Literaturgeschichte springt. Nur wenige Übersetzer haben es in der Neuzeit unternommen, den Goldenen Esel zu bändigen, und je nachdem, wie sie ihn zu fassen bekommen haben und für welches Publikum sie ihn ihrerseits dressiert haben, vollführt der Esel mal diese, mal jene Kunststückchen, hat auch manch neue Nummer in sein Repertoire aufgenommen. Die geringe Zahl der Dressurversuche erlaubt es, alle fünf vollständigen deutschsprachigen Übersetzungen des Romans Asinus aureus, der im Original besser unter dem Titel Metamorphosen bekannt ist, in die vorliegende Untersuchung einzubeziehen. Als Leitfaden für die Analyse dient der Beitrag von Thomas Poiss u. a. in diesem Band, insbesondere der Kriterienkatalog § 7; aus diesem werden die für unseren Gegenstand relevanten Aspekte herausgegriffen und um einige spezifische Merkmale der Metamorphosen und ihrer Übersetzungen ergänzt. Es werden daher zunächst diese für die Übersetzungsanalyse wesentlichen Charakteristika des lateinischen Textes vorgestellt und die einschlägigen Forschungsdiskussionen zusammengefasst. Auf einen Abriss der Rezeptionsgeschichte der Metamorphosen in der Neuzeit folgen dann die Analysen der Übersetzungen: Dabei wird einerseits jede Übersetzung für sich in ihrem historischen und literarischen Umfeld präsentiert, anhand der relevanten Kriterien systematisch analysiert und in die Übersetzungstypologie eingeordnet, wie sie im Beitrag von Thomas Poiss et al. im vorliegenden Band dargestellt ist, andererseits wird das besonders interessante Prooemium der Metamorphosen in einer Parallelanalyse aller fünf Übersetzungen gegenüber dem Originaltext untersucht. In einer Schlussbetrachtung werden die Übersetzungen zur Transformationstheorie des SFB 6441 in Beziehung gesetzt, im Rahmen dessen die vorliegende Arbeit entstanden ist.

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Zur Transformationstheorie des SFB 644 siehe vor allem Bergemann et al. (2011), insbesondere 47– 54, zur Transformationstypologie.

Ulrike Stephan

2. Zum lateinischen Text 2.1 Gattung und Textgeschichte Die Frage, was die Metamorphosen des Apuleius eigentlich seien, ist seit jeher umstritten. Als fiktionale Erzählung in Prosa wird der Text üblicherweise als »Roman« eingeordnet2 und damit in eine Kategorie mit den griechischen Abenteuerromanen (Chariton von Aphrodisias, Achilleus Tatios, Xenophon von Ephesos, Heliodoros von Emesa, Longos u. a.) sowie mit Petron gestellt. Gleichwohl folgen die Metamorphosen nicht allen Regeln des Genres: Insbesondere treten die »Einlagen«, die eigenständigen und teilweise aus der Rahmenhandlung nur schwach motivierten Binnenerzählungen, in den griechischen Romanen und bei Petron (soweit beim fragmentarischen Charakter seines Werkes feststellbar) nicht in vergleichbarem Ausmaß auf. Neben dem Roman sind Einflüsse anderer Werke und Gattungen sichtbar: die Μιλησιακά des Aristeides und ihre lateinische Übersetzung durch Sisenna, die �ληθεῖς ἱστορίαι des Lukian, die Satiren des Persius, der Mimos, die Komödie, die Hirtendichtung u. a. Doch bilden die Metamorphosen in ihrer Gesamtkomposition ein Unikat der antiken Literatur, nicht zuletzt durch ihre eigene Entstehungsgeschichte. Die Metamorphosen des Apuleius sind eine »bearbeitende Übersetzung einer griechischen Vorlage«3 – soweit wir dies beurteilen können, denn die Vorlage, die Metamorphosen des Loukios von Patrai, ist verloren und nur in einer Epitome unter dem Namen Λούκιος ἢ �νος mit den Werken des Lukian überliefert. Für den Inhalt der Kürzungen ist Helmut van Thiel zu dem Schluss gekommen, dass sie im Wesentlichen den »Einlagen« entsprochen haben dürften, in denen Apuleius über den Λούκιος ἢ �νος hinausgeht: »Apuleius hat die Einlagen des Originals ebenso wie das ganze Buch nur manipuliert« und »sogar manches Stück der Vorlage, welches durch seine Änderungen überflüssig geworden war, beibehalten und dafür Unsinnigkeiten in Kauf genommen.«4 Für erzählerische und stilistische Details gilt hingegen eher das Gegenteil. Da nach dem Zeugnis des Photios »der Erzählungsstil des �νος weitgehendst dem seiner Vorlage [entspricht]«5, führt der Vergleich der apuleianischen Metamorphosen mit der griechischen Epitome direkt zu dem Ergebnis, dass Apuleius nicht nur inhaltlich »die Fülle von Stoffen und ihre möglichst große Buntheit und Abwechslung als Wert an sich ansah«6, sondern auch im Erzählstil »Ansätze und Tendenzen, Stimmungen und Stoffe des Originals [benutzt], die er ausschmückt, verstärkt, verdeutlicht und wiederholt«7. 2 3 4 5 6 7

U. a. in den einschlägigen Einführungswerken, etwa Harrison (1999), Holzberg (2001), Graverini et al. (2006). Küenzlen (2005), 37. Van Thiel (1972), 153. Lesky (1941), 48. Van Thiel (1972), 156. Van Thiel (1972), 154.

Deutsche Übersetzungen der Metamorphosen des Apuleius

Für die deutschen Übersetzungen der Metamorphosen spielt die Gattungs- und Textgeschichte keine große Rolle. Dies liegt in erster Linie daran, dass das griechische Original nicht zum Vergleich herangezogen werden kann. Ein Kuriosum der Rezeptionsgeschichte besteht darin, dass die erste deutsche Übersetzung der »Eselsgeschichte« sich nicht auf Apuleius, sondern auf die griechische Epitome bezieht, doch werden weder diese Übersetzung noch die von Christoph Martin Wieland von den Übersetzern der apuleianischen Metamorphosen berücksichtigt;8 auch hat (soweit feststellbar) keiner der hier untersuchten Übersetzer der Metamorphosen die Epitome selbst übersetzt, ebenso wenig Werke aus den anderen genannten Gattungen, mit Ausnahme der Petron-Übersetzung von Carl Fischer. 2.2 Der Text selbst Unter den vielen, auch aufs Grundsätzliche zielenden Aspekten des Textes, die in der Forschungsliteratur diskutiert worden sind, sollen hier vor allem zwei betrachtet werden, die für eine Übersetzungsanalyse relevant sind: erstens das Verhältnis von Rezipient, Autor, Erzähler und handelnden Figuren, sowohl des ganzen Werkes als auch der Binnenerzählungen, insbesondere das Verhältnis der jeweiligen Perspektiven auf Geschehen und Erzählung; zweitens der Stil bzw. die Stilebenen des Werkes. 2.2.1 Identitäten und Perspektiven Quis ille? wird im Prooemium gefragt, und die Frage zieht sich durch die Metamorphosen-Interpretation.9 Die Identität des Sprechers (bzw. Schreibers10) des Prooemiums hat dabei das größte Interesse auf sich gezogen; wiewohl eine Konferenz im Jahre 1996 die Frage per Abstimmung »permanently and decisively«11 zugunsten des Protagonisten Lucius entschieden hat, werden daneben der Autor Apuleius, das Buch selbst12 sowie ein anonymer, weder mit Apuleius noch mit Lucius identischer Sprecher in der Weise eines plautinischen prologus13 oder eines »fictional Greek oral storyteller«14

8

9

10 11 12 13 14

Die Übersetzung der Epitome durch Wieland ist in der zweisprachigen Metamorphosen-Ausgabe (Brandt [1958]) abgedruckt, ebenfalls zweisprachig, wurde allerdings laut Herausgeber »von dem Verlag beigesteuert« und hat keinen erkennbaren Einfluss auf Brandts Übersetzung ausgeübt. Eine Ausnahme bildet Augustinus, der Apuleius und Lucius für identisch hält und lediglich offen lässt, ob die »Autobiographie« fiktiv oder echt ist (sicut Apuleius […] sibi ipse accidisse […] aut indicavit aut finxit, civ. 18.18). Zum Verhältnis von Mündlichkeit und Schriftlichkeit im Prooemium siehe Fowler (2001). Kahane/Laird (2001), 5. Harrison (1990). Winkler (1985), 200–203. Kirichenko (2010), 165.

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vertreten. Daneben sind die Identität des Fragestellers des Quis ille? und die des Angeredeten (tibi) im Prooemium diskutiert worden.15 Zum Verhältnis von Autor, Erzähler und Protagonist des Romans kommen außerhalb des Prooemiums vor allem die Passagen in Betracht, in denen der Erzähler Lucius seine Situation als Esel (zum Zeitpunkt der Handlung) und als Mensch (zum Zeitpunkt der Erzählung bzw. Niederschrift) thematisiert (u. a. 6.25: ego non procul dolebam mehercules quod pugillares et stilum non habebam qui tam bellam fabellam praenotarem; 9.30: Sed forsitan lector scrupulosum reprehendes narratum meum sic argumentaberis: »Unde autem tu, astutule asine, intra terminos pistrini contentus, quid secreto, ut adfirmas, mulieres gesserint scire potuisti?«), sowie die irritierende Stelle 11.27 Madaurensem, sed admodum pauperem, die sich eindeutig (wenn auch indirekt) auf Lucius bezieht, obwohl nicht er, sondern Apuleius aus Madaura stammt. Doch auch im Falle der »Einlagen«, wobei bestimmte handelnde Figuren der Rahmenhandlung zu Erzählern der Binnenerzählung werden, andere zu ihren Rezipienten (teilweise auf mehreren verschachtelten Ebenen16), ist die Beziehung zwischen »Auctor et Actor« komplex und nicht immer kohärent zu bestimmen. Für eine Übersetzungsanalyse ist vor allem relevant, ob eine Übersetzung in diesem Punkt eine Wirkungsäquivalenz anstrebt bzw. erreicht: Eine solche Übersetzung, die die Komplexität des Originals adäquat wiedergibt, müsste ebenso wie dieses imstande sein, eine vergleichbar kontroverse Forschungsdiskussion (darunter einen Sammelband von 24 Beiträgen allein über das Prooemium, seine Bedeutung und Bezüge) auszulösen. Insbesondere dürfte die »baffling confusion of frames and multiple identities«, »their glaring incompatibility«17 nicht aufgelöst werden in eine stimmige(re) Darstellung, sondern müsste in ihrer Widersprüchlichkeit erhalten werden. Doch nicht nur die Identität, sondern auch die Perspektive des Protagonisten, des Erzählers, des Autors und, im Verhältnis dazu, die Perspektive des Lesers spielen eine besondere Rolle im Roman des Apuleius. Dass Apuleius’ »dramatic mode of presentation […] compels the reader to share the perspective of the narrator/actor«18, ist bei einem Ich-Erzähler unvermeidbar, Apuleius geht aber entscheidend darüber hinaus: Die gesamte Handlung wird aus Lucius’ Perspektive zur Zeit der Handlung erzählt, d. h. insbesondere von seinem Standpunkt vor (bzw. im 11. Buch während) der Initiation in den Isis-Kult. Die Interpretation der vorangegangenen Ereignisse durch den Isis-Priester Mithras (11.15) muss dem Erzähler Lucius zum Zeitpunkt der Niederschrift bekannt und bewusst sein, spielt aber bei der Darstellung besagter Ereignisse keine Rolle:

15 16 17 18

U. a. de Jong (2001), Zimmerman (2001). Ausführlich dargestellt am Beispiel der Diophanes-Episode (2.11–15) von Winkler (1985), 39–44. Kirichenko (2010), 166. Kenny (1974), 204.

Deutsche Übersetzungen der Metamorphosen des Apuleius The narrator turns out to be a convert and a priest, but he recounts his adventures from the point of view of a participant who lacks the the benefit of hindsight or repentance.19

Daraus ergibt sich die höchst unterschiedliche Wirkung des Romans auf den Erst- und den Zweitleser, die Winkler mit der Wirkung einer Detektivgeschichte vergleicht:20 Der Erstleser muss sein Verständnis des Romans oder einzelner Abschnitte immer wieder an neue Informationen anpassen, und erst der Zweitleser kann, mit Wissen um den Fortgang der Erzählung, bereits im Vorhinein Hinweise auf diesen Fortgang entdecken. So kann ein Erstleser, dem im Prooemium das Stichwort »Ägypten« begegnet, dazu eine Fülle von Assoziationen und Überlegungen anstellen, wird es aber kaum als Hinweis auf die Rettung des Protagonisten durch Isis als Ziel und Krönung des Romans lesen – ein Zweitleser hingegen, der das Ende des Romans kennt, kommt kaum umhin, diese Verbindung herzustellen.21 Ein entsprechendes Verfahren hat Franziska Küenzlen für die Schläuche-Episode nachgewiesen: Apuleius setzt hier die genaue Verwendung von Wortbedeutungen ein, nicht aber, um wie Fronto ein größtmögliches Maß an Klarheit in der Rede zu erlangen, sondern im Dienst seiner komplexen Erzählweise. So ist gleichsam in den Wörtern, die Lucius ausspricht, die Wahrheit versteckt, die ihm selbst verborgen bleibt.22

Die Metamorphosen eignen sich in diesem Aspekt besonders gut für eine Anwendung der Überlegungen zum »kommunikativen Kontext« in Übersetzungen, wie sie bei Poiss et al. (im vorliegenden Band, § 4) angestellt werden. Das Verhältnis von AutorLeser-Gegenstand im Ausgangstext, das für jeden Übersetzungsvorgang wesentlich ist, ist hier besonders komplex und hat direkte Auswirkungen auf das Verständnis und die Interpretation des Textes; der Übersetzer muss also nicht nur versuchen, in seiner Übersetzung ein »umfassendes Informationsangebot über den Ausgangstext in seiner gesamten kommunikativen und kulturellen Einbettung«23 zu bieten, sondern sich auch bis zu einem gewissen Grad zwischen zwei Möglichkeiten entscheiden: Entweder er stellt die kommunikative Situation des Ausgangstextes gewissermaßen »von außen« dar und erklärt sie dem Leser seiner Übersetzung (ggf. in Anmerkungen o. dgl.), in Kauf nehmend, dass dabei die unmittelbare Wirkung zerstört wird (tendenziell eher beim »ästhetisch-kognitiven« Übersetzungstyp anzutreffen); oder der Übersetzer überträgt die kommunikative Situation des Ausgangstextes mimetisch in seinen Zieltext (tendenziell Merkmal des »transponierenden« Übersetzungstyps24). Entscheidend, gerade für die Übersetzungsanalyse, sind dabei diejenigen Passagen, in denen eine Mimesis des Ausgangstextes in der Übersetzung aufgrund lexikalischer, syntaktischer oder anderer Differenzen zwischen Ausgangs- und Zielsprache nicht möglich ist. Hier muss der Übersetzer, der seinen Ausgangstext nicht erklären will 19 20 21 22 23 24

Schlam (1992), 9. Winkler (1985), 57–98 (ch. 3). Konsequent weitergeführt wird dieser Gedanke von Andrew Laird mit der Ansicht, »that the Prologue is a coda, if not an actual ending, to the story it heralds«, Laird (2001), 267. Küenzlen (2005), 29. Poiss et al. (im vorliegenden Band), § 4. Poiss et al. (im vorliegenden Band), § 9.

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(Explikation), statt der Mimesis zu anderen Übersetzungstechniken greifen:25 Gelegentlich gelingt eine Substitution/Kompensation, bei der derselbe Effekt (z. B. Überraschung des Lesers durch eine Pointe, Irritation des Lesers durch Widersprüchlichkeit des Textes) auf andere Weise erreicht wird. Andernfalls ist der Effekt in der Übersetzung nicht mehr erkennbar, wobei häufig nicht mehr zu entscheiden ist, ob es sich um eine absichtliche Ausblendung (etwa zur »Korrektur« eines logischen »Fehlers«), eine bewusste (aber nicht gezielte, sondern nur in Kauf genommene) Weglassung oder eine unbeabsichtigte Auslassung, d. h. Ignoranz handelt; die Grenzen sind, wie schon von Poiss et al. bemerkt, fließend. Bei der Analyse von Übersetzungen werden also zwei Bereiche wesentlich zu prüfen sein: Erstens ist zu untersuchen, inwieweit die Identitäten und Perspektiven der Beteiligten präzise wiedergegeben sind. Dies betrifft einerseits die »Sprecherschichten« aus dem »erzählenden Lucius, der rückblickend seine Geschichte zu Papier bringt« und dem »erlebenden Lucius von einst«26, die sich insbesondere dort zeigen, wo der erzählende Lucius sein Dasein als Esel im Kontext der Handlung thematisiert. Andererseits sind besonders diejenigen Passagen aufschlussreich, in denen der Rezipient der Erzählung erwähnt oder direkt angesprochen wird, vor allem in seiner Eigenschaft als Leser und/oder Zuhörer. Zweitens gilt es zu betrachten, inwieweit die Pointen des Textes, also die versteckten Hinweise auf überraschende Wendungen, im Deutschen in äquivalenter Weise versteckt sind, so dass erst ein Zweitleser sie entdecken kann. 2.2.2 Stileinheit und Stilmischung Als Monument der Stilkritik an Apuleius steht Nordens vielfach zitierte Philippika: Appuleius, der vituoseste [sic] Wortjongleur, den es gegeben hat […], hat die Sprache entwürdigt. Bei ihm feiert der in bacchantischem Taumel dahinrasende, wie ein wilder Strom sich selbst überstürzende, in ein wogendes Nebelmeer wüster Phantastik zergehende Stil seine Orgien; hier paart sich mit dem ungeheuerlichsten Schwulst die affektierteste Zierlichkeit: alle die Mätzchen, die dem weichlichsten Wohlklang dienen, werden in der verschwenderischesten Weise angebracht, als da sind Alliterationen, Ohren und Augen verwirrende Wortspiele, abgezirkelte Satzteilchen mit genauester Korresponsion bis auf die Silbenzahl und mit klingelndem Gleichklang am Ende. Die römische Sprache, die ernste würdige Matrone, ist zum prostibulum geworden, die Sprache des lupanar hat ihre castitas ausgezogen.27

Kurz darauf nimmt Norden erneut Anlauf gegen den Schwulst, die affektierte Zierlichkeit, den maßlosen Gebrauch der auffälligsten und pikantesten, auf das Ohr wie Schellengeläute wirkenden Redefiguren – spezielle der Antithese, des Isokolon mit Homoioteleuton, des Wortspiels – , die völlige Transfusion des pro25 26 27

Vgl. Poiss et al. (im vorliegenden Band), § 10. Küenzlen (2005), 39 f. Norden (1898), 600 f.

Deutsche Übersetzungen der Metamorphosen des Apuleius saischen und poetischen Ausdrucks, die frivole Art, die Sprache zum Versuchsobjekt für Neubildungen zu verwerten, mit gelegentlicher Einmischung veralteter Worte.28

Der Schwerpunkt in Nordens Kritik liegt auf der rhetorischen Virtuosität, der Anwendung von Stilfiguren und der Syntax des apuleianischen Werkes (die von Norden nicht nur massiv angegriffen, sondern auch brillant nachgeahmt werden). Über die reichliche Anwendung rhetorischer Figuren besteht Konsens auch in der weiteren Forschung, ihre Bewertung wendet sich allerdings im Laufe des 20. Jahrhunderts ins Neutrale oder Positive.29 Im zweiten Zitat Nordens kommt zu den Klang- und Sprachspielerien die »Transfusion des prosaischen und poetischen Ausdrucks« hinzu, also die Verwendung unterschiedlichster Stilebenen (zu der sich Norden selbstverständlich nicht hinreißen lässt). Auf die Frage »Ist der Stil der Metamorphosen einheitlich oder uneinheitlich?« ist dies eine von vielen, bemerkenswert widersprüchlichen Antworten, von denen eine Auswahl wiedergegeben sei: Was das Textbeispiel natürlich nicht belegen kann, ist die sprachliche Virtuosität des Apuleius. Hier sei nur so viel gesagt, daß er sich auf mehreren Sprachebenen von der hochpoetischen Diktion mit Rhythmen und Reimen bis zu Fachjargon und Kolloquialismus bewegen kann und unerschöpflich ist in Redefiguren, Metaphern und Neuprägungen. Seine stilistische Wandlungsfähigkeit gehört somit gewissermaßen auch zu den Metamorphosen, die das Thema des Romans sind.30 Der Stil der Metamorphosen ist einheitlich; er zeichnet sich durch Bilderfülle und Klangreichtum aus. Die zweite Sophistik, jene eigentümliche Mischung aus Rhetorik und Philosophie, bringt hier einen besonders farbenfrohen, ›asianischen‹ Stil hervor.31 The expressiveness, variety, and immediacy of his [i.e. Apuleius’] language is not characteristic of the elevated and respected genres (epic, elegy, history) but seems to belong to that koine of all social classes, the living language of daily communication. But at the same time there is an almost continuous distancing from the sermo cotidianus (which like life tends to 28

29

30 31

Norden (1898), 603. Bemerkenswerterweise hat diese Einschätzung Norden nicht davon abgehalten, eine Übersetzung der Amor & Psyche-Geschichte vorzulegen (siehe unten S. 295). Ihm geht es hier um die ursprünglich griechische Erzählung; in Apuleius’ Werk sieht er einen »von den vielen Fällen, wo wir hellenischen Geist und hellenische Grazie nur in dem Spiegelbild lateinischer Umbildung zu schauen vermögen, die zwar fast immer auf eine Verschlechterung hinauskommt, dennoch aber den Glanz des Originals nur zu trüben, nicht zu tilgen vermag«; »[s]o bleibt nichts übrig, als dem lateinischen Schriftsteller auf seinen verschlungenen Pfaden zu folgen und nur mit schonender Hand hie und da einzelne allzu große Ungezogenheiten zu unterdrücken oder doch zu mildern«; Norden (1902), 63. Bernhard urteilt noch deutlich abfällig über »[d]as Typische der apulejanischen Diktion, die gezierte Rhetorik« und den »gekünstelten Stil unseres Autors«, Bernhard (1927), 5; Albrecht äußert sich eher neutral über »Bilderfülle und Klangreichtum« und den »besonders farbenfrohen, ›asianischen‹ Stil«, von Albrecht (1992), 1157; Kißel erklärt geradezu enthusiastisch: »Weiter machen gesuchte Wortstellung, Eleganz der Rhythmik und Klangfiguren sowie kurze, treffende Parataxe den Erzählstil der Metamorphosen zu einem Paradestück vollendeter Sprachbeherrschung«, Kißel (1985), 263. Holzberg (2001), 106. Von Albrecht (1992), 1157.

Ulrike Stephan the banal and trivial) by means of a surprising preciosity, touches of literary parody, and even recognizable set pieces of sophistic composition.32 […] the relative homogeneity of the Apuleian style […]33

Die hier sichtbare Kontroverse ist teilweise ausgefochten worden in zwei Dissertationen: Bernhard (1927) führt in seiner sehr gründlichen Studie den Nachweis, daß Apulejus nicht, wie E. Norden gemeint hat, seinen Stil innerhalb der Metamorphosen je nach dem Inhalt merklich wechselt. […] er schreibt im ganzen Roman apulejanisch.34

Eicke (1956) setzt es sich zum Ziel, Bernhard zu widerlegen und Nordens These zu rehabilitieren, gelangt jedoch in seiner »Schlußbetrachtung« bei der Mehrheit der untersuchten Sprachelemente zu dem Ergebnis, dass sie mehr oder weniger gleichmäßig in allen Teilen des Romans vorkommen; lediglich die Ekphraseis zeichnen sich durch eine stark episch-poetisch geprägte Wortwahl aus.35 Auflösen lässt sich dieser massive Widerspruch durch die Beobachtung, dass Apuleius in den Metamorphosen einen »einheitlich uneinheitlichen« Stil pflegt: Insbesondere im Bereich der Wortwahl stehen epische, lyrische, Fach- und Umgangssprache nebeneinander wie kaum sonst irgendwo in der lateinischen Literatur. Diese in sich disparate Mischung wird jedoch, ebenso wie die syntaktischen Prinzipien und das rhetorische »Schellengeläute«, weitgehend konsequent durch den ganzen Roman durchgehalten. Die Stileigenheiten des Apuleius sind ein wesentlicher Bezugspunkt für jede Übersetzung. Dementsprechend wird der Stil, insbesondere die klanglich-rhetorische Gestaltung und die Frage nach Stilmischung und Stileinheit, in allen Paratexten der Übersetzungen36 (die teils von den Übersetzern selbst, teils von den Herausgebern stammen) thematisiert. In der Zusammenschau tritt dabei die zeitliche Entwicklung der Bewertung, von missbilligend bis euphorisch, noch stärker hervor als in der Forschungsliteratur: August Rodes Urteil über Apuleius’ Stil ist vor allem ein negatives: [D]es Apulejus Schreibart ist beiweitem nicht die beste. Er kettet ewig lange Perioden zusammen; ist sehr kostbar und schwülstig in seinem Ausdrukke; gebraucht unerhörte Wortfügungen, und veraltete, ja wol gar selbst erfundene Wörter und Redensarten.37

Ohne weiter ins Detail zu gehen, deutet Rode mit den »unerhörten Wortfügungen« die Mischung aus poetischen, Alltags- und Fachbegriffen an. Allerdings entschuldigt er Apuleius’ schlechten Stil mit Hinweis auf »Mangel an Geschmak seines Zeitalters, […] 32 33 34 35 36

37

Winkler (1985), 17. Kirichenko (2010), 209. Bernhard (1927), 255. Eicke (1956), 118 f. u. 122. Untersucht werden in diesem Beitrag die fünf vollständigen deutschen Übersetzungen der Metamorphosen: Rode (1783), Schaeffer (1926), Helm (1956), Brandt (1958), Fischer (1965); bibliographische Angaben dazu und zu den Paratexten im Literaturverzeichnis S. 356 f. Die Übersetzungen der Amor & Psyche-Geschichte (vgl. S. 295) werden nicht im Detail einbezogen. Rode (1783), Ankündigung, ohne Seitenzahl.

Deutsche Übersetzungen der Metamorphosen des Apuleius

zu weite Entfernung von der Hauptstadt, oder […] afrikanisches Genie« und gesteht ihm zu, dennoch ein »feiner Mann« von »lebhaftem bebaueten Geiste«38 zu sein. Er meint daher, Apuleius am besten gerecht zu werden, indem er seine deutsche Übersetzung so schreibt, wie Apuleius »sich heut zu Tage in unsrer Sprache über dieselben Gedanken und Gegenstände ausdrükken würde«39, also gemäß den sprachlichen Idealen der Goethezeit. Für Rode liegt darin kein Widerspruch zu dem Anspruch, »meinem Originale ganz getreu geblieben«40 zu sein. Albrecht Schaeffers Urteil des apuleianischen Stils von 1926 ist gleichfalls negativ, wenngleich deutlich subtiler formuliert: [D]ie ganze Summe stilistischer Kunstfertigkeit, diese Summe von zierlichster wie preziösester Sprach-Spielerei, barockem Schwulst, nebst dem Schillern der Fremdworte, Wortspiele, Silben-Spielereien, Alliterationen, Assonanzen und Reime, dazu einem Satzbau von oft ungeheuerlich verschlungener und verästelter Abstraktion

wird hier allerdings nicht mehr entschuldigt, sondern als »gewollte[] Verwickeltheit, ja Verworrenheit«41 bewertet. Folglich weist Schaeffer auch die »Anmaßung« Rodes zurück, der Apuleius verbessern wollte und dadurch »die Form dieses Werkes vollständig vertilgte«42, und sieht seine »Aufgabe vielmehr in einer Nachbildung der Form und Sprache […], die dem Original so getreu sei, wie es die Verschiedenheit der Sprachen nur irgend erlaubte«43. Ein vernichtendes Urteil über den uneinheitlichen und übertriebenen Stil ohne jede Entschuldigung findet sich 1956 bei Rudolf Helm in Vorwort und Einleitung zu seiner Übersetzung: Der Stil der Darstellung ist nicht einheitlich; denn oft läßt sich der Schriftsteller von der Strömung seiner Zeit dazu verleiten, schwülstig und manieriert zu reden […].44 [S]o hat man in Apuleius vor allem einen Vertreter der zweiten Sophistik zu sehen, der mit seiner Vorliebe für unnatürliche, bis ins Geschmacklose gesteigerte Ausdrucksweise all ihre Schwächen teilt.45 Die Sprache des Romans ist durchaus wechselnd. Neben schlicht Erzählendem finden sich prunkvoll aufgeputzte Schilderungen, neben vornehmer Umgangssprache in den Gesprächen die einfache Ausdrucksweise des Volkes. Im ganzen überwiegt aber der Eindruck gesuchten Schwulstes und affektierter Worthascherei. […] Ebenso schillernd ist die Wortwahl. Hochpoetische und gesuchte Wörter wechseln mit so prosaischen und vulgären wie das »facessit« oder »sefacit« statt »abire«. […] Wenn dieser bis aufs äußerste manierierte Stil auch erst in den Reden des Apuleius seinen Höhepunkt erreicht hat, so ist doch auch sein Roman in vielem schon ein Muster dieser vor lauter Bemühen, Gefallen und Aufsehen 38 39 40 41 42 43 44 45

Rode (1783), Ankündigung, ohne Seitenzahl. Ebd. Ebd. Schaeffer (1926), 8. Ebd., 7. Ebd. Helm (1956), VII (Vorwort). Ebd., 4 (Einleitung).

Ulrike Stephan zu erregen, ins Geschmacklose gesteigerten Redeweise, in welcher bombastischer Schwulst und tändelnde Zierlichkeit sich die Hand reichen.46

Dennoch hat auch Helm sich nach eigner Aussage »bemüht, in der Übersetzung das wiederzugeben« (d. h. den schwülstig-manierierten Stil). In die entgegengesetzte Richtung wendet sich der Altphilologe Wilhelm Ehlers in seiner »Einführung« zur Übersetzung Edward Brandts (1958): Nicht nur bewertet Ehlers den Stil der Metamorphosen fast uneingeschränkt positiv, als »sprachliche Bravour«47, »höchst raffinierten Stil« und »schwerelos-urbanen Charme«48, sondern er betont auch mehr die Einheit als die Diversität des Stils: die »Tatsache, daß dieser Virtuosenstil über die verschiedensten Inhalte hinweg durchgehalten wird«49 und neben dem »Bild einer höchst lebendigen, rastlosen Bewegtheit«50 schließlich doch die »Einheit […], die ebenso künstlich wie kunstvoll und in jedem Sinne modegerecht ist«51. Diesem Urteil folgt im Wesentlichen auch der Germanist Herbert Cysarz in seinem Nachwort zu Carl Fischers Übersetzung 1965: Und vor allem, dieser Roman versucht und vermag die chaotische Fülle artistisch zu bändigen, durch einen oft gescholtenen, manierierten, dennoch meisterlich einhelligen Stil, durch zwanglose Komposition und epische Geschlossenheit des Werks, das sich als Ganzes unvergeßbar einprägt.52

Zwar beobachtet auch Cysarz, ebenso wie Ehlers, auch die »allgemeine Vermischung prosaischer Diktion mit poetischen Floskeln« und die »schwülstige Instrumentierung«, ordnet diese jedoch wertneutral einem »typischen rhetorischen Spätstil«53 zu und schiebt die negativen Urteile über diesen Stil auf »[h]umanistische Fanatiker des Ciceronianismus«54 und ihre Nachfolger. Ungefähr zur gleichen Zeit äußern sich drei Herausgeber der Rode’schen Übersetzung. Horst Rüdiger – Altphilologe, Germanist, Komparatist und selbst Übersetzer antiker Literatur – bleibt 1960 im Wesentlichen dem Urteil Rodes nahe und verteidigt es gegen anderslautende Meinungen (wiewohl ohne Ehlers oder andere explizit zu nennen): Im ganzen betrachtet, bilden die »Metamorphosen« ohnehin keine Stileinheit, es sei denn, man suchte diese in der durchgehenden Maßlosigkeit der angewandten Mittel. Nicht zum geringsten beruht die komische Wirkung des Originales auf der krausesten und krassesten

46 47 48 49 50 51 52 53 54

Helm (1956), 23 f. (Einleitung). Ehlers (1958), 513. Ebd., 517. Ebd., 513. Ebd., 515. Ebd., 517. Cysarz (1965), 253. Ebd., 256. Ebd.

Deutsche Übersetzungen der Metamorphosen des Apuleius Stilmischung, von der keine Übersetzung auch nur einen bescheidenen Teil ahnen zu lassen vermag.55

Auch die Entschuldigung des Apuleius mit Zeit und Ort seines Schaffens, die schon von Rode angebracht wird, findet sich bei Rüdiger wieder: Stilwandlungen und Stilbrüche, auch Übertreibungen und Geschmacklosigkeiten sind nicht einfach Symptome des Verfalls, sondern ein Zeichen dafür, daß das klassische Gewand zu eng wird und der Erweiterung bedarf, um die von außen zudringende Fülle (oder Verfettung) zu bewältigen.56

Erich Burck, der ein Jahr später ebenfalls die Rode’sche Übersetzung neu herausgibt, steht in seinem Urteil über Apuleius’ Stil eher Wilhelm Ehlers nahe: Zwar beobachtet er im Wortschatz »eine gewaltige Variationsbreite, die in gewisser Analogie zum Themenreichtum der Einlagen und Ekphraseis steht«57, überhaupt eine »buntschillernde Rede in klangvollen Akkorden« und eine »reiche Metaphorik«58, sieht jedoch nie die Stilunterschiede so in den Vordergrund treten, daß der einheitliche Charakter der sprachlichen Form des Werks irgendwie gefährdet würde. Wenn eine Gefahr für Apuleius beim Niederschreiben vorhanden war, dann war es am ehesten die der Hypertrophie. Aber die Schatten, die dadurch gelegentlich auf seinen Roman fallen, werden leicht aufgehoben durch die Erfolge einer sprachlichen Meisterschaft, die über ein großartiges Virtuosentum bis an die Grenzen des Genialen geht.59

Auf derselben Linie aus Betonung der stilistischen Einheit und positivem Werturteil steht Wilhelm Haupt in seiner Ausgabe von Rodes Übersetzung; nach seiner Ansicht liegt die literarische Leistung des Apuleius in den Metamorphosen u. a. in seiner den ganzen Roman beherrschenden Form- und Stilkunst, das heißt im virtuosen, oft auch manirierten, beziehungsreichen oder witzigen Gebrauch des Lateinischen, in dem sich die Frische der volkstümlichen Sprache mit altertümlichen, ja altertümelnden Wendungen kunstvoll mischt.60

Bei der Übersetzungsanalyse werden daher folgende Textmerkmale im Vordergrund stehen:61 - Lexik - Bildlichkeit, Metaphern - Terminologie, Fachsprachen - Wortbildung (besonders Neologismen und Diminutive) - Stilistische Register: u. a. Vulgärsprache, epische Sprache - (Morpho-)Syntax (besonders Partizipienhäufungen und Tempusgebrauch) 55 56 57 58 59 60 61

Rüdiger (1960), 549. Ebd., 519. Burck (1961), 290. Ebd., 291. Ebd., 292. Haupt (1963), 330. Diese Kriterien bilden eine Auswahl aus dem Bereich »Text« im Kriterienkatalog von Poiss et al. (im vorliegenden Band), § 7.

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- Stil-, insbesondere rhetorische Figuren: Alliteration, Antithese, Isokolon, Parallelismus, Klangspielereien 2.2.3 Polyphonie Zu beiden bisher betrachteten Bereichen, zum Aspekt der Perspektive und zur Frage von Stilebenen und -mischung, sind die Ausführungen des russischen Literaturtheoretikers Michail Bachtin erhellend (auch wenn sich Bachtin zumeist auf neuzeitliche Romane, insbesondere Dostojewski und Dickens, bezieht). In seinem Dostojewski-Buch (1929) entwickelt Bachtin das Konzept der »Polyphonie«; zunächst dient dies der Beschreibung des spezifisch Dostojewski’schen Stils, vor allem in Abgrenzung gegen Tolstoi, wird jedoch später von Bachtin auch auf andere Autoren (auch antike) ausgedehnt. »Polyphonie« (полифония) bezeichnet hier die Eigenart der Romane Dostojewskis, dass konsequent die Perspektive des »Helden« berücksichtigt wird: Der Held interessiert Dostojewskij nicht als ein Phänomen der Wirklichkeit, […] vielmehr als ein besonderer Standpunkt auf die Welt und auf sich selbst, als die bedeutungsmäßige und bewertende Einstellung des Menschen zu sich selbst und zu der ihn umgebenden Wirklichkeit.62

Dadurch tritt jedes Wort zugleich als Wort des Autors und als Wort des Helden auf, je mit unterschiedlichen Konnotationen, und wird dadurch »mehrstimmig«. Bachtin selbst bemerkt später,63 dass das Konzept der Polyphonie (das er später als »Zweistimmigkeit« oder »innere Dialogizität« bezeichnet) die lateinischen Romane des Apuleius und des Petron verbindet und zugleich beide von den griechischen Romanen trennt, die in die Klasse der »monologischen« Romane fallen. Gleichwohl tritt das beobachtete Phänomen in den Metamorphosen des Apuleius insofern noch stärker auf, als nicht nur die Perspektiven des Autors und des Protagonisten in Frage kommen, sondern quasi dazwischen auch noch die des Erzählers und, so man dafür eine eigene Identität annehmen will, die des Sprechers des Prooemiums. (Natürlich ist der Erzähler Lucius in gewisser Hinsicht mit dem Protagonisten Lucius identisch, doch lässt sich trennen zwischen dem Lucius zur Zeit der Niederschrift – oder des Vortrags – und dem Lucius zur Zeit der Erzählung,64 teilweise noch weiter zwischen dem selbst handelnden Lucius und dem Lucius, der eine Handlung anderer beobachtet oder, als Binnen-Erzählung des Romans, anhört.) Ein zweites relevantes Konzept Bachtins ist das der »Redevielfalt«, das er in Das Wort im Roman am »sogenannten humoristischen Roman«65, vor allem am Beispiel Charles Dickens’ entwickelt. »Redevielfalt« (разноречие), gelegentlich auch mit 62 63 64 65

Bachtin (1929), 86. Bachtin (1934), 255 f. Vgl. oben S. 279 f. Bachtin (1934), 192.

Deutsche Übersetzungen der Metamorphosen des Apuleius

»Heteroglossie« übersetzt und nicht identisch mit Polyphonie (полифония), bezeichnet unterschiedliche Sprachebenen (Stilebenen, Soziolekte, zeitliche Sprachstufen etc.), die nebeneinander in einem Werk anwesend sind, aber nicht als festes Charakteristikum (oder Ausdruck desselben) einzelner Figuren, sondern als »parodistische Stilisierung verschiedener Schichten und Gattungen der Hochsprache«66, die sich zwar auf bestimmte Personen oder Personengruppen beziehen können, jedoch so dicht in die Sprache des Autors eingebettet sind, dass die Grenzen nicht immer zu bestimmen sind. Die fremde Rede, die erzählte, nachgeäffte, in einem bestimmten Licht vorgeführte, bald in kompakten Massen angeordnete, bald sporadisch verstreute, meiste unpersönliche (die »allgemeine Meinung«, berufs- und gattungsspezifische Sprachen) Rede ist nirgendwo deutlich von der Autorrede abgegrenzt: die Grenzen sind absichtlich fließend und zweideutig gehalten, oft verlaufen sie durch ein syntaktisches Ganzes, oft durch einen Satz, manchmal jedoch zertrennen sie die Hauptglieder des Satzes.67

Das Konzept der »Redevielfalt« führt aber im »Wort im Roman« letztlich zurück zur »Polyphonie« (auch wenn hier der Begriff »(innere) Dialogizität« dafür verwendet wird): Die Redevielfalt, die in den Roman eingeführt wird […] ist fremde Rede in fremder Sprache, die dem gebrochenen Ausdruck der Autorintentionen dient. Das Wort einer solchen Rede ist ein zweistimmiges Wort. Es dient gleichzeitig zwei Sprechern und drückt gleichzeitig zwei verschiedene Intentionen aus: die direkte Intention der sprechenden Person und die gebrochene des Autors. […] Das zweistimmige Wort ist stets im Innern dialogisiert.68

Keineswegs darf also Bachtins »Polyphonie« verwechselt werden mit unterschiedlichen Sprach- oder Stilebenen, die zur Charakterisierung einzelner Figuren eingesetzt werden: Dostojwskijs vielstimmige Romane sind [verglichen etwa mit Tolstoi] sprachlich sogar schwächer differenziert, das heißt: ärmer an Sprachstilen, an territorialen und sozialen Dialekten, an berufssprachlichen Wendungen als die Werke vieler monologischer Autoren.69

Die »charakterisierende Sprachform«, also ein linguistisch definierbares UnterSystem der Sprache, das der Charakterisierung derjenigen Figuren im Roman dient, die in dieser Sprachform sprechen, spielt eine wesentliche Rolle im Roman Petrons. Dieses Phänomen ist exemplarisch nachgewiesen und in der Bedeutung für die Übersetzungen untersucht worden anhand der Freigelassenengespräche der Cena Trimalchionis durch Antonia Renz (in diesem Band). Bei Apuleius hingegen kommen zwar verschiedene Sprachformen in großer Zahl und Bandbreite vor und sind in ihrer jeweiligen Funktion und ihrer Wiedergabe im Deutschen zu untersuchen; sie dienen bei Apuleius aber gerade nicht der Charakterisierung von Romanfiguren. Der Roman zeigt also, in Bachtin’scher Terminologie, sowohl Polyphonie als auch Redevielfalt, aber beides wird 66 67 68 69

Bachtin (1934), 199. Ebd., 198. Ebd., 213. Bachtin (1929), 101.

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nicht zur Charakterisierung von Figuren durch ihre Sprache, auch eher wenig zur Färbung bestimmter Passagen eingesetzt; eher kommt der Aspekt der Stilparodie in Frage, ähnlich wie von Bachtin bei Charles Dickens beobachtet, aber von Apuleius nicht so zielgerichtet eingesetzt. Die Frage, warum Apuleius keine »charakterisierenden Sprachformen« einsetzt (im Unterschied zu Petron), hat Kirichenko mit der rhetorischen Tradition erklärt, in der Apuleius als aktiver orator stand: Every Greek declamation was expected to live up to the highest standards of Atticism, irrespective of its topic or the character of its fictional speaker. […] [I]mpersonation was limited only to finding the right train of thought that a certain figure would be likely to use in a certain situation and to clothe it in the codified Atticist koine of sophistic rhetoric.70

Dabei sei erneut betont, dass Apuleius, anders als die griechischen Sophisten, gerade nicht »the highest standards of Atticism« bzw. deren lateinisches Pendant verfolgt, sondern sich reichlich in der lateinischen Umgangssprache bedient. Es ist hier bezeichnend, dass Callebat in seinen umfangreichen Studien zum sermo cotidianus bei Apuleius kaum ein Wort über Unterschiede zwischen einzelnen Partien des Romans verliert; er bemerkt lediglich, dass »les traits les plus communs [du sermo cotidianus] sont consciemment employés dans des passages au style direct«71, unterscheidet dabei aber keineswegs zwischen verschiedenen Sprechern. Da alle Romanfiguren dieselbe Stilmischung sprechen, fallen natürlich diejenigen Sprachelemente besonders auf, die nicht zur Person, zum Status des jeweiligen Sprechers passen; diese Diskrepanz hat wesentlichen Anteil am humoristischen Wesen des Romans. Werden allerdings diese Elemente allzu sehr betont, kann leicht der Eindruck einer Anti-Charakterisierung entstehen: »Um parodistische Effekte zu erzielen, läßt Apuleius Banditen im pathetischen Tonfall des Epos erzählen […], während die Götter umgangssprachlich schimpfen«72. Es gilt aber im Blick zu behalten, dass in den jeweiligen Reden auch Sprachelemente vorkommen, die als charakteristisch für den Sprecher gelten dürften: umgangssprachliche Elemente etwa in der Rede des Räubers73 und des Tlepolemus74, poetische Ausdrücke hingegen bei Charite75 und in der Rede des Zeus76. Die Figuren unterscheiden sich also nicht grundsätzlich (allenfalls graduell77) in ihrem Sprachstil oder 70 71 72 73 74 75 76

77

Kirichenko (2010), 209. Callebat (1968), 365. Küenzlen (2005), 32; cf. Kirichenko (2010), 168. Z. B. 4.18: »obdito cellae pessulo«; 4.20: »retrogradi fuga domo facesso.« (Hervorh. hier und im Folgenden von U. S.). Z. B. 7.8: »semitrepidus, viaticulum mihi conrasi«. Z. B. 4.26: »gladiatorum fit impetus ad belli faciem saeviens, nudis et infestis mucronibus coruscans«. Z. B. 6.23: »faxo, luxuria puerilis nuptialibus pedicis alliganda«. – In der Rede des Zeus könnte natürlich genausogut das niedere Sprachniveau der Hausmagd, die die Geschichte von Amor & Psyche erzählt, als charakteristisch gelten – von dem Esel Lucius, der die Geschichte wiedergibt, und dem Priester Lucius, der sie niederschreibt, ganz zu schweigen. Vgl. Bernhard (1927), 258.

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Sprachniveau, weder indem dieses ihrem Charakter und Status angemessen wäre noch auf umgekehrte Weise. Eine Übersetzung der Metamorphosen also, die auf stilistisch-ästhetische Wirkungsäquivalenz zielt, muss den Figuren des Romans ebenfalls einen »einheitlich uneinheitlichen« Stil in den Mund legen und darf sich von den parodistischen Widersprüchen zwischen Charakter/Status und Redeweise nicht zu einer sprachlichen Charakterisierung in der einen oder anderen Richtung verleiten lassen. In den Paratexten der Metamorphosen-Übersetzungen wird die sprachliche NichtCharakterisierung der Figuren relativ spät thematisiert und steht, logischerweise, im Zusammenhang mit der stärker betonten und positiv bewerteten Stileinheit des Werkes: Auf eine sprachlich individuelle Charakterisierung der einzelnen Gestalten, wie sie Petron bei seinen Freigelassenen versucht hat, ist Apuleius weniger ausgegangen. Er begnügt sich hier mit gelegentlichen kleinen ethopoetischen Wendungen. Wenn er nach Abwechslung strebt […], dann erzielt er die erwünschte Abtönung durch eine verschiedene Tonlage der einzelnen Einschübe und Episoden. […] Diese thematisch naheliegenden Nuancierungen gehen aber nie so weit, daß der einheitliche Charakter der sprachlichen Form des Werks irgendwie gefährdet würde.78 In den Gesprächen unterscheiden sich die meisten Personen des Goldenen Esels weit weniger als in den berichtenden Charakteristiken.79

Ein weiterer Aspekt ist in der »Polyphonie« der Metamorphosen gesehen worden, der über Bachtins Theorie hinausgeht: Insbesondere Winkler hat die These vertreten, dass die Stilmischung nicht nur über den Autor und sein Werk einerseits und den oder die Protagonisten andererseits etwas aussagt, sondern insbesondere auch über den Erzähler (obwohl, oder gerade weil, dieser vom Autor und vom Protagonisten nicht immer eindeutig zu trennen ist): The occasionally archaic language of the AA defines for the reader a learnèd perspective on the often vulgar action. A display of recondite diction was a mark of high excellence in certain currents of second-century literary culture, so that the very use of obsolete vocabulary constituted a message of upper-class writing. As the AA on the level of implied literary class sporadically looks down on its own vulgar content, so the unlearnèd characters from time to time allude to a higher class of speaking and writing than their own. Both (together) must be ironic, considered not in isolation but as parts of a single-authored composition.80

Dies steht im Gegensatz zu Petron, wo der Erzähler und Protagonist Encolpius (trotz des fragmentarischen Charakters des Werkes) erkennbar ist als ein durchaus gebildeter junger Mann, der aber bei der Zurschaustellung seiner Bildung und der Umsetzung derselben in angemessenes Verhalten regelmäßig scheitert. Bei Apuleius hingegen werden Figuren aus bildungsfernen Schichten parodiert, indem ihnen die besagte rhetorisch übertriebene Stilmischung in den Mund gelegt wird; verantwortlich für diese 78 79 80

Burck (1961), 291 f. Cysarz (1965), 268 f. Winkler (1985), 155.

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Parodie ist zunächst der Erzähler Lucius, der (ebenso wie Encolpius) seine bildungsnahe Herkunft erwähnt und diese immer wieder mit gelehrten Bemerkungen unter Beweis stellt, andererseits aber selbst im Moment der Handlung nicht nur als Esel immer wieder durch eigene Unvorsichtigkeit in Schwierigkeiten gerät, sondern sich dieser seiner Unzulänglichkeit auch bewusst ist; ob also die parodistischen Effekte in Lucius’ Ausdrucksweise ihm selbst (als Erzähler, so wie er sich präsentiert, also als Esel), seiner geläuterten Version als Isis-Priester, oder dem Autor Apuleius zuzuschreiben sind (oder gar dem rätselhaften Sprecher des Prooemiums, der dem Leser – lector, laetaberis – das Vergnügen an diesem Hin und Her, dieser scientia desultoria, verspricht), ist nicht endgültig zu klären. Aufgabe einer Übersetzung des Romans ist es hier, diese Unsicherheit81 nach Möglichkeit bestehen zu lassen. Ein spezieller Vorschlag zur Interpretation der »Stilmischung« wurde 2001 von Powell vorgelegt (und kann daher in den untersuchten Übersetzungen keine Rolle spielen): [T]here is room for speculation as to whether this mixture of styles is part of Apuleius’ characterization of the first person narrator as a non-native speaker of Latin.82

3. Geschichte des Textes in der Neuzeit 3.1 Rezeption vor 178083 In der Spätantike werden die Metamorphosen des Apuleius nachweislich von Augustinus (bei dem erstmals der Titel Asinus Aureus belegt ist) und Fulgentius gelesen. Im Mittelalter verliert sich die Spur des Textes beinahe vollständig, bis im 14. Jahrhundert ein Manuskript nach Florenz gelangt, ein anderes in die Hände Giovanni Boccaccios.84 Mit Poggio Bracciolini beginnt im 15. Jahrhundert die philologische Rezeption des Textes: Er entdeckt die pseudolukianische Epitome, übersetzt sie ins Lateinische und versieht sie mit einem Vorwort, in dem er das Verhältnis zum Roman des Apuleius thematisiert; dabei wird »die Trennung der Autorinstanz von der des Protagonisten der Eselsgeschichte, die bei Augustinus noch zusammengefallen waren, vollzogen.«85 81

82 83

84 85

Vgl. Teubers Konzept des »karnevalesken Erzählens« bei Apuleius: »Sobald man damit beginnt, Texte schonungslos auf ihre karnevaleske Dimension, auf ihren dialogischen Charakter hin zu lesen, muß man darauf verzichten, ihnen einen ein für allemal gegebenen, feststehenden Sinn zuzuschreiben. Der karnevaleske Text und seine Lektüre fördern keine Wahrheit zutage, sondern sie treiben die Wahrheit bewußt in die Krisis.« – »Bachtins Theorie des Karnevals erklärt diese Eigentümlichkeit des ›Goldenen Esels‹ meines Erachtens treffender als Winklers dekonstruktives Konzept der unaufhebbaren Zweideutigkeit oder der Aporie.« Teuber (1993), 182 u. 198. Powell (2001), 30. Einen guten Überblick über die Rezeption der Metamorphosen in Spätantike und Spätmittelalter (insbesondere im Kommentar Filippo Beroaldos) bieten Küenzlen (2005), 48–129, und Gaisser (2008), auf die sich dieser Abschnitt öfters bezieht. Das Folgende nach Küenzlen (2005), 53 f. Küenzlen (2005), 53.

