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German Pages 1619 [1620] Year 2013
Schwind/Böhm/Jehle/Laubenthal (Hrsg.) Strafvollzugsgesetz – Bund und Länder de Gruyter Kommentar
Schwind/Böhm/Jehle/Laubenthal (Hrsg.)
Strafvollzugsgesetz – Bund und Länder Kommentar 6., neu bearbeitete Auflage herausgegeben von Hans-Dieter Schwind, Alexander Böhm (†), Jörg-Martin Jehle, Klaus Laubenthal
Stand der Bearbeitung: 1. September 2012 Zitiervorschlag: z.B.: Wieczorek/Schütze/Schütze § 1067 ZPO Rn. 3
ISBN 978-3-11-028579-6 e-ISBN 978-3-11-028570-3 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2013 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Datenkonvertierung und Satz: jürgen ullrich typosatz, Nördlingen Druck und Bindung: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen f Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com
Aufteilung der Kommentierung
Aufteilung der Kommentierung Aufteilung der Kommentierung Aufteilung der Kommentierung Best, Peter
Vor § 71, §§ 71–75
Egg, Rudolf
§§ 9, 123–126
Goldberg, Brigitta
s. Koepsel/Goldberg, Schwind/Goldberg
Grote, Jens
Vor § 129 ff, s. auch Koop/Grote, Schwind/Grote
Jehle, Jörg-Martin
Vor § 1, §§ 1–4, 136–138, 166–177
Keppler, Karlheinz/ Nestler, Nina
§§ 21, 56–66, 92, 101, 158
Koepsel, Klaus
§§ 94–100, 129–134, 152–153, 178
Koepsel, Klaus Goldberg, Brigitta
§ 67
Koop, Gerd/ Grote, Jens
§§ 143–146
Laubenthal, Klaus
§§ 17–20, 22, 37–52, 93, 102–122, 148–150, 188–202
Lindner, Tina-Angela
§§ 8, 10, 147
Maelicke, Bernd
§§ 139–140
Nestler, Nina
s. Keppler/Nestler
Pfalzer, Stephanie
s. Wydra/Pfalzer
Schäfer, Karl Heinrich
§§ 53–55, 157
Schmid, Gabriele
§§ 179–187
Schwind, Hans-Dieter
§§ 23–33
Schwind, Hans-Dieter/ Goldberg, Brigitta
§§ 68–70
Schwind, Hans-Dieter/ Grote, Jens
§§ 88–91
Steinhilper, Monica
§§ 76–80, 135, 142, 151
Ullenbruch, Thomas
§§ 11–16, 35–36, 81–87
V
Aufteilung der Kommentierung
Wirth, Wolfgang
§ 141
Wischka, Bernd
§§ 5–7
Wydra, Bernhard/ Pfalzer, Stephanie
§§ 154–156, 159–165
Redaktion:
Dr. Tanja Köhler
VI
Verzeichnis der Autoren
Verzeichnis der Autoren Verzeichnis der Autoren Verzeichnis der Autoren Best, Peter (1944), Dr. rer. pol., bis 2005: Niedersächsische Staatskanzlei, Europaabteilung, bis 1999 Referatsleiter im Niedersächsischen Justizministerium; zuvor stellvertretender Leiter einer Jugendvollzugsanstalt und Staatsanwalt. 1996–2001 gewähltes Mitglied im „Council for Penological Co-operation“, Europarat; seit 2006 EU-Rechtsexperte und Lehrbeauftragter an der Leibniz Universität Hannover für European Studies, Kriminalpolitik und Strafvollzug. Böhm, Alexander† (1929–2006), Dr. jur., Universitätsprofessor für Kriminologie, Strafrecht und Strafvollzug an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz (seit 1974). Zuvor (seit 1957) im höheren Strafvollzugsdienst des Landes Hessen. Von 1960 bis 1974 Leiter der Jugendstrafanstalt Rockenberg und des H B. Wagnitzseminars (Ausbildungsstätte für die Bediensteten des hessischen Strafvollzugs), Rockenberg. 1977 bis 1979 Vorsitzender der vom Bundesjustizminister einberufenen „Jugendstrafvollzugskommission“. 1974 bis 1999 im Landesbeirat für Kriminologie und Strafvollzug beim rheinland-pfälzischen Ministerium der Justiz. 1988 bis 1994 Richter am Oberlandesgericht Zweibrücken (Strafsenat) im zweiten Hauptamt. Veröffentlichungen zum Jugendstrafrecht und Strafvollzug. Egg, Rudolf (1948), Dr. phil., Dipl. Psych., apl. Professor für Psychologie an der Friedrich-AlexanderUniversität Erlangen-Nürnberg (seit 1990); Fachpsychologe für Rechtspsychologie (seit 2005); seit 1997 Direktor der Kriminologischen Zentralstelle Wiesbaden; 2004–2010 Vorstandsvorsitzender des Deutschen Forums für Kriminalprävention; Arbeitsschwerpunkte und Veröffentlichungen: Kriminal- und Rechtspsychologie, insbesondere Sexual- und Gewaltdelikte, forensisch-psychologische Begutachtung, Methoden der Straftäterbehandlung. Goldberg, Brigitta (1966), Prof. Dr. jur. Dipl. Soz.-Arb., Professorin für Jugendhilferecht, (Jugend-)Strafrecht und Kriminologie an der Evangelischen Fachhochschule Rheinland-Westfalen-Lippe in Bochum (seit 2007). Zuvor (2006–2007) Professorin an der Fachhochschule Kiel und Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Kriminologie der Ruhr-Universität Bochum (von 1999–2002 bei Prof. Dr. Hans-Dieter Schwind, von 2002–2006 bei Prof. Dr. Thomas Feltes). Arbeitsschwerpunkte und Veröffentlichungen zu: Jugendkriminalität, Jugendhilfe im Strafverfahren, Soziale Arbeit im Strafvollzug, Kinderschutz. Grote, Jens (1968), Ministerialrat, seit 2010 Leiter des Referats „Recht des Justizvollzuges“ im Niedersächsischen Justizministerium, Hannover; zuvor Rechtsanwalt, Richter beim Amtsgericht Lehrte und beim Landgericht Hannover, Staatsanwalt und Oberstaatsanwalt bei der Staatsanwaltschaft Hannover und bei der Generalstaatsanwaltschaft Celle, Referent im Referat „Strafprozessrecht, Organisierte Kriminalität, Terrorismus“ und nachfolgend Leiter des Referates „Korruptions-, Wirtschafts- und Umweltstrafrecht“ im Niedersächsischen Justizministeriums, Hannover; von 2009 bis 2010 stellvertretender Leiter der JVA Sehnde; 2010 Leiter der Länderarbeitsgruppe, die im Auftrag der Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister einen Kriterienkatalog für die Neuausrichtung des VII
Verzeichnis der Autoren
Vollzugs der Sicherungsverwahrung erarbeitet hat; 2011 bis 2012 neben NRW Leiter der Länderarbeitsgruppe, die im Auftrag der Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister gesetzliche Grundlagen zur Neuregelung des Vollzugs der Sicherungsverwahrung erarbeitet hat. Jehle, Jörg-Martin (1949), Prof. Dr. jur. Dr. h.c., Geschäftsführender Direktor des Instituts für Kriminalwissenschaften der Juristischen Fakultät der Georg-August-Universität Göttingen und Leiter der Abteilung für Kriminologie, Strafvollzug und Jugendstrafrecht (seit 1996). Zuvor (1986–1997) Direktor der Kriminologischen Zentralstelle Wiesbaden. 1990–2011 Vorstandsmitglied der Kriminologischen Gesellschaft (Präsident 1997–1999). Mitglied verschiedener Expertengruppen auf europäischer Ebene. Arbeitsschwerpunkte und Veröffentlichungen zu: Rückfallforschung, Strafrechtliche Sanktionen und Strafzumessung; Kriminalprävention und Kriminalstatistik; Untersuchungshaft, Straf- und Maßregelvollzug; Strafrechtspflege im Europäischen Vergleich. Keppler, Karlheinz (1951), Dr. med., M.A., Medizinaldirektor, seit 1991 Leiter Ärztlicher Dienst JVA f. Frauen Vechta; klinische Tätigkeit in den Fächern Innere Medizin, Chirurgie, Frauenheilkunde und Geburtshilfe; Veröffentlichungen mit den Schwerpunkten Sucht, Drogen, Infektionskrankheiten, Prophylaxe, Gesundheitsförderung; Mitherausgeber Keppler/Stöver: Gefängnismedizin – Stuttgart 2009; seit 1992 Mitarbeit bei Fort- und Weiterbildung der Justizvollzugsbediensteten in Deutschland; seit 1996 Moderator des Qualitätszirkels der Gefängnisärzte in den Ländern Niedersachsen, Bremen und Schleswig-Holstein. Koepsel, Klaus (1936), Dr. jur., Präsident des Justizvollzugsamts Rheinland (1992–2001); von 1966–2001 im Strafvollzug Nordrhein-Westfalens: 1968–1992 überwiegend als Anstaltsleiter und zwar in den Anstalten Attendorn, Castrop-Rauxel, Hagen und Werl; 1975–1977 Referent für Aus- und Fortbildung der Bediensteten im nordrhein-westfälischen Justizministerium; 1978–1984 nebenamtlich Lehrbeauftragter für Kriminologie an der Fachhochschule für Rechtspflege in Bad Münstereifel; 1982–1984 Leiter der Justizvollzugsschule NordrheinWestfalen; 1987–1992 nebenamtlich Lehrbeauftragter für Strafvollzugsrecht und Kriminologie an der Universität Bielefeld; 1988–2001 nebenamtlich Prüfer für Strafrecht und Kriminologie im ersten Juristischen Staatsexamen. Ab 1999 Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats für den Justizvollzug des Landes Brandenburg. Veröffentlichungen: offener Vollzug, Diagnostik im Einweisungsverfahren, Probleme psychisch kranker Rechtsbrecher, Sicherungsverwahrung. Koop, Gerd (1952), Sozialarbeiter (grad.), Diplom-Pädagoge, Leitender Sozialdirektor, Managementtrainer, von 1976–1991 Tätigkeiten in den Justizvollzugsanstalten Vechta, Vechta Frauen, Lingen; 1987 Niedersächsisches Justizministerium Hannover; von 1989–1992 Fachberater für Suchtfragen des Niedersächsischen Justizministeriums; seit 1991 Leiter der Justizvollzugsanstalt Oldenburg: seit 2000 im Vorstand der Vereinigung der Leiterinnen und Leiter von Justizeinrichtungen in Niedersachsen; seit 2003 im Vorstand und seit 2009 Vorsitzender des Präventionsrates Oldenburg; seit 1982 Mitherausgeber der Fachzeitschrift „Kriminalpädagogische Praxis“, seit 2008 Redaktionsmitglied der Fachzeitschrift Forum Strafvollzug. Arbeitsschwerpunkte und Veröffentlichungen: Sucht, Untersuchungshaft, Organisations- und Personalentwicklung, Führung, neue Steuerungsinstrumente. VIII
Verzeichnis der Autoren
Laubenthal, Klaus (1954), Dr. iur. utr., Professor für Kriminologie und Strafrecht an der Julius-MaximiliansUniversität Würzburg; Richter am Oberlandesgericht Bamberg. Arbeitsschwerpunkte und Veröffentlichungen u. a.: Straftaten gegen die Person, Strafvollzugsrecht, Jugendstrafrecht. Lindner, Tina-Angela (1972), Dr. jur., derzeit Richterin am Amtsgericht Hannover, davor Referatsleiterin (Ministerialrätin) im Niedersächsischen Innenministerium in den Bereichen Personal und allgemeine Rechtsangelegenheiten, Vorsitzende der Niedersächsischen Härtefallkommission, Leiterin des Referats „Recht des Vollzugs“ im Niedersächsischen Justizministerium, Leiterin der Justizvollzugsanstalt Hahnöfersand für Jugend- und Frauenvollzug der Stadt Hamburg, Richterin am Amtsgericht Hamburg. Maelicke, Bernd (1941), Dr. jur., Ministerialdirigent a.D.; Honorarprofessor an der Leuphana-Universität Lüneburg; 1987–1990 Direktor des Instituts für Sozialarbeit und Sozialpädagogik (ISS), Frankfurt; 1990–2005 Abteilungsleiter Strafvollzug, Soziale Dienste und Gnadenwesen im Justizministerium Schleswig-Holstein; Schriftleiter „Forum Strafvollzug“; Vorsitzender div. Fachkommissionen und Fachverbände; Leiter div. nationaler und internationaler Innovationsprojekte; Arbeitsschwerpunkte: Vollzugsmanagement und Integrierte Resozialisierung. Nestler, Nina (1982) Dr. iur., Wissenschaftliche Assistentin am Lehrstuhl für Kriminologie und Strafrecht bei Prof. Dr. Klaus Laubenthal an der Julius-Maximilians Universität Würzburg. Habilitation für die Fächer Strafrecht, Strafprozessrecht, europäisches und internationales Strafrecht, Wirtschaftsstrafrecht und Kriminologie. Forschungs- und Tätigkeitsschwerpunkte unter anderem im Strafvollstreckungs- und Strafvollzugsrecht. Pfalzer, Stephanie LL.M.; Studium der Rechtswissenschaften und Rechtsphilosophie in Augsburg und Edinburgh, Referendariat in München und Brüssel; 2004–2007 Mitglied im Leitungsteam der JVA Straubing; 2007–2011 Leiterin des Referats Einstellungs- und Prüfungswesen der Bayerischen Justizvollzugsschule; seit 2011 Mitglied im Leitungsteam der JVA München. Lehrbeauftragte an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung und Rechtspflege in Bayern, seit 2007 Redakteurin der Zeitschrift Forum Strafvollzug; Veröffentlichungen in den Bereichen Straf-, Strafprozess- und Strafvollzugsrecht Schäfer, Karl Heinrich (1947) Prof. Dr. iur; 1973–1975 Richter; 1975–2002 Justizvollzug Hessen (u.a. Leiter der Justizvollzugsanstalten Schwalmstadt und Butzbach; stellvertretender Abteilungsleiter Hessisches Ministerium der Justiz); 2002–2012 Senatsvorsitzender und Abteilungsleiter beim Hessischen Rechnungshof; Honorarprofessor (Strafvollzug, Straffälligenhilfe) an der Evangelischen Hochschule Darmstadt; 1994–2010 Präses der Kirchensynode der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau; seit 2003 Mitglied der EKD-Synode; seit 2008 Vorsitzender der Evangelischen Konferenz für Straffälligenhilfe; zahlreiche Veröffentlichungen zu: Öffentlichkeit und Justizvollzug; Anstaltsbeiräte und parlamentarische Kontrolle; Organisation und Gestaltung des Justizvollzugs; Verhältnis von Staat
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Verzeichnis der Autoren
und Kirche am Beispiel Gefängnisseelsorge; Ehrenamt und Verantwortung in der Kirche; Organisation und Leitung in der Kirche. Schmid, Gabriele (1962), Ministerialrätin, Referentin in der Abteilung Aus- und Fortbildung, Therapieunterbringungsgesetz, Internationale Zusammenarbeit im Ministerium der Justiz und für Verbraucherschutz Rheinland-Pfalz; 1993 bis 2010 diverse Referatstätigkeiten in der Abteilung für öffentliches Recht, Verfassungs- und Europarecht und in der Abteilung Strafvollzug, davor tätig in den Justizvollzugsanstalten Diez und Zweibrücken. Schwind, Hans-Dieter (1936), Dr. jur., Universitätsprofessor (em.) für Kriminologie, Strafvollzug und Kriminalpolitik an der Ruhr-Universität Bochum (1974–2001), Niedersächsischer Minister der Justiz (1978–1982); 1981 Vorsitzender der Konferenz der Justizminister und -senatoren. 1984–1989 Präsident der Deutschen Kriminologischen Gesellschaft. 1987–1990 Vorsitzender der (Anti-)Gewaltkommission der Bundesregierung. Seit 1997 Honorarprofessor an der Universität Osnabrück. Seit 2002 Vorstandsmitglied des WEISSEN RINGES (Vorsitzender des Fachbeirats „Kriminalitätsvorbeugung“). Veröffentlichungen: u. a. zu Dunkelfeldforschung, Kriminalgeographie, Gewaltkriminalität, Strafvollzug, Entlassenenhilfe und Kriminalpolitik. Steinhilper, Monica (1952), Dr. phil., Ministerialdirigentin, Leiterin der Abteilung „Justizvollzug“ im Niedersächsischen Justizministerium, Hannover; von 1988–1990 Mitglied der „Unabhängigen Regierungskommission zur Verhinderung und Bekämpfung von Gewalt“ (Gewaltkommission); diverse Referatsleitungen, u. a. Frauenvollzug, Sozialtherapie, Personal, Ausund Fortbildung, Organisation; Veröffentlichungsschwerpunkte: Personal- und Organisationsentwicklung im Justizvollzug, neue Steuerungsinstrumente. Ullenbruch, Thomas (1957), Richter am Amtsgericht (Regierungsdirektor a.D.); Strafrichter am Amtsgericht Emmendingen (bei Freiburg i.Br.), zuvor als Staatsanwalt und 15 Jahre im Strafvollzug tätig (u. a. als Leiter der Abteilung für Sicherungsverwahrte in der JVA Freiburg, als Leiter der Langstrafenanstalt Waldheim und als Leiter des Referats für vollzugliche Grundsatzangelegenheiten im Sächsischen Staatsministerium der Justiz in Dresden); Mitverfasser des „Münchener Kommentars zum StGB“ und des „Radtke/Hohmann“, Kommentar zur StPO; Mitherausgeber der „Neuen Zeitschrift für Strafrecht“ (NStZ); 2.Vorsitzender der „Bundesvereinigung der Anstaltsleiter im Strafvollzug“ (BVASt); Veröffentlichungsschwerpunkte: (nachträgliche) Sicherungsverwahrung sowie Strafvollzug in Europa und in den Vereinigten Staaten von Amerika. Wirth, Wolfgang (1954), Diplom-Soziologe, Regierungsdirektor und Leiter der Arbeitsgruppe Kriminologischer Dienst des Justizministeriums des Landes Nordrhein-Westfalen; zuvor wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Fakultät für Soziologie, anschließend am Institut für Bevölkerungsforschung und Sozialpolitik sowie schließlich am Zentrum für interdisziplinäre Forschung der Universität Bielefeld. Koordinator diverser internationaler Forschungsgruppen und Projektverbünde; Redaktionsmitglied der Zeitschrift „Bewährungshilfe: Soziales – Strafrecht – Kriminalpolitik“. Arbeitsschwerpunkte und zahlreiche
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Verzeichnis der Autoren
Veröffentlichungen in den Bereichen: Sozialpolitik und Soziale Dienste, Evaluationsforschung, Kriminologie und Kriminalpolitik und Strafvollzug. Wischka, Bernd (1952), Diplom-Psychologe, Psychologischer Psychotherapeut, Psychologiedirektor, Leiter der Sozialtherapeutischen Abteilung bei der JVA Lingen; Vorstandsmitglied im „Arbeitskreis Sozialtherapeutische Anstalten e.V.“, Mitherausgeber der Zeitschrift „Kriminalpädagogische Praxis“; Koordinator für die sozialtherapeutischen Einrichtungen im niedersächsischen Justizvollzug. Arbeitsschwerpunkte und Veröffentlichungen: Sozialtherapie, Behandlung von Sexualstraftätern, Behandlungsforschung im Justizvollzug, Fortbildung. Wydra, Bernhard (1938–2009), Jurist und Diplom-Psychologe; Leitender Regierungsdirektor a. D., von 1968 bis 2003 im Strafvollzug tätig in den Anstalten München, Straubing, Bamberg und Kronach, zuletzt Leiter der Bayerischen Justizvollzugsschule (1985–2003). Vielfältige Kontakte auch zu ausländischen Vollzugsschulen; mehrfache Mitarbeit beim Europarat, zuletzt im Rahmen von Projekten in Albanien und in der Türkei als Experte für Aus- und Fortbildung des Vollzugspersonals.
XI
Verzeichnis der Autoren
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Vorwort zur sechsten Auflage
Vorwort zur sechsten Auflage Vorwort zur sechsten Auflage Vorwort zur sechsten Auflage Nach einer langen Vorgeschichte war vor dreieinhalb Jahrzehnten mit dem Strafvollzugsgesetz des Bundes endlich eine einheitliche gesetzliche Grundlage des Strafvollzugs geschaffen worden. In der Folge haben das Bundesgesetz und die bundeseinheitlich vereinbarten Verwaltungsvorschriften sowie die dazu ergangene Judikatur ein sicheres Fundament hergestellt, auf der sich eine bewährte Vollzugspraxis entfalten konnte. Die Föderalismusreform des Jahres 2006 hat die Gesetzesgebungskompetenz den Bundesländern zugewiesen, was sachlich vollkommen unnötig war und infolge der daraus resultierenden Unterschiede zwischen den Ländern zu einer neuen Unübersichtlichkeit des Vollzugsrechts führt. Gleichwohl handelt es sich eher um eine formale Zäsur, welche die materielle Kontinuität des Strafvollzugsrechts nicht zerstört. Die inzwischen (Stand: Januar 2013) in fünf Bundesländern in Kraft getretenen Landesgesetze und der von zehn Bundesländern erarbeitete Musterentwurf zeugen davon, dass es bei den Prinzipien und Zielen, Strukturen und Methoden bleibt, die das Strafvollzugsgesetz modellhaft festgelegt hat. Soweit die Landesgesetze Besonderheiten aufweisen, handelt es sich weniger um grundsätzliche Abweichungen, vielmehr im Wesentlichen eher um Unterschiede in der Gesetzestechnik, um Gewichtungsunterschiede im Verhältnis der Sicherungsaufgabe zum Wiedereingliederungsziel, um strukturelle Aspekte und Detailfragen. Indessen sind diese Unterschiede auch auf der Folie des StVollzG zu interpretieren. Deshalb ist es nach wie vor sachlich geboten, das Bundesgesetz als zentralen Bezugspunkt auch für die Kommentierung der Landesgesetze zu nehmen. Bereits in der fünften Auflage musste die Konzeption des Kommentars durch Einarbeitung der Landesvollzugsgesetze von Bayern, Hamburg und Niedersachsen abgeändert werden. Für die vorliegende sechste Auflage sind die Landesgesetze um BadenWürttemberg und Hessen sowie um den Musterentwurf vom 23.8.2011 ergänzt worden. Die Landesvollzugsgesetze und der Musterentwurf sind in der Weise eingearbeitet, dass nach der Kommentierung jedes Paragraphen des StVollzG ein zusätzlicher Abschnitt „Landesgesetze und Musterentwurf“ angefügt ist. Dort wird auf Übereinstimmungen mit bzw. Abweichungen von dem StVollzG aufmerksam gemacht sowie – soweit angebracht – aus den Gesetzesbegründungen zu den Landesgesetzen oder der Entwurfsbegründung zitiert. Darüber hinaus werden in der Kommentierung des StVollzG Ländervorschriften angesprochen, wenn diese für das Verständnis und die Auslegung der Bundesregelung von Bedeutung sind. Damit die Leser im jeweiligen Bundesland davon Gebrauch machen können, sind am Ende des Bandes die Landesgesetze sowie der Musterentwurf abgedruckt, wobei jede Vorschrift mit einem Verweis auf die entsprechende Kommentierung im StVollzG versehen ist. Das grundlegende Verständnis der Herausgeber ist indessen seit der ersten Auflage gleichgeblieben: Es handelt sich um einen Kommentar von Praktikern für Praktiker, der zugleich für sich in Anspruch nimmt, die Auseinandersetzung mit Rechtsprechung und wissenschaftlichen Auffassungen angemessen zu führen. Dies drückt sich in der Zusammensetzung der Autoren und Herausgeber aus, auch wenn seit der letzen Auflage einige Veränderungen eingetreten sind: Bernd Wydra ist verstorben; aus beruflichen oder Altersgründen standen Karlheinz Keppler, Gerd Koop und Bernd Maelicke nicht mehr zur Verfügung. Neu gewonnen werden konnten Brigitta Goldberg, Jens Grote, Nina Nestler und Stephanie Pfalzer. Die Bearbeitung bringt den Kommentar auf den neuesten Stand (Dezember 2012). Neben den erwähnten Landesgesetzen wurden die seit der letzten Auflage veröffentlichte Rechtsprechung und Literatur sowie Forschung und Statistiken berücksichtigt.
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Vorwort zur sechsten Auflage
Für die gute Zusammenarbeit bei diesem Unterfangen bedanken wir uns bei allen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen dieses Bandes sowie nicht zuletzt bei Herrn Jan Schmidt vom de Gruyter Verlag. Besonderen Dank schulden wir Frau Dr. Tanja Köhler für die reibungslose Organisation der Redaktionsarbeit. Bei den redaktionellen Arbeiten, namentlich beim Korrekturlesen und der Erstellung der Verzeichnisse, haben uns tatkräftig unterstützt: Frau PD Dr. Nina Nestler, Frau Ass. jur. Sabine Gröne, Herr Dipl. jur. Tim Krause, Frau Dipl. jur. Daniela Ruderich, Frau Dipl. jur. Nora Vick sowie die stud. iur. Lorenz Bode, Teresa Frank, Patrick Fresow, Laura Paczesny und Katharina Steinmeyer. Schließlich möchten wir an dieser Stelle betonen, dass wir uns über eine ganze Reihe freundlicher Rezensionen zu den Vorauflagen gefreut haben, und hoffen, dass sich dieser Großkommentar weiterhin als hilfreich erweist. Osnabrück, Göttingen, Würzburg, im Januar 2013
Hans-Dieter Schwind Jörg-Martin Jehle Klaus Laubenthal
XIV
Vorwort zur ersten Auflage
Vorwort zur ersten Auflage Vorwort zur ersten Auflage Vorwort zur ersten Auflage Das Strafvollzugsgesetz (StVollzG) ist vor nunmehr sechs Jahren (am 1.1.1977) in Kraft getreten. Zahlreiche Verbesserungen der Vollzugssituation sind seither in den Bundesländern erreicht worden. Gleichwohl darf nicht verkannt werden, daß viele Erwartungen enttäuscht worden sind: insbesondere derjenigen, die eine weit raschere Verwirklichung der Reform des Vollzuges vom Verwahrvollzug zum Behandlungsvollzug erhofft hatten. Ein Vollzug, wie ihn das Strafvollzugsgesetz anstrebt, kann aber schon der erforderlichen erheblichen finanziellen Mittel wegen nicht von heute auf morgen erreicht werden. Die beträchtlichen Anstrengungen zur Verwirklichung des Reformgedankens können sich weithin nur deshalb nicht erwartungsgemäß auswirken, weil die Gefangenenzahlen von Jahr zu Jahr steigen und dem Vollzug damit zusätzliche Belastungen bringen. In einer erheblich überbelegten Justizvollzugsanstalt wird der vom Strafvollzugsgesetz postulierte Behandlungsvollzug schon durch die räumliche Enge erschwert. Hinzu treten Personalprobleme. Der Behandlungsvollzug erfordert naturgemäß eine größere Zahl von Mitarbeitern als sie der Verwahrvollzug hatte; notwendig ist vor allem die Verstärkung der Fachdienste (Psychologen, Werkbeamte, Sozialarbeiter usw.), die inzwischen wesentlich vorangetrieben wurde. Allerdings stellen sich nun Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit zwischen dem allgemeinen Vollzugsdienst und den Fachdiensten ein, sie bleiben auch zwischen den erfahrenen älteren und den noch unerfahrenen jüngeren Mitarbeitern nicht aus (Rollenkonflikte, Zielkonflikte, Generationsprobleme usw.). Diese, wie viele andere Schwierigkeiten, die zum Alltag des heutigen Vollzuges gehören, werden oft – insbesondere von Außenstehenden – nicht erkannt. Auch mancher Vollzugswissenschaftler übersieht sie in seiner verständlichen Reformungeduld. Ohne Berücksichtigung derartiger Hintergrundinformationen aus der Vollzugspraxis erscheint indessen eine Kommentierung der Strafvollzugsvorschriften gewagt, da die Gefahr unrealistischer Entscheidungen gegeben ist. Die rechtlichen Probleme des Vollzuges und deren Auswirkungen in der Praxis sind realistisch nur für denjenigen zu ermessen, der im Vollzug oder seiner Verwaltung selbst tätig war oder ist. Ziel dieses Kommentars war die praxisnahe Darstellung durch ein Team von Praktikern, die im Vollzug Verantwortung tragen oder wenigstens für einige Jahre getragen haben. Die Herausgeber stellen mit Zufriedenheit fest, daß es gelungen ist, namhafte Vollzugsexperten für die Bearbeitung zu gewinnen. Unter ihnen befinden sich allein acht amtierende bzw. ehemalige Anstaltsleiter, so daß wohl von einem Praktikerkommentar gesprochen werden darf. Anliegen aller Mitarbeiter des Werkes war es, die Vorschriften des Strafvollzugsgesetzes vor dem Hintergrund der Realitäten des Vollzuges zu erläutern und auch einschlägige Informationen über die Situation der Praxis in die Erörterungen einzubringen. Diese werden als Allgemeine Hinweise jeweils unter I der eigentlichen Kommentierung (II) vorangestellt. Zur weiteren Förderung des Verständnisses werden am Schluß der Kommentierung zahlreicher zentraler Vorschriften typische Beispiele aus dem Vollzugsalltag angeführt (III). Dabei wurde der Begriff des Beispiels bewußt weit gefaßt verstanden, etwa auch zur Vermittlung von Zusatzinformationen über die ärztliche Sprechstunde u. dgl. Jeweils anschließend an den Gesetzestext sind (deutlich durch Kursivdruck hervorgehoben) die Verwaltungsvorschriften (VV) abgedruckt. Zu Einzelfragen des Strafvollzugsgesetzes gibt es teilweise sehr umfangreiches Schrifttum, das nicht vollständig dokumentiert ist. Um den Kommentar übersichtlich und für den Praktiker gut lesbar und leicht benutzbar zu gestalten, wurden nur grund-
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Vorwort zur ersten Auflage
sätzliche oder praxiserhebliche Veröffentlichungen erfaßt.1 Unter Gesichtpunkten der Praxis wurde der Kommentierung auch solcher Vorschriften breiter Raum eingeräumt, die in anderen Werken weniger ausführlich behandelt werden, die aber für den modernen Strafvollzug von Bedeutung sind; so etwa die Vorschriften zum ärztlichen Dienst (§§ 21, 56–66, 92, 158, sowie § 101), über die Seelsorge (§§ 53–55), die Entlassenenhilfe (§§ 74, 75) und zur kriminologischen Vollzugsforschung (§ 166), die nicht nur dem Praktiker des Vollzuges, sondern auch dem verantwortlichen Politiker (Ressortminister) die Rückmeldung über Erfolg oder Mißerfolg der investierten Mittel bringen kann. Rechtsprechung und Literatur sind bis einschließlich Januar 1983 berücksichtigt. Hannover/Bochum und Mainz, im Februar 1983
Hans-Dieter Schwind Alexander Böhm
_____ 1
Nach den Vorgaben des Verlages wurde das Schrifttum wie folgt zitiert: a) Häufig zitierte Veröffentlichungen (z. B. andere Kommentare) sind bei der Kommentierung in Kurzform angegeben; die vollständigen bibliographischen Angaben finden sich im Abkürzungsverzeichnis (s. XVII–XXIII). b) Literatur, die in der Kommentierung einer Vorschrift mehrfach zitiert wird, ist im Text in Kurzform zitiert; die vollständigen bibliographischen Angaben sind in der der Kommentierung vorangestellten Schrifttums-Übersicht angeführt. c) selten zitierte Literatur wird bei der jeweiligen Vorschrift mit vollständigen bibliographischen Angaben angeführt. d) Im Text nicht zitierte, aber gleichwohl im Zusammenhang mit einer Vorschrift bedeutsame Literatur wurde der jeweiligen Texterläuterung vorangestellt (vgl. z. B. Schrifttum vor §§ 37 ff).
XVI
Inhalt
Inhalt Inhalt ERSTER ABSCHNITT Anwendungsbereich Inhalt Vorbemerkung ______ 39 § 1 [Anwendungsbereich] ______ 46 Inhalt ZWEITER ABSCHNITT Vollzug der Freiheitsstrafe ERSTER TITEL Grundsätze § 2 Aufgaben des Vollzuges ______ 55 § 3 Gestaltung des Vollzuges ______ 73 § 4 Stellung des Gefangenen ______ 84 ZWEITER TITEL Planung des Vollzuges § 5 Aufnahmeverfahren ______ 102 § 6 Behandlungsuntersuchung, Beteiligung des Gefangenen ______ 111 § 7 Vollzugsplan ______ 138 § 8 Verlegung, Überstellung ______ 158 § 9 Verlegung in eine sozialtherapeutische Anstalt ______ 167 § 10 Offener und geschlossener Vollzug ______ 193 § 11 Lockerungen des Vollzuges ______ 206 § 12 Ausführung aus besonderen Gründen ______ 248 § 13 Urlaub aus der Haft ______ 250 § 14 Weisungen, Aufhebung von Lockerungen und Urlaub ______ 277 § 15 Entlassungsvorbereitung ______ 298 § 16 Entlassungszeitpunkt ______ 305 DRITTER TITEL Unterbringung und Ernährung des Gefangenen § 17 Unterbringung während der Arbeit und Freizeit ______ 311 § 18 Unterbringung während der Ruhezeit ______ 317 § 19 Ausstattung des Haftraumes durch den Gefangenen und sein persönlicher Besitz ______ 323 § 20 Kleidung ______ 329 § 21 Anstaltsverpflegung ______ 333 § 22 Einkauf ______ 337 VIERTER TITEL Besuche, Schriftwechsel sowie Urlaub, Ausgang und Ausführung aus besonderem Anlass Vorbemerkung ______ 343 § 23 Grundsatz ______ 344 § 24 Recht auf Besuch ______ 348 § 25 Besuchsverbot ______ 359 XVII
Inhalt
§ 26 Besuche von Verteidigern, Rechtsanwälten und Notaren ______ 364 § 27 Überwachung der Besuche ______ 369 § 28 Recht auf Schriftwechsel ______ 379 § 29 Überwachung des Schriftwechsels ______ 384 § 30 Weiterleitung von Schreiben. Aufbewahrung ______ 394 § 31 Anhalten von Schreiben ______ 396 § 32 Ferngespräche und Telegramme ______ 405 § 33 Pakete ______ 411 § 34 (aufgehoben) ______ 420 § 35 Urlaub, Ausgang und Ausführung aus wichtigem Anlass ______ 421 § 36 Gerichtliche Termine ______ 429 FÜNFTER TITEL Arbeit, Ausbildung und Weiterbildung Vorbemerkungen ______ 436 § 37 Zuweisung ______ 438 § 38 Unterricht ______ 452 § 39 Freies Beschäftigungsverhältnis, Selbstbeschäftigung ______ 458 § 40 Abschlusszeugnis ______ 467 § 41 Arbeitspflicht ______ 468 § 42 Freistellung von der Arbeitspflicht ______ 476 § 43 Arbeitsentgelt, Arbeitsurlaub und Anrechnung der Freistellung auf den Entlassungszeitpunkt ______ 484 § 44 Ausbildungsbeihilfe ______ 504 § 45 Ausfallentschädigung ______ 508 § 46 Taschengeld ______ 508 § 47 Hausgeld ______ 515 § 48 Rechtsverordnung ______ 520 § 49 Unterhaltsbeitrag ______ 522 § 50 Haftkostenbeitrag ______ 523 § 51 Überbrückungsgeld ______ 532 § 52 Eigengeld ______ 542 SECHSTER TITEL Religionsausübung Vorbemerkungen ______ 547 § 53 Seelsorge ______ 549 § 54 Religiöse Veranstaltungen ______ 557 § 55 Weltanschauungsgemeinschaften ______ 564 SIEBTER TITEL Gesundheitsfürsorge § 56 Allgemeine Regeln ______ 566 § 57 Gesundheitsuntersuchungen, medizinische Vorsorgeleistungen ______ 577 § 58 Krankenbehandlung ______ 582 § 59 Versorgung mit Hilfsmitteln ______ 589 § 60 Krankenbehandlung im Urlaub ______ 592 § 61 Art und Umfang der Leistungen ______ 595 § 62 Zuschüsse zu Zahnersatz und Zahnkronen ______ 597 § 62 a Ruhen der Ansprüche ______ 600 XVIII
Inhalt
§ 63 Ärztliche Behandlung zur sozialen Eingliederung ______ 601 § 64 Aufenthalt im Freien ______ 604 § 65 Verlegung ______ 606 § 66 Benachrichtigung bei Erkrankung oder Todesfall ______ 611 ACHTER TITEL Freizeit § 67 Allgemeines ______ 613 § 68 Zeitungen und Zeitschriften ______ 630 § 69 Hörfunk und Fernsehen ______ 640 § 70 Besitz von Gegenständen für die Freizeitbeschäftigung ______ 651 NEUNTER TITEL Soziale Hilfe Vorbemerkungen ______ 664 § 71 Grundsatz ______ 683 § 72 Hilfe bei der Aufnahme ______ 690 § 73 Hilfe während des Vollzuges ______ 697 § 74 Hilfe zur Entlassung ______ 709 § 75 Entlassungsbeihilfe ______ 731 ZEHNTER TITEL Besondere Vorschriften für den Frauenstrafvollzug Vorbemerkungen ______ 741 § 76 Leistungen bei Schwangerschaft und Mutterschaft ______ 746 § 77 Arznei-, Verband- und Heilmittel ______ 753 § 78 Art, Umfang und Ruhen der Leistungen bei Schwangerschaft und Mutterschaft ______ 754 § 79 Geburtsanzeige ______ 755 § 80 Mütter mit Kindern ______ 755 ELFTER TITEL Sicherheit und Ordnung § 81 Grundsatz ______ 762 § 82 Verhaltensvorschriften ______ 772 § 83 Persönlicher Gewahrsam, Eigengeld ______ 781 § 84 Durchsuchung ______ 795 § 85 Sichere Unterbringung ______ 807 § 86 Erkennungsdienstliche Maßnahmen ______ 812 § 86 a Lichtbilder ______ 817 § 87 Festnahmerecht ______ 819 § 88 Besondere Sicherungsmaßnahmen ______ 822 § 89 Einzelhaft ______ 832 § 90 Fesselung ______ 834 § 91 Anordnung besonderer Sicherungsmaßnahmen ______ 835 § 92 Ärztliche Überwachung ______ 838 § 93 Ersatz von Aufwendungen ______ 840
XIX
Inhalt
ZWÖLFTER TITEL Unmittelbarer Zwang § 94 Allgemeine Voraussetzungen ______ 845 § 95 Begriffsbestimmungen ______ 851 § 96 Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ______ 855 § 97 Handeln auf Anordnung ______ 858 § 98 Androhung ______ 861 § 99 Allgemeine Vorschriften für den Schusswaffengebrauch ______ 863 § 100 Besondere Vorschriften für den Schusswaffengebrauch ______ 868 § 101 Zwangsmaßnahmen auf dem Gebiet der Gesundheitsfürsorge ______ 870 DREIZEHNTER TITEL Disziplinarmaßnahmen § 102 Voraussetzungen ______ 876 § 103 Arten der Disziplinarmaßnahmen ______ 886 § 104 Vollzug der Disziplinarmaßnahmen. Aussetzung zur Bewährung ______ 891 § 105 Disziplinarbefugnis ______ 896 § 106 Verfahren ______ 899 § 107 Mitwirkung des Arztes ______ 905 VIERZEHNTER TITEL Rechtsbehelfe Vorbemerkungen ______ 907 § 108 Beschwerderecht ______ 910 § 109 Antrag auf gerichtliche Entscheidung ______ 918 § 110 Zuständigkeit ______ 936 § 111 Beteiligte ______ 938 § 112 Antragsfrist. Wiedereinsetzung ______ 940 § 113 Vornahmeantrag ______ 946 § 114 Aussetzung der Maßnahme ______ 948 § 115 Gerichtliche Entscheidung ______ 954 § 116 Rechtsbeschwerde ______ 969 § 117 Zuständigkeit für die Rechtsbeschwerde ______ 977 § 118 Form. Frist. Begründung ______ 978 § 119 Entscheidung über die Rechtsbeschwerde ______ 982 § 120 Entsprechende Anwendung anderer Vorschriften ______ 985 § 121 Kosten des Verfahrens ______ 988 FÜNFZEHNTER TITEL Strafvollstreckung und Untersuchungshaft § 122 (weggefallen) ______ 993 SECHZEHNTER TITEL Sozialtherapeutische Anstalten § 123 Sozialtherapeutische Anstalten und Abteilungen ______ 993 § 124 Urlaub zur Vorbereitung der Entlassung ______ 995 § 125 Aufnahme auf freiwilliger Grundlage ______ 999 § 126 Nachgehende Betreuung ______ 1002 §§ 127, 128 (aufgehoben) ______ 1004
XX
Inhalt
DRITTER ABSCHNITT Besondere Vorschriften über den Vollzug der freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung ERSTER TITEL Sicherungsverwahrung Vorbemerkung ______ 1005 § 129 Ziel der Unterbringung ______ 1011 § 130 Anwendung anderer Vorschriften ______ 1011 § 131 Ausstattung ______ 1015 § 132 Kleidung ______ 1018 § 133 Selbstbeschäftigung, Taschengeld ______ 1019 § 134 Entlassungsvorbereitung ______ 1020 § 135 Sicherungsverwahrung in Frauenanstalten ______ 1022 ZWEITER TITEL Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt Vorbemerkung ______ 1024 § 136 Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ______ 1029 § 137 Unterbringung in einer Entziehungsanstalt ______ 1034 § 138 Anwendung anderer Vorschriften ______ 1035
VIERTER ABSCHNITT Vollzugsbehörden ERSTER TITEL Arten und Einrichtung der Justizvollzugsanstalten § 139 Justizvollzugsanstalten ______ 1039 § 140 Trennung des Vollzuges ______ 1041 § 141 Differenzierung ______ 1045 § 142 Einrichtungen für Mütter mit Kindern ______ 1060 § 143 Größe und Gestaltung der Anstalten ______ 1063 § 144 Größe und Ausgestaltung der Räume ______ 1067 § 145 Festsetzung der Belegungsfähigkeit ______ 1072 § 146 Verbot der Überbelegung ______ 1074 § 147 Einrichtungen für die Entlassung ______ 1077 § 148 Arbeitsbeschaffung, Gelegenheit zur beruflichen Bildung ______ 1078 § 149 Arbeitsbetriebe, Einrichtungen zur beruflichen Bildung ______ 1080 § 150 Vollzugsgemeinschaften ______ 1084 ZWEITER TITEL Aufsicht über die Justizvollzugsanstalten § 151 Aufsichtsbehörden ______ 1084 § 152 Vollstreckungsplan ______ 1095 § 153 Zuständigkeit für Verlegungen ______ 1102
XXI
Inhalt
DRITTER TITEL Innerer Aufbau der Justizvollzugsanstalten § 154 Zusammenarbeit ______ 1104 § 155 Vollzugsbedienstete ______ 1112 § 156 Anstaltsleitung ______ 1117 § 157 Seelsorge ______ 1128 § 158 Ärztliche Versorgung ______ 1138 § 159 Konferenzen ______ 1141 § 160 Gefangenenmitverantwortung ______ 1147 § 161 Hausordnung ______ 1156 VIERTER TITEL Anstaltsbeiräte § 162 Bildung der Beiräte ______ 1159 § 163 Aufgaben der Beiräte ______ 1160 § 164 Befugnisse ______ 1160 § 165 Pflicht zur Verschwiegenheit ______ 1160 FÜNFTER TITEL Kriminologische Forschung im Strafvollzug § 166 [Kriminologische Forschung im Strafvollzug] ______ 1168
FÜNFTER ABSCHNITT Vollzug weiterer freiheitsentziehender Maßnahmen in Justizvollzugsanstalten, Datenschutz, Sozial- und Arbeitslosenversicherung, Schlussvorschriften ERSTER TITEL Vollzug des Strafarrests in Justizvollzugsanstalten § 167 Grundsatz ______ 1181 § 168 Unterbringung, Besuche und Schriftverkehr ______ 1181 § 169 Kleidung, Wäsche und Bettzeug ______ 1181 § 170 Einkauf ______ 1181 ZWEITER TITEL Vollzug von Ordnungs-, Sicherungs-, Zwangs- und Erzwingungshaft § 171 Grundsatz ______ 1183 § 172 Unterbringung ______ 1184 § 173 Kleidung, Wäsche und Bettzeug ______ 1184 § 174 Einkauf ______ 1185 § 175 Arbeit ______ 1185 DRITTER TITEL Arbeitsentgelt in Jugendstrafanstalten und im Vollzug der Untersuchungshaft § 176 Jugendstrafanstalten ______ 1189 § 177 Untersuchungshaft ______ 1192 VIERTER TITEL Unmittelbarer Zwang in Justizvollzugsanstalten § 178 [Unmittelbarer Zwang in Justizvollzugsanstalten] ______ 1195 XXII
Inhalt
FÜNFTER TITEL Datenschutz Vorbemerkung ______ 1197 § 179 Datenerhebung ______ 1204 § 180 Verarbeitung und Nutzung ______ 1223 § 181 Zweckbindung ______ 1257 § 182 Schutz besonderer Informationen ______ 1258 § 183 Schutz der Daten in Akten und Dateien ______ 1276 § 184 Berichtigung, Löschung, Sperrung ______ 1284 § 185 Auskunft an den Betroffenen, Akteneinsicht ______ 1295 § 186 Auskunft und Akteneinsicht für wissenschaftliche Zwecke ______ 1311 § 187 Anwendung des Bundesdatenschutzgesetzes ______ 1318 SECHSTER TITEL Anpassung des Bundesrechts § 188 (aufgehoben) ______ 1328 § 189 Verordnung über Kosten im Bereich der Justizverwaltung ______ 1328 SIEBTER TITEL Sozial- und Arbeitslosenversicherung § 190 Reichsversicherungsordnung ______ 1329 § 191 Angestelltenversicherungsgesetz ______ 1332 § 192 Reichsknappschaftsgesetz ______ 1333 § 193 Gesetz über die Krankenversicherung der Landwirte ______ 1333 § 194 (aufgehoben) ______ 1336 § 195 Einbehaltung von Beitragsteilen ______ 1336 ACHTER TITEL Einschränkung von Grundrechten. Inkrafttreten § 196 Einschränkung von Grundrechten ______ 1338 § 197 (aufgehoben) ______ 1339 § 198 Inkrafttreten ______ 1339 § 199 Übergangsfassungen ______ 1341 § 200 Höhe des Arbeitsentgelts ______ 1342 § 201 Übergangsbestimmungen für bestehende Anstalten ______ 1343 § 202 Freiheitsstrafe und Jugendhaft der Deutschen Demokratischen Republik ______ 1345
XXIII
Inhalt
XXIV
Zitierweise und Abkürzungen
Zitierweise und Abkürzungen Zitierweise und Abkürzungen Zitierweise und Abkürzungen Paragraphen ohne Gesetzesangaben sind solche des StVollzG; Absätze oder Richtlinien ohne Paragraphenangaben beziehen sich auf den eben erläuterten Paragraphen. Randnummern ohne vorangestellte Paragraphenbezeichnung im Text bezeichnen Randnummern des eben erläuterten Paragraphen. Andere Kommentare werden gleicherweise mit Randnummern zitiert. Gesetzesblätter, Zeitschriften und Entscheidungssammlungen werden grundsätzlich nach Jahrgang und Seite zitiert; dies gilt nur dann nicht, wenn eine andere Zitierweise allgemein üblich ist (z. B. BGHSt). Literatur, die im jeweiligen Text mehrfach zitiert wird, ist unter der Bezeichnung „Schrifttum“ der Kommentierung der einzelnen Paragraphen vorangestellt worden. Wird eine Quelle nur einmal erwähnt, wird die Fundstelle nur im Text angegeben. a. A. aaO abl. ABl. Abs. a. E. AE AE-StVollzG
anderer Ansicht am angegebenen Ort ablehnend Amtsblatt Absatz am Ende Alternativentwurf Alternativ-Entwurf eines Strafvollzugsgesetzes, vorgelegt von einem Arbeitskreis deutscher und schweizerischer Strafrechtslehrer, Tübingen 1973 a. F. alte Fassung AFG Arbeitsförderungsgesetz AFKG Arbeitsförderungs-Konsolidierungsgesetz AfP Zeitschrift für Medien- und Kommunikationsrecht; früher Archiv für Presserecht AK-(Bearbeiter) Feest/Lesting (Hrsg.), Kommentar zum Strafvollzugsgesetz (Reihe Alternativkommentare, hrsg. von Rudolf Wassermann),6. Aufl., Neuwied u. a. 2012 AK Erg.-(Bearbeiter) Feest (Hrsg.), Ergänzung des Kommentars zum Strafvollzugsgesetz (AK-StVollzG) nach den Gesetzesänderungen vom 2.8.2000 (BGBl. I S. 1253, 1261) und vom 27.12. 2000 (BGBl. I S. 2043), Luchterhand 2001 Arloth Arloth, Strafvollzugsgesetz. Kommentar, 3. Aufl., München 2011 Anm. Anmerkung AnwK UHaft(Bearbeiter) König (Hrsg.), Anwaltkommentar Untersuchungshaft, Bonn 2011 AnwBl Anwaltsblatt Art. Artikel Auernhammer Auernhammer, Bundesdatenschutzgesetz, 4. Aufl., Köln/Berlin/Bonn/München 2012 Aufl. Auflage AuslG Ausländergesetz AV Ausführungsvorschrift B Bungert, Aus der Rechtsprechung zum Strafvollzugsgesetz, in: NStZ Baden-Württemberg Gesetzbuch über den Justizvollzug in Baden-Württemberg s. JVollzGB BAföG Bundesausbildungsförderungsgesetz BAG Bundesarbeitsgericht BAnz Bundesanzeiger Baumbach/ Lauterbach/ Hartmann Zivilprozessordnung. Kommentar, 70. Aufl., München 2012 BayDSG Bayerisches Datenschutzgesetz BayGVBl. Bayerisches Gesetz und Verordnungsblatt BayLSG Bayerisches Landessozialgericht BayObLG Bayerisches Oberstes Landesgericht; auch Entscheidungssammlung des BayObLG in Strafsachen
XXV
Zitierweise und Abkürzungen
BayStVollzG BayVerfGH BayVGH BayVVStVollzG Bbg BBiG Bd. BDSG Beck-Rs BefrVO Begr. Bek. ber. BerHG Beschl. Bew. BewHi BFH BGB BGBl. BGH BGHSt BGHZ BKA BlGefK BlStV BMI BMJ Böhm Böhm/Schäfer BRAGO BR-Drucks. BRRG Brunner/Dölling BSeuchG BSG BSHG BT-Drucks. BtM(G) Buchst. BürgerschaftsDrucks. BUrlG BVerfG(K) BVerfGE BVerfSchG BVerwG BVerwGE bzgl. BZRG bzw.
Bayerisches Strafvollzugsgesetz Bayerischer Verfassungsgerichtshof Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Bayerische Verwaltungsvorschriften zum Strafvollzugsgesetz Brandenburg Berufsbildungsgesetz Band Bundesdatenschutzgesetz Beck-Rechtsprechung Befreiungsverordnung Begründung Bekanntmachung berichtigt Beratungshilfegesetz Beschluss Bewährung, auch in Zusammensetzung, z.B. BewHelfer Zeitschrift für „Bewährungshilfe“ Bundesfinanzhof Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidungen des BGH in Strafsachen Entscheidungen des BGH in Zivilsachen Bundeskriminalamt (Wiesbaden) Blätter für Gefängniskunde Blätter für Strafvollzugskunde (Beilage zum Vollzugsdienst) Bundesministerium des Innern Bundesministerium der Justiz Böhm, Strafvollzug, 3. Aufl., Neuwied und Kriftel 2003 Böhm/Schäfer (Hrsg.), Vollzugslockerungen im Spannungsfeld unterschiedlicher Instanzen und Interessen, 2. Aufl., Wiesbaden 1989 Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung Bundesratsdrucksache Beamtenrechtsrahmengesetz Brunner/Dölling, Jugendgerichtsgesetz. Kommentar, 12. Aufl., Berlin/New York 2011 Bundesseuchengesetz Bundessozialgericht Bundessozialhilfegesetz Bundestagsdrucksache Betäubungsmittel(gesetz) Buchstabe Bürgerschaftsdrucksache Bundesurlaubsgesetz Bundesverfassungsgericht, Kammerentscheidung Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Gesetz über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in den Angelegenheiten des Verfassungsschutzes und über das Bundesamt für Verfassungsschutz Bundesverwaltungsgericht Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts bezüglich Bundeszentralregistergesetz beziehungsweise
XXVI
Zitierweise und Abkürzungen
Calliess C/MD CR
Calliess, Strafvollzugsrecht, 3. Aufl., München 1992 Calliess/Müller-Dietz, Strafvollzugsgesetz, 11. Aufl., München 2008 Computer und Recht
DÄBl. dass. DB ders. d. h. dies. Diss. div. Dörr/Schmidt DÖV DOG DRiZ DStRE DSVollz DuD Dünkel
Deutsches Ärzteblatt dasselbe Der Betrieb derselbe das heißt dieselbe Dissertation diverse Dörr/Schmidt, Neues Bundesdatenschutzgesetz. Handkommentar, 3. Aufl., Köln 1997 Die Öffentliche Verwaltung Dienstordnung für das Gesundheitswesen Deutsche Richterzeitung Deutsches Steuerrecht Entscheidungsdienst Dienst- und Sicherheitsvorschriften für den Strafvollzug Datenschutz und Datensicherung Dünkel, Empirische Forschung im Strafvollzug. Bestandsaufnahme und Perspektiven, Bonn 1996 Dünkel/Rosner, Die Entwicklung des Strafvollzugs in der Bundesrepublik Deutschland seit 1970 – Materialien und Analysen, 2. Aufl., Freiburg 1982 Deutsches Verwaltungsblatt Durchführungsverordnung Dienst- und Vollzugsordnung der Länder
Dünkel/Rosner DVBl. DVO DVollzO E Eds. EG EG/EU EGGVG EGMR EGStGB Eisenberg EKD EMRK ERJuKoG Eschke
Entwurf englisch für Herausgeber Einführungsgesetz Europäische Gemeinschaft/Europäische Union Einführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte (in Straßburg) Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch Eisenberg, Jugendgerichtsgesetz, 14. Aufl., München 2010 Evangelische Kirche in Deutschland (Europäische) Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten Gesetz über elektronische Register und Justizkosten für Telekommunikation Eschke, Mängel im Rechtsschutz gegen Strafvollstreckungs- und Strafvollzugsmaßnahmen. Eine Darstellung ausgewählter Probleme mit Lösungsvorschlägen, Heidelberg 1993 und andere Europäische Strafvollzugsgrundsätze
et al. EuStVollzGrds Eyermann/Fröhler(Bearbeiter) Eyermann/Fröhler, Verwaltungsgerichtsordnung, Kommentar, 13. Aufl., München 2010 F f, ff FAZ FamFG FEVG FG FH
XXVII
Franke, Aus der Rechtsprechung zum Strafvollzugsgesetz, in: NStZ folgende (r, s) Frankfurter Allgemeine Zeitung Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit Gesetz über das gerichtliche Verfahren bei Freiheitsentziehungen Festgabe Fachhochschule
Zitierweise und Abkürzungen
Fichtner/Wenzel Fischer Fn. FPPK FPR FreihEntzG FS Name FS g GA GBl. Geb. gem. GG ggf. GKG GMV GOÄ Gola/Schomerus Grunau/Tiesler GS GUV GVBl. GVG H. Hauf HdbStKirchR
Kommentar zum SGB XII – Sozialhilfe: Asylbewerberleistungsgesetz, 4. Aufl., München 2009 Fischer, Strafgesetzbuch und Nebengesetze, 59. Aufl., München 2012 Fußnote Forensische Psychiatrie, Psychologie und Kriminologie Familie, Partnerschaft, Recht. Interdisziplinäres Fachjournal für die Praxis Gesetz über die Entziehung der Freiheit geisteskranker, geistesschwacher, rauschgiftoder alkoholsüchtiger Personen Festschrift Forum Strafvollzug (bis einschließlich 2006 ZfStrVo) Gramm Goltdammer’s Archiv für Strafrecht Gesetzblatt Geburtstag gemäß Grundgesetz gegebenenfalls Gerichtskostengesetz Gefangenenmitverantwortung Gebührenordnung für Ärzte Gola/Schomerus, Bundesdatenschutzgesetz mit Erläuterungen, 10. Aufl., München 2010 Grunau/Tiesler, Strafvollzugsgesetz, 2. Aufl., Köln u. a. 1982 Gedächtnisschrift Gemeindeunfallversicherungsverbände Gesetz- und Verordnungsblatt Gerichtsverfassungsgesetz
HRRS Hrsg. HStVollzG HS.
Heft Hauf, Strafvollzug. Kurzlehrbuch, Neuwied/Kriftel/Berlin 1994 Listl/Pirson, Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl., Berlin 1994–1995 Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 3. Auflage, Heidelberg 2004–2011 Hessisch/hessischer/hessischen Hessische Verfassung herrschende Lehre herrschende Meinung Hamburgisches Datenschutzgesetz Hamburgisches Jugendstrafvollzugsgesetz Hamburgisches Strafvollzugsgesetz Höflich/Schriever, Grundriss Vollzugsrecht. Das Recht des Strafvollzugs und der Untersuchungshaft für Ausbildung, Studium und Praxis, 3. Aufl., Berlin/Heidelberg/ New York 2003 Höchstrichterliche Rechtsprechung in Strafsachen Herausgeber Hessisches Strafvollzugsgesetz Halbsatz
IAO i. d. Bek. i. d. F. i. d. R. i. d. S.
Internationale Arbeitsorganisation in der Bekanntmachung in der Fassung in der Regel in diesem Sinne
HdbStR Hess Hess.Verf. h. L. h. M. HmbDSG HmbJStVollzG HmbStVollzG Höflich/Schriever
XXVIII
Zitierweise und Abkürzungen
IRG i. S. i. S. d. i. V. i. V. m.
Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen im Sinne im Sinne des in Verbindung in Verbindung mit
JA JGG JGH JHG JMBl. JR JStrVK jur. Jura JuS JVA(en) JV KostO JVollzDSG JVollzGB JWG JZ
Juristische Arbeitsblätter Jugendgerichtsgesetz Jugendgerichtshilfe Jugendhilfegesetz Justizministerialblatt (z.B. NW = für Nordrhein-Westfalen) Juristische Rundschau Jugendstrafvollzugskommission juristisch(e) Juristische Ausbildung Juristische Schulung Justizvollzugsanstalt(en) Verordnung über Kosten im Bereich der Justizverwaltung Gesetz über den Datenschutz im Justizvollzug in Baden-Württemberg Gesetzbuch über den Justizvollzug in Baden-Württemberg Jugendwohlfahrtsgesetz Juristenzeitung
Kamann
Kamann, Handbuch für die Strafvollstreckung und den Strafvollzug, 2. Aufl., Recklinghausen 2008 Kriminologischer Dienst Kommissionsentwurf Kammergericht Kissel, Gerichtsverfassungsgesetz, 6. Auflage, München 2010 Pfeiffer (Hrsg.), Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung und zum Gerichtsverfassungsgesetz mit Einführungsgesetz, 6. Aufl., München 2008 Kaiser/Kerner/Schöch. Strafvollzug, 4. Aufl., Heidelberg 1992 Kopp/Schenke, Verwaltungsgerichtsordnung. Kommentar, 17. Aufl., München 2011 Kopp/Ramsauer, Verwaltungsverfahrensgesetz. Kommentar, 12. Aufl., München 2011 Kriminologisches Bulletin Kriminologische Gegenwartsfragen Kriminologisches Journal Kriminalpädagogische Praxis Kriminologische Zentralstelle e.V. (Wiesbaden) kritisch Kritische Justiz Kaiser/Schöch, Strafvollzug, 5. Aufl., Heidelberg 2002 Gesetz über die Krankenversicherung für Landwirte Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie
KD KE KG Kissel/Mayer KK-(Bearbeiter) K/K/S-(Bearbeiter) Kopp/Schenke Kopp/Ramsauer KrimBull KrimGegfr. KrimJ KrimPäd KrimZ krit. KritJ K/S-(Bearbeiter) KVLG KZfSS LAG Laubenthal LDSG LG Litwinski/Bublies LK-(Bearbeiter) LKA LPartG LR-(Bearbeiter)
XXIX
Landesarbeitsgericht Laubenthal, Strafvollzug, 6. Aufl., Berlin/Heidelberg/New York 2011 Landesdatenschutzgesetz Landgericht Litwinski/Bublies, Strafverteidigung im Strafvollzug, München 1989 Strafgesetzbuch, Leipziger Kommentar, 12. Aufl., Berlin/New York 2006–2010 Landeskriminalamt Gesetz über die Eingetragene Lebenspartnerschaft Löwe/Rosenberg, Die Strafprozessordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz, 26. Aufl., Berlin/New York 2006–2010
Zitierweise und Abkürzungen
LS LSA LSG LT LT-Drucks. LV, LVerf
Leitsatz Land Sachsen-Anhalt Landessozialgericht Landtag Landtagsdrucksache Landesverfassung
M m. Maunz/Dürig(Bearbeiter) MdJ MDR ME-Begründung MedR ME-StVollzG Meyer-Goßner
Matzke, Aus der Rechtsprechung zum Strafvollzugsgesetz, in: NStZ mit
MuSchG M-V m. w. N.
Maunz/Dürig, Grundgesetz. Kommentar, München, 63. Auflage, Stand Oktober 2011 Minister(ium) der Justiz Monatsschrift für Deutsches Recht Begründung des Musterentwurfs zum Landesstrafvollzugsgesetz Medizinrecht Musterentwurf zum Landesstrafvollzugsgesetz Meyer-Goßner, Strafprozessordnung, Gerichtsverfassungsgesetz, Nebengesetze. Kommentar, 54. Aufl., München 2011 Europäische Strafvollzugsgrundsätze, überarbeitete europäische Fassung der Mindestgrundsätze für die Behandlung der Gefangenen – Entschließung des Ministerkomitees des Europarates vom 12.2.1987 bei der 404. Tagung der Ministerstellvertreter (Empfehlung Nr. R [87] 3), Heidelberg 1988 Anordnung über Mitteilungen in Strafsachen Ministerium der Justiz Mutterschaftsrichtlinien (Europäische) Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten Maßregelvollzugsgesetz (Landesgesetze) Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform Joecks/Miebach (Hrsg.), Strafgesetzbuch, Münchner Kommentar, München 2003– 2010 Mutterschutzgesetz Mecklenburg-Vorpommern mit weiteren Nachweisen
NAV nds. NDSG Nds MVollzG NdsRpfl. NDV NJ n. F. NJVollzG NJW NK Nr. NRW, NW NStE NStZ NStZ-RR NVwZ NZS
Niedersächsische Ausführungsvorschrift niedersächsisch Niedersächsisches Datenschutzgesetz Niedersächsisches Maßregelvollzugsgesetz Niedersächsische Rechtspflege Nachrichtendienst des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge Neue Justiz neue Fassung Niedersächsisches Justizvollzugsgesetz Neue Juristische Wochenschrift Neue Kriminalpolitik Nummer Nordrhein-Westfalen Neue Entscheidungssammlung für Strafrecht Neue Zeitschrift für Strafrecht NStZ-Rechtsprechungsreport Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Neue Zeitschrift für Sozialrecht
OEG o. J.
Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten ohne Jahresangabe
Minima
MiStra MJ MR MRK MRVG MschrKrim MünchKommStGB
XXX
Zitierweise und Abkürzungen
OK OLG OLGSt OVG OWiG Palandt(Bearbeiter) PFA PKS Prot. PsychKG
RBerG RDG RdJ Rdn. RDV RE, RegE REC
RG RGBl. RGSt RiStBV RiVASt RK R&P Rpfleger RPflG Rspr. RV RVG RVO s. S. SA
Organisierte Kriminalität Oberlandesgericht Entscheidungen der Oberlandesgerichte in Straf-, Ordnungswidrigkeiten und Ehrengerichtssachen Oberverwaltungsgericht Ordnungswidrigkeitengesetz
Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, Kommentar, 71. Auflage, München 2012 Polizeiführungsakademie (Hiltrup) Bundeskriminalamt (Hrsg.), Polizeiliche Kriminalstatistik Bundesrepublik Deutschland 2010, Wiesbaden 2011 Protokolle der Sitzungen des Bundestags-Sonderausschusses für die Strafrechtsreform (Deutscher Bundestag, 7. Wahlperiode, Stenographischer Dienst) Gesetz über Hilfen und Schutzmaßnahmen bei psychischen Krankheiten (Landesgesetze) Rechtsberatungsgesetz Rechtsdienstleistungsgesetz Recht der Jugend und des Bildungswesens Randnummer Recht der Datenverarbeitung Entwurf eines Gesetzes über den Vollzug der Freiheitsstrafe und freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung (Regierungsentwurf) Europäische Strafvollzugsgrundsätze 2006 des Ministerkomitees des Europarates, von diesem verabschiedet als „Recommendation Rec (2006) 2 on the European Prison Rules“ Reichsgericht Reichsgesetzblatt Entscheidungen des RG in Strafsachen Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren Richtlinien für den Verkehr mit dem Ausland in strafrechtlichen Angelegenheiten Konkordat zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Deutschen Reich (Reichskonkordat) vom 20.7.1933 Recht und Psychiatrie Der Deutsche Rechtspfleger Rechtspflegergesetz Rechtsprechung Rundverfügung Rechtsanwaltsvergütungsgesetz Reichsversicherungsordnung
siehe Seite Sonderausschuss (Bericht und Antrag des Bundestags-Sonderausschusses für die Strafrechtsreform) sächs. sächsisch(e) Schaffland/Wiltfang Schaffland/Wiltfang, Bundesdatenschutzgesetz. Ergänzbarer Kommentar nebst einschlägigen Rechtsvorschriften, Berlin 1977, Stand 2011 Schellhorn Schellhorn, Das Bundessozialhilfegesetz. Ein Kommentar für Ausbildung, Praxis und Wissenschaft, 16. Aufl., Neuwied/ Darmstadt 2002 SchlHA Schleswig-Holsteinische Anzeigen SchlußB Schlussbericht (der JStrVK, hrsg. vom BMJ, 1980) Schüler-Springorum Schüler-Springorum, Strafvollzug im Übergang. Studien zum Stand der Vollzugsrechtslehre, Göttingen 1969
XXXI
Zitierweise und Abkürzungen
SchwbG
Gesetz zur Sicherung der Eingliederung Schwerbehinderter in Arbeit, Beruf und Gesellschaft (Schwerbehindertengesetz) Schwind/Blau Schwind/Blau (Hrsg.), Strafvollzug in der Praxis. Eine Einführung in die Probleme und Realitäten des Strafvollzugs und der Entlassenenhilfe, 2. Aufl., Berlin/New York 1988 Seebode Seebode, Strafvollzug I, Lingen 1997 SG Sozialgericht SGB I-XI Sozialgesetzbuch (1. bis 11. Buch) SH Sonderheft Simitis-(Bearbeiter) Simitis, Kommentar zum Bundesdatenschutzgesetz, 7. Aufl., Baden-Baden 2011 sog. so genannte(r) SSW-StGB(Bearbeiter) Satzger/Schmitt/Widmaier (Hrsg.), Strafgesetzbuch. Kommentar, 1. Auflage, Köln 2009. SozR Sozialrecht. Rechtsprechung und Schrifttum, bearbeitet von den Richtern des BSG StGB Strafgesetzbuch StPO Strafprozessordnung StraFo Strafverteidiger Forum Strafverfolgungsstatistik Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Rechtspflege. Fachserie 10, Reihe 3. Strafverfolgung 2010, Wiesbaden 2011 (nur online verfügbar unter www.destatis.de/) Strafvollzugsstatistik Bd. 4.1 Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Rechtspflege. Fachserie 10, Reihe 4.1. Strafvollzug – Demographische und kriminologische Merkmale der Strafgefangenen zum Stichtag 31.3.2010 sowie 31.3.2011, Wiesbaden 2011 (nur online verfügbar unter www.destatis.de) Strafvollzugsstatistik Bd. 4.2 Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Rechtspflege. Fachserie 10, Reihe 4.2. Strafvollzug – Bestand der Gefangenen und Verwahrten in den deutschen Justizvollzugsanstalten am 31. August 2011, Wiesbaden 2011 (nur online verfügbar unter www.destatis.de) StrVK Strafvollzugskommission StV Strafverteidiger StVK Strafvollstreckungskammer StVollstrO Strafvollstreckungsordnung StVollzFG Strafvollzugsfortentwicklungsgesetz StVollzG Strafvollzugsgesetz StVollzGÄndG Gesetz zur Änderung des StVollzG StVollzO Strafvollzugsordnung StVollzVergO Strafvollzugsvergütungsordnung s. u. siehe unten
u. a. u. ä. UHaft UHaftVollzO UJ UnterbrG usw. u. U. ÜVerfBesG UVollzO VerfGH VerpflG
unter anderem und ähnliche Untersuchungshaft Untersuchungshaftvollzugsordnung Unsere Jugend, Zeitschrift für Jugendhilfe in Wissenschaft und Praxis Gesetz über die Unterbringung psychisch Kranker und deren Betreuung und so weiter unter Umständen Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren Untersuchungshaftvollzugsordnung (bundeseinheitlich) Verfassungsgerichtshof Gesetz über die förmliche Verpflichtung nichtbeamteter Personen (Verpflichtungsgesetz)
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Zitierweise und Abkürzungen
VertrV VG VGH vgl. VGO VO Vorb. VV VVG VVJug. VVStVollzG VwGO VwVfG
Verordnung über die gerichtliche Vertretung des Freistaates Bayern und über das Abhilfeverfahren Verwaltungsgericht Verwaltungsgerichtshof vergleiche Vollzugsgeschäftsordnung Verordnung Vorbemerkung Verwaltungsvorschriften (zum Strafvollzugsgesetz) Gesetz über den Versicherungsvertrag Bundeseinheitliche Verwaltungsvorschriften für den Jugendstrafvollzug Bundeseinheitliche Verwaltungsvorschriften zum Strafvollzugsgesetz Verwaltungsgerichtsordnung Verwaltungsverfahrensgesetz
Walter WRV WStG WPKG WzM
Walter, Strafvollzug. Lehrbuch, 2. Aufl., Stuttgart/München/Hannover 1999 Weimarer Reichsverfassung Wehrstrafgesetz Wissenschaft und Praxis in Kirche und Gesellschaft Wege zum Menschen
ZAR z. B. Zbl. ZevKR ZfSH/SGB ZfStrVo ZFU zit. ZJJ ZPO ZRP ZStW z. T. zul. g. zust.
Zeitschrift für Ausländerrecht und Ausländerpolitik zum Beispiel Zentralblatt für Jugendrecht und Jugendwohlfahrt Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht Zeitschrift für Sozialhilfe und Sozialgesetzbuch Zeitschrift für Strafvollzug und Straffälligenhilfe Staatliche Zentralstelle für Fernunterricht zitiert Zeitschrift für Jugendkriminalrecht und Jugendhilfe Zivilprozessordnung Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft zum Teil zuletzt geändert zustimmend
Vgl. im Übrigen die den Kommentierungen vorangestellte Literatur.
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Zitierweise und Abkürzungen
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Gesetzestext
Gesetzestext Gesetzestext Gesetzestext Gesetz über den Vollzug der Freiheitsstrafe und der freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung (StVollzG) Vom 16. März 1976 (BGBl. I S. 581, ber. S. 2088 und 1977 S. 436) (BGBl. III 312-9-1) Geändert durch Gesetze vom 18. August 1976 (BGBl. I S. 2181), vom 22. Dezember 1981 (BGBl. I S. 1523), vom 20. Januar 1984 (BGBl. I S. 97, 360), vom 20. Dezember 1984 (BGBl. I S. 1654, ber. 1985 S. 1266), vom 27. Februar 1985 (BGBl. I S. 461), vom 27. Januar 1987 (BGBl. I S. 475), vom 20. Dezember 1988 (BGBl. I S. 2477), vom 18. Dezember 1989 (BGBl. I S. 2261), vom 23. September 1990 (Einigungsvertragsgesetz BGBl. II S. 885, 956, 957, 959), vom 17. Dezember 1990 (BGBl. I S. 2847), vom 24. März 1997 (BGBl. I S. 594), vom 26. Januar 1998 (BGBl. I S. 160), vom 26. August 1998 (BGBl. I S. 2461), vom 2. August 2000 (BGBl. I S. 1253), vom 27. Dezember 2000 (BGBl. I S. 2043), vom 18. Mai 2001 (BGBl. I S. 904), vom 10. Dezember 2001 (BGBl. I S. 3422), vom 22. August 2002 (BGBl. I S. 3390), vom 5. Oktober 2002 (BGBl. I S. 3954), vom 25. November 2003 (BGBl. I S. 2300), vom 23. Dezember 2003 (BGBl. I S. 3002) und vom 27. Dezember 2003 (BGBl. I S. 3022), vom 23.3.2005 (BGBl. I S. 930). Zuletzt geändert durch § 62 Abs. 10 des Gesetzes vom 17. Juni 2008 (BGBl. I S. 1010). Erster Abschnitt. Anwendungsbereich §1 Dieses Gesetz regelt den Vollzug der Freiheitsstrafe in Justizvollzugsanstalten und der freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung. Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe ERSTER TITEL. Grundsätze § 2 Aufgaben des Vollzuges Im Vollzug der Freiheitsstrafe soll der Gefangene fähig werden, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen (Vollzugsziel). Der Vollzug der Freiheitsstrafe dient auch dem Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten. § 3 Gestaltung des Vollzuges (1) Das Leben im Vollzug soll den allgemeinen Lebensverhältnissen soweit als möglich angeglichen werden. (2) Schädlichen Folgen des Freiheitsentzuges ist entgegenzuwirken. (3) Der Vollzug ist darauf auszurichten, daß er dem Gefangenen hilft, sich in das Leben in Freiheit einzugliedern. § 4 Stellung des Gefangenen (1) Der Gefangene wirkt an der Gestaltung seiner Behandlung und an der Erreichung des Vollzugszieles mit. Seine Bereitschaft hierzu ist zu wecken und zu fördern. (2) Der Gefangene unterliegt den in diesem Gesetz vorgesehenen Beschränkungen seiner Freiheit. Soweit das Gesetz eine besondere Regelung nicht enthält, dürfen ihm nur Beschränkungen auferlegt werden, die zur Aufrechterhaltung der Sicherheit oder zur Abwendung einer schwerwiegenden Störung der Ordnung der Anstalt unerläßlich sind. ZWEITER TITEL. Planung des Vollzuges § 5 Aufnahmeverfahren (1) Beim Aufnahmeverfahren dürfen andere Gefangene nicht zugegen sein.
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(2) Der Gefangene wird über seine Rechte und Pflichten unterrichtet. Anstalt oder der Aufnahmeabteilung vorgestellt. § 6 Behandlungsuntersuchung, Beteiligung des Gefangenen (1) Nach dem Aufnahmeverfahren wird damit begonnen, die Persönlichkeit und die Lebensverhältnisse des Gefangenen zu erforschen. Hiervon kann abgesehen werden, wenn dies mit Rücksicht auf die Vollzugsdauer nicht geboten erscheint. (2) Die Untersuchung erstreckt sich auf die Umstände, deren Kenntnis für eine planvolle Behandlung des Gefangenen im Vollzug und für die Eingliederung nach seiner Entlassung notwendig ist. Bei Gefangenen, die wegen einer Straftat nach den §§ 174 bis 180 oder 182 des Strafgesetzbuches verurteilt worden sind, ist besonders gründlich zu prüfen, ob die Verlegung in eine sozialtherapeutische Anstalt angezeigt ist. (3) Die Planung der Behandlung wird mit dem Gefangenen erörtert. § 7 Vollzugsplan (1) Auf Grund der Behandlungsuntersuchung (§ 6) wird ein Vollzugsplan erstellt. (2) Der Vollzugsplan enthält Angaben mindestens über folgende Behandlungsmaßnahmen: 1. die Unterbringung im geschlossenen oder offenen Vollzug, 2. die Verlegung in eine sozialtherapeutische Anstalt, 3. die Zuweisung zu Wohngruppen und Behandlungsgruppen, 4. den Arbeitseinsatz sowie Maßnahmen der beruflichen Ausbildung oder Weiterbildung, 5. die Teilnahme an Veranstaltungen der Weiterbildung, 6. besondere Hilfs- und Behandlungsmaßnahmen, 7. Lockerungen des Vollzuges und 8. notwendige Maßnahmen zur Vorbereitung der Entlassung. (3) Der Vollzugsplan ist mit der Entwicklung des Gefangenen und weiteren Ergebnissen der Persönlichkeitserforschung in Einklang zu halten. Hierfür sind im Vollzugsplan angemessene Fristen vorzusehen. (4) Bei Gefangenen, die wegen einer Straftat nach den §§ 174 bis 180 oder 182 des Strafgesetzbuches zu Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren verurteilt worden sind, ist über eine Verlegung in eine sozialtherapeutische Anstalt jeweils nach Ablauf von sechs Monaten neu zu entscheiden. § 8 Verlegung. Überstellung (1) Der Gefangene kann abweichend vom Vollstreckungsplan in eine andere für den Vollzug der Freiheitsstrafe zuständige Anstalt verlegt werden, 1. wenn die Behandlung des Gefangenen oder seine Eingliederung nach der Entlassung hierdurch gefördert wird oder 2. wenn dies aus Gründen der Vollzugsorganisation oder aus anderen wichtigen Gründen erforderlich ist. (2) Der Gefangene darf aus wichtigem Grund in eine andere Vollzugsanstalt überstellt werden. § 9 Verlegung in eine sozialtherapeutische Anstalt (1) Ein Gefangener ist in eine sozialtherapeutische Anstalt zu verlegen, wenn er wegen einer Straftat nach den §§ 174 bis 180 oder 182 des Strafgesetzbuches zu zeitiger Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren verurteilt worden ist und die Behandlung in einer sozialtherapeutischen Anstalt nach § 6 Abs. 2 Satz 2 oder § 7 Abs. 4 angezeigt ist. Der Gefangene ist zurückzuverlegen, wenn der Zweck der Behandlung aus Gründen, die in der Person des Gefangenen liegen, nicht erreicht werden kann. (2) Andere Gefangene können mit ihrer Zustimmung in eine sozialtherapeutische Anstalt verlegt werden, wenn die besonderen therapeutischen Mittel und sozialen Hilfen der Anstalt zu ihrer Resozialisierung angezeigt sind. In diesen Fällen bedarf die Verlegung der Zustimmung des Leiters der sozialtherapeutischen Anstalt. (3) Die §§ 8 und 85 bleiben unberührt. § 10 Offener und geschlossener Vollzug (1) Ein Gefangener soll mit seiner Zustimmung in einer Anstalt oder Abteilung des offenen Vollzuges untergebracht werden, wenn er den besonderen Anforderungen des offenen Vollzuges genügt und na-
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mentlich nicht zu befürchten ist, daß er sich dem Vollzug der Freiheitsstrafe entziehen oder die Möglichkeiten des offenen Vollzuges zu Straftaten mißbrauchen werde. (2) Im übrigen sind die Gefangenen im geschlossenen Vollzug unterzubringen. Ein Gefangener kann auch dann im geschlossenen Vollzug untergebracht oder dorthin zurückverlegt werden, wenn dies zu seiner Behandlung notwendig ist. § 11 Lockerungen des Vollzuges (1) Als Lockerung des Vollzuges kann namentlich angeordnet werden, daß der Gefangene 1. außerhalb der Anstalt regelmäßig einer Beschäftigung unter Aufsicht (Außenbeschäftigung) oder ohne Aufsicht eines Vollzugsbediensteten (Freigang) nachgehen darf oder 2. für eine bestimmte Tageszeit die Anstalt unter Aufsicht (Ausführung) oder ohne Aufsicht eines Vollzugsbediensteten (Ausgang) verlassen darf. (2) Diese Lockerungen dürfen mit Zustimmung des Gefangenen angeordnet werden, wenn nicht zu befürchten ist, daß der Gefangene sich dem Vollzug der Freiheitsstrafe entziehen oder die Lockerungen des Vollzuges zu Straftaten mißbrauchen werde. § 12 Ausführung aus besonderen Gründen Ein Gefangener darf auch ohne seine Zustimmung ausgeführt werden, wenn dies aus besonderen Gründen notwendig ist. § 13 Urlaub aus der Haft (1) Ein Gefangener kann bis zu einundzwanzig Kalendertagen in einem Jahr aus der Haft beurlaubt werden. § 11 Abs. 2 gilt entsprechend. (2) Der Urlaub soll in der Regel erst gewährt werden, wenn der Gefangene sich mindestens sechs Monate im Strafvollzug befunden hat. (3) Ein zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilter Gefangener kann beurlaubt werden, wenn er sich einschließlich einer vorhergehenden Untersuchungshaft oder einer anderen Freiheitsentziehung zehn Jahre im Vollzug befunden hat oder wenn er in den offenen Vollzug überwiesen ist. (4) Gefangenen, die sich für den offenen Vollzug eignen, aus besonderen Gründen aber in einer geschlossenen Anstalt untergebracht sind, kann nach den für den offenen Vollzug geltenden Vorschriften Urlaub erteilt werden. (5) Durch den Urlaub wird die Strafvollstreckung nicht unterbrochen.
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§ 14 Weisungen, Aufhebung von Lockerungen und Urlaub (1) Der Anstaltsleiter kann dem Gefangenen für Lockerungen und Urlaub Weisungen erteilen. (2) Er kann Lockerungen und Urlaub widerrufen, wenn er auf Grund nachträglich eingetretener Umstände berechtigt wäre, die Maßnahmen zu versagen, der Gefangene die Maßnahmen mißbraucht oder der Gefangene Weisungen nicht nachkommt. Er kann Lockerungen und Urlaub mit Wirkung für die Zukunft zurücknehmen, wenn die Voraussetzungen für ihre Bewilligung nicht vorgelegen haben.
§ 15 Entlassungsvorbereitung (1) Um die Entlassung vorzubereiten, soll der Vollzug gelockert werden (§ 11). (2) Der Gefangene kann in eine offene Anstalt oder Abteilung (§ 10) verlegt werden, wenn dies der Vorbereitung der Entlassung dient. (3) Innerhalb von drei Monaten vor der Entlassung kann zu deren Vorbereitung Sonderurlaub bis zu einer Woche gewährt werden. § 11 Abs. 2, § 13 Abs. 5 und § 14 gelten entsprechend. (4) Freigängern (§ 11 Abs. 1 Nr. 1) kann innerhalb von neun Monaten vor der Entlassung Sonderurlaub bis zu sechs Tagen im Monat gewährt werden. § 11 Abs. 2, § 13 Abs. 5 und § 14 gelten entsprechend. Absatz 3 Satz 1 findet keine Anwendung. § 16 Entlassungszeitpunkt (1) Der Gefangene soll am letzten Tag seiner Strafzeit möglichst frühzeitig, jedenfalls noch am Vormittag entlassen werden.
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(2) Fällt das Strafende auf einen Sonnabend oder Sonntag, einen gesetzlichen Feiertag, den ersten Werktag nach Ostern oder Pfingsten oder in die Zeit vom 22. Dezember bis zum 2. Januar, so kann der Gefangene an dem diesem Tag oder Zeitraum vorhergehenden Werktag entlassen werden, wenn dies nach der Länge der Strafzeit vertretbar ist und fürsorgerische Gründe nicht entgegenstehen. (3) Der Entlassungszeitpunkt kann bis zu zwei Tagen vorverlegt werden, wenn dringende Gründe dafür vorliegen, daß der Gefangene zu seiner Eingliederung hierauf angewiesen ist. DRITTER TITEL. Unterbringung und Ernährung des Gefangenen § 17 Unterbringung während der Arbeit und Freizeit (1) Die Gefangenen arbeiten gemeinsam. Dasselbe gilt für Berufsausbildung, berufliche Weiterbildung sowie arbeitstherapeutische und sonstige Beschäftigung während der Arbeitszeit. (2) Während der Freizeit können die Gefangenen sich in der Gemeinschaft mit den anderen aufhalten. Für die Teilnahme an gemeinschaftlichen Veranstaltungen kann der Anstaltsleiter mit Rücksicht auf die räumlichen, personellen und organisatorischen Verhältnisse der Anstalt besondere Regelungen treffen. (3) Die gemeinschaftliche Unterbringung während der Arbeitszeit und Freizeit kann eingeschränkt werden, 1. wenn ein schädlicher Einfluß auf andere Gefangene zu befürchten ist, 2. wenn der Gefangene nach § 6 untersucht wird, aber nicht länger als zwei Monate, 3. wenn es die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt erfordert oder 4. wenn der Gefangene zustimmt. § 18 Unterbringung während der Ruhezeit (1) Gefangene werden während der Ruhezeit allein in ihren Hafträumen untergebracht. Eine gemeinsame Unterbringung ist zulässig, sofern ein Gefangener hilfsbedürftig ist oder eine Gefahr für Leben oder Gesundheit eines Gefangenen besteht. (2) Im offenen Vollzug dürfen Gefangene mit ihrer Zustimmung während der Ruhezeit gemeinsam untergebracht werden, wenn eine schädliche Beeinflussung nicht zu befürchten ist. Im geschlossenen Vollzug ist eine gemeinschaftliche Unterbringung zur Ruhezeit außer in den Fällen des Absatzes 1 nur vorübergehend und aus zwingenden Gründen zulässig. § 19 Ausstattung des Haftraumes durch den Gefangenen und sein persönlicher Besitz (1) Der Gefangene darf seinen Haftraum in angemessenem Umfang mit eigenen Sachen ausstatten. Lichtbilder nahestehender Personen und Erinnerungsstücke von persönlichem Wert werden ihm belassen. (2) Vorkehrungen und Gegenstände, die die Übersichtlichkeit des Haftraumes behindern oder in anderer Weise Sicherheit oder Ordnung der Anstalt gefährden, können ausgeschlossen werden. § 20 Kleidung (1) Der Gefangene trägt Anstaltskleidung. Für die Freizeit erhält er eine besondere Oberbekleidung. (2) Der Anstaltsleiter gestattet dem Gefangenen, bei einer Ausführung eigene Kleidung zu tragen, wenn zu erwarten ist, daß er nicht entweichen wird. Er kann dies auch sonst gestatten, sofern der Gefangene für Reinigung, Instandsetzung und regelmäßigen Wechsel auf eigene Kosten sorgt. § 21 Anstaltsverpflegung Zusammensetzung und Nährwert der Anstaltsverpflegung werden ärztlich überwacht. Auf ärztliche Anordnung wird besondere Verpflegung gewährt. Dem Gefangenen ist zu ermöglichen, Speisevorschriften seiner Religionsgemeinschaft zu befolgen. § 22 Einkauf (1) Der Gefangene kann sich von seinem Hausgeld (§ 47) oder von seinem Taschengeld (§ 46) aus einem von der Anstalt vermittelten Angebot Nahrungs- und Genußmittel sowie Mittel zur Körperpflege kaufen. Die Anstalt soll für ein Angebot sorgen, das auf Wünsche und Bedürfnisse der Gefangenen Rücksicht nimmt.
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(2) Gegenstände, die die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt gefährden, können vom Einkauf ausgeschlossen werden. Auf ärztliche Anordnung kann dem Gefangenen der Einkauf einzelner Nahrungs- und Genußmittel ganz oder teilweise untersagt werden, wenn zu befürchten ist, daß sie seine Gesundheit ernsthaft gefährden. In Krankenhäusern und Krankenabteilungen kann der Einkauf einzelner Nahrungsund Genußmittel auf ärztliche Anordnung allgemein untersagt oder eingeschränkt werden. (3) Verfügt der Gefangene ohne eigenes Verschulden nicht über Haus- oder Taschengeld, wird ihm gestattet, in angemessenem Umfang vom Eigengeld einzukaufen. VIERTER TITEL. Besuche, Schriftwechsel sowie Urlaub, Ausgang und Ausführung aus besonderem Anlaß § 23 Grundsatz Der Gefangene hat das Recht, mit Personen außerhalb der Anstalt im Rahmen der Vorschriften dieses Gesetzes zu verkehren. Der Verkehr mit Personen außerhalb der Anstalt ist zu fördern. § 24 Recht auf Besuch (1) Der Gefangene darf regelmäßig Besuch empfangen. Die Gesamtdauer beträgt mindestens eine Stunde im Monat. Das Weitere regelt die Hausordnung. (2) Besuche sollen darüber hinaus zugelassen werden, wenn sie die Behandlung oder Eingliederung des Gefangenen fördern oder persönlichen, rechtlichen oder geschäftlichen Angelegenheiten dienen, die nicht vom Gefangenen schriftlich erledigt, durch Dritte wahrgenommen oder bis zur Entlassung des Gefangenen aufgeschoben werden können. (3) Aus Gründen der Sicherheit kann ein Besuch davon abhängig gemacht werden, daß sich der Besucher durchsuchen läßt.
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§ 25 Besuchsverbot Der Anstaltsleiter kann Besuche untersagen, wenn die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt gefährdet würde, bei Besuchern, die nicht Angehörige des Gefangenen im Sinne des Strafgesetzbuches sind, wenn zu befürchten ist, daß sie einen schädlichen Einfluß auf den Gefangenen haben oder seine Eingliederung behindern würden.
§ 26 Besuche von Verteidigern, Rechtsanwälten und Notaren Besuche von Verteidigern sowie von Rechtsanwälten oder Notaren in einer den Gefangenen betreffenden Rechtssache sind zu gestatten. § 24 Abs. 3 gilt entsprechend. Eine inhaltliche Überprüfung der vom Verteidiger mitgeführten Schriftstücke und sonstigen Unterlagen ist nicht zulässig. § 29 Abs. 1 Satz 2 und 3 bleibt unberührt. § 27 Überwachung der Besuche (1) Die Besuche dürfen aus Gründen der Behandlung oder der Sicherheit oder Ordnung der Anstalt überwacht werden, es sei denn, es liegen im Einzelfall Erkenntnisse dafür vor, daß es der Überwachung nicht bedarf. Die Unterhaltung darf nur überwacht werden, soweit dies im Einzelfall aus diesen Gründen erforderlich ist. (2) Ein Besuch darf abgebrochen werden, wenn Besucher oder Gefangene gegen die Vorschriften dieses Gesetzes oder die auf Grund dieses Gesetzes getroffenen Anordnungen trotz Abmahnung verstoßen. Die Abmahnung unterbleibt, wenn es unerläßlich ist, den Besuch sofort abzubrechen. (3) Besuche von Verteidigern werden nicht überwacht. (4) Gegenstände dürfen beim Besuch nur mit Erlaubnis übergeben werden. Dies gilt nicht für die bei dem Besuch des Verteidigers übergebenen Schriftstücke und sonstigen Unterlagen sowie für die bei dem Besuch eines Rechtsanwalts oder Notars zur Erledigung einer den Gefangenen betreffenden Rechtssache übergebenden Schriftstücke und sonstigen Unterlagen; bei dem Besuch eines Rechtsanwalts oder Notars kann die Übergabe aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung der Anstalt von der Erlaubnis abhängig gemacht werden. § 29 Abs. 1 Satz 2 und 3 bleibt unberührt.
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1. 2.
§ 28 Recht auf Schriftwechsel (1) Der Gefangene hat das Recht, unbeschränkt Schreiben abzusenden und zu empfangen. (2) Der Anstaltsleiter kann den Schriftwechsel mit bestimmten Personen untersagen, wenn die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt gefährdet würde, bei Personen, die nicht Angehörige des Gefangenen im Sinne des Strafgesetzbuches sind, wenn zu befürchten ist, daß der Schriftwechsel einen schädlichen Einfluß auf den Gefangenen haben oder seine Eingliederung behindern würde.
§ 29 Überwachung des Schriftwechsels (1) Der Schriftwechsel des Gefangenen mit seinem Verteidiger wird nicht überwacht. Liegt dem Vollzug der Freiheitsstrafe eine Straftat nach des § 129a, auch in Verbindung mit § 129b Abs. 1, des Strafgesetzbuches zugrunde, gelten § 148 Abs. 2, § 148a der Strafprozeßordnung entsprechend; dies gilt nicht, wenn der Gefangene sich in einer Einrichtung des offenen Vollzuges befindet oder wenn ihm Lockerungen des Vollzuges gemäß § 11 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 zweiter Halbsatz oder Urlaub gemäß § 13 oder § 15 Abs. 3 gewährt worden sind und ein Grund, der den Anstaltsleiter nach § 14 Abs. 2 zum Widerruf oder zur Zurücknahme von Lockerungen und Urlaub ermächtigt, nicht vorliegt. Satz 2 gilt auch, wenn gegen einen Strafgefangenen im Anschluß an die dem Vollzug der Freiheitsstrafe zugrundeliegende Verurteilung eine Freiheitsstrafe wegen einer Straftat nach § 129a, auch in Verbindung mit § 129b Abs. 1, des Strafgesetzbuches zu vollstrecken ist. (2) Nicht überwacht werden ferner Schreiben des Gefangenen an Volksvertretungen des Bundes und der Länder sowie an deren Mitglieder, soweit die Schreiben an die Anschriften dieser Volksvertretungen gerichtet sind und den Absender zutreffend angeben. Entsprechendes gilt für Schreiben an das Europäische Parlament und dessen Mitglieder, den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, die Europäische Kommission für Menschenrechte, den Europäischen Ausschuß zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe und die Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder. Schreiben der in den Sätzen 1 und 2 genannten Stellen, die an den Gefangenen gerichtet sind, werden nicht überwacht, sofern die Identität des Absenders zweifelsfrei feststeht. (3) Der übrige Schriftwechsel darf überwacht werden, soweit es aus Gründen der Behandlung oder der Sicherheit oder Ordnung der Anstalt erforderlich ist. § 30 Weiterleitung von Schreiben. Aufbewahrung (1) Der Gefangene hat Absendung und Empfang seiner Schreiben durch die Anstalt vermitteln zu lassen, soweit nichts anderes gestattet ist. (2) Eingehende und ausgehende Schreiben sind unverzüglich weiterzuleiten. (3) Der Gefangene hat eingehende Schreiben unverschlossen zu verwahren, sofern nichts anderes gestattet wird; er kann sie verschlossen zu seiner Habe geben. § 31 Anhalten von Schreiben (1) Der Anstaltsleiter kann Schreiben anhalten, 1. wenn das Ziel des Vollzuges oder die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt gefährdet würde, 2. wenn die Weitergabe in Kenntnis ihres Inhalts einen Straf- oder Bußgeldtatbestand verwirklichen würde, 3. wenn sie grob unrichtige oder erheblich entstellende Darstellungen von Anstaltsverhältnissen enthalten, 4. wenn sie grobe Beleidigungen enthalten, 5. wenn sie die Eingliederung eines anderen Gefangenen gefährden können oder 6. wenn sie in Geheimschrift, unlesbar, unverständlich oder ohne zwingenden Grund in einer fremden Sprache abgefaßt sind. (2) Ausgehenden Schreiben, die unrichtige Darstellungen enthalten, kann ein Begleitschreiben beigefügt werden, wenn der Gefangene auf der Absendung besteht. (3) Ist ein Schreiben angehalten worden, wird das dem Gefangenen mitgeteilt. Angehaltene Schreiben werden an den Absender zurückgegeben oder, sofern dies unmöglich oder aus besonderen Gründen untunlich ist, behördlich verwahrt. (4) Schreiben, deren Überwachung nach § 29 Abs. 1 und 2 ausgeschlossen ist, dürfen nicht angehalten werden.
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§ 32 Ferngespräche und Telegramme Dem Gefangenen kann gestattet werden, Ferngespräche zu führen oder Telegramme aufzugeben. Im übrigen gelten für Ferngespräche die Vorschriften über den Besuch und für Telegramme die Vorschriften über den Schriftwechsel entsprechend. Ist die Überwachung der fernmündlichen Unterhaltung erforderlich, ist die beabsichtigte Überwachung dem Gesprächspartner des Gefangenen unmittelbar nach Herstellung der Verbindung durch die Vollzugsbehörde oder den Gefangenen mitzuteilen. Der Gefangene ist rechtzeitig vor Beginn der fernmündlichen Unterhaltung über die beabsichtigte Überwachung und die Mitteilungspflicht nach Satz 3 zu unterrichten. § 33 Pakete (1) Der Gefangene darf dreimal jährlich in angemessenen Abständen ein Paket mit Nahrungs- und Genußmitteln empfangen. Die Vollzugsbehörde kann Zeitpunkt und Höchstmengen für die Sendung und für einzelne Gegenstände festsetzen. Der Empfang weiterer Pakete oder solcher mit anderem Inhalt bedarf ihrer Erlaubnis. Für den Ausschluß von Gegenständen gilt § 22 Abs. 2 entsprechend. (2) Pakete sind in Gegenwart des Gefangenen zu öffnen. Ausgeschlossene Gegenstände können zu seiner Habe genommen oder dem Absender zurückgesandt werden. Nicht ausgehändigte Gegenstände, durch die bei der Versendung oder Aufbewahrung Personen verletzt oder Sachschäden verursacht werden können, dürfen vernichtet werden. Die hiernach getroffenen Maßnahmen werden dem Gefangenen eröffnet. (3) Der Empfang von Paketen kann vorübergehend versagt werden, wenn dies wegen Gefährdung der Sicherheit oder Ordnung der Anstalt unerläßlich ist. (4) Dem Gefangenen kann gestattet werden, Pakete zu versenden. Die Vollzugsbehörde kann ihren Inhalt aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung der Anstalt überprüfen. § 34 Verwertung von Kenntnissen (weggefallen) § 35 Urlaub, Ausgang und Ausführung aus wichtigem Anlaß (1) Aus wichtigem Anlaß kann der Anstaltsleiter dem Gefangenen Ausgang gewähren oder ihn bis zu sieben Tagen beurlauben; der Urlaub aus anderem wichtigen Anlaß als wegen einer lebensgefährlichen Erkrankung oder wegen des Todes eines Angehörigen darf sieben Tage im Jahr nicht übersteigen. § 11 Abs. 2, § 13 Abs. 5 und § 14 gelten entsprechend. (2) Der Urlaub nach Absatz 1 wird nicht auf den regelmäßigen Urlaub angerechnet. (3) Kann Ausgang oder Urlaub aus den in § 11 Abs. 2 genannten Gründen nicht gewährt werden, kann der Anstaltsleiter den Gefangenen ausführen lassen. Die Aufwendungen hierfür hat der Gefangene zu tragen. Der Anspruch ist nicht geltend zu machen, wenn dies die Behandlung oder die Eingliederung behindern würde. § 36 Gerichtliche Termine (1) Der Anstaltsleiter kann einem Gefangenen zur Teilnahme an einem gerichtlichen Termin Ausgang oder Urlaub erteilen, wenn anzunehmen ist, daß er der Ladung folgt und keine Entweichungs- oder Mißbrauchsgefahr (§ 11 Abs. 2) besteht. § 13 Abs. 5 und § 14 gelten entsprechend. (2) Wenn ein Gefangener zu einem gerichtlichen Termin geladen ist und Ausgang oder Urlaub nicht gewährt wird, läßt der Anstaltsleiter ihn mit seiner Zustimmung zu dem Termin ausführen, sofern wegen Entweichungs- oder Mißbrauchsgefahr (§ 11 Abs. 2) keine überwiegenden Gründe entgegenstehen. Auf Ersuchen eines Gerichts läßt er den Gefangenen vorführen, sofern ein Vorführungsbefehl vorliegt. (3) Die Vollzugsbehörde unterrichtet das Gericht über das Veranlaßte. FÜNFTER TITEL. Arbeit, Ausbildung und Weiterbildung § 37 Zuweisung (1) Arbeit, arbeitstherapeutische Beschäftigung, Ausbildung und Weiterbildung dienen insbesondere dem Ziel, Fähigkeiten für eine Erwerbstätigkeit nach der Entlassung zu vermitteln, zu erhalten oder zu fördern.
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(2) Die Vollzugsbehörde soll dem Gefangenen wirtschaftlich ergiebige Arbeit zuweisen und dabei seine Fähigkeiten, Fertigkeiten und Neigungen berücksichtigen. (3) Geeigneten Gefangenen soll Gelegenheit zur Berufsausbildung, beruflichen Weiterbildung oder Teilnahme an anderen ausbildenden oder weiterbildenden Maßnahmen gegeben werden. (4) Kann einem arbeitsfähigen Gefangenen keine wirtschaftlich ergiebige Arbeit oder die Teilnahme an Maßnahmen nach Absatz 3 zugewiesen werden, wird ihm eine angemessene Beschäftigung zugeteilt. (5) Ist ein Gefangener zu wirtschaftlich ergiebiger Arbeit nicht fähig, soll er arbeitstherapeutisch beschäftigt werden. § 38 Unterricht (1) Für geeignete Gefangene, die den Abschluß der Hauptschule nicht erreicht haben, soll Unterricht in den zum Hauptschulabschluß führenden Fächern oder ein der Sonderschule entsprechender Unterricht vorgesehen werden. Bei der beruflichen Ausbildung ist berufsbildender Unterricht vorzusehen; dies gilt auch für die berufliche Weiterbildung, soweit die Art der Maßnahme es erfordert. (2) Unterricht soll während der Arbeitszeit stattfinden. § 39 Freies Beschäftigungsverhältnis, Selbstbeschäftigung (1) Dem Gefangenen soll gestattet werden, einer Arbeit, Berufsausbildung oder beruflichen Weiterbildung auf der Grundlage eines freien Beschäftigungsverhältnisses außerhalb der Anstalt nachzugehen, wenn dies im Rahmen des Vollzugsplanes dem Ziel dient, Fähigkeiten für eine Erwerbstätigkeit nach der Entlassung zu vermitteln, zu erhalten oder zu fördern und nicht überwiegende Gründe des Vollzuges entgegenstehen. § 11 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 und § 14 bleiben unberührt. (2) Dem Gefangenen kann gestattet werden, sich selbst zu beschäftigen. (3) Die Vollzugsbehörde kann verlangen, daß ihr das Entgelt zur Gutschrift für den Gefangenen überwiesen wird. § 40 Abschlußzeugnis Aus dem Abschlußzeugnis über eine ausbildende oder weiterbildende Maßnahme darf die Gefangenschaft eines Teilnehmers nicht erkennbar sein. § 41 Arbeitspflicht (1) Der Gefangene ist verpflichtet, eine ihm zugewiesene, seinen körperlichen Fähigkeiten angemessene Arbeit, arbeitstherapeutische oder sonstige Beschäftigung auszuüben, zu deren Verrichtung er auf Grund seines körperlichen Zustandes in der Lage ist. Er kann jährlich bis zu drei Monaten zu Hilfstätigkeiten in der Anstalt verpflichtet werden, mit seiner Zustimmung auch darüber hinaus. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht für Gefangene, die über 65 Jahre alt sind, und nicht für werdende und stillende Mütter, soweit gesetzliche Beschäftigungsverbote zum Schutz erwerbstätiger Mütter bestehen. (2) Die Teilnahme an einer Maßnahme nach § 37 Abs. 3 bedarf der Zustimmung des Gefangenen. Die Zustimmung darf nicht zur Unzeit widerrufen werden. § 42 Freistellung von der Arbeitspflicht (1) Hat der Gefangene ein Jahr lang zugewiesene Tätigkeit nach § 37 oder Hilfstätigkeiten nach § 41 Abs. 1 Satz 2 ausgeübt, so kann er beanspruchen, achtzehn Werktage von der Arbeitspflicht freigestellt zu werden. Zeiten, in denen der Gefangene infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert war, werden auf das Jahr bis zu sechs Wochen jährlich angerechnet. (2) Auf die Zeit der Freistellung wird Urlaub aus der Haft (§§ 13, 35) angerechnet, soweit er in die Arbeitszeit fällt und nicht wegen einer lebensgefährlichen Erkrankung oder des Todes eines Angehörigen erteilt worden ist. (3) Der Gefangene erhält für die Zeit der Freistellung seine zuletzt gezahlten Bezüge weiter. (4) Urlaubsregelungen der Beschäftigungsverhältnisse außerhalb des Strafvollzuges bleiben unberührt.
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§ 43 Arbeitsentgelt, Arbeitsurlaub und Anrechnung der Freistellung auf den Entlassungszeitpunkt (1) Die Arbeit des Gefangenen wird anerkannt durch Arbeitsentgelt und eine Freistellung von der Arbeit, die auch als Urlaub aus der Haft (Arbeitsurlaub) genutzt oder auf den Entlassungszeitpunkt angerechnet werden kann. (2) Übt der Gefangene eine zugewiesene Arbeit, sonstige Beschäftigung oder eine Hilfstätigkeit nach § 41 Abs. 1 Satz 2 aus, so erhält er ein Arbeitsentgelt. Der Bemessung des Arbeitsentgelts ist der in § 200 bestimmte Satz der Bezugsgröße nach § 18 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch zu Grunde zu legen (Eckvergütung). Ein Tagessatz ist der zweihundertfünfzigste Teil der Eckvergütung; das Arbeitsentgelt kann nach einem Stundensatz bemessen werden. (3) Das Arbeitsentgelt kann je nach Leistung des Gefangenen und der Art der Arbeit gestuft werden. 75 vom Hundert der Eckvergütung dürfen nur dann unterschritten werden, wenn die Arbeitsleistungen des Gefangenen den Mindestanforderungen nicht genügen. (4) Übt ein Gefangener zugewiesene arbeitstherapeutische Beschäftigung aus, erhält er ein Arbeitsentgelt, soweit dies der Art seiner Beschäftigung und seiner Arbeitsleistung entspricht. (5) Das Arbeitsentgelt ist dem Gefangenen schriftlich bekannt zu geben. (6) Hat der Gefangene zwei Monate lang zusammenhängend eine zugewiesene Tätigkeit nach § 37 oder eine Hilfstätigkeit nach § 41 Abs. 1 Satz 2 ausgeübt, so wird er auf seinen Antrag hin einen Werktag von der Arbeit freigestellt. Die Regelung des § 42 bleibt unberührt. Durch Zeiten, in denen der Gefangene ohne sein Verschulden durch Krankheit, Ausführung, Ausgang, Urlaub aus der Haft, Freistellung von der Arbeitspflicht oder sonstige nicht von ihm zu vertretende Gründe an der Arbeitsleistung gehindert ist, wird die Frist nach Satz 1 gehemmt. Beschäftigungszeiträume von weniger als zwei Monaten bleiben unberücksichtigt. (7) Der Gefangene kann beantragen, dass die Freistellung nach Absatz 6 in Form von Urlaub aus der Haft gewährt wird (Arbeitsurlaub). § 11 Abs. 2, § 13 Abs. 2 bis 5 und § 14 gelten entsprechend. (8) § 42 Abs. 3 gilt entsprechend. (9) Stellt der Gefangene keinen Antrag nach Absatz 6 Satz 1 oder Absatz 7 Satz 1 oder kann die Freistellung nach Maßgabe der Regelung des Absatzes 7 Satz 2 nicht gewährt werden, so wird die Freistellung nach Absatz 6 Satz 1 von der Anstalt auf den Entlassungszeitpunkt des Gefangenen angerechnet. (10) Eine Anrechnung nach Absatz 9 ist ausgeschlossen, 1. soweit eine lebenslange Freiheitsstrafe oder Sicherungsverwahrung verbüßt wird und ein Entlassungszeitpunkt noch nicht bestimmt ist, 2. bei einer Aussetzung der Vollstreckung des Restes einer Freiheitsstrafe oder einer Sicherungsverwahrung zur Bewährung, soweit wegen des von der Entscheidung des Gerichts bis zur Entlassung verbleibenden Zeitraums eine Anrechnung nicht mehr möglich ist, 3. wenn dies vom Gericht angeordnet wird, weil bei einer Aussetzung der Vollstreckung des Restes einer Freiheitsstrafe oder einer Sicherungsverwahrung zur Bewährung die Lebensverhältnisse des Gefangenen oder die Wirkungen, die von der Aussetzung für ihn zu erwarten sind, die Vollstreckung bis zu einem bestimmten Zeitpunkt erfordern, 4. wenn nach § 456a Abs. 1 der Strafprozessordnung von der Vollstreckung abgesehen wird, 5. wenn der Gefangene im Gnadenwege aus der Haft entlassen wird. (11) Soweit eine Anrechnung nach Absatz 10 ausgeschlossen ist, erhält der Gefangene bei seiner Entlassung für seine Tätigkeit nach Absatz 2 als Ausgleichsentschädigung zusätzlich 15 vom Hundert des ihm nach den Absätzen 2 und 3 gewährten Entgelts oder der ihm nach § 44 gewährten Ausbildungsbeihilfe. Der Anspruch entsteht erst mit der Entlassung; vor der Entlassung ist der Anspruch nicht verzinslich, nicht abtretbar und nicht vererblich. Einem Gefangenen, bei dem eine Anrechnung nach Absatz 10 Nr. 1 ausgeschlossen ist, wird die Ausgleichszahlung bereits nach Verbüßung von jeweils zehn Jahren der lebenslangen Freiheitsstrafe oder Sicherungsverwahrung zum Eigengeld (§ 52) gutgeschrieben, soweit er nicht vor diesem Zeitpunkt entlassen wird; § 57 Abs. 4 des Strafgesetzbuches gilt entsprechend. § 44 Ausbildungsbeihilfe (1) Nimmt der Gefangene an einer Berufsausbildung, beruflichen Weiterbildung oder an einem Unterricht teil und ist er zu diesem Zweck von seiner Arbeitspflicht freigestellt, so erhält er eine Ausbildungsbeihilfe, soweit ihm keine Leistungen zum Lebensunterhalt zustehen, die freien Personen aus solchem
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Anlaß gewährt werden. Der Nachrang der Sozialhilfe nach § 2 Abs. 2 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch wird nicht berührt. (2) Für die Bemessung der Ausbildungsbeihilfe gilt § 43 Abs. 2 und 3 entsprechend. (3) Nimmt der Gefangene während der Arbeitszeit stunden- oder tageweise am Unterricht oder an anderen zugewiesenen Maßnahmen gemäß § 37 Abs. 3 teil, so erhält er in Höhe des ihm dadurch entgehenden Arbeitsentgelts eine Ausbildungsbeihilfe. § 45 Ausfallentschädigung (zukünftig in Kraft) § 46 Taschengeld Wenn ein Gefangener ohne sein Verschulden kein Arbeitsentgelt und keine Ausbildungsbeihilfe erhält, wird ihm ein angemessenes Taschengeld gewährt, falls er bedürftig ist. § 47 Hausgeld (1) Der Gefangene darf von seinen in diesem Gesetz geregelten Bezügen drei Siebtel monatlich (Hausgeld) und das Taschengeld (§ 46) für den Einkauf (§ 22 Abs. 1) oder anderweitig verwenden. (2) Für Gefangene, die in einem freien Beschäftigungsverhältnis stehen (§ 39 Abs. 1) oder denen gestattet ist, sich selbst zu beschäftigen (§ 39 Abs. 2), wird aus ihren Bezügen ein angemessenes Hausgeld festgesetzt. § 48 Rechtsverordnung Das Bundesministerium der Justiz wird ermächtigt, im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie mit Zustimmung des Bundesrates zur Durchführung der §§ 43 bis 45 Rechtsverordnungen über die Vergütungsstufen zu erlassen. § 49 Unterhaltsbeitrag (zukünftig in Kraft) § 50 Haftkostenbeitrag (1) Als Teil der Kosten der Vollstreckung der Rechtsfolgen einer Tat (§ 464a Abs. 1 Satz 2 der Strafprozessordnung) erhebt die Vollzugsanstalt von dem Gefangenen einen Haftkostenbeitrag. Ein Haftkostenbeitrag wird nicht erhoben, wenn der Gefangene 1. Bezüge nach diesem Gesetz erhält oder 2. ohne sein Verschulden nicht arbeiten kann oder 3. nicht arbeitet, weil er nicht zur Arbeit verpflichtet ist. Hat der Gefangene, der ohne sein Verschulden während eines zusammenhängenden Zeitraumes von mehr als einem Monat nicht arbeiten kann oder nicht arbeitet, weil er nicht zur Arbeit verpflichtet ist, auf diese Zeit entfallende Einkünfte, so hat er den Haftkostenbeitrag für diese Zeit bis zur Höhe der auf sie entfallenden Einkünfte zu entrichten. Dem Gefangenen muss ein Betrag verbleiben, der dem mittleren Arbeitsentgelt in den Vollzugsanstalten des Landes entspricht. Von der Geltendmachung des Anspruchs ist abzusehen, soweit dies notwendig ist, um die Wiedereingliederung des Gefangenen in die Gemeinschaft nicht zu gefährden. (2) Der Haftkostenbeitrag wird in Höhe des Betrages erhoben, der nach § 17 Abs. 1 Nr. 4 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch durchschnittlich zur Bewertung der Sachbezüge festgesetzt ist. Das Bundesministerium der Justiz stellt den Durchschnittsbetrag für jedes Kalenderjahr nach den am 1. Oktober des vorhergehenden Jahres geltenden Bewertungen der Sachbezüge, jeweils getrennt für das in Artikel 3 des Einigungsvertrages genannte Gebiet und für das Gebiet, in dem das Strafvollzugsgesetz schon vor dem Wirksamwerden des Beitritts gegolten hat, fest und macht ihn im Bundesanzeiger bekannt. Bei Selbstverpflegung entfallen die für die Verpflegung vorgesehenen Beträge. Für den Wert der Unterkunft ist die festgesetzte Belegungsfähigkeit maßgebend. Der Haftkostenbeitrag darf auch von dem unpfändbaren Teil der Bezüge, nicht aber zu Lasten des Hausgeldes und der Ansprüche unterhaltsberechtigter Angehöriger angesetzt werden. (3) Im Land Berlin gilt einheitlich der für das in Artikel 3 des Einigungsvertrages genannte Gebiet geltende Durchschnittsbetrag.
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(4) Die Selbstbeschäftigung (§ 39 Abs. 2) kann davon abhängig gemacht werden, dass der Gefangene einen Haftkostenbeitrag bis zur Höhe des in Absatz 2 genannten Satzes monatlich im Voraus entrichtet. (5) Für die Erhebung des Haftkostenbeitrages können die Landesregierungen durch Rechtsverordnung andere Zuständigkeiten begründen. Auch in diesem Fall ist der Haftkostenbeitrag eine Justizverwaltungsabgabe; auf das gerichtliche Verfahren finden die §§ 109 bis 121 entsprechende Anwendung. § 51 Überbrückungsgeld (1) Aus den in diesem Gesetz geregelten Bezügen und aus den Bezügen der Gefangenen, die in einem freien Beschäftigungsverhältnis stehen (§ 39 Abs. 1) oder denen gestattet ist, sich selbst zu beschäftigen (§ 39 Abs. 2), ist ein Überbrückungsgeld zu bilden, das den notwendigen Lebensunterhalt des Gefangenen und seiner Unterhaltsberechtigten für die ersten vier Wochen nach seiner Entlassung sichern soll. (2) Das Überbrückungsgeld wird dem Gefangenen bei der Entlassung in die Freiheit ausgezahlt. Die Vollzugsbehörde kann es auch ganz oder zum Teil dem Bewährungshelfer oder einer mit der Entlassenenbetreuung befaßten Stelle überweisen, die darüber entscheiden, wie das Geld innerhalb der ersten vier Wochen nach der Entlassung an den Gefangenen ausgezahlt wird. Der Bewährungshelfer und die mit der Entlassenenbetreuung befaßte Stelle sind verpflichtet, das Überbrückungsgeld von ihrem Vermögen gesondert zu halten. Mit Zustimmung des Gefangenen kann das Überbrückungsgeld auch dem Unterhaltsberechtigten überwiesen werden. (3) Der Anstaltsleiter kann gestatten, daß das Überbrückungsgeld für Ausgaben in Anspruch genommen wird, die der Eingliederung des Gefangenen dienen. (4) Der Anspruch auf Auszahlung des Überbrückungsgeldes ist unpfändbar. Erreicht es nicht die in Absatz 1 bestimmte Höhe, so ist in Höhe des Unterschiedsbetrages auch der Anspruch auf Auszahlung des Eigengeldes unpfändbar. Bargeld des entlassenen Gefangenen, an den wegen der nach Satz 1 oder Satz 2 unpfändbaren Ansprüche Geld ausgezahlt worden ist, ist für die Dauer von vier Wochen seit der Entlassung insoweit der Pfändung nicht unterworfen, als es dem Teil der Ansprüche für die Zeit von der Pfändung bis zum Ablauf der vier Wochen entspricht. (5) Absatz 4 gilt nicht bei einer Pfändung wegen der in § 850d Abs. 1 Satz 1 der Zivilprozeßordnung bezeichneten Unterhaltsansprüche. Dem entlassenen Gefangenen ist jedoch so viel zu belassen, als er für seinen notwendigen Unterhalt und zur Erfüllung seiner sonstigen gesetzlichen Unterhaltspflichten für die Zeit von der Pfändung bis zum Ablauf von vier Wochen seit der Entlassung bedarf. § 52 Eigengeld Bezüge des Gefangenen, die nicht als Hausgeld, Haftkostenbeitrag, Unterhaltsbeitrag oder Überbrückungsgeld in Anspruch genommen werden, sind dem Gefangenen zum Eigengeld gutzuschreiben. SECHSTER TITEL. Religionsausübung § 53 Seelsorge (1) Dem Gefangenen darf religiöse Betreuung durch einen Seelsorger seiner Religionsgemeinschaft nicht versagt werden. Auf seinen Wunsch ist ihm zu helfen, mit einem Seelsorger seiner Religionsgemeinschaft in Verbindung zu treten. (2) Der Gefangene darf grundlegende religiöse Schriften besitzen. Sie dürfen ihm nur bei grobem Mißbrauch entzogen werden. (3) Dem Gefangenen sind Gegenstände des religiösen Gebrauchs in angemessenem Umfang zu belassen. § 54 Religiöse Veranstaltungen (1) Der Gefangene hat das Recht, am Gottesdienst und an anderen religiösen Veranstaltungen seines Bekenntnisses teilzunehmen. (2) Zu dem Gottesdienst oder zu religiösen Veranstaltungen einer anderen Religionsgemeinschaft wird der Gefangene zugelassen, wenn deren Seelsorger zustimmt. (3) Der Gefangene kann von der Teilnahme am Gottesdienst oder anderen religiösen Veranstaltungen ausgeschlossen werden, wenn dies aus überwiegenden Gründen der Sicherheit oder Ordnung geboten ist; der Seelsorger soll vorher gehört werden.
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§ 55 Weltanschauungsgemeinschaften Für Angehörige weltanschaulicher Bekenntnisse gelten die §§ 53 und 54 entsprechend. SIEBTER TITEL. Gesundheitsfürsorge § 56 Allgemeine Regeln (1) Für die körperliche und geistige Gesundheit des Gefangenen ist zu sorgen. § 101 bleibt unberührt. (2) Der Gefangene hat die notwendigen Maßnahmen zum Gesundheitsschutz und zur Hygiene zu unterstützen. § 57 Gesundheitsuntersuchungen, medizinische Vorsorgeleistungen (1) Gefangene, die das fünfunddreißigste Lebensjahr vollendet haben, haben jedes zweite Jahr Anspruch auf eine ärztliche Gesundheitsuntersuchung zur Früherkennung von Krankheiten, insbesondere zur Früherkennung von Herz-Kreislauf- und Nierenerkrankungen sowie der Zuckerkrankheit. (2) Gefangene haben höchstens einmal jährlich Anspruch auf eine Untersuchung zur Früherkennung von Krebserkrankungen, Frauen frühestens vom Beginn des zwanzigsten Lebensjahres an, Männer frühestens vom Beginn des fünfundvierzigsten Lebensjahres an. (3) Voraussetzung für die Untersuchungen nach den Absätzen 1 und 2 ist, daß 1. es sich um Krankheiten handelt, die wirksam behandelt werden können, 2. das Vor- oder Frühstadium dieser Krankheiten durch diagnostische Maßnahmen erfaßbar ist, 3. die Krankheitszeichen medizinisch-technisch genügend eindeutig zu erfassen sind, 4. genügend Ärzte und Einrichtungen vorhanden sind, um die aufgefundenen Verdachtsfälle eingehend zu diagnostizieren und zu behandeln. (4) Gefangene Frauen haben für ihre Kinder, die mit ihnen in der Vollzugsanstalt untergebracht sind, bis zur Vollendung des sechsten Lebensjahres Anspruch auf Untersuchungen zur Früherkennung von Krankheiten, die die körperliche oder geistige Entwicklung ihrer Kinder in nicht geringfügigem Maße gefährden. (5) Gefangene, die das vierzehnte, aber noch nicht das zwanzigste Lebensjahr vollendet haben, können sich zur Verhütung von Zahnerkrankungen einmal in jedem Kalenderhalbjahr zahnärztlich untersuchen lassen. Die Untersuchungen sollen sich auf den Befund des Zahnfleisches, die Aufklärung über Krankheitsursachen und ihre Vermeidung, das Erstellen von diagnostischen Vergleichen zur Mundhygiene, zum Zustand des Zahnfleisches und zur Anfälligkeit gegenüber Karieserkrankungen, auf die Motivation und Einweisung bei der Mundpflege sowie auf Maßnahmen zur Schmelzhärtung der Zähne erstrecken. (6) Gefangene haben Anspruch auf ärztliche Behandlung und Versorgung mit Arznei-, Verband-, Heil- und Hilfsmitteln, wenn diese notwendig sind, 1. eine Schwächung der Gesundheit, die in absehbarer Zeit voraussichtlich zu einer Krankheit führen würde, zu beseitigen, 2. einer Gefährdung der gesundheitlichen Entwicklung eines Kindes entgegenzuwirken oder 3. Pflegebedürftigkeit zu vermeiden. § 58 Krankenbehandlung Gefangene haben Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfaßt insbesondere 1. ärztliche Behandlung, 2. zahnärztliche Behandlung einschließlich der Versorgung mit Zahnersatz, 3. Versorgung mit Arznei-, Verband-, Heil- und Hilfsmitteln, 4. medizinische und ergänzende Leistungen zur Rehabilitation sowie Belastungserprobung und Arbeitstherapie, soweit die Belange des Vollzuges dem nicht entgegenstehen. § 59 Versorgung mit Hilfsmitteln Gefangene haben Anspruch auf Versorgung mit Seh- und Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern oder eine Behinderung auszugleichen, sofern dies nicht mit Rücksicht auf die Kürze des Frei-
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heitsentzugs ungerechtfertigt ist und soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen sind. Der Anspruch umfaßt auch die notwendige Änderung, Instandsetzung und Ersatzbeschaffung von Hilfsmitteln sowie die Ausbildung in ihrem Gebrauch, soweit die Belange des Vollzuges dem nicht entgegenstehen. Ein erneuter Anspruch auf Versorgung mit Sehhilfen besteht nur bei einer Änderung der Sehfähigkeit um mindestens 0,5 Dioptrien. Anspruch auf Versorgung mit Kontaktlinsen besteht nur in medizinisch zwingend erforderlichen Ausnahmefällen. § 60 Krankenbehandlung im Urlaub Während eines Urlaubs oder Ausgangs hat der Gefangene gegen die Vollzugsbehörde nur einen Anspruch auf Krankenbehandlung in der für ihn zuständigen Vollzugsanstalt. § 61 Art und Umfang der Leistungen Für die Art der Gesundheitsuntersuchungen und medizinischen Vorsorgeleistungen sowie für den Umfang dieser Leistungen und der Leistungen zur Krankenbehandlung einschließlich der Versorgung mit Hilfsmitteln gelten die entsprechenden Vorschriften des Sozialgesetzbuchs und die auf Grund dieser Vorschriften getroffenen Regelungen. § 62 Zuschüsse zu Zahnersatz und Zahnkronen Die Landesjustizverwaltungen bestimmen durch allgemeine Verwaltungsvorschriften die Höhe der Zuschüsse zu den Kosten der zahnärztlichen Behandlung und der zahntechnischen Leistungen bei der Versorgung mit Zahnersatz. Sie können bestimmen, daß die gesamten Kosten übernommen werden. § 62a Ruhen der Ansprüche Der Anspruch auf Leistungen nach den §§ 57 bis 59 ruht, solange der Gefangene auf Grund eines freien Beschäftigungsverhältnisses (§ 39 Abs. 1) krankenversichert ist. § 63 Ärztliche Behandlung zur sozialen Eingliederung Mit Zustimmung des Gefangenen soll die Vollzugsbehörde ärztliche Behandlung, namentlich Operationen oder prothetische Maßnahmen durchführen lassen, die seine soziale Eingliederung fördern. Er ist an den Kosten zu beteiligen, wenn dies nach seinen wirtschaftlichen Verhältnissen gerechtfertigt ist und der Zweck der Behandlung dadurch nicht in Frage gestellt wird. § 64 Aufenthalt im Freien Arbeitet ein Gefangener nicht im Freien, so wird ihm täglich mindestens eine Stunde Aufenthalt im Freien ermöglicht, wenn die Witterung dies zu der festgesetzten Zeit zuläßt. § 65 Verlegung (1) Ein kranker Gefangener kann in ein Anstaltskrankenhaus oder in eine für die Behandlung seiner Krankheit besser geeignete Vollzugsanstalt verlegt werden. (2) Kann die Krankheit eines Gefangenen in einer Vollzugsanstalt oder einem Anstaltskrankenhaus nicht erkannt oder behandelt werden oder ist es nicht möglich, den Gefangenen rechtzeitig in ein Anstaltskrankenhaus zu verlegen, ist dieser in ein Krankenhaus außerhalb des Vollzuges zu bringen. § 66 Benachrichtigung bei Erkrankung oder Todesfall (1) Wird ein Gefangener schwer krank, so ist ein Angehöriger, eine Person seines Vertrauens oder der gesetzliche Vertreter unverzüglich zu benachrichtigen. Dasselbe gilt, wenn ein Gefangener stirbt. (2) Dem Wunsch des Gefangenen, auch andere Personen zu benachrichtigen, soll nach Möglichkeit entsprochen werden. ACHTER TITEL. Freizeit § 67 Allgemeines Der Gefangene erhält Gelegenheit, sich in seiner Freizeit zu beschäftigen. Er soll Gelegenheit erhalten, am Unterricht einschließlich Sport, an Fernunterricht, Lehrgängen und sonstigen Veranstaltungen
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der Weiterbildung, an Freizeitgruppen, Gruppengesprächen sowie an Sportveranstaltungen teilzunehmen und eine Bücherei zu benutzen. § 68 Zeitungen und Zeitschriften (1) Der Gefangene darf Zeitungen und Zeitschriften in angemessenem Umfang durch Vermittlung der Anstalt beziehen. (2) Ausgeschlossen sind Zeitungen und Zeitschriften, deren Verbreitung mit Strafe oder Geldbuße bedroht ist. Einzelne Ausgaben oder Teile von Zeitungen oder Zeitschriften können dem Gefangenen vorenthalten werden, wenn sie das Ziel des Vollzuges oder die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt erheblich gefährden würden. § 69 Hörfunk und Fernsehen (1) Der Gefangene kann am Hörfunkprogramm der Anstalt sowie am gemeinschaftlichen Fernsehempfang teilnehmen. Die Sendungen sind so auszuwählen, daß Wünsche und Bedürfnisse nach staatsbürgerlicher Information, Bildung und Unterhaltung angemessen berücksichtigt werden. Der Hörfunkund Fernsehempfang kann vorübergehend ausgesetzt oder einzelnen Gefangenen untersagt werden, wenn dies zur Aufrechterhaltung der Sicherheit oder Ordnung der Anstalt unerläßlich ist. (2) Eigene Hörfunk- und Fernsehgeräte werden unter den Voraussetzungen des § 70 zugelassen. § 70 Besitz von Gegenständen für die Freizeitbeschäftigung (1) Der Gefangene darf in angemessenem Umfang Bücher und andere Gegenstände zur Fortbildung oder zur Freizeitbeschäftigung besitzen. (2) Dies gilt nicht, wenn der Besitz, die Überlassung oder die Benutzung des Gegenstands 1. mit Strafe oder Geldbuße bedroht wäre oder 2. das Ziel des Vollzuges oder die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt gefährden würde. (3) Die Erlaubnis kann unter den Voraussetzungen des Absatzes 2 widerrufen werden. NEUNTER TITEL. Soziale Hilfe § 71 Grundsatz Der Gefangene kann die soziale Hilfe der Anstalt in Anspruch nehmen, um seine persönlichen Schwierigkeiten zu lösen. Die Hilfe soll darauf gerichtet sein, den Gefangenen in die Lage zu versetzen, seine Angelegenheiten selbst zu ordnen und zu regeln. § 72 Hilfe bei der Aufnahme (1) Bei der Aufnahme wird dem Gefangenen geholfen, die notwendigen Maßnahmen für hilfsbedürftige Angehörige zu veranlassen und seine Habe außerhalb der Anstalt sicherzustellen. (2) Der Gefangene ist über die Aufrechterhaltung einer Sozialversicherung zu beraten. § 73 Hilfe während des Vollzuges Der Gefangene wird in dem Bemühen unterstützt, seine Rechte und Pflichten wahrzunehmen, namentlich sein Wahlrecht auszuüben sowie für Unterhaltsberechtigte zu sorgen und einen durch seine Straftat verursachten Schaden zu regeln. § 74 Hilfe zur Entlassung Um die Entlassung vorzubereiten, ist der Gefangene bei der Ordnung seiner persönlichen, wirtschaftlichen und sozialen Angelegenheiten zu beraten. Die Beratung erstreckt sich auch auf die Benennung der für Sozialleistungen zuständigen Stellen. Dem Gefangenen ist zu helfen, Arbeit, Unterkunft und persönlichen Beistand für die Zeit nach der Entlassung zu finden. § 75 Entlassungsbeihilfe (1) Der Gefangene erhält, soweit seine eigenen Mittel nicht ausreichen, von der Anstalt eine Beihilfe zu den Reisekosten sowie eine Überbrückungsbeihilfe und erforderlichenfalls ausreichende Kleidung.
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(2) Bei der Bemessung der Höhe der Überbrückungsbeihilfe sind die Dauer des Freiheitsentzuges, der persönliche Arbeitseinsatz des Gefangenen und die Wirtschaftlichkeit seiner Verfügungen über Eigengeld und Hausgeld während der Strafzeit zu berücksichtigen. § 51 Abs. 2 Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Die Überbrückungsbeihilfe kann ganz oder teilweise auch dem Unterhaltsberechtigten überwiesen werden. (3) Der Anspruch auf Beihilfe zu den Reisekosten und die ausgezahlte Reisebeihilfe sind unpfändbar. Für den Anspruch auf Überbrückungsbeihilfe und für Bargeld nach Auszahlung einer Überbrückungsbeihilfe an den Gefangenen gilt § 51 Abs. 4 Satz 1 und 3,Abs. 5 entsprechend. ZEHNTER TITEL. Besondere Vorschriften für den Frauenstrafvollzug § 76 Leistungen bei Schwangerschaft und Mutterschaft (1) Bei einer Schwangeren oder einer Gefangenen, die unlängst entbunden hat, ist auf ihren Zustand Rücksicht zu nehmen. Die Vorschriften des Gesetzes zum Schutz der erwerbstätigen Mutter über die Gestaltung des Arbeitsplatzes sind entsprechend anzuwenden. (2) Die Gefangene hat während der Schwangerschaft, bei und nach der Entbindung Anspruch auf ärztliche Betreuung und auf Hebammenhilfe in der Vollzugsanstalt. Zur ärztlichen Betreuung während der Schwangerschaft gehören insbesondere Untersuchungen zur Feststellung der Schwangerschaft sowie Vorsorgeuntersuchungen einschließlich der laborärztlichen Untersuchungen. (3) Zur Entbindung ist die Schwangere in ein Krankenhaus außerhalb des Vollzuges zu bringen. Ist dies aus besonderen Gründen nicht angezeigt, so ist die Entbindung in einer Vollzugsanstalt mit Entbindungsabteilung vorzunehmen. Bei der Entbindung wird Hilfe durch eine Hebamme und, falls erforderlich, durch einen Arzt gewährt. § 77 Arznei-, Verband- und Heilmittel Bei Schwangerschaftsbeschwerden und im Zusammenhang mit der Entbindung werden Arznei-, Verband- und Heilmittel geleistet. § 78 Art, Umfang und Ruhen der Leistungen bei Schwangerschaft und Mutterschaft Die §§ 60, 61, 62a und 65 gelten für die Leistungen nach den §§ 76 und 77 entsprechend. § 79 Geburtsanzeige In der Anzeige der Geburt an das Standesamt dürfen die Anstalt als Geburtsstätte des Kindes, das Verhältnis des Anzeigenden zur Anstalt und die Gefangenschaft der Mutter nicht vermerkt sein. § 80 Mütter mit Kindern (1) Ist das Kind einer Gefangenen noch nicht schulpflichtig, so kann es mit Zustimmung des Inhabers des Aufenthaltsbestimmungsrechts in der Vollzugsanstalt untergebracht werden, in der sich seine Mutter befindet, wenn dies seinem Wohl entspricht. Vor der Unterbringung ist das Jugendamt zu hören. (2) Die Unterbringung erfolgt auf Kosten des für das Kind Unterhaltspflichtigen. Von der Geltendmachung des Kostenersatzanspruchs kann abgesehen werden, wenn hierdurch die gemeinsame Unterbringung von Mutter und Kind gefährdet würde. ELFTER TITEL. Sicherheit und Ordnung § 81 Grundsatz (1) Das Verantwortungsbewußtsein des Gefangenen für ein geordnetes Zusammenleben in der Anstalt ist zu wecken und zu fördern. (2) Die Pflichten und Beschränkungen, die dem Gefangenen zur Aufrechterhaltung der Sicherheit oder Ordnung der Anstalt auferlegt werden, sind so zu wählen, daß sie in einem angemessenen Verhältnis zu ihrem Zweck stehen und den Gefangenen nicht mehr und nicht länger als notwendig beeinträchtigen.
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§ 82 Verhaltensvorschriften (1) Der Gefangene hat sich nach der Tageseinteilung der Anstalt (Arbeitszeit, Freizeit, Ruhezeit) zu richten. Er darf durch sein Verhalten gegenüber Vollzugsbediensteten, Mitgefangenen und anderen Personen das geordnete Zusammenleben nicht stören. (2) Der Gefangene hat die Anordnungen der Vollzugsbediensteten zu befolgen, auch wenn er sich durch sie beschwert fühlt. Einen ihm zugewiesenen Bereich darf er nicht ohne Erlaubnis verlassen. (3) Seinen Haftraum und die ihm von der Anstalt überlassenen Sachen hat er in Ordnung zu halten und schonend zu behandeln. (4) Der Gefangene hat Umstände, die eine Gefahr für das Leben oder eine erhebliche Gefahr für die Gesundheit einer Person bedeuten, unverzüglich zu melden. § 83 Persönlicher Gewahrsam. Eigengeld (1) Der Gefangene darf nur Sachen in Gewahrsam haben oder annehmen, die ihm von der Vollzugsbehörde oder mit ihrer Zustimmung überlassen werden. Ohne Zustimmung darf er Sachen von geringem Wert von einem anderen Gefangenen annehmen; die Vollzugsbehörde kann Annahme und Gewahrsam auch dieser Sachen von ihrer Zustimmung abhängig machen. (2) Eingebrachte Sachen, die der Gefangene nicht in Gewahrsam haben darf, sind für ihn aufzubewahren, sofern dies nach Art und Umfang möglich ist. Geld wird ihm als Eigengeld gutgeschrieben. Dem Gefangenen wird Gelegenheit gegeben, seine Sachen, die er während des Vollzuges und für seine Entlassung nicht benötigt, abzusenden oder über sein Eigengeld zu verfügen, soweit dieses nicht als Überbrückungsgeld notwendig ist. (3) Weigert sich ein Gefangener, eingebrachtes Gut, dessen Aufbewahrung nach Art und Umfang nicht möglich ist, aus der Anstalt zu verbringen, so ist die Vollzugsbehörde berechtigt, diese Gegenstände auf Kosten des Gefangenen aus der Anstalt entfernen zu lassen. (4) Aufzeichnungen und andere Gegenstände, die Kenntnisse über Sicherungsvorkehrungen der Anstalt vermitteln, dürfen von der Vollzugsbehörde vernichtet oder unbrauchbar gemacht werden. § 84 Durchsuchung (1) Gefangene, ihre Sachen und die Hafträume dürfen durchsucht werden. Die Durchsuchung männlicher Gefangener darf nur von Männern, die Durchsuchung weiblicher Gefangener darf nur von Frauen vorgenommen werden. Das Schamgefühl ist zu schonen. (2) Nur bei Gefahr im Verzug oder auf Anordnung des Anstaltsleiters im Einzelfall ist es zulässig, eine mit einer Entkleidung verbundene körperliche Durchsuchung vorzunehmen. Sie darf bei männlichen Gefangenen nur in Gegenwart von Männern, bei weiblichen Gefangenen nur in Gegenwart von Frauen erfolgen. Sie ist in einem geschlossenen Raum durchzuführen. Andere Gefangene dürfen nicht anwesend sein. (3) Der Anstaltsleiter kann allgemein anordnen, daß Gefangene bei der Aufnahme, nach Kontakten mit Besuchern und nach jeder Abwesenheit von der Anstalt nach Absatz 2 zu durchsuchen sind. § 85 Sichere Unterbringung Ein Gefangener kann in eine Anstalt verlegt werden, die zu seiner sicheren Unterbringung besser geeignet ist, wenn in erhöhtem Maß Fluchtgefahr gegeben ist oder sonst sein Verhalten oder sein Zustand eine Gefahr für die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt darstellt. § 86 Erkennungsdienstliche Maßnahmen (1) Zur Sicherung des Vollzuges sind als erkennungsdienstliche Maßnahmen zulässig 1. die Abnahme von Finger- und Handflächenabdrücken, 2. die Aufnahme von Lichtbildern mit Kenntnis des Gefangenen, 3. die Feststellung äußerlicher körperlicher Merkmale, 4. Messungen. (2) Die gewonnenen erkennungsdienstlichen Unterlagen werden zu den Gefangenenpersonalakten genommen. Sie können auch in kriminalpolizeilichen Sammlungen verwahrt werden. Die nach Absatz 1 erhobenen Daten dürfen nur für die in Absatz 1, § 87 Abs. 2 und § 180 Abs. 2 Nr. 4 genannten Zwecke verarbeitet und genutzt werden. (3) Personen, die aufgrund des Absatzes 1 erkennungsdienstlich behandelt worden sind, können nach der Entlassung aus dem Vollzug verlangen, daß die gewonnenen erkennungsdienstlichen Unterla-
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gen mit Ausnahme von Lichtbildern und der Beschreibung von körperlichen Merkmalen vernichtet werden, sobald die Vollstreckung der richterlichen Entscheidung, die dem Vollzug zugrunde gelegen hat, abgeschlossen ist. Sie sind über dieses Recht bei der erkennungsdienstlichen Behandlung und bei der Entlassung aufzuklären. § 86a Lichtbilder (1) Unbeschadet des § 86 dürfen zur Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung der Anstalt Lichtbilder der Gefangenen aufgenommen und mit den Namen der Gefangenen sowie deren Geburtsdatum und -ort gespeichert werden. Die Lichtbilder dürfen nur mit Kenntnis der Gefangenen aufgenommen werden. (2) Die Lichtbilder dürfen nur 1. genutzt werden von Justizvollzugsbediensteten, wenn eine Überprüfung der Identität der Gefangenen im Rahmen ihrer Aufgabenwahrnehmung erforderlich ist, 2. übermittelt werden a) an die Polizeivollzugsbehörden des Bundes und der Länder, soweit dies zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für erhebliche Rechtsgüter innerhalb der Anstalt erforderlich ist, b) nach Maßgabe des § 87 Abs. 2. (3) Die Lichtbilder sind nach der Entlassung der Gefangenen aus dem Vollzug oder nach ihrer Verlegung in eine andere Anstalt zu vernichten oder zu löschen. § 87 Festnahmerecht (1) Ein Gefangener, der entwichen ist oder sich sonst ohne Erlaubnis außerhalb der Anstalt aufhält, kann durch die Vollzugsbehörde oder auf ihre Veranlassung hin festgenommen und in die Anstalt zurückgebracht werden. (2) Nach § 86 Abs. 1 erhobene und nach §§ 86a, 179 erhobene und zur Identifizierung oder Festnahme erforderliche Daten dürfen den Vollstreckungs- und Strafverfolgungsbehörden übermittelt werden, soweit dies für Zwecke der Fahndung und Festnahme des entwichenen oder sich sonst ohne Erlaubnis außerhalb der Anstalt aufhaltenden Gefangenen erforderlich ist. § 88 Besondere Sicherungsmaßnahmen (1) Gegen einen Gefangenen können besondere Sicherungsmaßnahmen angeordnet werden, wenn nach seinem Verhalten oder auf Grund seines seelischen Zustandes in erhöhtem Maß Fluchtgefahr oder die Gefahr von Gewalttätigkeiten gegen Personen oder Sachen oder die Gefahr des Selbstmordes oder der Selbstverletzung besteht. (2) Als besondere Sicherungsmaßnahmen sind zulässig: 1. der Entzug oder die Vorenthaltung von Gegenständen, 2. die Beobachtung bei Nacht, 3. die Absonderung von anderen Gefangenen, 4. der Entzug oder die Beschränkung des Aufenthalts im Freien, 5. die Unterbringung in einem besonders gesicherten Haftraum ohne gefährdende Gegenstände und 6. die Fesselung. (3) Maßnahmen nach Absatz 2 Nr. 1, 3 bis 5 sind auch zulässig, wenn die Gefahr einer Befreiung oder eine erhebliche Störung der Anstaltsordnung anders nicht vermieden oder behoben werden kann. (4) Bei einer Ausführung, Vorführung oder beim Transport ist die Fesselung auch dann zulässig, wenn aus anderen Gründen als denen des Absatzes 1 in erhöhtem Maß Fluchtgefahr besteht. (5) Besondere Sicherungsmaßnahmen dürfen nur soweit aufrechterhalten werden, als es ihr Zweck erfordert. § 89 Einzelhaft (1) Die unausgesetzte Absonderung eines Gefangenen (Einzelhaft) ist nur zulässig, wenn dies aus Gründen, die in der Person des Gefangenen liegen, unerläßlich ist. (2) Einzelhaft von mehr als drei Monaten Gesamtdauer in einem Jahr bedarf der Zustimmung der Aufsichtsbehörde. Diese Frist wird nicht dadurch unterbrochen, daß der Gefangene am Gottesdienst oder an der Freistunde teilnimmt.
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§ 90 Fesselung In der Regel dürfen Fesseln nur an den Händen oder an den Füßen angelegt werden. Im Interesse des Gefangenen kann der Anstaltsleiter eine andere Art der Fesselung anordnen. Die Fesselung wird zeitweise gelockert, soweit dies notwendig ist. § 91 Anordnung besonderer Sicherungsmaßnahmen (1) Besondere Sicherungsmaßnahmen ordnet der Anstaltsleiter an. Bei Gefahr im Verzug können auch andere Bedienstete der Anstalt diese Maßnahmen vorläufig anordnen. Die Entscheidung des Anstaltsleiters ist unverzüglich einzuholen. (2) Wird ein Gefangener ärztlich behandelt oder beobachtet oder bildet sein seelischer Zustand den Anlaß der Maßnahme, ist vorher der Arzt zu hören. Ist dies wegen Gefahr im Verzug nicht möglich, wird seine Stellungnahme unverzüglich eingeholt. § 92 Ärztliche Überwachung (1) Ist ein Gefangener in einem besonders gesicherten Haftraum untergebracht oder gefesselt (§ 88 Abs. 2 Nr. 5 und 6), so sucht ihn der Anstaltsarzt alsbald und in der Folge möglichst täglich auf. Dies gilt nicht bei einer Fesselung während einer Ausführung, Vorführung oder eines Transportes (§ 88 Abs. 4). (2) Der Arzt ist regelmäßig zu hören, solange einem Gefangenen der tägliche Aufenthalt im Freien entzogen wird. § 93 Ersatz von Aufwendungen (1) Der Gefangene ist verpflichtet, der Vollzugsbehörde Aufwendungen zu ersetzen, die er durch eine vorsätzliche oder grob fahrlässige Selbstverletzung oder Verletzung eines anderen Gefangenen verursacht hat. Ansprüche aus sonstigen Rechtsvorschriften bleiben unberührt. (2) Bei der Geltendmachung dieser Forderungen kann auch ein den dreifachen Tagessatz der Eckvergütung nach § 43 Abs. 2 übersteigender Teil des Hausgeldes (§ 47) in Anspruch genommen werden. (3) Für die in Absatz 1 genannten Forderungen ist der ordentliche Rechtsweg gegeben. (4) Von der Aufrechnung oder Vollstreckung wegen der in Absatz 1 genannten Forderungen ist abzusehen, wenn hierdurch die Behandlung des Gefangenen oder seine Eingliederung behindert würde. ZWÖLFTER TITEL. Unmittelbarer Zwang § 94 Allgemeine Voraussetzungen (1) Bedienstete der Justizvollzugsanstalten dürfen unmittelbaren Zwang anwenden, wenn sie Vollzugs- und Sicherungsmaßnahmen rechtmäßig durchführen und der damit verfolgte Zweck auf keine andere Weise erreicht werden kann. (2) Gegen andere Personen als Gefangene darf unmittelbarer Zwang angewendet werden, wenn sie es unternehmen, Gefangene zu befreien oder in den Anstaltsbereich widerrechtlich einzudringen, oder wenn sie sich unbefugt darin aufhalten. (3) Das Recht zu unmittelbarem Zwang auf Grund anderer Regelungen bleibt unberührt. § 95 Begriffsbestimmungen (1) Unmittelbarer Zwang ist die Einwirkung auf Personen oder Sachen durch körperliche Gewalt, ihre Hilfsmittel und durch Waffen. (2) Körperliche Gewalt ist jede unmittelbare körperliche Einwirkung auf Personen oder Sachen. (3) Hilfsmittel der körperlichen Gewalt sind namentlich Fesseln. (4) Waffen sind die dienstlich zugelassenen Hieb- und Schußwaffen sowie Reizstoffe. § 96 Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (1) Unter mehreren möglichen und geeigneten Maßnahmen des unmittelbaren Zwanges sind diejenigen zu wählen, die den Einzelnen und die Allgemeinheit voraussichtlich am wenigsten beeinträchtigen. (2) Unmittelbarer Zwang unterbleibt, wenn ein durch ihn zu erwartender Schaden erkennbar außer Verhältnis zu dem angestrebten Erfolg steht.
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§ 97 Handeln auf Anordnung (1) Wird unmittelbarer Zwang von einem Vorgesetzten oder einer sonst befugten Person angeordnet, sind Vollzugsbedienstete verpflichtet, ihn anzuwenden, es sei denn, die Anordnung verletzt die Menschenwürde oder ist nicht zu dienstlichen Zwecken erteilt worden. (2) Die Anordnung darf nicht befolgt werden, wenn dadurch eine Straftat begangen würde. Befolgt der Vollzugsbedienstete sie trotzdem, trifft ihn eine Schuld nur, wenn er erkennt oder wenn es nach den ihm bekannten Umständen offensichtlich ist, daß dadurch eine Straftat begangen wird. (3) Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der Anordnung hat der Vollzugsbedienstete dem Anordnenden gegenüber vorzubringen, soweit das nach den Umständen möglich ist. Abweichende Vorschriften des allgemeinen Beamtenrechts über die Mitteilung solcher Bedenken an einen Vorgesetzten (§ 36 Abs. 2 und 3 des Beamtenstatusgesetzes) sind nicht anzuwenden. § 98 Androhung Unmittelbarer Zwang ist vorher anzudrohen. Die Androhung darf nur dann unterbleiben, wenn die Umstände sie nicht zulassen oder unmittelbarer Zwang sofort angewendet werden muß, um eine rechtswidrige Tat, die den Tatbestand eines Strafgesetzes erfüllt, zu verhindern oder eine gegenwärtige Gefahr abzuwenden. § 99 Allgemeine Vorschriften für den Schußwaffengebrauch (1) Schußwaffen dürfen nur gebraucht werden, wenn andere Maßnahmen des unmittelbaren Zwanges bereits erfolglos waren oder keinen Erfolg versprechen. Gegen Personen ist ihr Gebrauch nur zulässig, wenn der Zweck nicht durch Waffenwirkung gegen Sachen erreicht wird. (2) Schußwaffen dürfen nur die dazu bestimmten Vollzugsbediensteten gebrauchen und nur, um angriffs- oder fluchtunfähig zu machen. Ihr Gebrauch unterbleibt, wenn dadurch erkennbar Unbeteiligte mit hoher Wahrscheinlichkeit gefährdet würden. (3) Der Gebrauch von Schußwaffen ist vorher anzudrohen. Als Androhung gilt auch ein Warnschuß. Ohne Androhung dürfen Schußwaffen nur dann gebraucht werden, wenn das zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für Leib oder Leben erforderlich ist. § 100 Besondere Vorschriften für den Schußwaffengebrauch (1) Gegen Gefangene dürfen Schußwaffen gebraucht werden, 1. wenn sie eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug trotz wiederholter Aufforderung nicht ablegen, 2. wenn sie eine Meuterei (§ 121 des Strafgesetzbuches) unternehmen oder 3. um ihre Flucht zu vereiteln oder um sie wiederzuergreifen. Um die Flucht aus einer offenen Anstalt zu vereiteln, dürfen keine Schußwaffen gebraucht werden. (2) Gegen andere Personen dürfen Schußwaffen gebraucht werden, wenn sie es unternehmen, Gefangene gewaltsam zu befreien oder gewaltsam in eine Anstalt einzudringen. § 101 Zwangsmaßnahmen auf dem Gebiet der Gesundheitsfürsorge (1) Medizinische Untersuchung und Behandlung sowie Ernährung sind zwangsweise nur bei Lebensgefahr, bei schwerwiegender Gefahr für die Gesundheit des Gefangenen oder bei Gefahr für die Gesundheit anderer Personen zulässig; die Maßnahmen müssen für die Beteiligten zumutbar und dürfen nicht mit erheblicher Gefahr für Leben oder Gesundheit des Gefangenen verbunden sein. Zur Durchführung der Maßnahmen ist die Vollzugsbehörde nicht verpflichtet, solange von einer freien Willensbestimmung des Gefangenen ausgegangen werden kann. (2) Zum Gesundheitsschutz und zur Hygiene ist die zwangsweise körperliche Untersuchung außer im Falle des Absatzes 1 zulässig, wenn sie nicht mit einem körperlichen Eingriff verbunden ist. (3) Die Maßnahmen dürfen nur auf Anordnung und unter Leitung eines Arztes durchgeführt werden, unbeschadet der Leistung erster Hilfe für den Fall, daß ein Arzt nicht rechtzeitig erreichbar und mit einem Aufschub Lebensgefahr verbunden ist.
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DREIZEHNTER TITEL. Disziplinarmaßnahmen § 102 Voraussetzungen (1) Verstößt ein Gefangener schuldhaft gegen Pflichten, die ihm durch dieses Gesetz oder auf Grund dieses Gesetzes auferlegt sind, kann der Anstaltsleiter gegen ihn Disziplinarmaßnahmen anordnen. (2) Von einer Disziplinarmaßnahme wird abgesehen, wenn es genügt, den Gefangenen zu verwarnen. (3) Eine Disziplinarmaßnahme ist auch zulässig, wenn wegen derselben Verfehlung ein Straf- oder Bußgeldverfahren eingeleitet wird. § 103 Arten der Disziplinarmaßnahmen (1) Die zulässigen Disziplinarmaßnahmen sind: 1. Verweis, 2. die Beschränkung oder der Entzug der Verfügung über das Hausgeld und des Einkaufs bis zu drei Monaten, 3. die Beschränkung oder der Entzug des Lesestoffs bis zu zwei Wochen sowie des Hörfunk und Fernsehempfangs bis zu drei Monaten; der gleichzeitige Entzug jedoch nur bis zu zwei Wochen, 4. die Beschränkung oder der Entzug der Gegenstände für eine Beschäftigung in der Freizeit oder der Teilnahme an gemeinschaftlichen Veranstaltungen bis zu drei Monaten, 5. die getrennte Unterbringung während der Freizeit bis zu vier Wochen, 6. (weggefallen) 7. der Entzug der zugewiesenen Arbeit oder Beschäftigung bis zu vier Wochen unter Wegfall der in diesem Gesetz geregelten Bezüge, 8. die Beschränkung des Verkehrs mit Personen außerhalb der Anstalt auf dringende Fälle bis zu drei Monaten, 9. Arrest bis zu vier Wochen. (2) Arrest darf nur wegen schwerer oder mehrfach wiederholter Verfehlungen verhängt werden. (3) Mehrere Disziplinarmaßnahmen können miteinander verbunden werden. (4) Die Maßnahmen nach Absatz 1 Nr. 3 bis 8 sollen möglichst nur angeordnet werden, wenn die Verfehlung mit den zu beschränkenden oder zu entziehenden Befugnissen im Zusammenhang steht. Dies gilt nicht bei einer Verbindung mit Arrest. § 104 Vollzug der Disziplinarmaßnahmen, Aussetzung zur Bewährung (1) Disziplinarmaßnahmen werden in der Regel sofort vollstreckt. (2) Eine Disziplinarmaßnahme kann ganz oder teilweise bis zu sechs Monaten zur Bewährung ausgesetzt werden. (3) Wird die Verfügung über das Hausgeld beschränkt oder entzogen, ist das in dieser Zeit anfallende Hausgeld dem Überbrückungsgeld hinzuzurechnen. (4) Wird der Verkehr des Gefangenen mit Personen außerhalb der Anstalt eingeschränkt, ist ihm Gelegenheit zu geben, dies einer Person, mit der er im Schriftwechsel steht oder die ihn zu besuchen pflegt, mitzuteilen. Der Schriftwechsel mit den in § 29 Abs. 1 und 2 genannten Empfängern, mit Gerichten und Justizbehörden in der Bundesrepublik sowie mit Rechtsanwälten und Notaren in einer den Gefangenen betreffenden Rechtssache bleibt unbeschränkt. (5) Arrest wird in Einzelhaft vollzogen. Der Gefangene kann in einem besonderen Arrestraum untergebracht werden, der den Anforderungen entsprechen muß, die an einen zum Aufenthalt bei Tag und Nacht bestimmten Haftraum gestellt werden. Soweit nichts anderes angeordnet wird, ruhen die Befugnisse des Gefangenen aus den §§ 19, 20, 22, 37, 38, 68 bis 70. § 105 Disziplinarbefugnis (1) Disziplinarmaßnahmen ordnet der Anstaltsleiter an. Bei einer Verfehlung auf dem Weg in eine andere Anstalt zum Zwecke der Verlegung ist der Leiter der Bestimmungsanstalt zuständig. (2) Die Aufsichtsbehörde entscheidet, wenn sich die Verfehlung des Gefangenen gegen den Anstaltsleiter richtet. (3) Disziplinarmaßnahmen, die gegen einen Gefangenen in einer anderen Vollzugsanstalt oder während einer Untersuchungshaft angeordnet worden sind, werden auf Ersuchen vollstreckt. § 104 Abs. 2 bleibt unberührt.
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§ 106 Verfahren (1) Der Sachverhalt ist zu klären. Der Gefangene wird gehört. Die Erhebungen werden in einer Niederschrift festgelegt; die Einlassung des Gefangenen wird vermerkt. (2) Bei schweren Verstößen soll der Anstaltsleiter sich vor der Entscheidung in einer Konferenz mit Personen besprechen, die bei der Behandlung des Gefangenen mitwirken. Vor der Anordnung einer Disziplinarmaßnahme gegen einen Gefangenen, der sich in ärztlicher Behandlung befindet, oder gegen eine Schwangere oder eine stillende Mutter ist der Anstaltsarzt zu hören. (3) Die Entscheidung wird dem Gefangenen vom Anstaltsleiter mündlich eröffnet und mit einer kurzen Begründung schriftlich abgefaßt. § 107 Mitwirkung des Arztes (1) Bevor der Arrest vollzogen wird, ist der Arzt zu hören. Während des Arrestes steht der Gefangene unter ärztlicher Aufsicht. (2) Der Vollzug des Arrestes unterbleibt oder wird unterbrochen, wenn die Gesundheit des Gefangenen gefährdet würde. VIERZEHNTER TITEL. Rechtsbehelfe § 108 Beschwerderecht (1) Der Gefangene erhält Gelegenheit, sich mit Wünschen, Anregungen und Beschwerden in Angelegenheiten, die ihn selbst betreffen, an den Anstaltsleiter zu wenden. Regelmäßige Sprechstunden sind einzurichten. (2) Besichtigt ein Vertreter der Aufsichtsbehörde die Anstalt, so ist zu gewährleisten, daß ein Gefangener sich in Angelegenheiten, die ihn selbst betreffen, an ihn wenden kann. (3) Die Möglichkeit der Dienstaufsichtsbeschwerde bleibt unberührt. § 109 Antrag auf gerichtliche Entscheidung (1) Gegen eine Maßnahme zur Regelung einzelner Angelegenheiten auf dem Gebiet des Strafvollzuges kann gerichtliche Entscheidung beantragt werden. Mit dem Antrag kann auch die Verpflichtung zum Erlaß einer abgelehnten oder unterlassenen Maßnahme begehrt werden. (2) Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist nur zulässig, wenn der Antragsteller geltend macht, durch die Maßnahme oder ihre Ablehnung oder Unterlassung in seinen Rechten verletzt zu sein. (3) Das Landesrecht kann vorsehen, daß der Antrag erst nach vorausgegangenem Verwaltungsvorverfahren gestellt werden kann. § 110 Zuständigkeit Über den Antrag entscheidet die Strafvollstreckungskammer, in deren Bezirk die beteiligte Vollzugsbehörde ihren Sitz hat. Durch die Entscheidung in einem Verwaltungsvorverfahren nach § 109 Abs. 3 ändert sich die Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer nicht. § 111 Beteiligte (1) Beteiligte des gerichtlichen Verfahrens sind 1. der Antragsteller, 2. die Vollzugsbehörde, die die angefochtene Maßnahme angeordnet oder die beantragte abgelehnt oder unterlassen hat. (2) In dem Verfahren vor dem Oberlandesgericht oder dem Bundesgerichtshof ist Beteiligte nach Absatz 1 Nr. 2 die zuständige Aufsichtsbehörde. § 112 Antragsfrist. Wiedereinsetzung (1) Der Antrag muß binnen zwei Wochen nach Zustellung oder schriftlicher Bekanntgabe der Maßnahme oder ihrer Ablehnung schriftlich oder zur Niederschrift der Geschäftsstelle des Gerichts gestellt werden. Soweit ein Verwaltungsvorverfahren (§ 109 Abs. 3) durchzuführen ist, beginnt die Frist mit der Zustellung oder schriftlichen Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides.
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(2) War der Antragsteller ohne Verschulden verhindert, die Frist einzuhalten, so ist ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. (3) Der Antrag auf Wiedereinsetzung ist binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sind bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen. Innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Rechtshandlung nachzuholen. Ist dies geschehen, so kann die Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden. (4) Nach einem Jahr seit dem Ende der versäumten Frist ist der Antrag auf Wiedereinsetzung unzulässig, außer wenn der Antrag vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war. § 113 Vornahmeantrag (1) Wendet sich der Antragsteller gegen das Unterlassen einer Maßnahme, kann der Antrag auf gerichtliche Entscheidung nicht vor Ablauf von drei Monaten seit dem Antrag auf Vornahme der Maßnahme gestellt werden, es sei denn, daß eine frühere Anrufung des Gerichts wegen besonderer Umstände des Falles geboten ist. (2) Liegt ein zureichender Grund dafür vor, daß die beantragte Maßnahme noch nicht erlassen ist, so setzt das Gericht das Verfahren bis zum Ablauf einer von ihm bestimmten Frist aus. Die Frist kann verlängert werden. Wird die beantragte Maßnahme in der gesetzten Frist erlassen, so ist der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt. (3) Der Antrag nach Absatz 1 ist nur bis zum Ablauf eines Jahres seit der Stellung des Antrags auf Vornahme der Maßnahme zulässig, außer wenn die Antragstellung vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war oder unter den besonderen Verhältnissen des Einzelfalles unterblieben ist. § 114 Aussetzung der Maßnahme (1) Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat keine aufschiebende Wirkung. (2) Das Gericht kann den Vollzug der angefochtenen Maßnahme aussetzen, wenn die Gefahr besteht, daß die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert wird und ein höher zu bewertendes Interesse an dem sofortigen Vollzug nicht entgegensteht. Das Gericht kann auch eine einstweilige Anordnung erlassen; § 123 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung ist entsprechend anzuwenden. Die Entscheidungen sind nicht anfechtbar; sie können vom Gericht jederzeit geändert oder aufgehoben werden. (3) Der Antrag auf eine Entscheidung nach Absatz 2 ist schon vor Stellung des Antrags auf gerichtliche Entscheidung zulässig. § 115 Gerichtliche Entscheidung (1) Das Gericht entscheidet ohne mündliche Verhandlung durch Beschluß. Der Beschluss stellt den Sach- und Streitstand seinem wesentlichen Inhalt nach gedrängt zusammen. Wegen der Einzelheiten soll auf bei den Gerichtsakten befindliche Schriftstücke, die nach Herkunft und Datum genau zu bezeichnen sind, verwiesen werden, soweit sich aus ihnen der Sach- und Streitstand ausreichend ergibt. Das Gericht kann von einer Darstellung der Entscheidungsgründe absehen, soweit es der Begründung der angefochtenen Entscheidung folgt und dies in seiner Entscheidung feststellt. (2) Soweit die Maßnahme rechtswidrig und der Antragsteller dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht die Maßnahme und, soweit ein Verwaltungsvorverfahren vorhergegangen ist, den Widerspruchsbescheid auf. Ist die Maßnahme schon vollzogen, kann das Gericht auch aussprechen, daß und wie die Vollzugsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat, soweit die Sache spruchreif ist. (3) Hat sich die Maßnahme vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, spricht das Gericht auf Antrag aus, daß die Maßnahme rechtswidrig gewesen ist, wenn der Antragsteller ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat. (4) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung der Maßnahme rechtswidrig und der Antragsteller dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Vollzugsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Anderenfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Antragsteller unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden. (5) Soweit die Vollzugsbehörde ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, prüft das Gericht auch, ob die Maßnahme oder ihre Ablehnung oder Unterlassung rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist.
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§ 116 Rechtsbeschwerde (1) Gegen die gerichtliche Entscheidung der Strafvollstreckungskammer ist die Rechtsbeschwerde zulässig, wenn es geboten ist, die Nachprüfung zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu ermöglichen. (2) Die Rechtsbeschwerde kann nur darauf gestützt werden, daß die Entscheidung auf einer Verletzung des Gesetzes beruhe. Das Gesetz ist verletzt, wenn eine Rechtsnorm nicht oder nicht richtig angewendet worden ist. (3) Die Rechtsbeschwerde hat keine aufschiebende Wirkung. § 114 Abs. 2 gilt entsprechend. (4) Für die Rechtsbeschwerde gelten die Vorschriften der Strafprozeßordnung über die Beschwerde entsprechend, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt. § 117 Zuständigkeit für die Rechtsbeschwerde Über die Rechtsbeschwerde entscheidet ein Strafsenat des Oberlandesgerichts, in dessen Bezirk die Strafvollstreckungskammer ihren Sitz hat. § 118 Form. Frist. Begründung (1) Die Rechtsbeschwerde muß bei dem Gericht, dessen Entscheidung angefochten wird, binnen eines Monats nach Zustellung der gerichtlichen Entscheidung eingelegt werden. In dieser Frist ist außerdem die Erklärung abzugeben, inwieweit die Entscheidung angefochten und ihre Aufhebung beantragt wird. Die Anträge sind zu begründen. (2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob die Entscheidung wegen Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren oder wegen Verletzung einer anderen Rechtsnorm angefochten wird. Ersterenfalls müssen die den Mangel enthaltenden Tatsachen angegeben werden. (3) Der Antragsteller als Beschwerdeführer kann dies nur in einer von einem Rechtsanwalt unterzeichneten Schrift oder zur Niederschrift der Geschäftsstelle tun. § 119 Entscheidung über die Rechtsbeschwerde (1) Der Strafsenat entscheidet ohne mündliche Verhandlung durch Beschluß. (2) Seiner Prüfung unterliegen nur die Beschwerdeanträge und, soweit die Rechtsbeschwerde auf Mängel des Verfahrens gestützt wird, nur die Tatsachen, die in der Begründung der Rechtsbeschwerde bezeichnet worden sind. (3) Der Beschluß, durch den die Beschwerde verworfen wird, bedarf keiner Begründung, wenn der Strafsenat die Beschwerde einstimmig für unzulässig oder für offensichtlich unbegründet erachtet. (4) Soweit die Rechtsbeschwerde für begründet erachtet wird, ist die angefochtene Entscheidung aufzuheben. Der Strafsenat kann an Stelle der Strafvollstreckungskammer entscheiden, wenn die Sache spruchreif ist. Sonst ist die Sache zur neuen Entscheidung an die Strafvollstreckungskammer zurückzuverweisen. (5) Die Entscheidung des Strafsenats ist endgültig. § 120 Entsprechende Anwendung anderer Vorschriften (1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, sind die Vorschriften der Strafprozeßordnung entsprechend anzuwenden. (2) Auf die Bewilligung der Prozeßkostenhilfe sind die Vorschriften der Zivilprozeßordnung entsprechend anzuwenden. § 121 Kosten des Verfahrens (1) In der das Verfahren abschließenden Entscheidung ist zu bestimmen, von wem die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen zu tragen sind. (2) Soweit der Antragsteller unterliegt oder seinen Antrag zurücknimmt, trägt er die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen. Hat sich die Maßnahme vor einer Entscheidung nach Absatz 1 in anderer Weise als durch Zurücknahme des Antrags erledigt, so entscheidet das Gericht über die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen nach billigem Ermessen. (3) Absatz 2 Satz 2 gilt nicht im Falle des § 115 Abs. 3. (4) Im übrigen gelten die §§ 464 bis 473 der Strafprozeßordnung entsprechend. (5) Für die Kosten des Verfahrens nach den §§ 109 ff kann auch ein den dreifachen Tagessatz der Eckvergütung nach § 43 Abs. 2 übersteigender Teil des Hausgeldes (§ 47) in Anspruch genommen werden.
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FÜNFZEHNTER TITEL. Strafvollstreckung und Untersuchungshaft § 122 (1) Wird Untersuchungshaft zum Zwecke der Strafvollstreckung unterbrochen oder wird gegen einen Strafgefangenen in anderer Sache Untersuchungshaft angeordnet, so unterliegt der Gefangene abweichend von § 4 Abs. 2 auch denjenigen Beschränkungen seiner Freiheit, die der Zweck der Untersuchungshaft erfordert. Die notwendigen Maßnahmen ordnet der nach § 126 der Strafprozeßordnung zuständige Richter an. § 119 Abs. 6 Satz 2 und 3 der Strafprozeßordnung gilt entsprechend. (2) § 148 Abs. 2, § 148a der Strafprozeßordnung sind anzuwenden. SECHZEHNTER TITEL. Sozialtherapeutische Anstalten § 123 Sozialtherapeutische Anstalten und Abteilungen (1) Für den Vollzug nach § 9 sind von den übrigen Vollzugsanstalten getrennte sozialtherapeutische Anstalten vorzusehen. (2) Aus besonderen Gründen können auch sozialtherapeutische Abteilungen in anderen Vollzugsanstalten eingerichtet werden. Für diese Abteilungen gelten die Vorschriften über die sozialtherapeutische Anstalt entsprechend. § 124 Urlaub zur Vorbereitung der Entlassung (1) Der Anstaltsleiter kann dem Gefangenen zur Vorbereitung der Entlassung Sonderurlaub bis zu sechs Monaten gewähren. § 11 Abs. 2 und § 13 Abs. 5 gelten entsprechend. (2) Dem Beurlaubten sollen für den Urlaub Weisungen erteilt werden. Er kann insbesondere angewiesen werden, sich einer von der Anstalt bestimmten Betreuungsperson zu unterstellen und jeweils für kurze Zeit in die Anstalt zurückzukehren. (3) § 14 Abs. 2 gilt entsprechend. Der Urlaub wird widerrufen, wenn dies für die Behandlung des Gefangenen notwendig ist. § 125 Aufnahme auf freiwilliger Grundlage (1) Ein früherer Gefangener kann auf seinen Antrag vorübergehend wieder in die sozialtherapeutische Anstalt aufgenommen werden, wenn das Ziel seiner Behandlung gefährdet und ein Aufenthalt in der Anstalt aus diesem Grunde gerechtfertigt ist. Die Aufnahme ist jederzeit widerruflich. (2) Gegen den Aufgenommenen dürfen Maßnahmen des Vollzuges nicht mit unmittelbarem Zwang durchgesetzt werden. (3) Auf seinen Antrag ist der Aufgenommene unverzüglich zu entlassen. § 126 Nachgehende Betreuung Die Zahl der Fachkräfte für die sozialtherapeutische Anstalt ist so zu bemessen, daß auch eine nachgehende Betreuung der Gefangenen gewährleistet ist, soweit diese anderweitig nicht sichergestellt werden kann. §§ 127 u. 128 (aufgehoben) Dritter Abschnitt. Besondere Vorschriften über den Vollzug der freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung ERSTER TITEL. Sicherungsverwahrung § 129 Ziel der Unterbringung Der Sicherungsverwahrte wird zum Schutz der Allgemeinheit sicher untergebracht. Ihm soll geholfen werden, sich in das Leben in Freiheit einzugliedern.
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§ 130 Anwendung anderer Vorschriften Für die Sicherungsverwahrung gelten die Vorschriften über den Vollzug der Freiheitsstrafe (§§ 3 bis 126, 179 bis 187) entsprechend, soweit im folgenden nichts anderes bestimmt ist. § 131 Ausstattung Die Ausstattung der Sicherungsanstalten, namentlich der Hafträume, und besondere Maßnahmen zur Förderung und Betreuung sollen dem Untergebrachten helfen, sein Leben in der Anstalt sinnvoll zu gestalten, und ihn vor Schäden eines langen Freiheitsentzuges bewahren. Seinen persönlichen Bedürfnissen ist nach Möglichkeit Rechnung zu tragen. § 132 Kleidung Der Untergebrachte darf eigene Kleidung, Wäsche und eigenes Bettzeug benutzen, wenn Gründe der Sicherheit nicht entgegenstehen und der Untergebrachte für Reinigung, Instandsetzung und regelmäßigen Wechsel auf eigene Kosten sorgt. § 133 Selbstbeschäftigung. Taschengeld (1) Dem Untergebrachten wird gestattet, sich gegen Entgelt selbst zu beschäftigen, wenn dies dem Ziel dient, Fähigkeiten für eine Erwerbstätigkeit nach der Entlassung zu vermitteln, zu erhalten oder zu fördern. (2) Das Taschengeld (§ 46) darf den dreifachen Tagessatz der Eckvergütung nach § 43 Abs. 2 im Monat nicht unterschreiten. § 134 Entlassungsvorbereitung Um die Entlassung zu erproben und vorzubereiten, kann der Vollzug gelockert und Sonderurlaub bis zu einem Monat gewährt werden. Bei Untergebrachten in einer sozialtherapeutischen Anstalt bleibt § 124 unberührt. § 135 Sicherungsverwahrung in Frauenanstalten Die Sicherungsverwahrung einer Frau kann auch in einer für den Vollzug der Freiheitsstrafe bestimmten Frauenanstalt durchgeführt werden, wenn diese Anstalt für die Sicherungsverwahrung eingerichtet ist. ZWEITER TITEL. Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt § 136 Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus Die Behandlung des Untergebrachten in einem psychiatrischen Krankenhaus richtet sich nach ärztlichen Gesichtspunkten. Soweit möglich, soll er geheilt oder sein Zustand so weit gebessert werden, daß er nicht mehr gefährlich ist. Ihm wird die nötige Aufsicht, Betreuung und Pflege zuteil. § 137 Unterbringung in einer Entziehungsanstalt Ziel der Behandlung des Untergebrachten in einer Entziehungsanstalt ist es, ihn von seinem Hang zu heilen und die zugrunde liegende Fehlhaltung zu beheben. § 138 Anwendung anderer Vorschriften (1) Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in einer Entziehungsanstalt richtet sich nach Landesrecht, soweit Bundesgesetze nichts anderes bestimmen. § 51 Abs. 4 und 5 sowie § 75 Abs. 3 gelten entsprechend. (2) Für die Erhebung der Kosten der Unterbringung gilt § 50 entsprechend mit der Maßgabe, dass in den Fällen des § 50 Abs. 1 Satz 2 an die Stelle erhaltener Bezüge die Verrichtung zugewiesener oder ermöglichter Arbeit tritt und in den Fällen des § 50 Abs. 1 Satz 4 dem Untergebrachten ein Betrag in der Höhe verbleiben muss, der dem Barbetrag entspricht, den ein in einer Einrichtung lebender und einen Teil der Kosten seines Aufenthalts selbst tragender Sozialhilfeempfänger zur persönlichen Verfügung erhält. Bei der Bewertung einer Beschäftigung als Arbeit sind die besonderen Verhältnisse des Maßregelvollzugs zu berücksichtigen. Zuständig für die Erhebung der Kosten ist die Vollstreckungsbehörde; die Landesregie-
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rungen können durch Rechtsverordnung andere Zuständigkeiten begründen. Die Kosten werden als Justizverwaltungsabgabe erhoben. (3) Für das gerichtliche Verfahren gelten die §§ 109 bis 121 entsprechend. Vierter Abschnitt. Vollzugsbehörden ERSTER TITEL. Arten und Einrichtung der Justizvollzugsanstalten § 139 Justizvollzugsanstalten Die Freiheitsstrafe sowie die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung werden in Anstalten der Landesjustizverwaltungen (Justizvollzugsanstalten) vollzogen. § 140 Trennung des Vollzuges (1) Die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung wird in getrennten Anstalten oder in getrennten Abteilungen einer für den Vollzug der Freiheitsstrafe bestimmten Vollzugsanstalt vollzogen. (2) Frauen sind getrennt von Männern in besonderen Frauenanstalten unterzubringen. Aus besonderen Gründen können für Frauen getrennte Abteilungen in Anstalten für Männer vorgesehen werden. (3) Von der getrennten Unterbringung nach den Absätzen 1 und 2 darf abgewichen werden, um dem Gefangenen die Teilnahme an Behandlungsmaßnahmen in einer anderen Anstalt oder in einer anderen Abteilung zu ermöglichen. § 141 Differenzierung (1) Für den Vollzug der Freiheitsstrafe sind Haftplätze vorzusehen in verschiedenen Anstalten oder Abteilungen, in denen eine auf die unterschiedlichen Bedürfnisse der Gefangenen abgestimmte Behandlung gewährleistet ist. (2) Anstalten des geschlossenen Vollzuges sehen eine sichere Unterbringung vor, Anstalten des offenen Vollzuges keine oder nur verminderte Vorkehrungen gegen Entweichungen. § 142 Einrichtungen für Mütter mit Kindern In Anstalten für Frauen sollen Einrichtungen vorgesehen werden, in denen Mütter mit ihren Kindern untergebracht werden können. § 143 Größe und Gestaltung der Anstalten (1) Justizvollzugsanstalten sind so zu gestalten, daß eine auf die Bedürfnisse des einzelnen abgestellte Behandlung gewährleistet ist. (2) Die Vollzugsanstalten sind so zu gliedern, daß die Gefangenen in überschaubaren Betreuungsund Behandlungsgruppen zusammengefaßt werden können. (3) Die für sozialtherapeutische Anstalten und für Justizvollzugsanstalten für Frauen vorgesehene Belegung soll zweihundert Plätze nicht übersteigen. § 144 Größe und Ausgestaltung der Räume (1) Räume für den Aufenthalt während der Ruhe- und Freizeit sowie Gemeinschafts- und Besuchsräume sind wohnlich oder sonst ihrem Zweck entsprechend auszugestalten. Sie müssen hinreichend Luftinhalt haben und für eine gesunde Lebensführung ausreichend mit Heizung und Lüftung, Boden- und Fensterfläche ausgestattet sein. (2) Das Bundesministerium der Justiz wird ermächtigt, mit Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverordnung Näheres über den Luftinhalt, die Lüftung, die Boden- und Fensterfläche sowie die Heizung und Einrichtung der Räume zu bestimmen. § 145 Festsetzung der Belegungsfähigkeit Die Aufsichtsbehörde setzt die Belegungsfähigkeit für jede Anstalt so fest, daß eine angemessene Unterbringung während der Ruhezeit (§ 18) gewährleistet ist. Dabei ist zu berücksichtigen, daß eine ausreichende Anzahl von Plätzen für Arbeit, Ausbildung und Weiterbildung sowie von Räumen für Seelsorge, Freizeit, Sport, therapeutische Maßnahmen und Besuche zur Verfügung steht.
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§ 146 Verbot der Überbelegung (1) Hafträume dürfen nicht mit mehr Personen als zugelassen belegt werden. (2) Ausnahmen hiervon sind nur vorübergehend und nur mit Zustimmung der Aufsichtsbehörde zulässig. § 147 Einrichtungen für die Entlassung Um die Entlassung vorzubereiten, sollen den geschlossenen Anstalten offene Einrichtungen angegliedert oder gesonderte offene Anstalten vorgesehen werden. § 148 Arbeitsbeschaffung, Gelegenheit zur beruflichen Bildung (1) Die Vollzugsbehörde soll im Zusammenwirken mit den Vereinigungen und Stellen des Arbeitsund Wirtschaftslebens dafür sorgen, daß jeder arbeitsfähige Gefangene wirtschaftlich ergiebige Arbeit ausüben kann, und dazu beitragen, daß er beruflich gefördert, beraten und vermittelt wird. (2) Die Vollzugsbehörde stellt durch geeignete organisatorische Maßnahmen sicher, daß die Bundesagentur für Arbeit die ihr obliegenden Aufgaben wie Berufsberatung, Ausbildungsvermittlung und Arbeitsvermittlung durchführen kann. § 149 Arbeitsbetriebe, Einrichtungen zur beruflichen Bildung (1) In den Anstalten sind die notwendigen Betriebe für die nach § 37 Abs. 2 zuzuweisenden Arbeiten sowie die erforderlichen Einrichtungen zur beruflichen Bildung (§ 37 Abs. 3) und arbeitstherapeutischen Beschäftigung (§ 37 Abs. 5) vorzusehen. (2) Die in Absatz 1 genannten Betriebe und sonstigen Einrichtungen sind den Verhältnissen außerhalb der Anstalten anzugleichen. Die Arbeitsschutz- und Unfallverhütungsvorschriften sind zu beachten. (3) Die berufliche Bildung und die arbeitstherapeutische Beschäftigung können auch in geeigneten Einrichtungen privater Unternehmen erfolgen. (4) In den von privaten Unternehmen unterhaltenen Betrieben und sonstigen Einrichtungen kann die technische und fachliche Leitung Angehörigen dieser Unternehmen übertragen werden. § 150 Vollzugsgemeinschaften Für Vollzugsanstalten nach den §§ 139 bis 149 können die Länder Vollzugsgemeinschaften bilden. ZWEITER TITEL. Aufsicht über die Justizvollzugsanstalten § 151 Aufsichtsbehörden (1) Die Landesjustizverwaltungen führen die Aufsicht über die Justizvollzugsanstalten. Sie können Aufsichtsbefugnisse auf Justizvollzugsämter übertragen. (2) An der Aufsicht über das Arbeitswesen sowie über die Sozialarbeit, die Weiterbildung, die Gesundheitsfürsorge und die sonstige fachlich begründete Behandlung der Gefangenen sind eigene Fachkräfte zu beteiligen; soweit die Aufsichtsbehörde nicht über eigene Fachkräfte verfügt, ist fachliche Beratung sicherzustellen. § 152 Vollstreckungsplan (1) Die Landesjustizverwaltung regelt die örtliche und sachliche Zuständigkeit der Justizvollzugsanstalten in einem Vollstreckungsplan. (2) Der Vollstreckungsplan sieht vor, welche Verurteilten in eine Einweisungsanstalt oder -abteilung eingewiesen werden. Über eine Verlegung zum weiteren Vollzug kann nach Gründen der Behandlung und Eingliederung entschieden werden. (3) Im übrigen ist die Zuständigkeit nach allgemeinen Merkmalen zu bestimmen. § 153 Zuständigkeit für Verlegungen Die Landesjustizverwaltung kann sich Entscheidungen über Verlegungen vorbehalten oder sie einer zentralen Stelle übertragen.
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DRITTER TITEL. Innerer Aufbau der Justizvollzugsanstalten § 154 Zusammenarbeit (1) Alle im Vollzug Tätigen arbeiten zusammen und wirken daran mit, die Aufgaben des Vollzuges zu erfüllen. (2) Mit den Behörden und Stellen der Entlassenenfürsorge, der Bewährungshilfe, den Aufsichtsstellen für die Führungsaufsicht, den Agenturen für Arbeit, den Trägern der Sozialversicherung und der Sozialhilfe, den Hilfeeinrichtungen anderer Behörden und den Verbänden der freien Wohlfahrtspflege ist eng zusammenzuarbeiten. Die Vollzugsbehörden sollen mit Personen und Vereinen, deren Einfluß die Eingliederung des Gefangenen fördern kann, zusammenarbeiten. § 155 Vollzugsbedienstete (1) Die Aufgaben der Justizvollzugsanstalten werden von Vollzugsbeamten wahrgenommen. Aus besonderen Gründen können sie auch anderen Bediensteten der Justizvollzugsanstalten sowie nebenamtlichen oder vertraglich verpflichteten Personen übertragen werden. (2) Für jede Anstalt ist entsprechend ihrer Aufgabe die erforderliche Anzahl von Bediensteten der verschiedenen Berufsgruppen, namentlich des allgemeinen Vollzugsdienstes, des Verwaltungsdienstes und des Werkdienstes, sowie von Seelsorgern, Ärzten, Pädagogen, Psychologen und Sozialarbeitern vorzusehen. § 156 Anstaltsleitung (1) Für jede Justizvollzugsanstalt ist ein Beamter des höheren Dienstes zum hauptamtlichen Leiter zu bestellen. Aus besonderen Gründen kann eine Anstalt auch von einem Beamten des gehobenen Dienstes geleitet werden. (2) Der Anstaltsleiter vertritt die Anstalt nach außen. Er trägt die Verantwortung für den gesamten Vollzug, soweit nicht bestimmte Aufgabenbereiche der Verantwortung anderer Vollzugsbediensteter oder ihrer gemeinsamen Verantwortung übertragen sind. (3) Die Befugnis, die Durchsuchung nach § 84 Abs. 2, die besonderen Sicherungsmaßnahmen nach § 88 und die Disziplinarmaßnahmen nach § 103 anzuordnen, darf nur mit Zustimmung der Aufsichtsbehörde übertragen werden. § 157 Seelsorge (1) Seelsorger werden im Einvernehmen mit der jeweiligen Religionsgemeinschaft im Hauptamt bestellt oder vertraglich verpflichtet. (2) Wenn die geringe Anzahl der Angehörigen einer Religionsgemeinschaft eine Seelsorge nach Absatz 1 nicht rechtfertigt, ist die seelsorgerische Betreuung auf andere Weise zuzulassen. (3) Mit Zustimmung des Anstaltsleiters dürfen die Anstaltsseelsorger sich freier Seelsorgehelfer bedienen und für Gottesdienste sowie für andere religiöse Veranstaltungen Seelsorger von außen zuziehen. § 158 Ärztliche Versorgung (1) Die ärztliche Versorgung ist durch hauptamtliche Ärzte sicherzustellen. Sie kann aus besonderen Gründen nebenamtlichen oder vertraglich verpflichteten Ärzten übertragen werden. (2) Die Pflege der Kranken soll von Personen ausgeübt werden, die eine Erlaubnis nach dem Krankenpflegegesetz besitzen. Solange Personen im Sinne von Satz 1 nicht zur Verfügung stehen, können auch Bedienstete des allgemeinen Vollzugsdienstes eingesetzt werden, die eine sonstige Ausbildung in der Krankenpflege erfahren haben. § 159 Konferenzen Zur Aufstellung und Überprüfung des Vollzugsplanes und zur Vorbereitung wichtiger Entscheidungen im Vollzug führt der Anstaltsleiter Konferenzen mit an der Behandlung maßgeblich Beteiligten durch. § 160 Gefangenenmitverantwortung Den Gefangenen und Untergebrachten soll ermöglicht werden, an der Verantwortung für Angelegenheiten von gemeinsamem Interesse teilzunehmen, die sich ihrer Eigenart und der Aufgabe der Anstalt nach für ihre Mitwirkung eignen.
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1. 2. 3.
§ 161 Hausordnung (1) Der Anstaltsleiter erläßt eine Hausordnung. Sie bedarf der Zustimmung der Aufsichtsbehörde. (2) In die Hausordnung sind namentlich die Anordnungen aufzunehmen über die Besuchszeiten, Häufigkeit und Dauer der Besuche, die Arbeitszeit, Freizeit und Ruhezeit sowie die Gelegenheit, Anträge und Beschwerden anzubringen, oder sich an einen Vertreter der Aufsichtsbehörde zu wenden. (3) Ein Abdruck der Hausordnung ist in jedem Haftraum auszulegen. VIERTER TITEL. Anstaltsbeiräte § 162 Bildung der Beiräte (1) Bei den Justizvollzugsanstalten sind Beiräte zu bilden. (2) Vollzugsbedienstete dürfen nicht Mitglieder der Beiräte sein. (3) Das Nähere regeln die Länder.
§ 163 Aufgabe der Beiräte Die Mitglieder des Beirats wirken bei der Gestaltung des Vollzuges und bei der Betreuung der Gefangenen mit. Sie unterstützen den Anstaltsleiter durch Anregungen und Verbesserungsvorschläge und helfen bei der Eingliederung der Gefangenen nach der Entlassung. § 164 Befugnisse (1) Die Mitglieder des Beirats können namentlich Wünsche, Anregungen und Beanstandungen entgegennehmen. Sie können sich über die Unterbringung, Beschäftigung, berufliche Bildung, Verpflegung, ärztliche Versorgung und Behandlung unterrichten sowie die Anstalt und ihre Einrichtungen besichtigen. (2) Die Mitglieder des Beirats können die Gefangenen und Untergebrachten in ihren Räumen aufsuchen. Aussprache und Schriftwechsel werden nicht überwacht. § 165 Pflicht zur Verschwiegenheit Die Mitglieder des Beirats sind verpflichtet, außerhalb ihres Amtes über alle Angelegenheiten, die ihrer Natur nach vertraulich sind, besonders über Namen und Persönlichkeit der Gefangenen und Untergebrachten, Verschwiegenheit zu bewahren. Dies gilt auch nach Beendigung ihres Amtes. FÜNFTER TITEL. Kriminologische Forschung im Strafvollzug § 166 (1) Dem kriminologischen Dienst obliegt es, in Zusammenarbeit mit den Einrichtungen der Forschung den Vollzug, namentlich die Behandlungsmethoden, wissenschaftlich fortzuentwickeln und seine Ergebnisse für Zwecke der Strafrechtspflege nutzbar zu machen. (2) Die Vorschriften des § 186 gelten entsprechend. Fünfter Abschnitt. Vollzug weiterer freiheitsentziehender Maßnahmen in Justizvollzugsanstalten, Datenschutz, Sozial- und Arbeitslosenversicherung, Schlußvorschriften ERSTER TITEL. Vollzug des Strafarrestes in Justizvollzugsanstalten § 167 Grundsatz Für den Vollzug des Strafarrestes in Justizvollzugsanstalten gelten die Vorschriften über den Vollzug der Freiheitsstrafe (§§ 2 bis 122, 179 bis 187) entsprechend, soweit im folgenden nichts anderes bestimmt ist. § 50 findet nur in den Fällen einer in § 39 erwähnten Beschäftigung Anwendung. § 168 Unterbringung, Besuche und Schriftverkehr (1) Eine gemeinsame Unterbringung während der Arbeit, Freizeit und Ruhezeit (§§ 17 und 18) ist nur mit Einwilligung des Gefangenen zulässig. Dies gilt nicht, wenn Strafarrest in Unterbrechung einer Straf-
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haft oder einer Unterbringung im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung vollzogen wird. (2) Dem Gefangenen soll gestattet werden, einmal wöchentlich Besuch zu empfangen. (3) Besuche und Schriftwechsel dürfen nur untersagt oder überwacht werden, wenn dies aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung der Anstalt notwendig ist. § 169 Kleidung, Wäsche und Bettzeug Der Gefangene darf eigene Kleidung, Wäsche und eigenes Bettzeug benutzen, wenn Gründe der Sicherheit nicht entgegenstehen und der Gefangene für Reinigung, Instandsetzung und regelmäßigen Wechsel auf eigene Kosten sorgt. § 170 Einkauf Der Gefangene darf Nahrungs- und Genußmittel sowie Mittel zur Körperpflege in angemessenem Umfang durch Vermittlung der Anstalt auf eigene Kosten erwerben. ZWEITER TITEL. Vollzug von Ordnungs-, Sicherungs-, Zwangs- und Erzwingungshaft § 171 Grundsatz Für den Vollzug einer gerichtlich angeordneten Ordnungs-, Sicherungs-, Zwangs- und Erzwingungshaft gelten die Vorschriften über den Vollzug der Freiheitsstrafe (§§ 3 bis 49, 51 bis 122, 179 bis 187) entsprechend, soweit nicht Eigenart und Zweck der Haft entgegenstehen oder im folgenden etwas anderes bestimmt ist. § 172 Unterbringung Eine gemeinsame Unterbringung während der Arbeit, Freizeit und Ruhezeit (§§ 17 und 18) ist nur mit Einwilligung des Gefangenen zulässig. Dies gilt nicht, wenn Ordnungshaft in Unterbrechung einer Strafhaft oder einer Unterbringung im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung vollzogen wird. § 173 Kleidung, Wäsche und Bettzeug Der Gefangene darf eigene Kleidung, Wäsche und eigenes Bettzeug benutzen, wenn Gründe der Sicherheit nicht entgegenstehen und der Gefangene für Reinigung, Instandsetzung und regelmäßigen Wechsel auf eigene Kosten sorgt. § 174 Einkauf Der Gefangene darf Nahrungs- und Genußmittel sowie Mittel zur Körperpflege in angemessenem Umfang durch Vermittlung der Anstalt auf eigene Kosten erwerben. § 175 Arbeit Der Gefangene ist zu einer Arbeit, Beschäftigung oder Hilfstätigkeit nicht verpflichtet. DRITTER TITEL. Arbeitsentgelt in Jugendstrafanstalten und im Vollzug der Untersuchungshaft § 176 Jugendstrafanstalten (1) Übt ein Gefangener in einer Jugendstrafanstalt eine ihm zugewiesene Arbeit aus, so erhält er unbeschadet der Vorschriften des Jugendarbeitsschutzgesetzes über die Akkord- und Fließarbeit ein nach § 43 Abs. 2 und 3 zu bemessendes Arbeitsentgelt. Übt er eine sonstige zugewiesene Beschäftigung oder Hilfstätigkeit aus, so erhält er ein Arbeitsentgelt nach Satz 1, soweit dies der Art seiner Beschäftigung und seiner Arbeitsleistung entspricht. § 43 Abs. 5 bis 11 gilt entsprechend. (2) (zukünftig in Kraft) (3) Wenn ein Gefangener ohne sein Verschulden kein Arbeitsentgelt und keine Ausbildungsbeihilfe erhält, wird ihm ein angemessenes Taschengeld gewährt, falls er bedürftig ist. (4) Im übrigen gelten § 44 und die §§ 49 bis 52 entsprechend.
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§ 177 Untersuchungshaft Übt der Untersuchungsgefangene eine ihm zugewiesene Arbeit, Beschäftigung oder Hilfstätigkeit aus, so erhält er ein nach § 43 Abs. 2 bis 5 zu bemessendes und bekannt zu gebendes Arbeitsentgelt. Der Bemessung des Arbeitsentgelts ist abweichend von § 200 fünf vom Hundert der Bezugsgröße nach § 18 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch zu Grunde zu legen (Eckvergütung). § 43 Abs. 6 bis 11 findet keine Anwendung. Für junge und heranwachsende Untersuchungsgefangene gilt § 176 Abs. 1 Satz 1 und 2 entsprechend. VIERTER TITEL. Unmittelbarer Zwang in Justizvollzugsanstalten § 178 (1) Die §§ 94 bis 101 über den unmittelbaren Zwang gelten nach Maßgabe der folgenden Absätze auch für Justizvollzugsbedienstete außerhalb des Anwendungsbereichs des Strafvollzugsgesetzes (§ 1). (2) Beim Vollzug der Untersuchungshaft und der einstweiligen Unterbringung nach § 126a der Strafprozeßordnung bleibt § 119 Abs. 5 und 6 der Strafprozeßordnung unberührt. (3) Beim Vollzug des Jugendarrestes, des Strafarrestes sowie der Ordnungs-, Sicherungs-, Zwangs- und Erzwingungshaft dürfen zur Vereitelung einer Flucht oder zur Wiederergreifung (§ 100 Abs. 1 Nr. 3) keine Schußwaffen gebraucht werden. Dies gilt nicht, wenn Strafarrest oder Ordnungs-, Sicherungs-, Zwangsoder Erzwingungshaft in Unterbrechung einer Untersuchungshaft, einer Strafhaft oder einer Unterbringung im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung vollzogen wird. (4) Das Landesrecht kann, namentlich beim Vollzug der Jugendstrafe, weitere Einschränkungen des Rechtes zum Schußwaffengebrauch vorsehen. FÜNFTER TITEL. Datenschutz § 179 Datenerhebung (1) Die Vollzugsbehörde darf personenbezogene Daten erheben, soweit deren Kenntnis für den ihr nach diesem Gesetz aufgegebenen Vollzug der Freiheitsstrafe erforderlich ist. (2) Personenbezogene Daten sind bei dem Betroffenen zu erheben. Für die Erhebung ohne Mitwirkung des Betroffenen, die Erhebung bei anderen Personen oder Stellen und für die Hinweis- und Aufklärungspflichten gilt § 4 Abs. 2 und 3 und § 13 Abs. 1a des Bundesdatenschutzgesetzes. (3) Daten über Personen, die nicht Gefangene sind, dürfen ohne ihre Mitwirkung bei Personen oder Stellen außerhalb der Vollzugsbehörde nur erhoben werden, wenn sie für die Behandlung eines Gefangenen, die Sicherheit der Anstalt oder die Sicherung des Vollzuges einer Freiheitsstrafe unerläßlich sind und die Art der Erhebung schutzwürdige Interessen der Betroffenen nicht beeinträchtigt. (4) Über eine ohne seine Kenntnis vorgenommene Erhebung personenbezogener Daten wird der Betroffene unter Angabe dieser Daten unterrichtet, soweit der in Absatz 1 genannte Zweck dadurch nicht gefährdet wird. Sind die Daten bei anderen Personen oder Stellen erhoben worden, kann die Unterrichtung unterbleiben, wenn 1. die Daten nach einer Rechtsvorschrift oder ihrem Wesen nach, namentlich wegen des überwiegenden berechtigten Interesses eines Dritten, geheim gehalten werden müssen oder 2. der Aufwand der Unterrichtung außer Verhältnis zum Schutzzweck steht und keine Anhaltspunkte dafür bestehen, daß überwiegende schutzwürdige Interessen des Betroffenen beeinträchtigt werden. § 180 Verarbeitung und Nutzung (1) Die Vollzugsbehörde darf personenbezogene Daten verarbeiten und nutzen, soweit dies für den ihr nach diesem Gesetz aufgegebenen Vollzug der Freiheitsstrafe erforderlich ist. Die Vollzugsbehörde kann einen Gefangenen verpflichten, einen Lichtbildausweis mit sich zu führen, wenn dies aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung der Anstalt erforderlich ist. (2) Die Verarbeitung und Nutzung personenbezogener Daten für andere Zwecke ist zulässig, soweit dies 1. zur Abwehr von sicherheitsgefährdenden oder geheimdienstlichen Tätigkeiten für eine fremde Macht oder von Bestrebungen im Geltungsbereich dieses Gesetzes, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen
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a)
gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind, b) eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziele haben oder c) auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, 2. zur Abwehr erheblicher Nachteile für das Gemeinwohl oder einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit, 3. zur Abwehr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung der Rechte einer anderen Person, 4. zur Verhinderung oder Verfolgung von Straftaten sowie zur Verhinderung oder Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten, durch welche die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt gefährdet werden, oder 5. für Maßnahmen der Strafvollstreckung oder strafvollstreckungsrechtliche Entscheidungen erforderlich ist. (3) Eine Verarbeitung oder Nutzung für andere Zwecke liegt nicht vor, soweit sie dem gerichtlichen Rechtsschutz nach den §§ 109 bis 121 oder den in § 14 Abs. 3 des Bundesdatenschutzgesetzes genannten Zwecken dient. (4) Über die in den Absätzen 1 und 2 geregelten Zwecke hinaus dürfen zuständigen öffentlichen Stellen personenbezogene Daten übermittelt werden, soweit dies für 1. Maßnahmen der Gerichtshilfe, Jugendgerichtshilfe, Bewährungshilfe oder Führungsaufsicht, 2. Entscheidungen in Gnadensachen, 3. gesetzlich angeordnete Statistiken der Rechtspflege, 4. Entscheidungen über Leistungen, die mit der Aufnahme in einer Justizvollzugsanstalt entfallen oder sich mindern, 5. die Einleitung von Hilfsmaßnahmen für Angehörige (§ 11 Abs. 1 Nr. 1 des Strafgesetzbuchs) des Gefangenen, 6. dienstliche Maßnahmen der Bundeswehr im Zusammenhang mit der Aufnahme und Entlassung von Soldaten, 7. ausländerrechtliche Maßnahmen oder 8. die Durchführung der Besteuerung erforderlich ist. Eine Übermittlung für andere Zwecke ist auch zulässig, soweit eine andere gesetzliche Vorschrift dies vorsieht und sich dabei ausdrücklich auf personenbezogene Daten über Gefangene bezieht. (5) Öffentlichen und nicht-öffentlichen Stellen darf die Vollzugsbehörde auf schriftlichen Antrag mitteilen, ob sich eine Person in Haft befindet sowie ob und wann ihre Entlassung voraussichtlich innerhalb eines Jahres bevorsteht, soweit 1. die Mitteilung zur Erfüllung der in der Zuständigkeit der öffentlichen Stelle liegenden Aufgaben erforderlich ist oder 2. von nicht-öffentlichen Stellen ein berechtigtes Interesse an dieser Mitteilung glaubhaft dargelegt wird und der Gefangene kein schutzwürdiges Interesse an dem Ausschluß der Übermittlung hat. Dem Verletzten einer Straftat können darüber hinaus auf schriftlichen Antrag Auskünfte über die Entlassungsadresse oder die Vermögensverhältnisse des Gefangenen erteilt werden, wenn die Erteilung zur Feststellung oder Durchsetzung von Rechtsansprüchen im Zusammenhang mit der Straftat erforderlich ist. Der Gefangene wird vor der Mitteilung gehört, es sei denn, es ist zu besorgen, daß dadurch die Verfolgung des Interesses des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden würde, und eine Abwägung ergibt, daß dieses Interesse des Antragstellers das Interesse des Gefangenen an seiner vorherigen Anhörung überwiegt. Ist die Anhörung unterblieben, wird der betroffene Gefangene über die Mitteilung der Vollzugsbehörde nachträglich unterrichtet. (6) Akten mit personenbezogenen Daten dürfen nur anderen Vollzugsbehörden, den zur Dienst- oder Fachaufsicht oder zu dienstlichen Weisungen befugten Stellen, den für strafvollzugs-, strafvollstreckungsund strafrechtliche Entscheidungen zuständigen Gerichten sowie den Strafvollstreckungs- und Strafverfolgungsbehörden überlassen werden; die Überlassung an andere öffentliche Stellen ist zulässig, soweit die Erteilung einer Auskunft einen unvertretbaren Aufwand erfordert oder nach Darlegung der Akteneinsicht begehrenden Stellen für die Erfüllung der Aufgabe nicht ausreicht. Entsprechendes gilt für die Überlassung von Akten an die von der Vollzugsbehörde mit Gutachten beauftragten Stellen. (7) Sind mit personenbezogenen Daten, die nach den Absätzen 1, 2 oder 4 übermittelt werden dürfen, weitere personenbezogene Daten des Betroffenen oder eines Dritten in Akten so verbunden, daß eine Trennung nicht oder nur mit unvertretbarem Aufwand möglich ist, so ist die Übermittlung auch dieser
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Daten zulässig, soweit nicht berechtigte Interessen des Betroffenen oder eines Dritten an deren Geheimhaltung offensichtlich überwiegen; eine Verarbeitung oder Nutzung dieser Daten durch den Empfänger ist unzulässig. (8) Bei der Überwachung der Besuche oder des Schriftwechsels sowie bei der Überwachung des Inhaltes von Paketen bekanntgewordene personenbezogene Daten dürfen nur für die in Absatz 2 aufgeführten Zwecke, für das gerichtliche Verfahren nach den §§ 109 bis 121, für Zwecke der Behandlung verarbeitet und genutzt werden. (9) Personenbezogene Daten, die gemäß § 179 Abs. 3 über Personen, die nicht Gefangene sind, erhoben worden sind, dürfen nur zur Erfüllung des Erhebungszweckes, für die in Absatz 2 Nr. 1 bis 3 geregelten Zwecke oder zur Verhinderung oder Verfolgung von Straftaten von erheblicher Bedeutung verarbeitet oder genutzt werden. (10) Die Übermittlung von personenbezogenen Daten unterbleibt, soweit die in § 182 Abs. 2, § 184 Abs. 2 und 4 geregelten Einschränkungen oder besondere gesetzliche Verwendungsregelungen entgegenstehen. (11) Die Verantwortung für die Zulässigkeit der Übermittlung trägt die Vollzugsbehörde. Erfolgt die Übermittlung auf Ersuchen einer öffentlichen Stelle, trägt diese die Verantwortung. In diesem Fall prüft die Vollzugsbehörde nur, ob das Übermittlungsersuchen im Rahmen der Aufgaben des Empfängers liegt und die Absätze 8 bis 10 der Übermittlung nicht entgegenstehen, es sei denn, daß besonderer Anlaß zur Prüfung der Zulässigkeit der Übermittlung besteht. § 181 Zweckbindung Von der Vollzugsbehörde übermittelte personenbezogene Daten dürfen nur zu dem Zweck verarbeitet oder genutzt werden, zu dessen Erfüllung sie übermittelt worden sind. Der Empfänger darf die Daten für andere Zwecke nur verarbeiten oder nutzen, soweit sie ihm auch für diese Zwecke hätten übermittelt werden dürfen, und wenn im Falle einer Übermittlung an nichtöffentliche Stellen die übermittelnde Vollzugsbehörde zugestimmt hat. Die Vollzugsbehörde hat den nicht-öffentlichen Empfänger auf die Zweckbindung nach Satz 1 hinzuweisen. § 182 Schutz besonderer Daten (1) Das religiöse oder weltanschauliche Bekenntnis eines Gefangenen und personenbezogene Daten, die anläßlich ärztlicher Untersuchungen erhoben worden sind, dürfen in der Anstalt nicht allgemein kenntlich gemacht werden. Andere personenbezogene Daten über den Gefangenen dürfen innerhalb der Anstalt allgemein kenntlich gemacht werden, soweit dies für ein geordnetes Zusammenleben in der Anstalt erforderlich ist; § 180 Abs. 8 bis 10 bleibt unberührt. (2) Personenbezogene Daten, die den in § 203 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 5 des Strafgesetzbuchs genannten Personen von einem Gefangenen als Geheimnis anvertraut oder über einen Gefangenen sonst bekanntgeworden sind, unterliegen auch gegenüber der Vollzugsbehörde der Schweigepflicht. Die in § 203 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 5 des Strafgesetzbuchs genannten Personen haben sich gegenüber dem Anstaltsleiter zu offenbaren, soweit dies für die Aufgabenerfüllung der Vollzugsbehörde oder zur Abwehr von erheblichen Gefahren für Leib oder Leben des Gefangenen oder Dritter erforderlich ist. Der Arzt ist zur Offenbarung ihm im Rahmen der allgemeinen Gesundheitsfürsorge bekanntgewordener Geheimnisse befugt, soweit dies für die Aufgabenerfüllung der Vollzugsbehörde unerläßlich oder zur Abwehr von erheblichen Gefahren für Leib oder Leben des Gefangenen oder Dritter erforderlich ist. Sonstige Offenbarungsbefugnisse bleiben unberührt. Der Gefangene ist vor der Erhebung über die nach den Sätzen 2 und 3 bestehenden Offenbarungsbefugnisse zu unterrichten. (3) Die nach Absatz 2 offenbarten Daten dürfen nur für den Zweck, für den sie offenbart wurden oder für den eine Offenbarung zulässig gewesen wäre, und nur unter denselben Voraussetzungen verarbeitet oder genutzt werden, unter denen eine in § 203 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 5 des Strafgesetzbuchs genannte Person selbst hierzu befugt wäre. Der Anstaltsleiter kann unter diesen Voraussetzungen die unmittelbare Offenbarung gegenüber bestimmten Anstaltsbediensteten allgemein zulassen. (4) Sofern Ärzte oder Psychologen außerhalb des Vollzuges mit der Untersuchung oder Behandlung eines Gefangenen beauftragt werden, gilt Absatz 2 mit der Maßgabe entsprechend, daß der beauftragte Arzt oder Psychologe auch zur Unterrichtung des Anstaltsarztes oder des in der Anstalt mit der Behandlung des Gefangenen betrauten Psychologen befugt sind.
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§ 183 Schutz der Daten in Akten und Dateien (1) Der einzelne Vollzugsbedienstete darf sich von personenbezogenen Daten nur Kenntnis verschaffen, soweit dies zur Erfüllung der ihm obliegenden Aufgabe oder für die Zusammenarbeit nach § 154 Abs. 1 erforderlich ist. (2) Akten und Dateien mit personenbezogenen Daten sind durch die erforderlichen technischen und organisatorischen Maßnahmen gegen unbefugten Zugang und unbefugten Gebrauch zu schützen. Gesundheitsakten und Krankenblätter sind getrennt von anderen Unterlagen zu führen und besonders zu sichern. Im übrigen gilt für die Art und den Umfang der Schutzvorkehrungen § 9 des Bundesdatenschutzgesetzes. § 184 Berichtigung, Löschung und Sperrung (1) Die in Dateien gespeicherten personenbezogenen Daten sind spätestens zwei Jahre nach der Entlassung des Gefangenen oder der Verlegung des Gefangenen in eine andere Anstalt zu löschen. Hiervon können bis zum Ablauf der Aufbewahrungsfrist für die Gefangenenpersonalakte die Angaben über Familienname, Vorname, Geburtsname, Geburtstag, Geburtsort, Eintritts- und Austrittsdatum des Gefangenen ausgenommen werden, soweit dies für das Auffinden der Gefangenenpersonalakte erforderlich ist. (2) Personenbezogene Daten in Akten dürfen nach Ablauf von zwei Jahren seit der Entlassung des Gefangenen nur übermittelt oder genutzt werden, soweit dies 1. zur Verfolgung von Straftaten, 2. für die Durchführung wissenschaftlicher Forschungsvorhaben gemäß § 186, 3. zur Behebung einer bestehenden Beweisnot, 4. zur Feststellung, Durchsetzung oder Abwehr von Rechtsansprüchen im Zusammenhang mit dem Vollzug einer Freiheitsstrafe unerläßlich ist. Diese Verwendungsbeschränkungen enden, wenn der Gefangene erneut zum Vollzug einer Freiheitsstrafe aufgenommen wird oder der Betroffene eingewilligt hat. (3) Bei der Aufbewahrung von Akten mit nach Absatz 2 gesperrten Daten dürfen folgende Fristen nicht überschritten werden: Gefangenenpersonalakten, Gesundheitsakten und Krankenblätter 20 Jahre, Gefangenenbücher 30 Jahre. es gilt nicht, wenn aufgrund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, daß die Aufbewahrung für die in Absatz 2 Satz 1 genannten Zwecke weiterhin erforderlich ist. Die Aufbewahrungsfrist beginnt mit dem auf das Jahr der aktenmäßigen Weglegung folgenden Kalenderjahr. Die archivrechtlichen Vorschriften des Bundes und der Länder bleiben unberührt. (4) Wird festgestellt, daß unrichtige Daten übermittelt worden sind, ist dies dem Empfänger mitzuteilen, wenn dies zur Wahrung schutzwürdiger Interessen des Betroffenen erforderlich ist. (5) Im übrigen gilt für die Berichtigung, Löschung und Sperrung personenbezogener Daten § 20 Abs. 1 bis 4 und 6 bis 8 des Bundesdatenschutzgesetzes. § 185 Auskunft an den Betroffenen, Akteneinsicht Der Betroffene erhält nach Maßgabe des § 19 des Bundesdatenschutzgesetzes Auskunft und, soweit eine Auskunft für die Wahrnehmung seiner rechtlichen Interessen nicht ausreicht und er hierfür auf die Einsichtnahme angewiesen ist, Akteneinsicht. An die Stelle des Bundesbeauftragten für den Datenschutz in § 19 Abs. 5 und 6 des Bundesdatenschutzgesetzes tritt der Landesbeauftragte für den Datenschutz, an die Stelle der obersten Bundesbehörde tritt die entsprechende Landesbehörde. § 186 Auskunft und Akteneinsicht für wissenschaftliche Zwecke Für die Auskunft und Akteneinsicht für wissenschaftliche Zwecke gilt § 476 der Strafprozessordnung entsprechend. § 187 Anwendung des Bundesdatenschutzgesetzes Die Regelungen des Bundesdatenschutzgesetzes über öffentliche und nicht-öffentliche Stellen (§ 2), weitere Begriffsbestimmungen (§ 3), Einholung und Form der Einwilligung des Betroffenen (§ 4a Abs. 1 und 2), das Datengeheimnis (§ 5), unabdingbare Rechte des Betroffenen (§ 6 Abs. 1) und die Durchführung des Datenschutzes (§ 18 Abs. 2) gelten entsprechend. Die Landesdatenschutzgesetze bleiben im Hinblick auf die Schadensersatz-, Straf- und Bußgeldvorschriften sowie die Bestimmungen über die Kontrolle durch die Landesbeauftragte für den Datenschutz unberührt.
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SECHSTER TITEL. Anpassung des Bundesrechts § 188 (weggefallen) § 189 Verordnung über Kosten im Bereich der Justizverwaltung SIEBTER TITEL. Sozial- und Arbeitslosenversicherung § 190 Reichsversicherungsordnung § 191 Angestelltenversicherungsgesetz § 192 Reichsknappschaftsgesetz § 193 Gesetz über die Krankenversicherung der Landwirte § 194 (weggefallen) § 195 Einbehaltung von Beitragsteilen Soweit die Vollzugsbehörde Beiträge zur Kranken- und Rentenversicherung sowie zur Bundesagentur für Arbeit zu entrichten hat, kann sie von dem Arbeitsentgelt, der Ausbildungsbeihilfe oder der Ausfallentschädigung einen Betrag einbehalten, der dem Anteil des Gefangenen am Beitrag entsprechen würde, wenn er diese Bezüge als Arbeitnehmer erhielte. ACHTER TITEL. Einschränkung von Grundrechten, Inkrafttreten § 196 Einschränkung von Grundrechten Durch dieses Gesetz werden die Grundrechte aus Artikel 2 Abs. 2 Satz 1 und 2 (körperliche Unversehrtheit und Freiheit der Person) und Artikel 10 Abs. 1 (Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis) des Grundgesetzes eingeschränkt. § 197 (weggefallen) § 198 Inkrafttreten (1) Dieses Gesetz tritt unbeschadet der §§ 199 und 201 am 1. Januar 1977 in Kraft, soweit die Absätze 2 und 3 nichts anderes bestimmen. (2) 1. Am 1. Januar 1980 treten folgende Vorschriften in Kraft: § 37 – Arbeitszuweisung – § 39 Abs. 1 – Freies Beschäftigungsverhältnis – § 41 Abs. 2 – Zustimmungsbedürftigkeit bei weiterbildenden Maßnahmen – § 42 – Freistellung von der Arbeitspflicht – § 149 Abs. 1 – Arbeitsbetriebe, Einrichtungen zur beruflichen Bildung – § 162 Abs. 1 – Beiräte –. 2. (weggefallen) 3. (weggefallen) (3) Durch besonderes Bundesgesetz werden die folgenden Vorschriften an inzwischen vorgenommene Gesetzesänderungen angepaßt und in Kraft gesetzt: § 41 Abs. 3 – Zustimmungsbedürftigkeit bei Beschäftigung in Unternehmerbetrieben – § 45 – Ausfallentschädigung – § 46 – Taschengeld – § 47 – Hausgeld –
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§ 49 – Unterhaltsbeitrag – § 50 – Haftkostenbeitrag – § 65 Abs. 2 Satz 2 – Krankenversicherungsleistungen bei Krankenhausaufenthalt – § 93 Abs. 2 – Inanspruchnahme des Hausgeldes – § 176 Abs. 2 und 3 – Ausfallentschädigung und Taschengeld im Jugendstrafvollzug – § 189 – Verordnung über Kosten – § 190 Nr. 1 bis 10 und 13 bis 18, §§ 191 bis 193 – Sozialversicherung –. (4) Über das Inkrafttreten des § 41 Abs. 3 – Zustimmungsbedürftigkeit bei Beschäftigung in Unternehmerbetrieben – wird zum 31. Dezember 1983 und über die Fortgeltung des § 201 Nr. 1 – Unterbringung im offenen Vollzug – wird zum 31. Dezember 1985 befunden. § 199 Übergangsfassungen (1) Bis zum Inkrafttreten des besonderen Bundesgesetzes nach § 198 Abs. 3 gilt folgendes: 1. § 46 – Taschengeld – erhält folgende Fassung: „Wenn ein Gefangener ohne sein Verschulden kein Arbeitsentgelt und keine Ausbildungsbeihilfe erhält, wird ihm ein angemessenes Taschengeld gewährt, falls er bedürftig ist.“ 2. § 47 – Hausgeld – erhält folgende Fassung: „(1) Der Gefangene darf von seinen in diesem Gesetz geregelten Bezügen drei Siebtel monatlich (Hausgeld) und das Taschengeld (§ 46) für den Einkauf (§ 22 Abs. 1) oder anderweitig verwenden. (2) Für Gefangene, die in einem freien Beschäftigungsverhältnis stehen (§ 39 Abs. 1) oder denen gestattet ist, sich selbst zu beschäftigen (§ 39 Abs. 2), wird aus ihren Bezügen ein angemessenes Hausgeld festgesetzt.“ 3. (weggefallen) 4. § 93 Abs. 2 – Inanspruchnahme des Hausgeldes – erhält folgende Fassung: „(2) Bei der Geltendmachung dieser Forderungen kann auch ein den dreifachen Tagessatz der Eckvergütung nach § 43 Abs. 2 übersteigender Teil des Hausgeldes (§ 47) in Anspruch genommen werden.“ 5. § 176 Abs. 3 – Taschengeld im Jugendstrafvollzug – erhält folgende Fassung: „(3) Wenn ein Gefangener ohne sein Verschulden kein Arbeitsentgelt und keine Ausbildungsbeihilfe erhält, wird ihm ein angemessenes Taschengeld gewährt, falls er bedürftig ist.“ 6. (weggefallen) (2) Bis zum 31. Dezember 2002 gilt § 9 Abs. 1 Satz 1 in der folgenden Fassung: „Ein Gefangener soll in eine sozialtherapeutische Anstalt verlegt werden, wenn er wegen einer Straftat nach den §§ 174 bis 180 oder 182 des Strafgesetzbuches zu zeitiger Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren verurteilt worden ist und die Behandlung in einer sozialtherapeutischen Anstalt nach § 6 Abs. 2 Satz 2 oder § 7 Abs. 4 angezeigt ist.“ § 200 Höhe des Arbeitsentgelts Der Bemessung des Arbeitsentgelts nach § 43 sind 9 vom Hundert der Bezugsgröße nach § 18 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch zu Grunde zu legen. § 201 Übergangsbestimmungen für bestehende Anstalten Für Anstalten, mit deren Errichtung vor Inkrafttreten dieses Gesetzes begonnen wurde, gilt folgendes: 1. Abweichend von § 10 dürfen Gefangene ausschließlich im geschlossenen Vollzug untergebracht werden, solange die räumlichen, personellen und organisatorischen Anstaltsverhältnisse dies erfordern. 2. Abweichend von § 17 kann die gemeinschaftliche Unterbringung während der Arbeitszeit und Freizeit auch eingeschränkt werden, wenn und solange die räumlichen, personellen und organisatorischen Verhältnisse der Anstalt dies erfordern; die gemeinschaftliche Unterbringung während der Arbeitszeit jedoch nur bis zum Ablauf des 31. Dezember 1988. 3. Abweichend von § 18 dürfen Gefangene während der Ruhezeit auch gemeinsam untergebracht werden, solange die räumlichen Verhältnisse der Anstalt dies erfordern. Eine gemeinschaftliche Unterbringung von mehr als acht Personen ist nur bis zum Ablauf des 31. Dezember 1985 zulässig. 4. Abweichend von § 143 Abs. 1 und 2 sollen Justizvollzugsanstalten so gestaltet und gegliedert werden, daß eine auf die Bedürfnisse des einzelnen abgestellte Behandlung gewährleistet ist und daß die Ge-
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fangenen in überschaubaren Betreuungs- und Behandlungsgruppen zusammengefaßt werden können. Abweichend von § 145 kann die Belegungsfähigkeit einer Anstalt nach Maßgabe der Nummern 2 und 3 festgesetzt werden.
§ 202 Freiheitsstrafe und Jugendhaft der Deutschen Demokratischen Republik (1) Für den Vollzug der nach dem Strafgesetzbuch der Deutschen Demokratischen Republik gegen Jugendliche und Heranwachsende erkannten Freiheitsstrafe gelten die Vorschriften für den Vollzug der Jugendstrafe, für den Vollzug der Jugendhaft die Vorschriften über den Vollzug des Jugendarrestes. (2) Im übrigen gelten für den Vollzug der nach dem Strafgesetzbuch der Deutschen Demokratischen Republik rechtskräftig erkannten Freiheitsstrafe und der Haftstrafe die Vorschriften des Strafvollzugsgesetzes über den Vollzug der Freiheitsstrafe.
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Vorbemerkung
Vor § 1
Kommentar Erster Abschnitt. Anwendungsbereich Vorbemerkung
ERSTER ABSCHNITT Anwendungsbereich Jehle
Vorbemerkung
Vor § 1 I. II.
Übersicht Der Weg zu einem Strafvollzugsgesetz ____ 1–7 Föderalismusreform und ihre Folgen ____ 8–12 1. Strafvollzug ____ 9 2. Jugendstrafvollzug ____ 10 3. UHaftvollzug ____ 11 4. Maßregelvollzug ____ 12
III. Stand der Landesgesetzgebung zum Strafvollzug ____ 13, 14 IV. Verfassungsrechtliche und menschenrechtliche Leitlinien für den Strafvollzug ____ 15–17 V. Zum Aufbau des StVollzG ____ 18
I. Der Weg zu einem Strafvollzugsgesetz Nach einer langen Vorgeschichte (s. Rdn. 2) war vor dreieinhalb Jahrzehnten mit 1 dem Strafvollzugsgesetz des Bundes endlich eine einheitliche gesetzliche Grundlage des Strafvollzugs geschaffen worden. In der Folge haben das Bundesgesetz und die bundeseinheitlich vereinbarten Verwaltungsvorschriften sowie die dazu ergangene Judikatur ein sicheres Fundament hergestellt, auf der sich eine bewährte Vollzugspraxis entfalten konnte. Die Föderalismusreform des Jahres 2006 (s. Rdn. 8) hat die Gesetzesgebungskompetenz den Bundesländern zugewiesen, was sachlich vollkommen unnötig war und infolge der daraus resultierenden Unterschiede zwischen den Ländern zu einer neuen Unübersichtlichkeit des Vollzugsrechts führt. Gleichwohl handelt es sich eher um eine formale Zäsur, welche die materielle Kontinuität des Strafvollzugsrechts nicht zerstört. Die inzwischen in fünf Bundesländern in Kraft getretenen Landesgesetze und der von zehn Bundesländern erarbeitete Musterentwurf zeugen davon, dass es bei den Prinzipien und Zielen, Strukturen und Methoden bleibt, die das Strafvollzugsgesetz modellhaft festgelegt hat. Soweit die Landesgesetze Besonderheiten aufweisen, handelt es sich weniger um grundsätzliche Abweichungen, vielmehr im Wesentlichen eher um Unterschiede in der Gesetzestechnik, um Gewichtungsunterschiede im Verhältnis der Sicherungsaufgabe zum Wiedereingliederungsziel, um strukturelle Aspekte und Detailfragen. Indessen sind diese Unterschiede auch auf der Folie des StVollzG zu interpretieren. Deshalb ist es nach wie vor sachlich geboten, das Bundesgesetz als zentralen Bezugspunkt auch für die Kommentierung der Landesgesetze zu nehmen (s. Rdn. 14 ff). Die Notwendigkeit einer umfassenden und einheitlichen rechtlichen Regelung des 2 Strafvollzugs trat bereits im 19. Jhdt. in das allgemeine Bewusstsein. In den deutschen Partikularstaaten hatten die Territorien divergierende Formen der Inhaftierung entwickelt und unterschiedliche Strafgesetzbücher in Kraft gesetzt, die jedoch die Ausgestaltung der Freiheitsstrafe weitgehend dem Ermessen der Verwaltung überließen. Das Reichsstrafgesetzbuch (RStGB) von 1871, welches wesentlich auf dem Preußischen StGB von 1851 aufbaute, enthielt nur partiell Regelungen zur Ausgestaltung freiheitsentziehender Sanktionen. Neben der Todesstrafe kannte das Gesetz Zuchthausstrafe, Gefängnisstrafe, lebenslängliche oder zeitige Festungshaft sowie eintägige bis sechswöchige Haft für Übertretungen sowie die vorläufige Entlassung aus dem Zuchthaus mit der Möglichkeit anschließender Nachhaft in einem Arbeitshaus. Mangels rechtseinheitlicher 39
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Regelungen zum Strafvollzug verblieb es bei divergierenden Regelungen in Form von landesrechtlichen Strafvollzugsordnungen als Verwaltungsvorschriften. Auf die Versuche, ein einheitliches Strafvollzugsrecht zu kodifizieren, wirkte sich auch der Ausbruch des sog. „Schulenstreits“ lähmend aus, bei dem es insbesondere darum ging, ob mit der Strafe auch bessernde Zwecke gegenüber dem Täter verfolgt werden sollten (Laubenthal 2011 Rdn. 105 ff; K/S-Kaiser 2002 § 2 Rdn. 24 ff; Walter 1999 Rdn. 11 ff). Während der Zeit der Weimarer Republik begann sich der Gedanke der Erziehung und Besserung im Strafvollzug zu etablieren. So stellte das Jugendgerichtsgesetz von 1923 nicht nur den Erziehungsgedanken in den Mittelpunkt, sondern gliederte zudem den Jugendstrafvollzug aus dem allgemeinen Strafvollzug aus. Im gleichen Zeitraum wurden zwischen den Ländern Reichsratsgrundsätze für den Vollzug von Freiheitsstrafen vereinbart. Die angestrebte erzieherische Einwirkung auf die Gefangenen sollte durch einen sog. Stufenvollzug erreicht werden, der schrittweise Lockerungen zur Vorbereitung auf ein Leben in Freiheit vorsah. In der Praxis entwickelte sich das System indes auch zu einem Mittel anstaltsinterner Disziplinierung (Radbruch Der Mensch im Recht, Göttingen 1957, 59; Laubenthal 2011 Rdn. 120; Müller-Dietz Der Strafvollzug in der Weimarer Zeit und im Dritten Reich, in: Busch/Krämer (Hrsg.) Strafvollzug und Schuldproblematik, Pfaffenweiler 1988, 15, 18). Im Jahr 1927 wurde schließlich der Entwurf eines Reichsstrafvollzugsgesetzes erarbeitet, jedoch aufgrund einer Änderung der politischen Verhältnisse nicht verabschiedet (Walter 1999 Rdn. 13). Im Nationalsozialismus fand wieder ein Umschwung vom Erziehungsvollzug der Weimarer Republik zum Sicherungs- und Abschreckungsvollzug statt (Wachsmann Gefangen unter Hitler: Justizterror und Strafvollzug im NS-Staat, München 2006, 68). Vergeltung und Generalprävention waren die primären Ziele des Strafvollzugs im Nationalsozialismus, ergänzt um die negative Spezialprävention in Form der Sicherungsverwahrung, die mit dem Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßnahmen der Sicherung und Besserung („Gewohnheitsverbrechergesetz“) 1933 eingeführt wurde. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs leitete die Kontrollratsdirektive Nr. 19 vom 12.11.1945 eine Neuordnung des Strafvollzugs ein. Die Richtlinien griffen abermals den Erziehungs- und Besserungsgedanken auf und waren als Bestandteil des Besatzungsrechts allgemein verbindlich. Infolge der Teilung Deutschlands beschritt das Vollzugswesen jedoch unterschiedliche Wege. In der Bundesrepublik Deutschland knüpften Vollzugspraktiker zunächst an die Reformtendenzen der Weimarer Zeit an. Forderungen nach einem einheitlichen Strafvollzugsgesetz blieben zunächst ohne Gehör, da eine Erneuerung des materiellen Strafrechts als vorrangig angesehen wurde. Im Übrigen erschien eine gesetzliche Regelung des Strafvollzugs nicht notwendig, da nach der herrschenden Lehre vom besonderen Gewaltverhältnis alle für die Zwecke der Strafanstalt notwendigen Maßnahmen zu Lasten des Inhaftierten ohne eine gesetzliche Eingriffsgrundlage legitimiert waren (Laubenthal 2011 Rdn. 124 ff; K/S-Kaiser § 2 Rdn. 60 ff; Walter 1999 Rdn. 14 f). Zu einer Rechtsvereinheitlichung trug indessen die im Jahr 1961 als reine Verwaltungsvereinbarung der Bundesländer in Kraft getretene Dienst- und Vollzugsordnung (DVollzO) bei. Sie beinhaltete bereits detaillierte Regelungen zur Rechtsstellung des Gefangenen. In den Folgejahren setzten erneut Bestrebungen ein, eine Strafvollzugsreform durchzuführen. Der Weg dahin wurde durch das Erste und Zweite Strafrechtsreformgesetz im Jahr 1969 geebnet, welche das strafrechtliche Sanktionssystem neu gestalteten. Im Gesamtsystem der Strafzumessung, der Auswahl der Sanktionen und deren Vollstreckung wurde der Gedanke der positiven Spezialprävention, der Resozialisierung, verankert; die bisherige Differenzierung in Gefängnis- und Zuchthaussstrafen wurde abgeJehle
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schafft und die Einheitsstrafe geschaffen sowie der (Rest-)Aussetzung der Vollstreckung der Freiheitsstrafe breiteren Raum gegeben. Mit Entscheidung vom 14.3.1972 stellte das BVerfG fest, dass die Figur des besonderen Gewaltverhältnisses keine verfassungsrechtlich zulässige Rechtsgrundlage darstelle, vielmehr ein förmliches Strafvollzugsgesetz notwendig sei (vgl. dazu schon Schüler-Springorum Was stimmt nicht mit dem Strafvollzug? 1970). 1975 setzte das BVerfG dem Gesetzgeber eine letzte Frist bis zum 1.1.1977. Am 1.1.1977 trat dann schließlich das Gesetz über den Vollzug der Freiheitsstrafe 7 und der freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung (StVollzG) in Kraft. Der Geltungsbereich erstreckt sich gem. Art. 8 des Einigungsvertrages mit dem Beitritt der neuen Bundesländer zur Bundesrepublik Deutschland am 3.10.1990 auch auf das Gebiet der ehemaligen DDR. Die Bundesländer führten das Strafvollzugsgesetz allerdings als eigene Angelegenheit aus; die Verwaltungshoheit lag insoweit bei ihnen. Als verwaltungsinterne Entscheidungshilfe haben die Landesjustizverwaltungen bundeseinheitliche Regelungen erlassen: Verwaltungsvorschriften zum Strafvollzugsgesetz (VVStVollzG), Dienst- und Sicherheitsvorschriften für den Strafvollzug (DSVollz) sowie die Vollzugsgeschäftsordnung (VGO). II. Föderalismusreform und ihre Folgen Im Jahr 2003 wurde die „Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisie- 8 rung der bundesstaatlichen Ordnung“ eingesetzt mit dem Ziel, die legislatorischen Kompetenzen von Bund und Ländern in verschiedenen Bereichen neu zu regeln. Ohne sachlichen Anlass und fachlichen Grund hat sich die Föderalismuskommission des Vollzugs von Freiheitsentziehungen bemächtigt und vorgeschlagen, die Gesetzgebungskompetenz den Ländern zuzuweisen (Laubenthal 2011 Rdn. 131). Auf dieser Basis wurde mit dem Föderalismusreformgesetz vom 28.8.2006 (BGBl. I 2006, S. 2034) das Grundgesetz dahingehend geändert, dass die Gebiete des Strafvollzugs (insbesondere Vollzug der Freiheitsstrafe, der Jugendstrafe und der freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung) sowie des UHaftvollzugs (als Teil des gerichtlichen Strafverfahrens) – sowohl für Erwachsene als auch für Jugendliche und Heranwachsende – der konkurrierenden Gesetzgebung entzogen und der Kompetenz der Landesgesetzgebung zugeordnet werden. Die Länder sind seither befugt, jeweils eigene Strafvollzugsgesetze zu verabschieden. Das als Bundesrecht erlassene Strafvollzugsgesetz gilt gem. Art. 125 a Abs. 1 GG in den einzelnen Bundesländern nunmehr nur noch solange fort, bis diese ein eigenes Landesgesetz erlassen. Diese Grundgesetzänderung war nicht durch eine breite fachliche Diskussion vorbereitet, kam vielmehr überraschend und lief dem einhelligen Votum der Fachwelt zuwider (so C/MD 2008 Einl. Rdn. 52, m. w. N.; ebenso Schwind „Chancenvollzug“ am Beispiel von Niedersachsen, in Böse/ Sternberg-Lieben (Hrsg.), FS Amelung 2009, 763, 773 m. w. N., der die Kompetenzänderung sogar für „sach- und systemwidrig“ hält). Nicht nur der Strafvollzug, sondern auch die anderen strafrechtlich veranlassten Freiheitsentziehungen sind von dieser Kompetenzregelung betroffen. Insoweit ergibt sich zum derzeitigen Gesetzgebungsstand folgendes Bild: 1. Strafvollzug. Als erste Länder hatten zunächst Bayern, Hamburg und Nie- 9 dersachsen von ihrer neuen Gesetzgebungskompetenz Gebrauch gemacht. Diese drei Landesgesetze sind zum 1.1.2008 in Kraft getreten. Es folgten die Landesgesetze von Baden-Württemberg (1.1.2010) und Hessen (1.11.2010). Einzelne Vorschriften des StVollzG haben hier nur noch Gültigkeit, soweit dies im jeweiligen Landesgesetz ausdrücklich normiert ist bzw. das Landesgesetz den im StVollzG geregelten Vollzug bestimmter Haft41
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arten ihrem Anwendungsbereich nach nicht erfasst (Laubenthal 2011 Rdn. 15). Unter der Federführung Thüringens haben ferner die Bundesländer Berlin, Brandenburg, Bremen, Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen einen gemeinsamen Musterentwurf erarbeitet. Der Entwurf vom 23.8.2011 dient als Grundlage für die weitere Gesetzgebungsarbeit der Länder (s. gemeinsame Pressemitteilung, http://www.berlin.de/imperia/md/content/senatsverwal tungen/justiz/aktuell/gem_pm_zum_entwurf_f__r_landesstrafvollzugsgesetz.pdf?start& ts=1315300897&file=gem_pm_zum_entwurf_f__r_landesstrafvollzugsgesetz.pdf). Nordrhein-Westfalen war nicht am Musterentwurf beteiligt, hat aber auch noch kein eigenes Strafvollzugsgesetz verabschiedet. In den Ländern, die noch kein eigenes Strafvollzugsgesetz erlassen haben, gilt gem. Art. 125 a Abs. 1 S. 1 GG nach wie vor das StVollzG. 10
2. Jugendstrafvollzug. Die politische Grundsatzentscheidung der Zuweisung der Gesetzgebungskompetenz an die Länder traf zusammen mit dem im gleichen Zeitraum ergangenen Urteil des BVerfG vom 31.5.2006 (NJW 2006, 2093), das dem Gesetzgeber aufgetragen hatte, bis zum Ablauf des Jahres 2007 den Jugendstrafvollzug auf eine verfassungsgemäße gesetzliche Grundlage zu stellen, da dieser bisher nur im JGG mit wenigen Bestimmungen gesetzlich geregelt war. Das BVerfG stellte fest, dass die bisher für den Jugendstrafvollzug bestehenden Bestimmungen des JGG keine ausreichende Gesetzesgrundlage für Grundrechtseingriffe darstellten. Darüber hinaus genügten die untergesetzlichen Verwaltungsvorschriften in keiner Weise den verfassungsrechtlich gebotenen spezifischen Anforderungen an den Freiheitsentzug für Jugendliche. Das Gericht wies insbesondere darauf hin, dass für den Jugendstrafvollzug das Ziel der Befähigung zu einem straffreien Leben in Freiheit besonders hohes Gewicht besitze, so dass die zu schaffenden gesetzlichen Regelungen der besonderen Situation der inhaftierten Jugendlichen vor dem Hintergrund des Vollzugsziels der sozialen Integration hinreichend Rechnung zu tragen haben. Dieser gesteigerten Verantwortung könne durch eine Vollzugsgestaltung entsprochen werden, die in besonderer Weise auf Förderung – vor allem auf soziales Lernen sowie die Ausbildung von Fähigkeiten und Kenntnissen, die einer künftigen beruflichen Integration dienen – ausgerichtet sei (NJW 2006, 2093 ff). Alle Bundesländer waren auf diese Weise gezwungen, innerhalb einer kurzen Frist ein Landesgesetz zum Jugendstrafvollzug zu erarbeiten. Eine ganze Reihe von Ländern schloss sich zur Erarbeitung einer gemeinsamen Konzeption zusammen (sog. 9er Gruppe); die anderen größeren Länder sind jeweils einen eigenen Weg gegangen (dazu Dünkel Neue Kriminalpolitik 19 (2007), 55 ff; Eisenberg NStZ 2008, 250 ff; Ostendorf ZRP 2008, 14 ff; ders. NJW 2006, 2073 ff). Vor diesem Hintergrund sind die Landes-Strafvollzugsgesetze in Bayern, Hamburg und Niedersachsen bereits am 1.1.2008 in Kraft getreten. Sie haben nicht nur den Jugendstrafvollzug, sondern zugleich auch den Vollzug der Freiheitsstrafe und der Sicherungsverwahrung gesetzlich geregelt. Dass Bayern und Niedersachsen (Hamburg hat diesen Schritt durch eine Novellierung des HmbStVollzG zurückgenommen; zum alten Stand Dressel Das Hamburger Strafvollzugsgesetz, 2008) neben dem Vollzug von Freiheitsstrafe und Sicherungsverwahrung auch den Jugendstrafvollzug (Niedersachsen sogar den UHaftvollzug) in ihre Landesgesetze aufgenommen haben, trägt der berechtigten fachlichen Forderung nach eigenständigen Gesetzen für die verschiedenen Materien in keiner Weise Rechnung (so C/MD 2008 Einl. Rdn. 52, m. w. N.), ist aber, wie schon der Blick auf das StVollzG zeigt (vgl. §§ 1, 122, 129 ff sowie 176 bis 178 StVollzG), wohl zulässig und verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (Nds. LT-Drucks. 15/3565, 78). Das BVerfG hat den Gesetzgeber in seinem Urteil (NJW 2006, 2093) zwar dazu verpflichtet, ein eigenständiges, den Besonderheiten des Jugendstrafvollzugs entsprechendes Resozialisierungskonzept zu entwickeln. Es hat Jehle
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indes keine Vorgaben gemacht, wie dieses Ziel gesetzgeberisch umzusetzen ist, insbesondere hat es kein eigenständiges Gesetz gefordert (ebenso Arloth 2011 BayStVollzG Art. 1 Rdn. 1). Freilich ist C/MD zuzustimmen, dass spezielle Gesetze den vom BVerfG entwickelten Grundsätzen zur gesetzlichen Ausgestaltung des Jugendstrafvollzugs besser entsprochen hätten (C/MD 2008 Einl. Rdn. 52; so nun auch die Begründung zum überarbeiteten HmbStVollzG: „Die Gesetzestrennung stellt die besonderen Anforderungen des Vollzuges von Jugendstrafen an Jugendlichen und ihnen gleichstehenden Heranwachsenden deutlich heraus“ [Bürgerschafts-Drucks. 19/2533, 1]). 3. UHaftvollzug. Niedersachen hat als erstes Bundesland innerhalb seines am 1.1. 11 2008 in Kraft getretenen Niedersächsischen Justizvollzugsgesetz landesrechtliche Regelungen zum UHaftvollzug getroffen. Das Gesetz ist allerdings insoweit novelliert worden, als es kompetenzrechtliche und praktische Probleme hinsichtlich der Differenzierung nach verfahrens- und vollzugsrechtlichen Aspekten, z. B. bei der Briefkontrolle (vgl. dazu OLG Oldenburg Beschl. v. 12.2.2008 – 1 Ws 87/08), aufgeworfen hatte. Diese Änderungen, die v. a. den nach § 117 StPO zuständigen Haftrichter auch für Vollzugsfragen für zuständig erklären, sind zum 1.3.2009 in Kraft getreten (vgl. zu dieser Problematik Winzer/Hupka Das neue niedersächsische Justizvollzugsgesetz: Vom Haftrichter zum Vollzugsrichter im Untersuchungshaftvollzug, in Dt. Richterzeitung 2008, 146 ff). Unter der Federführung von Berlin und Thüringen hatten sodann insgesamt 12 Bundesländer den Entwurf eines Untersuchungshaftvollzugsgesetzes erarbeitet. Damit sollten auch Forderungen des Europäischen Ausschusses zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe sowie des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte umgesetzt werden. Vorgelegt wurde ein in sich geschlossener Entwurf, der den Besonderheiten dieses Vollzuges Rechnung trägt und auch den Vollzug der UHaft an jungen Gefangenen einbezieht. Mittlerweile haben alle Bundesländer – entweder auf Grundlage des Entwurfs oder eigenständig – ein Untersuchungshaftvollzugsgesetz erlassen. Zuletzt sind die Gesetze in Bayern und SchleswigHolstein am 1.1.2012 in Kraft getreten (Zum Ganzen die Kommentierung von König Anwaltkommentar Untersuchungshaft). 4. Maßregelvollzug. Von den freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und 12 Sicherung wird lediglich die Sicherungsverwahrung in Justizvollzugsanstalten vollzogen, die anderen Formen werden dagegen nach Landesrecht von der Sozial- und Gesundheitsverwaltung durchgeführt. Daher wird auch nur die Sicherungsverwahrung in den §§ 129–135 StVollzG detaillierter geregelt. Die Bestimmungen zur Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 136 StVollzG) und einer Entziehungsanstalt (§ 137 StVollzG) legen im Wesentlichen die Ziele und Aufgaben der Unterbringung gem. §§ 63, 64 StGB fest, § 138 überlässt aber die Detailregelungen des Vollzugs den Landesgeseten. Mit Ausnahme von Baden-Württemberg hat kein Bundesland die §§ 136 bis 138 StVollzG ersetzt, sodass die bundesrechtlichen Regelungen fortgelten. Auch der Musterentwurf trifft hierzu keine Bestimmung. In Baden-Württemberg wurden §§ 136, 137 StVollzG durch die nahezu identischen §§ 104, 105 JVollzGB III ersetzt. § 106 JVollzGB III verweist im Wesentlichen auf § 138 StVollzG (s. auch Vor §§ 136–138 Rdn. 7). Mit Urteil vom 4.5.2011 hat das BVerfG die materiellrechtlichen Vorschriften des StGB zur Sicherungsverwahrung für verfassungswidrig erklärt. Es hat vor allem darauf abgestellt, dass der derzeitige Vollzug der Sicherungsverwahrung zu sehr dem Strafvollzug ähnele und deshalb das Abstandsgebot verletze. Es bedürfe einer deutlichen Besserstellung der Sicherungsverwahrten und eines therapiegerichteten und freiheitsorientier43
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ten Vollzugs der Sicherungsverwahrung. In Konsequenz dieses Urteils ist es Sache des Bundesgesetzgebers, Grundsätze zum Vollzug der Sicherungsverwahrung im StGB zu verankern; Sache der Länder ist es, darauf abgestimmte Landesgesetze zum Sicherungsverwahrungsvollzug zu erlassen (s. näher Vor § 129). III. Stand der Landesgesetzgebung zum Strafvollzug In den Ländern, die noch kein eigenes Strafvollzugsgesetz erlassen haben, also Berlin, Brandenburg, Bremen, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westphalen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen gilt gem. Art. 125 a Abs. 1 S. 1 GG nach wie vor das StVollzG. Baden-Württemberg, Bayern, Hamburg, Hessen und Niedersachsen haben bereits ihre eigenen Landesgesetze mit unterschiedlichen Regelungsbereichen erlassen. Baden-Württemberg hat ein einheitliches Justizvollzugsgesetz verabschiedet. Das Gesetz regelt gem. § 1 JVollzGB I neben dem Vollzug der Freiheitsstrafe, den freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung sowie dem Strafarrest (Buch 3) auch den Untersuchungshaftvollzug (Buch 2) und den Jugendstrafvollzug (Buch 4). Bayern bestimmt den Anwendungsbereich des BayStVollzG in Art. 1, wonach der Vollzug der Freiheitsstrafe (einschließlich der Ersatzfreiheitsstrafe), der Vollzug der Jugendstrafe (Teil 3) und der Vollzug der Sicherungsverwahrung (Teil 4) sowie der Vollzug des Strafarrests in Justizvollzugsanstalten (Teil 6 Abschnitt 1) umfasst sind. In Hamburg erfasst das Strafvollzugsgesetz gem. § 1 HmbStVollzG den Vollzug der Freiheitsstrafe und der Sicherungsverwahrung. Hessen bestimmt den sachlichen Anwendungsbereich in § 1 HStVollzG. Umfasst sind der Vollzug der Freiheitsstrafe sowie die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung in Justizvollzugsanstalten des Landes Hessen. Niedersachsen hat in seinem Justizvollzugsgesetz, wie Baden-Württemberg, den Regelungsbereich des § 1 StVollzG um den Jugendstraf- und Untersuchungshaftvollzug (vgl. § 1 NJVollzG) erweitert. Der Musterentwurf regelt den Vollzug der Freiheitsstrafe und des Strafarrests in Justizvollzugsanstalten (vgl. § 1 ME-StVollzG). Im Gegensatz zum StVollzG enthält der Entwurf weder besondere Bestimmungen zur Sicherungsverwahrung (§§ 129–135 StVollzG) noch zur Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in einer Entziehungsanstalt (§§ 136–138 StVollzG). Im Übrigen wird auch der Datenschutz (§§ 179–187 StVollzG) nicht geregelt. Allerdings ersetzen die Landesstrafvollzugsgesetze in ihrem jeweiligen Geltungsbereich das Bundesstrafvollzugsgesetz nicht komplett. So liegt insbesondere die Ausgestaltung des gerichtlichen Rechtsschutzes in Vollzugssachen gem. §§ 109 ff StVollzG nach wie vor gem. Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG im Kompetenzbereich des Bundes. Darüber hinaus umfassen die Anwendungsbereiche der jeweiligen Gesetze – mit Ausnahme von BadenWürttemberg – und des Entwurfs nicht den Vollzug der stationären Maßregeln der §§ 63, 64 StGB (s. Vor §§ 136–138). Insoweit gelten die bundesrechtlichen Vorschriften §§ 136 bis 138 StVollzG fort (vgl. Art. 208 BayStVollzG, § 130 Nr. 4 HmbStVollzG, § 83 Nr. 4 HStVollzG). Die Entwurfsbegründung stellt insoweit fest, dass der Vollzug von freiheitsentziehenden Maßregeln einer eigenständigen Regelung bedarf (vgl. Entwurfsbegründung, S. 66). Bereits in der fünften Auflage musste die Konzeption des Kommentars durch Ein14 arbeitung der Landesvollzugsgesetze von Bayern, Hamburg und Niedersachsen abgeändert werden. Für die vorliegende sechste Auflage sind die Landesgesetze um BadenWürttemberg und Hessen sowie um den Musterentwurf vom 23.8.2011 ergänzt worden. 13
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Die Landesvollzugsgesetze und der Musterentwurf sind in der Weise eingearbeitet, dass nach der Kommentierung jedes Paragraphen des StVollzG ein zusätzlicher Abschnitt „Landesgesetze und Musterentwurf“ angefügt ist. Dort wird auf Übereinstimmungen mit bzw. Abweichungen von dem StVollzG aufmerksam gemacht sowie – soweit angebracht – aus den Gesetzesbegründungen zu den Landesgesetzen oder der Entwurfsbegründung zitiert. Darüber hinaus werden in der Kommentierung des StVollzG Ländervorschriften angesprochen, wenn diese für das Verständnis und die Auslegung der Bundesregelung von Bedeutung sind. Damit die Leser im jeweiligen Bundesland davon Gebrauch machen können, sind am Ende des Bandes die Landesgesetze sowie der Musterentwurf abgedruckt, wobei jede Vorschrift mit einem Verweis auf die entsprechende Kommentierung im StVollzG versehen ist. IV. Verfassungsrechtliche und menschenrechtliche Leitlinien für den Strafvollzug Das in § 2 S. 1 StVollzG formulierte Ziel des Strafvollzugs, die Gefangenen zu befähi- 15 gen, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen, lässt sich nach ständiger Rspr. des BVerfG unmittelbar aus der Verfassung ableiten; das Resozialisierungsprinzip folgt aus dem Gebot der Achtung der Menschenwürde und dem Sozialstaatsgrundsatz. Die mit der Freiheitsentziehung verbundenen Einschränkungen sind an das Rechtsstaatsprinzip, insbesondere die Verhältnismäßigkeit, gebunden und müssen aus Gründen der Menschenwürde die grundlegenden Voraussetzungen individueller und sozialer Existenz den Inhaftierten belassen (vgl. nur BVerGE 45, 228, 239). Gerade Einschränkungen von Grundrechten, die über die bloße Freiheitsentziehung hinausgehen, bedürfen der gesetzlichen Grundlage und sind am Maßstab der Grundrechte zu legitimieren. Über das nationale Verfassungsrecht hinaus sind auch internationale menschen- 16 rechtliche Grundsätze zu beachten; die EMRK – durch Bundesgesetz in nationales Recht transformiert – setzt Grenzen für staatliche Eingriffe in die Rechtssphäre der in Freiheitsentziehung befindlichen Personen; insbesondere verbietet sie Folter und andere unmenschliche oder erniedrigende Strafen der Behandlung (Art. 3; s. Laubenthal 2011, 21; AK-Feest/Lesting 2012, Vor § 1 Rdn. 6); ein entsprechendes Verbot findet sich auch in dem ebenfalls rechtlich verbindlichen internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte der Vereinten Nationen von 1966. Zusätzlich abgesichert wird der Schutz Inhaftierter dadurch, dass im Rahmen des Europäischen Übereinkommens zur Verhütung von Folter und unmenschlicher und erniedrigender Behandlung und Strafe von 1987 ein sog. Antifolter-Ausschuss regelmäßig Inspektionen in Gefängnissen durchführt und darüber berichtet. Zudem hat Deutschland entsprechend den UN-Übereinkommen gegen Folter (Zustimmungsgesetz von 2008) eine nationale Stelle zur Verhütung von Folter (http://www.antifolter-stelle.de) sowie eine Länderkommission eingerichtet. Lediglich Empfehlungscharakter haben die Europäischen Strafvollzugsgrundsätze 17 von 2006 (hrsg. vom BMJ 2007; vgl. dazu Dünkel 2010, 202). Sie schreiben Mindeststandards vor, die denen des StVollzG ähneln (AK-Fesst/Lesting 2012, Vor § 1 Rdn. 10), und entfalten insofern rechtliche Bedeutung, als sie als Prüfmaßstab des Europäischen Antifolterausschusses und der EGMR-Rechtsprechung herangezogen werden (Laubenthal 2011, 22 f.).
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V. Zum Aufbau des StVollzG 18
Das StVollzG regelt nach § 1 „den Vollzug der Freiheitsstrafe in Justizvollzugsanstalten und der freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung“. Es enthält die wesentlichen Normen zur Durchführung der Freiheitsstrafe: Die Ausgestaltung des Vollzugs in den verschiedenen Bereichen und die personelle und organisatorische Vollzugsstruktur. Den konkreten Regelungsbereichen vorangestellt sind in §§ 2 und 3 die Vollzugsaufgaben und die wesentlichen Gestaltungsprinzipien. Sie verpflichten die Vollzugsanstalt dazu, die Resozialisierung des Inhaftierten zu fördern und die hierfür erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen. Einschränkungen der Rechte der Gefangenen sind konkret gesetzlich geregelt, andernfalls aber nur zulässig, wenn sie für die Aufrechterhaltung der Sicherheit oder zur Abwendung einer schwerwiegenden Störung der Anstaltsordnung unerlässlich sind (§ 4 Abs. 2). Im Lichte dieser Grundsätze müssen auch die im zweiten Abschnitt des StVollzG behandelten Einzelbereiche gesehen und die spezifischen Regelungen interpretiert werden: die Vollzugsplanung (§§ 5–16); Unterbringung und Ernährung (§§ 17–22); Besuche, Schriftwechsel sowie Urlaub, Ausgang und Ausführung aus besonderem Anlass (§§ 23–26); Arbeit, Ausbildung und Weiterbildung (§§ 37–52); Religionsausübung (§§ 53–55); Gesundheitsfürsorge (§§ 56–66); Freizeit (§§ 67– 70); soziale Hilfe (§§ 71–75); Besonderheiten des Frauenstrafvollzugs (§§ 76–80); Sicherheit und Ordnung (§§ 81–93); unmittelbarer Zwang (§§ 94–101); Disziplinarmaßnahmen (§§ 102–107); Rechtsbehelfe (§§ 108–121); Sozialtherapeutische Anstalten (§§ 123–126). Der dritte Abschnitt enthält Sonderregelungen zum Vollzug der Maßregeln der Besserung und Sicherung: Zur Sicherungsverwahrung (§§ 129–135) sowie der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und einer Entziehungsanstalt (§§ 136–138); zu Letzteren legt das StVollzG im Wesentlichen nur die generellen Ziele und Aufgaben der Unterbringung fest. Der vierte Abschnitt regelt die Organisation des Vollzugs: Arten und Einrichtungen der Justizvollzugsanstalten (§§ 139–150); Aufsicht über die Justizvollzugsanstalten (§§ 151–153) sowie deren innerer Aufbau (§§ 154–161); Anstaltsbeiräte (§§ 162–165); Kriminologische Forschung im Strafvollzug (§ 166). Im fünften Abschnitt finden sich schließlich bereichsspezifische Regelungen des Datenschutzes (§§ 179–187), die auch Offenbarungspflichten und -befugnisse für die Anstaltsbediensteten umfassen (§ 182).
§1 [Anwendungsbereich] § 1 Jehle [Anwendungsbereich] Dieses Gesetz regelt den Vollzug der Freiheitsstrafe in Justizvollzugsanstalten und der freiheitsziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung.
I.
II.
Übersicht Allgemeine Hinweise ____ 1–2 1. Zum Begriff des Vollzugs ____ 1 2. Vollzugsformen und Justizvollzugsanstalten ____ 2 3. Föderalismusreform ____ 3 Erläuterungen ____ 4–14 1. Freiheitsstrafe i. S. d. StVollzG ____ 4–7 2. Geltung des StVollzG für aus dem Jugendstrafvollzug „Herausgenommene“ ____ 8, 9
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3. Entsprechende Anwendung des StVollzG auf Strafarrest und Zivilhaft ____ 10 4. Keine Geltung des StVollzG für den Vollzug der Jugendstrafe ____ 11 5. Keine Geltung für Untersuchungsgefangene ____ 12 6. Geltung des StVollzG bei freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung ____ 13, 14
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[Anwendungsbereich]
III.
Landesgesetze und Musterentwurf ____ 15–20 1. Baden-Württemberg ____ 15 2. Bayern ____ 16
3. 4. 5. 6.
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Hamburg ____ 17 Hessen ____ 18 Niedersachsen ____ 19 Musterentwurf ____ 20
I. Allgemeine Hinweise 1. Zum Begriff des Vollzugs. Der Vollzug der Freiheitsstrafe oder anderer frei- 1 heitsentziehender Sanktionsformen ist vom Begriff der Strafvollstreckung zu unterscheiden. Die Strafvollstreckung stellt den letzten Teil des Strafprozesses dar und dient der Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs; die Staatsanwaltschaft als Vollstreckungsbehörde sorgt dafür, dass (nicht nur freiheitsentziehende) Sanktionen des Strafgerichts nach deren Rechtskraft gemäß den Vorschriften der StPO (§§ 449 ff.) und der Strafvollstreckungsordnung vollstreckt werden. Was die Freiheitsstrafen betrifft, stellt die Staatsanwaltschaft die Vollstreckbarkeit (z. B. aufgrund von Rechtskraft der unbedingten Freiheitsstrafe oder nach Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung durch das erkennende Gericht) fest und lädt den in Freiheit befindlichen Verurteilten zum Strafantritt bzw. veranlasst die Überführung des bereits Inhaftierten in die zuständige Vollzugsanstalt. Ferner überwacht sie die Art und Dauer des Vollzugs und beteiligt sich an den gerichtlichen Verfahren zur Aussetzung des Strafrests zur Bewährung. Der Strafvollzug hingegen beginnt erst mit der Aufnahme des Verurteilten in der Justizvollzugsanstalt und endet mit seiner Entlassung. Während das Ob und die Dauer des Strafvollzugs also Sache der Strafvollstreckung sind, betrifft der Strafvollzug das Wie der Sanktionen, also die praktische Durchführung des Vollzugs unter den institutionellen Bedingungen einer Justizvollzugsanstalt. Die vollzugliche Ausgestaltung nach Maßgabe des StVollzG ist Sache des Anstaltleiters, dessen Entscheidungen allerdings richterlicher Kontrolle durch die Strafvollstreckungskammer unterliegen. 2. Vollzugsformen und Justizvollzugsanstalten. § 1 bestimmt positiv, für welche 2 Vollzugsformen die im StVollzG enthaltenen Regelungen gelten. Das ist in der Hauptsache der Vollzug der Freiheitsstrafe, nicht dagegen der UHaft und der Jugendstrafe, die gleichfalls in Justizvollzugsanstalten vollzogen werden. Von den freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung wird lediglich die Sicherungsverwahrung in Justizvollzugsanstalten vollzogen, die anderen Formen werden dagegen in Einrichtungen der Gesundheits- und Sozialverwaltung durchgeführt und richten sich nach Landesrecht (s. Vor § 136). Mithin sind die vom StVollzG betroffenen Gefangenen und Untergebrachten nicht identisch mit den Insassen, die in den organisatorischen Einheiten der Justizvollzugsanstalten zusammenkommen. Die zu Freiheitsstrafe und Sicherungsverwahrung Verurteilten machen im Bundesgebiet etwa 73% (67.671 am 31.3.2012) der Insassen der Justizvollzugsanstalten aus, Untersuchungsgefangene 17% und Jugendstrafgefangene 8%; sonstige Haftformen (u. a. Abschiebungshaft) 2%. Es bringt erhebliche praktische Schwierigkeiten mit sich, wenn eine Justizvollzugsanstalt verschiedenen Zwecken dient, z. B. der Durchführung von UHaft und der Vollstreckung kurzer Freiheitsstrafen zugleich, oder wenn besondere Einrichtungen für einen Bezirk zentral geschaffen sind (Anstaltskrankenhaus), in die Gefangene aller Art vorübergehend gelangen. Oft wird aber auch in derselben Anstalt im Anschluss an oder in Unterbrechung der UHaft Freiheitsstrafe vollzogen oder nach Beendigung der Freiheitsstrafe Abschiebungshaft vollstreckt. Vor allem in Justizvollzugsanstalten für weibliche Gefangene sind meistens alle Frauen eines Bezirks untergebracht, gegen die Freiheitsentzug irgendwelcher Art vollstreckt wird (vgl. auch § 140 Rdn. 4). 47
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Derartige praktische Schwierigkeiten haben den niedersächsischen Landesgesetzgeber dazu veranlasst, den Vollzug der Freiheitsstrafe, der Jugendstrafe, der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung und der UHaft in einem Gesetz zu regeln (s. Rdn. 16). Indessen wird kritisiert, dass den Besonderheiten des Jugendstraf- und UHaftvollzugs in einem gemeinsamen Gesetz nicht hinreichend Rechnung getragen werde (s. z. B. Dünkel Neue Kriminalpolitik 19 (2007), 55 ff; Eisenberg NStZ 2008, 250 ff; Kreuzer/Bartsch FS 2010, 87 ff). 3
3. Föderalismusreform. Da seit der Föderalismusreform das Gebiet des Strafvollzugs der Kompetenz der Landesgesetzgebung zugeordnet sind, haben mittlerweile Baden-Württemberg, Bayern, Hamburg, Hessen und Niedersachsen eigene Landesstrafvollzugsgesetze erlassen. Die übrigen Länder haben – mit Ausnahme von Nordrhein-Westfalen – einen gemeinsamen Musterentwurf erarbeitet (vgl. im Einzelnen Vor § 1 Rdn. 1, 8 ff). II. Erläuterungen
1. Freiheitsstrafe i. S. d. StVollzG. Vollzug der Freiheitsstrafe im Rahmen des StVollzG meint die Freiheitsstrafe i. S. v. § 38 StGB, also diejenige im engeren Sinne. Andere freiheitsentziehende strafrechtliche Sanktionen mit Strafcharakter, wie etwa die Jugendstrafe, Jugendarrest oder Strafarrest nach dem WStG, werden nicht erfasst (MünchKommStGB-Radtke 2012 § 38 Rdn. 2; AK-Feest/Lesting 2012 Rdn. 1). Freiheitsstrafe im engeren Sinne ist auch die Ersatzfreiheitsstrafe nach § 43 StGB, also der Freiheitsentzug, der an den Verurteilten vollzogen wird, die ihre Geldstrafe nicht bezahlen. 5 Ist der in UHaft befindliche Gefangene rechtskräftig zu Freiheitsstrafe verurteilt, die Vollstreckbarkeitsbescheinigung nach § 451 StPO aber noch nicht erteilt, so sollten in dieser „Zwischenhaft“ nach Nr. 91 UVollzO die Vorschriften des StVollzG zur Anwendung kommen, was – sobald die Rechtskraft zweifelsfrei feststeht – sachdienlich ist. Die UVollzO ist mittlerweile durch die Landesgesetze zum Untersuchungshaftvollzug abgelöst worden. Eine gesetzliche Regelung der Zwischenhaft in einem Untersuchungshaftvollzugsgesetz wäre wünschenswert (vgl. Seebode 1997, 47). Allerdings haben lediglich Baden-Württemberg in § 7 Abs. 3 JVollzGB II und Nordrhein-Westfalen in § 9 Abs. 3 UVollzG NRW Regelungen getroffen. Die Vorschriften über den Vollzug der Freiheitsstrafe gelten auch für die „Organisationshaft“, d. h. für den Zeitraum, in dem ein Inhaftierter nach rechtskräftigem Urteil darauf wartet, dass der Vollzug seiner Maßregel, die neben einer Freiheitsstrafe angeordnet ist und vorab vollstreckt werden soll, beginnen kann (Volckart/Grünbaum Maßregelvollzug 2003, 32). Umstritten ist, ob überhaupt oder für wie lange Zeit diese Organisationshaft als gesetzmäßig angesehen werden kann. Die Verwaltung darf einerseits nicht die Verwirklichung eines Urteils von den Belegungsmöglichkeiten abhängig machen. Andererseits sind kurze Wartezeiten unumgänglich, „um in einer Maßregelvollzugsanstalt mit der auch sonst in Haftsachen vorgeschriebenen Beschleunigung einen geeigneten Haftplatz lokalisieren und die Überführung des Verurteilten dorthin bewerkstelligen“ zu können (OLG Brandenburg NStZ 2000, 500 ff mit Anm. Rautenberg 502; OLG Celle NStZ-RR 2002, 349 f; OLG Hamm StV 2004, 274 f). Von der Rechtsprechung war den Vollstreckungsbehörden bisher stets eine Organisationsfrist von bis zu drei Monaten eingeräumt worden (OLG Düsseldorf NStZ 1981, 366; OLG Celle NStZ-RR 2002, 346). Dieser von Vollstreckungsbehörden und Fachgerichten häufig ausgenutzten Frist erteilte das BVerfG inzwischen eine Absage und stellte klar, dass die Organisationshaft immer dann verfassungswidrig wird, wenn die Vollstreckungsbehörden nicht auf den konkre-
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ten Behandlungsbedarf unverzüglich reagieren und in beschleunigter Form die Überstellung des Verurteilten in eine geeignete Einrichtung – und sei es in einem anderen Bundesland – herbeiführen (BVerfG StV 2006, 420, 422; vgl. auch SSW-StGB-Jehle § 67 Rdn. 30 f). Eine gesetzliche Regelung dieser unumgänglichen Organisationshaft (einschließlich der Bestimmung einer Höchstdauer) ist jedenfalls – auch wenn sie nur „regelwidrig“ sein sollte (BVerfG NStZ 1998, 77) – erforderlich (C/MD 2008 Rdn. 1). Die Landesgesetze haben hierzu gleichwohl keine Regelungen getroffen. Wird jemand, der zu einer Freiheitsstrafe i. S. v. § 38 StGB verurteilt worden ist, 6 gemäß § 114 JGG in den Jugendstrafvollzug „hineingenommen“ und in eine Jugendstrafanstalt verlegt, so bleibt gleichwohl das StVollzG auf ihn anwendbar. Auch die Jugendstrafanstalt ist eine Justizvollzugsanstalt, und aus § 114 JGG ergibt sich nicht, dass besondere Vollzugsbestimmungen gelten sollen (Böhm/Feuerhelm Einführung in das Jugendstrafrecht 2004, 266; C/MD 2008 Rdn. 1; a. A. Ostendorf JGG 2007 § 114 Rdn. 6, § 110 Rdn. 1). Auch weil diese unterschiedliche Gesetzeszuständigkeit in einer Anstalt zu Schwierigkeiten führt, wird in der Praxis von der keineswegs als Ausnahme formulierten Vorschrift des § 114 JGG sehr selten Gebrauch gemacht (am 31.3.2012 bei 61 Personen). Der Vollzug der Freiheitsstrafe (Rdn. 3, 4) wird nach dem Wortlaut des § 1 durch das 7 StVollzG nur insoweit geregelt, als er in Justizvollzugsanstalten stattfindet. Bei der Verlegung nach § 65 Abs. 2 in ein Krankenhaus außerhalb des Vollzugs trifft der Anstaltsleiter mit der Krankenhausleitung Absprachen, die die Sicherheit der Verwahrung des erkrankten Gefangenen, die Belange des Krankenhauses und die erforderliche Krankenbehandlung berücksichtigen (vgl. VV und Rdn. 6 zu § 65). Eine analoge Anwendung des StVollzG darüber hinaus kommt nicht in Betracht. 2. Geltung des StVollzG für aus dem Jugendstrafvollzug „Herausgenommene“. 8 Gemäß § 91 Abs. 1 Satz 1 JGG kann an einem zu Jugendstrafe Verurteilten, der das 18. Lebensjahr vollendet hat und sich nicht für den Jugendstrafvollzug eignet, die Jugendstrafe statt nach den Vorschriften für den Jugendstrafvollzug nach den Vorschriften des Strafvollzugs für Erwachsene vollzogen werden. Insoweit gelten auch die Regelungen der §§ 109 ff über die gerichtliche Entscheidung gegen Vollzugsmaßnahmen (§ 92 Abs. 6; vgl. § 109 Rdn. 3). Über diese Ausnahme aus dem Jugendstrafvollzug entscheidet gem. § 91 Abs. 2 JGG der Jugendrichter als Vollstreckungsleiter. Durch diese Rechtsfolgenverweisung werden ca. ein Viertel der zu Jugendstrafe verurteilten Insassen den Regelungen des StVollzG unterstellt (2.024 von 7.627 am 31.3.2012); es handelt sich dabei ganz überwiegend um Jungerwachsene, wobei das durchschnittliche Alter der Herausnahme regional stark streut (vgl. Jehle/Werner Jugendstrafvollzug – eine Bestandsaufnahme, in: FS Heinz 2012, 426, 434 ff; Werner Jugendstrafvollzug in Deutschland 2012, 61 ff). Zu Jugendstrafe Verurteilte, die – ohne gem. § 91 Abs. 1 JGG aus dem Jugendstraf- 9 vollzug herausgenommen zu sein – zeitweise in einer Justizvollzugsanstalt, die keine Jugendstrafanstalt ist, untergebracht sind, etwa anlässlich eines Transportes, einer Verlegung zur Vorführung, einer Krankenbehandlung oder aus besonderen Sicherheitsgründen, unterliegen nicht den Regelungen des StVollzG, sondern den für den Vollzug der Jugendstrafe geltenden Bestimmungen (vgl. Rdn. 7). 3. Entsprechende Anwendung des StVollzG auf Strafarrest und Zivilhaft. Ent- 10 sprechend gelten die Vorschriften über den Vollzug der Freiheitsstrafe auch für den Vollzug des Strafarrests, soweit er in den Justizvollzugsanstalten stattfindet (§ 167). Für den Vollzug von Ordnungs-, Sicherungs-, Zwangs- und Erzwingungshaft (und zwar unabhängig davon, ob er in Justizvollzugsanstalten oder andernorts stattfindet) gelten 49
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§§ 3–49, 51–122, 179–187 – also nicht § 2 – entsprechend, soweit nicht Zweck und Eigenart der Haft entgegenstehen oder in §§ 172–175 besondere Regelungen vorgesehen sind. Für den – in der Praxis häufig im Wege der Amtshilfe in Justizvollzugsanstalten stattfindenden – Vollzug der Abschiebungshaft gem. § 62 AufenthG gelten wiederum die Vorschriften des Strafvollzugsgesetzes über den Vollzug von Ordnungs-, Sicherungs-, Zwangs- und Erzwingungshaft entsprechend (§§ 171–175 Rdn. 4). 11
4. Keine Geltung des StVollzG für den Vollzug der Jugendstrafe. Das StVollzG gilt nicht für in Justizvollzugsanstalten untergebrachte zu Jugendstrafe Verurteilte – (5.603 am 31.3.2012), soweit sie nicht aus dem Jugendstrafvollzug gem. § 91 JGG herausgenommen sind – oben Rdn. 8. Für den Vollzug der Jugendstrafe galten vor Erlass der Landesgesetze zum Jugendstrafvollzug die §§ 91, 115 JGG, §§ 23 ff EGGVG, §§ 176, 178 StVollzG (Arbeitsentgelt und unmittelbarer Zwang in Justizvollzugsanstalten). Als Verwaltungsvorschrift galt die VVJug, die sich viel zu stark am StVollzG orientierte und nur in einigen Teilen (etwa bei den Voraussetzungen für Vollzugslockerungen) den Besonderheiten des Jugendstrafvollzugs Rechnung trug. Veranlasst durch das oben (s. Vor § 1 Rdn. 6) genannte Urteil des BVerfG und infolge der durch die Föderalismusreform erlangten Gesetzgebungskompetenz haben inzwischen alle Bundesländer Jugendstrafvollzugsgesetze erlassen. In 13 Bundesländern sind zum 1.1.2008 selbständige Landes-Jugendstrafvollzugsgesetze in Kraft getreten; in Baden-Württemberg, Bayern und Niedersachsen wurde der Jugendstrafvollzug in die entsprechenden Landes-Strafvollzugsgesetze integriert, sei es, dass innerhalb der einzelnen Normen Absätze zum Jugendstrafvollzug eingefügt sind, sei es, dass ein separater Abschnitt bzw. ein separates Buch des Gesetzes dem Jugendstrafvollzug gewidmet ist. Hamburg hat sich, nachdem zunächst ein Strafvollzugsgesetz mit integrierten Jugendstrafvollzugsregelungen erlassen worden war, in einer Novelle für ein eigenständiges Hamburgisches Jugendstrafvollzugsgesetz entschieden.
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5. Keine Geltung für Untersuchungsgefange. Untersuchungsgefangene machen mehr als 17% (am 31.3.2012) der im Justizvollzug befindlichen Personen aus. Für diese galten bis zum 31.12.2009 die Vorschriften der StPO (§ 119) – bei jungen Menschen ergänzend § 93 JGG –, §§ 23 ff EGGVG und die Untersuchungshaftvollzugsordnung (UVollzO) als Verwaltungsvorschrift (vgl. Böhm 2003 Rdn. 443–464; K/S-Schöch 2002 § 5 Rdn. 104– 129). Aus dem StVollzG galten für Untersuchungsgefangene § 177 (Arbeitsentgelt, wenn der Untersuchungsgefangene eine ihm zugewiesene Arbeit, Beschäftigung oder Hilfstätigkeit ausübt) und § 178 (unmittelbarer Zwang in den Justizvollzugsanstalten). Die UVollzO bestimmte zwar in Nr. 76, dass in Ergänzung der UVollzO „die Vorschriften über den Strafvollzug“ sinngemäß gelten, soweit nicht in der UVollzO etwas anderes bestimmt ist oder Wesen und Zweck der UHaft entgegenstehen. Diese Bestimmung hatte aber keine besondere Bedeutung. Die UVollzO enthielt eine ziemlich vollständige Regelung der UHaft; sie war im Übrigen nur eine Art Vorschlag für den zuständigen Richter, der die Haftbedingungen im Rahmen des § 119 StPO weitgehend gestalten konnte (BVerfGE 15, 288, 293 ff). Diese gesetzlichen und untergesetzlichen Bestimmungen genügten ersichtlich nicht den Vorgaben des BVerfG-Urteils vom 31.5.2006 (NJW 2006, 2093) an die gesetzliche Grundlage für Freiheitsentziehungen. Infolge ihrer neu erlangten Gesetzgebungskompetenz (s. Vor § 1 Rdn. 8) haben deshalb die Länder Vollzugsgesetze zur UHaft erlassen (vgl. hierzu König Anwaltkommentar Untersuchungshaft, Bonn 2011). Die hier für erforderlich gehaltene Regelung zur Organisationshaft enthält keines der UntersuchungsJehle
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haftvollzugsgesetze. Die Zwischenhaft wurde lediglich von Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen gesetzlich verankert. 6. Geltung des StVollzG bei freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung 13 und Sicherung. Die Sicherungsverwahrung (§§ 129–135) ist als einzige der freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung abschließend im StVollzG geregelt (445 Verwahrte am 31.3.2012). Diese Maßregel der Besserung und Sicherung wird nur in Justizvollzugsanstalten vollzogen. Aufgrund der Entscheidung des BVerfG zur Sicherungsverwahrung (BVerfGE 109, 133/174 = NJW 2004, 739 – 2 BvR 2029/01) ist erforderlich geworden, wesentliche Grundzüge des Vollzugs der Sicherungsverwahrung bundesgesetzlich zu regeln (dazu liegt zum 31.7.2012 ein Regierungsentwurf vor) und im Übrigen landesgesetzliche Vollzugsbestimmungen zu erlassen, die dem vom BVerfG statuierten Abstandsgebot und der Therapieorientierung des Vollzugs entsprechen (s. näher Vor § 129). Die beiden anderen freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung 14 (Entziehungsanstalt, § 64 StGB, und Psychiatrisches Krankenhaus, § 63 StGB) werden nicht in Justizvollzugsanstalten und nicht durch Justizvollzugsbeamte vollzogen. Die Einrichtungen, in denen diese Verwahrten untergebracht sind, gehören in der Regel nicht zum Justizressort. Die §§ 136 und 137 enthalten nur eine Beschreibung des Vollzugsziels dieser Maßregeln, und § 138 erklärt, dass sich die Unterbringung nach Landesrecht richtet (vgl. § 138 Rdn. 2), soweit nicht Bundesgesetze etwas anderes bestimmen. Nach § 138 Abs. 2 gelten § 51 Abs. 4 und 5, § 75 Abs. 3 (Pfändungsschutz des Überbrückungsgeldes und der Überbrückungsbeihilfe) sowie §§ 109 bis 121 (gerichtlicher Rechtsschutz) für die Unterbringung entsprechend. Darüber hinaus regelt das StVollzG entgegen dem Wortlaut von § 1 die Durchführung dieser Maßregeln gerade nicht. Es ist hier auch nicht entsprechend anwendbar (C/MD 2008 Rdn. 1 zu § 138). III. Landesgesetze und Musterentwurf 1. Baden Württemberg. § 1 JVollzGB I lautet: „(1) Dieses Gesetz regelt den Vollzug 15 der Untersuchungshaft, der einstweiligen Unterbringung, der sichernden Unterbringung bei vorbehaltener oder nachträglicher Sicherungsverwahrung, der Sicherungshaft, der Haft nach § 127 b Abs. 2, § 230 Abs. 2, §§ 236, 275 a Abs. 5, § 329 Abs. 4 Satz 1, § 412 Satz 1 und § 453 c Abs. 1 der Strafprozessordnung (StPO), 2. der Freiheitsstrafe, der freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung, des Strafarrests, 3. der Jugendstrafe nach den §§ 17 und 18 des Jugendgerichtsgesetzes (JGG) und der Freiheitsstrafe nach § 114 JGG sowie den Datenschutz bei dem Vollzug von gerichtlich angeordneten Freiheitsentziehungen in Anstalten der Justizverwaltung des Landes (Justizvollzugsanstalten). (2) Die Regelungen der Strafprozessordnung zur Vollziehung der Untersuchungshaft, namentlich zur Abwehr einer Flucht-, Verdunkelungs- oder Wiederholungsgefahr (§ 119 StPO), sowie die Vorschriften über die Kontaktsperre (§§ 31 bis 38 a des Einführungsgesetzes zum Gerichtsverfassungsgesetz) bleiben unberührt.“ Die Gesetzesbegründung führt hierzu aus: „Die Vorschrift bestimmt den Anwendungsbereich des Justizvollzugsgesetzbuchs. Nach Absatz 1 Nummer 1 erfasst das Gesetz nicht nur den Untersuchungshaftvollzug, sondern stellt darüber hinaus – ebenfalls erstmals – den Vollzug der einstweiligen Unterbringung sowie weiterer näher bezeichneter Unterbringungs- und Haftarten mit verfahrenssicherndem Charakter auf eine gesetzliche Grundlage. Die Nummern 2 und 3 in Absatz 1 entsprechen den Anwendungsbereichen 1.
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des bisherigen Strafvollzugsgesetzes (Nummer 2) sowie des Jugendstrafvollzugsgesetzes (Nummer 3). Der Anwendungsbereich der datenschutzrechtlichen Regelungen entspricht weiterhin dem bisherigen Justizvollzugsdatenschutzgesetz. Die Legaldefinition im zweiten Halbsatz macht deutlich, dass es sich bei dem Begriff der „Justizvollzugsanstalt“ um einen Oberbegriff handelt, der auch die besonderen Anstaltsarten, zum Beispiel, die Sozialtherapeutische Anstalt, das Justizvollzugskrankenhaus oder die Jugendstrafanstalt, umfasst. Der hier interessierende Bereich der Freiheitsstrafe, der freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung sowie des Strafarrests ist gesetzestechnisch ein Bestandteil des gesamten Gesetzes, in Buch 3 geregelt, wobei die generellen Vorschriften des Bundes für alle Haftarten gelten (LT-Drucks. 14/5012, 169). 16
2. Bayern. Art. 1 des BayStVollzG lautet: „Dieses Gesetz regelt den Vollzug der Freiheitsstrafe, der Jugendstrafe, der Sicherungsverwahrung und des Strafarrests in Justizvollzugsanstalten.“ In der Gesetzesbegründung zu Art. 1 heißt es: „Die Vorschrift legt zusammen mit Art. 208 den Anwendungsbereich des Gesetzes fest […] und ersetzt das StVollzG größtenteils. Neben dem Vollzug der Freiheitsstrafe (einschließlich der Ersatzfreiheitsstrafe) werden der Vollzug der Jugendstrafe (Teil 3) und der Vollzug der Sicherungsverwahrung (Teil 4) sowie der Vollzug des Strafarrests in Justizvollzugsanstalten (Teil 6 Abschnitt 1) geregelt. Für die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und einer Entziehungsanstalt gelten die §§ 136 bis 138 StVollzG und die bisherigen landesrechtlichen Bestimmungen (Art. 28 BayUnterbringungsgesetz). Die Regelungen der Rechtsbehelfe in den §§ 109 bis 121 StVollzG gelten gemäß Art. 208 fort, weil sie dem gerichtlichen Verfahren zuzurechnen sind. Die Vertretung des Staatsministeriums der Justiz in Verfahren nach §§ 109 ff StVollzG ist in § 4 Abs. 2 der Verordnung über die gerichtliche Vertretung des Freistaates Bayern geregelt“ (LT-Drucks. 15/8101, 48). Zu der Frage der Regelung des Vollzugs der Freiheitsstrafe und der Jugendstrafe in einem Gesetz s. o. Rdn. 2, 8.
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3. Hamburg. § 1 HmbStVollzG lautet: „Dieses Gesetz regelt den Vollzug der Freiheitsstrafe und der Sicherungsverwahrung.“ In der Gesetzesbegründung heißt es: „Kernpunkt des Entwurfs ist die Trennung des bisherigen Hamburgischen Strafvollzugsgesetzes in ein Gesetz über den Vollzug der Freiheitsstrafe und der Sicherungsverwahrung (Hamburgisches Strafvollzugsgesetz – HmbStVollzG) und ein Gesetz über den Vollzug der Jugendstrafe. Dies erfolgt vor dem Hintergrund der Besonderheiten des Jugendstrafvollzuges, die das Bundesverfassungsgericht abgebildet hat“ (Bürgerschafts-Drucks. 19/2533, 1). Darüber hinaus nimmt der Entwurf Bezug auf die Gesetzesbegründung des bisherigen HmbStVollzG, in der es zu § 1 heißt: „[…] Anders als das Strafvollzugsgesetz regelt es nicht den Vollzug der freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung insgesamt. Für den Vollzug der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt gelten weiterhin die §§ 136 bis 138 StVollzG in Verbindung mit dem Hamburgischen Gesetz über den Vollzug der Maßregeln der Besserung und Sicherung (Hamburgisches Maßregelvollzugsgesetz), ferner für den Vollzug des Strafarrestes in Justizvollzugsanstalten sowie den Vollzug von Ordnungs-, Sicherungs-, Zwangs- und Erzwingungshaft die Regelungen der §§ 167 bis 175 StVollzG“ (Bürgerschafts-Drucks. 18/6490, 30).
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4. Hessen. § 1 HStVollzG bestimmt folgendes: „Dieses Gesetz regelt den Vollzug der Freiheitsstrafe und die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung in Justizvollzugsanstalten.“ Die Gesetzesbegründung führt hierzu aus: „Freiheitsstrafe im Sinne des Gesetzes sind auch Ersatzfreiheitsstrafen“ (LT-Drucks. 18/1396, 75). Jehle
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Ferner heißt es in der Gesetzesbegründung: „Der hessische Gesetzgeber hat bereits durch Schaffung des Hessischen Jugendstrafvollzugsgesetzes (HessJStVollzG) vom 19. November 2007 (GVBl. I S. 758) von seinen durch die Föderalismusreform neu zugewiesenen Gesetzgebungskompetenzen Gebrauch gemacht. […] Zudem ist beabsichtigt auch den Untersuchungshaftvollzug nach langen Jahren vergeblicher bundesgesetzlicher Bemühungen auf eine umfassende landesgesetzliche Grundlage zu stellen (siehe Art. 2 dieses Gesetzes). Insoweit ist es im Hinblick auf die anderen Hessischen Vollzugsgesetze und das Bedürfnis der Praxis nach einheitlichen und abgestimmten Regelungen folgerichtig, die übertragenen Zuständigkeiten zur Fortentwicklung des Justizvollzugs so weit wie möglich zu nutzen, und auch ein Hessisches Strafvollzugsgesetz zu schaffen. […] Der Aufgabe der Kodifizierung eines eigenständigen Strafvollzugsgesetzes kommt das Land Hessen mit dem vorliegenden Gesetz nach“ (LT-Drucks. 18/1396, 73). 5. Niedersachsen. § 1 NJVollzG lautet: „Dieses Gesetz regelt den Vollzug der Frei- 19 heitsstrafe, der Jugendstrafe, der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung und der Untersuchungshaft in den dafür bestimmten Anstalten des Landes Niedersachsen.“ Auch § 1 NJVollzG ergänzt, wie Baden-Württemberg, den Regelungsbereich des § 1 StVollzG um den Jugendstraf- und UHaftvollzug. In der Gesetzesbegründung zu § 1 heißt es: „Der Anwendungsbereich des NJVollzG ist hinsichtlich des Begriffs der Freiheitsstrafe identisch mit § 1 StVollzG. Gemeint ist die in §§ 38 und 39 StGB geregelte Freiheitsstrafe einschließlich der Ersatzfreiheitsstrafe nach § 43 StGB. […] Jugendstrafe meint die nach den Vorschriften des JGG gegen Jugendliche oder Heranwachsende (vgl. § 1 Abs. 2 JGG) verhängte Jugendstrafe nach §§ 17 und 18 JGG, bei Heranwachsenden in Verbindung mit § 105 JGG. Untersuchungshaft ist sowohl die im allgemeinen Strafverfahren angeordnete Untersuchungshaft nach §§ 112 ff StPO als auch die gegen Jugendliche und Heranwachsende nach dem JGG verhängte Untersuchungshaft (§ 72 JGG). […] Weiterhin nicht gesetzlich geregelt werden soll die sog. Organisations- oder Zwischenhaft. Hinsichtlich der von § 1 StVollzG insgesamt erfassten freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung nach § 61 Nrn. 1 bis 3 StGB, deren Vollzug ebenfalls in das Gebiet des Strafvollzuges fällt […], soll im vorliegenden Gesetz nur der Vollzug der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung einschließlich der nachträglichen Sicherungsverwahrung nach § 61 Nr. 3, §§ 66 bis 66 b StGB geregelt werden. Die Regelung des Vollzuges der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 61 Nr. 1 und § 63 StGB) und der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 61 Nr. 2 und § 64 StGB), die bislang in §§ 136 bis 138 StVollzG und im Nds. MVollzG erfolgt, soll aus systematischen Gründen ausschließlich dem Nds. MVollzG vorbehalten werden. […] Dieses Gesetz kann nach der Neufassung des Artikels 74 Abs. 1 Nr. 1 GG grundsätzlich nur den Vollzug der vorgenannten Maßnahmen in den Justizvollzugsanstalten des Landes Niedersachsen regeln und nach Maßgabe des Art. 125 a Abs. 1 Satz 2 GG das auf diesen Gebieten erlassene Bundesrecht durch Landesrecht ersetzen. Ausgeschlossen sind demgegenüber grundsätzlich Regelungen auf den Gebieten des bürgerlichen Rechts, des Strafrechts, der Gerichtsverfassung (einschließlich der gerichtlichen Zuständigkeiten) und des gerichtlichen Verfahrens (einschließlich der gerichtlichen Rechtsbehelfe und der Vollstreckung, mit gewissen Ausnahmen beim Untersuchungshaftvollzug), solange und soweit der Bund auf diesen Gebieten bereits gesetzliche Regelungen erlassen hat (Art. 72 Abs. 2 GG). Zu den sich hieraus ergebenden Konsequenzen für den Geltungsumfang dieses Gesetzes vgl. § 193“ (LT-Drucks. 15/3565, 80). 6. Musterentwurf. § 1 ME-StVollzG lautet: „Dieses Gesetz regelt den Vollzug der 20 Freiheitsstrafe (Vollzug) und des Strafarrests in Justizvollzugsanstalten (Anstalten).“ 53
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Erster Abschnitt. Anwendungsbereich
In der ME-Begründung heißt es: „Die Bestimmung regelt den Anwendungsbereich entsprechend und bezieht auch den Strafarrest, der in Anstalten vollzogen wird, mit ein. Für den Vollzug von Ordnungs-, Sicherungs-, Zwangs- und Erzwingungshaft hat weiterhin der Bund die Gesetzgebungszuständigkeit, so dass §§ 171 ff StVollzG fortgelten. Das Gesetz gilt auch für rechtskräftig Verurteilte, für die noch keine Vollstreckbarkeitsbescheinigung nach § 451 StPO vorliegt. Der Vollzug von freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung bedarf einer eigenständigen gesetzlichen Regelung. […] Die bisher im Strafvollzugsgesetz enthaltenen Bestimmungen zum Vollzug der Sicherungsverwahrung bleiben einer eigenständigen landesgesetzlichen Regelung vorbehalten“ (ME-Begründung, 66).
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Aufgaben des Vollzuges
ZWEITER ABSCHNITT Vollzug der Freiheitsstrafe Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
ERSTER TITEL Grundsätze § 2 Jehle Aufgaben des Vollzuges
§2 Aufgaben des Vollzuges Im Vollzug der Freiheitsstrafe soll der Gefangene fähig werden, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen (Vollzugsziel). Der Vollzug der Freiheitsstrafe dient auch dem Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten. Schrifttum Arloth Strafzwecke im Strafvollzug, in: GA 1988, 403 ff; Bemmann Über das Ziel des Strafvollzugs, in: Kaufmann u. a. (Hrsg.), FS Bockelmann, München 1979, 891 ff; ders. „Im Vollzug der Freiheitsstrafe soll der Gefangene fähig werden, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen“, in: BewHi 1988, 448 ff; Berckhauer/Hasenpusch Legalbewährung und Strafvollzug, in: Schwind/Steinhilper (Hrsg.), Modelle zur Kriminalitätsvorbeugung und Resozialisierung, Heidelberg 1982, 281 ff; Böhm Strafzwecke und Vollzugsziele, in: Busch/Krämer (Hrsg.), Strafvollzug und Schuldproblematik, Pfaffenweiler 1988, 129 ff; ders. Bemerkungen zum Vollzugsziel, in: Prittwitz u. a. (Hrsg.), FS Lüderssen, Baden-Baden 2002, 807 ff; Dolde Vollzugslockerungen im Spannungsfeld zwischen Resozialisierungsversuch und Risiko für die Allgemeinheit, in: Busch/Edel/Müller-Dietz (Hrsg.), Gefängnis und Gesellschaft, Pfaffenweiler 1994, 109 ff; Dünkel Sicherheit und Strafvollzug – Empirische Daten zur Vollzugswirklichkeit unter besonderer Berücksichtigung der Entwicklung bei den Vollzugslockerungen, in: Albrecht u. a. (Hrsg.), Festschrift für Horst Schüler-Springorum zum 65. Geburtstag, Köln 1993, 641 ff; ders. (Hrsg.) Humanisierung des Strafvollzugs – Konzepte und Praxismodelle, Mönchengladbach 2008; Heghmanns Offener Strafvollzug, Vollzugslockerungen und ihre Abhängigkeit von individuellen Besonderheiten, in: NStZ 1998, 279 ff; Jehle/ Albrecht/Hohmann-Fricke/Tetal Legalbewährung nach strafrechtlichen Sanktionen. Eine bundesweite Rückfalluntersuchung 2004 bis 2007, Berlin 2010; Müller-Dietz Strafzwecke und Vollzugsziel. Ein Beitrag zum Verhältnis von Strafrecht und Strafvollzugsrecht, Tübingen 1973; ders. (Re-)Sozialisierungsziel und Sicherungsaufgaben des Strafvollzugs – Zur Problematik der Zielkonflikte und ihrer Lösung –, in: ders. (Hrsg.), Grundfragen des strafrechtlichen Sanktionensystems, Heidelberg/Hamburg 1979, 107 ff; ders. 10 Jahre Strafvollzugsgesetz, in: BewHi 1986, 331 ff; Schüler-Springorum Tatschuld im Strafvollzug, in: Philipps/Scholler (Hrsg.), Jenseits des Funktionalismus. Arthur Kaufmann zum 65. Geburtstag, Heidelberg 1989, 63 ff; Seebode Aktuelle Fragen zum Justizvollzug 2000 und seiner Reform, in: Herrfahrt (Hrsg.), Strafvollzug in Europa, Hannover 2001, 47 ff; Steindorfer Behandlung im Strafvollzug und Schutz der Allgemeinheit, in: ZfStrVo 2003, 3 ff; Wulf Opferbezogene Vollzugsgestaltung, in: ZfStrVo 1985, 67 ff.
I.
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Übersicht Allgemeine Hinweise ____ 1–11 1. Gerichtliche Strafzumessung und Vollzugsziel ____ 2, 3 2. Rechtseinschränkung, Vollzugsziel und Strafzwecke ____ 4–7 3. Zielkonflikt zwischen resozialisierender Behandlung und Sicherheit ____ 8–11 a) Rangordnung im StVollzG ____ 10 b) Rangordnung nach den LandesStrafvollzugsgesetzen ____ 11
II.
Erläuterungen ____ 12–19 1. Vollzugsziel (§ 2 Satz 1) ____ 12–16 a) Betroffener Personenkreis ____ 13 b) Erreichen des Vollzugsziels durch Freiheitsentzug ____ 14 c) Fähigwerden zu einem Leben ohne Straftaten in sozialer Verantwortung ____ 15 d) Bedeutung der „Schuldeinsicht“ ____ 16 2. Schutz der Allgemeinheit ____ 17–20
Jehle
§2
III.
Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
a) Bedeutung ____ 17 b) Behinderung des Vollzugsziels durch Gewährleistung von Sicherheit ____ 18, 19 c) Lösungsmöglichkeiten für den „Zielkonflikt“ ____ 20 Landesgesetze und Musterentwurf ____ 21–26
1. 2. 3. 4. 5. 6.
Baden-Württemberg ____ 21 Bayern ____ 22 Hamburg ____ 23 Hessen ____ 24 Niedersachsen ____ 25 Musterentwurf ____ 26
I. Allgemeine Hinweise 1
Die Vorschrift enthält die gesetzliche Beschreibung (Legaldefinition) des Vollzugsziels (Rdn. 10 ff) und beschäftigt sich mit Aufgaben des Vollzuges. Sie versucht ferner, die den Vollzug belastenden und erschwerenden „Zielkonflikte“ (Rdn. 18 f) wenn nicht zu beheben, so doch zu vermindern.
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1. Gerichtliche Strafzumessung und Vollzugsziel. Die Freiheitsstrafe ist zu vollziehen, wenn ihr ein rechtskräftiges Strafurteil zugrunde liegt. Das Strafgericht verhängt Freiheitsstrafen nach den Vorschriften des StGB. Danach sind für das „ob“ und das „wie lange“ einer Freiheitsstrafe die Schwere der vom Täter begangenen Rechtsverletzung – sie führt zu dem verbindlichen gesetzlichen Strafrahmen – und innerhalb des so gefundenen Strafrahmens vornehmlich das Maß der Schuld des Täters (§ 46 StGB) bestimmend. Erst nach Auffinden eines solchen „Schuldrahmens“ werden auch im Bereich der gerichtlichen Strafzumessung Überlegungen spezialpräventiven Inhalts („Folgen der Verurteilung für den Täter“, § 46 Abs. 2 StGB, Schutz der Allgemeinheit durch zeitweise Einsperrung des Täters und – § 47 Abs. 1, § 56 Abs. 1 und Abs. 2 StGB – vermuteter Resozialisierungserfolg) wirksam (im Einzelnen LK-Theune 2006 § 46 Rdn. 19 ff; K/SSchöch 2002 § 6 Rdn. 51; Laubenthal 2011, Rdn. 176 ff; Schäfer/Sander/van Gemmeren Praxis der Strafzumessung 2008, Rdn. 473 ff). Bei der Vollstreckung von Freiheitsstrafen bis zwei Jahren hängt es allerdings in erster Linie von den spezialpräventiven Gesichtspunkten der erwarteten Legalbewährung ab, ob der Verurteilte als Bewährungsproband in Freiheit bleibt oder die Strafe im Strafvollzug verbüßen muss. Über zwei Jahre Strafdauer lassen indes eine Strafaussetzung zur Bewährung nicht zu; und deshalb werden im Strafvollzug Freiheitsstrafen auch an Tätern vollzogen, die weder resozialisiert werden müssen noch für die Allgemeinheit gefährlich sind. Zu denken ist dabei an Verurteilte, die in Konfliktsituationen schwere Verbrechen begangen haben und mitunter erst Jahre nach der Tat, inzwischen wohleingegliedert und unauffällig lebend, als Täter ermittelt worden sind. Ähnlich ist es bisweilen bei Personen, die im Zusammenhang mit ihrem Beruf bestehende Möglichkeiten zu umfangreichen Vermögensstraftaten missbraucht haben, nach Entdeckung und Entfernung aus der von ihnen kriminell genutzten Position aber in der Lage und meistens auch bereit sind, ihr Brot in dem erlernten Beruf rechtschaffen zu erwerben (eindrucksvolles Beispiel BGHSt 29, 319 ff – allerdings bedürfen auch oft solche Täter resozialisierender Behandlung: Seebode 2001, 53). Auch in zahlreichen anderen Fällen wird jedenfalls die Strafhöhe nicht vorrangig nach den Erfordernissen der in § 2 genannten Aufgaben des Strafvollzuges bemessen. Selbstverständlich sind aber diese Freiheitsstrafen, die von den in § 2 genannten Aufgaben des Vollzuges nicht erfasst werden, rechtens und müssen vollzogen werden. Das gilt auch für den Vollzug der Freiheitsstrafe gegen zwar resozialisierungsbedürftige, aber resozialisierungsunfähige Gefangene (a. A. Köhne ZRP 2003, 207, 210, der den Vollzug dann für verfassungswidrig hält!), soweit es solche denn geben sollte. Ihr Vollzug dient dann der Vergeltung des schuldhaft begangenen Unrechts und – generalpräventiv – der BeJehle
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Aufgaben des Vollzuges
§2
stätigung der Rechtsordnung (Arloth 2011 Rdn. 6). Dies gilt im Übrigen auch für jede andere Freiheitsstrafe, deren Verhängung und Bemessung (mehr oder weniger zufällig) auch im Sinne der in § 2 erwähnten Aufgaben des Strafvollzugs funktional isg91 t (BVerfG – Beschluss nach § 93 a BVerfGG – 19.9.1980, 2 BvR 963/79). Sie wird „vom Gefangenen auch nur so akzeptiert“ (OLG Stuttgart ZfStrVo 1984, 252 f; Seebode 1997, 82; Böhm 2003 Rdn. 22 f). Im Gesetzgebungsverfahren erschien dies „so selbstverständlich“, dass die ausdrückliche Aufnahme dieses Gesichtspunkts in das Gesetz „für überflüssig“ gehalten wurde (vgl. BVerfGE 64, 261, 276). Es hätte nichts geschadet, wenn auch im StVollzG diese selbstverständliche und 3 unstreitige Rangfolge und Abhängigkeit der Freiheitsstrafe ausdrücklich formuliert worden wäre. Da das nicht geschehen ist, entstehen bei Verurteilten, Mitarbeitern des Strafvollzugs und in der Öffentlichkeit leicht Fehlvorstellungen über die Bedeutung der Freiheitsstrafen und ihres Vollzugs. Die Freiheitsstrafe ist ein zur Ahndung der schuldhaften Straftat dem Verurteilten auferlegtes Strafübel, eine Rechtseinbuße. Jede Verschleierung dieses Sachverhalts ist schädlich und erschwert die Erreichung des Vollzugsziels. Dem Verurteilten können die ihn durch den Vollzug der Freiheitsstrafe treffenden Beschränkungen und Belastungen niemals allein (oder auch nur überwiegend) aus den in § 2 genannten Aufgaben des Strafvollzugs und schon gar nicht aus dem Vollzugsziel erklärt werden. Wird ihm der wahre Hintergrund seines Strafleidens verschwiegen oder zerredet, so fühlt er sich letzten Endes betrogen oder für dumm verkauft, denn „wäre die Freiheitsstrafe eben nicht als Strafe unentbehrlich, würde sie kaum als Behandlung eingeführt werden“ (H. Mayer in: Busch/Edel (Hrsg.) Erziehung zur Freiheit durch Freiheitsentzug 1969, 199, 211). Schöch ist zuzustimmen, dass die erheblichen Rechtsbeschränkungen der Freiheitsstrafe nicht Aufgabe des Vollzugs, sondern als Reflex der im richterlichen Strafurteil angeordneten Sanktion dessen (häufig störende, vom Gesetzgeber aber gewollte) Rahmenbedingung sind (K/SSchöch 2002 § 6 Rdn. 10). In die Beschreibung der Aufgaben des Strafvollzugs gehört dieser Sachverhalt deshalb auch nicht. Das Problem ist aber, dass der Leser des StVollzG an keiner Stelle erfährt, was wirklich „Sache ist“ (vgl. hierzu Seebode 1997, 78 ff; Böhm 2003 Rdn. 22). Zu den Rechtsbeschränkungen im Strafvollzug vgl. § 4 Rdn. 3, 13, 23 f. 2. Rechtseinschränkung, Vollzugsziel und Strafzwecke. Die – vergeltende – 4 Rechtseinschränkung ist Freiheitsentzug unter den belastenden Bedingungen eines Anstaltsaufenthalts (Böhm 2003 Rdn. 2) in dem durch das StVollzG gesteckten Rahmen. Das wird verschiedentlich an den Grenzen der „Leistung“ deutlich: z. B. zugesicherte Besuchszeit von einer Stunde im Monat (§ 24 Abs. 1 Satz 2, viel weniger als in jeder anderen sozialen Einrichtung). Zusätzlich realisiert sich das Maß vergeltender Rechtseinschränkung in der Zuweisung von Mitteln für den Strafvollzug. Hier wird eine Rolle spielen, dass die Lebenshaltung anderer sozial zu unterstützender Gruppen in der Allgemeinheit höher angesehen wird als die der Strafgefangenen. Die im StVollzG gewährten besseren Bedingungen für Sicherungsverwahrte (§§ 131–133) tragen dem Umstand Rechnung, dass diese Verurteilten die ihnen für ihre Straftaten zugemessene Freiheitsstrafe schon verbüßt haben und nun darüber hinaus nur noch festgehalten werden, weil sie als zu gefährlich für die Allgemeinheit gelten (AK-Feest/Lesting 2012 Rdn. 1 zu § 131). Die gegenüber dem Vollzug der Freiheitsstrafe günstigeren Haftbedingungen der Insassen, an denen Strafarrest vollzogen wird, hängen damit zusammen, dass Strafarrest seinem Anlass nach die weniger einschneidende Strafe ist (C/MD 2008 zu § 167). Schließlich hat die Untersuchungsgefangenen gewährte bessere Lebenshaltung ihren Grund in der Unschuldsvermutung (BVerfGE 35, 311, 320). 57
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§2
Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
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Das Vollzugsziel entspricht dem Strafzweck der positiven Spezialprävention, der (Re-)Sozialisierung, von Schüler-Springorum für die im Strafvollzug Befindlichen zutreffend als „Ersatzsozialisation“ bezeichnet (Was stimmt nicht mit dem Strafvollzug? Hamburg 1970, 49). Die in Satz 2 formulierte weitere Aufgabe des Vollzugs entspricht dem Strafzweck der negativen Spezialprävention, dem Sicherungszweck. Der ebenfalls zur Spezialprävention zu rechnende Warneffekt der Strafe (Individualabschreckung) wird durch den Vollzug der Freiheitsstrafe fraglos verwirklicht, ist aber weder Teil des Vollzugsziels noch (weitere) Aufgabe. Er wird durch den gesetzmäßigen Vollzug der Freiheitsstrafe erfüllt und im Einzelfall Bedeutung erlangen, eine eigenständige Berücksichtigung findet er nicht. Auch die (positive wie negative) Generalprävention ist weder Ziel noch Aufgabe des Vollzuges, wird vielmehr durch den gesetzmäßigen Vollzug der Freiheitsstrafe bewirkt, ohne dass sie bei der Ausgestaltung des Vollzugs im Rahmen des Gesetzes insgesamt oder bei der Behandlung des Gefangenen im Einzelfall Beachtung finden dürfte (so OLG Frankfurt NStZ 2002, 53 f, mit krit. Anm. Arloth 280 gegen OLG Frankfurt NStZ 1983, 140, mit krit. Anm. Feest und Kaiser). 6 Dies gilt ebenso für die Vergeltung oder die Schwere der Schuld. Diese Gesichtspunkte werden bei der Verhängung und Bemessung der Strafe berücksichtigt. Es versteht sich von selbst, dass eine unterschiedliche Vollzugsgestaltung bei gleichlangen Strafen wegen verschieden zu bewertender Schuldschwere ein systemfremder und rechtswidriger Eingriff der Vollzugsbehörde wäre, eine nachträgliche Korrektur einer der rechtsprechenden Gewalt vorbehaltenen Bewertung. Nun ermöglicht es das Gesetz aber umgekehrt, die Freiheitsstrafe im geschlossenen Vollzug zu vollziehen, das Übel des Freiheitsentzuges aber auch in einem durch Strafurlaube und Arbeit im freien Beschäftigungsverhältnis gestalteten offenen Vollzug weitgehend zurückzunehmen. Diesen unterschiedlichen Vollzugsgestaltungen sind die Gefangenen, unabhängig von der Strafdauer und weitgehend abhängig von unverschuldeten persönlichen und sozialen Entwicklungen und Verhältnissen, ausgesetzt. Die für die Versagung von Lockerungen maßgebliche Missbrauchsgefahr (vgl. § 11 Rdn. 14 ff) kann oft von den Gefangenen selber schlecht beeinflusst werden (Seebode 2001, 49 f). Die in diesem Sachverhalt liegende Ungerechtigkeit: die der Schuld angemessene Strafe wird je nach (weitgehend) unverschuldeter Gefährlichkeit mehr oder weniger einschneidend vollzogen, widerspricht indessen nicht der allgemeinen Strafrechtsordnung; ähnliche Regelungen gelten für die Frage, ob eine (kürzere) Freiheitsstrafe vollzogen werden muss oder zur Bewährung ausgesetzt werden kann, vor allem aber für die Entlassung zur Bewährung nach Verbüßung von zwei Dritteln der Strafe. Man hätte, ähnlich wie bei den Vollstreckungsentscheidungen nach § 57 StGB, für die Gewährung weitgehender Vollzugslockerungen Zeitgrenzen (etwa Ablauf eines Viertels oder eines Drittels der Strafzeit) gesetzlich festlegen können. Das StVollzG ist aber diesen (vielleicht vernünftigen: Heghmanns 1998, 279 f; Seebode 2001, 51; K/S-Schöch 2002 § 6 Rdn. 49) Weg nicht gegangen. Deshalb erscheint auch eine Korrektur seitens der Vollzugsbehörde unter Zugrundelegung des Gebotes der Gleichbehandlung (Heghmanns 1998, 279, 284) nicht zulässig. Bei der lebenslangen Freiheitsstrafe darf Urlaub in der Regel erst nach Verbü7 ßung von 10 Jahren gewährt werden (§ 13 Abs. 3; K/S-Schöch 2002 § 6 Rdn. 45; vgl. aber hierzu Laubenthal 2011, Rdn. 188). Zudem führt, wie sich aus § 57 a StGB ergibt, die besondere Schwere der Schuld zu einer erst nach Teilvollstreckung der Strafe festzulegenden Mindestverbüßungsdauer. Hier erscheint es deshalb in Extremfällen, etwa beim Vollzug lebenslanger Freiheitsstrafen gegen Verurteilte, die in Vernichtungslagern oder als verantwortliche Leiter von sog. Einsatzgruppen in Polen und Russland grausam und mitleidlos Tausende von Menschen ermordet hatten, nach Kriegsende jahrelang und unauffällig in ordentlichen Verhältnissen gelebt hatten, weder rückfallverdächtig noch Jehle
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fluchtgefährdet waren, unerträglich, Vollzugslockerungen, die diesem Personenkreis gegenüber natürlich keine Behandlungsmaßnahmen, sondern willkommene Hafterleichterungen darstellen, nur unter spezialpräventiven Kriterien zu betrachten und nicht auch Aspekte der besonderen Schwere der Schuld zu bedenken. Auf diesem Hintergrund ist es zu billigen, dass das BVerfG – obwohl es dies im konkreten Fall hätte dahingestellt lassen können – diesen Überlegungen des OLG Karlsruhe (ZfStrVo SH 1978, 9 ff) zustimmte (ebenso früher OLG Frankfurt ZfStrVo SH 1979, 28 ff; NStZ 1981, 157; ZfStrVo 1984, 373), ja sogar formulierte, es sei die Frage, ob es nicht verfassungswidrig sei, die Gründe, die für Verhängung und Bemessung der Strafe maßgeblich seien, bei der Vollzugsgestaltung völlig unbeachtet zu lassen (BVerfGE 64, 261, 275 mit abl. Votum von Mahrenholz). Über diese Extremfälle hinaus haben später einige Oberlandesgerichte die Schwere der Schuld auch bei der Gewährung von Vollzugslockerungen in Fällen von Freiheitsstrafen von mehr als 10 Jahren (OLG Nürnberg, Beschl. vom 18.7.2011 – 1 Ws 151/ 11, lebenslange Freiheitsstrafe; OLG Nürnberg ZfStrVo 1984, 114 – 14 Jahre, Totschlag; OLG Frankfurt ZfStrVo 1983, 120 – 11 Jahre, Notzucht) und bei geringfügigen Rücknahmen des Strafübels (OLG Stuttgart ZfStrVo 1984, 252 und ZfStrVo 1986, 117 – Ausgang; OLG Frankfurt ZfStrVo 1987, 111 f – 1 Tag Urlaub) berücksichtigt, freilich die beantragte Lockerung meist bewilligt. Die Vollzugsverwaltungen einiger Bundesländer haben verallgemeinernde Richtlinien zur – weitgehenden – Berücksichtigung der Schwere der Schuld erlassen (vgl. Baumann ZfStrVo 1987, 47 für Baden-Württemberg; Schüler-Springorum 1989, 66 für Bayern) oder in Einzelfällen entsprechendes Handeln nahe gelegt, was weder der Rechtsprechung entspricht noch zulässig ist. Bestrebungen, den Gesichtspunkt der Schuld als weiteres Entscheidungskriterium in §§ 2 oder 4 einzufügen, haben bei der Mehrzahl der Bundesländer keine Zustimmung gefunden; sie haben sich auch nicht in den Landes-Strafvollzugsgesetzen niedergeschlagen (Rdn. 21 ff). Zu Recht: Außerhalb der geschilderten Extremfälle stellt die Schwere der Schuld kein Abwägungskriterium im Strafvollzug dar (so auch OLG Frankfurt NStZ 2002, 53 ff mit krit. Anm. Arloth, 280). Die weitergehende – absolut herrschende – Literaturmeinung, die auch in den Extremfällen den Gesichtspunkt der Schwere der Schuld nicht berücksichtigen will (C/MD 2008 Rdn. 8; AK-Feest/Lesting 2012 Rdn. 3; K/S-Schöch 2002 § 6 Rdn. 40–48; Calliess 1992, 28–31; Laubenthal 2011 Rdn. 181–195; Walter 1999 Rdn. 55–58), birgt die Gefahr, ein sinnvolles Prinzip Umgehungsversuchen auszusetzen. In der Praxis spielt diese Frage heute kaum eine Rolle mehr. Dass unabhängig von Tat und Schuld den besser Sozialisierten, den ohnehin Bevorzugten, durch Vollzugslockerungen wesentlich günstigere Bedingungen eingeräumt werden als den „armen Teufeln“ (Ein Hauch von „Klassenjustiz“? vgl. Böhm 1988, 132; Freimund Vollzugslockerungen – Ausfluss des Resozialisierungsgedankens? Diss. Mainz 1990; Scholz BewHi 1986, 361, 363; vgl. auch MüllerDietz 1986, 331 ff, 335 f), muss andere Konsequenzen haben als die Berücksichtigung von Schuldschwere bei Lockerungsentscheidungen. Der ernst zu nehmende Gedanke der Strafgerechtigkeit muss zu verstärkten Behandlungsangeboten gegenüber den als gefährlich geltenden Strafgefangenen führen (so auch Müller-Dietz 1986, 335 f) sowie zu besseren Lebensverhältnissen im geschlossenen Vollzug. So hilft den gegenwärtig Benachteiligten wohl am ehesten eine stärkere Ausrichtung des gesamten Vollzugssystems am Vollzugsziel und die stärkere Gewichtung der Erreichung des Vollzugsziels im Einzelfall gegenüber der Missbrauchsbefürchtung (vgl. Böhm 1988, 132, 133; vgl. auch Bock NStZ 1990, 457 ff, 462, 463). Zur Berücksichtigung von „Schuldverarbeitung“ vgl. Rdn. 16.
