Strafzumessung bei schwerer Kriminalität: Eine vergleichende theoretische und empirische Studie zur Bestimmung der Strafe. Unter Mitarbeit von Volker Grundies [1 ed.] 9783428585731, 9783428185733

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Strafzumessung bei schwerer Kriminalität: Eine vergleichende theoretische und empirische Studie zur Bestimmung der Strafe. Unter Mitarbeit von Volker Grundies [1 ed.]
 9783428585731, 9783428185733

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Schriften zum Strafrecht Band 394

Strafzumessung bei schwerer Kriminalität Eine vergleichende theoretische und empirische Studie zur Bestimmung der Strafe

Von

Shuhong Zhao

Duncker & Humblot · Berlin

SHUHONG ZHAO

Strafzumessung bei schwerer Kriminalität

Schriften zum Strafrecht Band 394

Strafzumessung bei schwerer Kriminalität Eine vergleichende theoretische und empirische Studie zur Bestimmung der Strafe

Von

Shuhong Zhao unter Mitarbeit von

Volker Grundies

Duncker & Humblot · Berlin

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2022 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: L101 Mediengestaltung, Fürstenwalde Druck: CPI buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany ISSN 0558-9126 ISBN 978-3-428-18573-3 (Print) ISBN 978-3-428-58573-1 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Danksagung Der Hauptteil der vorliegenden Arbeit wurde von 2010 bis 2012 während eines Aufenthalts am Max-Planck-Institut zur Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und Recht im Rahmen des Projekts „Strafzumessung bei schwerer Kriminalität“ erstellt. In dieser Zeit wurde die Arbeit durch ein Stipendium der Fritz-Thyssen-Stiftung unterstützt. Mein herzlicher Dank gilt zunächst meinem akademischen Lehrer, Herrn Prof. Dr. Dr. h. c. mult. Hans-Jörg Albrecht, dem emeritierten Direktor der kriminologischen Abteilung des Max-Planck-Instituts zur Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und Recht. Er hat diese Arbeit auf vielfältige Weise gefördert und unterstützt. Herzlich danken möchte ich ebenfalls Herrn Dr. Volker Grundies. Er arbeitete umfänglich an der Analyse der erhobenen Daten mit und zeichnet im Wesentlichen für Kapitel F. verantwortlich. Darüber hinaus gab er mir wertvolle Anregungen und steuerte seine Kritik bei. Sowohl seine fachliche Unterstützung als auch seine persönliche Teilnahme trugen grundlegend zur Entstehung und Fertigstellung dieser Arbeit bei. Danken möchte ich ebenfalls Dr. Gwladys Gilliéron und anderen Kolleginnen und Kollegen, die zahlreich mit mir über das Thema diskutierten. Dadurch bleibt mir mein Aufenthalt in Freiburg in schöner und unvergesslicher Erinnerung. Beijing, im Dezember 2021

Shuhong Zhao

Inhaltsverzeichnis A. Einleitung und Fragestellung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Anlass und Zielsetzung der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Forschungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Theoretische Untersuchungen zur Strafzumessung in China . . . . . . 2. Empirische Untersuchungen zur Strafzumessung in China . . . . . . . 3. Entsprechende Untersuchung in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Das Forschungsvorhaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

15 15 17 17 18 19 21

B. Die normativen und theoretischen Grundlagen der Strafzumessung  . . . I. Strafzwecke und Strafbegründungen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Absolute Strafzwecke und Strafbegründungen  . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Generalpräventive Strafzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Vereinigungstheorie und Strafbegründung  . . . . . . . . . . . . . . . . II. Vergleich der normativen Grundlagen der Strafzumessung  . . . . . . . . . . 1. Deutsche normative Strafzumessungsgrundlagen  . . . . . . . . . . . . . . 2. Chinesische normative Strafzumessungsgrundlagen . . . . . . . . . . . . III. Strafzumessungstheorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Strafzumessungstheorien in Deutschland  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Spielraumtheorie  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Stellenwerttheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Punktstrafentheorie und die Theorie des sozialen Gestaltungsaktes  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Die tatproportionale Strafzumessungstheorie  . . . . . . . . . . . . . . 2. Strafzumessungstheorien in China . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Das Strafzumessungsprinzip in der Richtlinie . . . . . . . . . . . . . . b) Strafzumessungsmethode nach der Richtlinie . . . . . . . . . . . . . . . aa) Modifikation des Basis-Strafwertes durch Strafzumessungstatumstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Bestimmung der verwirkten Strafe  . . . . . . . . . . . . . . . IV. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

25 25 26 27 28 30 30 31 32 32 32 34 35 35 36 37 39 39 42 44

C. Der Einfluss der traditionellen chinesischen Kultur auf die Strafzumessung und die Auswahl der Strafzumessungstatsachen . . . . . . . . . . . . . . . . 45 I. Entwicklung der fünf Hauptstrafen in der Geschichte Chinas . . . . . . . . 45 II. Strafzumessungstatsachen in der Geschichte Chinas . . . . . . . . . . . . . . . 46 1. Die Sanktionspraxis im historischen China  . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 a) Die Todesstrafe  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 b) Die Strafmilderung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51

8 Inhaltsverzeichnis 2. Bestimmte Personenstände  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 a) Das System der Anwendung der Strafmilderung und Strafschärfung aufgrund der verschiedenen Personenstände zwischen Straftäter und Opfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 b) Tatumstände der Strafschärfung oder Strafmilderung aufgrund der fünf verschiedenen Personenstände als Strafzumessungsbegründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 aa) Bei Regierungsbeamten  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 bb) Bei Familienangehörigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 cc) Bei Mann, Frau und Nebenfrau  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 dd) Bei Bevölkerung und Dienerschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 c) Strafzumessungssystem aufgrund besonderer Stände  . . . . . . . . 60 aa) Regierungsbeamte und ihre Verwandten . . . . . . . . . . . . . . . 61 bb) Frauen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 cc) Spezielle Berufe und Stände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 III. Resümee zur Geschichte der Strafzumessung in China . . . . . . . . . . . . . 65 D. Vergleich der strafzumessungsrelevanten Normen bei den drei ausgewählten Delikten  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Normen des allgemeinen Teils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die rechtlichen Rahmenbedingungen der Strafzumessung . . . . . . . 2. Strafmilderung und Strafschärfung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Das Schuldbekenntnis bzw. die Selbstanzeige  . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die persönlichen Umstände des Straftäters  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die konkreten Normen der ausgewählten Delikte im Vergleich  . . . . . . 1. Die Straftatbestände im Vergleich  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die vorgesehenen Strafrahmen im Vergleich  . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Typologisierung der drei Delikte in China  . . . . . . . . . . . . . . . . III. Zusammenfassung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

67 67 67 72 77 78 78 78 82 85 88

E. Die Strafzumessung nach der neuen Richtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 I. Die Strafzumessungstatsachen bei Raub in der Richtlinie . . . . . . . . . . . 90 II. Die Strafzumessungstatsachen bei Vergewaltigung in der Richtlinie . . . 92 III. Die Strafzumessungstatsachen bei Körperverletzung in der Richtlinie . 93 IV. Weitere Rahmenbedingungen der chinesischen Strafzumessungspraxis   94 F. Deskriptive Befunde der Untersuchung und Analyse der Strafzumessung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Deskriptive Befunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die angewendeten Strafrahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Raubdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Vergewaltigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Körperverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Verteilung der Strafdauern in dem Strafrahmen von 3 bis zu 10 Jahren Freiheitsstrafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

99 101 101 101 103 104 106

Inhaltsverzeichnis9

II.