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Den Durchbruch für den Roman des Apuleius in der Neuzeit bedeutet die editio princeps, die 1469 in Rom erscheint, herausgegeben von Giovanni Andrea de’ Bussi, Bischof von Aleria. Sie löst im 16. Jahrhundert eine Fülle von Übersetzungen in verschiedene Nationalsprachen aus, zwei italienische, vier französische, eine spanische, eine englische (diese Übersetzung von William Adlington, 1566 veröffentlicht, war die »aktuelle« Übersetzung in der Loeb Library bis zur Neuübersetzung von J. A. Hanson 1989) und eine deutsche. Die erste Übersetzung ist die italienische von Matteo Maria Boiardo, die in den 1470er Jahren entsteht (allerdings erst 1518 gedruckt wird) und neben der deutschen Übersetzung Johann Sieders die einzige ist, die den fundamentalen Kommentar von Filippo Beroaldo (1500)86 nicht berücksichtigen kann. 1478 erscheint die Übersetzung des Niklas von Wyle, der allerdings nicht den apuleianischen Roman verdeutscht, sondern Poggios lateinische Version des Λούκιος ἢ �νος. Dennoch ist diese Übersetzung rezeptionsgeschichtlich relevant, da sich »der Würzburger Secretarius [i. e. Johann Sieder] in die Tradition der Wort-zu-Wort-Übersetzung Niklas von Wyles [stellt]«, so dass seine Übersetzung »von größtmöglicher Nähe zu ihrer lateinischen Vorlage geprägt« ist87. Die Handschrift der Sieder’schen Übersetzung, datiert auf wenige Wochen nach Erscheinen des Kommentars Beroaldos, berücksichtigt diesen nachweislich nicht.88 Später wird allerdings Sieders Übersetzung für den Druck, sowohl für den Erstdruck Augsburg 1538 (bereits nach Sieders Tod) als auch für die Neuauflage Frankfurt 1605, von unbekannten Redaktoren bearbeitet. Dabei werden nicht nur Glossen aus Beroaldos Kommentar eingefügt, sondern auch die Übersetzung selbst in eine zielsprachenorientierte Richtung modifiziert: Sowohl in sprachlicher als auch in ideeller Hinsicht wurden die Metamorphosen im Laufe der Druckgeschichte dieser Übersetzung immer stärker an ihr deutsches Publikum assimiliert.89 Erst auf der Stufe der Bearbeitung von 1605 kommt es allerdings, vor allem bedingt durch die deutlich verbesserte Syntax, zu einem flüssigen, »lesbaren« Text.90

Während die Rezeption der Metamorphosen im 16. Jahrhundert, insbesondere die Übersetzung durch Johann Sieder, in den letzten zehn Jahren ein reges Forschungsinteresse gefunden hat,91 ist die weitere Übersetzungspraxis im deutschen Sprachraum nicht untersucht worden. Sie soll im Folgenden betrachtet werden. 3.2 Übersicht über deutsche Übersetzungen seit 1780 Johann Sieders deutsche Übersetzung der Metamorphosen sollte nach ihrem Erstdruck 1538 für zweieinhalb Jahrhunderte die einzige ihrer Art bleiben. Erst 1780 tritt August 86 87 88 89 90 91

Grundlegend zu Beroaldos Kommentar ist Krautter (1971). Plank (2004), 85. Küenzlen (2005), 134–137. Plank (2004), 229. Plank (2004), 85. Häfner (2003), Plank (2004), Küenzlen (2005), Gaisser (2008) und zuletzt Weitbrecht (2011).

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Rode als der zweite deutsche Metamorphosen-Übersetzer auf den Plan, allerdings zunächst nur mit einer Übersetzung der Amor & Psyche-Geschichte. Diese ist allerdings so erfolgreich, dass Rode bis 1782 auch den Rest des Romans übersetzt. Die Rode’sche Übersetzung der Metamorphosen, 1783 veröffentlicht, gewinnt bald kanonischen Status und steht wiederum für fast eineinhalb Jahrhunderte allein auf weiter Flur. Sie wird auch im 20. Jahrhundert noch vielfach neu aufgelegt (dabei in etlichen Fällen überarbeitet) und ist bis heute bei Weitem die meistverbreitete Übersetzung des Romans (nicht zuletzt durch die frei verfügbare Digitalisierung auf http://www.zeno.org). 1924 erscheint eine Übersetzung mit der vagen Bezeichnung »Die Herausgabe […] besorgte unter Zugrundelegung einer älteren Übertragung Franz Werner Schmidt«. Bei näherer Untersuchung stellt sich die »ältere Übertragung« als die Rode’sche Übersetzung heraus, die in Teilen wörtlich übernommen ist, während einige Passagen entweder fehlen oder durch Paraphrase überbrückt sind. Die Kürzungen sind erheblich und betreffen etliche der »Einlagen« (die Amor & Psyche-Geschichte ist allerdings enthalten, wenn auch ihrerseits nicht vollständig) und insbesondere das Prooemium. Da das Interesse Schmidts, der als Lektor des Schneider-Verlags die Publikation betreute, weit mehr den Illustrationen und der luxuriösen Ausstattung des Buches als dem Übersetzungstext zu gelten scheint, wird die Übersetzung hier nicht weiter berücksichtigt. Die nächste, immerhin fast vollständige Übersetzung ist die von Albrecht Schaeffer, 1926 veröffentlicht, der lediglich einige Passagen (v. a. Teile von Buch 7 und 11) weglässt. Rudolf Helm und Edward Brandt, zwei Altphilologen, sind daher die ersten Übersetzer nach Rode, die es unternehmen, die Metamorphosen ohne jede Auslassung ins Deutsche zu übersetzen; auch werden beide Übersetzungen synoptisch mit dem Originaltext (jeweils in der Fassung von Helm) herausgegeben. Brandts Übersetzung ist 1954 im Manuskript fertig, der Übersetzer verstirbt aber vor der Drucklegung. Dadurch erscheint zuerst Helms Übersetzung 1956, Brandts Übersetzung dann posthum 1958, herausgegeben von Wilhelm Ehlers. Es folgt noch 1965 die ebenfalls vollständige Übersetzung von Carl Fischer. Danach finden sich noch zwei deutsche Versionen, die nicht als Übersetzungen zählen können: 1980 erscheint ein Werk, das in der Titelei bezeichnet ist als »Lucius Apulejus / Der goldene Esel / Bearbeitet von Johannes Carstensen« und sich damit dem nicht näher informierten Leser durchaus als Übersetzung präsentiert; tatsächlich handelt es sich um eine Nacherzählung, in der dritten statt ersten Person und mit erheblichen Kürzungen. Sozusagen ehrlicher kommt Der Goldene Esel von 2008 daher, der im Untertitel klar als »Eine römische Zaubergeschichte nach Apuleius. Nacherzählt von Margot Klee« etikettiert ist; es handelt sich um eine Nacherzählung für Kinder, bei der der Originaltext nicht nur ebenfalls erheblich gekürzt ist (u. a. um sämtliche »Einlagen« sowie, natürlich, die erotischen Passagen), sondern auch mit einer neuen Rahmenhandlung versehen, so dass das, was bei Apuleius die Rahmenhandlung ist

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(nämlich die Erlebnisse des Lucius), bei Klee eher den Status einer »inneren« Erzählung erhält.92 Während also die Metamorphosen im Hinblick auf deutsche Übersetzungen auf eine durchaus überschaubare Rezeption gestoßen sind, hat die Amor & PsycheGeschichte ein eindrucksvolles Eigenleben entwickelt. Beginnend mit Rodes Übersetzung, die seiner Übersetzung des ganzen Romans vorausgeht, sind über 20 Übersetzungen dieses Romanteils veröffentlicht worden. Die folgende Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. 1. August Rode (1780): Psyche. Nach dem Lateinischen des Apulejus 2. L. Th. Kosegarten (1789): Apuleius: Psyche 3. Johann Jacob v. Lincker (1805): Die epische Fabel der Psyche nach dem Apulejus metrisch übersetzt 4. Joseph Kehrein (1834): Amor und Psyche. Freie metrische Bearbeitung nach dem Lateinischen des Apulejus 5. Christian Martin Winterling (1836): Amor und Psyche nach Apulejus 6. Reinhold Jachmann (1843): Amor und Psyche. Ein Märchen des Apulejus 7. Johann Christian Elster (1854): Die Fabel von Amor und Psyche von Apuleius 8. Anonymus (1854): Psyche. Ein Mährchen nach Apulejus 9. Julius Bintz (1871): Das Märchen des Apulejus von »Psyche und Cupido« 10. Heinrich Stadelmann (1875): Amor und Psyche 11. Johannes Marquardt (1881): Eros und Psyche. Ein griechisches Märchen nach Apuleius 12. Albert Mosbach (1886): Amor und Psyche. Ein Märchen aus dem Apulejus 13. Otto Siebert (1887): Amor und Psyche. Ein Märchen des Apulejus 14. Anonymus (1889): Amor und Psyche, ein Märchen aus den Schriften des Apulejus 15. Eduard Norden (1901): Amor und Psyche. Märchen von Apulejus 16. Hugo Blümner (1907): Amor und Psyche. Ein antikes Märchen nach Apuleius 17. Rudolf Engel (1920): Apuleius: Amor und Psyche 18. Jakob Nover (1920): Apulejus: Amor und Psyche 19. Anonymus (1922): Apulejus: Amor und Psyche 20. Herbert Ronge (1939): Apuleius: Amor und Psyche 21. Adolf Dyroff (1941): Das Maerchen von Amor und Psyche 22. Arno Mauersberger (1949): Apuleius: Amor und Psyche Die Übersetzer Rode, Kosegarten und Lincker veröffentlichen lediglich unter dem Titel »Psyche«; damit werden sie der Forderung gerecht, die Winkler 200 Jahre später stellt, nämlich die Lösung des Rätsels um Psyches Ehemann nicht schon im Titel zu verraten.93 Alle folgenden Übersetzungen, mit Ausnahme der anonymen von 1854, verderben die Pointe.

92 93

Zu den Nacherzählungen vgl. auch Abschnitt 4.1 von Amélie Schützsack, in Schmitzer (in diesem Band). Winkler (1985), 89.

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Besonders hingewiesen sei auf die Tatsache, dass Eduard Norden94 in dieser Reihe steht, ungeachtet seines vernichtenden Urteils über den Stil des Apuleius (vgl. S. 282). Es fällt auf, dass die Reihe dieser Übersetzungen sich einigermaßen kontinuierlich durch das 19. und die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts zieht, um 1950 aber schlagartig völlig abbricht. Offenbar haben die vollständigen Metamorphosen-Übersetzungen von Helm 1956 und Brandt 1958 hier neue Maßstäbe gesetzt; lediglich die Amor & PsycheÜbersetzung von Reinhold Jachmann hat sich, in der Bearbeitung von Ernst Günther Schmidt, danach noch halten können, und zwar in vielfachen Auflagen in Reclams Universalbibliothek (wobei in der Reihe nie eine vollständige Übersetzung des Romans enthalten war). Da sich die in Abschnitt 2.2 ausgeführten Charakteristika der apuleianischen Vorlage nur in Übersetzungen des ganzen Romans niederschlagen können, werden für die eigentliche Analyse nur die fünf (fast) vollständigen Übersetzungen der Metamorphosen herangezogen: Rode (1783), Schaeffer (1926), Helm (1956), Brandt (1958), Fischer (1965). Dabei werden die Übersetzungen von Rode und Schaeffer, die in mehrfacher Hinsicht die beiden Extrema eines Spektrums bilden, ausführlicher besprochen, die drei anderen kürzer und mit Schwerpunkt auf den besonders hervortretenden Eigenschaften behandelt.

4. Vorstellung und Einzelanalysen der fünf vollständigen Übersetzungen 4.1 Vorbemerkung Zu jeder der fünf Übersetzungen wird zunächst die Person des Übersetzers in ihrem historischen Kontext vorgestellt, dann die Übersetzung in ihren äußerlichen Merkmalen charakterisiert (u. a. Ausstattung, Paratexte, Publikationsgeschichte). Es folgen »Stimmen zur Übersetzung«: einerseits eigene Aussagen des Übersetzers (sein eigener Anspruch, sein Zielpublikum), andererseits Aussagen von späteren Herausgebern und von anderen Übersetzern. Den Hauptteil bildet jeweils die Analyse der Übersetzung im Vergleich mit dem Original, ggf. auch mit anderen Übersetzungen, im Hinblick auf die oben entwickelten textimmanenten Kriterien. Daraus wird eine Gesamteinschätzung der Übersetzung unter Berücksichtung der »äußeren« Faktoren (historischer Kontext, Person des Übersetzers, Darstellungszweck, [intendiertes] Publikum der Übersetzung95) versucht. Als Analysekriterien dienen vor allem die spezifischen Charakteristika der Metamorphosen, wie sie in Abschnitt 2 entwickelt wurden. Einzelbeobachtungen kommen ergänzend hinzu. Folgende Punkte sollen systematisch berücksichtigt werden (wobei nicht jeder Punkt bei jeder Übersetzung von Interesse ist): 94 95

Zu Norden als Übersetzer vgl. Kitzbichler/Lubitz/Mindt (2009), 191 f. Nr. 1–4 im Kriterienkatalog bei Poiss et al. (im vorliegenden Band), § 7.

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Inhaltliches: Der wichtigste Untersuchungsgegenstand im Inhaltlichen ist der Umgang mit den Identitäten und vor allem Perspektiven von Autor, Erzähler und Protagonist. Zur Untersuchung bieten sich die Stellen an, in denen der Rezipient des Textes genannt oder angesprochen wird – wobei die Rezeptionssituation vom Prooemium an zwischen mündlicher und schriftlicher Vermittlung schwankt, der Rezipient mal als Leser, mal als Zuhörer gedacht ist. An einer mehr oder weniger präzisen Wiedergabe dieser Unterschiede lässt sich ablesen, welchen Stellenwert ein Übersetzer dieser Thematik beimisst. Hinzu kommen die Passagen der Metamorphosen, in denen die Eselsgestalt thematisiert wird, entweder durch »Lucius« (4.6, 6.25) oder durch den Leser (9.30, 10.33).96 Ferner wesentlich für die Wirkung der Übersetzungen auf den heutigen Leser ist vor allem der Umgang mit Pointen im Text, also Passagen, deren Sinn sich für Erst- und Zweitleser erheblich unterscheidet. Exemplarisch untersucht werden: Erstens die Schläuche-Episode (2.32): Lucius trifft auf seinem nächtlichen Heimweg auf drei Räuber und ersticht sie. Am nächsten Tag stellt sich heraus, dass die »Räuber« in Wirklichkeit aufgeblasene und durch Magie zum Leben erweckte Weinschläuche waren. Küenzlen97 hat dargelegt, dass »bei einem zweiten Lesen in Wortwahl und Wortstellung Hinweise auf die wahre Natur der Räuber gefunden werden«98 können, insbesondere wenn der Tod der Räuber beschrieben wird mit dem Verb perforare, das im Allgemeinen mit sächlichem Objekt verwendet wird, und der Wendung »spiritus efflaverint«, die für das Sterben eines Menschen ungebräuchlich ist und sich für den Zweitleser viel besser in den Text fügt, im Sinne von »die Schläuche bliesen (aus den Löchern, die Lucius hineingestochen hatte) die Luft aus«. Zweitens die Erzählung des Haemus (7.9)99: Bei den Räubern, die den Esel und das Mädchen Charite in ihrer Gewalt haben, taucht der Bandit Haemus auf und wird von den Räubern als Anführer anerkannt. Zu den Plänen, die er der Räuberbande vorschlägt, gehört der Ratschlag, Charite nicht umzubringen (wie ursprünglich geplant war), sondern als Prostituierte an einen Zuhälter zu verkaufen, damit sie ins Bordell komme und für die Räuber Geld verdiene. Später stellt sich heraus, dass Haemus in Wirklichkeit Tlepolemus ist, der Ehemann der Charite. Mit diesem Wissen liest der Zweitleser den Vorschlag des »Haemus« so, wie er tatsächlich gemeint ist: Tlepolemus will Charite gemäß ihrem Stand als höhere Tochter an ihren Vater zurückgeben, damit sie in ihr Elternhaus zurückkomme und die Rache an den Räubern vornehmen könne. Der Reiz der Szene beruht wesentlich darauf, dass Charite ihren Mann erkennt und seine Rede richtig deutet, während der Erzähler als Esel die Rede in ihrem vordergründigen Sinn auffasst (und sich gründlich darüber empört). Drittens der Witz um den Namen Candidus (11.20): Dem wiederhergestellten Lucius wird angekündigt, man werde ihm seinen servus candidus / Candidus bringen. Während Lucius noch sinniert, er habe ja keinen Diener des Namens Candidus, wird 96 97 98 99

Siehe dazu auch de Jong (2001), 207–211. Küenzlen (2005), 27–31. Ebd., 28. Das Folgende nach Winkler (1985), 46–50.

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ihm sein weißer Diener, nämlich sein Schimmel gebracht. Diese Pointe kann im Original auch ein sehr aufmerksamer Erstleser schon entschlüsseln, da der Schimmel zuvor in 1.2 und 7.2 erwähnt wurde. In allen diesen Passagen wird der Erstleser (des Originals) in eine bestimmte Perspektive gedrängt, indem ihm wichtige Informationen vorenthalten werden; diese sind aber für den Zweitleser, der eine »Außensicht« auf den Roman als Ganzes einnehmen kann, durchaus entdeckbar. Die resultierenden Effekte, die Überraschung des Erstlesers und das Aha-Erlebnis des Zweitlesers, können in der Übersetzung wiedergegeben, umgeformt oder zerstört werden. Eine weitere Pointe des Originals wird übrigens in keiner der fünf Übersetzungen erfasst: In 1.22 wird Lucius, als er bei dem Geldwechsler Milo an die Tür klopft, von der Magd Photis mit der Frage begrüßt: sub qua specie mutari cupis? Alle Übersetzer wählen die zum unmittelbaren Kontext passende Übertragung »in welcher Form willst du leihen?« oder Ähnliches, wodurch die pikante Mehrdeutigkeit von mutari verlorengeht. Zum Bereich der Identität und Perspektive gehört ferner die Frage der Mutter-/ Fremdsprache, vornehmlich präsent in zwei Stellen: In 4.32 erklärt der Erzähler, dass Apoll, obwohl eigentlich Grieche, das Orakel für den Vater der Psyche auf Latein gebe. Erzähler der Stelle sind, innerhalb des Romans, gleichzeitig die alte Magd, der Esel und Lucius – die innere Erzählsituation wird aber durchbrochen durch die Angabe, Apoll spreche Latein propter Milesiae conditorem, für den Erzähler der Milesischen Geschichten, bei dem es sich weder um die Magd noch um Lucius als Protagonisten, sondern um den Sprecher des Prooemiums (der wiederum mit dem »rückblickenden Lucius« identisch sein kann) handelt. Zweitens tritt in 9.39 ein Soldat lateinischer Muttersprache auf, der Griechisch spricht, und zwar dem alten Gärtner zuliebe, der kein Latein versteht – erneut wird hier also die Erzählsituation durchbrochen, denn das Griechisch des Soldaten ist im Text natürlich lateinisch wiedergegeben. Das resultierende Latein des Soldaten ist mehr als bloßes Radebrechen, aber erkennbar schwerfällig und nicht ganz korrekt: Insbesondere die Frage Ubi ducis asinum istum?, wo es quo? heißen müsste; die Konstruktion des folgenden längeren Satzes ist wenig elegant, vor allem die Stellung der Verben debet advehere. Neben diese Stellen treten der rudis locutor des Prooemiums und andere, weniger prominente Stellen. Aspekte zu Einzelbegriffen: Die für den apuleianischen Stil so charakteristische Diskrepanz der Stilebenen bietet Vergleichmöglichkeiten vor allem im Bereich der Wortwahl bei hoch- und vulgärsprachlichem Vokabular und poetischen Wörtern, daneben auch bei syntaktischen Phänomenen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass neben die beiden Möglichkeiten der Wiedergabe der Original-Stilebenen einerseits und der Nivellierung der Stilebenen andererseits noch das »transponierende« Verfahren treten kann, bei dem die unterschiedlichen Stilebenen des Originals durch andere, aber untereinander genauso verschiedene Stilebenen wiedergegeben werden. Hinzu tritt die reiche Metaphorik des Originaltextes, wobei besonders die Entlehnungen aus dem juristischen und militärischen Bereich über den Sprachgebrauch anderer Dichter hinausgehen; ferner das Problem der erotischen bzw. »anstößigen«

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Stellen (vor allem Lucius’ Nächte mit Photis, 2.16–17 und 3.20, und mit der Sodomistin, 10.22, sowie die »Unzucht« der syrischen Priester, 8.29). Von der Frage der Stilebene weitgehend unabhängig ist der archaisierende oder modernisierende Umgang mit einzelnen Elementen, wobei insbesondere Münzeinheiten (nummus, denarius) und Ausrufe wie pol und hercules Untersuchungsmaterial in diesem Feld bieten. Elemente der »Rhetorik«: Während die metrische Gestaltung im eigentlichen Sinne bei Apuleius direkt nur in den zwei kurzen in Versen gehaltenen Orakel in Betracht kommt (4.33: vier Distichen, 9.8: zwei iambische Senare), ist eine Reihe von metrisch geprägten rhetorische Figuren (Klauselrhythmus, Isokolon, auch Reim) ein wesentliches Merkmal des apuleianischen Stils. Andere der so auffälligen rhetorischen Gestaltungselemente wie Alliteration, aber auch Antithese, Isokolon, Parallelismus u. a. lassen sich eher der lautlich-klanglichen Ebene zuordnen; ein spezielles Problem der Klang-Spielerei bieten die Passagen, in denen das I-ahen des Esels thematisiert wird (3.29, 7.3, 8.29). Der Bereich der Syntax bietet in den Metamorphosen wenige Auffälligkeiten; der tendenziell parataktische Satzbau, gelegentliche Partizipienhäufungen und die Tempusstruktur (mit freiem Wechsel zwischen Praesens und Perfect als Erzähltempus) gehören dazu, ferner Figuren wie die Enallage des Adjektivs. Bei allen stilistischen Aspekten wurde für die Beispiele weitgehend auf die Stellenkataloge in Bernhard (1927) zurückgegriffen. 4.2 August Rode (1783) 4.2.1 Der Übersetzer 100 August Rode wurde am 22. Dezember 1751 als zehntes und letztes Kind des fürstlichen anhaltisch-dessauischen Hof- und Amtsraths Johann August Rode geboren. Ab 1768 studierte er in Halle und Leipzig Jura und Latein und wurde »ein hervorragender Kenner der antiken Mythologie und Literatur. Ihr gehörte seine offenkundige Liebe, ihr widmete er viele Stunden seiner Zeit. Seine herausragenden Lateinkenntnisse werden immer wieder gerühmt«.101 1770 erhielt er vom Fürsten den Auftrag, sich auf eine Tätigkeit als »Informator« des siebenjährigen Grafen Franz von Waldersee vorzubereiten; hierzu studierte er diverse Fächer und »vervollkommnete sich in der französischen Sprache und in der Fertigkeit, Latein zu sprechen«102. Seine pädagogische Tätigkeit regte Rode an, einige Kinderschauspiele zu verfassen, die er als »Beitrag zur

100 Zur Biographie Rodes vgl. Hosäus (1889) und Pfeifer (2001), auf die dieser Abschnitt öfters zurückgreift. 101 Pfeifer (2001), 125. 102 Arndt (1936), 188.

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philantropischen Erziehungsreform«103 verstand; sie wurden 1774–1776 veröffentlicht und teilweise in Dessau auch aufgeführt. 1780 erscheint die Übersetzung der Amor & Psyche-Geschichte aus den Metamorphosen, verlegt bei Rodes Schwager August Mylius in Berlin. Wie Rode in der Vorrede berichtet, ist er durch ein Gespräch mit einer nicht genannten Person zu der Übersetzung angeregt worden; der Gesprächspartner habe beklagt, »daß, da man den goldnen Esel des Apuleius, wegen der vielen Unsauberkeiten, nicht wohl ganz übersezen könne; nicht jemand wenigstens die Geschichte der Psyche heraushöbe«104. Kurz darauf beginnt Rode dennoch mit der Übersetzung des ganzen Romans. Der Widmungsbrief an Hofrath Le Roy ist auf Dezember 1782 datiert; darin erklärt Rode ausführlich und selbstbewusst, dass er auf »Treue in Absicht der üppigen Stellen« nicht verzichtet habe, und verwahrt sich gegen mögliche Vorwürfe: Es sei »ungerecht« und »heuchlerisch«, einen Schriftsteller wegen erotischer Passagen zu verdammen, daneben aber Werke der bildenden Kunst »ohne Bedenken« gelten zu lassen, »deren Anblick der Unschuld das Blut in die Wangen jagt«. Überhaupt gelte für seine Übersetzung: »Unschuld hat nichts davon zu fürchten; alles darin enthaltne Schlüpfrige ist nur allein den Gefallenen merkbar.«105 Rodes Schwager Mylius kann sich dieser Argumentation nicht anschließen und verweigert ihm die Veröffentlichung, Rode verlegt daher den Goldnen Esel 1783 auf eigene Kosten. Die Übersetzung verkauft sich anscheinend gut: 1785 veröffentlicht Rode eine Sammlung von Übersetzungen lateinischer Poesie (vollständige kürzere Werke von Catull und Horaz, ausgewählte Abschnitte aus Lucrez, Vergil, Ovid und Lucan) unter dem Titel Philosophische und andere Gedichte; auf dem Titelblatt erscheint Rodes Name nicht, sondern lediglich die Angabe »vom Uebersezzer des Goldnen Esels des Apulejus«, die zumindest in Rodes Augen offenbar hinreichend ist (der Widmungsbrief allerdings, wiederum an Hofrath Le Roy, ist mit »August Rode« unterzeichnet, die Übersetzung also nicht völlig anonym veröffentlicht). 1790 ist denn auch August Mylius bereit, die zweite Auflage des Goldnen Esels zu verlegen. 1791 erscheint Rodes Prosa-Übersetzung der Metamorphosen Ovids;106 innerhalb der Übersetzungstätigkeit Rodes hat dieses Werk die geringste Nachwirkung gehabt und wird im Artikel über Rode in der ADB107 nicht einmal erwähnt, wird aber immerhin 1794 in die Sammlung römischer und griechischer Classiker in deutschen Übersetzungen aufgenommen. 1816 erscheint eine zweite Auflage in vollständiger Neuübersetzung. Die stärkste Wirkung als Übersetzer aus dem Lateinischen erzielte Rode mit seiner Übersetzung der Baukunst des Vitruv; sie gilt als »[n]eben den Schriften Erdmannsdorffs […] die wichtigste Leistung der Dessau-Wörlitzer-Aufklärung im Bereich der

103 104 105 106 107

Pfeifer (2001), 124. Rode (1780), Vorrede, ohne Seitenzahl. Alle Zitate: Rode (1783), Widmungsbrief, ohne Seitenzahl. Siehe dazu Schmitzer (in diesem Band), S. 171 ff. Hosäus (1889).

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Kunsttheorie«108 und trägt ihm den Ehrentitel »›Deutsche[r] Vitruv‹«109 sowie die Ehrenmitgliedschaft in gelehrten Gesellschaften ein. 1800 besorgt Rode eine Textausgabe des Vitruv, muss jedoch kurz darauf seine literarisch-philologischen Aktivitäten weitgehend einstellen, auch bereits geplante Arbeiten aufgeben. Ab 1801 und insbesondere nach dem Einmarsch Napoleons in Deutschland 1806 wird Rode von seinem Landesherrn verstärkt für diplomatische Tätigkeiten herangezogen und verbringt viel Zeit auf Reisen, wo er mit vielen Geistesgrößen seiner Zeit zusammentrifft (u. a. Wilhelm von Humboldt in Berlin, Goethe in Weimar und Johann Heinrich Voß in Heidelberg). 1813 gerät Rode unter unklaren Umständen in den Verdacht der Kollaboration mit den Franzosen und wird in Ungnade aus dem Dienst des Fürsten entlassen, was ihn persönlich schwer trifft. 1817 wird er vom Enkel und Nachfolger des Fürsten rehabilitiert und zum Oberaufseher der Herzoglichen Bibliotheken ernannt. Dieses Amt übt Rode bis zu seinem Tode mit Freude und Sorgfalt aus, veröffentlicht selbst aber fast nur noch Neuauflagen älterer Arbeiten. 4.2.2 Die Übersetzung Die Psyche-Übersetzung August Rodes, fertiggestellt im September 1779, erscheint 1780 in schlichter Ausstattung: Der deutsche Text, der fortlaufend, ohne Originaltext und ohne Kapitelzählung gegeben ist, wird eingeleitet durch eine eher knappe »Vorrede« von vier Seiten und ergänzt durch Endnoten; der Anmerkungsapparat im Anhang umfasst immerhin 23 Seiten. Illustrationen sind nicht enthalten. Die Gesamtübersetzung des Romans erscheint 1783 mit einem längeren Widmungsbrief und einer zweiseitigen »Ankündigung«, die zusammen die Rolle der Vorrede übernehmen, sowie mit einem Abriss über das »Leben des Apulejus«, in dem auch die anderen Werke des Autors skizziert werden. Die Anmerkungen zum PsycheAbschnitt sind nur teilweise übernommen, in einigen Fällen auch gekürzt, und erscheinen nun, ebenso wie die Anmerkungen zu den neu übersetzten Teilen, als Fußnoten unter dem deutschen Text. Die Ausgabe ist versehen mit zwei Titelkupfern und einem Porträtmedaillon des Apuleius, beide von D. Berger. Die Anmerkungen enthalten in erster Linie Sacherklärungen, daneben Angaben zu variierenden Lesarten des Originaltextes (teilweise mit eigenen Konjekturen Rodes) und Parallelstellen in antiker und moderner Literatur; besonders wertvoll für die Übersetzungsanalyse sind Hinweise Rodes zu Stellen, die er in der Übersetzung vereinfacht oder irgendwie »abgemildert« hat. In der zweiten Hälfte der Übersetzung werden die Anmerkungen deutlich seltener. Nachdem Rode die Metamorphosen-Übersetzung zunächst im Selbstverlag hatte veröffentlichen müssen, erscheint 1789 doch noch eine zweite, unveränderte Auflage bei August Mylius. Dabei bleibt es für ein knappes Jahrhundert. 1885 erscheint in 108 Pfeifer (2001), 128. 109 Arndt (1936), 195.

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Leipzig eine Faksimile-Ausgabe, mit der der zahlenmäßige Siegeszug der Übersetzung beginnt: Im selben Jahr (und ebenfalls in Leipzig) erscheint eine Neuausgabe, auf die eine unübersehbare Masse von Neuauflagen und -ausgaben folgt (bis heute über 40 Auflagen insgesamt, in mindestens 17 Verlagen, dazu einige Neuausgaben der Psyche-Übersetzung). Mehrere Ausgaben firmieren klar als »Bearbeitung« der Rode’schen Übersetzung, doch auch die lediglich »neu herausgegebenen« Versionen enthalten teilweise wesentliche Eingriffe in den Rode’schen Text. Diese Textvarianten sollen im Folgenden nicht untersucht werden. Oft wird Rodes Übersetzung mit neuen Paratexten versehen, teilweise mit neuen Anmerkungen (etwa im Manesse-Verlag, Zürich 1960), teilweise mit einem neuen Voroder Nachwort; die wichtigsten sind die Texte von Horst Rüdiger (Manesse-Verlag, Zürich 1960), Erich Burck (Rowohlt, Reinbek 1961) und Wilhelm Haupt (InselVerlag, Frankfurt 1975). Es wird jeweils sowohl der Roman des Apuleius als auch die Übersetzung Rodes behandelt. Gelegentlich werden neue Illustrationen hinzugefügt (etwa von Hans Erni in der Manesse-Ausgabe). 4.2.3 Stimmen zur Übersetzung In der vorangehenden Psyche-Übersetzung 1780 äußert sich Rode in der Vorrede explizit zu einem sehr spezifischen Zielpublikum seiner Übersetzung: Diese solle zwar einerseits dem »Vergnügen« des Lesers dienen, andererseits aber »besonders noch jungen Künstlern nüzlich zu lesen sein; theils, zur Bessern Verständniß der daraus genommenen Gemälde von Raphael; theils aber auch zur eignen Erfindung neuer Gemälde.«110 Dazu passt der übersetzungsmethodische Anspruch, der dem Inhaltlichen einen deutlichen Vorrang vor der stilistischen Darstellung einräumt: »Meine Aufmerksamkeit dabei ist besonders dahin gegangen: Die Annehmlichkeit des Originals ins Deutsche hinüber zu tragen, ohne im mindesten vom Sinne desselben abzuweichen.«111 Bei der Übersetzung des ganzen Romans 1782 verschiebt sich der Fokus erheblich: Nicht nur, dass der Nutzen für die Bildenden Künste nicht mehr im Vordergrund stehen kann, sondern Publikum und Methode der Übersetzung geraten überhaupt in den Hintergrund gegenüber einem ganz anderen Aspekt. Nachdem Rode selbst in der Vorrede 1780 zugegeben hatte, dass »man den goldnen Esel des Apulejus, wegen der vielen Unsauberkeiten, nicht wohl ganz übersezen könne«112, steht er nun doppelt 110 Rode (1780), Vorrede, ohne Seitenzahl. – Die Fresken von Raffael in der Loggia der Villa Farnesina in Rom sind nach der Amor & Psyche-Geschichte bei Apuleius gestaltet; auch in der Dekoration im Wörlitzer Schloss wird das Thema aufgenommen, die Rode 1798 ausführlich beschreibt; Rode (1788), 43, 46, 61. Die Herstellung von Übersetzungen antiker mythologischer Texte, insbesondere von Ovids Metamorphosen, als »Basistext« für Darstellungen in der bildenden Kunst ist eine typische Motivation des 18. Jahrhunderts; vgl. Schmitzer (in diesem Band), S. 171 ff. 111 Rode (1780), Vorrede, ohne Seitenzahl. 112 Rode (1780), Vorrede, ohne Seitenzahl.

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unter Druck, und dementsprechend verwendet er über die Hälfte des Widmungsbriefes (8 von 14 Seiten) auf seine Rechtfertigung hinsichtlich der »üppigen Stellen«113. Das Zielpublikum wird nur angedeutet: Aus der Aussage »für den Weltmann ist meine Uebersezung auch nur bestimmt; mag für mich immerfort der Pedant sich an dem köstlichen Latein ergözen!«114 ist zu schließen, dass sich Rode vornehmlich an Latein-Unkundige wendet, oder auch an Personen, deren Sprachkenntnisse nicht ausreichen fürs Original; dies entspricht übrigens dem Zielpublikum von Rodes Übersetzungs-Anthologie von 1785.115 In der direkten Anrede an Le Roy bezeichnet Rode als sein Ziel, »die Langeweile des Daseins Ihnen zerstreun zu helfen«116, also reine Unterhaltung ohne nennenswerten Bildungswert, wozu sich auch die Ansicht fügt, »[e]s würde lächerliche Pedanterie sein, bei einem Romane Gelehrsamkeit auszukramen.«117 Rodes übersetzungsmethodischer Anspruch entspricht seinem vernichtenden Urteil über die »Schreibart des Apulejus«, die »bei weitem nicht die beste« sei, insbesondere da Rode unterstellt, Apuleius hätte unter anderen Umständen nicht nur in einem anderen, sondern in einem wesentlich besseren Stil geschrieben, bei gleichbleibender Handlung und Erzählweise. Rode strebt gewissermaßen an, denjenigen Text zu übersetzen, den Apuleius geschrieben hätte, wenn er dazu imstande gewesen wäre (wobei Rode kein Interesse daran hat, diesen »verbesserten« lateinischen Text tatsächlich zu konstituieren118): Es geht darum, Apuleius »im Deutschen sich so ausdrükken zu lassen, wie ein so feiner Mann, ein Mann von so lebhaftem bebaueten Geiste, als er war – sich heut zu Tage in unsrer Sprache über dieselben Gedanken und Gegenstände ausdrükken würde.«119 Dabei gilt es im Auge zu behalten, dass Rodes Stilkritik an Apuleius nicht auf die sonst so oft betonten unterschiedlichen Stilebenen zielt, sondern auf die übermäßige Ausschmückung mit rhetorisch-poetischen Figuren. Dass Rode gleichzeitig erklärt, er sei dem Originaltext »ganz getreu geblieben«, offenbar ohne darin einen Widerspruch zu erkennen, gibt weiteren Aufschluss über Rodes Haltung zum Übersetzen insgesamt. Aus dem Zusammenhang:

113 114 115 116 117 118

Rode (1783), Widmungsbrief, ohne Seitenzahl. Ebd. Rode (1785), VII (Zuschrift). Rode (1783), Widmungsbrief, ohne Seitenzahl. Ebd. Im Sinne der Transformationstypen nach Bergemann et al. (2011) könnte man von einer Kombination aus Rekonstruktion und Übersetzung sprechen. 119 Rode (1783), Ankündigung, ohne Seitenzahl. Die Formulierung steht bemerkenswert nahe bei Schleiermachers Formulierung über die Art von Übersetzung, die »ihren römischen Autor zum Beispiel reden lassen will, wie er als Deutscher zu Deutschen würde geredet und geschrieben haben«, Schleiermacher (1813), 75; dies entspricht dem Typus der »zielsprachenorientierten Übersetzung«, Fuhrmann (1992), 9, oder »transponierenden Übersetzung« (Poiss et al. [im vorliegenden Band], § 9, Nr. 2).

Ulrike Stephan Uebrigens bin ich meinem Originale ganz getreu geblieben, auch selbst in den üppigen Scenen, denn ich habe nicht geglaubt, in unsern Tagen verschämter thun zu dürfen, als ein vornehmer Priester und platonischer Philosoph zu den Zeiten des frommen Antonius.120

wird deutlich, dass Rode mit »getreu« nur meint, er habe inhaltlich nichts ausgelassen oder verändert; dies hat nichts zu tun mit dem, was in der späteren übersetzungstheoretischen Diskussion als »wörtliche« oder »ausgangssprachlich orientierte« Übersetzung firmiert. Rodes Begriff von »Treue« beinhaltet hier seine Überzeugung, mit seinem stilistisch relativ freien Verfahren dem Autor wesentlich gerechter zu werden als es eine »wörtliche« Übersetzung könnte. Umso deutlicher wird dies im Vergleich mit der Anthologie von 1785; hier handelt es sich beim lateinischen Original um Autoren, deren Stil keiner Verbesserung bedarf, und folglich hält sich Rode hier zurück: Da es mir nur um ein wahres Konterfei meiner Vorbilder zu thun war, und nicht um ein verschönertes Ideal; so bin ich denselben in allem geflissentlich gefolgt.121

Spätere Herausgeber der Rode’schen Metamorphosen-Übersetzung beziehen sich auf die von Rode gesetzten Schwerpunkte. Die Leipziger Neuausgabe von 1885 erscheint ab der 3. Auflage 1894 mit einem kuriosen »Vorwort« von M. G. Conrad: Beschrieben wird ein Besuch des Apuleius im zeitgenössischen Deutschland in einem Gelehrtenzirkel; wesentliches Thema des Gesprächs ist die Sittlichkeit künstlerischer Darstellungen und die Frage, ob vorliegende Übersetzung unter § 184 des Reichsstrafgesetzbuches (»unzüchtige Schriften, Abbildungen oder Darstellungen«) falle. Es wird, ziemlich indirekt, argumentiert für die hinreichende »Sittlichkeit« der Rode’schen Übersetzung, da diese in die Klasse der »wirklich rein empfundenen Übersetzungen« falle. Im 20. Jahrhundert ist die »Sittlichkeit« des Romans oder der Übersetzung kein Thema mehr, stattdessen wird die Stilfrage diskutiert. Dabei hängt ein jedes Urteil über Rodes Übersetzungtechnik, die das Original »verbessern« will, vom Urteil über den Stil des Originals ab. Horst Rüdiger, der Rodes negatives Urteil über Apuleius’ Stil unterstützt, bejaht auch dessen Übersetzungsmethode: Nun besitzt die deutsche Literatur glücklicherweise eine Apulejus-Übertragung [scil. die von Rode 1783], welche echten Stil verwirklicht. Überflüssig zu sagen, daß es nicht der gleiche Stil ist, der sich Apulejus auf Grund der sprachgeschichtlichen Gegebenheiten seiner Zeit anbot; wohl aber ein solcher, der in seiner Art dem Original entspricht.122

Die »sprachgeschichtlichen Gegebenheiten« nehmen die Argumentation Rodes auf, der Apuleius’ schlechten Stil mit dem »Mangel an Geschmak seines Zeitalters«123 entschuldigte. Was mit der Entsprechung des Stils gemeint ist, erklärt Rüdiger wenig später:

120 121 122 123

Rode (1783), Ankündigung, ohne Seitenzahl. Rode (1785), IX (Zuschrift). Rüdiger (1960), 552–553. Rode (1783), Ankündigung, ohne Seitenzahl.

Deutsche Übersetzungen der Metamorphosen des Apuleius Vor allem ist es das glückliche Zusammentreffen dreier Stilrichtungen, das Rode die kongeniale Verdeutschung des »Goldenen Esels« ermöglichte: des Rokoko, des Sturm und Drang und der hymnischen Sprache Klopstocks und des jungen Goethe. Mit der einen ließ sich etwa die höhere gesellschaftliche Sphäre des Originales treffen, mit der andern die volkstümliche, mit der dritten die pathetische. Rode hat die drei Stile seiner Zeit benutzt, und zwar bei verhältnismäßig hoher Treue zum Original mit der nötigen Selbständigkeit und mit viel gutem Geschmack.124

Wie gut diese Charakterisierung die Rode’sche Übersetzung trifft, soll an einigen Beispielen in der Analyse gezeigt werden. Rüdigers Beobachtung ist umso bemerkenswerter, als sie Rodes Umgang mit den Stilebenen betrifft, die Rode in seiner »Ankündigung« überhaupt nicht in den Blick nimmt. Rode geht es, seiner Aussage nach, allein um den »rhetorischen« Stil des Apuleius; dennoch sind in seiner Übersetzung auch die Stilebenen des Originals berücksichtigt. Erich Burcks Urteil über Apuleius fällt deutlich positiver aus, dementsprechend ist sein Blick auf Rodes Übersetzung deutlich kritischer: So wundert es uns nicht, daß auch die Übersetzungsprinzipien, denen sie [Rode und Wieland] folgen, dieser älteren Theorie [Gottscheds] näherstehen als den oben kurz angedeuteten neuen Ideen, die mit der Betonung der nationalen und individuellen Originalität den Charakter der romantischen Übersetzungarbeiten bestimmten. Alle drei Männer lehnen nachdrücklich eine antiquarische Verfremdung der Griechen und Römer ab. Ihre Übersetzungen huldigen noch der älteren freieren Art, die durch die Neuheit des Stoffs und durch die Anmut und Grazie der Darstellung ihren Autor als gefällig, liebenswert und einnehmend ihren Lesern empfehlen wollen.125

In dieser distanzierten Beschreibung klingt die Übersetzungsdiskussion des 20. Jahrhunderts durch, die maßgeblich von Wolfgang Schadewaldts »dokumentarischer Übersetzung« bestimmt wird. Dennoch lässt Burck die Rode’sche Übersetzung als ein Produkt ihrer Zeit gelten und erkennt die ihr eigene Leistung an: So zeigt auch Rodes Sprache wie die des Apuleius eine erhebliche Variationsbreite und eine sehr bunte Zusammensetzung von recht heterogenen Elementen, die aber doch – wie auch im lateinischen Text – zu einer schillernden Einheit zusammengebunden bleiben.126

Damit wird das Urteil des »einheitlich uneinheitlichen« Stils von Apuleius auf Rode übertragen, während gleichzeitig deutlich bleibt, dass Rode nur dieses Stilprinzip, nicht die Stilelemente selbst, von seiner Vorlage übernimmt. Im Nachwort von Wilhelm Haupt setzt sich die überschwänglich positive Bewertung des apuleianischen Stils auch im Urteil über Rodes Übersetzung fort: Im vorliegenden Fall dürfen wir die Frage nach der Übersetzbarkeit eines so komplexen Textes und übersetzungstheoretische Betrachtungen überhaupt außer acht lassen; denn in

124 Rüdiger (1960), 553 f. 125 Burck (1961), 298. 126 Ebd., 303.

Ulrike Stephan Rodes »Goldenem Esel« besitzen wir eine Übertragung, die bis heute unerreicht geblieben ist und ebenbürtig neben dem lateinischen Original steht.127

Detailbeobachtungen wie die, dass Rode u. a. »im Satzbau durch rhythmische Verkürzungen und Umstellungen der Wirkung des lateinischen Originals gerecht« werde,128 entbehren jeder Grundlage, wie wir unten zeigen werden. Von den späteren Übersetzern des Romans vertritt vor allem Albrecht Schaeffer eine klare Meinung zu Rodes Übersetzung: Im Vorwort zu seiner eigenen Übersetzung von 1926 erhebt er den Vorwurf, dass »der erste und bisher einzige Übersetzer des Buches, Rode, ein Zeitgenosse Goethes, die Form dieses Werkes vollständig vertilgte – mit der Bemerkung, Apulejus habe nicht gut schreiben können, und daher habe er, Rode, diese Unfähigkeit nach Kräften durch seine eigene Kunstfertigkeit behoben«129. Der Vorwurf ist von Schaeffers Warte aus, also bei seinem eigenen Ziel einer extrem wörtlichen Übersetzung, plausibel (und immerhin schlagen sich diese sehr verschiedenen Ansprüche tatsächlich so in den Übersetzungen nieder), wird aber Rode nicht gerecht, der ja nicht beabsichtigte, die »Form« des Originals zu erhalten. Besonders überheblich wird der Vorwurf dadurch, dass Schaeffer in seiner Übersetzung mehrere Abschnitte des Romans auslässt und auf diese Weise seinerseits das Original »verbessern« will. Angemessener urteilt etwas später Rudolf Helm: Den Deutschen hat die freie Übersetzung von A. Rode, Berlin 1783, den ganzen Roman vermittelt, die zahlreiche Male bis in die Neuzeit wieder gedruckt ist. Sie verdient auch heute noch als schriftstellerische Leistung den Vorzug vor der neuen Übertragung von A. Schaeffer.130

Es sei darauf hingewiesen, dass Helm die schriftstellerische Leistung Rodes, nicht die übersetzerische würdigt. Dies entspricht der Zielsetzung Rodes, der nicht zuletzt einen in sich »guten«, sprachlich-stilistisch hochstehenden deutschen Text anstrebte, mehr als Schaeffer mit seiner extrem wörtlichen oder Helm mit seiner »philologischen« Übersetzung. 4.2.4 Analyse Allgemeines Rodes Übersetzung unterscheidet sich von den vier anderen zuallererst dadurch, dass sie weit stärker dem »transponierenden« und »modernisierend-assimilierenden« Typ zuneigt.131 Dies entspricht Rodes eigenem Anspruch, der in der Tradition seiner Zeit steht und heute, insbesondere vor der Folie der Schadewaldt’schen Übersetzungs127 128 129 130 131

Haupt (1963), 332. Haupt (1963), 334. Schaeffer (1926), 7 (Vorbemerkung). Helm (1956), 27 (Einleitung). Poiss et al. (im vorliegenden Band), § 9, Nr. 2 und 4.

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maximen, kaum mehr denkbar ist. An erster Stelle fällt auf, dass die Vollständigkeit, das Übersetzen »ohne Verkürzungen, Hinzufügungen«, das Schadewaldt zur ersten seiner Maximen erhoben hat, offenbar nicht zu Rodes Zielen zählt (jedenfalls auf der Wortund Satzebene; die Handlung des Romans ist, im Gegensatz zu Schaeffer, bei Rode durchaus vollständig gegeben). Gelegentlich sind einzelne Begriffe ausgelassen (z. B. 2.16 aqua calida → »Wasser«; 3.5 saevissimos latrones → »Räuber«; 7.2 veteris priscaeque doctrinae viros → »die klugen Alten«; 8.1 e proxima civitate → »aus der Stadt«) oder Formulierungen umgestaltet und reduziert (z. B. 2.4 tenet libratam totius loci medietatem → »[m]itten im Saale prangte«). Auffällig sind die Auslassungen einiger juristischer und militärischer Metaphern, siehe dazu unten. Häufiger werden Begriffe hinzugefügt (meist zur Verdeutlichung, z. B. 3.18 illos capillos → »die vermeinten Haare ihres Liebhabers«, 6.23 tollenda est omnis occasio → »[l]aßt uns ihm die Gelegenheit rauben, auf dem Wege weiter fortzugehen«) oder Konnotationen ergänzt (z. B. 6.23 cotidianis fabulis → »durch allerlei böse Nachrede«). Immer wieder sind Kommentare des Erzählers eingeschaltet, die im Original keine Entsprechung haben (z. B. 4.10 »Aber warte ein wenig! Er beluchste uns garstig.«; 5.1 »Welch ein Anblik bietet sich da ihren Augen dar!«). Eine größere Erweiterung in 1.26: »Quam salve agit« inquit »Demeas noster? Quid uxor? Quid liberi? Quid vernaculi?« Narro singula. Percontatur accuratius causas etiam peregrinationis meae. Quas ubi probe protuli, iam et de patria nostra et eius primoribus ac denique de ipso praeside scrupulosissime explorans, ubi …

»Nun, wie befindet sich denn unser Demeas? Wie geht’s seiner Frau? Was machen seine Kinder? Wie steht’s um sein Gesinde?« – Ich geb’ ihm von allem und jeglichem umständlichen Bericht. Hierauf geht’s an ein Fragen, warum, in welcher Absicht, auf wie lange, und wohin ich denn eigentlich diese Reise unternommen hätte? Als ich ihm auch dies alles getreulich beantwortet; so nimt er mich über mein Vaterland in Verhör; erkundigt sich nach allen darinn angesehenen Familien auf das genaueste; und wie wir damit fertig sind, muß endlich auch so gar der Statthalter kein schlechtes bißchen herhalten. Kurz er trieb das Ding so lange; bis …

wird in einer Anmerkung erläutert: Ich habe mich hier nicht enthalten können, durch ein paar hinzugefügte Züge, das Lächerliche der Aufführung des Milo in die Augen fallender zu machen. Durch eine wörtliche Uebersezung würd ich sonst eine Untreue an meinem Autor begangen haben.