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3. Zielkonflikt zwischen resozialisierender Behandlung und Sicherheit a) Rangordnung im StVollzG. Die Zielkonflikte hat das StVollzG nicht beseitigt. Zwar lässt der Wortlaut des § 2 keinen Zweifel, dass das Vollzugsziel (Rdn. 12 ff) den Vorrang genießen soll und die Sicherheit der Allgemeinheit (Rdn. 17 f) vor Straftaten während des Vollzugs nur „auch“ – also in zweiter Linie – eine Aufgabe des Vollzuges ist (dazu Kudlich JA 2003, 704). Diese Rangordnung wird aber schon im Gesetz selber nicht eingehalten. So sind die 9 Vollzugslockerungen davon abhängig, dass „nicht zu befürchten ist, dass der Gefangene sich dem Vollzug der Freiheitsstrafe entziehen oder die Lockerungen des Vollzuges zu Straftaten missbrauchen werde“ (§ 11 Abs. 2). Wenn eine solche Befürchtung besteht, darf auch die zur Resozialisierung notwendigste Lockerung nicht angeordnet werden (OLG Karlsruhe ZfStrVo 1979, 54). Ja wenn die einzige Chance einer Resozialisierung darin bestünde, eine riskante Lockerung zu gewähren, so wäre das nach § 11 Abs. 2 verboten (§ 11 Rdn. 3; § 13 Rdn. 13). Es findet keine Abwägung zwischen der Bedeutung der Lockerung für die Resozialisierung und der Schwere der bei Gewährung der Lockerung befürchteten Straftaten statt. Der Vorrang der Sicherheit ist eindeutig festgeschrieben. Diese Umkehr der Aufgabengewichtung ist bedauerlich („unehrlich“: Seebode 2001, 56). Der Gesetzgeber hätte den Zielkonflikt, der unvermeidlich ist, offener ins Auge fassen müssen und mit mehr Mut zum Risiko eine Abwägung der Aufgaben im Einzelfall unter Angabe von Bewertungsgesichtspunkten strukturieren sollen. In der vollzuglichen Praxis wird man ohnehin in dieser flexiblen Art vorgehen müssen, also die Wichtigkeit der Lockerung für die Resozialisierung in Beziehung zur Schwere der allenfalls drohenden Straftaten setzen und bei herannahendem Entlassungszeitpunkt die Bedeutung der Missbrauchsgefahr bei Lockerungen geringer veranschlagen müssen (s. auch Rdn. 20). Bei den anderen Vollzugsmaßnahmen hat das Gesetz der Sicherheitsaufgabe des 10 Vollzugs nicht so eindeutig den Vorrang eingeräumt. Allerdings wird in der Praxis auch hier das Sicherheitsziel besonders stark beachtet. Das lässt sich an anderen Vorschriften des Gesetzes und – man muss sagen: folgerichtig – in den VV und den DSVollz nachweisen. Obendrein werden Sachmittel und Personal in erster Linie für die Sicherungsaufgabe eingesetzt. Erst wenn dann noch etwas zur Verfügung steht, wird die Erreichung des Vollzugsziels bedacht (zur Abwägung der Interessen insoweit zutr.: OLG Hamm ZfStrVo 1985, 174, 176). Seit dem Inkrafttreten des StVollzG ist die Bedeutung der Sicherheit zunehmend stärker in den Vordergrund gerückt. Praktisch ist sie heute das wichtigste Gestaltungsmittel im Strafvollzug. 8
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b) Rangordnung nach den Landes-Strafvollzugsgesetzen. Die infolge der Föderalismusreform (s. Vor § 1 Rdn. 8 ff) erlassenen Landesgesetze in Baden-Württemberg, Bayern, Hamburg, Hessen und Niedersachsen haben bezüglich des Zielkonflikts, der im Vollzugsalltag regelmäßig auftritt, keine echte Lösung gefunden. § 1 JVollzGB III baut auf dem Resozialisierungskonzept des Strafvollzugsgesetzes auf (vgl. Gesetzesbegründung LT-Drucks. 14/5012, 209). Den Schutz der Allgemeinheit enthält dagegen § 2 Absatz 1 JVollzGB I. Im Endeffekt soll wohl aber keine Verschiebung des Vollzugsziels gewollt sein (AK-Bung/Feest 2012, Rdn. 17). Auch nach § 2 Satz 1 MEStVollzG ist das alleinige Vollzugsziel die Resozialisierung. Gemäß Satz 2 hat der Vollzug die Aufgabe die Allgemeinheit vor weiteren Straftaten zu schützen. Es wird somit zwischen dem Vollzugsziel und der Aufgabe des Vollzuges unterschieden. Anders sieht es hingegen in den anderen Landesgesetzen aus. Art. 2 BayStVollzG stellt in Aufbau und Gliederung des Gesetzes den Schutz der Allgemeinheit dem Vollzugsziel der Resozialisierung voran. Das Ziel der sozialen IntegJehle
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ration wird erst im Nachsatz genannt und somit „herabgestuft“ (so C/MD 2008 Rdn. 19); Art. 4 BayStVollzG bestätigt dies, der die sichere Unterbringung an erster Stelle nennt. Dazu heißt es in der Gesetzesbegründung des Bayrischen Landtags, es werde klargestellt, dass der Schutz der Allgemeinheit nicht der Resozialisierungsaufgabe nachgestellt sei, eine Änderung der bisherigen Rechtslage sei damit aber nicht verbunden (LTDrucks. 15/8101, 49). Bayern verzichtet in Art. 2 auf eine Benennung von vollzuglicher Zielsetzung als „Vollzugsziel“ und überschreibt die Bestimmungen mit „Aufgaben“ des Vollzugs (Laubenthal 2011, Rdn. 151). § 2 HmbStVollzG stellt das Resozialisierungsziel voran und macht im Nachsatz deutlich, dass es „gleichermaßen“ dem Schutz der Allgemeinheit dient und dass zwischen den beiden kein Gegensatz besteht (Rdn. 22). Das HStVollzG beschreibt in § 2 die Aufgaben des Strafvollzuges in zwei Gesetzesaufträgen, nämlich den Eingliederungs- und den Sicherungsauftrag, die laut der Gesetzesbegründung gleichrangig sein sollen (LT-Drucks. 18/1396, 29). Niedersachsen stellt in § 5 NJVollzG die Resozialisierung dem Schutz der Allgemeinheit rechtstechnisch voran, spricht aber in § 2 Satz 2 davon, dass der Vollzug „zugleich“ dem Schutz der Allgemeinheit diene (Schwind 2009, 763, 779 – in dieser Reihenfolge und dieser Begründung akzeptabel). In der Gesetzesbegründung wird ausgeführt, dass beide Belange als gleichrangige Vollzugsziele nebeneinander stünden, wobei zwischen beiden kein Gegensatz bestehe, weil die Verwirklichung des Resozialisierungsziels zugleich auch dem Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten diene. Allerdings erwartet der Gesetzgeber, dass die Änderung gegenüber § 2 StVollzG bei der Anwendung und Auslegung einzelner Vorschriften zu beachten ist (LT-Drucks. 15/3565, 87). Mit diesen Abweichungen vom Wortlaut des § 2 StVollzG ist fraglos eine Verschiebung der Gewichte zugunsten der Sicherheit beabsichtigt. C/MD hält die Gesetzesbegründungen, die jeweils von der Gleichwertigkeit bzw. Gleichrangigkeit der Vollzugsaufgaben sprechen, für Versuche, die Zurückstellung des Integrationsziels zu kaschieren (C/MD 2008 Rdn. 19). Er befürchtet, dass hier nunmehr praktisch der Grundsatz: im Zweifel Sicherheit vor Resozialisierung gelte, und meint, die neuen Ländergesetze entsprächen nicht den durch das BVerfG aufgestellten verfassungsrechtlichen Anforderungen und seien somit verfassungswidrig (C/MD 2008 Rdn. 20). Der Vorwurf der Verfassungswidrigkeit geht sicher zu weit. Wollte man aus der Verfassung bzw. der Verfassungsgerichtsrechtsprechung einen absoluten Vorrang der Resozialisierung ableiten, so müsste man bereits § 11 Abs. 2, der bei Lockerungen der Sicherheit den Vorrang gibt (Rdn. 9), für verfassungswidrig halten. Auch wenn man in diesen Änderungen eine andere rechts- und kriminalpolitische Konzeption erblicken mag (so C/MD 2008 Rdn. 19), ist Laubenthal zuzustimmen, wenn er meint, diese landesrechtlichen Vorgaben änderten nichts daran, dass es sich bei dem Sozialisationsziel um ein verfassungsrechtlich begründetes Gebot handele, das für die staatliche Gewalt verbindlich sei (BVerfGE 33, 10 f; Laubenthal 2011 Rdn. 151; Schwind 2009, 763, 779 ). Allerdings sei zu befürchten, dass von den Vollzugsbehörden angenommene Erfordernisse des Gesellschaftsschutzes den Alltag in den Vollzugsanstalten künftig noch nachhaltiger prägen würden (Laubenthal 2011 Rdn. 174). Dass Arloth in dieser vom Landesgesetzgeber getroffenen Rangfolge kein Problem sieht, ist konsequent, geht er doch für das Bundesgesetz von einer grundsätzlichen Gleichrangigkeit der Vollzugsaufgaben in § 2 aus (Arloth 2011 Rdn. 10 unter Bezugnahme auf die Stellungnahme der früheren BReg zum BR-Entwurf, BT-Drucks. 15/778 Anlage 2). Sein Argument, Resozialisierung und Schutz der Allgemeinheit seien ohnehin kein Gegensatz, sondern „zwei Seiten derselben Medaille“, welches er auf die Rspr. des BVerfG (BVerfGE 116, 69) stützt (Arloth 2011 zu Art. 2 BayStVollzG u. § 5 NJVollzG), geht allerdings fehl, denn diese harmonisierende Auffassung betrifft nur die Zeit nach der Entlassung, nicht aber die hier in Rede stehende Zeit während des Vollzugs. Das BVerfG hat ja in der erwähnten Entschei61
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Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
dung lediglich gesagt, dass sich die Notwendigkeit, den Strafvollzug am Ziel der Resozialisierung auszurichten, auch aus der staatlichen Schutzpflicht für die Sicherheit aller Bürger ergibt (BVerfG aaO). II. Erläuterungen 12
1. Vollzugsziel (§ 2 Satz 1). Als Vollzugsziel bezeichnet es das Gesetz, dass der Gefangene im Vollzug der Freiheitsstrafe fähig werden soll, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen. Das bedeutet nicht, dass der Gefangene die von ihm begangenen Straftaten nicht vermeiden konnte. Aber verbesserte soziale Kompetenzen werden es ihm in Zukunft erleichtern, seine Lebensziele ohne Begehung von Straftaten zu verwirklichen (vgl. hierzu Seebode 1997, 108; Böhm 2002, 807). Die erforderliche Befähigung erstreckt sich nicht nur auf die Vermittlung von sozialen Kompetenzen, sondern auch auf die vielfältigen inneren Voraussetzungen eines straffreien Lebens (Seebode 1997, 122 f; so ist etwa deutlich zu machen, dass Gewalt kein Mittel zur Lösung von Konflikten ist: OLG Karlsruhe ZfStrVo 2004, 249 f). Das Vollzugsziel soll einerseits maßgeblich für die Gestaltung des Vollzugssystems sein: Auswahl, Ausbildung, Einsatz und Zusammenarbeit der Vollzugsbediensteten sind ihm ebenso verpflichtet wie Einrichtung und Struktur der Vollzugsanstalten. Das Klima muss resozialisierungsfreundlich sein. So erschwert die Doppelbelegung eines Einzelhaftraums die Erreichung des Vollzugsziels (KG Berlin StV 2008, 366 ff; LG Braunschweig ZfStrVo 1984, 380; OLG Frankfurt NStZ 1985, 572). Andererseits muss das Vollzugsziel im Einzelfall Leitlinie für den Umgang mit dem Gefangenen sein (bei Verlegungen: VerfGH Leipzig Beschluss v. 16.10.2008 Vf. 112-IV-08, juris; OLG Hamm NStZ 1984, 141 und ZfStrVo 1985, 373 f; bei der Festlegung der Dauer verschuldeter Arbeitslosigkeit: OLG Koblenz ZfStrVo 1988, 113). Die Erreichung des Vollzugsziels verlangt auch Entscheidungen, die den Wünschen von Gefangenen zuwiderlaufen, etwa bei der beruflichen Ausbildung (OLG Frankfurt ZfStrVo 1983, 245 f) oder bei der Festlegung der Höhe des dem Zugriff der Gläubiger entzogenen Überbrückungsgeldes (OLG Hamm ZfStrVo 1985, 380). Das Ziel, den Gefangenen zu befähigen, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen, gebietet es, ihm ein Mindestmaß an Achtung der Rechtsgüter anderer zu vermitteln (OLG Bamberg NStZ 1994, 406 f: Nichtbeförderung eines Briefes mit beleidigendem Inhalt; OLG Karlsruhe ZfStrVo 2004, 249 f: Anhalten eines zur Veröffentlichung bestimmten Schreibens, in dem der Gefangene zum bewaffneten revolutionären Kampf aufruft), Briefverkehr zu unterbinden, der den Gefangenen veranlassen soll, den vor der Verhaftung gepflegten kriminellen Lebensstil fortzusetzen (BVerfG NStZ 1996, 55) oder der ihn in dem Ausländerhass bestärkt, der Triebfeder der Straftat war (BVerfG ZfStrVo 1996, 174; KG Berlin NStZ-RR 2007, 125 f: Einbehaltung von Briefeinlagen in Form von ausländerfeindlichen Aufklebern; KG Berlin Beschluss v. 9.5.2006 5 Ws 140/06 Vollz, juris: Vorenthalten der HNG-Nachrichten; zur Vorenthaltung entsprechenden Schrifttums: BVerfG ZfStrVo 1996, 175) oder die Verfügung über das Hausgeld zu beschränken, solange der Einkauf noch nicht abgebucht ist, weil es dem Vollzugsziel widerspricht, wenn es dem Gefangenen möglich wäre, durch mehrfache Verwendung seiner Mittel „soziale Konflikte zu verursachen und den sozialen Frieden zu stören“ (OLG Koblenz NStZ 1991, 151). Einerseits, um zu erreichen, dass der Gefangene das Verbrecherische seines Handelns einsieht, wodurch die inneren Voraussetzungen für eine spätere straffreie Lebensführung geschaffen werden, andererseits, weil sonst bei ihm der Eindruck erweckt wird, dass ihm neue Straftaten nicht schaden und dass die Vollzugsbehörde das Erreichen des Vollzugsziels selber nicht ernst nimmt, muss auf während der Haft verübte neue Straftaten reagiert werden (BayObLG BlStV 1/1996, 2: Jehle
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Verstoß gegen das BtmG; OLG Hamburg ZfStrVo 1996, 371, 373 mit insoweit unzutr. Anm. Kubnik 375 f). Ob sich die Vollzugsbehörde in diesen Fällen auf Behandlungsmaßnahmen beschränkt, disziplinarisch vorgeht oder die Strafverfolgung betreibt, ist Sache des Einzelfalls. Bei schweren Taten wird allerdings – ungeachtet innerdienstlicher Weisungen, die dies ohnehin vorschreiben – auf jeden Fall eine Strafanzeige erfolgen müssen. Die Dienstpflichtverletzung, die eine Unterlassung einer Anzeige dann bedeuten würde, stellt aber nicht die Verletzung einer Garantenpflicht i. S. von § 13 StGB dar, da hierzu der Rückgriff auf allgemeine Zielvorgaben des Strafvollzugs nicht genügt (BGH NStZ 1997, 597 ff mit zust. Anm. Rudolphi; a. A. OLG Hamburg NStZ 1996, 102 f mit zust. Anm. Klesczewski und – zu Recht – krit. Anm. Volckart StV 1996, 608). Bei der Auslegung des Gesetzes und bei der Ausübung des Ermessens spielt das Vollzugsziel eine wichtige Rolle (Laubenthal 2008 Rdn. 139). Was der Erreichung des Vollzugsziels dienlich ist, soll im Rahmen der Möglichkeiten gewährleistet werden: Nutzung des Freigangs auch für Selbstbeschäftigung und Studium (BGH JR 1991, 167 mit Anm. Böhm), „abstrakte“ Entscheidung über die Zulassung zum Freigang (KG NStZ 1993, 100 f), Ansparen von Taschengeld, ohne dass dies die Bedürftigkeit mindert (BGH NStZ 1997, 205 f mit Anm. Rotthaus), Berücksichtigung des Vertrauens des Gefangenen auf eine ihm einmal eingeräumte Rechtsposition, solange er mit dem ihm entgegengebrachten Vertrauen verantwortungsbewusst umgeht (BVerfG NStZ 1994, 100), Stärkung des Bezuges des Gefangenen zur Außenwelt, weshalb es unzulässig ist, die Ablehnung eines Antrages auf Ausführung gem. § 11 ausschließlich damit zu begründen, dass der Gefangene Besuchskontakte hat und Briefe schreiben kann (LG Arnsberg ZfStrVo 2002, 367) oder die Telefonzeit auf 20 Minuten pro Monat zu beschränken, wenn ein Strafgefangener über einen Zeitraum von drei Monaten keinen Besuch erhalten hat (LG Fulda NStZRR 2007, 387 f). Kostenintensive Behandlungsmaßnahmen (Bezahlung eines Fernlehrgangs fürs Abitur), die über die schulische Grundversorgung hinausgehen, können aber nicht verlangt werden (OLG Hamburg NStZ 1995, 568). Das Vollzugsziel ist auch bei die Resozialisierung betreffenden Entscheidungen nach Strafentlassung zu beachten (Gewährung von Sozialhilfe: VG Braunschweig ZfStrVo 1992, 384 ff mit Anm. Nix; Festlegung eines Schmerzensgeldes bei Veröffentlichung lange zurückliegender Straftaten unter Namensnennung des Täters, dessen Wiedereingliederung dadurch gefährdet werden kann: LG Berlin ZfStrVo 1995, 375 ff). Allerdings kann das Vollzugsziel nicht eine dem zwingenden Gesetzeswortlaut widersprechende Entscheidung gebieten (missverständlich OLG Frankfurt NStZ-RR 1996, 350 f). a) Betroffener Personenkreis. Der Gesetzgeber nimmt an, viele Insassen der Straf- 13 anstalten bedürften einer Stärkung ihrer Fähigkeiten und ihres Willens, in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen, könnten aber diese Fähigkeiten im Vollzug der Freiheitsstrafe erwerben. Dabei orientiert sich der Gesetzgeber an dem wiederholt rückfälligen Vermögensstraftäter aus ungünstigen sozialen Verhältnissen, emotional gestörten oder unvollständigen Familien mit mangelhaften schulischen Kenntnissen und ohne angemessene berufliche Eingliederung in den Arbeitsprozess (§ 37 Rdn. 16). Nach Untersuchungen aus den 70er Jahren befanden sich bis zu 80% solcher mehr oder weniger benachteiligter Personen in Strafhaft (vgl. Wiegand in: Schwind/ Blau 277 f; Berckhauer/Hasenpusch 1982, 281 ff, 295–297). Man darf annehmen, dass sich das Bild nicht entscheidend verändert hat. Allerdings hat die Ausweitung ambulanter Maßnahmen (Geldstrafe und Strafaussetzung zur Bewährung) zu einer Verschärfung der Mängelanlagen bei den verbliebenen Gefangenen geführt (auch psychische Auffälligkeiten werden häufiger berichtet: Walter 1999 Rdn. 86). Mit den zahlreichen drogenabhängigen Gefangenen, den aus fremden Kulturkreisen stammenden Verurteilten und den 63
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der organisierten Kriminalität zuzurechnenden Insassen sind zudem zunehmend Personengruppen aufgetreten, auf deren sachdienliche Behandlung sich die Anstalten noch stärker einstellen müssen (ähnlich C/MD 2008, Einl. Rdn. 46 ff). Das Vollzugsziel gilt auch für sie (OLG Frankfurt ZfStrVo 1981, 247 f: Strafgefangene fremder Nationalität). Der Strafvollzug hat sich schon immer auf neue Tätergruppen einstellen müssen, und es wird dann immer wieder notwendig (und oft schwierig), zweckmäßige und erfolgversprechende Behandlungsangebote zu entwickeln. Es besteht aber kein Anlass, solche Gruppen als vom Vollzugsziel nicht erfasst oder erfassbar anzusehen (AK-Feest/Lesting 2012 Rdn. 6; Böhm BewHi 2002, 92, 100). Mitunter wird angenommen, die Insassen seien nur zum Teil resozialisierungsfähig (Seebode 1997, 110 hinsichtlich schwer persönlichkeitsgestörter Gewalttäter) und resozialisierungswillig. Das mag zwar für einzelne zutreffen, (in Grenzen) lernfähig ist aber jeder Mensch bis ins hohe Lebensalter, und die Ablehnung von Resozialisierungsbemühungen durch Gefangene weist kaum je auf mangelnden Willen zur Veränderung hin. Hinter einer solchen Ablehnung kann die Angst stehen, wieder zu versagen. Sie kann Ausdruck von Resignation sein, auf der Verinnerlichung erlernter Ausweich- und Überlebenstechniken beruhen oder auch die richtige Erkenntnis widerspiegeln, dass das konkrete Resozialisierungsangebot unangemessen oder nutzlos ist. Deshalb ist es Teil der Aufgabe, den Insassen für das Vollzugsziel zu motivieren und ihn zu ermuntern, trotz der früheren entmutigenden Erfahrungen sich auf einen neuen, oft für den Insassen mit vielen Unannehmlichkeiten verbundenen Versuch einzulassen (§ 4 Abs. 1 Satz 2; § 4 Rdn. 4 und Rdn. 7). Man wird also grundsätzlich davon ausgehen dürfen, dass die große Mehrzahl der Strafgefangenen mehr oder weniger unfähig zu einer sozial zu tolerierenden Lebensführung ist, diese Unfähigkeit aber jedenfalls vermindern kann und das auch will oder doch zu Anstrengungen in dieser Richtung zu motivieren ist (vgl. auch Köhne ZRP 2003, 207 f). Wer dieses Vertrauen in eine (wenn auch vielleicht begrenzte) Lernfähigkeit und Lernbereitschaft des bestraften Mitbürgers nicht hat, wessen Menschenbild einem statischen Modell verhaftet ist, kann weder im Strafvollzug vernünftig arbeiten noch das Gesetz im Sinne des Gesetzgebers richtig anwenden. Richtig ist vielmehr die unterdessen in der Rechtsprechung herrschende Meinung, dass bei Entscheidungen in Vollzugsfragen neben der Persönlichkeitsentwicklung, den Straftaten und zurückliegenden Auffälligkeiten im Vollzug immer und besonders sorgfältig auf die Entwicklung im Vollzug und neuere Beobachtungen und Einstellungsänderungen des Insassen eingegangen werden muss. Die Ablehnung von Vollzugsmaßnahmen allein mit dem Hinweis auf länger zurückliegende Vorfälle ist grundsätzlich unzulässig (OLG Hamburg ZfStrVo SH 1978, 3; OLG München ZfStrVo 1980, 122; OLG Koblenz ZfStrVo 1980, 186; OLG Frankfurt ZfStrVo 1984, 122, 124 und 376; OLG Hamm ZfStrVo 1989, 310). Welche Bedeutung das Vollzugsverhalten einschließlich der beanstandungsfreien Bewältigung von Vollzugslockerungen gegenüber den Taten, die zur Verurteilung geführt haben, hat, ist jeweils sorgfältig zu ermitteln. Im Einzelfall kann durchaus auch länger zurückliegende Straffälligkeit entscheidend sein, zumal insbesondere das Bestehen von Vollzugslockerungen nicht immer ein verlässliches Anzeichen dafür ist, dass der Gefangene die völlig anderen Belastungen und Gefährdungen, die mit der Entlassung aus dem Strafvollzug und der vollen Verantwortung für die Lebensführung in Freiheit eintreten, bewältigt (bedenklich deshalb OLG Bremen NStZ 2000, 671 f und BVerfG NStZ 2000, 109 ff mit – zu Recht – krit. Anm. Kröber 613 f; vgl. auch Endres ZfStrVo 2000, 67, 80). Dass das BVerfG prüft, ob bei der Verweigerung begehrter Vollzugslockerungen das Grundrecht des Gefangenen auf Resozialisierung verletzt sein könnte (ZfStrVo 1998, 180, 183), rechtfertigt nicht die Aussage, die Beachtung des Vollzugsziels sei eine „Dienstleistung ausschließlich zu Gunsten des Straffälligen“ (Steindorfner 2003, 3). Denn auch Jehle
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die Resozialisierung dient in erster Linie der Allgemeinheit (BVerfGE 35, 202, 236; C/MD 2008 Rdn. 6). Deshalb hat die Vollzugsbehörde auch in jedem Einzelfall festzustellen, was zur Erleichterung des Vollzugsziels notwendig ist, und hat dies dem Verurteilten nahe zu bringen. Das Aushändigen eines Blattes, auf dem die Angebote der Anstalt aufgelistet sind, für die sich der Gefangene bewerben darf (und abzuwarten, ob dies geschieht), reicht nicht aus (OLG Nürnberg ZfStrVo 2003, 95 f). b) Erreichen des Vollzugsziels durch Freiheitsentzug. Der Gesetzgeber geht auch 14 davon aus, dass der Insasse, der zu einem gesetzmäßigen Leben (noch) nicht fähig ist, diese Fähigkeit im Vollzug der Freiheitsstrafe erwerben könne. Diese Hoffnung begleitet den Strafvollzug mindestens seit dem ersten, der Resozialisierung dienenden Zuchthaus in Amsterdam (1594; s. hierzu Schwind in: Schwind/Blau 1988, 1 ff). Sicher sind die Zusammenfassung vieler erheblich straffälliger Personen in einer Anstalt, die künstliche Atmosphäre einer Einrichtung, in der fast alle Lebensbereiche bis ins Einzelne geregelt sind, und die Trennung der Insassen von den Menschen und den Fragen, mit denen sie es „draußen“ zu tun haben, keine günstigen Voraussetzungen für soziales Lernen. Aber auf der anderen Seite war – wie sich an dem ständigen Rückfall oft mehr als deutlich zeigt – auch die Freiheit für viele Insassen kein guter Lehrmeister. Vielleicht bietet gerade das „Schonklima“ des Freiheitsentzugs ein besseres Übungsfeld zum Nachholen versäumter Lernschritte (St. u. E. Quensel in: Kaufmann (Hrsg.), Die Strafvollzugsreform 1971, 159). Nach ersten Erfolgen wäre die Übung dann im Rahmen gelockerten Vollzugs fortzusetzen. Außerdem erfolgt die Verurteilung zu Freiheitsstrafe nicht deshalb, weil der Gesetzgeber oder das Gericht den Strafvollzug für ein besonders gutes Lernfeld für soziales Verhalten halten. Es geht vielmehr darum, die Zeit der Strafverbüßung zur Resozialisierung zu nutzen. Das ist möglich und nötig. Die oft lautstark vertretene Auffassung, im Vollzug der Freiheitsstrafe könne das Vollzugsziel nicht gefördert werden, ist für die Verhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland weder dargetan noch überhaupt zu vermuten (ebenso K/S-Schöch 2002 § 6 Rdn. 18). Dass etwa die Hälfte der aus Freiheitsstrafvollzug entlassenen Männer (40% der Frauen) innerhalb von 5 Jahren nach der Entlassung wieder zu Freiheitsstrafe (mit oder ohne Bewährung) verurteilt werden müssen (vgl. Übersicht bei Göppinger Kriminologie 2008, 740), hat für sich allein wenig zu bedeuten. Bei der Menge schwer benachteiligter Insassen ist mit einer sehr hohen Erfolgsquote vernünftigerweise nicht zu rechnen. Untersuchungen (welche im Jahre 2004 aus der Haft Entlassene betreffen) haben ergeben, dass in den auf die Entlassung folgenden drei Jahren 75% der aus dem Vollzug der Freiheitsstrafe und 64% der aus dem Vollzug der Jugendstrafe Entlassenen nicht wieder in den Vollzug zurückkehrten (Jehle/ Albrecht/Hohmann-Fricke/Tetal 2010, 53). Außerdem erhöht sich die Prozentzahl der „Aussteiger“ aus der kriminellen Karriere, wenn man untersucht, wie viele der Entlassenen etwa nach 10 Jahren noch immer „ein Leben mit Straftaten“ führen (Jugendstrafe betreffend: Dolde/Grübl ZfStrVo 1988, 29 ff; Göppinger aaO, 665 ff; Kerner/Janssen in: Kerner/Dolde/Mey (Hrsg.), Jugendstrafvollzug und Bewährung 1996, 137 ff). Auf der anderen Seite ist nicht gewiss, ob fast die Hälfte ehemaliger Gefangener gerade wegen, trotz oder ganz unabhängig von der Verbüßung einer Freiheitsstrafe bereits im ersten Jahrfünft nach der Entlassung einigermaßen straffrei leben. Untersuchungen – vor allem an aus sozialtherapeutischen Anstalten Entlassenen und vergleichbaren Gefangenengruppen aus dem Normalvollzug – deuten jedenfalls darauf hin, dass ein Vollzug, der sich durch eine besondere Fülle und Dichte resozialisierender Angebote auszeichnet, bessere Erfolge hat als ein „Verwahrvollzug“ (Dünkel Legalbewährung nach sozialtherapeutischer Behandlung 1980; Dünkel/Geng in: Kaiser/Kury (Hrsg.), Kriminologische Forschung in den 90er Jahren. Kriminologische Forschungsberichte aus dem MPI, 65
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Band 66/1 1993, 193 ff; vgl. auch Berckhauer/Hasenpusch 1982, 319 ff; krit. Ortmann in: Kury/Albrecht (Hrsg.), Kriminalität, Strafrechtsreform und Strafrecht in Zeiten sozialen Umbruchs 1999, 265 ff; zusammenfassend Lösel ZfStrVo 1996, 259 ff; vgl. auch § 9 Rdn. 6). So ist die optimistische Haltung des Gesetzgebers auch hinsichtlich der Möglichkeit des Erreichens des Vollzugsziels im Vollzug der Freiheitsstrafe durchaus vertretbar (vgl. auch K/K/S-Kerner 4. Aufl. 1992 § 20 Rdn. 28–49). Sie muss auch die Praxis des Vollzuges und die Interpretation des StVollzG bestimmen. 15
c) Fähigwerden zu einem Leben ohne Straftaten in sozialer Verantwortung. Das Ziel, „ein Leben ohne Straftaten in sozialer Verantwortung“ zu führen, bedeutet nicht, dass von dem Gefangenen unangemessene moralische und sittliche Leistungen verlangt werden. „Soziale Verantwortung“ bezeichnet die Haltung, in der eben eine straffreie Lebensführung am ehesten erwartet werden kann (zu der Frage, wie eine solche Haltung begünstigt oder unterstützt werden kann: Berckhauer/Hasenpusch 1982, 328). Empirisch-kriminologisch scheint die mangelhafte Befolgung sozialer Normen häufig mit Rückfallkriminalität einherzugehen (Göppinger Kriminologie 2008, 3. Teil, § 13 und 4. Teil). Diese Erkenntnis muss bei der Erreichung des Vollzugsziels natürlich beachtet werden (K/S-Schöch 2002 § 6 Rdn. 13; Laubenthal 2011, Rdn. 153; Walter 1999 Rdn. 273). Der Begriff „in sozialer Verantwortung“ lässt sich aber auch dahin deuten, dass das Leben „ohne Straftaten“ nicht aus Angst vor Strafe oder aufgrund von Dressur geführt wird, sondern in der richtigen Erkenntnis, dass die rechtlichen Regeln dem gedeihlichen Zusammenleben in der staatlichen Gemeinschaft dienen (Bemmann 1979, 896). Das hat praktische Bedeutung für den Vollzug, weil die Berücksichtigung übertriebener Ordnungsvorstellungen, die früher einmal den „guten Gefangenen“ ausgemacht haben, einem solchen Vollzugsziel wesensfremd wären. Selbst das Aufbegehren gegen die Vollzugsordnung, auch soweit es als „schlechte Führung“ nicht hingenommen werden kann, darf nicht unbesehen als Anzeichen dafür gewertet werden, dass ein Insasse seinen Urlaub zu Straftaten oder dazu missbraucht, nicht wieder in die Strafanstalt zurückzukehren (OLG Saarbrücken ZfStrVo 1978, 182). Dazu auch § 13 Rdn. 32. Man kann schließlich den Hinweis auf die „soziale Verantwortung“ als Aufforderung ansehen, neben der Stärkung der persönlichen und beruflichen Fähigkeiten auch an die Verantwortung für Angehörige und durch die Straftat Geschädigte zu denken. So ist eine Erweiterung der Angebote in Richtung auf eine „opferbezogene Vollzugsgestaltung“ (Wulf 1985, 67 ff) wünschenswert (ebenso K/S-Schöch 2002 § 6 Rdn. 14; Laubenthal 2011, Rdn. 165 ff; zu den hier durch die Vollzugssituation gezogenen Grenzen: C/MD 2008 Rdn. 29; Laubenthal 2011 Rdn. 165–170). Vgl. § 73 Rdn. 6. Ein Leben ohne Straftaten ist im Wortsinn kaum zu erwarten. Vergehen, wie Beleidigung, üble Nachrede, Erschleichen der Beförderung in öffentlichen Verkehrsmitteln, Betrügereien – jedenfalls solche kleineren Umfangs – bei Zoll oder Steuer begeht (meist unentdeckt) fast jeder Bürger einmal. Ein aus der Strafhaft zur Bewährung entlassener Gefangener, der in der Bewährungszeit ein solches – ja auch unter Umständen ein schwereres – Delikt begeht, wird oft weiter unter Bewährung bleiben und nicht den Widerruf mit der Folge der Verbüßung der Reststrafe riskieren müssen, weil das Begehen einer neuen Straftat nur zum Widerruf führt, wenn es zeigt, dass der Verurteilte die Erwartung, die der Strafaussetzung zur Bewährung zugrunde lag, enttäuscht hat (§ 56 f Abs. 1 StGB). Erfolgt wegen einer während der Bewährungszeit begangenen Straftat eine erneute Verurteilung zu Geldstrafe, so wird so gut wie nie ein Widerruf ausgesprochen. Bei einer erneuten Verurteilung zu Freiheitsstrafe zur Bewährung wird – regelmäßig allenfalls – die Bewährungszeit verlängert (Böhm/Erhard Strafaussetzung und Legalbewährung 1988, 92 f). Diese Praxis ist auch angemessen, wenn die neue Straftat des EntJehle
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lassenen zeigt, dass die Kriminalität nachlässt bzw. im Abklingen begriffen ist (was schon ein Erfolg wäre: Mey ZfStrVo 1987, 42, 45). Gemeint ist mit einem „Leben ohne Straftaten“ ein solches ohne erhebliche (schwere) Straftaten und ohne ständige Kleinkriminalität (so auch AK-Feest/Lesting 2012 Rdn. 7). d) Bedeutung der „Schuldeinsicht“. Ob die Erreichung des Vollzugszieles regel- 16 mäßig (OLG München ZfStrVo SH 1979, 67, 69; OLG Bamberg ZfStrVo 1979, 122), im Einzelfall (OLG Koblenz ZfStrVo 1986, 314; so wohl auch C/MD 2008 Rdn. 25) oder jedenfalls dann, wenn der Verurteilung des Gefangenen schwerste Straftaten zugrunde liegen (OLG Nürnberg ZfStrVo 1980, 122), eine Auseinandersetzung mit der Tat, Schuldeinsicht und Schuldverarbeitung verlangt, ist zweifelhaft (Arloth 1988, 415). Für den Regelfall wird man das nicht sagen können. Einem Rückfall kann wirksam vorgebeugt werden, wenn der Gefangene eine neue Lebensperspektive und neue Interessen entwickelt oder aus dem alten kriminellen Umfeld herauswächst. Soweit aber eine Auseinandersetzung mit der Tat und eine Schuldverarbeitung erforderlich erscheinen, kann damit nicht eine Rechtsbeschränkung begründet werden (SchlH OLG SchlHA 2007, 542–544; s. auch Schwind BewHi 1981, 351; Laubenthal 2011 Rdn. 191–194; Seebode 1997, 123). Unzutreffend wurde dagegen in Entscheidungen gleichwohl angenommen, bei einer Mordtat sei eine Schuldverarbeitung nur möglich, wenn der Täter lange im nicht durch Lockerungen erleichterten, geschlossenen Vollzug einsitze (OLG Nürnberg ZfStrVo 1980, 122; OLG Bamberg ZfStrVo 1979, 122; ähnliche Gedanken in anderem Zusammenhang auch OLG Bamberg NStZ 1989, 389 f mit Anm. Müller-Dietz StV 1990, 29 ff), oder zur Schuldverarbeitung sei es nötig, Genehmigungen zu versagen (OLG München ZfStrVo SH 1979, 67, 69; in ähnliche Richtung weisend OLG Hamm ZfStrVo 1986, 117, 119, das es für zulässig hält, die erteilte Genehmigung zum Betreiben eines Fernsehgeräts im Haftraum zur „Erreichung des Vollzugsziels“ zu widerrufen, weil der Insasse von einem ihm gewährten Strafurlaub nicht freiwillig zurückgekehrt ist). Hier erscheint – bewusst oder unbewusst – die Vorstellung, ein so schuldig gewordener Mensch verdiene die Lockerung oder die erbetene Genehmigung (noch) nicht, also der Gedanke der Vergeltung oder des gerechten Schuldausgleichs, zu einer Resozialisierungsvoraussetzung verfälscht worden zu sein (so auch Schüler-Springorum 1989, 71 f; vgl. auch Walter 1999 Rdn. 287; Bemmann 1988, 455). Zudem ist es mit Gewissheit nicht festzustellen, ob ein Gefangener in seiner augenblicklichen Lage überhaupt fähig ist, Schuld zu verarbeiten, ob dies zur Resozialisierung jetzt oder später unerlässlich ist und in welcher Weise er ggf. zu einer solchen Auseinandersetzung veranlasst werden kann. Ja es ist nicht einmal sicher auszumachen, ob sich jemand mit seiner Schuld auseinandersetzt (Schüler-Springorum 1989, 70). Eindeutige Handlungen (Wiedergutmachungsleistung unter Konsumverzicht) sollten gefördert werden. Gesprächsangebote, Anregungen, Vorschläge, ja Ermahnungen sind angebracht. Von Gefangenen als Schikane empfundene Rechtseinschränkungen sind aber nicht nur unzulässig, sie dürften obendrein Schuldverarbeitung eher verhindern (Wulf 1985, 72; vgl. auch Schneider Kriminalpolitik an der Schwelle zum 21. Jahrhundert 1998, 47–49). 2. Schutz der Allgemeinheit a) Bedeutung. „Der Vollzug der Freiheitsstrafe dient auch dem Schutz der Allge- 17 meinheit vor weiteren Straftaten.“ Mit dieser weiteren Aufgabe des Vollzuges wird nicht noch einmal das Vollzugsziel (Rdn. 10 ff) umschrieben. Das könnte man denken, denn ein Verurteilter, der fähig gemacht worden ist, künftig ein Leben ohne Straftaten zu führen, und der diese Fähigkeit dann auch nützt (wovon im Regelfall ausgegangen werden 67
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kann), ist der beste Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten (so BVerfGE 98, 200; 116, 85 f). Dazu wäre kein eigener Satz in § 2 nötig gewesen. Die Aufgabe, die hier zu erörtern ist, kann auch nicht als Ermunterung zu einem Abschreckungsvollzug verstanden werden, etwa der Art, dass harte Vollzugsmaßnahmen den Verurteilten vor neuem Straffälligwerden warnen, zu Straftaten bereite Bürger außerhalb des Strafvollzuges von illegalen Verhaltensweisen abschrecken und die rechtstreue Bevölkerung in ihrer Haltung bestätigen (OLG Frankfurt ZfStrVo 1983, 120). Wie oben (Rdn. 4, 5) erörtert, werden diese Wirkungen (wenn sie überhaupt erzielt werden können, empirische Nachweise sind sehr schwer zu erbringen!) allein durch den Vollzug der verhängten Strafe entsprechend dem Gesetz herbeigeführt. Zur Ausgestaltung der Vorschriften dürfen sie nicht herangezogen werden. So beschränkt sich der Satz auf den Inhalt, dass während der Vollzugszeit durch sichere Verwahrung des Insassen, gute Aufsicht, Kontrolle der Außenkontakte und sorgfältige Strukturierung der Vollzugslockerungen eine Gefährdung der Allgemeinheit durch weitere Straftaten des Gefangenen verhindert werden soll (AK-Feest/Lesting 2012 Rdn. 14; „Minimal-Aufgabe“: C/MD 2008 Rdn. 5). Dagegen lässt sich nicht einwenden, der Schutz der Allgemeinheit vor Straftaten durch sichere Verwahrung des Verurteilten sei kein durch die Strafrechtsordnung gedeckter Zweck der Freiheitsstrafe (so aber C/MD 2008 Rdn. 6). Vielmehr ist es ein wichtiger Teilaspekt der Spezialprävention bei der Freiheitsstrafe, die Allgemeinheit vor dem Täter zu schützen (Lackner/Kühl 2011 § 46 Rdn. 27; K/S-Schöch 2002 § 6 Rdn. 24 f; Laubenthal 2011, Rdn. 171 f). Im Rahmen der schuldangemessenen Strafe kann der Richter auch anderen Strafzwecken, so dem der Sicherung, Raum geben (BGHSt 20, 264, 267): Das Gericht ist, solange die Sicherung durch die schuldangemessene Strafe bewirkt werden kann, was vor allem bei langen Freiheitsstrafen der Fall sein wird, an der Anordnung der Sicherheitsverwahrung – sollten ihre formalen Voraussetzungen vorliegen – gehindert, weil deren materielle Voraussetzung gerade ist, dass nicht schon die schuldangemessene Freiheitsstrafe zur Sicherung der Allgemeinheit vor dem gefährlichen Täter ausreicht. Die Sicherungsaufgabe des Freiheitsentzugs kann deshalb nicht nur der Sicherungsverwahrung zugewiesen werden (so aber C/MD 2008 Rdn. 6; wie hier aber BVerfG NJW 2004, 739 ff, 748: „So wie das Gericht im Rahmen der schuldangemessenen Strafzumessung den Strafzweck der Sicherung berücksichtigen darf, ist diese Sicherung auch Aufgabe des Vollzugs“). 18
b) Behinderung des Vollzugsziels durch Gewährleistung von Sicherheit. Die Wahrnehmung der Sicherungsaufgabe stört nicht unbedingt die Erreichung des Vollzugsziels: Natürlich soll der Gefangene sein strafbares Tun nicht fortsetzen, dadurch wird er auch nicht fähig, künftig ohne Straftaten zu leben. So entspricht die Kontrolle von Brief- und Besuchsverkehr, die das Ziel verfolgt, Straftaten des Gefangenen zu verhindern, dem Vollzugsziel i. S. v. § 2 Satz 1: OLG Koblenz ZfStrVo 1979, 250 und SH 1979, 48 (§ 23 Rdn. 2), ebenso die Versagung einer Dauertelefongenehmigung, wenn die Gefahr besteht, dass mit ihrer Hilfe Straftaten aus der Anstalt heraus begangen werden (Perwein ZfStrVo 1996, 16, 18). Kritisch wird es aber dann, wenn Vollzugsziel und weitere Aufgabe des Vollzugs miteinander in Widerspruch stehen, wenn die behandelnde Maßnahme, die die Chance des Verurteilten, künftig ein Leben ohne Straftaten zu führen, erhöht, zugleich das Risiko des Missbrauchs mit sich bringt: Zur Resozialisierung ist der enge Kontakt zu der Familie notwendig. Das legt es nahe, Besuche nicht abzuhören und Briefe nicht zu lesen. Es besteht aber die Gefahr, dass der Gefangene mit Hilfe seiner Besuche oder Briefe Kontakte für ein kriminelles Treiben etwa betrügerischer Art fortsetzt. Eine qualifizierte Berufsausbildung nachzuholen, ist ein wichtiger und erfolgversprechender Beitrag des Strafvollzugs zur Verbesserung der Chancen eines Inhaftierten, Jehle
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künftig straffrei zu leben. Aber viele Ausbildungsgänge machen es nötig, Insassen Werkzeuge in die Hand zu geben, mit denen sie auch Straftaten begehen können (vgl. OLG Zweibrücken ZfStrVo 1983, 55, 56 mit Anm. Rotthaus, 255). Die Kontrolle bei vielen Ausbildungsgängen ist weniger gut möglich als bei Hilfsarbeiten. Teile der Ausbildung können vielleicht nur im Freigang absolviert werden, wobei die Situation der mangelnden Aufsicht zu Straftaten genützt werden kann. Vollzugslockerungen sind zur Erreichung des Vollzugsziels zu gewähren, um die sozialen Beziehungen des Inhaftierten nicht zu gefährden und um die in Richtung auf Erfüllung des Vollzugsziels durchgeführten Maßnahmen außerhalb der geschlossenen Einrichtung auf ihre Nützlichkeit hin zu erproben. Auch hierbei müssen vertretbare Risiken, die Sicherung der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten des Verurteilten betreffend, eingegangen werden (Laubenthal 2011 Rdn. 174; K/S-Schöch 2002 § 6 Rdn. 50). Zur Allgemeinheit gehören auch die Anstaltsbediensteten und die Mitgefangenen (K/S-Schöch 2002 § 6 Rdn. 24; Laubenthal 2011 Rdn. 172). Die Vollzugsgestaltung muss deshalb auch darauf ausgerichtet sein zu verhindern, dass Gefangene durch Straftaten anderer Gefangener geschädigt werden. Diese Vorkommnisse (Preusker ZfStrVo 2003, 229 f; Walter 1999 Rdn. 271; Böhm 2003 Rdn. 175) verlangen sorgfältige Auswahl der Insassen, die – etwa beim „Umschluss“ – für längere Zeit unbeaufsichtigt in einem Haftraum eingeschlossen werden, und die unmittelbare Beaufsichtigung der Gefangenen im geschlossenen Vollzug bei gemeinsamer Arbeit und Freizeit. Diese Notwendigkeiten binden personelle und sächliche Ressourcen. Allerdings sind diese Maßnahmen auch unerlässlich, um die Voraussetzungen zur Erreichung des Vollzugsziels zu schaffen (zur Entschädigung verletzter Gefangener durch die Vollzugsbehörde – Aufopferungsanspruch – bzw. nach dem OEG: K/S-Schöch 2002 § 7 Rdn. 206– 210; fragwürdig BSG ZfStrVo 2002, 50, 54 – Straftäter haben gefängnistypische Schädigungen gem. § 2 Abs. 1 OEG selbst verschuldet). Wie oben (Rdn. 8–10) schon erwähnt, neigt die Praxis dazu, das in erster Linie zu 19 verfolgende Vollzugsziel durch die nur in zweiter Linie zu beachtende Sicherheitsaufgabe übermäßig einzuengen und zu behindern (vgl. z. B. § 8 Rdn. 6; vor § 23 Rdn. 3). Neben gesetzlichen Festschreibungen (§ 11 Abs. 2) – über die hinaus § 2 Satz 2 aber keine eigenständige Wirkung entfaltet (OLG Celle ZfStrVo 1984, 251) –, spielt dabei eine Rolle, dass sich ein Misserfolg bei der auf die vollzugliche Gegenwart bezogenen Sicherheitsaufgabe sofort deutlich und schmerzlich zeigt (jedenfalls in der Regel, natürlich werden mitunter Straftaten eines pünktlich zurückgekehrten „Urlaubers“ erst später entdeckt), während die Erreichung des Vollzugsziels erst in vielen Jahren (vielleicht) erwiesen oder wenigstens wahrscheinlich ist, dann nämlich, wenn der Entlassene mit seinem Leben in Freiheit besser zurecht kommt und keine Straftaten mehr begeht. Das Risiko einer Vollzugsmaßnahme für die Sicherheit der Allgemeinheit ist also leicht festzustellen und zu belegen. Die Notwendigkeit dieser Vollzugsmaßnahme zur Erreichung des Vollzugsziels im Einzelfall ist dagegen viel unsicherer zu begründen (ähnlich MüllerDietz 1979, 126). Außerdem begünstigt der Glaube an die Veränderbarkeit von Einstellungen und Verhaltensweisen, an ein dynamisches Menschenbild, die Bevorzugung des Vollzugsziels, während die Vorstellung, jemand bleibe so (gefährlich), wie er war, die Sicherheitsaufgabe stärker in den Vordergrund rückt. Ist bei einer Vollzugslockerung „etwas passiert“, so werden aus den Akten und dem Vorleben des Verurteilten gerne Vorfälle hervorgekramt, die den jetzt geschehenen ähnlich sind. Sie hätten einer Lockerungsentscheidung entgegenstehen müssen, heißt es dann. Dass sich ein Mensch ändern kann und dass gerade diese Idee dem Strafvollzug zugrunde liegt, wird in solchen Fällen leicht übersehen. Exakte Feststellungen über die in Strafanstalten, aus der Strafanstalt heraus oder von entwichenen Gefangenen begangene Straftaten fehlen (Böhm 2003 Rdn. 37). Über in Zusammenhang mit Vollzugslockerungen begangene Straftaten liegen 69
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dagegen Untersuchungen vor, die keine beunruhigende Gefährdung der Allgemeinheit belegen (Dolde 1994; Dünkel 1993 und ders. in: Kawamura/Reindl (Hrsg.), Wiedereingliederung Straffälliger 1998, 55 ff). Verletzen Vollzugsbedienstete bei der Gewährung von Lockerungen ihre Sorgfaltspflichten schuldhaft (etwa Nichtbeachtung evidenter Risikofaktoren) und schädigt der Gefangene einen Bürger, so hat die Vollzugsbehörde, wenn der Geschädigte vom Täter keinen Ersatz erlangen kann, gem. Art. 34 GG i. V. mit § 839 BGB Schadensersatz zu leisten und kann bei grober Fahrlässigkeit des Bediensteten bei diesem Regress nehmen (OLG Karlsruhe NJW 2002, 445 mit zust. Anm. Rösch 6; Steindorfner 2003, 5; krit. Ullenbruch NJW 2002, 416). Dass die Amtspflicht gegenüber dem später Geschädigten nur bestehen soll, wenn für den Bediensteten gerade dessen Gefährdung im Zeitpunkt der Entscheidung erkennbar war (so OLG Hamburg, ZfStrVo 1996, 243), verkennt die Bedeutung der Schutzpflicht (K/S-Schöch 2002 § 7 Rdn. 216). 20
c) Lösungsmöglichkeiten für den Zielkonflikt. Die Lösung dieses Zielkonflikts (oder doch seine Ordnung) ist eine der wichtigsten und schwierigsten Aufgaben der vollzuglichen Praxis. Im Einzelfall ist es zunächst erforderlich, die Bedeutung der – sicherheitsgefährdenden – Maßnahme für die Erfüllung des Vollzugsziels festzustellen (BVerfG NStZ 1998, 430 f). Statt Mitarbeiter der Fachdienste zu Stellungnahmen zur Missbrauchsgefahr zu veranlassen, erscheint es sachdienlich, zu prüfen, ob die Vollzugsmaßnahme wirklich notwendig ist, ob ein weniger sicherheitsgefährdender Ersatz nicht gleiche oder ähnliche Dienste leistet, ob vorbereitende Maßnahmen nötig sind (vgl. das Beispiel in OLG Hamburg ZfStrVo 1979, 53) und welche Gefahren für die Erreichung des Vollzugsziels drohen, wenn die Maßnahme nicht durchgeführt wird. Ferner ist zu prüfen, welche Folgen das Scheitern der Maßnahmen wegen Missbrauchs für das Vollzugsziel hat. Zu große Überforderungen des Verurteilten sind auch für seine Entwicklung schädlich (OLG Frankfurt ZfStrVo 1981, 188 f). Auf der anderen Seite ist zu prüfen, für welche Rechtsgüter einzelner oder der Allgemeinheit bei Gewährung der Vollzugsmaßnahme Gefahr droht und welchen Grad diese Gefahr erlangt. Man wird hier eine Abwägung anstellen müssen und dafür den Rechtsgedanken von § 57 StGB heranziehen können, d. h. das Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit je nach Gewicht des bedrohten Rechtsguts unterschiedlich berücksichtigen. Danach kann eine für den Gefangenen günstige Entscheidung umso eher verantwortet werden, je geringer das Gewicht der bedrohten Rechtsgüter ist (vgl. auch BVerfG NJW 2000, 502; BVerfG vom 8.11.2006 – 2 BvR 578/02). Gefahr für die Ehre einzelner Bürger, weil der Verurteilte leicht unbeschwert schimpft, hat natürlich einen anderen Stellenwert als Gefahr für Leben und Gesundheit von Menschen. Die Gefahr von Zechprellerei, Ladendiebstahl und Fahren ohne Fahrerlaubnis ist eher hinzunehmen als die Gefahr von Raubüberfällen und Einbruchsdiebstählen. Dann ist zu bedenken, welche Maßnahmen ergriffen werden können, um die Gefahren zu vermindern und doch die Vollzugslockerungen, die Ausbildung oder die besondere Freizeitgestaltung zu gewähren. In Betracht kommen Auflagen und stützende Hilfen. Wichtig ist auch – vor allem bei Lockerungen – die Nähe des voraussichtlichen Entlassungstermins. Je näher der Zeitpunkt rückt, an dem der Verurteilte ohnehin in die Freiheit gelangt, desto weniger kann die Gefahr des Missbrauchs Berücksichtigung finden (Kerner ZfStrVo 1977, 74, 83). Dem entgegen neigen Vollzugsbehörden heute dazu, bis zum letzten Tag der Haft keine Lockerungen zu gewähren, damit in ihrem Verantwortungsbereich kein Missbrauch stattfindet (vgl. Laubenthal 2011, Rdn. 561). Sie stellen nicht in Rechnung, dass ein solches Verhalten die Rückfallgefahr nach der Entlassung erhöhen kann.
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III. Landesgesetze und Musterentwurf S. dazu auch oben Rdn. 11. 1. Baden-Württemberg. § 1 JVollzGB III lautet: „Im Vollzug der Freiheitsstrafe sol- 21 len die Gefangenen fähig werden, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen (Vollzugsziel).“ In der Gesetzesbegründung heißt es dazu: „Die Regelung entspricht § 2 Satz 1 des Strafvollzugsgesetzes und bringt das verfassungsrechtliche Resozialisierungsgebot (BVerfGE 98, 169 ff) zum Ausdruck. Die kriminalpräventive Aufgabe der Institution Strafvollzug, nämlich der Schutz der Bürgerinnen und Bürger vor weiteren Straftaten, deren Erfüllung die erfolgreiche Resozialisierung von Gefangenen ebenfalls dient, betont dagegen § 2 Absatz 1 des Ersten Buchs. […]“ (LT-Drucks. 14/5012, 208). 2. Bayern. Art. 2 BayStVollzG lautet: „Der Vollzug der Freiheitsstrafe dient dem 22 Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten. Er soll die Gefangenen befähigen, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen (Behandlungsauftrag).“ In der Gesetzesbegründung heißt es dazu: „Die Regelung ersetzt § 2 StVollzG. […] Es wird klargestellt, dass der Schutz der Allgemeinheit nicht der Resozialisierungsaufgabe nachgeordnet ist. Eine Änderung der bisherigen Rechtslage ist damit nicht verbunden (vgl. Stellungnahme der Bundesregierung zum Gesetzentwurf des Bundesrates vom 14. Februar 2003, BT-Drucks. 15/778). Beide Aufgaben sind tragende und selbständige Elemente des Vollzugs […]. Nach Satz 1 dient der Vollzug der Freiheitsstrafe dem Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten. Diese Aufgabe des Vollzugs wird in Art. 4 näher umschrieben. […] Oberstes Ziel ist die Vermeidung weiterer Straftaten, die durch eine erfolgreiche Resozialisierung der Gefangenen am besten erreicht werden kann. Satz 2 bringt das verfassungsrechtliche Resozialisierungsgebot (vgl. BVerfGE 98, 169, 200 f) zum Ausdruck. […] Die Vorschrift verpflichtet die Vollzugsbehörden, die gesamte Vollzugstätigkeit auf eine wirkungsvolle, dem genannten Ziel dienende Behandlung auszurichten“ (LT-Drucks. 15/8101, 49). Zur Behandlung im Vollzug Art. 3 BayStVollzG s. § 4 Rdn. 29. Art. 4 BayStVollzG lautet: „Der Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten wird durch eine sichere Unterbringung und sorgfältige Beaufsichtigung der Gefangenen, eine gründliche Prüfung vollzugsöffnender Maßnahmen sowie geeignete Behandlungsmaßnahmen gewährleistet.“ Art. 4 ergänzt Art. 2. Die dort festgelegte Aufgabe des Vollzugs, umfasst die dem Freiheitsentzug immanente Verpflichtung, dafür zu sorgen, dass die Gefangenen während der Zeit des Vollzugs keine Straftaten begehen. In der Gesetzesbegründung heißt es: „Die Vorschrift betrifft die Sicherheit der Allgemeinheit (externe Sicherheit). […] Nur ein ausgewogenes Verhältnis von instrumenteller […], administrativer […], und sozialer Sicherheit […] gewährleistet ein Höchstmaß an Sicherheit“ (LT-Drucks. 15/8101, 50). 3. Hamburg. § 2 HmbStVollzG lautet: „Der Vollzug dient dem Ziel, die Gefangenen 23 zu befähigen, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen. Gleichermaßen hat er die Aufgabe, die Allgemeinheit vor weiteren Straftaten zu schützen. Zwischen dem Vollzugsziel und der Aufgabe, die Allgemeinheit vor weiteren Straftaten zu schützen, besteht kein Gegensatz.“ In der Gesetzesbegründung heißt es: „[…] § 2 HmbStVollzG legt als alleiniges Vollzugsziel fest, die Gefangenen zu einem Leben ohne Straftaten in sozialer Verantwortung 71
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zu befähigen. Die gesamte Vollzugsgestaltung hat sich an diesem Ziel der Resozialisierung auszurichten. Gleichermaßen hat der Vollzug die Aufgabe, die Allgemeinheit vor weiteren Straftaten zu schützen. Dies folgt aus der Pflicht des Staates, für die Sicherheit seiner Bürger zu sorgen. Zwischen dem Integrationsziel des Vollzugs und dem gleichrangigen Anliegen, die Allgemeinheit vor weiteren Straftaten zu schützen, besteht kein Gegensatz (BVerfG NJW 2006, 2095). Durch die Resozialisierung der Gefangenen wird zugleich auch der Schutz der Allgemeinheit gewährleistet. […] Satz 3 stellt ausdrücklich klar, dass der Staat seiner Schutzpflicht auch dadurch nachkommt, dass er die Resozialisierung fördert. […]“ (Bürgerschafts-Drucks. 19/2533, 2 u. 51). Zu den Grundsätzen der Behandlung § 4 HmbStVollzG s. § 4 Rdn. 29. 24
4. Hessen. § 2 HStVollzG bestimmt: „Im Vollzug der Freiheitsstrafe sollen die Gefangenen befähigt werden, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen (Eingliederungsauftrag). Während des Vollzugs sind die Gefangenen sicher unterzubringen und zu beaufsichtigen (Sicherungsauftrag). Beides dient dem Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten.“ In der Gesetzesbegründung heißt es dazu: „Das Gesetz beschreibt in § 2 die Aufgaben des Strafvollzuges in zwei gleichrangigen Gesetzesaufträgen. Der Eingliederungsauftrag sieht vor, dass die Gefangenen im Strafvollzug befähigt werden, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen. Der Sicherungsauftrag setzt auf die sichere Unterbringung und Beaufsichtigung der Gefangenen während des Vollzuges. […] Das Gebot der Resozialisierung ist in ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts begründet. Zum einen haben Gefangene einen Anspruch auf Resozialisierung (Art. 1 Abs. 1 GG), zum anderen hat die Gesellschaft einen Anspruch auf Resozialisierung der Gefangenen, damit sie zukünftig vor weiteren Straftaten bewahrt wird. Insoweit besteht zwischen der Erfüllung des Eingliederungsauftrags und dem Anliegen, die Allgemeinheit vor weiteren Straftaten zu schützen, kein Gegensatz, weil eine erfolgreiche Integration den wirksamsten Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten darstellt. Durch die Legaldefinition des Begriffs „Eingliederungsauftrag“ in Satz 1 wird verdeutlicht, dass der gesamte Strafvollzug auf eine wirkungsvolle, der Resozialisierung dienende Behandlung auszurichten ist. Der Verzicht auf eine Benennung des Vollzugsziels zugunsten der Beschreibung des Eingliederungsauftrags bedeutet nicht, dass das genannte Vollzugsziel aufgegeben wird, sondern konkretisiert im Gegenteil die Anforderungen an den Strafvollzug. Die Vorschrift verpflichtet die Vollzugsbehörden, während des Vollzugs einer Freiheitsstrafe alles Vertretbare zu unternehmen, um die Gefangenen zu befähigen, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen. Das für alle Gefangenen nach wie vor geltende Vollzugsziel der Resozialisierung soll durch die Erfüllung dieses Eingliederungsauftrags erreicht werden (vgl. BayVerfGH, Entscheidungvom 12.5.2009 – Vf. 4-VII-08).“ (LT-Drucks. 18/1396, 29).
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5. Niedersachsen. § 5 NJVollzG lautet: „Im Vollzug der Freiheitsstrafe sollen die Gefangenen fähig werden, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen. Zugleich dient der Vollzug der Freiheitsstrafe dem Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten.“ In der Gesetzesbegründung heißt es dazu: „[…] Anders als die Vorschrift des § 2 StVollzG, die das Resozialisierungsgebot als alleiniges Vollzugsziel formuliert und den Schutz der Allgemeinheit nur als Aufgabe bezeichnet, schreibt der Entwurf den Schutz der Allgemeinheit als gleichrangiges Vollzugsziel fest. Mit der sprachlichen Verknüpfung „zugleich“ macht die Entwurfsvorschrift zudem deutlich, dass zwischen der (verfassungsrechtlichen) Notwendigkeit, den Strafvollzug am Resozialisierungsziel auszurichJehle
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ten, und der staatlichen Schutzpflicht, für die Sicherheit aller Bürger zu sorgen, kein Gegensatz besteht, weil die Verwirklichung des Resozialisierungszieles zugleich auch dem Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten dient (ebenso BVerfG NJW 2006, 2095). Insoweit sind Resozialisierung und der Schutz der Allgemeinheit nicht nur gleichrangige Ziele des Vollzuges, sondern ebenso wichtige Aufgaben der Vollzugsbehörden. […] Der gegenüber der Vorschrift des § 2 StVollzG veränderten Regelung des Entwurfes kommt daher nicht nur als Programmsatz, sondern auch bei der Anwendung und Auslegung einzelner Entwurfsvorschriften, eine besondere Bedeutung zu. […]“ (LT-Drucks. 15/3565, 87). 6. Musterentwurf. § 2 ME-StVollzG bestimmt: „Der Vollzug dient dem Ziel, die Ge- 26 fangenen zu befähigen, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen. Er hat die Aufgabe, die Allgemeinheit vor weiteren Straftaten zu schützen.“ In der ME-Begründung heißt es dazu: „Die Bestimmung unterscheidet zwischen Ziel und Aufgabe des Vollzugs der Freiheitsstrafe. Alleiniges Vollzugsziel ist nach Satz 1 die Resozialisierung. […] Mit der Formulierung „in sozialer Verantwortung“ wollte bereits der Gesetzgeber des Strafvollzugsgesetzes deutlich machen, dass der Vollzug die Gefangenen nicht zum bloßen Objekt behördlicher Bemühungen machen, sondern sie zu verantwortlichem Verhalten im Einklang mit den Rechtsvorschriften befähigen soll. Mit der Zielsetzung sind zugleich auch die Grenzen der staatlichen Einwirkung auf die Gefangenen festgelegt. […] Zugleich stellt das Vollzugsziel eine Gestaltungsmaxime für den gesamten Vollzug dar und ist deshalb als eine Leitlinie für den Umgang mit den Gefangenen insbesondere bei der Auslegung des Gesetzes und bei der Ausübung des Ermessens stets mit zu bedenken. Die Anstalt ist verpflichtet, alle Maßnahmen auf die Erreichung des Vollzugsziels auszurichten. Satz 2 benennt die Aufgabe des Vollzuges, die Allgemeinheit vor weiteren Straftaten zu schützen. […] Ziel und Aufgabe des Vollzugs sind im Zusammenhang zu sehen. Zwischen dem Eingliederungsziel des Vollzugs und dem Anliegen, die Allgemeinheit vor weiteren Straftaten zu schützen, besteht kein Gegensatz. Eine gelungene Resozialisierung gewährleistet zugleich auch den umfassenden Schutz der Allgemeinheit. Beides dient letztlich der Sicherheit der Bevölkerung, und zwar über die Zeit der Freiheitsentziehung hinaus. Der Staat kommt seiner Schutzpflicht insbesondere dadurch nach, dass er die Resozialisierung fördert“ (ME-Begründung, 66 f).
§3 Gestaltung des Vollzuges § 3 Jehle Gestaltung des Vollzuges (1) Das Leben im Vollzug soll den allgemeinen Lebensverhältnissen soweit als möglich angeglichen werden. (2) Schädlichen Folgen des Freiheitsentzuges ist entgegenzuwirken. (3) Der Vollzug ist darauf auszurichten, dass er dem Gefangenen hilft, sich in das Leben in Freiheit einzugliedern. Schrifttum Arloth Der Angleichungsgrundsatz des § 3 Abs. 1 StVollzG: Gestaltungsprinzip oder Leerformel? in: ZfStrVo 1987, 328 ff; Bemmann Über den Angleichungsgrundsatz des § 3 Abs. 1 StVollzG, in: Küper u. a. (Hrsg.), FS Lackner zum 70. Geburtstag, Berlin 1987, 1047 ff; Köhne Die „allgemeinen Lebensverhältnisse“ im Angleichungsgrundsatz des StVollzG, in: BewHi 2003, 250 ff; ders. Drogenkonsum im Strafvollzug, in: ZRP 2010, 220 ff.; Lesting Normalisierung im Strafvollzug, Pfaffenweiler 1988; Schüler-Springorum Strafvoll-
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zug und Strafvollzugsgesetz, in: Kaufmann u. a. (Hrsg.), FS Bockelmann zum 70. Geburtstag, München 1979, 869 ff.
I. II.
Übersicht Allgemeine Hinweise ____ 1, 2 Erläuterungen ____ 3–13 1. Angleichungsgrundsatz ____ 3–10 a) Bedeutung ____ 3 b) Anwendungsschwierigkeiten ____ 4 c) Negative und positive Ausprägungen des Angleichungsgrundsatzes ____ 5, 6 d) Vergleichsmaßstab ____ 7–9 e) Nachrangigkeit des Angleichungsgrundsatzes ____ 10
III.
2. Gegensteuerungsgrundsatz ____ 11, 12 3. Integrationsgrundsatz ____ 13 Landesgesetze und Musterentwurf ____ 14–19 1. Baden-Württemberg ____ 14 2. Bayern ____ 15 3. Hamburg ____ 16 4. Hessen ____ 17 5. Niedersachsen ____ 18 6. Musterentwurf ____ 19
I. Allgemeine Hinweise Der Gesetzgeber hat drei Gestaltungsgrundsätze des Vollzugs aufgestellt, den „Angleichungs-“ (Rdn. 3 ff), den „Gegensteuerungs-“ (Rdn. 11 f) und den „Integrationsgrundsatz“ (Rdn. 13). Die einprägsamen Bezeichnungen stammen von C/MD (Rdn. 3, 5, 7). Sie sollen einerseits den Ausbau und die Organisation des Vollzuges der Freiheitsstrafe insgesamt bestimmen. Andererseits sollen sie dann bedacht werden, wenn bei einer Einzelfallentscheidung Raum für die Ausübung von Ermessen bleibt oder ein Beurteilungsspielraum gegeben ist. Jeder, der mit dem Vollzug befasst ist, soll sein Handeln an diesen Grundsätzen ausrichten. Unmittelbar können Gefangene aus den Gestaltungsgrundsätzen keine Rechte herleiten (KG ZfStrVo 1998, 308; C/MD 2008 Rdn. 2; Laubenthal 2011 Rdn. 196). Spezielle gesetzliche Regelungen gehen ihnen vor. Es ist aber nötig, das Verhältnis der Gestaltungsgrundsätze zu den in § 2 festge2 stellten Aufgaben des Vollzuges und zueinander zu bestimmen. Was das Vollzugsziel (näher § 2 Rdn. 10 ff) angeht, so lassen sich ihm alle drei Gestaltungsgrundsätze nutzbar machen. Um das Vollzugsziel zu erreichen, nämlich unter den Bedingungen der Unfreiheit die Gefangenen auf eine sozialverantwortliche Lebensführung ohne Straftaten in Freiheit vorzubereiten, müssen die Verhältnisse im Vollzug so gestaltet werden, dass sie möglichst wenig von den Lebensbedingungen in der Außenwelt abweichen. Zugleich muss zur Verbesserung der Eingliederungschancen, aber auch zum Schutz des Gefangenen den schädlichen Wirkungen der Inhaftierung entgegengewirkt werden. Mit den Worten des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 35, 235) sollen „dem Gefangenen Fähigkeiten und Willen zu verantwortlicher Lebensführung vermittelt werden“. Weiter soll „er es lernen[…], sich unter den Bedingungen einer freien Gesellschaft ohne Rechtsbruch zu behaupten, ihre Chancen wahrzunehmen und ihre Risiken zu bestehen“. Ein solcher Lernprozess, der oft eine langfristige Fehlentwicklung des Insassen berücksichtigen und „umkehren“ muss, kann allerdings nicht ausschließlich mit Angleichung und Gegensteuerung bestritten werden kann. Der Angleichungsgrundsatz wird zudem nur umsichtig angewendet werden können. Das ergibt sich schon daraus, dass es zur Erreichung des Vollzugziels notwendig ist, Rechte des Gefangenen einzuschränken (§ 2 Rdn. 10), also „Angleichung“ gerade zu vermeiden. Diese Gegenläufigkeit setzt sich auf der Ebene des Ermessens fort. Dabei geht die Erreichung des Vollzugsziels dem Angleichungsgrundsatz vor. Es dient der Erreichung des Vollzugsziels nicht, wenn der Verurteilte – wie vielleicht sein Scheitern und Straffälligwerden gezeigt haben – den „allgemeinen Lebensverhältnissen“ (noch) nicht gewachsen ist und den in der Vollzugsanstalt geschaffenen künstlichen „Schonraum“ für erste Lernschritte benötigt. Das wird vor allem bei der Organisa1
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tion von schulischer und beruflicher Ausbildung (vgl. Quensel ZfStrVo 1981, 277) zu bedenken sein, die – gerade im Gegensatz zu der den allgemeinen Lebensverhältnissen entsprechenden –, soll sie Erfolg haben, besonders die durch enttäuschende Vorerfahrungen und mangelndes Selbstvertrauen des Insassen entstandene Lage berücksichtigen muss. Die Genehmigung von Telespielen entspricht dem Angleichungssatz. Dass dadurch bei einigen Menschen Vereinzelung und Kontaktschwierigkeiten hervorgerufen oder verstärkt werden können, gehört zu den Risiken der allgemeinen Lebensverhältnisse, kann aber im Vollzug der Freiheitsstrafe, wenn es die Erreichung des Vollzugsziels im Einzelfall unerlässlich macht, ein Verbot erfordern (§ 70 Abs. 2 Nr. 2; OLG Celle NStZ 1994, 360, das allerdings im konkreten Fall – zu Recht – eine Gefährdung des Vollzugsziels verneint; allgemeine Überlegungen genügen nicht: OLG Nürnberg NStZ-RR 2002, 191; OLG Karlsruhe ZfStrVo 2003, 244, 246 mit krit. Anm. Rösch; vgl. auch K/S-Schöch 2002 § 7 Rdn. 196). Auch der Gegensteuerungsgrundsatz macht mitunter ein Abweichen von dem im allgemeinen Leben Üblichen notwendig. Eine unkontrollierte und unbeobachtete Kommunikation der Insassen ist oft nicht nur aus Sicherheitsgründen, sondern auch deswegen unangebracht, weil der Außenseiter in der Gefangenengruppe gequält oder ausgenützt wird (vgl. z. B. Fleck ZfStrVo 1985, 269 ff, 272, 273; Fleck/Ringelhann ZfStrVo 1986, 300, 301; Wattenberg ZfStrVo 1990, 37 ff; Böhm 2003 Rdn. 175). Der Angleichungsgrundsatz wird also nur dann herangezogen werden dürfen, wenn seine Verwirklichung im Allgemeinen oder im Einzelfall weder dem Vollzugsziel noch der Aufgabe, die Allgemeinheit vor Straftaten zu schützen, entgegenläuft und sich mit dem Gebot des Gegensteuerungsgrundsatzes vereinbaren lässt. II. Erläuterungen 1. Angleichungsgrundsatz a) Bedeutung. Der „Angleichungsgrundsatz“ dient nach dem Willen des Gesetz- 3 gebers dazu, „Besonderheiten des Anstaltslebens, die den Gefangenen lebensuntüchtig machen können“, zurückzudrängen (RegE 1973, 46). In dieser negativen Form ist der Bezug zum Vollzugsziel, aber auch eine Nähe zum Gegensteuerungsgrundsatz ohne Weiteres gegeben. Schwierig ist es dagegen positiv zu bestimmen, was die Angleichung an die allgemeinen Lebensverhältnisse meint. Eine wesentlich bessere Beschreibung des mit dem etwas „vollmundigen“ Angleichungsgrundsatz Gemeinten ist in Nr. 65 EuStVollzGrds gelungen (ähnlich Laubenthal 2011 Rdn. 198). Danach muss sichergestellt sein, „dass die Lebensbedingungen mit der Menschenwürde vereinbar und mit den allgemein anerkannten Normen der Gesellschaft vergleichbar sind“ sowie „die schädlichen Wirkungen des Vollzugs und die Unterschiede zwischen dem Leben im Vollzug und in der Freiheit, welche die Selbstachtung oder die Eigenverantwortung des Gefangenen beeinträchtigen können, auf ein Mindestmaß herabgesetzt werden“. Der Angleichungsgrundsatz ist zwar in § 3 als erster Grundsatz erwähnt und scheint dadurch besonders hervorgehoben. Schüler-Springorum (1979, 879) weist ihm auch entscheidende Bedeutung für die Erreichung des Vollzugsziels zu (ähnlich: AK-Feest/Bung 2012, § 3 Rdn. 4; Walter 1999 Rdn. 390). Dem ist aber aus den oben (Rdn. 2) erwähnten Gründen nicht ohne Weiteres zu folgen (zutr.: Arloth 1987, 330; ähnlich K/S-Schöch 2002 § 5 Rdn. 9). b) Anwendungsschwierigkeiten. Die Praxis hat bei der Anwendung des Grundsat- 4 zes Schwierigkeiten, weil er nicht eindeutig ist. So soll es den allgemeinen Lebensverhältnissen entsprechen, dass während der mehrere Tage in Anspruch nehmenden Abrechnung der für den Einkauf verwendeten Hausgeldbeträge die Gefangenen nicht über 75
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ihre Konten verfügen dürfen (OLG Koblenz ZfStrVo 1991, 50 ff), dass die Anstalt die Obliegenheit trifft, sich durch Einholen von Preisvergleichen darüber zu versichern, dass der Anstaltskaufmann seine Waren zu marktgerechten Preisen anbietet (LG Hamburg ZfStrVo 1992, 258, 260; vgl. auch OLG Frankfurt ZfStrVo 2004, 180 betr. Kabelgebühr beim Fernsehen; OLG Nürnberg, Beschluss v. 1.3.2007 – 2 Ws 73/07, juris betr. Energiekostenbeitrag für Anschluss des privaten Fernsehgerätes an anstaltseigene Antennenanlage) oder dass Strafgefangene mit langen Freiheitsstrafen (im Gegensatz zu anderen) einen Wellensittich im Haftraum halten dürfen (OLG Karlsruhe ZfStrVo 2002, 373 ff; OLG Saarbrücken ZfStrVo 1994, 51; zur günstigen Wirkung tiergestützter Pädagogik allgemein, s. Schwind Tiere im Strafvollzug, in: Schneider/Kahlo/Klesczewski/Schumann (Hrsg.), FS Seebode zum 70. Geburtstag 2008, 551 ff). Die Kontrolle des angleichungswidrigen Monopols des Kaufmanns und die Lockerung des angleichungswidrigen Verbots der Kleintierhaltung bei Langstrafigen, die darunter besonders leiden, entspricht dem Gegensteuerungsgrundsatz. Die Heranziehung des Angleichungsgrundsatzes leuchtet nicht ein. Das OLG Frankfurt (16.7.1993 – 3 Ws 283–285/93) sieht in der aus Sicherheitsgründen ergangenen Anordnung, allein zu duschen, eine Sonderbehandlung mit diskriminierendem Charakter, die den Gefangenen in seinen Rechten beschränkt, obgleich doch gerade dieser Gefangene – vielleicht als einziger in der Anstalt – sich unter Bedingungen säubern darf, die den allgemeinen Lebensverhältnissen entsprechen. Es ist auch auffällig, dass gerade der Angleichungsgrundsatz herangezogen wird, um Ermessensüberlegungen der Vollzugsbehörde zu stützen, die zur Ablehnung von Anträgen von Gefangenen führen: kein Anspruch auf Beibehaltung kostenlosen Gemeinschaftsrundfunkprogramms, weil der Staat auch „draußen“ keine „überlebten sozialen Begünstigungen“ aufrecht erhalte (OLG Koblenz NStZ 1994, 103), Verweis auf noch zur Verfügung stehende Urlaubstage statt Gewährung des beantragten Ausgangs, weil in Freiheit kein Arbeitnehmer während der Arbeitszeit Dienstbefreiung erhalte, um seinen Anwalt in einer Rechtsangelegenheit aufsuchen zu können (OLG Hamburg 7.2.1997 – 3 Vollz 44/96), kein Anrecht auf die Gewährung von Sonderurlaub für einen Inhaftierten für die Erledigung von steuerlichen Angelegenheiten, weil auch kein Arbeitnehmer Sonderurlaub für solche Angelegenheiten erhalten würde (OLG Zweibrücken 27.5.2010 – 1 Ws 103/10 Vollz, 1 W 103/10), Anrechnung der vom Staat geleisteten Unterkunft und Verpflegung bei der Berechnung des pfändbaren Einkommens des Gefangenen, weil er sonst besser stünde als ein freier Bürger und das doch dem Angleichungsgrundsatz widerspreche (OLG Frankfurt NStZ 1993, 559; OLG Hamburg ZfStrVo 1995, 370), Ablehnung einer Satellitenantenne zum Empfang von Privatfernsehen u. a. auch deshalb, weil viele gut informierte freie Bürger ebenfalls kein Privatfernsehen empfangen könnten und so der Angleichungsgrundsatz keine Anwendung finde (OLG Hamm ZfStrVo 1995, 179), Einführung der Praxisgebühr im Strafvollzug (vgl. Blüthner ZfStrVo 2005, 96). Alle diese Entscheidungen lassen sich aus anderen Gründen rechtfertigen. Die Sorge einer ungerechtfertigten Privilegierung der Gefangenen leuchtet weniger ein (ebenso AK-Feest/Bung 2012 Rdn. 10). Der Angleichungsgedanke verstellt eben auch den Blick darauf, dass manche mit dem Freiheitsentzug notwendig verbundenen Beschränkungen durch günstigere Gestaltung auf anderen Gebieten kompensiert werden müssen, um die Freiheitsstrafe noch verhältnismäßig sein zu lassen. Dies ist dann Gegensteuerung, die gerade nicht Angleichung, sondern Besserstellung verlangt. 5
c) Negative und positive Ausprägungen des Angleichungsgrundsatzes. Dem Angleichungsgrundsatz widersprechen die Pflicht, Anstaltskleidung zu tragen (weitergehend zu dieser Problematik Köhne ZRP 2003, 60 ff), die Unterbringung in einem Raum mit zum Wohn- und Schlafteil unabgetrenntem WC, für den zentral das Licht einJehle
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und ausgeschaltet wird, das kleinliche Verbot des Besitzes eigener Sachen (Beispiel etwa OLG Koblenz ZfStrVo SH 1979, 85; OLG Celle BlStV 2/1982, 2 und ZfStrVo 1983, 181), die Ausgabe der Abendkost aus „organisatorischen Gründen“ um 11.30 Uhr (LG Hamburg ZfStrVo SH 1978, 22, 23), eine restlos durchorganisierte Versorgung, ein extrem aufgegliederter Tagesablauf, in dem für individuelle Entfaltung der Insassen kein Raum bleibt, und die Hinterlassung des nach § 84 Abs. 1 durchsuchten Haftraums in unaufgeräumtem Zustand mit achtlos auf dem Fußboden verstreutem persönlichem Besitz des Gefangenen. Dagegen entspricht es dem Angleichungsgrundsatz, das bei Zulassung eines 6 Rundfunkgerätes mit UKW-Empfangsbereich oder eines CD-Players „verbleibende Sicherheitsrisiko, das sich nur als eine allgemeine Befürchtung darstellt, zugunsten einer den allgemeinen Lebensverhältnissen angeglichenen Informationsmöglichkeit hinzunehmen“ (OLG Frankfurt 14.11.1979 – 3 Ws 331/78 und ZfStrVo 1989, 245; § 69 Rdn. 9; § 81 Rdn. 10). Anders wurde die Situation bewertet beim Besitz der Spielekonsole „Sony Playstation 2“, die für die Sicherheit und Ordnung von Vollzugsanstalten eine solch generell abstrakte Gefahr darstelle, dass sie in der Justizvollzugsanstalt Tegel nicht besessen werden darf. Die Gefährdung liege darin, dass das Gerät dem Gefangenen die Möglichkeit eröffne, unkontrollierbar Daten unerlaubten oder vollzugswidrigen Inhalts zu speichern oder sie aus der Anstalt heraus in die Außenwelt gelangen zu lassen (so KG Berlin ZfStrVo 2005, 306 ff; entgegen OLG Karlsruhe ZfStrVo 2003, 244; ausführl. zum Streitgegenstand Lindhorst StV 2006, 274 ff). Die modernen Unterhaltungsmedien werden der Rspr. zur Playstation entsprechend behandelt (vgl. OLG Frankfurt 28.4.2008 – 3 Ws 279/08 zur Xbox). Allerdings folge aus dem Angleichungsgrundsatz auch, dass sich die Überwachungsmaßnahmen der JVAen entsprechend der technischen Entwicklung solcher neuen medialen Endgeräte angepasst weiterentwickeln müssen (OLG Naumburg 20.7.2011 – 1 Ws 70/11). Es entspricht ferner dem Angleichungsgrundsatz, Beträge vom Haus- und Taschengeld, wenn es der Gefangene wünscht, auf dessen Girokonto zu überweisen (KG NStZ 2002, 53) und die von dem Gefangenen durch Vermittlung der Anstalt bezogenen Zeitungen möglichst am Tage ihres Erscheinens auszuhändigen (OLG Nürnberg ZfStrVo 1993, 116). Die Bediensteten dürfen (ja müssen) jederzeit die Hafträume betreten. Sie müssen aber (Ausnahme: Eilbedürftigkeit, besondere Erfordernisse der Anstaltssicherheit) anklopfen. Danach brauchen sie keine Antwort abzuwarten, sondern dürfen unmittelbar eintreten, womit auch überraschende Haftraumkontrollen möglich bleiben. In Wahrheit geht es hier nicht um „Angleichung“ (so aber OLG Celle ZfStrVo 1994, 174, weil die Höflichkeitsregeln, die allgemein gelten, beachtet werden müssen. – Betritt man aber „draußen“ einen fremden Raum ohne ausdrückliche Erlaubnis?), sondern um die Frage, wieweit unter den besonderen Bedingungen des Vollzugs die Menschenwürde des Gefangenen im Umgang mit ihm zu achten ist (OLG Frankfurt ZfStrVo 1994, 302 ff; BVerfG NStZ 1996, 511). d) Vergleichsmaßstab. Das Gesetz lässt offen, wie weit die Angleichung gehen 7 kann und muss (s. Rdn. 10); insbesondere bleibt unklar, was die allgemeinen Lebensverhältnisse sein sollen, auf die sich die Angleichung bezieht. Gewiss ist damit nicht die Lebenswelt der Gefangenen vor ihrer Verurteilung gemeint. Manche Insassen leben in ausgesprochen kriminogenen Verhältnissen. Diese sind etwa gekennzeichnet durch unregelmäßige und unqualifizierte Arbeit, mangelnde Planung der Lebensführung, hemmungslose Ausnützung gutmütiger oder eingeschüchterter Bezugspersonen und von massivem Alkoholkonsum begleitetes unstrukturiertes Freizeitverhalten. Niemand kann verlangen, solche „allgemeinen Lebensverhältnisse“ im Vollzug der Freiheitsstrafe vorzufinden (OLG München ZfStrVo SH 1979, 67, 69; Seebode 1997, 137). Auch kann der An77
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Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
gleichungsgrundsatz nicht gebieten, das traditionelle wohlbegründete Alkoholverbot im Strafvollzug aufzuheben (anders aber Köhne, ZRP 2002, auch AK-Feest/Bung 2012, § 3 Rdn. 15) und die „Null-Toleranz-Strategie“ gegen Drogenkonsum im Strafvollzug aufzugeben – mit dem Argument, dass in Freiheit bei bloßem Konsum regelmäßig von Strafverfolgung abgesehen werde (so Köhne ZRP 2010, 220 ff). Im Vollzug der Freiheitsstrafe können in den „allgemeinen Lebensverhältnissen“ 8 übliche Gewohnheiten und Geschehnisse eine veränderte, ja dem Vollzugsziel zuwider laufende Bedeutung erlangen. So ist das Verbot einer wiederholten Wahl in die Gefangenenvertretung zur „Verhinderung einer durch mehrjährige Tätigkeit immer derselben Personen verursachten schädlichen Einfluss- und Herrschaftsstruktur“ für zulässig erachtet worden (LG Koblenz NStZ 1981, 249 f). Freilich gibt es auch „draußen“ Vereinssatzungen, die eine Wiederwahl von Vorstandsmitgliedern – allerdings aus ganz anderen Gründen – ausschließen. Auch dass die gewählten Gefangenen für in ihre Arbeitszeit fallende Besprechungen das normale Arbeitsentgelt bezahlt bekommen, ist unmittelbar einleuchtend. Aber eine „Angleichung“ etwa an Regelungen des Betriebsverfassungsoder Personalvertretungsrechts kann hierfür ja kaum bemüht werden (LG Mannheim ZfStrVo 1985, 254 f mit Anm. Butzke). Auch die Vergleichsgrößen sind unsicher (vgl. auch Laubenthal 2011 Rdn. 197). Ab9 gesehen von dem den allgemeinen Lebensverhältnissen entgegenstehenden und nie aufzuhebenden Umstand, dass der Haftraum im geschlossenen Vollzug über Nacht und oft über viele Stunden des Tages abgeschlossen ist, bleibt unklar, ob er im Übrigen einem Hotelzimmer, einem in einem Privathaushalt gemieteten möblierten – oder teilmöblierten – Zimmer, den Zimmern einer Wohngemeinschaft oder gar der eigenen Familie „anzugleichen“ ist. Je nachdem könnten mehr oder weniger eigene Gegenstände eingebracht, z. B. private Bettwäsche (OLG Zweibrücken Beschluss v. 27.1.2003 – 1 VAs 5/02, juris) oder Einrichtungsgegenstände anders angeordnet werden (Einzelheiten § 19 Rdn. 3 f). Der Grundsatz versagt bei Prüfung der Frage, ob die Tierhaltung in einer Anstalt gestattet werden sollte (OLG Koblenz ZfStrVo 1983, 315 f; vgl. auch § 70 Rdn. 8), während sich hier mit der Erreichung des Vollzugsziels im Einzelfall und dem Gegensteuerungsgrundsatz argumentieren ließe. Ob ein beschränkt arbeitsfähiger Frührentner der Arbeitspflicht nach § 41 unterliegt, lässt sich eher aus dem Zweck der Arbeitspflicht, die auf diesen Personenkreis möglicherweise nicht zugeschnitten ist, als aus dem Angleichungsgrundsatz (so aber OLG Frankfurt NStZ 1985, 429 mit krit. Anm. Müller-Dietz; § 41 Rdn. 12) erklären. Die Anwendung der Pfändungsschutzvorschriften auf den Anspruch des Gefangenen auf Auszahlung seines Eigengeldes, auch soweit dieses aus gutgeschriebener Arbeitsentlohnung besteht, ist angesichts der besonderen Lage des Gefangenen mit dem Angleichungsgrundsatz nicht zu rechtfertigen (BGH ZfStrVo 2004, 369 ff, 371; § 52 Rdn. 4). Und was besagt dieser Grundsatz für oder gegen die Gleichbehandlung arbeitender und unverschuldet nicht arbeitender Gefangener beim Einkauf (OLG Frankfurt ZfStrVo 1986, 58 ff)? Zur Angleichung gehört gewiss, dass den Insassen gestattet wird, ihre individuellen Wünsche zu befriedigen und Neigungen auszuleben, soweit dies in einer Zwangsgemeinschaft möglich ist (Seebode 1997, 138). Dabei ist aber darauf zu achten, dass sich von Haus aus finanziell gut Gestellte nicht besonders bequeme Haftbedingungen verschaffen. Die Belastungen der Freiheitsstrafe sollen die Verurteilten nicht nach Vermögensverhältnissen ungleich treffen (Böhm 2003 Rdn. 18). Die weitgehende Gleichbehandlung der Gefangenen ist im Hinblick auf die Strafgerechtigkeit, d. h., dass die zu Freiheitsstrafe Verurteilten ein vergleichbares Strafübel erleiden, erforderlich und widerspricht dem Angleichungsgrundsatz nicht (Böhm FS Schwind 2006, 533, 546). Wie einerseits Nivellierung auf niedrigem Niveau vermieden, andererseits offenbare Ungerechtigkeit ausgeschlossen werden kann, hängt von den jeweiligen VollzugsverhältnisJehle
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sen ab, jedenfalls erscheint es angemessen, dass Selbstverpflegung durch Bezug der Mahlzeiten von einer Speisegaststätte ausgeschlossen ist (a. A. AK-Feest/Bung 2012 Rdn. 14; Bemmann 1987, 1051, Köhne NStZ 2004, 607). e) Nachrangigkeit des Angleichungsgrundsatzes. Die Einschränkung „soweit 10 möglich“ und „soll“ ist eingeführt worden, damit Insassen aus dem Grundsatz keine unmittelbaren Rechte herleiten können (BT-Drucks. 7/3998, 6). Als Grundsatz, der die Ausübung von Ermessen bei einer Einzelfallentscheidung beeinflusst, muss der Angleichungsgrundsatz aber auch in seiner eingeschränkten Formulierung beachtet werden. Da der Insasse Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung hat (gerichtliche Überprüfung der Ermessensentscheidung § 115 Rdn. 19 f), kann er im Ergebnis aus dem Angleichungsgrundsatz ebenso – mittelbar – Rechte herleiten wie aus den anderen Vollzugsgrundsätzen (Seebode 1997, 140). Auch die Einschränkung „soweit möglich“ betrifft alle Vollzugsgrundsätze. Mit dieser Einschränkung sind nicht nur die durch die Sicherheitsaufgabe gezogenen Grenzen gemeint (so offenbar C/MD 2008 Rdn. 4) – der Sicherungsaufgabe muss ja sogar das Vollzugsziel Tribut zollen –, sondern auch die finanziellen und personellen (zu Kriterien der vorzunehmenden Abwägung der Interessen: OLG Koblenz ZfStrVo 1987, 246 f) Möglichkeiten der Vollzugsbehörde. Aus dem Recht, eine Bücherei zu benutzen (§ 67), folgt nicht der Anspruch des Gefangenen, dass die Anstaltsbücherei als Freihandbibliothek eingerichtet wird (OLG Nürnberg ZfStrVo 1993, 311 ff; a. A. C/MD 2008 Rdn. 1). In den allgemeinen Lebensverhältnissen findet man neben der Freihandbibliothek die Möglichkeit der Fernleihe (§ 67 Rdn. 25). Wichtiger als die Form der Ausleihe ist aber eine fachliche Beratung des Lesers. Bei all dem spielen die baulichen und personellen Möglichkeiten der Anstalt eine Rolle, die auch in der Entscheidung frei ist, ob sie die Benutzung der Bücherei verbessert oder z. B. das Sportangebot erhöht. Gesetzliche Aufgaben dürfen nicht im Hinblick auf fehlende Mittel vernachlässigt werden. Das Ausmaß ihrer Erfüllung hängt aber natürlich von den zur Verfügung stehenden Mitteln ab, bei deren Einsatz vor allem das Vollzugsziel zu beachten ist (vgl. auch Arloth 2011 Rdn. 5). 2. Gegensteuerungsgrundsatz. Der Gegensteuerungsgrundsatz ist in der Praxis das 11 wichtigste Prinzip. Er hat auch für die Insassen Bedeutung, für die das Vollzugsziel nicht verwirklicht werden muss oder kann (§ 2 Rdn. 2). „Schädlich“ sind Wirkungen des Freiheitsentzugs, die die Erreichung des Vollzugsziels (§ 2 Rdn. 10 ff) behindern, aber auch Wirkungen, die die Lebensmöglichkeiten der bereits zu Beginn der Haft Eingegliederten verschlechtern. Zu denken ist an das Verlernen beruflicher Fähigkeiten, das Nicht-aufdem-laufenden-Bleiben, Verlust oder Lockerung menschlicher Beziehungen, Nichtwahrnehmung von Rechten und Verdienstmöglichkeiten. Deshalb ist bei der Zuweisung von Arbeit und Ausbildung auf Kenntnisse und Fähigkeiten zu achten (§ 37 Rdn. 13), sind Weiterbildungsmöglichkeiten zu gewähren (§ 37 Rdn. 16), sind die Kontakte mit der Außenwelt zu pflegen (z. B. §§ 10 ff; §§ 23 ff) und ist der Gefangene in seinen persönlichen und geschäftlichen Angelegenheiten zu beraten. Zur Konkretisierung der Beratung vgl. insbesondere § 74. In allen diesen Punkten überschneidet sich der Gegensteuerungsgrundsatz mit dem Integrationsgrundsatz. Dem Gegensteuerungsgrundsatz entspricht es, dass Gefangenen mit sehr langen Strafen zur Einrichtung des Haftraums und zur Gestaltung der Freizeit weitergehende Genehmigungen erteilt werden als den anderen Insassen (Gestattung der sonst in der Anstalt untersagten Tierhaltung für Langstrafige: OLG Karlsruhe ZfStrVo 2002, 373 ff; OLG Saarbrücken ZfStrVo 1994, 51; zur günstigen Wirkung tiergestützter Pädagogik allgemein, s. Schwind Tiere im Strafvollzug, in: Schneider/Kahlo/Klesczewski/Schumann (Hrsg.), FS Seebode zum 70. Geburtstag 2008, 551 ff). 79
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Ob die Substitutionsbehandlung einer drogenabhängigen Gefangenen fortgesetzt oder abgebrochen wird, richtet sich nicht nach § 3, sondern nach medizinischen Gesichtspunkten (a. A. OLG Hamburg StV 2002, 265 mit krit. Anm. Kubnik 266 ff und Ullmann 293 ff). Aber der Vollzug der Freiheitsstrafe hat noch ganz typische Gefahren. Sie werden 12 in der vollzugskundlichen Wissenschaft mit den Schlagworten „Prisonisierung“ und (negative) „Subkultur“ (ausführlich Laubenthal 2011 Rdn. 199–233; vgl. auch Weis in: Schwind/Blau, 239 ff; Walter 1999 Rdn. 258–266, 271; Hürlimann Führer und Einflussfaktoren in der Subkultur des Strafvollzugs 1993) umschrieben. In der Vollzugsanstalt entsteht infolge der Zwangsgemeinschaft von Personen mit z. T. problematischen Verhaltensweisen unter der Bedingung von Haftdeprivation und des Mangels an Konsumgütern eine Art Subkultur, die von (latenter) Gewalt geprägt ist und illegale Tauschgeschäfte organisiert. Dieser Gegenwelt entgegenzuwirken, gebietet schon das Vollzugsziel, ist aber auch ein Gebot der Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung. Unvermeidbar wird der individuelle Gefangene zahlreichen negativen Situationen ausgesetzt; er lebt zusammen mit anderen Menschen, die gelernt haben, Konflikte mit Aggression zu lösen. Diese Gemeinschaft ist geprägt von einer Art informeller Hackordnung (Laubenthal 2012, 113), in der vulnerable Insassen gefährdet sind, Opfer von Misshandlung und Unterdrückung zu werden. Deshalb gehört es im Zusammenhang mit dem Gegensteuerungsgrundsatz zu den Aufgaben der Vollzugsanstalt, Gefangene vor Übergriffen anderer zu schützen, wie es auch in § 2 des baden-württembergischen JVollzGB I heißt, und „ein besonderes Augenmerk auf die Schaffung und Bewahrung eines gewaltfreien Klimas zu richten“ (§ 3 Abs. 2 S. 3 HmbStVollzG). Der Vorgang der Prisonisierung, vor allem an den Einlieferungsprozeduren beschrieben, geht mit dem Verlust von Selbstwertgefühl einher; der Gefangene fühlt sich als Objekt, nicht oder gering geachtet, weniger wertvoll. Der Insasse gerät in ein System totaler Versorgung (Rdn. 4), in dem ihm keine Eigenbetätigung mehr möglich ist. Die Folge dieser totalen Versorgung ist unter anderem das Verlernen, für die eigenen Dinge Verantwortung zu tragen, und das – mitunter als angenehm erlebte – Sichabfinden mit dieser Situation (Eisenberg psychosozial III/1996, 95 ff). Gegensteuerung fordert eine Vollzugsentwicklung, in der der Insasse (oder die Insassengruppe) für Versorgung und Pflege der Person und der eigenen Sachen verantwortlich ist, wo nicht jeden Tag alles geregelt wird, wo der Insasse selbst bestimmt, wann und wie oft er sich reinigt, seine Kleider pflegt, seine Wäsche wechselt und an Wochenenden isst und wie die dafür bereitstehenden Mittel zu verwenden sind, und in der er angstfrei leben kann. In seinen Angelegenheiten soll er beraten werden, aber in einer Weise, dass er die Dinge selbst zu erledigen lernt und nicht bequem auf andere abschieben kann. Bei längeren Strafen kann auch eine Illusionsbildung eintreten. Es geht in der genauen Ordnung alles gut. Der Gefangene meint, dann würden auch draußen wohl keine Probleme auftreten. Vollzugslockerungen und Verlegung in den offenen Vollzug dienen deshalb auch der Gegensteuerung (OLG Celle ZfStrVo 1986, 114). In der Haft entstandenen deformierenden Persönlichkeitsveränderungen muss gegebenenfalls auf dem Wege des § 65 Abs. 2 durch anstaltsexterne Behandlung entgegengewirkt werden (BVerfG NStZ 1996, 614). 13
3. Integrationsgrundsatz. Der Integrationsgrundsatz deckt sich weithin mit dem Vollzugsziel (§ 2 Rdn. 12 ff). Er bedeutet aber darüber hinaus, dass auch der bereits Eingegliederte oder der anscheinend nicht Eingliederungswillige der Hilfe bedarf, sich nach der Haft wieder in die Gesellschaft einzugliedern. Diese Hilfen sind von Beginn der Haft an, nicht erst gegen deren Ende, zu leisten; s. auch §§ 67 ff (OLG Hamm NStZ 1985, 573). Der Freiheitsentzug ist notwendigerweise eine „Ausgliederung“ auf Zeit, die möglichst Jehle
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reibungslos wieder in die Freiheit übergeleitet werden muss. Es ist deshalb auch nur folgerichtig, dass für jede Freiheitsentziehung die Vollzugsgrundsätze gelten, unabhängig vom Vollzugsziel (Beispiel: Zivilhaft §§ 171–175 Rdn. 5). IV. Landesgesetze und Musterentwurf 1. Baden-Württemberg. § 2 JVollzGB III ist mit „Behandlungsgrundsätze“ über- 14 schrieben. Abs. 1 lautet: „Die Gefangenen sind unter Achtung ihrer Grund- und Menschenrechte zu behandeln. Niemand darf unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung unterworfen werden“. In der Gesetzesbegründung heißt es: „Abs. 1 S. 1 stellt den verfassungsrechtlichen Anspruch der Gefangenen auf menschenwürdige Behandlung sämtlichen anderen Behandlungsgrundsätze voran und entspricht den Vorgaben der Europäischen Strafvollzugsgrundsätze (vgl. Anhang zu Rec [2006] 2 Teil I. 1.). Satz 2 bezieht sich auf Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention und verbietet die unmenschliche oder erniedrigende Behandlung Gefangener im Strafvollzug“ (LT-Drucks. 14/5012, 209). Die Absätze 2 bis 4 lauten: „(2) Das Leben im Vollzug soll den allgemeinen Lebensverhältnissen soweit wie möglich angeglichen werden. (3) Schädlichen Folgen des Freiheitsentzugs ist entgegenzuwirken. Die Gefangenen sind vor Übergriffen zu schützen. (4) Der Vollzug ist darauf auszurichten, dass er den Gefangenen hilft, sich in das Leben in Freiheit einzugliedern.“ Die Regelungen „entsprechen im Wesentlichen dem bisherigen § 3 StVollzG. Sie enthalten den Angleichungsgrundsatz (Absatz 2), den Gegensteuerungsgrundsatz (Absatz 3) sowie den Integrationsgrundsatz (Absatz 4)“ (LT-Drucks. 14/ 5012, 209). § 2 Abs. 5 JVollzGB III lautet: „Zur Erreichung des Vollzugsziels sollen die Einsicht in die dem Opfer zugefügten Tatfolgen geweckt und geeignete Maßnahmen zum Ausgleich angestrebt werden.“ In der Begründung wird hierfür ausgeführt: „Absatz 5 verankert den strafrechtlichen Täter-Opfer-Ausgleich im Strafvollzug. Die Regelung soll dazu beitragen, dass sich Gefangene mit den Tatfolgen für ihre Opfer auseinandersetzen, selbstkritisch Verantwortung hierfür übernehmen, Empathie für das Opfer entwickeln und daraus den Schluss ableiten, künftig keine Straftaten mehr zu begehen. Hierbei gilt es jedoch zu beachten, dass der Ausgleich dem Opfer nicht aufgedrängt werden darf. Es darf nicht für behandlerische Zwecke instrumentalisiert werden“ (LT-Drucks. 14/5012, 209). Abs. 6 lautet: „Bei der Gestaltung des Vollzugs und bei allen Einzelmaßnahmen werden die unterschiedlichen Lebenslagen und Bedürfnisse der weiblichen und männlichen Gefangenen berücksichtigt.“ In der Gesetzesbegründung heißt es dazu: „Absatz 6 schreibt den allgemeinen Grundsatz des gender-mainstreaming fest, wonach die jeweiligen Bedürfnisse von weiblichen und männlichen Gefangenen im Einzelfall im Rahmen des Möglichen zu berücksichtigen sind. Die Vorschrift trägt Nr. 34.1 der Empfehlung Rec (2006) 2 des Ministerkomitees an die Mitgliedsstaaten des Europarats über Europäische Strafvollzugsgrundsätze vom 11. Januar 2006 Rechnung. Danach haben die Vollzugsbehörden bei allen Entscheidungen, die die Belange von inhaftierten Frauen betreffen, ein besonderes Augenmerk auf deren spezifische Bedürfnisse, zum Beispiel in körperlicher, beruflicher, sozialer und psychologischer Hinsicht, zu richten“ (LT-Drucks. 14/5012, 209). 2. Bayern. Art. 5 BayStVollzG ist wortgleich mit § 3 Abs. 1 StVollzG. 15 In der Gesetzesbegründung heißt es: „Die Regelung ergänzt den in Art. 2 niedergelegten Behandlungsauftrag. Unmittelbare Rechte können die Gefangenen hieraus nicht ableiten. […] Ausdruck des Angleichungsgrundsatzes sind u. a. die neuen Regelungen 81
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zur Kostenbeteiligung. Eine Beteiligung der Gefangenen an den Kosten des Vollzugs, die nicht bereits durch den Haftkostenbeitrag abgedeckt sind, ist nach folgenden Regelungen möglich: – Art. 31 Abs. 3, Art. 35 Abs. 2, Art. 36 Abs. 4: Briefverkehr, Telefon und Paketverkehr – Art. 61, 63 und 65: Gesundheitsfürsorge – Anpassung an die Änderungen im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung – Art. 71 und 73: Betriebskosten für Hörfunk- und Fernsehgeräte sowie Stromkosten – Art. 94 Abs. 2: Drogentests […]“ (LTDrucks. 15/8101, 50). 16
3. Hamburg. § 3 Abs. 1 Satz 1 HmbStVollzG lautet: „Das Leben im Vollzug ist den allgemeinen Lebensverhältnissen soweit wie möglich anzugleichen.“ Die Sätze 2 und 3 entsprechen § 3 Abs. 2 und 3 StVollzG. Abs. 2 lautet: „Die Belange von Sicherheit und Ordnung der Anstalt sowie die Belange der Allgemeinheit sind zu beachten. Die unterschiedlichen Lebenslagen und Bedürfnisse von weiblichen und männlichen Gefangenen werden bei der Vollzugsgestaltung und bei Einzelmaßnahmen berücksichtigt. Ein besonderes Augenmerk ist auf die Schaffung und die Bewahrung eines gewaltfreien Klimas im Vollzug zu richten.“ In der Gesetzesbegründung heißt es dazu: „[…] Nach Absatz 2 Satz 1 ist bei allen Grundsätzen den Belangen der inneren und äußeren Sicherheit Rechnung zu tragen. Dabei ist der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten. Absatz 2 Satz 2 legt fest, dass unter Beachtung von Artikel 3 Absätze 2 und 3 des Grundgesetzes Unterschiede zwischen weiblichen und männlichen Gefangenen berücksichtigt werden. Dies gilt es bei der Ausgestaltung des Vollzugs und bei Einzelmaßnahmen zu bedenken, zum Beispiel auch unter dem Gesichtspunkt unterschiedlicher kultureller und ethnischer Belange. Absatz 2 Satz 3 berücksichtigt das Erfordernis der Gewaltprophylaxe und stellt sicher, dass auf die Schaffung und die Bewahrung eines gewaltfreien Klimas ein besonderes Augenmerk gerichtet wird“ (Bürgerschafts-Drucks. 19/2533, 52).
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4. Hessen. In Hessen enthält § 3 HStVollzG laut Gesetzesbegründung „zentrale Grundsätze zur Gestaltung des Strafvollzugs, die hinsichtlich Abs. 1 bis 3 im Wesentlichen aus § 3 StVollzG übernommen wurden“. Die Vorschrift lautet: „(1) Das Leben im Strafvollzug ist den allgemeinen Lebensverhältnissen so weit wie möglich anzugleichen. Dabei sind die Belange der Sicherheit und Ordnung der Anstalt zu beachten. (2) Schädlichen Folgen des Freiheitsentzugs ist entgegenzuwirken. (3) Der Vollzug wird von Beginn an darauf ausgerichtet, den Gefangenen bei der Eingliederung in ein Leben in Freiheit ohne Straftaten zu helfen.“ In der Gesetzesbegründung heißt es weiter: „Abs. 1 schreibt vor, dass das Leben im Vollzug den allgemeinen Lebensverhältnissen soweit wie möglich anzugleichen ist (sog. Angleichungsgrundsatz). Eine Angleichung kommt jedoch nicht in Betracht an Verhältnisse, die keinen günstigen Einfluss auf eine Wiedereingliederung haben oder sogar als ursächlich für kriminelles Verhalten der Gefangenen anzusehen sind. Gleichzeitig ist den Belangen der inneren und äußeren Sicherheit Rechnung zu tragen. Abs. 2 bestimmt, dass schädlichen Folgen der Freiheitsentziehung entgegenzuwirken ist (sog. Gegensteuerungsgrundsatz). Hierzu gehören beispielsweise subkulturelle Entwicklungen, Prisonisierungserscheinungen oder Deprivation. Der sog. Integrationsgrundsatz des Abs. 3 enthält den weiteren Grundsatz, dass Maßnahmen zur Eingliederung nicht erst zum Ende der Vollzugszeit, sondern von Anfang an vorzusehen sind. Unmittelbare subjektive Rechte können die Gefangenen aus diesen Grundsätzen jedoch nicht ableiten.“ Abs. 4 lautet: „Bei der Gestaltung des Vollzugs sind die unterschiedlichen Betreuungs- und Behandlungserfordernisse der Gefangenen, insbesondere im Hinblick auf Alter, Geschlecht und Herkunft, zu berücksichtigen.“ Jehle
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In der Gesetzesbegründung heißt es dazu: „Abs. 4 ergänzt die Gestaltungsgrundsätze um das Gebot der Differenzierung. Dies bedeutet nicht nur, dass durch organisatorische Maßnahmen (abgesichert beispielsweise durch die Trennungsgebote des § 70 Abs. 2 bis 4 und die Grundsätze von § 72 Abs. 1 und 2) unterschiedliche Vollzugsformen zu schaffen sind, die jeweils spezielle Angebotsmerkmale und Sicherheitsvorkehrungen aufweisen, um den unterschiedlichen Betreuungs- und Behandlungsbedürfnissen einer in vielfacher Hinsicht heterogenen Gefangenenpopulation angemessen Rechnung tragen zu können. Auch innerhalb dieser Vollzugsformen hat eine inhaltliche Differenzierung stattzufinden, die durch den Grundsatz des Abs. 4 abgesichert wird. Dabei werden zur Verdeutlichung mit Alter, Geschlecht und Herkunft drei wesentliche Gesichtspunkte beispielhaft genannt, die Ausgangspunkt für unterschiedliche Betreuungs- und Behandlungsbedürfnisse sein können.“ 5. Niedersachsen. Abs. 1 des § 2 NJVollzG ist wortgleich mit § 3 Abs. 1 StVollzG (bis 18 auf soweit „wie“ möglich). Abs. 2 ist wortgleich mit § 3 Abs. 2 StVollzG. Abs. 3 lautet: „Der Vollzug der Freiheitsstrafe, der Jugendstrafe und der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung soll die Mitarbeitsbereitschaft der Gefangenen und Sicherungsverwahrten im Vollzug fördern, ihre Eigenverantwortung stärken und ihnen helfen, sich in das Leben in Freiheit einzugliedern.“ In der Gesetzesbegründung heißt es: „[…] Sodann soll bereits hier stärker als im StVollzG betont werden, dass die erfolgreiche Eingliederung in das Leben in Freiheit eine Leistung der Strafgefangenen und Sicherungsverwahrten ist, die trotz aller Anstrengungen der Vollzugsbehörden von ihrer Mitarbeit im Vollzug abhängt und letztlich in ihrer eigenen Verantwortung liegt (Gedanke des Chancenvollzuges)“ (LT-Drucks. 15/3565, 84); zum sog. Chancenvollzug § 4 StVollzG Rdn. 8. Zum Besitz eines DVB-T-Empfängers nach dem NJVollzG vgl. Anmerkung Popp zu OLG Celle 12.2.2009 – 1 Ws 42/09 vom 8.5.2009 in JURIS PraxisReport. 6. Musterentwurf. § 3 Abs. 1 ME-StVollzG lautet: „Der Vollzug ist auf die Auseinan- 19 dersetzung der Gefangenen mit ihren Straftaten und deren Folgen auszurichten.“ Nach der ME-Begründung soll(en) die konkrete(n) Straftat(en) des Gefangenen und ihre Folgen „zentrale[r] Bezugspunkt für die Arbeit mit den Gefangenen“, also der Resozialisierung, sein (ME-Begründung, 68). Die Abs. 3, 4, 2 entsprechen inhaltlich und fast wortgleich § 3 Abs. 1–3 StVollzG. Abs. 5 des Musterentwurfes lautet: „Der Bezug der Gefangenen zum gesellschaftlichen Leben ist zu wahren und zu fördern. Personen und Einrichtungen außerhalb des Vollzugs sollen in den Vollzugsalltag einbezogen werden. Den Gefangenen ist sobald wie möglich die Teilnahme am Leben in der Freiheit zu gewähren.“ Dieser Absatz beinhaltet den sogenannten „Öffnungsgrundsatz“ (ME-Begründung, 69). Abs. 6 lautet: „Die unterschiedlichen Bedürfnisse der Gefangenen, insbesondere im Hinblick auf Geschlecht, Alter und Herkunft, werden bei der Vollzugsgestaltung im Allgemeinen und im Einzelfall berücksichtigt.“ Hiernach wird der „Trennungsgrundsatz“ weiter konkretisiert, vgl. Kommentierung zu § 141 Abs. 1 StVollzG.
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§4 Stellung des Gefangenen § 4 Jehle Stellung des Gefangenen (1) Der Gefangene wirkt an der Gestaltung seiner Behandlung und an der Erreichung des Vollzugszieles mit. Seine Bereitschaft hierzu ist zu wecken und zu fördern. (2) Der Gefangene unterliegt den in diesem Gesetz vorgesehenen Beschränkungen seiner Freiheit. Soweit das Gesetz eine besondere Regelung nicht enthält, dürfen ihm nur Beschränkungen auferlegt werden, die zur Aufrechterhaltung der Sicherheit oder zur Abwendung einer schwerwiegenden Störung der Ordnung der Anstalt unerlässlich sind. Schrifttum Franke Vom Behandlungsvollzug zum Rechtsvollzug? in: BlStV 1/1981, 1 ff; Jung Behandlung als Rechtsbegriff, in: ZfStrVo 1987, 38 ff, 42 ff; Kruis/Cassardt Verfassungsrechtliche Leitsätze zum Vollzug von Straf- und Untersuchungshaft, in: NStZ 1995, 521 ff; Kruis/Wehowsky Fortschreibung der verfassungsrechtlichen Leitsätze zum Vollzug von Straf- und Untersuchungshaft, in: NStZ 1998, 593 ff; Mey Zum Begriff der Behandlung im Strafvollzugsgesetz (aus psychologischer Sicht), in: ZfStrVo 1987, 42 ff; Müller-Dietz Grundfragen des strafrechtlichen Sanktionensystems, Heidelberg/Hamburg 1979, 130 ff; Müller-Dietz Die Rechtsprechung der Strafvollstreckungskammern zur Rechtsgültigkeit der VVStVollzG, in: NStZ 1981, 409 ff; ders. Zehn Jahre Strafvollzugsgesetz – Bilanz und Perspektiven, in: BewHi 1986, 331 ff; Rotthaus Der Schutz der Grundrechte im Gefängnis, in: ZfStrVo 1996, 3 ff; Schwind Strafvollzug in der Konsolidierungsphase, in: ZfStrVo 1988, 259 ff; Schwind „Chancenvollzug“ am Beispiel von Niedersachsen, in: Böse/Sternberg-Lieben (Hrsg.), FS Amelung zum 70. Geburtstag 2009, 763 ff.
I. II.
Übersicht Allgemeine Hinweise Status des Gefangenen ____ 1 Erläuterungen ____ 2–27 1. Integrationsstatus (Abs. 1) ____ 2–12 a) Der Behandlungsbegriff ____ 2, 3 b) Gesetzlicher Umfang der Mitwirkungspflicht ____ 3, 4 c) Weitergehende Mitwirkung ____ 5, 6 d) Pflicht der Vollzugsbehörde zur Motivierung des Gefangenen ____ 7, 8 e) Auswirkungen der Mitwirkungsbereitschaft auf Vollzugsentscheidungen ____ 9–11 f) Mitwirkungsrecht des Gefangenen ____ 12 2. Abwehrstatus (Abs. 2) ____ 13–26 a) Rechtsbeschränkungen durch Gesetz ____ 14 b) Keine Beschränkungen durch VV ____ 15–19 c) Rechtsbeschränkungen durch die Generalklausel ____ 20–26
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III.
aa) Aufrechterhaltung der Sicherheit ____ 21 bb) Schwerwiegende Störung der Ordnung ____ 22 cc) „Soweit das Gesetz eine besondere Regelung nicht enthält“ ____ 23, 24 dd) Unerlässlichkeit der Rechtsbeschränkung ____ 25 ee) Legitimation allgemeiner Sicherungsmaßnahmen ____ 26 3. Besonderheiten bei Grundrechtseinschränkungen ____ 27 Landesgesetze und Musterentwurf ____ 28–33 1. Baden-Württemberg ____ 28 2. Bayern ____ 29 3. Hamburg ____ 30 4. Hessen ____ 31 5. Niedersachsen ____ 32 6. Musterentwurf ____ 33
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I. Allgemeine Hinweise Wie das BVerfG im Hinblick auf den Status des Gefangenen wiederholt festgestellt 1 hat, ist auch der Strafgefangene ein Bürger, für den die Rechtsgarantien des Grundgesetzes gelten. Er ist in seinen Grundrechten nur soweit beschränkbar, als dies die Verfassung in der Form und in der Sache erlaubt (BVerfGE 33, 1 ff; 40, 276 ff). Die ihm nach dem Sozialstaatsprinzip geschuldete resozialisierende Behandlung (BVerfGE 35, 202, 235) verpflichtet den Gesetzgeber einerseits, den Strafvollzug auf das Ziel der Resozialisierung hin auszurichten. Hierbei wird ihm ein weiter Gestaltungsraum zugebilligt (BVerfGE 98, 169, 201; ähnlich schon BVerfGE 40, 276, 284). Andererseits begründet dies für den einzelnen Gefangenen aber auch einen grundrechtlichen Anspruch darauf, dass dieser Zielsetzung bei ihn belastenden Maßnahmen genügt wird (BVerfG ZfStrVo 1998, 242, 245; BVerfG NStZ 1998, 430). Dieses „Grundrecht auf Resozialisierung“ begrenzt die Rechte anderer Personen oder Institutionen (BVerfGE 35, 202, 235 – Verbot der Fernsehberichterstattung über eine länger zurückliegende schwere Straftat wegen Gefährdung der Resozialisierung des Täters). Resozialisierende Behandlung kann zwar auch zur Beschränkung von Rechten führen, ist aber keine „Gehirnwäsche“ oder „Zwangsbehandlung“, die der Verurteilte in einer Objektstellung zu erdulden hätte, sondern bezieht den Gefangenen als zu informierende, zu beteiligende und zu aktivierende Person positiv ein (BVerfG ZfStrVo 2003, 183; so auch Seebode 1997, 95). Damit sind der „Abwehrstatus“ (Rdn. 12 ff) des Gefangenen (Grenzen der Eingriffe in seine Rechte) und der „Integrationsstatus“ (Stellung des Insassen im Behandlungsprozess, Rdn. 2 ff) umschrieben (Würtenberger Kriminalpolitik im sozialen Rechtsstaat 1970, 223; C/MD 2008 Rdn. 1). II. Erläuterungen 1. Integrationsstatus (Abs. 1) a) Der Behandlungsbegriff. Der Begriff der Behandlung im StVollzG ist weit aus- 2 zulegen. Er bedeutet jede Art von Einflussnahme und Tätigkeit, die mit dem Ziel stattfindet, den Gefangenen auf die Zeit nach der Entlassung aus der Haft vorzubereiten, den schädlichen Wirkungen des Freiheitsentzuges gegensteuert und hilft, den Insassen in das freie Leben wieder einzugliedern (C/MD 2008 Rdn. 6). Dazu gehören die Art des Umgangs der Bediensteten mit dem Gefangenen (Lob, Tadel, Gespräche, Hilfsangebote), die Unterbringung, die Arbeit, die Aus- und Weiterbildung, das Freizeitangebot, die Lockerungen, die Förderung der Außenkontakte, die Entlassungsvorbereitungen, aber auch Therapie im engeren Sinne wie Gesprächstherapie, Gruppentherapie und medizinische Behandlung (OLG Karlsruhe StV 2005, 337; im Einzelnen: Jung 1987, 39, 40; Mey 1987, 42; Calliess 1992, 22, 23; Walter 1999 Rdn. 280–285; Laubenthal 2011 Rdn. 158). Das StVollzG geht von einer zur Resozialisierung des einzelnen Gefangenen notwendigen, maßnahmenbezogenen Behandlung aus (Walter 1999 Rdn. 280). Eine allgemeingültige oder auch nur für ausgewählte Delinquentengruppen angezeigte Behandlungsmethode ist nicht festgelegt und wohl auch nur unter Vorbehalten denkbar. Ob das „soziale Training“ (Walter 1999 Rdn. 283; Laubenthal 2011 Rdn. 164 f), der Vollzug in Wohngruppen oder die „problemlösende Gemeinschaft“ (C/MD 2008 Rdn. 6; Laubenthal 2011 Rdn. 161–163) ein verbindender Rahmen für die Behandlung der einzelnen Gefangenen sein können, ist im Regelvollzug noch nicht erprobt. Soweit im Einzelfall die Rechte und Pflichten eines Gefangenen im Hinblick auf sie bestimmt werden, ist die Behandlung ein gerichtlich voll nachprüfbarer, unbestimmter Rechtsbegriff (KG 17.9.1992 – 5 Ws 240/92). 85
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Die Gesetzgeber in Bayern und Hamburg haben sich um eine Definition des Behandlungsbegriffs bemüht (Rdn. 30 f). In Bayern sollen danach bei der Behandlung der Strafgefangenen folgende Prinzipien Beachtung finden: Die Intensität der Behandlung hat sich am Risiko-Prinzip zu orientieren, die Behandlungsziele und -inhalte sollen sich auf die spezifischen kriminogenen Motive und Defizite der Straftäter beziehen (Bedürfnisprinzip), das Vorgehen sollte auf die jeweiligen Lernweisen und Fähigkeiten der Straftäter zugeschnitten sein (Ansprechbarkeitsprinzip) (LT-Drucks. 15/8101, 49 f). Aber auch die in den Landesgesetzen enthaltenen Umschreibungen verdeutlichen lediglich die Vielschichtigkeit strafvollzuglicher Behandlungsaspekte. Wie die Begründung zum BayStVollzG zu Recht ausführt, bleibt der Behandlungsbegriff offen und die Fortentwicklung der verschiedenen Behandlungsmethoden ist weiterhin Aufgabe von Wissenschaft und Praxis. b) Gesetzlicher Umfang der Mitwirkungspflicht. Im Strafvollzug befindet sich der Gefangene nicht freiwillig. Es handelt sich um ein Zwangssystem, das den Gefangenen für die Dauer des Freiheitsentzugs in vielerlei Weise in seiner Handlungsfreiheit einengt. Diese Einengungen haben ihre Gründe in der Sicherung des Gewahrsams und des Lebens und der Gesundheit der in der Anstalt befindlichen Menschen (Sicherheit der Anstalt), in der Notwendigkeit, das Zusammenleben in der Anstalt einigermaßen erträglich zu organisieren (Ordnung der Anstalt; § 81 Rdn. 7), in der Verpflichtung, während des Vollzugs der Freiheitsstrafe die Allgemeinheit vor Straftaten des Insassen zu schützen (Aufgabe des Vollzuges nach § 2 S. 2; § 2 Rdn. 11, 17 ff), aber auch in der Vorstellung, im Vollzug Verhältnisse zu schaffen, die die Erreichung des Vollzugsziels (§ 2 Rdn. 12 ff) ermöglichen. 4 Rechtsbeschränkungen aus diesem zuletzt genannten Grund sind nicht nur zulässig, sondern für einen geordneten Strafvollzug unerlässlich (BVerfGE 40, 276). Das Vollzugsziel kann „nicht nur Ansprüche des Gefangenen begründen, sondern unter Umständen auch grundrechtsbeschränkende Maßnahmen rechtfertigen, die erforderlich sind, um die inneren Voraussetzungen für eine spätere straffreie Lebensführung des Gefangenen zu fördern“ (vgl. auch BVerfG NStZ 1996, 55; ZfStrVo 1996, 174, 175). Im StVollzG finden sich deshalb an vielen Stellen Hinweise darauf, dass dem Gefangenen Beschränkungen in seinen Rechten auch auferlegt werden, um das Vollzugsziel nicht zu gefährden oder die Eingliederung der Insassen nicht zu behindern (§ 25 Nr. 2; § 27 Abs. 1; § 28 Abs. 2 Nr. 2; § 29 Abs. 3; § 31 Abs. 1 Nr. 1; § 34 Abs. 1 Nr. 2; § 68 Abs. 2 S. 2; § 70 Abs. 2 Nr. 2; vgl. auch Müller-Dietz JuS 1976, 88, 91; Seebode 1997, 93–95). Aus Gründen der Behandlung kann der Anstaltsleiter dem Gefangenen bei der Gewährung von Lockerungen Weisungen erteilen (§ 14). Der Gefangene ist mindestens auch deshalb, weil dies zur Erreichung des Vollzugsziels für notwendig gehalten wird, in der Anstalt zur Arbeit verpflichtet (§ 41). In diesem durch das Gesetz in Einzelbestimmungen gezogenen Umfang trifft den Gefangenen eine Mitwirkungspflicht an seiner Behandlung (Rdn. 7) in dem Sinne, dass er die im Einzelfall angeordneten Beschränkungen zu dulden, der Arbeitspflicht und den Weisungen nach § 14 nachzukommen hat. Lehnt er sich gegen diese Beschränkungen auf, so handelt er gegen seine Pflichten und setzt sich – schuldhaftes Verhalten vorausgesetzt – disziplinarischer Zurechtweisung aus (§§ 102 ff). Die Befürchtung, dass ein solcher Zwang entgegen dem Ziel des Vollzuges nur einen „guten Gefangenen“ schaffe, der für die Freiheit nicht tauge (C/MD 2008 Rdn. 3, 4; ganz ablehnend auch AK-Feest/Bung 2011 Rdn. 19 Vor § 2), erscheint nicht begründet. Ist schon der Entzug der Freiheit oft notwendig, um das „Schonklima“ (§ 2 Rdn. 14) für die erforderlichen Lernschritte zu schaffen, so ist auch der zwangsweise Ausschluss besonderer Gefährdungen unerlässlich, freilich nicht ausreichend, um das Vollzugsziel zu erreichen (OLG 3
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Bamberg 1.10.1981 – Ws 491/81). Auf eine solche zwangsweise Ausgestaltung des Vollzuges kann vielleicht dann verzichtet werden, wenn die Gefährdungen durch Gespräche in einem „therapeutischen“ Wohngruppenvollzug aufgearbeitet werden. Diese Entwicklung ist anzustreben (vgl. auch Rdn. 2 zu § 102). c) Weitergehende Mitwirkung. Jenseits der ausdrücklichen Regelungen des Geset- 5 zes, die gewissermaßen den dem Gesetzgeber unverzichtbar erscheinenden Behandlungsrahmen darstellen, besteht aber für den Gefangenen keine Pflicht, an seiner Behandlung mitzuwirken (Calliess 1992, 59; OLG Celle ZfStrVo 1985, 374; anders aber das HmbStVollzG, das die Gefangenen zur Mitwirkung verpflichtet, allerdings für die Pflichtverletzung keine direkte Sanktion vorsieht, s. näher Rdn. 31). Dass der Gefangene „mitwirkt“, ist vielmehr der berechtigte Wunsch des Gesetzgebers, denn die Mitwirkung ist zur Erreichung des Vollzugsziels notwendig. Um das Ziel eines selbstverantworteten Lebens in Freiheit erreichen zu können, bedarf es der Mitwirkung des Gefangenen an Behandlungsmaßnahmen; die Mitarbeit stellt einen wesentlichen Teil des Behandlungsvollzugs dar (Laubenthal 2011, Rdn. 238). Wie sich aus Satz 2 ergibt, geht der Gesetzgeber aber – und damit wird eine Erfahrung aus dem Vollzugsalltag berücksichtigt – nicht davon aus, dass der Gefangene vom Beginn des Vollzugs an bereit ist, an der Gestaltung seiner Behandlung (Rdn. 6) und an der Erreichung des Vollzugsziels mitzuwirken. Deshalb muss seine Bereitschaft hierzu geweckt und ständig gefördert werden. Das Einsetzen einer resozialisierenden Behandlung ist also nicht von der Mitwirkung oder Zustimmung des Gefangenen abhängig. Der Gefangene hat kein Recht darauf, sich den resozialisierenden Maßnahmen im Vollzug zu entziehen. Das Recht, gegen Absitzen der Strafzeit ein Verbrecher bleiben zu dürfen, in Ruhe gelassen zu werden, neue Kräfte für einen antisozialen Lebenswandel zu sammeln, besteht nicht (Müller-Dietz 1979, 149, 155). Deshalb muss die Behandlungsuntersuchung (§ 6) und die Erstellung, Durchführung und Fortschreibung des Vollzugsplans (§ 7) immer stattfinden, und zwar auch bei jenem Gefangenen, der seine Mitwirkung völlig verweigert. Und es ist rechtswidrig, den Gefangenen in eine Arbeit, eine Wohngruppe oder eine Maßnahme der Weiterbildung einzuteilen, die nach der Erkenntnis der Vollzugsbehörde der Erreichung des Vollzugsziels schadet (etwa Gemeinsamkeit mit anderen Insassen, die aufeinander einen schlechten Einfluss haben können), auch und gerade dann, wenn der Gefangene diese Gestaltung seiner Behandlung will. Die Verantwortung für die Erreichung des Vollzugsziels und die Gestaltung der Behandlung liegt bei der Vollzugsbehörde. Sie besteht unabhängig von der Bereitschaft oder Fähigkeit des Gefangenen, sich zu beteiligen. Vgl. zur Mitwirkung bei der Behandlungsuntersuchung § 6 Rdn. 13. Behandlung ist nicht nur mit Zustimmung des zu Behandelnden auf der Ebene der 6 Freiwilligkeit möglich. Menschen bewähren sich, leben und lernen seit eh und je in Situationen und unter Bedingungen, die sie nicht ausgewählt haben und in die sie unwillentlich geraten (Grunau/Tiesler 1982 Rdn. 1). Widerstand und Unlust von Gefangenen beruhen oft auf eingeschliffenen Verhaltenstechniken, die der Lebensbewältigung dienen (C/MD 2008 Rdn. 5), auch auf angesichts unangenehmer Vorerfahrungen durchaus nachzuempfindendem Misstrauen, werden aber auch überhaupt bei erheblich straffällig gewordenen Personen häufig festgestellt (Göppinger Angewandte Kriminologie 1988, 104 f). Mit Zustimmung und Bereitschaft zu resozialisierenden Maßnahmen wird man daher anfangs oft nicht rechnen dürfen. Sie werden deshalb für den Behandlungsprozess richtigerweise nicht vorausgesetzt, in seinem Verlauf aber angestrebt. Dabei gibt es Behandlungsmaßnahmen, die ohne Zustimmung, ja gegen den Willen des Gefangenen begonnen werden, und andere, die notwendigerweise sein Einverständnis, mindestens eine Art Duldung, voraussetzen. So ist der Einsatz des Gefangenen in der Anstaltsschrei87
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nerei, der zur Erreichung des Vollzugsziels sinnvoll erscheint, auch ohne seine Zustimmung zulässig, ja vielleicht geboten. Das Eingehen eines Ausbildungsverhältnisses in der Schreinerwerkstatt bedarf aber der Zustimmung des Gefangenen, wobei in vielen Fällen die Bereitschaft zur Mitarbeit im Laufe der Zeit entsteht und wächst. Der zunächst widerwillig in der Schreinerei Tätige findet Gefallen an der Arbeit, Sympathie für den Meister und erkennt zugleich, dass ihm der erwünschte und bequeme Job in der Hofkolonne ohnehin konsequent verweigert wird. d) Pflicht der Vollzugsbehörde zur Motivierung des Gefangenen. Die Fähigkeit und Bereitschaft des Insassen zur Mitwirkung zu wecken und zu fördern, ist eine der wichtigsten Pflichten aller Vollzugsbediensteten. Die Erfahrung lehrt, dass die Bereitschaft des Insassen nicht kontinuierlich wächst, sondern Schwankungen unterliegt, sodass immer wieder von neuem Motivationsarbeit zu leisten ist (§ 2 Rdn. 11). Die Erfahrung lehrt auch, dass es nie zu spät ist, d. h., dass auch bei scheinbar unwilligen Insassen die Bereitschaft zur Mitwirkung am Vollzugsziel zu erreichen ist. Auch mit den Bezugspersonen des Insassen empfiehlt es sich, insoweit zusammenzuarbeiten. Die Motivationsarbeit darf nicht dem Sozialdienst überlassen sein, sie ist Sache aller Bediensteten an allen Stellen, die Hand in Hand arbeiten müssen. Der Umstand, dass es Vollzugsanstalten gibt, bei denen bei durchaus ähnlicher Insassenschaft der Anteil der Insassen, die sich etwa einer dem Vollzugsziel dienlichen Ausbildung unterziehen, extrem unterschiedlich ist, beweist, dass die Fragen der Mitarbeit der Insassen, der Resozialisierungsfähig- und willigkeit in erheblichem Maße von der Motivierungsarbeit der Bediensteten und der Art und Weise der gemachten Angebote abhängen. Viel zu rasch wird oft der Versuch eingestellt, die Mitwirkungsbereitschaft zu wecken und zu fördern. Viel zu schnell wird der Insasse als „unwillig“ und „unfähig“ eingeordnet, statt zu bedenken, ob denn das Behandlungsangebot für den Insassen nach seiner ganzen bisherigen Entwicklung und seiner gegenwärtigen Verfassung zumutbar und brauchbar ist. Das spricht auch dagegen, von dem Begriff „Behandlung“ abzugehen und (nur) „Chancen“ zu eröffnen (so aber Meyer ZfStrVo 1987, 4 ff, 9; „spezielles Chancenangebot im Rahmen des Behandlungsvollzuges“ so Schwind 2009, 763 ff; „Vollzugsangebote“ AK-Feest/Bung 2012 Rdn. 3; mindestens missverständlich C/MD 2008 Rdn. 6; dagegen – wie hier – Calliess 1992, 25–28; ausführl. dazu Rdn. 8). Denn viele Gefangene sind ohne geduldige Motivationsarbeit der Bediensteten gar nicht in der Lage, „Chancen“ zu nutzen. Was den Gefangenen betrifft, ist der Begriff „Chance“ insoweit richtig, als dessen Mitwirkung (Wahrnehmen der Angebote) und Verantwortung für seine Entwicklung im Vollzug angesprochen sind. Für die Vollzugsbehörde könnte „Chancenvollzug“ (erstmals Schwind in: Schwind (Hrsg.), FS Blau 1985, 573 ff, 590) aber die Abkehr vom zu verwirklichenden Behandlungsvollzug und die Rückkehr zum Verwahrvollzug der Zeit vor dem StVollzG bedeuten, in dem den Gefangenen durchaus auch Resozialisierungschancen eröffnet, bzw. – genauer – die Berechtigung gegeben wurde, auf die Verwirklichung des Behandlungsvollzugs zu verzichten (denn die gegenwärtige Praxis hat oft noch das Gepräge des Verwahrvollzugs: Seebode 1997, 128; Böhm in: Herrfahrt (Hrsg.), Behandlung von Sexualstraftätern 2000, 110 ff). Man beschränkt sich dann darauf, den resozialisierungsfähigen und -willigen Gefangenen Behandlungsangebote zu machen und abzuwarten, ob sie sich dafür interessieren (was natürlich nicht ausreicht: OLG Nürnberg ZfStrVo 2003, 95, 96: § 2 Rdn. 14). Es darf schließlich nicht übersehen werden, dass Behandlungsvorschläge nicht selten mit wirklichen oder vermuteten Nachteilen (weniger Freizeit, geringerer Einkauf, vgl. AK-Feest/Bung 2012 Rdn. 6) verbunden sind. Dem ist entgegenzuwirken. 8 Anders als die übrigen Landesgesetze und der Musterentwurf, die das Grundkonzept des StVollzG beibehalten, hat Niedersachsen nunmehr den Chancenvollzug für erwach7
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sene Straftäter ausdrücklich in § 6 NJVollzG (entspr. Vorschrift für den Jugendstafvollzug § 112 NJVollzG) geregelt. In der Begründung zum Gesetzentwurf des NJVollzG heißt es, dass es sich beim Konzept des Chancenvollzugs nicht um eine Abkehr vom Konzept der Behandlung handele, sondern nur um eine Akzentverschiebung: Der Wille des Gefangenen zur Mitarbeit und damit seine Eigenverantwortung würden betont und gleichzeitig – nur – klargestellt, dass niemand ohne seinen Willen zur Änderung seiner Einstellung und seines Verhaltens und ohne seine Mitwirkung durch die Vollzugsbehörde sozial integriert werden könne. Dass es durch die im Gesetz vorgesehenen Formulierungen zu einer Verschärfung der Vollzugsbedingungen, evtl. sogar zu einem bloßen „Verwahrvollzug“ für nicht mitarbeitsbereite oder -fähige Gefangene kommen könne, sei nicht zu befürchten. In § 3 Abs. 3 sowie in § 6 Abs. 1 Satz 2 sei ausdrücklich die Verpflichtung der Vollzugsbehörden vorgesehen, die Mitarbeitsbereitschaft der Gefangenen im Vollzug zu fördern sowie ihre Bereitschaft zur Mitwirkung am Vollzugsziel der sozialen Integration zu wecken und zu fördern. Hierbei handele es sich um kontinuierliche Pflichten der Vollzugsbehörden, die in jedem Fall auch für – anfangs – nicht mitarbeitsbereite oder -fähige Gefangene gelten. Die Vollzugsbehörden seien also verpflichtet, sich nachhaltig und fortgesetzt um alle Gefangenen zu bemühen (LT-Drucks. 15/3563, 89). Dieser gesetzgeberische Wille ändert freilich nichts daran, dass das Gesetz nun der Vollzugsbehörde nicht nur das Recht gibt, sondern sogar als regelmäßige Pflicht auferlegt, eine Maßnahme zu beenden, wenn „der Strafgefangene nicht hinreichend daran mitarbeitet“ (§ 6 Abs. 2. Satz 2 NJVollzG). Insofern ist die Gefahr nicht von der Hand zu weisen, dass es für Verweigerer auf einen Verwahrvollzug oder, wie es Schwind in seiner differenzierenden Betrachtung (Schwind 2009, 763, 775) besser bezeichnet, auf eine Grundversorgung (Verwahrvollzug und Arbeitspflicht) hinauslaufen kann. e) Auswirkungen der Mitwirkungsbereitschaft auf Vollzugsentscheidungen. 9 Da eine Rechtspflicht, an der Erreichung des Vollzugsziels mitzuwirken, dem Gefangenen nicht auferlegt worden ist (Rdn. 4), ist es unzulässig, gegen ihn eine Disziplinarmaßnahme anzuordnen, weil er sich weigert, einen für seine Eingliederung nützlichen Fortbildungskurs zu besuchen oder an einer Gesprächsgruppe teilzunehmen. Das ist unstreitig. Schwieriger ist schon die Frage zu beantworten, ob die Mitwirkung an der Erreichung des Vollzugsziels bei anderen Vollzugsentscheidungen eine Rolle spielen darf. Für die Gewährung von Vollzugslockerungen bestimmen VV Nr. 6 Abs. 1 Satz 2 zu § 11 ausdrücklich, dass zu berücksichtigen ist, „ob der Gefangene durch sein Verhalten im Vollzug die Bereitschaft gezeigt hat, an der Erreichung des Vollzugszieles mitzuwirken“ (§ 11 Rdn. 24; § 13 Rdn. 31). Das HmbStVollzG sieht nun in § 12 Abs. 2 ausdrücklich vor, dass Lockerungen untersagt werden können, wenn der Gefangene seine Mitwirkungspflicht nicht erfüllt (s. näher Rdn. 31). So falsch eine generelle Berücksichtigung ist, so richtig ist indes die Möglichkeit, in Einzelfallentscheidungen die (fehlende) Mitarbeit zu berücksichtigen. Dabei geht es eher darum, Mitarbeit zu belohnen als Verweigerungen zu bestrafen. Letzteres ist vor allem dann unangebracht, wenn die in Frage stehende Vollzugslockerung der Resozialisierung dienen kann und die Befürchtungen des § 11 Abs. 2 nicht bestehen (OLG Zweibrücken StV 1992, 598). Bei der Einordnung in die Vergütungsstufen für die Entlohnung der Ausbildung können trotz Erreichung des Ausbildungsziels oder des Schulabschlusses störendes Sozialverhalten während des Unterrichts oder mangelhafte Mitarbeit Berücksichtigung finden (Versagung einer möglichen Höhergruppierung: KG ZfStrVo 1983, 309; OLG Hamburg NStZ 1995, 303). Aber auch bei der Zulassung zu Freizeitgruppen mit begrenzter Teilnahmemöglichkeit und bei der Zuweisung besonders begehrter Arbeitsplätze ist zu bedenken, dass es vielleicht zur Motivationsarbeit gehört, Insassen, die an ihrer Sozialisierung mitwirken, nach Möglichkeit 89
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entgegenzukommen (K/S-Schöch 2002 § 5 Rdn. 78; Müller-Dietz 1979, 140; Walter 1999 Rdn. 295). Berücksichtigt man aber deren Engagement bei den genannten Entscheidungen positiv, so wirkt sich für den (derzeit) Resozialisierungsunwilligen seine mangelnde Bereitschaft negativ aus (so OLG Stuttgart ZfStrVo 2004, 51, 52: Ablehnung eines Langzeitbesuches). Bei der Gewährung von Lockerungen spielt die mangelnde Bereitschaft, an der 10 Resozialisierung (dazu § 2 Rdn. 13 ff) teilzunehmen, dann eine entscheidende Rolle, wenn sie die Gefahr begründet, der Insasse werde die Lockerung zur Flucht oder zur Begehung neuer Straftaten missbrauchen. Das ist in manchen Fällen wohl kaum von der Hand zu weisen: Erachtet man zur Erreichung des Ziels, dass der Verurteilte fähig wird, ein Leben ohne Straftaten zu führen, Maßnahmen für erforderlich, an denen mitzuwirken der Verurteilte sich weigert, dann ist im Augenblick das Ziel nicht erreichbar und die Gefahr künftiger Straftaten gegeben (OLG Karlsruhe ZfStrVo 1985, 245, 247). Das macht die Gewährung der Lockerungen riskanter als bei einem an seiner Resozialisierung mitarbeitenden Insassen (ebenso: Hauf 1994, 81). Freilich kann, wenn das Missbrauchsrisiko angesichts besonderer Umstände verantwortbar erscheint, die Gewährung der Lockerung den resozialisierungsunwilligen Gefangenen vielleicht zu einer positiveren Einstellung hinsichtlich der Erreichung des Vollzugszieles gerade veranlassen; dann ist ein Vertrauensvorschuss durchaus angezeigt (OLG Hamm NStZ 1985, 573). Die von den meisten Insassen erstrebte Entlassung zur Bewährung verlangt nach § 57 StGB eine positive Entlassungsprognose (§ 15 Rdn. 2). Diese Prognose wird von den Erkenntnissen über das Erreichen des Vollzugsziels entscheidend beeinflusst (BVerfG NStZ 2000, 109, 110). Dabei geht es natürlich nicht um das beanstandungslose Verhalten des Gefangenen im Vollzug und die Erfüllung der Arbeitspflicht (die „gute Führung“). Solches Verhalten ist lobenswert, ist aber prognostisch in der Regel von geringer Bedeutung. Mit der Bereitschaft, an der Erreichung des Vollzugsziels mitzuwirken, ist vielmehr das Abarbeiten des an den individuellen Resozialisierungsnotwendigkeiten des Gefangenen orientierten Vollzugsplans gemeint. Ist dieser gesetzmäßig erarbeitet und fortgeschrieben, so ist die Weigerung des Verurteilten mitzuwirken, regelmäßig prognostisch ungünstig. Die Vollzugsbehörde ist verpflichtet, in ihrer Stellungnahme wahrheitsgemäß zu berichten, dass der Insasse sich beharrlich geweigert hat, an den Maßnahmen mitzuwirken, die zur Erreichung des Vollzugsziels für erforderlich gehalten worden sind. Aus dieser Mitteilung wird dann häufig der Schluss gezogen werden müssen, dass eine Entlassung zur Bewährung nicht verantwortet werden kann, während umgekehrt ein Insasse, der sich an solchen Maßnahmen bereitwillig beteiligt, seine Chancen, vorzeitig entlassen zu werden, merklich steigert. So wird auf den Insassen wegen der mittelbaren Wirkungen, die von seiner Weigerung ausgehen, ein starker Druck ausgeübt, an der Erreichung des Vollzugsziels mitzuarbeiten (hierzu eingehend: Müller-Dietz 1986, 331 ff, 341 f; Jung 1987, 40, 41; Laubenthal 2011 Rdn. 240). Dass keine Pflicht postuliert ist, beschränkt sich somit darauf, dass gegen den nicht mitwirkungsbereiten Gefangenen keine Disziplinarmaßnahmen verhängt werden und ihm keine unabhängig von seiner Mitwirkungsbereitschaft zustehenden Rechte verkürzt werden (OLG Celle ZfStrVo 1980, 184; K/S-Schöch 2002 § 5 Rdn. 78; vgl. auch Haberstroh ZfStrVo 1982, 259 ff). C/MD (2008 Rdn. 4) meinen, weil der Insasse keine Pflicht habe, an dem Behand11 lungsziel mitzuwirken (Rdn. 4, 9), dürften auch bei einer Entweichung keine Disziplinarmaßnahmen erfolgen. Die Pflicht des Gefangenen, die Einsperrung zu dulden, besteht aber unabhängig davon, ob er an seiner Behandlung mitwirkt. Selbst wenn er eine Rechtspflicht hierzu hätte, so könnte es bei einem Konflikttäter durchaus der Fall sein, dass resozialisierende Maßnahmen zur Erreichung des Vollzugsziels nicht erforderlich Jehle
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sind, ja ein künftiges Leben ohne Straftaten desto wahrscheinlicher ist, je eher der Insasse die Anstalt verlässt. Seine Entweichung wäre geradezu im Sinne der Erreichung des Vollzugsziels nötig, aber gleichwohl ein (schwerer) Pflichtverstoß, der eine Disziplinarmaßnahme rechtfertigt (Rdn. 17 f zu § 102). f) Mitwirkungsrecht des Gefangenen. Der Gefangene kann zwar keine bestimmte 12 resozialisierende Behandlung verlangen (KG 29.1.1979 – 2 Ws 145/78; OLG Nürnberg NStZ 1982, 399; vgl. aber BVerfG NStZ 1996, 614; OLG Karlsruhe NStZ 1998, 638 f und NStZ-RR 2004, 287 f). Er hat aber ein Recht darauf, über die zur Erreichung des Vollzugsziels bei ihm für notwendig erachteten Vollzugsmaßnahmen unterrichtet zu werden (Recht auf Einsichtnahme in die schriftliche Fassung des Vollzugsplanes und seiner Fortschreibungen: BVerfG ZfStrVo 2003, 183). Sie sind mit ihm zu erörtern, am besten mit ihm zu erarbeiten. Auch wenn er zunächst nicht zur Mitwirkung bereit ist, sind ihm die Gründe verständlich zu machen, warum die eine oder andere Maßnahme ergriffen, ihm gewisse Angebote unterbreitet oder bestimmte von ihm vorgebrachte Wünsche zur Gestaltung seiner Behandlung abgeschlagen werden. Er soll eigene Vorstellungen darüber, wie das Vollzugsziel zu erreichen ist, vortragen und darf erwarten, dass sie ernst genommen, bei Erfolgsaussicht möglichst verwirklicht und mit ihm erörtert werden. Über seine entsprechenden Anträge entscheidet die Vollzugsbehörde nach pflichtgemäßem Ermessen. Insoweit hat er ein Recht darauf, an seiner Behandlung mitzuwirken (K/S-Schöch 2002 § 5 Rdn. 78). Der Gefangene ist auch nicht das Objekt von Manipulationen oder gar von einer Art „Gehirnwäsche“ – beides verstieße gegen seine in Art. 1 GG geschützte Menschenwürde und gegen den Resozialisierungsbegriff des StVollzG (Müller-Dietz 1979, 138, 139) –, sondern ein für den notwendigen Lernprozess zu gewinnender Partner (vgl. § 6 Rdn. 13 f). 2. Abwehrstatus. Der „Abwehrstatus“ ist in der Weise verwirklicht, dass die Ein- 13 schränkungen der Freiheit des Gefangenen im StVollzG im Einzelnen genau dargestellt sind. Das bedeutet nicht, dass der Insasse im Übrigen unbeschränkte Freiheiten hätte. Er unterliegt vielmehr zahlreichen weiteren Beschränkungen, die in anderen Gesetzen festgelegt sind. Aber in seiner Eigenschaft als „Gefangener“ treffen ihn darüber hinaus nur die im StVollzG erwähnten Rechtsbeschränkungen. Damit ist der Gesetzgeber von der vom BVerfG (BVerfGE 33, 1 ff) für verfassungswidrig erachteten Figur des „besonderen Gewaltverhältnisses“ abgegangen, die die Rechtsstellung des Gefangenen bis dahin bestimmt hatte und alle Rechts- (auch Grundrechts-)beschränkungen gestattete, die zur Erreichung der nach dem StGB vorausgesetzten Strafzwecke (Abschreckung, Sühne, Vergeltung, Sicherheit, Resozialisierung) erforderlich erschienen. Er hat aber auch nicht den für den Jugendstrafvollzug (§§ 91, 92, 115 JGG a. F.) und die Untersuchungshaft (§ 119 StPO a. F.) gewählten Weg beschritten, die Rechtsstellung der Insassen durch wenige, etwas spezifizierte Generalklauseln zu kennzeichnen, obwohl dies nach der früheren Rechtsprechung des BVerfG (BVerfGE 57, 170, 177 für die Untersuchungshaft) für zulässig erachtet worden war. Insoweit wird der Rechtsschutz der Gefangenen durch das StVollzG besonders gut gewährleistet und hat Modell gestanden für die Gesetze zum Untersuchungshaftvollzug und zum Jugendstrafvollzug (vgl. auch Vor § 1 Rdn. 10 f). a) Rechtsbeschränkungen durch Gesetz. Die Beschränkungen der Freiheit müs- 14 sen sich aus dem Gesetz ergeben. So darf die Vollzugsbehörde nicht andere Eingriffe in Rechte anordnen als die im Gesetz formulierten. Unzulässig ist die Nichtbeförderung eines Schreibens vor Änderung der irreführenden Absenderangabe durch den Gefange91
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nen, denn hier hätte die Behörde ein, den Sachverhalt aufklärendes, Begleitschreiben gem. § 31 Abs. 2 beifügen können (OLG Celle ZfStrVo 1982, 127). Unzulässig ist die im Gesetz nicht vorgesehene Urlaubssperre (OLG Bremen NStZ 1982, 84; OLG Celle ZfStrVo 1985, 374) und das generelle Verbot der Benützung von Sportstätten und Freizeiträumen für die in einer besonderen Anstaltsabteilung untergebrachten Arbeitsverweigerer statt der Verhängung entsprechender Disziplinarmaßnahmen in jedem Einzelfall (OLG Nürnberg ZfStrVo 1980, 250). b) Keine Beschränkungen durch VV. Im Gesetz müssen die Freiheitsbeschränkungen geregelt sein. Das bedeutet, dass die zu dem StVollzG erlassenen VV nicht weitere Beschränkungen enthalten können (OLG Koblenz ZfStrVo 1981, 246. Vgl. auch § 115 Rdn. 23). Ohne Prüfung des Einzelfalls darf eine ablehnende Entscheidung mit dem bloßen Hinweis auf in den VV enthaltene Beispiele nicht ergehen (OLG Frankfurt ZfStrVo 1981, 122; s. auch § 11 Rdn. 18; § 13 Rdn. 15). Die VV versuchen entweder, den Gesetzeswortlaut auszulegen (tatbestandsinterpretierende Auslegungsrichtlinien) oder Hinweise für eine gleichartige Ausübung des Ermessens zu geben (Entscheidungshilfen). Zur Ermessensausübung durch die Behörde § 115 Rdn. 20. Hier haben sich in der Praxis erhebliche Schwierigkeiten ergeben (im Einzelnen Müller-Dietz 1981, 409). Sie beruhen auf folgendem: Im Gesetzgebungsverfahren war der Bundesrat – und somit mittelbar die Landes16 justizverwaltungen, die den Strafvollzug verantwortlich durchführen und gestalten – zwar eingeschaltet. Im Ergebnis haben sich aber die an der Gesetzgebung beteiligten Instanzen auf einen Kompromiss geeinigt. Die VV der Landesjustizverwaltungen berücksichtigen dabei auch Vorstellungen, die im Gesetzgebungsverfahren nicht durchgesetzt werden konnten. Dafür ist die „Reststrafenregelung“ beim Urlaub ein gutes Beispiel. Nach der Vorstellung des Bundesrats sollte Urlaub in der Regel erst innerhalb der letzten 18 Monate vor Strafende gewährt werden. Diese Auffassung ließ sich im Gesetzgebungsverfahren nicht durchsetzen. In VV Nr. 4 Abs. 2 a zu § 13 taucht diese Urlaubsvoraussetzung als „Entscheidungshilfe“ wieder auf. Während das OLG Frankfurt (NJW 1978, 334) diese Regelung für unbeachtlich hält, weil sie dem Gesetz widerspricht (ebenso OLG Celle JR 1978, 258; Calliess 1992, 165; Laubenthal 2011 Rdn. 549), wird sie überwiegend als Hinweis insoweit für beachtenswert gehalten, als neben anderen Überlegungen hinsichtlich der Fluchtgefährdung eines den Urlaub beantragenden Gefangenen auch die Höhe des noch zu verbüßenden Strafrests berücksichtigt wird (K/S-Schöch 2002 § 7 Rdn. 10 f). Vgl. auch § 13 Rdn. 20 f. Um das Vollzugsziel zu erreichen, ist es nötig, bei jeder Entscheidung vorrangig den 17 Einzelfall zu bedenken. Deshalb hat das StVollzG die Vollzugsentscheidungen fast durchweg der fachnahen Vollzugsbehörde übertragen und sie in weitem Umfang von Ermessensüberlegungen abhängig gemacht, in die die nach den Vollzugsgrundsätzen jeweils erforderlichen, den Einzelfall betreffenden Vorstellungen eingehen müssen. Die von den Aufsichtsbehörden erlassenen VV versuchen demgegenüber eine gewisse Einheitlichkeit der Entscheidungen zu gewährleisten, wobei mehr an äußeren aktenkundigen und formalen Merkmalen festgehalten ist als an einer Gesamtbewertung des Einzelfalls, bei der jeweils unterschiedliche Merkmale und Geschehnisse ein unterschiedliches Gewicht haben (Franke 1981, 3). Durch diese formalen Richtlinien wird ein Druck auf die nachgeordneten Vollzugsbehörden ausgeübt, in jedem Einzelfall der zu prüfenden Formalie besonderes und vorrangiges Gewicht beizumessen. Sie kann und darf die Einzelfallentscheidung nicht ersetzen oder erübrigen, drängt sie aber doch erfahrungsgemäß in eine bestimmte Richtung (a. A. OLG Hamburg NStZ 1981, 237, 238 mit zu Recht krit. Anm. Meier 406, 407). Der Versuch, Ermessensausübung zu vereinheitli15
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chen, ist nicht von vornherein abzulehnen. Große Anstalten, in denen sich jede Entscheidung schnell herumspricht, geraten in Unordnung und Unruhe, wenn nicht eine gewisse schematische, an Äußerlichkeiten festzumachende „gleiche“ Behandlung der Insassen stattfindet. Besondere Experimente im Einzelfall können das gesamte Klima der Anstalt so belasten, dass wieder die Resozialisierung im Einzelfall behindert ist. Insgesamt ist aber eine Vollzugsgestaltung anzustreben, die mehr und mehr auf den Einzelfall zugeschnittene Entscheidungen ermöglicht. Die Gerichte setzen einen stärkeren Schwerpunkt bei dem Einzelfall, wirken also 18 der Dynamik von an allgemeinen Merkmalen ausgerichteten Richtlinien entgegen, ohne die Berechtigung der Aufsichtsbehörden, auf gewisse Vereinheitlichung hinzuwirken, ganz zu leugnen (OLG Koblenz ZfStrVo 1978, 123, 124 und ZfStrVo 1981, 319, 320; MüllerDietz 1981, 417; K/S-Schöch 2002 § 7 Rdn. 10 f; Laubenthal 2011, Rdn. 42 f). Diese vermittelnde, bei den jeweiligen Bestimmungen im Einzelnen dargestellte Haltung erscheint angemessen (brauchbare Vorschläge für die Vollzugspraxis, wie Entscheidungen demnach zu begründen sind, bei Franke 1981, 4). Zur Bedeutung der VV für das Gericht § 115 Rdn. 23. Dort, wo die VV über den Gesetzeswortlaut hinaus dem Gefangenen Möglichkeiten 19 der Vollzugsgestaltung einräumen, gewähren sie ihm über die Rechtsfigur der „Selbstbindung der Verwaltung“ einen durchsetzbaren Anspruch (OLG Karlsruhe NStZ 1981, 455, 456 hinsichtlich VV Nr. 2 Buchst. b zu § 42). c) Rechtsbeschränkung durch die Generalklausel. Mit der Generalklausel des § 4 20 Abs. 2 Satz 2 werden noch weitere Rechtseinschränkungen dann gestattet, wenn sie, obwohl für sie in den einzelnen gesetzlichen Bestimmungen keine Grundlage zu finden ist, unerlässlich (Rdn. 3; § 68 Rdn. 2) sind, um die Sicherheit aufrecht zu erhalten oder eine schwerwiegende Störung der Ordnung in der Anstalt (§ 81 Rdn. 7) abzuwenden. Ohne dass für die Notwendigkeit einer solchen Einschränkungsermächtigung überzeugende Beispiele vorgebracht worden wären, hat man sich im Gesetzgebungsverfahren auf Drängen des Bundesrats auf diese „Angstklausel“ (C/MD 2008 Rdn. 20) geeinigt. Sie ist nach dem Willen des Gesetzgebers für seltene Ausnahmefälle schwerer Gefahrenlagen gedacht, die der Gesetzgeber nicht vorausgesehen und deshalb nicht geregelt hat (vgl. auch AK-Feest/Bung 2012 Rdn. 9). Die Auslegung der Vorschrift bereitet Schwierigkeiten und ist umstritten. aa) Aufrechterhaltung der Sicherheit. Während C/MD (2008 Rdn. 18; ebenso AK- 21 Feest/Bung 2012 Rdn. 13) einen zusätzlichen Schutz von „Sicherheit und Ordnung“ der Anstalt für beabsichtigt halten, an Sicherheit gegen Entweichung/Ausbruch nach außen (evtl. gewaltsames Eindringen von außen) und gegen Meuterei und Widerstandshandlungen im Innenbereich denken, meint Schöch (in: K/S 2002 § 6 Rdn. 27–31; kritisch hierzu Müller-Dietz 1979, 116, 117), dass unter „Sicherheit“ hier mehr, nämlich auch die Sicherheit der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten des Verurteilten während des Vollzugs (§ 2 Rdn. 17 ff) zu verstehen sei. Dem ist zuzustimmen (s. auch Laubenthal 2011 Rdn. 247). Schon der Wortlaut der Vorschrift, die den Begriff Sicherheit von der Anstaltsordnung trennt und nicht in der sonst üblichen Formulierung „Sicherheit oder Ordnung der Anstalt“ verwendet, legt dies nahe (BGH NJW 2004, 1398 f). Beschränkungen nach § 4 Abs. 2 Satz 2 sind dann etwa denkbar, wenn Tatsachen den nahen Verdacht begründen, dass ein Insasse den ihm gewährten Besuchs- oder Briefverkehr zur Begehung von strafbaren Taten missbrauchen will. So könnte die Überwachung des Besuchs (im Einzelfall auch ein Verbot des Besuchs) angeordnet werden, wenn zu befürchten steht, dass der Gefangene seinen Besucher angreift und verletzt, ohne dass dies anders verhindert wer93
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den könnte, oder ihn betrügt oder zu einer Straftat anstiftet oder – bewusst oder unbewusst – als Kurier zur Übermittlung von Nachrichten verwendet, die strafbare Taten verursachen sollen (K/S-Schöch 2002 § 6 Rdn. 30; ebenso Arloth 2011 Rdn. 7; Laubenthal 2011 Rdn. 247 f; Seebode 1997, 173; Hauf 1994, 53, 57 f). § 27 Abs. 1 erlaubt die Überwachung von Besuchen normalerweise nur aus Gründen der Behandlung oder der Sicherheit und Ordnung in der Anstalt. Zwar lässt sich die Meinung vertreten, die Behandlung des Gefangenen lege es nahe, ihn daran zu hindern, während der Strafverbüßung Straftaten zu begehen (OLG Koblenz ZfStrVo SH 1979, 45), und eine Verletzung eines Besuchers würde vielleicht auch die Ordnung der Anstalt gefährden (so sieht das OLG Hamm NStZ 1988, 525, 526 die Ordnung der Anstalt als gefährdet an, wenn die Vollzugsbehörde sich durch Unterlassen der Aufklärung eines Außenstehenden an einem Betrug des Insassen beteiligen könnte!). Dass aber die Achtung der Rechtsgüter Dritter durch die Vollzugsbehörde nur in dieser „mittelbaren“ Weise möglich sein soll, erscheint unangemessen; es entspricht auch nicht der Bedeutung dieser weiteren Aufgabe des Vollzuges nach § 2 Satz 2. Ein Besuchsverbot gegenüber Angehörigen, die zur Übermittlung von Straftaten veranlassenden Nachrichten missbraucht werden sollen, wäre über den Umweg „aus Gründen der Behandlung“ nach § 25 Nr. 2 auch gar nicht möglich (K/S-Schöch 2002 § 6 Rdn. 30). Näheres bei § 27 Rdn. 7, 9. 22
bb) Schwerwiegende Störung der Ordnung. In Frage kommen auch schwerwiegende Störungen der Ordnung. Das OLG Nürnberg (ZfStrVo 1981, 57) hat die Weisung des Anstaltsleiters an einen Gefangenen, ein mit einem anderen Gefangenen gemeinsam unterhaltenes Bankkonto aufzuheben, als durch § 4 Abs. 2 Satz 2 gedeckt angesehen. Durch die mit einem gemeinsamen Konto möglichen undurchschaubaren Vermögensverschiebungen trete offenbar eine schwerwiegende Störung der Anstaltsordnung (Betätigung unerlaubter Geschäfte) ein (ebenso Hauf ZfStrVo 1994, 138 ff, 142 gegen C/MD 2008 Rdn. 21, die bereits eine Störung der Anstaltsordnung verneinen). Ob hier die Störung der Anstaltsordnung „schwerwiegend“ ist, erscheint zweifelhaft. Eine schwerwiegende Störung der Ordnung der Anstalt kann entstehen, wenn ein Gefangener geschäftsmäßig für andere Schriftsätze fertigt und dadurch unerwünschte Abhängigkeiten eintreten. Im Einzelfall kann dann das Verbot, für andere Schriftsätze anzufertigen, unerlässlich i. S. v. § 4 Abs. 2 Satz 2 sein (OLG Saarbrücken ZfStrVo 1982, 249). Auch rechtsberatende Tätigkeiten der Strafgefangenen untereinander sind geeignet die Ordnung der Vollzugsanstalt zu stören (OLG Celle, Beschl. vom 26.9.2008 – 1 ws 477/08). Die Führung eines Geschäfts aus der geschlossenen Anstalt mag im Einzelfall Formen annehmen, die es aus Gründen der Sicherheit und Ordnung unerlässlich erscheinen lassen, Einschränkungen anzuordnen (LG Bonn NStZ 1988, 245; vgl. auch Laubenthal 2011, Rdn. 250; a. A. C/MD 2008 Rdn. 21, wonach §§ 39, 67 anzuwenden seien, die aber auf den Sachverhalt nicht recht passen). Dass die Überweisung von Eigengeld an Angehörige eines Mitgefangenen eine schwerwiegende Störung der Anstaltsordnung darstellen soll, ist schwer vorstellbar (OLG Koblenz ZfStrVo 1991, 120). Andererseits sollen einverständliche Tätowierungen unter den Gefangenen schwerwiegende Ordnungsverstöße darstellen, weil hierdurch ein Infektionsrisiko entstünde, sodass das geordnete Zusammenleben in der Anstalt gefährdet würde (LG Traunstein, Beschl. vom 11.12.2008 – 1 Qs 140/08). Drohende leichtere Störungen der Ordnung, die nicht von den generellen Verhaltensvorschriften §§ 82 ff und speziellen Eingriffstatbeständen erfasst sind, müssen ggf. hingenommen werden; Maßnahmen dagegen können sich nicht auf § 4 Abs. 2 Satz 2 stützen. Viel zu weit geht nunmehr das NJVollzG, das den Anwendungsbereich der Generalklausel auf jegliche Störung der Ordnung ausweitet (s. Rdn. 33). Was unter den unbestimmten Rechtsbegriff der Ordnung der Anstalt im Einzelfall zu subsumieren ist, wann eine StöJehle
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rung der Ordnung vorliegt, ob und ggf. welche Art von Maßnahmen zur Beseitigung oder Verhinderung der Störung erforderlich erscheint, ist völlig unbestimmt. So besteht die Gefahr, dass die Ordnungsvorstellungen der Vollzugsbehörde zum Maßstab für Rechtseinschränkungen der Gefangenen werden, was verfassungsrechtlich nicht hinnehmbar wäre (vgl. auch Feest StV 2008, 533, 558). cc) „Soweit das Gesetz eine besondere Regelung nicht enthält“. Diese Formel 23 bedeutet, dass auf die Generalklausel als Ermächtigungsgrundlage für Rechtseinschränkungen nur dann zurückgegriffen werden darf, wenn die konkrete Gefahrenlage nicht von einem besonderen Eingriffstatbestand erfasst ist, wenn also der Gesetzgeber den angesprochenen Bereich überhaupt nicht oder nur partiell geregelt hat. Sie kann also nicht so ausgelegt werden, dass dort, wo der Gesetzgeber eine Rechtseinschränkung an irgendwelche Voraussetzungen geknüpft hat, eine ergänzende und erweiternde Einschränkung nach § 4 Abs. 2 Satz 2 überhaupt nicht in Betracht komme (so aber AK-Feest/ Bung 2012 Rdn. 10). Das ist weder nach dem Wortlaut einleuchtend noch sachdienlich. Die Rechtseinschränkung nach § 4 Abs. 2 Satz 2 ist vielmehr nur ausnahmsweise dann möglich, wenn nicht den durch § 4 Abs. 2 Satz 2 geschützten Belangen ohnehin durch eine besondere Regelung des Gesetzes Rechnung getragen ist. Die Anordnung, dass ein betäubungsmittelabhängiger Gefangener Pakete nur durch Vermittlung verlässlicher Stellen und nicht direkt von seinen Angehörigen zugeschickt erhalten darf, ist bereits als Einzelausgestaltung des Anspruchs aus § 33 Abs. 1 zulässig (OLG München NStZ 1981, 248 f; s. auch § 33 Rdn. 11). Über den Antrag, in der Freizeit ein Fernstudium betreiben zu dürfen, ist nach § 67 zu entscheiden. Er kann im Rahmen des dort eröffneten Ermessens auch abgelehnt werden (OLG Celle 28.11.2002, 1 Ws 336/02). Auch dann ist kein Raum für die Anwendung des § 4 Abs. 2 Satz 2, wenn der Gesetz- 24 geber die zu entscheidende Frage unter offenbarer Abwägung der widerstreitenden Rechte und Interessen abschließend geregelt hat. Dabei kann der Umstand, dass eine Rechtseinschränkung unter irgendwelchen Voraussetzungen geregelt ist, kein stärkeres Indiz für die „abschließende“ Regelung sein als das gänzliche Fehlen einer gesetzlichen Möglichkeit, ein Recht einzuschränken. Auch dann kann der Gesetzgeber nämlich „abschließend“ davon ausgegangen sein, dass ein Eingriff in die gewährte Rechtsposition unter allen Umständen unzulässig sein soll. Eine mit Entkleidung verbundene körperliche Durchsuchung des Gefangenen nach dem Besuch kann der Anstaltsleiter allgemein anordnen (§ 84 Abs. 3), vor dem Besuch aber nur im Einzelfall gem. § 84 Abs. 2 (BVerfG NStZ 2004, 227). Die Verwendung einer Trennscheibe beim unüberwachten Verteidigerbesuch, um die Übergabe von Schriftstücken oder anderen Gegenständen zu verhindern, hat der Gesetzgeber in § 29 Abs. 1 i. V. m. § 148 Abs. 2 Satz 3 StPO abschließend geregelt. In anderen als in diesen Fällen darf die Übergabe von Schriftstücken beim Verteidigerbesuch nicht mittels Trennscheibe verhindert werden (BGHSt 30, 38 gegen OLG München NStZ 1981, 36 mit Anm. Höflich 38; OLG Hamm ZfStrVo 1980, 57, 59; OLG Celle NStZ 1981, 116 und OLG Nürnberg ZfStrVo 1981, 186 ff; vgl. auch Hauf 1994, 55 f). Ein Trennscheibenbesuch (§ 27 Rdn. 14) würde aber auch einen Angriff des Gefangenen auf den Verteidiger verhindern können. Die gesetzliche Regelung betrifft diesen Gesichtspunkt nicht und schließt deshalb bei Vorliegen seiner sonstigen Voraussetzungen die Anwendung von § 4 Abs. 2 Satz 2 nicht aus (BGH NJW 2004, 1398 f – befürchtete Geiselnahme, LG Köln, Besch. vom 14.1.2009 – StVollz 1163/08). Die unkontrollierte Übergabe von Schriftstücken müsste allerdings ermöglicht werden; vgl. BVerfG NStZ-RR 2003, 95. Für die Überwachung der Besuche, die keine Verteidigerbesuche sind, gilt ausschließlich § 27: OLG Saarbrücken NStZ 1983, 94 mit Anm. Müller-Dietz. Lässt sich ein Einschmuggeln von Rauschgift durch Besuchskont95
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rollen nicht verhindern, so dass der Besuch nach § 25 Nr. 1 untersagt werden könnte, ist der Anstaltsleiter nicht gehindert, einen „Besuch“ unter Verwendung der Trennscheibe anzubieten (noch weiter gehend: KG NStZ 1984, 94 und NStZ 1995, 103, 104; vgl. § 27 Rdn. 7). BVerfGE 89, 315, 322 ff wendet hier § 27 an, hält also die Trennscheibenbegegnung für einen Besuch und die Verwendung der Trennscheibe selbst für eine optische Überwachungsmaßnahme (ebenso Arloth 2011 § 27 Rdn. 3; vgl. aber hierzu C/MD 2008 Rdn. 21; Böhm 2003 Rdn. 262; Laubenthal 2011, Rdn. 517). Für die Anordnung der Abgabe einer Urinprobe gilt allein § 56 Abs. 2: OLG Zweibrücken NStE Nr. 5 zu § 56; OLG Hamburg Beschl. 2.3.2004 – 3 Vollz (Ws) 128/03; Bühring ZfStrVo 1994, 271, 272; K/S-Schöch 2002 § 5 Rdn. 69; Arloth 2011 Rdn. 5; Laubenthal 2011, Rdn. 249; a. A. – § 4 Abs. 2 Satz 2 ist einschlägig – LG Freiburg NStZ 1988, 151; LG Kleve NStZ 1989, 48; dagegen OLG Koblenz NStZ 1989, 550, 551, das die Befugnis zur Vornahme einer Urinkontrolle aus § 101 Abs. 1 – nicht vertretbar, § 101 Rdn. 12 – bzw. – zutreffend – aus § 56 Abs. 2 ableitet; vgl. auch § 13 Rdn. 22, § 82 Rdn. 4 und – einschränkend – § 56 Rdn. 8). Die akustische Überwachung von Telefongesprächen gem. § 32 darf nicht durch Aufzeichnung und spätere Auswertung der Telefongespräche ersetzt werden (OLG Frankfurt NStZ-RR 2003, 219, 221). Auch erweitert die Generalklausel nicht die Befugnis der Anstalt – unabhängig von § 32 StVollzG – Telefongespräche zu überwachen und Telefondaten bei einem sog. Telefonkontensystem zu erheben (OLG Hamm, Besch. vom 21.10.2008 – 1 Vollz (Ws) 635/08). Auch wenn eine Zeitschrift regelmäßig das Ziel des Vollzuges gefährdet, ist ein generelles Bezugsverbot nicht zulässig. § 68 Abs. 2 Satz 2 verlangt für jede Ausgabe eine eigene Entscheidung (OLG Jena NStZ-RR 2004, 317, 318) und stellt – auch im Kontext mit § 68 Abs. 2 Satz 1 – eine abschließende Regelung dar. Das OLG Koblenz (ZfStrVo SH 1979, 48) hat unter Heranziehung von § 4 Abs. 2 Satz 2 einem Insassen die ausschließliche Verwendung eines Künstlernamens bei seiner Korrespondenz untersagt und gegen dieses Verbot vorgelegte Schreiben angehalten (§ 31 Rdn. 6). Da die Vollzugsbehörde befürchtete, der Gefangene könne auf eine Namenstäuschung und betrügerische Handlungen gegenüber seinen Korrespondenten aus sein, würde die Beförderung des Schreibens bereits das „Ziel des Vollzuges“ gefährden und damit auf § 31 Abs. 1 Nr. 1 gestützt werden können. Nach § 31 Abs. 3 Satz 1 muss der Gefangene davon unterrichtet werden, dass ein ein- oder ausgehendes Schreiben nach § 31 Abs. 1 angehalten worden ist. Es gibt Fälle, in denen möglicherweise gerade diese Mitteilung ein verabredetes Zeichen für einen Befreiungsversuch von außen darstellt. Dann kann die Unterrichtung gem. § 31 Abs. 3 Satz 1 nach § 4 Abs. 2 Satz 2 jedenfalls zunächst unterbleiben (s. auch OLG Frankfurt ZfStrVo SH 1979, 51, 54; vgl. auch § 31 Rdn. 15). Zur Rechtfertigung einer Hin- und Herverschiebung eines gewalttätigen Gefangenen zwischen mehreren Anstalten: LG Köln NStZ 1983, 431. Wenn einem Gefangenen wegen einer konkreten Missbrauchsbefürchtung oder Sicherheits- und Ordnungsgefährdung eine Vollzugslockerung oder Genehmigung nur unter der Bedingung erteilt wird, dass er durch eine ihm zumutbare Handlung die Befürchtung entkräftet, so lässt sich ein solches Vorgehen schon mit der betreffenden Lockerungsvorschrift (etwa § 11) rechtfertigen. 25
dd) Unerlässlichkeit der Rechtsbeschränkung. Die nach § 4 Abs. 2 Satz 2 zu treffende Rechtseinschränkung muss, wie jede Maßnahme im Strafvollzug, nicht nur verhältnismäßig sein (diese Selbstverständlichkeit wird im NJVollzG nochmals eigens in § 4 formuliert; s. Rdn. 33), sondern muss darüber hinaus unerlässlich sein, die Sicherheit aufrechtzuerhalten oder eine schwerwiegende Störung der Ordnung in der Anstalt zu verhindern. Sie ist also auf den äußersten Notfall beschränkt, ultima ratio (OLG Frankfurt ZfStrVo 1979, 58 und ZfStrVo SH 1979, 51, 54), muss die „letzte aller denkbaren Möglichkeiten“ sein (OLG Dresden NStZ 1995, 151; ähnlich OLG Koblenz ZfStrVo 1991, 120). Jehle
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Außer den oben erörterten Beispielen (Rdn. 20) käme das Anhalten des Schreibens eines Gefangenen, in dem dieser Mitteilungen macht, die die Sicherheit einer anderen Anstalt als der, aus der er den Brief absendet, gefährdet (Verrat von Schwachstellen der Sicherung, die eine Befreiungsaktion von außen ermöglichen), in Betracht. Das OLG Hamburg (NStZ 1981, 239) hält ein Anhalten des Schreibens gem. § 31 Abs. 1 Nr. 1 in diesem Fall nicht für zulässig, weil diese Vorschrift ersichtlich nur die Anstalt meine, in der sich der Briefschreiber gerade aufhalte (§ 31 Rdn. 7). Der Gesetzgeber hat den zu entscheidenden Fall offenbar nicht bedacht. Eine abschließende Regelung liegt nicht vor (vgl. hierzu auch Hauf 1994, 60, 61). Unerlässlich wäre ein Anhalten des Briefes freilich nur, wenn mit einer Warnung der Anstalt, deren Sicherheitslücken verraten werden, nicht der gleiche Zweck erfüllt werden könnte (etwa deshalb, weil die Beseitigung des Sicherheitsmangels nicht sofort möglich ist). ee) Legitimation allgemeiner Sicherungsmaßnahmen. Das Gesetz enthält keine 26 ausdrücklichen Bestimmungen über die allgemeinen Sicherungsmaßnahmen. Daraus kann nicht der Schluss gezogen werden, dass Fenster- und Türsicherungen, Häufigkeit von Anwesenheitskontrollen usw. nur unter den besonderen Voraussetzungen des § 4 Abs. 2 Satz 2 zulässig seien. Dass diese allgemeinen Einrichtungen und Maßnahmen der Anstalt der Sicherungsaufgabe des Strafvollzugs nach innen und nach außen dienen und damit zum Freiheitsentzug an sich gehören, ergibt sich schon daraus, dass das Gesetz nur „besondere Sicherungsmaßnahmen“ regelt (§ 88). Ein „Grenzfall“ ist die Verwendung der Sichtspione in den Haftraumtüren wegen des besonders belastenden Eindringens in die Privatsphäre des Gefangenen. Wenn deshalb nicht im Einzelfall die Voraussetzungen des § 4 Abs. 2 Satz 2 vorliegen, ist nach Ansicht des BGH (BGH JR 1992, 173 mit krit. Anm. Böhm) dem Gefangenen zu gestatten, den Spion zu verhängen. Die Vorschrift des § 4 Abs. 2 Satz 2 passt hier aber ebenso wenig wie bei der Frage, ob Bedienstete vor Betreten des Haftraums anklopfen müssen (BVerfG NStZ 1996, 511; § 3 Rdn. 4). Sowohl das Betreten des Haftraums wie die – weniger belastende – Einsichtnahme in diesen sind durch das Hausrecht der Vollzugsbehörde zu jeder Zeit gedeckt. Bei der Ausübung dieses Rechts sind allerdings der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ebenso wie das Schamgefühl und die Intimsphäre des Gefangenen zu beachten, was, von Eil- und Notfällen abgesehen, vorheriges Anklopfen erforderlich macht und die Verwendung des klassischen „Spions“, mit dessen Hilfe jede vor dem Haftraum befindliche Person, ohne dass dieser es bemerken kann, jederzeit ihn zu beobachten vermag, ausschließt. Auch das Anbringen eines Namensschildes an der Außenseite der Haftraumtür ist kein Fall des § 4 Abs. 2 Satz 2 (OLG Frankfurt NStZ 1995, 207; BVerfG ZfStrVo 1997, 111; vgl. auch § 144 Rdn. 2). Der Sachverhalt ist jetzt in § 182 Abs. 1 geregelt (§ 182 Rdn. 5), die früher streitige Frage der Verpflichtung des Gefangenen, einen Lichtbildausweis innerhalb der Anstalt mit sich zu führen (C/MD 2008 Rdn. 21), in § 180 Abs. 1 Satz 2. 3. Besonderheiten bei Grundrechtseinschränkungen. Die Grundrechte der Ge- 27 fangenen sind nur insoweit beschränkt, als das StVollzG dies zulässt. Gem. § 196 schränkt das Gesetz Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und 2 GG, die Grundrechte auf körperliche Unversehrtheit – Anwendung unmittelbaren Zwanges, Schusswaffengebrauch, Zwangsernährung, §§ 94–101 – und der Freiheit der Person, sowie Art. 10 Abs. 1 GG, Briefpost- und Fernmeldegeheimnis, ausdrücklich ein. Damit ist das Zitiergebot des Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG gewahrt. Der Arbeitszwang nach § 41 StVollzG wird in Art. 12 Abs. 3 GG ausdrücklich für zulässig erklärt. Zugleich schränkt das StVollzG die Freiheit der Berufsausübung gem. Art. 12 Abs 1 S. 2 GG ein. 97
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Soweit die Grundrechte auf freie Meinungsäußerung sowie auf Informationsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG) beschränkt sind, weil die Insassen nicht beliebig Radio hören und fernsehen können und ihnen gem. § 68 Abs. 2 Teile von Zeitungen vorenthalten werden können, wenn sie etwa das Ziel des Vollzugs erheblich gefährden, bedurfte es eines besonderen Hinweises auf die Beschränkung eines Grundrechts nicht. Es steht unter dem Vorbehalt des Gesetzes, und das StVollzG ist ein solches allgemeines Gesetz nach Art. 5 Abs. 2 GG (BVerfG ZfStrVo 1981, 63; s. auch § 68 Rdn. 1). Rechtseinschränkungen müssen behutsam und unter Beachtung der Bedeutung dieses Informationsrechts aus Art. 5 GG vorgenommen werden (OLG Hamburg ZfStrVo 1980, 59, 60; OLG Nürnberg ZfStrVo 1983, 190, 191). Die durch den Freiheitsentzug behinderte Bewegungsfreiheit entfaltet Annexwirkungen, die die Gefangenen faktisch in der Ausübung bestimmter Grundrechte beschränken. Dies gilt vor allem für Art. 6 GG (Aufrechterhaltung der ehelichen Lebensgemeinschaft, Ausübung des Elternrechts auf die Erziehung der Kinder), Art. 8 GG (Versammlungsfreiheit), Art. 9 GG (Ausübung von Mitgliedschaftsrechten in Vereinigungen) und Art. 11 Abs. 1 GG (Freizügigkeit); vgl. dazu AK-Feest/Bung 2012 Rdn. 19; C/MD 2008 Rdn. 16; Laubenthal 2011 Rdn. 244. Freilich ist die Bedeutung dieser Grundrechte bei der Gestaltung der Anstaltsverhältnisse und bei Einzelfallentscheidungen zu berücksichtigen, so dass im Rahmen des Möglichen die Ausübung dieser Grundrechte verwirklicht werden kann (vgl. auch AK-Feest/Bung 2012 Rdn. 19). Außerdem sind auch die nicht unter Gesetzesvorbehalt stehenden Grundrechte nicht „schrankenlos“, sondern nur im Rahmen der grundgesetzlichen Wertordnung gewährleistet (OLG Nürnberg ZfStrVo 1989, 374; zu Art. 4 GG vgl. Vor § 53 Rdn. 5). Ob freilich einem Gefangenen die Malerlaubnis unter der Bedingung erteilt werden darf, jede Darstellung von Gewalt sei ihm untersagt, ist nicht nur aus vollzugspädagogischen, sondern auch aus verfassungsrechtlichen Gründen zweifelhaft (Matzke/Bartl zu OLG Nürnberg ZfStrVo 1990, 54; vgl. auch C/MD 2008 Rdn. 21). Neben den Grundrechten und teilweise über sie hinaus können sich Gefangene auch auf international verbriefte Menschenrechte berufen (vgl. hierzu Laubenthal 2011 Rdn. 33– 39 und K/S-Kaiser 2002 § 3 Rdn. 19–27; C/MD 2008 Rdn. 14; Vor § 108 Rdn. 2. III. Landesgesetze und Musterentwurf 28
1. Baden-Württemberg. § 3 JVollzGB III entspricht fast wortgleich der Regelung des § 4 StVollzG. Nach der Gesetzesbegründung sollen die „bewährten“ Regelungen erhalten bleiben (LT-Drucks. 14/5012, 209)
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2. Bayern. Art. 3 BayStVollzG lautet: „Die Behandlung umfasst alle Maßnahmen, die geeignet sind, auf eine künftige deliktfreie Lebensführung hinzuwirken. Sie dient der Verhütung weiterer Straftaten und dem Opferschutz. Die Behandlung beinhaltet insbesondere schulische und berufliche Bildung, Arbeit, psychologische und sozialpädagogische Maßnahmen, seelsorgerische Betreuung und Freizeitgestaltung. Art und Umfang der Behandlung orientieren sich an den für die Tat ursächlichen Defiziten der Gefangenen.“ In der Gesetzesbegründung heißt es dazu: „[…] Die Vorschrift konkretisiert zusammen mit den zu Art. 9 Abs. 1 Satz 2 zu erlassenden Verwaltungsvorschriften den Behandlungsbegriff, wobei weiterhin der Wissenschaft und Praxis die Fortentwicklung und Überprüfung verschiedener Behandlungsmethoden überlassen bleibt. Ziel der Behandlung ist die künftige straffreie Lebensführung der Gefangenen in sozialer Verantwortung. Zur Behandlung der Gefangenen im Strafvollzug gehört es auch, diese zu befähigen, sich Jehle
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mit der Tat, ihren Ursachen und Folgen für das Opfer auseinanderzusetzen (in diesem Sinn auch OLG Karlsruhe, StraFo 2005, 218; K/S-Schöch 2002 S. 233 f). […] Mit wissenschaftlich erprobten und anerkannten Verfahren soll den Gefangenen eine dem von ihnen ausgehenden Risiko, ihren jeweiligen delinquenzrelevanten Persönlichkeitsmerkmalen und Problemen sowie ihren persönlichen Möglichkeiten angemessene Behandlung zuteil werden. […]“ (LT-Drucks. 15/8101, 49 f). Abs. 1 des Art. 6 BayStVollzG lautet: „Die Gefangenen sollen an der Gestaltung ihrer Behandlung und an der Erfüllung des Behandlungsauftrags mitwirken. Ihre Bereitschaft hierzu ist zu wecken und zu fördern.“ Abs. 2 entspricht § 4 Abs. 2 StVollzG. In der Gesetzesbegründung heißt es: „[…] Damit wird entsprechend der bisherigen bayrischen Vollzugspraxis ein „fordernder Vollzug“ festgeschrieben. Entsprechend der bisherigen Regelung in § 4 StVollzG trifft die Gefangenen keine Mitwirkungspflicht […]“ (LT-Drucks. 15/8101, 50). 3. Hamburg. § 4 HmbStVollzG lautet: „Den Gefangenen werden im Rahmen eines an 30 ihren persönlichen Erfordernissen orientierten Vollzugs- und Behandlungsprozesses alle vollzuglichen Maßnahmen und therapeutischen Programme angeboten, die geeignet sind, ihnen Chancen zur Förderung ihrer Eingliederung in ein Leben in sozialer Verantwortung ohne Straftaten zu vermitteln und ihre Fähigkeiten zur Selbsthilfe zu stärken (Behandlung). Die Behandlung dient der Prävention und dem Schutz der Opfer von Straftaten.“ In der Gesetzesbegründung zu dem gleichlautenden § 3 a. F. des ursprünglichen HmbStVollzG heißt es: „Die Vorschrift hebt die besondere Bedeutung der Prävention, d. h. der Vorbeugung gegen weitere Straftaten, und des Opferschutzes für den Prozess einer erfolgreichen Resozialisierung hervor. Der in der Vergangenheit im Strafvollzug vernachlässigte Ansatz des Opferschutzes widerspricht der Resozialisierungsaufgabe des Staates nicht, sondern ist im Gegenteil notwendiger Bestandteil einer zielorientierten Umsetzung der Behandlung oder der Erziehung der Gefangenen. Absätze 2 und 3 enthalten konkrete Vorgaben für die Durchführung der Behandlung oder der Erziehung. Absatz 2 nimmt dabei ausdrücklich Bezug auf den im Vollzugsplan – § 8 – konkretisierten, an den persönlichen Erfordernissen des einzelnen Gefangenen orientierten Vollzugsund Behandlungsprozess“ (Bürgerschafts-Drucks. 18/6490, 31). Abs. 1 des § 5 HmbStVollzG lautet: „Die Gefangenen sind verpflichtet, an der Gestaltung ihrer Behandlung und an der Erfüllung des Vollzugsziels mitzuwirken. Ihre Bereitschaft hierzu ist zu wecken und zu fördern. Abs. 2: Die Bereitschaft zur Mitwirkung kann durch Maßnahmen der Belohnung und Anerkennung gefördert werden, bei denen die Beteiligung an Maßnahmen, wie auch besonderer Einsatz und erreichte Fortschritte angemessen zu berücksichtigen sind.“ Abs. 3 entspricht § 4 Abs. 2 StVollzG. Abs. 4 lautet: „Vollzugsmaßnahmen sollen den Gefangenen erläutert werden.“ § 5 HmbStVollzG lehnt sich an § 4 StVollzG an, statuiert jedoch eine Mitwirkungspflicht des Gefangenen. Die zunächst im ursprünglichen HmbStVollzG vorgenommene Umorientierung zum so genannten Chancenvollzug wird im neuen HmbStVollzG wieder eingeschränkt. In der Gesetzesbegründung heißt es: „[…] Die Mitwirkungspflicht ist Teil des Resozialisierungskonzepts. Die Anstalt stellt eine Vielzahl von Angeboten bereit. Sie nimmt dadurch, dass sie von den Gefangenen Mitwirkung verlangt, diese zugleich als eigenverantwortliche Persönlichkeiten ernst. Sie hat deren Bereitschaft zur Mitwirkung zu entwickeln und zu unterstützen. […] Die Nichtbefolgung der Mitwirkungspflich99
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Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
ten ist insbesondere für die Frage relevant, ob Vollzugslockerungen gewährt werden (§ 12 Absatz 2)“(Bürgerschafts-Drucks. 19/2533, 52). Gleichzeitig verzichtet der Entwurf aber auf die Festlegung, dass ganz oder teilweise nicht mitwirkenden Gefangenen nur Maßnahmen angeboten werden, die ihrer Mitwirkung ganz oder teilweise nicht bedürfen. Auch bei Behandlungsunwilligen – unter denen sich mitunter die gefährlichsten Wiederholungstäter befinden – muss immer wieder versucht werden, diese mit sinnvollen Maßnahmen zu erreichen. […] § 5 Absatz 2 HmbStVollzG sieht vor, Anreize zur Mitwirkung auch durch Maßnahmen der Anerkennung, die die Beteiligung an entsprechenden Maßnahmen, wie auch besonderes Engagement und erreichte Fortschritte angemessen berücksichtigen, zu schaffen. Solche positiven Anreizsysteme können als Teil der Gesamtkonzeption sinnvoll eingesetzt werden, um Anstöße zu Verhaltensänderungen zu geben und Umdenkprozesse einzuleiten. […] Denkbar sind Anerkennungen und Belohnungen im Leistungsbereich, bei der Freizeitgestaltung, in den Kontaktmöglichkeiten und durch andere geeignete Maßnahmen. Die Vorschrift beachtet insoweit Nummer 70 der Mindestgrundsätze der Vereinten Nationen für die Behandlung der Gefangenen. Gefangenen sollen Erfolgserlebnisse vermittelt werden, die ihr Selbstwertgefühl und ihre Motivation nachhaltig stärken (BürgerschaftsDrucks. 19/2533, 2 und 52). 31
4. Hessen. § 4 HStVollzG lautet: „Die Gefangenen sollen an Maßnahmen zu ihrer Eingliederung mitwirken. Die Bereitschaft der Gefangenen hierzu ist zu wecken und zu fördern“ und entspricht damit fast wortgleich der Regelung des § 4 Abs. 1 StVollzG. Die Gesetzesbegründung führt dazu aus: „Damit wird entsprechend der bisherigen hessischen Vollzugspraxis ein „fordernder Vollzug“ festgeschrieben, denn ohne eine Mitwirkung der Gefangenen wird eine erfolgreiche Eingliederung kaum gelingen.“ Im Übrigen soll an der bisherigen Regelung festgehalten werden, sodass keine Mitwirkungspflicht auferlegt wird und an eine verweigerte Mitwirkung keine Disziplinarmaßnahmen geknüpft werden (LTDrucks. 18/1396, 78). § 6 Abs. 1 HStVollzG entspricht fast wortgleich und inhaltsidentisch § 4 Abs. 2 StVollzG. Neu hingegen ist die Formulierung des § 6 Abs. 2 HStVollzG, diese lautet: „Vollzugliche Maßnahmen sollen den Gefangenen erläutert werden.“ Nach der Gesetzesbegründung folgt daraus keine Pflicht zur unmittelbaren Begründung, noch hat dieses Gebot eine aufschiebende Wirkung zur Folge (LT-Drucks. 18/1396, 79).
32
5. Niedersachsen. § 3 NJVollzG lautet: „Die oder der Gefangene und die oder der Sicherungsverwahrte unterliegen den in diesem Gesetz vorgesehenen Beschränkungen ihrer oder seiner Freiheit. Soweit das Gesetz eine besondere Regelung nicht enthält, können ihr oder ihm die Beschränkungen auferlegt werden, die zur Aufrechterhaltung der Sicherheit oder Ordnung der Anstalt erforderlich sind. Die Sicherheit der Anstalt umfasst auch den Schutz der Allgemeinheit vor Straftaten der Gefangenen und Sicherungsverwahrten.“ Mit dem neu formulierten § 3 Satz 2 werden die bisherigen tatbestandlichen Voraussetzungen für die Anwendung der Generalklausel des § 4 Abs. 2 Satz 2 in zweifacher Hinsicht ausgeweitet. Zum einen wurde anstelle des Begriffs „unerlässlich“ die Formulierung „erforderlich“ verwendet, zum anderen wird die Schwelle des Schwerwiegenden bzgl. der Störungen der Ordnung aufgegeben. Darüber hinaus gehört nunmehr neben der inneren Sicherheit der Anstalt auch der Schutz der Allgemeinheit zur Sicherheit der Anstalt (was der bisherigen Rechtslage entspricht, s. Rdn. 21, § 3 NJVollzG). In der Gesetzesbegründung heißt es: „[…] Schwer wiegende Eingriffe in die Grundrechte der Gefangenen und Sicherungsverwahrten können hierauf jedoch nicht gestützt werden. Hierfür bestehen, entsprechend der Wesentlichkeitstheorie des BVerfG, spezielJehle
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le Regelungen im Gesetz. Allerdings ist nicht nachvollziehbar, warum die für Gefangene und Sicherungsverwahrte geltende Generalklausel mit erheblich strengeren Tatbestandsvoraussetzungen versehen sein müsste als die für alle freien Bürgerinnen und Bürger geltende polizeirechtliche Generalklausel in § 11 Nds. SOG, die ähnlich formuliert ist wie die für § 4 Satz 2 vorgesehene Regelung. Die strenger formulierte Regelung in § 4 Abs. 2 Satz 2 StVollzG sollte seinerzeit der Rechtsprechung des BVerfG zum Erfordernis einer gesetzlichen Grundlage für Eingriffe in die Rechte von Strafgefangenen Rechnung tragen, nach der Generalklauseln zwar zulässig, aber möglichst eng zu begrenzen sind (BVerfGE 33, 1). In der Praxis hat sich indes gezeigt, dass die Anwendung der Generalklausel von der Rechtsprechung an derart hohe Hürden geknüpft wurde, dass die Regelung de facto leer läuft. Mit der nunmehr vorgesehenen Formulierung werden die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Anwendung der Generalklausel verringert, um der Regelung einen Anwendungsbereich zu eröffnen. […]“ (LT-Drucks. 15/3565, 84; s. dazu kritisch Rdn. 22). § 4 NJVollzG lautet: „Von mehreren möglichen und geeigneten Maßnahmen ist diejenige zu treffen, die die Gefangene oder den Gefangenen oder die Sicherungsverwahrte oder den Sicherungsverwahrten voraussichtlich am wenigsten beeinträchtigt. Eine Maßnahme darf nicht zu einem Nachteil führen, der zu dem erstrebten Erfolg erkennbar außer Verhältnis steht. Sie ist nur so lange zulässig, bis ihr Zweck erreicht ist oder nicht mehr erreicht werden kann.“ § 6 Abs. 1 Satz 1 NJVollzG lautet: „Gefangene sollen an der Erreichung des Vollzugszieles nach § 5 Satz 1 mitwirken.“ Satz 2 ist inhaltsgleich und nahezu wortgleich mit § 4 Abs. 1 Satz 2 StVollzG. Abs. 2 lautet: „Der oder dem Gefangenen sollen geeignete Maßnahmen angeboten werden, die ihr oder ihm die Chance eröffnen, sich nach Verbüßung der Strafe in die Gesellschaft einzugliedern. Kann der Zweck einer solchen Maßnahme dauerhaft nicht erreicht werden, insbesondere weil die oder der Gefangene nicht hinreichend daran mitarbeitet, so soll diese Maßnahme beendet werden.“ In der Gesetzesbegründung zu § 6 NJVollzG heißt es: „§ 6 greift die ständige Rechtsprechung des BVerfG auf, nach der den Strafgefangenen die Fähigkeit und der Wille zu verantwortlicher Lebensführung vermittelt werden sollen; sie sollen lernen, sich in Zukunft unter den Bedingungen einer freien Gesellschaft ohne Rechtsbruch zu behaupten, ihre Chancen wahrzunehmen und ihre Risiken bestehen zu können (BVerfGE 35, 202, 235 f; 98, 169). […] Die Erreichung des Vollzugszieles setzt die Mitwirkung der Gefangenen voraus. § 6 erlegt deshalb dem Gefangenen als Sollvorschrift auf, daran mitzuwirken, fähig zu werden, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen. Diese Pflicht ist zwar disziplinarisch nicht durchsetzbar. Bei allen Gefangenen, die sich dem Mitwirkungsgebot entziehen, wird dies jedoch bei den nach diesem Gesetz anzustellenden Prognoseentscheidungen zu berücksichtigen sein, insbesondere bei der Verlegung in den offenen Vollzug gemäß § 13 Abs. 2 des Entwurfes sowie der Gewährung von Vollzugslockerungen nach § 14, ferner bei den Stellungnahmen der Vollzugsbehörde gemäß § 57 StGB. § 6 Abs. 2 Satz 1 des Entwurfs stellt der Mitwirkungspflicht der Gefangenen die Verpflichtung der Vollzugsbehörde gegenüber, Angebote der Förderung, Qualifizierung und Behandlung bereitzuhalten. Soll die soziale Integration nachhaltig sein, müssen die Angebote so ausgewählt werden, dass die Gefangenen sie objektiv brauchen, sie von ihren Fähigkeiten her auch zu nutzen in der Lage sind und das auch wollen. […]“ (LT-Drucks. 15/3565, 88). Vgl. auch Rdn. 8. 6. Musterentwurf. § 4 ME-StVollzG lautet: „(1) Die Persönlichkeit der Gefangenen 33 ist zu achten. Ihre Selbständigkeit im Vollzugsalltag ist soweit wie möglich zu erhalten 101
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Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
und zu fördern. (2) Die Gefangenen werden an der Gestaltung des Vollzugsalltags beteiligt. Vollzugliche Maßnahmen sollen ihnen erläutert werden.“ In der ME-Begründung heißt es dazu, dass Abs. 1 S. 1 die Verpflichtung der Anstalt aufgreift, die grundgesetzlich garantierte Würde der Menschen zu achten. Nach Abs. 1 S. 2 soll die Anstalt angehalten werden, die Selbstständigkeit der Gefangenen im Hinblick auf eine spätere Entlassung zu erhalten. Zu Abs. 2 führt die Begründung auf, dass diese Regelungen auch der Förderung und Erhaltung der Selbstständigkeit dienen würden. Insbesondere die Begründungspflicht solle die Akzeptanz von Maßnahmen erhöhen (ME-Begründung, 70 f). Abs. 3 lautet: „Zur Erreichung des Vollzugsziels bedarf es der Mitwirkung der Gefangenen. Ihre Bereitschaft hierzu ist zu wecken und zu fördern.“ Nach der Begründung des Entwurfes soll dem Gefangenen dadurch die Notwendigkeit seiner Mitwirkung vor Augen geführt werden. Eine fehlende Mitwirkung könne insofern negativ bei einer Entscheidung über Lockerungen oder eine Strafrestaussetzung (§§ 57, 57 a StGB) berücksichtigt werden (ME-Begründung, 71). Damit setzt sich der Entwurf sprachlich etwas von dem bestehenden § 4 Abs. 1 StVollzG ab. § 4 Abs. 4 Musterentwurf entsprich inhaltsgleich § 4 Abs. 2 StVollzG.
ZWEITER TITEL Planung des Vollzuges §5 Aufnahmeverfahren § 5 Wischka Aufnahmeverfahren (1) Beim Aufnahmeverfahren dürfen andere Gefangene nicht zugegen sein. (2) Der Gefangene wird über seine Rechte und Pflichten unterrichtet. (3) Nach der Aufnahme wird der Gefangene alsbald ärztlich untersucht und dem Leiter der Anstalt oder der Aufnahmeabteilung vorgestellt. VV Durch die ärztliche Untersuchung soll der Gesundheitszustand des Gefangenen einschließlich der Körpergröße, des Körpergewichts und des Zustands des Gebisses festgestellt werden; insbesondere ist zu prüfen, ob der Gefangene vollzugstauglich, ob er ärztlicher Behandlung bedürftig, ob er seines Zustandes wegen anderen gefährlich, ob und in welchem Umfang er arbeitsfähig und zur Teilnahme am Sport tauglich ist und ob gesundheitliche Bedenken gegen die Einzelunterbringung bestehen. Das Ergebnis der Untersuchung ist schriftlich niederzulegen. Schrifttum Bennefeld-Kersten Suizide in Justizvollzugsanstalten der Bundesrepublik Deutschland in den Jahren 2000 bis 2005, Celle: Kriminologischer Dienst 2006; dies. Was kann die Technik zur Suizidprävention beitragen, in: FS 2010, 341 ff; Goffman Asyle, Frankfurt a. M. 1973; Harbordt Die Subkultur des Gefängnisses, 2. Aufl., Stuttgart 1972; Hürlimann Führer und Einflussfaktoren in der Subkultur des Strafvollzugs, Pfaffenweiler 1993; Hötter Der Vollzugsplan – Ein Instrument zur Verbesserung des Anstaltsklimas, in: ZfStrVo 1993, 143 f; Konrad Psychiatrie des Strafvollzuges, in: Kröber/Dölling/Leygraf/Sass (Hrsg.), Handbuch der Forensischen Psychiatrie, Bd. 3, Darmstadt 2006, 234 ff; ders. Psychiatrische Probleme im Justizvollzug, in: Venzlaff/Foerster (Hrsg.), Psychiatrische Begutachtung, 5. Aufl. München/Jena 2008, 395 ff; Laubenthal Gewalt als statusbestimmendes Mittel in vollzuglichen Subkulturen, in: Görgen/Hoffmann-Holland/Schneider/Stock (Hrsg.) Interdisziplinäre Kriminologie, FS Kreuzer, 2. Aufl. Frankfurt a. M., 496 ff; Lohner/Pecher
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Aufnahmeverfahren
Teilnehmer der Sozialtherapie als „Listeners“ im Rahmen der Suizidprävention – Hilfe für „beide Seiten“, in: Wischka/Pecher/van den Boogaart (Hrsg.), Behandlung von Straftätern, Freiburg 2012, 581 ff; Otto Nichtmitarbeitsbereite Gefangene und subkulturelle Haltekräfte, in: KrimPäd 1998, 34 ff; Schulz von Thun Miteinander reden: Störungen und Klärungen, Reinbek bei Hamburg 1981; Weis Zur Subkultur der Strafanstalt, in: Schwind/Blau 239 ff; WHO Suizidprävention – Ein Leitfaden für Mitarbeiter des Justizvollzugsdienstes 2007, Online http://whqlibdoc.who.int/publications/2007/9789241595506_ger.pdf (Zugriff: 2.6.2012).
I.
II.
Übersicht Allgemeine Hinweise ____ 1–3 1. Rechtliche und behandlungsorientierte Ausgestaltung des Aufnahmeverfahrens ____ 1 2. Umfang des Aufnahmeverfahrens ____ 2, 3 Erläuterungen ____ 4–9 1. Abwesenheit anderer Gefangener im Aufnahmeverfahren ____ 4, 5 2. Information der Gefangenen ____ 6, 7
III.
3. Ärztliche Untersuchung, Vorstellung bei der Anstaltsleitung ____ 8, 9 Landesgesetze und Musterentwurf ____ 10–15 1. Baden-Württemberg ____ 10 2. Bayern ____ 11 3. Hamburg ____ 12 4. Hessen ____ 13 5. Niedersachsen ____ 14 6. Musterentwurf ____ 15
I. Allgemeine Hinweise 1. Rechtliche und behandlungsorientierte Ausgestaltung des Aufnahmeverfah- 1 rens. Das Aufnahmeverfahren ist im StVollzG im Gegensatz zu KE bzw. AE-StVollzG nicht im Einzelnen geregelt. Die Vollzugsbehörde gestaltet es in inhaltlicher Hinsicht nach pflichtgemäßem Ermessen (OLG Koblenz ZfStrVo 1988, 310). Das StVollzG legt lediglich fest, was für die Rechtsstellung des Gefangenen bzw. für eine behandlungsorientierte Ausgestaltung des Aufnahmeverfahrens maßgeblich ist (zum Behandlungsziel § 4 Rdn. 6). Die Unterteilung in Aufnahmeverfahren (§ 5), Behandlungsuntersuchung (§ 6), Vollzugsplan (§ 7) und weitere Durchführung des Vollzuges ist letztlich formal. Diese Vorgänge als in sich abgeschlossene, jeweils gesonderte Leistungen des Vollzuges aufzufassen, hieße den Strafvollzug als einen ganzheitlichen, fortlaufenden Prozess von der Aufnahme bis zur Entlassung zu verkennen. In den Landesgesetzen sind z. T. andere Unterteilungen dieses Prozesses vorgenommen worden:
Bund (StVollzG)
Aufnahmeverfahren
Behandlungsuntersuchung
Vollzugsplanung
§5
§6
§7
Baden-Württemberg (JVollzGB III) Bayern (BayStVollzG)
§4
§5
Art. 7
Art. 8
Art. 9
Hamburg (HmbStVollzG)
§6
§7
§8
Hessen (HStVollzG)
§8
§9
§ 10
Niedersachsen (NJVollzG)
§8
Musterentwurf 10 Länder (ME-StVollzG)
§6
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§9 §7
§8
§9
Wischka
§5
Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
Welche Formalitäten in der Aufnahmeverhandlung durchzuführen sind (Personalblatt, Sozialversicherung, Haftkosten, Strafzeitberechnung, erkennungsdienstliche Maßnahmen, Mitteilungen an Einweisungsbehörde, Landeskriminalamt, Ausländerbehörde und Jugendamt, Aufnahmeuntersuchung, Vorstellung zum Anstaltsleiter, Habe, Lebenslauf, Fragebogen) sind in der VGO festgelegt. Nr. 60 VGO regelt auch den Sonderfall der Aufnahme auf freiwilliger Grundlage gem. § 125 StVollzG. Die Aufnahme von Verurteilten über die Belegungsfähigkeit hinaus darf die Vollzugsbehörde ablehnen (§ 146; C/MD 2008 Rdn. 2; AK-Feest/Straube 2012 Rdn. 5; s. § 146 Rdn. 7). Die in der Aufnahmeverhandlung erhobenen Daten werden Bestandteil einer öffentlichen Urkunde. Falsche Angaben sind deshalb nicht nur eine Ordnungswidrigkeit (§ 111 OwiG), sondern als mittelbare Falschbeurkundung nach § 271 StGB strafbar (Böhm 2003 Rdn. 160; Seebode S. 63). Für den Gefangenen ist der erste Schritt in den Vollzug von entscheidender Bedeutung. Die Art der Aufnahme kann für das vollzugliche Verhalten und die Mitwirkung an der Behandlung entscheidend sein (Seebode 1997, 61). Der Eintritt in eine „totale Institution“ ist mit Erniedrigungen, Demütigungen und Entwürdigungen, „Degradierungszeremonien“ (K/S-Schöch 2002 § 13 Rdn. 7; Laubenthal 2011 Rdn. 315.) verbunden, die zum Verlust der gewohnten Rolle führen (Goffman 1973). Der „Statuswandel“ wird durch die mit Ent- und Bekleidung verbundene Aufnahmeprozedur, die Wegnahme der persönlichen Habe und die (leihweise) Aushändigung von Ersatzgegenständen eingeleitet. Besonders bei erstmalig Inhaftierten kann dies zu intensiv erlebter Unsicherheit und Angst führen. Die Suizidgefährdung kurz nach der Aufnahme ist besonders groß (Bennefeld-Kersten 2006, 2010; Konrad 2006, 2008; WHO 2007). In den Jahren 2000 bis 2009 haben sich bundesweit 846 Gefangene selbst getötet, davon 30% im ersten Haftmonat (Bennefeld-Kersten 2010). Im Berliner Justizvollzug betrafen 64% der Suizidfälle Untersuchungsgefangene (Konrad 2006). Suizid ist in westlichen Gefängnissen die häufigste Todesursache; die Suizidrate liegt wesentlich höher als bei in Freiheit lebenden Menschen (vgl. § 56 Rdn. 5; § 88 Rdn. 15; Walter 1999 Rdn. 270). Dabei bietet die in der Regel praktizierte Suizidmethode (85% erhängen) geringe Rettungschancen (WHO 2007). Wenn auch das Aufnahmeverfahren auf die Geschäftszeiten der Verwaltung beschränkt bleibt, so ist ein Zugangsgespräch zur Abklärung der Suizidgefährdung mit entsprechenden Reaktionen, zur Reduzierung subkultureller Einflüsse und zur Mitwirkung i. S. d. Vollzugsziels (§ 4 Rdn. 4) unbedingt am Aufnahmetag, vor der Zuweisung eines Haftraumes bzw. einer Wohngruppe, geboten. Qualitative Verbesserungen der Haftbedingungen (ausreichender Personalschlüssel, keine Überbelegung, Nachtdienste) können die Anzahl der Selbsttötungen senken (Walter 1999 Rdn. 270). Zur Abklärung der Suizidgefährdung sind Screeningverfahren nützlich, die den Blick auf Risikofaktoren suizidalen Verhaltens richten. Dies sind z. B. psychische Störungen, Suizidankündigungen, konkrete Suizidvorstellungen, vorbereitende Handlungen, frühere Suizidversuche, Verlusterlebnis, beeinträchtigte Fähigkeiten im Umgang mit Trauer, Frustrationen oder Aggressionen, Tatvorwurf Aggressions- oder Sexualdelikt (Konrad 2008). Bei Verdachtsmomenten ist eine genauere Abklärung durch den psychologischen oder ärztlichen Dienst erforderlich und es müssen geeignete Gegenmaßnahmen ergriffen werden. In Betracht zu ziehen sind Gemeinschaftsunterbringung oder die Unterbringung in einem besonders gesicherten Haftraum (kritisch dazu Bennefeld-Kersten 2010). Vor allem sollten alle Möglichkeiten ergriffen werden, dem Kommunikationsbedürfnis in dieser kritischen Phase Rechnung zu tragen. Neben Gesprächen mit dem Vollzugspersonal (das nicht immer, insb. zu Nachtzeiten, ansprechbar ist) können die Erkenntnisse aus erfolgreichen Projekten zur Suizidprävention herangezogen werden, wie die Einrichtung von Telekommunikationsmöglichkeiten (Bennefeld-Kersten 2010) oder die Unterstützung durch besonders geeignete Mitgefangene (Lohner/Pecher 2012). Wischka
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Aufnahmeverfahren
§5
Wie jede Form der Kommunikation haben die rituellen Handlungen des Aufnahmeverfahrens neben dem sachlichen Aspekt noch weitere Botschaften (s. Schultz von Thun 1981): Die Institution offenbart sich, sie sagt etwas über sich selbst aus, sie definiert die Beziehung zu dem neuen Insassen und sie vermittelt Erwartungen. Diese kritische und prägende Phase bietet grundsätzlich die Chance, den neu aufgenommenen Gefangenen an die Anstaltsregeln, die Vollzugsziele sowie Personen zu binden und die Vermittlung von Sicherheit, Zugehörigkeit und neuer Identität nicht der Gefangenensubkultur zu überlassen. Der Schutz der Intimsphäre (§ 5 Abs. 1) drückt sich durch das Verbot der Anwesenheit anderer Gefangener aus. Zur praktischen Bedeutung vgl. Rdn. 5 f. Unabhängig davon, ob § 5 Abs. 1 notwendig war oder als gesetzliche Vorschrift zu hoch eingestuft ist (so Grunau/Tiesler 1982 Rdn. 1), kommt es entscheidend darauf an, den Gefangenen bei den mit dem Aufnahmeverfahren verbundenen Entäußerungen wirksam zu schützen (Rdn. 4 ff). Zum Schutz des Gefangenen bei Erhebung personenbezogener Daten s. § 179 Rdn. 4 ff. Die Landesgesetze lassen teilweise Ausnahmen zu (s. Rdn. 10 ff). 2. Umfang des Aufnahmeverfahrens. Über den Umfang des Aufnahmeverfah- 2 rens bestehen unterschiedliche Auffassungen. Während Grunau/Tiesler 1982 Rdn. 1 hierin nur die Vorgänge von der Zuführung zur Vollzugsgeschäftsstelle bis zur Umkleidung sieht, dauert nach C/MD 2008 Rdn. 2 und AK-Feest/Straube 2012 Rdn. 3 das Aufnahmeverfahren von der Entscheidung über die Aufnahme in die Anstalt bis zur Vorstellung beim Leiter der Anstalt bzw. der Aufnahmeabteilung mit ärztlicher Untersuchung und Unterrichtung über Rechte und Pflichten (Rdn. 8). Die Abgabe und Registrierung der Habe gehört zum Aufnahmeverfahren und erfordert die Abwesenheit von Mitgefangenen, auch die der auf der Hauskammer beschäftigten Gefangenen (KG Berlin v. 5.4.2004 – 5 Ws 666/03 Vollz, NStZ 2004, 516 f). AE-StVollzG fordert nicht für das gesamte Aufnahmeverfahren die Abwesenheit an- 3 derer Gefangener, sondern lediglich für die ärztliche Untersuchung und die Einkleidung. AEStVollzG legt auf eine Beschleunigung des Ablaufs des Aufnahmeverfahrens wert und setzt dann Schwerpunkte bei der Durchführung der Behandlungsuntersuchung (§ 6 Rdn. 8 ff) und bei der Aufstellung des Vollzugsplans (§ 7 Rdn. 2), dort als Behandlungsplan bezeichnet. II. Erläuterungen 1. Abwesenheit anderer Gefangener im Aufnahmeverfahren. Das in § 5 Abs. 1 4 festgelegte Recht des Gefangenen, das Aufnahmeverfahren ohne die Gegenwart anderer Gefangener zu absolvieren, soll einerseits die Verletzung der Intimsphäre des neu aufgenommenen Gefangenen wie auch andererseits eine unkontrollierte Einflussnahme auf den Neuankömmling durch bereits länger einsitzende Gefangene verhindern, um damit einer unerwünschten raschen Anpassung an die Subkultur (§ 3 Rdn. 12) in einer JVA entgegenzuwirken (zur Gefangenensubkultur Böhm 2003 Rdn. 170–177; Harbordt 1972; Hürlimann 1993; K/S-Schöch 2002 § 13 Rdn. 15–17; Laubenthal 2011, Rdn. 211 ff; Walter 1999 Rdn. 255–266; Weis 1988; zu subkulturellen Aktivitäten Gefangener osteuropäischer Herkunft s. Otto 1998). Gleichzeitig soll dadurch auch ein möglichst unbeeinflusster Kontakt des Gefangenen zu den Mitgliedern des Vollzugsstabes hergestellt werden (C/MD 2008 Rdn. 1). Der mit der Vorschrift zu § 5 Abs. 1 angestrebte Schutz der Intimsphäre des Gefan- 5 genen wird in der Praxis selbst bei Vorliegen günstiger baulicher, räumlicher und personeller Verhältnisse schwer zu realisieren sein. Unter dem informellen Druck von Mitge105
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Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
fangenen (Weis 1988, 247 ff), evtl. noch verstärkt durch Überbelegung, wird der Neuankömmling oft gezwungen, seine persönlichen Verhältnisse zu offenbaren. Dem kann nur durch organisatorische Maßnahmen entgegengewirkt werden, die eine unmittelbare und ständige Betreuung der Zugänge in kleinen Gruppen durch Bedienstete garantieren (Hötter 1993, 143). Dadurch wird auch das Informationsbedürfnis (Weis 1988, 241 ff) des neu eintretenden Gefangenen über offizielle Kontakte befriedigt. Ein der Absicht des § 5 (Schutz vor Zwang zur persönlichen Preisgabe; Information über die neue Situation; Entwicklung von positiven Beziehungen zum Stab) entsprechendes Aufnahmeverfahren erfordert eine straffe und stets kontrollierte organisatorische Planung. 2. Information der Gefangenen. § 5 Abs. 2 formuliert den Anspruch der Gefangenen auf Unterrichtung über die Rechte und Pflichten. Zur Rechtsstellung der Gefangenen § 4 Rdn. 12 ff. Erst eine umfassende Information hierüber vermittelt dem Gefangenen Sicherheit in seinem neuen Status (s. Rdn. 1) und kann Gefühle der Unsicherheit mit daraus folgender Aggressionsentwicklung und Orientierung an Subkulturführern verhindern. Die Pflicht zur Unterrichtung des Gefangenen ist nach anderer Auffassung bereits erfüllt, wenn ihm ein Exemplar des Strafvollzugsgesetzes und der Hausordnung ausgehändigt worden ist (C/MD 2008 Rdn. 3; kritisch dazu Böhm 2003 Rdn. 163). Auf Antrag ist dem Gefangenen ein Gesetzestext auszuhändigen, auf den er jederzeit zurückgreifen kann (OLG Celle NStZ 1987, 44; 64. Sitzung Strafvollzugsausschuss der Länder 27.–31.10.1986). Zumindest die dauerhafte Verfügbarkeit (z. B. in der Anstaltsbibliothek) ist zu gewährleisten (abl. dazu AK-Feest/Straube 2012 Rdn. 11). Strafvollzugsgesetz und Hausordnung konkurrieren nicht miteinander (s. § 161), da die Hausordnung nur Teilbereiche des Vollzuges regelt. Zu der Rechtsnatur der Hausordnung § 161 Rdn. 2, 4. Es genügt nicht, dem Gefangenen lediglich Informationen zum Strafvollzugsgesetz auszuhändigen. Mit dem Text des Strafvollzugsgesetzes und der Hausordnung können Gefangene meist wenig anfangen. Laubenthal 2011 Rdn. 314 sieht dennoch in der Aushändigung des Gesetzestextes die gesetzliche Informationspflicht in erster Linie erfüllt. Die Erwägung, dass der bloße Gesetzestext zu Missverständnissen auf Grund von Sprachbarrieren und in der Folge zu neuen Konflikten, Ängsten und Aggressionen führen könnte, zieht das Erfordernis der Aushändigung nicht in Zweifel, sondern macht zusätzliche Erläuterungen notwendig (OLG Celle NStZ 1987, 44). Die Verpflichtung zur Unterrichtung ist nicht einmalig – zumal die Aufnahmefähigkeit in der oft als belastend erlebten Aufnahmephase begrenzt und selektiv ist – sondern muss ein ständiges Angebot der JVA sein, das auch eine möglichst umfassende Darstellung der Organisation, der alltäglichen Abläufe und des Behandlungsangebots einschließt (AK-Feest/Straube 2012 Rdn. 10; § 72 Rdn. 3–5). Nach AK-Feest/Straube 2012 Rdn. 13 sollte auch auf externe Informationsquellen hingewiesen werden. Unter den Rechten und Pflichten, über die der Gefangene nach § 5 Abs. 2 zu unter7 richten ist, differenzieren C/MD 2008 Rdn. 3 zutreffend zwischen denjenigen, die die Stellung des Gefangenen in der Binnenstruktur des Vollzuges betreffen (etwa: Anfechtungsmöglichkeit von Vollzugsmaßnahmen, OLG Frankfurt NStZ 1989, 144), und denjenigen, die sich aus den Beziehungen zwischen ihm und der Gesellschaft außerhalb des Vollzuges ergeben. Die Unterrichtung muss nicht ohne die Gegenwart anderer Gefangener geschehen (Seebode 1997, 63). Eine gesonderte Belehrung über die Voraussetzungen des Antrags auf gerichtliche Entscheidung gem. § 112 Abs. 1 Satz 1 StVollzG ist nicht geboten, sofern eine allgemeine Belehrung über die Anfechtung von Vollzugsentscheidungen stattgefunden hat (BVerfG, Beschl. v. 5.8.2009 – 2 BvR 2365/08; vgl. Rdn. 9 zu § 112). Gruppenveranstaltungen in der Aufnahmephase, in denen keine personenbezogenen Daten offenbart werden, sind nicht nur ökonomisch, sondern auch sinnvoll, weil das
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Aufnahmeverfahren
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umfassende Verständnis durch die Gruppeninteraktion gefördert wird. Die Vollzugsbehörde ist verpflichtet, dem aufgenommenen Gefangenen Hilfe bei der Ordnung seiner Angelegenheiten zu gewähren (s. § 72). Die Landesgesetze haben z. T. die in § 72 geregelte Hilfe bei der Aufnahme in die Vorschriften zum Aufnahmeverfahren einbezogen (vgl. Rdn. 12, 13, 15). 3. Ärztliche Untersuchung, Vorstellung bei der Anstaltsleitung. § 5 Abs. 3 legt 8 das Recht des Gefangenen auf ärztliche Untersuchung und auf die Vorstellung beim Anstaltsleiter oder dem Leiter der Aufnahmeabteilung fest. Zweck der Vorschrift ist die Sicherstellung der Voraussetzungen für eine das Leben und die Gesundheit erhaltende Behandlung im Vollzug. Sie ist für die Vollzugsbehörde auch ein Schutz vor möglichen späteren Schadensersatzansprüchen aus Haftfolgeschäden. Für den Gefangenen bildet sie umgekehrt die Grundlage für etwaige Ansprüche (C/MD 2008 Rdn. 4). Die ausführlichen VV Nr. 1 zu § 5 besagen u. a., dass die Untersuchung durch einen Arzt vorgenommen werden muss. Eine Untersuchung durch Beamte des Sanitätsdienstes genügt nicht (C/MD 2008 Rdn. 4). Die VV legen die Ziele der ärztlichen Untersuchung fest. Dazu gehört auch eine Einschätzung der Suizidgefährdung (Rdn. 1; Seebode 1997, 66), die bei der Beurteilung, ob Bedenken gegen eine Einzelunterbringung bestehen, zu berücksichtigen ist. Nach § 101 Abs. 2 kann die ärztliche Untersuchung auch zwangsweise durchgeführt werden, allerdings nicht mit Hilfe eines körperlichen Eingriffs (§ 101 Rdn. 31). Zu ihrer Durchführung hatten RE- und AE-StVollzG eine Frist von 24 Stunden vorgeschrieben. Die alsbaldige ärztliche Untersuchung und Vorstellung beim Leiter der Anstalt oder der Aufnahmeabteilung ist als Aufforderung zu verstehen, das Aufnahmeverfahren zu beschleunigen. An den unbestimmten Rechtsbegriff „alsbald“ sind strenge Maßstäbe anzulegen. Eine Frist von drei Tagen sollte auf keinen Fall überschritten werden (C/MD 2008 Rdn. 6). Mit der Vorstellung beim Anstaltsleiter soll das Aufnahmeverfahren abgeschlos- 9 sen werden. Die Einhaltung dieser Reihenfolge ist nicht zwingend. Die Vorstellung sollte sich nicht nur auf eine rein formale Begrüßung beschränken. Nach C/MD 2008 Rdn. 5 gehört die persönliche Begegnung mit dem „Hausherrn“ zum Kern des Aufnahmeverfahrens. Eine sinnvolle Verbindung von gründlicher Information und Diskussion über das Strafvollzugsgesetz innerhalb einer Zugangsgruppe mit der Vorstellung beim Anstaltsleiter (Rdn. 7) fördert das Einleben des Gefangenen und sein Vertrautwerden mit den Verhältnissen in der JVA (ähnlich AK-Feest/Straube 2012 Rdn. 10, 14). Dass ein Anstaltsleiter alle neu aufgenommenen Gefangenen tatsächlich persönlich kennenlernt, ist bei der Tendenz zu großen Vollzugsanstalten und Zusammenschlüssen kleinerer Anstalten unter einer Anstaltsleitung bei oft mehr als 1000 Aufnahmen pro Jahr allerdings unrealistisch. Die landesrechtlichen Regelungen bzw. Landesgesetze schreiben insofern die übliche Praxis fest, dass diese Aufgabe delegiert werden kann (s. dort). III. Landesgesetze und Musterentwurf 1. Baden-Württemberg. § 4 JVollzGB III regelt sowohl die Aufnahme (Abs. 1) als 10 auch die Behandlungsuntersuchung (Abs. 2). Abs. 1 entspricht im Wesentlichen § 5 StVollzG, konkretisiert aber, dass die Unterrichtung über die Rechte und Pflichten in einer verständlichen Form zu erfolgen hat und verlangt somit, dass sich das Personal bei der Vermittlung dieser Informationen auf die intellektuellen und sprachlichen Fähigkeiten einzustellen hat. Arloth (2011 Rdn. 1 zu JVollzGB III § 4) sieht hierdurch die Bedeutung des Gesetzestextes bei der Unterrichtung relativiert. Die ärztliche Untersuchung hat „alsbald“ zu erfolgen, ebenso die Vorstellung bei der Anstaltsleite107
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rin oder dem Anstaltsleiter oder den von diesen beauftragten Bediensteten (Abs. 1 Satz 2). Die Vorschrift, dass beim Aufnahmeverfahren und bei der ärztlichen Untersuchung andere Gefangene nicht zugegen sein dürfen, wird in Satz 3 ergänzt: „Ausnahmen bedürfen der Zustimmung der oder des Gefangenen“. In der Gesetzesbegründung (LTDrucks. 14/5012, S. 210) heißt es dazu, dass dadurch dem Bedürfnis der Praxis Rechnung getragen werde, etwa bei Verständigungsschwierigkeiten auf die Hilfe einer oder eines sorgfältig ausgewählten Mitgefangenen zurückgreifen zu können. Die Vorschrift verzichtet darauf, ein unverzügliches Aufnahme- oder Zugangsgespräch, in dem eine Suizidgefährdung oder sonstige akute Probleme abgeklärt werden, ausdrücklich einzufordern. Die Regelung entspricht aber § 5 Abs. 3 StVollzG. 11
2. Bayern. Art. 7 BayStVollzG entspricht im Wesentlichen § 5 StVollzG. Abs. 1 und hebt das Persönlichkeitsrecht der Gefangenen hervor, das in besonderem Maße zu wahren ist, weil die Situation in der ersten Phase der Inhaftierung besonders belastend ist (vgl. LTDrucks. 15/8101, 51). Dass beim Aufnahmeverfahren andere Gefangene nicht mehr zugegen sein dürfen, ist anders als im StVollzG nicht besonders geregelt, ergibt sich aber aus Abs. 1. Ausnahmsweise kann bei sprachlichen Verständigungsschwierigkeiten die Hilfe eines oder einer sorgfältig ausgesuchten Mitgefangenen in Anspruch genommen werden. Die Vorschrift, die Gefangenen über ihre Rechte und Pflichten zu belehren (Abs. 2), wird ergänzt durch die Regelung in Art. 184 Abs. 3, wonach sie einen Abdruck der Hausordnung erhalten (vgl. § 161 StVollzG). „Mit den Gefangenen wird ein Zugangsgespräch geführt“ (Abs. 2 Satz 2). Das Zugangsgespräch (Vorstellung beim Anstaltsleiter oder dem Leiter der Aufnahmeabteilung) kann – anders als in § 5 Abs. 3 – auch von einem Vollzugsbediensteten geführt werden, der vom Anstaltsleiter bestimmt wird (vgl. LT-Drucks. 8101, 51). Durch diese Regelung kann sichergestellt werden, dass sofort nach der Aufnahme – auch außerhalb der üblichen Verwaltungsdienstzeiten – ein Gespräch geführt wird, das Orientierung gibt und Gefährdungen (Suizid, Gewalteskalationen) vorbeugt.
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3. Hamburg. § 6 HmbStVollzG entspricht § 5 StVollzG. Abs. 1 fordert ein „unverzügliches“ Aufnahmegespräch und eine „umgehende“ ärztliche Untersuchung, nicht nur wie das StVollzG eine „alsbaldige“. Das Aufnahmegespräch ist nicht zwingend vom Anstaltsleiter oder Leiter der Aufnahmeabteilung zu führen. Die Regelung fordert, dem aufgenommenen Gefangenen sofortige Orientierung zu geben und präventiv Maßnahmen zur Abwehr von Selbst- und Fremdgefährdungen zu ergreifen. Auch wenn keine Fristen genannt werden, steht die Anstalt ggf. deutlicher in der Pflicht, Begründungen für Versäumnisse zu liefern. Abs. 2 fasst alle im Zuge der Aufnahme bedeutsamen Vorgänge, auch solche, die das StVollzG an anderer Stelle regelt (vgl. § 72 StVollzG), enumerativ zusammen und strukturiert damit das Aufnahmeverfahren ganzheitlich neu. § 6 Abs. 2 HmbStVollzG lautet: „Die Gefangenen werden bei der Aufnahme 1. über ihre Rechte und Pflichten, insbesondere über ihre Pflicht zur Mitwirkung (§ 5 Absatz 1) und über die Möglichkeiten der Aufrechterhaltung einer Sozialversicherung unterrichtet, 2. darin unterstützt, die notwendigen Maßnahmen für hilfsbedürftige Angehörige zu veranlassen und ihre Habe außerhalb der Anstalt sicherzustellen“. Abs. 2 Nr. 1 HS. 2 entspricht § 72 Abs. 2 StVollzG, Abs. 2 Nr. 2 entspricht § 72 Abs. 1 StVollzG. Abs. 3 entspricht § 5 Abs. 1 StVollzG. Andere Gefangene dürfen beim Aufnahmeverfahren „in der Regel“ nicht zugegen sein. Ausnahmsweise kann bei sprachlichen VerWischka
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ständigungsschwierigkeiten die Hilfe eines oder einer sorgfältig ausgewählten Mitgefangenen in Anspruch genommen werden (Arloth 2011 Rdn. 2 zu § 6 HmbStVollzG). 4. Hessen. § 8 HStVollzG Abs. 1 und 2 entsprechen im Wesentlichen § 5 StVollzG. Im 13 Aufnahmegespräch, das „unverzüglich“ zu erfolgen hat und bei dem andere Gefangene nicht zugegen sein dürfen, wird der Gefangene nicht nur über seine Rechte und Pflichten informiert. Es wird auch die aktuelle Lebenssituation erörtert. Neben der Hausordnung ist ihnen ein Exemplar des HStVollzG zugänglich zu machen (Abs. 1). Abs. 1 Satz 4 korreliert mit § 58, in dem die Zulässigkeit der Erhebung personenbezogener Daten geregelt ist. Er lautet: „Die Gefangenen sind verpflichtet, die für die Planung des Vollzuges erforderlichen Angaben zu machen.“ Die ärztliche Untersuchung hat „alsbald“ zu erfolgen. § 8 HStVollzG Abs. 3 regelt hier bereits soziale Hilfen bei der Aufnahme. Er entspricht § 72 Abs. 1 StVollzG und lautet: „Die Gefangenen sind dabei zu unterstützen, gegebenenfalls notwendige Maßnahmen für hilfsbedürftige Angehörige zu veranlassen, sowie ihre Habe außerhalb der Anstalt sicherzustellen.“ Abs. 4 bestimmt: „Bei Gefangenen mit Ersatzfreiheitsstrafen sind die Möglichkeiten der Tilgung uneinbringlicher Geldstrafen durch gemeinnützige Arbeit oder Ratenzahlung zu erörtern und zu fördern“ (vgl. Rdn. 15). § 9 Abs. 1 HStVollzG enthält folgende ergänzende Regelung: „Nach der Aufnahme werden den Gefangenen die Aufgaben des Vollzugs sowie die vorhandenen Beschäftigung-, Bildungs-, Ausbildungs- und Freizeitmaßnahmen erläutert.“ In der Gesetzesbegründung (LT-Drucks. 18/1396, 80) wird die Aufnahmephase als Phase hoher Labilität herausgestellt. Das Aufnahmegespräch als erster strukturierter Kontakt ist deshalb schnellstmöglich, jedenfalls innerhalb der ersten 24 Stunden zu führen. Die erforderlichen Erstinformationen über die aktuelle Lebenssituation, die psychische Verfassung und akute Probleme sollen es erlauben, ggf. sogleich zu reagieren. Die Verpflichtung in Abs. 1 Satz 4 soll die Datengrundlage für die weiteren Vollzugsabläufe schaffen und ist nicht auf das Aufnahmeverfahren beschränkt. Es gilt z. B. auch für die Feststellung des Maßnahmebedarfs nach § 9. Die „alsbaldige“ ärztliche Untersuchung ist in Zweifelsfällen umgehend, ansonsten an „einem der nächsten Werktage“ vorzunehmen. Sie bildet die Grundlage auch für weitere Maßnahmen der Vollzugsplanung. Abs. 4 greift die Hessische Verordnung über die Tilgung uneinbringlicher Geldstrafen durch freie Arbeit v. 24.1.1997 (GVBl. I 1997, 17) auf. Im Interesse des Gefangenen und auch im eigenen Interesse (Haftplatzkosten) soll die Anstalt dafür Sorge tragen, die Ersatzfreiheitsstrafe sobald wie möglich wieder zu beenden. Nach § 46 Abs. 3 HStVollzG kann der Anstaltsleiter bei der Aufnahme eine mit Entkleidung verbundene körperliche Durchsuchung anordnen. Dabei ist das Schamgefühl zu schonen und die Durchsuchung in einem geschlossenen Raum durchzuführen (Abs. 2). Das OLG Frankfurt hat mit Beschluss v. 22.11.2011 der Beschwerde eines Gefangenen über die Art der mit Entkleidung verbundenen Durchsuchung nach erfolgtem Besuchskontakt stattgegeben und abweichend von der Rechtsprechung des OLG Celle (NStZ 2005, 587; vgl. Rdn. 7 zu § 84) zur wortgleichen Vorschrift des § 84 Abs. 2 Satz 3 StVollzG festgestellt, „ein geschlossener Raum setze nach dem Wortsinn voraus, dass dieser mit Türen versehen sei. Vorhänge oder andere Abtrennungen genügten stattdessen nicht“ (Beschluss v. 22.11.2011 – 3 Ws 836/11, Rdn. 9). In der Gesetzesbegründung zu § 9 Abs. 1 HStVollzG wird die Notwendigkeit der Verdeutlichung des Eingliederungsauftrags und der Transparenz des Vollzugsgeschehens 109
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herausgestellt. Gefangene sollen in die Lage versetzt werden, die Vollzugsabläufe in ihrer Gesamtheit nachzuvollziehen und sich entsprechend einzubringen. Gleichzeitig wird ihnen hierdurch vermittelt, dass sie als Person ernst und mit ihren eigenen Wünschen und Vorstellungen wahrgenommen werden, sie also kein bloßes „Behandlungsobjekt“ des Vollzugs darstellen. Respekt, Transparenz und Konsequenz gegenüber den Gefangenen sind äußerst wichtig. „Gleichzeitig soll aber frühzeitig deutlich gemacht werden, was von den Gefangenen erwartet wird. Der Motivation zur Mitarbeit wird es förderlich sein, wenn die Gefangenen die Grundprinzipien und Leitlinien, an denen sich die Anstalt orientiert, erkennen können, und sie hierdurch ein Verständnis vom Anstaltsgefüge erhalten. Die Veranschaulichung der Ziele des Vollzugs sowie die umfassende inhaltliche Darstellung der Fördermaßnahmen sollen den Gefangenen verdeutlichen, dass der Vollzug eine Chance zur Änderung ihres bisherigen Lebens darstellt“ (Drucks. 18/1396, 80 f). 14
5. Niedersachsen. § 8 NJVollzG entspricht im Wesentlichen § 5 StVollzG. Abs. 1 entspricht § 5 Abs. 2 StVollzG. Abs. 2 Satz 1 sieht eine Verpflichtung zur Durchsuchung der Gefangenen und ihrer Sachen bei der Aufnahme vor und schreibt damit die gängige Praxis gesetzlich fest. Abs. 2 Satz 2 fordert ein „unverzügliches“ Aufnahmegespräch und – wie das StVollzG – eine „alsbaldige“ ärztliche Untersuchung. Das Aufnahmegespräch ist nicht zwingend vom Anstaltsleiter oder Leiter der Aufnahmeabteilung zu führen. In der Gesetzesbegründung heißt es: „Das Zugangsgespräch knüpft an die Unterrichtung nach Abs. 1 an. Es vertieft das Wissen der neu aufgenommenen Gefangenen, wie sich ihr Alltag künftig unter den Bedingungen der Unfreiheit gestalten wird. Darüber hinaus dient es der Feststellung von persönlichen Schwierigkeiten und Problemen der neu aufgenommenen Gefangenen. Insbesondere dient es der Feststellung, ob der häufig mit der Inhaftierung einhergehende Bruch in der Lebenslinie nicht zu einer so starken Belastung der Inhaftierten geführt hat, dass die Gefahr einer Selbsttötung oder Selbstverletzung vorliegen könnte. Deshalb ist das Zugangsgespräch auch am Zugangstag zu führen, um solche Gefährdungen nach Möglichkeit rechtzeitig erkennen zu können“ (LT-Drucks. 15/3565, S. 90). Abs. 3 greift die Regelung des § 5 Abs. 1 auf, lässt aber aus Gründen der Praxis im Interesse ausländischer Gefangener eine Übersetzung der Gesprächsinhalte durch andere Gefangen zu. Er lautet: „Während des Aufnahmeverfahrens dürfen andere Gefangene nicht anwesend sein. Erfordert die Verständigung mit der oder dem aufzunehmenden Gefangenen die Zuziehung einer Dolmetscherin oder eines Dolmetschers, so ist diese unverzüglich zu veranlassen. Ist die sofortige Verständigung mit der oder dem aufzunehmenden Gefangenen in ihrem oder seinem Interesse oder zur Gewährleistung der Sicherheit der Anstalt erforderlich, so können andere Gefangene zur Übersetzung herangezogen werden, wenn die Zuziehung einer Dolmetscherin oder eines Dolmetschers nach Satz 2 nicht rechtzeitig möglich ist“. In der Gesetzesbegründung wird ausgeführt: „Die Zuziehung anderer Gefangener muss aber die seltene Ausnahme bilden; die Regel darf nicht aus Gründen der Bequemlichkeit oder zur Einsparung von Dolmetscherkosten durchbrochen werden“ (LT-Drucks. 15/3565, 91).
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6. Musterentwurf. § 6 ME-StVollzG entspricht weitgehend § 8 HStVollzG (vgl. Rdn. 13), verzichtet an dieser Stelle aber auf die Verpflichtung der Gefangenen, die für die Planung des Vollzuges erforderlichen Angaben über ihre persönlichen Verhältnisse zu machen. Wischka
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Ein Zugangsgespräch zur Erörterung der gegenwärtigen Lebenssituation hat nach der Aufnahme unverzüglich stattzufinden (Abs. 1 Satz 1). Zur Information über ihre Rechte und Pflichten wird den Gefangenen ein Exemplar der Hausordnung ausgehändigt. Darüber hinaus bestimmt Abs. 1 Satz 3: „Dieses Gesetz, die von ihm in Bezug genommenen Gesetze sowie die zu seiner Ausführung erlassenen Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften sind den Gefangenen auf Verlangen zugänglich zu machen.“ Andere Gefangene dürfen während des Aufnahmeverfahrens nicht zugegen sein (Abs. 2). Die Gefangenen werden alsbald ärztlich untersucht (Abs. 3). Abs. 4 entspricht § 72 Abs. 1 StVollzG. Abs. 5 lautet: „Bei Gefangenen, die eine Ersatzfreiheitsstrafe verbüßen, sind die Möglichkeiten der Abwendung der Vollstreckung durch freie Arbeit oder ratenweise Tilgung der Geldstrafe zu erörtern und zu fördern, um so auf eine möglichst baldige Entlassung hinzuwirken.“ Die ME-Begründung fordert das Zugangsgespräch innerhalb der ersten 24 Stunden ein. Als erster strukturierter Kontakt verfolge es drei Ziele, nämlich 1. die Erhebung grundlegender Daten, 2. den Erhalt erforderlicher Erstinformationen über die aktuelle Lebenssituation sowie über die psychische und physische Verfassung und akuten Probleme, um sogleich reagieren zu können und 3. eine so ausführliche Erläuterung der Regeln der Institution, dass die Gefangenen einen Orientierungsrahmen für die Haft erhalten. Das Zugangsgespräch ist in einer dem Bildungsstand und der Auffassungsgabe angemessenen und verständlichen Sprache zu führen. Bei unüberwindlichen sprachlichen Verständigungsschwierigkeiten ist ein Sprachmittler hinzuzuziehen. Die Vorschrift in Abs. 2, dass während des Aufnahmeverfahrens andere Gefangene nicht zugegen sein dürfen, wird in der Begründung so interpretiert, dass die Hinzuziehung von anderen Gefangenen auch zur Verständigung nicht zulässig ist. Für die in Abs. 3 geregelte alsbaldige ärztliche Untersuchung reicht eine bloße Vorstellung beim Krankenpflegedienst nicht aus. Die Aufforderung der Anstalt in Abs. 5, die Abwendung der Vollstreckung von Ersatzfreiheitsstrafen zu unterstützen, soll ausdrücklich auch die Möglichkeit umfassen, im Vollzug oder aus dem Vollzug heraus – also ohne Beendigung der Vollstreckung – die Haftdauer im Sinne von Art. 293 Einführungsgesetz zum StGB zu verkürzen. Art. 293 Abs. 1 lautet: „Die Landesregierungen werden ermächtigt, durch Rechtsverordnung Regelungen zu treffen, wonach die Vollstreckungsbehörde dem Verurteilten gestatten kann, die Vollstreckung einer Ersatzfreiheitsstrafe nach § 43 des Strafgesetzbuches durch freie Arbeit abzuwenden. Soweit der Verurteilte die freie Arbeit geleistet hat, ist die Ersatzfreiheitsstrafe erledigt. Die Arbeit muss unentgeltlich sein; sie darf nicht erwerbswirtschaftlichen Zwecken dienen. Die Landesregierungen können die Ermächtigung durch Rechtsverordnung auf die Landesjustizverwaltungen übertragen.“
§6 Behandlungsuntersuchung, Beteiligung des Gefangenen § 6 Wischka Behandlungsuntersuchung, Beteiligung des Gefangenen (1) Nach dem Aufnahmeverfahren wird damit begonnen, die Persönlichkeit und die Lebensverhältnisse des Gefangenen zu erforschen. Hiervon kann abgesehen werden, wenn dies mit Rücksicht auf die Vollzugsdauer nicht geboten erscheint. (2) Die Untersuchung erstreckt sich auf die Umstände, deren Kenntnis für eine planvolle Behandlung des Gefangenen im Vollzuge und für die Eingliederung nach seiner Entlassung notwendig ist. Bei Gefangenen, die wegen einer Straftat nach 111
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den §§ 174 bis 180 oder 182 des Strafgesetzbuches verurteilt worden sind, ist besonders gründlich zu prüfen, ob die Verlegung in eine sozialtherapeutische Anstalt angezeigt ist. (3) Die Planung der Behandlung wird mit dem Gefangenen erörtert. VV Bei einer Vollzugsdauer bis zu einem Jahr ist eine Behandlungsuntersuchung in der Regel nicht geboten. Schrifttum Adler/Sonnabend Grundzüge einer kognitiv-behavioralen Therapie von Sexualstraftätern im Justizvollzug, in: Praxis der Rechtspsychologie 1998, 30 ff; Alexander Sexual offender treatment efficacy revisited. Sexual Abuse 11, 1999, 101 ff; Andrews/Bonta The Psychology of criminal coduct. 5th ed. New Providence, NJ 2010; Andrews/Zinger/Hodge/Bonta/Gendreau/Cullen Does correctional traetment work? A clinically relevant und psychologically informed meta-analysis. Criminology, 28, 1990, 369 ff; Berner/ Becker „Sex Offender Treatment Programme“ (SOTP) in der Sozialtherapeutischen Abteilung HamburgNesselstraße, in: Rehn/Wischka/Lösel/Walter (Hrsg.), 2001, 206 ff; Berner/Briken/Hill Sexualstraftäter behandeln mit Psychotherapie und Medikamenten, Köln 2007; Bonta/Andrews Risk-need-Responsivity: Model for offender assessment and rehabilitation. Public Safety Canada (http://www.publicsafety.gc.ca/ res/cor/rep/risk_need_200706–eng.aspx); Born/Conzalez Cabeza „Psychopathy“ – Entwurf eines Behandlungskonzepts, in: Müller-Isberner/Conzalez Cabeza (Hrsg.), Forensische Psychiatrie, Mönchengladbach 1998, 99 ff; Boetticher/Kröber/Müller-Isberner/Böhm/Müller-Metz Mindestanforderungen für Prognosegutachten, ForensPsychiatrPsycholKriminol 2007, 90 ff. u. KrimPäd 2011, 23 ff; Daffern/Jones/Shine (Eds.) Offence paralleling behavior, Chicester 2010; Dahle Therapiemotivation hinter Gittern, Regensburg 1995; ders. Psychologische Kriminalprognose, Herbolzheim 2005; ders. Grundlagen und Methoden der Kriminalprognose, in: Kröber u. a. (Hrsg.), 2006. 1 ff; ders. Aktuarische Prognoseinstrumente, in: Volbert/Steller (Hrsg.), 2008, 453 ff; ders. Methodische Grundlagen der Kriminalprognose, ForensPsychiatrPsycholKriminol 2007, 101 ff; Dahle/Harwardt/Schneider-Njepel LSI-R, Inventar zur Einschätzung des Rückfallrisikos und des Betreuungs- und Behandlungsbedarfs von Straftätern, Göttingen 2012; Dahle/Schneider/Ziethen Standardisierte Instrumente zur Kriminalprognose, ForensPsychiatrPsycholKriminol 2007, 15 ff; Döhla/ Feulner Motivationsarbeit in der rückfallpräventiven Behandlung von Sexualstraftätern, in: Wischka/ Pecher/v. d. Boogaart (Hrsg.), 2012, 294 ff; Dolde Kriminologischer Dienst – Aufgaben und Probleme, in: Egg (Hrsg.), Strafvollzug in den neuen Bundesländern, Wiesbaden 1999, 205 ff; Dünkel Vollzugslockerungen und offener Vollzug – die Bedeutung entlassungsvorbereitender Maßnahmen für die Wiedereingliederung, FS 2009, 192 ff; Egg Prognosebegutachtung im Straf- und Maßregelvollzug – Standards und aktuelle Entwicklungen, in: Kühne/Jung/Kreuzer/Wolters (Hrsg.), FS Rolinski, Baden-Baden 2002; ders. Sozialtherapeutische Anstalten und Abteilungen im Justizvollzug: Mindestanforderungen an Organisation und Ausstattung, Indikation zur Verlegung, Forum Strafvollzug 2007, 100 ff; ders. Sozialtherapeutische Einrichtungen, in: Volbert/Steller (Hrsg.), 2008, 119 ff; ders. Behandlung von Sexualstraftätern, in: Volbert/ Steller (Hrsg.) 2008, 152 ff; Egg/Kälberer/Specht/Wischka Bedingungen der Wirksamkeit sozialtherapeutischer Maßnahmen, in: ZfStrVo 1998, 348 ff; Eher/Rettenberger/Matthes Aktuarische Prognose bei Sexualstraftätern, in: MschrKrim 2009, 18 ff; Eisenberg/Hackethal „Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten“ vom 26.1.1998, in: ZfStrVo 1998, 196 ff; Endres Prognoseinstrumente, in: Pecher (Hrsg.), 2004, 177 ff; Endres/Schwanengel/Behnke Diagnostische und Prognostische Beurteilung in der Sozialtherapie, in: Wischka/Pecher/van den Boogaart (Hrsg.), 2012, 101 ff; Feest/Lesting Der Angriff auf die Lockerungen, ZfStVo 2005, 76 ff; Foerster/Dressing Die Erstattung des Gutachtens, in: Venzlaff/ Foerster (Hrsg.), 2009 a, 43 ff; dies. Fehlermöglichkeiten beim psychiatrischen Gutachten, in: Venzlaff/ Foerster (Hrsg.), 2009 b, 55 ff; Foerster/Winckler Forensisch-psychiatrische Untersuchung. in: Venzlaff/ Foerster (Hrsg.) 2009, 17 ff; Freese Die Psychopathy Checklist (PCL-R und PCL:SV) von R. D. Hare und Mitarbeitern in der Praxis, in: Müller-Isberner/Conzalez Cabeza (Hrsg.), Forensische Psychiatrie, Mönchengladbach 1998, 81 ff; Grawe Neuropsychotherapie. Göttingen 2004; Gretenkord Sollte der Therapeut zu „63er-Patienten“ Beurteilungen abgeben?, in: Beier/Hinrichs (Hrsg.), Psychotherapie mit Straffälligen,
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heim 2001; Rehder/Wischka Prognosen im Strafvollzug, in: KrimPäd 46, 2009, 38 ff; Rehder/Wischka/Foppe Das Behandlungsprogramm für Sexualstraftäter (BPS): Entwicklung, Aufbau, Praxis, in: Wischka/ Pecher/van den Boogaart (Hrsg.), 2012, 418 ff; Rehn Sozialtherapie im Justizvollzug – eine kritische Bilanz, in: Wischka/Pecher/v. d. Boogaart (Hrsg.), 2012, 32 ff; Reichel/Marneros Prognostische Validität der PCL:SV zur Vorhersage krimineller Rückfälle bei deutschen Straftätern, in: MschrKrim 2008, 405 ff; Rettenberger/Eher Aktuarische Prognosemethoden und Sexualdelinquenz: Die deutsche Version des SORAG, in: MschrKrim 2007, 484 ff; Saimeh Biologische und psychodynamische Aspekte der Dissozialität im Einklang, in: Wischka/Pecher/v. d. Boogaart (Hrsg.), 2012, 351 ff; Saß Willensfreiheit, Schuldfähigkeit und Neurowissenschaften, in: ForensPsychiatrPsycholKriminol 2007, 237 ff; Schiffer Neurobiologie abweichenden Sexualverhaltens, in: ForensPsychiatrPsycholKriminol 2007, 139 ff; Schmucker Kann Therapie Rückfälle verhindern? Metaanalytische Befunde zur Wirksamkeit der Sexualstraftäterbehandlung, Herbolzheim 2004; Schmucker/Lösel Does sexual offender treatment work? A systemativ review of outcome evaluations. Psicothema, 20, 2008, 10 ff; Schneider Rückfallprognose bei Sexualstraftätern, in: MschrKrim 2002, 251 ff; Schöch Das Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten“ vom 26.1. 1998, in: NJW 1998, 1257 ff; Schüler-Springorum Emotionale Kriminalpolitik, in: KrimPäd 2002, 77 ff; ders. Sexualstraftäter-Sozialtherapie, in: GA 2003, 575 ff; Specht Die Zukunft der sozialtherapeutischen Anstalten, in: Forensische Psychiatrie heute, Berlin 1986, 108 ff; ders. Sozialtherapeutische Anstalten und Abteilungen, in: Pecher (Hrsg.), 2004, 267 ff; Schwerdtner Neurobiologsiche Befunde bei Psychopathie, in: KrimPäd 2011, 19 ff; Steller Sozialtherapie statt Strafvollzug, Köln 1977; Steller/Volbert (Hrsg.), Psychologie im Strafverfahren, Bern 1997; Stock Behandlungsuntersuchung und Vollzugsplan. Zum Instrumentarium einer an Rückfallverhinderung orientierten Ausgestaltung des Strafvollzuges in der Bundesrepublik Deutschland, Engelsbach u. a. 1993; Stolpmann et al. Biologische Faktoren bei forensisch-psychiatrischen Prognosen, in: MschrKrim 2010, 300 ff; Suhling/Pucks/Bielenberg Ansätze zum Umgang mit Gefangenen mit geringer Veränderungs- und Behandlungsmotivation, in: Wischka/Pecher/v. d. Boogaart (Hrsg.), 2012, 233 ff; Suhling/Wischka Indikationskriterien für die Verlegung von Sexualstraftätern in eine sozialtherapeutische Einrichtung, in: MschrKrim, 91 2008, 210–226; Urbaniok FOTRES: Forensisches Operationalisiertes Therapie-Risiko-Evaluations-System, 2. Aufl. Oberhofen 2004; Venzlaff/Foerster (Hrsg.), Psychiatrische Begutachtung. Ein praktisches Handbuch für Ärzte und Juristen. 5. Aufl., München 2009; Villmar Prognosezentrum im niedersächsischen Justizvollzug bei der JVA Hannover, in: KrimPäd 46, 2009, 20 ff; Volbert/Steller (Hrsg.), Handbuch der Psychologie, Bd. 9: Handbuch der Rechtspsychologie, Göttingen 2008; Walter Verfeinerung der Prognoseinstrumente in einer neuen Kontrollkultur: Fortschritt oder Gefahr?, in: ZJJ 2010, 244 ff; Werner/Grotjohann Die Entwicklung und Umsetzung von Qualitätsstandards für die Diagnostik gefährlicher Straftäter – Das Diagnosezentrum im Justizvollzug in M–V, in: KrimPäd 46, 2009, 15 ff; Wirth Legalbewährung nach Jugendstrafvollzug: Probleme und Chancen von Aktenanalyse, Wirkungsanalyse und Bedingungsanalyse, in: Kerner/Dolde/Mey (Hrsg.), Jugendstrafvollzug und Bewährung, Bonn 1996, 467 ff; Wischka Die Faktoren Milieu, Beziehung und Konsequenz in der stationären Therapie von Gewalttätern, in: Rehn/Wischka/Lösel/Walter (Hrsg.), 2001, 125 ff; ders. Wohngruppenvollzug, in: Pecher (Hrsg.), 2004, 335 ff; ders. Das Behandlungsprogramm für Sexualstraftäter (BPS) in der Praxis, in: Wischka/Rehder/Specht/Foppe/Willems (Hrsg.), Sozialtherapie im Justizvollzug: Aktuelle Konzepte, Erfahrungen und Kooperationsmodelle, Lingen 2005, 208 ff; ders. Therapie von Straftätern braucht Erprobungsräume innerhalb und außerhalb der Mauern! KrimPäd 2011, 37 ff; ders. Zur Notwendigkeit von Erprobungsräumen bei der Behandlung von Straftätern innerhalb und außerhalb der Mauern, in: Wischka/ Pecher/v. d. Boogaart (Hrsg.), 2012, 487 ff; Wischka/Pecher/v. d. Boogaart (Hrsg.), Behandlung von Straftätern. Freiburg 2012; Wischka/Specht Integrative Sozialtherapie – Mindestanforderungen, Indikation und Wirkfaktoren, in: Rehn/Wischka/Lösel/Walter (Hrsg.), 2001, 249 ff.
I.
Übersicht Allgemeine Hinweise ____ 1–5 1. Aufgabe der Behandlungsuntersuchung ____ 1, 2 2. Aufnahme- und Einweisungsabteilungen ____ 3 3. Individualisierung und Stigmatisierung ____ 4, 5
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II.
Erläuterungen ____ 6–34 1. Behandlungsuntersuchung als Grundlage der Vollzugsplanung/ Verlegung ____ 6–8 2. Dauer der Behandlungsuntersuchung/Einweisungsanstalten ____ 9 3. Personal ____ 10
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Behandlungsuntersuchung, Beteiligung des Gefangenen
4. Dokumentation ____ 11 5. Mitwirkung der Gefangenen ____ 12 6. Akteneinsicht/Aushändigung von Untersuchungsbefunden ____ 13 7. Umfang der Untersuchung ____ 14 8. Ergebnisse der Behandlungsforschung und Konsequenzen für die Behandlungsuntersuchung ____ 15 9. Methoden der Behandlungsuntersuchung ____ 16 10. Gestaltung von Gutachten ____ 17, 18 11. Schweige- und Offenbarungspflicht ____ 19 12. Vollzugsdauer und Behandlungsuntersuchung ____ 20 13. Gestaltung der Behandlungsuntersuchung ____ 21–23
III. IV.
§6
14. Prognose der Rückfallgefahr ____ 24 15. Erörterung der Behandlungsplanung ____ 25 16. Besonders gründliche Prüfung bei Sexualdelikten ____ 26–29 17. Verlegung in eine sozialtherapeutische Einrichtung ____ 30–34 Beispiel ____ 35 Landesgesetze und Musterentwurf ____ 36–41 1. Baden-Württemberg ____ 36 2. Bayern ____ 37 3. Hamburg ____ 38 4. Hessen ____ 39 5. Niedersachsen ____ 40 6. Musterentwurf ____ 41
I. Allgemeine Hinweise 1. Aufgabe der Behandlungsuntersuchung. Mit der Behandlungsuntersuchung 1 beginnt der Vorgang der Behandlung (C/MD 2008 Rdn. 2; zum Behandlungsbegriff § 4 Rdn. 6). Es besteht ein funktionaler Zusammenhang zwischen der Behandlungsuntersuchung, der Diagnose, der Planung des Vollzuges und der eigentlichen Behandlung im Vollzug. Die Unterteilung in Aufnahmeverfahren (§ 5), Behandlungsuntersuchung (§ 6), Vollzugsplan (§ 7) und weitere Durchführung des Vollzuges ist letztlich formal (s. § 5 Rdn. 1). Es entspricht dem Stand der Wirksamkeitsforschung keine einmaligen Querschnittsdiagnosen, sondern ein dynamisches Vorgehen bei der Diagnostik anzustreben, in dem immer wieder Veränderungen im Behandlungsverlauf ermittelt und zur Fortschreibung der Behandlungsplanung herangezogen werden (Egg u. a. 1998, 350; Lösel 2001, 48; Lösel/Bender 190 f; McGuire 2001; Wischka/Specht 2001, 259). Die Behandlungsuntersuchung ist als Eingangsdiagnostik zu verstehen, die durch eine Verlaufsdiagnostik während des gesamten Vollzuges zu präzisieren und zu modifizieren ist. Die Formulierung „Nach dem Aufnahmeverfahren wird damit begonnen …“ in § 6 Abs. 1 ist unglücklich gewählt, weil auch ein vorheriger Beginn nicht ausgeschlossen werden sollte (Böhm 2003, 185). Inhalt und Methoden der Persönlichkeitserforschung werden vom Gesetzgeber 2 nicht beschrieben. Im Gegensatz zu § 7 Abs. 3 Satz 2 KE sind die an der Behandlungsuntersuchung zu beteiligenden Fachkräfte nicht benannt (BT-Drucks. 7/918, 49; K/S-Kaiser 2002 § 10 Rdn. 13). Es muss sich aber um eine mit wissenschaftlichen Methoden abgesicherte Untersuchung handeln. Ein Rückgriff auf Prozessakten reicht nicht. Es genügt auch keinesfalls ein „laienhaftes“ auf Alltagstheorien gegründetes Vorgehen (C/MD 2008 Rdn. 3). Die Gefangenen sind zur Duldung der Behandlungsuntersuchung verpflichtet (BT-Drucks. 7/918, 48), ihre aktive Mitwirkung ist zur Erreichung des Vollzugsziels auch notwendig (C/MD 2008 Rdn. 1), die Pflicht zur aktiven Mitwirkung besteht jedoch nicht. Zur Mitwirkungspflicht allgemein s. § 4 Rdn. 2 ff. Die aus der Behandlungsuntersuchung resultierenden Diagnosen ermöglichen eine Klassifizierung (Rdn. 8) der Gefangenen und eine differenzierte Unterbringung. Dabei sind Stigmatisierungen zu vermeiden, die i. S. einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung wirken können (zur Differenzierung s. § 141 Rdn. 2 und § 143 Rdn. 2 ff). Es müssen vielmehr Veränderungsziele gemeinsam entwickelt und Wege zu deren Errei115
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Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
chung ermöglicht werden (Müller-Dietz 1977, 22). Der Strafvollzugsaufbau der einzelnen Bundesländer und die von ihnen eingerichteten Vollzugsgemeinschaften müssen beachten, dass die sich aus individueller Diagnose und Klassifizierung ergebenden Behandlungsempfehlungen durch die Bereitstellung von geeigneten Vollzugseinrichtungen (§§ 141, 143) tatsächlich erfüllbar sind (§ 141 Rdn. 10; § 143 Rdn. 2). Die Zielsetzung des Strafvollzuges bleibt inhaltsleer, wenn sie nicht in der inneren und äußeren Organisation des Vollzuges ihren Ausdruck findet (K/S-Kaiser 2002 § 10 Rdn. 20). 3
2. Aufnahme- und Einweisungsabteilungen. Die Behandlungsuntersuchung kann in der Aufnahmeabteilung der nach dem Vollstreckungsplan (§ 152) zuständigen Anstalt oder in Einweisungsanstalten oder -abteilungen nach § 152 Abs. 2 (Gutachteranstalt nach §§ 51 ff AE-StVollzG) stattfinden (§ 152 Rdn. 5 ff). Die Durchführung dieser Aufgabe obliegt einzelnen diagnostisch befähigten Mitarbeitern (z. B. Psychologen, Sozialarbeitern) oder dafür geeigneten Gremien (Kommissionen). Einweisungsanstalten bzw. Einweisungs-, Diagnose oder Prognoseabteilungen findet man in Berlin, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen (s. § 152 Rdn. 5 ff; Arloth 2011 Rdn. 4 zu § 152; K/S-Kaiser 2002 § 10 Rdn. 5; s. Auswertung von Stellungnahmen der Länder zur Einweisung in den offenen Vollzug im Aufnahmeverfahren durch das BVerfG v. 27.9.2007 – 2 BvR 725/07 Rdn. 24 ff). Ein Verurteilter hat keinen Rechtsanspruch auf sofortige Ladung in den offenen Vollzug. Das Vorliegen der Voraussetzungen dafür ist Ergebnis der Behandlungsuntersuchung (LG Thüringen v. 3.12.2003 – VAs 11/03, ZfStrVo 2004, 300 f). Die Möglichkeit, insb. bei kürzeren Freiheitsstrafen, den Arbeitsplatz zu erhalten ist aber in gebotener Weise zu berücksichtigen, indem zügig (innerhalb von zwei Wochen) über eine Verlegung in den offenen Vollzug entschieden wird (BVerfG v. 27.9.2007 – 2 BvR 725/07; OLG Zweibrücken v. 6.11.2009 – 1 VAs 2/09; s. § 10 Rdn. 7).
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3. Individualisierung und Stigmatisierung. Nur bei einer strikt individuellen Klassifizierungsdiagnose kann Behandlung im Vollzug wirksam werden (Müller-Dietz 1977, 19 mit Hinweis auf Wechselwirkung zwischen Klassifizierung und Ausgestaltung des Vollzuges; zu den hochkomplexen Bedingungen der Wirkung vollzuglicher Behandlung innerhalb der besonderen Situationsstruktur Strafvollzug s. Wirth 1996, 467 ff). Damit wird das Individualisierungsprinzip (Calliess 1992, 79; Müller-Dietz 1977, 19) aber nicht ad absurdum geführt. Mit der Neufassung von § 6 Abs. 2 Satz 2 erhält das Individualisierungsprinzip sogar zusätzliche Bedeutung für die Durchführung der Behandlungsuntersuchungen von Sexualstraftätern (vgl. Rdn. 26–29). Aus Gründen der Behandlung können Abweichungen von formalen Kriterien (z. B. Vollstreckungsplan nach § 152 Abs. 2) erfolgen. Zum Problem Individualisierung und Wohngruppenvollzug s. § 7 Rdn. 12. Sehr aufwändige Einweisungsverfahren sind dann bedenklich, wenn die Genauigkeit der mitgeteilten diagnostischen Erkenntnisse und Behandlungsempfehlungen in keinem angemessenen Verhältnis zu den Behandlungsmöglichkeiten der für den Strafvollzug zuständigen Anstalt steht (Walter 1999 Rdn. 181; Rehder/Wischka 2009). 5 Diagnosen aus der Behandlungsuntersuchung und Klassifizierung sind zwar zur Sicherung der Behandlung im Strafvollzug notwendig, beinhalten aber die Gefahr der Etikettierung, Stigmatisierung und unbeabsichtigten Entmutigung durch Festschreibung einer negativen Prognose (Walter 1999 Rdn. 180; Kaiser/Schöch 2006, 92) und Verlegung auf eine (als solche erlebte) „Endstation“. Durch die Verwendung moderner und inzwischen gebräuchlicher Prognoseverfahren, die nicht nur statische (nicht mehr veränderbare, durch biographische Daten bedingte), sondern auch die dynamischen (veränderbaren) Risikofaktoren berücksichtigen (Rdn. 24), ist diese Gefahr eher gestieWischka
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gen. Es ist deshalb notwendig, Aussagen zur Legalprognose und zur Sozialprognose mit konkreten Verhaltenserwartungen zu verbinden und entsprechende Rahmenbedingungen und Behandlungsmaßnahmen anzubieten, die in der Lage sind, diese Prognose zu verbessern. Der offene Umgang mit negativen Prognosen ist dann unschädlich oder sogar förderlich, wenn es gelingt, dem Gefangenen den „Ernst der Lage“ begreiflich zu machen und Chancen zu eröffnen. Die Ergebnisse der Behandlungsuntersuchung, die Haltung des Gefangenen dazu und die Behandlungsmöglichkeiten begründen die individuelle Behandlungsprognose. Sie ist ein wesentliches Charakteristikum für eine gründlich durchgeführte diagnostische Prüfung der Verlegungsmöglichkeit in eine sozialtherapeutische Anstalt gem. § 6 Abs. 2 Satz 2 (s. auch Rdn. 24). II. Erläuterungen 1. Behandlungsuntersuchung als Grundlage der Vollzugsplanung/Verlegung. 6 In § 6 Abs. 1 ist die Behandlungsuntersuchung als Grundlage des Vollzugsplans (§ 7 Rdn. 1) zwingend vorgeschrieben (so auch bereits Nr. 58 Abs. 2 DVollzO). Die Behandlungsuntersuchung hat in unmittelbarem Anschluss an die Aufnahme in den Strafvollzug zu beginnen (LG Berlin ZfstrVo 2003, 184). Sie wird entweder in Einweisungsanstalten oder -abteilungen (§ 152 Abs. 2) oder in Anstalten durchgeführt, deren Zuständigkeit sich aus dem Vollstreckungsplan nach allgemeinen Merkmalen ergibt (§ 152 Abs. 3). Die Vollzugsbehörde hat die organisatorischen Maßnahmen dafür zu treffen, dass die Behandlungsuntersuchung unmittelbar nach der Aufnahme stattfinden kann. So ist es unzulässig, wenn ein Strafgefangener aus Kapazitätsgründen zunächst in einer Untersuchungshaftabteilung untergebracht wird und keine Behandlungsuntersuchung und Vollzugsplanung erfolgt (OLG Hamburg 10.6.2005 – 3 Vollz (Ws) 41/05). Die Verlegung zur Behandlungsuntersuchung ist keine einzelfallbedingte Verle- 7 gung i. S. des § 8, sondern eine Konkretisierung des Vollzugsplans (K/S-Kaiser 2002 § 10 Rdn. 30). Qualifikation der Mitarbeiter (Rdn. 11), ökonomischere Durchführung und Kompetenz der Institution sprechen einerseits für die Persönlichkeitsforschung in Einweisungsanstalten, andererseits besteht hier aber auch die Gefahr einer verstärkten Formalisierung und Bürokratisierung durch das einmal festgelegte Verfahren (Mey 1994, 129). Wegen des engen Zusammenhangs zwischen Klassifizierung (= Einteilung der Ge- 8 fangenen in Gruppen mit gleichen oder ähnlichen Behandlungsbedürfnissen) und Differenzierung (= Bereitstellung von Anstalten, Abteilungen, Vollzugseinheiten, Wohngruppen mit bestimmten Behandlungsangeboten) wird die Einrichtung von zentralen Klassifizierungszentren (Auswahl- oder Einweisungsanstalten) immer wieder gefordert und verteidigt (K/S-Kaiser 2002 § 10 Rdn. 30). Man erwartet, dass bei Konzentrierung der Behandlungsuntersuchung auf Einweisungsanstalten die Qualifizierung des dort tätigen Personals steigt und Erkenntnisse für die weitere Differenzierung der Anstalten gewonnen werden können. Schließlich kommen zentrale Diagnose- und Klassifizierungszentren bei entsprechender personeller Ausstattung auch für die Durchführung der besonders gründlichen Prüfung nach § 6 Abs. 2 Satz 2 in Betracht. Auch können hier gleichzeitig Aufgaben der auf die Bedürfnisse des Strafvollzugs ausgerichteten kriminologischen Forschung (§ 166) erfüllt werden (Dolde 1999, 206 ff). Diese Annahmen haben sich jedoch nur zum Teil bestätigt. Nach den bisherigen Erfahrungen scheint es besonders wichtig zu sein, das in den Einweisungsanstalten tätige Fachpersonal vor Aufnahme seiner Tätigkeit mit genügend allgemeiner Vollzugserfahrung auszustatten und später nicht über lange Jahre hinweg ausschließlich mit diagnostischen Aufgaben zu betrauen. Vgl. auch Rdn. 3 und § 152 Rdn. 8. 117
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2. Dauer der Behandlungsuntersuchung/Einweisungsanstalten 9
Während der Behandlungsuntersuchung kann nach § 17 Abs. 3 Nr. 2 die gemeinsame Unterbringung des Gefangenen während Arbeit und Freizeit bis zu zwei Monaten eingeschränkt werden (s. auch Rdn. 5 zu § 17). Daraus folgt, dass dieser Zeitraum auch als die längste Dauer der Behandlungsuntersuchung anzusehen ist (LG Berlin ZfStrVo 2003, 184; C/MD 2008 Rdn. 2; Arloth 2011 Rdn. 1; AK-Feest/Straube 2012 Rdn. 3; Laubenthal 2011 Rdn. 316). Während Einweisungsanstalten in der Regel sechs bis acht Wochen für die Behandlungsuntersuchung benötigen, zeigen praktische Erfahrungen aus Anstalten, welche die Gefangenen nach den Vorschriften des Vollstreckungsplans (§ 7 Rdn. 2) aufnehmen, dass bei rationeller Organisation von Aufnahmeverfahren, Behandlungsuntersuchung und Vollzugsplankonferenz diese Vollzugsphase schon früher abgeschlossen sein kann (ähnlich auch § 53 Abs. 1 AE-StVollzG; s. Rdn. 4; Beispiele von Organisationsformen bei Stock 1993, 94 ff; Heß 1998, 336 ff; Villmar 2009; Werner/Grotjohann 2009; zu Vor- und Nachteilen praktizierter Einweisungsverfahren Höflich/Schriever2003, 26 f). Einweisungsanstalten begründen ihren höheren Zeitaufwand damit, dass sie einen längeren Zeitraum für Verhaltensbeobachtung im Vollzug benötigen. Wird die Behandlungsuntersuchung nicht in der Anstalt durchgeführt, die für den Strafvollzug zuständig ist, ergibt sich aus dem Sinn der Vorschrift, dass durch die Verlegung keine Verzögerung eintreten darf, die eine alsbaldige Vollzugsplanung verhindert. Es liegt auf der Hand, dass durch unterschiedliche Zuständigkeiten und den damit verbundenen logistischen Schwierigkeiten (Aufnahmeverfahren – Verlegung in die Einweisungsanstalt – Behandlungsuntersuchung – Rückverlegung – Ausfertigung der Begutachtungsergebnisse und Übermittlung an die zuständige Anstalt – Vollzugsplanung) die Gefahr besteht, dass zu viel Zeit vergeht, bevor mit Behandlungsmaßnahmen begonnen werden kann. Die Vollzugsbehörde ist hier in besonderem Maße aufgefordert, durch organisatorische Maßnahmen sicher zu stellen, dass notwendige Maßnahmen (z. B. Verlegung in den offenen Vollzug, Verlegung in eine sozialtherapeutische Einrichtung, Durchführung einer Bildungsmaßnahme) oder eine Strafrestaussetzung zur Bewährung nach § 57 StGB nicht unverhältnismäßig verzögert oder sogar unmöglich werden.
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3. Personal. Die Behandlungsuntersuchung sollte und wird in der Regel von einem der Aufnahmeabteilung fest zugeordneten Mitarbeiterstab nach § 155 Abs. 2 durchgeführt. Voraussetzung für eine erfolgreiche Mitwirkung in der Behandlungsuntersuchung sind gute diagnostische Ausbildung und Befähigung dieser Bediensteten sowie ausreichende Vollzugserfahrung (s. Rdn. 8). Die Behandlungsuntersuchung erfordert allerdings nicht in jedem Fall die Mitwirkung von psychologischen Fachkräften. Die Anstalt hat insoweit einen Beurteilungsspielraum (OLG Hamburg 13.6.2007 – 3 Vollz (Ws) 26). Die Mitwirkung eines Psychiaters ist allerdings selbst in Einweisungsanstalten selten. Eine Ausnahme bildet das Prognosezentrum bei der JVA Hannover (Villmar 2009). Je mehr Bedienstete an der Behandlungsuntersuchung beteiligt sind, um so höhere Anforderungen sind an die Organisation des Ablaufs und an die Kooperation innerhalb des Gremiums zu stellen (vgl. auch § 152 Rdn. 8). Es ist sicher unzureichend, wenn sich die auf Resozialisierung zielende Bestandsaufnahme nur an der Selbstdefinition der Gefangenen orientiert, wenn deren Umfang und Inhalt darauf ausgerichtet wird, wie nach der Meinung der Gefangenen Hilfen aussehen sollten und wenn sie nur als Abfolge von Beratungsgesprächen verstanden wird wie AK-Feest/Straube 2012 Rdn. 2 u. 7 fordern. Es müssen vielmehr alle Informationen erhoben werden, die zur Planung von Maßnahmen erforderlich sind, um das VollzugsWischka
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ziel (§ 2) zur erreichen. Der Gefangene muss zur Mitarbeit daran motiviert werden (§ 4 Abs. 1), indem ihm erklärt wird, dass diese Bestandsaufnahme notwendig und in seinem Interesse ist und dass die Ergebnisse mit ihm besprochen werden (vgl. auch Rdn. 25). Die Gefahr einer Persönlichkeitserforschung über das notwendige Maß hinaus (Böhm 2003 Rdn. 187) ist in der Praxis selten. Dennoch muss auf die Problematik hingewiesen werden, die entsteht, wenn als Ergebnis der Untersuchung Defizite und Störungen benannt werden und (in gut gemeinter Absicht) Behandlungsmaßnahmen zur Reduzierung der Rückfälligkeit und/oder Lockerungseignung als notwendig erachtet werden, die in den Anstalten aber nicht umgesetzt werden können. Dies wird häufig nicht nur dazu führen, dass die empfohlene Maßnahme nicht durchgeführt wird, sondern – weil die Prognose nicht verbessert werden konnte – dass auch keine oder sehr spät Vollzugslockerungen gewährt werden und dass geringere Chancen auf eine Strafrestaussetzung zur Bewährung bestehen. Eine zu umfangreiche Behandlungsuntersuchung und überzogene Folgerungen daraus werden dann mehr schaden als nutzen (Rehder/Wischka 2009). Auf der anderen Seite müssen die Vollzugsanstalten aber auch dazu angeregt werden, nicht vorhandene aber erforderliche Behandlungsangebote zu entwickeln und die dazu notwendigen Rahmenbedingungen zu schaffen. Für Sicherungsverwahrte und Gefangene mit vorbehaltener oder nachträglicher Sicherungsverwahrung ist dieser Anspruch gesetzlich geregelt. Das nach den Vorgaben des BVerfG (v. 4.5.2011 – 2 BvR 2365/09) beschlossene Gesetz zur bundesrechtlichen Umsetzung des Abstandsgebotes im Recht der Sicherungsverwahrung (BT-Drucks. 689/ 12) bestimmt in § 66 c Abs. 1 Nr. 1 a StGB i. V. m. Abs. 2, dass dem Betreffenden auf der Grundlage einer umfassenden Behandlungsuntersuchung und eines regelmäßig fortzuschreibenden Vollzugsplans eine Betreuung angeboten wird, „die individuell und intensiv sowie geeignet ist, seine Mitwirkungsbereitschaft zu wecken und zu fördern, insbesondere eine psychiatrische, psycho- oder sozialtherapeutische Behandlung, die auf den Untergebrachten zugeschnitten ist, soweit standardisierte Angebote nicht Erfolg versprechend sind“. Die noch in Kraft zu setzenden Landesgesetze werden diese Vorschrift aufgreifen. Damit ist die Vollzugsbehörde in der Verpflichtung, durch die Behandlungsuntersuchung eine langfristige Vollzugsplanung zu gewährleisten, um die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass die Vollstreckung der Maßregel möglichst bald zur Bewährung ausgesetzt oder sie für erledigt erklärt werden kann (§ 66 c Abs. 1 b, StGB). So kann die Behandlungsuntersuchung z. B. ergeben, dass die Verlegung in eine sozialtherapeutische Einrichtung erst dann angezeigt ist, wenn die sprachlichen Fähigkeiten (Deutschunterricht) bzw. die Gemeinschaftsfähigkeiten erweitert worden sind, um an den dortigen therapeutischen Maßnahmen und am Wohngruppenvollzug teilnehmen zu können. 4. Dokumentation. Bei dem Umfang der Behandlungsuntersuchung und ihrer Do- 11 kumentation ist auch zu berücksichtigen, dass durch § 454 Abs. 2 StPO im Falle der Erwägung einer Strafrestaussetzung durch die Strafvollstreckungskammer eine Gefährlichkeitsprognose durch einen (i. d. R. externen) Sachverständigen zu erstellen ist. Er hat zu beurteilen, ob und was sich an der Eingangsdiagnose nachvollziehbar verändert hat. Zur Problematik der Formulierung des Gutachtenauftrages, sich dazu zu äußern, ob keine Gefahr mehr besteht, dass dessen durch die Tat zutage getretende Gefährlichkeit fortbesteht s. Eisenberg/Hackethal (1998); Nedopil (2002 b); Leygraf (2009); Schöch (1998); C/MD 2008 § 7 Rdn. 7; s. auch Rdn. 24. Dass Gefährlichkeitsprognosen bislang häufig erhebliche Mängel hatten, hat Nowara (1995) eindrucksvoll nachgewiesen. Erst nach der Exploration kann eine Schlussberatung erfolgen, welche die erhobenen Befunde, die Bedürfnisse des Gefangenen und vorhandene Angebote des Vollzuges so aufeinander abstimmt, dass mit einem Gutachten und den sich daraus ergebenden 119
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Empfehlungen einer sinnvollen Planung der weiteren Behandlung näher getreten werden kann. Zur Gutachtenerstellung grundsätzlich Bötticher et al. (2009), Dahle (2005, 2006), Endres/Schwanengel/Behnke (2012); Foerster/Winkler (2009); Kröber (2006 a, b); Leygraf (2009); Müller-Isberner/Gonzales-Cabeza (1998); Nedopil (1996 und 2006); Rasch (1999); Rehder (2002); Rehder/Wischka (2009). 12
5. Mitwirkung der Gefangenen. Die Gefangenen sind zur Duldung der Behandlungsuntersuchung verpflichtet, jedoch nicht zur aktiven Mitwirkung (C/MD 2008 Rdn. 1). Die aktive Mitwirkung der Gefangenen ist jedoch eine notwendige Voraussetzung dafür, dass die Behandlungsuntersuchung verwertbare Ergebnisse erbringt. Da der Gefangene hier eine sehr starke Blockademöglichkeit durch sein „Veto“ hat, kommt es wie auch später entscheidend darauf an, die Motivation des Gefangenen zur Mitarbeit an der Erreichung des Vollzugsziels zu fördern und zu erhalten (§ 4 Abs. 1 Satz 2). Die Gelegenheit, sich mit einem kritisch-interessierten Gegenüber unabhängig vom Ausgang des Verfahrens über seine Person und das Delikt zu äußern, ist häufig erwünscht und wird selten verweigert (Heß 1998, 338). Es ist aber nicht davon auszugehen, dass die zunächst während der Behandlungsuntersuchung erreichte Motivation des Gefangenen zur Absolvierung bestimmter Behandlungsmaßnahmen späterhin ständig gleich bleibt (vgl. Rdn. 7 zu § 4). Mit mehr oder minder starken Motivationsschwankungen ist erfahrungsgemäß zu rechnen. Verweigert ein Gefangener die Behandlungsuntersuchung, ist diese Haltung zwar zu respektieren, darf aber auch in die Ermessenserwägungen hinsichtlich der Erstellung eines Vollzugsplanes einfließen (OLG Stuttgart 30.10.2006 – 4 Ws 334/06, 4 Ws 338/06, NStZ 2007, 172 f; s. § 7 Rdn. 4). Grundsätzlich zur Mitwirkungspflicht s. § 4 Rdn. 3 ff.
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6. Akteneinsicht/Aushändigung von Untersuchungsbefunden. Gespräche mit dem Gefangenen über den jeweiligen Stand der Behandlungsuntersuchung sind im notwendigen Ausmaß zu führen (vgl. auch Rdn. 25). Eine jederzeitige Gewährung von Akteneinsicht und Aushändigung von Einzelbefunden aus der Behandlungsuntersuchung ist unzweckmäßig, weil gerade bei einer noch nicht abgeschlossenen Behandlungsuntersuchung die unkommentierte Bekanntgabe von Teilergebnissen zu zusätzlichen und unnötigen Konflikten führen kann. Die Einsichtnahme in Aufzeichnungen persönlicher Eindrücke und Hypothesen ist deshalb nur ausnahmsweise in Betracht zu ziehen (§ 185 Rdn. 12, Arloth 2011 § 185 Rdn. 7); es müsste dargelegt werden, dass ohne diese Einsicht bestimmte Rechte nicht geltend gemacht werden können (§ 185 Rdn. 10; Arloth 2011 § 185 Rdn. 5). Dass die Einsichtnahme in Testergebnisse, die im Rahmen der Behandlungsuntersuchung ermittelt worden sind, zur Wahrnehmung der Rechte erforderlich sind, wird in der Regel nicht plausibel geltend gemacht werden können. Die Interpretation von Testergebnissen erfordert Sachverstand; sie müssen stets im Zusammenhang mit anderen Befunden gesehen und gewichtet werden (s. Rdn. 23). Erst das Gespräch nach Abschluss der Untersuchung kann dem Ziel dienen, den Gefangenen über den Gesamtbefund angemessen zu informieren und ihm zu helfen, die für ihn wichtigen Erkenntnisse zu akzeptieren und so die für die Mitwirkung bei der Behandlung notwendigen Aktivitäten zu entwickeln. Ob das Gesamtergebnis der Behandlungsuntersuchung und die darin ausgesprochenen Behandlungsempfehlungen auszuhändigen sind, wird zu bejahen sein. Zur Wahrnehmung der eigenen rechtlichen Interessen wird das Eröffnen oder einmalige Lesen komplexer Darstellungen mit darin enthaltenen psychologischen Fachtermini für einen Laien nicht ausreichend verständlich sein und auch nicht ausreichend dauerhaft erinnert werden können (s. § 185 Rdn. 9). Auch wenn das Ergebnis der Behandlungsuntersuchung nur Empfehlungs- und keinen Wischka
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Regelungscharakter hat, kann nur dann beurteilt werden, ob die Ergebnisse der Behandlungsuntersuchung im Vollzugsplan ermessensfehlerfrei berücksichtigt worden sind, wenn diese im Detail bekannt sind (s. § 7 Rdn. 5; zur Frage des Rechts auf Einsicht in die Gefangenenpersonalakte s. § 115 Rdn. 7; § 185 Rdn. 1 ff; zur Aushändigung von Unterlagen im Einweisungsverfahren: OLG Celle NStZ 1982, 136 positiv; LG Duisburg NStZ 1984, 238; OLG Hamm NStZ 1985, 47 = ZfStrVo 1985, 51 abl.; zur Bekanntgabe des vollständigen Wortlauts eines Prognosegutachtens OLG Nürnberg 3.5.2005 – 1 Ws 457/05, ZfStrVo 2005, 297 positiv; KG Berlin 4.12.2006 – 5 Ws 102/06 Vollz positiv). Da das die Behandlungsuntersuchung abschließende Gutachten (Rdn. 17, 18) keinen Regelungscharakter hat, kann es von dem Gefangenen nicht angefochten werden (OLG Hamm ZfStrVo 1987, 368). 7. Umfang der Untersuchung. Umfang und Methoden der Behandlungsuntersu- 14 chung sind sowohl aus ökonomischen als auch aus Gründen des Datenschutzes (für das Aufnahmeverfahren § 5 Rdn. 4, 6) auf die Erreichung der für die Aufstellung des Behandlungs- und Vollzugsplans notwendigen Inhalte und Ausmaße zu beschränken (§ 179 Rdn. 5; C/MD 2008 Rdn. 6; K/S-Schöch 2002 § 13 Rdn. 9; Rehder/Wischka 2009). Sie hat aber bei Gefangenen, die nach §§ 174 bis 180 oder 182 StGB verurteilt worden sind, der Forderung einer besonders gründlichen Prüfung gem. § 6 Abs. 2 Satz 2 zu entsprechen (s. Rdn. 11). Schematische Wiederholungen früherer Untersuchungen sind zu vermeiden (Böhm 2003 Rdn. 185, 186). Statt dessen muss die Behandlungsuntersuchung als Längsschnittuntersuchung angelegt werden, in die die Ergebnisse früherer Untersuchungen – ggf. vergleichend – einzubeziehen sind. Nicht nur Störungen und Defizite sollten festgestellt werden, sondern auch Ressourcen, die gefördert und zur Unterstützung der Eingliederung eingesetzt werden können (AK-Feest/Straube 2012 Rdn. 8; Hahn 2012). Dass die Behandlungsuntersuchung methodisch dem Stand der wissenschaftlichen Forschung zu entsprechen hat, müsste selbstverständlich sein, wird in den Landesgesetzen oder Begründungen z. T. aber direkt oder indirekt eingefordert. Nach § 7 Abs. 1 HambStVollzG beginnt die Aufnahmeuntersuchung mit einer fachkundigen Erforschung der Persönlichkeit und Lebensverhältnisse der Gefangenen (Rdn. 37). In BadenWürttemberg soll die Behandlungsuntersuchung nach anerkannten Kriterien landesweit einheitlich erfolgen (Rdn. 36). Die Konkretisierungen der Ziele und Inhalte der Untersuchung (vor allem in Hessen, s. Rdn. 39) lassen erkennen, dass die Erkenntnisse der Behandlungs- und Rückfallforschung der letzten Dekade berücksichtigt worden sind, die zur Effektivität der Behandlungsmaßnahmen im Strafvollzug beitragen können. Dem Stand der wissenschaftlichen Forschung entspricht auch eine stärkere Berücksichtigung von Erkenntnissen aus den Neurowissenschaften. Die Forschungslage hat sich hier in den letzten Jahren explosiv entwickelt und kann gerade für Straftäter mit problematischen Diagnosen und hohem Gefährlichkeitspotenzial (antisoziale Persönlichkeitsstörung, Psychopathie, Posttraumatische Belastungsstörung, Hyperkinetisches Syndrom) neue Anregungen für Diagnostik und Therapie zur Verfügung stellen. Auch für die Beurteilung der Schuldfähigkeit ergeben sich neue Gesichtspunkte (s. Grawe 2004; Kalus 2012; Konicar/Veit/Birbaumer 2012; Müller 2010 a, b; Saß 2007; Saimeh 2012; Schiffer 2007; Schwerdtner 2011; Stolpmann et al. 2010). 8. Ergebnisse der Behandlungsforschung und Konsequenzen für die Behand- 15 lungsuntersuchung. Der Optimismus von Praktikern und Forschern hinsichtlich der Behandelbarkeit von Straffälligen war deutlichen Schwankungen unterworfen. Nach einer „euphorischen Phase“ Ende der 60er und der 70er (in der Zeit der Entstehung des Straf121
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vollzugsgesetzes) waren die 80er sehr viel stärker von Behandlungspessimismus gekennzeichnet. Erste Meta-Evaluationsergebnisse der Behandlungsforschung wie die von Martinson (1974) sind zur Formel „nothing works“ überinterpretiert worden. Es folgten in den 90er eine Vielzahl von Meta-Analysen vorliegender Studien, die zu genauen Analysen führten, welche Behandlungsmethoden als wirksam anzusehen sind (Andrews et al., 1990). Inzwischen lassen die zahlreichen Forschungsergebnisse die Frage, ob Behandlung inhaftierter Täter möglich und sinnvoll ist, gar nicht mehr zu. Es kann eigentlich nur noch um die Frage gehen, wie bei wem Behandlung einsetzen muss. Andrews/Bonta (2010), die mit der Identifizierung des Risiko-, Bedürfnis- und Ansprechbarkeitsprinzips (RNR) einen ganz entscheidenden Beitrag zum Verständnis wirksamer Behandlungsmaßnahmen geleistet haben, bringen diese Entwicklung in ihrem inzwischen in fünfter Auflage erschienen Standardwerk „The psychology of criminal conduct“ auf den Punkt, wenn sie sagen: „In applied terms, prevention and corrections have moved from ‚nothing works‘ through ‚what works‘ to ,making that works work‘“ (aaO S. iii). Die von Andrews et al. (1990; Andrews/Bonta 2010) getroffene Unterscheidung zwischen Risiko-, Bedürfnis- und Ansprechbarkeitsprinzip (risk-, need-, responsivity principle) zur Qualifizierung von Behandlungsmaßnahmen hat sich als sehr bedeutsam für die Weiterentwicklung von Behandlungskonzepten erwiesen. Das RNR-Modell ist das vielleicht einflussreichste Modell für die Diagnostik und Behandlung von Straftätern (Bonta/Andrews 2007). Sie sind als „Kernprinzipien“ effektiver Behandlung anzusehen und können durch zahlreiche Untersuchungen als empirisch gesichert gelten. Kurz gefasst heißt dies: x Risikoprinzip: Wähle das Niveau der Maßnahme nach dem Risiko, rückfällig zu werden. x Bedürfnisprinzip: Stelle die kriminogenen Bedürfnisse fest und ziele in der Behandlung darauf ab. x Ansprechbarkeitsprinzip: maximiere die Fähigkeit des Täters, von der Rehabilitationsmaßnahme zu profitieren durch den Einsatz kognitiv-behavioraler Methoden und passe die Maßnahme dem Lernstil, der Motivation, der Fähigkeiten und Stärken des Täters an. Bonta/Andrews (2007; s. a. Andrews/Bonta 2010) erläutern acht zentrale Risiko-/ Bedürfnisprinzipien von denen sieben in der nachfolgenden Tabelle beschrieben sind (s. Wischka 2012). Die dynamischen Hauptrisiko- und Bedürfnisfaktoren (Bonta/Andrews 2007) Hauptrisko-/ Bedürfnisfaktor Antisoziales Persönlichkeitsmuster Pro-kriminelle Einstellungen Soziale Unterstützung für Kriminalität
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Indikatoren
Behandlungsziele
Impulsivität, abenteuerliche Vergnügungssucht, rastlos aggressiv und irritierbar Rechtfertigungen für Kriminalität, negative Einstellungen zum Gesetz Kriminelle Freunde, Isolation von prosozialen Anderen
Aufbau von Selbstmanagement-Fähigkeiten, Erlernen von Ärgermanagement Entgegenwirken mit prosozialen Einstellungen, Aufbau einer prosozialen Identität Ersetzen prokrimineller Freunde durch Verbindungen mit prosozialen Freunden
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Hauptrisko-/ Bedürfnisfaktor
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Indikatoren
Behandlungsziele
Drogenmissbrauch
Missbrauch von Alkohol und/oder Drogen
Familiäre/eheliche Beziehungen
Unangemessene elterliche Kontrolle und Disziplinierung, schwache familiäre Beziehungen Schwache Leistungen, geringer Grad von Befriedigung
Reduzierung von Drogenmissbrauch, Erweitern von Alternativen zu Drogenmissbrauch Vermittlung von Erziehungsfähigkeiten, Erweiterung von Wärme und Fürsorglichkeit
Schule/Arbeit
Prosoziale Freizeitaktivitäten
Fehlende Einbindung in prosoziale Erholungs-/ Freizeitaktivitäten
Ausbau von Arbeits-/Lernfähigkeiten, Fördern interpersoneller Beziehungen im Kontext von Arbeit und Schule Ermutigung zur Teilnahme an prosozialen Freizeitaktivitäten, Vermittlung von prosozialen Hobbys und Sport
Zu diesen sieben dynamischen, also veränderbaren Risiko-/Bedürfnisfaktoren gibt es noch einen achten, statischen, nicht mehr veränderbaren Faktor, der aus der kriminellen Vorgeschichte besteht. Dieser Faktor wird zusammen mit den Faktoren „antisoziales Persönlichkeitsmuster“, „prokriminelle Einstellungen“ und „soziale Unterstützung für Kriminalität“ als die „Big Four“ bezeichnet, die anderen als „Moderate Four“. Insgesamt spricht man von den „Central Eight“. Kognitive soziale Lernstrategien sind nach Bonta/Andrews (2007) am effektivsten, ungeachtet des Tätertypus (z. B. weibliche Täter, Täter mit der Diagnose Psychopathie, Sexualstraftäter). Kernveränderungspraktiken sind prosoziales Modellieren, die angemessene Verwendung von Verstärkung und Missbilligung und Problemlösen. Neben dieser generellen Ansprechbarkeit ist zur „Feinabstimmung“ die spezifische Ansprechbarkeit bei kognitiv-behavioralen Interventionen zu beachten, die Stärken, kognitive Fähigkeiten, Lernstil, Persönlichkeit, Motivation und bio-soziale Merkmale des Individuums (z. B. Geschlecht, ethnische Zugehörigkeit) in Rechnung zu stellen. Zu berücksichtigen sind dabei auch die Ansprechbarkeitsaspekte bei der Psychopathie (Andrews/Bonta 2010, 46). Als weitere Kernprinzipien geben Andrews/Bonta (2010) die Empfehlung, x nicht auf die Wirkung von Bestrafung, Abschreckung oder Wiedergutmachung und andere, im Justizsystem vorhandene Grundsätze zu vertrauen, x sich möglichst auf mehrere kriminogene Bedürfnisse einzustellen, x auch die Stärken des Betreffenden zu erkunden, um die Prognose und spezifische Ansprechbarkeitseffekte zu verbessern, x eine strukturierte Diagnostik einzusetzen, dabei validierte Erhebungsinstrumente zu verwenden, um Stärken sowie Risiko-, Bedürfnis- und Ansprechbarkeitsfaktoren zu ermitteln und Diagnostik und Interventionen zu integrieren. Als übergreifende Prinzipien bezeichnen Andrews/Bonta (2010): x Respekt für die Person und den normativen Kontext: Die Behandlungsangebote sollen respektvoll, auch mit Respekt vor der persönlichen Autonomie angeboten wer123
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den („firm but fair“). Sie sollen menschlich, ethisch, gerecht, zurückhaltend und auch auf andere Weise normativ sein. Dabei können Regeln durch bestimmte Settings, in denen sie gelten, angepasst werden (z. B. bei jungen, psychiatrisch auffälligen oder weiblichen Straftätern). x Psychologische Theorie: Programme sollen auf eine solide, empirische Basis gegründet werden. Empfohlen wird ein genereller Persönlichkeits- und kognitiv-sozialer Lernansatz, der die (antisoziale) Verhaltensgeschichte, kriminalitätsbegünstigende Kognitionen (Einstellungen, Werte, Überzeugungen, Rationalisierungen) und die soziale Unterstützung für Kriminalität (Selbststeuerungs- und Problemlösungsfähigkeiten, Impulsivität, Gefühllosigkeit, Risikobereitschaft) berücksichtigt. x Generelle Verbesserung der Kriminalitätsprävention: Die RNR-Prinzipien sollten auf Institutionen innerhalb und außerhalb des Justizsystems ausgeweitet werden. Darüber hinaus beschreiben Andrews/Bonta (2010) effektive Organisationsprinzipien (Settings, Personalführung und Management): x Ambulante Behandlungsmaßnahmen sollten bevorzugt eingesetzt werden. Die Verwendung der RNR-Prinzipien hat aber gleichermaßen für die Behandlung in Institutionen Gültigkeit. x Kernprinzipien bei der Praxis des Behandlungsteams: Die Effektivität der Behandlung steigt, wenn sie von Therapeuten und Basispersonal mit hohen Beziehungsfähigkeiten in Verbindung mit hohen Strukturierungsfähigkeiten angeboten wird. Qualitativ hochwertige Beziehungen sind gekennzeichnet durch Respekt, Zuwendung, Einsatzfreude, umfassende Zusammenarbeit und Wertschätzung der persönlichen Autonomie. Strukturierte Angebote beinhalten prosoziales Modelllernen, effektive Verstärkung und Missbilligung, Aufbau von Fähigkeiten, Problemlösungen, wirksamer Einsatz von Autorität, Einsatz für die Interessen des Klienten und Vermittlung, kognitive Umstrukturierung und motivierende Gesprächsführung. x Management: Förderung der Auswahl, des Trainings und Supervision des Personals im Sinne der RNR-Prinzipien, Einführung von Mitbeobachtung der Durchführung von Behandlungsmaßnahmen (Monitoring), Rückmeldungen und Korrekturen. Aufbau eines Systems und einer Kultur, in welchem effektive Praktiken und eine kontinuierliche Betreuung unterstützt werden. Es sollten Programmmanuale verfügbar sein, der Behandlungsprozess und inzwischen erfolgte Veränderungen sollten evaluiert und Forscher einbezogen werden. Im anglo-amerikanischen Raum gibt es inzwischen zahlreiche Studien, die bestätigen, dass die zugrunde liegenden Annahmen richtig sind. Andrews/Bonta (2010) werteten 374 Studien aus, von denen 101 aus dem offiziellen Strafsystem stammten. Hier zeigte sich ein moderater Anstieg der Rückfälligkeit (r = –.03). Bei den 274 übrigen Studien, die den Effekt von Veränderungsprogrammen ermittelten, zeigte sich eine durchschnittliche Effektstärke von .12 (s. a. § 9 Rdn. 6). Bei Behandlungsmaßnahmen stieg sie auf .26 wenn alle drei Prinzipien erfüllt waren und auf .28, wenn auf ein breiteres Spektrum kriminogener Bedürfnisse eingegangen wurde (bredth). Wurde besonderer Wert auf die Qualität des Behandlungspersonals gelegt durch Auswahl, Training und Supervision (staffing), waren die Effekte noch deutlich höher. Hanson et al. (2009) schlussfolgern aus einer Metaanalyse von 2 Studien zur Behandlung von Sexualstraftätern, dass die Einhaltung der RNR-Prinzipien auch für die Behandlung von Sexualstraftätern gelten. Sie sollten vorrangig bei der Entwicklung und Implementierung von Behandlungsprogrammen für Sexualstraftäter berücksichtigt werden. Als besonders wirksam haben sich in der Straftäterbehandlung kognitiv-behaviorale Methoden bewährt. Die Überlegenheit gegenüber anderen Behandlungsmethoden Wischka
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zeigt sich sowohl in Meta-Analysen von Rückfallstudien generell (Landenberger/Lipsey 2005) als auch in der Behandlung von Sexualstraftätern (Alexander 1999; Lösel/Schmucker 2005; Schmucker 2004; Schmucker/Lösel 2008). Ziele einer kognitiv-behavioralen Therapie von Straftätern sind insbesondere kognitive Verzerrungen aufzulösen, Rechtfertigungsstrategien zu verändern, ein Bewusstsein für Risikosituationen zu entwickeln oder Verharmlosungen der Leiden der Opfer aufzulösen (Wischka 2005; Rehder/Wischka/Foppe 2012). Am Ende steht ein Rückfallpräventionsplan, der angibt, welche Situationen und emotionale Zustände künftig vermieden bzw. wie sie bewältigt werden müssen. Der entlassene Straftäter sollte wissen, welche Stimmungen und Gefühle für ihn gefährlich sind, welche Situationen und Personen ihn in Risikosituationen bringen und einen Rückfall wahrscheinlicher machen, welche Berufe, Interessen oder Freizeitgestaltungen ihn gefährden, wie er sich in welcher Situation verhalten sollte und wer ihn bei seinen Vorsätzen unterstützen kann (Helferkreis). Diese Rückfallpräventionsplanung bietet gute Anschlussmöglichkeiten an Institutionen der Nachsorge. Damit kognitive Veränderungen verhaltenswirksam werden, müssen externe und interne Erprobungsräume zur Verfügung stehen und verstärkende bzw. korrigierende Rückmeldungen und Reaktionen (Wischka 2011, 2012). Dies ist vor allem dann möglich, wenn die Gefangenen in Wohngruppen untergebracht sind und der Vollzug schrittweise geöffnet wird. Bei der Behandlungsuntersuchung sollten diese, sich in der Praxis immer mehr durchsetzenden Erkenntnisse aus Forschung und Praxis bereits in der Untersuchungsplanung handlungsleitend sein. Spezielle Instrumente zum „Risk-Need-Assessment“ bei Dahle (2005, 50 ff; 2006, 34 ff; Dahle/Harwardt/Schneider-Njepel 2012). 9. Methoden der Behandlungsuntersuchung. Die Behandlungsuntersuchung mit 16 der dabei zu stellenden Diagnose sollte sich auf vier Methodengruppen stützen: a) Erhebungen zur Vorgeschichte (Anamnese), b) Verhaltensbeobachtungen, c) Durchführung von standardisierten Untersuchungsmethoden (Tests, Prognoseverfahren), d) erörternde und beratende Gespräche zwischen dem Gefangenen und den diagnostisch tätigen Bediensteten einschließlich der Stellungnahme des Gefangenen zu den bisher über ihn vorliegenden Befunden sowie Erkundung der Vorstellungen, Planungen und Wünsche des Gefangenen hinsichtlich seines weiteren Aufenthaltes im Vollzug und nach der Entlassung. Zur Erläuterung der Tätigkeiten s. Rdn. 21 bis 25. 10. Gestaltung von Gutachten. Zur Verbesserung der formalen und inhaltlichen 17 Gestaltung von Gutachten und gutachtlichen Äußerungen empfiehlt es sich, in den Vollzug eintretende Fachdienste während der Einführung in ihr Berufsfeld in Seminaren zur Berichts- und Gutachtengestaltung spezifisch auszubilden. Hinweise für die Auswahl von Untersuchungsmethoden, den Umfang der Untersuchung von Sexualstraftätern und die inhaltliche Gestaltung von psychologischen Stellungnahmen geben Endres (2004), Endres/Schwanengel/Behnke 2012; Rehder (2002), Rehder/Wischka (2009). Generell zur forensischen Gutachtenerstellung und Fehlermöglichkeiten s. Bötticher u. a. (2007, 2011); Dahle (2007); Foerster/Dressing (2009 a, b); Kröber (2006 a, b). Die in der Behandlungsuntersuchung anfallenden Unterlagen werden nicht Teil der 18 Gefangenenpersonalakte. Sie sind gesondert und gegen unbefugte Kenntnisnahme sorgfältig gesichert aufzubewahren (z. B. Regelung in NRW durch Richtlinien für das Einweisungsverfahren; danach bleiben Untersuchungsunterlagen als Hausakten bei der 125
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Einweisungsanstalt). Bei Verlegung in eine sozialtherapeutische Anstalt werden entsprechend der Mindestanforderungen des Arbeitskreises Sozialtherapeutischer Anstalten e. V. (FS 2007, 100 ff) i. d. R. getrennte Behandlungsakten geführt, zu denen diese Unterlagen gegeben werden können. Zu Zugangsmöglichkeiten zum Inhalt von Gefangenenpersonalakten § 115 Rdn. 7, § 185 Rdn. 1 ff; zur Sicherung von Therapieakten oder Unterlagen aus psychologischen Untersuchungen und Begutachtungen § 183 Rdn. 10– 12. 19
11. Schweige- und Offenbarungspflicht. Für die mitwirkenden Psychologen bestehen Probleme zwischen Schweige- und Offenbarungspflicht. Ihnen wie allen anderen an der Behandlungsuntersuchung und im Strafvollzug ganz allgemein beteiligten Fachdiensten fehlt es an gesetzlichen Vorschriften zur Festlegung ihrer Stellung und ihrer Aufgabenbereiche. Zur Schweige- und Offenbarungspflicht s. § 182 Rdn. 6 ff mit Hinweis auf die Schwierigkeit der Abgrenzung zwischen einerseits psychotherapeutisch tätigen und andererseits mit Diagnostik bzw. mit allgemeiner Behandlung und Betreuung befassten Psychologen (s. auch Gretenkord 1995; § 7 Rdn. 6).
