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German Pages 340 Year 2014
Heike Derwanz Street Art-Karrieren
Studien | zur | visuellen | Kultur Herausgegeben von Sigrid Schade und Silke Wenk | Band 20
Heike Derwanz (Dr. phil.) ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Studiengang Kultur der Metropole an der HafenCity Universität Hamburg.
Heike Derwanz
Street Art-Karrieren Neue Wege in den Kunst- und Designmarkt
Gedruckt mit der Unterstützung der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein und Mitteln des Institute for Cultural Studies in the Arts, Zürcher Hochschule der Künste.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2013 transcript Verlag, Bielefeld
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Inhalt
1.
STREET ART-KARRIEREN AUF DEM KUNST- UND DESIGNMARKT ........................................................... 7 1.1 Street Art in der Literatur ................................................................... 15 (WKQRJUD¿HYLVXHOOHU.XOWXUHQ ........................................................... 28 6KHSDUG)DLUH\%DQNV\XQG1R/RJR Drei Karriere-Wege ........................................................................... 44
675((7$577+(&,7W@KHPDWLVFKIRNXVVLHUWH kulturelle Netzwerke von Personen, die bestimmte materiale und/oder mentale Formen der kollektiven Selbststilisierung teilen und Gemeinsamkeiten an typischen Orten und zu typischen Zeiten interaktiv VWDELOLVLHUHQXQGZHLWHUHQWZLFNHOQ³+LW]OHU OlVVWGLHVH6HW]XQJ]X 30 Marcus 1995, Plattner 1996, Alexander 2003, Schneider 2006, Nippe 2011. 31 „Die zeitgenössische Kunstwelt ist ein lose verbundenes Netzwerk unterschiedlicher Subkulturen, die vom Glauben an die Kunst zusammengehalten werden.“ (Thornton 2009:11). Später heißt es: „Die Kunstwelt dagegen ist eine Sphäre, in der viele Menschen nicht nur arbeiten, sondern leben. Es ist eine ‚symbolische Ökonomie‘, wo Gedanken ausgetauscht und kulturelle Werte diskutiert werden, jenseits des reinen Kommerz.“ Thornton 2009:12.
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zunächst gegen gesellschaftliche Regeln. Becker führt zudem eine Typologie mit vier Positionen für KünstlerInnen ein: naive MalerInnen, AußenseiterInnen, VolkskünstlerInnen und integrierte Professionelle (Becker 1982). Der besondere Status oder besser die Anstrengungen zur Eingliederung der Street Art-KünstlerInnen in das Betriebssystem Kunst werden deutlich, veranschaulicht man sich den Weg von einer der ersten Kategorien bis hin zu integrierten Professionellen. Die Benennung als Integrierte macht ebenfalls die Bedeutung der Verbindungen zu weiteren AkteuUHQEHZXVVWGLHHLQH.XQVWZHOWQHEHQGHQ.QVWOHU,QQHQDXVPDFKHQ+lQGOHU,QQHQ KuratorInnen, KritikerInnen, SammlerInnen oder ExpertInnen in einem Auktionshaus (Thornton 2009:12) plus GraveurInnen und LithografInnen, VerlegerInnen oder staatliche Organe (Zolberg 1990:132). Die KünstlerInnen bilden zwar den Mittelpunkt des Netzwerkes (Becker 1982:25), aber betrachtet werden verschiedene Personen und ihre Aufgaben (Becker 1982:9).32 Zolberg und Becker fassen diese Akteure unter dem Begriff der Helfer. Street Art-Karrieren als Produkt von Kunstwelten (VVLQGGLH]XYRUJHQDQQWHQ+HOIHU,QQHQGLH.DUULHUHQLQGHQ.XQVWZHOWHQGXUFK Zirkulation von Werken, Abbildungen, Besprechungen und Bewertungen herstellen. $XFKZHQQ6WUHHW$UW.QVWOHU,QQHQLKUHHLJHQHQ:HEVLWHVSÀHJHQ$XVVWHOOXQJHQ machen/durchführen, Galerien betreiben und ihre eigenen Texte schreiben, die Re]HSWLRQXQG+HUVWHOOXQJYRQ$XIPHUNVDPNHLWXQG:HUW]XVFKUHLEXQJUHVXOWLHUHQLQ den Kunstwelten. Und hier, darauf weist Becker hin, gibt es ein Zugangsproblem: „The process is circular: what does not have a good reputation will not be distributed.“ (Becker 1982:95). Karrieren in der Kunst fasst Becker als Prozesse auf, in denen es für KünstlerInnen um eine Verschränkung von erfolgreicher Produktion und erfolgreicher Beziehungsarbeit geht (Becker 1997:108). Vera Zolberg listet für die soziologische Forschung weitere Elemente für das Zustandekommen einer Karriere auf: „This would show the awareness by sociologists of the fact that artists emerge from the interaction of initial propensities for talent and personality characteristics within the constraints of historically grounded opportunity structures, through changing processes and mechanisms of discovery, recruitment, and socialization.“ (Zolberg 1990:196)
32 Für die Malerei führt Becker folgende Akteure auf: „Painters thus depend on manufacturers for canvas, VWUHFKWHUVSDLQWDQGEUXVKHVRQGHDOHUVFROOHFWRUVDQGPXVHXPFXUDWRUVIRUH[KLELWLRQVSDFHDQG¿nancial support; on critics and aestheticians for the rationale for what they do; on the state for the patronage or even the advantageous tax laws which persuade collectors to buy work and donate them to the public; on members of the public to respond to the work emotionally; and on the other painters, contemporary and past, who created the tradition which makes the backdrop against which their work makes sense.“ Becker 1982:13.