3. Die Verteilung der Strafdauern in dem Strafrahmen von 10 bis zu 15 Jahren Freiheitsstrafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 4. Vergleich der Sanktionshärte  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 5. Vergleich mit dem einfachen Raub in China . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 6. Mögliche Strafzumessungsthemen aus dem allgemeinen Teil des StGB und den deliktsspezifischen Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . 116 7. Strafzumessungsthemen bei Raub im Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . 118 8. Strafzumessungsthemen bei Vergewaltigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 9. Strafzumessungsthemen bei Körperverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 10. Die Verhängung von Geldstrafen bei Raub   . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 11. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 Analyse der Strafzumessungspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 1. Raubdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 a) Die Wahl des Strafrahmens bei Raub . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 b) Die Länge der Strafe bei Raub . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 c) Vergleich mit anderen Untersuchungen (Raub) . . . . . . . . . . . . . 146 2. Vergewaltigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 a) Die Wahl des Strafrahmens bei Vergewaltigung . . . . . . . . . . . . 149 b) Die Länge der Strafe bei Vergewaltigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 c) Vergleich mit anderen Untersuchungen (Vergewaltigung) . . . . . 156 3. Körperverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 a) Die Wahl des Strafrahmens bei Körperverletzung . . . . . . . . . . . 157 b) Die Länge der Strafe bei Körperverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . 162 c) Vergleich mit anderen Untersuchungen (Körperverletzung) . . . 165 4. Die Todesstrafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 5. Regionale Unterschiede in der Strafzumessung . . . . . . . . . . . . . . . . 169 6. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171

G. Der Ertrag dieser Untersuchung und Konsequenzen für die chinesische Strafzumessungstheorie, Kriminalpolitik und die empirische Strafzumessungsforschung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 I. Die Ziele und Fragestellungen dieser Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . 173 II. Die normativen und theoretischen Grundlagen der Strafzumessung  . . . 174 III. Der Stand der chinesischen Strafzumessungstheorie  . . . . . . . . . . . . . . . 175 IV. Die gesetzlichen Normen bei Raub, Vergewaltigung und Körperverletzung im Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 V. Die Daten dieser Untersuchung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 VI. Die empirischen Befunde dieser Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 VII. Die Bedeutung dieser Untersuchung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 VIII. Die offenen Fragen dieser Untersuchung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188

Tabellenverzeichnis Tabelle 1:

Die Grade der Strafmilderung oder Strafschärfung bezogen jeweils auf den Höhergestellten als Täter (T) bzw. als Opfer (O) in Abhängigkeit des chinesischen Systems der Blutsverwandtschaft in der Tang-Dynastie (s. Dai, 1987, S. 35) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54

Tabelle 2:

Spezielles Strafzumessungssystem für Regierungsbeamte und ihre Verwandten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62

Tabelle 3:

Strafzumessungsrecht in Deutschland und China im Vergleich . . 68

Tabelle 4:

Strafrahmen bei Raub . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83

Tabelle 5:

Strafrahmen bei Vergewaltigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84

Tabelle 6:

Strafrahmen bei Körperverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85

Tabelle 7:

Die verschiedenen Strafzumessungsumstände und ihre Einflüsse auf die Veränderung des Basis-Strafwertes nach der Richtlinie der Strafzumessung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90

Tabelle 8:

Die Basis-Strafspanne bei bestimmten Tatumständen bei Raub . . 91

Tabelle 9:

Die die Basis-Strafspanne entscheidenden Tatumstände bei Vergewaltigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92

Tabelle 10:

Die Basis-Strafspanne bei bestimmten Tatumständen bei Körperverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93

Tabelle 11:

Verteilung der erfassten Urteile differenziert nach Delikt, Strafrahmen, Gerichtsorts und Entscheidungsjahr . . . . . . . . . . . . . . . . . 99

Tabelle 12:

Kennwerte der Verteilung von Strafdauern bei in Deutschland vor Landgerichten abgeurteilten Raubdelikten entlang der verwandten Strafrahmen [Monate] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112

Tabelle 13:

Kennwerte der Verteilung von Strafdauern bei in Deutschland vor Landgerichten abgeurteilten Vergewaltigungsdelikten entlang der verwandten Strafrahmen [Monate] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112

Tabelle 14:

Kennwerte der Verteilung von Strafdauern bei in Deutschland vor Landgerichten abgeurteilten Körperverletzungsdelikten entlang der verwandten Strafrahmen [Monate] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114

Tabelle 15:

Gesetzliche Tatumstände im allgemeinen Teil des chin. StGB und in der Richtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116

Tabelle 16:

Deliktsspezifische Tatumstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118

Tabelle 17:

Die Verhängung von Geldstrafe als Nebenstrafe bei Raub (Anteile in % (Anzahl Fälle), mittlere Höhe in tausend Yuan) . . . . . . . 130

Tabellenverzeichnis11 Tabelle 18:

Bestimmung des Strafrahmens bei Raub N: 384 *p  3 Jahre

51,8

18

36

48

66

96

1.206

84

132

> 1 Jahre

30,3

9

18

24

37

63

766

76

128

1–10 Jahre

37,3

18

24

36

46

66

1.201

48

84

0,5–5 Jahre

26,2

6

17

24

36

54

110

24

42

Auch bezüglich der Vergewaltigungsdelikte kann festgestellt werden, dass im Wesentlichen nur das untere Drittel, ggf. auch noch Teile des mittleren Drittels des Strafrahmens genutzt werden (s. mit gleichlautendem Befund ­Albrecht, 1994; vgl. hier Abbildung 11 und Tabelle 13). Gleiches gilt auch für die vor Landgerichten abgeurteilten Körperverletzungsdelikte (vgl. Abbildung 12 und Tabelle 14). Gut zu sehen ist, wie sich die verhängten Strafen der verschiedenen Strafrahmen in weiten Bereichen überlappen, was ja bei den so überlappend vorgegebenen Strafrahmen auch nicht weiter verwunderlich ist. Tabelle 13 Kennwerte der Verteilung von Strafdauern bei in Deutschland vor Landgerichten abgeurteilten Vergewaltigungsdelikten entlang der verwandten Strafrahmen [Monate] Perzentile Strafrahmen

Grenzen

Mittelwert

5 %

25 %

50 %

75 %

95 %

N

1/3

2/3

lebenslang

50,1

18

24

42

66

102

61

> 5 Jahre

77,5

27

60

72

96

138

230

100

140

> 3 Jahre

62,3

24

43

55

78

108

108

84

132

> 2 Jahre

48,5

22

32

45

60

93

913

76

128

> 1 Jahre

35,8

12

24

30

42

81

444

48

84

I. Deskriptive Befunde113

Anzahl Verurteilte an Landgerichten



Strafrahmen > 1 Jahr > 2 Jahre > 3 Jahre > 5 Jahre lebenslang

100

80

60

40

20

0 0

1

2

3

5 7 9 Dauer der Strafe [Jahre]

11

13

15

Abbildung 11: Verteilung der Strafdauer bei Landgerichtsurteilen bezüglich Vergewaltigung in Deutschland

Anzahl Verurteilte an Landgerichten

25

§ 224 gefährl. KV (/10) § 226 schwere KV § 227 KV m. Todesfolge

20

15

10

5

0 0

2

4

6 8 10 Dauer der Strafe [Jahre]

12

Abbildung 12: Verteilung der Strafdauer bei Landgerichtsurteilen bezüglich Körperverletzung in Deutschland

15

114 F. Deskriptive Befunde der Untersuchung u. Analyse der Strafzumessung Tabelle 14 Kennwerte der Verteilung von Strafdauern bei in Deutschland vor Landgerichten abgeurteilten Körperverletzungsdelikten entlang der verwandten Strafrahmen [Monate] Perzentile Strafrahmen