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12. Vollzugsdauer und Behandlungsuntersuchung. § 6 Abs. 1 Satz 2 versucht in Verbindung mit VV zu § 6 Behandlungsuntersuchung und Vollzugsdauer aufeinander abzustimmen. Unter Vollzugsdauer ist dabei der Strafrest bis zur Entlassung ohne Berücksichtigung einer möglichen Strafrestaussetzung, aber ausschließlich einer angerechneten Untersuchungshaft zu verstehen (C/MD 2008 Rdn. 5). Zwischen dem Strafmaß und dem Ausmaß von Persönlichkeitsstörungen oder sozialen Defiziten und somit der Behandlungsnotwendigkeit besteht kein direkter Zusammenhang. Gerade bei Sexualdelikten gibt es progrediente Verlaufsformen, die möglichst frühe Interventionen erfordern. Dies stellt sich allerdings oft erst nach der Behandlungsuntersuchung heraus (Rdn. 35). Ergebnisse einer Behandlungsuntersuchung können für den Gefangenen auch dann von Bedeutung sein, wenn aus zeitlichen Gründen die Verlegung in eine sozialtherapeutische Einrichtung nicht angezeigt ist, aber Behandlungsangebote im Normalvollzug in Betracht zu ziehen sind oder Entlassungsvorbereitungen und Hilfen nach der Entlassung geboten erscheinen (Prinzip der Verzahnung des Vollzuges mit nachfolgenden Betreuungsinstanzen, s. auch § 154 Abs. 2). Zwar ist der Gesetzgeber der Meinung, dass angesichts der schwierigen Personalsituation im Vollzug eine Behandlungsuntersuchung bei kurzen Strafen nur eine unnötige Arbeitsbelastung verursachen würde (BT-Drucks. 7/918, 49 und BT-Drucks. 7/3998, 7), dies berechtigt jedoch nicht zu einer schematischen Anwendung von § 6 Abs. 1 Satz 2. Diese würde den Willen des Gesetzgebers missachten, der eine generelle Ausnahme bei Kurzstrafigen gerade vermeiden wollte (K/S-Schöch 2002 § 13 Rdn. 11). Die Umstände des Einzelfalls sind zu berücksichtigen. Lediglich wenn durch die Untersuchung keine Kenntnisse zu erlangen sind, die für eine planvolle Behandlung des Gefangenen im Vollzuge notwendig sind, weil die Vollzugsdauer zu kurz ist, ist die Behandlungsuntersuchung im Sinne des Abs. 1 Satz 2 nicht geboten (C/MD 2008 Rdn. 5; s. auch Böhm 2003 Rdn. 183). Bei einer schematischen Anwendung der Regel in der VV erhielten ca. 40% der Gefangenen keine Behandlungsuntersuchung (Böhm Rdn. 183). Es verbleibt den Vollzugseinrichtungen bei der Beurteilung der Notwendigkeit einer Behandlungsuntersuchung für Gefangene mit kurzen Strafen ein erheblicher Ermessensspielraum (s. Rdn. 35).
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13. Gestaltung der Behandlungsuntersuchung. Eine Behandlungsuntersuchung wird zweckmäßigerweise folgendermaßen gestaltet:
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a) Erhebungen zur Vorgeschichte (Anamnese). Auswertung aktenkundiger Daten im Vergleich mit den Angaben des Gefangenen. Aus den Akten übernommene Daten sollten nie als festgeschrieben hingenommen werden. Übernommene Daten sind vielmehr mit dem Gefangenen zu erörtern und ggf. nach seinen Angaben zu ergänzen bzw. zu korrigieren. Bei der Aufnahme der Vorgeschichte können standardisierte Anamnesebögen hilfreich sein, um einmal die Vollständigkeit der Erhebung, zum anderen ihre eventuell geplante statistische Auswertung in anonymisierter Form zu sichern (vgl. § 166; s. auch § 179 i. V. m. § 180 Abs. 1 Satz 1). Auch bei der Erhebung zur Vorgeschichte ist das Verhalten des Gefangenen wie in allen anderen Situationen während der Behandlungsuntersuchung sorgfältig zu beobachten und zu protokollieren. Zur Behandlungsuntersuchung durch qualifiziertes Personal Rdn. 10. Bereits vorliegende wichtige Informationsquellen zur Persönlichkeit des Gefangenen und zu seiner sozialen Situation finden sich im Urteil, in den Berichten der Gerichtshilfe und der Bewährungshilfe sowie in Sachverständigengutachten. § 9 Abs. 2 HStVollzG und § 7 Abs. 2 ME-StVollzG schreiben die Verwertung dieser Erkenntnisse vor (Rdn. 39 u. 41). Für die Stellung einer Verlaufsdiagnose sind die Personalakten aus früheren Aufenthalten in einer JVA heranzuziehen (zulässige Beiziehung gem. § 179 Rdn. 11). Unverzichtbar ist die Anforderung von Sachverständigengutachten; sie sind leicht zu organisieren (s. auch Böhm 2003 Rdn. 185). Sachverständigengutachten zur Persönlichkeit des Strafgefangenen, die im Verfahren der aktuellen Vollstreckung erstattet worden sind, sollen gemäß § 31 Abs. 2 StVollstrO mit den Vollstreckungsunterlagen an die zuständige Justizvollzugsanstalt übersandt werden. Hinweise zur Praxis von Aktenauswertung und Anamnese bei Bötticher et al. (2011); Endres/Schwanengel/Behnke (2012); Foerster/Winckler (2009); Kröber (2006 a). b) Verhaltensbeobachtungen. Die Organisationsstruktur der Anstalt muss dafür 22 Sorge tragen, dass ganz allgemein, insbesondere aber zur Durchführung der Behandlungsuntersuchung eine systematische Verhaltensbeobachtung der Gefangenen möglich ist. Da der allgemeine Vollzugsdienst und der Werkdienst die häufigsten Kontakte mit den Gefangenen haben, muss das hier eingesetzte und der Zugangsabteilung fest zugeordnete Personal für diese Aufgabe besonders ausgebildet werden. Aber auch alle übrigen an der Behandlungsuntersuchung beteiligten Bediensteten sind dazu anzuhalten, den Gefangenen während der Kontakte mit ihnen zu beobachten und die Beobachtungen schriftlich festzuhalten. Das Verhalten des Gefangenen in Gruppen kann z. B. schon während der Informationsveranstaltungen für Zugänge beobachtet werden (vgl. § 5 Rdn. 7). Zwischen dem Verhalten des Gefangenen als Einzelperson und als Mitglied einer Gruppe treten oft gravierende Unterschiede auf. Situationen zu intensiver Verhaltensbeobachtung finden sich bei Sport, Spiel und Freizeitbeschäftigung. Auch das Verhalten in dem vor der Behandlungsuntersuchung liegenden Vollzugsverlauf ist in die Beurteilung einzubeziehen (KG Berlin v. 23.5.2007 – 2/5 Ws 599/06). c) Standardisierte Untersuchungsverfahren (Tests) zur Erfassung der Persön- 23 lichkeit des Gefangenen werden durch den psychologischen Dienst zweckmäßigerweise möglichst in Gruppen durchgeführt. Es empfiehlt sich daher, die unbedingt notwendigen und in der Gruppe durchführbaren Verfahren zu einer Untersuchungseinheit zusammenzufassen (z. B. Intelligenztests, Persönlichkeitsfragebogen, Schulleistungstests). Die Verwendung sogenannter projektiver Testverfahren (z. B. Rorschach-Test; T. A. T.) ist im Methodenverständnis der heutigen Psychologie umstritten. An ihre Stelle sind verstärkt Persönlichkeitsfragebogen getreten. Die Kritik von Stock (1993, 177 f) an der Anwendung von Tests in der Behandlungsuntersuchung geht insofern fehl, als sie verkennt, dass 127
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Testergebnisse genauso wie alle anderen Teilbefunde lediglich Bausteine für einen Gesamtbefund darstellen, deren Verwendung erst nach Einzelgewichtung mit Plausibilitätsprüfung im Zusammenhang mit allen anderen Einzelbefunden zum Gesamtergebnis der Behandlungsuntersuchung beiträgt (s. Rdn. 25). Bei der Auswahl angemessener Testverfahren sind zunächst die „klassischen Gütekriterien“ zu beachten: Reliabilität (Grad der Genauigkeit; Reproduzierbarkeit der Ergebnisse), Validität (Übereinstimmung zwischen Messergebnis und zu messendem Merkmal) und Objektivität (Unabhängigkeit der Ergebnisse vom Untersucher). Wichtige Kriterien sind außerdem Ökonomie (Gruppenverfahren, geringe Auswertungsdauer, geringe Kosten) und Nützlichkeit (bedeutsamer Zusammenhang zu wichtigen Fragestellungen). Problematisch sind oft die zur Interpretation notwendigen Normierungen, weil sie häufig auf Stichproben von Nicht-Straffälligen beruhen (Rehder 2002, 182). Übersichten gebräuchlicher Leistungs- und Persönlichkeitstests bei Rehder (2002); Endres/Schwanengel/Behnke (2012). 24
14. Prognose der Rückfallgefahr. Die Einschätzung der Rückfallgefahr wird immer mit Unwägbarkeiten verbunden sein, weil menschliches Verhalten nie allein durch Merkmale der Person, sondern auch durch das Verhalten von interagierenden Personen und durch situative Bedingungen bestimmt ist. In der Verwendung von Prognosemethoden hat sich seit den 1970er-Jahren ein bedeutsamer Wandel vollzogen. Ihr charakteristischstes Merkmal ist die Relativierung der klinischen Prognose zugunsten von RisikoChecklisten. Damit gelingt die Identifikation von Rückfalltätern wesentlich besser, so dass deren Nicht-Berücksichtigung als „Kunstfehler“ zu bezeichnen ist (Nedopil 2002 a, 170). Die Ermittlung von Rückfallprädiktoren beruht auf groß angelegten Untersuchungen der Beziehung zwischen Tätermerkmalen und Rückfälligkeit (z. B. Hanson/Bussiére 1998; s. auch Egg 2002; Endres 2004; Freese 1998; Rehder 2002, 186 f; Rehder/Wischka 2009; Schneider 2002, 252 f; zur Rückfallforschung in Deutschland s. Harrendorf 2007; Heinz/Jehle 2004; Jehle/Heinz/Sutterer 2003). Daraus lassen sich statische und dynamische Risikofaktoren ermitteln, die nicht nur zur Einschätzung der Rückfallgefahr, sondern auch zur Entwicklung von Behandlungszielen und zur Einschätzung der Behandlungsaussichten herangezogen werden. Nedopil (2002 a, 170 f; 2010, 284) unterscheidet: – Statische (unveränderbare) Risikofaktoren: anamnestische Daten, persönlichkeitsgebundene Dispositionen und kriminologische Faktoren. Sie bilden die Grundlage für eine aktuarische Risikoeinschätzung (sie sagen, um wen man sich Sorgen machen muss). – Dynamische (veränderbare) Risikofaktoren, die weiter unterschieden werden können in fixierte dynamische Risikofaktoren: z. B. Fehlhaltungen und -einstellungen, risikoträchtige Reaktionsmuster (sie erlauben eine Einschätzung, bei wem Änderungen möglich und erreichbar sind) und aktuelle, sich ändernde Risikofaktoren: z. B. klinische Symptomatik, Einstellungen und Verhalten in bestimmten Situationen, Verleugnen von Gewalttaten, Fehlen von Schuld und Reue, unrealistische Zukunftspläne, Alkoholmissbrauch, fehlende Mitarbeitsbereitschaft (sie besagen, wann man sich Sorgen machen muss). Im deutschsprachigen Raum eingesetzte Prognoseverfahren auf dieser Grundlage sind z. B. die „Psychopathy Checklist“ (PCL-R) von Hare (1991) und die Screening-Version (PCL:SV) von Hart u. a. (1996), HCR-20 (Webster u. a.; deutsch: Müller-Isberner u. a. 1998), VRAG (Harris/Rice/Quinsey 1993), SORAG (Rettenberger/Eher 2007), SVR-20 (Boer u. a.; deutsch: Müller-Isberner u. a. 2000), RRS (Rehder/Suhling 2006), FOTRES (Urbaniok 2004), LSI-R (Dahle/Harwardt/Schneider-Njepel 2012); Übersicht s. Endres/Schwanengel/ Behnke 2012, Nedopil 2006, Dahle 2008, Dahle u. a. 2007. Wischka
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Das Überwiegen statischer Risikofaktoren wird auch intensiven Behandlungsmaßnahmen wenige Chancen zur Verbesserung der Prognose einräumen. Damit werden Grenzen der Behandelbarkeit aufgezeigt (Lösel 2001; Born/Conzales Cabeza 1998; Nuhn-Naber u. a. 2002, 277 f). Sie sind allerdings niemals allein durch den Einsatz einzelner Verfahren, sondern nur in der Zusammenschau aller Ergebnisse der Behandlungsuntersuchung bestimmbar und erfordern ein hohes Maß an klinisch-diagnostischer und therapeutischer Erfahrung. Prognosemethoden auf dieser theoretischen Grundlage sind inzwischen nicht nur bei der Behandlungsuntersuchung und Indikationsstellung für die Verlegung in eine sozialtherapeutische Einrichtung gebräuchlich, sondern auch bei Begutachtungen zur Strafrestaussetzung nach § 454 Abs. 2 StPO und im Rahmen des Strafverfahrens. Sie werden auch bei der Anordnung und Aussetzung der Sicherungsverwahrung nach § 66 StGB (§ 130 Rdn. 1) zunehmend eine Rolle spielen. Nach neueren Untersuchungen ist allerdings Vorsicht angebracht, der Vorhersagekraft dieser Instrumente eine zu große Bedeutung beizumessen (Eher u. a. 2009; Reichel/Marneros 2008). Wenn sie inzwischen auch unverzichtbar sind, so ist ein kritischer Umgang damit zu fordern. Es wird tendenziell zu ungünstig prognostiziert und nicht immer angemessen berücksichtigt, dass nicht nur die Risikovariablen der Persönlichkeit eine Rolle spielen, sondern auch die Bewährungssituation (Walter 2010). Da menschliches Verhalten immer, aber in variierender Gewichtung, sowohl durch Persönlichkeitsmerkmale als auch durch situative Variablen bedingt ist, ist für prognostische Aussagen zu fordern, dass deutlich gemacht wird, für welchen Zeitraum und für welche Situationen die Aussagen gelten sollen und wie Risikokonstellationen begegnet werden kann. Für die Planung von Behandlungsprozessen ist die Identifizierung von Rückfallprädiktoren besonders dann sinnvoll, wenn „deliktparalleles Verhalten“ aufgedeckt und Strategien zu dessen Veränderung geplant und durchgeführt werden. In deliktparallelem Verhalten finden sich Einstellungen, Ziele oder Verhaltensskripts wieder, die dem kriminellen Verhalten ähnlich sind und die gleiche Funktion haben, aber selbst nicht strafbar sind (Daffern et al. 2010; Endres/Schwanengel/Behnke 2012, 106 f; Nedopil 2010, 287). Dazu sind Erprobungsräume innerhalb und außerhalb der JVA sowie ständige Rückmeldungen und Verhaltenskorrekturen erforderlich (Wischka 2011, 2012; s. Rdn. 15). 15. Erörterung der Behandlungsplanung. Abs. 3 begründet ein Recht des Gefan- 25 genen auf Erörterung der Behandlungsplanung (K/S-Schöch 2002 § 13 Rdn. 10). Er hat auch die Pflicht, am Erörterungstermin teilzunehmen (C/MD 2008Rdn. 7). Damit ist das Beteiligungsrecht bei der Vollzugsplanung abschließend und umfassend festgelegt (BVerfG NStZ-RR 2002, 25). Ein Anwesenheitsrecht des Gefangenen oder/und seines Rechtsanwalts bei der Vollzugsplankonferenz ist daraus nicht abzuleiten, aber zulässig und im Einzelfall sinnvoll (OLG Stuttgart NStZ 2001, 392; s. § 7 Rdn. 5). „Federführer“ und Gefangener erörtern diese Befunde sowie noch offene Fragen und die sich daraus ergebenden Konsequenzen. Der Gefangene wird veranlasst, seine Einstellungen zu seiner Vergangenheit, seiner jetzigen Situation und zu seinen Perspektiven für die Zukunft darzulegen. Schließlich versuchen beide gemeinsam, die sich aus dem Gesamtbefund ergebenden Aussichten und Möglichkeiten zu definieren sowie Motivation für notwendige Veränderungen zu wecken. Die Behandlungsuntersuchung geht hier mit der Anfertigung des Abschlussgutachtens und einer darauf aufbauenden Planungsberatung (§ 6 Abs. 3) bereits konkret in Behandlung über. Die Mitarbeitsbereitschaft des Gefangenen wird gefördert, wenn er die Schlussfolgerungen und Empfehlungen der Behandlungsuntersuchung nachvollziehen kann. Die Aushändigung des Abschlussgutachtens ist deshalb sinnvoll. Er hat darauf auch einen Anspruch (OLG Celle NStZ 1982, 136; zur Aushändigung von Prognosegutachten s. Rdn. 13). 129
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16. Besonders gründliche Prüfung bei Sexualdelikten. Die Forderung einer besonders gründlichen Prüfung bei Verurteilten nach den §§ 174 bis 180 oder 182 StGB, ob die Verlegung in eine sozialtherapeutische Anstalt angezeigt ist, durch Abs. 2 gebietet eine intensive Vorgehensweise. Eine lediglich auf die bestehenden Hilfsangebote einer sozialtherapeutischen Einrichtung abgestellte Untersuchung ist unzureichend (s. Rdn. 10). Sie ist auch deshalb nicht zulässig, weil nach § 9 Abs. 1 die Indikation und ggf. der Abbruch der Behandlung an der Person des Gefangenen festzumachen sind und nicht an den Angeboten der Einrichtung. Die institutionellen Rahmenbedingungen und Behandlungsangebote sind am Therapiebedarf auszurichten (AK-Rehn/v. d. Boogaart 2012 § 9 Rdn. 17). Die Landesgesetze haben einheitlich darauf verzichtet, für die wegen Sexualdelikten verurteilten Straftäter eine besondere Intensität der Behandlungsuntersuchung vorzuschreiben und damit die seit dem 31.1.1998 in Kraft getretenen Novellierung des StVollzG durch das Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten erfolgte Hervorhebung dieser Tätergruppe korrigiert. Dass die Gefährlichkeit eines Täters für die Allgemeinheit fundiert untersucht werden muss, versteht sich von selbst und Bedarf dieser Hervorhebung nicht. Diese seinerzeit kriminalpolitischen Erwägungen geschuldete Schwerpunktverlagerung wurde fachlich heftig kritisiert (z. B. Schüler-Springorum 2002, 2003). Auch die Ursachen und Rückfallrisiken bei anderen Straftaten (z. B. Gewaltdelikten) müssen sorgfältig untersucht werden. Eine gründliche Prüfung führt auch zu Aussagen über die Psychodynamik des Sexu27 aldelikts und zur Einordnung in Tätertypologien (zumindest zu Hypothesen als Arbeitsgrundlage). Für die Behandlungsplanung (und auch zur Beurteilung der Erfolgsaussichten und der Rückfallgefahr) macht es einen ganz erheblichen Unterschied, ob es sich z. B. bei einem Täter, der wegen sexuellen Missbrauchs verurteilt worden ist, um eine inzestuöse Beziehung gehandelt hat, ob eine pädophile Fixierung besteht, ob es Grenzüberschreitungen im Rahmen einer dissozialen Symptomatik gegeben hat oder ob sadistische Neigungen erkennbar sind. Zu Tätertypologien s. Rehder (1996 a und b; Pfäfflin 2009); zur Problematik der Etikettierung Rdn. 5. Die früher eher unspezifischen Behandlungsmethoden für Sexualstraftäter sind 28 durch die zunehmenden Erfahrungen differenzierter geworden. Psychodynamische Therapieformen werden ergänzt durch kognitiv-behaviorale Methoden, die das Tatgeschehen und den Rückfallprozess in den Vordergrund stellen. Zur Geschichte der Therapie von Sexualstraftätern und zur kognitiv-behavioralen Therapie s. Adler/Sonnabend (1998); Berner/Becker (2001); Berner et al. (2007); Egg (2008); Pfäfflin (2001, 2009); Pfäfflin/ Kächele (2002); Rehder/Wischka/Foppe (2012); Wischka (2005). Die mit der Behandlungsuntersuchung betrauten Fachkräfte benötigen somit auch Kenntnisse über die Therapiemethoden der aufnehmenden sozialtherapeutischen Anstalt (s. a. Rdn. 15). Dies setzt bei den für Sexualstraftäter zuständigen Diagnostikern eine hohe fachliche Kompetenz und ständige Weiterbildung voraus. Eine fachaufsichtliche Kontrolle des Qualifikationsstandes dieser Bediensteten ist stets notwendig und deshalb sicherzustellen (Lösel/Bender 1997, 192). 29 Es ist sichtbar, dass die im „Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten“ erkennbare Tendenz zu restriktiver Sicherung und Risikovermeidung durch den mehrfach vorliegenden Hinweis (§ 6 Abs. 2 Satz 2 und VV zu § 10 Nr. 2 Abs. 3; VV zu § 11 Nr. 6 Abs. 4; VV zu § 13 Nr. 4 Abs. 4; zur Risikovermeidung Nowara 1995, 158 ff) auf die besondere Gründlichkeit der Diagnosen zur Genehmigung behandlungssensibler Vollzugsmaßnahmen bei Sexualstraftätern die Verteilung derartiger Entscheidungen einseitig negativ beeinflussen wird. Die Risikoscheu vieler Diagnostiker wird durch diesen „Mehrfach-Hinweis“ besonders angesprochen und verstärkt. 26
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Auch forensische Psychiater gelangen allzu leicht in die Gefahr, dem öffentlichen Druck nachzugeben (Nedopil 2002 b, 214). Das ist allerdings vom Gesetzgeber gewollt. Die Freiheitsinteressen des Einzelnen und die Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit i. S. d. „kalkulierten Risikos“ sind jeweils sorgfältig abzuwägen (s. dazu auch BVerfG, Beschl. vom 30.4.2009 – 2 BvR 2009/08). Im Ergebnis nimmt die Lockerungsquote seit Jahren ab (im Ländervergleich mit teilweise erheblichen Unterschieden) und behindert damit erforderliche Erprobungen und Maßnahmen der Entlassungsvorbereitungen (Dünkel 2009; Feest/Lesting 2005; Wischka 2011, 2012). Der Einwand, dass dadurch die Risiken für die Allgemeinheit in der Zeit nach der Entlassung steigen können, wird dabei nicht immer angemessen berücksichtigt. 17. Verlegung in eine sozialtherapeutische Anstalt oder Abteilung. Die Indika- 30 tion für eine sozialtherapeutische bzw. psychotherapeutische Behandlung muss sich aus dem Resultat der Behandlungsuntersuchung ergeben. Bei der Indikationsstellung sind zunächst die Kriterien Therapiebedürftigkeit, Therapiefähigkeit und Therapiemotivation (Dahle 1995) zu beurteilen. Letztere spielt allerdings nicht mehr die Rolle wie in § 9 a. F. Therapiefähigkeit wird oft allein als Klienteneigenschaft zu einseitig beschrieben und definiert. Zusammen mit der Therapiemotivation des Klienten ist die Therapiefähigkeit auch unter Berücksichtigung der therapeutischen Rahmenbedingungen der Anstalt, den dort praktizierten Behandlungsmethoden und der konkreten Qualifizierung des Therapeuten zu beurteilen. Über den Begriff der Therapiemotivation bestehen heterogene Vorstellungen (Dahle 1995). Er kennzeichnet eine vielschichtige und sich ändernde Realität, die von verschiedensten Faktoren bestimmt ist. Diese können beim Klienten widersprüchliche Einstellungen hervorrufen. Viele Hemmnisse, z. B. konkurrierende Erwartungen, Unwissenheit, irreführende Information durchkreuzen besonders oft bei Menschen mit chronisch negativen Lebenserfahrungen das Vertrauen in die Möglichkeit persönlicher Veränderungen durch Therapie. Bei der Therapiemotivation ist auch die von Steller (1977) getroffene sehr bedeutsame Unterscheidung zwischen Veränderungswunsch und Hilfewunsch sinnvoll. Letzterer richtet vor allem Erwartungen an andere und weniger an sich selbst. Nach § 9 bedarf die Verlegung in eine sozialtherapeutische Einrichtung nicht mehr 31 der Zustimmung des Gefangenen und auch nicht mehr der des Leiters der Einrichtung. d. h., die Anforderungen an die Therapiemotivation sind bewusst gesenkt worden. Damit gelten ähnliche Ausgangsbedingungen wie im Maßregelvollzug. § 8 Abs. 1 JVollzGB III hat diesen Zustimmungsvorbehalt allerdings wieder für den Fall vorgeschrieben, dass die Verlegungsentscheidung nicht einer zentralen Stelle übertragen worden ist (s. § 9). Es gehört zu den Aufgaben der Einrichtungen, Motivation zu erzeugen. Eine Probephase ist notwendig, um zu beurteilen, ob sich ein Gefangener auf Dauer behandlungsablehnend verhält und dann zurückverlegt werden muss. Die Einführung eines Probeaufenthaltes von drei Monaten ist vom Bundesrat vorgeschlagen (BT-Drucks. 13/7559), jedoch nicht in das Gesetz ausdrücklich aufgenommen worden. Auch die Landesgesetze kennen keine Probephase. Im Hinblick auf die Vorgaben des BVerfG (Beschl. vom 4.5.2011 – 2 BvR 2365/09) und der darauf hin geänderten Vorschriften zur Sicherungsverwahrung, BT-Drucks. 689/12 § 66 c StGB und den zu erwartenden Landesgesetzen zur Umsetzung dieser Vorgaben kommt der Motivierung für Behandlungsmaßnahmen ein erhöhter Stellenwert zu. Im Verständnis des Ansprechbarkeitsprinzips (Rdn. 15) besseren Zugang zu den Gefangenen zu finden, sie „da abzuholen, wo sie stehen“, ist eine der großen Herausforderungen der nächsten Zeit und zwar sowohl für den Normalvollzug, um die motivationalen Vor131
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aussetzungen für die Verlegung in eine sozialtherapeutische Einrichtung zu schaffen, als auch für die sozialtherapeutischen Einrichtungen, um die Rückverlegungsquote zu senken und die Maßregel zu vermeiden (s. Suhling/Pucks/Bielenberg 2012; Döhla/Feulner 2012). Auch bei der durch Verwaltungsvorschriften der Länder (§ 10 Abs. 1 HmbStVollzG 32 und § 12 HStVollzG Abs. 2 Satz 1) gesetzlich geregelten Beschränkung auf Sexualstraftäter mit einer Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren wird es Fälle geben, die einer speziellen sozialtherapeutischen Behandlung nicht bedürfen. Je nachdem wie hoch die Anforderungen an die motivationalen Faktoren gestellt werden und je nachdem wie groß die Bereitschaft einer sozialtherapeutischen Einrichtung ist, Methodenrepertoire und formale Aufnahmekriterien (Strafrest, Alter) an die Klientel anzupassen, wird auch die Indikationsquote ausfallen. Die Praxis der Indikationsstellung in den Bundesländern ist sehr heterogen (Suhling/Wischka 2008). In den Landesgesetzen ist unterschiedlich geregelt, wann entschieden wird, ob die Verlegung in eine sozialtherapeutische Einrichtung angezeigt ist. Nur § 4 JVollzGB III Abs. 2 Satz 3 und Art. 8 Abs. 2 Satz 2 BayStVollzG bestimmen eine Prüfungspflicht im Rahmen der Behandlungsuntersuchung. In den übrigen Regelungen der Länder und im Musterentwurf erfolgt die Festlegung im Rahmen der Vollzugsplanung auf der Basis der Empfehlungen in der Behandlungsuntersuchung. Haben die Diagnostiker lediglich Empfehlungskompetenzen und treffen die Verwaltungskräfte im Vollzug die Entscheidung im Rahmen der Vollzugsplanung wie die Empfehlungen der Fachkräfte zu interpretieren sind, ist die Gefahr sicherlich größer, dass nicht der Bedarf die Anzahl der Behandlungsplätze bestimmt, sondern dass umgekehrt eine Indikationsstellung nach den vorhandenen Plätzen erfolgt. 33 Die durch die §§ 6, 7 und 9 getroffenen Regelungen beinhalten die Aufforderung an die Bundesländer, Behandlungsplätze in sozialtherapeutischen Einrichtungen in dem Ausmaß zu schaffen, wie Indikationen gestellt werden, und nicht umgekehrt, die Indikationsquote an den vorhandenen Plätzen auszurichten. Dazu ist es erforderlich, dass sich bundesweit ähnliche Maßstäbe bei der Indikationsstellung entwickeln. Der Arbeitskreis Sozialtherapeutische Anstalten e.V. hat Indikationskriterien veröffentlicht, die den derzeitigen Konsens in den sozialtherapeutischen Einrichtungen wiedergeben (Egg 2007; s. § 9). Die Verlegung in eine sozialtherapeutische Einrichtung ist danach angezeigt: (1) bei Verurteilten, bei denen gefährliche Straftaten wegen einer erheblichen Störung ihrer persönlichen und sozialen Entwicklung zu befürchten sind, (2) die erkennen lassen, dass sie sich um eine Änderung ihrer Einstellungen und Verhaltensweisen bemühen wollen und (3) die über die kognitiven und sprachlichen Möglichkeiten für eine Beteiligung am Behandlungsvorgehen verfügen. Die Verlegung in eine sozialtherapeutische Einrichtung ist zum Zeitpunkt der Feststellung nicht angezeigt: (1) bei Gefangenen, bei denen andere Behandlungsmaßnahmen eine hinreichende Wirksamkeit erwarten lassen, (2) bei Gefangenen, bei denen wegen – des Ausmaßes der Abhängigkeit von Drogen oder Alkohol, – einer Erkrankung oder Schwäche des Zentralnervensystems, – schwerwiegender psychiatrisch zu behandelnder psychischer Störungen andere Hilfen angezeigt sind, (3) bei Gefangenen, bei denen der Strafrest für eine Integrative Sozialtherapie zu kurz ist oder den dafür notwendigen Zeitraum noch erheblich überschreitet, (4) bei Gefangenen, die den Gebrauch von Suchtmitteln nicht aufgeben wollen, Wischka
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(5) bei Gefangenen, die durch ihre subkulturellen Aktivitäten die Behandlung der anderen Gefangenen gefährden, (6) bei Gefangenen, die sich unbeeinflussbar behandlungsablehnend verhalten. Darüber hinaus können sich Gegenanzeigen gegenüber der Verlegung oder gegenüber dem Verbleiben in einer Sozialtherapeutischen Einrichtung ergeben, – bei Gefangenen, bei denen die Sicherheitsvorkehrungen der Sozialtherapeutischen Einrichtung nicht ausreichen, – bei Gefangenen, bei denen sich herausstellt, dass sich der Zweck Integrativer Sozialtherapie aus Gründen, die in seiner Person liegen, nicht erreichen lässt. Zu der Frage, wann die Verlegung angezeigt ist, wenn der Strafrest deutlich grö- 34 ßer ist als die zu veranschlagende Therapiezeit, haben das KG Berlin (NJW 2001, 1806 ff) und das LG Stuttgart (NStZ-RR 2001, 255 f) die von Rotthaus (ZfStrVo 2002, 182 f) geteilte Auffassung vertreten, dass die Behandlung möglichst frühzeitig zu beginnen, aber nicht unbedingt bis zum Ende der Strafe zu dauern hat. Die Verlegung in eine andere Anstalt nach Beendigung der Therapie ist kein Abbruch i. S. des § 9 Abs. 1 Satz 2. Die Zweckerreichung ist ein legitimer Grund für die Beendigung eines Rechtsverhältnisses (aaO 183; kritisch dazu Schüler-Springorum 2003, 586). Eine zeitweilige Unterbrechung der Sozialtherapie ist dagegen auch dann unzulässig, wenn ein Gefangener mit einer Strafzeit von mehr als zehn Jahren langfristig einen Behandlungsplatz „blockiert“ und lediglich Platzprobleme und der Umstand, dass der Gefangene nicht alle Behandlungsangebote nutze, angeführt werden (LG Stuttgart NStZ-RR 2001, 255 f). Die Auffassung, dass eine Sozialtherapie auch weit vor der Entlassung beendet werden kann, berücksichtigt die Bedeutung der Entlassungsphase und der Nachsorge für den Erfolg der Behandlung nicht angemessen. Sozialtherapie hat sich stets als eine Anstrengung zur Entlassungsvorbereitung verstanden; deshalb sind Zeitvorgaben so bedeutsam (Schüler-Springorum 2003, 584). Die Effekte therapeutischer Maßnahmen müssen durch kontrollierte Nachsorge und Rückfallprävention abgesichert werden (Lösel 2001, 51 f). Die schrittweise Gewährung von Vollzugslockerungen, Entlassungsvorbereitungen und Nachsorge sind deshalb nicht nur in den Konzepten einer integrativen Sozialtherapie (Egg 2008; Specht 1986; 2004; Rehn 2012; Wischka/Specht 2001; s. Rdn. 9), sondern auch in den Regelungen des § 124 (Entlassungsurlaub), § 125 (Aufnahme auf freiwilliger Grundlage) und § 126 (Nachsorge) gesetzlich vorgesehen. Das Fehlen von Zeitvorgaben zur Behandlung in den Regelungen zur Indikation im Gesetz erscheint somit mehr als Versäumnis, denn als Wille. Die in § 104 Abs. 3 NJVollzG und § 17 Abs. 4 ME-StVollzG getroffenen Regelungen, dass die Verlegung zu einem Zeitpunkt erfolgen soll, der den Abschluss der Behandlung zum voraussichtlichen Entlassungszeitpunkt erwarten lässt, berücksichtigen dieses Versäumnis. III. Beispiel Ein wegen exhibitionister Handlungen mit Freiheitsstrafen zur Bewährung vorbe- 35 strafter Mann wird bei einer erneuten Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr ohne Bewährung verurteilt. Berücksichtigt wurde beim Strafmaß, dass es diesmal zu einer deutlichen Annäherung an das Tatopfer und zu bedrohlichem Verhalten gekommen ist. Bei der Anwendung der Regel, dass bei diesem Strafmaß keine Behandlungsuntersuchung und auch keine Vollzugsplanung erfolgen, bleiben wesentliche Fragen unbeantwortet. Die Indikation für die Verlegung in eine sozialtherapeutische Einrichtung wird nicht geprüft und ist wegen der kurzen Behandlungszeit auch nicht angezeigt. In der Behandlungsuntersuchung könnte z. B. sichtbar werden, dass eine sexuelle Devianz vorliegt und dass weiter mit einem progredienten Verlauf zu rechnen ist, der 133
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eine Entwicklung von „hands-off-Delikten“ zu „hands-on-Delikten“ wahrscheinlich macht. Zu klären wäre u. a., wo die Ursachen liegen und in welchem Ausmaß Kontaktstörungen und mangelnde soziale Kompetenzen dabei eine Rolle spielen. Ein Vollzugsplan auf der Basis dieser Kenntnisse könnte in dem zur Verfügung stehenden Jahr z. B. vorsehen, dass die sozialen Kompetenzen im sozialen Training erweitert werden und dass eine Nachsorge installiert wird, die therapeutische Maßnahmen zur Bearbeitung der sexuellen Devianz ermöglichen. IV. Landesgesetze und Musterentwurf 36
1. Baden-Württemberg. § 4 JVollzGB III regelt sowohl die Aufnahme (Abs. 1) als auch die Behandlungsuntersuchung (Abs. 2). Abs. 2 lautet: „Nach der Aufnahme werden die Umstände erhoben, deren Kenntnis für eine planvolle Behandlung der Gefangenen im Vollzug und für die Eingliederung nach der Entlassung erforderlich sind. Hiervon kann abgesehen werden, wenn dies mit Rücksicht auf die Vollzugsdauer nicht geboten erscheint. Es ist zu prüfen, ob eine Verlegung in eine sozialtherapeutische Einrichtung oder andere therapeutische Maßnahmen angezeigt sind.“ Bei der Bestimmung, bei welcher Vollzugsdauer diese Erhebung nicht geboten ist, schließt sich die Gesetzesbegründung (LT-Drucks. 14/5012, 210) der VV (in der Regel bis zu einem Jahr) an. Die Begründung definiert Form und Inhalt der Erhebung näher. Sie sollte, soweit möglich, auf der Grundlage anerkannter und mit der vollzuglichen Praxis im Rahmen des Projekts „Dokumentation, Prognose, Planung“ erarbeiteten Kriterien landesweit einheitlich erfolgen. „Danach zu dokumentierende Daten betreffen etwa Erkenntnisse zu den wirtschaftlichen Verhältnissen der oder des Gefangenen, dem Wohnoder Arbeitsumfeld, der Anlasstat, der Kriminalitätsentwicklung, der Persönlichkeit, den besonderen Persönlichkeitsmerkmalen, bisherigen Therapien, Suchtmittelmissbrauch oder der Arbeitsfähigkeit“ (aaO). Bei der Prüfung, ob Sozialtherapie angezeigt ist, werden – anders als in § 6 Abs. 2 Satz 2 und § 7 Abs. 4 StVollzG – bestimmte Tätergruppen (Sexualstraftäter) nicht hervorgehoben. Die in § 6 Abs. 3 StVollzG geforderte Erörterung der Behandlungsplanung wird in § 5 JVollzGB III Abs. 3 durch die Vorschrift ersetzt, dass die Vollzugsplanung mit der oder dem Gefangenen zu erörtern ist.
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2. Bayern. Art. 8 BayStVollzG entspricht weitgehend der Regelung des § 6 StVollzG. Die Untersuchung erstreckt sich auf die Umstände, die für eine planvolle Behandlung im Vollzug und für die Eingliederung nach der Entlassung notwendig sind. Dabei sollten in geeigneten Fällen auch die Tat und eventuell auszugleichende Tatfolgen untersucht werden, um auch Opferinteressen während des Vollzugs angemessen berücksichtigen zu können (LT-Drucks. 15/8101, 51; vgl. auch Gesetzesbegründung zu Art. 78, der hervorhebt, dass die Einsicht in die Verantwortung für die Tat geweckt werden soll, dass die Gefangenen anzuhalten sind, den verursachten Schaden zu regeln und dass in geeigneten Fällen ein Täter-Opfer-Ausgleich anzustreben ist, LT-Drucks. 15/8101, 66). Mit Bezug auf die VV zu § 6 StVollzG ist eine Behandlungsuntersuchung und auch ein Vollzugsplan bei einer Vollzugsdauer bis zu einem Jahr in der Regel nicht geboten (LT-Drucks. 15/8101, 51). Anders als § 6 Abs. 2 Satz 2 StVollzG wird die Prüfung der Indikation für die Verlegung in eine sozialtherapeutische Einrichtung nicht nur auf Gefangene beschränkt, die wegen einer Straftat nach den §§ 174 bis 180 oder 182 StGB verurteilt worden sind. Art. 8 Abs. 2 Satz 2 lautet: „Es ist zu prüfen, ob eine Verlegung in eine sozialtherapeutische Einrichtung nach Art. 11 Abs. 1 oder 2 oder andere therapeutische Maßnahmen anWischka
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gezeigt sind“. Der fehlende Hinweis, dass die Indikationsprüfung „besonders gründlich“ zu erfolgen hat (§ 6 Abs, 2 Satz 2), erscheint nicht als Mangel, denn Fragestellungen bei einer Behandlungsuntersuchung, die eine planvolle Behandlung und Eingliederung zum Ziel hat, die „weniger gründlich“ zu prüfen sind, sind schwer vorstellbar (vgl. auch Arloth 2011 Art. 8 BayStVollzG). 3. Hamburg. § 7 HmbStVollzG entspricht weitgehend der Regelung des § 6 StVollzG. 38 Die Behandlungsuntersuchung wird hier allerdings als „Aufnahmeuntersuchung“ bezeichnet, die mit der fachkundigen Erforschung der Persönlichkeit und der Lebensverhältnisse der Gefangenen beginnt. Als Untersuchungsgegenstand werden neben den Umständen, die für eine planvolle Behandlung oder Erziehung im Vollzug sowie für die Eingliederung nach der Entlassung notwendig sind, auch die Ursachen und Umstände der Tat ausdrücklich erwähnt. Die Forderung ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit, akzentuiert aber eine delikt- und ursachenbezogene Vorgehensweise bei der Behandlung und Wiedereingliederung. Abs. 3 konkretisiert die in § 6 Abs. 1 Satz 1 StVollzG nur allgemein geregelte Befugnis, mit Rücksicht auf die Vollzugsdauer von einer Untersuchung absehen zu dürfen. Er lautet: „Die Untersuchung kann bei einer Vollzugsdauer bis zu einem Jahr auf die Umstände beschränkt werden, deren Kenntnis für eine in der verbleibenden Haftzeit angemessene Behandlung und für eine angemessene Entlassungsvorbereitung unerlässlich ist“. Die Regelung enthält somit lediglich eine Beschränkung der Behandlungsuntersuchung bei kurzen Freiheitsstrafen, nicht aber das Gebot, in der Regel gänzlich davon abzusehen. Für die in § 6 Abs. 1 Satz 1 StVollzG allgemein gebliebene Regelung, nach dem Aufnahmeverfahren mit der Erforschung der Persönlichkeit und der Lebensverhältnisse zu beginnen, hatte § 7 Abs. 4 HmbStVollzG zunächst eine Regelfrist von höchstens sechs Wochen für die Dauer der Untersuchung eingeführt, sie jedoch in der Neufassung gestrichen. Stattdessen wurde eine Frist für die Aufstellung des Vollzugsplans aufgenommen (s. § 8 HmbStVollzG). Damit wird einerseits eine zügige Aufnahmeuntersuchung zugesichert, andererseits bleibt berücksichtigt, dass bei Strafantritt nicht immer die für die Untersuchung wichtigen Unterlagen und Auskünfte vorliegen (Bürgerschafts-Drucks. 18/6490, 32 f). Eine längere Untersuchungsdauer muss ggf. begründet werden. Abs. 4 Satz 2 schreibt die gängige Praxis gesetzlich fest und gibt dem Gefangenen einen Rechtsanspruch auf Erörterung eines schriftlich dokumentierten Ergebnisses der Aufnahmeuntersuchung. Er lautet: „Die Ergebnisse der Untersuchung sind zu dokumentieren und mit dem Gefangenen zu erörtern“. Die Prüfung der Frage, ob die Verlegung in eine sozialtherapeutische Einrichtung angezeigt ist, wird auf die Zeit der Vollzugsplanerstellung verschoben. Der Vollzugsplan hat Angaben dazu zu enthalten (§ 8 Abs. 2 Nr. 3 HmbStVollzG). 4. Hessen. § 9 HStVollzG bestimmt in Abs. 1 ergänzend zu § 8, dass nach der Auf- 39 nahme den Gefangenen die Aufgaben des Vollzuges sowie die vorhandenen Beschäftigungs-, Bildungs-, Ausbildungs- und Freizeitmaßnahmen zu erläutern sind (s. Rdn. 13 zu § 5). Abs. 2 und 3 regeln die Feststellung des Maßnahmenbedarfs und konkretisieren Inhalte und Umfang. Sie lauten: „(2) Der Maßnahmenbedarf wird in Diagnoseverfahren ermittelt. Die Untersuchungen erstrecken sich auf die Persönlichkeit, die Lebensverhältnisse, die Entwicklung der Straffälligkeit und die Umstände der Straftat sowie alle sonstigen Umstände, deren Kenntnis für eine zielführende Vollzugsgestaltung und für die Eingliederung nach der 135
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Entlassung notwendig erscheint. Erkenntnisse der Bewährungshilfe und der Gerichtshilfe sind einzubeziehen. (3) Die Untersuchungen können bei einer Vollzugsdauer von bis zu einem Jahr im Vollzug der Freiheitsstrafe auf die Umstände beschränkt werden, deren Kenntnis für angemessene Maßnahmen in der verbleibenden Haftzeit für die Entlassungsvorbereitung unerlässlich ist.“ Der Feststellungsauftrag, ob die Verlegung in eine sozialtherapeutische Einrichtung angezeigt ist, wird in dieser Vorschrift nicht gesondert erteilt, ergibt sich aber daraus, dass der Vollzugsplan (§ 10 Abs. 4 Nr. 2) dazu Angaben zu enthalten hat (s. auch Rdn. 38). Die Gesetzesbegründung (LT-Drucks. 18/1396) führt aus, dass mit dem festgelegten Umfang und Zweck der Untersuchungen der gesamte Prozess der Erstellung des Vollzugsplans gemeint ist. „Er umfasst alle Gespräche und Verfahren zur Erfassung der Lebens- und Delinquenzgeschichte, einschließlich spezieller Fragestellungen zu den Themen Gewalt, Sexualität, Sucht und psychische Verfassung der Gefangenen. Die Untersuchung soll neben den bedeutsamen Lebensumständen insbesondere die Ressourcen und Defizite der Gefangenen erfassen, um für sie spezifische Maßnahmen zur Aufarbeitung der kriminalitätsauslösenden bzw. -aufrechterhaltenden Wahrnehmungs-, Verarbeitungs- und Verhaltensdispositionen zu entwickeln. Erkenntnisse der Bewährungshilfe sind einzubeziehen. Dies schließt die Einbeziehung weiterer Erkenntnisse selbstverständlich nicht aus. In diesem Prozess kommen bei den an der Feststellung beteiligten Diensten (sozialer, psychologischer und medizinischer Dienst) Anamnesebögen, Gesprächsaufzeichnungen und deren Auswertung sowie Klassifikations- und standardisierte Verfahren zur Anwendung.“ (aaO, 81.) Mit dieser Vorschrift und Begründung hat Hessen im Vergleich zu den anderen Ländern die weitestgehende Konkretisierung der Inhalte und einzusetzenden Verfahren bei der Behandlungsuntersuchung (Ermittlung des Maßnahmenbedarfs) vorgenommen. Sie schreibt damit einerseits die Praxis, die sich in den letzten Jahren entwickelt hat, fest, greift aber auch neuere Erkenntnisse aus der Behandlungsforschung auf, indem sie besonders auf kriminogene Faktoren aber auch auf die Ressourcen der Gefangenen fokussiert und den Einsatz empirisch fundierter diagnostischer Verfahren einfordert (vgl. Rdn. 15). In der Begründung zum beschränkten Umfang der Erhebung für kurzstrafige Gefangene in Abs. 3 wird klargestellt, dass sich der Zeitrahmen von weniger als einem Jahr auf die verbleibende Vollzugsdauer bezieht, also ggf. nach Anrechnung der Untersuchungshaft. 40
5. Niedersachsen. § 9 NJVollzG fasst die in § 6 StVollzG geregelte Behandlungsuntersuchung und den in § 7 StVollzG geregelten Vollzugsplan in einer einheitlichen „Vollzugsplanung“ zusammen. In der Gesetzesbegründung heißt es mit Bezug auf den Beschluss des BVerfG v. 25.9.2006 (2 BvR 2132/05, Bespr. s. Pollähne JR 2007, 446 ff), dass an der elementaren Gewichtung der Vollzugsplanung für die Erreichung des Vollzugszieles der sozialen Integration festgehalten werden soll. Eine Beschränkung auf die wesentlichen Vorschriften und eine redaktionelle Straffung erscheine aber möglich (LT-Drucks. 15/3565, 91). § 9 Abs. 2 NJVollzG entspricht weitgehend der Regelung des § 6 StVollzG. § 9 NJVollzG schreibt – anders als § 6 Abs. 2 Satz 2 und StVollzG und Art 8. Abs. 2 Satz 2 BayStVollzG – nicht vor, dass im Rahmen der Behandlungsuntersuchung zu prüfen ist, ob die Verlegung in eine sozialtherapeutische Einrichtung angezeigt ist. Der Vollzugsplan hat Angaben dazu zu enthalten (Abs. 2 Nr. 2; s. auch Rdn. 38). Wischka
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Behandlungsuntersuchung, Beteiligung des Gefangenen
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In Niedersachsen ist durch Verwaltungsvorschriften die Aufgabe der Behandlungsuntersuchung (Erstbegutachtung) aller Gefangener – ausgenommen sind die Anstalten des Jugend-, Jungtäter- und Frauenvollzuges – bei denen eine Maßregel nach § 63 StGB angeordnet oder Sicherungsverwahrung angeordnet oder vorbehalten ist sowie bei Personen, bei denen bereits Sicherungsverwahrung vollzogen wird, dem Prognosezentrum bei der JVA Hannover übertragen worden. In den übrigen Fällen sind die Vollzugsanstalten für die Behandlungsuntersuchung und Prüfung der Indikation für Sozialtherapie zuständig. Wird die Indikation festgestellt, erhält der vom MJ bestellte Koordinator oder die Koordinatorin für die sozialtherapeutischen Einrichtungen eine Mitteilung und trifft die Entscheidung, in welcher sozialtherapeutischen Einrichtung die Behandlung durchzuführen ist. Es handelt sich hierbei nicht um eine Maßnahme, die unmittelbar Außenwirkung entfaltet, weil ihr lediglich vorbereitender vollzugsinterner Charakter zukommt. Sie ist deshalb nicht isoliert anfechtbar (OLG Celle 15.9. 2011 – 1 Ws 346/11). Eine Vollzugsplanung hat bei allen Gefangenen zu erfolgen. In der Gesetzesbegründung heißt es dazu: „Dies ist im Hinblick auf das für alle Gefangenen geltende verfassungsrechtlich ableitbare Gebot der sozialen Integration erforderlich. Deshalb sind bei allen Gefangenen Überlegungen anzustellen, wie die Zeit im Vollzug möglichst sinnvoll strukturiert werden kann“ (LT-Drucks. 15/3565, S. 91). Ein aufwändiges Planungsverfahren erscheine aber erst bei einer Vollzugsdauer von mindestens einem Jahr sinnvoll und geboten. Abs. 1 unterscheidet deshalb zwischen einer Vollzugsplanung, die auch in einem vereinfachten Verfahren durchgeführt werden kann und einer Vollzugsplanung durch einen Vollzugsplan. Nur dieser Vollzugsplan erfordere die Durchführung einer Untersuchung nach Abs. 2, die regelmäßige Fortschreibung nach Abs. 3 sowie die Durchführung einer Konferenz nach Abs. 4. Welche Daten für die Vorbereitung der Aufstellung des Vollzugsplans erforderlich sind, schreibt Abs. 2 vor: Daten zur Persönlichkeit, zu den Lebensverhältnissen und den Ursachen der Straftaten. In der Gesetzesbegründung heißt es dazu: „Der Vollzugsplan ist frühzeitig nach der Aufnahme vorzubereiten. Dem dient die nach Abs. 2 vorgeschriebene Erhebung der Daten, die für die Aufstellung des Vollzugsplans erforderlich sind“ (LT-Drucks. 15/3565, 92). Der Katalog der Mindestangaben, die ein Vollzugsplan enthält (Abs. 1 Satz 3), entspricht § 7 Abs. 2 StVollzG. Abs. 3 entspricht § 7 Abs. 3 StVollzG. In Abs. 4 wird die bisher in § 159 StvollzG enthaltene Regelung zur Durchführung von Konferenzen übernommen, soweit sich diese auf die Aufstellung und Überprüfung des Vollzugsplans bezieht. Die Zuziehung der betroffenen Gefangenen oder anderer maßgeblich an der Vollzugsgestaltung beteiligter Personen steht im Ermessen des Anstaltsleiters. Die Einfügung, dass „nach Auffassung der Vollzugsbehörde“ an der Vollzugsplanung maßgeblich Beteiligte teilnehmen, ist insofern überflüssig (Arloth 2011 Rdn. 4 zu § 9 NJVollzG). Abs. 5 schreibt die Erörterung der Vollzugsplanung vor: „Die Vollzugsplanung wird mit der oder dem Gefangenen erörtert. Erfolgt die Vollzugsplanung in Form eines Vollzugsplans, so wird ihr oder ihm dieser in schriftlicher Form ausgehändigt“. Damit wird das vom BVerfG bejahte Einsichtsrecht des Gefangenen in den Vollzugsplan gesetzlich festgelegt (NStZ 2003, 620; ZfStrVo 2003, 183; StV 2003, 408) und bestimmt, dass Einsichtnahme mit Aushändigung gleichzusetzen ist. Denn ohne Zugang zur schriftlichen Fassung ist der Gefangene nicht in der Lage, die Vollständigkeit und Richtigkeit erteilter Auskünfte zu überprüfen. Nach Arloth 2011 (Rdn. 5 zu § 9 NJVollzG) hatte
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§7
Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
das BVerfG ausdrücklich offen gelassen, ob das Einsichtsrecht auch mit dem Anspruch auf Aushändigung einer Abschrift korrespondiert. 41
6. Musterentwurf. § 7 Abs. 1 ME-StVollzG spricht vom Diagnoseverfahren, das sich zur Vorbereitung der Vollzugsplanung an das Aufnahmeverfahren anschließt (Abs. 1). Abs. 2 entspricht im Wesentlichen § 9 Abs. 2 HStVollzG (s. Rdn. 39). Neben den vollstreckungsrechtlichen Unterlagen sowie Erkenntnissen der Gerichts- und Bewährungshilfe sind auch die der Führungsaufsichtsstellen einzubeziehen. Abs. 3 bestimmt ergänzend: „Im Diagnoseverfahren werden die im Einzelfall die Straffälligkeit begünstigenden Faktoren ermittelt. Gleichzeitig sollen die Fähigkeiten des Gefangenen ermittelt werden, deren Stärkung einer erneuten Straffälligkeit entgegenwirken kann.“ Abs. 4 erlaubt die Beschränkung des Diagnoseverfahrens bei einer Vollzugsdauer bis zu einem Jahr. Satz 2 ergänzt: „Unabhängig von der Vollzugsdauer gilt dies auch, wenn ausschließlich Ersatzfreiheitsstrafen zu vollziehen sind.“ Abs. 5 regelt, dass das Ergebnis des Diagnoseverfahrens mit dem Gefangenen erörtert wird. Der Feststellungsauftrag, ob die Verlegung in eine sozialtherapeutische Einrichtung angezeigt ist, wird in dieser Vorschrift nicht gesondert erteilt, ergibt sich aber daraus, dass der Vollzugs- und Eingliederungsplan (§ 9 Abs. 1 Nr. 5) dazu Angaben zu enthalten hat (s. auch Rdn. 38). Die Begründung führt aus, dass der Begriff der Behandlungsuntersuchung durch den inhaltlich präziseren und weitergehenden Begriff des Diagnoseverfahrens ersetzt wird. Die Beschreibung von Inhalt und Umfang entspricht der Begründung zum HStVollzG (s. Rdn. 39). Die Vorschrift, das Ergebnis des Diagnoseverfahrens zur sich anschließenden Erstellung des Vollzugs- und Eingliederungsplans mit den Gefangenen zu erörtern, trägt den Vollzugsgrundsätzen in § 4 Abs. 2 und 3 ME-StVollzG Rechnung.
§7 Vollzugsplan § 7 Wischka Vollzugsplan (1) Auf Grund der Behandlungsuntersuchung (§ 6) wird ein Vollzugsplan erstellt. (2) Der Vollzugsplan enthält Angaben mindestens über folgende Behandlungsmaßnahmen: 1. die Unterbringung im geschlossenen oder offenen Vollzug, 2. die Verlegung in eine sozialtherapeutische Anstalt, 3. die Zuweisung zu Wohngruppen und Behandlungsgruppen, 4. den Arbeitseinsatz sowie Maßnahmen der beruflichen Ausbildung oder Weiterbildung, 5. die Teilnahme an Veranstaltungen der Weiterbildung, 6. besondere Hilfs- und Behandlungsmaßnahmen, 7. Lockerungen des Vollzuges und 8. notwendige Maßnahmen zur Vorbereitung der Entlassung. (3) Der Vollzugsplan ist mit der Entwicklung des Gefangenen und weiteren Ergebnissen der Persönlichkeitserforschung in Einklang zu halten. Hierfür sind im Vollzugsplan angemessene Fristen vorzusehen. (4) Bei Gefangenen, die wegen einer Straftat nach den §§ 174 bis 180 oder 182 des StGB zu Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren verurteilt worden sind, ist Wischka
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über eine Verlegung in eine sozialtherapeutische Anstalt jeweils nach Ablauf von sechs Monaten neu zu entscheiden. Schrifttum Berner/Becker „Sex Offender Treatment Programme“ (SOTP) in der Sozialtherapeutischen Abteilung Hamburg-Nesselstraße, in: Rehn u. a. (Hrsg.), 2001, 206 ff; Egg/Schmitt Sozialtherapie im Justizvollzug: Synopse der sozialtherapeutischen Einrichtungen, in: Egg (Hrsg.), Sozialtherapie in den 90er Jahren, Wiesbaden 1993, 113 ff; Gretenkord Sollte der Therapeut zu „63er-Patienten“ Beurteilungen abgeben?, in: Beier/ Hinrichs (Hrsg.), Psychotherapie mit Straffälligen, Stuttgart 1995, 124 ff; Hürlimann Führer und Einflußfaktoren in der Subkultur des Strafvollzugs, Pfaffenweiler 1993; Kerner/Dolde/Mey (Hrsg.), Jugendstrafvollzug und Bewährung – Analysen zum Vollzugsverlauf und zur Rückfallentwicklung, Bonn 1996; Lohse Konsequenz als Handlungsmaxime in einer Sozialtherapeutischen Einrichtung, in: KrimPäd 1993, Heft 34, 49 ff; Mai Die psychodiagnostische Tätigkeit im Strafvollzug – dargestellt am Beispiel der Haftlockerungen, in: Mai (Hrsg.), Psychologie hinter Gittern, Weinheim 1981; Neufeind „Planvolle Behandlung“ als Gegenstand der Behandlungsuntersuchung und des Vollzugsplans (§§ 6, 7 StVollzG), in: JZ 1980, 603 ff; Otto Nichtmitarbeitsbereite Gefangene und subkulturelle Haltekräfte, in: KrimPäd 1998, 34 ff; Ortmann Resozialisierung im Strafvollzug, Freiburg 1987; Rehn/Wischka/Lösel/Walter (Hrsg.), Behandlung „gefährlicher Straftäter“, 2. Aufl., Herbolzheim 2001; Steller Sozialtherapie statt Strafvollzug, Köln 1977; Schmucker Kann Therapie Rückfälle verhindern, Herbolzheim 2004; Specht Die Zukunft der sozialtherapeutischen Anstalten, in: Pohlmeier/Deutsch/Schreiber (Hrsg.), Forensische Psychiatrie heute. Berlin 1986, 108 ff; Stock Behandlungsuntersuchung und Vollzugsplan, Engelsbach u. a. 1993; Walter, J. Moralische Entwicklung im Jugendstrafvollzug oder: Demokratie lernen, in: KrimPäd 1998, 13 ff; Weidner Anti-Aggressivitäts-Training für Gewalttäter, Bonn 1990; Wirth Prävention durch Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt: Cui bono? Kongreßbericht Bundesarbeitsgemeinschaft für Straffälligenhilfe, in: Kawamura/Helms (Hrsg.), Straffälligenhilfe als Prävention, Freiburg 1998, 55 ff; Wischka Die Faktoren Milieu, Beziehung und Konsequenz in der stationären Therapie von Gewalttätern, in: Rehn/Wischka/Lösel/Walter (Hrsg.), 2001, 125 ff; Wischka Wohngruppenvollzug, in: Pecher (Hrsg.), Justizvollzug in Schlüsselbegriffen, Stuttgart 2004, 335 ff; Wischka/Specht Integrative Sozialtherapie – Mindestanforderungen, Indikation und Wirkfaktoren, in: Rehn/ Wischka/Lösel/Walter (Hrsg.), 2001, 249 ff.
I.
II.
Übersicht Allgemeine Hinweise ____ 1–3 1. Wesen des Vollzugsplans ____ 1 2. Definitorische Abgrenzung ____ 2 3. Vollzugsplanung in der Praxis ____ 3 Erläuterungen ____ 4–15 1. Recht auf Erstellung des Vollzugsplans ____ 4 2. Vollzugsplankonferenz ____ 5, 6 3. Inhalt des Vollzugsplans ____ 7 4. Selbstbindung der Verwaltung ____ 8, 9 5. Anfechtung des Vollzugsplans ____ 10 6. Behandlungsplan ____ 11
III.
7. Mindestregelungen des Vollzugsplans ____ 12, 13 8. Fortschreibung des Vollzugsplans ____ 14 9. Sonderregelung für Sexualstraftäter ____ 15 Landesgesetze und Musterentwurf ____ 16–21 1. Baden-Württemberg ____ 16 2. Bayern ____ 17 3. Hamburg ____ 18 4. Hessen ____ 19 5. Niedersachsen ____ 20 6. Musterentwurf ____ 21
I. Allgemeine Hinweise 1. Wesen des Vollzugsplans. Der Vollzugsplan ist das wichtigste Ergebnis des 1 Aufnahmevollzuges (Böhm 2003 Rdn. 178). Er will Planungssicherheit vermitteln (C/MD 2008 Rdn. 2) und kann im günstigen Fall eine stabilisierende Gegenerfahrung zu einem planlosen Leben vor der Inhaftierung sein (s. auch Böhm 2003 Rdn. 184). Er ist zentrales Element eines am Resozialisierungsziel ausgerichteten Vollzuges. Der Vollzugsplan dient der Konkretisierung des Vollzugsziels und bildet mit richtungsweisenden Grundentscheidungen zum Vollzugs- und Behandlungsablauf einen Orientierungsrahmen für 139
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Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
den Gefangenen und für die Vollzugsbediensteten (BVerfG 16.2.1993 – 2 BvR 594/92, StV 1994, 93; 21.1.2003 – 2 BvR 406/02, NStZ 2003, 620; 3.7.2006 – 2 BvR 1383/03; 25.9.2006 – 2 BvR 2132/05; OLG Frankfurt ZfStrVo 1985, 170; OLG Koblenz 7.7.2010 – 2 Ws 247/10). Dies gilt auch in Fällen lebenslanger Freiheitsstrafe (BVerfG 1.7.1998 – 2 BvR 441/90; 25.9.2006 – 2 BvR 2132/05). Vorschriften zur Vollzugsplanung hat es zwar in Nr. 58 Abs. 4 DVollzO bereits gegeben, sie sind jedoch im StVollzG eingehender gestaltet und begründen auch erstmalig das Recht des Gefangenen auf eine ihm angemessene Vollzugsplanung. Der Vollzugsplan konkretisiert die Erreichung des Vollzugsziels im Einzelfall in Form eines Rahmenplanes. Er beschränkt sich nicht auf die Beurteilung eines bestimmten Zeitpunktes und die Anordnung der zum gegenwärtigen Zeitpunkt erforderlichen Maßnahmen, sondern er enthält Überlegungen über zukünftige Maßnahmen und entwirft Perspektiven zur Erreichung des Vollzugsziels (OLG Hamburg 13.6.2007 – 3 Vollz (Ws) 26). Er muss erkennen lassen, dass neben einer Beurteilung des bisherigen Behandlungsverlaufs auch eine Auseinandersetzung mit den zukünftig erforderlichen Maßnahmen stattgefunden hat (BVerfG 25.9.2006 – 2 BvR 2132/05). Eine solche Planung eröffnet schließlich weitere Aspekte in der Behandlung aus einer „Verbundzuständigkeit“ gem. § 154 Abs. 2. Die Vollzugsplanung wird dadurch unter Einbeziehung der Untersuchungshaft zum Unterteil eines Gesamtplanes zur Gegensteuerung gegen abweichendes Verhalten (Böhm 2003 Rdn. 178 f). 2
2. Definitorische Abgrenzung. Zu unterscheiden ist der Vollzugsplan vom Behandlungsplan (Rdn. 11) und vom Vollstreckungsplan. Der Vollstreckungsplan bestimmt, in welche Anstalt der einzelne Gefangene einzuweisen ist (s. Rdn. 2 zu § 152; Laubenthal 2011 Rdn. 305). Der Vollzugsplan legt für jeden Gefangenen fest, was mit ihm während seiner Vollzugszeit geschehen soll (K/S-Schöch 2002 § 7 Rdn. 15). Aus der Begründung zum RE (BT-Drucks. 7/918, 49) stammt der Begriff des Behandlungsplans. Er stellt einen besonderen Teil des Vollzugsplans dar und wird als Regelung der auf den Gefangenen anzuwendenden therapeutischen Behandlung durch Fachdienste aufgefasst (K/S-Schöch 2002 § 13 Rdn. 12). Er konkretisiert die einzelnen Elemente des Vollzugsplans (C/MD 2008 Rdn. 2).
3
3. Vollzugsplanung in der Praxis. Obwohl der Vollzugsplan ein Kernstück des behandlungsorientierten Vollzuges ist, hat sich die Praxis seiner Gestaltung ähnlich wie die der Behandlungsuntersuchung in den Bundesländern und in den einzelnen Anstalten sehr unterschiedlich entwickelt. Die Qualität der Vollzugsplanungen hat sich im Vergleich zur Zeit der Einführung des StVollzG deutlich verbessert. An der Durchsetzung des Rechts auf einen Vollzugsplan sind viele Gefangene nicht interessiert, wenn grundlegende Entscheidungen getroffen oder in Aussicht gestellt worden sind (akzeptabler Arbeitsplatz und Unterbringung, Vollzugslockerungen). Die so hergestellte Unverbindlichkeit entspricht dann häufig dem bisherigen, auf momentane Bedürfnisse ausgerichteten Lebensstil (Böhm 2003 Rdn. 184), dem durch eine planvolle Vorgehensweise entgegen gewirkt werden soll. II. Erläuterungen
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1. Recht auf Erstellung des Vollzugsplans. Der Gefangene hat ein Recht auf die Erstellung eines Vollzugsplans (OLG Hamm aaO; OLG Nürnberg ZfStrVo 1982, 308; LG Berlin StV 1982, 476) unter der Voraussetzung, dass eine Behandlungsuntersuchung gemäß § 6 durchgeführt worden ist. Dieses Recht bezieht sich auf einen vollständigen, sorgfältig erarbeiteten, auf die Situation des Gefangenen abgestellten und sich nicht auf Wischka
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„Leerformeln“ beschränkenden oder sich in Selbstverständlichkeiten erschöpfenden Vollzugsplan und dessen Fortschreibung (Böhm 2003 Rdn. 180). Gefangene, bei denen mit Rücksicht auf die Vollzugsdauer eine Behandlungsuntersuchung nicht geboten erscheint, haben diesen Anspruch nicht (s. § 6 Rdn. 20). In den Fällen, in denen gem. § 6 Abs. 1 Satz 2 StVollzG eine Behandlungsuntersuchung zulässigerweise unterbleiben kann, liegt die Erstellung eines Vollzugsplans ebenfalls im pflichtgemäßen Ermessen der Vollzugsbehörde (OLG Stuttgart 30.10.2006 – 4 Ws 334/06, 4 Ws 338/06, NStZ 2007, 172 f). Die Vollzugsbehörde ist in diesen Fällen an der Aufstellung eines Vollzugsplans aber nicht gehindert. Seine Ausgestaltung ist dann nach Art und Umfang auf die Kürze der zur Verfügung stehenden Strafzeit abzustellen. Es sollte dann wenigstens ein „rudimentärer Vollzugsplan“ erstellt werden (AK-Feest/Straube 2012 Rdn. 8). Insbesondere zur Steuerung von Maßnahmen zur Entlassungsvorbereitung sind Planungen hier sinnvoll (Wirth 1998). Unzulässig ist, wenn ein Strafgefangener aus Kapazitätsgründen zunächst in einer Untersuchungshaftabteilung untergebracht wird und dort keine Behandlungsuntersuchung und Vollzugsplanung erfolgt (OLG Hamburg 10.6.2005 – 3 Vollz (Ws) 41/05. Der Vollzugsplan muss wegen seiner zentralen Bedeutung für die Realisierung des Vollzugsziels nicht nur für den Gefangenen verständlich sein und ihm als Leitlinie für die Ausrichtung seines Verhaltens dienen können. Es muss auch eine den Anforderungen des Art. 19 Abs. 4 GG genügende gerichtliche Kontrolle daraufhin möglich sein, ob die Rechtsvorschriften für das Aufstellungsverfahren beachtet wurden und das inhaltliche Gestaltungsermessen der Behörde rechtsfehlerfrei ausgeübt worden ist (BVerfG 25.9. 2006 – 2 BvR 2132/05). Die Nachvollziehbarkeit der rechtserheblichen Abläufe und Erwägungen ist durch geeignete Dokumentation sicherzustellen 2. Vollzugsplankonferenz. Die Durchführung der Behandlungsuntersuchung in 5 einer Einweisungsanstalt oder in der Aufnahmeabteilung der jeweils unmittelbar zuständigen Anstalt führt zwingend zur Aufstellung des Vollzugsplans (OLG Hamm ZfStrVo 1979, 63). Beschluss und Empfehlungen der Einweisungsanstalt stellen aber noch nicht den eigentlichen Vollzugsplan dar, sie sollen lediglich seine Aufstellung vorbereiten und ermöglichen (OLG Hamm aaO). Der Gefangene hat zwar einen Rechtsanspruch auf die Einhaltung der Mindestanforderungen, die gemäß § 7 Abs. 2 an den Vollzugsplan zu stellen sind. Dieses Recht kann jedoch nicht auf die Empfehlungen der Einweisungsanstalten ausgedehnt werden. Der Vollzugsplan muss auf einer Beratung in einer Konferenz nach § 159 beruhen und in schriftlicher Form fixiert werden (OLG Hamm aaO). Das mündliche Gespräch ersetzt nicht die schriftliche Form. Die Anhörung des Gefangenen vor Erlass des Vollzugsplanes ist ein Gebot rechtsstaatlicher Fairness (AK-Feest/Straube 2012 Rdn. 11). Der Gefangene und/oder sein Anwalt haben kein Recht auf Anwesenheit in der Vollzugsplankonferenz; sie ist aber zulässig und im Einzelfall sinnvoll (OLG Stuttgart NStZ 2001, 392; ZfStrVo 2001, 367; OLG Hamm 15.7.2008 – 2 Vollz (Ws) 312/08: OLG Celle 14.4.2010 – 1 Ws 143/10). Die Teilnahme der Gefangenen an der Vollzugsplankonferenz erleichtert das Verständnis der in Aussicht genommenen Maßnahmen und kann damit gleichzeitig die Motivation fördern. Vgl. auch § 6 Rdn. 25; § 159 Rdn. 7. Das gesetzliche Beteiligungsrecht beschränkt sich gem. § 6 Abs. 3 darauf, dass die Planung mit ihm erörtert wird (BVerfG NStZ-RR 2002, 25). Der Gefangene hat kein Recht zu verlangen, dass bestimmte Behandlungsmaßnahmen in den Vollzugsplan aufgenommen werden (OLG Hamm ZfStrVo 1979, 63; OLG Nürnberg ZfStrVo 1982, 308; OLG Frankfurt ZfStrVo 1983, 245 = NStZ 1983, 381 mit Anm. Rotthaus; OLG Celle ZfStrVo 1985, 243: OLG Karlsruhe 10.3.2009 – 1 Ws 292/08 L); er hat auch keinen Anspruch auf Festsetzung des Beginns einer Behandlungsmaßnahme (KG Berlin ZfStrVo 1987, 245; OLG Karlsruhe 141
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ZfStrVo 1989, 310; C/MD 2008 Rdn. 2) und auch keinen Anspruch auf Zuteilung eines Behandlers seiner Wahl (OLG Karlsruhe 25.11.2004 – 1 Ws 186/04). Insoweit hat er nur einen Anspruch auf fehlerfreie Ausübung des der Vollzugsanstalt zustehenden Ermessens (vgl. auch § 4 Rdn. 12). Einzelanordnungen müssen allerdings mit den im Vollzugsplan enthaltenen Angaben über Behandlungsmaßnahmen in Einklang stehen (OLG Celle NStZ 1982, 136). Der Gefangene hat einen Anspruch, über den Vollzugsplan so unterrichtet zu werden, dass ihm die Mitwirkung an seiner Behandlung möglich ist und er seine Rechte wahrnehmen kann. Dass der Gefangene ein Exemplar des Vollzugsplans zur Wahrnehmung seiner rechtlichen Interessen benötigt, wird ausnahmslos zu bejahen sein, wenn seine Funktion als zentrales Element eines am Resozialisierungsziels ausgerichteten Vollzuges (s. Rdn. 1) ernst genommen wird. Er soll Orientierung und Sicherheit geben und das Verhalten auf die Behandlungsziele ausrichten. Das Aufstellungsverfahren und die enthaltenen Einzelmaßnahmen müssen einer gerichtlichen Überprüfung standhalten. Dass beide „Vertragspartner“ ihren Verpflichtungen nachkommen und sich an die schriftlich fixierten Vereinbarungen halten, ist für das Ziel einer Verantwortungsübernahme nach der Entlassung fundamental. BVerfG ZfStrVo 2003, 183 f; ebenso K/S-Schöch 2002 § 7 Rdn. 17. C/MD 2008 Rdn. 1 bejahen dies auch für den Einweisungsbescheid mit den Gründen und Hinweisen zum Vollzugsplan; zurückhaltender Arloth 2011 Rdn. 6. Die Aushändigung des Vollzugsplans ist für die Vollzugsverwaltung auch einfacher als die Gewährung von Akteneinsicht, auf die der Gefangene einen Anspruch hat, wenn er darlegen kann, dass er hierauf angewiesen ist und kein Ausschlussgrund nach § 19 Abs. 4 BDSG vorliegt (K/S-Schöch 2002 § 7 Rdn. 17; § 185 Rdn. 12). Schöch (aaO) hält die Begründung des OLG Karlsruhe, der Vollzugsplan könne auch geheim zu haltende Tatsachen aus der Gefangenenpersonalakte enthalten, zu Recht nicht für stichhaltig (vgl. Rdn. 12; vgl. auch OLG Celle ZfStrVo 1985, 169 und BVerfG 21.3.2003 – 2 BvG 406/02). Das BVerfG (aaO) erhebt gegen die Praxis, den Gefangenen nur mündliche Auskünfte und die Gelegenheit zu schriftlichen Notizen und Abschriften seines Vollzugsplans zu geben, durchgreifende verfassungsrechtliche Bedenken. Die geltend gemachte Gefahr, dass sich ein Gefangener bei Aushändigung auf schriftliche Feststellungen beruft, die zu einem späteren Zeitpunkt bereits überholt sein könnten, könne diese Form der Unterrichtung nicht rechtfertigen (aaO). Gleichwohl hat das OLG München mit Beschluss v. 30.7.2008 (4 Ws 073/08) trotz Bezugnahme auf den Beschluss des BVerfG den Antrag eines Gefangenen auf Aushändigung seines Vollzugsplans zurückgewiesen. Zwar könnten sich die Informationsrechte eines Gefangenen nach Art. 203 BayStVollzG (Auskunft an die Betroffenen, Akteneinsicht) im Einzelfall dahingehend verdichten, dass ihm eine Abschrift des für ihn ausgestellten Vollzugsplans auszuhändigen sei. Dies komme insb. in Betracht, wenn der Vollzugsplan zu lang oder zu komplex sei, um sich einem Laien durch bloße Einsichtnahme vollinhaltlich zu erschließen. Es ist der Auffassung von Bung (StV 2009, 201 ff) beizutreten, der feststellt, dass das BVerfG zwar nicht expressis verbis eine Antwort auf die Frage der Vollzugsplanabschrift gegeben hat, dass dies aber aus der Begründung entnommen werden könne. Dass die Frage des Rechtsanspruchs auf Aushändigung des Vollzugsplans nach den gesetzlichen Vorschriften des Akteneinsichtsrechts zu beantworten ist, ist nicht zwingend (s. dazu aaO Rdn. 12). Der Vertragscharakter des Vollzugsplans legt eine Vorgehensweise nahe, die auch bei anderen Verträgen üblich ist, In einigen Landesgesetzen haben die Gefangenen einen Rechtsanspruch auf Aushändigung des Vollzugsplans erhalten (§ 10 Abs. 5 HeStVollzG, § 9 Abs. 5 Satz 2 NJVollzG, § 8 Abs. 8 ME-StVollzG; s. Rdn. 19–21). Zur Aushändigung von Befunden aus der Behandlungsuntersuchung an Gefangene s. § 6 Rdn. 13, 25 u. § 152 Rdn. 13. Wischka
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Die Entscheidung über den Vollzugsplan muss nach Beratung in einer Konferenz 6 gefällt werden (§ 159). Der gesetzlichen Anforderung, eine Konferenz durchzuführen, ist nicht genügt, wenn ein Vollzugsbediensteter den Plan entwirft und die Dienstvorgesetzten sich auf Überprüfung des Entwurfs beschränken (KG Berlin NStZ 1995, 360). Zur Anwesenheit des Gefangenen bei der Vollzugsplankonferenz s. § 6 Rdn. 25. Konferenzteilnehmer sollen die an der Behandlung maßgeblich Beteiligten sein. In der Unterlassung der Konferenzbeteiligung liegt ein Rechtsfehler in der Ausübung des Anstaltsermessens (KG Berlin ZfStrVo 1999, 119; StraFo 2004, 362 f; BVerfG 25.9.2006 – 2 BvR 2132/05; s. § 159, Arloth 2011 § 159 Rdn. 2). Es ist aber nicht erforderlich, dass alle Konferenzteilnehmer an der Behandlung des Gefangenen beteiligt gewesen und mit ihm persönlichen Kontakt gehabt haben müssen (OLG Hamburg 13.6.2007 – 3 Vollz (Ws) 26). Erfolgt die Vollzugsplanung für einen Sicherheitsverwahrten, so muss der Vollzugsplan erkennen lassen, dass neben der Beurteilung des bisherigen Behandlungsverlaufs auch eine Auseinandersetzung mit den zukünftig erforderlichen Maßnahmen stattgefunden hat. An dieser Zweckbestimmung muss sich auch die Zusammensetzung der Konferenzteilnehmer orientieren. Deshalb darf sie nicht ohne Mitwirkung des Personals der Abteilung erfolgen, die für den Vollzug der Sicherungsverwahrung zuständig ist (KG Berlin 21.7. 2010 – 2 Ws 117/10). Die Anstaltsleitung muss nicht persönlich teilnehmen, sondern kann von seinen Delegationsmöglichkeiten Gebrauch machen. Der Begriff der Anstaltsleitung ist nicht persönlich, sondern offenkundig funktionell aufzufassen (OLG Celle 22.1.2009 – 1 Ws 591/08). Maßgeblich an der Behandlung beteiligt i. S. d. § 159 sind alle im Vollzug tätigen Bediensteten, die genaue persönliche Kenntnisse über den Gefangenen haben. Hierzu gehört auch dessen Einzeltherapeut. Eine nur schriftliche Unterrichtung der übrigen Konferenzteilnehmer durch den Einzeltherapeuten über das Ergebnis der Behandlung erfüllt die Anforderungen des § 159 nicht. Die Vertretung eines „an der Behandlung maßgeblich Beteiligten“ setzt voraus, dass der Vertreter nicht nur über eine vergleichbare Qualifikation verfügt, sondern auch über den Kenntnisstand des Vertretenen. Die Aufspaltung des Entscheidungsprozesses in zwei getrennte Gremien (vorbereitende Konferenz unter Beteiligung des psychologischen Dienstes ohne Anstaltsleiter und sodann die Entscheidung tragende Besprechung der Anstaltsleitung mit leitenden Mitarbeitern) entspricht nicht dem Erfordernis einer Konferenz als einem Entscheidungsprozess, der durch Gedankenaustausch und gemeinsame Beratung geprägt ist (KG Berlin 18.4.2011 – 2 Ws 500/10 Vollz). Gretenkord (1995) setzt sich mit der Zurückhaltung von Therapeuten auseinander, Beurteilungen über ihre Klienten abzugeben, weil sie eine strikte Trennung der Funktion von Therapeut und Beurteiler für zwingend halten. Er kommt nachvollziehbar zu dem Ergebnis, dass es vor allem notwendig ist, transparent zu machen, wer welche Informationen weitergibt. Je mehr die Behandlungsbedürftigkeit durch Störungen der Sozialisation, Reifeverzögerungen oder psychopathische Züge begründet ist, desto mehr sind klare Strukturen mit eindeutigen Beziehungsmustern und die Mitwirkung aller, auch der Therapeuten, an Entscheidungen geboten (s. a. § 182). Ein Verstoß gegen § 159 bei der Aufstellung des Vollzugsplans führt grundsätzlich auch zur Rechtswidrigkeit der in ihm enthaltenen Einzelmaßnahmen (OLG Frankfurt 1.3.2007 – 3 Ws 1051/06). Zeit, Ort und Teilnehmer sowie der wesentliche Inhalt der Vollzugsplankonferenz sind aktenkundig zu machen. Die für den Gefangenen einsehbaren Unterlagen müssen eine hinreichende Auseinandersetzung mit der Person des Betroffenen im Rahmen der seiner Person gewidmeten Konferenz erkennen lassen (BVerfG 25.9.2006 – 2 BvR 2132/05).
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3. Inhalt des Vollzugsplans. § 7 Abs. 2 regelt den inhaltlichen Mindestumfang des Vollzugsplans. Der Vollzugsplan darf allerdings nicht nur die nach § 7 Abs. 2 Nr. 1–8 getroffenen einzelnen Entscheidungen aufzählen. Er muss darüber hinaus auch erkennen lassen, dass die Entscheidungen aus dem Ergebnis der Behandlungsuntersuchung abgeleitet worden sind (OLG Karlsruhe 13.2.2004 – 1 Ws 165/03). Ein Vollzugsplan oder eine Fortschreibung, deren inhaltliche Begründung in einem Missverhältnis zu den in ihnen vorgesehenen oder abgelehnten Maßnahmen steht, genügen den gesetzlichen Anforderungen ebenso wenig wie ein Vollzugsplan, der sich auf „Leerformeln“ beschränkt oder nur die Mindestvoraussetzungen dürftig umschreibt (KG Berlin 6.2.2006 – 5 Ws 573/05). Er muss insb. auf die Entwicklung des Gefangenen eingehen, seine Einbindung in angebotene Beschäftigungen verzeichnen, den bisherigen Behandlungsverlauf beurteilen und auf die in Betracht kommenden Behandlungsansätze eingehen bzw. sich mit den zukünftig erforderlichen Maßnahmen auseinandersetzen. Die Beschreibung des Ist-Zustandes genügt nicht. Wenn eine „positive Entwicklung“ bescheinigt wird, muss deutlich werden, worin diese Entwicklung liegt und ob sie auf die Resozialisierung gerichtet ist. Der Behandlungsverlauf muss vollständig dargelegt werden und sei es durch Bezugnahme auf frühere Vollzugsplanfortschreibungen oder andere, dem Gefangenen zugängliche Dokumente (BVerfG 25.1.2006 – 2 BvR 2137/05; 25.9.2006 – 2 BvR 2132/05; OLG Koblenz 7.7.2010 – 2 Ws 247/10 Vollz). Zur Gewinnung des Behandlungsergebnisses im Einzelnen s. § 6 Rdn. 21 ff. Die Aufstellung eines Zeitplans für einen sinnvoll abgestimmten Verlauf des Vollzuges ist sowohl aus Behandlungs- wie auch aus organisatorischen Gründen notwendig, aber auch schwierig (s. AK-Feest/Straube 2012 Vor § 5 Rdn. 14–16). Insbesondere bei Gefangenen mit langen Strafen wird es noch nicht möglich sein, zu allen Punkten von § 7 Abs. 2 unmittelbar nach der Behandlungsuntersuchung konkrete Aussagen zu machen. Auch dies muss in den Vollzugsplan aufgenommen werden, mit dem Hinweis auf die Inaussichtnahme des Zeitpunkts einer späteren Entscheidung (OLG Hamm ZfStrVo 1979, 63; OLG Zweibrücken 4.2.2004 – 1 Ws 513/03). Bereits aus diesen Gründen sind Fortschreibungsfristen individuell festzulegen (OLG Celle ZfStrVo 1985, 244). Es ist in jedem Fall erforderlich – auch unter Berücksichtigung einer möglichen Strafrestaussetzung nach § 57 StGB –, den voraussichtlichen Entlassungszeitpunkt in den Vollzugsplan aufzunehmen. Dabei muss berücksichtigt werden, dass die Entscheidung, ob im Vollzugsplan vom notierten Strafende oder von einer Strafrestaussetzung ausgegangen wird, häufig im Sinne einer „sich selbst erfüllenden Prophezeiung“ wirkt. Werden besondere Behandlungsmaßnahmen, die Verlegung in eine sozialtherapeutische Einrichtung, Ausbildungsmaßnahmen oder Vollzugslockerungen so terminiert, dass von einer Entlassung zum Strafende ausgegangen wird, werden mit großer Wahrscheinlichkeit die Voraussetzungen, die eine Strafrestaussetzung nach § 57 StGB begründen können, zu diesem Zeitpunkt noch nicht vorliegen. Für die Richter der Strafvollstreckungskammern hat die Erprobung in Vollzugslockerungen eine zentrale Bedeutung (s. auch AK-Feest/Straube 2012 Vor § 5 Rdn. 14–16; BVerfG 30.4.2009 – 2 BvR 2009/08). Auch bei erheblicher krimineller Vorbelastung sollten Behandlungsmaßnahmen deshalb so geplant werden, dass bei günstigem Verlauf eine Strafrestaussetzung zur Bewährung oder eine Erprobung im offenen Vollzug möglich sind. Wenn der voraussichtliche Entlassungszeitpunkt noch nicht absehbar ist, weil die besondere Schwere der Schuld festgestellt worden ist, kann in der Vollzugsplanung nicht jegliche Lockerungsperspektive mit der Begründung versagt werden, eine konkrete Entlassungsperspektive stehe noch aus. Auch dem Vollzug der lebenslangen Freiheitsstrafe hat der Gesetzgeber ein Behandlungs- und Resozialisierungskonzept zugrunde gelegt. Besonders bei langjährig Inhaftierten ist es geboten, schädlichen Auswirkungen Wischka
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des Freiheitsentzuges entgegenzuwirken und die Lebenstüchtigkeit zu erhalten. Wenn weitergehenden Lockerungen eine Flucht- und Missbrauchsgefahr entgegensteht, können Ausführungen geboten sein, bei denen durch die Aufsicht diesen Gefahren hinreichend begegnet werden kann, sofern nicht eine konkrete Gefahr besteht, z. B. ein geplanter Befreiungsversuch im Rahmen organisierter Kriminalität. Der damit verbundene personelle Aufwand ist hinzunehmen. Der Staat ist verpflichtet, Vollzugsanstalten in der zur Wahrung der Grundrechte erforderlichen Weise auszustatten (BVerfG 25.9.2006 – 2 BvR 2132/05; 10.9.2008 – 2 BvR 719/08; 5.8.2010 – 2 BvR 729/08; 26.10.2011 – 2 BvR 1539/09; 29.2.2012 – 2 BvR 368/10). Das Gebot, die Lebenstüchtigkeit zu erhalten, greift dabei nicht erst dann, wenn der Gefangene bereits Anzeichen einer haftbedingten Deprivation aufweist (OLG Brandenburg 17.4.2012 – 2 Ws 58/12). Aus dem ultima-ratio-Prinzip des BVerfG (4.5.2011 – 2 BvR 2365/09, Rdn. 112) und der erfolgten Gesetzesänderung in § 66 c Abs. 1 Nr. 1 a) StGB i. V. m. Abs. 2 (BT-Drucks. 689/ 12) ist abzuleiten, dass die Vollzugsplanung für Gefangene mit anschließender oder vorbehaltener Sicherungsverwahrung regelmäßig von einem Entlassungszeitpunkt ausgehen muss, der den Vollzug der Sicherungsverwahrung nicht mehr erforderlich macht. Die Behandlungsmaßnahmen und Maßnahmen zur Motivierung der Gefangenen sind zeitlich so zu planen, dass das Vollzugsziel rechtzeitig erreicht werden kann. Die Anstalt ist in der Pflicht, für die strafvollzugsbegleitende gerichtliche Kontrolle (§ 119 a StVollzG; BT-Drucks. 689/12) nachvollziehbar begründen zu können, dass sie alles Mögliche getan hat, um den Vollzug oder die Anordnung der Maßregel entbehrlich zu machen. Es ist beanstandungsfrei, von einer Entlassung zum Ende der notierten Freiheitsstrafe auszugehen, wenn der Verurteilte unzureichende oder falsche Angaben über den Verbleib der aus der Tat erlangten Beute macht (OLG Zweibrücken 1 Ws 513/03 – Vollz, NStZ 1999, 104, OLG Zweibrücken 4.2.2004 – 1 Ws 513/03). Die Festsetzung des voraussichtlichen Entlassungszeitpunktes im Vollzugsplan ist nicht anfechtbar (OLG Frankfurt NStZ 1995, 520; KG Berlin NStZ 1997, 207 ff; OLG Celle 24.4.2012 – 1 Ws 148/12; Arloth 2011 Rdn. 13; AK-Feest/Straube 2012 Rdn. 37). Die Aufzählung über den Inhalt des Vollzugsplans nach § 7 Abs. 2 Nr. 1–8 ist nicht abschließend. So empfiehlt es sich, einen Urlaubsplan aufzustellen und das Überbrückungsgeld (s. § 51) festzusetzen. Weitere Bereiche sind Maßnahmen zu Freizeitgestaltung, Außenkontakte, Maßnahmen zum Ausgleich der Tatfolgen oder Schuldenregulierung, die z. T. in die landesrechtlichen Regelungen aufgenommen worden sind, besonders differenziert im ME-StvollzG (Rdn. 19; weitere Vorschläge bei AK-Feest/Straube 2012 Rdn. 25). Andere notwendige Entscheidungen oder in Aussicht genommene Behandlungsmaßnahmen sollen – falls notwendig – den Vollzugsplan vervollständigen. Insbesondere für die Planung therapeutischer Maßnahmen lässt § 7 Abs. 2 Raum, da im Gesetz außer in § 37 Abs. 5 besondere therapeutische Maßnahmen nicht erwähnt werden. Die Verlegung in eine sozialtherapeutische Anstalt (§ 7 Abs. 2 Nr. 2) wird in den einzelnen Bundesländern nach verschiedenen Organisationsmodellen gehandhabt (s. § 9). Zur Verlegung von Sexualstraftätern in eine sozialtherapeutische Anstalt s. § 6 Rdn. 26 ff. Die Verwendung eines Vollzugsplan-Formulars ist zwar möglich (Arloth 2011 Rdn. 7), verleitet aber zu einer Reduzierung wesentlicher Erkenntnisse auf Stichworte. Es birgt die Gefahr, dass die Darstellung individuell erforderlicher Schwerpunkte und Entwicklungsverläufe verhindert wird und dass Routinepläne entstehen (Laubenthal 2011 Rdn. 325). 4. Selbstbindung der Verwaltung. Ist eine Maßnahme in den Vollzugsplan aufge- 8 nommen, muss sie auch sachgerecht durchgeführt werden (C/MD 2008 Rdn. 2), es sei 145
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denn, sie wird nach § 7 Abs. 3 änderungsbedürftig. Die Änderung muss ermessensfehlerfrei begründet werden (C/MD 2008 Rdn. 2; OLG Frankfurt ZfStrVo 1985, 111, 114; OLG Karlsruhe ZfStrVo 1989, 310; OLG Karlsruhe 18.8.2005 – 2 Ws 159/04; KG Berlin 6.2.2006 – 5 Ws 573/05). Die Aufnahme in den Vollzugsplan bewirkt bei Ermessensentscheidungen eine Selbstbindung der Verwaltung (Arloth 2011 Rdn. 4). So verlangt die Aufhebung bislang gewährter Vollzugslockerungen Begründungen i. S. d. § 14 Abs. 2 (OLG Celle ZfStrVo 1989, 116; OLG Karlsruhe 18.8.2005 – 2 Ws 159/04). Unzulässig ist auch die Einschränkung von im Vollzugsplan vorgesehenen Behandlungsmaßnahmen allein aus personalwirtschaftlichen Gründen. Treten Gründe ein, die das Personal an der Erfüllung gebotener Behandlungsmaßnahmen hindert, müssen sie konkret benannt und in ihrer Bedeutung den Belangen des Behandlungsvollzugs im Einzelfall gegenübergestellt und gewichtet werden (OLG Karlsruhe StraFo 2004, 362 f; NStZ 2005, 53 f = ZfStrVo 2005, 125). Die Versagung einer im Vollzugsplan vorgesehenen Ausbildungsstelle darf nicht mit Gründen gerechtfertigt werden, die bei der Erstellung des Vollzugsplans bereits bekannt waren (OLG Karlsruhe 2.6.2008 – 2 Ws 2/08). Wenn abzusehen ist, dass sich ein ursprünglich seitens der Anstalt vorgesehener Behandlungsansatz aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht verwirklichen lassen wird, hat die Vollzugsanstalt zu prüfen, ob auch andere Behandlungsmaßnahmen in Betracht kommen (OLG Karlsruhe – 1 Ws 13.2.2004 – 165/03, StV 2004, 555 f = ZfStrVo 2005, 246 f). Auch bei Verlegung in eine andere Anstalt behält der Vollzugsplan seine Bedeutung (OLG Koblenz ZfStrVo 1986, 58; NStZ 1986, 92; KG Berlin NStZ 1990, 559). Er kann zwar entsprechend der Entwicklung des Gefangenen und den besonderen therapeutischen Möglichkeiten der (sozialtherapeutischen) Anstalt abgeändert werden. Unzulässig ist aber eine beliebige Neuplanung, die die Behandlung für den Gefangenen unberechenbar macht (OLG Zweibrücken ZfStrVo 1988, 367; NStZ 1988, 431). Der Vollzug in der neuen Anstalt baut auf dem in der alten auf. Die Vollzugsbehörde darf einem Gefangenen nicht erst verweigern, günstige Voraussetzungen für seine Vollzugsplanung zu schaffen (Nachweis der Drogenabstinenz durch Urinkontrollen) und anschließend unter Berufung darauf, dass eine nachgewiesene Drogenabstinenz nicht vorliege, eine erfolgversprechende Behandlung (Wohngruppenvollzug in einer anderen Anstalt) ablehnen (KG Berlin 23.5.2007 – 2/5 Ws 599/06). Ein als „vorläufig“ bezeichneter Vollzugsplan eröffnet der Vollzugsanstalt nicht die Möglichkeit einer gänzlich neuen Ermessensausübung. So kann eine Lockerungsplanung, die unter dem Vorbehalt der Abklärung des voraussichtlichen Entlassungszeitpunktes mit der Strafvollstreckungskammer und der Vollstreckungsbehörde (Staatsanwaltschaft) nach ihrer Durchführung nicht zu einer gänzlich anderen Entscheidung führen als im Vollzugsplan vorgesehen. Eine vorherige Abstimmung mit anderen Behörden sieht das StVollzG nicht vor. Es besteht auch kein praktisches Bedürfnis für eine solche Konstruktion. Kann der Entlassungszeitpunkt z. B. wegen weiterer Ermittlungs- und Strafverfahren nicht zuverlässig prognostiziert werden, ist die Vollzugsbehörde nicht gehindert, den Zeitpunkt möglicher Lockerungen zunächst offen zu lassen (OLG Karlsruhe 18.8.2005 – 2 Ws 159/04). Werden Maßnahmen nicht in den Vollzugsplan aufgenommen (z. B. Vollzugslocke9 rungen), enthebt dies die Vollzugsbehörde nicht von der Verpflichtung, einen konkreten Antrag auch konkret zu bescheiden. Vollzugsplan und Einzelmaßnahme des Vollzuges stehen zueinander im Verhältnis von Grundsatz und Einzelakt. Trotz der eine Maßnahme grundsätzlich befürwortenden oder ablehnenden Planung vermag im Einzelfall eine Maßnahme gleichwohl verweigert oder gewährt werden. Die Existenz des Vollzugsplans beeinflusst insoweit die Begründungslast dahin, dass Abweichungen von der generellen Planung im Einzelfall gesondert zu begründen sind (OLG Schleswig-Holstein 8.4.2008 – Wischka
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2 VollzWs 123/08; 28.10.2009 – 2 VollzWs 342/08; KG Berlin 22.12.2009 – 2 Ws 560/09 Vollz). Schon der Vollzugsplan selbst und nicht erst die im Einzelfall zu gewährende Lockerung hat sich am Maßstab des § 11 zu orientieren. Die notwendigerweise stärkere Generalisierung der Vollzugsplanung kann nicht von dem Erfordernis einer hinreichenden Konkretisierung der Umstände befreien, die die Versagung von Lockerungen rechtfertigen sollen (OLG Schleswig-Holstein 28.2.2009 – 2 VollzWs 342/08, Rdn. 20). So unterliegt die Feststellung des Vollzugsplanes, keine Vollzugslockerungen zu gewähren, der gerichtlichen Überprüfung. Der Gefangene kann also nicht darauf verwiesen werden, zunächst bei der JVA einen Antrag auf Gewährung von Lockerungen gem. § 11 StVollzG zu stellen und erst gegen eine mögliche Ablehnung des Antrags gerichtlich vorgehen zu können. Der Vollzugsplan hat deshalb nicht nur den pauschalen Hinweis auf Flucht- und Missbrauchsgefahr zu enthalten. Es ist auch keine ausreichende Feststellung, dass eine Missbrauchsgefahr nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausgeschlossen werden kann (BVerfG 5.8.2010 – 2 BvR 729/08; BVerfG 29.2.2012 – 2 BvR 368/ 10; KG Berlin 8.6.2009 – 2 Ws 20/09 Vollz; OLG Karlsruhe 10.3.2009 – 1 Ws 292/08). Bei der Beurteilung der Missbrauchsgefahr muss die Prognose zwischen Gefahren, die sich auf die Zeit nach der Entlassung beziehen (Langzeitprognose) und Gefahren in Lockerungen, die kuzzeitig sind und Kontrollen beinhalten, unterscheiden. Z. B. sind Straftaten, die in besonderen Beziehungskonstellationen oder situativen Bedingungen entstanden sind, in Vollzugslockerungen häufig nicht zu befürchten. Ein zur Frage der Kriminalprognose i. S. v. § 57 Abs. 1 StGB eingeholtes Gutachten darf nicht unmittelbar auf die zu beurteilende Missbrauchsgefahr im Falle einer Lockerungsgewährung übertragen werden, ohne die zwischen beiden Sachverhalten bestehenden Unterschiede zu beachten (KG Berlin 14.4.2010 – 2 Ws 8–9/10 Vollz). Maßstab für Lockerungen ist nicht die Gefährlichkeit nach der Entlassung, sondern ob konkrete gewichtige Anhaltspunkte dafür sprechen, der Gefangene werde Lockerungen zur Flucht oder Begehung von Straftaten missbrauchen (OLG Karlsruhe 16.10.2008 – 2 Ws 253/08). Die Feststellung einer fehlenden Mitarbeit an der Behandlung oder das Fehlen einer günstigen Sozialprognose reicht für die Ablehnung von Lockerungen nicht aus (s. a. Rdn. 12). Dass eine Behandlungsbedürftigkeit besteht, kann allein eine Missbrauchsgefahr auch nicht begründen. Zumindest in groben Zügen sind die tragenden Gründe für die Entscheidung darzulegen. Dabei sind konkrete Tatsachen zu nennen, dass ein Missbrauch sogar unter den Einschränkungen und Kontrollen befürchtet werden muss, denen der Gefangene bei der Gewährung von Lockerungen unterworfen ist. Nur durch diese Kenntnis wird die Planung für den Gefangenen nachvollziehbar und verständlich, so dass er sein künftiges Verhalten darauf einstellen und eigene Fehler korrigieren kann. Ob die Anstalt von dem ihr zustehenden Ermessen rechtsfehlerfrei Gebrauch gemacht hat, ist nur bei Kenntnis der dargelegten Gründe überprüfbar (BVerfG 3.7.2006 – 2 BvR 1383/03; BVerfG 5.8.2010 – 2 BvR 729/08; BVerfG 30.4.2009 – 2 BvR 2009/08; OLG Karlsruhe 25.6.2004 – 3 Ws 3/04; 13.10.2006 – 2 Ws 236/06; StraFo 2007, 39 f, StV 2007, 200; 2.10.2007 – 1 Ws 64/07 L; OLG Hamburg 13.6.2007 – 3 Vollz (Ws) 26; OLG Frankfurt 1.3.2007 – 3 Ws 1051/06; OLG Celle 31.10.2008 – 1 Ws 538/08, NdsRpfl 2009, 15 ff; KG Berlin 8.6.2009 – 2 Ws 20/09 Vollz). Auf das Leugnen der Tat kann die Flucht- oder Missbrauchsgefahr nicht gestützt werden; die mangelnde Tataufarbeitung darf nur insoweit berücksichtigt werden, als sie die prognostische Beurteilung der Flucht- oder Missbrauchsgefahr erschwert. Mangelnde Mitarbeitsbereitschaft entbindet die Vollzugsbehörde nicht von der Pflicht, die Prognose mit den ansonsten zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen zu stellen. So können z. B. die im Urteil festgestellten Tatmotive der Entscheidung zugrunde gelegt werden (OLG Celle 31.10.2008 – 1 Ws 538/08). Rechtlich nicht zu beanstanden ist dage147
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gen, wenn Lockerungen verwehrt werden, weil sich der Gefangene einer Sozialtherapie nicht unterzogen hat, die von der Vollzugsbehörde trotz Tatleugnung zur Verringerung der erheblichen Gefährlichkeit für die Allgemeinheit für erforderlich gehalten wurde (OLG Celle 18.11.2008 – 1 Ws 364/10). Die Gewichtung eines früheren Lockerungsversagens ist mit der seither verstrichenen Zeit ins Verhältnis zu setzen (KG Berlin 8.6.2009 – 2 Ws 20/09 Vollz). Die Behandlung von Suchterkrankungen ist typischerweise auch durch Rückfälle gekennzeichnet, ohne dass schon deshalb auf die Sinnlosigkeit künftiger therapeutischer Bemühungen und dazu bestimmter Lockerungen geschlossen werden darf (OLG Schleswig-Holstein 28.10.2009 – 2 VollzWs 342/08). Bei der Ermessensentscheidung, ob ein Restrisiko vertretbar ist, ist auch das „Unterlassungsrisiko“ (Mai 1981) abzuwägen, also die möglichen Gefahren für die Allgemeinheit (nach der Entlassung), wenn bestimmte Maßnahmen (z. B. Lockerungen) unterbleiben. 10
5. Anfechtung des Vollzugsplans. Der Vollzugsplan stellt in seiner Gesamtheit keine Maßnahme i. S. v. § 109 dar (OLG München 30.9.2010 – 4 Ws 126/10(R)). Das BVerfG wertet es aber als Verletzung des durch Art. 19 Abs. 4 GG garantierten Anspruchs auf eine möglichst effektive gerichtliche Kontrolle, wenn eine Strafvollstreckungskammer einen auf Anfechtung des Vollzugsplans als Ganzes gerichteten Antrag als unzulässig verwirft. Es kann sich vor allem darum handeln, dass das Aufstellungsverfahren fehlerhaft ist und dass der Plan nicht den gesetzlichen Mindestanforderungen genügt, etwa nicht auf die Entwicklung des Gefangenen und die in Betracht kommenden Behandlungsansätze in zureichender, Orientierung ermöglichender Weise eingeht. Dies gilt auch für die zu lebenslanger Freiheitsstrafe Verurteilten angesichts der Verpflichtung, auch ihnen eine Chance zur Wiedererlangung ihrer Freiheit zu eröffnen. Unabhängig davon, ob sich ein Entlassungszeitpunkt bereits konkret abzeichnet, muss jedenfalls die Vollzugsplanung besonders auch auf die Vermeidung schädigender Auswirkungen lang dauernden Freiheitsentzuges als ein wesentliches Teilelement des Resozialisierungsauftrages ausgerichtet sein (BVerfG 16.2.1993 – BvR 594/92 StV 1994, 93; 301; StV 1994, 94; BVerfG NStZ-RR 2008, 60 f; BVerfG 25.9.2006 – 2 BvR 2132/05; OLG Celle NStZ 1999, 444; OLG Hamburg StrFo 2007, 390; Laubenthal 2011 Rdn. 327; a. A. s. KG Berlin ZfStrVo 1984, 370; OLG Koblenz ZfStrVo 1990, 116; KG Berlin ZfStrVo 1987, 245; OLG Koblenz ZfStrVo 1992, 322). Ein erheblicher Mangel ist auch eine fehlende Frist zur Vollzugsplanfortschreibung (OLG Karlsruhe StV 2004, 555 ff). Das Aufstellungsverfahren ist auch fehlerhaft, wenn zeitgleich zwei Fortschreibungen des Vollzugsplans erstellt werden (inhaltliche Abweichungen zwischen der Vollzugsplanung in den Akten und der Planung, die dem Gefangenen ausgehändigt worden ist), ohne dass deutlich wird, welche von beiden Rechtswirkung entfalten soll (OLG Karlsruhe 13.2.2004 – 1 Ws 165/03, StV 2004, 555 f = ZfStrVo 2005, 246 f). Der Vollzugsplan ist auch als Ganzes anfechtbar, wenn bereits getilgte Voreintragungen im Bundeszentralregister verwertet worden sind. § 51 Abs. 1 BZRG begründet ein absolutes Verwertungsverbot. Bei der Behandlungsplanung ist auch bei Sexualstraftätern eine Ausnahme nicht zu rechtfertigen. Die damit einhergehenden Beeinträchtigungen bei der Wahrheitsermittlung sind zur Verwirklichung des mit dem Verwertungsverbot verfolgten Zieles der Resozialisierung Straffälliger hinzunehmen (OLG Celle 5.8.2011 – 1 Ws 282/11 (StrVollz)).
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6. Behandlungsplan. Vom Vollzugsplan zu unterscheiden ist der Behandlungsplan. Er ist dem Vollzugsplan untergeordnet und regelt die Konkretisierung einzelner Wischka
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Elemente des Vollzugsplans durch behandelnde Fachkräfte (BT-Drucks. 7/918, 49). Im Gesetz ist der Behandlungsplan nicht besonders geregelt. Die Benutzung der Begriffe Behandlungsuntersuchung (§ 6 Abs. 1; § 7 Abs. 1), Planung der Behandlung (§ 6 Abs. 3), Vollzugsplan (§ 7) und Behandlungsplan führt leicht zu terminologischer Verwirrung (kritisch erläuternd dazu Stock 1993, 69 und 110 f, Anm. 229). Die Begrifflichkeiten werden durch die Landesgesetze noch erweitert: Aufnahmeuntersuchung (HmbStvollzG), Maßnahmebedarf (HStVollzG), Diagnoseverfahren, Vollzugs- und Wiedereingliederungsplan (ME-StVollzG). Sozialtherapeutische Erfahrungen haben im Übrigen gezeigt, dass eine Verbesserung der Effizienz des Strafvollzuges weniger durch Einsatz spezifischer psychotherapeutischer Methoden als vielmehr durch ein als „integrative Sozialtherapie“ bezeichnetes Vorgehen erreicht wird, in dem das gesamte Lebensfeld innerhalb und außerhalb der Einrichtung einbezogen wird, wenn ein therapeutisches Klima hergestellt werden kann und wenn psychotherapeutische, pädagogische und arbeitstherapeutische Maßnahmen miteinander verknüpft werden (Specht 1986, 110; Steller 1977, 13; Wischka/ Specht 2001, 254; zu einem umfassenden Behandlungsbegriff: C/MD 2008 § 4 Rdn. 6; vgl. auch § 9 Rdn. 5 und § 141 Rdn. 12). Zwar stellt der Gesetzgeber in BT-Drucks. 7/918, 49 fest, dass der Vollzugsplan als Rahmenplan die am Vollzug Beteiligten zur Zusammenarbeit anregt. Dennoch verbleibt es trotz dieser Erkenntnis bei der Unterscheidung zwischen Vollzugsplan und Behandlungsplan. Der gesetzlich ungeregelte Begriff des Behandlungsplans hat allerdings den Vorteil, dass dadurch in Verbindung mit den ebenfalls nicht definierten besonderen Hilfs- und Behandlungsmaßnahmen (§ 7 Abs. 2 Nr. 6) die Anwendung und Erprobung vielfältiger Behandlungsmethoden möglich ist. Diese Möglichkeit ist auch im Rahmen verschiedener sozialtherapeutischer Konzepte genutzt worden. (Zur Meta-Evaluation der Sozialtherapie Egg u. a. 2001; Lösel/Schmucker 2008). 7. Mindestregelungen des Vollzugsplans. Die in § 7 Abs. 2 aufgezählten Mindest- 12 regelungen des Vollzugsplans stehen mit anderen Regelungen des Gesetzes in Verbindung und werden dort spezifisch erläutert: Nr. 1 mit §§ 10 f; Nr. 2 mit § 9; Nr. 3 mit §§ 17 f; Nr. 4 und 5 mit §§ 37 ff und 67; Nr. 6 mit §§ 9, 56; Nr. 7 mit § 11; Nr. 8 mit § 15. § 7 Abs. 2 Nr. 3 schreibt die Zuweisung zu Wohngruppen zwingend vor und sieht darin eine Behandlungsmaßnahme (C/MD 2008 Rdn. 4). In Verbindung mit § 143 Abs. 2 ergibt sich daraus, den sog. Wohngruppenvollzug in allen Anstalten zur Regel zu machen. Ob die Zuweisung zu einer Wohngruppe das Individualisierungsprinzip der Behandlung (§ 6 Rdn. 4) erfüllt, mag dahingestellt bleiben. Die Unterbringung der Gefangenen in Wohngruppen ist jedoch Voraussetzung dafür, das Leben in der Anstalt zu einem natürlichen sozialen Trainingsfeld zu gestalten („Angleichungsgrundssatz“ § 3 Rdn. 3), das Klima dem einer problemlösenden Gemeinschaft anzunähern (Walter 1999 Rdn. 284; Lohse 1993; Wischka 2001, 2004) und demokratische Strukturen einzuführen (J. Walter 1998). Diese Aufgaben stellen erhöhte Anforderungen an das Personal. Jeder Bedienstete muss gerade im Wohngruppenvollzug das Verhältnis von Distanz und Nähe zum Gefangenen besonders sorgfältig austarieren. Notwendig ist daher ständige Praxisberatung der Bediensteten, die im Wohngruppenvollzug tätig sind (vgl. auch § 143 Rdn. 4). Einer aus Behandlungsgründen geschaffenen Wohngruppe kommt keine Rechtspersönlichkeit zu; sie kann somit weder Träger von Rechten und Pflichten sein, noch von einem Gefangenen vertreten werden. Antragsberechtigt i. S. § 109 können nur natürliche Personen oder vom Gesetz ausdrücklich dazu befähigte Personenmehrheiten (z. B. Anstaltsbeirat nach § 163 oder Gefangenenmitverantwortung nach § 160) sein, soweit ihre ureigensten Interessen betroffen sind (OLG Hamm NStZ 1993, 512; s. a. § 108 Rdn. 14). 149
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Gegen Entscheidungen der Anstaltsleitung hat eine Wohngruppe somit kein Widerspruchsrecht. Kommt die Zuweisung zu einer Wohngruppe aus individuellen oder organisatorischen Gründen nicht in Betracht, so hat der Vollzugsplan eine Begründung dafür zu enthalten (C/MD 2008 Rdn. 4). Individuelle Gründe liegen z. B. vor, wenn befürchtet werden muss, dass die mit dem Wohngruppenvollzug verbundenen Freiräume zu subkulturellen Aktivitäten und zur Unterdrückung von Mitgefangenen missbraucht werden (Hürlimann 1993; Otto 1998; Wischka 2004, 342 ff). Die Verlegung eines Gefangenen in den behandlungsorientierten Wohngruppenvollzug ist eine begünstigende Maßnahme, die nur unter den Voraussetzungen des entsprechend anzuwendenden § 14 Abs. 2 Satz 2 StVollzG zurückgenommen werden kann (KG Berlin 4.6.2004 – 5 Ws 227/04 Vollz, ZfStrVo 2005, 121 f). Von der Wohngruppe zu unterscheiden ist die Behandlungsgruppe (vgl. auch § 143 Rdn. 4). Die hier zusammengefassten Gefangenen gehören meist zu verschiedenen Wohngruppen. Die Behandlungsgruppe wird zum Zweck der Durchführung besonderer Behandlungsmaßnahmen gebildet, von denen allerdings die Maßnahmen nach § 7 Abs. 2 Nr. 6 zu unterscheiden sind. Denkbar wäre jedoch, Methoden wie „group counselling“ oder soziales Training (§ 74 Rdn. 12) auch in geschlossenen Wohngruppen durchzuführen. Maßnahmen nach § 7 Abs. 2 Nr. 6 sind dagegen methodisch speziell ausgerichtete Therapieformen oder Trainingsabläufe, wie z. B. Anti-Aggressions-Training (Weidner 1990), kognitiv-verhaltenstherapeutische Behandlungsprogramme für Sexualstraftäter (Berner/Becker 2001; Wischka et al. 2012), aber auch gezielte Einzelhilfemaßnahmen. Der Auffassung von AK-Feest/Straube 2012 Rdn. 19, dass mit „Zuweisung“ nur „Beratung“ gemeint sein könne, weil die Entscheidung zur Teilnahme an Behandlungsgruppen den Gefangenen überlassen bleiben müsse, kann nicht zugestimmt werden. Wenn auch das Gesetz keine Mitwirkungspflicht kennt, die durch formelle oder informelle Sanktionen erzwungen werden darf (§ 4 Rdn. 3 ff; C/MD 2008 § 4 Rdn. 4 f; Seebode 1997, 156), hat der Gefangene kein Recht, sich resozialisierenden Maßnahmen zu entziehen (§ 4 Rdn. 4). Die Bereitschaft hierzu ist i. S. d. § 4 Abs. 1 zu wecken und zu fördern. Insofern kann die Mitwirkung des Gefangenen an den im Vollzugsplan festgelegten Maßnahmen natürlich Auswirkungen auf die Beurteilung der Missbrauchsgefahr bei Vollzugslockerungen haben (s. § 11 Rdn. 24). Gleiches gilt für die Prognoseerstellung im Rahmen der Strafrestaussetzung gem. § 57 StGB. Wenn auch das Merkmal „mangelnde Kooperation“ zur Beurteilung des Missbrauchsrisikos und der Rückfallgefahr nicht direkt verwertbar ist (AK-Bung/Feest 2012 § 4 Rdn. 5), so ist es aber die Beurteilung, ob sich deliktrelevante Einstellungen und Verhaltensmuster verändert haben oder ob soziale Kompetenzen zur Bewältigung von Konflikten und Alltagsschwierigkeiten erworben wurden. Dies wird ohne aktive Mitwirkung kaum möglich sein. Für die durch § 6 Abs. 2, § 7 Abs. 4 und § 9 Abs. 1 hervorgehobene Gruppe der wegen 13 Sexualdelikten verurteilten Gefangenen ist die Zustimmung zur Verlegung in eine sozialtherapeutische Einrichtung in der Neufassung bewusst gestrichen worden. Dass sich diese Gefangenen dort nicht nur aufhalten, sondern an den zur Reduzierung der Rückfallgefahr erforderlichen Behandlungsmaßnahmen teilnehmen sollen, versteht sich von selbst. In einer unbeeinflussbar ablehnenden Haltung ist ein Rückverlegungsgrund i. S. d. § 9 Abs. 1 zu sehen (s. § 6 Rdn. 33), der auch prognostisch relevant ist. Bei der Planung der Maßnahmen zur Vorbereitung der Entlassung sind die Auswirkungen des Gesetzes zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten zu berücksichtigen. Die restriktiveren Kriterien bei der Strafrestaussetzung gem. § 57 StGB und die erhebliche Erweiterung des Personenkreises, bei dem eine Begutachtung gem. § 454 Abs. 2 StPO erforderlich wird, macht den Entlassungszeitpunkt sowohl für den Gefangenen als auch für die Vollzugsbehörde schwerer kalkulierbar (s. Wischka
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Rdn. 7). Das kann die Probleme erhöhen, Gefangene zu einer aktiven Mitarbeit zu motivieren (C/MD 2008 Rdn. 7) und die Vollzugsplanung verlässlich einzuhalten (zur Problematik des § 454 StPO und zur Prognose s. § 6 Rdn. 11 und 24). Um so wichtiger ist es, auf der Basis einer sorgfältigen Behandlungsuntersuchung die Vollzugsplanung, deren Umsetzung, die dabei erzielten Ergebnisse und die daraus gezogenen Schlussfolgerungen für die Entlassungsprognose so zu dokumentieren, dass sie für den Gutachter und die Strafvollstreckungskammer nachvollziehbar sind. Hilfreich ist in diesem Zusammenhang die Klarstellung des BVerfG, dass auch die Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit (§ 57 StGB Abs. 1 Satz 1 Nr. 2), ebenso wie schon die Klausel der Verantwortbarkeit der Erprobung (§ 57 StGB a. F.) es einschließt, dass ein vertretbares Restrisiko eingegangen wird (BVerfG 22.3.1998 – 2 BvR 77/97; 22.10.2009 – 2 BvR 2549/ 08). 8. Fortschreibung des Vollzugsplans. § 7 Abs. 3 soll verhindern, dass der Voll- 14 zugsplan eine negative Festschreibungsfunktion erhält. Er ist mit der Entwicklung des Gefangenen und den weiteren Ergebnissen der Persönlichkeitserforschung in Einklang zu halten, wobei bereits im Vollzugsplan individuell angemessene Fristen zu seiner Überprüfung festzulegen sind. Der Vollzugsplan und seine Fortschreibung ist ein dynamischer, die gesamte Dauer des Strafvollzuges begleitender Prozess. Die Fortschreibungen ersetzen den Vollzugsplan nicht, sondern bauen auf ihm auf. Sie modifizieren ihn unter Berücksichtigung der weiteren Entwicklung des Gefangenen (OLG Hamburg 13.6.2007 – 3 Vollz (Ws) 26/07). Es muss der Gefahr begegnet werden, dass der Gefangene mit der Diagnose aus der Behandlungsuntersuchung unveränderlich abgestempelt bleibt. Darüber hinaus enthält diese Vorschrift eine Anweisung zur organisatorischen Gestaltung des Vollzuges. Die fortlaufende Überprüfung des Vollzugsplans, die gemäß § 159 wiederum in einer Konferenz zu geschehen hat, muss sich nach den Bedingungen des Einzelfalls ausrichten (OLG Hamm – 19.4.1994 – 1 Vollz (Ws) 37/94). Dabei ist es entbehrlich, diejenigen Regelungen lediglich abzuschreiben, für deren Änderung kein Anlass besteht (KG Berlin NStZ 2001, 410 f). Es empfiehlt sich, zur Überprüfung zunächst grundsätzlich feste zeitliche Abstände zu bestimmen. Angemessen ist eine Frist von sechs Monaten, wie sie für die in Abs. 4 bestimmten Sexualstraftäter zur Überprüfung der Indikation zur Verlegung in eine sozialtherapeutische Anstalt verbindlich vorgesehen ist. Kürzere Fristen sind im Bedarfsfall, z. B. bei kurzen Strafen oder in der Entlassungsphase sinnvoll, längere sind i. d. R. unangemessen (C/MD 2008 Rdn. 8; AK-Feest/Straube 2012 Rdn. 28). Nach Arloth 2008 Rdn. 9 ist bei zehnjährigen oder lebenslangen Freiheitsstrafen eine Überprüfung innerhalb Jahresfrist angemessen. 9. Sonderregelungen für Sexualstraftäter. In § 7 Abs. 4 sind ebenso wie in § 9 15 Abs. 1 Voraussetzungen für die Verlegung von Sexualstraftätern in sozialtherapeutische Anstalten oder Abteilungen formuliert, sofern ihre Verlegung nach § 6 Abs. 2 Satz 2 n. F. angezeigt ist (zur Indikationsprüfung s. § 6 Rdn. 33). Die Fristprüfung gem. § 7 Abs. 4 soll sicherstellen, dass die Erkenntnisse und Veränderungen des Vollzuges berücksichtigt werden (BT-Drucks. 13/9062, 13). Sie beziehen sich insb. auf Veränderungen hinsichtlich einer behandlungsablehnenden Haltung, die eine Verlegung nur unter Anwendung unmittelbaren Zwanges ermöglichen würde, auf Gewaltpotenziale, die Risiken für Bedienstete oder Mitgefangene in einem für die Therapie notwendigen Freiraum unvertretbar erhöhen würde, und Suchtmittelgebrauch, der verhindert, sich auf therapeutische Prozesse einzulassen. Die Überprüfung der Verlegung kommt auch für solche Fälle in Betracht, in denen eine Behandlung in der sozialtherapeutischen Anstalt zwar ange151
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Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
zeigt ist, die jedoch entweder aus in ihrer Strafzeit liegenden Gründen und/oder aus Gründen der Vollzugsorganisation (z. B. begrenzte Aufnahmekapazität der sozialtherapeutischen Einrichtung) noch nicht verlegt werden können (s. § 6 Rdn. 33). Zur anderen Auffassung des KG Berlin (NJW 2001, 1806 ff) s. § 6 Rdn. 34. Dass diese vollzugsorganisatorische Bestimmung allerdings Gesetzesrang haben muss, ist nicht ganz verständlich. Eine längere Frist als sechs Monate ist bei der definierten Gruppe von Sexualstraftätern somit gesetzeswidrig; kürzere Fristen sind nach Abs. 3 allemal zulässig und im Einzelfall auch geboten. In den Landesgesetzen wird einheitlich auf die Festlegung besonderer Fristen für Gefangene mit bestimmten Delikten verzichtet. Die sowohl in § 7 Abs. 4 als auch in § 9 Abs. 1 formulierte weitere Voraussetzung für die Verlegung, nämlich die Verurteilung zu Freiheitsstrafe von über zwei Jahren zielt offenbar auf die konkrete Erfahrung, dass die Mindestdauer sozialtherapeutischer Behandlung im Mittel bei 18 bis 24 Monaten liegt (Egg/Schmitt 1993, 117). Damit ist es aber auch fraglich, ob angesichts vielfältiger zeitaufwändiger Abläufe bis zur Rechtskraft des Urteils bei Strafen zwischen zwei und drei Jahren nach der Verlegung zur Strafverbüßung noch genügend Reststrafzeit für die Durchführung der Behandlung in der sozialtherapeutischen Anstalt bleibt (s. dazu § 9 Rdn. 8). III. Landesgesetze und Musterentwurf 16
1. Baden-Württemberg. § 5 Abs. 1 und 2 JVollzG III entspricht § 6 Abs. 1 und 2 StVollzG verwendet aber bei den Aufzählung der Mindestangaben unter 7. den Terminus „vollzugsöffnende Maßnahmen“ und nicht „Lockerungen des Vollzuges“. Nr. 8 im StVollzG (notwendige Maßnahmen zur Vorbereitung der Entlassung) wird erweitert auf „Entlassungsvorbereitung und Nachsorge“. Abs. 3 bis 5 lauten: „(3) Die Vollzugsplanung wird mit der oder dem Gefangenen erörtert. Ihnen wird Gelegenheit gegeben, eine Stellungnahme in der Vollzugsplankonferenz abzugeben. (4) Der Vollzugsplan wird mit der Billigung durch die Anstaltsleiterin oder den Anstaltsleiter wirksam. Die Aufsichtsbehörde kann sich vorbehalten, dass der Vollzugsplan in bestimmten Fällen erst mit ihrer Zustimmung wirksam wird. (5) Der Vollzugsplan ist in regelmäßigen Abständen auf seine Umsetzung hin zu überprüfen und mit der Entwicklung der oder des Gefangenen sowie weiteren für die Behandlung bedeutsamen Erkenntnissen in Einklang zu halten. Hierfür sind im Vollzugsplan angemessene Fristen vorzusehen. Die Fortschreibung des Vollzugsplans wird mit den Gefangenen erörtert.“ Die Gesetzesbegründung (LT-Drucks. 14/5012, 210 f) stellt klar, dass kein Vollzugsplan zu erstellen ist, wenn keine Behandlungsuntersuchung nach § 4 Abs. 2 Satz 2 (wegen zur geringer Vollzugsdauer) geboten war und gibt vor, dass der Vollzugsplan möglichst nach einem landesweit einheitlichen Verfahren standardisiert werden soll. Die Gefangenen sollen Gelegenheit erhalten, auf die Vollzugsplanung Einfluss zu nehmen und sicherstellen können, dass die Vollzugsplankonferenz ihre Entscheidungen auf der Grundlage vollständiger und richtiger Tatsachen trifft. Deshalb ist die Planung des Vollzugsplans und auch dessen Fortschreibung mit ihnen zu erörtern und sie erhalten Gelegenheit zur Stellungnahme in der Konferenz. Abs. 4 Satz 1 bezieht sich auf § 13 Abs. 2 JVollzGB I, in der die Gesamtverantwortung der Anstaltsleiterin oder des Anstaltsleiters für den Vollzug bestimmt wird, erscheint darum an dieser Stelle unnötig. Mit der Möglichkeit des Zustimmungsvorbehalts der Aufsichtsbehörde wird die Gesamtverantwortung des Justizministeriums für den Justizvollzug des Landes (§ 19 JVollzGB I) betont. Die Einflussnahme auf sensible EntscheiWischka
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dungen mit Außenwirkung (vollzugsöffnende Maßnahmen) wird durch diese gesetzliche Regelung besonders hervorgehoben. Andere Länder haben bislang Zustimmungsvorbehalte durch Verwaltungsvorschriften geregelt. In der Begründung zu Abs. 5 wird auf den Beschluss des BVerfG v. 25.9.2006 (2 BvR 2132/05; s. Rdn. 1, 4, 6 ,10) verwiesen. Der Vollzug ist prospektiv zu gestalten, soll also so weit möglich Darstellungen darüber enthalten, welche Behandlungsschritte voraussichtlich zu welchem Zeitpunkt erforderlich sein werden. Besonderes Augenmerk ist auf Behandlungsmaßnahmen zu richten, die der Wiedereingliederung dienen. Angemessene Fristen für die Fortschreibung des Vollzugsplans werden zwar gefordert. Was „angemessen“ ist wird aber nicht konkretisiert. Sonderreglungen für Gefangene mit Sexualdelikten (§ 7 Abs. 4 StVollzG) gibt es nicht. 2. Bayern. Art. 9 BayStVollzG ersetzt § 7 und § 6 Abs. 3 StVollzG. Er lautet: 17 „(1) Auf Grund der Behandlungsuntersuchung gemäß Art. 8 wird ein Vollzugsplan erstellt. Er enthält insbesondere Angaben über vollzugliche, pädagogische und sozialpädagogische sowie therapeutische Maßnahmen. Das Nähere regelt das Staatsministerium der Justiz durch Verwaltungsvorschrift. (2) Der Vollzugsplan ist jeweils nach Ablauf eines Jahres an die Entwicklung der Gefangenen und die weiteren Ergebnisse der Persönlichkeitserforschung anzupassen. (3) Über eine Verlegung in eine sozialtherapeutische Einrichtung gemäß Art. 11 Abs. 1 oder 2 ist jeweils nach Ablauf von sechs Monaten neu zu entscheiden. (4) Die Planung der Behandlung wird mit dem Gefangenen erörtert.“ Abweichend von § 7 Abs. 2 StVollzG enthält die Vorschrift keinen Mindestkatalog von Behandlungsmaßnahmen. In der Gesetzesbegründung wird eine Unterteilung von Behandlungsmaßnahmen aufgeführt, die in eine Verwaltungsvorschrift übernommen werden sollen (LT-Drucks. 15/8101, S. 51). Es werden vollzugliche Maßnahmen, pädagogische und sozialpädagogische sowie therapeutische Maßnahmen genannt: – Vollzugliche Maßnahmen – Unterbringung im geschlossenen oder offenen Vollzug – Zuweisung zu einer Wohngruppe – Arbeitseinsatz – Freizeitgestaltung – Lockerungen des Vollzugs und Urlaub – Pädagogische und sozialpädagogische Maßnahmen – Berufliche Aus- und Weiterbildung – Trainingsmaßnahmen zur sozialen Kompetenz – Vorbereitung einer Schuldenregulierung – Suchtberatung – Entlassungsvorbereitung – Therapeutische Maßnahmen – Unterbringung in einer sozialtherapeutischen Einrichtung – Unterbringung in einer Behandlungsabteilung – Einzeltherapie – Gruppentherapie Abs. 3 trifft eine von der Jahresfrist abweichende Regelung hinsichtlich der Verlegung in eine sozialtherapeutische Einrichtung, um bei den für die Allgemeinheit besonders gefährlichen Gefangenen in erhöhtem Maße sicherzustellen, dass Veränderungen während des Vollzugs (z. B. eine gestiegene Therapiemotivation des oder der Gefange153
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nen) frühzeitig berücksichtigt werden, und hält damit an der Regelung des § 7 Abs. 4 StVollzG fest, schränkt sie aber nicht auf Sexualstraftäter ein. Abs. 4 entspricht § 6 Abs. 3 StVollzG. Die Planung der Behandlung ist auch dann mit den Gefangenen zu erörtern, wenn kein Vollzugsplan erstellt wird, weil dies mit Rücksicht auf die Vollzugsdauer nicht geboten erscheint (vgl. Art. 8 Abs. 1 Satz 2). Die Verschiebung der Mindestangaben, die ein Vollzugsplan zu enthalten hat, auf die Ebene der Verwaltungsvorschriften ist angesichts der erheblichen Bedeutung, die der Vollzugsplanung in der zitierten Rechtsprechung des BVerfG zukommt, nicht unproblematisch (s. Arloth 2011 Art. 9 BayStVollzG sowie Pollähne JR 2007, 446 ff). Die als „angemessen“ angesehene Jahresfrist zur Vollzugsplanfortschreibung wird nur bei langen Freiheitsstrafen ausreichend sein (s. Rdn. 13). 18
3. Hamburg. § 8 HmbStVollzG lehnt sich an § 7 StVollzG an. Der Vollzugsplan ist im Anschluss an die Aufnahmeuntersuchung zu erstellen (Abs. 1) und sieht somit eine enge zeitliche Verzahnung der Vollzugsplanerstellung mit der Aufnahmeuntersuchung vor, um die Vollzugszeit konsequent ausnutzen zu können (Bürgerschafts-Drucks. 18/ 6490, 33). In der Neufassung des § 8 Abs. 1 HmbStVollzG wird bestimmt, dass der Vollzugsplan regelmäßig innerhalb der ersten sechs Wochen nach der Aufnahme auf der Grundlage der Aufnahmeuntersuchung erstellt wird (Bürgerschafts-Drucks. 19/2533, S. 52). Durch die Vorschrift, dass sowohl die Aufnahmeuntersuchung als auch die Vollzugsplanung innerhalb von sechs Wochen zu erstellen ist, wird in der Regel ausgeschlossen, dass ein weitgehend inhaltsleerer Vollzugsplan besteht, in dem wesentliche Entscheidungen zurückgestellt werden bis die Behandlungsuntersuchung erfolgt ist. Die Mindestangaben (Abs. 2) entsprechen denen des StVollzG. § 8 Abs. 2 Nr. 2 HmbStvollzG ergänzt die analog in § 7 Abs. 2 Nr. 3 StvollzG geregelte Zuweisung zu Wohngruppen und Behandlungsgruppen um die Möglichkeit der Zuweisung zu Behandlungsabteilungen. Die in vielen Vollzugsanstalten gängige Praxis, zwischen Normalvollzug und Sozialtherapie als niederschwellige Maßnahme Behandlungsabteilungen einzurichten, erhält hier eine gesetzliche Grundlage. Anders als das StVollzG konkretisiert Abs. 2 Nr. 5 die besonderen Hilfs- und Behandlungsmaßnahmen bzw. Erziehungsmaßnahmen und nennt insbesondere Schuldenregulierung einschließlich Unterhaltszahlungen, Schadensausgleich, Maßnahmen des Täter-Opfer-Ausgleichs, Suchtberatung und Maßnahmen des Verhaltenstrainings. „Die Angaben sind in Grundzügen zu begründen“ (Abs. 2 Satz 2). Anders als das StVollzG regeln § 8 Abs. 3 Nr. 1 und 2 HmbStvollzG konkrete und verbindliche Mindestfristen für die Fortschreibung des Vollzugsplanes. Er lautet: „Der Vollzugsplan ist mit der Entwicklung der Gefangenen in Einklang zu halten. Er wird regelmäßig alle sechs Monate überprüft und fortgeschrieben. Bei einer Vollzugsdauer von mehr als drei Jahren verlängert sich die Frist auf zwölf Monate“. Abs. 4 Satz 1 bestimmt, dass der Vollzugsplan mit dem Gefangenen zu erörtern ist. Mit Abs. 4 Satz 2 soll die Erfahrung der Praxis berücksichtigt werden, wonach Gefangene die Kenntnis der Inhalte des Vollzugsplans bisweilen leugnen (BürgerschaftsDrucks. 18/6490, 33). § 8 Abs. 4 HmbStVollzG lautet: „Der Vollzugsplan und seine Fortschreibungen sind mit den Gefangenen zu erörtern. Die Gefangenen bestätigen mit ihrer Unterschrift, dass sie von dem Inhalt des Vollzugsplanes Kenntnis genommen haben“. Die in § 7 Abs. 4 StVollzG geregelte Frist für eine neue Entscheidung über eine Verlegung von Gefangenen, die wegen einer Straftat nach den §§ 174 bis 180 oder 182 StGB verurteilt worden sind in eine sozialtherapeutische Einrichtung, ist wegen des Sachzusammenhangs in § 10 übernommen worden. Wischka
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4. Hessen. § 10 Abs. 1 HStVollzG entspricht § 7 Abs. 1 StVollzG. Abs. 2 regelt die Be- 19 teiligung der Gefangenen und die Beratung in der Konferenz. Er lautet: „(2) Der Vollzugsplan wird in einer Konferenz (§ 75 Abs. 3) beraten und mit den Gefangenen erörtert. Deren Anregungen und Vorschläge werden angemessen einbezogen.“ (s. § 6 Rdn. 39). Abs. 3 entspricht Abs. 2 StVollzG erweitert aber die Frist für die Vollzugsplanfortschreibung. Er ist „in angemessenen Abständen, zumindest im Abstand von zwölf Monaten, mit dem Gefangenen zu erörtern und fortzuschreiben“. Besondere Fortschreibungsfristen für Gefangene mit Sexualdelikten wie in § 7 Abs. 4 StVollzG gibt es nicht. Die Mindestangaben, die der Vollzugsplan zu enthalten hat, sind gegenüber der Regelung in § 7 Abs. 2 modifiziert und erweitert: „(4) Der Vollzugsplan enthält – je nach Stand des Vollzugs – insbesondere folgende Angaben: 1. Ausführungen zu den dem Vollzugsplan zugrunde liegenden Annahmen zur Entwicklung des straffälligen Verhaltens sowie des sich daraus ergebenden Maßnahmebedarfs, 2. Art der Unterbringung im Vollzug, insbesondere die Verlegung in eine sozialtherapeutische Anstalt nach § 12, 3. Art und Umfang der Zuweisung von Arbeit, der Teilnahme an schulischen, berufsorientierenden, berufsqualifizierenden oder arbeitstherapeutischen Maßnahmen, 4. Art und Umfang der Teilnahme an therapeutischer Behandlung oder anderen Hilfsmaßnahmen, 5. Maßnahmen der Gesundheitsfürsorge, 6. Teilnahme an Freizeitmaßnahmen unter besonderer Berücksichtigung des Sports, 7. vollzugsöffnende Maßnahmen, 8. Maßnahmen zur Pflege der familiären Beziehungen und zur Gestaltung der Außenkontakte, 9. Maßnahmen zum Ausgleich von Tatfolgen, 10. Maßnahmen zur Schuldenregulierung, 11. Maßnahmen zur Vorbereitung der Entlassung. In den Fällen des § 9 Abs. 3 kann sich der Vollzugsplan auf Aufgaben zu den dort genannten Umständen beschränken. Für Gefangene, die ausschließlich Ersatzfreiheitsstrafe von insgesamt bis zu 180 Tagessätzen verbüßen, kann von der Erstellung eines Vollzugsplans abgesehen werden. (5) Den Gefangenen werden der Vollzugsplan und seine Fortschreibungen ausgehändigt.“ Die Gesetzesbegründung (LT-Drucks. 18/1396, S. 81) führt aus, dass mit der vom Gesetz vorgenommenen Trennung zwischen Beratung in der Konferenz und Erörterung mit dem Gefangenen klargestellt wird, dass die Gefangenen, wie auch ihre Bevollmächtigten, keinen Anspruch auf Anwesenheit in der Konferenz haben. Der Erörterung mit dem Gefangenen komme allerdings im Hinblick auf die Verbindlichkeit der Ergebnisse der Vollzugsplanung erhebliche Bedeutung zu. Sie sind zu ermutigen, Anregungen und Vorschläge einzubringen. Wenn ihre Berücksichtigung nicht möglich ist, soll dies gegenüber den Gefangenen begründet werden. Den Mindestangaben soll eine besondere Bedeutung beigemessen werden. Sie sind aber nicht abschließend; je nach Umständen des Einzelfalls werden noch weitere Aspekte aufzunehmen sein. Die Entlassungsvorbereitung als integraler Bestandteil der Vollzugsplanung ist rechtzeitig zu planen und im Zuge der Fortschreibungen zu konkretisieren. Die Anstalten werden in der Begründung aufgefordert, die Maßnahmen entsprechend dem Bedarf anzupassen: „Die Anstalten werden sicher zu stellen haben, dass 155
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für alle Gefangenen, die dessen bedürfen, geeignete Maßnahmen zur Verfügung stehen“ (aaO, S. 82). Die Anstalten haben die Pflicht, entsprechende Maßnahmen vorzuhalten. Ein subjektives Recht auf bestimmte Maßnahmen steht den Gefangenen jedoch nicht zu. Abs. 4 Satz 2 schafft eine Sonderregelung für Gefangene mit kurzen Freiheitsstrafen. Mit der Aushändigung des Vollzugsplans und seinen Fortschreibungen (Abs. 5) wird deren Verbindlichkeit und Bedeutung betont. 20
5. Niedersachsen. § 9 NJVollzG fasst die in § 6 StVollzG geregelte Behandlungsuntersuchung und den in § 7 StVollzG geregelten Vollzugsplan in einer einheitlichen Vorschrift als „Vollzugsplanung“ zusammen. Eine Vollzugsplanung hat bei allen Gefangenen zu erfolgen. In der Gesetzesbegründung heißt es dazu: „Dies ist im Hinblick auf das für alle Gefangenen geltende verfassungsrechtlich ableitbare Gebot der sozialen Integration erforderlich. Deshalb sind bei allen Gefangenen Überlegungen anzustellen, wie die Zeit im Vollzug möglichst sinnvoll strukturiert werden kann“ (LT-Drucks 15/3565, S. 91). Ein aufwändiges Planungsverfahren erscheine aber erst bei einer Vollzugsdauer von mindestens einem Jahr sinnvoll und geboten. Abs. 1 unterscheidet deshalb zwischen einer Vollzugsplanung, die auch in einem vereinfachten Verfahren durchgeführt werden kann, und einer Vollzugsplanung durch einen Vollzugsplan. Nur dieser Vollzugsplan erfordere die Durchführung einer Untersuchung nach Abs. 2, die regelmäßige Fortschreibung nach Abs. 3 sowie die Durchführung einer Konferenz nach Abs. 4. Welche Daten für die Vorbereitung der Aufstellung des Vollzugsplans erforderlich sind, schreibt Abs. 2 vor: Daten zur Persönlichkeit, zu den Lebensverhältnissen und den Ursachen der Straftaten. In der Gesetzesbegründung heißt es dazu: „Der Vollzugsplan ist frühzeitig nach der Aufnahme vorzubereiten. Dem dient die nach Abs. 2 vorgeschriebene Erhebung der Daten, die für die Aufstellung des Vollzugsplans erforderlich sind“ (LT-Drucks. 15/3565, S. 92). Der Katalog der Mindestangaben, die ein Vollzugsplan enthält (Abs. 1 Satz 3), entspricht § 7 Abs. 2 StVollzG. Die Festlegung einer Unterbringung im geschlossenen Vollzug im Regelfall ist mit Bezug auf § 12 rechtlich nicht zu beanstanden (OLG Celle 13.4.2011 – 1 Ws 153/11). Abs. 3 entspricht § 7 Abs. 3 StVollzG. In Abs. 4 wird die bisher in § 159 StVollzG enthaltene Regelung zur Durchführung von Konferenzen übernommen, soweit sich diese auf die Aufstellung und Überprüfung des Vollzugsplans bezieht. Die Zuziehung der betroffenen Gefangenen oder anderer maßgeblich an der Vollzugsgestaltung beteiligter Personen steht im Ermessen des Anstaltsleiters. Die Einfügung, dass „nach Auffassung der Vollzugsbehörde“ an der Vollzugsplanung maßgeblich Beteiligte teilnehmen, ist insofern überflüssig (Arloth 2008 zu § 9 NJVollzG). Der Anstaltsleiter muss nicht persönlich teilnehmen, sondern kann von seinen Delegationsmöglichkeiten Gebrauch machen. Der Begriff des Anstaltsleiters (u. a. in § 159 StVollzG) ist nicht persönlich, sondern offenkundig funktionell aufzufassen (OLG Celle 22.1.2009 – 1 Ws 591/08). Anträge auf gerichtliche Entscheidung gegen die Versagung der Teilnahme eines Rechtsanwalts an der Vollzugsplankonferenz sind regelmäßig als unzulässig zurückzuweisen, weil es an einem Verwaltungsakt fehlt. Versieht die Vollzugsbehörde ihre ablehnende Entscheidung mit einer Rechtsmittelbelehrung, gibt sie zu erkennen, dass sie in Form eines Verwaltungsaktes handelt, mit der Folge, dass der Rechtsweg nach § 109 StVollzG gegeben ist (OLG Celle 14.4.2010 – 1 Ws 143/10). Abs. 5 schreibt die Erörterung der Vollzugsplanung vor: „Die Vollzugsplanung wird mit der oder dem Gefangenen erörtert. Erfolgt die Vollzugsplanung in Form eines Wischka
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Vollzugsplans, so wird ihr oder ihm dieser in schriftlicher Form ausgehändigt“. Damit wird das vom BVerfG bejahte Einsichtsrecht des Gefangenen in den Vollzugsplan gesetzlich festgelegt (s. Rdn. 5). Denn ohne Zugang zur schriftlichen Fassung ist der Gefangene nicht in der Lage, die Vollständigkeit und Richtigkeit erteilter Auskünfte zu überprüfen. Die Feststellung im Vollzugsplan gem. § 9 Abs. 1 Nr. 7, dass Vollzugslockerungen nicht gewährt werden können, weil die Flucht- und Missbrauchsgefahr nicht hinreichend sicher beurteilt werden kann, ist unzulässig solange ein Gutachten gem. § 16 Abs. 1 nicht vorliegt (OLG Celle 31.10.2008 – 1 Ws 538/08), Besondere Fortschreibungsfristen für Gefangene mit Sexualdelikten wie in § 7 Abs. 4 StVollzG gibt es nicht. 6. Musterentwurf. ME-StVollzG regelt die Vollzugsplanung in § 8 (Vollzugs- und 21 Eingliederungsplanung) und § 9 (Inhalt des Vollzugs- und Eingliederungsplans). § 8 (Vollzugs- und Eingliederungsplanung) erweitert die Beteiligungsmöglichkeiten an der Vollzugsplanung und Konferenz. Begründung: Mit der gegenüber § 7 StVollzG erweiterten Bezeichnung „Vollzugsund Eingliederungsplanung“ soll darauf hingewiesen werden, dass die Eingliederung in die Gesellschaft von Beginn an ein wesentliches Element der Vollzugsplanung ist. Mit der Vorgabe, dass er auf der Grundlage der Ergebnisse des Diagnoseverfahrens innerhalb von acht Wochen nach der Aufnahme zu erstellen ist, soll gewährleistet werden, dass die zur Erreichung des Vollzugsziels erforderlichen Maßnahmen alsbald und in zweckmäßiger Abfolge beginnen. Die in Abs. 3 genannte Fortschreibungsfrist von sechs Monaten soll die Regel und die Höchstfrist von zwölf Monaten auf Ausnahmen begrenzt sein. Um verschiedene fachliche Sichtweisen zusammenzuführen, wird in Abs. 5 des Entwurfs erstmalig die Möglichkeit geschaffen, die bisher zuständige Bewährungshilfe an der Konferenz zu beteiligen. Die Eröffnung des Vollzugs- und Eingliederungsplans in der Konferenz verdeutlicht, dass es sich um eine abgestimmte und verbindliche Planung aller am Vollzug Beteiligten handelt. Sie sollen durch die Erläuterung in der Konferenz in die Lage versetzt werden, die Planung nachzuvollziehen und sich entsprechend einzubringen. Einerseits werden Erwartungen an die Gefangenen frühzeitig deutlich gemacht, andererseits sollen Akzeptanz und Mitwirkungsbereitschaft hergestellt werden. Die Möglichkeit der Beteiligung der Gefangenen über die Eröffnung hinaus wird durch Satz 4 geschaffen. An der Eingliederung beteiligte Externe sollen einbezogen werden. Für die Beteiligung an Konferenzen ist aber die Zustimmung der betroffenen Gefangenen erforderlich. Mit der Regelung, dass der später zuständigen Bewährungshilfe oder Führungsaufsicht Gelegenheit zu geben ist, im Jahr vor der Entlassung die Teilnahme an Konferenzen zu ermöglichen und sie über die Planungen durch Aushändigung des Vollzugs- und Eingliederungsplans zu informieren, konkretisiert eine anzustrebende durchgängige Betreuung. Mit der Aushändigung des Plans an die Gefangenen wird ein rechtsstaatliches Gebot erfüllt. § 9 (Inhalt des Vollzugs- und Eingliederungsplans) nennt einen gegenüber § 7 Abs. 2 StVollzG deutlich erweiterten bzw. konkretisierten Maßnahmenkatalog und präzisiert auch die Entlassungsvorbereitungen, die spätestens ein Jahr vor dem voraussichtlichen Entlassungszeitpunkt zu beginnen haben Begründung: Die Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse des Diagnoseverfahrens bildet die Grundlage für die nachfolgenden Festlegungen. Die Angabe des voraussichtlichen Entlassungszeitpunktes ist eine Prognoseentscheidung, die den vorläufigen Rahmen für die Planung vorgibt und die zeigen soll, wie die Gefangenen bei optimalem Verlauf zum frühestmöglichen Zeitpunkt entlassen werden können. Diese 157
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Erläuterung legt eine „optimistische“ Einschätzung und einen frühen Beginn von Maßnahmen nahe (s. Rdn. 7). Durch Abs. erhalten die in Abs. 1 Nr. 5 bis 10 genannten Maßnahmen besondere Bedeutung. Sie gehen allen anderen Maßnahmen vor, relativieren somit andere Maßnahmen, sofern sie die fünf Hauptmaßnahmen beeinträchtigen können. Die Entscheidung für oder gegen eine Maßnahme bleibt den Gefangenen überlassen. Abs. 2 Satz 2 soll gewährleisten, dass Gefangene nicht in andere, gleichzeitig stattfindende, aber für die Erreichung des Vollzugsziels weniger wichtige Maßnahmen „ausweichen“. Interessenkollisionen sollten durch eine geeignete Organisation der Vollzugsabläufe möglichst vermieden werden. Um die Motivation für Maßnahmen 5 bis 10 zu erhöhen, werden sie nach Maßgabe des § 55 Abs. 1 vergütet. Spätestens ein Jahr vor dem voraussichtlichen Entlassungszeitpunkt ist der Schwerpunkt der Vollzugs- und Eingliederungsplanung auf konkrete Maßnahmen zur Vorbereitung der Entlassung zu legen. Dazu sind ergänzend neun Planungsaufgaben zu gewährleisten (Abs. 3). Der Katalog umfasst insbesondere auch die Einbindung externer Institutionen und Personen. Die Anstalt nimmt Anregungen von Auflagen und Weisungen für die Bewährungs- und Führungsaufsicht in die Planung auf. Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass die Anstalt durch den Behandlungsverlauf besondere Kenntnisse über die Gefangenen erlangt hat, die für eine sinnvolle Ausgestaltung der Bewährungszeit nutzbar gemacht werden können. Für Gefangene mit einer voraussichtlichen Vollzugsdauer von unter einem Jahr gilt diese Bestimmung schon bei der Erstellung des Vollzugs- und Behandlungsplans. Besondere Fortschreibungsfristen für Gefangene mit Sexualdelikten wie in § 7 Abs. 4 StVollzG gibt es nicht.
§8 Verlegung, Überstellung § 8 Lindner Verlegung, Überstellung (1) Der Gefangene kann abweichend vom Vollstreckungsplan in eine andere für den Vollzug der Freiheitsstrafe zuständige Anstalt verlegt werden, 1. wenn die Behandlung des Gefangenen oder seine Eingliederung nach der Entlassung hierdurch gefördert wird oder 2. wenn dies aus Gründen der Vollzugsorganisation oder aus anderen wichtigen Gründen erforderlich ist. (2) Der Gefangene darf aus wichtigem Grund in eine andere Vollzugsanstalt überstellt werden. VV 1 (1) Wichtige Gründe für eine Überstellung sind namentlich a) Besuchszusammenführung, wenn ein Besuch in der zuständigen Anstalt nicht oder nur mit erheblichen Schwierigkeiten möglich ist; b) Ausführung und Ausgang am Ort oder in Ortsnähe einer anderen Anstalt; c) Vorführung und Ausantwortung am Ort oder in Ortsnähe einer anderen Anstalt; d) Begutachtung und ärztliche Untersuchungen. (2) Überstellungen sind nur im Einvernehmen mit der aufnehmenden Anstalt zulässig. Dies gilt nicht bei Vorführungen und Ausantwortungen. Lindner
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2 Auf begründeten Antrag darf der Gefangene einer Polizeibehörde befristet ausgeantwortet werden. § 8 Lindner Verlegung, Überstellung Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe I. II.
Übersicht Allgemeine Hinweise ____ 1–3 Erläuterungen ____ 4–16 1. Begriff ____ 4 a) Ermessen der Vollzugsbehörde ____ 5 b) Die Verlegung zur Förderung der Behandlung des Gefangenen oder seiner Eingliederung nach Abs. 1 Nr. 1 der Entlassung ____ 6 c) Die Verlegung nach Abs. 1 Nr. 2 ____ 7, 8 d) Rückverlegung ____ 9 e) Zuständigkeit und Verlegungsverfahren ____ 10
III.
f) Durchführung der Verlegung ____ 11 g) Auswirkungen der Verlegung ____ 12, 13 h) Gerichtliche Entscheidung ____ 14 2. Überstellung ____ 15 3. Ausantwortung ____ 16 Landesgesetze und Musterentwurf ____ 17–19 1. Baden-Württemberg ____ 17 2. Bayern ____ 18 3. Hamburg ____ 19 4. Hessen ____ 20 5. Niedersachsen ____ 21 6. Musterentwurf ____ 22
Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe I. Allgemeine Hinweise Die Landesjustizverwaltung bestimmt über den Vollstreckungsplan (§ 152), in wel- 1 cher Vollzugsanstalt des Landes ein Verurteilter seine Freiheitsstrafe zu verbüßen hat. § 8 regelt unter welchen Voraussetzungen ein Gefangener abweichend hiervon in eine andere Anstalt verlegt oder überstellt werden kann. Die Vorschrift ist jedoch nicht abschließend. Vielmehr enthält das StVollzG eine Vielzahl von Spezialregelungen: So kann ein Gefangener zunächst in eine Einweisungsanstalt (§ 152 Abs. 2) aufgenommen und auf Grund einer Einweisungsuntersuchung zum weiteren Vollzug nach Gesichtspunkten der Behandlung und Eingliederung in die dafür ausgewählte Vollzugsanstalt verlegt werden (§ 152 Rdn. 3; § 6 Rdn. 4). § 9 regelt die Verlegung in eine sozialtherapeutische Anstalt, § 10 die Verlegung in den offenen Vollzug. § 15 Abs. 2 ermöglicht die Verlegung zur Entlassungsvorbereitung, § 65 zur besseren Krankenbehandlung, § 76 Abs. 3 zur Entbindung und § 85 zur sicheren Unterbringung. Angesichts dieser vielen Spezialregelungen zur Verlegung wäre für § 8 die Überschrift „Abweichung vom Vollstreckungsplan“ treffender gewesen. Zu Beginn des Strafvollzugs ist für die Verlegung von Gefangenen in Abweichung 2 vom Vollstreckungsplan zudem § 24 Abs. 2 StVollstrO von großer praktischer Bedeutung. Nach dieser Verwaltungsvereinbarung zwischen den Bundesländern kann ein Gefangener binnen zwei Wochen nach Vollzugsbeginn beantragen, in die für seinen Wohnort zuständige Anstalt verlegt zu werden, wenn eine Strafe mit einer Vollzugsdauer von mehr als sechs Monaten vollzogen wird. Wohnort ist der Ort, an dem der Verurteilte den Schwerpunkt seiner Lebensbeziehungen hat (§ 24 Abs. 1 StVollstrO). Auf diese Weise kann ein Gefangener, der z. B. in einem von seiner Heimat entfernten Bundesland verurteilt wurde, auf einfache Weise erreichen, zur Verbüßung seiner Strafe in eine Anstalt verlegt zu werden, die seinem Lebenskreis näher liegt. Ein geordneter Vollzug ist nur möglich, wenn die Gefangenen in der Regel in der 3 nach dem Vollstreckungsplan zuständigen Anstalt untergebracht sind (BT-Drucks. 7/ 918, 49). Zudem ist zu berücksichtigen, dass der Anstaltswechsel für den betroffenen Gefangenen, der sein gewohntes Umfeld verliert, einen schwerwiegenden Eingriff bedeuten kann (BT-Drucks. 7/918, 49; BVerfG NStZ 1993, 300 f; Beschl. vom 26.8.2008 – 159
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Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
2 BvR 679/07; OLG Stuttgart NStZ 1998, 431 f). Gleichwohl müssen der Vollzugsbehörde aber Verlegungen z. B. aus organisatorischen Gründen (Abs. 1 Nr. 2) möglich sein, etwa wenn Anstalten vorübergehend über- oder unterbelegt sind oder anderweitig genutzt werden sollen. Es kann aber auch im Interesse des einzelnen Gefangenen liegen, auf Grundlage von Abs. 1 Nr. 1 zur Förderung der Behandlung oder Wiedereingliederung in eine andere Anstalt verlegt zu werden. Der Gesetzgeber hat sich bei § 8 um einen angemessenen Ausgleich der widerstreitenden Interessen bemüht. II. Erläuterungen 4
1. Begriff. Verlegung ist der auf Dauer angelegte Anstaltswechsel. Ein Wechsel der Unterbringung innerhalb der Anstalt, auch wenn er mit einem Ortswechsel verbunden ist (Zweiganstalt), ist keine Verlegung. Doch können bei der Entscheidung und Überprüfung einer solchen Maßnahme die Rechtsgedanken des Abs. 1 herangezogen werden (AK-Feest/Straube 2012 Rdn. 16), wenn der Ortswechsel ähnliche Folgen wie eine Verlegung hat. Die Verlegung darf nur in eine dem Vollzug von Freiheitsstrafe dienende Anstalt erfolgen, nicht also in Anstalten, die nur dem Vollzug von Jugendstrafe, von Untersuchungshaft (vgl. § 152 Rdn. 10) oder Sicherungsverwahrung dienen, und – nach dieser Vorschrift – auch nicht in eine psychiatrische Klinik oder eine andere Einrichtung, in der die Behandlung mit Freiheitsentzug verbunden ist. § 8 ist entsprechend anwendbar, wenn sich der Gefangene bereits in einer nach Vollstreckungsplan unzuständigen Anstalt befindet und vor hier aus weiterverlegt werden soll (BVerfG Beschl. vom 26.8.2008 – 2 BvR 679/07).
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a) Ermessen der Vollzugsbehörde. Die Bestimmung ist als „Kannvorschrift“ gefasst. Es besteht also kein Anspruch auf eine Verlegung, jedoch ein Recht auf eine fehlerfreie Ermessensausübung (§ 115 Rdn. 20). Die Vollzugsbehörde muss bei ihrer Ermessensentscheidung den Sachverhalt umfassend würdigen und dem verfassungsrechtlich gesicherten Resozialisierungsziel und der für die Erreichbarkeit dieses Ziels maßgebenden Umstände Rechnung tragen (BVerfGK 8, 36 ff). Raum für die Ermessensentscheidung ist dabei erst dann, wenn zuvor das Vorliegen eines Verlegungsgrundes nach Abs. 1 Nr. 1 oder 2 festgestellt wurde (Folgeermessen – OLG Bremen StV 1984, 166 ff m. Anm. Volckart). Die Verlegung setzt keinen Antrag des Gefangenen voraus. Die Vollzugsbehörde muss das Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen von Amts wegen prüfen. Die Verlegungsgründe sind von den Gerichten vollumfänglich überprüfbar (OLG Bremen aaO; Arloth 2011 Rdn. 10; vgl. § 115 Rdn. 21; a. A. OLG Hamm NStZ 1984, 141 f: Vollzugsbehörde hat Beurteilungsspielraum). Bei der Verlegung gegen den Willen des Gefangenen ist im Rahmen des Ermessens zu prüfen, ob als milderes Mittel eine Überstellung in Betracht kommt (BVerfG Beschl. vom 28.2.1993 – 2 BvR 196/92; LG Marburg, Beschl. vom 16.5.2011 – 7 a StVK 59/11, 7 a StVK 60/11).
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b) Die Verlegung zur Förderung der Behandlung des Gefangenen oder seiner Eingliederung nach der Entlassung (Abs. 1 Nr. 1). In der Praxis werden viele Verlegungsanträge auf Abs. 1 Nr. 1 gestützt und mit der Erwartung begründet, dass die eigene Behandlung oder Eingliederung nach der Entlassung in einer anderen als der an sich zuständigen Anstalt besser gefördert werden könne. Am häufigsten ist der Antrag auf Verlegung zur Erleichterung des Kontaktes zu Angehörigen und Freunden an einen Ort, der näher an deren Wohnsitz liegt. Die Rspr. war bei derartigen Gründen bislang zurückhaltend: „Beschwernisse, welche die Besuche durch Anreise, Aufbringung von Reisekosten und Bindung an Besuchszeiten mit sich bringen, müssen die Besucher zur Lindner
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Verlegung, Überstellung
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Durchführung eines geordneten Vollzuges und im Hinblick auf die Beachtung der nötigen Sicherheitsvorkehrungen hinnehmen“ (OLG Koblenz ZfStrVo SH 1979, 86; OLG Hamm ZfStrVo 2004, 243; ZfStrVo 2002, 315 f; s. auch § 152 Rdn. 7 und 12). Gefordert wurden vom Durchschnittsfall abweichende Erschwerungen des Kontaktes zu den Angehörigen, um einen Verlegungsantrag ausreichend zu begründen (OLG Hamm ZfStrVo 2004, 243). Dem ist das BVerfG nicht gefolgt: Der Wortlaut des § 8 Abs. 1 Nr. 1 fordert nicht, dass die Verlegung für den Gefangenen aus Resozialisierungsgründen unerlässlich ist, sondern eine Verlegung kommt bereits dann in Betracht, wenn die Behandlung oder die Eingliederung nach der Entlassung hierdurch gefördert wird. Bei der Ermessensentscheidung bedarf es einer Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalls, bei der das Resozialisierungsinteresse des Betroffenen und das Grundrecht des Art. 6 GG gegenüber der Ordnungsfunktion des Vollstreckungsplans angemessen zu gewichten sind. Insbesondere dürfen finanzielle oder gesundheitliche Probleme der Kontaktpersonen nicht ohne Betrachtung des Einzelfalls generell als Erschwernisse des Strafvollzugs gewertet werden, die von den Betroffenen hinzunehmen sind (BVerfGK 8, 36 ff; OLG Thüringen Beschl. vom 5.4.2007 – 1 Ws 73/07). Eine Verlegung zur Förderung der Besuchskontakte kann nicht ohne Weiteres unter Verweis auf Kapazitätsprobleme der aufnehmenden Anstalt versagt werden; insbesondere ist zu prüfen, ob räumliche und personell bedingte Engpässe durch den Einsatz von Überstunden aufgefangen werden können, ob eine Überschreitung der Belegungsfähigkeit vor dem Hintergrund des Resozialisierungsinteresses des Einzelnen vertretbar ist oder ob andere Gefangene verlegt werden können (BVerfG StV 2008, 424 ff). Der Vollzug hat der Belastung und Gefährdung persönlicher Beziehungen schließlich nicht nur bei familiären Beziehungen vor dem Hintergrund des Art. 6 GG, sondern auch bei anderen Kontakten unter Rücksicht auf das verfassungsrechtlich geschützte Resozialisierungsinteresse des Gefangenen entgegenzuwirken (BVerfGK 8, 36 ff). Im Rahmen der Ermessensausübung kann es jedoch weiterhin rechtmäßig sein, wenn zur Ermöglichung von Besuchen keine Verlegung erfolgt, sondern auf die Möglichkeit von gelegentlichen Besuchsüberstellungen in eine wohnsitznahe Anstalt verwiesen wird (OLG Koblenz aaO; OLG Hamm ZfStrVo 2002, 315 f; Arloth 2011 Rdn. 5). Als Dauerlösung dürfte eine Verlegung zur Wahrung des Resozialisierungsinteresses allerdings sachgerechter sein, wenn keine Gründe entgegenstehen, etwa Sicherheitsgründe oder bessere Behandlungsmöglichkeiten (C/MD 2008 Rdn. 4; OLG Hamm NStZ 1985, 573). Überstellungen sind indessen angebracht, wenn der Gefangene seine Verlegung nicht begehrt, weil er z. B. an einer beruflichen oder schulischen Bildungsmaßnahme teilnimmt. Nach der Rspr. soll Art. 6 Abs. 1 GG bei Eheleuten, die beide im Strafvollzug, aber in verschiedenen Anstalten untergebracht sind, zur Verlegung zwecks Erleichterung der Besuchszusammenführung anhalten (OLG Saarbrücken ZfStrVo 1983, 379; OLG München Beschl. vom 8.11.2008, 4 Ws 106/08 (R); kritisch Arloth 2011 Rdn. 5). Dies gilt nicht, wenn eine Ehegattenzusammenführung aus baulichen oder sonstigen organisatorischen Gründen bei der derzeitigen Ausgestaltung des Vollzugs nicht möglich ist und die Umstände nicht durch zumutbare Maßnahmen angepasst werden können. (OLG München, aaO). Hingegen kann es zur Erreichung des Vollzugsziels notwendig sein, Mittäter – auch auf heimatfernere Anstalten – zu verteilen (LG Stuttgart ZfStrVo 1990, 184; a. A. für Ehegatten OLG München aaO). Weitere Beispiele sind die Verlegung in eine andere Anstalt zur beruflichen oder schulischen Förderung, wenn bei der anderen Anstalt zwar keine besondere Zuständigkeit für eine solche Maßnahme begründet ist, diese Einzelmaßnahme (berufsnaher Einsatz als Schlosser, Besuch einer Abendschule im Wege des Freigangs) aber aus tatsächlichen Gründen nur dort durchführbar ist.
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Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
c) Die Verlegung nach Abs. 1 Nr. 2. Ein Gefangener kann zudem verlegt werden, wenn dies aus Gründen der Vollzugsorganisation oder aus anderen wichtigen Gründen erforderlich ist (Abs. 1 Nr. 2). Die Vollzugsbehörde muss dabei zunächst alle ihr zur Verfügung stehenden anderen Mittel prüfen, bevor sie Verlegungen anordnet. Infolge von Änderungen der Gefangenenzahlen ergeben sich organisatorische Gründe allerdings oft genug. Bei Überbelegung hat die Verwaltung meist kein anderes Mittel zur Verfügung als den „Belegungsausgleich“ durch Verlegung von Gefangenen aus überbelegten in weniger stark genutzte Anstalten. Allerdings erlaubt diese Vorschrift einer Anstalt nicht die Verlegung eines Gefangenen, weil sie ihrerseits einen einzigen zusätzlichen Gefangenen aufnehmen musste (OLG Hamm NStZ 1984, 141 f). Andere Beispiele für Gründe der Vollzugsorganisation sind Vollstreckungsplanänderungen zum Belegungsausgleich in einem Lande (OLG Frankfurt ZfStrVo 1982, 189), Teilschließungen bei Umbauarbeiten oder Stilllegungen von Anstalten bei sinkenden Gefangenenzahlen. Meist handelt es sich um Sachverhalte, die eine Vielzahl Gefangener in gleicher Weise betreffen. Die Voraussetzungen der Nr. 2 sind darum von den Vollzugsbehörden leicht darzulegen. Bei Ausübung des Rechtsfolgeermessens ist ggf. eine Auswahl zu treffen. Gesichtspunkte wie Außenkontakte, Qualifikations- und Behandlungsmöglichkeiten sowie Entwicklungsstand können hier eine Rolle spielen. 8 Teilweise wird vertreten, dass Gründe, die auf das individuelle Verhalten des Gefangenen oder dessen persönliche Situation bezogen sind, eine Verlegung nach Nr. 2 aus wichtigen Gründen nicht rechtfertigen (C/MD 2008 Rdn. 5; AK-Feest/Joester 2006 Rdn. 8; K/S-Schöch 2002 § 7 Rdn. 19). In Nr. 1 sei die Verlegung aus individuellen Gründen für § 8 abschließend geregelt. Dieser einschränkenden Auslegung des Wortlauts kann nicht gefolgt werden (Arloth 2011 Rdn. 6), zumal sich Interessen des Gesamtvollzugs und individuelle Interessen nicht systematisch trennen lassen. In einer Gemeinschaft wie dem Strafvollzug ist ständig nach einem Ausgleich zwischen den Interessen des Einzelnen und der Gefangenen in ihrer Gesamtheit zu suchen. Die Regelung dient deshalb nicht nur der Verwirklichung der individuellen Behandlung, sie soll auch die sachgemäße Behandlung von Gefangenen mit ähnlichen Behandlungsbedürfnissen sicherstellen (vgl. § 152 Rdn. 5 f). Das Recht des Gefangenen auf den Verbleib in einer Anstalt, die an sich für seine Behandlung die richtige ist, endet, wenn er dort – allerdings in schwerwiegender Weise – stört. So hat die Rechtsprechung die Verlegung von Gefangenen nach Nr. 2 gebilligt, bei denen Anhaltspunkte für die Beteiligung am Drogenhandel vorlagen (LG Hamburg ZfStrVo 1983, 300; LG Stuttgart NStZ 1981, 405 f). Wenn die im Einweisungsverfahren erstellte Gefährlichkeitsprognose sich als unzutreffend erweist, weil der Gefangene Vollzugslockerungen zur Begehung neuer Straftaten missbraucht hat, so soll nach Nr. 2 die Verlegung in eine Anstalt mit höheren Sicherheitsvorkehrungen in Betracht kommen (OLG Hamm NStZ 1997, 102 f). Die Regelung gilt schließlich auch für die nicht ganz seltenen Fälle, in denen ein Gefangener zu seiner eigenen Sicherheit verlegt werden muss, weil nur dies ihn z. B. vor den Racheakten anderer Gefangener schützen kann (vgl. KG Beschl. vom 27.8.2007 – 2/5 Ws 376/06 Vollz). § 85 ist in diesen Fällen nicht anwendbar, weil die Gefahr nicht von dem bedrohten Gefangenen ausgeht (KG aaO). Dabei ist allgemeinen Grundsätzen folgend zunächst stets zu prüfen, ob Abhilfe durch Maßnahmen gegen den Störer geschaffen werden kann (Nds. LTDrucks. 15/3565, 94; BVerfGK 8, 307 ff). Vorrangig ist auch immer anzustreben, Konflikte in der bestehenden Vollzugsgemeinschaft zu bearbeiten (C/MD 2008 Rdn. 5). In der Praxis gibt es jedoch nicht selten Fälle, in denen dies nicht zum Erfolg führt und ein Verbleib des Gefangenen daher nicht verantwortet werden kann. Einige Bundesländer haben hier durch Aufnahme neuer Verlegungstatbestände zur Wahrung von Sicherheit und Ordnung in der Anstalt Rechtssicherheit geschaffen, siehe Abschnitt III. 7
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Verlegung, Überstellung
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d) Rückverlegung. Fällt der Grund einer Verlegung nach § 8 nachträglich fort, darf 9 die Rückverlegung in die frühere Anstalt, auch wenn es sich um die nach Vollstreckungsplan eigentlich zuständige Anstalt handelt, wegen des vollständigen Abbruchs der Beziehungen zu dieser Anstalt nicht „automatisch“ erfolgen. Es bedarf wiederum einer Verlegungsentscheidung entsprechend § 8 (BVerfG Beschl. vom 26.8.2008 – 2 BvR 679/07; OLG Bremen ZfStrVo 1996, 310 f). Das gilt z. B. im Falle einer Verlegung nach § 8 Abs. 1 Nr. 2 zur Entlastung einer Anstalt nach Beendigung eines größeren Prozesses (OLG Bremen aaO; vgl. zur Verlegung bei beruflicher Fortbildungsmaßnahme auch OLG Frankfurt/a. M. NStZ-RR 1996, 188 f). Ein in einer unzuständigen Anstalt untergebrachter Gefangener kann Anspruch auf Schutz des Vertrauens auf die ihm zu Unrecht eingeräumte Rechtsposition haben. Die Belange des Allgemeinwohls und die Interessen des Gefangenen am Fortbestand der Rechtslage sind mit Blick auf das Resozialisierungsziel abzuwägen (BVerfG NStZ 1993, 300 ff; Beschl. vom 26.8.2008 – 2 BvR 679/07; vgl. auch OLG Stuttgart NStZ 1998, 431 f). e) Zuständigkeit und Verlegungsverfahren. Soll ein Gefangener in eine an sich 10 nicht zuständige Anstalt verlegt werden, müssen bei der Verlegungsentscheidung mehrere Vollzugseinrichtungen zusammenwirken. In der Regel sind das drei: die abgebende Anstalt, die aufnehmende Anstalt und ggf. die gemeinsame Aufsichtsbehörde, deren Zustimmung es für eine Abweichung vom Vollstreckungsplan bedarf. Häufig behält sich die Landesjustizverwaltung die zustimmende Entscheidung vor (§ 153), wobei sie ihre Entscheidung auf die Stellungnahmen der beteiligten Anstalten stützt. Besonders kompliziert wird das Verfahren, wenn ein Gefangener von einem Bundesland in ein anderes Bundesland verlegt werden soll. Gesetzliche Vorschriften zur Regelung des Verfahrens fehlen (vgl. C/MD 2008 Rdn. 2 zu § 153). Der Gefangene muss auch hier seinen Antrag an die Anstalt richten, in der er untergebracht ist. Hält diese Anstalt und ebenso die übergeordnete Landesjustizverwaltung den Antrag für begründet, so muss sich Letztere um das Einverständnis des anderen Bundeslandes bemühen, § 26 Abs. 2 Satz 3 StVollstrO (vgl. Brandenburgisches OLG ZfStrVo 2004, 179; OLG Hamm ZfStrVo 2004, 110 f). Niedersachsen hat die länderübergreifende Verlegung nunmehr in § 11 NJVollzG geregelt und insbesondere klargestellt, wie mit erworbenen Rechtspositionen umzugehen ist (näher Rdn. 19). Über eine Rückverlegung oder die Verlegung in die zuständige Einrichtung entscheidet die Anstalt, in der der Gefangene untergebracht ist (OLG Hamm NStZ 1994, 608: auch nach Abschluss des Einweisungsverfahrens; abweichend OLG Stuttgart ZfStrVo 1995, 251, das wegen eines Zustimmungserfordernisses nach Verwaltungsvorschrift den Leiter der Einweisungskommission für zuständig hält). f) Durchführung der Verlegung. Wird der Gefangene durch die Verlegung be- 11 schwert, ist ihm in der Regel rechtliches Gehör zu gewähren (OLG München ZfStrVo SH 1978, 87; AK-Feest/Joester 2006 Rdn. 17) und ihm ist der Verlegungszeitpunkt rechtzeitig bekannt zu geben, soweit dem Sicherheitsbelange nicht entgegenstehen. Die Art und Weise der Verlegung richtet sich nach der von den Ländern vereinbarten Gefangenentransportvorschrift (GTV). Die Gefangenen werden regelmäßig im Sammeltransport in Fahrzeugen befördert, die zur Verhinderung von Entweichungen technisch gesichert sind (näher Romanski ZfStrVo 1988, 338 ff). Die von AK-Feest/Joester 2006 (Rdn. 15) gegen diese Art von Personenbeförderung geäußerten Bedenken sind von der Rechtsprechung nicht anerkannt worden (OLG Celle Beschl. vom 30.10.1985 – 3 VAs 15/ 85). Entsprechendes gilt für die dort gerügte Verletzung des Angleichungsgrundsatzes (§ 3 Abs. 1), jedenfalls soweit es um den Transport von Gefangenen des geschlossenen 163
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Vollzugs geht. Unter bestimmten Voraussetzungen ist der Einzeltransport vorgeschrieben (Nr. 5 GTV). Der Gefangene kann auch aus persönlichen Gründen einen Einzeltransport beantragen, der aber im Allgemeinen nur zulässig ist, wenn er die Kosten übernimmt (Nr. 5 Abs. 3 Buchst. c). g) Auswirkungen der Verlegung. Wird der Gefangene verlegt, setzt die aufnehmende Anstalt die Behandlung unter Verwertung der bisherigen Ergebnisse fort. Der Vollzugsplan wird nach § 7 Abs. 3 fortgeschrieben, nicht völlig neu erstellt (OLG Koblenz NStZ 1986, 92). Zu den Auswirkungen der Verlegung auf den Besitzstand des Gefangenen vgl. im Einzelnen § 69 Rdn. 13; § 70 Rdn. 16. Eine wichtige Auswirkung des Anstaltswechsels ist jedoch die Änderung der Zu13 ständigkeit der Strafvollstreckungskammer, die dann eintritt, wenn der Gefangene in einen anderen Landgerichtsbezirk verlegt wird. Regelmäßig ändert sich die Zuständigkeit auch, wenn der Gefangene während eines laufenden Verfahrens nach §§ 109 ff verlegt wird (BGH NStZ 1989, 196 f: Vollzugslockerungen; BGH NStZ 1990, 205 m. krit. Anm. Volckart: Einzelfernsehempfang; OLG Stuttgart NStZ 1989, 496: Anhalteverfügung; vgl. § 110 Rdn 6). Ausnahmsweise tritt ein Zuständigkeitswechsel nicht ein, wenn die Verlegung auf den Streitgegenstand keinen Einfluss hat (OLG Celle NStZ 1990, 428: Disziplinarmaßnahme). Ebenso ist es im Verfahren zur Anfechtung der Verlegungsverfügung selbst (LG Stuttgart ZfStrVo 1990, 307; C/MD 2006 § 110 Rdn. 4). Die Verlegung führt zur Erledigung der Hauptsache, wenn sich durch sie eine für die Beurteilung des Falles maßgebliche Veränderung der Verhältnisse ergeben hat (KG NStZ 1997, 429). Die zunächst mit der Sache befasste Strafvollstreckungskammer muss den Antragsteller auf die Möglichkeit der „Klageänderung“, einen Antrag auf Verweisung an das jetzt zuständige Gericht oder auf eine Änderung der Benennung des Antragsgegners hinweisen, näher hierzu § 115 Rdn. 6.
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h) Gerichtliche Entscheidung. Bei dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach einem abgelehnten Antrag auf Verlegung sind drei Grundfälle zu unterscheiden: Zunächst gibt es den Fall, dass die beiden Anstalten demselben Bundesland angehören und ermächtigt sind, einvernehmlich zu entscheiden. Der Antrag ist an die Anstalt zu richten, in der sich der Gefangene befindet. Hat der Antrag keinen Erfolg, weil die aufnehmende Anstalt abgelehnt hat, so ist der Antrag auf gerichtliche Entscheidung dennoch gegen den Bescheid der abgebenden Anstalt zu richten. Die für diese zuständige Strafvollstreckungskammer prüft die Entscheidung der aufnehmenden Anstalt mit (BVerfG, StV 2008, 88 f; BGH NStZ 1996, 207 f). Gehören die beiden Anstalten demselben Bundesland an, hat sich die Landesjustizverwaltung aber nach § 153 die Verlegungsentscheidung vorbehalten oder sie einer zentralen Stelle übertragen, so ist die Strafvollstreckungskammer am Sitz der obersten Landesbehörde oder der zentralen Stelle zuständig (OLG Frankfurt ZfStrVo 1985, 111; § 153 Rdn. 2). Sind dagegen zwei Landesjustizverwaltungen beteiligt, so kann der Gefangene gezwungen sein, die ablehnende Entscheidung in zwei Verfahren vor zwei Gerichten anzufechten. In dem ersten Verfahren nach §§ 109 ff wird nur die ablehnende Entscheidung der Heimatanstalt überprüft (KG NStZ-RR 2007, 124 f). Das zweite Verfahren richtet sich gegen die Entscheidung der Justizverwaltung des Landes, das den Gefangenen aufnehmen soll (C/MD 2008 Rdn. 3; KG aaO; OLG Thüringen Beschl. vom 24.7.2008 – 1 VAs 2/08; offen hier BVerfG StV 2008, 88 f; a. A. Arloth 2011 Rdn. 11, der sich im Interesse effektiven Rechtsschutzes für eine inzidente Prüfung ausspricht). Diese Entscheidung ist nach §§ 23 ff EGGVG anfechtbar (KG aaO; ZfStrVo 1995, 112 ff; OLG Thüringen aaO; OLG Lindner
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Verlegung, Überstellung
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Hamm NStZ 2002, 53; OLG Stuttgart NStZ 1997, 103 f; § 109 Rdn. 8; hingegen immer eine Maßnahme nach § 109 bejahend: OLG Hamm ZfStrVo 1979, 91; OLG Zweibrücken ZfStrVo 1983, 248). Künftig werden sich die Gerichte bei länderübergreifenden Verlegungen inhaltlich mit dem Umstand zu befassen haben, dass die neuen Landesgesetze Verlegungen unter unterschiedlichen Voraussetzungen zulassen. 2. Überstellung. Die Überstellung (Abs. 2) ist die befristete Überführung eines Ge- 15 fangenen in eine andere Justizvollzugsanstalt. Sie darf nur aus wichtigem Grund erfolgen. VV Nr. 1 gibt Beispiele für wichtige Gründe. Genannt sind die Besuchszusammenführung, Ausführung, Ausgang, Vorführung, Ausantwortung (zur Definition s. Rdn. 16), Begutachtung oder ärztliche Untersuchungen am Ort einer anderen Anstalt. Die Förderung einer Briefbekanntschaft ist kein wichtiger Grund für eine Überstellung zur Besuchszusammenführung (OLG München ZfStrVo 1979, 63). Das OLG Karlsruhe (NStZ-RR 2002, 315 f) sieht aber in der Teilnahme an einem landesweiten Sportwettbewerb in einer anderen Anstalt einen wichtigen Grund. Die Überstellung zur Teilnahme an einem Zivilprozess setzt zur Annahme eines wichtigen Grundes nicht die Anordnung des persönlichen Erscheinens oder gar ein Vorführungsersuchen voraus, vielmehr ist zu fragen, ob das Interesse des Gefangenen an der Wahrnehmung des auswärtigen Termins hinreichend sachlich fundiert ist, um als wichtiger Grund gewertet zu werden (OLG Hamm ZfStrVo 1993, 242 f). Zu prüfen ist, ob anstatt der Überstellung aus Gründen der Verhältnismäßigkeit eine Ausführung oder eine Verlegung geboten ist (vgl. näher Freise, Vorauflage Rdn. 15). Im Einzelfall kann unklar sein, ob eine Überstellung oder eine Verlegung vorliegt. Die Frage hat z. B. Bedeutung für die Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer (§ 110 Rdn. 6). Wird ein Gefangener „zur Teilnahme an einer längeren Berufsausbildung (hier: fast zwei Jahre) in eine andere Vollzugsanstalt überführt, so handelt es sich um eine Verlegung i. S. des § 8 Abs. 1“ (OLG Celle ZfStrVo SH 1979, 86). Überstellungen sind nur im Einvernehmen der beteiligten Anstalten zulässig (VV Nr. 1 Abs. 2). Verweigert die Anstalt, die den Gefangenen aufnehmen soll, die Zustimmung, so ist ein Antrag auf gerichtliche Entscheidung auch dann, wenn die abgebende Anstalt den Überstellungsantrag unterstützt hatte, gegen diese zu richten. Die Mitwirkungsentscheidung der aufnehmenden Anstalt unterliegt jedenfalls bei Anstalten desselben Bundeslandes der gerichtlichen Mitprüfung, wenn die von der „Heimatanstalt“ lediglich übermittelte ablehnende Entscheidung angefochten wird (OLG Hamm JR 1997, 83 ff; vgl. für den Fall der Verlegung Rdn. 14). Dies gilt nach Auffassung Böhms (Anm. zu OLG Hamm aaO) auch bei Überstellung in ein anderes Bundesland, weil die Überstellung anders als die Verlegung nicht in die von der Landesjustizverwaltung aufzustellende Gesamtordnung des Vollstreckungsplans eingreift (a. A. C/MD 2008 Rdn. 6; OLG Thüringen NStZ 1997, 455 f: Ein zweites Verfahren nach § 109 gegen die ablehnende Mitwirkungsentscheidung der aufnehmenden Anstalt ist erforderlich). 3. Ausantwortung. Für die sog. Ausantwortung gem. VV Nr. 2 fehlt eine gesetzliche 16 Grundlage. Die Verwaltungstradition kennt die Übergabe eines Strafgefangenen an die Polizeibehörde zu längeren Vernehmungen, Gegenüberstellungen oder zur Durchführung von Ortsterminen. Ein praktisches Bedürfnis für die Ausantwortung ist anzuerkennen. Die VV Nr. 2 ist hierfür aber eine wenig tragfähige Basis. Problematisch ist dabei nicht die Pflicht des Gefangenen, dem Ausantwortungsgesuch nachzukommen. Denn seine Teilnahmepflicht an Zeugenvernehmungen etc. richtet sich nach den allgemeinen gesetzlichen Regelungen, z. B. § 163 a Abs. 3 StPO (Arloth 2011 Rdn. 8; vgl. auch AK-Feest/ Straube 2012 Rdn. 14). Regelungsbedürftig ist das Institut der Ausantwortung jedoch, 165
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Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
weil mit der Übergabe des Gefangenen eine erhebliche Verantwortung übertragen wird (Nds. LT-Drucks. 15/3565, S. 93). Niedersachsen und Bayern und im Anschluss daran auch Baden-Württemberg, Hessen und der Musterentwurf zum Strafvollzugsgesetz haben die Gesetzeslücke durch neue Regelungen mittlerweile geschlossen. Der niedersächsische Gesetzgeber hat dabei in § 10 Abs. 3 NJVollzG klargestellt, dass die Behörde, die die Ausantwortung begehrt, die Verantwortung für die Prüfung der Zulässigkeit und die Sicherung des Gewahrsams trägt. III. Landesgesetze und Musterentwurf 17
1. Baden-Württemberg. § 6 Abs. 1 JVollzGB III enthält in Nr. 1 und Nr. 4 inhaltsgleich die Verlegungsgründe des § 8 StVollzG. Darüber hinaus erlaubt die Vorschrift die Verlegung zur Prüfung der Eignung für die Behandlung in einer sozialtherapeutischen Einrichtung (Nr. 2) und zur Durchführung einer kriminalprognostischen Begutachtung (Nr. 3). § 6 Abs. 2 JVollzGB III stellt die Ausantwortung auf eine gesetzliche Grundlage.
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2. Bayern. Art. 10 BayStVollzG ist zur Regelung des StVollzG inhaltsgleich. Neu ist lediglich die Regelung der Ausantwortung in Abs. 3: „Gefangene dürfen befristet dem Gewahrsam einer Polizei-, Zoll- oder Finanzbehörde überlassen werden.“
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3. Hamburg. § 9 Abs. 1 HmbStVollzG ist inhaltsgleich zu § 8 StVollzG. § 9 Abs. 2 HmbStVollzG gibt den Inhalt von § 85 StVollzG wieder. Nach § 9 Abs. 2 HmbStVollzG können Gefangene darüber hinaus verlegt werden, wenn „ihre Kontakte zu anderen Gefangenen eine Gefahr für die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt darstellen“. Hiermit hat Hamburg die unter Rdn. 8 diskutierten Unklarheiten des StVollzG beseitigt.
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4. Hessen. § 11 Abs. 1 HStVollzG ist inhaltsgleich zu § 8 StVollzG. Darüber hinaus erlaubt § 11 Abs. 1 Nr. 2 HStVollzG allgemein die Verlegung und Überstellung von Gefangenen aus Gründen der Sicherheit und Ordnung der Anstalt. Hessen hat damit im Vergleich zu den anderen Ländern in diesem Punkt die weiteste Regelung in das Gesetz aufgenommen. Die Regelung beseitigt die bisherigen Unklarheiten, die unter Rdn. 8 dargestellt sind, und erfasst zugleich den Inhalt des § 85 StVollzG. Mit § 11 Abs. 2 HStVollzG stellt auch Hessen die Ausantwortung auf eine gesetzliche Grundlage.
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5. Niedersachsen. § 10 Abs. 1 Nr. 1 NJVollzG ist inhaltsgleich zu § 8 Abs. 1 Nr. 1 StVollzG. § 8 Abs. 1 Nr. 2 StVollzG findet sich in § 10 Abs. 1 Nr. 5 NJVollzG wieder, § 8 Abs. 2 StVollzG in § 10 Abs. 2 NJVollzG. Darüber hinaus hat Niedersachsen eine Regelung aufgenommen, nach der Gefangene im dortigen Sicherheitsstufenkonzept verlegt werden können. Nach § 10 Abs. 1 Nr. 2 NJVollzG ist eine Verlegung möglich, „wenn sich während des Vollzugs herausstellt, dass die sichere Unterbringung der oder des Gefangenen auch in einer anderen Anstalt mit geringer Sicherheitsvorkehrungen gewährleistet ist und durch die Verlegung die Erreichung des Vollzugsziels nach § 5 Satz 1 nicht gefährdet wird“. Zudem hat Niedersachsen die Verlegungsmöglichkeiten des § 85 StVollzG und zur Beseitigung der Unklarheiten bei § 8 Abs. 1 Nr. 2 StVollzG weitere individuelle Verlegungsgründe in die neue landesrechtliche Regelung aufgenommen. § 10 Abs. 1 Nr. 3 NJVollzG erlaubt die Verlegung von Gefangenen, wenn „ihr oder sein Verhalten oder Zustand eine Gefahr für die Sicherheit der Anstalt oder eine schwer wiegende Störung Lindner
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Verlegung in eine sozialtherapeutische Anstalt
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der Ordnung darstellt und diese durch die Verlegung abgewehrt wird“. § 10 Abs. 1 Nr. 4 NJVollzG lässt eine Verlegung von Gefangenen zu, wenn „ohne Rücksicht auf ihr oder sein Verhalten oder ihren oder seinen Zustand eine Gefahr für die Sicherheit der Anstalt oder eine schwer wiegende Störung der Ordnung nicht anders abgewehrt werden kann.“ Gesetzestechnisch hätten diese Regelungen auch wie in Hessen in einer Norm über Gefahren für die Sicherheit und Störung der Ordnung zusammengefasst werden können. Die Ausantwortung hat Niedersachsen in § 10 Abs. 3 NJVollzG geregelt. § 11 NJVollzG regelt die länderübergreifende Verlegung: Abs. 1 lautet: „Die oder der Gefangene kann mit Zustimmung des für die Justiz zuständigen Ministeriums (Fachministerium) in eine Anstalt eines anderen Landes verlegt werden, wenn die in diesem Gesetz geregelten Voraussetzungen für eine Verlegung vorliegen und die zuständige Behörde des anderen Landes der Verlegung in die dortige Anstalt zustimmt. Dabei ist sicherzustellen, dass die nach diesem Gesetz erworbenen Ansprüche auf Arbeitsentgelt, Ausbildungsbeihilfe, Freistellung von Arbeitspflicht und Ausgleichsentschädigung entweder durch das Land erfüllt oder in dem anderen Land anerkannt werden. § 40 Abs. 10 gilt entsprechend, soweit Ansprüche auf Freistellung von der Arbeitspflicht infolge der Verlegung nicht erfüllt werden können“. Abs. 2 lautet: „Gefangene aus einer Anstalt eines anderen Landes können mit Zustimmung des Fachministeriums in eine Anstalt des Landes aufgenommen werden.“ 6. Musterentwurf. § 16 Abs. 1 des ME-StVollzG ist inhaltsgleich zu § 8 StVollzG. Eine 22 Rechtsgrundlage für gerichtliche Vorführungen und die Ausantwortung findet sich in § 41 Abs. 3 und 4 ME-StVollzG.
§9 Verlegung in eine sozialtherapeutische Anstalt § 9 Egg Verlegung in eine sozialtherapeutische Anstalt (1) Ein Gefangener ist in eine sozialtherapeutische Anstalt zu verlegen, wenn er wegen einer Straftat nach den §§ 174 bis 180 oder 182 des Strafgesetzbuches zu zeitiger Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren verurteilt worden ist und die Behandlung in einer sozialtherapeutischen Anstalt nach § 6 Abs. 2 Satz 2 oder § 7 Abs. 4 angezeigt ist. Der Gefangene ist zurückzuverlegen, wenn der Zweck der Behandlung aus Gründen, die in der Person des Gefangenen liegen, nicht erreicht werden kann. (2) Andere Gefangene können mit ihrer Zustimmung in eine sozialtherapeutische Anstalt verlegt werden, wenn die besonderen therapeutischen Mittel und sozialen Hilfen der Anstalt zu ihrer Resozialisierung angezeigt sind. In diesen Fällen bedarf die Verlegung der Zustimmung des Leiters der sozialtherapeutischen Anstalt. (3) Die §§ 8 und 85 bleiben unberührt. Schrifttum Albrecht Die Determinanten der Sexualstrafrechtsreform, in: ZStW 1999, 863 ff; Arbeitskreis Sozialtherapeutische Anstalten im Justizvollzug Mindestanforderungen an Sozialtherapeutische Einrichtungen, in: MschrKrim 1988, 334 f; ders. Mindestanforderungen an Organisationsform, räumliche Voraussetzungen und Personalausstattung Sozialtherapeutischer Einrichtungen, in: ZfStrVo 2001, 178 f sowie in: Forum Strafvollzug 2007, 100 ff; ders. Sozialtherapie und Sicherungsverwahrung – Empfehlungen, in KrimPäd 2011, 68 ff; Baulitz et al. Inegrative Spzialtherapie. Innovation im Justizvollzug, Bad Gandersheim 1980; Bauriedl Beziehungsanalytische Arbeit mit Sexualstraftätern im Strafvollzug, in: R&P 2002, 54 ff; van Beek/Mulder
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Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
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Verlegung in eine sozialtherapeutische Anstalt
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I.
II.
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Übersicht Allgemeine Hinweise ____ 1–6 1. Die gesetzlichen Grundlagen der Sozialtherapie ____ 1, 2 2. Der Aufbau der Anstalten ____ 3 3. Bestand und Bedarf an Behandlungsplätzen ____ 4 4. Organisatorische Strukturen und Rahmenkonzepte für die Behandlung ____ 5 5. Der Erfolg sozialtherapeutischer Behandlung ____ 6 Erläuterungen ____ 7–18
1. Die Voraussetzungen für die Aufnahme nach Abs. 1 ____ 7–13 2. Die Voraussetzungen für die Aufnahme nach Abs. 2 ____ 14–18 a) Die Zustimmung des Gefangenen ____ 15 b) Die Zustimmung des Leiters der sozialtherapeutischen Anstalt ____ 16 c) Die Rückverlegung aus der Sozialtherapie ____ 17, 18
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Verlegung in eine sozialtherapeutische Anstalt
III.
Landesgesetze und Musterentwurf ____ 19–24 1. Baden-Württemberg ____ 19 2. Bayern ____ 20
3. 4. 5. 6.
§9
Hamburg ____ 21 Hessen ____ 22 Niedersachsen ____ 23 Musterentwurf ____ 24
I. Allgemeine Hinweise 1. Die gesetzlichen Grundlagen der Sozialtherapie. Als gesetzliche Grundlage 1 für die sozialtherapeutische Anstalt, die ein wesentlicher Bestandteil der Strafrechtsreform werden sollte, hat das Zweite Gesetz zur Reform des Strafrechts im Jahre 1969 den § 65 in das Strafgesetzbuch eingefügt. Danach sollte die auf den Schutz der Allgemeinheit hin orientierte Sicherungsverwahrung ein behandlungsorientiertes Gegenstück erhalten, eine zeitlich unbestimmte Verwahrung zum Zwecke therapeutischer Behandlung (Maßregellösung; krit. Schwind 1981, der sich schon damals für eine „angereicherte Vollzugslösung“ aussprach und der sozialtherapeutischen Anstalt damit eine Vorreiterrolle des Behandlungsvollzuges im Rahmen des Regelvollzuges geben wollte). Durch mehrere Verschiebegesetze wurde der Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Bestimmung mehrfach hinausgeschoben und schließlich durch das StVollzÄndG im Jahre 1984 aufgehoben. Einzige Grundlage für die Behandlung in einer sozialtherapeutischen Anstalt war danach das StVollzG (§§ 9, 123–126, Vollzugslösung). Die damalige Regelung hat Böhm (NJW 1985, 1813, 1816) zusammenfassend wie folgt kritisiert: „Der Gesetzgeber hatte die Aufgabe, eine Sonderform des Vollzuges der Freiheitsstrafe zu skizzieren und zu strukturieren, ohne mögliche künftige Entwicklungen durch starre Festschreibungen zu behindern. Skizziert und strukturiert ist kaum etwas, festgeschrieben (Zustimmungsbedürfnis und Urlaubsanrechnung) ist schon zuviel.“ Anfang des Jahres 1998 brachte das Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten 2 und anderen gefährlichen Straftaten vom 26.1.1998 (BGBl. I, 160) tiefgreifende Änderungen der gesetzlichen Grundlagen der Sozialtherapie. Die Vorschrift des § 9 wurde neu gefasst, um im Rahmen des rechtlich und tatsächlich Möglichen die ,Zwangstherapie‘ für Sexualstraftäter zu verwirklichen. Für die Verlegung dieser Tätergruppe ist danach weder die Zustimmung des Gefangenen noch die des Leiters der sozialtherapeutischen Anstalt erforderlich. Unberücksichtigt blieben die vom Bundesrat gegen diese Neufassung erhobenen wohlbegründeten Bedenken (BT-Drucks. 13/8586, 12): „Der mit dem Entwurf angestrebte undifferenzierte Zwang zur Therapie wird lediglich zu einer nicht an der Behandlungsbedürftigkeit und der Behandlungsmotivation ausgerichteten Verlegungspraxis in die sozialtherapeutischen Anstalten führen, was eine hohe, sich in Rückverlegungen ausdrückende Misserfolgsquote zur Folge haben wird. Mit hohen Kosten vorgehaltene Haftplätze werden dadurch anderen therapiebedürftigen und therapiewilligen Gefangenen vorenthalten. […] Eine uneingeschränkte und nicht an den Besonderheiten des Einzelfalles festgemachte Vorrangstellung von Sexualtätern gegenüber anderen gefährlichen und zum Teil gewalttätigen Straftätern bei der Belegung der sozialtherapeutischen Anstalten würde eine nicht hinnehmbare Behandlungslücke gerade bei solchen Gefangenen hervorrufen, die mit positivem Ergebnis behandelbar erscheinen.“ Allerdings konnte sich der Bundestag dem Hinweis des Bundesrats nicht verschließen, „dass nicht alle Länder über sozialtherapeutische Anstalten verfügen“ (Rdn. 2) und dass „nicht alle sozialtherapeutischen Anstalten in Deutschland […] über Möglichkeiten zur Behandlung von Sexualstraftätern“ verfügen, diese vielmehr „durch qualifizierte Ausbildung und Einstellung von Sexualtherapeuten erst geschaffen werden“ (BTDrucks. 13/8586, 12) müssen. So kam es trotz der schlechten Erfahrungen mit Übergangs171
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fassungen und Verschiebegesetzen (Rdn. 1) wiederum zu einer Übergangsvorschrift, die das zwingende ,ist‘ des ersten Halbsatzes bis Ende 2002 durch ein ,soll‘ ersetzte (§ 199 Abs. 3). Die Neufassung von § 9 bedeutete einen radikalen Wandel für die sozialtherapeutischen Anstalten. Während die alte Fassung der Vorschrift ein Angebot an behandlungsbedürftige Straftäter enthielt, die sich auf Grund eigenen Entschlusses für die Aufnahme in die Sozialtherapie entscheiden konnten, bestimmte die Neufassung in Abs. 1 die verpflichtende Aufnahme eines eng umrissenen Kreises von Sexualstraftätern in die sozialtherapeutische Anstalt. Für die anderen behandlungsbedürftigen Verurteilten blieb das Angebot des früheren ersten Absatzes zwar bestehen (Abs. 2), doch zeigte es sich erwartungsgemäß, dass für diese Gefangenen die in den meisten Bundesländern bisher schon schlechten Aussichten auf einen Behandlungsplatz weiter zurückgingen (Niemz 2011, 18). Für Sexualstraftäter dagegen bedeuteten die neuen Bestimmungen eine grundlegende Veränderung im Vergleich zu der früheren Situation. Schon bald nach Verabschiedung des Gesetzes wurden verschiedene Kritikpunkte laut, die sich zum einen auf die grundsätzliche Notwendigkeit einer solchen Regelung sowie auf die Frage der Privilegierung von Sexualstraftätern gegenüber anderen Tätern konzentrierten. Bezweifelt wurde außerdem, dass die Länder angesichts knapper Kassen in der Lage sein werden, den erforderlichen Ausbau der sozialtherapeutischen Einrichtungen unter Beachtung von Mindeststandards (Arbeitskreis Sozialtherapeutische Anstalten im Justizvollzug 1988, 2001) vorzunehmen (vgl. dazu und zu weiteren Kritikpunkten Albrecht 1999; Boetticher 1998; Dessecker 1998; Deutsche Gesellschaft für Sexualforschung 1998; Drenkhahn 2003; Eisenberg/Hackethal 1998; Hammerschlag/Schwarz 1998; Meier 1999; Rotthaus 1998; Schöch 1998; Weber/Narr 1997). Tatsächlich zeigt die Rückfallforschung, dass die einschlägige Rückfälligkeit von Sexualstraftätern eher geringer ist als bei anderen Tätergruppen. So ergab eine von der KrimZ in Wiesbaden durchgeführte bundesweite Studie, dass lediglich etwa 20% der untersuchten Kindesmissbraucher und sexuellen Gewalttäter innerhalb eines Beobachtungszeitraumes von sechs Jahren erneut wegen eines Sexualdelikts verurteilt wurden (Egg 2003; Elz 2001, 202 ff; Elz 2002, 217 ff). Nach Dolde (1997, 327 f) kehrten nur etwa 20% der von ihr untersuchten Gefangenen wegen eines einschlägigen Deliktes wieder in den Strafvollzug zurück. Auch die 2003 und 2010 vom BMJ vorgelegten bundesweiten Rückfalluntersuchungen ergaben, dass die Rückfallwahrscheinlichkeit von Tätern mit schwerer Eigentumsdelinquenz (Einbruchdiebstahl, räuberische Handlungen) deutlich über der von Sexualstraftätern liegt (Jehle/Heinz/Sutterer 2003, 69 f; Jehle/Albrecht/HohmannFricke/Tetal 2010, 101). Die Bevorzugung dieses Täterkreises bei der verpflichtenden Einweisung in die sozialtherapeutische Anstalt ist deshalb jedenfalls nicht mit dem Hinweis auf eine vermeintlich besonders hohe Rückfälligkeit zu rechtfertigen (Dessecker 2008). Auf der anderen Seite bot das Gesetz aber auch Chancen für eine konstruktive Fortentwicklung des sozialtherapeutischen Konzepts, die ohne diese Neuregelung nicht möglich gewesen wäre (vgl. Dessecker 2000, 30 f). So wurde in der Vergangenheit wiederholt kritisiert, dass die Zahl der Behandlungsplätze in sozialtherapeutischen Einrichtungen nur knapp 1% aller im Justizvollzug verfügbaren Haftplätze ausmacht und damit insgesamt zu klein ist. Vor der Gesetzesänderung gab es zwar einige Pläne für Neubauten oder Erweiterungen, große Veränderungen waren aber nicht zu erkennen (vgl. Egg 1994). Dies hat sich seit 1998 grundlegend geändert (Rdn. 4). Außerdem führte die Neuregelung zur Definition klarer Maßstäbe, unter welchen Voraussetzungen die Behandlung in einer sozialtherapeutischen Anstalt angezeigt ist und wann nicht. Daraus ergab sich auch die Möglichkeit der Weiterentwicklung und Erprobung diagnostischer und Egg
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Verlegung in eine sozialtherapeutische Anstalt
therapeutischer Maßnahmen. Auf dieser Grundlage konnte außerdem die Erforschung der Rückfälligkeit bzw. der für den Rückfall maßgeblichen Faktoren einschließlich der Wirksamkeit rückfallpräventiver Maßnahmen intensiviert und verbessert werden (siehe Spöhr 2009; Wischka/Pecher/van den Boogaart 2012). 2. Der Aufbau der Anstalten. Zum Aufbau der sozialtherapeutischen Anstalten, 3 zur Auswahl der Gefangenen nach § 9 Abs. 1 a. F. und zum Inhalt der Behandlung der bisherigen Klientel, unter der Sexualstraftäter – wenn sie überhaupt aufgenommen wurden – nur eine kleine Minderheit bildeten, liegt eine umfangreiche leicht zugängliche Literatur vor. Zur Einführung z. B. Böhm 1985; Egg 1984; Romkopf 1988; Rotthaus 1981, 1988. Dasselbe gilt für die wechselvolle, zeitweise dramatische Geschichte mancher Anstalten, z. B. Rasch 1977. Zu den typischen Persönlichkeitsstörungen, die in den sozialtherapeutischen Anstalten behandelt werden sollten, und zu den Behandlungsmethoden knapp und sehr anschaulich C/MD 2008 Rdn. 7–10. 3. Bestand und Bedarf an Behandlungsplätzen. Nach Verkündung des Zweiten 4 Strafrechtsreformgesetzes richteten die meisten Länder der alten Bundesrepublik Erprobungsanstalten ein (Bundeszusammenschluß für Straffälligenhilfe (Hrsg.) 1977). Bis zum Scheitern der Maßregellösung im Jahre 1984 (Rdn. 1) entstanden 13 sozialtherapeutische Anstalten und Abteilungen mit insgesamt rund 670 Haftplätzen (Egg/ Schmitt 1993, 122). In der Folgezeit kam es lediglich an einigen Orten zu einem geringen Ausbau verfügbarer Plätze. Eine am 31.3.1997 durchgeführte Stichtagserhebung der KrimZ ergab einen Bestand von 888 Plätzen in 20 sozialtherapeutischen Einrichtungen (Egg/Schmidt 1998). Diese Situation änderte sich erwartungsgemäß sehr deutlich durch das Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten vom 26.1.1998 (Rdn. 2). Nachdem es in allen Ländern teilweise umfangreiche Planungen zur Erweiterung der Behandlungsmöglichkeiten für Sexualstraftäter gab (vgl. Egg 2002), die in kleineren Ländern (z. B. Bremen, Saarland) verständlicherweise geringer und bescheidener ausfielen als in großen Ländern, wurde seit 1998 die Belegungskapazität sozialtherapeutischer Einrichtungen stark erhöht. Nach der am 31.3.2011 durchgeführten Stichtagserhebung der KrimZ (Niemz 2011) standen zu diesem Zeitpunkt 2.262 Haftplätze in insgesamt 61 sozialtherapeutischen Einrichtungen zur Verfügung (Einzelheiten siehe folgende Tabelle). Dieser Trend wird sich voraussichtlich noch einige Jahre fortsetzen, da die neu geschaffenen Jugendstrafvollzugsgesetze der Länder ebenfalls sozialtherapeutische Einrichtungen vorsehen. Zudem wurden in Bayern an mehreren Orten sozialtherapeutische Abteilungen für die Gruppe der (nicht sexuell motivierten) Gewaltstraftäter eingerichtet. Sozialtherapeutische Einrichtung (geordnet nach Ländern) Baden-Württemberg Adelsheim Asperg Crailsheim Offenburg
173
Verfügbare Haftplätze am 31.3.2011
Belegung am 31.3.2011
Männer
Frauen
Männer
Frauen
24 60 24 60
– – – –
24 52 23 53
– – – –
Egg
§9
Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
Sozialtherapeutische Einrichtung (geordnet nach Ländern)
Verfügbare Haftplätze am 31.3.2011
Belegung am 31.3.2011
Männer
Frauen
Männer
Frauen
Bayern Aichach (Frauen) Amberg Bayreuth Ebrach Erlangen Kaisheim (Sexual) Kaisheim (Gewalt) Landsberg München (Sexual) München (Gewalt) Neuburg-Herrenwörth (S) Neuburg-Herrenwörth (G) Straubing Würzburg
– 16 24 10 41 16 16 24 24 16 16 16 24 24
16 – – – – – – – – – – – – –
– 15 25 8 37 16 16 24 20 9 14 12 22 23
14 – – – – – – – – – – – – –
Berlin Berlin (Frauen) Berlin-Tegel Berlin-Jugendstrafanstalt
– 162 48
21 – –
– 148 40
16 – –
Brandenburg Brandenburg Wriezen
70 26
– –
61 22
– –
Hamburg Hamburg Hamburg Hahnöfersand
163 18
– –
128 15
– –
Hessen Kassel II Rockenberg
140 18
– –
132 16
– –
Mecklenburg-Vorpommern Neustrelitz Waldeck
24 48
– –
12 38
– –
Niedersachsen Bad Gandersheim Celle Hameln RSH Hameln Sotha II Hannover Lingen Meppen Uelzen
26 10 31 22 52 46 20 32
– – – – – – – –
22 2 30 21 51 44 16 29
– – – – – – – –
Egg
174
§9
Verlegung in eine sozialtherapeutische Anstalt
Sozialtherapeutische Einrichtung (geordnet nach Ländern)
Verfügbare Haftplätze am 31.3.2011
Belegung am 31.3.2011
Männer 25 – 20
Frauen – 10 –
Männer 25 – 9
Frauen – 8 –
Nordrhein-Westfalen Aachen Bochum Detmold Euskirchen Gelsenkirchen Herford Schwerte Siegburg Willich
35 15 15 16 57 26 15 29 24
– – – – – – – – –
31 14 13 15 56 25 15 29 24
– – – – – – – – –
Rheinland-Pfalz Diez Ludwigshafen Schifferstadt Wittlich
13 66 20 20
– – – –
13 62 20 20
– – – –
Saarland Saarbrücken
36
–
36
–
Sachsen Dresden (Frauen) Regis-Breitingen Waldheim
– 40 99
9 – –
– 34 95
5 – –
Sachsen-Anhalt Halle
116
–
56
–
Schleswig-Holstein Lübeck
39
–
36
–
Thüringen Ichtershausen Tonna
14 75
– –
11 74
– –
2.206
56
1.933
43
Vechta Vechta (Frauen) Wolfenbüttel
Alle Einrichtungen
Die Länder gingen beim Ausbau der Sozialtherapie übrigens unterschiedliche Wege. Überwiegend wurden nicht die schon bestehenden Einrichtungen erweitert, sondern neue sozialtherapeutische Einrichtungen geschaffen, wobei es sich fast ausschließlich um unselbständige sozialtherapeutische Abteilungen handelt. Damit wurde der in § 123 175
Egg
§9
Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
Abs. 2 geregelte Ausnahmefall faktisch zur Regel; eine Entwicklung, die aus Finanzgründen zwar plausibel erscheint, wegen der strukturellen Nachteile von Abteilungen aber zu bedauern ist (vgl. § 123 Rdn. 2). Nachvollziehbar ist auch, dass die neu geschaffenen Plätze nahezu ausschließlich Sexualstraftätern vorbehalten sind, denn für diese gilt ja das Verlegungskonzept von § 9 Abs. 1. Demgemäß stieg die Zahl der (jeweils am Stichtag 31.3. der KrimZ-Erhebung) in sozialtherapeutischen Einrichtungen befindlichen Verurteilten nach Sexualdelikten zwischen 1997 und 2011 von 191 auf 1.062 (Niemz 2011, 18). Bedenklich ist jedoch, dass dieser Anstieg nicht nur einen relativ höheren Prozentsatz von sozialtherapeutisch behandelten Sexualstraftätern (53,7% statt 23,2%) bedeutet, sondern zugleich mit einem Rückgang an Verurteilten nach anderen Delikten verbunden ist. So ging zwischen 1997 und 2008 die Zahl der (oft gewaltsamen) Eigentums- und Vermögenstäter in sozialtherapeutischen Einrichtungen von 367 auf 201, d. h. um rund 45%, zurück (Niemz 2011, 18). Wenngleich diese Zahl in den letzten Jahren wieder leicht angestiegen ist (2011: 294), so wurden die bereits bei der Verabschiedung des Gesetzes geäußerten Bedenken bezüglich einer Reduzierung der ohnedies knappen Therapieplätze für behandlungsbedürftige, rückfallgefährdete Verurteilte mit anderen Delikten (Rdn. 2) durch die bisherige Praxis insgesamt leider bestätigt. Eine gewisse Ausnahme bildet dabei Bayern. Dort gibt es für die Behandlung von Sexualstraftätern seit 1972 eine sozialtherapeutische Abteilung der JVA München mit ursprünglich 12, jetzt 24 Haftplätzen. Im Zuge der Umsetzung von § 9 Abs. 1 wurden von 1998 bis 2007 sieben weitere Abteilungen für Sexualstraftäter mit insgesamt 144 Plätzen eröffnet (in den JVAen Amberg, Bayreuth, Kaisheim, Landsberg, Neuburg-Herrenwörth, Straubing und Würzburg). Dies bedeutet eine erhebliche Erweiterung des Behandlungsangebotes für Sexualstraftäter im bayerischen Justizvollzug (von 12 auf 166 Plätze). Für die Behandlung anderer Verurteilter steht nach wie vor die ebenfalls seit 1972 existierende sozialtherapeutische Anstalt Erlangen (41 Haftplätze) zur Verfügung. Zur Ergänzung dieses Angebotes wurden in den Jahren 2009 und 2011 zwei weitere sozialtherapeutische Abteilungen mit jeweils 16 Haftplätzen eröffnet, die für erwachsene männliche Gewaltstraftäter vorgesehen sind (Kaisheim, München), weitere derartige Abteilungen sind in Planung. Auch im Jugendstrafvollzug wurden bzw. werden schrittweise sozialtherapeutische Abteilungen für Gewaltstraftäter (ebenfalls je 16 Haftplätze) eingerichtet und 2009 wurde eine seit längerem geplante sozialtherapeutische Abteilung für weibliche Strafgefangene in der JVA Aichach eröffnet (siehe Tabelle). Am Ende werden in Bayern neben den 166 Plätzen für Sexualstraftäter insgesamt rd. 200 Plätze für Verurteilte anderer Deliktgruppen in sozialtherapeutischen Einrichtungen zur Verfügung stehen. Lediglich vier der 61 sozialtherapeutischen Einrichtungen nehmen Frauen auf (Aichach, Berlin, Dresden, Vechta); die dort insgesamt verfügbaren 56 Plätze entsprechen rund 2% aller Haftplätze in der Sozialtherapie. Demgegenüber liegt der Anteil weiblicher Gefangener im Strafvollzug insgesamt bei rund 5% (Quelle: Statistisches Bundesamt, www.destatis.de). Besonders stark hat sich dagegen in den letzten Jahren die Situation im Jugendstrafvollzug verändert. Während sich § 9 Abs. 1 lediglich auf Verurteilte mit „zeitiger Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren“ bezog und somit für Verurteilte mit Jugendstrafen nicht unmittelbar anzuwenden war, erfolgte seit 1998 auch hier ein deutlicher Ausbau sozialtherapeutischer Haftplätze, ab 2008 primär als Folge des BVerfGUrteils vom 31.5.2006 (2 BvR 1673/04), das die Länder veranlasste, eigene Jugendstrafvollzugsgesetze zu schaffen. Diese sehen ausnahmslos – wenngleich teilweise unterschiedliche – Vorschriften für die sozialtherapeutische Behandlung junger Strafäter vor. Zwischen 1997 und 2011 stieg die Zahl der Plätze in sozialtherapeutischen Einrichtungen des Jugendstrafvollzuges von 86 auf 426 Plätze, also um fast 400%. Ihr Anteil an den insgesamt verfügbaren Plätzen in der Sozialtherapie erhöhte sich von 9,2% auf 19%; dies Egg
176
Verlegung in eine sozialtherapeutische Anstalt
§9
ist fast doppelt so hoch wie der prozentuale Anteil aller Jugendstrafgefangenen im Strafvollzug (2011: 10,2%, Quelle: Statistisches Bundesamt, www.destatis.de). Mit einem weiteren Anstieg ist wegen der besonderen Betonung des Resozialierungsaspektes im Jugendstrafvollzug in den nächsten Jahren zu rechnen. Insgesamt ist jedoch zu betonen, dass der Bedarf an Haftplätzen in sozialtherapeutischen Einrichtungen auch nach dem seit 1998 erfolgten Ausbau noch lange nicht gedeckt ist. Wenngleich ältere Forderungen, nach denen für 20% der Strafgefangenen Behandlungsplätze in sozialtherapeutischen Anstalten geschaffen werden sollten, aus heutiger Sicht übersetzt erscheinen, insbesondere, weil inzwischen auch im Normalvollzug eine Erweiterung an Behandlungsangeboten vollzogen wurde, so erscheint doch ein Angebot von mindestens 5% erforderlich. Dies würde bedeuten, dass noch ein Defizit von 800 bis 1.000 Plätzen besteht. Erfreulicherweise ist der Gedanke der intensiven Behandlung rückfallgefährdeter Straftäter trotz der erschwerten Bedingungen im Vollzug und einer verstärkten Betonung des Sicherheitsdenkens in der Kriminalpolitik (vgl. Mushoff 2005) lebendig geblieben und erlebt sogar eine gewisse Revitalisierung (vgl. z. B. Rehn u. a. 2001; Steller u. a. 1994). Dies gilt nicht nur für Deutschland, sondern auch international (z. B. Cullen u. a. 1997, Lösel/Schmucker 2008). So wurden bereits in den 90er Jahren in England und Wales in zahlreichen Gefängnissen spezielle Behandlungsprogramme für Straftäter implementiert, die sich überwiegend an lerntheoretischen Konzepten orientieren. Dazu zählt vor allem das „Sexual Offender Treatment Programme“ (SOTP, Mann 1999), ferner die Programme „Reasoning and Rehabilitation“ (Gretenkord 2002) und „Enhanced Thinking Skills“ (Clarke et al. 2004). Mit Hilfe dieser Programme zeigte sich eine Reduktion der Rückfallraten um 11 bis 14% (zum Ganzen: Lau 2006 mit weiteren Nachweisen). Auch in den Niederlanden, die in der Vergangenheit wegen der strikten Trennung von Strafe und Behandlung kriminaltherapeutische Maßnahmen lediglich in forensisch-psychiatrischen Einrichtungen, namentlich den sog. TBR-Kliniken wie der bekannten Dr. Henri van der Hoeven Kliniek in Utrecht (van Beek/Mulder 1998), vorsahen, setzte sich in den letzten Jahren die Erkenntnis durch, dass auch im regulären Strafvollzug die Behandlung psychisch gestörter Straftäter möglich und sinnvoll ist. Dafür wurden vom niederländischen Justizministerium mehrere Pilotprojekte initiiert, von deren Ergebnissen eine mögliche landesweite Einführung der Programme abhängen wird. Ziel ist dabei keine umfassende Heilung der Täter, sondern die spezifische Behandlung von Risikofaktoren der Rückfälligkeit gemäß der Devise „no cure but control“ (zum Ganzen: Kröger/van Beek 2006). 4. Organisatorische Strukturen und Rahmenkonzepte für die Behandlung. Die 5 sozialtherapeutischen Anstalten in Deutschland haben sich unterschiedliche, aber klare organisatorische Strukturen gegeben und ebenso unterschiedliche Rahmenkonzepte für die Behandlung entwickelt, die kontinuierlich fortgeschrieben werden. Sie haben in ihrer Arbeit Sicherheit gewonnen und wissen, dass Konflikte und selbst schwere Störungen im Anstaltsleben unvermeidbar sind, dass sie diese Schwierigkeiten aber bewältigen können. Sie scheuen sich nicht mehr, Angehörige der vollzuglichen Problemgruppen, der Verurteilten mit grober Gewalt im Delikt, der Sexualstraftäter und der Alkohol- oder Drogenabhängigen aufzunehmen. Die im Rahmen einer Evaluationsstudie der KrimZ erstellte Übersicht über die gegenwärtige Praxis der sozialtherapeutischen Einrichtungen (Spöhr 2009) vermittelt ein anschauliches Bild dieser Vielfalt. Bei aller Verschiedenartigkeit der Konzepte herrscht über die wesentlichen Kriterien der Sozialtherapie doch Übereinstimmung. Der seit 1983 bestehende Arbeitskreis Sozialtherapeutische Anstalten im Justizvollzug (Specht 2000) hat dazu verschiedene Mindestanforderungen ausgearbeitet, die breite Akzeptanz gefunden haben und nach 177
Egg
§9
Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
den Ergebnissen der jährlichen KrimZ-Stichtagserhebungen (zuletzt: Niemz 2011) auch weitgehend erfüllt werden. Diese Anforderungen beziehen sich zum einen auf grundsätzliche Aspekte wie Zielsetzung, Aufnahme, Personal, Methoden und allgemeine Gestaltung (Arbeitskreis Sozialtherapeutische Anstalten im Justizvollzug 1988), zum anderen wurden Mindestkriterien bezüglich Organisationsform, räumlicher und personeller Ausstattung sowie Dokumentation und Evaluation formuliert (Arbeitskreis Sozialtherapeutische Anstalten im Justizvollzug 2001; Egg 2007). Danach sollen u. a. folgende Grundsätze beachtet werden: Sozialtherapeutische Einrichtungen sollen als kleine Einheiten von nicht weniger als 20 und nicht mehr als 60 Plätzen – möglichst als selbständige Anstalten – angelegt werden. Die vom Gesetz an anderer Stelle festgelegte Höchstgrenze von 200 Plätzen (§ 143 Abs. 3) ist zu hoch. Als Grundeinheiten sind Wohngruppen für 8–12 Gefangene einzurichten. Sozialtherapeutische Abteilungen sollen organisatorisch, räumlich und personell unabhängige Einheiten mit eigenen Finanzmitteln sein. Für die Behandlung muss ausreichend Personal zur Verfügung stehen. Für die Anzahl der Personalstellen des Allgemeinen Vollzugsdienstes soll grundsätzlich eine Stelle auf zwei Gefangene vorhanden sein. Für Personalstellen der besonderen Fachdienste wird folgendes empfohlen: jeweils eine Stelle des höheren Dienstes (in der Regel Psychologen) für 10 Gefangene und eine Stelle des gehobenen Dienstes (in der Regel Diplom-Sozialpädagogen) für 10 Gefangene. Dabei soll die Stelle des Leiters nicht angerechnet werden. Bei den Psychologen sollen vorzugsweise solche mit Approbation für Psychologische Psychotherapie eingestellt werden. Für Psychologen, die diese Approbation anstreben, soll die sozialtherapeutische Einrichtung die Anerkennung als Praktikumsstätte gem. § 2 Abs. 2, Nr. 2 der Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für Psychologische Psychotherapeuten (PsychTh-AprV) erlangen. Besonders die Arbeit auf den kleinen Wohngruppen (Rehn 1996), die durchschnittlich nicht mehr als 10 Insassen umfassen dürfen, ist sehr personalintensiv. Bei der schwierigen und kriminell stark gefährdeten Klientel muss das Wohngruppenleben, solange die Haftraumtüren offen stehen, vom Personal gewissermaßen durchtränkt werden. Andernfalls würde sich eine negative Subkultur bilden können, die zur Unterdrückung der schwächeren Gruppenmitglieder führen und die kriminelle Ansteckung begünstigen würde. Innerhalb der Wohngruppen ist eine beständige von Fachkräften geleitete Wohngruppenarbeit sicherzustellen, an der jeder Gefangene teilnehmen muss. Diese Wohngruppenarbeit schafft die Grundlage für die ,problemlösende Gemeinschaft‘. Psychotherapie kann, braucht aber nicht das Kernstück der sozialtherapeutischen Behandlung zu sein (vgl. hierzu § 7 Rdn. 11). Besser als die zunächst bevorzugten analytischen oder gesprächstherapeutischen Methoden haben sich kognitive, behaviorale Programme bewährt (Lösel 1996, 265; Lösel/Schmucker 2008). Weitere Behandlungsangebote sind die schulische und berufliche Weiterbildung, die gründliche Entlassungsvorbereitung, zu der auch ein Außentraining mit Vollzugslockerungen gehört, und die Nachbetreuung (vgl. § 126). 6
5. Erfolg sozialtherapeutischer Behandlung. Wegen ihres hohen Kostenaufwandes – vergleichbare psychiatrische Einrichtungen berechnen Pflegesätze von 250 Euro täglich und mehr – stand die Sozialtherapie von Anbeginn an unter einem starken Rechtfertigungsdruck. Insbesondere wurde an sie mit großer Dringlichkeit die Frage nach dem Behandlungserfolg gerichtet. Die ursprünglich sehr hochgespannten Erwartungen blieben dabei freilich unerfüllt. Auch heute – rund vierzig Jahre nach dem Beginn der Sozialtherapie in Deutschland – ist die Frage nach dem Erfolg von Behandlung nicht abschließend beantwortet, wenngleich inzwischen zahlreiche Ergebnisse vorgelegt wurden. Bereits 1987 stellte Lösel in einer Meta-Evaluationsstudie der Sozialtherapie, die alle bis dahin publizierten einschlägigen Forschungsarbeiten umfasste, einen moderaten HauptEgg
178
Verlegung in eine sozialtherapeutische Anstalt
§9
effekt der Sozialtherapie fest, der „bei den Probanden aus sozialtherapeutischen Anstalten im Durchschnitt um 8–14% häufiger positive Veränderungen (z. B. kein Rückfall)“ erwarten lässt als bei den Probanden des „Normalvollzuges“ (Lösel u. a. 1987, 263). Während die dabei berücksichtigten Legalbewährungsstudien von Dolde (1981, 1982), Dünkel (1980), Rasch/Kühl (1977, 1978) sowie Rehn (1979) sich noch auf Behandlungszeiträume zwischen 1970 und 1974 bezogen, also lediglich die Anfangszeit der Modellversuche erfassten und dabei meist auch nur Follow-up-Zeiträume zwischen drei und vier Jahren betrafen, analysierten spätere Arbeiten auch längerfristige Effekte der Sozialtherapie (Dünkel/Geng 1994; Egg 1990). Die Integration dieser neueren Befunde in den Datenpool der von Lösel durchgeführten Meta-Evaluation führte zu einem nur wenig veränderten Gesamteffekt (Lösel 1994). Die in der Sozialtherapie behandelten Straftäter erreichten danach im Durchschnitt um etwa 11% günstigere Werte (insbesondere geringere Rückfälligkeit) als Vergleichspersonen im Regelvollzug. Eine seit den 1980er Jahren vom Max-Planck-Institut in Freiburg mit großem Aufwand und hoher methodischer Präzision durchgeführte experimentelle Längsschnittstudie zur Sozialtherapie in Nordrhein-Westfalen kommt dagegen zu einem weniger günstigen Ergebnis. Der Erfolg der sozialtherapeutischen Behandlung ist danach „alles in allem gering bis sehr gering, aber nicht null“ (Ortmann 2002, 332). Freilich ergibt sich auch hier ein mittlerer Effekt von etwa 5 Prozentpunkten zu Gunsten der Sozialtherapie (Follow-up-Intervall: fünf Jahre, Rückfalldefintion: mehr als drei Monate Freiheitsstrafe oder mehr als 90 Tagessätze). Zudem sollte die Aussagekraft einer einzigen Studie nicht überschätzt werden, sondern im Kontext des übrigen Forschungsstandes betrachtet werden. So gelangt eine im Rahmen des USamerikanischen CDATE-Programms erstellte Meta-Evaluation von acht deutschsprachigen Studien zur Sozialtherapie unter Einschluss der neueren Ergebnisse des MPI Freiburg zu dem Ergebnis, dass die (sozialtherapeutische) Versuchsgruppe im Durchschnitt um 12,3% erfolgreicher ist als die Kontrollgruppe (Egg u. a. 2001). Insgesamt darf nach allen vorliegenden wissenschaftlichen Arbeiten und nicht zuletzt nach den vielfältigen teilweise jahrzehntelangen praktischen Erfahrungen bezüglich der Bewertung der Sozialtherapie von einem vorsichtigen Optimismus ausgegangen werden. Freilich ist auch vor dem Hintergrund der internationalen Behandlungsforschung, die zum Teil erhebliche Wirkungsunterschiede aufzeigte und auf spezifische Wirkfaktoren der Straftäterbehandlung aufmerksam machte (vgl. Lösel 2000), zu prüfen, in welcher Weise die derzeit angewandten sozialtherapeutischen Behandlungsprogramme weiter entwickelt und verbessert werden können. Dies gilt insbesondere für die sozialtherapeutische Behandlung von Sexualstraftätern, über die aus den bisherigen Studien wegen zu kleiner Fallzahlen kaum tragfähige Ergebnisse abgeleitet werden können. Eine von Schmucker (2004) vorgelegte Metaanalyse, in die auch Studien aus dem deutschsprachigen Raum einbezogen wurden, ergab positive Effekte für kognitiv-behaviorale Programme, während andere psychosoziale Interventionen geringere, teilweise sogar negative Effekte zeigten. In den letzten Jahren wurden mehrere Evaluationsprojekte in Angriff genommen, mit denen die praktische Umsetzung von § 9 Abs. 1 wissenschaftlich begleitet werden soll (z. B. Bussmann et al. 2008, Hosser et al. 2006, Ortmann et al. 2004, Suhling 2006, zusammenfassend: Spöhr 2009). Die Ergebnisse dieser Studien werden weiteren Aufschluss geben über die Wirksamkeit der in den sozialtherapeutischen Einrichtungen für Sexualstraftäter angewandten Behandlungsprogramme, wenngleich eine länderübergreifende Evaluation sozialtherapeutischer Maßnahmen für Sexualstraftäter im Vollzug, wie sie der Bundesrat am 14.3.2003 gefordert hatte (BR-Drucks. 851/02), nicht realisiert werden konnte.
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Egg
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Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
II. Erläuterungen 7
1. Voraussetzungen für die Aufnahme nach Abs. 1. Abs. 1 begründet einen Anspruch auf Verlegung, sofern die dort genannten Voraussetzungen vorliegen (OLG Celle, 1 Ws 224/06). Die Vorschrift greift indes nicht in das Recht der Strafvollstreckung ein. Wie bisher sind auch die Sexualstraftäter in die nach dem Vollstreckungsplan (§ 152 Abs. 1) allgemein zuständige Anstalt aufzunehmen. Dort findet die Behandlungsuntersuchung statt, bei der für diese Gefangenen nach § 6 Abs. 2 Satz 2 „besonders gründlich zu prüfen (ist), ob die Verlegung in eine sozialtherapeutische Anstalt angezeigt ist“. Soweit die Gefangenen nach dem Vollstreckungsplan in eine Einweisungsanstalt (§ 152 Abs. 2) aufzunehmen sind, findet die Behandlungsuntersuchung dort statt (§ 6 Rdn. 4). Unterbleibt die Verlegung in eine sozialtherapeutische Anstalt, so konkretisiert § 7 Abs. 4 die für alle Gefangene geltende Bestimmung des Abs. 3, nach der für die Fortschreibung des Vollzugsplans „angemessene Fristen“ vorzusehen sind, für die Sexualstraftäter dahin, dass „über eine Verlegung in eine sozialtherapeutische Anstalt jeweils nach Ablauf von sechs Monaten neu zu entscheiden ist“. Zuständig für die Entscheidung ist die ,abgebende‘ Anstalt, die dabei mit der aufnehmenden sozialtherapeutischen Einrichtung eng kooperieren muss. Nur durch eine solche enge Zusammenarbeit lassen sich Misserfolge in der Behandlung und Rückverlegungen (Satz 2, Rdn. 12) auf ein Mindestmaß reduzieren. Die früheren Verfahrensweisen, die der sozialtherapeutischen Anstalt die Entscheidung überließen oder wenigstens großen Einfluss einräumten, hatten ihre Grundlage in § 9 Abs. 2 a. F. (Egg (Hrsg.) 1993, 150 ff); die Verlegung bedurfte „der Zustimmung des Leiters der sozialtherapeutischen Anstalt“. Diese Regelung ist in Abs. 1 n. F. nicht aufgenommen worden. Doch kann sich die Landesjustizverwaltung nach § 153, der für Sexualstraftäter unverändert gilt, diese Verlegungsentscheidungen wie andere „Entscheidungen über Verlegungen vorbehalten oder sie einer zentralen Stelle übertragen“ (vgl. C/MD 2008 Rdn. 11). Eine solche Zuständigkeitsverlagerung kann dazu beitragen, dass nicht Gefangene mit einer zu unsicheren Behandlungsindikation in die sozialtherapeutische Anstalt gelangen. Auch können schwierige, verhaltensauffällige Gefangene, die die abgebende Anstalt vielleicht gern loswerden möchte, so aus der Sozialtherapie herausgehalten werden. Aus der Zuständigkeit der ,abgebenden‘ Anstalt folgt auch, dass für eine gerichtliche Überprüfung stets jene Strafvollstreckungskammer zuständig ist, in deren Bereich diese JVA ihren Sitz hat (BGH 2 ARs 307/04). Ferner kann ein Gefangener nicht verlangen, dass sich die jeweilige sozialtherapeutische Einrichtung mit seinem Aufnahmewunsch befasst, wenn die „Stammanstalt“ eine Verlegung ablehnt. Die Aufzählung der Tatbestände des Strafgesetzbuches (§§ 174–180 und 182) nach Abs. 1 öffnet die Schleuse für die, wenn angezeigt, zu verlegenden Gefangenen außerordentlich weit. Es werden nicht nur ,Triebverbrechen‘ erfasst, also Straftaten, bei denen eine sexuelle Störung (Paraphilie) gegeben oder anzunehmen ist, sondern auch Verhaltensweisen, die zwar strafwürdig (weil sozialschädlich) sind, jedoch dem Spektrum ,normalen‘ sexuellen Verhaltens zugerechnet werden, wenn etwa Lehrer oder Ausbilder geschlechtliche Beziehungen zu jugendlichen Schülerinnen und Schülern oder Auszubildenden aufnehmen (§ 174 Abs. 1 StGB). Erheblich eingeschränkt wird der Kreis der Verurteilten dagegen durch die auf mehr als zwei Jahre festgelegte Strafhöhe. Bei der Prüfung der Behandlungsindikation ist einerseits der Wille des Gesetzgebers, möglichst alle Sexualstraftäter sozialtherapeutisch zu behandeln, zu berücksichtigen. Andererseits müssen hier und nicht erst nach einem erfolglosen Behandlungsversuch zur Behandlung ungeeignete Gefangene identifiziert und von der Verlegung ausgeschlossen werden (s. auch § 6 Rdn. 33). Als Kriterium der Behandlungsunfähigkeit ist dabei eine Egg
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Verlegung in eine sozialtherapeutische Anstalt
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auf Dauer angelegte und nicht korrigierbare Mitarbeit der Gefangenen an der Behandlung anzusehen bzw. eine mit therapeutischen Mitteln nicht erreichbare Persönlichkeitsstörung (OLG Celle 1 Ws 91/07, 1 Ws 294/07; OLG Frankfurt 3 Ws 845/04; OLG SchleswigHolstein 2 Vollz Ws 415/05; LG Aachen 33 Vollz 134/05). Alle sozialtherapeutischen Einrichtungen kennen eine Mindestreststrafe als Vo- 8 raussetzung für die Aufnahme, die überwiegend bei 18 bis 24 Monaten liegt (Egg (Hrsg.) 1993, 150 ff; Spöhr 2009, 69). Eine planvolle therapeutische Behandlung braucht Zeit. Außerdem soll der Gefangene nach Abschluss der Behandlung nach Möglichkeit nicht bei Strafende, sondern vorzeitig zur Bewährung entlassen und zur Sicherung des Behandlungserfolgs der Aufsicht eines Bewährungshelfers unterstellt werden. Daher sind 18 bis 24 Monate ein Minimum (vgl. aber Konrad 1998). Auch die Gefangenen nach Abs. 1, die nur noch einen geringeren Strafrest zu verbüßen haben, sind deshalb von der Sozialtherapie – von Ausnahmen abgesehen – auszuschließen. Ihre Zahl ist nicht klein, weil die meisten Sexualstraftäter, die zu einer Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren verurteilt werden, längere Zeit in Untersuchungshaft verbringen. Von der Rechtskraft des Urteils an vergeht zwangsläufig eine Zeit, bis der Vollzugsanstalt die vollständigen Vollstreckungsunterlagen vorliegen. Oft müssen die für eine gründliche Diagnostik erforderlichen früheren Gutachten und Vorgänge anderer Behörden wie z. B. der Jugendämter oder von psychiatrischen Kliniken beigezogen werden. Nach allem haben erst Verurteilte mit Strafen von mehr als drei Jahren eine realistische Aussicht für die Aufnahme in die Sozialtherapie. Sie müssen – etwa bis zu einer Strafzeit von sechs Jahren – möglichst schnell verlegt werden. Sollte die Behandlung vor dem Zeitpunkt der (vorzeitigen) Entlassung abgeschlossen sein, lassen sich Maßnahmen der Entlassungsvorbereitung (offener Vollzug, soziales Training) sinnvoll anschließen. Dem Sinne des neuen Gesetzes entspricht es, den (z. B. wegen zu kurzer Restverbüßungszeit) von der Verlegung ausgeschlossenen Gefangenen in der Anstalt des Normalvollzugs ein Behandlungsangebot zu machen. Zu denken ist hier an psychotherapeutische Behandlung durch einen Therapeuten ,von draußen‘. Die Behandlung kann dann über den Zeitpunkt der Entlassung hinaus fortgesetzt werden. Nach Möglichkeit sollte sie mit der Unterstellung unter einen Bewährungshelfer verbunden werden. Problematisch sind die zu Strafen von mehr als sechs Jahren Verurteilten. Es stellt sich die Frage, ob sie zu Beginn der Strafzeit in die sozialtherapeutische Anstalt aufgenommen und nach Abschluss der Behandlung in eine ,normale Verbüßungsanstalt‘ verlegt werden sollen. Dafür sprechen die § 67 Abs. 1 StGB zugrundeliegenden Erwägungen, nach dem im Regelfall die Maßregel vor der Freiheitsstrafe vollzogen wird. Bisher wurde diese Reihenfolge für die Sozialtherapie abgelehnt: Die Behandler wollten die Gefangenen nicht auf ein Leben im ,Normalvollzug‘, sondern in der Freiheit vorbereiten. Andererseits geht eine zunächst vorhandene Behandlungsmotivation im Laufe eines längeren Vollzuges oft verloren. Die Frage kann nicht allgemein beantwortet werden. Meist wird ein möglichst früher Beginn der Behandlung angezeigt sein (i. d. S. KG NJW 2001, 1806 ff). Dann müssen dem Gefangenen bereits mit der Entscheidung über die Verlegung in die Sozialtherapie für die Zeit nach Abschluss der Behandlung Perspektiven für eine positive Ausgestaltung des sich anschließenden ,Normalvollzuges‘ aufgezeigt werden: z. B. ein Arbeitsplatz oder eine Fortbildungsmaßnahme, die seinen Fähigkeiten und Neigungen (§ 37 Abs. 2) entsprechen, offener Vollzug. Wird der Beginn der Behandlung auf einen späteren Zeitpunkt festgelegt, ist in der ,normalen Verbüßungsanstalt‘ eine fachliche Betreuung zur Aufrechterhaltung der – etwa vorhandenen – Therapiemotivation erforderlich (vgl. auch § 6 Rdn. 34). Eine Sondergruppe bilden Sexualstraftäter mit anschließender Sicherungsverwahrung. Für diese Fälle gilt seit langem die Forderung, dass bei gegebener Behand181
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lungsindikation die sozialtherapeutische Behandlung so rechtzeitig begonnen werden muss, dass sie – voraussichtlich – spätestens bei Strafende beendet ist. Diese Sichtweise wurde durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 4. Mai 2011 (2 BvR 2365/09 u. a.) bestätigt. Allerdings wurden bei dieser Entscheidung die Vorschriften des StGB über die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung insgesamt für nicht mit dem Grundgesetz vereinbar erklärt; dem Gesetzgeber in Bund und Ländern wurde daher aufgegeben, ein Gesamtkonzept der Sicherungsverwahrung zu entwickeln. Damit ist in nächster Zeit eine vollständige Neuregelung dieser Vorschriften zu erwarten, über deren Ausgestaltung verschiedene Vorschläge entwickelt wurden (z. B. Arbeitskreis Sozialtherapeutische Anstalten im Justizvollzug 2011; Streng in JZ 2011, 827 ff). Bei Redaktionsschluss dieses Kommentars wurde u. a. ein Gesetzentwurf der Bundesregierung (BTDrucks. 17/9874) diskutiert, dessen Inkrafttreten am 1. Juni 2013 angestrebt wird; Kernstück soll dabei § 66 c StGB-E sein. Um die vom BVerfG geforderte Therapieausrichtung der zukünftigen Sicherungsverwahrung zu gewährleisten, wird darin die Aufgabe der für die Unterbringung zuständigen Einrichtungen hervorgehoben, den Untergebrachten eine intensive und individuell zugeschnittene, seine Mitwirkungsbereitschaft weckende und fördernde Betreuung anzubieten, insbesondere eine psychiatrische, psychologische oder sozialtherapeutische Behandlung. Aus der Konkretisierung des vom BVerfG hervorgehobenen Ultima-Ratio-Prinzips, wonach die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung lediglich als letztes Mittel angeordnet werden darf, folgt, dass bereits der Vollzug der vorangehenden Strafhaft alle Möglichkeiten einer individuellen und intensiven Betreuung und Behandlung auszuschöpfen hat, um die Gefährlichkeit des Verurteilten zu reduzieren. Dies betrifft insbesondere auch das Angebot einer sozialtherapeutischen Behandlung. Entspricht der Vollzug der Strafhaft bei einer Gesamtbetrachtung nicht diesen Anforderungen, kann eine anschließende Sicherungsverwahrung nicht vollstreckt werden, weil diese dann unverhältnismäßig wäre. Deshalb sollen die maßgeblichen Leitlinien für den einer Sicherungsverwahrung vorangehenden Strafvollzug in § 66 c Absatz 2 StGB-E normiert und durch einen neuen Prüfungsmaßstab für die Zulässigkeit der anschließenden Maßregelvollstreckung ergänzt werden (§ 67 c Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 StGB-E). Auch auf Länderebene sind in nächster Zeit entsprechende Vorschriften zur Neuregelung des Vollzugs der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung zu schaffen, die die vom BVerfG festgelegten Prinzipien umsetzen und konkretisieren sollen. Vor dem Hintergrund dieser Neuregelungen ist für die Praxis der sozialtherapeutischen Einrichtungen zu erwarten, dass sich der Anteil der Insassen mit angeordneter oder bereits zu vollstreckender Sicherungsverwahrung in den nächsten Jahren weiter erhöhen wird. Dieser lag nach der von der KrimZ seit 1997 durchgeführten jährlichen Stichtagserhebung bis 2004 bei maximal 2–3% und erhöhte sich bis 2011 auf rd. 7% (vgl. Niemz 2011, 54). Die Entscheidung der Frage, ob im Einzelfall die Behandlung in einer sozialthera9 peutischen Anstalt angezeigt ist, setzt eine gründliche Diagnostik voraus (§ 6 Rdn. 30– 33; dazu ausführlich Konrad 1998). Dafür ist qualifiziertes Fachpersonal erforderlich, das ggf. erst durch besondere Maßnahmen, insbesondere durch spezielle Fortbildungen, geschaffen werden muss. Entsprechendes gilt für die eigentliche therapeutische Arbeit: Es müssen geeignete Sexualtherapeuten gewonnen oder herangebildet werden, denn abgesehen von der seit 1972 in München eingerichteten Spezialabteilung lag der Schwerpunkt der Behandlungsarbeit in sozialtherapeutischen Einrichtungen in der Vergangenheit nicht bei der Gruppe der Sexualstraftäter. Gleichzeitig sind auch die nach dem Vollstreckungsplan Egg
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allgemein zuständigen Anstalten für ihre diagnostische Aufgabe zur Vorbereitung der Verlegungsentscheidungen mit Fachkräften auszustatten. Für die Landesjustizverwaltungen bedeutete diese Vorschrift eine ganze Reihe von Aufgaben und Problemen. Es mussten neue sozialtherapeutische Einrichtungen geschaffen oder – wo bereits vorhanden – Behandlungsplätze, die bisher für andere Therapiefälle genutzt wurden, für die Behandlung von Sexualstraftätern umgewidmet werden. Dieser Prozess kann inzwischen als weitgehend abgeschlossen angesehen werden, der seit 1998 erfolgte Ausbau ist beachtlich, zumindest in Relation zu der vorherigen Situation seit der Aufhebung der Maßregellösung (Rdn. 1). Gleichwohl besteht auch weiterhin ein Bedarf an mehr und sowohl fachlich als auch personell besser ausgestatten Behandlungsplätzen für Sexualstraftäter (Rdn. 4). Die Verlegung von Sexualstraftätern in die sozialtherapeutische Anstalt ist nicht 10 davon abhängig, dass ihr der Gefangene – wie es nach Abs. 1 a. F. allgemein erforderlich war und für andere Täter nach Abs. 2 nach wie vor erforderlich ist – zustimmt. Diese unter dem Stichwort „Zwangstherapie“ geforderte oder kritisierte Neuerung dürfte in der Praxis keine Schwierigkeiten bereiten. Kaum einer der für die Verlegung in Betracht kommenden Sexualstraftäter hat eine Vorstellung von Therapie und vom Leben in einer sozialtherapeutischen Anstalt. Es ist deshalb sinnvoll und vertretbar, diese Gefangenen auch gegen ihren Willen an die Therapie heranzuführen und sie gründlich und anschaulich zu informieren (zur Einführung in die sozialtherapeutische Anstalt: Driebold u. a. 1984, 134 ff). Ein Teil von ihnen wird dann die Notwendigkeit einer solchen Behandlung erkennen und die für die Therapie erforderliche Motivation zur Mitarbeit entwickeln. Daher kann der Ansicht von Arloth (Arloth 2011 Rdn. 12), behandlungsunmotivierte Gefangene seien für die Sozialtherapie weniger geeignet als Gefangene, die zu einer Teilnahme an der Behandlungsmaßnahme bereit seien, nicht pauschal gefolgt werden. Denn auch umgekehrt sind Gefangene, die vor der Aufnahme in die sozialtherapeutische Anstalt – auch durchaus aufrichtig – ihre Behandlungsmotivation bekunden, keine sicheren Behandlungserfolge. Nicht selten kommt es vor, dass zunächst gut motivierte Gefangene die Mitarbeit in der Therapie einstellen, wenn sie erfahren, welche schmerzhaften und Angst auslösenden Forderungen die notwendige Umstrukturierung ihrer Persönlichkeit an sie stellt. Eine therapeutische Behandlung ist andererseits ohne aktive Mitarbeit des Klienten nicht möglich. Es widerspricht dem Berufsethos von Therapeuten, Zwang auszuüben. Eine Verletzung von Grundrechten (Art. 1, 2 GG) ist zwar nicht zu befürchten, doch ist auch einer sozialtherapeutischen Anstalt – wie im Strafvollzug allgemein – Zwang notwendigerweise immanent. Es ist die Aufgabe der Behandler, diese Problematik, etwa im Rahmen von Mitarbeiterbesprechungen und Supervision, ständig im Auge zu behalten und dafür Sorge zu tragen, dass auf keinen Insassen in rechtlich unzulässiger und therapeutisch schädlicher Weise Druck ausgeübt wird. – Die Möglichkeit einer zwangsweisen Heranführung von behandlungsbedürftigen und behandlungsfähigen Verurteilten an die Therapie hatte bereits der Fachausschuss V des Bundeszusammenschlusses für Straffälligenhilfe (1981, 10 ff) im Vorfeld der Aufhebung von § 65 StGB in der Weise empfohlen, dass die probeweise Aufnahme eines Gefangenen in eine sozialtherapeutische Anstalt auch ohne dessen Zustimmung für einen Zeitraum von nicht mehr als drei Monaten möglich sein solle (i. d. S. auch Egg 1984, 150). Kaiser/Dünkel/Ortmann (1982, 206) haben den Vorschlag aufgegriffen und unter der Überschrift einer ,angereicherten Vollzugslösung‘ unterstützt (vgl. auch die Kritik von Böhm 1985 an dem durch das StVollzÄndG von 1984 bestimmten Zustimmungserfordernis nach § 9 Abs. 1 a. F. Rdn. 15). Ebenso im Gegensatz zur alten Fassung verzichtet das neue Gesetz auf die Zu- 11 stimmung des Leiters der sozialtherapeutischen Anstalt zur Aufnahme eines we183
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gen Sexualstraftaten verurteilten Gefangenen (hinsichtlich anderer Gefangener s. Rdn. 16). Diese Neuerung wirkt sich ähnlich aus wie die Einschränkung der Rückverlegungsmöglichkeit (Satz 2). Die Anstalt hat nicht mehr die Möglichkeit, Gefangene, die ihr schwierig erscheinen, von sich fernzuhalten. Das ist berechtigt, zumal den sozialtherapeutischen Einrichtungen gelegentlich der Vorwurf gemacht wurde, sich primär ,pflegeleichte‘ Gefangene auszusuchen, um sichere Behandlungserfolge zu erzielen und sich Schwierigkeiten, wie sie der Alltag des Vollzuges überall mit sich bringt, zu ersparen. Andererseits gehört es zur Kooperation zwischen den abgebenden Anstalten oder der nach § 153 zur Entscheidung berufenen Stelle und der Sozialtherapie, dass der Leiter der sozialtherapeutischen Einrichtung die Grenzen der Therapie aufzeigt. Doch wäre eine bestimmende Einflussnahme des Leiters der sozialtherapeutischen Einrichtung im Einzelfall nicht mit dem Gesetz zu vereinbaren. 12 Die Rückverlegung eines Gefangenen aus der Sozialtherapie in die allgemein zuständige Anstalt ist nur aus Gründen erlaubt, die „in der Person des Gefangenen liegen“. Hier ist zunächst daran zu denken, dass der Gefangene hartnäckig bei seiner Entscheidung gegen die Therapie bleibt oder dass er seine Mitarbeit dabei einstellt. Wie aber ist bei schweren Verstößen gegen die Hausordnung zu verfahren, wenn der Gefangene in der Anstalt gewalttätig wird oder gegen andere fundamentale Verhaltensregeln wie das Alkoholverbot oder das Drogenverbot verstößt? Derartige Verhaltensweisen sind im Blick auf den Zweck der Behandlung zu bewerten. Sind es durch die Behandlung ausgelöste Reaktionen, die im Zuge weiterer Behandlung aufgearbeitet werden können, so sollte eine Rückverlegung nicht erfolgen. Etwas anderes gilt, wenn die genannten Störungen deutliche Hinweise auf die Behandlungsunfähigkeit sind. Die Anwendung dieser Vorschrift wirft schwierige rechtliche Fragen auf. Zugleich stellt sie den Anstalten neue Aufgaben. In der Vergangenheit führten Konflikte, wie oben beispielhaft genannt, zur Verlegung und damit dazu, dass die sozialtherapeutische Anstalt dieses Problem loswurde und dem ,Normalvollzug‘ überließ (Rdn. 15). Nun muss in solchen Fällen zunächst und verstärkt nach Lösungsmöglichkeiten im Rahmen der Therapie gesucht werden. – Nur für die seltenen Grenzfälle erhöhter Fluchtgefahr sowie die häufigeren Fälle der Gefahr für die Sicherheit und Ordnung der Anstalt gibt § 85, der ebenso wie § 8 nach Abs. 3 auch für Sexualstraftäter gilt, eine klare Antwort und erlaubt die Rückverlegung. Nicht möglich ist dagegen eine Rückverlegung aus Zweckmäßigkeitserwägungen oder Belegungsschwierigkeiten der sozialtherapeutischen Einrichtung, etwa bei einer beabsichtigten Unterbrechung einer Therapie eines therapiewilligen und -fähigen Gefangenen mit einer langen Haftstrafe (LG Stuttgart NStZ-RR 2001, 255 f). Auch aus therapeutischen Gründen ist eine derartige Unterbrechung und spätere Wiederaufnahme einer Therapie abzulehnen. Die Sorge, dass sich durch solche Gefangene Probleme für die Anstalten ergeben werden, weil diese Therapieplätze auf Dauer blockieren könnten, ist jedoch unbegründet. Das Gesetz verlangt nämlich nicht, dass ein Gefangener auch nach erfolgreich beendeter Behandlung in der sozialtherapeutischen Anstalt verbleiben muss, vielmehr ist dann ein legitimer Grund (Zweckerreichung) für die Verlegung in eine andere Anstalt gegeben. Allerdings sollte dort durch eine entsprechende Nachbetreuung, am besten durch das Personal der sozialtherapeutischen Anstalt, der Erfolg der Therapie stabilisiert und gesichert werden (vgl. Anm. Rotthaus in ZfStrVo 2002, 182 f; s. auch § 6 Rdn. 34). Grundsätzlich zwingt Abs. 1 die Länder dazu, soweit erforderlich neue sozialtherapeutische Anstalten einzurichten und durch Umsetzung und Einstellung von Fachpersonal die Voraussetzungen für die nach § 6 Abs. 2 Satz 2 besonders gründliche Prüfung der Behandlungsindikation und für die Behandlung der Sexualstraftäter zu schaffen. Darüber hinaus entspricht es dem Sinn dieses Gesetzes, dass alle Bundesländer auch nach anderen, zusätzlichen Wegen suchen, den Sexualstraftätern zu einer BehandEgg
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lung zu verhelfen. Ein Weg, der sich in vielen Anstalten bereits bewährt hat, ist die therapeutische Behandlung eines Gefangenen in der für ihn allgemein zuständigen Anstalt durch behandlungsorientierte Gruppenprogramme, die auch von externen Therapeuten geleitet werden können. Damit kann auch dem zurzeit im Vollzug noch herrschenden Mangel an einschlägig erfahrenen Therapeuten begegnet werden. Auch wenn die Psychotherapie in den Händen eines Therapeuten von draußen liegt, genügt es nicht, lediglich den technischen Rahmen der Behandlung in der Anstalt zu organisieren. Die betreffenden Gefangenen müssen durch einen Psychologen oder eine andere Fachkraft in der Anstalt begleitet und betreut werden. Diese Organisationsform nach dem ,Importmodell‘ (Egg 1984, 121) braucht nicht eine Notlösung an Stelle der noch nicht durchführbaren Verlegung in eine sozialtherapeutische Einrichtung zu sein. Sie kann durchaus Vorteile haben. Der Gefangene bleibt in einer Anstalt, die vielleicht heimatnäher gelegen ist oder die günstigere Voraussetzungen für seine berufliche Beschäftigung oder für seine Fortbildung bietet. Auch für die Vollzugsorganisation des Landes sind Vorteile denkbar. Andere behandlungsbedürftige Gefangene als Sexualstraftäter können einen Platz in einer sozialtherapeutischen Einrichtung erhalten. Die Einrichtungen selbst werden nicht zu therapeutischen ,Monokulturen‘, die überwiegend oder gar ausschließlich mit behandlungsbedürftigen Sexualstraftätern belegt sind. Derartige Spezialeinrichtungen könnten nämlich für die Gestaltung des Alltags spezifische Schwierigkeiten mit sich bringen. Auf jeden Fall ist das Leben dort noch weiter von Normalität (§ 3 Abs. 1) entfernt als das in anderen Vollzugsanstalten. Im Anschluss an diese Möglichkeiten einer Therapie im Normalvollzug stellt sich die Frage, ob diese Art der Behandlung von Sexualstraftätern die Verlegung nach Abs. 1 selbst dann ersetzen kann, wenn in den sozialtherapeutischen Einrichtungen ein Behandlungsplatz zur Verfügung steht. Die Frage ist grundsätzlich zu bejahen. Wenn ein Gefangener ebenso gut oder besser anderswo als in der Sozialtherapie behandelt werden kann, so ist die „Behandlung in einer sozialtherapeutischen Anstalt“ nicht angezeigt. Die Indikation nach Abs. 1 ist nur gegeben, wenn sie zur Erreichung des Vollzugsziels (§ 2 Satz 1) erforderlich ist. Von der Verlegung sind also nicht nur Gefangene auszuschließen, die nicht behandlungsfähig sind. Dasselbe gilt für diejenigen von ihnen, die – aus welchen Gründen auch immer – einer Behandlung in einer sozialtherapeutischen Einrichtung nicht bedürfen (so auch der Bericht des Rechtsausschusses vom 13.11.1997, BT-Drucks. 13/9062, 13). Die vorstehenden Überlegungen zeigen, dass § 9 eine Anzahl von Rechtsfragen 13 aufwirft. Unabhängig von seiner kriminalpolitischen Fragwürdigkeit (Rdn. 2) ist die Novelle auch gesetzestechnisch nicht ausgereift. In der Vergangenheit waren Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Aufnahme in die sozialtherapeutische Anstalt nur selten Gegenstand gerichtlicher Entscheidungen gewesen. Die Vorschrift des § 9 Abs. 1 a. F. räumte den Gefangenen nämlich nur eine schwache Position ein (Rdn. 14). Das ist durch die Neuregelung grundlegend verändert worden. Wie zu erwarten, haben einige als Sexualstraftäter Verurteilte Ansprüche auf Verlegung und auf therapeutische Behandlung geltend gemacht, wenngleich nicht immer in der von ihnen gewünschten Weise entschieden wurde (z. B. LG Aachen 33 Vollz 134/05): Die bisherigen Verfahren haben jedenfalls zur Klärung einiger wichtiger Rechtsfragen (z. B. Anspruch auf Behandlung, Behandlungsunfähigkeit, Voraussetzungen für die Verlegung, örtliche Zuständigkeit) beigetragen. Dennoch sollten sich die Landesjustizverwaltungen die praktische Umsetzung von § 9 Abs. 1 nicht – wie manchmal geschehen – von den Gerichten abringen lassen, sondern stets im Sinne des gesetzgeberischen Zieles handeln, möglichst vielen Sexualstraftätern möglichst bald zu therapeutischer Behandlung zu verhelfen. 185
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2. Die Voraussetzungen für die Aufnahme nach Abs. 2. Nach § 7 Abs. 2 Ziff. 2 ist bei der Erstellung des Vollzugsplanes in jedem Fall zu prüfen, ob der Gefangene in eine sozialtherapeutische Anstalt zu verlegen ist. Für Gefangene, die nicht zu den in Abs. 1 genannten Sexualstraftätern gehören, ist die Frage nach Abs. 2 zu entscheiden. Diese Vorschrift ist durch die Novelle anders formuliert worden; inhaltliche Änderungen gegenüber § 9 Abs. 1 a. F. waren nicht beabsichtigt. Als Bestandsgarantie (Böhm 1985) gewinnt die Vorschrift freilich an Bedeutung. Die Landesjustizverwaltungen sind weiterhin verpflichtet zu gewährleisten, dass auch andere behandlungsbedürftige Gefangene als Sexualstraftäter in eine sozialtherapeutische Anstalt aufgenommen werden können. Die Sozialtherapie darf nicht auf die Behandlung von Sexualstraftätern eingeengt werden. Im Gegensatz zu Abs. 1 sind die Voraussetzungen für die Aufnahme so vage umschrieben, dass eine Rechtskontrolle schwierig ist. So hat das OLG Celle erwogen, „dass der Vollzugsbehörde auch im Rahmen der Indikation nach § 9 Abs. 1 Satz 1“ (a. F.) in Anlehnung an die Rechtsprechung des BGH zur Gefahrenprognose nach § 11 Abs. 2 StVollzG (NStZ 1982, 173) „ein Beurteilungsspielraum zusteht“ (NStZ 1984, 142; zutreffend dagegen i. S. uneingeschränkter gerichtlicher Kontrolle AK-Kamann/Spaniol 2012 § 115 Rdn. 27 ff). Bejaht das Gericht die Indikation, so kann bei der Ausübung des Folgeermessens die Entscheidung immer noch negativ ausfallen, weil die für den konkreten Gefangenen erforderlichen therapeutischen Mittel und Hilfen in der zuständigen Einrichtung nicht zur Verfügung stehen (LG Aachen NStZ 1993, 149), oder einfach deshalb, weil die Behandlungsplätze auf absehbare Zeit besetzt sind. Zur Indikation vgl. auch OLG Karlsruhe NStZ 1997, 302 und § 6 Rdn. 33.
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a) Anders als nach Abs. 1 bedarf die Verlegung hier der Zustimmung des Gefangenen. Dieser Grundsatz wurde von allen sozialtherapeutischen Einrichtungen beachtet, bevor er durch das StVollzÄndG von 1984 („mit seiner Zustimmung“) ausdrücklich festgelegt wurde (hierzu krit. Böhm 1985). Entsprechendes muss auch für die einzelnen Behandlungsangebote, insbesondere für die Psychotherapie, gelten. Sachliche Gründe gibt es für eine unterschiedliche Regelung des Zustimmungserfordernisses der Sexualstraftäter und der anderen sozialtherapeutischer Behandlung bedürftigen Gefangenen jedoch nicht (Rdn. 10). Auch für sie kann eine Heranführung an die therapeutische Behandlung sinnvoll sein.
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b) Die Aufnahme in die sozialtherapeutische Anstalt bedarf nach Abs. 2 Satz 2 wie bisher nach Abs. 2 a. F. der Zustimmung des Leiters der sozialtherapeutischen Anstalt. Die Voraussetzungen, unter denen er seine Zustimmung zu erteilen hat, sind nicht normiert und nie normiert gewesen. Der Anstaltsleiter hat das Vorliegen der Voraussetzungen für die Aufnahme deshalb nach pflichtmäßigem Ermessen zu prüfen und demgemäß zu entscheiden. Auf diese Weise soll sichergestellt werden, dass die Fachkunde des Leiters der Sozialtherapie die Aufnahmeentscheidungen bestimmt. Es soll damit auch verhindert werden, dass Gefangene, die nach Auffassung anderer Anstalten behandlungsbedürftig sind, in die sozialtherapeutische Anstalt abgeschoben werden. Diese Gefahr einer Verlegungsentscheidung aus sachfremden Gründen ist aber auch bei Sexualstraftätern nicht ganz auszuschließen. Sachliche Gründe gibt es daher ebenso wenig für eine unterschiedliche Regelung des Zustimmungserfordernisses des Anstaltsleiters nach Abs. 1 und Abs. 2 (Rdn. 11). In gleicher Weise wie bei den Sexualstraftätern ist es möglich, dass die Verlegungsentscheidung durch die Aufsichtsbehörde oder die von ihr bestimmte zentrale Stelle (§ 153) getroffen wird (C/MD 2008 Rdn. 11). Für manche Bundesländer gelten Verwaltungsvorschriften, die das vorsehen. Doch berücksichtigen die danach zur Entscheidung berufenen Stellen die gutachterliche Äußerung der Anstalt. Egg
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c) Die Rückverlegung von in die Sozialtherapie aufgenommenen Gefangenen im 17 Falle eines voraussichtlichen Misserfolgs der Behandlung ist für die Sexualstraftäter in Abs. 1 Satz 2 ausdrücklich geregelt. Allerdings hat Abs. 2 weder diese enge Rückverlegungsvorschrift noch die des Abs. 1 Satz 2 a. F. übernommen, die eine hohe Rückverlegungsquote ermöglichte. Da Abs. 2 das Zustimmungserfordernis des Leiters der sozialtherapeutischen Anstalt für die Aufnahme beibehalten hat, liegt auch der actus contrarius, die Rückverlegung, in seinem pflichtmäßigen Ermessen. Auf eine ausdrückliche Regelung konnte verzichtet werden, da Abs. 1 Satz 2 a. F. im Grunde Selbstverständliches aussagte und keinen Einfluss auf die unerwünscht häufigen Rückverlegungen hatte. Voraussetzung für die Rückverlegung war, dass mit den besonderen therapeutischen Mitteln und sozialen Hilfen in der sozialtherapeutischen Anstalt voraussichtlich kein Erfolg erzielt werden konnte. Die Rückverlegung eines zur Behandlung aufgenommenen Insassen in den ,Normalvollzug‘ ist ein Problem, das die sozialtherapeutischen Anstalten von Beginn an begleitet. (Für den von Anstalt zu Anstalt unterschiedlichen Umfang der Rückverlegungen von 20–60% Egg 1993, Synopse der sozialtherapeutischen Einrichtungen Tabelle 20, Zurückverlegung in den Normalvollzug, S. 176 f). Einerseits müssen Gefangene, die gegen Basisregeln des Zusammenlebens grob oder wiederholt verstoßen oder andere Hinweise auf Behandlungsunfähigkeit oder Behandlungsunwilligkeit zeigen, aus der sozialtherapeutischen Einrichtung verlegt werden, damit sie die kostbaren Plätze dort nicht blockieren. Andererseits bestand wegen der wenig verbindlichen Fassung der Rückverlegungsvorschrift von Abs. 1 Satz 2 a. F. die Gefahr, dass Insassen ebenso wie Behandler übereilt handelten. Schwankungen in Motivation und Mitarbeit gehören zur Entwicklung eines jeden Klienten in der Psychotherapie. Selbst schwere Verstöße gegen die Basisregeln können Anzeichen einer vorübergehenden Krise sein. Das Problem kann aber auch bei den Therapeuten liegen. Bei Behandlungskrisen projiziert das Personal bisweilen Störungen der Zusammenarbeit auf den Gefangenen und betreibt die Verlegung in der Hoffnung, auf diese Weise die eigenen Schwierigkeiten zu bewältigen. Vor der Verlegungsentscheidung sind deshalb die Auswirkungen der Verlegung für den Gefangenen und für die Anstalt sorgfältig abzuwägen. Manchmal ist es besser, die Therapieziele neu und bescheidener zu formulieren. Besonders wenn der Zeitpunkt der Entlassung nicht mehr fern liegt, sollte von einer Rückverlegung abgesehen werden. Dann wird die sozialtherapeutische Anstalt immerhin noch eine sorgfältigere Entlassungsvorbereitung durchführen können als die meisten personell weniger gut besetzten Vollzugsanstalten. Die Rückverlegung gegen den Willen des Insassen darf nur aus zwingenden Gründen erfolgen. Sie kann nämlich zu der weiteren Stigmatisierung führen, selbst in der Sozialtherapie versagt zu haben. Rückfalluntersuchungen zeigen, dass Rückverlegte besonders schnell und schwer rückfällig werden (Lösel 1996). Es wäre deshalb sachgerecht gewesen, die eingeschränkte Rückverlegungsmöglichkeit nach Abs. 1 Satz 2 nicht nur für die Sexualstraftäter, sondern auch für die anderen Insassen der sozialtherapeutischen Anstalten einzuführen. Dem Antrag des Gefangenen, der ernsthaft und nachdrücklich seine Rückverlegung in den Normalvollzug verlangt, ist, den Überlegungen zur Freiwilligkeit der Aufnahme (Rdn. 15) entsprechend, zu folgen. Geschieht das zu einem Zeitpunkt, an dem der Insasse über die Inhalte therapeutischer Behandlung und das Leben in der sozialtherapeutischen Anstalt umfassend informiert ist, ist die Rückverlegung auch sachlich gerechtfertigt. Von den Fällen der voraussichtlichen Erfolglosigkeit der Behandlung abgesehen, kann ein Gefangener auch nach den allgemeinen Vorschriften des § 8 oder nach § 85 in eine „zu seiner sicheren Unterbringung besser geeignete Anstalt“ verlegt werden. Die 187
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Vorschrift (Abs. 3) gilt für Sexualstraftäter und für andere Insassen von sozialtherapeutischen Anstalten. Sie dient der Klarstellung und gilt auch für die in § 8 nicht genannten Verlegungsgründe (vgl. Rdn. 1 zu § 8). Wenn in Abs. 2 Satz 2 ausdrücklich der Anstaltsleiter genannt wird, bedeutet das 18 nicht, dass die Entscheidung über die Aufnahme (und entsprechend über die Rückverlegung) sein „einsamer Entschluss“ sein müsste. Zu den Grundelementen sozialtherapeutischer Arbeit gehört im Gegenteil, dass alle wichtigen Entscheidungen in Konferenzen getroffen werden (OLG Celle NStZ 1984, 142). Gerade bei den Entscheidungen über Aufnahme und Rückverlegung ist der Anstaltsleiter auf einen möglichst breiten Konsens unter den Mitarbeitern angewiesen. Die Behandlung wird kaum erfolgreich anlaufen können, wenn die Mehrzahl der Mitarbeiter der Aufnahme des Gefangenen ablehnend gegenübersteht. Umgekehrt kann der Abbruch der sozialtherapeutischen Behandlung gegen den Willen der Mitarbeiter zu Spannungen und zu Krisen in der Zusammenarbeit führen, weil durch die Verlegungsentscheidung Beziehungen der Mitarbeiter zum Klienten zerschnitten werden. III. Landesgesetze und Musterentwurf 19
1. Baden-Württemberg. § 8 JVollzGB III entspricht § 9 StVollzG, enthält jedoch mehrere inhaltliche Veränderungen: Nach Abs. 1 Satz 1 sollen Gefangene „in eine sozialtherapeutische Einrichtung verlegt werden, wenn deren besondere therapeutischen Mittel und sozialen Hilfen zu ihrer Resozialisierung angezeigt und erfolgversprechend sind, von ihnen ohne Behandlung erhebliche Straftaten zu erwarten sind und die Anstaltsleiterin oder der Anstaltsleiter der sozialtherapeutischen Einrichtung zustimmt.“ Damit wird auf die in § 9 StVollzG enthaltene Beschränkung auf Sexualstraftäter verzichtet, maßgeblich für eine Verlegung sind dagegen das Risiko erneuter erheblicher Straftaten „ohne Behandlung“ (Rückfallwahrscheinlichkeit), die Erforderlichkeit und Geeignetheit einer sozialtherapeutischen Behandlung (Behandlungsindikation) und die entsprechende Erfolgswahrscheinlichkeit. Eine Verpflichtung zur Verlegung bzw. ein entsprechender Rechtsanspruch von Gefangenen besteht dagegen, anders als im StVollzG geregelt, nicht. Gefangene haben danach lediglich einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung (Arloth 2011, Rdn. 1). Weiterhin bedarf es für eine solche Verlegung, ähnlich wie in § 9 Abs. 2 StVollzG, der Zustimmung der Anstaltsleiterin oder des Antstaltsleiters der sozialtherapeutischen Einrichtung. Lediglich in den Fällen, in denen „die Entscheidung über Verlegungen in eine sozialtherapeutische Einrichtung einer zentralen Stelle übertragen“ ist, entfällt das Erfordernis dieser Zustimmung (Abs. 1 Satz 2). Damit ist offenbar die zentrale Diagnose- und Prognoseabteilung der JVA Offenburg gemeint (siehe www.jva-offenburg.de). Abs. 2 lautet: „Vor einer Verlegung ist die Bereitschaft der Gefangenen zur Teilnahme an therapeutischen Maßnahmen zu wecken und zu fördern.“ Diese Bestimmung zur Förderung der Therapiemotivation ist zwar neu, sie wiederholt und verstärkt aber lediglich die schon in § 3 JVollzGB III (ähnlich wie auch in § 4 StVollzG) enthaltene allgemeine Vorschrift zur Förderung der Bereitschaft von Gefangenen „an ihrer Behandlung und an der Erreichung des Vollzugsziels“ mitzuwirken. Abs. 3 entspricht inhaltlich § 9 Abs. 1 Satz 2 StVollzG. Abs. 4 entspricht inhaltlich § 9 Abs. 3 StVollzG.
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2. Bayern. Art. 11 BayStVollzG entspricht § 9 StVollzG, enthält aber einige inhaltliche Veränderungen: Egg
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Abs. 1 ist nahezu wortgleich mit § 9 Abs. 1 StVollzG. Anders als dieser betrifft er aber auch Sexualstraftäter, die zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt worden sind. Die Zurückverlegung ist in einem eigenen Abs. 4 geregelt. Abs. 2 wurde verändert und lautet: „Andere Gefangene, von denen schwerwiegende Straftaten gegen Leib oder Leben oder gegen die sexuelle Selbstbestimmung zu erwarten sind, sollen in eine sozialtherapeutische Einrichtung verlegt werden, wenn deren besondere therapeutische Mittel und soziale Hilfen zu ihrer Resozialisierung angezeigt sind.“ Diese Soll-Vorschrift gilt bis einschließlich 31.12.2012 lediglich als Kann-Bestimmung (Art. 210 Abs. 2 BayStVollzG). Grundlage für die Verlegung ist eine prognostische Einschätzung der Gefährlichkeit des Gefangenen. Auf die Zustimmung des Leiters der sozialtherapeutischen Einrichtung zur Verlegung wird verzichtet. Insgesamt verstärkt diese Vorschrift die Anwendungsmöglichkeit sozialtherapeutischer Maßnahmen für „andere Gefangene“, gleichzeitig wird der dafür in Frage kommende Personenkreis enger gefasst. Abs. 3 ist neu und lautet: „Vor einer Verlegung nach Abs. 1 oder 2 ist die Bereitschaft der Gefangenen zur Teilnahme an therapeutischen Maßnahmen zu wecken und zu fördern.“ Damit obliegt es der abgebenden Anstalt, nicht mehr der sozialtherapeutischen Einrichtung (OLG Celle 1 Ws 91/07), Motivation und Mitarbeitsbereitschaft geeigneter Gefangener zu stärken. Abs. 4 entspricht § 9 Abs. 1 Satz 2 StVollzG, bezieht sich aber nicht nur auf eine mögliche Zurückverlegung, sondern erweitert dessen Anwendung auch auf eine damit zu versagende Verlegung. 3. Hamburg. § 10 HmbStVollzG entspricht § 9 StVollzG, enthält aber einige inhaltli- 21 che Veränderungen. Das Gesetz spricht anders als das StVollzG konsequent von sozialtherapeutischen Einrichtungen, die nach § 99 HmbStVollzG „eigenständige Anstalten oder getrennte Abteilungen“ sein können. Des Weiteren gibt es folgende Änderungen: Abs. 1 ist nahezu wortgleich mit § 9 Abs. 1 StVollzG. Anders als dieser betrifft er aber auch Sexualstraftäter, die zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt worden sind. Die Zurückverlegung ist in einem eigenen Abs. 3 geregelt. Abs. 2 entspricht inhaltlich § 9 Abs. 2 StVollzG. Abs. 3 entspricht § 9 Abs. 1 Satz 2 StVollzG, bezieht sich aber nicht nur auf eine mögliche Zurückverlegung, sondern erweitert dessen Anwendung auch auf eine damit zu versagende Verlegung. Dabei gilt jedoch für die Verlegung von Gefangenen nach Abs. 1 eine regelmäßig neu zutreffende Entscheidung „jeweils spätestens nach Ablauf von sechs Monaten“. Abs. 4 entspricht inhaltlich § 9 Abs. 3 StVollzG. 4. Hessen. § 12 HStVollzG regelt die Verlegung in eine sozialtherapeutische Anstalt. 22 Neben Bestimmungen und Regelungen, die aus dem StVollzG vollständig übernommen wurden, unter anderem auch die konsequente Verwendung des Begriffes „Anstalt“ anstelle des breiteren Begriffes „Einrichtung“, finden sich auch einige Unterschiede: Abs. 1 Satz 1 entspricht § 9 Abs. 1 Satz 1 StVollzG, wobei die Regelung über die Mindeststrafe der jeweils zu verbüßenden Freiheitsstrafe erst in Abs. 2 festgelegt ist. Danach sind Verurteilte nach Sexualdelikten bei entsprechender Behandlungsindikation in eine sozialtherapeutische Anstalt zu verlegen; es besteht also ein entsprechender Rechtsanspruch bei Erfüllung der Voraussetzungen. Satz 2 entspricht im Prinzip § 9 Abs. 2 StVollzG („andere Gefangene“), jedoch mit drei wichtigen Unterschieden: Es handelt sich um eine Soll-Regelung, nicht nur um eine Kann-Bestimmung; eine Zustimmung des Gefangenen wird dabei ebenso wenig vorausgesetzt wie die Zustimmung des Leiters der sozialtherapeutischen Anstalt. 189
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Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
Abs. 2 nennt einige zusätzliche Voraussetzungen für eine Verlegung in eine sozialtherapeutische Anstalt. Satz 1 beinhaltet dabei zunächst zwei Kriterien, bei deren Vorliegen eine Verlegung nach Abs. 1 „insbesondere“ in Betracht kommt. Genannt wird hier zunächst die Verurteilung „zu einer Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren auch als Gesamtstrafe“. Damit werden einerseits auch Verurteilte erfasst, bei denen erst durch die Bildung einer Gesamtstrafe diese 2-Jahres-Grenze überschritten wird, ferner Verurteilte mit einer lebenslangen Freiheitsstrafe, die § 9 StVollzG ausschließt („zeitige Freiheitsstrafe“). Als zweites Kriterium wird das Vorliegen einer „erheblichen Störung der sozialen und persönlichen Entwicklung“ angeführt, womit die bereits in Satz 1 genannte Behandlungsindikation spezifiziert wird. Indirekt wird dadurch auch die Notwendigkeit einer entsprechenden diagnostischen und prognostischen Beurteilung festgelegt. Satz 2 regelt, dass die Verlegung „nach Möglichkeit zu einem Zeitpunkt erfolgen (soll), der den Abschluss der Behandlung zum voraussichtlichen Entlassungszeitpunkt erwarten lässt“. Damit wird eine Empfehlung des „Arbeitskreises Sozialtherapeutische Anstalten im Justizvollzug e. V.“ aufgegriffen, der in seinen sog. Mindestanforderungen (1988, 2001, 2007) empfiehlt, die Verlegung in eine sozialtherapeutische Einrichtung „so zu planen, dass einerseits genügend Zeit für das besondere sozialtherapeutische Vorgehen zur Verfügung steht, andererseits bei einem günstigen Verlauf die Entlassung unmittelbar aus der sozialtherapeutischen Einrichtung erfolgen kann“ (aaO). Den von Arloth (2011, Rdn. 3) diesbezüglich genannten Bedenken ist insofern Rechnung zu tragen, dass namentlich bei der Behandlung von Verurteilten mit langen zeitigen oder lebenslangen Freiheitsstrafen sowie bei Gefangenen, bei denen zusätzlich Sicherungsverwahrung angeordnet wurde, geeignete Konzepte zu entwickeln bzw. anzuwenden sind, die einen optimalen Behandlungserfolg gewährleisten, z. B. spezielle behandlungsorientierte Abteilungen im Normalvollzug zur Vorbereitung auf bzw. Motivation zur Behandlung in einer sozialtherapeutischen Einrichtung. Abs. 3 Satz 1 entspricht § 9 Abs. 1 Satz 2 StVollzG. Satz 2 regelt, dass von dieser speziellen Möglichkeit der Rückverlegung andere Verlegungsgründe (nach § 11) unberührt bleiben. Abs. 4 hat im StVollzG keine Entsprechung. Er lautet: „Ist eine Unterbringung in einer sozialtherapeutischen Anstalt aus Gründen, die nicht in der Person der Gefangenen liegen, nicht oder noch nicht möglich, sind anderweitige therapeutische Behandlungsmaßnahmen zu treffen.“ Damit wird für jene Fälle, in denen z. B. wegen zeitweiliger Überbelegung der sozialtherapeutischen Anstalt eine Verlegung nicht oder noch nicht erfolgen kann, die Verpflichtung geschaffen, alternative Behandlungsmöglichkeiten im Normalvollzug bereitzustellen. Abs. 5 und 6 regeln Möglichkeiten der freiwilligen Wiederaufnahme Entlassener sowie Maßnahmen der nachgehenden Betreuung; sie entsprechen daher §§ 125 und 126 StVollzG (siehe dort). 23
5. Niedersachsen. Das NJVollzG fasst die speziellen Vorschriften für sozialtherapeutische Anstalten und Abteilungen in einem eigenständigen sechzehnten Kapitel (§§ 103– 106 NJVollzG) zusammen. Dabei entspricht § 104 NJVollzG inhaltlich § 9 StVollzG, er enthält neben der konsequenten Verwendung männlicher und weiblicher Geschlechtsbezeichnungen auch einige inhaltliche Veränderungen: Abs. 1 erweitert gegenüber dem StVollzG den Kreis der in eine sozialtherapeutische Anstalt zu verlegenden Gefangenen. So betrifft er einerseits auch Verurteilte mit lebenslanger Freiheitsstrafe und gilt andererseits nicht nur für Sexualstraftäter (Ziffer 1), sondern in gleicher Weise auch für Personen, die wegen „eines Verbrechens gegen das Egg
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Verlegung in eine sozialtherapeutische Anstalt
§9
Leben, die körperliche Unversehrtheit oder die persönliche Freiheit oder nach den §§ 250, 251, auch in Verbindung mit den §§ 252 und 255, StGB verurteilt worden“ sind (Ziffer 2). Des Weiteren ist die Verlegung davon abhängig, dass „die dortige Behandlung zur Verringerung einer erheblichen Gefährlichkeit der oder des Gefangenen für die Allgemeinheit angezeigt ist.“ Diese an § 66 b StGB angelehnte Formulierung impliziert eine zweifache prognostische Beurteilung: a) die Wahrscheinlichkeit neuer erheblicher Straftaten (Gefährlichkeit) und b) eine durch die sozialtherapeutische Behandlung zu erwartende Verringerung dieser Gefährlichkeit (Behandlungsindikation). Abs. 2 wurde gegenüber § 9 Abs. 2 StVollzG in zwei Punkten inhaltlich verändert und lautet: „Andere Gefangene können in eine sozialtherapeutische Anstalt verlegt werden, wenn der Einsatz der besonderen therapeutischen Mittel und sozialen Hilfen der Anstalt zur Erreichung des Vollzugszieles nach § 5 Satz 1 angezeigt ist.“ Damit ist eine Verlegung „anderer Gefangener“ weder von der Zustimmung des jeweiligen Gefangenen noch von der Zustimmung des Leiters der sozialtherapeutischen Einrichtung abhängig. Abs. 3 ist neu und lautet: „Die Verlegung soll zu einem Zeitpunkt erfolgen, der den Abschluss der Behandlung zum voraussichtlichen Entlassungszeitpunkt erwarten lässt.“ Eine ähnliche Regelung findet sich im HStVollzG (§ 12 Abs. 2 Satz 2) und im Musterentwurf (§ 17 Abs. 4 Satz 1). In der Gesetzesbegründung zu Abs. 3 heißt es: „Er schärft den Blick für den passenden Zeitpunkt des Beginns der Sozialtherapie: Diese soll auf die Entlassung hinführen, weil sie ihre Wirkung nach der Entlassung und nicht im Vollzug und für diesen entfalten soll. Sie darf darum nicht zu früh beginnen. Sie darf aber auch nicht verspätet beginnen, damit die Therapie noch während des Vollzuges abgeschlossen werden kann. Damit kommt eine Verlegung in eine sozialtherapeutische Einrichtung bei Gefangenen mit einer Vollzugsdauer von weniger als zwei Jahren in der Regel nicht in Betracht. Die Verlegung soll so geplant werden, dass der Abschluss der Therapie zum voraussichtlichen Entlassungszeitpunkt zu erwarten ist und der Gefangene aus der Sozialtherapie heraus entlassen wird“ (LT-Drucks. 15/3565, 95 f). Abs. 4 regelt die Rückverlegung von Gefangenen aus der Sozialtherapie in den Normalvollzug. Dabei entspricht Satz 1 inhaltlich § 9 Abs. 1 Satz 2 StVollzG. Neu ist Satz 2: „Die oder der Gefangene kann zurückverlegt werden, wenn sie oder er durch ihr oder sein Verhalten den Behandlungsverlauf anderer erheblich und nachhaltig stören.“ Damit soll nach der Gesetzesbegründung die therapeutische Arbeit in der Einrichtung, also das gesamte Setting und die Behandlung anderer Gefangener, abgesichert werden (LT-Drucks. 15/3565, 96). Abs. 5 entspricht inhaltlich § 9 Abs. 3 StVollzG. 6. Musterentwurf. Der Musterentwurf regelt die Verlegung in eine sozialtherapeuti- 24 sche Einrichtung in § 17, der somit grundsätzlich § 9 StVollzG entspricht. Anders als bei allen bisherigen Strafvollzugsgesetzen wird dabei zunächst in Abs. 1 eine Bestimmung des Begriffes Sozialtherapie in einer Art Präambel vorangestellt: „Sozialtherapie dient der Verringerung einer erheblichen Gefährlichkeit der Gefangenen. Auf der Grundlage einer therapeutischen Gemeinschaft bedient sie sich psychotherapeutischer, sozialpädagogischer und arbeitstherapeutischer Methoden, die in umfassenden Behandlungsprogrammen verbunden werden. Personen aus dem Lebensumfeld der Gefangenen außerhalb des Vollzugs werden in die Behandlung einbezogen.“ 191
Egg
§9
Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
Diese Definition entspricht der theoretischen Konzeption einer integrativen sozialtherapeutischen Straftäterbehandlung, wie sie in den vergangenen Jahrzehnten im deutschen Justizvollzug entwickelt wurde und auch in der einschlägigen Literatur ausführlich dargestellt ist (Baulitz et al. 1980, Driebold et al. 1984, Egg 1984, Egg 1993, Wischka et al. 2005, Wischka et al. 2012). Auch die vom Arbeitskreis für Sozialtherapeutische Anstalten (1988) entwickelten Mindestanforderungen reflektieren diese Entwicklung. Allerdings wird im Musterentwurf anders als im StVollzG den sozialtherapeutischen Abteilungen von vornherein ein größeres Gewicht zugesprochen als eigenständigen sozialtherapeutischen Anstalten (siehe ausführlicher unter § 123 StVollzG). Abs. 2 entspricht § 9 Abs. 1 StVollzG. Danach sind Gefangene in einer sozialtherapeutischen Abteilung unterzubringen, „wenn ihre Teilnahme an den dortigen Behandlungsprogrammen zur Verringerung ihrer erheblichen Gefährlichkeit angezeigt ist“. Entscheidendes Kriterium für eine Verlegung in die Sozialtherapie sollen danach nicht einzelne Straftatbestände und bestimmte Mindeststrafen sein, sondern ausschließlich eine Behandlungsindikation zur Reduzierung einer bestehenden „erheblichen Gefährlichkeit“. Diese wird in Satz 2 näher definiert: Sie liegt vor, „wenn schwerwiegende Straftaten gegen Leib oder Leben, die persönliche Freiheit oder gegen die sexuelle Selbstbestimmung zu erwarten sind“. Die Bestimmung dieser Gefährlichkeit setzt eine fundierte Kriminalprognose voraus. Die Verlegung in eine sozialtherapeutische Einrichtung ist In diesen Fällen für den Justizvollzug verpflichtend; für einen Gefangenen besteht bei Vorliegen der genannten Voraussetzung somit ein Rechtsanspruch auf Sozialtherapie. Aus kriminologischer Sicht erscheint diese Lösung günstiger als die zu sehr an formale Vorgaben geknüpfte Formulierung von § 9 Abs. 1 StVollzG, zumal dadurch der Kreis der betroffenen Gefangenen nicht auf Verurteilte nach Sexualdelikten begrenzt bleibt. Eine angemessene Umsetzung erfordert freilich entsprechende Diagnosestationen im Justizvollzug, die – wie z. B. in Baden-Württemberg – auch in einer einzigen Einrichtung zentralisiert sein können. Abs. 3 entspricht inhaltlich weitgehend § 9 Abs. 2 StVollzG. Auf das Erfordernis der Zustimmung des Gefangenen wird dabei jedoch ebenso verzichtet wie auf die Zustimmung des Leiters der sozialtherapeutischen Einrichtung. Abs. 4 regelt den Zeitpunkt einer Unterbringung in der Sozialtherapie. Nach Satz 1 soll dieser Termin „entweder den Abschluss der Behandlung zum voraussichtlichen Entlassungszeitpunkt erwarten“ lassen oder „die Fortsetzung der Behandlung nach der Entlassung“ ermöglichen. Ähnlich wie das NJVollzG (§ 104 Abs. 3) und das HStVollzG (§ 12 Abs. 2 Satz 2) wird dabei mit dem ersten Kriterium eine Empfehlung des Arbeitskreises Sozialtherapeutische Anstalten (1988, 2001, 2007) umgesetzt, wonach eine Verlegung in die Sozialtherapie so zu planen sei, dass einerseits genügend Zeit für das sozialtherapeutische Vorgehen zur Verfügung steht und andererseits die Entlassung unmittelbar aus der sozialtherapeutischen Einrichtung erfolgen kann. Die Anwendbarkeit des zweiten Kriteriums setzt freilich voraus, dass entsprechende Nachsorgeeinrichtungen bestehen, die eine anstaltsintern begonnene Behandlung extramural systematisch fortsetzen (können). Hierfür sollte eine enge Vernetzung und Abstimmung der intern und extern angebotenen Programme und Maßnahmen gegeben sein. Für die bezüglich des Entlassungszeitpunktes besonders schwierige Gruppe von Gefangenen, bei denen im Urteil Sicherungsverwahrung angeordnet oder vorbehalten wurde, bestimmt Satz 2, dass hier „die Unterbringung zu einem Zeitpunkt erfolgen (soll), der den Abschluss der Behandlung noch während des Vollzugs der Freiheitsstrafe erwarten lässt“. Der Musterentwurf setzt insoweit eine Regelung um, die nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 4.5.2011 durch den Gesetzgeber zu beachten ist (BVerfG, 2 BvR 2365/09, Rdn. 112), nämlich dass bei Personen mit angeordneter SicherungsverEgg
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Offener und geschlossener Vollzug
§ 10
wahrung „schon während des Strafvollzugs alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden (müssen), um die Gefährlichkeit des Verurteilten zu reduzieren“. Insbesondere muss danach „gewährleistet sein, dass etwa erforderliche psychiatrische, psycho- oder sozialtherapeutische Behandlungen, die oftmals auch bei günstigem Verlauf mehrere Jahre in Anspruch nehmen, zeitig beginnen, mit der gebotenen hohen Intensität durchgeführt und möglichst vor dem Strafende abgeschlossen werden (ultima-ratio-Prinzip)“. Abs. 5 entspricht inhaltlich § 9 Abs. 2 Satz StVollzG.
§ 10 Offener und geschlossener Vollzug § 10 Lindner Offener und geschlossener Vollzug (1) Ein Gefangener soll mit seiner Zustimmung in einer Anstalt oder Abteilung des offenen Vollzuges untergebracht werden, wenn er den besonderen Anforderungen des offenen Vollzuges genügt und namentlich nicht zu befürchten ist, dass er sich dem Vollzug der Freiheitsstrafe entziehen oder die Möglichkeiten des offenen Vollzuges zu Straftaten missbrauchen werde. (2) Im übrigen sind die Gefangenen im geschlossenen Vollzug unterzubringen. Ein Gefangener kann auch dann im geschlossenen Vollzug untergebracht oder dorthin zurückverlegt werden, wenn dies zu seiner Behandlung notwendig ist. VV 1 (1) Vom offenen Vollzug ausgeschlossen sind Gefangene, a) gegen die während des laufenden Freiheitsentzuges eine Strafe vollzogen wurde oder zu vollziehen ist, welche gemäß § 74 a GVG von der Strafkammer oder gemäß § 120 GVG vom Oberlandesgericht im ersten Rechtszug verhängt worden ist, b) gegen die Untersuchungs-, Auslieferungs- oder Abschiebungshaft angeordnet ist, c) gegen die eine vollziehbare Ausweisungsverfügung für den Geltungsbereich des Strafvollzugsgesetzes besteht und die aus der Haft abgeschoben werden sollen, d) gegen die eine freiheitsentziehende Maßregel der Besserung und Sicherung oder eine sonstige Unterbringung gerichtlich angeordnet und noch nicht vollzogen ist. (2) In den Fällen des Absatz 1 Buchstaben a, c und d sind Ausnahmen mit Zustimmung der Aufsichtsbehörde zulässig. In den Fällen des Buchstabens a ist die Vollstreckungsbehörde, des Buchstabens d das zuständige Gericht zu hören; in den Fällen des Buchstabens c bedürfen Ausnahmen des Benehmens mit der zuständigen Ausländerbehörde. 2 (1) Für die Unterbringung im offenen Vollzug ungeeignet sind in der Regel namentlich Gefangene, a) die erheblich suchtgefährdet sind, b) die während des laufenden Freiheitsentzuges entwichen sind, eine Flucht versucht, einen Ausbruch unternommen oder sich an einer Gefangenenmeuterei beteiligt haben, c) die aus dem letzten Urlaub oder Ausgang nicht freiwillig zurückgekehrt sind oder bei denen zureichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür gegeben sind, dass sie während des letzten Urlaubs oder Ausgangs eine strafbare Handlung begangen haben, 193
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§ 10
Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
d) gegen die ein Ausweisungs-, Auslieferungs-, Ermittlungs- oder Strafverfahren anhängig ist, e) bei denen zu befürchten ist, dass sie einen negativen Einfluss ausüben, insbesondere die Erreichung des Vollzugszieles bei anderen Gefangenen gefährden würden. (2) Ausnahmen von Absatz 1 können zugelassen werden, wenn besondere Umstände vorliegen; die Gründe hierfür sind aktenkundig zu machen. In den Fällen des Buchstaben d ist die zuständige Behörde zu hören. (3) Bei Gefangenen, gegen die während des laufenden Freiheitsentzuges eine Strafe wegen grober Gewalttätigkeiten gegen Personen, wegen einer Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung oder wegen Handels mit Stoffen im Sinne des Gesetzes über den Verkehr mit Betäubungsmitteln vollzogen wurde oder zu vollziehen ist oder die im Vollzug in den begründeten Verdacht des Handels mit diesen Stoffen oder des Einbringens dieser Stoffe gekommen sind, bedarf die Frage, ob eine Unterbringung im offenen Vollzug zu verantworten ist, besonders gründlicher Prüfung. Dies gilt auch für Gefangene, über die Erkenntnisse vorliegen, dass sie der organisierten Kriminalität zuzurechnen sind. 3 (1) Ein Gefangener, der sich im offenen Vollzug befindet, ist in den geschlossenen Vollzug zurückzuverlegen, wenn a) er seine Zustimmung zur Unterbringung im offenen Vollzug zurücknimmt, b) er sich für den offenen Vollzug als nicht geeignet erweist, c) Umstände bekannt werden, die nach Nummer 1 einer Unterbringung im offenen Vollzug entgegengestanden hätten. (2) Dem Gefangenen ist Gelegenheit zur Äußerung zu geben. Die Gründe für die Verlegung sind aktenkundig zu machen und dem Gefangenen bekannt zu geben. (3) Die Verlegung in den geschlossenen Vollzug schließt eine erneute Unterbringung im offenen Vollzug nicht aus. 4 (1) Über die Verlegung in den offenen Vollzug sowie die (Rück-)Verlegung in den geschlossenen Vollzug entscheidet die von der Landesjustizverwaltung bestimmte Stelle. (2) Die Entscheidung über die Unterbringung eines zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilten Gefangenen ist in einer Konferenz nach § 159 StVollzG vorzubereiten. Über die Konferenz ist eine Niederschrift zu fertigen; gutachtliche Äußerungen sind aktenkundig zu machen. Die Unterbringung bedarf der Zustimmung der Aufsichtsbehörde. Schrifttum Eiermann Der offene Vollzug am Beispiel des Gustav-Radbruch-Hauses, in: Schwind/Blau 1988, 47 ff; Ittel Erfahrungen mit dem offenen Vollzug, in: Materialdienst der Evangelischen Akademie Bad Boll 9/1979, 15 ff; Ittel/Erzhöfer Erfahrungen mit dem offenen Vollzug, in: ZfStrVo 1980, 135 ff; Loos Die offene und halboffene Anstalt im Erwachsenenstraf- und Maßregelvollzug, Stuttgart 1970
I. II.
Übersicht Allgemeine Hinweise ____ 1–5 Erläuterungen ____ 6–14 1. Unterbringung im offenen Vollzug ____ 6–11
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a) Einweisung in den offenen Vollzug ____ 6 b) Sollvorschrift ____ 7 c) Zustimmung des Gefangenen ____ 8–11
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Offener und geschlossener Vollzug
III.
d) Eignungsprüfung ____ 9–11 aa) Besondere Anforderungen des offenen Vollzuges ____ 10 bb) Flucht- und Missbrauchsgefahr ____ 11 2. Unterbringung im geschlossenen Vollzug ____ 12–14 a) Ungeeignete Gefangene ____ 12 b) Behandlungsnotwendigkeit ____ 13 c) Rückverlegung ____ 14 Landesgesetze und Musterentwurf ____ 15–20 1. Baden-Württemberg ____ 15 a) Verlegungsvoraussetzungen ____ 15 b) Rückverlegung ____ 15 2. Bayern ____ 16
3.
4.