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Auffällig sind dabei die Kategorien Talent und Charaktereigenschaften, auf denen die besondere Rolle des Künstlers als Genie in der westlichen Gesellschaft beruht. BeWUDFKWHWPDQKLQJHJHQGLHDOOJHPHLQH'H¿QLWLRQIUEHUXÀLFKH.DUULHUHQZLHQDFKfolgend im Oxford Dictionary of Sociology, sieht man, welche Besonderheiten durch die Kunstwelt eine Rolle spielen: „A patterned sequence of occupational roles through which individuals move over the course of a working life, implying increased prestige and other rewards, although not excluding downward occupational and social mobility.“ (Scott 2006). Angedeutet wird die Unterscheidung zwischen einer erfolgUHLFKHQ.DUULHUHPLWVWHLJHQGHP$QVHKHQXQGVWHLJHQGHQ+RQRULHUXQJHQXQGHLQHU HUIROJORVHQÄLQZKDWHYHUWHUPVVXFFHVVLVGH¿QHGZLWKLQWKHRFFXSDWLRQ³%HFNHU 1997:24). Erfolg im Betriebssystem Kunst kann man nach Raymonde Moulin objektiv beziffern in Form der „[…] number of shows, number of works owned by museums and collectors, awards received, prices paid for works.“ (Moulin 1987:109). Dann jedoch stellt sie zwei widerstreitende Ausrichtungen vor, die zum einen auf die künstlerische Anerkennung innerhalb etablierter künstlerischer Werte und zum anderen die Bewahrung von Freiheit und Authentizität abzielen (Moulin 1987:109). .RPELQLHUWPDQGLH(QWVWHKXQJDXV]HLWOLFKXQG|UWOLFKGH¿QLHUWHQLQIRUPHOOHQ Netzwerken, den eigenen Ausformungen und Regeln der Kunstwelt, in der eine Wechselbeziehung aus Produktion, Resonanz und Distribution besteht, und mit der Einbettung in die Märkte, wird deutlich, dass es sich bei den Karrieren von Street Art.QVWOHU,QQHQXPHLQ]LJDUWLJHVSH]L¿VFKH(U]lKOXQJHQKDQGHOW,FK]HLJHGHVKDOE in den einzelnen Kapiteln 2 bis 6 die Stationen der Karrieren und deren Rahmenbedingungen auf. Jede einzelne Karriere in der Street Art-Welt, ob als KünstlerIn, GaleristIn, BloggerIn oder AutorIn, könnte aber nur in einer detaillierten Einzelfallanalyse abgebildet werden. Wissenschaftliche Einbettungen Die Erzählungen von KünstlerInnenkarrieren in der Kunstgeschichte beschreiben die 9HUVFKUlQNXQJLQGLYLGXHOOHU%LRJUD¿HQXQG.XQVWSURGXNWLRQDXVGHP%OLFNSXQNW einer fortschreitenden historischen (Stil-)Entwicklung (Belting 2002). Werden Forschungen über KünstlerInnenkarrieren im Plural angestrengt, dann meist zur Rolle oder zum Bild der KünstlerInnen in der Gesellschaft33. Noch 1990 schreibt Zolberg, dass sich bis auf wenige kunstsoziologische und sozialpsychologische Studien nur BiografInnen und Romanciers für KünstlerInnenkarrieren interessieren. In den spezialisierten Richtungen der Ethnologie als Kunstethnologie oder Anthropology of Art wurden selten KünstlerInnen, sondern vielmehr außereuropäische Kunstgegenstände untersucht (Kreide-Damiani 1992, Svasek 2007:16–37), die in ethQRORJLVFKHQ0XVHHQXQGQLFKWLQ0XVHHQIU]HLWJHQ|VVLVFKH.XQVW]X¿QGHQVLQG 33 Z. B. Kris 1980 (1934) oder neuer: Kampmann 2006, Krieger 2007, Bismarck 2010, Fastert 2011.
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(Benzing 2006). Erst durch die postkoloniale Wende wird der Bereich außereuropäischer Kunst als Gegensatz westlicher Kunstgeschichte kritisiert, wie zahlreiche aktuelle Diskussionen und Begriffe wie Weltgegenwartskunst, Global Art oder World $UW]HLJHQ%HQ]LQJ9RONHQDQGW=LMOPDQV 1HEHQGHUJHRJUD¿schen Ausrichtung unterscheidet sich die kunstethnologische Perspektive darüber hinaus durch weitere Aspekte von der Kunstgeschichte und Kunstsoziologie. Aus soziologischer Perspektive werden die gesellschaftlichen Bedingungen und WirkunJHQ%HQ]LQJ JH]HLJWGLHHWKQRJUD¿VFKH3HUVSHNWLYHIRNXVVLHUWHKHUDXI die alltagspraktische Dimension von Kunst als sozialer Interaktion. Sie ordnet als herausgestelltes Ziel weder institutionell ein noch bewertet sie, wie es die Kunstkritik tut (Gell 1998:8). Den Grundstein für eine Anthropology of Art zeitgenössischer Kunst legten 1995 die US-amerikanischen Kulturanthropologen George E. Marcus und Fred Myers mit ihrer Sammlung von Essays 7KH7UDYHOLQ&XOWXUH5H¿JXULQJ$UWDQG$QWKURSRORJ\, die sich der globalen Zirkulation von Kunst verschrieben. Die Aufsätze zeigen nicht QXUGLH'LVWULEXWLRQVQHW]HYRQ.XQVWVRQGHUQVFKRQGLHJOREDOZLUNVDPH%HHLQÀXVsung von Kunstproduktionen. Dabei werden auch westliche Kategorien wie Kunst, Kunsthandwerk oder Design brüchig. Dies ist besonders im Zusammenhang mit der Positionierung von Street Art im Betriebssystem Kunst relevant. Die Diskussion wird hier entlang eng gesteckter Grenzen geführt, wie folgendes Plädoyer eines New Yorker Kunstkritikers zeigt: Ä>«@6WUHHW$UWLVQRWWKHVDPHDVZKDWZHKDYHFRPHWRGH¿QHDVFRQWHPSRUDU\JDOOHU\ art. It’s not that street art may not aspire to the same status but that it isn’t always as substantive. The rebellious world of street art simply plays by a different set of rules that involves memes, placement, and populist discourse, to name a few of the distinctions that make its voice powerful and unique.“ (Vartanian 2010).
