Studien zu Bruder Hansens Marienliedern [Reprint 2018 ed.] 9783110822601, 9783110002058


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Table of contents :
Inhalt
Einleitung
Die bisherige Forschung
Die Handschriften
Die Form
Der Stoff
Der Dichter und sein Publikum
Die Marienlieder als Literatur
Schlußwort
Anhang: Anmerkungen zu einzelnen Stellen der Lieder
Literatur zu den Marienliedern
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Studien zu Bruder Hansens Marienliedern [Reprint 2018 ed.]
 9783110822601, 9783110002058

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BATTS STUDIEN ZU BRUDER HANSENS MARIENLIEDERN

QUELLEN UND FORSCHUNGEN ZUR SPRACH- UND KULTURGESCHICHTE DER GERMANISCHEN VÖLKER

BEGRÜNDET

VON

BERNHARD T E N BRINK U N D WILHELM

SCHERER

NEUE FOLGE HERAUSGEGEBEN VON HERMANN

KUNISCH

14 (138)

MICHAEL S. BATTS STUDIEN ZU BRUDER HANSENS MARIENLIEDERN

WALTER DE GRUYTER & CO · BERLIN VORMALS G. J . GÖSCHEN'SCHE VERLAGSHANDLUNG — J . GUTTENTAG, VERLAGSBUCHHANDLUNG — GEORG REIMER — KARL J . TRÜBNER — VEIT & COMP.

STUDIEN ZU BRUDER HANSENS MARIENLIEDERN

VON

MICHAEL S. BATTS

WALTER DE GRUYTER & CO • BERLIN V O R M A L S G . J . GÖSCHEN'SCHE VERLAGSHANDLUNG J . GUTTENTAG, VERLAGSBUCHHANDLUNG — K A R L J . TRÜBNER —

VEIT &



GEORG R E I M E R COMP.



Ardùv-Nr. 43 3064/2

© Copyright 1964 by Walter de Gruyter & Co., vormals G. J. Gösch en's ehe Verlagshandlung — J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung — Georg Reimer — Karl J. Trübner — Veit & Comp. — Printed in Germany. — Alle Rechte des Nachdrucks, der photomechanisdien Wiedergabe, der Herstellung von Mikrofilmen, auch auszugsweise — vorbehalten. Satz und Druck: Thormann & Goetsch, Berlin 44.

INHALT Einleitung Die bisherige Forschung Die Handschriften Die Form Der Stoff Der Dichter und sein Publikum Die Marienlieder als Literatur Schlußwort Anhang: Anmerkungen zu einzelnen Stellen der Lieder Literatur zu den Marienliedern

1 3 6 27 33 42 49 71 73 77

EINLEITUNG Unter dem Namen Bruder Hans sind im Verfasserlexikon des Mittelalters drei verschiedene Werke angeführt1. Am Schluß der kurzen Inhaltsangaben fügt Denecke die Bemerkung hinzu: „Die Stücke I, II und I I I wären auf Zusammenhänge zu untersuchen". Wenn man aber auch nur einen kurzen Blick in diese drei Werke wirft, so wird es bald klar, daß sie kaum in einen Zusammenhang gebracht werden können. Das erste und umfangreichste Werk ist ein Marienpreis in sieben Gesängen oder 5 580 Versen, der offenbar um 1400 am Niederrhein entstanden ist. Das zweite ist ein in einer Berliner Handschrift enthaltenes Tagesofficium; am Schluß derselben befinden sich die Worte: „Bruoder Henslin gehoeret diser curß". Der Text stellt die Übersetzung von Bonaventuras Officium in passione Domini dar, doch hält sich diese teilweise in Versen verfaßte Übersetzung nicht genau an das Original. Der Sprache und dem Dialekt nach entstand dieses Werklein Mitte oder Ende des 15. Jahrhunderts, und zwar im schwäbisch-alemannischen Raum. Der oben zitierte Satz deutet wohl darauf hin, daß das Werk einem Bruder Hans gehörte, nicht aber, daß er es schuf. Das dritte Werk schließlich ist ein Brief, der in einem Würzburger Kodex enthalten und an einige Nonnen gerichtet ist. Er beginnt: „Die almechtikait des vater die weißheit des sunes und die lieb des heiligen geistes sey alle zeit mit euch un mein armes gebet zu vor lieber bruder hanzs", und endet: „diser priff ist von eim Kartheußser ein bruder sant augustinus orden gesant". Wie später aus der Darstellung der Lebensumstände des ,ersten' Bruder Hans zu beweisen sein wird, können diese zwei kaum identisch sein. Wir werden also im folgenden darauf verzichten, weitere Einzelheiten über diese Handschriften mitzuteilen, und uns auf das erste, unverdienterweise fast in Vergessenheit geratene Werk beschränken. Die Marienlieder, wie der erste Herausgeber, Rudolf Minzloff, sie nannte — sie werden gelegentlich anderswo als Liebfrauen Liederbuch erwähnt — sind zuerst 1863 nach der Petersburger Handschrift herausgegeben worden2. Sie stechen sowohl in ihrer Form als auch in ihrem In1

2

1

Wolfgang Stammler: Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon. Berlin und Leipzig 1934, Bd. 2. Bruder Hansens Marienlieder aus dem vierzehnten Jahrhundert nach einer bisher unbekannt gebliebenen Handschrift der kaiserlich-öffentlichen BiblioBatts, Studien

2

Einleitung

halt von anderen Erzeugnissen der Marienverehrung erheblich ab, und •wenigstens e i η Germanist war von ihnen sehr eingenommen. Fedor Bech bezeichnete sie in seiner Rezension der Minzloffschen Ausgabe als „von einer seltenen poetischen Begabung" 3 . Auch Johannes Franck ließ sich zu einem ausgedehnten Lobpreis der Lieder hinreißen, und in Anbetracht der späteren Vernachlässigung des Werkes dürfte es nicht unangebracht sein, seine Worte an dieser Stelle zu zitieren: „Man kann es auffallend finden, dass bruder Hansens marienlieder, die unstreitig zu den allerbesten erzeugnissen unserer mittelalterlichen literatur gehören, nach Minzloffs ausgabe nodi so wenig beachtung gefunden haben, wir haben in ihnen das, wie es scheint, leider einzige werk eines hochbegabten dichters, voll lyrischer glut und begeisterung, der mit gewandheit die form handhabt, der sinn für die natur und eine beobaditungsgabe besitzt, wie wir sie im mittelalter sicher nicht oft wiederfinden, und es dabei in bewundernswerter weise versteht, seinen ideen und empfindungen in einer an plastischen bildern reichen spräche ausdruck zu geben, vielleicht sämtliche dichter des mittelalters übertrifft er an Wahrheit der empfindung; bei keinem dürfte man so oft wähnen einen modernen dichter zu hören, bei keinem sich so ,angeheimelt' fühlen. 4 "

Zum Teil mag die erwähnte Vernachlässigung auf den seltsamen Dialekt zurückzuführen sein, in dem die Lieder geschrieben sind. Aber auch der Herausgeber trägt nicht wenig Schuld daran, denn seine Ausgabe erschien ohne jeden Kommentar und voller Lese- und Druckfehler. Bedauerlicherweise führte dieser Umstand dazu, daß die wenigen Kritiker auf dieser Ausgabe fußten und fußen mußten und sich hauptsächlich mit den sprachlichen Eigentümlichkeiten befaßten. Daß die Sprache eigenartig ist, wird niemand bestreiten wollen, dodi ist der Inhalt bis auf wenige Stellen leicht verständlich. Um so seltsamer mag es daher erscheinen, daß sich noch niemand mit dem T e x t der Lieder befaßt hat. Als ich vor einigen Jahren eine solche Untersuchung unternehmen wollte, stellte sich bald heraus, daß die Unzuverlässigkeit der einzigen Ausgabe eine derartige Untersuchung geradezu unmöglich machte, und ich entschied mich daher, den Text möglichst genau nach der Petersburger Handschrift mit Hinzufügung der Lesarten der anderen inzwischen aufgedeckten Handschriften herauszugeben. Diese Ausgabe lege ich gleichzeitig vor 5 ; was hier folgt, sind die Ergebnisse meiner Untersuchung der Handschriften und des Textes.®

3

4 5 6

thek zu St. Petersburg, hrsg. von Rudolf Minzloff. Hannover (Hahn'sche Hofbuchhandlung) 1863. In seiner Rezension der Minzloffschen Ausgabe (s. Literaturverzeichnis), S. 1287. Joh. Franck (s. Literaturverzeichnis); S. 373. Altdeutsche Textbibliothek Bd. 58. Ursprünglich als Magisterdissertation an der Universität London geplant.

DIE BISHERIGE

FORSCHUNG

Die erste von Minzloff bearbeitete Ausgabe der Marienlieder wurde von Fedor Bech in einer langen Rezension scharf verurteilt. Die kommentarlose Ausgabe quittierte er mit der Bemerkung: „Solche Leistungen verfehlen nicht nur an sich ihren Zweck, sondern tragen auch leicht dazu bei, die hie und da im deutschen Volke erwachte Neigung für dergleichen Studien zu schwächen und abzuschrecken, statt sie mehr und mehr zu beleben und fördern" 1 . Die Veröffentlichung der Marienlieder selber aber begrüßt Bech sehr freudig. Im weiteren Verlauf seiner Rezension behauptet er, die Lieder seien nach Meistersängerart komponiert, was Minzloff übersehen habe. Er führt viele Stellen an, wo durch einen leichten Eingriff in den Text die (nach Bech) richtige Silbenzahl hergestellt werden könne. Die Mehrzahl der Minzloffschen Emendationen erachtet Bech für überflüssig, und aus den zahlreichen unverbessert gebliebenen Fehlern schließt er, daß die Handschrift weder vom Verfasser nodi unter dessen Aufsicht (wie von Minzloff behauptet worden war 2 ) entstanden sein könne. Trotz der sehr schönen Ausgabe erweckten die Marienlieder keineswegs großes Interesse. Vier Jahre später wies Bartsch darauf hin, daß Bethmann schon im Jahre 1845 eine Handschrift erwähnt habe, die offenbar die selben Lieder enthielt 3 , und 1879 wies er nochmals auf die Marienlieder hin, indem er im Laufe einer Rezension von Wackernagels „Das deutsche Kirchenlied", die Identität der Nr. 1020—1025 mit den Marienliedern aufzeigte 4 . Eine weitere Handschrift wurde von Fr. Gerss in der Landes- und Stadtbibliothek Düsseldorf entdeckt, und darüber gab er im 11. Band der Zeitschrift für deutsche Philologie Auskunft 5 . Er beschränkt sich jedoch nach einer Beschreibung der Handschrift auf die Erörterung der Frage, welchem Orden Hans angehört habe. Aus der Sprache schließt Gerss, Hans sei ein Niederländer, sprich Holländer, und zwar wahr1 2

3 4

5

1*

Bech, S. 1287. „Das manuscript kann also, wenn es nicht vielleicht zur hälfte von ihm selbst geschrieben ist, füglich in seinem besitze gewesen sein", Minzloff, S. XIII. Germania XIII (1867), 89—90 (Kleine Mittheilungen V.). Germania X X I V (1879), 250—2 zu: Ph. Wackernagel: Das deutsche Kirchenlied von der ältesten Zeit bis zu Anfang des X V I I . Jahrhunderts. Leipzig, 5 Bde., 1864—77. Fr. Gerss: Zu Bruder Hansens Marienliedern. ZfdPh. X I (1880), 218—27.

4

D i e bisherige Forschung

scheinlich ein K r e u z b r u d e r g e w e s e n . E r v e r m u t e t , d a s O r i g i n a l d e r a u s K l o s t e r M a r i e n f r e d e s t a m m e n d e n D ü s s e l d o r f e r H a n d s c h r i f t m ü s s e in H u y o d e r in S c h o e n h o v e n g e w e s e n u n d d i e H s . d a u f e i n e r R e i s e d o r t h i n a b geschrieben w o r d e n sein. E r b r i n g t eine L i s t e v o n V a r i a n t e n . I m selben J a h r u n d n a c h d e r V e r ö f f e n t l i c h u n g des Gersschen

Arti-

kels erschien in d e r Zeitschrift f ü r deutsches A l t e r t u m ein l a n g e r A u f s a t z v o n J o h . F r a n c k , d e r die M a r i e n l i e d e r z u m e r s t e n M a l e

wissenschaftlich

untersuchte®. D a s f o l g e n d e ist eine k u r z e Z u s a m m e n f a s s u n g seiner

An-

sichten: 1.

D i e Handschriften D i e sieben Gesänge wurden in der Reihenfolge 4, 5, 6, 7, 3, 2, 1 v e r f a ß t . D i e H s . Ρ ist dem O r i g i n a l sehr n a h e ; größte Vorsicht ist beim Emendieren geboten.

2.

Sprache und H e i m a t D e r Dichter ist „niderlender", d. h. v o m Niederrhein, nicht H o l l ä n d e r , und z w a r stammt er aus der Gegend zwischen K ö l n und K l e v e . O b w o h l er reines .Hochdeutsch* zu schreiben versucht, ist des Dichters eigene Sprache die des Gebietes um oder südlich v o n K l e v e .

3.

Stoff und Dichter H a n s h a t t e gute Sprachkenntnisse, k a n n t e sich auch in der Theologie aus. E r w a r in der zeitgenössischen Literatur bewandert und zeigt d a neben wissenschaftliche Kenntnisse. E r m u ß einem O r d e n v o n Mystikern angehört h a b e n ; aber welchem, l ä ß t sich nicht bestimmen.

4.

Franck analysiert sorgfältig die F o r m , v o r allem die Reime, um Bechs Behauptung, H a n s habe das P r i n z i p der Silbenzählung angewandt, zurückzuweisen. Seine zusammenfassende Darstellung l a u t e t : „ W i r k ö n nen Hansens metrisches princip so characterisieren : die silben im verse werden gezählt von der ersten bis zur letzten hebung; a u f t a c t und Senkungen nach der letzten hebung rechnen nicht mit. eine ausnahme machen nur die Zeilen der Titurelstrophe, welche statt klingenden stumpfen schluss erhalten, diese bekommen eine hebung, also zwischen der ersten und letzten 2 silben mehr, a u f t a c t w i r d nach belieben gesetzt und weggelassen. an gleicher stelle des versschemas können männliche und weibliche ausgänge tauschen, genau genommen dürfen wir eigentlich diese methode nicht silbenzählung nennen; w i r müsten vielmehr sagen: H a n s baut seine verse nach der alten regel, füllt aber die Senkungen aus und erlaubt sich tonversetzungen. daneben w ü r k t aber a u f den dichter auch noch das princip, die silben durch den ganzen vers zu zählen und äussert sich, indem da, w o statt weiblichen schlusses an den um eine hebung vermehrten vers männlicher, oder, w o an die stelle zweisilbigen reimes dreisilbiger tritt, oft der sonst stehende a u f t a c t unterdrückt wird, am meisten aber in den Strophen des letzten liedes, w o in grösserem umfange durch versetzte betonung gleidimässiger trochäischer gang erzwungen wird, es w i r d gewis niemand verkennen dass bei Hansens versen beiden methoden rechnung zu tragen i s t " 7 .

6

Siehe oben S. 2, A n m . 4.

7

Franck S. 3 9 8 .

Die bisherige Forschung 5.

5

Textkritik Nach einer Liste der Bechschen Emendationen, die er anzunehmen bereit ist, bespricht Franck die Vorschläge von Minzloff und Gerss. Er vergleicht den Wortschatz mit dem Wörterbuch von Gerard van der Schueren und Cornelius Kiel 8 . Er findet, es gebe vieles zu ändern, aber nichts, was darauf schließen lasse, daß die Fehler schon in der Vorlage von Ρ vorhanden gewesen seien. Die Hs. Ρ bleibt maßgebend.

Auch dieser Aufsatz von Franck erweckte kein Interesse an den Marienliedern, und in den folgenden Jahren erschien lediglich e i η Artikel, der die Lieder zum Thema hatte. Alfred Morsbach untersuchte 1913 Bruder Hansens englische Sprachkenntnisse und kam zu dem Schluß, die Sprache könne als Londoner Englisch mit kentischem Einschlag bezeichnet werden. Er hält es für möglich, Hans habe England besucht oder mit englischen Brüdern desselben Ordens Verbindung gehabt 9 . Abgesehen von unbedeutenden Einzelheiten, Erwähnungen in Literaturgeschichten u. dgl. ist seitdem nichts über die Marienlieder erschienen. Im Laufe der Jahre sind aber weitere Handschriften ans Licht gekommen. Eine, die Kölner, ist verschollen. Diese Handschriften sind in Stammlers Verfasserlexikon erwähnt, eine Beschreibung der Handschriften gebe ich in meiner Ausgabe. In der nun folgenden Untersuchung werden daher nur solche Einzelheiten über die Handschriften mitgeteilt, die in der Ausgabe keinen Platz finden konnten.

8

9

Das „Theutonista" oder „Duytschlender" genannte Wörterbuch von Gerard van der Sdiueren und das „Etymologicum Teutonicae linguae sive Dictionarium Teutonico-latinum. . . von Cornelius Kilianus, 1599 (1777). A l f r e d Morsbach: Bruder Hansens Englisch. Z f d A LIV (1913), 1 1 7 — 2 0 .

DIE

HANDSCHRIFTEN

P(etersburg): O . v . X I V . l ; 141 Pergamentbll. in Duodezformat, ca. 1400 Pa(ris): Deutsche Staatsbibliothek ms.germ. oct. 425; 87 Pergamentbll. des 15. Jhs. d (Düsseldorf): Landes- und Stadtbibliothek C. 93; 1 + 220 Papierbll. in Kleinquartformat, die Marienlieder befinden sich auf Bl. 188 r—219 r; 15. Jh. b (Berlin): Deutsche Staatsbibliothek ms.germ.quart. 1016; 2 + 172 Papierbll., die Marienlieder befinden sidi auf Bl. 88 r—172 v; 15. Jh. k (Köln): (verschollen) die Katalognummer war Wallraf X I I I 131, und die Hs. bestand aus 83 Papierbll. in Kleinquart, vermutlich vom 15. Jh. F(Fragment): Deutsche Staatsbibliothek ms.germ.fol.756; ein Pergamentblatt, ca. 1400

Herkunft und Datierung der

Handschriften

Über die Herkunft der einzelnen Handschriften läßt sich wenig sagen. Minzloff weist darauf hin, daß, nach den im Innern der Hs. Ρ angebrachten Wappen und Helmen zu urteilen, die Handschrift früher, d. h. um 1400, im Besitze der Gräfin Margarethe, Tochter Gerhards von Jülich, gewesen zu sein scheint. Die Hs. d, die noch heute in Düsseldorf aufbewahrt wird, entstammt, allem Anschein nach, dem Kloster Marienfrede in der Gemeinde Ringenberg über Wesel2. Die Hs. b, deren Einband dem der Hs. d sehr ähnlich ist, trägt auf der ersten Vorseite u. a. den Namen „ Johan van wylich" und auf Seite 1 r den Namen „Praenob.Dni. D. Joh. Wilh. a Knippenberg" darunter das Datum 1658. Der zuletzt Genannte wird der niederrheinischen Adelsfamilie der Knippenbergs angehört haben, und auf ihn bezieht sich das Datum. Der ältere Besitzer wird wohl der Johan von und zu Wylich gewesen sein, dessen Vater, Diedrich von Wylich-Diesford, im Jahre 1464 Klevischer Erblandhof1

Ferdinand Franz Wallraf (1747—1824), Kleriker und Professor für Botanik, später Rektor der Universität Köln, vermachte seine Sammlung der Stadt Köln.

2

Gerss, S. 218 und 225.

Die Handschriften

7

meister wurde®. Jolian, ältester Sohn Diedridis, ist in einer Schenkungsurkunde des Klosters Marienfrede bezeugt. Die Urkunde trägt das Datum des 1. Mai 1514; Johan übergibt „eine ewige Lampe mit 60 Philippsgulden und eine Memorie für seine verstorbene Gattin Gertrud von Bylant mit 40 Gl.". 4 Da sie wie auch die Eltern Johans in der Klosterkirche vor dem Altar begraben wurden, ist eine enge Beziehung der Familie zu diesem Kloster anzunehmen. Die Herkunft der anderen Handschriften ist unsicher; die Sprache der Hs. k weist zumindest eindeutig auf den kölnischen Raum hin, wo die Handschrift auch bis zu ihrem Verschwinden geblieben ist. Von den uns erhaltenen Handschriften sind der Schrift und dem Schreibstoff nach die Hss. Ρ und F um 1400, die übrigen während der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts entstanden. Wir haben es somit mit Handschriften zu tun, die nicht allzu lange nach der Abfassung des Werkes niedergeschrieben worden sind, denn als terminus ante quem non ergibt sich aus dem Text das Datum 1391. In diesem Jahre wurde die schwedische Mystikerin Birgitta heilig gesprochen, deren Werk Hans, und zwar ziemlich genau und unter Berufung auf die Quelle, zitiert. Dies geschieht im V. 2587 (des 5. Gesanges). Einen genauen terminus post quem non kann man nicht feststellen, dodi dürfte die paleographische Datierung der Handschriften als einigermaßen sicher gelten. Die Entstehung der einzelnen Teile der Marienlieder läßt sich folgendermaßen rekonstruieren: der 4. Gesang wurde zunächst geschrieben, er beginnt mit einer typischen Demutsformel: Al ben ich nicht ghesellet Mit meysterscaft, ich sehn doch, daz zu höbe De narren ouch der heren cleyder traghen (1590—92). Diese Einleitung umfaßt etwa 10 Strophen; darnach kommt der Dichter zum eigentlichen Thema der Dichtung nach Benennung der Quelle: Sam ich in vita Cristi vint beschreben (1675). Am Schluß dieses Gesanges bittet Hans um gnädige Aufnahme durch die Jungfrau, und seine unterwürfige Bitte steht in scharfem Gegensatz zu seinem späteren, selbstsicheren Ton (etwa V. 4802). Seine Lage beschreibt er folgendermaßen: Sint du muterliich ,com her', Sarte vrou, geroufen hasz Und ich anders nicht en gher, 3

Die ganze Stelle lautet in der Handschrift: „Dyt boec hoert toe hern Johan van Wylich Ritter hayffmester Dreest (?) oder hern".

4

Robert Haas: Die Kreuzherren in den Rheinlanden. Bern 1932, S. 137.

8

Die Handschriften

So leyt mich armen pelgrim uph de rechten strasz (2225—28). Ganz am Sdiluß des Gesanges geschieht ein Hinweis auf seine Frau: Went ich . . . Daz [liebste], daz mir uph erten ist, wil derben (2276—7). Der Anfang des 5. Gesanges scheint darauf hinzuweisen, daß Hans ein wenig unsicher geworden ist und die Notwendigkeit eines Beharrens auf seinem Entschluß fühlt: Nu la doch nicht vercalden / Daz vur... (2283—84), und bis zum Ende des Gesanges scheint er immer noch nicht endgültig in einen Orden eingetreten zu sein, denn er schreibt: S int ich ben uebergebende . . . in Bezug auf seine Frau. Diese Stelle kann bedeuten, daß er im Begriff ist, seine Frau zugunsten der hl. Jungfrau aufzugeben, dodi kann er damit auch andeuten wollen, daß er jetzt seine Frau in die Pflege eines Frauenordens übergibt. Erst am Schluß des 6. Gesanges finden wir die in der ,perfektiven' Vergangenheit verfaßte Bemerkung: Ich und die alreliebste miin zuzamen, / Die ich durch dich gelasen h a en (3678—79), so daß wir annehmen können, Hans habe nun tatsächlich den entscheidenden Schritt getan. Zwischen dem Ende des 6. und dem Anfang des 7. Gesanges ist vielleicht eine längere Pause anzunehmen, denn Hans beginnt diesen mit den Worten: Aber spricht miin hertz mir in, Daz ich der zarter cueninghin, Hondert liet zu lobe beghin (3681—86). Auch soll mit dem 7. Gesang die Dichtung als abgeschlossen gelten; darauf weist die ausgedehnte Fürbitte am Schlüsse des Gesanges hin, im Laufe deren neben Maria durch sie audi die Dreieinigkeit angerufen wird. Die Bitte erfolgt wiederum im Namen auch seiner Frau, und die Formulierung stimmt fast genau mit dem Sdiluß des 6. Gesanges überein: Daz die liebste miin unde ich, / Die ich gelasen haen durch dich (5276— 77). Der Sdiluß des 3. Gesanges bezeugt, daß Hans audi mit diesem Gesang sein Werk enden wollte, denn er schreibt: Si is diin dyrn, ich byn diin armer slave. I Ich byd daz sy ons leste wort (1578—79). Diese Stelle kann zwar anders ausgelegt werden; uns scheint Hans damit sagen zu wollen, daß sowohl er als auch seine Frau im Dienst der Jungfrau ständen und daß er hoffe, jetzt seine Dichtung endgültig abgeschlossen zu haben. Daß er dennodi auch einen zweiten und einen ersten Gesang dichtete, braucht uns nicht zu verwundern. Es kann leicht auf Antrieb seiner Leserschaft geschehen sein. Ein Mangel an Teilnahme im zweiten Gesang

Die Handschriften

9

ist unseres Erachtens nicht zu übersehen, und der erste, einleitende Gesang ist dem Vorwurf der Spielerei berechtigtermaßen ausgesetzt. Daß der 2. Gesang verhältnismäßig spät geschrieben worden sein muß, beweist Hansens jetzt übliche Fürbitte am Schluß. Diesmal schreibt er nämlich: Nu bid ich vor se vrouwe, Sam ich haen o f t ghebeden, Der ich gaf e y η s miin trouwe (874—6). Auch in der Einleitung fehlt eine solche Stelle nicht. Wir kommen also zu dem Ergebnis, daß das Werk ursprünglich aus einem 100-strophigen Gesang bestand, dem sich nach und nach andere Gesänge anschlossen5. Vermutlich hat Hans bei der ersten Weiterführung des Gedichtes drei, dann vier Gesänge schreiben wollen. Diese vier Gesänge haben auch in der Hs. Ρ Überschriften, deren Echtheit nicht angezweifelt zu werden braucht. Etwas später erfolgte die Voranstellung des 3., 2. und schließlich des 1. Gesanges. Diese seltsame Arbeitsmethode spiegelt sich auch in den Handschriften wider, da die Hs. Ρ zwei Schriften aufweist, jeweils eine für die Gesänge 1—3 und 4—7, und die Hs. Pa erst mit dem 3., die Hss. d, b und k mit dem 2. Gesang einsetzen. Über wieviele Jahre die Komposition der Lieder sich hingezogen hat, darüber ist nicht leicht zu urteilen. Franck hat auf Grund einiger Textstellen zu beweisen versucht, daß im ganzen etwa 4—5 Jahre für die Verfassung der sieben Gesänge beansprucht wurden. Er gründet seine Theorie auf die Angaben über die Jahreszeiten in V. 2981 ff. und auf die Verse 4861 und 5179. Am Anfang des 6. Gesanges war es Frühling und am Schluß des 7. Winter. Hans sagt aber in V. 4861 des 7. Gesanges, daß er wiederhole, was er im vorigen Jahre (V. 3942) gesprochen habe. Aus diesem Grunde müssen, so folgert Franck, seit dem Beginn des 6. Gesanges 18 Monate verflossen sein. Solche Datierung scheint uns nicht ganz geheuer, denn es ist nicht leicht zu unterscheiden, wann ein Dichter die Jahreszeiten, etwa die Schilderung der Frühlingsblüte u. dgl. aus dem Gedächtnis hervorzaubert, und wann er sie tatsächlich vor sich hat. Wir möchten also nicht viel Wert auf diese Stelle legen, sondern uns mit der Feststellung begnügen, daß, wie aus den selbstbiographischen Stellen hervorgeht, die Komposition der Lieder höchstwahrscheinlich mindestens 5 Jahre in Anspruch genommen hat. Was wir über die Herkunft und die Abfassungszeit der Handschriften erfahren können, führt zu der Annahme, daß das Werk um oder kurz nach 1400 im niederrheinischen Raum entstand. Viel darüber wissen wir aber nicht, und schon gar nichts können wir über das Verhältnis der 5

Siehe oben und Franck, S. 374—5.