Grenzen

Mittelwert

5 %

25 %

50 %

75 %

95 %

N

1/3

2/3

> 3 Jahre

57,0

21

33

54

78

108

165

84

132

1–10 Jahre

51,3

18

30

42

60

84

43

48

84

0,5–10 Jahre

25,8

5

12

22

36

60

2195

24

42

9,0

1

3

6

12

27

805

20

40

< 5 Jahre

5. Vergleich mit dem einfachen Raub in China Dem Autor standen auch Daten von rechtskräftigen Urteilen der unteren Gerichtsbarkeit aus den Jahren 2000 bis 2011 aus dem Großraum Beijing zur Verfügung. Es handelt sich um eine Kompletterhebung. Die Fälle werden der unteren Gerichtsbarkeit (vergleichbar mit den deutschen Amtsgerichten) in erster Instanz zugewiesen, wenn maximal eine zeitige Freiheitsstrafe zu erwarten ist. Eine lebenslange Freiheitsstrafe oder eine Todesstrafe kann nicht von einem unteren Gericht ausgesprochen werden. In Abbildung 13 ist die Verteilung der von der unteren Gerichtsbarkeit ausgesprochenen Strafen zu sehen. Auffällig ist, dass 45 % der Fälle mit einer Freiheitsstrafe bis zu 3 Jahren belegt wurden. Es handelt sich um Fälle bei denen wegen Milderungsgründen (z. B. Jugendliche, die eine geringwertige Sache geraubt hatten) Strafen unterhalb der Strafrahmenuntergrenze von unter 3 Jahren verhängt wurden. Weitere 45 % erhielten eine Freiheitstrafe von 3 bis 10 Jahren und 10 % eine Freiheitstrafe von 10 bis 15 Jahren. Auffällig ist weiter, dass insbesondere an der Grenze zur 10–15-jährigen Freiheitsstrafe, aber auch bei der Grenze von 3 Jahren, die Anzahl der verhängten Strafen jeweils nochmals ansteigt. Dies war schon bei den von der mittleren Gerichtsbarkeit abgeurteilten Fällen aufgefallen (vgl. Abbildung 9) und zeigt sich nun auch hier. Da es sich hier um eine Vollerhebung handelt kann ein Selektionseffekt ausgeschlossen werden. Damit bleibt zu vermuten, dass die Grenzen der Strafrahmen doch zu einer künstlichen prozesstechnisch oder normativ begründeten Häufung von Fällen führen, die nicht durch einen tatsächlichen Sprung in der realen Tatschwere rückführbar sind. Man vergleiche in dieser Hinsicht auch die in den deutschen Daten sichtbare Häufung



I. Deskriptive Befunde115

0

200

400

Anzahl 600

800

1000

Histogramm (monatlich) geglättete Verteilung (*10)

0

3

Strafdauer [Jahre]

10

15

Abbildung 13: Strafdauern bei von der unteren Gerichtsbarkeit (Amtsgerichte) in Beijing abgeurteilten Raubdelikten

vor der für eine Bewährungsaussetzung wichtigen zwei Jahresgrenze, die mit einer entsprechenden Reduktion gleich nach dieser Grenze korrespondiert. Deutlich sichtbar wird in dieser Darstellung auch die Präferenz zur Verhängung ganzjähriger Strafen. Einzig in dem Bereich bis zu zwei Jahren wird hier noch feiner differenziert, was bei längeren Strafen sehr selten der Fall ist. Gelegentlich wird auch nach halben Jahren differenziert. Eine solche Präferenz für ganze Zahlen ist auch in der deutschen Rechtsprechung bei einer detaillierten Betrachtung festzustellen, allerdings wird hier bei den meist wesentlich kürzeren Freiheitsstrafen nach Monaten differenziert. Bezüglich der auffällig verwendeten glatten Zahlen, hat Rolinski (1969, S. 56 ff.) die These einer gestalttheoretisch erklärbaren Präferenz entwickelt und ausgeführt, dass die Vorliebe für „runde“ Zahlen unabhängig von Strafzumessungstheoretischen Erwägungen im Wesentlichen durch die Attraktivität glatter Zahlen und damit auch glatter Ergebnisse bedingt sei. Diesen Ansatz hält Albrecht (1994), der auch eine Präferenz für bestimmte Strafmaße feststellt, für nur teilweise geeignet, um eine Erklärung dafür bereitzustellen, warum die Strafmaßverteilung eindeutigen Schwerpunkt im unteren Bereich erkennen lässt. Vielmehrt vermutete Albrecht (1994, S. 290 f.), dass gerade die Strafmaße von 12 und 24 Monaten deshalb besonders häufig benutzt werden, um den Verurteilten in den Bereich der überhaupt oder jedenfalls

116 F. Deskriptive Befunde der Untersuchung u. Analyse der Strafzumessung

unter erleichterten Bedingungen aussetzungsfähigen Freiheitsstrafe zu ziehen. 6. Mögliche Strafzumessungsthemen aus dem allgemeinen Teil des StGB und den deliktsspezifischen Regelungen Für die drei ausgewählten Delikte schwerer Kriminalität werden viele Tat­ umstände im allgemeinen Teil des chin. StGB oder in der Richtlinie auf­ geführt, die die Strafmaßentscheidung beeinflussen könnten bzw. sollten. Sie sind in der Tabelle 15 aufgelistet und um einige Tatumstände ergänzt, die nur in der Richtlinie auftauchen. Tabelle 15 Gesetzliche Tatumstände im allgemeinen Teil des chin. StGB und in der Richtlinie149 Gesetzlicher Tatumstand

StGB Kategorie des Tatumstands im StGB

Kategorie des Tatumstands in der Richtlinie

Schuldbekenntnis

§ 9

Prävention

Prävention

Im Ausland bereits vollzogene Strafe149 § 10

Prävention

Jugend

§ 17

Prävention

Geisteskrankheit

§ 18

Prävention

Taubstummer oder blinder Täter

§ 19

Prävention

Exzessive Notwehr

§ 20

Vergeltung

Exzessive Notstandshandlung

§ 21

Vergeltung

Vorbereitung einer Straftat

§ 22

Vergeltung

Versuch

§ 23

Vergeltung

Rücktritt von einer Straftat

§ 24

Vergeltung

Beteiligung

§ 27

Vergeltung

Zwang zur Teilnahme an der Straftat

§ 28

Vergeltung

Prävention

Vergeltung Vergeltung

149  Im chin. StGB wird folgendes geregelt: Wer außerhalb des Hoheitsgebietes der Volksrepublik China eine Straftat begeht und deswegen gemäß vorliegendem Gesetz strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen ist, kann gemäß vorliegendem Gesetz selbst dann verfolgt werden, wenn er bereits im Ausland einschlägig verurteilt worden ist. Jedoch kann von Strafe abgesehen werden oder eine abgemilderte leichte Strafe ergehen, wenn die Kriminalstrafe im Ausland bereits vollzogen ist.



I. Deskriptive Befunde117 Gesetzlicher Tatumstand

StGB Kategorie des Tatumstands im StGB

Kategorie des Tatumstands in der Richtlinie

Anstiftung

§ 29

Vergeltung

Geringfügige Straftat

§ 37

Vergeltung

Minderung der Geldstrafe aufgrund schwerer finanzieller Notlage

§ 53

Prävention

Rückfallstraftaten

§ 65

Prävention

Prävention

Selbstanzeige

§ 67

Prävention

Prävention

Verdienste

§ 68

Prävention

Prävention

Verdienste besonderer Bedeutung

§ 68

Prävention

Herausgabe des Diebesgutes

Prävention

Aktives Ersetzen des Schadens

Prävention

Einvernehmen

Prävention

Spezielles Opfer

Vergeltung

Begehungszeitpunkt

Vergeltung

Nach dem chin. StGB kann die Strafe abgemildert, eine leichte Strafe verhängt werden oder der Täter straffrei bleiben, wenn von den in Tabelle 15 aufgelisteten Tatumständen die folgenden vorliegen: Geisteskrankheit, taubstummer oder blinder Täter, exzessive Notwehr, exzessive Notstandshandlung, Vorbereitung einer Straftat, Zwang zur Teilnahme an der Straftat, geringfügige Straftat, Minderung der Geldstrafe aufgrund schwerer finanzieller Notlage, Selbstanzeige, Verdienste, Verdienste besonderer Bedeutung. Weil sich diese Untersuchung nur auf vor der mittleren Gerichtsbarkeit verhandelte schwere Kriminalität beschränkt, können diese Tatumstände in den Urteilen nicht erscheinen. Außerdem tauchten einige andere Tatumstände, z. B. im Ausland bereits vollzogene Strafe, Anstiftung, und das Schuldbekenntnis gar nicht oder nur in Einzelfällen auf, sodass auf ihre Erfassung verzichtet wurde. Die deliktsspezifischen Tatumstände für die drei ausgewählten Delikte schwerer Kriminalität sind in Tabelle 16 aufgeführt. Bei diesen Strafzumessungstatsachen handelt es sich vorwiegend um Vergeltungstatumstände.