Denn die Street Art-Welt bewegt sich mit vielen Produkten, die bewusst für ein Massenpublikum gestaltet werden an der Grenze z. B. zur populären kommerziellen Kunst. Zolberg charakterisiert sie wie folgt: „[I]t lacks the aura of the individual, romantic genius creator, it attracts the many rather than the ‚happy few’.“(Zolberg 1990:141). Dadurch wird impliziert, dass sich die Werke qualitativ von der hohen Kunst unterscheiden lassen. Aus der Perspektive auf die Akteure hängen genau davon entscheiGHQGH.DUULHUHVFKULWWHDE1HEHQGHP6WDWXVJHZLQQGHUVLFKLQ¿QDQ]LHOOHQ5HVsourcen auszahlen kann, erlangen KünstlerInnen darüber auch Zugang zu staatlicher oder anderer institutioneller Förderung (Zolberg 1990:141). (LQH(WKQRJUD¿HVHW]WVLFKVRPLWVRZRKOORNDOEHU/lQGHUXQG.RQWLQHQWHDOV auch über westliche Kategorien hinweg, die für die Entwicklung der Street Art-Welt ebenfalls problematisiert werden müssen. Sie bietet darüber hinaus einen aus dem
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)RUVFKXQJVIHOGWUDQVQDWLRQDOXQGYLUWXHOOGH¿QLHUWHQ5DKPHQZLHKLHUGLH%HVFKUHLEXQJEHUXÀLFKHU/DXIEDKQHQLQQHUKDOEGHU|NRQRPLVFKRULHQWLHUWHQ.UHDWLYLQGXVtrien: „[…] [E]thnography has the capacity to consider the larger process in which these distinctive positions of cultural production negotiate with each other in the ZRUNLQJVRIWKDW¿HOGRIDFWLYLW\ZHFDOOWKHÃDUWZRUOGµ³0DUFXV 0DUcus und Myers weisen der Kunstgeschichtsschreibung in ihrer Einleitung einen Platz im System zu: „The narratives of art history, however, are also inescapably a major part of market process.“ (Marcus 1995:28). Ein Kunstwerk wird durch kunsthistorische Rahmung und Interpretation wichtiger.34 Es erfährt dadurch kulturellen Wert, dass es in die Erzählung der Kunstgeschichte eingebettet wird: „Je mehr assoziative Verbindungen mitschwingen, umso reicher und interessanter erscheint es.“ (Wieser 2011:133). Den Kunstmärkten kommt dabei die besondere Rolle zu, immer neue Warenströme anzufordern, wie spätere ausführlichere Studien zeigen (Myers 2002, Svasek 2007, Schneider 2006).35 In diesem Zusammenhang ist die Entstehung der Multi-Sited Ethnography als eine Antwort auf neue Anforderungen aus den Forschungsfeldern wie globaler Kunstwelten zu verorten (Marcus 1998). Diese waren nicht mehr an einem Ort und aus einer Perspektive, z. B. einer Gruppe von Akteuren, zu bearbeiten. Im Anschluss an die Writing-Culture-Debatte ist sie genauso wenig aus einer hegemonialen Situation heraus zu beschreiben, die eine Positionierung des Forschenden außen vorlässt.36 Dieser Zugang entspricht den Konzepten der Visual Cultures oder Studien der visuellen .XOWXU6FKDGH:HQN XQGHVEOHLEW]XKRIIHQGDVVGLH(WKQRJUD¿HLKU3Rtenzial hier über die engen Grenzen der Ethnologie hinaus entfalten kann.
34 1DWUOLFKZLUGGLHVDXFKLQGHU.XQVWJHVFKLFKWHUHÀHNWLHUWZLHYRQ$QQH0DULH%RQQHWDXIGHU%HUOLner Konferenz .XQVW±:HUWH±*HVHOOVFKDIW 2008: „Kunsthandel (Galerien, Auktionen), Kunst-Museen +DOOHQ9HUHLQH5lXPH =HLWVFKULIWHQ8QLYHUVLWlWHQ0HGLHQXQG3ROLWLN.XQVWJHVFKLFKWHPXVV erkennen, dass sie nur ein Baustein des BSK ist: Zurzeit dient sie vor allem als ‚Steigbügelhalter‘ bzw. ‚Durchlauferhitzer‘ für den Kunstmarkt …“ Paper auf: http://www.kwg.kunstvereine.de/doks/16_05/ bonnet.html=XJULII+DQV%HOWLQJQRWLHUWVRJDUÄ'LH&KURQLVWHQGHV*HVFKHKHQVVLQGPLW der Aufgabe überfordert, sich für oder gegen die Pulsschläge des Kunstmarktes zu entscheiden, wenn sie nicht einfach kapitulieren und den Kunstmarkt mit dem Kunstgeschehen gleichsetzen, indem sie die neuesten Kurse notieren.“ Belting 2002:56. 35 Das Forschungsfeld der Anthropology of Art kennt seit einigen Jahren durch die Arbeiten von Arnd Schneider und Christopher Wright noch eine völlig andere Ausrichtung (2006b, 2010). Ausgehend von +DO)RVWHUV$UWLNHOLQ0DUFXVZHUGHQYRQGHQ$XWRUHQGLH3UD[HQZLVVHQVFKDIWOLFKHUXQGNQVWlerischer Arbeit befragt und einander angenähert. Sie fokussieren damit weder auf die Produkte noch die ProduzentInnen. 36 Die Weiterentwicklung und Diskussion der Methode werden immer wieder vorangetrieben, z. B. von Marcus selbst in Greverus 2009:111-129 oder Rabinow 2008.