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a) Verlegungsvoraussetzungen ____ 16 b) Rückverlegung ____ 16 Hamburg ____ 17 a) Verlegungsvoraussetzungen ____ 17 b) Rückverlegung ____ 17 Hessen ____ 18 a) Verlegungsvoraussetzungen ____ 18 b) Weisungen ____ 18 c) Rückverlegung ____ 18 Niedersachsen ____ 19 a) Verlegungsvoraussetzungen ____ 19 b) Rückverlegung ____ 19 Musterentwurf ____ 20 a) Verlegungsvoraussetzungen ____ 20 b) Rückverlegung ____ 20
I. Allgemeine Hinweise Das Ziel des Vollzugs ist die Wiedereingliederung des Täters in die Rechtsgemeinschaft (§ 2 Rdn. 12 ff). Dieses Ziel lässt sich nur erreichen, wenn der Vollzug dem Gefangenen Übungsfelder für soziales Verhalten zur Verfügung stellt und ihn zu Selbstständigkeit, Eigenverantwortlichkeit und Aktivität befähigt. Ein besonders geeignetes Umfeld hierfür ist der offene Vollzug (§ 141 Rdn. 18). „Offen“ ist der Vollzug nach der Legaldefinition des § 141 Abs. 2 dann, wenn die ihn praktizierende Anstalt keine oder nur verminderte Vorkehrungen gegen Entweichungen vorhält. Im offenen Vollzug können deshalb bauliche und technische Sicherungsvorkehrungen, insbesondere Umfassungsmauer, Fenstergitter und besonders gesicherte Türen entfallen (VV Nr. 2 Abs. 1 Satz 1 zu § 141). Hinzu tritt im offenen Vollzug die Öffnung nach innen (VV Nr. 2 Abs. 2 zu § 141): Es gibt in der Regel keine ständige und unmittelbare Aufsicht. Den Gefangenen wird ermöglicht, sich nach Maßgabe der Hausordnung innerhalb der Anstalt frei zu bewegen. Die Außentüren der Unterkunftsgebäude können zeitweise unverschlossen, die Wohnräume der Gefangenen können auch während der Ruhezeit geöffnet bleiben. Die Gewährung von Lockerungen und Urlaub gemäß §§ 11 und 13 ist dagegen eine eigenständige Vollzugsentscheidung, die auch im geschlossenen Vollzug möglich ist. Insoweit kann sich auch eine Vollzugsanstalt des geschlossenen Vollzugs „öffnen“. Die Unterbringung eines Gefangenen im offenen Vollzug wird gesetzlich zu den Behandlungsmaßnahmen gezählt (vgl. § 7 Abs. 2 Nr. 1). Das Gesetz geht hier von einem sehr weiten Behandlungsbegriff aus, denn letztendlich ist der offene Vollzug nur ein jedoch wegen der Orientierung nach außen besonderes geeignetes Umfeld für begleitende Behandlungsangebote und unterstützende Maßnahmen. Die Unterbringung im offenen Vollzug kann zudem etwaigen schädlichen Folgen des Freiheitsentzuges entgegenwirken (vgl. § 3 Abs. 2). Der Aufenthalt Gefangener in einer geschlossenen Anstalt bringt gewöhnlich belastende Nebenfolgen des Freiheitsentzuges mit sich. Das Leben in einer geschlossenen Anstalt ist notwendigerweise stark reglementiert, die Möglichkeit des eigenverantwortlichen Handelns ist geringer. Insbesondere bei längerer Strafverbüßung können sich diese Einschränkungen auf die Persönlichkeit und das Verhalten des Gefangenen negativ auswirken. Zur unzureichenden Forschung über die Wirksamkeit des offenen Vollzugs siehe jedoch ausführlich Freise 4. Auflage Rdn. 10; Arloth 2011 Rdn. 1. Nach der Konzeption des StVollzG ist der offene Vollzug für geeignete Gefangene die Regelvollzugsform (BVerfG EuGRZ 2007, 238 ff; OLG Hamburg ZfStrVo 1980, 185; 195
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Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
OLG Celle ZfStrVo 1985, 374; KG StV 2002, 36 f; C/MD 2008 Rdn. 1; AK-Köhne/Lesting 2012 Rdn. 4; Arloth 2011 Rdn. 3). Dafür spricht der Wortlaut des § 10 Abs. 2 Satz 1: „Im Übrigen sind die Gefangenen im geschlossenen Vollzug unterzubringen.“ Niedersachsen, Bayern und Hessen haben in ihren Gesetzesbegründungen abweichend davon nunmehr den geschlossenen Vollzug zum Regelvollzug erklärt. Die rechtspolitische Diskussion zur Regelvollzugsform bleibt jedoch für die Praxis ohne Auswirkung. So wäre es, wenn der offene Vollzug zum Regelvollzug erklärt wird, konsequent, zumindest Gefangene, die sich dem Strafvollzug selbst stellen, für die Zeit im offenen Vollzug unterzubringen, in der ihre Eignung noch überprüft wird (ausführlich Freise, 4. Auflage, Rdn. 14; AKKöhne/Lesting 2012 Rdn. 4). Das BVerfG hat hierzu jedoch lediglich angemerkt, dass eine Eignungsprüfung im offenen Vollzug dem Resozialisierungsziel und der gesetzlichen Konzeption des offenen Vollzugs als Regelvollzug besonders wirksam Rechnung tragen würde, eine abweichende Einweisungspraxis jedoch nicht gerügt (BVerfG EuGRZ 2007, 238 ff; siehe aber OLG Frankfurt NStZ 2007, 173 ff; ausführlich Rdn. 6). Schließlich können die Anforderungen für die Verlegung in den offenen Vollzug aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht geändert werden, auch wenn der geschlossene Vollzug zum Regelvollzug erklärt wird. Hinsichtlich Flucht- und Missbrauchsgefahr fordert die Rechtsprechung, dass konkrete Anhaltspunkte dafür festgestellt werden müssen, dass diese Gefahren vorliegen, damit einem Gefangenen die Unterbringung im offenen Vollzug verwährt werden darf. (BVerfG NJW 1998, 1133 ff; OLG Karlsruhe StRR 2008, 76; KG Berlin StV 2010, 644 ff). Dieser Grundsatz kann gesetzlich nicht umgekehrt werden (in dem Sinne, dass Anhaltspunkte für eine positive Prognose verlangt werden), da die Rspr. ihn nicht aus dem Prinzip des offenen Vollzugs als Regelvollzugsform, sondern aus dem grundgesetzlich garantierten Resozialisierungsgebot ableitet (vgl. BVerfG aaO). Für die Diskussion über das juristische Regel-Ausnahme-Verhältnis ist schließlich das immer wieder herangezogene Zahlenverhältnis zwischen der tatsächlichen Belegung im offenen und geschlossenen Vollzug ohne jede Bedeutung (a. A. AK-Köhne/Lesting 2012 Rdn. 6). In der Praxis liegt bei der überwiegenden Anzahl der Gefangenen eine Flucht- bzw. Missbrauchsgefahr im Sinne des juristischen Ausnahmetatbestands vor, so dass sie eben nicht im Sinne des Regeltatbestands im offenen Vollzug untergebracht werden können. Die Anzahl der Gefangenen, die beim Vollzug der Freiheitsstrafe im offenen Voll5 zug untergebracht sind, ist in den Bundesländern sehr unterschiedlich (Quelle: Statistisches Bundesamt, Stichtag 31.11.2011): Baden-Württemberg Bayern Berlin Brandenburg Bremen Hamburg Hessen Mecklenburg-Vorpommern Niedersachsen Nordrhein-Westfalen Rheinland-Pfalz Saarland Sachsen Sachsen-Anhalt Schleswig-Holstein Thüringen
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von 5.059 Gefangenen 838 von 9.195 Gefangenen 681 von 3.502 Gefangenen 1.155 von 994 Gefangenen 211 von 497 Gefangenen 71 von 1.268 Gefangenen 211 von 4.002 Gefangenen 469 von 988 Gefangenen 122 von 4.017 Gefangenen 883 von 12.452 Gefangenen 3.546 von 2.571 Gefangenen 331 von 647 Gefangenen 115 von 2.823 Gefangenen 264 von 1.455 Gefangenen 72 von 941 Gefangenen 69 von 1.319 Gefangenen 66
= 16,6% = 17,4% = 33,0% = 21,2% = 14,2% = 16,6% = 11,7% = 12,3% = 18,1% = 28,5% = 12,9% = 17,8% = 19,4% = 14,9% = 17,3% = 15,0%
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Offener und geschlossener Vollzug
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Für das gesamte Bundesgebiet betrug die Quote der Strafgefangenen, die im offenen Vollzug untergebracht sind, am 31.11.2011 16,9%. II. Erläuterungen 1. Unterbringung im offenen Vollzug a) Einweisung in den offenen Vollzug. Gefangene können auf unterschiedliche 6 Weise in den offenen Vollzug kommen: In einigen Ländern legt der Vollstreckungsplan (§ 152) bestimmte Kriterien fest, unter denen der Gefangene den Vollzug direkt in einer offenen Anstalt antreten kann (vgl. die Zusammenstellung zur Praxis der Bundesländer in BVerfG EuGRZ 2007, 738 ff; zum Umgang mit Selbststellern speziell in Berlin ausführlich Freise 4. Auflage Rdn. 14). Für die Entscheidung der Frage, ob sich ein Gefangener für eine Unterbringung bzw. einen Verbleib im offenen Vollzug eignet, ist jedoch auch bei diesem Modell stets die Vollzugsbehörde zuständig (OLG Thüringen ZfStrVo 2004, 300 f). Ist eine Einweisungsanstalt oder -abteilung im Sinne des § 152 Abs. 2 Satz 1 vorhanden, trifft diese die Entscheidung über die Unterbringung im offenen Vollzug. Schließlich hat das BVerfG es gebilligt, dass alle Gefangenen zu Beginn der Vollstreckung regelhaft in den geschlossenen Vollzug geladen werden (vgl. hierzu auch Rdn. 4). Voraussetzung ist jedoch, dass die Verfahrensabläufe so geregelt sind, dass Nachteile für die erfolgreiche Resozialisierung, insbesondere ein drohender Arbeitsplatzverlust, durch zügige Entscheidungen über die Eignung für den offenen Vollzug vermieden werden (BVerfG EuGRZ 2007, 738 ff; im Anschluss OLG Sachsen-Anhalt FS 2009, 38 f; OLG Hamm NStZ-RR 2008, 357 ff; OLG Zweibrücken StraFo 2010, 129 ff). Allgemein ist nach § 7 bei der Vollzugsplanung alsbald nach Beginn der Strafverbüßung zu prüfen, ob sich der Gefangene für eine Unterbringung im offenen Vollzug eignet. Die Entscheidung ist gemäß § 7 Abs. 1 i. V. m. Abs. 2 Nr. 1 das Ergebnis der Behandlungsuntersuchung, welche von der Vollzugsbehörde vorzunehmen ist. Kann die Eignung zu diesem Zeitpunkt noch nicht bejaht werden, so ist die Prüfung nach einer angemessenen Frist gem. § 7 Abs. 3 Satz 2 zu wiederholen. Nicht wenige Gefangene sind für den Vollzug erst geeignet, nachdem sie im geschlossenen Vollzug ein geändertes Verhalten gezeigt und hier Maßnahmen durchlaufen haben. § 15 Abs. 2 und § 147 stellen den offenen Vollzug als besonders geeignete Vollzugsform für die Vorbereitung der Entlassung heraus. Gem. VV Nr. 4 Abs. 2 Satz 3 bedarf die Unterbringung eines zur lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilten Gefangenen im offenen Vollzug der Zustimmung der Aufsichtsbehörde. Der Leiter der offenen Anstalt ist an die Verlegungsentscheidung grundsätzlich gebunden und kann die Aufnahme des Gefangenen in den offenen Vollzug nicht mit Argumenten verweigern, die der abgebenden Anstalt im Zeitpunkt der Verlegung in den offenen Vollzug bereits bekannt waren (KG Beschl. vom 21.2.2002 – 5 Ws 1/02 Vollz). Die offene Anstalt kann die Aufnahme nur aus organisatorischen oder aus anderen Gründen ablehnen, die in der spezifischen Vollzugssituation der Anstalt begründet sind (OLG Frankfurt ZfStrVo 1985, 111 ff; Arloth 2011 Rdn. 2). b) Sollvorschrift. Nach Abs. 1 soll der Gefangene bei Eignung mit seiner Zustim- 7 mung im offenen Vollzug untergebracht werden. Der Gefangene hat dabei keinen Rechtsanspruch auf Unterbringung im offenen Vollzug, sondern lediglich ein Recht auf fehlerfreien Ermessensgebrauch. Die Sollvorschrift bedeutet jedoch, dass die Vollzugsbehörde bei positivem Ergebnis der Eignungsprüfung die Unterbringung im offenen Voll197
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zug wählen muss und nur in besonders begründeten Ausnahmefällen einen für den offenen Vollzug geeigneten Gefangenen im geschlossenen Vollzug unterbringen kann (OLG Zweibrücken ZfStrVo 1998, 179 f; OLG Frankfurt NStZ 1991, 55 f; C/MD 2008 Rdn. 2). Unzulässig ist es, auf fehlende Unterbringungsmöglichkeiten in einer bestimmten (offenen) Anstalt zu verweisen, falls in einer anderen Anstalt derartige Unterbringungsmöglichkeiten bestehen (OLG Frankfurt NStZ 1991, 55 f). Sieht der Vollzugsplan die Verlegung eines Gefangenen in den offenen Vollzug vor, kann dies die Vollzugsbehörde binden (vgl. KG NStZ 2007, 224 ff; Beschl. vom 19.1.2005 – 5 Ws 412/004; Arloth 2011 Rdn. 15; OLG Hamm NStZ 1986, 47; OLG Celle NStZ-RR 1998, 92 f – methodisch sachgerecht ist, die allgemeinen Rechtsgrundsätze der §§ 48, 49 VwVfG anzuwenden,vgl. Rdn. 14). 8
c) Zustimmung des Gefangenen. Voraussetzung für die Unterbringung eines Gefangenen im offenen Vollzug ist zunächst, dass er der Maßnahme zustimmt. Die Zustimmungsvoraussetzung soll dem Gefangenen nach dem Willen des Gesetzgebers ein gewisses Maß an Selbstbestimmung sichern (BT-Drucks. 7/918, 52). Verweigert der Gefangene seine Zustimmung oder widerruft er sie, ist das zugrunde liegende Motiv für die Frage der Wirksamkeit der Willenserklärung ohne Bedeutung. Besteht sein Motiv jedoch darin, die größeren Anforderungen des offenen Vollzugs vermeiden zu wollen, gehört es gem. § 4 Abs. 1 Satz 2 zur Aufgabe der Vollzugsbehörde, die Bereitschaft des Gefangenen zu wecken, seine Zustimmung zu einer Unterbringung im offenen Vollzug zu geben oder aufrechtzuerhalten (BT-Drucks. aaO; C/MD 2008 Rdn. 5; AK-Köhne/Lesting 2012 Rdn. 9). Niedersachsen, Hamburg und im Anschluss daran nunmehr auch Baden-Württemberg, Hessen und der Musterentwurf zum Strafvollzugsgesetz haben auf das Zustimmungserfordernis verzichtet. Dies ist sachgerecht (ebenso Arloth 2011 Rdn. 5, a. A. Freise 4. Auflage Rdn. 5; AK-Köhne/Lesting 2012 Rdn. 9). Zwar kann ein Gefangener, der gegen seinen Willen im offenen Vollzug untergebracht ist, durch sein eigenes Verhalten, z. B. durch einen Fluchtversuch, die gesetzlichen Unterbringungsvoraussetzungen entfallen lassen (s. Freise 4. Auflage, aaO). Die Praxis zeigt jedoch, dass es Gefangene gibt, denen lediglich die Veränderungsbereitschaft fehlt, den für die Eingliederung hilfreichen Schritt in den offenen Vollzug zu gehen, ohne dass deshalb bei ihnen eine Flucht oder ein Missbrauch zu befürchten wäre. Bei fehlender Zustimmung wird die Eignung für den offenen Vollzug aber besonders gründlich zu hinterfragen sein.
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d) Eignungsprüfung. Der Gefangene muss sich für eine Unterbringung im offenen Vollzug eignen. Eine Eignung ist dann zu bejahen, wenn davon ausgegangen werden kann, dass der Gefangene den besonderen Anforderungen des offenen Vollzuges genügen wird und nicht zu befürchten ist, dass er sich dem Vollzug der Freiheitsstrafe entziehen oder die Möglichkeiten des offenen Vollzuges zu Straftaten missbrauchen werde. Die Entscheidung, ob ein Gefangener für die Unterbringung im offenen Vollzug geeignet ist, lässt sich nur nach Abwägung der prognoserelevanten Umstände treffen. Es sind dabei auch das Vorleben des Gefangenen, etwaige frühere Straftaten, die Umstände und das Gewicht der Tat sowie die Tatmotivation, sein Verhalten und – soweit möglich – seine Persönlichkeitsentwicklung im Vollzug zu berücksichtigen (OLG Karlsruhe ZfStrVo 1985, 174). Den Vollzugsbehörden kommt bei der Prüfung der Eignung ein Beurteilungsspielraum zu. Der gerichtlichen Kontrolle unterliegt insofern nur die Frage, ob die Vollzugsbehörden die unbestimmten Rechtsbegriffe zur Eignung (Flucht- und Missbrauchsgefahr) richtig ausgelegt und angewandt sowie bei ihrer Prognoseentscheidung die Grenzen des eingeräumten Beurteilungsspielraums eingehalten haben (BVerfG Beschl. vom 1.4.1998 – 2 BvR 1951/96; BGHSt 30, 320 324 f; OLG Hamm ZfStrVo 2006, 369 ff; OLG Thüringen Beschl. vom 19.6.2006 – 1 Ws 156/06; zu weitgehend jedoch Hanseatisches OLG StV Lindner
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2005, 564 ff). Wegen des Beurteilungsspielraums sind die Gerichte z. B. gehindert, selbst ergänzende Gutachten zur Prüfung der Eignung einzuholen (OLG Hamm aaO). Zur inzidenten Prüfung vorangegangener vollzugsöffnender Maßnahmen im Rahmen der gerichtlichen Entscheidung über die vorzeitige Entlassung s. OLG Hamm Beschl. vom 11.2.2010 – 1 Ws (L) 479/09. aa) Der Gefangene muss zunächst den besonderen Anforderungen des offenen Voll- 10 zugs genügen. Besondere Anforderungen an den Gefangenen stellt der offene Vollzug, da hier das Leben im Vollzug den allgemeinen Lebensverhältnissen in großem Umfang angeglichen werden kann (vgl. Ittel/Erzhöfer 1980; Grunau/Tiesler 1982 Rdn. 6). Es ist deshalb notwendig, dass der Gefangene die Bereitschaft und Fähigkeit zur freiwilligen Einordnung mitbringt und willens ist, sich in ein System einbeziehen zu lassen, das auf Selbstdisziplin und Verantwortungsbewusstsein des Gefangenen beruht (BT-Drucks. 7/918, 51). Da im offenen Vollzug weniger Aufsicht geübt wird und wegen der größeren Ausweichmöglichkeiten Hafträume oftmals mehrfach belegt werden, muss der Gefangene ein Mindestmaß an Gemeinschaftsfähigkeit und Verträglichkeit mitbringen (Böhm 2003 Rdn. 149; K/S-Schöch 2002 § 7 Rdn. 30). Er muss gewillt und fähig sein, sich in die soziale Gemeinschaft des offenen Vollzuges einzugliedern (vgl. zu den Voraussetzungen Loos 1970, 169; Eiermann 1988, 52). Dies ist bei den Gefangenen nicht der Fall, bei denen zu befürchten ist, dass sie einen negativen Einfluss ausüben, insbesondere die Erreichung des Vollzugszieles bei anderen Gefangenen gefährden würden (vgl. VV Nr. 2 Abs. 1 Buchstabe e). Besondere Anforderungen an den Gefangenen stellt der offene Vollzug aber insbesondere „durch das Wechselspiel zwischen Haft und Freiheit“ (Walter 1999 Rdn. 170). Durch Freigang (§ 11 Abs. 1 Nr. 1), Ausgang (§ 11 Abs. 1 Nr. 2) und häufige Beurlaubungen (insbesondere nach §§ 13 und 15 Abs. 4) verfügt der Gefangene in der Regel über die Möglichkeit, sich tagsüber „in Freiheit aufzuhalten“, muss aber immer wieder zurückkehren. Diese Situation wird von vielen Gefangenen mit zunehmender Verweildauer im offenen Vollzug als starke Herausforderung empfunden, was zu einem Ansteigen der Versagensquote führen kann (Ittel 1979, 24). Als Kriterien, die bei der Frage, ob ein Gefangener den besonderen Anforderungen des offenen Vollzugs genügt, zu prüfen sind, werden in der Rechtsprechung folgende Punkte genannt: die charakterliche Befähigung zu korrekter Führung unter geringerer Beaufsichtigung als im geschlossenen Vollzug, die Aufgeschlossenheit gegenüber den gesteigerten Bemühungen des offenen Vollzuges in sozialpädagogischer Hinsicht, die Bereitschaft zur uneingeschränkten und loyalen Mitarbeit, ein bestimmtes Maß an Fähigkeiten und Bereitschaft zur Einordnung in die Gemeinschaft sowie die Rücksichtnahme auf Mitbewohner (OLG Koblenz ZfStrVo 1981, 319; OLG Karlsruhe ZfStrVo 1985, 174). Dabei führt jedoch die fehlende Mitarbeitsbereitschaft für sich noch nicht zur Ungeeignetheit eines Gefangenen für den offenen Vollzug (OLG Celle ZfStrVo 1985, 374). Zudem darf an die Fähigkeiten des Gefangenen kein allzu strenger Maßstab angelegt werden, da bei der Entscheidung über die Eignungsfrage auch zu prüfen ist, inwieweit die Unterbringung im offenen Vollzug das Vollzugsverhalten eines Gefangenen positiv beeinflussen und damit bewirken kann, dass der betreffende Gefangene den besonderen Anforderungen des offenen Vollzuges im vollen Umfang genügen wird (OLG Zweibrücken ZfStrVo 1990, 373 f; OLG Koblenz aaO; C/MD 2008 Rdn. 6). bb) Zudem darf keine Flucht- oder Missbrauchsgefahr bestehen. Die Anforderun- 11 gen an die Eignungsprüfung und die positive Sozialprognose nach § 57 StGB sind nicht deckungsgleich. Denn eine Missbrauchsgefahr nach § 10 kann nur angenommen werden, wenn konkrete negative Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Gefangene wäh199
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rend seiner Unterbringung im offenen Vollzug neue Straftaten begehen wird. Für eine positive Sozialprognose nach § 57 StGB müssen hingegen umgekehrt positive Umstände festgestellt werden, die eine hinreichende Wahrscheinlichkeit dafür begründen, dass der Betroffene künftig ein Leben ohne Straftaten führen wird (OLG Karlsruhe StV 2008, 314 f; OLG Hamm StraFo 2008, 81 f, Hans. OLG, Beschl. vom 17.2.2010 – 3 Vollz (Ws) 4/10). § 10 Abs. 1 gestattet daher auch die Verlegung solcher Gefangener in den offenen Vollzug, denen eine Aussetzung des Strafrestes aus prognostischen Gründen nicht bewilligt werden kann (OLG Koblenz ZfStrVo 1981, 319; OLG Karlsruhe ZfStrVo 1985, 174 und 245 ff; Hans. OLG StraFo 2007, 390 ff). Hingegen spielt die Gefahr, dass der Gefangene sich des staatlichen Zugriffs entziehen wird, bei der Entscheidung nach § 57 StGB regelmäßig keine Rolle (vgl. OLG Karlsruhe StraFo 2008, 179 f; OLG Nürnberg 2007, 431). Folge ist, dass es fluchtgefährdete Gefangene gibt, die vorzeitig entlassen werden, ohne zuvor im offenen Vollzug gewesen zu sein. Um eine möglichst sachgerechte und einheitliche Ausführung des Gesetzes zu gewährleisten, haben die Landesjustizverwaltungen mittels Verwaltungsvorschriften Richtlinien für die Prüfung von Flucht- und Missbrauchsgefahr erlassen und insoweit Ausschlussklauseln (VV Nr. 1) sowie Regelvermutungen mangelnder Eignung (VV Nr. 2) festgelegt. Wegen der Anforderungen an die Prüfung von Flucht- und Missbrauchsgefahr im Einzelnen: § 11 Rdn. 15 ff und § 13 Rdn. 13 ff. 2. Unterbringung im geschlossenen Vollzug 12
a) Ungeeignete Gefangene. Gemäß Abs. 2 Satz 1 ist zunächst derjenige Gefangene im geschlossenen Vollzug unterzubringen, der zum Zeitpunkt der Eignungsprüfung den besonderen Anforderungen des offenen Vollzuges noch nicht genügt.
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b) Behandlungsnotwendigkeit. Ein Gefangener kann im Übrigen dann im geschlossenen Vollzug untergebracht oder dorthin zurückverlegt werden, wenn dies zu seiner Behandlung notwendig ist (Abs. 2 Satz 2). Das ist der Fall, wenn der Aufenthalt im offenen Vollzug der Erreichung des Vollzugszieles (§ 2 Rdn. 10 ff) entgegensteht. Deshalb reichen Zweckmäßigkeitserwägungen nicht aus (BT-Drucks. 7/918, 52). Wegweisend ist insoweit die Entscheidung des OLG Frankfurt NStZ-RR 2001, 318 f: Danach findet die Regelung nur Anwendung, „wenn eine bestimmte Behandlung notwendig ist, diese nur im geschlossenen Vollzug durchgeführt werden kann und hierdurch die Wahrscheinlichkeit erhöht wird, dass der Verurteilte nach seiner Entlassung in die Freiheit nicht wieder rückfällig wird“. Behandlungsmaßnahmen, die eine Unterbringung im geschlossenen Vollzug rechtfertigen, obwohl der Gefangene die in § 10 Abs. 1 genannten Eignungsvoraussetzungen erfüllt, können z. B. Maßnahmen der Aus- und Weiterbildung, schulische Maßnahmen mit Vollzeitunterricht oder therapeutische Maßnahmen sein. Befindet sich der Gefangene bereits im offenen Vollzug, kommen für eine Rückverlegung aus Behandlungsgründen darüber hinaus auch befristete Maßnahmen in Betracht, z. B. zwecks Krisenintervention oder zum Schutz des Betroffenen. Insbesondere reine Weisungsverstöße, die nicht zur Ungeeignetheit, insbesondere zur Annahme einer Flucht- oder Missbrauchsgefahr Anlass geben (s. dazu Rdn. 14), können auf Grundlage von § 10 Abs. 2 nur unter den vom OLG Frankfurt (aaO) aufgestellten Voraussetzungen zur Rückverlegung führen (vgl. im Ergebnis im Spezialfall AK-Lesting Rdn. 21; vgl. auch OLG Frankfurt ZfStrVo 1983, 379; OLG Hamm, Beschl. vom 8.11.1977 – 1 Vollz (Ws) 32/77). Wird die Rückverlegung eines Gefangenen in den geschlossenen Vollzug mit dessen Verhaltensweisen im offenen Vollzug begründet, so müssen diese entweder einzeln oder Lindner
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in ihrer Gesamtheit die Notwendigkeit der Behandlung im geschlossenen Vollzug ergeben (OLG Frankfurt ZfStrVo 1988, 62 ff). c) Rückverlegung. § 10 Abs. 2 regelt die Frage, wann ein Gefangener in den ge- 14 schlossenen Vollzug zurückverlegt werden kann, jedoch nicht abschließend. Die VV Nr. 3 enthält ergänzende Rückverlegungsgründe. An einer gesetzlichen Grundlage fehlt es indes. Ein Teil der Rspr. zieht § 14 Abs. 2 analog heran (KG NStZ 1993, 100 ff; NStZ 2007, 224 ff; OLG Frankfurt NStZ-RR 2001, 318 ff; OLG Karlsruhe, Beschl. vom 5.3.2009 – 1 Ws 7/09). Andere Gerichte wollen die belastenden Maßnahmen hingegen ausschließlich auf § 10 Abs. 2 und die ergänzenden Verwaltungsvorschriften stützen (OLG Dresden StV 2005, 567 f; OLG Schleswig-Holstein SchlHA 2006, 28 f; ebenso C/MD 2008 Rdn. 10; Arloth 2011 Rdn. 9; vgl. OLG Koblenz Beschl. vom 4.7.2007 – 1 Ws 273/07). Schließlich wird auf die allgemeinen Verwaltungsgrundsätze zu Rücknahme und Widerruf zurückgegriffen, die in §§ 48, 49 VwVfG zum Ausdruck kommen (OLG Celle NStZ-RR 2005, 29 f; NStZ-RR 1998, 92 f; Brandenburg. OLG, Beschl. vom 23.11.2009 – 1 Ws (Vollz) 197/09). Methodisch überzeugt die letzte Ansicht. Anders als bei einer analogen Anwendung von § 14 Abs. 2 kommt nach der hier vertretenen Auffassung eine Rückverlegung eines Gefangenen in den geschlossenen Vollzug bei Regelverstößen nur in Betracht, wenn das regelwidrige Verhalten zugleich die Wertung zulässt, dass er für den offenen Vollzug ungeeignet ist (vgl. OLG Schleswig-Holstein aaO). Aus Gründen der Rechtssicherheit ist zu begrüßen, dass die Länder die Regellungslücken in ihren Gesetzen nunmehr geschlossen haben. Die Anwendung der allgemeinen Verwaltungsgrundsätze zu Rücknahme und Widerruf wird durch die VV Nr. 3 Abs. 1 konkretisiert. Nach der VV Nr. 3 Abs. 1 Buchstabe a) ist der Gefangene zurückzuverlegen, wenn er seine Zustimmung zur Unterbringung im offenen Vollzug zurücknimmt. Ferner kommt es zur Rückverlegung, wenn der Gefangene sich als für den offenen Vollzug nicht geeignet erweist (VV Nr. 3 Abs. 1 Buchstabe a). Dabei reicht der Umstand, dass der Gefangene während seines Aufenthaltes im offenen Vollzug keine Bereitschaft gezeigt hat, an der Erreichung des Vollzugszieles mitzuwirken, für eine Herausnahme aus dem offenen Vollzug allein nicht aus (KG Beschl. vom 21.2.2002 – 5 Ws 1/02 Vollz; OLG Celle ZfStrVo 1985, 374). Eine Rückverlegung kommt in Betracht, wenn der Gefangene die Möglichkeiten im offenen Vollzug zu Straftaten missbraucht hat, wobei kein schuldhaftes Fehlverhalten nachgewiesen werden muss. Vielmehr kann eine Rückverlegung im Interesse wirksamer Gefahrenabwehr – bei Unaufklärbarkeit des Sachverhalts oder als vorläufige Maßnahme bei noch laufenden Ermittlungen – bereits dann zulässig sein, wenn ein auf konkreten Anhaltspunkten beruhender Verdacht besteht (BVerfGK 2, 318 ff; BVerfG, Beschl. vom 26.8.2008 – 2 BvR 679/07, NStZ-RR 2004, 220 ff, KG ZfStrVo 1989, 116 ff; zur Rückverlegung bei Einstellung nach § 170 Abs. 2 StPO: KG NStZ 2007, 224 ff). Von der Rspr. wird gefordert, dass die Vollzugsbehörde Feststellungen zum Gegenstand des Verfahrens, zum Verfahrensstand, der Wahrscheinlichkeit der Anklageerhebung, der voraussichtlichen Dauer des Ermittlungsverfahrens und dem Kenntnisstand des Gefangenen zu den Ermittlungen sowie den sonstigen prognostisch relevanten Kriterien trifft (KG StV 2006, 258; OLG Celle NStZ-RR 2005, 29 f; OLG Stuttgart NStZ 1986, 45 f mit Anm. Ballhausen). Der Beiziehung und Durchsicht der Ermittlungsakten durch die Vollzugsbehörde bedarf es hierzu jedoch nicht. Grundlage kann eine dienstliche Äußerung der ermittelnden Staatsanwaltschaft sein (OLG Stuttgart aaO – zu weitgehend daher OLG Hamm, Beschl. vom 9.10.2008 – 1 Vollz (Ws) 643/08, soweit eigene Ermittlungshandlungen der Justizvollzugsanstalt gefordert werden.). Nach der Rspr. haben sich die Vollzugsbehörden zudem in angemessenen Zeitabständen über den Fortbestand des 201
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Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
Verdachts zu informieren (KG ZfStrVo 2003, 181 f; OLG Hamm Beschl. vom 9.10.2008 – 1 Ws 643/08). Schließlich ist der Gefangene in den geschlossenen Vollzug zu verlegen, wenn Umstände bekannt werden, die in VV Nr. 1 beschrieben sind (VV Nr. 3 Abs. 1 Buchstabe c). Allgemein kommt eine Rückverlegung in den geschlossenen Vollzug wegen einer bereits anfänglich rechtswidrigen Verlegungsentscheidung nur in Betracht, wenn die ursprüngliche Entscheidung sich außerhalb des Beurteilungsspielraums bewegt hat (Celle NStZ-RR 1998, 92 f; AK-Lesting 2006 Rdn. 22). Über die Rückverlegung eines Gefangenen in den geschlossenen Vollzug entscheidet der Leiter der offenen Anstalt. Dem Gefangenen muss vor der Verlegungsentscheidung Gelegenheit zur Äußerung gegeben werden. Die Gründe für die Verlegung sind aktenkundig zu machen und dem Gefangenen bekanntzugeben (VV Nr. 3 Abs. 2). VV Nr. 3 Abs. 3 stellt klar, dass die Verlegung in den geschlossenen Vollzug eine erneute Unterbringung im offenen Vollzug nicht ausschließt. Die Prüfung einer erneuten Eignung des Gefangenen erfolgt bei der Fortschreibung des Vollzugsplans. III. Landesgesetze und Musterentwurf 1. Baden-Württemberg 15
a) Verlegungsvorausetzungen. Das Land Baden-Württemberg hat in § 7 JVollzGB III die Regelung des Strafvollzugsgesetzes zur Verlegung in den offenen Vollzug übernommen. Es ist dabei jedoch keine Zustimmung des Gefangenen mehr erforderlich. b) Rückverlegung. Ergänzend zum StVollzG enthält das Gesetz in § 7 Abs. 2 S. 2 JVollzGB III folgenden Rückverlegungstatbestand: „Erweisen sich Gefangene während des Aufenthalts dort als nicht geeignet, werden sie in den geschlossenen Vollzug zurückverlegt.“ Der Fall, dass nachträglich die bereits anfängliche Ungeeignetheit eines Gefangenen bekannt wird, dürfte hiervon nicht umfasst sein. Eine Vorschrift entsprechend § 11 Abs. 2 S. 2 JVollzGB III fehlt. 2. Bayern
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a) Verlegungsvoraussetzungen. Ausweislich der Gesetzesbegründung soll in Bayern der geschlossene Vollzug Regelvollzug sein (LT-Drucks. 15/8101, 53). Absatz 1 und 2 des Art. 12 BayStVollzG sind vor diesem Hintergrund wie folgt formuliert worden: Abs. 1: „Gefangene sind im geschlossenen Vollzug unterzubringen.“ Abs. 2: „Gefangene sollen mit ihrer Zustimmung in einer Einrichtung des offenen Vollzugs untergebracht werden, wenn sie den besonderen Anforderungen des offenen Vollzugs genügen und insbesondere nicht zu befürchten ist, dass sie sich dem Vollzug der Freiheitsstrafe entziehen oder die Möglichkeiten des offenen Vollzugs zu Straftaten missbrauchen werden.“ In Bayern werden alle Gefangenen zunächst im geschlossenen Vollzug untergebracht, um hier zu beurteilen, ob sie sich für den offenen Vollzug eignen. Diese Einweisungspraxis steht im Einklang damit, dass in der Gesetzesbegründung der geschlossene Vollzug für Bayern als Regelvollzugsform bezeichnet wird (s. Rdn. 4). Allerdings sind die Voraussetzungen für eine Verlegung in den offenen Vollzug im bayrischen Gesetz inhaltlich gegenüber dem StVollzG unverändert, so dass Gefangene, bei denen keine Nichteignung begründet werden kann, auch hier weiterhin „regelhaft“ in den offenen Vollzug zu verlegen sind. Ergänzt wird Art. 12 durch Art. 15 BayStVollzG: „Bei Gefangenen, gegen die während des laufenden Freiheitsentzugs eine Strafe wegen einer schwerwiegenden Straftat gegen Lindner
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Leib oder Leben oder gegen die sexuelle Selbstbestimmung mit Ausnahme der §§ 180 a und 181 a StVollzG vollzogen wurde oder zu vollziehen ist, ist eine Unterbringung im offenen Vollzug, eine Lockerung des Vollzugs oder eine Gewährung von Urlaub aus dem Vollzug besonders gründlich zu prüfen. Bei der Entscheidung sind auch die Feststellungen im Urteil und die im Ermittlungs- oder Strafverfahren erstatteten Gutachten zu berücksichtigen.“ Da keine Maßstäbe normiert werden, sondern lediglich eine sorgfältigere Eignungsprüfung verlangt wird, erschöpft sich der Regelungsgehalt dieser Norm in dem einer klassischen Verwaltungsvorschrift. b) Rückverlegung. Die Gründe für eine Rückverlegung sind in Art. 12 Abs. 3 BayStVollzG wie folgt geregelt: „Gefangene sollen in den geschlossenen Vollzug zurückverlegt werden, wenn dies zu ihrer Behandlung notwendig ist; sie sind zurückzuverlegen, wenn sie den Anforderungen nach Abs. 2 nicht entsprechen.“ 3. Hamburg a) Verlegungsvoraussetzungen. Ausweislich der Gesetzesbegründung hat Ham- 17 burg bewusst darauf verzichtet, ein Regel-Ausnahme-Verhältnis von offenem und geschlossenem Vollzug festzulegen (Bürgerschafts-Drucks. 19/2533, 53). § 11 Abs. 2 HmbStVollzG ist weitgehend inhaltsgleich zu § 10 Abs. 1 StVollzG, so dass auch hier, wenn eine fehlende Eignung nicht begründet werden kann, wie unter dem StVollzG „regelhaft“ eine Verlegung in den offenen Vollzug erfolgen muss. Auch in Hamburg ist abweichend vom StVollzG keine Zustimmung des Gefangenen zu seiner Verlegung in den offenen Vollzug mehr erforderlich. Auf die Regelung des § 10 Abs. 2 StVollzG, nach der eine Unterbringung im geschlossenen Vollzug erfolgen kann, wenn dies zur Behandlung notwendig ist, ist mit dem Hinweis verzichtet worden, dass bereits die Sollvorschrift des § 11 Abs. 2 HmbStVollzG diese Ausnahme zulasse. Hamburg hat schließlich in § 11 Abs. 3 HmbStVollzG besondere Regelungen für eine Begutachtung in das Gesetz aufgenommen: „Ist gegen Gefangene eine Freiheitsstrafe wegen einer Straftat nach den §§ 174 bis 180, 182 des Strafgesetzbuchs, wegen grober Gewalttätigkeit gegen Personen oder, sofern diese Straftaten als Rauschtaten begangen wurden, wegen Vollrausches (§ 323 a des Strafgesetzbuchs) zu vollziehen oder war dies während eines vorangegangenen Freiheitsentzuges der Fall, ist vor ihrer Verlegung in den offenen Vollzug eine schriftliche Stellungnahme einer psychologischen Fachkraft, die nicht mit den Gefangenen therapeutisch befasst ist oder war, oder ein psychiatrisches Gutachten einzuholen. Hiervon kann mit Zustimmung der Aufsichtsbehörde abgesehen werden, wenn die betroffene Freiheitsstrafe während eines vorangegangenen Freiheitsentzuges zu vollziehen war und die seither eingetretene Entwicklung des Gefangenen eine fachdienstliche Begutachtung nicht mehr erfordert.“ b) Rückverlegung. Rechtsgrundlage für eine Rückverlegung ist die allgemeine Rücknahme- und Widerrufsregelung des § 92 Abs. 2 und 3 HmbStVollzG. 4. Hessen a) Verlegungsvoraussetzungen. Hessen hat in § 13 HStVollzG die Regelungen 18 über Außenbeschäftigung, Freigang, Ausführung, Ausgang, Urlaub und die Unterbringung im offenen Vollzug in einer einheitlichen Vorschrift über „vollzugsöffnende Maßnahmen“ zusammengefasst. § 13 Abs. 1 S. 1 HStVollzG legt dabei fest, dass Gefan203
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gene grundsätzlich im geschlossenen Vollzug untergebracht werden. Ausweislich der Gesetzesbegründung wird hiermit der geschlossene Vollzug entsprechend der tatsächlichen Praxis zum Regelvollzug erklärt. Mit dieser gesetzgeberischen Entscheidung in Einklang steht, dass in Hessen die Eignungsprüfung für den offenen Vollzug immer im geschlossenen Vollzug erfolgt (§ 71 HStVollzG) und Hessen die Voraussetzungen für eine Verlegung von Gefangenen in den offenen Vollzug anders als die übrigen Bundesländer durch das neue Gesetz deutlich eingeschränkt hat (s. insb. § 13 Abs. 6 HStVollzG). Die Unterbringung im offenen Vollzug ist gem. § 13 Abs. 2 S. 1 HStVollzG an die bisherigen Eignungsvoraussetzungen des StVollzG geknüpft, wobei allerdings eine allgemeine Missbrauchsgefahr zur Versagung vollzugsöffnender Maßnahmen ausreichen soll. Es muss also im Gegensatz zur Regelung des StVollzG keine Befürchtung bestehen, dass der offene Vollzug zur Begehung von Straftaten missbraucht wird. In der Gesetzesbegründung werden z. B. Regelverstöße wie ein zu erwartender Alkoholkonsum als Beispiel für einen Missbrauch genannt, der vollzugsöffnende Maßnahmen ausschließen soll. Darüber hinaus hat Hessen gegenüber der Regelung des StVollzG in § 13 Abs. 2 S. 1 HStVollzG das Entscheidungsermessen der Vollzugsbehörde erweitert, indem anstatt der „Sollvorschrift“ des StVollzG eine „Kannvorschrift“ in das Gesetz aufgenommen wurde. Nach der hessischen Vorschrift kann (nicht soll) ein Gefangener, der die Eignungsvorausetzungen erfüllt, im offenen Vollzug untergebracht werden. Laut Gesetzesbegründung soll dies ermöglichen, dass über den Gesichtspunkt der Geeignetheit hinaus weitere Umstände wie die mangelnde Einwilligung in die Verlegung oder eine fehlende Mitwirkungsbereitschaft von Angehörigen oder Dritten, die in vollzugsöffnende Maßnahmen einbezogen werden sollen, bei der Verlegungsentscheidung berücksichtigt werden können. Ergänzend heißt es in § 13 Abs. 2 S. 3: „Bei der Prüfung von vollzugsöffnenden Maßnahmen sind der Schutz der Allgemeinheit und die Belange des Opferschutzes in angemessener Weise zu berücksichtigen.“ Damit verpflichtet Hessen die Vollzugsbehörden des Landes nunmehr, diese Gesichtspunkte in ihre Ermessenentscheidung über vollzugsöffnende Maßnahmen einfließen zu lassen. Die Regelung trägt dem Umstand Rechnung, dass zum StVollzG umstritten ist, ob die Schwere der Schuld oder Gesichtspunkte des gerechten Schuldausgleichs bei Emessensentscheidungen über vollzugsöffnende Maßnahmen berücksichtigt werden dürfen (für eine Zulässigkeit BVerfGE 64, 261 ff; OLG Frankfurt, NStZ 1983, 140; vgl. zum Streitstand weitergehend § 2 Rdn. 6 ff; § 11 Rdn. 3; Arloth 2011 Rdn. 11). § 13 Abs. 4 HStVollzG schließt Gefangene entsprechend der Verwaltungsvorschrift zum StVollzG von einer Unterbringung im offenen Vollzug aus, gegen die Untersuchungs-, Auslieferungs- oder Abschiebungshaft angeordnet ist. Es handelt sich um klare Fallkonstellationen, in denen wegen Fluchtgefahr bereits keine Eignung für vollzugsöffnende Maßnahmen vorliegt. In § 13 Abs. 5 HStVollzG listet das Gesetz in Anlehnung an die konkretisierenden Verwaltungsvorschriften zum StVollzG Tatbestände auf, bei denen in der Regel eine erhöhte Flucht- bzw. Missbrauchsgefahr gegeben sein wird, und legt gesetzlich fest, dass vollzugsöffnende Maßnahmen in diesen Konstellationen nur gewährt werden können, wenn besondere Umstände die Annahme begründen, dass gleichwohl keine Fluchtund Missbrauchsgefahr gegeben ist. Das heißt, dass etwa bei erheblich suchtgefährdeten Gefangenen (Nr. 3) konkrete Umstände festgestellt werden müssen, die im Einzelfall begründen, dass trotz der Suchtgefährdung gleichwohl keine Flucht- bzw. Missbrauchsgefahr besteht. Die Vorschrift erscheint geeignet, Vollzugsbehörden und Gerichten Beurteilungsmaßstäbe bindend vorzugeben. Lindner
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§ 13 Abs. 6 HStVollzG bestimmt für alle vollzugsöffnenden Maßnahmen, dass sie in der Regel nicht gewährt werden sollen, wenn weniger als zehn Jahre einer lebenslangen Freiheitsstrafe verbüßt oder noch mehr als 24 Monate einer zeitigen Freiheitsstrafe bis zum voraussichtlichen Entlassungszeitpunkt oder bis zum Beginn des Vollzugs einer Maßregel und Besserung und Sicherung zu vollziehen sind. Dies bedeutet, dass betroffene Gefangene, obwohl sie nach den allgemeinen Kriterien der Abs. 2 ff. für den offenen Vollzug geeignet, insbesondere nicht flucht- oder missbrauchsgefährdet sind, gleichwohl nur dann in den offenen Vollzug verlegt werden dürfen, wenn sie darüber hinaus besondere (positive) Umstände vorweisen können. Das StVollzG kennt eine ähnliche zeitliche Begrenzung lediglich beim Hafturlaub für sehr begrenzte Fallkonstellationen (§ 13 Abs. 2 und 3). Insbesondere bei der zweiten Fallgruppe des § 13 Abs. 6 HStVollzG erscheint die Vorschrift vor dem Hintergrund des verfassungsrechtlich garantierten Resozialisierungsgebots bedenklich (vgl. BVerfG, Beschl. vom 5.8.2010 – 2 BvR 729/ 08; BVerfGE 64, 261 ff unter Erörterung der Besonderheiten bei der Lockerung des Hafturlaubs im Zusammenhang mit lebenslanger Freiheitsstrafe; s. auch Rdn. 4). Die Unterbringung im offenen Vollzug erfordert auch in Hessen keine Zustimmung der Gefangenen mehr. b) Weisungen. Zudem regelt § 14 Abs. 1 HStVollzG, dass Gefangenen anlässlich aller vollzugsöffnender Maßnahmen Weisungen erteilt werden können. Für die Unterbringung im offenen Vollzug dürften konkret Weisungen gem. § 14 Abs. 1 Nr. 1 HStVollzG in Hinblick auf Ausbildung, Arbeit, Freizeit oder Ordnung der wirtschaftlichen Verhältnisse in Betracht kommen. Wenn diese Weisungen nicht befolgt werden, soll die Verlegung gem. § 14 Abs. 3 HStVollzG widerrufen werden können. Bei der Anwendung dieser Vorschriften ist von den Vollzugsbehörden das verfassungsrechtlich garantierte Resozialisierungsgebot zu beachten. c) Rückverlegung. § 14 Abs. 3 HStVollzG regelt darüber hinaus, dass die Verlegung in den offenen Vollzug auch widerrufen werden kann, wenn aufgrund nachträglich eingetretener Umstände die Maßnahme hätte versagt werden können oder die Unterbringungsform missbraucht wird. Die Entscheidung über die Verlegung in den offenen Vollzug kann gem. Abs. 2 zurückgenommen werden, wenn die Voraussetzungen für die Bewillgung von vornherein nicht vorgelegen haben. 5. Niedersachsen a) Verlegungsvoraussetzungen. Auch Niedersachsen hat laut Gesetzesbegrün- 19 dung den geschlossenen Vollzug zum Regelvollzug erklärt (LT-Drucks. 15/3565, 99). § 12 Abs. 1 und 2 NJVollzG ist wie folgt gefasst: Abs. 1: „Die oder der Gefangene wird im geschlossenen Vollzug untergebracht, wenn nicht nach dem Vollstreckungsplan eine Einweisung in den offenen Vollzug oder in eine Einweisungsanstalt oder Einweisungsabteilung vorgesehen ist.“ Abs. 2 sieht jedoch weiterhin wie § 10 StVollzG eine „regelhafte“ Verlegung von geeigneten Gefangenen in den offenen Vollzug vor: „Die oder der Gefangene soll in eine Anstalt oder Abteilung des offenen Vollzugs verlegt werden, wenn sie oder er den besonderen Anforderungen des offenen Vollzugs genügt und namentlich nicht zu befürchten ist, dass sie oder er sich dem Vollzug der Freiheitsstrafe entzieht oder die Möglichkeit des offenen Vollzugs zu Straftaten missbrauchen wird.“ Dabei ist bei den Voraussetzungen für eine Verlegung in den offenen Vollzug auch in Niedersachsen das Erfordernis entfallen, dass der Gefangene zustimmt (vgl. 205
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Rdn. 8). Ergänzend schafft § 16 Abs. 1 Satz 1 NJVollzG eine Rechtsgrundlage dafür, Gefangene begutachten oder körperlich untersuchen zu lassen, wenn dies zur Feststellung der Eignung für eine Verlegung in den offenen Vollzug erforderlich ist. Nach § 16 Abs. 2 Satz 1 NJVollzG ist die Erforderlichkeit für eine Begutachtung in der Regel bei Gefangenen gegeben, die zu lebenslanger Freiheitsstrafe oder nach den §§ 174 bis 180, 182, 211 oder 212 Strafgesetzbuch oder einer entsprechenden Rauschtat verurteilt worden sind. § 16 Abs. 2 NJVollzG regelt qualitativ, dass Gutachter verschiedener Fachrichtungen an der Prognose beteiligt werden sollen. Gem. Rspr. des OLG Celle soll die Vollzugsbehörde bei Zweifeln über die Eignung des Gefangenen für eine Unterbringung im offenen Vollzug im Rahmen der Aufklärungspflicht bei einem zur lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilten Straftäter wegen der Regelung des § 16 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 NJVollzG verpflichtet sein, ein solches Gutachten einzuholen (Beschl. vom 31.10.2008 – 1 Ws 538/08). b) Rückverlegung. Die Rückverlegung ist in § 12 Abs. 3 NJVollzG wie folgt geregelt: „Befindet sich eine Gefangene oder ein Gefangener im offenen Vollzug, so soll sie oder er in eine Anstalt oder Abteilung des geschlossenen Vollzuges verlegt werden, wenn sie oder er es beantragt oder den Anforderungen nach Absatz 2 nicht genügt oder es zur Erreichung des Vollzugsziels nach § 5 Satz 1 erforderlich ist.“ 6. Musterentwurf 20
a) Verlegungsvoraussetzungen. § 15 ME-StVollzG entspricht in der Formulierung dem HmbStVollzG. Die Voraussetzungen für eine Verlegung von Gefangenen in den offenen Vollzug sind auch hier inhaltsgleich zum StVollzG. Auf die Zustimmung des Gefangenen zu seiner Verlegung wurde verzichtet. Zudem wurde die Regelung des § 141 Abs. 2 StVollzG zu den verminderten Sicherheitsvorkehrungen im offenen Vollzug in diese Vorschrift verlagert. Auf die Regelung des § 10 Abs. 2 StVollzG, nach der eine Unterbringung im geschlossenen Vollzug erfolgen kann, wenn dies zur Behandlung notwendig ist, ist ebenfalls verzichtet worden. b) Rückverlegung. Ergänzend findet sich in § 15 Abs. 3 ME-StVollzG folgender Rückverlegungstatbetand: „Genügen die Gefangenen den besonderen Anforderungen des offenen Vollzugs nicht mehr, werden sie im geschlossenen Vollzug untergebracht.“ Darüber hinaus gilt § 90 ME-StVollzG.
§ 11 Lockerungen des Vollzuges § 11 Ullenbruch Lockerungen des Vollzuges (1) Als Lockerung des Vollzuges kann namentlich angeordnet werden, dass der Gefangene 1. außerhalb der Anstalt regelmäßig einer Beschäftigung unter Aufsicht (Außenbeschäftigung) oder ohne Aufsicht eines Vollzugsbediensteten (Freigang) nachgehen darf oder 2. für eine bestimmte Tageszeit die Anstalt unter Aufsicht (Ausführung) oder ohne Aufsicht eines Vollzugsbediensteten (Ausgang) verlassen darf. (2) Diese Lockerungen dürfen mit Zustimmung des Gefangenen angeordnet werden, wenn nicht zu befürchten ist, dass der Gefangene sich dem Vollzug der Ullenbruch
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Lockerungen des Vollzuges
§ 11
Freiheitsstrafe entziehen oder die Lockerungen des Vollzuges zu Straftaten missbrauchen werde. VV 1 Lockerungen des Vollzuges werden nur zum Aufenthalt innerhalb des Geltungsbereichs des Strafvollzugsgesetzes gewährt. 2 Bei der Außenbeschäftigung wird der Gefangene entweder ständig und unmittelbar oder ständig oder in unregelmäßigen Zeitabständen durch einen Vollzugsbediensteten beaufsichtigt. 3 (1) Freigang kann auch in der Weise angeordnet werden, dass ein Dritter schriftlich verpflichtet wird, die Anstalt unverzüglich zu benachrichtigen, wenn der Gefangene an der Beschäftigungsstelle nicht rechtzeitig erscheint, sich ohne Erlaubnis entfernt oder sonst ein besonderer Anlass (z. B. Erkrankung, Trunkenheit) hierzu besteht. (2) Die Anstalt überprüft das Verhalten des Gefangenen während des Freiganges in unregelmäßigen Abständen. 4 (1) Der Anstaltsleiter überträgt die Ausführung des Gefangenen besonders geeigneten Bediensteten. (2) Vor der Außenbeschäftigung und der Ausführung erteilt er den Bediensteten die nach Lage des Falles erforderlichen Weisungen. 5 (1) Die Entscheidung über Lockerungen im Vollzug der lebenslangen Freiheitsstrafe ist in einer Konferenz nach § 159 StVollzG vorzubereiten. Über die Konferenz ist eine Niederschrift zu fertigen; gutachtliche Äußerungen sind aktenkundig zu machen. Lockerungen sind in diesen Fällen in der Regel nur unter den Voraussetzungen des § 13 Abs. 3 StVollzG zulässig. Sie bedürfen der Zustimmung der Aufsichtsbehörde. (2) Absatz 1 gilt nicht für die Ausführung und die Außenbeschäftigung unter ständiger und unmittelbarer Aufsicht. 6 (1) Außenbeschäftigung, Freigang und Ausgang sind ausgeschlossen bei Gefangenen, a) gegen die während des laufenden Freiheitsentzuges eine Strafe vollzogen wurde oder zu vollziehen ist, welche gemäß § 74 a GVG von der Strafkammer oder gemäß § 120 GVG vom Oberlandesgericht im ersten Rechtszug verhängt worden ist, b) gegen die Untersuchungs-, Auslieferungs- oder Abschiebungshaft angeordnet ist, 207
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Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
c)
gegen die eine vollziehbare Ausweisungsverfügung für den Geltungsbereich des Strafvollzugsgesetzes besteht und die aus der Haft abgeschoben werden sollen, d) gegen die eine freiheitsentziehende Maßregel der Besserung und Sicherung oder eine sonstige Unterbringung gerichtlich angeordnet und noch nicht vollzogen ist. (2) In den Fällen des Absatz 1 Buchstaben a, c und d sind Ausnahmen mit Zustimmung der Aufsichtsbehörde zulässig. In den Fällen des Buchstabens a ist die Vollstreckungsbehörde, des Buchstabens d das zuständige Gericht zu hören; in den Fällen des Buchstabens c bedürfen Ausnahmen des Benehmens mit der zuständigen Ausländerbehörde 7 (1) Außenbeschäftigung, Freigang und Ausgang sind nur zulässig, wenn der Gefangene für diese Maßnahmen geeignet ist, insbesondere ein Missbrauch nicht zu befürchten ist. Bei der Entscheidung ist zu berücksichtigen, ob der Gefangene durch sein Verhalten im Vollzug die Bereitschaft gezeigt hat, an der Erreichung des Vollzugszieles mitzuwirken. (2) Ungeeignet für eine Lockerung nach Absatz 1 sind in der Regel namentlich Gefangene, a) die erheblich suchtgefährdet sind, b) die während des laufenden Freiheitsentzuges entwichen sind, eine Flucht versucht, einen Ausbruch unternommen oder sich an einer Gefangenenmeuterei beteiligt haben, c) die aus dem letzten Urlaub oder Ausgang nicht freiwillig zurückgekehrt sind oder bei denen zureichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür gegeben sind, dass sie während ihres letzten Urlaubs oder Ausgangs eine strafbare Handlung begangen haben, d) gegen die ein Ausweisungs-, Auslieferungs-, Ermittlungs- oder Strafverfahren anhängig ist, e) bei denen zu befürchten ist, dass sie einen negativen Einfluss ausüben, insbesondere die Erreichung des Vollzugszieles bei anderen Gefangenen gefährden würden. (3) Ausnahmen von Absatz 2 können zugelassen werden, wenn besondere Umstände vorliegen; die Gründe hierfür sind aktenkundig zu machen. In den Fällen des Buchstabens d ist die zuständige Behörde zu hören. (4) Bei Gefangenen, gegen die während des laufenden Freiheitsentzuges eine Strafe wegen grober Gewalttätigkeiten gegen Personen, wegen einer Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung oder wegen Handels mit Stoffen im Sinne des Gesetzes über den Verkehr mit Betäubungsmitteln vollzogen wurde oder zu vollziehen ist oder die im Vollzug in den begründeten Verdacht des Handels mit diesen Stoffen oder des Einbringens dieser Stoffe gekommen sind, bedarf die Frage, ob eine Lockerung des Vollzuges zu verantworten ist, besonders gründlicher Prüfung. Dies gilt auch für Gefangene, über die Erkenntnisse vorliegen, dass sie der organisierten Kriminalität zuzurechnen sind. 8 Die Anordnung einer Lockerung ist aufzuheben, wenn der Gefangene seine Zustimmung zu dieser Maßnahme zurücknimmt. Schrifttum zu §§ 11–14 Arloth Strafzwecke im Strafvollzug, in: GA 1988, 403 ff; ders. Aufgaben des Strafvollzugs – ein Beitrag zum Einfluß der Strafzwecke auf den Strafvollzug, in: ZfStrVo 1990, 329 ff; Asprion Grau ist die Farbe – Entwicklungstendenzen im Strafvollzug: Zum Beispiel Lockerungsgewährung in Baden-Württemberg, in:
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Lockerungen des Vollzuges
§ 11
ZfStrVo 1996, 333 ff; Baumann Schuld und Sühne versus Urlaub, in: ZfStrVo 1987, 47 ff; Begemann Freigängerurlaub (§ 15 IV StVollzG) ohne Freigang?, in: NStZ 1991, 517 ff; Bemmann Urlaub aus der Haft, in: Recht und Gesellschaft, Zeitschrift für Rechtskunde 1988, 92 ff; Bock Zur dogmatischen Bedeutung unterschiedlicher Arten empirischen Wissens bei prognostischen Entscheidungen im Strafrecht, in: NStZ 1990, 457 ff; Bock/Schneider Die Bedeutung des Leugnens einer Straftat im Verfahren nach § 57 StGB, in: NStZ 2003, 337 ff; Böhm Vollzugslockerungen und offener Vollzug zwischen Strafzwecken und Vollzugszielen, in: NStZ 1986, 201 ff; ders. Probleme der Strafvollzugsforschung, insbes. Vollzugslockerungen, in: ders. Straftaten während Vollzugslockerung und Hafturlaub – besondere Entschädigung für alle Opfer, in: WEISSER RING (Hrsg.), Risiko-Verteilung zwischen Bürger und Staat, Mainz 1990, 22 ff; Böhm/Schäfer Vollzugslockerungen im Spannungsfeld unterschiedlicher Instanzen und Interessen, Wiesbaden 1989; Bölter Verlauf von Lockerungen im Langstrafenvollzug, in: ZfStrVo 1991, 71 ff; Brosch Der Hafturlaub von Strafgefangenen unter Berücksichtigung des Strafvollzugszieles. Eine empirische Untersuchung zur Einstellung betroffener männlicher Strafgefangener, Frankfurt 1983; Dietl Sollen Strafzwecke wie Schuldausgleich, Sühne, Verteidigung der Rechtsordnung in den Strafvollzug hineinwirken?, in: Schwind/Steinhilper/Böhm (Hrsg.), 10 Jahre Strafvollzugsgesetz, Heidelberg 1988, 55 ff; Dolde Vollzugslockerungen im Spannungsfeld zwischen Resozialisierungsversuch und Risiko für die Allgemeinheit, in: Busch (Hrsg.), Gefängnis und Gesellschaft. GS Krebs, Pfaffenweiler 1994, 109 ff; Dopslaff Abschied von Entscheidungsfreiräumen bei Ermessen und unbestimmten Rechtsbegriffen mit Beurteilungsspielraum im Strafvollzugsgesetz, in: ZStW 1988, 567 ff; Dünkel Die Öffnung des Vollzugs – Anspruch und Wirklichkeit, in: ZStW 1982, 669 ff; ders. Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafvollzugsgesetzes, in: ZfStrVo 1990, 105 ff; ders. Alte Menschen im Strafvollzug, in: ZfStrVo 1991, 350 ff; ders. Sicherheit im Strafvollzug – Empirische Daten zur Vollzugswirklichkeit unter besonderer Berücksichtigung der Entwicklung bei den Vollzugslockerungen, in: P.-A. Albrecht (Hrsg.). 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M. 1997; Grützner Schäden durch mißglückte Vollzugslockerungen – wer trägt die Folgen?, in: ZfStrVo 1990, 200 ff; von Harling Der Mißbrauch von Vollzugslockerungen zu Straftaten, München 1997; Hartwig Der Einfluß der „allgemeinen“ Strafzwecke im Strafvollzug, Diss. jur., Hannover 1995; Heghmanns Offener Strafvollzug, Vollzugslockerungen und ihre Abhängigkeit von individuellen Besonderheiten der erkannten Straflänge, in: NStZ 1998, 279 ff; ders. Die neuere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur gerichtlichen Überprüfung der Versagung von Vollzugslockerungen – eine Trendwende?, in: ZStW 1999, 647 ff; Joester/Quensel/Hoffmann/Feest Lockerungen des Vollzugs. Versuch einer sozialwissenschaftlich angeleiteten Kommentierung des § 11 Strafvollzugsgesetz und einer Auseinandersetzung mit den dazu ergangenen Verwaltungsvorschriften, in: ZfStrVo 1977, 93 ff; Kirchner Pro und Kontra Vollzugslockerungen, in: Blätter der Wohlfahrtspflege 1987, 209 ff; Köhne 3 Landesstrafvollzugsgesetze – Beiträge zum Wettbewerb der Schäbigkeit?, in: NStZ 2009, 130; Kösling Die Bedeutung verwaltungsprozessualer Normen und Grundsätze für das gerichtliche Verfahren nach dem Strafvollzugsgesetz, Diss. jur., Pfaffenweiler 1991; Kröber Anm. zu BVerfG v. 24.10.1999, in: NStZ 2000, 109 ff; Kruis/Wehowsky Fortschreibung der verfassungsrechtlichen Leitsätze zum Vollzug von Straf- und Untersuchungshaft, in: NStZ 1998, 592 ff; Kühling Lockerungen des Vollzugs, in: Schwind/Blau 1988, 347 ff; Kusch Die Strafbarkeit von Vollzugsbediensteten bei fehlgeschlagenen Lockerungen, in: NStZ 1985, 385 ff; Meier Die Entscheidung über Ausgang und Urlaub aus der Haft, Freiburg 1982; Meißner Urlaub aus dem Strafvollzug, Diss. jur., Mannheim 1988; Mertens Die Ausführungen von Gefangenen zur Behandlung und Betreuung, in: ZfStrVo 1978, 203 ff; Müller-Dietz
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Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
Schuldschwere und Urlaub aus der Haft, in: JR 1984, 353 ff; Müller/Wulf Offener Vollzug und Vollzugslockerungen (Ausgang, Freigang), in: ZfStrVo 1999, 3 ff; Nagel Gefangenenbefreiung durch Richter?, in: NStZ 2001, 233 f; Nedopil Prognosebegutachtungen bei zeitlich begrenzten Freiheitsstrafen – Eine sinnvolle Lösung für problematische Fragestellungen?, in: NStZ 2002, 344 ff; Nesselrodt Der Strafurlaub im Progressionssystem des Freiheitsentzuges. Funktion und Wirkung der Beurlaubung Gefangener hessischer Vollzugsanstalten, Diss. jur., Marburg 1979; Peglau Strafvollstreckungsvereitelung durch Mitwirkung beim Erschleichen von Freigang, in: NJW 2003, 3256 f; Perwein Erteilung, Rücknahme und Widerruf der Dauertelefongenehmigung, in: ZfStrVo 1996, 16 ff; Peters Beurlaubung von zu lebenslanger Freiheitsstrafe Verurteilter, in: JR 1978, 177 ff; Rössner Die strafrechtliche Beurteilung der Vollzugslockerungen, in: JZ 1984, 1065 ff; Schaffstein Die strafrechtliche Verantwortlichkeit Vollzugsbediensteter für den Mißbrauch von Vollzugslockerungen, in: Küper (Hrsg.). FS Lackner, Berlin 1987, 795 ff; Schalt Der Freigang im Jugendstrafvollzug. Dargestellt am Beispiel der Fliedner-Häuser des Landes Hessen, Heidelberg 1977; Schneider Tempus fugit. Trendwende in der Rechtsprechung zu den unbestimmten Rechtsbegriffen?, in: ZfStrVo 1999, 140 ff; Schüler-Springorum Tatschuld im Strafvollzug, in: StV 1989, 262 ff; SchwindOrientierungspunkte der (Straf-)Vollzugspolitik, in: Müller-Dietz/Walter (Hrsg.), Strafvollzug in den 90er Jahren, Pfaffenweiler 1995, 216 ff; Smolka Der Freigang im Strafvollzug, Diss. jur., Göttingen 1982; Stenzel Ausführungen zur Betreuung aus der Sicht eines Beamten des allgemeinen Vollzugsdienstes, in: ZfStrVo 1986, 303 ff; Stilz Zum Urlaub aus der Haft, in: ZfStrVo 1979, 67 ff; Ullenbruch Schadensersatz wegen Amtspflichtverletzung durch Gewährung von Vollzugslockerungen und Hafturlaub, in: NJW 2002, 416 ff; Verrel Strafrechtliche Haftung für falsche Prognosen im Maßregelvollzug, in: R&P 2001, 182 ff; Volckart Praxis der Kriminalprognose, München 1997.
I.
II.
Übersicht Allgemeine Hinweise ____ 1–5 1. Lockerungen sind Behandlungsmaßnahmen ____ 1 2. Ausschlussgründe ____ 2 3. Berücksichtigung der Strafzwecke ____ 3 4. Aufnahme in den Vollzugsplan ____ 4 5. Statistische Angaben ____ 5 Erläuterungen ____ 6–28 1. Einzelne Lockerungen (§ 11 Abs. 1) ____ 6–12 a) Ausführung ____ 6 b) Außenbeschäftigung ____ 7 c) Ausgang ____ 8 d) Freigang ____ 9–11 e) Sonstige Lockerungen ____ 12 2. Voraussetzungen (§ 11 Abs. 2) ____ 13–26 a) Tatbestandliche Erfordernisse ____ 13–17 aa) Zustimmung, Fehlen von Fluchtund Missbrauchsgefahr ____ 13 bb) Flucht- und Missbrauchsgefahr als unbestimmte Rechtsbegriffe ____ 14 cc) Fluchtgefahr ____ 15 dd) Gefahr der Begehung neuer Straftaten ____ 16 ee) Einzelfallprüfung, Begründungsanforderungen an ablehnende Entscheidungen ____ 17 b) Tatbestandsinterpretierende Richtlinien (VV) ____ 18–25
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III.
aa) Ausnahmsloser Ausschluss nach VV Nr. 6 Abs. 1 Buchst. b ____ 19 bb) Gefangenengruppen nach VV Nr. 6 Abs. 1 Buchst. a, c und d ____ 20 cc) Mitwirkung anderer Behörden nach VV Nr. 6 Abs. 2 Satz 2 ____ 21 dd) Fallgruppen nach VV Nr. 7 Abs. 2 ____ 22 ee) Fallgruppen nach VV Nr. 7 Abs. 4 ____ 23 ff) Bereitschaft zur Mitarbeit am Vollzugsziel ____ 24 gg) Zustimmungsvorbehalt der Aufsichtsbehörde ____ 25 c) Ermessensausübung bei Vorliegen der tatbestandlichen Erfordernisse ____ 26 3. Besonderheiten beim Vollzug der lebenslangen Freiheitsstrafe ____ 27 4. Strafrechtliche und zivilrechtliche Konsequenzen fehlschlagender Vollzugslockerungen ____ 28 Landesgesetze und Musterentwurf ____ 29–34 1. Baden-Württemberg ____ 29 2. Bayern ____ 30 3. Hamburg ____ 31 4. Hessen ____ 32 5. Niedersachsen ____ 33 6. Musterentwurf ____ 34
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Lockerungen des Vollzuges
§ 11
I. Allgemeine Hinweise 1. Lockerungen sind Behandlungsmaßnahmen. Die Anordnung von Lockerungen 1 des Vollzuges wie auch die Gewährung von Urlaub (systematisch ebenfalls als „Lockerung“ anzusehen; konsequent insoweit deshalb z. B. §§ 12 HmbStVollzG, 13 Abs. 1 NJVollzG und nunmehr auch §§ 9 JVollzGB III und 13 HStVollzG – Oberbegriff: „vollzugsöffnende Maßnahmen“; vgl. Rdn. 29 ff) zählen zu den wichtigsten Behandlungsmaßnahmen des Gesetzes (zum Behandlungsbegriff § 4 Rdn. 6). „Geeignete Behandlungsmaßnahmen gewährleisten“ wiederum den „Schutz der Allgemeinheit“ (insoweit zutreffend Art. 4 BayStVollzG). Gemeint sind insoweit nur Lockerungen mit Außenwirkung (sog. „vollzugsöffnende“ Maßnahmen, i. e. nicht solche innerhalb der Anstalt, wie z. B. freizügige Bewegung im Unterkunftsbereich). Für weitere begriffliche Einschränkungen besteht kein sachlicher Grund. Wieso sollte z. B. nur das Verlassen einer JVA „ohne Aufsicht“ eine Lockerung sein? (So aber § 38 Abs. 1 ME-StVollzG, vgl. Rdn. 34.) Gelockert wird der Vollzug durch die Erlaubnis, sich außerhalb der Anstalt für eine bestimmte Zeit unter Aufsicht (Ausführung Rdn. 6 und Außenbeschäftigung Rdn. 7) oder ohne Aufsicht (Freigang Rdn. 9 und Ausgang Rdn. 8) aufhalten zu dürfen. Zweck der Maßnahmen kann sein: Erprobung im Hinblick auf das Vollzugsziel § 2 Satz 1 (§ 2 Rdn. 12 ff) oder eine vorzeitige Entlassung nach § 57 StGB (vgl. OLG Düsseldorf ZfStrVo 1990, 246 m. Anm. Konrad), im Hinblick auf den Gegensteuerungsgrundsatz § 3 Abs. 2 (§ 3 Rdn. 11 f) Herstellen oder Aufrechterhalten von Beziehungen zur Außenwelt (vgl. OLG Celle LS ZfStrVo 1986, 114; LG Arnsberg LS ZfStrVo 2002, 367) oder im Hinblick auf den Integrationsgrundsatz § 3 Abs. 3 (§ 3 Rdn. 13) Hilfe zur Eingliederung (vgl. OLG Frankfurt ZfStrVo SH 1979, 15: Abbau einer vorhandenen Kontakt- und Bindungsarmut). Die faktische Bedeutung der Lockerungen ist indirekter Natur: Ihre (Nicht-)Gewährung ist wesentliche Grundlage für die Entscheidung der Vollstreckungsgerichte über eine vorzeitige Entlassung (ausführlich dazu unten Rdn. 14). – Zu kriminalpräventivübergreifenden Umformulierungen gerichtlicher Prognosefragestellungen (z. B.: „Unter welchen Bedingungen ist die durch die Tat zu Tage getretene Gefährlichkeit am geringsten?“ – „Entlassung auf Reststrafe nach Lockerungen zum Aufbau entsprechenden Lebensumfeldes“) instruktiv Nedopil 2002, 344 ff. Da das Vollzugsverhältnis nicht aufgehoben, sondern (nur) gelockert wird und die Vollzugslockerungen Behandlungsmaßnahmen sind, können sie nur zum Aufenthalt innerhalb des Geltungsbereichs des StVollzG gewährt werden (vgl. VV Nr. 1 – mit Wirkung vom 1.9.1994 neu eingefügt). Die Verwaltungsvorschrift stellt eine tatbestandsinterpretierende Richtlinie dar, die der Vollzugsbehörde kein Ermessen eröffnet (OLG Celle NStZ-RR 2002, 157 = StV 2002, 323 m. Anm. Szezekalla; vgl. auch OLG Hamm NStZ-RR 1997, 195 m. Anm. Blau JR 1997, 435). Für Urlaub bereits früher VV Nr. 1 zu § 13 (vgl. § 13 Rdn. 3). 2. Ausschlussgründe. Nach Abs. 2 kommt eine Lockerung des Vollzuges von vorn- 2 herein nicht in Betracht bei fehlender Zustimmung des Gefangenen (Rdn. 13) oder Bestehen von Flucht- oder Missbrauchsgefahr (Rdn. 14–16). Auch wenn diese Ausschlussgründe nicht gegeben sind, hat der Gefangene nach Abs. 1 keinen Anspruch auf Gewährung von Lockerungen, sondern lediglich auf fehlerfreien Ermessensgebrauch. Die Entscheidung muss sich am Vollzugsziel (§ 2 Satz 1) und den Gestaltungsgrundsätzen (§ 3 Abs. 2 und 3) orientieren. Das Sicherheitsbedürfnis der Allgemeinheit (§ 2 Satz 2) ist bereits bei der Vorfrage der Flucht- oder Missbrauchsgefahr i. S. d. Abs. 2 abschließend zu berücksichtigen. Eine „verantwortungsvolle“ Lockerungsgewährung hängt indes nicht von einer nochmaligen Betonung an anderer Gesetzesstelle ab (gleichermaßen verfehlt 211
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Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
deshalb insoweit Art. 4 und Art. 15 BayStVollzG; vgl. Rdn. 30). – Zur Information des Verletzten vgl. § 406d StPO. 3
3. Berücksichtigung der Strafzwecke. Ob – und wenn ja, inwieweit – Gesichtspunkte der Schwere der Schuld und der Generalprävention als Ermessenskriterien (mit-)berücksichtigt werden dürfen, ist umstritten. Auf den ersten Blick (§ 2) scheint die bewusste und gewollte gesetzgeberische Entscheidung, der zufolge alleiniges Vollzugsziel die (Re-)Sozialisierung des Gefangenen ist, die wiederum dem Strafzweck der (positiven) Spezialprävention entspricht, die Einbeziehung weiterer (allgemeiner) Strafzwecke (gänzlich) auszuschließen (so OLG Frankfurt NStZ 2002, 53 = StV 2002, 211 m. abl. Anm. Arloth NStZ 2002, 280 und die ganz herrschende Lehre, vgl. K/S-Schöch 2002 § 7 Rdn. 57; AK-Köhne/Lesting 2012 Rdn. 59 und C/MD 2008 Rdn. 8 ff zu § 2 jeweils m. w. N.; zum Ganzen auch Hartwig 1995). Andererseits gebietet der übergeordnete Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung eine Erweiterung des Blickwinkels auf die Vorgaben des § 46 Abs. 1 Satz 1 StGB, wonach Grundlage für die Zumessung der nunmehr zu vollziehenden Freiheitsstrafe die Schuld des Täters ist (so die ständige Rspr. seit OLG Karlsruhe JR 1978, 213, zuletzt OLG Karlsruhe NStZ 1989, 247; weitere Fundstellen bei Laubenthal 2008 Rdn. 182 ff; vgl. auch BVerfGE 64, 261 ff m. abl. Sondervotum Mahrenholz 285 ff). Eine Berücksichtigung dieses Gesichtspunktes auch während des Vollzuges ist deshalb nicht völlig ausgeschlossen (Arloth 2011 Rdn. 13; Grunau/Tiesler 1982 § 13 Rdn. 14; Arloth 1988, 421 ff; Dietl 1988, 55 ff; vgl. auch § 2 Rdn. 6). Zur Vermeidung einer unzulässigen Rechtsumbildung des geltenden StVollzG (so Peters 1978, 177, 180) sind allerdings folgende Einschränkungen erforderlich: Gesichtspunkte der Schwere der Schuld und der Generalprävention dürfen nicht etwa für die gesamte Vollzugsgestaltung herangezogen werden (zu weitgehend Dietl 1988, 63 ff), sondern lediglich bei Entscheidungen nach §§ 10, 11, 13 und 35, die eine faktische Lockerung des Freiheitsentzuges betreffen (Arloth 1988, 422 f spricht insoweit zu Recht von „Maßnahmen mit Außenwirkung“), nur bei Inhaftierten mit einer lebenslangen oder einer langen zeitigen Freiheitsstrafe und besonders schwerer Schuld (keinesfalls z. B. bei einer achtmonatigen Freiheitsstrafe wegen Dienstflucht nach § 53 ZDG, vgl. LG Frankfurt StV 1987, 301 m. Anm. Nestler-Tremel), nur zu Beginn des Vollzuges (insoweit richtig AV des JM Baden-Württemberg vom 20.1.1995, 4511 – VI/6, I 1. Abs. 1 Nr. 1, Die Justiz 1995, S. 75; a. A. OLG Nürnberg NStZ 1984, 92 – Berücksichtigung noch nach fast neun Jahren bei einer Gesamtfreiheitsstrafe von 14 Jahren; zu weitgehend auch OLG Frankfurt NStZ 1984, 382), und auch dann nur als eines von mehreren Kriterien im Rahmen einer sorgfältigen Abwägung aller Umstände des Einzelfalles (OLG Stuttgart NStZ 1984, 525), insbesondere unter Berücksichtigung des vorrangigen Vollzugszieles nach § 2. Im so verbleibenden Anwendungsbereich wird zwar häufig bereits die Flucht- oder Missbrauchsgefahr nach Abs. 2 zu bejahen sein, betroffen sind jedoch neben der (schwindenden) Gruppe nationalsozialistischer Gewaltverbrecher (hierzu Böhm 1986, 201, 205; die Behandlung derartiger extremer Ausnahmefälle ausdrücklich offengelassen hat auch OLG Frankfurt NStZ 2002, 53 = StV 2002, 211) eine (zunehmende) Zahl von Wirtschaftsstraftätern, die besonders schwere Schuld auf sich geladen haben, unter bloßer Berücksichtigung von § 2 jedoch bereits mit Strafantritt im offenen Vollzug untergebracht werden müssten (hierzu Eyrich 1988, 34 f).
4
4. Aufnahme in den Vollzugsplan. Die Möglichkeit der Aufnahme von Lockerungen des Vollzuges ist im Rahmen der Erstellung und Fortschreibung eines Vollzugsplanes zwingend zu erörtern (§ 7 Abs. 2 Nr. 7). Maßstab ist bereits jetzt § 11 (SchleswigHolsteinisches OLG FS 2010, 50 LS). Dementsprechend unterliegt die Feststellung des Vollzugsplanes, keine Lockerungen zu gewähren, der gerichtlichen Überprüfung gem. Ullenbruch
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Lockerungen des Vollzuges
§ 11
§ 109 Abs. 1. Bei den Bestimmungen des Vollzugsplanes handelt es sich um selbständige Maßnahmen. Deshalb ist die Frage, ob lockerungsbezogene Lücken oder positive Inhalte des Vollzugsplans (§ 7 Abs. 2 Nr. 7) die Rechte des Gefangenen verletzen, von der Rechtsverletzung durch konkrete Entscheidungen über Vollzugslockerungen (§ 11) zu trennen (vgl. BVerfG 3.7.2006 – 2 BvR 1383/03; OLG Karlsruhe StV 2007, 200; HansOLG Hamburg StraFo 2007, 390). Der Gefangene darf also nicht darauf verwiesen werden, zunächst bei der JVA einen Antrag auf Gewährung von Lockerungen gem. § 11 zu stellen und erst gegen eine mögliche Ablehnung des Antrages gerichtlich vorgehen zu können (OLG Karlsruhe StraFo 2007, 519). Das Erfordernis der Durchführung einer Konferenz mit an der Behandlung maßgeblich Beteiligten und die Mitwirkung des Anstaltsleiters ergeben sich insoweit aus § 159. Eine Delegation der Entscheidung ist gesetzlich nicht ausgeschlossen. Der Anstaltsleiter trägt jedoch die Verantwortung, sofern der Aufgabenbereich nicht mit Zustimmung der Aufsichtsbehörde übertragen worden ist (§ 156 Abs. 2 Satz 2). Die Vollzugsbehörde geht mit der Erstellung des Vollzugsplans, der als Programm und Konzept für die Behandlung des Gefangenen und die Lebensverhältnisse während des Strafvollzugs dienen soll, eine Bindung ein, die zur Folge hat, dass sie eine in den Plan aufgenommene konkrete, den Gefangenen begünstigende (Lockerungs-)Maßnahme nur unter den Voraussetzungen des § 14 Abs. 2 widerrufen darf (KG StV 2007, 313; ebenso bereits KG NStZ 1997, 207 und 1993, 100 sowie OLG Celle ZfStrVo 1989, 116). Auch wenn die Vollzugsbehörde den Vollzugsplan als „vorläufig“ bezeichnet und unter den Vorbehalt der Abstimmung mit Ermittlungsbehörden und/oder StVK stellt, reicht die Selbstbindung soweit, dass ein Abweichen vom Plan nur noch bei ermessensfehlerfreier Begründung zulässig ist. Dass die JVA bei erneuter Würdigung des in tatsächlicher Hinsicht unveränderten Lebenssachverhaltes nunmehr zu einer anderen Entscheidung kommt, ist jedenfalls unbeachtlich (OLG Karlsruhe v. 18.8.2005 – 2 Ws 159/04; vgl. auch KG NStZ 1997, 207, OLG München StV 1992, 589, OLG Zweibrücken NStZ 1988, 431). Eine im Vollzugsplan festgelegte (Sperr-)Frist zur Prüfung der Gewährung von Vollzugslockerungen ist eine anfechtbare Maßnahme i. S. d. § 109 StVollzG (OLG Koblenz BlStV 5/6/1992, 1). Orientiert sich der im Vollzugsplan vorgesehene Zeitpunkt für den Beginn der Lockerungen an einer Entlassung zum Halbstrafentermin und stellt sich später heraus, dass die konkreten Umstände diese Annahme nicht rechtfertigen, so kann ein rechtlich schutzwürdiges Vertrauen des Gefangenen auf eine bedingte Entlassung zur Halbstrafe und auf den daran ausgerichteten Einstieg in Vollzugslockerungen nicht anerkannt werden; die Vollzugsbehörde ist daher nicht gehindert, in diesem Fall den Beginn der Lockerungen zu verschieben (OLG Karlsruhe ZfStrVo 1989, 310 = BlStV 3/1990, 2; Laubenthal 2008 Rdn. 329). Stellt ein Gefangener unabhängig von einer Vollzugsplankonferenz einen eigenständigen Antrag auf Gewährung von Lockerungen, kommt es darauf an, ob es für ihn (bereits) einen Vollzugsplan gibt. Ist dies (noch!) nicht der Fall, wird der Antrag häufig zum Anlass zu nehmen sein, nunmehr zu dessen Erstellung eine Konferenz (§ 159) anzuberaumen. Aber auch im Falle des gänzlichen Absehens von der Erstellung eines Vollzugsplanes (§ 6 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. § 7 Abs. 1) muss der Anstaltsleiter im Einzelfall entscheiden, ob es zur vollständigen Ermittlung des Sachverhaltes, insbesondere hinsichtlich der Entwicklung der Persönlichkeit des Gefangenen als Grundlage der Ermessensentscheidung gleichwohl der Einberufung einer Konferenz mit an der Behandlung maßgeblich beteiligten Bediensteten bedarf. Wenn das KG (ZfStrVo 1990, 119 = BlStV 4/5/1990, 13) feststellt, dass es sich hierbei um keine wichtige Entscheidung i. S. d. § 159 2. Alt. handelt, trifft dies zwar zu, weil sie keine über den Einzelfall hinausgehende grundsätzliche Entscheidung der Vollzugsgestaltung in der Anstalt zum Gegenstand hat. Auch eine Konferenz i. S. d. § 159 1. Alt. kommt nicht in Betracht, weil es lediglich um die Entscheidung über eine einzelne Behandlungsmaßnahme geht. Hieraus folgt jedoch entge213
Ullenbruch
§ 11
Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
gen dem KG aaO nicht, dass in derartigen Fällen in jedem Falle eine Konferenz entbehrlich ist. § 159 schließt die Durchführung von Vollzugskonferenzen anderer Art nicht aus. Der in der genannten Vorschrift zum Ausdruck kommende Rechtsgedanke spricht im Gegenteil dafür, dass zur Entscheidung über einen entsprechenden Antrag die Durchführung einer „Lockerungskonferenz“ nachgerade geboten sein kann. Unterbleibt diese, kann hierin ein Rechtsfehler in Form des Unterlassens erforderlicher Ermittlungen zur Vorbereitung der Entscheidung liegen, der zu deren gerichtlicher Aufhebung führt. Gibt es bereits einen Vollzugsplan, kommt eine Entscheidung ohne Konferenz nur in Betracht, wenn diese den Festsetzungen des Planes zumindest nicht widerspricht. Ein Nebeneinander von (mehr oder weniger unverbindlichem) Vollzugsplan und davon unabhängiger verbindlicher Anstaltsleiterentscheidung wäre mit den Grundsätzen eines Behandlungsvollzuges nicht vereinbar. Sofern eine Umdeutung des Antrages in einen solchen auf Fortschreibung des Vollzugsplanes (§ 159 Rdn. 4) im Einzelfall nicht sinnvoll sein sollte, muss auch hier zumindest eine „Lockerungskonferenz“ durchgeführt werden, zumal der Anstaltsleiter an deren Empfehlungen ja nicht gebunden ist. Davon zu unterscheiden ist die Frage, ob die Fortschreibung des Vollzugsplanes die Bescheidung eines zuvor gestellten Antrages auf Gewährung einer konkreten Lockerungsmaßnahme zu ersetzen vermag. Dem ist nicht so (OLG Dresden NStZ 2000, 464 M). 5
5. Statistische Angaben. Die folgende Statistik (S. 188 f) enthält Zahlen zu den Lockerungen und Urlaub. Vollzugslockerungen im Bundesvergleich – hinsichtlich der „alten“ Bundesländer auch im Zeitvergleich mit 1986 Land
Jahr
nicht rechtz. Rückkehr BadenWürttemberg
Bayern
1
Berlin
Ullenbruch
Jahres- Freidurch- gang schnittsbeleinsges. gung
Ausgang
Urlaub
nicht rechtz. Rückkehr
insges.
nicht rechtz. Rückkehr
Regelurlaub
sonst. Urlaub
insges.
1986 159 1995 89 2002 20 2010 17
7.408
2.554
44
45.043
206
11.225
17.883
29.108
8.106
1.915
30
41.240
99
8.391
13.079
21.470
8.429
2.138
21
49.699
35
7.935
15.254
23.189
7.187
1.617
6
41.467
23
7.923
13.827
21.750
1986 216 1995 150 2002 62 2010 9
9.648
2.673
43
16.793
196
11.403
8.959
20.362
10.658
2.512
21
16.751
106
10.649
17.320
27.696
11.671
2.054
8
14.777
18
8.989
15.529
24.518
12.002
1.583
1
16.203
11
8.156
10.368
18.524
3.527
1.048
56
23.998
104
9.645
16.816
26.461
1986 165
214
§ 11
Lockerungen des Vollzuges
Land
Jahr
nicht rechtz. Rückkehr 1995 72 2002 53 2010 18 Brandenburg
Bremen
Hamburg
Hessen
MecklenburgVorpommern
215
1995 47 2002 8 2010 1 1986 98 1995 47 2002 24 2010 2 1986 127 1995 218 2002 90 2010 16 1986 345 1995 237 2002 26 2010 3 1995 44 2002 18 2010 8
Jahres- Freidurch- gang schnittsbeleinsges. gung
Ausgang
Urlaub
nicht rechtz. Rückkehr
insges.
nicht rechtz. Rückkehr
Regelurlaub
insges.
sonst. Urlaub
4.162
1.200
48
54.266
207
12.116
14.475
26.591
5.155
1.758
33
71.674
66
14.394
17.850
32.244
4.602
1.230
6
69.447
33
10.681
11.597
22.278
1.857
367
9
5.583
23
2.375
1.795
4.170
2.236
348
2
11.409
7
2.260
1.840
4.100
1.520
120
0
6.682
3
756
9.593
1.349
829
262
7
6.830
81
3.628
3.900
7.528
682
216
9
7.266
77
3.443
3.462
6.905
782
469
17
10.380
78
2.524
1.786
4.310
576
229
1
7.646
11
1.672
1.596
3.268
2.286
407
8
14.744
93
8.540
6.719
15.259
2.799
436
25
21.284
199
8.870
7.903
16.773
2.987
456
8
21.977
125
8.529
7.194
15.723
1.749
340
5
12.081
15
3.538
4.739
8.277
4.653
1.313
29
44.668
265
15.535
14.859
30.394
5.249
1.373
31
77.926
193
15.118
13.496
28.614
5.958
1.062
5
74.465
18
7.901
9.197
17.098
5.180
713
1
52.562
3
5.102
7.108
12.210
1.170
51
–
1.863
12
1.231
748
1.979
1.601
283
–
6.789
26
3.581
2.625
6.206
1.394
216
–
6.835
6
2.025
1.968
3.993
Ullenbruch
§ 11
Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
Land
Jahr
nicht rechtz. Rückkehr Niedersachsen
NordrheinWestfalen
Rheinland-Pfalz
Saarland
Sachsen
Sachsen-Anhalt
Ullenbruch
1986 464 1995 248 2002 2010 13 1986 1.435 1995 843 2002 448 2010 205 1986 175 1995 48 2002 23 2010 14 1986 40 1995 17 2002 12 2010 12 1995 28 2002 2 2010 4 1995 2 2002 1 2010 1
Jahres- Freidurch- gang schnittsbeleinsges. gung
Ausgang
Urlaub
nicht rechtz. Rückkehr
insges.
nicht rechtz. Rückkehr
Regelurlaub
sonst. Urlaub
insges.
5.397
1.905
41
73.347
476
13.507
9.118
22.625
5.568
1.668
28
78.924
196
12.747
11.296
24.043
6.569 5.626
1.512
3
– Keine Angaben – 95.124 27 6.902
8.605
15.507
15.015
8.866
127
62.199
286
40.692
42.966
83.658
16.438
7.779
52
108.700
299
51.892
38.468
90.360
17.756
6.296
40
246.450
397
66.437
60.962
127.399
16.630
4.869
27
252.024
166
50.226
47.902
98128
3.186
1.384
19
15.353
76
5.767
7.511
13.278
3.197
1.104
25
22.320
41
6.158
9.695
15.853
3.733
1.217
4
33.472
24
5.922
9.220
15.142
3.445
1.131
3
37.019
8
4.622
7.588
12.210
939
152
3
2.737
23
2.281
1.922
4.203
752
304
–
2.996
14
2.237
3.754
5.991
866
340
–
2.959
9
2.140
4.426
6.566
819
364
3
6.862
5
1.918
4.375
6.293
3.381
151
2
2.785
30
1.438
933
2.371
4.347
474
–
7.584
12
2.639
2.351
4.990
3.503
336
0
14.795
4
2.135
2.911
5.049
1.462
73
–
1.484
3
637
400
1.037
2.718
191
1
4.205
4
1.244
1.251
2.496
2.036
44
0
5.188
–
613
552
1.165
216
§ 11
Lockerungen des Vollzuges
Land
Jahr
nicht rechtz. Rückkehr SchleswigHolstein
Thüringen
Gesamtdeutschland
1986 108 1995 78 2002 19 2010 0 1995 7 2002 2 2010 7 1995 2.175 2002 806 2010 330
Jahres- Freidurch- gang schnittsbeleinsges. gung
Ausgang
Urlaub
nicht rechtz. Rückkehr
insges.
nicht rechtz. Rückkehr
Regelurlaub
insges.
sonst. Urlaub
1.618
148
2
5.056
35
3.537
2.181
5.718
1.428
334
6
22.292
57
4.191
4.159
8.350
1.586
227
2
25.231
20
3.492
3.423
6.915
1.335
71
–
14.391
5
1.401
1.203
2.604
1.142
62
1
2.415
19
796
417
1.213
1.933
221
–
5.659
8
1.448
1.804
3.252
1.781
139
0
5.238
1
1.472
2.758
4.230
68.051
19.545
287
468.095
1575
142.289 141.400 283.689
78.327
17.534
141
586.730
847
139.635
69.385
14.514
56
643.564
321 109.142 127.693 236.835
154.511 294.146
Erfasst sind Fälle von Vollzugslockerungen. Erhält ein Gefangener im Erfassungszeitraum mehrfach Vollzugslockerungen, so ist er mehrfach erfasst. Quelle: Angaben des Bundesjustizministeriums 1
1986 nur Westberlin
II. Erläuterungen 1. Einzelne Lockerungen (§ 11 Abs. 1) a) Ausführung. Bei der Ausführung wird angeordnet, dass der Gefangene für eine 6 bestimmte Tageszeit die Anstalt unter Aufsicht eines Vollzugsbediensteten verlassen darf. Die Zustimmung des Gefangenen ist erforderlich. „Zwangsausführungen“ scheiden jedenfalls als Lockerungen im Sinne von Behandlungsmaßnahmen von vornherein aus (vgl. dazu § 12 Rdn. 2). Gegenüber den übrigen Lockerungen des § 11 hat die Ausführung eine geringere Bedeutung. Sie darf zwar nicht nur als vorbereitende Maßnahme für weitergehende Lockerungen wie z. B. Urlaub oder Ausgang verstanden werden (vgl. auch OLG Frankfurt NStZ 1989, 246 und OLG Hamburg NStZ 1990, 606 zur Gewährung einer Ausführung bei Lebenslänglichen). Häufig wird allerdings vor weitergehenden Lockerungen und Urlaub als erste Stufe zunächst eine Ausführung gewährt. Insbesondere, wenn einerseits aufgrund bisher bekannter Umstände die Missbrauchsgefahr (noch) nicht als vertretbar eingestuft, andererseits günstige Veränderungen bei dem Gefangenen aber auch nicht ausgeschlossen werden können, ist die Chance einer derartigen 217
Ullenbruch
§ 11
Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
(Vor-)Bewährung sinnvoll (vgl. KG BlStV 4/5/1990, 5 f). Auch die allgemeine psychische Verfassung eines Gefangenen kann eine Ausführung als Behandlungsmaßnahme erforderlich machen (OLG Frankfurt NStZ 1984, 477). Der bloße Hinweis, der Bezug des Gefangenen zur Außenwelt sei durch Brief- und Besuchskontakte hinreichend gewährleistet, trägt die Ablehnung einer Ausführung nicht (LG Arnsberg LS ZfStrVo 2002, 367). Die Ausführung von mehreren Gefangenen ist als Gruppenausführung (zur Teilnahme an Freizeitveranstaltungen außerhalb der Anstalt) möglich (ebenso AK-Köhne/Lesting 2012 Rdn. 8). Die Ausführung ist hoheitliches Handeln. Sie ist deshalb nicht jedermann, sondern nur Vollzugsbediensteten des Landes gestattet. Mitarbeiter eines privaten Sicherheitsdienstes zählen nicht dazu. Der Gefangene darf z. B. zwar an sie gefesselt werden; gleichwohl muss die Ausführung aber zusätzlich von einem staatlichen Bediensteten begleitet werden (KG ZfStrVo 2002, 248 = NStZ 2002, 528 M, zum Maßregelvollzug). Die Angehörigen der Fachdienste sind hingegen Vollzugsbedienstete (vgl. nur § 155 Abs. 2) und dementsprechend – jedenfalls grds. – auch taugliche Aufsichtspersonen (wie hier Arloth 2011 Rdn. 5 und AK-Köhne/Lesting 2012 Rdn. 7; a. A. Rotthaus ZfStrVo 2005, 82; unklar OLG Hamm bei Bothge ZfStrVo 2004, 362). Der Begleitbeamte ist verpflichtet, den Gefangenen außerhalb der Anstalt ständig zu beaufsichtigen. Die Art und Weise der Ausführung (Transport mit PKW oder Bahn, Anzahl der Begleitbeamten, Tragen von Zivilkleidung oder Uniform seitens des Beamten, Sicherungsmaßnahmen, Kostenbeteiligung des Gefangenen, Dauer der Ausführung) muss jeweils vom Anstaltsleiter bestimmt werden. Ist es angesichts der sonstigen Umstände der Ausführung zu verantworten, muss dem Gefangenen das Tragen eigener Kleidung gestattet werden (§ 20 Abs. 2 Satz 1; vgl. auch § 20 Rdn. 3). Dies gilt auch bei einer Aus- oder Vorführung zum Gericht (OLG Karlsruhe NStZ 1996, 302; vgl. auch § 36 Rdn. 3, 4). Entscheidend ist stets eine einzelfallbezogene Prüfung (so bereits OLG Frankfurt ZfStrVo SH 1979, 60); ebenso bei der Frage, ob Fesselung (§ 88 Abs. 4) erforderlich ist (OLG Hamm BlStV 2/1995, 10; LG Heilbronn ZfStrVo 1988, 368). Der Begleitbeamte muss besonders geeignet sein (VV Nr. 4 Abs. 1), da seine Tätigkeit Umsicht und Fingerspitzengefühl erfordert (z. B. Ausführung zur Aussprache mit der Ehefrau, zur Teilnahme an einer Beerdigung, zum Besuch am Krankenbett des Angehörigen, dazu Mertens 1978 und Stenzel 1986). Zur Ausführung zur Rechtsberatung bei der Rechtsantragsstelle vgl. KG NStZ 1997, 427 M. Gerade in schwierigen Fällen kann es geboten sein, dass der Gefangene von einem Bediensteten ausgeführt wird, zu dem ein besonderes Vertrauensverhältnis besteht, und zwar aus Sicherheitsgründen (Scheu des Gefangenen, die Vertrauensperson zu enttäuschen) wie auch aus Behandlungsgründen (die Vertrauensperson kann bei der Problemlösung mithelfen). Ist diese Vertrauensperson kein Bediensteter (in der Regel Angehöriger des allgemeinen Vollzugsdienstes), handelt es sich nicht um eine Ausführung, sondern um Ausgang (Rdn. 8) in Begleitung einer bestimmten Person (als Weisung gem. § 14 Abs. 1, vgl. Rdn. 12). Dem Bediensteten erteilt der Anstaltsleiter vor der Ausführung bestimmte Weisungen. Ihm kann unter Umständen gestattet sein, davon abzuweichen, wenn der Zweck der Ausführung nicht anders zu erreichen ist. Weder aus der Fürsorgepflicht des Dienstherrn noch aus sonstigen Rechtsvorschriften lässt sich herleiten, dass einem Beamten des allgemeinen Vollzugsdienstes die Ausführung eines Gefangenen, für den besondere Sicherungsmaßnahmen (z. B. Fesselung) angeordnet worden sind, zu seinem Schutze nur bei Begleitung durch einen weiteren Beamten übertragen werden dürfe (OVG Lüneburg BlStV 6/1986, 8). Über den Verlauf der Ausführung sollte der betreffende Bedienstete gerade in schwierigen Fällen einen Bericht fertigen als Material für die weitere Vollzugsgestaltung. Ullenbruch
218
Lockerungen des Vollzuges
§ 11
Bei Gefangenen, die eine lebenslange Freiheitsstrafe verbüßen, kommen wegen in der Person des Gefangenen liegenden Gründen häufig als Lockerungen zunächst nur Ausführungen in Betracht; vgl. OLG Hamm ZfStrVo 1986, 376 (zu Seminarveranstaltungen einer Fernuniversität); LG Krefeld NStZ 1990, 511 (zu einer Großveranstaltung in Gestalt eines Künstlertreffens mit 500–700 Teilnehmern); OLG Hamm NStZ 1985, 189 („um nach zehnjähriger Haft wieder einmal einen Tag in Freiheit zu verbringen“) mit Anm. Müller-Dietz. Zur Bedeutung der Ausführung als Behandlungsmaßnahme; vgl. auch Stenzel 1986. Die Verweigerung der Ausführung eines Inhaftierten, der eine lebenslange Freiheitsstrafe verbüßt, allein wegen Personalknappheit verletzt den Betroffenen in dessen grundrechtlich geschütztem Resozialisierungsanspruch. Der Staat darf Rechtsansprüche Gefangener nicht nach Belieben dadurch verkürzen, dass er die Anstalten nicht derart ausstattet, wie es zur Wahrung der Rechte der Gefangenen erforderlich wäre. Die Grundrechte setzen insofern auch Maßstäbe für die notwendige Beschaffenheit staatlicher Einrichtungen (grundlegend: BVerfG v. 26.10.2011 – 2 BvR 1539/09; erstinstanzlich instruktiv z. B. LG Aachen vom 18.3.2010 – 33 i StVK 841/09). Bei der Prüfung der Notwendigkeit einer Ausführung dürfen unbeschadet dessen grundsätzlich aber auch die personellen und organisatorischen Möglichkeiten der Anstalt berücksichtigt werden (zu weitgehend allerdings OLG Hamm NStZ 1985, 189; zutreffend restriktiver bereits OLG Karlsruhe NStZ-RR 2007, 325). Zur Ausführung zum Arzt oder in das Krankenhaus vgl. § 35 Rdn. 7. Zur Vorführung zur Rechtsantragsstelle beim Amtsgericht durch Beamte des Justizwachtmeisterdienstes im Wege der Amtshilfe und den ihnen zustehenden Zwangsbefugnissen § 36 Rdn. 4, 5. Die Ausführung kann durch Allgemeinverfügung auf 12 Stunden begrenzt werden. Diese Grenze ergibt sich aus dem Verhältnis der Tages- zu den Nachtstunden, dem Anspruch des ausführenden Beamten auf regelmäßige Dienst- und Erholungszeiten und daraus, dass eine Ausführung begrifflich auch einer räumlichen Begrenzung unterliegt (LG Hamburg 12.2.1978 – 98 (Vollz) 20/78; a. A. AK-Köhne/Lesting 2012 Rdn. 9). Möglich sind aber auch Ausführungen an mehreren unmittelbar aufeinanderfolgenden Tagen, wobei der Gefangene jeweils abends in der nächstgelegenen Anstalt untergebracht wird. Einen Aufwendungsersatz für Ausführungen nach § 11 sieht das Gesetz (im Unterschied zu Anordnungen gemäß § 35 Abs. 3) nicht vor. Mangels Ermächtigungsgrundlage können deshalb weder die Kosten für eventuellen Einsatz eines Dienstkraftfahrzeuges noch die Aufwendungen für die ausführenden Bediensteten von dem Gefangenen verlangt werden (so zutreffend Runderlass des JM Baden-Württemberg vom 24.4.1996 – 4511 – IV/6 –). Seine eigenen Reisekosten, seinen Lebensunterhalt und andere ihm während der Ausführung entstehende Aufwendungen (z. B. Eintrittsgelder) hat der Gefangene entsprechend VV Nr. 6 Abs. 2 zu § 13 aus Mitteln des Haus- oder Eigengeldes zu tragen. Nr. 2 Abs. 1 der VV zu § 51 gilt entsprechend. Soweit die eigenen Mittel des Gefangenen nicht ausreichen, kann eine Beihilfe aus staatlichen Mitteln gewährt werden. Zum Aufwendungsersatz bei einer Ausführung gem. § 35 Abs. 3 vgl. § 35 Rdn. 7. b) Außenbeschäftigung. Bei der Außenbeschäftigung handelt es sich um regel- 7 mäßige Beschäftigung außerhalb der Anstalt unter Aufsicht eines Vollzugsbediensteten. Die Beaufsichtigung erfolgt a) ständig und unmittelbar, b) ständig oder c) in unregelmäßigen Abständen (VV Nr. 2). Zu a): Das zahlenmäßige Verhältnis zwischen Gefangenen und aufsichtsführenden Vollzugsbediensteten ist so festzusetzen, dass diese das Verhalten und die Vollzähligkeit 219
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der Gefangenen jederzeit überblicken können (Außenbeschäftigung unter diesen Bedingungen ist praktisch kaum möglich, weil Arbeitsabläufe und sonstige Gegebenheiten – z. B. Toilettenbesuch – dies kaum zulassen). Zu b): Die Vollzugsbediensteten brauchen die Gefangenen nicht im Blickfeld zu behalten, sofern ständige äußere Vorrichtungen gegen ein Entweichen bestehen (z. B. Arbeiten in geschlossener Halle). Zu c): Unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles setzt der Anstaltsleiter fest, in welchen zeitlichen Mindestabständen sich die Vollzugsbediensteten über das Verhalten und die Vollzähligkeit der Gefangenen zu vergewissern haben. Für die Intensität der Beaufsichtigung sind die Zahl der Gefangenen, die Art der Arbeit und die örtlichen Gegebenheiten zu berücksichtigen. Die Beschäftigung von Gefangenen außerhalb von Anstaltsbetrieben, aber noch innerhalb des durch Zaun oder Mauer gesicherten Anstaltsgeländes (z. B. Garten- und Hofarbeiten) stellt keine Außenbeschäftigung dar (anders dagegen bei Arbeiten auf außerhalb der Mauer gelegenem Anstaltsgelände und in Dienstwohngebäuden). Auch Außenbeschäftigung von Gefangenen zusammen mit freien Arbeitern ist möglich. Die Verantwortung für die Aufsicht der Gefangenen kann aber keinem Zivilarbeiter übertragen werden (anders beim Freigang Rdn. 9). Die Außenbeschäftigung kann in Außenarbeitslagern (ständige Unterbringung außerhalb der Anstalt) oder in Arbeitskommandos (tägliche Rückkehr in die Anstalt) erfolgen. Der Vollzug in umwehrten und weit außerhalb der festen Anstalt befindlichen Barackenlagern ist überholt, da er wegen unzureichender Betreuung der Gefangenen und schädlicher Einflüsse durch Gemeinschaftsunterbringung nicht mehr heutigen vollzuglichen Anforderungen entspricht (vgl. Kühling 1988, 347). Teilweise sind solche Lager inzwischen zu Abteilungen des offenen Vollzuges (vgl. § 10 Abs. 1) umgestaltet worden. Es mag im Rahmen des Arbeitsablaufes vorkommen, dass die Gefangenen über mehrere Tage von der Anstalt entfernt beschäftigt werden und nachts am Arbeitsplatz übernachten müssen; dann muss aber auch nachts zumindest eine stichprobenweise Beaufsichtigung gewährleistet sein. – Die Gewährung einer Beihilfe zu den Kosten einer Lockerungsmaßnahme (z. B. Fahr- und Zehrgeld bei gemeinnütziger Arbeit außerhalb der Anstalt) liegt als soziale Leistung im Ermessen der Anstalt (KG StV 2007, 313; vgl. auch § 13 Rdn. 36). – Zum Ausschluss eines Anspruchs auf Grundsicherung nach § 7 Abs. 4 SGB II gelten die Ausführungen zum Freigang entsprechend (s. Rdn. 10 a. E.). Die Zustimmung des Gefangenen bei Außenbeschäftigung ist von Bedeutung – sie war schon früher im Strafgesetzbuch für Gefängnisgefangene vorgesehen –, weil er nicht unfreiwillig der Möglichkeit ausgesetzt werden soll, von anstaltsfremden Personen in der Öffentlichkeit erkannt und dadurch vielleicht bloßgestellt zu werden. Die Zustimmung kann jederzeit widerrufen werden. 8
c) Ausgang. Beim Ausgang wird angeordnet, dass der Gefangene für eine bestimmte Tageszeit die Anstalt ohne Aufsicht eines Vollzugsbediensteten verlassen darf. Hierbei dürfte es sich um die wohl „bedeutendste“ Lockerungsmaßnahme handeln (so zutreffend Feest/Lesting ZfStrVo 2005, 76, 79). Sie wird meist zur Vorbereitung und Erprobung für die Gewährung von Urlaub oder Freigang als weitergehende Lockerung gewährt (vgl. KG BlStV 4/5/1990, 5), und zwar zur Erledigung persönlicher Angelegenheiten des Gefangenen und aus sonstigen Gründen der Behandlung, z. B. zur Teilnahme am Unterricht, an kulturellen, religiösen, politischen oder sportlichen Veranstaltungen; zur Gewährung von Ausgang zur Teilnahme an Begleitveranstaltungen eines Fernstudiums: OLG Koblenz ZfStrVo 1987, 246; zur Teilnahme am Gottesdienst: OLG Stuttgart NStZ 1990, 150; zur Therapiesitzung bei einer externen Psychologin: KG StV 1991, 570 m. Anm. Ullenbruch
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Heischel. Beantragt ein Gefangener Ausgang, um beim Rechtspfleger des Amtsgerichts eine Rechtsbeschwerde einzulegen, so kann der Antrag grundsätzlich unter Hinweis auf dessen regelmäßige Sprechstunden in der Anstalt abgelehnt werden (OLG Frankfurt ZfStrVo 1991, 249; vgl. auch § 36 Rdn. 5). Unzulässig ist es, Gefangene im geschlossenen Vollzug grundsätzlich vom Ausgang auszuschließen (BVerfG NStZ 1998, 430). – Häufig wird Ausgang anstelle eines Besuches in der Anstalt gewährt. Die zum Besuch in die Anstalt kommenden Angehörigen des Gefangenen verbringen mit dem Gefangenen eine begrenzte Zeit in der Nähe der Anstalt (a. A. AK-/Köhne/Lesting 2012 Rdn. 14, die allerdings selbst auf die faktische Begrenzung durch den beschränkten zeitlichen Rahmen hinweisen). – Ausgang kann auch zur Vorbereitung der Entlassung erteilt werden (vgl. § 15 Rdn. 4). Die Landesgesetze führen teilweise neue Differenzierungen ein. Z. B. unterscheidet § 9 Abs. 2 Nr. 2 JVollzGB III zwischen Verlassen der JVA „ohne Aufsicht“, dann „Ausgang“, und „in Begleitung einer Bezugsperson“, dann „Begleitausgang“, vgl. Rdn. 29; s. auch § 13 Abs. 3 Nr. 3 HStVollzG oder § 38 Abs. 1 Nr. 1 und 2 ME-StVollzG, vgl. Rdn. 30 f. Der nicht geltendes Recht gewordene Entwurf des Bundesrates vom 23.9.1988 zur Änderung des StVollzG (BR-Drucks. 270/88) gab durch folgende Ergänzung des § 11 Abs. 1 einen Hinweis, für welche Fälle Ausgänge in Betracht zu ziehen sind: „Ausgang kann zur Erledigung persönlicher Angelegenheiten, zu Besuchsempfang außerhalb der Anstalt anstelle eines Besuchs in der Anstalt (§ 24), im Rahmen der Freizeitgestaltung oder sonst aus Gründen der Behandlung gewährt werden.“ Die Dauer des Ausgangs wird im Einzelfall bestimmt. Sie sollte in der Regel nicht über 24 Uhr hinausgehen. Wenn der Gefangene erst nach Mitternacht in die Anstalt zurückzukehren braucht, kommt anstelle von Ausgang Urlaub (§ 13) in Frage (wie hier Arloth 2011 § 13 Rdn. 3 und K/S-Schöch 2002 § 7 Rdn. 41; a. A. AK-Köhne/Lesting 2012 Rdn. 14). Nach OLG Celle (NStZ 1981, 276) schließt die gesetzliche Regelung in § 11 Abs. 1 („namentlich“) nicht aus, dass ein Gefangener für eine bestimmte Tageszeit Ausgang erhält und ihm in unmittelbaren Anschluss daran Urlaub gewährt wird (hier Antrag eines Gefangenen – im Hinblick auf eine zehnstündige Reisezeit zum Wohnort seiner Ehefrau – auf Gewährung von Ausgang von 6.30 Uhr bis 24.00 Uhr und anschließendem zweitägigen Urlaub ab 0.00 Uhr bis zum folgenden Tag um 23.30 Uhr; ebenso OLG Hamm ZfStrVo 1986, 115 und 1987, 373). Nachdem der BGH (ZfStrVo 1988, 243) entschieden hat, dass der Tag, in den der Urlaubsantritt fällt, nach § 187 BGB nicht mitgezählt wird, besteht für eine Koppelung von Ausgang und Urlaub im Hinblick auf eine längere Reisezeit keine Notwendigkeit mehr. Vgl. auch § 13 Rdn. 7. Die Häufigkeit der Gewährung von Ausgang regelt das Gesetz – im Unterschied zum Urlaub – nicht. Auch ist der Ausgang nicht an zeitliche Voraussetzungen geknüpft (vgl. OLG Hamm ZfStrVo 1986, 114: „Die Auffassung, Ausgang käme nur in Betracht, wenn die weitere Vollzugsdauer weniger als drei Monate betrage, findet im Gesetz keine Stütze“). Dem Gefangenen kann im Ausgang die Benutzung eines Kfz gestattet werden (OLG Hamm BlStV 1/1981, 7). Der Zielort des Ausganges kann entfernungsmäßig beschränkt werden. Auch ist vom Gefangenen zu verlangen, dass er den Zweck des Ausgangs in nachprüfbarer Weise angibt. Kehrt ein Gefangener einen Tag verspätet aus dem Ausgang zurück, wird dadurch zwar die Strafvollstreckung für einen Tag unterbrochen, nicht jedoch das Strafvollzugsverhältnis beendet. Deshalb steht ihm z. B. auch kein Anspruch (quasi als Neuzugang) auf ein zweites „Jahrespaket“ (§ 33 Abs. 1) zu, wenn er ein solches bereits vor dem Ausgang erhalten hatte (OLG Zweibrücken ZfStrVo 1993, 117 = BlStV 1/1993, 3). Ein Antrag auf Gewährung von Urlaub enthält nicht zugleich das Begehren, wenigstens Ausgang zu bewilligen, falls der Urlaub nicht gewährt wird (OLG Celle BlStV 4/5/1989, 7). 221
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d) Freigang. Freigang ist eine regelmäßige Beschäftigung außerhalb der Anstalt ohne Aufsicht eines Vollzugsbediensteten. Es handelt sich um die weitgehendste der benannten Lockerungen des § 11. Dies verkennt z. B. § 13 Abs. 3 Satz 2 NJVollzG, demzufolge Urlaub erst angeordnet werden soll, wenn sich die oder der Gefangene im Ausgang oder Freigang bewährt habe (vgl. Rdn. 32). Ihre Anordnung besteht in der Erlaubnis, einer bestimmten Beschäftigung außerhalb der Anstalt nachzugehen. Der Freigang soll sinnvolle Arbeit oder Berufs- bzw. Schulausbildung außerhalb der Anstalt ermöglichen. Dabei können Gesichtspunkte der Erprobung (zur Prognosestellung im Falle einer bedingten Entlassung § 4 Rdn. 10), der Wiedereingliederung (Gewöhnung an das Arbeitsleben in der freien Wirtschaft nach längerer Inhaftierung; zum Gegensteuerungs- und Integrationsgrundsatz § 3 Rdn. 11 ff) oder der Ausbildung eine Rolle spielen. Die Dauer des Freigangs richtet sich nach seinem Zweck. Ein länger als ein Jahr dauernder Freigang bedeutet für den Betroffenen meist eine übermäßige Belastung mit Gefahr von Kurzschlusshandlungen. Ein Gefangener, der tagsüber in der Anstalt arbeitet, dem jedoch gestattet wird, regelmäßig an bestimmten Wochentagen abends Veranstaltungen (z. B. Sport, Volkshochschulkurse) außerhalb der Anstalt zu besuchen, ist kein „Freigänger“ i. S. d. Abs. 1 Nr. 1 (a. A. AK-Köhne/Lesting 2012 Rdn. 21). Die Wahrnehmung externer Freizeitaktivitäten ist ausschließlich im Rahmen von Lockerungen nach Abs. 1 Nr. 2 oder Urlaub möglich. Anders als bei der Außenbeschäftigung kann eine anstaltsfremde Person (z. B. Firmeninhaber) zu einer „Aufsicht“ oder auch nur zur Benachrichtigung bei besonderen Anlässen (vgl. VV Nr. 3 Abs. 1) verpflichtet werden. In Niedersachsen z. B. wird hierzu eine besondere Belehrungsniederschrift verwendet. Anzustrebende Beschäftigungsart ist das sog. „freie Beschäftigungsverhältnis“ außerhalb der Anstalt (§ 39 Abs. 1 Satz 1), das als normales Arbeits- oder Ausbildungsverhältnis zwischen dem Gefangenen und einem Arbeitgeber abgeschlossen wird und das ihm den normalen Tariflohn bzw. die übliche Ausbildungsvergütung eröffnet (vgl. K/S-Schöch 2002 § 7 Rdn. 39). Weist die JVA den Gefangenen einem externen Betrieb zu anstaltsüblichen (und in der Regel für sie „lukrativen“) Bedingungen zu (§ 37 Abs. 2), ist dies ein „unechter Freigang“. Ihn hat das BVerfG mit Wirkung zum 1.1.1999 zu Recht für verfassungswidrig erklärt, sofern er nicht ausnahmsweise zur Arbeitsvermittlung unerlässlich ist (BVerfG ZfStrVo 1998, 242, 248). Zwischen der Gewährung von Freigang und der Gestattung eines freien Beschäftigungsverhältnisses ist aber zu unterscheiden. Während für die erstere Entscheidung § 11 maßgebend ist, richtet sich die letztere nach § 39 Abs. 1 Satz 1 (vgl. im Einzelnen § 39 Rdn. 2–9). Der Freigänger kann auch bei seinem früheren Arbeitgeber beschäftigt werden (OLG Celle aaO; AK-Köhne/Lesting 2012 Rdn. 20), allerdings z. B. dann nicht, wenn die der Verurteilung zugrunde liegenden Straftaten mit dem Arbeitsplatz in Zusammenhang standen. Auch eine Beschäftigung im Unternehmen der Ehefrau ist nicht völlig ausgeschlossen. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass dies zu Konfliktsituationen für sie selbst bzw. für andere zum Betrieb gehörige Mitarbeiter bei der Mitwirkung an notwendigen Überwachungspflichten führen kann (LG Wuppertal NStZ 1988, 476; zu verkürzt der Prüfungsumfang bei OLG Zweibrücken – 1 Vollz 3/89 – vom 31.8.1989: Es kommt darauf an, ob die der Verurteilung zugrunde liegende Straftat einen Bezug zum Betrieb der Ehefrau hat). Eine Freigängertätigkeit als Bezirksleiter einer Versicherungsagentur mit Büro und Telefon im eigenen Haus, aber auch mit Kundenbesuchen außer Haus erscheint problematisch. Jedenfalls wählt das LG Göttingen StV 1990, 359 den falschen Bezugspunkt, wenn es meint, die Kontrollmöglichkeiten hätten sich in derartigen Fällen am jeweiligen Berufsbild der geplanten Tätigkeit zu orientieren, da anderenfalls ein großer Teil von Berufen, die eine gewisse Mobilität erfordern, nicht ausgeübt worden könnte (vgl. auch § 39 Rdn. 6). Entscheidend ist vielmehr stets die im Hinblick auf Persönlichkeit Ullenbruch
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und Zuverlässigkeit des Gefangenen für erforderlich gehaltene Kontrolldichte. Kann diese bei der konkret in Rede stehenden Tätigkeit nicht gewährleistet werden, kommt ein derartiger Arbeitsplatz in der Tat für den Freigang nicht in Betracht. Der Anstaltsleiter kann dem Gefangenen auch gestatten, sich außerhalb der Anstalt z. B. im eigenen Betrieb entsprechend § 39 Abs. 2 selbst zu beschäftigen (BGHSt 37, 85 = NJW 1990, 2632 = JR 1991, 167 m. Anm. Böhm = ZfStrVo 1991, 48 m. Anm. Matzke auf Vorlage OLG Celle NStZ 1989, 341 gegen OLG Hamm NStZ 1986, 428). Im Hinblick darauf, dass eine soziale Mitkontrolle des Arbeitgebers in Ermangelung eines solchen zwangsläufig ausgeschlossen ist, ist der Anstaltsleiter entgegen dem BGH nicht nur „nicht gehindert“, sondern nachgerade verpflichtet, bei der Prüfung der Zulassung einen strengen Maßstab anzulegen (so zutreffend auch OLG Frankfurt ZfStrVo 2002, 117). Dabei ist sowohl die Gefahr des Missbrauches der weitgehenden Lockerung zu erneuten Straftaten verantwortlich abzuschätzen (Abs. 2 i. V. m. § 2 Satz 2), als auch die behandlerische Sinnhaftigkeit der Maßnahme (§ 39 Abs. 2 i. V. m. § 2 Satz 1) unter dem Gesichtspunkt des möglichen Rückzuges in eine bequeme Nische, um sich so um die Arbeitspflicht nach § 41 Abs. 1 Satz 1 zu drücken (vgl. hierzu Böhm aaO), kritisch zu hinterfragen. Andererseits kann z. B. die Ermöglichung der Aufnahme eines Studiums (entgegen OLG Frankfurt NStZ 1983, 381 handelt es sich auch insoweit um „Freigang“, vgl. auch § 39 Rdn. 3) an einer Hochschule trotz bzw. gerade wegen des hohen Maßes an Gestaltungsfreiheit zur Verbesserung der Kriminalprognose besonders indiziert sein. Erforderlich ist deshalb stets eine Einzelfallentscheidung. Gleichfalls im Wege der Selbstbeschäftigung kann inhaftierten Müttern (und Vätern) zur ausschließlichen Versorgung der Kinder und des Haushalts Freigang gewährt werden (ebenso AK-Köhne/Lesting 2012 Rdn. 21; vgl. hierzu auch § 39 Rdn. 15–17). Unbeschadet der konkreten Ausgestaltung führt die Zulassung zum Freigang in keinem Fall dazu, dass die JVA lediglich noch als „teilstationäre Einrichtung“ i. S. des SGB II anzusehen ist (zur Frage des Leistungsausschlusses nach dessen § 7 Abs. 4 s. Rdn. 10 a. E.). Der JVA verbleibt im Rahmen des Vollzugsplans die Gesamtverantwortung für die tägliche Lebensführung des Gefangenen. Dementsprechend kann der Anstaltsleiter z. B. Weisungen gem. § 14 Abs. 1 erteilen (LSG Berlin- Brandenburg v. 7.11.2006 – L 29 B 804/06 AS ER, FS 2007, 184). Auch erhalten Freigänger als Strafgefangene gem. § 7 Abs. 4 SGB 2 keine Grundsicherung, sofern sie nicht tatsächlich mindestens 15 Stunden wöchentlich unter den Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig sind. Ein Leistungsausschluss verstößt ggf. nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG (SG Leipzig vom 27.10.2008 – S 17A53040/08). In der Regel erfolgt die Zulassung zum Freigang erst in Verbindung mit einer kon- 10 kreten geeigneten Arbeitsstelle außerhalb der Anstalt. Auch eine abstrakte Erlaubnis zum Freigang ist jedoch möglich (so zutreffend BGH, Beschl. vom 14.11.1978 – 4 StR 663/ 78, in einem obiter dictum, abgedruckt bei Begemann 1991, 518). Dies gilt auch, wenn sich der Gefangene im geschlossenen Vollzug befindet (wie hier Arloth 2011 Rdn. 8. Die Gegenansicht (C/MD 2008 Rdn. 9 ff; Laubenthal 2011, Rdn. 527) verkennt, dass die Voraussetzungen einer Unterbringung im offenen Vollzug und des Freiganges zwar teilweise, im entscheidenden Punkt jedoch gerade nicht kongruent sind. Wenn bei einem Gefangenen besondere Vorkehrungen gegen ein Entweichen entbehrlich sind (§ 141 Abs. 2), heißt dies noch lange nicht, dass er auch in der Lage ist, den besonderen Belastungen einer ganztägigen Beschäftigung außerhalb der Anstalt standzuhalten (insoweit richtig OLG Hamm NStZ 1990, 607 = ZfStrVo 1991, 121). Umgekehrt kann ein Gefangener durchaus diesen besonderen Belastungen standhalten, aber wegen Unverträglichkeit oder als Sonderling für die Unterbringung in einer Einrichtung des offenen Vollzuges ungeeignet sein (§ 10 Rdn. 7). Dies berücksichtigt (nunmehr) auch § 12 HmbStVollzG n. F. (vgl. Rdn. 31). Der Status des abstrakten Freigängers muss in jedem Einzelfall durch eine aus223
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drückliche Entscheidung nach § 11 begründet werden. Bei der Ausübung des Ermessens ist insbesondere zu berücksichtigen, dass es sich um die Anordnung einer Behandlungsmaßnahme handelt, sodass insbesondere ihre Auswirkungen auf die Motivation zur weiteren Mitarbeit an der Erreichung des Vollzugszieles im Blick behalten werden müssen. Die Zulassung ist kein Selbstzweck. Entscheidungsbedarf entsteht nahezu ausschließlich im Zusammenhang mit dem Wunsch des Gefangenen, (bereits) im Stadium der Arbeitsplatzsuche einen Anspruch auf Arbeitslosengeld zu erlangen und/oder unabhängig von der konkreten Ausübung einer Beschäftigung im Freigang Sonderurlaub wie ein Freigänger nach § 15 Abs. 4 zu erhalten. Die Entscheidung ist in jeder Phase des Vollzuges nach denselben Gesichtspunkten zu treffen. Eine Unterscheidung zwischen einer Verleihung des Status in einem früheren Zeitpunkt und dem „Sonderfall“ während der Entlassungsphase (C/MD 2008 Rdn. 11 und § 15 Rdn. 6) ist nicht sachgerecht. Auch im letztgenannten Falle muss als Vorfrage entschieden werden, ob eine abstrakte Verleihung des Freigängerstatus angebracht ist (argumentum e VV Abs. 3 zu § 15: „zugelassen ist“). Im Hinblick darauf, dass die Verleihung des abstrakten Status auf jeden Fall Vorteile bringt, die die Motivation zur Begründung eines konkreten Beschäftigungsverhältnisses verringern, gleichzeitig aber erhebliche finanzielle Auswirkungen hat (auch Sonderurlaub kostet in der Regel Geld), kann in keinem Fall die bloße Eignung ausreichend sein (a. A. C/MD 2008 § 15 Rdn. 6; wohl auch OLG Celle LS ZfStrVo 1986, 377). Diese ist zwar stets notwendige, aber nie hinreichende Voraussetzung. Zusätzlich erforderlich ist, dass die Interessenlage des Gefangenen im Einzelfall eine Angleichung seiner Stellung an diejenige eines Freigängers gebietet (OLG Zweibrücken NStZ 1987, 247). Während des Zeitraums, in dem ein Gefangener sich mit Zustimmung des Anstaltsleiters einen Arbeitsplatz als Freigänger sucht, ist die Verleihung des abstrakten Freigängerstatus grundsätzlich nicht angebracht (a. A. AK-Köhne/Lesting 2012 Rdn. 25; C/MD 2008 Rdn. 10, allerdings wiederum nur bei Unterbringung im offenen Vollzug). Sie birgt vielmehr die große (z. B. vom KG NStZ 1993, 100 verkannte) Gefahr, dass die Motivation des Gefangenen, tatsächlich ein konkretes Beschäftigungsverhältnis zu suchen, sinkt, weil er unabhängig hiervon bereits mit Aussicht auf Erfolg einen Antrag auf Arbeitslosengeld nach dem SGB III (vgl. BSG ZfStrVo 1992, 134 f = BlStV 1/1992, 1) oder Sonderurlaub entsprechend § 15 Abs. 4 (vgl. VV Abs. 3 zu § 15) stellen kann. Deshalb sollte in der Regel erst, wenn der Gefangene eine konkrete Arbeitsstelle gefunden hat und diese auch aus vollzuglicher Sicht für geeignet befunden wird, eine Zulassung zum Freigang erfolgen. Nunmehr kann Sonderurlaub nach § 15 Abs. 4 gewährt werden, sofern die übrigen Voraussetzungen erfüllt sind, zumal auch die entsprechenden finanziellen Mittel zur Verfügung stehen. Mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses erlischt die Zulassung (a. A. AK-Köhne/ Lesting 2012 Rdn. 25; wie hier C/MD 2008 Rdn. 12 und Laubenthal 2008 Rdn. 527, allerdings vom dortigen Standpunkt konsequenterweise auch insoweit auf den im geschlossenen Vollzug untergebrachten Gefangenen beschränkt). Es empfiehlt sich, dies bereits als auflösende Bedingung in die (Erst-)Zulassung aufzunehmen und ergänzend darauf hinzuweisen, dass eine Neuzulassung erst dann erfolgt, wenn dem Gefangenen unverschuldet gekündigt wurde, bzw. er im Benehmen mit der JVA das Arbeitsverhältnis gelöst hat und eine neue, geeignete Arbeitsstelle gefunden ist. In den Fällen, in denen ein Gefangener überhaupt nicht nach einer konkreten Arbeitsstelle sucht (Beispiele: Krankheit, Anerkennung als Rentner, Beschäftigung als Koch oder Hausarbeiter in einer Einrichtung des offenen Vollzugs, Teilnahme an einer Ausbildungsmaßnahme im geschlossenen Vollzug), sollte in jedem Einzelfall sehr sorgfältig geprüft werden, ob die Interessenlage tatsächlich eine Gleichstellung mit einem „konkreten“ Freigänger erfordert. Die „abstrakte“ Zulassung sollte restriktiv gehandhabt werden (im Wesentlichen wie hier K/S-Schöch 2002 § 7 Rdn. 38 und Begemann 1991, 519, der treffend darauf hinUllenbruch
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weist, dass auch in Freiheit bislang niemand aus dem Gleichheitssatz die Forderung abgeleitet hat, bei Mangel an Arbeitsplätzen sei der Lohn ohne Arbeitsleistung zu zahlen). Ist der Strafgefangene indes „abstrakt“ zugelassen, verrichtet aber weiterhin „Gefangenenarbeit“, so schließt dies für diesen Zeitraum die Verfügbarkeit für die Arbeitsvermittlung aus, nicht aber Arbeitslosigkeit i. S. von § 119 Abs. 1 SGB III (zum alten Recht BayLSG vom 15.10.1998 – L 9 AL 385/96). Etwas anderes soll gelten, wenn der Gefangene lediglich in eine „Warteliste für Freigänger“ aufgenommen worden ist (BSG vom 21.11. 2002 – B 11 AL 9/02 R; zum Ganzen vgl. auch BSG vom 16.10.1990 – 11 R Ar 3/90 = BSGE 67, 269). Eine während der Strafhaft – ohne Freigängerstatus – durchlaufene Ausbildung (z. B. Erlangung der Fachhochschulreife und nachfolgendes abgeschlossenes Fernstudium der Wirtschaftswissenschaften) ist – aufgrund teleologischer Reduktion des § 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB VI – keine (vormerkbare) Rentenausbildungsanrechnungszeit, weil Strafgefangene nicht „wegen der Ausbildung ohne Verschulden“ (vgl. BSG, Urteil vom 24.10.1996 – 4 RA 52/95), sondern wegen der Strafhaft gehindert sind, eine versicherungspflichtige Beschäftigung auszuüben (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 25.9. 2008 – L 10 R 4743/07). Hinsichtlich eines Anspruchs auf Grundsicherung für Arbeitssuchende (insbesondere Unterkunft) verhindert nur ein 15 Wochenstunden überschreitendes Beschäftigungsverhältnis oder eine selbständige Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt den Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 4 SGB II; eine Beschäftigung über die JVA mit gemeinnützigen Arbeiten oder die bloße Feststellung der Eignung zum Freigang reichen hierfür nicht aus (LSG Berlin-Brandenburg v. 7.11.2006 – L 29 B 804/06 AS ER, FS 2007, 184; vgl. auch SG Aachen FS 2007, 186; differenzierend für den offenen Vollzug SG Düsseldorf FS 2007, 187). In der Regel werden dem Freigänger folgende Weisungen (§ 14) erteilt: Rückkehr in 11 die Anstalt zu bestimmter Zeit (unter Berücksichtigung des Hin- und Rückweges und eines Zuschlages zur Erledigung kleinerer persönlicher Angelegenheiten); kein Einbringen von Gegenständen in die Anstalt ohne Erlaubnis (Durchsuchung erforderlich, vgl. § 84); Nüchternheit bei Rückkehr, d. h. kein – oder jedenfalls kein übermäßiger – Alkoholgenuss (Kontrolle mittels Alcomat). Vgl. auch § 39 Rdn. 10. Nicht minder wichtig sind „flankierende“ Maßnahmen. Beispiele: Besuch von Selbsthilfegruppen wie „Anonyme Alkoholiker“; Vorsprache bei Beratungsstellen oder Teilnahme an einer ambulanten Therapie; Schuldenregulierung; Schadenswiedergutmachung. – Aus organisatorischen und vollzuglichen Gründen sollten Freigänger getrennt von anderen Gefangenen untergebracht werden; möglichst in einem besonderen Gebäude außerhalb der (Haupt-)Anstalt. Insbesondere in den „neuen“ Bundesländern ist die Realität des Justizvollzuges jedoch noch weit von diesen elementaren Erfordernissen entfernt (vgl. auch § 147). – Die Verpflegung der Gefangenen im Freigang sollte nach Möglichkeit in der Anstalt oder am Arbeitsplatz erfolgen. Der Besuch von Gaststätten zu diesem Zweck ist nicht nur wegen der Nähe zum dortigen Alkoholausschank problematisch, er stellt auch keine „wirtschaftliche“ Lebensweise dar. – Grundsätzlich muss der Freigänger täglich in die Anstalt zurückkehren, es sei denn der Anstaltsleiter gewährt ihm Urlaub. Unter Zugrundelegung eines äußerst strengen Maßstabs kann aber im Einzelfall ausnahmsweise auch eine mehrtägige „beschäftigungsbedingte“ Abwesenheit gestattet werden (z. B. kurzer Montageaufenthalt, Fortbildungsveranstaltung, ungünstige Arbeitszeiten am Wochenende im Gaststättengewerbe usw.). Rechtsdogmatisch handelt es sich dann jedoch um die (zusätzliche) Anordnung einer sonstigen Maßnahme i. S. d. Abs. 1 (vgl. Rdn. 12). Der Hinund Rückweg zur Arbeitsstelle sollte nach Möglichkeit zu Fuß oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurückgelegt werden. Ausnahmsweise kann hierfür auch das eigene Fahrzeug benutzt werden (vgl. dazu OLG Hamm BlStV 1/1981, 7; OLG Frankfurt NStZ 1991, 407). Zur Nichtberücksichtigung der Haftzeiten eines Freigängers bei der Berechnung 225
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der Fahrverbotsfrist des § 44 Abs. 4 Satz 2 StGB vgl. OLG Köln NStZ-RR 2008, 213 mwN. Zur Durchsuchungsbefugnis des Anstaltsleiters bezüglich eines vor den Toren der Anstalt geparkten Pkws eines Freigängers vgl. OLG Hamm NStZ 1996, 359. – Im Hinblick auf den großen Bewegungsspielraum eines Freigängers empfiehlt es sich, dass ein besonders geeigneter Vollzugsbediensteter ständigen Kontakt zu dem Arbeitgeber bzw. Lehrer unterhält, um über die Entwicklung des Gefangenen und sein Verhalten im Freigang ständig unterrichtet zu sein (vgl. VV Nr. 3 Abs. 2). – Zur Unterscheidung des Freigangs von elektronisch überwachtem Hausarrest vgl. Krahl NStZ 1997, 457 ff, 459. – Zum Selbstbehalt eines gegenüber einem minderjährigen Kind unterhaltspflichtigen Freigängers vgl. OLG Hamm v. 14.1.2004 – 11 UF 89/03 (280 Euro plus ggf. zu tragender Haftkostenbeitrag). – Zum (fehlenden) Anspruch auf sofortige Unterbringung im offenen Vollzug unter Abweichung vom Vollstreckungsplan zur Ermöglichung der nahtlosen Fortführung einer selbständigen wirtschaftlichen Betätigung vgl. OLG Zweibrücken FS 2010, 50 LS. 12
e) Sonstige Lockerungen. Weitere Lockerungen sind – wie sich aus der gesetzlichen Formulierung „namentlich“ ergibt – möglich: z. B. Ausgang mit Weisung (§ 14 Abs. 1), sich durch eine bestimmte Person begleiten zu lassen (§ 14 Rdn. 5); Außenbeschäftigung ohne Aufsicht als Kombination von Außenbeschäftigung und Freigang; Durchführung von Bildungs- und Freizeitveranstaltungen sowie Eheseminaren außerhalb der Anstalt mit oder ohne Anwesenheit von Bediensteten; ferner Aufenthalt in einem Übergangs- oder Freigängerhaus außerhalb der Anstalt (vgl. Übersicht bei AKKöhne/Lesting 2012 Rdn. 26 ff; C/MD 2008 Rdn. 3). Sind im Rahmen des Freigangs (Rdn. 9 ff), bei zur Erreichung des Vollzugsziels besonders angezeigten Bildungs- und Freizeitmaßnahmen oder bei seelsorgerischen Veranstaltungen (z. B. Rüstzeiten, § 54 Rdn. 10) Übernachtungen außerhalb der Anstalt erforderlich, muss hierzu nicht – auch wenn eine Begleitung durch Anstaltsbedienstetete nicht stattfindet – zusätzlich Urlaub gewährt werden. Vielmehr handelt es sich um eine „weitere Lockerung“ (so zutreffend Dopslaff in der krit. Anm. zu OLG Frankfurt NStZ 1986, 189 ff, hinsichtlich der Teilnahme an notwendigen mehrtägigen Seminaren im Rahmen eines Fernstudiums mit dem Ausbildungsziel „Dolmetscher“). Weitere selbständige Lockerungsformen hat die Praxis indes bisher nicht herausgebildet (so zutreffend K/S-Schöch 2002 § 7 Rdn. 36). 2. Voraussetzungen (§ 11 Abs. 2) a) Tatbestandliche Erfordernisse
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aa) Zustimmung, Fehlen von Flucht- und Missbrauchsgefahr. Der Gefangene muss der Lockerung zustimmen, und es darf nicht zu befürchten sein, dass der Gefangene sich dem Vollzug der Freiheitsstrafe entziehen oder die Lockerungen zu Straftaten missbrauchen werde. Diese Voraussetzungen sind geringer als die vom Bundesrat vorgeschlagenen (nämlich die Erwartung, dass die Lockerung nicht missbraucht werde). Maßgeblicher Ansatz ist dabei nicht die Frage, ob überhaupt in der Person des Verurteilten eine entsprechende Gefahr besteht (dieser Gesichtspunkt ist vielmehr im Rahmen des Verfahrens nach §§ 57, 57 a StGB zu beantworten), sondern es kommt entscheidend darauf an, ob zu befürchten ist, der Gefangene werde gerade die Gewährung von Lockerungen missbrauchen (OLG Karlsruhe StV 2002, 34 = NStZ 2002, 528 M). Wird die Ablehnung entscheidend darauf gestützt, dass zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht alle Zweifel an der Zuverlässigkeit des Gefangenen aufgrund seines bisherigen Verhaltens im Vollzug ausgeräumt seien, werden an die Voraussetzungen für Vollzugslockerungen allzu Ullenbruch
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hohe Anforderungen gestellt (OLG Hamburg 10.11.1977 – 98 (Vollz) 115/77 – vgl. auch § 2 Rdn. 19). Die Prüfung nach Abs. 2 darf nicht schematisch erfolgen; wegen des unterschiedlichen Grades der Lockerungen des Abs. 1 sind auch Flucht- und Missbrauchsgefahr eigenständig und unter Anlegung unterschiedlicher Maßstäbe zu betrachten. Insbesondere darf eine Lockerung (z. B. Ausführung) nicht unter Hinweis auf noch fehlende Aussichten bezüglich der Gewährung weitergehender Maßnahmen (z. B. Urlaub) verweigert werden (OLG Hamm StV 2000, 214; vgl. auch LG Hamburg ZfStrVo SH 1978, 1; OLG Celle 8.2.1979 – 3 Ws 425/78). Dazu für Urlaubsgewährung § 13 Rdn. 13. Bei einer Ausführung beurteilt sich das Tatbestandsmerkmal der Fluchtgefahr danach, ob trotz dieser Sicherungsmaßnahmen die Gefahr des Entweichens des Strafgefangenen droht, etwa weil diese in Anbetracht der Gefährlichkeit des Strafgefangenen nicht ausreichend sind oder von außenstehenden Dritten gewalttätige Befreiungsaktionen drohen (OLG Karlsruhe NStZ-RR 2007, 325). Zur Verantwortbarkeit des Risikos als Voraussetzung von Lockerungen vgl. Frisch 1990, 750 ff. Der Bundesrat hatte in seiner Gesetzesinitiative vorgeschlagen, die „allgemeine Eignung“ des Gefangenen als Voraussetzung für die Gewährung von Lockerungen und Urlaub in den Tatbestand des Abs. 2 aufzunehmen (BT-Drucks. 11/3694). Von diesem Vorschlag ist aber im Gesetzgebungsverfahren zu Recht Abstand genommen worden (vgl. AK-Köhne/Lesting 2012 Rdn. 51). bb) Flucht- und Missbrauchsgefahr als unbestimmte Rechtsbegriffe. Bei dem 14 Versagungsgrund der Fluchtgefahr und Missbrauchsgefahr handelt es sich nach der überkommenen Rspr. um einen unbestimmten Rechtsbegriff, wobei der Vollzugsbehörde ein Beurteilungsspielraum zuzugestehen sei (BGHSt 30, 320 = NStZ 1982, 173; vgl. statt vieler außerdem z. B. KG ZfStrVo SH 1979, 13 oder OLG Frankfurt NStZ-RR 1998, 91). Seit einiger Zeit (etwa 1997) wird zunehmend die Frage gestellt, ob diese Betrachtungsweise nicht im Hinblick auf ihre Bedeutung für die Option einer vorzeitigen Entlassung (vgl. dazu oben Rdn. 1 und OLG Karlsruhe NStZ-RR 2004, 61) verfassungsrechtlich zu kurz greift. Entscheidungen über die Fortdauer von Freiheitsentzug obliegen nach dem Grundgesetz ausschließlich der Judikative (Art. 104 Abs. 2 Satz 1 GG), konkret in Gestalt der Vollstreckungsrichter (zum Ganzen instruktiv Kruis/Wehowsky 1998, 593, 594). Gewährt der „Vollzugsrichter“ nun dem Anstaltsleiter bei dessen Entscheidung über die (Nicht-)Gewährung von Lockerungen einen „Spielraum“, dürfte die Behörde („Exekutive“) so die Entscheidung des „Vollstreckungsrichters“ über eine vorzeitige Entlassung faktisch vorherbestimmen. Die Brisanz der Problematik spiegeln Anzahl und Inhalt folgender Entscheidungen des BVerfG aus jüngster Zeit wider: Entscheidung I: BVerfG vom 22.3. 1998, lebenslange Freiheitsstrafe (StV 1998, 428 = NStZ 1998, 373 m. Anm. Wolf NStZ 1998, 590 und Dessecker BewHi 1998, 406); Entscheidung II: BVerfG vom 1.4.1998, Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren (StV 1998, 436 = NStZ 1998, 430 m. Anm. Schneider NStZ 1999, 157 und Besprechung Müller/Wulf ZfStrVo 1999, 3); Entscheidung III: BVerfG vom 24.10.1999, Freiheitsstrafe von 12 Jahren (NStZ 2000, 109 m. Anm. Kröber NStZ 2002, 613; krit. dazu auch OLG Frankfurt NStZ-RR 2001, 311); Entscheidung IV: BVerfG vom 11.6.2002, Freiheitsstrafe von vier Jahren (ZfStrVo 2002, 372 = NStZ 2003, 592 M); Entscheidung V: BVerfG vom 5.2.2004, Sicherungsverwahrung (NJW 2004, 739); Entscheidung VI: BVerfG vom 30.4.2009, lebenslange Freiheitsstrafe (2 BvR 2009/08). Entscheidung VII: BVerfG vom 5.8.2010, lebenslange Freiheitsstrafe (StV 2011, 488). Demnach darf sich der Richter im Verfahren nach §§ 57, 57 a StGB nicht einfach „damit abfinden“, dass die Vollzugsbehörde dem Gefangenen keine Lockerungen gewährt hat. Er muss vielmehr „aufklären“, wieso der Anstaltsleiter die Basis der prognostischen Beurteilung des Richters nicht entsprechend „erweitert“ hat (Entscheidung I). Ggf. muss 227
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der Richter z. B. (nach § 454 a Abs. 1 StPO) einen künftigen Entlassungszeitpunkt so festlegen, dass der JVA noch die Möglichkeit verbleibt, die Entlassung durch Lockerungen vorzubereiten (Entscheidung I). Die Vollstreckungsgerichte müssen in den Blick nehmen, dass die Vollzugsbehörden bei ihrer Entscheidung über Lockerungen auch die Verpflichtung beachten müssen, Rahmenbedingungen zu schaffen, die einer Bewährung und Wiedereingliederung förderlich sind (Entscheidung II). Nur wenn das Vollstreckungsgericht im Rahmen einer sorgfältigen Aufklärung zu dem Ergebnis gelangt, die Versagung von Lockerungen beruhe auf einer „tragfähigen Begründung“, darf es deren Nichtgewährung „in vollem Umfang“ zum Nachteil des Gefangenen verwerten (Entscheidung III). Zu beachten ist dabei, dass der Erprobung eines Strafgefangenen im Rahmen von Lockerungen zwar als kriminalprognostisches „Indiz“ eine erhebliche Bedeutung zukommen kann; Lockerungen sind jedoch von Rechts wegen nicht notwendigerweise Voraussetzung für eine bedingte Entlassung. Ggf. kann das Vollstreckungsgericht die Behörde darauf „hinweisen“, dass Lockerungen zur Vorbereitung der bedingten Entlassung „geboten erscheinen“ (Entscheidung IV). Wegen der besonderen Bedeutung der Vollzugslockerungen für die Prognosebasis „darf“ sich das Vollstreckungsgericht „nicht damit abfinden“, dass die Behörde (einem Sicherungsverwahrten) „ohne hinreichenden Grund“ Lockerungen versagt (Entscheidungen V und VI). Durch derartige „Appelle“ wird sich an der bisherigen (insoweit in weiten Teilen „verfassungswidrigen“) Praxis des „Schwarze-Peter-Spielens“ indes kaum etwas ändern. Der Richter der StVK wird (trotz „Richterprivilegs“ im Falle des Bewährungsversagens) ohne vorherige (gutgegangene) Lockerungen den Gefangenen nicht vorzeitig entlassen. Der (wenn nicht bereits von der „Zustimmung“ einer naturgemäß eher „ängstlichen“ Aufsichtsbehörde abhängige, so doch jedenfalls als Beamter bei fehlschlagenden Lockerungen disziplinarisch, im Amtshaftpflichtsfall unter Umständen sogar regressmäßig gefährdete) Anstaltsleiter wird Lockerungen „im Zweifelsfall“ eher nicht gewähren. Der Richter der StVK wiederum (nunmehr als „Vollzugs“-, stets als Einzel-, nicht selten als Proberichter tätig) wird – „Beurteilungsspielraum“ – den Anstaltsleiter kaum zur Lockerung eines (langstrafigen) Gefangenen (oder Sicherungsverwahrten) verpflichten. Eine Änderung der Praxis ist allenfalls vorstellbar, wenn das BVerfG explizit entsprechende Einschränkungen des Beurteilungsspielraumes der Exekutive bei Lockerungsentscheidungen postuliert bzw. zumindest darstellt, dass die Festlegung des Umfanges des hinzunehmenden Restrisikos bei Lockerungen (u. a. in Abhängigkeit von der Dauer bereits verbüßter Strafe) ausschließlich richterlicher Kompetenz unterfällt (wie hier Heghmanns 1999, 647, 664). – Zur vergleichbaren Problematik im Maßregelvollzug siehe z. B. LG Paderborn R&P 2002, 124 m. Anm. Lesting. – Zum „Schweizer Modell“ der (im Idealfall eine gleichzeitige Erhöhung der Risikobereitschaft und der Richtigkeitsgewähr bewirkenden) Bildung von Fachkommissionen zur Beurteilung „gemeingefährlicher“ Straftäter siehe Ermer/Dittmann 2001, 73 ff. Unbeschadet dessen behalten die „traditionellen“ gerichtlichen Prüfungsmaßstäbe der StVK hinsichtlich der Ermittlung des bestehenden Risikos nach wie vor Gültigkeit. Insoweit hat der BGH (BGHSt 30, 320) die zuvor umstrittene Frage, ob die StVK den Versagungsgrund in vollem Umfange nachzuprüfen hat und zur Aufklärung des Sachverhalts verpflichtet ist, auf Vorlagebeschluss des OLG Hamm NStZ 1981, 198 dahin entschieden, dass die Vollstreckungskammer bei einem auf den Versagungsgrund gestützten Bescheid der Vollzugsbehörde nur zu prüfen hat, ob die Behörde von einem zutreffenden und vollständig ermittelten Sachverhalt ausgegangen ist, ob sie ihrer Entscheidung den richtigen Begriff des Versagungsgrundes zugrunde gelegt und ob sie dabei die Grenzen des ihr zustehenden Beurteilungsspielraums eingehalten hat; nur in diesem Umfang ist sie zur Sachaufklärung verpflichtet. Zur vollständigen Ermittlung des Ullenbruch
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Sachverhalts kann z. B. die Anhörung eines (früheren) Sachverständigen zum Verhalten des Verurteilten nach dem möglicherweise unberechtigten Abbruch früherer Vollzugslockerungen gehören (OLG Celle StV 2000, 571 = NStZ 2000, 464 M). Eine zwischenzeitlich erfolgte Fortschreibung des Vollzugsplanes lässt den Entscheidungsbedarf hinsichtlich eines zuvor gestellten konkreten Lockerungsantrages nicht entfallen (OLG Dresden NStZ 2000, 464 M). – Zu den einem strafrechtlichen Urteil vergleichbaren Begründungsanforderungen (§ 267 StPO vgl. OLG Celle StV 1999, 554). cc) Fluchtgefahr. Die Fluchtgefahr kann grundsätzlich nicht allein durch einen 15 hohen Strafrest begründet werden (auch nicht in Verbindung mit drohender Abschiebung: OLG Frankfurt NStZ-RR 2000, 351). Er kann nur Ausgangspunkt für die Erwägung sein, ob der in ihm liegende Anreiz zur Flucht auch unter Berücksichtigung aller sonstigen Umstände so erheblich ist, dass die Annahme gerechtfertigt ist, der Strafgefangene werde ihm wahrscheinlich nachgeben und flüchtig werden (OLG Koblenz NStZ 1999, 444 M). Ein Erfahrungssatz, wonach bei hohen Strafresten erhöhte Fluchtgefahr besteht, existiert nicht (OLG Celle ZfStrVo SH 1979, 12; a. A.: ein beträchtlicher Strafrest kann ausschlaggebender Grund für eine auf Fluchtgefahr gestützte Entscheidung sein, KG ZfStrVo 1990, 119 = BlStV 4/5/1990, 13). Das Gesetz bietet auch keine Grundlage für eine allgemeine Entscheidungspraxis der Vollzugsbehörde, mit der Gewährung von Vollzugslockerungen frühestens zwei Jahre vor dem voraussichtlichen Entlassungszeitpunkt zu beginnen (OLG Koblenz ZfStrVo 1986, 314). Das Bestreiten der Schuld darf nicht ohne weiteres als Indiz für Fluchtgefahr herangezogen werden. Andernfalls liefe z. B. das Recht, eine Wiederaufnahme des Verfahrens zu beantragen, ins Leere. Entscheidend sind die konkreten Umstände und Argumente (OLG Stuttgart NStZ-RR 2001, 285; vgl. auch OLG Celle NStZ 2000, 464 M und LG Konstanz StV 2001, 34). Die Prognose einer Fluchtgefahr kann sich auch aus dem Hass des Gefangenen gegen jede staatliche Ordnung im Allgemeinen und den Vollzug im Besonderen ergeben (OLG Hamm BlStV 3/1990, 3). Die Vollzugsbehörde hat stets zu erwägen, ob etwaigen Missbrauchsbefürchtungen durch die Ausgestaltung der Lockerungen Rechnung getragen werden kann (OLG Karlsruhe StV 2002, 34 = NStZ 2002, 528 M). So kann im Einzelfall Anlass zu der Prüfung bestehen, ob Fluchtgefahr bei einem Ausgang dadurch ausgeräumt werden kann, dass den Gefangenen ein vertrauenswürdiger und zuverlässiger Verwandter begleitet (OLG Celle ZfStrVo SH 1979, 11). Die Vollzugsbehörde ist berechtigt und verpflichtet, vor der Entscheidung über die Gewährung von Vollzugslockerungen die Eignung von Bezugspersonen (auch von nahen Angehörigen) zu überprüfen, wobei sie aber grundsätzlich nicht berechtigt ist, die Gewährung davon abhängig zu machen, dass die Bezugsperson sich in der Anstalt vorstellt und sich ihre Eignung als Betreuungsperson attestieren lässt (OLG Frankfurt ZfStrVo 1985, 120; OLG Karlsruhe ZfStrVo 1983, 181, vgl. auch OLG Frankfurt ZfStrVo 1983, 249). Lehnen die Angehörigen oder der Gefangene selbst eine Überprüfung ab, so müssen bestehende Zweifel zu seinen Last gehen (vgl. auch Kimpel in Böhm/Schäfer 1989, 58; § 179 Rdn. 19). Auch muss die Anstalt prüfen, ob anstelle einer als ungeeignet befundenen eine geeignete Betreuungsperson zur Verfügung steht, wobei auch deren Persönlichkeit zu würdigen ist; war die Betreuungsperson einer Straftat verdächtig, so begründet allein die Einstellung des Ermittlungsverfahrens gem. § 153 a StPO noch nicht deren Eignung für die Betreuung des Gefangenen (OLG Frankfurt LS BlStV 2/1982, 3). Im Rahmen der Prognose einer Fluchtgefahr können auch Unklarheiten über den Verbleib der Beute aus der Straftat berücksichtigt werden (OLG Hamburg NStZ 1990, 510 = ZfStrVo 1992, 67). – Zur Abgrenzung der (einfachen) Fluchtgefahr i. S. d. § 11 und der 229
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qualifiziert erhöhten Gefahr i. S. d. § 88 Abs. 1 (Fesselung) vgl. OLG Hamm NStZ-RR 2011, 291. 16
dd) Gefahr der Begehung neuer Straftaten. Bei der Gefahr des Missbrauchs durch Begehung von Straftaten sind gem. § 2 Satz 2 (Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten; § 2 Rdn. 17 ff) grundsätzlich alle Straftaten zu berücksichtigen (a. A. Meißner 1988, 144 ff: nur Straftaten mit nicht wiedergutzumachendem Schaden). So hält das BVerfG NStZ 1982, 83 auch die Gefahr „verbaler Straftaten“ für geeignet, eine Ausführung zu versagen. Allerdings kann bei Gefahr von nur geringfügigen Straftaten (z. B. Verkehrsdelikten) das Resozialisierungsinteresse an der Gewährung der Lockerung überwiegen. Die Vollzugsbehörde muss im Einzelfall das Risikoeiner nahe- und fernliegenden Gefahr der Begehung leichter oder schwerer Straftaten prüfen. Außerdem beurteilt sich der Begriff der Missbrauchsgefahr je nach der begehrten bzw. gewährten Lockerungsform unterschiedlich (OLG Karlsruhe StV 2009, 595). Vgl. auch § 2 Rdn. 20. Wegen der Unterscheidung zu § 81 vgl. dort Rdn. 7. Einen über die konkrete Missbrauchsgefahr hinausgehenden Versagungsgrund des Schutzes der Allgemeinheit sieht das Gesetz nicht vor (OLG Celle ZfStrVo 1984, 251). Zum Missbrauch von Vollzugslockerungen zu Straftaten aufgrund empirischer Untersuchungen in Niedersachsen in den Jahren 1991/ 92 vgl. von Harling 1997. Bei der Prognose, die im Rahmen des § 11 Abs. 2 vorzunehmen ist (vgl. zu den hier auftretenden Problemen OLG Celle StV 1988, 349 und Frisch 1988, 359 ff), sind alle Umstände in Betracht zu ziehen und daraufhin zu überprüfen, ob sie begründete Hinweise für eine Missbrauchsgefahr geben. In diesem Zusammenhang kann auch ein (noch) nicht rechtskräftig festgestelltes strafbares Verhalten gewürdigt und gegebenenfalls berücksichtigt werden (OLG Celle ZfStrVo 1981, 125), ebenso ein gem. § 154 StPO eingestelltes Verfahren, wobei die dort erhobenen Vorwürfe dann aber gegebenenfalls weiter aufgeklärt werden müssen (OLG Celle ZfStrVo 1982, 122). Andererseits kann ein bereits vor Jahren abgeschlossenes Strafverfahren, auch wenn es zur Verurteilung wegen einer während der Haft begangenen Tat geführt hat, nicht ohne weiteres zur Begründung von Missbrauchsgefahr herangezogen werden (OLG Celle 17.7.1989 – 1 Ws 200/89 StVollz), auch nicht ein gemäß § 153 StPO eingestelltes Verfahren, da hier offenbleibt, ob der Beschuldigte die ihm vorgeworfene Tat begangen hat oder nicht (OLG Celle LS BlStV 6/1986, 14). – Die Verneinung der Gefahr des Missbrauchs der Lockerungen ist nicht der günstigen Prognose nach § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB gleichzusetzen (HansOLG Hamburg StraFo 2007, 390). Zum Beurteilungsmaßstab bei einem mehr als zehn Jahre in der Sicherungsverwahrung Untergebrachten vgl. auch OLG Karlsruhe StraFo 2009, 169. Der unter Bewährung stehende vorzeitig Entlassene ist trotz Führungsaufsicht in seiner Lebensgestaltung frei und unüberwacht und außerdem in ungleich größerem Maße Anfechtungen und Tatanreizen ausgesetzt (KG vom 8.11.1999 – 5 Ws 661/99). – Zur Verpflichtung der Vollzugsbehörde, stets zu erwägen, ob etwaigen Missbrauchsbefürchtungen nicht durch entsprechende Ausgestaltung der Lockerungen Rechnung getragen werden kann, siehe oben Rdn. 15. – Eine hohe Verschuldung des Gefangenen darf nicht ohne weiteres als Indiz für Missbrauchsgefahr herangezogen werden. Entscheidend sind die konkreten Umstände (OLG Stuttgart NStZ-RR 2001, 285; OLG Celle NStZ 2000, 464 M). Gleiches gilt für den Umstand anhaltender Tatleugnung (OLG Hamm StV 2011, 226; vgl. dazu auch OLG Frankfurt NStZ-RR 2000, 251; OLG Celle StV 2000, 572; OLG Stuttgart NStZ-RR 2001, 285; ähnlich auch LG Konstanz StV 2001, 34).
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ee) Einzelfallprüfung, Begründungsanforderungen. Welche konkreten Anforderungen an die Begründung einer ablehnenden Entscheidung zu stellen sind, ist eine Ullenbruch
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Frage des Einzelfalles. Je schwieriger die Frage der Flucht- oder Missbrauchsgefahr ist, desto umfassender muss die Darstellung der abzuwägenden Umstände erfolgen; der pauschale Hinweis auf ein anhängiges Ausweisungsverfahren und hohen Strafrest genügt z. B. nicht (OLG Frankfurt NStZ 1983, 93). – Vollzugslockerungen können nicht allein mit der Begründung abgelehnt werden, dass erforderliche Bindungen „nach draußen“ fehlen; allerdings kann das Fehlen von Bindungen ein Indiz für das Vorliegen einer Flucht- und Missbrauchsgefahr sein. Der Anstaltsleiter muss in jedem Falle konkrete Tatsachen darlegen, die eine Überprüfung ermöglichen, ob er zu Recht eine solche Gefahr angenommen hat (OLG Frankfurt ZfStrVo SH 1979, 15). Die gebotene umfassende Darstellung und Abwägung der gem. § 11 Abs. 2 maßgeblichen Kriterien muss einschließen eine Schilderung der Persönlichkeit des Gefangenen, dessen Entwicklung bis zur abgeurteilten Tat, die Art und Weise und die Motive der Tatbegehung sowie die Entwicklung und das Verhalten des Gefangenen nach der Tat und während der gesamten Vollzugsdauer (OLG Hamm 19.2.2008 – 1 Vollz (Ws) 904/07, 1 Vollz (Ws) 77/08; OLG Frankfurt LS BlStV 2/1982, 3; OLG Karlsruhe 18.2.1983 – 3 Ws 16/ 83 –; OLG Frankfurt ZfStrVo 1984, 376; OLG Celle ZfStrVo 1985, 249). Lehnt die Vollzugsbehörde es ab, einem Gefangenen Urlaub oder Vollzugslockerungen zu gewähren, weil die Gefahr der Flucht oder des Missbrauchs bestehe, muss sie die Prognoseerwägungen offenlegen. Dabei muss nicht nur gesagt werden, welcher Sachverhalt der Entscheidung zugrunde gelegt wird, sondern auch, welche Folgerungen die Behörde für das voraussichtliche Verhalten des Gefangenen aus diesen Tatsachen zieht. Finden sich sowohl Umstände, die für, als auch solche, die gegen den Gefangenen sprechen, muss zwischen ihnen abgewogen werden (OLG Celle ZfStrVo 1983, 301). Vgl. auch § 2 Rdn. 13. – Bei der gerichtlichen Überprüfung der Ablehnung von Vollzugslockerungen auf Grund der Befürchtung, der Gefangene werde sich dem Vollzug der Freiheitsstrafe entziehen, kommt es auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung an (OLG Nürnberg StV 2000, 573). Sonst könnte z. B. ein zwischen Ablehnung des Antrages seitens der JVA und Entscheidung der StVK erfolgter Fluchtversuch im Rahmen einer Ausführung bei der Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Ablehnung eines Urlaubsantrages nicht berücksichtigt werden (so deshalb auch OLG Dresden vom 20.1.1995 – 2 Ws 537/94; ebenso – früher – OLG Frankfurt NStZ 1986, 240); a. A. (es kommt auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Ablehnung durch die JVA an): OLG Celle NStZ 1989, 198; KG ZfStrVo 1989, 374; OLG Hamm NStZ 1991, 303 und StV 1997, 32 = NStZ-RR 1997, 63; OLG Frankfurt ZfStrVo 2001, 53 u. Vorvorauflage; vgl. – auch zum „Nachschieben von Gründen“ – OLG Koblenz ZfStrVo 1982, 123 und § 115 Rdn. 4). b) Tatbestandsinterpretierende Richtlinien (VV). Die VV zu § 11 (wie auch zu 18 § 13; dort Rdn. 15 ff) stellen für die Praxis bei der Entscheidung über die Gewährung von Lockerungen wichtige Richtlinien zur Handhabung des Gesetzes dar. Eine Übersicht über die Rechtsprechung zu den VV gibt Müller-Dietz NStZ 1981, 409 ff. Zur Rechtsnatur der VV: § 4 Rdn. 15 ff; § 115 Rdn. 23. Die Vorschriften sollen eine möglichst einheitliche Praxis gewährleisten (OLG Hamburg NStZ 1981, 237; § 4 Rdn. 17). Die schematisierende Einschränkung der den Vollzugsbehörden vom Gesetzgeber aufgegebenen Einzelfallprüfung durch die Verwaltungsvorschriften kann die Gerichte jedoch nicht binden. Gerichtlichen Überprüfungen halten daher nur solche Entscheidungen der Vollzugsbehörde stand, die unter freier Abwägung der Umstände getroffen sind, die für den Einzelfall von Bedeutung sein können (§ 115 Rdn. 19 ff). Ob die Voraussetzungen für eine Vollzugslockerung gegeben sind, erfordert eine Prognose, die durch die VV nicht ersetzt werden kann. Sie geben allerdings gewichtige Hinweise darauf, in welchen Fällen die Gefahr der Flucht und des Missbrauchs besonders nahe liegt (OLG Celle ZfStrVo SH 1979, 231
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11). Die VV entbinden deshalb die Vollzugsanstalt nicht, in jedem Einzelfall die Bedeutung der in den VV aufgeführten Umstände zu gewichten (OLG Frankfurt ZfStrVo 1981, 123). 19
aa) Ausnahmsloser Ausschluss nach VV Nr. 6 Abs. 1 Buchst. b. Nach VV Nr. 6 Abs. 1 Buchst. ) sind Strafgefangene, gegen die Untersuchungs-, Auslieferungs- oder Abschiebehaft angeordnet ist, ausnahmslos von Lockerungen (mit Ausnahme der Ausführung; sie kommt auch in Betracht für einen wegen Handels mit Betäubungsmitteln zu 10 Jahren Freiheitsstrafe verurteilten ausländischen Gefangenen – bei angeordneter Abschiebehaft – zur „psychischen Stabilisierung“ vgl. OLG Frankfurt NStZ 1984, 477) ausgeschlossen. Diese Auslegungsrichtlinie interpretiert den gesetzlichen Begriff der Flucht- oder Missbrauchgefahr zutreffend. In der Tat sind diese Lockerungen mit der Untersuchungs- (und der ihr gleichstehenden Auslieferungs-)haft nicht vereinbar. Vgl. auch Nr. 93 UVollzO. Für eine abweichende Einzelfallregelung ist deshalb kein Raum (vgl. auch § 13 Rdn. 16).
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bb) Gefangenengruppen nach VV Nr. 6 Abs. 1 Buchst. a, c und d. Hinsichtlich der in VV Nr. 6 Abs. 1 Buchst. a, c und d genannten Gefangenengruppen, die grundsätzlich von Lockerungen ausgeschlossen sein sollen, sind nur mit Zustimmung der Aufsichtsbehörde Ausnahmen zulässig. Das bedeutet für die Rechtsprechung – und infolgedessen auch für die Praxis des Vollzuges –, dass zwar die in den VV genannten Umstände als wichtige Hinweise auf eine mögliche Flucht- oder Missbrauchgefahr angesehen, aber im Rahmen einer sorgfältigen Prüfung des jeweiligen Einzelfalles gegen andere Gesichtspunkte abgewogen werden müssen. So schließt der Umstand, dass ein Gefangener gem. § 120 GVG vom OLG im ersten Rechtszug wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden ist (VV Nr. 6 Abs. 1 Buchst. a), für sich allein die Gewährung von Vollzugslockerungen nicht aus (OLG Hamburg ZfStrVo SH 1979, 16; AK-Lesting 2006 Rdn. 49; krit. zur VV-Regelung Baumann 1987). Für den Urlaub: § 13 Rdn. 17. Ist eine vollziehbare Ausweisungsverfügung ergangen, so bietet dies zwar konkreten Anlass für die Befürchtung, dass für den betreffenden Gefangenen ein Anreiz ausgeht, sich der weiteren Strafverbüßung durch Flucht ins Ausland oder Untertauchen zu entziehen (OLG Schleswig LS BlStV 6/1981, 7). Eine Flucht- oder Missbrauchsgefahr, die sich auf eine bestehende Ausweisungsverfügung (VV Nr. 6 Abs. 1 Buchst. c) stützt, muss sich aber mit den konkreten Lebensumständen des Gefangenen und seiner Angehörigen auseinandersetzen (OLG Frankfurt ZfStrVo 1983, 249; OLG Celle ZfStrVo 1984, 251 und NStZ 2000, 615). Fluchtgefahr bei einem Ausländer bedeutet nicht unbedingt Gefahr einer Flucht ins Ausland. Ihre Annahme ist z. B. auch nicht zu beanstanden, wenn einem Gefangenen zwar in seinem Heimatland Nachteile drohen, andererseits aber die enge Bindung zu seiner in Deutschland lebenden Familie die Gefahr des Untertauchens auf deutschem Gebiet nahe legt (OLG Nürnberg BlStV 2/1994, 2). Der Ausschluss von Vollzugslockerungen allein mit dem Hinweis, dass die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet ist (VV Nr. 6 Abs. 1 Buchst. d), begegnet Bedenken (OLG Frankfurt NStZ 1993, 427 B; vgl. auch § 130 Rdn. 4). Beachte auch Rdn. 17 bei § 13.
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cc) Mitwirkung anderer Behörden nach VV Nr. 6 Abs. 2 Satz 2. Die Mitwirkung anderer Stellen, wie Vollstreckungsbehörde, zuständiges Gericht oder zuständige Ausländerbehörde, regelt VV Nr. 6 Abs. 2 Satz 2. Durch die zum 1.1.1994 erfolgte Änderung der VV („des Benehmens“ statt „des Einvernehmens“) wird klargestellt, dass Ausländerund Vollzugsbehörde unterschiedlicher Auffassung sein können und Letztere nicht an Ullenbruch
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die Stellungnahme der Ausländerbehörde gebunden ist. In der Praxis wird dies immer wieder verkannt (vgl. z. B. LG Hamburg StV 2001, 33). Zur Frage der Abwägung der widerstreitenden Interessen der Ausländerbehörde einerseits im Falle einer angeordneten Ausweisung gem. § 10 oder Abschiebung gem. § 13 Ausländergesetz sowie der Vollzugsbehörde andererseits bei der Frage der Gewährung von Vollzugslockerungen (VV Nr. 6 Abs. 1 Buchst. b und c) vgl. LG Hamburg ZfStrVo SH 1979, 26). Die gemäß § 11 Abs. 2 zu stellende Prognose obliegt allein der JVA (OLG Celle BlStV 3/1992, 5). Einerseits hat sie wie jede staatliche Institution Akte anderer staatlicher Stellen zu respektieren, andererseits ist sie aber nicht an die Auffassungen und Entscheidungen der Ausländerbehörde gebunden (OLG Frankfurt NStZ 1983, 93; OLG Hamm NStZ 1985, 382). „Zuständiges Gericht“ ist wegen der Vollzugsnähe die Strafvollstreckungskammer (a. A. LG Freiburg BlStV 4/1977, 10: Durch die VV können keine gerichtlichen Kompetenzen begründet werden). Die Anhörungskompetenz des Gerichts überhaupt hält OLG Frankfurt NStZ 1982, 260 für unvereinbar mit dem Gesetz. Vgl. § 13 Rdn. 18. dd) Fallgruppen nach VV Nr. 7 Abs. 2. Nach VV Nr. 7 Abs. 2 sind weitere Gefange- 22 nengruppen „in der Regel“ ungeeignet, zu Außenbeschäftigung, Freigang oder Ausgang zugelassen zu werden. Solche generellen Eignungsvorstellungen sind dem Bundesgesetz fremd (Rdn. 17; anders aber § 12 HmbStVollzG a. F.; vgl. Rdn. 31). Es kann deshalb auch hier nur darum gehen, bei Vorliegen der in den VV aufgeführten Sachverhalte die Flucht- oder Missbrauchsgefahr besonders sorgfältig zu bedenken (und das Prüfungsergebnis aktenkundig zu machen: VV Nr. 7 Abs. 3). Missbrauchsgefahr nach VV Nr. 7 Abs. 2 Buchst. a kann auch durch den Versuch begründet sein, suchtfördernde, aber nicht dem Betäubungsmittelgesetz unterworfene Psychopharmaka in die Anstalt einzuschmuggeln (OLG München ZfStrVo 1980, 122). Das gleiche gilt, wenn ein Gefangener kurz vor dem Zeitpunkt einer begehrten Lockerung nachgewiesenermaßen Cannabis geraucht hat (OLG Hamm NStZ 1995, 381; vgl. auch OLG Saarbrücken NStZ-RR 2001, 283). Bei konkretem Verdacht auf BtM-Missbrauch kann die Gewährung von Ausgang einem Gefangenen versagt werden, der die Abgabe von Urinproben verweigert (LG Freiburg NStZ 1988, 151; a. A. AK-Köhne/Lesting 2012 Rdn. 47; vgl. auch § 4 Rdn. 26). Zur Alkoholabhängigkeit vgl. OLG Zweibrücken StV 1992, 589; zur Suchtgefährdung insgesamt § 13 Rdn. 22, 23. Ein früherer Fluchtversuch (vgl. VV Nr. 7 Abs. 2 Buchst. b) kann nach erheblichem Zeitablauf für sich allein noch keine Flucht- oder Missbrauchsgefahr rechtfertigen, vielmehr ist die bisherige Entwicklung, die der Gefangene seitdem genommen hat, sorgfältig zu prüfen (OLG Celle LS ZfStrVo 1986, 115; wie hier auch AK-Köhne/Lesting 2012 Rdn. 41). Ein solcher Fluchtversuch verliert mit herannahendem Entlassungszeitpunkt an Bedeutung. Auch einer fünf Jahre zurückliegenden verspäteten Rückkehr aus einem Urlaub kann im Zusammenhang mit einer nunmehr beantragten Ausführung kein entscheidendes Gewicht beigemessen werden, zumal sich der Gefangene bei einem Urlaub in einer völlig anderen Situation befindet als bei einer Ausführung (OLG Hamburg NStZ 1990, 606). Wenn die Vollzugsbehörde sich auf „konkrete amtliche Erkenntnisse“ über einen geplanten Befreiungsversuch stützt, müssen diese unter Angabe der Beweismittel im einzelnen vorgelegt werden (OLG Celle BlStV 6/1986, 8). Zu den in VV Nr. 7 Abs. 2 Buchst. c erwähnten Sachverhalten vgl. § 13 Rdn. 25, 27. Ausländische Gefangene, denen ausländerrechtliche, ihren Aufenthalt in Deutschland beendende Maßnahmen drohen, sind von der Gewährung von Vollzugslockerungen nicht grundsätzlich ausgeschlossen; die Versagungsgründe der Flucht- und Missbrauchsgefahr sind abschließend. Eine mögliche aufenthaltsbeendende Maßnahme vermag für sich genommen die Eignung nicht pauschal auszuschließen (BVerfG StV 2003, 677 233
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mwN). Die Strafhaft darf nicht in rechtswidriger Weise in Abschiebehaft umfunktioniert werden (OLG Koblenz NStZ-RR 2008, 190; OLG Stuttgart StraFo 2004, 326). Bei derartigen Gefangenen ist einerseits eine besonders sorgfältige Prüfung der Ablehnungsgründe, insbesondere der Missbrauchsgefahr geboten (VV Nr. 7 Abs. 2 Buchst. d, vgl. OLG Schleswig LS BlStV 6/1981, 7; OLG Frankfurt BlStV 2/1992, 5). Andererseits können z. B. im Inland bestehende Bindungen eines Gefangenen zu seinen Familienangehörigen, die ihn regelmäßig in der Anstalt besuchen, ein Gegenindiz für das Bestehen von Fluchtgefahr darstellen. Geboten ist deshalb stets eine (auch gründlich dokumentierte) Einzelfallprüfung (OLG Frankfurt NStZ-RR 2000, 350 vgl. auch LG Heilbronn, StV 2004, 276). Vgl. auch die mit Wirkung vom 1.1.1994 geänderte VV Nr. 6 Abs. 1 Buchst. c): Ausschluss von Lockerungen bei vollziehbarer Ausweisungsverfügung nur bei zugleich drohender Abschiebung. Wegen Urlaubsgewährung vgl. § 13 Rdn. 17 f. Die Befürchtung, dass auf Mitgefangene ein negativer Einfluss ausgeübt wird (VV Nr. 7 Abs. 2 Buchst. e), kann allein eine Ablehnung nicht begründen (so auch AK-Köhne/ Lesting 2012 Rdn. 57). Die Frage kann überhaupt bloß dort akut werden, wo Lockerungen zu weniger kontrollierten Begegnungen mit anderen Gefangenen führen, z. B. bei gemeinschaftlicher Außenbeschäftigung oder einem Gruppenausgang. 23
ee) Fallgruppen nach VV Nr. 7 Abs. 4. Bei Gefangenen, die wegen grober Gewalttaten oder wegen Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung verurteilt sind, verpflichtet VV Nr. 7 Abs. 4 die Vollzugsbehörde zu besonders gründlicher Prüfung, da bei diesen Tätern eine höhere Gefahr des Missbrauchs der Lockerung (insbesondere bei Ausgang und Freigang) zur Begehung neuer Straftaten (vgl. § 11 Abs. 2) angenommen wird (vgl. – noch weitergehend – Art. 15 BayStVollzG, Rdn. 30, und § 16 NJVollzG, Rdn. 33). In Wahrheit soll hier wohl in solchen Fällen die empfindliche Reaktion der Öffentlichkeit berücksichtigt werden. Ein terroristischer Gewalttäter kann nicht zur Abgabe einer Gewaltverzichtserklärung verpflichtet werden. Bei der Beurteilung der Entwicklung seiner Persönlichkeit kann aber aus seiner Weigerung, sich von seiner früheren Einstellung zur Gewaltanwendung zu distanzieren, ein Anhaltspunkt für die Befürchtung hergeleitet werden, dass er an den Zielsetzungen der Bewegung, zu der er gehörte, noch immer festhalten will (KG ZfStrVo 1989, 374). Besondere Umstände der Straftaten – z. B. die bedenkenlose Rücksichtslosigkeit bei der Ausführung eines Raubes – sowie weiterbestehende Kontakte zum subkulturellen Milieu sind gewichtige Gesichtspunkte bei der Beurteilung der Missbrauchsgefahr (OLG Hamm BlStV 4/5/1991, 9). Einem HIV-positiven Strafgefangenen können Vollzugslockerungen versagt werden, wenn aufgrund konkreter Tatsachen angenommen werden muss, er werde andere Personen mit dem Virus infizieren (OLG Frankfurt NStZ-RR 1997, 30 = NStZ 1997, 381 B; vgl. zu dieser Problematik auch Schmuck ZfStrVo 1989, 165 ff, 171; Sigel ZfStrVo 1989, 156 ff, 161; Schäfer/Buchta ZfStrVo 1995, 323). Vgl. § 13 Rdn. 29, 33.
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ff) Bereitschaft zur Mitarbeit am Vollzugsziel. Die Bereitschaft des Gefangenen, bei der Erreichung des Vollzugszieles mitzuwirken, ist gem. VV Nr. 7 Abs. 1 Satz 2 zu berücksichtigen. Soweit hiermit gemeint ist, dass die Bereitschaft des Gefangenen, sich mit seinen Taten auseinander zu setzen und seine straffreie Zukunft verantwortlich zu planen und vorzubereiten, oft geeignet ist, die einer Lockerungsgewährung normalerweise entgegenstehenden, in den VV Nr. 6 Abs. 1, Nr. 7 Abs. 2 und 4 aufgeführten Umstände – und damit eine Flucht- oder Missbrauchsgefahr – zu entkräften, entspricht die Vorschrift in besonderem Maße den Leitlinien des StVollzG. Freilich vermag, weil eine derartige Mitwirkungspflicht im Gesetz gerade nicht vorgesehen ist (§ 4 Abs. 1), die fehlende Bereitschaft für sich genommen die Versagung von Vollzugslockerungen wegen Ullenbruch
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Missbrauchsgefahr nicht zu begründen (überaus problematisch deshalb § 12 HmbStVollzG; vgl. dazu Rdn. 31). Sie kann nur ein Gesichtspunkt (unter vielen) sein (OLG Koblenz NStZ 1999, 444 M; vgl. auch OLG Zweibrücken StV 1992, 589 bezogen auf den Umstand des Nichtantrittes einer stationären Langzeitbehandlung einer Alkoholabhängigkeit, ohne allerdings ausreichend herauszuarbeiten, dass hierdurch die Berufung auf eine infolge dieses Umstandes möglicherweise fortbestehende Missbrauchsgefahr wegen der nach wie vor nicht gelösten Suchtproblematik keinesfalls ausgeschlossen ist. Auch bei fehlender Auseinandersetzung des Gefangenen mit der abgeurteilten Straftat dürfen Vollzugslockerungen nur aufgrund konkreter Flucht- oder Missbrauchsbefürchtungen verweigert werden, nicht aufgrund eines angenommenen allgemeinen Risikos – zutreffend deshalb OLG Schleswig 4.10.2007 – 2 Vollz Ws 392/07 (212/07); zu weitgehend dagegen OLG Hamm NStZ 2004, 227; Versagung von Vollzugslockerungen wegen mangelnder Bereitschaft zur Erörterung der abgeurteilten, aber nach wie vor geleugneten Tat). Jedenfalls muss das Verhalten während der gesamten Dauer des Vollzuges berücksichtigt werden. Als Belohnung für Wohlverhalten sind Lockerungen allerdings nicht zulässig. Vgl. auch § 4 Rdn. 9 und § 13 Rdn. 31. – Bei noch zu kurzer Beobachtungszeit in der Anstalt, in der sich der Gefangene gegenwärtig befindet, muss sich die Vollzugsbehörde auch über das frühere Vollzugsverhalten unterrichten lassen (OLG Frankfurt LS BlStV 1/1982, 4). – Auch eine schlechte Führung des Gefangenen im Vollzug reicht – für sich betrachtet – als Versagungsgrund nach Abs. 2 nicht aus (OLG Celle BlStV 4/5/1990, 4). gg) Zustimmungsvorbehalt der Aufsichtsbehörde. Soweit die Aufsichtsbehörde 25 nach VV Nr. 6 Abs. 2 Satz 1 oder bei anderen bestimmten Fallgestaltungen nach den Ausführungsbestimmungen einiger Länder sich generell die Zustimmung zu einer Vollzugslockerung vorbehält, enthebt dies die Vollzugsbehörde nicht der Pflicht, die Umstände des konkreten Einzelfalles abzuwägen, ihre eigene Entscheidung auch offen zu legen und ggf. mitzuteilen, ob und mit welcher Begründung eine Zustimmung versagt worden ist (wie hier AK-Köhne/Lesting 2012 Rdn. 71; vgl. auch § 13 Rdn. 30 und 47). Es handelt sich dann um eine Entscheidung, die der Vollzugsbehörde – und nicht der Aufsichtsbehörde – zugerechnet wird (vgl. § 110 Rdn. 5). Eine Befugnis der Aufsichtsbehörde, eine Entscheidung im Einzelfall an sich zu ziehen, ist nur für die Fälle von Gefahr im Verzuge anerkannt (vgl. § 24 Rdn. 21). Zur Unzulässigkeit der Versagung von Vollzugslockerungen bei einem Sicherungsverwahrten allein unter Hinweis auf die fehlende Zustimmung der Aufsichtsbehörde vgl. OLG Hamm FS 2011, 51 LS. Die Ausführungsbestimmungen einiger Länder sehen bei Erstentscheidungen eine alleinige Entscheidungszuständigkeit des Anstaltsleiters (ohne Delegationsbefugnis) sowie die Zustimmung der Aufsichtsbehörde vor (vgl. § 156 Rdn. 12), darüber hinaus auch allgemein für Zulassung zum Freigang bei Überschreiten einer bestimmten Frist zum voraussichtlichen Entlassungszeitpunkt. c) Ermessensausübung. Der Gefangene hat keinen Rechtsanspruch auf Gewäh- 26 rung von Vollzugslockerungen (vgl. die gesetzliche Formulierung „kann“ in Abs. 1), auch wenn weder Flucht- noch Missbrauchsgefahr besteht, sondern nur einen Anspruch auf fehlerfreien Ermessensgebrauch, der sich in erster Linie an dem Vollzugsziel der Resozialisierung und am Stand des Behandlungsprozesses zu orientieren hat. So können z. B. außerhalb der Person des Gefangenen liegende Gründe für eine ablehnende Entscheidung maßgebend sein, z. B. Fehlen eines Arbeitsplatzes zur Beschäftigung im Freigang. Zur Problematik des Hinweises auf Personalknappheit vgl. oben Rdn. 6. Hat die Vollzugsbehörde eine gerichtliche Entscheidung, in der sie zur Neubescheidung unter Beachtung der rechtlichen Vorgaben des Gerichts verurteilt wurde, nicht oder unter 235
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willkürlicher Missachtung der Bindungswirkung umgesetzt, so darf das Gericht statt ihrer entscheiden (KG vom 22.8.2011 – 2 Ws 258/11 Vollz und 2 Ws 260/11 Vollz; ähnlich bereits HansOLG Hamburg StV 2005, 308). – Für Vollzugslockerungen ist auch dann, wenn die Ausschlussgründe des § 11 Abs. 2 nicht vorliegen, grundsätzlich nur Raum, wenn und soweit der Gefangene hierdurch hinsichtlich der Erreichung des Vollzugszieles gefördert werden kann (OLG München ZfStrVo 1979, 63). Hierzu zählt auch die Aufrechterhaltung des Kontaktes mit Angehörigen zur Erhaltung der Lebenstüchtigkeit. Diesen Zweck erfüllen Lockerungsmaßnahmen auch bei Gefangenen, die nach der Vollstreckung oder nach Absehen von der weiteren Vollstreckung (§ 456 a StPO) in ihr Heimatland abgeschoben werden sollen (OLG Frankfurt NStZ-RR 2000, 350). Bei der Entscheidung über den Freigang kann die Vollzugsbehörde auch prüfen, ob für die Maßnahme überhaupt ein echtes Bedürfnis besteht. So kann z. B. bei einem Gefangenen, der eine Strafe wegen einer Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung verbüßt, ein Freigang zum Zwecke einer Bäckerlehre abgelehnt werden, wenn er in diesem Beruf auch in der Anstaltsbäckerei ausgebildet werden kann (OLG Schleswig BlStV 3/1980, 7). Zu den Anforderungen an die Ermessensausübung bei Abweichung von im Vollzugsplan vorgesehenen Lockerungen vgl. KG FS 2011, 51 LS und LG Aachen vom 18.3.2010 – 33 i StVK 841/09. Es ist nicht ermessensfehlerhaft, wenn einem Sexualtäter zwar Urlaub gewährt, aber Freigang versagt wird (OLG Schleswig LS BlStV 6/1983, 7). Zur Berücksichtigung auch der Strafzwecke vgl. Rdn. 3. Die Vollzugsbehörde muss ihre Entscheidungen nach pflichtgemäßem Ermessen (vgl. § 115 Rdn. 20) treffen. In der Regel wird der Gefangene einen entsprechenden Antrag stellen, über den in angemessener Zeit entschieden werden muss (vgl. BVerfG NStZ 1985, 283 = StV 1985, 240; zur Amtshaftung bei Säumnis § 13 Rdn. 38). Dem Behandlungsgrundsatz entsprechend ist die Vollzugsbehörde unabhängig von einem Antrag des Gefangenen gehalten, ihn durch Lockerungen zu erproben, allerdings nicht schon dann, wenn solche aus psychologischer Sicht für vertretbar gehalten werden (OLG Hamburg LS BlStV 1/1986, 4). In diesen Fällen muss die Zustimmung des Gefangenen eingeholt werden. Die Anordnung einer Lockerung ist aufzuheben, wenn der Gefangene die Zustimmung zurücknimmt (VV Nr. 8). Zur Problematik von „Zwangsausführungen“ vgl.§ 12 Rdn. 2. 27
3. Besonderheiten lebenslanger Freiheitsstrafe. VV Nr. 5 betrifft die Entscheidung über Lockerungen im Vollzug der lebenslangen Freiheitsstrafe. Wegen ihrer Tragweite ist diese Entscheidung in einer Konferenz nach § 159 vorzubereiten und darüber eine Niederschrift anzufertigen; bei Ausführung unter ständiger unmittelbarer Aufsicht sowie Außenbeschäftigung ist dies nach Nr. 5 Abs. 2 VV nicht zwingend vorgeschrieben, aber wegen der Folgewirkung für weitere Lockerungen zweckmäßig. Ob diese Konferenz vor Gewährung jeder erneuten Lockerung wiederholt werden muss, kommt auf den Einzelfall an. Selbstverständlich sind auch in anderen Fällen Konferenzen erforderlich, wenn die Entscheidung über Lockerungen als „wichtig“ i. S. des § 159 anzusehen ist (so z. B. auch dann, wenn Behandlungs- und Sicherheitsgesichtspunkte besonders sorgfältig abzuwägen sind und daher mehrere Bedienstete verschiedener Funktionen an der Entscheidung beteiligt werden sollen). Dass Ausgang und Freigang im Vollzug der lebenslangen Strafe gem. VV Nr. 5 Abs. 1 Satz 3 in der Regel nur unter den Voraussetzungen des § 13 Abs. 3 (dort Rdn. 41 ff) zulässig sind, d. h. nach zehnjähriger Vollzugszeit (etwas großzügiger § 13 Abs. 4 HS. 2 NJVollzG – 8 Jahre; vgl. Rdn. 32) oder nach Überweisung in den offenen Vollzug, bedeutet eine unzulässige Beschränkung. Eine Mindestverbüßungsdauer sieht das Gesetz weder für die Gewährung von Ausgang noch für Freigang vor. Auch ist bei Feststellung der beUllenbruch
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sonderen Schwere der Schuld eine Entscheidung über Vollzugslockerungen bereits vor Festlegung der Mindestverbüßungsdauer möglich (BVerfG StV 2011, 488; OLG Frankfurt StV 1993, 599; vgl. auch LG Heilbronn ZfStrVo 1983, 301; Arloth 2012 Rdn. 19 – nur: „Indiz für die Ermessensausübung“; AK-Köhne/Lesting 2012 Rdn. 50; C/MD 2008 Rdn. 20 und Baumann 1987; anders Grunau/Tiesler 1982 Rdn. 10). – Zur Ablehnung von Lockerungen beim Vollzug einer lebenslangen Freiheitsstrafe bei einem Strafgefangenen, der an einer Persönlichkeitsstörung mit Borderline-Syndrom leidet und keine Bereitschaft zur Mitwirkung an einer Behandlung zeigt BVerfG NStZ 2002, 222. – Zur Frage, ob einem erst fünf Jahre im Vollzug der lebenslangen Strafe befindlichen Zahnarzt Vollzugslockerungen zum Zwecke der Weiterbildung in seinem Beruf gewährt werden können, vgl. OLG Nürnberg ZfStrVo 1982, 308. Hängt die Aussetzung der Vollstreckung des Strafrestes gem. § 57 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 i. V. mit § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB nur noch von einer positiven Kriminalprognose ab, darf an die Gewährung von Vollzugslockerungen kein unverhältnismäßig strenger Maßstab angelegt werden, um dem Gefangenen, soweit vertretbar, eine Bewährung zu ermöglichen und ihn auf eine Entlassung vorzubereiten. Andernfalls bleibt dem Gefangenen eine konkrete und grundsätzlich auch realisierbare Chance versperrt, die Freiheit überhaupt nochmals erlangen zu können (zur umfangreichen Rspr. des BVerfG hierzu vgl. Rdn. 14). Die Totalversagung jeglicher Vollzugslockerungen, die geeignet sind, den vorgenannten Zwecken zu dienen, kann nur dann gerechtfertigt sein, wenn aufgrund konkreter Umstände zu befürchten ist, dass der Verurteilte bereits die begehrten Lockerungen nutzen wird, um neue und gewichtige Straftaten zu begehen (OLG Karlsruhe StraFo 2007, 519). Maßstab für Lockerungen ist bei einem Inhaftierten, der sich bereits mehr als 10 Jahre in Sicherungsverwahrung befindet, nicht, ob er im Falle seiner Entlassung noch gefährlich ist, sondern ob gewichtige konkrete Anhaltspunkte dafür sprechen, er werde Lockerungen zur Flucht oder zur Begehung von Straftaten missbrauchen, so dass sich selbst ein Einstieg in ein gestuftes Lockerungsprogramm verbietet (OLG Karlsruhe 16.10.2008 – 2 Ws 253/08). Diese verfassungsrechtliche Vorgabe muss insbesondere auch bei der konkreten Ausgestaltung einer (externen therapeutischen) Behandlung und der Frage, ob zur Durchführung derselben Vollzugslockerungen gewährt werden können, beachtet werden (OLG Karlsruhe StV 2002, 528 M). – Die Versagung einer Ausführung bei lebenslanger Strafe darf nicht darauf gestützt werden, dass ein bereits seit elf Jahren inhaftierter Gefangener aus Gründen der Schuldschwere (§ 57 a StGB) einen langjährigen Freiheitsentzug zu erwarten habe und zu befürchten sei, dass er die Lockerung allein deshalb zur Flucht missbrauchen werde (BVerfG NStZ-RR 1998, 121 = ZfStrVo 1998, 180; vgl. auch OLG Karlsruhe StV 2004, 557). Ist die JVA bei der Entscheidung über Lockerungen dem Freiheitsanspruch des Gefangenen nicht (oder nicht ausreichend) gerecht geworden, muss ihr das Gericht im Aussetzungsverfahren unter Ausschöpfung seiner prozessualen Möglichkeiten von Verfassungs wegen deutlich machen, dass Vollzugslockerungen geboten sind. Hierzu gehört auch ein Vorgehen auf der Grundlage von § 454 a Abs. 1 StPO (OLG Hamm vom 11.2.2010 – 1 Ws (2) 479/09; ausf. dazu bereits BVerfG NJW 1998, 2202. Im Übrigen kann es trotz erst in fernerer Zukunft anstehender Entlassung erforderlich sein, bei bereits sehr langer Zeit andauerndem Vollzug durch Gewährung von Vollzugslockerungen der Hospitalisierung entgegenzuwirken, um die Lebenstüchtigkeit des Gefangenen zu erhalten (KG FS 2008, 42). Zu den Voraussetzungen einer Ermessensreduzierung auf Null bei der Entscheidung der JVA (bzw. der StVK) über Ausführungen eines Sicherungsverwahrten zu einer externen Therapeutin aufgrund Bindung durch obergerichtliche Rechtsprechung in anderen Verfahren des Betroffenen (KG RuP 2011, 48).
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4. Konsequenzen fehlschlagender Vollzugslockerungen. Zu den strafrechtlichen Konsequenzen der Gewährung fehlschlagender Vollzugslockerungen vertritt Rössner 1984 zutreffend die Ansicht, dass Gefangenenbefreiung nicht in Frage kommt, weil vom Behandlungswillen getragene Lockerungen den amtlichen Gewahrsam im Sinne des § 120 StGB nicht aufheben, da der Gefangene mit spezifischen Freiheitsbeschränkungen in die Gesamtorganisation Strafvollzug integriert bleibt. Nach Kusch 1985 kann sich bei einer fehlgeschlagenen Lockerung der Vollzugsbedienstete, der die Lockerung rechtswidrig gewährt hat, nach §§ 258, 258 a StGB wegen Strafvereitelung im Amt strafbar machen und, wenn die Lockerung von Gefangenen zu Straftaten missbraucht wurde, wegen Beteiligung an dieser Straftat. Insoweit wird es freilich meistens am Vorsatz der Bediensteten (auch in der Form des dolus eventualis) fehlen (so auch Schönke/Schröder Strafgesetzbuch, 27. Aufl., München 2006, § 258 a Rdn. 14 a, wonach zwar die vorschriftswidrige Gewährung von Vollzugserleichterungen innerhalb der Vollzugsanstalt keine Vereitelung der Strafvollstreckung ist, wohl aber die rechtswidrige Verschaffung von Vollzugslockerungen, weil dann der Gefangene, obwohl die Vollstreckung nicht unterbrochen werde, faktisch von jeder Vollstreckung freigestellt sei). Demnach wäre auch wegen Vollstreckungsvereitelung nach § 258 a StGB (oder als Außenstehender nach § 258 StGB) strafbar, wer einem Gefangenen ein Scheinarbeitsverhältnis als Freigänger verschafft (LG Berlin NStZ 1988, 132 mit zu Recht krit. Anm. Ostendorf JZ 1989, 579). Nach Schaffstein kommt eine Verantwortlichkeit von Vollzugsbediensteten schon dann in Frage, wenn sich die missbrauchte Lockerung als fahrlässige Ermöglichung der vom Gefangenen begangenen neuen Straftat darstellt und wenn sie als solche strafbar ist. Dazu ist aber zu bemerken, dass z. B. bei einem vom Gefangenen begangenen Totschlag eine Verurteilung des Bediensteten gem. § 222 StGB eine Umgehung der Straflosigkeit der fahrlässigen Beihilfe darstellen würde (a. A. K/S-Schöch 2002 § 7 Rdn. 62, der auf die Grundsätze des „erlaubten Risikos“ abstellt). Instruktiv zu den strafrechtlichen Folgen einer rechtswidrigen Lockerungsgewährung Arloth 2011 Rdn. 20 m. w. N. – Zur Strafbarkeit der Klinikärzte bei Straftaten des Untergebrachten während Ausgangs BGH NJW 2004, 23 ff m. Anm. Puppe NStZ 2004, 554 ff. Zur strafrechtlichen Haftung für falsche Prognosen im Maßregelvollzug siehe auch Verrel 2001. Zur Strafbarkeit wegen Gefangenenbefreiung durch Entlassung aus einer psychiatrischen Klinik trotz richterlich angeordneter weiterer Unterbringung vgl. BGH NStZ 1991, 483. Die Vorgabe, einem Gefangenen Vollzugslockerungen nur zu gewähren, wenn nicht zu befürchten ist, dass er diese zu Straftaten missbraucht (Abs. 2), stellt eine „Amtspflicht“ i. S. d. § 839 Abs. 1 BGB dar. Jedes Opfer einer Gewaltstraftat eines gelockerten Gefangenen kann „Dritter“ i. S. dieser Vorschrift sein (OLG Karlsruhe NJW 2002, 445 m. Besprechung Ullenbruch 2002 und Anm. Pollähne R&P 2002, 41 f; anders noch Vorinstanz LG Karlsruhe R&P 2001, 158 und Vorvorauflage; a. A. auch OLG Hamburg ZfStrVo 1996, 243 m. Anm. Kubink ZfStrVo 1996, 374, Klesczewski NStZ 1996, 103 und Volckart StV 1996, 608: Zufallsopfer sind in den Schutzbereich der in erster Linie der Allgemeinheit dienenden Vorschrift nicht einbezogen). Nicht jeder Verstoß eines leitenden Beamten der JVA oder der Aufsichtsbehörde gegen ihre Amtspflicht aus Abs. 2 ist verwerfbar, d. h. fahrlässig (LG Bielefeld RuP 2004, 111 m. Anm. Lesting). Um die Folgen fehlgeschlagener Lockerungen, die zur Resozialisierung notwendig sind, aber auch bei sorgfältiger Prüfung mitunter misslingen können, nicht den zufälligen Opfern anzulasten, fordert der WEISSE RING in diesen Fällen um Schmerzensgeld und Ersatz des materiellen Schadens erhöhte Leistungen nach dem OEG (im Einzelnen hierzu Böhm 1990; Grützner 1990). Dieser Weg hätte den Vorteil, dass die Risikobereitschaft der für die Lockerungsentscheidungen Verantwortlichen nicht wegen befürchteter Inregressnahme wichtige Resozialisierungsmaßnahmen gefährdet. Auch die Legislative sollte sich endlich bewusst werden, dass GeUllenbruch
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fährdungen nicht nur durch eine (fehlerhafte) Gewährung von Vollzugslockerungen, sondern auch durch unzureichende Resozialisierungsbemühungen der Vollzugsbehörden entstehen können (so zutr. AK-Köhne/Lesting 2012 Rdn. 2; vgl. auch OLG Hamburg StV 2005, 564 und – jüngst nunmehr ausdrücklich auch – BVerfG vom 30.4.2009, 2 BvR 2009/08, Rdn. 39). Zur Verantwortung des Staates für Mord durch beurlaubte Gefangene vgl. auch EGMR NJW 2003, 3259 ff (Mastromatteo/Italien). Zur Frage der Amtshaftung für Schäden, die ein Gefangener im Rahmen einer von der JVA veranstalteten Skifreizeit einem Dritten zufügt, vgl. Kofler/Wulf ZfStrVo 1992, 358 ff. III. Landesgesetze und Musterentwurf 1. Baden-Württemberg. § 9 JVollzGB III entspricht inhaltlich weitgehend den §§ 11 29 und 13 StVollzG. Die überkommenen Begrifflichkeiten und Differenzierungen zwischen „Lockerungen“ und „Urlaub“ werden allerdings aufgegeben. Der Oberbegriff heißt nunmehr „vollzugsöffnende Maßnahme“, dieser umfasst nunmehr auch die sog. „Freistellung aus der Haft“ (ehemals: „Urlaub“). Auch ansonsten gibt es einige Nuancierungen. Die Vorschrift ist im Einzelnen wie folgt aufgebaut: Abs. 1 hat folgenden Wortlaut: „Gefangenen können mit ihrer Zustimmung vollzugsöffnende Maßnahmen gewährt werden, wenn sie für die jeweilige Maßnahme geeignet sind, insbesondere ihre Persönlichkeit ausreichend gefestigt und nicht zu befürchten ist, dass sie sich dem Vollzug der Freiheitsstrafe entziehen oder die Maßnahme zur Begehung von Straftaten missbrauchen werden.“ Abs. 2 lautet wie folgt: „Als vollzugsöffnende Maßnahme kann insbesondere angeordnet werden, dass Gefangene 1. einer regelmäßigen Beschäftigung außerhalb der Justizvollzugsanstalt unter Aufsicht einer oder eines Vollzugsbediensteten (Außenbeschäftigung) oder ohne Aufsicht (Freigang) nachgehen dürfen, 2. die Justizvollzugsanstalt für eine bestimmte Tageszeit unter Aufsicht einer oder eines Vollzugsbediensteten (Ausführung) oder ohne Aufsicht (Ausgang), gegebenenfalls in Begleitung einer Bezugsperson (Ausgang in Begleitung), verlassen dürfen oder 3. bis zu 21 Kalendertage in einem Vollstreckungsjahr aus der Haft freigestellt werden (Freistellung aus der Haft).“ Abs. 3 hat folgenden Wortlaut: „Freistellung aus der Haft soll in der Regel erst gewährt werden, wenn sich Gefangene mindestens sechs Monate im Strafvollzug befunden haben. Zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilte Gefangene können aus der Haft freigestellt werden, wenn sie sich einschließlich einer vorhergehenden Untersuchungshaft oder einer anderen Freiheitsentziehung zehn Jahre im Vollzug befunden haben oder wenn sie in den offenen Vollzug überwiesen oder hierfür geeignet sind.“ Abs. 4 hat folgenden Wortlaut: „Durch vollzugsöffnende Maßnahmen wird die Vollstreckung der Freiheitsstrafe nicht unterbrochen.“ In der Gesetzesbegründung heißt es hierzu: „Die Vorschrift entspricht inhaltlich den §§ 11 und 13 StVollzG […]. Das neue Strafvollzugsrecht übernimmt jedoch in diesem Zusammenhang die Terminologie des Jugendstrafvollzugsgesetzes und spricht von „vollzugsöffenden Maßnahmen“ (anstelle von „Lockerungen“). Diese beinhalten die „Freistellung aus der Haft“ (früher „Urlaub“) […]“ (LT-Drucks. 14/5012, 214). Vgl. auch Rdn. 8 und § 13 Rdn. 1. 2 . Bayern. Art. 13 BayStVollzG ist inhaltsgleich und weitgehend wortgleich mit § 11 30 StVollzG. 239
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Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
Bei der Entscheidung über die Lockerungsgewährung mit zu beachten sind in Bayern zwei weitere Vorschriften, die im StVollzG keine Entsprechung haben: Zum einen Art. 4 BayStVollzG, der folgenden Wortlaut hat: „Der Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten wird durch eine sichere Unterbringung und sorgfältige Beaufsichtigung der Gefangenen, eine gründliche Prüfung vollzugsöffnender Maßnahmen sowie geeignete Behandlungsmaßnahmen gewährleistet“ (ausf. dazu vgl. § 2 Rdn. 21). Zum anderen Art. 15 BayStVollzG, der folgenden Wortlaut hat: „Bei Gefangenen, gegen die während des laufenden Freiheitsentzugs eine Strafe wegen einer schwerwiegenden Straftat gegen Leib oder Leben oder gegen die sexuelle Selbstbestimmung mit Ausnahme der §§ 180 a und 181 a StGB vollzogen wurde oder zu vollziehen ist, ist eine Unterbringung im offenen Vollzug, eine Lockerung des Vollzugs oder eine Gewährung von Urlaub aus dem Vollzug besonders gründlich zu prüfen. Bei der Entscheidung sind auch die Feststellungen im Urteil und die im Ermittlungs- oder Strafverfahren erstatteten Gutachten zu berücksichtigen“ (ausf. dazu vgl. § 10 Rdn. 15. Vgl. auch oben Rdn. 23. Vgl. dazu auch Kommentierung Rdn. 1 f. 31
3 . Hamburg. Das HmbStVollzG wurde unlängst überarbeitet. Lockerungen sind in § 12 HmbStVollzG geregelt, Lockerungen aus wichtigem Anlass in § 13 HmbStVollzG (vgl. § 35 Rdn. 9), Lockerungen aus Anlass gerichtlicher Termine in § 14 HmbStVollzG (vgl. § 36 Rdn. 7), Lockerungen zur Vorbereitung der Entlassung in § 15 HmbStVollzG (vgl. § 15 Rdn. 13), die (Vorverlegung) der Entlassung in § 17 HmbStVollzG (vgl. § 16 Rdn. 11), die Freistellung von der Haft bei Todesnähe in § 64 HmbStVollzG. § 12 HmbStVollzG ist wie folgt aufgebaut: Abs. 1 Satz 1 lautet: „Den Gefangenen kann als Lockerung des Vollzuges insbesondere erlaubt werden, 1. die Anstalt für eine bestimmte Tageszeit unter Aufsicht (Ausführung) oder ohne Aufsicht (Ausgang) zu verlassen, 2. die Anstalt für die Dauer von bis zu 24 Kalendertagen in einem Vollstreckungsjahr zu verlassen (Freistellung von der Haft), 3. außerhalb der Anstalt regelmäßig einer Beschäftigung unter Aufsicht (Außenbeschäftigung) oder ohne Aufsicht (Freigang) nachzugehen, wenn sie hierfür geeignet sind. Geeignet sind Gefangene, wenn nicht zu befürchten ist, dass sie sich dem Vollzug entziehen oder die Lockerungen zu Straftaten missbrauchen werden. § 11 Absatz 3 gilt entsprechend.“ Zur Neufassung des Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 heißt es in der Gesetzesbegründung: „[…] wird für die (regelhafte) Freistellung von der Haft ein Kontingent von 24 Kalendertagen festgesetzt. Erstens entfällt damit die in den derzeit geltenden §§ 40, 41 HmbStVollzG vorgesehene Verknüpfung der Regel-Haftfreistellung mit dem Institut der Freistellung von der Arbeitspflicht. Hierdurch werden insbesondere praktische Schwierigkeiten bei der Zuweisung von Arbeit berücksichtigt. Zweitens handelt es sich um eine Erweiterung des Kontingents um zwei Tage im Jahr, da nach den derzeit geltenden §§ 40, 42 HmbStVollzG nur eine Freistellung von der Haft an elf Tagen pro Halbjahr vorgesehen ist. Auf diese Weise soll der besonderen Bedeutung von Sozialkontakten für die Erreichung des Vollzugsziels Rechnung getragen werden“ (Bürgerschafts-Drucks. 19/2533, 53). Zur Neufassung des Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 heißt es in der Begründung: „[…] beschränkt den Freigang nicht mehr auf den offenen Vollzug bzw. die Außenstelle der sozialtherapeutischen Abteilung der Justizvollzugsanstalt Fuhlsbüttel. Zwar überschneiden sich die Kriterien der Eignung für den Freigang und für die Unterbringung im offenen Vollzug. Indes erscheinen Konstellationen denkbar, in denen Gefangene – etwa wegen therapeuUllenbruch
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tischer Behandlungsmaßnahmen – ungeachtet ihrer Eignung für den offenen Vollzug verbleiben und gleichzeitig die Aufnahme einer Beschäftigung im Wege des Freigangs sinnvoll und trotz der Umstände im geschlossenen Vollzug möglich ist. Dies ist selten. Grundsätzlich wird die Genehmigung von Freigang nur im offenen Vollzug in Betracht kommen“ (Bürgerschafts-Drucks. 19/2533, 53). Abs. 1 Satz 2 lautet wie folgt: „§ 11 Absatz 3 gilt entsprechend“ (Begutachtung). Abs. 2 lautet wie folgt: „Lockerungen können versagt werden, wenn die Gefangenen ihren Mitwirkungspflichten nicht nachkommen“. In der Gesetzesbegründung heißt es hierzu: „Der Entwurf sieht ferner davon ab, Fallgruppen zur Konkretisierung der Eignung für Lockerungen gesetzlich festzuschreiben. Die Fallgruppen werden auf der Grundlage der Regelungen des derzeit geltenden § 12 Absatz 2 Satz 1 und Satz 2 HmbStVollzG in Verbindung mit dem derzeit geltenden § 11 Absätze 5 und 7 HmbStVollzG in einer allgemeinen Verfügung von der Aufsichtsbehörde festgesetzt werden. Die Verfahrensregelung des im Vollzug der Freiheitsstrafe anzuwendenden Teils des derzeit geltenden § 12 Absatz 2 Satz 2 HmbStVollzG in Verbindung mit dem derzeit geltenden § 11 Absatz 6 HmbStVollzG wird in Absatz 1 Satz 2 beibehalten. Nach dem im derzeit geltenden § 12 HmbStVollzG nicht enthaltenen Absatz 2 ist in die Ermessensentscheidung über Vollzugslockerungen aber auch der Gesichtspunkt einzubeziehen, ob die Gefangenen ihrer Pflicht nachkommen, an der Erreichung des Vollzugsziels mitzuwirken. Sollte dies nicht der Fall sein, wird mit diesen Gefangenen zunächst innerhalb des Vollzugs weiter zu arbeiten sein, bevor Lockerungen in Betracht zu ziehen sind. Keine entscheidende Bedeutung kommt diesem Kriterium aus Gründen der Verhältnismäßigkeit allerdings dann zu, wenn es beispielsweise um Vollzugslockerungen im Hinblick auf gezielte Maßnahmen zur Entlassungsvorbereitung geht. Die Absätze 1 und 2 stellen klar, dass die Gefangenen keinen Anspruch auf Vollzugslockerungen haben, sondern lediglich einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung. Das Ermessen erstreckt sich darauf, ob Vollzugslockerungen überhaupt gewährt werden und gegebenfalls zu welchem Zeitpunkt. Insbesondere ist zu berücksichtigen, inwieweit die Vollzugslockerung dazu dient, das Vollzugsziel zu erreichen“ (Bürgerschafts-Drucks. 19/2533, 53). § 12 Abs 2 HmbStVollzG aF hatte folgenden Wortlaut: „Die Eignung nach Absatz 1 Satz 2 ist in der Regel anzunehmen bei Gefangenen, 1. die an der Gestaltung ihrer Behandlung oder ihrer Erziehung und an der Erfüllung des Behandlungs- oder des Erziehungsauftrages nach Maßgabe des Vollzugsplanes mitwirken, 2. die im Vollzug der Freiheitsstrafe bis zum voraussichtlichen Entlassungszeitpunkt nicht mehr als achtzehn Monate Freiheitsstrafe zu verbüßen haben oder die sich einschließlich einer vorhergehenden Untersuchungshaft oder einer anderen Freiheitsentziehung zehn Jahre im Vollzug befunden haben und 3.1 die keine unerlaubten Betäubungsmittel konsumieren oder 3.2 bei denen die Gefahr des unerlaubten Betäubungsmittelkonsums nicht mehr besteht und die über einen Zeitraum von regelmäßig drei Monaten ihre Betäubungsmittelabstinenz nachweisen. Im übrigen gilt § 11 Absätze 5 bis 7 entsprechend“. Abs. 3 lautet: „Durch die Freistellung von der Haft wird die Strafvollstreckung nicht unterbrochen“. Abs. 4 lautet: „Die Anstaltsleitung kann den Gefangenen Weisungen für Lockerungen erteilen“. Vgl. auch Rdn. 10, 22, 24.
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4. Hessen. Das HStVollzG regelt in einer Vorschrift (§ 13 HStVollzG) eine Materie, die im Bundesgesetz auf drei Vorschriften aufgeteilt war: Offener und geschlossener Vollzug (§ 10 StVollzG), Lockerungen (§ 11 StVollzG) und Urlaub (§ 13 StVollzG). § 13 HStVollzG ist wie folgt aufgebaut: Abs. 1 bezieht sich auf das Verhältnis geschlossener/offener Vollzug. Vgl. dazu § 10 Rdn. 4. Abs. 2 hat folgenden Wortlaut: „Vollzugsöffnende Maßnahmen können zur Erfüllung des Eingliederungsauftrags gewährt werden, wenn die Gefangenen für die jeweilige Maßnahme geeignet sind, insbesondere nicht zu befürchten ist, dass sie sich dem Vollzug der Freiheitsstrafe entziehen oder die Maßnahmen zur Begehung von Straftaten oder auf andere Weise missbrauchen. Bei der Prüfung von vollzugsöffnenden Maßnahmen sind der Schutz der Allgemeinheit und die Belange des Opferschutzes in angemessener Weise zu berücksichtigen.“ In der Gesetzesbegründung heißt es hierzu: „Absatz 2 normiert die Voraussetzungen für die Gewährung von vollzugsöffnenden Maßnahmen. […] Bei der […] Prüfung der Eignung sind die Kriterien entsprechend heranzuziehen, die von der Rechtsprechung zu § 10 Abs. 1 StVollzG entwickelt wurden. Es handelt sich um die Bereitschaft und Fähigkeit zur Mitarbeit, zur Einordnung in die Gemeinschaft und zu korrekter Führung unter gegebenenfalls geringerer Aufsicht. Hinzukommen muss ein ausreichendes Maß an Selbstdisziplin und Verantwortungsbewusstsein […]. Das Kriterium, ob die Gefangenen an Maßnahmen zur Eingliederung mitwirken (§ 4), ist daher bereits bei der Prüfung, ob die Gefangenen geeignet sind, zu berücksichtigen. Der Begriff „jeweilig“ bringt zum Ausdruck, dass für unterschiedliche vollzugsöffnende Maßnahmen unterschiedliche Anforderungen vorliegen können […]. Für die Beurteilung der Flucht- und Missbrauchsgefahr gelten grundsätzlich die gleichen Grundsätze wie bisher. Abweichend vom Strafvollzugsgesetz wurde bestimmt, dass der Missbrauch nicht unbedingt in einer Straftat bestehen muss. Zu beachten ist aber, dass der zu befürchtende Missbrauch zumindest von gleichem Gewicht zu sein hat. So würde es beispielsweise schon dem Eingliederungsauftrag widersprechen, Gefangenen mit einem Alkoholproblem Freistellung aus der Haft (§ 13 Abs. 3 Nr. 4) zu gewähren, wenn erkennbar ist, dass sie einen erheblichen Rückfall durch Alkoholmissbrauch erleiden werden. Nach Satz 2 ist der Schutz der Allgemeinheit angemessen zu berücksichtigen. Diese Vorschrift regelt auch die Berücksichtigung der Belange des Opferschutzes. Den Gefangenen steht kein Rechtsanspruch auf Gewährung von vollzugsöffnenden Maßnahmen zu, sondern nur ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung […]. Wenn die Gefangenen allerdings die Voraussetzungen des Abs. 2 […] erfüllen, wird sich das Ermessen der Anstalt reduzieren. Der Begriff „können“ […] bringt insoweit nur zum Ausdruck, dass es weitere Gesichtspunkte über die Geeignetheit hinaus geben kann, die eine Entscheidung der Anstalt beeinflussen. Dies kann beispielsweise eine mangelnde Einwilligung der Gefangenen sein oder eine fehlende Mitwirkungsbereitschaft von Angehörigen oder Dritten, die in die vollzugsöffnende Maßnahme mit einbezogen werden sollen. Liegen solche Gründe aber nicht vor, können vollzugsöffnende Maßnahmen bei Vorliegen der Voraussetzungen der Abs. 2, 5 und 6 nicht rechtsfehlerfrei verneint werden.“ (LT-Drucks. 18/1396, 84 f). Abs. 3 lautet wie folgt: „Als vollzugsöffnende Maßnahmen kommen insbesondere in Betracht: 1. Unterbringung im offenen Vollzug, 2. Regelmäßige Beschäftigung außerhalb der Anstalt unter Aufsicht von Vollzugsbediensteten (Außenbeschäftigung) oder ohne Aufsicht (Freigang), Ullenbruch
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3.
Verlassen der Anstalt für eine bestimmte Zeit unter Aufsicht von Vollzugsbediensteten (Ausführung) oder ohne Aufsicht (Ausgang), gegebenenfalls jedoch in Begleitung einer von der Anstalt bestimmten Person (Ausgang in Begleitung), 4. Freistellung aus der Haft bis zu 21 Kalendertagen in einem Vollstreckungsjahr.“ In der Gesetzesbegründung heißt es hierzu: „Abs. 3 enthält einen nicht abschließenden Katalog der in Betracht kommenden Maßnahmen. […] Neu aufgenommen wurde eine Legaldefinition des in der Praxis bedeutsamen Ausgangs in Begleitung (Abs. 3 Nr. 3). Die von der Anstalt bestimmten Personen können hierbei sowohl Bedienstete der Anstalt als auch Dritte sein. […] Die Freistellung aus der Haft nach § 13 Abs. 3 Nr. 4 ist begrifflich nicht zu verwechseln mit der Entlassungsfreistellung nach § 16 Abs. 3 […].“ (LT-Drucks. 18/1396, 85). Abs. 4 hat folgenden Wortlaut: „Von vollzugsöffnenden Maßnahmen sind Gefangene ausgeschlossen, gegen die Untersuchungs-, Auslieferungs- oder Abschiebungshaft angeordnet ist.“ In der Gesetzesbegründung heißt es hierzu: „Durch Abs. 4 bis 6 werden die bislang in den bundeseinheitlichen Verwaltungsvorschriften zu §§ 10, 11 und 13 StVollzG geregelten Grundsätze in zusammengefasster Form in das Gesetz übernommen. […] Wie schon jetzt in Hessen vollzugliche Praxis, wird dadurch eine sorgfältige Prüfung von vollzugsöffnenden Maßnahmen auch im Gesetz festgeschrieben. Dies hat sich im Sinne der Eingliederung der Gefangenen und der Sicherheit der Allgemeinheit bewährt. Im Jahre 2008 wurden in Hessen mehr Ausgänge, Freigänge und Urlaube pro Gefangenem gewährt als im Bundesdurchschnitt […], gleichwohl lag die Missbrauchsquote um ein 15faches niedriger als im Bundesdurchschnitt […].“ (LTDrucks. 18, 1396, 85 f). Abs. 5 lautet wie folgt: „In den Fällen, in denen 1. der Vollstreckung eine Straftat im Zusammenhang mit grober Gewalttätigkeit gegen Personen oder gegen die sexuelle Selbstbestimmung nach §§ 174 bis 180, 182 des Strafgesetzbuchs zugrunde liegt oder einer früheren Vollstreckung innerhalb der letzten fünf Jahre zugrunde gelegen hat, 2. gegen Gefangene eine freiheitsentziehende Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet und noch nicht vollzogen oder eine solche Maßregel für erledigt erklärt worden ist, 3. Gefangene erheblich suchtgefährdet sind, 4. Gefangene innerhalb der letzten fünf Jahre a) aus dem Vollzug entwichen sind oder dies versucht haben, b) nicht aus vollzugsöffnenden Maßnahmen zurückgekehrt sind oder c) wegen einer während des Vollzugs begangenen Straftat verurteilt wurden, 5. gegen Gefangene ein Ausweisungs-, Auslieferungs-, Ermittlungs- oder Strafverfahren anhängig ist, 6. gegen Gefangene eine vollziehbare Ausweisungsverfügung besteht und sie aus der Haft abgeschoben werden sollen, können vollzugsöffnende Maßnahmen nur gewährt werden, wenn besondere Umstände die Annahme begründen, dass eine Flucht- und Missbrauchsgefahr im Sinne von Abs. 2 Satz 1 nicht gegeben ist. In der Gesetzesbegründung heißt es hierzu: „Abs 5 modifiziert die Eignungsprüfung des Abs. 2 […] In Abs. 5 Nr. 1 sind unter grober Gewalttätigkeit gegen Personen insbesondere Delikte nach §§ 211 bis 213, 224 bis 227, 231, 239 a, 239 b, 244 Abs. 1 Nr. 1, 249 bis 252, 255, 306 a, 306 b, 306 c, 307, 308, 316 a, 323 a StGB (bei entsprechender Rauschtat) zu verstehen. In Abs. 5 Nr. 2 wurden die Regelbeispiele durch die Fälle ergänzt, in denen eine Maßregel beispielsweise wegen Aussichtslosigkeit für erledigt erklärt wurde und die Ge243
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fangenen (nur dann sind sie begrifflich noch Gefangene) daraufhin in den Strafvollzug (zurück)verlegt wurden. Hierbei handelt es sich in der Regel um besonders problematische Gefangene. Nicht erfasst werden die Fälle, in denen die Patienten nach der Erledigungsfeststellung in Freiheit entlassen werden […]“ (LT-Drucks. 18, 1396, 86). Abs. 6 lautet wie folgt: „Vollzugsöffnende Maßnahmen mit Ausnahme der Ausführung sollen in der Regel nicht gewährt werden, wenn weniger als zehn Jahre einer lebenslangen Freiheitsstrafe verbüßt oder noch mehr als 24 Monate einer zeitigen Freiheitsstrafe bis zum voraussichtlichen Entlassungszeitpunkt oder bis zum Beginn des Vollzugs einer Maßregel der Besserung und Sicherung zu vollziehen sind.“ Abs. 7 lautet wie folgt: „Durch vollzugsöffnende Maßnahmen wird die Vollstreckung der Freiheitsstrafe nicht unterbrochen.“ Vgl. auch Rdn. 8 und § 13 Rdn. 4. 33
5. Niedersachsen. Das NJVollzG behandelt auch den Hafturlaub als Lockerung des Vollzuges und fasst beide Maßnahmen in § 13 zusammen, der wie folgt aufgebaut ist: Abs. 1 ist weitgehend inhalts- und wortgleich mit §§ 11 Abs. 1 Nr. 1 und 2 sowie 13 Abs. 1 Satz 1 StVollzG; neu hinzugefügt werden die Nennung des Vollzugsziels der Resozialisierung und die Klarstellung, dass Urlaubsjahr das Vollstreckungsjahr ist. Abs. 1 hat folgenden Wortlaut: „Als Lockerung des Vollzuges kann zur Erreichung des Vollzugszieles nach § 5 Satz 1 mit Zustimmung der oder des Gefangenen namentlich angeordnet werden, dass die oder der Gefangene 1. außerhalb der Anstalt regelmäßig einer Beschäftigung unter Aufsicht (Außenbeschäftigung) oder ohne Aufsicht Vollzugsbediensteter (Freigang) nachgehen darf, 2. für eine bestimmte Tageszeit die Anstalt unter Aufsicht (Ausführung) oder ohne Aufsicht Vollzugsbediensteter (Ausgang) verlassen darf oder 3. bis zu 21 Kalendertagen im Vollstreckungsjahr beurlaubt wird.“ In der Gesetzesbegründung heißt es hierzu: „Absatz 1 übernimmt die bisherigen Bestimmungen in § 11 Abs. 1 Nr. 1 und 2 und § 13 Abs. 1 Satz 1 StVollzG über die Lockerungen des Vollzuges und den Urlaub aus der Haft. Dadurch kann zukünftig neben Außenbeschäftigung, Freigang, Ausführung und Ausgang namentlich der Urlaub aus der Haft als Lockerungsmaßnahme angeordnet werden. Der Vollzugsbehörde wird nunmehr – wie die Formulierung „zur Erreichung des Vollzugszieles nach § 5 Absatz 1“ in der Entwurfsvorschrift des Absatzes 2 verdeutlicht – die Möglichkeit eröffnet, auch die Gewährung und inhaltliche Ausgestaltung von Urlaub am Resozialisierungsziel auszurichten und mit der übrigen vollzuglichen Planung in Einklang zu bringen“ (LT-Drucks. 15/3565, 101; vgl. auch Rdn. 1). Abs. 2 ist weitgehend inhalts- und wortgleich mit § 11 Abs. 2 und § 13 Abs. 1 Satz 2 StVollzG; lediglich das Zustimmungserfordernis entfällt an dieser Stelle, jedoch nicht ersatzlos (s. o. Abs. 1). Abs. 3 Satz 1 hat folgenden Wortlaut: „Ausgang und Freigang sollen erst angeordnet werden, wenn hinreichende Erkenntnisse über die Gefangene oder den Gefangenen vorliegen, aufgrund derer verlässlich beurteilt werden kann, ob die Voraussetzungen des Absatzes 2 im Einzelfall gegeben sind; dabei sind die Vollzugsdauer und die Länge des davon bereits verbüßten Teils zu berücksichtigen“. In der Gesetzesbegründung heißt es hierzu: „Absatz 3 Satz 1 […] bestimmt, dass im geschlossenen Vollzug Ausgang und Urlaub nur angeordnet werden sollen, wenn unter Berücksichtigung der noch verbleibenden Vollzugsdauer und der bereits verbüßten Strafzeit hinreichende Erkenntnisse über das Nichtbestehen einer Flucht- und Missbrauchsgefahr vorliegen. […] verzichtet – wie in § 13 Abs. 2 StVollzG bzw. Nummer 4 Abs. 2 Buchst. a der bundeseinheitlichen Verwaltungsvorschriften (VV) zu § 13 StVollzG Ullenbruch
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vorgesehen – auf die Festschreibung einer Mindestvollzugsdauer bzw. einer Reststrafenregelung, um die Vollzugsbehörden bei der Gewährung von Lockerungen nicht von vornherein an Fristen zu binden. Stattdessen geht […] davon aus, dass Lockerungsentscheidungen der Resozialisierung und dem Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten dann hinreichend Rechnung tragen, wenn die Vollzugsbehörde in die Lage versetzt wird, Lockerungen auf der Grundlage eines ausreichenden Beobachtungszeitraumes und einer aussagekräftigen Tatsachenermittlung zu planen bzw. zu gewähren oder zu versagen. Hierbei soll sie sich in geeigneten Fällen, namentlich bei Tötungs- und Sexualdelikten, auch – wie im niedersächsischen Justizvollzug bereits üblich – interdisziplinärer Begutachtungen bedienen […]“ (LT-Drucks. 15/3565, 101). Abs. 3 Satz 2 hat folgenden Wortlaut: „Urlaub soll erst angeordnet werden, wenn sich die oder der Gefangene im Ausgang oder Freigang bewährt hat“. In der Gesetzesbegründung heißt es hierzu: „Satz 2 sieht vor, dass Urlaub im geschlossenen Vollzug erst gewährt werden soll, wenn sich die Gefangenen in Ausgang oder Freigang bewährt haben. Diese Regelung ersetzt insoweit die sechsmonatige Regelsperrfrist nach § 13 Abs. 2 StVollzG, lässt es aber als Sollvorschrift in begründeten Fällen zu, Urlaub auch ohne eine Bewährung in Ausgang oder Freigang anzuordnen“ (LTDrucks. 15/3565, 102). Abs. 4 HS. 1 ist inhaltsgleich und weitgehend wortgleich mit § 13 Abs. 3 StVollzG; neu hinzugefügt wird im Absatz 4 Halbsatz 2 eine weitere Einschränkung bezüglich zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilter Gefangener mit folgendem Wortlaut: „für Ausgang und Freigang gilt in der Regel eine Sperrfrist von acht Jahren“. In der Gesetzesbegründung heißt es hierzu: „Absatz 4 Halbsatz 1 […] entspricht der Regelung des § 13 Abs. 3 StVollzG und normiert für zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilte Gefangene eine Mindestvollzugsdauer von zehn Jahren, bevor sie beurlaubt werden können. […] geht davon aus, dass für Gefangene, die sich im offenen Vollzug befinden, eine Sperrfrist wie bisher nicht erforderlich ist“ (LT-Drucks. 15/3565, 102). Abs. 5 ist inhaltsgleich und weitgehend wortgleich mit § 13 Abs. 4 StVollzG. Abs. 6 ist inhalts- und wortgleich mit § 13 Abs. 5 StVollzG. Bei der Lockerungsgewährung zu beachten ist in Niedersachsen eine weitere Vor- 32 schrift, die im StVollzG keine Entsprechung hat. Nach § 16 NJVollzG bedarf es bei bestimmten Gefangenengruppen der vorherigen Begutachtung (vgl. § 10 Rdn. 17). Siehe auch Kommentierung oben Rdn. 1, 2, 9, 23 und 27. 6. Musterentwurf. Der ME-StVollzG regelt „Lockerungen und sonstige Aufenthalte 34 außerhalb der Anstalt“ in zwei Vorschriften: § 38 ME-StVollzG bezieht sich auf „Lockerungen zur Erreichung des Vollzugsziels“. Er ist wie folgt aufgebaut: Abs. 1 hat folgenden Wortlaut: „Aufenthalte außerhalb der Anstalt ohne Aufsicht (Lockerungen) können den Gefangenen zur Erreichung des Vollzugsziels gewährt werden, namentlich 1. das Verlassen der Anstalt für bis zu 24 Stunden in Begleitung einer von der Anstalt zugelassenen Person (Begleitausgang), 2. das Verlassen der Anstalt für bis zu 24 Stunden ohne Begleitung (unbegleiteter Ausgang), 3. das Verlassen der Anstalt für mehrere Tage (Langzeitausgang) und 4. die regelmäßige Beschäftigung außerhalb der Anstalt (Freigang).“ In der ME-Begründung heißt es hierzu: „Lockerungen […] sind […] ein wesentliches Instrumentarium der Vollzugspraxis zur Umsetzung der Vollzugsgrundsätze […]. Diesen Zweck der Lockerungen stellt § 38 Abs. 1 Satz 1 heraus. In Lockerungen sollen die Gefange245
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nen in der Regel stufenweise in größeren Freiheitsgraden erprobt und so kontinuierlich an ein Leben in Freiheit herangeführt werden. Absatz 1 enthält erstmals eine Legaldefinition, die abweichend von den bisherigen Regelungen des Bundes- und Landesrechts nur das Verlassen der Anstalt „ohne Aufsicht“ als Lockerung definiert. Ausführung und Außenbeschäftigung des § 11 StVollzG sind daher keine Lockerungen im Sinne dieses Gesetzes. Urlaub nach § 13 StVollzG wird – als Langzeitausgang der Nummer 3 – in die Bestimmung einbezogen, da auch bislang Lockerungen und Urlaub bereits nach im Wesentlichen einheitlichen Kriterien gewährt worden sind und so eine Zusammenfassung im Interesse einer schlankeren und normklareren Regelung nahelag. Die Bestimmung enthält – wie bisher – keinen Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung. Die Aufzählung der Lockerungen in Absatz 1 ist nicht abschließend. So kommt darüber hinaus etwa die Gewährung von Lockerungen insbesondere zur Teilnahme an verschiedenen Behandlungs- oder Eingliederungsmaßnahmen außerhalb des Vollzugs in Betracht. Nummer 1 enthält eine Definition des Begleitausgangs. Dies trägt dem Bedürfnis der vollzuglichen Praxis Rechnung. Die von der Anstalt zugelassenen Personen können sowohl Bedienstete der Anstalt als auch Externe sein. Wesentlicher Grund für die Gewährung eines Begleitausgangs ist – gerade bei einer Erstgewährung – die Verringerung des Flucht- oder Missbrauchsrisikos im Falle der Begleitung der Gefangenen durch geeignete Personen, ohne dass diese eine Pflicht zur Beaufsichtigung trifft. Zudem können die Beobachtungen der Begleitpersonen für die künftige Lockerungsgestaltung von wesentlicher Bedeutung sein. Der Langzeitausgang ist – anders als der Urlaub des § 13 Abs. 1 Satz 1 StVollzG – nicht auf eine bestimmte Anzahl von (Kalender-)Tagen beschränkt. Langzeitausgang kann – wie alle Lockerungen – gewährt werden, wenn und soweit es der Erreichung des Vollzugsziels dient. Allein danach bestimmt sich dessen Häufigkeit und Dauer.“ (MEBegründung, 106 f). Abs. 2 lautet wie folgt: „Die Lockerungen dürfen gewährt werden, wenn verantwortet werden kann zu erproben, dass die Gefangenen sich dem Vollzug der Freiheitsstrafe nicht entziehen oder die Lockerungen nicht zu Straftaten missbrauchen werden.“ In der ME-Begründung heißt es hierzu: „Im Sinne einer konsequenten Ausformung der in § 3 Abs. 2 und 5 genannten Gestaltungsgrundsätze, die eine Ausrichtung des Vollzugs auf die Eingliederung der Gefangenen in das Leben in Freiheit von Beginn der Haftzeit an vorsehen, enthält Absatz 2 den positiv formulierten Prüfungsmaßstab einer verantwortbaren Erprobung.“ (ME-Begründung, 107). Vgl. auch Kommentierung Rdn. 1 und 8. Abs. 3 lautet wie folgt: „Ein Langzeitausgang nach Satz 1 Nr. 3 soll in der Regel erst gewährt werden, wenn der Gefangene sich mindestens sechs Monate im Strafvollzug befunden hat. Ein zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilter Gefangener kann einen Langzeitausgang erst erhalten, wenn er sich einschließlich einer vorhergehenden Untersuchungshaft oder einer anderen Freiheitsentziehung fünf Jahre im Vollzug befunden hat oder wenn er im offenen Vollzug untergebracht ist.“ In der ME-Begründung heißt es hierzu: „Eine sorgfältige Prüfung der Flucht- und Missbrauchsgefahr setzt eine gründliche Kenntnis der Persönlichkeit der Gefangenen voraus. Um diese zu erlangen, ist ein längerer Beobachtungszeitraum erforderlich. Absatz 3 Satz 1 sieht daher für die Gewährung eines Langzeitausgangs, der als ein mehrtägiges Verlassen der Anstalt die weitestgehende Lockerung darstellt, einen in der Regel sechsmonatigen Beobachtungszeitraum vor. Hierdurch erhält die Anstalt Gelegenheit, die Gefangenen auch nach Abschluss des Diagnoseverfahrens im Vollzugsalltag kennen und einschätzen zu lernen. Auch der Vollzug einer lebenslangen Freiheitsstrafe darf Gefangene nicht vollständig von der Außenwelt isolieren. Ihre Lebenstüchtigkeit ist zu erhalten. Deshalb sollen Ullenbruch
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auch die zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe Verurteilten, auch wenn sie nicht im offenen Vollzug untergebracht sind, nach Verbüßung von mindestens fünf Jahren Langzeitausgang erhalten können. Die Regelung stellt eine Ausprägung der in § 3 Abs. 2, 4 und 5 genannten Grundsätze dar, indem sie einer Hospitalisierung entgegenwirkt und den Bezug der Gefangenen zur Gesellschaft zu erhalten sucht.“ (ME-Begründung, 107 f). Abs. 4 lautet wie folgt: „Durch Lockerungen wird die Vollstreckung der Freiheitsstrafe nicht unterbrochen.“ In der ME-Begründung heißt es hierzu: „Nach Abs. 4 bleibt das Vollzugsverhältnis auch während des Langzeitausgangs bestehen, da die Gefangenen sich zwar in Freiheit aufhalten, diese Freiheit jedoch in der Regel durch Weisungen und auf kurze Zeiträume begrenzt ist und somit auch während dieser Zeit besonderen, in der Freiheitsstrafe begründeten Einschränkungen unterliegt.“ (ME-Begründung, 108). § 41 ME-StVollzG bezieht sich auf „Ausführung, Außenbeschäftigung, Vorführung, Ausantwortung“. Er ist wie folgt aufgebaut: Abs. 1 hat folgenden Wortlaut: „Den Gefangenen kann das Verlassen der Anstalt unter ständiger und unmittelbarer Aufsicht gestattet werden, wenn dies aus besonderen Gründen notwendig ist (Ausführung). Die Gefangenen können auch gegen ihren Willen ausgeführt werden. Liegt die Ausführung ausschließlich im Interesse der Gefangenen, können ihnen die Kosten auferlegt werden, soweit dies die Behandlung oder die Eingliederung nicht behindert.“ In der ME-Begründung heißt es hierzu: „In Absatz 1 wird eine Ausführung als ein Verlassen der Anstalt unter ständiger und unmittelbarer Aufsicht von Vollzugsbediensteten definiert und ist damit eine Lockerung im Sinne des § 38. Die Gefangenen haben keinen Rechtsanspruch auf eine Ausführung, sondern lediglich Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung. Die Anstalt trifft die für den sicheren Gewahrsam notwendigen Maßnahmen, d. h. sie überträgt die Ausführung geeigneten Bediensteten und ordnet erforderlichenfalls besondere Sicherungsmaßnahmen an. Die Erteilung von Weisungen ist entbehrlich, da die Gefangenen verpflichtet sind, die Anordnungen der sie ausführenden Bediensteten zu befolgen. „Besondere Gründe“ können wichtige Anlässe wie die Teilnahme an Bestattungen naher Angehöriger oder andere Fälle des § 39 sein, wenn aus den in § 38 Abs. 2 genannten Gründen Vollzugslockerungen nicht gewährt werden können. Sie liegen auch dann vor, wenn zur Erreichung des Vollzugsziels Ausführungen zur Vorbereitung einer Lockerungsgewährung oder zur Erhaltung der Lebenstüchtigkeit erforderlich sind und aus den in § 38 Abs. 2 genannten Gründen Vollzugslockerungen noch nicht gewährt werden können. Auf die Zustimmung der Gefangenen wird verzichtet, da es beispielsweise aus medizinischen Gründen erforderlich sein kann, die Gefangenen auch ohne ihre Zustimmung auszuführen. Da in der vollzuglichen Praxis Ausführungen auf Antrag der Gefangenen die Regel sind, wird es sich bei Ausführungen ohne Zustimmung der Gefangenen um seltene Ausnahmefälle handeln. Satz 3 regelt die Kostentragung der Ausführungen, die ausschließlich im Interesse der Gefangenen liegen, und entspricht im Wesentlichen § 35 Abs. 3 Satz 2 und 3 StVollzG und der Verwaltungsvorschrift Nr. 3 zu § 36 StVollzG, zu den Kosten zählen auch die Aufwendungen der Anstalt.“ (ME-Begründung, 109 f). Abs. 2 lautet wie folgt: „Den Gefangenen kann gestattet werden, außerhalb der Anstalt einer regelmäßigen Beschäftigung unter ständiger Aufsicht oder unter Aufsicht in unregelmäßigen Abständen (Außenbeschäftigung) nachzugehen. § 38 Abs. 2 gilt entsprechend.“ In der Entwurfsbegründung heißt es hierzu: „Die Außenbeschäftigung nach Absatz 2 dient der Ermöglichung einer regelmäßigen Beschäftigung außerhalb der Anstalt.
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Sie ist keine Lockerung im Sinne des § 38 Abs. 1, da die Gefangenen unter Aufsicht von Vollzugsbediensteten stehen. Anders als eine Ausführung kann eine Außenbeschäftigung auch in nur unregelmäßigen Abständen beaufsichtigt werden. Die Anstalt legt unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls fest, in welchen zeitlichen Mindestabständen die Gefangenen zu beaufsichtigen sind. Bei der Außenbeschäftigung bleibt es anderen Arbeitern und Passanten nicht verborgen, dass es sich bei den Beschäftigten um Strafgefangene handelt. Deshalb ist die in der Antragstellung zum Ausdruck kommende Zustimmung der Gefangenen hier – auch aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes – von besonderer Bedeutung.“ (ME-Begründung, 110). Abs. 3 bezieht sich auf die Vorführung zu gerichtlichen Terminen (vgl. § 36 Rdn. 1 ff). Abs. 4 bezieht sich auf Ausantwortungen (vgl. Kommentierung § 8 Rdn. 16). Vgl. auch Kommentierung Rdn. 1 und 8.
§ 12 Ausführung aus besonderen Gründen § 12 Ullenbruch Ausführung aus besonderen Gründen Ein Gefangener darf auch ohne seine Zustimmung ausgeführt werden, wenn dies aus besonderen Gründen notwendig ist. VV Die VV Nummer 4 zu § 11 StVollzG und die VV zu § 35 StVollzG sind zu beachten. Schrifttum S. bei § 11.
I. II.
Übersicht Allgemeine Hinweise ____ 1 Erläuterungen ____ 2–6 1. Keine Vollzugslockerung ____ 2 2. Besondere Gründe ____ 3 3. Ermessen ____ 4 4. Sicherungsmaßnahmen ____ 5 5. Neuregelung ____ 6
III.
Landesgesetze und Musterentwurf ____ 7–12 1. Baden-Württemberg ____ 7 2. Bayern ____ 8 3. Hamburg ____ 9 4. Hessen ____ 10 5. Niedersachsen ____ 11 6. Musterentwurf ____ 12
I. Allgemeine Hinweise 1
Terminologie und systematische Stellung der Vorschrift sind misslungen. Eine Lockerung des Vollzuges ohne Zustimmung des Gefangenen kommt nicht in Betracht (Rdn. 2). Als Anwendungsfall denkbar ist lediglich eine zwangsweise Vorstellung bei einem externen Facharzt (Rdn. 3). Diese sollte an anderer Stelle geregelt werden (Rdn. 6). II. Erläuterungen
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1. Keine Vollzugslockerung. Eine Ausführung ohne die Zustimmung des Betroffenen stellt im Bereich der §§ 11 ff einen Widerspruch in sich dar. Unter Ausführung versteht der Gesetzgeber ausdrücklich die Anordnung, dass der Gefangene für eine bestimmte Tageszeit die Anstalt unter Aufsicht verlassen „darf“ (§ 11 Abs. 1 Nr. 2 1. Alt.), nicht „muss“. Das Element der Freiwilligkeit wird in § 11 Abs. 2 nochmals bekräftigt („mit Ullenbruch
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Ausführung aus besonderen Gründen
§ 12
Zustimmung“). Eine „Zwangsausführung“ stellt deshalb überhaupt keine Vollzugslockerung dar (a. A. C/MD 2008; wie hier Laubenthal 2003 Rdn. 532; ähnlich auch Arloth 2011 Rdn. 1). Folglich kann § 12 auch nicht als Ausnahme zu § 11 verstanden werden (so aber wohl immer noch AK-Köhne/Lesting 2012 Rdn. 1). Eine Anordnung, wonach der Gefangene die Anstalt für eine bestimmte Tageszeit unter Aufsicht verlassen muss, würde sich im Übrigen als Behandlungsmaßnahme im Rahmen der §§ 7, 11 auch mit Rücksicht auf den Mitwirkungsgrundsatz des § 4 Abs. 1 von vornherein verbieten (ebenso C/MD 2008; vgl. auch § 4 Rdn. 4, § 11 Rdn. 13, 26). Die Herausnahme der Regelung aus dem Kontext der Regellockerungen im BayStVollzG ist deshalb konsequent. Die dortige Übernahme in den Bereich der „Lockerung“ aus wichtigem Anlass (Art. 37 Abs. 4; vgl. dazu § 35 Rdn. 8) löst das Problem indes nicht. Auch hierbei handelt es sich nicht um die „systematisch richtige Stelle“ (so aber Arloth 2011 Art. 37 BayStVollzG). Zur richtigen Lokalisation siehe unten Rdn. 6. 2. Besondere Gründe. Als besonderer Grund kommt ausschließlich die (seltene) 3 Fallkonstellation in Betracht, dass ein Gefangener aus gesundheitlichen Gründen dringend ambulant einem Arzt außerhalb der Anstalt vorgestellt werden muss (zur stationären Aufnahme s. § 65 Abs. 2), er hierzu jedoch nicht bereit ist (vgl. dazu bereits RegE, S. 52). Eine Ausführung gem. § 35 Abs. 3 Satz 1 scheidet in derartigen Fällen aus. Zwar verzichtet die Vorschrift im Unterschied zu §§ 11 Abs. 2 und 36 Abs. 2 Satz 1 auf eine ausdrückliche Erwähnung des Zustimmungserfordernisses, dieses ist jedoch bereits im Begriff der Ausführung enthalten (s. o. Rdn. 2). Zum Ermessen des Anstaltsleiters („darf“) s. Rdn. 4. – Die Wahrnehmung eines Gerichtstermins stellt keinen besonderen Grund dar (wie hier Arloth 2011 Rdn. 2). Die Gegenansicht (Laubenthal 2003 Rdn. 532; vgl. auch SA, S. 1794) übersieht, dass es insoweit eine abschließende Spezialvorschrift gibt. Gemäß § 36 Abs. 2 Satz 1 kommt eine Ausführung nur dann in Betracht, wenn der Gefangene selbst unter Vorlage einer Ladung die Teilnahme an einem gerichtlichen Termin beantragt oder das Gericht die Anstalt darum ersucht, ihm diese zu ermöglichen, der Gefangene dem auch Folge leisten will, obwohl Ausgang oder Urlaub nicht gewährt wird und schließlich wegen Entweichungs- oder Missbrauchsgefahr (§ 11 Abs. 2) keine überwiegenden Gründe entgegenstehen. Besteht eine entsprechende Gefahr oder will der Gefangene an dem gerichtlichen Termin nicht teilnehmen, ist eine Ausführung ausgeschlossen. Ohne Zustimmung des Gefangenen kommt eine Wahrnehmung des Termins dann nur in Form einer Vorführung gem. § 36 Abs. 2 Satz 2 in Betracht. Voraussetzung hierfür ist ein entsprechendes Ersuchen des Gerichtes unter Vorlage eines sog. Vorführungsbefehles (Einzelheiten § 36 Rdn. 2 ff). Eine Ausführung zu einer Auslandsvertretung zur Erlangung der für eine Abschiebung oder Überstellung erforderlichen Papiere stellt ebenfalls keinen besonderen Grund i. S. d. § 12 dar (a. A. Arloth 2011 Rdn. 2). Sie sollte im systematischen Zusammenhang des § 36 Abs. 2 Satz 2 (bzw. z. B. Art. 38 Abs. 3 BayStVollzG) verortet werden. 3. Ermessen. § 12 ermächtigt (oder verpflichtet) den Anstaltsleiter nicht in jedem 4 Falle dringender medizinischer Notwendigkeit auch zur Veranlassung einer zwangsweisen Vorstellung bei einem externen Arzt. Die Anordnung stellt vielmehr eine Zwangsmaßnahme (Ortsveränderung) mit dem alleinigen Ziel der Ermöglichung einer anderen Zwangsmaßnahme (medizinische Untersuchung oder Behandlung) dar. Ihre Zulässigkeit richtet sich deshalb nach den Voraussetzungen der Zwangsmaßnahmen auf dem Gebiet der Gesundheitsfürsorge (im Einzelnen dazu § 101 Rdn. 13 ff). 4. Sicherungsmaßnahmen. VV zu § 12 weist auf VV Nr. 4 zu § 11 und VV zu § 35 hin. 5 Demnach sind Vorkehrungen zur Verhinderung einer Flucht zu treffen, z. B. in Form der 249
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§ 13
Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
Beaufsichtigung durch besonders geeignete Bedienstete oder der Anordnung besonderer Sicherungsmaßnahmen (zur Fesselung vgl. Grunau/Tiesler 1982 Rdn. 2). 6
5. Neuregelung. Zwangsweise Vorstellungen von Gefangenen bei externen Fachärzten spielen in der vollzuglichen Praxis keine große Rolle. So wurde z. B. in der JVA Freiburg (durchschnittlich etwa 600 Strafgefangene) in den mehr als 35 Jahren seit Inkrafttreten des StVollzG nicht ein einziges Mal von der Ermächtigung gem. § 12 Gebrauch gemacht. Die Regelung ist jedoch nicht völlig überflüssig. Der einzig denkbare Anwendungsfall (Rdn. 3) sollte jedoch an der systematisch richtigen Stelle (mit-)geregelt werden, indem in die Vorschriften über Zwangsmaßnahmen auf dem Gebiet der Gesundheitsfürsorge z. B. folgende (kursiv gedruckte) Ergänzung aufgenommen wird: „Medizinische Untersuchung und Behandlung (einschließlich der gegebenenfalls hierfür erforderlichen Vorstellung bei einem externen Facharzt) […]“ (§ 101 Abs. 1 Satz 1). III. Landesgesetze und Musterentwurf
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1. Baden-Württemberg. § 10 Abs. 4 JVollzGB III ist inhalts- und wortgleich mit § 12 StVollzG. 2. Bayern. Vgl. § 35 Rdn. 8 (zu Art. 37 Abs. 4 BayStVollzG).
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3. Hamburg. Im HmbStVollzG ist eine vergleichbare Regelung nicht enthal-
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4. Hessen. Das HStVollzG enthält keine eigenständige, § 12 StVollzG vergleichbare Regelung. Zu Zwangsmaßnahmen auf dem Gebiet der Gesundheitsfürsorge vgl. § 25 HStVollzG (s. Kommentierung § 101 Rdn. 24). 5. Niedersachsen. Vgl. § 35 Rdn. 10 (zu § 14 Abs. 4 NJVollzG). 6. Musterentwurf. Der ME-StVollzG enthält keine eigenständige, § 12 StVollzG vergleichbare Regelung. Zu Ausführungen ohne Zustimmung vgl. aber § 41 Abs. 1 Satz 2 MEStVollzG (siehe Kommentierung § 11 Rdn. 6).
§ 13 Urlaub aus der Haft § 13 Ullenbruch Urlaub aus der Haft (1) Ein Gefangener kann bis zu einundzwanzig Kalendertagen in einem Jahr aus der Haft beurlaubt werden. § 11 Abs. 2 gilt entsprechend. (2) Der Urlaub soll in der Regel erst gewährt werden, wenn der Gefangene sich mindestens sechs Monate im Strafvollzug befunden hat. (3) Ein zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilter Gefangener kann beurlaubt werden, wenn er sich einschließlich einer vorhergehenden Untersuchungshaft oder einer anderen Freiheitsentziehung zehn Jahre im Vollzug befunden hat oder wenn er in den offenen Vollzug überwiesen ist. (4) Gefangenen, die sich für den offenen Vollzug eignen, aus besonderen Gründen aber in einer geschlossenen Anstalt untergebracht sind, kann nach den für den offenen Vollzug geltenden Vorschriften Urlaub erteilt werden. (5) Durch den Urlaub wird die Strafvollstreckung nicht unterbrochen. Ullenbruch
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Urlaub aus der Haft
§ 13
VV 1 Urlaub wird nur an einem Ort innerhalb des Geltungsbereichs des Strafvollzugsgesetzes gewährt. 2 (1) Der Urlaub kann aufgeteilt werden. Urlaubstage sind alle Kalendertage, auf die sich der Urlaub erstreckt; der Tag, an dem der Gefangene den Urlaub antritt, wird nicht mitgerechnet. (2) Urlaubsjahr ist das Vollstreckungsjahr. Der Urlaub ist nicht in das nächste Jahr übertragbar. Dies gilt nicht, wenn der Urlaub aus Gründen, die die Vollzugsbehörde zu vertreten hat, nicht rechtzeitig gewährt werden konnte. (3) Auf jeden angefangenen Kalendermonat der voraussichtlichen Vollzugsdauer entfallen im Rahmen der Höchstdauer (§ 13 Abs. 1 StVollzG) in der Regel nicht mehr als zwei Tage Urlaub. (4) Zeiten, in denen der Gefangene die Voraussetzungen für eine Beurlaubung noch nicht erfüllt, (§ 13 Abs. 2 StVollzG), können bei der Berechnung des Urlaubs berücksichtigt werden. Für Zeiten, in denen der Gefangene für eine Beurlaubung nicht geeignet ist, soll ihm Urlaub in der Regel nicht gewährt werden. 3 (1) Vom Urlaub ausgeschlossen sind Gefangene, a) gegen die während des laufenden Freiheitsentzuges eine Strafe vollzogen wurde oder zu vollziehen ist, welche gemäß § 74 a GVG von der Strafkammer oder gemäß § 120 GVG vom Oberlandesgericht im ersten Rechtszug verhängt worden ist, b) gegen die Untersuchungs-, Auslieferungs- oder Abschiebungshaft angeordnet ist, c) gegen die eine vollziehbare Ausweisungsverfügung für den Geltungsbereich des Strafvollzugsgesetzes besteht und die aus der Haft abgeschoben werden sollen, d) gegen die eine freiheitsentziehende Maßregel der Besserung und Sicherung oder eine sonstige Unterbringung gerichtlich angeordnet und noch nicht vollzogen ist. (2) In den Fällen des Absatz 1 Buchstaben a, c und d sind Ausnahmen mit Zustimmung der Aufsichtsbehörde zulässig. In den Fällen des Buchstabens a ist die Vollstreckungsbehörde, des Buchstabens d das zuständige Gericht zu hören; in den Fällen des Buchstabens c bedürfen Ausnahmen des Benehmens mit der zuständigen Ausländerbehörde. 4 (1) Urlaub darf nur gewährt werden, wenn der Gefangene für diese Maßnahme geeignet, insbesondere ein Missbrauch nicht zu befürchten ist. Bei der Entscheidung ist zu berücksichtigen, ob der Gefangene durch sein Verhalten im Vollzug die Bereitschaft gezeigt hat, an der Erreichung des Vollzugszieles mitzuwirken. (2) Ungeeignet sind in der Regel namentlich Gefangene, a) die sich im geschlossenen Vollzug befinden und gegen die bis zum voraussichtlichen Entlassungszeitpunkt noch mehr als achtzehn Monate Freiheitsstrafe zu vollziehen sind, b) die erheblich suchtgefährdet sind, 251
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Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
c)
die während des laufenden Freiheitsentzuges entwichen sind, eine Flucht versucht, einen Ausbruch unternommen oder sich an einer Gefangenenmeuterei beteiligt haben, d) die aus dem letzten Urlaub oder Ausgang nicht freiwillig zurückgekehrt sind oder bei denen zureichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür gegeben sind, dass sie während des letzten Urlaubs oder Ausgangs eine strafbare Handlung begangen haben, e) gegen die ein Ausweisungs-, Auslieferungs-, Ermittlungs- oder Strafverfahren anhängig ist. (3) Ausnahmen von Absatz 2 können zugelassen werden, wenn besondere Umstände vorliegen; die Gründe hierfür sind aktenkundig zu machen. In den Fällen des Buchstabens e ist die zuständige Behörde zu hören. (4) Bei Gefangenen, gegen die während des laufenden Freiheitsentzuges eine Strafe wegen grober Gewalttätigkeiten gegen Personen, wegen einer Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung oder wegen Handels mit Stoffen im Sinne des Gesetzes über den Verkehr mit Betäubungsmitteln vollzogen wurde oder zu vollziehen ist oder die im Vollzug in den begründeten Verdacht des Handels mit diesen Stoffen oder des Einbringens dieser Stoffe gekommen sind, bedarf die Frage, ob eine Beurlaubung zu verantworten ist, besonders gründlicher Prüfung. Dies gilt auch für Gefangene, über die Erkenntnisse vorliegen, dass sie der organisierten Kriminalität zuzurechnen sind. 5 (1) Der Gefangene darf in der Regel nicht in eine soziale Umgebung oder zu Personen beurlaubt werden, von denen aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte zu befürchten ist, dass sie seiner Eingliederung entgegenwirken. (2) Der Gefangene hat seine Urlaubsanschrift anzugeben. 6 (1) Der Gefangene tritt den Urlaub in eigener Kleidung an. (2) Reisekosten, Lebensunterhalt und andere Aufwendungen während des Urlaubs hat der Gefangene aus Mitteln des Haus- oder Eigengeldes zu tragen. Nummer 2 Abs. 1 der VV zu § 51 StVollzG gilt entsprechend. Soweit die eigenen Mittel des Gefangenen nicht ausreichen, kann eine Beihilfe für die Urlaubszeit aus staatlichen Mitteln gewährt werden. (3) Für Art und Umfang einer Beihilfe für die Urlaubszeit gilt § 75 StVollzG entsprechend. 7 (1) Urlaub wird nur auf Antrag gewährt. Der Antrag soll einen Monat vor Urlaubsbeginn schriftlich gestellt werden. (2) Die Gründe für die Ablehnung des Antrags sind aktenkundig zu machen und dem Gefangenen bekannt zu geben. (3) Die Entscheidung über die Beurlaubung eines zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilten Gefangenen ist in einer Konferenz nach § 159 StVollzG vorzubereiten, wenn die Voraussetzungen für eine Urlaubsgewährung nach § 13 Abs. 3 StVollzG vorliegen. Über die Konferenz ist eine Niederschrift zu fertigen; gutachtliche Äußerungen sind aktenkundig zu machen. Die Beurlaubung bedarf der Zustimmung der Aufsichtsbehörde.
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§ 13
8 (1) Der beurlaubte Gefangene erhält einen Urlaubsschein. In dem Urlaubsschein sind Weisungen, soweit erforderlich, aufzuführen. (2 Vor Antritt des Urlaubs ist der Gefangene namentlich über die Voraussetzungen des Widerrufs und der Rücknahme des Urlaubs sowie die Bedeutung der ihm erteilten Weisungen zu belehren. Schrifttum S. bei § 11.
I.
II.
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Übersicht Allgemeine Hinweise ____ 1–6 1. Bedeutung des Urlaubs ____ 1 2. Abgrenzung zum Sonderurlaub ____ 2 3. Nur im Geltungsbereich des StVollzG ____ 3 4. Keine Unterbrechung der Strafvollstreckung ____ 4 5. Abgrenzung zur Strafunterbrechung ____ 5 6. Ermessensentscheidung ____ 6 Erläuterungen ____ 7–47 1. Bemessung des Urlaubs (§ 13 Abs. 1 Satz 1) ____ 7–10 a) 21 Kalendertage im Jahr ____ 7 b) Vollstreckungsjahr, Übertragbarkeit ____ 8 c) Keine Sonderregelung für geschlossenen Vollzug ____ 9 d) Berechnung nach Verbüßungszeit (VV Nr. 2 Abs. 3) ____ 10 2. Voraussetzungen der Urlaubsgewährung ____ 11–40 a) Allgemein ____ 11–14 aa) Sechsmonatsgrenze (§ 13 Abs. 2) ____ 12 bb) Flucht- oder Missbrauchsgefahr (§ 13 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. § 11 Abs. 2) ____ 13 cc) Abwägung der Umstände im Einzelfall ____ 14 b) VV Nr. 3 und 4 als tatbestandsinterpretierende Richtlinien ____ 15–32 aa) VV Nr. 3 Abs. 1 Buchst. b ____ 16 bb) VV Nr. 3 Abs. 1 Buchst. a, c und d ____ 17 cc) Zustimmungserfordernisse nach VV Nr. 3 Abs. 2 ____ 18 dd) VV Nr. 4 Abs. 2 ____ 19–28 (1) Reststrafenregelung ____ 20, 21 (2) Suchtgefahr ____ 22, 23 (3) Flucht, Ausbruch ____ 24 (4) Früherer Lockerungsmissbrauch ____ 25, 26
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(5) Verdacht neuer Straftaten ____ 27, 28 ee) gefährliche Gefangenengruppen (VV Nr. 4 Abs. 4) ____ 29 ff) Zustimmung der Aufsichtsbehörde ____ 30 gg) Mitwirkung an der Erreichung des Vollzugsziels ____ 31, 32 c) Ermessensentscheidung ____ 33–40 aa) Aufteilung des Urlaubs (VV Nr. 2 Abs. 1 Satz 1) ____ 34 bb) Urlaub in kriminogene Umgebung (VV Nr. 5 Abs. 1) ____ 35 cc) Kosten des Urlaubs (VV Nr. 6) ____ 36 dd) Notlage, Krankheit im Urlaub ____ 37 ee) Antrag (VV Nr. 7 Abs. 1) ____ 38 ff) Form und Bekanntgabe einer Ablehnung (VV Nr. 7 Abs. 2) ____ 39 gg) Urlaubsschein, Belehrung (VV Nr. 8) ____ 40 3. Sonderregelung für Gefangene mit lebenslanger Strafe (§ 13 Abs. 3 und 4) ____ 41–47 a) Allgemein ____ 41 b) 10-Jahresgrenze ____ 42 c) Berücksichtigung besonders schwerer Schuld ____ 43 d) Lockerungen zur Vorbereitung ____ 44 e) Bedeutung des § 13 Abs. 4 ____ 45 f) Vorbereitung durch Konferenz (VV Nr. 7 Abs. 3 Satz 3) ____ 46 g) Zustimmung der Aufsichtsbehörde (VV Nr. 7 Abs. 3 Satz 1) ____ 47 Landesgesetze und Musterentwurf ____ 48–53 1. Baden-Württemberg ____ 48 2. Bayern ____ 49 3. Hamburg ____ 50 4. Hessen ____ 51 5. Niedersachsen ____ 52 6. Musterentwurf ____ 53
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Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
I. Allgemeine Hinweise 1
1. Bedeutung des Urlaubs. Urlaub – in den Landesgesetzen nunmehr häufig: „Freistellung aus der Haft“ (z. B. § 9 Abs. 2 Nr. 3 JVollzGB III und § 13 Abs. 3 Nr. 4 HStVollzG; vgl. Rdn. 48 und 51 f – ist wie die in § 11 genannten Vollzugslockerungen eine wichtige Behandlungsmaßnahme i. S. d. § 7 Abs. 2 (vgl. OLG Saarbrücken ZfStrVo SH 1978, 4; Arloth 2011 Rdn. 1; C/MD 2008 Rdn. 1; AK-Köhne/Lesting 2012 Rdn. 3). Wesentliches Charakteristikum ist, dass hier der Gefangene bei mindestens einer Übernachtung sich einige Tage und Nächte ohne ständige und unmittelbare Aufsicht außerhalb der Anstalt aufhält. § 13 betrifft den „Regelurlaub“, der grundsätzlich für alle Strafgefangenen in Frage kommt. Regelurlaub soll die aus der Isolierung in der Anstalt folgenden Gefahren für die Lebenstüchtigkeit des Gefangenen und die Belastung seiner Angehörigen vermindern und dem Gefangenen die Gelegenheit geben, sowohl seine Bindungen zu festigen, als auch sich unter normalen Lebensbedingungen zu bewähren (OLG Frankfurt NJW 1977, 3448). – Der Regelurlaub stellt weder eine Belohnung für beanstandungsfreies Vollzugsverhalten noch eine besondere Maßnahme der Vollzugslockerungen (§ 11 Abs. 1) dar, sondern ist als Behandlungsmaßnahme i. S. von § 7 – als regelmäßiger Bestandteil einer (längeren) Freiheitsstrafe – zu verstehen, welche dazu dient, die Kontakte des Gefangenen mit der übrigen Gesellschaft, insbesondere mit seinen Angehörigen, aufrechtzuerhalten und ihn in die Gesellschaft zu integrieren. Zum Gegensteuerungs- und Integrationsgrundsatz § 3 Rdn. 11 ff. Diese Zwecke verleihen der Urlaubsmaßnahme ein verstärktes Gewicht, je näher das Strafende herankommt (OLG München 6.11.1979 – 1 Ws 1299/79). Zum Begriff des Urlaubs vgl. auch Dopslaff Anm. zu OLG Frankfurt NStZ 1986, 189 ff; zum neudeutschen Begriff „Freistellung von der Haft“ § 12 HmbStVollzG; vgl. § 11 Rdn. 31). Der Regelurlaub hat grundsätzlich nicht die Aufgabe, den Gesundheitszustand eines Gefangenen zu verbessern (OLG Bremen NStZ 1985, 334). Er kann kein Ersatz für eine nicht gewährte Vollstreckungsunterbrechung wegen Haftunfähigkeit sein, es sei denn, die Urlaubsgewährung wäre die einzige Möglichkeit, z. B. ein Herzinfarktrisiko für den Gefangenen spürbar und dauerhaft zu verringern (OLG Frankfurt ZfStrVo SH 1979, 28 und NStZ 1981, 157; AK-Köhne/Lesting 2012 Rdn. 5). Andere Fälle des Urlaubs betreffen Sonderurlaub gem. § 15 Abs. 3 (zur Vorbereitung der Entlassung), § 15 Abs. 4 (Freigänger), § 35 (aus wichtigem Anlass), § 36 (zur Wahrnehmung eines gerichtlichen Termins) und § 43 (Arbeitsurlaub), ferner bei Unterbringung in sozialtherapeutischer Anstalt (§ 124) und bei Sicherungsverwahrung (§ 134). Vom Urlaub zu unterscheiden ist die Freistellung von der Arbeitspflicht gem. § 42 (vgl. C/MD 2008 Rdn. 2).
2
2. Abgrenzung zum Sonderurlaub. Ob der erteilte Urlaub als Regel- oder als Sonderurlaub (§ 35) gewährt wird, ist für den Gefangenen wegen der Anrechnung auf das Urlaubskontingent von 21 Tagen (§ 13 Abs. 1) von Bedeutung. Ein Bedürfnis für die Gewährung von Sonderurlaub entfällt, wenn die Angelegenheiten von dem Gefangenen auch während des Regelurlaubs wahrgenommen werden können und wenn dadurch dessen Zweck – u. a. die Aufrechterhaltung von bestimmten Kontakten zu Angehörigen oder anderen Bezugspersonen – nicht vereitelt oder beeinträchtigt wird (OLG Celle ZfStrVo 1981, 247). Eine nachträgliche Umwandlung von Regel- in Sonderurlaub kommt grundsätzlich nicht in Betracht, könnte aber ausnahmsweise dann zugelassen werden, wenn ein „wichtiger Anlass“ i. S. des § 35 während eines Regelurlaubs eingetreten ist und der Regelurlaub aus Gründen der Resozialisierung für Kontakte mit Angehörigen reserviert werden soll (LG Lüneburg 26.4.1978 – 17 StVK 125/78). Der Gefangene kann aber – z. B. zur Wahrnehmung von Gerichtsterminen, die keinen Anspruch auf Gewährung von AusUllenbruch
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gang oder Urlaub begründet – dann nicht auf Regelurlaub (anstelle von Sonderurlaub) verwiesen werden, wenn dadurch dessen Zweck, der u. a. in der Aufrechterhaltung von bestimmten Kontakten zu Angehörigen und anderen Bezugspersonen besteht, vereitelt oder beeinträchtigt würde (OLG Frankfurt ZfStrVo 1980, 55). Vgl. dazu § 35 Rdn. 4. 3. Nur im Geltungsbereich des StVollzG. Urlaub darf nur an einen Ort innerhalb 3 des Geltungsbereichs des Strafvollzugsgesetzes gewährt werden (vgl. VV Nr. 1). Der hoheitliche Zugriff auf den Strafgefangenen muss auch während seines Urlaubs möglich sein (§§ 13 Abs. 5, 14 Abs. 1 und Abs. 2). Diesem Zugriff ist der Gefangene entzogen, wenn er sich außerhalb des Geltungsbereichs des Gesetzes aufhält (OLG Frankfurt ZfStrVo SH 1979, 18 und NStZ 1995, 208 = BlStV 6/1995, 3). Das gilt selbst dann, wenn sich Wohnsitz und Lebensmittelpunkt des Inhaftierten z. B. nur sechs Kilometer jenseits der bayerischösterreichischen Grenze befinden – jedenfalls derzeit aufgrund des erst bescheidenen Voranschreitens der europäischen Einheit hinsichtlich ggf. erforderlicher hoheitlicher Maßnahmen (OLG München FS 2010, 365 zu Art. 14 BayStVollzG); vgl. auch § 11 Rdn. 1 und – für den Maßregelvollzug – OLG Hamm JR 1997, 35 m. krit. Anm. Blau). 4. Keine Unterbrechung der Strafvollstreckung. § 13 Abs. 5 bestimmt, dass die 4 Strafvollstreckung durch den Urlaub nicht unterbrochen wird. Die Strafzeit läuft während des Urlaubs weiter, unabhängig davon, ob der Gefangene den Urlaub nutzt, ob er entweicht, weitere Straftaten begeht oder gegen Weisungen verstößt. Auch die Zeit einer stationären Krankenhausbehandlung während des Urlaubs ist grundsätzlich auf die Strafzeit anzurechnen (OLG Hamm NStZ 1983, 287). Das Strafende verschiebt sich jedoch in dem Maße, in dem der Gefangene den Urlaub eigenmächtig überschreitet, anstatt rechtzeitig in die Anstalt zurückzukehren (OLG Frankfurt ZfStrVo 1979, 55; krit. dazu Grunau/Tiesler 1982 Rdn. 16). In der Praxis wird bei den über den auf das Urlaubsende folgenden Tag hinausgehenden Tagen der Abwesenheit des Gefangenen in jedem Falle von einer Änderung der Strafzeitberechnung ausgegangen. – Die Regelung in Abs. 5 bezieht sich nur auf den bestimmungsgemäß gewollten Urlaub. Bei rechtswidrig, d. h. über den Rahmen der im StVollzG enthaltenen Ermächtigung hinaus gewährtem Urlaub läuft die Strafzeit nicht weiter. Der Vollzug der Strafe wird hier in ungesetzlicher Weise verkürzt, so dass der Tatbestand der Strafvereitelung (§§ 258, 258 a StGB) erfüllt ist (vgl. auch § 11 Rdn. 28). 5. Abgrenzung zur Strafunterbrechung. Von Urlaub zu unterscheiden ist die Straf- 5 unterbrechung. Diese kann nach den Vorschriften der StVollstrO (§§ 45, 46) von der Vollstreckungsbehörde oder im Gnadenweg gewährt werden. Die Gründe für die Gewährung von Strafunterbrechung und Urlaub können identisch sein. Wenn alle nach dem StVollzG bestehenden Möglichkeiten für die Gewährung von Urlaub ausgeschöpft sind, versuchen Gefangene manchmal, ihr Ziel durch Strafunterbrechung zu erreichen. Während einer Strafunterbrechung darf sich der Verurteilte – im Gegensatz zu dem nur beurlaubten Gefangenen – auch im Ausland aufhalten. Der wesentliche Unterschied liegt ferner darin, dass die Zeit der Strafunterbrechung – im Unterschied zu Urlaub (§ 13 Abs. 5) – nicht auf die Strafzeit angerechnet wird. Die Gnadenordnung von SchleswigHolstein vom 3.5.1984 sieht Gewährung von Urlaub im Gnadenwege vor, und zwar durch Unterbrechung der Strafvollstreckung entsprechend § 13 Abs. 5. 6. Ermessensentscheidung. Urlaub kann gewährt werden. Es besteht daher kein 6 Rechtsanspruch des Gefangenen auf Urlaub, wohl aber ein Recht auf ermessensfehlerfreie Entscheidung (OLG Frankfurt ZfStrVo 1981, 188; C/MD 2008 Rdn. 3 mit weiteren 255
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Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
Hinweisen), und zwar auch in angemessener Zeit (vgl. dazu unten Rdn. 38). Den Rahmen der Ermessensentscheidung bilden die gesetzlichen Bestimmungen, die bundeseinheitlichen VV sowie ergänzende Vorschriften der einzelnen Länder. Die Ermessenskompetenz der Vollzugsbehörde erstreckt sich darauf, 1. ob überhaupt Urlaub zu gewähren ist, 2. zu welchem Zeitpunkt und in welchen zeitlichen Abständen Urlaub gewährt werden soll, 3. welchen Zeitraum die jeweilige Bewilligung umfasst. Zur Ermessensausübung § 115 Rdn. 20 und unten Rdn. 33. II. Erläuterungen 1. Bemessung des Urlaubs (§ 13 Abs. 1 Satz 1) 7
a) 21 Kalendertage im Jahr. § 13 Abs. 1 Satz 1 regelt die Bemessung des Urlaubs. Es können bis zu 21 Kalendertage gewährt werden (weitergehend § 12 HmbStVollzG: 24 Tage; vgl. § 11 Rdn. 31). Eine Verlängerung für schwerbehinderte Gefangene entsprechend § 44 SchwbG ist nicht möglich (OLG Bremen NStZ 1985, 334). Gemäß VV Nr. 2 Abs. 3 entfallen auf jeden angefangenen Kalendermonat der voraussichtlichen Vollzugsdauer im Rahmen der Höchstdauer des § 13 Abs. 1 in der Regel nicht mehr als zwei Tage Urlaub (vgl. Rdn. 10). Im Rahmen des Vollzugsplanes sollte mit dem Gefangenen erörtert werden, von welchem ungefähren Zeitpunkt an Regelurlaub in Frage kommt. Auch sollte der Gefangene angehalten werden, den Urlaub zeitlich vernünftig zu planen und einzuteilen. Ein Urlaubstag bemisst sich nicht unbedingt auf 24 Stunden (KG ZfStrVo 1987, 374; so auch Stilz 1979, 69). Im Interesse der Sicherheit und Ordnung in der Anstalt ist es erforderlich bzw. zulässig, dass der Urlaub nicht vor dem morgendlichen Aufschluss beginnt und vor dem Nachteinschluss endet (OLG Celle ZfStrVo 1979, 54 = JZ 1979, 205 mit Anm. Keller JZ 1979, 167; KG aaO; OLG Stuttgart NStZ 1989, 94; Arloth 2008 Rdn. 7) oder aus organisatorischen Gründen z. B. auf 19 Uhr festgesetzt wird (LG Lüneburg 17.8.1979 – 17 StVK 408/79; vgl. dazu Calliess ZfStrVo 1977, 197, der die Reduzierung der Urlaubszeiten aus Gründen des Behandlungsgebotes ablehnt, und AK-Köhne/Lesting 2012 Rdn. 36, die für eine volle Ausschöpfung der gesetzlich vorgesehenen Urlaubszeit eintreten ). Auf Vorlagebeschluss des OLG Koblenz (NStZ 1987, 93 mit Anm. Müller-Dietz) zur Frage, ob die Bemessung der Höchstdauer des Urlaubs auf 21 Kalendertage eine Höchstdauer von 21 mal 24 Stunden bedeutet, hat der BGH (NJW 1988, 1989 = NStZ 1988, 148) entschieden, dass der Urlaub nach vollen Tagen, nicht nach Bruchteilen von Tagen berechnet wird. Urlaubstage sind alle Kalendertage, auf die sich der Urlaub erstreckt; jedoch wird der Tag, in den der Urlaubsantritt fällt, nach § 187 BGB nicht mitgezählt, wohl aber der Tag des Urlaubsendes. VV Nr. 2 Abs. 1 ist entsprechend geändert worden. Der Gefangene wird am letzten Urlaubstag in der Regel vor 24 Uhr in der Anstalt eintreffen müssen (OLG Stuttgart NStZ 1989, 94 hält 20 Uhr bei Wochenend- und 19 Uhr bei längerem Urlaub für vertretbar). Die BGH-Entscheidung wirkt sich für den Gefangenen um so günstiger aus, je mehr der Urlaub zeitlich gestückelt wird (vgl. Rothfischer ZfStrVo 1988, 80 in Anm. zum BGH-Beschluss). Ermessensfehlerhaft ist es, den Gefangenen zu verpflichten, im Regelfall mindestens zwei Tage Urlaub zu nehmen, auch wenn er nur eine kurze Reisezeit benötigt (OLG Celle NStZ 1993, 149). Allerdings ist mit der Gewährung eines eintägigen Urlaubs – mit Übernachtung am Urlaubsort, andernfalls kommt nur Ausgang in Frage – ein erheblicher Verwaltungsaufwand für die Anstalt verbunden. Eine Aufteilung des Urlaubs in der Weise, dass der Gefangene am Ende eines Urlaubs Ullenbruch
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nur zum Schlafen in die Anstalt zurückkehrt, um am folgenden Morgen den nächsten Urlaub anzutreten mit der Folge, dass der Tag des Beginns des zweiten Urlaubes ihm nicht angerechnet wird, kann der Anstaltsleiter ablehnen, da eine solche Aufteilung zu einer missbräuchlichen Ausweitung des Urlaubskontingentes nach Abs. 1 (21 Tage) führen würde (OLG Hamm ZfStrVo 1991, 122 = BlStV 3/1991, 2). Zur Aufteilung des Urlaubs s. auch Rdn. 34. Bei kurzer Reisedauer dürfte es auch angemessen sein, den Zeitpunkt des Urlaubsantritts erst nach Beendigung der Arbeitszeit des Gefangenen festzusetzen. Für eine Koppelung von Ausgang und Urlaub (vgl. OLG Celle NStZ 1981, 276; OLG Hamm ZfStrVo 1986, 115 und 373) im Hinblick auf eine längere Reisezeit besteht nach der jüngsten Änderung der VV keine Notwendigkeit mehr. Vgl. auch § 11 Rdn. 8. b) Vollstreckungsjahr, Übertragbarkeit. Als „Jahr“ i. S. d. § 13 Abs. 1 Satz 1 ist nicht 8 mehr das Kalenderjahr, sondern das Vollstreckungsjahr anzusehen (wie hier Arloth 2008 Rdn. 5); die VV Nr. 2 Abs. 2 Satz 1 sind seit 1.1.1989 entsprechend geändert. In das folgende Vollstreckungsjahr kann der Regelurlaub grundsätzlich nicht übertragen werden (OLG Koblenz NStZ 1983, 238, vgl. VV Nr. 2 Abs. 2 Satz 2). Durch diese Änderung, die mit dem Gesetz vereinbar ist (OLG Hamburg ZfStrVo 2001, 314; vgl. auch OLG Celle ZfStrVo 1992, 264 = BlStV 2/1992, 6; a. A. OLG Rostock ZfStrVo 1995, 244; AK-Köhne/ Lesting 2012 Rdn. 38 unter Hinweis auf die Normgenese; nach wie vor krit., die gegenteilige Auffassung aber unter Hinweis auf „vollzugspraktische Gründe der Rechtssicherheit“ ausdrücklich aufgebend C/MD 2008 Rdn. 22 a), wird die Praxis der Schwierigkeiten enthoben, die dadurch auftreten können, dass Gefangene, die erst in der zweiten Hälfte des Kalenderjahres ihre Strafe antreten, hinsichtlich der in Nr. 2 Abs. 4 Satz 1 VV eingeräumten Möglichkeit der Urlaubsberechnung wegen des Ablaufs des Kalenderjahres und der Nichtübertragbarkeit des Urlaubs „schlechter“ gestellt werden als Gefangene, die während der ersten Hälfte eines Kalenderjahres ihre Strafe antreten (a. A. AK-Köhne/ Lesting 2012 Rdn. 39: die Neuregelung führe zu einer Verringerung des Urlaubs). Vom Grundsatz der Nichtübertragung ist jedoch eine Ausnahme geboten, wenn ein Urlaubsantrag des Gefangenen rechtsfehlerhaft abgelehnt worden ist und der Urlaub nur aus diesem Grunde im laufenden Urlaubsjahr nicht mehr gewährt werden kann (so die zum 1.1.1994 geänderte VV Nr. 2 Abs. 2 Satz 3). Urlaub „im Vorgriff“ ist dagegen in keinem Falle zulässig. Sollte ein solcher Urlaub dennoch gewährt worden sein, darf dieser Fehler nicht durch Anrechnung auf das Urlaubskontingent des nächsten Jahres ausgeglichen werden (OLG Celle BlStV 2/1992, 6). Bei Vorliegen der Voraussetzungen für eine Urlaubsgewährung überhaupt sollten diese 21 Tage auch ausgeschöpft werden; die Vollzugsbehörde ist allerdings nicht dazu verpflichtet (OLG Celle ZfStrVo 1979, 54; OLG Hamm NStZ 1988, 331: C/MD 2008 Rdn. 21). Lassen es der Stand des Behandlungsprozesses und die Persönlichkeitsentwicklung des Gefangenen im Zeitpunkt der Entscheidung und im Hinblick auf das Vollzugsziel nicht angezeigt erscheinen, so wird die zulässige Höchstdauer von 21 Urlaubstagen im laufenden Jahr nicht gewährt (OLG Nürnberg NStZ 1984, 92). c) Keine Sonderregelung für geschlossenen Vollzug. Mit dem Gesetz nicht ver- 9 einbar ist es, nur Gefangenen des offenen Vollzuges (§ 141 Rdn. 18) 21 Tage Urlaub zu gewähren. § 13 Abs. 1 betrifft vielmehr gerade die Gefangenen im geschlossenen Vollzug. Nach OLG Hamm ZfStrVo 1982, 50 = NStZ 1982, 135 und BlStV 4/5/1988, 6 soll dagegen der Gesetzgeber davon ausgegangen sein (vgl. § 13 Abs. 4), dass ein Urlaubsreservoir von 21 Tagen grundsätzlich zunächst nur den Gefangenen im offenen Vollzug zuzubilligen sei. Dies entspreche auch dem Grundgedanken eines wirksamen Behandlungsvollzuges, der eine unterschiedliche Handhabung der Urlaubsbestimmungen im geschlos257
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senen Vollzug einerseits und im offenen Vollzug andererseits gebiete. OLG Hamm aaO hält daher die RV des JM NRW vom 9.4.1985, nach der ein Gefangener im geschlossenen Vollzug im Jahr nur bis zu zwölf Tagen Urlaub erhalten kann, für eine das Ermessen des Anstaltsleiters teilweise bindende Richtlinie, die mit dem Gesetz vereinbar sei. Diese Auffassung verkennt, dass der der Vollzugsbehörde vom Gesetz eingeräumte Ermessensspielraum dazu dient, eine individuelle, auf den Stand des Behandlungsprozesses abgestimmte Maßnahme zu treffen. Auch ist zu berücksichtigen, dass es aus vollzugspraktischen Gründen bisher noch nicht möglich ist, etwa alle zunächst im geschlossenen Vollzug untergebrachten Gefangenen von einem bestimmten Zeitpunkt an, d. h. wenn sie für den offenen Vollzug geeignet sind, im offenen Vollzug unterzubringen (wegen fehlender Plätze). Die oben angegebene Regelung stellt jedenfalls für alle Gefangenen im geschlossenen Vollzug eine unzulässige Einschränkung des Gesetzes dar (ebenso Arloth 2011 Rdn. 8, AK-Köhne/Lesting 2012 Rdn. 31 und C/MD 2008 Rdn. 21; Dopslaff Anm. zu OLG Hamm NStZ 1982, 261; a. A. Grunau/Tiesler 1982 Rdn. 11). Das BVerfG NStZ 1983, 478 hält es unter dem Gesichtspunkt von Art. 3 Abs. 1 GG allerdings für unbedenklich, dass die Urlaubspraxis einzelner Bundesländer – wie in diesem Falle – voneinander abweicht, „soweit das Strafvollzugsgesetz dies zulässt“. – LG Hamburg ZfStrVo 1978, 2 hält es für zulässig, dass durch landesrechtliche Regelung Gefangene im offenen Vollzug 21 Tage und im geschlossenen Vollzug 15 Tage Urlaub erhalten, letztere darüber hinaus zusätzlich jeweils einen Tag Urlaub, wenn sie an zwei aufeinanderfolgenden Kalendermonaten keinen Besuch erhalten haben. Auch durch diese Regelung werden Gefangene des geschlossenen Vollzuges unter einem vom Gesetzgeber nicht vorgesehenen Kriterium (Besuchsempfang) allgemein beschränkt. – Ein zusätzlicher Urlaub über die 21-Tagesgrenze hinaus als Ausgleich für fehlenden Besuch ist nicht möglich (LG Lüneburg 19.2.1981 – 17 StVK 8/81). Für die Urlaubsvorschriften im offenen Vollzug vgl. auch Rdn. 45. 10
d) Berechnung nach Verbüßungszeit (VV Nr. 2 Abs. 3). Ergänzend bestimmen die mit Wirkung vom 1.1.1994 geänderten VV (Nr. 2 Abs. 3), dass auf jeden angefangenen Kalendermonat der voraussichtlichen Vollzugsdauer in der Regel nicht mehr als zwei Tage Urlaub entfallen. Die zuvor geltende VV stellte auf die Verbüßungszeit ab. So erhält z. B. ein Gefangener, der eine Freiheitsstrafe von acht Monaten vom 5.9.1997 bis 4.5.1998 verbüßt, höchstens 18 Tage Urlaub („auf jeden angefangenen Kalendermonat nicht mehr als 2 Tage“), während ihm nach der früheren Fassung der VV nur 14 Tage („auf jeden vollen Monat der Strafverbüßung nicht mehr als 2 Tage“) zugebilligt wurden. Auch die „neue“ Regelung steht mit dem Gesetz nicht in Einklang, da sie eine unzulässige Urlaubsverkürzungsbestimmung darstellt (vgl. OLG Hamm NStZ 1981, 455; NStZ 1988, 331 und OLG Koblenz ZfStrVo 1981, 246; C/MD 2008 Rdn. 23; Arloth 2011 Rdn. 6). 2. Voraussetzungen der Urlaubsgewährung
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a) Allgemein. Urlaub wird in der Regel erst nach einer bestimmten Beobachtungszeit und nur dann gewährt, wenn nicht zu befürchten ist, dass der Gefangene sich dem Vollzug der Freiheitsstrafe entziehen oder den Urlaub zu Straftaten missbrauchen werde.
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aa) Sechsmonatsgrenze (§ 13 Abs. 2). Gem. § 13 Abs. 2 soll Urlaub in der Regel erst gewährt werden, wenn der Gefangene sich mindestens sechs Monate im Strafvollzug befunden hat. Diese Vorschrift dient der Konkretisierung des der Vollzugsbehörde zustehenden Spielraums bei der Ausübung des Ermessens (C/MD 2008 Rdn. 23; vgl. auch Rdn. 33). Die Vollzugsbehörde soll vor der Urlaubsgewährung Gelegenheit haben, den Ullenbruch
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Urlaub aus der Haft
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Gefangenen kennen zu lernen. Die SechsMonatsgrenze kann aus Behandlungsgründen in einzelnen Fällen unter- oder überschritten werden. Nach OLG Frankfurt LS BlStV 6/1983, 7 müssen bei Urlaubsgewährung vor Ablauf der Sechs-Monats-Frist besondere Gründe vorliegen, die eine vorzeitige Beurlaubung dringend geboten erscheinen lassen. Der Regelurlaub von 21 Tagen (§ 13 Abs. 1 Satz 1) kann nicht um die der 6-monatigen Wartezeit entsprechenden Tage gekürzt werden. § 13 Abs. 2 macht von dem Höchsturlaub von 21 Tagen keine Ausnahme, sondern betrifft nur die Frage, ab wann der sich aus § 13 Abs. 1 ergebende Urlaub gewährt werden kann. Gemäß VV Nr. 2 Abs. 4 Satz 1 (gültige Neufassung ab 1.9.1982) können Zeiten, in denen der Gefangene die Voraussetzungen für eine Beurlaubung noch nicht erfüllt, bei der Berechnung des Urlaubs berücksichtigt werden. Die frühere Fassung der VV betrachtete die Regelung des § 13 Abs. 2 fälschlicherweise nicht als Wartezeit, sondern als Urlaubsverkürzungsbestimmung (vgl. 2. Aufl. Rdn. 7 zu § 13). Ein am 1.1. eines Kalenderjahres aufgenommener Gefangener darf demnach nach Ablauf der 6–Monatsfrist des § 13 Abs. 2 – Urlaubsfähigkeit vorausgesetzt – im zweiten Halbjahr 21 Tage Urlaub erhalten (vgl. auch AK-Köhne/Lesting 2012 Rdn. 41; Grunau/Tiesler 1982 Rdn. 11; Meißner 1988, 107 ff). Eignet sich der Gefangene während eines gewissen Zeitraums im Vollstreckungsjahr nicht für die Gewährung von Urlaub, so ist es unzulässig, die Höchstzahl der 21 Urlaubstage auf diesen Zeitraum rechnerisch umzulegen mit der Folge, dass sich die Höchstdauer des Urlaubs automatisch verkürzt (OLG Frankfurt ZfStrVo 1985, 377; OLG Hamm NStZ 1988, 331; OLG Rostock ZfStrVo 1995, 244; ebenso C/MD 2008 Rdn. 23, im Widerspruch dazu LG Neubrandenburg 16.12.1992 – V StVK 57/93; Bedenken auch bei Arloth 2011 Rdn. 10). Zwar bestimmt VV Nr. 2 Abs. 4 Satz 2 nach wie vor, dass für Zeiten, in denen der Gefangene für eine Beurlaubung nicht geeignet ist (vgl. VV Nr. 4), ihm Urlaub in der Regel nicht gewährt werden soll (so auch LG Krefeld LS NStZ 1982, 303). Mit Recht hält OLG Rostock aaO diese Vorschrift jedoch für nicht mit § 13 in Einklang stehend, da sie sich faktisch wie eine in § 103 nicht vorgesehene Urlaubssperre auswirkt. Im Einzelfall kann ein Urlaub aus objektiven Behandlungsgründen gerade dann sinnvoll sein, wenn dem Gefangenen zuvor während eines bestimmten Zeitraumes Vollzugslockerungen versagt werden mussten. Wird die Höchstzahl der Urlaubstage auf den Zeitraum der Nichteignung rechnerisch umgelegt und somit das Urlaubskontingent von 21 Tagen für das Vollstreckungsjahr als verbraucht angesehen, so bedeutet das eine vom Gesetz nicht gedeckte und deshalb unzulässige Einschränkung des Ermessens der Vollzugsbehörde. Erlittene Untersuchungshaft ist kein Strafvollzug i. S. von § 13 Abs. 2 (OLG Hamm LS BlStV 3/1984, 4). Ist sie aber unmittelbar in den Strafvollzug übergegangen und in derselben Anstalt verbüßt worden, so kann es angemessen sein, von der 6–Monatsgrenze abzuweichen und Urlaub schon dann zu gewähren, wenn Untersuchungs- und Strafhaft zusammen länger als sechs Monate gedauert haben (vgl. auch AK-Köhne/Lesting 2012 Rdn. 40). Der Entwurf des Bundesrates zur Änderung des StVollzG (BR-Drucks. 270/88) sah vor, die Sechsmonatsfrist nur auf Gefangene des geschlossenen Vollzuges anzuwenden, damit mit der Unterbringung eines Gefangenen im offenen Vollzug die Möglichkeit der sofortigen Beurlaubung gegeben sein sollte. Nachgerade unsinnig ist die Vorgabe in § 13 Abs. 3 Satz 2 NJVollzG, derzufolge Urlaub erst gewährt werden soll, wenn sich die oder der Gefangene im Ausgang oder Freigang bewährt hat (vgl. § 11 Rdn. 9 und 32). Zu weitergehenden zeitlichen Einschränkungen der Landesgesetze vgl. z. B. § 9 Abs. 3 JVollzGB III, Rdn. 29 und § 13 Abs. 6 HStVollzG, Rdn. 32. bb) Flucht- oder Missbrauchsgefahr (§ 13 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. § 11 Abs. 2). Gem. 13 § 13 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. § 11 Abs. 2 darf Urlaub nicht gewährt werden, wenn zu be259
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fürchten ist, dass sich der Gefangene dem Vollzug der Freiheitsstrafe entziehen oder den Urlaub zu Straftaten missbrauchen werde (vgl. § 11 Rdn. 13 ff). Diese Vorschrift entspricht dem Grundsatz des § 2 Satz 2, wonach der Vollzug auch dem Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten (§ 2 Rdn. 17 ff) zu dienen hat. Die Beurlaubung eines Gefangenen bedarf daher besonders gründlicher vorheriger Prüfung, wobei nicht allein der Zweck der Resozialisierung und Behandlung (§ 2 Satz 1) eine Rolle spielen kann. Zur strafrechtlichen Verantwortlichkeit Vollzugsbediensteter und zur Amtshaftung wegen rechtswidriger Gewährung von Urlaub vgl. § 11 Rdn. 28. Nur wenn positiv festgestellt ist, dass Flucht- oder Missbrauchsbefürchtung nicht besteht, darf die Anstalt prüfen, ob Urlaub gewährt werden kann. Eine Ermessensentscheidung ist demnach ausgeschlossen, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen gem. § 13 Abs. 1 Satz 2, § 11 Abs. 2 wegen Fluchtgefahr oder Gefahr des Missbrauchs des Urlaubs zu Straftaten nicht gegeben sind. Zur Prognosestellung bei der Prüfung der Urlaubsvoraussetzungen heißt es – auch heute noch zutreffend – in der Begründung des Regierungsentwurfs zu § 13 (BT-Drucks. 7/918, 52 ff): „Nach den gegenwärtigen kriminologischen Kenntnissen lässt sich nicht sicherstellen, dass die Voraussetzung, der Gefangene werde den Urlaub nicht missbrauchen, sich in jedem Falle hinreichend sicher beantworten lässt. Auch das Vollstreckungsgericht, das gegebenenfalls auf Antrag des Gefangenen über einen abgelehnten Urlaubsantrag zu entscheiden hätte, könnte selbst mit Hilfe von Sachverständigen diese Frage nicht immer hinreichend klären.“ – Die Vollzugsbehörde ist rechtlich nicht gehindert, ihrer Entscheidung über einen Urlaubsantrag das Gutachten eines Sachverständigen zugrunde zu legen, das von der Strafvollstreckungskammer im Verfahren nach § 57 StGB eingeholt worden war. Da sowohl die Entscheidung über die bedingte Entlassung als auch die Entscheidung über die Gewährung von Urlaub die Sozialprognose zum Gegenstand haben, sind die Erhebungen der Strafvollstreckungskammer im Vollstreckungsverfahren für die Vollzugsbehörde verwertbar (OLG Koblenz ZfStrVo 1978, 120). Die Vollzugsbehörde braucht aber die uneingeschränkt günstige Prognose eines Sachverständigen nicht in vollem Umfang zu übernehmen, da Kriminalprognosen nur ausnahmsweise ganz sicher sein können (OLG Celle BlStV 6/1986, 9 = StV 1988, 349 und Frisch 1988, 359 ff). Die Beurlaubung kann auch von einer vorherigen Erprobung im offenen Vollzug abhängig gemacht werden, z. B. bei einem Gefangenen, der schwere Delikte begangen, seine Alkoholproblematik nicht aufgearbeitet und bei vorherigen Beurlaubungen erheblich versagt hat (OLG Hamm ZfStrVo 1984, 113). Ebenso können Ausführungen und Ausgänge der Erprobung dienen (OLG Celle BlStV 6/1986, 9 und StV 1988, 349; KG ZfStrVo 1989, 374). Die Fluchtgefahr für einen Urlaub wird oft anders zu beurteilen sein als für einen Ausgang oder eine Ausführung. Kann nicht festgestellt werden, dass Flucht- oder Missbrauchsbefürchtung nicht besteht, darf einem Gefangenen auch zur Ausübung des passiven Wahlrechts kein Urlaub gewährt werden, vgl. BVerfG GA 1982, 37 = NStZ 1982, 83 = StV 1982, 123; § 13 Abs. 1 Satz 2, § 11 Abs. 2 schränken zwar den Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl (Art. 38 Abs.1 GG) bei der Ausübung des passiven Wahlrechts (Art. 38 Abs. 2 GG) dadurch ein, dass der Strafgefangene praktisch daran gehindert wird, sich in gleicher Weise wie andere Wahlbewerber um eine Kandidatur für den Bundestag, wie durch Teilnahme an Wahlkampfveranstaltungen, zu kümmern. Diese Einschränkung ist aber durch einen dem passiven Wahlrecht gleichgewichtigen gemeinschaftsbezogenen Grund gerechtfertigt, der in der Sicherung des staatlichen Vollzugsbedürfnisses und in der Verhinderung weiterer Straftaten und damit im Schutz der Allgemeinheit besteht. Art. 48 Abs. 1 GG (Urlaub zur Vorbereitung der Wahl) gilt nicht für Strafgefangene. Art. 48 Abs. 2 GG (Verbot der Verhinderung der Übernahme eines Abgeordnetenmandats) scheidet als PrüfungsmaßUllenbruch
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stab der in § 11 Abs. 2 normierten Beschränkungen aus (vgl. auch OLG Celle ZfStrVo 1981, 125 betreffend Kandidatur für den Landtag). – Zur Ausübung des aktiven Wahlrechts besteht für den Gefangenen die Möglichkeit der Briefwahl. Vgl. § 73 Rdn. 3. cc) Abwägung der Umstände im Einzelfall. Gerichtlichen Überprüfungen halten 14 nur solche Entscheidungen stand, die unter freier Abwägung der Umstände getroffen worden sind, die für den Einzelfall von Bedeutung sein können (OLG Koblenz aaO; OLG Celle JR 1978, 258; OLG Frankfurt NJW 1978, 334; § 11 Rdn. 17). b) VV Nr. 3 und 4 als tatbestandsinterpretierende Richtlinien. Ähnlich wie zu 15 § 11 (s. dort Rdn. 18) enthalten die VV Nr. 3 und 4 zu § 13 Auslegungsrichtlinien zur Feststellung, ob Flucht oder Missbrauch zu befürchten ist (§ 13 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. § 11 Abs. 2). Nur wenn diese Befürchtung nicht vorliegt, darf Urlaub gewährt werden. Die VV stellen keine Verwaltungserschwernisse dar, die die gesetzlichen Voraussetzungen für die Urlaubsgewährung verschärfen, sondern sind nur Hinweise und Hilfen für die Anstalten dafür, was in der Regel bei der Prüfung der gesetzlichen Voraussetzungen des Urlaubs (§ 11 Abs. 2 i. V. m. § 13 Abs. 1 Satz 2) nicht übersehen werden darf (OLG Hamburg ZfStrVo 1979, 122 und NStZ 1981, 237). Dementsprechend entbinden die VV nicht von der Verpflichtung, jeweils die Besonderheiten des Einzelfalles in die Prüfung einzubeziehen (OLG Frankfurt ZfStrVo 1981, 122). Die Vollzugsbehörde darf den Urlaub nicht allein mit dem formelhaften Hinweis auf einen in den VV genannten Umstand ablehnen (OLG Frankfurt NStZ 1983, 93). Soweit in den VV bestimmte Gefangenengruppen vom Urlaub ausgeschlossen oder in der Regel als hierfür ungeeignet bezeichnet werden, erscheint dies bedenklich. Ein Ausschluss käme nur in Betracht, wenn bei diesen Gruppen in jedem Einzelfall begriffsnotwendig Flucht- oder Missbrauchsgefahr gegeben wäre. Das trifft aber nur für die unter VV Nr. 3 Abs. 1 Buchst. b bezeichnete Gruppe zu (Rdn. 16). Eine an generalisierende Umstände anknüpfende regelmäßige Nichteignung, die zur Annahme von Fluchtoder Missbrauchsgefahr zwingt, wenn nicht im Einzelfall besondere Ausnahmelagen gegeben sind, widerspricht dem Gesetz, das den Begriff der Eignung vermeidet (enger § 12 HmbStVollzG a. F.; vgl § 11 Rdn. 31). Angemessen ist allein die Formulierung in VV Nr. 4 Abs. 4, wonach das Vorliegen bestimmter Umstände eine besonders sorgfältige Prüfung von Flucht- oder Missbrauchsgefahr verlangt, die Anhörung anderer Behörden vorschreibt, eine bestimmte Verfahrensart (Konferenz, besondere Begründung) anordnet oder die Zustimmung der Aufsichtsbehörde voraussetzt. So gilt auch für die einen Ausschluss vom Urlaub nach VV Nr. 3 Abs. 1 Buchst. a, c und d sowie die generelle Nichteignung zum Urlaub nach VV Nr. 4 Abs. 2 aufgeführten Umstände, dass es ausreicht, allerdings auch geboten ist, sie zum Anlass zu nehmen, das Nichtvorliegen von Fluchtoder Missbrauchsgefahr besonders sorgfältig zu prüfen, wobei die unterschiedliche Fassung in den VV als Hinweis auf die besondere Gewichtung der verschiedenen Sachverhalte angesehen werden kann. Jeweils bedarf es einer gründlichen Abwägung zwischen diesen Vermutungen einerseits und den sich aus der Person des Gefangenen, seinem Verhalten vor der Inhaftierung, seiner Einstellung zur Tat und seiner Bereitschaft zur Mitarbeit im Vollzug ergebenden Argumenten andererseits, wobei das prognostische Schwergewicht auf der Entwicklung im Vollzuge liegen muss (OLG Celle 5.12.1977 – 3 Ws 372/77; Franke ZfStrVo 1978, 187, 190; zur Gefahr der Benachteiligung resozialisierungsbedürftiger und „schwieriger“ gegenüber sozial integrierten Gefangenen vgl. Heghmanns 1998). Bei jeder Beurlaubung ist zu prüfen, ob die Voraussetzungen für die Gewährung des beantragten Urlaubs vorliegen, wobei zu berücksichtigen ist, dass jeder dazu abgegebe261
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ne Befund, z. B. Gutachten, grundsätzlich nur für eine gewisse Zeit abgegeben werden kann (OLG Hamm NStZ 1987, 478). Wenn bereits bei Beantragung eines ersten Urlaubs feststeht, dass eine Missbrauchsgefahr zwar nicht bei erster, jedoch bei wiederholter Beurlaubung erkennbar ist, so ist ein Gefangener als derzeit zur Beurlaubung ungeeignet anzusehen; es kommt auch eine einmalige Beurlaubung nicht in Betracht (OLG Hamm aaO; a. A. AK-Köhne/Lesting 2012 Rdn. 22). 16
aa) VV Nr. 3 Abs. 1 Buchst. b. Nach VV Nr. 3 Abs. 1 Buchst. b) sind Gefangene, gegen die Untersuchungs-, Auslieferungs- oder Abschiebehaft angeordnet ist, immer und ausnahmslos vom Urlaub ausgeschlossen, weil der Zweck dieser Anordnungen durch eine Beurlaubung stets vereitelt wird. Deshalb ist hier in der Regel vom Vorliegen einer Flucht- oder Missbrauchsgefahr auszugehen, ohne dass eine Prüfung der Besonderheiten des Einzelfalles erforderlich ist (OLG Bremen ZfStrVo SH 1977, 2; OLG Frankfurt NStZ 1984, 45 ebenso Arloth 2011 Rdn. 18; a. A. für Abschiebehaft C/MD 2008 Rdn. 18). Auch wenn Gericht und Staatsanwaltschaft trotz (hier: wegen des Verdachts der Begehung von Straftaten während einer Vollzugslockerung angeordneter) Untersuchungshaft keine Bedenken gegen die Gewährung von Urlaub aus der Strafhaft haben, kommt eine Beurlaubung nicht in Betracht (vgl. OLG Hamm ZfStrVo 1985, 310). Bei einer solchen Sachlage könnte aber die angeordnete Untersuchungshaft aufgehoben oder doch der Haftbefehl außer Vollzug gesetzt werden. Danach (aber eben erst dann) wäre die Gewährung von Urlaub zulässig. Die Zielsetzung des § 13 AuslG steht der des § 13 StVollzG unvereinbar gegenüber: Es ist sinnlos, einen Gefangenen durch Vollzugslockerungen oder Urlaub auf ein Leben in einem Lebensraum vorzubereiten, aus welchem ihn eine andere staatliche Behörde nach Beendigung der Strafvollstreckung unverzüglich entfernen wird (LG Hamburg ZfStrVo SH 1978, 7 und ZfStrVo SH 1979, 26). Ist jedoch im konkreten Einzelfall ersichtlich, dass Erfolgsaussichten für die Aufhebung der Abschiebehaft bestehen, muss dem Gefangenen vor einer endgültigen Entscheidung über den Urlaubsantrag Gelegenheit gegeben werden, eine Entscheidung des zuständigen Gerichts über die Aufhebung der Abschiebehaft herbeizuführen (OLG Frankfurt NStZ 1984, 45).