10

Die Handschriften

Handschriften zueinander erfahren. Nichts in der äußerlichen Anlage der Handschriften deutet auf Beziehungen zwischen ihnen, es sei denn die Ähnlichkeit des Einbandes der Hss. d und b. Es ist also notwendig, die Abweichungen in der textlichen Überlieferung sorgfältig zu vergleichen, um zu einer Vorstellung der Handschriftenverhältnisse zu gelangen, und es wird sich dabei herausstellen, daß diese Verhältnisse, zwar durch die eigenartige Kompositionsweise des Werkes verwickelt, dazu beitragen, die Entstehung und die Verbreitung der Lieder zu verstehen. Es ist zunächst festzustellen, daß von allen Hss. nur Ρ alle sieben Gesänge hat und daß auch ihr sechs Strophen (V. 1210—51) fehlen. Die Entstehung dieser Handschrift muß man sich folgenderweise denken 6 : der erste Schreiber schrieb die Gesänge 4, 5, 6 und 7 (Bl. 40—141) und ließ einen genau berechneten Raum für die Eintragung des 3. Gesanges (Bl. 22—37). Bl. 38 ist unbeschrieben; ein Marienbild befindet sich auf Bl. 397. Dem zweiten Schreiber lag jedoch sowohl der 3. als auch der 2. und der 1. Gesang vor, so daß er gezwungen war, noch 21 Pergamentblätter der Handschrift voranzustellen. Daß ihm dabei eine vollständige Abschrift als Vorlage diente, beweist die Tatsache, daß er das vermutlich fehlende Blatt 68 auch schrieb und einfügte. Das Blatt ist nämlich in seiner (des 2. Schreibers) Hand und auf Pergament geschrieben, welches den Blättern 1—21 und nicht 22—141 ähnlich ist. Aber trotz seiner Sorgfalt hat er — wahrscheinlich durch Überspringen eines Blattes — die genannten sechs Strophen ausgelassen. Aus diesem Grund, und weil ein dritter Schreiber erst vieles nachträglich hat korrigieren müssen, ist es hödist unwahrscheinlich, daß der eine oder der andere dieser Schreiber der Dichter selber gewesen ist oder unter seiner Aufsicht gestanden hat. Fehlende Wörter sind häufig am Rande eingefügt, ζ. B. bei V. 1794 siin rechts am Rande, bei V. 1795 niht links am Rande, auch sind einige Wörter wie ζ. B. aling in V. 1025 und bekenningen in V. 2210 in eine offensichtlich leer gelassene Stelle eingetragen worden. Ferner sind u. a. die Verse 2159—61 von anderer H a n d hineingeschrieben worden, und dies scheint auch anderswo der Fall zu sein; nur läßt sich das aus dem Mikrofilm, der uns zur Verfügung stand, nicht immer eindeutig feststellen. Von den anderen Handschriften besitzt keine einzige alle sieben Gesänge. An Vollständigkeit der Hs. Ρ am nächsten sind die Hss. d und k. Die Hs. d ist zwar von einem einzigen Schreiber, aber offensichtlich in großer Eile angefertigt worden. Denn obwohl er nur zweimal eine Strophe und zweimal einen Vers ausgelassen hat, fehlen im Text sehr β

7

Im folgenden muß auf die Einleitung zur Minzloffschen Ausgabe zurückgegriffen werden, da nicht alle Fakten sich aus einem Mikrofilm feststellen lassen. Abbildung bei Minzloff.

Die Handschriften

11

häufig wenig wichtige Wörter, oder es steht ein anderes, gleich bedeutendes Wort an dessen Stelle, ζ. Β. V. 1592 gecken f. narren und V. 1593 geen f. nicht eyn. Mit anderen Worten, der Schreiber erfaßte den Sinn und gab ihn, wenn auch in anderem Wortlaut, wieder. Ferner stand ihm, wie aus einigen Lesarten zu erkennen ist, seine Vorlage nicht mehr zur Verfügung, als er das Geschriebene verbessern wollte. In einigen Fällen wählt er das richtige Wort oder ein gleichbedeutendes wie bei V. 1610, wo er oben herten einsetzt f. sinnen; manchmal wählt er aber falsch, ζ. B. in V. 1978 kiip in stride f. ordenunghe. Als Beispiele von Flüchtigkeitsfehlern mögen folgende genügen: V. 789 als alle gyeni.yr genealegye und V. 915 vrede f. vrytel. In den ersten Versen des 4. Gesanges fehlen folgende Wörter: 1598 ghigen, 1599 nicht, 1601 vil, 1617 die, 1628 ayn anxte; 1632 schreibt er dat f. is, 1642 mach f. muchte usw. Die Hs. k besitzt zwar denselben Teil des Textes, den audi d bringt, doch liegen die Verhältnisse ganz anders. Zunächst stehen die Gesänge in der falschen Reihenfolge — es sei denn, daß Wackernagel sie geändert hat —, und diese Reihenfolge ist schon aus dem textlichen Zusammenhang nicht zu rechtfertigen. Der 3. Gesang, der in k nach dem 4. überliefert ist und die Auslegung des ave enthält, könnte zwar möglicherweise auf den 4., die Verkündigung enthaltenden Gesang folgen — obwohl die Auslegung des ave ihren Ausgangspunkt von der Eva-Geschichte nimmt —, aber vollends unmöglich ist es, daß die Schilderung der Geburt Christi und seiner Jugend (5. Gesang) auf die Darstellung der Freuden im Paradies folgen sollte, denn erst durch die Mutterschaft verdient die hl. Jungfrau ihre Vormachtstellung in der himmlichen Hierarchie. Der Text selber weicht an mehreren Stellen von dem in der Hs. Ρ überlieferten ab und ist überdies ohne große Aufmerksamkeit geschrieben worden; anders kann man sich den verstellten Sinn und gestörten Rhythmus vieler Verse nicht erklären — man vergleiche ζ. B. die ersten Strophen des 6. Gesanges, besonders V. 2298, 3005, 3113 usw. Nur an einer Stelle scheint es dem Schreiber aufgefallen zu sein, daß die Vorlage einen Fehler enthielt (V. 3387); aber auch dann hat er die fehlende Strophe (V. 3394—3400) nicht zu ersetzen versucht. Verwunderlich ist nur, daß nicht mehr als diese Strophe und ein Vers (2300) fehlen. Wir dürfen jedoch über diese einfachen Feststellungen nicht hinauszugehen versuchen, denn die Handschrift steht uns nicht mehr zur Verfügung, und die Wackernagelsche Abschrift kann einige weitere Fehler hineingebracht haben. Sicher ist lediglich, daß die Vorlage eine stellenweise sehr freie Bearbeitung der Lieder geboten hat, die der Schreiber, ohne sich um Besserungen zu kümmern, abschrieb. Von den übrigen beiden Handschriften (wir lassen F vorübergehend außer Betracht) bringt b die Gesänge 2—7, aber der Sdiluß des 7. Ge-

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Die Handschriften

sanges fehlt. Auch hier, ähnlich der Hs. k, stehen die Gesänge 3 und 4 in der umgekehrten Reihenfolge; und auch hier weicht der Text an vielen Stellen ab. Der Schreiber dieser Handschrift hat aber im Gegensatz zu k sorgfältig gearbeitet, denn es fehlt keine Strophe und nur ein einziger Vers (V. 2062). Im 7. Gesang sind allerdings einige Verspaare vertauscht, was bei dem Strophenbau leicht geschehen konnte. Daß der Text häufig abweicht, hängt nicht nur mit der Vorlage zusammen, sondern ist auch ein Zeichen für des Schreibers Bemühen, seine ihm vermutlich fehlerhaft erscheinende Vorlage zu korrigieren. Die Hs. b ist wohl die jüngste, und neben der schlechten Vorlage mag dies der Grund für die freie Behandlung sein; der Schreiber empfand Hansens manchmal unbeholfenen Verse als störend. Wie dem auch sei, die Absicht des Schreibers ist unverkennbar: er ändert so wenig wie möglich an dem Sinn der Dichtung, baut aber häufig Verse um, fügt Wörter hinzu oder läßt überflüssige Wörtchen fallen, um den Versrhythmus zu glätten und jene Regelmäßigkeit (wiederherzustellen, die ihm wünschenswert erscheint. Als Beispiele mögen folgende Verse dienen: 1599 nicht spoelen wol f. nicht gespiln, 1643 Wie rechte wol das se hait got behaget f. Wie rechte lutzliich wol si im behaghet (Dieser Vers fehlt in d), 1690 krancke f. snote, 1694/5 ouch da f. al da und wol f. ouch, 1708 do da, 1738 vns da von f. ofte, 1747 Al vnser f. Onser. Ein Vergleich zwischen b und k zeigt erst redit den Unterschied; wir bringen eine Stelle, wo b und k von der Vulgata abweichen (3107— 13): b All deser hemel speren die hii sint vur genennet der tzheende so vns leren der meister der empireun ist bekennet Vnd myt den seligen geisten ist getzyeret hait allein vmbuangen jn ym men clair die gotheit Speculieret k Alle disser hemell speren die vur syn genennet der zehende als vns leren die meister den empir::''' ist bekennet (* so Wackernagel) vnd mit den seligen geisten ist gezeret die hait er alleyn vmbfangen in yme man clair die gotheit speculeret. Der Hs. Pa fehlen die Gesänge 1—3 und der Schluß des 7. Gesanges,

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obwohl sie der besten Handschrift, nämlich der Hs. P, nahe zu stehen scheint. Andererseits läßt sich gerade das Fehlen dieser .frühen' Gesänge als Zeichen der Ursprünglichkeit auslegen, denn die Handschrift ist möglicherweise zu einer Zeit entstanden, als die ersten Gesänge nodi nicht verfaßt worden waren. Geschrieben ist sie allerdings mit wenig Sorgfalt, und man kann sich nur wundern, daß sie einmal als „eine hübsche pergamenthandschrift" bezeichnet worden ist8, Schon das Äußere verkündet den lässigen Schreiber: Tintenkleckse sind vorhanden; falsche oder wiederholte Worte oder Verse sind durchgestrichen; die Schrift ist wenig schön; Initialen sind manchmal falsch nachgezeichnet worden, und es fehlen nicht nur zwei längere Partien, sondern audi häufig Verse oder Verspaare. Man kann also annehmen, daß der Schreiber seine Vorlage nicht aus eigener Initiative geändert oder gebessert" haben wird; andererseits muß man erwarten, daß in der Vorlage enthaltene Fehler beibehalten bzw. neue hineingeschleppt worden sind. Eine Betrachtung der Hs. F erübrigt sich an dieser Stelle, da wir sie sogleich bei dem Vergleich der fehlenden und vertauschten Verse kennenlernen werden. Die in den einzelnen Handschriften fehlenden oder verstellten Verse sind folgende: In der Hs. Ρ fehlen: 1210—1251 Pa : 1093, 1232—77, 1520—21, 1984, 2161—2, 2636—7, 2900, 3001, 3368—9, 3789—3861, 4200 1643, 1740, 2436—41, 2848—54 d 2062 b k 2300, 3394—3400 Vertauscht sind in Ρ 2048—2047—2049 F 2048—2049—2047 Pa 3710/3709 k 3710/3709 b 3768/7, 3850/49, 4552/1 Aus diesen Fehlern lassen sich jedoch keine wichtigen Schlüsse ziehen. In einem Falle scheint eine Beziehung zwischen den Hss. Ρ und Pa vorzuliegen, denn in beiden sind die Verse 3709/10 in umgekehrter Reihenfolge überliefert. Der Sinn erfährt hierdurch allerdings keine Entstellung. Die einzige Übereinstimmung, die wirklich von Interesse ist, betrifft die Verse 2047—49, und zwar aus folgendem Grund: Die Hs. F überliefert 8

Bethmann in ZfdA V (1845), 419—21.

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uns lediglich einige Verse aus dem 4., dem zuerst geschriebenen Gesang. Die vier Seiten enthalten V. 1763—1857 und 2043—2140. Das sind 94 und 97 Verse. Der 4. Gesang beginnt mit V. 1581, so daß von dem ersten Teil des Gesanges 182 Verse fehlen. Angenommen, die erste Seite hätte einige Zeilen weniger als die übrigen Seiten gehabt, so könnte es sein, daß das vorhandene Folioblatt das dritte in einer Lage von vier gewesen ist, denn es fehlen zwischen der Rückseite der ersten und der Vorderseite der zweiten Seite 185 Verse, die auf vier Seiten Platz finden würden. Es fehlen also Bl. 1 r — ν und 2 r—ν (182 Verse), 4 r — ν und 5 r — ν (185 Verse) und natürlich auch 7 r—ν und 8 r—v. Ein Gesang enthält 700 Verse, was eine Durchschnittszahl von etwa 44 Versen pro Seite ergibt, wollte man den ganzen Gesang auf acht Blätter niederschreiben. Hinzu kommt die Tatsache, daß das Fragment anscheinend um 1400 (sowohl MinzlofF als auch Degering geben 14. Jh. an) entstanden ist, und der Gedanke liegt nahe, daß dieses Fragment mit V. 1581 begonnen hat, wurde also niedergeschrieben, als die Gesänge 1—3 noch nicht verfaßt worden waren, v i e l l e i c h t zu einer Zeit, als die Gesänge 5, 6 und 7 nicht fertig waren. Die den Sinn entstellende Verwechslung der Verse 2047—49 muß folglich sehr früh in der Überlieferung stattgefunden haben, weil sowohl Ρ als auch F diesen Fehler haben. Dabei kann nur festgestellt werden, daß F eine sinngemäß richtige, Ρ hingegen eine sinnwidrige Reihenfolge aufweist. Es ist daher unwahrscheinlich, daß Ρ aus F, möglich, daß F aus P, aber wahrscheinlich, daß beide aus einer gemeinsamen, den Fehler schon enthaltenden Vorlage herrühren. Wenden wir uns nun einer Betrachtung der Lesarten zu! Wir beginnen mit dem 4. Gesang und untersuchen dann die einzelnen Gesänge in der chronologischen Reihenfolge ihrer Entstehung. Es gibt nur wenige Lesarten im Fragment F, da auch mit Anwendung von UV-Photographie nur Teile der vier erhaltenen Seiten lesbar sind; sie werden deshalb vollständig aufgezählt: 1770 halte f. behalte, 1774 blybent bey de f. beide blibent, 1778 vortel f. urteil, 1780 wye f. ho, 1800 bey ten f. leider, 1807 icht f. recht, 1809 min fehlt, 1815 vrider statt vrid, betruten statt beduten, 1838 in f. zu, lilien fehlt, 1839 lelie conync, 1850 by f. in und 2084 sy ym doe statt do se ym. Es handelt sich durchweg um unbedeutende Abweichungen, von denen nur zwei eine Übereinstimmung mit anderen Handschriften zeigen. In V. 1774 erscheinen die Wörter blybent bey de in Pa und in F in umgekehrter Reihenfolge; ferner liest F wye für ho in V. 1780 wie auch Pa, d und k. Im letzteren Falle kann es genauso möglich sein, daß Ρ und b eine falsche Lesart haben und daß PadkF die ältere Lesart bieten. Auf jeden Fall lassen sich aus diesen zwei Varianten keine Schlüsse ziehen. Bezeichnender scheint V. 1807 zu sein, wo F (und b) mucht icht und Pa

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icht mucht überliefern, wohingegen in k das Wort icht fehlt. Nur Pd haben mucht recht. Uns gefällt die Lesart muât icht besser, und es ist wiederum möglich, daß hier Pb (Pa) eine ältere Form bewahrt haben. Dabei ist zu bemerken, daß diesmal b die gleiche Lesart hat wie F, obwohl sie in V. 1780 der Hs. Ρ folgte. Bei den anderen Abweichungen handelt es sich um einfache Schreiberfehler oder Auslassungen, die von keiner anderen Handschrift geteilt werden. Die Stellung der Hs. F kann, mit anderen Worten, nicht mit Sicherheit aus den Lesarten erschlossen werden. Wenn wir uns aber den anderen Hss. zuwenden, so stellen wir sogleich viele gemeinsame Fehler fest, die auf bestimmte, wenn auch verwickelte Beziehungen schließen lassen. Die bedeutendsten, zwei oder mehr Handschriften gemeinsamen Abweichungen im 4. Gesang sind folgende: db: 1642 mach f. mucht, 1736 End f. Untz, 1769 breket die woerd statt de woorte hrichet, 1904 mynslicker f. minschen, 1933 et is, 1953 starker f. stolzer, 1991 meister f. mynster, 2123 In f. Aen, 2130 vit f. vort, 2154 herten f. heren, 2256 vyt den f. bisz ein, 2274 die synne; bk: 1854 gracia plena statt plena gracia, 1930 in f. an, 1932 geloub betraget f. geleube traget, 1991 zarte f. starche, 2045 palmen f. palmzwie, 2112 gessellet f. irsellet, 2182 jn f. an; Pak: 1736 Bis f. Untz, 1744 und 1760 sprah f. jah, 2070 muchte f. muste; dk: 1665 sunt sy statt se sant, 1681 und 1682 had aus 1682 vor ym in 1681, 1846 voer f. an, 2167 rast f. ru. An drei Stellen hat Ρ eine falsche Lesart: V. 1605 ist ich in mich zu verbessern, nur Pa hat in V. 2153 die richtige Lesart, nämlich ru (für in) und in V. 2042 muß es spreechs heißen, statt wie in PPa spreech. Bei weitem die größte Zahl der Varianten betrifft die Hss. db, und eine Verwandtschaft dieser Handschriften muß als erwiesen gelten. Die Abweichungen sind zwar nicht weitgehend und betreffen vielfach Auslassungen, dodi sind einige Fälle dabei, wo in der Hs. Ρ fehlende Worte eingeschoben worden sind; überhaupt zerstreut die Z a h l der Übereinstimmungen, verglichen mit den anderen Handschriften, alle Zweifel. Einiges Bedenken bereitet allerdings die Tatsache, daß die Hs. b einige Lesarten mit k gemeinsam hat, die zwar nicht bedeutend, dennoch an sich zahlreich genug sind, um auf die Möglichkeit einer Verwandtschaft audi dieser Handschriften hinzuweisen. Die kleine Zahl der Ubereinstimmungen zwischen d und k darf an dieser Stelle außer Acht gelassen werden. Zu k hat möglicherweise audi Pa eine Beziehung, denn von den Auslassungen in V. 2193 abgesehen (es fehlt das Wort schoen in beiden Hss.) hat sie keine Abweichung, die sie mit einer anderen Handschrift teilt, es sei denn mit Ρ (s. oben). Einen weiteren Beweis für Beziehungen zwischen Ρ und Pa liefert vielleicht die Stelle 2159—61, denn diese Verse sind in der Hs. Ρ von einer anderen Hand (der des Schreibers der ersten Gesänge?) eingetragen worden. V. 2160—61 fehlen aber in Pa. Man könnte

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daraus folgern, daß diese Verse in der Vorlage von PPa* fehlten und daß erst der Schreiber von Ρ ihr Fehlen gemerkt hat. Er ließ nämlich einen Raum für ihre Eintragung, die dann von einem anderen durchgeführt wurde. Anzunehmen ist folglich eine enge Beziehung zwischen d und b, eine Beziehung von b zu k und ferner auch eine Verwandtschaft von Pa mit k

Der 5. Gesang Die Abweichungen in den Handschriften sind im 5. Gesang viel zu zahlreich, als daß man sie alle aufzählen könnte. Vor allem gibt es nicht nur Varianten im Wortlaut, sondern es gibt ganze Verse und Strophen, die einen völlig verschiedenen Text bieten. Beginnen wir aber mit den Hss. Ρ und Pa! Wieder bieten diese Handschriften einige Lesarten, die offenbar falsch sind und zwar an folgenden Stellen: das in PPa ausgelassene Wort dem in V. 2396 ist in der Hs. d nachträglich oben eingetragen worden. In den anderen Fällen haben alle Handschriften das richtige, nämlich meechdeliiches für meechliiches in V. 2482, vol für vil in V. 2573 und nach für mach in V. 2858. Bezeugt wird damit, daß die Hss. Ρ und Pa verwandt sein müssen. Andererseits bringt Pa einen langen Passus mit einem anderen Text (2743—77), der keine Ähnlichkeit mit irgendeiner anderen Handschrift zeigt. Dies ist insofern seltsam, als Pa sonst viele Lesarten mit b (k) gemeinsam hat, und wir führen die auffälligsten hier auf: 2508 G ein sach, so vol gotliicher vreud du weres Pa Man sach so vol gelucher vreud du weres b Man sach so vol gelust vnd vreud du weres

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2511 Pa b 2572 Pa b 2582 Pa b 2584 Pa,b

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Daz Joseph uph dich kreych Daz Joseph up dir nam Do Joseph nam an dijr Da die merctluit yr vee plagen zu binden Da itzlich man siin vee in plach zu binden Da yekelich man sein besten plach zu binden Nicht als die wiben pleghen Nicht als nature leret Nicht zam nature leret En wert diin kint geberet (P = gecregen)

Andere Übereinstimmungen betreffen die Verse 2293, 2307, 2363, 2413, 2500, 2554, 2580, 2780 und 2815. Mit k allein hat Pa die Lesarten 2285 (riich statt riischliich) und 2914 (diinre statt diin), und mit d die Lesarten 2493 (wonder- f. sunderliichen) und 2693 (armen olden statt olden armen) gemeinsam. Es ist also klar, daß Pa in einer Beziehung zu Ρ steht, da sie die Fehler dieser Handschrift teilt, daß sie aber andererseits in enger Beziehung zu b steht, denn die oben zitierten Abweichungen können unmöglich auf einem Zufall beruhen. Daneben bringt Pa einige Strophen abweichenden Inhalts, die -wohl unabhängig von allen anderen Handschriften entstanden sein müssen, die aber auf eine Verwandtschaft mit der Hs. Ρ hinweisen. Denn man beachte: die sechs Strophen V. 2736—77 gehören in der Hs. Ρ auf Bl. 68, dasjenige Blatt, welches fehlte, und vom zweiten Schreiber eingefügt werden mußte. Schauen wir den Text in Pa an, so stellen wir fest, daß er nicht im Hans'sdien Stil verfaßt ist, sondern lediglich dazu dient, eine Lücke auszufüllen. Wie konnte dies geschehen? Es ist einerseits unmöglich, daß Pa aus Ρ abgeschrieben hat, d. h. zu einer Zeit, als nur die Gesänge 4—7 vorlagen. Andererseits ist es ebenso unwahrscheinlich, daß Pa aus freien Stücken die fehlenden Strophen ersetzt haben würde, denn wir haben gesehen, daß der Schreiber von Pa sehr nachlässig ist. Man kann also hier nur vermuten, daß an dieser Stelle die Vorlage von PPa in sehr schlechtem Zustand war oder fehlte, so daß die sechs Strophen vom Schreiber von Ρ (oder P::") ausgelassen wurden. Der Schreiber von Pa* erkannte die Auslassung und verfaßte einen Text, um die Lücke auszufüllen. Die weiteren Abweichungen in Pa müssen einer Zwischenstufe zwischen Pa* und Pa zugeschrieben werden. Leider ist dieser Passus in k nicht überliefert; wir besitzen nur die ersten acht und die letzten elf Strophen dieses Gesanges. So kann man, was die Beziehung zwischen den Hss. Pa und k anbelangt, aus den wenigen Beispielen keine Klarheit gewinnen. Genug ist aber aus der Hs. k erhalten, um eine sehr enge Verwandt2

Baus, Studien

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schaft dieser Handschrift mit b zu demonstrieren, denn die gemeinsamen Varianten sind s e h r zahlreich. Aus den ersten acht Strophen allein gibt es folgende Varianten: 2285 vlackeren f. vacien, 2293 Soe hinzugefügt vor daz (wie auch in Pa), 2299 Wie vil das truckes lijt in (= aen k) meinen hertzen statt Wie wol ich bin eyn ermer ungevelger, 2301 So mois da wiichen leyt vnd all mein smertzen b und So moesß da wichen alle leyt vnd dar zo smertzen k gegen So dunct mich daz ich bin eyn rechter seiger, 2304 wunnentlich b und wonnenclichen k für wunderliichen, 2305 mein f . haef, 2307, mir hinzugefügt nach ist, 2311 Daß macht statt Brengt, 2312 Vnd zamftes wee myt statt Vroliichen rou und, 2319 vber statt neter, 2320 altzijt f. ummer, 2328 dem f. mir, 2332 Der f. Die, 2334 Recht vor sam bzw. als. Wohlgemerkt teilt die Hs. Pa die meisten dieser Lesarten nicht. Wir haben es hier offenbar mit einer stark abweichenden Bearbeitung des Textes zu tun, die den Hss. b und k als Vorlage gedient hat. Da aber Pa einerseits die nicht unbedeutenden, oben zitierten Lesarten mit b (k) gemeinsam hat, andererseits die größeren Abweichungen nicht teilt, muß man eine Hs. Pabk* annehmen, von der die spätere Bearbeitung bk* und auch Pa* abstammen. Übrig bleibt nur, eine Erklärung für die den Hss. d und b gemeinsamen Lesarten zu finden. Diese sind nicht sehr zahlreich (2466 nur fehlt und siin erscheint f. des, 2525 noch f. na, 2530 soe hinzugefügt vor X

Ρ

d

Pabk*

Pa

b

k

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worden, 2539 su fehlt, 2664 Der fehlt, 2714 Bis f. Untz, 2801 und 2819 oetmuedicheit f. demuedicheit, 2862 ouch f. o fi), doch verdienen sie in Anbetracht der im 4. Gesang festgestellten Beziehung zwischen d und b beachtet zu werden. Es kann natürlich sein, daß diese Lesarten zufällig entstanden sind, aber d hat, von drei Stellen abgesehen (siehe oben zu Pad und Pd), keine Lesarten gemeinsam mit einer anderen Handschrift. Wir müssen daher wohl annehmen, daß zwischen d und b auch in diesem Gesang eine Beziehung besteht (siehe Sdiema S. 18).