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1.3 Shepard Fairey, Banksy und No Logo: Drei Karriere-Wege Street Art-KünstlerInnen starten von einer Außenseiterposition in das Feld der Kunst. Ihre Karrierewege, Strategien und Images sind so vielfältig und individuell wie ihr SHUV|QOLFKHU+LQWHUJUXQG8PDOV$XIWDNWGHU$UEHLWGLHVH+HWHURJHQLWlWGDU]XVWHOlen, führe ich drei detaillierte Einzelfallanalysen vor, die beispielhaft alle in den folgenden Kapiteln ausgeführten Aspekte in konkrete Karrieren integrieren. Dafür habe ich Street Art-Künstler ausgewählt, die drei sehr unterschiedliche Karrieremodelle zeigen37: Der US-Amerikaner Shepard Fairey, geboren 1970 in Charleston, South Carolina, stellt seine Werke nicht nur auf der Straße, in Galerien oder Museen aus, sondern arbeitet auch als Designer und Unternehmer. Der Brite Banksy, geboren ca. LQ%ULVWROKLQJHJHQSURGX]LHUWQDFKZHQLJHQ$XVÀJHQLQGDV'HVLJQYRUDOlem für den internationalen Kunstmarkt. In Mischformen folgen die meisten Street $UW.QVWOHU,QQHQGLHVHQ0RGHOOHQ'RFKKLHU]XOlVVWVLFKHLQH$OWHUQDWLYH¿QGHQ die ich am Beispiel des deutschen Künstlers Jens Besser, geboren 1982 in Freiberg, Sachsen, zeige: Street Art kann sich auch zu einer sozialen ästhetischen Praxis entwickeln, die öffentlich gefördert wird. Shepard Fairey: Obey Giant Shepard Fairey ist der als Person in den Medien präsenteste Street Art-Künstler. Im Gegensatz zu dem anonymen Banksy kennt man nicht nur sein Gesicht, sondern auch VHLQ$WHOLHUXQGVHLQH)DPLOLH:LHVHOEVWYHUVWlQGOLFKHU]lKOWHLQ+DXSWVWUDQJGHV bekanntesten Street Art-Films Exit through the gift shop (2010) Faireys Geschichte. Fairey wird in nahezu allen Street Art-Büchern genannt und gehört als „hailed godfather of the new street art movement“ (Tillet-Wright 2007:31) zu den bekanntesten Akteuren der internationalen Street Art-Welt nach 2000. Seine Strategie umfassender medialer Präsenz deckt sich mit dem künstlerischen Grundkonzept seiner Street Art: Er entwickelte den Sticker Andre the Giant Has a Posse (ABB. 3), später Obey (Giant), der wie kein anderer Sticker auf der Welt verbreitet und zum Bild für Street Art wurde. Im Folgenden versammle ich die medialen Elemente seiner „large-scale clothingmagazine-screen-printing-art-producing operation“ (Currid 2007:120)38, die außerKDOEHLQHUDXWRELRJUD¿VFKHQ(U]lKOXQJVHLQH.DUULHUHEHVFKUHLEHQ
37 Meine Auswahl erfolgte auch aufgrund der Materialdichte, die bei den drei Künstlern gegeben war. Shepard Fairey und Banksy konnte ich nicht persönlich interviewen, stütze mich aber unter anderem auf Interviews von Akteuren aus ihrem Arbeitsumfeld. 38 $OWHUQDWLYGD]X/HZLVRKQ ÄFORWKLQJFRPSDQ\JUD¿FGHVLJQDJHQF\PDJD]LQHSXEOLVKHU and all-round alternative empire“.
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ABB. 3$QGUHWKH*LDQW6WLFNHU1HZ/D]DULGHV@ZDVQ¶WLQWHUHVWHGµFDXVHKHKDVWRWDOO\FRQWURO RYHUWKH¿UVWPDUNHW%XWWKHQWKHUH¶VJRQQDEHWKHVHFRQGPDUNHWSHRSOHZKRZLOOEX\VWXII7KHUH¶V other galleries who will, you know go to New York and buy up artists‘ originals. And then buy it and sell it for, you know six times what it’s worth. And that’s not really supporting the artist very much.“ ,QW+'/RQGRQ 126 Beejoir, Francis Bacon, Banksy, Jean-Michel Basquiat, Jake and Dinos Chapman, Alexander Calder, Marc Chagall, D*Face, William Eggleston, Lucian Freud, Lucio Fontana, Faile, Mark Francis,Nick Georgiou, 'DPLHQ+LUVW, 'DYLG+RFNQH\, Donald Judd, Wassily Kandinsky, Laura Keeble, Roy Lichtenstein, +HQUL0DWLVVH, Joan Miro, +HQU\0RRUH, Julian Opie, Tom Price, Grayson Perry, Pablo Picasso, Mel Ramos, Robert Rauschenberg, Bridget Riley, Gerhard Richter, Pierre-August Renoir, Jorge Rodríguez-Gerada, Slinkachu, Swoon, Julie Tremblay, Andy Warhol, Tom Wesselmann, WK Interact, http://www.andipamodern.com/artists.php, Zugriff 8.3.2011. 127 http://www.brandler-galleries.com/shop/prod/28/banksy.html, Zugriff 12.3.2011.
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ABB. 9'DWHQ]XU$XNWLRQYRQ%DQNV\VMorons, 2007 bei Artnet0lU]
Banksymania Weitere neue Akteure, die heute für den Verkauf und die Wertsteigerung von Street Art eine große Rolle spielen, haben sich im Internet etabliert. Ich möchte z. B., bevor ich zu den Auktionen komme, Informationssysteme der Internetagenturen und ihre Repräsentation Banksys erwähnen. Sie stellen unabhängig vom Auktionshaus Informationen über KünstlerInnen und Kunstwerke im Internet bereit. Artnet130 oder Artprice wollen auf dem unübersichtlichen Kunstmarkt durch Aufarbeitung der Daten eine wirtschaftliche Einschätzung ermöglichen. Vor allem Auktionsergebnisse werden zu Preis-Datenbanken und damit zu Trends zusammengeführt, die eine „objektive“ Bewertung von Marktpotenzialen ermöglichen sollen (ABB . 9). Angereichert werden GLHVH¿QDQ]LHOOHQ,QIRUPDWLRQHQPLWGHQ/HEHQVOlXIHQGHU.QVWOHU,QQHQGHQYHU128 http://www.artnet.com/AUCTIONS/Pages/Lots/43463.aspx?q=ArtistId%3D424007326%26SpecialSa le %3DTrue%26sortby%3Dsoonest%26scroll%3D0%26page%3D1%26view%3Dfull, Zugriff 3.3.2011 129 Ackermann 2008. 130 Wie auch Bongarts Kunstkompass, der seit 1970 bestehende und in Deutschland bekannteste Index, bei dem es um ein Ranking der KünstlerInnen geht, haben die Firmen eigene Logarithmen und Auswertungssysteme, mit denen sie rechnen. Besonders interessant ist dies im Bereich von Wertanlagen, wie die Methode des Mei Moses Fine Art Index (http://www.artasanasset.com/main/, Zugriff 28.7.2011) zeigt.