118 F. Deskriptive Befunde der Untersuchung u. Analyse der Strafzumessung Tabelle 16 Deliktsspezifische Tatumstände Raub

Vergewaltigung

Körperverletzung

Anzahl der Taten

1

1

1

Tatort

1

1

Schadenssumme

1

Verletzung

1

Schw. Verletzung

1

Objekt

1

Mittel

1

1

1

Todesfolge

1

1

1

1

Ursache

1

Beteiligung Opfer

1

7. Strafzumessungsthemen bei Raub im Vergleich Aus den repräsentativen schriftlichen Strafurteilen werden nur Tatumstände, die im Gesetz erwähnt sind, ausgewählt. Es stellte sich heraus, dass von mehr als 30 Strafzumessungspunkte nur wenige in den Urteilen erwähnt wurden. Dies sind bei Raub die folgenden Strafzumessungstatsachen: Jugend, schwere Verletzung, Todesfolge, Verletzung, Tatort, Beteiligung, Vorstrafen, Intensität der Drohung und Gewalt. Dabei wird „Gewalt“ mit 67 % in den Urteilen am häufigsten genannt, gleichfalls die „Drohung“ mit 66 % und die „Beteiligung“ mit 64 %. Die Strafzumessungstatsache „Todesfolge“ ist hingegen mit 9 % am seltensten. Mit Werten zwischen 25 und 15 % werden die schwere Verletzung, der Tatort, ein großer Wert, die Jugend des Täters, eine ‚normale‘ Verletzung sowie die Vorstrafenbelastung erwähnt (s. Abbildung 14). Differenziert man zwischen den Taten von Jugendlichen und Erwachsenen (s. Abbildung 15) so fällt auf, dass alle Tatumstände bei Jugendlichen seltener genannt werden als bei Erwachsenen. Einzige Ausnahme ist die Erwähnung einer Drohung. Allerdings ist dieser Unterschied an der Grenze zur Signifikanz (p = .08). Auffällig ist insbesondere, dass bei Raubdelikten von Jugendlichen keine hohen Schadenssummen im Spiel sind und es kaum zu schweren Verletzungen kommt. Weiter verüben Jugendliche den Raub fast nur an ‚normalen‘ Tatorten. Erwartungsgemäß haben die Jugendlichen alters-



I. Deskriptive Befunde119

Abbildung 14: Mittlere Anzahl der Nennung bestimmter Tatumstände bei Raub ( % der Nennungen in den Urteilen)

Abbildung 15: Mittlere Anzahl der Nennung bestimmter Tatumstände bei Raub differenziert nach Jugendlichen und Erwachsenen

bedingt wesentlich seltener Vorstrafen. Auch ist die Gewaltanwendung weniger ausgeprägt und Jugendliche agieren mehrheitlich als Einzeltäter.

120 F. Deskriptive Befunde der Untersuchung u. Analyse der Strafzumessung

Abbildung 16: Anzahl erschwerender Tatumstände pro Fall bei Raub

Abbildung 16 zeigt die Anzahl der in den einzelnen Urteilen erwähnten erschwerenden Tatumstände. Es ist bei den Erwachsenen eine breite Verteilung. Auffällig ist, dass in jedem Urteil mindestens ein erschwerender Tat­ umstand erwähnt wurde. Maximal werden in einigen seltenen Fällen acht der möglichen neun Tatumstände aufgeführt. Dass die theoretisch mögliche ­Maximalzahl nicht erreicht wird, mag daran liegen, dass sich einzelne Tat­ umstände wie z. B. Todesfolge und Verletzung des Opfers in vielen konkreten Fällen inhaltlich ausschließen bzw. umfassen. Dass die Begehung von Raub bei Jugendlichen eher leichter ausfällt als bei Erwachsenen zeigt sich auch bei der Anzahl der in den Urteilen erwähnten Tatumstände. Bei Jugendlichen werden im Mittel 1,8 Tatumstände erwähnt. Bei Erwachsenen sind es mit 3,4 fast doppelt so viele. Entsprechend hat auch die Verteilung bei Jugendlichen eine ganz andere Form als wie eben für die Erwachsenen beschrieben. Sie ist deutlich linksschief. Allerdings ist auch bei den Jugendlichen mindestens ein erschwerender Tatumstand erwähnt. Für einen Vergleich der in den Urteilen genannten Strafzumessungstat­ sachen zwischen Deutschland und China wurde die Studie von Albrecht (1994) herangezogen. Allerdings sind bei diesem Vergleich Unterschiede in der Anlage der Studien zu beachten. So gibt Albrecht jeweils unabhängig von der Bewertungsrichtung an, wie oft gewisse Themen genannt wurden (z. B. summieren sich unter dem Thema Vorstrafen sowohl positive wie auch



I. Deskriptive Befunde121

negative Erwähnungen im Urteil: vorstrafenfreies Leben, einmalige Ent­ gleisung, lange zurückliegende Vorstrafen, aber auch einschlägige Vorstrafen, kurzes Rückfallintervall, vorangegangen vollstreckte Freiheitsstrafen etc.). Die Häufigkeit einzelner Themen, relativ zu den übrigen Themen, d. h. der Anteil der Nennungen einzelner Themen150 prozentuiert auf alle Nennungen (nicht Fälle) ist in Abbildung 17 dargestellt. Im Gegensatz dazu wurde bei der Analyse der Urteile in China nicht Thematisierungen sondern nur erfüllte Tatumstände notiert, d. h. dass z. B. Vorstrafen nur dann aufgezeichnet wurden, wenn solche dazu noch innerhalb der letzten fünf Jahre vorlagen.151 Der Anteil der Nennungen einzelner Strafzumessungstatsachen prozentuiert auf alle Nennungen (nicht Fälle) ist in Abbildung 18 dargestellt, wobei allerdings aus Gründen der Vergleichbarkeit nur Fälle mit erwachsenen Tätern ohne Todesfolge berücksichtigt wurden. In beiden Ländern werden die Gewaltausübung, die Vorstrafen, die Verletzungen des Opfers sowie die Höhe des Schadens erwähnt. In Deutschland dominiert die Thematik der Vorstrafen, die in China nur eine geringere Rolle spielt. Zu berücksichtigen ist hier aber, dass in Deutschland auch die bisherige Straffreiheit und weiter zurückliegende Vorstrafen erwähnt werden, 150  Die einzelnen Themen fasst Albrecht wie folgt: „Kriminelle Energie“: Expliziter Gebrauch dieses Begriffs,

aber auch Erwähnungen wie „hartnäckige Vorgehensweise“, „unbeirrte Durchführung“, „viele Straftaten in kurzer Zeit“, „Verwendung massiver Tatmittel“. „Prognose“: Nennung guter oder schlechter Prognosen. „Vorstrafenthema“: z. B. vorstrafenfreies Leben, einmalige Entgleisung, lange zurückliegende Vorstrafen, einschlägige Vorstrafen, kurzes Rückfallintervall, vorangegangene Freiheitsstrafenvollstreckung. „Verletzung“: Ansprechen des Vorliegens oder Nichtvorliegens von körperlichen Auswirkungen der Straftat. „Beteiligung“: Grad des Einflusses eines Täters auf Verlauf und Ergebnis (nur bei Begehung in einer Gruppe) „Gewalt“: Nennung zur Art und Intensität der Gewaltausübung. „Kooperation“: Beiträge des Angeklagten zur Bewältigung und Aufklärung des Tathergangs und dessen Folgen. „Sozialisation“: Nennungen zur persönlichen Entwicklung des Straftäters, seiner Ausbildungssituation, Kindheit und Jugend. „Opfer“: Sowohl die Beteiligung des Opfers an der Straftat, wie auch andere Folgen für das Opfer. „Motivation“: Motive bzw. das Fehlen von nachvollziehbarer Motive. S. dazu Albrecht (1994, S. 411). 151  Zwar wird die Vorstrafenbelastung auch in chinesischen Urteilen gelegentlich erwähnt. Sie wurde aber in dieser Untersuchung nicht erfasst, da nur der im chin. StGB definierter Rückfall von Bedeutung ist. Meistens wird „Der Täter ist bis zu dieser Tat nie straffällig geworden“ erwähnt, wenn eine leichtere Kriminalität vorliegt. Damit begründet der Richter dann eine leichtere Strafe. Aber wenn schwere Kriminalität vorliegt (z. B. Mord), wird der Richter nicht ein bisher straffreies Leben erwähnen, da er keine Möglichkeit hat, dadurch die Strafe zu mindern.

122 F. Deskriptive Befunde der Untersuchung u. Analyse der Strafzumessung

Quelle: nach Albrecht, 1994, S. 413.