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bb) VV Nr. 3 Abs. 1 Buchst. a, c und d. Soweit VV Nr. 3 Abs. 1 Buchst. a), c) und d) weitere Gruppen von Gefangenen vom Urlaub ausschließt – allerdings insoweit Ausnahmen nach VV Nr. 3 Abs. 2 zulässt – ist zu bemerken, dass das Gesetz selbst solche Ausschließungstatbestände nicht vorsieht, die VV allerdings gewichtige Hinweise darauf geben, in welchen Fällen die Gefahr der Flucht oder des Missbrauchs besonders nahe liegt (ähnlich Arloth 2008 Rdn. 17). Die VV können nicht von einer Prüfung der einzelnen Fälle entbinden. So würde z. B. ein allgemeiner Ausschluss von politisch motivierten Tätern vom Urlaub – wie in den VV Nr. 3 Abs. 1 Buchst. a vorgesehen – mit dem Gesetz unvereinbar sein, zumal dieses eine Anknüpfung an die Tat nicht kennt (vgl. AK-Köhne/ Lesting 2012 Rdn. 17). Die vollziehbare Ausweisungsverfügung in Verbindung mit einer drohenden Abschiebung (vgl. die mit Wirkung vom 1.1.1994 geänderte VV Nr. 3 Abs. 1 Buchst. c) bietet konkreten Anlass für die Befürchtung, dass für den ausländischen Gefangenen bei Gewährung von Urlaub oder Vollzugslockerungen der Anreiz ausgeht, sich der weiteren Strafverbüßung durch Flucht zu entziehen. Eine Fluchtgefahr ist aber dann zu verneinen, wenn gewichtige konkrete Anhaltspunkte (z. B. starke familiäre Bindungen des Gefangenen in der Bundesrepublik) gegen sie sprechen (dazu auch OLG Celle ZfStrVo 1983, 300; OLG Frankfurt ZfStrVo 1983, 249, ZfStrVo 1991, 372 und BlStV 2/1992, 5; OLG Hamm NStZ 1985, 382). Für die Begründung einer Ausnahme, die gem. der mit Wirkung vom 1.1.1994 geänderten VV Nr. 3 Abs. 2 Satz 2 im Benehmen (statt zuvor: Einvernehmen) mit Ullenbruch
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der zuständigen Ausländerbehörde zulässig ist, reichen allgemeine Gesichtspunkte, wie ein positives Persönlichkeitsbild, gutes Vollzugsverhalten und die Beteuerung des Gefangenen, er wolle nicht fliehen, allein nicht aus (OLG Schleswig LS BlStV 6/1981, 7; a. A. LG Hannover NStZ 1981, 367: konkrete Angaben für Missbrauchsbefürchtung notwendig). Besteht eine vollziehbare Ausweisungsverfügung und befürwortet die Ausländerbehörde Urlaub oder Vollzugslockerungen nicht, so wird dies in vielen Fällen zur Annahme der Fluchtgefahr führen; ob das so ist, ergibt sich aber immer erst aufgrund einer Abwägung der wesentlichen Kriterien, d. h. auch der Umstände, die zugunsten des Gefangenen sprechen könnten (OLG Celle ZfStrVo 1983, 301). Es gibt auch keinen allgemeinen Erfahrungsgrundsatz, dass bei Ausländern bei Vorliegen einer rechtskräftigen und unbefristeten Ausweisungsverfügung generell Fluchtgefahr gegeben ist (OLG Frankfurt ZfStrVo 1983, 249 und BlStV 2/1992, 5). Gem. VV Nr. 3 Abs. 1 Buchst. d ist Urlaub bei Gefangenen ausgeschlossen, gegen die eine freiheitsentziehende Maßregel der Besserung und Sicherung oder eine sonstige Unterbringung gerichtlich angeordnet und noch nicht vollzogen ist. Insbesondere dem Ziel der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung (Schutz der Allgemeinheit, § 129 Satz 1) könnte eine Beurlaubung widersprechen, so dass hier besondere Prüfung geboten ist (vgl. OLG Frankfurt BlStV 2/1992, 6). Andererseits gelten gem. § 130 die Vorschriften über den Vollzug der Freiheitsstrafe entsprechend und damit auch § 13. Zum (verfassungsrechtlich relevanten) Zusammenhang zwischen der (Nicht-)Gewährung von Lockerungen und der Chance auf eine (vorzeitige) Entlassung ausführlich § 11 Rdn. 14. Zum Prüfungsmaßstab bei der Gewährung von Vollzugslockerungen bei sog. „Altfällen“ (§ 134 statt § 11) vgl. OLG Koblenz NStZ-RR 2011, 157. Zum Ganzen s. auch § 130 Rdn. 4 ff. Seit dem 28.8.2002 hat der Gesetzgeber mit dem (neuen) § 66 a StGB dem Tatrichter die Möglichkeit gegeben, unter bestimmten Voraussetzungen die Anordnung der Maßregel der Sicherungsverwahrung lediglich vorzubehalten (BGBl. I 2002, 3344). Auch wenn die VV (noch) nicht um diese Variante ergänzt worden sind, dürfte die Erwartung des Gesetzgebers, der Anstalts- bzw. Vollzugsleiter werde während dieses Zeitraumes keine Lockerungen gewähren (BT-Drucks. 14/8586, 6) weitgehend realistisch sein (vgl. nur Arloth 2011 Rdn. 20). Die Wahrscheinlichkeit der anschließenden Anordnung der Maßregel wäre so quasi programmiert. cc) Zustimmungserfordernisse nach VV Nr. 3 Abs. 2. VV Nr. 3 Abs. 2 lässt Aus- 18 nahmen mit Zustimmung der Aufsichtsbehörde nach Anhörung des zuständigen Gerichts zu, wobei die Ausnahmeregelung nicht zu einem im Gesetz nicht vorgesehenen Versagungsgrund umgewandelt werden darf (OLG Celle BlStV 3/1992, 5). Die Zustimmung dient einer gleichmäßigen Handhabung der Urlaubsgewährung und ist daher sachgerecht (OLG Hamburg NStZ 1981, 237 und 486). Die Anhörungskompetenz des Gerichts hält OLG Frankfurt (NStZ 1982, 260) aber für unvereinbar mit dem Gesetz. S. auch bei § 11 Rdn. 21; § 115 Rdn. 23. Zum Benehmen mit der zuständigen Ausländerbehörde vgl. Rdn. 17. dd) VV Nr. 4 Abs. 2. VV Nr. 4 Abs. 2 nennt fünf Gruppen von Gefangenen, die für 19 den Urlaub wegen vermuteter Flucht- oder Missbrauchsgefahr in der Regel ungeeignet sein sollen (vgl. zu dieser fragwürdigen Formulierung und ihrer rechtlichen Bedeutung Rdn. 15). (1) Reststrafenregelung. Die in den VV Nr. 4 Abs. 2 Buchst. a enthaltene Reststra- 20 fenregelung ist besonders problematisch. Nach den Erfahrungen der Praxis spielen 263
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vielmehr andere Umstände eine Rolle, wie Persönlichkeit des Gefangenen, Zuverlässigkeit, Lebensweise draußen, Beeinflussbarkeit, Neigung zum Alkohol, Verhältnis zur Bezugsperson, Verbindung zur Familie oder zur Freundin, Verhältnis zu Vollzugsbediensteten wie auch zu Mitgefangenen. Auch kommt es gerade bei längerstrafigen Gefangenen darauf an, dass das Betreuungspersonal die mit einer Beurlaubung zusammenhängenden persönlichen Probleme mit dem Inhaftierten erörtert. Dazu gehört allerdings, dass der Gefangene zu den zuständigen Bediensteten Vertrauen hat und seine persönlichen Verhältnisse offen darlegt. Die Erfahrung hat gezeigt, dass auch Gefangene mit kurzem Strafrest den Urlaub zur Flucht missbrauchen. Dabei ist zu beobachten, dass der Gefangene vom ersten oder zweiten Urlaub noch pünktlich zurückkehrt und erst später enttäuscht. Umso wichtiger ist es, die Flucht- und Missbrauchsgefahr nicht nur einmal, d. h. vor Gewährung des ersten Regelurlaubs zu prüfen, sondern erneut vor Erteilung jedes weiteren Urlaubs. Nicht immer handelt es sich bei längerstrafigen Gefangenen um solche, die sich als besonders gefährlich für den Rechtsfrieden erwiesen haben und bei denen daher angenommen werden kann, dass eine lange Einwirkung des Vollzuges erforderlich ist, um sie so zu beeindrucken, dass verantwortet werden kann, sie vorübergehend aus der geschlossenen Anstalt zu entlassen. Hat ein Urlaub begehrender Gefangener die Hälfte einer 15-jährigen Freiheitsstrafe verbüßt, so kann der verbleibende Strafrest überhaupt nur dann als erheblich gelten, wenn eine vorzeitige Entlassung nach Ablauf von zwei Dritteln der Strafe nicht in Betracht kommt, wobei die Wahrscheinlichkeit einer Aussetzung vom Anstaltsleiter eigenverantwortlich zu prüfen ist (OLG Hamm BlStV 6/1985, 13). – Eine im RegE zunächst vorgesehene Begrenzung des Urlaubs nach Länge der Reststrafe ist vom SA gestrichen worden, denn die Vorstellung, dass Gefangene mit einem großen Strafrest stärker zur Flucht neigen als solche mit einem geringeren, hatte sich in der Praxis nicht bestätigt (vgl. BT-Drucks. 7/918, 77 und 7/3998, 11). Aus der Länge des Strafrestes allein kann daher gerade nicht hergeleitet werden, dass der Gefangene sich dem Vollzug der Freiheitsstrafe entziehen oder die Lockerungen des Vollzuges zu Straftaten missbrauchen werde (OLG Karlsruhe MDR 1981, 252; OLG Frankfurt NJW 1978, 334 und ZfStrVo 1983, 249; OLG Celle NdsRpfl. 1977, 217; Frellesen NJW 1977, 2052; vgl. auch AKKöhne/Lesting 2012 Rdn. 19 f). Dazu § 11 Rdn. 15 und § 4 Rdn. 16. Rspr. und Lehre stimmen darin überein, dass die Reststrafenregelung in den VV für 21 die Beurteilung der Eignungsfrage im Hinblick auf § 11 Abs. 2 lediglich eine Entscheidungshilfe enthält, die dem Anstaltsleiter im Interesse einer Gleichmäßigkeit in der Handhabung von Beurlaubungen und als Hinweis auf Fälle stets zu beachtender Missbrauchsgefahr, die möglicherweise bei längerem Strafrest hoch sein kann, in die Hand gegeben worden ist. Es ist daher fehlerhaft, die Versagung von Regelurlaub allein schematisch auf diese Reststrafenregelung zu stützen. Insofern darf sich der Anstaltsleiter auch nicht mit der allgemeinen Wendung begnügen, besondere Umstände, die eine Durchbrechung der Reststrafenregelung rechtfertigen können, seien nicht ersichtlich. Vielmehr muss die Entscheidung erkennen lassen, dass alle für die Urlaubsgewährung oder -versagung nach §§ 13, 11 Abs. 2 wesentlich erscheinenden Umstände des Einzelfalles erkannt und gegeneinander abgewogen wurden (OLG München ZfStrVo SH 1979, 25 mwN; KG ZfStrVo SH 1979, 23). Wenn bereits längere Untersuchungshaft und ein nicht unerheblicher Teil der Strafhaft verbüßt sind, bedarf die Annahme der Fluchtgefahr besonderer Begründung (OLG Hamm LS BlStV 3/1984, 4). 22
(2) Suchtgefahr. Bei erheblich suchtgefährdeten (zu diesem Begriff vgl. C/MD 2008 Rdn. 12: „zu undifferenziert“) Gefangenen kann Flucht- oder Missbrauchsgefahr oft nicht ausgeschlossen werden (VV Nr. 4 Abs. 2 Buchst. b). Das gilt insbesondere für Ullenbruch
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drogenabhängige Gefangene (zur Anzahl Drogenabhängiger im Vollzug § 141 Rdn. 12). – War ein Gefangener zur Zeit seiner Verhaftung heroinsüchtig, so begegnet die hieran anknüpfende Prognose wahrscheinlichen Missbrauchs eines Urlaubs keinen rechtlichen Bedenken; solche Gefangene sind auch nach längerer Inhaftierung noch als erheblich suchtgefährdet anzusehen und scheiden für Vollzugslockerungen generell aus (OLG München ZfStrVo 1981, 57). Bei diesen Gefangenen besteht darüber hinaus die Gefahr des Einschmuggelns von Drogen in die Anstalt, was auch bei gründlichen Kontrollen kaum zu verhindern ist. Für die Annahme einer Missbrauchsgefahr wegen „Drogengefährdung“ bedarf es konkreter Feststellungen, etwa über den Zeitraum, die Intensität und das gegenwärtige Fortbestehen einer eventuellen Drogenabhängigkeit (OLG Frankfurt BlStV 2/1992, 5). Bei konkretem Verdacht auf Drogenmissbrauch kann die Gewährung von Urlaub unter die Bedingung gestellt werden, dass sich der Gefangene zuvor einer Urinkontrolle unterzieht und das Ergebnis „negativ“ ist, d. h. keine relevanten BtMRückstände nachgewiesen werden. Kommt der Gefangene der Aufforderung, sich einer Urinkontrolle zu unterziehen, nicht nach, kann diese nicht etwa zwangsweise durchgesetzt werden. Die Anstalt wird vielmehr ihre Urlaubsentscheidung überprüfen – unter Berücksichtigung der Tatsache, dass der Gefangene die Gelegenheit, eine bestehende Befürchtung durch eine ihm zumutbare Handlung zu entkräften, nicht wahrgenommen hat (Bühring ZfStrVo 1994, 271 ff sowie § 4 Rdn. 26 und § 82 Rdn. 4). Zur Problematik eines sich nach dem EMIT-Urintest ergebenden positiven Cannabis-Befundes vgl. OLG Zweibrücken StV 1986, 113 m. Anm. Kreuzer StV 1986, 129 ff; zu den Erfordernissen des Ausschlusses von Verwechslungsgefahren mit anderen Urinproben in der besonderen Sphäre der JVA OLG Saarbrücken NStZ-RR 2001, 283. Zur Frage der Beurlaubung von Drogenabhängigen vgl. Apitzsch ZfStrVo 1980, 95, 100. Auch bei alkoholgefährdeten Strafgefangenen ist Vorsicht geboten, da es bei ih- 23 nen – nicht zuletzt wegen des Nachholbedarfs durch Entzug bei längerer Inhaftierung – infolge übermäßigen Alkoholgenusses leicht zu unkontrollierten Handlungen bzw. neuen Straftaten kommen kann (vgl. LG Lüneburg 5.12.1980 – 17 StVK 580/80). Da eine große Zahl der Strafgefangenen die zugrunde liegenden Straftaten unter Alkoholeinfluss begangen hat, ist hier eine sorgfältige Prüfung des Einzelfalles geboten, um schematische Urlaubsablehnungen unter Hinweis auf die VV zu vermeiden. Der Urlaub kann auch gerade bei diesen Gefangenen dazu dienen, den Umgang mit dem Alkohol in Vorbereitung auf die Entlassung wieder zu lernen. Andererseits sollte der Gefangene seitens der Anstalt nicht unnötig zum Alkoholgenuss draußen motiviert werden, z. B. durch Beurlaubung zu Sylvester oder in der Karnevalszeit, wobei es allerdings auch hier auf den Einzelfall ankommt (vgl. LG Hannover 13.5.1980 – 53 StVK 27/80; „Der Weg“ 1980, 29). Der Nichtantritt einer stationären Langzeitbehandlung ist für sich genommen kein Umstand, der die Versagung von Lockerungen begründet (OLG Zweibrücken StV 1992, 589), eine deshalb fortbestehende Alkoholabhängigkeit kann jedoch zur Bejahung der Missbrauchsgefahr führen. Zur Anordnung einer Blutalkoholkontrolle bei Alkoholmissbrauch vgl. LG Wuppertal LS BlStV 6/1988, 4. Zur Alkoholabhängigkeit vgl. auch § 11 Rdn. 22. Zu möglichen Weisungen § 14 Rdn. 4, zum Widerruf § 14 Rdn. 14, 15. (3) Flucht, Ausbruch. Bei Gefangenen, die während des laufenden Freiheitsentzu- 24 ges entwichen sind, einen Fluchtversuch oder Ausbruch unternommen oder sich an einer Gefangenenmeuterei beteiligt haben (VV Nr. 4 Abs. 2 Buchst. c), kommt es auf die Umstände der Vorfälle und auf die seitdem verstrichene Zeit an. Man kann nicht davon ausgehen, dass ein einmal entwichener Gefangener in jedem Falle einen Urlaub dazu missbrauchen wird, sich dem Vollzug der Freiheitsstrafe zu entziehen. 265
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(4) Früherer Lockerungsmissbrauch. Die nicht freiwillige Rückkehr (VV Nr. 4 Abs. 2 Buchstabe d) ist zu unterscheiden von der Verspätung und löst regelmäßig Fahndungsmaßnahmen aus, die dann zur Verhaftung des Gefangenen führen. Sie ist als ein erheblicher Vertrauensmissbrauch gegenüber der Anstalt anzusehen. Der Gefangene verletzt damit eine Pflicht, die ihm durch das Gesetz oder aufgrund des Gesetzes auferlegt worden ist, so dass die Voraussetzungen für die disziplinarrechtliche Ahndung des Pflichtverstoßes nach § 102 Abs. 1 gegeben sind (OLG München ZfStrVo 1979, 63; OLG Celle NStZ 1983, 299 mit Anm. Dertinger NStZ 1984, 192; OLG Celle LS ZfStrVo 1984, 191). – Zumindest in den Fällen, in denen die Urlaubsüberschreitung länger dauert und der Gefangene erst nach polizeilicher Festnahme in die Anstalt zurückgekehrt ist, muss sein Verhalten als eine schwere Verfehlung gegen die ihm obliegenden Pflichten gewertet werden, die zur Verhängung von Arrest jedenfalls dann berechtigt, wenn eine vorherige Belehrung über die Möglichkeit erfolgt ist (OLG Schleswig 25.4.1978 – 2 VAs 2/78). Eine besondere Pflicht i. S. des § 102 StVollzG, während des Urlaubs oder anderer Lockerungen außerhalb der JVA keine mit Strafe bedrohte Handlungen zu begehen, besteht hingegen nicht (a. A. OLG Nürnberg ZfStrVo 1984, 377 m. krit. Anm. Skirl; wie hier Skirl ZfStrVo 1983, 147 ff und Meißner 1988, 94). Eine entsprechende Unterlassungsweisung (dazu § 14 Rdn. 5) ist deshalb genauso unzulässig wie die Anordnung einer Disziplinarmaßnahme wegen Verstoßes gegen dieselbe (dazu § 102 Rdn. 15). Vgl. auch § 4 Rdn. 11; § 102 Rdn. 17 f. Durch die Nichtrückkehr aus dem Urlaub erhöht ein Gefangener nach Ansicht des LG Dortmund (BlStV 2/1993, 4) ein durch die Unterlassung des Einschließens persönlicher Gegenstände in seinem Spind bereits bei Urlaubsantritt geschaffenes Verlustrisiko um ein Vielfaches. Richtig ist, dass im Falle einer Nichtrückkehr davon auszugehen ist, dass die Habe zusammengepackt wird und hierbei die Gefahr des Verlustes nicht eindeutig zuzuordnender Gegenstände besteht. Ob die Realisierung dieses Risikos jedoch in jedem Falle in Form eines mit 100 Prozent zu bemessenden Mitverschuldens dem Nichtrückkehrer zugerechnet werden kann (so LG Dortmund aaO), mit der Folge des Ausschlusses jeglicher Amtshaftung, erscheint fraglich. Zusätzlich zu diesen, den Gefangenen in der Vollzugsanstalt treffenden Folgen 26 seines Fehlverhaltens wird auch sorgfältig geprüft werden müssen, ob und wann wieder ein Urlaub gewährt werden kann. Durch die verspätete Rückkehr vom Urlaub wird – ebenso wie durch eine Entweichung – das bestehende Strafvollzugsverhältnis nicht beendet, sondern fortgesetzt mit der Folge, dass bisher begründete Rechte und Pflichten bestehen bleiben, also keine neuen Ansprüche (z. B. auf Empfang eines „Jahrespaketes“) begründet werden (OLG Zweibrücken ZfStrVo 1993, 117 = BlStV 1/1993, 3), aber auch nicht die regelmäßige Sperrfrist von sechs Monaten (§ 13 Abs. 2) eintritt. Eine im Voraus festgelegte Urlaubsverweigerung (Urlaubssperre) ist rechtswidrig (ähnl. Arloth 2011 Rdn. 25); eine sachgerechte und fehlerfreie Ermessensausübung im Rahmen einer Urlaubsentscheidung ist nur in dem Zeitpunkt möglich, in dem über die Urlaubsgewährung konkret zu entscheiden ist und alle denkbaren sachlichen Gesichtspunkte übersehen und mit in die Ermessensentscheidung einbezogen werden können (OLG Bremen NStZ 1982, 84). Eine Urlaubssperre ist auch deshalb unzulässig, weil eine solche Maßnahme keine zulässige Disziplinarmaßnahme i. S. des § 103 Abs. 1 ist (LG Hamburg ZfStrVo SH 1977, 15; OLG Celle LS in ZfStrVo 1985, 374; AK-Köhne/Lesting 2012 Rdn. 29). Andererseits ist es für die Anstalt im Einzelfall nicht einfach, nach Überziehung eines Urlaubs den Zeitpunkt für eine erneute Urlaubsfähigkeit zu begründen. Für die Praxis wäre es daher i. S. einer Gleichbehandlung der Gefangenen schon hilfreich, wenn das Gesetz „Urlaubssperren“ – je nach Dauer und Häufigkeit der Überziehung – zuließe. 25
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LG Darmstadt (ZfStrVo 1983, 302) sieht keinen Ermessensfehler darin, dass der Anstaltsleiter eine erneute Urlaubsgewährung nach einem erheblichen Urlaubsmissbrauch (z. B. Nichtrückkehr von Tagesausgang für die Dauer von mehreren Monaten) und einem Ausbruchsversuch von einem Zeitablauf von sechs Monaten seit dem letzten Missbrauch abhängig macht. Liegen Fälle der nicht freiwilligen Rückkehr vom Urlaub oder Ausgang oder des Verdachts der Begehung einer strafbaren Handlung während des letzten Urlaubs oder Ausgangs längere Zeit (z. B. mehr als ein Jahr) zurück, bedarf es einer besonderen Begründung, weshalb sie trotz anderer, positiver Umstände die Ablehnung eines Urlaubsantrages rechtfertigen können (LG Hamburg ZfStrVo SH 1978, 3; LG Frankfurt NStZ 1984, 190; OLG Saarbrücken BlStV 6/1985, 25). Andererseits wird der Zeitablauf allein in der Regel noch nicht als besonderer Umstand im Sinne der VV Nr. 4 Abs. 3 anzusehen sein; vielmehr müssen Anhaltspunkte für eine wesentliche Wandlung des Gefangenen nach einem eindeutigen Missbrauch des letzten Urlaubs zur Begehung von Straftaten vorliegen (OLG Hamm ZfStrVo 1987, 372; hierzu krit. AK-Köhne/Lesting 2012 Rdn. 28). (5) Verdacht neuer Straftaten. Bei dem Verdacht neuer Straftaten (VV Nr. 4 27 Abs. 2 Buchst. e) – das folgende gilt aber auch für den Verdacht von während des Urlaubs oder des Ausgangs begangener Straftaten (Rdn. 25) – kommt es auf die Art des Delikts an, so z. B. ob es sich um eine einschlägige Tat handelt. Wird eine Urlaubsablehnung auf diesen Verdacht gestützt, muss der Gefangene ausreichend Gelegenheit erhalten, sich gegen diesen Vorwurf zu verteidigen, welcher eine konkrete Darlegung der Tat voraussetzt (OLG Frankfurt 9.9.1982 – 3 Ws 646/82 –). – Unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des jeweiligen Falles ist zu prüfen, ob das anhängige Verfahren tatsächlich Einfluss auf die Gefahr der Flucht und des Missbrauchs des Urlaubs hat (OLG Celle 29.8.1978 – 3 Ws 22/78; OLG Frankfurt ZfStrVo 1984, 376). Nach OLG Hamm NStZ 1984, 143 ergibt sich eine Fluchtgefahr im Sinne von § 13 Abs. 2 nicht allein daraus, dass in einem weiteren Verfahren eine Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 3 Monaten – bislang nicht rechtskräftig – verhängt worden ist. Solange ein Ermittlungsverfahren oder Strafverfahren noch anhängig und nicht etwa gem. § 154 Abs. 2 StPO vorläufig eingestellt worden ist, obliegt der Vollzugsbehörde bei ihrer Entscheidung über einen Urlaubsantrag keine eigene Nachprüfung des Tatverdachts, es sei denn, dass offenkundige Zweifel bestehen (LG Hamburg ZfStrVo SH 1978, 5). – Der Verdacht, Straftaten begangen zu haben, darf dem Gefangenen auch dann entgegengehalten werden, wenn das eingeleitete Strafverfahren gem. § 154 Abs. 2 StPO eingestellt worden ist, wobei die seinerzeit erhobenen Vorwürfe von der Anstaltsleitung weiter aufgeklärt werden müssen unter Beachtung des rechtlichen Gehörs (OLG Celle ZfStrVo 1982, 123; a. A. LG Hamburg ZfStrVo SH 1977, 5). – Die Unschuldsvermutung des Art. 6 Abs. 2 der Menschenrechtskonvention steht einer Berücksichtigung eines anhängigen Verfahrens bei der Entscheidung über einen Urlaubsantrag durch die Vollzugsbehörde nicht entgegen; diese darf daher solche Vorgänge, die zur Untersuchung wegen des Verdachts einer Straftat zu einem Strafverfahren geführt haben, ihrer Entscheidung über einen Urlaubsantrag noch vor rechtskräftigem Abschluss des Strafverfahrens zugrunde legen, sofern sie sich mit ihnen hinreichend auseinandersetzt (BVerfG GA 1982, 37; OLG Nürnberg NStZ 1998, 215; LG Hamburg ZfStrVo SH 1978, 4). Auch die Begehung von Ordnungswidrigkeiten während einer Vollzugslockerung kann eine Missbrauchsgefahr begründen, aber nicht deshalb, weil die Gefahr besteht, der Gefangene werde in der Freiheit Ordnungswidrigkeiten begehen, sondern deshalb, weil aus dem Verhalten des Gefangenen eine (echte) Missbrauchsgefahr erwächst (vgl. LG Hamburg ZfStrVo SH 1978, 3). 267
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Ist ein Ausweisungs-, Auslieferungs-, Ermittlungs- oder Strafverfahren anhängig, ist die zuständige Behörde nur zu hören (VV Nr. 4 Abs. 3 Satz 2), braucht also nicht (wie in der mit Wirkung vom 1.1.1994 geänderten VV Nr. 3 Abs. 2) zuzustimmen (vgl. auch Rdn. 18). Der bloße Hinweis auf eine bestehende Ausweisungsverfügung gegen einen ausländischen Gefangenen reicht für die Begründung einer Urlaubsablehnung nicht aus (OLG Frankfurt BlStV 4/5/1981, 10). Das Entsprechende gilt für Gefangene, gegen die ein Ausweisungsverfahren anhängig (vgl. VV Nr. 4 Abs. 2 Buchst. e), d. h. die Ausweisung erst beabsichtigt ist (OLG Frankfurt ZfStrVo 1981, 122; ZfStrVo 1991, 372 und LS ZfStrVo 1994, 383). – Vgl. auch § 11 Rdn. 22.
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ee) Gefährliche Gefangenengruppen (VV Nr. 4 Abs. 4). Bei Gefangenen, bei denen während des laufenden Freiheitsentzuges wegen grober Gewalttätigkeiten oder wegen Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung eine Strafe vollzogen wurde oder noch zu vollziehen ist, bedarf die Frage einer Beurlaubung besonders gründlicher Prüfung, weil eine erhöhte Gefahr des Missbrauchs zu neuen Straftaten, insbesondere bei Triebtätern, besteht (vgl. VV Nr. 4 Abs. 4; vgl. auch Art 15 BayStVollzG – § 11 Rdn. 23 und 30 – und § 16 NJVollzG – § 11 Rdn. 23 und 33). Die Urlaubsgewährung kann hier von einer Androcur-Behandlung abhängig gemacht werden (LG Lüneburg 11.9.1981 – 17 StVK 444/81). Wird ein Gefangener seit einem Jahr auf freiwilliger Grundlage mit Androcur behandelt, so hat die Vollzugsbehörde die Auswirkungen dieser Behandlung bei der Prüfung, ob Vollzugslockerungen gewährt werden können, mit zu berücksichtigen; notfalls muss sie das Gutachten eines ärztlichen Sachverständigen einholen (OLG Celle ZfStrVo 1985, 243; OLG Hamm NStZ 1992, 149). Eine besonders sorgfältige Prüfung der Flucht- oder Missbrauchsgefahr ist auch bei Gefangenen angebracht, die wegen Handels mit Stoffen i. S. d. BtMG verurteilt sind oder die im Vollzug in den begründeten Verdacht des Handels mit derartigen Stoffen oder deren Einbringens gekommen sind; darüber hinaus auch bei Gefangenen, die vermutlich der organisierten Kriminalität zuzurechnen sind. Der Zunahme solcher Gefangenengruppen trägt die zum 1.1.1994 in Kraft getretene Änderung der VV Nr. 4 Abs. 4 Rechnung. Selbstverständlich dürfen auch diese Gefangenen nicht generell und für die ganze Strafdauer vom Urlaub ausgeschlossen werden. Die Öffentlichkeit erwartet aber mit Recht, dass seitens der Behörden alles getan wird, um erneute einschlägige Straffälligkeit zu verhindern. Deshalb sind auch bei Gefangenen, die schwerwiegende Gewaltstraftaten begangen haben (z. B. Raub oder räuberische Erpressung) und die durch die bedenkenlose Rücksichtslosigkeit der Ausführung (z. B. Einsatz einer Schusswaffe) ihre Gefährlichkeit gezeigt haben, strenge Maßstäbe bei der Beurteilung der Missbrauchsgefahr anzulegen (OLG Hamm BlStV 4/5/1991, 9). In Einzelfällen wird ein Sachverständigengutachten zur Frage der Verantwortbarkeit eines Urlaubs eingeholt werden müssen. Der Anstaltsleiter kann aber bei eigener Sachkenntnis evtl. auch ohne Sachverständigen z. B. die Suchtgefährdung eines Heroinabhängigen beurteilen (OLG Bamberg LS BlStV 4/5/1983, 6).
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ff) Zustimmung der Aufsichtsbehörde. In Ausführungsvorschriften der Länder ist in diesen Fällen teilweise die Zustimmung der Aufsichtsbehörde vorgesehen, die damit die Verantwortung für die Entscheidung mitträgt. Bei der Verweigerung der Zustimmung handelt es sich um eine innerdienstliche Weisung, so dass im Außenverhältnis gegenüber dem Gefangenen nur der Anstaltsleiter rechtswirksam über das Urlaubsgesuch entscheidet (OLG Frankfurt BlStV 6/1985, 19; LG Wiesbaden LS BlStV 6/1983, 7). Bewilligt der Anstaltsleiter Urlaub ohne die erforderliche Zustimmung der AufsichtsbeUllenbruch
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hörde, ist seine Entscheidung dennoch rechtmäßig, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen für die Bewilligung vorliegen (OLG Stuttgart ZfStrVo 1985, 249; OLG Frankfurt BlStV 6/1985, 19). – Beachte auch § 11 Rdn. 25 und § 13 Rdn. 47. gg) Mitwirkung an der Erreichung des Vollzugsziels. Die in VV Nr. 4 Abs. 1 Satz 2 31 bei der Urlaubsentscheidung vorgesehene Berücksichtigung der Mitwirkung an der Erreichung des Vollzugszieles entspricht nicht ganz § 4 Abs. 1. Dort ist zwar von Mitwirkung die Rede, aber nicht von einer Pflicht zur Mitwirkung durch den Gefangenen. Möglicherweise soll durch einen Urlaub die Bereitschaft zur Mitwirkung erst geweckt oder gefördert werden (zur weitergehenden Regelung in § 12 HmbStVollzG vgl. § 11 Rdn. 24, 31). – Der Urlaub ist nicht als Belohnung für hausordnungsgemäßes Verhalten im Vollzuge aufzufassen. Allerdings kann disziplinwidriges Verhalten (z. B. Beleidigung, Alkohol- oder Drogenmissbrauch) mit bei der Entscheidung über Urlaubsgewährung herangezogen werden, sofern mit solchem Verhalten auch außerhalb der Anstalt zu rechnen ist (ähnlich Arloth 2011 Rdn. 21). Vorrangige Richtschnur für die Geeignetheit für einen Urlaub ist aber der Gesichtspunkt, dass erprobt werden soll, ob der Gefangene unter den Bedingungen des Lebens in Freiheit sich straffrei führen kann (OLG Saarbrücken ZfStrVo SH 1978, 4). Wer Resozialisierungsbemühungen der Anstalt durch destruktives Verhalten im Vollzug vereitelt und darüber hinaus noch durch Herstellen einer falschen Abschrift eines behördlichen Schreibens das über das Urlaubsbegehren entscheidende Gericht zu täuschen versucht, ist nicht urlaubsgeeignet (OLG Hamm BlStV 4/5/1981, 14). Vgl. auch § 4 Rdn. 9 ff und § 11 Rdn. 24. Das Verhalten eines Gefangenen im Vollzuge ist in der Regel an seinem Gesamt- 32 verhalten vor der Inhaftierung zu messen, um Entwicklungstendenzen erkennen zu können. Die bloße Anpassung an Haftbedingungen besagt erfahrungsgemäß nichts über die Fähigkeit, in der Freiheit unvermeidlichen Belastungen und Versuchungen standhalten zu könne. Verfasst ein Gefangener ständig Antrags- und Rechtsmittelschriften, Petitionen usw., die von schärfster Aggressivität in Wort und Schrift getragen sind, rechtfertigt dieses Verhalten für sich allein noch keine Urlaubsablehnung. Allerdings kann ein abgrundtiefes Hassgefühl gegen jede staatliche Ordnung im allgemeinen und den Vollzug im besonderen auf eine Fluchtgefahr hinweisen, die durch die bloße Hoffnung, die bestehende Antihaltung könne durch Gewährung von Urlaub abgebaut werden, nicht relativiert wird (OLG Hamm BlStV 3/1990, 3). Im übrigen darf sich die Vollzugsbehörde nicht darauf beschränken, nur das Verhalten zu berücksichtigen, das der Gefangene in der zuletzt für ihn zuständigen Anstalt gezeigt hat; evtl. müssen die Auskünfte anderer Anstalten, in denen sich der Gefangene vor seiner Verlegung befand, eingeholt werden (OLG Frankfurt LS BlStV 1/1982, 4). § 2 Rdn. 13, § 4 Rdn. 2 ff. Häufige gegen den Gefangenen verhängte Disziplinarmaßnahmen oder dessen beleidigendes und disziplinwidriges Verhalten können nur im Zusammenhang mit allen anderen für die Entscheidung über einen Urlaubsantrag maßgebenden Umständen sinnvoll gewürdigt werden (OLG Saarbrücken ZfStrVo 1978, 182; C/MD 2008 Rdn. 17; krit. AKKöhne/Lesting 2012 Rdn. 28). Eine Disziplinarmaßnahme bedingt nicht auch automatisch als Nebenfolge für einen bestimmten Zeitraum eine Urlaubssperre (LG Hamburg ZfStrVo SH 1977, 15 und ZfStrVo SH 1978, 4). § 103 Rdn. 1 und hier Rdn. 26. Bei der Frage der Eignung für den Regelurlaub kann auch die Tatsache berücksichtigt werden, dass der Gefangene aus einem früheren Urlaub angetrunken in die Anstalt zurückgekehrt ist (LG Hamburg ZfStrVo SH 1977, 16) oder Psychopharmaka eingeschmuggelt hat (vgl. LG Hamburg ZfStrVo SH 1977, 15); § 103 Rdn. 4. Auch schwerwiegende Verstöße gegen die Anstaltsordnung stehen nicht schlechthin auf Dauer einer neuerlichen Urlaubsgewährung entgegen. Liegt das Fehlverhalten 269
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des Gefangenen bereits längere Zeit zurück, bedarf es in der Regel der Prüfung, ob und aus welchen Gründen die Missbrauchsgefahr weiterhin andauert (OLG München 6.11. 1979 – 1 Ws 1299/79). 33
c) Ermessensentscheidung. Bei der Entscheidung, ob Urlaub zu gewähren ist, handelt es sich um eine Ermessensentscheidung. Dem Gefangenen steht, wie sich aus Wortlaut, Sinn und Entstehungsgeschichte des § 13 ergibt, kein Rechtsanspruch auf die Gewährung von Urlaub zu, auch wenn bei ihm weder Flucht- noch Missbrauchsgefahr vorliegen und auch wenn die vom Gesetz vorgeschriebenen zeitlichen Voraussetzungen (§ 13 Abs. 2 und 3) erfüllt sind (OLG Karlsruhe ZfStrVo SH 1978, 9). – Zu Besonderheiten bei der Verknüpfung einer vorzeitigen Entlassung und der vorherigen Lockerungsgewährung und -bewährung vgl. § 11 Rdn. 14 und 27. – Zur Selbstentscheidungskompetenz des Gerichts bei Renitenz einer Anstalt vgl. § 11 Rdn. 26. – Zum einstweiligen Rechtsschutz § 114 Rdn. 5. Wenn die Urlaubsvoraussetzungen vorliegen, „kann“ Urlaub gewährt werden. Der Vollzugsbehörde ist in diesem Fall Ermessen eingeräumt. Ihre Entscheidung darf vom Gericht gem. § 115 Abs. 5 nur auf Ermessensfehler nachgeprüft werden. Das Gericht darf aber nicht prüfen, ob eine andere Entscheidung zweckmäßiger gewesen wäre. Es darf also nicht selbst Ermessen ausüben. Die in § 2 Satz 2 genannte Aufgabe des Vollzuges ist nicht nur bei der Feststellung der Urlaubsmindestvoraussetzungen, sondern darüber hinaus auch bei der Ermessensausübung von Bedeutung. Wenn die Umstände, die eine Missbrauchsgefahr indizieren, im Einzelfall nicht ausreichen, um eine Urlaubsablehnung nach § 13 Abs. 1 Satz 2, § 11 Abs. 2 zu begründen, so können sie doch noch konkret genug sein, um bei der Ermessensausübung mit berücksichtigt zu werden (Stilz 1979, 68). Die VV Nr. 3 Abs. 2, Nr. 4 Abs. 2 und 4 haben jetzt (sog. „Doppelfunktion“) den Charakter von Richtlinien zur Ausübung des Ermessens. Bei der Ermessensprüfung kann sich ergeben, dass (erst) bei regelmäßiger Beurlaubung in kürzeren Abständen die Gefahr besteht, der Gefangene werde den damit verbundenen Versuchungen nicht gewachsen sein (OLG Frankfurt ZfStrVo 1981, 188). Wenn bei einem HIV-positiven Gefangenen aufgrund konkreter Tatsachen die Gefahr besteht, er werde andere Personen infizieren, kann die Gewährung von Urlaub davon abhängig gemacht werden, dass er seine(n) Intimpartner(in) über die bei ihm bestehende HIV-Infektion informiert (OLG Frankfurt NStZ-RR 1997, 30). Der gleichmäßigen Ausübung des Ermessens und der zweckmäßigen Organisation dienen die VV Nr. 2 Abs. 1 Satz 1, Nr. 5, Nr. 6, Nr. 7 Abs. 1 und 2, Nr. 8.
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aa) Aufteilung des Urlaubs (VV Nr. 2 Abs. 1 Satz 1). Gem. VV Nr. 2 Abs. 1 sollte die Aufteilung des Urlaubs mit dem Gefangenen bei Beginn der „Urlaubsfähigkeit“ möglichst ein Jahr im voraus besprochen werden. In der Regel sollten nicht mehr als sieben Tage Urlaub zusammenhängend gewährt werden. Durch Gewährung von zu langem Urlaub könnte der Gefangene überfordert werden. Die Missbrauchsgefahr kann bei wachsender Dauer des Urlaubs steigen, z. B. wenn die Bezugsperson nicht über so lange Zeit für den Gefangenen zur Verfügung stehen kann. In besonderen Fällen, z. B. bei Besuch von Angehörigen aus dem Ausland, notwendiger Mithilfe des Gefangenen bei der Ernte, ist ein zusammenhängender Urlaub von 21 Tagen vertretbar. Bei einer zu starken „Stückelung“ sind auch lange Reisewege und die dem Gefangenen entstehenden Kosten zu berücksichtigen (vgl. AK-Köhne/Lesting 2012 Rdn. 31). Andererseits kann es dem Gefangenen grundsätzlich nicht verwehrt werden, nur einen Tag Urlaub zu nehmen (OLG Celle NStZ 1993, 149; s. auch Rdn. 7). Die in Ausführungsvorschriften einiger Bundesländer enthaltenen komplizierten Regelungen über die Aufteilung des Urlaubs oder „UrlaubsUllenbruch
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sperren“ (z. B. erneuter Urlaub nicht vor Ablauf von drei Monaten) stellen für den Gefangenen eine zu große Beschränkung seiner Selbständigkeit dar und verursachen erheblichen Verwaltungsaufwand. So sollte die Einteilung des 21tägigen Urlaubs – wie sich aus Sinn und Zweck der Maßnahme ergibt – dem Gefangenen zwar nicht im Einzelnen vorgeschrieben werden. Wenn für ihn aber keine Gründe bestehen, den Urlaub zu genau bestimmten Terminen zu wählen, sollte die Anstalt darauf hinwirken, dass auch vollzugsorganisatorische Gesichtspunkte bei der Festsetzung der Urlaubszeiten berücksichtigt werden, z. B. die Auftragslage in einem Anstaltsbetrieb, in dem der betreffende Gefangene beschäftigt ist. Auch kann erwartet werden, dass der an einem Lehrgang teilnehmende Gefangene in seinem eigenen Interesse den Urlaub möglichst während der Ferien wählt. bb) Urlaub in kriminogene Umgebung (VV Nr. 5 Abs. 1). Der Gefangene darf nicht 35 in eine seiner Eingliederung entgegenwirkende Umgebung beurlaubt werden (vgl. VV Nr. 5 Abs. 1). Dazu können entsprechende Weisungen (§ 14) erteilt werden. Allerdings ist es schwierig, den Gefangenen daran zu hindern, in sein soziales Milieu zurückzukehren (vgl. AK-Köhne/Lesting 2012 Rdn. 57). Auch sollte der Gefangene nicht gleichzeitig mit einem Mittäter beurlaubt werden und auch nicht dann, wenn dieser noch flüchtig ist. – Wichtig ist, dass der Gefangene seine Urlaubsanschrift angibt (VV Nr. 5 Abs. 2), denn die Anstalt muss wissen, wo er sich während des Urlaubs aufhält. cc) Kosten des Urlaubs (VV Nr. 6). Der Gefangene muss die ihm während des Ur- 36 laubs entstehenden Kosten aus Mitteln des Haus- und Eigengeldes tragen (vgl. VV Nr. 6 Abs. 2 Satz 2). Ihm ist weder nach dem Strafvollzugsgesetz noch nach einem anderen Gesetz ein Anspruch auf Gewährung einer Urlaubsbeihilfe aus Haushaltsmitteln eingeräumt (OLG Nürnberg ZfStrVo 1981, 57; ebenso Arloth 2011 Rdn. 28; kritisch AK-Köhne/ Lesting 2012 Rdn. 55 f; C/MD 2008 Rdn. 20: Urlaub ist Behandlungsmaßnahme und daher auch grundsätzlich aus Vollzugsmitteln zu bestreiten). Bei Urlaub zur Entlassungsvorbereitung bejaht OLG Hamm (NStZ 1984, 45) einen Anspruch auf Beihilfe, sofern die Voraussetzungen des § 75 Abs. 1 vorliegen. – Der Anstaltsleiter kann die Inanspruchnahme des Überbrückungsgeldes (§ 51 Rdn. 14) gestatten, sofern dieses bei der Entlassung gleichwohl in angemessener Höhe zur Verfügung steht (VV Nr. 6 Abs. 2 Satz 2 i. V. m. VV Nr. 2 Abs. 1 zu § 51). Nur soweit die eigenen Mittel des Gefangenen nicht ausreichen, kann ihm eine Beihilfe aus staatlichen Mitteln (Reisekosten, Bekleidungshilfe) gewährt werden (VV Nr. 6 Abs. 2 Satz 3). Er hat dann einen Anspruch auf fehlerfreien Ermessensgebrauch bei Zuteilung der öffentlichen Mittel (KG StV 2007, 313; OLG Nürnberg ZfStrVo 1981, 57), wobei für Art und Umfang der Beihilfe § 75 entsprechend gilt (vgl. die 1982 neu gefasste VV Nr. 6 Abs. 3). Die Gewährung von Urlaubsbeihilfe setzt Bedürftigkeit voraus, wobei nicht nur Haus- und Eigengeld, sondern die Einkommens- und Vermögensverhältnisse insgesamt zu berücksichtigen sind (OLG Hamm NStZ 1990, 55), aber auch, ob der Gefangene mit seinem Geld sorgsam gewirtschaftet und seine Arbeitspflicht erfüllt hat (OLG Hamm BlStV 3/1990, 2). Der Umstand, dass der Gefangene in Kenntnis eines bevorstehenden Urlaubes sein gesamtes Taschengeld beim Einkauf ausgegeben hat, bedeutet nicht zwangsläufig, dass er mit seinem Geld nicht sorgsam gewirtschaftet hat (OLG Hamm NStZ 1991, 254 = ZfStrVo 1993, 55). Grundsätzlich sollte der Gefangene aber angehalten werden, selbst dafür zu sorgen, dass er seinen Urlaub mit eigenen Mitteln bestreiten kann. dd) Notlage, Krankheit im Urlaub. Gerät der Gefangene während des Urlaubs 37 unvorhersehbar – verschuldet oder unverschuldet – in eine Notlage, muss er zumindest 271
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dann, wenn die Notlage gerade nicht am Ort einer Vollzugsanstalt eintritt, die Hilfe des Sozialamts in Anspruch nehmen (z. B. Reisekosten bis zur nächsten Anstalt). Grundsätzlich ist aber die Gewährung des Lebensunterhaltes von Gefangenen auch während des Urlaubs, wenn dadurch die Strafvollstreckung nicht unterbrochen wird (§ 13 Abs. 5), Angelegenheit der Justizverwaltung. – Im Falle der Erkrankung hat der Gefangene gem. § 60 gegen die Vollzugsbehörde nur einen Anspruch auf ärztliche Behandlung und Pflege in der für ihn zuständigen Anstalt (vgl. auch VV zu § 60: In der nächstgelegenen Anstalt kann ambulante Krankenpflege gewährt werden, wenn Rückkehr in die zuständige Anstalt nicht zumutbar ist). Bei notwendiger Behandlung außerhalb der Vollzugsanstalt müssen die entstehenden Kosten im Rahmen der Krankenhilfe gemäß §§ 47 f SGB XII übernommen werden, soweit die Voraussetzungen für die Gewährung von Sozialhilfe vorliegen. Zur Krankenhausbehandlung im Urlaub vgl. Meißner 1988, 198 ff. Zur Kostentragungspflicht, wenn sich ein Gefangener nach Urlaubsende statt in die Justizvollzugsanstalt eigenmächtig in eine psychiatrische Klinik begibt vgl. BVerwG NJW 1995, 3266. 38
ee) Antrag (VV Nr. 7 Abs. 1). Urlaub wird nur auf Antrag gewährt (VV Nr. 7 Abs. 1 Satz 1). Das kann durch den Gefangenen selbst, durch seine Angehörigen, aber auch aus vollzugspädagogischen Gründen durch einen mit der Betreuung des Gefangenen befassten Bediensteten, Vollzugshelfer oder Angehörigen erfolgen (vgl. C/MD 2008 Rdn. 19). – Die VGO sieht in Nr. 46 Abs. 1 für den Urlaubsantrag und dessen Bearbeitung einen besonderen Vordruck vor. Die in VV Nr. 7 Abs. 1 Satz 2 bezeichnete Monatsfrist soll der Anstalt genügend Zeit für eine Prüfung des Urlaubsgesuches geben, insbesondere bei erstmaligem Gesuch. Zweckmäßig ist es, dass der zuständige Bedienstete zu gegebener Zeit bereits vor Antragstellung mit dem Gefangenen die Urlaubsfrage, die für jeden Insassen von zentraler Bedeutung ist, ausführlich erörtert, um ihm Enttäuschungen bei Urlaubsablehnungen möglichst zu ersparen. Der Gefangene hat einen Anspruch darauf, dass sein Antrag auf Urlaub in angemessener Zeit beschieden wird. Zeitliche Maßstäbe lassen sich aus der Regelung in § 113 (3-Monats-Frist) entnehmen (BVerfG NStZ 1985, 283 = StV 1985, 240). Wird über den Urlaubsantrag bei Vorliegen der Voraussetzungen für die Gewährung ohne sachlichen Grund erst Monate später entschieden, kann dies einen Amtshaftungsanspruch (§ 839 BGB), der auf Schmerzensgeld (§ 847 BGB) gerichtet ist, begründen (LG Hamburg ZfStrVo 1995, 245: 50 Mark pro nicht rechtzeitig bewilligtem Urlaubstag). Zu den Voraussetzungen einer einstweiligen Anordnung des Inhalts, dass die JVA spätestens nach Ablauf eines Monats damit zu beginnen hat, dem Antragsteller Lockerungen zu gewähren LG Lübeck ZfStrVo 2003, 382.
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ff) Form und Bekanntgabe einer Ablehnung (VV Nr. 7 Abs. 2). Gem. VV Nr. 7 Abs. 2 sind die Gründe für die Ablehnung des Urlaubs aktenkundig zu machen und dem Gefangenen bekannt zu geben. Es genügt mündliche Bekanntgabe (OLG Hamm NStZ 1983, 237 m. Anm. Wendisch NStZ 1983, 478; wie hier Arloth 2011 Rdn. 29; a. A. AKKöhne/Lesting 2012 Rdn. 58). Allerdings empfiehlt es sich, den ablehnenden Bescheid schriftlich zu erteilen, insbesondere im Hinblick auf ein Verfahren gemäß §§ 109 ff. Eine Bezugnahme auf dem Gefangenen bereits früher mitgeteilte Ablehnungsgründe ist zulässig (OLG Hamm NStZ 1989, 444; vgl. auch C/MD 2008 Rdn. 19 und AK-Köhne/Lesting 2012 Rdn. 58, die eine Schriftform des Bescheides für zwingend notwendig erachten). Bei jeder Entscheidung sollte gleichzeitig eine Rechtsbehelfsbelehrung erteilt werden (vgl. auch AK-Lesting 2006 Rdn. 57). Zum Fehlen einer Rechtsmittelbelehrung vgl. § 112 Rdn. 9. – Ein Nachschieben von Gründen durch die JVA im Laufe des Verfahrens nach § 109 ff ist unzulässig, wenn sich hierdurch der Charakter der ursprünglichen EntscheiUllenbruch
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dung ändern würde (z. B. bei einer „Umstellung“ von Abs. 2 auf Abs. 1 – „Ermessen“ statt „Fluchtgefahr“, vgl. OLG Stuttgart NStZ-RR 2001, 285. Der Antrag auf Gewährung von Regelurlaub erledigt sich im allgemeinen nicht schon dadurch, dass die für den Urlaub konkret gewünschte Zeit verstrichen ist (§ 115 Rdn. 17); wenn der Antrag nicht deutlich etwas anderes ergibt, ist vielmehr davon auszugehen, dass es dem Gefangenen in erster Linie darauf ankommt, überhaupt Urlaub zu erhalten (OLG Celle ZfStrVo 1981, 57). Beachte auch § 113 Rdn. 6. gg) Urlaubsschein, Belehrung (VV Nr. 8). Der Gefangene erhält einen Urlaubs- 40 schein (VV Nr. 8 Abs. 1). Dabei handelt es sich um das in der VGO Nr. 46 Abs. 2 vorgesehene Formular. Aus dem Urlaubsschein muss sich eindeutig der Zeitpunkt, zu dem der Gefangene die Anstalt verlassen darf und zu dem er in die Anstalt zurückkehren muss, ergeben. Auch sind etwaige Weisungen anzugeben (Nr. 8 Abs. 1 Satz 2). – Wird der Urlaub telefonisch seitens der Anstalt verlängert, ist zu berücksichtigen, dass der Urlaubsschein dann bezüglich der Rückkehrzeit unrichtig wird. – Der Urlaubsschein ist ein wichtiges Ausweispapier für den Gefangenen. Die Aushändigung des Personalausweises oder anderer Dokumente (z. B. Fahrerlaubnis) sollte nur bei besonderem Bedarf erfolgen, um Missbrauch oder Verlust dieser Papiere zu verhindern. Die in VV Nr. 8 Abs. 2 erforderliche Belehrung des Gefangenen vor Antritt des Urlaubs sollte sich auch darauf erstrecken, welche Folgen eine verspätete oder nicht freiwillige Rückkehr für ihn haben können. 3. Sonderregelung für Gefangene mit lebenslanger Strafe ( § 13 Abs. 3 und 4) a) Allgemein. Nach § 13 Abs. 3 können zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilte 41 Gefangene nach zehn Jahren (enger Art. 14 Abs. 3 BayStVollzG: 12 Jahre; vgl. Rdn. 49 beurlaubt werden), wenn sie sich im geschlossenen Vollzug befinden; d. h. die Sperrfrist gilt nicht für in den offenen Vollzug verlegte Verurteilte (OLG Frankfurt StV 1993, 599; Arloth 1988, 418). Diese Gefangenen dürfen nicht stärker von der Außenwelt isoliert werden, als es für den Freiheitsentzug und die Behandlung notwendig ist. Grundsätzlich können daher in diesen Fällen keine anderen Gesichtspunkte gelten als für den Urlaub im Vollzug der zeitigen Freiheitsstrafe (C/MD 2008 Rdn. 24). Vgl. dazu die grundlegende Entscheidung des BVerfG NJW 1977, 1525, 1528: „Das Gesetz geht davon aus, dass auch der Vollzug der lebenslangen Freiheitsstrafe den Gefangenen nicht stärker isolieren darf, als es für den Vollzug der Freiheitsstrafe und die Behandlung des Gefangenen erforderlich ist […]“. Abgesehen von der Urlaubsregelung in § 13 Abs. 3 enthält das Strafvollzugsgesetz keine Sonderregelung, welche die zu lebenslanger Freiheitsstrafe Verurteilten von den gesetzlichen Ansprüchen oder Leistungspflichten der Vollzugsbehörden ausschließt. Zur Aufklärungs- und Begründungspflicht bei Urlaubsablehnung nach 12-jähriger Inhaftierung vgl. OLG Hamm NStZ-RR 1997, 63. Ein zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilter Gefangener hat auch dann keinen Anspruch auf Urlaub, wenn er sich bereits sehr lange (z. B. über 18 Jahre) in Haft befindet (OLG Frankfurt ZfStrVo SH 1979, 28). Der bloße Hinweis darauf, dass die bei einem zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilten Gefangenen bestehende Ungewissheit über den voraussichtlichen Entlassungszeitpunkt die Gefahr einer Nichtrückkehr beträchtlich erhöht, genügt zur Begründung der Urlaubsablehnung nicht. Denn dieser Umstand liegt bei allen zu lebenslanger Haft verurteilten Gefangenen vor und würde damit jeder Beurlaubung entgegenstehen (OLG Hamburg ZfStrVo SH 1978, 8; vgl. auch § 11 Rdn. 27). Es bedarf vielmehr einer Gesamtabwägung aller für und gegen den Gefangenen sprechenden Umstände (OLG Schleswig-Holstein ZfStrVo 2003, 249). – Zur Verknüpfung der vorzeitigen Entlassung mit der vorangegan273
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Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
genen Bewährung in Vollzugslockerungen vgl. § 11 Rdn. 14 und 27. – Zur Frage der Haftunterbrechung wegen Vollzugsuntauglichkeit bei lebenslanger Strafe vgl. OLG Hamburg NStZ 1982, 264. 42
b) 10-Jahresgrenze. § 13 Abs. 3 setzt nicht voraus, dass sich ein zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilter und im geschlossenen Vollzug befindlicher Gefangener zehn Jahre lang ununterbrochen innerhalb ein und derselben Vollzugsanstalt befunden haben muss. Es genügt, wenn der Gefangene wegen derselben Sache mehr als zehn Jahre mit oder ohne Unterbrechung in (Untersuchungs- und Straf-)Haft gewesen ist (LG Hamburg ZfStrVo SH 1978, 8; OLG Hamburg NStZ 1982, 303; OLG Hamm LS ZfStrVo 1983, 381; OLG Nürnberg BlStV 1/1988, 5).
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c) Berücksichtigung besonders schwerer Schuld. Die Vollzugsbehörde darf bei ihrer Entscheidung über Urlaubsgewährung unter engen Voraussetzungen auch Gesichtspunkte der Schwere der Schuld und der Generalprävention (mit)berücksichtigen. Allgemein zum Streitstand hierzu sowie zur Berücksichtigung bei Vollzugslockerungen von Gefangenen mit einer zeitigen Freiheitsstrafe § 11 Rdn. 3 und § 2 Rdn. 6. Für die Beurlaubung eines zu einer lebenslangen Strafe Verurteilten gilt, dass je länger die Zehnjahresfrist (Abs. 3) überschritten ist, desto sorgfältiger und genauer die Prognose über die voraussichtliche Haftdauer sein muss, um die Ablehnung eines Urlaubsantrages auch wegen der Schwere der Schuld mit zu tragen (OLG Nürnberg BlStV 1/1988, 5). Auch darf seine Chance zu einem zwar noch ungewissen Zeitpunkt entlassen zu werden, nicht dadurch zunichte gemacht werden, dass er infolge des langen Haftvollzuges die tatsächliche Fähigkeit zum Leben in Freiheit verliert. Diese Fähigkeit zu erhalten, kann auch die Beurlaubung des Verurteilten dienen. Insofern können sowohl lange Dauer des Freiheitsentzuges – die möglicherweise zu schwerwiegenden und persönlichkeitsverändernden Schäden führen kann – als auch relativ fortgeschrittenes und hohes Alter des Verurteilten von Bedeutung sein (BVerfG NStZ 1983, 476; OLG Karlsruhe ZfStrVo SH 1978, 9; OLG Frankfurt ZfStrVo SH 1979, 28 und ZfStrVo 1984, 117; OLG Hamm LS NStZ 1981, 495); vgl. auch Hartwig 1995, der die Schuldschwere eher als formales Kriterium und den Schwerpunkt bei generalpräventiven Erwägungen sieht. Zur Versagung von Vollzugslockerungen aus Gründen der Schuldschwere (§ 57 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB) vgl. BVerfG ZfStrVo 1998, 180 = NStZ-RR 1998, 121.
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d) Lockerung zur Vorbereitung. Eine allgemeine Praxis, die Beurlaubung von zu lebenslanger Haft verurteilten Gefangenen von beanstandungsfreiem Verlauf vorbereitender Ausführungen und Tagesausgänge abhängig zu machen, ist ermessensfehlerhaft. Das schließt aber nicht aus, dass im Einzelfall eine solche Vorbereitung zur Erreichung des Vollzugszieles (§ 2 Satz 1), insbesondere aber zur Verhinderung eines Missbrauchs dieser Vollzugslockerungen, durchaus sachgemäß sein kann (OLG Hamburg ZfStrVo 1979, 53; OLG Celle StV 1988, 349). Wenn Zweifel hinsichtlich der Flucht- und Missbrauchsgefahr bestehen, ist zur Gewährung von Urlaub auch eine Erprobung durch Ausführung und Ausgang denkbar (KG ZfStrVo 1989, 375). Zur Verpflichtung der Vollzugsbehörde, in Erfüllung des Resozialisierungsauftrags einen bereits 23 Jahre inhaftierten Gefangenen in eine andere Anstalt in der Nähe seiner Angehörigen zu verlegen, damit diese ihn bei Vollzugslockerungen stützen können vgl. BVerfG NJW 1998, 1133. Die Vollzugsbehörde kann im Rahmen der Prüfung des Urlaubsantrages vom Gefangenen verlangen, dass er sich einer psychiatrischen Begutachtung unterzieht, und zwar auch dann, wenn bereits ein befürwortendes Gutachten eines Sachverständigen einer anderen Fachrichtung vorliegt (OLG Hamm ZfStrVo 1991, 374 = NStZ 1992, 149 m. zust. Anm. Begemann). Ullenbruch
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e) Bedeutung des § 13 Abs. 4. § 13 Abs. 4 ist missverständlich und könnte zu der 45 Ansicht führen, dass die Länder in „für den offenen Vollzug geltenden Vorschriften“ ermächtigt werden, für Gefangene im offenen Vollzug andere Urlaubsmöglichkeiten festzusetzen als für Gefangene im geschlossenen Vollzug (dem wohl zuneigend AK-Köhne/ Lesting 2012 Rdn. 51–54; C/MD 2008 Rdn. 21; wie hier dagegen Arloth 2011 Rdn. 33). Die Beschränkung der Urlaubsdauer auf 21 Kalendertage im Jahr gem. § 13 Abs. 1 gilt vielmehr für alle Strafgefangene (Rdn. 9). Wenn der Gesetzgeber für den offenen Vollzug generell andere Urlaubsvorschriften als für den geschlossenen Vollzug für nötig gehalten hätte, hätte er sie in das StVollzG übernommen (so auch OLG Celle NStZ 1981, 367). Auch besteht kein Bedürfnis, den Gefangenen im offenen Vollzug von der Beschränkung auf 21 Tage Urlaub im Jahr auszunehmen. Abs. 4 beschränkt sich vielmehr in seiner Bedeutung nur auf Abs. 3 (vgl. SA BT-Drucks. 7/918, 15) und hätte daher zweckmäßigerweise in den Abs. 3 eingearbeitet werden müssen (OLG Celle aaO). Ein zu lebenslanger Strafe Verurteilter, der sich für den offenen Vollzug eignet (§ 10 Rdn. 6 ff), aber aus besonderen Gründen in einer geschlossenen Anstalt untergebracht ist, kann demnach gem. § 13 Abs. 4 beurlaubt werden, auch wenn er sich noch nicht zehn Jahre im Vollzug befindet (OLG Hamburg NStZ 1981, 276; Meißner 1988, 171). – Die Eignung für den offenen Vollzug ergibt sich aus § 10. Die „besonderen Gründe“ sind solche, die nicht in der Person des Gefangenen liegen, nämlich nach § 201 Nr. 1 die räumlichen, personellen und organisatorischen Anstaltsverhältnisse (LG Hamburg ZfStrVo SH 1978, 33). Die Erweiterung der Urlaubsmöglichkeit in Abs. 4 hängt indes nicht von baulichen oder sonstigen organisatorischen Beschränkungen ab. Sie ist vielmehr inhaltlich verknüpft mit einem subjektiven Element, nämlich der Erwartung, dass der Gefangene die Lockerung nicht missbrauchen werde. Das wichtigste Anzeichen dafür ist seine grundsätzliche Eignung für den offenen Vollzug. Maßstab hierfür ist § 10. Dem steht nicht entgegen, dass der Gefangene z. B. deshalb im geschlossenen Vollzug bleibt, weil seine Behandlung dort aufgrund des Vorhandenseins eines ihm vertrauten Therapeuten einen besseren Erfolg verspricht. „Besondere Gründe“ können deshalb auch in der Person des Gefangenen liegen (KG NStZ 2002, 528 M = StV 2002, 36. Anm. Heischel; C/MD 2008 Rdn. 29). Nicht erforderlich ist, dass die JVA bereits einen positiven Entschluss zur Verlegung des Gefangenen in den offenen Vollzug gefasst hat (OLG Hamburg NStZ 1981, 276). – Der Entwurf des Bundesrates vom 8.12.1988 zur Änderung des StVollzG (BR-Drucks. 270/88) sah vor, § 13 Abs. 4 zu streichen, da die Vorschrift nur Bedeutung hätte, wenn für die Gewährung von Urlaub im offenen und geschlossenen Vollzug unterschiedliche Regelungen gelten. Bisher hat jedenfalls noch keine Landesjustizverwaltung Vorschriften erlassen, nach denen im offenen Vollzug über die Kontingentierung nach Abs. 1 Satz 1 hinausgehende Regelurlaubstage gewährt werden dürfen. f) Vorbereitung durch Konferenz (VV Nr. 7 Abs. 3 Satz 3). Nach VV Nr. 7 Abs. 3 ist 46 die Entscheidung über die Beurlaubung des zu lebenslanger Freiheitsstrafe Verurteilten in einer Konferenz gem. § 159 vorzubereiten und darüber eine Niederschrift zu fertigen. Hier handelt es sich um eine wichtige vollzugliche Entscheidung. Auch in anderen Fällen – vgl. VV Nr. 4 Abs. 4 – dürfte eine solche Konferenz zweckmäßig sein. g) Zustimmung der Aufsichtsbehörde (VV Nr. 7 Abs. 3 Satz 1). Die Beurlaubung 47 bedarf nach VV Nr. 7 Abs. 3 Satz 3 der Zustimmung der Aufsichtsbehörde. Hierbei handelt es sich um keinen gesetzlichen Vorbehalt, so dass die Vollzugsbehörde eine ablehnende Entscheidung nicht auf das bloße Fehlen der Zustimmung stützen darf. Der Vorbehalt widerspricht jedoch auch nicht dem Gesetz (KG NStZ 2002, 528 M = StV 2002, 36 m. insoweit krit. Anm. Heischel; wie hier Arloth 2011 Rdn. 30; insoweit 275
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gleichermaßen zweifelnd C/MD 2008 Rdn. 28 und AK-Köhne/Lesting 2012 Rdn. 60 mit dem ernstzunehmenden Hinweis auf den Abstand der Aufsichtsbehörde vom Vollzugsgeschehen und die Gefahr einer Blickverengung auf die strafrechtliche Biographie). Richtig verstanden statuiert die VV Nr. 7 Abs. 3 Satz 3 jedoch lediglich eine Verpflichtung des Anstaltsleiters, vor dem endgültigen Abschluss des Meinungsbildungsprozesses der Aufsichtsbehörde zu berichten und ihr Gelegenheit zu geben, im Falle von Bedenken die Angelegenheit zunächst nochmals mit der Anstalt zu erörtern, ggf. jedoch auch von ihrem Weisungsrecht Gebrauch zu machen (wie hier Begemann NStZ 1992, 151; vgl. auch OLG Frankfurt BlStV 2/1982, 3; OLG Hamm NStZ 1992, 149 = ZfStrVo 1991, 374). Die Aufsichtsbehörde kann zwar eine eigenständige Beurteilung der Flucht- und Missbrauchsgefahr gem. § 11 Abs. 2 vornehmen (OLG Hamburg NStZ 1981, 237 mit abl. Anm. Meier NStZ 1981, 406) und ist auch nicht an die Ermessenserwägungen der Vollzugsanstalt gebunden (OLG Hamburg ZfStrVo 1978, 185). Will sie jedoch dem Vorschlag der Anstalt ihre Zustimmung versagen, muss sie sorgfältig darlegen, welche Gründe sie zu ihrer abweichenden Einschätzung veranlasst haben. Mit dem bloßen Hinweis darauf, dass die bestehende Ungewissheit über den voraussichtlichen Entlassungszeitpunkt die Gefahr einer Nichtrückkehr beträchtlich erhöht, erfüllt sie diese Begründungspflicht z. B. nicht (OLG Hamburg aaO). Zu den Anforderungen an die Begründung einer ablehnenden Urlaubsentscheidung bei lebenslanger Freiheitsstrafe nach zwölf Jahren Haft vgl. OLG Hamm NStZ-RR 1997, 63. Auch darf die Bearbeitung nicht unnötig verzögert werden (KG NStZ 2002, 528 M = StV 2002. 36 m. Anm. Heischel; vgl. dazu auch BVerfG NStZ 1985, 283; zur Amtshaftung wegen Säumnis Rdn. 38). In jedem Falle bleibt es bei der für die Entscheidung über Vollzugslockerungen und Urlaub gesetzlich begründeten Zuständigkeit des Anstaltsleiters. Das Votum der Aufsichtsbehörde wie auch eine etwaige Weisung wirken zunächst nur intern. Außenwirkung, d. h. Relevanz gegenüber dem Gefangenen und dem Gericht, erlangen sie erst dadurch, dass der Anstaltsleiter sie (einschließlich der ihr zugrundeliegenden sachlichen Erwägungen) in eine eigene Entscheidung umsetzt (wie hier Begemann aaO). Vgl. auch Rdn. 30 und § 11 Rdn. 25. III. Landesgesetze und Musterentwurf 48
1. Baden-Württemberg. § 9 JVollzGB III regelt „Urlaub“ und „Lockerungen“ gemeinsam – unter der neuen Begrifflichkeit „vollzugsöffnende Maßnahmen“ (vgl. Kommentierung § 11 Rdn. 29).
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2. Bayern. Art. 14 BayStVollzG ist wie folgt aufgebaut: Abs. 1 ist weitgehend inhalts- und wortgleich mit § 13 Abs. 1 StVollzG; neu hinzugefügt wird lediglich die Klarstellung, dass Urlaubsjahr das Vollstreckungsjahr ist. Abs. 2 ist inhalts- und weitgehend wortgleich mit § 13 Abs. 2 StVollzG. Abs. 3 orientiert sich weitgehend an § 13 Abs. 3 und Abs. 4 StVollzG, verlängert allerdings die Mindestverbüßungsdauer und hat folgenden Wortlaut: „Zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilte Gefangene können beurlaubt werden, wenn sie sich einschließlich einer vorhergehenden Untersuchungshaft oder einer anderen Freiheitsentziehung zwölf Jahre im Vollzug befunden haben oder wenn sie in den offenen Vollzug überwiesen oder hierfür geeignet sind“. In der Gesetzesbegründung heißt es hierzu: „In Abs. 3 wird die Mindestverbüßungsdauer […] gegenüber § 13 Abs. 3 StVollzG um zwei Jahre verlängert, da nach den Erfahrungen der Praxis die Gewährung von Urlaub lange vor dem Erreichen des theoretiUllenbruch
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schen vorzeitigen Entlassungszeitpunktes nicht verantwortet werden kann. Der Gedanke der Regelung des § 13 Abs. 4 StVollzG wurde an systematisch richtiger Stelle in Abs. 3 übernommen. Zu lebenslanger Freiheitsstrafe Verurteilte, die sich für den offenen Vollzug eignen, aber aus besonderen Gründen in einer geschlossenen Anstalt untergebracht sind, können beurlaubt werden, auch wenn sie sich noch nicht zwölf Jahre im Vollzug befinden“ (LT-Drucks. 15/8101, 54). Vgl. auch Kommentierung Rdn. 3 und 41. Abs. 4 ist weitgehend inhaltsgleich mit § 15 Abs. 4 StVollzG, hat aber folgenden (sehr unterschiedlichen) Wortlaut: „Gefangenen, die zum Freigang (Art. 13 Abs. 1 Nr. 1) zugelassen oder hierfür geeignet sind, kann innerhalb von neun Monaten vor der Entlassung weiterer Urlaub bis zu sechs Tagen im Monat gewährt werden. Art. 17 Abs. 3 Satz 1 findet keine Anwendung“. Abs. 5 ist inhalts- und wortgleich mit § 13 Abs. 5 StVollzG. Vgl. auch Art. 4 BayStVollzG – Schutz der Allgemeinheit (dazu § 2 Rdn. 21, § 11 Rdn. 30) und Art. 15 BayStVollzG – Besondere Vorschriften für Gewalt- und Sexualstraftäter (dazu § 10 Rdn. 15, § 11 Rdn. 30). 3. Hamburg. Vgl. § 11 Rdn. 31. Siehe auch Kommentierung Rdn. 15.
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4. Hessen. § 13 HStVollzG regelt „Urlaub“ und Lockerungen in einer Vorschrift un- 51 ter den neuen Begrifflichkeiten „Freistellung aus der Haft“ und „vollzugsöffnende Maßnahmen“ (vgl. Kommentierung § 11 Rdn. 1. 5. Niedersachsen. Siehe Kommentierung Rdn. 12 sowie § 11 Rdn. 32 f.
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6. Musterentwurf. Nach der Begrifflichkeit des ME heißt der Urlaub „Langzeit- 53 ausgang“. Er ist in § 38 Abs. 1 Nr. 3 ME-StVollzG geregelt (vgl. Kommentierung § 11 Rdn. 34).
§ 14 Weisungen, Aufhebung von Lockerungen und Urlaub § 14 Ullenbruch Weisungen, Aufhebung von Lockerungen und Urlaub (1) Der Anstaltsleiter kann dem Gefangenen für Lockerungen und Urlaub Weisungen erteilen. (2) Er kann Lockerungen und Urlaub widerrufen, wenn 1. er auf Grund nachträglich eingetretener Umstände berechtigt wäre, die Maßnahmen zu versagen, 2. der Gefangene die Maßnahmen missbraucht oder 3. der Gefangene Weisungen nicht nachkommt. Er kann Lockerungen und Urlaub mit Wirkung für die Zukunft zurücknehmen, wenn die Voraussetzungen für ihre Bewilligung nicht vorgelegen haben. VV 1 (1) Für Lockerungen und Urlaub werden die nach den Umständen des Einzelfalles erforderlichen Weisungen erteilt. 277
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(2) Der Gefangene kann namentlich angewiesen werden, a) Anordnungen zu befolgen, die sich auf Aufenthalt oder bestimmte Verrichtungen außerhalb der Anstalt beziehen, b) sich zu festgesetzten Zeiten bei einer bestimmten Stelle oder Person zu melden, c) mit bestimmten Personen oder mit Personen einer bestimmten Gruppe, die ihm Gelegenheit oder Anreiz zu weiteren Straftaten bieten können, nicht zu verkehren, d) bestimmte Gegenstände, die ihm Gelegenheit oder Anreiz zu weiteren Straftaten bieten können, nicht zu besitzen, bei sich zu führen, zu benutzen oder verwahren zu lassen, e) alkoholische oder andere berauschende Getränke und Stoffe sowie bestimmte Lokale oder Bezirke zu meiden. § 14 Ullenbruch Weisungen, Aufhebung von Lockerungen und Urlaub 2 (1) Für das Vorliegen der in § 14 Abs. 2 StVollzG genannten Voraussetzungen müssen zureichende tatsächliche Anhaltspunkte gegeben sein. (2) Widerruf und Rücknahme werden wirksam, wenn die Entscheidung dem Gefangenen mündlich, fernmündlich oder schriftlich bekannt gemacht oder unter der Urlaubsanschrift zugegangen ist. Dem Gefangenen ist Gelegenheit zur Äußerung zu geben. Ist dies vor der Entscheidung über den Widerruf oder die Rücknahme nicht möglich oder untunlich, so ist die Anhörung nach Wegfall des Hindernisses unverzüglich nachzuholen. (3) Die Gründe für den Widerruf und die Rücknahme sind aktenkundig zu machen und dem Gefangenen auf Verlangen bekannt zu geben. (4) Fahndungsmaßnahmen können bereits vor der Wirksamkeit des Widerrufs oder der Rücknahme eingeleitet und durchgeführt werden. Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe Schrifttum S. bei § 11.
I. II.
Übersicht Allgemeine Hinweise ____ 1 Erläuterungen ____ 2–25 1. Weisungen (Abs. 1) ____ 2–8 a) Inhalt ____ 3 b) Beispiele ____ 4–6 aa) VV ____ 4 bb) Sonstige ____ 5 cc) Freigang ____ 6 c) Form ____ 7 d) Weisungsverstoß ____ 8 2. Widerruf und Rücknahme (Abs. 2) ____ 9–25 a) Begünstigende (Justiz-)Verwaltungsakte ____ 10 b) Vertrauensschutz ____ 11 c) Widerruf (Satz 1) ____ 12–16 aa) „Neue“ Umstände (Nr. 1) ____ 13 bb) Missbrauch der Maßnahme (Nr. 2) ____ 14 cc) Weisungsverstoß (Nr. 3) ____ 15 dd) Wirkung für die Zukunft ____ 16
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III. IV.
d) Rücknahme (Satz 2) ____ 17–20 aa) Rechtswidriger (Justiz-) Verwaltungsakt ____ 18 bb) „Neue“ Umstände ____ 19 cc) Wirkung für die Zukunft ____ 20 e) Wirksamwerden ____ 21 f) „Analoge“ Anwendung ____ 22–25 aa) Rechtsgrundlagen ____ 23 bb) Wichtige Fallgruppen ____ 24 cc) Gesetzliche Klarstellung ____ 25 Beispiel ____ 26 Landesgesetze und Musterentwurf ____ 27–32 1. Baden-Württemberg ____ 27 2. Bayern ____ 28 3. Hamburg ____ 29 4. Hessen ____ 30 5. Niedersachsen ____ 31 6. Musterentwurf ____ 32
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I. Allgemeine Hinweise Vollzugslockerungen und Urlaub sind keine „Vergünstigungen“, sondern Behand- 1 lungsmaßnahmen. Um im Einzelfall zur Erreichung des Vollzugszieles (§ 2 Rdn. 12 ff) beitragen zu können, müssen sie mitunter genau strukturiert werden. Dieser Notwendigkeit wird durch die Möglichkeit, Weisungen zu erteilen, Rechnung getragen. Außerdem sind in Grenzfällen der Flucht- und Missbrauchsprognose (§ 11 Abs. 2) zu Gunsten des Gefangenen denkbare Weisungen zu berücksichtigen, sofern hierdurch typische Gefahrenquellen reduziert werden können (K/S-Schöch 2002 § 7 Rdn. 81). Der Widerruf und die Rücknahme von Lockerungen und Urlaub sollen den Beginn oder die Fortführung von Behandlungsmaßnahmen, die inzwischen als ungeeignet oder gefährlich erscheinen, verhindern. II. Erläuterungen 1. Weisungen (Abs. 1). Gem. § 14 Abs. 1 kann der Anstaltsleiter dem Gefangenen für 2 Lockerungen und Urlaub Weisungen erteilen. Die Ermächtigung zeigt, dass der Gefangene während der Maßnahmen zwar in gewissen Grenzen seine Freiheit wiedererlangt, im übrigen jedoch weiterhin besonderen, in der Freiheitsstrafe begründeten Einschränkungen unterliegt (BT-Drucks. 7/918, 53; vgl. auch OLG Frankfurt ZfStrVo 1978, 18). Unter Weisungen sind Verhaltensanordnungen zu verstehen (C/MD 2008 Rdn. 1). Zu den Konsequenzen eines Verstoßes s. Rdn. 8, 15. Die Verbindung der Anordnung eines Urlaubes oder einer Lockerung mit einer Auflage, d. h. einer selbständig erzwingbaren hoheitlichen Anordnung, ist nicht zulässig. a) Inhalt. Den zulässigen Inhalt von Weisungen hat der Gesetzgeber (im Unter- 3 schied etwa zu § 56 c StGB) nicht im einzelnen bestimmt. Auch die VV (Nr. 1 Abs. 2) bringen lediglich Beispiele dafür, welche Weisungen erteilt werden können. Sie orientieren sich weitgehend an den in § 56 c Abs. 2 Nr. 1 bis 4 StGB genannten Weisungen, sind jedoch nicht abschließend. Ob überhaupt eine – und wenn ja, welche – Weisung erteilt wird, steht im Ermessen des Anstaltsleiters. Der Gefangene hat lediglich einen Anspruch auf pflichtgemäße Ausübung dieses Ermessens. Dabei ist zunächst zu berücksichtigen, dass ausschließlicher Sinn und Zweck der Erteilung von Weisungen die weitmöglichste Erreichung des Vollzugszieles unter Vermeidung damit verbundener Konflikte und Risiken für die Allgemeinheit ist. Eine Weisung, die nicht entsprechend sinnvoll ist, ist nicht zulässig. Die Erteilung einer Weisung kommt des weiteren nur in Betracht, wenn sie erforderlich ist (VV Nr. 1 Abs. 1). Insoweit ist vor allem zu bedenken, dass Weisungen im Widerspruch zum Ziel der Selbständigkeit und Eigenverantwortung stehen (AK-Köhne/ Lesting 2012 Rdn. 2). Dieser Gesichtspunkt, der für einen restriktiven Gebrauch von Weisungen spricht, erfordert vor allem eine Berücksichtigung des aktuellen Entwicklungsstandes. Die Weisung muss überdies einzelfall- (VV Nr. 1 Abs. 1) und realitätsbezogen sein. b) Beispiele aa) VV. Häufig werden Gefangenen bei Lockerungen und Urlaub Weisungen erteilt, 4 die sich auf den Aufenthalt oder bestimmte Verrichtungen außerhalb der Anstalt beziehen (VV Nr. 1 Abs. 2 Buchst. a), z. B. Besuch von Angehörigen oder Bekannten an einem bestimmten Ort oder Besuchsausgang am Ort der Anstalt. Möglich ist auch, den Gefangenen anzuweisen, sich an einem bestimmten Ort nicht aufzuhalten (z. B. am Tatort des 279
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von ihm begangenen Mordes aus Rücksicht auf das Empfinden der dort wohnenden Bevölkerung). – Zur Verhinderung der Gefahr, dass sich der Gefangene während eines Urlaubes durch Flucht der weiteren Vollstreckung entzieht, kann ihm aufgegeben werden, sich bei einer bestimmten Stelle, z. B. der Polizei, zu melden (VV Nr. 1 Abs. 2 Buchst. b). – Die Weisung, während Lockerungen oder Urlaub mit bestimmten Personen nicht in Kontakt zu treten (VV Nr. 1 Abs. 2 Buchst. c) ist unter dem Gesichtspunkt der Realitätsbezogenheit (Rdn. 3) in aller Regel fragwürdig. Sie ist lediglich im Einzelfall denkbar, wenn die betreffenden Personen von Beginn an in die Planung der Maßnahme mit einbezogen werden können, wie z. B. eine geschiedene Ehefrau, die zu Recht einen Kontakt mit dem Gefangenen fürchtet (AK-Köhne/Lesting 2012 Rdn. 5), oder auch Opfer von Straftaten (z. B. eigene Kinder des Gefangenen, die von ihm sexuell missbraucht wurden). – Die Weisung, bestimmte Gegenstände (z. B. „Einbruchswerkzeuge“; Arloth 2011 Rdn. 2) nicht bei sich zu führen (VV Nr. 1 Abs. 2 Buchst. d), spielt in der Praxis so gut wie keine Rolle, so dass auf die gesonderte Aufzählung dieser Möglichkeit im Rahmen einer Überarbeitung der VV ohne weiteres verzichtet werden könnte. – Der Prozentsatz suchtmittelgefährdeter Gefangener ist hoch. Die Möglichkeit der Weisung, alkoholische oder andere berauschende Getränke und Stoffe zu meiden (VV Nr. 1 Abs. 2 Buchst. e), trägt dem Rechnung. Die Vollzugspraxis macht hiervon jedoch häufig zu undifferenziert Gebrauch, indem z. B. in jeden Urlaubsschein als sog. „übliche“ Weisung (örtlich bereits per Stempel) ein Alkoholverbot (selten jedoch ergänzend bezogen auch auf BtM) für den gesamten Zeitraum der Maßnahme aufgenommen wird. Bei Gefangenen, die keinerlei Suchtproblematik aufweisen, verstößt eine derartige Weisung gegen sämtliche Vorgaben (Rdn. 3); bei Gefangenen mit entsprechender Problematik ist sie nach Einzelfallprüfung zwar denkbar, stets jedoch sorgfältig dahingehend zu hinterfragen, ob nicht ein ausdrücklicher und aktenkundiger Hinweis auf die Möglichkeit eines Widerrufes wegen Missbrauchs der Maßnahme (Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, dazu Rdn. 14) eine vergleichbare Warnfunktion erfüllt, unter dem Gesichtspunkt der Realitätsbezogenheit (Kontrollierbarkeit bzw. Kontrollbereitschaft) aber vorzugswürdig ist. In der Regel bereits aus Gründen der Sicherheit der Anstalt sinnvoll und auch ausreichend kontrollierbar ist hingegen die Weisung, von Ausgang, Urlaub oder Freigang nüchtern in die Anstalt zurückzukehren. 5
bb) Sonstige. Im Falle eines Ausgangs kann dem Gefangenen die Weisung erteilt werden, sich von einer bestimmten Person (Angehöriger, Bekannter, ehrenamtlicher Betreuer) begleiten zu lassen. – Als Weisung kann auch ein Verbot in Betracht kommen, während Lockerungen oder Urlaub ein Kraftfahrzeug zu führen. Unzulässig ist jedoch eine generelle Untersagung unter Hinweis auf die Vermutung einer angeblich gefangenenspezifisch erhöhten Gefährdung des Straßenverkehrs, die lediglich in begründeten Ausnahmefällen widerlegbar sein soll (so aber OLG Stuttgart NStZ 1983, 573 = ZfStrVo 1983, 303; zumindest für den Bereich des offenen Vollzuges wie hier OLG Frankfurt NStZ 1991, 407). Eine fehlerfreie Ermessensentscheidung setzt vielmehr stets eine Einzelfallprüfung voraus (VV Nr. 1 Abs. 1), in die alle für den betroffenen Gefangenen maßgeblichen Aspekte einzubeziehen sind (C/MD 2008 Rdn. 1; AK-Lesting 2006 Rdn. 3). Der Anstaltsleiter ist hierdurch nicht überfordert (a. A. OLG Stuttgart aaO). Für ihn spricht vielmehr seinerseits die Vermutung, dass er in der Lage ist, die aus dem gesetzlichen Behandlungsauftrag folgende Verpflichtung auch zu erfüllen. – Die Weisung, während eines Urlaubes keine Straftaten zu begehen, erscheint unter keinen denkbaren Umständen zulässig (a. A. OLG Nürnberg ZfStrVo 1984, 377 m. abl. Anm. Skirl). Zum einen würde eine entsprechende ernsthafte Befürchtung bereits im Rahmen der Vorfrage der Missbrauchsgefahr (§ 11 Abs. 2) zu einer Verneinung der Urlaubs- oder Lockerungseignung führen, zum anderen wäre eine derartige Weisung aufgrund mangelnder KontrollierbarUllenbruch
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keit nicht ausreichend realitätsbezogen (Rdn. 3). Ob sie auch aufgrund der nicht bestehenden Verpflichtung des Gefangenen, an der Realisierung des Vollzugszieles mitzuwirken (allg. dazu § 4 Rdn. 1 ff), ausgeschlossen ist (so C/MD 2008 Rdn. 1; AK-Köhne/ Lesting 2012 Rdn. 5), kann deshalb dahinstehen. Die Überlegung, eine derartige Weisung sei deshalb nicht überflüssig, weil (nur) so bei einem Verstoß Disziplinarmaßnahmen ermöglicht würden (Arloth 2011 Rdn. 2) geht gleichfalls fehl. Die Begehung einer neuen Straftat führt in aller Regel zu einer weiteren Strafe nach dem StGB und zu einem Widerruf von Lockerungen und ggf. Urlaub nach dem StVollzG, so dass nicht ersichtlich ist, worin dann noch ein „disziplinarischer Überhang“ zu sehen sein sollte. cc) Freigang. Eine gewichtige Rolle spielen Weisungen beim Freigang. Das beson- 6 dere Verhältnis zwischen Anstalt und Gefangenem – beruhend auf der Erlaubnis zu einem sich auf einen längeren Zeitraum erstreckenden Aufenthalt außerhalb der Anstalt mit Verpflichtung zu täglicher Rückkehr – wirft eine Fülle von Einzelfragen auf, die geregelt werden müssen (Zeiten zum Verlassen und Rückkehr in die Anstalt, Verkehrsmittel zum Erreichen des Arbeitsplatzes, Aufenthalt außerhalb der Arbeitsstelle, Verpflegung, Einbringung von Sachen in die Anstalt, Verwendung von Taschengeld oder Arbeitslohn, Verbot der Inempfangnahme von Geldern vom Arbeitgeber ohne vorherige Zustimmung durch die Vollzugsbehörde). Für den Freigang s. überdies § 11 Rdn. 9–11; § 39 Rdn. 10, für das freie Beschäftigungsverhältnis § 39 Rdn. 11 ff. c) Form. Die Form der Erteilung der Weisungen ist grundsätzlich nicht vorgeschrie- 7 ben. Lediglich in VV Nr. 8 Abs. 1 Satz 2 zu § 13 ist bestimmt, dass die erforderlichen Weisungen in den Urlaubsschein aufzunehmen sind. Wegen möglicher Folgen bei Nichtbeachtung der Weisungen (hierzu Rdn. 8, 15) ist Schriftform jedoch auch bei allen Lockerungen zweckmäßig (ebenso AK-Köhne/Lesting 2012 Rdn. 6). d) Weisungsverstoß. Bei einem Weisungsverstoß kann der Anstaltsleiter Locke- 8 rungen und Urlaub widerrufen (Abs. 2 Nr. 3, im einzelnen Rdn. 15). Es kommt jedoch auch die Anordnung einer Disziplinarmaßnahme in Betracht, weil auch durch Weisungen Pflichten auferlegt werden können, wie z. B. die, pünktlich in die Anstalt zurückzukehren (s. auch § 102 Rdn. 6; wie hier Arloth 2011 Rdn. 3;). 2. Widerruf und Rücknahme (Abs. 2). Gemäß § 14 Abs. 2 kann der Anstaltsleiter 9 Lockerungen und Urlaub unter bestimmten Voraussetzungen widerrufen oder zurücknehmen. Die Regelung ist abschließend. Korrekturen aus anderen Gründen (z. B. rechtspolitischer Strategiewandel in Hessen) sind nicht zulässig (OLG Frankfurt NStZ-RR 2000, 252; Arloth 2011 Rdn. 5; K/S-Schöch 2002 § 7 Rdn. 81). Unter Lockerungen sind ausschließlich solche mit Außenwirkung i. S. d. § 11 Abs. 1 (vgl. § 11 Rdn. 6 ff) zu verstehen. Eine unmittelbare Anwendung von § 14 Abs. 2 kommt deshalb nur in diesen Fällen sowie aufgrund gesetzesinterner Verweisungsvorschriften (§§ 15 Abs. 3 Satz 2 und Abs. 4 Satz 2, 35 Abs. 1 Satz 2, 36 Abs. 1 Satz 2, 39 Abs. 1 Satz 2) in Betracht, nicht jedoch z. B. bei einer Rückverlegung aus dem offenen Vollzug (so aber OLG Hamm ZfStrVo 1984, 248) oder der Aufhebung der Gestattung einer Selbstbeschäftigung (so aber OLG Bremen ZfStrVo SH 1979, 57). Zur analogen (Nicht-)Anwendbarkeit von § 14 Abs. 2 s. Rdn. 23 ff. a) Begünstigende (Justiz-)Verwaltungsakte. Bei Gewährung von Lockerungen 10 und Urlaub handelt es sich um begünstigende (Justiz-)Verwaltungsakte (vgl. § 35 VwVfG). Die Regelungen des Abs. 2, der hinsichtlich der Voraussetzungen einer Aufhebung danach unterscheidet, ob die Anordnung rechtmäßig (Widerruf) oder rechtswidrig 281
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(Rücknahme) war, decken sich insoweit mit allgemeinen verwaltungsrechtlichen Grundätzen, die sich weitgehend ähnlich auch in den §§ 48, 49 VwVfG niedergeschlagen haben (OLG Celle NStZ 1984, 430). In Zweifelsfällen und bei Auslegungsfragen sind die erwähnten Grundsätze auch ansonsten ergänzend heranzuziehen, sofern im StVollzG keine abweichenden Regelungen getroffen worden sind (OLG Hamm NStZ 1986, 143 = ZfStrVo 1986, 117; OLG Celle BlStV 4/5/1990, 6 und NStZ 1984, 430; Arloth 2011 Rdn. 5). Für Lockerungen und Urlaub gemäß §§ 11, 13 bedeutet dies u. a., dass anordnende (Justiz-) Verwaltungsakte ohne entgegenstehende Anhaltspunkte sog. „Dauerwirkung“ entfalten. Abgesehen vom Freigang bedürfen sie zwar jeweils einer Einzelanordnung, beruhen – bei sonst unverändertem Antragsinhalt hinsichtlich Dauer, sozialem Umfeld usw. der Lockerungsmaßnahme – in der Regel jedoch auf einer einzigen Grundsatzentscheidung, nämlich der Zuerkennung der (Regel-)Ausgangs- oder Urlaubseignung (so wohl auch C/MD 2008 Rdn. 2; a. A. indes Arloth 2011 Rdn. 4: „die erneute Gewährung ist an §§ 11, 13 zu messen, nicht an § 14 Abs. 2“ a. A. wohl auch LG Hamburg StraFo 2004, 253). Aufgrund des inzidenten Entzuges dieser Rechtsposition stellt die Nichtgewährung einer Folgemaßnahme keine bloße Ablehnung einer zukunftsorientierten Einzelmaßnahme dar, sondern gleichzeitig die Aufhebung des zugrundeliegenden begünstigenden Verwaltungsaktes (wie hier Skirl in Anm. zu OLG Hamm NStZ 1995, 359). 11
b) Vertrauensschutz. VV Nr. 2 Abs. 1 bestimmt, dass zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen der in § 14 Abs. 2 genannten Voraussetzungen gegeben sein müssen. Die Tatsachen, auf die die Aufhebung gestützt wird, müssen hinreichend substantiiert und belegbar sein (OLG Frankfurt ZfStrVo 1984, 168). Zur Durchsuchungsbefugnis des Anstaltsleiters bezüglich eines vor den Toren der Anstalt geparkten Pkws eines Freigängers zur umfassenden Ermittlung des Sachverhaltes vor einer Entscheidung über einen Widerruf der angeordneten Lockerungen gemäß Abs. 2 Nr. 2 vgl. OLG Hamm NStZ 1996, 359. Die Entscheidung steht im pflichtgemäßen Ermessen des Anstaltsleiters. Auch wenn sämtliche Voraussetzungen vorliegen, ist eine Aufhebung keinesfalls zwingend („kann“). Umgekehrt kommen Widerruf und Rücknahme nur in Betracht, wenn eine sorgfältige (und auch entsprechend dokumentierte) Abwägung ergibt, dass gewichtige Belange des Allgemeinwohls dem privaten Interesse des Gefangenen am Fortbestand der Maßnahme vorgehen. Im Hintergrund stehen dabei zwei sich widerstreitende Grundsätze: zum einen das Gebot der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, zum anderen das aus dem Rechtsstaatsprinzip folgende Gebot des Vertrauensschutzes. Im Falle einer von Anfang an rechtswidrigen Anordnung ist die Gesetzmäßigkeit verstärkt tangiert, so dass eine Rücknahme im Vergleich zum Widerruf unter erleichterten Voraussetzungen möglich ist. Bei nicht hinreichender Beachtung des Vertrauensschutzes wird jedoch in jedem Falle das Grundrecht des Bürgers aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG verletzt. Das BVerfG hat 1993 erstmals klargestellt, dass auch einem Strafgefangenen der Vertrauensschutz nicht grundsätzlich verschlossen ist (NStZ 1993, 300 = StV 1993, 319) und diese Aussage zwischenzeitlich wiederholt durch den Hinweis bekräftigt, dass im Hinblick auf das Vollzugsziel zu dessen Gunsten zusätzlich zu berücksichtigen sei, dass er gerade angesichts der Vielzahl vollzugsbedingter Beschränkungen auf den Fortbestand einer ihm von der Anstalt einmal eingeräumten Rechtsposition in besonderem Maße vertraut, solange auch er mit dem ihm dadurch entgegengebrachten Vertrauen verantwortungsvoll umgegangen ist und in seiner Person keine Ausschlussgründe verwirklicht hat (BVerfG NStZ 1994, 100 = StV 1994, 147 und ZfStrVo 1995, 50 = StV 1994, 432). Dies bedeutet jedoch nicht, dass jegliche einmal erworbene Rechtsposition ungeachtet der wirklichen Rechtslage Bestand haben muss; es nötigt aber zu der an den Kriterien der VerUllenbruch
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hältnismäßigkeit und der Zumutbarkeit ausgerichteten, auf den konkreten Einzelfall bezogenen Abwägung der Interessen der Allgemeinheit gegen das Interesse des Strafgefangenen am Fortbestand der ihn begünstigenden Rechtslage im Rahmen der zu treffenden Ermessensentscheidung (zum Ganzen vgl. auch die Übersicht bei Kruis/Cassardt NStZ 1995, 521, 522 ff sowie Rotthaus ZfStrVo 1996, 3, 5 ff). c) Widerruf (Satz 1). § 14 Abs. 2 Satz 1 bezieht sich ausschließlich auf rechtmäßige 12 begünstigende (Justiz-)Verwaltungsakte (dazu Rdn. 10). Insoweit gilt der Grundsatz der Unwiderrufbarkeit, der nur bei Vorliegen bestimmter Ausnahmen durchbrochen werden darf. Abs. 2 Satz 1 stellt (wie §§ 70 Abs. 3 StVollzG und 49 VwVfG) eine solche Ausnahme dar. Die Widerrufsgründe der Nr. 1 bis 3 sind bewusst weit gefasst. Das Bewusstsein, eine Anordnung erforderlichenfalls auch wieder korrigieren zu können, soll den Anstaltsleiter ermutigen, den durch die vergleichsweise geringen Mindestanforderungen für die Gewährung von Lockerungen und Urlaub eingeräumten Handlungsspielraum im Hinblick auf das Vollzugsziel auch zu nutzen (SA S. 11; s. auch C/MD 2008 Rdn. 2). Andererseits genießt der Gefangene einen hohen Vertrauensschutz (Rdn. 11). Wird der Widerruf auf Antrag des Gefangenen im Hauptsacheverfahren für rechtswidrig erklärt, steht ihm unter Umständen auch ein Amtshaftungsanspruch (§ 839 BGB), der auf Schmerzensgeld (§ 847 BGB) gerichtet ist, zu (vgl. HansOLG Hamburg NVwZ-RR 2004, 634). Nr. 1 bis 3 regeln abschließend, unter welchen Voraussetzungen der Anstaltsleiter Lockerungen und Urlaub widerrufen kann (C/MD 2008 Rdn. 2; AK-Köhne/Lesting 2012 Rdn. 12). OLG Hamm NStZ 1989, 390 verwechselt Widerruf und Rücknahme, wenn es meint, für den Fall offensichtlicher Fehlentscheidungen zum Schutze berechtigter Belange der Allgemeinheit einen weiteren Widerrufsgrund zulassen zu müssen (s. dazu auch Rdn. 13, 19). aa) „Neue“ Umstände (Nr. 1). Gem. Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 kann der Anstaltsleiter Lo- 13 ckerungen und Urlaub widerrufen, wenn er aufgrund nachträglich eingetretener Umstände berechtigt wäre, die Maßnahmen zu versagen. Hierbei handelt es sich um die umfassendste Widerrufsmöglichkeit (C/MD 2008 Rdn. 3; AK-Lesting 2006 Rdn. 15). Ermessensfehlerfrei ist z. B. der Widerruf einer Ausführung eines Sicherungsverwahrten in eine Zahnklinik (§ 35 Abs. 3 Satz 1) nach Wegfall des medizinischen Grundes aufgrund neuer ärztlicher Befunde, da eine gleichwohl durchgeführte Lockerung dem öffentlichen Interesse (Rdn. 11) erheblich widerspräche (OLG Karlsruhe MDR 1993, 1114 = ZfStrVo 1994, 177 entgegen LG Freiburg als Vorinstanz; s. auch § 35 Rdn. 3, 7). Zum Widerruf sämtlicher Lockerungen bei einem Gefangenen aus rechtsextremistischem Umfeld, in dessen Haftraum eine Anstecknadel mit Hakenkreuz gefunden wurde, vgl. OLG Thüringen ZfStrVo 1996, 311 = BlStV 2/1996, 2; zur „Streichung“ von Außenlockerungen nach opiatpositiver Urinkontrolle vgl. OLG Saarbrücken NStZ-RR 2001, 283. Zur ausnahmsweisen Verwertbarkeit im Rahmen der Durchsuchung einer außerhalb der JVA privat vorgehaltenen Wohnung gewonnener Erkenntnisse LG Koblenz NStZ 2004, 231 (vgl. auch § 84 Rdn. 3). Die Begehung einer erneuten strafbaren Handlung während einer Lockerung oder eines Urlaubs stellt einen Missbrauch der Maßnahme dar. Räumt der Gefangene die Straftat ein, kann der Anstaltsleiter die Maßnahmen entsprechend Nr. 2 widerrufen (Einzelheiten s. Rdn. 14). Bestreitet der Gefangene einen entsprechenden Vorwurf, kommt lediglich ein Widerruf entsprechend Nr. 1 in Betracht. Die im Rechtsstaatsprinzip wurzelnde Unschuldsvermutung steht der Berücksichtigung noch nicht rechtskräftig abgeurteilter strafbarer Handlungen bei lockerungs- und urlaubsbezogenen Anordnungen nicht grundsätzlich entgegen (vgl. dazu auch BVerfG GA 1982, 37 mit „vorgezogener“ 283
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Anm. Jekewitz GA 1981, 433). Der bloße Verdacht einer erneuten strafbaren Handlung vermag im Hinblick auf die gegeneinander abzuwägenden Belange (Rdn. 11) jedoch einen endgültigen Widerruf auch dann nicht zu begründen, wenn er auf konkreten Anhaltspunkten beruht (a. A. KG LS NStZ 1989, 358 = ZfStrVo 1989, 116; zu weitgehend auch Arloth 2011 Rdn. 8; zur insoweit vergleichbaren Rückverlegung in den geschlossenen Vollzug s. auch Rdn. 24 unter „offener Vollzug“). In Betracht kommt lediglich eine vorläufige Aufhebung der Lockerung oder des Urlaubes bis zur Entscheidung der Staatsanwaltschaft über die Frage der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens. Verneint die Staatsanwaltschaft zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für eine verfolgbare Straftat (§ 152 Abs. 2 StPO), ist der Gefangene unverzüglich in den alten Stand zu versetzen. Wird ein Verfahren eingeleitet, entscheidet der Anstaltsleiter endgültig über die Frage eines Widerrufes – ggf. auf der Grundlage einer hierzu angeforderten dienstlichen Äußerung des ermittelnden Staatsanwaltes zu Gegenstand des Verfahrens (Sachverhalt im Groben, Tatzeit, Tatort, Schaden), Verfahrensstand (Dauer der Ermittlungen, Zeitpunkt des voraussichtlichen Abschlusses, Wahrscheinlichkeit der Anklageerhebung), Kenntnis des Gefangenen von den gegen ihn laufenden Ermittlungen (LG Trier StV 2006, 537; zu einem erweiterten Fragenkatalog vgl. OLG Stuttgart NStZ 1986, 45; beide Entscheidungen zur insoweit vergleichbaren Rückverlegung in den geschlossenen Vollzug). Zum Erfordernis vollständiger Ermittlung des Sachverhalts bei einem anhängigen Ermittlungsverfahren vor Widerruf von Vollzugslockerungen vgl. OLG Nürnberg NStZ 1998, 215. Der Umstand muss insofern „neu“ sein, als er erst nach der Anordnung der Maßnahme eingetreten ist. Darauf, ob er bereits vor oder erst nach Beginn der Lockerung oder des Urlaubes gegeben war, kommt es hingegen nicht an (BT-Drucks. 7/3998, 11). Die notfalls gegebene Korrekturmöglichkeit sollte den Anstaltsleiter in der Regel zu einer möglichst langfristigen Planung ermutigen (s. dazu auch C/MD 2008 Rdn. 3). Keinen Umstand i. S. d. Nr. 1 stellt eine zwischenzeitlich geänderte Beurteilung der Zweckmäßigkeit einer rechtmäßig erteilten Maßnahme dar (im Ergebnis wie hier AK-Köhne/Lesting 2012 Rdn. 15). Auch eine lediglich zwischenzeitlich andere rechtliche Bewertung eines bereits früher bekannten Sachverhaltes bildet keinen nachträglich eingetretenen Umstand i. S. d. Vorschrift (ähnlich Arloth 2011 Rdn. 8). Deshalb kommt z. B. der Widerruf einer Außenarbeitsgenehmigung aufgrund einer mehr als eineinhalb Jahre zurückliegenden Nichtrückkehr aus einer Haftunterbrechung nicht in Betracht (im Ergebnis wie hier OLG Hamm NStZ 1989, 390, das allerdings Widerruf und Rücknahme verwechselt und deshalb unzutreffenderweise für den Fall einer offensichtlichen Fehlentscheidung ausnahmsweise einen Widerruf für möglich hält; vgl. zum Ganzen auch die Argumentation des OLG Karlsruhe ZfStrVo 1990, 376 zur Weitergeltung der Erlaubnis zur Benutzung eines Radiorecorders mit Quarzuhr nach Verlegung in eine andere Anstalt trotz nunmehr für relevant gehaltener früherer Verurteilungen wegen Verletzung bestimmter Straftatbestände). Zu prüfen bleibt allerdings, ob die Maßnahme nicht von Anfang an rechtswidrig war und deshalb eine Rücknahme nach Abs. 2 Satz 2 in Betracht kommt. Gleiches gilt für einen Umstand, der zum Zeitpunkt der Anordnung bereits gegeben, dem Anstaltsleiter jedoch nicht bekannt war. Ein derartiger Umstand kann zwar nachträglich noch bekannt werden. Dieses Bekanntwerden kann jedoch nicht seinerseits einen nachträglich eingetretenen Umstand i. S. d. Nr. 1 darstellen. Deshalb kommt z. B. aufgrund eines bereits zum Anordnungszeitpunkt anhängigen Ermittlungsverfahrens kein Widerruf, sondern allenfalls eine Rücknahme in Betracht (vgl. auch OLG Stuttgart NStZ 1986, 45, das allerdings unklar lässt, welche Aufhebungsvariante überhaupt geprüft wird), sofern deren Voraussetzungen erfüllt sind (dazu Rdn. 17 ff). Die nachträglich eingetretenen Umstände müssen jedoch stets so bedeutsam sein, dass sie der ursprünglichen, dem Gefangenen günstigen Entscheidung die Grundlage Ullenbruch
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entziehen. Deshalb vermag z. B. die ethische Missbilligung und Verärgerung eines Anstaltsleiters darüber, dass ein Gefangener einen Antrag auf Fahr- und Zehrgeld nach Zulassung zu gemeinnütziger Tätigkeit außerhalb der Anstalt stellt, den Widerruf der Lockerungsmaßnahme nicht zu begründen. Gleiches gilt für den Umstand wiederholten verspäteten Verlassens der Anstalt aufgrund dort vom Gefangenen für vordringlich erachteter Tätigkeiten, zumal wenn dieser trotz Kenntnis der Anstalt zuvor nicht einmal ermahnt worden war (KG StV 2007, 313). Die nachträglich eingetretenen Umstände müssen nicht in der Person des Gefangenen liegen. Sie können auch außerhalb seiner Einflussmöglichkeit stehen (C/MD 2008 Rdn. 3). Das BVerfG hat in anderem Zusammenhang (Einziehung einer Tagesdecke im Rahmen allgemein verschärfter Sicherheitsmaßnahmen in der Folge einer Geiselnahme) ausdrücklich festgestellt, dass der Entzug einer einmal erworbenen Rechtsposition keineswegs allein durch ihren Missbrauch, sondern auch wegen außerhalb der Person des Rechtsträgers liegender Umstände gerechtfertigt sein kann (BVerfG ZfStrVo 1995, 50 = StV 1994, 432, vgl. auch Rdn. 11). Unbedingt erforderlich ist jedoch eine einzelfallbezogene Abwägung aller berührten Interessen (ebenso Skirl in Anm. zu OLG Hamm NStZ 1995, 359). Zur Berücksichtigung außerhalb der Person des betroffenen Gefangenen liegender Umstände vgl. auch KG ZfStrVo 1985, 251 (Einschränkung zusätzlicher Besuchsmöglichkeiten) und OLG Hamm NStZ 1987, 248 = ZfStrVo 1987, 375 (Beschränkung des Bezugs von Zeitungen) sowie Beispiel (Einzelheiten dazu Rdn. 24, 26). bb) Missbrauch der Maßnahme (Nr. 2). Gem. Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 kann der Anstalts- 14 leiter Lockerungen und Urlaub widerrufen, wenn der Gefangene die Maßnahmen missbraucht. Nr. 2 stellt einen Spezialfall von Nr. 1 dar (C/MD 2008 Rdn. 4). Voraussetzung ist, dass der Gefangene die Maßnahme missbraucht, d. h. der Missbrauch muss während der Lockerung oder des Urlaubs geschehen. Ein Anlass, der außerhalb der Maßnahme (z. B. des Ausgangs) liegt, berechtigt nicht zum Widerruf nach Nr. 2, möglicherweise jedoch nach Nr. 1 (unscharf insoweit C/MD 2008 Rdn. 4). Im Gegensatz zu § 11 Abs. 2 ist der Missbrauchsbegriff in Nr. 2 nicht auf Begehung neuer Straftaten oder Flucht beschränkt. Der Gesetzgeber hat die Vorschrift bewusst extensiv gefasst (C/MD 2008 Rdn. 4). Hiergegen vereinzelt vorgebrachte Bedenken rechtsdogmatischer Art (insbesondere AK-Köhne/Lesting 2012 Rdn. 16) überzeugen nicht. Die Korrekturmöglichkeit ist zur Ermutigung des Anstaltsleiters, gegebene Handlungsspielräume auch zu nutzen, sinnvoll (Rdn. 12). Als Widerrufsgrund nach Nr. 2 kommt z. B. die Beteiligung an einer Schlägerei in Betracht. Im Falle übermäßigen Alkoholgenusses ist zunächst zu prüfen, ob der Gefangene insoweit nicht gegen eine Weisung verstoßen hat (zu deren in der Praxis häufig zu undifferenzierten Erteilung s. Rdn. 4). Ist dies der Fall, kommt nur ein Widerruf entsprechend Nr. 3 in Betracht. Hat der Anstaltsleiter keine entsprechende Weisung erteilt, sind die Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen. Zu undifferenziert ist deshalb die Empfehlung von AK-Köhne/Lesting 2012 Rdn. 16, generell präventiv mit Weisungen, statt repressiv mit einem Widerruf zu reagieren, wenn ein Gefangener öfters betrunken in die Anstalt zurückkehrt. Entgegen C/MD 2008 Rdn. 4 kann z. B. bei einem Sexualstraftäter die Anordnung von Lockerungen oder Urlaub auch bereits dann widerrufen werden müssen, wenn dieser lediglich einmal betrunken in die Anstalt zurückkehrt (wie hier auch Arloth 2011 Rdn. 9). Andererseits ist im Rahmen der Ermessensentscheidung zu Gunsten des Gefangenen zu berücksichtigen, wenn er trotz Alkoholisierung rechtzeitig in die Anstalt zurückgekehrt ist und es zu keinen weiteren Auffälligkeiten wie z. B. Schlägereien gekommen ist. – Die Begehung einer erneuten strafbaren Handlung stellt unzweifelhaft einen Missbrauch der Maßnahme i. S. d. Nr. 2 dar. Dies gilt auch, wenn der Gefangene die Lockerung oder den Urlaub dazu nutzt, eine 285
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erst für die Zeit nach der Entlassung vorgesehene Straftat vorzubereiten (C/MD 2008 Rdn. 4). Der bloße Verdacht der Begehung einer erneuten strafbaren Handlung kann auch dann einem festgestellten Missbrauch nicht gleichgesetzt werden, wenn er auf konkreten Anhaltspunkten beruht. Möglicherweise handelt es sich jedoch um einen nachträglich eingetretenen Umstand i. S. d. Nr. 1 (vgl. Rdn. 13). 15
cc) Weisungsverstoß (Nr. 3). Nach § 14 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 kann der Anstaltsleiter Lockerungen und Urlaub widerrufen, wenn der Gefangene Weisungen nicht nachkommt. Die erteilte Weisung muss zulässig sein (dazu Rdn. 3 ff). Auch muss der Weisungsverstoß nachgewiesen werden. Zur weitestmöglichen Objektivierung empfiehlt sich deshalb z. B. im Falle von Auffälligkeiten bei der Rückkehr von Lockerungen oder Urlaub unbedingt das Angebot, einen entsprechenden Verdacht dadurch zu entkräften, dass sich der Gefangene freiwillig einer sofortigen Atem- oder Urinkontrolle unterzieht. Ein Verschulden ist hingegen nicht erforderlich (ebenso Arloth 2011 Rdn. 10 und C/MD 2008 Rdn. 5). Entgegen dem RegE hat der Gesetzgeber auf einen Nachweis verzichtet, weil dies dem Anstaltsleiter eine kaum zu erfüllende Beweislast auferlegt hätte (C/MD 2008 Rdn. 5 unter Hinweis auf BT-Drucks. 7/3998, 11). Dies kommt zwar den Bedürfnissen der Praxis entgegen, ist jedoch rechtsstaatlich nur hinnehmbar, wenn die Tatsache eines nicht geführten Beweises im Rahmen des Ermessens hinreichend berücksichtigt wird (wie hier AK-Köhne/Lesting 2012 Rdn. 17). Zumindest im Falle eines erstmaligen Weisungsverstoßes sollte der Anstaltsleiter von einem Widerruf absehen, sofern dies irgend vertretbar erscheint. In jedem Falle sind bei einem Widerruf nach Nr. 3 die Zweckbestimmung der erteilten Weisung und der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (Rdn. 11) zu beachten (OLG Frankfurt vom 12.4.1984 – Ws 330/84 (StVollz); OLG Celle vom 4.3.1985 – 3 Ws 495/84 (StrVollz); ebenso Arloth 2011 Rdn. 10). In der Praxis wird dem Gefangenen häufig bereits bei Eröffnung des Widerrufes eine erneute Prüfung der Lockerungsoder Urlaubseignung nach einer gewissen (z. B. dreimonatigen) Beobachtungszeit in Aussicht gestellt. Dies ist im Unterschied zu einer „Lockerungssperre“ (unzulässige faktische Disziplinarmaßnahme, vgl. § 103 Rdn. 1) rechtlich unbedenklich und dient der aus Behandlungsgründen indizierten Klarheit und Planbarkeit das weiteren Vollzugsverlaufes.
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dd) Wirkung für die Zukunft. Auch der Widerruf hat nur Wirkung für die Zukunft. Im Unterschied zur Rücknahme (Abs. 2 Satz 2) bedurfte es insoweit keines ausdrücklichen Zusatzes im Gesetzestext, weil damit nur eine Rechtsfolge hervorgerufen worden wäre, die nach den ergänzend heranzuziehenden Grundsätzen des allgemeinen Verwaltungsrechts (Rdn. 10) ohnehin im Begriff des Widerrufes schon enthalten ist. Die bis zum Wirksamwerden der Widerrufserklärung (vgl. Rdn. 21) verbrachte Urlaubszeit ist dem Gefangenen in vollem Umfang als verbüßte Strafzeit anzurechnen (OLG Frankfurt ZfStrVo 1979, 55). Zu den vollstreckungsrechtlichen Konsequenzen s. auch Rdn. 20.
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d) Rücknahme (Satz 2). Abs. 2 Satz 2 bezieht sich ausschließlich auf rechtswidrige begünstigende (Justiz-)Verwaltungsakte (Rdn. 10). Die Vorschrift entspricht weitgehend § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG. Wie dort gilt der Grundsatz der freien Rücknehmbarkeit, der sich aus dem Gebot der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung ableitet, nur eingeschränkt. Im Rahmen des Ermessens („kann“; vgl. Rdn. 11) sind vielmehr die betroffenen öffentlichen Interessen (hier: Flucht- und Missbrauchsgefahr i. S. d. § 11 Abs. 2) und das private Interesse des Gefangenen am Fortbestand der Maßnahme sorgfältig gegeneinander abzuwägen. Insoweit ist gerade bei Gefangenen dem Vertrauensschutz ein hoher Rang einzuräumen (im Einzelnen dazu Rdn. 11). Ullenbruch
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Weisungen, Aufhebung von Lockerungen und Urlaub
§ 14
aa) Rechtswidriger (Justiz-)Verwaltungsakt. Eine Rücknahme von Lockerungen 18 und Urlaub nach Satz 2 kommt nur in Betracht, wenn die Voraussetzungen für ihre Bewilligung nicht vorgelegen haben, die Anordnung mithin rechtswidrig war. Entscheidend ist die Rechtslage im Zeitpunkt der Anordnung der Maßnahme (OLG Celle BlStV 4/5/1990, 6 unter Hinweis auf BVerwGE 13, 28, 31; KG StV 2001, 35). Stellen sich später ihr entgegenstehende Tatsachen heraus, die schon zum Zeitpunkt der Entscheidung vorgelegen haben, vom Anstaltsleiter jedoch infolge Unkenntnis nicht berücksichtigt wurden, ist die Anordnung rechtswidrig. Hat der Anstaltsleiter bei der Entscheidung von seinem Ermessen in zulässiger Weise Gebrauch gemacht und kommt lediglich bei einer späteren erneuten Würdigung des in tatsächlicher Hinsicht unveränderten Sachverhalts zu einer anderen, gleichfalls vertretbaren, nunmehr jedoch z. B. für zweckmäßiger erachteten Entscheidung, bleibt die ursprüngliche Anordnung rechtmäßig (Beispiel: Ausführung eines langstrafigen Gefangenen gem. § 11 Abs. 1 Nr. 2 zu seinen drei Töchtern zur Besprechung von Erziehungsproblemen mit der Pflegemutter einmal vierteljährlich; vgl. KG StV 1982, 372, das allerdings dem Versuch der Vollzugsbehörden, die vorliegend irrelevante Frage zu stellen, ob die Erörterung von Erziehungsfragen auch ein wichtiger Anlass i. S. d. § 35 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1 ist, nicht konsequent genug entgegentritt). Sie kann deshalb nicht mehr zurückgenommen, sondern nur unter den (erschwerten) Voraussetzungen des § 14 Abs. 2 Satz 1 widerrufen werden (OLG Celle NStZ 1984, 430 und BlStV 4/5/1990, 61; OLG Frankfurt NStZ-RR 2000, 252; vgl. dazu auch Rdn. 13). Der bloße Verstoß gegen die VV oder Verwaltungsvorschriften der Länder vermag die Rechtswidrigkeit einer mit den §§ 11 ff in Einklang stehenden Anordnung nicht zu begründen. Derartige Vorschriften stellen keine Rechtssätze, sondern lediglich verwaltungsintern verbindliche Vorgaben dar (vgl. OLG Stuttgart ZfStrVo 1985, 249 – Zustimmungsvorbehalt der Aufsichtsbehörde; wie hier auch Arloth 2011 Rdn. 11). bb) „Neue“ Umstände. Eine Rücknahme von Lockerungen und Urlaub kommt 19 grundsätzlich nur dann in Betracht, wenn dem Anstaltsleiter erst nach der Anordnung Umstände bekannt werden („neue“ Tatsachen), die bei Kenntnis zwingend zu einer Ablehnung geführt hätten. Ausnahmsweise ist eine Aufhebung jedoch auch dann möglich, wenn eine die Rechtswidrigkeit des (Justiz-)Verwaltungsaktes verursachende Tatsache dem Anstaltsleiter bereits zum Entscheidungszeitpunkt bekannt war (ebenso Arloth 2008 Rdn. 11; a. A. OLG Celle NStZ 1984, 430). Aus Gründen des Vertrauensschutzes (Rdn. 11) ist ein strenger Maßstab anzulegen. Eine Rücknahme kommt deshalb nur bei offensichtlichen Fehlentscheidungen in Betracht (wie hier OLG Hamm NStZ 1989, 390 = ZfStrVo 1984, 248, und – allerdings nur andeutungsweise in einem obiter dictum – KG NStZ 1997, 207 und nochmals KG StV 2007, 313; vgl. auch Rdn. 24 unter „offener Vollzug“) bzw. unter keinem denkbaren Gesichtspunkt vertretbar war (KG StV 2001, 35; OLG Frankfurt NStZ-RR 2000, 252; Arloth 2011 Rdn. 11). Dies jedoch nur, wenn die Aufrechterhaltung der Anordnung im Einzelfall berechtigte Sicherheitsbedürfnisse (§ 2 Satz 2) missachten würde (a. A. C/MD 2008 Rdn. 6). Im Unterschied etwa zur begrenzten Hinnehmbarkeit eines bauplanungsrechtswidrigen Zustandes ist im Bereich des Strafvollzuges das unbedingte Festhalten einer Behörde an rechtswidrigen Entscheidungen im Hinblick auf die betroffenen öffentlichen Interessen nicht vertretbar. Umgekehrt wird die Feststellung einer Fehlentscheidung mit einer derart weitreichenden Gefährdungslage für die Allgemeinheit seitens der Aufsichtsbehörde zu einer sorgfältigen dienstrechtlichen Prüfung bis hin zu einer möglichen Ablösung des Anstaltsleiters führen. Nicht ausreichend für eine Rücknahme sind ein bloßer Widerspruch zu Sinn und Zielsetzung des Behandlungsvollzuges (§ 2 Satz 1; a. A. OLG Hamm NStZ 1986, 47; vgl. auch Rdn. 24 unter „Überbrückungsgeld“), die Berufung auf das angebliche Nichtbestehen eines entgegenstehen287
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den rechtlich schützenswerten Interesses (Zirkelschluss; a. A. OLG Hamm LS ZfStrVo 1988, 310 und C/MD 2008 Rdn. 6; unklar BVerfG NJW 1993, 3191 = NStZ 1993, 300 = StV 1993, 319; vgl. auch Rdn. 24 unter „Einweisung“ und „offener Vollzug“) oder das Lockerungs- oder Urlaubsversagen anderer Inhaftierter (s. dazu Beispiel Rdn. 26). 20
cc) Wirkung für die Zukunft. Lockerungen und Urlaub können nur mit Wirkung für die Zukunft zurückgenommen werden. Abs. 2 Satz 2 unterscheidet sich insoweit von § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG, demzufolge ein rechtswidriger Verwaltungsakt auch mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen werden kann. Das StVollzG trägt damit dem Gebot des Vertrauensschutzes (Rdn. 11) Rechnung. Der Gefangene soll weitestmöglich vor nachteiligen Auswirkungen eventueller Irrtümer des Anstaltsleiters geschützt werden (C/MD 2008 Rdn. 6). Bei Wirksamwerden der Entscheidung (hierzu Rdn. 21) bereits verbrachter Urlaub wird deshalb entsprechend § 13 Abs. 5 auf die Strafzeit angerechnet (vgl. § 13 Rdn. 4).
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e) Wirksamwerden. Nach VV Nr. 2 Abs. 2 Satz 1 werden Widerruf und Rücknahme erst wirksam, wenn die Entscheidung dem Gefangenen bekanntgemacht worden ist. – In dem gem. Nr. 46 Abs. 1 VGO zu verwendenden Vordruck für einen Urlaubsantrag erklärt der Gefangene ausdrücklich, dass ihm die in § 14 Abs. 2 bezeichneten Möglichkeiten des Widerrufs und der Rücknahme des Urlaubs bekannt sind. Entfernt sich der Gefangene entgegen einer Weisung der Anstalt von seinem Urlaubsort und wird ihm der Widerruf unter seiner Urlaubsanschrift mitgeteilt, so muss er sich nicht in jedem Falle nach Treu und Glauben so behandeln lassen, als sei ihm der Widerruf zugegangen. Auf fehlende Bekanntgabe kann er sich aber nicht berufen, wenn er auf andere Weise hinreichende zuverlässige Kenntnis vom Widerruf erlangt hat oder hätte erlangen können, weil sich ihm unter den obwaltenden Umständen des Einzelfalles die Annahme aufdrängen musste, dass ein Widerruf ergangen sei, und es ihm auch möglich und zumutbar war, sich hierüber Gewissheit zu verschaffen (OLG Frankfurt ZfStrVo 1979, 55; wie hier Arloth 2011 Rdn. 12 und C/MD 2008 Rdn. 7; anders Grunau/Tiesler 1982 Rdn. 2: Das „Sichdem-Vollzug-Entziehen“ unterbricht Vollzug und Vollstreckung von selbst ohne Widerruf). VV Nr. 2 Abs. 2 Sätze 2 und 3 bestimmen, dass der Gefangene vor der Entscheidung über den Widerruf oder die Rücknahme (ggf. unverzüglich danach) zu hören ist. Die Gründe für die Entscheidung sind aktenkundig zu machen (VV Nr. 2 Abs. 3) und sollten dem Gefangenen mit Rechtsbehelfsbelehrung bei der Anhörung mitgeteilt werden. Die Notwendigkeit der Anhörung gründet sich sowohl auf den Vertrauensgrundsatz als auch auf den Grundsatz des rechtlichen Gehörs (KG StV 2007, 313). Die mündliche Bekanntgabe reicht aus (wie hier Arloth 2011 Rdn. 12; enger AK-Köhne/Lesting 2012 Rdn. 20: nur ausnahmsweise). Im Interesse einer raschen Wiederergreifung des Gefangenen nach einer Flucht oder bei unbekanntem Aufenthalt können Fahndungsmaßnahmen gem. VV Nr. 2 Abs. 4 bereits vor Wirksamkeit des Widerrufs oder der Rücknahme (vgl. Abs. 2 Satz 1) eingeleitet und durchgeführt werden.
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f) „Analoge“ Anwendung. Das StVollzG enthält über Zulässigkeit und Voraussetzungen des Widerrufes und der Rücknahme von Vollzugsmaßnahmen ausdrückliche Regelungen nur hinsichtlich offenem Vollzug, Lockerungen und Urlaub (§§ 10 Abs. 2 Satz 2 2. Alt, 14 Abs. 2, 15 Abs. 3 Satz 2 und Abs. 4 Satz 2, 35 Abs. 1 Satz 2, 36 Abs. 1 Satz 2, 39 Abs. 1 Satz 2) sowie der Erlaubnis zum Besitz von Gegenständen zur Fortbildung oder Freizeitbeschäftigung (§ 70 Abs. 3). In der Praxis des Strafvollzuges spielt die Aufhebung getroffener Anordnungen jedoch auch in zahlreichen anderen Bereichen eine große Rolle. Ullenbruch
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aa) Rechtsgrundlagen. Nach der geltenden Rechtslage auf Bundesebene können 23 sonstige Anordnungen allenfalls analog §§ 48, 49 VwVfG (genauer: den gem. § 1 Abs. 3 VwVfG vorrangigen, jedoch weitgehend wörtlich übereinstimmenden Verwaltungsverfahrensgesetzen der Länder) widerrufen oder zurückgenommen werden. Eine analoge Anwendung von § 14 Abs. 2 StVollzG ist nicht zulässig (im Ergebnis wie hier OLG Zweibrücken ZfStrVo 1983, 55 und wohl auch OLG Celle NStZ 2000, 465 M; a. A. die ganz überwiegende Rspr. – zuletzt OLG Karlsruhe ZfStrVo 2006, 112; vgl. auch KG NStZ 2004, 51 und Rdn. 24 –, die von AK-Köhne/Lesting 2012 Rdn. 8 ff eher „begrüßt“ wird; Arloth 2011 Rdn. 5: „Die Analogie zu § 14 Abs. 2 dürfte am naheliegendsten sein.“; das Spannungsverhältnis zwischen „planwidriger Gesetzeslücke“ und „Analogie zu Ungunsten“ verkennend auch K/S-Schöch 2002 § 7 Rdn. 82; insoweit undeutlich C/MD 2008 Rdn. 2, denen zufolge jedoch einer entsprechenden Tendenz zumindest „entgegengetreten“ werden müsse; noch unentschieden wohl Arloth 2011 Rdn. 5). Der Gesetzgeber hielt die Aufhebbarkeit von begünstigenden Verwaltungsakten, die aufgrund des StVollzG erlassen werden, offenbar für so selbstverständlich, dass sie als allgemeines Prinzip keiner konstitutiven Regelung bedurfte (a. A. Perwein 1996, 19, der meint, der Gesetzgeber habe „den Wald vor lauter Bäumen übersehen“ und eine § 14 Abs. 2 entsprechende Regelung für andere Fälle schlicht „vergessen“). § 14 Abs. 2 dient dann lediglich der (beruhigenden) Klarstellung, dass die allgemeinen Verwaltungsgrundsätze hinsichtlich der Aufhebbarkeit getroffener Anordnungen auch für den (sensiblen) Bereich der Lockerungen und des Urlaubs entsprechend anwendbar sind. Gegen die Auffassung, die entsprechende Anwendung der §§ 48, 49 VwVfG sei zusätzlich unter den einschränkenden Vorbehalt des § 4 Abs. 2 Satz 2 StVollzG zu stellen (so Kösling 1991, 235; vgl. auch § 4 Rdn. 27) kann geltend gemacht werden, dass sich die letztgenannte Vorschrift nur auf die Auferlegung zusätzlicher Beschränkungen der Freiheit eines Gefangenen durch die spezifische Ausgestaltung des Vollzuges bezieht und nicht verbietet, dass allgemeine Verwaltungsgrundsätze in gleicher Weise bei einem Gefangenen wie bei einem Bürger in Freiheit angewandt werden. bb) Wichtige Fallgruppen. Rspr. und Literatur haben sich bislang im wesentli- 24 chen mit folgenden Fallgruppen befasst: Arbeit/Ausbildung: Ablösung von der Vertrauensposition des „Hausfrisörs“, weil er der Anstalt von der Fluchtabsicht eines ihm namentlich bekannten Mitgefangenen keine Kenntnis gab (zutr. unter Hinweis auf Sicherheitsgründe zulässig nach OLG Frankfurt ZfStrVo 2001, 372, das als mögliche Rechtsgrundlage neben § 49 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG analog aber – so unnötig wie unzutreffend – § 14 Abs. 2 bemüht). – Ablösung von der Tätigkeit eines Einkaufshelfers bei in der JVA durchgeführten Basarverkäufen wegen Veranlassung eines Mitarbeiters eines externen Kaufmanns zur Bestellung von „Kartoffeln im Netz“ nach den „zu §§ 49 VwVfG, 14 Abs. 2 entwickelten Grundsätzen“ ohne vorherige Abmahnung unverhältnismäßig (OLG Karlsruhe ZfStrVo 2006, 302). Hat der Beamte seiner Entscheidung darüber hinaus eine unzutreffende Rechtsauffassung – wenn der externe Mitarbeiter dem resoluten Insassen, der sich als „Chef aufspielt“, nichts entgegenzusetzen hat, darf der Gefangene ohne jegliche vorangegangene Abmahnung sogleich abgelöst werden – zugrundegelegt, die nicht aufgrund sorgfältiger rechtlicher und tatsächlicher Prüfung gewonnen wurde, steht dem Gefangenen aufgrund der vorwerfbaren Amtspflichtverletzung ein Anspruch auf Ersatz des ihm entgangenen Verdienstes zu (OLG Karlsruhe StV 2008, 90). – Vorläufige Ablösung von der Arbeit in einem Unternehmerbetrieb nach unerlaubtem Besitz von Schmerzmitteln im Haftraum auch zulässig bei einem Verdacht, der von seiner Intensität unterhalb der Schwelle liegt, die im Arbeitsrecht auch ohne sicheren Nachweis eine Kündigung rechtfertigen möge (OLG Hamm NStZ 2010, 396). – Ausschluss von der weite289
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ren Teilnahme z. B. am Lehrgang für Energieanlagenelektroniker (§ 37 Abs. 3) analog § 49 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG möglich, wenn sich Gefangener als für die Maßnahme ungeeignet erweist (Rotthaus in Anm. zu OLG Zweibrücken ZfStrVo 1983, 256) oder sein weiterer Verbleib in der Anstalt deren Sicherheitsinteressen derart beeinträchtigen würde, dass dies bei einer Abwägung mit den privaten Belangen des Gefangenen als überwiegend betrachtet werden muss. Ob der Fund eines gefälschten Siegelstempels zur Verplombung von Radiogeräten dafür ausreicht (so im Ergebnis OLG Zweibrücken ZfStrVo 1983, 55) erscheint allerdings zweifelhaft (s. dazu auch unter „Verlegung“). Ablösung von Malerlehre hingegen möglich, wenn – z. B. nach Fluchtversuch – Verpflichtung zum Schutz der Allgemeinheit (§ 2 Satz 2) Interesse des Gefangenen an Fortsetzung des Lehrverhältnisses überwiegt (OLG Hamm ZfStrVo 1986, 120 für Bereich des Jugendstrafvollzuges, allerdings unzutreffenderweise unter Bezug auf § 14 Abs. 2 – dazu Rdn. 23). S. auch unter „Schulunterricht“ und „Verlegung“. – Die Leistungszulage darf nach der Erhöhung des Grundlohns von 5% auf 9% der Bezugsgröße nach § 18 SGB IV auch bei gleichbleibender Arbeitsleistung gekürzt werden, wenn die Zulage zuvor als genereller Ausgleich des geringen Grundlohns gewährt worden ist (KG NStZ 2002, 336, allerdings unzutreffenderweise unter analoger Heranziehung des § 14 Abs. 2). – Besuch: Verringerung sog. „Gemeinschaftssprechstunden“ (Besucher und Gefangene treffen sich auf Flur der Station) als (Teil-)Widerruf über das gesetzliche Mindestmaß hinausgehender Besuchsmöglichkeiten (§ 24 Abs. 1) analog § 49 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG möglich. – Verkürzung der Besuchszeiten (und des hiermit reduzierten Automateneinkaufs) im Zuge der Umsetzung der (landesweiten – hier: Niedersachsen) Einführung eines sog. „Einheitlichen Vollzugskonzeptes“ nach den „Grundsätzen der §§ 49 VwVfG, 14 Abs. 2“ (wohl) möglich (OLG Celle NStZ 2006, 582). – Widerruf der Erlaubnis unüberwachter Langzeitbesuche durch die Mutter des Gefangenen in Begleitung von dessen Verlobten grundsätzlich möglich, jedoch nur ermessensfehlerfrei bei Berücksichtigung der Interessen aller Beteiligter sowie des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, der u. U. eine vorherige Abmahnung gebietet (OLG Karlsruhe NStZ-RR 2006, 154, allerdings unzutreffenderweise unter Bezug auf § 14 Abs. 2 Nr. 2 – dazu Rdn. 23). – Auch außerhalb der Person des Gefangenen liegende Gründe (hierzu Rdn. 13), wie Zunahme der Zahl der Haftplätze und Besucher sowie Fehlen von Aufsichtspersonal, dürfen berücksichtigt werden (KG ZfStrVo 1985, 251, allerdings unzutreffenderweise unter Bezug auf § 14 Abs. 2 – dazu Rdn. 23; kritisch aber unklar C/MD 2008 Rdn. 2). – Die allgemein erteilte Erlaubnis, anlässlich von Besuchen Gegenstände aus Einkaufsautomaten zu ziehen, darf angesichts der Selbstbindung der JVA nur nach den Grundsätzen über den Widerruf und die Rücknahme rückgängig gemacht werden. Ein für die Dauer des Entzuges der Verfügung über das Hausgeld und des Einkaufs (§ 103 Abs. 1 Nr. 2) ausgesprochener Widerruf stellt deshalb eine unzulässige Disziplinarmaßnahme dar (KG NStZ 2002, 613). – Einschluss: Vorverlegung des in der Hausordnung geregelten Abendeinschlusses aus Gründen des Abbaues von Überstunden infolge Personalmangels als Widerruf eines Vollzugsverwaltungsaktes mit Dauerwirkung möglich (KG ZfStrVo 1998, 310), allerdings unzutreffenderweise unter Bezug auf § 14 Abs. 2 und sehr weitgehend – von 22 Uhr auf 18 Uhr; Verkürzung der Aufschlusszeiten im Zuge der Umsetzung der (landesweiten – hier: Niedersachsen) Einführung eines sog. „EinheitlichenVollzugskonzeptes“ nach den „Grundsätzen der §§ 49 VwVfG, 14 Abs. 2“ möglich (OLG Celle NStZ 2006, 582) – Einweisung: Rücknahme unter Hinweis auf von Anfang gegebene örtliche Unzuständigkeit der Anstalt nicht zulässig, da hierdurch keine Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit beeinträchtigt werden (s. Rdn. 19). BVerfG NJW 1993, 3191 = NStZ 1993, 300 = StV 1993, 319 differenziert dogmatisch nicht zwischen Widerruf und Rücknahme und räumt vermutlich deshalb nicht konsequent genug dem Vertrauensschutz des Gefangenen nur dann Vorrang ein, wenn dieser in Ullenbruch
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Kenntnis der Behörde in die unzuständige Anstalt eingewiesen worden ist und dort bereits längere Zeit die gegen ihn verhängten Strafe verbüßt hat (zum Vertrauensschutz insgesamt Rdn. 11). S. auch unter „Verlegung“. – Fernsehgerät: Widerruf der Erteilung einer Fernsehgenehmigung analog § 49 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG grundsätzlich möglich. Urlaubsüberschreitung ist jedoch kein neuer Umstand (a. A. OLG Hamm NStZ 1986, 143 = ZfStrVo 1986, 117, weil nun die Aufrechterhaltung der Genehmigung als zur Erreichung des Vollzugszieles nicht mehr förderlich erachtet werden könne; kritisch aber unklar C/MD 2008 Rdn. 2). Zur Abgrenzung von Rücknahme und Widerruf der Einzelfernseherlaubnis vgl. auch OLG Celle BlStV 4/5/1990, 16. – Gemeinschaftsarbeit: Einschränkung (§ 17 Abs. 3 Nr. 3) analog § 49 Abs. 2 Nr. 5 VwVfG auch nachträglich möglich, z. B. wenn zur Abwehr der Fluchtgefahr bei einer terroristischen Gewalttäterin erforderlich (vgl. OLG Frankfurt LS GA 1981, 173). – Offener Vollzug: § 10 Abs. 2 Satz 2 regelt die Gründe für eine Rückverlegung in den geschlossenen Vollzug nicht abschließend. Die Gegenansicht (OLG Dresden StV 2006, 258; Schleswig- Holsteinisches OLG vom 25.10.2005 – 2 Vollz Ws 398/05 (266/05); C/MD 2008 § 10 Rdn. 10 und § 14 Rdn. 2, 6; offengelassen hingegen z. B. von OLG Koblenz vom 4.7.2007 – 1 Ws (273/07)), die sich teilweise auf die systematische Stellung im Gesetz, teilweise auf den Wortlaut der Vorschrift beruft oder auch eine Gesetzeslücke lediglich für den Fall einer Aufhebung der Entscheidung noch vor der tatsächlichen Durchführung der Verlegung bejaht, verkennt, dass § 10 Abs. 2 Satz 2 nur bestimmt, unter welchen Voraussetzungen ein Gefangener auch dann in den geschlossenen Vollzug verlegt werden kann, wenn er die in § 10 Abs. 1 genannten Voraussetzungen erfüllt (KG NStZ 1993, 100). Rücknahme der Unterbringung im offenen Vollzug analog § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG ist deshalb auch möglich, wenn bei Beachtung eines gewissen Vertrauensschutzes Sicherheitsbelange (§ 2 Satz 2) die Verlegung in eine stärker gesicherte Vollzugseinrichtung unbedingt erforderlich machen (im Ergebnis wie hier OLG Hamm ZfStrVo 1987, 371, allerdings unzutreffenderweise unter Bezug auf § 14 Abs. 2 Satz 2 – dazu Rdn. 23 – und zu weitgehend, als es auch die Berufung auf allgemeine Vollzugsgrundsätze nach den §§ 2, 3 zulässt – dazu Rdn. 19), auch dann, wenn keine neuen Tatsachen bekannt geworden sind, sofern es sich um eine offensichtliche Fehlentscheidung handelt und der Fortbestand der Unterbringung im offenen Vollzug im Einzelfall berechtigte Sicherheitsbedürfnisse der Allgemeinheit (§ 2 Satz 2; s. auch Rdn. 19) missachten würde (KG vom 19.1.2005 – 5 Ws 412/04; OLG Hamm NStZ 1989, 390; ebenso bereits OLG Hamm ZfStrVo 1984, 248, allerdings wiederum, diesmal sogar zweifach unzutreffenderweise, unter Bezug auf § 14 Abs. 2 Satz 2 – vgl. Rdn. 9, 23; kritisch aber unklar C/MD 2008 Rdn. 2, 6). Rücknahme einer Verlegung in eine (nach dem Vollstreckungsplan unzuständige) Einrichtung des offenen Vollzuges unter gleichzeitiger Anordnung der Verlegung in die zuständige Anstalt gem. § 48 VwVfG ist unter bloßem Hinweis auf den Vollstreckungsplan nicht möglich (a. A. OLG Hamm LS ZfStrVo 1988, 310). Die Tatsache ist nicht „neu“, die Aufrechterhaltung der Anordnung missachtet keine berechtigten Sicherheitsbedürfnisse, der Hinweis, bei OLG Hamm aaO, „auf die subjektive Bewertung verschiedener Anstalten gleicher Kategorie beim Betroffenen oder sonst im Kreise der Gefangenen“ könnte es nicht ankommen, ist nicht nur inhaltlich zweifelhaft, die Suche nach fehlenden rechtlich schützenswerten Interessen stellt überdies einen Zirkelschluss dar (vgl. Rdn. 19). Zeigt sich nach der Entscheidung über die Unterbringung, dass der Gefangene den Eignungskriterien des § 10 Abs. 1 nicht mehr entspricht, kommt ein Widerruf analog § 49 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG in Betracht (KG NStZ 2007, 224; ebenso bereits KG 1997, 207 und KG NStZ 1993, 100, allerdings sämtlich unzutreffenderweise unter Bezug auf § 14 Abs. 2 – dazu Rdn. 23 – und die letztgenannte Entscheidung ohne ausreichende Differenzierung zwischen Widerruf und Rücknahme). Allein die veränderte Wertung von Umständen, die im Zeitpunkt der Erstellung des Voll291
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zugsplanes schon vorgelegen und der Vollzugsbehörde bekannt gewesen sind, reicht nicht aus (KG NStZ 2007, 224). Zum Fall eines auf konkreten Anhaltspunkten beruhenden Verdachtes einer erneuten strafbaren Handlung vgl. KG NStZ 2007, 224; ähnlich bereits KG LS NStZ 1989, 358, allerdings unzutreffend unter Bezug auf § 14 Abs. 2 Satz 2 – dazu Rdn. 23. Zur gebotenen Zurückhaltung bei der Prüfung einer Rückverlegung aufgrund eines Ermittlungsverfahrens wegen Vorwürfen, die allein auf zivilrechtliche Streitigkeiten zurückgehen (z. B. Betrugsanzeige des Käufers bei gescheitertem Ebay-Vertrag vgl. OLG Dresden StV 2006, 258). Der Anstaltsleiter darf/muss Ermittlungen z. B. in Gestalt der Anhörung von Zeugen dem Staatsanwalt überlassen, sich indes in angemessenen Zeitabständen über das Fortbestehen des Verdachts vergewissern (KG NStZ 2003, 391). Wird gegen einen Gefangenen ein auf Fluchtgefahr gestützter Haftbefehl erlassen und daraufhin Überhaft notiert, soll die Eignung für den offenen Vollzug zwingend entfallen; der Haftbefehl soll zu einer Reduzierung des den Vollzugsbehörden zustehenden Beurteilungsspielraums auf Null führen, selbst dann, wenn der Haftrichter ausdrücklich und nachvollziehbar eine uneingeschränkte – und damit auch den offenen Vollzug umfassende – Zustimmung zum Verbleib des Gefangenen in einer entsprechenden Einrichtung erteilt hat (so zweifelhaft KG NStZ 2006, 695). – Die auf einen positiven Morphinbefund im Urin eines Gefangenen gestützte Anordnung auf Herausnahme aus dem offenen Vollzug ist nicht gerechtfertigt, wenn dessen Einlassung, er habe oft mohnhaltiges Gebäck verzehrt, nicht zu widerlegen ist und keine anderen Anhaltspunkte für einen Drogenkonsum vorliegen. Nach dem (legalen) Konsum von Mohn (Mohnbrötchen, Mohnkuchen) ist im Urin stets auch Morphin nachzuweisen (LG Siegen LS ZfStrVo 2002, 368). Zur gebotenen Zurückhaltung bei einmaligen Aufweisens einer Atemalkoholkonzentration von 0,25 mg/l bei Rückkehr aus einem Freigängerurlaub vgl. OLG Karlsruhe NStZ-RR 2009, 325. – Wird ein Verurteilter, der sich auf freiem Fuß befindet, von der Vollstreckungsbehörde (Staatsanwaltschaft) zum Strafantritt im offenen Vollzug geladen, so kann die Vollzugsbehörde (JVA), die in Wahrnehmung des ihr nach § 10 zustehenden Beurteilungsspielraums die Eignung des Verurteilten für diese Vollzugsform verneint, die Aufnahme in den offenen Vollzug ablehnen. Sie ist dabei nicht an die Widerrufsgründe des § 14 Abs. 2 gebunden (OLG Frankfurt, ZfStrVo 2001, 52 unter Aufgabe seiner früheren Rspr. NStZ 1994, 301 m. abl. Anm. Preusker). – Räucherstäbchen: Kein Recht auf Herleitung eines Anspruches auf erneute Aushändigung daraus, dass ihm der Besitz daran in der Vergangenheit gestattet war, da der Besitz vor allem dazu geeignet sei, Gerüche von Drogen (wie z. B. Cannabis und Alkohol) zu überdecken – so zu weitgehend OLG Brandenburg 15.10.2008 – 1 Ws (Vollz/164/08) mit dem schlichten „Argument“, der Bestandsschutz „könne“ nicht weiter reichen als die Aufrechterhaltung der Sicherheit „und Ordnung“ in einer JVA). – Schulunterricht: Herausnahme aus einem Hauptschulkurs (§ 38 Abs. 1) analog § 49 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG möglich, wenn sich Gefangener als für die Maßnahme ungeeignet erweist. Die bloße Tatsache, dass gegen ihn ein Auslieferungsverfahren anhängig ist, reicht dafür nicht aus (OLG Frankfurt NStZ 1981, 116, allerdings ohne ausreichend zwischen Rücknahme und Widerruf zu differenzieren). Siehe auch unter „Berufsausbildung“ und „Verlegung“. – Selbstbeschäftigung: Rücknahme der Gestattung (§ 39 Abs. 2) analog § 48 Abs. 1 VwVfG ohne Vorliegen neuer Tatsachen (dazu Rdn. 19) nur möglich, wenn hierdurch eröffneter Verkehr mit der Außenwelt nicht anderweitig kontrollierbar ist und eine schwerwiegende Gefahr für die Sicherheit darstellen würde (vgl. auch OLG Bremen ZfStrVo 1979, 57, das die Selbstbeschäftigung unzutreffenderweise als „Lockerung“ einstuft – dazu Rdn. 9 – und Rücknahme nach § 14 Abs. 2 – dazu Rdn. 23 – aus bloßen Gründen der Flexibilität des therapeutischen Ermessens erlaubt). – Telefonate: Einzel- und Dauergestattungen (§ 32 Satz 1) sind nur unter den Voraussetzungen der §§ 48, 49 VwVfG analog aufhebbar (zur Abwägung bei drastischer Ullenbruch
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Weisungen, Aufhebung von Lockerungen und Urlaub
§ 14
Einschränkung jahrelang bestehender Telefonmöglichkeiten mittels Hausverfügung vgl. OLG Frankfurt NStZ 2001, 669 m. Anm. Münster/Schneider; zu weiteren Fallkonstellationen Perwein 1996, der allerdings unzutreffenderweise § 14 Abs. 2 analog anwendet – dazu Rdn. 23). – Therapie: s. „Vollzugsplan“. – Überbrückungsgeld: Die Festsetzung eines über den von der Landesjustizverwaltung vorgeschriebenen Sätzen liegenden Betrages des zu bildenden Überbrückungsgeldes (VV Nr. 1 Abs. 2 Satz 3 zu § 51) kann lediglich unter den Voraussetzungen des § 49 VwVfG widerrufen werden. Eine Rücknahme analog § 48 VwVfG ist ausgeschlossen. Dies gilt auch bei offensichtlichen Fehlentscheidungen (a. A. OLG Hamm NStZ 1986, 47: DM 3500 statt DM 712 aufgrund eines mutmaßlich zur Pfändungsabwehr gestellten Antrags). Ließe man für die Aufhebung begünstigender Justizverwaltungsakte auch ohne das Bekanntwerden neuer Tatsachen die bloße Berufung auf eine Unvereinbarkeit deren Fortbestandes mit dem Vollzugsziel ausreichend sein, würde der Vertrauensschutz im Bereich des Strafvollzuges weitgehend ins Leere gehen (dazu Rdn. 19). – Verlegung: Verlegung in eine andere Anstalt aus Gründen der Berufsausbildung oder des Schulunterrichtes (§§ 8 Abs. 1 Nr. 1, 37, 38, 39) kann analog § 49 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG widerrufen werden, wenn sich nachträglich ergibt, dass der Gefangene die fachlichen Voraussetzungen nicht erfüllt oder die Sicherheit der „neuen“ Anstalt gefährdet (vgl. OLG Zweibrücken ZfStrVo 1983, 55 mit Anm. Rotthaus ZfStrVo 1983, 256). Die Verlegungsgründe sind in den §§ 8 und 85 nicht abschließend geregelt (a. A. C/MD 2008 § 8 Rdn. 2). Eine (Rück-)Verlegung ist deshalb auch möglich, wenn die „Heimatanstalt“ die von Anfang an nach dem Vollstreckungsplan zuständige Anstalt oder zu seiner sicheren Unterbringung nicht besser geeignet ist (letztgenannte Fallgestaltung übersehen von Rotthaus aaO). Bei höherem Sicherheitsgrad besteht hingegen keine Gesetzeslücke, da dieser Sonderfall in § 85 geregelt ist (insoweit zutreffend Rotthaus aaO, übersehen von OLG Zweibrücken aaO, das ausschließlich § 8 prüft). S. auch unter „Berufsausbildung“ und „Schulunterricht“ sowie „Einweisung“. – Vollzugsplan: Rücknahme und Widerruf sämtlicher Maßnahmen (ausgenommen Lockerungen und Urlaub), die in den Vollzugsplan (§ 7) aufgenommen worden sind, sind ausschließlich analog §§ 48, 49 VwVfG möglich (OLG Celle LS ZfStrVo 1989, 116, allerdings unzutreffenderweise unter Hinweis auf § 14 Abs. 2 – dazu Rdn. 23). Zur Anordnung der vorzeitigen Beendigung der Therapie durch einen Psychologen (§ 7 Abs. 2 Nr. 6) vgl. KG ZfStrVo 1986, 121, allerdings gleichfalls fälschlicherweise unter Bezug auf § 14 Abs. 2 – dazu Rdn. 23. – Zeitungen/Zeitschriften: Der Bezug (§ 68 Abs. 1) kann analog § 49 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG nachträglich beschränkt werden auch aufgrund außerhalb der Person des Gefangenen liegender Umstände (s. dazu auch Rdn. 13) wie z. B. geänderter räumlicher und persönlicher Verhältnisse, sofern diese die Reduzierung erfordern, der verbleibende Umfang immer noch angemessen ist und z. B. Kündigungsfristen beachtet werden (vgl. OLG Hamm NStZ 1987, 248 = ZfStrVo 1987, 375, das allerdings nicht sorgfältig zwischen Widerruf und Rücknahme differenziert und überdies unzutreffend § 14 Abs. 2 heranzieht – dazu Rdn. 23; kritisch aber unklar hierzu C/MD 2008 Rdn. 2). cc) Gesetzliche Klarstellung. Nach einem Entwurf des Bundesrates vom 23.9.1988 25 zur Änderung des StVollzG (BT-Drucks. 270/88, 3 und 18, vgl. auch BT-Drucks. 11/3694, 3 und 16) sollten durch Einfügung der Worte „und andere begünstigende Maßnahmen“ hinter dem Wort „Urlaub“ in § 14 auch für diese Maßnahmen die Widerrufs- und Rücknahmegründe der Vorschrift gelten. Der Entwurf wurde zwar nicht geltendes Recht, entgegen Dünkel (1990, 105 ff, 107) besteht jedoch nach wie vor Handlungsbedarf. Der moderne Gesetzgeber sollte der Bedeutung des Vertrauensschutzes gerade auch für den Bereich des Strafvollzuges (zum Ganzen Rdn. 11) durch die Schaffung einer eigenständigen Vorschrift, die Widerruf und Rücknahme aller die Rechtsstellung der Gefange293
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Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
nen verbessernden Maßnahmen einheitlich regelt, Rechnung tragen (ähnlich Arloth 2011 Rdn. 5: „eine Klarstellung durch den Gesetzgeber wäre wünschenswert“). Dadurch würde der gesamte rechtsstaatlich sensible Bereich dem Zugriff wie auch immer begründeter Analogien (Rdn. 23 f) entzogen, ohne dass dem in der Tat verhängnisvollen Eindruck Vorschub geleistet würde, es handele sich bei Vollzugslockerungen und Urlaub um „Vergünstigungen“ (insoweit Bedenken bei Dünkel aaO; vgl. auch Kösling 1991, 235). Entsprechende allgemeine Regelungen finden sich zwischenzeitlich z. B. in § 92 HmbStVollzG und § 90 ME-StVollzG; vgl. unten Rdn. 29 ff. III. Beispiel 26
Das LG A. verurteilte den einschlägig vorbestraften B. wegen Vergewaltigung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten. Daneben ordnete es die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung an. Nach Verbüßung der Strafe in der JVA C. befindet sich B. seit dem 27. Oktober 1993 zum Vollzug der Maßregel in der JVA D. Seit Februar 1997 erhält er monatliche Ausgänge in Begleitung seines Bruders, seit Juni 1997 Urlaub zu dessen Familie. Zum 1. September 1997 sind die Verlegung in den offenen Vollzug und bei Vorliegen einer geeigneten Arbeitsstelle die Zulassung zum Freigang vorgesehen. Sämtliche Lockerungen und Urlaube sind bislang ohne Beanstandungen verlaufen. Am 3.8.1997 missbraucht der gleichfalls in der JVA D. untergebrachte Sicherungsverwahrte E. im Rahmen eines Ausganges ein 9-jähriges Mädchen sexuell und tötet es anschließend. Die Öffentlichkeit erinnert sich daran, dass vor weniger als drei Jahren bereits einmal ein Inhaftierter der JVA D. während eines Hafturlaubes eine ähnlich schwere Straftat begangen hat. An den Stammtischen wird lautstark – bezogen auf alle Sexualstraftäter – „Rübe ab“ gefordert. Nicht nur die örtliche Presse diskutiert – je nach Zielgruppe mehr oder weniger seriös – über angeblich zunehmende „Auswüchse der Resozialisierung“ und sorgt sich unter fetten Schlagzeilen, ob die Allgemeinheit durch „die Verantwortlichen in Politik und Behörden“ noch ausreichend geschützt werde. Der Justizminister, der bereits Auswirkungen auf die im Januar 1998 anstehenden Landtagswahlen fürchtet, stellt behördenintern zahlreiche Fragen. Der von allen Seiten unter Druck stehende Anstaltsleiter verhängt am 9.8.1997 bezüglich sämtlicher in der JVA D. untergebrachten Sicherungsverwahrten eine generelle Lockerungs- und Urlaubssperre. Zur Begründung weist er darauf hin, er müsse „aus gegebenem Anlass in eine umfassende interne Überprüfung sämtlicher, den „Gewahrsam“ über die Verwahrten betreffende Entscheidungen eintreten. Deshalb werde er – „nach Rücksprache mit der Aufsichtsbehörde“ – bei einem namhaften Psychiater ein externes Gutachten in Auftrag geben, in dem das gesamte Konzept der Lockerungen überprüft werden solle. Aufgrund der erhofften neuen Erkenntnisse werde er sodann – unter Vermeidung eines vorherigen schrittweisen Wiedereinsteigens in Lockerungen für einzelne Untergebrachte – „voraussichtlich in spätestens vier Monaten“ – über die erneute Gewährung von Lockerungen unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalles entscheiden. B., der zusammen mit zwölf weiteren Verwahrten von der generellen Sperre betroffen ist, stellt im Wege des Eilrechtsschutzes bei der zuständigen StVK Antrag auf sofortige Aussetzung des Vollzuges der angefochtenen Maßnahme (§ 114 Abs. 2 Satz 1). Das Versagen anderer Inhaftierter bzw. Untergebrachter bei Lockerungen und Urlaub stellt keinen nachträglich eingetretenen Umstand i. S. d. § 14 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 dar. Ein Widerruf nach dieser Vorschrift kommt deshalb nicht in Betracht (vgl. Rdn. 13). Ergibt eine Prüfung des Missbrauchs des Sicherungsverwahrten E., dass dessen Versagen bereits bei Anordnung der Maßnahme i. S. d. §§ 11 Abs. 2, 13 „zu befürchten“, diese mitUllenbruch
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hin rechtswidrig war, kann bzw. muss der Anstaltsleiter allerdings prüfen, ob in seinem Verantwortungsbereich weitere rechtswidrige Anordnungen bestehen und ob diese auf Grund der Verpflichtung zum Schutz der Allgemeinheit ggf. zurückzunehmen sind, auch wenn sämtliche Tatsachen bereits früher bekannt waren (Rdn. 19). Andererseits ist im Hinblick auf den hohen Stellenwert des Vertrauensschutzes (Rdn. 11) insoweit eine sorgfältig abwägende Einzelfallentscheidung erforderlich (a. A. OLG Hamm NStZ 1995, 358, das in einem vergleichbaren Fall eine generelle Ausgangssperre für das gesamte Westfälische Zentrum für forensische Psychiatrie für zulässig hielt; wie hier Skirl in Anm. zu OLG Hamm aaO). Eine „Sperre“ für eine Vielzahl von Inhaftierten ohne Einzelfallbezug kann im Extremfall allenfalls als vorläufige Maßnahme für wenige Tage in Betracht kommen (a. A. OLG Hamm aaO, das nicht einmal nach annähernd vier Monaten auf endgültige Entscheidungen drängte). Die StVK wird deshalb ggf. fernmündlich den Anstaltsleiter befragen, ob die Aufhebung der Lockerungen und des Urlaubs bezüglich des Sicherungsverwahrten B. als vorläufige Rücknahme zu verstehen ist. Bestätigt der Anstaltsleiter dies, wird sie Gelegenheit geben, die Rechtswidrigkeit der aufgehobenen Anordnungen binnen einer Woche sorgfältig zu begründen und sodann, nachdem auch dem Antragsteller hierzu nochmals rechtliches Gehör gewährt worden ist, unverzüglich entscheiden, ob die Rücknahmeentscheidung im Wege des Eilrechtsschutzes auszusetzen ist. IV. Landesgesetze und Musterentwurf 1. Baden-Württemberg. § 11 JVollzGB III ist inhaltsgleich und weitgehend wort- 27 gleich mit § 14 StVollzG. 2. Bayern. Art. 16 BayStVollzG ist inhaltsgleich und weitgehend wortgleich mit § 14 28 StVollzG. 3. Hamburg. § 92 HmbStVollzG ist wie folgt aufgebaut: 29 Abs. 1 hat folgenden Wortlaut: „Die Anstaltsleitung kann Maßnahmen zur Regelung allgemeiner Angelegenheiten der baulichen, personellen, organisatorischen und konzeptionellen Gestaltung des Vollzuges anordnen oder mit Wirkung für die Zukunft ändern, wenn neue strukturelle oder organisatorische Entwicklungen des Vollzuges, neue Anforderungen an die (instrumentelle, administrative oder soziale) Anstaltssicherheit oder neue wissenschaftliche Erkenntnisse dies aus Gründen der Behandlung, der Aufrechterhaltung der Sicherheit oder zur Abwendung einer schwerwiegenden Störung der Ordnung der Anstalt erforderlich machen“. Abs. 2 lautet: „Die Anstaltsleitung kann rechtmäßige Maßnahmen zur Regelung einzelner Angelegenheiten auf dem Gebiete des Strafvollzuges ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft widerrufen, wenn 1. sie auf Grund nachträglich eingetretener oder bekannt gewordener Umstände berechtigt wäre, die Maßnahme zu versagen, 2. sie auf Grund einer geänderten Rechtsvorschrift berechtigt wäre, die Maßnahme zu versagen und ohne den Widerruf das öffentliche Interesse gefährdet würde, 3. die Gefangenen die Maßnahme missbrauchen oder 4. die Gefangenen Weisungen nach § 12 Absatz 4 nicht nachkommen“. Abs. 3 lautet: „Die Anstaltsleitung kann Maßnahmen zur Regelung einzelner Angelegenheiten auf dem Gebiete des Strafvollzuges ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft zurücknehmen, wenn die Voraussetzungen für ihre Bewilligung nicht vorgelegen haben“. 295
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In der Gesetzesbegründung heißt es dazu: „Die Bestimmung entspricht dem im Vollzug der Freiheitsstrafe anzuwendenden Teil des derzeit geltenden § 93 HmbStVollzG“ (Bürgerschafts-Drucks. 19/2533, 60). In der dortigen Begründung heißt es dazu: „Die Vorschrift unterscheidet zwischen Maßnahmen zur Regelung allgemeiner Angelegenheiten (Absatz 1) und Maßnahmen zur Regelung einzelner Angelegenheiten (Absätze 2 und 3), jeweils auf dem Gebiete des Strafvollzuges. Die Vorschrift folgt in Absatz 1 einem dringenden Bedürfnis der Praxis nach einer pragmatischen Regelung. […] Die Vorschrift folgt in den Absätzen 2 und 3 ebenfalls einer dringenden Empfehlung der vollzuglichen Praxis, aus Gründen der Rechtssicherheit und der Transparenz für alle Beteiligten eine allgemeine Widerrufs- und Rücknahmeregelung für Maßnahmen zur Regelung einzelner Angelegenheiten auf dem Gebiet des Strafvollzuges zu formulieren […]“ (Bürgerschafts-Drucks. 18/6490, 48 f). Vgl. dazu auch Kommentierung Rdn. 25. 30
4. Hessen. § 14 HStVollzG ist wie folgt aufgebaut: Abs. 1 Satz 1 ist inhaltsgleich und weitgehend wortgleich mit § 14 Abs. 1 StVollzG. Abs. 1 Satz 2 hat folgenden Wortlaut: „Insbesondere können sie angewiesen werden, 1. Anordnungen zu befolgen, die sich auf Aufenthalt, Ausbildung, Arbeit oder Freizeit oder auf Ordnung ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse beziehen, 2. Sich zu festgesetzten Zeiten bei einer bestimmten Stelle oder Person zu melden, 3. Kontakte mit bestimmten Personen oder Gruppen zu meiden, 4. Bestimmte Gegenstände nicht zu besitzen, 5. Alkohol oder andere berauschende Stoffe zu meiden, 6. In regelmäßigen Abständen Proben zur Überwachung einer Weisung nach Nr. 5 abzugeben.“ In der Gesetzesbegründung heißt es hierzu: „(…) Entsprechend der Regelungssystematik in § 56 c Strafgesetzbuch (StGB) erschien es erforderlich, die sehr unbestimmte Vorschrift des § 14 Abs. 1 StVollzG durch eine nicht abschließende Aufzählung der wichtigsten in Betracht kommenden Weisungen zu ergänzen. Dies soll die Rechtsanwendung erleichtern und die Transparenz für die Gefangenen erhöhen“. (LT-Drucks. 18/1396, 86). Abs. 2 ist inhaltsgleich und weitgehend wortgleich mit § 14 Abs. 2 Satz 2 StVollzG. Abs. 3 ist inhaltsgleich und weitgehend wortgleich mit § 14 Abs. 2 Satz 1 StVollzG.
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5. Niedersachsen. § 15 NJVollzG ist inhaltsgleich und weitgehend wortgleich mit § 14 StVollzG. Vgl. dazu auch Kommentierung Rdn. 25.
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6. Musterentwurf. „Weisungen für Lockerungen“ und „Aufhebung von Maßnahmen“ sind im ME-StVollzG in zwei Vorschriften geregelt: § 40 ME-StVollzG bezieht sich auf „Weisungen für Lockerungen“. Er hat folgenden Wortlaut: „Für Lockerungen sind die nach den Umständen des Einzelfalles erforderlichen Weisungen zu erteilen. Bei der Ausgestaltung der Lockerungen ist nach Möglichkeit auch den Belangen des Opfers Rechnung zu tragen.“ In der ME-Begründung heißt es hierzu: „Die Bestimmung verpflichtet die Anstalt, Lockerungen durch Erteilung von nach den Umständen erforderlichen Weisungen näher auszugestalten und zu strukturieren. Die Weisungen müssen dem Zweck der Maßnahme Rechnung tragen. Dies gilt auch für Lockerungen aus wichtigem Anlass. Satz 2 trägt Gesichtspunkten des Opferschutzes Rechnung. Obwohl es sich bei den Lockerungen um wichtige, der Resozialisierung der Gefangenen dienende Maßnahmen Ullenbruch
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Weisungen, Aufhebung von Lockerungen und Urlaub
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handelt, hat bei deren Ausgestaltung eine Abwägung mit den Interessen des Opfers stattzufinden. So lässt sich beispielsweise durch die Erteilung von Weisungen ein für das Opfer belastendes, unvorhersehbares Zusammentreffen mit den Gefangenen während einer Lockerung vermeiden.“ (ME-Begründung, 109). § 90 ME-StVollzG bezieht sich auf die „Aufhebung von Maßnahmen“. Er ist wie folgt aufgebaut: Abs. 1 hat folgenden Wortlaut: „Die Aufhebung von Maßnahmen zur Regelung einzelner Angelegenheiten auf dem Gebiet des Vollzugs richtet sich nach den nachfolgenden Absätzen, soweit dieses Gesetz keine abweichende Bestimmung enthält.“ In der Entwurfsbegründung heißt es hierzu: „Absatz 1 erstreckt den Anwendungsbereich auf Maßnahmen, die auch nach § 109 Abs. 1 Satz 1 StVollzG Gegenstand gerichtlichen Rechtsschutzes sein können. Die dortige weite Definition der Maßnahme wird übernommen. Der Anwendungsbereich ist nicht beschränkt auf Maßnahmen gegen Gefangene, auch Maßnahmen nach diesem Gesetz gegen Dritte werden erfasst. Ebenso gilt die Bestimmung nicht nur für Maßnahmen der Anstalt, sondern auch für solche der Aufsichtsbehörde.“ (ME-Begründung, 154). Abs. 2 lautet wie folgt: „Rechtswidrige Maßnahmen können ganz oder teilweise mit Wirkung für die Vergangenheit und die Zukunft zurückgenommen werden.“ In der Entwurfsbegründung heißt es hierzu: „… ermöglicht Absatz 2 grundsätzlich die Rücknahme rechtswidriger Maßnahmen. Diese Rücknahme wird nicht auf die Zukunft beschränkt, sondern kann auch für die Vergangenheit erfolgen. Dies ist häufig erforderlich und geboten, um etwaige Folgewirkungen rechtswidriger Maßnahmen beseitigen zu können.“ (ME, S. 154 f). Abs. 3 lautet wie folgt: „Rechtmäßige Maßnahmen können ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft widerrufen werden, wenn 1. aufgrund nachträglich eingetretener oder bekannt gewordener Umstände die Maßnahmen hätten versagt werden können, 2. die Maßnahmen missbraucht werden oder 3. Weisungen nicht befolgt werden.“ In der ME-Begründung heißt es hierzu: (…) „Demgegenüber ist rechtmäßigen Maßnahmen eine höhere Rechtsbeständigkeit zuzuerkennen. Für deren Widerruf enthält Absatz 3 daher einschränkende tatbestandliche Voraussetzungen und begrenzt zudem die Wirkung der Aufhebung auf die Zukunft. Die Widerrufsgründe lehnen sich eng an diejenigen für den Widerruf von Lockerungen und Urlaub nach § 14 Abs. 2 Satz 1 StVollzG an. Nummer 1 enthält den „klassischen“ Widerrufsgrund des nachträglich veränderten Sachverhalts. Die dort ebenfalls aufgenommene Variante (bei Erlass der Maßnahme schon gegebener, aber erst) nachträglich bekannt gewordener Umstände betrifft Ermessensentscheidungen; denn insoweit kommt es auf die der entscheidenden Stelle im Zeitpunkt der Entscheidung bekannten Umstände an. In Nummer 2 wird der Missbrauch von Maßnahmen als einer der hauptsächlichen Widerrufsgründe im Vollzug ausdrücklich benannt, auch wenn die hier erfassten Fälle sich als Unterfälle zu Nummer 1 darstellen dürften. Der Widerrufsgrund nach Nummer 3, Nichtbefolgung von Weisungen, entspricht dem allgemeinen Verwaltungsverfahrensrecht.“ (ME-Begründung, 155). Abs. 4 lautet wie folgt: „Begünstigende Maßnahmen dürfen nach den Absätzen 2 oder 3 nur aufgehoben werden, wenn die vollzuglichen Interessen an der Aufhebung in Abwägung mit dem schutzwürdigen Vertrauen der Betroffenen auf den Bestand der Maßnahmen überwiegen. Davon ist auszugehen, wenn eine Maßnahme unerlässlich ist, um die Sicherheit der Anstalt zu gewährleisten.“ In der ME-Begründung heißt es hierzu: „Absatz 4 enthält eine das nach Absatz 2 und 3 gegebene Ermessen der entscheidenden Stelle bindende Vorgabe zur Berücksich297
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tigung des Vertrauensschutzes Betroffener. Die Notwendigkeit, den Vertrauensschutz auch der Gefangenen bei Rücknahme und Widerruf begünstigender vollzuglicher Maßnahmen zu berücksichtigen, ist in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts seit langem anerkannt. In Anlehnung an das allgemeine Verwaltungsverfahrensrecht ist es sinnvoll, den entsprechenden Grundsatz gesetzlich zu verankern. Führt die nach Satz 1 gebotene Abwägung zwischen Vertrauensschutz und vollzuglichen Interessen zu dem Ergebnis, dass Letztere überwiegen, bedeutet das nicht, dass Rücknahme und Widerruf zu erfolgen hätten, sondern nur, dass der Raum für weitere Ermessenserwägungen eröffnet ist. Die Bestimmung verzichtet auf eine nähere Ausdifferenzierung der Begriffe des schutzwürdigen Vertrauens und der vollzuglichen Interessen, da die entsprechenden Begriffe im allgemeinen Verwaltungsverfahrensrecht etabliert sind. Lediglich der dort gebräuchliche weite Begriff des öffentlichen Interesses wird entsprechend dem Regelungsbereich dieses Gesetzes auf vollzugliche Interessen eingeengt. Vollzugliche Interessen in diesem Sinne leiten sich sowohl aus dem Vollzugsziel als auch aus der Aufgabe der Gewährleistung von Sicherheit und Ordnung der Anstalt ab. Satz 2 gibt für eine bestimmte Konstellation das Abwägungsergebnis zwingend dahingehend vor, dass das vollzugliche Interesse überwiegt, dies aber nur unter der strengen Voraussetzung der Unerlässlichkeit (wie § 4 Abs. 4 Satz 2). Es darf also keine andere Alternative zur Gewährleistung der Anstaltssicherheit bestehen als die Aufhebung der Maßnahme.“ (ME-Begründung, 155 f). Abs. 5 lautet wie folgt: „Der gerichtliche Rechtsschutz bleibt unberührt.“ In der ME-Begründung heißt es hierzu: „Absatz 5 stellt klar, dass die Möglichkeit der Aufhebung vollzuglicher Maßnahmen durch die Vollzugsbehörden zu dem – bundesrechtlich geregelten – gerichtlichen Rechtsschutz hinzutritt.“ (ME-Begründung, 156). Vgl. auch Kommentierung Rdn. 25.
§ 15 Entlassungsvorbereitung § 15 Ullenbruch Entlassungsvorbereitung (1) Um die Entlassung vorzubereiten, soll der Vollzug gelockert werden (§ 11). (2) Der Gefangene kann in eine offene Anstalt oder Abteilung (§ 10) verlegt werden, wenn dies der Vorbereitung der Entlassung dient. (3) Innerhalb von drei Monaten vor der Entlassung kann zu deren Vorbereitung Sonderurlaub bis zu einer Woche gewährt werden. § 11 Abs. 2, § 13 Abs. 5 und § 14 gelten entsprechend. (4) Freigängern (§ 11 Abs. 1 Nr. 1) kann innerhalb von neun Monaten vor der Entlassung Sonderurlaub bis zu sechs Tagen im Monat gewährt werden. § 11 Abs. 2, § 13 Abs. 5 und § 14 gelten entsprechend. Absatz 3 Satz 1 findet keine Anwendung. VV (1) Die Entlassungsvorbereitungen sind auf den Zeitpunkt der voraussichtlichen Entlassung in die Freiheit abzustellen. (2) Sonderurlaub im Sinne des § 15 Abs. 3 StVollzG kann auch im Wiederholungsfall nur bis zu einer Gesamtdauer von einer Woche gewährt werden. Dies gilt auch, wenn die Entlassung zu einem anderen Zeitpunkt erfolgt, als bei der Bewilligung des Urlaubes angenommen wurde. (3) Sonderurlaub nach § 15 Abs. 4 StVollzG kann auch einem Gefangenen gewährt werden, der zum Freigang zugelassen ist, ohne ihn auszuüben. Ullenbruch
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Entlassungsvorbereitung
§ 15
Schrifttum S. bei § 11.
I.
II.
Übersicht Allgemeine Hinweise Beginn der Phase „Entlassungsvorbereitung“ ____ 1–3 Erläuterungen ____ 4–11 1. Abs. 1: Lockerungen im Allgemeinen ____ 4 2. Verlegung in den offenen Vollzug ____ 5 3. Entlassungsurlaub ____ 6–11 a) Für Gefangene, die nicht Freigänger sind ____ 7 b) Für Gefangene im Freigang ____ 8, 9 c) Keine Kombination der Urlaubsmöglichkeiten ____ 10
III.
d) Entsprechend geltende Bestimmungen ____ 11 Landesgesetze und Musterentwurf ____ 12–17 1. Baden-Württemberg ____ 12 2. Bayern ____ 13 3. Hamburg ____ 14 4. Hesssen ____ 15 5. Niedersachsen ____ 16 6. Musterentwurf ____ 17
I. Allgemeine Hinweise Die Vorschrift bestimmt, dass die Vollzugsbehörden die Entlassung von Gefangenen 1 durch die Anordnung von Vollzugslockerungen, die Verlegung in eine offene Anstalt oder Abteilung oder die Gewährung von Sonderurlaub vorbereiten sollen. Wird ein Vollzugsplan erstellt (§ 7 Rdn. 1), muss er Angaben über die notwendigen Maßnahmen zur Vorbereitung der Entlassung enthalten (§ 7 Abs. 2 Nr. 8). Zum Integrationsgrundsatz § 3 Rdn. 13. Die Entlassungsvorbereitung ist eine der entscheidenden Phasen des Vollzuges, weil sie dem Gefangenen die Möglichkeit gibt, Selbständigkeit, Eigenverantwortlichkeit und Aktivität zurückzuerlangen, soziales Verhalten einzuüben und den richtigen Umgang mit der Freiheit zu erlernen (vgl. AK-Köhne/Lesting 2012 Rdn. 2). Zur Befähigung, ein Leben in sozialer Verantwortung zu führen § 2 Rdn. 13. Die Vorbereitung des Übergangs in das normale Leben muss möglichst frühzeitig 2 einsetzen; es ist dabei auf den Zeitpunkt der voraussichtlichen Entlassung in die Freiheit abzustellen (VV Abs. 1); d. h. dass die JVA ggf. eine Strafrestaussetzung im Wege der „Prognose einer Prognose“ zugrundelegen muss (ähnlich Arloth 2011 Rdn. 1). Angesichts der nach wie vor beachtlichen Quote der Strafaussetzungen zur Bewährung gem. § 57 StGB (vgl. § 74 Rdn. 18) wird häufig davon ausgegangen werden können, dass der Gefangene nach Verbüßung von zwei Dritteln der Freiheitsstrafe mit seiner Entlassung rechnen kann. Unter Berücksichtigung der besonderen Lage jedes einzelnen Falles ist ggf. auch auf einen Zeitpunkt vor oder nach diesem Termin abzustellen. Der Anstaltsleiter muss und darf sich dabei mit einer nur überschlägigen und knapp, wenn auch konkret nachprüfbar begründeten Prognose begnügen (Stilz ZfStrVo 1979, 67, 68 m. w. N.). Zur Legal-, Sozial- und Behandlungsprognose § 6 Rdn. 6. Beachte auch § 4 Rdn. 10. Lehnt die Strafvollstreckungskammer eine Aussetzung des Strafrestes ab, hat der 3 Anstaltsleiter jedoch nach Meinung des OLG Koblenz (ZfStrVo SH 1977, 17, 18; dem folgend C/MD 2008 Rdn. 1 und – wenngleich etwas „relativierend“ – Arloth 2011 Rdn. 1) bei der Berechnung der Neunmonatsfrist im Rahmen des Abs. 4 vom Zeitpunkt der endgültigen Strafverbüßung auszugehen. Diese Rechtsauffassung begegnet Bedenken (so auch Stilz ZfStrVo 1979, 67, 68 ). Der Gefangene ist nicht gehindert, die Frage, ob ein Strafrest zur Bewährung ausgesetzt werden kann, wiederholt prüfen zu lassen. Zudem wird die Strafvollstreckungskammer vor allem bei Gefangenen, die längere Freiheitsstrafen verbüßen müssen, lediglich feststellen können, dass bei dem Betroffenen eine Strafausset299
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Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
zung zur Bewährung zum Zeitpunkt der gerichtlichen Prüfung noch nicht verantwortet werden könne; spätere positive Entscheidungen sind möglich und werden auch nicht selten getroffen (ähnlich AK-Köhne/Lesting 2012 Rdn. 5). § 15 nennt lediglich einen Teil derjenigen Maßnahmen, die zur Vorbereitung der Entlassung getroffen werden können. Die Vorschrift ist daher im Zusammenhang mit zahlreichen weiteren Behandlungsmaßnahmen zu lesen, die auf die Vorbereitung der Entlassung ausgerichtet sind – z. B. die Vorschriften über die Zuweisung der Arbeit (§ 37), über das Überbrückungsgeld (§ 51), über die ärztliche Behandlung zur sozialen Eingliederung (§ 63) und die soziale Hilfe zur Entlassung (§ 74) –. II. Erläuterungen 4
1. Abs. 1: Lockerungen im Allgemeinen. Nach Abs. 1 soll der Vollzug gelockert werden, um die Entlassung vorzubereiten. Es können die in § 11 genannten Lockerungen des Vollzuges (Außenbeschäftigung, Freigang, Ausführung und Ausgang) angeordnet werden. Die Bestimmung ist als Sollvorschrift ausgestaltet, d. h., der Gefangene hat keinen Rechtsanspruch auf Lockerungen zur Entlassungsvorbereitung. Gleichwohl sind an die Ablehnung von zu diesem Zweck beantragten Lockerungen strengere Maßstäbe als bei der Prüfung von Lockerungen im Rahmen des § 11 anzulegen; die Anordnung von Lockerungen darf nicht aus Gründen der Vollzugsorganisation, wie z. B. fehlende vollzugsinterne Planungen und Kapazitäten für Lockerungen, unterbleiben (Arloth 2011 Rdn. 2; C/MD 2008 Rdn. 2; AK-Köhne/Lesting 2012 Rdn. 6). Ist ein Missbrauch durch den Gefangenen nicht zu befürchten (§ 11 Abs. 2), dürfen Lockerungen nur in besonderen Ausnahmefällen versagt werden. Andererseits gibt die Sollvorschrift dem Anstaltsleiter die Möglichkeit, im Einzelfall aus übergeordneten Gesichtspunkten (z. B. Abschluss einer Berufsausbildung) von der Anordnung von Außenbeschäftigung oder Freigang abzusehen.
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2. Verlegung in den offenen Vollzug bestimmt, dass der Gefangene in eine offene Anstalt oder Abteilung verlegt werden kann, wenn dies der Vorbereitung der Entlassung dient. Im Gegensatz zur Sollvorschrift des § 10 handelt es sich hier um eine KannVorschrift, da gerade in der Endphase des Vollzuges aus Behandlungsgründen eine Verlegung in eine offene Anstalt oder Abteilung unzweckmäßig sein kann. Gegenüber den Vorteilen, die der offene Vollzug für die Behandlung des Gefangenen und den Gefangenen selbst mit sich bringt (§ 10 Rdn. 1), ist z. B. abzuwägen, ob es sinnvoll ist, diejenigen Bindungen an das Behandlungspersonal, die bei der bisherigen Behandlung in der geschlossenen Anstalt entstanden sind, abzulösen (BT-Drucks. 7/918, 54). In der Regel wird freilich oft eine Ablösung der Bindungen und Übertragung auf ehrenamtliche Vollzugshelfer, Mitarbeiter von Beratungsstellen und Bewährungshelfer gerechtfertigt sein, da durch die bevorstehende Entlassung ohnehin eine Trennung stattfindet (AK-Köhne/ Lesting 2012 Rdn. 9). Auch noch nicht abgeschlossene Lehrgänge der beruflichen und schulischen Bildung oder andere besondere Hilfs- und Behandlungsmaßnahmen (vgl. § 7 Abs. 2 Nrn. 4–6) können Anlass geben, von einer Verlegung des Gefangenen abzusehen. Verbleibt der Gefangene in der geschlossenen Anstalt, sollen jedoch Lockerungen nach Abs. 1 angeordnet werden (C/MD 2008 Rdn. 3).
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3. Entlassungsurlaub. Von besonderer Bedeutung für die von dem Gefangenen vorzunehmenden Entlassungsvorbereitungen ist die Möglichkeit der Gewährung von Sonderurlaub, wobei der Gesetzgeber hinsichtlich des möglichen Umfangs des Sonderurlaubs zwischen Freigängern und solchen Gefangenen, die diesen Status nicht besitzen, Ullenbruch
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unterscheidet. Gefangenen, die keine Freigänger sind, kann innerhalb von drei Monaten vor der Entlassung zu deren Vorbereitung Sonderurlaub bis zu einer Woche gewährt werden (Abs. 3), Freigängern kann innerhalb von neun Monaten vor der Entlassung Sonderurlaub bis zu 6 Tagen im Monat gewährt werden (Abs. 4). Sonderurlaub darf nur gewährt werden, wenn die Voraussetzungen des § 11 Abs. 2 (Rdn. 11; vgl. dazu auch § 11 Rdn. 13 ff) vorliegen. Zum Sonderurlaub für Insassen einer sozialtherapeutischen Anstalt, § 124 Rdn. 1; bei Sicherungsverwahrung § 134 Rdn. 1. Die Landesgesetze haben den Umfang möglicher entlassungsvorbereitender Vollzugsöffnungen teilweise deutlich erweitert (vgl. insbes. § 16 HStVollzG – dazu unten Rdn. 15; ähnl. § 42 ME-StVollzG – dazu unten Rdn. 17). a) Für Gefangene, die nicht Freigänger sind. Die Beurlaubungsmöglichkeit von 7 Gefangenen, die keine Freigänger sind, ist auf eine Woche beschränkt. Die Gesamtdauer von einer Woche darf auch im Wiederholungsfall nicht überschritten werden (VV Abs. 2 Satz 1). Dies darf nicht dahingehend interpretiert werden, dass der Sonderurlaub nach Abs. 3 wiederholt (= 2 – 1 Woche) gewährt werden kann; für eine derartige Handhabung würde es an der gesetzlichen Ermächtigung fehlen. Der Urlaub kann lediglich in mehrere Abschnitte aufgeteilt werden; insoweit würde dann „wiederholt“ Urlaub gewährt. Die Gesamtdauer von einer Woche darf auch dann nicht überschritten werden, wenn die Entlassung zu einem anderen Zeitpunkt erfolgt, als bei der Bewilligung des Urlaubs angenommen wurde (VV Abs. 2 Satz 2). Die gesetzliche Regelung ist angesichts der großen Bedeutung, die der umfassenden Vorbereitung der Entlassung zukommt, zu eng ausgefallen (ähnlich AK-Köhne/Lesting 2012 Rdn. 11). Gerade für den Fall, dass die Entlassung zu einem anderen Zeitpunkt erfolgt, als bei der Bewilligung des Urlaubs angenommen wurde, hätte der Gesetzgeber die Möglichkeit schaffen sollen, erneut Sonderurlaub zur Entlassungsvorbereitung bis zu einer Gesamtdauer von einer Woche gewähren zu können. Der Sonderurlaub nach Abs. 3 muss der Vorbereitung der Entlassung dienen und kommt danach insbesondere für persönliche Vorsprachen in Betracht, die der Beschaffung von Unterkunft und Arbeit nach der Entlassung dienen sollen (sog. Entlassungsvorbereitung im engeren Sinn; vgl. dazu OLG Hamm ZfStrVo 1981, 189, 191). b) Für Gefangene im Freigang. Freigänger können dagegen vor ihrer Entlassung 8 bis zu 54 Tage Sonderurlaub (neun Monate lang jeweils sechs Tage) erhalten. Abzustellen ist auch hier auf den voraussichtlichen Entlassungszeitpunkt (VV Abs. 1). Als Freigänger gilt nicht nur derjenige Gefangene, der tatsächlich Arbeit außerhalb der Anstalt verrichtet (§ 11), sondern gemäß VV Abs. 3 auch derjenige Gefangene, der lediglich zum Freigang zugelassen ist, ohne ihn auszuüben. Zu weitgehend ist allerdings die vom OLG Hamm in NStZ 1990, 607 m. w. N. vertretene Auffassung, es genüge für die Gewährung von Sonderurlaub nach § 15 Abs. 4 die bloße Freigängereignung des Gefangenen (vgl. Begemann NStZ 1991, 517). Zuzustimmen ist dem OLG Hamm jedoch darin, dass auch Gefangene des geschlossenen Vollzuges den Freigängerurlaub erhalten können, sofern sie die Voraussetzungen der §§ 11 Abs. 2 und 15 Abs. 4 erfüllen. Zum Freigang zugelassen werden im Sinne der VV Abs. 3 kann auch derjenige Gefangene, der an sich als vertrauenswürdig für den Freigang erachtet wird, jedoch nicht aus in ihm, sondern im Strafvollzug liegenden Gründen (z. B. Mangel an Arbeitsplätzen außerhalb der Anstalt) einer Außenbeschäftigung nicht oder nicht mehr nachgehen kann. Denkbar sind aber auch Fälle, in denen der Gefangene aus in ihm liegenden Gründen (z. B. fehlende gesundheitliche Eignung) nicht außerhalb der Anstalt beschäftigt wer301
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den kann. Auch hier kann Sonderurlaub gemäß Abs. 4 gewährt werden. Die Möglichkeit, Freigängern einen Sonderurlaub nach § 15 Abs. 4 zu gewähren, war im Regierungsentwurf des Strafvollzugsgesetzes ursprünglich nicht vorgesehen; sie ist erst auf Antrag des Bundesrats in das Gesetz eingefügt worden, weil in ihr ein wesentliches Mittel der Erprobung für die Zuverlässigkeit eines Gefangenen und für die Einübung des Umgangs mit der Freiheit gesehen wurde (sog. Entlassungsvorbereitung im weiteren Sinn; vgl. dazu OLG Hamm ZfStrVo SH 1978, 19 sowie OLG Hamm ZfStrVo 1981, 189, 191). Aus dieser Sonderregelung für Freigänger folgt indessen nicht, dass jeder Freigänger einen Anspruch auf eine pauschale Bewilligung von Sonderurlaub von sechs Tagen im Monat hat, sofern er die zeitlichen und sonstigen Voraussetzungen erfüllt. Da es sich um eine KannVorschrift handelt, ist es dem Anstaltsleiter nicht verwehrt, zwischen Freigängern, die sich nach längerem Strafvollzug im Übergangshaus befinden (für diesen Personenkreis hatte der Bundesrat die Aufnahme der Bestimmung in den Gesetzestext beantragt), und solchen Gefangenen zu unterscheiden, die lediglich eine kürzere Freiheitsstrafe zu verbüßen haben. Sofern die Gefangenen mit kürzerer Freiheitsstrafe von Beginn der Strafzeit an als Freigänger eingesetzt sind, kann es gerechtfertigt sein, diesem Personenkreis nicht sofort zum frühestmöglichen Zeitpunkt, sondern erst allmählich Sonderurlaub gem. Abs. 4 zu gewähren und auch nicht, jedenfalls nicht sofort, die Höchstdauer von sechs Tagen je Monat auszuschöpfen. Auch ist es dem Anstaltsleiter nicht verwehrt, im Rahmen des ihm eingeräumten Ermessens bewilligten Ausgang, bewilligten Sonderurlaub nach § 35 und ggf. auch bewilligten Regelurlaub nach § 13 zu berücksichtigen (OLG Hamm ZfStrVo 1981, 189, 192). Beantragt ein Freigänger die Bewilligung von Sonderurlaub, besteht für ihn keine 9 Pflicht zum Vorbringen „resozialisierungsträchtiger“ oder anderer Urlaubsgründe; der Gefangene braucht kein Erfordernis für Sonderurlaub nachzuweisen. Das bedeutet, dass ein besonderer Zweck der Entlassungsvorbereitung, also ein der Gestaltung der Lebensund Berufsbedingungen des Gefangenen nach der Entlassung unmittelbar dienender Anlass, anders als bei § 15 Abs. 3, nicht gegeben zu sein braucht (OLG Hamm ZfStrVo SH 1978, 19; OLG Celle ZfStrVo 1979, 186; C/MD 2008 Rdn. 5; AK-Köhne/Lesting 2012 Rdn. 14). Gleichwohl machen Entstehungsgeschichte („wesentliches Mittel der Erprobung für die Zuverlässigkeit des Gefangenen und für die Einübung des Umgangs mit der Freiheit“ – vgl. OLG Hamm ZfStrVo SH 1978, 19 –) und Platzierung dieser Urlaubsmöglichkeit in § 15, der sich mit Möglichkeiten der Entlassungsvorbereitung beschäftigt, deutlich, dass auch der Sonderurlaub nach Abs. 4 – wenn auch „in einem weiteren Sinn“ (vgl. OLG Hamm ZfStrVo 1981, 189, 191) – der Vorbereitung der Entlassung dient (a. A. C/MD 2008 Rdn. 5). 10
c) Keine Kombination der Urlaubsmöglichkeiten. Nach Abs. 4 Satz 3 findet Abs. 3 Satz 1 keine Anwendung; es ist deshalb ausgeschlossen, beide Möglichkeiten der Gewährung von Sonderurlaub nebeneinander in Anspruch zu nehmen. Der Freigänger muss auch die sog. Entlassungsvorbereitung im engeren Sinn (vgl. Rdn. 7) in dem ihm gemäß Abs. 4 gewährten Sonderurlaub abwickeln.
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d) Entsprechend geltende Bestimmungen. Nach Satz 2 von Abs. 3 und Abs. 4 gelten für die Gewährung von Sonderurlaub §§ 11 Abs. 2, 13 Abs. 5 und § 14 entsprechend. Sonderurlaub darf demnach nur gewährt werden, wenn nicht zu befürchten ist, dass der Gefangene sich dem Vollzug der Freiheitsstrafe entziehen oder den Urlaub zu Straftaten missbrauchen wird (§ 11 Abs. 2). Beim Freigänger dürfte allerdings in der Regel eine eingehende Prüfung verzichtbar sein (so C/MD 2008 Rdn. 8). Zu beachten ist jedoch, dass es hinsichtlich des Gefährdungsgrades und somit der Missbrauchsgefahr einen UnUllenbruch
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terschied machen dürfte, ob ein Gefangener nur tagsüber die Anstalt verlässt (Freigang) oder sich über Nacht und oftmals für mehrere Tage außerhalb der Anstalt aufhält (Urlaub). Noch deutlicher wird das Problem bei einem Gefangenen, der zwar zum Freigang zugelassen ist und damit Sonderurlaub gem. Abs. 4 erhalten kann (vgl. Rdn. 8), jedoch einer Außenbeschäftigung nicht oder nicht mehr nachgehen kann. Dem Gefangenen, der Sonderurlaub erhält, können Weisungen erteilt werden; auch kann der Urlaub zurückgenommen oder widerrufen werden (§ 14). Der Sonderurlaub unterbricht die Strafvollstreckung nicht (§ 13 Abs. 5). III. Landesgesetze und Musterentwurf 1. Baden-Württemberg. §§ 88, 89 Abs. 1 bis 3 JVollzGB III sind weitgehend in- 12 halts- und wortgleich mit § 15 StVollzG – abgesehen von den „neuen“ Begrifflichkeiten („vollzugsöffnende Maßnahmen“, „Freistellung aus der Haft“; vgl. dazu § 11 Rdn. 1). 2. Bayern. Art. 17 BayStVollzG ist wie folgt aufgebaut: 13 Abs. 1 ist inhaltsgleich und weitgehend wortgleich mit § 15 Abs. 1 StVollzG. Abs. 2 ist weitgehend inhalts- und wortgleich mit § 15 Abs. 2 StVollzG, ersetzt aber die Formulierung „offene Anstalt oder Abteilung“ durch „Einrichtung des offenen Vollzugs“. Abs. 3 ist inhaltsgleich und weitgehend wortgleich mit § 15 Abs. 3 StVollzG. § 15 Abs. 4 entfällt (an dieser Stelle), aber nicht ersatzlos (vgl. Art. 14 Abs. 4 BayStVollzG). 3. Hamburg. § 15 HmbStVollzG ist wie folgt aufgebaut: 14 Abs. 1 ist weitgehend inhalts- und wortgleich mit § 15 Abs. 1 StVollzG. Abs. 2 Nr. 1 ist weitgehend inhalts- und wortgleich mit § 15 Abs. 3 Satz 1 StVollzG. Abs. 2 Nr. 2 und Nr. 3 (ausgelassene Sonderregelung für Sicherungsverwahrung und sozialtherapeutische Einrichtung). Abs. 3 und Abs. 4 sind inhalts- und weitgehend wortgleich mit § 15 Abs. 2 StVollzG. Abs. 5 (ausgelassene Sonderregelung für Sicherungsverwahrung und sozialtherapeutische Einrichtung). In der Gesetzesbegründung heißt es hierzu: „[…] In Absatz 3 wird zudem die Möglichkeit einer besonderen Entlassungshaftfreistellung für Freigängerinnen und Freigänger vorgesehen. Freigängerinnen und Freigängern kann danach innerhalb von neun Monaten vor der – voraussichtlichen – Entlassung weitere Freistellung von der Haft bis zu sechs Tagen im Monat gewährt werden. Im Gegensatz zur Entlassungshaftfreistellung nach Absatz 2 Nummer 1, für die es konkreter Vorhaben zur Entlassungsvorbereitung – wie beispielsweise einer Wohnungsbesichtigung oder –renovierung, eines Vorstellungsgesprächs beim Arbeitgeber oder eines Behördentermins – bedarf, ist die Entlassungshaftfreistellung für Freigängerinnen und Freigänger nicht an konkrete Entlassungsvorbereitungen geknüpft“ (Bürgerschafts-Drucks. 19/2533, 54). In der Begründung zur nunmehr überarbeiteten Fassung hatte es demgegenüber noch geheißen: „Eine § 15 Absatz 4 StVollzG entsprechende Möglichkeit, Freigänger (§ 12 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4) innerhalb von neun Monaten vor der Entlassung bis zu sechs Tage im Monat von der Haft freistellen zu können, wird jedoch nicht übernommen. Ein entsprechender behandlerischer […] Bedarf wird nicht gesehen“ (Bürgerschafts-Drucks. 18/6490, 37).
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4 . Hessen. § 16 HStVollzG ist wie folgt aufgebaut: Abs. 1 bezieht allgemein auf den frühen Beginn der verzahnten Entlassungsvorbereitung (vgl. Kommentierung § 74 Rdn. 24). Abs. 2 hat folgenden Wortlaut: „Zur Vorbereitung der Entlassung sollen vollzugsöffnende Maßnahmen gewährt werden. § 13 Abs. 2 bis 4 und 7 sowie § 14 gelten entsprechend. Darüber hinaus können Gefangene in einer Abteilung oder Anstalt des Entlassungsvollzugs untergebracht werden.“ In der Gesetzesbegründung heißt es hierzu: „Einen weiteren wichtigen Aspekt einer effektiven Entlassungsvorbereitung im Sinne einer erfolgreichen sozialen Eingliederung der Gefangenen sieht Abs. 2 vor: es sollen zur Vorbereitung der Entlassung vollzugsöffnende Maßnahmen gewährt werden. Außerdem verweist Abs. 2 Satz 2 ausdrücklich nicht mehr auf die Regelbeispiele von § 13 Abs. 5. Satz 3 normiert ausdrücklich die Möglichkeit, Gefangene in Einrichtungen des Entlassungsvollzugs unterzubringen.“ (LT-Drucks. 18, 1396, 88). Abs. 3 lautet wie folgt: „Gefangenen kann Freistellung aus der Haft zur Entlassungsvorbereitung von insgesamt bis zu drei Monaten, in den Fällen des § 12 Abs. 1 von bis zu sechs Monaten gewährt werden. § 13 Abs. 2, 4, 5 und 7 gilt entsprechend. Freistellung aus der Haft nach § 13 Abs. 3 Nr. 4 wird hierauf angerechnet. Gefangenen sind geeignete Weisungen nach § 14 Abs. 1 zu erteilen. Die Gewährung kann davon abhängig gemacht werden, dass die Überwachung erteilter Weisungen mit Einwilligung der Gefangenen durch den Einsatz elektronischer Überwachungssysteme („elektronische Fußfessel“) unterstützt wird. Während der Entlassungsfreistellung werden die Gefangenen durch die Anstalt betreut.“ In der Gesetzesbegründung heißt es hierzu: „Abs. 3 führt darüber hinaus für den Erwachsenenstrafvollzug in der unmittelbaren Entlassungsphase nach Abs. 1 eine Sonderfreistellung (…) ein. Diese entspricht dem Gedanken, der nach § 124 StVollzG bislang nur für die Sozialtherapie gilt (…). Die Freistellung muss (…) nicht am Stück genommen werden (…). Die Gewährung kann ferner davon abhängig gemacht werden, dass mit Einwilligung der Gefangenen die Überwachung erteilter Weisungen durch den Einsatz einer elektronischen Fußfessel unterstützt wird. (…) Als einziges Bundesland hat Hessen im Mai 2000 den Einsatz der elektronischen Fußfessel zur engmaschigen Kontrolle und speziellen Betreuung von Straftätern eingeführt (…) dient bislang der Überwachung von Bewährungsweisungen und Auflagen bei Außervollzugsetzung von Haftbefehlen.“ (LT-Drucks. 18/1396, 88). Vgl. auch Kommentierung Rdn. 6.
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5. Niedersachsen. § 17 NJVollzG ist inhaltsgleich und weitgehend wortgleich mit § 15 StVollzG.
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6. Musterentwurf. § 42 ME-StVollzG regelt die „Vorbereitung der Eingliederung“. Er ist wie folgt aufgebaut: Abs. 1 und Abs. 2 beziehen sich auf allgemeine Vorgaben zur rechtzeitigen Vorbereitung der (Wieder-)Eingliederung (vgl. Kommentierung § 74 Rdn. 26). Abs. 3 hat folgenden Wortlaut: „Den Gefangenen können Aufenthalte in Einrichtungen außerhalb des Vollzugs (Übergangseinrichtungen) gewährt werden, wenn dies zur Vorbereitung der Eingliederung erforderlich ist. Haben sich die Gefangenen mindestens sechs Monate im Vollzug befunden, kann ihnen auch ein zusammenhängender Langzeitausgang bis zu sechs Monaten gewährt werden, wenn dies zur Vorbereitung der Eingliederung erforderlich ist. § 38 Abs. 2 und 4 sowie § 40 gelten entsprechend.“ Ullenbruch
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In der ME-Begründung heißt es hierzu: „Absatz 3 enthält die Möglichkeit, zur Vorbereitung der Eingliederung Gefangene entweder in Übergangseinrichtungen unterzubringen oder ihnen einen entlassungsvorbereitenden Langzeitausgang zu gewähren. Beides dient dazu, die Gefangenen über einen längeren Zeitraum zu erproben oder den nahtlosen Wechsel von der stationären zur ambulanten Betreuung in Freiheit unter Einbeziehung Dritter zu ermöglichen. Die Maßnahme nach Satz 1 ist eine Lockerung sui generis. Als Weisung wird in der Regel in Betracht kommen, dass die Gefangenen in der Einrichtung wohnen und den Anweisungen des dortigen Personals Folge leisten. In solchen Einrichtungen, die auch von freien Trägern vorgehalten werden, können die Gefangenen gegebenenfalls auch nach der Entlassung aus der Haft vorläufig verbleiben. Alternativ besteht nach Satz 2 auch die Möglichkeit, Gefangenen einen zusammenhängenden Langzeitausgang bis zu sechs Monate zu gewähren. Diese besondere Form des Langzeitausgangs soll geeigneten Gefangenen ermöglichen, unter der verbleibenden Aufsicht der Anstalt, aber bei einem weitgehend gelockerten Gewahrsamsverhältnis die für ein straffreies eben notwendige Selbständigkeit zu erwerben. Um die Verhängung kurzer Freiheitsstrafen nicht zu umgehen, kann diese Form des Langzeitausgangs erst nach sechs Monaten Aufenthalt im Strafvollzug gewährt werden. Der Maßstab für die Gewährung dieser Lockerungen im Rahmen der Entlassungsvorbereitung entspricht dem Lockerungsmaßstab nach § 38 Abs. 2. Ein herabgesetzter Maßstab vergleichbar den Lockerungen zur Entlassungsvorbereitung in Absatz 4 wäre nicht angemessen, da die längerfristige Unterbringung außerhalb des Vollzuges ein hohes Maß an Verantwortungsbewusstsein und Selbstkontrolle der Gefangenen voraussetzt. Der Verweis auf § 38 Abs. 4 und § 40 stellt klar, dass auch diese Lockerungen die Vollstreckung der Freiheitsstrafe nicht unterbrechen und die Möglichkeit der Erteilung von weisungen besteht.“ (ME-Begründung, 112 f). Abs. 4 lautet wie folgt: „In einem Zeitraum von sechs Monaten vor der voraussichtlichen Entlassung sind den Gefangenen die zur Vorbereitung der Eingliederung erforderlichen Lockerungen zu gewähren, sofern nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass die Gefangenen sich dem Vollzug der Freiheitsstrafe entziehen oder die Lockerungen zu Straftaten missbrauchen werden.“ In der ME-Begründung heißt es hierzu: „Absatz 4 verändert den Prüfungsmaßstab der Anstalt bei der Entscheidung über Lockerungen im entlassungsnahen Zeitraum. Den Gefangenen sind sechs Monate vor der voraussichtlichen Entlassung die erforderlichen Lockerungen zum Zweck der Entlassungsvorbereitung zu gewähren, sofern nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass die Gefangenen sich dem Vollzug der Freiheitsstrafe entziehen oder die Lockerungen zu Straftaten missbrauchen. Liegen diese – im Vergleich zu § 38 Abs. 2 herabgesetzten – Voraussetzungen vor, so haben die Gefangenen einen Anspruch auf Lockerungen. Der Anspruch der Gefangenen findet seine Grenze darin, dass die Lockerungen zum Zweck der Eingliederung erforderlich sein müssen.“ (ME-Begründung, 113). Vgl. auch Kommentierung Rdn. 6.
§ 16 Entlassungszeitpunkt § 16 Ullenbruch Entlassungszeitpunkt (1) Der Gefangene soll am letzten Tag seiner Strafzeit möglichst frühzeitig, jedenfalls noch am Vormittag entlassen werden. 305
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(2) Fällt das Strafende auf einen Sonnabend oder Sonntag, einen gesetzlichen Feiertag, den ersten Werktag nach Ostern oder Pfingsten oder in die Zeit vom 22. Dezember bis zum 2. Januar, so kann der Gefangene an dem diesem Tag oder Zeitraum vorhergehenden Werktag entlassen werden, wenn dies nach der Länge der Strafzeit vertretbar ist und fürsorgerische Gründe nicht entgegenstehen. (3) Der Entlassungszeitpunkt kann bis zu zwei Tagen vorverlegt werden, wenn dringende Gründe dafür vorliegen, dass der Gefangene zu seiner Eingliederung hierauf angewiesen ist. VV (1) § 16 StVollzG gilt auch, wenn a) der Gefangene aufgrund einer gerichtlichen Entscheidung oder aufgrund einer Gnadenmaßnahme vorzeitig zu entlassen ist, b) eine Strafe oder Ersatzfreiheitsstrafe infolge der Vorverlegung des Entlassungszeitpunkts überhaupt nicht vollzogen wird, c) Freistellung von der Arbeit (§ 43 Abs. 6 Satz 1 StVollzG) auf den Entlassungszeitpunkt nach § 43 Abs. 9 StVollzG vorrangig angerechnet wird. (2) Soweit es auf die Länge der Strafzeit ankommt, ist die Vorverlegung der Entlassung vertretbar, wenn sich der Gefangene zum Zeitpunkt der beabsichtigten Entlassung wenigstens einen Monat ununterbrochen im Vollzug befindet. Schrifttum S. bei § 11.
I. II.
III.
Übersicht Allgemeine Hinweise ____ 1–3 Erläuterungen ____ 4–8 1. Abs. 1 ____ 4 2. Abs. 2 ____ 5 3. Abs. 3 ____ 6, 7 4. Geltungsbereich ____ 8 Beispiel ____ 9
IV.
Landesgesetze und Musterentwurf ____ 10–15 1. Baden-Württemberg ____ 10 2. Bayern ____ 11 3. Hamburg ____ 12 4. Hessen ____ 13 5. Niedersachsen ____ 14 6. Musterentwurf ____ 15
I. Allgemeine Hinweise Die Vollstreckungsbehörde (§ 451 Abs. 1 StPO; § 4 StVollstrO) ist für die Berechnung der Strafzeit verantwortlich. Sie überprüft die vorläufige Berechnung der Anstalt. Die Strafe endet, wenn sie länger als eine Woche dauert, am Tagesende (24 Uhr) des letzten Tages der Strafe. § 16 ordnet in Abs. 1 dagegen an, dass die Entlassung des Gefangenen am letzten Tag der Haft vor 24 Uhr erfolgt. Damit wird die schon längst herrschende Praxis bestätigt. Es handelt sich nicht um vorzeitige Entlassung; denn nach § 37 Abs. 2 Satz 3 StVollstrO gilt zugunsten des Gefangenen ein im Laufe eines Tages eingetretenes Ereignis als um 24 Uhr an diesem Tage geschehen. Abs. 2 und Abs. 3 des § 16 geben der Vollzugsbehörde aber darüber hinaus die Mög2 lichkeit, den Gefangenen schon einige Tage vor dem berechneten Endtage zu entlassen. Durch diese Entscheidung, die auch zulässig ist, wenn eine (kurze) Ersatzfreiheitsstrafe zu vollziehen ist, wird die Strafe verkürzt, d. h. es tritt ein Erlass der restlichen Tage der Strafe mit der Entlassung ein; aus Gründen der Resozialisierung verzichtet der Staat auf einen Teil des Strafanspruchs (a. A. KG NStZ 2004, 228; Arloth 2011 Rdn. 3; Laubenthal 1
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2011 Rdn. 674). Die Strafe gilt gleichwohl als in ihrem ursprünglich berechneten Umfang verbüßt (insoweit zustimmend Arloth 2011 Rdn. 3; vgl. noch LR-Schäfer 2006 § 451 StPO Rdn. 61; BGH NJW 1982, 2390; KG NStZ 2004, 112). Die Entscheidung der Vollzugsbehörde nach § 16 ist keine Entscheidung im Gna- 3 denwege, sondern eine die Strafvollstreckung unmittelbar betreffende Vollzugsmaßnahme. Sie ist durch das Vollstreckungsgericht auf Ermessensmissbräuche nachprüfbar. II. Erläuterungen 1. Abs. 1. Die Vorschrift verfolgt in Abs. 1 das Ziel, die Entlassung eines Gefangenen 4 am letzten Tage seiner Strafzeit so rechtzeitig vornehmen zu lassen, dass der Betroffene die Möglichkeit erhält, noch am Entlassungstag die wichtigsten Angelegenheiten zu erledigen; hierzu zählt auch die Möglichkeit, noch Behörden aufzusuchen (vgl. dazu insbesondere § 75 i. V. m. VV Nr. 3 zu § 75). Die Entlassung soll auf jeden Fall noch am Vormittag erfolgen (offener: § 91 Abs. 1 JVollzGB III; vgl. Rdn. 10). Im Einzelfall (z. B. bei weiter Reise) wird die Entlassung schon vor Dienstbeginn der Verwaltung stattfinden können; dazu müssen jedoch alle Entlassungsvorkehrungen seitens der Anstalt bereits am Vortage getroffen worden sein (ähnlich AK-Köhne/Lesting 2012 Rdn. 2). Zum Integrationsgrundsatz § 3 Rdn. 13. 2. Abs. 2. Die Entlassung kann jedoch auch schon vor dem ursprünglich vorge- 5 merkten Entlassungstag erfolgen. Nach Abs. 2 kann der Gefangene, dessen Strafende auf einen Sonnabend oder Sonntag, einen gesetzlichen Feiertag, den ersten Werktag nach Ostern oder Pfingsten oder in die Zeit vom 22. Dezember bis 2. Januar (gleichermaßen weitergehend Art. 18 Abs. 2 BayStVollzG, § 17 Abs. 2 HmbStVollzG und § 43 Abs. 2 ME-StVollzG; vgl. insoweit Rdn. 10 ff) fällt, bereits an dem diesem Tag oder Zeitraum vorhergehenden Werktag entlassen werden. Erforderlich ist, dass dies nach der Länge der Strafzeit vertretbar ist; gemäß VV Abs. 2 ist diese Voraussetzung erfüllt, wenn sich der Gefangene zum Zeitpunkt der beabsichtigten Entlassung wenigstens einen Monat ununterbrochen im Vollzug befindet. Zudem dürfen einer Vorverlegung des Entlassungszeitpunktes fürsorgerische Gründe nicht entgegenstehen (wenn z. B. trotz intensiver Bemühungen die Wohnungsfrage noch nicht geklärt ist, oder der alleinstehende und mittellose Gefangene erst ab Anfang Januar eine Arbeitsstelle hat und nicht weiß, wie er seinen Lebensunterhalt über die Feiertage bestreiten soll). In der Praxis bedeutsam ist z. B. auch die Notwendigkeit eines nahtlosen Übergangs aus der Haft in eine vorbereitete Betreuungsmaßnahme, z. B. eine stationäre Drogentherapie Arloth 2011 Rdn. 6). 3. Abs. 3. Nach Abs. 3 kann der Entlassungszeitpunkt um bis zu zwei Tage vor- 6 verlegt werden, wenn dringende Gründe dafür vorliegen, dass der Gefangene zu seiner Eingliederung hierauf angewiesen ist (§ 3 Rdn. 13). Die Vorschrift muss eng ausgelegt werden. Dringende Gründe, die eine über die Abs. 1 und 2 hinausgehende Vorverlegung des Entlassungszeitpunktes erforderlich werden lassen, wird es selten geben (Beispiel 1: Beginn einer turnusmäßig stattfindenden Ausbildungsmaßnahme (Arloth 2011 Rdn. 7); Beispiel 2: ein Gefangener soll am dritten Tage eines Monats entlassen werden; der Arbeitgeber ist jedoch zur Einstellung des Betroffenen nur dann bereit, wenn er bereits am Ersten des Monats die Arbeit aufnimmt). Noch weitergehend – bis zu fünf Tage – allerdings: § 91 Abs. 2 JVollzGB III; vgl. Rdn. 10. Abs. 3 ist den Regelungen in den Abs. 1 und 2 nachgeordnet. Fällt z. B. erst durch die 7 Anwendung des Abs. 3 der Entlassungszeitpunkt auf einen der in Abs. 2 genannten Tage 307
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oder in den dort genannten Zeitraum, so ist für eine vorzeitige Entlassung nach Abs. 2 kein Raum. Die vorzeitige Entlassung nach Abs. 3 steht einer Vollverbüßung i. S. v. § 68 f Abs. 1 StGB gleich, da lediglich der Entlassungszeitpunkt vorverlegt wird (KG NStZ 2004, 228; LG Kiel NStZ-RR 2011, 31). D. h. dass die Länder aufgrund der ihnen nunmehr zustehenden Gesetzgebungskompetenz auch insoweit eigene Regelungen erlassen dürfen (so zutreffend bereits erkannt von Arloth 2011 Rdn. 3). – Beruht die vorzeitige Entlassung auf einer sog. „Weihnachtsamnestie“, steht dies dem Eintritt von Führungsaufsicht gleichfalls nicht entgegen (so zutreffend OLG Celle StraFo 2008, 262 mit Nachweisen auch zur Gegenposition). Etwas anderes gilt bei der Berechnung des Vorfreiheitsentzuges i. S. d. § 66 Abs. 1 Nr. 2 StGB. Entgegen der Rspr. (BGH NJW 1982, 2390) ist eine etwaige Vorverlegung des Entlassungszeitpunktes im dortigen Zusammenhang zu beachten. Der Vorwurf der Rückfälligkeit trotz der Warnfunktion vorangegangener Strafhaft knüpft wesentlich an die Dauer der tatsächlich erlittenen Freiheitsentziehung an (ausführlich dazu MünchKommStGB-Ullenbruch/Drenkhahn/Morgenstern 2012 § 66 Rdn. 85). 8
4. Geltungsbereich. § 16 gilt auch, wenn der Gefangene aufgrund einer gerichtlichen Entscheidung oder aufgrund einer Gnadenmaßnahme vorzeitig zu entlassen ist, oder eine Strafe oder Ersatzfreiheitsstrafe infolge der Vorverlegung des Entlassungszeitpunktes überhaupt nicht vollzogen wird (VV Abs. 1). Die Vorverlegung des Entlassungszeitpunkts nach § 16 steht aber nur im Ermessen der Anstalt. Deshalb hat die Vorverlegung auf Grund der Anrechnung einer Freistellung nach § 43 Abs. 9 Vorrang (VV Abs. 1 Buchst. c). Die nach § 43 Abs. 6 Satz 1 erarbeiteten Freistellungstage sind, wenn sie nicht an Werktagen als solche oder als Urlaubstage genutzt worden sind, auf den Entlassungszeitpunkt in der Weise anzurechnen, dass Sonntage, gesetzliche Feiertage und Samstage bei der vom Entlassungszeitpunkt aus beginnenden Rückrechnung mitzählen (KG NStZRR 2009, 390); ausführlich zum Ganzen Arloth 2011 Rdn. 2). – Unter Gesichtspunkten der Gleichbehandlung und Gerechtigkeit problematisch erscheinen über die gesetzlichen Regelungen in Abs. 2 und Abs. 3 hinausgehende (eher fiskalisch als religiös motivierte) Verwaltungsanordnungen wie z. B. die sog. „Weihnachtsamnestien“, teilweise schon Anfang Dezember oder gar im November (im Ergebnis gleichfalls skeptisch Arloth 2011 Rdn. 4; a. A. AK-Köhne/Lesting 2012 Rdn. 4). – Zu Besonderheiten bei Ersatzfreiheitsstrafen vgl. Friederich ZfStrVo 1994, 14 ff. III. Beispiel
9
Nach Meinung des LG Regensburg (ZfStrVo SH 1979, 18) soll die Vollzugsbehörde bei der Entscheidung über einen Antrag auf Vorverlegung des Entlassungszeitpunktes gemäß Abs. 2 bei der Ausübung ihres Ermessens auch das Verhalten des Gefangenen im Vollzug und insbesondere die von ihm gezeigte Bereitschaft, an der Erreichung des Vollzugszieles mitzuarbeiten, würdigen können. Im vorliegenden Fall war der ursprüngliche Entlassungstag ein Werktag. Durch Entweichung und Nichtrückkehr vom Ausgang hatte sich das Strafende verschoben; der Entlassungstag war nunmehr ein Sonntag. Das Gericht hielt die Ablehnung der Vorverlegung des Entlassungszeitpunktes auf den Samstag für rechtens, obwohl der Gefangene vorgetragen hatte, Wohnung und Arbeit seien noch nicht gesichert. Nach Auffassung des Gerichts dürfe es ein Gefangener nicht in der Hand haben, sein Strafende selbst durch negatives Verhalten vorzuverlegen. Diese Rechtsauffassung begegnet Bedenken, weil sie der Zweckbestimmung des § 16 zuwiderläuft und dem Betroffenen das Argument in die Hand gibt, seine erneute StraffälUllenbruch
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Entlassungszeitpunkt
§ 16
ligkeit sei durch die negative Entscheidung der Vollzugsbehörde bedingt gewesen (a. A. Arloth 2008 Rdn. 4). IV. Landesgesetze und Musterentwurf 1. Baden-Württemberg. § 91 JVollzGB III ist wie folgt aufgebaut: 10 Abs. 1 hat folgenden Wortlaut: Gefangene sind am letzten Tag der Strafzeit möglichst frühzeitig zu entlassen.“ In der Gesetzesbegründung heißt es hierzu: „Innerhalb des dem Land zur Verfügung stehenden vollzugsrechtlichen Rahmens legt Absatz 1 die möglichst frühzeitige Entlassung am letzten Tag der Strafzeit fest, damit die oder der Entlassene den Entlassungsort rechtzeitig erreichen und dort notwendige Erledigungen vornehmen kann.“ (LT-Drucks. 14/5012, 236). Abs. 2 lautet wie folgt: „Der Entlassungszeitpunkt kann bis zu fünf Tage vorverlegt werden, wenn dringende Gründe dafür vorliegen, dass die oder der Gefangene zu ihrer oder seiner Eingliederung hierauf angewiesen ist. Dies ist regelmäßg anzunehmen, wenn der Entlassungszeitpunkt auf ein Wochenende oder auf einen gesetzlichen Feiertag fällt. Die Vorverlegung des Entlassungszeitpunkts muss im Hinblick auf die Länge der Strafzeit vertretbar sein.“ In der Gesetzesbegründung heißt es hierzu: „Weil dies am letzten Tag der Strafzeit nicht immer möglich ist, insbesondere wenn dieser auf ein Wochenende oder einen Feiertag fällt, wird eine Vorverlegung des Entlassungszeitpunkts durch Absatz 2 ermöglicht. Die Regelung fasst § 16 Abs. 2 und 3 StVollzG zusammen und ermöglicht eine Vorverlegung des Entlassungszeitpunkts von bis zu fünf Tagen, wenn dringende Gründe dafür vorliegen, dass die oder der Gefangene aus Gründen der Eingliederung hierauf angewiesen ist. Solche Gründe sind regelmäßig anzunehmen, wenn der Entlassungszeitpunkt auf ein Wochenende oder auf einen gesetzlichen Feiertag fällt. Die Vorverlegung des Entlassungszeitpunkts muss im Übrigen mit Blick auf die Länge der Strafzeit vertretbar sein (Sätze 2 und 3).“ (LT-Drucks. 14/5012, 236). Vgl. auch Kommentierung Rdn. 4 und 6. 2. Bayern. Art. 18 BayStVollzG ist wie folgt aufgebaut: 11 Abs. 1 ist inhaltsgleich und weitgehend wortgleich mit § 16 Abs. 1 StVollzG. Abs. 2 ist weitgehend inhalts- und wortgleich mit § 16 Abs. 2 StVollzG; neu ist die Erweiterung des zeitlichen Anwendungsbereiches, indem die Worte „bis zum 2. Januar“ durch „bis zum 6. Januar“ ersetzt werden. In der Gesetzesbegründung heißt es hierzu: „In Abs. 2 wurde der zeitliche Anwendungsbereich der Vorschrift aus vollzugspraktischen Gründen um vier Tage ausgedehnt. Danach können beispielsweise Gefangene, bei denen das Strafende auf den 6. Januar fällt, am 21. Dezember des Vorjahres entlassen werden. Eine Entlassung vor dem ursprünglich vorgemerkten Entlassungstag kommt nur dann in Betracht, wenn dies nach der Länge der Strafzeit vertretbar ist und fürsorgerische Gründe nicht entgegenstehen. Entsprechend der Regelung in Abs. 2 der VV zu § 16 StVollzG wird eine Vorverlegung der Entlassung erst dann vertretbar sein, wenn sich der oder die Gefangene zum Zeitpunkt der beabsichtigten Entlassung wenigstens einen Monat ununterbrochen im Vollzug befunden hat“ (LT-Drucks. 15/8101, 55). 3. Hamburg. Art. 17 HmbStVollzG ist wie folgt aufgebaut: 12 Abs. 1 Satz 1 ist inhaltsgleich und weitgehend wortgleich mit § 16 Abs. 1 StVollzG. 309
Ullenbruch
§ 16
Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
Abs. 1 Satz 2 lautet wie folgt: „Dies gilt auch, wenn sie auf Grund einer gerichtlichen Entscheidung oder auf Grund eines Gnadenerweises vorzeitig zu entlassen sind.“ In der entsprechend der Gesetzesbegründung (Bürgerschafts-Drucks. 19/2533, 54) ergänzend heranzuziehenden Begründung zu Art. 17 HmbStVollzG a. F. hieß es hierzu: „Absatz 1 Satz 2 stellt entsprechend VV Nummer 1 Buchstabe a) zu § 16 StVollzG klar, dass Satz 1 auch gilt, wenn die Gefangenen auf Grund einer gerichtlichen Entscheidung oder auf Grund eines Gnadenerweises vorzeitig zu entlassen sind“ (BürgerschaftsDrucks. 18/6490, 37). Abs. 2 ist weitgehend inhaltsgleich mit § 16 Abs. 2 StVollzG mit zwei Ausnahmen: Zum einen wird die Formulierung „vom 22. Dezember bis zum 6. Januar“ ersetzt durch „vom 22. Dezember bis zum 6. Januar „; zum anderen heißt es statt „wenn dies nach der Länge der Strafzeit vertretbar ist“ hier „wenn sie sich zum Zeitpunkt der beabsichtigten Entlassung mindestens einen Monat ununterbrochen im Vollzug befinden“. In der – wiederum ergänzend heranzuziehenden – Gesetzesbegründung der a. F. des HmbStVollzG hieß es hierzu: „Auch Absatz 2 entspricht im Wesentlichen § 16 Absatz 2 StVollzG. Lediglich der mit dem 22. Dezember eines Jahres beginnende Zeitrahmen für die Vorverlegung des Entlassungszeitpunktes wird in Übereinstimmung mit den Entwürfen anderer Bundesländer aus pragmatischen Gründen vom 2. Januar eines Jahres auf den 6. Januar eines Jahres erweitert. Soweit es nach § 16 Absatz 2 3. Halbsatz StVollzG auf die Länge der Strafzeit ankommt, greift Absatz 2 3. Halbsatz die in VV Nummer 2 zu § 16 geregelte Konkretisierung auf. Hiernach kann die Entlassung vorverlegt werden, wenn die Gefangenen sich zum Zeitpunkt der beabsichtigten Entlassung mindestens einen Monat ununterbrochen im Vollzug befinden“ (Bürgerschafts-Drucks. 18/6490, 37). Abs. 3 ist weitgehend inhalts- und weitgehend wortgleich mit § 16 Abs. 3 StVollzG – außer, dass die Worte „dringende Gründe dafür vorliegen, dass“ ersatzlos gestrichen werden. In der Gesetzesbegründung heißt es hierzu: „[…] wurde indes die Schwelle für eine Vorverlegung der Entlassung aus Eingliederungsgründen herabgesenkt. Nach dem Entwurf kann die Entlassung vorverlegt werden, wenn die Gefangenen zu ihrer Eingliederung darauf angewiesen sind. Hierfür müssen nachvollziehbare Gründe vorliegen“ (Bürgerschafts-Drucks. 19/2533, 54). Abs. 4 lautet wie folgt: „Absätze 2 und 3 gelten auch nach einer Anrechnung der Freistellung auf den Entlassungszeitpunkt (§ 40 Absatz 5 Satz 1) oder wenn eine Strafe oder Ersatzfreiheitsstrafe infolge der Vorverlegung überhaupt nicht vollzogen wird“. In der ergänzend heranzuziehenden Begründung zu § 17 HmbStVollzG aF heißt es hierzu: „Absatz 4 greift die Regelungen in VV Nummer 1 Buchstaben b) und c) auf und integriert sie aus pragmatischen Gründen in das Gesetz“ (Bürgerschafts-Drucks. 18/ 6490, 37). Abs. 5 ist weitgehend inhalts- und wortgleich mit § 75 Abs. 1 StVollzG. 13
4. Hessen. § 17 HStVollzG ist wie folgt aufgebaut: Abs. 1 ist inhaltsgleich und weitgehend wortgleich mit § 16 StVollzG. Abs. 2 bezieht sich auf sonstige „Entlassungshilfen“ (vgl. Kommentierung § 75 Rdn. 18).
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5. Niedersachsen. § 18 NJVollzG ist inhaltsgleich und weitgehend wortgleich mit § 16 StVollzG.
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6. Musterentwurf. § 43 ME-StVollzG ist wie folgt aufgebaut: Abs. 1 ist inhaltsgleich und weitgehend wortgleich mit § 16 Abs. 1 StVollzG. Ullenbruch
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Unterbringung während der Arbeit und Freizeit
§ 17
Abs. 2 ist inhaltsgleich und weitgehend wortgleich mit § 16 Abs. 2 StVollzG – mit zwei Ausnahmen: Zum einen wird die Formulierung „in die Zeit vom 22. Dezember bis zum 2. Januar“ ersetzt durch die Formulierung „in die Zeit vom 22. Dezember bis zum 6. Januar“; zum anderen heißt es statt „wenn dies nach der Länge der Strafzeit vertretbar“ hier „wenn dies gemessen an der Dauer der Strafzeit vertretbar“. Abs. 3 ist inhaltsgleich und weitgehend wortgleich mit § 16 Abs. 3 StVollzG. Abs. 4 hat folgenden Wortlaut: „Bedürftigen Gefangenen kann eine Entlassungsbeihilfe in Form eines Reisekostenzuschusses, angemessener Kleidung oder einer sonstigen notwendigen Unterstützung gewährt werden.“ In der ME-Begründung heißt es hierzu: „Nach Absatz 4 kann bedürftigen Gefangenen eine Entlassungsbeihilfe in Form eines Reisekostenzuschusses, angemessener Kleidung oder einer sonstigen Unterstützung gewährt werden. Im Regelfall sollten Hilfen nach dieser Bestimmung entbehrlich sein, weil die Sozialbehörden entsprechend ihrer gesetzlichen Verpflichtung die notwendigen Mittel bereitstellen. Ein Übergangsmanagement, das u. a. Arbeits- und Ausbildungsvermittlung, frühzeitige Klärung von Leistungsansprüchen und eine kontinuierliche Kooperation mit den Sozialbehörden beinhalten muss, macht nicht nur die Aufwendungen für die Entlassungsbeihilfe weitgehend entbehrlich, sondern verbessert auch die Eingliederungschancen der Haftentlassenen entscheidend.“ (ME-Begründung, 114).
DRITTER TITEL Unterbringung und Ernährung des Gefangenen § 17 Unterbringung während der Arbeit und Freizeit § 17 Laubenthal Unterbringung während der Arbeit und Freizeit (1) Die Gefangenen arbeiten gemeinsam. Dasselbe gilt für Berufsausbildung, berufliche Weiterbildung sowie arbeitstherapeutische und sonstige Beschäftigung während der Arbeitszeit. (2) Während der Freizeit können die Gefangenen sich in der Gemeinschaft mit den anderen aufhalten. Für die Teilnahme an gemeinschaftlichen Veranstaltungen kann der Anstaltsleiter mit Rücksicht auf die räumlichen, personellen und organisatorischen Verhältnisse der Anstalt besondere Regelungen treffen. (3) Die gemeinschaftliche Unterbringung während der Arbeitszeit und Freizeit kann eingeschränkt werden, 1. wenn ein schädlicher Einfluss auf andere Gefangene zu befürchten ist, 2. wenn der Gefangene nach § 6 untersucht wird, aber nicht länger als zwei Monate, 3. wenn es die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt erfordert oder 4. wenn der Gefangene zustimmt.
I. II.
III.
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Übersicht Allgemeine Hinweise ____ 1, 2 Erläuterungen ____ 3–7 1. Unterbringung bei der Arbeit ____ 3 2. Unterbringung in der Freizeit ____ 4 3. Einschränkungen der gemeinsamen Unterbringung ____ 5–7 Beispiel ____ 8
IV.
Landesgesetze und Musterentwurf ____ 9–14 1. Baden-Württemberg ____ 9 2. Bayern ____ 10 3. Hamburg ____ 11 4. Hessen ____ 12 5. Niedersachsen ____ 13 6. Musterentwurf ____ 14
Laubenthal
§ 17
Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
I. Allgemeine Hinweise Die Gefangenen sollen die tägliche Arbeitszeit in Gemeinschaft verbringen und frei entscheiden können, ob sie ihre Freizeit ganz oder teilweise in Gemeinschaft mit anderen verleben oder für sich allein bleiben. Das Vollzugsziel (§ 2 Rdn. 10 ff) kann nur erreicht werden, wenn es der Gefangene lernt, mit anderen zusammenzuarbeiten und erträglich zusammenzuleben. Das strenge Einzelhaftsystem (sog. pennsylvanisches System), das darauf bedacht war, die schlechten Einflüsse, die Gefangene aufeinander haben können, durch konsequente Trennung zu verhindern, hat sowohl die für sich allein gelassenen Gefangenen unzumutbar belastet als sie auch lebensuntüchtig gemacht („Einzelhaft macht schwächer“, Radbruch ZfStrVo 1952/53, 140, 151); siehe dazu Böhm 2003 Rdn. 62, 217. Vgl. auch Laubenthal 2011 Rdn. 101 f; Schwind in: Schwind/Blau 1 ff. 2 Da viele Gefangene ein vernünftiges Miteinander bei Arbeit, Freizeit und Sport wegen ihrer Sozialisationsmängel nicht zu leisten vermögen und weil bei den vielen schwierigen Persönlichkeiten auch eine gegenseitige schlechte Beeinflussung nicht ausgeschlossen werden kann, ist Aufsicht, Beobachtung und Beratung sicherzustellen, weil Gemeinschaft gelernt werden muss (Busch ZfStrVo 1977, 63, 67). Deshalb sollen die Arbeitsgruppen, die Wohngruppen (§ 7 Rdn. 10; § 143 Rdn. 4) und die Freizeitgruppen (§ 67 Rdn. 21) nicht zu groß sein. Und die Entwicklung der Beziehungen der Gefangenen zueinander muss beobachtet und mit den Insassen besprochen werden. Dem entsprechen die Arbeitsbedingungen in den sozialtherapeutischen Anstalten (§ 9 Rdn. 3) mit ihren am Modell der problemlösenden Gemeinschaft (dazu Laubenthal 2011, Rdn. 161 ff) orientierten Wohn- und Kommunikationsstrukturen. Auch im Normalvollzug wird in einigen Anstalten in vergleichbarer Weise gearbeitet, wobei offen bleibt, ob das erwähnte Modell für alle Gefangenen geeignet erscheint (§ 143 Rdn. 4; Walter 1999 Rdn. 284). Während Arbeit, Ausbildung und sonstige Beschäftigung in der Arbeitszeit gemeinschaftlich stattfinden, erlaubt § 201 Nr. 2 für die Anstalten, mit deren Bau vor dem 1.1.1977 begonnen wurde, eine weitreichende Einschränkung hinsichtlich gemeinschaftlicher Unterbringung während der Freizeit. 1
II. Erläuterungen 3
1. Unterbringung bei der Arbeit. Die Gefangenen arbeiten gemeinsam. Ob dies dem Angleichungsgrundsatz (§ 3 Abs. 1; § 3 Rdn. 3 ff) entspricht (C/MD 2008 Rdn. 1; OLG Frankfurt ZfStrVo 1979, 121) erscheint fraglich. Es gibt – im Zeitalter moderner Kommunikationstechniken noch zunehmend – zahlreiche Arbeitsplätze, bei denen nicht gemeinsam gewirkt wird. Eher ist wohl ein soziales Training (§ 67 Rdn. 23) Leitbild dieser Regelung (ebenso C/MD 2008 Rdn. 1). Schreckbild stellt die früher weit verbreitete, meistens auch auf langweilige und primitive Heimarbeit zugeschnittene Zellenarbeit dar, mit der sich der Insasse während der Arbeitszeit in seinem Haftraum allein beschäftigen musste. Nicht nur die Arbeit im engeren Sinn findet nach Abs. 1 in Gemeinschaft statt, sondern auch die anstelle von Arbeit und in der Arbeitszeit stattfindenden Beschäftigungen (C/MD 2008 Rdn. 3). In der Aufzählung des Abs. 1 bleibt allerdings der Unterricht (§ 38) ausgespart. In der Tat sollte die Möglichkeit des bei besonders schulisch Vernachlässigten jedenfalls zeitweilig nötigen Einzelunterrichts und der Wechsel von alleinigem Studium im Haftraum und gemeinsamer Arbeit in der Gruppe während des Schultages offen gelassen werden. Die Selbstbeschäftigung nach § 39, soweit sie nicht im Wege des Freigangs stattfindet, kann überwiegend nur allein im Haftraum geleistet werden. Und ebenso gibt es in der Anstalt Arbeitsstellen, an denen der Insasse meistens allein arbeitet (z. B. in der Waschküche, in der Heizung oder der Bücherei – überhaupt bei den begehrLaubenthal
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Unterbringung während der Arbeit und Freizeit
§ 17
ten Hausarbeitertätigkeiten). Diese Art von Arbeit ist unter der Voraussetzung zulässig, dass der Gefangene zustimmt (Abs. 3 Nr. 4). Die Zustimmung darf der Inhaftierte ohne Angabe von Gründen jederzeit widerrufen (OLG Hamm NStZ 1990, 206). Zur Arbeit in ihrem Haftraum sind die Gefangenen verpflichtet, deren gemeinschaftliche Unterbringung während der Arbeitszeit aus den in Abs. 4 Nr. 1–3 genannten Gründen eingeschränkt ist (LG Stuttgart ZfStrVo 1990, 304; OLG Hamm NStZ 1990, 206). Der Gefangene hat aber keinen Anspruch darauf, dass ihm eine Einzelarbeit zugewiesen wird (Arloth 2011 Rdn. 1). 2. Unterbringung in der Freizeit. Die Dauer der täglichen Freizeit ergibt sich aus 4 der Hausordnung (§ 161 Abs. 2 Nr. 2 – zur Rechtsnatur § 161 Rdn. 2, 4). Sie ist nicht nur die Zeit, in der in der Anstalt gemeinschaftliche Veranstaltungen angeboten werden, sondern z. B. die meiste Tageszeit an Wochenenden. Nicht in allen Anstalten ist es möglich, den Insassen für die ganze Freizeit die freie Wahl einzuräumen, entweder in Gemeinschaft zu leben oder allein im Haftraum zu sein. Das setzt regelmäßig die Aufgliederung der Anstalt in abtrennbare, selbständige Wohngruppen (§ 7 Rdn. 10; § 143 Rdn. 4) voraus, für deren Betreuung genug Personal zur Verfügung stehen müsste (§ 143, § 201 Abs. 4; s. auch Rdn. 2). Auch wo diese Voraussetzungen erfüllt sind, beschränkt sich das Recht auf Gemeinsamkeit häufig auf die Mitglieder der Wohngruppen bzw. die Teilnehmer an den darüber hinaus angebotenen Kursen und Veranstaltungen. Nur in diesem organisatorischen Rahmen vermag sich der Gefangene seinen Umgang auszusuchen. Die Anstaltsleitung kann Aufschluss für eine bestimmte Tageszeit gewähren, der allerdings auf bestimmte abgegrenzte Einheiten (z. B. Abteilungen) beschränkt bleibt. Die gesamte Anstalt nach innen zu öffnen, kann wegen der subkulturellen Einflüsse (§ 3 Rdn. 12) der Gefangenen aufeinander nicht befürwortet werden (ebenso Arloth 2011 Rdn. 3; vgl. auch Dünkel/Kunkat NK 2/1997, 24, 29). Wenn (AK-Kellermann/Köhne 2012 vor § 17 Rdn. 7; § 17 Rdn. 3, 5) darauf hingewiesen wird, dass es erfolgreiche Beispiele der Öffnung ganzer Anstalten nach innen ohne Aufgliederungen in Wohngruppen und stärkeren Personaleinsatz gebe, und dass die Gefangenensubkultur dem Selbstschutz diene und einen repressionsfreien Anstaltsbetrieb gewährleiste, so widersprechen dem die derzeit im geschlossenen (und teilweise auch im offenen) Vollzug vorgefundenen Verhältnisse. Auf der subkulturellen Ebene sind körperliche und sexuelle Angriffe, das Unterdrücken anderer Mitinhaftierter, Nötigungen und Erpressungen fast alltäglich (Böhm 2003 Rdn. 175; Laubenthal 2011 Rdn. 213 ff; Preusker ZfStrVo 2003, 230 f). Es ist rechtswidrig (und der Erreichung des Vollzugsziels abträglich) durch organisatorische Maßnahmen, wie es eine weitgehende Öffnung der Anstalt nach innen bei fehlenden Kontrollmöglichkeiten darstellt, Gefangene noch vermehrt solchen entwürdigenden Situationen auszusetzen. Deshalb ist es auch richtig, den Gefangenen keinen Anspruch auf solche bedenkliche Ermöglichung von Gemeinsamkeit einzuräumen (OLG Koblenz ZfStrVo 1986, 122). Solange die baulichen und personellen Voraussetzungen (selbständige Wohngruppen) für ein gemeinschaftliches Verbringen der gesamten Freizeit nicht geschaffen sind, ist es notwendig und ausreichend, jeweils für bestimmte Zeiten am Tage und an Wochenenden den Gefangenen die Möglichkeit zu geben, an Gemeinschaftsveranstaltungen in der Freizeit teilzunehmen und die Freizeit mit (einigen) anderen Insassen zu verbringen (OLG Koblenz ZfStrVo 1986, 122; ZfStrVo 1995, 243). Auch der sog. Umschluss – zwei oder mehr Insassen werden auf ihren Wunsch für einige Zeit in den Haftraum eines der beiden eingeschlossen – ermöglicht Freizeit in Gemeinschaft. § 17 Abs. 2 gibt dem Insassen keinen Anspruch darauf, seine ganze Freizeit – oder auch nur deren überwiegenden Teil – mit anderen gemeinsam zu verbringen. Er hat nur das Recht auf gemeinsame Freizeit überhaupt (Laubenthal 2011 Rdn. 379), wobei für ein möglichst umfassendes 313
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Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
Angebot an Veranstaltungen ebenso wie für einen großzügig bemessenen Zeitraum für nicht organisierte gemeinsame Freizeit zu sorgen ist. Beide Möglichkeiten gemeinschaftlicher Freizeit sind einzuräumen. Die Vollzugsbehörde hat insoweit einen Ermessensspielraum (OLG Frankfurt BlStV 2/1981, 7; OLG Koblenz ZfStrVo 1995, 243; OLG Dresden NStZ 2001, 40 M). Sie kann auch, wie sich aus Abs. 2 Satz 2 ergibt, aus wichtigen Gründen vorübergehend oder auf Dauer die Zeiten für die gemeinsame Freizeit wieder einschränken (etwa um Überstunden der Bediensteten abzubauen: KG ZfStrVo 1998, 310 ff). Der Gefangene ist nicht verpflichtet, seine Freizeit mit anderen Gefangenen zu verbringen. Er darf sich, selbst wenn das aus Gründen der Behandlung vielleicht unerwünscht ist, in der gesamten Freizeit allein in seinem Haftraum aufhalten. 3. Einschränkungen der gemeinsamen Unterbringung. Abs. 3 erlaubt die Einschränkung der gemeinschaftlichen Unterbringung während der Arbeits- und Freizeit. Die hierfür im Gesetz formulierten Anordnungsvoraussetzungen unterliegen als unbestimmte Rechtsbegriffe der uneingeschränkten gerichtlichen Nachprüfung (OLG Bremen ZfStrVo 1985, 178 f; AK-Kellermann/Köhne 2012 Rdn. 10; C/MD 2008 Rdn. 5; vgl. auch § 115 Rdn. 21). Wird ein Gefangener für mehrere Monate aus dem Aufschluss herausgenommen, findet dies seine Rechtsgrundlage in Abs. 3 (OLG Schleswig FS 2012, 113). 6 Erlaubt ist nur eine Einschränkung. Das bedeutet, dass bei Abs. 3 die Qualität der – an strengere Voraussetzungen geknüpften – Einzelhaft (§ 89) nicht erreicht wird. Die Einschränkung ist auch gegen die Disziplinarmaßnahmen nach § 103 Abs. 1 Nr. 4 und 5 abzugrenzen (§ 103 Rdn. 4). Einzelhaft (§ 89) ist die unausgesetzte Trennung eines Insassen von seinen Mitgefangenen, die allenfalls durch Teilnahme am Gottesdienst und der täglichen Freistunde unterbrochen wird (§ 89 Rdn. 1). Die Einschränkung gem. Abs. 3 muss dem Insassen also mehr an Kommunikation erlauben (Beschränkung nur auf Arbeitszeit oder Freizeit; Freizeit allein bis auf eine Stunde Umschluss am Tag oder bis auf Teilnahme am Sport oder an einem bestimmten Fortbildungs- oder Freizeitkurs: OLG Frankfurt 1979, 121 f; LG Hamburg NStZ 1981, 214 f). Auch die Zeit der Behandlungsuntersuchung nach § 6, die Einschränkungen nach Abs. 3 bis zu zwei Monaten gestattet (dieser Zeitraum ist lang bemessen, zwei bis vier Wochen genügen in der Regel, vgl. auch § 6 Rdn. 10), darf nicht zur Einzelhaft verkümmern, sondern muss wenigstens etwas an gemeinsamer Arbeit oder Freizeit bereithalten. Ein Unterschied zu den Disziplinarmaßnahmen nach § 103 Abs. 1 Ziff. 4 und 5 be7 steht vor allem im Anlass. Die Disziplinarmaßnahmen können den Insassen auch treffen, wenn er keinen schädlichen Einfluss auf andere ausübt. Sie sind Antwort auf eine schuldhafte Pflichtverletzung (§ 102 Rdn. 4 ff). Dagegen ist die Einschränkung nach Abs. 3 Nr. 1 zulässig, wenn befürchtet werden muss, dass der Gefangene einen schädlichen Einfluss auf andere ausübt. Schädlicher Einfluss bedeutet hier sowohl krimineller Einfluss, der sich gegen die Erreichung des Vollzugszieles richtet, als auch Einfluss, der andere Insassen schädigt, etwa Streitereien, Schlägereien oder sexuelle Belästigungen provoziert (C/MD 2008 Rdn. 5; Grunau/Tiesler Rdn. 2; s. auch § 25 Rdn. 8). Zum schädlichen Einfluss zu rechnen ist etwa auch die gegenseitige Unterstützung beim Hungerstreik. Die bloße Tatsache, dass ein Gefangener ein unbelehrbarer Überzeugungstäter ist und deshalb schädlichen Einfluss auf andere ausüben könnte, genügt noch nicht (OLG Hamburg ZfStrVo 1983, 187; vgl. aber OLG Hamm ZfStrVo 1995, 181). Ausreichend ist ein begründeter Verdacht schädlichen Einflusses (etwa des Besitzes oder Konsums von Drogen). Die Rechtmäßigkeit der Einschränkung der gemeinschaftlichen Unterbringung wird nicht davon berührt, ob sich die Befürchtung später bestätigt (OLG Zweibrücken NStZ 1994, 102). Ein Ausschluss von gemeinsamer Arbeit und/oder Freizeit ist auch zulässig, wenn die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt (§ 81 Rdn. 7) es erforderlich machen (Abs. 3 5
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Unterbringung während der Arbeit und Freizeit
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Nr. 3). Dies betrifft etwa grobe Störungen bei gemeinsamen Veranstaltungen, bei der Gefahr von Gewalttätigkeiten gegen Bedienstete oder gefährlicher Unbeherrschtheit beim Gemeinschaftssport, sowie zur Sicherung vor Entweichungen (OLG Celle ZfStrVo 1986, 377; Versagung von Umschluss wegen Ausbruchsversuchs: OLG Celle ZfStrVo 1986, 123 f). Der schuldlos in eine Schlägerei mit Mitgefangenen Verwickelte gefährdet in der Regel die Ordnung der Anstalt nicht (OLG Bremen Beschl. vom 21.9.1995 – Ws 12/95). Schuldhaftes Verhalten verlangt Abs. 3 Nr. 3 nicht. Auch eine veränderte Belegungssituation, Personalmangel oder Umbauten können die Einschränkung gemeinsamer Unterbringung aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung erfordern. Es ist auch zulässig, die Ausschlussgründe des Abs. 3 mit den räumlichen und personellen Verhältnissen nach § 201 Nr. 2 zu kombinieren; beispielsweise wenn die Gefahr des Missbrauchs einer Freizeitveranstaltung zur Flucht auch deshalb besteht, weil dort nur wenig Aufsichtspersonal eingesetzt werden kann. Auch über längere Zeit sind Einschränkungen von gemeinschaftlicher Arbeit und Freizeit in einer Anstalt zulässig, wenn es nötig ist, den dort bestehenden Drogenmarkt auszutrocknen (LG Hamburg NStZ 1981, 214 f). Die Einschränkungen nach Nr. 1 und 3 bleiben zeitlich nur so lange zulässig, wie die jeweiligen Befürchtungen begründet sind. Eine Einschränkung i. S. v. Abs. 3 liegt nicht vor, wenn dem Gefangenen gemeinschaftliche Arbeit und Freizeit nur unter der Bedingung gestattet wird, dass er Anstaltskleidung trägt (OLG Bremen ZfStrVo 1985, 178 f). Wird ein Gefangener nach Abs. 3 von der gemeinschaftlichen Unterbringung während der Arbeitszeit ausgeschlossen, ist er zur Zellenarbeit verpflichtet (LG Stuttgart ZfStrVo 1990, 304; Laubenthal 2011 Rdn. 378). Kann die Anstalt den Gefangenen in seinem Einzelhaftraum nicht mit Arbeit versorgen und hat der Gefangene (im Falle eines Verdachts, der sich nicht erweisen lässt) seine Ablösung von der gemeinschaftlichen Arbeit nicht verschuldet, steht ihm Anspruch auf Taschengeld zu (OLG Zweibrücken NStZ 1994, 102). III. Beispiel X ist verärgert, weil sein Antrag auf Gewährung einer Vollzugslockerung abgelehnt 8 wurde. Er verweigert die ihm zugewiesene Pflichtarbeit. Nachdem die Disziplinarmaßnahme, die aus diesem Grund gegen ihn verhängt wurde, vollzogen ist, verweigert er die Arbeit erneut. Wieder wird eine Disziplinarmaßnahme (Arrest) verhängt und vollzogen. Nachdem er nun noch weiter die Arbeit verweigert, verlegt ihn der Anstaltsleiter in eine besondere Abteilung der Anstalt. In dieser Abteilung befinden sich nur sog. hartnäckige Arbeitsverweigerer. Sie sind in Einzelhafträumen untergebracht und dürfen Freizeitveranstaltungen nicht besuchen. Es ist ihnen nicht gestattet, auf dem anstaltseigenen Sportplatz Sport zu treiben; sie haben auch keinen Umschluss. Nur zur gemeinsamen Freistunde verlassen sie ihre Hafträume. Der Anstaltsleiter begründet diese Maßnahme mit § 17 Abs. 3 Nr. 1 und 3. Die Arbeitsverweigerer übten auf die anderen Insassen einen schlechten Einfluss aus. Es sei auch nötig, durch diese Maßnahme auf die Arbeitsverweigerer selber einzuwirken. Arbeitsverweigerer würden erfahrungsgemäß häufiger rückfällig. Die Maßnahme ist unzulässig. Befürchtungen, jemand könnte als schlechtes Beispiel wirken, sind viel zu allgemein. Als Antwort auf schuldhafte Pflichtverletzungen kommen Disziplinarmaßnahmen in Betracht (OLG Nürnberg ZfStrVo 1980, 250; ähnlich LG Hamburg ZfStrVo 2001, 50 ff; vgl. auch Laubenthal 2011 Rdn. 378). Eine Einschränkung der gemeinsamen Unterbringung darf nicht zu einer Umgehung der Voraussetzungen für die Anordnung von Disziplinarmaßnahmen gem. §§ 102 ff führen. Die vom Anstaltsleiter angeordnete Unterbringung in der Abteilung für Arbeitsverweigerer wäre zudem deshalb unzulässig, weil es sich nicht mehr um eine Einschränkung nach § 17 315
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Abs. 3, sondern um strenge Einzelhaft nach § 89 handelt und deren Voraussetzungen nicht vorliegen (Rdn. 5). IV. Landesgesetze und Musterentwurf 9
1. Baden-Württemberg. § 14 JVollzGB III erfasst lediglich übereinstimmend mit § 17 Abs. 3 StVollzG die Einschränkungen der gemeinsamen Unterbringung. In der Gesetzesbegründung wird dazu ausgeführt: „Der Entwurf setzt entsprechend der Vollzugspraxis voraus, dass die Gefangenen ihre Arbeits- und Freizeit regelmäßig gemeinsam verbringen“ (LT-Drucks. 14/5012, 215).
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2. Bayern. Art. 19 Abs. 1 BayStVollzG ist wortlautidentisch mit § 17 Abs. 1 StVollzG. Gleiches gilt, abgesehen von der geschlechtsspezifischen Differenzierung in Satz 2, für Abs. 2 der bayerischen Norm. Abs. 3 der landesrechtlichen Vorschrift entspricht, bis auf die geänderte Verweisung in Nr. 2 auf Art. 8 BayStVollzG, weitgehend dem Wortlaut der bundesrechtlichen Regelung.
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3. Hamburg. § 19 Abs. 1 Satz 1 HmbStVollzG ergänzt § 17 Abs. 1 Satz 1 StVollzG dahingehend, dass die Gefangenen während der Arbeit gemeinsam untergebracht werden, „soweit dies mit Rücksicht auf die Anforderungen der verfügbaren Arbeitsplätze möglich ist“. In der Gesetzesbegründung heißt es dazu: „Soweit Absatz 1 die Arbeit in der Gemeinschaft mit anderen von den Anforderungen der verfügbaren Arbeitsplätze abhängig macht, soll der Entwicklung in der freien Wirtschaft Rechnung getragen werden, die inzwischen, insbesondere unter dem Einfluss neuer Technologien, zunehmend Einzelarbeitsplätze kennt. Der Vollzug soll in der Lage sein, auf diese Entwicklung reagieren und auch solche Arbeitsplätze einrichten zu dürfen“ (LT-Drucks. 18/6490, 37). § 19 Abs. 2 und Abs. 3 HmbStVollzG entsprechen mit Ausnahme der geschlechtsneutralen Formulierungen § 17 Abs. 2 und Abs. 3 StVollzG.
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4. Hessen. § 18 Abs. 2 Satz 1 HStVollzG lautet: „Arbeit und Freizeit finden grundsätzlich in Gemeinschaft statt.“ Satz 2 der Vorschrift normiert entsprechend § 17 Abs. 3 StVollzG die Ausnahmen der gemeinsamen Unterbringung.
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5. Niedersachsen. § 19 Abs. 1 NJVollzG entspricht in weiten Teilen § 17 StVollzG. Abs. 2 der landesrechtlichen Vorschrift korrespondiert, abgesehen von der geschlechtsspezifischen Differenzierung, mit § 17 Abs. 2 Satz 1 StVollzG. § 17 Abs. 2 Satz 2 StVollzG wurde indessen vom Landesgesetzgeber nicht übernommen. In der Gesetzesbegründung heißt es dazu: „Im Übrigen ist der dortige Satz 2 entfallen, weil der Regelungsgehalt zukünftig auch durch eine Verwaltungsvorschrift erfasst werden kann“ (LT-Drucks. 15/ 3565, 108). Abs. 3 der niedersächsischen Bestimmung entspricht weitgehend § 17 Abs. 3 Nr. 1 bis 3 StVollzG; allerdings ist Nr. 4 der bundesrechtlichen Norm entfallen. Die Gesetzesbegründung führt dazu aus: „Der Einschränkungsgrund des § 17 Abs. 3 Nr. 4 StVollzG ist entbehrlich“ (LT-Drucks. 15/3565, 108).
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6. Musterentwurf. § 12 Abs. 1 ME-StVollzG lautet: „Außerhalb der Einschlusszeiten dürfen sich die Gefangenen in Gemeinschaft aufhalten.“ Abs. 2 der Norm enthält die entsprechenden Einschränkungen des § 17 Abs. 3 Nr. 1 bis 3 StVollzG. Von einer Beschränkung aufgrund der Zustimmung des Gefangenen (§ 17 Abs. 3 Nr. 4 StVollzG) wird abgesehen. Die ME-Begründung schweigt zu dieser hinsichtlich der bundesrechtlichen Vorschrift abweichenden Regelung. Laubenthal
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Unterbringung während der Ruhezeit
§ 18
§ 18 Unterbringung während der Ruhezeit § 18 Laubenthal Unterbringung während der Ruhezeit (1) Gefangene werden während der Ruhezeit allein in ihren Hafträumen untergebracht. Eine gemeinsame Unterbringung ist zulässig, sofern ein Gefangener hilfsbedürftig ist oder eine Gefahr für Leben oder Gesundheit des Gefangenen besteht. (2) Im offenen Vollzug dürfen Gefangene mit ihrer Zustimmung während der Ruhezeit gemeinsam untergebracht werden, wenn eine schädliche Beeinflussung nicht zu befürchten ist. Im geschlossenen Vollzug ist eine gemeinschaftliche Unterbringung zur Ruhezeit außer in den Fällen des Absatzes 1 nur vorübergehend und aus zwingenden Gründen zulässig.
I.
II.
Übersicht Allgemeine Hinweise ____ 1, 2 1. Nächtliche Einzelunterbringung als wichtiger Grundsatz ____ 1 2. Der Grundsatz nicht zureichend verwirklicht ____ 2 Erläuterungen ____ 3–8 1. Einzelunterbringung gilt für die Ruhezeit ____ 3 2. Ausnahme für hilfsbedürftige und gefährdete Gefangene ____ 4 3. Belegung von Gemeinschaftshafträumen ____ 5
III.
4. Entschädigung bei Gemeinschaftsunterbringung ____ 6 5. Nächtliche Unterbringung im offenen Vollzug ____ 7 6. Ausnahmen nach Absatz 2 Satz 2 ____ 8 Landesgesetze und Musterentwurf ____ 9–14 1. Baden-Württemberg ____ 9 2. Bayern ____ 10 3. Hamburg ____ 11 4. Hessen ____ 12 5. Niedersachsen ____ 13 6. Musterentwurf ____ 14
I. Allgemeine Hinweise 1. Nächtliche Einzelunterbringung als wichtiger Grundsatz. Jeder Gefangene ist 1 während der Ruhezeit prinzipiell in einem gesonderten Haftraum unterzubringen. Er muss einen Rest von Privatsphäre behalten, eine Rückzugsmöglichkeit haben, in der seine Intimsphäre gewahrt wird. Das entspricht der Achtung der Persönlichkeit und schafft Voraussetzungen für die Erreichung des Vollzugsziels (OLG Celle ZfStrVo 1999, 57 f; AK-Kellermann/Köhne 2012 Rdn. 1; § 2 Rdn. 10 ff; C/MD 2008 Rdn. 1), denn die Einzelunterbringung dient zugleich dem Schutz vor subkulturellen Einflüssen (Laubenthal 2011 Rdn. 380). Die gesonderte Unterbringung der Inhaftierten während der Ruhezeit ist die notwendige Ergänzung der (überwachten und begleiteten) Gemeinschaft bei der Arbeit und der Freizeit (Busch ZfStrVo 1977, 63, 67). Sie entspricht auch den EuStVollGrds 2006, die in Nr. 18.5 vorschreiben, dass Gefangene i. d. R. bei Nacht in Einzelhafträumen unterzubringen sind. Die Vollzugsbehörde hat zu beachten, dass die Unterbringung keine besondere Übelszufügung bedeuten darf (so bereits BT-Drucks. 7/918, 93). Ihrem Ermessen werden vor allem Grenzen gezogen durch das Grundrecht auf Achtung der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) sowie das Verbot unmenschlicher Behandlung, Art. 3 EMRK (BVerfG ZfStrVo 2002, 176; ZfStrVo 2002, 178; Beschl. v. 13.11.2007 – 2 BvR 2201/05; OLG Zweibrücken NStZ 1982, 221; OLG Hamm NStZ 1992, 352; OLG Celle StV 2004, 84; OLG Frankfurt NStZ-RR 2004, 613; OLG Karlsruhe ZfStrVo 2004, 304; OLG Naumburg NJW 2005, 514; KG StraFo 2007, 521; LG Gießen NStZ 2003, 624; LG Hannover StV 2003, 568; LG Oldenburg StV 2004, 610; LG Halle StV 2005, 342). Das Verbot einer unmenschlichen Behandlung ist gerade auch bei einer gemeinschaftlichen Unterbringung mehrerer Gefangener in einem Haftraum zu beachten und setzt insoweit dem Ermessen der Voll317
Laubenthal
§ 18
Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
zugsbehörde Grenzen (BVerfG ZfStrVo 2002, 176; ZfStrVo 2002, 178; Beschl. v. 13.11.2007 – 2 BvR 2201/05; siehe auch Kretschmer NStZ 2005, 253 f; ders. NJW 2009, 2410; Theile StV 2002, 670 ff; Ullenbruch NStZ 1999, 430). Eine bloße gemeinsame Unterbringung ohne Vorliegen der gesetzlich normierten Ausnahmekriterien vom Prinzip der Einzelhaft kann ohne Hinzutreten erschwerender, den Gefangenen benachteiligender Umstände noch nicht als Verstoß gegen die Menschenwürde angesehen werden (BGH NStZ 2007, 172). Wann eine Verletzung der Menschenwürde durch Unterschreiten etwa einer bestimmten Haftraummindestgröße infolge Mehrfachbelegung vorliegt, ist bislang nicht eindeutig geklärt (dazu eingehend Nitsch Die Unterbringung von Gefangenen nach dem Strafvollzugsgesetz, 2006, 114 ff) und lässt sich auch nicht abstrakt-generell klären. Die Frage, wann räumliche Verhältnisse in einer Justizvollzugsanstalt derart beengt sind, dass die Unterbringung Art. 1 Abs. 1 GG verletzt, kann nicht allein auf Grund einer bestimmten Mindesthaftraumgröße festgelegt werden. Vielmehr sind auch andere konkrete Gesamtumstände der Art der Unterbringung mit einzubeziehen (BGH FS 2010, 235 m. Anm. Krä FS 2010, 238 f; OLG Hamm FS 2009, 206 m. Anm. Krä FS 2009, 215 ff; s. auch Lübbe-Wolff/ Frotz NStZ 2009, 682 f; a. A. AK-Kellermann/Köhne 2012, Rdn. 3; Köhne StV 2009, 217). So hat z. B. das OLG Frankfurt festgestellt, „dass eine solche Verletzung jedenfalls vorliegt, wenn – kumulativ – der Haftraum mit einer nicht abgetrennten oder nicht gesondert entlüfteten Toilette ausgestattet ist, und ein gewisses Mindestmaß für jeden Gefangenen an Luftraum (16 m³) oder Bodenfläche (6 bzw. 7 m²) unterschritten ist“ (OLG Frankfurt NStZ-RR 2005, 156; s. auch OLG Frankfurt NJW 2003, 2845). Nach dem OLG Karlsruhe verstößt „die dauerhafte Unterbringung zweier Strafgefangener in einem gemeinsamen Haftraum nicht gegen die Menschenwürde, wenn dieser über eine Größe von 9 m² verfügt und mit einer räumlich abgetrennten und durch eine Tür verschließbaren Nasszelle mit Toilette und Waschbecken von 1,3 m² Grundfläche ausgestattet ist“ (OLG Karlsruhe NStZ-RR 2005, 224). Für das OLG Hamm verletzt „die gemeinsame Unterbringung zweier Gefangener in einem nur 8,8 m² großen Haftraum mit freistehender, nur mit einer beweglichen Schamwand verdeckten und nicht gesondert entlüfteten Toilette die Menschenwürdegarantie und das Verbot der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung“ (OLG Hamm StV 2006, 152; s. auch OLG Hamm, Urt. vom 19.11.2010 – 11 U 11/10; Urt. vom 26.1.2011 – 11 U 12/10). Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat hinsichtlich der Verletzung des Verbotes von Folter, unmenschlicher und erniedrigender Behandlung oder Strafe gem. Art. 3 EMRK in Überbelegungsfällen die Möglichkeit einer Kompensation geringer Haftraumgröße durch die dem Gefangenen innerhalb des Vollzugs zustehende Bewegungsfreiheit anerkannt (EGMR Urt. v. 12.7.2007 – 20877/04; s. auch Pohlreich NStZ 2011, 560 ff). Kann wegen Überbelegung der Anstalt nicht jedem Gefangenen ein Einzelhaftraum zur Verfügung gestellt werden, hat die Anstaltsleitung ihr Organisationsermessen pflichtgemäß auszuüben. Sie muss ihre Auswahlentscheidung für die einzeln oder gemeinsam unterzubringenden Inhaftierten nachvollziehbar und unter Beachtung von mit dem jeweiligen Strafvollzugsgesetz zu vereinbarenden Kriterien treffen. Das sind neben ggf. vorrangig zu beachtenden Einzelfallaspekten vor allem das vollzugliche Sozialisationsziel, der Gegensteuerungsgrundsatz sowie Gesichtspunkte der Sicherheit und Ordnung. Hinzu kommen das Gleichbehandlungsprinzip sowie die Berücksichtigung der jeweiligen Strafdauer (OLG Celle StV 2006, 151). 2
2. Der Grundsatz nicht zureichend verwirklicht. Das Einzelhaftprinzip als gesetzliche Forderung für die Ruhezeit ist nicht eingelöst. Für die vor dem 1.1.1977 bestehenden oder im Bau befindlichen Anstalten gestattet § 201 Ziff. 3 eine zeitlich unbeschränkte Abweichung „solange die räumlichen Verhältnisse der Anstalt dies erfordern“. Obwohl Laubenthal
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Unterbringung während der Ruhezeit
§ 18
der Grundsatz einer Einzelunterbringung von Strafgefangenen bei Nacht zu den wesentlichen Voraussetzungen eines modernen Behandlungsvollzugs zählt, stellt die Unterbringung in Gemeinschaftszellen in Deutschland keineswegs die Ausnahme dar. Von den am 30.11.2011 belegungsfähigen 78.529 Haftplätzen waren 23.982 (30,53%) für eine gemeinsame Unterbringung vorgesehen. Gemeinsam untergebracht waren jedoch zu diesem Zeitpunkt 21.236 Gefangene (Statistisches Bundesamt Bestand der Gefangenen und Verurteilten in den deutschen Justizvollzugsanstalten, 2012). II. Erläuterungen 1. Einzelunterbringung gilt für die Ruhezeit. Die Einzelunterbringung bezieht 3 sich auf die Ruhezeit, die in der Hausordnung (§ 161 Abs. 2 Nr. 2; Rechtsnatur: § 161 Rdn. 2, 4) festgelegt wird und nicht nur die Zeit der Nachtruhe umfassen muss (ebenso: C/MD 2008 Rdn. 1). So kann z. B. die Ruhezeit von 20.00 Uhr bis 7.00 Uhr, die Zeit der Nachtruhe von 22.00 bis 6.00 Uhr festgelegt sein. Ruhezeit bedeutet deshalb nicht lautloses Stillschweigen (anders Grunau/Tiesler Rdn. 1). Schon gar nicht muss in der Zeit der Nachtruhe das Licht im Haftraum ausgeschaltet sein (OLG Celle NStZ 1981, 238). Einzelunterbringung bedeutet auch nicht unbedingt Einschluss, d. h. es sind Anstalten oder Abteilungen in Anstalten denkbar, in denen die Hafträume nicht verschlossen werden (AK-Kellermann/Köhne 2012 Rdn. 2). Die Einzelunterbringung im geschlossenen Vollzug erfolgt aus den in Rdn. 1 genannten Gründen unabhängig von den Wünschen der Insassen (Böhm 2003 Rdn. 3; C/MD 2008 Rdn. 3). Von einer Einschränkung dieses Grundsatzes (bei Zustimmung der Gefangenen und Ausschluss von Gefährdungen: Ullenbruch NStZ 1999, 431) ist abzuraten (Rösch BlStV 2/1999, 1, 2; vgl. auch C/MD 2008 Rdn. 1). Vgl. aber Rdn. 2. In Anstalten, in denen die Gemeinschaftshaft bei der Arbeit und die Möglichkeit der Gemeinschaft in der Freizeit gem. § 17 verwirklicht sind, wird gemeinschaftliche Unterbringung während der Ruhezeit weniger gewünscht (Böhm 2003 Rdn. 194). 2. Ausnahme für hilfsbedürftige und gefährdete Gefangene. Eine Ausnahme von 4 der Einzelunterbringung im geschlossenen Vollzug sieht das Gesetz in Abs. 1 S. 2 vor, wenn ein Gefangener so hilfsbedürftig ist, dass er in der Ruhezeit nicht allein gelassen werden kann (unter erheblicher körperlicher Behinderung bzw. unter überraschend auftretenden Anfällen leidend) oder wenn eine konkrete Gefahr für Leben oder Gesundheit des Gefangenen besteht (Selbstmord- oder Selbstbeschädigungsgefahr). Bei richtiger Auslegung von Abs. 1 Satz 2 handelt es sich um eine Sonderregelung für Krankenabteilungen der Vollzugsanstalten und für Vollzugskrankenhäuser. Denn der genannte Personenkreis ist fachkundig zu betreuen und zu versorgen. Das gilt besonders für selbstmordgefährdete Insassen, deren „Behandlung“ durch Gemeinschaftshaft in der Ruhezeit mehr als fragwürdig erscheint (Böhm 2003 Rdn. 191; Stuth BlStV 2/1981, 9; ähnlich wohl C/MD 2008 Rdn. 3). Jedenfalls widerspricht es der Bedeutung des § 18 Abs. 1 Satz 1 als eines wichtigen Rechtes des Gefangenen, ihn zur gemeinschaftlichen Unterbringung in der Ruhezeit mit einem oder mehreren Hilfsbedürftigen oder Gefährdeten zu zwingen. Nur diese dürfen gegen ihren Willen in Gemeinschaftshaft verlegt werden. Wer mit ihnen die Gemeinschaft teilt und damit ggf. eine gewisse Verantwortung übernimmt, muss dazu – notfalls durch Gespräche motiviert – bereit sein (ähnlich AK-Kellermann/ Köhne 2012 Rdn. 5). Allgemein zur Rechtsstellung des Gefangenen § 4 Rdn. 13 ff. 3. Belegung von Gemeinschaftshafträumen. Solange die Übergangsregelung des 5 § 201 Nr. 3 eine gemeinschaftliche Unterbringung in der Ruhezeit zulässt, gehört es zu 319
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§ 18
Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
den schwierigsten, und angesichts der durch unüberwachbare nächtliche Gemeinschaft sowohl dem Vollzugsziel im Einzelfall als auch Sicherheit und Ordnung der Vollzugsanstalt (§ 81 Rdn. 7) drohenden Gefahren, wichtigsten vollzuglichen Entscheidungen, welche Gefangenen und in welcher Zusammensetzung nachts gemeinschaftlich untergebracht werden. Auch hier (§ 2 Rdn. 9) muss das Vollzugsziel bedacht werden. Entscheidend ist zum einen, welche Folgen die gemeinschaftliche Unterbringung in ihrer konkreten Zusammensetzung für die (Re-)Sozialisierung der betreffenden Insassen hat. Bei den nicht zu resozialisierenden Insassen ist der Gegensteuerungsgrundsatz (§ 3 Abs. 2; § 3 Rdn. 11 ff) vorrangig zu bedenken. Zudem sind weitere vollzugliche Überlegungen (Sicherheit und Ordnung) anzustellen. Für die ausnahmsweise gemeinschaftlich unterzubringenden Gefangenen sind als gewaltpräventive Vorkehrungen das Einverständnis der betroffenen Inhaftierten sowie eine gründliche Verträglichkeitsprüfung durch Vollzugsbedienstete unerlässlich. Die Verträglichkeitsprüfung wird am kompetentesten im Aufnahmeverfahren durchgeführt. Als vorläufige Maßnahme erfolgt sie im Falle der Eilbedürftigkeit einer Entscheidung auch bei der Einlieferung eines Gefangenen in die Anstalt durch erfahrene Kräfte des Allgemeinen Vollzugsdienstes. Gewaltpräventive Aspekte haben bei der Entscheidungsfindung ein besonderes Gewicht. Unter Beteiligung der Fachdienste, namentlich der Psychologen und Psychiater, sind die Anamnese und die Diagnose zu erstellen. Die Dokumentation hierüber hat jederzeit aktuell zu sein und zur Verfügung zu stehen. Sie muss eindeutig erkennen lassen, mit wem und mit wem nicht der Gefangene zusammengelegt werden kann, und sei es in allgemeiner, aber nachvollziehbarer Form. Wo es irgendwie geht, sollte der entschiedene Wunsch eines Insassen, in der Ruhezeit allein untergebracht zu sein, berücksichtigt werden 6
4. Entschädigung bei Gemeinschaftsunterbringung. Die gemeinschaftliche Unterbringung muss auch in den Fällen, in denen sie zulässig ist (Rdn. 5, 7, 8), in dafür geeigneten und zumutbaren Räumen erfolgen. Ob Einzelhafträume mit zwei Gefangenen belegt werden dürfen, hängt im Übrigen von ihrer Größe (Luftraum) ab (s. auch Rdn. 1, § 144 Rdn. 3; § 146 Rdn. 10; § 152 Rdn. 12). Eine Menschenrechtsverletzung wegen Mehrfachunterbringung von Strafgefangenen in einem Haftraum begründet nicht zwangsläufig eine Wiedergutmachung durch Geldentschädigung im Rahmen eines Amtshaftungsanspruchs gem. § 839 BGB i. V. m. Art. 34 GG (BGH NJW 2005, 58 ff; BGH FS 2010, 235 dazu Gazeas HRRS 5/2005, 172 ff; Kretschmer NJW 2009, 2409; Nitsch Die Unterbringung von Gefangenen nach dem Strafvollzugsgesetz, 2006, 219 ff; Unterreitmeier NJW 2005, 475 ff; DVBl. 2005, 1235 ff). Bereits die gerichtliche Feststellung der Rechtswidrigkeit der gemeinschaftlichen Unterbringung im strafvollzugsrechtlichen Verfahren kann im Einzelfall eine ausreichend gerechte Entschädigung darstellen, so dass eine weiter gehende Entschädigung für den erlittenen immateriellen Schaden nicht mehr geboten erscheint (BGH NJW 2005, 59).
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5. Nächtliche Unterbringung im offenen Vollzug. Im offenen Vollzug (§ 141 Abs. 2) dürfen die Gefangenen gem. Abs. 2 Satz 1 mit ihrer Zustimmung gemeinschaftlich in der Ruhezeit untergebracht werden, wenn eine schädliche Beeinflussung nicht zu befürchten ist (§ 17 Rdn. 6). Die gegenüber dem geschlossenen Vollzug andere Regelung ist aus fiskalischen Gründen, und um die Ausweitung des offenen Vollzugs nicht zu verhindern, ergangen (C/MD 2008 Rdn. 6). Sie ist hier aber auch sachlich eher zu vertreten. Im offenen Vollzug ist es meist möglich, auf den Nachtverschluss zu verzichten. Daher befinden sich Wasch- und Toilettenräume in den offenen Einrichtungen häufig nicht unmittelbar im Haftraum. Die Sicherheitsgefährdung durch die Insassen ist (§ 10 Abs. 1) geringer. Bei ihrer Auswahl soll auch bedacht sein, dass sie keinen schlechten Einfluss Laubenthal
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Unterbringung während der Ruhezeit
§ 18
auf andere Gefangene ausüben (VV Nr. 2 Abs. 1 Buchstabe e zu § 10; § 10 Rdn. 6 ff). Die freiere Lebensgestaltung im offenen Vollzug wirkt zudem den subkulturellen Strukturen der Gefängnisgesellschaft entgegen, ebenso die meist bereits in greifbare Nähe gerückte Entlassung. Wegen der Gewährleistung einer Privatsphäre und einer Rückzugsmöglichkeit ist jedoch auch im offenen Vollzug für alle Insassen die nächtliche Einzelunterbringung anzustreben (AK-Kellermann/Köhne 2012 Rdn. 6; C/MD 2008 Rdn. 6). In nicht unter die Übergangsregelung des § 201 Nr. 3 fallenden Anstalten hat der Gefangene, der einer gemeinschaftlichen Unterbringung nicht zustimmt, Anspruch auf einen Einzelhaftraum. Er darf nicht, weil er diesen Anspruch geltend macht, von der Verlegung in den offenen Vollzug ausgeschlossen oder zurückgestellt werden (KG ZfStrVo 2003, 176). 6. Ausnahmen nach Absatz 2 Satz 2. § 18 Abs. 2 Satz 2 erlaubt im geschlossenen 8 Vollzug die gemeinschaftliche Unterbringung zur Ruhezeit nur vorübergehend und aus zwingenden Gründen über die in Abs. 1 Satz 2 geregelten Fälle hinaus. Gegenwärtig ist diese Vorschrift nur für die (neuen) Anstalten von Bedeutung, für die § 201 Nr. 3 nicht gilt. Es ist an vorübergehende Notlagen (plötzlich durch notwendig gewordene Schließung einer anderen Anstalt z. B. entstandene Überbelegung, Ausfall der Heizung in einem Teil der Anstalt) gedacht. Dagegen ist die anhaltende allgemeine Überbelegung kein zwingender Grund (OLG Celle NStZ 1999, 216 mit Anm. Ullenbruch; StV 2003, 567 mit Anm. Lesting; LG Kassel ZfStrVo 2001, 119; OLG München, Beschl. vom 10.10.2008 – 4 Ws 144/08). Für die Auswahl der Insassen, die vorübergehend zur Ruhezeit gemeinschaftlich untergebracht werden müssen, gilt das zu Rdn. 5 Gesagte. Auch Notlagen rechtfertigen nicht eine mit der Menschenwürde unvereinbare Unterbringung (BVerfG ZfStrVo 2002, 176 f). Nicht „nur vorübergehend“ führt die Überbelegung auch in Anstalten und – diesen gleichzustellenden (KG NStZ-RR 1998, 191; § 201 Rdn. 2) – Anstaltsteilen, die nach dem 1.1.1977 errichtet worden sind, zur Doppelbelegung von Einzelhafträumen und zur Mehrfachbelegung von eigentlich zur Freizeitgestaltung bestimmten Räumlichkeiten. Die Gefangenen können zwar ihre Einzelunterbringung gerichtlich durchsetzen (OLG Celle ZfStrVo 1999, 57; NStZ-RR 2003, 316). Sie nehmen die Mehrfachbelegung aber überwiegend hin, zumal die Einzelunterbringung bei gleichzeitiger Arbeitslosigkeit mangels Beschäftigungsmöglichkeiten und zunehmender Beschränkung gemeinschaftlicher Freizeit (vgl. § 67 Rdn. 2) für viele belastend ist. Diese „Vollzugsgestaltung“ (vgl. dazu auch § 145 Rdn. 4; § 146 Rdn. 8) verdrängt aber („normative Kraft des Faktischen“) die gesetzliche Regelung und bleibt im Hinblick auf die Erreichung des Vollzugsziels kontraproduktiv. III. Landesgesetze und Musterentwurf 1. Baden-Württemberg. § 13 Abs. 1 Satz 1 JVollzGB III entspricht abgesehen von der 9 Formulierung als Soll-Vorschrift § 18 Abs. 1 Satz 1 StVollzG. In der Gesetzesbegründung heißt es dazu: „Mit der ‚soll‘-Regelung in Absatz 1 Satz 1 betont der Entwurf das Ziel, Gefangene während der Ruhezeit allein in ihren Hafträumen unterzubringen. […] Zugleich ist die Vorschrift hinreichend flexibel, um im Bedarfsfall einer hohen Belegung der Justizvollzugsanstalten Rechnung tragen und eine zeitnahe Vollstreckung von verhängten Freiheitsstrafen gewährleisten zu können“ (LT-Drucks. 14/5012, 214 f). Die Vorschrift ergänzt § 7 Abs. 3 Satz 1 JVollzGB I. Dieser lautet: „Bei Justizvollzugsanstalten, mit deren Einrichtung nach Inkrafttreten dieses Gesetzes begonnen wurde, ist im geschlossenen Vollzug eine Einzelunterbringung der Gefangenen zur Ruhezeit zugrunde zu legen.“ Abs. 2 der Landesnorm entspricht § 18 Abs. 1 Satz 2 StVollzG. 321
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Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
§ 13 Abs. 1 Satz 2 JVollzGB III lautet: „Mit ihrer Zustimmung können Gefangene auch während der Ruhezeit gemeinsam untergebracht werden, wenn eine schädliche Beeinflussung nicht zu befürchten ist.“ 10
2. Bayern. Art. 20 Abs. 1 Satz 1 BayStVollzG ist weitgehend wortlautidentisch mit der bundesrechtlichen Regelung. Abs. 1 Satz 2 lautet: „Mit ihrer Zustimmung können Gefangene auch während der Ruhezeit gemeinsam untergebracht werden, wenn eine schädliche Beeinflussung nicht zu befürchten ist.“ Die Gesetzesbegründung führt dazu aus: „Eine gemeinsame Unterbringung ist möglich, wenn die Gefangenen dies wünschen und eine schädliche Beeinflussung nicht zu befürchten ist. Informelle Befragungen lassen den Schluss zu, dass bis zu 20% der Gefangenen einer gemeinschaftlichen Unterbringung den Vorzug geben“ (LT-Drucks. 15/8101, 55). Abs. 2 der bayerischen Norm bestimmt: „Auch ohne ihre Zustimmung ist eine gemeinsame Unterbringung zulässig, sofern ein Gefangener oder eine Gefangene hilfsbedürftig ist oder eine Gefahr für Leben oder Gesundheit eines oder einer Gefangenen besteht oder die räumlichen Verhältnisse der Anstalt dies erfordern.“ In der Gesetzesbegründung heißt es dazu: „In Abs. 2 wird die bisherige Regelung bestätigt, wonach ohne Zustimmung der Gefangenen eine gemeinsame Unterbringung zulässig ist, sofern ein Gefangener oder eine Gefangene hilfsbedürftig ist oder eine Gefahr für Leben oder Gesundheit eines oder einer Gefangenen besteht. Darüber hinaus wird eine gemeinschaftliche Unterbringung für zulässig erklärt, soweit die räumlichen Verhältnisse der Anstalt dies erfordern“ (LT-Drucks. 15/8101, 55). Art. 20 Abs. 3 BayStVollzG lautet: „Eine gemeinschaftliche Unterbringung von mehr als acht Gefangenen ist nicht zulässig.“ Die Gesetzesbegründung führt dazu aus: „Abs. 3, wonach eine gemeinschaftliche Unterbringung von mehr als acht Gefangenen nicht zulässig ist, entspricht der bewährten Regelung in § 201 Nr. 3 Satz 2 StVollzG“ (LT-Drucks. 15/8101, 55). Zur Verfassungsmäßigkeit von Art. 20 BayStVollzG s. BayVerfGH, Beschl. vom 12.5. 2009 – Vf. 4-VII-08.
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3. Hamburg. § 20 Satz 1 HmbStVollzG entspricht dem Grundsatz der Einzelunterbringung des § 18 Abs. 1 Satz 1 StVollzG. § 20 Satz 2 Nr. 1 HmbStVollzG stimmt mit § 18 Abs. 1 Satz 2 StVollzG überein. Darüber hinaus können nach § 20 Satz 2 Nr. 2 HmbStVollzG Gefangene gemeinsam untergebracht werden, wenn im offenen Vollzug die räumlichen Verhältnisse der Anstalt dies erfordern. Die Gesetzesbegründung führt dazu aus: „Der für die gemeinsame Unterbringung vertretbare Rahmen dürfte entsprechend § 201 Nummer 3 Satz 2 StVollzG bei bis zu acht Personen liegen. […] Dabei geht der Entwurf davon aus, dass die Achtung der Menschenwürde und der verfassungsrechtlich gebotene Schutz der Privat- und Intimsphäre auch in Fällen gemeinschaftlicher Unterbringung gewahrt bleiben können, wenn durch die Gestaltung des Vollzuges und die Größe und Ausgestaltung der Hafträume ein Mindestmaß an Rückzugsmöglichkeiten gewährleistet ist“ (LT-Drucks. 18/6490, 37 f).
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4. Hessen. § 18 Abs. 1 Satz 1 und 3 HStVollzG entsprechen inhaltlich § 18 Abs. 1 Satz 1 und 2 StVollzG. Satz 2 regelt: „Mit ihrer Einwilligung können sie auch während der Ruhezeit gemeinsam untergebracht werden, wenn eine schädliche Beeinflussung nicht zu befürchten ist.“ Sätze 4 und 5 des § 18 Abs. 1 HStVollzG lauten: „Eine Belegung mit mehr als drei Gefangenen in einem Haftraum ist unzulässig. Abweichend von Satz 2 und 4 ist eine gemeinsame Unterbringung ohne Einwilligung oder eine Belegung mit mehr als drei GeLaubenthal
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Ausstattung des Haftraumes durch den Gefangenen und sein persönlicher Besitz
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fangenen ausnahmsweise kurzzeitig zulässig, wenn hierfür aufgrund außergewöhnlicher Umstände eine unabweisbare Notwendigkeit besteht.“ Hinsichtlich von Satz 5 heißt es in der Gesetzesbegründung: „Zur Gewährleistung einer rechtsstaatlichen Ordnung muss der Vollzug auch stets auf Notsituationen, besondere Ereignisse oder auftretende Belegungsspitzen reagieren können. Beispielsweise für den Fall, dass eine ganze Anstalt oder Teile davon (z. B. wegen eines Brandes) evakuiert werden müssen, ist die Handlungs- und Aufnahmefähigkeit des Vollzugs aufrecht zu erhalten“ (LT-Drucks. 18/1396, 90). 5. Niedersachsen. § 20 Abs. 1 NJVollzG entspricht, abgesehen von der geschlechts- 13 spezifischen Differenzierung, weitgehend Abs. 1 der bundesrechtlichen Vorschrift. Entfallen ist allerdings die Alternative der Hilfsbedürftigkeit; diese findet sich in Abs. 2 der Norm. Abs. 2 von § 20 NJVollzG lautet: „Ohne Zustimmung der betroffenen Gefangenen ist eine gemeinsame Unterbringung nur zulässig, sofern eine oder einer von ihnen hilfsbedürftig ist, für eine oder einen von ihnen eine Gefahr für Leben oder Gesundheit besteht oder die räumlichen Verhältnisse der Anstalt dies erfordern.“ In der Gesetzesbegründung wird ausgeführt: „Absatz 2 übernimmt zum einen die bisherige Regelung des § 18 Abs. 1 Satz 1 StVollzG, wonach ohne Zustimmung eine gemeinschaftliche Unterbringung zulässig ist, wenn Gefangene hilfsbedürftig sind oder eine Gefahr für Leben und Gesundheit besteht. Zum anderen – und über den Anwendungsbereich des § 18 Abs. 2 Satz 2 StVollzG hinaus – ist nach der Entwurfsvorschrift eine gemeinsame Unterbringung ungeachtet des Errichtungszeitpunktes der Anstalt zulässig, sofern deren räumliche Verhältnisse dies erfordern“ (LT-Drucks. 15/3565, 108). 6. Musterentwurf. § 11 Abs. 1 ME-StVollzG entspricht § 18 Abs. 1 Satz 1 StVollzG. 14 Abs. 2 des § 11 ME-StVollzG lautet: „Mit ihrer Zustimmung können sie gemeinsam untergebracht werden, wenn schädliche Einflüsse nicht zu befürchten sind. Bei einer Gefahr für Leben oder Gesundheit oder bei Hilfsbedürftigkeit ist die Zustimmung der gefährdeten oder hilfsbedürftigen Gefangenen zur gemeinsamen Unterbringung entbehrlich.“ Nach § 11 Abs. 3 ME-StVollzG ist eine gemeinsame Unterbringung darüber hinaus nur vorübergehend und aus zwingenden Gründen zulässig. In der ME-Begründung heißt es dazu: „Absatz 3 ermöglicht es, gelegentliche Belegungsspitzen aufzufangen“ (ME-Begründung, 81). Ausstattung des Haftraumes durch den Gefangenen und sein persönlicher Besitz
§ 19 Ausstattung des Haftraumes durch den Gefangenen und sein persönlicher Besitz § 19 Laubenthal (1) Der Gefangene darf seinen Haftraum in angemessenem Umfang mit eigenen Sachen ausstatten. Lichtbilder nahestehender Personen und Erinnerungsstücke von persönlichem Wert werden ihm belassen. (2) Vorkehrungen und Gegenstände, die die Übersichtlichkeit des Haftraumes behindern oder in anderer Weise Sicherheit oder Ordnung der Anstalt gefährden, können ausgeschlossen werden.
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I.
II.
Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
Übersicht Allgemeine Hinweise ____ 1–2 1. Bedeutung der Vorschrift für die Resozialisierung ____ 1 2. Keine abschließende Regelung ____ 2 Erläuterungen ____ 3–7 1. Begrenzte Möglichkeit zur Ausstattung der Räume ____ 3 2. Angemessener Umfang ____ 4 3. Ausschluss gefährlicher Gegenstände ____ 5
III.
4. Beschränkungen zugunsten der Übersichtlichkeit ____ 6 5. Ausübung des Ermessens ____ 7 Landesgesetze und Musterentwurf ____ 8–13 1. Baden-Württemberg ____ 8 2. Bayern ____ 9 3. Hamburg ____ 10 4. Hessen ____ 11 5. Niedersachsen ____ 12 6. Musterentwurf ____ 13
I. Allgemeine Hinweise 1
1. Bedeutung der Vorschrift für die Resozialisierung. Zu den die Haftdeprivationen (dazu Laubenthal 2011 Rdn. 201 ff; Walter 1999 Rdn. 268; Weis in: Schwind/Blau 239, 245) bedingenden Faktoren des Geschehens in den Justizvollzugsanstalten zählt der Entzug materieller Güter. Zwar kann der Besitzverlust in der Strafhaft durch die Gesamtheit der Regelungen über den Besitz von Gegenständen nicht aufgefangen werden. Dennoch ist den Haftdeprivationen und der damit verbundenen Akkulturation an die devianten Verhaltensweisen der Insassensubkulturen weitmöglichst entgegenzuwirken. Dies ist zur Erreichung des Vollzugsziels (§ 2 Rdn. 10 ff) und in Beachtung des Gegensteuerungsgrundsatzes gem. § 3 Abs. 2 (§ 3 Rdn. 11 f) erforderlich. Zudem entspricht die Ermöglichung der Ausstattung des Haftraums mit eigenen Sachen durch den Gefangenen den allgemeinen Lebensverhältnissen (C/MD 2008 Rdn. 2; OLG Celle ZfStrVo 1983, 181), so dass der Angleichungsgrundsatz (§ 3 Abs. 1; vgl. § 3 Rdn. 3 ff) durch § 19 bestätigt wird (vgl. auch Köhne StraFo 2002, 351 f). Der Inhaftierte darf deshalb seinen Haftraum als einen Rest von Privatsphäre (OLG Saarbrücken NStZ 1993, 207; OLG Celle ZfStrVo 1994, 174) zur Verwirklichung eines gewissen allgemeinen Lebenskomforts mit eigenen Gegenständen ausstatten.
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2. Keine abschließende Regelung. § 19 regelt den Besitz eigener Sachen nicht abschließend. Dem Gefangenen kann der Besitz eigener Kleidung gestattet werden (§ 20 Abs. 2 Satz 2). Er hat ein Recht auf den Besitz religiöser Schriften und Gegenstände (§ 53 Abs. 2 und 3), darf nach § 68 Zeitungen und Zeitschriften beziehen, ein Rundfunk- und ein Fernsehgerät nach § 69 im Haftraum nutzen, Gegenstände zur Freizeitgestaltung gem. § 70 (Rdn. 2, 8 und 9 – allgemein zur Abgrenzung: Laubenthal 2011 Rdn. 617) besitzen und im Rahmen des § 22 durch Vermittlung der Anstalt Sachen einkaufen. Nach § 33 ist es ihm gestattet, Gegenstände in Paketen zu empfangen. Prozessakten, die der Insasse zu seiner Verteidigung benötigt und die weder unter § 19 noch unter § 70 zu subsumieren sind, darf er in seinem Haftraum aufbewahren (OLG Karlsruhe ZfStrVo 2002, 370). Der Strafgefangene darf aber – von einer möglichen geringfügigen Ausnahme (§ 83 Abs. 1 Satz 2) abgesehen – nur Sachen in Gewahrsam haben, deren Besitz ihm von der Vollzugsbehörde ausdrücklich erlaubt wurde (§ 83 Abs. 1 Satz 1). Hat er einen Gegenstand durch ein unerlaubtes Geschäft von einem Mitgefangenen erworben, so kann ihm die Ausstattung seines Haftraums mit diesem untersagt werden, auch wenn die Sache angemessen im Sinne der Norm ist (Radiowecker: OLG Hamm ZfStrVo 2002, 309 f). Einzelheiten vgl. unter den jeweiligen Vorschriften.
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Ausstattung des Haftraumes durch den Gefangenen und sein persönlicher Besitz
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II. Erläuterungen 1. Begrenzte Möglichkeit zur Ausstattung der Räume. Der Haftraum des Gefan- 3 genen ist gem. § 18 Abs. 1 Satz 1 der Raum, der dem Gefangenen zum alleinigen Gebrauch zur Verfügung steht (OLG Celle NStZ 1983, 190). Nicht zum Haftraum gehört die Außenseite der Zellentür (KG BlStV 3/1984, 4). Die Vollzugsbehörde stellt ihn dem Achtungsanspruch von Art. 1 Abs. 1 GG entsprechend beschaffen (dazu BVerfG NJW 2011, 137) und wohnlich ausgestaltet, also vollständig möbliert, zur Verfügung (§ 144 Abs. 1 Satz 1; s. § 144 Rdn. 2). Da die Hafträume nicht besonders groß sind (§ 144 Rdn. 3), ist für weitere Einrichtungsgegenstände kaum Platz. In Betracht kommen ggf. ein zusätzlicher kleiner Tisch, ein Bücherregal oder ein bequemer Stuhl. Unter Ausstattung versteht man auch das Anbringen von Vorhängen und Gardinen (nach Ansicht von OLG Hamm ZfStrVo 1985, 128; NStZ 1995, 381 B kann dies, aus Gründen der Sicherheit und Sauberkeit bei männlichen Gefangenen allgemein untersagt werden) und Wandschmuck (AKKellermann/Köhne 2012 Rdn. 2). § 19 findet auch Anwendung, wenn zwei oder mehr Gefangenen für die Ruhezeit ein gemeinschaftlicher Haftraum zugewiesen wird (§ 18 Rdn. 2). Nicht zum Regelungsbereich des § 19 gehört der Austausch der von der Vollzugsbehörde zur wohnlichen Ausgestaltung des Haftraums zur Verfügung gestellten Gegenstände gegen eigene Sachen des Gefangenen (ebenso Arloth 2011 Rdn. 9). Von einem Teil der Rechtsprechung wird dagegen der Austausch der von der Vollzugsbehörde gestellten Bettwäsche gegen eigene nach § 19 behandelt (OLG Karlsruhe ZfStrVo 2002, 54; OLG Zweibrücken ZfStrVo 2003, 250; zu Recht zweifelnd OLG Nürnberg BlStV 4–5/2002, 3 f), was auch deshalb fraglich erscheint, weil eigene Bettwäsche nach dem Gesetz (§§ 132, 169, 173) nur besonderen aus Rechtsgründen privilegierten Gefangenengruppen allgemein gestattet ist. Hierzu § 2 Rdn. 4. Es ist allerdings bei Vorliegen besonderer Gründe zulässig, Freiheitsstrafe verbüßenden Gefangenen die Benutzung eigener Bettwäsche zu gestatten und – angebracht vor allem bei Gefangenen mit langen Strafen – den Austausch eines beweglichen anstaltseigenen Möbelstücks gegen ein entsprechendes eigenes zu erlauben. Wo es der Bauweise entspricht, kann auch das Tapezieren der Wände erlaubt werden (a. A. Arloth 2011 Rdn. 4). Bei Durchführung des Wohngruppenvollzugs wird einer bestimmten Gefangenengruppe weiterer Haftraum (Freizeitraum, Fernsehraum, Teeküche) zur gemeinsamen Benutzung zugewiesen. Schon wegen der unterschiedlichen Interessen kann hier § 19 Abs. 1 nicht – auch nicht entsprechend – angewendet werden. Das schließt nicht aus, dass den Gefangenen erlaubt wird, die Gemeinschaftsräume mit eigenen Sachen auszustatten (OLG Celle ZfStrVo 1983, 187). Trotz auf der Hand liegender Schwierigkeiten ist es in geeigneten Fällen angebracht, im Miteigentum mehrerer, in der Wohngruppe lebender Gefangener stehende Gegenstände (Gefrierschrank: vgl. OLG Hamm JR 1994, 210 mit Anm. Böhm) zu gestatten. Derartige Entscheidungen liegen im pflichtgemäßen Ermessen des Anstaltsleiters, das sich an den Vollzugsgrundsätzen und den Erfordernissen von Sicherheit und Ordnung orientiert. 2. Angemessener Umfang. Neben den Lichtbildern nahestehender (nicht nur 4 Verwandter und Verschwägerter: C/MD 2008 Rdn. 3) Personen und Erinnerungsstücken von persönlichem Wert (Abs. 1 Satz 2) hat die Rechtsprechung zahlreiche Arten von Gegenständen einfachen Wohnkomforts für unbedenklich erachtet: z. B. Stoffdecke zum Abdecken des Bettes am Tag (OLG Koblenz ZfStrVo SH 1979, 85), Leselampe (OLG Celle NStZ 1981, 238; OLG Koblenz ZfStrVo 1991, 53; OLG Stuttgart NStZ 1988, 574, das sogar ein Recht auf Verlegung in einen Haftraum mit Steckdose gewähren will), Gurkenschnei325
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Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
der, Schneebesen und Haarsieb zur Herrichtung zusätzlich eingekaufter Nahrungsmittel (OLG Frankfurt 3.5.1978 – 3 Ws 143/78), verschließbarer Aktenkoffer, wenn die Vollzugsbehörde den Zweitschlüssel erhält (OLG Celle ZfStrVo 1991, 123 f), elektrische Kaffeemaschine (OLG Hamm ZfStrVo 1990, 304), Bildhalter (OLG Zweibrücken ZfStrVo 1995, 374), Blumentöpfe mit entsprechenden Pflanzen (KG BlStV 1/1982, 5). Der angemessene Umfang i. S. von Abs. 1 Satz 1 richtet sich nach Art, Größe und Einrichtung des Haftraums. Auch die Haftdauer spielt eine Rolle. Je länger der Gefangene in dem ihm zur Verfügung gestellten Haftraum wird leben müssen, desto mehr erscheint eine persönliche Ausstattung als angemessen (AK-Kellermann/Köhne 2012 Rdn. 2). Erforderlich ist jeweils eine Einzelfallprüfung unter Beachtung der Vollzugsgrundsätze und des Umstandes, dass in der Art der Unterbringung kein zusätzliches Strafübel liegen soll (Laubenthal 2011 Rdn. 383). Ist der Haftraum mit mehreren Gefangenen belegt, so sind im Rahmen der Angemessenheit auch zu prüfen, ob der beantragte Gegenstand den anderen Insassen des Mehrpersonenhaftraums zuzumuten ist oder ihre Ansprüche auf den Besitz eigener Sachen behindert. Ist nach diesen Überlegungen die Genehmigung eines Gegenstandes möglich, so darf die Aushändigung nicht deshalb versagt werden, weil der Gefangene den Gegenstand nach Auffassung der Vollzugsbehörde nicht (dringend) benötigt (OLG Celle BlStV 3/1992, 6). Der Erwerb von Gegenständen, mit denen der Gefangene seinen Haftraum ausstatten darf, muss ihm ermöglicht werden (OLG Zweibrücken NStZ 1986, 477 – zusätzliche Tasse). Bei Zulassung mehrerer elektrischer Geräte ist die Beteiligung des Gefangenen an den Stromkosten, die über den Grundbedarf hinausgehen, zulässig (OLG Celle NdsRpfl 2004, 218; OLG Koblenz ZfStrVo 2006, 179). Die Genehmigung erfolgt nur für einen bestimmten Haftraum und – bei einem Einzelhaftraum –unter der (stillschweigenden) Voraussetzung, dass dieser nicht mit mehreren Insassen belegt werden muss. Wurde einem Gefangenen ein bestimmter Gegenstand bewilligt, so muss bei einer Verlegung in eine Anstalt gleicher Sicherheitsstufe und erst recht bei einer Umsetzung in einen anderen Haftraum innerhalb derselben Anstalt das Gebot des Vertrauensschutzes beachtet werden (BVerfG ZfStrVo 1995, 50; OLG Hamm NStZ 1990, 151; vgl. § 14 Rdn. 11). Verbleibt der Gefangene in seinem Haftraum und ändert sich nichts an dessen Belegung, so kann der bewilligte Gegenstand nur unter den Voraussetzungen des § 4 Abs. 2 Satz 2 dem Gefangenen wieder entzogen werden (OLG Zweibrücken NStZ 1994, 151; OLG Karlsruhe ZfStrVo 2001, 312; vgl. § 4 Rdn. 25). Diese Grundsätze gelten auch für den Entzug anstaltseigener Gegenstände zur Haftraumausstattung für die aber – die Vorschrift bezieht sich auf eigene Sachen – § 19 nicht anwendbar ist (OLG Karlsruhe ZfStrVo 2001, 312). 5
3. Ausschluss gefährlicher Gegenstände. Nach Abs. 2 können Gegenstände und Vorrichtungen ausgeschlossen werden, welche die Sicherheit und Ordnung der Anstalt (§ 81 Rdn. 7) gefährden. Das gilt nach der Rspr. etwa für elektrische Geräte, die Brandoder Verletzungsgefahr begründen (Tauchsieder, Höhensonne, Haartrockner: OLG Frankfurt ZfStrVo 1979, 186; OLG München NStZ 1981, 214 f) oder das Stromnetz überlasten könnten (LG Freiburg BlStV 4–5/1994, 2: Kühlschrank; OLG Hamm ZfStrVo 1990, 304: Kaffeemaschine; OLG Koblenz ZfStrVo 1991, 53: Leselampe) oder für Gegenstände, die als Waffen oder Fluchtmittel verwendet werden können (Textilien mit Gummizügen: OLG Zweibrücken ZfStrVo 2004, 315). Es wird als zulässig erachtet, die Vogelhaltung (hier Wellensittich) nur wenigen langstrafigen Insassen zu gestatten, weil die Tiere regelmäßig tierärztlich überprüft werden müssen und die Ordnung der Anstalt gefährdet wäre, wenn unbeschränkt viele Gefangene Vögel halten dürften (OLG Stuttgart ZfStrVo 1980, 250; OLG Frankfurt NStZ 1984, 239). Selbst ein ausnahmsloses Verbot von Vogelhaltung Laubenthal
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Ausstattung des Haftraumes durch den Gefangenen und sein persönlicher Besitz
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soll zulässig sein: OLG Koblenz ZfStrVo 1983, 315; OLG Dresden, Beschl. vom 4.11.99 – 2 Ws 401/99; großzügiger bei Wellensittich für einen zu lebenslanger Haft Verurteilten: OLG Saarbrücken ZfStrVo 1994, 51; OLG Karlsruhe, ZfStrVo 2002, 373 ff; allgemein zu der in den Anstalten sehr unterschiedlichen Handhabung der Erlaubnis, Tiere zu halten: Schwind FS Seebode, 2008, 551 ff; Vogelgesang ZfStrVo 1994, 67; § 70 Rdn. 7 ff; § 81 Rdn. 10. Angemessener Umfang, Übersichtlichkeit, Gefährdung von Sicherheit und Ordnung i. S. von § 19 sind unbestimmte Rechtsbegriffe, die voller gerichtlicher Nachprüfung unterliegen (OLG Celle NStZ 1983, 180; OLG Hamm NStZ 1990, 151; OLG Koblenz NStZ 1990, 360; OLG Karlsruhe, NStZ 2002, 612; OLG Zweibrücken ZfStrVo 2003, 250; Laubenthal 2011 Rdn. 387; vgl. auch § 115 Rdn. 21 ff). 4. Beschränkungen zugunsten der Übersichtlichkeit. Nach Abs. 2 können Gegen- 6 stände, die an sich angemessen wären, ausgeschlossen werden, wenn sie die Übersichtlichkeit des Haftraums behindern, vor allem die im geschlossenen Vollzug gem. VV Nr. 1 Abs. 1 zu § 84 in kurzen Zeitabständen vorgeschriebene Durchsuchung erschweren (dazu KG NStZ-RR 2005, 281). Die Rechtsprechung trennt nicht immer scharf und behandelt dieses Tatbestandsmerkmal im Rahmen der Sicherheitsgefährdung. So hat das OLG Koblenz (ZfStrVo SH 1979, 85) eine gefütterte Tagesdecke für bedenklich gehalten, ebenso wie das LG Lüneburg (5.8.1982 – 17 StVK 386/82) den Besitz eines Lederkissens, weil diese Gegenstände Versteckmöglichkeiten bieten. Das KG (Rdn. 4) meint, dass auch Blumentöpfe bei bestimmten Gefangenengruppen – etwa ehemaligen Drogenabhängigen – ausgeschlossen werden könnten (vgl. auch § 81 Rdn. 10). Die Ausstattung des Haftraumes mit einem Teppichboden oder die Genehmigung eines eigenen Kopfkissens können wegen der dadurch geschaffenen zusätzlichen Versteckmöglichkeiten untersagt werden (KG BlStV 6/1981, 7; OLG Hamm NStZ 1995, 381 B). Dagegen behindern 20 Bücher, 5 Leitzordner und 5 Schnellhefter die Übersichtlichkeit nicht und gestatten, zumal wenn ein regelmäßiger Austausch möglich ist, in angemessenem Rahmen wissenschaftliche Arbeit des Gefangenen (OLG Koblenz NStZ 1981, 214 f). Vgl. auch § 70 Rdn. 5. Es geht bei der Übersichtlichkeit einmal um Gegenstände, die – wie Vorhänge – die Sicht auf das Fenster verstellen, dessen Vergitterung regelmäßig geprüft werden muss (wozu aber nicht ein Blick von der Tür her genügt, weswegen Vorhänge aus diesem Grunde kaum abgelehnt werden dürften, s. Rdn. 3), vor allem aber um die Gesamtmenge (OLG Celle StraFo 2009, 172) dessen, was der Gefangene in seinem Haftraum aufbewahrt. Deshalb sind alle zur Ausgestaltung des Haftraums von der Vollzugsbehörde bereitgestellten Einrichtungsgegenstände und alle dem Gefangenen zustehenden Sachen (Rdn. 2) bei dieser Prüfung zu berücksichtigen. Es muss dem Gefangenen dann, wenn die Übersichtlichkeit des Haftraums behindert ist, nicht ein bestimmter (sonst angemessener und nicht Sicherheit oder Ordnung gefährdender Gegenstand) verwehrt werden, vielmehr darf der Gefangene diesen nur in seinem Haftraum haben, wenn er einen anderen dafür aus dem Haftraum entfernt. Deshalb ist ein in Rheinland-Pfalz entwickeltes System besonders sachdienlich: Unter Zugrundelegung des für eine gründliche Haftraumdurchsuchung erforderlichen Zeitaufwandes ist für jeden Gegenstand ein Punktwert errechnet. Jeder Gefangene darf in seinem Haftraum Sachen bis zur Erreichung einer für jeden gleich hoch festgesetzten Punktsumme (die einem Kontrollaufwand von vier Stunden entspricht) im Besitz haben (OLG Koblenz NStZ 2003, 592 M; OLG Koblenz ZfStrVo 2004, 311 f; vgl. auch Arloth 2011 § 70 Rdn. 2). So kann er auf einer nachvollziehbaren Grundlage entscheiden, welche eigenen Gegenstände er in diesem Rahmen im Haftraum nutzen möchte. Wird ihm Gelegenheit gegeben, nach Bedarf den einen Gegenstand gegen den anderen auszutauschen, darf die Anstalt regelmäßig so verfahren (OLG Zweibrücken ZfStrVo 2001, 308 f; Böhm 2003 Rdn. 197). Nur ausnahmsweise, etwa bei Behinderten, oder hin327
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Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
sichtlich zur Verteidigung benötigter Akten (OLG Karlsruhe ZfStrVo 2002, 379) wird dem Gefangenen mehr Besitz im Haftraum zugestanden. 7
5. Ausübung des Ermessens. Die Vollzugsbehörde kann bei Behinderung der Übersichtlichkeit und wegen Gefährdung der Sicherheit und Ordnung der Anstalt Gegenstände ausschließen. Im Rahmen der Ermessensausübung vermag ausnahmsweise eine Rolle zu spielen, ob der Insasse den Gegenstand auch benötigt (OLG Celle NStZ 1983, 190 f). Es ist zulässig, Gegenstände, die schwer kontrollierbare Versteckmöglichkeiten bieten, in Anstalten allgemein auszuschließen (C/MD 2008 Rdn. 5) oder Wertgrenzen (z. B. für Fernsehgeräte: OLG Nürnberg NStZ 2008, 347; für Uhren: OLG München BlStV 4–5/1990, 13; eine niedrigere Wertgrenze für die Ersatzbeschaffung widerspricht möglicherweise dem Gleichheitssatz: BVerfG StV 2001, 38 f) festzusetzen. Bei der Ausübung des in jedem Einzelfall eröffneten Ermessens (vgl. hierzu OLG Celle NStZ 1981, 238; OLG Stuttgart ZfStrVo 1980, 55; OLG Koblenz NStZ 1990, 151; OLG Karlsruhe ZfStrVo 2002, 373) sollte auch bedacht werden, dass der Gefangene seine eigenen Sachen eher pflegt und schont und sich in einem teilweise selbst ausgestatteten Haftraum wohler fühlt. Das wird in vielen Fällen mehr zu Sicherheit und Ordnung beitragen als eine sterile Übersichtlichkeit. Zur Ermessensausübung durch die Behörde § 115 Rdn. 20. III. Landesgesetze und Musterentwurf
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1. Baden-Württemberg. § 15 JVollzGB III entspricht im Wesentlichen § 19 StVollzG. Lediglich eine entsprechende Bestimmung hinsichtlich von Lichtbildern und Erinnerungsstücken wie in § 19 Abs. 1 Satz 2 StVollzG fehlt.