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kaufenden Galerien und Artikeln zu Ausstellungen. Sie zusammen befähigen heute KunstkäuferInnen dazu, den Kauf eines Werkes als Wertanlage zu beurteilen. Rankings und Preise werden zugänglicher, treten zunehmend in den Vordergrund und die Bedeutung der einzelnen Akteure des Marktes wie auch der Werke verschiebt sich. Diese Konstellationen beschreiben die historische Situation, in die das Netzwerk um Banksy auf den Kunstmarkt drängte.131 Street Art hatte durch erfolgreiche Ausstellungen die Nachfrage bewiesen, wovon sich die Auktionshäuser neue junge KäuferInnen und große Gewinnspannen versprachen (Nguyen 2010:69, 242, siehe K APITEL 5.2). Der endgültige Durchbruch kam am 7. Februar 2007 bei einer Versteigerung des Werkes Bombing Middle England bei Sotheby’s132: Die )LQDQFLDO7LPHV DeutschlandWLWHOWÄ6SUKHQGH%HJHLVWHUXQJ³+HUVWDWW GLHSüddeutsche =HLWXQJimmerhin „Das Phantom bei Sotheby’s“ (Menden 14.2.2008), beide drucken ein großes Foto des Werkes ab. Regionale, aber auch internationale Auktionshäuser, wie Dreweatts, Bonhams, 3KLOOLSVGH3XU\DQG&RPSDQ\, Lyon & Turnbull sowie die Branchenriesen &KULVWLH¶V und Sotheby’s, sind in den letzten Jahren vor der Finanzkrise auf den Zug aufgesprungen.133,QHLQLJHQ+lXVHUQZXUGHQGLH:HUNHXQWHU]HLWJHQ|VVLVFKHU.XQVW eingestreut, andere wie Dreweatts und Bonhams sahen in Street Art/Urban Art einen wichtigen Trend und wagten sich mit eigenen Urban Art-Auktionen vor. Die Bedeutung der Auktionshäuser für den Erfolg von Street Art wurde auch vom Autor des Buches %H\RQGWKH6WUHHW7KH/HDGLQJ)LJXUHVLQ8UEDQ$UW erkannt, der Sotheby’s, &KULVWLH¶V und 3KLOLSSVGH3XU\ &RPSDQ\ im Buch vorstellt (Nguyen 2010:68–69, 240–243, 170–173). Sotheby’s gibt 2007 eine genaue Begründung, warum auch sie sich für den Verkauf von Banksys Werken entschieden haben: „[…] Banksy whose biting sense of humour allied with an exquisite economy of design and visual articulacy has captured the zeitgeist of the post Berlin Wall generation. Banksy’s tongue in cheek attacks on celebrity and vitriolic, fearless ambushing of both Western for131 'LHHUVWH$XNWLRQHLQHV:HUNHVYRQ%DQNV\VROOIUQXU*%3VWDWWJHIXQGHQKDEHQ+DWWHQVWRne 2007:147. 132 Zum ersten Mal wurde ein Preis von über 100.000 GBP erreicht, der seitdem mehrfach überschritten wurde. Bei Urban Art Sales von Bonhams ist zu sehen, dass Preise für Banksy nach der Finanzkrise 2009 und 2011 meist knapp oberhalb oder innerhalb der Schätzungen liegen. Vor der Finanzkrise wurden die Schätzungen verdoppelt bis vervierfacht, Menden 2007:13. 133 Zu eBay siehe Dickens 2010:73-78. Durch die Finanzkrise kam es auch zu Einbußen bei den Verkäufen von Urban Art. Die Zeitungen sprachen 2009 sogar von einem „Markttest“. Nedo 2009:34 oder Market test for Banksy works, BBC: 20.2.2009, http://www.bbc.co.uk/london/content/articles/2009/02/20/ banksy_auction_2009_feature.shtml, Zugriff 28.7.2011. Einige Werke wurden tatsächlich nicht verkauft, Banksy Moss prints fail to sell. BBC: 25.2.2009, http://news.bbc.co.uk/2/hi/entertainment/arts_ and_culture/7907454.stm, Zugriff 28.7.2011.