Hier verdeutlicht Rode selbst, dass es seine Absicht ist, den lebhaften Erzählstil des Apuleius nachzugestalten und, nach (vermeintlichem) Bedarf, auch zu übertreffen, ohne auf Detailtreue Rücksicht zu nehmen. Rodes Ziel bleibt, das Original, wo nötig, zu verbessern.

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Identitäten und Perspektiven Das Problem der Identitäten und Perspektiven, das die Apuleius-Forschung so intensiv beschäftigt, spielt für Rode eine untergeordnete Rolle. Die Erwähnungen und Anreden des Lesers / Zuhörers handhabt er unpräzise: in 4.6 ist ein »Leser« genannt, der im Original auch ein Zuhörer oder ein ganz anderer Adressat sein könnte; in 9.4 und 9.30 ist die direkte Anrede an den Rezipienten weggelassen; in 10.2 fehlen die Begriffe »Buch« und »lesen«, der Bezug auf einen schriftlichen Text ist in der Formulierung »eine Geschichte, die ich hier einrüken will« nur noch angedeutet. In 4.23 und 7.10 wird eine Beziehung zwischen dem Esel und dem Ich hergestellt, die keine Entsprechung im Original hat. Die problematische Stelle des »Madaurers« in 11.27 wird von Rode unauffällig übersetzt, die Widersprüchlichkeit des Originals also erhalten; in einer Anmerkung dazu wird sie allerdings als Fehler des Autors Apuleius ausgewiesen: Hier macht Apulejus den Lucius mit einmal zu einem Madaurer, nachdem er ihn vorn überall zu einem Griechen gemacht.

An anderer Stelle sucht er die verschachtelte Erzählsituation der Psyche-Geschichte aufzulösen: In Rodes Psyche (1780) ist zu 5.1 (»[…] die vortreflichsten Gemälde bilden«) die Anmerkung gegeben: Im Texte ist hier eingeschaltet: »o zweifach und mehrmal glüklich diejenigen, die da Gold und Edelgesteine mit Füssen treten!« Dies ist im Originale eine Naivetät der Erzählerin, welche ein altes armes Weib in der Räuberhöle ist. In der Uebersezung, wo diese Beziehung wegfällt, konnte sie also nicht Plaz finden.

In der Gesamtübersetzung von 1783 steht der angegebene Satz im Text, ohne Kommentar dazu. Rode nimmt hier einerseits eine Zuordnung zu einer bestimmten Erzähler-Ebene vor, die das Original nicht bietet (dort könnte die »Naivetät« auch auf Lucius’ Konto gehen), und lässt andererseits nicht gelten, dass auch die isolierte PsycheGeschichte einen »naiven« Erzähler haben könnte, ohne dass dieser irgendwie bezeichnet wäre. Die schillernde Mehrdeutigkeit, teilweise irritierende Widersprüchlichkeit ist also für Rode kein erhaltenswerter Reiz des Textes. Pointen Im Umgang mit den Pointen zeigt sich Rode nicht ganz konsequent, zwar mit Sinn für den Witz des Textes, aber ohne erkennbares Bestreben, die versteckten Hinweise durchgehend zu übertragen. In der Beschreibung des Kampfes mit den Schläuchen (2.32) ist der Haupthinweis auf die sächliche Natur der Angreifer, crebris perforati vulneribus, mit »zerstochen und zerfezt« sehr frei, aber treffend wiedergegeben; allerdings sind davor in der Übersetzung des Nebensatzes ut quemque conluctantem offenderam → »je wie sie mir im Kampfe begegnet« Subjekt und Objekt vertauscht, wodurch den Räubern/Schläuchen eine Handlungsinitiative zugewiesen wird, die das Original nicht bietet.

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In der zweideutigen Rede des Haemus (7.9) bringt eam, mit »Dirne« übersetzt, zu früh die fiktive Konnotation ins Spiel; bei et ipse quosdam lenones pridem cognitos habeo, quorum poterit unus … → »Ich kenne Kuppler, die sie uns …« ist der Hinweis auf den unus, bei dem es sich natürlich um den Vater der Charite handelt, getilgt; der Doppelsinn des »vergelten« in vindictae vobis depensuram ist mit »seid Ihr wahrhaftig nicht minder gerächt« einigermaßen erhalten, wenn man im Deutschen die Bedeutung von »jemanden rächen« etwas flexibel auslegt. In 11.20 unternimmt Rode als einziger der fünf Übersetzer den Versuch, den Witz um den Namen Candidus zu erhalten, indem er von »meinem Diener Schimmel« spricht. Gleichwohl enthält der deutsche Begriff die Bedeutung »Pferd«, die das Original candidus nicht hat. Warum weder Rode noch sonst ein Übersetzer die Übersetzung »Weiß« oder (was als Name oder Bezeichnung eines Pferdes noch eher in Frage käme) »Weißer« wählen und so die Überraschung (zumindest für den Erstleser, der die Erwähnung des Schimmels in 1.2 und 7.2 vergessen hat) vollständig bewahren, ist nicht mehr festzustellen. Sprachen Das Problem des lateinisch weissagenden Apoll wird von Rode in der Übersetzung weggelassen; in einer Anmerkung dazu erklärt er: Im Texte steht: »Allein Apoll, wiewol er eigentlich ein Grieche, und, wegen des Erbauers von Milet, ein Jonier ist, antwortete auf Lateinisch also.« Aus der Uebersezung musste das weggelassen werden.

Da eine nähere Begründung fehlt, kann nur vermutet werden, dass Rode einerseits den Widerspruch scheute, auf die Ankündigung »Apoll antwortete auf Lateinisch« den deutschen Orakeltext folgen zu lassen, andererseits auch nicht so weit modernisieren wollte, dass er Apoll einfach deutsch statt griechisch sprechen lässt – obwohl gerade letzteres durchaus zu seiner Übersetzungsabsicht passen würde, zu schreiben, wie Apuleius »sich heut zu Tage in unsrer Sprache […] ausdrücken würde«. Ganz anders geht Rode mit der zweiten Stelle um, in der Latein und Griechisch als Mutter- bzw. Fremdsprachen diskutiert werden, nämlich dem etwas mühsam griechisch sprechenden Soldaten in 9.39. Während im Original das Latein in der direkten Rede des Soldaten schwerfällig, aber weitgehend korrekt ist, gestaltet Rode in kongenialer Transposition einen deutsch radebrechenden Franzosen: Die grammatisch inkorrekte Frage Ubi ducis asinum istum? wird um einen Akzent ergänzt, der im Original nicht vorhanden ist: »Ik sak, wo Du hinwollen mit Dein leere Esel?«, und mit dem folgenden, im Original unschönen, aber korrekten Satz führt Rode sein Bild weiter aus: »›Nu, glüklik Reis‹! – versezte der Soldat – ›aber Deine Esel ik hier behalten; sie solle helf aus der nächsten Schloß des Hauptmanns Bakasch hole.‹«, bis hin zu dem französischen bagage, für das dem Soldaten kein deutsches Wort einfällt.132 132 Das französische bagage, »Gepäck«, ist zwar bereits im 16. Jahrhundert ins Deutsche übernommen worden, hat aber im 18. Jahrhundert die Bedeutungen »(Heeres-)Tross« und dann »Gesindel« angenommen, die hier nicht gemeint sind. (Digitales Wörterbuch der Deutschen Sprache, http://www.dwds.de/?qu=Bagage, Stand: 29.9.2014).

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Stilebenen Generell lässt sich beobachten, dass spezielle Begriffe oder Verwendungen derselben, die sich einer Stilebene zuordnen lassen – etwa poetischer Plural, archaisches Vokabular, die Neigung zu Abstrakta in der Vulgärsprache – bei Rode nicht im Einzelnen wiedergegeben sind. Die unterschiedlichen Stilebenen innerhalb eines Satzes, die im Original nachweisbar sind, sind bei Rode also »eingeebnet«; er stellt dem ein anderes Verfahren entgegen, indem er bestimmte Passagen frei umgestaltet und dabei im »mündlichen« Stil noch über das Original hinausgeht, etwa in 8.25: Sic praeco lurchonem tractabat dicacule, sed ille cognito cavillatu similis indignanti: »At te« inquit »cadaver surdum et mutum delirumque praeconem omnipotens et omniparens dea Syria et sanctus Sabazius et Bellona et mater Idaea cum (suo Attide et cum) suo Adone Venus domina caecum reddant, qui scurrilibus iam dudum contra me velitaris iocis. An me putas, inepte, iumento fero posse deam committere, ut turbatum repente divinum deiciat simulacrum egoque miseria cogar crinibus solutis discurrere et deae meae humi iacenti aliquem medicum quaerere?«

Also hohnekte der schelmische Ausrufer den armseligen Schlucker. Dieser merkte den Spott sehr gut, that als ob er darüber rappelköpisch würde und sprach: »Möchte doch die allmächtige, allgebährende Syrische Göttin, samt dem heiligen Sabazius, und Bellonen, und der Idäischen Mutter, und Venus der Allherrscherin, mit ihrem Adonis – Dich altes Todtengerippe von Ausrufern, auf ewig taub, stumm und blind machen, daß Du Lästerzunge mich so mit Deinem Narrenspaße zum Besten hast! Denkst denn Du Gimpel, daß ich meine Göttin einem wilden Thiere anvertraun könne? Es würde ja, so bald es kollericht würde, das heilige Bild abwerfen, und dann könnt’ ich mit zerstreueten Haaren umherrennen, und für meine arme am Boden gestrekte Göttin einen Arzt suchen!«

Während hier eine Entsprechung des Stils noch insofern vorliegt, als bei Apuleius eine auffällige Häufung vulgärsprachlicher Begriffe feststellbar ist (lurcho, dicaculus, cavillatus, cadaver, delirus, scurrilis, velitari, ineptus), löst sich eine andere Passage bei Rode deutlich mehr vom Ton des Originals. Es handelt sich um die wütende Rede der Venus in 5.29: »Honesta« inquit »haec et natalibus nostris bonaeque tuae frugi congruentia, ut primum quidem tuae parentis immo dominae praecepta calcares, nec sordidis amoribus inimicam meam cruciares, verum etiam hoc aetatis puer tuis licentiosis et immaturis iungeres amplexibus, ut ego nurum scilicet tolerarem inimicam. Sed utique praesumis nugo et corruptor et inamabilis te solum generosum nec me iam per aetatem posse concipere.

»O brav! herrlich! ganz wieder Deiner würdig! Recht so! unter die Füsse mit den Befehlen der Mutter, der Gebieterin! Was da lange ihre Nebenbuhlerin mit schmählicher Liebe quälen? Lieber aus ihr einen Zeitvertreib gemacht! Die Mutter muß es sich wohl gefallen lassen! Aber warte, Du muthwilliger Bube! es soll Dir übelbekommen! Troze nur darauf, daß Du der einzige Sohn bist; Dein Dünkel soll Dir bald benommen werden! Ich bin noch gar

Deutsche Übersetzungen der Metamorphosen des Apuleius Velim ergo scias multo te meliorem filium alium genituram […].«

nicht zu alt, noch einen weit bessern Sohn zu haben, als Du, sauberes Früchtchen bist! […]«

Der ohnehin kraftvolle Stil des Originals bekommt in Rodes Umgestaltung noch mehr Schwung durch die unvollständigen Sätze, fehlenden Kopulae und Konnektoren und die frei hinzugefügten Interjektionen; auch begrifflich ist die Beschimpfung noch weiter geführt etwa in multo te meliorem filium → »einen weit bessern Sohn […] als Du, sauberes Früchtchen bist!« Ähnliche Freiheiten nimmt sich Rode in 6.9: et audaciter in capillos eius inmissa manu trahebat eam nequaquam renitentem

Und nun kek, mit beiden Händen zugleich, Psychen in die Haare! und sie so fortgeschleift! ohnerachtet sich diese nicht im mindesten ihr zu folgen sträubet.

Außerdem in kleineren Umformungen, bei denen Teilsätze oder Phrasen aus dem syntaktischen Zusammenhang gelöst werden, z. B. 2.4 signum perfecte luculentum → »Man kann nichts herrlicheres sehen!« Auch die Stelle in 7.10: et tunc quidem totarum mulierum secta moresque de asini pendebant iudicio

»Ach! sie haben alle weder Sitten noch Charakter!« brach ich bei mir selbst voller Unwillen aus. Das Schöne Geschlecht verzeih’ es! Ich sprachs als – Esel.

stellt bei Rode nicht nur das Verhältnis zwischen Ich und Esel ganz anders dar als das Original (s. o.), sondern ist auch stilistisch völlig umgeformt, so dass der lakonische Ton des Original durch verlegene Ironie ersetzt wird. Dieser sehr »mündliche«, expressive Stil ist es, der von Rüdiger als Stilrichtung des Sturmes und Dranges identfiziert wird und der in deutlichem Kontrast zum sonst vorherrschenden Erzählton Rodes steht. Hierin wird am deutlichsten, wie Rode, anstatt den apuleianischen Stil nachzuahmen, ihm ein eigenes Äquivalent entgegensetzt. Metaphorik Juristische und militärische Metaphern werden fast durchgehend ausgelassen (in der Häufung der Kampf-Begriffe in 2.17 nicht ganz getilgt, aber sehr reduziert); teilweise fehlt die ganze Phrase in der Übersetzung (etwa 4.26 sanctae caritatis adfectione mutua mihi pigneratus, 9.27 nec herciscundae familiae sed communi dividundo formula dimicabo). Singulär steht die Stelle 9.21, wo der juristische Ausdruck postliminium (der von Apuleius öfter im einfachen Sinn von »Rückkehr« verwendet und von allen Übersetzern außer Schaeffer auch so, also ohne juristische Konnotation, übersetzt wird) in der Übersetzung einer militärischen Metapher weicht: Barbarus, postliminio domum regressus → »Flugs machte er links um, und kehrte wieder nach Hause.« Naturmetaphern sind vereinzelt wiedergegeben (z. B. 4.35 cespitis gremio → »Schos eines weichen Rasens«, 6.14 mediis e faucibus lapidis → »aus weitgeöfnetem Schlun-

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de«), in der Mehrzahl aber ebenfalls ausgelassen. Somit zeigt sich insgesamt das Bestreben Rodes, nicht nur das fachsprachliche Vokabular, sondern die Metaphorik des Originals insgesamt weitgehend auszumerzen. Es ergibt sich aus seiner Verurteilung des »kostbar[en] und schwülstig[en]« Stils des Apuleius; ein entsprechendes Verfahren wird sich unten bei der Behandlung der rhetorischen Figuren zeigen. Erotik Nachdem sich Rode im Widmungsbrief seiner Übersetzung so ausführlich für die Wiedergabe der »üppigen Stellen« meinte rechtfertigen zu müssen, verwundert es nicht, dass die entsprechenden Passagen im Großen und Ganzen vollständig übersetzt, in einzelnen Formulierungen aber abgemildert sind. (Gleichwohl muss bemerkt werden, dass auch im Original kein derbes, sondern allenfalls allzu anschauliches Vokabular verwendet wird.) Die Beschreibung des eigentlichen Aktes in der Liebesnacht mit Photis (2.17) ist verkürzt, aber ohne wesentliche Verfälschung wiedergegeben: Haec simul dicens inscenso grabattulo super me sensim residens ac crebra subsiliens lubricisque gestibus mobilem spinam quatiens pendulae Veneris fructu me satiavit, usque dum lassis animis et marcidis artibus defetigati simul ambo corruimus inter mutuos amplexus animas anhelantes.

Mit den Worten ist sie in meinem Bette; sizt rittlings auf mir; und schäkernd läßt sie ihr reges Kreuz so lange spielen, bis unser Vergnügen den Gipfel erreicht, die Sinne uns übergehn, und in gegenseitiger Umarmung die Seele aushauchend, wir beide hinsinken.

Ziemlich vage verfährt Rode bei der Parallelstelle 3.20: cum quidem mihi iam fatigato de propria liberalitate Photis puerile obtulit corollarium

Schon ermattete ich und glaubte alles Vergnügen erschöpft; als Fotis, aus eigner Freigebigkeit, eine neue Quelle der Lust mir eröfnete, und zum Beschluß mich noch der Freuden Uebermaß schmeken ließ.

Trotz der wortreichen Beschreibung bedarf es reger Phantasie, darin einen Hinweis auf Oralverkehr zu sehen. In 8.29, wo sich selbst der Esel über die »Unzucht« der syrischen Priester ereifert, vermeidet Rode schließlich jegliches Detail: paucisque admodum praegustatis olusculis ante ipsam mensam spurcissima illa propudia ad inlicitae libidinis extrema flagitia infandis uriginibus efferantur, passimque circumfusi nudatum supinatumque iuvenem exsecrandis oribus flagitabant.

Kaum ist die Vorkost berührt, als schon das ausgelassene Gesindel sich der abscheulichsten Unzucht überläßt. Nakend wird der arme Bauer ausgezogen, und alle sind zugleich über ihn her, und muthen ihm die allerschändlichsten Dinge zu.

Bei der Beschreibung der Begegnung zwischen dem Esel und der Sodomistin (10.22) gibt Rode den Inhalt wiederum größtenteils unverfälscht wieder. Zwar rettet er sich an einer Stelle in Metaphorik: Die Bedenken des Esels ob seines allzu groben Körperbaus, seiner »langen Stak-Beine«, »eisernen Hufe« und »garstigen Zähne«, münden in die bange Frage, »wie endlich […] ein so übergroßes Opfergefäß hinein in das enge

Deutsche Übersetzungen der Metamorphosen des Apuleius

Heiligthum der Wollust zu bringen sei?« Das originale tam vastum genitale war Rode offenbar denn doch zu direkt. Andererseits ist die folgende Schilderung des Aktes, »denn sie umschlang mich und nahm mich ganz – ganz sag’ ich – auf !!!« anscheinend nicht zensurbedürftig. Übrigens ist in diesem Bereich eine Entwicklung von der Psyche-Übersetzung 1780 zur Gesamtübersetzung von 1783 zu beobachten: In der Psyche steht zu 5.4 virginitati suae […] metuens → »ist ihr für ihre Unschuld bange« die Anmerkung: »Im Tezte [sic] stehet, virginitati suae timens. Im Deutschen würde das Wort anstößig sein.« In der Gesamtübersetzung steht zwar dieselbe Übersetzung der Stelle, jetzt aber ohne die Anmerkung, die sich neben den noch deutlich heikleren Passagen außerhalb der Psyche-Geschichte wohl seltsam ausgenommen hätte. Auch an anderen Stellen weist Rode in seinen Anmerkungen darauf hin, dass er anstößige Formulierungen abgemildert habe: Anmerkung zu 5.10: »die ekelhaftesten, scheußlichsten Umschläge« in der Psyche: »Ich habe die Ausdrüke etwas gemildert. Apulejus erregt hier Ekel mit seinen fomentis olidis et pannis sordidis et foetidis cataplasmatis.« (Anmerkung in der Gesamtübersetzung getilgt). Anmerkung zu 6.9: »mit den höhnischsten Geberden« in beiden Fassungen: »Adscalpens aurem dextram, sich hinterm rechten Ohr krazen; würde sich im Deutschen übel ausnehmen.« Anmerkung zu 6.9: »›Seht nur, ruft sie aus, wie sie ihre Schwangerschaft so vortheilhaft zu zeigen weiß, um unser Mitleiden damit zu erschleichen« in der Psyche: »Im Deutschen würde das Lateinische, ecce nobis turgidi veneris lenocinio commovet miserationem, zu niedrig klingen.« (Anmerkung in der Gesamtübersetzung getilgt). An anderen Stellen sind es nicht anstößige, sondern schwer verständliche Formulierungen, die Rode in der Übersetzung weglässt, um sie in der Anmerkung zu erklären. Zu 6.4: »Ich müßte mich schämen, wollt’ ich mich Deiner, ihrer Feindin, gegen sie annehmen«, steht die Anmerkung in beiden Fassungen: »Der Text sagt: ›Ich müsste mich schämen, wollt’ ich mich deiner gegen sie annehmen; zumal auch die Geseze verbiethen, entflohene Leibeigne, wider Willen ihrer Herrschaft aufzunehmen.‹ Man weiß nicht, warum hier Psyche auf einmal zu einer Leibeignen, Magd, oder Sklavin der Venus wird. Es geschieht vielmehr aus einer uns unbekannten Spizfindigkeit des Römischen Rechts. Ich habe hier und in der Folge allemal diese Benennung vermieden. Sie richtet nur Dunkelheit an, und würde überhaupt eine üble Wirkung thun.« Zu 6.24: »Also ward Psyche feierlich mit Kupido vermählt.«, ist eine sehr lange Anmerkung in der Psyche gegeben, kürzer wiedergegeben in der Gesamtübersetzung, dass der lateinische Ausdruck »in manum convenire« nicht präzise übersetzbar sei. Modernisierungen Einige Aspekte des antiken öffentlichen Lebens, die dem Leser ohne altsprachliche Bildung nicht ohne Erklärung verständlich sein dürften, werden von Rode in der Übersetzung weggelassen oder vereinfacht und in Anmerkungen erläutert: 3.3 die Beschreibung der Funktionsweise der Wasseruhr, 4.28 die Anbetungsgeste; die ironisch-

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juristische Beschreibung des Streits zwischen Charite und dem Esel in 6.29 wird in der Anmerkung nicht erklärt, sondern der lateinische Text gegeben und als »elende Pedanterie« bezeichnet. Ebenso werden die Ausrufe pol und hercules sowie die Anrede Quirites meist weggelassen. Die Münzbezeichnungen (deren Sinn aus dem Kontext auch dem unkundigen Leser verständlich ist) werden wörtlich übernommen (»Nummen«, »Denare«); hingegen werden Begriffe wie cenae / epulae saliares, vigilia, bacchari ohne Antike-Bezug, aber auch ohne zeitgenössische Konnotation übersetzt. Avernus lacus ist zur »Hölle« modernisiert, ansonsten wird die christliche Terminologie aber strikt gemieden. Der Ausdruck aulaeo subductu ist zu »der Vorhang fiel« modernisiert, aber mit einer entsprechenden Anmerkung versehen. Auffällig ist die sehr freie Übersetzung des Hochzeitsvergleiches in 4.26: Sic ad instar Attidis vel Protesilai dispectae disturbataeque nuptiae.

und zerstört und zernichtet ist meine Hochzeit, wie vormals die Hochzeit der Tochter des Athrax mit dem Pirithous!

Dies wurde möglicherweise von Rode angepasst an den mutmaßlichen Kenntnisstand seines Publikums (da Attis und Protesilaos eher nicht zu den kanonischen Mythen gehören); dahinter könnte der Versuch liegen, den Ansatz des poeta doctus sinnvoll zu übertragen, da dieser ja einerseits mit seiner Bildung angibt, andererseits darauf angewiesen ist, verstanden zu werden. Insgesamt verfolgt Rode deutlich sein Ziel, eine in sich verständliche und unterhaltende Übersetzung zu verfassen. Archaische Elemente lässt er zu, wo sie das Verständnis nicht stören; was ihm das Verständnis oder den Erzählfluss zu behindern scheint, gestaltet er nach eigenem Gutdünken um. Rhetorik Die beiden in Versen gehaltenen Orakel gibt Rode in Versen wieder, wobei er in 9.8 die beiden iambischen Senare durch ein Distichon ersetzt. Die enorme Zahl der poetisch-rhetorischen Figuren aber wird von Rode mit großer Hartnäckigkeit aus dem Text getilgt. Von Klangfiguren wie Alliteration, Geminatio, Pleonasmus finden sich kaum Spuren im Text; besonders auffällig aber sind die Umstellungen und Neuformulierungen, die Rode vornimmt, um Antithesen, Parallelismen, Trikola und Isokola nicht mehr sichtbar werden zu lassen. Wir geben nur einige der herausstechendsten Beispiele: Doppeltes Trikolon mit Alliterationen, 4.8: Estur ac potatur incondite, pulmentis acervatim, panibus aggeratim, poculis agminatim ingestis. Clamore ludunt, strepitu cantilant, conviciis iocantur …

Nun gieng es an ein Fressen und Saufen! Die aufgehäuftesten Schüsseln waren ausgeleert, die größten Brodte verschwunden – im Nu; und es war, als ob die Becher keine Boden hätten. Alle zugleich schreien sie unordentlich durcheinander. Bald brechen sie in wieherndes Gelächter aus; bald stimmen sie

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brüllenden Gesang an. Raserei ist hier Freude; und Hohnnekerei, Wiz …

Tetrakolon mit Anapher und Climax, 4.24: »A ego« inquit »misera tali domo tanta familia tam caris vernulis tam sanctis parentibus desolata …«

da ich Unglükliche einem so ansehnlichen Hause, so zalreichen, so theuren Gesinde entrissen bin; ach! verwaiset bin der besten Eltern …

Parallelismus mit Isokolon (3x14 Silben), 5.12: Nuntio Psyche laeta florebat et divinae subolis solacio plaudebat et futuri pignoris gloria gestiebat et materni nominis dignitate gaudebat.

Bei dieser Nachricht schoß Psychen vor Freuden das Blut ins Angesicht. Das Herz wallte ihr auf. Sie genoß in dem Augenblik all den Trost, all die Wollust, all die Glorie, die nur der Gedanke, Mutter eines Götterkindes zu werden, geben kann.

Antithese mit Isokolon, 5.1: domus regia est aedificata non humanis manibus sed divinis artibus

ein Pallast […], nicht von Menschenhand und Kunst erbauet

Es ließen sich weitere Beispiele in Fülle anbringen. Rode hat mit voller Absicht die rhetorischen Strukturen zerstört, wo er konnte; die Masse der Beobachtungen lässt sich nicht mit dem generell freien Übersetzungsstil erklären, auch nicht mit bloßer Indifferenz (wie bei den Bezügen der Identitäten und Perspektiven) oder damit, dass Rode die Figuren nicht als solche erkannt hätte, also Ignoranz. Im Gegenteil gehört dieses Vorgehen offensichtlich zu Rodes Methode, den Stil seiner Vorlage zu verbessern. I-ahen Die drei Stellen betreffend das I-ahen des Esels sind in sich brauchbar gelöst, insofern der beabsichtigte Ausruf des Esels jeweils plausibel ist und mit dem Vokal beginnt, den der Esel dann als einzigen Laut hervorbringt; allerdings wird dabei dem Esel, anders als im Original, ein gewisses stimmliches Differenzierungvermögen zugestanden, wodurch er zweimal »O« und einmal »I« brüllt. Der »krittliche Leser« dürfte hier wohl Anstoß nehmen. Syntax Rodes Übersetzung tendiert schon in der grafischen Gestaltung zu relativ vielen Absätzen; grammatisch ist der parataktische Stil noch stärker vertreten als im Original, etwa in der Passage in 6.26, schon im Lateinischen recht kleinteilig angelegt: »Quid stas, Luci, vel quid iam novissimum exspectas? Mors et haec acerbissima decreto latronum tibi comparata est.

»Was stehst Du da? worauf wartest Du noch, Lucius? sprach ich zu mir selber. Dein Urtheil ist gesprochen! Dir ist der bitterste Tod bereitet!

Ulrike Stephan Nec magno conatu res indiget; vides istas rupinas proximas et praeacutas in his prominentes silices, quae te penetrantes antequam decideris membratim dissipabunt. Nam et illa ipsa praeclara magia tua vultum laboresque tibi tantum asini, verum corium non asini crassum sed hirudinis tenue membranulum circumdedit. Quin igitur masculum tandem sumis animum tuaeque saluti, dum licet, consulis? Habes summam opportunitatem fugae, dum latrones absunt. An custodiam anus semimortuae formidabis, quam licet claudi pedis tui calce unica finire poteris? – Sed quo gentium capessetur fuga vel hospitium quis dabit? Haec quidem inepta et prorsus asinina cogitatio; quis enim viantium vectorem suum non libenter auferat secum?«

Wie Du siehst, braucht’s auch weiter keiner großen Anstalten zur Exekution; die nahen Felsen da, mit den spizen hervorragenden Klippen, die scheinen nur darauf zu warten, dir den Garaus zu machen. Wohin Du auch fallen magst, wirst Du nicht ganzbeinig davon kommen. Hätte Dich Deine heillose Magie nur noch gänzlich zum Esel gemacht! Aber da hat sie Dir nur des Esels Ansehen und Elend gegeben und statt seines diken unempfindlichen Fells, die feine dünne Haut eines Blutegels! Ermanne Dich denn, und rette Dich, da es noch Zeit ist! Izt, da die Räuber abwesend sind, hast Du die schönste Gelegenheit zur Flucht; denn vor dem alten Gespenste von Weibe wirst Du Dich ja nicht fürchten? Die kannst Du Dir mit einem einzigen Schlage, und wär’s auch nur mit dem lahmen Fuß, vom Halse schaffen. Aber wo hinfliehen? wo unterkommen? – Nun da haben wir den Esel! Als ob nicht jedweder Vorübergehende einen Kauz wie Du, mit ofnen Armen aufnehmen würde, auf dem er, statt des mühsamen Gehens, gemäglich nach Hause reiten kann!«

Der Tempusgebrauch, also der lebhafte Wechsel zwischen Praesens und Perfect im Original, ist bei Rode weitgehend geglättet, er verwendet meist das Präteritum als das im Deutsche übliche Erzähltempus. Einzelne Stellen stechen heraus, etwa ist in 3.25, als Lucius bestürzt der Art seiner Verwandlung gewahr wird, das emotionale Praesens bewahrt: Ac dum salutis inopia cuncta corporis mei considerans non avem me sed asinum video.

Wie ich mich nun betrachte, seh ich mit Entsezen, daß ich, statt des Vogels, zu einem Esel geworden bin.

Es herrscht jedoch bei weitem die Glättung vor; als Beispiel diene der Wechsel Praesens – Plusquamperfect – Praesens – Perfect – Praesens – Perfect in 2.32: Nec cunctatus medios latrones involo ac singulis, ut quemque conluctantem offenderam, altissime demergo, quoad tandem ante ipsa vestigia mea vastis et crebris perforati vulneribus spiritus efflaverint. Sic proeliatus, iam tumultu eo

Ich hieb und stach fürchterlich um mich herum, bis ich endlich meine Gegner alle drei, je wie sie mir im Kampfe begegnet, vor meinen Füßen, zerstochen und zerfezt, den Odem aushauchen sah. Fotis, vom Tumulte erwacht, öfnete eben die Thüre,

Deutsche Übersetzungen der Metamorphosen des Apuleius Photide suscitata, patefactis aedibus anhelans et sudore perlutus inrepo meque statim utpote pugna trium latronum in vicem Geryoneae caedis fatigatum lecto simul et somno tradidi.

als das Gefecht zu Ende war. Keuchend und triefend von Schweiße schleppte ich mich hinein; und ermüdet von dem Siege über die vermeinten Banditen, als ob ich den dreifachen Geryon bekämpft hätte; übergab ich mich alsbald dem Bette und der Ruhe.

Zusammenfassung Rodes Übersetzungsanspruch ist es, eine aus sich verständliche und unterhaltende deutsche Version des Romans zu verfassen, und zwar auf einem höheren stilistischen Niveau, als es Apuleius unter den Umständen seines Daseins möglich war. Diesem Anspruch wird Rode gerecht: Er nimmt sich viele Freiheiten in Details der Formulierungen, erhält aber die Handlung vollständig. Das Stil-Konglomerat des Originals aus hoch-, vulgär- und fachsprachlichem Vokabular wird konsequent ausgetilgt, dagegen gestaltet Rode einzelne Passagen in durchaus unterschiedlichem Ton und erreicht damit eine andere, in seinem Sinne aber äquivalente Wirkung eines »gemischten« Stils. Besonders auffällig ist die durchgehende Zerstörung des rhetorischen Figurenschmucks. Mit erklärungsbedürftigen Einzelheiten und Besonderheiten antiken Lebens belästigt Rode seinen Leser nicht, ebenso wenig mit den subtilen Mehrdeutigkeiten des Textes. Die Übersetzung gehört dem transponierenden Typ an und ist von den fünf untersuchten bei weitem die am stärksten zielsprachenorientierte; dies mag auch Helms Urteil im Vergleich mit der Schaeffer’schen Übersetzung rechtfertigen, wonach Rodes Übersetzung die größere schriftstellerische Leistung sei. 4.3 Albrecht Schaeffer (1926) 4.3.1 Der Übersetzer Albrecht Schaeffer (1885–1950) studierte nach dem Abitur »alte und neue Philologie« in München, Marburg und Berlin und arbeitete danach als freier Schriftsteller;133 sein Hauptwerk, der Roman Helianth, erschien zuerst 1920. Neben Apuleius übersetzte er auch Homer (Odyssee 1927, Ilias 1929) sowie moderne Autoren, darunter Oscar Wilde, Robert Louis Stevenson und Paul Verlaine. Als ein Hauptmerkmal seiner eigenen Werke gilt, dass er »die an der klassischen Antike orientierte Forderung nach Beachtung der Formgesetze der Dichtung inmitten der zeitgegebenen und modischen Auflösungstendenzen in seinem Werk unbeirrt befolgt« habe.134

133 Eintrag »Schaeffer, Albrecht« in: Munzinger Online / Personen – Internationales Biographisches Archiv (http://www.munzinger.de/document/00000003670, Stand: 29.9.2014). 134 Motekat (o. J.).

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4.3.2 Die Übersetzung Schaeffers Übersetzung der Metamorphosen, Ende 1925 fertiggestellt, erscheint 1926 im Insel-Verlag in Leipzig. Weitere Auflagen konnten nicht festgestellt werden, Schaeffers Übersetzung ist damit die am wenigsten verbreitete der fünf untersuchten.135 Der deutsche Text ist ohne Original gegeben, Illustrationen sind nicht enthalten. Eine Buch- und Kapiteleinteilung ist vorhanden, allerdings haben die Kapitel nichts mit der üblichen Zählung des lateinischen Textes zu tun, und die Buchzählung weicht ab Buch 5 vom Original ab: Die Amor & Psyche-Geschichte entspricht bei Schaeffer dem 5. Buch, das 4. Buch ist entsprechend verkürzt; danach stimmt keine Buchgrenze mehr mit dem Original überein, und insgesamt kommt Schaeffer auf eine Zahl von neun Büchern. Der Übersetzer bemerkt dazu in einer Anmerkung am Beginn des 2. Buches (also an einer ziemlich versteckten Stelle): Dem Leser, der Neigung haben sollte, den lateinischen Text einzusehn, sei an dieser Stelle bemerkt, daß aus verschiedenen Gründen für die Übersetzung eine andere Buch- und Kapitel-Einteilung getroffen werden mußte.

Vermutlich sind die »verschiedenen Gründe« zumindest teilweise dieselben, die Schaeffer zu diversen Kürzungen veranlasst haben, deren umfänglichste das letzte Drittel des 11. Buches betrifft. Beigegeben sind dem deutschen Text eine knappe »Notwendige Vorbemerkung des Übersetzers«; ein Inhaltsverzeichnis, das sich natürlich auf die unübliche Buchund Kapitelzählung bezieht und dadurch dem philologisch Interessierten den Zugang eher behindert, das andererseits einige Zwischenüberschriften zu den »Einlagen« des Romans enthält, die auch im Text eingeschaltet sind; schließlich ein Anmerkungsapparat in Form von Fußnoten, im Vergleich mit anderen Übersetzungen ziemlich knapp gehalten, größtenteils bestehend aus Sacherklärungen und gelegentlichen spöttischen Bemerkungen über Apuleius’ Logikfehler. 4.3.3 Stimmen zur Übersetzung Schaeffer selbst erklärt seinen Übersetzungsanspruch in der »Vorbemerkung« und leitet diesen aus einer entschiedenen Distanzierung von Rode ab: [W]ährend der erste und bisher einzige Übersetzer des Buches, Rode, ein Zeitgenosse Goethes, die Form dieses Werkes vollständig vertilgte – mit der Bemerkung, Apulejus habe nicht gut schreiben können, und daher habe er, Rode, diese Unfähigkeit nach Kräften durch seine eigene Kunstfertigkeit behoben – , im Gegenteil zu dieser, bei Philologen und Dilettanten freilich üblichen Anmaßung habe ich meine Aufgabe vielmehr in einer Nach-

135 Schaeffers Übersetzung wird von dem letzten der fünf Übersetzer, Carl Fischer, zwar genannt, im Gegensatz zu den drei anderen aber anscheinend nicht benutzt; siehe dazu unten S. 342 ff.

Deutsche Übersetzungen der Metamorphosen des Apuleius bildung der Form und Sprache gesehen, die dem Original so getreu sei, wie es die Verschiedenheit der Sprachen nur irgend erlaubte.136

Den Schwerpunkt legt Schaeffer dabei auf die rhetorisch-poetische Sprachgestaltung, die von Rode, wie gezeigt wurde, nicht nur vernachlässigt, sondern gezielt aus dem Text getilgt wurde: Schaeffer nimmt für sich in Anspruch, »die ganze Summe stilistischer Kunstfertigkeit, diese Summe von zierlichster wie preziösester Sprach-Spielerei, barockem Schwulst, nebst dem Schillern der Fremdworte, Wortspiele, Silben-Spielereien, Alliterationen, Assonanzen und Reime, dazu einem Satzbau von oft ungeheuerlich verschlungener und verästelter Abstraktion, nach Möglichkeit bewahrt« zu haben.137 Gleichwohl gibt er zu, dass sein Text insbesondere im Bereich der Wortstellung »hinter dem des Originals an gewollter Verwickeltheit, ja Verworrenheit noch immer zurückblieb«138, da hier die Gesetze der beiden Sprachen eine völlige Übereinstimmung unmöglich machten. »Ultra posse nemo obligatur: jede Sprache hat ihre Gesetze und Grenzen, vielmehr alle haben sie gradweise verschieden, nur die des Apulejus hat sie nicht«,139 entschuldigt Schaeffer diese Unvollkommenheit – gleichwohl wird noch gezeigt werden, dass auch die Sprache Schaeffers manche Grenze sprengt, die das Deutsche ihm auferlegen will. Angesichts der so heftig vorgetragenen Verachtung für Rodes »Anmaßung«, den Original-Autor verbessern zu wollen, überrascht Schaeffers Begründung für die Kürzungen: Zu einigen kleinen und einer größeren Kürzung im letzten Buch glaubte ich mich deshalb berechtigt, weil es Apulejus’ Absicht war, dem Leser seiner Zeit ein unterhaltendes Buch zu bieten; da er dem heutigen Leser, sofern er von ihm Etwas ahnen mochte, sicher das Gleiche wünschte, schien ich mir nur in seinem Sinne zu handeln, indem ich Stellen beseitigte, die dem Leser von heute inhaltlich öde erschienen wären und formal ohne Reiz.140

Schaeffer meint also, ebenso wie Rode, dem Autor durch Eingriffe in den Originaltext erst wirklich gerecht zu werden. Dabei sei daran erinnert, dass Rode immerhin versucht, eine Begründung (oder Entschuldigung) für den schlechten Stil des Apuleius zu liefern, und gleichzeitig die »üppigen Stellen«, die ihm offensichtlich mit Blick auf seinen »Leser von heute« bedenklich erscheinen, eben nicht beseitigt. Schaeffer hingegen begründet sein Vorgehen eher vage damit, dass die betreffenden Passagen den antiken Leser unterhalten hätten, den modernen Leser eher nicht; da eine der längeren ausgelassenen Passagen im 7. Buch »mit einer schieren Monotonie sadistischer Foltereien des Esels erfüllt« ist,141 verrät dies eine Ansicht Schaeffers über das Geschmacksempfinden der Antike, die nicht weniger anmaßend ist als Rodes Urteil über den apuleianischen Stil. Daneben stellt sich Schaeffer offenbar nicht die Frage, wie seine Kürzungen, insbesondere die große Kürzung im 11., dem interpretatorisch 136 137 138 139 140 141

Schaeffer (1926), 7 (Vorbemerkung). Ebd., 8. Schaeffer (1926), 8 (Vorbemerkung). Ebd. Ebd., 8 f. Ebd., 192, Anmerkung.

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schwierigen Isis-Buch, die innere Struktur des Romans beeinflussen oder beeinträchtigen. Für die Übersetzungsanalyse lässt sich jedenfalls festhalten, dass Schaeffers Interesse fast ausschließlich den sprachlich-stilistischen, kaum den inhaltlich-strukturellen Aspekten des Werkes gilt. Bei späteren Übersetzern und Herausgebern stößt Schaeffers Übersetzung, soweit sie überhaupt erwähnt wird (Ehlers etwa nennt von früheren Übersetzungen namentlich lediglich die »allezeit liebenswerte[] von A. RODE«142), auf Ablehnung. Helm urteilt in dem bereits zitierten Vergleich: Die Übersetzung von Rode verdient auch heute noch als schriftstellerische Leistung den Vorzug vor der neuen Übertragung von A. Schaeffer (Apuleius sog. Goldener Esel, Leipzig 1926), die sich bemüht, den Barockstil in übertriebener Weise nachzumachen und unter Verkennung der lateinischen Sprachentwicklung leidet.143

Erneut sei betont, dass Helm der schriftstellerischen Leistung Rodes den Vorrang einräumt und über die übersetzerische Leistung (Rodes wie Schaeffers) im Grunde keine Aussage macht. Deutlicher, wenn auch ironisch formuliert, wird Rüdiger (in seinem Nachwort zu Rodes Übersetzung): »der pseudo-barocke Versuch einer ApulejusÜbersetzung durch Albrecht Schaeffer«144 ist eben nur ein Versuch, in Rüdigers Augen wohl ein gescheiterter. 4.3.4 Analyse Allgemeines Schaeffers Übersetzung hält sich von den fünf untersuchten mit großem Abstand am engsten an den Originaltext. Abweichungen bestehen hauptsächlich in den Kürzungen einiger Passagen sehr unterschiedlichen Umfangs, die teilweise in Anmerkungen begründet werden, teils aber nur im Vergleich mit dem Originaltext feststellbar sind: Kapitel 1.26 (Lucius wird von Milo nach seiner Familie und Heimat ausgefragt) fehlt kommentarlos, ist von Schaeffer vermutlich als »inhaltlich öde« empfunden worden; in 4.26 fehlt der Satz »Sic ad instar Attidis vel Protesilai dispectae disturbataeque nuptiae« ebenso kommentarlos; 7.17–28 (etwa das letzte Drittel des 7. Buches) fehlt, in der Fußnote zur Stelle erklärt Schaeffer: »Hier habe ich mir zu Apulejus’ Gunsten eine Streichung von einem halben Dutzend Seiten erlaubt, da sie, mit einer schieren Monotonie sadistischer Foltereien des Esels erfüllt, den heutigen Leser nur anwidern würden, obendrein ohne Entgelt nur des geringsten formalen Vergnügens«; im 11. Buch folgt auf den ersten Satz von 11.19 der letzte Satz von 11.24, der Lucius’ Gebet zu Isis in 11.25 einleitet; mit dem Ende des Gebetes, kurz vor Schluss des Ka-

142 Ehlers (1958), 517. 143 Helm (1956), 27 (Einleitung). 144 Rüdiger (1960), 554, Fußnote.

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pitels 11.25, endet dieÜbersetzung, der restliche Text (11.26–30) fehlen ebenfalls. In der Fußnote zur Stelle wird dies von Schaeffer begründet: Die an dieser Stelle von mir vorgenommene umfänglichste Kürzung entfernt eine Anzahl Seiten der Schilderung weiterer Grade und Weihungs-Riten dieses Mittel-Dinges von Loge und Kult, das jene Isis-Religion gewesen zu sein scheint. Da sie weder inhaltlich Neues noch formal Fesselndes enthalten, habe ich sie zugunsten eines rechtzeitigen und volltönenden Schluß-Akkordes, d. h. zu des Autors Gunsten ausgemerzt.

Sehr selten sind im deutschen Text einzelne Wörter hinzugefügt, die sich im Original nicht finden, und zwar, wie von Schaeffer in der Vorbemerkung angekündigt, an »Stellen, wo sachliche oder Sinnes-Unverständlichkeit eine Verdeutlichung gebot«,145 etwa in 6.22 contra leges et ipsam Iuliam → »gegen die Gesetze und sogar gegen das Julische über den Ehebruch« – gerade im Gegensatz zu Rode, der et ipsam Iuliam weglässt und anmerkt, er habe »diesen gelehrten Wiz lieber der einfachen Verständlichkeit aufgeopfert«, ist die Stelle von Schaeffer elegant gelöst. Identitäten und Perspektiven Sämtliche Anreden und Erwähnungen des Lesers / Zuhörers sind bei Schaeffer genau dem Original folgend wiedergegeben. Zum Prooemium bemerkt Schaeffer in einer Fußnote: »Der erzählende ›Ich‹ ist demnach nicht Apulejus, der, in Madaura in Afrika geboren, zur Muttersprache Lateinisch hatte.«; dies ist aber keine Interpretation, sondern lediglich Information, die Schaeffer hier einschiebt, da er ansonsten keine Biographie des Apuleius bietet (im Gegensatz zu Rode, Helm und Brandt / Ehlers). Die problematische Stelle des »Madaurers« im 11. Buch ist Schaeffers Kürzung zum Opfer gefallen. Was an Widersprüchen und Mehrdeutigkeiten in diesem Bereich im Original enthalten ist, wird von Schaeffer also präzise bewahrt; daraus sticht eine einzelne Stelle umso mehr hervor, an der Schaeffer wiederum den Autor zu verbessern sucht. Es ist von mehreren Interpreten und Übersetzern bemerkt worden, dass der Erzähler in 9.30 eine Ankündigung macht, die später nicht eingelöst wird; in Schaeffers Übersetzung: Sed forsitan lector scrupulosum reprehendes narratum meum sic argumentaberis: »Unde autem tu, astutule asine, intra terminos pistrini contentus, quid secreto, ut adfirmas, mulieres gesserint scire potuisti?« Accipe igitur quem ad modum homo curiosus iumenti faciem sustinens cuncta quae in perniciem pistoris mei gesta sunt cognovi.

Vielleicht aber wird der skrupelhafte Leser meine Erzählung tadeln, indem er also dokumentiert: »Woher aber du, listigstes Esulein, innerhalb der Bäckerei Grenzen eingeschränkt, konntest du wissen, was insgeheim, wie du versicherst, die Frauen vollführten?« Vernimm daher, auf welche Weise ich, ein neugieriger Mensch, der die Gestalt eines Zugtiers erduldete, Alles was zum Verderb meines Bäckers getan wurde, erfuhr.

In 9.31 wird erzählt, dass das fatale Schicksal des erwähnten Bäckers durch eine Traumvision seiner Tochter ans Licht der Öffentlichkeit gekommen sei, woraus jedoch 145 Schaeffer (1926), 8 (Vorbemerkung).

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auch nicht erhellt, wie der Esel davon erfahren habe. Schaeffer fügt daher nach dem Bericht der Bäckerstochter den Satz ein: »[was Alles sie laut genug für jedes, geschweige für das Ohr eines Esels Allen berichtete]«, und erläutert in einer Anmerkung dazu: Das in die Klammern Geschlossene ist meine Hinzufügung; Apulejus scheint nämlich vergessen zu haben, daß er nachweisen wollte, auf welche Art er, der Esel, die ganze Geschichte erfahren hat.