Der 6. Gesang Die im 5. Gesang eindeutig bewiesene enge Verwandschaft der Hss. b und k wird im 6. Gesang, den wir in k vollständig überliefert haben, nur noch bestätigt. Viele Verse und Strophen weichen weitgehend von dem Text der anderen Handschriften ab, und wir müssen deshalb auf eine Aufzählung der Varianten verzichten. Stattdessen beschränken wir uns auf zwei Fälle, die den Grad der Verwandtschaft der beiden Hss. b und k bestimmen lassen. Die Verse 3069—71 lauten in k: Vnd visß den drugen esten alle gader Riser und gezwige Knoppen louber blomen vnd blader, und in b: Vnd vys den turren esten gruyne rijse Getwige loub vnd blaeter Gar mennichfalt jn also suysser wiise Die Hs. Ρ hingegen lautet: Und uz den dorren bumen allegater Riser und gezwige Cnoppen bloemen louber unde blader. Es zeigt sich hier, daß k möglicherweise aus derselben Quelle esten für bumen geschrieben hat, daß sie aber sonst der Vulgata und nicht b gefolgt ist. Die Hs. b hat entweder eine andere Quelle, oder sie hat, was viel eher möglich ist, die Stelle selbständig umgebaut. Die Hs. k kann also unmöglich direkt aus b fließen, und das umgekehrte kann auch nicht der Fall sein, da in k die Verse 3394—3400 fehlen. Hier sind die Verhältnisse verwickelter, aus welchem Grunde wir beide Fassungen nebeneinander abdrucken : 2»

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b 3390—3404 Von den tzwa steinen siint gar schoen gewircbet Das tzheende vnd das ylfte mit speher listen Das tzwelfl ist getzieret Myt gesteint geheissen ametisten 3394—3400 lauten in b wie Ρ Dis ist vns erbe schoen Da wiir zo sint gebaren Dort oben jn den troen Ob das durch vns myt wil nicht wirt verlaren k 3390—3404 Van den zwey steynen synt gar schone gewircket Myt Speer lijst dat zweilffle ys gezeret Dat zeynde dat eilffle Sundelich na wirt ye mer so riches yt viseret V. 3394—3400 fehlen in k Ed iß vnse erbe schone Dar zo wir syn erkoren Dort oben yn dem trone Wa wir yt myt willen nyt vurboeren Diese Unterschiede lassen sich folgendermaßen erklären: in der Quelle von k befand sidi ein Fehler, und zwar hatte der frühere Schreiber sechs Verse übersprungen von geziret in V. 3392 bis geziret in V. 3398. Dadurch entstand eine Strophe von a c h t Versen, bestehend aus V. 3387— 92 nebst 3399 und 3400. Der Schreiber von k hat diesen Fehler festgestellt und den Schluß der Strophe umgebaut — er setzte V. 3391 vor 3392 und schob den Inhalt von V. 3399/3400 zusammen, um daraus e i n e n Vers zu machen — um den Reim an die richtige Stelle zu rücken und die Strophe auf sieben Verse zu verringern. Wahrscheinlich merkte er gleichzeitig, daß die folgende Strophe mit einem für das Akrostichon falschen Buchstaben begann, änderte also auch den ersten Vers der folgenden Strophe (Dis wird zu Ed). Wichtig ist dabei für uns die Tatsache, daß k nicht etwa die P-Fassung, sondern die abweichende b-Fassung in V. 3401 geändert hat. Erst in V. 3405 kehren bk zur Vulgata zurück, und audi dann erscheinen im weiteren Verlauf der Strophe einige Varianten. Diese Stelle bezeugt also, daß weder b von k noch k von b stammen kann, daß sie aber aus derselben Quelle viel Gemeinsames haben; im

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k-Zweig sind nodi weitere Fehler hinzugekommen. Die Fehler von bk* sind in b zum Teil berichtigt bzw. gemildert worden. Die Entwicklung muß man sich etwa folgendermaßen denken:

bk*

Κ Zu dieser Hs. bk'"'' scheint auch Pa eine Beziehung zu haben, denn die folgenden Varianten hat sie mit bk bzw. b gemeinsam: 3082 von fehlt Pabk, 3124 al fehlt Pabk, 3197 hie steht vor statt nach up h erten in Pab (k hat haynt uff erden), 3377 ich s Pabk (in d ist ein t oben nach ich eingetragen worden), 3381 dis f. ir Pab, 3419 daz vor wist ich Pabk, 3488 daz fehlt Pab, 3599 daz f. zu Pabk. Die anderen Varianten in Pa, etwa das Fehlen von gar in V. 3194 (gemeinsam mit d) und das Fehlen von die in V. 3614 (gemeinsam mit dk) sind unwesentlich. Was die anderen Handschriften anbetrifft, so ist zunächst merkwürdig, daß d keine Verwandtschaft mit b zeigt, wie dies sonst der Fall war. Die Varianten, die d mit anderen Handschriften teilt, sind folgende: Pd: 3302 Da f. Daz, 3353 Die f. Doe, 3388 merchet f. mirchet; PPad: 3194 gär fehlt, 3355 alleyns in einem statt zwei Wörtern; Padk: 3614 die fehlt; dk: 3055 oft fehlt, 3074 und 3075 als f. so, 3551 oft fehlt, 3594 gar f. zu. Daraus ergibt sich folgendes: die dk gemeinsamen Fehler können leicht als unabhängige Fehler erklärt werden; dasselbe gilt für die PPadVarianten. Die Varianten, die Pd teilen, deuten daraufhin, daß d der Hs. Ρ vielleicht nahe ist, weil sie deren Fehler teilt; wir nehmen also an, daß in diesen Fällen die Lesarten der anderen Handschriften vorzuziehen sind. Ein Entwicklung etwa folgender Art wird deshalb anzunehmen sein, wobei die dbk gemeinsamen Fehler als zufällig erklärt werden müssen, es sei denn, daß in diesen Fällen Ρ und Pa denselben Fehler begangen haben. Diese Entwicklung würde weiter zur Folge haben, daß die Lesart von Ρ in V. 3309 constelad]er zugunsten von cost(e)lii(her (Padbk) aufgegeben werden müßte.

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Χ

I

-

_k*

Λ

b

k *

Der 7. Gesang Der 7. Gesang stellt uns gewisse Probleme, da, mit Ausnahme der Hss. Ρ und d, keine Handschrift vollständig überliefert ist. Wir besitzen von der Hs. b V. 3681—5180, von Pa V. 3681—3788 und 3863—4400 und von k nur V. 3681—3808 und 5217—5280; wir beschränken uns deshalb vornehmlich auf den ersten Teil des Gesanges. Von der Hs. k ist so wenig überliefert, daß eine Diskussion ihrer Stellung unmöglich ist. Lediglich die Tatsache, daß die Verse 3709/10 in k wie auch in Pa vertauscht wurden, weist auf eine Beziehung zwischen diesen Handschriften hin. Sie teilen ferner die Lesarten zarter f. suter in V. 3747. Andere Lesarten von k sind: 3773 vyentlieh f. vrientlüch (mit d), 3779 daz fehlt (auch in d), 3790 hört yn f. horten (wie b) und 3708 lange swertze (dbk) für Ρ langeswanste. Hinzuzufügen wäre vielleicht V. 3779, wo k zarte frauwe liest gegen Ρ werte aber Pab zarte. Auffallend im ersten Teil des 7. Gesanges ist die Zahl der den Hss. Pab gemeinsamen Varianten. Diese sind: 3779 zarte f. werte, 4102 daz grose f. das dorn ob, 4104 gantz was umgekehrt, 4142 Es f. En, 4150 samblants f. faublants, 4185 Ich vuert mir der zwacher mucken Pa und Ich furt ouch durò des zwartzen nucken b gegen Damit meyn ich der swacher nucken P, 4211 grou f. gou und 4212 beschou f. bestou. Hinzu kommt V. 3949, wo sowohl Pa als audi b siin f. diin lesen. Die Verwandschaft dieser Handschriften tritt also noch einmal deutlich zu Tage, nur ist in diesem Gesang die Stellung der Hs. Pa sehr merkwürdig. Zuerst ist folgendes zum Fehlen des Schlußteils zu sagen: der überlieferte Teil

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nimmt in der Handschrift ungefähr den Raum ein, den ein .normaler' Gesang eingenommen hätte. Es kann also möglich sein, daß der Schreiber einen Schlußgesang erwartet hat, dessen Umfang dem der anderen Gesänge gleich gekommen wäre, und daß aus diesem Grund kein Platz für die weiteren Strophen übriggelassen wurde. Ferner muß darauf hingewiesen werden, daß an drei Stellen, wo in Ρ ein im Text unterlassenes Wort am Rande nachgetragen worden ist, dasselbe Wort in Pa fehlt. Im dritten Falle fehlt das Wort auch in der Hs. d. Daß Pa in einer gewissen Beziehung zu Ρ stehen muß, darauf deuten schon die Lesarten in V. 3993 (nur f. nut), 4051 (E fehlt), 4154 (dir f. der) und 4202 (gehurken statt ge hurken) hin, so daß man zu dem Schluß kommen könnte, Pa habe eine Vorlage gehabt, in der nicht alle Korrekturen eingetragen worden waren, oder der Schreiber habe einige Randeintragungen übersehen. Nicht ausgeschlossen allerdings bleibt die Möglichkeit einer zufälligen Übereinstimmung. Schließlich muß ein Merkmal der Hs. b erwähnt werden, welches einen Beweis für die eigentümliche Stellung dieser Handschrift liefert. Wir hatten vorhin festgestellt, daß am Anfang dieses Gesanges die Hs. b Beziehungen zu Pa aufweist; es waren insgesamt acht Fälle von Übereinstimmungen innerhalb von etwa 650 Versen. Andererseits stimmte b siebenmal mit d innerhalb von etwa 725 Versen überein. In dem Teil nach V. 4400, also nach dem Schluß der Hs. Pa, stimmt b sehr häufig mit d überein, nämlich zwanzigmal innerhalb von etwa derselben Anzahl von Versen. Die Lesarten verdienen hier angeführt zu werden: 4472 und f. noch, 4516 ja fehlt, 4558 dan hinzugefügt nach ich, 4603 ich f. es, 4620 crechlich f. kreflliich, 4633 Her ruckt ouch nido wie statt Her rucht nut wie X

Ρ

d

Ρα* b

k* Κ

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daz, wobei in d das aeck oben eingetragen ist, 4657 allen f. aller, 4705 Voer tbest f. Wer best, 4733 boc f. hoc, 4754 miin f. und, 4785 tzo f. hi, 4846 adamanten f. aechmanten, 4905 mit fehlt, 4915 macht f. smaecht, 5009 dynckt f. dtinct und 5112 konynck stabel f. comnestabel. Einige dieser Varianten können zwar zufällig entstanden sein, doch ist die Häufigkeit der Übereinstimmung ausschlaggebend. Die Hs. b ist nidit nur mit Pa, sondern auch mit d verwandt, und zwar kann es gut möglich sein, daß wo Pa* nicht mehr als Vorlage dienen konnte, d::~ stärker hinzugezogen werden mußte. Wir stellen uns die Verwandtschaft der Handsdiriften im 7. Gesang etwa so vor (s. die vorige Seite) : Der 3. Gesang Die wenigen Varianten des 3. Gesanges dienen lediglich dazu, die schon bekannte Verwandtschaft der Hss. Pa und k einerseits und d und b andererseits zu bestätigen. Die Beziehungen zwischen Pa und k sind durdi folgende Lesarten gesichert: 934 wurten f. siin doe, 974 Soe is se doch f. Yedoch ist se, 1579 gheer f. bid und in V. 111 haben Pak das Wort spils beibehalten, das in den anderen Handschriften fehlt. Folgende Lesarten sind d und b gemeinsam: 884 liebe fehlt, 1085 Kan ave wal f. De kan ave, 1113 dat f. is, 1279 sol an statt an sol, 1402 beschreuen f. volschriben, 1524 se f. ave und 1564 so fehlt. Andere Varianten lassen keine Schlüsse zu, da es sich durchweg um unwesentliche Abweichungen, hauptsächlich um Auslassungen oder Wortumstellungen handelt, die den anderen Handschriften gemein sind. Wir führen sie hier an: am wichtigsten wäre vielleicht die Gruppe Pad: 975 die hinzugefügt vor demutichst, 1013 gar fehlt, 1065 wold vor striichen, 1067 keren f. wenden, 1372 aelmechtigen f. alweltighen und 1441 dan f. den; Pab: 1060 billich nich dürren ufslaen statt nicht dorren ufslaen bilch, 1293 ouch fehlt, 1332 da fehlt und 1509 ouch fehlt; bk: 903 das f. dis, 1078 Dir f. Ir, 1082 nicht nach nym statt nach des und 1513 das f. dis; dk: 906 van aue is gecomen statt ist von dem aue comen und 989 zu ir fehlt. Der 2. Gesang Die Verwandtschaft der Hss. d und b tritt noch einmal in diesem Gesang hervor. An gemeinsamen Varianten sind hervorzuheben: 423 lusten f. linsen, 628 nye f. nyn, 730 nocht ter f. nach der und 738 regierte f. regneerten. Es gibt nur wenige bk bzw. dk gemeinsame Lesarten, und sie werden deshalb hier auch mitaufgeführt: bk: 187 des f. daz, 226 do fehlt, 858 daz fehlt und 869 myt f. int, dk: 205 samen fehlt, 208 menschen statt mynschlich, 232 wander f. gewander, 807 ob bis f. up h unt, 815 aller

Die Handschriften

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f. al der und 817 nodo fehlt. Es muß aber daran erinnert werden, daß obwohl diese Lesarten an und für sich unwesentlich sind, nur ein kleiner Teil von k überliefert ist. Im allgemeinen läßt sich nur so viel sagen: die Hs. Ρ hat wiederum einige Fehler, ζ. Β. V. 341 zwei fehlende Silben (doe voortf), 436 drei fehlende Silben, 710 so fehlt, usw., die auch d und b aufweisen. Die Hss. d und b haben hingegen einige gemeinsame und viele nicht gemeinsame Varianten, die Ρ nicht teilt. Demzufolge kann Ρ nicht aus db* und d und b audi nicht aus P* stammen, sondern man muß annehmen, daß eine Hs. Pdb* existiert hat, aus der einerseits Ρ oder P*, andererseits die abweichende Vorlage von db'·1 geflossen ist. Die Stellung von k ist weniger leidit zu bestimmen. Aus den Lesarten, die k mit d bzw. b gemeinsam hat, muß man schließen, daß sie aus der früheren Vorlage dieser Handschriften stammt, denn sie weist einige Ähnlichkeit auch mit Ρ auf. Die Entwicklung wäre also etwa folgende: X

Pdbk*

P-*

db

*

Zusammenfassung Man darf annehmen, daß die Hs. P, wenn nicht eine Abschrift des Originals, dann zumindest eine Abschrift dritter Hand sei. Was die anderen Handschriften angeht, so ist es unmöglich, einen Stammbaum aufzustellen, der allen Abweichungen und Übereinstimmungen geredit würde. Vor allem die Varianten des 4. Gesanges lassen den Verdacht aufkommen, daß vielleicht manchmal mehr als nur eine Handsdirift als Vorlage diente. Dies könnte ζ. B. geschehen, wenn ein Schreiber aus einer Vorlage 4/5/6/7 und dann aus einer Vorlage von 2/3/4 abschrieb. Im folgenden versuchen wir aber, die wahrscheinliche Entwicklung zu umreißen, um die Hauptmerkmale der Handschriften anschaulich zu machen. Von dem 4. Gesang wurden zwei Abschriften gemacht, die wir als 4 und IV bezeichnen wollen. Von dem 5. und 6. Gesänge wurden eben-

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Die Handschriften

falls Abschriften angefertigt, die zusammen mit den Kopien von 7 als zwei erkennbare Versionen 5/6/7 und V/VI/VII bezeichnet werden. In der Zeit der Abfassung des vierten Gesanges oder kurz danach entstand der (im fertigen Werk) zweite Teil der Hs. P, und zwar aus 4/5/6/7. Die Hs. Pa andererseits ist aus einer Abschrift 3/4 des dritten und vierten Gesanges nebst V/VI/VII entstanden. Eine abweichende Fassung von V/VI/VII wurde angefertigt, die wir als bk* im Schema bezeichnet haben. Als dann die ,vorderen' Gesänge verfaßt wurden, sind auch sie zu Gruppen zusammengeschlossen worden, so daß zwei Abschriften 2/3/4 und II/III/IV bestanden haben müssen. Die Gruppe 2/3/4 kam zu bk* und mündete in die Hs. k; die Gruppe II/III/IV wurde aber einerseits mit 5/6/7, andererseits mit V/VI/VII verbunden, um die Hss. d bzw. b herzustellen. Der Gruppe 2/3/4 wurde später der erste Gesang vorangestellt und in die Abschrift 4/5/6/7 (P2) eingetragen. Das folgende Schema soll einen Überblick über diese Verhältnisse ermöglichen: 4

5/6

_L 5/6

4/5/6/7

-

5/6/7

1

/

4/V/VI/VII

VAI

/

/

V/VI/VII

/

/ / 3/4/V/VI/VII(Pa) (bk*)

/ II/III/IV

/

/

- f -

II/III/IVA/VI/VII

I I / I I I/lV/5/6/7

Cd)

(b)

2/3/4 2/3/4/V/VI/VII

1/2/3/4/5/6/7

(P)

(k)

DIE

FORM

Wir betrachten zunächst die Form der Gesänge 2—6 und erinnern daran, daß die Gesänge 2—3 erst nach 4—7 entstanden sind. Nicht wider Erwarten stellen wir in der Form der Lieder eine gewisse Unregelmäßigkeit fest, die zu einem kleinen Teil vielleicht durch die imperfekte Überlieferung verursacht ist, doch meinen wir, daß von einem Dichter wie Hans, der sich erst mit fortdauernder Übung in die von ihm gewählte Form einfinden konnte, eine sorgfältig geschliffene Form nicht erwartet werden darf. Schon deswegen ist der Versuch, durch Emendation die ursprünglich ,glatte' Form wiederherzustellen, unangebracht; die folgende Schilderung beruht auf dem überlieferten Text und versucht die ,Versnorm' sowie die Abweichungen im allgemeinen zu skizzieren. Die Gesänge 2—6 bestehen aus jeweils 100 Strophen, deren Anfangsbuchstaben den englischen Gruß — Ave Maria gracia plena dominus tecum benedicta tu in mulieribus et benedictus fructus ventris tui Jhesus Cristus amen — ergeben. Jede Strophe besitzt in Anlehnung an die ,Titurelstrophe' 7 Verse. Angestrebt wird eine regelmäßige Abfolge von betonten und unbetonten Silben mit klingendem Versausgang, und zwar so, daß auf den 1., 2., 3. und 6 Vers vier, auf den 4., 5. und 7 Vers sechs Hebungen fallen. Gereimt wird a b a b c w c, die Länge der Vokale bleibt im Reime unberücksichtigt. Als Beispiel diene folgende Strophe: Vorwáer es wéer keyn wunder, Wer duc uj ave téchte, Al brún her sám eyn sunder, Went àve hàt daz mínschelích ghesléchte Verlószet úsz der grymmen hellen késsel. Evd ist úmghekéret Und spricht avê, daz ist eyn gúter wészel. Anfangs fällt es Hans schwer, den bevorzugten klingenden Reim herzustellen, und man findet im 4. Gesang nicht weniger als 60 einsilbige und 5 dreisilbige Reime. Dabei fällt auf, daß die einsilbigen Reime fast alle im 1. und 3. Vers erscheinen. Fraglich sind nur einige wenige Fälle,

28

Die Form

wie ζ. Β. V. 2176 — Eyrt wunnentlygher cypres —, wo der Vers trotz des einsilbigen Reimes (mit cades) möglicherweise als klingend gelesen werden sollte. Indem er die natürliche Sprachakzentuierung weitgehend berücksichtigt, vermeidet Hans später solche Unebenheiten. Später verschwinden auch die einsilbigen Reime; im 3. Gesang gibt es keinen einzigen einsilbigen und nur an drei Stellen einen dreisilbigen Reim (V. 1238:40 susteren-.gisteren f d ] werden in Ρ sicherlich zweisilbig klingend zu lesen gewesen sein). Der Auftakt wird manchmal und besonders zu Anfang unterdrückt, aber mit zunehmender Bemeisterung der Form verzichtet Hans nur selten darauf und dann hauptsächlich in der Waise. In der Waise befinden sich sowohl regelmäßige als auch klingende Ausgänge. Der 7. Gesang hat wiederum 100 Strophen, deren Anfangsbuchstaben den englischen Gruß bilden, aber diesmal hat jede Strophe 16 Verse. Das Reimschema ist einfach: aaaa b aaaa b aaaa b b , aber die Notwendigkeit, so viele gleiche Reime zu finden, führt in diesem Gesang dazu, daß die Sprache oft entstellt werden muß, um den nötigen Klang herzustellen. Hans gibt dies in Vers 4925 selber zu: Man en moes daz duytsch seer plengen. Jeder Vers außer dem letzten hat vier und der letzte Vers zwei Hebungen. Es hat den Anschein, als ob Hans bestrebt war, einsilbige Reime zu verwenden oder höchstens in den b-Reimen zweisilbige Reime zuzulassen. Im Gegensatz aber zu den Reimen der Titurelstrophen sind die zweisilbigen Reime des 7. Gesanges als weibliche Reime aufzufassen, d. h. sie zählen immer nur als e i n e Hebung. Trotz seines Bemühens konnte es Hans jedoch nicht gelingen, die weiblichen Reime derart einzuschränken, und sie nehmen, je weiter der Gesang fortschreitet, desto mehr zu. Folgende Tabelle gibt eine Übersicht über die Art der Reimwörter: Strn. 1—20

21—40

41—60

61—80

81—100

8

8

5

7

9

männlich a, weiblich b

11

7

8

6

5

weiblich a, männlich b

1

3

3

5

5

weiblich a—b

0

2

4

2

1

männlich a—b

Die Handhabung des Auftaktes ist audi sehr frei. Er fehlt häufiger als in den Titurelstrophen, und zwar vor allem in den Versen mit weiblichem Reim, wo das Unterdrücken des Auftaktes als Regel anzusehen ist. Als Beispiele der entgegengesetzten Typen mögen folgende Strophen dienen:

Die Form

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Wa bliib wir existen álgheméyn, Daz wir die liebe mághet réyn, Alten, jónghen, gróz unde cléyn Mit gânzer vliis, mit ganzer mèyn, Nicht âlziit làben tâgh und nácht. Went unser is doch nindert géyn So vil als in der wérelt iyn, Wir en móesten vàllen sâm eyn stéyn 1er hêllen wirt, sam Ádam sche'yn, E tins ir gúet ghenâte brächt. TJnd win se nú eyns sprichet: néyn, So móez der lângeswànste hêyn Siin ságel slâen zwiischin siin béyn, Die tins so hésliich vòer angréyn, Recht sám eyn hónt der ist versmâcht Und íhátj geyn mächt Ich tummér merch dâz wol iben: Wénne dàz die wiingart rèben Nicht en stáen aen tren stehen, Dàz se dân geyn vriicht uuz geben, Al prest'män se in dem kilter. Sus musen wir ouch b&lde sniben, Wie ho dâz wir winen swiben, Wa wir nicht an got encliben. Durò daz wil ich âl miin liben, Al wârtenz óuch Matúselems ilter, Nâch der zárter hülfe streben, Die her so ho hât erhiben, Dâz se sitzet im beniben. Dàvid dir hat vll gescriben Löbz der zarter liiserwelter In den psilter. Der erste Gesang besteht aus 15 zwölfzeiligen Strophen, in denen vier Sprachen verwandt werden. Die ersten Worte der Strophen bilden das Ave Maria. Die Sprachen sind folgendermaßen auf die 12 Verse verteilt: der 1., 5. und 10. Vers sind in deutscher, der 2., 6. und 12. in französischer, der 3., 7. und 11. in englischer und der 4., 8. und 9. in lateinischer Sprache verfaßt. Gereimt wird a a b c d d b c c e e c , so daß die Reime nicht immer auf die gleiche Sprache fallen, d. h. a, Deutsch: Französ., b, Engl.:Engl., c, Latein. ¡Latein. :Latein.:Französ., d, Deutsdi: Französ. und e, Deutsch :Engl. Jeder Vers hat vier Hebungen, und die

30

Die Form

Reime sind in der Regel einsilbig. Als weiblich müssen nur etwa zwei Drittel der c-Reime, d. h. der lateinischen Verse (zusammen mit dem letzten französischen Vers) gelten. Von diesen neun Fällen (Strn. 1, 5, 7, 8, 9, 11, 12, 13, 14) abgesehen, kommen nur zwei weibliche Reime, vor, und zwar in den Versen 135:139 und 178:179. Der Auftakt fehlt nur selten in den Versen mit einsilbigem Reim, aber in der Mehrzahl der Verse mit weiblichem Reim. An einer Stelle (V. 73) ist ein zweisilbiger Auftakt zu lesen, und V. 175 hat nach dem Auftakt noch zwei überflüssige Silben. Die erste Strophe lautet: Ave alpha du stércher god! Je dlroy vólentiers un mót Of Cthat.7 swéte ttâdi dêer], Cuius venter té portâvit. Ich méyn miin vróu dye âlrebést, Qui ddm de toutes ddmmes est. Thy e in yr blísset wóomb [shy] béer Et te dúlci lácte pávit Et tim arde'nter té amâvit, Daz ir myn dich cund néder zèen. Thier thú ars klnc schol sé bi quéen, La nóble Cfillie] dóu roye Dávit. Zusammenfassend darf man sagen, daß sich Hans nur im Auftakt und im Reim einige Freiheit erlaubt. In der Titurelstrophe bevorzugt er nach anfänglichem Zögern den klingenden Reim, in den anderen Strophen einsilbigen (männlichen) oder weiblichen Reim. Der Auftakt fehlt häufig, und zwar hauptsächlich in der Waise der Titurelstrophe und in der Regel vor weiblichem Reim. Im Versinnern zählt Hans die Silben, um jeden Vers auszufüllen und beschwerte Hebungen zu vermeiden. Quellen der Form Glossenlieder dieser Art sind im späten Mittelalter keine Seltenheit^ sie sind aber relativ spät im Nordwesten Europas anzutreffen. Mone behauptet z. B., daß, obwohl in den Niederlanden bekannt, solche Glossenlieder lange Zeit nur in Übersetzungen vorhanden waren 1 . Er führt u. a. ein Glossenlied an, welches in dem „Speeghel des kersten geloven" über1

Franz Joseph Mone: Quellen und Forschungen zur Geschichte der teutschen Literatur und Sprache. Aachen und Leipzig, 1830, S. 112.