Abbildung 17: Strafzumessungsthemen bei Raubdelikten in Deutschland (in % aller Nennungen)

Abbildung 18: Strafzumessungstatsachen bei Raubdelikten in China (in % aller Nennungen, nur Erwachsene ohne Todesfolge)



I. Deskriptive Befunde123

während in China nur Vorstrafen erwähnt werden, die innerhalb die letzten fünf Jahre verhängt bzw. abgebüßt wurden. In China stehen dagegen Fragen der Tatbegehung (Drohung, Gewalt und Beteiligung) im Vordergrund. Weitere Themen, beispielsweise Alkoholeinfluss, Sozialisation, kriminelle Energie und Motivation finden keinen Eingang in die Erwägungen der Richter in der chinesischen Strafzumessungspraxis. Auffällig ist auch das Fehlen von Erwägungen zur Prognose was wohl darauf zurückzuführen ist, dass es in China keine dem § 46 Abs. 1 entsprechenden Norm gibt, die die Berücksichtigung des künftigen Lebens des Täters bei der Strafzumessung fordert. Von ihnen werden dagegen noch der Tatort und die Drohung thematisiert. Mithin kann festgehalten werden, dass das Spektrum der im Urteil erörterten Tatumstände in China noch eingeschränkter ausfällt als dies in Deutschland der Fall ist. Insbesondere fehlen in China Erörterungen, die die Persönlichkeit des Täters in seiner Entwicklung würdigen, wie Prognose, Alkohol­ einfluss, Sozialisation, kriminelle Energie (soweit sie sich nicht in der Gewaltanwendung ausdrückt) und Motivation. Allerdings haben alle diese Erörterungen in Deutschland nur geringen Einfluss auf die ausgesprochene Sanktion (s. im Folgenden). 8. Strafzumessungsthemen bei Vergewaltigung Laut der in den Urteilen erwähnten Tatumstände wurde die Mehrheit der Fälle unter Drohungen (74 %), gemeinschaftlich (67 %) bzw. unter Anwendung von Gewalt (57 %) begangen. Oft kam es auch zu Verletzungen (47 %) und in ca. einem Drittel der Fälle gab es mehrere Opfer. Relativ dazu waren minderjährige Opfer (17 %) und eine Todesfolge (18 %) selten. Der Versuch152 (30 %) und die Jugend (27 %) sind die einzigen strafmildernden Umstände (s. Abbildung 19). Auch bei der Vergewaltigung kann wie schon beim Raub festgestellt werden, dass bei Jugendlichen viele Tatumstände wesentlich seltener aufgeführt werden. Die Drohung wird bei Jugendlichen wie schon bei Raub häufiger erwähnt als bei Erwachsenen. Gleiches gilt im Fall der Vergewaltigung auch mit dem Versuch. Dabei wird in 51 % der Fälle von Jugendlichen beides zusammen erwähnt. Bei Erwachsenen werden bei der Vergewaltigung im Mittel 4,2 erschwerende Tatumstände erwähnt. Bei Jugendlichen sind es im Mittel 1,7. Eine Aus152  Bei Vergewaltigung taucht der Tatbestand des Versuchs auch bei schwerer Kriminalität auf, da bei dieser Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung auch im Fall des Versuchs längere Strafen verhängt werden. Bei Raub bleiben dagegen die Versuche ggf. sogar straffrei. Jedenfalls tauchen sie nicht in dieser Auswahl von Fällen der mittleren Gerichtsbarkeit auf, da keine schweren Strafen verhängt werden.

124 F. Deskriptive Befunde der Untersuchung u. Analyse der Strafzumessung

Abbildung 19: Häufigkeit bestimmter Tatumstände bei Vergewaltigung

Abbildung 20: Mittlere Anzahl der Nennung bestimmter Tatumstände bei Vergewaltigung differenziert nach Jugendlichen und Erwachsenen

nahme dürfte der Fall des Jugendlichen sein, bei dem sieben erschwerende Umstände aufgeführt wurden, gegen ihn wurde eine lebenslange Freiheitsstrafe ausgesprochen.



I. Deskriptive Befunde125

Abbildung 21: Anzahl erschwerender Tatumstände pro Fall bei Vergewaltigung

Bezüglich eines Vergleichs mit den in deutschen Urteilen angeführten Strafzumessungsthemen (nach Albrecht, 1994, S. 413) ist, wie oben bei den Raubdelikten angeführt, vor allem die unterschiedliche Herangehensweise der beiden Untersuchungen zu beachten. Während Albrecht alle in den Urteilen angesprochenen Themen, unabhängig von ihrer Bewertungsrichtung und unabhängig von ihren tatsächlichen Auswirkung auf das Strafmaß, aufführt (s. Abbildung 23), sind in dieser Untersuchung nur Tatumstände mir eindeutiger Richtung (bis auf Jugend und Versuch alle strafschärfend) angeführt (s. Abbildung 22). Wie schon bei dem Raub, zeigt sich auch hier, dass sowohl in der deutschen wie auch der chinesischen Strafzumessung einige Themen der Tatausführung Beachtung finden (Gewalt, Verletzung und ggf. die Hilflosigkeit des Opfers). In China wird darüber hinaus häufig die Tatausführung in der Gruppe aufgeführt, die in Deutschland unter dem Thema der Beteiligung wohl seltener auftritt. Weiter wird in China häufig explizit die Drohung thematisiert. In beiden Ländern sind zwar die Vorstrafen von Bedeutung, jedoch wird die in China nicht explizit im Sinne einer Prognose thematisiert. Dementsprechend fehlen in China auch Themen wie Sozialisation und kriminelle Energie. Weiter tauchen bei diesen Delikten der schweren Kriminalität auch keine Erwähnungen der Kooperation auf, obgleich die Selbstanzeige im Allgemeinen in China bei leichterer Kriminalität nicht unüblich ist. So wird beim einfachen Raub in Beijing (vgl. Kapitel F.I.5.) in ca. 14 % der Fälle

126 F. Deskriptive Befunde der Untersuchung u. Analyse der Strafzumessung

Abbildung 22: Relative Anteile der Strafzumessungstatsachen bei Vergewaltigung in China (in % aller Nennungen)

Quelle: nach Albrecht, 1994, S. 413.

Abbildung 23: Strafzumessungsthemen bei Vergewaltigungsdelikten (in % aller Nennungen)

eine Selbstanzeige aufgeführt. Möglicherweise liegt dies daran, dass die Täter im Fall schwere Kriminalität keine Minderung der Strafe erwarten (vgl. Kapitel D.I.3.). Der Einfluss von Alkohol spielt in der chinesischen Sank­ tionspraxis keine Rolle und wird deshalb auch nicht erwähnt.



I. Deskriptive Befunde127

9. Strafzumessungsthemen bei Körperverletzung Bei der Körperverletzung wurden folgende sieben Tatumstände in den Urteilen erwähnt: gemeinschaftliche Begehung (66 %), schwere Körperverletzung (56,5 %), Tatmittel (47 %), Wiedergutmachung (40 %), Vorstrafen (37 %), Jugend (29 %) und Todesfolge (25 %). Auch bei der Körperverletzung fallen wie schon bei Raub und Vergewaltigung die Taten der Jugendlichen deutlich leichter aus wie die der Erwachsenen (vgl. Abbildung 25 und Abbildung 26). So kommt es bei Jugendlichen fast nicht zu Todesfolgen, auch schwere Körperverletzungen sind halb so häufig wie bei Erwachsenen. Auch nutzen Jugendliche wesentlich seltener besondere Tatmittel und versuchen häufiger ihre Taten wieder gut zu machen. Dementsprechend ist auch die mittlere Anzahl der genannten erschwerenden Tatumstände bei Jugendlichen (1,2) deutlich geringer wie bei Erwachsenen (2,8). Vergleicht man die Häufigkeit der Erwähnung gewisser Tatumstände über die drei Delikte hinweg, so fällt auf, dass die gemeinschaftliche Begehung ist bei allen drei Delikten gleich häufig ist (65 %). Damit werden die Taten in China wohl häufiger als in Deutschland in Gruppe begangen. Eine Ausnahme stellt in dieser Hinsicht der Raub dar, der auch in Deutschland zu ca. 70 % in Gruppe begangen wird.153

Abbildung 24: Erwähnte Tatumstände bei Körperverletzung (in % der Fälle) 153  Vgl. PKS, 2010. Dort auch die Werte für Vergewaltigung (20 % Gruppenbegehung) und Körperverletzung (30 %).