Gegenüber Schaeffers Anspruch der unbedingten Treue zum Original ein irritierender Eingriff, zumal Schaeffer sich an der ebenfalls unlogischen Stelle im 2. Buch tres utres inflati variisque secti foraminibus auf die spöttische Anmerkung beschränkt: »Wie Apulejus Ziegenbälge sich vorstellt, die aufgeblasen sind und trotzdem Löcher haben, kann er uns leider nicht mehr erklären«, ohne den Text selbst zu verändern. Pointen Ein besonderes Interesse für die Mehrdeutigkeiten des Textes ist auch bei Schaeffer nicht erkennbar; durch die generell sehr eng am Original geführte Übersetzung bleibt trotzdem vieles erhalten. In der Schläuche-Episode (2.32) könnte der Hinweis vastis et crebris perforati vulneribus auf die sächliche Natur der Angreifer noch deutlicher sein als in Schaeffers »von wüsten und häufigen Wunden durchbohrt«; auch bei dem doppeldeutigen spiritus, das zwischen »Atem« und »Geist« changiert, ist die Entscheidung für »den Geist verhauchen« wenig glücklich. Besser gelingt Schaeffer die Rede des Haemus in 7.9. Der Satz: »Auch habe ich nämlich selbst einige Kuppler von früher her zu Bekannten; von denen sollte wohl Einer, wie ich glaube, für viele Denare dies seiner Eltern würdige Mädchen erhandeln«, lässt sich mit a posteriori-Wissen, ebenso wie das Original, gut als Hinweis auf Charites Vater lesen, und die Ankündigung des Haemus, dass Charite »euch eure Rache bezahlt« ist von treffender Zweideutigkeit. Der Witz um den Diener Candidus fällt leider in die von Schaeffer nicht übersetzten Abschnitte von Buch 11. Die größte Pointe des Romans, im Sinne einer unerwarteten (wenngleich für den Zweitleser im Vorhinein angekündigten) Wendung, ist freilich das 11. Buch; und zu dieser unerwarteten Wendung kann auch die vergleichsweise ermüdende Schilderung der diversen Riten des Isis-Kultes zählen, die in starkem Gegensatz zur lebhaften Handlung der ersten zehn Bücher steht. Diese Pointe jedenfalls hat Schaeffer nicht in ihrer vollen Wirkung getroffen. Sprachen In der Stelle in 4.23: Sed Apollo, quamquam Graecus et Ionicus, propter Milesiae conditorem sic Latina sorte respondit, lässt Schaeffer den Milesiae conditor ohne weiteren Kommentar entfallen: »Apoll, obzwar Grieche und Jonier, antwortet so mit lateinischem Spruch«. Die Passage des griechischen Soldaten gibt Schaeffer präzise wieder: Die grammatisch inkorrekte Frage ubi ducis asinum istum? ist mit genau demselben Fehler ins Deutsche übertragen: »Wo führst du den Esel?«; die weitere Rede des Soldaten, im

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Original allenfalls etwas schwerfällig, ist bei Schaeffer sprachlich unauffällig. Der Satz »Mir aber ist seine Hülfe not« deutet eher auf das Bestreben, die Syntax des Originals sed mihi opera eius opus est möglichst genau nachzubauen, als auf eine stilistische Zuordnung; sowohl die Konstruktion von »not« mit dem Dativ als auch die Schreibweise »Hülfe« begegnen auch anderweitig in Schaeffers Übersetzung und gehören zu seinem generell altmodischen Stil. Stilebenen Es ist bereits deutlich geworden, dass sprachlich-stilistische Aspekte für Schaeffer deutlich mehr Gewicht haben als inhaltlich-strukturelle. Er zeigt eine ungeheure Präzision in der Wortwahl, wobei er bestrebt ist, dasselbe lateinische Wort auch in räumlich und inhaltlich weit auseinanderliegenden Stellen identisch zu übersetzen, etwa 2.23 modo corollarium idoneum compara → »halte nur eine geeignete Zulage parat!« (wo alle anderen Übersetzer »Trinkgeld« setzen), und 3.20 puerile corollarium → »eine knäbliche Zulage« (womit Fellatio gemeint ist). Eine anderes derartiges Stellenpaar zeigt ein weiteres Merkmal der Schaeffer’schen Übersetzung: In 1.3 obstinato corde → »obstinaten Herzens«, und 1.20 obstinata incredulitate → »mit obstinater Ungläubigkeit«, ist das Adjektiv nicht nur identisch, sondern gewissermaßen gar nicht übersetzt; desgleichen gibt Schaeffer 2.7 disputare mit »disputieren« wieder, 3.1 replicare mit »replizieren«, 3.1 und 3.4 iudicium mit »Judizium«, 3.21 vigilia mit »Vigilie«, um nur einige Beispiele zu nennen; auch 2.16 lassitudo → »Lässigkeit« lässt sich dazuzählen.146 Eine gewisse Un- oder Missverständlichkeit nimmt Schaeffer für die Klangähnlichkeit in Kauf. Gleichwohl verfolgt er dieses Verfahren längst nicht in allen Fällen; für iudicium verwendet er an anderen Stellen auch »Gericht« und »Urteil«. Dennoch ist das Bestreben nach einer möglichst wörtlichen Übersetzung das auffälligste Merkmal, und es setzt sich bis in Neubildungen fort und ahmt dabei die Neologismen des Originals nach (z. B. 1.6 palliastrum → »Mantelor«) und geht teilweise noch darüber hinaus, etwa 9.15 et antelucio, recubans adhuc → »schon vortage, annoch zubettlägrig«. Auch neue Junkturen werden dem Deutschen aufgezwungen, z. B. 11.16 fatigatos anhelitus trahens → »ermüdete Seufzer ziehend«. Während einzelne Begriffe, die im Original der poetischen oder Vulgärsprache zuzuordnen sind, bei Schaeffer keine auffällige Übersetzung finden, übersetzt er als einziger viele Formen oder Konstruktionen, die für eine bestimmte Stilebene typisch sind: So wird der poetische Plural von Schaeffer öfter in auffälliger Weise wiedergegeben, z. B. 2.28 per nocturna silentia → »bei den nächtlichen Schweigsamkeiten«, 4.28 religiosis adorationibus → »mit gottesfürchtigen Anbetungen«; längst nicht alle betreffenden Stellen sind so konsequent behandelt, aber wo Schaeffer den poetischen Plural nicht als solchen übersetzt (etwa 3.10 observatis viae solitudinibus → »unter Beobachtung einsamer Straßen«), ist er auch in den anderen Übersetzungen meist nicht berücksichtigt.

146 Damit wird die Übersetzungstechnik der »Präservierung« (Poiss et al. [im vorliegenden Band], § 10, Nr. 8) deutlich über die »terminologische Präzision« bei Fachbegriffen hinaus eingesetzt.

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Ein häufiges Merkmal der Vulgärsprache bei Apuleius sind Abstrakta, die als Schimpfwort verwendet werden; auch hierin übertrifft Schaeffer die anderen Übersetzungen, etwa in 4.7 etiamne tu, busti cadaver extremum et vitae dedecus primum et Orci fastidium solum → »du äußerster Kadaver des Scheiterhaufens, du erste Schande des Lebens und bloßer Ekel des Orkus«, oder 9.18 opportune nanctus Myrmecis solitatem → »erlangt er glücklich ein Alleinsein des Myrmex«. Überhaupt hat Apuleius eine zeittypische Vorliebe für Abstrakta; Schaeffer übertrifft ihn darin an manchen Stellen noch, z. B. in 1.2 postquam ardua montium ac lubrica vallium et roscida cespitum et glebosa camporum emersi → »Nachdem ich nun Steilheiten der Berge und Schlüpfrigkeiten der Täler, Tauigkeiten der Wiesen und Scholligkeiten der Felder hinter mich gebracht«, wo die ardua des Originals eigentlich nicht »Steilheiten« sind, sondern eher »das Steile«, in einem so nicht übersetzbaren Plural. Hier gilt, was Schaeffer in einer Anmerkung schreibt, die zwar bei einer bestimmten Formulierung in Kapitel 3.1 steht, aber für die ganze Übersetzung gültig ist: Bei Gelegenheit dieses Wortspiels, das der Leser des lateinischen Textes dort nicht entdecken würde, sei bemerkt, daß es allerdings für den Übersetzer unmöglich war, all die verschiedenen Sprachspielerein Apulejus’ genau nachzubilden, sondern daß er allerlei im deutschen Text nur da anbringen konnte, wo dieser ihm die deutsche Möglichkeit dazu bot.

Demgemäß findet Schaeffer für ungebräuchliche Verbformen gute Entsprechungen, etwa in 1.22 für das archaische hic ibidem me opperimino → »harre mein eben dahier«, oder in 2.24 für den gehobenen Imperativ vos in hanc rem, boni Quirites, testimonium perhibetote → »Ihr, gute Mitbürger, leget in dieser Sache das Zeugnis ab.« Zu den auffälligsten Kennzeichen der Schaeffer’schen Übersetzung gehört die konsequente Wiedergabe der von Apuleius ausgiebig gebrauchten Diminutiva. Als Beispiel sei die Häufung in 3.21 angeführt: Iam primum omnibus laciniis se devestit Pamphile et arcula quadam reclusa pyxides plusculas inde depromit, de quis unius operculo remoto atque indidem egesta unguedine diuque palmulis suis adfricta ab imis unguibus sese totam adusque summos capillos perlinit multumque cum lucerna secreto conlocuta membra tremulo succussu quatit. Quis leniter fluctuantibus promicant molles plumulae, crescuntet fortes pinnulae, duratur nasus incurvus, coguntur ungues adunci.

Zuerst entkleidet Pamphile sich aller Gewande; und nachdem sie ein Kästulein aufgeschlossen, eine Menge Büchsulein hervorgeholt, von einem das Deckulein aufgemacht und daraus eine Salbe genommen, reibt sie die lange Zeit zwischen den Händulein, schmiert sich von den untersten Nägeln bis zu den obersten Haaren ganz damit ein, und nachdem sie viel insgeheim mit ihrer Lampe geredet, schüttelt sie mit bebendem Schüttern die Glieder. Daran, wie sie leise wallen, blinken weiche Federlein vor, wachsen auch kräftige Flügulein, und die Nase härtet sich krumm, die Nägel ziehen sich krallig zusammen.

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Durch die ungewöhnliche Form »-ulein« werden die Formen noch mehr betont, und insbesondere Bildungen wie 9.38 specula → »Hoffnunkulein« mögen zu der Ansicht beigetragen haben, Schaeffer sei über sein stilistisches Ziel etwas hinausgeschossen. Auch die Diminutiva erscheinen bei Schaeffer zusätzlich an Stellen, wo das Original die einfache Form verwendet (z. B. 9.33 puer → »Knäbulein«), und hier mag, ebenso wie bei den Abstrakta, eine »Ersatzhandlung« für andere, in der Übersetzung nicht berücksichtigte Formen vorliegen. Große Konsequenz zeigt Schaeffer auch bei den Interjektionen: Mit sehr wenigen Ausnahmen übersetzt er heus immer mit »holla«, heu immer mit »wehe«, (en) ecce immer mit »siehe (da)« etc., wo alle anderen Übersetzungen freimütig zwischen »he«, »heda«, »hör«, »hallo«, »ach«, »bitte«, »schaut« u. ä. wechseln. Metaphorik Auch in der Bildersprache bleibt Schaeffer sehr nahe am Text. Manche der Naturmetaphern gibt er als einziger wörtlich wieder, u. a. 5.13 lumen nascentis diei → »Licht des wachsenden Tages«, 10.32 veris coma → »Haar des Lenzes«; andere löst er auf, wie in 5.25 das supercilium amnis, das zu einer schlichten »Anhöhe am Fluß« wird. Sehr selten kommt es allerdings vor, dass Naturmetaphern in einer der anderen Übersetzungen wörtlich übertragen sind, bei Schaeffer hingegen nicht; eine solche ist in 11.7 der clemens motus brachiorum der Bäume, der bei Schaeffer eine »sanfte Bewegung der Zweige« wird, bei Helm hingegen als das »sanfte Bewegen ihrer Arme« erhalten wird. Besonders hübsch ist die Passage umgesetzt, in der Venus ihrem Sohn Amor als Eidechse bezeichnet: 5.30 quibus modis stellionem istum cohibeam → »auf welche Weise bändige ich diesen Salamander?« Die anderen Übersetzer weichen hier auf Taugenichts (Rode), Ränkeschmied (Helm, Fischer) oder Schlauberger (Brandt) aus. Sehr konsequent, und ebenfalls häufig als einziger der fünf Übersetzer, gibt Schaeffer die juristischen Metaphern wieder. Am auffälligsten ist dabei das wiederholt auftretende und schon im Original etwas irritierende postliminio, das Apuleius in verschiedenen Situationen des Umkehrens oder Heimkehrens verwendet; Schaeffer übersetzt konsequent »nach dem Heimkehrrecht«, ohne sich daran zu stören, dass dies im deutschen Text eher unverständlich als unterhaltend wirkt. An anderen Stellen ist der Zusammenhang besser gewahrt, z. B. 9.15 plagas mihi quam plurima irrogari → »möglichst viel Hiebe über mich zu verhängen«, und 4.26 sanctae caritatis adfectione mutua mihi pigneratus → »durch wechselseitige Neigung der heiligen Liebe mir verpfändet«, gelegentlich ist die Metapher nicht wörtlich übersetzt, aber der juristische Ton gewahrt, z. B. 3.12 prohinc epulare vadimonium differamus → »Darum schieb ich das von mir verbürgte Gastmahl auf.« Erotik Die erotischen Passagen sind innerhalb der Übersetzung nicht auffällig. Schaeffer scheut die direkte Ausdrucksweise nicht, gibt auch die Kampfmetaphorik in 2.17, der Liebesnacht mit Photis, am präzisesten wieder; u. a. übersetzt er den Begriff missio, der eigentlich die Entlassung aus dem Dienst (für den Tag oder allgemein) bedeutet, tref-

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fend: hodierna pugna non habet missionem → »der heutige Kampf giebt kein Quartier«, während die anderen Übersetzer Varianten von »es wird kein Pardon gegeben« verwenden. Ärgerlich ist der Übersetzungsfehler 2.17 lassis animis et marcidis artibus → »lasser Sinne, erschöpfter Künste«, wo von allen späteren Übersetzern die Form von artus erkannt wurde. Modernisierungen Von Modernisierungen nimmt Schaeffer Abstand, auch hier bleibt er so nahe wie irgend möglich am lateinischen Text: Nicht nur »Beim Herkules« und »Pollux!«, »Nummen« und »Denare« bleiben erhalten, auch Formulierungen, die dem nicht altsprachlich vorgebildeten Leser dunkel bis unverständlich sein dürften, werden dem Original nachgestaltet: 3.21 circa primam noctis vigiliam → »um die erste Vigilie etwan« (samt der poetischen Wortstellung), 3.20 bacchamur in Venerem → »bacchizierten wir der Venus«; an anderen Stellen wird eine erklärende Anmerkung beigegeben: zu 2.11 si in Avernum lacum → »wie auf den Eingang zum Orkus« die Anmerkung: »Apulejus sagt hier ›wie auf den Averner See‹, der nämlich für einen Eingang zur Unterwelt gehalten wurde«; zu 7.10 epulas saliares → »saliarische Mähler« die Anmerkung: »So genannt nach gewissen alljährlichen Kultfesten des Mars«; in 9.22 kommen die »saliarischen Mähler« noch einmal vor, dann ohne Anmerkung, während sie vorher in 4.22 in eine »lukullische Mahlzeit« transponiert sind (entgegen Schaeffers sonstiger strenger Konsequenz, aber unter Bewahrung des antiken Kolorits). 10.29 aulaeo subductu et complicitis siparis wird von Schaeffer als einzigem wörtlich (und wohl aus sich heraus verständlich) mit »nach aufgezogenem Haupt- und zusammengelegtem Nebenvorhang« übersetzt. Eine bemerkenswerte Ausnahme bildet der Begriff »Quirites«, der von Schaeffer durchgehend mit »Bürger« oder »Mitbürger« übersetzt wird (Helm und Fischer übersetzen dagegen im Prooemium »Quiriten«, im Rest des Romans allerdings ebenfalls »Bürger« o. ä.). Ob Schaeffer bei seinem Publikum mit Kenntnissen der Antike und der Alten Sprachen rechnet, lässt sich nicht klar feststellen, jedenfalls will er seinen Leser nicht mit einer »von Sachlichkeit stachlige[n] Einleitung«147 belästigen, sein Ziel ist Unterhaltung. Vor diesem Anspruch ist die Zahl der Stellen, die gewisse Kenntnisse antiken Vokabulars verlangen, bemerkenswert hoch. Rhetorik Schaeffers größte Übersetzungsleistung liegt vermutlich im Bereich der rhetorischen Figuren. Alliterationen nimmt er zwar selten dort auf, wo sie im Original stehen (übrigens auch keine der anderen Übersetzungen), bringt sie aber an anderen Stellen unter, wie er selbst kommentiert, zu 10.12 Et illius quidem senis famosa atque fabulosa fortuna providentiae divinae condignum accepit exitum → »Und so nahm freilich jenes Vaters fatales und fabelhaftes Fatum einen der göttlichen Vorsehung würdigen Ausgang«, in der Anmerkung: 147 Schaeffer (1926), 7 (Vorbemerkung).

Deutsche Übersetzungen der Metamorphosen des Apuleius Im Text »Famosa atque Fabulosa Fortuna«. Wenn ich mit meinen vier »Fa« hier Apulejus übertroffen habe, so mag das als Ausgleich dienen für manche ähnliche Stelle, wo ich sein Silben-Spiel nicht nachzumachen vermochte.

Geminationes sind weitestgehend erhalten, ebenso Pleonasmen, etwa 6.10 immanitate praecepti consternata silens obstupescit → »von der Ungeheuerlichkeit der Weisung betäubt, erstarrt sie schweigend«; Verstöße gegen Sinn und Grammatik übernimmt Schaeffer gleich mit, etwa in 4.18 fores ianuae → »die Pforten des Tors«, und 11.10 magis aptior → »mehr geeigneter«. Bei mehrgliedrigen Figuren läuft Schaeffer zu großer Form auf. Die Periode in 7.11, die sich aus einem harten Staccato durch allmähliche Steigerung in einen reichlich alliterierenden Trimeter-Schluss steigert: Verrit, sternit, coquit, tucceta concinnat, adponit scitule, sed praecipue poculis celebris grandibusque singulos ingurgitat.

Er schleift her, deckt auf, kocht, fügt die Ruladen zusammen, trägt geschickt auf, aber vornehmlich gurgelt er Jeden voll mit vielen und großen Pokalen

ist kongenial umgesetzt, ist zwar am Anfang im Rhythmus nicht ganz sauber, bietet aber die Neuschöpfung »vollgurgeln« für ingurgitare und einen schwungvollen Hexameter-Schluss. Das doppelte Trikolon in 1.18: Ecce Socrates integer sanus incolumis. Ubi vulnus? Ubi spongia? Ubi postremo cicatrix tam alta, tam recens?

Siehe da Sokrates, unberührt, gesund, unbeschädigt. Wo Wunde, wo Schwamm? Wo endlich die Narbe so tief und so frisch?

ist genau nachgebaut mit der Climax im zweiten Teil und auch rhythmisch gut gestaltet. Ebenso sind beim ebenfalls doppelten Trikolon in 4.8: Estur ac potatur incondite pulmentis acervatim, panibus aggeratim, poculis agminatim ingestis. Clamore ludunt, strepitu cantilant, conviciis iocantur, ac iam cetera semiferis Lapithis Centaurisque semihominibus similia.

Gegessen und getrunken wird regellos, nachdem Fleisch haufenweis, Brot hügelweis, Becher bergeweis hergeschafft waren. Sie spielen mit Geschrei, singen mit Getös, scherzen mit Gezänk und treiben das Sonstige ähnlich den halbwilden Lapithen und Evoe brüllenden Kentauren.

nicht nur die Parallelstruktur, sondern auch das Homoieteleuton im ersten und die Alliteration im zweiten Teil wiedergegeben. In 8.4 ist das vierfache Isokolon (4 x 12 Silben, mit paralleler Satzstruktur): sed aper immanis atque invisitatus exsurgit toris callosae cutis obesus, pilis inhorrentibus corio squalidus,

sondern ein ungeheurer und unvorhergesehener Eber hebt sich vom Pfühl, geschwollen und dickhäutig, das Fell strotzend von starrenden Borsten,

Ulrike Stephan setis insurgentibus spinae hispidus, dentibus attritu sonaci spumeus, oculis aspectu minaci flammeus, impetu saevo frementis oris totus fulmineus

am Rücken rauch von steigenden Stacheln, die Zähne schäumend von tönendem Reiben, mit Augen flammend zu dräuendem Anblick, im grimmen Ansturm brummenden Mundes ganz blitzmörderisch.

fast exakt getroffen: Bei Schaeffer zählt man 10+10+11+11 Silben, die Climax und die parallele Syntax sind durchgehalten und mit einem drängenden Rhythmus ergänzt. Antithesen übersetzt Schaeffer ebenfalls eng am Original; zwei besonders kunstvolle Beispiel seien angeführt. In 5.1: domus regia est aedificata non humanis manibus sed divinis artibus

ein königliches Haus, erbaut nicht von menschlichen Händen, sondern von göttlichen Künsten

ist auch das Isokolon übernommen. In 6.26: Nam et illa ipsa praeclara magia tua vultum laboresque tibi tantum asini, verum corium non asini crassum sed hirudinis tenue membranulum circumdedit.

Denn jene erleuchtete Zauber-Kunst selber hat dir nur die Mienen und das Dienen eines Esels gegeben, wahrlich aber nicht das dicke Fell eines Esels, sondern die zarte Membran eines Blutegels.

ist nicht nur die doppelt-verschränkte Antithese wiedergegeben, sondern im »Mienen und Dienen« ein Binnenreim hinzugefügt, der für eine an anderer Stelle fehlende Klangfigur stehen mag. I-ahen Im Vergleich zur sonstigen virtuosen Sprachbeherrschung Schaeffers fallen die Stellen betreffend das I-ahen des Esels deutlich ab. In 3.29 bleibt Schaeffer beim Original, wenn der Esel statt des »O Cäsar« nur das »O« herausbringt; daneben ist die Stelle in 7.3 nicht nur ebenso inkonsequent wie bei Rode, da der Esel nun plötzlich »Nie« schreit, vielmehr ist auch die Formulierung »Nie tat ich’s!«, mit der der verzweifelte Lucius seine Unschuld beteuern will, recht unplausibel. In der dritten Passage (8.29) ist der angestrebte Ruf »Bürger heraus!« zwar sinnvoll, es bleibt aber rätselhaft, wie daraus ein »O« wird (zumal ein Esel, der I und O schreien kann, auch ein Ü bewältigen sollte). Syntax Die Syntax ist neben der Wortwahl der irritierendste, je nach Sichtweise wohl auch der beste Aspekt in Schaeffers Übersetzung. Nicht nur konstruiert er seine Sätze parallel zum Original, wo es möglich ist, etwa im Hin und Her des Tempusgebrauchs (hier am bereits verwendeten Beispiel aus 2.32): Nec cunctatus medios latrones involo ac singulis, ut quemque conluctantem offenderam, altissime demergo, quoad tandem

Und ohne Zaudern fliege ich mitten in die Räuber hinein und versenk es in Jeglichen tief, Wen auch immer ich gegen mich an-

Deutsche Übersetzungen der Metamorphosen des Apuleius ante ipsa vestigia mea vastis et crebris perforati vulneribus spiritus efflaverint. Sic proeliatus, iam tumultu eo Photide suscitata, patefactis aedibus anhelans et sudore perlutus inrepo meque statim utpote pugna trium latronum in vicem Geryoneae caedis fatigatum lecto simul et somno tradidi.

kämpfend traf, bis sie vor meinen Fußstapfen, von wüsten und häufigen Wunden durchbohrt, den Geist verhauchten. So gestritten, und nachdem Fotis schon vom Tumulte erweckt war und das Gebäude geöffnet, schleiche ich keuchend und schweißübergossen hinein und überliefere mich, ganz wie nach einem Kampf mit drei Räubern, ja nach Art eines geryonischen Blutbades!, erschöpft dem Bette zugleich und dem Schlaf.

oder in der Partizipienhäufung (die auch im vorigen Beispiel schon deutlich wird), hier im Beispiel aus 10.16: Sciscitatus denique, quid bonum rideret familia, cognito quod res erat, ipse quoque per idem prospiciens forarem delectatur eximie.

Am Ende forschend, was Gutes denn sein Gesinde belache, und erfahren, was für ein Ding das war, und selber auch durch selbige Spalte spähend, ergötzt er sich höchstens.

Vielmehr (was auch in den obigen Beispielen schon sichtbar ist) konstruiert Schaeffer auch da nach dem Lateinischen, wo es nach den Regeln des Deutschen nicht möglich ist, insbesondere wenn er Ablativi absoluti in großer Zahl als Genitivi absoluti wiedergibt. Wo der Ablativus absolutus satzeinleitend steht und fast die Funktion eines Konnektors übernimmt, wirkt dies zwar exotisch, ist aber noch verständlich, etwa in 1.24 his auditis … → »dies gehört, …«, his actis … → »dies getan, …«; andere Sätze sind beinahe lateinische Perioden mit deutschem Vokabular: 3.29 si rursum asino remoto prodirem in Lucium → »wofern ich entfernten Esels wieder in den Lucius überginge«; 4.24 quae inter genua sua deposito capite sine modo flebat → »Zwischen ihre Knie gelegten Hauptes weint sie ohne Maß.« In diesen Partien kann man, streng genommen, kaum noch von einer Übersetzung sprechen, wenn man darunter einen Text in der Zielsprache, also nach deren Regeln, versteht (mit Ausnahme von Fällen wie Petron, wo grammatische Fehler der Vorlage durch grammatische Fehler in der Übersetzung wiedergegeben werden148). Vor allem für die Wirkung dieses Sprachgebrauchs, aber auch der sonstigen »strengen« Übersetzungsmethode Schaeffers, ist es schade und verwunderlich, dass die Übersetzung ohne das lateinische Original veröffentlicht ist, da sich aus dem deutschen Text allein kaum erschließen lässt, wie eigenwillig und zugleich zielgerichtet der Übersetzer mit dem Werk verfährt. Eine weniger bizarre Wirkung erzielt Schaeffer, wo er die poetische Wortstellung des Originals ins Deutsche überträgt, etwa in 4.24 mit necquicquam dolor sedatur puellae → »wird keineswegs besänftigt des Mädchens Schmerz«, oder mit der Enallage des Adjektivs in 6.30 pinnatam Pegasi vincebas celeritatem → »besiegtest du des Pegasus flüglige Schnelle!«, die durch den Rhythmus noch betont wird.

148 Vgl. Renz (in diesem Band).

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Zusammenfassung Schaeffers Übersetzung ist ausgangssprachenorientiert in einem kaum zu übertreffenden Maße, im Bereich der Syntax sogar in einem regelwidrigen Maße. Die Wortwahl ist exzentrisch, gelegentlich übertrieben archaisierend, bei den Diminutiva penetrant. Inhaltlich-strukturelle Elemente interessieren Schaeffer eher weniger, werden durch die Nähe zum Original aber trotzdem oft erfasst. Der größte Vorzug der Übersetzung liegt im rhetorisch-poetischen Figurenreichtum, der im Vergleich dem Original durchaus standhalten kann. Die Übersetzung ist in ihrer stilistischen Wirkung auf jeweils zeitgenössische Leser wohl noch extravaganter als das Original; insbesondere wegen des eigenwilligen Sprachgebrauchs im Deutschen ist sie dem archaisierend-distanzierenden Typ zuzurechnen. Von den fünf untersuchten Übersetzungen erreicht sie unter sprachlichstilistischem Gesichtspunkt die beste Wirkungsäquivalenz. 4.4 Rudolf Helm (1956) 4.4.1 Der Übersetzer Rudolf Helm (1872–1966) studierte Klassische Philologie in Berlin und wurde dort 1892 mit einer Arbeit über Statius promoviert und 1899 habilitiert. 1909 erhielt er einen Ruf als ordentlicher Professor an die Universität Rostock, wo er, mit einer Zwangspause während des Dritten Reichs, bis zu seinem Ruhestand 1953 tätig war. Helms Forschungsschwerpunkt lag in der römischen Literatur der Kaiserzeit und Spätantike; zeitweise widmete er sich intensiv den Werken Lukians. Daneben übersetzte er lateinische Literatur der späten Republik und der augusteischen Zeit, u. a. Catull, Horaz, Martial, Properz, Sueton und Tibull. Mit den Metamorphosen des Apuleius hat sich Helm schon früh in seiner Karriere befasst: 1907 erschien in Leipzig erstmals seine Textausgabe des Romans, die vielfach nachgedruckt wurde und bis heute die aktuelle Textausgabe in der Bibliotheca Teubneriana ist. Auf sein Überblickswerk Der antike Roman 1948 folgte 1956 die Übersetzung der Metamorphosen. Sie erschien im Akademie-Verlag Berlin und erfuhr dort in den folgenden Jahrzehnten etliche weitere Auflagen. Die erste Auflage erschien gleichzeitig als Lizenzausgabe bei der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft in Darmstadt. 4.4.2 Die Übersetzung Helms Übersetzung ist schon äußerlich als philologisches Arbeitsmittel angelegt: Lateinischer und deutscher Text sind synoptisch gegenübergestellt und jeweils mit Kapitel-, Paragraphen- und Zeilenzählung versehen. Zum lateinischen Text ist ein kritischer Apparat gegeben, der allerdings sparsamer als in der reinen Textausgabe ausfällt.

Deutsche Übersetzungen der Metamorphosen des Apuleius

Der Text wird flankiert von einem Inhaltsverzeichnis, das nicht nur die elf Bücher, sondern auch einige »Zwischenüberschriften« enthält (die allerdings im Text nicht wiederholt sind), einschließlich eines eigenen Verzeichnisses der »Novellen«; einem knappen Vorwort zu Text und Übersetzung; einer umfänglichen Einleitung, in der Leben und Werk des Apuleius, die Entstehungsgeschichte des Romans, seine Struktur, Inhalt, Erzähltechnik und Sprache sowie die Überlieferungsgeschichte und Rezeption des Textes behandelt werden; und einem großzügigen Anmerkungsapparat am Ende des Buches (wobei die besprochenen Stellen im Text nicht markiert sind). Die Anmerkungen umfassen sachliche Erklärungen (teils mit weiterführender Literatur), Hinweise auf Sprichwörter im lateinischen Text und Bemerkungen zu Logikfehlern des Apuleius; sie beziehen sich grundsätzlich auf den lateinischen Text, nicht auf die Übersetzung. Illustrationen sind nicht enthalten. Aus der ganzen Anlage wird deutlich, dass Helm (obwohl er im Vorwort sich das intende, lector: laetaberis des Prooemiums zu eigen macht) mit einem wissenschaftlich interessierten und altsprachlich gebildeten Leser rechnet, der den lateinischen Text nicht nur gelegentlich konsultiert, sondern fortwährend beide Versionen parallel oder sogar in erster Linie das Original liest, so dass die deutsche Übersetzung vor allem dem Verständnis des Lateinischen dient. 4.4.3 Stimmen zur Übersetzung Helm legt seinen Übersetzungsanspruch nicht offen. Im Vorwort gibt er eine Art captatio benevolentiae : Der Stil der Darstellung ist nicht einheitlich; denn oft läßt sich der Schriftsteller von der Strömung seiner Zeit dazu verleiten, schwülstig und manieriert zu reden, und so sehr man sich auch bemüht, in der Übersetzung das wiederzugeben, um eine richtige Vorstellung von der Schreibweise zu erwecken, immer läßt die Verschiedenheit der Sprachen es nicht zu, im Deutschen völlig die Wortspiele und Künsteleien nachzumachen, auf welche Apuleius Gewicht gelegt hat. Aber der Leser wird es empfinden, wo Gleichklang und Reime die Sprache würzen sollen.149

Daraus lässt sich nur indirekt ableiten, dass es prinzipiell Helms Ziel war (wenn auch nicht sein primäres), die »Wortspiele und Künsteleien« des Apuleius im Deutschen wiederzugeben. Darüber hinaus äußert sich Helm nicht zu seiner Übersetzung; die Einleitung enthält einen längeren Abschnitt zum lateinischen, aber nichts zum deutschen Text. Spätere Übersetzer und Herausgeber äußern sich nicht zu Helms Übersetzung.

149 Helm (1956), VII (Vorwort).

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4.4.4 Analyse Allgemeines Der Roman ist ohne Kürzungen übersetzt, wie anhand des synoptisch abgedruckten Originaltextes leicht feststellbar ist; auch behält Helm als einziger bei der Absatzgliederung strikt die Kapiteleinteilung des Originals bei. Identitäten und Perspektiven Die Erwähnungen und Anreden des Lesers / Zuhörers sind von Helm präzise übersetzt, mit allen Differenzen zwischen Ich und Esel, zwischen Lesen und Hören; bei 9.30 sed forsitan lector scrupulosum reprehendens narratum meum gibt Helm sogar, als einziger neben Brandt, die zweite Person wieder: »Aber vielleicht wirst du als gewissenhafter Leser meine Erzählung tadeln«, während die anderen Übersetzer (auch der sonst so präzise Schaeffer) hier die dritte Person verwenden. Die Interpretation wird damit, ebenso wie im Original, dem Leser überlassen. Zwar liefert Helm zu den beiden problematischsten Passagen zusätzliche Erklärungen; durch die räumliche Trennung der Anmerkungen vom Übersetzungstext erreichen diese jedoch nur denjenigen Leser, der danach sucht: Zum Prooemium erklärt Helm in einer längeren Anmerkung, es biete »für die Erklärung Schwierigkeiten wegen der eigentümlichen Vermischung von Autor und Romanheld«; die Widersprüche zwischen Autor, Prooemium-Sprecher und Protagonist könnten »bei dem Kenner der alten lateinischen Literatur nur ein Scherz sein«; zum Madaurensis in 11.27 gibt Helm die Anmerkung: Das Madaurensis § 8, ebenso auch die genaue Angabe des Datums 26, 2, die Erwähnung des durch Reisen verringerten väterlichen Vermögens 28, 1 (ähnlich äußert sich Apuleius apol. 23 über sein durch Reisen und Studien aufgebrauchtes Vermögen) zeigen deutlich, daß hier persönliche Erlebnisse verarbeitet sind.

Offen bleibt, ob Helm hier einen Lapsus des Apuleius annimmt oder welche Bedeutung er der durchbrochenen Erzähllogik beimisst. Pointen In der Schläuche-Geschichte in 2.32 trifft Helm am besten von allen Übersetzern die versteckten Hinweise des Originals: Er übersetzt perforati mit »durchlöchert«, was im Deutschen ebenfalls eher zu unbelebten Objekten als zu Personen passt; die Übersetzung spiritus efflaverint → »hauchten ihren Atem aus« unterstützt diesen Effekt. Auch in der Rede des Haemus trifft Helm mehr der zweideutigen Punkte als jeder andere Übersetzer; einzig die Übersetzung »Hurengewölbe« enthält eine eindeutige Zuordnung, die im Original fornix nur als mögliche Konnotation vorhanden ist, jedoch richtet dies wenig Schaden an, da der Kontext der Prostitution schon zuvor mit lenones → »Bordellwirte« auch im Original gegeben ist. Völlig zerstört wird von Helm dagegen der Witz in 11.20 um den Namen Candidus: servum etiam meum indidem supervenisse nomine Candidum wird wiedergegeben mit »auch mein Diener, namens Candidus (Weiß), sei von dort noch gekommen«. Das Wortspiel des Originals zu erklären, mag in einer philologisch

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orientierten Übersetzung angebracht sein, doch hätte Helm hier, wie an den oben erwähnten Stellen, die Erklärung in eine Anmerkung auslagern können. Dennoch wird Helm dem Original wohl gerechter als Brandt und Fischer, die den Namen Candidus im Deutschen unkommentiert stehen lassen, wodurch die Stelle sinnlos wird. Sprachen Für die Frage der Mutter- und Fremdsprache zeigt Helm kein Interesse. Die Stelle des lateinisch sprechenden Apoll ist eng am Original übersetzt, auch die Angabe propter Milesiae conditorem ist hier erstmals übersetzt, und zwar treffend mit »dem Schreiber des milesischen Romanes zu Liebe«; zwar ist »zu Liebe« eher final ausgerichtet, propter hingegen eher kausal, doch die Sinnverschiebung ist im gegebenen Kontext minimal. (Die Stelle wird übrigens von Brandt und Fischer in ganz ähnlicher Form übernommen, insbesondere bleibt das »zuliebe« bei beiden erhalten.) Eine stärkere Wirkungsänderung tritt dadurch ein, dass der römische Soldat bei Helm keinerlei Sprachschwierigkeiten hat; aus dem originalen schwerfälligen Latein, das für schwerfälliges Griechisch steht, wird in der Übersetzung einwandfreies Deutsch. Selbst die inkorrekt gebildete Frage ubi ducis … fällt in der deutschen Version: »Wo führst du den Esel da hin?«, nicht mehr auf, was angesichts der sonstigen philologischen Genauigkeit Helms verwundert. Stilebenen Ähnlich wie bei Rode sind bei Helm die unterschiedlichen Stilebenen, die sich im Vokabular oder seiner Verwendung finden, weitgehend eingeebnet. Der poetische Plural ist zwar gelegentlich als solcher übersetzt, aber nicht mehr als poetische Figur erkennbar; die adorationes in 4.28 etwa, von Schaeffer auffällig als »Anbetungen« übersetzt, werden bei Helm zu »Gebeten«. Auch archaisches oder vulgäres Vokabular sowie die häufigen Abstrakta und Diminutiva sind nur an einzelnen Stellen als solche wiedergegeben (z. B. ist das der Komödie entlehnte iam bellule suffarcinatus in 10.16 mit »hübsch bereits vollgestopft« recht treffend wiedergegeben; in 8.1 das der Vulgärsprache zuzuordnende Abstraktum diurnis potationibus in der Wendung »daß er sich in den Kneipen herumtrieb« zwar nicht als solches, aber auf passend niedrigem Stilniveau übersetzt), insgesamt aber in viel zu geringem Umfang, als dass von einer Wirkungsäquivalenz im Sinne der Stilebenen die Rede sein könnte. Metaphorik Auch für die Bildlichkeit der apuleianischen Vorlage zeigt Helm kein konsequentes Bewusstsein in der Übersetzung. Sowohl Natur- als auch juristische Metaphern sind gelegentlich wiedergegeben (z. B. 4.35 cespitis gremio → »im Schoße des blühenden Rasens«; 6.14 mediis e faucibus lapidis → »mitten aus einem Rachen von Stein«; 11.7 arbores […] clementi motu brachiorum dulces strepitus obsibilabant → »die Bäume […] lassen […] durch das sanfte Bewegen ihrer Arme ein süßes Säuseln vernehmen« [letzteres sogar als einziger der fünf Übersetzer]; 6.29 in causa finali de proprietate soli immo viae herciscundae contendentes → »bei der Grenzstreitigkeit um das Eigentumsrecht am

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Boden, richtiger um die Wegverteilung zanken«; 10.32 velut victoriae calculum → »wie eine Art Stimmstein für ihren Sieg«), oft aber nicht. Gleichwohl ist immer wieder im Vergleich mit den anderen Übersetzung ein Bemühen um Präzision zu beobachten: Die Bau-Metapher in 2.17 ad cuius noctis exemplar similes adstruximus alias plusculas, von Schaeffer direkt übernommen als »Und an dies Exemplar von Nacht bauten wir ähnliche andere viele«, wird von Helm wiedergegeben mit »Und nach dem Muster dieser Nacht richteten wir uns dann eine Reihe anderer ähnlicher ein«, was zwar das Bild des Originals nicht ganz trifft, die technische Konnotation des adstruere aber besser bewahrt als etwa Brandts »hinzufügen«. Erotik Die erotischen Passagen sind ebenfalls unauffällig und präzise übersetzt, desgleichen die Kampfmetaphorik in 2.16–17. Allenfalls wirkt Helms Übersetzung etwas trocken und sehr um sachliche und sprachliche Genauigkeit bemüht. Zwei Beispiele sollen dies verdeutlichen: In 2.16 zieht Lucius sein Gewand beseite inguinum fine; Rode vermeidet die Angabe des Körperteils, Schaeffer übersetzt sehr direkt mit »vom Ende des Gliedes«, Brandt und Fischer neutral mit »bis zu den Weichen« bzw. »bis zu den Hüften« – dagegen wirkt Helms »bis zu der Leistengegend« wie eine medizinische Beschreibung. Die Wendung occide moriturus in 2.17, von Rode völlig verdreht zu »stirb tödtend«, in Schaeffers »töte sterbend« das Partizip und in Brandts und Fischers »töte mit Todesverachtung« die Gladiatoren-Konnotation bewahrend, liest sich bei Helm als »bring mich um, selbst zu sterben bereit« wie ein GrammatikBeispiel. In 8.29 wirkt in der Phrase iuvenem exsecrandis oribus flagitabant → »nahmen ihn mit ihren verfluchten Mäulern in Anspruch« die Formulierung »in Anspruch nehmen« allzu bürokratisch für das geschilderte wüste Treiben. Modernisierungen Begriffe von besonders antikem Kolorit werden von Helm tendenziell modernisiert: die vigilia wird zur »Nachtwache« (3.21), die Angabe 10.29 aulaeo subductu et complicitis siparis wird sinnvoll transponiert als »wird der Vorhang geschlossen und die Gardinen zusammengefaltet«, ebenso 10.16 clamor exsurgit consola voce cunctorum salute me prosequentium, da dies sich auf den Honigwein saufenden Esel bezieht, durch: »Einstimmig erhob sich dazu der Ruf aller, die mich mit einem ›Wohl bekomm’s!‹ begleiteten«, durchaus treffend übertragen. Die cenae saliares sind in 4.22 etwas umständlich mit »Festschmaus […], wie ihn die Priesterschaft der Salier genießt« übersetzt und in einer Anmerkung erklärt, später in 7.10 und 9.22 aber einfach mit »Festmahl« und »prachtvolles Essen« wiedergegeben. Zu den Münzbegriffen gibt Helm bei deren erstem Auftreten in 1.24 eine längere Anmerkung zu den Wertigkeiten der antiken Einheiten und erklärt dazu: »Wenn hier Groschen und an anderen Stellen Mark als Übertragung gegeben wird, so stellt dies keine mathematische Währungsberechnung dar.« Was er mit dieser Übertragung bezweckt, bleibt unklar, zumal die in Rodes und Schaeffers Übersetzung verwendeten

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Begriffe »Nummen« und »Denar« die Absicht Helms, nämlich das Verständnis des Originals, genauso befördern würden. Etwas problematisch ist eine Art der Modernisierung, die bei Helm zum ersten Mal auftritt und auch von Brandt und Fischer verwendet wird: nämlich die Verwendung christlicher Terminologie, die teilweise zu inneren Widersprüchen führt. Die Übertragung von 2.11 Avernus lacus in »Hölle« begegnet zwar schon bei Rode; Helm setzt hier »Höllengrund« und gibt eine erklärende Anmerkung dazu. Helm geht aber immer wieder darüber hinaus, indem er das eingeschobene hercules häufig mit »Weiß Gott[!]« übersetzt. Während sich dies meist als Floskel überlesen lässt, für die genausogut »wahrhaftig« stehen könnte (das Helm ebenfalls für hercules verwendet) bekommen zwei Stellen dadurch eine absurde Note: In der ersten Hälfte von Kapitel 9.14 verwendet der Erzähler »weiß Gott« als besagte emphatische Floskel, am Ende des Kapitels bringt derselbe Erzähler aber seine Abscheu für die monotheistisch gesinnte Müllersfrau zum Ausdruck. Noch merkwürdiger liest sich im 11. Buch der Zusammenstoß des christlichen Gottes der Floskel mit der ebenfalls »einzigen« Göttin Isis, da beides im selben Satz auftritt und auch Isis nur als »die Göttin« benannt wird: 11.12 sistrum deae, mihi coronam – et hercules coronam consequenter → »die geschmückte Klapper für die Göttin, für mich den Kranz – und weiß Gott! den Kranz mit Recht«. Rhetorik Helms Bestreben, die »Wortspiele und Künsteleien« des Originals nachzuahmen, ist in seiner Übersetzung erkennbar, steht aber offenbar nicht im Vordergrund. Geminationes wie 5.20 diu diuque → »lange und lange« und Pleonasmen wie 6.10 immanitate praecepti consternata silens obstupescit → »bestürzt über den ungeheuren Auftrag erstarrt sie in Schweigen«, sind ins Deutsche übertragen, allerdings nicht so präzise wie bei Schaeffer (der im letzten Beispiel auch die Wortstellung noch nachahmt) und schon gar nicht dort, wo die deutsche Sprache es nicht zulässt: 11.10 magis aptior etwa gibt Helm schlicht mit »passender« wieder. Mehrgliedrige Ausdrücke werden von Helm häufig gut nachgestaltet. Sehr genau ist z. B. das Tetrakolon mit Anapher und Climax in 4.24 übertragen: »A ego« inquit »misera tali domo tanta familia tam caris vernulis tam sanctis parentibus desolata …

»Ach, ich Ärmste«, so rief sie, »solch ein Haus, solch großes Gesinde, so liebe Dienerinnen, so ehrwürdige Eltern habe ich Einsame verloren …

Das Trikolon in 5.10 wird von Helm sogar noch um eine Alliteration bereichert: fomentis olidis et pannis sordidis et faetidis cataplasmatibus

mit stinkigen Umschlägen und schmutzigen Lappen und scheußlichen Pflastern

Parallelismus und Antithese werden von Helm regelmäßig berücksichtigt (vermutlich weniger aus rhetorischem Bemühen als aus philologischer Präzision), Isokola ebenso regelmäßig nicht wiedergegeben.

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I-ahen Die drei Stellen, in denen der Esel zu reden versucht, sind bei Helm mit der größten inneren Logik unter den fünf Übersetzungen gelöst. In allen drei Passagen schreit der Esel »O«, was nicht nur in sich, sondern auch mit dem Original übereinstimmt. Die von Lucius beabsichtigten Worte, die zu dem »O« führen, sind: 1. »O Caesar«, was dem Original entspricht; 2. »O, ich war ’s nicht« – nicht besonders kreativ, aber längst nicht so irritierend wie Schaeffers »Nie tat ich’s!«; und 3. »Holla, ihr Bürger«, was dem Kontext angemessen ist. Syntax Im sprachlichen Bereich ist Helm offensichtlich um Genauigkeit bemüht, ebenso aber um die Eigenheiten der beiden Sprachen; im Gegensatz zu Schaeffer löst er insbesondere Partizipialkonstruktionen, die das Deutsche nicht zulässt, regelmäßig auf, und zwar, dem tendenziell paraktaktischen Stil der Metamorphosen entsprechend, meist durch Beiordnung oder durch substantivische Ausdrücke. Als Beispiel diene die bereits angeführte Periode aus 10.16: Sciscitatus denique, quid bonum rideret familia, cognito quod res erat, ipse quoque per idem prospiciens forarem delectatur eximie.

Er fragt denn schließlich, was das Gesinde Schönes zu lachen habe, und wie er erfährt, was es gab, schaut er ebenfalls durch dieselbe Öffnung und freut sich köstlich.

Die aufgelösten Partizipien einerseits, daneben aber die aus dem Original übernommene Tempusstruktur zeigt sich wiederum in 2.32: Nec cunctatus medios latrones involo ac singulis, ut quemque conluctantem offenderam, altissime demergo, quoad tandem ante ipsa vestigia mea vastis et crebris perforati vulneribus spiritus efflaverint. Sic proeliatus, iam tumultu eo Photide suscitata, patefactis aedibus anhelans et sudore perlutus inrepo meque statim utpote pugna trium latronum in vicem Geryoneae caedis fatigatum lecto simul et somno tradidi.

Ohne Zaudern dringe ich mitten unter die Räuber und senke es jedem, wie er mir als Gegner entgegentrat, tief in den Leib, bis sie schließlich zu meinen Füßen, von zahlreichen, riesigen Wunden durchlöchert, ihren Atem aushauchten. Nach dieser Schlacht schleppe ich mich keuchend und schweißübergossen hinein - Photis war schon durch diesen Lärm aufgeweckt und hatte das Haus geöffnet - und erschöpft von dem Kampf mit den drei Räubern wie vom Morde des Geryones, sank ich zugleich aufs Lager und in den Schlaf.

Zusammenfassung Im Einklang mit der gesamten Anlage der Übersetzung im Druck (und mit seinem eigenen Zugang zu Apuleius als Philologe) bietet Helm eine Übersetzung des ästhetisch-kognitiven Typs (ähnlich Schadewaldts »dokumentarischer« Übersetzung), die in erster Linie dem altertumswissenschaftlich interessierten und gebildeten Leser das Original erschließen soll. Für die sprachliche und/oder inhaltliche Präzision im Detail nimmt er manche umständliche Formulierung in Kauf. Die Pointen der Erzählung gibt er von den fünf Übersetzern am besten wieder, bei den Sprach- und Klangfiguren zeigt

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er deutlich weniger kreative Spielfreude als Rode und Schaeffer. Dass sich die Übersetzung infolgedessen etwas trocken liest, nimmt ihr nichts von ihrem Wert als das wissenschaftliche Arbeitsinstrument, als das sie intendiert ist. 4.5 Edward Brandt (1958) 4.5.1 Der Übersetzer Über Edward Brandt sind nur wenige Informationen zu ermitteln. Nach einem mutmaßlich altsprachlichen Studium wird er 1925 mit einer Dissertation über Apicius promoviert. 1928 veröffentlicht er einen Aufsatz zum Aeneis-Prooemium, danach sind (außer der Apuleius-Übersetzung) keine Publikationen feststellbar. Brandt scheint aber zeitlebens philologisch tätig gewesen zu sein; nach Ehlers’ Auskunft war er »langjähriger Mitarbeiter des Thesaurus linguae Latinae«150 in München. In München, in der »Tusculum-Bücherei« des Heimeran-Verlags, erscheint auch seine Übersetzung der Metamorphosen, allerdings unter Schwierigkeiten; als Brandt 1954 starb, war die Übersetzung zwar im Ganzen fertig, »jedoch in einer nur vorläufigen Form, die noch der Durchsicht harrte«151. Erst nachdem sich Wilhelm Ehlers des Manuskripts annahm und daraus eine Druckfassung anfertigte, konnte die Übersetzung 1958 erscheinen. Weitere Auflagen folgten. 4.5.2 Die Übersetzung Die Übersetzung ist, ebenso wie die von Helm, synoptisch mit dem Originaltext gedruckt und mit Kapitel- und Paragraphenzählung versehen, aber ohne die bei Helm etwas pedantisch wirkende Zeilenzählung. Auch ist der sehr knappe kritische Apparat zum lateinischen Text in den Anhang ausgelagert. Der Originaltext ist von Brandt selbst eingerichtet, allerdings nicht aus den Handschriften ediert, sondern auf der Basis anderer moderner Editionen, hauptsächlich der von Helm. Außer dem kritischen Apparat sind der Übersetzung ein Inhaltsverzeichnis (leider ohne die Bucheinteilung, statt dessen aus »Zwischenüberschriften« bestehend, die aber im Text nicht wiederholt werden); ein Text »Zur Einführung« über Leben und Werk des Apuleius, seine literaturgeschichtliche Einordnung und über Inhalt und Stil des Romans; ein Verzeichnis der »redenden Namen« und ein fortlaufender Anmerkungsapparat; und der pseudo-lukianische Λούκιος ἢ �νος, synoptisch griechischdeutsch mit der Übersetzung von Christoph Martin Wieland, beigegeben. Alle diese Paratexte, mit Ausnahme des Λούκιος, stammen von Wilhelm Ehlers. 150 Ehlers (1958), 608 (Nachwort); laut der online verfügbaren »Liste der Artikelverfasser, Redaktoren, etc.« war Brandt an den Bänden V bis VIII beteiligt (http://www.thesaurus.badw.de/Artikelverfasser.pdf, Stand: 29.9.2014). 151 Ehlers (1958), 608 (Nachwort).