Die Form

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liefert ist und ähnliche Gedanken wie die Hans'schen Marienlieder aufweist. Der erste Strophe lautet: Ich gruet dy, iunchfrouwe fyn, du Sternen glantz, du sonnen schyn, du aire sunder troesterynne, du moder gots, du gots godynne, du bloyende rose van Y esse, du welche gebeerdest sonder wee, moder ende maget, vader aen, deme hymmel ende eerde syn onderdaen2. In einem hochdeutschen Gedicht wird das Ave Maria in 15 Strophen, etwa in der Art, wie H a n s es in seiner Einleitung getan hat, glossiert. Wir zitieren die erste Strophe: Ave, das wort hat got gesant dir frawen aus der himel lant. der engel dich allaine vant, er hete dich langes vor bekant3. Das einzige, mir bekannte Werk jedoch, dem das Hans'sche Schema zu Grunde liegt, ist das von Bartsch „Ave Maria" betitelte und am Schluß seiner Ausgabe der „Erlösung" veröffentlichte Gedicht aus dem 13. Jahrhundert 4 . In der Handschrift trägt das Gedicht die Überschrift „Daz ist ein aue maria von vnser vrowen", und das Ave wird fast in derselben Art wie in den einzelnen Gesängen der Hans'schen Lieder glossiert. Jedes Wort des Ave erscheint am Beginn einer Strophe, und die folgenden Strophen beginnen mit den einzelnen Buchstaben des Wortes. Die Buchstaben der Wörter „Ave Maria" sind in zehnzeiligen, die übrigen in vierzeiligen Strophen glossiert, nur haben die letzten zwei Strophen zehn bzw. zwölf Verse. Es fehlt in St. 5 und 6 jeweils ein Vers, und die Strophen des zweiten ,u' in mulieribus und des ,t' in ventris; das Werk besitzt folglich 384 und nicht, wie Bethmann behauptet hat, 400 Verse5. Inhaltlich und in der Art der Stoffauslegung gibt es zwischen diesem Gedicht und den Marienliedern von Bruder Hans keine Ähnlichkeit. 2

Mone, S. 112—13.

3

Ebda., S. 110—11.

4

Karl Bartsch: Die Erlösung mit einer Auswahl geistlicher Dichtungen. Quedlinburg und Leipzig, 1858, S. 196—206.

5

Bethmann, S. 371.

32

Die Form

Ein im Inhalt ähnliches Gedicht, welches auch die von Hans gebrauchte Strophenform anwendet, erscheint in Kehreins „Kirchen- und religiösen Liedern"'. Hier die vierte Strophe: Du bist gebenedeit Gesenget ob allen jrawen For missetat gefreit Hilf uns las dein vermugen an uns schawen Gesenget ist auch dein frucht deins leibes Hie magt in himel ein frauw Ein muter gotes und nam ein reinnes weibes In Anbetracht der Allgemeingültigkeit des Wortschatzes des Marienkultes darf der Ähnlichkeit in Sprache und Form keine Bedeutung beigemessen werden. Obwohl also angenommen werden kann, daß ähnliche Gedichte wie die Marienlieder, wenn audi in kleinerem Umfang, im späten Mittelalter im niederländisch-niederrheinischen Raum vorhanden waren, muß man wahrscheinlich als unmittelbaren Anstoß zu der gewählten Form das weit bekanntere Akrostichongedicht ansehen, welches unter dem Titel „Laus beatae Mariae virginis" dem hl. Bonaventura zugeschrieben wurde, denn, wie unten darzustellen sein wird, hat Hans sicherlich die Werke Bonaventuras gekannt. Vermutlich wird ihm das 83-strophige Gedicht (Hans erhält 100 Strophen durch Hinzufügung der Wörter Jhesus Cristus amen) nicht unbekannt geblieben sein. Wir werden deswegen nicht weiter nach Vorbildern für Hansens Akrostichongedidit suchen, sondern annehmen, daß er sein Vorbild bei Bonaventura gefunden hat. Was aber die Wahl der Strophenform anbetrifft, so mag diese, wie Bech vermutet hat7, auf Bekanntschaft mit dem unter Wolframs Namen laufenden „Jüngeren Ti tur eil" zurückzuführen sein, doch war die Strophenform allgemein beliebt; ausschlaggebend mag vielleicht die Tatsache gewesen sein, daß die Strophe die geheiligte Zahl von sieben Versen besitzt.

• Joseph Kehrein: Kirchen- und religiöse Lieder aus dem 12. bis 15. Jahrhundert. Paderborn 1853, S. 203. 7

a.a.O., S. 1290. Die Edition von 1477 enthält diese Stelle nicht; sie ist in von der Hagens Germania Bd. V (1843), S. 87 ff. durdi Ludwig Tostmann gedruckt.

DER

STOFF

1. Der Inhalt der einzelnen Lieder 1. Gesang: Lob der Jungfrau und Hinweis auf verschiedene Prophezeiungen des alten Testamentes. Hans bittet darum, daß er und seine Frau nach dem Tode ins Paradies kommen mögen. 2. Gesang: Die Genealogie der Jungfrau, d. h. die Abstammung Josephs nach der biblischen Darstellung. Lob der Maria, die die Menschheit gerettet hat, und Wiederholung der Fürbitte des 1. Gesanges. 3. Gesang: Die Kraft und Bedeutung des Wortes „Ave" unter Berufung auf verschiedene biblische Stellen, den hl. Bernardus usw. 4. Gesang, „Marien genaat": Die Begründung für die Fleischwerdung Christi, nämlich der Streit der vier Töchter Gottes. Die Verkündigung Mariae und deren Besuch bei Elisabeth. Stellen aus dem Hohen Lied, aus Ecclesiasticus u. a. werden herangezogen und auf Maria gedeutet. Der Gesang schließt mit einem Preis der Jungfrau. 5. Gesang, „Marien Staat": Lob Mariae und Wiederholung der Prophezeiungen. Johannes der Täufer, Geburt Christi, Beschneidung, Anbetung durch die hl. drei Könige, Kindermord und Tempelopfergang der Maria. Der Gesang endet mit einem Lob der Maria, nachdem die These, daß Maria, hätte der Mensch nicht gesündigt, Christus nidit geboren hätte, zurückgewiesen worden ist. 6. Gesang, „Marien danz": Eine Schilderung der Freuden des Paradieses. Danach folgt eine Beschreibung des neuen Jerusalems nach der Darstellung des Johannes. Hans deutet auf die Pflicht des Menschen hin, den Teufel zu bekämpfen, was aber nur mit Hilfe der Jungfrau möglich sei. Die Stellung der Maria in der himmlischen Hierarchie wird dargestellt. 7. Gesang, „Marien glänz": Der letzte Gesang enthält verschiedene Motive. Zunächst werden Legenden um Maria und Christus (der Schneider, die drei Sprünge des Leoparden usw.) gebracht. Der übrige Teil des Gesanges besteht aus einem Preis der Jungfrau vor allem in Bezug auf ihre Hilfe in des Menschen Kampf mit dem Teufel, und die abschließenden Strophen enthalten wiederum eine Fürbitte des Dichters. 3

Bates, Studien

34

Der Stoff

2. Die Quellen des Stoffes Wegen der großen Zahl der stereotypen Epitheta für die hl. Jungfrau ist es sehr schwierig festzustellen, was in einem bestimmten Werk original und was übernommen worden ist; noch schwieriger ist' es, das Woher des Übernommenen zu ermitteln. In unserem Falle läßt sich zumindest behaupten, daß Hans, obwohl er des Heiligen Namen nicht erwähnt, die Werke Bonaventuras gekannt und benutzt hat. D a Hans scheinbar großzügig die Namen seiner Gewährsmänner angibt, muß die Tatsache, daß er Bonaventura nicht mit Namen nennt, einigermaßen verwunderlich erscheinen, doch besteht die Möglichkeit, daß er sich der Herkunft seines Stoffes nicht bewußt war. Zum Beispiel: mit der von Hans angeführten „vita Cristi" sind wahrscheinlich die „Meditationes vitae Christi" gemeint, die dem hl. Bonaventura zugeschrieben worden sind, die aber auf das Werk des berühmteren Meisters Bernardus zurückgehen. Ersichtlich ist dies aus der Erzählung des Streites der vier Töchter Gottes, die der Bonaventura-Fassung und nicht der des Bernardus folgt. Diese Frage ist schon von Schröder aufgeklärt worden 1 , und wir werden uns daher nicht weiter damit beschäftigen. Es genügt darauf hinzuweisen, daß in dem Text nach Bernardus die „questio" an Solomon und nicht, wie dies bei Bonaventura und Hans der Fall ist, an seinen Sohn weitergegeben wird. D a ß sich Hans häufig auf Bernardus beruft, braucht nicht einmal zu bedeuten, daß er ihn zu zitieren glaubt; es kann viel eher eine Erinnerung an Bonaventura sein, der seinen verehrten Meister immer wieder in ähnlichen Wendungen erwähnt. Es wäre vielleicht an dieser Stelle nicht unangebracht, diejenigen Werke Bonaventuras aufzuzählen, die sich stofflich mit den Marienliedern berühren. In der Reihenfolge der benutzten Ausgabe sind dies 2 :

Meditationes vitae Christi Lignum vitae Speculum beatae Mariae virginis Officium de compassione Corona beatae virginis Mariae Carmina super canticum „Salve regina" Laus beatae virginis Mariae Psalterium minus beatae Mariae virginis Psalterium beatae Mariae virginis 1 2

Eduard Schröder: Zur Marienlyrik. ZfdA. X X V (1881), 127—29. Sancti Bonaventurae ex ordine minorum, S. R . E . Episcopi card, albanen eximii ecclesiae doctoris operum. (Nunc primum in Germania, post correctis. Romanam Vaticanam editionem, impressus. Moguntiae Sumptibus Antonij Hierati Coloniens. Bibliopolae Anno M . D C . I X ) Tom 6.

35

Der Stoff

Auf den Laus b. M. v. ist schon in Zusammenhang mit der Form hingewiesen worden: er besteht aus 83 achtzeiligen Strophen. Die Carmina super canticum „Salve regina" sind Glossenlieder, denn jede Strophe beginnt mit einem Wort des 29-strophigen „Salve". Der Psalterium minus" besteht aus dreimal 50 vierzeiligen Strophen; jede Strophe beginnt mit dem Wort Ave. Der „Psalterium b. M. v . " (in neuerer Zeit als ein Werk Konrads von Sachsen, f 1279, erkannt) enthält 150 kurze, der Jungfrau gewidmete Psalmen. Diesen vier poetischen Werken liegt also dasselbe Prinzip zu Grunde. Ein Text wird ausgelegt, und der Stoff wird in eine symbolische Strophenzahl gegliedert. Von den anderen Werken sind für uns nur die „Meditationes" und der „Speculum b. M. v." von Bedeutung. Hansens Kenntnis der „Meditationes" ist schon erwähnt, wenn auch nicht eingehend dargestellt worden, und wir wollen uns hier auf einige Vergleiche des zuletzt genannten Prosawerkes mit den Marienliedern beschränken. Man vergleiche z. B . :

Bonaventura: Aue. Est autem vae culpae, vae miseriae, & vae gehennae. Est autem vae culpae actualis, vae miseriae originalis, & vae poenae gehennalis. De his tribus vae non incongrue intelligimus, quod in Apocalypsi legimus ... Sed ecce quodlibet istorum trium, vae, multiplicatur, heu per tria via, ut sic simul sint novem vae, contra quae Marie recte dicitur: Ave. Nam tria culpae, tria miseriae, tria gehennae sunt vae, pro quorum carentia,

ipsa merito salutatur

per, Ave. (Speculum, Lectio II,

op. cit. Tom. 6, 430 2 )

Hans:

Cund ich nu rechte uszgrunden, Waz disze dry wee beduten; Es mach siin wee der sunden Und wee der onsald, de ist in den luten Und wee der swynder groszer piin der hellen, — Oder ouch [wee] damit ons fleysch De werelt und der tubel susz can qwellen. (1504 ff.)

Bonaventura: Fluunt & pereunt sicut cera a facie ignis, vbicumque inveniunt crebram huius nominis recordationem, devotam invocationem, solicitam, imitationem. (Speculum, Lectio I I I , op. cit. Tom. 6. 432 2 — siehe auch Lectio X I , 447 2 ).

Hans:

Ave du bisz so susz in mynen Uppen; Diin lut in den versteynten hertzen schaffet, Daz se sich lieplich morwen, Sam wax, daz by dem vure susz ontsaffet (1031—34)

Bonaventura: Attendamus, quid nobis beatus Bernardus de ea loquatur: Ait enim sic: Vas liquorem plenum si moveatur, de facili subvertitur 3*

36

Der Stoff

& effundit liquorem. Sic beatae virgo Mariae, si moveatur effund.it liquorem in nobis. (Speculum, Lectio III, op. cit.) Hans:

Ein vas das vol wassers weer Da moest vmmer icbtes icbt vys

precibus

stuirtzen

Wie zamfte man dich mere Mit aue tzwair du sturtzes dein erbarmen Zam ein vas das miltlich vberleufet (1215—21[Hs. b]). Weitere Anklänge sind wahrscheinlich, aber, wie wir schon betont haben, ist es schwierig, literarische Abhängigkeit auf einem Gebiet nachzuweisen, wo die Wendungen so stereotyp geworden sind. Die Ähnlichkeit in der Auslegung des Ave ist im ganzen 3. Gesang auffallend. Die herangezogenen Vergleiche — Maria als brennender Busch, stella maris usw. — und die Hinweise auf Gedeons Vließ und Jesses Stab beweisen nichts. Auch sind die Offenbarungen Johannis', aus denen Hans vieles schöpft, eine äußerst beliebte Quelle sowohl für die geistliche als auch für die fromme Laienliteratur des späten Mittelalters. Außer Bonaventura sind jedoch nodi einige weitere Quellen gesichert. Hans führt selber den Namen der hl. Birgitta von Schweden an und zitiert in deutscher Sprache eine Stelle aus ihren „Offenbarungen" 3 . Er benutzt ferner den Bibelkommentar des Nikolaus von Lyra 4 . Aber nicht nur geistliche Schriftsteller kennt er; er erwähnt die Namen einiger literarischer Figuren, die sich wenig oder unseres Wissens gar nicht mit Fragen der Theologie und Kirchendogmatik befaßt haben. Dies beweist zumindest, daß er über die als Vorbild geltenden Dichter unterrichtet war, auch wenn er ihre Werke nicht gekannt haben sollte. Von den erwähnten Dichtern scheint keiner auf die Marienlieder einen großen Einfluß geübt zu haben. Franck bezweifelt sogar, ob überhaupt eine literarische Abhängigkeit bewiesen werden kann, obwohl audi er zugibt, daß „schwache Anklänge" (an Boppe und Frauenlob) zu hören sind. „Es könnte sich überhaupt noch fragen, wie weit er [Hans] die dichter selbst kannte, wie weit nicht ihre namen bloss gangbare typen waren" 5 . Er lehnt ferner die von Minzloff behauptete Ähnlichkeit von V. 1581 mit einer Stelle bei Rumesland ab e . Die Ähnlichkeit ist jedoch 3

4

5 6

Er benutzt Buch 7, Kap. 21: „Här six huru jomfru maria födde sin son j bethleem". Heliga Birgittas Uppenbarelser, efter samla handskrifter utgifna af G. B. Klemming, Stockholm 1861 (Bd. 3, S. 279 ff.). Nikolaus de Lyra: Expositiones librorum veteris et novi testamentis. Ed. var. Franck, S. 391. Minzloff, S. X I X .

Der Stoff

37

stärker, als Franck uns glauben lassen möchte, und wir zitieren deshalb die beiden Stellen: Hans 1581—85:

Aller duvel twingherin Und aller enghel vrouwe

Rumesland „Marien fürbete", 17—18 7 Nu bistu aller tiuvel twingaerinne Ont frouwe über aller engel schar. Das Rumesland-Gedicht ist nicht nur wegen dieser beiden Verse von Interesse, sondern auch weil das Thema sich eng mit einer wichtigen Stelle bei Hans berührt. Rumesland stellt nämlich die Behauptung auf : Sit man daz boese dem guten merken sol So merket man das gute bi dem boesen wol Unt waer niht boeser ding so waer niht guter. Er führt diese These weiter aus und zeigt, daß Maria nicht die Mutter Gottes geworden wäre, wenn der Mensch nicht gesündigt hätte. Maria sei jetzt deswegen Fürbitterin der Sünder bei Christus, der seinerseits bei Gott für die Sünder bitte. Es ist wichtig zu merken, daß eine der beiden theologischen Fragen, mit denen sich Hans — offenbar sehr ernst — befaßt, gerade diese Frage der Präexistenz der Maria ist; Hans steht nämlich auf dem Standpunkt, daß Maria schon vor der Mensdienerschaffung existierte: Went e je creatur den anderen kende, Weers du jegenwoortich im, Als du bist nu uns wesen suis aen ende (2873—75) und daß sie die Mutter Gottes geworden wäre, auch wenn der Mensch n i c h t gesündigt hätte: Diin ho volmaecte togent Haen im so wol behaget, Daz her wold siin diin kint in siinre joegent... So ist is ouch eyn nar, de sich beroemet, Daz du durch unse sunden bist erhaben . . . (2912—14 und 2921—22) Diese Vorstellung findet sich natürlich in der Dichtung sdion lange vor Hans, so z. B. in Konrads von Würzburg „Goldener Schmiede". Das früheste, mir bekannte Gedicht, das diesem Glauben gewidmet ist, wurde von Friedrich von Sunneburg verfaßt: „Maria ane anegenge in der H M S II, 3 6 7 : 1 6 und Wackernagel II, 1 5 7 : 2 7 1 .

38

Der Stoff

gotheit" 8 . Ein halbes Jahrhundert nach Hans legt Michael Beheim von Weinsberg ähnliche Ansichten in seinem Gedicht „Von der vorbetrahtung die got hot gehaben zu der künginn maria e himel oder erd beschaffen wz" nieder 9 . Die eifrige Art nun, in der Hans die von Rumesland vertretene Ansicht bekämpft, läßt vermuten, daß er kurz zuvor auf sie oder ihre Vertreter (wohl kaum die später angegriffenen biechter) gestoßen ist. Auch wenn Hans also den Namen Rumesland nicht erwähnt, besteht die Möglichkeit, daß ihm das genannte Gedicht bekannt war, und wir führen daher zwei weitere Parallelstellen an: Hans:

Rumesland:

Hans:

Ich han oft boren sagen Hed Adam nicht gebrochen Soe [hedsJ du nicht getragen Den gadez son. Daz ist nicht wol gesprochen (2862—65) Hete Eva und Adam nicht gebrochen gotes gebot Und hete der mensch niât gesundet wider got Do enwaere Maria niht Kristes muter (4—6) Es ted alley η die miltheit sines moedes, Siin barmung und siin ubergroze minne (2907—8)

Rumesland:

Der zu brahte in diu barmunge und diu minne (14)

Genauere Parallele mit den Werken anderer Dichter lassen sich, mit einer Ausnahme, nicht finden. Die meisten Gedanken sind häufig in der Mariendichtung nachzuweisen, und es genügt vielleicht, darauf aufmerksam zu machen, daß sich fast jedes Epitheton und jede von Hans auf die Jungfrau bezogene Legende bei Heinrich von Meissen, dem Frauenlob, finden läßt 10 . Eine Ausnahme macht Konrad von Würzburg, dessen „Goldene Schmiede" Hans zweifellos gekannt und benutzt hat. Auf diese Tatsache hat Franck schon hingewiesen11, und wir lassen daher nur die augenfälligsten Parallelstellen folgen 12 : Hans:

E ennich minsch, ley oder clerch,

8

H M S II, 359 :13 und Wackernagel II, 132 :222.

9

Wackernagel II, 680:780.

10

Heinrichs von Meissen, des Frauenlobs Leiche, Sprüche, Streitgedichte und Lieder hrsg. von Ludwig Ettmüller. Quedlinburg und Leipzig 1843, S. 10: „Ein snider sneit mir mîn g e w a n d . . A n d e r e Bilder, die Hans anwendet, so u.a. der sich opfernde Pelikan, der süß riechende Panther u. dgl. erscheinen häufig in den Leichen sowie in anderen Dichtungen Frauenlobs.

11

Franck, S. 390—1.

12

Nach der Ausgabe von Ed. Schröder, der Hans in seinem Nachwort, S. 83 erwähnt, Göttingen 1926.

Der Stoff

GS:

Hans:

GS:

Diin lop volspreech, man solt den berch Goddert e mit halm durchboren (4051—53) der marmel und daz helfenbein wirt mit halmen e durbot, e daz man diner wirde ein ort... (34—36) Und quam in se sam durch daz glas de sunne (1640) Recht sam die son deyt in eyn huus, Die durch daz ganz glas in schimmert Unde glimmert (4366—68) reht als der Hebten sunnen glänz durch daz unverwerte glas (434—5)

(Man vergleiche Frauenlob HMS III, 390:12) Hans: GS:

Hans:

Hans:

GS: Hans:

Recht sam dez alten leewen scrii Siin jonge weif von tood erquicket (3913—4) du bist des lewen muoter, der siniu toten welfelin mit der luten stimme sin lebende machet schone (502—5) Do sere her nach kindez art. Daz schreyen kund siin toden weif irqwicken (2125—26) Recht sam al die wilde dir Volghen den dorstigben pantir, Wenne her geyt zu der rivier, Durch sines zueses ruches art. (3831—4) dem pantier loufet allez wilt dur süezen smac zem meien nach (602—3) Waz dir her binnen siner vaert Zem dritten sprongt nidht en erlengt, Daz ber daz voert zu jaghen spart. Dese haed diin meydliich milch ernart. Die spranc von dir eerst in den gart, Da her bi nacht ghevangen wart. Dernach spranc her aent cruce hart Aeb von dem cruce wert her gebort. Sinen dritten [sprone] spranc her doe vort, Das waz voer der hellen port, Die her gar gruliieh had zustort.

39

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Der Stoff

GS:

Da in erlief her, die gebluemte. Was vreuden hant se doe gecoort, Doe zotz ym quam ir huechster ort? (3876 ff.) des drivalteclicber sprunc

Hans:

daz wilde tier, alt und june, mac ergaben, so man gibt, swaz er mit drin Sprüngen niht gevahet, des tuot er sich abe: davon ich in gelichet habe zuo dinem Snellen kinde. din sun der spranc vil swinde von himel an daz criuze wert; darab so sprone er in den hert, und daruz in die helle tief, darinne erjaget er unde erlief vil mange sele wilde, diu sinem claren bilde zu lange fremde was gesin (747—61) Went wye der sonnen glantze Sich nach dem glase varwet (1357—8)

GS:

Hans:

und als ein wol geblüemet wase. die sunne verwet nach dem glase ir claren unde ir liehten glänz (J77—9) Und hur so etel wul wol Schern Von den eynveltighen Schafen, Daz gros e vor s ten unde hern Cleyder davon zu [draen begernj. (4164—7) ab einvaltigen schafen als edel wolle wirt geschorn, daz einem keiser hochgeborn ein cleit daruz gespunnen wirt. (884—7) Ir minnentliieher son vil schoon,

GS:

Der scree vil luyd aent cruce vroon: Ely, den jemmerliichen doon. (4283—5) dem tet din sun geliche wol

Hans:

GS:

Hans:

an dem heren criuze fron: ely, den jatnerlichen don, sang er des males ... (978—81) Sam man spricht von dem atelar. Der setst siin jungen alle jaar

Der Stoff

GS:

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Enghen der heyser sonnen claar, Und wer da nut in seen en con, Wer der eyn is oder eyn paar, Die stost her aeb in grosen vaar Und wil der nummer nemen waar. Her rucht nut wie daz se ervaer. (4626—32) du tuost gelich dem adelarn, der mit hohem flize vor allem itewize siniu kint beruochet, und danne si versuochet, ob an ir ougen si gebrest. er setzet si vor in daz nest gein der sunnen glaste, und diu niht mügen vaste geblichen in ir liehten schin noch volleclichen sehen drin, diu lat er nemen einen val uz dem neste hin zu tal, und hat uf si kein ahte mer; (1052—65)

Natürlich ist die „Goldene Schmiede" kein originelles Werk; es ist vielmehr eine poetische Zusammenstellung aller bekannten Metaphern, Vergleiche und Legenden, die der Marien verehrung geläufig waren. Trotzdem erscheint es auf Grund der Ähnlichkeit der Phraseologie wahrscheinlich, daß Hans aus diesem Werk einige seiner Bilder übernommen hat. Da Hans die „Goldene Schmiede" also benutzt, deren Verfasser aber nicht genannt hat, ist es sehr gut möglich, daß diejenigen Dichter, die Hans anscheinend ohne von ihren Werken beeinflußt zu sein erwähnt, nur wegen der Berühmtheit angeführt worden sind und nicht etwa wegen des Stoffkreises ihrer Dichtungen.

DER

D I C H T E R

UND

SEIN

P U B L I K U M

Über die Heimat des Dichters sind wir schon durch die Sprache und durch die Herkunft der Handschriften genügend unterrichtet. Die Handschriften, deren Herkunft einigermaßen gesichert ist, weisen auf den niederrheinischen Raum, und die Sprache ist ebenfalls die an der Rheingrenze zwischen Hoch- und Niederdeutschem schwankende Mischsprache, die von Kilianus als Siccambrisch bezeichnet wurde 1 . Wir nehmen also, wie frühere Kritiker, an, daß Hans aus der Gegend zwischen Kleve und Köln stammt; diese Vermutung wird durch verschiedene, unten zu erwähnende Merkmale der Dichtung erhärtet. Die Stoffquellen, die dem Dichter gedient haben, geben einige Auskunft über den Umfang seines Wissens und über seine Erziehung. Es ist schwer festzustellen, welchen Standes der Dichter war, warum er diesem Stand den Rücken kehrte und welchem Orden er sich dann anschloß. Wie wir oben bei der Untersuchung des Zustandekommens der einzelnen Gesänge feststellten, deutet Hans selber am Schluß eines jeden Gesanges auf seine Lebensumstände hin. E r bittet nämlich nicht nur für sich, sondern auch für seine, sich jetzt von ihm zu trennende oder getrennte Frau. Obwohl diese Stellen schon einmal besprochen worden sind, zitieren wir sie hier ausführlich, da sie den Ausgangspunkt für eine Betrachtung des Lebens des Dichters bilden:

Went ich gern durch diin minne Daz [liebste], daz mir uph erten ist, wil derben (2276—77)

Sint ich ben uebergebende ... Die liebste, die ich uph erten hie haen lebende — Ich nen se nicht, du kenst wol iren namen. (2975—78) Ich und die alreliebste miin zu zamen, Die ich durch dich gelasen haen (3678—79) 1

Hoffmann von Fallersleben: Gloss. Belg. (Horae Belgicae, pars séptima) Hannover 1 8 5 6 : „Gerhard van der Sdiueren von Xanten, Kanzler der Herzöge von Kleve und kaiserlicher Notarius, vollendete im Jahre 1475 ein Wörterbuch in zwei Theilen . . . Die Sprache darin ist die damals in Kleve übliche, welche mit der Jülichsdien und Geldersdien noch ein Jahrhundert später Cornelius Kiel mit dem gemeinsamen Namen der Siccambrischen bezeichnete" (S. VIII).