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2. Bayern. Art. 21 BayStVollzG entspricht, abgesehen von der Benennung der Gefangenen in Abs. 1 Satz 1 im Plural, dem Wortlaut der bundesrechtlichen Regelung.
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3. Hamburg. § 22 Abs. 1 und 2 HmbStVollzG sind, abgesehen von der Formulierung im Plural, wortlautidentisch mit § 19 StVollzG. § 22 Abs. 3 HmbStVollzG lautet: „Die Anstaltsleitung kann besondere Regelungen zum angemessenen Umfang der Haftraumausstattung und zu Art und Umfang der Vorkehrungen und Gegenstände nach Absatz 2, insbesondere zu Wertgrenzen für Armbanduhren, Schmuckgegenstände und Elektrogeräte treffen.“ In der Gesetzesbegründung wird dazu ausgeführt: „Die Ermächtigung soll mit Blick auf Absatz 2 eine flexible Handhabung ermöglichen, die den jeweiligen Anstaltsverhältnissen Rechnung trägt. Die Regelung entlässt die Anstalt gleichwohl nicht aus der Pflicht, den Gefangenen unter Berücksichtigung des Angleichungsgrundsatzes eine angemessene persönliche Sphäre zuzugestehen“ (LT-Drucks. 18/6490, 38).
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4. Hessen. § 19 Abs. 1 Satz 1 HStVollzG entspricht § 19 Abs. 1 Satz 1 StVollzG. Satz 2 lautet: „Die Übersichtlichkeit des Haftraums darf nicht behindert und Kontrollen nach § 46 Abs. 1 dürfen nicht unzumutbar erschwert werden.“ Abs. 2 des § 19 HStVollzG lautet: „Gegenstände, deren Besitz, Überlassung oder Benutzung mit Strafe oder Geldbuße bedroht ist oder die geeignet sind, die Eingliederung oder die Sicherheit oder die Ordnung der Anstalt zu gefährden, sind ausgeschlossen.“ Die Gesetzesbegründung sagt dazu: „Entgegen der Systematik des StVollzG wird an dieser Stelle eine Grundnorm für den Besitz von Gegenständen im Vollzug geschaffen, auf die an zahlreichen Stellen im Gesetz wieder verwiesen wird (so zum Beispiel § 20 Abs. 1 Satz 3 – Persönlicher Besitz, § 21 Abs. 2 Satz 3 – Kleidung, § 30 Abs. 4 Satz 4 – FreizeitgeLaubenthal
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Kleidung
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staltung, § 37 Abs. 1 Satz 4 – Paketempfang). Gleichwohl wird der Besitz von Gegenständen dadurch nicht abschließend geregelt. Die Vorschrift wird durch § 20 ergänzt und durch weitere Vorschriften wird der Maßstab im Hinblick auf besondere Gegenstände (z. B. zur Religionsausübung – § 32 Abs. 2 oder bezüglich Zeitungen und Zeitschriften – § 30 Abs. 2) konkretisiert“ (LT-Drucks. 18/1396, 90). 5. Niedersachsen. In Abweichung von Wortlaut und Inhalt der bundesrechtlichen 12 Regelung lautet § 21 NJVollzG: „Die oder der Gefangene darf ihren oder seinen Haftraum mit Erlaubnis in angemessenem Umfang mit eigenen Sachen ausstatten. Die Erlaubnis kann versagt oder widerrufen werden, soweit Sachen die Übersichtlichkeit des Haftraumes oder in anderer Weise die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt beeinträchtigen.“ In der Gesetzesbegründung heißt es dazu: „Satz 1 fügt der bisherigen Regelung des § 19 Abs. 1 Satz 1 StVollzG im Hinblick auf die in Satz 2 neu eingeführte Versagungs- und Widerrufsregelung das Wort ‚Erlaubnis‘ hinzu. Das Recht der Gefangenen, ihre Hafträume in angemessenem Umfang mit eigenen Sachen auszustatten, bleibt hierdurch unberührt. Die in § 19 Abs. 1 Satz 2 StVollzG genannten Lichtbilder nahestehender Personen und Erinnerungsstücke von persönlichem Wert unterfallen auch der Regelung des Satzes 1. Der besonderen Bedeutung dieser Sachen für die Gefangenen kann im Rahmen der Zulassung nach Satz 1 hinreichend Rechnung getragen werden, ohne dass dies in der Vorschrift besonders zum Ausdruck gebracht werden müsste. Die Versagung und – in Satz 2 neu eingefügt – der Widerruf der Erlaubnis knüpfen, sprachlich angepasst, an den Ausschlusstatbestand des § 19 Abs. 2 StVollzG an. Eine materielle Änderung ist hiermit nicht bezweckt“ (LT-Drucks. 15/3565, 109 f). 6. Musterentwurf. § 48 ME-StVollzG entspricht weitestgehend § 19 Abs. 1 Satz 1, 13 Abs. 2 StVollzG. Lediglich § 19 Abs. 1 Satz 2 StVollzG findet keine entsprechende Umsetzung.
§ 20 Kleidung § 20 Laubenthal Kleidung (1) Der Gefangene trägt Anstaltskleidung. Für die Freizeit erhält er eine besondere Oberbekleidung. (2) Der Anstaltsleiter gestattet dem Gefangenen, bei einer Ausführung eigene Kleider zu tragen, wenn zu erwarten ist, dass er nicht entweichen wird. Er kann dies auch sonst gestatten, sofern der Gefangene für Reinigung, Instandsetzung und regelmäßigen Wechsel auf eigene Kosten sorgt.
I. II.
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Übersicht Allgemeine Hinweise ____ 1 Erläuterungen ____ 2–5 1. Angemessene Ausstattung mit Kleidung ____ 2 2. Eigene Kleidung außerhalb der Anstalt ____ 3 3. Eigene Kleidung innerhalb der Anstalt ____ 4 4. Rechtsschutz ____ 5
III.
Landesgesetze und Musterentwurf ____ 6–11 1. Baden-Württemberg ____ 6 2. Bayern ____ 7 3. Hamburg ____ 8 4. Hessen ____ 9 5. Niedersachsen ____ 10 6. Musterentwurf ____ 11
Laubenthal
§ 20
Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
I. Allgemeine Hinweise 1
Die meisten Gefangenen empfinden die Abnahme der eigenen Kleidung und die Einkleidung in eine einheitliche Anstaltskleidung (ebenso wie die Abnahme des sonstigen Besitzes) als Selbstwertkränkung und Deprivation (vgl. auch BVerfG NStZ 2000, 166; Köhne ZRP 2003, 60). Erschwerend fällt mancherorts noch ins Gewicht, dass der Gefangene nicht einmal für seine Haftzeit „eigene“ Gefangenenkleidung, sondern nach jedem Wäschetausch eine andere, gewaschene und gereinigte Garnitur, die zuvor ein anderer Insasse getragen hat, erhält. So gehört es seit langem zu den Reformforderungen, den Insassen das Tragen ihrer eigenen Kleidung zu gestatten (§ 124 AE-StVollzG; vgl. Baumann in: Baumann (Hrsg.), Reform des Strafvollzuges, München 1974, 101, 110; vgl. ebenso § 23 HmbStVollzG, § 22 NJVollzG, dazu Rdn. 6). Das Festhalten an der Anstaltskleidung rechtfertigen Sicherheitsbedürfnisse (Arloth 2011 Rdn. 1; C/MD 2008 Rdn. 1), was angesichts des Umstandes, dass der Untersuchungsgefangene seine Privatkleidung tragen darf, nicht unproblematisch erscheint (Böhm 2003 Rdn. 225; krit. hierzu Arloth 2011 Rdn. 1). Die prinzipielle Verpflichtung zum Tragen von Anstaltskleidung soll auch dazu dienen, den Freiheitsstrafenvollzug für alle Strafgefangenen gleich zu gestalten und somit ein gleichmäßiges Strafübel zu gewährleisten (OLG München FS 2010, 119). II. Erläuterungen
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1. Angemessene Ausstattung mit Kleidung. Der Gefangene wird mit, der Jahreszeit (Arloth 2011 Rdn. 2; C/MD 2008 Rdn. 1) und der von ihm verrichteten Arbeit angemessener, Arbeits-, Freizeit- und Sportbekleidung vollständig ausgestattet. Die Anstalt sorgt für den regelmäßigen Tausch und die Reinigung auf Staatskosten. Zur Anstaltskleidung gehört auch Unterwäsche, wobei dem Gefangenen ein täglicher Wäschewechsel zu ermöglichen ist (AK-Kellermann/Köhne 2012 Rdn. 1). Daher genügen vier Garnituren Unterwäsche pro Woche hygienischen Anforderungen nicht (a. A. OLG Hamm ZfStrVo 1993, 374; Arloth 2011 Rdn. 2). Besondere Oberbekleidung für die Freizeit i. S. d. Abs. 1 Satz 2 bedeutet eine normaler Freizeitbekleidung entsprechende Hose, Jacke oder Pullover, Schuhe und Hemd. Es genügt nicht, eine zweite Garnitur Arbeitskleidung, wie z. B. ein Blaumann (Arloth 2011 Rdn. 2). Auch diese Auslegung der Bestimmung folgt in erster Linie aus dem Vollzugsziel, § 2 Satz 1, dem Gegensteuerungsgrundsatz, § 3 Abs. 2 und dem Angleichungsgrundsatz, § 3 Abs. 1 (OLG Celle ZfStrVo SH 1978, 20 f; LG Hamburg NStZ 1990, 255; C/MD 2008 Rdn. 1).
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2. Eigene Kleidung außerhalb der Anstalt. Wenn keine Entweichungsgefahr besteht, muss dem Gefangenen gem. Abs. 2 bei einer Ausführung das Tragen eigener Kleidung gestattet werden (OLG Koblenz, LG Koblenz ZfStrVo SH 1978, 21; Beschl. vom 18.1.1995 – 2 Ws 880/94; C/MD 2008 Rdn. 3; Grunau/Tiesler Rdn. 2). Dem Gefangenen soll die Belastung erspart werden, in der Öffentlichkeit als Strafgefangener erkannt und bloßgestellt zu werden. Dies gilt auch für eine Ausführung nach § 35 Abs. 3 Satz 1 und für die Vorführung zu einem Gericht oder einer Behörde außerhalb der Anstalt (OLG Karlsruhe NStZ 1996, 302; s. zur Weigerung des Gefangenen, bei der Vorführung vor Gericht Anstaltskleidung zu tragen, OLG Hamm NStZ-RR 2009, 438; vgl. auch BVerfG NStZ 2000, 166). Auch wenn befürchtet werden muss, dass der Insasse Urlaub oder Ausgang dazu missbraucht, sich der weiteren Strafvollstreckung zu entziehen, muss bei einer Ausführung dieses Gefangenen – also in Begleitung eines Vollzugsbediensteten – nicht unbedingt mit einer Entweichung gerechnet werden. Vielmehr ist zu prüfen, ob eine derartige Gefahr unter diesen Umständen überhaupt besteht und sie ggf. nicht durch andere MaßLaubenthal
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Kleidung
§ 20
nahmen als das Verbot, eigene Kleidung zu tragen, ausgeschlossen zu werden vermag (OLG Frankfurt 23.5.1978 – 3 Ws 147/78; OLG Koblenz aaO). 3. Eigene Kleidung innerhalb der Anstalt. Auch innerhalb der Vollzugsanstalt 4 kann der Anstaltsleiter dem Gefangenen gem. Abs. 2 Satz 2 das Tragen eigener Kleidung gestatten, wenn dieser für Reinigung, Instandsetzung und regelmäßigen Wechsel auf eigene Kosten, d. h. ohne Inanspruchnahme von Anstaltsmitteln, sorgt. Der Erlaubnis, eigene Wäsche zu tragen, steht deshalb nicht entgegen, dass sie von Dritten bezahlt wird (BVerfG NStZ-RR 1997, 59). Die Bedeutung des Besitzes eigener Sachen für die Erreichung des Vollzugsziels sowie für die Verhinderung von schädlichen Einflüssen des Vollzugs ist bei der Entscheidung über die Erteilung der Genehmigung – etwa im offenen Vollzug, in bestimmten Anstalten oder Abteilungen, allgemein für die Freizeitgestaltung, beim Besuch – zu berücksichtigen (s. auch AK-Kellermann/Köhne 2012 Rdn. 6; C/MD 2008 Rdn. 1; einschr. im Hinblick auf § 20 Abs. 1 Satz 1 OLG Koblenz ZfStrVo 1989, 56). Ist die Benutzung eigener Kleidungsstücke gestattet, so schließt dies die Gewährung von Sozialhilfe für deren Beschaffung aus, da der Gefangene in jedem Fall mit Anstaltskleidung versorgt ist (VGH München NStZ-RR 1999, 380 f). Darf der Inhaftierte eigene Kleidung im Haftraum tragen, kann ihm aufgegeben werden, zur gemeinsamen Arbeit und Freizeit Anstaltskleidung zu tragen (OLG Bremen ZfStrVo 1985, 178; Arloth 2011 Rdn. 4). Die Vollzugsanstalt sollte, wo immer es möglich ist, Gelegenheiten für die Insassen schaffen, Reinigung und Instandhaltung eigener Kleidung selbstverantwortlich zu leisten, etwa durch Anschaffung und Aufstellung von Waschmaschinen, deren Benutzung gegen geringe Gebühr oder kostenlos gestattet wird (AK-Kellermann/Köhne 2012 Rdn. 4). In einer Anstalt hohen Sicherheitsgrades kann die Überlassung privater Turnkleidung untersagt werden, wenn solche aus Anstaltsbeständen zur Verfügung gestellt wird (OLG Hamm NStZ 1992, 559). Die Gestattung nach Abs. 2 Satz 2 hängt von den dargestellten Möglichkeiten ab und liegt im am Vollzugsziel und § 3 zu orientierenden Ermessen des Anstaltsleiters. Je nach den Möglichkeiten in der Anstalt sind organisatorische Bedingungen für die Gestattung (z. B. Einnähen eines Namensschildes, regelmäßige Abgabe in einem Wäschenetz zur Reinigung in der Anstaltswäscherei, Verzicht auf Ansprüche gegen die Anstalt wegen Verlust oder Beschädigung durch Fahrlässigkeit, sofern die Reinigung kostenlos erfolgt) zulässig (OLG Koblenz ZfStrVo 1989, 56). 4. Rechtsschutz. Begehrt der Gefangene Ausstattung mit Anstaltskleidung oder das 5 Tragen eigener Kleidung nach Abs. 2 Satz 1, so ist der Verpflichtungsantrag nach § 109 Abs. 1 Satz 2 statthaft. Weil eine über die Ausführung hinausgehende Gestattung zum Tragen eigener Kleidung eine Ermessensentscheidung des Anstaltsleiters darstellt, steht dem Inhaftierten insoweit lediglich ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung zu, § 115 Abs. 5 (KG NStZ 2006, 583). III. Landesgesetze und Musterentwurf 1. Baden-Württemberg. Abgesehen von der Formulierung im Plural und der ge- 6 schlechtlichen Differenzierung ist § 16 JVollzGB III wortlautidentisch mit § 20 StVollzG. 2. Bayern. Art. 22 Abs. 1 BayStVollzG entspricht bis auf die Abfassung im Plural dem 7 Wortlaut des § 20 Abs. 1 Satz 1 StVollzG. Abs. 1 Satz 2 der bundesrechtlichen Regelung wurde vom bayerischen Gesetzgeber indes nicht übernommen. In der Gesetzesbegründung heißt es dazu: „… die Regelung zur Freizeitoberbekleidung des § 20 Abs. 1 StVollzG 331
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§ 20
Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
wurde nicht übernommen, da in der Praxis dafür kein Bedürfnis besteht“ (LT-Drucks. 15/8101, 55). Abs. 2 Satz 1 und 2 der bayerischen Norm entsprechen bis auf die geschlechtsspezifische Differenzierung sowie die Abfassung im Plural § 20 Abs. 2 StVollzG. 8
3. Hamburg. § 23 HmbStVollzG lautet: „(1) Die Gefangenen dürfen eigene Kleidung tragen, wenn sie für Reinigung und Instandsetzung auf eigene Kosten sorgen. § 22 Absatz 2 gilt entsprechend. (2) Die Anstaltsleitung kann das Tragen von Anstaltskleidung allgemein oder im Einzelfall anordnen, wenn dies aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung der Anstalt erforderlich ist.“ Die Gesetzesbegründung führt dazu aus: „Die Vorschrift kehrt das bisherige Regel-Ausnahmeverhältnis für das Tragen von Anstalts- bzw. Privatkleidung um. […] Die Regelung trägt der bereits bestehenden Vollzugswirklichkeit in Hamburg Rechnung und ist Ausfluss der Gestaltungsprinzipien des § 4“ (LT-Drucks. 18/6490, 38 f).
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4. Hessen. § 21 Abs. 1 HStVollzG entspricht § 20 Abs. 1 Satz 1 StVollzG. Abs. 2 lautet: „Das Tragen eigener Kleidung kann durch die Anstaltsleitung ausnahmsweise gestattet werden. Für deren Reinigung, Instandsetzung und regelmäßigen Wechsel haben die Gefangenen selbst zu sorgen. § 19 Abs. 2 gilt entsprechend.“ In der Gesetzesbegründung wird dazu ausgeführt: „Durch den Verweis auf § 19 Abs. 2 in Satz 3 wird Kleidung, deren Besitz, Überlassung oder Benutzung mit Strafe oder Geldbuße bedroht ist oder die geeignet ist, das Erreichen des Eingliederungsziels oder die Sicherheit oder die Ordnung der Anstalt zu gefährden, ausgeschlossen“ (LT-Drucks. 18/ 1396, 90 f).
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5. Niedersachsen. In Abweichung von § 20 StVollzG lautet § 22 NJVollzG: „(1) Die oder der Gefangene trägt eigene Kleidung, wenn sie oder er für Reinigung und Instandsetzung auf eigene Kosten sorgt; anderenfalls trägt sie oder er Anstaltskleidung. (2) Die Vollzugsbehörde kann das Tragen von Anstaltskleidung allgemein oder im Einzelfall anordnen, wenn dies aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung der Anstalt erforderlich ist.“ Die Gesetzesbegründung führt dazu aus: „Die Vorschrift kehrt das bisherige RegelAusnahme-Verhältnis für die Zulassung von Anstalts- und Privatkleidung um. Während § 20 Abs. 1 StVollzG das Tragen von Anstaltskleidung als Regel ansieht, tragen Gefangene nach der für Absatz 1 vorgesehenen Regelung regelmäßig Privatkleidung, soweit sie für Reinigung und Instandsetzung auf eigene Kosten sorgen. Dies entspricht der Vollzugswirklichkeit in Niedersachsen und der dem Entwurf zu Grunde liegenden Vollzugskonzeption, wonach die Eigenverantwortung der Gefangenen zu fördern ist. Soweit in Satz 1 der regelmäßige Wechsel der Kleidung keine Erwähnung mehr findet (vgl. § 20 Abs. 2 Satz 2 StVollzG), ist dies unschädlich, weil den Belangen der Hygiene und Gesundheitsfürsorge auch durch (regelmäßige) Reinigung hinreichend Rechnung getragen werden kann. Absatz 1 erfasst auch den Fall einer Ausführung oder Vorführung. Der Entwurf verzichtet daher darauf, die Regelung des § 20 Abs. 2 Satz 2 StVollzG zu übernehmen. Absatz 2 bestimmt, dass das Tragen von Anstaltskleidung aus Gründen der Sicherheit und Ordnung allgemein oder im Einzelfall angeordnet werden kann. Eine allgemeine Anordnung kommt z. B. in Anstalten oder Abteilungen hohen Sicherheitsgrades in Betracht. Das Tragen von Anstaltskleidung kann im Einzelfall auch – in Abweichung von der Regel des Absatzes 1 – bei einer Ausführung angeordnet werden, sofern von den Gefangenen die Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus überwiegenden Sicherheitsgründen hingenommen werden muss (vgl. BVerfG, Beschl. v. 3.11.99 – 2 BvR 2039/99“ (LT-Drucks. 15/3565, 110).
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Anstaltsverpflegung
§ 21
6. Musterentwurf. § 52 ME-StVollzG lautet: „(1) Die Gefangenen tragen Anstalts- 11 kleidung. (2) Der Anstaltsleiter kann eine abweichende Regelung treffen. Für Reinigung und Instandsetzung eigener Kleidung haben die Gefangenen auf ihre Kosten zu sorgen.“ Zu Abs. 2 heißt es in der Entwurfsbegründung: „Dies ist Ausdruck des Angleichungsgrundsatzes und fördert die Selbständigkeit der Gefangenen“ (ME-Begründung, 120).
§ 21 Anstaltsverpflegung § 21 Keppler/Nestler Anstaltsverpflegung Zusammensetzung und Nährwert der Anstaltsverpflegung werden ärztlich überwacht. Auf ärztliche Anordnung wird besondere Verpflegung gewährt. Dem Gefangenen ist zu ermöglichen, Speisevorschriften seiner Religionsgemeinschaft zu befolgen. VV 1 (1) Der Gefangene erhält Anstaltsverpflegung, soweit nichts anderes bestimmt ist. Die Verpflegung ist für alle Gefangenen gleich, wenn nicht der Anstaltsarzt aus gesundheitlichen Gründen anderes verordnet hat oder mit Rücksicht auf religiöse Speisegebote eine andere Verpflegung angebracht ist. (2) Die Anstaltsverpflegung soll eine vollwertige Ernährung der Gefangenen nach den Erkenntnissen der modernen Ernährungslehre gewährleisten. (3) Unterliegt ein Gefangener religiösen Speisegeboten, sollen auf seinen Antrag Bestandteile der Anstaltsverpflegung, die er nicht verzehren darf, gegen andere Nahrungsmittel ausgetauscht werden. 2 Während der hohen Glaubensfeste anderer als christlicher Religionsgemeinschaften, bei denen besondere Speisegebote zu beachten sind, können die betreffenden Gefangenen auf ihren Antrag und auf ihre Kosten auch von Glaubensgenossen verpflegt werden, sofern wichtige Belange des Vollzuges nicht entgegenstehen. Schrifttum Köhne Eigene Ernährung im Strafvollzug, in: NStZ 2004, 607 ff; ders. Reform der Regelung der Verpflegung von Strafgefangenen, in: StraFo 2007, 49 ff; Schriever Essen als Strafe, in: NStZ 2005, 195 ff.
I. II.
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Übersicht Allgemeine Hinweise ____ 1–4 Erläuterungen ____ 5–13 1. Zusammensetzung und Nährwert ____ 5 2. Aufgaben des Anstaltsarztes, § 21 Satz 1 ____ 6–8 3. Verordnung von Krankenkost, § 21 Satz 2 ____ 9 4. Religiöse Speisevorschriften, § 21 Satz 3 ____ 10–13
III.
Landesgesetze und Musterentwurf ____ 14–19 1. Baden-Württemberg ____ 14 2. Bayern ____ 15 3. Hamburg ____ 16 4. Hessen ____ 17 5. Niedersachsen ____ 18 6. Musterentwurf ____ 19
Keppler/Nestler
§ 21
Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
I. Allgemeine Hinweise Der stationär im Strafvollzug Inhaftierte ist aufgrund des Freiheitsentzugs weitgehend auf Versorgung durch die Justizvollzugsanstalt angewiesen. Die Vollzugsbehörde ist deshalb verpflichtet, den Gefangenen zu verpflegen (AK-Kellermann/Köhne 2012 Rdn. 1; Arloth 2011 Rdn. 1; C/MD 2008 Rdn. 1). Der Gesetzgeber geht dabei davon aus, dass die volle Verantwortung für die Verpflegung der Gefangenen bei der Vollzugsanstalt liegt (BT-Drucks. 7/918, 56). Der Inhaftierte hat im Gegenzug einen Anspruch darauf, von der Anstalt mit Nahrung versorgt zu werden (C/MD 2008 Rdn. 1). Die ausgegebene Anstaltsverpflegung bleibt so lange Eigentum der Anstalt, bis der Gefangene sie bestimmungsgemäß verbraucht hat. Ein Anspruch auf Vergabe der Verpflegung zur Versendung an anstaltsfremde Personen, z. B. die Familie des Inhaftierten, besteht nicht (KG NStZ 1989, 550). Die Verpflegung der Gefangenen darf kein zusätzliches Strafübel darstellen. Menge 2 und Zusammensetzung müssen sich daher nach durchschnittlichem Bedarf und durchschnittlicher Qualität richten. Dies ist zugleich Ausdruck des Angleichungsgrundsatzes, § 3 Abs. 1 (vgl. auch BT-Drucks. 7/918, 55). Im Bezug auf die Art und Weise der Verpflegung gilt der Angleichungsgrundsatz 3 ebenfalls (C/MD 2008 Rdn. 1). Organisation und Darreichungsform der Verpflegung müssen demnach den Verhältnissen außerhalb des Vollzugs soweit wie möglich angeglichen werden, was eine Überlassung der Nahrungsmittel in Blech- oder Plastikgeschirr ebenso ausschließt, wie eine völlige und ausschließliche Fremdversorgung (C/MD 2008 Rdn. 1). Als Alternative zu einer Verpflegung durch die Anstalt kommt eine Selbstverpfle4 gung in Betracht (dafür Köhne NStZ 2004, 607 ff). Dadurch würde zwar dem Eingliederungsgrundsatz des § 3 Abs. 3 entsprochen (Köhne NStZ 2004, 607). Der nur in begrenztem Umfang mögliche Erwerb von Nahrungs- und Genussmitteln mit Haus- oder Taschengeld kann für die Vollverpflegung durch die Anstalt allerdings kein adäquater Ersatz sein (vgl. Schriever NStZ 2005, 195 ff). Zudem bestehen insbesondere aus Gründen der Sicherheit und Ordnung, der Praktikabilität, aber auch bezogen auf eine mögliche wirtschaftliche Mehrbelastung gravierende Bedenken gegen eine Selbstverpflegung. Selbstverpflegung ist demnach – insbesondere bei Unterbringung in Wohngruppen – durch § 21 nicht ausgeschlossen, jedoch besteht darauf kein Anspruch. Der Vollzugsbehörde steht insoweit ein Ermessen zu (C/MD 2008 Rdn. 4; siehe aber Rdn. 10 ff), wobei dem Angleichungsgrundsatz bei der Abwägung entsprechendes Gewicht beizumessen ist. 1
II. Erläuterungen 5
1. Zusammensetzung und Nährwert. Das Gesetz enthält zur Qualität der Nahrung, insbesondere zu ihrer Zusammensetzung und dem Nährwert keine konkrete Regelung (C/MD 2008 Rdn. 2). Solche Bestimmungen fanden sich lediglich im ursprünglichen Kommissionsentwurf in § 23 Abs. 1 Satz 2 KE. Da der Inhaftierte indes auf die Verpflegung durch die Vollzugsbehörde angewiesen ist (§ 21 Rdn. 1), muss die Anstalt im Gegenzug jedenfalls eine vollwertige Ernährung gewährleisten. Auch Getränke sind zur Verfügung zu stellen (AK-Kellermann/Köhne 2012 Rdn. 1). Die Anstalten sind zudem gehalten, Qualitätskontrollen durchzuführen, wobei Anhaltspunkte für die qualitativen Anforderungen die Verpflegung in Krankenhäusern oder z. B. bei der Bundeswehr liefern können (AK-Kellermann/Köhne 2012 Rdn. 1). Im Vollzugsalltag sind Beschwerden über die Verpflegung zwar häufig; gerichtliche Entscheidungen finden sich hier jedoch kaum, Keppler/Nestler
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Anstaltsverpflegung
§ 21
da es sich i. d. R. um ein bloß subjektiv empfundenes Übel handelt (AK-Kellermann/ Köhne 2012 Rdn. 4; Böhm 2006, 533). In den Bundesländern existieren jeweils Verpflegungsordnungen zur Regelung der Verpflegungswirtschaft, aus denen sich ergibt, welche Lebensmittel nach Art und Menge zur Herstellung der Speisen verwendet werden (vgl. bspw. Verpflegungsordnung für die Justizvollzugsanstalten in Bayern – VerpflO, vom 15. November 2007 Az. 4540 – VII a – 1953/2004). Der Gefangene hat jedoch keinen Anspruch auf eine Zertifizierung der Unbedenklichkeit eines Nahrungsmittels. Das allgemeine Lebensrisiko muss er hinnehmen (OLG Hamm NStZ 1995, 616). 2. Aufgaben des Anstaltsarztes, § 21 Satz 1. Gem. § 21 Satz 1 werden Zusammenset- 6 zung und Nährwert der Verpflegung durch den Anstaltsarzt beaufsichtigt. Hinsichtlich der Zusammensetzung und des Nährwertes der Kost übt er eine Überwachungsfunktion aus. Im Hinblick auf die allgemeine Hygiene achtet er auf alle relevanten Umstände bei der Zubereitung der Verpflegung und der damit befassten Personen. Davon unabhängig ist die infektionshygienische Überwachung durch das zuständige Gesundheitsamt, vgl. § 36 Abs. 1 IfSG (siehe § 56 Rdn. 9). Bei der Überwachung des Nährwertes und der Zusammensetzung der Verpflegung 7 hat der Anstaltsarzt darauf hinzuwirken, dass die Erkenntnisse der modernen Ernährungslehre von der Justizvollzugsanstalt und deren Wirtschaftsverwaltung beachtet werden (VV Nr. 1 Abs. 2; vgl. auch Urban/Mildner 1988, 128). Danach ist die Vollzugsbehörde gehalten, für eine abwechslungsreiche und vollwertige, d. h. hinsichtlich ihres Brennwertgehaltes (Kalorien/Joule) und dem Vorkommen an Vitaminen o.ä. bei Leistung mittelschwerer Arbeit ausreichende, Ernährung zu sorgen. Führt der Gefangene Schweroder Schwerstarbeit aus, so entsteht ein Mehrbedarf an Nahrung, dem von der Behörde entsprochen wird, sofern medizinische Bedenken nicht entgegenstehen. Im Übrigen ist für die Nährwertberechnung die Nährwerttabelle der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (Deutsche Gesellschaft für Ernährung e. V. 2. Aufl. 2012; zur a. F. vgl. Urban/Mildner 1988, 128) heranzuziehen, die von den Bruttowerten der Lebensmittel ausgeht. Neben der Überwachung der Gefangenenkost obliegt dem Anstaltsarzt auch die 8 Überwachung der hygienischen Erfordernisse im Küchenbereich, u. a. nach den Vorschriften des IfSG, vgl. insbesondere § 43 IfSG, wonach das zuständige Gesundheitsamt eine entsprechende Bescheinigung zur Tätigkeit im Lebenmittelbereich ausstellt. Der in der Küche eingesetzte Personenkreis muss über ein gültiges Gesundheitszeugnis verfügen (zur Überwachung der Einhaltung der Vorschriften der Küchenhygiene auch § 56 Rdn. 9). 3. Verordnung von Krankenkost, § 21 Satz 2. Aus gesundheitlichen Gründen kann 9 der Anstaltsarzt eine von der normalen Kost abweichende Ernährung verordnen (VV Nr. 1 Abs. 1 Satz 2). Hierbei besteht zumeist die Möglichkeit, auf genormte Krankenkostformen (z. B. bei Diabetes oder Allergien; vgl. auch Riekenbrauck/Render DiabetesJournal 10/1991, 16) zurückzugreifen, die jedoch in den einzelnen Bundesländern von einander abweichen können. Unabhängig von der besonderen Verordnung durch den Anstaltsarzt kann die Vollzugsbehörde selbst das Speiseangebot variieren und bspw. vegetarische Kost zur Wahl stellen (OLG Hamm, Beschl. vom 25.3.1985 – 1 VAs 154/84). Die Einführung einer personenbezogenen Kostkarte zur Ermittlung des täglichen Bedarfs bzw. von Sonderkostformen verletzt als organisatorische Maßnahme nicht die aus § 21 folgenden Rechte des Gefangenen (KG NStZ 1998, 358; C/MD 2008 Rdn. 1). 4. Religiöse Speisevorschriften, § 21 Satz 3. § 21 Satz 3 StVollzG erlaubt es dem Ge- 10 fangenen, Speisevorschriften seiner Religionsgemeinschaft zu befolgen. Damit wird ihm 335
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§ 21
Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
aufgrund von Art. 4 GG ein Recht auf Selbstverpflegung zugebilligt, wenn religiöse Gründe dies nahelegen. Die Anstalt muss dabei auch grundsätzlich bemüht sein, den Zeitpunkt der Nahrungsaufnahme zu beachten, sofern dies religiösen Vorschriften unterliegt (OLG Koblenz ZfStrVo 1995, 111). Die Anerkennung einer Religionszugehörigkeit darf nicht davon abhängig gemacht werden, dass sich ein Strafgefangener an einen bestimmten Religionsbeauftragten wendet und dieser eine entsprechende Bescheinigung ausstellt (OLG Koblenz ZfStrVo 1994, 241). Die Justizvollzugsanstalt ist nicht verpflichtet, dem Gefangenen die den Speisevor11 schriften seiner Religionsgemeinschaft entsprechenden Speisen zu verschaffen. Sie muss ihm aber gestatten, sich derartige Speisen selbst zu besorgen (OLG Hamm NStZ 1984, 190; LG Straubing ZfStrVo 1979, 124; C/MD 2008 Rdn. 5). Problematisch erscheint dies zwar bei Gefangenen, die nicht über die dafür erforderlichen finanziellen Mittel verfügen. Unter dem Gesichtspunkt weltanschaulicher Neutralität des Staates ist die Anstalt in einem solchen Fall gleichwohl nicht verpflichtet, eine entsprechende Verpflegung zu gewähren (C/MD 2008 Rdn. 5). Die Anstalt darf die Selbstverpflegung ablehnen, sofern die Anstaltsverpflegung das 12 religiöse Speisegebot abdeckt und zugleich dem Nahrungsbedarf des Gefangenen entspricht. Dies kann auch durch einen ergänzenden Einkauf von Nahrungsmitteln beim Einkauf in der Anstalt (§ 22 Rdn. 3 ff) sichergestellt sein. In der Praxis wird es sich bei den Erfordernissen religiöser Speisegebote meist um islamische, buddhistische oder jüdische Religionsgemeinschaften handeln. Koschere Speisen können schon aus technischen Gründen durch die Anstaltsküche kaum erstellt werden, so dass dem Gefangenen i. d. R. eine Selbstverpflegung gestattet werden muss. Allerdings wird in vielen Justizvollzugsanstalten schon aus Belangen der Sicherheit und Ordnung (vgl. Schriever NStZ 2005, 196 f; krit. AK-Kellermann/Köhne 2012 Rdn. 3) ein Speiseangebot erstellt, das den religiösen Speisegeboten zumindest des Islams entspricht. Abgesehen von Fällen im Anwendungsbereich von Satz 3, d. h. außerhalb religiöser 13 Gesichtspunkte, ist die Gewährung von Selbstverpflegung eine Ermessensentscheidung der Vollzugsbehörde. III. Landesgesetze und Musterentwurf 14
1. Baden-Württemberg. § 17 Abs. 1 JVollzGB III bestimmt, dass Verpflegung in Übereinstimmung mit den jeweils gültigen Werten für eine ausreichende und ausgewogene Ernährung angeboten wird. Zudem hat eine Gemeinschaftsverpflegung stattzufinden, was dem Angleichungsgrundsatz Rechnung trägt. Nach § 17 Abs. 2 JVollzGB III soll dem Gefangenen ermöglicht werden, religiöse Speisevorschriften zu befolgen. Anders als im StVollzG des Bundes ist die Norm insoweit als „Soll“-Vorschrift ausgestaltet, was im Einzelfall weitergehende Ausnahmen von dem Recht auf Selbstverpflegung aus religiösen Gründen gestattet. Angesichts von Art. 4 GG müssen diese Einschnitte jedoch auf ein Minimum beschränkt bleiben. In der Gesetzesbegründung finden sich zu diesen Abweichungen von der bundesgesetzlichen Regelung keine Ausführungen (vgl. LT-Drucks. 14/ 5012, 215).
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2. Bayern. Art. 23 BayStVollzG ist wortgleich mit § 21 StVollzG, bis auf die Verwendung von Plural im BayStVollzG statt Singular im StVollzG in Satz 3.
16
3. Hamburg. § 24 HmbStVollzG entspricht inhaltlich weitgehend § 21 StVollzG. § 24 Satz 2 HmbStVollzG enthält den Verweis auf die ärztliche Überwachung der Verpflegung; allerdings fehlt der Hinweis, dass auf ärztliche Anordnung hin besondere Verpflegung Keppler/Nestler
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gewährt wird. Mit der Streichung dieser Regelung sollte nach Auffassung des Landesgesetzgebers diese Möglichkeit jedoch nicht entfallen. Die Notwendigkeit besonderer Verpflegung im Einzelfall bspw. zur Krankenbehandlung ergebe sich aus der Natur der Sache und bedürfe keiner gesonderten gesetzlichen Regelung (Bürgerschafts-Drucks. 18/ 6490, 39; Bürgerschafts-Drucks. 19/2533, 55). Satz 3 der Norm regelt die Beachtung religiöser Speisevorschriften wortlautgleich zu § 21 Satz 3 StVollzG. 4. Hessen. § 22 Abs. 1 HStVollzG enthält eine mit § 21 StVollzG identische Regelung.
17
5. Niedersachsen. § 23 NJVollzG entspricht inhaltlich § 21 StVollzG. § 23 Satz 1 18 NJVollzG trifft im Gegensatz zu § 21 Satz 1 StVollzG allerdings nur die Regelung, dass die Gefangenen gesund zu ernähren sind, ohne Hinweis auf eine ärztliche Überwachung. Dies soll verdeutlichen, dass das Gebot, die Gefangenen gesund zu ernähren, nicht nur eine ärztliche Aufgabe ist. Mit der Streichung ist die ärztliche Überwachungspflicht jedoch nicht entfallen (LT-Drucks. 15/3565, 110 f). § 23 Satz 2 und 3 NJVollzG sind bis auf geschlechtsspezifische Differenzierungen wortgleich mit § 21 Satz 2 und 3 StVollzG. 6. Musterentwurf. § 53 Abs. 1 ME-StVollzG entspricht inhaltlich § 21 StVollzG.
§ 22 Einkauf § 22 Laubenthal Einkauf (1) Der Gefangene kann sich von seinem Hausgeld (§ 47) oder von seinem Taschengeld (§ 46) aus einem von der Anstalt vermittelten Angebot Nahrungs- und Genussmittel sowie Mittel zur Körperpflege kaufen. Die Anstalt soll für ein Angebot sorgen, das auf Wünsche und Bedürfnisse der Gefangenen Rücksicht nimmt. (2) Gegenstände, die die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt gefährden, können vom Einkauf ausgeschlossen werden. Auf ärztliche Anordnung kann dem Gefangenen der Einkauf einzelner Nahrungs- und Genussmittel ganz oder teilweise untersagt werden, wenn zu befürchten ist, dass sie seine Gesundheit ernsthaft gefährden. In Krankenhäusern und Krankenabteilungen kann der Einkauf einzelner Nahrungs- und Genussmittel auf ärztliche Anordnung allgemein untersagt oder eingeschränkt werden. (3) Verfügt der Gefangene ohne eigenes Verschulden nicht über Haus- oder Taschengeld, wird ihm gestattet, in angemessenem Umfang vom Eigengeld einzukaufen. VV 1 (1) Die Bemessung des Betrages für den Einkauf nach § 22 Abs. 3 richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles. Dabei sind insbesondere die Höhe des dem Gefangenen bisher zur Verfügung stehenden Hausgeldes, die Höhe des noch anzusparenden Überbrückungsgeldes, besondere persönliche Bedürfnisse (z. B. wegen Krankheit oder Behinderung) und der Wert der beim Zugang belassenen oder ihm von Dritten zugewendeten Nahrungs- und Genussmittel zu berücksichtigen. (2) Können hinreichende Feststellungen nach Absatz 1 nicht getroffen werden, so wird dem Gefangenen gestattet, im Monat einen Betrag bis zum vierfachen, nach sechs Monaten 337
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Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
bis zum sechsfachen Tagessatz der Eckvergütung (§ 43 Abs. 2 StVollzG) aus seinem Eigengeld zu verwenden. (3) Der Einkauf alkoholhaltiger Getränke ist nicht gestattet. Ausnahmen können von der Aufsichtsbehörde für einzelne Anstalten und Abteilungen sowie für bestimmte Gruppen von Gefangenen zugelassen werden. 2 (1) Für den Einkauf sonstiger Gegenstände, deren Besitz in der Anstalt gestattet ist, kann der Gefangene sein Hausgeld, sein Taschengeld und sein Eigengeld verwenden. Der Einkauf aus seinem Eigengeld kann der Höhe nach beschränkt werden. (2) § 83 Abs. 2 Satz 3 StVollzG bleibt unberührt.
I.
II.
Übersicht Allgemeine Hinweise ____ 1, 2 1. Einkauf als Unterfall der allgemeinen Lebenshaltung ____ 1 2. Einkauf weitgehend abhängig vom Arbeitsverhalten des Gefangenen ____ 2 Erläuterungen ____ 3–7 1. Anspruch auf Einkauf von Nahrungsund Genussmitteln ____ 3 2. Ermöglichung des Einkaufs frischer Lebensmittel ____ 4
3. 4. 5. III.
Ausschluss bestimmter Genussmittel ____ 5 Einkauf vom Eigengeld ____ 6 Einkauf anderer Gegenstände ____ 7 Landesgesetze und Musterentwurf ____ 8–13 1. Baden-Württemberg ____ 8 2. Bayern ____ 9 3. Hamburg ____ 10 4. Hessen ____ 11 5. Niedersachsen ____ 12 6. Musterentwurf ____ 13
I. Allgemeine Hinweise 1
1. Einkauf als Unterfall der allgemeinen Lebenshaltung. Der Einkauf ist ein für die Stimmung unter den Gefangenen in der Anstalt besonders wichtiger Unterfall der allgemeinen Lebenshaltung im Vollzug. Diese ist (Einrichtung des Haftraums, Besitz eigener Sachen, Tragen von Anstaltskleidung, Paketempfang) so geregelt, dass ein möglichst ähnlicher, gleichförmiger Lebensstandard besteht und die unterschiedliche Vermögenssituation des Gefangenen und seiner Angehörigen auf die Vollzugsanstalt nicht durchschlägt (LG Hamburg ZfStrVo SH 1977, 26; „soziale Gleichbehandlung bei der anstaltsbedingten Konsumbeschränkung“: K/S-Schöch § 7 Rdn. 96). Hinter dem mit der Vorschrift verfolgten Zweck der Vermeidung eines sozialen Gefälles zwischen den Gefangenen stehen Sicherheitsgründe (BVerfG NJW 2009, 663). Die Regelung ist auch deshalb nötig, weil die mit der Freiheitsstrafe verbundenen Belastungen die Insassen gleichmäßig treffen müssen (Arloth 2011 Rdn. 1; Böhm 2003 Rdn. 223; C/MD 2008 Rdn. 1).
2
2. Einkauf weitgehend abhängig vom Arbeitsverhalten des Gefangenen. Beim Einkauf erlaubt nach den Vorgaben des StVollzG das Arbeitsverhalten des Insassen eine Differenzierung: Je fleißiger und qualifizierter der Gefangene in der Anstalt arbeitet, desto günstiger steht er beim Einkauf. Die Beschränkung des Einkaufs möglichst auf selbstverdiente Geldmittel soll der Resozialisierung dienen (KG ZfStrVo 1983, 59). Diese Regelung bleibt jedoch nur gerecht, wenn für alle Gefangenen vergütete Arbeit, Ausbildung oder Beschäftigung zur Verfügung stehen, was gegenwärtig nicht der Fall ist. Der Insasse, der schuldlos ohne Arbeit geblieben ist, sowie der wegen Alters oder Krankheit Arbeitsunfähige, sollen etwa so viel von ihren eigenen Mitteln für den Einkauf verwenden dürfen, wie der knapp durchschnittlich arbeitende Insasse an Hausgeld zur Verfügung hat. Verfügen sie über keine eigenen Mittel, so erhalten sie ein Taschengeld. Der schuldLaubenthal
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Einkauf
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haft nicht arbeitende Gefangene ist vom Einkauf ausgeschlossen, wenn man von dem ersatzweise gestatteten Einkauf beim Ausbleiben der dreimal im Jahr nach § 33 Abs. 1 gewährleisteten Pakete absieht: VV Nr. 6 Abs. 1 zu § 33 (s. im Einzelnen hierzu die Kommentierung bei §§ 33, 46, 47 und 52). II. Erläuterungen 1. Anspruch auf Einkauf von Nahrungs- und Genussmitteln. Der Gefangene hat 3 einen Anspruch auf Einkauf von Nahrungs- und Genussmitteln sowie Mitteln zur Körperpflege von seinem Hausgeld (§ 47 Rdn. 4) bzw. seinem Taschengeld. Eine Beschränkung dieses Rechts ist nur als Disziplinarmaßnahme zulässig (§ 103 Abs. 1 Ziff. 2). Der Einkauf wird durch die Anstalt vermittelt. Der Gefangene hat also keinen Anspruch darauf, unter Umgehung dieser Vermittlung einzukaufen. Er kann auf die von der Anstalt hierzu vorgesehenen Möglichkeiten, deren Wahl und Organisation im Ermessen des Anstaltsleiters liegen (OLG Koblenz NStZ 1991, 151; LG Hamburg ZfStrVo 1992, 258), verwiesen werden. Die Anstalt muss aber den Einkauf an Nahrungs- und Genussmitteln sowie Mitteln der Körperpflege möglich machen. Das geschieht vielfach durch Einrichtung einer Verkaufsstelle in der Anstalt – etwa eines Kiosks, bei dem zu bestimmten Zeiten eingekauft werden darf, wobei etwa die verfügbaren Geldmittel des Gefangenen abgefragt werden und nach getätigtem Einkauf die Abbuchung erfolgt. Ein derartiger regelmäßig in der Anstalt durch einen Vertragskaufmann stattfindender Einkauf wird als Sichteinkauf (C/MD 2008 Rdn. 2) bezeichnet oder es findet wie beim Versandhandel auf schriftliche Bestellung (Böhm 2003 Rdn. 221) der Einkauf statt. Auf diese Weise besteht eine Kontrollmöglichkeit der Vollzugsbehörde. Sie kann verhindern, dass verdorbene Genussmittel geliefert werden, vor allem aber lässt sich auch ausschließen, dass mit den eingekauften Gegenständen ein Einschmuggeln von Nachrichten oder unerlaubten Dingen in die Anstalt erfolgt. Die Anordnung einer Verfügungsbeschränkung über die Gefangenenkonten während der Abwicklung des Einkaufs, um Doppelausgaben vorhandener Guthaben zu vermeiden, ist zulässig (OLG Koblenz NStZ 1991, 151 f; Laubenthal 2011 Rdn. 468). Die Vermittlung macht es auf der anderen Seite allerdings schwierig, den Insassen die preisgünstigsten Einkaufsmöglichkeiten zu gewährleisten (Calliess 1992, 116; Urban/Mildner in: Schwind/Blau 125, 129). Es bleibt unzulässig, dass die Vollzugsbehörde dem Vertragskaufmann für die von ihm in der Anstalt benutzten Räume einen Mietpreis in Rechnung stellt, den dieser dann auf seine Preise umlegt (Calliess aaO), weil sich die Anstalt so die von ihr dem Gefangenen kostenlos geschuldete Vermittlung von den Insassen bezahlen lässt. Die Vollzugsbehörde ist verpflichtet, durch Preisvergleiche zu überprüfen, ob der Vertragskaufmann seine Ware zu marktgerechten Preisen anbietet (Arloth 2011 Rdn. 2; LG Hamburg ZfStrVo 1992, 258). 2. Ermöglichung des Einkaufs frischer Lebensmittel. Da nicht nur länger haltba- 4 re Waren eingekauft werden, sondern ein besonderer Bedarf an frischem Obst, Kuchen, Wurst und Milch besteht, genügt die Gewährleistung eines monatlichen Einkaufs nicht. Bei der Prüfung, wie oft Einkauf zu ermöglichen ist, muss die Anstalt die Wünsche der Insassen gegen die organisatorischen Schwierigkeiten abwägen. Dabei kommt – wie im Gesetz ausdrücklich angeführt – den Wünschen und Bedürfnissen der Gefangenen (Abs. 1 Satz 2) besondere Bedeutung zu. Das gilt auch für die inhaltliche Ausgestaltung des vermittelten Angebots. Zum Ruhen des Rechts auf Einkauf Rdn. 6 zu § 104. 3. Ausschluss bestimmter Genussmittel. Es dürfen Gegenstände vom Angebot 5 ausgeschlossen werden – auch von Gefangenen gewünschte oder benötigte –, soweit sie 339
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die Sicherheit und Ordnung der Anstalt (§ 81 Rdn. 7) gefährden (Abs. 2 Satz 1). Das gilt etwa für Rasiermesser, für bestimmte Spraydosen mit Körperpflegemitteln, große Feuerzeuge, scharfe Gewürze (Pfeffer) in Pulverform, die als Waffe verwendet werden können (OLG Koblenz ZfStrVo 1992, 323; KG BlStV 4–5/1993, 5) und – wegen Brandgefahr – eine Kerze (OLG Hamm BlStV 1/1995, 5 f – zweifelhaft). Mohnhaltiges Gebäck vermag ausgeschlossen zu werden, weil sein Genuss die Urinkontrollen zur Feststellung des Drogenmissbrauchs erschwert (OLG Karlsruhe Die Justiz 2003, 131). Alkoholhaltige Getränke sind nach VV Nr. 1 Abs. 3 grundsätzlich vom Einkauf ausgeschlossen (hierzu krit. AKKellermann/Köhne 2012 Rdn. 6; Köhne ZRP 2002, 168). Ausnahmen können von der Aufsichtsbehörde zugelassen werden (etwa für Freigängerabteilungen). Dass man sich auch mit „normalen“ Nahrungsmitteln schaden kann (Verwendung von überstarkem Pulverkaffee als Aufputschmittel, getrockneten Bananenschalen als Rauschmittel, Haarwasser und Rosinen als Alkoholersatz), darf nicht zum allgemeinen Ausschluss dieser Gegenstände vom Einkauf führen (a. A. Grunau/Tiesler Rdn. 2). Mengenbeschränkungen (hinsichtlich Zucker wegen Verwendungsmöglichkeiten zur Alkoholherstellung) sind zulässig (OLG Zweibrücken NStZ 1985, 479), allerdings oft nicht zweck- und damit nicht verhältnismäßig (Böhm NStZ 1986, 95). Ein völliger Ausschluss von solchen Gegenständen ist nur auf ärztliche Anordnung und für besonders gefährdete Gefangene – oder Gefangenengruppen, etwa auf einer besonderen Drogenstation (nur dann wäre die Anordnung auch kontrollierbar) – gem. Abs. 2 Satz 2 zulässig. Weitergehende Einschränkungen können ganz allgemein für Vollzugskrankenhäuser und Krankenabteilungen auf ärztliche Anordnung ergehen (Abs. 2 Satz 3), ohne dass dabei die Gefährdung jedes einzelnen im Krankenhaus befindlichen Gefangenen erforderlich wäre. Hierbei ist vor allem an das Verbot oder an die Einschränkung des Einkaufs von Tabakwaren zu denken (Gefährdung der an den Atemwegen erkrankten Insassen auch durch Passivrauchen). 6
4. Einkauf vom Eigengeld. Wenn der Gefangene ohne Verschulden nicht über Haus- oder Taschengeld verfügt, darf er in angemessenem Umfang vom Eigengeld (§ 52 Rdn. 3) einkaufen (Abs. 3). In der Höhe, in der der angemessene Umfang in VV Nr. 1 Abs. 2 einheitlich festgelegt ist, hat der Gefangene einen Rechtsanspruch auf Einkauf vom Eigengeld (LG Hamburg ZfStrVo SH 1977, 26; OLG München ZfStrVo 1980, 122; die Regelungen in den VV binden die Vollzugsbehörde wegen des Gebots der Gleichbehandlung, s. auch § 4 Rdn. 18). Die Festlegung gilt aber nicht zum Nachteil des Gefangenen. Vielmehr kann der angemessene Umfang („was unter Beachtung der jeweils besonderen Situation des betreffenden Gefangenen als billig erscheint“: OLG Hamm NStZ 1989, 358 B) auch höher als nach den VV Nr. 1 Abs. 2 vorgesehen sein. Es sind hier in jedem Einzelfall zahlreiche Gesichtspunkte zu beachten (besondere Bedürfnisse, Umfang des Besuchsverkehrs, Höhe des Eigengeldes, früher erzieltes Hausgeld: BGH ZfStrVo 1988, 245; s. dazu auch OLG Frankfurt NStZ 1986, 381 mit Anm. Großkelwing; OLG Celle NStZ 1988, 96; vgl. VV Nr. 1 Abs. 1). Der angemessene Umfang i. S. von Abs. 3 ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, der gerichtlich voll überprüfbar bleibt (OLG Celle NStZ 1988, 96; vgl. auch § 115 Rdn. 21 f; a. A. BGH ZfStrVo 1988, 245 – der Vollzugsbehörde bleibt ein Beurteilungsspielraum). Der Eigengeld-Einkauf nach VV Nr. 1 Abs. 1 und 2 steht nicht unter der Sperrwirkung des § 83 Abs. 2 Satz 3 (§ 83 Rdn. 9), was sich aus der anderslautenden Regelung bei VV Nr. 2 Abs. 2 zu § 22 ergibt. Praktisch hat das aber kaum Bedeutung. Soweit das Eigengeld als Überbrückungsgeld für den Gefangenen nach § 83 Abs. 2 Satz 3 gesperrt ist, kann es nicht dazu dienen, dem Gefangenen die Bedürftigkeit abzusprechen, die Voraussetzung für die Bewilligung des Taschengeldes ist. Ein Gefangener, der unverschuldet ohne Arbeit und damit ohne Hausgeld ist, erhält nur dann kein Taschengeld, wenn er nicht bedürftig ist. In diesem Fall hat er dann aber immer sog. freies Laubenthal
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Eigengeld oder doch die Möglichkeit, sich solches (etwa von seinem Bankkonto) überweisen zu lassen. Nur wenn der Gefangene neu in die Anstalt aufgenommen ist und keine Nahrungs- und Genussmittel eingebracht hat, befindet er sich für den kurzen Zeitraum bis zur ersten Auszahlung von Haus- bzw. Bewilligung von Taschengeld in einer Situation, in der ihm auch dann Einkauf vom Eigengeld gestattet werden muss, wenn dies eigentlich zur Bildung des Überbrückungsgeldes gesperrt werden müsste (ähnlich C/MD 2008 Rdn. 1). 5. Einkauf anderer Gegenstände. VV Nr. 2 erweitert die Möglichkeit des Einkaufs 7 auf sonstige Gegenstände, deren Besitz gestattet ist. Hierfür darf der Gefangene auch sein Eigengeld verwenden, soweit es nicht zur Bildung des Überbrückungsgeldes herangezogen wird (§ 83 Rdn. 8), etwa zur Bezahlung von für den persönlichen Bedarf bestimmten Lichtbildern (OLG Frankfurt NStZ 1990, 382 B). So können im Wege des Einkaufs Zeitschriften, Rundfunkgeräte, Schreibwaren, Reinigungsmittel, Kosmetika angeboten werden, ohne dass der Gefangene für ihren Erwerb den mühevollen Weg über eine Paketerlaubnis (§ 33 Abs. 1 Satz 3) gehen muss. Es steht im Ermessen der Vollzugsbehörde, welche Gegenstände angeboten werden (LG Regensburg ZfStrVo 1983, 253 insoweit zu eng. Zutreffend dagegen OLG Zweibrücken NStZ 1986, 477 f; § 19 Rdn. 4). Allerdings bleibt bei der Entscheidung der Anstaltsleitung gerade auch Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG zu beachten. Ein Verstoß hiergegen liegt vor, wenn es insoweit zu einer unterschiedlichen Behandlung von männlichen und weiblichen Gefangenen kommt, dass nur Frauen gestattet wird, Kosmetika über das in § 22 Abs. 1 und 3 Vorgesehene hinaus vom Eigengeld zu kaufen (BVerfG NJW 2009, 661). Soweit die Gefangenen Gegenstände im Versandhandel erwerben, ist es nicht ausnahmslos ohne Rücksicht auf den Einzelfall zulässig, auf Lieferung unter Nachnahme zu bestehen (OLG Saarbrücken ZfStrVo 1985, 116; vgl. auch OLG Hamm ZfStrVo 1989, 115). III. Landesgesetze und Musterentwurf 1. Baden-Württemberg. § 18 Abs. 1 Satz 1 JVollzGB III erweitert § 22 Abs. 1 Satz 1 8 StVollzG dahingehend, dass das Warenangebot nicht auf Nahrungs- oder Genussmittel sowie Mittel zur Körperpflege beschränkt wird. Die Gesetzesbegründung führt dazu aus: „Die Gefangenen haben ein berechtigtes Interesse daran, auch andere Gegenstände erwerben zu können“ (LT-Drucks. 14/5012, 216). Satz 2 des Abs. 1 normiert – ähnlich wie § 22 Abs. 1 Satz 2 StVollzG – die Abstimmung des Warenangebots auf die Bedürfnisse der Gefangenen. § 18 Abs. 1 Satz 3 JVollzGB III entspricht – abgesehen von der Formulierung „sind“ anstelle von „können“ – § 22 Abs. 2 Satz 1 StVollzG. § 18 Abs. 1 Satz 4 JVollzGB III lautet: „Der Einkauf kann in Form eines Listeneinkaufs durchgeführt werden.“ Dazu heißt es in der Gesetzesbegründung: „Sie oder er kann den Einkauf aus Gründen der Sicherheit und Ordnung oder aus Gründen der Verwaltungsorganisation als sogenannten Listeneinkauf durchführen. Hierbei bestellt die Justizvollzugsanstalt die Ware für die Gefangenen schriftlich beim Händler zur Auslieferung“ (LTDrucks. 14/5012, 216). § 18 Abs. 2 JVollzGB III lautet: „In begründeten Ausnahmefällen, insbesondere wenn ein zugelassener Artikel sonst nicht beschafft werden kann, kann die Justizvollzugsanstalt einen Einkauf über andere sichere Bezugsquellen gestatten.“ Abs. 3 des § 18 JVollzGB III entspricht inhaltlich § 22 Abs. 3 StVollzG. Da § 28 Abs. 1 Satz 3 JVollzGB III den Empfang von Paketen mit Nahrungs- und Genussmitteln ausschließt, können Dritte gem. § 54 Abs. 1 JVollzGB III für Gefangene 341
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Sondergeld u. a. zum Zweck des Einkaufs einzahlen, das – wie sich aus § 18 Abs. 3 JVollzGB III ergibt – auch dem Erwerb von Nahrungs- und Genussmitteln dienen kann. 9
2. Bayern. Art. 24 BayStVollzG entspricht – bis auf die Benennung der Gefangenen im Plural sowie den Verweis auf Landesrecht – weitgehend dem Wortlaut der bundesrechtlichen Vorschrift. Wegen des ausdrücklichen Verbots eines Empfangs von Paketen mit Nahrungs- und Genussmitteln durch Art. 36 Abs. 1 Satz 3 BayStVollzG eröffnet Art. 25 Abs. 1 BayStVollzG die Möglichkeit von Sondereinkäufen als Kompensation.
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3. Hamburg. § 25 Abs. 1 bis 3 HmbStVollzG lautet: „(1) Die Gefangenen können regelmäßig aus einem von der Anstalt vermittelten Angebot einkaufen (Regeleinkauf). (2) Die Gefangenen können in angemessenem Umfang dreimal jährlich zusätzlich zu dem Regeleinkauf einkaufen. (3) Für die Organisation des Einkaufs und den Inhalt des Warenangebots kann die Anstaltsleitung unter Würdigung der Wünsche und Bedürfnisse der Gefangenen besondere Regelungen treffen.“ Die Gesetzesbegründung führt dazu aus: „Anders als im Strafvollzugsgesetz ist nicht geregelt, dass der Einkauf vom Hausgeld oder Taschengeld der Gefangenen zu bestreiten ist. Wegen der Neuordnung der Gelder der Gefangenen ist die Verwendung dieser Gelder jetzt in §§ 47, 48 geregelt. Absatz 2 greift die Folgen aus der Neuregelung des Paketempfangs auf“ (LT-Drucks. 18/ 6490, 39). Dieser Ausschluss des Empfangs von Paketen mit Nahrungs- und Genussmitteln gem. § 33 Abs. 1 Satz 3 HmbStVollzG wird gem. § 25 Abs. 2 durch die Möglichkeit der Gestattung von Zusatzeinkäufen dreimal jährlich kompensiert. § 25 Abs. 4 HmbStVollzG ist – abgesehen von der Formulierung im Plural – wortlautidentisch mit § 22 Abs. 2 StVollzG.
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4. Hessen. § 18 Abs. 2 HStVollzG beschränkt in Abweichung vom Bundesrecht den Einkauf nicht auf Nahrungs- oder Genussmittel sowie Mittel zur Körperpflege. In der Gesetzesbegründung wird dazu ausgeführt: „Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass das Angebot beim Einkauf weit über diese Konsumgüter hinausgeht und beispielsweise auch Briefpapier oder Lernmittel beinhaltet“ (LT-Drucks. 18/1396, 91). § 18 Abs. 3 HStVollzG entspricht im Wesentlichen § 22 Abs. 3 StVollzG. Zum Ausgleich für das in § 37 Abs. 1 Satz 3 HStVollzG normierte Verbot des Empfangs von Paketen mit Nahrungs- und Genussmitteln dürfen gem. § 44 Abs. 2 1. Halbs. HStVollzG Dritte für die Gefangenen zweimal jährlich zu besonderen Anlässen Geld einzahlen, das diese dann für Sondereinkäufe verwenden können.
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5. Niedersachsen. § 24 Abs. 1 Satz 1 NJVollzG lautet nun in Abweichung vom Bundesgesetz: „Die oder der Gefangene kann sich aus einem von der Vollzugsbehörde vermittelten Angebot Nahrungs- und Genussmittel sowie Mittel zur Körperpflege kaufen.“ In der Gesetzesbegründung heißt es dazu: „Die Verwendung des Hausgeldes oder Taschengeldes wird infolge der Neuordnung der Gefangenengelder nunmehr in § 45 (in Verbindung mit § 43) des Entwurfs geregelt“ (LTDrucks. 15/3565, 111). Abs. 1 Satz 1 entspricht weitgehend § 22 Abs. 1 Satz 2 StVollzG. Abs. 2 Satz 1 der niedersächsischen Vorschrift bleibt überwiegend inhaltsgleich mit § 22 Abs. 2 Satz 1 StVollzG, ersetzt aber das Wort „können“ durch „sind“. Die Gesetzesbegründung führt dazu aus: „Absatz 2 Satz 1 wurde aufgrund von Anregungen der Anstaltsleitervereinigung und der LAG gehobener Dienst nach der Verbandsbeteiligung geändert und der in § 34 Abs. 1 Satz 2 vorgesehenen Regelung angepasst. In der Tat wäre es nicht nachvollziehbar, den Einkauf von Gegenständen zuzulassen, die die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt tatsächlich gefährden“ (LT-Drucks. 15/3565, 111). Eine § 22 Laubenthal
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Vorbemerkung
Vor § 23
Abs. 2 Satz 2 StVollzG vergleichbare Regelung enthält das NJVollzG indes nicht. Stattdessen entspricht § 24 Abs. 2 Satz 2 NJVollzG dem Abs. 2 Satz 3 des Bundesgesetzes. In der Gesetzesbegründung heißt es dazu: „Der Entwurf lässt sich hierbei von der Erwägung leiten, dass der aus ärztlichen Gründen bisher untersagbare Einkauf von Kaffee, Tee, Zigaretten oder Tabak (vgl. BT-Drucks. 7/918, S. 113) zwar kontrolliert, der Genuss jedoch letztlich nicht verhindert werden kann, wenn die Gefangenen sich diese Genussmittel entgegen der ärztlichen Anordnung auf andere Weise verschaffen. Solange sich die Gefangenen nicht in unmittelbarer ärztlicher Obhut befinden, soll es – auch in Ansehung des Angleichungsgrundsatzes (§ 3 Abs. 1 des Entwurfs) – bei ärztlichen Verordnungen im Rahmen der allgemeinen Gesundheitsfürsorge bzw. der Mitwirkung der Patientinnen und Patienten bleiben“ (LT-Drucks. 15/3565, 111). Eine Entsprechung zu Abs. 3 des Bundesgesetzes enthält § 24 NJVollzG nicht. § 46 Abs. 2 NJVollzG sieht als Kompensation für das in § 34 Abs. 1 Satz 3 NJVollzG normierte Verbot des Paketempfangs mit Nahrungs- und Genussmitteln vor, dass dem Inhaftierten bis zu dreimal jährlich ein zusätzlicher Geldbetrag auf das Hausgeldkonto überwiesen werden darf. Das Guthaben kann der Gefangene dann insbesondere für den Einkauf verwenden (§ 46 Abs. 3 NJVollzG). 6. Musterentwurf. § 53 Abs. 2 ME-StVollzG lautet: „Den Gefangenen wird ermög- 13 licht einzukaufen. Die Anstalt wirkt auf ein Angebot hin, das auf Wünsche und Bedürfnisse der Gefangenen Rücksicht nimmt. Das Verfahren des Einkaufs regelt der Anstaltsleiter. Nahrungs-, Genuss- und Körperpflegemittel können nur vom Haus- und Taschengeld, andere Gegenstände in angemessenen Umfang auch vom Eigengeld eingekauft werden.“ Dazu wird in der ME-Begründung ausgeführt: „Da die Gefangenen keine Möglichkeit haben, ohne Vermittlung der Anstalt einzukaufen, verlangt Absatz 2 als Ausprägung des Angleichungsgrundsatzes, dass die Anstalt auf ein umfassendes Angebot hinwirkt, welches neben Nahrungs-, Genuss- und Körperpflegemitteln beispielsweise auch Briefpapier, Lernmittel und technische Geräte umfassen kann. … Sie haben aber keinen Anspruch, dass bestimmte Produkte in das Sortiment aufgenommen werden. Die Bestimmung erfasst auch den Einkauf über den Versandhandel“ (ME-Begründung, 120). Zu Satz 4 heißt es: „Diese Einschränkung soll ein allzu großes soziales Gefälle unter den Gefangenen und damit die Bildung einer Subkultur vermeiden helfen. Andere Gegenstände können in angemessenem Umfang auch von dem Eigengeld beschafft werden“ (ME-Begründung, 120 f).
VIERTER TITEL Besuche, Schriftwechsel sowie Urlaub, Ausgang und Ausführung aus besonderem Anlass Vorbemerkung Vor § 23 Schwind Vorbemerkung 1. Der vierte Titel enthält die Regelungen über die Beziehungen des Gefangenen zu 1 Personen und Stellen außerhalb der Anstalt, soweit sie sich in Schreiben, Besuchen in der Anstalt, Urlaub und Ausgang niederschlagen und im Wesentlichen von dem individuellen Interesse des Gefangenen bestimmt sind (RegE, BT-Drucks. 7/918, 57). „Sie sollen der Isolation des Gefangenen und den damit verbundenen Gefahren für Realitätssinn, Kommunikation und mitmenschlichen Kontakten entgegenwirken und zugleich zum Aufbau neuer Beziehungen beitragen“ (K/S-Schöch 2002 § 7 Rdn. 97). Die Kontaktpflege hat gerade auf dem Gebiet des Vollzugswesens außerordentliche Bedeutung; Au343
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Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
ßenweltkontakte sind ein wesentlicher Beitrag zum Erreichen des Wiedereingliederungszieles, da durch sie soziale Bindungen des Gefangenen geschaffen oder aufrechterhalten und gefestigt werden (OLG Frankfurt NStZ 1982, 221). 2
2. Die Außenkontakte des Gefangenen werden im vierten Titel allerdings nicht abschließend geregelt; hierher gehören vielmehr auch die aus Behandlungs- oder anderen Gründen des Vollzugs vorgesehenen Lockerungen, die im zweiten Titel aufgeführt sind, nämlich § 11 (Vollzugslockerungen) und § 13 (Urlaub aus der Haft).
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3. Der Gesetzgeber (vgl. RegE, BT-Drucks. 7/918, 57) geht davon aus, dass das Recht des Gefangenen zum Verkehr mit anderen Personen auch im Vollzug der Freiheitsstrafe grundsätzlich fortbesteht. Insoweit wird darauf verwiesen, dass sich die Ansprüche des Gefangenen auf Besuche und Schriftwechsel zum Teil als Ausfluss der im Grundgesetz garantierten Freiheitsrechte darstellen: Art. 2 Abs. 1 GG (Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit), Art. 5 Abs. 1 GG (Grundrecht der freien Meinungsäußerung) und Art. 6 Abs. 1 GG (Verfassungsgarantie für Ehe und Familie); vgl. dazu BVerfGE 33, 40 und 42, 236 f sowie BVerfG MDR 1982, 23; ZfStrVo 1991, 372 und ZfStrVo 1996, 174. Dementsprechend versucht der Gesetzgeber den Konflikt zwischen den Individualrechten und den notwendigen Erfordernissen eines geordneten Vollzugs durch eingehende Vorschriften zu lösen, die dem Gefangenen ein bestimmtes Mindestmaß an Außenkontakten garantieren und zugleich die Vollzugsbehörde ermächtigen, den Vollzug störende Informationen unter bestimmten Voraussetzungen zurückzuhalten und sie zu verpflichten, Beziehungen des Gefangenen zu fördern, die die Vollzugsaufgaben unterstützen (RegE aaO). Zum Konflikt zwischen Vollzugsziel und Sicherheitsaufgaben vgl. § 2 Rdn. 19 f.
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4. Die Kosten der selbstverantwortlichen Außenkontakte werden in den VV geregelt, in den neuen Ländergesetzen und im Musterentwurf-StVollzG im Gesetz.
§ 23 Grundsatz § 23 Schwind Grundsatz Der Gefangene hat das Recht, mit Personen außerhalb der Anstalt im Rahmen der Vorschriften dieses Gesetzes zu verkehren. Der Verkehr mit Personen außerhalb der Anstalt ist zu fördern. Schrifttum (zu Besuchen und Schriftwechseln: §§ 23–31) Arloth Die „beleidigungsfreie Sphäre“ bei Briefen im Strafvollzug, in: ZIS 2010, 263 ff; ders. Trennscheibe bei Besuchen in Justizvollzugsanstalten, in: Jura 2005, 108 ff; Bemmann Über das Anhalten ehrverletzender Gefangenenpost, in: Häberle (Hrsg.): FS Tsatsos, Baden-Baden 2003, 23 ff; Beulke/Swoboda Trennscheibenanordnung „zum Schutz“ des Strafverteidigers bei Verteidigerbesuchen im Strafvollzug? in: NJW 2004, 1398 ff; Britz Familienbesuche und Intimkontakte im Strafvollzug – Das UVF-Projekt in Frankreich, in: ZfStrVo 1998, 74 ff; Buchert/Metternich/Hauser Die Auswirkungen von Langzeitbesuchen (LZB) und ihre Konsequenzen für die Wiedereingliederung von Strafgefangenen, in: ZfStrVo 1995, 259 ff; Di Fabio Der Schutz von Ehe und Familie: Verfassungsentscheidung für die vitale Gesellschaft, in: NJW 2003, 993 ff; Dünkel Kontakte zu Gefangenen, in: ZfStrVo 2008, 262 ff; Götte Die Mitbetroffenheit der Kinder und Ehepartner von Strafgefangenen, Berlin 2000; Gusy Verfassungsrechtliche Probleme der §§ 28 ff StVollzG, in: FS Bemmann, Baden-Baden 1997, 673 ff; Hassemer Kommunikationsfreiheit in der Haft, in: ZRP 1984, 292 ff; Grube Der Schutz der Verteidigerpost, in: JR 2009, 362 ff; Hirsch Die Kommunikationsmöglichkeiten des Strafgefangenen mit seiner Familie, Frankfurt a. M. 2003; Knoche Besuchsverkehr im Strafvollzug,
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Grundsatz
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Frankfurt a. M. 1987; ders. Besuchsverkehr im Strafvollzug – ein reglementierter Kontakt zur Außenwelt?, in: ZfStrVo 1987, 145 ff; Kreuzer Mit Entkleidung verbundene körperliche Durchsuchung Strafgefangener, in: StV 2006, 163 ff; Kruis/Wehowsky Fortschreibung der verfassungsrechtlichen Leitsätze zum Vollzug von Straf- und Untersuchungshaft, in: NStZ 1998, 593 ff; Kury/Kern Angehörige von Inhaftierten, in: ZfStrVo 2003, 269; Marx Strafvollzugsrecht: Journalistenbesuch, in: JuS 1982, 121 ff; Matthes Presse-Interviews im Haftvollzug, Lohmar 2005, 30 ff; Molketin Generelle Überwachung des Schriftwechsels aller Gefangenen aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung der Anstalt, in: MDR 1981, 192 ff; Müller-Dietz Möglichkeiten und Grenzen der körperlichen Durchsuchung von Besuchern, in: ZfStrVo 1995, 214 ff; Nehm „Fernsehinterviews aus der Haft sind für alle Beteiligten eine heikle Sache“, in: ZRP 1996, 492 ff; Neibecker Strafvollzug und institutionelle Garantie von Ehe und Familie, in: ZfStrVo 1984, 335 ff; Neu Nichtdeutsche im bundesdeutschen Strafvollzug, in: Schwind/Blau 1988, 329 ff; Perwein Erteilung, Rücknahme und Widerruf der Dauertelefongenehmigung, in: ZfStrVo 1996, 16 ff; Preusker Stellungnahme zu dem Aufsatz: Besuchsverkehr im Strafvollzug – ein reglementierter Kontakt zur Außenwelt?, in: ZfStrVo 1987, 151 ff; Rixen Schutz minderjähriger Verbrechensopfer durch Besuchsverbote gemäß § 25 StVollzG (Anm. zu OLG Nürnberg ZfStrVo 1999, 192 = NStZ 1999, 376), in: ZfStrVo 2001, 278 ff; Rolinski Außenkontakte des Insassen, in: Baumann (Hrsg.): Die Reform des Strafvollzuges, München 1974, 77 ff; Rosenhayn Unüberwachte Langzeitbesuche im Strafvollzug, Bonn 2005; Scheu Verhaltensweisen deutscher Strafgefangener heute. Beobachtungen und Gedanken, 3. Aufl., Göttingen 1972; Schwind Zum Sinn der Strafe und zum Ziel (Zweck) des (Straf-)Vollzugs, in: BewHi 1981, 351 ff; ders. Kurzreferat zur Neuordnung der Regelung der Vollzugslockerungen i. S. einer Gesamtkonzeption, in: Weisser Ring (Hrsg.): Risiko-Verteilung zwischen Bürger und Staat. Bd. 1 der Mainzer Schriften zur Situation von Kriminalitätsopfern, Mainz 1990, 57 ff; ders. Nichtdeutsche Straftäter – eine kriminalpolitische Herausforderung, die bis zum Strafvollzug reicht, in: Feuerhelm u. a. (Hrsg.): FS Böhm zum 70. Geburtstag, Berlin 1999, 323 ff; ders. Chancenvollzug am Beispiel von Niedersachsen, in: FS Amelung, Berlin 2009, 763–764; Tolmein Interviews mit Strafgefangenen: Schädlicher Einfluss oder unabdingbare gesellschaftliche Kommunikation?, in: ZRP 1997, 246 ff.
I. Allgemeine Hinweise § 23 stellt zwei Grundsätze an den Anfang der Vorschriften des vierten Titels: erstens 1 das grundsätzlich bestehende Recht des Gefangenen, mit Personen außerhalb der Anstalt zu verkehren (Abs. 1), und zweitens die grundsätzlich bestehende Verpflichtung der Vollzugsbehörde, diese Kontakte zu „fördern“ (Abs. 2). Das Gesetz regelt aber nicht, mit welchen „Personen außerhalb der Anstalt der Gefangene verkehren“ darf bzw. nicht verkehren darf (dazu Rdn. 3 und 6 zu § 24). Da die §§ 23 ff nur für Außenkontakte gelten, finden sie keine Anwendung auf die Kontakte von Gefangenen innerhalb (derselben) Anstalt (vgl. Rdn. 4 zu § 24); auch nicht auf die Gefangenenmitverantwortung, da deren Wirken ebenfalls auf den Anstaltsbereich beschränkt ist (wiederum Rdn. 4 zu § 24). Zu Besuchszusammenführungen Gefangener aus verschiedenen Anstalten vgl. Rdn. 8 zu § 24. Zum Kontaktsperregesetz vgl. Rdn. 5 zu § 26. II. Erläuterungen 1. Satz 1. Das Recht, mit Personen außerhalb der Anstalt zu verkehren, besteht nur in- 2 soweit, als es nicht durch Vorschriften des StVollzG eingeschränkt wird. Dem Gefangenen sollen aber nicht mehr Einschränkungen auferlegt werden, als in Bezug auf die Durchführung des Freiheitsentzuges und seine Behandlung (§ 4 Rdn. 6) notwendig sind (RegE, BT-Drucks. 7/918, 57). Das bedeutet aber nicht, dass jede einschränkende Entscheidung erkennen lassen muss, dass die Anstalt auch bereit war (so auch Arloth 2011 Rdn. 5), ein Risiko einzugehen (diese Forderung erhebt AK-Joester/Wegner 2012 Rdn. 2 mit unklarer Begründung); die Entscheidung muss vielmehr nur erkennen lassen, dass das Ziel nicht auf eine andere, den Einzelnen weniger belastende Weise, ebenso gut erreicht werden konnte (Grundsatz der Verhältnismäßigkeit). Bei der Abwägung kommt dem Vollzugsziel 345
Schwind
§ 23
Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
der Resozialisierung (§ 2 Satz 1; dort Rdn. 12 ff) zwar besondere Bedeutung zu, aber nicht im Sinne völliger Verdrängung der Sicherheitsinteressen der Bevölkerung (§ 2 Satz 2: Schutz der Bevölkerung vor weiteren Straftaten; § 2 Rdn. 17 ff); daraus ergibt sich, dass bei der Entscheidung der Anstalt die Art der abgeurteilten Straftat, Vorverurteilungen und die Persönlichkeit des Gefangenen in der Regel grundsätzlich nicht unberücksichtigt bleiben dürfen ( Schwind 1981, 351 ff; vgl. auch Rdn. 6 zu § 25). Der Resozialisierungsgedanke fordert insoweit von der Anstalt unter Anlegung dieses Maßstabes, nur kalkulierbare bzw. der Bevölkerung noch zumutbare Risiken einzugehen (vgl. Schwind 1990, 57 ff). 3
2. Satz 2 hebt (bei Beachtung der einschränkenden Voraussetzungen, die nach Abs. 1 vorgesehen sind) die Pflicht der Vollzugsbehörde hervor, ihrerseits daran mitzuwirken, dass die Schwierigkeiten überwunden werden, die sich durch die Anstaltsunterbringung für die Förderung und Entwicklung von Beziehungen ergeben.
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a) Dabei darf sich die Anstalt nicht darauf beschränken, die gesetzlichen Mindestgarantien zu beachten, sie ist vielmehr aufgerufen („Förderungspflicht“), auch aktiv (soweit das vertretbar ist, vgl. oben Rdn. 2) auf die Aufrechterhaltung und Entwicklung von Außenkontakten hinzuwirken (K/S-Schöch 2002 § 7 Rdn. 97; Schwind 2009, 764 ff): aber nur solche, die die Vollzugsaufgaben unterstützen (RegE, BT-Drucks. 7/918, 57); das gilt insbesondere für Kontakte zu (geeigneten) Familienangehörigen (§ 25 Rdn. 10; Grunau/Tiesler 1982 Rdn. 2). In solchen Fällen kann auch eine besondere Ermunterung des Gefangenen durch die Anstalt notwendig sein, weil die Aufrechterhaltung und Stärkung sozialer Bindungen zur (Wieder-)Eingliederung des Gefangenen in die Gesellschaft beiträgt (C/MD 2008 Rdn. 2); so sollte dem (geeigneten) Gefangenen durch die Anstalt z. B. nahe gelegt werden, Anträge auf Lockerungen und auf Besuch zu stellen (AK-Joester/ Wegner 2012 Rdn. 5). Im Rahmen der Förderungspflicht kommt auch die Übernahme der Fahrtkosten für bedürftige (nahe) Angehörige des Gefangenen aus Sozialmitteln in Betracht (OVG Münster NStZ 1985, 95; Arloth 2011 Rdn. 5). AK-Joester/Wegner (2012 Rdn. 5) weisen darauf hin, dass die Kosten für Besuche als außergewöhnliche Belastungen steuerlich absetzbar sind (FinG Hessen INFO 1987, 59).
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b) Der Satz 2 wird allerdings überdehnt, wenn man (wie AK-Joester/Wegner 2012 Rdn. 4) bereits in dem Bau neuer Anstalten auf dem Lande oder deren Ausbau einen Verstoß gegen die Förderungspflicht (= Pflicht, die Außenkontakte der Gefangenen zu fördern) konstruiert (ebenso Arloth 2011 Rdn. 5). Dafür gibt auch die Entstehungsgeschichte der Vorschrift nichts her. Bei den Standortüberlegungen ist jedoch der Gedanke des heimatnahen Vollzugs zu berücksichtigen (das übersehen AK-Joester/Wegner 2012 Rdn. 4 bei ihrer Kritik). Oft liegen Justizvollzugsanstalten z. B. für Besuche äußerst verkehrsungünstig. III. Landesgesetze und Musterentwurf
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1. Baden-Württemberg. Dem § 23 StVollzG entspricht der § 19 Abs. 1 JVollzGB III. In Abs. 1 Satz 2 wird der Kontakt zu Angehörigen besonders geregelt.
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2. Bayern. Art. 26 BayStVollzG ist bis auf geschlechtsspezifische Differenzierungen wortgleich mit § 23 StVollzG.
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3. Hamburg. Die Besuchsregelungen beginnen im HmbStVollzG mit einem § 26, der wie folgt aufgebaut ist: Schwind
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Grundsatz
§ 23
Abs. 1 ist wortgleich mit § 24 Abs. 1 StVollzG, aber ohne den Hinweis auf die Hausordnung. Abs. 2 lautet: „Kontakte der Gefangenen zu ihren Angehörigen im Sinne des Strafgesetzbuches werden besonders gefördert.“ Nach der Gesetzesbegründung trägt diese Regelung „der Tatsache Rechnung, dass die Familienmitglieder – und hier gerade minderjährige Kinder – unter der […] Trennung besonders leiden“ (Bürgerschafts-Drucks. 19/2533, 55). Abs. 3 ist wortgleich mit § 24 Abs. 2 StVollzG. Abs. 4 ist neu: „Die Anstaltsleitung kann Besuche, deren ununterbrochene Dauer ein Mehrfaches der Gesamtdauer nach Abs. 1 Satz 4 beträgt und die in der Regel nicht überwacht werden (Langzeitbesuche), zulassen, wenn dies mit Rücksicht auf die Dauer der zu vollziehenden Freiheitsstrafe zur Behandlung der Gefangenen, insbesondere zur Förderung ihrer partnerschaftlichen oder ihnen gleichzusetzender Kontakte, geboten erscheint und die Gefangenen hierfür geeignet sind. Für die Durchführung der Langzeitbesuche kann die Anstaltsleitung mit Rücksicht auf die Sicherheitsbedürfnisse der Anstalt besondere Regelungen treffen.“ In der Gesetzesbegründung heißt es dazu: „Mit Rücksicht darauf, dass die Langzeitbesuche in der Regel nicht überwacht werden, sind an die Eignung der Gefangenen für die Teilnahme an den Besuchen hohe Anforderungen zu stellen“ (BürgerschaftsDrucks. 18/6490, 39). Abs. 5: Satz 1 ist wortgleich mit § 24 Abs. 3 StVollzG, wird aber durch folgenden Satz 2 ergänzt: „Für Art und Umfang der Durchsuchungen, insbesondere für den Einsatz technischer Hilfsmittel, und für den für Durchsuchungen in Betracht kommenden Personenkreis kann die Anstaltsleitung mit Rücksicht auf die Sicherheitsbedürfnisse der Anstalt besondere Regelungen treffen.“ Abs. 6 ist wortgleich mit § 25 StVollzG. 4. Hessen. Hessen regelt den Besuch konzentriert in einem § 33 HStVollzG. Abs. 1 9 Satz 2 dieser Vorschrift sieht eine besondere Förderung der Kontakte der Gefangenen zu ihren Angehörigen vor und trägt (so die Gesetzesbegründung LT-Drucks. 18/1396, 51) der Tatsache Rechnung, dass die Familienmitglieder – und hier gerade minderjährige Kinder – unter der durch die Inhaftierung entstandenen Trennung besonders leiden. Abs. 2 entspricht §§ 25 und 28 Abs. 2 StVollzG. Abs. 3 bezieht sich auf die in §§ 25 und 29 StVollzG geregelten Materien. In Abs. 4 geht es um die Nichtüberwachung der Kontakte mit den in § 119 Abs. 4 Satz 2 StPO genannten Personen. Abs. 5 bestimmt, wer die Kosten der Außenkontakte zu tragen hat. Das haben (so die Gesetzesbegründung) im Sinne einer „selbstverantwortlichen Außenkontaktpflege grundsätzlich gemäß Satz 1 die Gefangenen für Telekommunikation sowie für abgehende Schreiben“. 5. Niedersachsen. In Niedersachsen beginnen die Besuchsregelungen mit einem 10 § 25, der wie folgt aufgebaut ist: Abs. 1 lautet: „Die oder der Gefangene darf nach vorheriger Anmeldung regelmäßig Besuch empfangen. Die Gesamtdauer beträgt mindestens eine Stunde im Monat. Die Dauer und Häufigkeit des Besuchs sowie die Besuchszeiten regelt die Hausordnung.“ Abs. 2 stimmt inhaltlich fast mit § 24 Abs. 2 StVollzG überein, aber Besuche sollen darüber hinaus zugelassen werden, „wenn sie die Erreichung des Vollzugszieles nach § 5 Satz 1 fördern“. Abs. 3 lautet: „Zur Aufrechterhaltung der Sicherheit oder Ordnung der Anstalt kann der Besuch einer Person von ihrer Durchsuchung abhängig gemacht und die Anzahl der gleichzeitig zu einem Besuch zugelassenen Personen beschränkt werden.“ 347
Schwind
§ 24
Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
In der Gesetzesbegründung (LT-Drucks. 15/3565, 112) heißt es dazu: „Abs. 3 des Entwurfs erweitert die in § 24 Abs. 3 StVollzG enthaltenen Durchsuchungsbefugnisse dahingehend, dass diese nunmehr auch zur Aufrechterhaltung der Ordnung der Anstalt zulässig sind. Diese Ergänzung dient insbesondere dazu, das Übergeben von solchen Suchtmitteln durch Besucherinnen oder Besucher zu verhindern, deren Einbringen nach der Rechtsprechung nur einen Ordnungsverstoß darstellt (so OLG Celle vom 21.5.1986 StV 1986, 396.“). Auch darf jetzt die Zahl der zum Besuch zugelassenen Personen beschränkt werden. 11
6. Musterentwurf. Der Inhalt des § 23 StVollzG ist in § 25 Satz 1 ME-StVollzG wortgleich geregelt. Es fehlt aber der Satz 2.
§ 24 Recht auf Besuch § 24 Schwind Recht auf Besuch (1) Der Gefangene darf regelmäßig Besuch empfangen. Die Gesamtdauer beträgt mindestens eine Stunde im Monat. Das Weitere regelt die Hausordnung. (2) Besuche sollen darüber hinaus zugelassen werden, wenn sie die Behandlung oder Eingliederung des Gefangenen fördern oder persönlichen, rechtlichen oder geschäftlichen Angelegenheiten dienen, die nicht vom Gefangenen schriftlich erledigt, durch Dritte wahrgenommen oder bis zur Entlassung des Gefangenen aufgeschoben werden können. (3) Aus Gründen der Sicherheit kann ein Besuch davon abhängig gemacht werden, dass sich der Besucher durchsuchen lässt. VV 1 Ein Besuch findet nicht statt, wenn ihn der Gefangene ablehnt. 2 (1) Jeder Besucher muss sich über seine Person ausweisen. Hiervon kann abgesehen werden, wenn der Besucher bereits bekannt ist. (2) Der Besuch kann davon abhängig gemacht werden, dass der Besucher für die Dauer des Besuches seinen Ausweis bei der Anstalt hinterlegt. 3 Der Besucher wird in geeigneter Weise unterrichtet, wie er sich bei dem Besuch zu verhalten hat. 4 Vor dem Besuch eines kranken Gefangenen, der in einer Krankenabteilung oder in einem Anstaltskrankenhaus untergebracht ist, ist der Arzt zu hören. Ärztliche Bedenken gegen einen Besuch sind dem Besucher mitzuteilen. Besuche im Krankenraum bedürfen der Zustimmung des Arztes. Schwind
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Recht auf Besuch
§ 24
5 Für den Besuchsverkehr eines Gefangenen, der eine ausländische Staatsangehörigkeit besitzt, mit der diplomatischen oder konsularischen Vertretung des Heimatstaates gelten die Richtlinien für den Verkehr mit dem Ausland in strafrechtlichen Angelegenheiten (Nummer 136 RiVASt). Schrifttum S. bei § 23.
I.
II.
Übersicht Allgemeine Hinweise ____ 1, 2 1. Bedeutung des Besuchs ____ 1 2. Organisatorischer Ablauf des Besuchs ____ 2 Erläuterungen ____ 3–18 1. Das Recht auf Besuch (Abs. 1 Satz 1): Besucherkreis ____ 3–8 2. Besuchsdauer (Abs. 1 Satz 2) ____ 9 3. Durchführung des Besuchs (Abs. 1 Satz 3): Hausordnung ____ 10–12 4. Zum Besuchsraum ____ 13 5. Weitere Besuche (Abs. 2) ____ 14–16 6. Durchsuchung des Besuchers (Abs. 3) ____ 17
III.
IV.
7. Besonderheiten bei Ausländern und Kranken ____ 18 Beispiel ____ 19–21 1. Journalistenbesuche ____ 19, 20 2. Selbsteintrittsrecht des Justizministers ____ 21 Landesgesetze und Musterentwurf ____ 22–27 1. Baden-Württemberg ____ 22 2. Bayern ____ 23 3. Hamburg ____ 24 4. Hessen ____ 25 5. Niedersachsen ____ 26 6. Musterentwurf ____ 27
I. Allgemeine Hinweise 1. Bedeutung des Besuchs. Der Besuch besitzt vor allem für die Behandlung (§ 4 1 Rdn. 6) und für die Eingliederung nach der Entlassung erhebliche Bedeutung. Das gilt insbesondere für solche Gefangenen, für die der Vollzug nicht oder noch nicht gelockert werden konnte; denn für diese bildet der Besuch die einzige Möglichkeit zu unmittelbarem Kontakt zu anderen Personen ihres früheren oder künftigen Lebensbereiches (RegE, BT-Drucks. 7/918, 57). Zum Integrationsgrundsatz § 3 Rdn. 13. 2. Organisatorischer Ablauf des Besuchs. Die Ausgestaltung der Besuchsrege- 2 lung gehört zu der dem Anstaltsleiter übertragenen Organisationsbefugnis für die Anstalt (KG NStZ 1999, 445). Danach läuft der Besuch in der Regel (nach Böhm 2003 Rdn. 280) wie folgt ab: „Der Gefangene teilt mit, von wem er besucht werden will. Er erhält dann einen Besuchsschein (bzw. „Sprechschein“), auf dem die Besonderheiten der Besuchsregelung (Dauer, Besuchszeiten, Ausweisungspflicht, Verhaltensvorschrift für die Zeit des Besuches) vermerkt sind. Den Schein sendet er an den Besucher. Der Besucher bringt diesen Besuchsschein beim Besuch mit in die Anstalt. Der Besuch wird auf dem Besuchsschein, in der Gefangenenakte und in eine Kartei eingetragen. Taschen und Handys muss der Besucher in einem Schließfach im Pfortenbereich deponieren. Dann wird er in ein Wartezimmer geführt und wartet dort, bis der Gefangene aus dem Unterkunftsbereich zu den Besuchsräumen gebracht worden und in diesem ein Platz für die Besuchsabwicklung frei geworden ist.“ Einzelheiten (vor allem zu den Besuchszeiten) sind in einer Hausordnung (§ 161 Abs. 2 Nr. 1) zu regeln (KG NStZ 1999, 445 M). Der Besucher muss sich allerdings grundsätzlich an die Besuchszeiten halten; er kann nicht zu jeder Tages- und Nachtzeit kommen, weil ein solches Verhalten die Arbeitsmaßnah349
Schwind
§ 24
Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
men bzw. die Schul- oder Berufsausbildung stören würde; das gilt im Rahmen der zumutbaren Organisation grundsätzlich auch für Verteidiger (vgl. Arloth 2011 Rdn. 4; OLG Karlsruhe ZfStrVo 1986, 60). In keinem Fall kann der Gefangene selbst bestimmen, in welcher Kleidung er das Recht auf Besuchsempfang ausübt (OLG Frankfurt BlStV 6/1983, 7). Nicht mehr durch die Organisationsbefugnis des Anstaltsleiters ist eine Verfahrensweise gedeckt, nach der Besucher regelmäßig zahlreiche Versuche unternehmen müssen und oft mehrere Stunden benötigen, um den für die Erteilung von Sprechstunden zuständigen Vollzugsbediensteten telefonisch zu erreichen (KG Berlin NStZ 1999, 445 M). Der Leiter der JVA ist im Übrigen befugt, Einlass- und Identitätskontrollen in der Weise durchzuführen, dass grundsätzlich alle Besucher der Anstalt für die Zeit ihres Aufenthaltes (aus Sicherheitsgründen) ihren Personalausweis sowie andere Gegenstände, die die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt gefährden können wie Handys und Autoschlüssel (Arloth 2011 Rdn. 3) abgeben (OLG Hamm BlStV 4/5/1984, 7; ebenso Arloth 2011 Rdn. 3; vgl. auch VV Nr. 2). Krit. C/MD 2008 Rdn. 6, mit der Begründung, dass das „Gesetz eine solche Ermächtigung nicht enthält“. Für Verteidiger, Anwälte und Notare gilt die VV Nr. 1 Abs. 1 zu § 26, allerdings mit Modifizierungen (zu diesen Rdn. 6 zu § 26). II. Erläuterungen 3
1. Das Recht auf Besuch. Abs. 1 Satz 1 räumt dem Gefangenen das Recht ein (vgl. auch § 23 Satz 1, dort Rdn. 1 f), in der Anstalt regelmäßig Besucher empfangen zu dürfen; Beschränkungen dieses Rechts ergeben sich aus allen drei Absätzen des § 24 sowie aus § 25. Dem Recht auf Besuch entspricht jedoch nicht die Pflicht, Besuch empfangen zu müssen: der Gefangene darf also den von ihm nicht gewünschten Besuch ablehnen (Grunau/Tiesler 1982 Rdn. 1; AK-Joester/Wegner 2012 Rdn. 2; C/MD 2008 Rdn. 1; VV Nr. 1 zu § 24); auch den Besuch eines Seelsorgers (vgl. Rdn. 12 zu § 53), aber nicht den Besuch der Polizei, wenn diese ihn (zur Vornahme einer Amtshandlung) nicht besuchen, sondern aufsuchen will und auch ein freier Bürger zu einem entsprechenden Kontakt gezwungen werden kann (Arloth 2011 Rdn. 2). Zu anderen Berufsgruppen vgl. Rdn. 6. Der Antrag eines Strafgefangenen, einer externen Psychologin regelmäßig Besuch zu Zwecken der Psychotherapie zu gestatten, ist nicht nach § 24 Abs. 2, sondern nach § 58 StVollzG zu behandeln. Der Gefangene hat jedenfalls nach § 24 keinen Anspruch auf Behandlung durch einen (externen) Arzt bzw. Therapeuten seiner Wahl (a. A. AK-Joester/Wegner 2012 Rdn. 19), und zwar auch dann nicht, wenn er bereit ist, selbst die Kosten zu tragen (OLG Nürnberg NStZ 1999, 479; KG Berlin NStZ 2006, 699). Für die Zuziehung von Therapeuten kann jedoch § 58 StVollzG in Betracht kommen (KG NStZ 2006, 699).
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a) Das StVollzG beschränkt den Kreis der möglichen Besucher des Gefangenen aber nicht (wie der RegE vorsah: § 24 Abs. 1) auf „nahestehende Personen“, weil dieser Begriff zu unbestimmt ist (SA, BT-Drucks. 7/3998, 13). Grundsätzlich ist also jeder Besucher zuzulassen, dessen Besuch der Gefangene wünscht (OLG Hamm ZfStrVo SH 1979, 37 = MDR 1979, 428; C/MD 2008 Rdn. 1): Familienangehörige, Freunde, entfernte Bekannte, Briefpartner usw., vor allem Bezugspersonen (Laubenthal 2011 Rdn. 507). Ausgenommen sind nur solche Personen, die in derselben Anstalt inhaftiert sind (ebenso Arloth 2011 Rdn. 2; dazu Rdn. 12; vgl. aber die liberalere Regelung für den Schriftwechsel: Rdn. 3 zu § 28). Der abgewiesene Besucher kann Antrag auf gerichtliche Entscheidung (§ 109) stellen (vgl. dazu OLG Frankfurt NStZ 1982, 221; § 109 Rdn. 28). Sollten im Einzelfall Sicherheits- (§ 81 Rdn. 7) oder Resozialisierungsinteressen (§ 2 Rdn. 13 ff) berührt werden, kann der Anstaltsleiter den Besuch unter den Voraussetzungen des § 25 untersagen. Schwind
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Recht auf Besuch
§ 24
b) Soweit das Besuchsrecht reicht (Rdn. 3), folgt daraus für denjenigen, der den 5 Gefangenen mit dessen Einverständnis besuchen will, also für den Besucher, ein entsprechender Anspruch auf Erteilung einer Besuchserlaubnis, die ihm den Einlass in die Justizvollzugsanstalt und den Kontakt mit dem Gefangenen im Rahmen der vom StVollzG gezogenen Grenzen ermöglicht (OLG Hamm ZfStrVo SH 1979, 37 = MDR 1979, 428); insoweit sind Besucher auch Antragsberechtigte i. S. d. § 109 (vgl. dort Rdn. 28). Darüber hinaus haben Außenstehende, also dritte Personen, auch keinen eigenen Anspruch auf Besuch eines Gefangenen (Arloth 2011 Rdn. 1). Das Justizministerium darf die Kompetenz im Übrigen nicht generell an sich ziehen (OLG Stuttgart ZfStrVo SH 1979, 35; Arloth 2011 Rdn. 2): es besteht also kein Selbsteintrittsrecht des Justizministers; diesem steht jedoch im Ausnahmefall ein Durchgriffsrecht zu (vgl. Beispiel Rdn. 21). c) Nicht geregelt sind im StVollzG hingegen solche Anstaltsbesuche, die mit dem 6 Anspruch des Gefangenen, im Rahmen der Vorschriften des StVollzG Besuche in der Anstalt empfangen zu dürfen, nichts zu tun haben: also Besuche derjenigen, die aus verfassungsrechtlichen oder dienstlichen Gründen z. B. zu einer Anhörung des Gefangenen berechtigt oder verpflichtet sind (vgl. auch AK-Joester/Wegner 2012 Rdn. 7 ff zu § 23; VerfG Brandenburg, Urteil vom 28.7.2008 – 53/06, NJ 2008, 809), wie etwa Mitglieder des Petitionsausschusses, Angehörige der Justiz: Richter, Staatsanwälte und nach Art. 29 BayStVollzG auch Vertreter der Gerichtshilfe, der Führungsaufsicht und der Bewährungshilfe (so auch Begr. Zu § 26 ME-StVollzG). Der Status als Parlamentsabgeordneter für sich allein begründet hingegen noch kein Recht, eine JVA ohne Erlaubnis besuchen zu dürfen, es sei denn, es gelten (wie durch die Landesverfassung: VerfG Brandenburg aaO oder wie z. B. in Niedersachsen und Hessen) über einen Ministerialerlass Sonderregelungen eines generellen Besuchsrechts für solche Volksvertreter (so auch C/MD 2008 Rdn. 6 zu § 23). Keine „Besucher“ sind: – Vollzugshelfer bzw. ehrenamtliche Mitarbeiter (KG NStZ 1985, 479): insoweit gilt § 154 Abs. 2; diese können jedenfalls kein Recht auf Besuch aus § 24 ableiten (C/MD 2008 Rdn. 6 zu § 23; KG NStZ 85, 479); – Besichtigungsgruppen: deren Wünsche werden nach Verwaltungsermessen entschieden. Die Rechtsgrundlage ist im Hausrecht (bzw. in der Organisationsbefugnis) der Anstaltsleitung zu sehen (KG NStZ 1999, 445 M; VG Karlsruhe BlStVK 1/2000, 8; vgl. dazu auch § 109 Rdn. 9), die abzuwägen hat zwischen berechtigtem Informationsinteresse der anstaltsfremden Personen, den Belangen des Vollzuges und den Interessen der Gefangenen (Arloth 2011 Rdn. 3 zu § 23). Die Besuchserlaubnis der Anstaltsbeiräte, die befugt sind, Gefangene in deren Räumen zu unüberwachten Aussprachen aufzusuchen (OLG Hamm NStZ 1981, 277; C/MD 2008 Rdn. 6 zu § 23; Matthes 2005), ist in § 164 Abs. 2 geregelt; es handelt sich wegen der öffentlichen Funktion des Beirats allerdings eher um eine allgemeine Zugangserlaubnis (§§ 162 ff Rdn. 7). d) Die Vorschriften der §§ 23 ff sollen im Übrigen nach der Rechtsprechung des OLG 7 Hamm (aaO Rdn. 5), des OLG Stuttgart (aaO Rdn. 5), des OLG Celle (BlStV 1/1991, 3) und des Schrifttums (AK-Joester/Wegner 2012 Rdn. 14 und C/MD 2008 Rdn. 5; a. A. Arloth 2011 Rdn. 4 zu § 23) auch auf Vertreter von Publikationsorganen Anwendung finden (Presse, Hörfunk, Film, Fernsehen und Verlage): aus journalistischer Sicht Tolmein 1997, 246 f. Deren Besuchswünsche können also nur unter den Voraussetzungen des § 25 untersagt werden (vgl. Rdn. 7 zu § 25). Als milderes Mittel kommt auch der Abbruch eines solchen Besuches nach § 27 Abs. 2 in Betracht: vgl. wiederum Beispiel in Rdn. 19 ff. Ableh351
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Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
nungsgründe, die sich nur auf die Beeinträchtigung des Organisations- und Betriebsablaufes der Anstalt beziehen, reichen grundsätzlich nicht aus (vgl. zur Auslieferungshaft BVerfG NStZ 1995, 566). Bei Fernsehinterviews ist allerdings in Rechnung zu stellen, dass es in einem solchen Falle „vor laufender Kamera ungute Auseinandersetzungen über die Frage der Zulässigkeit“ des Abbruchs geben kann (vgl. Nehm 1996, 494). Arloth 2011 (Rdn. 4 zu § 23) ist hingegen der Auffassung, dass sich Journalisten zum Zweck eines Interviews nicht auf die §§ 23 ff berufen können: eine Untersagung stehe im pflichtgemäßen Ermessen der Anstalt. 8
e) Im StVollzG nicht geregelt ist ferner z. B. die Zusammenführung zweier Gefangener zu Besuchszwecken: Wird ein Gefangener zu Besuchszwecken in die Anstalt gebracht, in der sich der andere Gefangene befindet, so ist die Vollzugsmaßnahme für ihn nach den Vorschriften über die Ausführung (§ 35 Abs. 3), für den anderen Gefangenen nach den Besuchsvorschriften (§§ 24 ff) zu beurteilen (OLG München ZfStrVo SH 1979, 35; a. A. Arloth 2011 Rdn. 4). Dementsprechend gilt § 25 auch für Besuchsanträge von Strafgefangenen, die in einer anderen Anstalt als der zu besuchende Gefangene einsitzen (OLG Zweibrücken MDR 1986, 79; C/MD 2008 Rdn. 5 zu § 23; K/S-Schöch 2002 § 7 Rdn. 97; OLG Rostock, Beschl. vom 12.12.04, 1 Vollzug (WS) 5/04). Zum Besuchsantrag eines früheren Mitgefangenen oder Tatgenossen vgl. Rdn. 6 zu § 25.
9
2. Besuchsdauer. Abs. 1 Satz 2 legt die Mindestbesuchsdauer auf eine Stunde im Monat fest (vor dem StVollzG: 15–20 Minuten). Der RegE (BT-Drucks. 7/918, 58) hatte zwei Besuche im Monat für eine halbe Stunde vorgesehen; davon wurde Abstand genommen, damit die Vollzugsbehörde dem konkreten Einzelfall besser Rechnung tragen kann (vgl. SA, BT-Drucks. 7/3998, 14); zu den Besuchszeiten von Verteidigern vgl. Rdn. 15 zu § 27. Der § 26 ME-StVollzG sieht mindestens zwei Stunden vor, bei Besuchen von Kindern soll sich die Gesamtdauer um weitere zwei Stunden erhöhen (vgl. dazu Dünkel 2008, 262 ff). Zu Langzeitbesuchen vgl. Rdn. 16.
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3. Durchführung des Besuchs. Abs. 1 Satz 3: auf der Grundlage der Vorgaben in Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 erfolgt die Einzelregelung der Besuchszeiten sowie die Häufigkeit und Dauer der Besuche in einer Hausordnung (§ 161). In der Hausordnung kann alles das geregelt werden, was gesetzlich noch nicht geregelt wurde. Der Inhalt der Hausordnung orientiert sich insoweit einerseits an den Besonderheiten der Anstalt (z. B. am Sicherheitsgrad), andererseits an den Vollzugsgrundsätzen und der Zumutbarkeit für den Besucher (zur Rechtsnatur der Hausordnung § 161 Rdn. 2, 4).
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a) So kann es z. B. bei langem Anreiseweg der Angehörigen sinnvoller sein, sie die gesamte monatliche Besuchsdauer bei einem einmaligen Besuch ausschöpfen zu lassen (so auch SA, BT-Drucks. 7/3998, 14). Aus der Erwähnung der Ausnahme durch den SA ergibt sich, dass die Besuchsdauer in anderen Fällen auch auf mehrere Besuche (verschiedener Personen) aufgeteilt werden kann, wenn das nach Sachlage geboten ist (C/MD 2008 Rdn. 2). Deshalb ist es nicht unzulässig, durch Hausordnung (Abs. 1 Satz 3) auch gegen den Willen des Gefangenen z. B. grundsätzlich nur halbstündige Einzelbesuche zuzulassen (Arloth 2011 Rdn. 4; a. A. AK-Joester/Wegner 2012 Rdn. 4 und 8, die die Überlastung der Anstalten durch einen verstärkten Besucherstrom übersehen). Zu kurze Besuchszeiten (das sind solche unter 30 Minuten) sollten aber vermieden werden, damit es noch zu einem inhaltlichen Gespräch kommen kann. Ob und wie aufgeteilt wird, hängt auch von der konkreten Personal- und Raumsituation der Anstalt ab; jedenfalls Schwind
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Recht auf Besuch
§ 24
wollte der Gesetzgeber berücksichtigt wissen, dass je nach den notwendigen Sicherheitsvorkehrungen der Anstalt Besuche mit einem erheblichen Aufwand für die Vollzugsbehörde verbunden sein können (RegE, BT-Drucks. 7/918, 57). Für die Fälle, in denen besondere Schwierigkeiten für Besuche von Familienangehörigen bestehen (wenn z. B. die berufstätige Ehefrau weit entfernt wohnt), sollten (auch mit Rücksicht auf Art. 6 GG) in der Hausordnung (§ 161 Abs. 2 Nr. 1) Ausnahmeregelungen getroffen werden (vgl. auch OLG Dresden ZfStrVo 1998, 116; vgl. ferner Rdn. 15): spezieller Besuchstag, Zusammenlegung der Besuchsmindestdauer mehrerer Monate (K/S-Schöch 2002 § 7 Rdn. 102) oder (wenn es um Art. 6 GG geht) auch zeitweise Besuchsüberstellungen oder Verlegungen in eine andere JVA (BVerfG, Beschl. vom 5.5.2008 – 2 BvR 2111/06, StV 2008, 424–426; so auch OLG Hamm ZfStrVo 2002, 315). Ob eine Fahrtkostenerstattung für Besuchsfahrten aus Sozialhilfemitteln nach aktuellem Sozialhilferecht möglich ist, ist umstritten (bejahend Berlit in Münder u. a.: Sozialgesetzbuch XII, 7. Aufl., Baden-Baden 2005 § 73 Rdn. 6 unter Verweis auf OVG Münster NStZ 1985, 95 zur alten Rechtslage unter dem BSHG; verneinend Schlette in Hauck/Noftz/Luthe: Sozialgesetzbuch XII, Berlin, Stand 2009 § 73 Rdn. 20). b) Durch die Hausordnung darf die Zahl der (gleichzeitigen) Besucher eines Ge- 12 fangenen nicht beschränkt werden (anders § 19 JVollzGB III Abs. 4 für Baden-Württemberg); vielmehr ist im Einzelfall jeweils zu prüfen, ob die Voraussetzungen des § 25 Nr. 1 vorliegen (C/MD 2008 Rdn. 2; LG Karlsruhe ZfStrVo 1992, 136). Insoweit spielen der Sicherheitsgrad der Anstalt sowie eine nicht ausreichende Personalkapazität eine Rolle. Gruppenbesuche von drei Personen (in Ausnahmefällen mehr: Verwandte aus dem fernen Ausland, Zigeunersippe) sollten in der Regel aber zugelassen werden, wenn wenigstens die elementaren Sicherheits- und Ordnungsinteressen der Anstalt (§ 81 Rdn. 7) im Einzelfall nicht dagegen sprechen. Ebenso im Ermessen der Anstalt steht der gleichzeitige Besuch mehrerer Gefangener (Arloth 2011 Rdn. 4). Zumindest für auswärtige und berufstätige Besucher sollte die Hausordnung in einer Bestimmung gewährleisten, dass Besuche auch an Wochenenden stattfinden können (i.d.S. auch Grunau/Tiesler 1982 Rdn. 1; AK-Joester/Wegner 2012 Rdn. 11). Werden über die gesetzlich vorgeschriebenen Besuche hinaus „Gemeinschaftssprechstunden“ abgehalten, bei denen sich die Gefangenen z. B. jeweils zwei Stunden lang auf dem Flur der Station mit Besuchern unterhalten dürfen, handelt es sich um eine begünstigende Maßnahme, die nur unter den Voraussetzungen des § 14 Abs. 2 widerrufen werden kann (KG ZfStrVo 1985, 251 = NStZ 1985, 352; C/MD 2008 Rdn. 2; vgl. hierzu aber § 14 Rdn. 24, § 4 Rdn. 27). Der Widerruf kann auch aus Gründen erfolgen, die außerhalb der Person des Gefangenen liegen (z. B. Mangel an Personal, Zunahme der Belegung). Das BVerfG (StV 2008, 30) weist jedoch darauf hin, dass der Staat seine Vollzugsanstalten so ausstatten muss, wie es der Schutzauftrag des Art. 6 GG erfordert (so auch C/MD 2008 Rdn. 2). 4. Zum Besuchsraum. Der Besuchsraum sollte grundsätzlich die Möglichkeit zu 13 ungestörtem und unbeobachtetem Zusammensein, insbesondere mit nahen Angehörigen (für Verteidiger: Rdn. 15 zu § 27) bieten, weil diese Begegnung für die Bindung an Ehe und Familie und damit auch für die spätere Eingliederung des Insassen nach seiner Entlassung von hoher Bedeutung ist (AE-StVollzG 1973, 173); der Besuchsraum sollte ferner so groß sein, dass mehrere Besuche gleichzeitig stattfinden können; der Besuchsraum sollte auch auf den Besuch von Kindern vorbereitet sein (z. B. eine Spielecke haben). Gesetzliche Vorschriften über das Mitbringen von Kindern gibt es nicht; es ist also auch nicht verboten (Grunau/Tiesler 1982 Rdn. 2). Zum Mangel an „Familienbesuchskapazitäten“ vgl. OLG Koblenz NStZ 2002, 529 M. § 24 Abs. 1 begründet für Ehegatten, die 353
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Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
sich als Strafgefangene in verschiedenen Anstalten befinden, keinen Rechtsanspruch auf monatliche Zusammenführung zu Besuchszwecken (Laubenthal 2011 Rdn. 520; BVerfG NStZ-RR 2001, 253; OLG Koblenz NStZ 1998, 398). Die Anordnung, wonach inhaftierte Ehegatten zu Besuchszwecken alle vier Monate einmal zusammengeführt werden, ist jedoch rechtlich nicht zu beanstanden (OLG München ZfStrVo SH 1979, 35). Die Frage, ob beim Besuch von Ehepartnern (im Anstaltsgebäude) auch die Möglichkeit eines Intimverkehrs (etwa im Rahmen von Langzeitbesuchen: zu den LZB vgl. Rdn. 16) eingeräumt werden soll (im Volksmund „Liebeszellen“ genannt), wird seit langem kontrovers diskutiert (grundsätzlich z. B. dafür: AK-Joester/Wegner 2012 Rdn. 21; dagegen: OLG Schleswig ZfStrVo 1981, 64; OLG Hamm NStZ 1984, 432; OLG Koblenz NStZ 1998, 398); das StVollzG enthält keine Hinweise, schließt die Möglichkeit aber auch nicht aus (vgl. auch § 27 Rdn. 7). Nach K/S-Schöch 2002 (§ 7 Rdn. 99) sollen sie unter den Voraussetzungen des § 24 Abs. 2 zulässig sein; diesem Ergebnis kann vor dem Hintergrund des Angleichungsgrundsatzes (§ 3 Abs. 1) zugestimmt werden (so auch Laubenthal 2011 Rdn. 520; OLG Karlsruhe ZfStrVo 2006, 112/301; OLG Celle, Beschl. Vom 29.5.2008 – 1 Ws 220/08, StRR 2009, 75/76 und die im ME-StVollzG vorgesehene gesetzliche Regelung in § 26 Abs. 4). 14
5. Weitere Besuche. Abs. 2 verpflichtet die Anstalt in bestimmten Fällen zur Gewährung weiterer Besuche. a) Im Gegensatz zu den zeitlich begrenzten Besuchen des Abs. 1 wollte der Gesetzgeber (vgl. RegE, BT-Drucks. 7/918, 58) dem Gefangenen jedoch auf solche keinen Rechtsanspruch einräumen (OLG Hamm BlStV 6/1993, 5; AK-Joester/Wegner 2012 Rdn. 18), was sich aus dem Wortlaut („sollen“) ergibt (so auch Arloth 2011 Rdn. 5; OLG Stuttgart ZfStrVo 2004, 107; OLG Hamburg ZfStrVo 2005, 55). Die Anstalt kann also über weitere Besuche nach pflichtgemäßem Ermessen (OLG Celle, Beschl. vom 29.5.2008 – 1 Ws 220/08 zu § 25 Abs. 2 NJVollzG, StRR 2009, 75/76 und die Begründung zu § 26 MEStVollzG) entscheiden: über Sonderbesuche zur Ausübung von Intimkontakten (OLG Sachsen-Anhalt, Beschl. vom 4.6.2008 – 1 Ws 178/08, FS 2008, 282/283). Zu den Grenzen vgl. OLG München 4 Ws 141/08 R, StV 2009, 198. Für einen Rechtsanspruch plädieren C/MD 2008 Rdn. 4; OLG München ZfStrVo 1994, 371 = NStZ 1994, 560 mit abl. Besprechung Bringewat BewHi 1995, 122. Zur Ermessensausübung durch die Behörde § 115 Rdn. 20. Solche „Sonderbesuche“ stoßen aber wiederum häufig an die Grenzen des in der Anstalt Möglichen (Böhm 2003 Rdn. 261). Die Anstalt sollte gleichwohl vor allem bei solchen Gefangenen großzügig verfahren, für die der Besuch die einzige Kontaktmöglichkeit mit Personen außerhalb der Anstalt darstellt oder deren Eingliederung aus anderen Gründen im besonderen Maße von Besuchen abhängig ist (RegE aaO; s. auch Rdn. 1 und 11 sowie C/MD 2008 Rdn. 4).
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b) In Bezug auf die Zulassung weiterer Besuche werden in Abs. 2 zwei Fallgruppen unterschieden: solche Besuche, die die Eingliederung oder Behandlung des Gefangenen fördern (vor allem Besuche von Bezugspersonen des Gefangenen, Rdn. 1), und solche, die der Regelung von persönlichen, rechtlichen oder geschäftlichen Angelegenheiten des Gefangenen dienen. Für die erste Fallgruppe kommen zunächst Ehegatten (mit Kindern) in Frage. Insoweit ist es auch zulässig verheiratete Inhaftierte zu bevorzugen (Laubenthal 2011 Rdn. 507; OLG Dresden NStZ 1998, 159). Das ergibt sich aus der aus Art. 6 Abs. 1 GG abzuleitenden Schutzpflicht des Staates für Ehe und Familie (mit Kindern). Es ist aber grundsätzlich ermessensfehlerhaft wenn „rein schematisch auf den Familienstand als einzig Schwind
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maßgebliches Kriterium abgestellt wird“ (BVerfG NStZ 2008, 261/262; Laubenthal 2011 Rdn. 21): vgl. auch Rdn. 16. Das gilt z. B. dann nicht, wenn es um nichteheliche Lebensgemeinschaften mit Kindern und insoweit wiederum um die Förderung der elterlichen Beziehungen geht (OLG Bamberg NJW 1995, 304 = NStZ 1995, 304). Das OLG München (aaO Rdn. 14) will sogar einen Rechtsanspruch auf einen „Zweitbesuch“ der „Freundin“ einräumen. Richtig kann das im Einzelfall nach dem Sinngehalt des Abs. 2 allerdings lediglich dann sein, wenn solche Besuche etwa nach der Einschätzung des Sozialdienstes die Behandlung oder die Eingliederung des Gefangenen fördern (Arloth 2011 Rdn. 4; C/MD 2008 Rdn. 4); solche weiteren Besuche können aber nur nachrangig gewährt werden und nur dann, wenn die Verhältnisse der Anstalt (personell und räumlich) eine Rangfolge fordern. Weitere Besuche sollen nach OLG Hamm (ZfStrVo 1999, 308) nicht in Betracht kommen, wenn die Lebensgefährtin eines Strafgefangenen, die eine Besuchserlaubnis beantragt, noch mit einer anderen Person verheiratet ist. Die Zulassung der Besuche der zweiten Fallgruppe, die der Regelung bestimmter Angelegenheiten des Gefangenen dienen, wird davon abhängig gemacht, dass diese nicht vom Gefangenen selbst schriftlich – oder (auf schriftlichem Wege) durch Dritte – erledigt werden können, oder ein Hinausschieben bis zur Entlassung nicht als vertretbar erscheint (AKJoester/Wegner 2012 Rdn. 19). Ein Hinausschieben auf den Entlassungszeitpunkt sollte jedoch nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen erfolgen, weil sich nach allen Erfahrungen in der Nähe des Entlassungstages ohnehin schon zahlreiche Probleme ergeben, die die vom Gesetzgeber erstrebte Wiedereingliederung des Gefangenen gefährden können. c) Als Sonderfall des Abs. 2 sind auch die unüberwachten (Familien-)Langzeit- 16 besuche (vgl. oben Rdn. 13) einzuordnen (OLG Hamm ZfStrVo 1999, 308; OLG Stuttgart ZfStrVo 2004, 51; K/S-Schöch 2002 § 7 Rdn. 99). Solche Intimbesuche werden unter bestimmten Voraussetzungen z. B. seit 1984 in der JVA Bruchsal (vgl. Preusker ZfStrVo 1989, 147 ff) sowie seit 1990 in der JVA Werl und in der JVA Geldern (vgl. Buchert/ Metternich/Hauser 1995, 259 ff), und zwar in sog. Langzeitbesuchsräumen gestattet (OLG Karlsruhe ZfStrVo 2006, 112 und 301 = NStZ-RR 2006, 154). Urlaubs- und Ausgangsmöglichkeiten haben aber diese Problematik heute grundsätzlich entschärft (ähnlich Calliess 1992, 159; K/S-Schöch 2002 § 7 Rdn. 99; OLG Hamm ZfStrVo 1999, 308). Einen Rechtsanspruch auf die Gewährung von Intimbesuchen gibt es jedoch nicht (BVerfG NStZ-RR 2001, 253; OLG Stuttgart ZfStrVo 2004, 53; a. A. AK-Joester/Wegner 2012 Rdn. 25; OLG München NStZ 1994, 560): weder für verheiratete Strafgefangene noch für solche mit nichtehelichen Lebensgemeinschaften (OLG Koblenz NStZ 1998, 398; OLG Hamm aaO; K/S-Schöch 2002 § 7 Rdn. 99). Ausdrücklich vorgesehen sind LZB in § 26 Abs. 4 HmbStVollzG (so auch ME-StVollzG § 24 Abs. 4), jedoch ebenfalls ohne Rechtsanspruch („kann“; vgl. Rdn. 7 zu § 23). Zum Ermessensspielraum des Anstaltsleiters vgl. OLG Hamm BlStV 3/1995, 1. Eine Ablehnung der Zulassung einer außerehelichen Lebensgefährtin ist auch dann ermessensfehlerfrei, wenn Anhaltspunkte dafür gegeben sind, dass die Ehe des Gefangenen noch substanziellen Bestand hat und nicht nur „auf dem Papier besteht“ (OLG Hamm ZfStrVo 1999, 308). Die Vollzugsbehörde kann im Rahmen ihrer Ermessensentscheidung sowohl verheirateten Gefangenen als auch solchen, die unverheiratet mit einer Lebensgefährtin ein Kind haben, besonderen Vorrang bei der Verteilung der Besuchsmöglichkeiten einräumen (OLG Frankfurt, Beschl. vom 17.1.2008 – 3 Ws 1203/07 StVollz, NStZ-RR 2008, 261–262). Das OLG Hamm (aaO) betont im Übrigen zutreffend für den Fall beschränkter räumlicher Kapazitäten den Vorrang der Ehefrau vor einer außerehelichen Lebensgefährtin (so auch K/S-Schöch 2002 § 7 Rdn. 100; OLG Koblenz ZfStrVo 2006, 112 und 301). Die Ungeeignetheit für einen LZB kann sich daraus 355
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ergeben, dass gegen den Strafgefangenen und seine Ehefrau, die ihn besuchen möchte, ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde, weil in diesem Fall die Gefahr besteht, dass der (unüberwachte) LZB zu unerlaubten Absprachen missbraucht wird (OLG München 29.7.1994, 3 Ws 68/94; OLG Hamburg ZfStrVo 2005, 55). Soweit der Strafgefangene die Fortsetzung einer LZB-Erlaubnis mit einer neuen Partnerin begehrt, ist er neu zu bescheiden: kein Bestandsschutz (KG Berlin 27.3.06 – Ws 118/06). In Betracht kommen die LZB eher für die Langstrafigen bzw. für die zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilten Gefangenen oder solche Gefangene, die auf absehbare Zeit keine Aussicht auf die Gewährung einer Vollzugslockerung haben (Böhm 2003 Rdn. 269; ausführlich zum Meinungsstreit sowie zu ausländischen Erfahrungen: Neibecker 1984, 335 und Britz 1998, 74 ff). Für solche wird von Teilen des Schrifttums, ausnahmsweise doch ein Rechtsanspruch auf die Ermöglichung von Sexualkontakten bejaht (C/MD 2008 Rdn. 8 zu § 27; AK-Joester/Wegner 2012 Rdn. 25). Zutreffend nimmt Laubenthal (2011 Rdn. 521) nur einen Anspruch auf rechtsfehlerfreie Ermessensentscheidung an. Diese hängt auch wiederum von den vorhandenen Raumkapazitäten ab (OLG Stuttgart ZfStrVo 2004, 51) und von der Art der Gestaltung, zu der gehört, dass der Zugang zu den Räumen für Mitgefangene nicht einsehbar ist (so Laubenthal 2011 Rdn. 523). Ein Ausschluss ist z. B. bei begründetem Verdacht des Rauschmittelkonsums zulässig (OLG Hamm NStZ 1995, 381) oder wegen Überbeanspruchung der entsprechenden Besuchsräume (OLG Hamm BlStV 6/1993, 5) oder wenn der Gefangene die Beteiligung an Behandlungsmaßnahmen bzw. die Mitarbeit am Vollzugsziel verweigert (OLG Stuttgart ZfStrVo 2004, 53; OLG Karlsruhe NStZ-RR 2004, 60; vgl. auch Rdn. 9 zu § 4): etwa sich weigert, Einzelgespräche mit dem psychologischen Dienst zu führen oder an einer Gruppentherapie teilzunehmen. Das gilt auch dann, wenn die mangelnde Mitwirkung darauf beruht, dass der Gefangene die Begehung der Straftat, die der Vollstreckung zugrunde liegt, leugnet; denn die Unschuldsvermutung endet mit der Rechtskraft der Verurteilung (OLG Stuttgart ZfStrVo 2004, 51). 17
6. Durchsuchung des Besuchers. Abs. 3: die Vorschrift gestattet eine Durchsuchung (zu der auch die inhaltliche Überprüfung von Schriftstücken gehört) des Besuchers nur aus Gründen der Sicherheit (Arloth 2011 Rdn. 6; Verteidiger: Rdn. 7 zu § 26). Die Vorschrift entspricht dem Bedürfnis der Praxis, in „extremen Fällen“ (vgl. RegE, BT-Drucks. 7/918, 58) sicherstellen zu können, dass keine Waffen oder andere sicherheitsgefährende Gegenstände (etwa Ausbruchswerkzeuge) oder Schriftstücke mit sicherheitsgefährdendem Inhalt (vgl. SA, BT-Drucks. 7/3998, 14) in die Anstalt eingeschmuggelt werden (bzgl. Verteidiger vgl. Rdn. 7 f zu § 26). Durchsuchungen können aus Sicherheitsgründen insbesondere z. B. in solchen Anstalten angebracht sein, in denen Terroristen, Täter aus dem Kreis des organisierten Verbrechens oder (andere) gefährliche Gefangene einsitzen: in solchen Fällen ist auch die Anordnung der Anstalt, aus Sicherheitsgründen alle Besucher (auch hauptamtliche Bewährungshelfer) einer Durchsuchung zu unterziehen, nicht zu beanstanden. Einer Einzelanordnung des Anstaltsleiters bedarf es dazu also nicht (OLG Hamm NStZ 1981, 277; Arloth 2011 Rdn. 5). Auch die Anordnung des Anstaltsleiters, keine Besucher in den im Eingangsbereich eingerichteten Warteraum einzulassen (vgl. oben Rdn. 2), die nicht vorher entsprechend durchsucht worden sind, verstößt nicht gegen Art. 2 Abs. 1 GG (BVerfG Vorprüfungsausschuss ZfStrVo 1982, 377). Bloße Ordnungsgründe rechtfertigen nach dem Gesetzeswortlaut der Vorschrift Durchsuchungen nicht. Anders nach § 24 Abs. 3 BayStVollzG, § 25 Abs. 3 NJVollzG und § 19 Abs. 4 Satz 2 JVollzGB III. Bayern verweist dazu (Rdn. 23) auf die Rspr. des OLG Celle (StV 1986, 396 und ZfStrVo 1987, 185 mit krit. Anmerkung von Bungert NStZ 1988, 526) zum Einschmuggeln von Alkohol. Schwind
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Die Durchsuchung des Besuchers erstreckt sich (wie bei Personenkontrollen z. B. auf Flughäfen) nur auf das Abtasten der Kleidung und den Einsatz von Metalldetektoren (Absondung), auch im Rahmen einer Sicherheitsschleuse (C/MD 2008 Rdn. 6; AKJoester/Wegner 2012 Rdn. 8 zu § 26; vgl. dazu OLG Nürnberg NJW 2002, 694). Eine mit völliger Entkleidung verbundene körperliche Durchsuchung würde hingegen in der Regel gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (§ 81 Abs. 2) verstoßen und den durch Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG geschützten Persönlichkeits- und Intimbereich tangieren (Laubenthal 2011 Rdn. 510; Arloth 2011 Rdn. 6). Das gilt jedoch nicht für Anstalten mit hohem Sicherheitsgrad, in denen auch eine generelle Durchsuchungsanordnung verhältnismäßig sein kann bzw. zulässig ist (OLG Nürnberg StV 2002, 669; C/MD 2008 Rdn. 6). Lehnt ein Besucher es ab, sich durchsuchen zu lassen, ist der Besuch abgelehnt (OLG Hamm NStZ 1981, 277; Laubenthal 2011 Rdn. 510; C/MD 2008 Rdn. 6 und § 84 Rdn. 2 und 7). Zwang darf gegen den Besucher nicht ausgeübt werden (AK-Joester/Wegner 2012 Rdn. 23; Arloth 2011 Rdn. 6); der Besuch kann aber abgelehnt werden (Arloth 2011 Rdn. 9). Im geschlossenen Vollzug ist es heute weitgehend üblich, auch den Gefangenen (auch solchen islamischen Glaubens, § 84 Rdn. 7) vor und/oder nach dem Besuch durchsuchen zu lassen (Böhm 2003 Rdn. 260; vgl. auch § 84 Rdn. 2 ff und Kreuzer StV 2006, 163), und zwar (wenn Anlass besteht) gründlicher als den Besucher. In Betracht kommen insoweit auch Kontrollen (durch „Einblick“) der Achsel- und Mundhöhlen sowie die Durchleuchtung der Schuhe mit Röntgengerät (Böhm aaO; a. A. AK-Joester/Wegner 2012 Rdn. 8). Liegen im Einzelfall konkrete Anhaltspunkte dafür vor, dass der Gefangene dort verbotene Gegenstände versteckt hat, muss er auch die Unterwäsche ausziehen (Böhm aaO); sonst nicht (OLG Hamburg ZfStrVo 2005, 315). Nach der Rspr. des LG Hamburg (ZfStrVo 2000, 253) sollen sich die Kontrollen bei einem als Sicherheitsrisiko eingestuften Gefangenen sogar auf den Darmausgang erstrecken können (dazu § 84 Rdn. 7). 7. Besonderheiten bei Ausländern und Kranken. Sonderregelungen bestehen für 18 kranke Gefangene (vgl. VV Nr. 4) und für ausländische Gefangene (vgl. VV Nr. 5). Zu Dolmetscherkosten vgl. BVerfG ZfStrVo 2004, 46. III. Beispiel Der Journalist H. hat im Oktober 1981 den Pressereferenten des niedersächsischen 19 Justizministeriums um Genehmigung für ein Interview mit dem im Hochsicherheitstrakt der JVA Celle I einsitzenden Neo-Nationalsozialisten K. gebeten. Dieses Interview sollte im Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatt abgedruckt werden. Der Pressereferent setzte sich mit dem Leiter der JVA Celle in Verbindung, informierte ihn über den Wunsch des Journalisten und bat um Klärung, ob der Gefangene K. bereit sei, ein Interview zu geben. Im November 1981 teilte der Anstaltsleiter dem Pressereferenten telefonisch mit, dass K. zu einem Interview bereit sei; er machte gegen das Interview keine Bedenken geltend, erklärte lediglich, dass er gegebenenfalls das Gespräch überwachen werde und dass der Journalist H. mit ihm einen Termin abstimmen möge. Dementsprechend wurde der Journalist H. durch den Pressereferenten des Justizministeriums unterrichtet. Im Dezember wurde das Interview im Besucherzimmer der Anstalt in Anwesenheit des Anstaltsleiters durchgeführt und am 14.2.1982 veröffentlicht: es enthielt auch rechtsextremistische Propaganda und ausländerfeindliche Hinweise. Die Genehmigung des Interviews (zur Ablehnung vgl. § 109 Rdn. 10) stieß deshalb in der Öffentlichkeit auf Kritik. Wie ist die Rechtslage?
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1. Zur Beurteilung von Journalistenbesuchen. Nach der Rechtsprechung des OLG Hamm (ZfStrVo SH 1979, 37 = MDR 1979, 428) und des OLG Stuttgart (ZfStrVo SH 1979, 35) sowie des OLG Celle (BlStV 1/1991, 3) sollen die Vorschriften der §§ 23 ff StVollzG auch auf Journalistenbesuche Anwendung finden (so C/MD 2008 Rdn. 5 zu § 23; vgl. auch oben Rdn. 7). Da das Grundrecht auf Informationsbeschaffung (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG), auf das sich oft Journalisten berufen, den §§ 23 ff nicht vorgeht (Arloth 2011 Rdn. 4; vgl. C/MD 2008 Rdn. 5 zu § 23 und Marx 1982, 123), kann der Anstaltsleiter den Besuch untersagen, wenn durch diesen die Sicherheit und Ordnung der Anstalt gefährdet würde (§ 25 Nr. 1) oder (vgl. dazu Rdn. 7 zu § 25) wenn zu befürchten ist, dass der Besucher einen „schädlichen Einfluss“ (vgl. dazu KG BlStV 4/5/1999, 7) auf den Gefangenen ausüben oder seine „Eingliederung behindern würde“ (Nr. 2): vgl. dazu Rdn. 2 und 7 zu § 25 und KG NStZ 1998, 479 sowie LG Regensburg (Beschl. vom 2.9.2008 – StVK 232/08, StV 2010, 375 ff). Da der Anstaltsleiter (der damaligen JVA Celle I) insoweit keine Bedenken hatte, stellt sich die Frage, ob der Justizminister des Landes (bzw. sein Pressereferent für ihn) befugt war, die Entscheidung in diesem konkreten Einzelfall an sich zu ziehen.
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2. Kann der (Landes-)Justizminister (bzw. sein Pressereferent) anstelle des Anstaltsleiters entscheiden? Zu differenzieren ist zwischen dem Selbsteintrittsrecht des Justizministers und seinem Durchgriffsrecht. Ein Selbsteintrittsrecht des Justizministers (d. h. ein Ansichziehen der Entscheidungsbefugnis in allen Fällen z. B. in einer AV) besteht nach der Rechtsprechung nicht (vgl. OLG Hamm aaO; OLG Stuttgart aaO; C/MD 2008 Rdn. 1). Hingegen wird ein Durchgriffsrecht eingeräumt, d. h. das Recht des Justizministers, die Entscheidungsbefugnis im Ausnahmefall an sich zu ziehen. Das folgt zwangsläufig aus der Weisungsbefugnis der übergeordneten gegenüber den nachgeordneten Behörden sowie aus dem hierarchisch gegliederten Aufbau der Justizvollzugsverwaltung, von der das Strafvollzugsgesetz ausgeht (so auch OLG Hamburg NStZ 1981, 237 und 406; OLG Frankfurt 27.5.1981 – 3 Ws 297/81). Von diesem Durchgriffsrecht hätte im Falle des Interviews in der JVA (Celle I) für das „Allgemeine Deutsche Sonntagsblatt“ Gebrauch gemacht werden können; nach der Presse-AV des Nds. Justizministeriums war der Pressereferent zum Durchgriff befugt: er hat jedoch auf den Durchgriff verzichtet, um im Rahmen einer liberalen Handhabung im Journalisteninteresse ein Experiment zu wagen. Die Reaktionen auf das Interview sind auch nicht nur negativ ausgefallen. So hat für die „Evangelische Kirche in Deutschland“ (EKD), die das Sonntagsblatt finanziell unterstützte, ihr Sprecher erklärt, das Interview mit K. stelle eine interessante und bemerkenswerte publizistische Leistung dar. Für die Öffentlichkeit biete das Interview einen wichtigen Einblick in die Gedankenwelt K.’s. Es sei zwar problematisch, einen verurteilten Neonazi zu Wort kommen zu lassen, das Sonntagsblatt habe K. jedoch keine Plattform zur Darstellung seiner politischen Vorstellungen geboten, sondern das Interview sinnvoll durch entsprechende Kommentare ergänzt. Zum Selbsteintrittsund Durchgriffsrecht vgl. auch Rdn. 5 oben, § 97 Rdn. 5, § 105 Rdn. 3, vor §§ 151 ff Rdn. 2 f. Zum Thema „Der Untersuchungshäftling als Interviewpartner“ vgl. Nehm NStZ 1997, 305 ff. IV. Landesgesetze und Musterentwurf
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1. Baden-Württemberg. Dem § 24 StVollzG entsprechen die Abs. 2 bis 4 des § 19 JVollzGB III. Nach Abs. 4 kann die Anzahl der gleichzeitig zu einem Besuch zugelassenen Personen beschränkt werden. Außerdem wurde die Vorschrift dahingehend ergänzt, dass auch Ordnungsinteressen eine Durchsuchung rechtfertigen können.
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2. Bayern. Art. 27 Abs. 1 und 2 sind bis auf die geschlechtsspezifische Differenzie- 23 rung mit § 24 Abs. 1 und 2 StVollzG identisch. Abs. 3 wurde verändert und lautet wie folgt: „Aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung der Anstalt kann ein Besuch davon abhängig gemacht werden, dass sich die Besucher durchsuchen oder mit technischen Mitteln oder sonstigen Hilfsmitteln auf verbotene Gegenstände absuchen lassen“. In der Gesetzesbegründung heißt es dazu (LT-Drucks. 15/8101, 56): „Im Hinblick auf die Entscheidung des OLG Celle vom 21. Mai 1986 (ZfStrVo 1985), wonach das Einschmuggeln von Alkohol in eine Justizvollzugsanstalt nur deren Ordnung, nicht aber deren Sicherheit berühre, wurde Abs. 3 dahingehend ergänzt, dass auch Ordnungsinteressen eine Durchsuchung rechtfertigen können. […] Der Begriff der Durchsuchung entspricht dem des Polizei- und Strafprozessrechts. Darunter fällt auch das Absuchen von Besuchern nach Metallgegenständen mit einem Detektorrahmen oder einer Handdetektorsonde. Gleiches gilt für den Einsatz von passiv verweisenden Rauschgiftspürhunden.“ 3. Hamburg. Geregelt in § 26 HmbStVollzG, vgl. dazu § 23 Rdn. 7.
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4. Hessen. Dem § 24 StVollzG entspricht inhaltlich der § 34 HStVollzG.
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5. Niedersachsen. Geregelt in § 25 NJVollzG, vgl. dazu § 23 Rdn. 8.
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6. Musterentwurf. Die Materie des § 24 StVollzG ist geregelt in §§ 26, 28 ME-St- 27 VollzG. In § 26 Abs. 1 wird die Besuchsdauer auf zwei Stunden erweitert. Beim Besuch von Kindern soll sich die Gesamtdauer um weitere zwei Stunden erhöhen. Nach Abs. 2 werden die Besuche von Angehörigen besonders unterstützt. In Abs. 4 werden die Langzeitbesuche gesetzlich geregelt. Nach der Begründung steht die entsprechende Entscheidung im Ermessen des Anstaltsleiters. Weiter heißt es in der Begründung, dass „Personen, die bereits aus rechtlichen oder dienstlichen Gründen zu einer Anhörung der Gefangenen berechtigt oder verpflichtet sind, wie Angehörige der Justiz oder Polizei und Mitglieder des Petitionsausschusses nicht zu den Besuchern zählen. Besucher im Sinne dieser Bestimmung sind auch nicht Vertreter der Gerichtshilfe, der Führungsaufsichtsstelle und der Bewährungshilfe. Diese Personengruppen (…) unterfallen nicht den Beschränkungen der §§ 27 bis 29“. In § 28 Abs. 1 Satz 1 ME-StVollzG wird der § 24 Abs. 3 StVollzG mit der Hinzufügung wiederholt, dass sich „Besucher mit technischen Hilfsmitteln absuchen und durchsuchen lassen“ müssen.
§ 25 Besuchsverbot § 25 Schwind Besuchsverbot 1. 2.
Der Anstaltsleiter kann Besuche untersagen, wenn die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt gefährdet würde, bei Besuchern, die nicht Angehörige des Gefangenen im Sinne des Strafgesetzbuches sind, wenn zu befürchten ist, dass sie einen schädlichen Einfluss auf den Gefangenen haben oder seine Eingliederung behindern würden. Schrifttum S. bei § 23.
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I. II.
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Übersicht Allgemeine Hinweise ____ 1 Erläuterungen ____ 2–10 1. Erste Fallgruppe: Gefährdung der Sicherheit und Ordnung (Nr. 1) ____ 4–6 2. Zweite Fallgruppe: Schädlicher Einfluss oder Behinderung der Eingliederung (Nr. 2) ____ 7–10 a) Schädlicher Einfluss ____ 8 b) Behinderung der Eingliederung ____ 9 c) Das Angehörigenprivileg ____ 10
III.
Landesgesetze und Musterentwurf ____ 11–16 1. Baden-Württemberg ____ 11 2. Bayern ____ 12 3. Hamburg ____ 13 4. Hessen ____ 14 5. Niedersachsen ____ 15 6. Musterentwurf ____ 16
I. Allgemeine Hinweise 1
Der § 25 ermächtigt den Anstaltsleiter, unter bestimmten Voraussetzungen Besuche zu untersagen. Der Gesichtspunkt der Sicherheit oder Ordnung (§ 81 Rdn. 7) soll dabei nach dem Willen des Gesetzgebers (vgl. RegE, BT-Drucks. 7/918, 58) den Aufgaben des Vollzugs entsprechend „notwendig gegenüber allen Bereichen durchdringen“ (so RegE aaO; ebenso SA, BT-Drucks. 7/3998, 14). Vor dem Hintergrund des § 81 Abs. 2 (Grundsatz der Verhältnismäßigkeit) und des Grundsatzes des geringsten Eingriffs kann ein Besuchsverbot jedoch nur als ultima ratio in Frage kommen (Laubenthal 2011 Rdn. 509). Als weniger einschneidende (mildere) Maßnahme kommt z. B. die Anordnung von akustisch überwachtem Einzelbesuch (§ 27 Abs. 1) in Betracht (OLG Frankfurt ZfStrVo 1988, 112; OLG Nürnberg NStZ 1999, 445 M; Arloth 2011 Rdn. 5; C/MD 2008 Rdn. 2). II. Erläuterungen
Bei der Entscheidung des Anstaltsleiters aufgrund der Kann-Bestimmung des § 25 handelt es sich um eine Ermessensentscheidung. Voraussetzung dieser Ermessensentscheidung ist, dass zu befürchten ist, dass der Besucher durch einen Besuch des Gefangenen Sicherheit oder Ordnung der Anstalt gefährden würde (Nr. 1) oder einen schädlichen Einfluss ausüben oder die Eingliederung des Gefangenen „behindern“ würde (Nr. 2). Bei den Beschränkungsgründen „schädlicher Einfluss“ (Rdn. 8) und „Behinderung der Eingliederung“ (Rdn. 9) handelt es sich um unbestimmte Rechtsbegriffe (vgl. § 115 Rdn. 21 ff), also solche, die der vollständigen Nachprüfung durch das Gericht unterliegen (RegE aaO Rdn. 1; OLG Hamm ZfStrVo SH 1979, 43; KG NStZ 1998, 479). Erst die Entscheidung über die Rechtsfolge (Untersagung des Besuchs) ist eine Ermessensentscheidung (C/MD 2008 Rdn. 2; Arloth 2011 Rdn. 2; OLG Hamm ZfStrVo SH 1979, 37; OLG Zweibrücken ZfStrVo 1987, 304; § 115 Rdn. 19 ff). 3 Ein generelles Besuchsverbot ist ermessensfehlerhaft, wenn Gefahren für die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt oder die Befürchtung eines schädlichen Einflusses bzw. der Behinderung der Eingliederung nicht in Bezug auf jeden Gefangenen gegenüber der JVA bestehen (C/MD 2008 Rdn. 1; Laubenthal 2011 Rdn. 509; OLG Nürnberg ZfStrVo 1988, 186). Indiz kann die Verbreitung unwahrer Behauptungen über die Anstaltsverhältnisse durch den Vertreter einer politischen Partei sein (vgl. OLG Nürnberg ZfStrVo 1988, 186); zum sog. Kontaktsperregesetz vgl. Rdn. 5 zu § 26. 2
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1. Erste Fallgruppe. Nr. 1: Selbst wenn die Befürchtung besteht, dass der Besuch die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt gefährden könnte, kann der Anstaltsleiter den Besuch gestatten, sofern er das damit verbundene Risiko verantworten will (Grunau/ Schwind
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Tiesler 1982 Rdn. 1; AK-Joester/Wegner 2012 Rdn. 4). Unter den Voraussetzungen der Nr. 1 kann der Anstaltsleiter auf der anderen Seite grundsätzlich auch (sofern seine Entscheidung nicht unverhältnismäßig ist) jeden Besuch untersagen: selbst den von Angehörigen des Gefangenen (Arloth 2011 Rdn. 3; AK-Joester/Wegner 2012 aaO; vgl. dazu auch LG Hamburg ZfStrVo SH 1979, 42 und LG Bayreuth ZfStrVo 1991, 242 f), nicht aber den von Verteidigern, Rechtsanwälten und Notaren (§ 26 Satz 1). Sicherheit oder Ordnung der Anstalt können z. B. gefährdet sein, wenn sich aus angehaltenen Briefen ergibt, dass die Weitergabe von Informationen über einen Hunger- und Durststreik anderer inhaftierter Gefangener befürchtet werden muss, oder bei der Weitergabe verschlüsselter Verhaltensanweisungen aus dem terroristischen Bereich (LG Hannover 4.12.1978 – 53 StVK 80/78). Besuchsverbot können auch solche Personen erhalten, die außerhalb der Anstalt (ernsthaft) versucht haben, Angehörige von Bediensteten zu bedrohen, wenn dieses Verhalten darauf abzielte, den Bediensteten einzuschüchtern und dadurch zu Pflichtverstößen zu verleiten (OLG Koblenz BlStV 4/5/1990, 8 = ZfStrVo 1991, 313). Eine Gefährdung der Ordnung kommt in Betracht, wenn ein betrunkener Besucher 5 die Anstalt betreten will (AK-Joester/Wegner 2012 Rdn. 3; vgl. auch Rdn. 17 zu § 24) oder ein Drogenverdächtiger (Grunau/Tiesler 1982 Rdn. 1; Arloth 2011 Rdn. 3). Die Ordnung der Anstalt kann ferner z. B. auch durch das Einschmuggeln von Nahrungs- und Genussmitteln, insbesondere von Alkohol (dazu auch Rdn. 17 zu § 24) gefährdet werden. Ob die Sicherheit und (oder) Ordnung dadurch gefährdet sein kann, dass ein frühe- 6 rer Mitgefangener (oder Tatgenosse) einen Gefangenen besuchen will, ist umstritten. Grunau/Tiesler (1982 Rdn. 1) stellen fest, dass ein solcher Besuch als generell „sicherheitsgefährdend“ gilt. AK-Joester/Wegner (2012 Rdn. 3) vertreten hingegen die Auffassung, dass das „nicht generell unterstellt“ werden könnte. Richtig ist, die Zulassung solcher Besuche besonders sorgfältig zu prüfen (so auch C/MD 2008 Rdn. 1). Dabei wird es sowohl auf die Person des Gefangenen (z. B. Vorleben, Zahl und Art seiner Vorstrafen, Vollzugsverhalten, Stand der Vollstreckung, Vollzugslockerungen, Beziehungen zur Außenwelt) als auch auf die Person des Besuchers (z. B. Zahl und Art der Vorstrafen, (früheres) Vollzugsverhalten, Entlassungszeitpunkt, Verhalten nach der Entlassung, soziale Integration nach der Entlassung, neue Straftaten) sowie auf die Beziehung zwischen dem Gefangenen und dem Besucher und unter Umständen auch auf den Zweck des Besuches ankommen können (OLG Nürnberg ZfStrVo 1983, 124 ff; OLG Zweibrücken NStZ 1987, 304; Arloth 2011 Rdn. 3). Dafür kann die Einholung weiterer Auskünfte der JVA oder die Beiziehung von Strafakten über den Gefangenen und seinen Besucher erforderlich sein (OLG Nürnberg aaO; Arloth 2008 Rdn. 3). Durch Rspr. ausgeschlossen ist, dass der Justizminister die in § 26 vorgesehene Entscheidungsbefugnis des Anstaltsleiters generell an sich zieht (OLG Hamm ZfStrVo SH 1979, 37: kein Selbsteintrittsrecht des Justizministers; zum Selbsteintrittsrecht vgl. § 24 Rdn. 21). 2. Zweite Fallgruppe. Nach Nr. 2 der Vorschrift kann ein Besuch vom Anstaltsleiter 7 auch dann untersagt werden, wenn zu befürchten ist, dass der Besucher einen schädlichen Einfluss auf den Gefangenen ausüben oder seine Eingliederung behindern würde. Für die Frage, ob solche Einwirkungen zu befürchten sind, kommt es (wiederum: wie bei Rdn. 6) sowohl auf die persönlichen Eigenschaften des Gefangenen als auch auf die Person des Besuchers sowie auf den Besuchszweck an (C/MD 2008 Rdn. 3; AK-Joester/Wegner 2012 Rdn. 4) an. Insoweit sind jedoch objektiv fassbare Anhaltspunkte i. S. der in § 25 genannten Befürchtungen erforderlich, um ein Besuchsverbot zu rechtfertigen (OLG Nürnberg NStZ 1999, 445 M). Die Beweislast für die Umstände, die einen schädlichen Einfluss auf den Insassen befürchten lassen, trägt die Anstalt (Böhm 2003, Rdn. 267; AKJoester/Wegner 2012 Rdn. 4; OLG Nürnberg NStZ 1999, 445). Beide in der Nr. 2 genannten 361
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§ 25
Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
Befürchtungen können z. B. bestehen, wenn damit zu rechnen ist (etwa aufgrund des Schriftverkehrs), dass ein Journalist einen Gefangenen mit Hilfe des Interviews (vgl. Rdn. 7 zu § 24) z. B. in einer verfassungsfeindlichen Haltung bestärken würde (vgl. OLG Celle BlStV 1/1991, 3). Ob eine solche beim Gefangenen vorliegt, kann sich z. B. aus einschlägigen Vorverurteilungen ergeben. Im Zweifel kann dem Journalisten nahe gelegt werden, die Fragen, die er dem Gefangenen stellen möchte, der Vollzugsbehörde vorher bekanntzugeben. Eine unzulässige Vorzensur liegt insoweit nicht vor (vgl. OLG Schleswig ZfStrVo SH 1977, 20). Einen allgemeinen Erfahrungssatz, nach dem die Eingliederung eines Gefangenen durch den Besuch eines Journalisten behindert wird, gibt es im Übrigen nicht (KG NJW 1998, 3367; C/MD 2008 Rdn. 3; Matthes 2005, 230 ff; aus journalistischer Sicht Tolmein 1997, 246 ff). 8
a) Unter schädlichem Einfluss ist eine Einwirkung auf den Gefangenen zu verstehen, die ihn zu weiteren Straftaten anregen kann (RegE, BT-Drucks. 7/918, 58; § 17 Rdn. 6). Der Begriff umfasst alle Einwirkungen, die dem in § 2 festgesetzten Ziel der Behandlung entgegengesetzt sind, den Gefangenen zu einer künftigen straffreien Lebensführung in sozialer Verantwortung zu bringen (RegE aaO; § 2 Rdn. 12 ff; C/MD 2008 Rdn. 2; AK-Joester/Wegner 2012 Rdn. 4). So erscheint die Befürchtung des Anstaltsleiters, Personen, die einen Gefangenen besuchen wollen, würden auf diesen einen schädlichen Einfluss ausüben, dann gerechtfertigt, wenn sie einer Gruppe mit vollzugsfeindlicher Tendenz angehören. Anonyme Hinweise allein genügen nicht (Arloth 2011 Rdn. 4; C/MD 2008 Rdn. 3; OLG Frankfurt StV 1994, 431 mit Anm. Bemmann). Bei der Entscheidung über das Besuchsverbot darf auch berücksichtigt werden, dass gegen diese Person ein Ermittlungsverfahren wegen Verstoßes gegen § 129 a StGB anhängig ist (LG Lübeck ZfStrVo SH 1978, 27). Unter den Gesichtspunkten des Abs. 1 reicht für die Untersagung des Besuches auch ein durch Tatsachen (z. B. aus Briefen des Besuchers) belegbarer, dringender Verdacht aus, der Besucher verfolge die Absicht, bei dem Gefangenen eine generell feindselige und aufrührerische Haltung gegen die Vollzugsbehörde oder andere staatliche Institutionen hervorzurufen oder zu stärken (C/MD 2008 Rdn. 3); solche Feststellungen bedürfen aber der Substantiierung (OLG Frankfurt ZfStrVo 1979, 125). Bei Überzeugungstätern reicht die Befürchtung aus, dass der Besucher dem Gefangenen Anlass gibt (z. B. in einem Interview: vgl. dazu das Beispiel Rdn. 19 zu § 24), vollzugsfeindliche Aktivitäten zu entfalten (OLG Celle BlStV 1/1991, 3). Im Übrigen genügt jedoch auch insoweit ein durch konkrete Tatsachen belegbarer dringender („begründeter“) Verdacht (OLG Frankfurt ZfStrVo 1987, 112; ZfStrVo 1988, 188; OLG Nürnberg NStZ 1999, 445 M; Arloth 2011 Rdn. 5; a. A. AKJoester/Wegner 2012 Rdn. 4), der Besucher wolle im Gefangenen eine feindselige Haltung gegen den Vollzug hervorrufen oder ihn in einer solchen Haltung bestärken (OLG Nürnberg ZfStrVo 1988, 188; KG BlStV 1/1984, 6). Unerheblich ist es, ob der Gefangene überhaupt noch schädlich zu beeinflussen ist (OLG Nürnberg aaO; Arloth 2011 Rdn. 4; a. A. OLG Saarbrücken NStZ 1987, 95).
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b) Der Begriff der Behinderung der Eingliederung ist gegenüber dem des „schädlichen Einflusses“ weiter gefasst; er umfasst alle (negativen) Einflussnahmen, die den Bemühungen entgegenstehen, die darauf gerichtet sind, dass sich der Gefangene nach der Entlassung in seine Familie, in seinen Beruf, in seine wirtschaftlichen Beziehungen und andere noch in Betracht kommende Bereiche wieder einordnet (RegE, BT-Drucks. 7/918, 58; KG NJW 1998, 3367; C/MD 2008 Rdn. 2 Arloth 2011 Rdn. 5). Der Gesetzgeber hat diese Fassung gewählt, weil die Vollzugsbehörde Besuche mit bestimmten Personen schon versagen können soll, wenn die Eingliederung behindert würde, aber eine Erheblichkeit für eine künftige straffreie Lebensführung nicht oder nur schwer nachzuweisen Schwind
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Besuchsverbot
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ist. Denn ein solcher Nachweis im strengen Sinne kann nicht in allen berechtigten Fällen geführt werden (RegE aaO). Wenn AK-Joester/Wegner 2012 (Rdn. 4) diesen „Beweis“ dennoch verlangen, entfernen sie sich vom Willen des Gesetzgebers (zum Vollzugsziel § 2 Rdn. 12 ff). c) Angehörigenprivileg: Der Besuch von Angehörigen darf allerdings nur im Falle 10 der Gefährdung von Sicherheit oder Ordnung der Anstalt (vgl. Rdn. 4) untersagt werden. Der Gesetzgeber hat diese Regelung mit Rücksicht auf die grundrechtlich geschützte Stellung der Familie (Art. 6 Abs. 1 GG) getroffen (RegE aaO Rdn. 9); deshalb ist an die Voraussetzungen ein strenger Maßstab anzulegen (C/MD 2008 Rdn. 1). Der Kreis der Angehörigen ist aus Gründen der Rechtsklarheit gesetzlich definiert worden, und zwar durch Übernahme des Angehörigenbegriffs des Strafgesetzbuches (RegE aaO). Wer danach Angehöriger ist, ergibt sich aus § 11 Abs. 1 Nr. 1 a und b StGB: Ehegatten, Verwandte in gerader Linie (Eltern, Großeltern, Kinder, Enkel), Verschwägerte in gerader Linie (Schwiegergroßeltern, Schwiegereltern, Stiefeltern, Stiefkinder), Geschwister (auch Halbgeschwister, Adoptivgeschwister), Ehegatten der Geschwister, Geschwister der Ehegatten, Pflegeeltern und Pflegekinder und Verlobte. Ein Verlöbnis ist das ernsthafte Versprechen, mit dem Partner die Ehe eingehen zu wollen; es muss glaubhaft gemacht werden und darf nicht sittenwidrig sein (C/MD 2008 Rdn. 1): deshalb ist der Zuhälter kein Verlobter im Sinne des § 25. Keine Angehörigeneigenschaft sollen nach Grunau/ Tiesler 1982 Rdn. 3 auch diejenigen besitzen, die nur in einem eheähnlichen Verhältnis zusammenleben und erklärtermaßen an eine Eheschließung nicht denken. Diese Auffassung dürfte auch der des Gesetzgebers entsprechen, weil dieser den Kreis der Angehörigen aus Gründen der Rechtsklarheit (vgl. oben) möglichst fest umrissen sehen wollte und daher auch auf den Begriff der „nahestehenden Person“ (in § 24) verzichtet hat (SA, BT-Drucks. 7/3998, 12). Besuche von minderjährigen Angehörigen des Gefangenen können dann untersagt werden, wenn es sich um Opfer eines vom Gefangenen vielfach verübten Missbrauchs von Kindern handelt (OLG Nürnberg ZfStrVo 1999, 182 mit krit. Anm. von Rixen ZfStrVo 2001, 278; Arloth 2008 Rdn. 5; Laubenthal 2011 Rdn. 508; vgl. auch § 27 Abs. 1 ME-StVollzG). III. Landesgesetze und Musterentwurf 1. Baden-Württemberg. Dem § 25 StVollzG entspricht der § 20 JVollzGB III.
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2. Bayern. Art. 28 BayStVollzG ist wortgleich mit § 25 StVollzG.
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3. Hamburg. Der Wortlaut des § 25 StVollzG findet sich wieder in § 26 Abs. 6 13 HmbStVollzG (vgl. dazu § 23 Rdn. 7). 4. Hessen. Dem § 25 StVollzG entspricht inhaltlich der § 33 HStVollzG.
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5. Niedersachsen. § 26 NJVollzG wiederholt den Text von § 25 StVollzG.
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6. Musterentwurf. In den Abs. 1 und 2 in § 27 ME-StVollzG werden die ersten Absät- 16 ze des § 25 StVollzG nahezu wortgleich wiederholt. Angehängt wird jedoch ein dritter Absatz. Danach kann der Anstaltsleiter Besuche auch untersagen, wenn „bei Personen, die Opfer der Straftaten waren, zu befürchten ist, dass die Begegnung mit dem Gefangenen einen schädlichen Einfluss ausübt“. In der Begründung heißt es dazu, dass diese Regelung „einer Empfehlung der Europäischen Strafvollzugsgrundsätze folgt“. 363
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§ 26
Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
§ 26 Besuche von Verteidigern, Rechtsanwälten und Notaren § 26 Schwind Besuche von Verteidigern, Rechtsanwälten und Notaren Besuche von Verteidigern sowie von Rechtsanwälten oder Notaren in einer den Gefangenen betreffenden Rechtssache sind zu gestatten. § 24 Abs. 3 gilt entsprechend. Eine inhaltliche Überprüfung der vom Verteidiger mitgeführten Schriftstücke und sonstigen Unterlagen ist nicht zulässig. § 29 Abs. 1 Satz 2 und 3 bleibt unberührt. VV (1) Der Verteidiger muss sich als solcher gegenüber der Anstalt durch die Vollmacht des Gefangenen oder die Bestellungsanordnung des Gerichts ausweisen. Rechtsanwälte und Notare haben nachzuweisen, dass sie den Gefangenen in einer ihn betreffenden Rechtssache besuchen wollen. (2) Rechtsanwälte, Notare, Rechtsbeistände und Rechtsreferendare haben ihre Eigenschaft auf Verlangen nachzuweisen. Schrifttum S. bei § 23.
I.
Übersicht Erläuterungen ____ 1–13 1. Besuche von Verteidigern, Rechtsanwälten oder Notaren grundsätzlich ohne Einschränkung (Satz 1) ____ 1–6 a) Möglichst in der üblichen Dienstzeit ____ 2 b) Nur zum Zwecke der Besprechung der den Gefangenen betreffende Rechtssachen ____ 3 c) Inhaltliche Begrenzung des Verkehrsrechts ____ 4, 5 d) Ausweispflicht ____ 6
II.
2. Durchsuchung (Satz 2) ____ 7 3. Sonderstellung des Verteidigers (Satz 3) ____ 8–12 4. Zu Satz 4 ____ 13 Landesgesetze und Musterentwurf ____ 14–19 1. Baden-Württemberg ____ 14 2. Bayern ____ 15 3. Hamburg ____ 16 4. Hessen ____ 17 5. Niedersachsen ____ 18 6. Musterentwurf ____ 19
Erläuterungen 1
1. Besuche von Verteidigern, Rechtsanwälten und Notaren. Nach Satz 1 sind Besuche von Verteidigern sowie von Rechtsanwälten und Notaren in einer den Gefangenen betreffenden Rechtssache ohne Einschränkung (Ausnahme Rdn. 5) in Bezug auf Zeit und Häufigkeit zu gestatten (SA, BT-Drucks. 7/3998, 14; C/MD 2008 Rdn. 4). Mit „Zeit“ ist „Dauer“ gemeint (Meyer-Goßner § 148 Rdn. 9; OLG Hamm NStZ 1985, 432).
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a) In zeitlicher Hinsicht sollten Absprachen (z. B. mit der Anwaltskammer) dahingehend möglich sein, dass die Besuche möglichst in der üblichen Dienstzeit abgewickelt werden, also nicht in die Zeit des Einschlusses der Gefangenen für die Nachtzeit fallen (vgl. § 24 Rdn. 2; zur Zeit und Dauer von Verteidigerbesuchen vgl. auch Rdn. 15 zu § 27). Für Fälle der Eilbedürftigkeit (z. B. überraschende Vollzugsentscheidungen) ist auch am Wochenende für Verteidiger ein Besuch zu ermöglichen (AK-Joester/Wegner 2012 Rdn. 1). Gemäß § 27 Satz 2 NJVollzG werden „die regelmäßigen Besuchszeiten im Benehmen mit der Rechtsanwaltskammer in der Hausordnung festgelegt“. Schwind
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Besuche von Verteidigern, Rechtsanwälten und Notaren
§ 26
b) Die Besuche der Verteidiger, Rechtsanwälte oder Notare dürfen nur zum Zwecke 3 der Besprechung der den Gefangenen betreffenden Rechtssachen durchgeführt werden. Zur Verteidigertätigkeit rechnen insoweit aber nicht nur seine Beistandsfunktion im Strafverfahren, sondern auch im Wiederaufnahmeverfahren sowie in Neben- und Folgeverfahren: wie etwa der nachträglichen Gesamtstrafenbildung, dem Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung, der bedingten Aussetzung des Strafrestes, dem Vollstreckungsverfahren und in Gnadensachen (OLG München ZfStrVo SH 1978, 24 = NJW 1978, 654; C/MD 2008 Rdn. 1); weiter rechnet hierzu auch die Vorbereitung eines solchen Verfahrens (OLG Nürnberg NStZ 1984, 191; C/MD aaO; ferner § 29 Rdn. 14). Da es in Strafvollzugsangelegenheiten gleichfalls um die Realisierung des staatlichen Strafanspruchs geht (§ 2 Rdn. 2 f), gehört zum Tätigkeitsbereich eines Verteidigers zwar der Beistand eines Rechtsanwalts in Strafvollzugssachen (LG Nürnberg-Fürth ZfStrVo 1979, 125; OLG Celle NStZ 1981, 116; K/S-Schöch 2002 § 7 Rdn. 109), aber nicht die allgemeine Beratung des Gefangenen im Zusammenhang mit der Entlassungsvorbereitung (a. A. LG Bielefeld BlStV 2/1983, 1); auch nicht die Beratung in ausländerrechtlichen Fragen (Arloth 2011 Rdn. 1; Hötter in ZfStrVo 2001, 26; a. A. AK-Joester/Wegner 2012 Rdn. 3). Im Übrigen muss es sich aus Gründen der Klarheit immer um eine konkrete Rechtssache handeln (Arloth 2011 Rdn. 1 und LG Wuppertal NStZ 92, 152; a. A. C/MD 2008 Rdn. 1). Nach § 22 Abs. 1 Satz 2 JVollzGB III (für Baden-Württemberg) kann der Besuch auch (vgl. dazu § 24 Abs. 3 StVollzG) von Verteidigern sowie Rechtsanwälten und Notaren „davon abhängig gemacht werden, dass die Besucher vorher aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung der JVA durchsucht oder mit technischen Mitteln oder sonstigen Hilfsmitteln auf verbotene Gegenstände abgesucht werden.“ Art. 20 BayStVollzG erweitert die Vorschrift auf Gerichtshilfe, Bewährungshilfe und Führungsaufsichtsstellen. c) Eine inhaltliche Begrenzung des Verkehrsrechts ergibt sich naturgemäß (auch 4 ohne ausdrückliches Verbot) schon aus der Aufgabe, die Verteidiger, Rechtsanwälte oder Notare wahrzunehmen haben: so darf der Besuch z. B. nicht zum Fotografieren, Schachspielen oder zu erotischen Kontakten zwischen Besucher und Gefangenen missbraucht werden (Grunau/Tiesler 1982 Rdn. 1). Eine weitere Ausnahme von der generellen Gestattung des § 26 hat das Gesetz zur Änderung des Einführungsgesetzes zum GVG vom 30.9.1977 (BGBl. I, 1877) eingeführt. Nach diesem sogenannten Kontaktsperregesetz vom 30.9.1977 (BGBl I, 1877) darf 5 der Kontakt des Gefangenen zum Mitgefangenen und mit der Außenwelt, einschließlich des schriftlichen und mündlichen Verkehrs mit dem Verteidiger, dann unterbrochen werden, wenn sich der Gefangene wegen des Verdachts, terroristische Gewalttaten bzw. Vergehen nach § 129 a StGB begangen zu haben, in Untersuchungshaft befindet oder wegen einer der in dieser Vorschrift bezeichneten Straftaten rechtskräftig verurteilt wurde (vgl. § 31 EGGVG). AK-Joester/Wegner (2012 Rdn. 2) haben gegen diese Regelung Bedenken, das BVerfG (BVerfGE 49, 24) hat das Kontaktsperregesetz hingegen mit dem Grundgesetz für vereinbar erklärt. Das Gesetz ist nach der Entführung des Präsidenten der Bundesvereinigung der Deutschen Industrie e. V., Schleyer, durch terroristische Gewalttäter am 2. Oktober 1977 in Kraft getreten. Nach der seit 1985 neuen Vorschrift des § 34 a EGGVG hat der betroffene Gefangene aber das Recht auf Beiordnung eines Rechtsanwalts als Kontaktperson, der der Sperre nicht unterliegt und vom Landgerichtspräsidenten (im Einvernehmen mit dem Gefangenen, dem Gericht und der Staatsanwaltschaft) nach pflichtgemäßem Ermessen ausgesucht wird (vgl. auch Hirsch 2003, 117 ff). d) Der Verteidiger muss sich gegenüber der Anstalt durch die Vollmacht des Gefan- 6 genen oder durch die Bestellungsanordnung des Gerichts ausweisen (VV Abs. 1 Satz 1, 365
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Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
Abs. 2 und LG Wuppertal NStZ 1992, 152; vgl. zu einer entsprechenden Regelung Rdn. 14 zu § 29). Wenn die Vollmacht fehlt, kann diese, um das Verfahren zu vereinfachen, vom Gefangenen noch eingeholt werden (OLG Frankfurt BlStV 1/1992, 6 = ZfStrVo 1992, 67); der Verteidiger muss dann solange an der Anstaltspforte warten. Zu seiner weiteren Legitimation wird in der Regel die Vorlage des bundeseinheitlichen Anwaltsausweises (mit Lichtbild) oder des Personalausweises ausreichen; in Zweifelsfällen sollte telefonisch bei der Anstellungsstelle des Besuchers nachgefragt werden (vgl. auch Rdn. 15 zu § 29) oder aber bei der Anwaltskammer (vgl. auch Grunau/Tiesler 1982 Rdn. 2). Eine entsprechende Überprüfung ist in Zweifelsfällen auch bei (anderen) Rechtsanwälten, Notaren, Rechtsbeiständen und Rechts-(Gerichts-)Referendaren (dazu § 139 StPO) erforderlich (vgl. dazu VV Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2). 7
2. Durchsuchungen. Nach Satz 2 i. V. mit § 24 Abs. 3 können Besuche i. S. dieser Vorschrift schließlich aus Sicherheitsgründen (§ 81 Rdn. 7), also nicht aus Ordnungsgründen (vgl. Rdn. 17 zu § 24) auch davon abhängig gemacht werden, dass sich der besuchende Verteidiger, Rechtsanwalt oder Notar durchsuchen lässt (OLG Hamm NStZ 1981, 277; Arloth 2011 Rdn. 4, a. A. AK-Joester/Wegner 2012 Rdn. 8). Die Durchsuchungsvorschrift des § 24 Abs. 3 wird also (und zwar aufgrund negativer Erfahrungen in verschiedenen Strafprozessen) auch für diesen Personenkreis (Ausnahme: Verteidiger: Rdn. 8) übernommen (vgl. auch § 27 Rdn. 16; § 29 Rdn. 4). Aus der Sonderstellung des Berufsstandes ergibt sich gleichwohl: je stärker die körperliche Durchsuchung in den Persönlichkeits- und Intimbereich eingreift, desto schwerer müssen auch die Verdachtsmomente wiegen (C/MD 2008 Rdn. 2; AK-Joester/Wegner 2012 Rdn. 8; vgl. dazu Rdn. 11). Die Durchsuchung erstreckt sich auf die Verhinderung des Einschleusens von Waffen oder anderer sicherheitsgefährdender Gegenstände, wie z. B. von Ausbruchswerkzeugen (SA, BT-Drucks. 7/3998, 14). Bei der Mitnahme von Flüssigkeit (Getränken) in den Verteidigungssprechraum kommt es auf den Einzelfall an (OLG Frankfurt NStZ 1992, 455). Darüber hinaus bedeutet Durchsuchung i. S. von § 24 Abs. 3 auch grundsätzlich (Ausnahme vgl. Satz 3) die inhaltliche Überprüfung derjenigen Schriftstücke, die der Besucher bei seiner Begegnung mit dem Gefangenen bei sich führt (vgl. § 24 Rdn. 17). Denn die Sicherheit der Anstalt kann auch durch Übergabe von Schriftstücken gefährdet werden, z. B. wenn sie Mitteilungen oder Skizzen zur Vorbereitung der Flucht oder einer Meuterei enthalten (SA aaO).
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3. Sonderstellung des Verteidigers. Eine Sonderregelung (derart, dass grundsätzlich – Ausnahme Rdn. 10 – eine inhaltliche Überprüfung der Unterlagen unzulässig ist) trifft jedoch Satz 3 für den Verkehr des Verteidigers (zur Definition des Verteidigers vgl. § 115 Rdn. 8) mit dem (von ihm verteidigten) Strafgefangenen, aber nur in Bezug auf die Durchsuchung der mitgeführten Schriftstücke und sonstigen Unterlagen. Mit sonstigen Unterlagen sind Gegenstände gemeint, die einen gedanklichen Inhalt verkörpern, also Abbildungen (auch Filme) und Tonträger (SA BT-Drucks. 7/3998, 15; Arloth 2011 Rdn. 4; C/MD 2008 Rdn. 3). Andere Gegenstände, die diese Voraussetzungen nicht erfüllen, gehören selbst dann nicht zu den Unterlagen, wenn es sich um Beweismittel im Verfahren handelt (SA aaO; § 27 Rdn. 12 ff; § 29 Rdn. 14 ff).
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a) Nach Satz 3 ist eine inhaltliche Überprüfung der vom Verteidiger mitgeführten Schriftstücke und sonstigen Unterlagen nicht zulässig, d. h.: unzulässig ist eine Überprüfung auf den gedanklichen Inhalt (SA aaO Rdn. 8). Insoweit stimmt die Vorschrift mit § 148 Abs. 1 StPO überein, die dem nicht auf freiem Fuße befindlichen Beschuldigten den unbehinderten mündlichen und schriftlichen Verkehr mit dem Verteidiger geSchwind
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Besuche von Verteidigern, Rechtsanwälten und Notaren
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stattet (vgl. auch SA aaO). Die mitgeführten Schriftstücke und sonstigen Unterlagen dürfen aber daraufhin durchgesehen (abgetastet, geröntgt usw.) werden, ob in ihnen andere Gegenstände enthalten sind (SA aaO). Zulässig ist auch das bloße Durchblättern von Handakten (a. A. OLG Nürnberg StV 2004, 389 = NStZ-RR 2004, 187 Rdn. 4 und C/MD 2008 Rdn. 2; Laubenthal 2011 Rdn. 513; OLG Nürnberg StrVert. 2004, 389); aber nur dann, wenn sichergestellt ist, dass vom gedanklichen Inhalt der Schriftstücke und Unterlagen keine Kenntnis genommen wird (BVerfGE 38, 30). Dem Verteidiger kann die Mitnahme eines Notebooks für das Mandantengespräch nicht verwehrt werden, wenn die dafür erforderlichen Unterlagen darauf gespeichert sind (Laubenthal aaO). In einer Dienstanweisung kann auch die generelle Durchsuchung aller die Anstalt besuchenden Verteidiger angeordnet werden (OLG Hamm NStZ 1981, 277; OLG Nürnberg NJW 2002, 694 = StV 2002, 669: für eine JVA der „höchsten Sicherheitsstufe“): aber auch insoweit grundsätzlich nicht die inhaltliche Kontrolle von mitgeführten Schriftstücken. Ausnahmsweise ist nach Satz 4 des § 26 i. V. mit § 29 Abs. 1 Satz 2 und 3 über § 148 10 Abs. 2, § 148 a StPO die inhaltliche (aber richterlich angeordnete) Kontrolle von Schriftstücken auch bei Verteidigern dann zulässig, wenn gegen den Strafgefangenen, der besucht werden soll, eine Freiheitsstrafe wegen einer Straftat nach § 129 a StGB (Bildung terroristischer Vereinigungen) vollstreckt wird oder im Anschluss an die Strafe, die er zur Zeit verbüßt, zu vollstrecken ist. Ausnahme: der Gefangene befindet sich im offenen Vollzug oder erhält Vollzugslockerungen oder Urlaub (§ 29 Abs. 1 Satz 2 zweiter HS.; Arloth 2011 Rdn. 5). Der Satz 4 des § 26 wurde durch Art. 5 Nr. 1 des „Antiterroristengesetzes“ (BGBl. 1976 I, 2181) in das Strafvollzugsgesetz eingefügt (vgl. zur Überwachung auch § 27 Rdn. 9; § 29 Rdn. 16). Zum Einsatz von Trennscheiben zur Besuchsüberwachung vgl. Rdn. 14 zu § 27. b) Die Durchsuchung (vgl. zu dieser Rdn. 17 zu § 24) des Verteidigers (Rdn. 7), die 11 nicht gegen Art. 12 Abs. 1 GG verstößt (BVerfGE 38, 26, 30), kann nur dann in Betracht kommen, wenn aufgrund konkreter Anhaltspunkte eine Gefährdung der Sicherheit zu erwarten ist (OLG Celle NStZ 1989, 95 = ZfStrVo 1989, 181; Arloth 2011 Rdn. 4; C/MD 2008 Rdn. 2): bloße Ordnungsinteressen (etwa Verdacht des Einschmuggelns von Alkohol) reichen dafür nicht aus (OLG Celle StV 1986, 396; dazu Rdn. 17 zu § 24 und Rdn. 5 zu § 25). Die Durchsuchung kann also nur dann geboten sein, wenn konkrete Sicherheitsbedürfnisse der Anstalt – allgemeiner oder personengebundener Art – sie gebieten (OLG Celle ZfStrVo 1989, 181 = NStZ 1989, 95); das ergibt sich bereits aus der – widerleglichen – Vermutung der Integrität dieses Berufsstandes (so auch AE-StVollzG 1973, 177). Nur dann, wenn diese Vermutung durch einen begründeten Verdacht erschüttert ist, ist eine Durchsuchung überhaupt zulässig (vgl. Rupp/Hanack JR 1971, 273, 277 f). Die einschlägige Rechtsprechung (vgl. z. B. OLG Saarbrücken NJW 1978, 1446; BVerfGE 38, 26, 27) bezieht sich zwar nur auf den Verkehr des Rechtsanwalts mit einem von ihm verteidigten Untersuchungsgefangenen (vgl. dazu § 119 Abs. 3 StPO), kann jedoch, was den Verkehr des Verteidigers mit dem Strafgefangenen betrifft, nicht unberücksichtigt bleiben (ebenso C/MD 2008 Rdn. 2; AK-Joester/Wegner 2012 Rdn. 8; vgl. auch OLG Nürnberg NJW 2002, 694); jedenfalls hat der SA (BT-Drucks. 7/3998, 14) in anderem Zusammenhang deutlich gemacht, dass eine unterschiedliche Regelung insoweit unsachgemäß wäre; dies ergibt sich schon daraus, dass die Risiken beim Verkehr mit dem Strafgefangenen grundsätzlich geringer sind als beim Verkehr mit Untersuchungsgefangenen, durch den die Wahrheitsfindung in Strafverfahren berührt werden könnte. Wenn also die Anordnung einer Durchsuchung des Verteidigers von Untersuchungsgefangenen nur aufgrund konkreter Anhaltspunkte zulässig sein soll (BVerfGE 38, 26, 30), dann muss 367
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Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
diese Einschränkung der Durchsuchung erst recht für den Verkehr mit Strafgefangenen gelten. Die (alleinige) Begründung, „aus Sicherheitsgründen“ werde die körperliche Durch12 suchung des Verteidigers angeordnet, reicht allerdings für das Vorliegen eines konkreten Anhaltspunktes (für eine Missbrauchsgefahr) noch nicht aus (OLG Saarbrücken NJW 1978, 1446). Hingegen kann eine Durchsuchung des Verteidigers als besondere Sicherheitsvorkehrung nach der Rechtsprechung dann gerechtfertigt sein, wenn bei dem zu besuchenden Häftling in erhöhtem Maße Flucht- und Verdunkelungsgefahr besteht (BGH NJW 1973, 1656) oder nach vorangegangenen Sprengstoffanschlägen weitere angekündigt und die gewaltsame Befreiung von Häftlingen propagiert worden ist (KG NJW 1971, 476) oder wenn wegen der Schwere der dem Inhaftierten vorgeworfenen Straftat ein dringendes Bedürfnis besteht, durch besondere Vorsicht auch fernliegende Risiken weitgehend auszuschließen (OLG Zweibrücken 6.11.1972 – VAs 18/72). Ein besonderer Umstand, der die Sicherheitsvorkehrung der Durchsuchung rechtfertigen kann, liegt insbesondere dann vor, wenn die Anstalt auch solche Insassen beherbergt, die dem Kreis der anarchistischen Gewalttäter oder von Terroristengruppen zuzurechnen sind (OLG Saarbrücken 1978, 1448). 13
4. Satz 4: vgl. oben Rdn. 10. III. Landesgesetze und Musterentwurf
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1. Baden-Württemberg. Die Materie des § 26 StVollzG wird in § 22 JVollzGB III (Besuche „bestimmter Personen“) geregelt. Nach Abs. 1 Satz 2 kann die JVA „die Modalitäten der Besuche entsprechend ihrer organisatorischen Möglichkeiten regeln. Der Besuch kann davon abhängig gemacht werden, dass sich die Besucher vorher aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung der Justizvollzugsanstalt durchsuchen oder mit technischen Mitteln oder sonstigen Hilfsmitteln auf verbotene Gegenstände absuchen lassen.“
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2. Bayern. Art. 29 ist weitgehend wortgleich; neu ist die Erweiterung des Anwendungsbereichs auf Mitarbeiter der Gerichtshilfe, der Bewährungshilfe und der Führungsaufsichtsstellen.
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3. Hamburg. § 28 HmbStVollzG ist wie folgt aufgebaut: Abs. 1 entspricht in den ersten beiden Sätzen dem § 26 StVollzG. Der dritte Satz: „Eine inhaltliche Überprüfung […]“ ist in den Abs. 3 gerutscht. Auffällig ist, dass in den Abs. 1 bis 3 Verteidiger nicht mehr genannt werden. Gleichwohl heißt es in der Gesetzesbegründung (Bürgerschafts-Drucks 19/2533, 55), dass „den bisher besonders privilegierten Besuchen von Verteidigerinnen und Verteidigern die Besuche von sonstigen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten und Notarinnen gleichgestellt werden. Auch die Besuche dieser Personengruppen werden nicht mehr überwacht. Mitgeführte Schriftstücke und Unterlagen dürfen ohne inhaltliche Überprüfung übergeben werden. Ein Erlaubnisvorbehalt kann hier nicht angeordnet werden. Die Änderung erfolgt mit Blick auf die besondere Stellung dieser Berufsgruppen sowie das Vertrauensverhältnis zu ihren Mandantinnen und Mandanten“. Abs. 4 lautet: „Liegt dem Vollzug der Freiheitsstrafe eine Straftat nach § 129 a, auch in Verbindung mit § 129 b Abs. 1 des Strafgesetzbuchs zugrunde oder ist eine solche Freiheitsstrafe im Anschluss an den Vollzug einer wegen einer anderen Straftat verhängten Freiheitsstrafe zu vollziehen, gelten § 148 Abs. 2 und § 148 a der Strafprozessordnung entsprechend, es sei denn, die Gefangenen befinden sich im offenen Vollzug (§ 11) oder Schwind
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Überwachung der Besuche
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ihnen werden Lockerungen gewährt (§ 12) und Gründe für einen Widerruf oder eine Zurücknahme der Lockerung (§ 92 Absätze 2 und 3) liegen nicht vor.“ 17
4. Hessen. Dem § 26 StVollzG entspricht inhaltlich der § 33 Abs. 3 HStVollzG.
5. Niedersachsen. § 27 Satz 1 NJVollzG ist inhaltsgleich und weitgehend wortgleich 18 mit § 26 Satz 1 StVollzG. Satz 2 ist neu und hat folgenden Wortlaut: „Die regelmäßigen Besuchszeiten legt die Vollzugsbehörde im Benehmen mit der Rechtsanwaltskammer in der Hausordnung fest.“ Die Sätze 3 und 4 sind inhaltsgleich und weitgehend wortgleich mit § 26 Satz 2 und 3 StVollzG. Satz 5 ersetzt § 26 Satz 4 StVollzG und hat folgenden Wortlaut: „Abweichend von Satz 4 gilt § 30 Abs. 2 Sätze 2 bis 4 in den dort genannten Fällen entsprechend“. 6. Musterentwurf. Der erste Satz des § 26 StVollzG wird in § 26 Abs. 5 ME-StVollzG 19 wortgleich wiederholt. Zuzuordnen ist § 28 Abs. 3 ME-StVollzG: „Besuche von Verteidigern werden nicht beaufsichtigt“ (vgl. die entsprechende Regelung bzgl. der Gesprächsüberwachung: § 29 Abs. 2 ME-StVollzG).
§ 27 Überwachung der Besuche § 27 Schwind Überwachung der Besuche (1) Die Besuche dürfen aus Gründen der Behandlung oder der Sicherheit oder Ordnung der Anstalt überwacht werden, es sei denn, es liegen im Einzelfall Erkenntnisse dafür vor, dass es der Überwachung nicht bedarf. Die Unterhaltung darf nur überwacht werden, soweit dies im Einzelfall aus diesen Gründen erforderlich ist. (2) Ein Besuch darf abgebrochen werden, wenn Besucher oder Gefangene gegen die Vorschriften dieses Gesetzes oder die auf Grund dieses Gesetzes getroffenen Anordnungen trotz Abmahnung verstoßen. Die Abmahnung unterbleibt, wenn es unerlässlich ist, den Besuch sofort abzubrechen. (3) Besuche von Verteidigern werden nicht überwacht. (4) Gegenstände dürfen beim Besuch nur mit Erlaubnis übergeben werden. Dies gilt nicht für die bei dem Besuch des Verteidigers übergebenen Schriftstücke und sonstigen Unterlagen sowie für die bei dem Besuch eines Rechtsanwalts oder Notars zur Erledigung einer den Gefangenen betreffenden Rechtssache übergebenen Schriftstücke und sonstigen Unterlagen; bei dem Besuch eines Rechtsanwalts oder Notars kann die Übergabe aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung der Anstalt von der Erlaubnis abhängig gemacht werden. § 29 Abs. 1 Satz 2 und 3 bleibt unberührt. Schrifttum S. bei § 23.
I. II.
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Übersicht Allgemeine Hinweise ____ 1–4 Erläuterungen ____ 5–16 1. Stufen der Überwachung ____ 5–10 a) Grundsätzlich keine Überwachung ____ 6
b) Sichtkontrolle (optische Überwachung: Abs. 1 Satz 1) ____ 7, 8 c) Gesprächskontrolle (akustische Überwachung: Abs. 1 Satz 2) ____ 9
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§ 27
Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
2. Kontrolle der Übergabe von Gegenständen (Abs. 4 Satz 1) ____ 10 3. Abmahnung und Abbruch des Besuchs (Abs. 2) ____ 11 4. Besuche von Verteidigern (Abs. 3), sowie anderen Rechtsanwälten und Notaren (Abs. 4 Satz 2) ____ 12–16
III.
Landesgesetze und Musterentwurf ____ 17–22 1. Baden-Württemberg ____ 17 2. Bayern ____ 18 3. Hamburg ____ 19 4. Hessen ____ 20 5. Niedersachsen ____ 21 6. Musterentwurf ____ 22
I. Allgemeine Hinweise 1
Die Überwachung von Besuchen gehört zu den Aufgaben der Vollzugsanstalt (OLG Koblenz ZfStrVo 1981, 59). Ihre Erledigung (als hoheitlicher Aufgabe) ist grundsätzlich Vollzugsbeamten übertragen (§ 155 Abs. 1). Ein Rechtsanspruch auf Zubilligung unüberwachter Besuchskontakte besteht von Verfassungs wegen nicht (BVerfG NStZ-RR 2001, 253).
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1. Als Ausnahme von diesem Grundsatz lässt das Gesetz nur aus besonderen Gründen die Heranziehung anderer Bediensteter der Vollzugsanstalt sowie die Beschäftigung nebenamtlicher oder vertraglich verpflichteter Personen zu (§ 155 Abs. 1 Satz 2; vgl. dazu Rdn. 2 zu § 155).
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2. Wenn der Anstaltsleiter Besuche, die ein Strafgefangener erhält, der wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen oder terroristischen Vereinigung verurteilt ist, durch einen Anstaltsbeamten im Wege der Amtshilfe im Beisein eines Polizeibeamten überwachen lassen will, um auf diese Weise das Fehlen hinreichender Kenntnisse des Vollzugsbeamten über das Vorgehen terroristischer Vereinigungen auszugleichen, ist das, weil es sich rechtlich um eine Sachverständigentätigkeit handelt, unter zwei Voraussetzungen statthaft (OLG Koblenz ZfStrVo 1981, 59; vgl. auch OLG Celle ZfStrVo SH 1979, 55): erstens muss der Polizeibeamte ausschließlich der Aufsicht und Leitung des Anstaltsleiters unterstellt sein, und zweitens muss sichergestellt sein, dass er seine Wahrnehmungen allein dem Anstaltsleiter zugänglich macht; er muss diesem z. B. seine schriftlichen Aufzeichnungen abliefern (OLG Koblenz aaO; vgl. zu dieser Frage auch OLG Karlsruhe ZfStrVo 1991, 185; Arloth 2008 Rdn. 1). Zur Überwachung des Schriftwechsels durch Polizeibeamte § 29 Rdn. 3.
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3. Werden bei der Überwachung der Besuche personenbezogene Daten bekannt, findet § 180 Abs. 8 Anwendung (vgl. § 180 Rdn. 44–47). II. Erläuterungen
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1. Stufen der Überwachung. Abs. 1: Abs. 1 stellt eine „besondere Regelung“ i. S. d. § 4 Abs. 2 Satz 2 dar, durch die die Materie abschließend geregelt wird (OLG Saarbrücken NStZ 1983, 94; C/MD 2008 Rdn. 2). Für die Anordnung der Besuchsüberwachung ist somit nicht erforderlich, dass sie „zur Aufrechterhaltung der Sicherheit oder zur Abwendung einer schwerwiegenden Störung der Anstalt unerlässlich ist“. Es genügen die weniger strengen Voraussetzungen des § 27 Abs. 1 (OLG Koblenz NStZ 1988, 357). In diesem Rahmen sind jedoch konkret beweisbare Tatsachen für eine andere nicht abwendbare Gefährdung der Sicherheit oder Ordnung der Anstalt oder der Behandlung des Gefangenen zu verlangen (K/S-Schöch 2002 § 7 Rdn. 103; C/MD 2008 Rdn. 2; AK-Joester/Wegner 2012 Rdn. 3; Laubenthal 2011 Rdn. 511).Eine Besuchsüberwachung kann danach in BeSchwind
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tracht kommen, wenn bezüglich einer an dem Besuch beteiligten Person (vgl. Rdn. 12 zu § 24) Umstände bekannt sind, die die Missbrauchsgefahr begründen (KG NStZ 1995, 103 f = BlStV 3/1995, 6; OLG Saarbrücken aaO). Sie kommt hingegen nicht in Frage, „wenn Erkenntnisse im Einzelfall dafür vorliegen, dass es der Überwachung nicht bedarf“ (Abs. 1 Satz 1, 2. HS.); „die gewählte Formulierung berücksichtigt, dass die Vorschrift hinsichtlich der Zulässigkeit der Erhebung personenbezogener Daten bei der Besuchsüberwachung die gegenüber der grundlegenden Regelung des § 179 speziellere Vorschrift ist“ (Begr. RegE zum 4. StVollzGÄndG 1998, BT-Drucks.13/102 45, 15; K/S-Schöch 2002 § 7 Rdn. 103; Arloth 2011 Rdn. 1). Die Vorschrift unterscheidet zwischen Sichtkontrolle (Satz 1: lediglich optische Überwachung eines Besuches; s. Rdn. 7 f) und Gesprächsüberwachung (Satz 2: akustische Besuchsüberwachung durch einen unmittelbar dabeisitzenden Aufsichtsbeamten; s. Rdn. 9). Diese Überwachungsmaßnahmen (abschließende Aufzählung) stehen in einem Stufenverhältnis (vgl. Rdn. 6 bis 9): a) Grundsätzlich keine Besuchsüberwachung: grundsätzlich soll nach dem Wil- 6 len des Gesetzgebers eine Besuchsüberwachung überhaupt nicht mehr durchgeführt werden; dazu heißt es in der Begründung des RegE (BT-Drucks. 7/918, 59), dass die Vollzugsbehörden nicht mit mehr Überwachungsaufgaben belastet werden sollen, als notwendig ist; zugleich will der Gesetzgeber „Gefangene und Besucher vor zu weitgehenden Eingriffen schützen“ (RegE aaO). Diese gut gemeinte (großzügige) Regelung erleichtert allerdings das Einschmuggeln von Drogen, Arzneimitteln, Ausbruchswerkzeugen, Sprengstoff usw. (Grunau/Tiesler 1982 Rdn. 1) und trägt insoweit (naturgemäß) zur Gefährdung der Sicherheit und Ordnung der Anstalt bei (§ 81 Rdn. 7). Deshalb weist die Gesetzesbegründung zu § 28 Abs. 1 ME-StVollzG darauf hin, dass auf die Zulässigkeit der Überwachung im Besuchsbereich durch Schilder hinzuweisen ist. b) Sichtkontrolle (Abs. 1 Satz 1): um diese unter a) genannten Schwierigkeiten zu 7 entschärfen, ist in Satz 1 der Vorschrift geregelt, dass aa) Besuche aus Gründen der Sicherheit oder der Ordnung ausnahmsweise doch (durch Sichtkontrolle) überwacht werden dürfen (nicht müssen). Die Vollzugsbehörde muss jedenfalls in der Lage sein (heißt es dazu im RegE, BT-Drucks. 7/918, 59), „durch Besuchsüberwachung Gefahren für Leben, Gesundheit und Sachwerte sowie für den sicheren Gewahrsam des Gefangenen abzuwenden. Gleiches muss gelten, wenn das geordnete Zusammenleben in der Anstalt durch unüberwachte Besuche gefährdet würde“. Insoweit räumt der Gesetzgeber selbst ein (RegE aaO), dass „eine solche Gefährdung zum Beispiel eintreten kann, wenn beim Besuch Rauschgift oder Alkohol in die Anstalt eingeschmuggelt werden“; in Betracht kommt auch eine Übergabe von Gegenständen von Mund zu Mund beim Küssen. Ob ein Besuch geeignet ist, die Sicherheit der Anstalt zu gefährden, wird in erster Linie von der Person des Gefangenen und seines Besuchers abhängen (persönliche Umstände): vgl. auch Rdn. 6 zu § 25. Zugleich aber können nach der h. M. die besonderen Verhältnisse der Anstalt von Bedeutung sein, so etwa eine Überbelegung (C/MD 2008 Rdn. 2) bzw. ein besonders hoher Grad der Sicherheitsempfindlichkeit: objektive Umstände (OLG Koblenz ZfStrVo 1987, 305; OLG Saarbrücken NStZ 1983, 94 mit krit. Anm. Müller-Dietz). Deshalb kann bei der Frage, ob optische Besuchsüberwachung ermessensfehlerfrei angeordnet worden ist, nicht außer Betracht bleiben, wer der Besucher ist (OLG Celle ZfStrVo 1980, 187). Zum Einsatz von Trennscheiben bei Privatbesuchen vgl. Rdn. 14. Die beschriebene und vergleichbare Gefahren bestehen in der Vollzugspraxis der Anstalten des geschlossenen Vollzugs eher in der Regel als in der Ausnahme. Vor diesem Hintergrund wird die Sichtkontrolle in der Praxis 371
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des geschlossenen Vollzuges auch eher die Regel als die Ausnahme bilden; deshalb ist die ständige optische Überwachung „als übliche Überwachungspraxis“ (generelle optische Besuchsüberwachung im geschlossenen Vollzug) vieler Anstalten (jedenfalls solcher mit hohem Sicherheitsgrad) auch grundsätzlich nicht rechtswidrig (so Bandell/Kühling/Schwind NStZ 1988, 383; Arloth 2011 Rdn. 2; OLG Saarbrücken NStZ 83, 94 m. Anm. Müller Dietz; a. A. z. B. OLG Koblenz NStZ 1988, 382 = ZfStrVo 1987, 305; AK-Joester/ Wegner 2012 Rdn. 2). Jedenfalls enthält die Vorschrift keine auf die Person des einzelnen Gefangenen bezogene Einschränkung (OLG Frankfurt NJW 1979, 2525). Auch eine (generelle) Videoüberwachung ist zulässig (Arloth 2011 Rdn. 3 a), weil die Art und Weise der Überwachung dem Ermessen der Anstalt überlassen bleibt (OLG Frankfurt NStZ-RR 2003, 219; OLG Celle Beschl. vom 11.8.2010 – 1 Ws 366/10 zu § 28 Abs. 1 Satz 1 NJVollzG, NStZ 2011, 349/50 = FS 2011, 55). Ausnahmen: Die Sichtkontrolle kommt grundsätzlich nicht in Betracht bzgl. solcher Personen, deren persönliche Integrität nicht in Zweifel steht (OLG Hamm ZfStrVo 1985, 53). Im Rahmen der gerichtlichen Überprüfung der Überwachungsmaßnahmen wird man also davon ausgehen müssen, dass im geschlossenen Vollzug (Anstalt mit hohem Sicherheitsgrad) der unüberwachte Besuch die Sicherheit und Ordnung der Anstalt grundsätzlich gefährdet; im offenen Vollzug (§ 141 Rdn. 18) ist das hingegen grundsätzlich (schon von der Klientel her gesehen) eher nicht der Fall: hier wird die Unterhaltung bei einem Besuch in der Regel nur überwacht, wenn dies aus Gründen der Behandlung (Rdn. 8) geboten ist (Grunau/Tiesler 1982 Rdn. 1; AK-Joester/ Wegner 2012 Rdn. 3: „fragwürdig“). Eine Sichtkontrolle findet nicht statt, wenn in Ausnahmefällen während des Besuches auch Intimkontakte ermöglicht werden; ein Rechtsanspruch des Gefangenen auf Intimkontakte besteht jedoch nicht (LG Regensburg ZfStrVo SH 1978, 27; OLG Koblenz NStZ 1998, 398; BVerfG NStZ-RR 2001, 253; Arloth 2011 Rdn. 3; a. A. AK-Joester/Wegner 2012 Rdn. 7). Weiteres zum Intimkontakt § 24 Rdn. 13. Treffen mehrere Vollzugsarten (Freiheitsstrafe, U-Haft) in einer Anstalt zusammen, so kann es erforderlich sein, die zur Aufrechterhaltung der Sicherheit erforderlichen Beschränkungen so zu wählen, dass den weitestreichenden Gefahren begegnet wird (OLG Saarbrücken ZfStrVo 1983, 57 = NStZ 1983, 94). Zur gerichtlichen Ermessensüberprüfung § 115 Rdn. 19 ff. 8
bb) Die optische Überwachung (Sichtkontrolle) ist auch aus Gründen der Behandlung zulässig. Der Begriff der Behandlung (§ 4 Rdn. 6) umfasst sowohl die besonderen medizinischen und individual- wie sozialtherapeutischen Maßnahmen als auch die Maßnahmen allgemeiner Art, die den Gefangenen durch Ausbildung und Unterricht, Beratung bei der Lösung persönlicher und wirtschaftlicher Probleme und Beteiligung an gemeinschaftlichen Aufgaben der Anstalt in das Sozial- und Wirtschaftsleben einbeziehen und der Behebung krimineller Neigungen dienen (RegE, BT-Drucks. 7/918, 45; § 7 Rdn. 1).
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c) Gesprächskontrolle (Abs. 1 Satz 2): Überwachung der Unterhaltung bedeutet, dass ein zuständiger Bediensteter (vgl. Rdn. 2) das ganze Gespräch systematisch und gezielt mithört (OLG Koblenz ZfStrVo 1993, 244 = BlStV 2/1993, 2). Die Voraussetzungen für eine solche akustische Überwachung sind wesentlich höher anzusetzen als die der Sichtkontrolle, weil sie die Besuchten und Besucher in ihrem persönlichen Bereich wesentlich stärker belasten (OLG Koblenz ZfStrVo 1987, 305 = BlStV 1/1988, 5). Die akustische Überwachung kommt daher nur für Ausnahmefälle in Frage, d. h. notwendig ist ein auf den Einzelfall bezogenes, auf konkreten Anhaltspunkten beruhendes Missbrauchsrisiko des Besuchskontakts (Laubenthal 2011 Rdn. 511; C/MD 2008 Rdn. 5). Dabei darf es wiederum (vgl. Rdn. 7) nicht nur auf das mutmaßliche Verhalten des Strafgefangenen Schwind
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(z. B. Ausnutzen des Besuchs zur Nachrichtenübermittlung) abgestellt werden (dazu OLG Saarbrücken 26.8.1982 – 1 Ws 69/81); ebenso muss bedacht werden, ob bei dem Besucher die Gefahr besteht, dass er solchem Ansinnen nachkommt (dazu OLG Hamm ZfStrVo 1989, 246). Das aber ist z. B. bei einem Bediensteten des Arbeitsamtes so wenig wahrscheinlich, dass es im Einzelfall besonders belegt werden muss (OLG Celle ZfStrVo 1980, 187 f); das gilt ferner für einen Gutachter (OLG Hamm NStZ 1985, 191). Wahrscheinlicher ist eine solche Gefahr hingegen bei Besuchern, die als terroristische Gewalttäter gelten (OLG Koblenz ZfStrVo 1984, 179 = NStZ 1984, 46; OLG Hamm NStZ 1989, 494). Bei Personen die dem Gefangenen nahe stehen, sind an die akustische Überwachung hingegen generell strenge Anforderungen zu stellen (OLG Nürnberg ZfStrVo 1993, 56; OLG Hamm StV 1997, 259; Arloth 2011 Rdn. 6; AK-Joester/Wegner 2006 Rdn. 3; C/MD 2008 Rdn. 5). Bei Besuchen von Bewährungshelfern und Gerichtshelfern kommt eine Überwachung nur im begründeten Ausnahmefall in Betracht (C/MD 2008 Rdn. 5). Die Berufung allein auf den hohen Sicherheitsstandard der JVA reicht für eine akustische Überwachung grundsätzlich nicht aus; auch dann nicht, wenn es sich um einen ehemaligen Strafgefangenen handelt (OLG Koblenz ZfStrVo 1987, 305). Regelmäßig setzt eine akustische Überwachung aber im Einzelfall konkrete tatsächliche Anhaltspunkte für ihr „Gebotensein“ voraus: gefragt ist also eine auf Tatsachen gestützte konkrete Erwartung (OLG Saarbrücken ZfStrVo 1984, 176; OLG Koblenz aaO; OLG Nürnberg ZfStrVo 1993, 56; Arloth 2011 Rdn. 6; C/MD 2008 Rdn. 5) Immer spielt schließlich der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (§ 81 Abs. 2) eine Rolle (LG Hamburg ZfStrVo 1979, 250). Für eine Aufzeichnung der Gespräche (zwecks späterer Auswertung: nachträgliches Abhören der Bänder) bietet die Norm keine Ermächtigungsgrundlage (OLG Frankfurt NStZ-RR 2003, 219); anders § 34 Satz 2 HStVollzG: zulässig, aber spätestens nach 72 Stunden löschen (vgl. auch die Rspr. des BVerfG zu § 28 NJVollzG: FS 2011, 55). Da die Behandlung krimineller Neigungen auch zu den Aufgaben des Vollzugs gehört (vgl. § 2 Satz 2; dort Rdn. 12 ff), ist die Anordnung der Gesprächskontrolle bei einem Heiratsschwindler grundsätzlich gerechtfertigt; die akustische Überwachung darf sich in diesem Fall aber nur auf die Unterhaltung des Gefangenen mit entsprechenden Besucherinnen erstrecken; eine generelle Überwachung ist hingegen nicht geboten (OLG Koblenz ZfStrVo SH 1979, 45; C/MD 2008 Rdn. 3). Nicht selten wird sich die Notwendigkeit einer Gesprächskontrolle im Übrigen erst im Laufe des Besuches herausstellen (z. B. im Rahmen einer sich entwickelnden familiären Auseinandersetzung), was voraussetzt, dass von Anfang an die Sichtkontrolle durchgeführt wird (i. d. S. auch Grunau/Tiesler 1982 Rdn. 1). Aus Behandlungsgründen erfolgt eine Gesprächsüberwachung dann, wenn es darum geht, Informationen über die Persönlichkeit des Gefangenen, sein soziales Umfeld und seine individuelle Probleme zu gewinnen (C/MD 2008 Rdn. 3; Arloth 2011 Rdn. 4; RegE, BT-Drucks. 7/918, 59). Durch diese Überwachungsmaßnahme soll nicht zuletzt gewährleistet werden, dass rechtzeitig die notwendigen (Hilfe- bzw. therapeutischen) Maßnahmen z. B. bei der Nachricht über Todesfälle nahe stehender Personen oder bei den sog. verstimmenden (also ungünstigen) Nachrichten (z. B. Freundin geht „fremd“) getroffen werden können (vgl. RegE aaO). Soweit aus Behandlungsgründen von der Überwachung Gebrauch gemacht wird, muss der Gefangene (z. B. bei Suizidgefahr) auch ungefragt einen Einbruch in seinen persönlichen Bereich hinnehmen, was allerdings für das Behandlungsklima von negativer Bedeutung sein kann (RegE aaO). Gegen diese Regelung bestehen aber keine verfassungsrechtlichen Bedenken (BVerfGE 40, 276, 284 f). 2. Kontrolle der Übergabe von Gegenständen. Übergabe von Gegenständen 10 beim Besuch (Abs. 4 Satz 1): grundsätzlich nur mit Zustimmung des Anstaltsleiters; ob 373
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und inwieweit er diese von bestimmten Voraussetzungen abhängig macht, unterliegt seinem Ermessen (etwa Besorgnis vor Nachahmungseffekten vor dem Hintergrund des Individualisierungsgebotes), dessen Ausübung durch das Willkürverbot begrenzt wird (OLG Hamm ZfStrVo 1994, 118 mit abl. Anm. bzgl. der Sicherungsverwahrung von Eisenberg JR 1995, 39); i. d. R. geht es um Nahrungs- und Genussmittel in geringem Umfang (Obst, Tabakwaren, Schokolade, Gebäck, Erfrischungsgetränke). Um die Entstehung krasser sozialer Unterschiede zu vermeiden, müssen sie sich in engen Wertgrenzen halten (C/MD 2008 Rdn. 6). Zur Problematik des möglichst ähnlichen, gleichförmigen Lebensstandards im Vollzug vgl. § 22 Rdn. 1. Im geschlossenen Vollzug dürfen vielfach solche Nahrungs- und Genussmittel nur dann übergeben werden, wenn sie durch Vermittlung der Anstalt (z. B. aus in der Anstalt aufgestellten Automaten) beschafft werden (Grunau/Tiesler 1982 Rdn. 5). Dieser Automateneinkauf („Automatenzug“) kann mengenmäßig (KG NStZ 1985, 479) sowie auf Besucher von Regelsprechstunden (KG NStZ 1985, 352 = ZfStrVo 1985, 181) beschränkt werden (C/MD 2008 Rdn. 6). 11
3. Abmahnung und Abbruch des Besuchs. Nach Abs. 2 Satz 1 darf der Besuch (er muss aber nicht) durch die Vollzugsbehörde (bzw. durch die mit der Überwachung betrauten Bediensteten) abgebrochen werden, wenn beim Besuch gegen Vorschriften des Strafvollzugsgesetzes oder gegen Anordnungen verstoßen wird, die aufgrund des Strafvollzugsgesetzes getroffen worden sind: z. B. in einer Hausverfügung bzw. Hausordnung (vgl. § 24 Abs. 1 Satz 3). Rechtmäßig ist die in einer Hausverfügung getroffene Regelung, dass Besuche abzubrechen sind, wenn Weisungen der überprüfenden und überwachenden Beamten nicht befolgt werden, Sachen oder verschlüsselte Nachrichten übergeben werden, Gespräche über Aktivitäten in der Terroristenszene oder in den diese unterstützenden Gruppen oder Gespräche über Hungerstreik geführt werden (LG Köln ZfStrVo SH 1979, 45; so auch Grunau/Tiesler 1982 Rdn. 1). Das gilt auch für Journalistenbesuche, die zum Zwecke von Interviews stattfinden (vgl. Rdn. 19 zu § 24). Der Besucher muss allerdings zuvor in geeigneter Weise darüber unterrichtet werden, wie er sich bei einem Besuch zu verhalten hat (vgl. VV Nr. 3 zu § 24). Dem Abbruch vorausgehen muss als das mildere Mittel zunächst eine Abmahnung (C/MD 2008 Rdn. 7); es darf auch mehrmals abgemahnt werden: der Abbruch muss jedenfalls verhältnismäßig (§ 81 Abs. 2) sein (Laubenthal 2011 Rdn. 512). Die Abmahnung unterbleibt nur dann, wenn es unerlässlich ist, den Besuch sofort abzubrechen (Abs. 2 Satz 2). Diese „wenig präzise Formulierung der Voraussetzung respektiert das berechtigte Interesse des Aufsichtsbeamten, der in der konkreten Situation schließlich die Entscheidung über den Abbruch zu treffen hat und dem ein gewisser Spielraum verbleiben muss, damit das Risiko einer falschen Entscheidung nicht über Gebühr an ihm haften bleibt“ (Rolinski 1974, 90). Der Besucher, der unbefugt Sachen oder Nachrichten übermittelt oder von einem Inhaftierten übernimmt, muss nach § 115 Abs. 1 Nr. 1 OWiG mit einer Geldbuße rechnen (dazu Laubenthal 2011, Rdn. 512). Die Übersetzungskosten, die aufgrund der Besuchsüberwachung anfallen, trägt der Staat (BVerfG NJW 2004, 1095; C/MD 2008 Rdn. 7; Arloth 2011 Rdn. 6).
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4. Besuche von Verteidigern sowie anderen Rechtsanwälten und Notaren. Nach Abs. 3 bleiben die Besuche von Verteidigern (im Gegensatz zu solchen von Rechtsanwälten und Notaren, die nicht Verteidiger sind) von jeder Überwachung (also optischer und akustischer) ausgenommen: Dem Strafgefangenen und seinem Verteidiger soll bei dem Besuch Gelegenheit gegeben werden, mündlich und schriftlich ihre Gedanken unkontrolliert auszutauschen (SA, BT-Drucks. 7/3998, 14). Ein (in Untervollmacht) tätiger Rechtsassessor gehört grundsätzlich nicht zu dem durch § 27 NJVollzG geschätzSchwind
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Überwachung der Besuche
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ten Personenkreis (OLG Celle Beschl. vom 10.5.2011 – 1 Ws 170/11 StrVollz, NStZ 2011, 598/599 = StraFo 2011, 241–243). Weiteres § 26 Rdn. 8 ff; § 29 Rdn. 14 ff. a) Deshalb dürfen Verteidiger (zur Verteidigertätigkeit vgl. Rdn. 3 zu § 26) ihren in Strafhaft befindlichen Mandanten (grundsätzlich) auch Schriftstücke und sonstige Unterlagen ohne besondere Erlaubnis übergeben (Abs. 4 Satz 2); dass diese inhaltlich nicht überprüft werden dürfen, ergibt sich aus § 26 Satz 3. Ausnahmen: aa) Der Verteidiger darf dem Strafgefangenen ohne Genehmigung nur solche 13 Schriftstücke und Unterlagen aushändigen, die unmittelbar das Strafverfahren oder ein Verfahren nach §§ 109 ff betreffen, nicht aber andere Gegenstände (OLG Celle NStZ 1981, 116); für die Übergabe sonstiger Gegenstände ist eine Erlaubnis erforderlich (§ 27 Abs. 4 Satz 1). bb) Die Übergabe weiterer Schriftstücke und anderer Gegenstände während des 14 Gespräches ist lediglich dann verboten (aber nur im geschlossenen Vollzug: so auch C/MD 2008 Rdn. 9), wenn gegen die Gefangenen, die besucht werden sollen, eine Freiheitsstrafe wegen einer Straftat nach § 129 a StGB (Bildung terroristischer Vereinigungen) vollstreckt wird oder im Anschluss an die Strafe (Anschlussstrafe), die zur Zeit verbüßt wird, zu vollstrecken ist; in diesen Fällen darf die Vollzugsbehörde nach § 27 Abs. 4 Satz 3, § 29 Abs. 1 Satz 2 und 3 StVollzG i. V. m. § 148 Abs. 2 Satz 3 StPO auch die Benutzung von Trennscheiben (Trennvorrichtung) in Sprechzimmern anordnen. In anderen Fällen darf eine Trennscheibenanordnung bei Verteidigerbesuchen nach BGHSt 30, 38 ff (= NJW 2004, 1298), ständiger Rspr. der OLG und einhelliger Meinung im Schrifttum hingegen grundsätzlich nicht erfolgen, weil (so die Begründung) das Gesetz in § 27 eine Sonderregelung der Materie enthält, die eine Anwendung der Generalklausel des § 4 Abs. 2 Satz 2 ausschließt. So soll die Verwendung von Trennscheiben selbst dann nicht erlaubt sein, wenn konkrete Tatsachen den konkreten Verdacht begründen, dass der Besuch des Verteidigers zu verteidigungsfremden Zwecken, z. B. zum Einschmuggeln unerlaubter Gegenstände oder zur Übermittlung geheimer Nachrichten missbraucht wird (BGH NJW 2004, 1398). Nur eine Ausnahme lässt der BGH (aaO) zu, der, weil sie nicht die Sicherung ungestörter Verteidigung betrifft, gefolgt werden kann (so auch Arloth 2011 Rdn. 10; ders. 2005, 108; Laubenthal 2011 Rdn. 513; krit. Beulke/Swoboda 2005, 65), und zwar für den Fall, dass ein Strafgefangener damit droht, seinen (Pflicht-)Verteidiger als Geisel (zur Durchsetzung bestimmter Forderungen) zu nehmen und einer solchen (konkreten) Gefahr nicht auf andere (weniger einschneidende) Weise begegnet werden kann (vgl. dazu Rdn. 24 zu § 4). Die Anordnung eines Trennscheibenbesuchs kann auch im Hinblick auf eine bereits bekannte Aggressivität eines Besuchers geboten sein, um die Gefahr von Tumulten im Besucherraum zu begegnen (OLG München Beschl. vom 17.3.2000 – 3 Ws 152/00). Dabei sind unter einer Trennscheibe „i. e. S.“ deckenhohe Glas- oder Plexiglasscheiben zwischen dem Gefangenen und dem Besucher zu verstehen, wodurch jede Form der Berührung unmöglich wird. Der Gefangene und der Besucher sitzen sich damit praktisch getrennt in verschiedenen Räumen gegenüber. Die Verständigung findet über Sprechschlitze oder mittels einer Gegensprechanlage statt (vgl. dazu KG Berlin Beschl. vom 10.6.2009 – 2 Ws 510/08, FS 2010, 51). Ob der Einsatz von Trennschreiben auch bei Privatbesuchen zulässig ist, ist umstritten. Folgt man der BGH-Rspr. (aaO) ist das nicht möglich: was für Verteidigerbesuche verneint wird, kann nicht in Bezug auf Privatbesuche zulässig sein. Gleichwohl stützt das BVerfG (ZfStrVo 1994, 304 ff; so auch KG 1995, 104; OLG Hamm ZfStrVo 1999, 375
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309; ebenso Arloth in Jura 2005, 108 ff) die in den Anstalten übliche Praxis, Trennscheiben im Ausnahmefall (z. B. in einer Abschirmstation für Dealer) auch bei Privatbesuchen einzusetzen. Die zutr. Argumentation läuft darauf hinaus, dass die Trennscheibe die in § 27 Abs. 1 genannten Überwachungsarten lediglich ersetze (Laubenthal 2011 Rdn. 517; a. A. C/MD 2008 Rdn. 9). Das BVerfG (aaO) macht den Einsatz bei Privatbesuchen jedoch von folgenden Voraussetzungen abhängig: es müssen konkrete Anhaltspunkte für eine reale Gefährdung der Sicherheit der Anstalt vorliegen und der Einsatz muss verhältnismäßig sein (§ 81 Abs. 2), d. h. es dürfen der Anstalt keine weniger einschneidenden Sicherheitsvorkehrungen zumutbar sein (etwa eine anschließende Durchsuchung und Umkleidung des Gefangenen) und als Alternative nur das Mittel des Besuchsverbots (§ 25) (so auch Laubenthal 2011, Rdn. 517). In den Landesstrafvollzugs-Gesetzen ist die Trennscheibe (auch) bei Privatbesuchen ausdrücklich gesetzlich normiert. Zu den besonderen Anforderungen vgl. Art. 30 Abs. 3 BayStVollzG, § 28 Abs. 4 Satz 2 HmbStVollzG und § 28 Abs. 2 NJVollzG. 15
b) Sonstige Modalitäten: Zwar gilt der Grundsatz, dass Verteidigerbesuche „ohne Einschränkung in Bezug auf Zeit und Häufigkeit zu gestatten“ sind (SA, BT-Drucks. 7/ 3998, 14). „Zeit“ bedeutet hier „Dauer“ (OLG Hamm NStZ 1985, 432; Arloth 2011 Rdn. 2; vgl. auch Rdn. 1 zu § 26). Mit diesem Grundsatz wird aber nicht der andere aufgehoben, wonach Besuche der Verteidiger an Zeiten gebunden sind, die im Rahmen des Zumutbaren den organisatorischen Möglichkeiten der JVA entsprechen (OLG Hamm ZfStrVo 1985, 319 = NStZ 1985, 432; OLG Karlsruhe ZfStrVo 1986, 60; vgl. auch Rdn. 2 zu § 26). Der für Verteidigerbesuche von der Anstalt zur Verfügung zu stellende Raum muss derart beschaffen sein, dass in normaler Lautstärke geführte Gespräche nicht außerhalb des Raumes mitgehört werden können; völlig schalldicht isoliert muss der Raum jedoch nicht sein (OLG Hamm ZfStrVo 1985, 180 = BlStV 3/1985, 8).
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c) Aus der Regelung des Abs. 3, der nur die Besuche vom Verteidiger von der Überwachung ausgenommen hat, ergibt sich, dass die Besuche von Rechtsanwälten, die nicht Verteidiger sind, und die Besuche von Notaren überwacht werden können; es gelten insoweit die allgemeinen Regeln der Abs. 1 und 2 (so auch C/MD 2008 Rdn. 11; Arloth 2011 Rdn. 9). Aus Abs. 4 Satz 2 ergibt sich jedoch, dass auch dieser Personenkreis (grundsätzlich) keiner Erlaubnis für die Übergabe von Schriftstücken und sonstigen Unterlagen an den Gefangenen bedarf, soweit diese Gegenstände der Erledigung einer Rechtssache dienen, die den Gefangenen betrifft. Ausnahme: Sicherheit oder Ordnung der Anstalt werden berührt, dann kann auch die Übergabe von einer Erlaubnis abhängig gemacht werden (Abs. 4 Satz 2, 2. HS.); aber nur aus diesen Gründen (SA, BT-Drucks. 7/ 3998, 15). III. Landesgesetze und Musterentwurf
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1. Baden-Württemberg. Dem § 27 StvollzG entspricht wortgleich der § 21 JVollzGB III. Nach Abs. 2 Satz 3 „können zur Verhinderung der Übergabe von Gegenständen besondere Vorkehrungen, insbesondere durch Tischaufsätze oder Trennscheiben, getroffen werden, wenn bei der oder dem Gefangenen verbotene Gegenstände gefunden wurden oder sonst konkrete Anhaltspunkte vorliegen, dass es zu einer verbotenen Übergabe von Gegenständen kommt“. Nach Abs. 3 dürfen Gefangenen Nahrungs- und Genussmittel in geringer Menge übergeben werden. Die „geringe Menge“ wird auch in der Begründung (Drucks. 14/5012, 217) nicht definiert. Als Beispiele werden „Süßigkeiten oder Tabakwaren“ erwähnt. Abs. 4 ist wortgleich mit Abs. 2 des § 27 StVollzG. Die SonderregeSchwind
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lungen für den Besuch von Verteidigern sowie Rechtsanwälten und Notaren entspricht (im Abs. 2) der Gesetzeslage im StVollzG. 2. Bayern. In Art. 30 BayStVollzG lauten die Absätze 1 bis 3 wie folgt: 18 Abs. 1 wiederholt den ersten Satz des § 27 StVollzG und wird dann durch folgende Sätze 2 und 3 ergänzt: „Die Überwachung und Aufzeichnung mit technischen Mitteln ist zulässig, wenn die Besucher und die Gefangenen vor dem Besuch darauf hingewiesen werden. Die Aufzeichnungen sind spätestens mit Ablauf eines Monats zu löschen.“ Abs. 2 lautet: „Die Unterhaltung darf nur überwacht werden soweit dies im Einzelfall aus den in Abs. 1 genannten Gründen erforderlich ist. Abs. 1 Sätze 2 und 3 sind nicht anwendbar.“ Abs. 3 hat folgenden Wortlaut: „Zur Verhinderung der Übergabe von unerlaubtenGegenständen kann im Einzelfall angeordnet werden, dass der Besuch unter Verwendung einer Trennvorrichtung abzuwickeln ist.“ Abs. 4 bis 6 sind wortgleich mit § 27 Abs. 2 bis 4 StVollzG. In der Gesetzesbegründung (LT-Drucks. 15/8101, 56) heißt es dazu: „Die Regelung der optischen Besuchsüberwachung in Abs. 1, die jedenfalls im geschlossenen Vollzug der Regelfall sein wird, wurde an die technische Entwicklung angepasst. […] Die Länge der Aufbewahrungsfrist von einem Monat ist erforderlich da in der Praxis oft erst nach einigen Tagen oder Wochen bekannt wird, dass unerlaubte Gegenstände übergeben wurden und dass eine spätere Überprüfung des Besuchsvorgangs nötig ist.“ 3. Hamburg. Im HmbStVollzG wird die Materie ebenfalls in einem § 27 geregelt. Die 19 Formulierungen in den jeweiligen Abs. 1 Satz 1 sind identisch. Der Satz 2 lautet in Hamburg aber wie folgt: „Die Überwachung der Besuche mit optisch-elektronischen Einrichtungen (Videoüberwachung) ist zulässig.“ Satz 3: „Die Gefangenen und die Besucherinnen und Besucher sind vor dem Besuch darauf hinzuweisen“. In der (alten) Gesetzesbegründung (Bürgerschafts-Drucks. 18/ 6490, 56) heißt es, daß „die Regelungen der optischen Besuchsüberwachung, die jedenfalls im geschlossenen Vollzug der Regelfall sein wird, an die technischen Entwicklung angepasst wurde“. In der (neuen) Gesetzesbegründung (Bürgerschafts-Drucks. 19/2533, 55) wird darauf hingewiesen, dass „die Aufzeichnung aus Gründen der Verhältnismäßigkeit nicht mehr gestattet ist.“ Abs. 3 ist (fast) wortgleich mit § 27 Abs. 2 StVollzG. Abs. 4 lautet: „Gegenstände dürfen beim Besuch nur mit Erlaubnis übergeben werden. Die Anstaltsleitung kann im Einzelfall die Nutzung einer Trennvorrichtung anordnen, wenn dies mit Rücksicht auf die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt zur Verhinderung einer unerlaubten Übergabe von Gegenständen erforderlich ist“ . 4. Hessen. Dem § 27 StVollzG entspricht inhaltlich der § 34 Abs. 4 HStVollzG. Nach 20 Satz 4 dieser Vorschrift darf ein Besuch auch dann abgebrochen werden, „wenn Verhaltensweisen von Besuchspersonen geeignet sind, einen schädlichen Einfluss auf die Gefangenen auszuüben“. Nach Abs. 5 kann „die optische Überwachung eines Besuchs auch durch technische Hilfsmittel erfolgen. Aufzeichnungen sind zulässig, soweit dies für die Sicherheit und Ordnung der Anstalt erforderlich ist. Die betroffenen Personen sind auf Maßnahmen nach Satz 1 und 2 vorher hinzuweisen. Zur Verhinderung der Übergabe von Gegenständen können besondere Vorkehrungen, insbesondere durch Tischaufsätze oder Trennscheiben getroffen werden, wenn bei den betreffenden Gefangenen verbotene Gegenstände gefunden wurden oder konkrete 377
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Anhaltspunkte vorliegen, dass es zu einer verbotenen Übergabe von Gegenständen kommt“. In der Gesetzesgründung (Drucks. 18/1396, 99) heißt es, dass „Videoaufnahmen gemäß Satz 2 des § 34 HStVollzG zulässig sind, (aber) nach § 65 Abs. 2 in der Regel 72 Stunden nach Beendigung des Besuchs“ gelöscht werden müssen. Beim Einsatz von Trennscheiben bzw. Tischaufsätzen „wird zu prüfen sein (so die Begr. weiter), ob die Maßnahme im Hinblick auf andere Sicherheitsmaßnahmen, namentlich die körperliche Durchsuchung der Gefangenen nach dem Besuch, erforderlich und im Übrigen verhältnismäßig ist.“ 21
5. Niedersachsen. In § 28 NJVollzG lauten die Absätze 1 bis 6 wie folgt: Abs. 1 entspricht inhaltlich § 27 Abs. 1 StVollzG und lautet: „Besuche dürfen offen überwacht werden. Die akustische Überwachung ist nur zulässig, wenn dies im Einzelfall zur Erreichung des Vollzugsziels nach § 5 Satz 1 oder zur Aufrechterhaltung der Sicherheit oder Ordnung der Anstalt erforderlich ist.“ Abs. 2 hat folgenden Wortlaut: „Die Vollzugsbehörde kann anordnen, dass für das Gespräch zwischen der oder dem Gefangenen und den Besucherinnen und Besuchern Vorrichtungen vorzusehen sind, die die körperliche Kontaktaufnahme sowie die Übergabe von Schriftstücken und anderen Gegenständen ausschließen, wenn dies zur Aufrechterhaltung der Sicherheit oder zur Abwendung einer schwer wiegenden Störung der Ordnung der Anstalt unerlässlich ist.“ Abs. 3 ähnelt § 27 Abs. 2 StVollzG: „Ein Besuch darf nach vorheriger Androhung abgebrochen werden, wenn Besucherinnen oder Besucher oder die oder der Gefangene gegen die Vorschriften dieses Gesetzes oder die aufgrund dieses Gesetzes getroffenen Anordnungen verstoßen. Der Besuch kann sofort abgebrochen werden, wenn dies unerlässlich ist, um eine Gefahr für die Sicherheit der Anstalt oder einen schwer wiegenden Verstoß gegen die Ordnung der Anstalt abzuwehren“. Abs. 4 ist wortgleich mit § 27 Abs. 3 StVollzG. Abs. 5 entspricht inhaltlich dem § 27 Abs. 4 StVollzG. In Abs. 6 heißt es: „Abweichend von den Absätzen 4 und 5 Satz 2 Nr. 1 gilt § 30 Abs. 2 Sätze 2 bis 4 in den dort genannten Fällen entsprechend.“ Die Gesetzesbegründung (LT-Drucks. 15/3565, 113) entspricht den Begründungen des BayStVollzG und des HmbStVollzG.
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6. Musterentwurf. Geregelt in §§ 29, 28 Abs. 1 bis 5 ME-StVollzG. Nach § 29 Abs. 1 dürfen Gespräche nur überwacht werden, soweit es im Einzelfall wegen einer Gefährdung der Erreichung des Vollzugsziels oder aus Gründen der Sicherheit (Anm.: nicht der „Ordnung“) erforderlich ist. Nach § 28 Abs. 1 werden „Besuche regelmäßig berücksichtigt. Die Beaufsichtigung kann mit technischen Hilfsmitteln durchgeführt werden; die betroffenen Personen sind vorher darauf hinzuweisen“. In der Begründung heißt es dazu, dass „ein solcher Hinweis“ in allgemeiner Form z. B. durch Schilder im Besuchsbereich erfolgen kann“. Nach § 28 Abs. 2 Satz 4 ME-StVollzG „findet eine Aufzeichnung nicht statt, weil diese unverhältnismäßig“ wäre. Abs. 3 bis 5 sind mit dem Wortlaut in § 27 StVollzG identisch. Nach Absatz 6 kann „der Anstaltsleiter im Einzelfall die Nutzung einer Trennvorrichtung anordnen“, und zwar (so die Begründung) auch „unter dem Aspekt des Schutzes von Personen“.
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Recht auf Schriftwechsel
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§ 28 Recht auf Schriftwechsel § 28 Schwind Recht auf Schriftwechsel (1) Der Gefangene hat das Recht, unbeschränkt Schreiben abzusenden und zu empfangen. (2) Der Anstaltsleiter kann den Schriftwechsel mit bestimmten Personen untersagen, 1. wenn die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt gefährdet würde, 2. bei Personen, die nicht Angehörige des Gefangenen im Sinne des Strafgesetzbuches sind, wenn zu befürchten ist, dass der Schriftwechsel einen schädlichen Einfluss auf den Gefangenen haben oder seine Eingliederung behindern würde. Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe VV 1 Für den Schriftverkehr eines Gefangenen, der eine ausländische Staatsangehörigkeit besitzt, mit der diplomatischen oder konsularischen Vertretung des Heimatstaates gelten die Richtlinien für den Verkehr mit dem Ausland in strafrechtlichen Angelegenheiten (Nummer 135 RiVASt). 2 Die Kosten des Schriftverkehrs trägt der Gefangene. Kann der Gefangene sie nicht aufbringen, kann die Anstalt sie in begründeten Fällen in angemessenem Umfang übernehmen. Schrifttum S. bei § 23.
I.
II.
Übersicht Allgemeine Hinweise ____ 1, 2 1. Umfang des Rechts auf Schriftwechsel ____ 1 2. Anspruch Dritter auf Briefkontakt zu Gefangenen ____ 2 Erläuterungen ____ 3–10 1. Grundsätzlich unbeschränkter Briefverkehr (Abs. 1) ____ 3 2. Untersagung des Schriftwechsels mit bestimmten Personen (Abs. 2) ____ 4–8 a) Gefährdung der Sicherheit und Ordnung (Nr. 1) ____ 5 b) Andere Gründe (Nr. 2) ____ 6, 7
III.
c) Post, die trotz des nach Abs. 2 untersagten Schriftverkehrs eingeht ____ 8 3. Kosten des Schriftverkehrs ____ 9 4. Schriftverkehr gefangener Ausländer ____ 10 Landesgesetze und Musterentwurf ____ 11–16 1. Baden-Württemberg ____ 11 2. Bayern ____ 12 3. Hamburg ____ 13 4. Hessen ____ 14 5. Niedersachsen ____ 15 6. Musterentwurf ____ 16
I. Allgemeine Hinweise 1. Umfang des Rechts auf Schriftwechsel. Das Recht auf Schriftwechsel (§ 28) 1 reicht weiter als das Recht auf Besuch (§ 24); der Gefangene darf nicht nur regelmäßig und im beschränkten Umfange, sondern grundsätzlich unbeschränkt Schreiben absen379
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Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
den und empfangen (§ 28 Abs. 1). Einschränkungen ergeben sich allerdings dann wiederum hinsichtlich bestimmter Personen (§ 28 Abs. 2) sowie aus den §§ 29, 31. Ferner ist immer auch § 2 Satz 2 zu bedenken (vgl. dazu Rdn. 21 zu § 4). Im Übrigen setzt das durch Art. 10 Abs. 1 GG geschützte Briefgeheimnis Briefverkehr voraus, garantiert diesen aber nicht (Gusy 1997, 674; BVerfG NJW 1995, 1477 = ZfStrVo 1995, 302). 2
2. Anspruch Dritter auf Briefkontakte. Der Anspruch Dritter auf Briefkontakt zu Strafgefangenen ist im StVollzG nicht geregelt. Das Recht auf persönlichen Kontakt zu anderen Personen gehört jedoch zu den durch Art. 2 GG geschützten Grundrechten jedes Menschen (vgl. BGHSt 27, 175 f). Deshalb sind nach § 109 antragsberechtigt auch von Vollzugsmaßnahmen unmittelbar betroffene Außenstehende (KG ZfStrVo 1982, 125; OLG Nürnberg ZfStrVo 1982, 248; OLG Zweibrücken ZfStrVo 1987, 304; OLG Celle ZfStrVo 1988, 247; vgl. auch Rdn. 8). Zum Begehren des Absenders einer Postsendung, über die Gründe einer Beschränkung des Postverkehrs informiert zu werden, vgl. VGH Mannheim NJW 1997, 1866. Näher § 109 Rdn. 9, 28–30. II. Erläuterungen
3
1. Grundsätzlich unbeschränkter Schriftverkehr. Abs. 1: Mit dieser Vorschrift wird dem Gefangenen das Recht eingeräumt, (nach Zahl und Umfang) unbeschränkt Schreiben (Briefe und Postkarten) absenden und Schreiben empfangen zu dürfen; auch die Zahl der Briefpartner wird nicht begrenzt. Der Gesetzgeber hat insoweit dem Angleichungsgrundsatz des § 3 Abs. 1 Rechnung getragen, der zum Inhalt hat, eine weitgehende Angleichung des Anstaltslebens an die normalen Lebensverhältnisse zu erstreben (RegE, BT-Drucks. 7/918, 59, § 3 Rdn. 3 ff). Deshalb darf der Gefangene (grundsätzlich) sein eigenes Briefpapier verwenden (RegE aaO); das gilt jedoch nicht, wenn er Briefbogen mit Privatadresse zur Begehung weiterer Straftaten (z. B. Betrügereien) benutzt (OLG Hamburg ZfStrVo 1979, 61; C/MD 2008 Rdn. 4). Die Verwendung einer eigenen Schreibmaschine richtet sich nach § 70 (Arloth 2011 Rdn. 3; C/MD 2008 Rdn. 4). Zu den Portokosten vgl. Rdn. 9. Für den Schriftwechsel i. S. des § 28 ist im Übrigen eigentümlich, dass zwischen Absender und Empfänger ein Gedankenaustausch stattfindet (OLG Koblenz ZfStrVo 1985, 122 und NStZ-RR 2002, 315; KG Berlin NStZ-RR 2007, 125). Deshalb kommt es für die Beurteilung, ob eine Postsendung als Schriftwechsel i. S. des § 28 oder als Paket i. S. des § 33 zu behandeln ist, nicht auf eine bei der Post nach deren Verwaltungsvorschriften zu treffende Zuordnung als Brief, Paket oder Päckchen an, sondern allein auf den konkreten Inhalt (angelegter Brief bzw. Hinweis auf einen individuellen schriftlichen Gedankenaustausch) der Postsendung (OLG Koblenz ZfStrVo 1985, 121; OLG Nürnberg NStZ 1997, 382 = ZfStr 1997, 372; Arloth 2011 Rdn. 3; C/MD 2008 Rdn. 1). Dies ergibt sich nicht nur aus der Wortwahl des StVollzG in den §§ 28 und 33, sondern vor allem aus dem Sinn und Zweck der dortigen Regelungen (OLG Nürnberg aaO). Auf der anderen Seite gelten die einem Schreiben an den Gefangenen beigelegten Zeitungsausschnitte bzw. entsprechende Fotokopien als untrennbarer Bestandteil dieses Briefes, sofern sie in unmittelbarem Zusammenhang mit dem schriftlichen Gedankenaustausch zwischen Absender und Gefangenem stehen (OLG Frankfurt BlStV 1/1993, 4 = ZfStrVo 1993, 118; sonst nicht: OLG Nürnberg ZfStrVo 1997, 372). So gehören auch pornographische Photos von sich, die die Partnerin eines Strafgefangenen einem pornographischen Brief angelegt hat, zum Schriftwechsel (OLG Dresden NStZ 1998, 320). Fehlt es an Hinweisen auf einen individuellen schriftlichen Gedankenaustausch finden allein die Paketvorschriften (§ 33) Anwendung: auf z. B. werbendes Infomaterial von Schwind
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Verlagen (OLG Hamburg aaO) oder Fremdenverkehrsämtern oder Warenproben (KG ZfStrVo 1983, 59) oder Warenkataloge (OLG Koblenz ZfStrVo 1991, 308; OLG Karlsruhe NStZ-RR 2002, 315) oder Internetausdrucke (OLG Nürnberg NStZ-RR 2009, 216; Laubenthal 2011 Rdn. 489). Erschwert wird die Abgrenzung durch die Rspr. des BVerfG nach der auch bei „umfangreichen Briefbeilagen der § 33 Anwendung finden kann“ (BVerfG Nichtannahmebeschluss vom 2.4.2008, 2 BvR 2173/07, BVerfGK 13, 430/431); vgl. auch unten Rdn. 6 sowie Rdn. 11 zu § 33 und Rdn. 6 zu § 68). § 28 Abs. 1 gibt nur dem einzelnen Gefangenen das Recht, unbeschränkt Schreiben abzusenden und zu empfangen, normiert hingegen kein entsprechendes Recht für Personenvereinigungen: z. B. für die Insassenvertretung (OLG Koblenz NStZ 1981, 160 = ZfStrVo 1980, 252; C/MD 2008 Rdn. 1; vgl. auch Rdn. 8 zu § 160) oder für den Ortsverband einer politischen Partei, der sich in der JVA etabliert hat (OLG Nürnberg ZfStrVo 1986, 249 = NStZ 1986, 286; Arloth 2011 Rdn. 4). Wenn AK-Joester/Wegner (2012 Rdn. 2) auch solchen Gruppen die Rechte aus Abs.1 einräumen wollen, entfernen sie sich vom eindeutigen Gesetzeswortlaut: dort heißt es „der“ Gefangene, nicht „die“ Gefangenen. Wer anderes will, muss für eine Gesetzesänderung plädieren (so auch Arloth 2011 Rdn. 4). Schließlich kann eine Untersagung nicht gegen den außenstehenden Briefpartner angeordnet werden (vgl. Rdn. 8 und OLG Zweibrücken NStZ 1987, 95 f). Dieser wird vielmehr durch das Verbot als Dritter betroffen: Verwaltungsakt mit Drittwirkung (OLG Celle NStZ 1989, 358); auch insoweit bleibt dem Anstaltsleiter nur die Möglichkeit, Schreiben nach § 31 anzuhalten (OLG Zweibrücken ZfStrVo 1987, 304; Laubenthal 2011 Rdn. 490). Das StVollzG enthält keine besonderen Vorschriften über den Briefverkehr zwischen Strafgefangenen, die in derselben Anstalt getrennt untergebracht sind (interner Schriftverkehr): Gleichwohl ist dieser wie der externe Schriftverkehr zu behandeln (Laubenthal 2011 Rdn. 501). Jedenfalls sind keine Gründe erkennbar, weshalb der interne Schriftverkehr anders zu behandeln sein sollte als der externe Schriftverkehr (Laubenthal aaO; so auch AK-Joester-Wegener 2012 Rdn. 5; a. A. C/MD 2008 Rdn. 2; §§ 23 ff gelten nur für Außenkontakte). Das bedeutet, dass auch der interne Schriftverkehr aus den in § 29 Abs. 3 genannten Gründen überwacht werden darf (Böhm 2003 Rdn. 251; Arloth 2011 Rdn. 2; C/MD 2006 Rdn. 1). Der interne Schriftverkehr darf im Übrigen auch nicht wegen erhöhten Verwaltungsaufwandes untersagt werden (OLG Dresden NStZ 1995, 151 = BlStV 3/ 1995, 1 mit zust. Anm. Bringewat BewHi 1995, 240 und krit. Anm. Schüler-Springorum NStZ 1995, 463). 2. Untersagung des Schriftwechsels mit bestimmten Personen. Die in Abs. 2 4 enthaltene Ermächtigung der Vollzugsbehörde, den Schriftwechsel mit bestimmten Personen generell zu untersagen, entspricht in ihren Voraussetzungen dem Besuchsverbot des § 25 (vgl. dort Rdn. 2 ff). Wie beim Besuch kann ein grundsätzlich bestehendes Recht unter den Gesichtspunkten der Sicherheit oder Ordnung (§ 81 Rdn. 7) eingeschränkt werden. Die Einschränkungen zeigen sich z. B. in der Überwachung des Schriftwechsels (§ 29), in der Berechtigung der Vollzugsbehörden, einzelne Schreiben anzuhalten (§ 31) und im Ausschluss des Briefverkehrs (auf Dauer) mit einzelnen Personen (§ 28 Abs. 2), die generell die Anstaltssicherheit oder Ordnung gefährden oder von denen negative Einflüsse auf den Gefangenen ausgehen (SA, BT-Drucks. 7/3998, 16). Dabei spielt auch die Sicherheitsstufe der Anstalt eine Rolle (so die Begründung zu § 28 Abs. 2 HStVollzG). Nach dem Verwaltungsgrundsatz des geringsten Eingriffs sollte jedoch im Einzelfall geprüft werden, ob die Beschränkung durch ein klärendes Gespräch mit dem Gefangenen (entsprechend der Abmahnung in § 27 Abs. 2) vermieden werden kann (C/MD 2008 Rdn. 3; AK-Joester/Wegner 2012 Rdn. 7) oder durch andere mildere Mittel: z. B. Abmahnung, Anhalten oder Überwachung (Laubenthal 2011, Rdn. 490). Alle Überwachungs381
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maßnahmen sind schon deshalb grundsätzlich nur im geschlossenen Vollzug sinnvoll, weil im offenen Vollzug (§ 141 Rdn. 18) alle Einschränkungen durch den Gefangenen in der Regel leicht umgangen werden können. Eine Überwachung des Briefwechsels kommt im offenen Vollzug ohnehin nur aus Behandlungsgründen in Frage oder wenn im Einzelfall Anhaltspunkte für die Vorbereitung oder Begehung strafbarer Handlungen bestehen (Grunau/Tiesler 1982 Rdn. 5) und eine Überwachung nach den örtlichen Verhältnissen erfolgversprechend erscheint. 5
a) Abs. 2 Nr. 1 (Gefährdung der Sicherheit oder Ordnung): Gefährdet sind Sicherheit und Ordnung, wenn aufgrund konkreter Anhaltspunkte (Laubenthal 2011, Rdn. 490) wahrscheinlich ist, dass der Schriftwechsel eines oder mehrerer Gefangener mit einem bestimmten Briefschreiber zu Aufsässigkeit, Ausbruch oder Gewalttat führt (Grunau/Tiesler 1982 Rdn. 3; Arloth 2011 Rdn. 5; C/MD 2008 Rdn. 3; OLG Nürnberg NStZ 1986, 576; K/S-Schöch 2002 § 7 Rdn. 108, anders AK-Joester/Wegner 2012 Rdn. 9); immer ist das Verhältnismäßigkeitsprinzip des § 81 Abs. 2 zu beachten (§ 81 Rdn. 9). Der in Schreiben enthaltene Aufruf zur Arbeitsverweigerung oder zum Hungerstreik (zum Hungerstreik vgl. auch § 56 Rdn. 7 und § 101 Rdn. 26 f) tangiert nicht unbedingt die Sicherheit der Anstalt oder das Resozialisierungsinteresse des Gefangenen (§ 2 Rdn. 13 ff), kann aber die Anstaltsordnung gefährden (SA, BT-Drucks. 7/3998, 16; Arloth 2011 Rdn. 5). Die Ordnung der Anstalt kann auch durch beigelegte Aufkleber politischer Parteien gestört werden, und zwar deshalb, weil die naheliegende Gefahr besteht, dass diese an den Türen von Hafträumen aufgeklebt werden; das soll insbesondere für Aufkleber mit ausländerfeindlichem Inhalt gelten (KG Berlin NStZ-RR 2007, 125).
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b) Nach Abs. 2 Nr. 2 wird ein schädlicher Einfluss bzw. die Behinderung der Eingliederung im Falle von Angehörigen im Sinne des StGB vom Gesetzgeber in Kauf genommen (zum Angehörigenbegriff vgl. § 25 Rdn. 10); Post von Angehörigen ist also privilegiert: sie darf nur aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung untersagt werden (Abs. 2 Nr. 1). Der Anstaltsleiter kann darüber hinaus den Schriftwechsel des Gefangenen mit allen anderen Personen untersagen, wenn (aufgrund konkreter Anhaltspunkte) zu befürchten ist, dass der Schriftwechsel einen schädlichen Einfluss (§ 25 Rdn. 8) auf den Gefangenen haben oder seine Eingliederung behindern würde (§ 25 Rdn. 9). So darf der Anstaltsleiter wegen der Gefahr schädlicher Beeinflussung z. B. den Briefverkehr mit einem Briefpartner untersagen, der vorbestraft ist, im Vollzug erhebliche Schwierigkeiten bereitet hat und gegen den ein Besuchsverbot besteht (LG Lübeck ZfStrVo SH 1978, 28; Arloth 2011 Rdn. 7). Ebenso darf der Schriftwechsel mit Mitgliedern einer Vereinigung untersagt werden, deren Zielsetzung darauf gerichtet ist, unter den Gefangenen Unruhe zu schüren und die Gefangenen in politisch motivierten Aktionen für einen Widerstand gegen den Strafvollzug und seine Einrichtungen zu gewinnen (LG Lübeck aaO; OLG Nürnberg NStZ 1986, 576). Unerheblich ist es, ob der Briefpartner überhaupt noch in dieser Richtung zu beeinflussen ist (dazu auch oben Rdn. 8 zu § 25 am Ende). Aus den Gründen des Abs. 2 Nr. 2 ist der Anstaltsleiter auch befugt, einem Gefangenen den Schriftwechsel mit dem Herausgeber eines Informationsdienstes zu untersagen, wenn dessen Druckerzeugnisse entstellende und beleidigende Berichte über Justiz und Strafvollzug in der Bundesrepublik Deutschland enthalten (LG Freiburg ZfStrVo SH 1977, 21). Ferner können einem Gefangenen Briefkontakte mit Frauen (oder anderen Opfern: 7 vgl. § 32 ME-StVollzG) untersagt werden, wenn dieser eine Freiheitsstrafe wegen Betrugsdelikten zum Nachteil von Frauen verbüßt, die er unter Vorspiegelung eines gemeinsamen Zusammenlebens (Heiratsschwindler) finanziell geschädigt hat. Ein solches Schwind
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Recht auf Schriftwechsel
§ 28
Verbot dient sowohl dem Abbau krimineller Neigungen des Gefangenen (§ 28 Abs. 2 Nr. 2) als auch dem Schutz der Frauen vor weiteren Straftaten des Gefangenen: § 2 Satz 2 (OLG Koblenz ZfStrVo 1979, 250). c) Dritten Personen (vgl. Rdn. 2), insbesondere außenstehenden Briefpartnern, 8 kann die Anstalt den Schriftverkehr mit einem Gefangenen nicht untersagen (OLG Zweibrücken NStZ 1987, 95 f = ZfStrVo 1987, 304; Arloth 2011 Rdn. 3; C/MD 2008 Rdn. 2; a. A. AK-Joester-Wegner 2012 Rdn. 2). Diese sollten aber über ein generelles Verbot des Schriftverkehrs informiert werden (OLG Nürnberg MDR 80, 165; C/MD 2008 Rdn. 3). Post Dritter, die trotz des nach Abs. 2 untersagten Schriftverkehrs eingeht, ist nach § 31 Abs. 3 zu behandeln (so auch Arloth 2011 Rdn. 8; C/MD 2008 Rdn. 2). 3. Kosten des Schriftverkehrs. Die Kosten des Schriftverkehrs trägt nach VV Nr. 2 9 Satz 1 der Gefangene (vgl. aber Rdn. 4 vor § 23). Damit sind aber nur die Portokosten gemeint (OLG Zweibrücken NStZ 2005, 289). Schreibpapier, Briefumschläge sind hingegen von der Anstalt in angemessenem Umfang kostenlos zur Verfügung zu stellen (OLG Zweibrücken aaO). Eine Übernahme auch der Portokosten durch die Anstalt (vgl. VV Nr. 2 Satz 2) kann nur dann in Betracht kommen, wenn der Schriftwechsel (in einem bestimmten Umfange) für die Behandlung oder Eingliederung des Gefangenen erforderlich ist (Arloth 2011 Rdn. 2) und der Gefangene (unverschuldet) über die entsprechenden Mittel (aus dem Haus- oder Eigengeld) nicht verfügt (krit. zur VV Nr. 2: C/MD 2008 Rdn. 4). Solange keine Tariflöhne gezahlt werden, sollte in diesen Fällen eine Kostenübernahme durch die Anstalt grundsätzlich aber nicht als (rückzahlbarer) „Vorschuss“ behandelt werden. Wenn der Gefangene allerdings grundlos die Arbeit verweigert, kann eine Kostentragung durch die Anstalt (und zwar gerade aus Behandlungsgründen) grundsätzlich nicht in Betracht kommen (so auch AK-Joester/Wegner 2012 Rdn. 12, die aber auf den Einzelfall abstellen). Eine Übernahme der Kosten des Schriftverkehrs durch die Vollzugsanstalt kommt auch dann nicht in Frage, wenn die Bedürftigkeit des Gefangenen damit zu tun hat, dass er sein Taschengeld für den Erwerb von Tabak ausgibt (vgl. LG Lüneburg BlStV 4/5/1999, 7). 4. Schriftverkehr gefangener Ausländer. Für den Schriftverkehr eines Gefange- 10 nen, der eine ausländische Staatsangehörigkeit besitzt, mit der diplomatischen oder konsularischen Vertretung seines Herkunftslandes gelten die Richtlinien für den Verkehr mit Ausländern in strafrechtlichen Angelegenheiten (Nr. 135 Abs. 3 RiVASt); zu Dolmetscherkosten vgl. BVerfG ZfStrVo 2004, 46; vgl. auch VV Nr. 1 und Grunau/Tiesler 1982 Vorb. 2 vor §§ 23 ff; C/MD 2008 Rdn. 5. III. Landesgesetze und Musterentwurf 1. Baden-Württemberg. Dem § 28 StVollzG entspricht wortgleich der § 23 JVollzGB.
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2. Bayern. Der entsprechende Art. 31 BayStVollzG stimmt in seinen Absätzen 1 und 2 12 wörtlich mit § 28 überein. Hinzugekommen ist ein Abs. 3, der wie folgt lautet: „Die Kosten des Schriftverkehrs tragen die Gefangenen. Sind sie dazu nicht in der Lage, kann die Anstalt die Kosten in begründeten Fällen in angemessenem Umfang übernehmen.“ 3. Hamburg. Der § 29 HmbStVollzG ist in Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 wortgleich mit § 28 13 StVollzG. Abs. 1 wird jedoch durch folgenden Satz ergänzt: „Absendung und Empfang 383
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§ 29
Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
der Schreiben vermittelt die Anstalt, eingehende und ausgehende Schreiben werden unverzüglich weitergeleitet.“ Hinzugekommen ist auch ein Abs. 3 mit folgendem Wortlaut: „Die Kosten des Schriftwechsels tragen die Gefangenen. Sind sie dazu nicht in der Lage, kann die Anstalt sie in besonders begründeten Fällen in angemessenem Umfang übernehmen.“ 14
4. Hessen. Dem § 28 Abs. 1 StVollzG entspricht der § 35 HStVollzG, in dessen Abs. 1 aber das Wort „unbeschränkt“ fehlt. Abs. 2 regelt außer den in den Abs. 3 und 4 umfassten Fällen die Überwachung des Schriftverkehrs aus Gründen der Sicherheit und Ordnung der Anstalt. Nach der Gesetzesbegründung (Drucks. 18/1396, 99) „brauchen dabei Gründe für die Überwachung nicht in der Person der Gefangenen liegen, weil erfahrungsgemäß Gefangene, die einer Postkontrolle unterliegen, solche Gefangene unter Druck setzen, bei denen das nicht der Fall ist. Deshalb genügen anstaltsbezogene generelle Gründe wie zum Beispiel die der Sicherheitsstufe der Anstalt.“ Der Abs. 2 des § 28 StVollzG wird inhaltlich in § 33 Abs. 2 HStVollzG wiederholt.
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5. Niedersachsen. § 29 NJVollzG ist inhaltlich nahezu identisch mit § 28 StVollzG. Allerdings wurde Abs. 1 durch folgenden Satz ergänzt: „In dringenden Fällen kann der oder dem Gefangenen gestattet werden, Schreiben als Telefaxe aufzugeben.“ In der Gesetzesbegründung (LT-Drucks. 15/3565, 114) heißt es dazu: „Diese bislang gesetzlich nicht geregelte Kommunikationsform ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts insbesondere zur Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes in Eilfällen erforderlich.“
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6. Musterentwurf. Geregelt in §§ 31 und 32 ME-StVollzG. Nach § 31 ME-StVollzG tragen die Gefangenen (nun auch gesetzlich geregelt) die Kosten des Schriftwechsels. „Sind sie dazu nicht in der Lage, kann die Anstalt die Kosten in begründeten Fällen in angemessenem Umfang übernehmen.“ In § 32 wird der Wortlaut des § 28 Abs. 2 StVollzG übernommen, aber unter Hinzufügung einer neuen Nr. 3, nach der der Anstaltsleiter den Schriftwechsel untersagen kann „wenn bei Personen, die Opfer der Straftat waren, zu befürchten ist, dass der Schriftwechsel mit dem Gefangenen einen schädlichen Einfluss auf sie hat“.
§ 29 Überwachung des Schriftwechsels § 29 Schwind Überwachung des Schriftwechsels (1) Der Schriftwechsel des Gefangenen mit seinem Verteidiger wird nicht überwacht. Liegt dem Vollzug der Freiheitsstrafe eine Straftat nach § 129 a, auch in Verbindung mit § 129 b Abs. 1, des Strafgesetzbuches zugrunde, gelten § 148 Abs. 2, § 148 a der Strafprozessordnung entsprechend; dies gilt nicht, wenn der Gefangene sich in einer Einrichtung des offenen Vollzuges befindet oder wenn ihm Lockerungen des Vollzuges gemäß § 11 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 zweiter Halbsatz oder Urlaub gemäß § 13 oder § 15 Abs. 3 gewährt worden sind und ein Grund, der den Anstaltsleiter nach § 14 Abs. 2 zum Widerruf oder zur Zurücknahme von Lockerungen und Urlaub ermächtigt, nicht vorliegt. Satz 2 gilt auch, wenn gegen einen Strafgefangenen im Anschluss an die dem Vollzug der Freiheitsstrafe zugrunde liegende Verurteilung eine Freiheitsstrafe wegen einer Straftat nach § 129 a, auch in Verbindung mit § 129 b Abs. 1, des Strafgesetzbuches zu vollstrecken ist. Schwind
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Überwachung des Schriftwechsels
§ 29
(2) Nicht überwacht werden ferner Schreiben des Gefangenen an Volksvertretungen des Bundes und der Länder sowie an deren Mitglieder, soweit die Schreiben an die Anschriften dieser Volksvertretungen gerichtet sind und den Absender zutreffend angeben. Entsprechendes gilt für Schreiben an das Europäische Parlament und dessen Mitglieder, den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, die Europäische Kommission für Menschenrechte, den Europäischen Ausschuss zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe und die Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder. Schreiben der in den Sätzen 1 und 2 genannten Stellen, die an den Gefangenen gerichtet sind, werden nicht überwacht, sofern die Identität des Absenders zweifelsfrei feststeht. (3) Der übrige Schriftwechsel darf überwacht werden, soweit es aus Gründen der Behandlung oder der Sicherheit oder Ordnung der Anstalt erforderlich ist. VV 1 (1) Der Verteidiger muss sich als solcher gegenüber der Anstalt durch die Vollmacht des Gefangenen oder die Bestellungsanordnung des Gerichts ausweisen. Verteidigerpost muss deutlich sichtbar gekennzeichnet sein. (2) Als Verteidigerpost gekennzeichnete eingehende Schreiben von Personen, bei denen die Verteidigereigenschaft nicht nachgewiesen ist, werden in der Regel ungeöffnet an den Absender zurückgesandt mit dem Hinweis, dass der Nachweis der Verteidigereigenschaft fehlt. Mit Einverständnis des Gefangenen kann das Schreiben geöffnet und nach Überprüfung ausgehändigt werden. 2 (1) Soweit der Schriftwechsel überwacht werden darf, bestimmt der Anstaltsleiter Art und Umfang der Überwachung. Er darf mit der Überwachung einzelne andere Bedienstete beauftragen. Schreiben in fremder Sprache werden, soweit nötig, übersetzt. (2) Soweit der Schriftwechsel überwacht wird, hat der Gefangene seine Schreiben in offenem Umschlag in der Anstalt abzugeben. (3) Der überwachende Bedienstete darf in den Schreiben weder Randbemerkungen anbringen noch Stellen durchstreichen oder unkenntlich machen. Ein Sichtvermerk ist zulässig. 3 Die Kosten für die Übersetzung von Schreiben, die in fremder Sprache abgefasst sind, trägt in der Regel die Staatskasse. Schrifttum S. bei § 23.
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I.
II.
Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
Übersicht Allgemeine Hinweise ____ 1–3 1. Zulässige Grundrechtseinschränkung ____ 1 2. Formen der Kontrolle ____ 2 3. Zuständigkeiten ____ 3 Erläuterungen ____ 4–20 1. Die Grundregel in Abs. 3 ____ 4–11 a) Sicherheit oder Ordnung ____ 6–10 aa) Eingehende Post ____ 8 bb) Ausgehende Post ____ 9 cc) Besonderheiten ____ 10 b) Überwachung aus Gründen der Behandlung ____ 11 2. Unüberwachter Schriftverkehr ____ 12–20 a) Schriftverkehr mit dem Anstaltsbeirat ____ 13
III. IV.
b) Schriftverkehr mit dem Verteidiger (Abs. 1) ____ 14–16 c) Schriftverkehr mit sog. Petitions- und Datenschutzstellen (Abs. 2) ____ 17–19 d) Anderer Schriftverkehr (Abs. 3) ____ 20 Beispiel: Überwachung der ausgehenden Post ____ 21, 22 Landesgesetze und Musterentwurf ____ 23–28 1. Baden-Württemberg ____ 23 2. Bayern ____ 24 3. Hamburg ____ 25 4. Hessen ____ 26 5. Niedersachsen ____ 27 6. Musterentwurf ____ 28
I. Allgemeine Hinweise 1
1. Zulässige Grundrechtseinschränkung. Das grundgesetzlich geschützte Briefgeheimnis (Art. 10 Abs. 1 GG) hat auch für den Gefangenen Gültigkeit (BVerfGE 33, 1 ff). Der Schriftwechsel darf jedoch im Rahmen des § 29 Abs. 3 (abgesehen von den in § 29 Abs. 1 und 2 sowie § 164 Abs. 2 Satz 2 aufgeführten Ausnahmen) aus Gründen der Behandlung, Sicherheit oder Ordnung (der Anstalt) überwacht werden: d. h. die Post darf geöffnet werden. Diese Regelung schränkt also das Briefgeheimnis wieder ein, allerdings in verfassungsrechtlich zulässiger Weise (BVerfG ZfStrVo 1982, 126 und NStZ 2004, 225). Die im Rahmen des § 29 Abs. 3 danach zulässige Überwachung bildet die Grundlage für die § 31 (Anhalten von Schreiben) und § 28 Abs. 2 (Untersagung des Briefverkehrs mit bestimmten Personen). Die Briefüberwachung erstreckt sich nicht nur auf schriftliche Außenkontakte (vgl. unten Rdn. 4; zum anstaltsinternen Briefverkehr vgl. schon Rdn. 3 zu § 28). Werden bei der Briefprüfung personenbezogene Daten bekannt, findet § 180 Abs. 8 Anwendung (vgl. § 180 Rdn. 44–47).
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2. Formen der Kontrolle. Mit „Überwachung“ ist die Kenntnisnahme vom verbalen Inhalt des Schriftwechsels (Textkontrolle) gemeint oder die bloße Kontrolle des Briefinhalts auf verbotene Gegenstände hin (Sichtkontrolle), z. B. auf Rauschgift, das eingeschleust werden soll.
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3. Zuständigkeiten. Der Zusammenhang der Vorschriften lässt eindeutig erkennen – und auch die Gesetzesmaterialien erlauben keinen anderen Schluss –, dass die Briefkontrolle vom Anstaltleiter wahrzunehmen ist (OLG Celle ZfStrVo SH 1979, 54); dieser kann die Briefprüfung allerdings ihm nachgeordneten Bediensteten übertragen (vgl. VV Nr. 2 Abs. 1), aber nicht auf einen Außenstehenden, etwa an einen (Kriminal-)Polizeibeamten (OLG Celle aaO; OLG Frankfurt/M StV 1986, 349; AK-Joester/Wegner 2012 Rdn. 2). Dieser kann nur im konkreten Fall als Sachverständiger herangezogen werden, wenn z. B. bei einem Schreiben der Verdacht besteht, dass es geheime Nachrichten enthält, für deren Entschlüsselung dem Anstaltsleiter die Sachkunde fehlt (OLG Celle aaO; K/S-Schöch 2002 § 7 Rdn. 111; C/MD 2008 Rdn. 2; Arloth 2011 Rdn. 2). Zur Überwachung von Besuchern im Beisein von Polizeibeamten § 27 Rdn. 3.
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Überwachung des Schriftwechsels
§ 29
II. Erläuterungen 1. Die Grundregel in Abs. 3. Abs. 3 enthält die Regel: Abgesehen von den Aus- 4 nahmefällen der Abs. 1 und 2 und § 164 Abs. 2 Satz 2 darf der übrige Schriftverkehr (wie der Besuch, vgl. § 27 Rdn. 7 ff) nur aus Gründen der Behandlung (§ 4 Rdn. 6), Sicherheit oder Ordnung der Anstalt (§ 81 Rdn. 7) überwacht werden; die Vollzugsbehörde wird also zur Überwachung nur ermächtigt, nicht verpflichtet: Ermessen der Anstalt (Arloth 2011 Rdn. 4; C/MD 2008 Rdn. 3). Da die Fälle der Überwachung abschließend aufgezählt werden, wird der Schriftverkehr z. B. in folgenden Fällen nicht überwacht: aus Gründen der allgemeinen Verbrechensverhütung, des persönlichen Schutzes Außenstehender oder aus Gründen des guten Geschmacks (RegE, BT-Drucks. 7/918, 60). Unter den Voraussetzungen des Abs. 3, also aus Gründen der Behandlung oder der Sicherheit oder der Ordnung der Anstalt darf auch der Schriftwechsel mit Rechtsanwälten (die nicht Verteidiger des Gefangenen sind) und mit Notaren überprüft werden; das ergibt sich aus Abs. 2, in dem nur der Verteidiger privilegiert wird. Vgl. auch § 26 Rdn. 7; § 27 Rdn. 16. Kontrolliert werden darf unter den Voraussetzungen des Abs. 3 ferner der Schrift- 5 verkehr des Gefangenen mit Gerichten und Justizbehörden, aber grundsätzlich nur dann (Ausnahmen: Rdn. 6 f), wenn im konkreten Fall der Absender des Schreibens bei äußerlicher Betrachtung nicht einwandfrei festgestellt werden kann (LG Lahn-Gießen ZfStrVo SH 1977, 21; in diesem Sinne auch LG Hamm BlStV 3/1997, 6; a. A. OLG Zweibrücken NStZ 1985, 236; LG Ellwangen ZfStrVo 1979, 125: auch dann nicht von der Überwachung ausgenommen.) Die Herkunft eines Schreibens von einem Gericht oder einer Behörde ist allerdings fast immer äußerlich erkennbar, z. B. durch Absenderaufdruck, durch Verwendung von Frankiermaschinen und bei Fensterbriefumschlägen durch Sichtbarwerden der Absenderangabe (dazu LG Lahn-Gießen aaO). a) Überwachung aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung (zulässig: BVerfG 6 ZfStrVo 1982, 126). Eine Überwachung des Schriftwechsels aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung kommt (wie bei der Überwachung der Besuche: vgl. § 27 Rdn. 7) grundsätzlich nur im geschlossenen Vollzug in Betracht, weil im offenen Vollzug die entsprechenden Risiken naturgemäß geringer sind. Umstritten ist, ob im geschlossenen Vollzug auch eine generelle Anordnung der 7 Vollzugsbehörde (Problem: Abwägung zwischen Sicherheitsinteressen der Anstalt und Individualisierungsgebot wie bei Rdn. 7 zu § 27) den Schriftwechsel aller Gefangenen ohne Einzelfallprüfung zu überwachen, zulässig ist (dazu Rdn. 23: Bayern). Das OLG Frankfurt (NJW 1979, 2525 = ZfStrVo 1978, 28, 29) hat diese Frage überzeugend mit dem Hinweis bejaht, dass man nicht auf die Gefährlichkeit des einzelnen Strafgefangenen (bzw. Sicherungsverwahrten) abstellen dürfe, weil nach aller Erfahrung selbst ungefährliche Straftäter (z. B. über Gruppendruck) durch andere (etwa ausbruchswillige oder sonst sicherheitsgefährdende) Mitgefangene zu (für die Anstalt) gefährlichen Außenkontakten missbraucht werden können. Im geschlossenen Vollzug komme es daher nicht auf die Gefährlichkeit des einzelnen Strafgefangenen an (so auch seit 1983 alle Auflagen dieses Kommentars, bestätigt auch durch OLG Zweibrücken NStZ 1985, 236; OLG Hamburg StraFO 2006, 172; Arloth 2011 Rdn. 4; Böhm 2003 Rdn. 254; auch das BVerfG (NStZ 2004, 225) hat keine Bedenken; a. A. C/MD 2008 Rdn. 3; AK-Joester/Wegner 2012 Rdn. 7; Laubenthal 2011 Rdn. 493; Molketin 1981, 192 ff; Gusy 1997, 675). In Anstalten mit hoher Sicherheitsstufe ist sogar die generelle Überwachung der Behördenpost (vgl. aber Rdn. 5 und Rdn. 23 für Bayern) zulässig (OLG Frankfurt BlStV 4/5/1994, 5; OLG Hamburg ZfStrVo 1991, 185; OLG Karlsruhe NStZ 2004, 517; Arloth 2011 Rdn. 4; a. A. AK-Joester/ Wegner 2012 Rdn. 2), aber nicht die Öffnung eingehender Briefwahlunterlagen (OLG 387
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Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
Frankfurt BlStV 1/1993, 5; C/MD 2008 Rdn. 3). Strittig ist aber, ob die (generelle) Überwachungsanordnung nur als kurzfristige Übergangslösung in Betracht kommt (so Laubenthal 2011 Rdn. 492) oder auch für eine längere Dauer. Für die längere Dauer spricht, dass sich die Sicherheitsrisiken in der Regel kurzfristig nicht ändern werden. Deshalb sollte entsprechend den Sicherheitsrisiken wie folgt differenziert werden: 8
aa) Bei eingehender Post reicht in der Regel die Sichtkontrolle aus, die, soweit das die personelle Situation der Anstalt zulässt, in Gegenwart des Gefangenen durchgeführt werden sollte (so auch AK-Joester/Wegner 2012 Rdn. 7; C/MD 2008 Rdn. 3; OLG Zweibrücken NStZ 1985, 236). Eine offene Aushändigung von Post, die auch dritten Personen Kenntnis vom Inhalt dieser Post ermöglicht, stößt auf verfassungsrechtliche Bedenken (BVerfG 4.9.97 – 2 BvR 1152/97).
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bb) Ausgehende Post muss der Gefangene nach VV Nr. 2 Abs. 2 im offenen Umschlag in der Anstalt abgeben, wenn der Schriftwechsel (ausnahmsweise) überwacht wird. Der Gefangene weiß also in diesem Fall, dass sein Schriftwechsel überwacht wird; das hat zur Folge, dass die Effektivität der Überwachung begrenzt ist (Grunau/Tiesler 1982 Rdn. 6; C/MD 2008 Rdn. 4). Bei ausgehender Post kommt (da das Einschmuggeln verbotener Gegenstände entfällt) eher als die Sichtkontrolle die Textkontrolle in Frage.
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cc) Zu weiteren Besonderheiten der Überwachung: Der Bedienstete der Anstalt, dem die Überwachung obliegt, darf nach VV Nr. 2 Abs. 3 auf den Schreiben keine Randbemerkungen anbringen oder Briefstellen durchstreichen oder undeutlich machen; er darf lediglich einen Sichtvermerk anbringen (C/MD 2008 Rdn. 4 u. VV); die Bloßstellung des Absenders als Gefangener ist jedoch zu vermeiden (AK-Joester/Wegner 2012 Rdn. 3). Der Anstaltsleiter muss aber einen unfrankierten Brief nicht weiterleiten (vgl. § 30 Rdn. 2). Unzulässig ist es, einen Brief, auf dessen Umschlag der Gefangene als Absender nicht die Vollzugsanstalt, sondern eine andere Anschrift angegeben hat, mit der Auflage zurückzugeben, die Absenderangabe zu ändern (OLG Celle ZfStrVo 1982, 127 und 1993, 57). Zu Art und Umfang der Überwachung und zu den Kosten für die Übersetzung von Schreiben, die in fremder Sprache abgefasst sind: vgl. oben VV Nr. 3.
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b) Eine Überwachung aus Gründen der Behandlung (vgl. dazu § 27 Rdn. 8) kann notwendig sein, um Informationen über die Persönlichkeit des Gefangenen und seine Verhältnisse zu gewinnen, um daraus (vor allem bei beunruhigenden verstimmenden Nachrichten) rechtzeitig Konsequenzen für die Behandlung und etwa notwendig werdende soziale Hilfen und therapeutische Maßnahmen treffen zu können (RegE, BTDrucks. 7/918, 59; OLG Frankfurt ZfStrVo SH 1979, 51 ff; Arloth 2011 Rdn. 5). Eine solche Überwachung wird aber nur dann zu rechtfertigen sein, wenn besonders wichtige Aufschlüsse über Probleme zu erwarten sind, die im Rahmen der Behandlung Bedeutung besitzen; eine Überwachung ist ferner geboten, um kriminellen Verhaltensweisen (z. B. eines Heiratsschwindlers) entgegenwirken zu können (Arloth 2011 Rdn. 5). Man wird im Übrigen davon ausgehen dürfen, dass die Überwachung nur bei eingehender Post Erkenntnisse bringt, weil bei der ausgehenden Post entsprechende Informationen kaum zu erwarten sein dürften; jedenfalls wäre zu vermuten, dass der Gefangene, der weiß, dass sein Schriftwechsel überwacht wird, entsprechende Zurückhaltung übt. Gleichwohl scheint die Überwachung den Gefangenen, wie der Praktiker weiß, erstaunlicherweise oft gar nicht zu stören.
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Überwachung des Schriftwechsels
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§ 29
2. Unüberwachter Schriftverkehr. Unüberwacht bleibt der Schriftverkehr: mit dem Anstaltsbeirat (§ 164 Abs. 2 Satz 2), grundsätzlich mit dem Verteidiger (§ 29 Abs. 1) und mit den sog. Petitionsstellen und Datenschutzbeauftragten (§ 29 Abs. 2).
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a) Schriftverkehr mit dem Anstaltsbeirat (gemeint ist die ein- und ausgehende 13 Post): § 164 Abs. 2 Satz 2 soll die Unbefangenheit der Information durch den Gefangenen sicherstellen (RegE, BT-Drucks. 7/918, 98). Vgl. §§ 162 ff Rdn. 7. Ein Schreiben des Gefangenen unterliegt auch dann nicht der Briefkontrolle, wenn der Adressat, also der Anstaltsbeirat, nicht mehr dieses Amt innehat (OLG Nürnberg – 2 Ws 382/09, FS 2010, 54 = NStZ 2010, 92/93). b) Abs. 1: Schriftverkehr mit dem Verteidiger: Unüberwachten Schriftverkehr mit 14 seinem Rechtsanwalt kann der Gefangene nur dann verlangen, wenn der Rechtsanwalt eine Verteidigerfunktion ausübt (vgl. VV Nr. 1 Abs. 2). Es muss erkennbar sein, dass sich die Beistandsfunktion des Rechtsanwalts entweder auf die Strafsache selbst, auf ein strafrechtliches Folge- oder Nebenverfahren oder auf eine Strafvollzugssache erstreckt, die bereits anhängig ist oder deren Rechtshängigkeit alsbald herbeigeführt werden soll (OLG Nürnberg ZfStrVo 1979, 186; vgl. auch LG Regensburg ZfStrVo 1979, 55; LG Wuppertal NStZ 1992, 152 = BlStV 4/1992, 1). Zum Umfang der Beistandsfunktion vgl. auch § 26 Rdn. 3. Zu Fallkonstellationen vgl. Grube JR 2009, 362–367. Weiteres bei § 26 Rdn. 8 ff; § 27 Rdn. 12 ff. aa) Nach § 29 Abs. 1 Satz 1 wird der Schriftwechsel des Gefangenen mit dem Ver- 15 teidiger (ein- und ausgehende Post) grundsätzlich nicht überwacht (vgl. auch oben Rdn. 4). Sinn dieser Vorschrift ist es, das Recht des Gefangenen auf eine von Behinderungen und Einschränkungen freigestellte Verteidigung zu gewährleisten. Die Verteidigerpost muss jedoch deutlich sichtbar gekennzeichnet sein (VV Nr. 1 Abs. 1 Satz 2; OLG Karlsruhe ZfStrVo 1987, 248; OLG Frankfurt ZfStrVo 2004, 379): Absenderangabe mit Kennzeichnung als Verteidigerpost (Arloth 2011 Rdn. 6; a. A. OLG Dresden NStZ 2007, 708: RA-Angabe reicht). Im Einzelfall sollen zur (ausgehenden) Verteidigerpost auch Pakete gehören (OLG Stuttgart NJW 1992, 61; OLG Koblenz NStZ 1983, 96): d. h. auch die Sichtkontrolle ist dann nicht erlaubt. Das Öffnen bzw Auschütteln der Verteidigerpost durch Bedienstete der Anstalt (etwa zur Feststellung der Absenderidentität oder zur Überprüfung unzulässiger Einlagen: z. B. Rauschgift oder Geldscheine) ist grundsätzlich nicht gestattet (OLG Stuttgart NStZ 1991, 359; OLG Karlsruhe NStZ 1987, 188; OLG Saarbrücken NStZ 2004, 188 = ZfStrVo 2003, 376; OLG Bremen StV 2006, 350; C/MD 2008 Rdn. 5; Laubenthal 2011 Rdn. 494). Denn der Gesetzgeber hat die Gefahren eines Missbrauchs bewusst in Kauf genommen, um jeder Beeinträchtigung des zwischen dem Gefangenen und seinem Verteidiger bestehenden besonderen Vertrauens vorzubeugen. Der Verteidiger soll wegen seiner Integrität als Organ der Rechtspflege jeder Beschränkung enthoben sein (OLG Frankfurt NStZ-RR 2005, 61). Eine Sichtkontrolle des Inhalts der Verteidigerpost ist selbst dann unzulässig (Vorauflage und OLG Stuttgart – 4 Ws 69/10, NStZ 2011, 348/349: zulässig), wenn der Gefangene, an den die Post gerichtet ist, der Öffnung zustimmt und bei der Öffnung anwesend ist bzw. diese selbst vornimmt (BVerfG Beschl. vom 25.10.2011 – 2 BvR 979/10) VV 1 Abs. 2 Satz 2 ist deshalb rechtswidrig; so schon OLG Bamberg MDR 1992, 507; OLG Frankfurt/M ZfStrVo 2004, 51 und OLG Dresden – 2 Ws 624/05 – NStZ 2007, 707 mit der Begründung, dass der Gefangene die Zustimmung evtl. nur deshalb erteilt, um nicht in den Verdacht zu geraten, etwas verbergen zu wollen, „was negative Auswirkungen im Vollzugsalltag haben könne“ (a. A. Arloth 2011 389
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§ 29
Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
Rdn. 6). Erlaubt ist ferner, die Verteidigerpost zu Kontrollzwecken zu röntgen, wenn dabei die bewusste und unbewusste Wahrnehmung des gedanklichen Inhalts ausgeschlossen ist (OLG Frankfurt aaO). Rechtswidrig ist eine Heraustrennung des Sichtfensters und eine Stempelung des Briefes im Adressfeld der Post (OLG Frankfurt aaO). Zulässig ist hingegen, dass die Posteingangsstelle der Vollzugsanstalt eingehende Verteidigerpost mit einer Perforierung in Form eines Pilzes versieht, der an den äußersten Stellen das Ausmaß von ca. achtmal 8 mm hat, so dass aufgrund dieser Kennzeichnung bei erneutem Eingang eine etwa wiederholte Benutzung durch das Klarsichtfenster erkannt werden kann (OLG Saarbrücken ZfStrVo 2003, 377). Auch andere Arten der „Lochung“ können zulässig sein (OLG Karlsruhe NStZ 2005, 588; OLG Frankfurt ZfStrVo 2005, 251). Solche Vorsichtsmaßnahmen entfallen, wenn über die Verteidiger keine Zweifel bestehen: solche bestehen dann nicht, wenn die Verteidigerstellung des Absenders der Vollzugsbehörde durch Vorlage der Vollmacht oder die gerichtliche Bestellung ordnungsgemäß nachgewiesen ist (VV Nr. 1 Abs. 1 Satz 1 und OLG Frankfurt NStZ 1987, 357: „eine Selbstverständlichkeit, die keiner gesetzlichen Regelung bedarf“). Die Anstalt kann jedoch die Aushändigung der entsprechenden Post vom vorherigen Nachweis der Verteidigereigenschaft abhängig machen (OLG Frankfurt ZfStrVo 1987, 113) bzw. durch telefonische Rückfragen klären, ob es sich um Verteidigerpost handelt (OLG Bamberg MDR 1992, 507; OLG Frankfurt StV 2003, 402 = ZfStrVo 2003, 300, 301; AK-Joester/Wegner 2012 Rdn. 8), aber nur „in wirklichen Zweifelsfällen“ bzw. bei begründetem Verdacht eines Missbrauchs – z. B., wenn der Aufgabeort der Sendung weit von dem Büro des Verteidigers entfernt liegt (OLG Frankfurt NStZ-RR 2005, 61 = StraFo 2005, 84). Bestehen am Vorliegen von Verteidigerpost keine begründeten Zweifel, soll ein Rückruf in der Kanzlei des Verteidigers (vgl. auch Rdn. 6 zu § 26) mit der Frage, ob die Sendung von dort stammt, aus Gründen der Verhältnismäßigkeit unzulässig sein (so OLG Frankfurt); das kann aber nur gelten, wenn die Aushändigung der Verteidigerpost an den Gefangenen dadurch verzögert wird (a. A. OLG Frankfurt aaO), weil dieser sonst nicht beschwert ist. Die Sicherstellung der Verteidigerpost im Haftraum ist unzulässig (Arloth 2011 Rdn. 6; OLG Nürnberg ZfStrVo 1988, 311; vgl. auch KG NStZ 2004, 611 M), weil sie das Überwachungsverbot unterläuft (C/MD 2008 Rdn. 5). Eine entsprechende Haftraumkontrolle in Form der Sichtkontrolle kommt aber dann in Betracht, wenn der Gefangene anwesend ist (Arloth 2011 Rdn. 6). Nach Abs. 1 Satz 1 des § 29 unterliegt im Übrigen nur der „Schriftwechsel“ des Gefangenen mit seinem Verteidiger nicht der Überwachung: ein (bei der Durchleuchtung) in einem Päckchen entdecktes Kassettengerät genießt daher nicht den Schutz dieser Vorschrift (LG Bielefeld BlStV 2/1985, 8); zum Begriff des „Schriftwechsels“, vgl. Rdn. 3 zu § 28. 16
bb) Das grundsätzlich bestehende Überwachungsverbot des Abs. 1 Satz 1 wird nach Abs. 1 Satz 2 jedoch für den Schriftverkehr mit solchen Gefangenen eingeschränkt, gegen die eine Freiheitsstrafe wegen einer Straftat nach § 129 a StGB (Bildung terroristischer Vereinigung), auch in Verbindung mit § 129 b StGB Abs. 1, vollstreckt wird oder (so Abs. 1 Satz 3) im Anschluss an die Strafe (Anschlussstrafe), die zur Zeit verbüßt wird, zu vollstrecken ist. Diese Fälle werden in die richterliche Überwachung unter denselben Voraussetzungen und in demselben Umfange einbezogen (vgl. § 29 Abs. 1 Satz 2 und 3 i. V. m. § 148 Abs. 2 und § 148 a StPO), wie dies für den Vollzug der Untersuchungshaft gilt: d. h., für die Kontrolle des Schriftverkehrs ist dann der Richter bei dem Amtsgericht zuständig, in dessen Bezirk die Vollzugsanstalt liegt (vgl. auch § 26 Rdn. 10; § 27 Rdn. 14). Dies gilt nicht in den Fällen des Abs. 1 Satz 2, 2. HS., nämlich dann nicht, wenn keine Sicherheitsbedenken bestehen. So z. B., wenn sich ein solcher Gefangener im offeSchwind
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Überwachung des Schriftwechsels
§ 29
nen Vollzug befindet oder wenn ihm Vollzugslockerungen bzw. Urlaub gewährt werden (Arloth 2011 Rdn. 7; ausführlicher C/MD 2008 Rdn. 6). c) Abs. 2: Schriftverkehr mit Petitions- und Datenschutzstellen. § 29 Abs. 2 ist 17 der Ausfluss des Petitionsrechtes im Sinne der Art. 17 GG (dazu OLG Nürnberg NStZ 1993, 455 = BlStV 4/5/1994, 5). aa) Ausgehende Post: Nicht überwacht werden die ausgehenden Schreiben an die 18 sog. Petitionsstellen. Solche Petitionsstellen sind: Volksvertretungen des Bundes und der Länder sowie deren Abgeordnete. Die Schreiben an Abgeordnete dürfen nicht an deren Privatanschrift gerichtet sein, sondern an die Postanschrift der Volksvertretung, damit sie von deren Postverteilungsstelle an den Adressaten weitergeleitet werden können (Grunau/Tiesler 1982 Rdn. 3). Auf diese Weise soll dem Missbrauch vorgebeugt werden: es soll vermieden werden, dass Kontaktpersonen fälschlich als Abgeordnete bezeichnet werden, um der Briefkontrolle zu entgehen (Grunau/Tiesler aaO). Nicht überwacht wird ferner die ausgehende Post – an das Europäische Parlament und dessen Mitglieder; – an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte; – die Europäische Kommission für Menschenrechte (an deren Stelle der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte getreten ist, vgl. Art. 34 MRK); – an den Europäischen Ausschuss zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe und an – die Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder (nach § 24 Abs. 2 Satz 2 JVollzGB III auch der Europäische Datenschutzbeauftragte); die Aufnahme dieser Adressaten „korrespondiert mit der … Einführung datenschutzrechtlicher Regelungen im Strafvollzug und soll es ermöglichen, dass sich Gefangene mit Eingaben, die sie als vertraulich behandelt wissen wollen, nicht nur an die Mitglieder gesetzgebender Körperschaften, sondern auch an die für Fragen des Datenschutzes fachlich besonders qualifizierten Stellen wenden können“ (Begr. RegE 1998 zum 4. StVollzGÄndg BT-Drucks. 13/10245, 15). Aus dem (abschließenden: Arloth 2011 Rdn. 8) Wortlaut des Abs. 2 ergibt sich schließlich, dass Briefe, die an Kommunalparlamente gerichtet sind, z. B. an den Kreistag oder die Stadtverordnetenversammlung, der Überwachungsmöglichkeit unterliegen (Grunau/Tiesler aaO). Ebenso können Schreiben an das Bundespräsidialamt und die Landtags- und Bundestagsfraktionen sowie (bei Zweifeln am Absender) an die Gerichte und andere Justizbehörden (C/MD 2008 Rdn. 5), selbst an das BVerfG (a. A. entgegen der Gesetzeslage: AK-Joester/Wegner 2012 Rdn. 13) überwacht werden (LG Ellwangen ZfStrVo 1979, 125; OLG Hamburg ZfStrVo 2004, 306; Arloth 2011 Rdn. 8; vgl. auch schon Rdn. 5); das gilt auch für Schreiben, die an den Bundespräsidenten gerichtet sind (OLG Nürnberg NStZ 1993, 455 = MDR 1993, 794; OLG Hamburg aaO). Der Kontrolle unterliegt auch die Korrespondenz mit einem Facharzt (OLG Frankfurt ZfStrVo 80, 56; C/MD 2008 Rdn. 5). bb) Eingehende Post: Schreiben, die von den in Abs. 2 genannten Stellen an den 19 Gefangenen gerichtet sind, werden nicht überwacht, sofern die Identität des Absenders zweifelsfrei feststeht. In diesem (durch das 4. StVollzGÄndG vom 26.8.1998 eingefügten) Satz 3 (1998 I, 2464) nimmt das Gesetz eine „in den Stellungnahmen der Landesjustizverwaltungen und der Landesbeauftragten für den Datenschutz mehrheitlich enthaltene Anregung auf“ (Begr. RegE aaO Rdn. 18). Die sichere Feststellung der Absenderangabe wird offenbar für unproblematisch gehalten (Begr. aaO); die bisher gewählten „Verfah391
Schwind
§ 29
Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
rensweisen (u. a. vorgedruckte Absenderangabe, Freistempler, Dienstpost, Brief-in-BriefLösung) haben sich bewährt“ (so die Begr. aaO). Ergibt sich erst nach Öffnung eines Briefes, etwa aus dem Briefkopf, dass es sich um ein Schreiben eines Abgeordneten oder einer in § 29 Abs. 2 genannten Institution handelt, ist die Postkontrolle abzubrechen (OLG Hamburg OLGSt § 29 Nr. 1). 20
d) Anderer Schriftverkehr. Die durch das 4. StVollzGÄndG vom 26.8.1998 (aaO Rdn. 19) erfolgte Neufassung (auch) des Abs. 3 „berücksichtigt, dass – ebenso wie § 27 Abs. 1 für den Bereich der Besuchsüberwachung – diese Vorschrift unter Datenerhebungsgesichtspunkten die im Rahmen der Überwachung des Schriftwechsels gegenüber § 179 […] speziellere Vorschrift ist“ (Begr. RegE aaO Rdn. 18; Arloth 2011 Rdn. 1). Vgl. § 179 Rdn. 1. III. Beispiel: Überwachung der ausgehenden Post
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Im Anschluss an die Vorkommnisse in der JVA B. (einer Anstalt mit dem Sicherheitsgrad I), die im Juni 1976 zur Tötung des damaligen Anstaltsleiters führten, wurde die Überwachung der gesamten ausgehenden Privatpost aller Strafgefangenen dieser Anstalt angeordnet. Davon betroffen war auch der Gefangene P., der am 25. Mai 1977 beantragte, „die Zensur ausgehender Privatpost ersatzlos entfallen zu lassen“. Dieser Antrag wurde durch mündlichen Bescheid des Anstaltsleiters vom 26. Mai 1977 abgelehnt. Auch die daraufhin angerufene Strafvollstreckungskammer wies den Antrag zurück. Die Rechtsbeschwerde gegen diesen Beschluss begründete der Antragsteller mit dem Hinweis, eine Überwachung sei nur dann gerechtfertigt, wenn konkrete Anhaltspunkte in seiner Person bzw. in seinem Verhalten für die Annahme vorliegen würden, dass gerade er den unüberwachten Briefverkehr missbrauchen werde. a) Das OLG Frankfurt hat daraufhin am 24. Januar 1978 (ZfStrVo SH 1978, 28, 29) beschlossen: „Die Anordnung der Überwachung der ausgehenden Post ist auch gegenüber dem Antragsteller rechtmäßig, weil es im Rahmen des § 29 Abs. 3 StVollzG bei der Überwachung des Schriftwechsels aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung der Anstalt nicht auf die Gefährlichkeit des einzelnen Gefangenen ankommt. Aus dem Wortlaut der genannten Bestimmung ist eine solche Einschränkung nicht zu entnehmen. Auch nach dem Zweck der Vorschrift ist eine derartige einschränkende Auslegung nicht geboten. Vielmehr muss gerade umgekehrt davon ausgegangen werden, dass Anordnungen, die aus Gründen der Sicherheit und Ordnung der Anstalt geboten erscheinen, nicht von der Person oder dem Verhalten des einzelnen Strafgefangenen abhängig gemacht werden können […]. Auch die Gesetzesmaterialien zu § 29 Abs. 3 StVollzG liefern für eine andere Auslegung dieser Vorschrift keine Hinweise (vgl. BTDrucks. 7/918, 59).
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b) Die Überwachung ist auch geboten. Denn die Gefahr, dass die in der Anstalt einsitzenden ausbruchswilligen oder sonst sicherheitsgefährdenden Gefangenen im Falle des unüberwachten Briefverkehrs andere Gefangene dazu missbrauchen könnten, gefährliche Außenkontakte zu vermitteln, ist nicht nur theoretischer Natur. Die Gefangenen mit den Kriterien des Sicherheitsgrades I erscheinen fähig und willens, mit den verschiedensten Mitteln der Beeinflussung bis hin zur massiven Einschüchterung und Bedrohung den nicht überwachten Briefverkehr der anderen Gefangenen für ihre Zwecke zu missbrauchen. Um dieser Gefahr zu begegnen, ist die Überwachung der ausgehenden Post aller Strafgefangenen als vorbeugende Maßnahme erforderlich, zumal nicht im Schwind
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Überwachung des Schriftwechsels
§ 29
Voraus feststellbar ist, welcher einzelne Gefangene sich möglicherweise zur Vermittlung von Außenkontakten im Wege des Briefverkehrs missbrauchen lässt […]. c) Die aufgezeigte Gefahr kann auch nicht durch eine andere, weniger einschneidende Maßnahme beseitigt werden. Die Aufsichtsbehörde hat überzeugend dargelegt, dass eine räumlich differenzierte Unterbringung der Gefangenen nach dem Grad ihrer Gefährlichkeit aufgrund der […] Bauweise und der Überbelegung der Anstalt nicht möglich ist […].“ III. Landesgesetze und Musterentwurf 1. Baden-Württemberg. Die Materie des § 29 StVollzG ist in § 24 JVollzGB III Abs. 2 23 und 3 geregelt. Nach Abs. 2 Satz 2 dürfen Schreiben, ohne sie zu öffnen, auf verbotene Gegenstände untersucht werden. Der Kreis der privilegierten Institutionen wird um den Europäischen Datenschutzbeauftragten erweitert (Nr. 6) usw. 2. Bayern. In Art. 32 wird der Text des § 29 grundsätzlich übernommen. Ausnahme: 24 Die Europäische Kommission für Menschenrechte wird nicht mehr genannt, weil sie (so Gesetzesbegründung LT-Drucks. 15/8101, 57) mit Wirkung vom 1.11.1998 aufgelöst wurde. In Abs. 3 lautet der neue Text: „Der übrige Schriftwechsel darf überwacht werden, soweit es aus Gründen der Behandlung oder der Sicherheit oder Ordnung der Anstalt erforderlich ist.“ Dazu wird in der Gesetzesgründung (LT-Drucks. 15/8101, 57) ausgeführt: „Nach Abs. 3 ist entsprechend der Rechtsprechung zu § 29 Abs. 3 StVollzG im geschlossenen Vollzug auch eine generelle Anordnung der Justizvollzugsanstalt zulässig, den Briefverkehr aller Gefangenen zu überwachen. In Anstalten mit hoher Sicherheitsstufe ist auch die generelle Überwachung der Behördenpost zulässig.“ 3. Hamburg. § 30 Abs. 1 und 2 lauten im HmbStVollzG wie folgt: 25 „(1) Der Schriftwechsel darf aus Gründen der Behandlung oder der Sicherheit oder Ordnung der Anstalt überwacht werden. (2) Der Schriftwechsel mit Mitgliedern der Anstaltsbeiräte (§§ 114–117) und mit Rechtsanwältinnen, Rechtsanwälten, Notarinnen und Notaren wird nicht überwacht. Für den Schriftwechsel mit Rechtsanwältinnen, Rechtsanwälten, Notarinnen und Notaren gilt § 28 Abs. 4 entsprechend“; im Übrigen folgt die Regelung § 28 Abs. 2 und 3 StVollzG. Abs. 3: entspricht grundsätzlich Abs. 2 des § 29 StVollzG. Neu eingefügt wurde eine Nummer 4, in der es heißt: Nicht überwacht werden ferner „Schreiben an sonstige Organisationen oder Einrichtungen, mit denen der Schriftverkehr aufgrund völkerrechtlicher Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland geschützt ist.“ Neu eingefügt wurden schließlich die Absätze 4 und 5: Abs. 4: „Schreiben der in Abs. 3 genannten Stellen, die an die Gefangenen gerichtet sind, werden nicht überwacht, sofern die Identität der Absender zweifelsfrei feststeht“. Abs. 5: „Schreiben der Gefangenen an nicht in der Anstalt tätige Ärztinnen und Ärzte, die mit der Untersuchung oder Behandlung der Gefangenen befasst sind, sowie Schreiben dieser Ärztinnen und Ärzte an die Gefangenen dürfen nur von in der Anstalt tätigen Ärztinnen oder Ärzten überwacht werden.“ 393
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§ 30
Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
Dazu heißt es in der Gesetzesbegründung (Bürgerschafts-Drucks. 19/2533, 55), dass diese „Regelung die besondere Sensibilität von Daten, die in den ärztlichen Angelegenheiten betreffenden Schreiben enthalten sind, berücksichtigt“. 26
4. Hessen. Die Überwachung des Schriftwechsels (§ 29 StVollzG) wird (zusammen mit Besuchen) in den §§ 33 Abs. 3 und 4 sowie 35 HStVollzG geregelt.
27
5. Niedersachsen. § 30 Abs. 1 NJVollzG ähnelt § 29 Abs. 3 StVollzG und lautet wie folgt: „Der Schriftwechsel darf überwacht werden, soweit es zur Erreichung des Vollzugszieles nach § 5 Satz 1 oder aus den Gründen der Sicherheit oder Ordnung der Anstalt erforderlich ist.“ Abs. 2 entspricht inhaltlich § 29 Abs. 1 StVollzG. In Abs. 3 wird der § 29 Abs. 2 StVollzG übernommen. In der Gesetzesbegründung (LT-Drucks. 15/3565, 115) wird wiederum darauf verwiesen, dass „die Europäische Kommission für Menschenrechte nicht mehr erwähnt wird, da ihre Aufgaben vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wahrgenommen werden.“
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6. Musterentwurf. Die Materie des § 29 StVollzG ist in einem § 34 ME-StVollzG geregelt. Der Abs. 1 entspricht unter Hervorhebung des „Einzelfalls“ dem Abs. 3 des § 29 StVollzG. Der Abs. 2 ist wortgleich mit § 29 Abs. 1 StVollzG. Der Abs. 3 führt weitere Adressaten auf.
§ 30 Weiterleitung von Schreiben. Aufbewahrung § 30 Schwind Weiterleitung von Schreiben. Aufbewahrung (1) Der Gefangene hat Absendung und Empfang seiner Schreiben durch die Anstalt vermitteln zu lassen, soweit nichts anderes gestattet ist. (2) Eingehende und ausgehende Schreiben sind unverzüglich weiterzuleiten. (3) Der Gefangene hat eingehende Schreiben unverschlossen zu verwahren, sofern nichts anderes gestattet wird; er kann sie verschlossen zu seiner Habe geben. I. Erläuterungen 1
1. Abs. 1: Absendung und Empfang der Schreiben des Gefangenen werden allein durch die Anstalt vermittelt, also nicht durch Dritte. Nur auf diese Weise kann der Schriftwechsel überwacht werden. Die Vorschrift lässt jedoch Ausnahmen für die Fälle zu, in denen eine Überwachung nicht erforderlich ist: etwa für den offenen Vollzug oder für Übergangshäuser (so auch Grunau/Tiesler 1982; offenbar missverstanden von AK-Joester/Wegner 2006 Rdn. 1). Aus der Vollzugsanstalt herausgehende Post darf der Gefangene dann nicht verschließen, wenn die Überwachung seines Schriftverkehrs angeordnet ist (vgl. VV Nr. 2 Abs. 2 zu § 29). Verschließt er sie dennoch, so wird ein solcher Brief angehalten und zur Habe genommen (Abs. 3 2. HS.), wenn der Gefangene auch nach Belehrung auf dem Verschluss beharrt (so auch Arloth 2011 Rdn. 2).