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Die Anmerkungen, die im Text nicht markiert sind, sind sehr knapp gehalten und bieten sachliche, meist mythologische Erklärungen. Illustrationen sind nicht enthalten. 4.5.3 Stimmen zur Übersetzung Zum Anspruch der Brandt’schen Übersetzung findet sich nur eine kurze Bemerkung am Ende von Ehlers’ Einführungstext: Auch die neue Übersetzung, die neben den Vorgängerinnen – darunter der allezeit liebenswerten von A. RODE (zuerst 1783) – eigene Wege geht, durfte nicht ganz auf einen Versuch verzichten, diesen höchst raffinierten Stil durch ähnliche Formelemente nachzubilden. Mit dem Original in die Schranken treten zu wollen, wäre indessen ein hoffnungsloses Unterfangen. Im Gegenteil soll sich der Leser eher angeregt fühlen, zum lateinischen Text hinüberzuschauen und dessen schwerelos-urbanen Charme im Vergleich auszukosten.152

Im Gegensatz zu Helm zielt Brandt mit seiner Übersetzung eher auf einen Leser, der primär den deutschen Text und nur gelegentlich den lateinischen liest und der vor allem an Unterhaltung interessiert ist, nur nachgeordnet an wissenschaftlichen Fragen. 4.5.4 Analyse Identitäten und Perspektiven Brandt übersetzt die Erwähnungen und Anreden des Lesers / Zuhörers ebenso präzise wie Helm; diese beiden Übersetzungen erfassen als einzige richtig die zweite Person zum lector scrupulosus in 9.30 mit »du als gewissenhafter Leser«. Pointen Die Mehrdeutigkeit in Lucius’ Bericht über sein Schläuche-Erlebnis erfasst Brandt nur teilweise; wie Helm übersetzt er perforati mit »durchlöchert«, dann aber spiritus efflaverint mit »ihren Geist aufgeben«, wo Helms »Atem« näher an der Realität der aufgeblasenen Schläuche ist. Bei dem Candidus-Witz in 11.20 lässt Brandt dem Leser keine Chance; die Auflösung: Demnach staunte ich jetzt gewaltig über den sinnvollen Traum: stimmte doch das Gewinnversprechen, und hatte er mir doch weiterhin unter dem Symbol des Dieners Candidus mein Pferd zurückerstattet, das ein Schimmel war.

ist in sich nicht sinnvoll und schon gar nicht witzig. Sprachen Auch die Stelle des lateinisch sprechenden griechischen Apoll in 4.32 ist ähnlich gestaltet wie bei Helm; dagegen übersetzt Brandt die Rede des römischen Soldaten in 152 Ehlers (1958), 517.

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9.39 präziser, indem er (hier ähnlich wie Schaeffer) die falsche Grammatik des ubi ducis … wiedergibt mit »Nach wo führst du den Esel da?« Stilebenen Brandts Umgang mit Apuleius’ gemischtem Stil ist von unterschiedlicher Qualität. Eine konsequente Wiedergabe von Vokabular der poetischen oder vulgären Stilebene ist nicht zu beobachten, an einzelnen Stellen ist das Original aber sehr treffend nachgestaltet. Der gehobene Imperativ in 2.24 vos in hanc rem, boni Quirites, testimonium perhibetote wird von Brandt mit dem hochgestochenen »Ihr, werte Herren, wollet für diesen Sachverhalt Zeugnis erstellen!« verdeutscht. Als einziger der fünf Übersetzer gibt Brandt die Anspielung auf Ciceros erste Catilinarie wieder: 3.27 »Quo usque tandem« inquit »cantherium patiemur istum paulo ante cibariis iumentorum, nunc etiam simulacris deorum infestum? … → »›Wie lange noch sollen wir denn den Klepper da dulden, der es vorhin erst auf das Futter der Lasttiere absah und jetzt sogar auf die Götterbilder? …« Neben dem »wie lange noch«, das für die Assoziation entscheidend sein dürfte, gelingt Brandt noch die Verbindung von »dulden« zur patientia → »Geduld« der Vorlage, und der Klangähnlichkeit des Originals zwischen cantherium und Catilina kommt der »Klepper« wenigstens ansatzweise nahe. Vulgärsprachliche Elemente werden nicht konsequent, mehrfach aber treffender als in anderen Übersetzungen wiedergegeben, z. B. 7.23 enecare → »abmurksen«, 10.16 esitare → »futtern«, 10.16 iam bellule suffarcinatus → »schon hübsch genudelt« oder das ebenfalls der Vulgärsprache zuzuordnende Abstraktum 6.7 petitu superbo → »mit herrischem Antrag«. Metaphorik Auch unter den Metaphern finden sich einige, die Brandt als einziger der fünf Übersetzer ins Deutsche überträgt, besonders unter den Naturmetaphern, etwa 5.8 nutrirent invidiam → »nähren sie … den Neid«, und, wenngleich nicht ganz präzise, 5.25 comam fluvii tondentes capellae → »Ziegen … scheren das Ufer kahl«. Eine klare Strategie in der Übertragung der Bildlichkeit ist aber nicht erkennbar. Die erotischen Szenen bieten wenig Auffälligkeiten; allenfalls kann der erotische Gehalt von Formulierungen wie 2.7 membra sua leniter inlubricans → »mit gelinde schwappelnden Gliedern« und 2.17 rosea palmula → »rosige Patsche« in Frage gestellt werden, dies bleibt aber Geschmackssache. Modernisierungen Bei weitem das auffälligste Merkmal der Brandt’schen Übersetzung ist das durchgehende Streben nach Modernisierung im Vokabular. Brandt wählt häufig Begriffe mit eindeutig moderner oder zumindest nicht-antiker Konnotation, oft im Gegensatz zu den vier anderen Übersetzern, z. B.: 1.24 forum cupidinis → »Viktualienmarkt«153; 2.18 gladiolus → »Degen« (bei allen anderen: »Schwert« / »Schwertulein«); 2.28 inferna numina → »Geister der Hölle« (bei allen anderen: »Unterwelt« o. ä.); 3.21 domina 153 Hier spielt zusätzlich Münchner Lokalkolorit eine Rolle, das sonst bei Brandt nicht auffällt.

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sua → »ihre Gnädige«; 5.29 domina → »Chefin«; 6.7 petitu superbo → »mit herrischem Antrag«; 6.23 coetus caelestium → »Konferenz der Himmlischen«; 6.25 pugillares → »Notizbuch« (bei allen anderen: »Schreibtafel«); 9.27 herciscunda familia → »Gütertrennung«; 10.2 soccus → »Pantoffel«. Auch komplexere Wendungen werden bei Brandt modernisiert, etwa 6.24 Sic rite Psyche convenit in manum Cupidinis → »So erhielt Psyche rechtmäßig Cupidos Hand« (mit einer Phrase, die ebenfalls den Begriff »Hand« enthält, gut getroffen; allerdings wäre das angedeutete Besitzverhältnis besser wiedergegeben mit der umgekehrten Formulierung, »Cupido erhielt Psyches Hand«), oder 10.22 bestiis obiectus munus instructurus sim mei domini → »würde ich den wilden Tieren vorgeworfen und eine Schaunummer beim Fest meines Herrn werden«. In 8.26 ist die Andeutung des Transvestitenmilieus konsequent weitergeführt: puellae, servum vobis pulchellum en ecce mercata perduxi → »Schaut einmal her, Mädchen, was die Tante euch für einen wunderhübschen Diener gekauft und mitgebracht hat!« Ferner verwendet Brandt, ebenso wie Helm, für die Interjektion hercules das christlich konnotierte »weiß Gott«, dessen Problematik oben besprochen wurde. Die häufigen modernisierten Begriffe stechen allerdings jeweils heraus aus einem generell poetischen, eher altmodischen Stil. Rhetorik Im Bereich der Klangfiguren gelingen Brandt einige Stellen in auffälliger Nähe zur Gestaltung des Originaltextes; gelegentlich übertrifft er dabei das Original, offenbar als Ausgleich für andere, weniger präzise übertragene Figuren. Einige der hervorstechendsten Beispiele seien vorgeführt: In 1.7 ist das Trikolon mit Homoioteleuton treffend wiedergegeben: eique causas et peregrinationis diuturnae et domuitionis anxiae et spoliationis miserae refero

und berichte ihr die Umstände erst meiner länglichen Fahrt, dann meiner bänglichen Heimreise und meiner kläglichen Ausplünderung

In 4.7 verleiht Brandt dem Trikolon sogar ein Lautspiel, das das Original nicht bietet: etiamne tu, busti cadaver extremum et vitae dedecus primum et Orci fastidium solum

Du potenziertes Rabenaas und prämiierte Mißgeburt und patentierter Höllenschreck

In 5.10 gibt Brandt als einziger die Climax des Trikolons wieder: fomentis olidis et pannis sordidis et faetidis cataplasmatibus

mit stinkenden Umschlägen und schmutzigen Lappen und unappetitlichen Pflastern

Das schillernde Klangspiel in 9.14 wird von allen Übersetzern außer Rode im Deutschen nachgestaltet, doch Brandt trifft Reim und Rhythmus am besten, bis ins Isokolon der letzten beiden Glieder (zum Vergleich seien hier die Versionen von Schaeffer und Helm gegeben):

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Text:

Schaeffer 1926:

saeva scaeva viriosa ebriosa pervicax pertinax, in rapinis turpibus avara, in sumptibus foedis profusa, inimica fidei, hostis pudicitiae

häßlich gräßlich, manstoll weinsvoll, starrköpfig hartköpfig war sie, unersättlich bei schimpflichen Räubereien, unmäßig in scheußlicher Verschwendung, Feindin der Treue, Freundin der Unkeuschheit.

Helm 1956:

Brandt 1958:

sie war herrisch und närrisch, mannstoll und weintoll, zänkisch und störrisch, bei schnödem Raub raffgierig, bei schmutzigen Ausgaben wieder verschwenderisch, abhold der Treue und feind der Sittsamkeit.

herrisch und närrisch, verhurt und versoffen, stur und starrköpfig, habgierig im schnöden Wegnehmen, hemmungslos im liederlichen Ausgeben, dem Anstand nicht freund, der Sittsamkeit feind.

Schließlich trifft Brandt in 5.12 nicht nur das Isokolon fast perfekt (die letzten drei Kola haben im Original 14+14+14 Silben, bei Brandt 12+11+11), sondern auch die Reimstruktur (im Original vierfaches Homoiteleuton, bei Brandt Paarreim) – was Helm, in einer Anmerkung zur Stelle, für »unmöglich« erklärt hatte: Nuntio Psyche laeta florebat et divinae subolis solacio plaudebat et futuri pignoris gloria gestiebat et materni nominis dignitate gaudebat.

Wie Psyche diese Nachricht beglückte und der kleine himmlische Tröster entzückte und das künftige Liebespfand jubeln hieß und des Mutternamens Würde strahlen ließ!

I-ahen Brandt gibt, im Gegensatz zu den drei vorangehenden Übersetzungen, das Eselsgeschrei durchweg mit dem im Deutschen geläufigen »I-ah« wieder, nicht mit dem »O« des Originals, das, wie er in einer Anmerkung zu der ersten betroffenen Passage 3.29 erklärt, nun einmal der Schrei eines griechischen oder lateinischen Esels sei. Auch hier liegt also eine Modernisierung, oder jedenfalls eine Anpassung an die Zielsprache vor. Diese Entscheidung erfordert natürlich, die von dem Esel beabsichtigten Worte ebenfalls anders zu übersetzen als die früheren Übersetzer, um das »I-ah« als Resultat plausibel zu machen. Dies gelingt Brandt einigermaßen, auch wenn teilweise eher ein »A-ih« herauskommt (was aber bei genügender Wiederholung, wie sie unter Eseln üblich ist, wenig ins Gewicht fällt). Der Ruf o Caesar → »Majestät« in 3.29 und das non feci → »Ich war ’s nicht!« sind dabei im Kontext angemessen, lediglich die Aufforderung porro Quirites → »Avanti, avanti!« in 8.29 wirkt etwas deplatziert, zumal solche fremdsprachlichen Einsprengsel sonst nicht vorkommen.

Ulrike Stephan

Syntax Die Wiedergabe der apuleianischen Syntax bei Brandt ist unauffällig; in der Tempusstruktur folgt er dem Original, Partizipien sind, besonders wo sie gehäuft auftreten, oft aufgelöst (ähnlich wie bei Helm). Zusammenfassung Brandts Übersetzung folgt dem Original nicht so eng wie Helm, ist aber auch längst nicht so frei wie die Rode’sche Übertragung, die teilweise in die Nähe einer freien Nachdichtung gerät. Das hervorstechendste Merkmal der Brandt’schen Wiedergabe sind die modernisierenden Begriffe und Wendungen; daneben bietet er insgesamt das beste Äquivalent im Bereich der Vulgärsprache und nächst Schaeffer die kunstvollste Nachgestaltung der rhetorischen Figuren, im Gegensatz zu diesem aber innerhalb der Regeln der deutschen Sprache. Die Übersetzung gehört dem transponierenden Typus an; Elemente des modernisierend-assimilierenden Typus sind vorhanden, gehen aber nicht in den Bereich von Verfremdungseffekten. 4.6 Carl Fischer (1965) 4.6.1 Der Übersetzer Carl Fischer war 1950–1970 als Exportleiter und 1971–1983 als Werbeleiter einer Fabrik pharmazeutischer Präparate tätig. Daneben wirkte er in beträchtlichem Umfang als Übersetzer und Herausgeber antiker und moderner Literatur, u. a. Lukian, Villon und Baudelaire. Seine Übersetzungen aus dem Lateinischen umfassen Catulls Carmina (1948 in Auswahl, 1955 vollständig), Petrons Satyricon (1962), Apuleius’ Metamorphosen (1965) und die lateinischen Teile der Carmina Burana (1974). Die Übersetzung der Metamorphosen erschien zuerst 1965 im Winkler-Verlag in München und wurde mehrfach nachgedruckt, auch als Lizenzausgabe in anderen Verlagen, und wurde 1983 in die Sammelausgabe Im Reiche des Eros. Sämtliche Liebes- und Abenteuerromane der Antike, ebenfalls im Winkler-Verlag, aufgenommen. 4.6.2 Die Übersetzung Der deutsche Text ist ohne Originaltext und ohne Kapitelzählung, aber mit der üblichen Bucheinleitung abgedruckt. Beigegeben sind lediglich ein Inhaltsverzeichnis (mit der Bucheinteilung und »Zwischenüberschriften«, die aber im Text nicht eingeschaltet sind), ein Nachwort von Herbert Cysarz und ein kurzes »Geleitwort des Übersetzers«. Fischer verzichtet als einziger der fünf Übersetzer völlig auf Anmerkungen. Daraus lässt sich schließen, dass die Übersetzung aus sich selbst heraus verständlich sein soll; leider geht aus den Paratexten nicht hervor, welches Zielpublikum der Übersetzer im Sinn hat.

Deutsche Übersetzungen der Metamorphosen des Apuleius

Die Originalausgabe enthält, an den jeweils passenden Stellen im Text, »16 Illustrationen aus der Pariser Ausgabe von 1787«. 4.6.3 Stimmen zur Übersetzung Fischer selbst ordnet seine Übersetzung unter den vier vorangehenden ein, indem er sie zwischen die »sehr freie« von Rode und die »philologischen« von Helm und Brandt stellt. Für seine eigene Übersetzung nimmt er in Anspruch, »vor allem dem erzählenden Tonfall und der Farbigkeit des Originals« gerecht zu werden.154 4.6.4 Analyse Eine Analyse von Fischers Übersetzung zeigt, dass sie, vor allem im Vergleich mit den vier anderen Übersetzungen, in keinem Punkt besonders heraussticht; daher wird hier auf eine eingehende Besprechung verzichtet. Die Übersetzung ist offenbar, entsprechend ihrer äußeren Anlage, dafür konzipiert, ohne Kenntnis des Originals oder der Antike überhaupt rezipiert zu werden; so übersetzt Fischer in 3.20 bacchamur in Venerem → »überließen uns […] unserem Taumel zu Ehren der Venus«, ohne Bezug auf Bacchus, hierin allein mit Rode übereinstimmend. Insgesamt ist der Stil eingängig und flüssig, weniger umständlich als etwa Helms Übersetzung. Im Bereich der Perspektiven und inneren Bezüge des Romans leistet sich Fischer manche Ungenauigkeit, etwa ist 9.4 vos bei Fischer mit »der Leser« wiedergegeben. Die unterschiedlichen Stilebenen des Originals sind völlig vernachlässigt: Sie sind weder an der jeweiligen Stelle berücksichtigt noch, wie bei Rode, auf andere Weise nachgestaltet. Diminutiva fehlen meistens, selbst einige der häufigen Interjektionen sind in der Übersetzung ersatzlos weggelassen. Die Metaphorik und die reichen Klangfiguren des Originals sind eher selten wiedergegeben, aber auch nicht so konsequent vermieden wie bei Rode. In den erotischen Passagen sind manche Begriffe allzu zahm übersetzt, etwa 6.23 puellam elegit et virginitate privavit → »Er ist einem Mädchen begegnet und hat es verführt!« In 10.22 ist die Drastik des dirrumpere verloren, wenn heu me, qui dirrupta nobili femina … mit »wehe mir, wenn ich einer so vornehmen Dame ein Leid zufügen würde« wiedergegeben wird; sogar Rode wählt hier »wo Du eine so vornehme Dame sprengest«. Das hervorstechendste Merkmal der Fischer’schen Übersetzung im Vergleich mit den vier vorangehenden ist ein sehr ärgerliches: Fischer übernimmt immer wieder auffällige Formulierungen von seinen Vorgängern, und zwar in einem Umfang, der dem Zufall nicht mehr zugeschrieben werden kann. Einige der auffälligsten Stellen seien hier aufgeführt:

154 Fischer (1965), 270 (Geleitwort des Übersetzers).

Ulrike Stephan

1.18: »At tu« inquit »non sanguine sed lotio perfusus es … – Rode: »›Von Menschenblut? versezte er lächelnd, ich hätte eher auf etwas Anderes gerathen! …« – Fischer: »›Blut? Ich hätte eher auf etwas anderes geraten! …« 2.4: Putes ad cibum inde quaedam […] posse decerpi – Rode: »man würde lüstern die Hände nach ihren Beeren ausstreken« – Fischer: »hätte man lüstern die Hände ausgestreckt, um sie zu pflücken«. 2.7: steterunt et membra quae iacebant ante – Rode: »Jeder schlummernde Sinn erwachte, und empörte sich« – Fischer: »und jeder schlummernde Sinn begehrte auf«. 2.10: »Heus tu, scolastice,« ait »dulce et amarum gustulum carpis … – Helm: »›Hallo, du fahrender Gesell, eine bittersüße Näscherei holst du dir da …« – Fischer: »›He, du fahrender Geselle, du holst dir da eine bittersüße Nascherei …«. 2.17: occide moriturus – Brandt: »töte mit Todesverachtung« – Fischer: »töte mit Todesverachtung«. 2.32: quoad tandem ante ipsa vestigia mea vastis et crebris perforati vulneribus spiritus efflaverint – Rode: »bis ich endlich meine Gegner […], vor meinen Füßen, zerstochen und zerfezt, den Odem aushauchen sah« – Fischer: »bis sie endlich zerstochen und zerfetzt zu meinen Füßen ihren Geist aufgaben«. 3.20: cum quidem mihi iam fatigato de propria liberalitate Photis puerile obtulit corollarium – Rode: »Schon ermattete ich und glaubte alles Vergnügen erschöpft; als Fotis, aus eigner Freigebigkeit, eine neue Quelle der Lust mir eröfnete« – Fischer: »Als ich schon müde war, erschloß mir Photis aus eigener Freigebigkeit noch eine ganz neue, außergewöhnliche Quelle der Lust«. 9.14: saeva scaeva viriosa ebriosa pervicax pertinax, in rapinis turpibus avara, in sumptibus foedis profusa, inimica fidei, hostis pudicitiae – Helm: »sie war herrisch und närrisch, mannstoll und weintoll, zänkisch und störrisch, bei schnödem Raub raffgierig, bei schmutzigen Ausgaben wieder verschwenderisch, abhold der Treue und feind der Sittsamkeit.« – Brandt: »herrisch und närrisch, verhurt und versoffen, stur und starrköpfig, habgierig im schnöden Wegnehmen, hemmungslos im liederlichen Ausgeben, dem Anstand nicht freund, der Sittsamkeit feind.« – Fischer: »herrisch, närrisch, mannstoll, weintoll, zänkisch, störrisch, raffgierig im Nehmen, liederlich im Ausgeben, der Treue nicht freund, der Zucht feind!« 9.32: post mustulentas autumni delicias – Brandt: »nach dem Herbst mit seinen Kelterfreuden« – Fischer: »nach den Kelterfreuden des Herbstes«. 10.29: Talis mulieris publicitus matrimonium confarreaturus – Rode: »Mit diesem Weibe nun sollt’ ich öffentlich Beilager halten!!« – Fischer: »Und mit diesem Weib sollte ich öffentlich Beilager halten!« Am häufigsten sind Übernahmen aus Rodes Übersetzung; Schaeffer scheint von Fischer nicht benutzt worden zu sein. Diese Arbeitsweise ist unerfreulich und deutet auf einen gewissen Mangel an eigenem kreativem Vermögen; gleichwohl tut sie natürlich der Lektüre der Übersetzung für einen Leser, der weder das Original noch die anderen Übersetzungen kennt, keinen Abbruch. Hier wirkt sich der gegenüber dem Original deutlich verringerte Bilder- und

Deutsche Übersetzungen der Metamorphosen des Apuleius

Farbenreichtum der Sprache weit mehr aus, andererseits bietet Fischers Übersetzung einen relativ einheitlichen und »glatten« Stil, der für den nicht humanistisch vorgebildeten Leser weniger »Stolpersteine« birgt als Schaeffer, Helm und Brandt (und vor allem die letzten beiden, die die erklärenden Anmerkungen nicht direkt beim Text anbieten). Es liegt daher eine Übersetzung des transponierenden Typs vor.

5. Parallelanalyse des Prooemiums Abschließend soll das Prooemium als schwierigster, dichtester und am intensivsten untersuchter Teil des Romans parallel in allen fünf Übersetzungen analysiert werden. Die reiche Forschungsliteratur zum Prooemium wird herangezogen, wo es für die Übersetzungsanalyse relevant erscheint. Dabei ist der weitaus größte Teil dieser Forschungsliteratur nach 1965 erschienen, konnte also von den Übersetzern nicht direkt berücksichtigt werden; die meisten zitierten Beobachtungen sind jedoch am Text selbst ohne größere Recherche prinzipiell möglich. Text

Rode 1783

Schaeffer 1926

At ego tibi sermone isto Milesio varias fabulas conseram auresque tuas benivolas lepido susurro permulceam – modo si papyrum Aegyptiam argutia Nilotici calami inscriptam non spreveris inspicere – , […]

Ich will Dir, lieber Leser, in diesem Milesischen Mährchen allerhand lustige Schwänke erzehlen, welche Deine Ohren auf das angenehmste kizeln sollen; wo Du anders ein Buch, das in dem kurzweiligen Aegyptischen Tone geschrieben ist, Deiner Aufmerksamkeit nicht für unwürdig achtest. […]

Ich aber will dir unterschiedliche Märlein in dieser milesischen Redeweise zusammenreihen und deine wohlwollenden Ohren mit heiterm Gesäusel liebkosen – o Leser! – auf daß du, so du nur ein ägyptisch, mit dem Witze der nilischen Rohrfeder beschriebenes Papier nicht zu betrachten verachtest, […]

Helm 1956

Brandt 1958

Fischer 1965

Schön! falls du es nicht verschmähst, den ägyptischen Papyrus einzusehen, der mit spitzem Rohre vom Nil beschrieben ist, so will ich dir hier in milesischem Stil allerlei Erzählungen aneinanderreihen und, schenkst du mir geneigtes Gehör, dich mit anmutigem Geplauder ergötzen: […]

Nein, ich will dir hier in milesischem Stil einen bunten Kranz von Geschichten flechten und deine geneigten Ohren mit hübschem Kling-Klang kitzeln – falls du es nicht verschmähen solltest, einen Blick in die Blätter aus Ägypten zu werfen, die ich mit feinem Nilrohr beschrieben habe – , […]

Also gut! ich will ein paar milesische Geschichten erzählen und dein geneigtes Ohr mit angenehmem Geplauder erfreuen – soweit du es nicht verschmähst, in diese mit dem spitzen Nilrohr beschriebenen ägyptischen Blätter Einblick zu nehmen: […]

Ulrike Stephan

Das erste Wort ist eines der schwierigsten des Romans. [L]a particule at, signalant un passage au discours direct, un changement d’interlocuteur, une relance du récit après un dialogue,155

sorgt für Irritation am Beginn eines Werkes. Der Satz kommt daher als Erwiderung auf oder sogar Widerspruch gegen etwas nicht näher bezeichnetes Vorangehendes (gleichwohl gibt es konkrete Identifikationsvorschläge: Gowers z. B. schlägt vor, dass at ego eine Erwiderung auf Persius’ Satiren einleite156). Emendationen, vor allem ut, sind vorgeschlagen worden, haben sich aber nicht durchsetzen können. Das dialogische Moment des Anfangs wird von allen Übersetzern außer Rode mehr oder weniger berücksichtigt. Am nächsten am Original, wie meistens, ist Schaeffer, dessen »Ich aber …« ebenfalls nur als Antwort auf eine Gegenposition sinnvoll ist; auch die Betonung des ego bewahrt er als einziger der Übersetzer. Helm und Fischer drücken weniger eine Opposition aus, ihr »Schön!« und »Also gut!« vermittelt aber ebenfalls den Eindruck, dass der Sprecher des Prooemiums auf einen Gesprächspartner reagiert und nun seinerseits das Wort ergreift. Brandts »Nein« enthält zwar vordergründig ebenfalls einen Widerspruch, wirkt aber in der Fortführung des Satzes eher wie eine Antwort auf eine neutrale Frage des Gesprächspartners. Varias fabulas conseram wird gewöhnlich als Hinweis auf die Struktur der Metamorphosen aus Rahmenhandlung und »Einlagen« gesehen, mit der Möglichkeit, dass diese Struktur ein Merkmal des sermo Milesio, also der Milesiaka des Aristeides war.157 Diese Bedeutung wird von Rodes relativ freier Wiedergabe gut erfasst, denn in einem »Milesischen Mährchen« können »lustige Schwänke« nur als einigermaßen selbstständige »Einlagen« vorkommen (die aus heutiger Sicht problematischen Begriffe »Märchen« und »Schwank« mögen hier unberücksichtigt bleiben). Bei Schaeffer wird zwar auch deutlich, dass die »unterschiedlichen Märlein« relativ eigenständige Bestandteile des Werkes sein dürften, die »milesische Redeweise« lässt sich aber kaum als Strukturprinzip auffassen, sondern deutet vielmehr auf eine stilistische Eigenart (die hier nicht gemeint ist). Dagegen ist der Ausdruck »milesischer Stil« bei Helm und Brandt etwas offener, zumal damit das Aneinanderreihen näher bestimmt wird; Brandt erfasst darüber hinaus (als einziger Übersetzer) die Bildlichkeit des conserere. Fischer zerstört die Stelle gründlich. Der mit tibi sehr früh eingeführte Rezipient des Prooemiums wird mit aures tuas permulceam zum ersten Mal näher bestimmt, nämlich als ein Zuhörer, wenngleich er wenige Wörter später mit papyrum zum Leser wird. Diese Reihenfolge wird von Rode durchbrochen, der den »Leser« gleich am Anfang einschiebt, ihn dann mit den »Ohren« zum Zuhörer und mit dem »Buch« wieder zum Leser macht. Schaeffer bringt zwar ebenfalls die zusätzliche Anrede »o Leser!« in seinen Text, allerdings hat dies hier den (wohl beabsichtigten) Effekt, dass Zuhörer und Leser ebenso kurz aufeinander folgen wie im Original, während ohne diesen Kunstgriff das Schlüsselwort 155 Callebat (1993), 1630. 156 Gowers (2001), 85–87. 157 Vgl. Scobie (1975), 67 f.

Deutsche Übersetzungen der Metamorphosen des Apuleius

»Papier« erst sehr viel später im Satz vorkäme, bedingt durch die deutsche Wortstellung. Bei Helm gerät schon dadurch die Reihenfolge der Schlüsselwörter durcheinander, dass er den gesamten ersten Satz umkrempelt und die bei Apuleius nachgeschobene unterwürfige captatio benevolentiae an den Anfang stellt, noch vor die eigentliche Ankündigung des Werkes. Brandt und Fischer bewahren die Reihenfolge des Originals. Keiner der Übersetzer erfasst die weitergehenden Konnotationen von aures tuas permulceam, etwa die Parallele zu auris remulceo in 1.2, wo Lucius seinem Pferd die Ohren krault. Gowers stellt das aures permulcere des Prooemiums in eine Reihe anderer Hinweise, dass es der Leser ist, der im Prooemium zum Esel gemacht wird, und sieht darin, ebenso wie bei Persius, die Aufforderung an den Leser, sich aus seinem Eselsdasein, d. h. seiner Naivität und Unselbstständigkeit zu befreien.158 Ein Hinweis auf Eselsohren, der im Original zumindest für den Zweitleser erfassbar ist, lässt sich aus den Übersetzungen nicht ableiten; noch am nächsten kommt Schaeffers »liebkosen«, und Rode und Brandt bewahren mit »kitzeln« zumindest die physische Bedeutung des Verbs, die in Helms »ergötzen« und Fischers »erfreuen« nicht gegeben ist. In papyrum Aegyptiam liegt eine auffällige Doppelung vor, da Papyrus fast ausschließlich in Ägypten hergestellt wurde. Dies ist einerseits typisch für den apuleianischen Stil, ist aber darüber hinaus als Vorverweis auf das Isis-Buch gesehen worden, der natürlich für den Erstleser kaum zu erfassen ist,159 aber zumindest für den Zweitleser »clearly a symbolic point« darstellt.160 Unter den Übersetzungen wird die Doppelung allein von Helms »ägyptischem Papyrus« erfasst; bei Schaeffer, Brandt und Fischer geht die Auffälligkeit dadurch verloren, dass »Papier« bzw. »Blätter« nicht per se schon aus Ägypten stammen. Rode übersetzt die ganze Stelle, einschließlich argutia Nilotici calami, ohnehin frei verkürzt. Argutia steht zweideutig zwischen der materiellen Spitze der Schreibfeder aus Schilfrohr und der Schärfe, dem Esprit des damit niedergeschriebenen Textes. Eindeutig die übertragene Bedeutung wählt Schaeffer in seiner Übersetzung »mit dem Witze der nilischen Rohrfeder«, gleichzeitig gibt er als einziger die ungewöhnliche Konstruktion von argutia calami statt arguto calamo wieder; eindeutig die nichtübertragene Bedeutung findet sich in Helms »mit spitzem Rohre vom Nil«, ähnlich bei Fischer; Brandts »mit feinem Nilrohr« deutet noch am ehesten den doppelten Bezug an. Text

Rode 1783

Schaeffer 1926

figuras fortunasque hominum in alias imagines conversas et in se rursus mutuo nexu refectas ut mireris.

Auch sollst Du darin all Dein Wunder sehen; wie Leute in andere Gestalten verwandelt werden, und in ihre eigenthümliche ab

Gestalten und Geschicke der in andere Formen verkehrten und durch Wechselverschlingung in sich selbst wiederhergestellten

158 Gowers (2001), 81–83. 159 Scobie (1975), 69. 160 Harrison/Winterbottom (2001), 11.

Ulrike Stephan wechselnd wieder zurückkehren.

Menschen – auf daß du sie bewunderst.

Helm 1956

Brandt 1958

Fischer 1965

Gestalten und Schicksale von Menschen, die verwandelt werden und im Wechsel wieder das ursprüngliche Aussehen erhalten, sollst du bestaunen.

daß du dich über das Was und Wie bei Leuten, die in fremde Gestalten verwandelt und andersherum wieder zu sich selbst zurückgebildet wurden, so wundern wirst.

in menschliche Gestalten und Geschicke, die sich verwandeln und wieder zurückverwandeln, daß du dich wundern wirst.

Die Gegenüberstellung von figurae und imagines (vielleicht als Anspielung auf Ovids formae und corpora in Met. 1.1–2), noch erweitert durch fortunae, wird nur von Schaeffer genau am Original wiedergegeben; bei Helm steht neben »Gestalten« und »Schicksalen« noch das »Aussehen«, allerdings deutlich später im Satz. Alle anderen Übersetzer verzichten auf den einen oder anderen Begriff. Dabei gibt Fischer noch unnötigerweise das Passiv des Originals in conversas und refectas durch das reflexive »sich verwandeln und wieder zurückverwandeln« wieder und weckt so eine falsche Erwartung an den Inhalt des Romans, da ja die entscheidenden Metamorphosen, die des Lucius in den Esel und wieder zurück, durch äußere Einflüsse, nämlich Photis’ Ungeschick und Isis’ Gnade, zustandekommen. Schaeffer ist auch der einzige Übersetzer, der nexus überhaupt erkennbar übersetzt, bei allen anderen bleibt nur das untergeordnete mutuus erhalten. Die Bedeutung von mutuum und nexus als ökonomische termini technici 161 wird in keiner Übersetzung berücksichtigt, es sei denn, man zählte hier den Begriff »Wechsel« bei Helm, der im Deutschen ebenfalls im Finanzwesen verwendet wird; im Kontext fällt das Wort bei Helm aber nicht auf. Text

Rode 1783

Schaeffer 1926

Exordior. »Quis ille?« Paucis accipe. […]

Ich hebe gleich an. Zuvörderst nur Ein Wort, wer ich bin. […]

Ich hebe an; ich – wer aber ist der? Vernimms mit Wenigem. […]

Helm 1956

Brandt 1958

Fischer 1965

Ich fange an. Ja, wer spricht denn da? Vernimm’s mit wenigen Worten! […]

Ich beginne. »Ja, wer ist denn das?« Vernimms in Kürze: […]

Ich fange an. – Aber wer ist der Erzähler? In aller Kürze: […]

Der Einwurf Quis ille? mit der Antwort darauf gehört, wie bereits gesagt, zu den umstrittensten Stellen des ganzen Romans. Die unterschiedlichen Spekulationen über die verschiedenen Sprecher (Apuleius, Lucius, Komödien-prologus, Leser, Zuhörer, …) können natürlich in den Übersetzungen nicht im einzelnen berücksichtigt werden. Es 161 Winkler (1985), 188–194; Harrison/Winterbottom (2001), 12.

Deutsche Übersetzungen der Metamorphosen des Apuleius

stellt sich vielmehr die Frage, welches Spektrum an möglichen Interpretationen die Übersetzungen im Vergleich zum Original eröffnen. Für Rodes Übersetzung stellt sich dieses Problem weniger, da die von ihm verwendete Textausgabe anders interpungiert: exordior. Quis ille, paucis accipe,162 im Übrigen setzt er ille mit dem ego des ersten Satzes gleich. Von den übrigen vier Übersetzern bewahrt Brandt am besten die Offenheit des Originals, außerdem nutzt er als einziger die Möglichkeit, durch die Zeichensetzung den neuen Sprecher als solchen zu kennzeichnen. Dagegen wirkt der Einwurf bei Schaeffer und Fischer eher als rhetorische Frage desselben Sprechers wie zuvor. Helm bringt den Begriff »sprechen« in den Satz, der keine direkte Entsprechung im Original hat; allerdings liegt hier keine Sinnentstellung vor, da der ille, nach dem gefragt wird, eindeutig der Sprecher der vorangehenden Sätze ist und hier, im Kontext von Rede und Gegenrede, klar als Sprecher, nicht Schreiber des bisherigen Textes figuriert. Jedenfalls ist bei Helm der Effekt einer Unterbrechung durch einen neuen Sprecher gut wiedergegeben. Bei Schaeffer ist dieser Effekt allenfalls angedeutet, er legt die Schwerpunkte der Stelle anders, indem er eigentlich nicht das ille der Originalstelle, sondern das ego vom Anfang in den Mittelpunkt stellt. Dies ist insofern konsequent, als Schaeffer schon im ersten Satz das »ich« stärker betont hat als die anderen Übersetzer. Die Verbindung des quis ille? zum ego des Anfangs ist auch im Original gesehen worden: Dowden hat auf die Parallelen zum alternativen Anfang der Aeneis aufmerksam gemacht, der mit ille ego einsetzt und in V. 4. mit at zur Ankündigung der eigentlichen Handlung (dem »klassischen« Prooemium) überleitet.163 (Der Anfang ille ego begegnet auch in Plautus, Tibull, Properz, Ovid, Martial, Silius, Statius, Valerius Flaccus und Juvenal.) All diese Verbindungen und Anspielungen können natürlich in einer Übersetzung nicht vollständig dargeboten werden, und es war vermutlich nicht Schaeffers Absicht, hier so interpretierend zu übersetzen, da er sonst fast sklavisch-wörtlich der Vorlage folgt; gleichwohl ist der Effekt frappierend. Text

Rode 1783

Schaeffer 1926

Hymettos Attica et Isthmos Ephyrea et Taenaros Spartiatica, glebae felices aeternum libris felicioribus conditae, mea vetus prosapia est; […]

Mein Geschlecht ist uralt, und auf dem Attischen Hymettos, dem Ephyräischen Isthmos, und dem Spartischen Tänar, diesen seligen in den Schriften der glänzendsten Genien ewigblühenden Gefilde zu Hause. […]

Der attische Hymettos, der ephyräische Isthmos und der spartische Tänaros, glückselige Schollen, durch glückseligere Schriften für ewig begründet: das ist meine alte Sippschaft. […]

162 Apuleius (1778), 3. Zu der Emendation qui sim, paucis accipe vgl. Harrison/Winterbottom (2001), 12. 163 Dowden (2001), 132 f.

Ulrike Stephan Helm 1956

Brandt 1958

Fischer 1965

Beim attischen Hymettos, ephyreischen Isthmos und spartanischen Taenaros, erfreulichen Gefilden, in Büchern, die noch erfreulicher, für alle Zeit gepriesen, ist ursprünglich mein Geschlecht zu Hause. […]

Hymettos in Attika, Isthmos bei Ephyra, Tänaros im Spartanerland, die herrlichen Fluren, in herrlicheren Büchern verewigt, – sie sind die Heimat meines Geschlechtes. […]

der attische Hymettos, der korinthische Isthmos und der spartanische Taenaros, herrliche Gefilde und ewig gepriesen in noch herrlicheren Büchern, sind die Heimat meines Geschlechts; […]

Das Trikolon der griechischen Städte ist von allen fünf Übersetzern wiedergegeben, selbst von dem sonst so figurenfeindlichen Rode; die Wiederholung felices […] felicioribus hingegen ist bei Rode umgestaltet, bei allen anderen nachgebaut (bei Helm mit dem Relativsatz etwas umständlich). Fischer nimmt als einziger eine Vereinfachung der gelehrten Namen vor, indem er Ephyrea → »korinthisch« an die heute eher bekannte Bezeichnung der Stadt anpasst. Text

Rode 1783

Schaeffer 1926

ibi linguam Atthidem primis pueritiae stipendiis merui.

Daselbst, besonders aber in Attica, bin ich auch auferzogen worden.

Dort habe ich mir die attische Zunge durch die ersten Kriegsdienste der Knäblichkeit erworben.

Helm 1956

Brandt 1958

Fischer 1965

Dort habe ich beim ersten Unterricht mir als Knabe die attische Sprache angeeignet.

Dort habe ich mir als Kind in der attischen Sprache die ersten Sporen verdient.

[D]ort habe ich als Kind im ersten Unterricht Attisch gelernt.

Rode übersetzt hier sehr frei: Einerseits betont er den Gegensatz zwischen Attika und dem im vorigen Satz umschriebenen Gesamtgriechenland, andererseits geht dabei der Hinweis auf die griechische/attische Sprache nahezu verloren, der in »auferzogen« nur noch sehr indirekt enthalten ist. Dadurch wird das Thema »Latein als Fremdsprache« im folgenden Satz abgeschwächt (gleichwohl wird es später von Rode stark hervorgehoben). Die Kriegsmetapher stipendia ist nur von Schaeffer und Brandt wiedergegeben, von Schaeffer sehr wörtlich und im Deutschen etwas sperrig, von Brandt durch eine entsprechende deutsche Wendung. Text

Rode 1783

Schaeffer 1926

Mox in urbe Latia advena studiorum Quiritium indigenam sermonem aerumnabili labore nullo magistro

Nachher begab ich mich nach Latiens Hauptstadt. Aus Verlangen, mit der Römischen Litteratur bekannt zu werden, machte ich mich

Dann aber, in der RomStadt, ein Fremdling der Bürger-Studien, pflegte ich die da heimische Rede in mühsamer Arbeit, und oh-

Deutsche Übersetzungen der Metamorphosen des Apuleius praeeunte aggressus excolui.

an die Sprache des Landes, und studierte sie mit unsäglicher Mühe und Fleiß; jedoch ohne die geringste Anweisung.

ne Magisters-Vorgang sie angreifend.

Helm 1956

Brandt 1958

Fischer 1965

Dann habe ich in Latiums Stadt, ein Neuling in den Studien, die bei den Quiriten heimische Sprache mit jammervoller Mühsal ohne Anleitung eines Lehrers angepackt und gepflegt.

Danach habe ich in der latinischen Stadt als Schüler von draußen in mühseliger Arbeit ohne Leitung eines Lehrers die heimische Redeweise der alten Römer in Angriff genommen und beherrschen gelernt.

Dann habe ich mich in der Stadt Latiums als junger Student mit der bei den Quiriten heimischen Sprache mit Fleiß und Mühe und ohne die Anleitung eines Lehrers vertraut zu machen begonnen und sie zu beherrschen gelernt.

Die Kampfmetaphorik (aggressus) wird auch hier von Schaeffer und Brandt weitergeführt, wiederum von Schaeffer sehr direkt, bei Brandt mit der Wendung »in Angriff nehmen« etwas abgeschwächt. Etwas weniger offensichtlich ist, dass auch excolui in diesem Zusammenhang gelesen werden kann, da es »hints at civilizing after conquest, in the Roman imperialist manner […], a witty reversal: unusually, is the native language of the Romans and not a non-Roman population which is subdued«164; diese Konnotation gibt Brandt mit »beherrschen« als einziger wieder. Fischer verwendet hier zwar ebenfalls »beherrschen«, aber da dies nicht durch andere Begriffe aus dem Kriegsbereich vorbereitet wird, kann sich die Assoziation nicht einstellen. Latium wird von Schaeffer (entgegen seiner Neigung zur Übernahme der OriginalTermini) zu »Rom« vereinfacht, auch die Quirites zu schlichten »Bürgern« reduziert; andererseits dürfte sich dem Leser ohne Blick ins Original kaum erschließen, dass es sich bei Schaeffers »Magisters-Vorgang« um ein »Vorangehen eines Magisters« handelt. Bei Fischer hingegen, der sonst auf größtmögliche Verständlichkeit auch ohne Vorkenntnisse Wert legt, lässt die »Quiriten« unübersetzt; bei Helm wiederum ist dies nicht auffällig. Text

Rode 1783

Schaeffer 1926

En ecce praefamur veniam, siquid exotici ac forensis sermonis rudis locutor offendero.

Um deswillen, mein Leser, bitte ich Dich hier zum voraus um Verzeihung, wenn ich etwa, als Ausländer, hin und wieder in dieser fremden Sprache Fehler begehe.

Wohlan – erbitten wir Verzeihung zuvor, wenn ich, ein roher Schwätzer der exotischen sowohl wie der Forums-Rede, irgendwie Anstoß errege.

164 Harrison/Winterbottom (2001), 13.

Ulrike Stephan Helm 1956

Brandt 1958

Fischer 1965

Siehst du, deshalb bitte ich schon im voraus um Verzeihung, falls ich in meiner Unerfahrenheit bei der Benutzung der mir fremden, auf dem römischen Forum üblichen Redeweise Anstoß erregen sollte.

Da, schaut, ich bitte im voraus um Entschuldigung, wenn ich einmal in der fremdländischen Kunstsprache stümperhaft stolpere.

Und deshalb bitte ich auch um Nachsicht, wenn ich durch mein Ungeschick in der mir nicht so geläufigen auf dem römischen Forum üblichen Ausdrucksweise Anstoß erregen sollte.

In diesem Satz findet sich mit rudis eines der anspielungsreichsten Wörter des Prooemiums. Auf die Beziehung zum Verb rudere, mit dem das Schreien von Tieren und insbesondere das I-ahen eines Esels bezeichnet werden kann, hat Winkler hingewiesen,165 sie lässt sich aber wohl nicht ins Deutsche übertragen. Daneben bezieht sich rudis zunächst auf die Aussage des Sprechers, er habe Latein nur als Fremdsprache erlernt; »such an apology by a non-native speaker of Latin is a prefatory convention«166. Der Begriff gewinnt noch mehr Gewicht, wenn man mit Powell167 damit auch den grammatischen Lapsus in permulceam und den gemischten Stil des Apuleius erklären will. Ferner wird der Aspekt der Fremdsprache noch verstärkt durch den exoticus ac forensis sermo, der seine eigenen Interpretationsschwierigkeiten bietet. Powell168 kommt in seiner Untersuchung zu dem Ergebnis, dass forensis zur Zeit des Apuleius mit Sicherheit die klassische Bedeutung »zum Forum gehörig«, eventuell auch schon die erst in der Spätantike sicher belegte Bedeutung »ausländisch« hatte; letzteres wäre im Kontext zwar tautologisch mit exoticus, ersteres ergäbe eine etwas seltsame Kombination, beides wäre aber angesichts Apuleius’ Stil kein Grund, diese Interpretation abzulehnen. Powell plädiert für eine beabsichtigte Zweideutigkeit, wobei Tautologie und Widerspruch zum Spiel der apuleianischen argutia gehören würden: »Apuleius may, just possibly, be characterizing his speaker as either unversed in Latin (in this very sentence in which he claims to be) or prone to persiflage«.169 Auch hier ist es unmöglich, all diese Interpretationsmöglichkeiten exakt ins Deutsche zu übertragen. Rode beschränkt sich auf die Thematik der Fremdsprache und übersetzt ansonsten frei. Alle anderen Übersetzungen fassen forensis in der »klassischen« Bedeutung auf, gehen aber unterschiedlich damit um. Schaeffer, wie immer ohne jedes Bestreben, den Text zu glätten, stellt die »exotische« und die »ForumsRede« in derselben merkwürdigen Kombination nebeneinander, die Powell beim Original als »either an unintentional blunder, or intentional facetiousness«170 be165 166 167 168 169 170

Winkler (1985), 195–198. Harrison/Winterbottom (2001), 14. Powell (2001), 30; 34 f. Ebd., 30–32. Ebd., 32. Ebd., 31.

Deutsche Übersetzungen der Metamorphosen des Apuleius

zeichnet hat. Helm und Fischer gleichen den Widerspruch dadurch aus, dass sie exoticus nicht absolut, sondern mit »mir fremd« bzw. »mir nicht so geläufig« als subjektive Empfindung des Sprechers darstellen. Brandt fasst hingegen forensis → »Kunstsprache« noch etwas anders auf, nämlich nicht in erster Linie als räumliche Zuordnung, sondern als Sprachniveau, und entledigt sich so des Gegensatzes zu exoticus. Text

Rode 1783

Schaeffer 1926

Iam haec equidem ipsa vocis immutatio desultoriae scientiae stilo quem accessimus respondet.

Ich bediene mich derselben nur; weil etwas Kauderwelsch dem Komischen des Stoffes um so mehr aufhilft; und Deine Belustigung allein mein Zwek ist.

Allein schon diese Vertauschung der Sprache entspricht dem Stil der Zickzack-Sprungfertigkeit, den wir vorhaben.

Helm 1956

Brandt 1958

Fischer 1965

Freilich entspricht dieser Wandel im Ausdruck gerade der Darstellung der sprunghaften Geschichte, an die wir uns gemacht haben.

Nun paßt gerade dieser Sprachenwechsel zu dem Zirkusreiterprogramm, das ich mir gesetzt habe:

Andererseits entspricht vielleicht gerade dieser Wechsel im Tonfall den Kapriolen der Geschichte, die uns bevorsteht.

Auch die desultoria scientia hat die Interpretatoren herausgefordert. Über die wörtliche Bedeutung herrscht Konsens: Es handelt sich um die Kunst des Reiters, von einem laufenden Pferd auf ein anderes zu springen, also im Galopp das Pferd zu wechseln. Welches Pferd im übertragenen Sinne bei Apuleius gewechselt wird, dafür gibt es mehrere Vorschläge; am häufigsten ist die Annahme, gemeint sei das Kompositionsprinzip, bei dem von einer Geschichte zur anderen »gesprungen« wird.171 Harrison /Winterbottom merken an, dass »[t]his coheres very poorly with stilo, which really should refer to literary or linguistic form«172; dies lässt sich aber nur durch Textemendation wirklich beheben. Vocis immutatio wird gewöhnlich als Wechsel der Sprache vom Griechischen zum Lateinischen aufgefasst,173 daneben auch als »the change from human voice to asinine braying«174 mit Bezug zu rudis locutor; unberücksichtigt bleibt dabei in den Kommentaren der gemischte, »wechselhafte« Stil des Apuleius, der ebenfalls in Bezug zu rudis locutor steht. Gerade dieser letzte Aspekt steht in manchen Übersetzungen im Vordergrund: Helms »Wandel im Ausdruck« und Fischers »Wechsel im Tonfall« lassen sich kaum auf den Übergang vom Griechischen zum Lateinischen beziehen. Anders Schaeffers »Vertauschung der Sprache« und Brandts »Sprachenwechsel«, die klar auf den 171 172 173 174

Bernhard (1927), 258, Fußnote 4; Scobie (1975), 75 f. Harrison/Winterbottom (2001), 15. Scobie (1975), 75. Harrison/Winterbottom (2001), 14.

Ulrike Stephan

Übergang zwischen zwei Sprachen verweisen, und ebenso Rode, der von »Kauderwelsch« spricht und damit deutlich auf den Fremdsprachen-Aspekt zielt, den er im Satz zuvor in den Vordergrund gerückt hat. Text

Rode 1783

Schaeffer 1926

Fabulam Graecanicam incipimus.

Das Mährchen stammt übrigens aus Griechenland. Anizt beginnt es.