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Der Dichter und sein Publikum

Eyn woort ouch voer uns beyden Daz die liebste miin unde ich, Die ich gelasen haen durò

sprich,

dich. (5275—77)

50 haen ich doch gelaszen durch dun gute Daz liebste miin mit bitterlicher [smertzen] Nu hilf dan vrou ons beyten . . . De du hasz bye gescheyten . . . 51 is diin dyrn, ich byn dim armer slave. Ich byd daz sy ons leste wort ( 1 5 7 0 — 7 9 ) Nu bid ich vor se Sam ich haen oft

...

vrouwe, ghebeden,

Der ich gaf eyns miin trouwe Nach wit und e der heylgher kyrchen seden. Die meynd ich zwaer, des wil ich mir nut schämen. Uns beyden so beveel ich dich. (874—9) Nu helf mich vrou und helf ouch yr De qui tu mas fet departir,... Daz wir da vrolich comen zamen. (173—8) Aus diesen Zitaten geht deutlich hervor, daß Hans verheiratet war, denn er betont: Nach wit und e der heylgher kyrchen seden, daß er seine Frau liebte — Die meynd ich zwaer — , aber daß er sich trotzdem dem Dienst der hl. Jungfrau gewidmet hat (vgl. V. 4598 — Neyn, zwar eyn ander vrou ich vie...), der er versichert, seinen Entschluß nicht zu bereuen: Und werlich weer is nicht gheschen / leb tet es noch mit willentlichen hertzen (1572—73). D a ß Hans wirklich einem Orden beigetreten ist, beweisen solche Verse wie: S int se mir gan der salden, / Daz ich mach siin eyn dienre irre knechte (2321—22), Und haen dich huid und trou geswaren (4804) und Diin eygenen verleenten man (4810), und an einer Stelle nennt er sich der snoedste aire converse (3543). Was ihn zu diesem Schritt bewegt hat, läßt sich nicht eruieren, denn er scheint in keinen ärmlichen Zuständen gelebt zu haben, und er erwähnt kein großes Leid und keine Erfahrung, die ihn dazu hätte zwingen können. Lediglich über seinen früheren sündhaften Lebenswandel und seine Sorglosigkeit klagt er. Tatsachen über sein früheres Leben berichtet Hans allerdings nicht; aus den wenigen Zeugnissen kann man nur folgendes schließen: er hat in seiner Jugend ein sorgenfreies Leben geführt und sich nicht um sein Seelenheil gekümmert. Erst relativ spät gedenkt er des ewigen Lebens und entschließt sich zur inneren Umkehr. Sehr spät braucht dies aber nicht erfolgt zu sein, denn das häufig angewandte Bild des sich nahenden

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Der Dichter und sein Publikum

Todes muß nicht wörtlich aufgefaßt werden2. Dieses Bild sowie die beteuerte Sündhaftigkeit seiner Jugend sind eher als literarische Konventionen denn als Tatsachenbericht zu werten3. Dasselbe gilt auch von der Selbstanklage wegen Geldgier, jedoch nur in gewissem Maße. Es hat nämlich den Anschein, als ob hier doch etwas von persönlicher Erfahrung durchschimmert. Das Wort tures golt von Araby (V. 2232) darf wohl als Klischee gelten. Die verhältnismäßig häufig angewandten Bilder aus dem kommerziellen Leben deuten aber daraufhin, daß Hans sich kaufmännisch betätigt hat. Er führt als Beispiel von Reichtum den Schatz der Deutschherren an, und alles, was vor den Zoll zu Bonn kommt; er erwähnt die englische Goldmünze, den nobel von Lon (5048), und in einem weiteren Vergleich spricht er von dem riicbsten zol, / Da ye geyn schipman vor untloet (4868-69). Kennzeichnend ist auch der Vergleich seiner selbst mit einem mit Waren beladenen Kamel und seine Weigerung, von nun an mit dem Teufel zu handeln: Toe hin, toe hin diin merse, / Diin cramen und diin leufen / ... ich will mit dir nicht keufen (3541—44). In diesem Zusammenhang erhalten auch die Schiffsmetaphern ein anderes Gesicht. Gewiß ist der Vergleich des Menschenlebens mit einem auf dem Meer hin- und hergeworfenen Schiff ein beliebtes Bild, aber es ist möglich, daß bei Hans dieses Bild auf persönliche Erfahrung zurückgeht. Er scheint nämlich eine große Vorliebe dafür zu haben und wendet es an folgenden Stellen an: 2248—52, 2362—63, 2956—59, 3646—52 und 5154. Dazu erwähnt Hans in V. 4869 Schiffsleute (siehe oben) und benutzt an einer Stelle das Schiffsbild im Zusammenhang mit dem magnetischen Kompaß. Wenn man ferner an Hansens Kenntnisse des Englischen denkt, so mag zumindest als Möglichkeit erwogen werden, daß Hans einmal eine Seereise nach England unternommen hat. Dabei scheint uns viel eher wahrscheinlich, daß diese, sei es auf Grund seines kaufmännischen Berufs, sei es aus anderem Grunde, eher vor als nach seiner Konversion stattgefunden hat4. Was Hansens formale Bildung anbetrifft, so haben wir schon seine Literaturkenntnisse besprochen. Von Anklängen anderer Marienliteratur abgesehen, zeigen sich keine Spuren von Einflüssen höfischer oder auch populärer Dichtungen. Aber auch von theologischer Literatur scheint Hans keine tieferen Kenntnisse zu besitzen, denn, von der schon oben 2 3

4

Zum Beispiel: V. 1 6 2 1 — 2 2 , 2 2 7 1 — 7 3 und 5 1 0 1 — 4 . Minzloff meint: „Ein sehr weltlicher, sündhafter Lebenswandel, dessen er sich anklagt, eine todesgefahr, der er entronnen, und furcht vor ewiger Verdammung scheinen die bestimmenden Ursachen seines entschlusses gewesen zu sein" (S. X I V ) . Entgegen der Ansicht von Mörsbach, aaO., S. 120.

Der Dichter und sein Publikum

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besprochenen Bekanntschaft mit den Werken Bernhards ( = Bonaventuras), des Nikolaus von Lyra und der hl. Birgitta abgesehen, könnte sein ganzes Wissen um geistliche Dinge leicht aus der Bibel und der Marienliteratur oder aus anderen Quellen volkstümlicher Art geschöpft sein. Aus der Bibel bringt Hans besonders in den früheren Gesängen viele Stellen, manchmal in wörtlich genauer Übersetzung, manchmal in großen Zügen; die Auslegungen sind keineswegs ungewöhnlich. Er bezeugt ferner genaue Kenntnisse der himmlischen Hierarchie, wobei seine Darstellungen der von Dionysius Areopagitica aufgestellten Rangordnung folgt 5 . Die Schilderung der Freuden des Paradieses, der verschiedenen Ränge der Eremiten, Märtyrer usw. braucht nicht theologischen Quellen im engeren Sinne entnommen zu sein. Solche Darstellungen finden sich allenthalben in zahlreichen sowohl für Laien als auch für Kleriker verfaßten Werken. Die Legende vom Streit der vier Töchter Gottes ist ζ. B. weitverbreitet®, und die herangezogenen Vergleiche — die drei Sprünge des Leoparden usw. — kommen, wie wir schon betont haben, häufig in der Marienliteratur vor. Der geistliche Stoff der Lieder ist also keineswegs originell, auch nicht profunder Art, und aus diesem Mangel an in anderen Mariendichtungen betonter theologischer Gelehrsamkeit darf man schließen, daß Hans keine theologische Ausbildung genossen hat. Nur zweimal nimmt er wirklich aus Überzeugung zu einer theologischen Frage Stellung: das eine Mal verwirft er die Ansicht, daß Maria den Heiland nicht geboren hätte, hätte der Mensch nicht gesündigt; das andere Mal wettert er gegen die falschen „biechter", die er als „leuferhund" des Teufels bezeichnet und wegen ihrer falschen Auffassung der Sünde bekämpft (V. 4662 ff). Hat Hans also offenbar keine theologisch ausgerichtete Erziehung genossen, dann muß eine andere Erklärung für Wendungen wie: Eyn dine pliit man zu lesen (2519), So wir lesen (3095), So hoerd ich / Eyns eynen meister lesen (2876—7) und So uns die meyster reden (3074) gefunden werden, es sei denn, sie werden als nichtssagende Formeln aufgefaßt. Stellen wie Daz waz der yrste Booz so wyr lesen (598) und Daz meynd ich haeht yr al wool hören lesen (621) sind gewiß nicht als Zeichen großer Belesenheit oder gar als Beweis für eine Schulbildung auszuwerten; höchstens deuten sie auf die Verbreitung der Bücher der heiligen Schrift in der Volkssprache hin. Andererseits scheint ein Satz wie So hoerd ich / Eyns eynen meister lesen darauf hinzuweisen, daß Hans dodi eine Art formeller Aus5 In „De coelesti hierarchia". • Diese Legende, die auf Psalm 84, 11 zurückgeht, erscheint in den verschiedensten literarischen Formen bis in das 16. Jahrhundert hinein. Zu diesem Thema siehe u. a. Hope T r a v e r : The four daughters of God (Bryn Mawr Monograph Series Vol. V I ) 1927.

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Der Diditer und sein Publikum

bildung gehabt hat, auch wenn er nicht theologisch geschult worden ist. Und in der Tat interessiert er sich eher f ü r allgemeine wissenschaftliche Phänomene als für theologische Streitfragen. Denn als Beweis der göttlich gelenkten Ordnung des Weltenlebens weist H a n s auf das Phänomen der Evaporation des Wassers und seines späteren Niederschlages als Regen hin. Er weiß um den Schiffskompaß Bescheid und vergleicht die Jungfrau mit dem magnetischen Berg, der alles (eisenhaltige) anzieht. In manchen Dingen scheint sein Wissen das übliche Maß nicht zu überschreiten, denn, daß es ,möglich' war, Zinn in Silber und Kupfer in Gold zu verwandeln, war eine bis in die Neuzeit verbreitete Vorstellung. Daraus darf man nicht auf alchimistisches Wissen schließen. Gleiches gilt f ü r sein Wissen um die Kräfte der Edelsteine. N u r von zwei gesellschaftlich bedeutenden Künsten besitzt er vielleicht tiefere Kenntnisse. Er wendet nämlich Vergleiche an, die aus dem Bereich der Falkenjagd stammen, und er ist vornehmlich gut über die Musik unterrichtet. Die zuerst genannte Kunst wird an folgenden Stellen herangezogen: 2246, 3797 und 4151; Musikinstrumente und Musikformen erscheinen mehrmals. N u r eine wichtige Stelle mag als Beispiel genügen: V. 1102 ff. bittet Hans den hl. Bernardus, daß er ihn lehre, wie er mugh usz floriren / Ave den minnentliicken don. Gleich aber in der folgenden Strophe beklagt Hans, daß die Saiten seiner Fiedel vertrocknet und die Schlüssel verrostet seien; sein Bogen sei nicht geschmiert, denn er übe (oder habe geübt?) nicht genug. Sein Wissen im Bereich der Musik offenbart sich ferner u. a. in V. 1595 ff. und 4530 ff. Was Hansens Sprachkenntnisse anbelangt, scheinen diese keineswegs schlecht gewesen zu sein. Er bemüht sich z.B. um hochdeutsche Formen, obwohl es anzunehmen ist, daß er von Hause aus, wenn nicht Niederdeutsch, dann zumindest einen Mischdialekt sprach. Andererseits bringt er es fertig, einleitende Strophen zu dichten, in denen die Reime auf verschiedene Sprachen verteilt sind, ohne daß dabei grobe Verstöße gegen die Aussprache der betreffenden Sprachen begangen werden. D a ß der Text in diesem Teil nicht fehlerfrei ist, versteht sich von selbst, denn er stammt nicht aus des Dichters H a n d . Deswegen ist es auch müßig, an dieser Stelle eine sprachliche Untersuchung vorzunehmen, denn man weiß nicht, wieviele der Verschreibungen und Wortverstellungen dem Schreiber zur Last fallen müssen. Es soll hier die Feststellung genügen, daß Hans allem Anschein nach sowohl Englisch als auch Französisch sprach — die Sprache deutet auf Kenntnisse des Gesprochenen eher als des Geschriebenen hin. Die Beherrschung dieser Sprachen mag er sich wohl als Kaufmann angeeignet haben. Des Lateinischen ist er auch kundig. Einen ausgesprochenen Sinn für die Natur, d. h. für ihre Lieblichkeit und selbstverständlich auch für ihre Gottbezogenheit besitzt H a n s

Der Dichter und sein Publikum

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wohl; das geht aus den Bildern vor allem des siebenten Gesanges hervor. Die Tier- und Vogelvergleiche bleiben jedoch, so zahlreich die genannten Arten audi sein mögen, innerhalb des üblichen Rahmens. Diese sämtlichen Stellen neben seiner Vorliebe für das Volkstümliche (Sprichwörtliches ζ. B. u. a. V. 622, 703, 1086, 1615), für das Direkte und Unverblümte deuten daraufhin, daß der Dichter, wenn er auch eine nicht klerikale Erziehung genossen hat, nachher nicht in wissenschaftlichen und selbstverständlich nicht in theologischen Kreisen verkehrt hat, sondern fest in der wirklichen Welt, in ihrem Tun und Treiben verankert war. Erst nach seiner Konversion sucht er seinen Gedanken offenbar zum ersten Male literarischen Ausdruck zu geben. Daß diese poetische Arbeit v o r seinem eigentlichen Eintritt in den Orden, bevor er sich also ausschließlich dem geistlichen Leben widmete, begonnen wurde, beweisen die vorhin zitierten Stellen am Schlüsse der einzelnen Gesänge, so daß die Lieder keineswegs die Frucht langen Grübelns über theologische Fragen, sondern eher eine Danksagung für gewährte Erleuchtung und eine Bitte um weitere Unterstützung im irdischen Leben sind. Sie bleiben somit von gelehrter Spitzfindigkeit frei; lediglich den Vorrang der ihm zur Hilfe gekommenen und jetzt von ihm erwählten Herrin verteidigt Hans mit Eifer. Solche Überlegungen führen natürlich zu der Frage nach dem Orden, dem sich Hans anschloß. Daß e r tatsächlich in einen Orden eingetreten ist, ist gesichert; unsicher bleibt, ob mit den Sätzen sc ist diin dyrn und sint ich ben uebergebende (s. oben S. 8) angedeutet werden soll, daß Hansens Frau ihrerseits in einen Frauenorden eingetreten ist. Es darf aber daran erinnert werden, daß um diese Zeit zahlreiche, manchmal ganz lose verbundene und zum Teil nur durch gegenseitigen Eid verpflichtete Frauengemeinschaften religiöser und mystischer Art zusammengetreten waren, und daß ein solcher gemeinsam unternommener Schritt nicht außergewöhnlich war. Von der Tatsache abgesehen, daß er der Jungfrau huid und trou, geswaren hat, gibt uns Hans keine Auskunft über seinen Orden. Klar ist nur, daß er einer war, der der Marienverehrung den ersten Platz einräumte. Auf Grund der Herkunft der Hs. d glaubt Gerss in Hans ein Mitglied des Kreuzbruderordens zu erkennen 7 . Er bringt keine weiteren Beweise für seine Theorie, die allerdings durch die Zugehörigkeit auch der Hs. b zum Kloster Marienfrede einige Unterstützung erhält. Dagegen ist aber folgendes zu sagen: die Handschriften mögen wohl dem Kloster gehört haben, vielleicht auch dort entstanden sein8, aber 7 8

Gerss, S. 225. Haas berichtet von einet eifrigen Schreibertätigkeit der Mönche in Marienfrede — allerdings erst viel später.

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Der Diditer und sein Publikum

damit ist keineswegs bewiesen, daß der Verfasser notwendigerweise unter den Mitgliedern des das Kloster bewohnenden Ordens zu suchen ist, denn die Mönclie werden aus manchen Quellen geschöpft haben, um ihre Bibliothek aufzubauen. Schon die Tatsache, daß die Hs. d in großer Eile angefertigt wurde, scheint anzudeuten, daß die Vorlage (sei es auf einer Reise oder nicht) nur für kurze Zeit zur Verfügung gestanden hat, was weniger wahrscheinlich wäre, wenn die Vorlage in einem verbrüderten Kloster gewesen wäre. Schließlich muß noch daran erinnert werden, daß gerade gegen Ende des 14. Jahrhunderts, als Hans seine Lieder verfaßte, dieser Orden stark in Verfall geraten war. Eine allgemeine Reform setzte erst nach dem Generalkapitel vom Jahre 1410 ein9. Mangels weiterer Beweise wird es wohl unmöglich sein, den Orden, den sich Hans aussuchte, näher zu bestimmen. Schon der bearbeitete Stoff und die Art der Behandlung deuten eher auf einen der kleineren Marienorden, die sich seit dem Beginn des 14. Jahrhunderts in den Niederlanden eines so starken Zulaufs erfreuten. Viele dieser Orden waren kurzlebig, andere auf ein enges Gebiet beschränkt. Die urkundlichen Nachrichten sind lückenhaft und unbearbeitet, so daß wir es für ratsamer halten, auf eine Diskussion von Hansens Ordenszugehörigkeit zu verzichten. Wir wiederholen nur kurz, was wir glauben jetzt über Hansens Leben festgestellt zu haben. Hans stammte aus der Gegend um Kleve-Köln, war also Niederrheinländer. Nach einer, allem Anschein nach, sorgenfreien Jugend, während der er eine gute Allgemeinbildung genießen durfte, betätigte er sich als Kaufmann. Er verheiratete sich; vielleicht machte er eine Reise nach England. In seinen mittleren Jahren gedachte er aus einem uns unbekannten Anlaß seines Seelenheils und bereute seinen bisherigen Lebenswandel. Darauf trennte er sich von seiner Frau, um sich dem Dienst der hl. Jungfrau zu widmen. Es kann sein, daß seine Frau gleichfalls in einen Orden eintrat.

9

Haas, S. 10. Für eine Diskussion dieser Periode mit besonderer Berücksichtigung der Brüder des gemeinsamen Lebens siehe R. R. Post: D e moderne Devotie. Amsterdam 1950.

DIE MARIENLIEDER

ALS

LITERATUR

Bisher haben wir uns mit der Untersuchung der handschriftlichen Überlieferung und mit dem Dichter der Marienlieder beschäftigt, um herauszustellen, wie, wo und wann die Lieder zustandegekommen sind und welcher Art der Dichter gewesen ist. Es ist nun an der Zeit, die Kunst des Dichters zu würdigen, denn die vorangehenden Kapitel wären sinnlos, führten sie nicht zu einem besseren Verständnis des Werkes, und d. h. selbstverständlich zu einem besseren Verständnis seines literarischen Wertes. Überhaupt ist es notwendig, diese Lieder einmal als Literatur und nicht als ein literarisches oder sprachliches Kuriosum zu betrachten. Zugegeben, die Sprache ist eigenartig; muß das Werk aber darum schwerer verständlich oder die dichterische Empfindung weniger echt sein? Eher könnte man nach eingehender Lektüre der Meinung sein, daß gerade die naive und unstilisierte Sprache das Empfinden des Dichters echter und unmittelbarer hervortreten lassen als ζ. B. die „Goldene Schmiede" Konrads von Würzburg. Gewiß liegt in dem Wort „üppige Hochgotik", mit dem Schröder am Schluß seiner Ausgabe der „Goldenen Schmiede" Hansens Werk belegt, eher eine abwertende als eine positive Kritik, aber es kann nur die äußere Form der Lieder treffen, nicht deren Inhalt. Schröder bezeichnet die „Goldene Schmiede" nämlich als „ein stilistisches Bravourstück", welches nur durch Hans überboten worden sei. Auf die Sprache kann sich dieses Wort aber nicht beziehen, denn von den Subtilitäten der Konradschen Sprachkunst ist Hans weit entfernt, und man muß daher zunächst nicht nur zwischen Form und Inhalt oder Gestalt und Gehalt, sondern audi zwischen der äußeren Form oder dem Rahmen und der künstlerischen Form oder der Sprache unterscheiden. Erstere ist bei Hans großzügig angelegt und bezeugt des Dichters Wunsch, dem Preis seiner Herrin einen möglichst großen, kunstvollen und bedeutenden Rahmen zu geben, auch wenn es uns klar bleibt, daß der Umfang der Lieder erst nach und nach zu der endgültigen Größe erweitert wurde. Fragt man sich nun, ob dieser Rahmen für den dargebotenen Stoff passend ist, so muß man die Frage unbedingt bejahen. Die fünf Hauptteile bieten eine große Menge an Stoff, die jedoch keineswegs die Form zu sprengen droht noch durch die Form gehemmt wird. Die gewählte Strophenform, von ihren zahlensymbolischen Bezügen abgesehen, ist geeignet, einerseits eine beschränkte Erzählung ohne große Hemmnisse abrollen zu lassen, ande4 Batts, Studien

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Die Marienlieder als Literatur

rerseits die zwanglose Aneinanderreihung der Klagen und Bitten, Preisungen und Ehrungen, Bilder und Vergleiche zu gestatten. Gerade diese Form der Titurelstrophe, die für die Entfaltung eines epischen Stoffes wenig geeignet ist, läßt sich für Hansens Zwecke besser gebraudien als die von Konrad bevorzugte Form des paarweise gebundenen Viertakters. Den fünf Hauptteilen vorangestellt ist eine kurz gehaltene Einleitung, die vom metrischen Standpunkt nur insofern merkwürdig ist, als die Verse in verschiedenen Sprachen verfaßt sind, und Hans daher gezwungen ist — da er nicht paarweise reimt — Reimwörter aus ungleichen Sprachen zu suchen. Die Form selber ist einfach, und die gewählte Zahl von zwölf Versen je Strophe ist sicherlich durch die Zahlensymbolik begründet, wie auch die Anzahl der Strophen durch das „Ave Maria" bedingt ist. Die einhundert 16zeiligen Strophen des 7. Gesanges sind ein passender Abschluß des Ganzen, obwohl diesmal unleugbar ist, daß die Form, weit davon entfernt, durch den gebrachten Stoff gesprengt zu werden, eher unausgefüllt bleibt. Die lange Strophenform (viermal vier Verse) ist zwar nicht ungeeignet, die Legenden und Vergleiche, die auf die Mutter Christi bezogen werden, auszubreiten und zu kommentieren, aber Hans ist nicht in der Lage, genügend Stoff zu bringen, um diese hundert Strophen auszufüllen, und die Folge ist eine unverkennbare Verdünnung des Stoffes, die in diesem Gesang zu einigen Wiederholungen von Gedanken und Motiven der früheren Gesänge führt. Ist also die äußere Form, in die Hans sein Werk gegossen hat, für die Aufnahme des Stoffes nicht unfähig, so ist zunächst zu fragen, ob es Hans gelungen ist, seinen Stoff innerhalb des gegebenen Raumes so zu gliedern, daß der Zweck seiner Dichtung erreicht wird. Und da wir es jetzt mit den Marienliedern als einem literarischen Werk zu tun haben, müssen wir sie selbstverständlich in der endgültigen Form, also in der überlieferten Reihenfolge betrachten. In der Einleitung zu den Marienliedern klingen schon die Themen an, die Hans in späteren Gesängen, vor allem im 4. bis 7. Gesang ausführlich behandeln wird. Gleich in der ersten Strophe zum Beispiel ist von der großen Minne die Rede, die Gott zu Maria hinzog und die der Jungfrau die Macht gab, für den Sünder bei Gott um Vergebung zu bitten. In den folgenden Strophen werden diese Themen verschiedentlich wiederholt und variiert, wobei auch einige persönliche Einzelheiten eingeflochten werden — der spätere Termin seiner Konversion, die Last seiner Sünden u. dgl. Nur wenige Bilder erscheinen in diesem Teil des Werkes, ζ. B. die Präfiguration Christi in dem Bergtraum Daniels, und sie sind nicht ausführlich kommentiert, wie es an anderen Stellen der Fall ist. Im übrigen beschränkt sich der Dichter auf ein Lob der Mutter Christi mit gelegent-

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liehen Hinweisen auf alttestamentarische Prophezeiungen, wie etwa ihre durch das Blühen von Aarons Rute vorausgesagte Abstammung aus dessen Geschlecht. Die letzte Strophe der Einleitung besteht aus des Dichters Bitte um Aufnahme für sich und seine Frau in das Paradies, zu dem nur die Jungfrau den Schlüssel besitzt. Von einer konsequenten Gedankenführung kann man in dem einleitenden Gesang also nicht sprechen. Zwar ist Hans teilweise in seiner Stoffwahl durch die gegebenen Anfangswörter der einzelnen Strophen gebunden, doch vermißt man trotzdem den Versuch, die wenigen Bilder und Vergleiche, vor allem aber die persönlichen Daten zu einer logischen Sequenz zusammenzufassen. So wiederholt er, wenn auch manchmal in anderer Form, nicht selten denselben Gedanken, ζ. B. bezüglich der Mutterschaft Mariae: Thye in yr blisset woomb shy beer (7), S int daz du gades moeder bist (22), He toec his mankind af thi bloed (31), He maad his oghen dwellinc plaach / In te virgo speciosa (51—2) und Der heer waert selb diin kyndeliin (65), oder bezüglich Marias Macht über ihren Sohn: Nu pray for mi to thi deer chilt (59), Nu bid vur mich den selben licht (106) und Nu bid vur ons den kinde diin (154). Seine Gedanken umkreisen immer wieder dieselben Themen, die er in variierender Form und in verschiedenen Sprachen dem Leser betont und in persönlicher Weise vorlegt. Ein Programm entwickelt er dabei nicht, von dem anfangs stehenden, nichtssagenden Wort ]e diroy volentiers un mot abgesehen, und man weiß also noch nicht, was der Dichter im folgenden vorhat. Vom Standpunkt des Aufbaus der Lieder aus ist die Einleitung folglich von wenig Belang. Nur die wechselnden Sprachen und das Interesse an dem Akrostichon lenken die Aufmerksamkeit von dem eigentlichen Mangel an Stoff ab, und lediglich diese Virtuosität in der Handhabung der gewählten schwierigen und kunstreichen Form verleiht der Einleitung einen Eigenwert als Auftakt zu der folgenden Reihe von Liedern. Das Thema, das Hans im 2. Gesang zu behandeln beabsichtigt, nämlich Wie daz von synen stam ist uszghesprossen / Die liebe suesze muter (185—6), verspricht, im Grunde genommen, wenig interessant zu werden, denn in der Aufzählung der sechzig und mehr Generationen vor Christi (der Vorfahren Josephs von Adam an) liegt kein großer Spielraum für die Entfaltung dichterischer Qualitäten. Trotzdem bewältigt Hans seine Aufgabe in einer solchen Weise, daß die zu fürchtende Leblosigkeit und Eintönigkeit weitgehend vermieden werden. Dies erreicht er hauptsächlich dadurch, daß er an gewissen Stellen ausführliche Szenen mit großzügigem Gebrauch der direkten Rede und mit Hinzufügung von einigem Erdichteten entwirft. Zum Ausgleich überfliegt er dann in einer Strophe fünf oder mehr Generationen, die keine Anhaltspunkte für seine herzhafte Genremalerei darbieten. 4»