128 F. Deskriptive Befunde der Untersuchung u. Analyse der Strafzumessung

Abbildung 25: Mittlere Anzahl der Nennung bestimmter Tatumstände bei Körperverletzung differenziert nach Jugendlichen und Erwachsenen

Auch der Anteil der Jugendlichen (25 %) kann über die drei Delikte als annähernd gleich angesehen werden. Bei Raub wurden in China signifikant weniger Vorstrafen verzeichnet (16 %) als bei Vergewaltigung (40 %) und Körperverletzung (37 %). Damit ist in China eine geringere Vorstrafenbelastung als in Deutschland festzustellen. Insbesondere gilt dies für den Raub, bei dem in Deutschland drei Viertel aller Täter schon eine Vorstrafe haben (ca. 50 % haben schon eine freiheitsentziehende Vorverurteilung s. Strafverfolgungsstatistik Erwachsene).154 Allerdings ist hier die Beschränkung der chinesischen Definition der Vorstrafe auf die letzten fünf Jahre zu beachten. Bezüglich der Todesfolge unterscheiden sich alle drei Delikte signifikant (Raub 9 %, Vergewaltigung 18 % und Körperverletzung 25 %). Der Anteil an Todesfolgen erscheint recht hoch. Hier ist jedoch zu beachten, dass nur Fälle schwerer Kriminalität ausgewählt wurden. Auch in Deutschland ergibt sich bei Körperverletzung ein hoher Wert an Todesfolgen von ca. 25 %, wenn 154  Zum Vergleich sind nach der Strafverfolgungsstatistik in Deutschland bei Körperverletzung ca. 60 % der nach StGB Verurteilten vorbestraft, davon ca. die Hälfte freiheitsentziehend vorbestraft; etwa gleiche Werte auch bei Vergewaltigung.



I. Deskriptive Befunde129

Abbildung 26: Anzahl erschwerender Tatumstände pro Fall bei Körperverletzung

man nur schwere Delikte, d. h. die gefährliche und schwere Körperverletzung §§ 224, 226 sowie die Körperverletzung mit Todesfolge § 227 berücksichtigt.155 Bei Vergewaltigung sind es ca. 5 %, wenn neben der Vergewaltigung mit Todesfolge nur die schwere Vergewaltigung (§ 177 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3, 4, § 178) betrachtet wird. Bei Raub sind es etwa 1 % (schwerer Raub § 250 und Raub mit Todesfolge § 251). Damit relativiert sich der Eindruck eines hohen Anteils an Todesfolgen im Fall der Körperverletzung, bleibt aber bei Raub und Vergewaltigung bestehen. 10. Die Verhängung von Geldstrafen bei Raub Nach § 263 chin. StGB muss der Straftäter zugleich mit Geldstrafe belegt werden, wenn er mit einer zeitigen Freiheitsstrafe von 3 Jahren bis zu 10 Jahren bestraft wird. Ebenso kann zugleich eine Geldstrafe verhängt werden, wenn er zu einer Freiheitsstrafe von 10 Jahren bis zu 15 Jahren, lebenslanger Freiheitsstrafe oder Todesstrafe verurteilt wird. Die Tabelle 17 zeigt die prozentuale Anwendung der Geldstrafe bei Raub sowie die durchschnittlich Höhe der verhängten Geldstrafen. Geldstrafen werden zusätzlich zu beschränkten Freiheitsstrafen (hier 3–10 Jahre und 155  Berechnungen anhand der Bundeszentralregisterdaten der Legalbewährungs­ studie (Jehle et al., 2013).

130 F. Deskriptive Befunde der Untersuchung u. Analyse der Strafzumessung Tabelle 17 Die Verhängung von Geldstrafe als Nebenstrafe bei Raub (Anteile in % (Anzahl Fälle), mittlere Höhe in tausend Yuan) Stadt

Strafen gesamt

3–10 Jahre

10–15 Jahre

Beijing

84 ± 4 % (90) 11,6

  97 ± 2 % (59) 8,5

100 ± 0 % (19) 21,0

Zhengzhou

87 ± 3 % (95) 9,9

  94 ± 3 % (68) 9,4

  82 ± 8 % (22) 12,1

Guangzhou

94 ± 3 % (87) 5,8

  93 ± 3 % (60) 4,4

100 ± 0 % (24) 9,1

Nanjing

93 ± 3 % (58) 4,4

100 ± 0 % (36) 3,9

  90 ± 7 % (20) 5,3

Lanzhou

82 ± 5 % (54) 3,8

  86 ± 10 % (14) 2,4

  97 ± 3 % (29) 4,8

  95 ± 1 % (237) 6,7

  94 ± 2 % (114) 10,0

Städte gesamt 88 ± 2 % (384) 7,6

10–15 Jahre) fast immer verhängt (ca. 95 % der Fälle). Damit wird in der Praxis offensichtlich die Möglichkeit bei der 10–15-jährigen Freiheitsstrafe davon abzusehen nicht Gebrauch gemacht. Warum aber trotz der festen Vorschrift auch bei der 10–15-jährigen Freiheitsstrafe gelegentlich von der Geldstrafe abgesehen wird ist unklar. Angesichts der sehr ähnlichen Werte bei der 10–15-jährigen Freiheitsstrafe ist es nicht wahrscheinlich aber trotzdem möglich, dass sie in den Urteilen einfach nicht dokumentiert wurde. Entlang der verschieden Städte sind diesbezüglich keine signifikanten Unterschiede festzustellen. Bei Todesstrafe bzw. lebenslanger Freiheitsstrafe wurden zusätzliche Geldstrafen in ca. 20 % der Fälle verhängt156. Die bei den ‚Strafen gesamt‘ in Tabelle 17 sichtbaren Unterschiede zwischen den Städten dürften die jeweils unterschiedlich hohen Anteile von den verhängten lebenslangen Strafen bzw. der Todesstrafe sein. Bezüglich der Höhe der Geldstrafe ist festzustellen, dass diese im All­ gemeinen nicht signifikant von der Länge der Freiheitsstrafe abhängt, wenn die Höhe der Geldstrafe auch minimal mit der Dauer der Freiheitsstrafe ansteigt. Eine Ausnahme diesbezüglich stellt die Sanktionspraxis in Beijing dar, bei der ein starker (signifikanter) Zusammenhang festzustellen ist (s. Abbildung 27).

156  Ein in China gerne gebrauchtes Sprichwort lautet: „Leben und Reichtum ist wie zwischen zwei Stühle sitzen“. So wird eine lebenslange Freiheitsstrafe oder gar eine Todesstrafe als so gravierend empfunden, dass keine Nebenstrafe mehr verhängt wird.



I. Deskriptive Befunde131

Zhengzhou Nanjing

0

Höhe der Geldstrafe [*1000 Yuan] 5 10 15 20

25

Beijing Guangzhou Lanzhou

3

Dauer der Freiheitsstrafe [Jahre]

15

Abbildung 27: Durchschnittliche Höhe der Geldstrafe bei Raub in Abhängigkeit von der Hauptstrafe

11. Zusammenfassung Die Mehrheit (53 %) der drei ausgewählten Delikte schwerer Kriminalität wird in China mit einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren bis zu 10 Jahren sank­ tioniert. Vernachlässigt man die leichten Strafen (Gewahrsam, Überwachung und ½- bis 3-jährige Freiheitsstrafe), die nur im Fall der Körperverletzung verhängt werden, so sind die Anteile der schweren Strafen (10–15-jährige Freiheitsstrafe 25 %, lebenslang 5 % und Todesstrafe 7 %) substanziell. Allerding glaubt die Öffentlichkeit in China, dass die Strafe für die schwere Kriminalität in der Praxis sehr schwer ausfällt. Damit dürfte der Anteil der schweren Strafen deutlich unter den allgemeinen Erwartungen liegen. Weiter ist zu erkennen, dass das Strafmaß meist ganze Jahre beträgt. Innerhalb der Strafrahmen ist die Strafdauer mit abnehmender Tendenz von der Unter- zur Obergrenze der Strafrahmen relativ gleichmäßig verteilt. An der Obergrenze des Strafrahmens 10 bis 15 Jahre ist ein leichter Anstieg festzustellen. Bei dem Übergang von dem Strafrahmen 3 bis 10 Jahre zu dem Strafrahmen 10 bis 15 Jahre erhöht sich der Anteil der verhängten Strafen nochmals deutlich. Insgesamt ist bei den untersuchten Fällen, die von der