Beginnen wir nun die griechenländische Mär.

Helm 1956

Brandt 1958

Fischer 1965

Eine Erzählung griechisch schlüpfriger Art beginnen wir.

[… ]es ist eine Geschichte nach dem Griechischen, die ich beginne.

Ich erzähle eine griechische Geschichte, eine besonders amüsante Geschichte.

Es ist oft darauf hingewiesen worden, dass hier eine fabula Graecanica, nicht Graeca, angekündigt wird. Slater weist darauf hin, dass Graecanicus im lateinischen Wortschatz nicht fest etabliert ist, dass der Leser daher »must work out its meaning by context and analogy«175. Winkler bietet für fabula Graecanica die Interpretation »having Greek characters and setting but presented to a Latin audience«,176 Swain schlägt »Greek in form«177 vor. Die Übersetzungen interpretieren die Stelle in unterschiedlichem Ausmaß. Rodes Übersetzung bezieht sich auf eine griechische Vorlage, auf der der Roman beruhe; dies ist konsistent damit, dass Rode annimmt, Apuleius habe »[d]ie Hauptidee [zu seinem Roman] […] aus dem Lucius von Patras entlehnet«178. Dieser Auffassung schließt sich Brandt an. Weit stärker interpretierend übersetzen Helm und Fischer: Helms »Erzählung griechisch schlüpfriger Art« legt Graecanicus auf die pejorative Note fest, die im Lateinischen auch den Adjektiven Graecus und insbesondere Graeculus anhaften kann, aber keineswegs muss; Helms Bemühen um sprachliche Genauigkeit schießt hier übers Ziel hinaus (wiewohl man gerade Helm immer zugute halten muss, dass seine Übersetzung eher nicht als eigenständiger Text, sondern als Verständnis- und Interpretationshilfe neben dem Original konzipiert ist, so dass es mitunter seine Absicht sein mag, unter den diversen möglichen Interpretationen eine bestimmte in seiner Übersetzung anzubieten und die übrigen dem kundigen Leser zu überlassen). Fischer gibt umgekehrt Graecanicus eine dezidiert positive Konnotation, wenn er »eine besonders amüsante Geschichte« nachschiebt; auch dies wird der Offenheit des Originals nicht gerecht. Dem Original am nächsten ist, wie so häufig, Schaeffer, dessen Wortschöpfung »griechenländisch« den Leser ebenso irritieren und zu eigener Interpretationsarbeit auffordern sollte wie die Vorlage.

175 176 177 178

Slater (2001), 220. Winkler (1985), 184. Swain (2001), 62. Rode (1783), XVIII (Leben des Apuleius).

Deutsche Übersetzungen der Metamorphosen des Apuleius

Text

Rode 1783

Schaeffer 1926

Lector intende: laetaberis.

Merke auf, es wird zu lachen geben.

Merk auf, Leser, du wirst dein Vergnügen haben!

Helm 1956

Brandt 1958

Fischer 1965

Merk auf, Leser! Du wirst deinen Spaß daran haben.

Leser, paß auf: du wirst Vergnügen haben!

Paß auf, lieber Leser: Es wird dir Spaß machen!

Bei Rode fehlt hier der »Leser«, der im ersten Satz zusätzlich steht. Bemerkenswert ist ferner, dass weder Schaeffer noch Helm, die sonst am engsten am Original übersetzen, die Wortreihenfolge des Originals übernehmen, sondern allein Brandt.

6. Fazit Die Parallelanalyse bestätigt im Ganzen das in den Einzelanalysen gewonnene Bild der fünf Übersetzungen: Rode übersetzt sehr frei und ohne besonderes Interesse an den inneren und äußeren Bezügen des Textes. Sein Ziel ist die Wiedergabe des Inhalts in einem neuen, seinen eigenen Maßstäben folgenden sprachlich-stilistischen Gewand. Bei der Transformation des Originaltextes besteht hier eine klare Fokussierung auf die semantische Komponente bei gleichzeitiger Ausblendung der stilistischen Eigenschaften des Originals. Schaeffer hält sich sehr eng an das Original, auch auf Kosten der Verständlichkeit; streckenweise ist in der Syntax die Transformation in die deutsche Sprache nicht einmal vollständig vollzogen, der Text bleibt dem lateinischen Original und seinen Sprachstrukturen verhaftet. Umso mehr fallen gerade im Prooemium die beiden Stellen auf, die Schaeffer vereinfachend bzw. interpretierend übersetzt; denkbar ist hier, dass er seine extrem strenge Übersetzungsmethode erst im Verlauf des Werkes zur vollen Konsequenz geführt hat. Die Übersetzung entfaltet ihren größten Reiz erst im Vergleich mit dem Original, da aus dem deutschen Text allein allenfalls erahnt werden kann, wie detailliert der Übersetzer den Worten des Originals folgt. Helm ist um sprachliche Genauigkeit bemüht, auch wenn dies zu umständlichen Formulierungen führt. Seine Übersetzung ist zwar, anders als bei Schaeffer, ein in sich einwandfreier und verständlicher deutscher Text; gleichzeitig bleibt sie noch stärker als Schaeffers Version mit dem Original verbunden, da sie nicht als eigenständiges literarisches Werk intendiert ist, das das Original ersetzt, sondern von Helm immer im Ensemble mit dem Original und dem Anmerkungsapparat (sowie mit der altsprachlichen Vorbildung des Lesers) gedacht ist. Sie kann daher transformationstheoretisch auch als Mittel zur Appropriation, ähnlich einem verständnisorientierten Kommentar, gesehen werden. Brandt erhält neben Schaeffer am besten die Metaphorik des Originals; Fischer nimmt für einen in sich lesbaren Text die meisten Vereinfachungen in Kauf.

Ulrike Stephan

So stehen dem heutigen deutschsprachigen Leser fünf sehr verschiedene Versionen dieses so komplexen Textes zur Verfügung, unter denen nicht nur der Leser je nach seinem eigenen Anspruch, Ziel und Vorkenntnissen auswählen kann, sondern die auch durch ihre Diskrepanz exemplarisch zeigen, welch widersprüchliche Eindrücke der Goldene Esel hervorzurufen vermag.

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Deutsche Übersetzungen der Metamorphosen des Apuleius

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Ulrike Stephan

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Ulrike Stephan

Abstract: German Translations of Apuleius’ Metamorphoses since 1780 The Metamorphoses of Apuleius, the only completely extant ancient Latin novel, have attracted much attention throughout the centuries due to their entertaining content as well as their numerous structural and linguistic-stylistic peculiarities. In this paper we examine how the five complete German translations of the text published since 1783 (by August Rode, Albrecht Schaeffer, Rudolf Helm, Edward Brandt, and Carl Fischer) deal with the specific features of the original and how they interact with the contemporaneous theory and practice of translating ancient texts.

Reflexionen über ein mögliches Instrumentarium zur Analyse von Übersetzungen griechischer und lateinischer Texte THOMAS POISS / JOSEFINE KITZBICHLER / ENRICA FANTINO Vorbemerkung Der folgende Text hat im Laufe der Jahre zahlreiche Verwandlungen durchlaufen und dadurch auch eine komplizierte Verfasserschaft bekommen. Entstanden ist er aus dem kritischen Nachvollzug von Wolfgang Schadewaldts Übersetzungskonzepten durch Thomas Poiss, der auch den Gesamtplan entworfen und die Endredaktion übernommen hat. Bei Ausarbeitung und Redaktion hatte Josefine Kitzbichler ganz wesentlichen Anteil, Enrica Fantino übernahm in den Paragraphen 3–5 zur Textlinguistik den größten Part.1 Hieraus erklärt sich die unübliche Reihenfolge der Verfasser-Namen. § 1 Übersetzungsforschung und antike Texte Ein Instrumentarium, das der Analyse von Übersetzungen antiker Schriftsteller zugrunde gelegt werden könnte, stellt nach wie vor ein Desiderat dar. In der Forschung, aber auch z. B. in Rezensionen werden oft nur summarische Wertungen ohne nachvollziehbare argumentative Grundlage präsentiert. Wo überhaupt ein Textvergleich vorgenommen wird, beschränkt man sich häufig darauf, punktuelle Befunde und – echte oder vermeintliche – »Fehler« aufzulisten.2 Demgegenüber hat sich die Übersetzungsforschung mit all ihren disziplinären Verzweigungen und einzelsprachlichen Sondertraditionen3 in den letzten Jahrzehnten, wie zahlreiche Handbücher, Companions, Reader, Bibliographien und Zeitschriftenneu1 2

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Anregungen, Kritik und Kommentare wurden überdies von allen am Projekt Beteiligten beigesteuert. Ein extremes Beispiel von Fehlerlisten bietet Paul Drägers Besprechung von Raoul Schrotts Übertragung der Ilias in BMCR: http://bmcr.brynmawr.edu/2009/2009-08-30.html (letzter Zugriff: 20.4.2015). So berechtigt davon vieles im Einzelnen ist, so wenig werden die kulturellen und medialen Bedingungen reflektiert. Die Translatologie (translatology, translation science, Übersetzungswissenschaft) als pragmatischdidaktische, auf die Ausbildung professioneller Übersetzer ausgerichtete Disziplin leitet sich im Wesentlichen aus linguistischer Übersetzungsforschung ab, während die translation studies stärker kultur- und literaturwissenschaftlich akzentuiert sind. Allerdings sind die Grenzen gerade bei der Verwendung der englischen Bezeichnungen oft ausgesprochen unscharf.

Thomas Poiss, Josefine Kitzbichler, Enrica Fantino

gründungen belegen,4 zu einer geisteswissenschaftlichen Domäne entwickelt, deren Teilgebiete schon in den späten 1980er Jahren nur mehr in einer »Landkarte«5 als Zusammenhang fassbar waren. Seit den frühen 2000er Jahren und seit Beginn des SFB kann man sogar eine sprunghafte Vermehrung der Studien, Publikationen und Ansätze konstatieren, ohne dass jedoch die antiken Sprachen und Texte darin substantiell berücksichtigt worden sind, obwohl sie sich durch ihre jahrhundertelange Verankerung in den Curricula fast aller europäischen Kulturen für historisch-vergleichende Studien eigentlich anbieten. Gerade die Fülle von translatologischen Theorieangeboten verhindert es aber auch, dass man zur Analyse von Übersetzungen antiker Texte auf eine weithin anerkannte und vielfältig anwendbare Theorie zurückgreifen könnte. Abgesehen von Ansätzen in der Fachdidaktik,6 ist Manfred Fuhrmann der einzige namhafte Philologe und Übersetzer im deutschen Sprachraum geblieben, der sich explizit auf eine moderne Theorie berief und die Skopos-Theorie von Reiß/Vermeer für die alten Sprachen zu adaptieren suchte.7 So innovativ und begrüßenswert dies war – die Skopos-Theorie ist immer noch eine respektierte Theorieoption8 – , so muss man doch feststellen, dass die Gesamtheit ihrer Kernthesen nur bedingt zur Beschreibung der betroffenen Sachverhalte und zum Aufspannen eines Rahmens geeignet ist, innerhalb dessen Übersetzungen und Übersetzungskonzepte analysiert und miteinander verglichen werden können. Die drei Kernsätze der Skopos-Theorie lauten:9 (1) Translation ist eine Funktion ihres Skopos. (2) Translation ist ein Informationsangebot in einer Zielkultur und deren Sprache über ein Informationsangebot aus einer Ausgangskultur und deren Sprache. (3) Das Informationsangebot einer Translation wird als ein abbildender Transfer eines Ausgangsangebotes dargestellt. Die Abbildung ist nicht eindeutig umkehrbar. In einer kulturspezifisch engeren Fassung der Behauptung gilt: Translation ist ein imitierender Transfer eines Ausgangsangebotes. Fruchtbar ist dieser Ansatz unter anderem deshalb, weil er, anders als die auf dem Äquivalenz-Postulat fußenden, letztlich immer prospektiv-präskriptiv gedachten Modelle,10 die kommunikativen Kontexte als Bedingung des Übersetzens benennt und die Übersetzung als Darstellung eines kommunikativen Geschehens in einem anderen kommunikativen Geschehen zu beschreiben versucht (Punkt 2; s. unten, § 4, S. 371). 4

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Einen guten Einstieg in die Komplexität der Problematik, auch nur eine Translation-StudiesBibliographie konzeptionell zu strukturieren, gibt van Doerslaer (2007). Ein Überblick über das gesamte Forschungsareal mit allen seinen Teilbereichen findet sich im dreibändigen Handbuch von Kittel et al. (2004/2007/2011). Zur Holmes-Toury map s. Stolze (2001), 165 f., Munday (2012), 16–22, und Malmkjaer (2013); dort jeweils auch rezente Bibliographien. Zu den vor allem von Rainer Nickel in den 1970er Jahren entwickelten Ansätzen s. Kitzbichler/Lubitz/Mindt (2009a), 336–339. Vgl. Kitzbichler/Lubitz/Mindt (2009a), 339–342; Kitzbichler/Lubitz/Mindt (2009b), 478–480. Munday (2012), 122–126. Kritik am Modell von Reiß/Vermeer bei Albrecht (2005), 25 f. Reiß/Vermeer (1991), 105. Der Äquivalenz-Begriff ist eben deshalb in der Übersetzungswissenschaft umstritten; einen Überblick über die Äquivalenz-Diskussion gibt Koller (2004b).

Reflexionen über ein mögliches Instrumentarium

Offen zu Tage kommt aber auch die Spannung, ja der Widerspruch zwischen den in Punkt 3 genannten Begriffen »Abbildung« und »Imitation« einerseits und den Begriffen »Funktion« und »Skopos« andererseits: Wenn der primäre Gesichtspunkt der Darstellung durch Übersetzung deren Skopos/Funktion ist, so handelt es sich um eine Ingebrauchnahme des Ausgangstextes, und jeder Gebrauch verändert notwendig sein Objekt. Gerade skopos-gelenkte Übersetzung ist eben keine bloße »Imitation«, sondern verändert zwangsläufig ihren Ausgangspunkt und wirkt auf diesen zurück. Um nur zwei der bekanntesten Beispiele zu zitieren: Die Platon-Übersetzung Schleiermachers hat ein anderes Platon-Bild initiiert, der Übersetzer Johann Heinrich Voß entdeckte beim Formen eigener deutscher Hexameter Eigenschaften des antiken Verses, die zuvor unbekannt gewesen waren.11 Um ein Missverständnis auszuschließen: Reiß/Vermeer weisen selbst in einer Anmerkung zur dritten ihrer Regeln daraufhin, dass jede einzelne Translation natürlich immer nur eine einzelne »realisierte Möglichkeit aus einer überabzählbar großen Menge von Möglichkeiten«12 ist, aber systematische Übersetzungsanalyse benötigt eben gerade ein offenes Instrumentarium, um das Gesamtpotential und seine einzelnen Realisierungen vergleichend zu beschreiben. Neben der translatologisch und sprachwissenschaftlich orientierten Forschung und von dieser (jedenfalls in der deutschen Forschungslandschaft) meist isoliert hat sich in den vergangenen Jahrzehnten auch eine literatur- und kulturwissenschaftlich ausgerichtete Übersetzungsforschung etabliert, die vorliegende Übersetzungen in ihrem Verhältnis zum Original, vor allem aber zu rezeptions- und wirkungsgeschichtlichen Prozessen und zu anderen Übersetzungen zu erfassen und als Teil der Literatur und Literaturgeschichte der Zielsprache zu beschreiben sucht und dabei nicht prospektivpräskriptiv, sondern retrospektiv-deskriptiv und interpretierend verfährt. Das SFBTeilprojekt, dem die im vorliegenden Band präsentierten Studien entstammen, wurde von Klassischen Philologen entwickelt und ist primär literaturwissenschaftlich ausgerichtet. Es hat daher auch zunächst Impulse aus der literaturwissenschaftlichen Übersetzungsforschung empfangen. Als Standardwerk ist hier Friedmar Apels Studie Sprachbewegung (1982) zu nennen, in der jedoch Übersetzungstheorie, nicht Übersetzungsanalyse und -kritik in den Blick genommen wird; außerdem das Einführungbändchen Literarische Übersetzung desselben Autors (zuerst 1983, neu bearbeitete Auflage gemeinsam mit Annette Kopetzki 2003), wo es als Aufgabe der Übersetzungskritik bestimmt wird, »dem Leser zu vermitteln, in welcher Form Verhältnisse von Original und Übersetzung in einer Übersetzung als Text erfahrbar werden können und welche spezifischen Rezeptionseinstellungen dem Leser mit Gründen nahegelegt werden können«; wie dies geschehen kann und soll, wird dabei allerdings nicht disku-

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Zu Schleiermacher s. Jantzen (1996), XLV–LVIII ; Asmuth (2006), 187–244, insbes. 187: »Schleiermachers Einfluß auf das philosophische Platon-Bild seiner Zeit ist gar nicht zu überschätzen.« Zu Voß s. Häntzschel (1977), 53–82. Reiß/Vermeer (1991), 105.

Thomas Poiss, Josefine Kitzbichler, Enrica Fantino

tiert.13 Zu verweisen ist überdies auf die Arbeiten des Göttinger Sonderforschungsbereichs 309 »Die Literarische Übersetzung« (1985–1997), der seinen Forschungsansatz als »historisch, deskriptiv und prozeßorientiert«14 beschrieb und zu dessen Verdiensten es gehört, den bis dahin in der deutschen Literaturwissenschaft eher marginalisierten Bereich der literarischen Übersetzung stärker in den Fokus der Forschung gerückt zu haben. Die Übersetzung wurde hier als Medium des Kulturaustauschs, der interkulturellen Kommunikation und des »Transfers« untersucht. Für unser Projekt sind die Göttinger Arbeiten nicht zuletzt auch deshalb interessant, weil ihr »Transferansatz« mit dem im SFB 644 entwickelten Konzept der Transformation15 in einigen Aspekten konvergiert. Allerdings lag das Hauptaugenmerk des Göttinger SFB (an dem die Klassische Philologie nicht beteiligt war) auf der Seite der Übersetzung, wohingegen in unserem Projekt dem Ausgangstext und dem Verhältnis zwischen Ausgangstext und Übersetzung größere Aufmerksamkeit zukommen musste. Die Defizite in den Arbeiten des Göttinger Sonderforschungsbereichs liegen also – zumindest aus unserer Perspektive – vor allem im Bereich der vergleichenden mikrostrukturellen Textanalyse.16 Diese Lücke lässt sich nun nicht allein mit Schulgrammatik und elementarer rhetorischer Analyse schließen: Notwendig ist vielmehr ein sprachwissenschaftliches Fundament, oder doch ein Abgleich mit Terminologien und Erkenntnissen der Linguistik und Translatologie. Im Unterschied zur literaturwissenschaftlichen Übersetzungsforschung hat die Translatologie eine methodisch abgesicherte »Übersetzungskritik« (so der übliche Terminus) ausdrücklich gefordert. So zählt beispielsweise Koller (2004) die »Übersetzungskritik« zu den Kernaufgaben der Übersetzungswissenschaft und benennt die »Objektivierbarkeit der Bewertungskriterien«17 als deren zentrales Problem. Angesichts des hohen Stellenwerts von Übersetzungskritik ist es jedoch erstaunlich, wie selten derartige programmatische Postulate in methodisch-konkreten Modellen und exemplarischen Übersetzungsanalysen umgesetzt wurden. Wie schwer sich auch die translatologische Forschung auf diesem Feld tut, zeigt ein Blick in das Handbuch Übersetzung Translation Traduction18: Von den insgesamt 284 (durchnummerierten) Artikeln dieses enzyklopädischen Werks befassen sich genau vier Beiträge mit der

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Apel (2003), 64. – In der 1. Auflage (1983), 32 und 38, hatte Apel noch explizit ein »Instrumentarium der Übersetzungsanalyse« und »die Erarbeitung der Rahmenbedingungen der Übersetzungskritik« als Desiderate gerade der literaturwissenschaftlichen Übersetzungsforschung benannt. Kittel (1998), 7. Vgl. unten § 6, S. 379 f. Dies gilt überhaupt für einen großen Teil der literaturwissenschaftlichen Übersetzungsforschung. – Zur Genese des Begriffes »Original« in der deutschen Romantik und der daraus resultierenden ausgangssprachenorientierten Übersetzungstradition vor allem im deutschsprachigen Bereich (mit Beispielen aus der Shakespeare-Übersetzung) s. Greiner (2004), 31–53; zur komplementären Tradition, Übersetzungen nach ihrer Funktion in der Zielkultur zu beurteilen s. Greiner (2004), 54–84 (mit Beispielen aus Komödien-Übersetzungen). Koller (2004), 127. Kittel et al. (2004/2007/2011).

Reflexionen über ein mögliches Instrumentarium

Problematik der Übersetzungsanalyse.19 So unermüdlich bestimmte Begriffe – etwa »Äquivalenz« – oder einzelne Aspekte – z. B. Übersetzung verschiedener »Texttypen« – erörtert worden sind, so groß scheinen also die Schwierigkeiten zu sein, wenn es darum geht, die gewonnenen Erkenntnisse zur Übersetzungsproblematik in der Übersetzungsanalyse und -kritik praktisch umzusetzen. Ein besonders ausdifferenziertes Modell linguistisch fundierter, auf den Vergleich von Ausgangstext und Übersetzung gerichteter Analyse bietet Gerzymisch-Arbogast (1994);20 es kann dazu dienen, exemplarisch Potenzial und Problematik methodischer Übersetzungskritik zu verdeutlichen. Gerzymisch-Arbogast postuliert zunächst, dass »sachliche Übersetzungskritik«21 nur auf der Grundlage eines klar definierten Textkorpus (in der Regel ist dies eine Auswahl sehr kurzer Texte oder Textauszüge, die durchnummeriert werden) erfolgen kann. Anhand dieses Korpus wird in einem ersten Schritt eine Liste von »Aspekten« angefertigt, die bei der Lektüre der Übersetzung auffallen (z. B. Konnotationsgehalt, Informationsmenge, Verfremdungseffekte, Textkohärenz, Thema-Rhema-Gliederung, sprachliche Bilder); diese Auffälligkeiten werden in einer Tabelle den jeweiligen Textstellen zugeordnet. In einem zweiten Schritt wird der Ausgangstext auf dieselben Aspekte hin geprüft; auch hier werden die Ergebnisse tabellarisch festgehalten. Durch Gegenüberstellung der Ergebnisse beider Schritte können schließlich Übereinstimmungen oder Differenzen in der »Aspektrealisierung«22 festgestellt werden. Mit einer exemplarischen Analyse der Übersetzung von Lawrence Norfolks Lemprière’s Dictionary durch Hanswilhelm Haefs kann Gerzymisch-Arbogast zeigen, dass dieses Verfahren tatsächlich einen sehr differenzierten deskriptiven Zugriff auf die Mikrostruktur von Ausgangstext und Übersetzung ermöglicht. Allerdings ist das Verfahren – wie die Autorin selbst einräumt23 – extrem aufwendig. Weitere Einschränkungen kommen hinzu: (1) Die historische Dimension bleibt unberücksichtigt: Was in einer Sprache als auffällig oder unauffällig, markiert oder unmarkiert angesehen wird, ändert sich im Laufe der Zeit und unterliegt ebenso dem Wandel wie die Vorstellungen von einer »guten« Übersetzung. (2) Die Kontexte von Entstehung und Rezeption einer Übersetzung bleiben unberücksichtigt. (3) Auch wenn Gerzymisch-Arbogast ausdrücklich keine Generalurteile abgeben will (»gute« oder »schlechte« Übersetzung), sondern lediglich einzelne Aspekte auf einer Skala einordnet (»gut – eher gut – eher schlecht – schlecht«24, z. B. in der Realisie19

20 21 22 23 24

Die Beiträge im Abschnitt »Übersetzungsanalyse. Übersetzungsvergleich und Übersetzungskritik in sprachwissenschaftlicher Hinsicht« in Kittel et al. (2004) haben die laufenden Nummern 77–80; einer betrifft das Spezialproblem technischer Texte, ein anderer das juristischer Texte. Einen guten Überblick über vorliegende Ansätze bietet allerdings der Aufsatz von Juliane House Concepts and methods of translation criticism: A linguistic perspective, in: Kittel et al. (2004), 698–718. Gerzymisch-Arbogast (1994), insbesondere 148–153 und 167–190 (Anhang). Gerzymisch-Arbogast (1994), 148. Vgl. den Anhang in Gerzymisch-Arbogast (1994), 167–190, bes. 181. Vgl. Gerzymisch-Arbogast (1994), 149 f. und 152. Gerzymisch-Arbogast (1994), 150.

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rung sprachlicher Bilder), wirkt das Verfahren im Kern normativ. Dass das Qualitätsurteil in letzter Instanz immer auch subjektiv ist, wird nicht reflektiert, sondern durch die »objektive« Form der Matrix verdeckt. (4) Eine allzu strikt durchgeführte Kategorisierung kann für die Übersetzungskritik auch zu mechanischem Schematismus führen. (5) Es besteht die Gefahr einer nicht mehr praktikablen, letztlich auch nicht mehr erkenntnisfördernden Überkomplexität.25 Erst in jüngerer Zeit sind schließlich Versuche unternommen worden, theoretisch reflektierte, linguistisch fundierte Analysemodelle auch für literaturgeschichtliche Fragen anwendbar zu machen und linguistisch-translatologische und literaturgeschichtliche Ansätze zur Synthese zu bringen. Zu nennen sind hier die Arbeit von Franziska Münzberg zur Darstellungsfunktion von Übersetzungen im 18. Jahrhundert (2003) und die Studie von Miriam Acartürk-Höß zu deutschen Übersetzungen der Lyrik von W. H. Auden (2010). Die Autorin untersucht anhand eines ParameterGitters »kotextuelle« und »kontextuelle« Prinzipien von Übersetzungen und vergleicht diese untereinander. Ihr für die Gedichtbeschreibung entwickelter Katalog der »Alterität«, d. h. von Aspekten, in denen ein lyrischer Text von einer gedachten Nullstufe des Sprachgebrauchs potentiell abweicht, stellt die sorgfältigste uns bislang bekannte Aufstellung von übersetzungsrelevanten Merkmalen zusammen.26 § 2 Die drei Maximen Schadewaldts Den Ausgangspunkt unserer Überlegungen lieferten aber zunächst Wolfgang Schadewaldts Praxis und Theorie des Übersetzens. Der Rang seiner Übersetzungen ist durch ihre Bühnentauglichkeit27 und auch ihre Verwendbarkeit im Unterricht28 erwiesen; 25

26 27

28

Ein Beispiel aus der Analyse der Haefs-Übersetzung: Das Fallen eines Buches auf den Boden wird von Norfolk lautmalerisch als »Schtlaumpp!« dargestellt; Haefs gibt dies als »Schtla-umpp!« wieder. Gerzymisch-Arbogast deutet die originale Version als »phonetischen Verfremdungseffekt«, weil /sch/, /tl/, /au/ und /mpp/ im Englischen ungewöhnliche Phoneme bzw. Lautfolgen seien. In der deutschen Version erkennt sie dagegen – wohl im Bindestrich – einen »graphemischen Verfremdungseffekt«. Unter dem Aspekt des »Verfremdungseffekts« weichen Ausgangstext und Übersetzung also voneinander ab. Dies ist subtil beobachtet – nur muss man fragen, welcher Erkenntnisgewinn sich daraus für die Übersetzungskritik ergibt. Vgl. Gerzymisch-Arbogast (1994), 107. Acartürk-Höß (2010), 117–119; vgl. unten § 5 und Appendix. Die Regisseure Rudolf Sellner und Hansgünther Heyme führten zahlreiche Sophokles-Tragödien in der Übersetzung Schadewaldts auf; s. Flashar (�2009), 196–198 (Sellner) und 225–228 (Heyme). Auch Michael Grübers epochale Bakchen-Inszenierung von 1974, der Beginn von Peter Steins Antiken-Projekt an der Berliner Schaubühne, stützte sich auf eine leider nicht im Buchhandel erschienene Übersetzung von Euripides’ Bakchen, die Schadewaldt für eine Inszenierung durch Heyme 1973 angefertigt hatte; s. Flashar (�2009), 231 f. und 239 f. Der Initiator dieses Textes, Th. P., hat mehrfach im Rahmen des Master-Studienganges Europäische Literaturen mit den Homer- und Sophokles-Übersetzungen Schadewaldts gearbeitet und kann bestätigen, dass auch nicht des Griechischen kundige Studierende an den Übersetzungen durch deren konsequente sprachliche Gestaltung literarisch relevante Beobachtungen machen und eigenständige Interpretationen entwickeln können.

Reflexionen über ein mögliches Instrumentarium

zahlreiche klassische Philologen haben sich beim Übersetzen auf ihn berufen und für manchen Philologen ist er immer noch der »Meisterübersetzer«.29 Schadewaldt selbst hat sein Konzept des Übersetzens mehrfach in kleineren Aufsätzen reflektiert,30 und zur Verbreitung seiner dabei geäußerten Grundgedanken trug wohl ebenso die glückliche, weil Objektivität verheißende, Benennung seines Tuns als »dokumentarisches Übersetzen« bei wie dessen einprägsame Fundierung in nur drei Prinzipien:31 Erstens: im Übersetzen das wiederzugeben, was dasteht und so wie es dasteht, nämlich vollständig, ohne Verkürzungen, Hinzufügungen. Zweitens: die originalen Vorstellungen, Begriffe wie Bilder, in ihrer griechischen Eigenart unverändert ohne moderne Übermalungen auch im deutschen Wortlaut zu bewahren. Und drittens: die Folge dieser Vorstellungen, ihre »Syntax« – als Abfolge, wie die Dinge und Kräfte der Welt im Nacheinander dem Dichter vor die Augen kommen – bis zur Stellung des einzelnen Wortes in Satz und Vers, soweit irgend möglich, auch im Deutschen einzuhalten.32

Schadewaldt wollte mit diesen Maximen in erster Linie seine eigene übersetzerische Arbeit beschreiben und reflektieren, die insbesondere Homer, Pindar und den griechischen Tragikern galt – hoher Dichtung aus archaischer und klassischer Zeit also, die Schadewaldt (in Nähe zu Heidegger) als »Dokumentationen« des Seins und als »seinsschaffend«33 betrachtete. Dem sollte sein Prinzip des »dokumentarischen«, auf den Wortlaut des Ausgangstextes gerichteten Übersetzens Rechnung tragen. Schon nach kurzer Überlegung fällt jedoch auf, dass die drei Maximen nicht ausreichen, um Schadewaldts eigene Praxis hinlänglich zu beschreiben und dass auch keine Kriterien angeführt werden, warum diesen drei Maximen der Vorrang vor anderen denkbaren Prinzipien gegeben wird. Sie beziehen sich zwar auf offensichtlich wichtige Teilaspekte, die auch in der Studie von Gerzymisch-Arbogast eine Rolle spielen,34 doch fehlt jede differenzierte Semantik für Ausgangs- und Zielsprache, wie z. B. auch die Kategorie des sprachlichen »Registers«, mit der zumeist der Komplex aus Sachbezirk, Stilhöhe und Sprechercharakteristik35 bezeichnet wird. Vermutlich stand für Schadewaldt außer Frage, dass frühgriechische Texte in einem konsequent ernsten, hohen Ton zu übersetzen sind, doch seit der Tragödienparodie der attischen Komödie ist klar, dass man gerade durch Ton-Brechung und Registerwechsel – die in den drei Maximen Schadewaldts gar nicht erfasst werden können – komische Effekte erzielen

29 30 31 32 33 34

35

Holzberg (2013), 115. Vgl. Mindt in: Kitzbichler/Lubitz/Mindt (2009a), 277–297. Schadewaldt (1964), 77. Die drei Regeln Schadewaldts werden im weiteren Text abgekürzt zitiert als: Sw1, Sw2 und Sw3. Vgl. dazu Mindt (2009), 280 f. Der Forderung nach Vollständigkeit (Sw1) entspricht – zumindest in groben Zügen – bei Gerzymisch-Arbogast der Aspekt der »Informationsmenge«, der Forderung nach Wahrung der Bildlichkeit (Sw2) entspricht der Aspekt der »sprachlichen Bilder«, der Forderung nach Wahrung der Abfolge (Sw3) entspricht die »Thema-Rhema-Gliederung«. Allerdings bietet Gerzymisch-Arbogast eine wesentlich umfangreichere Liste zu untersuchender »Aspekte«. Vgl. Gerzymisch-Arbogast (1994), 145: »das verbale Repertoire eines Sprechers« in Bezug auf eine Situation.

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kann. Ja, man könnte unter genauer Befolgung der drei Maximen eine Übersetzung in einen lokalen deutschen Dialekt durchführen oder eine parodistische Transposition auf eine niedere, explizit nicht-heroische Sprachebene vornehmen. Weit gefehlt, dies als wohlfeile Kritik an Schadewaldt zu sehen, wird so ein weiterer Vorzug beleuchtet, der Schadewaldts Übersetzungen von zahlreichen anderen Übersetzungen unterscheidet: die Konsequenz in der Bewahrung des Tones. Weniger konsequente Übersetzer, die sich gleichwohl auf Schadewaldt berufen, erzielen oft unfreiwillige Dissonanzen, wo solche im Original fehlen. Dann finden sich etwa Kolloquialismen wie »scharf sein auf« beim selben Sprecher unmittelbar neben Antiquiertem wie »Weibertracht«.36 Als problematisch erweisen sich bei näherem Hinsehen auch manche Aspekte der Maximen selbst. Versucht man etwa, das Prinzip der Vollständigkeit (Sw1: »ohne Verkürzungen, Hinzufügungen«) auf die »kleinen« Wörter der Alten Sprachen anzuwenden, stellen sich rasch folgende Fragen: Ist jede griechische Partikel durch eine deutsche Partikel wiederzugeben oder genügen auch Wortstellung und Betonung? Was geschieht, wenn beim Übersetzen aus dem Lateinischen, das weder bestimmten noch unbestimmten Artikel kennt, notwendigerweise im Deutschen bestimmter oder unbestimmter Artikel hinzugesetzt werden müssen? Auch Schadewaldts Maxime der Beibehaltung der Abfolge der Vorstellungen und Wörter (Sw3) stößt einerseits an die relativ unveränderlichen deutschen Regeln für die Stellung von Verb und Adjektiv und setzt andererseits voraus, dass die griechischen – potentiell: die lateinischen – und die deutschen Prinzipien der Informationsverteilung im Satz kongruent sind. Dies ist keineswegs ausgemacht und Gegenstand einer in jüngerer Zeit intensiv betriebenen Forschung.37 Will man nun Schadewaldts Maximen, die im deutschen Sprachraum immer noch den zentralen Referenzpunkt philologisch orientierter Übersetzungspraxis antiker Texte bilden, in allgemein anwendbare Analysekriterien überführen, ist es deshalb nötig, sie aus der von ihm vorausgesetzten Sprach- bzw. Wortontologie herauszulösen, ihre Kerngedanken in moderner, textlinguistisch fundierter Terminologie neu zu formulieren und ihre Grundprinzipien (Sw1: Vollständigkeit, Sw2: Beachtung kultureller Idiomatik, Sw3: Informationsverteilung) in einen erweiterten Beschreibungsrahmen einzufügen, um sie über das bei Schadewaldt berücksichtigte Textkorpus und, soweit möglich, auch über streng »dokumentarisch« verfahrende Übersetzungen hinaus für Übersetzungen anwendbar zu machen, die anderen Prinzipien folgen. Dabei gilt es zudem, die quasinormativen Handlungsanweisungen Schadewaldts als deskriptive Analysekriterien neu zu interpretieren: Der in Schadewaldts Maximen implizierte Verpflichtungscharakter richtet sich an produzierende Übersetzer und primär an ihn

36 37

Steinmann (1999), 67 (Bakchen V. 913 und 915). Vgl. etwa Bakker (2009); Devine/Stephens (2000); Devine/Stevens (2006); Dik (1995); Dik (2007); Dover (1960); Kienpointner (2010), 359–375; Lühr (2008); Spevak (2010); Touratier (2013), 348−357.

Reflexionen über ein mögliches Instrumentarium

selbst, die im folgenden Text formulierten Kriterien dagegen an Analytiker von Übersetzungen. § 3 Zur Relevanz textlinguistischer Kriterien Der Hauptbeitrag textlinguistischer Untersuchungen zur Übersetzungswissenschaft wurde häufig in der Texttypen- und Textsortenlehre gesehen (ausgehend von der Arbeit von Katharina Reiß, 1971).38 Trotz einiger Resonanz im Bereich der Klassischen Philologie39 werden solche Studien der Komplexität des übersetzungsanalytischen Prozesses nicht gerecht. Man bedenke etwa, dass in literarischen Texten (und in deren Übersetzungen) alle oder zumindest mehrere der von Reiß und ihren Nachfolgern definierten Texttypen gleichzeitig vertreten sein können. Relevanter für unsere Arbeit ist die Betrachtung von (text)linguistisch orientierten Methoden der Textanalyse. Auffallend ist hierbei die Konvergenz der linguistischen Prinzipien von Textkohäsion und -kohärenz, Funktionaler Satzperspektive und Textsemantik mit den drei Maximen Schadewaldts (vgl. oben § 2). Insbesondere Beaugrande/Dresslers weithin akzeptierte Textualitätskriterien40 erweisen sich in ihrer Spannbreite als gute Grundlage für eine Auseinandersetzung mit der Textlinguistik im übersetzungsanalytischen Kontext. Dabei soll es weniger um die Textualitätsdiskussion im engeren Sinn gehen – was macht einen Text aus?41 – , sondern vielmehr um die Frage, ob und inwiefern textlinguistische Kriterien als Leitlinien für ein übersetzungsanalytisches Instrumentarium geeignet sind. Die Texttheorie von Beaugrande und Dressler ist den kognitivistischen Ansätzen der Textlinguistik verpflichtet.42 Ihr zufolge stellt ein Text das Ergebnis von kommunikativen Prozessen dar, in denen Wissen produziert und verarbeitet wird (sog. prozeduraler Ansatz). Ein Text wird von sieben Kriterien bestimmt, die gleichzeitig erfüllt sein müssen: Die »textzentrierten« Dimensionen Kohäsion und Kohärenz bestimmen jeweils, was den Text zusammenhält und wie die Textzusammenhänge strukturiert sind. Hierbei ist Kohäsion als grammatisch-lexikalische Verbindung an der Textoberfläche aufzu38 39

40

41 42

Vgl. auch Nikula (2000), 844 f. Man denke hierbei an Manfred Fuhrmann, der im Laufe seiner eigenen Übersetzungstätigkeit verschiedentlich auf (text-)linguistische Ansätze Bezug nahm, etwa in dem Aufsatz Die gute Übersetzung. Was zeichnet sie aus, und gehört sie zum Pensum des altsprachlichen Unterrichts?, der in Kitzbichler/Lubitz/Mindt (2009b), 473–491, neu gedruckt wurde. Zu den übersetzungstheoretischen Hintergründen von Fuhrmann vgl. Mindt (2008), bes. 67–78; Kitzbichler/Lubitz/Mindt (2009a), 336–342. Siehe auch oben S. 362. Beaugrande/Dressler (1981), 1–14, und die jeweils die Begriffe erläuternden Einzelkapitel. – Zur Kritik an der Heterogenität der sieben Kriterien s. Vater (1992), 31–66; Adamzik (2004), 50–58; dass die Heterogenität auch der Komplexität der Kommunikation zwischen Autor und Leser geschuldet ist, vermerkt Averintseva-Klisch (2013), 4–6. Zur Problematik des Begriffes »Text« s. Adamzik (2004), 30–48. Zu den kognitiven Methoden der Textbeschreibung vgl. Heinemann/Heinemann (2002), 90–95.

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fassen; dies kann durch Wiederholungs- und Verdichtungsmuster (Rekurrenzen, Rückverweise, Pro-Formen) und textstrukturierende Konnexion (Konjunktionen, Tempus- und Aspektgebrauch) realisiert werden. Mit Kohärenz ist wiederum der semantisch-pragmatische Sinnzusammenhang gemeint, der dem Text zugrunde liegt und zuweilen auch ohne kohäsive Mittel zustande kommen kann.43 Die übrigen Kriterien beziehen den pragmatischen Kontext der Kommunikation mit ein und werden daher als »verwenderzentriert« bezeichnet. Intentionalität betrifft textlinguistisch gesehen das gezielte sprachliche Handeln des Textproduzenten und steht in engem Zusammenhang mit dem Begriff der Sprachhandlung (vgl. Sprechakttheorie). Unter dem Begriff Intentionalität sind also alle Mittel zu verstehen, die der Textproduzent verwendet, um seine Intention zu verwirklichen. Akzeptabilität gilt als komplementäre Entsprechung zum vorherigen Begriff und bezeichnet die aktive Rezeptionshaltung des Textrezipienten. Im Fall ungenügender Kohäsions- und Kohärenzrealisierung sollte der Rezipient dem Text eine gewisse Toleranz entgegenbringen oder eigenes Wissen aktivieren, um die Kohärenz selbst zu (re)konstruieren. Andererseits muss der Textproduzent mit den Einstellungen des Rezipienten rechnen können, um seinen Text effizient zu gestalten. Der Aspekt der Grammatikalität darf hierbei nicht überbewertet werden: Er ist nur einer von mehreren zusammenwirkenden Faktoren, die die Akzeptabilität beeinflussen. Informativität meint die Informationsverteilung innerhalb des Textes, den Ausgleich »der Erwartetheit bzw. Unerwartetheit oder Bekanntheit bzw. Unbekanntheit/Ungewissheit«44 der verschiedenen Textelemente und der von ihnen vermittelten Inhalte. Bei literarischen Texten bezieht sich Informativität auch auf die künstlerische Form (Rhythmus, Lautstrukturen usw.). Auch hier ist die Haltung des Textverwenders von Relevanz, der zum Zweck der Verarbeitung Information und die sie steuernden sprachlichen Mittel bewerten muss. Situationalität steht im engen Zusammenhang mit den Rede- und Schreibkonstellationen und umfasst alle die (örtlichen, zeitlichen, literaturgeschichtlichen usw.) Faktoren, die einen Text für eine Kommunikationssituation relevant machen, von deiktischen Ausdrücken bis zu soziolinguistischen Varietäten. Intertextualität meint bei Beaugrande/Dressler die Bezogenheit eines Textes auf jeweilige Textsorten und auf andere Texte. Manche Linguisten haben diesen Begriff deshalb ausdifferenziert in referentielle Intertextualität (Beziehungen zwischen einzelnen Texten, wie z. B. bei Parodien, Zitaten etc.) und typologische Intertextualität (strukturelle und funktionale Beziehungen des Textes zu Textmustern).45 Unter den Kriterien von Beaugrande/Dressler stellt die Textdimension Kohärenz das offensichtlich dominierende Textualitätskriterium dar, welches von kohäsiven und 43

44 45

Die Plausibilität der Unterscheidung zwischen Kohäsion und Kohärenz wurde in der textlinguistischen Forschung intensiv diskutiert, wobei etliche Forscher für eine weite Auffassung der Textdimension Kohärenz als eines grammatisch-lexikalischen (= Kohäsion) und inhaltlich-pragmatischen Textzusammenhanges plädieren (exemplarisch hierfür Adamzik [2004], 58). Vgl. Beaugrande/Dressler (1981), 10. Vgl. Holthuis (1993); Linke/Nussbaumer (1997); Fix (2000).

Reflexionen über ein mögliches Instrumentarium

kommunikativen Mitteln unterstützt werden kann, wodurch es bereits an die Grenze zu den »verwenderzentrierten« Kriterien rückt. Ohne inhaltliche Sinnzusammenhänge kann kein Text zu Stande kommen. Für die Erschließung komplexer oder versteckter Kohärenzrelationen kann allerdings aktive Mitwirkung des Rezipienten nötig sein. Eine Auffassung von Kohärenz als semantischem und pragmatischem Sinnzusammenhang des Textes, der vom Rezipienten durch logische Relationen und eigene Wissensbezüge und unter Berücksichtigung der textuellen sprachlichen Hinweise (= Kohäsion) konstruiert wird, erweist sich hierbei als neutraler Orientierungspunkt gegenüber den stärker psycho-kognitiven Definitionen von Beaugrande/Dressler46. § 4 Textualität und kommunikativer Kontext in der Übersetzungsanalyse Die Klassifikation von Beaugrande/Dressler wurde zwar verschiedentlich kritisiert,47 dennoch eignet sie sich als Grundlage für die Übersetzungsanalyse,48 weil sie sich mit den unten (§ 7) dargestellten Parametern eines potentiellen Instrumentariums analogisieren lässt. Die »textzentrierten Kriterien« – Kohäsion und Kohärenz – entsprechen hierbei der Kategorie »Textgestalt«49 (s. unten § 7, Punkt 6). Die »verwenderzentrierten« Kriterien – Intentionalität, Akzeptabilität, Informativität, Situationalität, Intertextualität – können, über ihre sprachlichen Auswirkungen hinaus, als Paradigmen für die pragmatischen Felder eines zu erstellenden Kriterienkataloges aufgefasst werden. In der Auseinandersetzung mit den Kriterien von Beaugrande/Dressler war bislang die Frage außer Acht geblieben, ob sie sich auf einen Originaltext oder auf eine Übersetzung beziehen. Diese Unterscheidung ist nicht marginal, denn schon beim impliziten Wissen, das man für die Textrezeption braucht, zeigt sich eine deutliche Differenz zwischen antikem und modernem Leser. Es ist daher notwendig, die textlinguistischen Kriterien in einen erweiterten kommunikativen Kontext zu stellen, in dem Ausgangstext und Zieltext als getrennte Größen betrachtet werden. Dem dienen die von Franziska Münzberg auf der Grundlage von Karl Bühlers Organon-Modell sprachlicher Kommunikation entworfenen Graphiken zur Veranschaulichung unterschiedlicher Übersetzungskonzepte, die wir dankbar übernehmen. Laut Bühlers bekannter These können sprachliche Zeichen drei Funktionen besitzen: in Bezug auf Gegenstände und Sachverhalte die Funktion der Darstellung; in Bezug auf den Sender die des Ausdrucks; in Bezug auf den Empfänger die des Appells

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49

Vgl. Beaugrande/Dressler (1981), 88–117. S. oben Anm. 40. Als ein unverdächtiger Beleg für die Relevanz der Beaugrande/Dressler-Kriterien kann gelten, dass auch in dem aus ganz anderen Zusammenhängen stammenden Band von Hatim/Mason (1997), 21, unter den »standards and domains of textuality« als wichtigste aufgezählt werden: »cohesion, coherence, intertextuality, intentionality, situationality«. Vgl. das Kapitel »Sprachliche Gestalt« in Adamzik (2004), 138–159.

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(s. Abb. 1).50 Es ist klar, dass Übersetzungen nicht unmittelbar mit diesem zur Analyse einfacher Kommunikation entwickelten Modell erfasst werden können. Wenn allerdings ein »antiker Autor in Übersetzung« gelesen wird, so entsteht allein schon durch diese geläufige Ausdrucksweise, verstärkt aber auch durch die traditionelle Präsentationsweise, die normalerweise den Autornamen auf dem Buchtitel hervorhebt und den Namen des Übersetzers kleingedruckt ins Buchinnere setzt, der Eindruck, der Autor kommuniziere, wie sehr auch immer gefiltert durch den Übersetzer, doch auch mit diesem gleichsam verschmolzen,51 auf unmittelbare Weise mit dem modernen Leser.

Abb. 1

50

51

Münzberg (2003), 61 (= Bühler [1982], 28). – Der entsprechende Abschnitt lautet bei Bühler (1982), 28: Ein Zeichen »ist Symbol kraft seiner Zuordnung zu Gegenständen und Sachverhalten, Symptom (Anzeichen, Indicium) kraft seiner Abhängigkeit vom Sender, dessen Innerlichkeit es ausdrückt, und Signal kraft seines Appells an den Hörer, dessen äußeres oder inneres Verhalten es steuert wie andere Verkehrszeichen. Dies Organon-Modell mit seinen drei weitgehend unabhängigen variablen Sinnbezügen steht vollständig, wie es ausgeführt werden muß, zum erstenmal in meiner Arbeit über den Satz (1918), der mit den Worten beginnt: ›Dreifach ist die Leistung der menschlichen Sprache, Kundgabe, Auslösung und Darstellung‹. Heute bevorzuge ich die Termini: Ausdruck, Appell und Darstellung.« Die Problematik der Relation von Autor und Übersetzer bezüglich der »Entität« Übersetzung – wer ist eigentlich »Autor« der Übersetzung? – schlägt sich auch in uneinheitlicher Erfassung bei der Katalogisierung von Bibliotheksbeständen nieder. Abgesehen vom Wirrwarr in den bestehenden Katalogen ist die Problematik auch in den Regelwerken zur Katalogisierung fassbar. Im Regelwerk des Regensburger Kataloges von 2007 (http://d-nb.info/986402338/34 [Zugriff: 30.9.2014]) ist in § 19 der Übersetzer getrennt vom Verfasser genannt: in einer Kategorie, zu der außerdem »Mitarbeiter, Bearbeiter, Herausgeber, Redakteure, Übersetzer, Illustratoren, Kommentatoren, Verfasser von Vorund Nachworten, Anreger, Auftraggeber, Förderer, Kongreßveranstalter usw.« gehören. In der in Entwicklung befindlichen neuen Systematik (Ressource Description and Access/RDA) findet sich in der mit den zu einer Ressource in Beziehung stehenden Personen der »translator« nur in einer Schar von Personal zwischen dem »transcriber« und dem »visual effects provider« erwähnt, ohne dass der schöpferischen Leistung durch eine privilegierte Nähe zum »creator« Rechnung getragen wäre (https://wiki.dnb.de/download/attachments/94676199/AnhangI_Arbeitshilfe_20150612.pdf ?version =1&modificationDate=1434361634000&api=v2 [Zugriff: 18.6.2015]).

Reflexionen über ein mögliches Instrumentarium

Münzberg (S. 137) veranschaulicht diese Vermengung der Verfasserschaft von Ausgangstext und Zieltext treffend in untenstehender Graphik (Abb. 2).