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Die Marienlieder als Literatur

Schon am Anfang des Gesanges wird man seiner Eigenwilligkeit gewahr, da er den Sündenfall, der ihn doch so sehr beschäftigt, kurz abtut. Das wichtigste ist in den beiden Strophen V. 188—201 zusammengefaßt, und was folgt, ist die Erweiterung dieses Themas in heilsgesdiichtlicher Schau auf die Ankunft Marias und des Gottessohnes. Die Kainsgeschidite hingegen ist mit allen Einzelheiten geschildert — sogar eine Erklärung des Opferbrauchtums erachtet der Dichter für notwendig (237 fi.) — aber nur bis zum Mord. Die Folgen und die Rächung Abels durch Lamech tut er mit dem Hinweis ab: iz mucht den leser licht verdrieszen (271). Er kehrt stattdessen zu seinem engeren Thema, den Vorfahren Marias, zurück und berichtet mit knappem Hinweis auf die alttestamentarischen Traditionen von den Generationen bis zu Noah. Hier hätte man gewiß erwartet, daß der Dichter die Geschichte Noahs lang und breit erzählt hätte — aber ganz im Gegenteil! Er erzählt nur beiläufig von der Sindflut in weniger als einer Strophe und fügt eine Strophe der Bewunderung über die Unergründlichkeit der göttlichen Vorsehung hinzu. Verweilt der Dichter also nicht bei Noah, der ja an dem ersten großen Wendepunkt in der biblischen Geschichte stand, so erzählt er um so breiter und liebevoller die Geschichte von Abraham, von seinem Sohn und seinen Sohnessöhnen. Das Leben des Patriarchen selber wird curtzlighen uberslaghen; nur von seiner Bereitschaft, den eigenen Sohn zu opfern, und von der Belohnung hierfür wird gesprochen. Die bekannte Geschichte des zweifachen Betruges Jacobs seinem Bruder gegenüber erstreckt sich aber über insgesamt zwanzig Strophen, wobei fast alles in direkter Rede gebracht wird. Der Dichter selber erzählt das übrige, ohne sich häufig über die Geschehnisse zu äußern, wie es sonst oft der Fall ist. Eigene Kritik erlaubt er sich höchstens in V. 494—5 : Da had eyn ander voer gheweest, / Daz in der warheit weynich is zu claghen. Andererseits klammert sich Hans nicht eng an den biblischen Text, sondern bringt das Ganze in einer freien Übertragung, die ein warmes Bild des Familienlebens übermittelt. Einiges, so den Mordanschlag des betrogenen Esaù, übergeht er; andere lebendige Einzelheiten (z. B. Esaus Gedanke weer miin vater nut / Es cost ym noch siin leben [oder ist dies bloß eine Übertragung des Mordgedankens von Jakob auf den Vater?]), fügt er seiner Quelle hinzu. Das Anliegen Hans' und das heißt auch der Standpunkt, den er im ganzen Werk einnimmt, offenbart sich am klarsten in der Strophe 531 ff.: Jacob ghinc hin zu synem oem, / Sam ym siin moeter hiesse. / Daz ich uch schreeb von synen droem, / Ich mucht den leser machen eyn verdriesse. / Ich wil uch sahn . . . Ihm geht es nämlich nicht um Darstellung der göttlichen Geheimnisse oder gar um den geschichtlich-soziologischen Zusammenhang der altbiblischen Geschichte, denn er fürchtet, eine Erzählung

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von Jakobs Traum könne dem Leser machen eyn verdriesse und wendet sich deswegen einer Schilderung von Jakobs Liebe zu Rachel und seiner Werbung um sie zu. Hierzu verwendet Hans weitere sieben Strophen. Er sucht die bekannten und charakterisierenden Einzelheiten aus und übermittelt sie seinem Leserkreis in möglichst konkreter Form. Nodi einmal im V. 580 betont Hans seine Angst, den Leser „zu verdriessen", wenn er von der ganzen Nachkommenschaft Jakobs erzählen sollte, er wolle deswegen nur von dem einen Sohn erzählen, der in der direkten Abstammungslinie steht. Nach der breiten Erzählung um Jakob berichtet er dann in den folgenden Strophen nur sehr kurz über die nächsten Generationen. Nur bei wenigen gibt er Einzelheiten über deren Leben, vor allem über ihr Verhalten den Gottesgeboten gegenüber, und nur selten erlaubt er sich eine Bemerkung wie z. B. in bezug auf den unvernünftigen Sohn des weisen Königs Salomon (V. 622; ähnliches im V. 702). Trotzdem ist das Tempo der Aufzählung der einzelnen Glieder des Hauses David im Vergleich zum Anfang des Gesanges sehr aufgelockert, und die mitgeteilten Einzelheiten und herangezogenen Vergleiche reichen aus, um das Interesse des Lesers wach zu halten. So kommt Hans schon in der 86. Strophe bis Joseph, Marien man, nachdem in den vorigen beiden Strophen die vorherigen neun Generationen aufgezählt worden waren. Noch einmal rückblickend verweist Hans auf die Prophezeiung Isaías' und umreißt die ganze Heilsgeschichte, indem er auf die schon vor der Schöpfung vorhandene Liebe Gottes hinweist und darauf, daß die durch den Sündenfall Adams der Hölle verfallene Menschheit durch den der Jungfrau geborenen Gottessohn endlich erlöst worden sei. Sein eigenes Gebet um Bewahrung vor der Hölle und um Aufnahme unter die Seligen beschließt den Gesang. Mit dem Gruß Ave beginnt Hans das dritte seiner Marienlieder und knüpft damit an den 2. Gesang an, der mit dem Gedanken an die der Menschheit heilbringende, durch Gabriel verkündete Mutterschaft Marias ausklang. Eine sinnfällige Deutung dieses Grußes gibt der Dichter in der zweiten Strophe: mit dem Wort würde die Erlösung des Menschen kundgetan; das Wort Eva würde umgekehrt, d. h. die Folgen des Sündenfalls würden aufgehoben. Ein größeres Wort könne es nach Hans nicht geben, denn die damit verheißene Geburt des Menschensohnes ließe die Menschheit ihrer verlorengegangenen Gottesverwandtschaft wieder teilhaftig werden. So beginnt die Auslegung des Wortes Ave, die den ganzen dritten Gesang in Anspruch nimmt und mit der Deutung des Traumes von Johannes ausklingt. Dazwischen liegt eine Fülle von Motiven, die kaum zu überblicken ist; neben den verschiedenen Auslegungen des Ave erscheinen

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persönliche Gebete und Zurufe an die gesamte Christenheit, biblische Zitate und volkstümliche Sprichwörter. Somit entsteht ein lebendiges Ganzes, durch das ein starker Zug der in persönlichen Reflexionen und volksnahen Vergleichen offenbarten inneren Anteilnahme läuft, das aber einer durchdachten Ordnung entbehrt. Damit soll jedoch nicht gesagt werden, daß dieser Gesang im Gegensatz zu anderen nur ein heilloses Durcheinander von beziehungslosen Einzelheiten sei, oder daß Hans etwa durch Stoffmangel dazu verführt worden sei, sich zu wiederholen (der Reichtum an Stoff würde schon ausreichen, weit mehr als 100 Strophen auszufüllen!), denn eine gewisse Abgrenzung der Motive ist, wenn auch nur angedeutet, erkennbar. Von der ersten Betrachtung des Wunders des Wortes Ave geht Hans zu dem Gedanken über, daß die Heiden das Wort nicht kennen und daß es eine unbegreifliche Gnade sei, daß Gott nur diese kleine Anzahl von Menschen als der Begnadigung wert erachtete. Die Kraft des Ave, die sündigen versteinten Herzen aufzutauen, schließt sich ohne Mühe hier an. Nach einem kurzen Exkurs (über den eigenen Lebenswandel) schreitet Hans im folgenden zu einer Darstellung der Kraft des Ave im Kampf mit dem Teufel, einem Kampfe, der mehrmals im weiteren Verlauf der Lieder geschildert wird und der als unter der Führung der Jungfrau stattfindend gedacht wird. Bis hierher kann eine gewisse Verknüpfung der Motive festgestellt werden, obwohl auch in diesem Teil die Interpolationen zahlreich sind. Von nun an aber wendet sich der Dichter hauptsächlich der Jungfrau zu und sammelt Motive, die ihrer Verherrlichung dienen, geht dann aber schließlich zu dem Verrat Christi (durch den Judasgruß „Ave") und zu der Traumvision des Johannes über. Man könnte nach dieser knappen Darstellung der Meinung sein, daß Hans eine gewisse Anordnung, sozusagen eine heilsgeschichtlich-chronologische Anordnung angestrebt habe, daß er alles zwischen der Verkündigung und dem Jüngsten Gericht einspannen wollte, denn darauf bezieht sich letzten Endes die Traumvision Johannes'. Doch ist diese Anordnung nur scheinbar, oder wie uns scheint, zufällig. Es mag sein, daß der Dichter am Anfang des Gesanges bestrebt war, seine Themen gedanklich aneinanderzuknüpfen, obwohl auch da der Gedankengang unter Unterbrechungen zu leiden hatte, aber in der zweiten Hälfte sucht man vergebens nach einem roten Faden, der die zahlreichen aneinandergereihten Motive verbinden soll. In V. 1231 ff. behauptet Hans, der Buchstabe tau sei das Ave gewesen, und die Erwähnung Ezekiels veranlaßt sofort den Hinweis auf das Himmelstor (siehe auch V. 4529 u. a.). Die kunstvolle Verknüpfung der Bilder in V. 1273 ff. führt auf die Evageschichte zurück (V. 1294 ff.), aber in V. 1301 ff. spricht Hans von König David und in der nächsten Strophe von Isaías, und in V. 1329 ff. ist er schon wieder bei der Ver-

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kiindigung in Nazareth. Das folgende ist eine Wiederholung des Gedankens von V . 951 ff. Viele Strophen zum Lob der Jungfrau schließen sich an, bevor H a n s auf den Drachen (des Johannes Traumes) zu sprechen kommt; er greift aber dann auf die Judasgeschichte und die Verhöhnung Christi vor Pilatus zurück. Die Johannesvision nimmt H a n s wieder auf, um das Ave als „A W e h ' " auszulegen, aber anstatt diesen Gedanken weiter auszuspinnen, kommt er auf die Frau des Zacharias zu sprechen, die (meint Hans) den Ave-Gruß von Maria empfing. Es wird also deutlich, daß der Dichter in seinem Preis des Wortes Ave nicht systematisch verfährt, sondern eher von Assoziationen verführt wird. Das Resultat ist eine zwar eindrucksvolle, aber ungeplante und daher wenig sich einprägende Sammlung von im einzelnen nicht ungelungenen Bildern. I m Grunde genommen ist es so, daß Hans, ohne auf sein vorgefaßtes Thema achtzuhaben, immer wieder zu seinem ihn völlig erfüllenden Hauptgedanken, nämlich zu der Mutterschaft und der Glorie Marias zurückkehrt. Entschlossen, seine Empfindungen dichterisch zu gestalten, ist H a n s in diesem Gesang nicht Dichter genug, um über seine Gefühle völlig H e r r zu werden. I m großen und ganzen bewältigt H a n s aber seinen Stoff innerhalb des gegebenen Raumes, ohne daß dabei ein Mißverhältnis entsteht. D e r vom Dichter zuerst konzipierte Gesang ist hierfür ein besonders gutes Beispiel. H a n s beginnt mit einem Anruf an die Jungfrau und erklärt seine Absicht, ihr einhundert Lieder, d. h. hundert Strophen zu widmen. Es folgt eine Demutsformel, die in die Klage über sein bisheriges mißbrauchtes Leben mündet und die sinnfällig zu einer Betrachtung des unausweichlichen, herannahenden Todes führt. Von

der Todesangst könne der

Mensch nur durch die Mutter Gottes befreit werden, und der Dichter schickt sich deshalb an, im folgenden ihr reines Leben zu schildern. Die ersten zwölf Strophen enthalten somit nicht wenig Stoff, aber sie dienen als logische Einleitung zur Darstellung des eigentlichen Themas dieses Gesanges, nämlich des Streites der vier Töchter Gottes. Für diesen Teil hat Hans seine Vorlage, die er jedoch sehr gekürzt wiedergibt; der Stil ist sein eigener, ist einfach und persönlich. Die Form des Streites als eines Wortstreites zwischen den personifizierten Tugenden wird beibehalten, indem das meiste in direkter Rede gebracht wird. Die Schilderung des Streites und der vergeblichen Suche nach einem unschuldigen Menschen erstrecken sich über 21 Strophen. Die darauffolgenden 18 Strophen haben ebenfalls eine Vorlage, denn sie erzählen in breiter, aber anschaulicher Weise von der Verkündigung an M a r i a und von deren Besudi bei Elisabeth. An dieser Stelle, fast genau in der Mitte des Gesanges, bricht H a n s die Erzählung ab und hebt an, seine meisterinne

fiin zu lob-

preisen. Nach nur fünf Strophen aber wendet er sich wieder der biblisdien

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Darstellung zu und bringt seinen Lesern eine freie Wiedergabe mit Auslegungen und Glossierungen großer Teile des „Hohen Liedes". Nach einer einstrophigen Unterbrechung, in der Hans die bekannte Legende des seine Welpen durch Gebrüll zum Leben erweckenden Löwen einführt, kehrt er zur Bibel zurück; von nun an zitiert er frei Stellen aus Jesus Sirach. Von Vers 24,29 ausgehend: Wer mich ist, den nicht versleyt / Key η hungher; der mich trinci, yeme her turstet, lenkt der Dichter während der letzten acht Strophen dieses Gesanges zur Darstellung seiner eigenen Sündhaftigkeit und bittet um der Jungfrau Beistand. Die Stoffordnung des 4. Gesanges ist also logisch und konsequent. Nach einleitender Schilderung und Begründung seines Vorhabens erzählt der Dichter von dem Streit der Töchter Gottes, der der Menschwerdung vorausging; im zweiten Teil sucht er nach biblisdien Vorverkündigungen oder Präfigurationen der hl. Jungfrau, der er sich um ihrer Gnade willen widmen will und weil nur sie bei Gott für den Sünder Gehör finden kann. Im 5. Gesang nimmt die Erzählung der darzustellenden Begebenheiten viel weniger und der Preis der Jungfrau entsprechend mehr Raum ein. Hans bittet zunächst um weitere Unterstützung auf seinem vorgefaßten Lebensweg und tut dabei kund, daß ihm ihre Gnade schon zuteil geworden ist, insofern wenigstens, als er sich jetzt als eyn dienre irre knechte (V. 2322) rühmt. Die Selbstanklage ob seines versäumten Lebens wiederholt Hans an dieser Stelle, aber in anderer Weise als im 4. Gesang, und er vergleicht sich unter anderem mit eyn roterloses schip, / Daz vuer dem wind hin driib voer alle gelben (V. 2362—3). Es folgt eine weitere Demutsformel, bevor Hans sein Thema wieder aufnimmt. Nach einer Darstellung der hohen Stellung Marias beruft sich Hans nochmals auf biblische Prophezeiungen, begnügt sich allerdings mit einer Beschreibung der Freuden Simeons und der Begegnung zwischen Maria und Elisabeth. Mit anderen Worten, er will diesmal nicht die Präfigurationen der Jungfrau, sondern die Vorverkündigungen Christi (während der Schwangerschaft Marias) erzählen. An dieser Stelle knüpft er wieder an die begonnene Erzählung des Lebens der Maria an, indem er zunächst den von Joseph gehegten Verdacht und seine Aufklärung schildert. Die weiteren Strophen erzählen die Ereignisse um Maria von der Fahrt nach Bethlehem bis zum Tempelopfergang sechs Wochen nach Christi Geburt. Obwohl er nur etwa 50 Strophen enthält, ist dieser Teil des Gesanges, der eigentliche Erzählteil, reich an Deutungen und Glossen. Als anmutiges Beispiel sei auf die Strophe V. 2778—84 verwiesen, in der der Dichter behauptet, die Flucht nach Ägypten sei eyn groos exempel / Uns allen, die ungerne veel vertraghen, weil Gott den Herodes mit eynen wort wol het erslagen.

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Die bei dem Opfergang offenbarte große Demut der Maria dient Hans als Ausgangspunkt für einige Strophen des Lobes, aber vor allem der Bewunderung für die Größe der Liebe, die Gott dazu zwang, sich mit Maria zu vereinigen. Der nun folgende Passus bringt die persönliche Ansicht des Dichters, eine Ansicht, die gewiß in der Marienverehrung verbreitet war, aber nie von der Kirche direkt gebilligt wurde: Hans vertritt gegenüber unbekannten Zweiflern den Glauben an die Präexistenz Marias, und die Begründung für seinen Glauben und vornehmlich die Ablehnung der Gegenansicht durch das Argument, daß aus den Sünden des Menschen nicht Gutes hervorgehen, also Christus nicht geboren werden könnte, führt Hans nochmals zu der eigenen Sündhaftigkeit zurück. Nur durch Maria fühlt er sich erlöst, nur sie kann ihn retten. Mit weiteren Bitten um Beistand schließt der Gesang. Der Erzählteil in diesem Gesang beansprucht nur etwa die Hälfte der Strophen, obwohl die Geschehnisse viel zahlreicher sind und die chronologische Zeitfolge viel bestimmter ist. Die biblische Geschichte um die Geburt Christi ist aber zweifellos als den Lesern bekannt vorauszusetzen, und der Dichter hat daher eine andere Einstellung zu seinem Stoff als im 4. Gesang. Dort mußte er die Menschwerdung Christi aus theologischdogmatischer Sicht begründen; er mußte die abstrakten Hintergründe des großen Geschehens erleuchten. Im 5. Gesang handelt es sich darum, dieses Geschehen möglichst deutlich zu berichten, es einzuprägen und ins redite Licht zu rücken. Daher beginnt er mit einem Hinweis auf die (Vor-) Freuden der zunächst unmittelbar Beteiligten (Simeon und Elisabeth neben Maria und Joseph) und fügt dem Bericht nur wenige, allerdings derb-realistische Einzelheiten und Kommentare hinzu. Hörte er vorher (im 4. Gesang) mit dem Besuch Marias bei Elisabeth auf, so knüpft er jetzt dort wieder an und führt die Erzählung nur über die Geburt bis zum Tempelopfergang hinaus. Damit ist dann das Wesentliche für Hans erledigt, denn sein Interesse gebührt der Gestalt der Maria und nicht der des Heilands. Trotzdem wirkt des Dichters Ausfall gegen diejenigen, die an die Präexistenz Marias nicht glauben wollen, störend. Zwar lenkt er nachher nicht ungeschickt auf sein Thema zurück, doch bleibt der Zusammenhang zerrissen, denn, ganz abgesehen davon, daß seine Absicht schlecht zu dem vorher geschilderten Streit der Töchter Gottes paßt, bleibt seine Behauptung völlig unbegründet und ohne weitere Wirkung. Er stellt sie als eine Tatsache hin, bespricht sie nicht, sondern läßt sie auf sich beruhen. Es sieht mit anderen Worten so aus, als ob Hans sich nochmals durch sein starkes Empfinden dazu hinreißen ließ, den Verlauf seines Liedes zu durchbrechen, um einer ihm gefährlich erscheinenden Fehlkonzeption entgegenzutreten. Von dieser Entgleisung abgesehen, ist der Gesang zweckmäßig und schön geglie-

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dert; er zerfällt in drei große Strophengruppen, die etwa in dem Verhältnis 2 zu 3 zu 1 zueinander stehen. Die einleitende Naturbeschreibung des 6. Gesanges, die in bezug auf die Datierung der Abfassung der Lieder erwähnt wurde, dient nicht nur etwa zur Verschönerung; sie soll mehr sein als ein Beispiel für die Herrlichkeit der Gottesschöpfurig, denn der Hinweis auf die Vertreibung des Calden winters vrosten durch die warme Frühlingssonne ist zweifellos bildlich-allegorisch gemeint. Auch soll die Darstellung der Frühlingspracht der Natur auf die unbegreifliche Schönheit des Paradieses hinweisen, denn Wie schoen moes siin siin pallas, / Sint also rechte lustlich is siin kercher (3042—3). Von dem Phänomen der Evaporation und des Wolkenniederschlages als einem schönen Beispiel der universalen Ordnung ausgehend, kommt Hans auf die himmlische Ordnung zu sprechen, eine Ordnung, die im ,zehnten Himmel' gipfelt, wo seine Herrin herrscht. Diesen 10. Himmel stellt der Dichter seinen Lesern sehr plastisch vor Augen: es herrschen dort lauter Jubel und Freude, man tanzt und singt zur schönsten Musik; allherrschend ist die Minne. Nichtsdestoweniger erklärt Hans seine Unfähigkeit, da er nur Mensch ist, das dortige Leben wahrheitsgetreu zu schildern, und er geht folglich nach einer Darstellung der verschiedenen Ränge der Glückseligen zu einer Beschreibung des Neuen Jerusalem, Daz sunt Johan sach von dem hemel comen, über. Seine Beschreibung gibt die biblische Stelle getreu wieder, aber audi dann leugnet Hans am Schluß des Berichtes, daß es so sein kann, wie er dargestellt hat: steyt es sus in hymmelriiche? Neyn... Es ist uns nicht gegeben zu verstehen, Wies in der sygender kyrchen si geschaffen, solange wir in der streitenden irdischen Kirche, also im Menschenleben sind. Hans stellt die Lage in den folgenden Strophen so dar, daß alle Menschen und die Engel unter der Führung Marias im Erdenleben gegen die teuflische Macht streiten. N u r wer in diesem Leben ohne Zagen gefochten hat, wird jenes Lebens teilhaftig werden. Diese Gedankenführung erlaubt Hans im folgenden einen Ausbruch gegen Satan, den er als Händler mit verfänglichen, sündigen Waren schildert. Und wer sich schon darauf eingelassen hat, mit dem Teufel zu handeln, kann nur durch die Macht der Jungfrau (Theophilus als Beispiel) gerettet werden. Ist die Gedankenführung bis hierher eine einwandfrei logische gewesen, so scheint doch der folgende Passus ohne logische Motivierung eingefügt zu sein. Vorher hatte Hans schon erwähnt, daß die drie engelsce ierachien unter der Fahne der Magd standen, und jetzt erst geht er ohne äußerliche Anknüpfung an das unmittelbare Vorhergehende zu einer Schilderung dieser nuyn coor der engelscer partyen und wie sie zu iren dienst sint geschaffen über. Die Schilderung ist allerdings knapp gehalten: der Dichter gibt zunächst die Grade der Engel mit einer kurzen Kenn-

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Zeichnung ihrer Stellung an, um sie dann in den folgenden beiden Strophen in ihren Eigenschaften zu charakterisieren. In den Schlußstrophen des Gesanges preist Hans Maria und bittet um gnädige Aufnahme an dinen danze. Zu bemerken ist, daß er sich nur am Schluß dieses Gesanges (oder dieser Dreiergruppe von Gesängen?) mit Namen nennt. Den eindrucksvollen Abschluß des ganzen Werkes bilden die einhundert 16zeiligen Strophen des siebenten Gesanges. Noch einmal beteuert Hans seine Absicht, er wolle der zarten cueninghin ... Hondert liet zu lobe beghin[en], Seine Themen umreißt er in den Strophen 2 und 3: es ist billig, daß jeder Mensch die Jungfrau lobe, weil ohne sie die Menschheit dem Teufel verfallen sein würde, der erbittert um die Seelen kämpft. Sie habe durch ihre die Minne der Gottheit bezwingende Güte die Menschwerdung Christi und damit die Erlösung der Menschheit veranlaßt. Das ist das vorgefaßte Thema, und in zwangloser Reihenfolge bringt Hans abwechselnd Worte des Lobes und der Ehrung für die Jungfrau, wobei er sie mit zahlreichen Bildern vergleicht, und Worte der Verwünschung für den Teufel. Er beginnt mit der Legende des himmlischen Schneiders, den er auch mit der Figur des die Welt schmiedenden Schmiedes verbindet (St. 4—6). Die Strophen 7—10 schildern die große Minne, die den Herrn dazu brachte, Maria den Minnebrief, also den englischen Gruß zu übersenden. Beginnend mit der 11. Strophe erscheinen bekannte Motive aus dem Bereiche des Tierlebens (schon in Str. 10 wird die Anlockung Gottes durch die Minne mit dem andere Tiere anlockenden süßen Geruch des Panthers verglichen). Maria hat die Menschheit zum Leben erweckt, wie der Phoenix aus der Asche aufersteht und wie der Pelikan seine Jungen eigenes Herzensblut bietet, um sie am Leben zu erhalten. Sie hat durch ihre spiegelreine Natur den erzürnten Tiger besänftigt, der nur durch den Anblick seines Eigenbildes zur Ruhe gebracht werden kann. Der Glaube, daß der Leopard allem Wild, das er in drei Sprüngen nicht erreichen kann, zu entkommen erlaubt, wird wie gewöhnlich auf Christus bezogen, wobei, zum Unterschied zu Konrad, Christus von Maria in die Welt, von der Welt ans Kreuz und von dem Kreuz in die Hölle springt. Bei Konrad heißt es: din sun der spranc ... von himel an daz criuze wert: I darab so spranc er in den hert, / und daruz in die belle tief (754—7). Die Erwähnung der Hölle gibt dem Dichter Anlaß, den Teufel zu schelten, um dann zu einem Preis der Jungfrau überzugehen, die die Macht des Teufels gebrochen hat. Im Laufe dieser Darstellung, die bis einschließlich Str. 23 reicht, wird die Liebe der Maria immer wieder stark betont, und die Jungfrau selber in zahlreichen Bildern gepriesen. Trotzdem gesteht Hans (Str. 24—26) die Unmöglichkeit, ihr Lob voll und ganz auszusprechen, ganz abgesehen von seiner eigenen Schwäche.