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2. Abs. 2: Durch die Einschaltung der Vollzugsanstalt bei der Vermittlung der Post sollte jedoch die Weiterleitung der Briefe nicht länger als notwendig verzögert werden (RegE, BT-Drucks. 7/918, 60). Deshalb schreibt das Gesetz vor, dass die Schreiben unverSchwind
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Weiterleitung von Schreiben. Aufbewahrung
§ 30
züglich weiterzuleiten sind („Unverzüglichkeitsgebot“): Das bedeutet „ohne schuldhaftes Zögern“ (RegE aaO), also nicht etwa „sofort“ (vgl. § 121 BGB). Unverzüglich ist die Weiterleitung von normalen Schreiben (jedenfalls grundsätzlich: BVerfG Beschl. vom 24.10.2011 – 2 BvR 565/10) nicht mehr, wenn Post, die morgens eingeht, bis zum Abend noch nicht verteilt worden ist (so AK-Joester/Wegner 2012 Rdn. 2). Unverzüglich ist die Weiterleitung hingegen dann noch erfolgt, wenn die Post, die am Samstag eingeht, aus organisatorischen oder datenschutzrechtlichen Gründen erst am darauffolgenden Montag verteilt wird (OLG Koblenz ZfStrVo 1995, 180 = BlStV 2/1995, 3; Laubenthal 2011 Rdn. 488; vgl. auch den Parallelfall unter Rdn. 17 zu § 68). Nach § 30 HStVollzG besteht jedoch kein Rechtsanspruch einer „täglichen Abwicklung“. Dienen Schreiben erkennbar einer gerichtlichen Fristwahrung (z. B. § 112) oder stellen sie Eilanträge i. S. des § 114 dar, sind sie sofort weiterzuleiten (a. A. Arloth 2011 Rdn. 4: nur „unverzüglich“). Eine Verzögerung, die sich aus der Vorlage eines Schreibens (auf dem Dienstweg) an die (zuständige) Aufsichtsbehörde (Präsident des Justizvollzugsamtes) ergibt, muss jedoch grundsätzlich nicht hingenommen werden (so auch AK-Joester/Wegner 2012 Rdn. 2; OLG Hamm NStZ 1985, 237; a. A. Arloth 2011 Rdn. 4; C/MD 2008 Rdn. 1). Denn die Überwachung des Schriftverkehrs fällt allein in die Zuständigkeit des Anstaltsleiters (vgl. dazu auch OLG Karlsruhe ZfStrVo SH 1979, 70; a. A. OLG Hamm ZfStrVo 1985, 123 = NStZ 1985, 237), die die Aufsichtsbehörde nur im Rahmen des Durchgriffsrechts (im Einzelfall) aufheben kann (vgl. wiederum Rdn. 19 ff zu § 24). Es ist auch nicht zulässig, die Entscheidung des Anstaltsleiters in bestimmten Fällen (wenn es z. B. um Schreiben an die Massenmedien geht) generell von der Zustimmung der Aufsichtsbehörde abhängig zu machen: kein Selbsteintrittsrecht der Aufsichtsbehörde (a. A. Arloth 2011 Rdn. 4), also kein Ansichziehen der Entscheidungsbefugnis in allen Fällen. Ein Gefangener soll sich darauf verlassen dürfen, dass sein ordnungsgemäß adressierter und frankierter Brief von der Anstalt rechtzeitig auf den Postweg gebracht wird (KG NStZ 1992, 455), d. h. in der Regel spätestens am folgenden Arbeitstag (KG NStZ 2004, 612 M). Ist der Brief unterfrankiert (bzw. nicht ordnungsgemäß frankiert), kann die JVA die Weiterleitung verweigern (so auch Arloth 2011 Rdn. 3; a. A. OLG Celle ZfStrVo 1993, 57; OLG Saarbrücken NStZRR 2001, 188; C/MD 2008 Rdn. 4), weil es zum Resozialisierungsauftrag (§ 2 Satz 1) auch gehört, den Gefangenen an ein geordnetes Verhalten zu gewöhnen (ebenso Arloth 2011 Rdn. 3); formaljuristische Überlegungen, wie sie das OLG Zweibrücken (ZfStrVo 2001, 313) anstellt, sollten hinter diesem vorrangigen Postulat zurücktreten. Die Kosten des Schriftverkehrs, zu denen auch die Frankierung von Briefen gehört, trägt der Gefangene grundsätzlich selbst (vgl. VV 2 Satz 1 zu § 28). Er kann dafür sein Hausgeld wie auch sein Eigengeld verwenden (Böhm 2003 Rdn. 252); notfalls auch sein Taschengeld (KG NStZ 1985, 352). Die Ergänzungen der Absenderangaben durch die Adresse der Anstalt ist unter keinen Umständen zulässig (OLG Celle ZfStrVo 1993, 57). 3. Abs. 3: Der Gefangene hat eingehende Schreiben unverschlossen aufzubewahren, 3 weil alle Sachen in den Hafträumen so aufbewahrt werden müssen, dass eine Durchsuchung, die aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung durchgeführt wird (§ 84 Abs. 1), möglich ist (vgl. RegE, BT-Drucks. 7/918, 60; § 84 Rdn. 2 ff). Sofern keine Sicherheitsbedenken bestehen, kann dem Gefangenen jedoch ausnahmsweise gestattet werden, seine Schreiben verschlossen aufzubewahren (vgl. Abs. 3, 2. HS.); insoweit ist vor allem an Gefangene im offenen und im Freigängervollzug zu denken (C/MD 2008 Rdn. 2). In jedem Fall kann er sie verschlossen zu seiner Habe geben (Abs. 3, 3. HS.). Soweit Verteidigerpost nicht überwacht wird (vgl. § 29 Rdn. 14 ff), darf sie auch in der Zelle nicht kontrolliert werden. Der Hinweis, dass die Gefangenen auf die Möglichkeit aufmerksam gemacht werden sollen, bei Zellenrevisionen (§ 84) Verteidigerpost ge395
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§ 31
Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
schlossen zu halten oder sie zu verschließen (so AK-Joester/Wegner 2012 Rdn. 3), übersieht die seitens des Gefangenen bestehende Missbrauchsgefahr. In Fällen, in denen ein entsprechender Verdacht besteht, ist die Sichtkontrolle (vgl. zum Begriff § 29 Rdn. 2) auf verbotene Gegenstände zulässig (Arloth 2011 Rdn. 5). II. Landesgesetze und Musterentwurf 4
1. Baden-Württemberg. Dem § 30 StVollzG entspricht nahezu wortgleich der § 25 JVollzGB.
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2. Bayern. In Art. 33 BayStVollzG wird der Text des § 30 StVollzG vollständig übernommen. 3. Hamburg. Im HmbStVollzG fehlt diese Vorschrift.
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4. Hessen. Weiterleitung und Aufbewahrung von Schreiben (§ 30 StVollzG) werden in § 35 Abs. 3 HStVollzG geregelt. In der Gesetzesbegründung (Drucks. 18/1396, 100) heißt es, dass „fristgebundene Schreiben (z. B. Gerichtspost) ohne schuldhaftes Zögern der Anstalt weiterzuleiten sind … Im Übrigen hat die Weiterleitung „umgehend“ zu erfolgen. Bei normalen Werktagen (montags bis freitags) bedeutet dies, dass in der Regel die Gefangenen damit rechnen können, dass ein- und ausgehende Post am nachfolgenden Werktag weitergeleitet bzw. ausgehändigt werden kann. Daraus folgt jedoch (heißt es in der Begründung weiter) kein Rechtsanspruch auf Durchführung einer taggleichen Abwicklung“. Bei der Beurteilung des Merkmals „umgehend“ oder „unverzüglich“ ist „zu beachten, dass der Anstalt eine angemessene Zeit zur Erfüllung ihrer Kontrollpflichten nach Abs. 2, der Prüfung von Anhaltegründen nach Satz 2 oder der Prüfung einer Maßnahme nach Satz 3 verbleiben muss“. 5. Niedersachsen. Das NJVollzG übernimmt in § 31 die Vorschrift des § 30 StVollzG.
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6. Musterentwurf. Der Inhalt des § 30 StVollzG ist in gleicher Weise in § 33 MEStVollzG geregelt. Hinzukommen soll ein Abs. 2, in dem es heißt, dass „ein- und ausgehende Schreiben auf verbotene Gegenstände kontrolliert werden“.
§ 31 Anhalten von Schreiben § 31 Schwind Anhalten von Schreiben 1. 2. 3. 4. 5. 6.
(1) Der Anstaltsleiter kann Schreiben anhalten, wenn das Ziel des Vollzuges oder die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt gefährdet würde, wenn die Weitergabe in Kenntnis ihres Inhalts einen Straf- oder Bußgeldtatbestand verwirklichen würde, wenn sie grob unrichtige oder erheblich entstellende Darstellungen von Anstaltsverhältnissen enthalten, wenn sie grobe Beleidigungen enthalten, wenn sie die Eingliederung eines anderen Gefangenen gefährden können oder wenn sie in Geheimschrift, unlesbar, unverständlich oder ohne zwingenden Grund in einer fremden Sprache abgefasst sind.
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Anhalten von Schreiben
§ 31
(2) Ausgehenden Schreiben, die unrichtige Darstellungen enthalten, kann ein Begleitschreiben beigefügt werden, wenn der Gefangene auf der Absendung besteht. (3) Ist ein Schreiben angehalten worden, wird das dem Gefangenen mitgeteilt. Angehaltene Schreiben werden an den Absender zurückgegeben oder, sofern dies unmöglich oder aus besonderen Gründen untunlich ist, behördlich verwahrt. (4) Schreiben, deren Überwachung nach § 29 Abs. 1 und 2 ausgeschlossen ist, dürfen nicht angehalten werden. VV 1 Dem Gefangenen sind die Gründe für das Anhalten mitzuteilen. Der unbedenkliche Inhalt eines angehaltenen Schreibens kann ihm bekanntgegeben werden. 2 Ein Begleitschreiben darf nur Angaben enthalten, die der Richtigstellung dienen. Der Gefangene ist über die Absicht, ein Begleitschreiben beizufügen, zu unterrichten. 3 Angehaltene Schreiben, die Kenntnisse über Sicherungsvorkehrungen der Anstalt vermitteln, dürfen auch vernichtet werden (vgl. § 83 Abs. 4 StVollzG).
I.
II.
Übersicht Allgemeine Hinweise ____ 1–3 1. Berücksichtigung des Art. 5 GG ____ 1 2. § 29 Abs. 3 als Grundlage des § 31 ____ 2 3. Sonderproblem: Ausländer im Vollzug ____ 3 Erläuterungen ____ 4–16 1. Zuständigkeitsregelung und Anhaltegründe (Abs. 1) ____ 4–13 2. Beifügung eines Begleitschreibens (Abs. 2) ____ 14 3. Anhaltemitteilung, Rückgabe, Verwahrung (Abs. 3) ____ 15
III. IV.
4. Anhalten setzt Überwachung voraus (Abs. 4) ____ 16 Beispiel: Weiterleitung von Schreiben mit grob beleidigendem Inhalt ____ 17, 18 Landesgesetze und Musterentwurf ____ 19–24 1. Baden-Württemberg ____ 19 2. Bayern ____ 20 3. Hamburg ____ 21 4. Hessen ____ 22 5. Niedersachsen ____ 23 6. Musterentwurf ____ 24
I. Allgemeine Hinweise 1. Berücksichtigung des Art. 5 GG. § 31 räumt dem Anstaltsleiter das Recht ein, 1 (eingehende und ausgehende) Schreiben, die von der Überwachung nicht ausgeschlossen sind (Abs. 4), unter den in Abs. 1 Nr. 1 bis 6 aufgeführten Voraussetzungen anzuhalten. Der Anstaltsleiter (dazu Rdn. 4) wird jedoch in jedem Einzelfall die Bedeutung der Meinungsäußerungsfreiheit, also der Grundrechte aus Art. 5 Abs. 1 GG (die auch Ausländern zustehen: OLG Celle ZfStrVo 1986, 377) gegenüber den von ihm wahrzunehmenden Aufgaben abzuwägen haben (RegE, BT-Drucks. 7/918, 60; AK-Joester/Wegner 2012 Rdn. 1). Dementsprechend weist das BVerfG darauf hin, dass bei der großen Bedeutung des Art. 5 GG (BVerfGE 7, 198, 208) dessen Berücksichtigung im Rahmen des Mögli397
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§ 31
Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
chen geboten ist (BVerfGE 15, 288, 295). Aber auch die psychologische Seite sollte vor dem Anhalten von Schreiben bedacht werden; jedenfalls „ruft die anstaltsinterne Zurückweisung beim Insassen regelmäßig ein Gefühl der Ohnmacht oder offene Aggressionen hervor, was beides den Bemühungen um seine Resozialisierung“ nicht dient (Rolinski 1974, 92). 2
2. § 29 Abs. 3 als Grundlage des § 31. Die Grundlage für das „Anhalten von Schreiben“ (§ 31) und die Untersagung des Briefverkehrs mit bestimmten Personen (§ 28 Abs. 2) bildet die im Rahmen des § 29 Abs. 3 zugelassene Überwachung des Schriftwechsels (§ 29 Rdn. 4 ff). Sämtliche Anhaltegründe beziehen sich auf Gefahrenlagen, die der Sicherheit oder Ordnung in der Anstalt (§ 81 Rdn. 7), der Eingliederung von Gefangenen (§ 2 Rdn. 12 ff) oder den Rechtsgütern Dritter drohen (C/MD 2008 Rdn. 2).
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3. Sonderproblem: Ausländer im Strafvollzug. Mit dem zunehmenden Reiseverkehr und der Mobilität der Arbeitskräfte ist auch die Anzahl der ausländischen Mitbürger in den Vollzugsanstalten gewachsen (vgl. dazu RegE, BT-Drucks. 7/918, 60 und Schwind 1999). Auf diese bezieht sich Abs. 1 Nr. 6 der Vorschrift. Der Anteil der im Strafvollzug der Bundesrepublik einsitzenden Ausländer betrug am 31.3.2010 insgesamt 22,4% (Strafvollzugsstatistik Bd. 4.1, 14 f; vgl. auch die Tabelle bei Laubenthal 2011 Rdn. 81): 1976 waren es erst 5,8%; zum Anteil ausländischer Strafgefangener vgl. auch § 141 Rdn. 11. Auffällig ist das Völkergemisch: in der JVA Werl (NRW) z. B. saßen am 20.3. 2012 Strafgefangene aus 56(!) Ländern (2008 waren es 28) ein: diese machten 30% der einsitzenden Straftäter aus (Auskünfte: Anstaltsleiter Skirl/JVA Werl). II. Erläuterungen
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1. Zuständigkeitsregelung und Anhaltegründe. Abs. 1: Die Vorschrift verpflichtet den Anstaltsleiter nicht, sie ermächtigt ihn nur zum Anhalten von Schreiben; die „Kann“-Bestimmung räumt dem betroffenen Gefangenen jedoch einen Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung ein (Grunau/Tiesler 1982 Rdn. 1; Arloth 2011 Rdn. 1; C/MD 2008 Rdn. 1; BVerfG NJW 1994, 244). Liegen Anhaltspunkte vor, steht die Entscheidung, ob im Einzelfall angehalten werden soll, also im Ermessen des Anstaltsleiters (Arloth 2011 Rdn. 2; AK-Joester/Wegner 2012 Rdn. 12). Gemäß § 156 Abs. 2 Satz 2 kann der Anstaltsleiter die ihm zustehende Anhaltebefugnis anderen Vollzugsbediensteten (z. B. einen Abteilungsleiter) übertragen (vgl. auch OLG Celle ZfStrVo 1979, 54; Arloth 2011 Rdn. 2; AK-Joester/Wegner 2012 Rdn. 1). Nach § 156 Abs. 2 Satz 2 ist diese Übertragung nicht von der Zustimmung der Aufsichtsbehörde abhängig (OLG Karlsruhe ZfStrVo SH 1978, 41; Arloth aaO; C/MD aaO). Die unter Abs. 1 Nr. 1 bis 6 angeführten Voraussetzungen enthalten eine abschließende Regelung (RegE, BT-Drucks. 7/918, 60; OLG Celle LS ZfStrVo 1982, 127; Arloth 2011 Rdn. 3; C/MD 2008 Rdn. 1; OLG Jena FS 2008, 237; AK-Joester/Wegner 2012 Rdn. 1), d. h. aus anderen Gründen als den in Abs. 1 genannten dürfen Schreiben nicht angehalten werden (C/MD 2008 Rdn. 1). Erforderlich ist immer eine Entscheidung im Einzelfall, deshalb ist eine generelle Anhalteverfügung nicht zulässig (OLG Nürnberg NStZ 1982, 399; OLG Zweibrücken NStZ 1987, 95; Arloth 2011 Rdn. 3; C/MD 2008 Rdn. 1), in Betracht kommen kann aber § 28 Abs. 2. Die Voraussetzungen im Einzelnen:
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a) Nr. 1: zu den Begriffen „Ziel des Vollzuges“ (vgl. unter § 2 Rdn. 12 ff) und „Sicherheit oder Ordnung“ (dazu Rdn. 7 zu § 81). Der Anhaltegrund der Gefährdung der Sicherheit oder Ordnung der Anstalt stellt einen unbestimmten Rechtsbegriff (vgl. § 115 Schwind
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Rdn. 21 f) dar (OLG Hamm ZfStrVo 1983, 187). Er liegt nicht schon bei jeder denkbaren Beeinträchtigung der Sicherheitsinteressen oder des Ordnungsgefüges der Anstalt vor. Nach der Rspr. des OLG Nürnberg – 2 Ws 285/09 – FS 2010, 53 zu Art. 34 Abs. 1 Nr. 1 BayStVollzG ) ist der Begriff „Ordnung der Anstalt“ nicht eng auszulegen. Vielmehr fällt darunter auch, dass das Funktionieren des Ablaufs des Lebens in der Anstalt (z. B. durch höheren Kontrollaufwand) nicht in Frage gestellt wird. Die Ordnung der Anstalt soll aber z. B. nicht gefährdet sein, wenn ein Gefangener die „Sütterlin-Schrift“ bzw. die „Deutsche Schreibschrift“ im Schriftverkehr verwendet (OLG Celle – 1 Ws 248/09 – FS 2010, 54 = NStZ-RR 2009, 326 – zu § 31 Abs. 1 Nr.6 NJVollzG; AK-Joester/Wegner 2012 Rdn. 11). Erforderlich ist vielmehr eine konkrete Gefährdung von einigem Gewicht (OLG Nürnberg ZfStrVo 1982, 248 = NStZ 1982, 399; C/MD 2008 Rdn. 2; Arloth 2011 Rdn. 3; AK-Joester/Wegner 2012 Rdn. 2). Hierfür müssen bestimmte tatsächliche Anhaltspunkte feststellbar sein, es sei denn, die Gefährdung ist durch einen allgemeinen Erfahrungssatz begründet (OLG Nürnberg ZfStrVo 1982, 314). Auch das BVerfG (ZfStrVo 1996, 174, 175) spricht von „konkreten Anhaltspunkten für das Vorliegen einer realen Gefährdung“. Je weniger konkret die Gefahr sei, umso größeres Gewicht komme der Persönlichkeitsentwicklung des Gefangenen i. S. des Art. 2 Abs. 1 GG zu und umso zurückhaltender müsse mit der Eingriffsbefugnis verfahren werden (vgl. auch AK-Joester/Wegner 2012 Rdn. 2; Kruis/Wehowsky 1998, 595). So soll die bloße Ankündigung in einem Brief an Mitgefangene, einen konspirativen „Ratgeber“ verfassen zu wollen, noch nicht den Tatbestand der Nr. 1 erfüllen (LG Hamburg NStZ 1985, 352 F), wohl aber der Aufruf zu gewalttätigen Aktionen (OLG Celle NStZ 1985, 353 F; OLG Karlsruhe ZfStrVo 2004, 249). aa) Das Ziel des Vollzuges (Eingliederung des Gefangenen in die Gesellschaft) wird 6 z. B. dann gefährdet, „wenn das Schreiben […] der Fortentwicklung einer kriminellen Vergangenheit dient“ (Grunau/Tiesler 1982 Rdn. 2); insoweit kann auch der Schriftwechsel mit einem entlassenen Gefangenen darunter fallen (Grunau/Tiesler aaO; a. A. AK-Joester/Wegner 2012 Rdn. 3), jedenfalls dann, wenn dieser den Absender in einer kriminellen Haltung bestärkt (RegE, BT-Drucks. 7/918, 60). Das gilt auch für Schreiben mit rechtsradikalen Äußerungen, die an einen Strafgefangenen gerichtet sind, der dem rechtsextremistischen Täterkreis zuzurechnen ist (BVerfG NStZ 1995, 613 = ZfStrVo 2004, 254; Arloth 2011 Rdn. 5; C/MD 2008 Rdn. 2; Kruis/Wehowsky 1998, 595). Auch wenn der Gefangene durch Führung eines Zweitnamens (Schriftstellername) über seine Identität zu täuschen versucht, wird das Vollzugsziel erheblich gefährdet (ebenso Arloth 2011 Rdn. 5; C/MD 2008 Rdn. 8; a. A. AK-Joester/Wegner 2012 Rdn. 2; § 4 Rdn. 26). Erforderlich sind aber insoweit immer konkrete Tatsachenfeststellungen (Arloth 2011 Rdn. 5; OLG Nürnberg FS 2010, 53). Der Anstaltsleiter kann dem Gefangenen daher die Führung des Zweitnamens untersagen (OLG Koblenz ZfStrVo SH 1979, 48) bzw. das Schreiben anhalten, wenn der Gefangene seinen wirklichen Namen nicht hinzusetzen will (Böhm 2003 Rdn. 258). Eine Beeinträchtigung des Vollzugsziels soll hingegen nicht zu befürchten sein, wenn ein Gefangener in einem Brief seine eigenen Haftbedingungen mit denen anderer Gefangener vergleicht (OLG Celle 17.3.1980 – 3 Ws 45/80 (StrVollz)). bb) Die Sicherheit des Vollzuges wird z. B. durch Erörterung von Ausbruchsplä- 7 nen (Grunau/Tiesler 1982 Rdn. 2; Gusy 1997, 681) oder durch die Vorbereitung einer Meuterei (AE-StVollzG 1973, 179) gefährdet (RegE, BT-Drucks. 7/918, 60; Arloth 2011 Rdn. 3). Das OLG Hamburg (NStZ 1981, 239 = ZfStrVo 1981, 316) ist jedoch der Ansicht, dass Schreiben nur angehalten werden dürfen, wenn die Sicherheit der Anstalt gefährdet würde, in der sich der Absender und/oder der Empfänger des Schreibens befindet. Schreiben, die allein die Sicherheit einer anderen Vollzugsanstalt gefährden, dürfen danach 399
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Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
nicht angehalten werden (so AK-Joester/Wegner 2012 Rdn. 2). Die Begründung überzeugt nicht. Das StVollzG regelt jedenfalls nicht nur den Vollzug in einer Anstalt, sondern den Vollzug in der Gesamtheit aller Anstalten. Wenn das Gesetz von „der“ Anstalt spricht, kann daher nur die Anstalt stellvertretend für den gesamten Vollzug gemeint sein (a. A. Arloth 2011 Rdn. 3; C/MD 2008 Rdn. 3; s. auch Rdn. 26 zu § 4). Das BVerfG (Beschl. vom 6.3.2008 – 2 BvR 387/07) regt zur Entscheidung der Streitfrage eine Vorlage zum BGH an. Anders ist es, wenn nur die Ordnung der Anstalt gestört wird, weil diese sich naturgemäß nur auf die JVA beziehen kann, in der der Gefangene einsitzt. 8
cc) Die Ordnung der Anstalt wird u. a. in folgenden (Einzel-) Fällen gestört: wenn ein Gefangener 97 Schreiben zwecks Durchführung einer Spenden- und Mitgliederaktion (Werbung für einen Homosexuellenverein) absenden möchte und dadurch ein übermäßiger Kontrollaufwand entsteht (so OLG Hamm NStZ 1989, 359; C/MD 2008 Rdn. 2). Ebenfalls kann die Ordnung durch einen Brief mit antisemitischem Inhalt gestört werden (OLG Frankfurt ZfStrVo 1986, 127); das gilt auch für einen Ratgeber mit vollzugsfeindlicher Tendenz (OLG Hamm ZfStrVo 1983, 187; OLG Zweibrücken ZfStrVo 1989, 117; C/MD 2008 Rdn. 2; Arloth 2011 Rdn. 4). Ferner kann die Ordnung nach OLG Nürnberg (ZfStrVo 1997, 372) durch den Eingang privater Post des Gefangenen auf dem Fax-Gerät der Anstalt gestört werden. Auf der anderen Seite müssen nach der Rechtsprechung des OLG Dresden (NStZ 1998, 320 = ZfStrVo 1999, 53) an den Gefangenen gerichtete Briefe mit pornographischem Inhalt und entsprechender Anlage (PornoFotos und benutzte Slip-Einlage) ausgehändigt werden, sofern keine persönlichkeitsbedingten Umstände entgegenstehen. Zur Abwägung kollidierender Rechtsgüter vgl. Gusy 1997, 680.
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b) Nr. 2: Das sind die Fälle, in denen die Anstaltsbediensteten selbst Gefahr laufen, sich durch die Weitergabe (der Schreiben in Kenntnis des Inhalts) strafbar zu machen oder wegen einer Ordnungswidrigkeit zur Rechenschaft gezogen zu werden: also z. B. wegen unbefugten Übermittelns von Nachrichten (§§ 14, 115 Abs. 1 Nr. 1 OWiG), Verbreiten verbotener Schriften (§§ 86, 131, 184 StGB) oder wegen Beihilfe zu Betrug oder Nötigung, Erpressung, Bedrohung u. ä. (vgl. auch OLG Koblenz NStZ 1982, 525; Arloth 2011 Rdn. 6; AK-Joester/Wegner 2012 Rdn. 6). Die Vorschrift begründet aber keine Ermittlungspflicht der Strafvollzugsbehörde (C/MD 2008 Rdn. 3; Arloth 2011 Rdn. 6; AK-Joester/ Wegner aaO).
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c) Nr. 3: Die in Nr. 3 (und Nr. 4) geregelte Eingriffsbefugnis soll die Interessen der Vollzugsbehörde vor ungerechtfertigten Angriffen schützen, weil ein anderweitiger Rechtsschutz einen nicht vertretbaren Verwaltungsaufwand erfordern würde (SA, BTDrucks. 7/3998, 17; vgl. aber auch BVerfGE 31, 1, 16). Werturteile, Meinungen oder kritische Stellungnahmen sind dem Gefangenen grundsätzlich unbenommen (OLG Koblenz ZfStrVo SH 1979, 48; Gusy 1997, 682; Laubenthal 2011 Rdn. 497). Ihre Äußerung findet nur (wie bei jedem Bürger) in den allgemeinen Gesetzen ihre Grenze (Art. 5 Abs. 2 GG) und als Ausfluss der Freiheitsentziehung in der Wahrung der Sicherheit und Ordnung in der Anstalt sowie im Vollzugsziel (OLG Koblenz aaO). Als häufigsten Anwendungsfall der Nr. 3 wird es sich um die Schilderung angeblicher Missstände im Vollzug handeln: etwa in Schreiben an die Presse (dazu BVerfG NJW 1994, 244). Ihre Wiedergabe kann rechtlich üble Nachrede oder Verleumdung (§ 186, § 187 StGB) sein (zur Problematik der faktischen Öffentlichkeit vgl. Gusy 1997, 688 ff) bzw. zivilrechtlich ein Verstoß gegen § 823 BGB gegenüber den verantwortlichen Vollzugsbediensteten oder den zuständigen Beamten der Aufsichtsbehörde. Schwind
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Die Begriffe der „groben Unrichtigkeit“ und der „erheblichen Entstellung“ sind unbestimmte Rechtsbegriffe (§ 115 Rdn. 21 f); sie unterliegen also im vollen Umfang der gerichtlichen Nachprüfung (OLG Hamm NStZ 1981, 239; Arloth 2011 Rdn. 7; C/MD 2008 Rdn. 4). „Grob unrichtig“ ist eine Darstellung, wenn sie in keiner Weise der tatsächlichen Sachlage entspricht (OLG Karlsruhe NStZ-RR 2004, 254; Laubenthal 2011 Rdn. 499, bzw. „in keinster Weise hingenommen werden kann“ (Arloth 2011 Rdn. 8), wenn sie also schlichtweg unwahr ist (C/MD 2008 Rdn. 4). „Erheblich entstellend“ ist sie dann, wenn sie von der wahren Sachlage so stark abweicht, dass ein Wahrheitskern nur noch von einem mit den konkreten Verhältnissen Vertrauten (C/MD 2008 Rdn. 4; Laubenthal 2011 Rdn. 499) zu erkennen ist (Grunau/Tiesler aaO). Die Darstellungen müssen sich auf die Anstalt beziehen, in der der Gefangene einsitzt. Grobe Beleidigungen von Bediensteten fallen in der Regel unter Nr. 4 (Arloth 2011 Rdn. 7). Die Anhaltegründe gelten auch für Verlautbarungen der Gefangenenmitverantwortung oder für die Gefangenenzeitschrift; gerade diese Absender genießen in der interessierten Öffentlichkeit besondere Glaubwürdigkeit und können daher, wenn nach Nr. 3 die Beurteilung ihrer Schreiben großzügiger als sonst gehandhabt werden würde (wie AK-Joester/Wegner 2012 Rdn. 8 vorschlagen), dem Ansehen des Vollzugs und damit dem Resozialisierungsgedanken (§ 2 Rdn. 13 ff) erheblichen Schaden zufügen (dazu auch § 160 Rdn. 8). d) Nr. 4: „Grob“ ist eine Beleidigung (ausführlich Rdn. 17 f und § 82 Rdn. 3), der der 11 Charakter einer Unmutsäußerung unter keinen Umständen mehr zugebilligt werden kann; in Rechnung zu stellen sind jedoch u. a. landsmannschaftliche Eigenheiten und (milieubedingter) Knastjargon (Grunau/Tiesler 1982 Rdn. 6). Nicht mehr toleriert werden kann z. B. die Bezeichnung von Vollzugsbediensteten als „KZ-Mörder“ (K/S-Schöch 2002 § 7 Rdn. 113) oder als „Pappnasen, Pisser“ (OLG Frankfurt NStZ 1994, 404). Im Hinblick auf den Schutz der Intimsphäre (Art. 2 Abs. 1 i. V. mit Art. 1 Abs. 1 GG) ist jedoch selbst bei groben Beleidigungen hinsichtlich des Anhaltens vor allem dann Zurückhaltung geboten, wenn es sich um den Briefverkehr zwischen Ehegatten handelt; das gilt vor dem Hintergrund des Art. 6 Abs. 1 GG auch im Verhältnis zwischen Eltern und Kindern (ebenso Laubenthal 2011, Rdn. 510; C/MD 2008 Rdn. 4; AK-Joester/Wegner 2012 Rdn. 9; BVerfG Beschl. vom 29.6.2009 – 2 BvR 2279/07; Gusy 1997, 685) sowie zwischen Geschwistern (Bemmann 2003, 26), (ernstlich) Verlobten (BVerfG StV 1995, 302) bzw. Partnern einer nicht ehelichen Lebensgemeinschaft (BVerfG NJW 1997, 185 ff) oder (noch weniger abgrenzbar) zwischen „echten Freunden“ (KG StV 2002, 209) bzw. mit „Bezugspersonen“ (BVerfG NJW 2007, 1194; OLG Jena FS 2008, 237). Die „beleidigungsfreie Sphäre“, hält auch Arloth (2010, 263 ff) für zu weit gezogen. Nicht nur insoweit kommt es allerdings wieder auf den Einzelfall an, also auf die jeweilige Abwägung zwischen dem Recht auf freie Meinungsäußerung (Art. 5 GG) des Gefangenen und dem Schutz der Ehre betroffener Dritter (vgl. BVerfG NJW 1994, 1149 f). So kann der Schutz der Privatsphäre hinfällig werden, wenn es der Gefangene darauf angelegt hat, den Kontrollbeamten oder Dritte zu treffen (BVerfGE 90, 255, 263; AK-Joester/Wegner 2012 Rdn. 9; vgl. auch Beispiel bei Rdn. 17). In Bezug auf die „Beleidigung“ des Vollzugspersonals soll Folgendes gelten: Zutreffende Tatsachenbehauptungen muss sich jeder Bedienstete bzw. Beamte entgegenhalten lassen (vgl. Gusy 1997, 683; AK-Joester/Wegner 2012 Rdn. 11 und BVerfG NJW 1995, 1477 ff = ZfStrVo 1995, 302). Bei bloßen Wertungen geht Gusy (aaO) davon aus, dass sich Betroffene (auch überzogene) Kritik gefallen lassen müssen (dazu BVerfG NJW 2007, 1194). Das BVerfG (NJW 1994, 1149) weist insoweit auf die besondere Situation des Strafgefangenen hin (insbesondere seine haftbedingte Reduzierung von Kommunikation), die Verständnis erfordere. Entsprechende Toleranz kann jedoch nur abverlangt werden, wenn die geäußerte Meinung Bezug zu der amtlichen Tätigkeit des Bediensteten 401
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hat. Für den privaten Bereich stellt auch das BVerfG (BVerfGE 90, 255, 259) fest, dass der Ehrenschutz „jedenfalls bei schweren und haltlosen Kränkungen […] regelmäßig den Vorrang vor der Meinungsfreiheit“ beanspruchen kann. 12
e) Nr. 5: kann vorliegen, wenn ein Gefangener in seinem Schriftwechsel persönliche Angelegenheiten eines Mitgefangenen erörtert, womöglich mit Namen und Anschrift (Grunau/Tiesler 1982 Rdn. 7); Nr. 5 kommt auch dann in Betracht, wenn sich ein Gefangener ungebeten schriftlich in die Familienverhältnisse eines anderen Gefangenen einmischt (AK-Joester/Wegner 2012 Rdn. 10) oder wenn er dessen Arbeitgeber anschreibt, um klarzustellen, dass dessen Angestellter früherer Strafgefangener ist (AK-Joester/ Wegner aaO; Grunau/Tiesler aaO).
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f) Nr. 6: Die Aufgabe, den Schriftwechsel zu überwachen, setzt voraus, dass die mit der Überwachung beauftragten Beamten in der Lage sind, den Inhalt des Schreibens zur Kenntnis zu nehmen. Aus diesem Grunde muss die Anstalt imstande sein, Briefe, die in einer Geheimschrift abgefasst sind, von der Weiterleitung auszuschließen (RegE, BTDrucks. 7/918, 60). Schreiben, die sich der Überwachung entziehen, weil sie unlesbar oder unverständlich sind, können ebenfalls Nachrichten enthalten, die zwar dem überwachenden Beamten, nicht aber dem Adressaten verborgen bleiben. Die Vollzugsbehörde muss daher die Möglichkeit haben, diese Briefe einem in Geheimschrift abgefassten Schreiben insoweit gleichzustellen (RegE aaO). Ausländische Gefangene sollen veranlasst werden, in deutscher Sprache mit ihren Angehörigen zu korrespondieren, es sei denn, dass sie zwingende Gründe haben, dies in ihrer Heimatsprache zu tun (RegE aaO; OLG Nürnberg ZfStrVo 1987, 186 = BlStV 3/1987, 5): wenn etwa der Gefangene oder der Adressat oder beide die deutsche Sprache nicht beherrschen (C/MD 2008 Rdn. 2; AKJoester/Wegner 2012 Rdn. 11; OLG Nürnberg ZfStrVo 2004, 183) oder der Absender, der im Ausland in Haft sitzt, aus der dortigen Vollzugsanstalt nur Briefe in der Landessprache absenden darf (vgl. dazu OLG Karlsruhe NStZ 1991, 509). Soweit eine Überwachung erforderlich erscheint, muss die Kosten für die Übersetzung die Staatskasse tragen (RegE aaO; VV Nr. 3 zu § 29; AK-Joester/Wegner 2012 Rdn. 11; C/MD 2008 Rdn. 2; OLG Nürnberg ZfStrVo 2004, 183). Falls der Gebrauch einer fremden Sprache nicht zwingend notwendig ist, muss die Anstalt die Weiterleitung des Schreibens ablehnen können (RegE aaO). Voraussetzung soll aber auch hierfür sein, dass der Inhalt des Schreibens aus den zugelassenen Gründen überwacht werden muss (RegE aaO).
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2. Beifügung eines Begleitschreibens. Abs. 2: Der zweite Abs. gibt dem Anstaltsleiter die Möglichkeit, ausgehenden Schreiben eines Gefangenen, die unrichtige Darstellungen enthalten, ein richtigstellendes Begleitschreiben beizufügen. Der Gefangene soll jedoch durch das Begleitschreiben nicht überrascht werden. Deshalb darf ein solcher Begleitbrief erst beigefügt werden, wenn der Gefangene trotz Erörterung auf einer Absendung besteht (RegE, BT-Drucks. 7/918, 61). Im Gegensatz zu Abs. 1 Nr. 3 ist in Abs. 2 nicht von „grob“ unrichtigen Darstellungen die Rede, sondern nur von „unrichtigen Darstellungen“; das hat seinen Grund: denn wäre es anders, könnte der Gefangene nicht auf Absendung bestehen; zur Nichtbeifügung eines Begleitschreibens vgl. § 4 Rdn. 14 (vgl. auch Grunau/Tiesler 1982 Rdn. 8).
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3. Anhaltemitteilung, Rückgabe, Verwahrung. Abs. 3: Wenn ein Schreiben unter den Voraussetzungen des Abs. 1 angehalten wird, ist der Gefangene nach Satz 1 darüber zu informieren; die Vorschrift führt nur den allgemein geltenden Grundsatz durch, dass belastende Verwaltungsakte dem Betroffenen mitgeteilt werden (RegE, BT-Drucks. 7/918, Schwind
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61). Zu unterrichten ist der Gefangene über jedes Anhalten seiner Briefe: mitzuteilen ist also nicht nur das Anhalten seiner ausgehenden Schreiben, sondern auch das Anhalten der für ihn eingehenden Post. Eine Einschränkung ist jedoch insoweit erforderlich, als zumindest vorübergehend das Unterlassen einer solchen Mitteilung zur Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung der Anstalt unerlässlich sein kann (§ 4 Abs. 2 Satz 2). Dies kann z. B. dann der Fall sein, wenn sich erst aufgrund einer Reihe von Briefen bestimmte Verdachtsmomente verdichten in Richtung etwa auf Ausbruchspläne oder schwerwiegende Angriffe auf die Ordnung in der Anstalt (OLG Frankfurt ZfStrVo SH 1979, 51; Arloth 2011 Rdn. 11; C/MD 2008 Rdn. 5; ferner Rdn. 26 zu § 4). Nach VV Nr. 1 Satz 1 ist der Gefangene auch über die Gründe des Anhaltens zu informieren. Aus VV Nr. 1 Satz 2 ergibt sich, dass ihm wenigstens der unbedenkliche Inhalt eines angehaltenen Schreibens bekanntgegeben werden kann (VV Nr. 1). Da das Anhalten der Schreiben die Eigentumsverhältnisse unberührt lässt (RegE aaO), sind solche Schreiben grundsätzlich an den Absender zurückzugeben (Satz 2, 1. HS.): also bei eingehenden Briefen an den Außenstehenden und bei ausgehenden Briefen an den Gefangenen. Sofern die Rückgabe unmöglich ist oder aus besonderen Gründen (insbesondere aus Sicherheitsgründen) untunlich ist, ist die Vollzugsbehörde berechtigt, die Schreiben zu verwahren (Satz 2, 2. HS.). Eine Ausnahme bildet § 83 Abs. 4 (vgl. auch VV Nr. 3). Mit der Entlassung wird regelmäßig ein Bedürfnis für eine weitere Verwahrung nicht mehr bestehen (RegE aaO). Dem Gefangenen sind daher die verwahrten Briefe dann auszuhändigen; sie dürfen ihm nur vorenthalten werden, wenn sie ihn zu neuen Straftaten anregen würden (RegE aaO; § 83 Rdn. 10; Arloth 2011 Rdn. 11; AK-Joester/Wegner 2012 Rdn. 14). 4. Anhalten setzt Überwachung voraus. Abs. 4: Der Klarheit halber nimmt Abs. 4 16 ausdrücklich Schreiben, die nach § 29 Abs. 1 und 2 der Überwachung nicht unterliegen, auch vom Anhalten aus. An sich ist Abs. 4 überflüssig, weil das Anhalten von Schreiben eine Überwachung voraussetzt. III. Beispiel: Weiterleitung von Schreiben mit grob beleidigendem Inhalt Der Beschwerdeführer (Bf.), ein Strafgefangener, verwendete in einem Brief an seine 17 Verlobte die Bezeichnung „Reichsparteitags-OLG in Nürnberg“. Sein Schreiben wurde deshalb gem. § 31 Abs. 1 Nr. 4 wegen grober Beleidigung von der JVA durch Verfügung vom 14.8. 1991 angehalten. In dem folgenden (längeren) Rechtsstreit hat das OLG Bamberg mit Beschluss vom 11.1.1994 (NJW 1994, 1972 ff = NStZ 1994, 406) den Standpunkt der Anstalt bestätigt. Die Verfassungsbeschwerde des Bf. hatte Erfolg: nach der Auffassung des BVerfG kann die Anstaltsverfügung nicht gerechtfertigt werden. In seinem Beschluss vom 12.9.1994 (NJW 1995, 1477 = ZfStrVo 1995, 302; vgl. dazu 18 auch BVerfG NJW 1994, 1149) heißt es wie folgt: „Der Beschluss des OLG Bamberg vom 1.1.1994 verletzt den Bf. in seinem Grundrecht auf Meinungsfreiheit (Art. 5 I 1 GG) i. V. mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 I i. V. mit Art. 1 I GG). Maßstäblich ist […] von dem Beschluss des Ersten Senats des BVerfG vom 26.4.1994 (= NStZ 1994, 403 f) auszugehen. Danach genießt die Äußerung des Bf. den Schutz der Meinungsfreiheit gem. Art. 5 I GG, die allerdings durch die Vorschriften zum Schutz der persönlichen Ehre beschränkt wird. Bei der Bestimmung dieser Schranken ist wiederum zu beachten, dass Art. 2 I i. V. mit Art. 1 I GG dem einzelnen einen Raum gewährleistet, in dem er unbeobachtet sich selbst überlassen ist oder mit Personen seines besonderen Vertrauens ohne Rücksicht auf gesellschaftliche Verhaltenserwartungen verkehren kann. 403
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Nur unter den Bedingungen besonderer Vertraulichkeit ist ihm ein rückhaltloser Ausdruck seiner Emotionen, die Offenbarung geheimer Wünsche oder Ängste, die freimütige Kundgabe des eigenen Urteils über Verhältnisse und Personen oder eine entlastende Selbstdarstellung möglich. Unter solchen Umständen kann es auch zu Äußerungsinhalten oder -formen kommen, die er sich gegenüber Außenstehenden oder in der Öffentlichkeit nicht gestatten würde. Gleichwohl verdienen sie als Ausdruck der Persönlichkeit und als Bedingung ihrer Entfaltung den Schutz des Grundrechts. Der Vertrauensschutz geht nicht verloren, wenn sich der Staat Kenntnis von vertraulich gemachten Äußerungen verschafft. Dies gilt auch für die Briefkontrolle bei Strafgefangenen nach den Vorschriften der §§ 29 III, 31 I StVollzG. Diese Vorschriften beschränken das Briefgeheimnis und die Meinungsfreiheit; sie erlauben das Anhalten von Schreiben von Strafgefangenen u. a. bei Gefährdung des Vollzugsziels (§ 31 I Nr. 1) und groben Beleidigungen (Nr. 4). Zwar ist die Überwachung des Briefverkehrs zum Schutze anderer bedeutsamer Rechtsgüter verfassungsrechtlich grundsätzlich zulässig. Sie soll Gefahren für das Vollzugsziel und die Sicherheit und Ordnung der Anstalt abwehren sowie die Vertuschung und die Begehung neuer Straftaten verhindern. Es ist auch unvermeidlich, dass der Vollzugsbeamte bei Gelegenheit einer solchen Kontrolle Kenntnis vom gesamten Inhalt eines überprüften Schriftstücks erhält. Die Kenntnisnahme ändert aber, wenn der Adressat dem Briefschreiber nahe steht, nichts an der Zugehörigkeit der vertraulichen Mitteilung zu der grundrechtlich geschützten Privatsphäre. Diese kann durch die Kontrollbefugnis zwar regelmäßig durchbrochen, nicht aber in eine öffentliche Sphäre umdefiniert werden. Vielmehr wirkt sich der Grundrechtsschutz gerade darin aus, dass der vertrauliche Charakter der Mitteilung trotz der staatlichen Überwachung gewahrt bleibt. Er entfällt deshalb nicht schon deswegen, weil der Verfasser von der Briefkontrolle weiß (BVerfG NStZ 1994, 403 f; dies wurde bisher schon im Anwendungsbereich des § 119 III StPO vor allem für Ehegattenbriefe angenommen; vgl. auch BVerfGE 35, 35, 40 = NJW 1973, 1643). […] Da der an die Verlobte adressierte Brief nur unter Inkaufnahme der angeordneten Kontrolle, nicht jedoch darüber hinaus mit Zutun seines Verfassers einem Dritten zur Kenntnis gelangt ist, können aus den darin enthaltenen Äußerungen unter dem rechtlichen Gesichtspunkt der groben Beleidigung i. S. des § 31 I Nr. 4 StVollzG keine für den Bf. belastenden Folgerungen gezogen werden […]. Etwas anderes könnte nur gelten, wenn der Bf. selbst die Vertraulichkeit aufgehoben hätte, so dass die Gelegenheit für Dritte, seine Äußerung wahrzunehmen, ihm zuzurechnen wäre. Dies wäre etwa dann der Fall, wenn die Mitteilung an die Vertrauensperson nur erfolgt wäre, um den Briefkontrolleur oder Dritte zu treffen. Die im Beschluss des OLG dargestellten Tatsachen geben zu einer solchen Annahme keinen Anlass“. Vgl. dazu auch BVerfG NJW 1994, 244: Angehalten wurde ein Schreiben, mit dem der Gefangene eine Beilage mit dem Titel „Festnachtsgitterwillkürsatire“ an die Wochenschrift „Bayern-Kurier“ übersandte; in dieser war die Behauptung aufgestellt worden, unter dem Deckmantel der Justiz würden Körper, Geist und Seele der Gefangenen zerstört usw. Zur Korrespondenz zwischen Gefangenen und ihnen nahestehenden Personen als „beleidigungsfreiem Raum“ vgl. Wolff-Raiser Jura 1996, 184 ff sowie Arloth 2010, 263 ff. IV. Landesgesetze und Musterentwurf 19
1. Baden-Württemberg. Dem § 31 StVollzG entspricht nahezu wortgleich der Abs. 1 in § 26 JVollzGB III mit einer ergänzenden Erweiterung der Nr. 6: „ein zwingender Grund zur Abfassung eines Schreibens in fremder Sprache liegt in der Regel nicht vor bei einem Schwind
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Schriftwechsel zwischen deutschen Gefangenen und Dritten, die die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen oder ihren Lebensmittelpunkt im Geltungsbereich des Grundgesetzes haben“. 2. Bayern. Art. 34 BayStVollzG entspricht § 31 StVollzG. Aber: die Nr. 6 des ersten 20 Absatzes wurde durch folgenden Satz ergänzt: „ein zwingender Grund zur Abfassung eines Schreibens in einer fremden Sprache liegt in der Regel nicht vor bei einem Schriftwechsel zwischen deutschen Gefangenen und Dritten, die die deutsche Staatsangehörigkeit oder ihren Lebensmittelpunkt im Geltungsbereich des Grundgesetzes haben.“ Dieser Hinweis soll der „Klarstellung“ dienen (Gesetzesbegründung-LT-Drucks. 15/8101, 57). 3. Hamburg. § 31 HmbStVollzG entspricht (weitgehend wörtlich) dem § 31 StVollzG.
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4. Hessen. Die Materie des § 31 StVollzG ist in § 35 HStVollzG geregelt, und zwar dort 22 im Abs. 3. 5. Niedersachsen. In § 32 Abs. 1 Nr. 1 NJVollzG wird die Formulierung „wenn das 23 Ziel des Vollzuges“ ersetzt durch die Worte „wenn die Vollzugsziele“. § 31 Abs. 2 StVollzG ist weggefallen. § 32 Abs. 2 Satz 1 übernimmt die Regelung des § 31 Abs. 3 Satz 1 StVollzG. Der Satz 2 des § 31 Abs. 3 StVollzG wurde in Niedersachsen zu einem Abs. 2 mit folgendem Wortlaut: „Angehaltene Schreiben werden an die Absender zurückgegeben oder behördlich verwahrt, sofern eine Rückgabe unmöglich oder nicht geboten ist.“ § 32 Abs. 3 ist inhaltsgleich mit § 31 Abs. 4 StVollzG. 6. Musterentwurf. Der entsprechende § 35 ME-StVollzG wiederholt den Text des § 31 24 StVollzG mit kleinen Ergänzungen, z. B. „behördliche Verwahrung“ in Abs. 3.
§ 32 Ferngespräche und Telegramme § 32 Schwind Ferngespräche und Telegramme Dem Gefangenen kann gestattet werden, Ferngespräche zu führen oder Telegramme aufzugeben. Im übrigen gelten für Ferngespräche die Vorschriften über den Besuch und für Telegramme die Vorschriften über den Schriftwechsel entsprechend. Ist die Überwachung der fernmündlichen Unterhaltung erforderlich, ist die beabsichtigte Überwachung dem Gesprächspartner des Gefangenen unmittelbar nach Herstellung der Verbindung durch die Vollzugsbehörde oder den Gefangenen mitzuteilen. Der Gefangene ist rechtzeitig vor Beginn der fernmündlichen Unterhaltung über die beabsichtigte Überwachung und die Mitteilungspflicht nach Satz 3 zu unterrichten. VV Die Kosten trägt der Gefangene. Ist er dazu nicht in der Lage, kann die Anstalt die Kosten in begründeten Fällen in angemessenem Umfang übernehmen.
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Schrifttum Ebert Kartentelefon im geschlossenen Vollzug, in: ZfStrVo 2000, 213 ff; Knauer Strafvollzug und Internet, Berlin 2006; Münster/Schneider Einschränkung des Telefonierens in der Vollzugsanstalt, in: NStZ 2001, 671 f; Perwein Erteilung, Rücknahme und Widerruf der Dauertelefongenehmigung, in: ZfStrVo 1996, 16 ff; Pohl Mobilfunkblocker im Justizvollzug, in: FS 2010, 332; Schneider Telefonieren ohne Grenzen?, in: ZfStrVo 2001, 273 ff.
I. Erläuterungen 1
Der Gesetzgeber hat auf die im RegE (BT-Drucks. 7/918, 14) enthaltene Einschränkung, wonach die Erlaubnis nur „in begründeten Fällen“ gegeben werden sollte, verzichtet. Er war der Meinung, dass eine nicht weiter eingeschränkte Kann-Vorschrift die bessere Möglichkeit bietet, der Situation der Gefangenen und der Anstalt weitestgehend Rechnung zu tragen (SA, BT-Drucks. 7/3998, 17). Zur Bedeutung des Telefons für die Aufrechterhaltung legaler Kontakte nach „draußen“ vgl. Perwein 1996, 16 ff. Insoweit ist insbesondere zu bedenken, dass sowohl nach dem Angleichungsgrundsatz (§ 3 Abs. 1) als auch nach der Förderungspflicht der Anstalt (§ 23 Satz 2) Telefonkontakte zur Aufrechterhaltung und Pflege sozialer Beziehungen dienen, und die damit gegebenen (legalen) direkten Kontaktmöglichkeiten dem Gefangenen die Chance bieten, Beziehungen zu erhalten und am Leben der Angehörigen oder ähnlich nahestehender Personen teilzunehmen (OLG Frankfurt StV 2001, 469 = ZfStrVo 2001, 249 = NStZ 2001, 669). Das Telefon kann vor allem auch in Krisensituationen ein wichtiges Element psychischer Entlastung sein (Perwein 1996, 16 ff). Auf der anderen Seite darf man nicht übersehen, dass der unkontrollierte Fernsprechverkehr mit der Außenwelt (z. B. durch Benutzung eines Handys) wegen der Möglichkeit von Bedrohungen und Absprachen von Straftaten usw. besonders gefahrenträchtig ist (OLG Koblenz NStZ 1993, 558 ff) und deshalb nicht in Betracht kommen kann (anders Laubenthal 2011 Rdn. 504). So findet die Gestattung von Ferngesprächen dort ihre Grenze, wo sie die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt gefährden würde. Eine weitgehende Liberalisierung des Telefonverkehrs, wie sie AK-Joester/Wegner (2012 Rdn. 2) vorschlagen, kann daher (zumindest im geschlossenen Vollzug) nicht in Betracht kommen. Näheres unter Rdn. 2. Zur Aufhebung einer Dauertelefongenehmigung vgl. § 14 Rdn. 24; ferner: OLG Frankfurt NStZ 2001, 669 (mit Anm. von Münster/Schneider) sowie Perwein 1996, 19 und Ebert ZfStrVo 2000, 213 ff.
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1. Satz 1: Der Gefangene hat jedoch keinen Anspruch darauf, Ferngespräche im Festnetz zu führen oder Telegramme aufzugeben (so auch BVerfG ZfStrVo 1984, 255; OLG Koblenz ZfStrVo 1988, 110; Arloth 2011 Rdn. 2; KS-Schöch 2002 § 7 Rdn. 117; Schneider 2001, 273 ff; AK-Joester/Wegner 2012 Rdn. 1). Auch grundsätzlich nicht mit dem Verteidiger (LG Hamburg StV 1986, 444 mit abl. Anm. von Joester/Wegner; abl. auch C/MD 2008 Rdn. 1; AK-Joester/Wegner 2012 Rdn. 8). Die sonst geltenden Grundsätze über die unüberwachte Kommunikation mit dem Verteidiger (vgl. §§ 27 Abs. 3, 29 Abs. 1 Satz 1) treffen jedoch auf diesen Sachverhalt nicht zu, weil die Kontrollmöglichkeit fehlt, die der § 32 grundsätzlich voraussetzt (K/S-Schöch 2002 § 7 Rdn. 117). Ein Anspruch auf ein Ferngespräch mit dem Verteidiger kann daher nur dann bestehen, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der telefonische Gesprächspartner tatsächlich der Verteidiger ist. Im Übrigen besteht in Bezug auf die Zulassung von Telefongesprächen ein Anspruch auf fehlerfreien Ermessensgebrauch (OLG Dresden ZfStrVo 1994, 306; OLG Koblenz NStZ 1993, 558; KG NStZ-RR 1997, 61; OLG Koblenz StraFo 2003, 103; Arloth 2011 Rdn. 1; C/MD 2008 Rdn. 1), z. B. bei eventuell gebotenem Gespräch mit dem Verteidiger wegen Fristablauf (zur telegrafischen Rechtsmitteleinlegung vgl. OLG Köln StV 1990, 170; zu Inhalt und Schwind
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Umfang der Ermessensausübung vgl. auch Perwein aaO). Ermessensfehlerhaft kann die Ablehnung von dringenden Gesprächen z. B. in Familienangelegenheiten oder drohendem Fristablauf in Anwaltssachen, also dann sein, wenn aus zeitlichen Gründen eine rasche Verbindung erforderlich ist (Arloth 2011 Rdn. 2; C/MD 2008 Rdn. 1; OLG Köln NStZ 1990, 104). Insoweit spielen z. B. auch die Entfernung der Anstalt von den einzelnen Bezugspersonen des Gefangenen eine Rolle sowie die Besuchsmöglichkeiten (AK-Joester/ Wegner 2012 Rdn. 6); im geschlossenen Vollzug ist die Erlaubnis zum Telefonieren in der Regel eher als im offenen Vollzug zu geben, weil die Kommunikationsmöglichkeiten weiter eingeschränkt sind (AK-Joester/Wegner 2006 Rdn. 7). Zur Besserstellung von fremdsprachigen Ausländern, die aufgrund ihrer besonderen Situation in Betracht kommen kann, vgl. OLG Koblenz NStZ 1993, 558; C/MD 2008 Rdn. 1. In Anstalten, in denen das die Sicherheitsbedürfnisse gestatten, ist die Einrichtung von Telefonkabinen zu erwägen (C/MD aaO und Perwein aaO, sowie Schneider ZfStrVo 2001, 273). Aber die Weigerung, in einer geschlossenen JVA Münzfernsprecher für die Benutzung durch Gefangene aufzustellen, ist im Hinblick auf Sicherheit und Ordnung ermessensfehlerfrei (LG Hamburg NStZ 1985, 353 F; C/MD 2008 Rdn. 1), sofern die Möglichkeit geprüft worden ist, eine Erlaubnis unter Auflagen oder Bedingungen zu erteilen: etwa unter der Bedingung von Überwachungsmaßnahmen (dazu OLG Koblenz aaO); zu den Möglichkeiten Perwein aaO. Ein Anstaltsleiter handelt auch im Rahmen des ihm zustehenden Ermessens, wenn er Telefongespräche der Gefangenen nur bei besonderer Dringlichkeit genehmigt (OLG Hamm NStZ 1995, 382 B; krit. Perwein aaO); im Sinne des Gesetzgebers ist das allerdings nicht (vgl. Rdn. 1; zustimmend AK-Joester/Wegner 2012 Rdn. 2. Mit ihrer Forderung, eine Ausweitung der Telefonanträge zu fördern, übersehen AK-Joester/Wegner aaO jedoch die Neuregelungen in den Ländergesetzen und die einschlägige Rechtsprechung des BayVerfGH. So beschränken Bayern und Niedersachsen tel. Ferngespräche bereits gesetzlich auf „dringende Fälle“. Der BayVerfGH (Vf 4-VII 08, FS 2009, 267–272) hat (zu Art. 35 BayStVollzG) keine Bedenken gegen diese Begrenzung erhoben, und zwar mit der naheliegenden Begründung, dass Telefongespräche die Gefahr in sich bergen, dass der Gefangene mit einem anderen als dem angegebenen Telefonpartner spricht oder dass der eigentliche Partner das Gespräch an einen Dritten weiterreicht.“ Eine Beschränkung auf „dringende Fälle“ sei nicht zu beanstanden, „weil eine Kontrolle in größerem Umfang personell nicht zu leisten“ sei (vgl. dazu auch OLG Celle – 1 Ws 352/08 = NStZ-RR 2009, 158). Im Ermessen liegt deshalb die Eröffnung der Benutzung von Kartentelefonen (KG NStZ-RR 1997, 61). Jedenfalls besteht kein Rechtsanspruch der Gefangenen auf Genehmigung des Besitzes einer Telefonkarte, die wertmäßig unbeschränkte Telefongespräche ermöglicht (KG aaO; C/MD 2008 Rdn. 1). Es besteht insbesondere kein Anspruch gegen die Anstalt auf eine kostenlose Telefonkarte, selbst dann nicht, wenn ein Telefongespräch im Rahmen eines erfolgversprechenden Rechtsstreits geführt werden soll (AKJoester/Wegner 2006 Rdn. 2; vgl. auch KG NStZ-RR 1996, 383). Eine Besserstellung inhaftierter Frauen bzgl. der Möglichkeiten zu telefonieren darf nicht an das Geschlecht, sondern nur an Sicherheitsgründe anknüpfen (BVerfG – 2 BvR 1870/07 = NJW 2009, 661– 663 = StV 2009, 597–599). Auch die Nutzung des Internets kommt aus Sicherheitsgründen nicht in Betracht (Arloth 2011 Rdn. 1; a. A. OLG Nürnberg – 2 Ws 433/08 – NStZ 2009, 216–218; umfassend Knauer 2006); die Vorschrift gilt ferner nicht für e-mails (Arloth aaO). Für den Faxverkehr will das OLG Dresden (anstelle von Telegrammen) den § 32 entsprechend anwenden (ZfStrVo 1994, 306 = NStZ 1994, 208; a. A. OLG Nürnberg NStZ 2004, 318); nicht in Betracht kommt jedenfalls die Benutzung eines anstaltseigenen Faxanschlusses für private Zwecke, weil dadurch die Ordnung in der Anstalt gestört werden kann: der Fax-Anschluss wird blockiert mit der möglichen Folge, dass eilige Vollzugssachen die Anstalt nicht mehr erreichen (vgl. OLG Nürnberg ZfStrVo 1997, 372 = NStZ 1998, 407
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398; Arloth 2011 Rdn. 1; C/MD 2008 Rdn. 1; a. A. AK-Joester/Wegner 2012 Rdn. 12). Erst Recht hat der Strafgefangene keinen Anspruch auf die Ermöglichung nicht zu überwachender Kommunikation mit der Außenwelt: z. B. durch Nutzung eines Mobiltelefons bzw. Handys (OLG Hamburg NStZ 1999, 638 = ZfStrVo 1999, 377; Arloth 2011 Rdn. 1; Laubenthal 2011 Rdn. 505; a. A. AK-Joester/Wegner 2012 Rdn. 1); das gilt auch für den offenen Vollzug (KG Berlin NStZ 2006, 584). AK-Joester/Wegner 2012 Rdn. 1 plädieren allerdings für eine Aufhebung des Handy-Verbots im offenen Vollzug. Alle Landesstrafvollzugsgesetze lassen den Einsatz von „Handyblockern“ zu, mit denen technische Geräte zur Störung von Frequenzen gemeint sind, die für unerlaubte Mobilfunkverbindungen benutzt werden (Laubenthal 2011 Rdn. 506; ausführlich Pohl 2010, 332 ff). Problematisch (weil realitätsfremd) ist deshalb auch die vom ME-StVollzG (zu § 36) für möglich gehaltene Zulassung weiterer Formen der Telekommunikation wie z. B. E-Learning, Internet und Intranet. Das HStVollzG erwähnt allerdings in der Gesetzesbegründung zu § 36 Abs. 1 HStVollzG „ausnahmsweise und unter Aufsicht der Anstalt Telefax und E-Mail“. Wird dem Gefangenen eine der Kommunikationsmöglichkeiten des § 32 gestattet, hat er nach VV Satz 1 (wie beim Porto) die Kosten zu tragen; einen Anspruch auf kostenlose Telefongespräche hat er nicht (KG NStZ-RR 1996, 383 f). Ist er zur Kostentragung nicht in der Lage, kann die Anstalt die Kosten in begründeten Fällen in angemessenem Umfang übernehmen (VV Satz 2). Ob die Erhebung eines Aufschlages gegenüber dem Normaltarif für die Benutzung ausschließlich für Gefangenengespräche installierter dienstlicher Telefonapparate durch die entstehenden zusätzlichen Kosten und Verwaltungsmittel gerechtfertigt ist (so LG Hamburg NStZ 1985, 353 F; Arloth 2011 Rdn. 2), erscheint zweifelhaft (C/MD 2008 Rdn. 2). Zu Dolmetscherkosten bei Ausländern vgl. BVerfG ZStrVo 2004, 46. 3
2. Satz 2: Für Ferngespräche (gemeint sind Orts- und Ferngespräche: OLG Koblenz ZfStrVo 1988, 110) gelten die Vorschriften über den Besuchsverkehr (§§ 24–26) entsprechend, für Telegramme die Vorschriften über den Schriftwechsel (§§ 28–31). Das bedeutet für Telefongespräche, dass eine Überwachung der Telefonate nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässig ist (vgl. dazu § 27 Rdn. 9). Die akustische Überwachung von Telefonaten ist entsprechend § 27 Abs. 1 Nr. 2 zulässig (OLG Koblenz NStZ 1993, 558). Der Mindestumfang der Telefonzeit sollte sich an § 24 Abs. 1 Satz 2 orientieren (LG Fulda NStZ 2007, 387). Im geschlossenen Vollzug müssen die Gefangenen (wie beim Schriftverkehr und Besuch) zunächst mitteilen, mit wem sie Fern- (oder Orts-)Gespräche führen wollen. Nur auf dieser Grundlage kann entschieden werden, ob das Gespräch überwacht werden muss. Es ist danach sicherzustellen, dass der Gefangene nur die Anschlüsse der Personen anwählen kann, mit denen ihm Telefonverkehr gestattet ist: „Zielnummernkontrolle“ (Böhm 2003 Rdn. 271).
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3. Satz 3 und 4: Die Sätze 3 und 4 sind durch das 4. StVollzGÄndG vom 26.8.1998 (BGBl. I, 2461 ff) eingefügt worden. In der Begr. des RegE (BR-Drucks. 57/98, 43) heißt es dazu, dass es „das informationelle Selbstbestimmungsrecht des Gesprächspartners eines Gefangenen erfordert“, diesen „vor dem Beginn des Gesprächs über die beabsichtigte Überwachung“ zu informieren. Ein unbemerktes Abhören von Gesprächen ist nicht zulässig (OLG Hamm 1 Vollz – Ws 635/08 – NStZ 2009, 575). Die entsprechende Unterrichtung des Gesprächspartners kann aber auch durch den Gefangenen zu Beginn des Gesprächs erfolgen; das begründet der Bundesrat (BR-Drucks. aaO) u. a. damit, dass der überwachende Vollzugsbedienstete häufig die benutzte Sprache nicht versteht und deshalb auf die Überwachung (mangels seiner eigenen Sprachkenntnisse) nicht hinweisen kann. Wie soll er dann aber seiner Überwachungsaufgabe nachkommen? SchließSchwind
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lich: Eine Speicherung von Verbindungsdaten und Gesprächsinhalten ist nicht erlaubt (OLG Frankfurt NStZ-RR 2003, 219; dazu Laubenthal 2011 Rdn. 959), es sei denn, es geschieht zu Abrechnungszwecken (OLG Hamburg NStZ 2006, 697). II. Landesgesetze und Musterentwurf 1. Baden-Württemberg. Dem § 32 StVollzG entspricht der § 27 JVollzGB III, in dem 5 jedoch „auf eine Regelung des Telegrammverkehrs mangels praktischer Bedeutung verzichtet wird“ (so die Gesetzesbegründung: LT-Drucks 14/5012, 219). Abs. 3 Satz 2 übernimmt die VV zu § 32 StVollzG: Für bedürftige Gefangene kann die JVA „die Kosten für Telefonate in angemessenem Umfang übernehmen“. 6 2. Bayern. Art. 35 BayStVollzG wurde im Vergleich zu § 32 StVollzG verändert. Satz 1 eines neuen Abs. 1 lautet nunmehr: „Gefangenen kann in dringenden Fällen gestattet werden, Ferngespräche zu führen.“ Telegramme werden nicht mehr erwähnt. Neu sind folgende zwei Absätze: „(2) Die Kosten der Ferngespräche tragen die Gefangenen. Sind sie dazu nicht in der Lage, kann die Anstalt die Kosten in begründeten Fällen in angemessenem Umfang übernehmen. (3) Die Anstalt darf technische Geräte zur Störung von Frequenzen betreiben, die der Herstellung unerlaubter Mobilfunkverbindungen auf dem Anstaltsgelände dienen. Sie hat hierbei die von der Bundesnetzagentur gemäß § 55 Abs. 1 Satz 5 des Telekommunikationsgesetzes festgelegten Rahmenbedingungen zu beachten. Der Mobilfunkverkehr außerhalb des Geländes der Anstalt darf nicht beeinträchtigt werden.“ In der Gesetzesbegründung (LT-Drucks. 15/8101, 57) wird darauf hingewiesen, dass auf die Regelung des Telegrammverkehrs „mangels praktischer Bedeutung“ verzichtet wurde. Die Einschränkung (auf „dringende Fälle“) in Abs. 1 entspricht „der bayerischen Vollzugspraxis“ (Begr. aaO). Weiter heißt es in der Begründung (aaO): „Nicht nur aus Gründen der Sicherheit und Ordnung der Anstalt sondern auch aus behandlerischen Gründen muss die Anstalt wissen, wann und mit welchen Personen die Gefangenen Kontakt haben. Eine unkontrollierte Kommunikation mit Außenstehenden kann daher nicht zugelassen werden. (…) Die Nutzung von Mobiltelefonen in der Anstalt ist entsprechend der bisherigen bundeseinheitlichen Praxis untersagt. Der neue Abs. 3 enthält eine Ermächtigungsgrundlage zum Einsatz von „Handyblockern“ im Bereich der Anstalt.“ 3. Hamburg. In Hamburg wird die Materie in einem § 32 geregelt, aber mit anderer 7 Überschrift („Telefongespräche“). Auf die Übernahme einer Regelung zur Aufgabe von Telegrammen wurde verzichtet mit der Gesetzesbegründung (Bürgerschafts-Drucks. 18/6490, 41), dass der Telegrammverkehr keine praktische Bedeutung mehr habe. Der Wortlaut der Vorschrift unterscheidet sich auch: Abs. 1: „Den Gefangenen kann gestattet werden, auf eigene Kosten Telefongespräche zu führen. Die Gespräche dürfen aus Gründen der Behandlung oder der Sicherheit oder Ordnung der Anstalt überwacht werden. Ist die Überwachung des Telefongesprächs erforderlich, ist die beabsichtigte Überwachung den Gesprächspartnern der Gefangenen durch die Anstalt oder durch die Gefangenen unmittelbar nach Herstellung der Verbindung mitzuteilen. § 30 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 gilt entsprechend. Die Gefangenen sind rechtzeitig vor Beginn des Telefongesprächs über die beabsichtigte Überwachung und die Mitteilungspflicht nach S. 3 zu unterrichten.“ Abs. 2: Mit Abs. 2 (so die Gesetzesbegründung Bürgerschafts-Drucks. 18/6490, 41) „wird die Rechtsgrundlage für den Betrieb technischer Geräte zur Unterdrückung uner409
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laubten Mobilfunkverkehrs (so genannte Mobilfunkblocker) in Justizvollzugsanstalten geschaffen.“ Der Abs. 2 lautet: „Auf dem Gelände der Anstalt können technische Geräte zur Störung von Frequenzen betrieben werden, die der Herstellung unerlaubter Mobilfunkverbindungen dienen. Es ist sicherzustellen, dass der Mobilfunkverkehr außerhalb des Anstaltsgeländes hierdurch nicht beeinträchtigt wird. Die von der Bundesnetzagentur gemäß § 55 Abs. 1 Satz 5 des Telekommunikationsgesetzes vom 22.6.2004 (BGBl. I, 1190), zuletzt geändert am 21.12.2007 (BGBl. I, 3198, 3205), in der jeweils geltenden Fassung festgelegten Rahmenbedingungen sind zu beachten.“ 8
4. Hessen. § 32 StVollzG regelt unter der Überschrift „Ferngespräche und Telegramme“ die Materie, die erweitert in § 36 HStVollzG unter der Überschrift „Telekommunikation“ zusammengefasst wird. In Abs. 1 werden nur Telefongespräche erwähnt, keine Telegramme, weil (so die Gesetzesbegründung (Drucks. 18/1396, 100)) „Telegramme ihre praktische Bedeutung weitgehend verloren haben“. Nach Abs. 1 Satz 2 können Gefangene auch andere Kommunikationsmittel (wie z. B. Telefax oder E-Mail) „ausnahmsweise“ (so die Begründung) im „Einzelfall nutzen, wenn dafür ein wichtiger Grund besteht. Wegen der damit verbundenen Sicherheitsgefahren ist dies jedoch nur durch Vermittlung und unter Aufsicht der Anstalt möglich … Die Gewährung von telefonischen Kontakten steht nach Abs. 1 Satz 1 im Ermessen der jeweiligen Anstalt“. Abs. 3 Satz 1 stellt klar, dass „Besitz und Betrieb von Mobilfunkgeräten (hauptsächlich Mobiltelefone – ‚Handys‘) oder sonstigen Telekommunikationsanlagen für Gefangene verboten ist“.
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5. Niedersachsen. § 33 Abs. 1 NJVollzG entspricht § 32 StVollzG, beschränkt telefonische Ferngespräche aber auf „dringende Fälle“. An Abs. 1 wurde der Satz angehängt: „Die Unterhaltung kann zeitversetzt überwacht und zu diesem Zweck gespeichert werden.“ In den Absätzen 2 bis 4 lautet der Text: „(2) Der oder dem Gefangenen kann allgemein gestattet werden, Telefongespräche zu führen, wenn sie oder er sich mit zur Gewährleistung der Sicherheit und Ordnung der Anstalt von der Vollzugsbehörde erlassenen Nutzungsbedingungen einverstanden erklärt. (…) (3) Die Zulassung einer anderen Form der Telekommunikation in der Anstalt bedarf der Zustimmung des Fachministeriums; die oder der Gefangene hat keinen Anspruch auf Erteilung der Zustimmung. (…) (4) Durch den Einsatz technischer Mittel kann verhindert werden, dass mittels einer innerhalb der Anstalt befindlichen Mobilfunkendeinrichtung unerlaubte Telekommunikationsverbindungen hergestellt oder aufrechterhalten werden. Der Telekommunikationsverkehr außerhalb des räumlichen Bereichs der Anstalt darf nicht beeinträchtigt werden.“ Zur Zeitversetzung heißt es in der Gesetzesbegründung (LT-Drucks. 15/3565, 116): „Neu ist die Möglichkeit, die Inhaltskontrolle zeitversetzt durchzuführen und die Daten zu diesem Zweck vorübergehend zu speichern. Wegen des damit verbundenen Eingriffs in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist die Inhaltskontrolle schnellstmöglich vorzunehmen; die Daten sind danach unverzüglich zu löschen.“
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6. Musterentwurf. Die Materie des § 32 StVollzG ist in den §§ 30 und 36 ME-StVollzG geregelt. § 30 Abs. 1 und 2 ME-StVollzG entsprechen § 32 StVollzG. Nach § 36 Satz 1 kann der Anstaltsleiter dem Gefangenen gestatten, andere Formen (als Ferngespräche und Telegramme) auf eigene Kosten zu nutzen. Durch diese Formulierung (heißt es in der Schwind
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Begründung) „soll die Möglichkeit der Nutzung von derzeit noch nicht verbreiteten Telekommunikationsformen für die Zukunft offen gehalten werden. Nach derzeitigem Stand der technischen Entwicklung ist dabei auch vor dem Hintergrund des Angleichungsgrundsatzes insbesondere an E-Mail, E-Learning, Internet und Intranet zu denken“. Die generelle Zulassung (so die Entwurfsbegründung weiter) solcher anderen Formen „kann (jedoch) nur durch die Aufsichtsbehörde erfolgen“. Satz 2 „ermächtigt die Anstalten, abhängig von der Form der Telekommunikation, zu den für Besuche, Telefongespräche und Schriftwechsel vorgesehenen Beschränkungen der Kommunikation“. So sind (immer noch die Begründung) „beim Versand und Empfang eines Telefaxes oder einer E-Mail zunächst die Vorschriften für den Schriftwechsel anzuwenden, während bei der Videotelefonie zunächst die Vorschriften über Telefongespräche Anwendung finden werden“.
§ 33 Pakete § 33 Schwind Pakete (1) Der Gefangene darf dreimal jährlich in angemessenen Abständen ein Paket mit Nahrungs- und Genussmitteln empfangen. Die Vollzugsbehörde kann Zeitpunkt und Höchstmengen für die Sendung und für einzelne Gegenstände festsetzen. Der Empfang weiterer Pakete oder solcher mit anderem Inhalt bedarf ihrer Erlaubnis. Für den Ausschluss von Gegenständen gilt § 22 Abs. 2 entsprechend. (2) Pakete sind in Gegenwart des Gefangenen zu öffnen. Ausgeschlossene Gegenstände können zu seiner Habe genommen oder dem Absender zurückgesandt werden. Nicht ausgehändigte Gegenstände, durch die bei der Versendung oder Aufbewahrung Personen verletzt oder Sachschäden verursacht werden können, dürfen vernichtet werden. Die hiernach getroffenen Maßnahmen werden dem Gefangenen eröffnet. (3) Der Empfang von Paketen kann vorübergehend versagt werden, wenn dies wegen Gefährdung der Sicherheit oder Ordnung der Anstalt unerlässlich ist. (4) Dem Gefangenen kann gestattet werden, Pakete zu versenden. Die Vollzugsbehörde kann ihren Inhalt aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung der Anstalt überprüfen. VV 1 (1) Der Empfang eines Paketes ist zugelassen zu Weihnachten, zu Ostern und zu einem von dem Gefangenen zu wählenden weiteren Zeitpunkt (z. B. Geburtstag). (2) Einem Gefangenen, der nicht einer christlichen Religionsgemeinschaft angehört, kann anstelle des Weihnachts- und des Osterpaketes der Empfang je eines Paketes aus Anlass eines hohen Feiertages seines Glaubens gestattet werden. 2 (1) Einschließlich der Verpackung darf das Gewicht des Weihnachtspaketes fünf Kilogramm, der beiden übrigen Pakete jeweils drei Kilogramm nicht übersteigen. (2) Ein Paket darf Alkohol und andere berauschende Mittel in jeder Form sowie Medikamente und Tabletten nicht enthalten. 411
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(3) In den Fällen einer ärztlichen Anordnung nach § 22 Abs. 2 StVollzG darf der Inhalt des Paketes nur nach Anhörung des Arztes ausgehändigt werden. 3 Die Erlaubnis zum Empfang sonstiger Pakete kann namentlich für die Zusendung von Unterrichts- und Fortbildungsmitteln, Entlassungskleidung und Gegenständen für die Freizeitbeschäftigung erteilt werden. 4 Jedes Paket soll ein Inhaltsverzeichnis enthalten und den Absender erkennen lassen. Die Verwendung einer von der Anstalt ausgegebenen Paketmarke kann vorgeschrieben werden. 5 (1) Das Paket soll innerhalb eines Zeitraumes von zwei Wochen vor oder nach den in Nummer 1 genannten Zeitpunkten eingehen. (2) Die Anstalt kann die Annahme eines Paketes, das zur Unzeit (Abs. 1) oder mit Übergewicht eingeht oder dessen Empfang nicht zugelassen ist, – gegebenenfalls bereits auf dem Postamt – verweigern. Sie teilt dem Gefangenen die Annahmeverweigerung und den Grund dafür mit. (3) Abs. 2 gilt nicht für ein Paket, das einem ausländischen Gefangenen nicht aus dem Geltungsbereich des Strafvollzugsgesetzes zugesandt wird. Wird das Höchstgewicht überschritten oder ist das Paket nicht zugelassen, kann der Mehrinhalt oder der Inhalt dem Gefangenen ausgehändigt werden, wenn dieser mit der Zuführung eines dem Wert entsprechenden, von der Anstalt festgesetzten Betrages aus dem Hausgeld zum Überbrückungsgeld oder Eigengeld einverstanden ist. Andernfalls ist der Mehrinhalt oder der Inhalt des Paketes zur Habe des Gefangenen zu nehmen, soweit er nicht mit dessen Zustimmung anderweitig verwendet oder soweit nicht nach § 83 Abs. 3 StVollzG verfahren wird. 6 (1) Ein Gefangener, der kein Paket erhält, darf zum Ausgleich Nahrungs- und Genussmittel einkaufen. Für den Ersatzeinkauf darf ein Betrag bis zum siebenfachen, beim Weihnachtspaket bis zum neunfachen Tagessatz der Eckvergütung (§ 43 Abs. 2 StVollzG) aus dem Eigengeld verwendet werden. § 83 Abs. 2 Satz 3 StVollzG bleibt unberührt. (2) Geht für einen Gefangenen nach dem Ersatzeinkauf in dem in Nummer 5 Abs. 1 bestimmten Zeitraum ein Paket ein, ist es ihm auszuhändigen, wenn er mit der Zuführung des gleichen Betrages, den er für den Ersatzeinkauf verwendet hat, aus dem Hausgeld zum Überbrückungsgeld oder Eigengeld einverstanden ist. Andernfalls ist das Paket zurückzusenden. Nummer 5 Abs. 3 bleibt unberührt. 7 (1) Der Paketinhalt wird auf verbotene Gegenstände durchsucht. Liegt ein Inhaltsverzeichnis bei, ist die Vollzähligkeit zu prüfen; Abweichungen sind auf dem Verzeichnis zu vermerken. (2) Der Gefangene hat den Empfang des Paketes schriftlich zu bestätigen. Schwind
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8 Die Kosten des Paketverkehrs trägt der Gefangene. Ist er dazu nicht in der Lage, kann die Anstalt die Kosten in begründeten Fällen in angemessenem Umfang übernehmen. 9 Der Gefangene soll alsbald nach der Aufnahme durch Aushändigung eines Merkblattes über die Möglichkeit, Pakete zu empfangen und zu versenden, unterrichtet werden.
I.
Übersicht Erläuterungen ____ 1–18 1. Empfang von sog. Regelpaketen ____ 1–7 a) Minimalrecht (Abs. 1 Satz 1) ____ 2 b) Zeitpunkt und Höchstmengen (Abs. 1 Satz 2) ____ 3–6 aa) Zeitpunkt ____ 4 bb) Höchstmengen ____ 5 cc) Sonderproblem: Auslandspakete ____ 6 c) Sog. Paketmarke ____ 7 2. Empfang „weiterer“ Pakete (Abs. 1 Satz 3) ____ 8–10 3. Ausschluss von Gegenständen (Abs. 1 Satz 4) ____ 11 4. Kontrolle und Anhalten von Paketen (Abs. 2) ____ 12–14
II.
5. Vorübergehende Untersagung des Empfangs (Abs. 3) ____ 15 6. Versenden von Paketen durch den Gefangenen (Abs. 4) ____ 16 7. Kosten für den Paketverkehr ____ 17 8. Ausgleich für „Paketnichtempfänger“ ____ 18 Landesgesetze und Musterentwurf ____ 19–24 1. Baden-Württemberg ____ 19 2. Bayern ____ 20 3. Hamburg ____ 21 4. Hessen ____ 22 5. Niedersachsen ____ 23 6. Musterentwurf ____ 24
I. Erläuterungen Die Vorschrift wird durch besonders ausführliche Verwaltungsvorschriften (VV) ergänzt, durch die die Einzelheiten des Paketverkehrs (Empfang und Versendung) geregelt werden. Der Gefangene soll schon bei Strafantritt durch Aushändigung eines Merkblatts (vgl. VV Nr. 9) über die Möglichkeiten, Pakete zu empfangen und zu versenden, unterrichtet werden (Arloth 2011 Rdn. 2). Unterbleibt diese Unterrichtung, sollen nach AKJoester/Wegner 2012 Rdn. 1 spätere Einschränkungen ermessensfehlerhaft sein. 1. Empfang von sog. Regelpaketen. Der Gesetzgeber weist darauf hin (vgl. RegE, 1 BT-Drucks. 7/918, 62), dass der Empfang von Paketen, namentlich mit Nahrungs- und Genussmitteln, für den Gefangenen eine spürbare Erleichterung seiner Lebensführung bedeutet und eine Festigung seiner Beziehungen zu Außenstehenden. Dementsprechend räumt § 33 dem Gefangenen einen Rechtsanspruch darauf ein, „dreimal jährlich in angemessenen Abständen ein Paket mit Nahrungs- und Genussmitteln zu empfangen“: sog. „Regelpakete“ (RegE aaO; Arloth 2011 Rdn. 2). Aus Gründen der Sicherheit und Ordnung, aber auch aus Gleichheitsgründen, kann die Anstalt den Paketumfang auf den Postweg beschränken und z. B. das Mitbringen vom Ausgang oder Urlaub verbieten (LG Regensburg ZfStrVo 1986, 1833; C/MD 2008 Rdn. 1). Das Einbringen ist dann ebenso zu behandeln wie das Mitbringen beim Strafantritt (OLG Frankfurt ZfStrVo 1987, 376). Das heißt: Anwendung finden nicht § 33, sondern §§ 19, 70 (C/MD 2008 Rdn. 1). Die Bestellung von Paketen durch Strafgefangene bei Versandhäusern entspricht nicht der Intention des § 33, weil dadurch keine Kontakte zu Bezugspersonen stabilisiert werden (OLG 413
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Nürnberg ZfStrVo 1987, 187; Arloth 2011 Rdn. 1). Die Verweisung auf den Postweg ist zulässig (LG Regensburg ZfStrVo 1986, 183 = BlStV 4/5/1986, 7). 2
a) Abs. 1 Satz 1: betrifft nur Pakete, die Nahrungs- und Genussmittel zum Inhalt haben (zu anderem Inhalt vgl. Satz 3); die Vorschrift verankert ein „Minimalrecht“, d. h. die Anstalt kann die Zusendung weiterer solcher Pakete gestatten (AK-Joester/Wegner 2012 Rdn. 3; C/MD 2008 Rdn. 1; Arloth 2011 Rdn. 2). Allerdings wird schon im RegE (aaO Rdn. 1) darauf verwiesen, dass Paketsendungen für die Vollzugsanstalten eine starke Belastung bedeuten können, sofern wegen notwendiger Sicherheitsvorkehrungen die Pakete und ihr Inhalt durchsucht werden müssen. Wenn es im Gesetz heißt, dass der Gefangene „jährlich in angemessenen Abständen“ bestimmte Pakete empfangen darf, so ist damit jedoch zumindest gemeint, dass die Paketsendungen grundsätzlich nicht alle in einem Halbjahr empfangen werden dürfen. In Niedersachsen (§ 34 NJVollzG), Bayern (Art. 36 BayStVollzG), Hessen (§ 33 Abs. 1 HStVollzG), Baden-Württemberg (§ 28 Abs. 1 Satz 3 JVollzGB III) und im Musterentwurf-StVollzG (§ 37 Abs. 1 Satz 2) sind Pakete mit Nahrungs- und Genussmitteln ausgeschlossen. Der BayVerfGH (Entscheidung vom 12.5.2009 – Vf 4 – VII – 08 = BayVBl. 2010, 720–723 = FS 2009, 267–272) hat gegen diese Regelung keine Bedenken, und zwar mit der Begründung, dass sonst (erfahrungsgemäß) verbotene Gegenstände in die Anstalt geschmuggelt werden können und der entsprechende Kontrollaufwand zu hoch sei. Kompensiert wird das Verbot in den Landesgesetzen durch die Eröffnung von Sondereinkäufen (Übersicht bei Laubenthal 2011 Rdn. 503).
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b) Abs. 1 Satz 2 bestimmt, dass die Vollzugsbehörde den Zeitpunkt und die Höchstmengen für die Sendung und für einzelne Gegenstände festsetzen kann.
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aa) Zeitpunkt: nach VV Nr. 1 Abs. 1 ist der Empfang eines Paketes nur zu Weihnachten, zu Ostern oder etwa zum Geburtstag zugelassen. Hinsichtlich des Zeitpunktes für den Empfang der Regelpakete steht der Vollzugsbehörde aber ein Ermessen zu (OLG Hamm NStZ 1991, 407 = BlStV 1/1992, 7). Insofern kann von der Landesjustizverwaltung auch eine Ermessensrichtlinie erlassen werden, die der gerichtlichen Nachprüfung nur in den Grenzen des § 115 Abs. 5 unterliegt (OLG Hamm ZfStrVo 1979, 252 = BlStV 3/1980, 8). Zur gerichtlichen Ermessensüberprüfung § 115 Rdn. 19 ff. Die VV Nr. 1 Abs. 1 soll mit dem Gesetz nur insoweit nicht vereinbar sein, als sie dem Anstaltsleiter keine Möglichkeit lässt, selbst in begründeten Ausnahmefällen anstelle des Geburtstags einen anderen Zeitpunkt für den Paketempfang festzusetzen (OLG Hamm aaO). Allerdings scheint dabei übersehen worden zu sein, dass in solchen Ausnahmefällen § 33 Abs. 1 Satz 3 weiterhilft (Rdn. 8 ff); eine weitere Ausnahme von der VV Nr. 1 Abs. 1 erlaubt VV Nr. 1 Abs. 2: eine Vorschrift, die eine Sonderregelung für den Fall zulässt, dass der Gefangene keiner christlichen Religionsgemeinschaft angehört. Dann kann der Anstaltsleiter diesem Gefangenen auf Antrag anstelle des Weihnachts- und des Osterpakets den Empfang je eines Pakets aus Anlass eines entsprechend hohen Feiertages seines Glaubens gestatten. C/MD (2008 Rdn. 1) halten diese Regelung zu Recht für bedenklich, weil sie die Anstalt nur ermächtigt, nicht verpflichtet. Deshalb sollte so verfahren werden, als ob eine Verpflichtung bestünde, so auch AK-Joester/Wegner 2012 Rdn. 3; das setzt jedoch voraus, dass der Gefangene die Feiertage seines Glaubens auch nennt (LG Hannover ZfStrVo 1984, 184 = BlStV 6/1984, 10). Die in VV Nr. 5 Abs. 1 getroffene Regelung ist sinnvoll, weil sie geeignet ist, die Arbeitslast zu verteilen. Deshalb kann es einem religiös gar nicht gebundenen Gefangenen nicht überlassen bleiben, ob er den Paketempfang über das ganze Jahr verteilen will; in diesem Sinne ist auch die Begründung des RegE aaO (vgl. Rdn. 1 und 2) zu verstehen (a. A. AK-Joester/Wegner 2012 Rdn. 2). Die Anstalt kann nach Schwind
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VV Nr. 5 Abs. 2 die Annahme eines Paketes, das zur Unzeit (Abs. 1) eingeht oder dessen Empfang nicht zugelassen ist, (bereits auf dem Postamt) verweigern. Sie teilt das und den Grund dafür dem Gefangenen mit (VV Nr. 5 Abs. 2 Satz 2). bb) Höchstmengen: Nach VV Nr. 2 Abs. 1 darf das Gewicht des Weihnachtspake- 5 tes (einschließlich Verpackung) fünf Kilogramm, das der beiden übrigen Pakete jeweils drei Kilogramm nicht übersteigen. Mengenbegrenzungen für einzelne Gegenstände ergeben sich aus den Verwaltungsvorschriften der Länder. Nach VV Nr. 5 Abs. 2 kann die Anstalt auch dann die Annahme des Pakets verweigern, wenn dieses zu schwer ist. Eine solche Maßnahme soll allerdings (weil unverhältnismäßig) bei geringem Übergewicht nicht in Betracht kommen; die zulässige Höchstmenge muss nach C/MD 2008 Rdn. 1 erheblich überschritten sein (so auch AKJoester/Wegner 2012 Rdn. 10; Arloth 2011 Rdn. 3). Um Missbräuchen vorzubeugen, sollte der Gefangene bei geringem Übergewicht des Paketes mit dem Hinweis informiert werden, dass die Anstalt die Annahme einer solchen Sendung im Wiederholungsfalle verweigern wird (C/MD 2008 Rdn. 1; nach AKJoester/Wegner 2012 Rdn. 10 soll eine solche Empfehlung hingegen auch für den Wiederholungsfall nicht relevant sein). VV Nr. 5 Abs. 2 gilt im Übrigen nur für solche Pakete, die einem Gefangenen aus dem Geltungsbereich des Strafvollzugsgesetzes zugesandt werden. cc) Für Auslandspakete gelten die Sonderregelungen in VV Nr. 5 Abs. 3. Solche Pa- 6 kete muss die Anstalt grundsätzlich annehmen. Ausnahme: eine Aufgabe von Paketsendungen im Ausland durch Bewohner aus dem Geltungsbereich des StVollzG, die zur Umgehung der Vorschriften über den Empfang von Inlandspaketen erfolgt, ist als rechtsmissbräuchlich anzusehen. Im Falle eines solchen Rechtsmissbrauchs ist es der Anstalt in entsprechender Anwendung von VV Nr. 5 Abs. 2 gestattet, die Annahme des Pakets – gegebenenfalls bereits auf dem Postamt – zu verweigern (OLG Koblenz ZfStrVo SH 1977, 24; so auch Arloth 2011 Rdn. 3). Ist das Höchstgewicht nicht unerheblich überschritten oder der Inhalt nicht zugelassen, so kommen auch die Möglichkeiten des § 83 Abs. 2 und 3 in Betracht: Verwahrung bei der Habe, anderweitige Verbringung mit Zustimmung des Gefangenen oder Entfernung aus der Anstalt auf Kosten des Gefangenen (C/MD 2008 Rdn. 1). c) Sog. Paketmarken: Nach Satz 2 der VV Nr. 4 kann die Verwendung einer von der 7 Anstalt ausgegebenen Paketmarke vorgeschrieben werden. Bei dieser handelt es sich um einen in der Anstalt (je nach Berechtigung) erhältlichen Aufkleber, den der Gefangene an den gewünschten Absender des Pakets schickt, damit dieser ihn auf die Umhüllung des Pakets kleben kann. Die Aufklebeadresse auf den eingehenden Paketen ermöglicht es dem Beamten der Poststelle, ohne weitere Nachprüfung festzustellen, ob eine Bezugsberechtigung vorliegt. Die Paketmarke dient also der Verringerung des Verwaltungsaufwands: sie ist sinnvoll und zweckmäßig, weil sie die Überprüfung der Bezugsberechtigung erheblich vereinfacht (OLG Hamm ZfStrVo 1985, 124; dazu auch OLG Hamm ZfStrVo 1985, 124; krit. C/MD 2008 Rdn. 1). Jedenfalls macht der Paketverkehr insbesondere in großen Anstalten organisatorische Regelungen erforderlich, die sowohl den begrenzten Möglichkeiten des personellen Verwaltungsaufwands als auch den Bedürfnissen der Gefangenen nach zügiger Abwicklung von Kontrolle und Aushändigung eingehender Post Rechnung tragen. Die Paketmarke erleichtert auch die Kontrolle; sie erfüllt ihre Aufgabe aber nur, wenn sie generell für den Paketverkehr gilt. Aus datenschutzrechtlicher Sicht erscheint allerdings problematisch, dass durch die Gestaltung der bisherigen Paketmarke die Anschrift des Adressaten („JVA“) bekannt wird. C/MD 415
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(2008 Rdn. 1) schlagen deshalb den Gebrauch „neutraler“ Paketmarken vor, aus denen für Außenstehende nicht ersichtlich ist, dass der Empfänger in einer JVA einsitzt. 8
2. Empfang „weiterer“ Pakete. Abs. 1 Satz 3 weist darauf hin, dass der Empfang weiterer Pakete oder solcher mit anderem Inhalt der Erlaubnis der Vollzugsbehörde bedarf.
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a) Auf den Empfang weiterer Verpflegungspakete hat der Gefangene keinen Rechtsanspruch; die Erlaubniserteilung steht im Ermessen der Anstalt (Arloth 2011 Rdn. 4; C/MD 2008 Rdn. 2; AK-Joester/Wegner 2012 Rdn. 12; BVerfG NStZ-RR 1997, 59; OLG Karlsruhe NStZ-RR 2002, 315). Der Gefangene kann also, wenn ihm das die Anstalt erlaubt, über die drei Pakete mit Nahrungs- und Genussmitteln (Abs. 1) hinaus weitere Pakete empfangen. Soweit die Pakete Nahrungs- und Genussmittel enthalten, wird die Anstalt allerdings berücksichtigen müssen, dass im Strafvollzug nach allgemeiner Erfahrung der Einhaltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes (vgl. § 22 Rdn. 1) zur Vermeidung sonst entstehender Unruhen unter den Gefangenen besondere Bedeutung zukommt (OLG Celle NStZ 1997, 256; C/MD 2008 Rdn. 2). Dies gilt vor allem hinsichtlich des Umfangs und der Art der Verpflegung, die grundsätzlich für alle Gefangenen gleich sein soll (LG Hamburg ZfStrVo 1979, 124). Die Vollzugsbehörde darf deshalb die Erlaubnis für den Empfang weiterer Pakete mit Nahrungsmitteln über die in § 33 Abs. 1 Satz 1 genannte Zahl hinaus im Hinblick auf den Gleichbehandlungsgrundsatz und die Gefährdung der Sicherheit und/oder Ordnung (§ 81 Rdn. 7) ablehnen (LG Hamburg aaO; vgl. aber auch BVerfG NStZ-RR 1997, 60). Fehlt für den Empfang des Paketes die nach § 33 Abs. 1 Satz 3 erforderliche Erlaubnis, so ist dies für den Postempfangsbeauftragten der Anstalt ein zureichender Grund, die Annahme des Paketes zu verweigern. Einer Zustimmung des Gefangenen hierzu bedarf es nicht (OLG Frankfurt ZfStrVo SH 1979, 51 = BlStV 1/1980, 8).
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b) Der Empfang von (weiteren) Paketen mit anderem Inhalt ist ebenfalls von der Erlaubnis der Vollzugsbehörde abhängig. Nach der Nr. 3 der VV kann die Erlaubnis zum Empfang solcher sonstiger Pakete namentlich für die Zusendung von Unterrichts- und Fortbildungsmaterialien, für Entlassungsbekleidung und für Gegenstände, die der Freizeitbeschäftigung dienen, erteilt werden; auch von privater Wäsche: jedoch nur, wenn die Anstalt das Tragen (auf eigene Kosten des Gefangenen) erlaubt hat (vgl. BVerfG NStZ 1997, 382 = StV 1996, 681). Aber auch insoweit ist der Gleichbehandlungsgrundsatz zu beachten, der sich am Maßstab der durchschnittlichen Anstaltssituation orientieren sollte, allerdings unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalles. Nicht außer Betracht bleiben können wiederum die begrenzten Möglichkeiten des personellen Verwaltungsaufwandes (dazu OLG Hamm BlStV 1/1995, 5). Es ist daher unrealistisch zu glauben, die Anstalt könnte den Empfang einer beliebigen Anzahl von weiteren Paketen erlauben (in diesem Sinne inzwischen auch AK-Joester/Wegner 2012 Rdn. 12). Eine Bestimmung, nach der eine einem Gefangenen von der Vollzugsbehörde erteilte Erlaubnis (hier zum Empfang eines Pakets mit Bastelmaterial) erlischt, wenn der Gefangene von ihr innerhalb einer bestimmten Zeit keinen Gebrauch gemacht hat, findet sich im StVollzG nicht; es gibt auch keinen entsprechenden allgemeinen Rechtssatz (KG ZfStrVo 1983, 59; C/MD 2008 Rdn. 2). Auf der anderen Seite beinhaltet eine einmal erteilte Erlaubnis, weitere Pakete zu empfangen, keine Dauererlaubnis für die gesamte Haftzeit; schon gar nicht, wenn der Gefangene verlegt wird (vgl. Rdn. 12 zu § 69; C/MD 2008 Rdn. 2; OLG Celle NStZ 1997, 256).
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3. Ausschluss von Gegenständen. Nach Abs. 1 Satz 4 gilt für den Ausschluss von 11 Gegenständen § 22 Abs. 2 entsprechend: Danach kann die Übersendung von Gegenständen, die die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt gefährden (z. B. Aufkleber zu politischen Themen: LG Saarbrücken ZfStrVo 1984, 175; KG Berlin NStZ-RR 2007, 125 oder Kerze als mögliches Versteck: OLG Hamm BlStV 1/1995, 5), untersagt werden. Versagt werden kann ferner die Erlaubnis für die Zusendung z. B. von umfangreichem Informationsmaterial (OLG Koblenz ZfStrVo 1985, 121) oder von Warenkatalogen (OLG Koblenz ZfStrVo 1991, 308; vgl auch Rdn. 3 zu § 28) oder von provozierenden Aufnähern (OLG Hamburg NStZ 1988, 96 = ZfStrVo 1988, 158) oder von entsprechenden Anstecknadeln (OLG Frankfurt ZfStrVo 1982, 185; Arloth 2011 Rdn. 5). Schließlich kann die Vollzugsbehörde (auf ärztliche Anordnung) die Zusendung einzelner Nahrungs- und Genussmittel, wenn sie die Gesundheit ernsthaft gefährden, verbieten (vgl. dazu auch VV Nr. 2 Abs. 3; § 22 Rdn. 5). Nach VV Nr. 2 Abs. 2 darf ein Paket auch weder Alkohol noch andere berauschende Mittel (in jeder Form), Medikamente oder Tabletten enthalten. Zur Rücksendung ausgeschlossener Gegenstände vgl. § 33 Abs. 2 Satz 2. Nach § 33 Abs. 3 kann der Empfang von Paketen vorübergehend überhaupt untersagt werden (vgl. unten Rdn. 15). Vgl. auch § 4 Rdn. 23. 4. Kontrolle und Anhalten von Paketen. Abs. 2 beschäftigt sich mit der Kontrolle 12 und dem Anhalten von Paketen. Werden bei der Kontrolle personenbezogene Daten bekannt, findet § 180 Abs. 8 Anwendung. a) Nach Abs. 2 Satz 1 sind Pakete immer nur in Gegenwart des Gefangenen zu öff- 13 nen. Dabei darf der Paketinhalt auf verbotene Gegenstände durchsucht werden (VV Nr. 7 Satz 1). Außerdem wird geprüft, ob das Paket das zulässige Höchstgewicht überschreitet (vgl. dazu oben Rdn. 5). Wenn das vermeidbar ist (und in der Regel dürfte es vermeidbar sein), sollte es nicht geschehen, dass alle Verpackungen aufgerissen werden und dem Gefangenen dann ein großer Haufen von Geschenken und Papier übergeben wird (so richtig AK-Joester/Wegner 2012 Rdn. 8). Liegt ein Inhaltsverzeichnis bei (vgl. VV Nr. 4 Satz 1), ist die Vollzähligkeit zu prüfen; Abweichungen sind auf dem Verzeichnis zu vermerken (VV Nr. 7 Abs. 1, zweiter HS.). Der Gefangene hat den Empfang des Paketes schriftlich zu bestätigen (VV Nr. 7 Abs. 2). Vgl. auch § 56 Rdn. 20. b) Nach Abs. 2 Satz 2–4 können ausgeschlossene Gegenstände zur Habe des Ge- 14 fangenen genommen oder dem Absender zurückgesandt werden. Die Kosten für die Rücksendung trägt in der Regel der Gefangene (VV Nr. 8); im Falle seiner Bedürftigkeit kann sie die Anstalt übernehmen (C/MD 2008 Rdn. 4 und 14), insbesondere dann, wenn der Gefangene zur Zusendung der Gegenstände möglicherweise selbst nicht beigetragen hat (SA, BT-Drucks. 7/3998, 17). § 33 Abs. 2 Satz 3 räumt der Anstalt darüber hinaus die Möglichkeit ein, Gegenstände unter bestimmten Voraussetzungen zu vernichten: z. B. giftige Stoffe (Arloth 2011 Rdn. 6). Nach § 33 Abs. 2 Satz 4 muss der Gefangene (nicht der Absender: OLG Rostock NStZ 1997, 382 M) über Aufbewahrung, Zurücksendung oder Vernichtung unterrichtet werden, und zwar vor Durchführung einer dieser Maßnahmen. 5. Vorübergehende Untersagung des Empfangs. Nach Abs. 3 kann der Empfang 15 von Paketen vorübergehend überhaupt untersagt werden, wenn dies wegen Gefährdung der Sicherheit oder Ordnung der Anstalt (zu diesen Begriffen vgl. § 81 Rdn. 7) unerlässlich ist (Arloth 2011 Rdn. 7; Laubenthal 2011 Rdn. 502). Insoweit muss es sich jedoch unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Umstände um eine im Einzelfall konkrete 417
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Gefahrenlage handeln (OLG Nürnberg NStZ 1985, 335; OLG Hamm NStZ 1984, 287); bei dieser Prüfung kommt auch der Frage der Zuverlässigkeit des Absenders des Pakets eine maßgebliche Bedeutung zu (OLG Nürnberg aaO; C/MD 2008 Rdn. 2). Das Merkmal „vorübergehend“ bedeutet nicht, dass dem Betreffenden ohne Rücksicht auf berechtigte Sicherheitsbedürfnisse Dritter, deren Recht auf Gesundheit und Leben ebenfalls verfassungsrechtlich geschützt ist, nach Ablauf einer bestimmten Frist in jedem Falle ein Paket ausgehändigt werden müsste. Vielmehr muss bei berechtigten Sicherheitsbedenken so lange die Genehmigung zum Paketempfang verweigert werden können, wie diese Maßnahme im Hinblick auf die Sicherheit der Anstalt unerlässlich ist (OLG Hamm MDR 1984, 692). Dabei ist die Frage der „Unerlässlichkeit“ für Anstalten des offenen Vollzuges und solche mit höherem Sicherheitsgrad unterschiedlich zu beantworten (KG BlStV 1/1984, 6). Eine sechsmonatige Paketsperre in einer Abschirmstation für Dealer kann den Anforderungen, insbesondere dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz im Ausnahmefall noch entsprechen (KG NStZ 1984, 95 mit insoweit abl. Anm. Kerner/Streng: entspricht nicht dem Individualisierungsgebot; krit. auch C/MD 2008 Rdn. 2). Die Versagung kann für alle Insassen der Anstalt (Arloth 2011 Rdn. 7; KG NStZ 1983, 576; a. A. Kerner/Streng aaO) oder für einen einzelnen ausgesprochen werden, wenn der Bedingungssatz zutrifft (Grunau/Tiesler 1982 Rdn. 3); allerdings ist ein solches Verbot nur dann „unerlässlich“, wenn sonst die Sicherheit oder die Ordnung in der Anstalt zusammenzubrechen drohen würde (Grunau/Tiesler aaO). Auch daraus ergibt sich, dass die Untersagung des Paketverkehrs erst in Betracht kommen kann, wenn es keine mildere Möglichkeit für die Aufrechterhaltung der Sicherheit oder Ordnung der Anstalt gibt (AK-Joester/ Wegner 2012 Rdn. 13): „ultima ratio“ (OLG Nürnberg NStZ 1985, 335). 16
6. Versenden von Paketen durch Gefangene. Nach Abs. 4 kann dem Gefangenen auch gestattet werden (kein Rechtsanspruch: C/MD 2008 Rdn. 6; Arloth 2011 Rdn. 8), über die Regelung in § 83 Abs. 2 Satz 3 hinaus Pakete zu versenden. In Betracht kommt z. B. die Versendung von Sachen (Gegenständen), die er im Vollzug nicht (mehr) braucht (C/MD 2008 Rdn. 6) bzw. von Prozessunterlagen an den Verteidiger (OLG Koblenz NStZ 1983, 96) oder von Bastelarbeiten für die Kinder zum Weihnachtsfest (Grunau/Tiesler 1982 Rdn. 4; Böhm 2003 Rdn. 270). Da die Versendung für die Gleichgewichtigkeit der Beziehungen des Gefangenen zu seinen Bezugspersonen Bedeutung besitzen kann (Geschenke in beiden Richtungen), sollte die Versendung von Paketen nicht ohne zwingenden Grund unterbunden werden (C/MD 2008 Rdn. 6; AK-Joester/Wegner 2012 Rdn. 14; vgl. auch Rdn. 1). Dieser Grund kann in der Gefährdung der Sicherheit oder Ordnung bestehen; deshalb dürfen auch ausgehende Pakete kontrolliert werden, aber keine entsprechende Verteidigerpost (OLG Stuttgart NJW 1992, 61 = NStZ 1991, 359) für die auch nicht § 33 Abs. 4, sondern § 29 Abs. 1 Nr. 1 in Betracht kommt (vgl. Rdn. 15 zu § 29). Zur Frage des Freimachens und Absendens eines Paketes mit Prozessunterlagen an einen Strafverteidiger vgl. OLG Koblenz ZfStrVo 1982, 378.
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7. Kosten für den Paketverkehr. Nach VV Nr. 8 Satz 1 trägt der Gefangene die Kosten des Paketverkehrs selbst. Ist er dazu nicht in der Lage, kann in begründeten Fällen (gem. VV Nr. 8 Satz 2) die Anstalt die Kosten in angemessenem Umfang übernehmen (Satz 2: z. B. wenn der Strafgefangene in einem Wiederaufnahmeverfahren seinem Verteidiger ein Paket mit Prozessunterlagen zusenden will: OLG Koblenz NStZ 1983, 96).
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8. Ausgleich für „Paketnichtempfänger“. Keine Regelung enthält das StVollzG für die Fälle, in denen der Gefangene keine Pakete erhält; diese Fälle werden jedoch Schwind
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durch die Verwaltungsvorschriften erfasst. Nach VV Nr. 6 Abs. 1 Satz 1 darf ein Gefangener, der kein Paket erhält, zum Ausgleich zusätzliche Nahrungs- und Genussmittel in der Anstalt einkaufen. Für den Ersatzeinkauf darf ein Betrag bis zum siebenfachen, beim Weihnachtspaket bis zum neunfachen Tagessatz der Eckvergütung (§ 43 Abs. 2; § 43 Rdn. 5 und 11) aus dem Eigengeld (§ 52 Rdn. 1) verwendet werden (VV Nr. 6 Abs. 1 Satz 2). Dass für diese Fälle die Wertbegrenzung anstelle der Gewichtsbegrenzung, wie sie die VV Nr. 2 Abs. 1 vorsieht, gewählt worden ist, ist nicht sachgerecht (so auch AK-Joester/ Wegner 2012 Rdn. 15; Arloth 2011 Rdn. 9; krit. C/MD 2008 Rdn. 5: gegen jede Mengen- und Gewichtsbegrenzung). Mit dem Hinweis „§ 83 Abs. 2 Satz 3 StVollzG bleibt unberührt“ (VV Nr. 6 Abs. 3 Satz 1) ist gemeint, dass der Gefangene nur insoweit anstelle eines Paketes vom Eigengeld einkaufen kann, als dieses nicht als Überbrückungsgeld (§ 51 Rdn. 2, 3) erforderlich ist (vgl. auch Rdn. 6 zu § 22). II. Landesgesetze und Musterentwurf 1. Baden-Württemberg. Dem § 33 StVollzG entspricht (mit derselben Überschrift) 19 der § 28 JVollzGB III. Nach Abs. 1 Satz 3 sind Pakete mit Nahrungs- und Genussmitteln ausgeschlossen. Als Ausgleich erhalten (so die Gesetzesgründung: LT-Drucks. 14/5012, 219) die Gefangenen die Möglichkeit, über ein pfändungsfreies Sondergeld im Rahmen dieses Gesetzes (§ 54) innerhalb der Justizvollzugsanstalt nach eigenen Wünschen zu verfügen. Nach Abs. 4 „tragen die Kosten des Paketverkehrs die Gefangenen. Sind sie dazu nicht in der Lage, kann die Justizvollzugsanstalt die Kosten in begründeten Fällen in angemessenem Umfang übernehmen“. 2. Bayern. In Bayern finden sich die Regelungen zu Paketen in Art. 36 BayStVollzG. 20 Dessen Art. 1 lautet: „Der Empfang von Paketen bedarf der vorherigen Erlaubnis der Anstalt. Für den Ausschluss von Gegenständen gilt Art. 24 Abs. 2 Satz 1 entsprechend. Pakete mit Nahrungs- und Genussmitteln sind ausgeschlossen.“ In der Gesetzesbegründung (LT-Drucks. 15/8101, 58) heißt es dazu: „Der Empfang von Paketen mit Nahrungs- oder Genussmitteln ist abweichend von der Regelung in § 33 Abs. 1 Satz 1 StVollzG ausgeschlossen, weil er einerseits mit einem erheblichen Kontrollaufwand verbunden ist, der die Justizvollzugsbehörden stark belastet“, andererseits haben die Gefangenen „die Möglichkeit, sich beim Anstaltskaufmann die von ihnen gewünschten Nahrungs- und Genussmittel zu kaufen, verbunden mit der Regelung in Art. 53, nach der Dritte für die Gefangenen zum Zwecke des Sondereinkaufs nach Art. 25 Geld einzahlen können“. Abs. 2 ist fast wortgleich mit § 33 Abs. 2 StVollzG. Abs. 3 entspricht inhaltlich der Regelung in § 33 Abs. 4 StVollzG. Abs. 4 entspricht inhaltlich der Regelung der VV Nr. 8 zu § 33 StVollzG. 3. Hamburg. § 33 Abs. 1 lautet: „Der Empfang von Paketen bedarf der Erlaubnis der 21 Anstalt, welche Zeitpunkt und Höchstmengen für die Sendung und für einzelne Gegenstände festsetzen kann. § 25 Abs. 4 Satz 1 gilt entsprechend. Der Empfang von Paketen mit Nahrungs- und Genussmitteln ist nicht gestattet.“ Die Regelung im letzten Satz entspricht der in Bayern. Abs. 2 des § 33 HmbStVollzG ist wortgleich mit § 33 Abs. 2 StVollzG. Abs. 3 entspricht inhaltlich der Regelung in § 33 Abs. 4 StVollzG. Abs. 4 entspricht inhaltlich der Regelung der VV Nr. 8 zu StVollzG (allerdings werden die Kosten nur in „besonders begründeten Fällen“ übernommen). 419
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4. Hessen. Der § 33 StVollzG (Pakete) entspricht dem § 37 HStVollzG mit derselben Überschrift. Nach Abs. 1 Satz 3 ist der Empfang von Paketen mit Nahrungs- und Genussmitteln auch in Hessen verboten. Ein Surrogat für die Abschaffung des Anspruchs auf den Empfang von solchen Paketen wird durch § 55 Abs. 2 geschaffen. Gemäß dieser Vorschrift kann für die Gefangenen zweimal jährlich Geld zum Zweck eines Sondereinkaufs einbezahlt werden. Nach Abs. 2 sind Pakete in Gegenwart des Gefangenen zu öffnen. Ausgeschlossene Gegenstände können zu ihrer Habe genommen oder dem Absender zurückgesandt werden.
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5. Niedersachsen. Auch im NJVollzG (§ 34) haben die Paketvorschriften in Abs. 1 und 2 erhebliche Veränderungen erfahren. Der Text wird deshalb vollständig abgedruckt: „(1) Die oder der Gefangene darf in angemessenem Umfang Pakete empfangen. Der Empfang jedes Paketes bedarf der Erlaubnis. Pakete dürfen Nahrungs- und Genussmittel sowie Gegenstände, die die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt gefährden, nicht enthalten. Pakete, für die keine Erlaubnis erteilt worden ist, sollen nicht angenommen werden. (2) Angenommene Pakete sind in Gegenwart der oder des Gefangenen zu öffnen. Gegenstände nach Abs. 1 Satz 3 sind zur Habe zu nehmen, zurückzusenden oder, wenn es erforderlich ist, zu vernichten. Die Maßnahmen werden der oder dem Gefangenen mitgeteilt.“ Die Abs. 3 und 4 des § 34 NJVollzG entsprechen inhaltlich § 33 Abs. 3 und 4 StVollzG.
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6. Musterentwurf. Dem § 33 StVollzG (Pakete) entspricht der § 37 ME-StVollzG. Dessen Absätze 4 und 5 wiederholen wortgleich die Absätze 3 und 4 des § 33 StVollzG. Nach Absatz 6 soll die Kostentragung zu Lasten der Gefangenen nunmehr (mit Ausnahmeregelung) gesetzlich geregelt werden. Die Absätze 1 bis 3 lauten wie folgt: „(1) Den Gefangenen kann gestattet werden, Pakete zu empfangen. Der Empfang von Paketen mit Nahrungs- und Genussmitteln ist untersagt. Die Anstalt kann Anzahl, Gewicht und Größe von Sendungen und einzelnen Gegenständen festsetzen. Über § 46 Absatz 1 und Satz 2 hinaus kann sie Gegenstände und Verpackungsformen ausschließen, die einen unverhältnismäßigen Kontrollaufwand bedingen. (2) Die Anstalt kann die Annahme von Paketen, deren Einbringung nicht gestattet ist oder die Voraussetzungen des Absatzes 1 nicht erfüllen, ablehnen oder solche Pakete an den Absender zurücksenden. (3) Pakete sind in Gegenwart der Gefangenen zu öffnen, an die sie adressiert sind. Mit nicht zugelassenen oder ausgeschlossenen Gegenständen ist gemäß § 49 Absatz 3 zu verfahren. Sie können auch auf Kosten der Gefangenen zurückgesandt werden.“
§ 34 § 34 Ullenbruch (aufgehoben)
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§ 35 Urlaub, Ausgang und Ausführung aus wichtigem Anlass § 35 Ullenbruch Urlaub, Ausgang und Ausführung aus wichtigem Anlass (1) Aus wichtigem Anlass kann der Anstaltsleiter dem Gefangenen Ausgang gewähren oder ihn bis zu sieben Tagen beurlauben; der Urlaub aus anderem wichtigen Anlass als wegen einer lebensgefährlichen Erkrankung oder wegen des Todes eines Angehörigen darf sieben Tage im Jahr nicht übersteigen. § 11 Abs. 2, § 13 Abs. 5 und § 14 gelten entsprechend. (2) Der Urlaub nach Absatz 1 wird nicht auf den regelmäßigen Urlaub angerechnet. (3) Kann Ausgang oder Urlaub aus den in § 11 Abs. 2 genannten Gründen nicht gewährt werden, kann der Anstaltsleiter den Gefangenen ausführen lassen. Die Aufwendungen hierfür hat der Gefangene zu tragen. Der Anspruch ist nicht geltend zu machen, wenn dies die Behandlung oder die Eingliederung behindern würde. VV 1 Die VV zu §§ 11, 13 und 14 StVollzG gelten sinngemäß. 2 (1) Bei einer Ausführung entscheidet der Anstaltsleiter über die nach Lage des Falles erforderlichen besonderen Sicherungsmaßnahmen. (2) Eine Ausführung unterbleibt, wenn trotz Anordnung angemessener besonderer Sicherungsmaßnahmen zu befürchten ist, dass der Gefangene sich dem Vollzug der Freiheitsstrafe entziehen oder die Ausführung zu Straftaten missbrauchen werde. Dies gilt nicht, wenn die Ausführung zur Abwendung einer unmittelbaren Gefahr für Leib oder Leben des Gefangenen unerlässlich ist. Schrifttum S. bei § 11.
I. II.
Übersicht Allgemeine Hinweise ____ 1 Erläuterungen ____ 2–7 1. Wichtiger Anlass nach § 35 Abs. 1 ____ 2, 3 2. Urlaub aus wichtigem Anlass (§ 35 Abs. 1 und 2) ____ 4–6 3. Ausführung aus wichtigem Anlass (§ 35 Abs. 3) ____ 7
III.
Landesgesetze und Musterentwurf ____ 8–13 1. Baden-Württemberg ____ 8 2. Bayern ____ 9 3. Hamburg ____ 10 4. Hessen ____ 11 5. Niedersachsen ____ 12 6. Musterentwurf ____ 13
I. Allgemeine Hinweise Lockerungen und Urlaub sind allgemeine Behandlungsmaßnahmen. Sie können 1 aber im Einzelfall auch geeignet sein, bei einem wichtigen Anlass die berechtigten Belange des Gefangenen genau zu berücksichtigen. So ermöglicht die Vorschrift, über den in § 13 Abs. 1 auf 21 Tage begrenzten Regelurlaub hinaus bei Vorliegen eines wichtigen 421
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Anlasses weiteren Urlaub zu gewähren. Soweit § 35 auch den Ausgang erwähnt, ist darauf hinzuweisen, dass schon gem. § 11 Abs. 1 Ausgang ohne Begrenzung auf eine bestimmte Zeit von Tagen im Jahr gewährt werden kann (§ 11 Rdn. 8). Erhält ein Gefangener aber in vorher bestimmten regelmäßigen Zeitabständen Ausgang, so könnte ihm gem. § 35 über den „Regelausgang“ hinaus bei Vorliegen eines wichtigen Anlasses ein zusätzlicher Ausgang gewährt werden. Zur Gewährung von Sonderurlaub vgl. auch § 13 Rdn. 2; § 15 Rdn. 6 ff; § 124 Rdn. 1; § 134 Rdn. 1. Zur Zweckbestimmung des § 35 vgl. Dopslaff in Anm. zu OLG Frankfurt NStZ 1986, 189 ff. Zur befristeten Aussetzung des Vollzuges der Untersuchungshaft nach § 116 StPO vgl. AG Krefeld NStZ 2002, 559 m. Anm. Neuhaus (hier: Ablegung einer Prüfung vor der Industrie- und Handelskammer). II. Erläuterungen 1. Wichtiger Anlass nach § 35 Abs. 1. Durch die Vorschrift wird der Anstaltsleiter zur Gewährung von Ausgang, Urlaub oder Ausführung ermächtigt, aber nicht verpflichtet. Der Gefangene hat Anspruch auf fehlerfreien Ermessensgebrauch. Die Ermächtigung des Anstaltsleiters ist durch den unbestimmten Rechtsbegriff (§ 115 Rdn. 21) „wichtiger Anlass“ eingeschränkt. Unter wichtigen Anlässen sind Angelegenheiten oder Ereignisse zu verstehen, die in besonderer Weise die private Sphäre des Gefangenen berühren oder von besonderer Bedeutung für seine spätere Resozialisierung sind (OLG Koblenz ZfStrVo 1979, 253). Es kommen sowohl persönliche als auch geschäftliche oder rechtliche Angelegenheiten des Gefangenen in Betracht. Dabei muss es sich für den Gefangenen um Angelegenheiten von erheblicher Bedeutung handeln, die einen Ausgang oder Urlaub unbedingt erfordern (OLG Hamburg ZfStrVo 1978, 125), d. h. eine Erledigung unter Nutzung anstaltsinterner Möglichkeiten nicht machbar ist (zur insoweit zu beachtenden Abgrenzung gegenüber §§ 11, 13 instruktiv KG StV 2010, 644). Dem Gefangenen obliegt es, die Tatsachen darzulegen, aus denen sich ein wichtiger Anlass ergibt (OLG Hamm LS BlStV 1/1983, 2). Mit Beendigung des wichtigen Anlasses „erledigt“ sich der Antrag. Zulässig ist dann allenfalls noch ein Feststellungsantrag (§ 115 Abs. 3). In der Beschwerdeinstanz ist das Übergehen auf einen solchen nicht mehr möglich (ThürOLG ZfStrVo 2005, 184; OLG Zweibrücken NStZ 1982, 263; Arloth 2011 Rdn. 8). § 35 nennt in Abs. 1 als „wichtigen Anlass“ beispielhaft nur lebensgefährliche Erkrankung oder Tod eines Angehörigen (zu einem Trauerfall in der Familie vgl. unlängst LG Hamburg StraFo 2007, 85). Eine lebensgefährliche Erkrankung liegt vor, wenn der Angehörige plötzlich erkrankt oder wenn sich sein Zustand verschlechtert und als Folge eine akute Lebensgefahr eintritt. Die Beurlaubung wegen einer schon länger andauernden Krankheit wird durch § 35 nicht gedeckt (OLG Hamburg ZfStrVo SH 1978, 34). Wie sich aus den im Gesetz genannten Beispielen ergibt, muss es sich bei den „wichtigen Anlässen“ um nicht aufschiebbare, eilbedürftige und i. d. R. auch unvorhersehbare Ereignisse handeln. Beispiele aus der Rechtsprechung: Eine beabsichtigte ärztliche Behandlung außerhalb der Anstalt stellt allein dann 3 einen wichtigen Grund dar, wenn sie nach pflichtgemäßem Ermessen des Anstaltsarztes sachlich notwendig und innerhalb der Anstalt nicht durchführbar ist (KG 10.3.1982 – 2 Ws 10/82 –). Der Anstaltsleiter ist jedoch nicht verpflichtet, eine vom Anstaltsarzt empfohlene Ausführung in jedem Falle auch anzuordnen. Ist zur Entscheidung darüber eine Offenlegung anamnestischer, diagnostischer oder prognostischer Daten unerlässlich, darf und muss der Anstaltsarzt dem Anstaltsleiter diejenigen Informationen liefern, deren dieser für einen geordneten Vollzug im Einzelfall unter Berücksichtigung des Anspruchs des Strafgefangenen auf Gesundheitsfürsorge und des Schutzes der Allgemeinheit bedarf. Die ärztliche Schweigepflicht steht dem nicht entgegen (OLG Karlsruhe MDR 2
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1993, 998 = ZfStrVo 1993, 246 = BlStV 6/1993, 7 zu Zweifeln an der Richtigkeit der Empfehlung einer Allgemeinmedizinerin, einen Sicherungsverwahrten in die Universitätsklinik auszuführen; s. auch Rdn. 7). Die allgemeine psychische Verfassung eines Gefangenen ist kein wichtiger Anlass für eine Ausführung, kann aber diese Lockerung als Behandlungsmaßnahme nach § 11 Abs. 1 Nr. 2 rechtfertigen (OLG Frankfurt NStZ 1984, 477). Ein „wichtiger Anlass“ kann vorliegen, wenn ein Gefangener, der Familienvater ist, einen Umzug aus wirtschaftlichen Gründen selbst bewerkstelligen muss; die Suche nach einer neuen Wohnung stellt aber in der Regel keinen wichtigen Anlass dar (OLG Koblenz ZfStrVo 1979, 253, krit. dazu Franke BlStV 4/1980, 7, 10). Die Überwachung von dringenden Klempnerarbeiten in der Wohnung, Reinigung und Inbetriebnahme der Gasheizung und Reparatur eines Rohrbruchs sowie Vorbereitung einer Untervermietung können ein wichtiger Anlass sein (LG Hamburg ZfStrVo SH 1978, 33), ebenso die Durchführung dringender Reparaturarbeiten, wenn nur der Gefangene die Arbeit durchführen kann und seine Anwesenheit zwingend erforderlich ist (OLG Hamm BlStV 6/1987, 3; LG Dortmund LS BlStV 3/1982, 3), ferner die Beschaffung von Beweismaterial für ein Wiederaufnahmeverfahren (LG Lüneburg 26.4.1978 – 17 StVK 125/78) sowie von Unterlagen für das Finanzamt (OLG Hamm LS ZfStrVo 1987, 372), jedenfalls wenn diese nicht durch Schriftverkehr zu erhalten sind, allerdings ist die Verweisung auf ein noch nicht erschöpftes Regelurlaubskontingent denkbar (OLG Zweibrücken NStZ-RR 2010, 282); nicht aber die Sperrmüllbeseitigung aus der Wohnung (OLG Hamburg 14.3.1978 – Vollz (Ws) 4/78). Die Inanspruchnahme des passiven Wahlrechts, insbesondere die Durchführung von Wahlveranstaltungen, ist kein wichtiger Anlass (LG Hamburg ZfStrVo 1979, 63). Ein Gefangener, der für die Teilnahme an Parteiveranstaltungen bereits mehrfach Sonderurlaub erhalten hat, kann für die Teilnahme an einer weiteren Veranstaltung auf den Regelurlaub verwiesen werden (OLG Frankfurt LS BlStV 3/1987, 3). Vgl. § 13 Rdn. 2; § 73 Rdn. 3. Ein wichtiger Anlass ist auch dann nicht gegeben, wenn der Gefangene etwa noch offene Fragen seiner beruflichen Wiedereingliederung unschwer auf schriftlichem Weg oder bei Besuchen von Angehörigen in der Anstalt klären kann (OLG Koblenz ZfStrVo 1978, 249). Beispiele aus Ausführungsvorschriften der Länder (vgl. dazu OLG Celle ZfStrVo 1985, 184; OLG Frankfurt BlStV 2/1986, 4): Eheschließung des Gefangenen, Geburt, Taufe, Konfirmation, Erstkommunion (zur Jugendweihe vgl. ThürOLG ZfStrVo 2005, 184), Eheschließung eines Kindes oder der Geschwister oder eines Elternteils des Gefangenen, soweit familiäre Bindungen bestehen. Ein wichtiger Anlass kann auch eine länger dauernde, nicht lebensgefährliche Erkrankung eines Angehörigen sein; ein Sonderurlaubsantrag kann aber trotz Vorliegen eines wichtigen Anlasses abgelehnt werden, wenn der Gefangene seinen Regelurlaub unter Vernachlässigung des erkrankten Angehörigen mutwillig erschöpft hat (OLG Celle ZfStrVo 1986, 378; abl. AK-Köhne/Lesting 2012 Rdn. 13). Ein im geschlossenen Vollzug befindlicher Gefangener hat zwar keinen Anspruch darauf, an jedem Todestag eines jeden Angehörigen zu dessen Grab ausgeführt zu werden. Im Einzelfall, z. B. wenn der verstorbene Bruder dem Gefangenen zu Lebzeiten nachweislich besonders nahe gestanden hatte, könnte aber ein wichtiger Ausführungsanlass i. S. d. Abs. 3 Satz 1 in Betracht kommen (OLG Koblenz NStZ 2003, 593 M). Zur Möglichkeit der Wahrnehmung von Gerichtsterminen während des Regelurlaubes § 13 Rdn. 2. Der Gefangene muss das Vorliegen eines wichtigen Anlasses der Anstalt gegenüber nachweisen (z. B. durch ärztliches Attest oder durch Belege, die die Dringlichkeit der Unterredung mit seinem Anwalt in dessen Praxis nahe legen: OLG Hamburg, Beschl. vom 7.2.1997 – 3 Vollz 44/96). Hat die Anstalt Zweifel an den Angaben des Gefangenen, muss sie ihre Erkundungsmöglichkeiten ausschöpfen; andernfalls ist eine Ablehnung ermessensfehlerhaft (LG Hamburg ZfStrVo SH 1978, 33; ebenso Arloth 2011 Rdn. 2 und C/MD 2008 Rdn. 1). 423
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2. Urlaub aus wichtigem Anlass (§ 35 Abs. 1 und 2). Gewährung von Urlaub aus wichtigem Anlass (Sonderurlaub) kommt vor allem in solchen Fällen in Betracht, in denen der Gefangene entweder noch keinen Regelurlaub erhält oder sein Kontingent von 21 Tagen bereits erschöpft ist. Steht dem Gefangenen noch Regelurlaub zu, greift § 35 nur ausnahmsweise dann ein, wenn es unbillig wäre, ihn auf den primär der Eingliederung und dem Kontakt mit der Familie dienenden Regelurlaub zu verweisen (OLG Hamm LS BlStV 4/5/1987, 3; LG Hamburg ZfStrVo SH 1978, 34; LG Bielefeld BlStV 6/1993, 4). Die Gewährung von Sonderurlaub ist nicht an die Voraussetzungen des § 13 Abs. 2 oder Abs. 3 gebunden, d. h., dass Sonderurlaub auch bei lebenslanger Strafe möglich ist (wie hier Arloth 2011 Rdn. 4; a. A. Grunau/Tiesler Rdn. 1). Zur Frage der Berücksichtigung von Unrechtsgehalt der Tat und Schuldschwere (allgemein dazu § 11 Rdn. 3) bei Gewährung von Sonderurlaub für Lebenslängliche vgl. OLG Karlsruhe NStZ 1989, 247 mit krit. Anm. Funck. Ein Bedürfnis für die Gewährung von Sonderurlaub kann entfallen, wenn die Angelegenheiten von dem Strafgefangenen auch während des Regelurlaubs wahrgenommen werden können und wenn dadurch dessen Zweck – u. a. die Aufrechterhaltung von bestimmten Kontakten zu Angehörigen oder anderen Bezugspersonen – nicht vereitelt oder beeinträchtigt wird (OLG Celle ZfStrVo 1981, 257; OLG Frankfurt 11.12.1985 – 3 Ws 831/85 –; OLG Hamburg NStZ 1998, 397 M). Einem Gefangenen, dem gem. § 13 Regelurlaub gewährt werden kann, braucht z. B. zu Familienfesten (auch zur Eheschließung: OLG Saarbrücken 17.11.1983 – 1 Ws 575/83 –), deren Zeitpunkt lange vorher feststeht, kein Sonderurlaub gegeben zu werden, da er die Möglichkeit hat, den „wichtigen Anlass“ bei seiner Urlaubsplanung zu berücksichtigen (ähnlich Arloth 2011 Rdn. 4; a. A. AK-Köhne/Lesting 2012 Rdn. 7; krit. Auch C/MD 2008 Rdn. 1). Das von § 44 SchwbG anerkannte gesteigerte Erholungsbedürfnis eines schwerbehinderten Gefangenen stellt keinen wichtigen Anlass dar (OLG Bremen NStZ 1985, 334). Die Vollzugsbehörde kann erwägen, ob außer Urlaub und Ausgang aus wichtigem Anlass noch andere Maßnahmen zur Verfügung stehen, die gleichermaßen geeignet sind, den gewünschten Erfolg zu gewährleisten, auch wenn sie den Gefangenen mehr belasten, z. B. Überstellung in eine andere Anstalt und Ausführung zur Teilnahme an einer Prüfung bei einer Fernuniversität (OLG Karlsruhe LS ZfStrVo 1988, 369). 5 Sofern der Sonderurlaub aus anderem wichtigen Anlass als wegen lebensgefährlicher Erkrankung oder wegen Todes eines Angehörigen gewährt wird, darf er gem. Abs. 1 Satz 1, 2. HS sieben Tage im Jahr nicht überschreiten. Andernfalls müssen die über sieben Tage im Jahr hinausgehenden Urlaubstage auf den Regelurlaub angerechnet werden. Der Sonderurlaub ist für den Einzelfall auf sieben Tage begrenzt. Es kann aber, sofern wiederholt wichtige Anlässe eintreten, auch mehrmals Urlaub gewährt werden, insgesamt aber – ohne Anrechnung auf den Regelurlaub – im Jahr nicht mehr als sieben Tage (C/MD 2008 Rdn. 2). Eine nachträgliche Umwandlung von Regel- in Sonderurlaub kommt grundsätzlich nicht in Betracht (vgl. OLG Celle BlStV 2/1992, 6). Eine Ausnahme hat aber wohl für den Fall zu gelten, dass ein wichtiger Anlass während eines Regelurlaubs eingetreten ist und der Regelurlaub aus Gründen der Resozialisierung den Kontakten mit Angehörigen vorbehalten bleiben soll (LG Lüneburg 26.4.1978 – 17 StVK 125/78; C/MD 2008 Rdn. 1). Gleiches gilt für den Fall, dass der Anstaltsleiter verpflichtet gewesen wäre, einem Antrag auf Sonderurlaub stattzugeben (LG Bielefeld BlStV 6/1993, 4). Ist eine Angelegenheit in einem Tag zu erledigen, so kommt anstelle von Urlaub Ausgang in Betracht, da Ausgang sonst überhaupt nicht in § 35 hätte genannt zu werden brauchen (AK-Köhne/Lesting 2012 Rdn. 11). Bei lebensgefährlicher Erkrankung oder wegen Todes eines Angehörigen kann im 6 Jahr mehrfach Urlaub von jeweils bis zu sieben Tagen gewährt werden (ebenso Arloth 2011 Rdn. 4). In diesem Falle wird die Urlaubszeit nicht auf die Freistellung von der Ar-
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beitspflicht angerechnet (§ 42 Abs. 2). Gem. Abs. 2 wird der Sonderurlaub allgemein nicht auf den regelmäßigen Urlaub (§ 13) angerechnet. Gem. Abs. 1 Satz 2 gelten § 11 Abs. 2, § 13 Abs. 5 und § 14 entsprechend, d. h., dass Sonderurlaub ebenso wie Regelurlaub der Zustimmung des Gefangenen bedarf und nur gewährt werden darf, wenn Flucht- oder Missbrauchsgefahr (§ 11 Rdn. 13 ff; § 13 Rdn. 13 ff) nicht vorliegen. Besteht diese Gefahr, ist bei einem Sonderurlaubsgesuch die Entscheidung darüber, ob ein wichtiger Anlass vorliegt, entbehrlich (OLG Celle ZfStrVo 1981, 126 zur Frage der Gewährung von Urlaub zur Vorbereitung der Wahl zum Mitglied des Bundestages). Der Anstaltsleiter kann gem. § 14 Abs. 1 für den Sonderurlaub Weisungen erteilen und gem. § 14 Abs. 2 den Urlaub widerrufen oder mit Wirkung für die Zukunft zurücknehmen. Die VV zu § 11, § 13 und § 14 gelten daher sinngemäß (VV Nr. 1). – Gem. § 13 Abs. 5 wird durch den Sonderurlaub – wie beim Regelurlaub – die Strafvollstreckung nicht unterbrochen. 3. Ausführung aus wichtigem Anlass (§ 35 Abs. 3). Zur Ausführung aus wichti- 7 gem Anlass ermächtigt § 35 Abs. 3 den Anstaltsleiter, wenn Ausgang oder Urlaub aus den in § 11 Abs. 2 genannten Gründen nicht gewährt werden kann. Diese Vorschrift hat nur Bedeutung im Zusammenhang mit der Kostenregelung in Satz 2 und 3. Denn die Ausführung kann schon gem. § 11 Abs. 1 angeordnet werden. Der Anstaltsleiter hat über die nach Lage des Falles erforderlichen besonderen Sicherungsmaßnahmen zu entscheiden (VV Nr. 2 Abs. 1), etwa, ob und welche Fesselung angeordnet wird (vgl. § 88 Abs. 4). Zur grundsätzlichen Nichtaufhebbarkeit einer durch den Anstaltsleiter angeordneten Fesselung bei einer Ausführung zu einer ärztlichen Untersuchung in einer Klinik im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes OLG Karlsruhe NStZ 1993, 557 = ZfStrVo 1993, 120 mit Anm. Ullenbruch NStZ 1993, 517 ff. Zur Ausführung zum Grab des Bruders siehe oben Rdn. 3. Der Anstaltsleiter entscheidet auch, wie viele Bedienstete den Gefangenen zu beaufsichtigen haben und ob dieser zur Verminderung einer etwaigen Entweichungsgefahr Anstaltskleidung zu tragen hat (vgl. dazu auch § 11 Rdn. 6 und § 20 Rdn. 3). Nach VV Nr. 2 Abs. 2 unterbleibt die Ausführung, wenn trotz Anordnung angemessener besonderer Sicherungsmaßnahmen weiterhin Flucht- oder Missbrauchsgefahr besteht. Die Ausführung findet aber statt, wenn sie zur Abwendung einer unmittelbaren Gefahr für Leib oder Leben des Gefangenen unerlässlich ist (VV Nr. 2 Abs. 2 Satz 2); vgl. KG NStZ 1983, 432. Dies folgt aus der Verpflichtung der Vollzugsbehörde, für die körperliche und geistige Gesundheit des Gefangenen zu sorgen (Vor § 71 Rdn. 1 f; § 108 Rdn. 1). Kann diese Verpflichtung nur durch eine Ausführung zu einem Facharzt erfüllt werden, so besteht insoweit ein Rechtsanspruch auf Ausführung, sofern ein Ausgang aus den in § 11 Abs. 2 genannten Gründen ausscheidet (OLG Hamm BlStV 4/5/1981, 7). Zum Widerruf einer Ausführung aufgrund neuer ärztlicher Befunde § 14 Rdn. 13; s. auch oben Rdn. 3. Wird ein Gefangener zu Besuchszwecken in die Anstalt gebracht, in der sich der andere – zu besuchende – Gefangene befindet, so ist diese Vollzugsmaßnahme für ihn als Ausführung gem. § 35 Abs. 3 oder als Überstellung gem. § 8 Abs. 2 anzusehen; es muss also ein wichtiger Anlass vorliegen (OLG München ZfStrVo SH 1979, 35; § 24 Rdn. 8). Ist die Erledigung der Hauptsache schon im Zeitpunkt der Einlegung der Rechtsbeschwerde eingetreten, so ist die Rechtsbeschwerde unzulässig. Ein Übergang vom Anfechtungs- oder Verpflichtungs- zum Feststellungsantrag ist im Rechtsbeschwerdeverfahren nicht mehr möglich (ThürOLG ZfStrVo 2005, 184 zu einem Antrag auf Ausführung zur Jugendweihe des Stiefsohns). Die Kosten für Ausführungen aus wichtigem Grund gemäß § 35 Abs. 3 Satz 1 hat der Gefangene zu tragen. Im Unterschied zu Ausführungen als Behandlungsmaßnahme gemäß § 11 Abs. 1 Nr. 2 (zu den dabei anfallenden Kosten vgl. § 11 Rdn. 6) enthält § 35 Abs. 3 425
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Satz 2 insoweit eine Ermächtigungsgrundlage. Die Kostentragungspflicht umfasst die eigenen Aufwendungen des Gefangenen und die dem Land zusätzlich entstehenden Aufwendungen, z. B. Reisekosten der Bediensteten, Kosten für den Einsatz eines Dienstkraftfahrzeuges oder sonstiger benutzter Beförderungsmittel usw. Eine unmittelbare Erstattung von Aufwendungen an die ausführenden Bediensteten durch den Gefangenen oder Dritte kommt nicht in Betracht. Derartige Aufwendungen müssen stets „im Dreieck“ über die Anstalt erstattet werden. Während der Ausführungen müssen die ausführenden Bediensteten ihre Aufwendungen grundsätzlich selbst begleichen. Gegen die Annahme eines Mittagessens oder eines Kaffees bei Ausführungen in den Familienkreis des Gefangenen bestehen freilich keine Bedenken. Einladungen in Gaststätten oder vergleichbare Einrichtungen sollten dagegen unterbleiben. Sind sie ausnahmsweise angezeigt, etwa aus Anlass von Familienfeiern, müssen die Bediensteten eine eigene Rechnung verlangen und diese selbst bezahlen (weitere sach- und praxisgerechte Beispiele s. Runderlass des JM Baden-Württemberg vom 24.4.1996 – 4511 – IV/6). Gem. Abs. 3 Satz 3 ist der Anspruch nicht geltend zu machen, wenn dies die Behandlung (§ 4 Rdn. 6) oder Eingliederung behindern würde. Die Kosten müssen im Übrigen nicht vom Hausgeld bestritten werden. Dies steht dem Gefangenen grundsätzlich zur freien Verfügung. Keinesfalls ist in der Zustimmung zur Ausführung bereits eine entsprechende Abbuchungsermächtigung zu sehen (OLG Frankfurt NStZ 1991, 152 = BlStV 1/1992, 3). Wegen des Unterschiedes zur Ausführung aus besonderem Grund nach § 12 vgl. dort Rdn. 3. III. Landesgesetze und Musterentwurf 8
1. Baden-Württemberg. § 10 Abs. 1 bis 3 JVollzGB III ist inhalts- und weitgehend wortgleich mit § 35 StVollzG – abgesehen von den „neuen“ Begrifflichkeiten („Freistellung aus der Haft“; vgl. dazu § 11 Rdn. 1).
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2. Bayern. Art 37 BayStVollzG ist wie folgt aufgebaut: Absätze 1 bis 3 sind inhaltsgleich und weitgehend wortgleich mit § 35 StVollzG. Abs. 4 ist inhaltsgleich und weitgehend wortgleich mit § 12 StVollzG. In der Gesetzesbegründung heißt es dazu: „In Abs. 4 wurde an systematisch richtiger Stelle § 12 StVollzG übernommen, der eine Ausführung auch ohne Zustimmung der Gefangenen aus besonderen Gründen ermöglicht. Gedacht ist hierbei beispielsweise an eine Ausführung zu einer Auslandsvertretung zur Erlangung der für eine Abschiebung oder Überstellung erforderlichen Papiere“ (LT-Drucks. 15/8101, 58). Siehe Kommentierung § 12 Rdn. 2 ff, insbes. Rdn. 6.
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3. Hamburg. § 13 HmbStVollzG ist wie folgt aufgebaut: Abs. 1 lautet wie folgt: „Die Anstaltsleitung kann Gefangenen aus Anlass der lebensgefährlichen Erkrankung oder des Todes von Angehörigen oder aus anderem wichtigen Anlass nach Maßgabe des § 12 Ausgang oder weitere Freistellung von der Haft gewähren, aus anderem wichtigen Anlass jedoch nur jeweils bis zu sieben Kalendertagen.“ In der Gesetzesbegründung heißt es dazu: „Absatz 1 stellt mit der Formulierung „weitere Freistellung von der Haft“ klar, dass Haftfreistellungen nach dieser Bestimmung nicht auf solche nach § 12 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 anzurechnen sind“ (Bürgerschafts-Drucks. 19/2533, 53). In der ergänzend heranzuziehenden Begründung zu § 13 HmbStVollzG a. F. hieß es hierzu: „Die Vorschrift ermächtigt die Anstaltsleitung ausdrücklich, Ausgang und Freistellung von der Haft nicht nur aus allgemeinen behandlerischen […] Gründen im Zuge Ullenbruch
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Urlaub, Ausgang und Ausführung aus wichtigem Anlass
einer an der Resozialisierungsaufgabe orientierten Vollzugsplanung, sondern darüber hinaus aus wichtigem Anlass zu gewähren. Hinsichtlich der Freistellung von der Haft stellt die Vorschrift eine der in § 12 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 genannten, in diesem Gesetz geregelten Konkretisierungen dar: unter der Voraussetzung, dass ein Angehöriger eines Gefangenen lebensgefährlich erkrankt oder verstorben ist oder ein anderer wichtiger Grund vorliegt, kann die Anstaltsleitung ihn bis zu sieben Tagen von der Haft freistellen. Anders als § 35 StVollzG differenziert Absatz 1 nicht mehr zwischen allgemeinen wichtigen Anlässen einerseits und der lebensgefährlichen Erkrankung oder dem Tod eines Angehörigen andererseits. Künftig kann die Anstaltsleitung aus jedem dieser Anlässe jeweils bis zu sieben Tage von der Haft freistellen. Die Begrenzung auf sieben Tage im Jahr für Fälle anderer, im Gesetz nicht näher beschriebener wichtiger Anlässe (§ 35 Absatz 1 Satz 2 StVollzG) wird aufgegeben. Die Gewährung von Lockerungen aus wichtigem Anlass erfolgt nach Maßgabe des § 12, das heißt, – der Gefangene muss geeignet sein (§ 12 Absatz 1 Satz 1 2. Halbsatz, Absatz 1 Satz 2 und Absatz 2), – § 11 Absätze 4 bis 7 gilt entsprechend (§ 12 Absatz 2 Satz 2), – auch durch die Freistellung von der Haft aus wichtigem Anlass wird die Strafvollstreckung nicht unterbrochen (§ 12 Absatz 3) und – dem Gefangenen können Weisungen für die Freistellung von der Haft erteilt werden (§ 12 Absatz 4). […] Wichtige Anlässe im Sinne der Vorschrift sind familiäre, berufliche oder sonstige Ereignisse, die den Gefangenen in besonderer Weise berühren und für ihn von außerordentlicher Bedeutung sind. Die ausdrückliche Erwähnung der lebensgefährlichen Erkrankung oder des Todes eines Angehörigen verdeutlicht beispielhaft die hohen Anforderungen, die allgemein und für den Gefangenen persönlich erfüllt sein müssen, um einen Anlass nachvollziehbar als wichtig zu qualifizieren. Es muss sich in jedem Fall um ein konkretes einzelnes Ereignis handeln, das der Gefangene nur durch Verlassen der Anstalt zu einem bestimmten Zeitpunkt regeln kann. Kann die Regelung unschwer auch auf andere Weise erfolgen, liegt ein wichtiger Anlass nicht vor. Bei ihrer Ermessensentscheidung darf die Anstaltsleitung berücksichtigen, ob auch andere geeignete Möglichkeiten bestehen, den gewünschten Erfolg herbei zu führen, z. B. die Überstellung eines Gefangenen in eine andere Anstalt (§ 9) oder die Verweisung auf die Möglichkeit der Freistellung von der Haft nach § 41, wenn es nicht unbillig erscheint, dem Gefangenen die Verwendung der nach § 41 kontingentierten Freistellungstage für den wichtigen Anlass zuzumuten. Unbillig ist dies im Zweifel dann nicht, wenn die Angelegenheit während der Freistellung nach § 41 erledigt werden kann, ohne die Zwecke dieser Freistellung (vgl. hierzu Begründung zu § 41) zu gefährden“ (Bürgerschafts-Drucks. 18/6490, 36). Abs. 2 ist inhalts- und weitgehend wortgleich mit § 35 Abs. 3 StVollzG. 4. Hessen. § 15 HStVollzG ist wie folgt aufgebaut: Abs. 1 ist weitgehend inhalts- und wortgleich mit § 35 Abs. 1 und 2 StVollzG. Abs. 2 ist inhaltsgleich und weitgehend wortgleich mit § 35 Abs. 3 StVollzG. Abs. 3 bezieht sich auf § 36 StVollzG (vgl. Rdn. 12).
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5. Niedersachsen. § 14 NJVollzG „fasst die Regelungen der §§ 12, 35 und 36 St- 12 VollzG in einer Vorschrift zusammen und stellt sie in den systematischen Kontext der Lockerungen“ (LT-Drucks. 15/3565, 103). Er ist wie folgt aufgebaut: 427
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§ 35
Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
Abs. 1 Satz 1 ist inhaltsgleich und weitgehend wortgleich mit § 35 Abs. 1 Satz 1 StVollzG. Abs. 1 Satz 2 ist inhaltsgleich und weitgehend wortgleich mit § 35 Abs. 3 Satz 1 StVollzG. Abs. 2 lautet wie folgt: „Die Lockerungen nach Absatz 1 werden nicht auf die Lockerungen nach § 13 angerechnet“. In der Gesetzesbegründung heißt es hierzu: „Absatz 2 entspricht im Wesentlichen der Regelung des § 35 Abs. 2 StVollzG, erweitert den Ausschluss der Anrechnung jedoch auf Sonderausgang und -ausführung, sofern die entsprechenden Regellockerungen kontingentiert sind“ (LT-Drucks. 15/3565, 103). Abs. 3 ist weitgehend inhalts- und wortgleich mit § 36 Abs. 1 und Abs. 2 StVollzG; in Satz 3 sind den Worten „auf Ersuchen eines Gerichts“ indes hier noch „[…] oder einer Staatsanwaltschaft“ hinzugefügt. In der Gesetzesbegründung heißt es des Weiteren: „[…] sieht davon ab, die in § 36 Abs. 3 StVollzG vorgesehene Pflicht der Vollzugsbehörde, das Gericht zu unterrichten, gesetzlich zu regeln, weil dies einer Verwaltungsvorschrift vorbehalten bleiben kann“ (LT-Drucks. 15/3565, 104). Abs. 4 ist inhaltsgleich und weitgehend wortgleich mit § 12 StVollzG. Abs. 5 „bestimmt, dass für Lockerungen nach den Absätzen 1, 3 und 4 die Vorschrift des § 14 Abs. 2 über das Nichtbestehen einer Flucht- und Missbrauchsgefahr entsprechende Anwendung findet, für Urlaub im Besonderen gilt § 14 Abs. 6 entsprechend“ (Gesetzesbegründung, LT-Drucks. 15/3565, 104). Laut der Gesetzesbegründung enthält die Vorschrift „mit Rücksicht auf die Vorschrift des § 50 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 keine Regelung über die Kostenbeteiligung der Gefangenen“ (LT-Drucks. 15/3565, 104). 13
6. Musterentwurf. § 39 ME-StVollzG regelt „Lockerungen aus sonstigen Gründen“. Er ist wie folgt aufgebaut: Abs. 1 hat folgenden Wortlaut: „Lockerungen können auch aus wichtigem Anlass gewährt werden. Wichtige Anlässe sind insbesondere die Teilnahme an gerichtlichen Terminen, die medizinische Behandlung der Gefangenen sowie der Tod oder eine lebensgefährliche Erkrankung naher Angehöriger der Gefangenen.“ In der ME-Begründung heißt es hierzu: „Absatz 1 eröffnet die Möglichkeit auch bei Vorliegen eines wichtigen Anlasses Lockerungen zu gewähren. Die Bestimmung gibt den Gefangenen keinen Rechtsanspruch, sondern lediglich einen Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung. Wichtige Anlässe im Sinne des Absatzes 1 sind familiäre, berufliche oder sonstige Angelegenheiten von erheblicher Bedeutung, die in besonderer Weise die private Sphäre der Gefangenen berühren und nur durch Verlassen der Anstalt zu einem bestimmten Zeitpunkt geregelt werden können. Die Anwesenheit der Gefangenen an Ort und Stelle muss erforderlich sein“ (ME-Begründung, 108). Abs. 2 lautet wie folgt: „§ 38 Abs. 2 und 4 gilt entsprechend.“ In der ME-Begründung heißt es hierzu: „Nach Absatz 2 ist § 38 Abs. 2 und 4 auch auf die Lockerungen nach Absatz 1 anwendbar. Für Lockerungen aus wichtigem Anlass gilt damit der gleiche Maßstab für die Prüfung von Flucht- und Missbrauchsgefahr. Die Fristen des § 38 Abs. 3 gelten nicht, weil die Anlässe keinen Aufschub dulden“ (ME-Begründung, 109).
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Gerichtliche Termine
§ 36
§ 36 Gerichtliche Termine § 36 Ullenbruch Gerichtliche Termine (1) Der Anstaltsleiter kann einem Gefangenen zur Teilnahme an einem gerichtlichen Termin Ausgang oder Urlaub erteilen, wenn anzunehmen ist, dass er der Ladung folgt und keine Entweichungs- oder Missbrauchsgefahr (§ 11 Abs. 2) besteht. § 13 Abs. 5 und § 14 gelten entsprechend. (2) Wenn ein Gefangener zu einem gerichtlichen Termin geladen ist und Ausgang oder Urlaub nicht gewährt wird, lässt der Anstaltsleiter ihn mit seiner Zustimmung zu dem Termin ausführen, sofern wegen Entweichungs- oder Missbrauchsgefahr (§ 11 Abs. 2) keine überwiegenden Gründe entgegenstehen. Auf Ersuchen eines Gerichts lässt er den Gefangenen vorführen, sofern ein Vorführungsbefehl vorliegt. (3) Die Vollzugsbehörde unterrichtet das Gericht über das Veranlasste. VV 1 (1) Beantragt der Gefangene unter Vorlage einer Ladung die Teilnahme an einem gerichtlichen Termin, so entscheidet der Anstaltsleiter, ob er dem Gefangenen hierfür Ausgang oder Urlaub erteilt oder ihn ausführen lässt. (2) Eine Pflicht des Anstaltsleiters, das Gericht über seine Entscheidung zu unterrichten, besteht nicht. 2 (1) Ersucht das Gericht die Anstalt, einen Gefangenen an einem gerichtlichen Termin teilnehmen zu lassen, so klärt der Anstaltsleiter, ob der Gefangene der Ladung Folge leisten will. Bejahendenfalls prüft der Anstaltsleiter, ob er dem Gefangenen Ausgang oder Urlaub erteilt oder ihn ausführen lässt. (2) Der Anstaltsleiter unterrichtet das Gericht, und zwar auch dann, wenn der Gefangene die Teilnahme an dem Termin ablehnt. 3 Wird der Gefangene auf seinen Antrag oder überwiegend in seinem Interesse ausgeführt, so werden ihm in der Regel die Kosten auferlegt. 4 (1) Erlässt das Gericht einen Vorführungsbefehl und ersucht es die Anstalt um Vorführung, so lässt der Anstaltsleiter den Gefangenen zu dem gerichtlichen Termin vorführen. (2) Vor der Vorführung erteilt der Anstaltsleiter die nach Lage des Falles erforderlichen Weisungen und entscheidet über besondere Sicherungsmaßnahmen. 5 Im Benehmen mit dem Richter, der die Dienstaufsicht bei dem Amtsgericht führt, in dessen Bezirk die Anstalt liegt, setzt der Anstaltsleiter die Zeit fest, in der dem Gefangenen 429
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§ 36
Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
Gelegenheit gegeben wird, in der Anstalt dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle vorgeführt zu werden. Schrifttum S. bei § 11.
I. II.
Übersicht Allgemeine Hinweise ____ 1 Erläuterungen ____ 2–5 1. Ladung ____ 2, 3 2. Ersuchen ____ 4 3. Vorführung zur Rechtsantragsstelle ____ 5
III.
Landesgesetze und Musterentwurf ____ 6–11 1. Baden-Württemberg ____ 6 2. Bayern ____ 7 3. Hamburg ____ 8 4. Hessen ____ 9 5. Niedersachsen ____ 10 6. Musterentwurf ____ 11
I. Allgemeine Hinweise 1
Die Vorschrift ergänzt § 35 in der Weise, dass „wichtiger Anlass“ hier die Teilnahme des Gefangenen an einem gerichtlichen Termin ist, sei es im Straf- oder im Zivilverfahren als Angeklagter, Partei oder Zeuge, sei es aber auch z. B. in einem ihn betreffenden sozialgerichtlichen oder ausländerrechtlichen Verfahren. Der in Art. 103 GG verfassungsrechtlich verankerte Anspruch auf rechtliches Gehör wird durch den Strafvollzug nicht ausgeschlossen (BSG v. 23.2.1960 – 9 RV 576/55 = BSGE 12, 9; ausdrückliche Festhaltung in BSG vom 31.10.2005 – B 7 a AL 14/05 B). § 36 bezweckt, dass die Stellung des Gefangenen hinsichtlich der Teilnahme an gerichtlichen Terminen soweit als möglich der Situation in Freiheit angeglichen werden soll (OLG Hamm ZfStrVo 1993, 242 = BlStV 2/1993, 1; C/MD 2008 Rdn. 1; enger Art. 38 Abs. 2 BayStVollzG; vgl. Rdn. 6). Deshalb soll dem Gefangenen auch ohne Zwang die Teilnahme an gerichtlichen Terminen ermöglicht werden, wenn anzunehmen ist, dass er der Ladung folgt. Die Vollzugsbehörde muss berücksichtigen, ob die eigene Interessenwahrnehmung des Gefangenen vor Gericht ernsthaft gewollt und auch sinnvoll ist, wobei eine Rolle spielt, ob dem Gefangenen, dem aus Gründen sparsamer Prozessführung die mit einem Kostenrisiko verbundene Bestellung eines Prozessbevollmächtigten nicht zugemutet werden kann, im Falle des Nichterscheinens ein Versäumnisurteil droht (OLG Koblenz ZfStrVo 1984, 184; Arloth 2011 Rdn. 4; a. A. AK-Köhne/Lesting 2012 Rdn. 3). Zum Angleichungsgrundsatz § 3 Rdn. 3 ff. II. Erläuterungen
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1. Ladung. Beantragt der Gefangene unter Vorlage einer Ladung die Teilnahme an einem gerichtlichen Termin, so entscheidet nach VV Nr. 1 Abs. 1 der Anstaltsleiter, ob er dem Gefangenen hierfür Ausgang (§ 11 Rdn. 8) oder Urlaub erteilt oder ihn ausführen (§ 11 Rdn. 6) lässt. Trotz dieses Wortlauts ist die VV nicht dahin aufzufassen, dass es in jedem Falle der Vorlage einer förmlichen Ladung bedarf und jeder andere Nachweis ausgeschlossen wäre. Ist die Ladung nur an den Prozessbevollmächtigten des Gefangenen ergangen, so wird es in der Regel ausreichen, wenn der Gefangene ein an ihn gerichtetes Mitteilungsschreiben seines Prozessbevollmächtigten vorlegt, aus dem sich die Parteistellung des Gefangenen und die Terminbestimmung ergeben (OLG Frankfurt ZfStrVo 1980, 55; Arloth 2008 Rdn. 2). Auch die Formulierungen in Abs. 1 „dass er der Ladung folgt“ und in Abs. 2 „wenn ein Gefangener zu einem gerichtlichen Termin geladen ist“ zwingen nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift nicht zu der Auslegung, dass nur an Ullenbruch
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den Gefangenen selbst die Ladung ergangen sein muss. § 36 ist hingegen nicht anwendbar, wenn der Gefangene nur mittelbar betroffen ist, z. B. durch einen Prozess gegen seine Ehefrau (Arloth 2011 Rdn. 1; a. A. AK-Köhne/Lesting 2012 Rdn. 3). Der Anstaltsleiter hat seine Entscheidung nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffen. 3 Dabei hat er zu prüfen, ob anzunehmen ist, dass der Gefangene der Ladung folgt und ob keine Entweichungs- oder Missbrauchsgefahr (§ 11 Abs. 2) besteht (§ 11 Rdn. 13 ff, § 13 Rdn. 13 ff). Ist beides der Fall, wird der Anstaltsleiter Ausgang oder Urlaub gewähren. § 13 Abs. 5 und § 14 gelten – wie im Falle des § 35 – entsprechend (Abs. 1 Satz 2). Der Anstaltsleiter kann sein Ermessen dahin ausüben, dass er den Gefangenen unter Ablehnung des Sonderurlaubs auf die Gewährung von Regelurlaub nach § 13 verweist, mit dessen Eingliederungsfunktion die Wahrnehmung eigener Gerichtstermine vereinbar ist. Eine Ausnahme könnte dann gelten, wenn die Verweisung auf den Regelurlaub andere vordringliche Zwecke, u. a. die Aufrechterhaltung von Kontakten zu Angehörigen oder Bezugspersonen, vereiteln oder beeinträchtigen würde (OLG Frankfurt ZfStrVo 1980, 55; Arloth 2011 Rdn. 4; a. A. AK-Köhne/Lesting 2012 Rdn. 8). Die Nachprüfung einer Urlaubsablehnung im Rechtsbeschwerdeverfahren ist dann ausgeschlossen, wenn sich der gerichtliche Termin – wie auch ein „wichtiger Anlass“ i. S. d. § 35 überhaupt – durch Zeitablauf bereits erledigt hat, im Unterschied zum Regelurlaub, bei dem es dem Gefangenen nicht auf einen bestimmten Urlaubstermin ankommt (OLG Zweibrücken NStZ 1982, 263; Arloth 2011 Rdn. 9). Vgl. auch § 115 Rdn. 17. Der Anstaltsleiter lässt den zu einem gerichtlichen Termin geladenen Gefangenen gem. Abs. 2 Satz 1 mit seiner Zustimmung zu dem Termin ausführen, wenn Ausgang oder Urlaub nicht gewährt werden. Dabei muss er prüfen, ob wegen Entweichungs- oder Missbrauchsgefahr (§ 11 Abs. 2) überwiegende Gründe entgegenstehen. Der Gefangene hat in diesem Falle einen Anspruch, in dieser Weise am Termin teilnehmen zu dürfen (C/MD 2008 Rdn. 3; AK-Köhne/Lesting 2012 Rdn. 9). Will ein Strafgefangener z. B. in einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren den Verfahrensmangel seiner Nichtteilnahme an der mündlichen Verhandlung geltend machen, obliegt es ihm, darzulegen, dass er seinerseits alles Zumutbare getan hat, an der mündlichen Verhandlung teilnehmen zu können. Nach § 36 und den hierzu ergangenen Verwaltungsvorschriften (VV Nr. 1 Abs. 1) ist es Sache des Gefangenen, die Teilnahme an einem gerichtlichen Termin zu beantragen (BSG v. 31.10. 2005 – B 7 a AL 14/05 B; ebenso bereits BSG v. 21.6.1983 – 4 RJ 3/83; BayVGH v. 13.3.2007 – 19 ZB 07.305; ebenso BayVGH v. 27.4.2006 – 19 ZB 06.498, der allerdings die Anforderungen an die Zumutbarkeit und die bei einem nicht verteidigten Inhaftierten Kenntnisse prozessualer Konsequenzen anstaltsinternen bürokratischen Tuns oder Unterlassens weit überspannt). Das Tragen eigener Kleidung muss ihm gestattet werden, sofern keine Entweichungsgefahr besteht (OLG Karlsruhe NStZ 1996, 302; Arloth 2011 Rdn. 5). Andernfalls wird der Gefangene in seinem Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG verletzt, da das Tragen von Anstaltskleidung außerhalb der JVA den sozialen Geltungsanspruch des Einzelnen beeinträchtigt (noch zurückhaltend BVerfG NStZ 2000, 166, unter Ablehnung eines Antrages auf Erlass einer einstweiligen Anordnung unter Hinweis auf die Subsidiarität des verfassungsrechtlichen Eilrechtsschutzes gegenüber demjenigen der Fachgerichte; vgl. auch § 11 Rdn. 6, § 20 Rdn. 3). Ein auswärtiger Gerichtstermin kann auch ein „wichtiger Grund“ i. S. d. § 8 Abs. 2 sein. Ob ein Anspruch auf eine Überstellung in eine gerichtsnahe Anstalt und Ausführung von dort aus besteht, ist eine Frage einzelfallbezogener Abwägung. Im Hinblick auf die Verpflichtung zur grundsätzlichen Ermöglichung, auch zivilrechtliche Interessen vor Gericht selbst zu vertreten (argumentum e § 36; dazu Rdn. 1), ist die Vorlage eines Vorführungsbefehls (Rdn. 4) nicht Voraussetzung (OLG Hamm ZfStrVo 1993, 242 = BlStV 2/1993, 1). Beantragt ein Gefangener Ausgang zur Einlegung einer Rechtsbeschwerde beim Rechtspfleger des Amts431
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§ 36
Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
gerichts, kann der Antrag grundsätzlich unter Hinweis auf dessen regelmäßige Sprechstunden in der Anstalt abgelehnt werden (OLG Frankfurt LS ZfStrVo 1991, 249). Siehe auch Rdn. 5. 4
2. Ersuchen. Ersucht das Gericht die Anstalt, einen Gefangenen an einem gerichtlichen Termin teilnehmen zu lassen, muss der Anstaltsleiter nach VV Nr. 2 Abs. 1 zunächst klären, ob der Gefangene der Ladung folgen will. Falls ja, prüft der Anstaltsleiter, ob Ausgang, Urlaub oder Ausführung gewährt wird. In jedem Falle muss der Anstaltsleiter das Gericht informieren (VV Nr. 2 Abs. 2). Lehnt der Gefangene die Teilnahme am Termin ab, wird das Gericht in der Regel einen Vorführungsbefehl erlassen. Der Anstaltsleiter ist dann gem. § 36 Abs. 2 Satz 2 verpflichtet, den Gefangenen vorführen zu lassen (VV Nr. 4 Abs. 1). Der Begriff „Vorführungsbefehl“ ist nicht nur im strafprozessualen Sinne zu verstehen, sondern umfasst auch das Vorführungsersuchen, das der Richter in Zusammenhang mit der Ladung eines inhaftierten Zeugen oder Beschuldigten an die Anstalt richtet (OLG Koblenz NStZ 1989, 93; Arloth 2011 Rdn. 6; a. A. AK-Köhne/Lesting 2012 Rdn. 10). Der Anstaltsleiter muss nach Lage des Falles erforderliche Weisungen erteilen und über die Gestattung des Tragens eigener Kleidung (ausführlich dazu oben Rdn. 3) sowie über besondere Sicherungsmaßnahmen entscheiden (VV Nr. 4 Abs. 2). Hat der Richter, der die Verhandlung leitet, in seinem Verfahren keine Sicherungsmaßnahmen angeordnet und hält er die von der JVA angeordneten Maßnahmen für „überzogen“, darf er diese gleichwohl nicht ohne Zustimmung des (nach § 156 Abs. 2 allein anordnungsbefugten) Anstaltsleiters für die Dauer seiner Sitzung aufheben. § 176 GVG enthält keine Kompetenzen zum Eingriff in die Zuständigkeiten Dritter. Gelingt dem Gefangenen die Flucht, nachdem sich der Richter – was in der Praxis immer wieder geschieht – über heftigen Widerspruch z. B. vorführender Vollzugsbediensteter hinweggesetzt hat, dürfte nicht nur der objektive Tatbestand der Gefangenenbefreiung nach § 120 StGB erfüllt sein (ebenso Nagel NStZ 2001, 233 f). Die in Ansehung der Rechtspraxis überaus heikle Frage ist überraschenderweise – betrifft sie doch das Verhältnis der Gewalten Exekutive und Judikative – bislang verfassungsrechtlich nicht geklärt (vgl. Nichtannahmebeschluss BVerfG vom 19.4.2011 – 2 BvR 2374/10 zur Fesselung eines Sicherungsverwahrten während der mündlichen Verhandlung in einem Verwaltungsrechtsstreit). Auch ob der Gefangene im Wege des Einzel- oder Sammeltransports zum Termin gebracht wird, fällt bei Strafgefangenen (auch in Unterbrechung der U-Haft) in die alleinige Kompetenz des Anstaltsleiters (OLG Stuttgart NStZ-RR 1997, 62). Eine entsprechende Anregung des Richters wird allerdings stets sorgfältig auf ihre sachliche Berechtigung zu prüfen sein. Im Fall der Übergabe an Beamte des Justizwachtmeisterdienstes des Amtsgerichtes zur Vorführung bei der Rechtsantragsstelle (Rdn. 5) darf der Gefangene deshalb grundsätzlich nur dann gefesselt werden, wenn die JVA ausdrücklich auch darum ersucht hat (OLG Celle MDR 1992, 509 = NStZ 1991, 559 = ZfStrVo 1992, 68 m. Anm. Hartwig ZfStrVo 1992, 196, der zutreffend darauf hinweist, dass entgegen OLG Celle aaO das Amtshilfeersuchen die Befugnis impliziert, etwa bei unvorhergesehenen Fluchtversuchen vorläufig zu fesseln, allerdings mit der Maßgabe, unverzüglich entsprechend § 91 Abs. 1 Satz 3 die Entscheidung des Anstaltsleiters einzuholen). Nach VV Nr. 3 muss der Gefangene die Kosten der Ausführung tragen, wenn diese auf seinen Antrag oder überwiegend in seinem Interesse erfolgt. Das entspricht der Regelung in § 35 Abs. 3 Satz 2 (dort Rdn. 7; vgl. auch Grunau/ Tiesler Rdn. 4). Im Übrigen hat auch der Gefangene Anspruch auf Zeugenentschädigung für erlittene Vermögensnachteile (C/MD 2008 Rdn. 5).
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3. Vorführung zur Rechtsantragsstelle. Nach VV Nr. 5 ist der Anstaltsleiter verpflichtet, dem Gefangenen Gelegenheit zu geben, dem Urkundsbeamten der GeschäftsUllenbruch
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stelle des Amtsgerichts, in dessen Bezirk die Anstalt liegt, vorgeführt zu werden, damit er auf diese Weise seine rechtlichen Interessen wahrnehmen kann. Dabei soll der Anstaltsleiter darauf hinwirken, dass der Urkundsbeamte in die Anstalt kommt, damit der Gefangene nicht im Gerichtsgebäude vorgeführt zu werden braucht. Zu den Zwangsbefugnissen der Beamten des Justizwachtmeisterdienstes im letztgenannten Fall vgl. Rdn. 4. III. Landesgesetze und Musterentwurf 1. Baden-Württemberg. § 10 Abs. 5 und 6 JVollzGB III i. V. m. Abs. 1 bis 4 sind in- 6 halts- und weitgehend wortgleich mit § 36 StVollzG – abgesehen von den „neuen“ Begrifflichkeiten („Freistellung aus der Haft“; vgl. dazu § 11 Rdn. 1). 2. Bayern. Art. 38 BayStVollzG ist wie folgt aufgebaut: 7 Abs. 1 ist inhaltsgleich und weitgehend wortgleich mit § 36 Abs. 1 StVollzG. Abs. 2 Satz 1 ist inhaltsgleich und weitgehend wortgleich mit § 36 Abs. 2 Satz 1 StVollzG; neu ist die Einschränkung in den Sätzen 2 bis 4, die wie folgt lauten: „Sind die Gefangenen als Partei oder Beteiligte geladen, ist ihre Ausführung nur zu ermöglichen, wenn ihr persönliches Erscheinen durch das Gericht oder von Gesetzes wegen angeordnet ist. Die Kosten tragen die Gefangenen. Sind sie dazu nicht in der Lage, kann die Anstalt die Kosten in begründeten Fällen in angemessenem Umfang übernehmen“. In der Gesetzesbegründung heißt es dazu: „Im Hinblick auf den mit einer Ausführung für die Justizvollzugsanstalt verbundenen Aufwand ist in den Fällen, in denen Gefangene als Partei oder Beteiligte geladen sind, ihre Ausführung nur dann zu ermöglichen, wenn das Gericht auch das persönliche Erscheinen des oder der Gefangenen z. B. nach § 51 Arbeitsgerichtsgesetz, § 111 Sozialgerichtsgesetz, § 95 Verwaltungsgerichtsordnung oder § 273 Abs. 2 Nr. 3 Zivilprozessordnung (ZPO) angeordnet hat oder die Gefangenen kraft Gesetzes zum persönlichen Erscheinen verpflichtet sind. Die Regelung zur Kostentragung entspricht weitgehend der Nr. 3 VV zu § 36 StVollzG, nach der bislang den Gefangenen in der Regel die Kosten auferlegt wurden, wenn sie auf Antrag oder überwiegend in ihrem Interesse ausgeführt wurden“ (LT-Drucks. 15/8101, 58). Abs. 3 ist inhaltsgleich und weitgehend wortgleich mit § 36 Abs. 2 Satz 2 StVollzG. Abs. 4 ist inhaltsgleich und weitgehend wortgleich mit § 36 Abs. 3 StVollzG. Vgl. auch Kommentierung zu § 12 Rdn. 2 ff, insb. Rdn. 6. 3. Hamburg. § 14 HmbStVollzG ist wie folgt aufgebaut: 8 Abs. 1 ist weitgehend inhalts- und wortgleich mit § 36 Abs. 1 StVollzG, enthält jedoch die Zusätze „[…] nach Maßgabe des § 12 Absätze 1, 3 und 4“ Ausgang oder „weitere Freistellung von der Haft […]“. In der Gesetzesbegründung heißt es hierzu: „Absatz 1 stellt mit der Formulierung „weitere Freistellung von der Haft“ klar, dass Haftfreistellungen nach dieser Bestimmung nicht auf solche nach § 12 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 anzurechnen sind. Aus Gründen der Verhältnismäßigkeit wird von einer Verweisung auf § 12 Absatz 2 abgesehen“ (Bürgerschafts-Drucks. 19/2533, 54). Abs. 2 Satz 1 ist inhaltsgleich und weitgehend wortgleich mit § 36 Abs. 2 Satz 1 StVollzG. Abs. 2 Satz 2 lautet wie folgt: „Sind die Gefangenen als Partei oder Beteiligte geladen, ist ihre Ausführung zu ermöglichen, wenn ihr persönliches Erscheinen angeordnet oder von Gesetzes wegen erforderlich ist, sonst kann sie ermöglicht werden“. 433
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Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
Bereits in der Gesetzesbegründung zu § 14 HmbStVollzG a. F., auf die die Begründung des Entwurfs Bezug nimmt (vgl. Bürgerschafts-Drucks. 19/2533, 54), heißt es hierzu: „Absatz 2 ermächtigt die Anstalten, Ausführungen wegen des hohen personellen Aufwandes, den sie auslösen, in den Fällen, in denen die Gefangenen als Partei oder als Beteiligte zu einem gerichtlichen Termin geladen sind, nur zu ermöglichen, wenn zugleich ihr persönliches Erscheinen angeordnet wurde oder sie aufgrund gesetzlicher Bestimmungen zum persönlichen Erscheinen verpflichtet sind“ (Bürgerschafts-Drucks. 19/2533, 36). Abs. 2 Sätze 3 und 4 lauten wie folgt: „Die Kosten tragen die Gefangenen. Sind sie dazu nicht in der Lage, kann die Anstalt die Kosten in begründeten Fällen in angemessenem Umfang übernehmen“. Abs. 3 Satz 1 ist inhaltsgleich und weitgehend wortgleich mit § 36 Abs. 2 Satz 2 StVollzG. Abs. 3 Satz 2 lautet wie folgt: „Sie erteilt die erforderlichen Weisungen und entscheidet über besondere Sicherungsmaßnahmen, insbesondere über die Dauer der während der Vorführung erforderlichen Fesselung der Gefangenen“. Bereits in der Gesetzesbegründung zu § 14 HmbStVollzG a. F. heißt es hierzu: „Absatz 3 stellt die Zuständigkeit der Anstaltsleitung für die Anordnung besonderer Sicherungsmaßnahmen klar, insbesondere für die Anordnung einer während der Vorführung erforderlichen Fesselung der Gefangenen und ihrer Dauer“ (Bürgerschafts-Drucks. 18/ 6490, 36). Abs. 4 ist inhaltsgleich und weitgehend wortgleich mit § 36 Abs. 3 StVollzG. 9
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4. Hessen. § 15 HStVollzG ist wie folgt aufgebaut: Abs. 1 und Abs. 2 beziehen sich im Wesentlichen auf § 35 StVollzG (vgl. Kommentierung § 35 Rdn. 12). Abs. 3 hat (lediglich) folgenden Wortlaut: „Auf Ersuchen eines Gerichts erfolgt eine Vorführung.“ 5 . Niedersachsen. Vgl. § 35 Rdn. 10 (zu § 14 Abs. 3 NJVollzG). 6. Musterentwurf. Der ME-StVollzG regelt die Wahrnehmung gerichtlicher Termine an drei Stellen in zwei Vorschriften: § 39 ME-StVollzG regelt „Lockerungen aus sonstigen Gründen.“ (vgl. Kommentierung § 35 Rdn. 13). § 41 Abs. 1 ME-StVollzG regelt Ausführungen „aus besonderen Gründen“ (vgl. Kommentierung § 35 Rdn. 9). § 41 Abs. 3 ME-StVollzG regelt Vorführungen „auf Ersuchen eines Gerichts“ und ist inhaltsgleich und weitgehend wortgleich mit § 36 Abs. 2 Satz 2 StVollzG.
FÜNFTER TITEL Arbeit, Ausbildung und Weiterbildung Vor § 37 Laubenthal Vorbemerkungen Schrifttum Bechtold Arbeitsplätze für Haftentlassene; ein praxisbezogenes Denkmodell, in: ZfStrVo 1989, 288; Bierschwale „Lernen ermöglichen“ Die Ordnung des vollzuglichen Lernens, in: FS 2008, 199; Brämer/ Otte/Schuler/Pendon Berufsbildungsmaßnahmen im Frauenvollzug, in: ZfStrVo 1986, 330; Braun-Heintz/ Schradin/Wehle Weiterbildung im Strafvollzug, 3 Bände, AfeB-Taschenbücher Weiterbildung, Heidelberg 1981; Calliess Ausbildung und Therapie – Zur Konkretisierung eines Anspruches auf Resozialisierung, in:
Laubenthal
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Vorbemerkungen
Vor § 37
Baumann (Hrsg.), Die Reform des Strafvollzuges, München 1974, 55; Clever/Ommerborn Fernstudium in deutschen Haftanstalten, in: ZfStrVo 1996, 80; Cornel Zur Situation, Funktion und Perspektive des Schulunterrichts im Justizvollzug heute, in: ZfStrVo 1994, 344; Cyprian Berufliche Resozialisation. Literatur und Forschungsprojekte. Literaturdokumentation zur Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, Sonderheft 10 (Lit Dok ABS 10), Nürnberg 1981; Degen Die Eingliederung entlassener Strafgefangener in Arbeit und Beruf. Wesentlicher Faktor der Resozialisierung, in: Deimling/Häußling (Hrsg.) Straffälligenhilfe. Aktuelle und historische Aspekte der Strafvollzugsreform durch Staat und engagierte Bürger, Wuppertal 1977, 123; Deutsche Evangelische Arbeitsgemeinschaft für Erwachsenenbildung (Hrsg.) Bildungsarbeit in Vollzugsanstalten (Erfahrungen und Anregungen), Karlsruhe 1979; Eberle Didaktische Grundprobleme der Bildungsarbeit im Justizvollzug, in: ZfStrVo 1982, 99; Entorf/Sieger Unzureichende Bildung: Folgekosten durch Kriminalität 2010 (www.bertelsmann-stiftung.de); Hammerschick/Pilgram (Hrsg.) Arbeitsmarkt, Strafvollzug und Gefangenenarbeit, Baden-Baden 1997; Hardes Berufliche Bildung der Gefangenen nach dem Arbeitsförderungsgesetz (AFG) unter Berücksichtigung der durch das Arbeitsförderungs-Konsolidierungsgesetz (AFKG) bedingten Änderungen, in: ZfStrVo 1982, 167; ders. Gesetzliche Grundlagen der beruflichen Bildung für Gefangene, in: ZfStrVo 1995, 273; Hilkenbach Schule und berufliche Bildung im Strafvollzug – seit Inkrafttreten des Strafvollzugsgesetzes, in: ZfStrVo 1987, 49; Jehle Arbeit und Entlohnung von Strafgefangenen, in: ZfStrVo 1994, 259; Joppe Arbeitsförderungsgesetz und Strafvollzugsgesetz – ein System der beruflichen Resozialisierung –, in: Soziale Arbeit 1977, 1; Jung Weiterbildung der Strafgefangenen – eine Aufgabe des Vollzugs, in: ZfStrVo 1975, 136; Kamann Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 1.7.1998 zur Gefangenenentlohnung, ein nicht kategorischer Imperativ für den Resozialisierungsvollzug, in: StV 1999, 348; Koch Gefangenenarbeit und Resozialisierung, Stuttgart 1969; Kofler Qualifizierung des Schulunterrichts im Justizvollzug als Gegenstand der Rehabilitierungswissenschaft – oder: Die Suche der Lehrer im Justizvollzug nach festen Punkten im Berufsfeld, in: ZfStrVo 1994, 206; Krebs Zur Entwicklung der Erwachsenenbildung in deutschen Strafanstalten, in: ZStW 1972, 559; Kunz Soziales Lernen ohne Zwang, in: ZStW 1989, 75; Laubenthal Arbeitsverpflichtung und Arbeitsentlohnung des Strafgefangenen, in: Schlüchter (Hrsg.), FS Geerds, Lübeck 1995, 337; ders. Vollzugliche Ausländerproblematik und Internationalisierung der Strafverbüßung, in: Feuerhelm u. a. (Hrsg.), FS Böhm, Berlin/New York 1999, 307; Leder Arbeitsentgelt im Strafvollzug der Bundesrepublik Deutschland. Paradigma für fehlende soziologische Problemsicht, Rheinstetten 1978; Lenske Arbeitsmarktpolitik und Strafvollzug, in: ZfStrVo 1979, 155; Lohmann Arbeit und Arbeitsentlohnung des Strafgefangenen, Frankfurt a. M. 2002; Luzius Möglichkeiten der Resozialisierung durch Ausbildung im Jugendstrafvollzug, Heidelberg/Karlsruhe 1979; Matzke Der Leistungsbereich bei Jugendstrafgefangenen, Diss. jur., Berlin 1982; Mey Auswirkungen schulischer und beruflicher Bildungsmaßnahmen während des Strafvollzuges, in: ZfStrVo 1986, 265; Müller-Dietz Berufsausbildung und Strafvollzug. Zur Rolle berufsbildender Maßnahmen im künftigen Behandlungsvollzug, in: Die Deutsche Berufs- und Fachschule 1973, 243; ders. Strafvollzug: Erwachsenenbildung, in: Sieverts/Schneider (Hrsg.), Handwörterbuch der Kriminologie, Band 5, Lieferung 1, Berlin 1983, 222; ders. Bildungsarbeit im Strafvollzug – grenzübergreifend –, in: ZfStrVo 1993, 259; ders. Arbeit und Arbeitsentgelt für Strafgefangene, in: JuS 1999, 952; Nebe/Heinrich Behandlung und Ausbildung, in: ZfStrVo 1993, 276; Neufeind Karriere und Wirksamkeit der Empfehlung berufsbildender Maßnahmen im nordrhein-westfälischen Strafvollzug, Diss. jur., Bonn 1981; Ommerborn/Schuemer Fernstudium im Strafvollzug, Pfaffenweiler 1999; Pendon Berufliche Ausbildung im Strafvollzug. Grundproblematik der Motivation von Gefangenen sowie deren Einschränkungen und Grenzen, in: ZfStrVo 1979, 158; ders. Die Rolle berufsbildender Maßnahmen im Vollzug – Bedeutung und Erfolg im Hinblick auf die Wiedereingliederung Straffälliger, in: ZfStrVo 1992, 31; ders. Lernziele im Vollzug, in: ZfStrVo 1994, 204; Petran/Weber Die Organisation von beruflicher und schulischer Bildung im Jugendstrafvollzug, in: FS 2008, 210; Preusker Zur Situation der Gefängnisarbeit, in: ZfStrVo 1988, 92; Reichardt Recht auf Arbeit für Strafgefangene, Frankfurt a. M. 1999; Rieder-Kaiser Vollzugliche Ausländerproblematik und Internationalisierung der Strafverbüßung, Frankfurt a. M. 2004; Schüler Eine staatliche Schule in der Anstalt, in: ZfStrVo 1988, 137; Schweinhagen Arbeitstherapie im geschlossenen Erwachsenenvollzug, in: ZfStrVo 1987, 95; Sigel Freistellung von der Arbeitspflicht nach § 42 StVollzG, in: ZfStrVo 1985, 276; Stentzel Berufserziehung straffälliger Jugendlicher und Heranwachsender, Frankfurt a. M. 1990; Stiebig Die Vereinbarkeit aufenthaltsbeschränkender Vollstreckungsmaßnahmen mit europäischem Recht, in: ZAR 2000, 127; ders. Vollstreckungsverzicht und Grundfreiheiten. Ein Beitrag zur Entwicklung des europäischen Strafrechts, Frankfurt a. M. 2003; Streng Strafrechtliche Sanktionen, 2. Aufl., Stuttgart 2002; Supe Strafgefangene und Schule, München 1980; Vogel Zum Stand der Alphabetisierung im Justizvollzug der Bundesrepublik Deutschland, in: ZfStrVo 1992, 112; Wattenberg Arbeitstherapie hinter
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Vor § 37
Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
Gittern, in: ZfStrVo 1984, 343; ders. Arbeitstherapie im Jugendstrafvollzug – Eine Bestandsaufnahme, 3. Aufl., Frankfurt 1990; Wiegand Schulische und berufliche Bildung, in: Schwind/Blau, 276. S. auch § 43.
Vorbemerkungen Der Fünfte Titel des Zweiten Abschnitts des StVollzG enthält einen zentralen Regelungsbereich, da er die normativen Zielvorstellungen des Gesetzes für die sozialen Lernfelder Arbeit, Ausbildung und Weiterbildung darlegt (C/MD 2008 Rdn. 1) und insoweit die Erreichung des Vollzugsziels nach § 2 Satz 1 anhand wesentlicher Behandlungsmittel des Strafvollzugs (s. § 7 Abs. 2 Nr. 4, 5) konkretisiert (vgl. zur Bedeutung der Bildung im Strafvollzug die Europäischen Strafvollzugsgrundsätze 2006, Nr. 28). Die gesetzlichen Regelungsinhalte gründen letztlich auf der mit dem John Howard zugeschriebenen Satz „Make men diligent and they will be honest“ klassisch beschriebenen Vermutung, es gebe zwischen (Nicht-)Arbeit und Straffälligkeit einen kausalen Zusammenhang, so dass mit „Erziehung zur Arbeit“ Legalbewährung gefördert werden könne (vgl. Jehle 1994, 259 f und Pendon 1992, 31 f). Ein monokausaler positiver Zusammenhang von aktivem Arbeitsverhalten im Vollzug und der Legalbewährung nach der Entlassung lässt sich zwar ebenso wenig empirisch nachweisen wie in negativer Hinsicht ein solcher von (Aus-)Bildungsmangel und Straffälligkeit (Arloth 2011, Rdn. 18; Laubenthal 2011 Rdn. 423; s. jedoch Entorf/Sieger 2010). Ungeachtet der nicht eindeutigen kriminologischen Einschätzung der Rolle der Arbeit (und der Bildung) als „Resozialisierungsfaktor ersten Ranges“ (so Blau Arbeit im Gefängnis, in: Rollmann [Hrsg.], Strafvollzug in Deutschland, Situation und Reform, Frankfurt a. M. 1967, 75; BVerfGE 98, 169, 172: „ein wichtiges Mittel auf dem Weg zur Resozialisierung“; BVerfG NStZ 2004, 514: „für das Resozialisierungskonzept des Strafvollzugsgesetzes von zentraler Bedeutung“; s. ferner Eisenberg Kriminologie, 6. Aufl., München 2005, § 36 Rdn. 50, 81; Matzke 1982, 192 ff; Mey 1986, 265 ff; Müller-Dietz 1983, 226 f) ist allerdings allgemein anerkannt, dass die mit Bildung und Arbeitstraining verbundenen Einwirkungen auf den einzelnen Menschen seine gesamte Persönlichkeitsentwicklung erfassen und in hervorragender Weise dazu beitragen können, ihn in seinem Selbstwertgefühl und in seinen sozialen Verhaltensweisen im Sinne auch einer gesellschaftlichen Stabilisierung positiv zu verändern (Stentzel 1990, 10 ff m. w. N.; s. auch Bundesvereinigung der Anstaltsleiter ZfStrVo 1993, 180; Arloth 2011 Rdn. 1). Darüber hinaus mag eine verbesserte Berufsbildung dem Gefangenen bei der Entlassung günstigere praktische Möglichkeiten verschaffen, auf dem Arbeitsmarkt vermittelt zu werden, und damit Gelegenheit, seinen Lebensunterhalt durch eigene Arbeit sicherzustellen. 2 Dennoch bleibt der Stellenwert der Arbeit der Gefangenen nach dem StVollzG nicht frei von Widersprüchen (s. auch Calliess Theorie der Strafe im demokratischen und sozialen Rechtsstaat, Frankfurt a. M. 1974, 37ff; Kunz 1989, 84f; Walter 1999 Rdn. 470; zur historischen Entwicklung de Jonge Strafarbeit, in: Hammerschick/Pilgram 1997, 35 f), weil Arbeit als Bestandteil des Behandlungskonzepts zugleich auch als nach Art. 12 Abs. 3 GG zulässiges Zwangsmittel einen Teil des durch die Freiheitsentziehung auferlegten Strafübels darstellt (so Seebode 1997 Rdn. 87 ff; s. auch Böhm 2003 Rdn. 289 ff; vgl. noch § 41 Rdn. 2), wie insbesondere bei bildungs- und/oder arbeitsmäßig hinreichend ausgestatteten Straftätern (etwa der Wirtschafts- und/oder Organisierten Kriminalität) deutlich wird. Den Inhaftierten trifft dabei nicht nur eine Pflicht zur Arbeit, deren schuldhafte Verletzung gem. § 102 Abs. 1 mit Disziplinarmaßnahmen geahndet werden kann. Umgekehrt gilt der Entzug der zugewiesenen Arbeit als eine Strafverschärfung (Böhm 2003 Rdn. 292), denn er zählt zu den gesetzlich zugelassenen Disziplinarmaßnahmen (§ 103 1
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Vorbemerkungen
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Abs. 1 Nr. 7). Wegen des Entfallens der Entlohnung kann insoweit der Entzug der Arbeit auch zur Arbeitstätigkeit motivieren. Arbeitsleistung vermag unter den Voraussetzungen des § 43 Abs. 9 sogar zu einer faktischen Verkürzung der Inhaftierung zu führen. Auch hinsichtlich Arbeit und Ausbildung stellt sich die grundsätzliche Frage, ob diese Bereiche nicht im Sinne von die Freiheitsentziehung legitimierenden Behandlungsmaßnahmen (vgl. § 7 Abs. 2 Nr. 4 und 5; krit. dazu auch Müller-Dietz 1993, 265), sondern zurückhaltender im Sinne eines die Chancen der Gefangenen im Rahmen legaler Sozialbehauptung nach der Entlassung im Regelfall verbessernden Angebotes begriffen werden sollten (vgl. AK-Feest/Bung 2012 vor § 2 Rdn. 20 f; Kunz 1989, 80 ff; Matzke 1982, 199 ff). Denn zum einen liegt das Verhältnis positiver Auswirkungen von Arbeit und Ausbildung zu schädigenden Wirkungen des Strafvollzuges und damit ihre Bedeutung als „Resozialisierungsfaktor“ einerseits oder als schadensbegrenzendes Merkmal vernünftiger Vollzugsgestaltung andererseits im Dunkeln; zum anderen bedürfen einige Gefangene offensichtlich nicht der Ausbildung und des Arbeitstrainings im Vollzug für künftiges Legalverhalten. Die §§ 37 bis 52 StVollzG normieren die verschiedenen Arten der Beschäftigung von 3 Strafgefangenen während der Arbeitszeit. Dabei ist zu unterscheiden zwischen solchen Arbeitstätigkeiten, die im öffentlich-rechtlichen Rechtsverhältnis ausgeübt werden, und solchen, bei denen der Betätigung eine privatrechtliche Vereinbarung zugrunde liegt oder die eine Art selbständige Tätigkeit darstellen. Zu den Beschäftigungen im öffentlich-rechtlichen Verhältnis zwischen Inhaftiertem einerseits und Vollzugsbehörde andererseits zählen die wirtschaftlich ergiebige Arbeit (§ 37 Abs. 2), die angemessene (§ 37 Abs. 4) und die arbeitstherapeutische Beschäftigung (§ 37 Abs. 5) sowie Hilfstätigkeiten in der Anstalt (§ 41 Abs. 1 Satz 2). Hinzu kommen solche Maßnahmen der beruflichen Aus- und Weiterbildung (§ 37 Abs. 3), die auf der Basis der öffentlich-rechtlichen Beziehungen erfolgen, in denen der Inhaftierte zum Staat steht. Die Vorschriften über diese Beschäftigungen finden ihre Ergänzung durch §§ 148, 149 auf der vollzugsorganisatorischen Ebene. Die Ausübung von Tätigkeiten auf öffentlich-rechtlicher Grundlage gibt dem Einzelnen unter den Voraussetzungen des § 42 als bezahlte Freistellung von der Arbeitspflicht einen Anspruch auf Gewährung von Erholungs„urlaub“. Die Entlohnung oder finanzielle Förderung richtet sich nach §§ 43, 200. Arbeitet der Gefangene dagegen in einem freien Beschäftigungsverhältnis oder befindet er sich auf der Grundlage eines solchen in einer beruflichen Aus- bzw. Weiterbildungsmaßnahme (§ 39 Abs. 1), geht er dieser Betätigung im Rahmen eines privatrechtlich gestalteten Rechtsverhältnisses nach. Dementsprechend gelten die vollzugsextern vereinbarten Urlaubsregelungen (§ 42 Abs. 4), und auch die Entlohnung bzw. finanzielle Beihilfe richtet sich nach den außervollzuglichen Vereinbarungen. Eine selbständige Tätigkeit kann dem Gefangenen gem. § 39 Abs. 2 gestattet werden. Ist er – unverschuldet – arbeitslos, kommt die Gewährung eines Taschengeldes (§ 46) in Betracht. Neben den Beschäftigungsarten, der Freistellung von der Arbeitspflicht und der Ent- 4 lohnung und finanziellen Unterstützung enthält der Fünfte Titel zudem Regelungen über die Verwendung von an den Strafgefangenen gezahlten finanziellen Leistungen (§§ 47, 50, 51, 52). Ferner ist normiert, ob und inwieweit von einem Gefangenen ein Haftkostenbeitrag erhoben wird (§ 50). Auf der landesrechtlichen Ebene stellen in Baden-Württemberg die arbeits- und 5 arbeitsentlohnungsbezogenen Bestimmungen den 8. Abschnitt des JVollzG III dar (§§ 42 bis 56). In Bayern enthalten Art. 39 bis 54 BayStVollzG für den Freiheitsstrafenvollzug den Bereich von Arbeit, Ausbildung und Weiterbildung sowie die Verwendung von an die Strafgefangenen gezahlten Geldern. In Hamburg regeln §§ 34 bis 49 HmbStVollzG Arbeit-, Aus- und Weiterbildung sowie die Gelder der Gefangenen. Im HStVollzG finden sich diese Bereiche in §§ 27 und 28 sowie in §§ 38 bis 44. In Niedersachsen sind Arbeit, 437
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Ausbildung, Weiterbildung sowie die Gefangenengelder betreffende Bestimmungen hinsichtlich des Erwachsenenvollzugs im Fünften und Sechsten Kapitel (§§ 35 bis 52 NJVollzG) enthalten.
§ 37 Zuweisung § 37 Laubenthal Zuweisung (1) Arbeit, arbeitstherapeutische Beschäftigung, Ausbildung und Weiterbildung dienen insbesondere dem Ziel, Fähigkeiten für eine Erwerbstätigkeit nach der Entlassung zu vermitteln, zu erhalten oder zu fördern. (2) Die Vollzugsbehörde soll dem Gefangenen wirtschaftlich ergiebige Arbeit zuweisen und dabei seine Fähigkeiten, Fertigkeiten und Neigungen berücksichtigen. (3) Geeigneten Gefangenen soll Gelegenheit zur Berufsausbildung, beruflichen Weiterbildung oder Teilnahme an anderen ausbildenden oder weiterbildenden Maßnahmen gegeben werden. (4) Kann einem arbeitsfähigen Gefangenen keine wirtschaftlich ergiebige Arbeit oder die Teilnahme an Maßnahmen nach Absatz 3 zugewiesen werden, wird ihm eine angemessene Beschäftigung zugeteilt. (5) Ist ein Gefangener zu wirtschaftlich ergiebiger Arbeit nicht fähig, soll er arbeitstherapeutisch beschäftigt werden. VV 1 Entfällt. 2 Eine Beschäftigung ist angemessen im Sinne des § 37 Abs. 4 StVollzG, wenn ihr Ergebnis wirtschaftlich verwertbar ist und in einem vertretbaren Verhältnis zum Aufwand steht. 3 (1) Soweit es die Art der Arbeit oder der angemessenen Beschäftigung zulässt, wird für jede Verrichtung die Anforderung ermittelt und festgesetzt, die der Gefangene zu leisten hat. Dabei ist von der Leistung auszugehen, die von einem freien Arbeitnehmer nach ausreichender Einarbeitung und Übung ohne Gesundheitsstörung auf die Dauer erreicht und erwartet werden kann. Die besonderen Verhältnisse des Vollzuges sind angemessen zu berücksichtigen. (2) Die Soll-Leistung wird überprüft und gegebenenfalls neu festgesetzt, wenn sie von der Mehrzahl der Gefangenen um mehr als vierzig vom Hundert überschritten wird oder sich die Festsetzung als zu hoch erwiesen hat. Sie ist auch zu überprüfen und gegebenenfalls neu festzusetzen, wenn dies durch eine Änderung der Arbeitsmethoden, durch technische Verbesserungen oder ähnliches begründet ist.
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4 (1) Die Arbeitszeit der Gefangenen soll sich nach der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit im öffentlichen Dienst richten. In dringenden Fällen darf die regelmäßige Arbeitszeit der Gefangenen bis zu der für freie Arbeitnehmer zugelassenen Höchstdauer überschritten werden. (2) An Sonntagen und gesetzlichen Feiertagen, in der Regel auch an Samstagen, ruht die Arbeit, soweit nicht unaufschiebbare Arbeiten ausgeführt werden müssen. (3) Mehrarbeit und Arbeit nach Absatz 2 sollen möglichst durch Freistellung von der Arbeit an anderen Arbeitstagen ausgeglichen werden. (4) Gefangene, die nach den Vorschriften ihres Glaubensbekenntnisses an bestimmten Tagen nicht arbeiten dürfen, können an diesen Tagen auf ihren Wunsch von der Arbeit befreit werden. Sie können dafür an allgemein arbeitsfreien Tagen zu unaufschiebbaren Arbeiten herangezogen werden. 5 Ein Gefangener kann zu Tätigkeiten für die Vollzugsanstalt herangezogen werden, wenn er hierfür geeignet ist und Unzuträglichkeiten nicht zu erwarten sind. Arbeiten, die Einblick in die persönlichen Verhältnisse von Bediensteten, Gefangenen oder Dritten oder in Personal-, Gerichts- oder Verwaltungsakten ermöglichen, dürfen einem Gefangenen nicht übertragen werden. Schrifttum S. vor § 37.
I.
II.
Übersicht Allgemeine Hinweise ____ 1–5 1. Verhältnis von Bildung zu Arbeit ____ 1–3 2. Zusammenarbeit mit außervollzuglichen Einrichtungen ____ 4 3. Informationen zur beruflichen Bildung ____ 5 Erläuterungen ____ 6–29 1. Berufsbildung, Arbeit und Arbeitstherapie als Teile des Vollzugsziels ____ 6–9 2. Zuweisung von wirtschaftlich ergiebiger Arbeit ____ 10–12 3. Berücksichtigung individueller Voraussetzungen ____ 13–15 4. Das Bildungsgebot ____ 16–24
III.
5. Angemessene Beschäftigung ____ 25, 26 6. Arbeits- und Beschäftigungstherapie ____ 27 7. Ablösung von Arbeits- oder Bildungsmaßnahme ____ 28 8. Folgen des öffentlich-rechtlichen Verhältnisses ____ 29 Landesgesetze und Musterentwurf ____ 30–35 1. Baden-Württemberg ____ 30 2. Bayern ____ 31 3. Hamburg ____ 32 4. Hessen ____ 33 5. Niedersachsen ____ 34 6. Musterentwurf ____ 35
I. Allgemeine Hinweise 1. Verhältnis von Bildung zu Arbeit. Die ursprünglich suspendierte und dann am 1 1.1.1980 in Kraft getretene (§ 198 Abs. 2) sowie durch Art. 40 Nr. 3 ArbeitsförderungsReformgesetz vom 24.3.1997 (BGBl. I, 59, 710) in Abs. 3 redaktionell geänderte Vorschrift enthält Regelungen über die berufliche Aus- und Weiterbildung, die Arbeit und die arbeitstherapeutische Beschäftigung der Gefangenen. Die Absicht des Gesetzgebers, berufliche Bildung und Arbeit als wichtige Kernbereiche eines resozialisierenden Behandlungsvollzugs zu beschreiben, ihren Stellenwert und ihr Verhältnis zueinander zu 439
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bestimmen, ist missglückt. Das erklärt sich aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift. Während einerseits der Regierungsentwurf des StVollzG die Aus- und Weiterbildung ursprünglich unzweckmäßigerweise noch im Zusammenhang mit der Freizeit regeln wollte und andererseits der Alternativ-Entwurf zum StVollzG der Bildung sinnvollerweise einen eigenen Abschnitt widmete, hat sich der Gesetzgeber im StVollzG für einen Kompromiss entschieden, der formal und inhaltlich wenig befriedigen kann. 2
a) Zutreffend wurde zwar der Zusammenhang zwischen beruflicher Bildung und Arbeit hergestellt, unklar geblieben ist aber die zeitliche Zuordnung von beruflicher Bildung und Arbeit bzw. Beschäftigung entsprechend der Persönlichkeitsentwicklung und der Lebensgestaltungssituation des einzelnen Gefangenen. Der Gesetzgeber hat die Möglichkeit vertan, den allgemeinen Angleichungsgrundsatz des § 3 Abs. 1 in § 37 beispielhaft zu konkretisieren. Berufsausbildung sollte, (zumindest) wenn sie zuvor nicht erfolgte, aber noch möglich erscheint und die Erreichung des Vollzugszieles fördert, einem Arbeitseinsatz vorangehen (vgl. auch Arloth 2011 Rdn. 9; C/MD 2008 Rdn. 1).
3
b) Der Gesetzgeber hätte sich für eine rangfolgeähnliche Zuordnung entsprechend den Feststellungen im Vollzugsplan entscheiden sollen. Eine solche war in der beispielhaften Aufzählung des § 7 Abs. 2 Nr. 1 bis 8 noch nicht erforderlich, wäre aber im Bereich der Zuweisung von Beschäftigungen zur Wertung, Verstärkung und Durchsetzung der anlässlich der Persönlichkeitserforschung (Behandlungsuntersuchung gem. § 6) erhobenen individuellen Bedürfnisse des einzelnen Gefangenen unabdingbar. So könnten die in der Praxis teilweise zu beobachtenden gegenseitigen Behinderungen und wenig behandlungsorientierten Konkurrenzen der Bereiche Berufsbildung und Arbeit vermieden werden.
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2. Zusammenarbeit mit außervollzuglichen Einrichtungen. Berufliche Bildung und Arbeit machen in verhältnismäßig großem Umfang eine Zusammenarbeit der Vollzugsverwaltung mit außervollzuglichen Einrichtungen, Behörden, Organisationen, Verbänden, Vereinen und Einzelpersonen erforderlich. Das Zusammenarbeitsgebot des § 154 findet hier einen weiten Anwendungsbereich, der in der Praxis auch umfassend genutzt wird. Weil die Justizverwaltung aber nicht in der Lage ist, die notwendige Berufsbildung allein durchzuführen, sind die Arbeitsagenturen ebenso tätig geworden wie Bildungseinrichtungen der Unternehmensverbände, Gewerkschaften, Kirchen und Parteien. Ferner soll im Arbeitsbereich unternehmerisches Risiko nicht in allen Branchen von der Justizverwaltung getragen werden bzw. es kann auch wegen der Struktur der öffentlichen Haushalte nicht immer getragen werden. Daher gibt es in den Anstalten neben den Eigenbetrieben des Vollzugs zahlreiche Zweigbetriebe freier Unternehmer (vgl. § 149 Abs. 4). Damit ist auch die Möglichkeit eröffnet, den Gefangenen nach der Entlassung im Stammunternehmen außerhalb der Anstalt weiter zu beschäftigen.
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3. Informationen zur beruflichen Bildung. Über die Bildungsmaßnahmen (Allgemeinbildung und berufliche Grundbildung, Berufsausbildung, berufliche Weiterbildung) in Justizvollzugsanstalten der Bundesrepublik Deutschland finden sich Informationen im Internet unter http://infobub.arbeitsagentur.de/kurs/index.jsp (Suchkriterium: Bildungsbereich in Justizvollzugsanstalten). Die Informationen über die Bildungsmöglichkeiten erstrecken sich auf Bildungsstätten, Zugangsvoraussetzungen, Unterrichtsformen und -dauer, Bildungsinhalte und -schwerpunkte, Abschlüsse, Aufnahmemöglichkeiten, Aufnahmekriterien und dergleichen. Auch informieren sich die Landesjustizverwaltungen laufend gegenseitig über Aus- und FortbildungsmöglichkeiLaubenthal
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ten in ihren Bereichen, um zur besseren Ausnutzung der jeweiligen Bildungseinrichtungen der Länder Gefangene unter Umständen überstellen oder verlegen zu können. II. Erläuterungen 1. Berufsbildung, Arbeit und Arbeitstherapie als Teile des Vollzugsziels a) In Abs. 1 wird jener Teil des allgemeinen Vollzugszieles aus § 2 Satz 1, der durch 6 berufliche Bildung, Arbeit und Beschäftigung erreicht werden soll, spezifiziert und konkreter beschrieben. Während dabei die drei Bereiche Arbeit, arbeitstherapeutische Beschäftigung und berufliche Aus- und Weiterbildung zunächst ungeordnet aufgezählt sind, verdeutlicht das Gebot, Fähigkeiten für eine Erwerbstätigkeit nach der Entlassung zu vermitteln, zu erhalten oder zu fördern, jene Reihenfolge, in der die Bedürfnisse des einzelnen Gefangenen geprüft werden müssen: zuerst die Notwendigkeit einer beruflichen Bildung, dann die Möglichkeit eines geeigneten Arbeitseinsatzes und – wenn beides noch nicht möglich ist – schließlich das Gebot einer arbeitstherapeutischen Beschäftigung. Feststellungen und Hinweise dazu hat der Vollzugsplan (§ 7 Abs. 2 Nr. 4 und 5) aufgrund der Behandlungsuntersuchung (§ 6) zu enthalten. b) Der Hinweis auf die Erwerbstätigkeit nach der Entlassung enthält zwei wesent- 7 liche Aussagen: Der Gefangene soll zum einen in die Lage versetzt werden, den Unterhalt für sich und ggf. seine Familienangehörigen durch seine Arbeit sichern zu können, zum anderen soll er dazu vor allem nach der Entlassung fähig sein. Alle vollzuglichen Bemühungen sind also auf diesen Zeitpunkt ausgerichtet, mithin zukunftsorientiert. Sie verwirklichen auf diese Weise sowohl das Eingliederungsgebot des § 3 Abs. 3 als auch den Angleichungsgrundsatz des § 3 Abs. 1 und die Hilfe zur Selbsthilfe als frühzeitige Entlassungsvorbereitung (vgl. § 71). c) Durch das Wort insbesondere lässt die Bestimmung die Möglichkeit offen, dass 8 berufliche Aus- und Weiterbildung, Arbeit und arbeitstherapeutische Beschäftigung im Einzelfall auch anderen Zielen dienen können als lediglich Fähigkeiten für eine spätere Erwerbstätigkeit zu vermitteln, zu erhalten oder zu fördern. Dabei ist z. B. an eine physische oder psychische Stabilisierung, an eine Verbesserung des Selbstwertgefühls oder an eine die Haftzeit überbrückende therapeutische Beschäftigung zu denken, z. B. bei drogenabhängigen, alten oder in hoch qualifizierten oder Spezialberufen fertig ausgebildeten Gefangenen. d) Mit dem Begriff arbeitstherapeutische Beschäftigung hat der Gesetzgeber ver- 9 sucht, definitorische Unsicherheiten zu verdecken. Man unterscheidet Arbeits- und Beschäftigungstherapie (wobei die Grenzen jedoch fließend sind; vgl. Schweinhagen 1987; Wattenberg 1984 und 1990). Die Arbeitstherapie dient unmittelbar der Herstellung einer Arbeitsfähigkeit des Gefangenen. Sie soll zu einem positiven Arbeits- und Leistungsverhalten führen, insbesondere die Durchhaltefähigkeit an einem Arbeitsplatz über mehrere Stunden einüben. Über zunächst einfache Tätigkeiten und Erfolgserlebnisse wird versucht, die Ängste vor Arbeitsmisserfolgen abzubauen, Begabungen zu finden und so mit Aussicht auf Erfolg eine Hineinnahme in berufliche Bildungsmaßnahmen oder eine dauerhafte Arbeitsaufnahme in einem Arbeitsbetrieb zu ermöglichen. Das Arbeitsentgelt für arbeitstherapeutische Beschäftigung beträgt gem. § 3 StVollzVergO (s. hierzu § 48 Rdn. 2) in der Regel 75% des Grundlohnes der Vergütungsstufe I (vgl. § 43 Rdn. 10). Jenen Gefangenen, die zu der stärker zielgerichteten Arbeitstherapie noch nicht in der Lage sind, 441
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dient die Beschäftigungstherapie (z. B. als Vorstufe der Arbeitstherapie) dazu, in Unterbrechung der sonst zu langen täglichen freien Zeit durch meist sehr leichte und sich wiederholende Tätigkeiten diese psychisch zu stabilisieren und einen zeitlichen Tagesablauf einzuüben, der den allgemeinen Lebensverhältnissen außerhalb der Anstalt möglichst entspricht (§ 3 Abs. 1). 2. Zuweisung von wirtschaftlich ergiebiger Arbeit 10
a) Abs. 2 regelt die Zuweisung von Arbeit an einen Gefangenen. Seiner in § 41 Abs. 1 festgelegten Arbeitspflicht (dort Rdn. 2 ff) entspricht die grundsätzliche Verpflichtung der Vollzugsanstalt, ihm auch Arbeit zuzuweisen. Ein damit korrespondierendes Recht auf Zuweisung von Arbeit ist dem Gefangenen andererseits jedoch nicht zugestanden. Bei pragmatischer Beurteilung können die Schwierigkeiten nicht übersehen werden, die aus der Abhängigkeit der Arbeitsverwaltungen in den Vollzugsanstalten vom allgemeinen Arbeitsmarkt erwachsen. In Zeiten der Vollbeschäftigung außerhalb der Anstalten könnte ein Recht der Gefangenen auf Arbeit zwar weitgehend erfüllt werden. Allgemeine wirtschaftliche Rezessionen, Auftragsmangel und Arbeitslosigkeit außerhalb der Anstaltsmauern sind hingegen schnell und überproportional im Bereich der Gefangenenarbeit zu spüren. Der Anteil der wegen Arbeitsmangels unbeschäftigten Gefangenen steigt dann erheblich an. In der vollzuglichen Praxis herrscht seit Jahren Arbeitsmangel. In Anerkennung der wirtschaftlichen Realität und vor allem angesichts der beschränkten Arbeitsplatzkapazität der Einrichtungen kommt dem Einzelnen nur ein Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung der Anstaltsleitung bei der Auswahl der Gefangenen für vorhandene Arbeitsstellen zu (Arloth 2011 Rdn. 3; Laubenthal 2011 Rdn. 399).
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b) Dem Gefangenen soll wirtschaftlich ergiebige Arbeit zugewiesen werden, d. h. Arbeit, deren Verrichtung außerhalb der JVA (unter normalen Bedingungen) einen Verdienst ermöglichen würde, unabhängig davon, ob es sich um Dienstleistungen oder um handwerkliche oder industrielle Fertigungen handelt. Das Arbeitsprodukt soll mit einem Erlös verwertbar sein, der nach Möglichkeit auch einen Gewinn enthält. Dabei geht der Gesetzgeber erkennbar davon aus, dass die wirtschaftliche Ergiebigkeit ein Indiz für eine sinnvolle Arbeit ist, die den Gefangenen zur Leistungsbereitschaft motiviert und dadurch sowohl dem Angleichungsgrundsatz des § 3 Abs. 1 als auch dem Integrationsgrundsatz des § 3 Abs. 3 entspricht.
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c) Es ist nicht erforderlich, dass die Arbeit nach Auffassung des Gefangenen einträglich genug und abwechslungsreich erscheint, einem bestimmten Niveau entspricht oder weder zu schwer noch zu schmutzig ist. Alle außerhalb der Anstalten anzutreffenden Arbeiten sind für Gefangene geeignet. Auch wenn der Gesetzgeber als Tätigkeiten i. S. d. Abs. 2 unproduktive und abstumpfende Verrichtungen ausgeschlossen wissen wollte (vgl. BT-Drucks. 7/918, 65), sind dennoch monotone Tätigkeiten sowie Fließband- und Akkordarbeit nicht unzulässig. Zur Arbeitszeit vgl. VV Nr. 4, deren Einzelregelungen sich bewährt haben. Danach soll sich die Arbeitszeit der Strafgefangenen nach der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit im öffentlichen Dienst richten. Kommt es zu Arbeitsunterbrechungen, so ist im Hinblick auf eine Anrechnung auf die Arbeitszeit (und die Frage der Entlohnung) zu differenzieren: Wird die Arbeitszeit aus personenbezogenen Gründen unterbrochen (z. B. Arzttermin, Besuchsempfang, Disziplinarverhandlung oder richterliche Anhörung), muss keine Anrechnung erfolgen, während bei Unterbrechungen zu Anstaltszwecken (z. B. Heranziehung als Dolmetscher für ausländische Strafgefangene durch die Vollzugsbehörde) die fehlende Arbeitszeit angerechnet wird. Laubenthal
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3. Berücksichtigung individueller Voraussetzungen a) Die Fähigkeiten, Fertigkeiten und Neigungen des einzelnen Gefangenen sollen 13 bei der Zuweisung von Arbeit an ihn berücksichtigt werden. Diesem Individualisierungsgebot folgend wird bei der Zuweisung einer wirtschaftlich ergiebigen Tätigkeit den individuellen Bedürfnissen und Fähigkeiten Rechnung getragen. Mit der Vorgabe der personenbezogenen Prüfung und persönlichkeitsangepassten Zuweisung soll erreicht werden, dass die auszuübende Arbeit dem aktuellen Stand der Persönlichkeitsentwicklung hinreichend entspricht, der Gefangene weder unter- noch überfordert wird und dadurch die Arbeitsmotivation und das Durchhaltevermögen verliert. Es soll eine Arbeit zugewiesen werden, zu der der Gefangene eine positive Einstellung gewinnt und die er deshalb möglicherweise nach der Entlassung in einer freien Arbeitsstelle fortzuführen bereit ist. b) Den Grundprinzipien des Abs. 2 stehen in der Vollzugspraxis erhebliche Hinder- 14 nisse entgegen. Oft gelingt es dem Leiter der Arbeitsverwaltung einer Vollzugsanstalt nur sehr schwer, überhaupt Aufträge für die Anstaltsbetriebe und damit Arbeit für die Gefangenen zu beschaffen. Es ist ihm häufig lediglich in wenigen Fällen möglich, dem Individualisierungsgebot in Abs. 2 auch nur annähernd Rechnung zu tragen. Die dem einzelnen Gefangenen in der Anstalt angebotene Tätigkeit richtet sich daher im Allgemeinen mehr nach der Art, dem Umfang und der vereinbarten Produktionszeit für den von der Anstalt übernommenen Auftrag als nach den individuellen Möglichkeiten der Inhaftierten. c) Unter Berücksichtigung der vorstehenden Ausführungen ist der Rechtsprechung 15 darin zuzustimmen, dass auch sie den Vollzugsorganen bei der Regelung des Arbeitseinsatzes der Gefangenen ein weitgehendes Ermessen einräumt (OLG Nürnberg NStZ 1981, 200; OLG Frankfurt ZfStrVo 1983, 245; s. auch Arloth 2011 Rdn. 3; Laubenthal 2011 Rdn. 399). Dieses Ermessen ist fehlerhaft ausgeübt, wenn die Vollzugsbehörde die ihr durch die Norm vorgegebenen gesetzlichen Grenzen überschreitet oder wenn sie von dem ihr eingeräumten Ermessen nicht im Sinne des Gesetzes oder der in der Norm zum Ausdruck kommenden Zweckbestimmung Gebrauch macht (zur Ermessensausübung s. Laubenthal 2011 Rdn. 809 ff). Ein solcher Fehlgebrauch liegt z. B. dann vor, wenn bei der Entscheidung über eine Arbeitsplatzzuweisung von unrichtigen tatsächlichen Grundlagen ausgegangen wurde (OLG Celle ZfStrVo SH 1979, 57). 4. Das Bildungsgebot a) Das Gesetz stellt die Maßnahmen der Aus- und Weiterbildung i. S. d. § 37 Abs. 3 16 der Zuweisung einer ergiebigen Arbeit gleich (vgl. BT-Drucks. 7/918, 65). Dem seitens des Gefangenen gem. § 41 Abs. 2 Satz 1 zustimmungsbedürftigen Bildungsgebot des Abs. 3 – insbesondere der Verpflichtung, geeigneten Gefangenen Berufsausbildung, berufliche Weiterbildung und sonstige aus- oder weiterbildende Maßnahmen anzubieten – liegen die in der Praxis vielfach bestätigten Erkenntnisse zugrunde, dass eine überdurchschnittlich große Zahl von Gefangenen keinen erfolgreichen Schulabschluss und/oder keine abgeschlossene Berufsausbildung besitzt (vgl. etwa K/S-Schöch § 12 Rdn. 10; Laubenthal 2011 Rdn. 423; Wiegand 1988, 277 f; von den im Jahr 2011 in bayerischen Strafanstalten einsitzenden Verurteilten verfügten nach einer dort durchgeführten Erhebung nur etwa 52% der Erwachsenen über eine abgeschlossene Berufsausbildung, bei den Jugendlichen sogar lediglich 20% (Bayerisches Staatsministerium der Justiz Justizvollzug in Bayern, 443
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München 2011, 25). Hinzu kommt die Auffassung, dass fehlende schulische und berufliche Bildung wegen ihrer desozialisierenden Wirkung und der damit verbundenen Lebensschwierigkeiten in einer modernen Leistungsgesellschaft in engem Zusammenhang mit strafrechtlich auffälligem Verhalten steht (§ 2 Rdn. 11). Deshalb wird davon ausgegangen, dass eine Verbesserung der schulischen und beruflichen Bildung wesentlich dazu beitragen kann, die Gefangenen zu befähigen, das Vollzugsziel (§ 2 Satz 1) zu erreichen. Die Erfüllung der gesetzlichen Forderung bereitet den Vollzugsorganen jedoch erhebliche Schwierigkeiten, weil hier stark differenziert werden muss, denn die Gefangenen weisen Bildungsdefizite sehr unterschiedlicher Form und unterschiedlichen Grades auf. Die Vollzugseinrichtungen bieten berufliche Aus- und Weiterbildung entweder in Lehrwerkstätten, in den Arbeitsbetrieben der Vollzugsanstalten oder in besonderen (teilweise gemeinsam mit den Arbeitsagenturen eingerichteten) Umschulungsstätten an und zwar sowohl als Einzelmaßnahme als auch in Form geschlossener Lehrgänge. 17
b) Bei den in Abs. 3 normierten in erster Linie berufsbezogenen Bildungsmaßnahmen handelt es sich regelmäßig um Vollzeitmaßnahmen, die an die Stelle der Zuweisung von Arbeit treten und insoweit die Arbeitspflicht des Inhaftierten entfallen lassen. Das StVollzG benennt zwar die Maßnahmen der Aus- und Weiterbildung sowie der Teilnahme an anderen ausbildenden und weiterbildenden Maßnahmen. Die Oberbegriffe der Aus- und Weiterbildung werden aber im StVollzG nicht näher abgegrenzt und definiert. Ihre Bedeutung ergibt sich aus dem BBiG sowie aus dem SGB III – Arbeitsförderung. Nach § 1 Abs. 3 BBiG hat die Berufsausbildung eine breit angelegte berufliche Grundbildung und die für die Ausübung einer qualifizierten beruflichen Tätigkeit notwendigen fachlichen Fertigkeiten und Kenntnisse in einem geordneten Ausbildungsgang zu vermitteln. Zudem soll der Erwerb der erforderlichen Berufserfahrungen ermöglicht werden. Zur beruflichen Weiterbildung gehören Fortbildungs- und Umschulungsmaßnahmen. Gem. § 1 Abs. 4 BBiG soll eine berufliche Fortbildung dazu dienen, die vorhandenen beruflichen Kenntnisse und Fertigkeiten zu erhalten, zu erweitern, der technischen Entwicklung anzupassen oder beruflich aufzusteigen, während die berufliche Umschulung nach § 1 Abs. 5 BBiG die Befähigung zu einer anderen beruflichen Tätigkeit bezweckt. Angesichts der nur begrenzten vollzuglichen Möglichkeiten zur Aus- und Weiterbildung sowie der – häufig auch durch kurze Haftzeiten bedingten – Ungeeignetheit vieler Inhaftierter für Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen von längerer Dauer spielen in der vollzuglichen Praxis die anderen aus- und weiterbildenden Maßnahmen eine größere Rolle und dabei vor allem diejenigen der Berufsausbildungsvorbereitung (Arloth 2011 Rdn. 13). Nach § 1 Abs. 2 BBiG dienen diese dem Ziel, durch Vermittlung von Grundlagen für den Erwerb beruflicher Handlungsfähigkeit an eine Berufsausbildung in einem anerkannten Ausbildungsberuf heranzuführen. Eine Förderung durch die Bundesagentur für Arbeit kann für Maßnahmen der Berufsausbildung (§§ 56 ff SGB III) ebenso wie für diejenigen der beruflichen Weiterbildung (§§ 81 ff SGB III) und der Berufsvorbereitung (§§ 51 ff SGB III) erfolgen. Zwar enthält das SGB III – abgesehen von § 26 Abs. 1 Nr. 4 zur Frage einer Versicherungspflicht – keine speziellen Regelungen für den Strafvollzug. Jedoch kann auch der Strafgefangene nach den im SGB III genannten Voraussetzungen Leistungen der traditionellen Förderung (z. B. Gewährung von Berufsausbildungsbeihilfe, Übernahme von Maßnahmekosten) erhalten bzw. die Anstalt eine institutionelle Förderung (z. B. finanzielle Zuschüsse zur Schaffung von Ausbildungsplätzen) erfahren.
18
c) Berufliche Bildung soll nur geeigneten Gefangenen angeboten werden. Entgegen dieser ausgrenzenden Formulierung wäre es vom Vollzugsziel her sinnvoller, Maßnahmen anzubieten, die sich für die Gefangenen eignen und auf deren Ausgangsbasis abLaubenthal
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stellen (ebenso kritisch hierzu Böhm 2003 Rdn. 308; Walter 1999 Rdn. 458). Zu unterscheiden ist zwischen persönlicher, fachlicher und vollzuglicher Eignung (so auch Rotthaus Anm. zu OLG Frankfurt NStZ 1983, 381, 383). Zur persönlichen Eignung sind das Vorliegen entsprechender Bildungsdefizite (Bildungsbedürftigkeit) und die notwendigen körperlichen, geistigen und charakterlichen Voraussetzungen für eine berufliche Bildung (Bildungsfähigkeit und -willigkeit) zu rechnen. Nach OLG Celle (BlStV 1/1987, 5) kann einem Gefangenen, der eine qualifizierte Berufsausbildung und den Realschulabschluss hat, eine weitere Ausbildung ohne für ihn praktische Bedeutung versagt werden (vgl. auch OLG Nürnberg ZfStrVo 1991, 245, das unter Berufung auf das Vollzugsziel gem. § 2 Satz 1 einem Mittvierziger die Zulassung zum Fernstudium der Wirtschaftswissenschaften versagte, weil der Gefangene nach seiner Entlassung mit dieser Qualifikation auf dem freien Arbeitsmarkt schlechtere Wiedereingliederungschancen habe; s. zum Fernstudium noch Rdn. 23). Die fachliche Eignung umfasst alle psychischen und physischen Fähigkeiten, die für die vorgesehene konkrete Berufsbildungsmaßnahme erforderlich sind, um sie durchzustehen und erfolgreich abzuschließen. Zur vollzuglichen Eignung gehören im Wesentlichen die Sicherheitsaspekte, ob z. B. die mit der Bildungsmaßnahme verbundenen Lockerungen i. S. d. § 11 (Ausgang, Freigang) dem einzelnen Gefangenen entsprechend seinem Vollzugsplan (gem. § 7) gewährt werden können. d) Welches Ausbildungsangebot in den einzelnen Justizvollzugsanstalten bereitge- 19 stellt wird, steht im Ermessen der jeweiligen Vollzugsbehörden. Bei dem Merkmal der Eignung auf der Tatbestandsseite des Abs. 3 handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff. Denn bei der Feststellung der Eignung geht es um ein Wahrscheinlichkeitsurteil, das auf einem Bündel objektiver und subjektiver Umstände beruht. Aufgrund der erforderlichen persönlichen Wertungen steht der Anstaltsleitung eine Entscheidungsprärogative zu. Die Entscheidung innerhalb des ihr eingeräumten Beurteilungsspielraums bleibt gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbar (Arloth 2011 Rdn. 15; K/S-Schöch § 7 Rdn. 7; Laubenthal 2011 Rdn. 426, 813). Sind für einen Aus- oder Weiterbildungsplatz mehrere Strafgefangene geeignet, kommt der Anstaltsleitung auf der Rechtsfolgenseite des Abs. 3 zudem ein Auswahlermessen zu (OLG Karlsruhe StraFo 2008, 524). e) Um für die förderungsbedürftigen und -fähigen Gefangenen möglichst eine Viel- 20 zahl von geeigneten ausbildenden Angeboten bereitzuhalten – was die einzelnen Anstalten regelmäßig überfordert –, haben die Bundesländer im Hinblick auf die Verlegungsmöglichkeit gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 1 verabredet, sich laufend gegenseitig über Aus- und Fortbildungsangebote für Gefangene in ihren Bereichen zu informieren. Eine Verlegung nach dieser Norm kommt vor allem in Betracht, wenn die aufnehmende Einrichtung individuell geeignetere Aus- und Weiterbildung bietet (Laubenthal 2011 Rdn. 359). Dann kann zum Zweck der Behandlung ein vom Vollstreckungsplan abweichender Anstaltswechsel erfolgen (zur Frage der Anordnung der vorzeitigen Rückverlegung eines Gefangenen wegen Verstoßes gegen Sicherheitsinteressen in seine „Heimatanstalt“ aus der Vollzugsanstalt, in die er zum Zwecke der Berufsausbildung aufgenommen wurde, OLG Zweibrücken ZfStrVo 1983, 55 m. Anm. Rotthaus ZfStrVo 1983, 256; zur Frage der Rückführung des Gefangenen nach Abschluss der Ausbildungsmaßnahme OLG Frankfurt NStZ-RR 1996, 188). f) Im Zusammenhang mit ihren Berufsbildungsangeboten sind die Vollzugsbehör- 21 den verpflichtet, bei den Gefangenen für die Berufsbildung zu werben, die notwendige Motivation zu vermitteln, zu fördern oder zu erhalten, was bereits aus dem allgemeinen 445
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Grundsatz des § 4 Abs. 1 Satz 2 folgt. Die Anstalt hat für eine geeignete und wirksame Orientierung mit abschließender Berufsfindung Sorge zu tragen. Bei der Ausbildungsvermittlung muss gem. § 148 Abs. 2 auf der organisatorischen Ebene sichergestellt sein, dass die Bundesagentur für Arbeit die ihr insoweit obliegenden Aufgaben in den Einrichtungen durchführen kann. Viele Gefangene müssen jedoch zunächst eine Orientierungsphase in justizeigenen Arbeits- und/oder Lehrwerkstätten durchlaufen, um durch Erlangen oder Verbessern einer Motivation die Notwendigkeit einer beruflichen Bildung einzusehen. 22
g) Die berufliche Bildung kann durch eine Berufsausbildung in anstaltseigenen Produktions- und Lehrwerkstätten entsprechend den Richtlinien der außervollzuglich zuständigen Institutionen (z. B. Berufsbildungsausschüsse bei den Industrie- und Handelskammern bzw. Handwerkskammern) erfolgen. Sie kann auch eine Weiterbildungsmaßnahme gem. §§ 81 ff SGB III sein, die ebenfalls in den Anstaltsbetrieben oder in einem geschlossenen Lehrgang, zumeist in besonderen Werkstätten, durchgeführt wird. Nach §§ 56 ff bzw. §§ 81 ff SGB III werden unter bestimmten Voraussetzungen Maßnahmen der beruflichen Aus- und Weiterbildung durch die Bundesagentur für Arbeit gefördert. Diese übernimmt individuelle Kosten (z. B. Honorare der Lehrkräfte, Lehr- und Lernmittel, Verbrauchsmaterial, Unterhaltsgeld, Verwaltungskostenanteile) und beteiligt sich teilweise darüber hinaus auch an den institutionellen Kosten (z. B. Einrichtung der Werkstätten, Ausstattung der Ausbildungsplätze, Geräte und Werkzeug).
23
h) Berufsbildung wird auch mit Hilfe von Fernunterricht und Fernstudien durchgeführt, die neben der Fernuniversität Hagen verschiedene, in diesem Bereich außerhalb der Anstalten tätige Bildungsinstitute anbieten (Hinweise über persönliche Voraussetzungen, Lehr- und Studienangebote, gesetzliche Grundlagen und finanzielle Förderung s. Ratgeber für Fernunterricht, zu beziehen bei der Staatlichen Zentralstelle für Fernunterricht (ZFU) in 50676 Köln, Peter-Welter-Platz 2 bzw. im Internet unter www.zfu.de oder beim Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) in 53142 Bonn, Postfach 201264 bzw. im Internet unter www.bibb.de). Ein Fernunterricht bzw. -studium beruht auf schriftlich vermittelter Kommunikation zwischen dem Lernenden und den Lehrkräften der Fernlehrorganisation, wobei die Kurse vorproduziert sind und die Interaktion vor allem medienvermittelt stattfindet – i. d. R. hauptsächlich aus der Lösung, der Korrektur und Kommentierung vom Einsendeaufgeber (Ommerborn/Schuemer 1999, 3 f). Ein Fernunterricht bzw. -studium stellt dann eine Maßnahme i. S. d. § 37 Abs. 3 dar, wenn der Inhaftierte für sein Ausbildungsvorhaben von der Arbeitspflicht freigestellt wird (KG ZfStrVo 2003, 178) und er nach § 44 Ausbildungsbeihilfe erhält. Eine fernunterrichtliche Ausbildung kann zwar den individuellen Berufswünschen und Bedürfnissen eines einzelnen Gefangenen weitgehend gerecht werden. Eine erfolgreiche Durchführung setzt neben den intellektuellen Voraussetzungen (etwa in Form des Abitur- oder Fachhochschulreifenachweises) aber große Arbeitsdisziplin, erhöhtes Leistungsstreben, starkes Durchhaltevermögen und eigenkontrollierte Stetigkeit voraus, an denen es den meisten Gefangenen mangelt. Zudem bedarf es der im Einzelfall erforderlichen vollzugsbezogenen Gegebenheiten, d. h. im Idealfall räumliche Unterbringung mit geeignetem Platz zum Lernen, u. U. mit EDV-Unterstützung, und mit Bibliothek sowie Betreuung durch Mentoren (vgl. Clever/Ommerborn 1996, 82 ff). Erforderlichenfalls muss eine Eignung für Urlaub oder Ausgang gegeben sein bzw. kann eine Überstellung in eine andere Anstalt (OLG Karlsruhe ZfStrVo 1988, 369) zum Ablegen einer Prüfung in Betracht kommen. Insbesondere für im geschlossenen Vollzug unterzubringende Gefangene bedarf es der Verlegung in eine solche Vollzugseinrichtung, in der bislang Studienzentren für inhaftierte FernLaubenthal
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studenten eingerichtet wurden (z. B. in den Justizvollzugsanstalten Geldern, Hannover, Freiburg, Würzburg), welche als Instrumente zur Kompensation von Kommunikationsdefiziten in der Fernlehre fungieren (Ommerborn/Schuemer 1999, 9 ff). Für die organisatorische Durchführung derartiger mit einem Fernunterricht zwangsläufig verbundener Maßnahmen ist die Vollzugsbehörde im Falle ihrer Zustimmung zur Aufnahme des Studiums/Fernlehrgangs verantwortlich (OLG Hamm ZfStrVo 1986, 376). Dabei kann Urlaub über §§ 13 und 35 hinaus nicht gewährt werden (OLG Frankfurt NStZ 1986, 189 m. Anm. Dopslaff). Auch ist die Vollzugsbehörde nicht verpflichtet, den Gefangenen an Begleitveranstaltungen teilnehmen zu lassen, deren Gegenstand vom Kernbereich des Studiums so weit entfernt erscheint, dass bei Nichtteilnahme eine Gefährdung des Studienziels nicht zu befürchten ist (OLG Koblenz ZfStrVo 1987, 246). Schließlich ergibt sich aus Abs. 3 auch kein Anspruch auf Übernahme von Kosten eines Fernlehrgangs oder -studiums (OLG Nürnberg ZfStrVo 1991, 245; OLG Hamburg NStZ 1995, 568 = ZfStrVo 1996, 117; Arloth 2011 Rdn. 13; C/MD 2008 Rdn. 4). i) Die Frage, ob in jeder größeren JVA den Gefangenen Gelegenheit zu beruflicher 24 Bildung gegeben werden soll oder ob nur wenige Anstalten als Zentren zur beruflichen Bildung einzurichten sind (so stellt z. B. die JVA Geldern die zentrale Bildungsstelle in Nordrhein-Westfalen für erwachsene männliche Strafgefangene mit 224 Ausbildungsplätzen für 13 Berufe dar – s. www.jva-geldern.nrw.de/wir/bbz/index.php), ist umstritten. Die Dauer beruflicher Bildung erfordert wegen der Aufrechterhaltung der sozialen Bezüge der Gefangenen möglichst seine Unterbringung in der Nähe seines Lebensmittelpunktes, um seine Bildungsbereitschaft zu fördern bzw. zu erhalten. Weite Verlegungen zur Durchführung von Bildungsmaßnahmen sollten möglichst vermieden werden. Andererseits erlauben es die in den einzelnen Justizvollzugsanstalten vorhandenen Strukturen nicht, überall berufliche Bildungsmaßnahmen einzurichten. Ferner ist bei der Initiierung von Umschulungsmaßnahmen aus Kostengründen eine Mindestzahl von Gefangenen bei Beginn des Umschulungskurses erforderlich, die nicht einmal in jeder größeren Anstalt erreicht werden dürfte. Auch im Bereich der dualen Ausbildung sind zudem nicht in jeder Anstalt zweckentsprechende Ausbildungsbetriebe und eine entsprechende Ausstattung mit Ausbildungspersonal vorhanden. Schließlich sprechen bei beiden Formen der Berufsausbildung wirtschaftliche Überlegungen für eine möglichst weitgehende Konzentration (z. B. möglichst optimales Ausnutzen von Gebäuden und Ausstattungen, wirksamer Einsatz von Personal). Außerdem kann bei der Konzentration letztlich auch die notwendige Verbindung mit dem Ausbildungs- und Arbeitsbereich außerhalb der JVA am besten gewährleistet werden, z. B. durch genügend Praktikumsplätze, nebenamtliche und ehrenamtliche Mitarbeiter, leistungsfähige und breit gefächerte Berufsschulen, bereitwillige und aufgeschlossene Maßnahmenträger, zu besonderer Mitarbeit bereite und engagierte Arbeitsagenturen, aufgeschlossene Industrie- und Handelskammern, Handwerkskammern sowie Innungen, gute und rechtzeitige Vermittlung auf dem freien Arbeitsmarkt in industriellen Ballungsgebieten. 5. Angemessene Beschäftigung a) Einem Gefangenen wird gem. Abs. 4 dann eine angemessene Beschäftigung zuge- 25 teilt, wenn ihm eine wirtschaftlich ergiebige Arbeit gem. Abs. 2 nicht zugewiesen und eine Gelegenheit zur beruflichen Bildung gem. Abs. 3 ebenfalls nicht gegeben werden kann. Die angemessene Beschäftigung ist mithin subsidiär zu Berufsbildung und wirtschaftlich ergiebiger Arbeit. Da die faktischen Gegebenheiten in den Vollzugseinrichtungen nicht immer und für alle in Betracht kommenden Insassen die Zuteilung einer quali447
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fizierten Arbeitsstelle ermöglichen und auch nur ein Teil der Gefangenen für eine Ausoder Weiterbildungsmaßnahme geeignet erscheint, soll § 37 Abs. 4 einer drohenden bzw. einer schon bestehenden Arbeitslosigkeit im Strafvollzug entgegenwirken (Lohmann 2002, 66 f). Eine Beschäftigung ist nach VV Nr. 2 angemessen, wenn ihr Ergebnis wirtschaftlich verwertbar ist und in einem vertretbaren Verhältnis zum Aufwand steht. Diese objektiven Voraussetzungen reichen jedoch nicht aus. Auch die subjektiven Bedingungen wie berufliche Qualifikation, Fertigkeiten, Leistungsfähigkeit und Neigung des Gefangenen sind bei der Abwägung der Angemessenheit zu berücksichtigen (Laubenthal 2011 Rdn. 406). In Phasen hohen Arbeitsmangels darf Abs. 4 nicht dazu führen, dass die Vollzugsbehörde zur Vermeidung von Arbeitslosigkeit zur Durchführung sinnloser Tätigkeiten durch die Inhaftierten veranlasst würde. Das Verbot sinnloser und unproduktiver Verrichtungen (s. Rdn. 12) gilt auch für Abs. 4. Der Einzelne hat keinen Rechtsanspruch auf Zuteilung einer Beschäftigung, dies liegt vielmehr im Ermessen der Anstaltsleitung (Arloth 2011 Rdn. 16; für ein Recht auf angemessene Beschäftigung dagegen Reichardt 1999, 123 ff). 26
b) Voraussetzung für die Zuteilung einer angemessenen Beschäftigung ist die Arbeitsfähigkeit der Gefangenen, d. h. nach ärztlicher Auffassung die körperliche und seelisch-geistige Fähigkeit, sich den mit der Arbeit verbundenen Belastungen auf Dauer ohne Gesundheitsbeeinträchtigungen zu stellen. Bereits die nach dem Strafantritt im Rahmen der Aufnahmedurchführung gem. § 5 Abs. 3 erfolgende ärztliche Untersuchung dient gem. VV zu § 5 auch der Prüfung, ob und in welchem Umfang der Gefangene arbeitsfähig ist.
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6. Arbeits- und Beschäftigungstherapie. Einem Gefangenen soll gem. Abs. 5 Arbeits- oder – falls notwendig – Beschäftigungstherapie angeboten werden, wenn er zu wirtschaftlich ergiebiger Arbeit (noch) nicht fähig erscheint (zur Begrifflichkeit s. Rdn. 9). Erfolgt eine solche Zuweisung, besteht für den Inhaftierten eine Pflicht zur Teilnahme (OLG Frankfurt NStZ-RR 1997, 153). Abs. 5 stellt primär auf Arbeitstherapie ab, in der der Gefangene befähigt werden soll, möglichst bald eine Berufsausbildung zu beginnen oder eine angemessene oder gar wirtschaftlich ergiebige Arbeit zu leisten. Die Verwirklichung dieser Bestimmung macht die Einstellung ausreichenden arbeitstherapeutischen Fachpersonals durch die Vollzugsbehörden erforderlich. Dabei entstehen in der Praxis teilweise große Schwierigkeiten, weil entsprechende Planstellen nicht in dem notwendigen Ausmaß von den Bundesländern bereitgestellt werden, andererseits jedoch auch erfahrene Arbeitstherapeuten auf dem Arbeitsmarkt selten zur Verfügung stehen.
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7. Ablösung von Arbeits- oder Bildungsmaßnahme. Erweist sich ein Gefangener im Verlaufe einer Berufsbildungsmaßnahme oder einer zugewiesenen Arbeit als ungeeignet (zur Eignung bei beruflichen Bildungsmaßnahmen s. Rdn. 18), kann ein Ausschluss des Gefangenen von der weiteren Teilnahme bzw. eine Ablösung in entsprechender Anwendung des § 49 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG erfolgen (BVerfG, Beschl. vom 27.12. 2007 – 2 BvR 1061/05; OLG Celle NStZ-RR 2008, 125; OLG Frankfurt NStZ-RR 2005, 189; OLG Karlsruhe NStZ-RR 2005, 389; OLG Brandenburg NStZ 2010, 439 f; OLG Hamm NStZ 2010, 440). Denn dann liegt ein nachträglich eingetretener Umstand vor, aufgrund dessen der Anstaltsleiter berechtigt war, die begünstigende Maßnahme nicht zu erlassen. Ein solcher Widerruf kommt insbesondere bei verhaltensbedingten Gründen in Betracht, welche die Eignung des Inhaftierten für die zugewiesene Arbeit oder die Aus- oder Weiterbildung aufheben, wozu Arbeitsverweigerung, intensive Störung des Betriebsfriedens sowie Sicherheitsgefährdungen zählen (OLG Zweibrücken ZfStrVo 1983, 55; OLG Celle Laubenthal
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NStZ 2000, 465; OLG Frankfurt ZfStrVo 2001, 372; OLG Karlsruhe NStZ-RR 2005, 389; OLG Brandenburg NStZ 2010, 439 f). Eine dauerhafte Ablösung von der Arbeit setzt eine ausreichende Sachverhaltsermittlung duch die Vollzugsbehörde voraus (BVerfG, Beschl. vom 27.12.2007 – 2 BvR 1061/05). Es kann auch schon eine verhaltensbedingte Eignungsbeeinträchtigung genügen, wenn diese zur Folge hat, dass andere unbeschäftigte Strafgefangene nunmehr für die konkrete Maßnahme als besser geeignet erscheinen (Arloth 2011 Rdn. 4). Wie der Anstaltsleiter letztlich auf das störende Verhalten eines Gefangenen reagiert (Ablösung und/oder Disziplinarmaßnahme), steht in seinem Ermessen (OLG Frankfurt ZfStrVo 1987, 114). Ein Widerruf der Arbeitszuweisung darf nicht nur bei personenbedingten, sondern auch bei betriebsbedingten Gründen (z. B. Mangel an Arbeitsaufträgen für die Eigenbetriebe, Abbau von Arbeitsplätzen in Unternehmerbetrieben) erfolgen (AK-Däubler/Galli 2012, § 37 Rdn. 17). Allerdings kann eine rechtswidrig erfolgte Ablösung eines Strafgefangenen von einem entlohnten Arbeitsplatz einen Anspruch des Betroffenen auf Ersatz des ihm dadurch entstandenen Schadens aus § 839 BGB begründen (OLG Karlsruhe StV 2008, 90). In Bayern existiert mit Art. 44 BayStVollzG eine spezielle Rechtsgrundlage für die Ablösung eines Gefangenen von einer Beschäftigung (oder einem Unterricht). Diese kann erfolgen aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung, Gesichtspunkten der Behandlung bzw. wenn der Betreffende den mit der Tätigkeit verbundenen Anforderungen nicht genügt. Eine vergleichbare Regelung enthält für Hessen § 28 HStVollzG. In Niedersachsen verweist § 100 NJVollzG auf das Verwaltungsverfahrensgesetz des Landes. 8. Folgen des öffentlich-rechtlichen Verhältnisses. Soweit Arbeit, Aus- und Wei- 29 terbildung nicht in einem freien Beschäftigungsverhältnis (§ 39 Abs. 1) stattfinden oder eine Selbstbeschäftigung gestattet wurde (§ 39 Abs. 2), ist das Arbeits- bzw. Aus- und Weiterbildungsverhältnis öffentlich-rechtlicher Natur (s. vor § 37 Rdn. 3). Zwischen Gefangenem und Arbeits- oder Ausbildungsbetrieb der Vollzugsanstalt werden keine Arbeits- oder Ausbildungsverträge abgeschlossen. Arbeit und Bildung stehen insoweit unter der öffentlich-rechtlichen Verantwortung der Vollzugsbehörden (BVerfGE 98, 169, 209). Demgemäß haben die Betroffenen keinen Anspruch auf eine tarifliche Bezahlung (OLG Hamm NStZ 1993, 381). Insbesondere finden die Regeln des allgemeinen Arbeitsrechts mit den daraus abzuleitenden Ansprüchen des Arbeitnehmers bzw. des Auszubildenden keine Anwendung. Dies hat auch zur Folge, dass für Streitigkeiten zwischen den im öffentlich-rechtlichen Verhältnis in Arbeit, Bildungsmaßnahme oder arbeitstherapeutischer Beschäftigung befindlichen Gefangenen und der Vollzugsbehörde nicht der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten eröffnet ist (BAG ZfStrVo 1987, 300; BSG ZfStrVo 1992, 134; KG NStZ 1990, 607; LAG Berlin-Brandenburg, Beschl. vom 3.6.2009 – 13 Ta 1102/09; AK-Däubler/Galli 2012, vor § 37 Rdn. 30; Arloth 2011 Rdn. 6; C/MD 2008 Rdn. 1). Will ein Inhaftierter gerichtlich gegen die Nichtzuweisung einer Tätigkeit i. S. d. § 37 vorgehen oder eine solche bzw. seine Ablösung verhindern, hat er den Rechtsweg gem. §§ 109 ff zu beschreiten. III. Landesgesetze und Musterentwurf 1. Baden-Württemberg. § 42 Abs. 1 JVollzGB III ist im Wesentlichen identisch mit 30 § 37 Abs. 1 StVollzG. Zusätzlich genannt wird in der Landesvorschrift die „schulische Bildung“. Abs. 2 korrespondiert mit § 37 Abs. 2 StVollzG. Abgesehen von der Formulierung im Plural ist § 42 Abs. 3 JVollzGB III wortlautidentisch mit Abs. 5 der Bundesnorm. 449
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§ 42 Abs. 4 JVollzGB III folgt § 37 Abs. 3 StVollzG mit der Maßgabe, dass wiederum auch die schulische Bildung erfasst wird. Eine § 37 Abs. 5 StVollzG entsprechende Regelung wurde in das Landesgesetz nicht übernommen. Die Gesetzesbegründung führt dazu aus: „Die angemessene Beschäftigung hat in der Vollzugspraxis keine Bedeutung erlangt. Eine Beschäftigung gilt als angemessen, wenn ihr Ergebnis wirtschaftlich verwertbar ist und in einem vertretbaren Verhältnis zum Aufwand steht. In der Regel wird es sich hierbei um wirtschaftlich ergiebige Arbeit im Sinne des Absatzes 2 handeln“ (LT-Drucks. 14/5012, 223). 31
2. Bayern. Art. 39 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 BayStVollzG entsprechen weitgehend § 37 Abs. 1 und 2 StVollzG. Neu eingefügt wurden vom bayerischen Gesetzgeber allerdings Abs. 2 Satz 2 und 3, welche der Anstalt vorschreiben: „Sie soll auch im Zusammenwirken mit den Vereinigungen und Stellen des Arbeits- und Wirtschaftslebens dazu beitragen, dass die Gefangenen beruflich gefördert, beraten und vermittelt werden. Die Arbeitsschutz- und Unfallverhütungsvorschriften sind zu beachten.“ Diese Regelungen entsprechen im Wesentlichen §§ 148 Abs. 1, 149 Abs. 2 Satz 2 StVollzG. Abs. 3 der bayerischen Regelung korrespondiert mit Abs. 5 der bundesrechtlichen Vorschrift. Art. 39 Abs. 4 Satz 1 BayStVollzG entspricht § 37 Abs. 3 StVollzG. Neu eingefügt wurden als Sätze 2 und 3: „Die Teilnahme an einer dieser Maßnahmen bedarf der Zustimmung des oder der Gefangenen. Die Zustimmung darf nicht zur Unzeit widerrufen werden.“ Dies stimmt inhaltlich weitgehend mit § 41 Abs. 2 StVollzG überein. Abs. 5 der bayerischen Vorschrift bestimmt: „Maßnahmen nach Abs. 1 können in von privaten Unternehmen unterhaltenen Betrieben und sonstigen Einrichtungen durchgeführt werden. Hierbei kann die technische und fachliche Leitung Angehörigen dieser Unternehmen übertragen werden.“ Dies korrespondiert mit § 149 Abs. 3 und 4 StVollzG.
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3. Hamburg. § 34 HmbStVollzG lautet: „(1) Die Vollzugsbehörden sollen 1. im Zusammenwirken mit den Vereinigungen und Stellen des Arbeits- und Wirtschaftslebens dafür sorgen, dass den Gefangenen unter Berücksichtigung ihrer Fähigkeiten, Fertigkeiten und Neigungen wirtschaftlich ergiebige Arbeit zugewiesen werden kann, und dazu beitragen, dass sie beruflich gefördert und vermittelt werden, 2. die Gefangenen arbeitstherapeutisch beschäftigen, sofern sie zu wirtschaftlich ergiebiger Arbeit nicht fähig sind, 3. geeigneten Gefangenen Gelegenheit zur Berufsausbildung, beruflichen Weiterbildung oder Teilnahme an anderen ausbildenden oder weiterbildenden Maßnahmen geben. (2) Die Maßnahmen nach Absatz 1 dienen insbesondere dem Ziel, Fähigkeiten für eine Erwerbstätigkeit nach der Entlassung zu vermitteln, zu erhalten oder zu fördern.“ Die Gesetzesbegründung führt dazu aus: „[…] Absatz 1 Nummer 1 entspricht inhaltlich § 37 Absatz 2 in Verbindung mit § 148 Absatz 1 StVollzG. Absatz 1 Nummer 2 entspricht § 37 Absatz 5 StVollzG. Absatz 1 Nummer 3 entspricht § 37 Absatz 3 StVollzG. … Absatz 2 übernimmt die Zielbestimmung des § 37 Absatz 1 StVollzG“ (LTDrucks. 18/6490, 41). Eine § 37 Abs. 4 StVollzG korrespondierende Vorschrift enthält das hamburgische Landesgesetz nicht.
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4. Hessen. § 27 Abs. 1 Satz 1 HStVollzG normiert: „Arbeit, arbeitstherapeutische Beschäftigung und Maßnahmen der beruflichen und schulischen Weiterbildung (Beschäftigung) sind aufgrund ihrer zentralen Bedeutung für die Erfüllung des Eingliederungsauftrags im Strafvollzug besonders zu fördern.“ In der Gesetzesbegründung heißt es Laubenthal
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dazu: „Beschäftigung ist auch ein wesentlicher Bestandteil der sozialen Sicherheit einer Anstalt. Abs. 1 hebt diese Bedeutung deutlich hervor“ (LT-Drucks. 18/1396, 93). § 27 Abs. 1 Satz 2 HStVollzG entspricht sinngemäß § 37 Abs. 1 StVollzG. § 27 Abs. 3 Satz 1 HStVollzG enthält die Regelungsgehalte der § 37 Abs. 2 und 5 StVollzG, wobei auf den Ausdruck „wirtschaftlich ergiebige Arbeit“ verzichtet wird. Die Gesetzesbegründung sagt dazu: „Dabei steht nicht in erster Linie die Wirtschaftlichkeit dieser Arbeit im Vordergrund. Sie ist aber insoweit – als Ausfluss des Angleichungsgrundsatzes – wichtig, als sie eine Entsprechung auf dem freien Arbeitsmarkt findet“ (LT-Drucks. 18/1396, 94). § 27 Abs. 3 Satz 2 HStVollzG entspricht sinngemäß § 37 Abs. 3 StVollzG. Eine § 37 Abs. 4 StVollzG entsprechende Regelung enthält das hessische Strafvollzugsgesetz nicht. 5. Niedersachsen. § 35 Abs. 1 NJVollzG entspricht § 37 Abs. 1 StVollzG. 34 Abs. 2 der landesrechtlichen Vorschrift regelt: „Die Vollzugsbehörde soll der oder dem Gefangenen wirtschaftlich ergiebige Arbeit oder, wenn dies der Vollzugsbehörde nicht möglich ist, eine angemessene Beschäftigung zuweisen und dabei ihre oder seine Fähigkeiten, Fertigkeiten und Neigungen berücksichtigen. Die Vollzugsbehörde kann der oder dem Gefangenen als Tätigkeit nach Satz 1 jährlich bis zu drei Monaten eine dem Anstaltsbetrieb dienende Tätigkeit (Hilfstätigkeit) zuweisen; mit Zustimmung der oder des Gefangenen kann die Hilfstätigkeit auch für einen längeren Zeitraum zugewiesen werden. Soweit die Vollzugsplanung dies vorsieht, soll der oder dem Gefangenen mit ihrer oder seiner Zustimmung statt einer Tätigkeit nach Satz 1 eine geeignete aus- oder weiterbildende Maßnahme zugewiesen werden.“ In der Gesetzesbegründung heißt es dazu: „Absatz 2 Satz 1 übernimmt im Wesentlichen die Regelung des § 37 Abs. 2 StVollzG. … Durch die nunmehr vorgesehene Formulierung wird deutlich, dass die angemessene Beschäftigung lediglich ein Substitut für Arbeit ist, wenn arbeitsfähigen Gefangenen ausnahmsweise keine wirtschaftlich ergiebige Arbeit zugewiesen werden kann“ (LT-Drucks. 15/3565, 120). Abs. 3 der landesrechtlichen Vorschrift entspricht inhaltlich § 37 Abs. 5 StVollzG. § 35 Abs. 4 und 5 NJVollzG lauten: „(4) Einer oder einem Gefangenen, die oder der die Regelaltersgrenze der gesetzlichen Rentenversicherung erreicht hat, darf eine Tätigkeit nach den Absätzen 1 bis 3 nur mit ihrer oder seiner Zustimmung zugewiesen werden. (5) Die zur Zuweisung einer Tätigkeit nach Absatz 2 Satz 2 oder 3 oder nach Absatz 4 erteilte Zustimmung kann widerrufen werden, jedoch nicht zur Unzeit. Durch den wirksamen Widerruf erlischt die Zuweisung.“ Abs. 4 knüpft dabei für die Ausnahme von der Arbeitspflicht flexibel an die Altersgrenze der gesetzlichen Rentenversicherung an. Abs. 5 ist – mit einigen Erweiterungen – an § 41 Abs. 2 Satz 2 StVollzG angelehnt. In der Gesetzesbegründung finden sich dazu keine Ausführungen. 6. Musterentwurf. § 21 Abs. 1 Satz 1 ME-StVollzG bestimmt: „Schulische und beruf- 35 liche Aus- und Weiterbildung und vorberufliche Qualifizierung im Vollzug (schulische und berufliche Qualifizierungsmaßnahmen) haben das Ziel, die Fähigkeiten der Gefangenen zur Eingliederung und zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit nach der Haftentlassung zu vermitteln, zu verbessern oder zu erhalten.“ Schulische und berufliche Qualifizierungsmaßnahmen sind somit der Arbeit vorrangig. Die ME-Begründung führt dazu aus: „Viele Gefangene verfügen weder über einen Schul- noch über einen Berufsabschluss. Schulische und berufliche Aus- und Weiterbildung sowie berufliche Vorbereitung sind daher grundlegend für ihren weiteren beruflichen Werdegang. Erst durch eine entsprechende Qualifizierung haben die Gefangenen nach der Entlassung überhaupt Chancen auf dem Arbeitsmarkt“ (ME-Begründung, 91). 451
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§ 38
Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
Nach § 22 Abs. 1 Satz 1 ME-StVollzG soll den Gefangenen auf Antrag oder mit ihrer Zustimmung Arbeit zugewiesen werden. In der ME-Begründung heißt es dazu: „Die Zuweisung einer Arbeit ermöglicht es den Gefangenen, Geld für die Erfüllung von Unterhaltsverpflichtungen, den Schuldenabbau, den Ausgleich der Tatfolgen oder den Einkauf zu verdienen. Auch wenn Arbeit im Gegensatz zu Arbeitstraining und arbeitstherapeutischen Maßnahmen keiner spezifisch behandlerischen Zielsetzung dient, so werden hierdurch doch positive Effekte für die Resozialisierung erzielt, da die Gefangenen einen strukturierten, ausgefüllten Tag haben und ihre Arbeit als sinnvoll erleben. Sie hat hier die Funktion, die der Erwerbsarbeit außerhalb des Vollzugs zukommt, und ist daher Ausprägung des Angleichungs- und Gegensteuerungsgrundsatzes“ (ME-Begründung, 93). § 21 Abs. 3 ME-StVollzG ist vergleichbar mit § 37 Abs. 3 StVollzG. Jedoch stellt das Landesgesetz lediglich auf die schulische oder berufliche Ausbildung ab, nicht auch auf Weiterbildung oder Umschulung. In Anlehnung an § 37 Abs. 5 StVollzG enthält der ME-StVollzG mit § 19 eine selbständige Regelung zu arbeitstherapeutischen Maßnahmen: „Arbeitstherapeutische Maßnahmen dienen dazu, dass die Gefangenen Eigenschaften wie Selbstvertrauen, Durchhaltevermögen und Konzentrationsfähigkeit einüben und sie stufenweise an die Grundanforderungen des Arbeitslebens heranzuführen.“
§ 38 Unterricht § 38 Laubenthal Unterricht (1) Für geeignete Gefangene, die den Abschluss der Hauptschule nicht erreicht haben, soll Unterricht in den zum Hauptschulabschluss führenden Fächern oder ein der Sonderschule entsprechender Unterricht vorgesehen werden. Bei der beruflichen Ausbildung ist berufsbildender Unterricht vorzusehen; dies gilt auch für die berufliche Weiterbildung, soweit die Art der Maßnahme es erfordert. (2) Unterricht soll während der Arbeitszeit stattfinden. Schrifttum S. vor § 37.
I.
II.
Übersicht Allgemeine Hinweise ____ 1–5 1. Unvollständige Regelung ____ 1 2. Angleichungsgrundsatz und vollzugsspezifische Bedingungen ____ 2–4 3. Sog. anstaltsgebundene Schulen ____ 5 Erläuterungen ____ 6–15 1. Geeignetheit des Gefangenen ____ 6 2. Sonderschulunterricht und Realschulabschluss ____ 7, 8 3. Berufsschulunterricht ____ 9, 10
III.
4. Unterricht und Arbeit ____ 11 5. Organisation des Unterrichts ____ 12–15 Landesgesetze und Musterentwurf ____ 16–21 1. Baden-Württemberg ____ 16 2. Bayern ____ 17 3. Hamburg ____ 18 4. Hessen ____ 19 5. Niedersachsen ____ 20 6. Musterentwurf ____ 21
I. Allgemeine Hinweise 1
1. Unvollständige Regelung. Die an § 37 Abs. 3 anknüpfende, die gesetzliche Gleichstellung von Arbeit sowie schulischer und beruflicher Ausbildung, welche insoweit an die Stelle der Arbeit tritt, verdeutlichende Vorschrift (C/MD 2008 Rdn. 2) enthält Laubenthal
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Unterricht
§ 38
einige Regelungen zu den schulischen Angeboten für Gefangene, bleibt aber trotz der regelmäßig bestehenden Notwendigkeit schulischer Bildung unvollständig. Sie lässt sowohl Ergänzungen im Realschul- und Gymnasialbereich zu als insbesondere auch durch Berufsfachschulangebote, mit deren erfolgreicher Beendigung teilweise die Abschlüsse allgemein bildender Schularten verbunden sind bzw. werden können (s. hierzu z. B. Schüler 1988). Unerwähnt bleibt außerdem der im Vollzug nicht selten erforderliche Einzel- oder Kleinstgruppenunterricht etwa für Analphabeten oder solche, die ohne gezielte Förderung in einzelnen Lernfeldern für eine allgemein bildende oder berufliche Schulung ungeeignet sind. Dies gilt vor allem auch für nichtdeutsche Strafgefangene, denen in den Einrichtungen Deutschunterricht angeboten wird (s. zur vollzuglichen Ausländerfrage und der Problematik der Sprachbarriere Laubenthal 1999, 310; Rieder-Kaiser 2004, 42 ff). In § 38 sind nur Schulmaßnahmen während der Arbeitszeit behandelt (zu den Unterrichtsangeboten in der Freizeit einschließlich Sport- und Fernunterricht vgl. § 67, dort Rdn. 17 bis 20). 2. Angleichungsgrundsatz und vollzugsspezifische Bedingungen a) Unterricht im Strafvollzug soll sich zwar entsprechend dem Angleichungs- 2 grundsatz (§ 3 Abs. 1) möglichst eng an entsprechende Unterrichte außerhalb der Anstalten anlehnen, um die Prüfungsabnahme als „Externe“ zu sichern und einen gleichwertigen und in der freien Gesellschaft anerkannten und somit gut verwertbaren Abschluss bzw. Bildungsstand zu gewährleisten. Es handelt sich jedoch nicht bloß um eine nachzuholende Schule. Vielmehr sind vollzugsspezifische Anliegen und Bedingungen ebenso zu berücksichtigen wie die Tatsache, dass die Gefangenen überwiegend nicht mehr im schulpflichtigen Alter stehen (s. zur Vollzugspädagogik Bierschwale 2008, 199 ff). Es muss daher nach den Grundsätzen der Erwachsenenbildung auf der Grundlage der in der Behandlungsuntersuchung (§ 6) erhobenen individuellen Bedürfnisse und der entsprechenden Festlegungen im Vollzugsplan (§ 7) (zur Behandlungsuntersuchung allgemein § 6 Rdn. 1; zum Vollzugsplan § 7 Rdn. 1) sowie unter Berücksichtigung der Arbeitspflicht und -freistellung gem. §§ 41, 42 vorgegangen werden. Letzteres bedeutet, dass mangels sachlicher Notwendigkeit und gesetzlicher Grundlage keine Übertragung der allgemeinen Ferienregelungen an öffentlichen Schulen, die dem besonderen Erholungsbedürfnis von Schulkindern dienen, auf die Ausbildung der Gefangenen im Strafvollzug in Betracht kommt. Die am Unterricht teilnehmenden Gefangenen dürfen in Bezug auf ihre freie Zeit weder schlechter noch besser gestellt werden als Inhaftierte, die durch Arbeit ihrer Arbeitspflicht nachkommen und im Rahmen des § 42 freizustellen sind. Daraus folgt, dass nach § 38 geförderten Gefangenen in den Unterrichtsferien auch Arbeit in einem Anstaltsbetrieb zugewiesen werden kann. Anderes mag (neben möglichst auf unterrichtsfreie Zeit zu legender Freistellungszeit) nur gelten, wenn Gefangene während der unterrichtsfreien Tage etwa mit der Anfertigung schriftlicher unterrichtsbezogener Arbeiten betraut sind. Ist dies nicht der Fall und kann keine Arbeit zugeteilt werden, gilt der Inhaftierte als zeitweilig nicht beschäftigt, was insoweit seinen Anspruch auf Ausbildungsbeihilfe entfallen lässt. b) Die Unterrichtsangebote dürfen nicht isoliert gesehen werden. Sie sind mit den 3 übrigen nach dem Vollzugsplan (§ 7) gebotenen Behandlungsmaßnahmen zu verzahnen, insbesondere mit vorgesehenem sozialen Training, mit dem Wecken von Freizeitinteressen, mit Angeboten zur stärkeren sportlichen Betätigung und einer intensiven Entlassungsvorbereitung einschließlich z. B. Hilfe bei der Schuldenregulierung, Arbeits- und Wohnungssuche (vgl. auch Cornel 1994). 453
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Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
4
c) Schwierigkeiten bestehen darin, dass viele Gefangene, für die die Beteiligung an jeder Art von Unterrichtung i. S. d. § 37 Abs. 3 freiwillig ist (§ 41 Abs. 2), zunächst nicht mehr schulungsbereit sind. Das hängt häufig mit individuellen schulischen Problemen in ihrem bisherigen Leben zusammen. Die Motivationsarbeit ist schwierig (vgl. auch § 2 Rdn. 11; § 4 Rdn. 4, 7); die Organisation von Bildungsmaßnahmen wird dadurch behindert. Hinzu kommt, dass oft keine geschlossene Unterbringung der Gefangenen des jeweiligen Kurses (Klasse) in überschaubaren Wohngruppen möglich ist und manchmal nur notdürftige bzw. unzulängliche Unterrichtsräume mit mangelhafter Ausstattung und fehlendem Lehr- und Lernmaterial zur Verfügung stehen.
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3. Sog. anstaltsgebundene Schulen. Der Unterricht kann sowohl durch hauptoder nebenamtlich bestellte Anstaltslehrer als auch gem. §§ 149 Abs. 3, 154 Abs. 2 durch Dritte erteilt werden (Arloth 2011 Rdn. 2). Umstritten ist, ob in stärkerem Umfang Versuche mit sog. anstaltsgebundenen Schulen in den Vollzugsanstalten gemacht werden sollten, die mit Genehmigung des Kultusministeriums eine selbständige Organisation mit eigenem Zeugnis- und Versetzungsrecht und vom Anstaltsleiter unabhängigem Schulleiter haben. Die Möglichkeit dazu sehen Landesschulgesetze teilweise vor (z. B. § 1 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 des Niedersächsischen Schulgesetzes i. d. F. v. 3.3.1998, GVBl. S. 137). Eine solche Schule stellt dann allerdings – u. a. auch wegen der völlig anderen Dienstverhältnisse der Lehrkräfte, mit Dienstzeit- und Ferienregelungen entsprechend denen für Lehrkräfte an allgemeinbildenden Schulen außerhalb des Vollzugs – eine „Anstalt“ in der Vollzugsanstalt dar; jedoch sind einzelne Erfahrungsberichte ermutigend (vgl. Schüler 1988). II. Erläuterungen
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1. Geeignetheit des Gefangenen. Eine Zulassung zum Unterricht als eine Maßnahme i. S. d. § 37 Abs. 1 setzt voraus: Der Gefangene muss für die vorgesehene Unterrichtsmaßnahme geeignet sein (s. zum Begriff der Eignung § 37 Rdn. 18 sowie zur Eignung als unbestimmtem Rechtsbegriff mit Beurteilungsspielraum § 37 Rdn. 19). Für diejenigen Gefangenen, die den Abschluss der Hauptschule nicht erreicht haben, sind Unterrichtsangebote auf Sonderschul- oder Hauptschulniveau vorzusehen. Die Vollzugsbehörden sind zu solchen Angeboten verpflichtet. Der Gefangene hat jedoch kein Recht, in bestimmter Weise schulisch gefördert zu werden, mit Ausnahme der verhältnismäßig wenigen Gefangenen, die ihrer Schulpflicht nach dem jeweiligen Landesschulgesetz noch nicht genügt haben (z. B. wenn bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres während einer Berufsausbildung Berufsschulpflicht besteht). Neben der Eignung bedarf es sowohl bei schulischem Unterricht (Abs. 1 Satz 1) als auch beim Begleitunterricht zur beruflichen Aus- und Weiterbildung als Maßnahmen i. S. d. § 37 Abs. 3 der Zustimmung des Gefangenen (§ 41 Abs. 2). 2. Sonderschulunterricht und Realschulabschluss
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a) Auch der Sonderschulunterricht sollte den Abschluss dieser Schulform anstreben, selbst wenn er in der Praxis teilweise als Analphabetenkurs oder Stützunterricht für Lese- und Rechtschreibschwache durchgeführt werden muss (zum Analphabetismus im Justizvollzug s. Vogel 1992). Zwar könnte die für Haupt- und Sonderschule unterschiedliche Gesetzesformulierung in Abs. 1 Satz 1 den Schluss nahe legen, ein Sonderschulabschluss sei nicht erwünscht. Das trifft jedoch schon wegen des damit verbundenen Erfolgserlebnisses, der im Einzelfall möglichen Steigerung des Selbstwertgefühls des Laubenthal
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Unterricht
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Gefangenen, wegen der erzielten Leistungen und wegen der Bedeutung des Sonderschulabschlusses außerhalb der Anstalt nicht zu. b) In einigen Vollzugsanstalten wird Unterricht in den zum Realschulabschluss füh- 8 renden Fächern angeboten. Kurse zur Erlangung der Fachoberschul- bzw. Fachhochschulreife sind Folge des Individualisierungsgebots (§ 3 Abs. 3, § 6 und § 7), dem § 38 nicht entgegensteht. Die Vorschrift enthält nur die Regelung der obligatorischen schulischen Grundversorgung der Gefangenen, schließt aber weitere, darüber hinausgehende Schulangebote nicht aus. So hat sich in der Praxis z. B. auch schon Unterricht in den zum Abschluss der zweijährigen Handelsschule führenden Fächern bewährt (= Berufsfachschule Wirtschaft). Entsprechendes gilt für Angebote zur Erlangung der allgemeinen Hochschulreife (etwa durch externe Kollegs, den Einrichtungen des Zweiten Bildungsweges zur Abiturprüfung; zur Frage der diesbezüglichen Kostenübernahme s. § 37 Rdn. 23 a. E.). 3. Berufsschulunterricht a) Der bei der beruflichen Aus- oder Weiterbildung vorzusehende berufsbildende 9 Unterricht wird vielfach durch nebenamtliche/nebenberufliche Lehrkräfte durchgeführt, die im Hauptamt an den örtlichen Berufsschulen der Gebietskörperschaften tätig sind. Dies hat erhebliche Nachteile, da der Berufsschulunterricht oft in Einzelstunden am späten Nachmittag über mehrere Tage der Woche verteilt und nicht in einem Block an einem Berufsschultag erteilt wird. Das entspricht nicht der Situation außerhalb der Anstalt. Auch um dem Angleichungsgrundsatz (§ 3 Abs. 1) zu genügen, muss daher erreicht werden, dass die örtlichen Berufsschulen in der JVA ihres Bezirks vermehrt Außenstellen einrichten (Filialsystem), in denen Berufsschullehrer im Rahmen ihrer Pflichtstunden im Hauptamt unterrichten. Ihre Eignung und Neigung sind entsprechend zu berücksichtigen und durch sozialpädagogische Weiterbildungsmaßnahmen zu unterstützen. Hauptamtlich ausschließlich bei einer JVA tätige Berufsschullehrkräfte sind aus Gründen der notwendigen Berufsfeldvielfalt, wegen der Vertretungsmöglichkeiten durch Kollegen/Kolleginnen der entsprechenden Fachrichtungen, wegen der notwendigen pädagogischen und fachlichen Innovationen und wegen der Grenzen der Belastbarkeit durch ausschließliche Unterrichtserteilung in einer JVA in der Praxis nicht anzustreben. b) Das zu Rdn. 9 Dargelegte gilt gem. Abs. 1 Satz 2, 2. HS. auch im Falle einer beruf- 10 lichen Weiterbildung, soweit die Art der Fortbildungsmaßnahme dies erfordert. Entscheidende Kriterien sind dabei die zugrunde liegenden Lehrpläne und das angestrebte Fortbildungsziel. 4. Unterricht und Arbeit. Die Bestimmung in Abs. 2, dass der Unterricht in der 11 Arbeitszeit stattfinden soll und insoweit an die Stelle der Arbeit tritt, zu der der Gefangene nach § 41 Abs. 1 verpflichtet ist, verdeutlicht die grundsätzliche Gleichstellung von Unterricht und Arbeit (s. schon Rdn. 1), wobei die endgültige Rangfolge sich im Einzelfall nach den Festlegungen im Vollzugsplan (§ 7) richtet (vgl. Nr. 28.4 der Europäischen Strafvollzugsgrundsätze 2006). Es wird im Allgemeinen unterschieden zwischen Vollzeitunterricht, d. h. Unterricht während der gesamten täglichen Arbeitszeit (z. B. in Lehrgängen zur Erlangung des Abschlusses der Sonder-, Haupt- und Realschule), aber auch Unterricht ohne Abschlussziel (wie z. B. Sonderschul- und Analphabetenunterricht) und Teilzeitunterricht mit und ohne Abschluss nur während eines Teils der Arbeitszeit (z. B. 455
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Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
vormittags Unterricht, nachmittags Arbeit). Zum nicht schulbezogenen Unterricht vgl. § 67 Rdn. 17. 5. Organisation des Unterrichts 12
a) Die Organisation des Unterrichts ist in den einzelnen Bundesländern unterschiedlich. Während im Jugendstrafvollzug (s. dazu auch Petran/Weber 2008, 210 ff) die schulische Bildung überwiegend durch Lehrer im Justizvollzugsdienst durchgeführt wird, die in der Anstaltsschule Klassen zum Sonderschul- bzw. Hauptschulabschluss führen und Gefangene auf die Prüfung für den Realschulabschluss vorbereiten sowie Förder- und Analphabetenunterricht erteilen, wird der Unterricht im Erwachsenenvollzug häufig mit Hilfe sog. Maßnahmenträger durchgeführt. Das sind Volkshochschulen, ländliche Erwachsenenbildung, örtliche Bildungswerke und andere Erwachsenenbildungsinstitutionen. Hier liegt das Schwergewicht bei Lehrgängen zur Erlangung des nachträglichen Abschlusses einer Sonder-, Haupt- oder Realschule. Daneben wird jedoch auch im Erwachsenenvollzug Förder-, Analphabeten-, Fremdsprachen- und Einzelfachunterricht erteilt. Hinzuweisen ist ferner auf die in vielen Einrichtungen ständig laufenden Kurse „Deutsch für Ausländer“.
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b) Die Organisation von Unterrichtsangeboten verlangt im Allgemeinen die Prüfung folgender Kriterien: erforderliche Anzahl geeigneter Mitarbeiter, Vollzugssituation in der JVA, Unterbringung, Maßnahmenträger, Lehr- und Lernmaterial, Auswahl der Teilnehmer, Terminierung und Dauer. Die Lehrgangsteilnehmer sollten möglichst in geschlossenen Wohngruppen untergebracht sein. Soweit dies nicht verwirklicht werden kann, ist ihre zusammenfassende Unterbringung anzustreben. Dabei ist eine intensive vollzugliche Behandlung und Betreuung sicherzustellen.
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c) Um zu verhindern, dass Gefangene bei zeitlich festgelegten Bildungsmaßnahmen Wartezeiten ungenutzt verstreichen lassen müssen und um dem daraus nicht selten erwachsenden Verzicht auf ein solches Angebot zu begegnen (vgl. zur Problematik Matzke 1982, 41 ff), sollte die Aufnahme eines Gefangenen auch in laufende Lehrgänge erfolgen, wenn dies der Bildungsstand des Gefangenen zulässt. Im Einzelfall darf auch ein geeigneter Gefangener gem. § 8 Abs. 1 Nr. 1 in eine andere JVA mit einem entsprechenden Bildungsangebot verlegt werden, wenn dessen zeitlicher Ablauf günstiger erscheint. Ferner kann durch eine zeitlich versetzte Abschlussprüfung und durch die Teilnahme an externen Abschlussprüfungen der Maßnahmenträger in deren Bereich ein vollzugszeitangepassterer Lehrgangsabschluss erreicht werden.
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d) Die in einigen Bundesländern als besondere pädagogische Zentren (z. B. JVA Münster) oder Berufsbildungszentren (z. B. JVA Geldern) eingerichteten Institutionen sind in der Vollzugspraxis nicht unumstritten (vgl. § 37 Rdn. 24). Im Gegensatz zu der aus praktischen Gründen gebotenen weitgehenden Konzentration der beruflichen Bildung sollte jede größere Anstalt ihren Strafgefangenen mit einer gewissen Mindest-Vollzugsdauer schulische Bildungsmaßnahmen ermöglichen. Zu Unterrichtsangeboten erforderliche Verlegungen in eine andere JVA können dagegen die Motivation eher beeinträchtigen.
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III. Landesgesetze und Musterentwurf 1. Baden-Württemberg. § 43 Abs. 1 Satz 1 JVollzGB III lautet: „Für geeignete Gefan- 16 gene soll Unterricht in den zum Hauptschulabschluss führenden Fächern, ein der Förderschule entsprechender Unterricht oder nach Möglichkeit Unterricht zur Erlangung anderer staatlich anerkannter Schulabschlüsse vorgesehen werden.“ Die Gesetzesbegründung führt dazu aus: „Absatz 1 Satz 1 regelt hierbei nicht mehr nur die „Grundversorgung“, d. h. ein Unterrichtsangebot zum Ausgleich elementarer schulischer Bildungsdefizite, sondern hält die Justizvollzugsanstalten darüber hinaus dazu an, weiterbildenden Unterricht, der zur Erlangung anderer anerkannter Schulabschlüsse führt, etwa den Realschulabschluss oder das Abitur, anzubieten“ (LT-Drucks. 14/5012, 223). Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 des § 43 JVollzGB III sind wortlautidentisch mit § 38 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 StVollzG. In Ergänzung dazu sieht § 46 JVollzGB III ausdrücklich ein Angebot von Deutschkursen vor. Die Gesetzesbegründung führt dazu aus: „Ziel der Regelung ist die Förderung der Sprachkompetenz bei Gefangenen mit Migrationshintergrund. Sprachkompetenz ist ein entscheidender Integrationsfaktor. Geeigneten Gefangenen sollen daher Deutschkurse angeboten werden, die die Kompetenzen in den Bereichen Sprechen, Lesen und Schreiben verbessern“ (LT-Drucks. 14/5012, 224). 2. Bayern. Art. 40 BayStVollzG entspricht weitestgehend § 38 StVollzG.
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3. Hamburg. § 35 Abs. 1 und 2 HmbStVollzG bestimmen: „(1) Für geeignete Gefange- 18 ne soll Unterricht in den zu einem Schulabschluss führenden Fächern einschließlich des Faches Sport ermöglicht werden. (2) Für die Teilnahme an weiteren schulischen Maßnahmen, insbesondere für die Teilnahme an Alphabetisierungskursen oder an Fördermaßnahmen für Ausländer, trifft die Anstaltsleitung mit Rücksicht auf die räumlichen, personellen und organisatorischen Verhältnisse der Anstalt besondere Regelungen.“ Die Gesetzesbegründung führt dazu aus, dies greife den Regelungsgedanken des § 38 Abs. 1 StVollzG auf, der jedoch dergestalt geändert wird, „dass Unterricht in Fächern ermöglicht werden soll, die allgemein zu einem Schulabschluss führen. Hierzu gehört auch ein der Förderschule entsprechender Unterricht. Aus der Zielsetzung der Regelung ergibt sich, dass für die Angebote die Bildungspläne für öffentliche Schulen heranzuziehen sind“ (LT-Drucks. 18/6490, 41). Abs. 3 der landesrechtlichen Vorschrift entspricht sinngemäß § 38 Abs. 1 Satz 2 StVollzG. Abs. 4 ist wortlautidentisch mit § 38 Abs. 2 StVollzG. 4. Hessen. § 27 Abs. 3 Satz 2 HStVollzG lautet: „Geeigneten Gefangenen soll eine be- 19 rufliche oder schulische Aus- oder Weiterbildung oder die Teilnahme an deren ausbildenden oder weiterbildenden Maßnahmen ermöglicht werden.“ Abs. 5 der Vorschrift regelt: „Bildungsmaßnahmen haben sich an der voraussichtlichen Dauer der Inhaftierung sowie den außerhalb der Anstalt geltenden Anforderungen auszurichten. Die Gefangenen sollen nach der Entlassung auf den erworbenen Qualifikationen aufbauen können. Mit den zuständigen Stellen ist rechtzeitig zusammenzuarbeiten.“ In der Gesetzesbegründung heißt es dazu: „Abs. 5 normiert den Grundsatz haftzeitorientierter Ausbildungsangebote. Die Anstalt hat soweit wie möglich dafür Sorge zu tragen, dass auch bei kurzer Verweildauer Qualifikationen, gegebenenfalls Teilqualifikationen anzubieten sind, denen ein Wert bei der Bewerbung auf dem Arbeitsmarkt zukommt“ (LT-Drucks. 18/1396, 94). 457
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Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
Abs. 6 enthält über die Bundesvorschrift hinaus explizit das Angebot eines Deutschkurses. Die Gesetzesbegründung lautet dazu: „Ein entscheidendes Hindernis für die Wiedereingliederung und für die Integration im Allgemeinen, sind mangelnde Kenntnisse der deutschen Sprache. Abs. 6 sieht zur Vorbereitung und Durchführung von Maßnahmen nach Abs. 3 daher Deutschkurse für Gefangene vor, die nicht über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügen. Gleichzeitig wird dadurch eine Pflicht der Anstalt im Rahmen des vorhandenen Budgets begründet, entsprechende Kurse in ausreichender Anzahl vorzuhalten“ (LT-Drucks. 18/1396, 94). 20
5. Niedersachsen. Laut Gesetzesbegründung (LT-Drucks. 15/3565, 120) entspricht § 35 Abs. 2 Satz 3 NJVollzG inhaltlich der bundesrechtlichen Regelung des § 38 StVollzG.
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6. Musterentwurf. Die Möglichkeit der schulischen Ausbildung ist in § 21 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 ME-StVollzG erfasst. Die ME-Begründung dazu lautet: „Absatz 3 sieht für geeignete Gefangene die Möglichkeit vor, während der Haftzeit einen anerkannten Schul- oder Berufsabschluss zu erwerben. Der Erwerb eines Schulabschlusses darf jedoch bei erwachsenen Gefangenen kein Selbstzweck sein, sondern ist nur dann sinnvoll, wenn er auf die soziale und berufliche Eingliederung nach der Entlassung vorbereitet“ (ME-Begründung, 92).
§ 39 Freies Beschäftigungsverhältnis, Selbstbeschäftigung § 39 Laubenthal Freies Beschäftigungsverhältnis, Selbstbeschäftigung (1) Dem Gefangenen soll gestattet werden, einer Arbeit, Berufsausbildung oder beruflichen Weiterbildung auf der Grundlage eines freien Beschäftigungsverhältnisses außerhalb der Anstalt nachzugehen, wenn dies im Rahmen des Vollzugsplanes dem Ziel dient, Fähigkeiten für eine Erwerbstätigkeit nach der Entlassung zu vermitteln, zu erhalten oder zu fördern und nicht überwiegende Gründe des Vollzuges entgegenstehen. § 11 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 und § 14 bleiben unberührt. (2) Dem Gefangenen kann gestattet werden, sich selbst zu beschäftigen. (3) Die Vollzugsbehörde kann verlangen, dass ihr das Entgelt zur Gutschrift für den Gefangenen überwiesen wird. VV 1 Entfällt. 2 (1) Gefangene, denen das Eingehen eines freien Beschäftigungsverhältnisses außerhalb der Anstalt gestattet ist, sollen von Gefangenen des geschlossenen Vollzuges getrennt gehalten werden. (2) Zwischen dem Gefangenen und seinem Arbeitgeber oder Ausbildenden ist ein schriftlicher Vertrag (Arbeitsvertrag, Berufsausbildungsvertrag oder ähnliches) abzuschließen. In dem Vertrag ist insbesondere festzulegen, dass das Beschäftigungsverhältnis ohne Kündigung endet, wenn die dem Gefangenen nach § 39 Abs. 1 StVollzG erteilte Erlaubnis endet, und dass die Bezüge aus dem Beschäftigungsverhältnis während des FreiheitsentzuLaubenthal
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§ 39
Freies Beschäftigungsverhältnis, Selbstbeschäftigung
ges mit befreiender Wirkung nur auf das mit der Anstalt vereinbarte Konto gezahlt werden können. Die Anstalt stellt sicher, dass mit Zuwendungen aufgrund öffentlich-rechtlicher Bestimmungen entsprechend verfahren wird. (3) Die Bezüge des Gefangenen werden in nachstehender Rangfolge für folgende Zwecke verwendet: a) Auslagen des Gefangenen für Fahrtkosten, Arbeitskleidung, Verpflegung außerhalb der Anstalt und andere im Zusammenhang mit seiner Beschäftigung notwendige Aufwendungen, b) Hausgeld und Überbrückungsgeld, c) Erfüllung einer gesetzlichen Unterhaltspflicht des Gefangenen auf dessen Antrag, d) Haftkostenbeitrag, e) Erfüllung sonstiger Verbindlichkeiten des Gefangenen auf dessen Antrag, f) Eigengeld des Gefangenen. (4) Der Gefangene ist anzuhalten, seine Unterhaltspflichten zu erfüllen, den durch die Straftat verursachten Schaden wieder gutzumachen und seine sonstigen Verbindlichkeiten zu erfüllen. Ist der Anstalt bekannt, dass Angehörige oder andere Personen, denen der Gefangene unterhaltspflichtig ist, Sozialhilfe erhalten, wird der Träger der Sozialhilfe von dem Beschäftigungsverhältnis und der Höhe der Bezüge unterrichtet. Auf die Möglichkeit der Nachentrichtung von Beiträgen zur Sozialversicherung soll der Gefangene hingewiesen werden. 3 (1) Selbstbeschäftigung soll regelmäßig nur gestattet werden, wenn sie aus wichtigem Grunde geboten erscheint und im Rahmen des Vollzugsplanes insbesondere dem Ziel dient, Fähigkeiten für eine Erwerbstätigkeit nach der Entlassung zu vermitteln, zu erhalten oder zu fördern. Selbstbeschäftigung darf nicht gestattet werden, wenn überwiegende Gründe des Vollzuges entgegenstehen. (2) Selbstbeschäftigung wird in der Regel nur gestattet, wenn der Gefangene sich die nötigen Gegenstände aus eigenen Mitteln beschaffen kann; bei Selbstbeschäftigung innerhalb der Anstalt vermittelt die Anstalt die Beschaffung der Gegenstände. (3) Für die Rechtsbeziehungen zwischen dem Gefangenen und einem Dritten sowie für die Bezüge aus der Selbstbeschäftigung gilt Nummer 2 Abs. 2 bis 4 entsprechend. § 50 Abs. 3 StVollzG in der Fassung des § 199 Abs. 2 Nr. 3 StVollzG bleibt unberührt. (4) Der Gefangene ist anzuhalten, seiner Steuerpflicht nachzukommen. Erfüllt der Gefangene seine Anzeigepflicht nicht, so ist die Erlaubnis zur Selbstbeschäftigung zu widerrufen. Schrifttum S. vor § 37.
I. II.
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Übersicht Allgemeine Hinweise ____ 1 Erläuterungen ____ 2–19 1. Freies Beschäftigungsverhältnis ____ 2–12 a) Unmittelbares Vertragsverhältnis ____ 2 b) Inhalt des Beschäftigungsverhältnisses ____ 3 c) Ausübung außerhalb der Anstalt; unechter Freigang ____ 4, 5
d) Ermessen der Vollzugsbehörde ____ 6, 7 e) Berücksichtigung von § 11 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, § 14 ____ 8–12 2. Selbstbeschäftigung ____ 13–18 a) Inhalt der Selbstbeschäftigung ____ 13
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§ 39
III.
Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
b) Maßstäbe für die Ermessensentscheidung ____ 14–16 c) Beispiele für Selbstbeschäftigung ____ 17 d) Genehmigungswiderruf ____ 18 3. Behandlung des Arbeitslohnes ____ 19 Landesgesetze und Musterentwurf ____ 20–25
1. 2. 3. 4. 5. 6.
Baden-Württemberg ____ 20 Bayern ____ 21 Hamburg ____ 22 Hessen ____ 23 Niedersachsen ____ 24 Musterentwurf ____ 25
I. Allgemeine Hinweise 1
Die in ihrem Abs. 1 gem. § 198 Abs. 2 erst am 1. Januar 1980 in Kraft getretene und durch Art. 40 Nr. 5 Arbeitsförderungs-Reformgesetz vom 24.3.1997 (BGBl. I, 594, 710) in Abs. 1 Satz 1 redaktionell geänderte Vorschrift hat vor allem im Hinblick auf die noch immer unzulänglichen Bezüge nach dem StVollzG (s. §§ 43, 200) große finanzielle Bedeutung für Gefangene. Denn sie ermöglicht, im Wege eines freien Beschäftigungsverhältnisses (Rdn. 2 bis 12) oder der Selbstbeschäftigung (Rdn. 13 bis 18) hinreichendes Arbeitsentgelt zu erzielen, das im Einzelfall gestatten mag, neben der Erfüllung der Unterhaltspflichten die nicht selten hohen Schulden zu verringern oder gar abzutragen (vgl. auch Preusker 1988, 94 f; Rotthaus NStZ 1987, 1, 4). Darüber hinaus haben im freien Beschäftigungsverhältnis (oder in der Selbstbeschäftigung) befindliche Gefangene größere Chancen, zum Zeitpunkt der Entlassung aus der Haft über einen Arbeitsplatz zu verfügen oder einen solchen zu finden (s. etwa Matzke 1982, 123; vgl. auch BVerfGE 98, 169, 210). Letzterer Befund gewinnt umso größere Bedeutung, als nach der Rspr. des BAG (ZfStrVo 1997, 50) das Arbeitsverhältnis eines verurteilten Straftäters durch den Arbeitgeber fristlos gekündigt werden kann, wenn die Arbeitsleistung für nicht unerhebliche Zeit unmöglich ist, weil die dem Arbeitgeber grundsätzlich (zu Ausnahmen s. BAG aaO) fürsorgehalber im Rahmen des Zumutbaren obliegende Mitwirkung an der Erlangung des Freigängerstatus scheitert. II. Erläuterungen 1. Freies Beschäftigungsverhältnis
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a) Unmittelbares Vertragsverhältnis: Das freie Beschäftigungsverhältnis in Abs. 1 setzt ein unmittelbares Vertragsverhältnis zwischen dem Gefangenen und dem Dritten außerhalb des Vollzuges, z. B. Ausbilder oder Arbeitgeber, voraus. Solche Beziehungen können zwar von den Vollzugsbehörden vermittelt werden; diese sind aber nicht Vertragspartner. VV Nr. 2 Abs. 2 legt nähere Einzelheiten zur Vertragsausgestaltung fest: es ist ein schriftlicher, privatrechtlicher (vgl. LAG Baden-Württemberg NStZ 1989, 141; LAG Hamm NStZ 1991, 445, jeweils m. w. N.) Vertrag (Arbeitsvertrag, Berufsausbildungsvertrag) abzuschließen. Die gegenseitigen Kündigungsmöglichkeiten – auch die fristlosen – sind vertraglich besonders zu regeln. Die Bezüge des Gefangenen und die sonstigen – ggf. auch solche aufgrund öffentlich-rechtlicher Bestimmungen – Zuwendungen seines Ausbilders/Arbeitgebers können mit befreiender Wirkung nur auf ein mit der Anstalt vereinbartes Konto gezahlt werden. Die Bezüge werden für bestimmte Zwecke verwendet, die in dem Katalog von VV Nr. 2 Abs. 3 zusammengefasst sind (vgl. auch Rdn. 19).
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b) Inhalt des Beschäftigungsverhältnisses. Als Inhalt des freien Beschäftigungsverhältnisses können ein Arbeitsverhältnis oder eine Berufsausbildung bzw. berufliche Weiterbildung vereinbart werden (zum [Fach-]Hochschulstudium als freies BeLaubenthal
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Freies Beschäftigungsverhältnis, Selbstbeschäftigung
§ 39
schäftigungsverhältnis OLG Celle ZfStrVo 1986, 183; LG Frankfurt StV 1987, 301; C/MD 2008 Rdn. 2; beim durch Immatrikulation begründeten Studium, das nicht gem. § 37 Abs. 3 zugewiesen wird und für das keine Ausbildungsbeihilfe nach § 44 gezahlt wird, handelt es sich um eine Selbstbeschäftigung i. S. d. Abs. 2, da diesem keine privatrechtliche Vereinbarung zugrunde liegt; als eine nur nach § 37 Abs. 3 zu beurteilende Aus- bzw. Weiterbildungsmaßnahme erachten das Hochschulstudium dagegen KG NStZ 2003, 593; Arloth 2011 Rdn. 4; s. auch Rdn. 17). Maßgeblich für die Zuordnung ist, dass das Beschäftigungsverhältnis durch einen privatrechtlichen Vertrag oder einen vertragsähnlichen Akt mit den üblichen Rechten und Pflichten begründet wird. Eine abhängige Tätigkeit im Sinne einer Weisungsgebundenheit und/oder einer unmittelbaren wirtschaftlichen Abhängigkeit (so OLG Hamm NStZ 1986, 428) muss ebenso wenig vorliegen wie eine Bezahlung der Tätigkeit (z. B. im Falle eines ehrenamtlichen Pflegerpraktikums s. LG Göttingen NStZ 1991, 408). Hingegen dürfen nicht berufsbezogene allgemein bildende Maßnahmen (z. B. Hobbymalkurs) nicht im Wege eines freien Beschäftigungsverhältnisses durchgeführt werden, sondern stellen solche zur Freizeitbeschäftigung i. S. d. § 67 dar. – Im freien Beschäftigungsverhältnis kann der Gefangene den außerhalb der Anstalt in der freien Wirtschaft ortsüblichen Tariflohn (vgl. hierzu OLG Hamm ZfStrVo 1988, 110) nebst Lohnfortzahlung im Krankheitsfall (LAG Baden-Württemberg NStZ 1989, 141), die Ausbildungsvergütung bzw. -beihilfe oder – bei Vorliegen der Voraussetzungen – Ausbildungsförderung nach dem BAföG oder Unterhaltsgeld nach dem SGB III erhalten. Ist der Gefangene krankenversichert, hat er Anspruch auf Leistungen durch die Krankenkasse. Gem. § 62 a ruhen während der Dauer der durch das freie Beschäftigungsverhältnis begründeten Krankenversicherung die Ansprüche auf Gesundheitsfürsorge nach §§ 57 bis 59. c) Ausübung außerhalb der Anstalt; unechter Freigang. Das freie Beschäfti- 4 gungsverhältnis ist nur möglich, wenn die Arbeit, Berufsausbildung, berufliche Weiterbildung oder Umschulung außerhalb der Anstalt stattfinden (BGHSt 37, 85, 87). Abgesehen davon, dass mit der Zulassung eines freien Beschäftigungsverhältnisses innerhalb der Anstalt der Grundsatz der Arbeitszuweisung (§ 37 Abs. 2), die gesetzliche Arbeitspflicht (§ 41) und die Arbeitsentgeltregelung (§ 43) berührt würden und zumindest teilweise unterlaufen werden könnten, müssten auch unter den Gefangenen eines Betriebes Spannungen und Unruhen befürchtet werden, wenn ein Teil von ihnen als auf der Grundlage des öffentlich-rechtlichen Rechtsverhältnisses Tätige das geringe Arbeitsentgelt des § 43 erhalten würden und andere auf privatrechtlicher Basis den außerhalb der Anstalt ortsüblichen Tariflohn (s. auch BT-Drucks. 7/918, 67). Ein solches Zweiklassensystem wäre für die Gefangenen unerträglich. Innerhalb der Anstalt bleibt daher die Ausübung einer Tätigkeit im freien Beschäftigungsverhältnis unzulässig. Eine analoge Anwendung des § 39 Abs. 1 auf anstaltsinterne Beschäftigung scheidet aus (Laubenthal 2011 Rdn. 415). Dagegen kann – in engen Grenzen – dem Gefangenen eine von der Vollzugsbe- 5 hörde bei einem freien Unternehmer vermittelte und organisierte Arbeit außerhalb der Anstalt zugewiesen werden, die der Gefangene im sog. unechten Freigang – auf der Grundlage des öffentlich-rechtlichen Verhältnisses – ohne Aufsicht eines Vollzugsbeamten ausübt. In diesem Fall bestehen vertragliche Beziehungen nur zwischen dem privaten Unternehmer und der Vollzugsbehörde. Der Unternehmer zahlt einen vereinbarten Betrag an die Anstalt. Diese stellt die Arbeitskraft des Gefangenen zur Verfügung und entlohnt den Gefangenen gem. § 43. Die Gestattung dieses unechten Freigangs bietet im Hinblick auf den Angleichungsgrundsatz des § 3 Abs. 1 zwar Vorteile gegenüber der Pflichtarbeit innerhalb der Anstalt (z. B. besteht die Möglichkeit einer 461
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Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
Übernahme nach der Entlassung durch den jeweiligen Unternehmer). Die Betroffenen bleiben aber in arbeitsrechtlicher Hinsicht weitgehend rechtlos gestellt (so können Betriebe etwa zugewiesene Inhaftierte nach Gutdünken austauschen, s. Kamann 1999, 349). Sog. unechter Freigang kommt daher mit Zustimmung des Betroffenen nur in Betracht, wenn trotz Unterstützung durch die Anstalt einem zum (echten) Freigang geeigneten Gefangenen keine Arbeit in einem freien Beschäftigungsverhältnis geboten werden kann. Darüber hinaus muss auch bei der Tätigkeit als unechter Freigänger in einem privaten Unternehmen die Ausgestaltung des Vertrages zwischen Anstalt und Unternehmer so präzise sein, dass ein Mindestmaß an organisierter öffentlich-rechtlicher Verantwortung für den Inhaftierten gewährleistet bleibt. Von Verfassungs wegen ist die Vollzugsbehörde jedoch gehalten, die Möglichkeit eines freien Beschäftigungsverhältnisses insbesondere im Hinblick auf dessen besondere Resozialisierungschancen zu prüfen (BVerfGE 98, 169, 210 f). d) Ermessen der Vollzugsbehörde. Die Vollzugsbehörde soll dem Gefangenen das Eingehen eines freien Beschäftigungsverhältnisses gestatten, wenn es dem Ziel dient, Fähigkeiten für eine Erwerbstätigkeit nach der Entlassung zu vermitteln, zu erhalten oder zu fördern. Hierin liegt eine Verpflichtung des Anstaltsleiters zur vorrangigen Prüfung, wenn eine Tätigkeit i. S. d. Abs. 1 in Einklang mit dem Vollzugsplan steht und die weiteren Voraussetzungen des Abs. 1 Satz 2 gegeben sind. Damit ist der Ermessensspielraum durch das Resozialisierungsgebot erheblich eingeschränkt (BVerfGE 98, 169, 210; OLG Hamburg NStZ 2000, 615; OLG Frankfurt ZfStrVo 2002, 118), wobei hiermit jedoch ein Recht des Gefangenen auf Zulassung zum freien Beschäftigungsverhältnis nicht korrespondiert (vgl. OLG Frankfurt ZfStrVo 2002, 117; LG Göttingen StV 1990, 359; Laubenthal 2011 Rdn. 417). Wohl aber steht ihm ein Recht auf Antragsprüfung und fehlerfreie Ermessensausübung im Rahmen der Entscheidungsfindung zu (Arloth 2011 Rdn. 5). Ein Ermessensfehler kann insoweit im Hinblick auf das entgangene Gehalt zu einer Schadensersatzpflicht der Vollzugsbehörde gem. § 839 BGB, Art. 34 GG führen (OLG Hamm StV 1989, 543). Voraussetzung für ein freies Beschäftigungsverhältnis ist ferner, dass ihm nicht 7 überwiegende Gründe des Vollzugs entgegenstehen (Abs. 1 Satz 1 a. E.). Dabei muss es sich um gewichtige Vollzugsbelange handeln (BVerfGE 98, 169, 210). In den Ausschussberatungen (Prot. S. 2134) wurde das Interesse an einer langfristigen Sicherung der Zweigbetriebe freier Unternehmer in den Anstalten genannt. Rein fiskalische Erwägungen im Zusammenhang mit dem Aufrechterhalten der Produktionseigenbetriebe der Vollzugsarbeitsverwaltung sollten jedoch bei der Entscheidung der Anstaltsleitung keine Rolle spielen (Arloth 2011 Rdn. 5; K/S-Schöch 2002 § 7 Rdn. 130). Zu berücksichtigen ist allerdings, ob die organisatorischen, baulichen und personellen Möglichkeiten der Anstalt ausreichen, um die Gefangenen mit freien Beschäftigungsverhältnissen möglichst getrennt von anderen Gefangenen unterzubringen, zu versorgen und zu betreuen (vgl. VV Nr. 2 Abs. 1). Die Anstalten sollen durch das Zulassen freier Beschäftigungsverhältnisse nicht in zusätzliche, größere und schwer zu bewältigende Schwierigkeiten geraten, z. B. dadurch, dass Vollzugsbediensteten unlösbare Kontrollpflichten – die sich am jeweiligen Berufsbild der geplanten Tätigkeit zu orientieren haben (LG Göttingen StV 1990, 359) – auferlegt werden (welcher Umstand insbesondere bei Arbeit im Betrieb eines Angehörigen zu prüfen ist; vgl. LG Wuppertal NStZ 1988, 426) oder dass aus Sicherheitsgründen freie Beschäftigungsverhältnisse bei bestimmten Gefangenen nur im Wege der Außenbeschäftigung gestattet werden könnten, es jedoch an dem dafür (§ 11 Abs. 1 Nr. 1) erforderlichen Aufsichtspersonal mangelt. Die Verweigerung eines bestimmten Vertragsverhältnisses schließt es allerdings nicht aus, dass dem Betroffenen die Eingehung
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eines anderen freien Beschäftigungsverhältnisses gestattet wird, gegen welches die ursprünglich erhobenen Bedenken nicht bestehen (OLG Frankfurt ZfStrVo 2000, 117). e) Berücksichtigung von § 11 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, § 14. Bedingung für die Gestat- 8 tung eines freien Beschäftigungsverhältnisses ist zudem die Zulassung des Gefangenen gem. Abs. 1 Satz 2 entweder zu einer Außenbeschäftigung (§ 11 Rdn. 7) oder zum Freigang (§ 11 Rdn. 9). Denn eine Tätigkeit i. S. d. Abs. 1 kann nach dem Wortlaut der Norm nur außerhalb der Anstalt ausgeübt werden und eine regelmäßige externe Beschäftigung ist nur in Form dieser zwei Vollzugslockerungen möglich (vgl. Laubenthal 2011 Rdn. 526 f). Die für die jeweilige Vollzugslockerung notwendigen Voraussetzungen müssen gesondert geprüft werden und vorliegen (§ 11 Abs. 2). Abs. 1 Satz 1 verdrängt § 11 Abs. 1 Nr. 1 nicht und ist damit nicht die alleinige Rechtsgrundlage für die Gestattung eines freien Beschäftigungsverhältnisses (BVerfGE 98, 169, 210; Lohmann 2002, 62f). Aus dem Gesetzeswortlaut ergibt sich, dass die Bestimmungen über die beiden Vollzugslockerungen in § 11 Abs. 1 Nr. 1 unberührt bleiben. Diese Formulierung steht in Gegensatz zu § 13 Abs. 1 Satz 2, § 15 Abs. 3 Satz 2 und § 15 Abs. 4 Satz 2, nach denen § 11 Abs. 2 jeweils nur entsprechend gilt. Bei § 39 sind daher § 11 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 selbständig zu prüfen. Gemäß dem Tatbestand des § 11 Abs. 2 können die Lockerungen Außenbeschäfti- 9 gung (externe Tätigkeit unter Aufsicht eines Vollzugsbediensteten) oder Freigang (ohne Aufsicht eines Vollzugsbediensteten) nur mit Zustimmung des Gefangenen angeordnet werden. Zudem darf nicht zu befürchten sein, dass der Inhaftierte sich dem Vollzug der Freiheitsstrafe entzieht oder die Lockerungen des Vollzuges missbraucht. Es bedarf insoweit einer Prognoseentscheidung der Anstaltsleitung (zu den Prognosemethoden s. Streng 2002 Rdn. 619 ff). Zwar lässt der Gesetzgeber ein gewisses Risiko (BVerfG NStZ 1998, 403) des Lockerungsfehlschlags zu. Jedoch darf das einzugehende Risiko nicht höher sein als das für eine Strafrestaussetzung zur Bewährung gem. § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB relevante (K/S-Schöch 2002 § 7 Rdn. 48; Laubenthal 2011 Rdn. 535). Danach muss das Risiko – unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses – verantwortbar bleiben, ob der Gefangene neue Straftaten begeht oder etwa unberechtigt dem Arbeitsoder Ausbildungsplatz mehrfach fernbleibt. Kann eine zureichende Prognose nicht gestellt werden, kommt die Gewährung einer Lockerung nach § 11 Abs. 1 Nr. 1 nicht in Betracht und damit auch keine Genehmigung eines freien Beschäftigungsverhältnisses. Allerdings ist auch bei der Prüfung der Klausel des § 11 Abs. 2 im Zusammenhang mit der Frage der Gestattung eines freien Beschäftigungsverhältnisses zu beachten, dass diese im Hinblick auf das Vollzugsziel des § 2 Satz 1 und auf die Grundprinzipien des § 3 interpretiert werden muss. Denn die Gewährung der Vollzugslockerungen dient letztlich einer Vorbereitung des Inhaftierten auf seine Entlassung. Das Bestehen der mit einer Rückkehr in die Freiheit verbundenen Belastungen und Schwierigkeiten soll gerade erprobt werden (s. dazu Laubenthal 2011 Rdn. 534). Abs. 1 Satz 2 verweist ferner in vollem Umfang auf § 14. Danach darf der Anstaltslei- 10 ter dem Gefangenen für die Außenbeschäftigung oder den Freigang Weisungen erteilen (§ 14 Abs. 1), damit die als günstig bewertete Prognose einer fehlenden Flucht- und Missbrauchsgefahr i. S. d. § 11 Abs. 2 nicht beeinträchtigt wird. So kann dem Gefangenen etwa der Besuch eines bestimmten Lokals, der Genuss von Alkohol, der Kontakt mit einzelnen Personen untersagt oder der Verbleib an der Arbeitsstelle bis zum Abholen, der Kontakt mit einer Bezugsperson am Arbeitsplatz, die unverzügliche Rückkehr nach Arbeitsschluss in die JVA oder die Vorlage von Leistungsnachweisen auferlegt werden (zur Bedeutung der Möglichkeit, ein Kfz zu benutzen, für die berufliche Tätigkeit eines Freigängers und zu der denkbaren Weisung im Einzelfall, während der Vollzugslockerung kein Kfz zu führen, s. OLG Frankfurt NStZ 1991, 407). 463
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Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
Unter den Voraussetzungen des § 14 Abs. 2 kann ein Widerruf (Satz 1) oder eine Rücknahme (Satz 2) von Außenbeschäftigung bzw. Freigang erfolgen, etwa wenn ein Gefangener die Zulassung zum Freigang und die Gestattung des freien Beschäftigungsverhältnisses mit gefälschten Papieren erwirkt und somit seine Unzuverlässigkeit dargetan hat (KG 17.9.1992 – 5 Ws 240/92 Vollz). Widerruf bzw. Rücknahme führen dazu, dass zugleich die Grundlage für die weitere Gestattung des freien Beschäftigungsverhältnisses erlischt. Das Entfallen der Möglichkeit zur Ausübung der Tätigkeit aus vom Freigänger nicht zu vertretenden Gründen (z. B. Kündigung durch Arbeitgeber, Betriebsschließung) bewirkt im geschlossenen Vollzug zugleich eine Beendigung des Freigangs (OLG Koblenz ZfStrVo 1978, 18; C/MD 2008, § 11 Rdn. 12; Laubenthal 2011 Rdn. 527; a. A. AK-Köhne/ Lesting 2012 § 11 Rdn. 25). Denn in der geschlossenen Anstalt gibt es keinen abstrakten Freigängerstatus oder eine generelle Freigängereignung an sich (a. A. OLG Hamm NStZ 1990, 607; KG NStZ 1993, 100). Eine Zulassung zum Freigang kann dagegen trotz extern verursachtem Beschäftigungsende im offenen Vollzug aufrechterhalten werden, um dem Betroffenen die Suche nach einer anderen Tätigkeit zu erleichtern. In Bayern besteht mit Art. 44 BayStVollzG eine spezielle Rechtsgrundlage für die Ablösung u. a. von der Tätigkeit in einem freien Beschäftigungsverhältnis. Dies kann aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung der Anstalt bzw. von Behandlungsnotwendigkeiten erfolgen, ebenso wenn sich herausstellt, dass der Betroffene den Anforderungen nicht genügt. Eine vergleichbare Regelung enthält für Hessen § 28 HStVollzG. Gem. VV Nr. 1 zu § 11 können Vollzugslockerungen nur zum Aufenthalt innerhalb 12 des Geltungsbereichs des StVollzG gewährt werden. Sinn dieser Regelung ist, dass der Gefangene auch während der Lockerung weiterhin den besonderen, in der Freiheitsstrafe begründeten Begrenzungen unterliegt, die Vollzugsbehörde den außerhalb der Anstalt Befindlichen jederzeit überwachen kann und ein hoheitlicher Zugriff auf den Betroffenen besteht, der etwa im Fall eines Widerrufs von Bedeutung ist. Demgemäß wird davon ausgegangen, dass ein freies Beschäftigungsverhältnis nur im Inland ausgeübt werden kann (OLG Celle ZfStrVo 2002, 244; Arloth 2011 Rdn. 5; krit. Szczekalla StV 2002, 324ff). Vor dem Hintergrund, dass die aktuelle oder ehemalige Tätigkeit im Rahmen eines freien Beschäftigungsverhältnisses durch die europäischen Grundfreiheiten geschützt wird (das gilt jedoch nicht für das anstaltsvermittelte Beschäftigungsverhältnis; vgl. Stiebig 2000; ders. 2003, 87 ff), erscheint es gleichwohl im Einzelfall durchaus vertretbar, die Gestattung vollzuglicher Arbeitstätigkeit auf das Ausland zu erweitern. 11
2. Selbstbeschäftigung 13
a) Inhalt der Selbstbeschäftigung. Einem Gefangenen kann nach Abs. 2 gestattet werden, sich selbst zu beschäftigen. Diese Selbstbeschäftigung ist vor allem freiberufliche Tätigkeit (Rdn. 15) während der Arbeitszeit, bei der der Gefangene weder eine nach § 37 zugewiesene Arbeit, arbeitstherapeutische Beschäftigung oder Aus- und Weiterbildung wahrnimmt noch in einem freien Beschäftigungsverhältnis nach Abs. 1 steht. Die Selbstbeschäftigung wird innerhalb der Anstalt oder – bei Vorliegen der erforderlichen Lockerungsvoraussetzungen i. S. d. § 11 – außerhalb der Einrichtung ausgeübt (BGH NStZ 1990, 452; AK-Däubler/Galli 2012 Rdn. 29; C/MD 2008 Rdn. 6; K/S-Schöch 2002 § 7 Rdn. 133; Laubenthal 2011 Rdn. 420). Dabei muss es sich nicht notwendigerweise um eine Tätigkeit zur Erzielung eines Erwerbs handeln. Wie das freie Beschäftigungsverhältnis unterfällt die Selbstbeschäftigung dem Anwendungsbereich der europäischen Grundfreiheiten (vgl. Stiebig 2000; ders. 2003, 87 ff), so dass sich ihre Ausübung insoweit auch im Ausland erwägen lässt.