Abb. 2

Um diese verwirrende Situation zu entzerren, muss man nun konsequent das Bühler’sche Organon-Modell verdoppeln und erhält zur kommunikativen Triade AutorAusgangstext-Ausgangstextleser die parallele Triade Übersetzer-Zieltext-Zieltextleser. Münzberg fasst dann in ihrem Modell die Übersetzung als zielsprachiges »Informationsangebot« über das »Informationsangebot« des Ausgangstextes.52 Der Übersetzer gibt in der eigenen übersetzerischen »Darstellung«53 seine Interpretation bezüglich des Sinns (Gegenstände und Sachverhalte), der Wirkung (Appell) und der Form (Ausdruck) des Ausgangstextes wieder. Übersetzungen und Übersetzungstheorien unterscheiden sich dann darin, wie sie das Verhältnis dieser beiden Triaden ansetzen und welche Text-Funktionen sie bei Übersetzungen privilegieren. Dies gilt für Übersetzungen in der Praxis, für Übersetzungstheorien in Beschreibung und Analyse. Münzberg stellt auf höchst instruktive Weise unterschiedliche Lösungsansätze seit dem 18. Jahrhundert vor, und aus der Fülle von Möglichkeiten erwies sich in unserer projektinternen Diskussion im Hinblick auf die eigenen Erfahrungen im Umgang mit Übersetzungen antiker Texte das untenstehende Modell (Abb. 3) als besonders erhellend, mit dem Münzberg (S. 79) den Ansatz von Reiß/Vermeer (genauer: deren Regel 2, s. oben § 1) veranschaulicht. Übersetzung wird hier verstanden als ein umfassendes Informationsangebot über den Ausgangstext in seiner gesamten kommunikativen und kulturellen Einbettung.54 Die breite Klammer in der Abbildung soll 52 53 54

Münzberg (2003), 68. Den Begriff »Information« bezüglich der Übersetzung übernimmt Münzberg wiederum von Reiß/Vermeer (1991). Bühler (1982) hebt diesen Begriff dadurch als zentral hervor, dass er ihn im Untertitel zur Charakterisierung des gesamten Buches verwendet: »Die Darstellungsfunktion der Sprache«. Allein in Popovič (2006), 45 und 146, finden sich Schemata, die die kommunikativen Triaden für »autore – prototesto – lettore del prototesto« und »traduttore – metatesto [= Übersetzung] – lettore del metatesto« ebenso systematisch benennen und unterscheiden.

Thomas Poiss, Josefine Kitzbichler, Enrica Fantino

dabei ausdrücken, dass es die Darstellungsfunktion der Übersetzung ist, alle drei TextFunktionen des Ausgangstextes – wie summarisch auch immer – zu erfassen. Zur Präzisierung sei aber hinzugefügt, dass diese Deutung von Regel 2 des Reiß/VermeerModells von Übersetzungen keineswegs bedeutet, dass wir Übersetzung auch im Sinn von Reiß/Vermeers Regel 3 (s. oben § 1) als »Imitation« verstehen. Vielmehr wird von uns die Relation zwischen den beiden Triaden als reziprok-konstruktive im Sinne einer »allelopoetischen«55 Transformation gedeutet. Im Vorausblick auf die von uns vorgeschlagene Typologie der Übersetzung (s. unten § 9) sei auch festgehalten, dass sich Übersetzungen signifikant dadurch voneinander unterscheiden, inwieweit sie die Distanz und wechselseitige Spannung zwischen den beiden kommunikativen Triaden betonen oder diese zu überspielen suchen.

Abb. 3

Bei der Textdimension Kohärenz (im Verbund mit Informativität und Akzeptabilität) sind die Auswirkungen dieser kommunikativen Verdoppelung besonders deutlich: Außersprachliche Wissensbezüge können für den Ursprungskontext transparent oder gar trivial sein (z. B. lebensweltlich-kulturelle Informationen bezüglich Kalender, Landwirtschaft, Topographie des Nahbereiches, Kultpraxis, etc.), während solches für Rezipienten des Ausgangstextes gegebene Alltagswissen für den Übersetzer und sein Publikum erst von Spezialisten erschlossen werden muss. Man denke etwa an Pindars Lyrik: Hier entsteht Kohärenz nur mit Hilfe historischer Kenntnisse, durch Vertraut-

55

Zur »Allelopoiese« s. unten S. 379 f.

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heit mit literarischer Topik und indem die soziale Funktion dieser Dichtung (zumindest ansatzweise) vergegenwärtigt wird.56 Die Übersetzungsanalyse hat daher zu überprüfen, ob und wie die inhaltlichen Sinnzusammenhänge und die »Textwelten«57 des Ausgangstextes, die sich der Rezipient ja nur anhand der Übersetzung vor Augen rufen kann, in dem Zieltext (und dessen Präsentation) dargestellt werden (Darstellung der AT-Kohärenz im ZT). Darüber hinaus muss man bei der Analyse auf die Wiedergabe des mehr oder minder deutlich markierten sprachlichen Ausgangtext-Gewebes in der Übersetzung achten (Darstellung der sprachlichen AT-Kohäsionsmittel im ZT). Dafür kann das Inventarium der kohäsiven Mittel von Beaugrande/Dressler58 übernommen und ansatzweise integriert werden (vgl. unten § 7, Punkt 6b). Noch komplexer ist die Behandlung der sogenannten »verwenderzentrierten« Kriterien, die in zweierlei Hinsicht betrachtet werden sollen. In textinternem Bezug können sie, ähnlich wie die Kohäsionsmittel, relativ gut unmittelbar für den Bereich der Übersetzungsanalyse geltend gemacht werden, weil sie sich gesondert für Original und Übersetzung untersuchen lassen: So sind etwa für die Textdimensionen Intentionalität und Akzeptabilität Präsuppositionen und Sprechakte59 zu beachten, die z. B. sprachlich markiert werden durch Partikelgebrauch, Setzung von Tempus, Genus und Modus, Wortstellung (= Darstellung der sprachlichen AT-Intentionalitäts- bzw. ATAkzeptabilitätsindikatoren im ZT). Bei der Textdimension Situationalität ist zu betrachten, wie der Übersetzer mit dem »hic et nunc« des Ausgangstextes, das sich z. B. in (text)deiktischen Elementen manifestiert,60 umgeht; auch die Untersuchung der Darstellung von Dialekten, Soziolekten, Stilebenen usw. des Originals gehört hierher (= Darstellung der sprachlichen AT-Situationalitätsindikatoren im ZT).61 Die Textdimension Informativität schließlich ist eng verknüpft mit der Problematik von Wortstellung und Mitteilungsperspektive innerhalb des Satzes und macht die Informationsverteilung zu einer übersetzungsrelevanten Dimension (Darstellung der AT-Informationstruktur62 im ZT).

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Eine paradigmatische Rekonstruktion des Zusammenhangs von Lied und Fest bei Krummen (1990). Eine pragmatische Lesart Pindars ist Grundlage der Pindar-Interpretation der sog. Schule von Urbino, manifest in den kommentierten Editionen von Bruno Gentili und seinen Mitarbeitern (Le Pitiche, Mailand 1995, und Le Olimpiche, Mailand 2013). Beaugrande/Dressler (1981), 88. Vgl. Beaugrande/Dressler (1981), 50–87. Zur Darstellung von Präsuppositionen und Sprechakten beim Übersetzen vgl. Albrecht (2005), 198– 215. Zur Textdeixis vgl. Redder (2000), 283–294. Zur methodischen Spannbreite der Soziolinguistik vgl. das dreibändige Handbuch von Ammon et al. (2004/2005/2006). Diesen Terminus übernehmen wir aus Studien des Sonderforschungsbereichs 632 »Informationsstruktur. Die sprachlichen Mittel der Gliederung von Äußerung, Satz und Text«; vgl. Krifka (2007) und Petrova/Solf (2009). Für Anregungen und Auskünfte zu dieser hochkomplexen Thematik danken wir Svetlana Petrova.

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Dieselben Textdimensionen – Intentionalität, Akzeptabilität, Situationalität, Informativität – können dann im textexternen Bezug als Stichwörter für die Untersuchung der pragmatischen Felder im Rahmen eines übersetzungsanalytischen Instrumentariums gelten. Die Kriterien Situationalität und Informativität beziehen sich hierbei auf den literaturgeschichtlichen Standort jeweils des Ausgangs- und des Zieltextes (Darstellung der pragmatischen Bedingungen für die AT-Situationalität und ATInformativität im ZT). Die Intentionalität gilt getrennt für die Parameter »Autor« und »Übersetzer« (Darstellung der pragmatischen Bedingungen für die ATIntentionalität durch den ZT). Auch die Akzeptabilität kann für ursprüngliches und modernes Publikum (bzw. rezeptionsgeschichtlich gesehen: für unterschiedliche Gruppen von Zieltextlesern) stark variieren (Darstellung der pragmatischen Bedingungen für die AT-Akzeptabilität im ZT). Die Textdimension Intertextualität in ihrer Überlappung von textinternen und -externen Bezügen stellt sowohl für die Ausgangs- als auch für die Zielliteratur eine besondere Herausforderung dar; sie muss daher gesondert behandelt werden (Darstellung der intertextuellen Referenzen des AT im ZT)63. § 5 Anwendungsmöglichkeiten der Textlinguistik Zur Weiterentwicklung des textlinguistischen Ansatzes hin zu einem möglichen systematischen übersetzungsanalytischen Instrumentarium kann insbesondere die Arbeit von Acartürk-Höß (2010) wichtige Anhaltspunkte liefern. Als Metarahmen für ihr als »intersubjektiv nachvollziehbar«64 konzipiertes Modell der Übersetzungskritik lyrischer Dichtung65 übernimmt Acartürk-Höß die Grundthese der Generativen Grammatik von Chomsky. Nach dieser werden die universellen Prinzipien, die allen Sprachen zugrunde liegen (»Universal Grammar«66), durch verschiedene Erscheinungsformen in jeder einzelnen Sprache als Parameter mit unterschiedlichen Werten realisiert. Dasselbe gilt, so Acartürk-Höß, für die Prinzipien, die jeder (Gedicht-)Übersetzung zugrunde liegen: Sie werden innerhalb der einzelnen Übersetzungen in verschiedener Form zu Parametern mit unterschiedlicher Gewichtung. Diese Prinzipien – die Acartürk-Höß gemäß der in der kommunikationstheoretischen Sprachwissenschaft gängigen Unterscheidung in »kotextuelle« und »kontextuelle« unterteilt – sind wiederum

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Zur Übersetzung intertextueller Referenzen vgl. Schultze (2004). Acartürk-Höß (2010), 28. Die Verfasserin erprobt ihr Modell auf der Grundlage deutscher Übersetzungen des Gedichts If I could tell you von Wystan Hugh Auden; vgl. Acartürk-Höß (2010), 178−286. »The principles and parameters approach aims to reduce descriptive statements to two categories: language-invariant, and language-particular. The language-invariant statements are principles (including the parameters, each on a par with a principle of Universal Grammar); the language-particular ones are specifications of particular values of parameters.« Chomsky/Lasnik (1993), zit. n. AcartürkHöß (2010), 103.

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auf verschiedenen abstrakten Ebenen angesiedelt,67 denen dann konkrete, am Duktus der Übersetzung feststellbare Parameter zugeordnet werden. Dieser Prozess wird durch ein »Parameter-Gitter«68 erfassbar gemacht, welches den Überschneidungen Rechnung trägt, die sich zwischen einzelnen Parametern und Prinzipien notwendigerweise ergeben. Der Übersetzungsanalytiker identifiziert in diesem Modell zunächst die Parameter, die den Originaltext konstituieren, und verortet sie am besagten Gitter; erst dann analysiert er die Verschiebungen, die im Übersetzungsvorgang selbst entstanden sind (die Verfasserin spricht von translation shifts 69). Mit Hilfe eines solchen Parameter-Gitters, welches unter Berücksichtigung der unterschiedlichen sprachwissenschaftlichen Teilgebiete ausgearbeitet wird, möchte die Verfasserin eine Alternative zum normativen Charakter der bisherigen Übersetzungskritik bieten und zugleich auch die notorische Unschärfe vermeiden, mit der Übersetzungen bislang bewertet wurden. Das Hauptanliegen des Modells liegt also in der »Verwissenschaftlichung« der Untersuchung durch feinteilige Analyse-Kategorien, die wiederum der Darstellung von Übersetzungen »im Spannungsfeld zwischen der Wiedergabe des Originals und den Momenten der Neuschöpfung«70 dienen sollen. Diesem Modell ist u. a. das Verdienst anzurechnen, auch die Betrachtung der literaturgeschichtlichen Konstellationen, aus denen der Zieltext hervorgeht, als unerlässliche Mitbedingung der Übersetzungsanalyse prinzipiell herausgestellt zu haben. Was wir jedoch an diesem Modell vermissen, ist die tatsächliche Berücksichtigung der kommunikativen und kulturellen Unterschiede zwischen Ausgangstext und Zieltext, bzw. der komplexen »Verdoppelung«, die das Original in der Übersetzung erfährt (was oben als Spezifikum des Übersetzungsmodells von Münzberg erklärt wurde): Der kulturwissenschaftlich aufgespannte Rah-

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Man betrachte beispielsweise die »sprachlichen Aspekte der Alterität«, die zu den kotextuellen Prinzipien gehören und sich auf verschiedenen Ebenen – visueller, phonologischer, syntaktischer, semantischer, pragmatischer, textlinguistischer, soziolinguistischer – als Texteigenschaften parametrisieren lassen, z. B. auf der syntaktischen Ebene: Syntaktische Strukturen (Deklarative, Imperative, Interrogative, Aktiv, Passiv, Hypotaxe, Parataxe, Asyndeton, Polysyndeton …), syntaktische Ambiguitäten, syntaktische Figuren (Anapher, Epanalepse/Anadiplose, Epipher, Kyklos, Chiasmus, Hyperbaton, Parallelismus, Antimetabole, Ellipse, Syllepse …). Vgl. hierzu Acartürk-Höß (2010), 122−136. S. unten Appendix, S. 395. Der Begriff shift wurde bereits zu Beginn der sprachwissenschaftlichen Übersetzungsforschung aufgegriffen: Der strukturalistische Übersetzungsforscher Anton Popovič wendete ihn für die Beschreibung der semantischen und stilistischen Verschiebungen an, die sich während des übersetzerischen Prozesses ergeben (shifts of expression). Die shifts können objektiv feststellbar sein, wenn sie aus den strukturellen Unterschieden der Sprachen resultieren; sie unterliegen aber auch subjektiven Faktoren (wie beispielsweise dem Übersetzungsverständnis des Übersetzers und seinen philologischen, literarischen u. a. Positionen). Die subjektiven shifts werden insoweit positiv von Popovič bewertet, als sie die Übersetzungspoetik des Übersetzers charakterisieren. Wie die Beschreibung dieser shifts konkret auszusehen hat, wird von Popovič indessen nicht erläutert. Vgl. Popovič (1970) und (1977). Zu Popovičs Auffassung der shifts of expression vgl. zudem Prunč (2007), 215–217. Acartürk-Höß (2010), 30.

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men wird der Mikroanalyse explizit untergeordnet.71 Die Notwendigkeit einer solchen Ausdifferenzierung der kulturellen Kontexte ist freilich im Fall der Übersetzung antiker Texte besonders brisant und zeigt sich schon an einfachen Beispielen. Man denke etwa an den Anspielungsreichtum der Aristophanischen Komödie72 und generell an Wissensbestände, die dem antiken Leser – im Unterschied zum Leser der Übersetzung – vertraut waren (s. oben S. 374 f.). Freilich ist die Vergegenwärtigung der ausgangsseitigen Rezeptionskontexte auch für die Analyse von Übersetzungen aus modernen Sprachen von grundlegender Bedeutung, wenngleich meist leichter zu gewinnen. Eine textlinguistisch orientierte Analyse, so ergibt sich aus dem Gesagten, vermag die Textstruktur transparent zu machen und kann dadurch eine Art »Leitfaden« für die Übersetzungsanalyse abgeben. So kann die Überprüfung der Textdimensionen Kohäsion und Kohärenz als Einstieg in die sprachvergleichende Untersuchung dienen. Wichtig ist es zunächst, die thematische Textentfaltung bzw. den semantischpragmatischen Textzusammenhang zu verdeutlichen, und dies sowohl von Satz zu Satz als auch – zumindest exemplarisch – auf der makrostrukturellen Ebene. Die Aufmerksamkeit richtet sich hierbei auf die Bereiche der Textgrammatik, Textsemantik und Textpragmatik. In diesem Sinne soll etwa analysiert werden, wie sich der Text durch die verwendeten syntaktischen Mittel aufbaut; wie die semantischen Informationen strukturiert und in die gesamte Textstruktur verteilt werden; wie sich die einzelnen Textteile in den jeweiligen kommunikativen Kontext einbetten lassen. Solch ein Vorgehen scheint auf den ersten Blick sehr umständlich, es erweist sich jedoch als zuverlässige Methode, um die drei Schadewaldt-Kriterien zu überprüfen, die den Ausgangspunkt unserer Überlegungen bildeten. Die Untersuchung des Textganzen auf der Makroebene deckt sich weitgehend mit der Forderung nach Überprüfung der »materiellen« Vollständigkeit (Sw1). Die textlinguistische Erfassung der semantischsyntaktischen Textstruktur ermöglicht dem Übersetzungsanalytiker eine Stellungnahme zur Frage der Reihenfolge von Wörtern und Vorstellungen (Sw3, textlinguistisch: »Informativität« bzw. »Informationsstruktur«) und zur Bildlichkeit (Sw2, als linguistischem Bereich der Textsemantik, z. B. »semantische Rekurrenz«). Allerdings erweist es sich bei der Arbeit an konkreten Texten, dass ein textlinguistischer, konsequent bis auf das kleinste Detail hin durchgeführter Vergleich stets ein Unterfangen zu werden droht, das allein schon an der schieren Datenfülle scheitert. Innerhalb einer strikten Mikroanalyse aber (z. B. für Übersetzungen, die einem »ästhetisch-kognitiven« Darstellungsprinzip folgen, s. unten § 9) und in Abhängigkeit vom jeweiligen Ausgangstext kann man die textlinguistische Analyse an einer bestimmten Fragestellung orientieren und sie auf einzelne Aspekte (z. B. Pro-Formen, Tempusgebrauch, Konnektoren u. a.) und auf entscheidende Textpassagen einschränken. Seine 71

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Acartürk-Höß (2010), 93: »Prozeß-orientierte Fragestellungen, wie etwa die Rekonstruktion der Übersetzugskonzeption des Übersetzers oder auch die Beschreibung einzelner Schritte des Übersetzungsvorganges rücken damit in den Hintergrund. Auch Fragen nach der Funktion der Übersetzung stehen nicht im Zentrum des Erkentnisinteresses. Im Fokus dagegen befindet sich eine detaillierte Beschreibung der Ähnlichkeitsbeziehung zwischen den beiden Texten in ihrem weiteren Kontext.« Zur Übersetzungsproblematik und -geschichte des Aristophanes vgl. Kitzbichler (2014), 43−52.

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Stärke erweist der textlinguistische Apparat insbesondere bei der Überprüfung heikler und interpretationsrelevanter Einzelstellen, gleichsam als Lupe oder Mikroskop für die philologisch genaue Übersetzungsanalyse. § 6 Zur Frage der Normativität Eine weitere Grundfrage der Übersetzungsanalyse ist schließlich zu bedenken. Versucht man ein übersetzungsanalytisches Modell zu entwickeln, dann muss man sich – auch wenn ausdrücklich keine »normative«, sondern eine »historisch-deskriptive« Übersetzungsanalyse angestrebt wird – dem Problem der Normativität stellen. Es ist wohl nicht zu bezweifeln, dass Übersetzungen »falsch« sein können; schwerer zu bestimmen ist jedoch, was eine »richtige« oder gar eine »gute« Übersetzung ist. Wodurch kann sich eigentlich eine Übersetzung als richtig oder falsch, gut oder schlecht erweisen? Lassen sich, wie von der Translatologie gefordert, überhaupt objektive und sachliche Kriterien für die Übersetzungsanalyse gewinnen, oder liegt am Ende nicht doch alles im Ermessen des Übersetzungsanalytikers? In diesem heiklen Punkt hat sich das im Sonderforschungsbereich 644 entwickelte Konzept der »Transformation« als tragfähig erwiesen.73 Unter Transformationen werden hier »Prozesse, Ereignisse und Kontingenzen des historischen Wandels«74 verstanden, wobei die Vergangenheit nicht als »Arsenal fragloser Faktizitäten« begriffen wird: Vielmehr wird die Vergangenheit erst im Effekt ihrer Transformation gebildet, modelliert, verändert, angereichert, aber auch negiert, verfemt, vergessen oder zerstört.75

Wesentlich ist, dass die Wirkung solcher Transformationsprozesse nicht nur auf den eigentlichen historischen Gegenstand gerichtet ist, sondern stets auch auf die Aufnahmekultur, dergestalt, dass Transformationen der Vergangenheit zugleich immer der »Selbstbeschreibung der jeweiligen Rezipientenkultur«76 dienen: Im Effekt entstehen dabei zugleich eine Antike und eine kulturelle Identität, welche sich in Referenz auf eben diese Antike konstituiert.77

Für diese doppelte Ausrichtung von Transformationen wurde im SFB 644 der Begriff der »Allelopoiese«, also der »doppelten Hervorbringung«, geprägt. Transformationen vollziehen sich immer sowohl als Rekonstruktionen der Vergangenheit, »wie sie wirklich war«, als auch als deren kreative Neudeutung, sie sind zugleich interpretatio historica und interpretatio moderna. Beide Wirkungsweisen sind aneinander gekoppelt,

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Zum Konzept der Transformation vgl. vor allem den Band von Böhme et al. (2011), darin die einleitenden theoretisch-methodischen Beiträge von Böhme (7–37) und von Bergemann et al. (39–56). Böhme (2011), 10. Böhme (2011), 8. Böhme (2011), 9. Böhme (2011), 15. – S. auch oben § 1.

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allerdings kann im Einzelfall – abhängig vom Gegenstand und von den Kontexten – der Akzent stärker auf der einen oder auf der anderen Seite liegen.78 Dieses Konzept der Transformation lässt sich auf Übersetzungen unmittelbar anwenden:79 In einem Prozess sprachlicher Transformation wird hier aus einem Ausgangstext ein Zieltext generiert. Dabei ist eine besonders enge Rückbindung an den zugrundeliegenden Ausgangstext konstitutiv, also ein Vorrang des Rekonstruierens vor dem Neudeuten und Neuschaffen – eben darin unterscheiden sich Übersetzungen von anderen Formen literarischer Transformation, etwa von freien Adaptionen antiker Stoffe. Tatsächlich ist es sogar so, dass ein großer Teil der Leser Übersetzungen als Substitut für das Original verwendet und so – sei es stillschweigend, sei es in bewusster Entscheidung − eine Identität zwischen Ausgangs- und Zieltext voraussetzt. Damit korrespondiert, dass die Intention von Übersetzern in aller Regel auf eine »richtige« interpretatio historica gerichtet ist: Es soll, in der Formulierung Schadewaldts, übersetzt werden, »was dasteht und so wie es dasteht«. Aber natürlich lässt sich die Frage, »was dasteht« und »wie es dasteht«, nicht ohne weiteres und ein für alle Mal beantworten. Ein Ausgangstext kann eine Vielzahl abweichender, einander teilweise sogar widersprechender Übersetzungen nach sich ziehen, die doch alle Gültigkeit beanspruchen. Die Problematik dieser Forderung, ihre Unerfüllbarkeit und zugleich das in ihr liegende Potenzial haben die Romantiker zuerst erkannt und auf die Formel von der »unendlichen Aufgabe des Übersetzens« gebracht.80 Ein funktionsfähiges Modell historisch-deskriptiver Übersetzungsanalyse darf daher nicht nur auf ein Urteil über »richtig« oder »falsch« hinauslaufen; es muss anwendbar sein auf so verschiedene Übersetzungen wie – um nur drei Beispiele herauszugreifen – die Odyssea des Simon Schaidenreisser aus dem Jahr 1537, die die humanistische Homer-Aneignung dokumentiert, aber nach heutigem Maßstab kaum mehr »Übersetzung« genannt werden würde, die Sophokles-Übersetzungen Hölderlins (1804), die trotz zahlreicher »Fehler«81 von literaturhistorischem Rang sind, oder die umstrittene, eklektizistisch modernisierende Ilias-Übersetzung von Raoul Schrott (2008). Dazu muss man zunächst die historisch zugrunde liegenden Normen in den Blick nehmen; dann gilt es, die Wirkung von Übersetzungen innerhalb der Zielkultur zu beachten, die sich zum Beispiel in der Sprachästhetik entfalten kann; weiterhin muss das Modell Werkzeuge für den makrostrukturellen und mikrostrukturellen Vergleich der Texte bereitstellen; und schließlich muss es auch die disziplinär bestimmte und interessengeleitete Perspektive des Übersetzungsanalytikers selbst, das eigene Text-

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Zur Frage von Geltungsansprüchen und »Adäquatheit« von Transformationen sowie von interpretatio historica bzw. moderna vgl. ausführlicher Böhme (2011), 18–21. Bergemann et al. (2011), 53, haben die Übersetzung als eigenen Transformationstypus gefasst (»Transformation, die die Inhalte aus einer Referenzkultur in eine Aufnahmekultur transponiert und damit unter veränderten Bedingungen rekombiniert.«). Dabei lag allerdings ein metaphorisch erweiterter Übersetzungsbegriff zugrunde, wohingegen wir ausschließlich die eigentliche, interlinguale Übersetzung betrachten. Vgl. auch § 11 zum Paradox der Übersetzungstheorie. Zu den tatsächlichen und vermeintlichen Fehlern in Hölderlins Übersetzung s. Anmerkung 97.

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verständnis und gewissermaßen die vorausgesetzte übersetzerische »Nullstufe« mit reflektieren. Unter diesen Prämissen soll nun im Folgenden der Entwurf eines möglichen Kataloges von Kriterien und eine Liste unterschiedlicher Übersetzungstypen und Übersetzungstechniken vorgelegt werden. § 7 Ein Kriterienkatalog (unter Einschluss der drei Maximen Schadewaldts) Geht man wie im oben skizzierten Modell Münzbergs (vgl. oben § 4, S. 371 ff.) davon aus, dass eine Übersetzung den Ausgangstext mitsamt seiner kommunikativen Einbettung in eine kulturell bedingte Situation in einer anderen Sprache und für eine andere Kultur darstellt, so wird man analog dazu von »Darstellungsmedium«, »Darstellungsziel« usw. sprechen. Dieser Sprachgebrauch bezieht sich einerseits auf die Verwendung des Begriffs der »Darstellung« im Zusammenhang von MimesisDiskussionen seit dem 18. Jahrhundert.82 »Darstellung« meint in diesem Sinne nicht die bloße mimetische Verdopplung des Originals im Abbild, sondern schließt auch Kreativität und Konstruktivität mit ein. Andererseits kann man damit an das Organon-Modell Bühlers und insbesondere an seine Anwendung auf Übersetzungen durch Münzberg anschließen, die zeigt, wie Bühlers Kommunikationsschema für Übersetzungen gewissermaßen zu verdoppeln ist, weil sowohl der Ausgangstext als auch der Zieltext von den Parametern literarischer Kommunikation bestimmt wird. Mit Blick auf die Übersetzungsanalyse ist es daher angebracht, neben den Hauptkonstituenten sprachlicher Kommunikation (Text, Autor, Leser, dargestellte Gegenstände bzw. Sachverhalte) für ein allgemeines Modell weitere Parameter in die Betrachtung einzubeziehen: (A) Ausgangstext (A1) Historische, literarische u. a. Kontexte (A2) Autor (A3) Rezipienten (A4) Darstellungszweck (A5) Ausgangssprache (A6) Textgestalt des Ausgangstextes (= AT) (B) Übersetzung (B1) Historische, literarische u. a. Kontexte (B2) Übersetzer (B3) Rezipienten (B4) Darstellungszweck (B5) Zielsprache (B6) Textgestalt der Übersetzung (= Zieltext, ZT)

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Münzberg (2003).

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Der folgende Kriterienkatalog ist also sowohl auf die ausgangs- als auch auf die zielsprachliche Seite zu beziehen. Er berücksichtigt einerseits unterschiedliche Kontexte von Ausgangstext und Übersetzung (Punkt 1–5), andererseits die Texte selbst mit ihrer editorischen und typographischen sowie ihrer sprachlichen Gestalt (Punkt 6), wobei vor allem letztere seit jeher im Fokus der Übersetzungsanalyse stand. Dies wird auch in jüngster Zeit noch deutlich in der im Anhang abgedruckten Liste von Acartürk-Höß: Der vorbildlich minutiösen Aufzählung der kotextuellen Faktoren steht allein ein summarischer Verweis auf die kontextuellen Faktoren von Übersetzungen gegenüber. Unsere Aufstellung versucht, dieses Verhältnis ausgewogener darzustellen, weil die jeweiligen kulturellen Kontexte gerade für das Verständnis von Übersetzung als Allelopoiese konstitutiv sind. Die oben aufgeführten Reihen A und B werden in der folgenden Liste allerdings nicht mechanisch parallelisiert; vielmehr werden die für die Übersetzungsrelation spezifischen Asymmetrien explizit herausgestellt. Es versteht sich von selbst, dass nicht jeder Punkt für jede Übersetzung gleiche Relevanz hat. Auch lassen sich manche Fragen schnell, andere nur mit großem Arbeitsaufwand beantworten. Zuletzt sei noch eine Klarstellung angefügt: Die drei Gesichtspunkte Schadewaldts erweisen erneut ihre Gültigkeit, allerdings eingebettet in den Rahmen einer umfassenden Beschreibung von Texteigenschaften. (1) Allgemeine Kontexte (1a) historisch, politisch, sozial, religiös, institutionell: Wie ist der Stand des Bildungswesens, des Verlagswesens, des Theaters u. a. Institutionen? In welcher historisch-politischen Situation sind Ausgangstext bzw. Übersetzung entstanden? Etc. (1b) literaturgeschichtlich: Wie ist das System literarischer Gattungen strukturiert? Welche poetischen Formen (z. B. Versformen) stehen zur Verfügung? Etc. (1c) übersetzungsgeschichtlich: Wie ist der Stand der Übersetzungsliteratur und der Übersetzungsdiskussion, generell und mit Blick auf den jeweiligen Autor bzw. Ausgangstext? Etc. (1d) theoretisch: Welche philosophischen, sprachtheoretischen, übersetzungstheoretischen Voraussetzungen liegen vor? Etc. (1e) rezeptionsgeschichtlich: Wie ist der Stand der Rezeption des jeweiligen Autors bzw. Ausgangstextes? Steht er innerhalb eines (z. B. literarischen oder curricularen) Kanons? Welche Rezeption erfährt die Übersetzung? In welchem Verhältnis steht die Übersetzung zu älteren Übersetzungen? Etc. (2) Autor und Übersetzer (2a) biographische Voraussetzungen: Welchen sozialen Hintergrund hat der Autor bzw. der Übersetzer? Welche (Aus-)Bildung? Wie sind seine philologischen und literarischen Kenntnisse einzuschätzen? Welchen (literarischen, politischen, wissenschaftsgeschichtlichen) Gruppen oder Strömungen lässt er sich zuordnen? Etc.

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(2b) literarisches, philologisches und übersetzerisches Profil: Hat sich der Autor bzw. Übersetzer in theoretischen oder autobiographischen Texten geäußert? Gibt es Paratexte, vor allem zur Übersetzung? Etc. (2c) Hilfsmittel: Welche Editionen, Lexika, Grammatiken standen dem Übersetzer zur Verfügung? Hat er ältere Übersetzungen benutzt? Etc. (2d) ökonomische Voraussetzungen: Ist der Ausgangstext bzw. die Übersetzung als Auftragsarbeit entstanden? Spielen finanzielle Zwänge eine Rolle? Etc. (3) Darstellungszweck (3a) Medium, Publikationsform: Ist der Ausgangstext bzw. die Übersetzung als Lesetext oder Bühnentext, für öffentliche Rezitation oder (bei Übersetzungen) als Hörspiel oder Hörbuch gedacht? Werden Ausgangstext bzw. Übersetzung im Buch, in einer Zeitschrift, im Internet publiziert? Etc. (3b) Wirkungsabsicht: Lassen sich politische, kulturpolitische, bildungspolitische, ästhetische Zwecke erkennen? An welche Rezipienten richtet sich der Ausgangstext bzw. die Übersetzung? Etc. (4) Rezipienten, Rezeption (4a) soziales Profil: Was lässt sich über Bildungshintergrund, Literatur- und Sprachkenntnisse der Rezipienten sagen? Etc. (4b) Interesse: Folgt die Rezeption bestimmten ästhetischen, professionellen oder politischen Interessen? Geschieht sie freiwillig (Zerstreuung) oder aus Pflicht (Schule)? Dient sie der Erkenntnis oder der sozialen Repräsentation? Etc. (4c) historischer Ort: Wie werden Ausgangstext bzw. Übersetzung zu verschiedenen Zeiten rezipiert? Etc. (4d) Wirkungsgeschichte: Gibt es Rezensionen? Wie erfolgreich war bzw. ist die Übersetzung auf dem Buchmarkt? Hat die Übersetzung kanonischen Status erlangt? Hat sie ältere Versionen verdrängt? Ist sie selbst von anderen Übersetzungen verdrängt worden? Etc. (5) Sprachenpaar (5a) übersetzungsrelevante Differenzen: Wie unterscheiden sich Ausgangs- und Zielsprache in ihrer morphologischen und syntaktischen Struktur (Wortbildung, Kasussystem, Tempusverwendung, Informationsverteilung etc.)? Etc.83 (5b) Kompensationsmöglichkeiten: Welche Ersatzformen bietet die Zielsprache? Wie flexibel ist die Zielsprache? Etc. (6) Text (6a) Präsentation des Textes α) Typographie und Layout (der Übersetzung): Gibt es Absatzgliederung, Versund Zeilenzählung? Wie wird im Drama die Sprecheraufteilung dargestellt? Etc.

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Zu verschiedenen Aspekten der Sprachtypologie des Griechischen vgl. u. a. Bakker (2009); Devine/Stephens (2000); Dik (2007); Dover (1960); Lühr (2008); Matić (2003); zum Lateinischen Devine/Stephens (2006); Kienpointner (2010); Spevak (2010).

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β) Beigaben: Werden Überschriften, Zwischentitel oder Regieanweisungen hinzugefügt? Welche Paratexte, Apparate, Kommentare, Glossare oder Indices sind beigegeben? Beziehen sich diese auf den Ausgangstext oder die Übersetzung? Gibt es Abbildungen? Etc. γ) einsprachig oder zweisprachig: Wird die Übersetzung zusammen mit dem Ausgangstext präsentiert? Im Konkordanzdruck oder hintereinander? Etc. (6b) Textgestalt 84 α) Phonetik/Phonologie/Graphemik: - Wie ist die Textgestalt, insbesondere in der Übersetzung? Welche Translitterierungen verwendet die Übersetzung, z. B. bei Eigennamen (z. B. »Ulysses«, »Odüßeus«)? Etc. β) Lexik, lexikalische Semantik: - Bildlichkeit (~ Sw2), Terminologie, Fachsprachen etc. - Wortbildung: Komposita, Ableitungen, Neologismen etc. - Onomastik: sprechende Namen, lexikalische Metaphorik etc. - Varietätenlinguistik: diatopische, diastratische, diaphasische Varietäten85 γ) Satzebene: - Abfolge der Wörter und Satzglieder: Informationskodierung und Mitteilungsperspektive86 (~ Sw 3) - Syntax/Morphosyntax: Tempusgebrauch, Modusgebrauch, Kasusgebrauch Partikeln und Konjunktionen etc. δ) Textebene: - Vollständigkeit der Übersetzung (~ Sw 1) - Mittel der sprachlichen Kohäsion: Isotopien; Wiederholung von Textelementen (Rekurrenz, Parallelismus, Paraphrase etc.); Verdichtungsmuster (Pro-Formen, Anaphora und Kataphora, Ellipse etc.); Signalisierungsrelationen (Tempus und Aspekt, Junktion, Modalität); Deixis und explizite Textverknüpfung/Metakommunikation; Textorganisatoren (Partikeln etc.) - Mittel der rhetorisch-poetischen Gestaltung: stilistische Register (Gattungsstil, Individualstil); Formulare (Hymnus; partes orationis; sog. Ringkomposition); Metrik/rhythmische Klauseln u. a. klangliche Merkmale; Formeln; idiomatische Wendungen; Kollokationen; Stilfiguren etc. - Intertextualität: referentielle (Parodie, Zitate, Allusion etc.) oder typologische (Bezug auf Formulare, Textsorten etc.) Intertextualität (s. oben S. 370); Bezugnahme auf ältere Übersetzungen desselben Ausgangstextes etc.

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Vgl. oben §§ 3–5 und Beaugrande/Dressler (1981), 50–87. Die Einteilung der Sprachvarietäten nach Coseriu (2007), 24; gemeint sind lokale Dialekte, soziale Sprachschichten und situationsabhängige Sprachstile. Vgl. oben S. 375.

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§ 8 Aspekte der Klassifizierung Mit diesem Katalog wird eine Liste von Analysekriterien bereitgestellt, die alle Aspekte von Ausgangstext und Übersetzung so umfassend wie möglich berücksichtigen soll und die doch, dem Wesen der Übersetzung als eines unabschließbaren, letztlich inkommensurablen Prozesses gemäß, selbst unabschließbar und offen bleiben muss. Um nun von hier zu einer prägnanten Charakterisierung, d. h. zu einem ebenso praktikablen wie aussagekräftigen, ebenso übersichtlichen wie systematischen Resultat von Analyse und Kritik von Übersetzungen zu gelangen, ist eine Orientierung an traditionellen Modellen zur Klassifizierung von Übersetzungen hilfreich. Versuche der Klassifizierung von Übersetzungen in verschiedene Typen sind so alt wie die Theorie des Übersetzens selbst.87 Wirksam waren und sind dabei vor allem bipolare Ordnungsmodelle wie »frei – treu«, »eindeutschend (appropriierend) – verfremdend«, »transponierend – dokumentarisch« u. ä. Angesichts der komplexen Konditionen, die durch Sprache, Gattung, literarische Konventionen etc. gesetzt sind, und der vielfältigen Motive und Interessenlagen, aus denen heraus Übersetzer agieren, ziehen solche Modelle zwangsläufig starke Vereinfachung nach sich. So ist es – um nur ein Beispiel anzuführen – durchaus irreführend, dass im Zusammenhang der Übersetzungstheorie Friedrich Schleiermachers oft von »verfremdender« Übersetzung die Rede ist: Schleiermachers Intention zielt im Kern darauf ab, etwas, das fremd ist, zu verstehen und das (mühselige) Verstehen dieses Fremden darzustellen,88 wohingegen der Begriff der »Verfremdung« üblicherweise das Fremd-Machen von etwas eigentlich Vertrautem meint. Wenn im Folgenden dennoch Übersetzungstypen definiert und Übersetzungstechniken beschrieben werden, dann verweisen wir hier auf die im SFB »Transformationen der Antike« geführte Diskussion zur Typologisierung kultureller Transformationen, in der bei allen Meinungsverschiedenheiten in Einzelfragen doch die Unerlässlichkeit von ordnungs- und sinnstiftenden Kategorisierungen deutlich wurde: Gerade weil Transformationen stets komplexe Geflechte darstellen, ist eine heuristische Differenzierung von unterschiedlichen Typen sinnvoll, die eine Rekonstruktion der beteiligten Faktoren erlaubt.89

Wie die im SFB vorgeschlagenen Transformationstypen, so ist auch die Einteilung der hier präsentierten Typen und Techniken der Übersetzung als heuristisches Instrument gedacht. Es besteht – zumal in der Liste der Übersetzungstechniken – eine beträchtliche sachliche und begriffliche Schnittmenge mit der Transformationstypologie des SFB, die sich aus dem gemeinsamen theoretisch-konzeptuellen Fundament ergibt. 87 88 89

Zur Problematik von Übersetzungstypologien (speziell aus dem 19. und 20. Jahrhundert) vgl. Kitzbichler (2007). Vgl. Schleiermacher (1813), bes. 67 und 71. Bergemann et al. (2011), 47. – Zu Fragen der Transformationstypologie vgl. den Sammelband von Böhme et al. (2011), darin vor allem die Beiträge von Böhme, der (23–26) die Alternative von offener typologischer Liste und geschlossenem typologischem System diskutiert, sowie Bergemann et al. (insbesondere 47–54), die eine offene, schwache Klassifizierung vorschlagen, und Toepfer (insbesondere 165–168), der eine geschlossene starke Klassifizierung erprobt.

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Zugleich beansprucht das hier entworfene Schema insofern Eigenständigkeit, als es auf die spezifischen Bedingungen übersetzerischer Transformation zugeschnitten ist. Hier ist vor allem die grundlegende Unterscheidung zwischen Übersetzungstypen und Übersetzungstechniken zu nennen: Damit soll dem Umstand Rechnung getragen werden, dass innerhalb einer einzigen Übersetzung unterschiedliche Verfahrensweisen und Strategien Verwendung finden können. § 9 Typen der Übersetzung Anhand der Übersetzungstypen lassen sich Übersetzungen nach ihrem Grundcharakter klassifizieren, der in aller Regel mit der Grundintention90 des Übersetzers korreliert. Übersetzungen stehen, wie oben dargelegt, stets im Spannungsfeld zwischen interpretatio historica und interpretatio moderna – woraus sich auch die duale Struktur vieler Übersetzungstypologien erklärt. Da Übersetzer sich aber immer sowohl zur Sprache und Kultur des Ausgangstextes als auch zu ihrer eigenen Sprache und Kultur ins Verhältnis setzen müssen und auf beiden Seiten gewissermaßen die »historische« und die »moderne« Option haben, möchten wir vier Grundtypen vorschlagen, die sich zu zwei Paaren gruppieren. Die ersten beiden Typen beschreiben das Verhältnis der Übersetzung zum Ausgangstext; sie sind auf je verschiedene Weise auf die Darstellung der Form-InhaltDialektik gerichtet: (1) Ästhetisch-kognitive Übersetzungen zielen auf die Darstellung des funktionalen Komplexes Form-Inhalt insgesamt, wobei der Fokus auf der Darstellung der Gestalt des Originals liegt. In Übersetzungen dieses Typs spielt häufig sprachliche Mimesis eine Rolle, d. h. Sprachformen der Textvorlage, etwa Wortbildung, Abfolge der Informationen im Text oder Elemente der Syntax, aber auch Versformen, werden in der Zielsprache möglichst genau nachgebildet. Zu dieser Gruppe zählen beispielsweise die Platon-Übersetzung Friedrich Schleiermachers (erschienen zwischen 1804 und 1828) oder die »dokumentarischen« Übersetzungen Wolfgang Schadewaldts (seit den 1950er Jahren: Homer, Sophokles, Aischylos, Pindar). (2) Transponierende Übersetzungen versuchen, den funktionalen Komplex InhaltForm mit den spezifischen sprachlichen, stilistischen und poetischen Mitteln der Zielsprache so zu realisieren, dass die Übersetzung eine dem Ausgangstext »äquivalente« Wirkung entfaltet und zugleich als eigenständiges Werk innerhalb der Zielliteratur wahrgenommen werden kann. Beispiele hierfür sind die Aristophanes-Übersetzung von Ludwig Seeger (3 Bde., 1845–1848) oder Adolf Wilbrandts für das bürgerliche Theater des 19. Jahrhunderts angefertigte Sophokles- und Euripides-Übersetzungen (2 Bde., 1866/67).

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De facto ist es natürlich so, dass theoretisches Programm und tatsächliche Ausführung nie ganz deckungsgleich sind, aber dies kann von unvermeidlichen kleineren Inkonsequenzen bis zu evidenten Diskrepanzen reichen.

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Die Typen drei und vier beschreiben das Verhältnis des Übersetzers zum Aufnahmebereich, zu Sprache und Kultur des Übersetzers, das oft eigenen Zielen folgt und unabhängig von der Gestalt des Ausgangstextes entschieden werden kann: (3) Archaisierend-distanzierende Übersetzungen markieren durch entsprechende Sprachregister der Zielsprache die Alterität des Ausgangstexts, seiner kulturellen Kontexte und seiner Sprachgestalt. Als Beispiele für diesen Typus können die HerodotÜbersetzung von Friedrich Lange (erschienen 1811) angeführt werden, deren Sprache sich an der Lutherbibel orientiert, oder die dem Programm »schöpferischer Restauration« verpflichteten Übersetzungen Rudolf Borchardts (u. a. Homerische Hymnen, Pindar, Platon), der vermittels archaischer Sprachformen die im Überlieferungsprozess entstanden Kontaminierungen und Überlagerungen abzutragen und verschüttete Traditionen wieder freizulegen suchte.91 (4) Modernisierend-assimilierende Übersetzungen passen dagegen die Übersetzung an die Sprach- und Literaturpraxis der Zielsprache an. Charakteristisch sind Anachronismen, das Ersetzen der ursprünglichen durch moderne Sprachbilder oder der ursprünglichen metrischen Gestalt durch eine moderne Versform bzw. durch Prosa. Ein guter Teil der frühneuzeitlichen Übersetzungen – von der Odyssee-Übersetzung Simon Schaidenreissers (1537) bis hin etwa zu der von Goethes Großonkel Johann Michael von Loen (1755) – gehört diesem Typus an, aber auch Eduard Mörikes LyrikÜbersetzungen, die von seinen eigenen Gedichten kaum zu unterscheiden sind (u. a. Classische Blumenlese, 1840), oder die Dramenübertragungen von Walter Jens aus den 1960er Jahren. Neben diesen vier Grundtypen existieren vielfache Mischformen. Eine besondere Affinität besteht einerseits zwischen den ästhetisch-kognitiven und den archaisierenddistanzierenden Übersetzungen, andererseits zwischen den transponierenden und den moderisierend-assimilierenden; so vereint die Homer-Übersetzung von Johann Heinrich Voß (1793) Merkmale von Typus eins und Typus drei, in Ulrich von WilamowitzMoellendorffs Tragödienübersetzungen (4 Bde., 1899–1923) verbinden sich Elemente von Typus zwei und Typus vier. Es sind aber auch andere Kombinationen möglich: So wird man Raoul Schrotts umstrittene Übersetzung der Ilias als Übersetzung vom Typus vier (modernisierend-assimilierend) mit einigen Elementen des Typus drei (archaisierend-distanzierend: diese Funktion erfüllen beispielsweise die gelegentlich zwischen den deutschen Text eingerückten griechischen Verse) charakterisieren können; eine Verbindung von Typus eins (ästhetisch-kognitiv) und Typus vier (modernisierend) liegt in den Aischylos- und Aristophanes-Übersetzungen Johann Gustav Droysens vor (1832 bzw. 1835/38), die grundsätzlich in der Tradition der »Übersetzungen im Versmaß der Urschrift« steht, zugleich aber gelegentlich moderne Terminologien oder ›un-antike‹ Reime verwendet.92 Wie hilfreich die hier vorgeschlagene Erweiterung des Zweierschemas zum Viererschema ist, erweist sich etwa beim Vergleich des Voß’schen Homer mit dem von Scha-

91 92

Zu Borchardt vgl. u. a. Schmidt (2008). Zu Droysen vgl. Kitzbichler (2014).

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dewaldt. Beide gehören unzweifelhaft in die Gruppe der »ausgangssprachenorientierten« Übersetzungen und könnten doch kaum unterschiedlicher sein. Voß übersetzt insofern ästhetisch-kognitiv, als er die Nachbildung der Versform zum Hauptziel seiner übersetzerischen Arbeit macht; daneben greift er allerdings zur Darstellung der »Altertümlichkeit« Homers öfters auf archaisches Sprachmaterial zurück – nicht zuletzt diese Verbindung von metrischer Korrektheit mit gesucht-artifiziellem Vokabular hat ihm später den Vorwurf der Künstlichkeit und Steifheit eingetragen. Schadewaldt opfert den Vers, um desto besser die Abfolge der Vorstellungen und die Bildlichkeit des Griechischen nachbilden zu können; zugleich meidet er auffällige Sprachregister und »pseudopoetische Rhetorisierung«93 – der Grundcharakter seiner Übersetzung ist einheitlicher und (im Sinne von Typus vier) moderner, und zwar nicht nur wegen des dazwischenliegenden Abstands von fast zweihundert Jahren. § 10 Techniken der Übersetzung So nützlich diese Zuordnung von Übersetzungen zu Grundtypen für Analyse und Bewertung im Allgemeinen sein kann, so unbrauchbar ist sie für mikrostrukturelle Untersuchungen. Die Widerständigkeit und der Eigensinn von Sprachen, aber auch Positionsschwankungen des Übersetzers, die sich gerade bei längeren Übersetzungsprozessen oft ergeben, verhindern eine bis ins Letzte konsequente Rückbindung an Grundintentionen und -typen. In Ergänzung zu den generalisierenden Übersetzungstypen sollen deshalb mit Hilfe von Übersetzungstechniken auch die Partikularien einer Übersetzung terminologisch und systematisch fassbar gemacht werden. In Anbetracht der von den Romantikern konstatierten »Unendlichkeit des Übersetzens« und der prinzipiellen Unabschließbarkeit jeglicher Übersetzungsanalyse werden diese Übersetzungstechniken in einer offenen Liste gesammelt.94 Zwischen beiden, den Übersetzungstypen und den Übersetzungstechniken, besteht ein zirkuläres Verhältnis, insofern als die – auch vorläufige – Zuordnung zu einem Grundtypus den Blick auf die Details lenkt, und die Detailanalyse wiederum einfließt in die Zuordnung zu einem Grundtypus. (1) Mimesis: Nachahmung und Nachbildung von Sprachformen der Textvorlage mit den Mitteln der Übersetzungssprache. Mimetische Übersetzungen können »naiv«, d. h. durch das Fehlen anderer sprachlicher Mittel bedingt sein oder als absichtsvoll entwickeltes Kunstmittel verwendet werden. Die Erneuerung der Übersetzungskunst um 1800 stand zu großem Teil im Zeichen übersetzerischer Mimesis. Voß’ HomerÜbersetzung etwa beruht wesentlich auf der Nachbildung des griechischen Hexameters und weiterer charakteristischer Sprachformen, darunter Epitheta wie in den Formeln »(der) fernhintreffende Föbos«, »(die) hellumschienten Achaier« oder »(der) Erderschüttrer Poseidon« und wirkte bald stilprägend, wohingegen Hölderlins radikale 93 94

Vgl. Kitzbichler/Lubitz/Mindt (2009a), 290. Vgl. Anm. 89.