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eign policy and mega-brands speak to us in the language of today; as a new wave of collectors look to the art market to exteriorise the hopes and fears of a generation these artists oblige via a cocktail of intuition, gallows humour and cultural relevance. As a result, yesterday’s vandalism has become today’s hot property; Banksy remains incognito to hide from the paparazzi where once it was to evade the police. The irony is that today’s moral compass and aesthetic benchmarks can be found blinking at us from the decrepit walls RI2OG6WUHHWDQG:KLWHFKDSHOUDWKHUWKDQWKHUDUL¿HGZDOOVRIWKH5R\DO$FDGHP\RUWKH Tate.“ (Sotheby’s 2007)134
Der sekundäre Kunstmarkt hat dadurch die Preise weit über die Erwartungen von Pictures on Walls geführt135 und die Werke zum einen sehr bekannt gemacht, zum anderen damit auch unzugänglich für die breite Masse des nicht elitären Kunstpublikums. Banksy beließ es nicht dabei, er macht immer noch Street Art für die Straße und bringt seine Werke auch immer noch in Museen. Zwei Wege ins Museum Ursprünglich als ein Protest, eine bewusste Provokation der Museen und anerkannWHU.XQVWJHVWDUWHWVWHOOW%DQNV\PLWGHURI¿]LHOOHQ(LQ]HODXVVWHOOXQJBanksy vs Bristol Museum im Stadtmuseum in Bristol aus. Bis dahin hatte er auf verschiedene Weise Kritik am Betriebssystem Kunst und Museen geäußert. An der Tate Gallery brachte er 2002 den Spruch „Mind the crap“ an, immer wieder kritisiert er abstrakte zeitgenössische Kunst136. Die veränderten Ölbilder, die er ungefragt in Museen hängte137, wurden 2005 in der Ausstellung &UXGH2LOVLQV]HQLHUW+LHUHQWZDUIHUGLH
134 http://www.sothebys.com/en/catalogues/ecatalogue.html/2007/contemporary-art-l07026#/r=/en/ecat. fhtml.L07026.html+r.m=/en/ecat.lot.L07026.html/124/, Zugriff 3.6.2011. 135 Die KünstlerInnen selbst verdienen nicht an hohen Auktionspreisen. Es entstand eine große Spanne zwischen den Preisen bei POW oder Santa’s Ghetto und eBay oder den anderen Auktionshäusern. Banksy erwähnt gegenüber Shepard Fairey: „Every time I sell things at a discount rate, most people put them RQH%D\DQGPDNHPRUHPRQH\WKDQ,FKDUJHGWKHPLQWKH¿UVWSODFH7KHQRYHOW\ZLWKWKDWVRRQZHDUV off.“ http://swindlemagazine.com/issue08/banksy/, Zugriff 23.11.2009. 136 Beispielsweise „All artists are prepared to suffer for their work but why are so few prepared to learn to draw?“ (Banksy 2006:10f). Oder im Interview mit Shepard Fairey (2006): „The art world is the biggest joke going. It’s a rest home for the overprivileged, the pretentious, and the weak. And modern art is a disgrace – never have so many people used so much stuff and taken so long to say so little. Still, the plus side is it’s probably the easiest business in the world to walk into with no talent and make a few bucks.“ http://swindlemagazine.com/issue08/banksy/, Zugriff 23.11.2009. 137 Laut Wall and Piece installierte er die Serie von 2003 bis 2005 in Museen in London, Paris und New York. 6LHEHVWDQGDXVYHUlQGHUWHQgOELOGHUQRGHUQHXHQ:HUNHQLQNOXVLYH+LQZHLVVFKLOGHUQZLHÄ:DOO$UW³%ULtish Museum 2005: Banksy 2006:154f hier ohne Jahr, datiert durch Blanche 2008:72). Die Institutionenkritik verfehlte nicht die mediale Aufmerksamkeit und wird in zahllosen Zeitungsartikeln zitiert (vgl. auch Blanche 2008:74). Interessant an einer der spektakulärsten Ideen Banksys ist jedoch, dass Nguyen eine „Invasion“ des Louvre durch den französischen Künstler Space Invader bereits 1998 zeigt, Nguyen 2010:136.
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Ausstellung als Gesamtinstallation einer Kunstmuseums-Umgebung mit goldenen Bilderlampen zur Beleuchtung der Werke, einem Museumswärter aus einem Skelett und lebenden Ratten. Zum anderen gibt es seine Kritik am Kunstmarkt selbst, z. B. durch das Bild Morons: „I can’t believe you morons buy this shit“ als Kommentar einer Versteigerung seiner Werke 2007. Das elitäre Kunstsystem, von dem sich Banksy und Lazarides abgelehnt fühl(t)en, manifestiert sich in Museen, die „anerkannte“ Kunst archivieren. Als Banksy später jedoch längst Teil des Betriebssystems Kunst geworden ist, kann man seine Arbeiten auch als eine Form selbstreferenzieller Kunst, wie es Cheyenne Westphal als typisches Abgrenzungsverhalten junger Kunstströmungen innerhalb der zeitgenössischen Kunst (Nguyen 2010:242) oder Thomas Wulffen als für das Betriebssystems Kunst typische interne Kritik ansieht (Wulffen 1994:53), lesen. Dazu würde die erwähnte Ausstellung passen und auch die Geschichte des Werkes „Wall Art“ (British Museum 2005), das von „Vandalismus“ zum Kunstwerk und schließlich Ausstellungsstück des Museums wurde (vgl. Dickens 2008, Blanche 2008).138 Wenn Banksy in Drucken allerdings das Gesicht Marilyn Monroes aus einer 3RUWUlWVHULH$QG\:DUKROVGXUFK.DWH0RVVHUVHW]WLVWGLHVQXUHLQHKlX¿J]LWLHUWH Geste des Betriebssystems Kunst. Anonymität als Mythos Im weitesten Sinne machen die rechtlichen Interventionen des Staates, Street Art als illegal zu kriminalisieren und damit ihre freie Ausübung auf der Straße zu unterbinden und die Werke zu zerstören, Banksy zu einem besonderen Künstler.139 Unter anderem diese „Unterdrückung“ von Kunst im öffentlichen Raum macht das Charakteristikum der Anonymität zu einer besonderen Pointe, die kein anderer Künstler so nutzt wie Banksy: „Nobody ever listened to me until they didn’t know who I was.“ (Banksy 2006:13). Seit Ende der 2000er-Jahre benutzen oder ersetzen viele anerkannte Street Art-KünstlerInnen ihren Tag-Namen durch ihren bürgerlichen Namen. Zum einen, um sich damit einfacher in der Kunstwelt zu bewegen, zum anderen, weil sie durch andere Aktivitäten als GaleristInnen oder FürsprecherInnen ihren bürgerlichen Namen benutzen müssen. Banksy wird zu einem mythischen Künstler, denn er lehnt 138 Auch das über Sammler gesteuerte Platzieren von Werken im Museum ist mittlerweile erfolgreich, wie Lock Kresler von Christie’s erklärt: „Additionally with the recent boom of collection-based museums, we’ve been working with collectors to place larger, iconic works that will be eventually incorporated into private institutions.“ Nguyen 2010:69. 139 „The state thus acts like other art world participants, providing opportunities to get art work done by giving support both directly and indirectly for what it approves of, and acting as a constraint on other activities by preventing access, for works deemed unsatisfactory, to some of the facilities ordinarily available to all participants. Thus, the state may prevent works from being distributed (the most usual form of intervention) or from continuing to exist, or may punish those people guilty of creating undesirable work by death, imprisonment, or other kinds of sanctions. In this sense, all artists depend on the state and their work embodies that dependence.“ Becker 1982:191.