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Diese Motive durchziehen die folgenden Strophen in variierenden Formen. Im großen und ganzen ist der Stil dieser Stelle sehr persönlich und sehr anschaulich. Der Dichter führt seine eigene Lage mit derben Wendungen vor Augen und bittet, obwohl er immer wieder seine Unfähigkeit reuig und demütig bekennt, unumwunden um die Hilfe seiner auserwählten und ihm Hilfe schuldenden Herrin. Dabei werden die früher schon erzählten Einzelheiten des Höllenbesuches und die dort die Sünder erwartenden Qualen realistisch geschildert. Alles wird wiederholt durch den Sündenfall begründet, so etwa V. 4039, 4337 ff., 4390 und 4433 ff. Dieser Passus schließt mit dem Ausdruck der Hoffnung (in der 50. Strophe), daß der Dichter bis an sein Lebensende vom Lobe der Jungfrau nicht (durch den Teufel) abgebracht werden möge. Nachdem Hans in der 51. Strophe die Meinung geäußert hat, daß jeder die Jungfrau preisen solle und niemand ohne sie den Kampf gegen den Teufel bestehen könne, wendet er sich wieder dem Lob der Magd zu. Anfänglich führt er neuen Stoff hinzu, indem er sich auf den hl. Bernardus beruft und Isaías zitiert, dann kehrt er aber zu altbekannten Bildern, zu Ezekiel und zu Gabriel zurück. Ein ausführliches Bild des Adlers, der diejenigen seiner Jungen aus dem Nest wirft, die nicht in die Sonne blikken können, führt zu einem Vergleich Marias mit der Sonne, und eine Überleitung glückt dem Dichter, indem er an die Darstellung Johannes' anknüpft und auf den Drachen ( = Teufel) zu reden kommt. Der Drache ist auch einem Jäger gleich, der seine leuferhund, hält; das sind die biechter. Die falschen Priester sind also Handlanger des Teufels, und Hans greift sie mit scharfen Worten an. In weicherem Tone fährt er dann fort, seine eigene Gebrechlichkeit zu beklagen und um Beistand zu bitten. Er fürchtet nämlich den Teufel, der auch daran Schuld ist, daß er so lange noch wartet, die der Jungfrau gebührende Lobeshymne anzustimmen! Erst also am Scliluß der 75. Strophe nennt der Dichter die die Jungfrau kennzeichnenden Bilder: sie gleicht der Lilie, der Rose, dem Veilchen und der Zeitlosen, dem Diamanten ( = Magneten) und dem Türkis. In den folgenden Strophen werden diese Bilder ausgelegt und mit Beispielen versehen. Von hier an beschäftigt den Dichter sowohl sein eigenes Schicksal als auch dasjenige der unbekehrten Sünder in der Welt. Das Leben ist kurz; der Tod, der ihn, den Dichter, bis jetzt verschont hat, lauert auf ihn. Trotzdem gibt es viele Leute, die sich nur um Reichtum oder um ein angenehmes Leben kümmern, und für sie und andere Sünder bittet Hans und schließt sich selber mit ein, denn er weiß sich sehr unvollkommen. Der Gesang klingt aus mit einem innigen Gebet an Maria, als die der Trinität am nächsten stehende, indem Hans um ihre gnädige Begleitung seiner Seele bittet, wenn sie aus seinem Körper scheiden soll. Sie möge sie gegen den Angriff des Teufels verteidigen und sie von der Last

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der Sünden durch einen Gnadenakt befreien, so daß sie am Jüngsten Tag unbescholten vor dem Richter erscheinen könne. Diese kurze Analyse des Schlußgesangs soll dazu dienen, die schon erwähnte Stoffverdünnung zu verdeutlichen. Denn diesmal gibt es keine Erzählung, um welche der Dichter seine Strophen der Freude und des Lobes gruppieren kann; sämtliche Strophen sollen der zarten cueninghin ... zu lobe sein. Wenn man nun bedenkt, daß Konrads „Goldene Schmiede" nur 2 000 Verse umfaßt und daß Hans jetzt die Absicht hat, 1 600 Verse zu dichten, um sein schon umfangreiches Werk abzurunden, so mag man sich vergegenwärtigen, wie schwer seine Aufgabe gewesen ist. Unter solchen Umständen ist man nicht überrascht, schon behandelte Motive und Vergleiche auftauchen zu sehen, obwohl zugegeben werden muß, daß sie nicht immer in derselben Form erscheinen oder mit der gleichen Auslegung versehen sind. Und nicht alles ist Wiederholtes; bei weitem nicht. Vor allem die Vergleiche des ersten und des letzten Viertels enthalten vieles, was neu ist und in ansprechender Form dargeboten wird. Man denke vor allem an die zu Anfang erzählte Legende des Schneiders und an den am Schluß des Gesanges stattfindenden Vergleich Marias mit den Blumen und Edelsteinen. Diese Vergleiche geben auch zu dem Gedanken Anlaß, daß Hans im letzten Gesang trotz aller Schwierigkeiten eine gewisse Anordnung oder Gliederung seines Stoffes angestrebt hat, und zwar zunächst so, daß im ersten Viertel des Gesanges die Liebe der Jungfrau betont und sie selber mit den bekannten aus dem Tierreich bezogenen Beispielen der Selbstaufopferung verglichen wird. Diese Opferbereitschaft teilt auch der Gottessohn, doch bleibt dabei Maria im Vordergrund, denn sie ist die leidende Mutter, und bezeichnend hierfür ist auch des Dichters Hervorhebung der Macht der Jungfrau, den Teufel zu bekämpfen, nachdem er soeben Christi Aufbrechung der Höllentore geschildert hat. Diese Darstellung schließt mit den Strophen 24—26, in welchen Hans beklagt, daß es nicht menschenmöglich sei, ihr Lob zu vollenden. Im zweiten Viertel unternimmt er es trotz seiner Unzulänglichkeit, sie zu preisen, wofür er manche Bilder einführt, die im Vergleich zu denen des ersten Viertels einfacher, man könnte sagen, volksnäher sind. In diesem Teil spricht er auch mehr von sich selber und seinen Ängsten. Dieses Thema wiederholt er im dritten Viertel des Gesanges, doch wendet er sich wieder anspruchsvolleren Bildern zu und zieht die bekannten Stellen aus den biblischen Schriften heran, benutzt aber dazu noch ein weiteres Bild aus dem Leben der Tiere. Ähnlich dem Schluß des zweiten Viertels geht er dann auch hier zu den Machenschaften des Teufels über und zu einer Darstellung seiner Angst. Erst jetzt will er aber trotz des Teufels die große Lobeshymne beginnen, die das letzte Viertel ausfüllt. Daß Hans seinen Stoff in vier für sich abgeschlossene Teile geglie-

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dert hat, soll hier nicht behauptet werden; das wäre im Sinne weder des letzten Gesanges noch der Dichtung als Ganzes, aber Ansätze zu einer gedanklich-thematischen Stoffverteilung sind gewiß vorhanden. Verbunden sind diese verschiedenen Teile durch die sämtlichen Strophen zu Grunde liegende und häufig ausgesprochene Vorstellung von der Allmacht Marias und der Ohnmacht des Dichters. Andererseits ist es so, daß gerade diese wiederkehrenden Gedanken und Vorstellungen den dichterischen Wert des letzten Gesanges beeinträchtigen, denn wie echt und rührend die Empfindungen auch sein mögen, so werden sie doch nach etlichen Wiederholungen als überflüssig oder gar störend empfunden. Daß der Dichter den Gesang, auch den letzten, mit dem Ausdruck seiner mangelnden Kunstfertigkeit beginnt, ist nicht ungewöhnlich, und ein soldier Topos hat wohl in dieser wie in jeder Dichtung seinen berechtigten Platz. Eine solche Wendung ist aber ein Topos und soll ein Topos bleiben; sie darf nicht in einen ausführlichen Kommentar ausarten. Man beachte aber bei Hans die Wiederholungen dieses Gedankens: er beginnt mit den Versen: Nu sint miin tumme tore sin So wiit gestreuwet her und hin, Daz ich der const unwitzich bin ... Derselbe Gedanke erscheint in V. 4090—91: Nu ben ich leyder alzu grop, Vil zu schaafs und gar zu rundió, und einige Strophen weiter in V. 4130—31: Vernunft und const, siin, witz und leer, Die mir sint leyder alle veer kehrt er wieder (ähnliches audi V. 5035). Mittlererweile ist ein sehr ähnlicher Gedanke aufgetaucht, und zwar in Str. 4049 ff., wo Hans sich mit dem seinen Gesang gern darbietenden Kuckuck vergleicht: So ist der gouch siinz sangz nut kerch (4061). Diese Idee wiederholt sich in V. 4074: Ich wil so doen, sam deyt der gouch und in V. 4078—80: So rueft der gouch ouch luid und hai, / Wie wol siin singhen nicht en douch. / Sus wil ich ouch. Der Topos der ersten Strophe weitet sich somit zu einigen Strophen (V. 4049—96 und 4129—4208) aus, und wiewohl die Beteuerungen der Untauglichkeit und der Demut geschickt und bilderreich ausgeführt sind, so stauen sie doch über Gebühr den Verlauf der Dichtung. Dazu kommt die Tatsache, daß in einigen Fällen derselbe oder ein ähnlicher Wortlaut verwendet wird. In ähnlicher Weise wird sein Entschluß, auf keinen Fall vom Lobe der Jungfrau abgehalten zu werden, verschiedentlicl wiederholt, so

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V. 4207ÍÍ.: Daz ich diin lop dan nicht laas aab / Untz in dem graab, V. 4470 fi. : Eyn grozen roems ich mich gebaegh, / Daz ich mich nicbtes nicht verzaegh, V. 4747 ff.: Vrou, man mach dich mir nicht ley ten. / Al solt man ouch miin herz untweyten, / Du soldz doch da uz nicht scheyten und V. 5057 ff.: Her can mich nummer so ghequetsen, ... Daz ich von dinen labe yet scheyd. Diese und ähnliche Wiederholungen sind also die unvermeidlichen Folgen des Versuches, einem großen, unaussdiöpflichen Thema den geeigneten Rahmen zu geben — unvermeidlich nicht nur, weil schon so vieles in den früheren Gesängen vorweggenommen worden ist, sondern auch weil Hans sowohl durch seine Natur als auch durch seinen Leserkreis auf ein gewisses, hauptsächlich laienhaftes Gebiet beschränkt bleibt. Dieser Satz gilt im gewissen Maße für das gesamte Werk, denn Wiederholungen kommen nicht nur innerhalb des letzten Gesanges vor, sondern sind auch an vielen Stellen des Werkes anzutreffen. So wird z. B. immer wieder und teilweise mit ähnlichem Wortlaut auf die Botschaft Gabriels hingewiesen, vor allem in den Versen 887, 913 und 915, 919 und 935, 1563 und 2666, oder die das himmlische Tor betreffende Stelle aus Ezekiel (Kap. 44) wird in V. 1249, 4530 und 4545 zitiert. Isaías' Prophezeiung „Ecce virgo concipiet" (7,14) erscheint dreimal, in V. 801, 1311 und 4513. Bis zu einem gewissen Grade sind solche Wiederholungen durch die Art der Dichtung entschuldigt, die ja manchmal eine wichtige historische Begebenheit von verschiedenen Perspektiven beleuchten will, gerade wie die mittelalterlichen Bibelkommentare den Text unter den Rubriken „mystice", „spiritualiter" usw. erklären. Andererseits müssen die Wiederholungen bei Hans, und hierin liegt ein dichterischer Mangel, teilweise als die Folgen der inkonsequenten Kompositionsweise gewertet werden. Die wiederholt angebrachten Demuts- und Untauglichkeitstopoi fallen allerdings nicht unter diese Rubrik, denn sie sind in den späteren Gesängen am häufigsten anzutreffen. Es wird sicherlich so zu erklären sein, daß Hans, nachdem ihm der zur Verfügung stehende Erzählstoff ausging, immer häufiger auf solche und ähnliche Themen zurückgreifen mußte, um die sonst übermäßig lange und leerzuwerden drohende Reihe der Lobesund Preisstrophen aufzulockern. Auffallend ist zum Beispiel, daß er da, wo er etwas zu erzählen hat, solche Füllstrophen nicht benötigt. Nicht aber, daß solche Strophen n u r als Füllstrophen zu betrachten sind! Denn Hans ist offenbar nicht nur von einer großen Liebe zur Jungfrau, sondern audi von einer bedrückenden Erkenntnis seiner eigenen Nichtigkeit beseelt. Die Bilder, die verwendet werden, um diese Nichtigkeit hervorzuheben, quellen reichlich aus seiner Feder und dürfen nicht als bloße Formeln angesehen werden; nur insofern, als sie sich häufig wiederholen

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und den Verlauf der Dichtung allzusehr hemmen, sind sie vom dichterischen Standpunkt aus gesehen als Fehler zu werten. Durch diese Mängel sind wohl auch die Vorzüge der Hans'schen Dichtung angedeutet: sie liegen einerseits in der Stärke seiner Empfindung und andererseits in seiner Fähigkeit, seinen Stoff, vor allem den Erzählstoff, plastisch und ergreifend zu gestalten. Seine tiefe Empfindung, seine Bewegtheit lassen sich allenthalben spüren, und nur sehr selten läßt er sich zu Ausfällen hinreißen, die den Fluß der Dichtung unterbrechen. Mit inniger Anteilnahme denkt er nicht nur an die Jungfrau, an die Mysterien der Geburt des Gottes- und Menschensohnes oder an die unerforschliche, der Welt innewohnende Harmonie, sondern auch an die Freuden und Leiden des Alltags, der sündigen Welt. Die Gedanken dabei sind nicht neu, doch sind die Schilderungen etwa der Vergänglichkeit oder der Hochfahrt stark realistisch in ihren Bezügen und sehr geschickt formuliert. Als Beispiel hierfür können die Strophen 5105 und 5169 dienen: Cuenliich die werelt ist unstabel Und al vol draechs sam weers eyn fabel. Wie wol es ist eyn alt parabel, Eyn armen man is eyn vleyschgabel, Zu sinen huisraetz geyn nutz. Ich weer lieber eyn armes knabel, Dem cleyn und arm weer siin babel, Den eyn nicher [comnestabel], Die grose cursen troghe von sabel. Wir hangen ueber eyn diefen putz Aen alzu cleynen, crancken cabel. Mennich stoost die brost ueber den nabel Und dreecht gar houerdich den snabel, Die doch zu sterben is so abel, Sam eyn [verlernter], blinder schütz In eyn schermutz. Trouwen, mich dunct, ist paf, ist ley, Se varen al onder daz cley. Wir seen es nut aen eyn ob zwey, Wyr seent an dingen mengerley, Daz bald al [vroud] is hie vergaen. Wa is nu hin der suesszer meyf Wa is nu der Voglen schreyf Wa sint se nu, die hey jo hey Gar vroluch songen aen dem reyì

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Is dit alreyd nut al ghetaan? Mich dunct nu, wie es storm und wey Und wie der calder riif sich sprey. Der werrelt vreud is sam eyn ey, Daz gar lichtliichen bricht untzwey. Daz sold wir bilchs voor oughen haen Und sunden laen. In solchen schwarzen Farben malt Hans allerdings nicht immer, die schon oft erwähnte, am Anfang des 6. Gesanges stehende Schilderung der Frühlingspracht darf als Beispiel dienen; es gibt viele andere ähnliche, wenn audi kürzere Stellen. Was seine Erzählfreude anbetrifft, so ist davon vor allem in der Analyse des 2. Gesanges die Rede gewesen. Sowohl in der Geschichte von Jakob und Esaù als auch in der Erzählung des Streites im Himmel gelingt es Hans, hauptsächlich durch die Anwendung der direkten Rede, aber auch durch Einführung kennzeichnender, in seiner Quelle nicht vorhandener oder nur unausgesprochener Einzelheiten, die Personen der einzelnen Szenen lebendig und individuell darzustellen. Vor allem bei der Erzählung der Weihnachtsereignisse und der darauffolgenden Begebenheiten spürt man des Dichters Bestreben, durch Hinzufügung von lebensnahen, seinen Lesern anschaulichen Einzelheiten ein lebendiges Bild heraufzubeschwören, das die wichtigsten Tatsachen scharf herausstellt. So erwachsen die Details der Fahrt nach Bethlehem, das wenige Geld, die schlechte Vorbereitung für die Reise, die Mitnahme des Ochsen, durch dessen Verkauf Geld für die Unterkunft beschafft werden soll. Daß die Weihnacht sehr kalt gewesen ist, ist eine bekannte Vorstellung; Hans fragt sich, ob Joseph überhaupt Stroh hat zusammenbringen können, um seine Frau darauf zu betten. Dieser Versuch, die Armut recht drastisch zu schildern, hat wohl ihre Bedeutung, denn damit und durch die Verkündigung von Christi Geburt an die Hirten wird offenbar, daß Christus gekommen ist, um das gemeine Volk zu erlösen. Er gipfelt in den Versen 2690—2693: Von armen herdchen armliich wart ghevonden; Eyn armes kint in alzu armer wisen Bi eynre ermer moeter Und bii eynen olden armen gnsen. Die Art, in der Hans, vor allem im 2. Gesang, die Nacherzählung der biblischen Geschichte durch teils breitere, teils sehr kurze Behandlung auflockert, ist schon gezeigt worden; auch die rein historisch-erzählenden Strophen sind nach Möglichkeit in der Form variiert, daß die Folge 5

Batts, Studien

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der Generationen in immer wieder anderer Weise genannt wird und dadurch, daß an einigen Stellen bekannte Einzelheiten nur flüchtig erwähnt werden. So heißt es ζ. B. von Jezabel: Und Jezabel hat Nabot doot, / Des wert ir liip ghevressen von den roden und von Jonathan: Und waz eyn conine zwaren, der wol durste / Upb Stelen hüben smeden mit dem sweirte. Aber trotz dieser Stellen und trotz der eingestreuten sprichwörtlichen Prägungen (Susz waszen ouch die bösen usz den fromen / Sam goede stoc wol draghen snode drüben u. dgl.) können Füllzeilen nicht völlig vermieden werden. Für den Dichter kann nur der Umstand sprechen, daß der Füllzeilen wenige sind und daß er sidi ihres Vorhandenseins bewußt war; aus diesem Grunde wohl finden sich solche Bemerkungen wie: Daz ich «câ nut en mach zu mennichfeltich (632). Aber nicht nur die Nacherzählung biblischer Episoden ist Hans gelungen, er vermag auch kürzere, weniger wichtige Begebenheiten ohne Umständlichkeit und präzis darzustellen. Die Allegorie von dem snider woende in ueberlant erzählt er zum Beispiel in den beiden Strophen V. 3729—60 in einer für ihn charakteristischen Weise. Auf eine einleitende Erklärung verzichtet er und beginnt stattdessen nach einem Anruf an den Leser mit der einfachen Feststellung: Ein snider woende in ueberlant. Der was geheyssen und ghenant Die beste meyster, die man vant, Von aire consten di men wist. In den weiteren Versen läßt Hans die Handlung zur vollen Geltung kommen; er unterbricht kaum den Verlauf seiner Erzählung. Er gebraucht nur wenige und einfache Stilmittel, so z. B. die Verdoppelungen (V. 3731, 3743, 3745 und 3752); einen Füllvers erlaubt er sich in V. 3748. Gegen Schluß der Erzählung wendet er sich nochmals dem Leser zu, um ihn auf die Pointe vorzubereiten: Nu hora was der meyster deyt und begnügt sich nach deren Erzählung mit dem äußerst einfachen, aber prägnanten Satz: Daz waz wonder. Hiermit rühren wir schon an die Frage nach den sprachlichen Mitteln, derer sich Hans bedient. Sie sollen nun in Kürze behandelt werden. Seine Sprache ist nämlich im Grunde genommen einfach und ungeschmückt, denn die häufigen Figuren — Metaphern, Vergleiche u. dgl. — sind durch die Art der Dichtung, durch den Stoff bedingt; d. h. sie dienen nicht als stilistisches Mittel zu einem bestimmten Zweck, sondern sind eher der Zweck selber. Die meisten Bilder sind fest in der Marientradition verankert, und lediglich die Bilder volkstümlicherer Art sind als Hansens Beitrag zu dieser Tradition anzusehen. Um einige Beispiele der ersten Art zu nennen: die unverletzte Jungfräulichkeit Marias mit dem Glas,

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das den Sonnenstrahl durchläßt bzw. färbt und doch unverletzt bleibt, oder sie selber aus dem gleichen Grunde mit einem Spiegel zu vergleichen, ist nicht neu. Ebenfalls sind die biblisdien Vergleichstellen, etwa Maria als blühende Rose auf dem Stab Jesses oder als Gedeons Vließ, herkömmlich. Solche Stellen sind in der langen Tradition der biblisdien Exegese begründet, und sie werden bei Hans nidit anders gehandhabt als bei anderen Dichtern. Zu beachten wäre höchstens, daß Hans diese Bilder möglichst konkret und in direktem Bezug zur Tatsache anführt. Das heißt, er will die Bedeutung des Bildes möglichst herausarbeiten und es als Lehrbeispiel, nicht nur als literarische Figur benutzen. Das Spiegel-(Glas-) bild wendet Hans ζ. B. zusammen mit dem Bild der Jungfrau als dem den Siegel empfangenden Wachs an, und die Stelle lautet bei ihm: Forma des inghesyghels Bleyb in daz wax ghesetzet, Sam in dem glaz des spygels Daz bild, und last den spygel onghequetset, Da es an allenthalben waz gescowet. Susz wart disz form geprentet, Daz doch daz meechdlich wax bleib ongebouwet. Reyn susze kuninghinne, Susz waz in god den vater Disz prent aen aenbeghinne. Ich meyn daz wort, daz mit ym was zugater. Aber [do] hers myt dyme wax wold kleyden, Daz werch scad) durò den heyigen gheyst, Went disz dry sint eyn god und onversòeyden. Went wye der sonnen glantze Sich nach dem glase varwet, So haet der hymmelschrantze Mit dyme fleyscb und blute sich ghegarwet; Und bleyb doch god in godlicher nature. Do daz wort wart fleysch ghemacht, [Do] bleyf in dynen wax der prent figure. (1343—63) Dasselbe Bild erscheint an zwei Stellen bei Konrad, wo aber viel weniger Wert auf die Auslegung gelegt wird: von dir quam der mandel / kerne durò die schalen ganz: / re ht als der liebten sunnen glänz / durò daz unverwerte glas (432—6) und die sunne verwet nach dem glase / ir claren unde ir liebten glänz ... sus wart diu luter gotheit I naò dir geverwet, frouwe guot (778—85). Der Grund hierfür ist nicht weit zu suchen; er liegt in der Einstellung der Dichter zum Publikum. Konrad 5»

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dichtet zweifellos für ein vornehmeres Publikum. Hans bekundet seine Einstellung dem Publikum gegenüber unzweideutig an folgender Stelle: Sol man uns leken luden Hie icht von uzsaghen, So mus ment uns mit rüden, Seeliichen beiden zu den sinnen traghen, Uph daz es von uns gropliich wert begriffen (3156—60) und dieser Satz darf als Leitprinzip für das ganze Werk betrachtet werden. N u r selten macht Hans von einem Vergleich Gebrauch, ohne ihn sorgfältig auszulegen und zu kommentieren. Wo er nicht auszulegen braucht, sind die Vergleiche seine eigenen, sind persönlich gedacht und hauptsächlich aus dem Schatz seiner Welterfahrung geschöpft. Hier wird manchmal durch die Formulierung allerdings klar, daß es sidi um sprichwörtliches Gut handelt, wie z.B. in V. 622: Truwen man pliit zu sagben, / Daz ofie goete perren / Snode beren draghen und in V. 1086: Wanne e die wiingbart bluyen, / So mughen keyn serpenten da by blyben, aber Redewendungen wie: Daz eyn cruppel mit zween crucken Vil von eynre hougher brücken, Eyn frumer sold da gern na bücken, Daz er ym da uuz mucht zucken; Und stunt eyn ner bii der bachen, Der soldz lachen (4187—92) und ähnliche sind sicherlidi als sein Eigentum anzusehen. Diese Worte entsprechen seinem Zweck, indem sie aus der wirklichen Welt stammen, aus einer Welt, die seinen Lesern besser bekannt, oder zumindest einleuchtender sein dürfte als die der biblischen Exegese. Wie die Vergleiche mit Vorliebe aus verschiedenen Bereichen des alltäglichen Lebens gezogen werden, so ist auch die Wortwahl hierdurch stark beeinflußt. Von den Reimwörtern abgesehen, wo Hans manchmal notgedrungen zu einem Fremdwort greift, bzw. ein Wort ungenau anwendet, gebraucht er möglichst konkrete und unmittelbar verständliche Begriffe und Ausdrücke, wobei Tätigkeitswörter stark vertreten sind. Man nehme als Beispiel den Natureingang des 6. Gesanges, wo man viele rein adjektivisch gebrauchte Wörter erwarten könnte. In der ersten Strophe erscheinen nur zwei Adjektive — lichter (sonnen) und groenen (esten); die Verben sind dagegen aktiver Art — glimmeren, zimmeren, hat uph geslagen. In der zweiten Strophe ist die Lage ähnlich, d. h. es gibt wie-

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Die Marienlieder als Literatur derum zwei Adjektive — brinnende dem Adverbium lustliich. jeder

Zeile: frouwen,

(sonne) und cleyner

(vogliin),

Verbalformen stehen hingegen am besprenzet,

schouwen,

glenzet,

nebst Schluß

(weter)

hellet,

singen und verseilet.