132 F. Deskriptive Befunde der Untersuchung u. Analyse der Strafzumessung

mittleren Gerichtsbarkeit (vergleichbar mit den deutschen Landgerichten) verurteilten Fällen ein breite Verteilung der Sanktionen von der Mindest- bis zur Höchststrafe hin vorhanden, die relativ gleichmäßig verteilt ist, aber von der Mindeststrafe hin zu der Höchststrafe leicht abfällt. Diese Verteilung ist anlässlich der aktuellen chinesischen Kriminalpolitik von 2006 zu diskutieren, die fordert, dass ein „leichteres Delikt mit leichterer Strafe und ein schweres Delikt mit schwererer Strafe“ zu belegen ist. Erwartbar wäre demnach bei diesen Delikten schwerer Kriminalität eine starke Polarisierung, die sich im Maximalfall durch viele schwere und viele leichte Sanktionen ausdrücken sollte, d. h. der mittelschwere gesetzliche Strafrahmen mit einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren bis zu 10 Jahren sollte aufgrund der aktuellen Kriminalpolitik nur selten in der Strafzumessungspraxis benutzt werden. Widersprechen nun die Ergebnisse, insbesondere die mehrheitliche Nutzung des 3–10-jährigen Strafrahmens, diesen kriminalpolitischen Forderungen? Um dies entscheiden zu können müsste die tatsächliche den einzelnen Taten zugrunde liegende absolute Schwere bekannt sein. Hier ist aber kein gar von soziokulturellen Einstellungen unabhängiges Maß zu finden. Gleichwohl scheint es naheliegend anzunehmen, dass auch bei definitionsgemäß schwerer Kriminalität, wie z. B. dem Raub, die schwere der Delikte sehr schief verteilt ist. Leichtere Begehungsformen dürften wesentlich häufiger sein wie schwere, die relativ selten auftreten sollten. Dies entspricht zumindest der gängigen Interpretation der in Deutschland gefunden Sanktionsverteilung (vgl. z. B. Abbildung 10). So kommt auch der BGH zum Schluss kommt, dass typische und damit mehrheitliche Fälle meist von geringer Schwere sind (s. Albrecht, 2013, S. 233). Vergleicht man nun damit die hier für China gefundene Verteilung der Sanktionen, so kann an Hand der Häufigkeit mit der die lebenslange Freiheitsstrafe oder gar die Todesstrafe verhängt wird zumindest eine deutliche Tendenz zu Höchststrafen festgestellt werden. Ob anderseits leichte Begehungsformen dieser Delikte tendenziell sehr leicht bestraft werden, wie dies dem Motto der Kriminalpolitik entspräche, kann hier nicht wirklich beurteilt werden. Zwar zeigt die Verteilung der Sanktionen, von Fällen, die an den unteren Gerichten verhandelt wurden (vgl. Abbildung 13), durchaus eine linksschiefe Verteilung mit relativ vielen Fällen, die leicht sanktioniert wurden, ob das aber aus einer forcierten Nutzung leichter Strafen resultiert, erscheint doch recht fraglich. In diesem Zusammenhang mag noch angemerkt sein, dass die Strafen als Reaktion zu schwerer Kriminalität in der chinesischen Strafzumessungspraxis zumindest nicht so schwer ausfalle wie dies in der Bevölkerung im Allgemeinen angenommen wird. Letztere geht davon aus, dass bei schwerer Kriminalität schwere Strafe, d. h. lebenslang oder Todesstrafe, verhängt wird. Als Reaktion auf schwere Kriminalität wird in der chinesischen Strafzumessungspraxis häufig auf den mittelschweren gesetzlichen Strafrahmen zurückgegriffen.



I. Deskriptive Befunde133

Auffällig ist weiter, dass abgesehen von der Körperverletzung in China wohl seltener als in Deutschland eine Strafe unterhalb des Strafrahmens verhängt wird, obwohl in beiden Fällen Verurteilungen, die von der mittleren Gerichtsbarkeit (Landgerichte) ausgesprochen wurden, betrachtet werden. In wie weit hier in China stärker an den Grenzen der Strafrahmen festgehalten wird, kann hier aber nicht beurteilt werden. Auffällig ist aber der deutlich größere Anteil der mit Strafen unter drei Jahren sanktionierte Anteil bei der Körperverletzung, obgleich es sich hier auch um Fälle handelt, die wegen ihrer von der Staatsanwaltschaft angenommen Schwere vor der mittleren Gerichtsbarkeit angeklagt wurden. Im Gegensatz zu Raub und Vergewaltigung existieren aber bei der Körperverletzung in China Strafrahmen, die eine mildere Sanktionierung vorsehen und es damit den Richtern leichter machen solche Strafen zu verhängen. Gleichwohl zeigt der große Anteil (45 %) der an der unteren Gerichtsbarkeit (Amtsgerichte) mit Strafen unter drei Jahren verurteilten (prinzipiell leichteren) Raubdelikte, dass der Strafrahmen bei entsprechenden mildernden Umständen auch deutlich unterschritten wird. Im Vergleich mit der Verteilung der Sanktionen in Deutschland fällt die breite Ausschöpfung der vorgegebenen Strafrahmen in China auf (s. Abbildung 9). Dies mag primär an der unterschiedlichen Anordnung der Strafrahmen in China im Vergleich zu Deutschland liegen. Die in China vorgegebene Staffelung der Strafrahmen von leicht zu schwer ohne eine Überlappung, mag dazu führen, dass die Strafrahmen auch ohne Lücken ausgefüllt werden. Nimmt man nämlich an, dass sich die Schwere einzelner Delikte, wenn auch mit einem Schwerpunkt bei leichten Begehungsformen, kontinuierlich verteilt, so ist dies die fast zwangsläufige Konsequenz. Es gibt keinen Grund warum bei einem vorgegebenen Strafspektrum von 3–10, 10–15 und lebenslanger Freiheitsstrafe bis hin zur Todesstrafe jeweils die oberen Bereiche der einzelnen Strafrahmen (z. B. 7–10 Jahre und 14, 15 Jahre) ausgespart werden sollten. Hier ist eher zu fragen, wieso an einigen wenigen Tatmerkmalen diese drastischen Übergänge in den Strafrahmen festgemacht werden. Zwar werden auch in Deutschland die einzelnen Begehungsformen eines Delikts anhand bestimmter Tatmerkmale charakterisiert, jedoch überlappen die da­ raus resultierenden Strafrahmen in weiten Bereichen (meist differiert nur die Untergrenze des Strafrahmens). Dies hat zur Folge, dass die den Strafrahmen festlegenden Tatumstände bei der Bemessung der Tatschwere keine ausschließliche Bedeutung zukommt, sondern auch andere Tatumstände wesentlich eingehen. In Deutschland wird in der Mehrheit der Fälle nur das untere Drittel des Strafrahmens genutzt, was sich auch in Entscheidungen des BGH wider­ spiegelt157, der zum Schluss kommt, dass typische Fälle meist von geringer 157  BGH

Jan. 13, 1983, 4 NSTZ 217 (1983).

134 F. Deskriptive Befunde der Untersuchung u. Analyse der Strafzumessung

Schwere sind und somit eine Platzierung in der Mitte der Strafrahmen nicht gerechtfertigt sei (s. Albrecht, 2013, S. 233). Demgegenüber wird in China kein solcher Bereich für extrem schuldhafte Fälle vorbehalten, sondern die vorkommenden eher ‚normalen‘ Fälle bis hin zur Höchststrafe verteilt. Neben dieser vollständigen Ausschöpfung der Strafrahmen fällt im Vergleich mit Deutschland die höhere Punitivität der chinesischen Sanktionspraxis ins Auge. Hierzu sei konkret auf die Sanktionierung bei Raub mit Todesfolge verwiesen: In Deutschland wird hier nur sehr selten eine lebenslange Freiheitsstrafe verhängt (1 Fall von 26 Fällen in den Jahren 2004 und 2007), die zeitigen Freiheitsstrafen haben ein mittlere Dauer von 6,6 Jahren.158 In China wurde dagegen in 47 % der 34 Fälle die Todesstrafe und in 21 % eine lebenslange Freiheitsstrafe verhängt. Die mittlere Dauer der anderen Freiheitsstrafen betrug 11,2 Jahre. Ganz allgemein differiert die chinesische Sanktionspraxis von der deutschen u. a. in der Häufigkeit mit der die Höchststrafe verhängt wird. Während dies in Deutschland nur in einigen wenigen Extremfällen geschieht, wird in China die Todesstrafe bei einem substantiellen Anteil der Delikte verhängt (~ 6 % Todesstrafe bei schwerem Raub). Es sind deutliche regionale Unterschiede in der Verteilung der Sanktionen festzustellen. Bezüglich der im Urteil erwähnten Tatumstände und Eigenschaften des Täters ist festzustellen, dass das Spektrum der im Urteil erörterten Tatumstände in China noch eingeschränkter ausfällt als dies in Deutschland der Fall ist. Insbesondere fehlen in China Erörterungen, die die Persönlichkeit des Täters in seiner Entwicklung würdigen, wie Prognose, Alkoholeinfluss, Sozialisation, kriminelle Energie (soweit sie sich nicht in der Gewaltanwendung ausdrückt) und Motivation. Allerdings haben alle diese Erörterungen in Deutschland nur geringen Einfluss auf die ausgesprochene Sanktion.