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dies ab – 2006 mit den Worten: „I have no interest in ever coming out.“ (Swindle 8/2006) und 2010 manifestiert durch den Film Exit through the gift shop, in dem seine Anonymität als Sensation aufgebaut wird. Das Rätselraten um Banksys tatsächliche Identität war in den Jahren der Auktionserfolge 2006 bis 2008 besonders intensiv und hätte nach der „Enttarnung“ der Daily Mail enden können. Dazu ist es aber nicht gekommen: „Doch sollte es sich bei Gunningham tatsächlich um Banksy handeln, wäre einer der großen Mythen der zeitgenössischen Kunst in Gefahr. Wie essentiell ZLFKWLJGDV*HKHLPQLVYROOH8QEHUHFKHQEDUHIUGLH*UDI¿WLNXQVWLVWEHZLHVJHVtern […].“ (Orth 2008, siehe auch Blanché 2012:321–326). Gerade diese Spannung und die damit verbundene Systemkritik, die Banksy wie ein urbaner Mythos seinen Werken verleiht, macht seine Attraktivität für den Kunstmarkt aus. In einem Zeitungs-Interview 2010 wird Banksy wie folgt zitiert: „Sometimes it might seem like an elaborate public-relations stunt, but the anonymity is completely vital to my work, without it I couldn’t paint.“ (Mills 2010:6). Im selben Artikel verweist die Reporterin Eleanor Mills darauf, dass Banksy eigentlich 2008 als Robin Gunningham enttarnt wurde (Joseph 2008), doch nichts geschah: „Is it possible that Banksy’s JUHDWHVWFUHDWLRQLVWKHDLURIP\VWHU\DURXQGKLPVHOI">«@+HLVDQDQWLFHOHEULW\ celebrity of a kind that is never going to pop up in OK! Magazine.“ (Mills 2010:6). Dieses Kapitel hat gezeigt, dass nur ein funktionierendes Team von MitarbeiterInnen und Vertrauten die Produktion der Kunst, den Verkauf und die Instandhaltung des Mythos gewährleisten kann. Durch das große Netzwerk von MitarbeiterInnen um Banksy bekam das Kapital der Anonymität140 trotz starker Bemühungen der englischen Presse keine Risse. Grundlage dafür ist z. B. auch die Aufgabenteilung, die eine professionelle Pressearbeit erfordert. Die PR-Agentur Jo Brooks141 beispielsweise listet ihn sowie POW als KlientInnen und so kursieren weiterhin die Namen Robin Banks142, Robert Gunningham oder selbst Steve Lazarides143 in den verschiedenen Lebensläufen des Künstlers. „Im Street-Art-Feld“, schreibt Julia Reinecke 2007, „geht es nicht darum, sich eine Position am Markt zu sichern, die über kurz oder lang über das ökonomische Kapital entscheidet. Demnach ist das Street-Art-Feld offener und weniger kompetitiv als das Kunstfeld.“ (Reinecke 2007:140). So wollen es auch viele Personen in der Street Art sehen und verurteilen Banksy mit dem Vorwurf des Sell-Out, der einen Authentizitätsverlust beinhaltet: „Der Unmut gegen ihn ließ sich anhand der Anti-Banksy-
140 9JO]%Ä-HUDUHUVLFK%DQNV\PDFKWXPVRJU|HUZLUGGHU+\SH³+DWWHQVWRQH 141 http://jb-pr.com/, Zugriff 29.7.2011, über Mills 2010:4-7. 142 =%+DWWHQVWRQH7LPP5KOH 143 http://www.briansewell.com/artist/b-artist/banksy/banksy-biography.html, Zugriff 30.7.2011.
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Schablonen in Londons Straßen beobachten. […]. Die Ausgangsposition des interesselosen Anbringens von politischer Kunst in der Straße wird ihm mehr und mehr abgesprochen.“ (Reinecke 2007:140). Das Spiel mit und gegen die Regeln, sei es subkulturell oder im Kunstmarkt, passt aber durchaus zum Bild des Künstlers, welFKHVGHU.XQVWVR]LRORJH+RZDUG%HFNHUDOVGHQURPDQWLVFKHQ.QVWOHUP\WKRVGHU westlichen Gesellschaften beschreibt: „We think it important to know who has that gift and who does not because we accord people who have it special rights and privileges. At an extreme, the romantic myth of the artist suggests that people with such gifts cannot be subjected to the constraints imposed on other members of society, we must allow them to violate rules of decorum, propriety, and common sense everyone else must follow or risk being punished. The myth suggests that in return society receives work of unique character and invaluable quality. Such a belief does not appear in all, or even most, societies; it may be unique to Western European soFLHWLHVDQGWKRVHLQÀXHQFHGE\WKHPVLQFHWKH5HQDLVVDQFH³%HFNHU