Die dritte Strophe hat an Verben suechet,

zittern,

sleen, leret, jubileret

und gelerei

aber nur zwei Adjektive —

jezeliicbes

und grozer und ein Adverb vroliich. Das gleiche gilt für die Strophen, die folgen. Neben dieser Tatsache ist vielleicht die Anwendung von Parallelausdrücken bzw. die Aufzählung von einer Gruppe zusammenhängender Nomina das markanteste der Hans'sdien Stilmittel. Den Gebrauch von vorwiegend verbalen Doppelungen wie Want I beseech iu and I pray (19) und Der was geheyssen und ghenant

( 3 7 3 1 ) mag Hans aus der Bibel oder

aus dem liturgischen Gebrauch gelernt haben; mit Vorliebe aber ergibt er sich den barock anmutenden Worthäufungen sowohl verbaler als auch nominaler Art. An der soeben besprochenen Stelle im 6. Gesang befinden sich diese Beispiele: Zu wold und uph den velde, / In bosch, in heyt, anger und in haghen;

In vreuden

worme, / Was leufet, criichet, swemmet

oder swebet, und ein schönes Bei-

spiel der Häufung von Verben befindet sich in V. 3 9 2 8 — 2 9 : Da geyt reuchen

unde smochen,

/ Griinsen,

in

und in loste; Mynsch, vogel, tyr, visch,

grimmen,

buessen, stod/en.

her

Man ver-

gleiche audi V. 3 0 7 0 — 7 1 mit V. 2 9 8 6 — 8 7 . Dabei bleibt der Wortschatz innerhalb des Rahmens des allgemein Üblichen, und Hans versteht es in der Tat, aus den einfachsten Wörtern durch Doppelung oder Häufung das Möglichste herauszuholen. Man denke z. B. an seinen Gebrauch von arm (oben S. 6 5 ) oder an Eyn wunderliiches

wunder,

/ Wunder

aller

wunder

meyst ( 2 2 6 7 — 6 8 ) usw. Schwierige Figuren wie Oxymoron oder Chiasmus gebraucht Hans andererseits kaum; nur selten schwingt er sich zu komplizierteren W o r t verbindungen auf, die aber dann nicht ungelungen sind. Hauptsächlich bleibt er bei dem Gebrauch von Parallelbindungen etwa der A r t von: Ir seel, die slant den diefen Ir [liip, daz prant den grozen

slunt, prunt,

Siin min, die vant den selgen vunt

(3975—78).

Viel seltener sind antithetische Formen wie: [As wy] daz lustlüch

schiessen

Brengt liepliich verdriessen, Vroliichen rou und [lusteliiche]quale

(2309—12)

zu finden. Zuletzt darf auf noch ein Stilmittel hingewiesen werden, das schon zum Teil besprochen worden ist, nämlidi auf den Miteinbezug der Leser-

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schaft. Nicht nur ist die Dichtung in der ersten Person verfaßt und stark mit eigenem Erleben durchzogen, sondern Hans wendet sich auch an die Leserschaft im allgemeinen: Vrou dich du ganze kristenheit (1896), Hoert Cristen onser aller heyl (2169) oder an den einzelnen Leser — Ich mucht den leser machen eyn verdriesse (533). Auch Sätze wie Nu hye bi mach man merchen und Ich han ofi hören saghen (1987 und 2862) setzen ein enges Verhältnis zwischen Dichter und Publikum voraus, das in starkem Gegensatz zu der von anderen Dichtern bewahrten Distanz dem Publikum gegenüber steht. Die Marienlieder werden aber wie andere Dichtungen der Zeit keine große Verbreitung in Buchform gefunden haben, und der Miteinbezug der Leserschaft wird deshalb so zu verstehen sein, daß die enge Beziehung zwischen dem Vorleser und seiner Hörerschaft bewahrt bleiben sollte. Die Lieder werden von einem Bruder des Ordens seinen Mitbrüdern und Schwestern vorgetragen worden sein, und die oben zitierten und anderen eingestreuten Anrufe dienten zur Erhöhung des Effektes, indem der Vorleser gleichsam als Dichter sprach und an die Hörer appellierte, sich selbst aber auch ausdrücklich mit seinen Zuhörern identifizierte. Zusammenfassend darf man sagen, daß sich Hans eines stark realistischen, fast aggressiv zu nennenden Wortschatzes bedient, der hauptsächlich der Umgangssprache und weniger einer ,Dichtersprache' entstammt. Auch die Stilmittel, von denen er mit großer Gewandtheit Gebrauch macht, sind zum größten Teil einfacher Art und dazu angetan, dem ungeschulten Leser die dem Dichter wichtig erscheinenden Fakten unvergeßlich ins Gedächtnis einzuprägen.

SCHLUSSWORT Darüber, daß die Marienlieder des Bruder Hans keine Dichtung ,ersten' Ranges sind, dürfte es keinen Zweifel geben, und das überschwenglidie Lob, das ihnen Joh. Franck entgegenbrachte (oben S. 2), ist wenig am Platze. Andererseits verdienen sie keineswegs so völlig unbeachtet zu bleiben, wie dies bisher der Fall gewesen ist, und daß dies geschehen konnte, ist ein weiterer Beweis für die seitens der Forschung betonte Mißachtung (oder das Mißverständnis) der Literatur des ausgehenden Mittelalters, der sogenannten Epigonenzeit. Gegenwärtig erfreut sich aber diese Periode eines zunehmenden Interesses, und es dürfte deswegen nicht unangebracht sein, auf das Vorhandensein dieser Lieder aufmerksam zu machen, als auf Lieder, in denen das Herkömmliche und Traditionsgebundene mit Neuem, den Geist der heranbrechenden Epoche Verkündendem verbunden werden. An mehreren Stellen zogen wir zum Vergleich mit den Hans'schen Liedern die um mehr als ein Jahrhundert ältere „Goldene Schmiede" Konrads von Würzburg heran, und dies ist nicht von ungefähr geschehen — zumal Hans seine Bekanntschaft mit dem Werke Konrads nicht verleugnen kann —, denn Konrad stellt gewissermaßen den Höhe- und zugleich Endpunkt einer Entwicklung dar, indem er sämtliche in der Mariendichtung geläufigen und im Laufe der Zeit fast zur Schablone gewordenen Gleichnisse und Gedanken noch einmal zusammenstellte und mit genialer Kunstfertigkeit zu einem lückenlosen Ganzen zusammenwob. Ihm ist es aber trotz aller Kunst und trotz der persönlichen Uberzeugung, die sich hinter der glatten Wortfassade seiner Dichtung verbirgt, nicht mehr gelungen, konnte ihm nicht mehr gelingen, seinem Werk jene Echtheit, jene Qualität des unmittelbar Beteiligtseins zu verleihen, die den Hans'schen Liedern eigen ist. Wie sehr man auch heute das Wort Epigonentum wegen des ihm nodi anhaftenden Zuges der Abschätzung verpönen mag, so kann man sich dennoch der Versuchung nicht entziehen, die „Goldene Schmiede" von diesem Gesichtspunkt aus zu beurteilen, denn es geht dem Dichter hier wirklich in erster Linie um die Sprachkunst, um die Sprache als Selbstzweck. Er fügt Wort an Wort und Satz an Satz, aber je höher sich die graziös in- und aneinander gefügten Ausdrücke auftürmen, desto weiter entfernen sie sich vom Boden der Wirklichkeit und von dem fundamentalen, dichterischen Zweck. Dieselbe Tradition, die in der „Goldenen Schmiede" ihren Höhe-

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Sdilußwort

punkt feierte, wird von Hans, aber unter ganz anderen gesellschaftlichen und religiösen Voraussetzungen, übernommen. Das Traditionelle, das durch die Jahrhunderte übermittelte Gedankengut, ist ihm unantastbar; noch ist nicht an der Zeit, mit dem Begriff der auctoritas zu brechen. Aber er ist es kein Dichter von Beruf, und er schreibt weder für höfische nodi für vornehm-bürgerliche Kreise, sondern — zumindest anfänglich — aus innerer Notwendigkeit und wenn für andere, dann für seinesgleichen, für seine ihm im Glauben und Hoffen verbundenen Mitbrüder und Schwestern. Deshalb wendet sich Hans auch häufig von den schönen Worten der Dichtersprache und von der wirklichkeitsentfernten Sphäre der traditionellen Allegorese ab, um dem Leser an Hand von eindringlichen, gegenwarts- und wirklichkeitsnahen Bildern die Heilswahrheiten vor Augen zu führen, denn ihm sind die Symbole und die allegorischen Figuren nur Mittel zu einem ihn ganz erfüllenden Zweck, nämlich zu der Verherrlichung der Jungfrau und der Vermittlung der ihm schon zuteil gewordenen Erleuchtung. Erbe einerseits der jahrhundertealten Tradition der Marienverehrung, verkörpert er andererseits den neuen Geist, indem er dem immer stärker werdenden Drang nach Selbstäußerung in der Religion nachgibt. Im Bewußtsein seines der Jungfrau und durdi sie der Gottheit Verbundenseins besitzt Hans anscheinend kein Verantwortungsgefühl der Kirche oder ihren Ministranten gegenüber. Wohl aber fühlt er sich gezwungen, das ihm widerfahrene religiöse Erlebnis anderen zu künden und zu übermitteln, um auch sie zur Anerkennung der ewigen Heilswahrheiten zu bekehren. Insofern traditionsgebunden, als er auf die großen Dichter zurückblickt und an ein tausendmal behandeltes Thema anknüpft, erweist sich Hans also als Vertreter der neuen Zeit dadurch, daß er die alten Formen möglichst mit neuem zeitgemäßen Leben ausfüllt und sie vor dem in literarische Form verkleideten, aber in ,moderner' Sprache ausgedrückten, persönlich Erlebten und Erfahrenen zurücktreten läßt. Er hat kein literarisches Programm, er verfolgt keinen rein ästhetischen Zweck, sondern er hat einen starken und stark persönlichen Glauben, und es drängt ihn zu persönlicher Äußerung. Das Ergebnis, eine dichterische Verquickung des Alten, bald Absterbenden mit dem bald zum Durchbruch kommenden neuen Geist, verdient, so meinen wir, Anerkennung.

ANHANG: ANMERKUNGEN ZU EINZELNEN STELLEN DER LIEDER Abkürzungen: F. = Franck a. a. O. Β. = Bech a. a. O. Kil. = Kilianus'Wb.

T.

= Theutonista

194 ein schlechter Vers; vielleicht Ym gliicb und er . . . . 233 Β. 1. saem d'ee jesten; F. san = sagen. 269 Gen. 14, 23. 283 Gen. 14, 26. 380 Gen. 22, 17. 422 F. eckers = ,nur, dodi'; mir scheint es eher ,etwas' zu bedeuten. 436 so audi Β.; F. 1. Rebecka sprach nach Jacob. 438 B. tilge huech; F. weist auf T. huecksken oedus (hoedus), capreola hin. 447 vachen = schlafen. 450 pulment aus mlat. pulmentarium. 517—8 ist dieser Gedanke Hansens Zutat: ,Wäre er nicht mein V a t e r . . . ' , oder soll man es so auffassen: ,Wäre mein Vater nicht (noch am Leben)' und den Satz auf Gen. 27, 41 beziehen? 588 ghevonden zu vinden—Kil. offendere (oder = verwandelt?, vgl. V. 562). 600 diese Verse müssen auf einer Fehlauffassung Hansens beruhen, denn Boas, der Sohn Salmons und Rahabs, ist derselbe, der Ruth, die Moabiterin, heiratete. Siehe Ruth 4, 21, Mat. 1, 5 und Luc. 3, 32. 606 Is. 11, 1. 643 Β. tilge dey. 762 Β wart gehört in den folgenden Vers. 782 Mat. 1 und Luc. 3. 791 Β für ziit voort 1. voor. 794 Is. 7, 10 ff. 834 Is. 9, 6. 844 Β. tilge gantz. 852 wenn der Vers richtig ist, kann der Sinn nur so sein: ,der Vater, der Sohn und der heilige Geist stimmen überein'. Im ersten Teil der Strophe heißt es: ,er, der Sohn, hat dich erwählt, denn es hat dem Vater so behagt'. 976 F. zumper/vgl. zimpfen, zimperlich; vielleicht aber zu Kil. sompen. Cespitare, vacillare. 985 zu = so. 1025 Kil. allicklallinghe] allinghe adjective pro totus. Siehe audi V.2554. 1034 die Hs. hat ontsaffet. Das Wort ist nicht zu belegen, bedeutet aber offensichtlich weich werden oder schmelzen. Idi vermute Verwandtschaft (Verhodideutschung?) mit saechten. Mollire. Siehe F. zu dieser Stelle und unten V. 2836 (3739). 1065 F. 1. wold strichen (der Fehler liegt bei Minzloff). 1081 siehe F. und Kil. belabberen s. be-lammeren ... polluere; labberen Holl. Vana loqui, blaterare. 1066 dieser Glaube, der wohl biblischen Ursprungs sein mag, ist mir sonst nicht begegnet. Vgl. unten V. 4879-80. 1105 F. 1. verwerret : verderret. 1109 vorreyset wahrscheinlich ver-tsert, verrostet? 1148 als weerlich (entgegen) nicht in der Bedeutung wehrlos aufzufassen. 1152 F. 1. War oder Dar für Nur. 1166 vielleicht hellet nach der b Hs. 1193 sloyer Kil. sluter. Lorum etc. 1202 Jer. 31, 22. 1229 Kil. passen met den passer. Circicare, circino designare. 1230 1. macht oder maas. 1234 en ist zu tilgen; tau siehe Ezedi. 9, 4. 1245 ursprünglich hochdeutscher Reim durgoszen : besloszen, sonst 4 gleiche Reime. 1248 wahrscheinlich genaden zu lesen. 1249 F. 1. selb; 1. scriuet (schribet b). 1306 Ps. 123, 7. 1311 Is. 7, 14. 1384 ein schlechter Vers. Idi vermute g otes ¿st zu tilgen und unde zu schreiben. 1441 F. 1. trotzden er eyns, her zitter, aber trotz den kann sich möglicherweise auf die vorige Strophe beziehen, d. h., trotz seiner G e w a l t . . 1 4 5 8 Mat. 26, 49—50. 1493 vgl. Joh.

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O f f . 7, 4, 1516 Β. 1. sam ich haen vuer gbesprochen. 1597 wahrscheinlich sanges zu lesen. 1602 Kil. Be-sivercken/be-sworcken. Caligare. 1609 gepirkelt kann ich nicht belegen. Siehe audi unten V. 3083. 1615 dieses Sprichwort ist mir sonst nicht bekannt. 1643 F. si mi wohl ein Druckfehler für si im. 1675 Bonaventura Med. vitae Chr. Kap. 2. Vgl. unten V. 1738 und Bernhard: In festo annuntiatione b. M. v. Sermo 1 (63) de verbis psalmis 84, 10—11 „Ut inhabitet gloria in terra nostra", Absatz 9 ff. 1731 Es fehlen anscheinend zwei Silben. 1740 B. 1. ur scheide. 1807 icht mucht in Pa (mucht jcht bF) ist vielleicht mucht recht vorzuziehen. 1842 Ps. 84, 11. 1845 Kil. moeten/gbe-moeten. Obviare. 1848 F. 1. unt für mit? 1915 F. 1. grueszt. 1935 F. 1. doeghet : irhoghet. 1976 ff. nach dem Hohen Lied, hauptsächlich aus Kap. 5 und 6. 1993 Kil. winster vetus. Genitrix. 2057 Kil. Ver-wendt, ver-waendt. Gloriosus. 2059 Kil. ghe-daente. Facies. 2074 F. 1. manz. 2083—4 sind mir nicht klar. Wahrscheinlich ist her (bf) für hertz zu lesen, aber wie soll man V. 2084 verstehen? Vgl. Joh. 20, 1—4. 2088 Joh. 20, 15. 2092 B. 1. dich für dai; 2108 Cant. Kap. 8. 2097 F. 1. »/ sijn. 2098 F. 1. der. 2103 F. 1. miins. 2127 Jes. Sir. 24, 5 ff. 2130 Β. 1. bin ich Sap. 8, 2. 2115 Β. 1. si glôrjeet. ghegaenIVor ê geboren. 2138 Vulgata: in columna nubis (Jes. Sir. 24, 7) Β. 1. ist in eyn dunder wölken; siehe auch F. 2143 Β. 1. des abys. 2147 Β. 1. eerbarheit gheeert. 2153 Jes. Sir. 24, 11: et in his omnibus requiem quaesivi. 2194 bewasent aus be-wasemen—Kil. vaporare. 2219. S. 1. gebucht. 2220 den nicht versleyttKeyn hungher scheint mit der Vulgata nicht übereinzustimmen. Die weiteren Verse geben den richtigen Sinn, wenn man yeme als immermehr auffaßt. 2309 F. 1. Ay wy; vielleicht aber als ,als wie' zu verstehen mit einem folgenden „ s o " . . . Satz. 2336 alle Hss. haben uf der prighen, aber die Bedeutung ist mir nicht klar. Zu prije. Cadauer? 2363 F. 1. wind hin driibt. 2388 Kil. Alle die ghene die. Quicunque. 2430 Zwei Silben fehlen, vielleicht alziit nach is (d). 2461 Luc. 2, 29. 2532 F. 1. Lees für Ted. 2571 Mnl. lohe (afdag) zu Laube. 2587 F. 1. Brigiit. 2603 Kil. Glinster. Scintilla. 2604 vielleicht ist das t von glimdent als enclitisches et = es (das Kind) aufzufassen; B.l. glimmerde nut und scheyne, F. glimden unde. 2612 BF. 1. so in warmen. 2614—16 siehe Flosz: Geschichtliche Nachrichten über die Aachener Heiligthümerl855, S.313 und Ph. Strauch: Marg. Ebner und Heinrich von Nordlingen S. 404. 2669 sundighen vgl. V. 2630. 2676 vielleicht engelscem (adj); vgl. hemelsce in V. 2380. 2726 BF. 1. dienen den. 2735 F. 1. koz. 2743—77 in Pa haben einen anderen Inhalt. Aus der Wortwahl und den ungenau gebauten Versen darf man auf eine Einfügung durch den Abschreiber schließen. 2795 ff. siehe Lev. Kap. 12. 2852 Luc. 11, 27. 2928 B. 1. lane, F. laeu. 2946 vgl. Kil. lighen te velde. In castris agere. 2994 F. 1. de. 3007 Zu tribuí siehe Pfeiffers Germania 24, 43. 3082 BF. 1. Die für Da. 3083 pirkel kann ich nicht belegen. 3109 Kil. Schemel. Vana apparitio. 3142 F. 1. geverte. 3231 F. ju zu lassen = juw. 3244 B. 1. gehêret. 3274—5 Kil. hordelhurde. Crates, cratis, gerrae paßt gut zu natten! matten. Ich vermute, Hans meint hiermit, daß die Eremiten auf Erden ( = zwar) ihre Kleider und vielleicht auch ihre Schlafstätte/Hütte aus Binsen geflochten hatten. 3314 B. 1. hornir, F. bornie. 3352 ff. nach Joh. O f f . Kap. 21. 3364 mensura hominis (quae est) angeli (26, 17). 3397 In sämtlichen Hss. fehlen in diesem Vers zwei Silben. 3432 ein schlechter Vers, doch ist die Wiederholung wahrscheinlich durch die Vorlage verursacht (Joh. Off. 21,24 und 26). 3486 F. 1. ceuset : verleuset. 3498 B. 1. dor dat dat. 3502 Joh. O f f . 21,7. 3578 F. 1. verdauwet (aus duwen = opprimere): verzauwet (aus verzouwen = parare). Ich glaube aber, verdaumet ist eher aus

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verdoemen, damnare zu erklären (vgl. V. 3904) und versäumet aus versaemen, congregare. 3578 Β. 1. E solde. 3636 F. 1. vroliich; wahrscheinlich ist örtlich gemeint. 3654 Kil. Moddenlmoddelen. Terram sive lutum movere (bk). 3660 vgl. Frauenlob Spr. 233, 16 und Gold. Schmiede V. 496. 3730 Lexer verzeichnet ,der smit von oberland' = Gott, nicht aber ,der snider...'. Siehe audi unten zu V. 4517. 3763 B. 1. aeneboez. 3773 F. 1. vyentlich (d). 3777 F. 1. edelste; vgl aber V. 608 alter adeler. 3863 die Hs. hat croedsten (b kroedeß), welches F. als (sidi) croeden, d. h. sidi kümmern auslegt. Mir gefällt diese Ansicht nicht, doch weiß ich nichts anzuführen, es sei denn krosen = portare. Β. 1. du croedsten dichein wiis noch swerdz? 3878 F. 1. vort. 3893 ich vermute vlochen d. h. von Schnee). 3990 F. 1. zu me. 4002 nodi Zedier in seinem ,Universallexikon* führt an: Die Chymisten bereiteten aus dem Sapphir ein Salz, welches wider alle oberzählte Kranckheiten dienet; und eine Tinctur, die vornehmlich dem Gifte und der Pest wehret. (Bd. 34, Sp. 35). 4005 F. weist auf dorcb = sentina hin, aber das Wort ist eher ein Synonym zu vinster, -vielleicht in Anlehnung an das Engl. dark. 4019 Kil. Wael, wiel/diepte. Gurges. 4038 gheslist zu sitzen, hier = zunichte gemacht. 4040 Kil. Te quist gaen. Perire etc. 4088 B. 1. ich underwund mich, F. licht underwund ich. 4118 siehe oben V. 1229. 4150 faublants sicherlich mit Anlehnung an das altfr. fablance. 4152 audi nach dem altfr. aber nicht unbedingt ein Unglückswurf (nach Franck) sondern ein gewagtes Spiel. 4153 vgl. die oft besprochene Stelle in „Hamlet" (II, ii) „I know a hawk from a heronshaw"! 4155 siehe F. und zu lobben auch A. Birlinger in Germania 18, 112. Francis Einwand gegen Birlingers Emendation lobbencrantz lasse ich gelten. Andererseits ist F.s. Vorschlag, rantz als Schnauze zu verstehen, audi nicht annehmbar, da der Körperteil kaum an zweiter Stelle in einem Kompositum stehen würde, es sei denn, man akzeptiert die La. von b—gelobde rantz. 4171 zu flammeren siehe Suolahti in Neuph.Mitt. 30, 146. 4235 voergespan wohl Kil. Veurspan. vetus. Fibula und nicht Veur-ghespan. Antilena. 4245 F. 1. nugebuten. 4290 das Sprichwort bedeutet so viel wie ,der betrogene Betrüger' und bezieht sich auf die Niederlage des Teufels nach seinem früheren Sieg über den Menschen. Verzeichnet bei Bebel. 4355 F. 1. gheruus. Die Hs. kann entweder t oder r gelesen werden; ich vermute ghetuus — Getose. 4360 Kil. Gruet/gruete. Fris.Holl. Faex. 4363 F. 1. sy onsprechen, aber was soll dann das Wort uus? 4404 das alte Bild vom gerichtlichen Zweikampf. 4413 ich glaube, quit ist hier eher in der Bedeutung frei, ungehemmt gemeint. 4419 F. 1. genendidh. 4462 B. 1. ghewêret, F. ghegeret. 4505 F. 1. geverte. 4517 eine ähnliche Bildung wie ,eyn snider in uberlant', kein solcher Beleg bei Lexer. 4570 Kil. krenghe Holl, karonie. Cadaver. Audi Anm. zu prije—stinkend aes, aut kreng. 4623 wenn serffen unsanft (Kil. serplsarp. Acerbus, immitis) sein soll, muß scherffen entweder audi adjektivisch, scharf oder als eine Verschreibung f ü r serpen(t) genommen werden. 4633 F. 1. ernaer. 4653 F. 1. ungeliic verflicht = te ongelijc verplicbt... „im process unrecht geben". 4694 F. 1. dien. 4695 Kil. gretigh, Avidus. 4733 F. 1. boc, aber auch hocke/hucke = Höker. 4796 Kil. Ont-sien. Vereri, revereri, timere, metuere. 4836 B. 1. lubbe slabt. 4846 BF. 1. ademant. 4847 F. 1. mach man. 4865 Kil. Polle/polleken — ghe-polkeneert sot/stocknarre. 4866 mol = Maulwurf? 4867 Kil. knollen. Glomerare? 4872 Kil. Bol. Tumidus . . . cavernosus. 4875 smuger siehe F. oder vielleicht zu smucken; Kil. smoel/smul. Ebrius. 4877 B. 1. von. 4901 B. tilge und. 4926 B. tilge moes. 4933 F. 1. ruch ez. 4952 B. 1. daz vor so. 4954 B. tilge daz. 4967 F. 1. bi f ü r in. 4972 F. 1. striicht. 4975 F. 1. spitzen. 4997 F. 1. quiit. 5009 F. 1. diinct. 5021

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viel uuz dem dop — F. weist auf T. und Kil. dop — ovi testa hin, was mir aber wenig einleuchtet. 5034 F. 1. helfs. 5067 zorn — torn (Turm). 5083 Kil. gade slaen. Observare etc. 5104 ich sehe in scherjacker nur eine Verstärkungsform von jackern. 5109 F. 1. huisraet. 5124 B. 1. sus heime, F. da heyme. 5133 hil vielleicht in der Bedeutung Klarheit, Augenlicht im Gegensatz zu oor. 5142 Kil. Ver-baesten zijn. Stupere. 5271 F. striich hier = Strecke. 5272 F. 1. ichtes icht; dies scheint mir unwahrscheinlich, eher icht zieht (ziht = Beschuldigung).

L I T E R A T U R

ZU

D E N

M A RI E Ν LI ED E R N

Ausgaben: Bruder Hansens Marienlieder aus dem XIV. Jahrhundert, hrsg. von Rudolf Minzloff, Hannover, 1863 (P). Das deutsche Kirchenlied von der ältesten Zeit bis zu Anfang des XVII. Jahrhunderts, hrsg. von Philipp Wackernagel, Leipzig 1864—77 (Nr. 1022—25 Auszüge aus k). Eberhard Haufe druckt einige Strophen mit willkürlichen Änderungen in der Orthographie und einigen Druckfehlern (nadi Minzloff) in „Deutsche Mariendichtungen aus neun Jahrhunderten" ab (Berlin, 1960). Dem Text ist eine stümperhafte Übersetzung beigegeben. Bruder Hansens Marienlieder, hrsg. von Midiael S. Batts (Altdeutsdie Textbibliothek 58), Tübingen 1963 (kritische Ausgabe).

Aufsätze: Konrad Bethmann: Marienlieder. ZfdA V (1845), 419—21. Fedor Bech: Rezension von Minzloifs Ausgabe in Gött. gel. Anzeigen II (1863), 1286—1310. Anton Birlinger: Zu Bruder Hansens Marienliedern v. 1455. Germania XVIII (1873), 112—13. Fr. Gerss: Zu Bruder Hansens Marienliedern. ZfdPh XI (1880), 218—27. Joh. Franck: Zu Bruder Hansens Marienliedern. ZfdA X X I V (1880), 373—425. Ed. Schröder: Zur Marienlyrik I Bruder Hans. ZfdA X X V (1881), 127—9. Alfred Morsbach: Bruder Hansens Englisch. ZfdA LIV (1913), 117—20. Hugo Suolahti: Bruder Hansens Marienlieder (Ed. Minzloff) 4171 f. Neuphil. Mitt. X X X (1929), 146.

QUELLEN UND F O R S C H U N G E N ZUR SPRACH- UND K U L T U R G E S C H I C H T E DER G E R M A N I S C H E N V Ö L K E R

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Groß-Oktav. VI, 171 Seiten. 1958. DM 16,— Neue Folge 1 (125)

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W A L T E R DE G R U Y T E R & CO · B E R L I N

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