II. Analyse der Strafzumessungspraxis 1. Raubdelikte a) Die Wahl des Strafrahmens bei Raub Abbildung 28 zeigt die Wahl des Strafrahmens in Abhängigkeit von der Anzahl der erwähnten Tatumstände. Bei bis zu drei Tatumständen dominiert die Freiheitstrafe von 3 bis 10 Jahren. Bei sieben oder acht Tatumständen wird die Todesstrafe verhängt. In dem Zwischenbereich von vier bis sechs 158  Berechnungen

2013).

anhand der Daten der Legalbewährungsstudie (Jehle et  al.,



II. Analyse der Strafzumessungspraxis135

3-10 Jahre

Anzahl Fälle

80

10 - 15 Jahre Lebenslang

60

Todesstrafe

40 20 0

0

1 2 3 4 5 6 7 Anzahl strafschärfender – strafmildernder Tatumstände

Abbildung 28: Auswahl der Strafrahmen in Abhängigkeit von den Tatumständen bei Raub

8



Tatumständen dominiert zwar die 10- bis 15-jährige Freiheitsstrafe, aber auch die drei anderen Strafrahmen werden genutzt. Allein die Anzahl der Tatumstände (abzüglich des Tatumstands der Jugend) schein somit die Wahl des Strafrahmens einigermaßen zu differenzieren.159 Es stellt sich hier die Frage, ob ein Modell, das die verschiedenen Tatumstände mit unterschiedlichem Gewicht berücksichtig in dem oben genannten Zwischenbereich eine bessere Differenzierung ermöglicht. Deshalb wurden die Verwendungen der gesetzlichen Strafrahmen mit Hilfe einer geordneten logistischen Regression160 analysiert. 159  Eine geordnete logistische Regression (s. im Folgenden) erreicht allein mit der unabhängigen „Anzahl der Tatumstände (minus Jugend)“ ein brauchbaren Pseudo­R2-Wert von 0,45. 160  Eine geordnete logistische Regression ist eine Erweiterung der ‚einfachen‘ logistischen Regression, die sich auf zwei diskrete Zustände bezieht. D. h. die abhängige Variable, hier der Strafrahmen, kann mehrere (diskrete) Ausprägungen annehmen. Vorausgesetzt wird dabei, dass diese Ausprägungen entlang einer Skala (im Sinne von größer und kleiner) geordnet werden können. Dies ist hier der Fall, da die Strafrahmen entlang der Schwere der Strafe von kürzeren zu längeren Freiheitsstrafen über die lebenslange Freiheitsstrafe bis zur Todesstrafe sinnvoll geordnet sind. Bei dieser Ordnung muss nur angegeben werden, ob ein Merkmal ‚größer oder kleiner‘ als ein anderes Merkmal ist, nicht aber, um wie viel größer oder kleiner es genau ist. Eine solche genauere Einordnung ist u. a. das Ergebnis der geordneten logistischen Regression (die Schwellenwerte). Weiter wird bei der geordneten logistischen Regres-

136 F. Deskriptive Befunde der Untersuchung u. Analyse der Strafzumessung

Bei den Raubdelikten (s. Tabelle 18) erreicht schon das erste Modell, in das nur die im Urteil erwähnten Tatumstände eingehen, eine hohe Varianzaufklärung. Am gewichtigsten hinsichtlich der Wahl eines schwereren Strafrahmens ist die Todesfolge (+4,7), danach mit entsprechendem Abstand eine schwere Verletzung (+3,1), ein großer Wert (+2,5) und Verletzungen des Opfers (+2,2). Weiter folgen die Anwendung von Gewalt (+1,3) und Bedrohung (+1,2). Das kleinste Gewicht haben Vorstrafen (+0,8), Beteiligung (+0,8) und ein besonderer Tatort (+0,7). Jugendliche Täter erhalten einen Bonus (–2,8), der in dieser Höhe ungefähr eine schwere Verletzung kompensieren kann.161 Von den im Gesetz aufgeführten Tatumständen, die zwischen der 3–10-jährigen Freiheitsstrafe und den drei andern Strafrahmen (10–15-jährige Freiheitsstrafe, lebenslang und Todesstrafe) differenzieren sollen, haben die Todesfolge, die schwere Verletzung und der große Wert tatsächlich diese ­ Funktion, während dies für den ‚speziellen‘ Tatort nur in geringerem Maße gilt. Insgesamt gesehen überwiegen damit bei der Bestimmung des Strafrahmens Gründe, die der Schuld und Vergeltung zugeordnet werden können, bei weitem Begründungen, die die Perspektive der Resozialisierung aufnehmen (Jugend, Vorstrafen). Erweitert man das Modell um die einzelnen Gerichte (s. Modell 2), so nimmt die Varianzaufklärung noch in einem solchen Maß zu, dass von einer Verbesserung des Models gesprochen werden kann. Es zeigen sich signifikant unterschiedliche lokale Sanktionspraktiken. Leichtere Strafrahmen werden verglichen mit Beijing (Referenzkategorie) und Lanzhou (nicht unterscheidbar von Beijing) in Zhengzhou (–2,2) und Guangzhou (–1,8) gewählt. Nanjing (–1,4) hält eine Mittelposition.

sion angenommen, dass die Übergänge zwischen den einzelnen Ausprägungen der abhängigen Variable immer in gleicher Weise erfolgen, d. h. immer gleich ‚fließend‘ oder ‚abrupt‘ sind (bezüglich der Veränderungen einer linearen Kombination der unabhängigen Variablen, d. h. hier bezüglich des Einflusses der verschiedenen Tatumstände). Dies trifft hier nicht ganz zu, da, wie im Folgenden zu sehen ist, eine Differenzierung zwischen lebenslanger Freiheitsstrafe und Todesstrafe nur schlecht möglich ist, mithin dieser Übergang sehr fließend ist, während anderseits doch ganz gut zum einen zwischen den beiden zeitigen Freiheitstrafen und zum anderen auch noch zwischen der zeitigen Freiheitsstrafe von 10 bis 15 Jahren einerseits und der lebenslangen Freiheitsstrafe bzw. der Todesstrafe anderseits differenziert werden kann. 161  Dieser starke Einfluss der Jugend des Täters ist vor allem darauf zurückzuführen, dass über Jugendliche keine Todesstrafe verhängt werden darf. Geht es um die Dauer der Strafe, so hat die Jugend des Täters keine so große Bedeutung (s. im Folgenden).



II. Analyse der Strafzumessungspraxis137

Wann das Urteil innerhalb der untersuchten Zeitspanne gefällt wurde, spielt dagegen keine Rolle (s. Modell 3). Sowohl die AIC-Werte als auch die BIC-Werte verschlechtern sich von Modell 2 (AIC 329,9 BIC 393,1) nach Modell 3 (AIC 334,2 BIC 440,9), sodass Modell 3 abzulehnen ist. Es ist auch keine signifikante (lineare) Veränderung in der Wahl der Strafrahmen über diese Zeitspanne festzustellen. Insgesamt gesehen erreicht das Modell eine gute Varianzaufklärung von ungefähr 60 %.162 Tabelle 18 Bestimmung des Strafrahmens bei Raub N: 384 * p