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Wörtlichkeit (z. B. Antigone V. 21 in Hölderlins Zählung: »Was ist’s, du scheinst ein rothes Wort zu färben?«) lange Zeit nur als wahnsinnsbedingte Sprachzerrüttung, nicht als übersetzerisch-ästhetische Technik betrachtet wurde. (2) Substitution: Ersetzung bestimmter Sachverhalte oder Sprachformen durch andere. Die Gründe und Motive für substituierendes Übersetzen können vielfältig sein: Irrtum, Euphonie, Zwang durch metrische Formen, Verständlichkeit u. a. m. Die 1773 anonym in Anspach erschienene Prosaübersetzung der Horazischen Carmina ersetzt »platanus« durch »Ahorn« (Hor. Carm. 2,11,13), ebenso Emanuel Geibel (Classisches Liederbuch, 1875). J. G. Droysen substituierte in seiner Übersetzung der Aristophanischen Vögel den Wiedehopf (ἔποψ) durch einen Kuckuck, weil, wie er erläuterte, letzterer dem deutschen Leser geläufiger sei; außerdem kann so der Verlust der griechischen Wortspiele durch Einführung deutscher Wortspiele kompensiert werden.95 Überhaupt bestehen zwischen Substitution und Kompensation, aber auch zwischen Substitution und Modernisierung Überschneidungen. (3) Kompensation: Ersetzung bestimmter Sachverhalte oder Sprachformen durch zielsprachliche Elemente, von denen man analoge Wirkung erhofft. Witze, Wortspiele, Allusionen u. dgl. können oft nicht anders als kompensatorisch übersetzt werden. Aber auch für metrische Formen werden vielfach kompensatorische deutsche Formen gesucht. Die Hexameter beispielsweise wurden wahlweise durch Prosa (z. B. Odyssee von Wolfgang Schadewaldt, 1958), Jamben (z. B. Auszüge aus der Ilias von Gottfried August Bürger, 1771/76) oder sogar durch Nibelungenverse (z. B. Odyssee von Ernst Johann Jakob Engel, 1885) ersetzt, was jeweils als genuin epische und insofern dem Hexameter analoge deutsche Form verstanden wurde. (4) Modernisierung: Ersetzung eines spezifisch antiken Sachverhalts oder einer spezifisch antiken Sprachform durch ein modernes Pendant. Modernisierung und Archaisierung können – wie oben dargelegt – eine Übersetzung grundlegend charakterisieren; sie finden aber auch als punktuelle Techniken Anwendung. Im Fall der Modernisierung wird der Text durch z. T. kleinste Sprachsignale in eine moderne Vorstellungs- und Sprachwelt versetzt. So werden – gerade in älteren Übersetzungen – häufig Anrufungen antiker Götter durch neutrale oder gar christliche Anreden ersetzt: »bei Gott« statt »bei Zeus«; vergleichbar ist auch das Ersetzen griechischer Götternamen durch lateinische (»Jupiter« statt »Zeus«, »Venus« statt »Aphrodite« etc.). Auch bei Bezeichnungen aus der Alltagskultur wird dieses Verfahren oft angewendet: Aus der »lyra« wird in Johann Heinrich Voß’ Horaz-Übersetzung (1806, 31822) »die Gitarr(e)« (Hor. carm. 1,12,1). (5) Archaisierung: Rückgriff auf ältere Sprachformen des Deutschen, z. B. auf veralteten Wortschatz.96 Als Spezialfall archaisierender Übersetzung können bestimmte Formen der Transkription griechischer Eigennamen gelten, mit denen einige Übersetzer im 18. Jahrhundert (darunter Friedrich Leopold Graf zu Stolberg und Johann 95 96

Vgl. Aristophanes, Werke, übersetzt von J. G. Droysen, Bd. 1, Berlin 1835, besonders Anm. zu V. 15. Zu Voß’ archaisierendem Wortschatz s. Häntzschel (1977), 173.

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Heinrich Voß) den Rückgriff hinter latinisierte Formen, zurück auf die »ursprüngliche« Phonetik signalisierten: »Odüsseus« statt »Ulysses«, »Foibos« statt »Phoebus«, »Athänä« statt »Athene«. (6) Elision: Auslassung von Teilen, z. B. Partikeln, Wörtern, Sätzen, Versen, aber auch von ganzen Chorliedern oder Kapiteln. So hat Adolf Wilbrandt in seinen Übersetzungen griechischer Tragödien (1866/67) die Chöre teils gekürzt, teils ganz eliminiert; wo sie übersetzt sind, wurde der chorische Charakter häufig durch Aufteilung auf Einzelsprecher unkenntlich gemacht. (7) Ergänzung / Rekonstruktion: Vervollständigung defektiver Texte und Stellen (Fragmente, Lacunae, Obscura). Techniken der Ergänzung und Rekonstruktion sind beim Übersetzen antiker Schriftsteller (anders als beim Übersetzen aus modernen Sprachen) auf Grund der Überlieferungssituation oft unabdingbar. Im Fall der äolischen Lyrik etwa ist Übersetzung überhaupt nur im Verbund mit umfassender Rekonstruktion möglich, wie der Beitrag Wolfgang Röslers im vorliegenden Band zeigt. (8) Präservierung: Beibehaltung fremdsprachiger Wörter. Dies kann der terminologischen Präzision dienen, wenn feste Begriffe (z. B. »Polis«, »Kalokagathia«) als Fremdwort übernommen werden, anstatt sie durch deutsche Begriffe zu substituieren; allerdings kann Bedeutungswandel von Fremdwörtern auch zu Missverständnissen führen, wenn beispielsweise γυμνάσιον (Aristophanes, Wolken V. 417) von einigen Übersetzern (Voß, Droysen) als »Gymnasium« übersetzt wird. (9) Ignoranz: Unabsichtliche Fehlübersetzung, nicht beabsichtigtes Weglassen eines Aspekts oder einer (Teil-)Bedeutung. Übersetzerische Ignoranz kann Folge von Unkenntnis oder von Nachlässigkeit sein. Viele »Fehler« in der Sophokles-Übersetzung Friedrich Hölderlins rühren beispielsweise aus der von Hölderlin verwendeten Textausgabe, der veralteten und unzulänglichen »Brubachiana« von 1555, her;97 andere sind seiner Nachlässigkeit bzw. unzureichenden Sprachkenntnis geschuldet.98 (10) Ausblendung: Gewollte Abweichung von der Vorlage, absichtliches Weglassen eines Aspekts oder einer (Teil-)Bedeutung. So fehlt etwa in John Coningtons aus Viktorianischer Zeit stammender englischer Übersetzung der daktylischen Gedichte des Horaz (1874) die Satire 1,2, was wohl deren explizit sexueller Thematik geschuldet ist. Nicht immer ist die Grenze zwischen Ausblendung und Ignoranz, Ausblendung und Elision, aber auch Ausblendung und Modernisierung klar zu ziehen, wofür wiederum 97

98

Jochen Schmidt hat die von Hölderlin für die Sophokles-Übersetzungen benutzte Ausgabe als Quartausgabe der Offizin Braubach, Frankfurt 1555, identifiziert; vgl. Friedrich Hölderlin, Sämtliche Werke und Briefe, hg. v. Jochen Schmidt in Zusammenarbeit mit Katharina Grätz, Bd. 2, Frankfurt a. M. 1994, 1322–1326. Von den »mehr als tausend Fehler[n]« der Übersetzung gehen »Hunderte von Fehlern« (ebd., 1326) auf Hölderlins Textvorlage zurück. Auf die Benutzung einer anderen, noch unidentifizierten Textausgabe für die Ödipus-Übersetzung weist Böschenstein (2002), 280, hin. In Abweichung von Bergemann et al. (2011), 51, wo der Transformations-Typus der »Ignoranz« sowohl bewusst als auch unbewusst vollzogene Transformationsakte umfasst: »Transformation, die Tatsachen oder Sachverhalte nicht beachtet. Dies kann entweder den bewussten Verzicht auf eine Auseinandersetzung oder auch die (unbewusste) Unfähigkeit meinen, etwas zur Kenntnis zu nehmen.«

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Hölderlins Sophokles als Beispiel dienen kann. Hier begegnen, wie schon Friedrich Beißner konstatierte, nicht selten »Worte und Wendungen, die einem angestrengten Ausdeutungswillen entsprungen sind und darum nicht gut ›Fehler‹ gescholten werden können, weil es sich gar nicht mehr um ›Übersetzungen‹ im Buchstabensinn handelt.«99 Damit gerät man zugleich auch in den Grenzbereich zwischen eigentlicher, strenger Übersetzung und freier Bearbeitung. (11) Amplifikation: Anhebung des Stils, Pleonasmus, Ausdrucksverstärkung. Nicht selten soll auf diese Weise poetische Sprache suggeriert werden. Johannes Minckwitz hat dieses Verfahren in der Vorrede seiner Euripides-Übersetzung (1857) eigens legitimiert: »Euripides wirft seine Gedanken oft mit einer ungewöhnlichen Kürze hin, so daß der Uebersetzer Vers mit Vers nicht zu decken vermag, ohne den rechten Schmuck des Dargestellten aufzugeben. Mit anderen Worten, man ist gezwungen, hier und da die vorgezeichneten Umrisse des äußerlichen Gewandes auszudehnen, weil gerade die Euripideischen Gedanken, sobald man sie mit gleich kurzen Strichen nachzeichnen wollte, häufig einen Haupttheil ihres Glanzes einbüßen würden, um unfehlbar der prosaischen Färbung zu verfallen. Nur durch die Erweiterung des Ausdrucks vermochte ich den Schmuck des Originals zu erreichen.«100 (12) Reduktion: Absenkung des Stils, Abschwächung des Ausdrucks. So werden in Horaz-Übersetzungen seltene Ausdrücke oft unmarkiert übersetzt, etwa »exsiccare« (austrocknen, trockenlegen) durch einfaches »trinken« (Horaz c. 1,31,11, deutsch von Christian Friedrich Karl Herzlieb, 1787/1788). Eine reduzierende Übersetzung liegt aber auch vor, wenn metrisch gebundene Texte in Prosa wiedergegeben werden, oder wenn umgangssprachliche Elemente an die Stelle gehobener Sprache treten, wie in Raoul Schrotts Ilias (2008, z. B. 1,32: »hau ab / wenn du hier mit heiler haut davonkommen willst!«). (13) Explikation: Integration von Erläuterungen in den Übersetzungstext. Viele Homer-Übersetzungen ersetzen Patronymika (z. B. »Atreide«) durch Klarnamen (»Agamemnon«). Stark explikativ verfahrende Übersetzungen orientieren sich oft an den Bedürfnissen der (nicht vorgebildeten) Leser, wohingegen die Auslagerung von Explikationen in Fußnoten und Kommentare die Integrität der Textgestalt für genießende Kenner unterstreicht. Peter Stein hat für seine berühmte Bühnenfassung der Aischyleischen Orestie Deutungsvarianten nebeneinander in den Text gesetzt und Explikationen aus konsultierten Kommentaren in den Text integriert, und dadurch Verständlichkeit mit Bühnenwirksamkeit verbunden.101

In: Friedrich Hölderlin, Sämtliche Werke (Große Stuttgarter Ausgabe), Bd. 5: Übersetzungen, hg. v. Friedrich Beißner, Stuttgart 1952, 333. – Böschenstein (2002), 279−288, weist überzeugend nach, dass zahlreiche Abweichungen im Text eben den spezifischen Intentionen Hölderlins geschuldet sind. 100 Minckwitz (1857), 32. 101 Die Orestie des Aischylos. Übersetzt von Peter Stein, hg. von Bernd Seidensticker, München 1997. Zur Übersetzung s. Seidenstickers Analyse im Nachwort, 223−232. 99

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§ 11 Das übersetzungsanalytische Paradox Stets latent vorhanden, aber selten explizit thematisiert ist jene Aporie, die sich aus fundamentalen sprachtheoretischen Vorannahmen ergibt, die aber höchst praktische Relevanz besitzt. Zum einen ist vielen Lesern von Pindar, Platon, Thukydides, von Vergil, Horaz und Tacitus klar, dass die Werke dieser Autoren im Grunde unübersetzbar sind, weil ihr gedanklicher Gehalt offensichtlich auf unlösbare Weise mit ihrer individuellen Sprachgestalt eins ist. Diese herausragenden Werke verdeutlichen aber nur die Einsicht, dass Äußerungen in unterschiedlichen Sprachen prinzipiell inkommensurabel102 und somit in diesem Sinn letztlich unübersetzbar sind.103 Dies ist die sprachtheoretische Position der »Relativisten«, d. h. der Vertreter der Ansicht, dass sich Weltbilder relativ zur jeweiligen Sprache verhalten, in denen sie artikuliert werden.104 Ihnen gegenüber stehen die sprachtheoretischen »Universalisten«, die von der prinzipiellen Übersetzbarkeit aller sprachlichen Äußerungen ausgehen.105 Der durch diese Position erreichten Entmystifizierung von Sprache folgt natürlich auch die moderne Zeichentheorie und Linguistik – wie auch jeder, der sich um einen rationalen Umgang mit den Prozessen des Übersetzens beschäftigt. Durch die Bemühung, Kriterien und Parameter der Übersetzungsanalyse zu finden und anzuwenden – und auch durch Bühlers Organon-Modell als Grundlage – , wird in den hier vorliegenden Überlegungen zu einem potentiellen Übersetzungsinstrumentarium eine universalistische Position bezogen, obwohl die Verfasser als Platon-Leser wissen, dass sich mit jeder Übersetzerentscheidung auch Platons Philosophie ein wenig verändert, und als VergilLeser wissen, dass es keine Übersetzung für »sunt lacrimae rerum« geben wird, geben kann. Nun ist es naheliegend, die Spannung zwischen – unübersetzbar? – schwierigem Ausgangstext und möglicher Übersetzung dadurch zu verringern, dass man das Verständnis des Ausgangstextes analysierend zu erläutern und zu erschließen sucht und das so gewonnene Verständnis paraphrasierend vergegenwärtigt. Dies ist das spätestens seit 1805106 belegte Zwei-Stufen-Modell des Übersetzens: Der Übersetzer übersetzt nicht unmittelbar den Ausgangstext, sondern sein Verständnis des Ausgangstextes, d. h. den mehr oder weniger explizierten Gedankengehalt. Zwischen Ausgangstext und Zieltext schiebt sich dadurch eine dritte Entität. So absurd einerseits die Annahme wäre, man

102 Schon Schleiermacher (1813), 62, spricht von der »Irrationalität« der Sprachen. 103 Schleiermacher (1813), 64, provozierend: Übersetzung sei eigentlich ein »thörichtes Unternehmen«. 104 Aus übersetzungstechnischer Sicht knapp zusammengestellt bei Stolze (2001), 27–40 (»Relativistisch orientierte Theorien«). 105 Vgl. Stolze (2001), 41–53 (»Zeichentheorien und universalistische Übersetzungstheorie«). 106 Reiß/Vermeer (1991), 42, verweisen auf Karl Salomo Zachariae als Urheber einer zweistufigen Übersetzungskonzeption. Gemeint ist wohl dessen Versuch einer allgemeinen Hermeneutik des Rechts (Meißen 1805), in der (S. 13 f.) bündig erklärt wird: »Die Übersetzungskunst hat eine doppelte Aufgabe zu beantworten: 1) Welches ist der Sinn des Originals? und: 2) Wie kann dieser Sinn am besten in einer anderen Sprache wiedergegeben werden?«

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könne einen Text übersetzen, ohne ihn verstanden zu haben,107 so erkenntnistheoretisch prekär ist andererseits die Einführung einer dritten Größe, deren Verbalisierung – und wie käme man anders an sie heran? – ja auch wiederum nichts anderes ist als eine Übersetzung, und sei es auch bloß in Form einer Paraphrase. Franziska Münzberg hat diese Problematik glücklich in verschiedene Graphiken gefasst, deren vollständigste108 mehrere Möglichkeiten eines manifest in den Übersetzungsvorgang interpolierten Verständnisses darstellt (Abb. 4).

Abb. 4

Der gedankliche Gehalt (G) ist sowohl dasjenige, was dem Autor vorschwebte, als er den Ausgangstext verfasste, als auch das, was dem Übersetzer vor Augen stand beim Erstellen der Übersetzung, und auch das, was der Leser der Übersetzung entnehmen kann bzw. soll. Man kann nun die Entität G (»gedanklicher Gehalt«) einfach zeichentheoretisch als Botschaft auffassen, die beliebig encodiert (durch den Autor), recodiert (durch den Übersetzer) und decodiert (durch den Leser) wird – oder messianisch im Sinne von Walter Benjamins Modell der Übersetzung109 deuten, für den die Über107 Auch Schleiermacher (1813), 66–68, hat insbesondere über das Verhältnis von Interpretation und Übersetzung nachgedacht: »Diejenige Methode, welche danach strebt, dem Leser durch die Uebersetzung den Eindruck zu geben, den er als Deutscher aus der Lesung des Werkes in der Ursprache empfangen würde, muß freilich erst bestimmen, was für ein Verstehen der Ursprache sie gleichsam nachahmen will.« (ebd., 67). In der Praxis seiner Platon-Übersetzung hat Schleiermacher sein eigenes Verständnis in Umriss und Detail jeweils durch Einleitungen und Fußnoten zu den einzelnen Dialogen erläutert, jedoch nicht paraphrasierend vor die eigentliche Übersetzung gestellt. 108 Münzberg (2003), 191. 109 Benjamin (1980/1923), 9–21; insbesondere 17 f.

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setzbarkeit eines Originals graduell durch dessen Teilhabe an der »reinen Sprache« bedingt ist: Die Entität G wäre dann der nur in »reiner Sprache« fassbare Text, an dem Original und Übersetzung jeweils unvollkommen teilhaben. Beide Extrempositionen sind mit reflektierter übersetzungsanalytischer Praxis schwer vereinbar und sollten vor einem zweistufigen Übersetzungsmodell warnen, in dem ein infiniter Regress lauert. Wie stellt man sicher, dass das vom Autor Gedachte (und in den Text Verwandelte = G1) übereinstimmt mit dem vom Übersetzer Gedachten (und in die Übersetzung Verwandelten = G2) und dieses mit dem vom Leser aus der Übersetzung entnommenen Gedachten (= G3)? So gesehen ist es verständlich, dass u. a. Reiß/Vermeer, Münzberg und Acartürk-Höß sich dezidiert gegen ein zweistufiges Modell als Grundlage einer Übersetzungstheorie aussprechen:110 Die Feinmaschigkeit von Acartürk-Höß’ Parameter-Gitter (s. unten, Appendix) dient sogar explizit dazu, einzelne »shifts« zwischen Original und Übersetzung jeweils punktuell zu erfassen, ohne eine normierende Interpretation oder gar eine Musterübersetzung zwischen Ausgangstext und zu analysierender Übersetzung einzuschieben; jede ausformulierte Verfestigung als Zwischenstufe ist vermieden; bei Acatürk-Höß überbrückt allein das Parameter-Gitter die Kluft zwischen Ausgangstext und Übersetzung. Ob dies schlüssig ist, muss dahingestellt bleiben: Denn es ließe sich auch die Gegenrechnung aufmachen, dass ein Übersetzungsanalytiker, der sein eigenes Textverständnis artikuliert und offenlegt, sein eigenes Vorgehen besser überprüfbar macht. Er tut es allerdings um den Preis, selbst Übersetzer und eo ipso Gegenstand einer kommenden Übersetzungsanalyse zu werden. Streng genommen gilt aber für beide Positionen: Die Übersetzung selbst ist, wenn sie gelingt, die beste Interpretation des Ausgangstextes. § 12 Fazit Die voranstehenden Überlegungen sollten plausibel gemacht haben, dass es eine einheitliche, auf alle Texte und deren Übersetzungen anwendbare Theorie und Analysemethode nicht geben kann, weil die Komplexität des Übersetzungsvorganges entweder eine verfälschende Reduktion der notwendigen Gesichtspunkte erfordert oder die Analyse bei jeglichem Text von mehr als minimaler Länge an der Datenfülle erstickt. Dennoch sind die hier vorgestellten Überlegungen nicht müßig, sofern man sie als Rahmen auffasst, innerhalb dessen Fragen an Übersetzungen herangetragen, Übersetzungen beschrieben, verglichen und bewertet werden können. Schadewaldts drei Gesichtspunkte führten uns zunächst zu einer Ausweitung des Blicks auf das gesamte Inventar der Textlinguistik, mit dem man schwierige Einzelpassagen in Texten feingliedrig analysieren und Übersetzungen an signifikanten Passagen miteinander vergleichen kann (§§ 2–5; Appendix). Die Einsicht in die im Übersetzen verdoppelte Triade sprachlicher Kommunikation (§ 4) führte zugleich zur Erkenntnis, dass die Übersetzungsanalyse, obwohl primär an der Textgestalt ausge110 Reiß/Vermeer (1991), 41–46; Münzberg (2003), 163–196: »Die Sprache als Abbild des Gedankens«; Acatürk-Höß (2010), 163–173, insbes. 167.

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richtet, immer auch die Einbettung der Texte in ihre jeweilige engere und weitere Kommunikationssituation berücksichtigen muss (§ 7). Um eine Brücke zwischen Mikro- und Makroanalyse zu schlagen, wurde daher eine vierteilige Einteilung in Übersetzungstypen vorgeschlagen (§ 9), die wiederum durch die Übersetzungstechniken (§ 10) präziser charakterisiert werden können. Für diese übersetzungstheoretischen Überlegungen muss aber jenes Wort in Anspruch genommen werden, mit dem Aristoteles seine Erörterungen zur nicht minder schwer fassbaren Kategorie Relation (πρός τι) abschließt: Vielleicht ist es schwierig, sich über derartige Fragen mit Bestimmtheit zu äußern, wenn man sie nicht oft und oft betrachtet hat; allerdings ist das Durchdachthaben der Problematik jedes Details davon keineswegs unnütz.111

APPENDIX: Die Struktur des Parameter-Gitters nach Acartürk-Höß112 A. Kotextuelle Prinzipien I. Sprachliche Aspekte der Alterität 1. Visuelle Ebene 1.1 Typographische Aspekte 1.2 Satzzeichen 1.3 Schriftbild 2. Phonologische Ebene 2.1 Generelle Lautstruktur (Lautqualitäten, Silbenstruktur, …) 2.2 Reim (Qualität, Anzahl, …) 2.3 Wiederholungen/Phonologische Figuren (Assonanz, Alliteration, …) 2.4 Onomatopoeia 3. Morphologische Ebene 3.1 Neologismen 3.2 Morphologische Figuren (Paronomasie, Polyptoton, Figura Etymologica, …) 4. Syntaktische Ebene 4.1 Syntaktische Strukturen (Deklarative, Imperative, Interrogative, Aktiv, Passiv, Hypotaxe, Parataxe, Asyndeton, Polysyndeton, …) 4.2 Syntaktische Ambiguität 4.3 Syntaktische Figuren (Anapher, Epanalepse/Anadiplose, Epipher, Kyklos, Chiasmus, Hyperbaton, Parallelismus, Antimetabole, Ellipse, Syllepse, … )

111 Arist. cat. 8b21–24: ἴσως δὲ χαλεπὸν περὶ τῶν τοιούτων σφοδρῶς ἀποφαίνεσθαι μὴ πολλάκις ἐπεσκεμμένον, τὸ μέντοι διηπορηκέναι ἐφ� ἕκαστον αὐτῶν οὐκ ἄχρηστόν ἐστιν. 112 Acartürk-Höß (2010), 117–119.

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5. Semantische Ebene: Lexikalische Aspekte 5.1 Assoziationsnetz 5.2 Semantische Ambiguität 5.3 Paradigmatik: Semantische Figuren (Euphemismus, Hyperbel, Litotes, Metapher, Metonymie, Periphrase, Symbol, Synekdoche, …) 5.4 Paradigmatik: Idiomatik/Phraseologie (Redewendung, Sprichwort, Redensart, …) 5.5 Syntagmatik: Semantische Figuren (Antithese, Antiklimax, Klimax, Hendiadyoin, Hysteron proteron, Oxymoron, Paradoxon, Pleonasmus, Synonymie, Tautologie, Vergleich, Zeugma, …) 5.6 Syntagmatik: Komplexe Semantische Figuren (Wortspiel, conceits, Allegorie, Personifikation, Isotopie, Opposition, …) 6. Pragmatische Ebene 6.1 Kommunikationssituation (Lokal-, Temporal-, Personal-, Sozialdeixis) 6.2 Sprecherhaltung (Modus, Ironie, Sarkasmus, …) 6.3 Pragmatische Figuren (Apostrophe, rhetorische Frage, Exclamatio, …) 6.4 Präsuppositionen 7. Textlinguistische Ebene: Textorganisation 8. Soziolinguistische Ebene: Stil und Register II. Literarische Aspekte der Alterität 1. Intratextuelle Ebene 1.1 Gedichtstruktur (Prosa,Vers, Reimschema, …) 1.2 Strophenstruktur (Enjambements, inhaltliche Geschlossenheit, …) 1.3 Versstruktur (Silbenzahl, Metrum, Rhythmus, …) 2. Intertextuelle Ebene 2.1 Einzeltextreferenz (Zitat, Motto, Figur, Vorgänger-Übersetzung, …) 2.2 Systemreferenz (Gattung, Gedichtform, literarischer Diskurstyp, Formelement, Mythos, Archetyp, Topos, …) B. Kontextuelle Prinzipien I. Soziopolitische Aspekte der Alterität 1. Ebene des Kulturraums: Objekte und Konzepte 2. Ebene der Kulturgemeinschaft: Einzelpersonen und gesellschaftliche Regeln 3. Ebene der Kulturform: Gesellschaftsstruktur II. Historische Aspekte der Alterität

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Thomas Poiss, Josefine Kitzbichler, Enrica Fantino

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Reflexionen über ein mögliches Instrumentarium

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Thomas Poiss, Josefine Kitzbichler, Enrica Fantino

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Reflexionen über ein mögliches Instrumentarium

Abstract: Instrumentarium for the analysis of translations of Greek and Latin texts The paper aims to collect and order criteria relevant for the analysis of translations from ancient languages. The starting point for this are the three maxims of Wolfgang Schadewaldt, whose translations of Homer and the Greek tragedians set the standards in Germany from the 1950s: a translation should preserve completeness, the imagery and the sequence of the ideas. Comparing the approaches of modern translation studies, textual linguistics, and recent research on the distribution of information in texts, and building on the work of F. Münzberg, a model of translation is developed that no longer merely contrasts two texts (source text – target text), but contrasts in each case the chain of communication, namely author – source text – public and translator – translation – public. So understood, translation becomes the representation of a past, foreign-language communication process within a new communication process. The text-immanent qualities, for the detailed analysis of which we rely on the grid of characteristics set out by M. Acartürk-Höß, thus prove to be part of a much more comprehensive set of related aspects, in which cultural peculiarities and the media involved also play a role. Extending the well founded maxims of Schadewaldt, the paper offers an open catalogue of characteristics for the analysis of translations, which can be finely adjusted according to the different aims of particular investigations. Beyond this, the paper proposes a rough typology of translations on the basis of particular sets of characteristics.

Register Personenregister Abbt, Thomas 93, 96 Ablancourt, Nicolas Perrot d’ 67 (Anm. 16) Acartürk-Höß, Miriam 26, 366 f., 378 (Anm. 71), 382, 394 f. Adlington, William 293 Aischines 105 Aischylos 169, 386 f., 391 Albrecht, Michael von 116, 216– 222, 225 f. Alkaios 1–26, 30, 35, 37, 44, 46 Alkman 2 Anderson, William S. 10 Apel, Friedmar 363 Apollodor 189 Apuleius 171, 277–356 Archilochos 10 Aristeides 278 Aristophanes 25 (Anm. 62), 249, 378, 386 f. Aristoteles 63 Auden, W. H. 366 Augustinus 279 (Anm. 9), 292 Bach, E. C. Chr. 189 (auch Anm. 260) Bachtin, Michail 288–291 Bagordo, Andreas 37 f., 47 f., 51 f. Balde, Jakob 143 Beaugrande, Robert Alain de 369, 371, 375 Beißner, Friedrich 391

Benjamin, Walter 394 Benserade, Isaac de 164–166 Berchorius, Petrus 119, 125 Beroaldo, Filippo 293 Bethe, Erich 41 Bintz, Julius 295 Birken, Sigmund von 140 Blumauer, Alois 166 Blümner, Hugo 295 Boccaccio, Giovanni 292 Bodmer, Johann Jakob 248 Boeckh, August 196 Boethius 144 Boiardo, Matteo Maria 293 Borchardt, Rudolf 39 (Anm. 112), 387 Botticelli, Sandro 132 Boyer d’Argens, Jean Baptiste de 155 Bracciolini, Poggio 292 Brandt, Edward 286, 294, 296, 332– 335, 337–343, 345–355 Braun, Theodor 65, 78–81 (auch Anm. 60) Bredow, Gabriel Gottfried 64 Breitenbach, Hermann 214 (auch Anm. 357) Breitinger, Johann Jakob 248 Broger, Anne 17, 19, 44 Bücheler, Franz 256, 259 Bühler, Karl 371, 381, 392 Bulle, Constantin 211–213, 215

Register

Burck, Erich 287, 302, 305 Bürger, Gottfried August 170 f., 389 Burmann, Peter 142, 204 Bussi, Giovanni Andrea 293 Carstensen, Johannes 294 Catull 342, 159 Chariton von Aphrodisias 278 Chomsky, Noam 376 Cicero 89–108 Conington, John 390 Conrad, M. G. 304 Cysarz, Herbert 286, 342 Degen, Johann Friedrich 66, 69 (Anm. 24), 70–72, 74, 81 Demosthenes 91 f., 101, 105 Dickens, Charles 288, 290 Diehl, Ernst 2, 7 f., 11, 19 f., 22, 27 Dostojewski, Fjodor 288 Dräger, Paul 361 (Anm. 2) Dressler, Wolfgang Ulrich 369, 371, 375 Droysen, Johann Gustav 387, 389, 390 Dyroff, Adolf 295 Ebener, Dietrich 12, 15, 19, 23, 44 Ehlers, Wilhelm 253–259, 261 f., 265–268, 273, 286, 294, 320, 337 f. Elster, Johann Christian 295 Engel, Ernst Johann Jakob 389 Engel, Rudolf 295 Ernesti, Johann Christian Gottlieb 93 f., 99 f. Erni, Hans 302 Euripides 386, 391 Feix, Josef 80–82 (auch Anm. 63) Ferdinand *** 157–159 (auch Anm. 133) Feyerabend, Siegmund 137 Fink, Gerhard 116, 216, 221–226

Fischer, Carl 279, 286, 294, 318 (Anm. 135), 333–335, 342–355 Fränkel, Hermann 5, 8–12, 17 f., 41–44 Franyó, Zoltan 12–14, 19, 23, 43 Franz von Dessau 172 Franz von Waldersee 299 Friedländer, Ludwig 252, 255, 259– 262, 267–269, 273 Fuhrmann, Manfred 100–107, 362 Fulgentius 292 Gallavotti, Carlo 12, 20 f. Geibel, Emanuel 389 Gentili, Bruno 19 Gerzymisch-Abogast, Heidrun 365, 367 (Anm. 34) Gesner, Johann Matthias 95 Goethe, Johann Wolfgang von 151, 168, 173, 191, 301, 305 Goldhagen, Johann Eustachius 66– 72 (auch Anm. 12), 74 Gonet, Jean Baptiste 155 Gottsched, Johann Christoph 64, 66, 68, 72, 47 f., 255, 262 f., 269– 272, 291 f. Grimm, Jacob 189 Gröninger, Adolf 247 f., 262–264, 272 Guthmüller, Bodo 114 Haefs, Hanswilhelm 365 Halberstadt, Albrecht von 114, 127–131, 149, 227 Hansen, Dirk Uwe 45 Hanson, J. A. 293 Harsdörffer, Georg Philipp 91 Haupt, Moriz 196, 203 Haupt, Wilhelm 287, 302, 305 Hausmann, Manfred 4 f., 7–9, 11, 13 f., 19, 22 f., 42 Heidegger, Martin 367

Personenregister

Heilmann, Johann David 64, 69 Heinrich von Veldeke 127 Heinse, Wilhelm 263 (Anm. 45) Heinsius, Nikolaus 122 f., 142, 204 Heinze, Johann Michael 93, 95–98, 100, 104 Heliodoros von Emesa 278 Helm, Rudolf 285 f., 294, 296, 306, 317, 320, 330–338, 345–355 Herder, Johann Gottfried 91–94, 96, 168, 248 Hermann von Thüringen 127 Herodot 63–85, 387 Herzlieb, Christian Friedrich Karl 391 Heyne, Christian Gottlob 175 Heynemann, Simon 174 f. Hieronymus 149 Hinsberg, Joseph von 212 Hölderlin, Friedrich 207 (Anm. 338), 380, 388, 390 f. Holzbirn, Amalgund 166 f. Homer 72, 76, 138, 159, 175, 180, 248, 317, 367, 380, 386–388, 391 Horaz 11 (Anm. 26), 144 (Anm. 122), 171, 197 (Anm. 307), 300, 330, 390–392 Horneffer, August 65 Humboldt, Wilhelm von 64, 93 f., 100, 143, 170, 174, 181, 217, 301 Jachmann, Reinhold 296 Jahn, Otto 77, 203 Jens, Walter 101, 387 Juvenal 349 Kehrein, Joseph 295 Kindt, Karl 185–193 Klee, Margot 294 f. Klopstock, Friedrich Gottlieb 150, 173, 181–183, 217, 305

Köchly, Hermann August Theodor 101, 103 Koller, Werner 364 Kopetzki, Annette 363 Kosegarten, Ludwig Theobul 295 Kugler, Hartmut 136 Lactantius Placidus 121 Lange, Friedrich 72–78 (auch Anm. 35), 82, 84 f., 387 Latacz, Joachim 17 f., 21–23, 35 f., 38, 47 f., 50–52 Le Roy (Hofrat) 300, 303 Lessing, Gotthold Ephraim 154, 174 Liberman, Gauthier 2, 19 Lincker, Johann Jacob von 295 Lindemann, Heinrich 189, 201, 203–206, 210 Lindner, Johann Gottlieb 156, 184– 195 Livius 95 Lobel, Edgar 2, 20, 27, 31 Loen, Johann Michael von 387 Longos 278 Lorichius, Gerhard 126, 135 Loukios von Patrai 278 Lucan / Lukan 143 (Anm. 116), 171, 300 Lucrez / Lukrez 171, 300 Lukian, Pseudo-Lukian 124, 278, 330 Luther, Martin 76 f. Magnus, Hugo 163, 207 (auch Anm. 335 und 337) Mander, Carl von 140 Mann, Thomas 198 Marg, Walter 78, 82–84 (auch Anm. 66) Marquardt, Johannes 295 Martial 330, 349 Martin, Christoph 227

Register

Mauersberger, Arno 295 Maximos Planudes 114 Mekler, Siegfried 30, 33, 40 Melanchthon, Philipp 135, 138 Merkel, Rudolf 208 Merkelbach, Reinhold 29 Metzger, Ambrosius 135–137 Meyerhoff, Dirk 17, 19 Mezger, Eberhard Friedrich 199 f. Minckwitz, Johannes 391 Mommsen, Theodor 203 Morgenstern, Carl Simon 96–98, 104 Mörike, Eduard 387 Mosbach, Albert 295 Müller, Adam 91 Müller, Konrad 256 Münzberg, Franziska 26, 366, 371– 373 (auch Anm. 50), 377, 380, 393 f. Mylius, August 151, 300 f., Nietzsche, Friedrich 249 Norden, Eduard 84, 197 (Anm. 303 f.), 282–284, 296 Norfolk, Lawrence 365 Nover, Jakob 295 Opitz, Martin 91 Osiander, Christian Nathanael 199 (Anm. 315) Ovid 113–227 Page, Denys 2, 19 Persius 278 Petron 247–273, 291, 342 Pfitz, Heinrich Christian 189, 199– 201, 203, 205 f. Pindar 1, 367, 374, 386 f., 392 Plankl, Wilhelm 215 Platon 78, 80 (Anm. 63), 116, 169, 363, 387, 392 Port, Frieda 41 f. (Anm. 121)

Post von Germersheim, Johann 132 Pound, Ezra 1 Preisendanz, Karl 40 Properz 198 (Anm. 309), 330, 349 Pudor, Carl Heinrich 75–77 (Anm. 41) Quintilian 93, 96 Raffael / Raphael 302 (auch Anm. 100) Ransmayr, Christoph 116, 224 f. Regenbogen, Otto 65, 85 Regius, Raphael 119–121, 123 (Anm. 39), 129, 131 Reiske, Johann Jacob 64 Reiß, Katharina 362 f., 369, 373, 392 (Anm. 106), 394 Rode, August 115, 151, 171–176, 180, 221, 223, 284, 286 f., 293– 296, 299–320, 333, 336, 338, 345-355 Ronge, Herbert 295 Rösch, Erich 213 f. (auch Anm. 355) Rousseau, Jean-Jacques 125 Rüdiger, Horst 42, 286 f., 302, 304 f., 311, 320 Sabinus, Georg 121 f. Sachs, Hans 117, 136 Safft, Johann Samuel 151–156, 159 Sandrart, Joachim von 140, 142 Sappho 1 f., 10 f., 17, 20, 26–55 Schadewaldt, Wolfgang 31–35, 47 f., 50–52, 65, 99 f., 103, 116 f., 174, 215 f., 220 f., 226, 305–307, 366 (auch Anm. 27 f.), 367–369, 378, 380–382, 386–388, 394 Schaeffer, Albrecht 285, 294, 296, 306 f, 317–330, 333 f., 336, 343, 345–355 Schaidenreisser, Simon 380, 387

Personenregister

Scheffer, Thassilo von 214 (auch Anm. 353) Schickel, Joachim 44 (auch Anm. 129) Schiller, Friedrich 170, 211 f. Schirnding, Albert von 45 f. (auch Anm. 136) Schlegel, Friedrich 24 Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst 74–76 (auch Anm. 39), 78, 93 f., 103, 116, 143, 170, 174, 181, 208, 363, 385 f., 393 (Anm. 107) Schlüter, Johann Georg Karl 156, 159–163, 167 Schmid(t), Johann Georg 143–148, 151 Schmidt, Ernst Günther 296 Schmidt, Franz Werner 294 Schmitz, Thomas A. 44 (Anm. 130), 49 (Anm. 143) Schönberger, Otto 260 Schönke, K. A. 185–195 Schroeder, Michael 45 Schrott, Raoul 49 (Anm. 143), 227, 361 (Anm. 2), 380 Schubart, Wilhelm 27, 49 Schwab, Gustav 189, 194 Sedlezki, Johann Balthasar 148– 152, 156 Seeger, Ludwig 386 Shakespeare, William 122 Siebelis, Johannes 189 Siebert, Otto 295 Sieder, Johann 293 Silius Italicus 349 Sisenna 293 Snell, Bruno 4 f., 7, 13 f. Solis, Virgil 137 Sonnenfels, Joseph von 91

Sophokles 215, 380, 386, 390 f. Spreng, Johann Baptist 126, 132, 135, 137–141, 146–148 Stadelmann, Heinrich 295 Staiger, Emil 43 (auch Anm. 126) Statius 198 (Anm. 309), 330, 349 Stein, Peter 391 Steinmann, Kurt 44 f. (auch Anm. 132) Stolberg, Friedrich Leopold Graf zu 389 Suchier, Reinhart 201, 208–211, 225 Sueton 330 Sulzer, Johann Georg 91 Tacitus 67 (Anm. 16), 90, 392 Tatian 127 Thiel, Helmut van 278 Thukydides 63–65, 67, 69, 72, 78– 80, 84 f., 392 Tibull 198 (Anm. 309), 330, 349 Treu, Max 10–12, 19, 23, 37 Tzamali, Ekaterini 35, 44, 51 Valerius Flaccus 349 Vergil / Virgil 127, 136–138, 154, 392 Vermeer, Hans J. 362 f., 373, 392 (Anm. 106), 394 Vitruv 171 Voigt, Eva-Maria 1 f., 20 Voß, Johann Heinrich VI, 72 f., 75, 103, 115–118, 153, 171, 175– 182, 189, 201, 203, 205 f., 208, 213, 248, 301, 363, 388–390 Vretska, Karl 215 Wagner, Reinhold 41 Walchius, Johann Georg 155 Warburg, Aby 132 Weinreich, Otto 253 West, Martin L. 11 (Anm. 26), 19

Register

Wickram, Jörg 114, 117 f., 126, 129–136, 139, 146 f. Wieland, Christoph Martin 337 Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von 27 f., 30–33, 39, 43, 47 f., 50–52, 65, 197 (Anm. 303 f.), 213, 387 Wilbrandt, Adolf 386, 390

Winckelmann, Johann Joachim 172 Winterling, Christian Martin 295 Wolff, Friedrich Carl 98, 100, 104 Wyle, Niklas von 293 Xenophon von Ephesos 66 (Anm. 12) Zachariä, Karl Salomo 91

Sachregister Abbildung 139, 362 f., 384 Affekte 104, 107, 179, 122, 144 (Anm. 123), 179, 251 (auch Anm. 12) Akzeptabilität 65, 370 f., 374–376 Alkäische Strophe 3, 7, 9, 11 (Anm. 26), 15, 17 Allegorese 129, 143, 148, 156, 181, 195 Allelopoiese VII, 25, 114, 374, 379, 382 Alliteration 107, 282, 285, 288, 299, 314, 319, 326 f., 335, 395 Alterität 15, 377 (Anm. 67), 387, 395 f. Amplifikation 258, 262, 266–268, 270, 391 Appropriation 355 Äquivalenz 105, 143, 149, 160, 317, 362, 365 Archaisierung, archaisierend 29, 72, 74 f., 77, 83, 106, 299, 330 Aspektrealisierung 365 Ausblendung 137, 181, 192 f., 215, 282, 355, 390 Ausgangssprache, ausgangssprachlich 65, 72, 78, 106, 248, 304, 367, 381–383 Ausgangssprachenorientierung 65, 72, 78, 97, 100, 106, 221, 249, 260, 270, 272, 304, 364 (Anm. 16), 388 Ausgangstext 3, 23, 26, 36, 38, 64 f., 70, 72, 78–80, 85, 90 (Anm. 2), 95, 102, 147, 159, 176, 182, 247 f.,

255, 257–270, 281, 365, 371, 373–377, 380, 382–394 Didaktik 92, 95, 97 Disjunktion 8 Elision 191, 256, 259, , 261 f., 264 f., 267, 269, 271, 390 Emotion, Emotionalität 118, 122– 124, 144, 146 f., 153, 158, 177, 192, 210, 218 f., 223 Epos, Epik 49, 117, 119, 128, 136, 180, 212, 222 (Anm. 338), 284 f., 287, 290 Ergänzung 3, 6, 22, 31, 35, 37, 41, 43, 45, 84, 68, 117, 151, 158, 267, 307, 390 Explikation 36 f., 69, 97, 108, 191, 282, 391 Fokussierung 355 Fragment, fragmentarisch 2 f., 5–9, 17–20, 23, 25, 27 f., 30–32, 34 f., 42 (auch Anm. 122), 46, 92, 249, 259, 278 Hyperurbanismus 251 f., 257 f., 262 Ignoranz 164, 282, 315, 390 (auch Anm. 98) Imitation 1, 34, 37 (auch Anm. 105), 46, 94, 250 f., 362, 374 Informativität 370 f., 374–376, 378 Initiation 29 f. , 119, 256 f., 259, 329 Intentionalität 370 f., 375 f. Intertextualität 370 f., 384 Invektive 90 (auch Anm. 7), 107 (auch Anm. 67) Kanon, Kanonisierung 2, 93 f., 116, 133, 159, 213, 255, 294, 314, 382

Register

Klang, klanglich 34, 95, 98, 104, 107, 176, 262, 283 f., 299, 314, 323, 328, 336, 339 f., 343, 384 Klassizismus, klassizistisch 92, 169, 172, 215 Kohärenz, kohärent 1, 25, 81 f., 280, 369 f. (auch Anm. 43), 371, 374, 378 Kohäsion, kohäsiv 369 f. (auch Anm. 43), 371, 374, 378 Kompensation, kompensieren 95 (Anm. 24), 210, 282, 383, 389 Konstruktivität 381 Kontext, kontextuell 2, 63 (Anm. 4), 89, 92, 98, 117, 281, 366, 369, 371, 376, 378, 382, 387, 396 kotextuell 366 f., 382, 395 Lesen, Leser 63–65, 82, 117–119, 124, 147–149, 155, 159, 165, 168, 176, 184, 187 f., 190–193, 205, 212, 221, 225, 254, 281 f., 293 f., 297 f., 302–305, 308 f, 313–321, 326, 338, 344–347, 351, 354– 356, 363, 371–374, 376, 378, 380–383, 389, 391–394 Linguistik, linguistisch 289, 369, 376, 378 f., 394, 396 Makrostruktur, Makroanalyse 378, 380, 395 Meistersinger 117, 130, 135–139, 148 Metrik, metrisch 3, 8–12, 15, 17, 23, 34, 36, 41–43, 46, 72, 94, 103, 143, 146, 148–152, 158, 163, 168, 170, 173–176, 179, 181, 198, 200–206, 208, 211, 215,299, 384, 387–389, 391 Mikrostruktur, Mikroanalyse 364 f., 378, 380, 388

Mimesis, mimetisch, Nachahmung 64, 72, 74 f., 78, 84, 90, 94, 100 f., 156, 179, 190, 209 f., 281 f., 381, 386, 388 Modernisierung, modernisierend 117, 130, 160, 192, 299, 313 f., 326, 334 f., 339 f., 342, 389 f. Montage 41 Morphologie, morphologisch 143, 210, 250 f., 253, 260, 383, 395 mündlich, Mündlichkeit 26, 63, 68, 71, 74, 79 f., 83–85 Nachahmung s. Mimesis Nacherzählung 156, 184–190, 194– 196, 294 f. Negation (als Transformationstypus) 379 Neologismus 257 f., 323, 384, 395 Normativität 379 Nullstufe 366, 381 Paratext 118, 157, 178, 200, 284, 291, 302, 342, 383 f. Pragmatik, pragmatisch 370 f., 376, 378, 396 Präservierung 323 (Anm. 146), 390 Prosa 9 f., 12, 17, 24, 36 f., 40, 44 f., 63–65, 75, 80, 85, 93, 98, 104, 146, 152 f., 156, 168, 171, 174, 193, 200, 216, 222, 387, 389, 391 Prosarhythmus 98, 104 Rationalismus 92 Reduktion 137, 140, 146, 183, 191, 219, 223 f., 307, 391, 394 Rekonstruktion, rekonstruiert VII, 9, 19–21, 24, 27, 31, 212, 370, 375 (Anm. 56), 379, 385, 390 f. Rezipient s. Leser Rhetorik, rhetorisch 89–96, 100– 107, 283 f., 286, 290, 299, 305,

Sachregister

312, 314 f., 326, 335, 364, 384, 388 Rhythmus, rhythmisch 17, 24, 36, 40, 46, 83, 102 f., 176, 327, 340, 370, 384 Satzbau s. Syntax Schule 92, 94 f., 103, 106, 114, 116, 127, 159, 168, 186 f., 194–196, 204 f., 226, 364 Semantik, semantisch 98, 104, 118, 267, 268, 270, 370 f., 378, 384, 396 Situationalität 90 (Anm. 2), 370 f., 375 f. Skopos 105 (Anm. 60), 362 f. Sprechakt (370), 375 Stil, Stilistik 5, 18, 30, 36, 43, 46, 63 f., 66, 68 f., 71 f., 74 f., 78–84, 173, 191, 201, 262, 282–292, 296, 298 f., 304, 310–312, 315, 319 f., 325, 333, 336, 339 f., 343–346, 352 f, 355, 375, 384, 391, 396 Substitution, substituieren 97, 104, 152, 170, 282, 389 Syntax, syntaktisch, Satzbau 63, 71, 81, 84, 103 f., 106, 123, 145, 150, 158, 160, 178 f., 181, 202, 217, 219, 226, 261, 263, 270, 281, 283, 285, 298 f., 306, 311, 315, 319, 323, 328, 330, 336, 342, 367, 378, 383 f., 386, 395 f. Textlinguistik, textlinguistisch s. Linguistik Textsemantik s. Semantik Textualität 371 f. Transfer 362, 364 Transformation V, VII, 25 f., 41, 89, 92–94, 106, 113 f., 116, 132, 136, 138, 146 f., 220, 251, 355, 364, 378, 383 f., 386, 395 f.

Translatologie, translatologisch 361–364 (auch Anm. 3), 366, 369, 379 Transposition 309, 368 Übersetzung, adaptierende 247 f., 263 Übersetzung, archaisierenddistanzierende (s. auch Archaisierung) 72 (Anm. 40), 77, 103, 106, 330, 387 Übersetzung, ästhetisch-kognitive Anm. 74, 99, 103, 281, 336, 378, 386–388 Übersetzung, dokumentarische 34 f., 65, 78, 99 f., 305, 336, 367 f. (auch Anm. 385), 386 Übersetzung, modernisierendassimilierende (s. auch Modernisierung) 66, 70, 72, 76, 78, 100, 103, 117, 128 (Anm. 55), 306, 342, 387 Übersetzung, transponierende 99 f., 103, 105, 107, 249, 263, 267, 269, 272, 281, 298, 306, 317, 342, 345, 385–387 Übersetzungskritik 176, 205, 363 f., 365 f., 376 f. Übersetzungstechnik 282, 386, 388, 395 Übersetzungstyp, -typologie 100, 184, 281, 386, 395 Übersetzungswissenschaft s. Translatologie Umdeutung 183 Verfremdung, verfremden 81, 305, 342, 365 f. (auch Anm. 25), 385 Wirkungsäquivalenz 97, 103 f., 249, 280, 291, 330, 333, 386 Wortfolge, Wortstellung 22, 38, 117, 119, 160 f., 210, 217, 265–

Register

267, 269–271, 329, 335, 347, 355, 367 f., 384, 386 Wortfuß 98, 181 Zielsprache, zielsprachlich 39, 64– 70, 78, 81, 102–104, 145, 211, 220, 226, 254, 329, 341, 363, 367, 381–383, 386 f., 389

Zielsprachenorientierung 39 f., 64– 66, 68 f., 72, 81, 97, 102–104, 221, 293, 317 Zieltext 26, 281, 371, 373–377, 380 f., 390