No Logo: Außerhalb des Kunstmarktes? Jens Besser, geboren 1982 in Freiberg, gehört der jüngsten Generation von KünstlerInnen an, die, soeben aus den Kunsthochschulen geströmt, ihre eigene Position im %HWULHEVV\VWHP.XQVW¿QGHQPVVHQ$QGHUVDOV6KHSDUG)DLUH\RGHU%DQNV\KDW er das traditionelle westliche Ausbildungssystem der Kunst durchlaufen. Er ist jedoch nicht nur Absolvent einer deutschen Kunstakademie, sondern im Unterschied zu seinen KommilitonInnen seit Jahren ein erfahrener Künstler. Er hat bereits etliche Ausstellungen initiiert und kuratiert und eigene internationale Kunstprojekte ebenso wie ein Buch zur Wandmalerei herausgegeben. Wie viele andere Street Art-KünstlerInnen der zehn Jahre jüngeren Generation nach Fairey und Banksy ist er durch die 3UD[LVYRQ*UDI¿WLXQG6WUHHW$UW]XP.XQVWVWXGLXPJHNRPPHQ(UPXVVWHVLFKLQ den Jahren, in denen Fairey und Banksy an ausverkauften Ausstellungen gemessen ZXUGHQQRFKQLFKWEHU9HUNlXIHVHLQHU$UEHLWHQDXIGHP.XQVWPDUNW¿QDQ]LHUHQ konnte aber schon die Popularität von Street Art für eigene Projekte nutzen. Besser hebt sich dadurch in drei Punkten von den zuvor porträtierten Künstlern ab; er gehört zu einer jüngeren Generation, agiert außerhalb der Kunstmarktzentren London und New York und weitestgehend außerhalb der Logik des Kunstmarktes. Netzwerke abseits: situierte Kunst Zunächst hat auch Besser jahrelang auf der Straße gearbeitet und dabei Techniken XQG7KHPHQDXVSURELHUW1DFKGHPHU*UDI¿WL:ULWLQJDXIJHJHEHQKDWWHZLGPHWH er sich der technischen Vielfalt, die Street Art bietet (Willms 2010:85). Die Erforschung der Kunstform Street Art mit ihren verschiedenen Ausformungen und Tra-
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ditionslinien ist bis heute das übergeordnete Thema seiner künstlerischen, kuratorischen oder publizistischen Arbeit geblieben. Er schuf Figuren mit Farbrollern144, CutOuts, Kreidezeichnungen sowie Malereien mit Sprühdosen und Pinseln. Seine Projekte von 2005/2006 sahen beispielsweise so unterschiedlich aus, dass man sie nicht als Arbeiten ein und desselben Künstlers erkennen konnte: Ä+DXSWVlFKOLFKNDQQPDQLP0RPHQW]ZHL7HFKQLNHQXQG.DPSDJQHQXQWHUVFKHLGHQ.OHben von Pixelobjekten und Rollen von Charaktern, Botschaften. Die Pixelobjekte, Wolken, Raumschiffe usw. werden wohl am Computer hergestellt, ausgedruckt und geklebt bis zu einer Größe von 1 x 1 m. Die Character, zu unterscheiden sind die meist rot oder orange JHIOOWHQ)LJXUHQGLHHLQ3UR¿OJHVLFKWKDEHQXQGQXUDXV8PULVVOLQLHQEHVWHKHQNHLQH Tätigkeit ausführen, sondern nur sitzen, sehr abstrahiert sind und Figuren, die in Steckdosensteckern als Arme und Beine enden mit viereckigem Kopf. Davon abzusetzen sind die Botschafts-Kampagnen, wie Waste your time with paste and leim und 1R1DPH1R1DPH1R)DPH1R/RJR. Sie stellen Statements zur Street Art dar. Die zweite Kampagne bezieht Besser auf eine Zeit, in der jeder Sprayer oder Street Artist ein Logo hatte und sich inhaltlich alles entleerte, da es nur noch Logos gab. Er hat auch Naomi Kleins Buch No Logo gelesen und bezieht sich darauf. Ich sehe einen Widerspruch, denn einerseits wünscht er sich mehr Anerkennung, aber andererseits ist er gegen Logos und damit Branding in der Street Art. Auf die Feststellung, dass die anderen E-Mail-Adressen benutzen oder einen Namen drunter schreiben, sagte er, dass er sich immer andere NaPHQJLEWXQGEHZXVVWQLFKWJHIXQGHQZHUGHQZROOWH³3URWRNROO+'%HVVHU
Zur Zeit dieser Arbeiten war das Internet bereits von großer Bedeutung für die Street Art-KünstlerInnen. Es hatte sich etabliert, dass dort die Arbeiten dokumentiert und weiter verbreitet werden. Daher legte Besser, damals noch unter den Namen No Logo, Kain Logo oder Pixelfraktalkunst, verschiedene Websites für seine einzelnen Projekte an.145 Am Beispiel des Projektes Pixelpopulation ist zu erkennen, dass Besser GLH5HLFKZHLWHGHU:HUNHRKQH*DOHULHXQGJURH¿QDQ]LHOOH0LWWHODXIYHUVFKLHGHne Bereiche ausgedehnt hat. Es gibt eine lose Fotosammlung auf der Flickr-Seite146, das Projekt als internationale Kampagne ist aber auf der Website Pixelpopulation zu
144 Der New Yorker Sprayer Revs hatte diese Methode in den 1990er-Jahren für das Bemalen von besonders hohen Wänden bekannt gemacht, Reid 2008:146, Willms 2010:89. 145 http://www.pixelpopulation.org/, http://www.ak-47.de/, genutzt für http://www.ak-47.de/urbanscript/, und heute http://www.anartchy.com/; weiterhin http://jensbesser.blogspot.com/ (seit 23.2.2010, auf Englisch), KWWSZZZÀLFNUFRPSKRWRVSL[HOSRSXODWLRQ, http://muralismomorte.blogspot.com/; nicht mehr online: http://www.nokopi.de/ und http://www.pixelfraktalkunst.com/, Zugriff alle 10.8.2011. 146 KWWSZZZÀLFNUFRPSKRWRVSL[HOSRSXODWLRQ, Zugriff 9.8.2011, Dezember 2006 errichtet.
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sehen147. Nach dem Vorbild der Invasion von Space Invader148 kann man durch Anklicken der einzelnen Länder sehen, welche Werke dort verklebt wurden. Die DokuPHQWDWLRQGHU$UEHLWHQZLUGVRPLWJHRJUD¿VFKJHRUGQHW 'HU,QKDOWGHV3URMHNWHV]LHOWDXIHLQHÀlFKHQGHFNHQGH%HOHEXQJGHV|IIHQWOLFKHQ Raumes durch verschiedene Figuren: „‚Pixelpopulation‘“ ist eine Plakatserie im öffentlichen Raum europäischer Großstädte. Digital entworfene Charaktere im Pixelstil bevölkern den urbanen Raum und schaffen so HLQHGLJLWDOH3DUDOOHOZHOWDXI+lXVHUZlQGHQ0OOHLPHUQ$PSHODQODJHQRGHU*URZHUEHÀlFKHQ³%HVVHUR- 149
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