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b) Maßstäbe für die Ermessensentscheidung. Bei ihrer Ermessensentscheidung 14 über die Gestattung einer Selbstbeschäftigung hat sich die Anstaltsleitung an den Beschäftigungsgrundsätzen im Vollzug zu orientieren und die Interessen des Gefangenen und entgegenstehende Belange des Vollzugs miteinander abzuwägen (vgl. VV Nr. 3 Abs. 1 Satz 2). Finanzielle Erwägungen dürfen dabei jedoch nicht ausschlaggebend sein. Die Gestattung einer Selbstbeschäftigung kommt in Betracht, wenn die Zuweisung einer möglichst sinnvollen Arbeit oder Beschäftigung unter Berücksichtigung der individuellen Fähigkeiten und Fertigkeiten des Gefangenen im Rahmen des Beschäftigungsangebots der Anstalt nicht möglich ist (OLG Karlsruhe ZfStrVo 1979, 54) oder besonderer Anlass zur Vermittlung, Erhaltung oder Förderung einer bestimmten Erwerbstätigkeit besteht, die nur im Wege der Selbstbeschäftigung realisiert werden kann, weil vor allem hierdurch die Wiedereingliederung nach der Entlassung gefördert wird. Die Vollzugsbehörde ist nicht gehindert, bei ihrer Entscheidung einen strengen Maßstab anzulegen (BGH NStZ 1990, 453). Das gilt insbesondere im Hinblick darauf, dass das Verhalten des Gefangenen außerhalb der Anstalt schwer zu beaufsichtigen ist (OLG Frankfurt ZfStrVo 2002, 117). Dieser Aspekt gewinnt noch an Gewicht, wenn der Inhaftierte seine Straftaten im Rahmen der beruflichen Tätigkeit begangen hat und die Möglichkeit besteht, dass er erneut einschlägige Delikte in diesem Zusammenhang verübt (Arloth 2011 Rdn. 7). VV Nr. 3 bestimmt im Einzelnen, dass die Selbstbeschäftigung u. a. regelmäßig nur 15 gestattet werden soll, wenn sie aus wichtigem Grund geboten erscheint und im Rahmen des Vollzugsplans (§ 7) insbesondere den Zielen des § 37 Abs. 1 dient. Daher ist es nicht ermessensfehlerhaft, wenn die vom Gefangenen beantragte Selbstbeschäftigung versagt wird, um ihn – unter Berücksichtigung seines bisherigen Lebensweges, seiner persönlichen Qualifikation und Leistungsfähigkeit sowie einer Arbeitsfehlhaltung in der Vergangenheit – zunächst mittels zugewiesener Arbeit an regelmäßiges Arbeitsverhalten heranzuführen und zu gewöhnen (OLG Hamm NStZ 1993, 208). VV Nr. 3 Abs. 1 beschränkt der gesetzlichen Konzeption entsprechend die Gestattung einer Selbstbeschäftigung auf Ausnahmefälle (OLG Frankfurt ZfStrVo 2002, 119; Arloth 2011 Rdn. 1; K/S-Schöch 2002 § 7 Rdn. 132; Laubenthal 2011 Rdn. 419; krit. AK-Däubler/Galli 2012 Rdn. 29; C/MD 2008 Rdn. 5). Die Erlaubnis zur Selbstbeschäftigung ist keine Lockerung der Arbeitspflicht des Gefangenen (so aber OLG Bremen ZfStrVo SH 1979, 57). Vielmehr handelt es sich um eine Ergänzung der Arbeits- und Beschäftigungsmöglichkeiten für Inhaftierte auf der Grundlage der bestehenden Arbeitspflicht (§ 41). Allerdings wird in der Praxis die Genehmigung zur Selbstbeschäftigung nur selten erteilt (vgl. Lohmann 2002, 65). Gem. § 50 Abs. 4 i. d. F. von Art. 11 ERJuKoG v. 10.12.2001 (BGBl. I, 3422) kann die 16 Selbstbeschäftigung davon abhängig gemacht werden, dass der Gefangene einen Haftkostenbeitrag monatlich im Voraus entrichtet (§ 50 Rdn. 5). Ferner ist er nach VV Nr. 3 Abs.4 anzuhalten, seiner Steuerpflicht nachzukommen. Erfüllt er seine Anzeigepflicht nicht, so ist die Erlaubnis zur Selbstbeschäftigung zu widerrufen. Schließlich gilt die Regelung für das freie Beschäftigungsverhältnis in VV Nr. 2 Abs. 2 bis 4 für die Selbstbeschäftigung entsprechend mit dem Ziel, Einkünfte aus der Selbstbeschäftigung sinnvoll für gesetzliche Unterhaltspflichten, Schuldenregulierungen und Entlassungsvorsorge zu verwenden. c) Beispiele für Selbstbeschäftigung. Für eine Selbstbeschäftigung kommen ins- 17 besondere freiberufliche Tätigkeiten wie diejenigen von Schriftstellern, Journalisten, Künstlern, Wissenschaftlern, Gewerbetreibenden, Geschäftsinhabern, Architekten und Unternehmern in Betracht, wenn ihnen ein entsprechendes freies Beschäftigungsverhältnis nicht angeboten werden kann. Die genannten Berufsgruppen können sich vorübergehend oder auf Dauer sinnvoller und produktiver selbst beschäftigen als durch 465
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Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
eine zugewiesene Arbeit, auch wenn diese wirtschaftlich ergiebig ist und den Anforderungen in § 37 Abs. 2 entspricht. Der Geschäftsführer einer GmbH, der nicht freiberuflich tätig ist, kommt ebenfalls für § 39 Abs. 2 in Betracht. Da die Immatrikulation an einer Hochschule keinen vertragsähnlichen Akt bedeutet und das Studium von weitgehender Weisungsunabhängigkeit gekennzeichnet ist, stellt ferner das Hochschulstudium außerhalb des Anwendungsbereichs des § 37 Abs. 3 eine Selbstbeschäftigung dar (Böhm 2003 Rdn. 325; K/S-Schöch 2002 § 7 Rdn. 133; Laubenthal 2011 Rdn. 421; s. auch Rdn. 3). Fällt auch Nichterwerbsarbeit unter den Bereich der Selbstbeschäftigung, zählt ferner der besondere Frauenfreigang von Müttern zur Versorgung und Betreuung ihrer Kinder hierzu (s. dazu Laubenthal 2011 Rdn. 421, 686). Die für die Selbstbeschäftigung geltenden Bestimmungen sind entsprechend heranzuziehen bei der Führung eines Unternehmens durch einen Inhaftierten in der Freizeit. Eine genehmigte und unter Einsatz von Investitionen auf stetigen Erwerb gerichtete Tätigkeit kommt dem gesetzlichen Bild der Selbstbeschäftigung auch dann nahe, wenn sie neben einer Pflichtarbeit in der Freizeit ausgeübt wird (KG, Beschl. vom 9.7.2009 – 2 Ws 95/09 Vollz). 18
d) Genehmigungswiderruf. Die Genehmigung der Selbstbeschäftigung ist eine begünstigende Vollzugsmaßnahme. Diese ist nicht frei widerruflich: Ein Widerruf der Gestattung kann entsprechend § 49 Abs. 2 VwVfG erfolgen (AK-Däubler/Galli 2012 Rdn. 32; Arloth 2011 Rdn. 7; a. A. KG, Beschl. vom 9.7.2009 – 2 Ws 95/09 Vollz: entsprechende Anwendung von § 14 Abs. 2 StVollzG), wenn nachträglich Umstände eingetreten sind, deren Vorliegen zum Zeitpunkt der Gestattung eine Versagung gerechtfertigt hätte. Dabei ist aber der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten und zunächst zu prüfen, ob Abmahnungen oder Weisungen genügen (OLG Frankfurt NStZ 1981, 159). Wird die Selbstbeschäftigung anstaltsextern ausgeübt und kommt es gem. § 14 Abs. 2 zu einem Widerruf oder einer Rücknahme der Lockerungsgewährung, lässt das zugleich die Erlaubnis zur Selbstbeschäftigung erlöschen, wenn diese nicht anstaltsintern möglich ist. In Bayern gilt auch für die Ablösung von einer Selbstbeschäftigung die spezielle Rechtsgrundlage des Art. 44 BayStVollzG; in Hessen § 28 HStVollzG.
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3. Behandlung des Arbeitslohnes. Nach Abs. 3 kann die Vollzugsbehörde sowohl beim freien Beschäftigungsverhältnis (Abs. 1) als auch bei der Selbstbeschäftigung (Abs. 2) verlangen, dass ihr das Arbeitsentgelt, die sonstigen Zuwendungen bzw. Erlöse zur Gutschrift für den Gefangenen auf ein besonderes (Anstalts-)Konto überwiesen werden. Falls der Gefangene nicht allein zu einer zweckmäßigen und wirtschaftlichen Verwendung der Beträge in der Lage ist, muss ihm bei der Etatplanung im Rahmen eines Selbständigkeitstrainings geholfen werden mit dem Ziel, insbesondere den bestehenden Zahlungsverpflichtungen nachzukommen und für die Entlassung vorzusorgen (vgl. dazu auch §§ 73, 74): Zu den Zahlungsverpflichtungen gehören die Leistung eines Haftkostenbeitrags gem. § 50 Abs. 4 sowie die Bildung von Überbrückungsgeld gem. § 51. Die Vollzugsbehörde kann aber auch dem Gefangenen die Überweisung der Bezüge auf ein bei einer Bank eingerichtetes Konto gestatten. Das gilt insbesondere, wenn der Anstalt unwiderruflich eine Mit- oder Alleinverfügungsbefugnis eingeräumt ist, wodurch das Risiko vermieden wird, dass Dritte unnötig von der Inhaftierung des Betroffenen erfahren (Arloth 2011 Rdn. 8). III. Landesgesetze und Musterentwurf
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1. Baden-Württemberg. § 45 JVollzGB III entspricht inhaltlich § 39 StVollzG. Gem. Abs. 3 muss die Überweisung des Entgelts auf ein Konto der Justizvollzugsanstalt erfolgen. Laubenthal
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2. Bayern. Art. 42 BayStVollzG entspricht, bis auf die Abfassung im Plural sowie die 21 geänderte Verweisung in Abs. 1 Satz 2, weitestgehend § 39 StVollzG. 3. Hamburg. § 36 HmbStVollzG korrespondiert inhaltlich mit § 39 StVollzG.
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4. Hessen. § 27 Abs. 4 und 7 HStVollzG entsprechen im Wesentlichen § 39 StVollzG.
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5. Niedersachsen. Abgesehen von der geschlechtsspezifischen Differenzierung in 24 Satz 1 sowie der geänderten Verweisung auf Landesrecht in Satz 2 entspricht § 36 Abs. 1 NJVollzG der bundesrechtlichen Regelung des § 39 Abs. 1 StVollzG. Abs. 2 der landesrechtlichen Norm lautet: „Der oder dem Gefangenen kann anstelle einer zugewiesenen Tätigkeit gestattet werden, selbständig einer Beschäftigung (Selbstbeschäftigung) nachzugehen. Für eine Selbstbeschäftigung außerhalb der Anstalt bleiben § 13 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 und § 15 unberührt. Die Gestattung der Selbstbeschäftigung kann davon abhängig gemacht werden, dass die Gefangenen den Kostenbeitrag nach § 52 Abs. 1 ganz oder teilweise monatlich im Voraus entrichten.“ In der Gesetzesbegründung heißt es dazu: „Gegenüber § 39 Abs. 2 StVollzG sieht der Entwurf … aus Gründen der Rechtsklarheit in Satz 1 eine Legaldefinition des Begriffs der Selbstbeschäftigung sowie in Satz 2 eine Klarstellung der rechtlichen Rahmenbedingungen bei einer Selbstbeschäftigung außerhalb der Anstalt vor“ (LT-Drucks. 15/3565, 121). Abs. 3 der niedersächsischen Vorschrift entspricht § 39 Abs. 3 StVollzG. 6. Musterentwurf. § 23 ME-StVollzG entspricht inhaltlich im Wesentlichen § 39 25 StVollzG.
§ 40 Abschlusszeugnis § 40 Laubenthal Abschlusszeugnis Aus dem Abschlusszeugnis über eine ausbildende oder weiterbildende Maßnahme darf die Gefangenschaft eines Teilnehmers nicht erkennbar sein. I. Erläuterungen Die Vorschrift enthält ein konkretes Beispiel für die sinnvolle Anwendung der Ge- 1 staltungsgrundsätze des Vollzugs in § 3. Sie verdeutlicht an einem Einzelfall insbesondere den Gegensteuerungsgrundsatz (§ 3 Abs. 2; § 3 Rdn. 11 f), mit dem schädlichen Folgen des Freiheitsentzuges entgegengewirkt werden soll, und den Integrationsgrundsatz (§ 3 Abs. 3; § 3 Rdn. 13), auf den der Vollzug von Beginn an ausgerichtet sein muss. Wegen des in der Gesellschaft verbreiteten Misstrauens gegen Strafentlassene und 2 der vorhandenen Vorurteile gegen sie könnte die Gefahr bestehen, dass sie bei der Suche nach einem Arbeitsplatz benachteiligt würden (BT-Drucks. 7/3998, 19 f), wenn aus den Zeugnissen über Bildungsmaßnahmen während des Vollzugs die frühere Gefangenschaft erkennbar sein würde. Das soll durch das Verbot in der Bestimmung vermieden werden. Der Begriff Abschlusszeugnis ist im Hinblick auf das Vollzugsziel des § 2 Satz 1 3 nicht fachspezifisch im Sinne der Definition im Kultusbereich zu verstehen. Auch sonst in der freien Gesellschaft verwertbare und deshalb Außenwirkung entfaltende Zwischenzeugnisse, Teilnahmebescheinigungen, Abgangszeugnisse und sonstige schriftliche Leistungsbewertungen fallen unter diese Vorschrift, es sei denn, es handelt sich um aus467
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schließlich vollzugsinterne Erfolgsmessungen, die in anschließende Beurteilungen eingehen. Nicht unter § 40 fallen auch bloße Arbeitszeugnisse (Arloth 2011 Rdn. 1; a. A. A/K-Däubler/Galli 2012 Rdn. 1). Die Vollzugsbehörden tragen dem Anliegen des § 40 in der Praxis dadurch Rech4 nung, dass sie außervollzugliche Einrichtungen und Organisationen als Träger der Bildungsmaßnahmen zu gewinnen suchen. Daneben werden auch Einzelpersonen als Aussteller der Zeugnisse zugelassen, wenn diese eine anerkannte Prüfungsbefugnis mit Zeugniserteilungsrecht haben und die konkrete Zeugniserteilung nach Möglichkeit im Zusammenwirken mit einer einschlägigen Fachstelle erfolgt, z. B. Werkmeister und Handwerkskammer, Gewerbelehrer und Berufsschule oder Lehrer im Justizvollzug mit Schulaufsichtsamt. So erfolgt z. B. in Bayern der Berufsschulunterricht aufgrund einer Vereinbarung mit dem Kultusministerium in enger Zusammenarbeit mit der jeweils örtlich zuständigen Sprengel-Berufsschule, die dann neutrale Arbeitszeugnisse erstellt (vgl. Bayer. Staatsministerium der Justiz Justizvollzug in Bayern 2011, 28). II. Landesgesetze und Musterentwurf 5
1. Baden-Württemberg. § 44 JVollzGB III normiert: „Aus dem Zeugnis über eine Bildungsmaßnahme darf die Inhaftierung einer Teilnehmerin oder eines Teilnehmers nicht erkennbar sein.“ Dies entspricht inhaltlich § 40 StVollzG.
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2. Bayern. Art. 41 BayStVollzG lautet: „Aus dem Zeugnis über eine Bildungsmaßnahme darf die Inhaftierung eines Teilnehmers oder einer Teilnehmerin nicht erkennbar sein.“ Eine inhaltliche Änderung ging mit der Neuformulierung nicht einher.
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3. Hamburg. § 37 HmbStVollzG bestimmt: „Aus Zeugnissen oder Bescheinigungen über die Teilnahme an Bildungsmaßnahmen darf nicht erkennbar sein, dass sie während des Vollzuges einer Freiheitsstrafe erworben wurden.“
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4. Hessen. § 27 Abs. 8 HStVollzG korrespondiert inhaltlich mit § 40 StVollzG.
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5. Niedersachsen. § 37 NJVollzG entspricht inhaltlich § 40 StVollzG.
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6. Musterentwurf. § 21 Abs. 5 ME-StVollzG lautet: „Nachweise über schulische und berufliche Qualifizierungsmaßnahmen dürfen keinen Hinweis auf die Inhaftierung enthalten.“ Die ME-Begründung führt dazu aus: „Der Begriff des Nachweises ist weiter als derjenige des Zeugnisses und umfasst alle im Arbeitsleben üblicherweise verwendeten Bescheinigungen über schulische und berufliche Qualifizierungsmaßnahmen“ (ME-Begründung, 92).
§ 41 Arbeitspflicht § 41 Laubenthal Arbeitspflicht (1) Der Gefangene ist verpflichtet, eine ihm zugewiesene, seinen körperlichen Fähigkeiten angemessene Arbeit, arbeitstherapeutische oder sonstige Beschäftigung auszuüben, zu deren Verrichtung er auf Grund seines körperlichen Zustandes in der Lage ist. Er kann jährlich bis zu drei Monaten zu Hilfstätigkeiten in der Anstalt verpflichtet werden, mit seiner Zustimmung auch darüber hinaus. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht für Gefangene, die über 65 Jahre alt sind, und nicht für werLaubenthal
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dende und stillende Mütter, soweit gesetzliche Beschäftigungsverbote zum Schutze erwerbstätiger Mütter bestehen. (2) Die Teilnahme an einer Maßnahme nach § 37 Abs. 3 bedarf der Zustimmung des Gefangenen. Die Zustimmung darf nicht zur Unzeit widerrufen werden. (3)* Die Beschäftigung in einem von privaten Unternehmen unterhaltenen Betriebe (§ 149 Abs. 4) bedarf der Zustimmung des Gefangenen. Der Widerruf der Zustimmung wird erst wirksam, wenn der Arbeitsplatz von einem anderen Gefangenen eingenommen werden kann, spätestens nach sechs Wochen. * § 41 Abs. 3 tritt durch besonderes Bundesgesetz in Kraft (§ 198 Abs. 3).
Schrifttum S. vor § 37.
I.
II.
Übersicht Allgemeine Hinweise ____ 1–4 1. Gesetzliche Entwicklung ____ 1, 2 2. Übereinstimmung mit internationalen Rechtsgrundsätzen ____ 3, 4 Erläuterungen ____ 5–17 1. Fähigkeiten, die zugewiesene Arbeit auszuüben ____ 5–7 2. Heranziehung zu Hilfstätigkeiten ____ 8–11 3. Ausnahmen des Abs. 1 Satz 3 ____ 12 4. Arbeitszeit und Leistungsanforderungen ____ 13
III.
5. Zustimmung des Gefangenen ____ 14–16 6. Ablösung von der Arbeit ____ 17 Landesgesetze und Musterentwurf ____ 18–23 1. Baden-Württemberg ____ 18 2. Bayern ____ 19 3. Hamburg ____ 20 4. Hessen ____ 21 5. Niedersachsen ____ 22 6. Musterentwurf ____ 23
I. Allgemeine Hinweise 1. Gesetzliche Entwicklung a) Nachdem § 41 Abs. 1 gem. § 198 Abs. 1 am 1.1.1977 in Kraft getreten war, folgte 1 Abs. 2 gem. § 198 Abs. 2 am 1.1.1980. Abs. 3 wird gem. § 198 Abs. 3 erst durch ein besonderes Bundesgesetz in Kraft gesetzt, über das nach § 198 Abs. 4 bis zum 31. Dezember 1983 befunden werden sollte (vgl. Art. 22 Nr. 2 des 2. Haushaltsstrukturgesetzes vom 22.12.1981 – BGBl. I, 1523 ff), was aber nicht geschehen ist (vgl. zu § 198). Gleichwohl verletzt es nicht die Verfassung, dass der in Abs. 3 vorgesehene Zustimmungsvorbehalt bisher nicht in Kraft gesetzt wurde. Eine Pflichtarbeit in einem Unternehmerbetrieb (s. dazu BVerfG, Beschl. vom 27.12.2007 – 2 BvR 1061/05), der den Anforderungen des § 149 Abs. 4 genügt, hält sich in den Grenzen der Ermächtigung, die Art. 12 Abs. 3 GG dem Gesetzgeber erteilt, im Strafvollzug Arbeitspflicht anzuordnen (BVerfGE 98, 169, 209; s. auch Rdn. 3 und 15). b) Die Vorschrift behandelt in verfassungsgemäßer Weise die Frage der Arbeits- 2 pflicht für Gefangene während des Freiheitsentzugs. Zwangsarbeit ist bei gerichtlich angeordneter Freiheitsentziehung gem. Art. 12 Abs. 3 GG zulässig. Das Grundrecht der Berufs- und Erwerbsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG erleidet insoweit eine Ausnahme (BVerfGE 98, 169, 206). Im Gesetzgebungsverfahren wurden zwar mehrere Alternativen erörtert (Prot. S. 1897 f). Nach eingehender Abwägung hat sich der Gesetzgeber jedoch für die allgemeine Arbeitspflicht entschieden (BT-Drucks. 7/3998, 20 f) und damit den bis dahin auf der Grundlage der Dienst- und Vollzugsordnung geltenden Rechtszustand auf469
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rechterhalten, obwohl die Arbeitspflicht im Hinblick auf die fehlende Verpflichtung zur Berufsaus- und Weiterbildung oder schulischen Bildung (vgl. Rdn. 14) sowie unter Berücksichtigung des Umstandes, dass Beschäftigungen von pädagogisch geringem Wert (wie z. B. die Tätigkeit als Hausarbeiter; vgl. Rdn. 8 ff) nicht selten mit der Erforderlichkeit intensiver sozialer und/oder therapeutischer Hilfestellungen kollidieren, kritisiert wird (s. zur Problematik Böhm 2003 Rdn. 289 ff; vgl. auch Calliess Theorie der Strafe im demokratischen und sozialen Rechtsstaat, Frankfurt 1974, 163 ff; AK-Däubler/Galli 2012, vor § 37 Rdn. 16 f, 19, § 41 Rdn. 2; krit. Bemmann StV 1998, 604 f). Findet sich ein Strafgefangener zu einer bestimmten Arbeitstätigkeit bereit oder strebt er diese sogar ausdrücklich an, schließt das deren Einordnung als Pflichtarbeit nicht aus (BVerfG, Beschl. vom 27.12.2007 – 2 BvR 1061/05). 2. Übereinstimmung mit internationalen Rechtsgrundsätzen 3
a) Die auf der Grundlage der öffentlich-rechtlichen Beziehung zwischen Strafgefangenem und Staat beruhende Arbeitspflicht des Inhaftierten ist keine Zwangs- oder Pflichtarbeit (Verdingung) im Sinne des Übereinkommens Nr. 29 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) vom 28.6.1930 über Zwangs- und Pflichtarbeit, dem die Bundesrepublik Deutschland durch Gesetz vom 11.6.1956 (BGBl. II, 640) beigetreten ist. Denn das ILO-Übereinkommen bezweckt, voraussetzungslosen Handel mit menschlicher Arbeitskraft zu unterbinden und zielt auf eine Verhinderung der Formen von Zwangs- und Sklavenarbeit gefangener Personen. Nach den Vorschriften des Abkommens gelten als Zwangs- oder Pflichtarbeit nicht Arbeiten oder Dienstleistungen, die man von einer Person aufgrund einer gerichtlichen Verurteilung verlangt, wenn sie unter Überwachung und Aufsicht der öffentlichen Behörden ausgeführt werden und der Verurteilte nicht an Einzelpersonen oder private Vereinigungen verdingt oder ihnen sonst zur Verfügung gestellt wird (BVerfGE 98, 169, 206; OLG Hamburg NStZ 1992, 53f; s. auch Rdn. 15).
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b) § 41 steht mit Nr. 105.2 der Europäischen Strafvollzugsgrundsätze 2006 im Einklang, wo klargestellt ist, dass Strafgefangene entsprechend ihrer vom Anstaltsarzt festgestellten körperlichen und geistigen Eignung zur Arbeit verpflichtet werden können. Auch gegen die Europäische Menschenrechtskonvention (MRK) verstößt die Arbeitspflicht nicht, denn Art. 4 Abs. 3 Buchstabe a MRK schließt aus, dass die Arbeitspflicht bei Strafgefangenen als unzulässige Zwangs- oder Pflichtarbeit i. S. von Art. 4 Abs. 2 MRK anzusehen ist. II. Erläuterungen 1. Fähigkeiten, die zugewiesene Arbeit auszuüben
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a) Der Gefangene ist gem. Abs. 1 Satz 1 verpflichtet, eine ihm zugewiesene Arbeit auszuüben, wenn sie seinen körperlichen Fähigkeiten angemessen ist. Die Ablehnung einer solchen Arbeit stellt unter den Voraussetzungen des § 102 eine Pflichtverletzung dar, die bei schuldhaftem Verhalten disziplinarrechtlich geahndet werden und/ oder eine Ablösung von der zugewiesenen Arbeit (s. Rdn. 17) zur Folge haben kann. Der Gefangene hat keinen Anspruch auf Zuweisung einer bestimmten Arbeit. Demzufolge kann ein Gefangener auch nicht verlangen, in seinem erlernten Beruf beschäftigt zu werden (OLG Nürnberg NStZ 1981, 200), wenngleich Ausbildung und Eignung des Inhaftierten nach Möglichkeit bei der Arbeitszuweisung zu berücksichtigen sind. Denn nicht nur auf die körperliche Konstitution des Gefangenen soll Rücksicht genommen werden Laubenthal
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(BT-Drucks. 7/918, 66; BT-Drucks. 7/3998, 20). Auch eine länger andauernde Über- (oder Unter-)forderung, die dem Behandlungsziel widersprechen würde, ist zu vermeiden (s. aber Arloth 2011 Rdn. 3: kein Verbot der Unterforderung). Hierzu ergänzend ergibt sich aus dem Individualisierungsgrundsatz des § 37 Abs. 2 (vgl. dort Rdn. 13), dass neben der körperlichen Verfassung des Gefangenen auch seine geistigen Fähigkeiten, seine emotionalen Möglichkeiten und sein psychischer Zustand berücksichtigt werden müssen. Geschieht das nicht in ausreichendem Maße, stellt eine mögliche Arbeitsverweigerung des Gefangenen keinen schuldhaften Pflichtverstoß i. S. von § 102 Abs. 1 dar und führt auch nicht zu einer verschuldeten Arbeitslosigkeit i. S. d. § 46 (vgl. zur Arbeitsverweigerung wegen massiver Bedrohung durch Mitgefangene OLG Saarbrücken BlStV 6/1984, 1; zur religiös begründeten Weigerung der Entkleidung bei Rückkehr aus Werkbetrieb OLG Koblenz NStZ 1986, 238 m. Anm. Rassow). b) Der Gefangene ist nach Abs. 1 Satz 1 ggf. auch verpflichtet, eine ihm zugewiesene 6 arbeitstherapeutische oder sonstige Beschäftigung auszuüben (zur arbeitstherapeutischen Beschäftigung vgl. § 37 Rdn. 9, 27). Der Begriff „sonstige Beschäftigung“ findet sich in § 37 nicht. Es handelt sich hierbei im Unterschied zur wirtschaftlich ergiebigen Arbeit (§ 37 Abs. 2) um die angemessene Beschäftigung des § 37 Abs. 4 (vgl. dort Rdn. 25, 26). c) Zur Übernahme der Arbeit bzw. arbeitstherapeutischen oder sonstigen Beschäfti- 7 gung ist der Gefangene nur verpflichtet, wenn er zu deren Verrichtung aufgrund seines körperlichen Zustandes in der Lage ist, Abs. 1 Satz 1 a. E. Dabei geht es hier um seinen aktuellen Gesundheitszustand in Abgrenzung zu seinen allgemeinen körperlichen Fähigkeiten im ersten Halbsatz. Im Zweifelsfall ist die Frage der Einsatzfähigkeit durch den Arzt zu klären. 2. Heranziehung zu Hilfstätigkeiten a) Gem. Abs. 1 Satz 2 kann jeder Gefangene bis zu drei Monaten im Jahr zu Hilfstä- 8 tigkeiten in der Anstalt verpflichtet werden. Dabei handelt es sich um eine Ermächtigung an die Vollzugsbehörden. Solche Hilfstätigkeiten fallen in allen Bereichen einer Vollzugsanstalt vielfältig an, z. B. in der Küche, in der Kleiderkammer, in der Krankenabteilung, in den Unterkünften, im Freigelände. Es geht zumeist um die Erfüllung von Gemeinschaftsaufgaben, die das Mitverantwortungsgefühl der Gefangenen für ihr Zusammenleben in der Anstalt stärken können. Während jeder Gefangene seinen eigenen Haftraum selbst zu reinigen hat, werden z. B. die Reinigungen der Gemeinschaftsräume und Verkehrsflächen in einer Wohngruppe, einer Station bzw. einem Haus im wöchentlichen oder monatlichen Wechsel von jenen Gefangenen erledigt, die zu diesen Hilfstätigkeiten eingeteilt sind. Falls es kein rotierendes System gibt, werden zu solchen Hilfsarbeiten häufig Gefangene herangezogen, die noch ohne Arbeitserfahrung sind, die keiner qualifizierten Beschäftigung nachgehen können oder noch keine Vollzugslockerungen haben. Neben dem beschäftigungstherapeutischen Aspekt und der Funktion als eine Art innerer Vollzugslockerung dienen solche Hilfstätigkeiten auch dazu, Zeiten großen Auftragsmangels in den Anstaltsbetrieben zu überbrücken und der Arbeitslosigkeit von Gefangenen entgegenzuwirken. Es ist besser, Gefangene in Form verdeckter Arbeitslosigkeit mit Hilfstätigkeiten zu beschäftigen, als sie arbeitslos zu lassen. b) Die Hilfstätigkeiten als sog. Kalfaktorenposten (zum Begriff s. Laubenthal Lexi- 9 kon der Knastsprache, 2001, 94) erfüllen regelmäßig nicht die Anforderungen, die gem. 471
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§ 37 Abs. 1 und 2 an eine zuzuweisende Arbeit gestellt werden müssen (§ 37 Rdn. 6, 11, 13). Hilfsarbeiten können allerdings als angemessene Beschäftigung i. S. d. § 37 Abs. 4 zugeteilt werden (K/S-Schöch 2002 § 7 Rdn. 136). Abgesehen von dem möglichen Einüben sozialer Verhaltensweisen und der sichtbaren Verantwortung für die Gemeinschaft sind die anfallenden Hilfsarbeiten nur selten spezifisch behandlungsorientiert. Es bedurfte daher der gesetzlichen Ermächtigung der Vollzugsbehörde, Gefangene für solche Arbeiten zu verpflichten (BT-Drucks. 7/918, 66). Um die im Vollzug an sich notwendige Behandlung des Gefangenen nicht zu lange zu behindern, bleibt die zeitliche Dauer der Verpflichtung grundsätzlich auf drei Monate beschränkt. Damit wird der Charakter einer Notlösung betont (BT-Drucks. 7/3998, 20). Hiernach sollten die Aufsichtsbehörden und die Wirtschafts- sowie Arbeitsverwaltungen der Anstalten bestrebt sein, die Zahl jener mit Hilfstätigkeiten beschäftigten Gefangenen niedrig zu halten. Die sog. Hausarbeiterquote (Höchstzahl der Gefangenen mit Hilfstätigkeiten im Verhältnis zur Gesamtzahl der beschäftigten Gefangenen) ist in den Bundesländern verschieden hoch festgelegt. Sie beträgt durchschnittlich ca. 10 bis 15%. 10
c) Es kommen ausschließlich Tätigkeiten in der Anstalt in Betracht und nur solche, die keine subkulturellen Unzuträglichkeiten im Verhältnis der Gefangenen untereinander bzw. zwischen Gefangenen und Bediensteten entstehen lassen und Belangen des Datenschutzes Rechnung tragen (vgl. VV Nr. 5 zu § 37). Arbeiten, die Einblick in persönliche Verhältnisse oder in Personal-, Gerichts- bzw. Verwaltungsakten eröffnen, dürfen einem Insassen auch aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes nicht übertragen werden. Das hat zur weitgehenden Beseitigung der sog. Gefangenenschreiber als Helfer der Stationsbeamten geführt.
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d) Mit seiner Zustimmung kann der Gefangene über drei Monate hinaus mit Hilfstätigkeiten beschäftigt werden; ein Widerspruch zu den Empfehlungen und Angaben im Vollzugsplan (§ 7) darf aber nicht entstehen. Wird ein Gefangener länger als drei Monate mit Hilfstätigkeiten beschäftigt, vermag er die Zustimmung nicht willkürlich zurückzunehmen und die Arbeit niederzulegen, ohne der Anstalt Gelegenheit zu geben, für ihn einen Ersatz zu finden, weil die Gewährleistung des Gemeinschaftslebens und die Aufrechterhaltung wichtiger Funktionsabläufe häufig auf den Hilfstätigkeiten einzelner Gefangener beruhen (LG Karlsruhe ZfStrVo 1979, 125). In Bayern normiert Art. 43 Satz 2 BayStVollzG, dass Hilfstätigkeiten prinzipiell nicht über drei Monate jährlich hinausgehen sollen (s. Rdn. 19). Eine vergleichbare Bestimmung enthält § 38 Abs. 1 Satz 3 HmbStVollzG (s. Rdn. 20). – Es ist allerdings nicht zu übersehen, dass die Hilfstätigkeiten nicht nur geringe Bedeutung für die Erreichung des Vollzugsziels haben (vgl. Rdn. 9). Sie sind auch im Laufe zunehmender Liberalisierung der Vollzugsgestaltung nach außen sowie vermehrter Öffnung der Anstalten nach innen uninteressanter geworden, weil nicht mehr das Privileg einer größeren Bewegungs- und Kontaktfreiheit für die Betroffenen lockt (Walter 1999 Rdn. 478).
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3. Ausnahmen des Abs. 1 Satz 3. Nach Abs. 1 Satz 3 gelten die Arbeitspflicht und die Verpflichtung zur Übernahme von Hilfstätigkeiten in der Anstalt nicht für über 65 Jahre alte Gefangene, da Letztere sich generell im Rentenalter befinden. Allerdings relativiert sich die Arbeitspflicht in der Praxis faktisch auch bereits bei jüngeren Gefangenen durch das Kriterium der individuellen Arbeitsfähigkeit. Darüber hinaus gebietet es der Angleichungsgrundsatz, Gefangene, die gem. § 43 Abs. 2 SGB VI als voll erwerbsgemindert gelten und deshalb Rente beziehen, von der Arbeitspflicht auszunehmen (OLG Frankfurt NStZ 1985, 425 m. Anm. Müller-Dietz). In der Vollzugspraxis werden HilfstätigLaubenthal
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keiten jedoch gerade von älteren, in den Arbeitsbetrieben nicht mehr voll einsatz- und leistungsfähigen Gefangenen – auch solchen über 65 Jahre – gern übernommen. Die Verpflichtungen aus § 41 Abs. 1 Satz 1 und 2 gelten ferner nicht für werdende und stillende Mütter, soweit gesetzliche Beschäftigungsverbote zum Schutz erwerbstätiger Mütter bestehen (Mutterschutzgesetz; dazu auch § 76 Rdn. 2 bis 6). 4. Arbeitszeit und Leistungsanforderungen. Aus vielfältigen Gründen hat der Ge- 13 setzgeber davon abgesehen, die Arbeitszeit sowie Arbeits- und Leistungsanforderungen im Einzelnen zu regeln (s. auch § 37 Rdn. 12). Die VV Nr. 3 und 4 zu § 37 enthalten dazu einige Hinweise (s. auch KG NStZ 1989, 445 m. Anm. Gerhart). Die Festsetzung der Arbeitszeit steht im pflichtgemäßen Ermessen der Vollzugsbehörde (unter Beachtung von VV Nr. 4 zu § 37). Dabei verstößt eine unterschiedliche Arbeitsregelung in einer Sozialtherapeutischen Anstalt und dem übrigen Bereich einer Justizvollzugsanstalt bzw. des Vollzugs innerhalb des Geschäftsbereichs einer Landesjustizverwaltung nicht gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung, wenn die unterschiedliche Behandlung der Gefangenen auf dem Einsatz der besonderen therapeutischen Mittel und sozialen Hilfen der Sozialtherapie (§ 9) beruht (LG Berlin 14.3.1990 – 546 StVK [Vollz] 25/90 –). 5. Zustimmung des Gefangenen. a) Nach Abs. 2 Satz 1 bedarf im Bereich der beruflichen Aus- und Weiterbildung die 14 Teilnahme des Gefangenen an einer Maßnahme nach § 37 Abs. 3 seiner Zustimmung. Die Vorschrift konkretisiert den Mitwirkungsgrundsatz des § 4 Abs. 1, denn die Chancen für einen erfolgreichen Ablauf und Abschluss erhöhen sich gerade, wenn die Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen auf Freiwilligkeit und Selbstverantwortlichkeit gestützt werden. Diese Zustimmung ist ggf. schriftlich zu erteilen und zur Gefangenenpersonalakte zu nehmen. Die damit bezweckte Selbstbindung des Gefangenen ist zudem erforderlich, weil mit den Bildungsmaßnahmen erhebliche organisatorische Arbeiten, ein verstärkter personeller Einsatz und hohe Kosten verbunden sind, die nicht zuletzt aus Wirtschaftlichkeitsgründen sonst ohne große Not wieder infrage gestellt oder sogar bei leichtfertigem Abbruch fehlinvestiert wären. Deshalb darf der Gefangene gem. Abs. 2 Satz 2 seine Zustimmung auch nicht zur Unzeit widerrufen. Damit der Abschluss einer Bildungsmaßnahme möglichst noch in der Haftzeit erreicht werden kann, wird in Einzelfällen ein Verzicht auf eine bedingte Entlassung gem. § 57 StGB bei Beginn der Bildungsmaßnahme verlangt, wenn sonst zu befürchten ist, dass der Gefangene die begonnene Maßnahme nach seiner Entlassung nicht fortsetzt und so das angestrebte Ziel der schulischen oder beruflichen Qualifikation nicht erreicht wird. Zwar ist der Gefangene später an diesen Verzicht rechtlich nicht gebunden und kann seine erforderliche Einwilligung in die Strafrestaussetzung zur Bewährung trotzdem geben. Das Vollstreckungsgericht wird den drohenden Abbruch der begonnenen Bildungsmaßnahme dann allerdings prognostisch zu werten haben. Einen anderen – vorzugswürdigen – Weg stellt ein Angebot an Haftentlassene dar, die in der Anstalt begonnene Ausbildung dort auch bis zum Abschluss fortsetzen zu können. b) Nach einem Inkrafttreten des Abs. 3 (s. zur Geltung Rdn. 1) bedarf nach Satz 1 der 15 Norm die Beschäftigung eines Strafgefangenen in einem von privaten Unternehmen unterhaltenen Zweigbetrieb innerhalb der Anstalt der Zustimmung des Betroffenen (zu den Bedenken der ILO gegen die Beschäftigung von Gefangenen in Unternehmerbetrieben und zu den Hintergründen des Zustimmungserfordernisses in Abs. 3 und seinem Verhältnis zu Art. 2 Nr. 2 Buchstabe c des Übereinkommens Nr. 29 der ILO vom 28.6.1930 vgl. 473
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BT-Drucks. 7/916, 64; BT-Drucks. 7/3998, 21; OLG Hamburg NStZ 1992, 54 m. Anm. Krahl NStZ 1992, 207 f und Anm. Klesczewski NStZ 1992, 351 f; AK-Däubler/Galli 2012 Rdn. 13; C/MD 2008 Rdn. 8). Das BVerfG (BVerfGE 98, 169, 211) erachtet von Verfassungs wegen eine Zustimmung des Inhaftierten dann nicht für erforderlich, wenn die Anstaltsleitung dem Gefangenen Arbeit in einem Unternehmerbetrieb innerhalb der Einrichtung zuweist, dessen Organisation sich im Rahmen der durch § 149 Abs. 4 zugelassenen Übertragung der technischen und fachlichen Leitung auf Unternehmensangehörige hält, und der Betrieb unter der öffentlich-rechtlichen Verantwortung der Vollzugsbehörde bleibt. Insgesamt liegt in der Tatsache, dass der in Abs. 3 Satz 1 vorgesehene Zustimmungsvorbehalt bislang nicht in Kraft gesetzt wurde, kein Verstoß gegen die Verfassung. Verletzt ein Gefangener – bis zum Inkrafttreten des Zustimmungserfordernisses gem. Abs. 3 Satz 1 – durch Arbeitsverweigerung in einem Unternehmerbetrieb schuldhaft seine Arbeitspflicht, dürfen gegen ihn Disziplinarmaßnahmen angeordnet werden (OLG Hamburg ZfStrVo 1992, 69). Ein Verstoß gegen das ILO-Übereinkommen Nr. 29 liegt gerade nicht vor, weil Gefangene auch in Unternehmerbetrieben nicht verdingt werden (s. schon Rdn. 3). Der Gefangene bleibt auch bei Tätigkeiten im Unternehmerbetrieb im Rahmen eines zwischen Anstalt und Unternehmer abgeschlossenen Arbeitsverhältnisses (vgl. auch OLG Hamm NStZ 1993, 381; KG NStZ 1990, 607; Laubenthal 2011 Rdn. 404) in seiner öffentlich-rechtlichen Beziehung mit dem Staat kraft gerichtlicher Verurteilung, in welcher seine Tätigkeit vom Vollzugspersonal überwacht, beaufsichtigt und angewiesen wird (s. BVerfGE 98, 169, 211; BVerfG, Beschl. vom 27.12.2007 – 2 BvR 1061/05; s. auch Lübbe-Wolff/Frotz 2009, 681). Da auf absehbare Zeit eine ausreichende Anzahl von Gefangenenarbeitsplätzen in 16 Eigenbetrieben nicht eingerichtet werden kann, bleiben die Vollzugsbehörden auf Unternehmerbetriebe angewiesen. Private Firmen sind jedoch im Allgemeinen zur Einrichtung solcher Zweigbetriebe in der Anstalt und zu den damit verbundenen Investitionen nur bereit, wenn die Vollzugsbehörde ihnen eine gewisse Laufzeit, einen beständigen Produktionsumfang und eine möglichst verlässliche Auftragsausführung und Leistungshöhe zusagt. Daher wird im vorgesehenen Abs. 3 Satz 2 ein Widerruf der Zustimmung durch den Gefangenen stark eingeschränkt. Es reicht dem Gesetzgeber bei Berücksichtigung der praktischen Erfordernisse nicht mehr aus, dass die Zustimmung wie in Abs. 2 Satz 2 nicht zur Unzeit widerrufen werden darf. Vielmehr soll hier der Widerruf bis zur Dauer von höchstens sechs Wochen dann unwirksam bleiben, wenn der Arbeitsplatz nicht vorher von einem anderen Gefangenen eingenommen werden kann. 17
6. Ablösung von der Arbeit. Die Ablösung von der Arbeit stellt keine Aufhebung der gesetzlichen Arbeitspflicht gem. § 41 Abs. 1 Satz 1 dar. Sie hat Bedeutung hinsichtlich der sich daraus ergebenden finanziellen Folgen für den Gefangenen, der lediglich im Falle seiner Schuldlosigkeit am Arbeitsplatzverlust Anspruch auf Zahlung von Taschengeld (oder – nach In-Kraft-Treten von § 45 (s. dort Rdn. 1) – von Ausfallentschädigung) hat, wenn die sonstigen Voraussetzungen vorliegen (s. zu § 46). Ein Grund für die Ablösung kann nicht nur die Tatsache sein, dass sich ein Inhaftierter für die zugewiesene Tätigkeit als ungeeignet erweist. In Betracht kommt als Rechtsgrundlage auch der Vollzugsplan, wenn sich die Ablösung (in Form eines Arbeitsplatzwechsels) als Maßgabe der dort vorgesehenen Behandlungsmaßnahmen darstellt (s. § 7 Abs. 2 Nr. 4). Auch § 17 Abs. 3 kann eine Ablösung rechtfertigen. Eine solche kommt z. B. nach § 17 Abs. 3 Nr. 3 in Betracht, wenn ein Betroffener aus Erfordernissen der Sicherheit und Ordnung der Anstalt (z. B. bei besonderer Fluchtgefahr) von der Arbeit auszuschließen und ihm gleichzeitig Zellenarbeit zuzuweisen ist (vgl. LG Stuttgart ZfStrVo 1990, 304). Im Übrigen vermag eine Ablösung in analoger Anwendung des § 49 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG zu erfolgen (s. Laubenthal
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hierzu § 37 Rdn. 28). In Bayern existiert mit Art. 44 BayStVollzG eine gesonderte Vorschrift über die Ablösung von Beschäftigungen, wenn dies aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung der Anstalt oder aus Gründen der Behandlung erforderlich ist oder wenn sich herausstellt, dass sie den Anforderungen nicht genügen. Eine vergleichbare Regelung enthält für Hessen § 28 HStVollzG. III. Landesgesetze und Musterentwurf 1. Baden-Württemberg. § 47 JVollzGB III entspricht inhaltlich § 41 StVollzG.
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2. Bayern. Art. 43 Satz 1 und 2 BayStVollzG lauten: „Gefangene sind verpflichtet, 19 eine ihnen zugewiesene, ihren Fähigkeiten angemessene Arbeit oder arbeitstherapeutische Beschäftigung auszuüben, soweit sie dazu körperlich und geistig in der Lage sind. Sie können zu Hilfstätigkeiten in der Anstalt verpflichtet werden. Diese Tätigkeiten sollen in der Regel nicht über drei Monate jährlich hinausgehen.“ Eine inhaltliche Änderung gegenüber § 41 Abs. 1 Satz 2 StVollzG bedeuten Satz 2 und 3 der bayerischen Regelung. In der Gesetzesbegründung heißt es dazu: „Satz 2 nimmt Rücksicht auf den Bedarf an Arbeitskräften der Anstalten und gestattet daher den Einsatz von Hausarbeitern für Reinigungsarbeiten, bei der Essensausgabe etc. Durch die grundsätzliche zeitliche Beschränkung auf drei Monate in Satz 3 soll das Entstehen subkultureller Abhängigkeitsverhältnisse verhindert werden“ (LT-Drucks. 15/8101, 59). Art. 43 Satz 4 BayStVollzG entspricht § 41 Abs. 1 Satz 3 StVollzG. Eine § 41 Abs. 2 StVollzG entsprechende Regelung wurde in Art. 39 Abs. 4 BayStVollzG eingefügt (s. § 37 Rdn. 30). 3. Hamburg. § 38 HmbStVollzG folgt im Wesentlichen § 41 StVollzG. Während im 20 Bundesrecht an das 65. Lebensjahr angeknüpft wird, stellt § 38 Abs. 1 Satz 3 HmbStVollzG hingegen auf die Regelaltersgrenze der gesetzlichen Rentenversicherung ab. 4. Hessen. § 27 Abs. 2 HStVollzG entspricht sinngemäß § 41 Abs. 1 StVollzG. Eine § 41 21 Abs. 2 StVollzG entsprechende Regelung findet sich indes nicht im hessischen Landesrecht. 5. Niedersachsen. § 38 NJVollzG lautet: „(1) Die oder der Gefangene ist verpflichtet, 22 eine ihr oder ihm zugewiesene Tätigkeit auszuüben. (2) Vollzugliche Maßnahmen, insbesondere Lockerungen, die der Ausübung einer zugewiesenen Tätigkeit ganz oder teilweise entgegenstehen, sollen nur zugelassen werden, soweit dies im Rahmen der Vollzugsplanung zur Erreichung des Vollzugszieles nach § 5 Satz 1, im überwiegenden Interesse der oder des Gefangenen oder aus einem anderen wichtigen Grund erforderlich ist.“ In der Gesetzesbegründung heißt es dazu: „Wesentlicher Inhalt dieser Norm ist die Regelung der Arbeitspflicht. Absatz 1 entspricht weitgehend der Regelung des § 41 Abs. 1 StVollzG. […] Die Regelung des Absatzes 2 […] bezweckt, Arbeit, schulische und berufliche Maßnahmen stärker in den Mittelpunkt des vollzuglichen Tagesablaufes zu stellen […]“ (LT-Drucks. 15/3565, 121). Bestimmungen über Hilfstätigkeiten in der Anstalt sowie deren Dauer enthält § 35 Abs. 2 Satz 2 NJVollzG. § 35 Abs. 4 NJVollzG enthält im Gegensatz zu § 41 Abs. 1 Satz 3 StVollzG kein Beschäftigungsverbot für über 65 Jahre alte Strafgefangene, sondern knüpft die Ausnahme von der Arbeitspflicht an die Regelaltersgrenze der gesetzlichen Rentenversicherung an (s. § 37 Rdn. 30).
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6. Musterentwurf. Der Musterentwurf enthält keine dem § 41 StVollzG entsprechende Regelung. Vielmehr wird in der ME-Begründung ausgeführt: „Die Arbeitspflicht wird ihres bisherigen Charakters als Teil des durch die Freiheitsentziehung auferlegten Strafübels entkleidet. Im Vordergrund steht jetzt der gezielte Einsatz individueller Arbeitsmaßnahmen, der der Resozialisierung der Gefangenen noch stärker Rechnung trägt. […] Arbeit nach dieser Bestimmung ist, dem Angleichungsgrundsatz Rechnung tragend, freiwillig“ (ME-Begründung, 89).
§ 42 Freistellung von der Arbeitspflicht § 42 Laubenthal Freistellung von der Arbeitspflicht (1) Hat der Gefangene ein Jahr lang zugewiesene Tätigkeit nach § 37 oder Hilfstätigkeiten nach § 41 Abs. 1 Satz 2 ausgeübt, so kann er beanspruchen, achtzehn Werktage von der Arbeitspflicht freigestellt zu werden. Zeiten, in denen der Gefangene infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert war, werden auf das Jahr bis zu sechs Wochen jährlich angerechnet. (2) Auf die Zeit der Freistellung wird Urlaub aus der Haft (§§ 13, 35) angerechnet, soweit er in die Arbeitszeit fällt und nicht wegen einer lebensgefährlichen Erkrankung oder des Todes eines Angehörigen erteilt worden ist. (3) Der Gefangene erhält für die Zeit der Freistellung seine zuletzt gezahlten Bezüge weiter. (4) Urlaubsregelungen der Beschäftigungsverhältnisse außerhalb des Strafvollzuges bleiben unberührt. VV 1 § 42 Abs. 1 StVollzG gewährt einen Anspruch auf Freistellung von der Arbeitspflicht, sobald der Gefangene innerhalb eines zu einem beliebigen Zeitpunkt beginnenden Zeitraumes von einem Jahr seine Arbeitspflicht erfüllt hat. 2 Auf das Jahr (§ 42 Abs. 1 StVollzG) werden ferner angerechnet a) Zeiten, in denen der Gefangene Verletztengeld nach § 47 Abs. 6 SGB VII erhalten hat, b) Zeiten, in denen der Gefangene aus anderen als Krankheitsgründen eine Tätigkeit nach § 42 Abs. 1 StVollzG nicht ausgeübt hat, in der Regel bis zu drei Wochen jährlich, wenn dies angemessen erscheint, c) Zeiten einer Freistellung von der Arbeitspflicht und Urlaub aus der Haft, der nach § 42 Abs. 2 StVollzG anzurechnen ist, d) Zeiten einer Freistellung von der Arbeit nach § 43 Abs. 6 StVollzG und Arbeitsurlaub nach § 43 Abs. 7 StVollzG. 3 (1) Als Werktage (§ 42 Abs. 1 Satz 1 StVollzG) gelten alle Kalendertage, die nicht Sonnoder gesetzliche Feiertage sind. Laubenthal
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(2) Erkrankt ein Gefangener während der Freistellung von der Arbeitspflicht, werden die Tage der Arbeitsunfähigkeit auf die Zeit der Freistellung nicht angerechnet. 4 (1) Die Freistellung kann nur innerhalb eines Jahres nach Vorliegen der Voraussetzungen in Anspruch genommen werden. (2) Eine erneute Freistellung kann frühestens ein Jahr nach Vorliegen der Voraussetzungen für die vorhergehende Feistellung und in der Regel frühestens drei Monate nach der letzten Freistellung in Anspruch genommen werden. 5 Die Freistellung von der Arbeitspflicht ist von dem Gefangenen mindestens einen Monat vorher schriftlich zu beantragen. 6 Bei der Festsetzung des Zeitpunkts der Freistellung sind die betrieblichen Belange, der Stand einer Aus- oder Weiterbildungsmaßnahme und die Möglichkeiten der Vollzugsgestaltung während der Freistellungszeit zu berücksichtigen. 7 Der Berechnung der Bezüge nach § 42 Abs. 3 StVollzG ist der Durchschnitt der letzten drei abgerechneten Monate vor der Freistellung, in denen der Gefangene im Vollzug der Freiheitsstrafe tätig war, zu Grunde zu legen. 8 Für Gefangene, die nach § 41 Abs. 1 Satz 3 StVollzG oder § 175 StVollzG nicht zur Arbeit verpflichtet sind, gelten § 42 StVollzG und Nrn. 1 bis 7 entsprechend. Schrifttum S. vor § 37.
I. II.
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Übersicht Allgemeine Hinweise ____ 1–3 Erläuterungen ____ 4–15 1. Rechtsanspruch auf Freistellung ____ 4 2. Voraussetzung der einjährigen Tätigkeit ____ 5–9 3. Umfang des Freistellungsanspruchs ____ 10 4. Anrechnung eines gewährten Urlaubs ____ 11 5. Freistellung als Behandlungsmaßnahme ____ 12 6. Weiterzahlung von Bezügen ____ 13
III.
7. Geltung für nicht zur Arbeit Verpflichtete ____ 14 8. Vollzugsexterne Beschäftigungsverhältnisse ____ 15 Landesgesetze und Musterentwurf ____ 16–21 1. Baden-Württemberg ____ 16 2. Bayern ____ 17 3. Hamburg ____ 18 4. Hessen ____ 19 5. Niedersachsen ____ 20 6. Musterentwurf ____ 21
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Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
I. Allgemeine Hinweise 1
a) Die Fassung des Abs. 1 gilt seit dem 1.1.1980 (§ 198 Abs. 2). Bis dahin bestand eine Übergangsfassung aus § 199 Abs. 1 Nr. 1, die es (als Kann-Vorschrift) den Vollzugsbehörden bei deren Ermessensentscheidungen in einer Art Vorlaufzeit ermöglichte, das Institut einer Freistellung von der Arbeitspflicht mit seinen organisatorischen, personellen und finanziellen Voraussetzungen und Auswirkungen in den ersten Jahren nach Inkrafttreten des StVollzG zu erproben, ohne es sogleich in jeder Anstalt und für alle Gefangenen durchführen zu müssen. Seit der Neufassung des § 43 durch Art. 1 des 5. StVollzGÄndG vom 27.12.2000 (BGBl. I, 2043) mit Wirkung vom 1.1.2001 kennt das Gesetz über die Regelung des § 42 hinausgehend und unabhängig von den in dieser Norm festgelegten Voraussetzungen auch die Möglichkeit einer Freistellung von der Arbeit als eine nicht-monetäre Komponente der Entlohnung zugewiesener Pflichtarbeit. Gem. § 43 Abs. 1 kann diese zusätzlich zur arbeitsfreien Zeit i. S. d. § 42 als Arbeitsurlaub genutzt werden. § 43 Abs. 6 Satz 2 stellt klar, dass eine Freistellung nach § 43 unabhängig von derjenigen des § 42 zu beachten ist.
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b) Das Rechtsinstitut der Freistellung von der Arbeitspflicht entspricht dem bezahlten Urlaub im Arbeitsleben außerhalb des Vollzugs und ist somit eine Konkretisierung des allgemeinen Angleichungsgrundsatzes gem. § 3 Abs. 1 im Bereich der Arbeitswelt. Die Regelung geht davon aus, dass der Strafgefangene ebenso wie jeder in Freiheit arbeitende Mensch der körperlichen, geistigen und seelischen Erholung bedarf, wenn er längere Zeit hintereinander gearbeitet hat. Die arbeitsfreie Ferienzeit soll dem Ausruhen, der Entspannung und der Regeneration dienen und damit der Erhaltung von Arbeitskraft. Der Gefangene soll darüber hinaus an den normalen Arbeitsrhythmus außerhalb des Vollzugs gewöhnt bleiben (oder werden) und damit die Fähigkeiten für seine soziale Eingliederung in das Arbeitsleben nach der Entlassung stärken (BVerfGE 66, 199 = NStZ 1984, 572 m. Anm. Großkelwing). Zugleich stellt die Freistellung von der Arbeitspflicht i. S. d. § 42 eine Gegenleistung für erbrachte und – bei Fortdauer des Vollzugs – weiterhin zu erbringende Arbeit dar (OLG Nürnberg NStZ 1991, 102).
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c) Die Freistellung von der Arbeit deckt sich nicht mit dem Urlaub aus der Haft i. S. d. § 13. § 42 lässt offen, ob der Gefangene die Zeit der Freistellung innerhalb oder außerhalb der Anstalt verbringt. Um die Anstalt während der Freistellungszeit verlassen zu können, müssen zusätzlich die besonderen Voraussetzungen für eine Gewährung entsprechender Vollzugslockerungen nach § 11 oder für einen Hafturlaub gem. § 13 gegeben sein. II. Erläuterungen
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1. Rechtsanspruch auf Freistellung. Der gem. § 37 oder § 41 Abs. 1 Satz 2 arbeitende oder sich in Aus- bzw. Weiterbildung befindliche Gefangene hat bei Vorliegen der Voraussetzungen einen Rechtsanspruch auf Freistellung von der Arbeitspflicht und somit gem. Abs. 3 auf bezahlte arbeitsfreie Zeit (OLG Karlsruhe NStZ 1981, 455). Die Geltendmachung des Anspruchs kann jedoch gegen den auch im öffentlichen Recht geltenden Grundsatz von Treu und Glauben verstoßen, wenn der Gefangene sich nach Entstehen des Anspruchs beharrlich weigert, seiner Arbeitspflicht gem. § 41 weiterhin nachzukommen (LG Regensburg NStZ 1981, 40 auch unter Hinweis auf die Gesetzesmaterialien sowie NStZ 1990, 303; ebenso OLG Nürnberg NStZ 1991, 102 m. zust. Anm. Molketin; zu Disziplinarmaßnahmen bei beharrlicher Arbeitsverweigerung § 102 Rdn. 14). Laubenthal
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2. Voraussetzung der einjährigen Tätigkeit a) Voraussetzung des Freistellungsanspruchs ist eine einjährige Tätigkeit gem. § 37 5 oder Hilfstätigkeit gem. § 41 Abs. 1 Satz 2. Insoweit gilt nicht das Kalenderjahr, sondern die Jahresfrist beginnt mit dem Tag, an dem der Gefangene die ihm nach § 37 zugewiesene Beschäftigung oder die Hilfstätigkeit gem. § 41 Abs. 1 Satz 2 erstmals aufnimmt (vgl. VV Nr. 1; s. zur Berechnung noch VV Nr. 2 und 3), also bei jedem Gefangenen jeweils individuell mit der Arbeitsaufnahme, weil es anders als nach § 1 BUrlG keine Gleichsetzung von Urlaubs- und Kalenderjahr gibt (LG Hamburg NStZ 1992, 103). b) Die auf das individuelle Beschäftigungsjahr anrechenbaren arbeitsfreien Zei- 6 ten, die so berücksichtigt werden, als hätte der Gefangene tatsächlich gearbeitet, sind umstritten. Gesetzlich ist lediglich bestimmt, dass bis zu sechs Wochen jener Zeiten auf das Jahr angerechnet werden, in denen der Gefangene infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert war (Abs. 1 Satz 2). Damit wirken sich bis zu 30 krankheitsbedingte Ausfalltage im Jahr auf den Freistellungsanspruch nicht verzögernd aus. Neben dieser verbindlichen und abschließenden Regelung der zwingenden Anrechnung einer Arbeitsverhinderung durch Krankheit ist jedoch eine mögliche Berücksichtigung sonstiger Fehlzeiten nicht ausgeschlossen (a. A. OLG Hamm ZfStrVo 1982, 53); so sind z. B. nach Auffassung des OLG Nürnberg (NStZ 1995, 382) Zeiten, in denen der Unterricht aus von den Strafgefangenen nicht zu vertretenden Gründen ausfällt, bei der Berechnung des Freistellungsanspruchs zu berücksichtigen, da neben dem Unterricht auch die „häusliche“ Beschäftigung mit dem Lehrmaterial als Ausbildung i. S. d. § 37 Abs. 3 anzusehen ist. Inwieweit sonstige Fehlzeiten berücksichtigt werden, steht im pflichtgemäßen Ermessen der Vollzugsbehörden (vgl. dazu BGHSt 35, 95, 98; OLG Celle StV 1982, 28, 29; OLG Karlsruhe ZfStrVo 1982, 52, 53; Arloth 2011 Rdn. 4; Laubenthal 2011 Rdn. 411), welches durch die über die gesetzliche Regelung hinausgehenden Tatbestände in VV Nr. 2 jedoch grundsätzlich gebunden ist. So kommt es etwa zu einer unbegrenzten Anrechnung von Zeiten, in denen der Inhaftierte gem. § 47 Abs. 6 SGB VII Verletztengeld bezogen hat. Soweit es angemessen erscheint, können ferner Zeiten einer Freistellung von der Arbeitspflicht und Hafturlaub i. S. d. §§ 13, 35 in der Arbeitszeit, Freistellungen und Arbeitsurlaub nach § 43 Abs. 7 sowie sonstige Fehlzeiten von bis zu drei Wochen jährlich angerechnet werden. Allerdings darf hinsichtlich der Fälle gem. VV Nr. 2 Buchstabe b – über die Verwaltungsvorschrift hinausgehend – im Ausnahmefall sogar eine absolute Obergrenze von 30 Arbeitstagen zugrunde gelegt werden (OLG Stuttgart ZfStrVo 1987, 298). Eine großzügigere Anrechnung verbietet sich, da diese Grenze schon bei krankheitsbedingten Ausfalltagen, in denen die Fehltage unter Umständen zu keiner oder nur geringer Erholung führen konnten (zum Zweck der Vorschrift Rdn. 2), gem. Abs. 1 Satz 2 zu beachten ist (vgl. aber OLG Koblenz ZfStrVo 1992, 197). Auch verschuldete Fehlzeiten (z. B. durch Arrestvollzug versäumte Arbeitszeit) 7 dürfen zumindest dann nicht zur Versagung der Freistellung führen, wenn bei dem Verhältnis der Dauer von Arbeitsleistung (Anwartschaftszeit) und Arbeitssäumnis sowie dem Zeitpunkt Letzterer im Einzelfall die Verweigerung bezahlten Arbeitsurlaubs willkürlich und unverhältnismäßig wäre (BVerfGE 66, 199 = NStZ 1984, 572 m. Anm. Großkelwing). Anderenfalls käme die Versagung in solchen Fällen einer zusätzlichen Sanktion für Fehlverhalten gleich, obwohl das StVollzG die zulässigen Disziplinarmaßnahmen bei schuldhaften Pflichtverstößen abschließend regelt und in § 103 der Entzug des Freistellungsanspruchs nicht aufgeführt ist. I. d. R. wird die Anrechnung verschuldeter Fehlzeiten (insbesondere Arbeitsverweigerung, Disziplinarverstöße und -maßnahmen) allerdings nicht angemessen sein (vgl. VV Nr. 2 Buchstabe b). Hinzu kommt, dass die Nichtanrech479
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nung einer Fehlzeit regelmäßig nicht die Jahresfrist unterbricht (BGHSt 35, 95), was eine zurückhaltende Ausweitung der Anrechnungsmöglichkeiten rechtfertigt (Arloth 2011 Rdn. 4). 8
c) Für den Fall, dass mehr als sechs Wochen aus Krankheitsgründen (Abs. 1 Satz 2) und/oder mehr als drei Wochen aus anderen als Krankheitsgründen (VV Nr. 2 Buchstabe b) zu Fehlzeiten führen, welche eine Arbeitszeit von weniger als einem Jahr ergeben, sieht das Gesetz keine anteilige Freistellung vor (BGHSt 35, 93, dazu Pfister NStZ 1988, 117f; s. auch OLG Hamm NStZ 1986, 527; OLG Stuttgart ZfStrVo 1987, 298; Arloth 2011 Rdn. 3; Laubenthal 2011 Rdn. 412; Sigel, 1985, 276). Jedoch führt die Überschreitung von an sich anrechenbaren Fehlzeiten oder das Vorhandensein von nicht anrechenbaren (verschuldeten; s. Rdn. 7) Fehlzeiten nicht zur Unterbrechung der Jahresfrist mit Verlust der bis dahin erarbeiteten Anwartschaftszeiten. Vielmehr tritt eine Hemmung der Jahresfrist ein, so dass der Gefangene durch zeitlich entsprechende Fortsetzung seiner Tätigkeit die Voraussetzung für den Freistellungsanspruch noch erfüllen kann (BGHSt 35, 95). Anderes gilt, wenn die geleistete Arbeit auch bei großzügiger Betrachtungsweise nicht mehr den Zusammenhang mit „einem Jahr“ wahrt (OLG Hamm ZfStrVo 1989, 312). Anderenfalls würden die mit dem Institut der Freistellung verfolgten Zielsetzungen der Periodisierung des Arbeitslebens und der Erholung (s. Rdn. 2) außer Acht gelassen. Damit führt eine bloße Addierung von geleisteten Arbeitstagen bis zum Erreichen einer für ein Jahr erforderlichen Summe ohne Rücksicht auf die Dauer der Fehlzeiten zu keiner automatischen Gewährung einer Freistellung.
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d) Der Gefangene muss die vorausgesetzten Tätigkeiten ein Jahr lang auch tatsächlich ausgeübt haben. Eine bloße Arbeitsbereitschaft genügt aus den unter Rdn. 2 dargelegten Gründen nicht (Arloth 2011 Rdn. 3; a. A. LG Essen NStZ 2008, 680). Während der sog. Betriebsferien in Eigen- oder Unternehmerbetrieben der Anstalten, in denen nicht oder nur teilweise gearbeitet wird, sind die Gefangenen nicht von einer ihnen zugewiesenen Tätigkeit freigestellt. Vielmehr sind sie in dieser Zeit unbeschäftigt, weil eine Beschäftigung nicht möglich ist. Infolgedessen fehlt es auch an einer Pflicht zur Weiterzahlung der früheren Bezüge. Eine Freistellung könnte nur im Einzelfall bei Vorliegen aller Voraussetzungen vor dem Beginn der Betriebsferien für diese Zeit erfolgen.
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3. Umfang des Freistellungsanspruchs. Der Freistellungsanspruch umfasst 18 Werktage. Das entsprach bei Erlass des StVollzG dem Mindesturlaubsanspruch im BUrlG in der Fassung vom 29.10.1974 (BGBl. I, 2879). Der Erhöhung des Mindesturlaubs in § 3 Abs. 1 BUrlG hat der Gesetzgeber für den Bereich der Freistellung nach § 42 nicht entsprochen. Auch eine über 18 Tage hinausgehende – etwa für Schwerbehinderte nach § 125 SGB IX – Freistellung ist ausgeschlossen. Körperlichen Behinderungen ist im Strafvollzug gem. § 41 Abs. 1 Satz 1 StVollzG dadurch Rechnung zu tragen, dass dem Gefangenen eine seinen körperlichen Fähikgeiten entsprechende Arbeit zugewiesen wird (OLG Koblenz ZfStrVo 1987, 187). Als Werktage i. S. von § 42 Abs. 1 Satz 1 gelten alle Kalendertage, die nicht Sonn- oder gesetzliche Feiertage sind (VV Nr. 3 Abs. 1), also auch Samstage (OLG Stuttgart ZfStrVo 1982, 127; OLG Hamm ZfStrVo 1983, 124; Arloth 2011 Rdn. 5). Mithin kann der Gefangene bei in den Freistellungszeitraum fallenden arbeitsfreien Samstagen, die kein gesetzlicher Feiertag sind, eine Vergütung nicht verlangen. – Im Übrigen enthalten die VV im Interesse einer bundeseinheitlichen Handhabung Einzelheiten zum Verfahren von der Antragsfrist bis zur Durchführung (vgl. VV Nr. 4 bis 6). Insbesondere muss nach VV Nr. 4 Abs. 2 die Freistellung vollständig innerhalb eines Laubenthal
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Jahres genommen werden; eine Übertragung von Freistellungsresten auf das nächste Jahr ist nicht vorgesehen. 4. Anrechnung eines gewährten Urlaubs. Auf die Freistellungszeit wird nach 11 Abs. 2 ein gewährter Urlaub aus der Haft gem. § 13 und § 35 angerechnet, soweit er in die Arbeitszeit fällt. Hat der Gefangene seinen Regelurlaub gem. § 13 z. B. jedoch auf seinen Antrag – wie in vielen Fällen üblich – ausschließlich am Sonnabend und Sonntag bzw. über gesetzliche Feiertage genommen, entfällt mithin eine Anrechnung. Sie unterbleibt ferner beim Sonderurlaub aus wichtigem Anlass gem. § 35 Abs. 1 dann, wenn der Urlaubsgrund eine lebensgefährliche Erkrankung oder der Tod eines Angehörigen war. Ergänzend ist in VV Nr. 3 Abs. 2 bestimmt, dass im Falle der Erkrankung eines Gefangenen während der Freistellung von der Arbeitspflicht die Tage der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit nicht auf die Zeit der Freistellung angerechnet werden. 5. Freistellung als Behandlungsmaßnahme. Die Freistellung ist eine Behand- 12 lungsmaßnahme und darf im konkreten Fall nicht im Widerspruch zu anderen Behandlungsmaßnahmen stehen. Es bedarf, worauf auch VV Nr. 6 hinweist, einer Einbeziehung in die Vollzugsplanung (§ 7) mit der möglichen Folge im Einzelfall, dass bei (etwa wiederholter) Gewährung von Urlaub für einen Arbeitstag je Woche auch auf Antrag des Gefangenen der Freistellungsanspruch auf die einzelnen Urlaubstage verteilt werden kann – und zwar entgegen dem sog. Stückelungsverbot des Urlaubsanspruchs (vgl. § 7 Abs. 2 BUrlG). Bei nicht lockerungsfähigen Gefangenen bleibt dagegen das Prinzip der zusammenhängenden Freistellungsgewährung anwendbar. Für diese Gefangenen gilt VV Nr. 4 Abs. 2 (vgl. auch AK-Däubler/Galli 2012 Rdn. 21). Bei solchen freigestellten Inhaftierten, die die Anstalt während der Freistellungszeit nicht im Wege von Vollzugslockerungen oder Hafturlaub verlassen können (Rdn. 3), sollte für eine sinnvolle Freizeitgestaltung in der Anstalt Sorge getragen werden. 6. Weiterzahlung von Bezügen. Nach Abs. 3 erhält der Gefangene für die Zeit der 13 Freistellung seine zuletzt gezahlten Bezüge weiter. Darunter fallen sowohl Arbeitsentgelt (§ 43) als auch Ausbildungsbeihilfe (§ 44). Der Begriff „zuletzt gezahlt“ lässt den Abrechnungszeitraum ausdrücklich offen, der je nach der vorhandenen Betriebs-, Arbeitsverwaltungs- oder Anstaltsorganisation eine oder mehrere Wochen, aber auch Tage oder Monate betragen kann. Einem davon abweichenden Abrechnungszeitraum gem. Abs. 3 steht nicht entgegen, dass aus anderen Gründen (z. B. wegen des zumeist monatlichen Zusatzeinkaufs und des dazu benötigten Hausgeldes gem. § 47) Teilbeträge des Arbeitsentgelts als periodische Abschlagszahlungen geleistet werden. Im Interesse einer bundeseinheitlichen Praxis legt VV Nr. 7 jedoch fest, dass der Berechnung der Bezüge der Durchschnitt der letzten drei abgerechneten Monate vor der Freistellung zugrunde zu legen ist. Bei der Ermittlung des täglichen Durchschnittsarbeitsentgelts ist nicht die SollArbeitszeit, sondern die tatsächlich erbrachte Arbeitszeit des betreffenden Strafgefangenen ausschlaggebend; allerdings sind vom Gefangenen nicht zu vertretende Ausfallzeiten (z. B. Besuchszeiten, Behandlungsgespräche, Anhörungen) nicht zu seinem Nachteil zu verwerten (OLG Hamm ZfStrVo 1996, 47). 7. Geltung für nicht zur Arbeit Verpflichtete. Wird Gefangenen, die gem. § 41 14 Abs. 1 Satz 3 oder im Vollzug von Zivilhaft nach § 175 nicht zur Arbeit verpflichtet sind, gleichwohl auf ihren Wunsch eine Tätigkeit gem. § 37 oder § 41 Abs. 1 Satz 2 zugewiesen, so gelten für sie die Regelungen des § 42 einschließlich der VV Nr. 1 bis 7 entsprechend. Wenn die Voraussetzungen von § 42 Abs. 1 und 2 vorliegen, ist auch ihnen 481
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eine Freistellung von der Arbeit zu gewähren, worauf VV Nr. 8 ausdrücklich hinweist. Das gilt jedoch nicht für Untersuchungsgefangene. Auch haben Strafgefangene (BGHSt 35, 112 = NStZ 1988, 150 mit Besprechung Pfister NStZ 1988, 117, 118) keinen Anspruch auf Anrechnung von während vorangegangener Untersuchungshaft geleisteter Arbeit. Der BGH verweist insoweit auf das in § 42 Abs. 1 Satz 1 normierte Erfordernis einer Tätigkeit nach § 37 bzw. einer Hilfstätigkeit gem. § 41 Abs. 1 Satz 2. Die Zuweisung zu diesen Beschäftigungen korrespondiert mit der Arbeitspflicht des § 41 Abs. 1 Satz 1. Übt der Untersuchungsgefangene eine Arbeit aus, handelt es sich nicht um eine Tätigkeit i. S. d. §§ 37 oder 41. Auch das BVerfG (NStZ 2004, 514 m. Anm. Rotthaus) geht davon aus, dass der Gesetzgeber mit Rücksicht auf die unterschiedliche Bedeutung der Arbeit nach den Zweckbestimmungen von Straf- bzw. Untersuchungshaft nicht gehalten ist, die von erwachsenen Untersuchungsgefangenen geleistete Arbeit in gleicher Weise wie die Arbeit von Strafgefangenen anzuerkennen (zur Arbeit in Untersuchungshaft s. Willsch, in: Ostendorf (Hrsg.) Untersuchungshaft und Abschiebehaft 2012, 145 ff). 15
8. Vollzugsexterne Beschäftigungsverhältnisse. Urlaubsregelungen der Beschäftigungsverhältnisse außerhalb des Strafvollzugs bleiben gem. Abs. 4 unberührt. Dies gilt für die freien Beschäftigungsverhältnisse (§ 39) mit ihren jeweiligen vertraglichen Vereinbarungen und arbeitsrechtlichen Regelungen. Die Bestimmung ist auch im Interesse der Arbeitgeber bzw. Ausbilder in den Betrieben außerhalb des Vollzugs notwendig, deren betriebliche Organisation nicht mit Rücksicht auf den Gefangenen geändert werden kann. III. Landesgesetze und Musterentwurf
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1. Baden-Württemberg. § 48 JVollzGB III entspricht ohne inhaltliche Änderung § 42 StVollzG.
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2. Bayern. Art. 45 BayStVollzG entspricht, abgesehen von den geänderten Verweisungen auf Landesrecht sowie der Abfassung im Plural, weitestgehend § 42 StVollzG.
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3. Hamburg. § 39 Abs. 1 Satz 1 und 2 HmbStVollzG entspricht dem Grundsatz des § 42 Abs. 1 StVollzG. Die Gesetzesbegründung führt dazu aus: „Absatz 1 übernimmt strukturell die Regelung des § 42 Abs. 1 StVollzG, verändert mit Blick auf die neue Regelung der Freistellung von der Haft in § 41 aber den Referenzzeitraum für die Berechnung der Freistellung von der Arbeitspflicht, indem statt eines Jahres zukünftig sechs Monate zugrunde gelegt werden“ (LT-Drucks. 18/6490, 42). Pro Jahr werden bis zu 22 Freistellungstage gewährt. Abs. 1 Satz 3 lautet: „Auf die Zeit der Freistellung von der Arbeitspflicht werden Lockerungen nach § 12 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 angerechnet, soweit sie in die Arbeitszeit fallen.“ § 39 Abs. 2 HmbStVollzG bestimmt: „Die Freistellung von der Arbeitspflicht kann nur innerhalb von sechs Monaten nach Ablauf eines Berechnungszeitraumes in Anspruch genommen werden. Die Gesamtdauer der Freistellungen von der Arbeitspflicht innerhalb eines Jahres darf einundzwanzig Arbeitstage nicht übersteigen.“ Die Gesetzesbegründung sagt dazu: „Absatz 2 übernimmt VV Nummer 4 zu § 42 StVollzG in das Gesetz, berücksichtigt aber auch hier den veränderten Referenzzeitraum von sechs Monaten“ (LTDrucks. 18/6490, 42). § 39 Abs. 3 und 4 HmbStVollzG entsprechen Abs. 3 und 4 der Bundesnorm.
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4. Hessen. § 27 Abs. 9 HStVollzG enthält eine § 42 StVollzG entsprechende Regelung. 19 Die Landesnorm geht dabei anders als die bundesrechtliche Regelung von einem Referenzzeitraum von sechs Monaten aus und gewährt eine Freistellung für die Dauer von zehn Arbeitstagen. Im Vergleich zu der Rechtslage nach Bundesrecht ist in Bezug auf den Zeitraum von einem Jahr die Freistellungsdauer von 18 auf 20 Tage erhöht. 5. Niedersachsen. § 39 Abs. 1 bis 4 NJVollzG lauten: „(1) Hat die oder der Gefangene 20 ein Jahr lang eine zugewiesene Tätigkeit ausgeübt, so kann sie oder er beanspruchen, für die Dauer des jährlichen Mindesturlaubs nach § 3 Abs. 1 des Bundesurlaubsgesetzes von der Arbeitspflicht freigestellt zu werden; Zeiträume von unter einem Jahr bleiben unberücksichtigt. Die Freistellung kann nur innerhalb eines Jahres nach Entstehung des Freistellungsanspruchs in Anspruch genommen werden. Auf die Frist nach Satz 1 werden Zeiten, 1. in denen die oder der Gefangene infolge Krankheit an ihrer oder seiner Arbeitsleistung gehindert war, mit bis zu sechs Wochen jährlich, 2. in denen die oder der Gefangene Verletztengeld nach § 47 Abs. 6 des Siebten Buchs des Sozialgesetzbuchs erhalten hat, 3. in denen die oder der Gefangene nach Satz 1 oder nach § 40 Abs. 5 von der Arbeitspflicht freigestellt war und 4. die nach Absatz 3 auf die Freistellung angerechnet werden oder in denen die oder der Gefangene nach § 40 Abs. 6 beurlaubt war, angerechnet. Zeiten, in denen die oder der Gefangene ihrer oder seiner Arbeitspflicht aus anderen Gründen nicht nachgekommen ist, können in angemessenem Umfang angerechnet werden. Erfolgt keine Anrechnung nach Satz 3 oder 4, so wird die Frist für die Dauer der Fehlzeit gehemmt. Abweichend von Satz 5 wird die Frist durch eine Fehlzeit unterbrochen, die unter Berücksichtigung des Vollzugszieles nach § 5 Satz 1 außer Verhältnis zur bereits erbrachten Arbeitsleistung steht. (2) Der Zeitraum der Freistellung muss mit den betrieblichen Belangen vereinbar sein. (3) Auf die Zeit der Freistellung wird Urlaub nach § 13 oder 14 Abs. 1 angerechnet, soweit er in die Arbeitszeit fällt und nicht wegen einer lebensgefährlichen Erkrankung oder des Todes Angehöriger gewährt worden ist. (4) Der oder dem Gefangenen wird für die Zeit der Freistellung das Arbeitsentgelt oder die Ausbildungsbeihilfe fortgezahlt. Dabei ist der Durchschnitt der letzten drei abgerechneten Monate zugrunde zu legen.“ In der Gesetzesbegründung heißt es dazu: „Die Absätze 1 bis 4 entsprechen bis auf redaktionelle Änderungen der Fassung des § 42 Abs. 1 bis 4 StVollzG“ (LT-Drucks. 15/3565, 122). Partiell in Abs. 1 und 2 der landesgesetzlichen Regelung integriert wurde die VV zu § 42 StVollzG. Abs. 5 NJVollzG entspricht § 42 Abs. 4 StVollzG. 6. Musterentwurf. § 24 Abs. 1 Satz 1 und 2 ME-StVollzG entspricht im Wesentlichen 21 § 42 Abs. 1 StVollzG. Die Wartezeit wird von einem auf ein halbes Jahr verkürzt; es werden bis zu 20 Freistellungstage pro Jahr gewährt. § 24 Abs. 1 Satz 3 ME-StVollzG lautet: „Der Anspruch verfällt, wenn die Freistellung nicht innerhalb eines Jahres nach seiner Entstehung erfolgt ist.“ Abs. 3 und 4 korrespondieren mit § 42 Abs. 3 und 4 StVollzG. Nach § 24 Abs. 5 ME-StVollzG besteht auch für schulische und berufliche Qualifizierungsmaßnahmen ein Anspruch auf Freistellung, „sofern diese den Umfang der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit erreichen“.
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Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
Arbeitsentgelt, -urlaub u. Anrechnung der Freistellung auf den Entlassungszeitpunkt
§ 43 Arbeitsentgelt, Arbeitsurlaub und Anrechnung der Freistellung auf den Entlassungszeitpunkt § 43 Laubenthal (1) Die Arbeit des Gefangenen wird anerkannt durch Arbeitsentgelt und eine Freistellung von der Arbeit, die auch als Urlaub aus der Haft (Arbeitsurlaub) genutzt oder auf den Entlassungszeitpunkt angerechnet werden kann. (2) Übt der Gefangene eine zugewiesene Arbeit, sonstige Beschäftigung oder eine Hilfstätigkeit nach § 41 Abs. 1 Satz 2 aus, so erhält er ein Arbeitsentgelt. Der Bemessung des Arbeitsentgelts ist der in § 200 bestimmte Satz der Bezugsgröße nach § 18 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch zugrundezulegen (Eckvergütung). Ein Tagessatz ist der zweihundertfünfzigste Teil der Eckvergütung; das Arbeitsentgelt kann nach einem Stundensatz bemessen werden. (3) Das Arbeitsentgelt kann je nach Leistung des Gefangenen und der Art der Arbeit gestuft werden. 75 vom Hundert der Eckvergütung dürfen nur dann unterschritten werden, wenn die Arbeitsleistungen des Gefangenen den Mindestanforderungen nicht genügen. (4) Übt ein Gefangener zugewiesene arbeitstherapeutische Beschäftigung aus, erhält er ein Arbeitsentgelt, soweit dies der Art seiner Beschäftigung und seiner Arbeitsleistung entspricht. (5) Das Arbeitsentgelt ist dem Gefangenen schriftlich bekanntzugeben. (6) Hat der Gefangene zwei Monate lang zusammenhängend eine zugewiesene Tätigkeit nach § 37 oder eine Hilfstätigkeit nach § 41 Abs. 1 Satz 2 ausgeübt, so wird er auf seinen Antrag hin einen Werktag von der Arbeit freigestellt. Die Regelung des § 42 bleibt unberührt. Durch Zeiten, in denen der Gefangene ohne sein Verschulden durch Krankheit, Ausführung, Ausgang, Urlaub aus der Haft, Freistellung von der Arbeitspflicht oder sonstige nicht von ihm zu vertretende Gründe an der Arbeitsleistung gehindert ist, wird die Frist nach Satz 1 gehemmt. Beschäftigungszeiträume von weniger als zwei Monaten bleiben unberücksichtigt. (7) Der Gefangene kann beantragen, dass die Freistellung nach Absatz 6 in Form von Urlaub aus der Haft gewährt wird (Arbeitsurlaub). § 11 Abs. 2, § 13 Abs. 2 bis 5 und § 14 gelten entsprechend. (8) § 42 Abs. 3 gilt entsprechend. (9) Stellt der Gefangene keinen Antrag nach Absatz 6 Satz 1 oder Absatz 7 Satz 1 oder kann die Freistellung nach Maßgabe der Regelung des Absatzes 7 Satz 2 nicht gewährt werden, so wird die Freistellung nach Absatz 6 Satz 1 von der Anstalt auf den Entlassungszeitpunkt des Gefangenen angerechnet. (10) Eine Anrechnung nach Absatz 9 ist ausgeschlossen, 1. soweit eine lebenslange Freiheitsstrafe oder Sicherungsverwahrung verbüßt wird und ein Entlassungszeitpunkt noch nicht bestimmt ist, 2. bei einer Aussetzung der Vollstreckung des Restes einer Freiheitsstrafe oder einer Sicherungsverwahrung zur Bewährung, soweit wegen des von der Entscheidung des Gerichts bis zur Entlassung verbleibenden Zeitraums eine Anrechnung nicht mehr möglich ist, 3. wenn dies vom Gericht angeordnet wird, weil bei einer Aussetzung der Vollstreckung des Restes einer Freiheitsstrafe oder einer Sicherungsverwahrung zur Bewährung die Lebensverhältnisse des Gefangenen oder die Wirkungen, die von der Aussetzung für ihn zu erwarten sind, die Vollstreckung bis zu einem bestimmten Zeitpunkt erfordern, Laubenthal
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4.
wenn nach § 456 a Abs. 1 der Strafprozessordnung von der Vollstreckung abgesehen wird, 5. wenn der Gefangene im Gnadenwege aus der Haft entlassen wird. (11) Soweit eine Anrechnung nach Absatz 10 ausgeschlossen ist, erhält der Gefangene bei seiner Entlassung für seine Tätigkeit nach Absatz 2 als Ausgleichsentschädigung zusätzlich 15 vom Hundert des ihm nach den Absätzen 2 und 3 gewährten Entgelts oder der ihm nach § 44 gewährten Ausbildungsbeihilfe. Der Anspruch entsteht erst mit der Entlassung; vor der Entlassung ist der Anspruch nicht verzinslich, nicht abtretbar und nicht vererblich. Einem Gefangenen, bei dem eine Anrechnung nach Absatz 10 Nr. 1 ausgeschlossen ist, wird die Ausgleichszahlung bereits nach Verbüßung von jeweils zehn Jahren der lebenslangen Freiheitsstrafe oder Sicherungsverwahrung zum Eigengeld (§ 52) gutgeschrieben, soweit er nicht vor diesem Zeitpunkt entlassen wird; § 57 Abs. 4 des Strafgesetzbuches gilt entsprechend. VV 1 (1) Verrichtet ein Gefangener während eines Abrechnungszeitraumes Tätigkeiten, die verschiedenen Vergütungsstufen zuzuordnen sind, so ist das Arbeitsentgelt aus der Vergütungsstufe zu ermitteln, die dem überwiegenden Teil der Tätigkeiten entspricht. Dies gilt nicht, wenn der Gefangene in verschiedenen Betrieben arbeitet. (2) Verrichtet ein Gefangener nicht nur vorübergehend eine anders bewertete Tätigkeit, so ist er mit Beginn des nächsten Abrechnungszeitraumes in die entsprechende Vergütungsstufe umzugruppieren. 2 (1) Das Arbeitsentgelt wird in der Form des Zeitlohnes oder des Leistungslohnes ermittelt. (2) Zeiten einer Einarbeitung können im Zeitlohn vergütet werden. (3) Im Zeitlohn kann der Satz der jeweiligen Vergütungsstufe unterschritten werden, wenn der Gefangene den Anforderungen der jeweiligen Vergütungsstufe nicht genügt. § 43 Abs. 3 Satz 2 StVollzG bleibt unberührt. 3 Neben dem Arbeitsentgelt können Leistungen für betriebliche Verbesserungsvorschläge gewährt werden. Der Anstaltsleiter entscheidet, ob eine Leistung für einen betrieblichen Verbesserungsvorschlag als Hausgeld, Überbrückungsgeld oder Eigengeld gutgeschrieben wird. 4 (1) Ein Beschäftigungszeitraum im Sinne des § 43 Abs. 6 Satz 1 StVollzG endet, wenn ein Gefangener aus von ihm verschuldeten Gründen seine Tätigkeit unterbricht. Mit der erneuten Arbeitsaufnahme beginnt die Frist von Neuem. (2) Wird die Zweimonatsfrist durch ein unverschuldetes Ereignis im Sinne des § 43 Abs. 6 Satz 3 StVollzG gehemmt, so verlängert sich der Zeitraum zur Erfüllung des Zweimonatszeitraums um die Zahl der ausgefallenen Arbeitstage. 485
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5 (1) Für die Gewährung der Freistellung von der Arbeit gelten Nr. 3 Abs. 2, Nr. 4 Abs. 1, Nrn. 5 und 6 der VV zu § 42 StVollzG entsprechend. (2) Als Werktage (§ 43 Abs. 6 Satz 1 StVollzG) gelten alle Kalendertage, die nicht Sonntage, gesetzliche Feiertage oder Samstage sind. Nr. 6 Abs. 2 gilt entsprechend. (3) Für die Berechnung der Bezüge nach § 43 Abs. 8 StVollzG gilt Nr. 7 VV zu § 42 StVollzG entsprechend. Sofern weniger als drei Monate abgerechnet sind, sind diese zu Grunde zu legen. 6 (1) Für Urlaub nach dem § 43 Abs. 7 StVollzG gilt § 35 Abs. 2 StVollzG entsprechend. Die VV zu §§ 11, 13 und 14 StVollzG gelten sinngemäß. (2) Mit Zustimmung der Gefangenen kann Arbeitsurlaub auch an Sonntagen, gesetzlichen Feiertagen und Samstagen gewährt werden. Schrifttum Britz Leistungsgerechtes Arbeitsentgelt für Strafgefangene?, in: ZfStrVo 1999, 195; Butzkies Die Pfändbarkeit von Geldforderungen an Strafgefangene, in: ZfStrVo 1996, 345; Calliess Die Neuregelung des Arbeitsentgelts im Strafvollzug, in: NJW 2001, 1692; Fluhr Zur Pfändbarkeit der Forderungen des Strafgefangenen, in: ZfStrVo 1989, 103; ders. Die Pfändbarkeit der Forderungen eines zum Freigang zugelassenen Strafgefangenen, in: NStZ 1994, 115; Hagemann Leistungsgerechte Entlohnung im Strafvollzug: das Hamburger Modell, in: MschrKrim 1995, 341; Hardes Förderung der beruflichen Weiterbildung im Justizvollzug nach den Vorschriften des SGB III, in: ZfStrVo 1998, 147; Jehle Arbeit und Entlohnung von Strafgefangenen, in: ZfStrVo 1994, 259; ders. Lohnt sich die Gefangenenarbeit? Grundsätzliche Fragen zu Arbeit und Entlohnung im Strafvollzug, in: Häußling/Reindl (Hrsg.), GS Busch, Pfaffenweiler 1995, 493; Konrad Pfändbarkeit der Geldforderungen von Strafgefangenen, in: ZfStrVo 1990, 203; Kruis/Wehowsky Fortschreibung der verfassungsrechtlichen Leitsätze zum Vollzug von Straf- und Untersuchungshaft, in: NStZ 1998, 593; Landau/Kunze/Poseck Die Neuregelung des Arbeitsentgelts im Strafvollzug, in: NJW 2001, 2611; Laubenthal Arbeitsverpflichtung und Arbeitsentlohnung des Strafgefangenen, in: Schlüchter (Hrsg.), FS Geerds, Lübeck 1995, 337; Lohmann Arbeit und Arbeitsentlohnung des Strafgefangenen, Frankfurt a. M. 2002; Musielak (Hrsg.) Kommentar zur Zivilprozessordnung, 9. Aufl., München 2012; Neu Wirtschaftsfaktor: Gefängnis, in: Neue Kriminalpolitik 2/1995, 35; ders. Betriebswirtschaftliche und volkswirtschaftliche Aspekte einer tariforientierten Gefangenenentlohnung, Berlin 1995; ders. Ökonomische Aspekte einer leistungsorientierten Arbeitsentlohnung im Strafvollzug – Gesetzliche Regelungen und derzeitige Realität, in: Kawamura/Reindl (Hrsg.), Wiedereingliederung Straffälliger: eine Bilanz nach 20 Jahren Strafvollzugsgesetz, Freiburg i. Br. 1998, 101; ders. Arbeitsentgelt im Strafvollzug: Neuregelung auf dem kleinsten Nenner, in: BewHi 2002, 83; Pörksen Neuregelung der Gefangenen-Entlohnung, in: Neue Kriminalpolitik 1/2001, 5; Radtke Die Zukunft der Arbeitsentlohnung von Strafgefangenen, in: ZfStrVo 2001, 4; Rauscher u. a. (Hrsg.) Münchener Kommentar zur Zivilprozessordnung, Bd. 2, 3. Aufl., München 2007; Schäfer Nichtmonetäre Entlohnung von Gefangenenarbeit, Frankfurt a. M. u. a. 2005; Schriever Praktische Erfahrungen mit § 43 StVollzG, in: ZfStrVo 2002, 86; Schüler-Springorum Angemessene Anerkennung als Arbeitsentgelt, in: Feuerhelm u. a. (Hrsg.), FS Böhm, Berlin – New York 1999, 219; Seidler/Schaffner/Kneip Arbeit im Vollzug; neue Wege in der Betriebsführung, in: ZfStrVo 1988, 328; Sigel Alternative Überlegungen zur Verbesserung der Gefangenenentlohnung, in: ZfStrVo 1995, 81; Ullenbruch Neuregelung des Arbeitsentgelts für Strafgefangene – Sand in die Augen des BVerfG?, in: ZRP 2000, 177. S. auch bei § 37.
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Arbeitsentgelt, -urlaub u. Anrechnung der Freistellung auf den Entlassungszeitpunkt
I. II.
Übersicht Allgemeine Hinweise ____ 1–5 Erläuterungen ____ 6–30 1. Monetäre Komponente ____ 6–17 a) Rechtsanspruch bei tatsächlich ausgeübter Arbeit ____ 6 b) Berechnungsmaßstab ____ 7 c) Bemessung von Tages- und Stundensatz ____ 8 d) Stufung des Arbeitsentgelts ____ 9, 10 e) Beispiel: Berechnung des Arbeitsentgelts für das Jahr 2012 ____ 11 f) Anwendbarkeit auf andere Haftarten ____ 12 g) Zusätzliche Prämien ____ 13 h) Schriftliche Mitteilung ____ 14 i) Zweckgebundene Aufteilung der Einkünfte ____ 15
III.
j) Pfändbarkeit des Arbeitsentgelts ____ 16, 17 2. Nicht-monetäre Komponente ____ 18–30 a) Freistellung von der Arbeit ____ 19–21 b) Arbeitsurlaub ____ 22, 23 c) Anrechnung auf Entlassungszeitpunkt ____ 24, 25 d) Ausgleichsentschädigung ____ 26–30 Landesgesetze und Musterentwurf ____ 31–36 1. Baden-Württemberg ____ 31 2. Bayern ____ 32 3. Hamburg ____ 33 4. Hessen ____ 34 5. Niedersachsen ____ 35 6. Musterentwurf ____ 36
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Arbeitsentgelt, -urlaub u. Anrechnung der Freistellung auf den Entlassungszeitpunkt
I. Allgemeine Hinweise § 43 regelt die Anerkennung der von Strafgefangenen geleisteten Pflichtarbeit 1 nach §§ 37, 41 Abs. 1 Satz 2. Die Vorschriften wurden durch Art. 1 Nr. 2 und 9 5. StVollzGÄndG vom 27.12.2000 (BGBl. I, 2043) neu gefasst und traten am 1.1.2001 in Kraft. Die Regelung ist die Konsequenz aus der Entscheidung des BVerfG vom 1.7.1998 (BVerfGE 98, 169), in welcher das Gericht die zuvor geltende Bemessung des Arbeitsentgelts als mit dem Resozialisierungsgebot unvereinbar erklärte und die Legislative zu einer angemessenen Anerkennung geleisteter Pflichtarbeit verpflichtete. Mit der Einführung eines Anspruchs auf Arbeitsentgelt bei Ausübung zugewie- 2 sener Arbeit, sonstiger Beschäftigung oder einer Hilfstätigkeit i. S. d. § 41 Abs. 1 Satz 2 StVollzG ging der Gesetzgeber davon aus, „dass der Vollzug der Freiheitsstrafe keine weiteren Einschränkungen für den Gefangenen mit sich bringen soll, als es für den Freiheitsentzug und die für die künftige straffreie Lebensführung erforderliche Behandlung notwendig ist. Die Gewährung eines echten Arbeitsentgelts ist darüber hinaus als wesentliches Mittel der Behandlung selbst zu verstehen, weil sie dem Gefangenen die Früchte seiner Arbeit vor Augen führt. Sie dient zugleich der Eingliederung, weil sie dem Gefangenen ermöglicht, zum Lebensunterhalt seiner Angehörigen beizutragen, Schaden aus seiner Straftat wieder gutzumachen und Ersparnisse für den Übergang in das normale Leben zurückzulegen“ (BT-Drucks. 7/918, 67). Die Arbeit in den Justizvollzugsanstalten ist jedoch im Gegensatz zu den Verhältnissen in der freien Wirtschaft Einschränkungen ausgesetzt, welche die Produktivität im Ergebnis verringern. Teilweise veraltete Betriebseinrichtungen, ein vollzugsbedingter häufiger Wechsel von Arbeitskräften, Einsatz an berufsfremden Arbeitsplätzen, die organisatorisch nicht zu vermeidende Durchführung besonderer Behandlungsmaßnahmen – auch während der Arbeitszeit – bedingen eine unterschiedliche Rentabilität. Der Gesetzgeber hielt daher die Festschreibung einer Entlohnung von Gefangenenarbeit nach ortsüblichen Tarifen für unangebracht und stellte eine niedrigere Bemessung durch Anknüpfung an das jeweilige durchschnittliche Arbeitsentgelt aller in der gesetzlichen Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten (ohne Auszubildende) Versicherten i. S. d. § 18 SGB IV her. Damit erhöht sich (mit einem Rückstand von zwei Jahren) der Arbeitslohn entsprechend den allgemeinen Einkommenssteigerungen. 487
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Der Gefangene erhielt jedoch bis zur Neuregelung der Arbeitsentlohnung durch das 5. StVollzGÄndG lediglich eine Eckvergütung, die nach § 200 Abs. 1 a. F. mit nur fünf vom Hundert der Bemessungsgröße nach § 18 SGB IV festgesetzt wurde. Der zweihundertfünfzigste Teil dieser Eckvergütung ergab dann den Tagessatz, wobei dieser im Jahr 2000 bei nur 10,75 DM (5,50 EUR) lag. Die aus § 200 Abs. 1 a.F. folgende niedrige Entlohnung der Gefangenenarbeit aus Rücksicht auf die Länderhaushalte sollte eigentlich vier Jahre nach In-Kraft-Treten des StVollzG ihr Ende finden. So bestimmte § 200 Abs. 2 a. F., dass über eine Erhöhung des fünfprozentigen Anteils an der Bezugsgröße i. S. d. § 18 SGB IV bis zum 31. Dezember 1980 befunden werden musste. Dieser eigenen Verpflichtung kam die Legislative allerdings nicht nach, so dass die ursprünglich geplante Zahlung des 250. Teils von 80% des durchschnittlichen Arbeitsentgelts aller Versicherten der Rentenversicherung nicht realisiert wurde. Sämtliche Anläufe zur Erhöhung des Prozentsatzes scheiterten (s. z. B. BT-Drucks. 8/3335, BR-Drucks. 637/80). Selbst eine geringfügige Anhebung auf 6% ließ sich nicht durchsetzen (s. BT-Drucks. 11/3694, 6, 13). Da § 200 Abs. 2 a. F. jedoch eine bloße Selbstbindung des Gesetzgebers enthielt, konnten die Strafgefangenen aus dieser Norm keinen Anspruch auf einen höheren Arbeitslohn herleiten (KG NStZ 1990, 608). Eine Verbesserung des Arbeitsentgelts wurde allerdings über Jahre hinweg anhand unterschiedlicher Modelle diskutiert (s. z. B. Jehle 1994, 266; Neu 1995, 105 ff; Sigel 1995, 81 ff) bzw. erprobt (s. Hagemann 1995, 343 ff). Die Möglichkeiten einer tatsächlich entscheidenden Reform zugunsten der Betroffenen blieben jedoch angesichts der fiskalischen Situation der Länderhaushalte eingeschränkt. Das geringere Arbeitsentgelt gem. §§ 43, 200 a. F. hatte mehrere Gefangene dazu veranlasst, Verfassungsbeschwerden einzulegen, nachdem Anträge auf tarifgerechte Entlohnung der jeweils von ihnen erbrachten Tätigkeiten erfolglos blieben. Eine Strafvollstreckungskammer legte dem BVerfG zudem im Wege des konkreten Normenkontrollverfahrens nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG die Frage der Arbeitsentlohnung zur Entscheidung vor. Das BVerfG fasste die Verfahren zu einer einheitlichen, am 1.7.1998 ergangenen Entscheidung zusammen (BVerfGE 98, 169). Das BVerfG geht in seinem Urteil von der Zulässigkeit von Zwangsarbeit im Vollzug 4 als Resozialisierungsmittel aus. Aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG folgert es allerdings, dass nur unter bestimmten Voraussetzungen die Auferlegung von Zwangsarbeit zur Resozialisierung dienen kann: „Arbeit im Strafvollzug, die dem Gefangenen als Pflichtarbeit zugewiesen wird, ist nur dann ein wirksames Resozialisierungsmittel, wenn die geleistete Arbeit angemessene Anerkennung findet. Diese Anerkennung muss nicht notwendig finanzieller Art sein. Sie muss freilich geeignet sein, dem Gefangenen den Wert regelmäßiger Arbeit für ein künftiges eigenverantwortetes und straffreies Leben in Gestalt eines für ihn greifbaren Vorteils vor Augen zu führen. Nur wenn der Gefangene eine solchermaßen als sinnvoll erlebbare Arbeitsleistung erbringen kann, darf der Gesetzgeber davon ausgehen, dass durch die Verpflichtung zur Arbeit einer weiteren Desozialisation des Gefangenen entgegengewirkt wird und dieser sich bei der Entwicklung beruflicher Fähigkeiten sowie bei der Entfaltung seiner Persönlichkeit auf ein positives Verhältnis zur Arbeit zu stützen vermag“ (BVerfGE 98, 169, 201). Dem Gesetzgeber wurde vom BVerfG ein weiter Spielraum eingeräumt, wie er seiner Verpflichtung nachzukommen hatte, der Gefangenenarbeit die angemessene Anerkennung zuzugestehen. In erster Linie kommt die Gewährung eines finanziellen Entgelts in Betracht. Dieses muss eine Höhe erreichen, die den Einsatz der Arbeitsleistung zur Bestreitung des Lebensunterhalts als sinnvoll erscheinen lässt (BVerfGE 98, 169, 202). Allerdings dürfen auch die Marktferne der Gefangenenarbeit, deren Kosten und die Konkurrenz mit dem normalen Markt Berücksichtigung finden (BVerfGE 98, 169, 203). Das BVerfG lässt die Einführung von Elementen und Mechanismen des normalen Arbeitsmarkts zur Differenzierung Laubenthal
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zwischen Tätigkeiten unterschiedlicher Art und Qualität auch im Bereich des Strafvollzugs zu. Damit soll dem Angleichungsgrundsatz des § 3 Abs. 1 Rechnung getragen werden. Freilich dürfen insoweit nicht zu hohe Anforderungen an die Gefangenen gestellt werden, da diese vielfach erst das Arbeiten üben müssen (vgl. dazu SchülerSpringorum 1999, 222). Eine Einteilung in verschiedene Lohngruppen oder leistungsorientierte Entlohnung sieht das BVerfG als zulässig an, wenn eine sachgerechte Auswahl der Gefangenen nach ihrer Qualifikation erfolgt und Weiterbildungsangebote für geeignete Inhaftierte bereitgestellt werden (BVerfGE 98, 169, 203). Das BVerfG führt in seinem Urteil weiter aus, dass der Gesetzgeber sich bei einer Regelung der Arbeitsentlohnung auch für ein Konzept entscheiden darf, in dem die Arbeitsleistung neben oder anstelle einer Lohnzahlung andere Formen der Anerkennung erfährt (zweifelnd insoweit das Minderheitsvotum, Kruis BVerfGE 98, 169, 218). Als Möglichkeiten für nicht-monetäre Komponenten schlug das Gericht vor: den Aufbau einer sozialversicherungsrechtlichen Anwartschaft; Hilfen zur Schuldentilgung; neuartige Formen der Anerkennung bei der Gestaltung des Vollzugs und der Entlassungsvorbereitung, möglicherweise auch unter Einbeziehung privater Initiativen; Verkürzung der Haftzeit („good-time“), sofern general- oder spezialpräventive Gründe nicht entgegenstehen, sowie sonstige Erleichterung der Haftzeit. Als Reaktion auf die Entscheidung des BVerfG fasste der Gesetzgeber im 5. St- 5 VollzGÄndG die §§ 43, 200 als die wesentlichen Normen zur Entlohnung von Gefangenenarbeit neu (s. dazu Calliess 2001, 1692 ff; Landau/Kunze/Poseck 2001, 2611 ff; Neu 2002, 83 ff; Pörksen 2001, 5 f; Ullenbruch 2000, 177 ff). Die geltende Fassung dieser Normen stellt das Resultat eines im Vermittlungsausschuss erzielten Kompromisses (s. dazu BT-Drucks. 14/4898, 14/4943, BR-Drucks. 812/00) dar. Dabei wurde zwar die Eckvergütung des § 200 von 5% auf 9% erhöht. Unter Ablehnung des sog. Bruttoprinzips mit Gewährung einer an einer externen Vergleichsgröße orientierten leistungsadäquaten Entlohnung verbunden mit Abzug von Haftkostenbeiträgen (wie z. B. im österreichischen Strafvollzugsgesetz; dazu Laubenthal 2011 Rdn. 442) bleibt es im Ergebnis bei einer niedrigen finanziellen Vergütung der Pflichtarbeit ohne Erhebung von Haftkostenbeiträgen (s. § 50 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1). Die Entlohnung von Inhaftierten für die Verrichtung der ihnen zugewiesenen Pflichtarbeiten enthält neben der monetären Komponente sowie der Befreiung der Betroffenen von den Haftkosten als Anreiz für kontinuierliches Erbringen von Arbeitsleistungen eine nicht-monetäre Komponente. Der Gesetzgeber entschied sich dafür, zugewiesene Pflichtarbeit zusätzlich durch Freistellung von der Arbeit anzuerkennen (Abs. 1, 6). Hat der Gefangene zwei Monate zusammenhängend seine Tätigkeit ausgeübt, wird ihm dies in Form einer zusätzlichen Freistellung von der Arbeitspflicht anerkannt (Abs. 6). Liegen die allgemeinen Voraussetzungen für eine Gewährung von Hafturlaub nach § 13 vor, kann diese Freistellungszeit auch als Urlaub aus der Haft (Arbeitsurlaub) genutzt werden (Abs. 7, 8). Anderenfalls erfolgt eine Anrechnung der Tage auf den Entlassungszeitpunkt (Abs. 9). Bleibt ausnahmsweise eine solche Anrechnung nicht möglich (Abs. 10), erhält der Betroffene stattdessen eine Ausgleichsentschädigung in Form einer Entgeltzahlung (Abs. 11). II. Erläuterungen 1. Monetäre Komponente a) Rechtsanspruch bei tatsächlich ausgeübter Arbeit. Einen Rechtsanspruch auf 6 Arbeitsentgelt, d. h. auf Gutschrift desselben (und nicht auf Auszahlung; s. Fluhr 1994, 115 f) begründet Abs. 2 Satz 1 dann, wenn der Gefangene eine zugewiesene Arbeit (s. § 37 489
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Rdn. 10 ff) bzw. sonstige Beschäftigung im Sinne einer – wie bei § 41 Abs. 1 Satz 1 (s. § 41 Rdn. 6) – angemessenen Beschäftigung (s. § 37 Rdn. 25 f) oder eine Hilfstätigkeit nach § 41 Abs. 1 Satz 2 (s. § 41 Rdn. 8 ff) ausübt. Diese Norm für die monetäre Komponente der Anerkennung geleisteter Pflichtarbeit steht im engen Zusammenhang mit der Regelung des § 200, welche von der Systematik her durch das 5. StVollzGÄndG eigentlich in Abs. 2 hätte eingefügt werden sollen. Unter die in Abs. 2 Satz 1 bezeichneten Tätigkeiten fällt auch diejenige, im Rahmen der Gefangenenmitverantwortung gem. § 160 während der Arbeitszeit, die als sonstige Beschäftigung (LG Mannheim ZfStrVo 1985, 254 m. Anm. Butzke) oder, richtiger, als Hilfstätigkeit (so Butzke aaO 256; s. auch AK-Däubler/Galli 2012, § 43 Rdn. 8) angesehen wird. Übt der Gefangene dagegen eine ihm zugewiesene arbeitstherapeutische Beschäftigung aus, erhält er gem. Abs. 4 nur ein Arbeitsentgelt, soweit dies der Art seiner Beschäftigung und seiner Arbeitsleistung entspricht. Bei der Arbeits- und Beschäftigungstherapie entscheiden mithin der Produktionswert der Arbeit und das Leistungsergebnis des Gefangenen über den Anspruch auf Arbeitsentgelt (BTDrucks. 7/918, 68). Der Gefangene erhält Entgelt nur für tatsächlich ausgeübte Arbeit (Arloth 2011 Rdn. 7; C/MD 2008 Rdn. 2; Laubenthal 2011 Rdn. 443). Dies gilt selbst dann, wenn der Gefangene aus organisationsbedingten Gründen in seinem Ausbildungs- bzw. Arbeitsbetrieb nicht arbeiten kann (KG NStZ 1989, 197; ZfStrVo 1992, 386). Auch für Feiertage, die auf Werktage fallen, steht ihm Arbeitsentgelt nicht zu. Darin liegt jedoch keine Schlechterstellung, weil der Grundlohn sich nach der Eckvergütung bemisst, in der die gesetzlichen Feiertage, die auf einen Werktag fallen, schon verrechnet sind. Dem Gefangenen steht kein Anspruch auf Entgelt zu, wenn und soweit er der Arbeit fernbleibt, etwa wegen Hafturlaubs gem. § 13 (es sei denn, es liegt gem. § 43 Abs. 6 oder 7 eine bezahlte Freistellung vor). Steht ihm deshalb für bestimmte Teilzeit kein Arbeitsentgelt zu, ist dieses in analoger Anwendung des Rechtsgedankens aus § 44 Abs. 3 entsprechend zu kürzen. Dies kann jedoch nicht in kleineren Einheiten als Stunden vorgenommen werden (OLG Frankfurt ZfStrVo 1982, 55, das offen lässt, ob bei kürzerer Abwesenheit wenigstens um einen Stundenanteil gekürzt werden kann). 7
b) Berechnungsmaßstab. Das Arbeitsentgelt für die Gefangenen wird gem. Abs. 2 Satz 2 nach dem durchschnittlichen Arbeitsentgelt aller Versicherten der Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten ohne Auszubildende des vorvergangenen Kalenderjahres bemessen. Einen entsprechenden Berechnungsmaßstab enthält § 18 SGB IV. Es ist laut Einigungsvertrag (BGBl. 1990 II, 889, 959) für alle Gefangenen diejenige Bemessungsgrundlage anzuwenden, die in dem Gebiet gilt, in welchem das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland bereits vor dem Beitritt der ehemaligen DDR gegolten hat. Der in § 200 bestimmte Satz von 9% dieses Bruttojahresarbeitsentgelts stellt die sog. Eckvergütung dar. Auf diese Eckvergütung hat der Gefangene einen Anspruch, wenn es sich um eine Arbeit mit durchschnittlichen Anforderungen handelt und die Leistungen des Gefangenen diesen auch in genügender Art und Weise entsprechen. Grundlage der konkreten Berechnung des Arbeitsentgelts ist die jährlich erfolgende, jeweils im BGBl. Teil I veröffentlichte Verordnung der Bundesregierung über maßgebende Rechengrößen der Sozialversicherung – Sozialversicherungs-Rechengrößenverordnung.
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c) Bemessung von Tages- und Stundensatz. In Abs. 2 Satz 3 wird festgelegt, dass ein Tagessatz des Arbeitsentgelts – also jenes Entgelt, das ein Gefangener täglich verdienen kann – der 250. Teil der Eckvergütung ist. Dabei geht der Gesetzgeber von durchschnittlich 250 Arbeitstagen pro Jahr aus. Da nach VV Nr. 4 zu § 37 sich die Arbeitszeit sowie die Verteilung der Arbeit auf die Wochentage nach der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit im öffentlichen Dienst richtet (s. § 37 Rdn. 12), darf in EinLaubenthal
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richtungen mit Tagessatzsystem diese ohne eine Erhöhung des Tagessatzes bis hin zur Grenze der jeweiligen regelmäßigen Arbeitszeit des öffentlichen Dienstes ausgeweitet werden (KG NStZ 1989, 445). Übt ein Gefangener auf Anordnung der Anstaltsleitung über die übliche Arbeitszeit, für die ein Entgelt nach Tagessätzen bemessen wird, hinausgehend Arbeiten bzw. Bereitschaftsdienste aus, so hat er hierfür sogar einen über den Tagessatz hinausgehenden Anspruch auf Arbeitsentgelt (OLG Hamburg StraFo 2008, 221). Das Gesetz lässt es zu, dass das Arbeitsentgelt auch nach einem Stundensatz bemessen wird. Dabei ergibt sich dieser, indem der Tagessatz durch die der Arbeitszeit im öffentlichen Dienst entsprechende Zahl der täglichen Soll-Arbeitsstunden dividiert wird. Der Inhaftierte erhält dann diesen Stundensatz entsprechend seiner tatsächlich geleisteten Arbeitszeit. Dies kann allerdings zur Folge haben, dass ein Gefangener trotz voller Arbeitsbereitschaft und ohne eigenes Verschulden dann ein geringeres Arbeitsentgelt als den gesetzlichen Tagessatz erhält, wenn die tatsächliche Arbeitszeit in der Anstalt oder in einem einzelnen Betrieb nach unten hin von der Soll-Arbeitszeit abweicht (OLG Dresden NStZ 2000, 391). Ob das Tagessatz- oder Stundensatzsystem in einer Anstalt zur Anwendung gelangt, steht im Ermessen der Vollzugsbehörde. Gem. VV Nr. 2 darf das Arbeitsentgelt statt in Form des Zeitlohnes auch als Leistungslohn ermittelt werden. d) Stufung des Arbeitsentgelts. Je nach der Leistung des Gefangenen und der Art 9 der Arbeit kann das Arbeitsentgelt gestuft werden (Abs. 3 Satz 1). Dabei dürfen jedoch nach Abs. 3 Satz 2 nur dann 75% der Eckvergütung unterschritten werden, wenn die Arbeitsleistungen des Gefangenen den Mindestanforderungen nicht genügen. Das Mindestentgelt liegt somit in der Regel bei 75% der Eckvergütung. Das Bundesministerium der Justiz hat im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie von der Ermächtigungsbefugnis des § 48 Gebrauch gemacht und mit Zustimmung des Bundesrates die „Verordnung über die Vergütungsstufen des Arbeitsentgelts und der Ausbildungsbeihilfe nach dem Strafvollzugsgesetz – Strafvollzugsvergütungsordnung (StVollzVergO)“ erlassen, in der die Vergütungsstufen festgelegt, beschrieben und Einzelheiten zur Durchführung der §§ 43 bis 45 geregelt sind (s. Erl. zu § 48). Das gem. Abs. 4 für zugewiesene arbeitstherapeutische Beschäftigung (s. § 37 Rdn. 9, 27) zu zahlende Arbeitsentgelt beträgt nach § 3 StVollzVergO in der Regel 75% des Grundlohnes der Vergütungsstufe I. In Bayern gilt seit 1.1.2008 die Bayerische Strafvollzugsvergütungsverordnung (BayGVBl. Nr. 2/2008, 25). Auch § 55 JVollzGB III, § 43 HmbStVollzG, § 38 Abs. 3 Satz 2 HStVollzG und § 44 NJVollzG enthalten Ermächtigungen zum Erlass von Verordnungen über die Vergütungsstufen. Bei der Berechnung des Arbeitsentgelts ergeben sich Schwierigkeiten, wenn ein Ge- 10 fangener während eines Abrechnungszeitraums Tätigkeiten verrichtet, die verschiedenen Vergütungsstufen zuzuordnen sind. Nach VV Nr. 1 Abs. 1 Satz 1 ist in diesen Fällen das Arbeitsentgelt jener Vergütungsstufe zu entnehmen, die dem überwiegenden Teil der Tätigkeiten entspricht. Das gilt aber nur, wenn der Gefangene diese unterschiedlichen Tätigkeiten im gleichen Betrieb ausführt (VV Nr. 1 Abs. 1 Satz 2). Bei einem Betriebswechsel ist stets eine neue Einstufung vorzunehmen und das Arbeitsentgelt neu zu ermitteln. Verrichtet ein Gefangener nur vorübergehend eine anders bewertete Tätigkeit, so bleibt es bei der bisherigen Einstufung. Andernfalls ist er mit Beginn des nächsten Abrechnungszeitraums in die neue, entsprechende Vergütungsstufe umzugruppieren (VV Nr. 1 Abs. 2). Weitere Einzelregelungen zur Unterscheidung von Zeitlohn und Leistungslohn, zur Verringerung der Vergütung während der Dauer von Einarbeitungszeiten, zur Abstufung für den Fall, dass der Gefangene den Anforderungen der jeweiligen Vergü491
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tungsstufe nicht genügt, und zum Zulagensystem enthalten VV Nr. 2 und die Strafvollzugsvergütungsordnung (StVollzVergO; vgl. Erl. zu § 48). 11
e) Beispiel: Berechunung des Arbeitsentgelts für das Jahr 2012. Die Bezugsgröße i. S. d. § 18 Abs. 1 SGB IV betrug nach § 2 der Sozialversicherungs-Rechengrößenverordnung 2012 (BGBl. I 2011, 2421) des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales 31.500 EUR (= Durchschnittsentgelt der gesetzlichen Rentenversicherung im vorvergangenen Kalenderjahr 2010). Die Eckvergütung liegt gem. § 200 bei 9% dieser Bemessungsgröße: 2.835 EUR. Der Tagessatz als 250ster Teil der Eckvergütung (§ 43 Abs. 2 Satz 3) macht einen Betrag von 11,34 EUR aus. Bei einer Gewährung des Arbeitsentgelts nach Stunden beträgt der Satz hierfür 1,42 EUR (bei einer wöchentlichen Soll-Arbeitszeit von 40 Stunden) bzw. 1,47 EUR (bei Soll-Arbeitszeit von 38,5 Stunden). Wird nach § 1 StVollzVergO je nach Anforderung der Tätigkeit und der Qualifikation des Inhaftierten der Grundlohn des Arbeitsentgelts nach fünf Vergütungsstufen (75, 88, 100, 112, 125 vom Hundert der Eckvergütung nach § 43 Abs. 2) festgesetzt, betrug demgemäß der Arbeitslohn der Strafgefangenen im Jahr 2012: Vergütungsstufe
Tagessatz 38,5-Std.-Woche
Stundensatz bei 40-Std.-Woche
Stundensatz bei
I II III IV V
18,50 19,97 11,34 12,70 14,17
1,10 1,29 1,47 1,64 1,84
1,06 1,25 1,42 1,59 1,77
12
f) Anwendbarkeit auf andere Haftarten. Gem. §§ 167, 171 gilt diese monetäre Entlohnung auch für arbeitende Inhaftierte im Strafarrest bzw. im Vollzug einer gerichtlich angeordneten Ordnungs-, Sicherungs-, Zwangs- und Erzwingungshaft sowie gem. § 422 Abs. 4 FamFG für Abschiebungsgefangene in Justizvollzugsanstalten. Für die Bemessung der Ausbildungsbeihilfe verweist § 44 Abs. 2 ebenfalls auf § 43 Abs. 2 und 3.
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g) Zusätzliche Prämien. Ein konkretes Einzelbeispiel für die Anwendung des allgemeinen Angleichungsgrundsatzes (§ 3 Abs. 1) enthält VV Nr. 3. Danach können neben dem Arbeitsentgelt zusätzliche Prämien für betriebliche Verbesserungsvorschläge gezahlt werden, die dem Gefangenen nach Entscheidung des Anstaltsleiters als Hausgeld (§ 47), Überbrückungsgeld (§ 51) oder Eigengeld (§ 52) gutgeschrieben werden. Diese Regelung trägt dem gleichen Anliegen Rechnung, das auch dem System der Prämien für Verbesserungsvorschläge in der öffentlichen Verwaltung bzw. den Regelungen über Arbeitnehmererfindungen zugrunde liegt. Der Mitarbeiter soll motiviert werden, die Betriebsabläufe, an denen er beteiligt ist, mit daraufhin zu überprüfen, ob technische oder organisatorische Verbesserungen möglich sind. An der auf diese Weise möglicherweise zu erzielenden Verbesserung der Rentabilität soll er beteiligt werden.
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h) Schriftliche Mitteilung. Auch Abs. 5 stellt eine Konkretisierung des Angleichungsgrundsatzes gem. § 3 Abs. 1 dar (vgl. BT-Drucks. 7/918, 68). Die vorgeschriebene schriftliche Mitteilung des Arbeitsentgelts (nicht nur seiner Höhe) in Form einer spezifischen Aufstellung an den Gefangenen dient der Überprüfbarkeit durch den Leistungsempfänger und damit zugleich auch der Gewährleistung des erforderlichen Rechtsschutzes. Der Gefangene kann den Rechtsanspruch auf Zahlung des ihm rechtmäßig zustehenden Laubenthal
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Arbeitsentgelts nur verwirklichen, wenn ihm die Berechnungsgrundlagen einschließlich der Bewertungskriterien im Wege einer vollständigen und nachvollziehbaren Abrechnung bekannt gemacht sind (OLG Frankfurt NStZ 2008, 681). Zudem gibt die schriftliche Bekanntgabe den Betroffenen Unterlagen in die Hand, um Freistellungsansprüche geltend zu machen bzw. um ggf. Ansprüche bei Arbeitslosigkeit zu realisieren. i) Zweckgebundene Aufteilung der Einkünfte. Im Rahmen der Entlohnungsrege- 15 lungen der Abs. 2 bis 5 steht dem Strafgefangenen, der in öffentlich-rechtlichem Rechtsverhältnis zugewiesene Arbeit verrichtet, einer sonstigen Beschäftigung nachgeht oder Hilfstätigkeiten ausübt, ein Rechtsanspruch auf das gesetzlich vorgesehene Entgelt – d. h. auf dessen Kontogutschrift – zu. Nicht betroffen von der Regelung über den Arbeitslohn nach § 43 sind diejenigen Gefangenen, die im Wege der Außenbeschäftigung oder des Freigangs gem. § 39 Abs. 1 in einem freien Beschäftigungsverhältnis stehen. Diese erhalten i. d. R. den vereinbarten ortsüblichen Tariflohn. Bei der Ausübung zugewiesener Pflichtarbeit ist der Anspruch auf Arbeitsentgelt dagegen – wie das Arbeitsverhältnis selbst – öffentlich-rechtlicher Natur (KG NStZ 1990, 197; C/MD 2008 Rdn. 2; Laubenthal 2011 Rdn. 438). Der Gefangene darf über das ihm auf seinem Konto gutgeschriebene Arbeitsentgelt nicht nach Belieben verfügen. Das StVollzG sieht vielmehr eine zweckgebundene Aufteilung der Einkünfte vor, so dass diese im Hinblick auf eine Erreichung des Vollzugsziels bestimmten Bindungen unterliegen. So werden gem. § 47 Abs. 1 i. d. F. des § 199 Abs. 1 Nr. 2 drei Siebtel der Bezüge dem Hausgeldkonto zugeführt (s. Erl. zu § 47). Aus den anderen vier Siebteln ist zur Sicherung des notwendigen Lebensunterhalts des Betroffenen und seiner Unterhaltsberechtigten für die ersten vier Wochen nach der Entlassung nach § 51 Abs. 1 das Überbrückungsgeld zu bilden (s. Erl. zu § 51). Da die Vorschrift des § 49 über den Unterhaltsbeitrag bisher nicht in Kraft gesetzt wurde und Strafgefangene, die als im öffentlich-rechtlichen Rechtsverhältnis Beschäftigte Bezüge nach dem StVollzG erhalten, gem. § 50 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 (s. § 50 Rdn. 4) nicht zur Entrichtung von Haftkostenbeiträgen herangezogen werden, sind verbleibende Beträge nach § 52 dem Eigengeld zuzuschreiben. j) Pfändbarkeit des Arbeitsentgelts. Die Pfändbarkeit des Anspruchs des Gefange- 16 nen auf Arbeitsentgelt, der mit Kontogutschrift infolge Erfüllung entsprechend § 362 BGB erlischt (BGH StV 2004, 558, 559), richtet sich nach §§ 850 ff ZPO (vgl. zum Meinungsstand insgesamt Konrad 1990). Streitig ist hierbei, ob es sich beim Arbeitsentgelt um Arbeitseinkommen i. S. von § 850 Abs. 1 ZPO handelt (verneinend OLG Karlsruhe Rpfleger 1994, 370; OLG Nürnberg BlStK 2/1996 5, 7; Arloth 2011 Rdn. 10; Musielak/Becker 2012 § 850 Rdn. 8) mit der Folge, dass der Anspruch auf Gutschrift des Arbeitsentgelts nur nach Maßgabe der §§ 850 a bis 850 k ZPO (insbesondere unter Beachtung der Pfändungsgrenzen der §§ 850 c und 850 d ZPO) gepfändet werden kann (so OLG Celle NStZ 1988, 334; OLG Hamm NStZ 1988, 479; OLG Frankfurt NStZ 1993, 559; KG ZfStrVo 1990, 55; AK-Däubler/Galli 2012 Rdn. 14; K/S-Schöch § 7 Rdn. 151; Laubenthal 2011 Rdn. 444; MünchKomm ZPO/Smid 2007 § 850 Rdn. 24), oder aber ob der Anspruch des Gefangenen auf Gutschrift seines Arbeitsentgelts gem. § 399 1. Alt. BGB unübertragbar und damit nach § 851 Abs. 1 ZPO generell unpfändbar ist (so BGH StV 2004, 558, 559; Arloth 2011 Rdn. 10; Fluhr 1989, 103 mit einem Überblick über den Meinungsstand und die jeweiligen Konsequenzen; Fluhr 1994). Nachdem § 850 Abs. 2 ZPO den Begriff des Arbeitseinkommens sehr weit fasst, kann nicht bezweifelt werden, dass auch Gefangene solches erzielen. Folgt danach die Anwendbarkeit der §§ 850 a ff ZPO, so ist weiter umstritten, ob bei Berechnung der Pfändungsfreigrenze i. S. d. § 850 c Abs. 1 Satz 1 ZPO gem. § 850 e Nr. 3 ZPO dem Arbeitseinkommen der Wert der Naturalleistungen hinzuzurechnen bleibt, die 493
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der Gefangene für seinen Unterhalt erhält (Unterkunft, Verpflegung, Bekleidung, medizinische Betreuung). Für eine derartige Berücksichtigung wird die Gefahr einer Besserstellung des inhaftierten gegenüber dem in Freiheit befindlichen Schuldner vorgebracht, weshalb der fiktive, in Wirklichkeit nicht erhobene Haftkostenbeitrag gem. § 50 in Ansatz gebracht werden soll (so OLG Frankfurt NStZ 1993, 560; Arloth 2011 Rdn. 10; MünchKomm ZPO/Smid 2007 § 850 e Rdn. 38). Dagegen spricht aber, dass die Vollzugsbehörde die Sachleistungen nicht als Teil der Arbeitsentlohnung für verrichtete Tätigkeiten erbringt, sondern diese als notwendige Folgen des Freiheitsentzugs allen, auch den nicht arbeitenden Inhaftierten gewährt werden (BFH DStRE 2004, 421, 422; AK-Däubler/Galli 2012 Rdn. 14; C/MD 2008 Rdn. 10; Laubenthal 2011 Rdn. 444; Volckart NStZ 1985, 431, 432). Der Streit hat jedoch letztlich nur geringe praktische Bedeutung, denn selbst unter Zugrundelegung des maximalen Haftkostenbeitrags und des höchsterreichbaren Arbeitsentgelts wird die zurzeit gültige Pfändungsfreigrenze von wenigstens 930 EUR monatlich (§ 850 c Abs. 1 Satz 1 ZPO) nicht überschritten (s. auch Arloth 2011 Rdn. 10). Keine Besonderheiten bezüglich der Anwendbarkeit der §§ 850 ff ZPO bestehen in Ansehung solcher Gefangener, die in einem freien Beschäftigungsverhältnis gem. § 39 stehen, sofern die Vollzugsbehörde nicht nach § 39 Abs. 3 Überweisung des Entgelts zur Gutschrift verlangt hat (Musielak/Becker 2012 § 850 Rdn. 8). Insoweit greift allerdings zusätzlich zu den zivilprozessualen Bestimmungen der Schutz des § 51 Abs. 4. Für Einwendungen gegen die Rechtmäßigkeit von Pfändungs- und Überweisungs17 beschlüssen ist allein das Vollstreckungsgericht nach § 766 ZPO zuständig (s. auch § 47 Rdn. 9). Geht es nicht um eine mögliche Fehlerhaftigkeit des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses, sondern vielmehr um die Frage, ob sich die Vollzugsbehörde an den Inhalt des Beschlusses gehalten oder irrig Beträge vom Guthaben des Gefangenen abgebucht habe, die nicht gepfändet werden sollten, ist der Rechtsweg nach § 109 eröffnet (OLG Nürnberg BlStK 2/1996, 6). 18
2. Nicht-monetäre Komponente. Neben der Anerkennung zugewiesener Pflichtarbeit durch Arbeitsentgelt und der Befreiung von den Haftkosten (§ 50 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1) erfolgen nach Abs. 1 auch nicht-monetäre Leistungen: Der arbeitende Strafgefangene kommt unter den Voraussetzungen von Abs. 6 bis 9 in den Genuss von Zeit (dazu Schüler-Springorum 1999, 227), in welcher er nicht arbeiten muss. Der Inhaftierte kann die Freistellung von der Arbeit in der Anstalt verbringen oder in Form von Urlaub aus der Haft (Arbeitsurlaub) nutzen, wenn er für diese Vollzugslockerung geeignet ist (Abs. 7). Stellt er keinen Antrag auf Freistellung von der Arbeit oder auf Gewährung von Arbeitsurlaub bzw. wird Arbeitsurlaub nicht gewährt, so ist die Freistellung von der Arbeit auf den Entlassungszeitpunkt des Betroffenen anzurechnen (Abs. 9). In Fällen, in denen eine Anrechnung nach Abs. 10 ausgeschlossen bleibt, erhält der Verurteilte bei seiner Entlassung als Ausgleichsentschädigung für seine Tätigkeit zusätzlich 15% des ihm nach Abs. 2 und 3 gewährten Entgelts oder der ihm nach § 44 zustehenden Ausbildungsbeihilfe (Abs. 11). a) Freistellung von der Arbeit
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aa) Ausgangspunkt für die Anerkennung geleisteter Pflichtarbeit durch nichtmonetäre Leistungen ist die Grundregel des Abs. 6. Gem. Satz 1 der Vorschrift wird der Gefangene auf seinen Antrag hin einen Werktag von der Arbeit freigestellt, wenn er zwei Monate lang zusammenhängend Pflichtarbeit erbracht hat. Satz 2 stellt insoweit klar, dass eine solche Freistellung als nicht-monetäre Komponente der Entlohnung zugewiesener Pflichtarbeit unabhängig von derjenigen des § 42 (s. Erl. zu § 42) zu betrachLaubenthal
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ten und zusätzlich zu dieser zu gewähren ist. Ebenso wie bei § 42 Abs. 1 Satz 1 die einjährige Tätigkeit sich nicht nach dem Kalenderjahr bemisst, sondern mit dem Tag beginnt, an dem der Gefangene die ihm zugewiesene Tätigkeit erstmals aufnimmt (s. § 42 Rdn. 5), kommt es auch bei Abs. 6 Satz 1 nicht auf Kalendermonate an, sondern die Monate rechnen sich ab dem Tag der Tätigkeitsaufnahme. Ein Freistellungstag fällt jedoch nur an, wenn die Tätigkeit über zwei Monate hinweg zusammenhängend ausgeübt wurde. Da sich die Arbeitszeit der Gefangenen gem. VV Nr. 4 Abs. 1 Satz 1 zu § 37 nach der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit im öffentlichen Dienst richtet und nach VV Nr. 4 Abs. 2 zu § 37 an gesetzlichen Feiertagen und Samstagen die Arbeit ruht, stehen zwei arbeitsfreie Tage pro Woche sowie Feiertage einer kontinuierlichen Erbringung von Pflichtarbeit i. S. d. Satz 1 nicht entgegen. Eine Freistellung erfolgt nach dem Wortlaut des Gesetzes an einem Werktag. VV Nr. 5 Abs. 2 stellt insoweit klar, dass hierunter nicht Sonntage, gesetzliche Feiertage oder Samstage fallen. Allerdings kann mit Zustimmung des Inhaftierten die Freistellung auch an anderen Tagen gewährt werden (VV Nr. 5 Abs. 2 Satz 2 i. V. m. Nr. 6 Abs. 2). Dies ist in der Praxis vor allem für Inhaftierte mit vom Regelfall abweichenden Arbeitszeiten (z. B. Küchenpersonal) bedeutsam (Arloth 2011 Rdn. 20). bb) Das Tatbestandsmerkmal der zusammenhängend ausgeübten Tätigkeit des 20 Satz 1 erfährt in Satz 3 eine gesetzliche Konkretisierung: Die Frist des Satz 1 wird gehemmt durch Zeiten, in denen der Gefangene ohne sein Verschulden durch Krankheit, Ausführung, Ausgang, Hafturlaub, Freistellung von der Arbeitspflicht oder sonstige nicht von ihm zu vertretende Gründe an der Arbeitsleistung gehindert ist. In derartigen Fällen verlängert sich der Zeitraum zur Erfüllung der zwei Monate um die Anzahl der ausgefallenen Arbeitstage (VV Nr. 4 Abs. 2). Auch Ausfalltage infolge der Durchführung von Vollzugslockerungen, Behandlungsmaßnahmen, Arbeitsunfähigkeit infolge von Krankheit oder Verletzungen, Betriebsurlaub oder Ablösung von der Arbeitsstelle können als unverschuldete Ereignisse die Zwei-Monats-Frist hemmen. Gleiches gilt, wenn ein Gefangener nach den Vorschriften seines Glaubensbekenntnisses an bestimmten Tagen nicht arbeiten darf und er insoweit von der Arbeit befreit wurde (s. VV Nr. 4 Abs. 4 Satz 1 zu § 37). Hemmen nicht zu vertretende Ausfalltage gem. Satz 3 die Zwei-MonatsFrist, folgt daraus umgekehrt, dass verschuldete Ausfalltage diese Frist unterbrechen. Denn dem Gesetzgeber kam es auf eine kontinuierliche Arbeitstätigkeit für den Erwerb von Anwartschaftszeiten für eine Freistellung an (vgl. Schäfer 2005, 63). VV Nr. 4 Abs. 1 stellt insoweit klar, dass in einem solchen Fall die bis zum Unterbrechungszeitraum ausgeübte Tätigkeit von weniger als zwei Monaten unberücksichtigt bleibt und mit einer erneuten Arbeitsaufnahme die Frist von neuem zu laufen beginnt. Dies kommt vor allem in Betracht bei Fehlzeiten infolge Arbeitsverweigerung, Entweichung aus der Anstalt, Nicht- oder verspäteter Rückkehr von Vollzugslockerungen, Arbeitsverweigerung, vom Inhaftierten zu vertretender Ablösung von der Arbeit oder Vollzug von Disziplinar- bzw. Sicherungsmaßnahmen. Da mit der Gewährung zusätzlicher Freistellung als nichtmonetäre Komponente der Anerkennung von Pflichtarbeit die kontinuierlich erbrachte Arbeitsleistung honoriert werden soll, bleibt nach Satz 4 ein Beschäftigungszeitraum von nur weniger als zwei Monaten unberücksichtigt. Wie die Freistellung nach § 42 setzt auch diejenige gem. Abs. 6 Satz 1 einen Antrag des Inhaftierten voraus. Wird dieser nicht gestellt, erfolgt eine Anrechnung der Freistellungstage auf den Entlassungszeitpunkt (Abs. 9). cc) Bezüglich der weiteren Modalitäten einer Freistellungsgewährung nach Abs. 6 21 Satz 1 verweist VV Nr. 5 Abs. 1 zu § 43 partiell auf die VV zu § 42. So werden die Tage der Arbeitsunfähigkeit infolge von Erkrankung des Gefangenen während der Durchführung 495
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einer Freistellung von der Arbeitspflicht nicht auf die Zeit der Freistellung angerechnet (VV Nr. 3 Abs. 2 zu § 42). Die Freistellung kann nur innerhalb eines Jahres nach Vorliegen der Gestattungsvoraussetzungen in Anspruch genommen werden (VV Nr. 4 Abs. 1 zu § 42). Der Gefangene muss die Freistellung mindestens einen Monat zuvor schriftlich beantragt haben (VV Nr. 5 zu § 42). Bei der Entscheidung über die Festsetzung des Freistellungszeitpunktes sind betriebliche und vollzugliche Belange zu berücksichtigen (VV Nr. 6 zu § 42). b) Arbeitsurlaub 22
aa) Fallen gem. Abs. 6 Satz 1 Freistellungstage an, so kann der Inhaftierte diese in der Anstalt verbringen. Liegen aber zugleich die Voraussetzungen für eine Gewährung von Hafturlaub vor, darf nach Abs. 7 die Freistellung auch als Arbeitsurlaub genutzt werden. Der Arbeitsurlaub wird wie die Beurlaubung aus wichtigem Anlass i. S. d. § 35 Abs. 2 nicht auf den regelmäßigen Hafturlaub nach § 13 angerechnet (VV Nr. 6 Abs. 1 Satz 1). Vor allem für Gefangene, die vom Regelfall abweichend an Samstagen, Sonntagen und Feiertagen arbeiten, kann nach VV Nr. 6 Abs. 2 der Arbeitsurlaub mit ihrer Zustimmung auch an solchen Tagen gewährt werden. Satz 2 stellt klar, dass für den Arbeitsurlaub die allgemeinen gesetzlichen Regelungen für die Gewährung von Hafturlaub (§§ 11 Abs. 2, 13 Abs. 2 bis 5, 14) entsprechend gelten. Damit bedarf es nicht nur einer Prüfung der spezifischen Kriterien des Arbeitsurlaubs (Abs. 7 Satz 1 i. V. m. Abs. 6) sowie des Nichtvorliegens einer Flucht- oder Missbrauchsgefahr und der weiteren Lockerungsvoraussetzungen auf der Tatbestandsebene, sondern der Anstaltsleitung steht auch im Bereich der Gewährung von Arbeitsurlaub ein Ermessen auf der Rechtsfolgenseite zu. Abgesehen von solchen Ermessenserwägungen im Einzelfall ist jedoch davon auszugehen, dass eine bereits erfolgte Gewährung von Hafturlaub i. S. d. § 13 bei Fortbestehen der Tatbestandsvoraussetzungen dieser Norm eine Gestattung von Arbeitsurlaub i. S. d. Abs. 7 indiziert.
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bb) Der Gefangene erhält für die Zeit der Freistellung von der Arbeit i. S. d. Abs. 6 Satz 1, die er in der Anstalt oder als Arbeitsurlaub i. S. d. Abs. 7 außerhalb der Einrichtung verbringt, seine zuletzt gezahlten Bezüge weiter. Dies ergibt sich aus Abs. 8, der auf § 42 Abs. 3 (s. dazu § 42 Rdn. 13) verweist. Während jedoch ein Freistellungsanspruch i. S. d. § 42 achtzehn Werktage umfasst, wobei zu den Werktagen im Sinne dieser Norm auch die Samstage gehören (§ 42 Rdn. 10), ist die Freistellung i. S. d. Abs. 6 als nichtmonetäre Komponente der Arbeitsentlohnung nur an Werktagen zu gewähren, die nicht Samstage sind (VV Nr. 5 Abs. 2). Die Berechnung des Vergütungssatzes je Freistellungstag kann beispielsweise durch die Anwendung folgender Formel erfolgen (s. auch Arloth 2011 Rdn. 22: Vergütungssatz je Freistellungstag = Bruttobezüge der letzten drei abgerechneten Monate geleistete Stunden in diesen drei Monaten
×
tatsächliche regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit 5
Erfolgt keine Freistellung von der Arbeit i. S. d. Abs. 6 und kommt es deshalb zu einer Anrechnung der Freistellung auf den Entlassungszeitpunkt nach Abs. 9, wird für diese Tage ab dem Zeitpunkt der Entlassung kein Entgelt weitergezahlt (BT-Drucks. 14/4452, 17). Dies folgt bereits aus der systematischen Stellung des Abs. 8 innerhalb des § 43 (Arloth 2011 Rdn. 22). Laubenthal
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c) Anrechnung auf Entlassungszeitpunkt aa) Gem. Abs. 9 erfolgt eine automatische Anrechnung der nach Abs. 6 Satz 1 anfal- 24 lenden Freistellungstage für geleistete Pflichtarbeit auf den Entlassungszeitpunkt, wenn der Inhaftierte keine Freistellung gem. Abs. 6 Satz 1 beantragt hat, keinen Antrag nach Abs. 7 Satz 1 auf Gewährung von Arbeitsurlaub gestellt hat oder wenn ein beantragter Arbeitsurlaub wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen für die Gewährung eines Hafturlaubs (Abs. 7 Satz 2) abgelehnt wurde. Mit dieser Anerkennung geleisteter Pflichtarbeit durch Anrechnung der Freistellung zur Vorverlegung des Entlassungszeitpunkts hat sich der Gesetzgeber innerhalb des ihm vom BVerfG eingeräumten weiten Spielraums gehalten, wie er seiner Verpflichtung nachzukommen hatte, der Gefangenenarbeit angemessene Anerkennung zuzugestehen. Insoweit stellte das Gericht fest, dass die Legislative nicht gehindert ist zu regeln, „dass der Gefangene – sofern general- oder spezialpräventive Gründe nicht entgegenstehen – durch Arbeit seine Haftzeit verkürzen (,good time‘) oder sonst erleichtern kann“ (BVerfGE 98, 169, 202). Bei der Regelung des § 43 durch das 5. StVollzGÄndG ging der Gesetzgeber davon aus, dass die vorgezogene Wiedererlangung der persönlichen Freiheit angesichts der Schwere des Grundrechtseingriffs, den der Vollzug der Freiheitsstrafe für den Betroffenen bedeutet, einen besonders nachhaltigen Vorteil darstellt, der geeignet ist, die Inhaftierten zur regelmäßigen Arbeit zu motivieren. Zudem kommt der Vorteil einer früheren Entlassung auch denjenigen Gefangenen zugute, welche die Voraussetzungen für die Gewährung von Hafturlaub i. S. d. § 13 nicht erfüllen (so BT-Drucks. 14/4452, 17; zur Verfassungsmäßigkeit dieser nicht-monetären Komponente s. BVerfG StV 2002, 375). bb) Die antragsunabhängige Entlassungsvorverlegung erfordert – anders als § 57 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB bei der Strafrestaussetzung zur Bewährung – nicht das Vorliegen einer günstigen Sozialprognose. Denn bei der Vorverlegung nach Abs. 9 handelt es sich um eine vollzugsrechtliche Maßnahme und nicht um eine solche vollstreckungsrechtlicher Art (Schäfer 2005, 33), so dass sie weder Auswirkungen auf die Berechnung des Halb- oder Zwei-Drittel-Strafzeitpunkts i. S. d. § 57 StGB noch sonst auf die Strafzeitberechnung zeitigt (BT-Drucks. 14/4452; KG NStZ 2004, 228; Arloth 2011 Rdn. 23; Laubenthal 2011 Rdn. 450). Die Anrechnung auf den Entlassungszeitpunkt erfolgt in der Weise, dass Sonn- und Feiertage sowie Samstage bei der vom Entlassungszeitpunkt aus beginnenden Rückrechnung mitzählen (KG FS 2009, 341). Kommt es im Hinblick auf den Entlassungszeitpunkt im Einzelfall zu einer Kollision zwischen einem Vorgehen nach § 16 Abs. 2 oder 3 und einer Vorverlegung nach § 43 Abs. 9, bestimmt VV Abs. 1 c zu § 16, dass die Freistellung von der Arbeit auf den Entlassungszeitpunkt nach § 43 Abs. 9 vorrangig angerechnet wird. Einem damit möglicherweise verbundenen Verlust von Freistellungstagen des Abs. 6 Satz 1 kann der Betroffene dadurch entgehen, dass er sich rechtzeitig von der Arbeit freistellen lässt bzw. die Freistellungstage als Arbeitsurlaub nutzt (s. auch Arloth 2011 Rdn. 23). Die Vorverlegung bezieht sich immer auf das Ende der Strafvollstreckung. Die vorzulegende Entlassung verlangt deshalb, dass der unmittelbare Zugriff der Vollstreckungsbehörde auf den Verurteilten entfällt. In den Fällen der Anschlussvollstreckung weiterer Freiheitsstrafe(n) bezieht sich der Entlassungszeitpunkt deshalb auf die jeweils letzte Freiheitsstrafe (KG NStZ 2005, 291). d) Ausgleichsentschädigung aa) Von der nicht-monetären Anerkennung hat der Gesetzgeber einige Gruppen ar- 26 beitender Strafgefangener ausgenommen und sie auf eine Ausgleichsentschädigung 497
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Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
nach Abs. 11 verwiesen. Haben diese Inhaftierten keinen Antrag nach Abs. 6 Satz 1 auf Freistellung von der Arbeit oder gem. Abs. 7 Satz 1 auf Gewährung von Arbeitsurlaub gestellt bzw. konnte ihnen dieses nicht gewährt werden, kann ihre Arbeitsleistung nicht über die nicht-monetäre Komponente Anerkennung finden. Die Anerkennung erfolgt vielmehr auf der monetären Ebene durch eine Erhöhung der finanziellen Arbeitsentlohnung. Die Ausnahmetatbestände von der Anrechenbarkeit angefallener Freistellungstage auf den Entlassungszeitpunkt normieren Nr. 1 bis 5 des Abs. 10. 27
bb) Eine besondere Regelung für Gefangene, die eine lebenslange Freiheitsstrafe verbüßen oder in der Sicherungsverwahrung untergebracht sind, enthält Abs. 10 Nr. 1. Diese Vorschrift betrifft jedoch nur die Lebenszeitgefangenen bzw. Sicherungsverwahrten, bei denen noch kein Entlassungszeitpunkt feststeht. Nr. 1 ist im Zusammenhang mit Abs. 11 Satz 3 zu sehen. Danach erhalten die Betroffenen, die keine Freistellung in der Haft nach Abs. 6 Satz 1 und keinen Arbeitsurlaub nach Abs. 7 in Anspruch nehmen oder dies nicht können, jeweils nach einer Verbüßungs- bzw. Unterbringungsdauer von zehn Jahren eine Ausgleichszahlung zur Gutschrift auf dem Eigengeldkonto. Mit dieser Gutschrift sind die in dem jeweiligen Zehn-Jahres-Abschnitt erarbeiteten Freistellungstage verbraucht. Zwar sind für bereits länger inhaftierte Lebenszeitgefangene bzw. Sicherungsverwahrte die Ansprüche erst mit Inkrafttreten des 5. StVollzGÄndG am 1.1.2001 entstanden. Da die Strafvollzugsgesetze aber bezüglich der Berechnung der Zeitintervalle auf eine Verbüßung von jeweils zehn Jahren abstellen, ist für die Berechnung der Dekade die tatsachliche Verbüßungsdauer maßgeblich (KG NStZ-RR 2006, 123; OLG Celle StraFo 2008, 484; OLG Rostock NStZ-RR 2008, 62; a. A. OLG Hamm NStZ 2005, 61). Ist der Entlassungszeitpunkt eines Lebenszeitgefangenen bzw. Sicherungsverwahrten bestimmt, unterfällt er nicht mehr dem Ausnahmetatbestand von Abs. 10 Nr. 1. Dann erfolgt automatisch die Anrechnung der seit dem letzten Zehn-Jahres-Zeitpunkt angesparten Freistellungstage auf den Entlassungszeitpunkt, es sei denn, es liegt ein anderer Ausschließungsgrund i. S. d. Abs. 10 vor.
28
cc) Abs. 10 Nr. 2 regelt den Fall, dass bei einer Aussetzung der Vollstreckung des Rests einer Freiheitsstrafe oder einer Sicherungsverwahrung zur Bewährung in der (zu kurzen) Zeitspanne von der gerichtlichen Entscheidung bis zum Entlassungszeitpunkt eine Anrechnung der Freistellungstage ganz oder teilweise („soweit“) faktisch unmöglich bleibt. Einen Ausschluss der Anrechnung sieht Nr. 3 für die Fälle vor, in denen das Vollstreckungsgericht wegen der Lebensverhältnisse des Gefangenen oder der Wirkungen, die von der Aussetzung für ihn zu erwarten sind, eine sog. punktgenaue Entlassung für erforderlich erachtet (z. B. für den Verurteilten steht ein Platz in einer Therapieeinrichtung oder in einem betreuten Wohnheim erst zu einem bestimmten Zeitpunkt zur Verfügung). Gem. § 454 Abs. 1 Satz 5 StPO muss jeder Beschluss über eine Aussetzung des Strafrests zur Bewährung auch die Entscheidung enthalten, ob eine Anrechnung nach Nr. 3 ausgeschlossen wird. Fehlt diese Entscheidung, bleibt es bei der Anrechnungsmöglichkeit nach Abs. 9, weil die Anwendung des Ausnahmetatbestands von Nr. 3 ausdrücklich angeordnet sein muss (Arloth 2011 Rdn. 27). Faktisch unmöglich ist eine Anrechnung von erarbeiteten Freistellungstagen auf den Entlassungszeitpunkt auch in den Fällen einer Auslieferung oder Landesverweisung nach § 456 a Abs. 1 StPO. Dem trägt Nr. 4 Rechnung (s. auch BT-Drucks. 14/4452, 18). Eine Verlegung des Entlassungszeitpunkts vor den vom Gnadenträger im Fall einer Begnadigung festgesetzten Termin hielt der Gesetzgeber als mit dem Wesen des Gnadenrechts unvereinbar (s. BT-Drucks. 14/4452, 18). Deshalb schließt Nr. 5 bei Entlassungen aufgrund von Gnadenerweisen eine Anrechnung von Freistellungstagen nach Abs. 9 aus. – Abs. 10 stellt keine abLaubenthal
498
§ 43
Arbeitsentgelt, -urlaub u. Anrechnung der Freistellung auf den Entlassungszeitpunkt
schließende Regelung dar (so im Ergebnis auch AK-Däubler/Galli 2012 Rdn. 17; Arloth 2011 Rdn. 24, 26, 28; Schäfer 2005, 94; a. A. C/MD 2008 Rdn. 4). Dies gilt vor allem für die Fälle faktischer Anrechnungsunmöglichkeit der Nr. 2 und 4 (z. B. im Rahmen von Strafrestaussetzungen zur Bewährung gem. § 36 BtMG; bei Überstellung ausländischer Gefangener zur weiteren Strafvollstreckung in ihren Heimatländern). dd) Die Modalitäten der Gewährung einer Ausgleichsentschädigung sind in 29 Abs. 11 geregelt. Gem. Satz 1 darf sie nur dann geleistet werden, wenn und soweit eine Anrechnung von erarbeiteten Freistellungstagen auf den Entlassungszeitpunkt nach Abs. 9 wegen Vorliegens eines Ausnahmefalls des Abs. 10 ausgeschlossen bleibt. Damit kommt nicht unter Abs. 10 fallenden Inhaftierten kein Wahlrecht zwischen Vorverlegung der Entlassung oder einem finanziellen Ausgleich zu (Arloth 2011 Rdn. 30; Laubenthal 2011 Rdn. 452). Eine Entscheidung über die Gewährung einer Ausgleichsleistung erübrigt sich auch bei den unter Abs. 10 fallenden Gefangenen, die bereits ihren Anspruch auf Freistellung von der Arbeit nach Abs. 6 Satz 1 bzw. den Arbeitsurlaub gem. Abs. 7 in Anspruch genommen haben. Die Ausgleichsleistung stellt ein Surrogat für die in den Ausnahmefällen ausgeschlossene nicht-monetäre Anerkennung dar. Gem. Satz 1 erhält der Gefangene zum Zeitpunkt seiner Entlassung für die Ausübung der ihm zugewiesenen Arbeit, sonstigen Beschäftigung oder Hilfstätigkeit zusätzlich zum Arbeitslohn 15 vom Hundert des ihm gewährten Entgelts oder der ihm nach § 44 zukommenden Ausbildungsbeihilfe. Dabei sind das Entgelt bzw. die Beihilfe für den Zeitraum zugrunde zu legen, der bei Nichtvorliegen eines Ausschlussgrundes i. S. d. Abs. 10 nach Abs. 9 zu einer Anrechnung geführt hätte. Angesichts des zur Ermittlung dieser individuellen Basis des Arbeitsentgelts unverhältnismäßig hohen Verwaltungsaufwands kann zur Ermittlung der Ausgleichsentschädigung für den Freistellungstag folgende Formel herangezogen werden (s. auch Arloth 2011 Rdn. 30): Bruttobezüge der letzten drei abgerechneten Monate vor der Entlassung
×
geleistete Stunden in diesen drei Monaten
× 42 Arbeitstage
×
tatsächliche regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit 5
Vergütungssatz je Freistellungstag
15 100
Ausgleichsent= schädigung für den Freistellungstag
=
ee) Kann ein Gefangener nachweisen, dass sich diese Formel zu seinen Nachteilen 30 auswirkt, weil er vor den zurückliegenden drei abgerechneten Monaten höhere Arbeitsentgelte erzielt hat, so steht ihm ein Anspruch auf eine individuelle Berechnung zu (so auch Arloth 2011 Rdn. 30). Da die Ausgleichsentschädigung ein Surrogat für den nicht zu realisierenden persönlichen Freiheitsanspruch darstellt, bestimmt Satz 2, dass der Anspruch hierauf weder verzinslich noch abtretbar noch vererblich ist. Bei der Ausgleichsentschädigung handelt es sich nicht um Bezüge i. S. d. StVollzG. Es erfolgt weder eine Gutschrift zum Eigengeld noch handelt es sich um Entgelt, das nach § 51 Abs. 1 zur Bildung von Überbrückungsgeld zu berücksichtigen ist. Die Ausgleichsentschädigung wird bei der Entlassung regelmäßig in bar ausgezahlt. Ab der Auszahlung ist das Geld in vollem Umfang pfändbar. Zu den Besonderheiten der Gewährung von Ausgleichsentschädigung bei Lebenszeitgefangenen und Sicherungsverwahrten s. Rdn. 27. 499
Laubenthal
§ 43
Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
III. Landesgesetze und Musterentwurf 31
1. Baden-Württemberg. § 49 JVollzGB III entspricht § 43 StVollzG. § 49 Abs. 1 und 7 JVollzGB III sprechen jedoch von „Freistellung aus der Haft“ bzw. „Freistellung aus der Haft (Arbeitsfreistellung)“ anstelle von „Urlaub aus der Haft (Arbeitsurlaub)“. § 49 Abs. 10 Nr. 5 JVollzGB III lautet: „Eine Anrechnung nach Absatz 9 ist ausgeschlossen, bei Entlassung der oder des Gefangenen aus der Haft im Gnadenweg, soweit wegen des von der Gnadenentscheidung bis zur Entlassung verbleibenden Zeitraums eine Anrechnung nicht mehr möglich ist.“ Eine inhaltliche Änderung geht damit nicht einher.
32
2. Bayern. Art. 46 BayStVollzG entspricht im Wesentlichen § 43 StVollzG; Abs. 2 Satz 2 der bayerischen Norm § 200 StVollzG (zur Verfassungsmäßigkeit s. BayVerfGH, vom 9.8.2010 – Vf. 16-VIII-09). Allerdings lautet Art. 46 Abs. 9 BayStVollzG: „Nehmen die Gefangenen nicht innerhalb eines Jahres nach Vorliegen der Voraussetzungen die Freistellung nach Abs. 6 Satz 1 oder Abs. 7 Satz 1 in Anspruch oder kann die Freistellung nach Maßgabe der Regelung des Abs. 7 Satz 2 nicht gewährt werden, so wird die Freistellung nach Abs. 6 Satz 1 von der Anstalt auf den Entlassungszeitpunkt angerechnet.“ In der Gesetzesbegründung heißt es dazu: „Abs. 9 wurde … dahingehend modifiziert, dass Freistellungen, die nicht innerhalb eines Jahres nach Vorliegen der Voraussetzungen in Anspruch genommen werden, auf den Entlassungszeitpunkt angerechnet werden. So wird sichergestellt, dass die Gefangenen nicht die bezahlte Freistellung in großem Umfang bis zum Strafende ansparen und so faktisch eine Kombination von bezahlter Freistellung und Vorverlegung des Entlassungszeitpunkts nach Abs. 9 erreichen können“ (LT-Drucks. 15/8101, 60).
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3. Hamburg. § 40 HmbStVollzG entspricht bis auf redaktionelle Änderungen überwiegend § 43 StVollzG. § 40 Abs. 2 Satz 1, Satz 3 Nr. 1 HmbStVollzG korrespondiert mit § 43 Abs. 2 StVollzG. Abs. 2 Satz 2 lautet: „Dies gilt auch, sofern die Gefangenen arbeitstherapeutisch beschäftigt werden und dies der Art ihrer Beschäftigung und ihrer Arbeitsleistung entspricht.“ § 40 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 HmbStVollzG gleicht § 43 Abs. 3 StVollzG; § 40 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 HmbStVollzG entspricht § 40 Abs. 5 StVollzG. § 40 Abs. 3 und 4 HmbStVollzG korrespondieren mit § 43 Abs. 6 und 7 StVollzG. § 40 Abs. 5 Satz 1 HmbStVollzG normiert: „Nehmen die Gefangenen die Freistellung nach Absatz 3 oder 4 nicht innerhalb eines Jahres nach Vorliegen der Voraussetzungen in Anspruch oder kann die Freistellung nach Absatz 4 nicht gewährt werden, weil die Gefangenen hierfür nicht geeignet sind, so wird die Freistellung auf den Entlassungszeitpunkt des Gefangenen angerechnet.“ § 40 Abs. 5 Satz 2 Nrn. 1 bis 5 HmbStVollzG ähnelt § 43 Abs. 10 StVollzG. § 40 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 HmbStVollzG korrespondiert mit Nr. 3 des § 43 Abs. 10 StVollzG; Nr. 3 der Landesvorschrift mit Nr. 5 des Bundes-StVollzG sowie Nr. 5 mit Nr. 1. § 40 Abs. 6 und 7 HmbStVollzG stimmt sinngemäß mit § 43 Abs. 1 StVollzG überein.
34
4. Hessen. Der Regelungsgehalt des § 43 StVollzG ist in §§ 38, 39 HStVollzG erfasst. § 38 Abs. 1 Satz 1 HStVollzG entspricht dem Grundsatz des § 43 Abs. 1 StVollzG. Abs. 2 der Landesnorm korrespondiert mit § 43 Abs. 2 Satz 1 und 2 StVollzG. Laubenthal
500
Arbeitsentgelt, -urlaub u. Anrechnung der Freistellung auf den Entlassungszeitpunkt
§ 43
§ 38 Abs. 3 Satz 1 HStVollzG stimmt mit § 43 Abs. 3 Satz 1 überein. Zu § 38 Abs. 3 Satz 2 HStVollzG vgl. die Ausführungen zu § 48 StVollzG. § 38 Abs. 4 und 5 HStVollzG entsprechen § 43 Abs. 5 sowie § 195 StVollzG. § 39 Abs. 1 und 2 HStVollzG bestimmen: „(1) Als zusätzliche Anerkennung neben der Vergütung nach § 38 können Gefangene auf Antrag eine 1. weitere Freistellung nach Abs. 2 Satz 1, 2. Freistellung aus der Haft nach Abs. 2 Satz 2 oder 3. Vorverlegung des Entlassungszeitpunkts nach Abs. 2 Satz 3 erhalten. Stellen die Gefangenen keinen Antrag, findet Nr. 3 Anwendung. Darüber hinaus können sie auf Antrag einen Erlass von Verfahrenskosten 1. nach Abs. 5 Nr. 1 und 2. durch Schadenswiedergutmachung nach Abs. 5 Nr. 2 erhalten. (2) Unabhängig von einer Freistellung nach § 27 Abs. 9 erhalten Gefangene für jeweils drei Monate zusammenhängender Ausübung einer Tätigkeit nach § 27 Abs. 3 eine Freistellung von zwei Werktagen. Diese Freistellung kann in Form von Freistellung aus der Haft (§ 13 Abs. 3 Nr. 4) gewährt werden; § 13 Abs. 2 und 4 bis 7 sowie § 14 gelten entsprechend. Nicht in Anspruch genommene Freistellungstage nach Abs. 1 werden auf den Entlassungszeitpunkt angerechnet.“ Die Gesetzesbegründung führt dazu aus: „Die Möglichkeiten der nichtmonetären Anerkennung der Beschäftigung im Vollzug werden in Abs. 1 aufgezählt. Zunächst besteht die Möglichkeit, sich durch regelmäßige Arbeit den Anspruch auf weitere Freistellung (von der Arbeit) zu erwerben, die auch in Form von Freistellung aus der Haft gewährt werden kann. Wird keine dieser beiden Möglichkeiten beantragt, erfolgt die Anrechnung des erworbenen Freistellungsanspruchs in entsprechender Vorverlegung des errechneten Strafendes. Als weiteres neues Element ist zusätzlich ein Erlass von Verfahrenskosten möglich, wenn regelmäßig gearbeitet oder wenn aus dem Arbeitsverdienst Schadenswiedergutmachung betrieben wird. In Abs. 2 wird die Höhe des Freistellungsanspruchs bzw. des Zeitraumes der Vorverlegung des Entlassungszeitpunktes geregelt. Gegenüber dem Strafvollzugsgesetz, das vorsah, für je zwei Monate kontinuierlicher Arbeit einen Freistellungstag bzw. einen Tag Vorverlegung des Entlassungszeitpunktes zu gewähren, wird nunmehr für je drei Monate zusammenhängender entgeltlicher Tätigkeit ein Freistellungsanspruch bzw. ein Anspruch auf Vorverlegung des Entlassungszeitpunktes um zwei Tage erworben. Der Anspruch ist damit um ein Drittel erhöht werden. Gefangene können künftig nicht mehr nur sechs Tage, sondern acht Tage zusätzlicher Freistellung für ein Jahr kontinuierliche Arbeit erwerben“ (LT-Drucks. 18/1396, 102 f). § 39 Abs. 3 und 4 HStVollzG entsprechen § 43 Abs. 10 und 11 StVollzG. § 39 Abs. 5 HStVollzG regelt: „Gefangene erwerben einen Anspruch auf Erlass der von ihnen zu tragenden Kosten des Strafverfahrens im Sinne von § 464 a der Strafprozessordnung, soweit diese dem Land Hessen zustehen, wenn sie 1. jeweils sechs Monate zusammenhängend eine Tätigkeit nach § 27 Abs. 3 ausgeübt haben, in Höhe der von ihnen in diesem Zeitraum erzielten monatlichen Vergütung, höchstens aber fünf vom Hundert der zu tragenden Kosten, oder 2. unter Vermittlung der Anstalt von ihrer Vergütung nach § 38 Schadenswiedergutmachung leisten, in Höhe der Hälfte der geleisteten Zahlungen.“ Die Gesetzesbegründung sagt dazu: „Den Gefangenen ist somit die Möglichkeit eröffnet, neben der bisher bereits im Strafvollzugsgesetz geregelten Möglichkeit, sich zusätzliche Freistellung bzw. Vorverlegung des Entlassungszeitpunktes zu erarbeiten. Gleichzeitig besteht die Möglichkeit, Verfahrenskosten durch kontinuierliche Arbeit oder durch Zahlung von Schadenswiedergutmachung aus Arbeitsentgelt bzw. Ausbildungsbeihilfe zu tilgen. Dies erscheint im Hinblick auf langjährig inhaftierte Gefangene ein zusätzlicher positiver Aspekt für die Wiedereingliederung, da die Schuldenbelastung hierdurch nicht unwesentlich verringert wird. Da es sich jedoch um ein Landesgesetz handelt, muss eine Kostenerstattung auf solche Kosten beschränkt bleiben, die dem Land Hessen zustehen“ (LT-Drucks. 18/1396, 103). 501
Laubenthal
§ 43
Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
§ 39 Abs. 6 HStVollzG lautet: „Für Abs. 2 Satz 1 und Abs. 5 Nr. 1 gilt § 27 Abs. 9 Satz 3 bis 5 entsprechend.“ 35
5. Niedersachsen. § 40 NJVollzG ersetzt die Regelung des § 43 StVollzG. Dabei wurde § 43 Abs. 1 StVollzG nicht in die landesrechtliche Vorschrift übernommen. § 40 Abs. 1 NJVollzG lautet: „(1) Übt die oder der Gefangene eine zugewiesene Arbeit oder angemessene Beschäftigung aus, so erhält sie oder er ein Arbeitsentgelt. Der Bemessung des Arbeitsentgelts sind neun vom Hundert der Bezugsgröße nach § 18 des Vierten Buchs des Sozialgesetzbuchs zugrunde zu legen (Eckvergütung).“ Dies entspricht, abgesehen von redaktionellen Anpassungen, im Wesentlichen § 43 Abs. 2 und § 200 StVollzG. Allerdings wurde § 43 Abs. 2 S. 3 StVollzG nicht übernommen. In der Gesetzesbegründung heißt es dazu: „Die bislang in § 43 Abs. 2 Satz 3 StVollzG enthaltene Regelung über die konkrete Bemessung des Entgeltes in Tagessätzen und Stundensätzen wurde nicht übernommen, weil eine Regelung im Gesetz insoweit nicht erforderlich ist. Diese Details können vielmehr ebenso gut in einer Verwaltungsvorschrift geregelt werden“ (LT-Drucks. 15/3565; 123; s. dazu § 48 StVollzG Rdn. 4). Abs. 2 bis 4 der landesrechtlichen Vorschrift lautet: „(2) Das Arbeitsentgelt kann je nach Leistung der oder des Gefangenen und der Art der Arbeit gestuft werden. 275 vom Hundert der Eckvergütung dürfen nur dann unterschritten werden, wenn die Arbeitsleistungen der oder des Gefangenen den Mindestanforderungen nicht genügen. (3) Übt die oder der Gefangene eine arbeitstherapeutische Beschäftigung aus, so erhält sie oder er ein Arbeitsentgelt, soweit dies der Art der Beschäftigung und der Arbeitsleistung entspricht. (4) Die Höhe des Arbeitsentgeltes ist der oder dem Gefangenen schriftlich bekannt zu geben.“ Dies entspricht inhaltlich weitgehend § 43 Abs. 3 bis 5 StVollzG. § 40 Abs. 5 NJVollzG normiert: „(5) Hat die oder der Gefangene zwei Monate lang zusammenhängend eine Arbeit oder eine angemessene oder arbeitstherapeutische Beschäftigung ausgeübt, so wird sie oder er auf Antrag einen Werktag von der Arbeitspflicht freigestellt (Freistellungstag); Zeiträume von weniger als zwei Monaten bleiben unberücksichtigt. Die Freistellung nach § 39 bleibt unberührt. Durch Zeiten, in denen die oder der Gefangene wegen Krankheit, Ausführung, Ausgang, Urlaub aus der Haft, Freistellung von der Arbeitspflicht oder aus sonstigen von ihr oder ihm nicht zu vertretenden Gründen ihrer oder seiner Arbeitspflicht nicht nachkommt, wird die Frist nach Satz 1 gehemmt. Fehlzeiten, die von der oder dem Gefangenen zu vertreten sind, unterbrechen die Frist.“ Eine inhaltliche gesetzliche Erweiterung im Vergleich zur bundesrechtlichen Regelung stellt Satz 4 dar, der die Folgen einer schuldhaften Unterbrechung der Tätigkeit regelt. Diese Vorschrift übernimmt im Wesentlichen VV Nr. 4 Abs. 1 zu § 43 StVollzG. § 40 Abs. 6 NJVollzG lautet: „(6) Auf Antrag kann der oder dem Gefangenen die Freistellung nach Absatz 5 in Form von Urlaub aus der Haft gewährt werden (Arbeitsurlaub). § 13 Abs. 2 bis 6 und § 15 gelten entsprechend.“ Dies entspricht weitgehend § 43 Abs. 7 StVollzG. § 40 Abs. 7 NJVollzG verweist auf § 39 Abs. 2 und 4 NJVollzG. Dabei soll die Verweisung auf § 39 Abs. 2 NJVollzG sicherstellen, dass der Zeitpunkt der Freistellung mit betrieblichen Belangen vereinbar ist. § 40 Abs. 8 bis 10 NJVollzG regeln: „(8) Wird kein Antrag auf einen Freistellungstag (Absatz 5 Satz 1) oder auf Arbeitsurlaub (Absatz 6 Satz 1) gestellt oder kann Arbeitsurlaub nicht gewährt werden, so wird der Freistellungstag auf den Entlassungszeitpunkt angerechnet. (9) Eine Anrechnung nach Absatz 8 ist ausgeschlossen, 1. soweit eine lebenslange Freiheitsstrafe oder Sicherungsverwahrung verbüßt wird und ein Entlassungszeitpunkt noch nicht bestimmt ist, 2. bei einer Aussetzung der Vollstreckung des Restes einer Freiheitsstrafe oder einer Sicherungsverwahrung zur Bewährung, soweit wegen Laubenthal
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Arbeitsentgelt, -urlaub u. Anrechnung der Freistellung auf den Entlassungszeitpunkt
§ 43
des von der Entscheidung des Gerichts bis zur Entlassung verbleibenden Zeitraums eine Anrechnung nicht mehr möglich ist, 3. wenn dies vom Gericht angeordnet wird, weil bei einer Aussetzung der Vollstreckung des Restes einer Freiheitsstrafe oder einer Sicherungsverwahrung zur Bewährung die Lebensverhältnisse der oder des Gefangenen oder die Wirkungen, die von der Aussetzung für sie oder ihn zu erwarten sind, die Vollstreckung bis zu einem bestimmten Zeitpunkt erfordern, 4. wenn nach § 456 a Abs. 1 StPO von der Vollstreckung abgesehen wird, 5. wenn die oder der Gefangene im Gnadenwege aus der Haft entlassen wird. (10) Soweit eine Anrechnung nach Absatz 9 ausgeschlossen ist, erhält die oder der Gefangene bei der Entlassung als Ausgleichsentschädigung zusätzlich 15 vom Hundert des Arbeitsentgelts. § 39 Abs. 4 Satz 2 gilt entsprechend. Der Anspruch entsteht erst mit der Entlassung; vor der Entlassung ist der Anspruch nicht verzinslich, abtretbar und vererblich. Ist eine Anrechnung nach Absatz 9 Nr. 1 ausgeschlossen, so wird die Ausgleichszahlung der oder dem Gefangenen bereits nach Verbüßung von jeweils zehn Jahren der lebenslangen Freiheitsstrafe oder Sicherungsverwahrung zum Eigengeld gutgeschrieben, soweit sie oder er nicht vor diesem Zeitpunkt entlassen wird; § 57 Abs. 4 StGB gilt entsprechend.“ § 40 Abs. 8 bis 10 übernehmen inhaltlich im Wesentlichen die Bestimmungen der Abs. 9 bis 11 des § 43 StVollzG. 6. Musterentwurf. Die Vergütung von Arbeit ist in § 55 ME-StVollzG modifiziert ge- 36 regelt. Dazu führt die ME-Begründung aus: „Bei der nun vorgenommenen Neukonzeption des Gesetzes ist hinsichtlich der Höhe der Vergütung bei arbeitstherapeutischen Maßnahmen und Arbeitstraining zu berücksichtigen, dass die Festlegung solcher Maßnahmen im Rahmen des Vollzugs- und Eingliederungsplans ähnlich wie im Maßregelvollzug vorrangig auf die Erreichung des Vollzugsziels gerichtet ist. Hinsichtlich der Höhe der Vergütung ist bei einer nach § 22 zugewiesenen Arbeit zu berücksichtigen, dass es sich insoweit um freiwillige Arbeit und nicht um Pflichtarbeit handelt. Daher ist eine nicht-monetäre Komponente entsprechend der Regelung des § 43 Abs. 6 StVollzG nicht mehr vorgesehen, ohne dass sich daraus ein Anspruch der Gefangenen auf eine höhere Vergütung als bisher ergibt“ (ME-Begründung, 123). Der Grundsatz der Vergütung von Arbeit findet sich in § 55 Abs. 1 Nr. 3 ME-StVollzG. § 55 Abs. 2 Satz 1 ME-StVollzG entspricht § 43 Abs. 2 Satz 2 StVollzG i. V. m. § 200 StVollzG. § 55 Abs. 2 Satz 2 ME-StVollzG ist identisch mit § 43 Abs. 2 Satz 3 StVollzG. Eine mit § 43 Abs. 3 Satz 1 StVollzG korrespondierende Vorschrift findet sich in § 55 Abs. 5 Satz 1 ME-StVollzG. § 55 Abs. 3 Satz 2 ME-StVollzG normiert: „Sie beträgt mindestens 60 Prozent der Eckvergütung und kann nach einem Stundensatz bemessen werden.“ Die ME-Begründung führt dazu aus: „Absatz 3 Satz 1 ermöglicht eine Stufung der Vergütung, um zwischen den einzelnen Maßnahmen und der Leistung der Gefangenen differenzieren zu können. Satz 2 legt als Untergrenze der Vergütung 60 Prozent der Eckvergütung fest. Dabei werden alle Formen der Vergütung erfasst“ (ME-Begründung, 124). Zu § 55 Abs. 3 Satz 3 ME-StVollzG vgl. die Ausführungen zu § 48 StVollzG. Zu § 55 Abs. 4 ME-StVollzG vgl. die Ausführungen zu § 195 StVollzG. § 55 Abs. 5 ME-StVollzG entspricht Abs. 5 der Bundesvorschrift.
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§ 44
Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
§ 44 Ausbildungsbeihilfe § 44 Laubenthal Ausbildungsbeihilfe (1) Nimmt der Gefangene an einer Berufsausbildung, beruflichen Weiterbildung oder an einem Unterricht teil und ist er zu diesem Zweck von seiner Arbeitspflicht freigestellt, so erhält er eine Ausbildungsbeihilfe, soweit ihm keine Leistungen zum Lebensunterhalt zustehen, die freien Personen aus solchem Anlass gewährt werden. Der Nachrang der Sozialhilfe nach § 2 Abs. 2 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch wird nicht berührt. (2) Für die Bemessung der Ausbildungsbeihilfe gilt § 43 Abs. 2 und 3 entsprechend. (3) Nimmt der Gefangene während der Arbeitszeit stunden- oder tageweise am Unterricht oder an anderen zugewiesenen Maßnahmen gemäß § 37 Abs. 3 teil, so erhält er in Höhe des ihm dadurch entgehenden Arbeitsentgelts eine Ausbildungsbeihilfe. VV Als Berufsfindungsmaßnahme kann auch die Teilnahme eines Gefangenen an einem Einweisungsverfahren in einer zentralen Einweisungseinrichtung in Betracht kommen. Schrifttum S. vor § 37 und bei § 43.
I. II.
III.
Übersicht Allgemeine Hinweise ____ 1 Erläuterungen ____ 2–8 1. Voraussetzungen für die Gewährung ____ 2–5 2. Umfang der Ausbildungsbeihilfe ____ 6–8 Landesgesetze und Musterentwurf ____ 9–14 1. Baden-Württemberg ____ 9
2. 3. 4. 5. 6.
Bayern ____ 10 Hamburg ____ 11 Hessen ____ 12 Niedersachsen ____ 13 Musterentwurf ____ 14
I. Allgemeine Hinweise 1
Die Vorschrift gibt dem Gefangenen unter bestimmten Voraussetzungen einen Rechtsanspruch auf Gewährung einer Ausbildungsbeihilfe (ähnlich wie § 43 Abs. 2 Satz 1 für das Arbeitsentgelt; vgl. dort Rdn. 6). Damit soll sichergestellt werden, dass der an Bildungsmaßnahmen Teilnehmende keine Nachteile gegenüber demjenigen erleidet, der für die Erledigung zugewiesener Arbeit das entsprechende Arbeitsentgelt erhält. Diese Regelung ist eine Folge der grundsätzlichen Gleichwertigkeit von Ausbildung und Arbeit (Laubenthal 2011 Rdn. 455). Die frühere Praxis hatte gezeigt, dass sich Gefangene davon abhalten ließen, eine als Ergebnis der Persönlichkeitserforschung (§ 6) im Vollzugsplan (§ 7) vorgeschlagene Bildungsmaßnahme zu durchlaufen, wenn sie auf das in der gleichen Zeit andernfalls zu erzielende Arbeitsentgelt vollständig verzichten mussten (vgl. BT-Drucks. 7/918, 68 f). Um diese Behinderung der Bildung zu beseitigen und um die Motivation zur Teilnahme an schulischer oder beruflicher Bildung zu unterstützen, wurde die Ausbildungsbeihilfe vorgesehen. Sie tritt an die Stelle des entgangenen Arbeitsentgelts.
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504
Ausbildungsbeihilfe
§ 44
II. Erläuterungen 1. Voraussetzungen für die Gewährung a) Voraussetzung für die Gewährung von Ausbildungsbeihilfe ist zunächst die Teil- 2 nahme an einer Berufsausbildung, beruflichen Weiterbildung (§ 37 Abs. 3) oder an einem Unterricht (§ 38). Zur Berufsausbildung zählen dabei auch Motivations-, Berufsorientierungs-, Berufsfindungs- und Berufsvorbereitungsmaßnahmen (s. auch VV, nach der als Berufsfindungsmaßnahme darüber hinaus die Teilnahme eines Gefangenen an einem Einweisungsverfahren in einer zentralen Einweisungseinrichtung in Betracht kommt; s. dazu LG Stuttgart ZfStrVo 2002, 184). Wie bei § 43 Abs. 2 Satz 1 ist auch bei § 44 die tatsächliche Teilnahme an der Bildungsmaßnahme erforderlich. Die bloße Bereitschaft dazu reicht nicht aus, auch wenn der Gefangene aus organisatorischen Gründen in seinem Ausbildungsbetrieb nicht arbeiten kann (KG NStZ 1989, 197; ZfStrVo 1992, 386). b) Der Gefangene muss zum Zweck der Teilnahme an der Bildungsmaßnahme von 3 der Arbeitspflicht freigestellt sein. Diese Formulierung ist missverständlich. Es handelt sich nicht um eine Freistellung von der Arbeitspflicht gem. § 42, sondern um die Gelegenheit zur Teilnahme an einer aufgrund des Vollzugsplans notwendigen Bildungsmaßnahme anstelle der Zuweisung einer Pflichtarbeit bzw. sonstigen Beschäftigung. Mit dem in § 37 Abs. 1 betonten allgemeinen Grundsatz der Gleichwertigkeit von Bildung und Arbeit (Rdn.1) wäre eine „Freistellung von der Arbeit“ zur Teilnahme an Bildungsmaßnahmen und die darin zu sehende Subsidiarität von Bildung gegenüber Arbeit unvereinbar. Unter § 44 fällt somit nicht derjenige Inhaftierte, der arbeitslos ist und aus eigener Initiative ein Fernstudium aufnimmt (KG NStZ 2000, 465). Die Anstaltsleitung kann die Zulassung zu einer Ausbildung (z. B. Fernlehrgang) sowie die Zahlung einer Ausbildungsbeihilfe von einer bis zu sechs Monaten dauernden Probezeit abhängig machen, in der die Bildungsmaßnahme neben der Arbeitstätigkeit absolviert und nicht vergütet wird (OLG Hamburg, Beschl. vom 19.7.2010 – 3 Vollz (Ws) 38/ 10). Aus Satz 1 folgt, dass der in einem freien Beschäftigungsverhältnis nach § 39 Abs. 1 an einer Bildungsmaßnahme teilnehmende Strafgefangene keine Ausbildungsbeihilfe nach § 44 erhält. c) Der Gefangene erhält nur dann eine Ausbildungsbeihilfe, soweit ihm keine Leis- 4 tungen zum Lebensunterhalt zustehen, die freien Personen aus solchem Anlass gewährt werden. Der Anspruch gegen die Vollzugsbehörde ist somit nachrangig (Abs. 1 Satz 1). Er tritt insbesondere hinter Leistungen der Arbeitsförderung nach dem SGB III oder dem BAföG zurück (s. dazu Hardes 1998, 147). Allerdings werden die Leistungen nach dem SGB III dem Gefangenen lediglich bis zur Höhe der Ausbildungsbeihilfe nach § 44 gewährt, denn § 22 Abs. 1 SGB III bestimmt, dass Leistungen der aktiven Arbeitsförderung nur erbracht werden dürfen, wenn nicht andere Leistungsträger oder andere öffentlichrechtliche Stellen zur Erbringung gleichartiger Leistungen gesetzlich verpflichtet sind. Die finanzielle Fremdförderung einer Bildungsmaßnahme modifiziert nicht den Charakter einer zugewiesenen Aus- oder Weiterbildungsstelle bzw. eines Unterrichtsplatzes auf öffentlich-rechtlicher Grundlage. d) § 44 Abs. 1 Satz 2 wurde durch Art. 37, 70 Abs. 1 des Gesetzes zur Einordnung des 5 Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch v. 27.12.2003 (BGBl. I, 3022) ohne inhaltliche Änderung an die Neuregelung des Sozialhilferechts angepasst. Der Nachrang der So505
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§ 44
Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
zialhilfe nach § 2 Abs. 2 SGB XII bleibt gem. Abs. 1 Satz 2 bestehen. Der Anspruch des Gefangenen gegen die Vollzugsbehörde geht mithin vor. 2. Umfang der Ausbildungsbeihilfe 6
a) Die Ausbildungsbeihilfe tritt an die Stelle des Arbeitsentgelts nach § 43, so dass die Regelungen dieser Norm unmittelbar bzw. analog anwendbar sind (s. auch Arloth 2011 Rdn. 1). Für die Bemessung der Ausbildungsbeihilfe als monetäre Leistung gelten nach Abs. 2 § 43 Abs. 2 und 3 entsprechend (dazu § 43 Rdn. 6 ff). In Verbindung mit der gem. § 48 erlassenen Strafvollzugsvergütungsordnung (s. dazu § 48 Rdn. 2; vgl. insbesondere § 4 StVollzVergO) ergibt sich: Die Regelausbildungsbeihilfe entspricht grundsätzlich der vollen Höhe des Grundlohns (Vergütungsstufe III). Sie kann um jeweils eine Vergütungsstufe erhöht oder reduziert werden. Eine Erhöhung setzt voraus, dass mindestens die Hälfte der Gesamtdauer der Maßnahme abgelaufen ist und der Gefangene aufgrund seiner Mitarbeit und nach seinem Leistungsstand erwarten lässt, dass er das Ausbildungsziel erreicht. Dabei kann die Arbeitshaltung des Gefangenen berücksichtigt werden (KG ZfStrVo 1983, 309), also die Art der Arbeitsweise insbesondere bei der Ausführung praktischer Arbeiten, weil diese für das Erreichen des beruflichen Ausbildungszieles bedeutsam ist. Hingegen erscheint es entgegen OLG Hamburg (NStZ 1995, 303) nicht vertretbar, im Schulunterricht generell auch das soziale Verhalten des Gefangenen zu berücksichtigen. Dieses ist zwar sozialprognostisch im Hinblick auf die Erreichung des Vollzugszieles von Bedeutung und daher zu fördern, nicht aber für den Erwerb des Schulabschlusses an sich maßgeblich (so auch C/MD 2008 Rdn. 2; a. A. Arloth 2011 Rdn. 3). Eine Reduzierung der Beihilfe um eine Vergütungsstufe kommt bei Unterrichtsangeboten gem. § 38 und bei Berufsfindungsmaßnahmen in Betracht, wenn dies wegen der Kürze oder des Ziels der Maßnahme gerechtfertigt erscheint. Die Gewährung von Zulagen richtet sich nach den gleichen Grundsätzen, die auch für das Arbeitsentgelt maßgebend sind (§ 48 Rdn. 8). Absolviert der Inhaftierte ein Studium, so kann die Ausbildungsbeihilfe jedoch nicht nach der Zeit bemessen werden, die der Gefangene hierfür aufwendet, denn der zeitliche Aufwand für ein Erfolg versprechendes Studium hängt nicht vom Studienfach, sondern vor allem von der individuellen Befähigung des Studenten ab. Zudem vermag nicht überprüft zu werden, wie lange sich der Einzelne seinem Studium widmet (KG NStZ 2004, 610).
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b) § 43 Abs. 6 Satz 1 gewährt Freistellungstage u. a. bei zugewiesener Tätigkeit gem. § 37, wozu nach Abs. 1 und 3 jener Norm auch die Maßnahmen der Aus- und Weiterbildung gehören. Die Einbeziehung der an einer Berufsausbildung, beruflichen Weiterbildung oder an einem Unterricht anstelle der Zuweisung zu einer Arbeit bzw. sonstigen Beschäftigung teilnehmenden Gefangenen in den Bereich der nicht-monetären Komponente bestätigt zudem § 43 Abs. 11 Satz 1. Dort ist hinsichtlich der Berechnung einer Ausgleichsentschädigung die nach § 44 gewährte Ausbildungsbeihilfe ausdrücklich benannt. Die nicht-monetäre Anerkennung der Teilnahme an einer Aus- oder Weiterbildungsmaßnahme gem. § 43 Abs. 6 bis 11 bleibt auch dann bestehen, wenn diese drittfinanziert (z. B. nach dem SGB III) wird.
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c) Nach Abs. 3 erhält der Gefangene die in Höhe des ihm entgehenden Arbeitsentgelts anteilige Ausbildungsbeihilfe, wenn er während der Arbeitszeit stunden- oder tageweise am Unterricht (§ 38) oder an einer beruflichen Bildung (§ 37 Abs. 3) teilnimmt. An dieser Bestimmung wird die Gleichwertigkeit beider Bereiche noch einmal deutlich. Laubenthal
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III. Landesgesetze und Musterentwurf 1. Baden-Württemberg. § 50 JVollzGB III entspricht § 44 StVollzG. Eine Änderung 9 besteht lediglich in der Formulierung im Plural sowie der Verweisung auf spezifisches Landesrecht. 2. Bayern. Art. 47 BayStVollzG entspricht, abgesehen von der Abfassung der Abs. 1 10 Satz 1 und Abs. 3 im Plural sowie der geänderten Verweisung auf Landesrecht in Abs. 2 und 3, weitestgehend § 44 StVollzG. 3. Hamburg. § 41 HmbStVollzG korrespondiert bis auf die Formulierung im Plural 11 und die Verweisung auf Landesrecht mit § 44 StVollzG. 4. Hessen. § 38 Abs. 1 Satz 2 HStVollzG lautet: „Gefangene, die während der Arbeits- 12 zeit ganz oder teilweise an einer Maßnahme nach § 27 Abs. 3 Satz 2 teilnehmen, erhalten hierfür eine Ausbildungsbeihilfe, soweit kein Anspruch auf andere Leistungen besteht, die freien Personen aus solchem Anlass zustehen.“ Abs. 2 normiert auch die Bemessung der Ausbildungsbeihilfe. Nach Abs. 4 wird die Höhe der Ausbildungsbeihilfe den Gefangenen schriftlich bekannt gegeben. 5. Niedersachsen. § 41 NJVollzG lautet: „Nimmt die oder der Gefangene an einer zu- 13 gewiesenen beruflichen Aus- oder Weiterbildung oder an zugewiesenem Unterricht teil, so erhält sie oder er eine Ausbildungsbeihilfe, soweit ihr oder ihm keine Leistungen zum Lebensunterhalt zustehen, die freien Personen aus solchem Anlass gewährt werden. Der Nachrang der Sozialhilfe nach § 2 Abs. 2 des Zwölften Buchs des Sozialgesetzbuchs bleibt unberührt. Für die Ausbildungsbeihilfe gilt im Übrigen § 40 mit Ausnahme des Absatzes 3 entsprechend.“ Satz 1 und 2 entsprechen im Wesentlichen § 44 Abs. 1 StVollzG. In der Gesetzesbegründung heißt es dazu: „Der Entwurf entspricht hier im Wesentlichen § 44 Abs. 1 StVollzG […] Die in § 44 Abs. 2 StVollzG vorgesehene Vorgabe für die Bemessung der Ausbildungsvergütung […] soll nicht übernommen werden. Stattdessen soll die Bemessung der Ausbildungsvergütung in einer Verordnung des Fachministeriums festgelegt werden […] Dies ermöglicht eine flexiblere Handhabung. [Die Regelung des] § 44 Abs. 3 StVollzG […] erscheint unangemessen. Vielmehr genügt es, dass die betroffenen Gefangenen die Ausbildungsbeihilfe erhalten, die für die jeweilige Ausbildungsmaßnahme auch sonst vorgesehen ist. § 44 Abs. 3 StVollzG soll daher nicht übernommen werden“ (LT-Drucks. 15/3565, 124 f). 6. Musterentwurf. § 55 Abs. 1 Nr. 2 ME-StVollzG normiert: „Die Gefangenen erhalten 14 eine Vergütung in Form von Ausbildungsbeihilfe für die Teilnahme an schulischen und beruflichen Qualifizierungsmaßnahmen nach § 9 Abs. 1 Nr. 9.“ Die ME-Begründung führt dazu aus: „Nach Nummer 2 wird die Teilnahme an schulischen und beruflichen Qualifizierungsmaßnahmen einschließlich Alphabetisierungs- und Deutschkursen in Form einer Ausbildungsbeihilfe vergütet. Die Ausbildungsbeihilfe soll sicherstellen, dass den Gefangenen durch die in der Regel als Vollzeitmaßnahme stattfindenden schulischen und beruflichen Qualifizierungsmaßnahmen kein finanzieller Nachteil gegenüber arbeitenden Gefangenen entsteht“ (ME-Begründung, 124). § 55 Abs. 6 ME-StVollzG bestimmt: „Die Gefangenen, die an einer Maßnahme nach § 21 teilnehmen, erhalten hierfür nur eine Ausbildungsbeihilfe, soweit kein Anspruch auf Leistungen zum Lebensunterhalt besteht, die außerhalb des Vollzugs aus solchem An507
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lass gewährt werden.“ In der ME-Begründung heißt es dazu: „Gemäß Absatz 6 ist der Anspruch auf Vergütung in Form der Ausbildungsbeihilfe nachrangig zu Leistungen zum Lebensunterhalt, die den Gefangenen aus Anlass der Arbeitsförderung nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch oder dem Bundesausbildungsförderungsgesetz zustehen. Auszubildende in einem freien Beschäftigungsverhältnis gemäß § 23 erhalten keine Ausbildungsbeihilfe nach Absatz 1, da sie wie Auszubildende außerhalb des Vollzuges vergütet werden“ (ME-Begründung, 125).
§ 45* Ausfallentschädigung § 45 Laubenthal Ausfallentschädigung (1) Kann einem arbeitsfähigen Gefangenen aus Gründen, die nicht in seiner Person liegen, länger als eine Woche eine Arbeit oder Beschäftigung im Sinne des § 37 Abs. 4 nicht zugewiesen werden, erhält er eine Ausfallentschädigung. (2) Wird ein Gefangener nach Beginn der Arbeit oder Beschäftigung infolge Krankheit länger als eine Woche an seiner Arbeitsleistung verhindert, ohne dass ihn ein Verschulden trifft, so erhält er ebenfalls eine Ausfallentschädigung. Gleiches gilt für Gefangene, die eine Ausbildungsbeihilfe nach § 44 oder Ausfallentschädigung nach Absatz 1 bezogen haben. (3) Werdende Mütter, die eine Arbeit oder Beschäftigung im Sinne des § 37 nicht verrichten, erhalten Ausfallentschädigung in den letzten sechs Wochen vor der Entbindung und bis zum Ablauf von acht Wochen, bei Früh- und Mehrlingsgeburten bis zu zwölf Wochen nach der Entbindung. (4) Die Ausfallentschädigung darf 60 vom Hundert der Eckvergütung nach § 43 Abs. 1 nur dann unterschreiten, wenn der Gefangene das Mindestentgelt des § 43 Abs. 2 vor der Arbeitslosigkeit oder Krankheit nicht erreicht hat. (5) Ausfallentschädigung wird unbeschadet der Regelung nach Absatz 3 insgesamt bis zur Höchstdauer von sechs Wochen jährlich gewährt. Eine weitere Ausfallentschädigung wird erst gewährt, wenn der Gefangene erneut wenigstens ein Jahr Arbeitsentgelt oder Ausbildungsbeihilfe bezogen hat. (6) Soweit der Gefangene nach § 566 Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung Übergangsgeld erhält, ruht der Anspruch auf Ausfallentschädigung. * § 45 tritt durch besonderes Bundesgesetz in Kraft (§ 198 Abs. 3).
Schrifttum Kintrup Ausfallentschädigung für Strafgefangene im Strafvollzug, in: NStZ 2001, 127.
Allgemeine Hinweise 1
Die Vorschrift ist bisher nicht in Kraft getreten. Dazu bedarf es gem. § 198 Abs. 3 eines besonderen Bundesgesetzes. Die Bestimmung sieht – als vollzugsspezifische soziale Sicherung – einen Rechtsanspruch des Gefangenen auf Zahlung einer Ausfallentschädigung vor bei unverschuldeter Arbeitslosigkeit, unverschuldeter längerer Krankheit, Schwangerschaft, Geburt und Stillzeit (Abs. 1 bis 3). Durch diese Vorsorgeregelung soll der Gefangene grundsätzlich in gleicher Weise sozial sichergestellt sein wie ein freier Arbeitnehmer (BT-Drucks. 7/918, 69; zum Angleichungsgrundsatz § 3 Rdn. 3 ff). Allerdings musste berücksichtigt werden, dass die Situation im Strafvollzug in diesem BeLaubenthal
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reich insofern anders ist als im freien Erwerbsleben, weil im Strafvollzug unverhältnismäßig häufig überproportional viele Gefangene den Anforderungen des Arbeitslebens nicht genügen und oftmals erst an eine andauernde Arbeit herangeführt werden müssen. Bei dem In-Kraft-Setzen durch das besondere Bundesgesetz, dessen Ausbleiben 2 zu unbilligen Ergebnissen führt (vgl. Kintrup 2001, 127; s. auch AK-Däubler/Galli 2012 Rdn. 1), sollten die vorgesehenen Einzelregelungen inhaltlich überprüft werden. Es erscheint wenig sachgerecht, Gefangene bei organisationsbedingtem, nicht verschuldetem Arbeitsausfall nach Beginn eines Arbeits- oder Ausbildungsverhältnisses anders zu stellen als solche, denen unter den Voraussetzungen des Abs. 1 eine Ausfallentschädigung gezahlt werden soll (vgl. KG NStZ 1989, 197: Nichtarbeit des Gefangenen wegen Abwesenheit der Werkmeister zum Jahreswechsel). Entsprechendes gilt bei fehlerhaft erfolgter Ablösung eines Gefangenen von seinem Arbeitsplatz (vgl. OLG Zweibrücken 15.4.1993 – 1 Vollz [Ws] 6/92 – betr. Ablösung vom zugewiesenen Arbeitsplatz; s. auch § 41 Rdn. 17 und § 46 Rdn. 3). Ferner ist zweifelhaft, warum in Anwendung des Abs. 6 eine Erkrankung oder ein Unfall, der kein Arbeitsunfall ist, günstigere Rechtsfolgen bezüglich des Anspruchs auf Arbeitslosengeld nach sich ziehen soll als ein Arbeitsunfall. § 566 RVO ist zwar seit dem 1.1.1997 durch die Neuregelung der gesetzlichen Unfallversicherung in SGB VII außer Kraft gesetzt worden. Wie § 49 SGB VII zu entnehmen ist, hat sich dadurch die Rechtslage aber materiell nicht geändert. Auf landesrechtlicher Ebene enthalten weder das JVollzGB, das BayStVollzG, das HmbStVollzG, das HStVollzG noch das NJVollzG eine Bestimmung über die Gewährung von Ausfallentschädigung. Auch im Musterentwurf findet sich eine solche Regelung nicht.
§ 46* Taschengeld § 46 Laubenthal Taschengeld Wenn ein Gefangener wegen Alters oder Gebrechlichkeit nicht mehr arbeitet oder ihm eine Ausfallentschädigung nicht oder nicht mehr gewährt wird, erhält er ein angemessenes Taschengeld, falls er bedürftig ist. Gleiches gilt für Gefangene, die für eine Beschäftigung nach § 37 Abs. 5 kein Arbeitsentgelt erhalten. * § 46 tritt durch besonderes Bundesgesetz in Kraft (§ 198 Abs. 3); nach § 199 Abs. 1 Nr. 1 gilt § 46 bis dahin in folgender Fassung:
§ 46 Wenn ein Gefangener ohne sein Verschulden kein Arbeitsentgelt und keine Ausbildungsbeihilfe erhält, wird ihm ein angemessenes Taschengeld gewährt, falls er bedürftig ist. VV (zu § 46 in der Fassung des § 199 Abs. 1 Nr. 1 StVollzG) (1) Das Taschengeld wird nur auf Antrag gewährt. (2) Das Taschengeld beträgt 14 v. H. der Eckvergütung (§ 43 Abs. 2 StVollzG). Bei der Berechnung des Taschengeldes werden Hausgeld und Eigengeld berücksichtigt. Ein Geld509
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betrag, der für einen Gefangenen statt eines Paketes im Sinne des § 33 Abs. 1 Satz 1 StVollzG zum eigenen Einkauf von Nahrungs- und Genussmitteln eingezahlt wird, bleibt bis zu dem für den Ersatzeinkauf festgesetzten Höchstbetrag bei der Berechnung des Taschengeldes für den laufenden und längstens den folgenden Monat unberücksichtigt. (3) Bedürftig ist ein Gefangener, soweit ihm im laufenden Monat aus Hausgeld und Eigengeld nicht ein Betrag bis zur Höhe des Taschengeldes zur Verfügung steht. Schrifttum S. bei § 43.
I. II.
Übersicht Allgemeine Hinweise ____ 1 Erläuterungen ____ 2–9 1. Voraussetzungen für die Gewährung ____ 2–7 a) Kein Arbeitsentgelt und keine Ausbildungsbeihilfe ____ 2 b) Kein Verschulden des Gefangenen ____ 3–5 c) Bedürftigkeit des Gefangenen ____ 6, 7 2. Rechtsanspruch bei Vorliegen der Voraussetzungen ____ 8
III.
3. Unpfändbarkeit des Taschengeldanspruchs ____ 9 Landesgesetze und Musterentwurf ____ 10–15 1. Baden-Württemberg ____ 10 2. Bayern ____ 11 3. Hamburg ____ 12 4. Hessen ____ 13 5. Niedersachsen ____ 14 6. Musterentwurf ____ 15
I. Allgemeine Hinweise 1
Die dem Sozialhilferecht entlehnte Taschengeldregelung ist bisher nicht in Kraft getreten. Dazu bedarf es gem. § 198 Abs. 3 eines besonderen Bundesgesetzes. Bis zu diesem Zeitpunkt gilt als allein maßgebliche Vorschrift die in § 199 Abs. 1 Nr. 1 vorgesehene Übergangsfassung. Sie stellt eine finanzielle Mindestausstattung derjenigen Strafgefangenen sicher, die sonst schuldlos ohne einen verfügbaren Geldbetrag wären und dadurch besonders anfällig für behandlungsfeindliche subkulturelle Abhängigkeiten von Mitgefangenen. Das Taschengeld stellt somit auch eine wichtige soziale Mindestsicherung durch die Vollzugsbehörde dar zur Befriedigung von Bedürfnissen, die über die auf Existenzsicherung zielende Versorgung des Einzelnen durch die Anstalt hinausgehen. Einer Gewährung von Sozialhilfe für Strafgefangene durch den zuständigen Sozialhilfeträger steht der Nachranggrundsatz des § 2 SGB XII entgegen, so dass kein ergänzender Sozialhilfeanspruch besteht. Das gilt angesichts der abschließenden Regelung in § 46 auch dann, wenn die Vollzugsbehörde Taschengeld nicht gewährt (OVG Münster ZfStrVo 1988, 364; s. aber auch AK-Däubler/Galli 2012 Rdn. 14). II. Erläuterungen 1. Voraussetzungen für die Gewährung
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a) Kein Arbeitsentgelt und keine Ausbildungshilfe. Die Zahlung eines Taschengelds kommt nur in Betracht, wenn der Gefangene kein Arbeitsentgelt (§ 43) und keine Ausbildungsbeihilfe (§ 44) erhält. Diese Nachrangigkeit des Taschengelds verdeutlicht seine Funktion als finanzielle Mindestausstattung (Rdn. 1) und ähnelt damit dem Subsidiaritätsprinzip im Bereich der Sozialhilfe. Dem entspricht auch der im Gesetz nicht enthaltene Antragsgrundsatz: Nach VV Abs. 1 wird das Taschengeld nur auf Antrag gewährt. Es soll keinem Gefangenen „aufgedrängt“ werden. Laubenthal
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b) Kein Verschulden des Gefangenen. Voraussetzung ist weiter, dass der Gefan- 3 gene ohne sein Verschulden keine Bezüge nach dem StVollzG erhält, weil ihm aus Gründen, die er nicht zu vertreten hat, weder Arbeit bzw. Beschäftigung nach § 37 Abs. 2, 4 und 5 zugewiesen noch eine Berufsbildung gemäß § 37 Abs. 3 oder schulische Bildung nach § 38 ermöglicht noch eine Hilfstätigkeit i. S. von § 41 Abs. 1 Satz 2 übertragen werden kann. Als Gründe kommen dafür wirtschaftliche Rezession mit Auftragsmangel und Arbeitslosigkeit ebenso in Betracht wie fehlende Arbeits- und Ausbildungsplätze sowie Arbeitsunfähigkeit des Gefangenen infolge Krankheit, Alter oder Gebrechlichkeit (vgl. zum Letzten auch BT-Drucks. 7/918, 69). Taschengeld wird nicht gezahlt, wenn der Gefangene schuldhaft mittellos ist, weil ihm aus einem von ihm zu vertretenden Grund keine Arbeit zugewiesen werden kann, z. B. im Falle der Arbeitsverweigerung (obwohl der Arzt die Arbeitsfähigkeit attestiert hat; OLG Hamm NStZ 1985, 429), während des Vollzugs des Arrestes (KG ZfStrVo 1985, 252) oder wegen Arbeitsverlustes aufgrund eines durch den Gefangenen verschuldeten Sicherheitsrisikos (Ausbruch: OLG Koblenz NStZ 1987, 576; versuchte Gefangenenbefreiung: OLG Koblenz ZfStrVo 1990, 117 = NStZ 1989, 342 m. Anm. Rotthaus; Verlegung in eine besonders gesicherte Anstalt oder in den Sicherheitsbereich einer Anstalt: KG 4.12.1985 – 5 Ws 271/85 Vollz). Kann dem Inhaftierten aufgrund Verlegung keine Arbeit zugewiesen werden, darf der Taschengeldanspruch aber nur versagt werden, wenn und soweit sich die Beschäftigungslosigkeit des Gefangenen als eine unvermeidbare, ihm zuzurechnende Folge der Verlegung darstellt. Dies ist dann nicht mehr der Fall, wenn die Anstalt keine Arbeitsmöglichkeiten in dem Unterbringungsbereich geschaffen hat oder sie es lediglich für nicht vertretbar hält, in diesem (Sicherheits-)Bereich untergebrachte Gefangene zur Arbeit einzusetzen (KG 4.12.1985 – 5 Ws 271/85 Vollz; vgl. auch OLG Koblenz NStZ 1987, 576; NStZ 1989, 342). Die Nichtgewährung von Taschengeld führt zu besonders einschneidenden Ein- 4 schränkungen des Inhaftierten in der Anstalt. Verfügt er über keine anderen Mittel, bleibt er auf die Versorgung durch die Institution angewiesen und hat keinerlei Möglichkeit zum Erwerb von darüber hinaus notwendigen Gegenständen (z. B. von Briefmarken zur Aufrechterhaltung schriftlicher Kommunikation). Deshalb setzt der Ausschluss oder Verlust des Anspruchs auf Taschengeld voraus, dass das Verschulden des Gefangenen an der Maßnahme, die seine Arbeitslosigkeit begründet, durch positive Feststellung feststeht. Ein bloßer Verdacht (als hinreichende Grundlage für Sicherheitsmaßnahmen) reicht für die Versagung von Taschengeld nicht aus, weil die Formulierung „ohne sein Verschulden“ keine Umkehr der Beweislast zum Nachteil des Betroffenen bedeutet (OLG Zweibrücken NStZ 1994, 102). Dementsprechend hat auch das BVerfG (ZfStrVo 1996, 314) angesichts der Folgen für das Leben des bedürftigen Gefangenen im Vollzug bei Nichtgewährung von Taschengeld festgestellt, dass der Sachverhalt einer schuldhaften Arbeitsverweigerung der Klärung durch eine hinreichende Tatsachenfeststellung bedarf. Eine seitens des Gefangenen nicht wahrgenommene ärztliche Untersuchung reicht in der Regel nicht für die Annahme der Arbeitsfähigkeit des Gefangenen aus, wenn nicht die ernsthafte Weigerung eines Gefangenen, sich ärztlich untersuchen zu lassen, im Einzelfall einen anderen Rückschluss zulässig macht. Die Versagung von Taschengeld ist nur dann gerechtfertigt, wenn das Verhalten des Gefangenen (z. B. Urlaubsmissbrauch) auch kausal für seine Arbeitslosigkeit war bzw. ist (OLG Frankfurt BlStV 4/1987, 6). Nicht vorwerfbar und mithin unverschuldet ist die Mittellosigkeit aufgrund von verweigerter Haftraumarbeit, sofern nicht die gemeinschaftliche Unterbringung während der Arbeitszeit gem. § 17 Abs. 3 Nr. 1 bis 3 eingeschränkt war (OLG Hamm NStZ 1990, 206), oder infolge der Ablösung von der Arbeit, wenn diese durch die auf islamisches Recht gegründete Weigerung eines inhaftierten Angehörigen dieser Religion verursacht wird, sich nach Rückkehr aus dem Arbeitsbe511
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trieb bei einer körperlichen Durchsuchung vollständig zu entkleiden (OLG Koblenz ZfStrVo 1986, 125 = NStZ 1986, 238 m. Anm. Rassow; a. A. Arloth 2011 Rdn. 2). Des Weiteren dürfen Urlaubs- und Ausgangstage bei der Gewährung des Taschengelds nicht in Abzug gebracht werden, weil dem Gefangenen die Wahrnehmung gewährter Vollzugslockerungen als gesetzliche Behandlungsmaßnahmen nicht vorgeworfen werden darf und diese daher auch nicht schuldhaft i. S. von § 46 sein kann. 5 § 46 regelt nicht die Frage, ob und wie lange einem Gefangenen Taschengeld vorenthalten werden darf, wenn er durch sein Verschulden seinen Arbeitsplatz verloren hat, sich danach jedoch wieder als arbeitswillig bzw. -fähig erweist, ihm aber kein Arbeitsplatz zugewiesen werden kann. Für die Fälle schuldhaften Arbeitsverlustes und nachfolgender Beschäftigungslosigkeit aufgrund Arbeitsmangels gilt, dass zwar einerseits angesichts des Vorverhaltens nicht wieder sofort ein Taschengeldanspruch entsteht (a. A. AK-Däubler/Galli 2012 Rdn. 9), andererseits aber der Ausschluss des Taschengeldanspruchs zeitlich nicht unbegrenzt erfolgen darf. Eine sofortige Taschengeldzahlung bei beendeter Arbeitsunwilligkeit würde die verschuldensbedingte Sanktionswirkung des § 46 aushöhlen (Arloth 2011 Rdn. 2). Ein zeitlich nicht limitierter Taschengeldverlust käme einer nicht vertretbaren Verschärfung des Vollzugs gleich (OLG Koblenz NStZ 1987, 576). Unter Bezugnahme auf die 12-Wochen-Sperrfrist des § 144 Abs. 3 SGB III bei verschuldeter Arbeitslosigkeit wird daher eine Sperrung des Taschengeldes für die Dauer von drei Monaten für angemessen gehalten (so auch OLG Hamm NStZ 1985, 429; ZfStrVo 1988, 369; OLG Koblenz ZfStrVo 1990, 118). c) Bedürftigkeit des Gefangenen. Um als schuldlos Beschäftigungsloser Taschengeld zu erhalten, muss der Gefangene bedürftig sein. Eine gesetzliche Definition der Bedürftigkeit gibt es nicht. Nach VV Abs. 3 ist ein Gefangener bedürftig, wenn ihm im laufenden Monat aus Hausgeld und Eigengeld nicht wenigstens ein Betrag zur Verfügung steht, der der Höhe des Taschengelds entspricht. Bevor einem Inhaftierten Taschengeld gewährt werden kann, muss er somit zunächst die ihm im Antragsmonat zur Verfügung stehenden Geldmittel aufzehren. Dies betrifft auch außerhalb des Vollzugs verfügbare Geldmittel, welche auf das Eigengeldkonto eingezahlt werden könnten (BVerfG ZfStrVo 1996, 315; OLG Koblenz ZfStrVo 1996, 118). Insoweit trifft den Gefangenen eine Darlegungslast für seine Bedürftigkeit mit der Folge, dass sich eine mangelnde Mitwirkung bei der Ermittlung der Vermögensverhältnisse zu seinen Lasten auswirkt (BVerfG ZfStrVo 1996, 315; OLG Celle NStZ-RR 2009, 261; Arloth 2011 Rdn. 4; Kruis/ Wehowsky 1998, 595; Laubenthal 2011 Rdn. 463). Unberücksichtigt bleiben aber das Überbrückungsgeld des § 51, weil es der freien Verfügung des Gefangenen während der Haft entzogen ist, sowie zweckbestimmte Bezüge oder Zuwendungen Dritter (AK-Däubler/Galli 2012 Rdn. 11). Die Prüfung der Bedürftigkeit i. S. d. § 46 richtet sich nach den finanziellen Umstän7 den in demjenigen Zeitraum, für den die Bedürftigkeit festzustellen ist. Danach zugeflossene Mittel bleiben prinzipiell unberücksichtigt (OLG Dresden NStZ 1998, 399; OLG Hamburg ZfStrVo 2000, 313; OLG Frankfurt NStZ-RR 2007, 62). Steht ein Strafgefangener in einem auf regelmäßige Ausübung angelegten Beschäftigungsverhältnis, ist das Arbeitsentgelt dem Zeitraum zuzurechnen, in dem er es verdient hat (z. B. das Entgelt für Januar dem Monat Januar). Dies gilt aber selbst dann, wenn es ihm nicht während dieses Zeitraums, sondern erst kurz danach ausgezahlt wird (z. B. der Arbeitslohn für Januar zu Anfang des Monats Februar). Insoweit bleibt ein Taschengeldanspruch ausgeschlossen (KG NStZ-RR 1999, 286). Zu den die Bedürftigkeit i. S. d. § 46 vermindernden Mitteln zählen gem. VV Abs. 2 Satz 2 auch nicht Geldeinzahlungen zum sog. Ersatzeinkauf anstelle eines Paketempfangs. Erhält ein Strafgefangener bei einem Sommerfest kein Sachge-
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schenk, sondern dürfen Besucher für ihn einkaufen, soll dies entsprechend der VV ebenfalls unberücksichtigt bleiben (OLG Hamburg ZfStrVo 2005, 380). Nicht verbrauchtes Arbeitsentgelt aus dem Vormonat soll allerdings bei der Bedürftigkeitsprüfung berücksichtigt werden dürfen (OLG Celle, Beschl. vom 7.5.2010 – 1 Ws 123/10 (StrVollz). 2. Rechtsanspruch bei Vorliegen der Voraussetzungen. Hat der Gefangene das 8 Taschengeld beantragt und liegen die Voraussetzungen des § 46 vor, steht ihm ein Rechtsanspruch auf die Gewährung zu (s. Rdn. 2). Allerdings ist die Zuwendung von Taschengeld abhängig von einer monatlich neu zu prüfenden Bedürftigkeit des Gefangenen, so dass aus einem in der Vergangenheit bewilligten Taschengeld kein Anspruch darauf erwächst, es gleich bleibend auch zukünftig zu erhalten (BVerfG ZfStrVo 1996, 315). Die Höhe des Taschengelds soll nach § 46 angemessen sein. Die Angemessenheit wird im Gesetz nicht näher umschrieben. Eine Bindung an die in Anstalten und Heimen außerhalb des Vollzugs üblichen angemessenen Taschengeldsätze ist nicht zwingend. Obwohl das Taschengeld in der Zeit bis zum Erlass des besonderen Bundesgesetzes gem. § 198 Abs. 3 in einer Vielzahl von Fällen an die Stelle der noch nicht möglichen Ausfallentschädigung (§ 45) tritt, muss es gleichwohl nicht deren Höhe haben. Denn während die Ausfallentschädigung nach Inkrafttreten des § 45 nur bis zur Dauer von längstens 6 Wochen jährlich gewährt werden soll (§ 45 Abs. 5 Satz 1), bleibt die Zahlung des Taschengelds unbegrenzt. Um in der Praxis eine einheitliche Festsetzung zu erreichen, bestimmt VV Abs. 2 Satz 1, dass 14% der Eckvergütung gem. § 43 Abs. 2 als angemessenes Taschengeld anzusehen sind. Da dem Taschengeld nur eine Ausgleichsfunktion zukommt (Rdn. 2) und es nicht wie das Arbeitsentgelt dazu dient, dem Gefangenen den Wert regelmäßiger Arbeit für ein künftiges eigenverantwortliches und straffreies Leben vor Augen zu führen, ist die Höhe des Taschengeldes aber nicht zwingend an die Höhe der Eckvergütung für arbeitstätige Inhaftierte gekoppelt (BVerfG NStZ 2003, 109). Der Monatsbetrag des Taschengeldes verringert sich anteilmäßig, wenn in einem Kalendermonat weniger als ein Monat Strafe zu vollziehen ist (z. B. der Eintritt der Rechtskraft und Übergang von der Untersuchungshaft zur Strafhaft bzw. der Strafantritt oder die Entlassung in den Lauf eines Kalendermonats fallen). 3. Unpfändbarkeit des Taschengeldanspruchs. Der Anspruch auf Taschengeld 9 bleibt in entsprechender Anwendung des § 17 Abs. 1 Satz 2 SGB XII, wonach Sozialhilfeleistungen weder abtretbar noch pfändbar sind, unpfändbar (Butzkies 1996, 345). Auch ist die Aufrechnung von Verfahrenskosten in entsprechender Anwendung des § 121 Abs. 5 gegen den Taschengeldanspruch unzulässig (BVerfG NStZ 1996, 615). III. Landesgesetze und Musterentwurf 1. Baden-Württemberg. § 53 Abs. 1 und 2 JVollzGB III lauten: „(1) Gefangene, die 10 ohne Verschulden kein Arbeitsentgelt und keine Ausbildungsbeihilfe erhalten, wird ein angemessenes Taschengeld gewährt, falls sie bedürftig sind. Nicht verbrauchtes Taschengeld ist bei der Bedürftigkeitsprüfung nicht zu berücksichtigen. (2) Gefangenen dürfen monatlich drei Siebtel von ihren in diesem Gesetz geregelten Bezügen (Hausgeld) und das Taschengeld nach Absatz 1 für den Einkauf oder anderweitig verwenden.“ Die Gesetzesbegründung dazu lautet: „Absatz 1 Satz 1 trifft eine § 46 StVollzG entsprechende Regelung über das Taschengeld. Satz 2 stellt entsprechend der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Beschluss vom 6. November 1996, Az. 5 AR Vollz 43/95) klar, dass angespartes Taschengeld der Bedürftigkeit von Gefangenen und ihrem Anspruch auf Auszahlung weiteren Taschengelds nicht entgegensteht“ (LT-Drucks. 14/5012, 227). 513
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2. Bayern. Art. 54 Satz 1 BayStVollzG entspricht, bis auf die Abfassung im Plural, § 46 StVollzG in der Übergangsfassung gem. § 199 Abs. 1 Nr. 1 StVollzG. Darüber hinaus enthält die bayerische Regelung folgenden Satz 2: „Das Taschengeld darf für den Einkauf (Art. 24 Abs. 1) oder anderweitig verwendet werden.“ Diese Regelung entspricht § 47 Abs. 1 2. Alt. i. V. m. § 199 Abs. 1 Nr. 2 StVollzG (dazu Anm. zu § 47).
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3. Hamburg. § 46 HmbStVollzG lautet: „Den Gefangenen wird auf Antrag ein Taschengeld in Höhe von 14 vom Hundert der Eckvergütung (§ 40 Absatz 2 Satz 3 Nummer 1) gewährt, wenn sie ohne ihr Verschulden weder Arbeitsentgelt noch Ausbildungsbeihilfe erhalten und ihnen im laufenden Monat aus Hausgeld (§ 45) und Eigengeld (§ 48) nicht ein Betrag bis zur Höhe des Taschengeldes zur Verfügung steht und sie auch im Übrigen bedürftig sind. Es wird dem Hausgeldkonto gutgeschrieben und darf für den Einkauf (§ 25) oder anderweitig verwendet werden.“ In der Gesetzesbegründung heißt es dazu: „Die Vorschrift entspricht bis auf redaktionelle Anpassungen den Regelungen in § 46 StVollzG in Verbindung mit § 47 Abs. 1 StVollzG und der VV zu § 46 Absätze 1 bis 3 StVollzG“ (LT-Drucks. 18/6490, 43).
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4. Hessen. § 41 Abs. 1 HStVollzG entspricht der Vorschrift des § 46 StVollzG. Abs. 2 normiert: „Das Taschengeld beträgt bis zu 14 vom Hundert der Vergütung nach § 38 Abs. 2, soweit ihnen in dem Monat, für den das Taschengeld beantragt wurde, aus Hausgeld und Eigengeld nicht ein Betrag bis zu dieser Höhe zur Verfügung steht.“ Dazu lautet die Gesetzesbegründung: „Neu aufgenommen wurde – im Vergleich zu § 46 StVollzG –, dass das Taschengeld nur auf Antrag gewährt wird. Zudem ist die Vorschrift im Hinblick auf eine Entscheidung des OLG Frankfurt vom 12.10.2006 (3 Ws 680/06) so gefasst, dass Prüfungsgrundlage für die Bedürftigkeit der Gefangenen der Monat ist, für den der Antrag auf Taschengeld gestellt wurde“ (LT-Drucks. 18/1396, 104).
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5. Niedersachsen. § 43 NJVollzG schreibt vor: „Der oder dem Gefangenen ist auf Antrag ein angemessenes Taschengeld zu gewähren, soweit sie oder er unverschuldet bedürftig ist.“ Dies entspricht inhaltlich § 46 i. V. m. § 199 Abs. 1 Nr. 2 StVollzG in der Übergangsfassung.
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6. Musterentwurf. § 57 Abs. 1 ME-StVollzG regelt: „Bedürftigen Gefangenen wird auf Antrag Taschengeld gewährt. Bedürftig sind Gefangene, soweit ihnen aus Hausgeld (§ 59) und Eigengeld (§ 56) monatlich ein Betrag bis zur Höhe des Taschengeldes voraussichtlich nicht zur Verfügung steht. Finanzielle Anerkennungen nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 bleiben bis zur Höhe des Taschengeldbetrages unberücksichtigt.“ Die ME-Begründung führt dazu aus: „Gemäß Absatz 1 Satz 3 bleiben bei der Feststellung der Bedürftigkeit die finanziellen Anerkennungen nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 bis zur Höhe des Taschengeldbetrags außer Betracht, da diese einen Anreiz zur Teilnahme an den für zwingend erforderlich erachteten Maßnahmen darstellen. Nicht verbrauchtes Taschengeld ist bei der Bedürftigkeitsprüfung nicht zu berücksichtigen, da das Sparen als sinnvolles Ziel im Sinne einer Resozialisierung anzusehen ist“ (ME-Begründung, 127). Abs. 2 normiert: „Gefangene gelten nicht als bedürftig, wenn ihnen ein Betrag nach Absatz 1 Satz 2 deshalb nicht zur Verfügung steht, weil sie eine ihnen angebotene zumutbare Arbeit nicht angenommen haben oder eine ausgeübte Arbeit verschuldet verloren haben.“ In der Gesetzesbegründung heißt es diesbezüglich: „Dies trägt dem Angleichungsgrundsatz Rechnung, da auch im Sozialrecht (§ 9 Zweites Buch Sozialgesetzbuch, § 2 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch) das Nachrangprinzip gilt“ (ME-Begründung, 127). Laubenthal
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Abs. 3 lautet: „Das Taschengeld beträgt 14 Prozent der Eckvergütung (§ 55 Abs. 2). Es wird zu Beginn des Monats im Voraus gewährt. Gehen den Gefangenen im Laufe des Monats Gelder zu, wird zum Ausgleich ein Betrag bis zur Höhe des gewährten Taschengeldes einbehalten.“ Dazu besagt die ME-Begründung: „Nach Satz 2 ist das Taschengeld im Voraus zu gewähren, um von Beginn der Haftzeit an ein Abgleiten in die Subkultur zu vermeiden.“ (ME-Begründung, 127). Abs. 4 bestimmt: „Die Gefangenen dürfen über das Taschengeld im Rahmen der Bestimmungen dieses Gesetzes verfügen. Es wird dem Hausgeldkonto gutgeschrieben.“
§ 47* Hausgeld § 47 Laubenthal Hausgeld (1) Der Gefangene darf von seinen in diesem Gesetz geregelten Bezügen mindestens dreißig Deutsche Mark monatlich (Hausgeld) und das Taschengeld (§ 46) für den Einkauf (§ 22 Abs. 1) oder anderweitig verwenden. (2) Der Mindestbetrag des Hausgeldes erhöht sich um jeweils zehn vom Hundert der dreihundert Deutsche Mark übersteigenden monatlichen Bezüge. Die Vollzugsbehörde kann höhere Beträge von der Höhe des Überbrückungsgeldes abhängig machen. (3) Für Gefangene, die in einem freien Beschäftigungsverhältnis stehen (§ 39 Abs. 1) oder denen gestattet ist, sich selbst zu beschäftigen (§ 39 Abs. 2), wird aus ihren Bezügen ein angemessenes Hausgeld festgesetzt. * § 47 tritt durch besonderes Bundesgesetz in Kraft (§ 198 Abs. 3); nach § 199 Abs.1 Nr. 2 gilt § 47 bis dahin in folgender Fassung:
§ 47 (1) Der Gefangene darf von seinen in diesem Gesetz geregelten Bezügen drei Siebtel monatlich (Hausgeld) und das Taschengeld (§ 46) für den Einkauf (§ 22 Abs.1) oder anderweitig verwenden. (2) Für Gefangene, die in einem freien Beschäftigungsverhältnis stehen (§ 39 Abs. 1) oder denen gestattet ist, sich selbst zu beschäftigen (§ 39 Abs. 2), wird aus ihren Bezügen ein angemessenes Hausgeld festgesetzt. VV (zu § 47 in der Fassung des § 199 Abs. 1 Nr. 2 StVollzG) Über Beträge, die als Ersatz für entgangene, in diesem Gesetz geregelte Zuwendungen gewährt werden (z. B. Zeugenentschädigung, Verletztengeld), kann der Gefangene wie über die Zuwendungen verfügen, an deren Stelle sie treten. Schrifttum S. bei § 43.
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I. II.
Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
Übersicht Allgemeine Hinweise ____ 1 Erläuterungen ____ 2–10 1. Höhe des Hausgeldes ____ 2, 3 2. Verwendungsmöglichkeiten des Haus- und des Taschengeldes ____ 4–6 3. (Un-)Pfändbarkeit ____ 7–10
III.
Landesgesetze und Musterentwurf ____ 11–16 1. Baden-Württemberg ____ 11 2. Bayern ____ 12 3. Hamburg ____ 13 4. Hessen ____ 14 5. Niedersachsen ____ 15 6. Musterentwurf ____ 16
I. Allgemeine Hinweise 1
Die Vorschrift ist bisher nicht in Kraft getreten. Dazu bedarf es nach § 198 Abs. 3 eines besonderen Bundesgesetzes. Bis zu diesem Zeitpunkt gilt die in § 199 Abs. 1 Nr. 2 vorgesehene Übergangsregelung. Diese hat der Gesetzgeber durch Änderung des § 199 Abs.1 Nr. 2 im Rahmen der Neuregelung des § 43 im 5. StVollzGÄndG vom 27.12.2000 (BGBl. I, 2043) mit Wirkung vom 1.1.2001 neu gefasst. Die Einräumung der Verfügbarkeit eines Teils der Gefangenenbezüge knüpfte zunächst an die reale Situation an, die bis zum 1.1.1977 auf der Grundlage des Arbeitsbelohnungssystems der DVollzO bestand, und verhinderte damit mangels Verringerung des Hausgeldes ein Nachlassen der Motivation der Gefangenen zu Ausbildung und Arbeit (in der unmittelbaren Zeit) nach dem In-KraftTreten des StVollzG. Die Übergangsfassung trug dann der Tatsache Rechnung, dass das Arbeitsentgelt (§ 43) und die Ausbildungsbeihilfe (§ 44) durch die in § 200 Abs. 1 a. F. festgelegte geringe Eckvergütung bis zur Neuregelung des Arbeitsentgelts durch das 5. StVollzGÄndG nicht jene Höhe hatten, die ein System der Beschränkung auf einen geringen Teil des Entgelts notwendig machte, wie es in Abs. 1 und 2 der suspendierten Fassung vorgesehen ist. Die durch Art. 1 Nr. 8 a 5. StVollzGÄndG erfolgte Änderung der Übergangsfassung ist Konsequenz der verfassungsgerichtlichen Forderung, die von Strafgefangenen geleistete Pflichtarbeit angemessen anzuerkennen (BVerfGE 98, 169, 201 f). Während jedoch ab 1.1.2001 der monetäre Teil des Arbeitsentgelts um 80% angehoben wurde, betrug die Erhöhung beim Hausgeld lediglich 15,7%. Damit bezweckt der Gesetzgeber, dass das zusätzliche Arbeitsentgelt nicht nur dem Einkauf zugute kommt, sondern auch andere Leistungen erfolgen können wie Opferentschädigung, Tilgung von Schulden oder das Ansparen eines zureichenden Überbrückungsgeldes (vgl. BT-Drucks. 14/4763; BR-Drucks. 405/00; zur Verfassungsmäßigkeit der Neuregelung s. BVerfG NJW 2002, 2023; OLG Hamm ZfStrVo 2002, 121; OLG Saarbrücken ZfStrVo 2002, 121 m. Anm. Lückemann). § 47 entspricht Nr. 26.11 der Europäischen Strafvollzugsgrundsätze 2006, nach der den Gefangenen zu gestatten ist, wenigstens einen Teil ihres Verdienstes für zugelassene und zum eigenen Gebrauch bestimmte Gegenstände auszugeben und einen Teil ihrer Familie zukommen zu lassen. II. Erläuterungen 1. Höhe des Hausgeldes
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a) Zu den im StVollzG geregelten Bezügen i. S. von Abs. 1 zählen nur Arbeitsentgelt (§ 43) und Ausbildungsbeihilfe (§ 44), da die Ausfallentschädigung (§ 45) noch nicht in Kraft ist und das Taschengeld (§ 46) gesondert behandelt wird. Von diesen Bezügen (§§ 43, 44) bilden gemäß der Übergangsfassung (Rdn. 1) drei Siebtel monatlich das Hausgeld. Ein höherer Betrag kann von den Bezügen des Abs. 1 nicht als Hausgeld zur Verfügung gestellt werden.
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b) Eine Sonderregelung gilt nach Abs. 2 für Gefangene, die in einem freien Be- 3 schäftigungsverhältnis stehen (§ 39 Abs. 1) oder denen es gestattet ist, sich selbst zu beschäftigen (§ 39 Abs. 2). Aus ihren Bezügen wird ein angemessenes Hausgeld festgesetzt. Die Regelung betrifft diejenigen Gefangenen, die im Allgemeinen erheblich höhere Einkünfte haben und deren Hausgeld bei der Anwendung von Abs. 1 ein Mehrfaches des Hausgeldes der übrigen Gefangenen betragen würde. Dadurch ergäben sich im engen Zusammenleben in der Anstalt unter Umständen störende große Unterschiede hinsichtlich der Einkaufsmöglichkeiten, die ihrerseits zur Bildung unerwünschter subkultureller Abhängigkeiten führen könnten. Die Regelung in Abs. 2 soll deshalb eine gewisse, als notwendig erachtete Einheitlichkeit des Lebensstandards in der Anstalt gewährleisten. Demzufolge wird das Hausgeld in der Regel als angemessen i. S. von Abs. 2 anzusehen sein, wenn sich dessen Höhe am durchschnittlich zur Verfügung stehenden Hausgeldbetrag der Mitgefangenen orientiert (so auch C/MD 2008 Rdn. 3; Laubenthal 2011 Rdn. 465; anders AK-Däubler/Galli 2012 Rdn. 10; Arloth 2011 Rdn. 4: Vergütungsstufe V). 2. Verwendungsmöglichkeiten des Haus- und des Taschengeldes a) Das Hausgeld kann der Gefangene für den Einkauf (§ 22 Abs. 1) verwenden. Die- 4 ser im Gesetz enthaltene Hinweis geht von den bekannten praktischen Erfahrungen im Vollzug aus, dass die Inhaftierten ihr Hausgeld zum weit überwiegenden Teil und oft nahezu ausschließlich zum Zusatzeinkauf von Nahrungs- und Genussmitteln sowie Körperpflegeartikeln ausgeben. Das Hausgeld muss jedoch nicht hierfür verwendet werden. Die Formulierung „oder anderweitig“ soll deutlich machen, dass der Gefangene über das Hausgeld frei verfügen kann, soweit nicht Behandlungsgebote in seinem Vollzugsplan (§ 7), Beschränkungen durch Disziplinarmaßnahmen (§ 103 Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. § 104 Abs. 3), die Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung in der Anstalt (§ 4 Abs. 2 Satz 2), die Inanspruchnahme eines Teils des Hausgeldes für Ersatz von Aufwendungen nach § 93 oder allgemeine gesetzliche Schranken (z. B. §§ 134, 138 BGB), vor allem strafrechtlicher Art, dem entgegenstehen. Für jeden Strafgefangenen wird ein Hausgeldkonto eingerichtet. Diesem führt die 5 Anstalt drei Siebtel des Arbeitsentgelts oder der Ausbildungsbeihilfe bei Tätigkeiten im öffentlich-rechtlichen Verhältnis bzw. den als angemessen festgesetzten Betrag der im freien Beschäftigungsverhältnis Stehenden oder sich selbst Beschäftigenden zu. Gleiches gilt nach VV zu § 47 für Zuwendungen, die ein Gefangener als Ersatzleistungen für entgangene Bezüge erhält (z. B. Zeugenentschädigung, Verletztengeld). Das Hausgeldkonto gibt den Betroffenen als eine Art der anderweitigen Verwendung auch die Möglichkeit zum Sparen, das gerade mit dem Vollzugsziel des § 2 Satz 1 und dem Eingliederungsgrundsatz des § 3 Abs. 3 korrespondiert (s. BGH NStZ 1997, 205). Das Hausgeldkonto darf während der Abwicklung des monatlichen Einkaufs zur Verhinderung von weiteren Verfügungen des Gefangenen über sein Hausgeld mit der möglichen Folge, dass der bestellte Einkauf nicht mehr bezahlt werden kann, gesperrt werden (OLG Koblenz ZfStrVo 1991, 50). Die Kosten für eine für einen Gefangenen wichtige Ausführung gem. § 35 müssen allerdings nicht vom Hausgeld bestritten werden (OLG Frankfurt NStZ 1991, 152; NStZ 1997, 426), so dass die JVA nicht befugt ist, die Ausführungskosten ohne Zustimmung des Gefangenen von dessen Hausgeldkonto abzubuchen; allein in der Zustimmung des Gefangenen zu einer solchen Maßnahme ist keine Abbuchungsgenehmigung zu sehen. Dagegen ist etwa in Niedersachsen gem. § 52 Abs. 5 Satz 3 NJVollzG zur Durchsetzung von Kostenbeiträgen für Leistungen i. S. d. § 52 Abs. 3 NJVollzG (z. B. Aufwendungen für die Durchführung von Vollzugslockerungen, Kostenbeteiligungen im Bereich der Gesundheitsfürsorge usw.) eine Aufrechnung gegen den Anspruch auf Hausgeld zulässig. 517
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b) Über das Taschengeld (§ 46) kann in gleicher Weise frei verfügt werden wie über das Hausgeld. Im Gegensatz zu den anderen Bezügen nach dem StVollzG darf dieses in voller Höhe verwendet werden, da es einen wesentlich geringeren Betrag darstellt, als dies regelmäßig bei Arbeitsentgelt oder Ausbildungsbeihilfe der Fall ist (vgl. § 46 Rdn. 8). 3. (Un-)pfändbarkeit
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a) Nach herrschender Auffassung ist das Hausgeld unpfändbar (s. auch AG Freiburg NStZ 1993, 150 m. zust. Anm. Ullenbruch). Dabei unterscheiden sich jedoch die Begründungen, zumal das StVollzG selbst keine ausdrückliche Regelung hierzu getroffen hat: Ganz überwiegend wird die Unpfändbarkeit im Rahmen der §§ 850 ff ZPO – die zur Anwendung gelangen, weil das Hausgeld aus dem Arbeitsentgelt gebildet wird – teils auf die Pfändungsgrenzen des § 850 c ZPO wie beim Anspruch auf Gutschrift des Arbeitsentgelts (wobei die Grenzen bei der gegenwärtigen Höhe des Hausgeldes praktisch nicht erreicht werden), teils auf § 850 d Abs. 1 Satz 2 ZPO gestützt, da Hausgeld (und Taschengeld) zum notwendigen Unterhalt gehöre (s. BGHSt 36, 80; OLG Hamm MDR 2001, 1260; OLG Karlsruhe NStZ 1985, 430 m. Anm. Volckart; OLG Stuttgart NStZ 1986, 47; OLG München NStZ 1987, 45 m. Anm. Seebode; OLG Celle NStZ 1988, 334; ZfStrVo 1992, 261; AK-Däubler/Galli 2012 Rdn. 6; C/MD 2008 Rdn. 1; Konrad 1990, 206). Nach Auffassung des OLG Celle (NStZ 1981, 78 m. Anm. Ballhausen und NStZ 1988, 334) soll das Hausgeld, wenn es aus der Ausbildungsbeihilfe gem. § 44 gebildet wurde, nach § 850 a Nr. 6 ZPO unpfändbar sein. Die gänzliche Unpfändbarkeit des Hausgeldes gem. § 851 ZPO i. V. m. § 399 BGB ergibt sich bereits in vollzugsrechtlicher Sicht aufgrund der spezifischen Zweckbindung des Hausgeldes zugunsten der Betroffenen (s. AK-Däubler/ Galli 2012 Rdn. 6; Arloth 2011 § 43 Rdn. 11; Fluhr 1989, 105 und 1994, 115; Seebode in Anm. zu OLG München NStZ 1987, 47; LG Münster Rpfleger 2000, 509; OLG Hamm ZfStrVo 2003, 184).
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b) Problematisch erscheint dagegen eine differenzierende Ansicht (s. 5. Strafsenat des KG Beschl. v. 16.6.1983 – 5 Ws 108/83 Vollz und v. 25.8.1987 – 5 Ws 209/87 Vollz). Danach soll sich die Frage der Pfändbarkeit nach den §§ 850 bis 850 i ZPO richten, soweit der Anspruch des Gefangenen auf Gutschrift des Hausgeldes (aus dem Arbeitsentgelt) betroffen ist. Davon unterschieden wird der Anspruch des Gefangenen auf Auszahlung des Hausgeldes, da der Anspruch auf das Arbeitsentgelt mit der Gutschrift auf dem Hausgeldkonto gem. § 362 Abs. 1 BGB erlischt (so auch Fluhr 1989, 103). Insoweit sollen die §§ 850 bis 850i ZPO unanwendbar bleiben mit der Folge der prinzipiellen Pfändbarkeit des Hausgeldes. Der Gefangene müsste dann entsprechend § 850 k ZPO den – allerdings beschränkten – Pfändungsschutz beantragen. Dies würde jedoch dem Gefangenen die Möglichkeit zum Ansparen von Hausgeld – etwa für größere Anschaffungen – nehmen (so auch Arloth 2011 § 43 Rdn. 11).
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c) Wendet sich ein Gefangener gegen eine unzulässige Auszahlung von Hausgeld zur Ausführung eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses durch die Vollzugsbehörde, so ist – wenn die Geldforderung des Gefangenen nach den Bestimmungen der ZPO gepfändet und überwiesen werden soll und die Rechtmäßigkeit der Pfändung angegriffen wird – nicht der Rechtsweg zur Strafvollstreckungskammer des Landgerichts nach §§ 109 ff gegeben. Zuständig zur Entscheidung über Einwendungen eines Inhaftierten gegen die Rechtmäßigkeit von Pfändungs- und Überweisungsbeschlüssen sowie andere Fragen einer Zwangsvollstreckung ist vielmehr nach § 766 ZPO das VollstreckungsLaubenthal
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gericht (vgl. OLG Hamm ZfStrVo 1988, 115; KG NStZ 1991, 56; OLG Hamburg, Beschl. vom 7.12.2010 – 3 Vollz (Ws) 72/10; Laubenthal 2011 Rdn. 767). d) Ungeachtet der umstrittenen Frage der Pfändbarkeit des Hausgeldes gestattet § 93 10 Abs. 2 i. d. F. des § 199 Abs. 1 Nr. 4 der Vollzugsbehörde, zum Ersatz von bestimmten Aufwendungen einen den dreifachen Tagessatz der Eckvergütung nach § 43 Abs. 2 übersteigenden Teil des Hausgeldes in Anspruch zu nehmen. Gleiches gilt gem. § 121 Abs. 5 für die Kosten des Verfahrens nach §§ 109 ff. Diese beiden gesetzlichen Erweiterungen der Aufrechnungsmöglichkeiten mit dem Hausgeldkonto sind wegen ihres Charakters als Ausnahmevorschriften auf andere behördliche Ansprüche gegen Strafgefangene nicht analog anwendbar (BGHSt 36, 80). III. Landesgesetze und Musterentwurf 1. Baden-Württemberg. § 53 Abs. 2 und 4 JVollzGB III entspricht sinngemäß § 47 11 StVollzG i. d. F. der geltenden Übergangsregelung. 2. Bayern. Art. 50 BayStVollzG entspricht, bis auf die Abfassung im Plural sowie die 12 geänderten Verweisungen auf Landesrecht, weitestgehend § 47 StVollzG i. d. F. der geltenden Übergangsregelung. Weggefallen ist allerdings die Regelung zum Taschengeld, welche unmittelbar in Art. 54 BayStVollzG verortet wurde. 3. Hamburg. § 45 HmbStVollzG ist im Wesentlichen identisch mit § 47 StVollzG 13 i. d. F. der geltenden Übergangsbestimmung. Lediglich auf das Taschengeld wird in Abs. 1 nicht verwiesen. 4. Hessen. § 40 HStVollzG stimmt weitestgehend mit § 47 StVollzG i. d. F. der gelten- 14 den Übergangsvorschrift überein. Eine Regelung zur Verwendung des Taschengeldes für den Einkauf entbehrt das Gesetz. 5. Niedersachsen. § 46 NJVollzG lautet: „(1) Als Hausgeld gutgeschrieben werden 15 Ansprüche 1. auf Arbeitsentgelt oder Ausbildungsbeihilfe zu drei Siebteln, 2. auf Taschengeld in voller Höhe sowie 3. aus einem freien Beschäftigungsverhältnis oder einer Selbstbeschäftigung, die der Vollzugsbehörde zur Gutschrift für die oder den Gefangenen überwiesen worden sind (§ 36 Abs. 3), zu einem angemessenen Teil. (2) Für die Gefangene oder den Gefangenen darf bis zu drei Mal jährlich ein zusätzlicher Geldbetrag auf das Hausgeldkonto überwiesen oder eingezahlt werden. Der Betrag darf den vierfachen Tagessatz der Eckvergütung nach § 40 Abs. 1 Satz 2 jeweils nicht übersteigen. (3) Die Verfügung über das Guthaben auf dem Hausgeldkonto unterliegt keiner Beschränkung; es kann insbesondere für den Einkauf (§ 24) verwendet werden.“ Der neue Abs. 2 enthält eine Regelung den sog. Zusatzeinkauf betreffend und bezieht sich damit auf das Verbot des § 34 Abs. 1 Satz 3 NJVollzG über den Empfang von Paketen mit Nahrungs- und Genußmitteln. Abs. 3 hebt den Unterschied zwischen Hausgeld und Eigengeld i. S. d. § 48 NJVollzG hervor (vgl. zur Verfügungsbeschränkung § 48 Abs. 3 NJVollzG). 6. Musterentwurf. § 59 Abs. 1 ME-StVollzG normiert, dass das Hausgeld aus drei 16 Siebteln der in dem Gesetz geregelten Vergütung gebildet wird. § 59 Abs. 2 ME-StVollzG korrespondiert im Wesentlichen mit § 47 Abs. 2 StVollzG. Im Gegensatz zum Bundesgesetz wird jedoch zusätzlich die Vergütung aus anderweitigen regelmäßigen Einkünften erfasst. 519
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Abs. 3 und 4 lauten: „(3) Für Gefangene, die über Eigengeld (§ 56) verfügen und keine hinreichende Vergütung nach diesem Gesetz erhalten, gilt Absatz 2 entsprechend. (4) Die Gefangenen dürfen über das Hausgeld im Rahmen der Bestimmungen dieses Gesetzes verfügen. Der Anspruch auf Auszahlung ist nicht übertragbar.“
§ 48 Rechtsverordnung § 48 Laubenthal Rechtsverordnung Das Bundesministerium der Justiz wird ermächtigt, im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie mit Zustimmung des Bundesrates zur Durchführung der §§ 43 bis 45 Rechtsverordnungen über die Vergütungsstufen zu erlassen. I. Allgemeine Hinweise Die durch Art. 1 des Gesetzes v. 5.10.2002 (BGBl. I, 3954) und Art. 62 der ZuständigkeitsanpassungsVO v. 25.11.2003 (BGBl. I, 2311) geänderte sowie durch VO vom 31.10. 2006 (BGBl. I, 2407) redaktionell angepasste Vorschrift enthält eine Ermächtigung für den Erlass von Rechtsverordnungen zur Durchführung der §§ 43 bis 45. Dadurch soll gewährleistet werden, dass im Geltungsbereich des StVollzG einheitliche Vergütungsstufen für Arbeitsentgelt, Ausbildungsbeihilfe (und Ausfallentschädigung) festgesetzt werden. Das Taschengeld (§ 46) ist in diese Ermächtigungsgrundlage nicht einbezogen. Insoweit bleibt es zur Feststellung der Angemessenheit des Taschengeldes bei dem Erlass von Länderverwaltungsvorschriften. Das Bundesministerium der Justiz hat im Einvernehmen mit dem damaligen Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung und mit Zustimmung des Bundesrates von der Ermächtigungsnorm Gebrauch gemacht und die am 1. Februar 1977 in Kraft getretene „Verordnung über die Vergütungsstufen des Arbeitsentgelts und der Ausbildungsbeihilfe nach dem Strafvollzugsgesetz – Strafvollzugsvergütungsordnung (StVollzVergO)“ erlassen (BGBl. I, 57), die zuletzt durch Gesetz vom 13.12.2007 (BGBl. I, 2894) geändert wurde. Gem. § 1 Abs. 1 StVollzVergO wird der Grundlohn des Arbeitsentgelts (§ 43 Abs. 2) 2 nach fünf Vergütungsstufen festgesetzt: Vergütungsstufe I (gem. § 1 Abs. 2 StVollzVergO 75% des Grundlohns) gilt für Arbeiten einfacher Art, die keine Vorkenntnisse und nur eine kurze Einweisungszeit erfordern und die nur geringe Anforderungen an die körperliche oder geistige Leistungsfähigkeit oder an die Geschicklichkeit stellen. Vergütungsstufe II (= 88% des Grundlohns) ist für Arbeiten der Stufe I vorgesehen, die eine Einarbeitungszeit erfordern. Arbeiten, die eine Anlernzeit notwendig machen und durchschnittliche Anforderungen an die Leistungsfähigkeit und die Geschicklichkeit stellen, werden nach Vergütungsstufe III (=100% des Grundlohns) entlohnt. Vergütungsstufe IV (= 112% des Grundlohns) ist für Arbeiten vorgesehen, die die Kenntnisse und Fähigkeiten eines Facharbeiters erfordern oder gleichwertige Kenntnisse und Fähigkeiten voraussetzen. Schließlich gilt Vergütungsstufe V (= 125% des Grundlohns) für Arbeiten, die über die Anforderungen der Stufe IV hinaus ein besonderes Maß an Können, Einsatz und Verantwortung verlangen. Hinsichtlich des Arbeitsentgelts für arbeitstherapeutische Beschäftigung und für die Ausbildungsbeihilfe sehen §§ 3 und 4 StVollzVergO besondere Regelungen vor: Ein arbeitstherapeutisch beschäftigter Gefangener erhält in der Regel 75% des Grundlohns der Vergütungsstufe I. Ein in Ausbildung gem. § 44 Abs. 1 Satz 1 befindlicher Inhaftierter erhält vorbehaltlich ihm zustehender anderweitiger Leistungen zum Lebensunterhalt (s. § 44 Rdn. 4) eine Ausbildungsbei1
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hilfe nach der Vergütungsstufe III, wenn er nicht gem. § 4 Abs. 2 und 3 StVollzVergO unter den dort genannten Voraussetzungen in Vergütungsstufen II oder IV eingestuft wird. § 2 StVollzVergO legt Zulagen fest, die den Gefangenen zusätzlich zum Grundlohn 3 gewährt werden können. Es handelt sich gem. § 2 Abs. 1 StVollzVergO um sog. Umständezulagen, die für Arbeiten unter arbeitserschwerenden Umgebungseinflüssen, zu ungünstigen Zeiten und für Zeiten, die über die festgesetzte Arbeitszeit hinausgehen, bis zu insgesamt 35% vom Grundlohn betragen dürfen. Darüber hinaus können nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 StVollzVergO Leistungszulagen im sog. Zeitlohn (d. h. ein Gefangener hat eine bestimmte Stundenzahl am Tag zu arbeiten) bis zu 30% vom Grundlohn gewährt werden unter Berücksichtigung von Arbeitsmenge und -güte, Umgang mit Betriebsmitteln und Arbeitsmaterialien, Leistungsbereitschaft und Ausmaß von Fehlzeiten; gem. Nr. 2 im sog. Leistungslohn (d. h. ein Gefangener hat eine bestimmte Leistung innerhalb einer festgesetzten Arbeitszeit zu erbringen) bis zu 15% vom Grundlohn unter Berücksichtigung von Arbeitsgüte sowie Umgang mit Betriebsmitteln und Arbeitsmaterialien (zur Kürzung von Leistungszulagen gem. § 2 Abs. 2 StVollzVergO s. KG ZfStrVo 1982, 315). Bei der Gewährung von Leistungszulagen handelt es sich nicht um einen begünstigenden, laufende Geldleistung gewährenden Dauerverwaltungsakt mit der Eignung, Vertrauensschutz zugunsten des Betroffenen zu entfalten (OLG Hamburg ZfStrVo 2002, 254). Das System der Zulagenvergütung nach § 2 Abs. 2 StVollzVergO ist auch auf Fernstudien (s. hierzu § 37 Rdn. 18, 23) anwendbar (KG NStZ 2003, 593), soweit diese als Maßnahme i. S. d. § 37 Abs. 3 durchgeführt werden. Dabei ist das Merkmal der Leistungsbereitschaft nach § 2 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StVollzVergO regelmäßig erfüllt, wenn sich der Gefangene den vorgesehenen Leistungskontrollen und Prüfungen erfolgreich unterzieht. Ein sparsamer Umgang mit Betriebs- und Arbeitsmitteln liegt bei Fernstudierenden vor, wenn sie sich ihre Arbeitsmittel selbst beschaffen, weil es so zu einer größtmöglichen Schonung der Betriebs- und Arbeitsmittel der Anstalt kommt, da diese keinerlei Abnutzung unterliegen. Das Merkmal der Arbeitsgüte nach § 2 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StVollzVergO wird jedenfalls dann erfüllt, wenn der Gefangene überdurchschnittliche Leistungen erbringt (KG NStZ 2003, 593). II. Landesgesetzliche und Musterentwurf 1. Baden-Württemberg. § 55 JVollzGB III lautet: „Das Justizministerium wird er- 4 mächtigt, zur Durchführung der §§ 49 und 50 im Einvernehmen mit dem Finanzministerium Vergütungsstufen und die Höhe der Vergütung in den einzelnen Vergütungsstufen einschließlich der Gewährung von Zulagen durch Rechtsverordnung zu bestimmen.“ Die Justizvollzugsvergütungsverordnung (JVollzVergO) des Landes Baden-Württemberg (GBl. 2009, S. 765) ist am 1.1.2010 in Kraft getreten. Inhaltlich sind die Regelungen weitestgehend identisch mit den Vorschriften der StVollzVergO. Allerdings normiert § 4 Abs. 2 JVollzVergO: „Nach einer Gesamtdauer der Maßnahme von zwei Jahren kann die Ausbildungsbeihilfe nach der Vergütungsstufe IV gewährt werden, wenn der Ausbildungsstand der oder des Gefangenen dies rechtfertigt.“ § 4 Abs. 2 StVollzVergO sieht dies hingegen nach der Hälfte der Gesamtdauer der Maßnahme vor. 2. Bayern. Art. 48 BayStVollzG lautet: „Das Staatsministerium der Justiz wird er- 5 mächtigt, zur Durchführung der Art. 46 und 47 eine Rechtsverordnung über die Vergütungsstufen zu erlassen.“ Abgesehen von der geänderten Ermächtigung des LandesMinisteriums anstelle des Bundesministeriums ging eine inhaltliche Änderung mit der Neuformulierung nicht einher. In Bayern gilt seit 1.1.2008 die Bayerische Strafvollzugs521
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vergütungsverordnung (BayGVBl. Nr. 2/2008, 25). Deren Regelungen entsprechen denjenigen der StVollzVergO des Bundes. 6
3. Hamburg. § 43 HmbStVollzG lautet: „Der Senat wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung nähere Bestimmungen zur Vergütung nach den §§ 40 und 41 zu erlassen (Vergütungsordnung). Der Senat kann die Ermächtigung nach Satz 1 durch Rechtsverordnung auf die zuständige Behörde weiter übertragen.“ Am 1.1.2010 trat die Hamburgische Strafvollzugsvergütungsordnung – HmbStVollzVergO (HmbGVBl. I 2009, S. 391) in Kraft.
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4. Hessen. § 38 Abs. 3 Satz 2 HStVollzG lautet: „Die für Strafvollstreckungs- und Strafvollzugsrecht zuständige Ministerin oder der hierfür zuständige Minister wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung entsprechende Vergütungsstufen festzusetzen.“ In Hessen ist am 9.12.2011 die Hessische Strafvollzugsvergütungsverordnung – HStVollzVergVO (GVBl. I 2011, S. 751) in Kraft getreten. Nach § 4 der Verordnung gilt diese bis 31.12.2016.
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5. Niedersachsen. § 44 NJVollzG lautet: „Das Fachministerium wird ermächtigt, zur Durchführung der §§ 40, 41 und 43 eine Verordnung über die Vergütungsstufen sowie die Bemessung des Arbeitsentgeltes, der Ausbildungsbeihilfe und des Taschengeldes zu erlassen.“ Die Gesetzesbegründung führt dazu aus: „Die vorgesehene Verordnungsermächtigung entspricht § 48 StVollzG. Einbezogen wird zusätzlich allerdings die Bemessung der Ausbildungsbeihilfe, für die § 41 des Entwurfs, anders als § 44 Abs. 2 StVollzG, keine unmittelbaren Vorgaben mehr enthält, sowie des Taschengeldes nach § 43 des Entwurfs, dessen Bemessung bislang lediglich in der VV zu § 46 StVollzG geregelt ist“ (LT-Drucks. 15/3565, 125). Für die Zeit bis zum Erlass der in § 44 vorgesehenen Verordnung gilt die Übergangsvorschrift des § 201 Abs. 1 NJVollzG: „Bis für die einzelnen Vollzugsarten eine Verordnung über die Vergütungsstufen sowie die Bemessung des Arbeitsentgelts, der Ausbildungsbeihilfe und des Taschengeldes in Kraft tritt, gelten die die jeweilige Vollzugsart betreffenden Vorschriften des Strafvollzugsgesetzes über die Bemessung des Arbeitsentgeltes und der Ausbildungsbeihilfe sowie die Strafvollzugsvergütungsordnung vom 11. Januar 1977 (BGBl. I S. 57) fort.“
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6. Musterentwurf. § 55 Abs. 3 Satz 2 ME-StVollzG lautet: „Der für Justiz zuständige Minister wird ermächtigt, in einer Rechtsverordnung Vergütungsstufen zu bestimmen.“
§ 49* Unterhaltsbeitrag § 49 Laubenthal Unterhaltsbeitrag (1) Auf Antrag des Gefangenen ist zur Erfüllung einer gesetzlichen Unterhaltspflicht aus seinen Bezügen an den Berechtigten oder einen Dritten ein Unterhaltsbeitrag zu zahlen. (2) Reichen die Einkünfte des Gefangenen nach Abzug des Hausgeldes und des Unterhaltsbeitrages nicht aus, um den Haftkostenbeitrag zu begleichen, so wird ein Unterhaltsbeitrag nur bis zur Höhe des nach § 850 c der Zivilprozessordnung unpfändbaren Betrages gezahlt. Bei der Bemessung des nach Satz 1 maßgeblichen Betrages wird die Zahl der unterhaltsberechtigten Personen um eine vermindert. * § 49 tritt durch besonderes Bundesgesetz in Kraft (§ 198 Abs. 3).
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Die Vorschrift wurde bisher nicht in Kraft gesetzt. Dazu bedarf es gem. § 198 Abs. 3 1 eines besonderen Bundesgesetzes. Die Zahlung eines Unterhaltsbeitrages an unterhaltsberechtigte Angehörige bleibt zwar auch ohne die Geltung des § 49 möglich, kommt jedoch für solche Strafgefangene, die Bezüge nach dem StVollzG erhalten, praktisch kaum in Betracht, weil diese Entlohnung nur einen geringen Teil des leistungsgerechten Arbeitsentgelts ausmacht, von dem die Vorschrift ausgeht. Die fehlende Relevanz des § 49 Abs. 2 wird auch durch den Umstand belegt, dass gem. § 50 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 bei Gefangenen, die Bezüge nach dem StVollzG erhalten, kein Haftkostenbeitrag zu erheben ist. Auf landesrechtlicher Ebene enthalten das JVollzGB, das BayStVollzG, das HmbStVollzG, das HStVollzG sowie das NJVollzG keine Bestimmungen über den Unterhaltsbeitrag.
§ 50 Haftkostenbeitrag § 50 Laubenthal Haftkostenbeitrag (1) Als Teil der Kosten der Vollstreckung der Rechtsfolgen einer Tat (§ 464 a Abs. 1 Satz 2 der Strafprozessordnung) erhebt die Vollzugsanstalt von dem Gefangenen einen Haftkostenbeitrag. Ein Haftkostenbeitrag wird nicht erhoben, wenn der Gefangene 1. Bezüge nach diesem Gesetz erhält oder 2. ohne sein Verschulden nicht arbeiten kann oder 3. nicht arbeitet, weil er nicht zur Arbeit verpflichtet ist. Hat der Gefangene, der ohne sein Verschulden während eines zusammenhängenden Zeitraumes von mehr als einem Monat nicht arbeiten kann oder nicht arbeitet, weil er nicht zur Arbeit verpflichtet ist, auf diese Zeit entfallende Einkünfte, so hat er den Haftkostenbeitrag für diese Zeit bis zur Höhe der auf sie entfallenden Einkünfte zu entrichten. Dem Gefangenen muss ein Betrag verbleiben, der dem mittleren Arbeitsentgelt in den Vollzugsanstalten des Landes entspricht. Von der Geltendmachung des Anspruchs ist abzusehen, soweit dies notwendig ist, um die Wiedereingliederung des Gefangenen in die Gemeinschaft nicht zu gefährden. (2) Der Haftkostenbeitrag wird in Höhe des Betrages erhoben, der nach § 17 Abs. 1 Nr. 4 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch durchschnittlich zur Bewertung der Sachbezüge festgesetzt ist. Das Bundesministerium der Justiz stellt den Durchschnittsbetrag für jedes Kalenderjahr nach den am 1. Oktober des vorhergehenden Jahres geltenden Bewertungen der Sachbezüge, jeweils getrennt für das in Artikel 3 des Einigungsvertrages genannte Gebiet und für das Gebiet, in dem das Strafvollzugsgesetz schon vor dem Wirksamwerden des Beitritts gegolten hat, fest und macht ihn im Bundesanzeiger bekannt. Bei Selbstverpflegung entfallen die für die Verpflegung vorgesehenen Beträge. Für den Wert der Unterkunft ist die festgesetzte Belegungsfähigkeit maßgebend. Der Haftkostenbeitrag darf auch von dem unpfändbaren Teil der Bezüge, nicht aber zu Lasten des Hausgeldes und der Ansprüche unterhaltsberechtigter Angehöriger angesetzt werden. (3) Im Land Berlin gilt einheitlich der für das in Artikel 3 des Einigungsvertrages genannte Gebiet geltende Durchschnittsbetrag. (4) Die Selbstbeschäftigung (§ 39 Abs. 2) kann davon abhängig gemacht werden, dass der Gefangene einen Haftkostenbeitrag bis zur Höhe des in Absatz 2 genannten Satzes monatlich im Voraus entrichtet. (5) Für die Erhebung des Haftkostenbeitrages können die Landesregierungen durch Rechtsverordnung andere Zuständigkeiten begründen. Auch in diesem Fall 523
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ist der Haftkostenbeitrag eine Justizverwaltungsabgabe; auf das gerichtliche Verfahren finden die §§ 109 bis 121 entsprechende Anwendung. VV (1) Der nicht auf die Kost entfallende Anteil des Haftkostenbeitrages ist auch dann zu erheben, wenn sich Gefangene wegen Urlaubs oder aus sonstigen Gründen vorübergehend nicht in der Anstalt aufhalten. (2) Während der Teilnahme an Maßnahmen der Ausbildung oder Weiterbildung wird von der Erhebung eines Haftkostenbeitrages abgesehen, wenn Leistungen nach öffentlichrechtlichen Bestimmungen (SGB III) gewährt werden, die die Höhe der Ausbildungsbeihilfe nach § 44 nicht übersteigen. Schrifttum S. vor § 37.
I. II.
Übersicht Allgemeine Hinweise ____ 1, 2 Erläuterungen ____ 3–11 1. Begriff; Ausnahmen von der Erhebung ____ 3, 4 2. Verpflichtung zur Erhebung ____ 5, 6 3. Höhe des Haftkostenbeitrags ____ 7–10 4. Zuständigkeitsfragen ____ 11
III.
Landesgesetze und Musterentwurf ____ 12–17 1. Baden-Württemberg ____ 12 2. Bayern ____ 13 3. Hamburg ____ 14 4. Hessen ____ 15 5. Niedersachsen ____ 16 6. Musterentwurf ____ 17
I. Allgemeine Hinweise Die Vorschrift wurde durch Art. 11 des Gesetzes über elektronische Register und Justizkosten für Telekommunikation (ERJuKoG) vom 10.12.2001 (BGBl. 2001/I, 3422) mit Wirkung zum 15.12.2001 neu gefasst. Die mit diesem Gesetz bezweckte Modernisierung und Vereinfachung des Justizkostenrechts ingesamt (vgl. BR-Drucks. 339/01, 9) bewirkte für den Bereich des Vollzugs der Freiheitsstrafe eine Vereinheitlichung der für den Kostenansatz relevanten Regelungen, welche nach § 138 Abs. 2 entsprechend auf den Vollzug der Maßregeln nach §§ 63, 64 StGB anzuwenden sind. Aufgehoben wurde § 10 Justizverwaltungskostenordnung (JVKostO) und damit das frühere Nebeneinander von StVollzG und JVKostO beendet. § 50 Abs. 1 in der Übergangsfassung des § 199 Abs. 1 Nr. 3 (geändert durch den Eini2 gungsvertrag [BGBl. 1990 II, 889, 956 f]) legte bis zum In-Kraft-Treten des ERJuKoG fest, dass von Gefangenen, die Bezüge nach dem StVollzG erhielten, Haftkosten nicht erhoben wurden. Diese Regelung trug der Tatsache Rechnung, dass es den Gefangenen bei der geringen Höhe ihrer im StVollzG geregelten Bezüge nicht möglich war, aus ihren Einkünften einen finanziellen Beitrag zu den zu Lasten des öffentlichen Haushalts entstehenden Haftkosten zu leisten. Das Arbeitsentgelt (§ 43) bzw. die Ausbildungsbeihilfe (§ 44) reichten bei der durch § 200 Abs. 1 a. F. festgelegten Eckvergütung nicht aus, um neben dem Hausgeld (§ 47) und dem Überbrückungsgeld (§ 51) noch nennenswerte Unterhaltsbeiträge für Familienangehörige zu leisten (vgl. Erl. zu § 49) oder wesentliche Beiträge zur Schuldenregulierung zu verwenden. Das Resozialisierungsgebot sowie das Sozialstaatsprinzip legen aber mit Blick auf die notwendige Anerkennung von Gefangenenarbeit nahe, im Widerstreit des staatlichen Interesses an Kostendeckung mit den 1
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wirtschaftlichen Interessen des Gefangenen den Haftkostenbeitrag so zu bemessen, dass dem Gefangenen von der Vergütung jedenfalls ein gewisser Betrag verbleibt (BVerfGE 98, 169, 212f). Durch die alte Übergangsfassung des § 50 konnte daher nur sehr begrenzt dem unter dem Gesichtspunkt des Angleichungsprinzips (§ 3 Abs. 1) zuzustimmenden Grundsatz Rechnung getragen werden, dass der Gefangene aus seinen Einkünften zu den Kosten seiner Haft bis zu der Höhe beizutragen hat, die in etwa den Aufwendungen für seinen Lebensunterhalt entspricht (BT-Drucks. 7/918, 70). Zwar bestimmt nunmehr § 50 Abs. 1 Satz 1 i. d. F. des Art. 11 Nr. 1 ERJuKoG, dass die Vollzugsanstalt als zuständige Behörde einen Haftkostenbeitrag zu erheben hat. Aufgrund der in Abs. 1 Satz 2 normierten Einschränkungen bleibt jedoch in der Praxis die Heranziehung eines Inhaftierten zu den Vollzugskosten im Geltungsbereich des StVollzG weiterhin die Ausnahme. Allerdings enthalten auf der landesgesetzlichen Ebene die Strafvollzugsgesetze – in unterschiedlicher Ausprägung – Rechtsgrundlagen für die Beteiligung von Strafgefangenen an anderen Kosten des Vollzugs. Das betrifft etwa Aufwendungen für die Ausführung eines Inhaftierten oder für die Aufbewahrung, Entfernung, Verwertung bzw. Vernichtung der vom Verurteilten in die Anstalt eingebrachten Gegenstände, deren Aufbewahrung ausgeschlossen bleibt. Es erfolgen zudem Kostenbeteiligungen für Leistungen bei der vollzuglichen Krankenbehandlung sowie für Stromkosten, die durch die Nutzung von Elektrogeräten anfallen, usw. (s. auch Rdn. 12 ff). Zur Kostenbeteiligung bei der Gesundheitsfürsorge im Geltungsbereich des StVollzG s. § 56 Rdn. 14. II. Erläuterungen 1. Begriff; Ausnahmen von der Erhebung. Abs. 1 Satz 1 bezieht sich auf § 464 a 3 Abs. 1 Satz 2 StPO, wonach die Kosten der Vollstreckung einer Rechtsfolge der Tat zu den Verfahrenskosten gehören, die ein strafgerichtlich Verurteilter gem. § 465 Abs. 1 Satz 1 StPO zu tragen hat. Teil der Vollstreckungskosten sind die Haftkosten, welche als Haftkostenbeitrag erhoben werden. Allerdings ist die Bezeichnung Haftkosten insoweit ungenau, als § 50 nicht die Gesamtheit aller der durch das Strafvollzugsgesetz im Einzelfall veranlassten Ausgaben (einschließlich personeller und sächlicher Aufwendungen abzüglich Einkommen) betrifft, sondern nur die Ausgaben für den Lebensunterhalt des Gefangenen als Teilmenge der Haftkosten (zur Unterscheidung Keck NStZ 1989, 309 f). Schon diese Beschränkung der Kostentragungspflicht auf Aufwendungen für den Lebensunterhalt (Verpflegung und Unterbringung) des Inhaftierten folgt aus der Erkenntnis des Bundesgesetzgebers, nicht durch weiter gehende finanzielle Inanspruchnahme die soziale Reintegration Verurteilter zu gefährden (BR-Drucks. 339/01, 10). Dementsprechend normiert Abs. 1 Satz 2 weiter auch Ausnahmen von der Erhe- 4 bung des Haftkostenbeitrags für Verpflegung und Unterbringung. Eine Heranziehung entfällt nach Nr. 1, wenn der Inhaftierte Arbeitsentgelt (§ 43) oder Ausbildungsbeihilfe (§ 44) erhält, womit der Gesetzgeber der selbst nach Inkrafttreten des 5. StVollzGÄndG am 1.1.2001 fortbestehenden geringen finanziellen Entlohnung der Gefangenenarbeit Rechnung trägt. Es bleibt deshalb im Rahmen von Nr. 1 bedeutungslos, ob dem Pflichtarbeit verrichtenden Inhaftierten noch andere Einkünfte als diejenigen nach dem jeweiligen StVollzG zufließen (KG StV 2006, 596). Von der Beitragspflicht freigestellt ist gem. Nr. 2 ferner ein Gefangener, der ohne sein Verschulden nicht arbeiten kann. Dabei entspricht das Merkmal des fehlenden Verschuldens demjenigen in § 46 (s. dort Rdn. 3) bei der Entscheidung über die Gewährung von Taschengeld. Eine Beitragserhebung erfolgt gem. Nr. 3 grundsätzlich auch nicht bei Inhaftierten, welche nicht arbeiten, weil sie zur Arbeit nicht verpflichtet sind. Dies betrifft nach § 41 Abs.1 Satz 3 (s. dort Rdn. 12) Gefangene über 65 Jahre und Mütter nach den Vorschriften des Mutterschutzgesetzes. In den 525
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Fällen von Nr. 2 und 3 darf der Betroffene, der keine Einkünfte nach dem StVollzG erzielt, dennoch unter den Voraussetzungen von Sätzen 3 und 4 zur Entrichtung von Haftkostenbeiträgen herangezogen werden, wenn er während eines zusammenhängenden Zeitraums von mehr als einem Monat auf diese Zeit entfallende Einkünfte von außerhalb des Vollzugs hat, wie z. B. Rente (OLG Celle NStZ-RR 2008, 294), Zinsen, Mieteinnahmen. Für einen längeren Zeitraum gezahlte Einkünfte (z. B. Zinsen, Dividende) werden auf den einzelnen Monat umgerechnet (Arloth 2011 Rdn. 7). 2. Verpflichtung zur Erhebung 5
a) Die Vollzugsanstalt ist nach Abs. 1 Satz 1 verpflichtet, bei Nichtvorliegen von Ausnahmetatbeständen die Haftkostenbeiträge zu erheben. Das betrifft in der Praxis vor allem diejenigen Inhaftierten, die keine Bezüge nach diesem Gesetz i. S. d. Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 erhalten, also die gem. § 39 Abs. 1 in einem freien Beschäftigungsverhältnis stehen und deshalb regelmäßig über mehr finanzielle Mittel verfügen als solche, die einer zugewiesenen Pflichtarbeit nachkommen. Auch bei der Selbstbeschäftigung (§ 39 Abs. 2) ist der Betroffene zur Beitragsleistung heranzuziehen. Insoweit kann die Anstaltsleitung gem. Abs. 4 – angesichts unregelmäßiger Einkünfte – zur Sicherung des Anspruchs auf Haftkostenbeitrag die Gestattung der Selbstbeschäftigung von einer monatlichen Vorausentrichtung abhängig machen. Der Beitragspflicht unterfallen die schuldhaft arbeitslosen Strafgefangenen (zur Praxis der Erhebung von Haftkosten bei Arbeitsverweigerern s. Lohmann 2002, 147 ff). Dabei sind jedoch bei Fehlen tatsächlicher Einkünfte auch die Grenzen von Abs. 2 Satz 5 zu beachten.
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b) Ist von der Anstaltsleitung ein Haftkostenbeitrag zu erheben, begrenzt Abs. 1 Satz 4 die Höhe dahin gehend, als dem Betroffenen Einkünfte verbleiben müssen, die dem mittleren Arbeitsentgelt in den Vollzugsanstalten des Landes entsprechen. In Anlehnung an § 10 Abs. 1 Satz 3 JVKostO i. d. F. von 1970 (BGBl. I, 805) bleibt diese Regelung zum Zweck einer praktischen Handhabung so zu interpretieren, dass die nach §§ 43 Abs. 2 Satz 2, 200 zu bestimmende Eckvergütung als das mittlere Arbeitsentgelt zu betrachten ist (Arloth 2011 Rdn. 8). Die Resozialisierungsklausel des Satz 5 ermächtigt die Vollzugsbehörde, von der Geltendmachung des Haftkostenbeitrags abzusehen, soweit dies notwendig ist, um die Wiedereingliederung des Betroffenen in die Gemeinschaft nicht zu gefährden. Ein Verzicht erfolgt nach VV Abs. 2 dann, wenn während der Teilnahme an Bildungsmaßnahmen die Gewährung von Bezügen nach anderen öffentlichrechtlichen Bestimmungen von einem solchen Verzicht abhängig gemacht wird. Allerdings reicht der allgemeine Sachverhalt, jede finanzielle Besserstellung könne der Resozialisierung förderlich sein, noch nicht aus (OLG Hamm NStZ 2009, 218.) Ein Verzicht wegen Gefährdung der Reintegration kommt z. B. in Betracht bei Unterhaltspflichtverletzern mit Wohnmietzinsverpflichtung und geringem Arbeitseinkommen, wenn Wohnung und Unterhaltszahlung sonst gefährdet sind; bei Verpflichtung des Gefangenen zur Zahlung von Schmerzensgeld an Opfer, wenn diese Leistung sonst gefährdet ist; bei hohen Schulden, die der Gefangene in Teilzahlungen ernsthaft abzutragen versucht, wenn diese Bemühung sonst zu scheitern droht, wobei überhaupt der Aspekt der Höhe von Schulden als ein für die Wiedereingliederungsperspektive bedeutsamer Umstand zu berücksichtigen ist (BVerfG, Beschl. vom 17.3.2009 – 2 BvR 1466/07). Hinsichtlich der Frage einer Resozialisierungsgefährdung steht der Anstaltsleitung ein – nur eingeschränkt gerichtlich überprüfbarer – Beurteilungsspielraum zu (OLG Karlsruhe NStZ-RR 2007, 389; OLG Celle NStZ-RR 2008, 294; OLG Hamm NStZ 2009, 218).
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3. Höhe des Haftkostenbeitrags a) Für die Höhe des Haftkostenbeitrags (s. noch Rdn. 8) ist der Betrag maßgebend, der 7 nach § 17 Abs. 1 Nr. 4 SGB IV durchschnittlich zur Bewertung der Sachbezüge festgesetzt wird. Dabei handelt es sich um jenen Satz, den man in der Sozialversicherung als rechnerische Größe verwendet, um den Wert von Sachbezügen (vor allem Unterkunft und Verpflegung) für die Beiträge zur Sozialversicherung bewerten zu können. Der Satz für diese Sachbezüge wird von der Bundesregierung auf der Grundlage des statistisch (anhand des Preisindexes für die Lebenshaltung aller privaten Haushalte) ermittelten tatsächlichen Verkehrswertes für freie Kost und Wohnung im Voraus für jedes Kalenderjahr bestimmt. Die Bindung des Haftkostenbeitrags an diese außerhalb des Vollzugs für den gleichen Sachverhalt geltende Rechengröße entspricht dem Angleichungsgrundsatz (§ 3 Abs. 1) und erscheint sachgerecht (vgl. auch BT-Drucks. 7/918, 70). Nach Abs. 2 Satz 2 stellt das Bundesministerium der Justiz aus den in den Bundesländern unterschiedlichen Sätzen den Durchschnittsbetrag für jedes Kalenderjahr nach den am 1.10. des vorhergehenden Jahres geltenden Bewertungen der Sachbezüge fest und macht ihn im Bundesanzeiger bekannt. Der Haftkostenbeitrag stellt einen Pauschalbetrag ungeachtet der tatsächlich entstehenden Kosten im Einzelfall dar. Daher sind Haftkostenbeiträge für die Unterkunft auch dann zu erheben, wenn sich Gefangene wegen Urlaubs oder aus sonstigen in ihrer Person liegenden Gründen nicht in der Anstalt aufhalten. b) Die Durchschnittssätze der gem. § 17 SGB IV bewerteten Sachbezüge wurden vom 8 Bundesministerium der Justiz für das Jahr 2012 durch Bekanntmachung vom 4.10.2011 für das gesamte Bundesgebiet einheitlich wie folgt festgesetzt (s. Bundesanzeiger Nr. 156, S. 3525). für Unterkunft 1. für Gefangene bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres und für Auszubildende bei Einzelunterbringung 144,20 € bei Belegung mit zwei Gefangenen 61,80 € bei Belegung mit drei Gefangenen 41,20 € bei Belegung mit mehr als drei Gefangenen 20,60 € 2. für alle übrigen Gefangenen bei Einzelunterbringung 175,10 € bei Belegung mit zwei Gefangenen 92,70 € bei Belegung mit drei Gefangenen 72,10 € bei Belegung mit mehr als drei Gefangenen 51,50 € für Verpflegung Frühstück Mittagessen Abendessen
47,00 € 85,00 € 85,00 €
c) Die in den vorstehenden Festsetzungen des Bundesministeriums der Justiz ange- 9 gebenen Beträge beziehen sich jeweils auf einen Monat. Für kürzere Zeiträume ist für jeden Tag ein Dreißigstel der aufgeführten Beträge zugrunde zu legen. Bei Selbstverpflegung eines Strafgefangenen entfallen nach Abs. 2 Satz 3 die für die Verpflegung vorgesehenen Beträge. Ist die Selbstverpflegung gestattet, können bei der Entrichtung des Haftkostenbeitrags nicht sog. Bereitstellungskosten für nicht eingenommene Mahlzeiten in Rechnung gestellt werden (OLG Hamburg ZfStrVo 2002, 314). 527
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d) Der Haftkostenbeitrag darf auch vom unpfändbaren Teil der Bezüge einbehalten werden (Abs. 2 Satz 5), jedoch nicht zu Lasten des Hausgeldes (§ 47) oder Ansprüchen unterhaltsberechtigter Angehöriger. Diese Regelung stellt einen Eingriff in die allgemeinen Pfändungsschutzvorschriften der §§ 850 ff ZPO dar. Ein solcher ist vor dem Hintergrund der Tatsache zu sehen, dass der Haftkostenbeitrag den Existenz sichernden Lebensunterhalt des Gefangenen (Unterkunft und Verpflegung) in der Anstalt gewährleisten soll und dass er für seinen sonstigen persönlichen Unterhalt – anders als der Bedürftige außerhalb der Anstalt – nur das Hausgeld benötigt, weil er im Übrigen nach Ansicht des Gesetzgebers umfassend versorgt wird (BT-Drucks. 7/3998, 23). Aufgrund seiner besonderen Zweckbestimmung (s. § 51 Rdn. 1) bleibt ein Rückgriff auf das Überbrückungsgeld zur Leistung eines Haftkostenbeitrags ausgeschlossen (Arloth 2011 Rdn. 10). 4. Zuständigkeitsfragen
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Zuständig zur Erhebung des Haftkostenbeitrags ist nach Abs. 1 Satz 1 die Vollzugsanstalt. Abs. 5 eröffnet den Ländern die Möglichkeit, durch Rechtsverordnung von Abs. 1 Satz 1 abweichende Zuständigkeitsregelungen zu treffen (s. Bedenken bei Arloth 2011 Rdn. 12). Gleichgültig, ob die Haftkostenentscheidung gem. Abs. 1 Satz 1 von der Anstaltsleitung oder auf der Grundlage von Abs. 5 von einer anderen Behörde (z. B. Staatsanwaltschaft) getroffen wird, ist gegen sie der Rechtsweg zur Strafvollstreckungskammer nach §§ 109 ff eröffnet (Abs. 5 Satz 2). III. Landesgesetze und Musterentwurf
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1. Baden-Württemberg. § 51 Abs. 1 JVollzGB III lautet: „Als Teil der Kosten der Vollstreckung der Rechtsfolgen einer Tat (§ 464 a Abs. 1 Satz 2 StPO) erhebt die Justizvollzugsanstalt einen Haftkostenbeitrag, wenn Gefangene 1. in einem freien Beschäftigungsverhältnis stehen, 2. sich selbst beschäftigen oder 3. während eines zusammenhängenden Zeitraums von mehr als einem Monat keine Bezüge nach diesem Gesetz erhalten und auf diese Zeit fallende Einkünfte erzielen. Die Gefangenen haben den Haftkostenbeitrag für diese Zeit bis zur Höhe der auf sie entfallenden Einkünfte zu entrichten. Der oder dem Gefangenen muss ein Betrag verbleiben, der dem mittleren Arbeitsentgelt in den Justizvollzugsanstalten des Landes entspricht, es sei denn, sie oder er arbeitet im Fall des Satzes 1 Nr. 3 entgegen einer bestehenden Pflicht schuldhaft nicht.“ Die im Vergleich zur Bundesnorm auferlegten Beschränkungen hinsichtlich der Zahlung des Haftkostenbeitrags beruhen laut der Gesetzesbegründung auf verwaltungsökonomischen Gründen. § 51 Abs. 1 Satz 3 JVollzGB III entspricht § 50 Abs. 1 Satz 5 StVollzG. § 51 Abs. 2 JVollzGB III korrespondiert mit § 50 Abs. 2 StVollzG; lediglich § 50 Abs. 2 Satz 2 StVollzG findet aufgrund der Beschränkung auf baden-württembergisches Territorium keine entsprechende Regelung. § 51 Abs. 3 JVollzGB III lautet: „Die Gefangenen haben über ihre Einkünfte Auskunft zu erteilen, soweit dies zur Ermittlung des Haftkostenbeitrags erforderlich ist. Die Angaben der Gefangenen dürfen abweichend von §§ 34 bis 45 des Ersten Buchs nur zur Ermittlung des Haftkostenbeitrags verarbeitet werden.“ Die Gesetzesbegründung führt dazu aus: „Diese Regelung führt zu einer gerechteren Erhebung des Haftkostenbeitrags, da bislang lediglich solche Gefangene mit Einkünften zur Zahlung herangezogen werden konnten, die ihre Einkünfte freiwillig offenbart haben. Die Auskunftspflicht stellt allerdings einen gravierenden Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht der Laubenthal
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Gefangenen dar. Die Auskunft unterliegt daher nach Satz 2 einer strikten Zweckbindung und darf nicht zu sonstigen Zwecken verarbeitet werden“ (LT-Drucks. 14/5012, 227). § 51 Abs. 4 JVollzGB III entspricht § 50 Abs. 4 StVollzG. Bestimmungen über zusätzliche Kostenbeteiligungen enthalten § 9 Abs. 2 JVollzGB I bezüglich der durch die Nutzung der im Besitz der Gefangenen stehenden Geräte entstehenden Betriebskosten und § 33 Abs. 3 JVollzGB III hinsichtlich der Kosten für medizinische Leistungen. 2. Bayern. Art. 49 Abs. 1 und 2 BayStVollzG entsprechen, abgesehen von der Abfas- 13 sung im Plural sowie der geschlechtsspezifischen Differenzierung, weitestgehend § 50 Abs. 1 und 2 StVollzG. Abs. 1 Satz 4 der bayerischen Regelung lautet allerdings: „Den Gefangenen muss ein Betrag verbleiben, der der Eckvergütung (Art. 46 Abs. 2 Satz 2) entspricht.“ Eine inhaltliche Änderung ging damit nicht einher. Weggefallen ist die Regelung des § 50 Abs. 3 StVollzG, der es wegen der Beschränkung auf Bayern nicht bedurfte. Abs. 3 der landesrechtlichen Regelung lautet: „Die Selbstbeschäftigung (Art. 42 Abs. 2) kann davon abhängig gemacht werden, dass der oder die Gefangene einen Haftkostenbeitrag bis zur Höhe des in Abs. 2 genannten Satzes monatlich im Voraus entrichtet.“ Dies ersetzt § 50 Abs. 4 und 5 StVollzG. Nicht durch das bayerische Landesgesetz ersetzt wurde die Pfändungsschutzvorschrift des § 50 Abs. 2 Satz 5 StVollzG. Diese gilt gem. Art. 208 BayStVollzG fort. Über den eigentlichen Haftkostenbeitrag hinausgehend lässt das BayStVollzG auch die Heranziehung von Strafgefangenen zur Beteiligung an weiteren Kosten zu. Das betrifft etwa die Beteiligung an den Kosten der Krankenbehandlung gem. Art. 63 Abs. 2 BayStVollzG oder das Tragen von Kosten, welche durch die Nutzung der im Besitz von Inhaftierten befindlichen Gegenstände für die Freizeitbeschäftigung entstehen (Art. 73 BayStVollzG). 3. Hamburg. § 49 Abs. 1 HmbStVollzG entspricht im Wesentlichen § 50 StVollzG. 14 Anders als in der Bundesnorm lautet aber § 49 Abs. 1 Satz 3 HmbStVollzG: „Den Gefangenen muss ein Betrag verbleiben, der der Eckvergütung (§ 40 Absatz 2 Satz 3 Nummer 1) entspricht.“ § 49 Abs. 2 HmbStVollzG entspricht der Regelung des § 50 Abs. 2 StVollzG. Eine § 50 Abs. 4 StVollzG korrespondierende Norm erfasst das Landesgesetz nicht. § 49 Abs. 3 HmbStVollzG regelt: „Die Gefangenen können in angemessenem Umfang an den Stromkosten beteiligt werden, die durch die Nutzung der in ihrem Besitz befindlichen Gegenständen entstehen.“ Die Möglichkeit einer Beteiligung des Inhaftierten an den Kosten seiner Krankenbehandlung eröffnet § 60 Abs. 3 HmbStVollzG. 4. Hessen. § 43 Abs. 1 und 2 HStVollzG entsprechen § 50 Abs. 1 Satz 1 und 2 StVollzG. 15 § 50 Abs. 2 Satz 5 StVollzG gilt nach § 83 Nr. 1 HStVollzG unverändert fort. Abs. 4 korrespondiert mit § 50 Abs. 2 Satz 1 und 2 StVollzG. § 43 Abs. 2 HStVollzG lautet: „Im Übrigen kann von der Erhebung eines Haftkostenbeitrags ganz oder teilweise aus besonderen Gründen abgesehen werden, insbesondere zur Förderung von Unterhaltszahlungen, Schadenswiedergutmachung, sonstiger Schadensregulierung oder für besondere Aufwendungen zur Eingliederung.“ Die Gesetzesbegründung sagt dazu: „Der Staat hat ein berechtigtes Interesse, Gefangene an den Kosten des Vollzugs zu beteiligen. Hierunter darf jedoch die erfolgreiche Eingliederung der Gefangenen nicht leiden. Dementsprechend bestimmt Abs. 3, dass von der Erhebung eines 529
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Haftkostenbeitrags ganz oder teilweise aus besonderen Gründen abgesehen werden kann. Dies ermöglicht es der Anstalt – nach entsprechender Abwägung – insbesondere der Förderung von Unterhaltszahlungen, Schadenswiedergutmachung, sonstiger Schuldenregulierung oder besonderen Aufwendungen zur Eingliederung den Vorrang vor der Erhebung eines Haftkostenbeitrages einzuräumen“ (LT-Drucks. 18/1396, 105). Abs. 5 der hessischen Norm bestimmt: „Gefangenen können an den über die Grundversorgung der Anstalt hinausgehenden Kosten des Justizvollzugs angemessen beteiligt werden. Dies gilt insbesondere für die Betriebskosten der in ihrem Besitz befindlichen selbst genutzten Gegenstände und Geräte. Sie haben ferner die Kosten zu tragen, die durch die Inanspruchnahme gewünschter Leistungen der Anstalt oder von ihr vermittelter Leistungen Dritter entstehen.“ Die Gesetzesbegründung führt dazu aus: „Bei der Kostenbeteiligung handelt es sich zumeist nicht um die Übernahme der tatsächlichen Kosten, sondern im Hinblick auf die eingeschränkten finanziellen Möglichkeiten der Gefangenen leidglich um einen angemessenen pauschalen Anteil daran“ (LT-Drucks. 18/ 1396, 105). § 50 Abs. 4 StVollzG wurde nicht übernommen. 16
5. Niedersachsen. § 52 Abs. 1 und 2 NJVollzG lauten: „(1) Die Vollzugsbehörde beteiligt die oder den Gefangenen an den Kosten für ihre oder seine Unterkunft und Verpflegung durch Erhebung eines Kostenbeitrages in Höhe des Betrages, der nach den Vorschriften des Vierten Buchs des Sozialgesetzbuchs durchschnittlich zur Bewertung der Sachbezüge festgesetzt ist. Bei Selbstverpflegung entfallen die für die Verpflegung vorgesehenen Beträge. Für den Wert der Unterkunft ist die festgesetzte Belegungsfähigkeit maßgebend. (2) Ein Kostenbeitrag nach Absatz 1 wird nicht erhoben, 1. wenn die oder der Gefangene Arbeitsentgelt oder Ausbildungsbeihilfe erhält oder 2. ohne Verschulden nicht arbeiten kann 3. oder nicht arbeitet, weil sie oder er nicht zur Arbeit verpflichtet ist. Hat die oder der Gefangene, die oder der ohne ihr oder sein Verschulden während eines zusammenhängenden Zeitraumes von mehr als einem Monat nicht arbeiten kann oder nicht arbeitet, weil sie oder er nicht zur Arbeit verpflichtet ist, auf diese Zeit entfallende Einkünfte, so hat sie oder er den Kostenbeitrag für diese Zeit bis zur Höhe der auf sie entfallenden Einkünfte zu entrichten. Der oder dem Gefangenen muss ein Betrag verbleiben, der der Eckvergütung nach § 40 Abs. 1 Satz 2 entspricht.“ Dies übernimmt inhaltlich weitgehend die Regelungen der § 50 Abs. 1 und 2 StVollzG. § 50 Abs. 1 Satz 5 StVollzG wurde in Abs. 5 Satz 1 der landesrechtlichen Regelung integriert. Abs. 3 der niedersächsischen Norm regelt: „(3) An den Kosten des Landes für sonstige Leistungen kann die Vollzugsbehörde die Gefangene oder den Gefangenen durch Erhebung weiterer Kostenbeiträge in angemessener Höhe beteiligen. Dies gilt insbesondere 1. für Lockerungen nach § 14 Abs. 1 und 3, soweit die Teilnahme am gerichtlichen Termin im überwiegenden Interesse der oder des Gefangenen liegt, 2. für Leistungen auf dem Gebiet der Gesundheitsfürsorge, soweit das Fünfte Buch des Sozialgesetzbuchs, die Reichsversicherungsordnung und die aufgrund dieser Gesetze erlassenen Regelungen eine Kostenbeteiligung der oder des Versicherten zulassen und die besonderen Verhältnisse des Strafvollzuges einer Übertragung nicht entgegenstehen, sowie für ärztliche Behandlungen nach § 61, 3. für die Aufbewahrung, Entfernung, Verwertung oder Vernichtung eingebrachter Sachen, 4. für die Versorgung des Haftraums mit Strom für das Betreiben von Elektrogeräten, soweit diese Kosten über das zur Sicherstellung einer angemessenen Grundversorgung erforderliche Maß hinausgehen, 5. für den Schriftwechsel, die Telekommunikation und den Paketverkehr der Gefangenen sowie 6. für die Überlassung von Geräten der Unterhaltungs- und Informationselektronik. Die Erhebung von Kostenbeiträgen nach Satz 2 Nr. 6 ist ausgeschlossen für die Überlassung von HörfunkLaubenthal
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und Fernsehgeräten, wenn die oder der Gefangene auf diese Geräte verwiesen wurde und soweit hierdurch eine angemessene Grundversorgung mit Hörfunk- und Fernsehempfang sichergestellt wird. Abweichend von den Sätzen 1 und 2 ist die oder der Gefangene an den Kosten des Landes zu beteiligen, soweit sie oder er aus einem privatrechtlichen Versicherungsvertrag einen Anspruch gegen den Versicherer auf Ersatz der Kosten hat.“ Der Landesgesetzgeber versuchte damit, eine systematische Konzentration sämtlicher die Kostenbeteiligung betreffender Regelungen herbeizuführen (vgl. dazu LTDrucks. 15/3565, 129 f). Zudem wurde die Beteiligung der Gefangenen an den Stromkosten gesetzlich geregelt, wofür zuvor keine ausdrückliche gesetzliche Grundlage bestand. Abs. 4 der landesrechtlichen Vorschrift lautet: „(4) Das Fachministerium wird ermächtigt, durch Verordnung näher zu regeln, unter welchen Voraussetzungen und in welcher Höhe Kostenbeiträge nach Absatz 3 erhoben werden können. Für die Bemessung können pauschale Sätze festgelegt werden. Für einzelne Kostenbeiträge kann vorgesehen werden, dass die tatsächlich entstandenen Kosten in voller Höhe von den Gefangenen zu tragen sind.“ § 52 Abs. 4 NJVollzG macht eine detaillierte gesetzliche Regelung von Voraussetzungen und Höhe der Kostenbeiträge entbehrlich. § 52 Abs. 5 NJVollzG normiert: „(5) Von der Erhebung von Kostenbeiträgen ist abzusehen, soweit dies notwendig ist, um das Vollzugsziel nach § 5 Satz 1 nicht zu gefährden. Für Zeiten, in denen die oder der Gefangene unverschuldet bedürftig ist, soll von der Erhebung von Kostenbeiträgen abgesehen werden. Zur Durchsetzung eines Anspruchs nach Absatz 3 kann die Vollzugsbehörde gegen den Anspruch auf Hausgeld aufrechnen. Die Durchsetzung eines Beitragsanspruchs nach Absatz 1 zu Lasten der Ansprüche unterhaltsberechtigter Angehöriger ist unzulässig.“ Satz 3 bezieht sich dabei auf § 50 Abs. 1 NJVollzG i. V. m. § 851 ZPO, § 394 BGB. § 52 Abs. 6 NJVollzG lautet: „(6) Der Kostenbeitrag ist eine Justizverwaltungsabgabe, die von der Vollzugsbehörde erhoben wird. Für das gerichtliche Verfahren gelten die §§ 109 bis 121 Abs. 4 StVollzG entsprechend.“ Diese Vorschrift entspricht § 50 Abs. 5 StVollzG. Nicht übernommen wurde allerdings die Möglichkeit einer abweichenden Regelung der Zuständigkeit. 6. Musterentwurf. § 61 Abs. 1 Satz 1 bis 3 ME-StVollzG besagt: „Die Anstalt erhebt 17 von Gefangenen, die sich in einem freien Beschäftigungsverhältnis befinden, sich selbst beschäftigen oder über anderweitige regelmäßige Einkünfte verfügen, für diese Zeit einen Haftkostenbeitrag. Von Gefangenen, die sich selbst beschäftigen, kann der Haftkostenbeitrag monatlich im Voraus ganz oder teilweise gefordert werden. Vergütungen nach diesem Gesetz bleiben unberücksichtigt. Den Gefangenen muss täglich ein Tagessatz gemäß § 55 Abs. 2 Satz 2 verbleiben.“ § 61 Abs. 1 Satz 4 ME-StVollzG entspricht § 50 Abs. 1 Satz 5 StVollzG. § 61 Abs. 2 ME-StVollzG korrespondiert teilweise mit § 50 Abs. 2 StVollzG. Erfasst werden jedoch keine den § 50 Abs. 2 Satz 2 und 5 StVollzG entsprechende Regelungen. § 61 Abs. 3 ME-StVollzG normiert: „Die Gefangenen können an den Betriebskosten der in ihrem Gewahrsam befindlichen Geräte beteiligt werden.“ Die ME-Begründung führt dazu aus: „Absatz 3 stellt die Rechtsgrundlage für die Erhebung von Betriebskosten dar, insbesondere für die Beteiligung der Gefangenen an den Stromkosten, die durch in ihrem Gewahrsam befindliche Geräte entstehen, soweit diese über eine angemessene Grundversorgung hinausgehen“ (ME-Begründung, 131). Möglichkeiten zur Kostenbeteiligung von Gefangenen im Bereich der Gesundheitsfürsorge sieht § 62 Abs. 2 und 3 ME-StVollzG vor.
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§ 51
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§ 51 Überbrückungsgeld § 51 Laubenthal Überbrückungsgeld (1) Aus den in diesem Gesetz geregelten Bezügen und aus den Bezügen der Gefangenen, die in einem freien Beschäftigungsverhältnis stehen (§ 39 Abs. 1) oder denen gestattet ist, sich selbst zu beschäftigen (§ 39 Abs. 2), ist ein Überbrückungsgeld zu bilden, das den notwendigen Lebensunterhalt des Gefangenen und seiner Unterhaltsberechtigten für die ersten vier Wochen nach seiner Entlassung sichern soll. (2) Das Überbrückungsgeld wird dem Gefangenen bei der Entlassung in die Freiheit ausgezahlt. Die Vollzugsbehörde kann es auch ganz oder zum Teil dem Bewährungshelfer oder einer mit der Entlassenenbetreuung befassten Stelle überweisen, die darüber entscheiden, wie das Geld innerhalb der ersten vier Wochen nach der Entlassung an den Gefangenen ausgezahlt wird. Der Bewährungshelfer und die mit der Entlassenenbetreuung befasste Stelle sind verpflichtet, das Überbrückungsgeld von ihrem Vermögen gesondert zu halten. Mit Zustimmung des Gefangenen kann das Überbrückungsgeld auch dem Unterhaltsberechtigten überwiesen werden. (3) Der Anstaltsleiter kann gestatten, dass das Überbrückungsgeld für Ausgaben in Anspruch genommen wird, die der Eingliederung des Gefangenen dienen. (4) Der Anspruch auf Auszahlung des Überbrückungsgeldes ist unpfändbar. Erreicht es nicht die in Absatz 1 bestimmte Höhe, so ist in Höhe des Unterschiedsbetrages auch der Anspruch auf Auszahlung des Eigengeldes unpfändbar. Bargeld des entlassenen Gefangenen, an den wegen der nach Satz 1 oder Satz 2 unpfändbaren Ansprüche Geld ausgezahlt worden ist, ist für die Dauer von vier Wochen seit der Entlassung insoweit der Pfändung nicht unterworfen, als es dem Teil der Ansprüche für die Zeit von der Pfändung bis zum Ablauf der vier Wochen entspricht. (5) Absatz 4 gilt nicht bei einer Pfändung wegen der in § 850 d Abs. 1 Satz 1 der Zivilprozessordnung bezeichneten Unterhaltsansprüche. Dem entlassenen Gefangenen ist jedoch so viel zu belassen, als er für seinen notwendigen Unterhalt und zur Erfüllung seiner sonstigen gesetzlichen Unterhaltspflichten für die Zeit von der Pfändung bis zum Ablauf von vier Wochen seit der Entlassung bedarf. VV 1 (1) Das Arbeitsentgelt und die Ausbildungsbeihilfe werden dem Überbrückungsgeld zugeführt, soweit sie dem Gefangenen nicht als Hausgeld zur Verfügung stehen und das Überbrückungsgeld noch nicht die angemessene Höhe (§ 51 Abs. 1 StVollzG) erreicht hat. Bei Gefangenen, die in einem freien Beschäftigungsverhältnis stehen oder denen gestattet ist, sich selbst zu beschäftigen, ist der Anteil der Bezüge zu bestimmen, der gemäß Satz 1 dem Überbrückungsgeld zuzuführen ist; der Anteil soll bei Gefangenen, die in einem freien Beschäftigungsverhältnis stehen, den Betrag des Hausgeldes nicht unterschreiten. (2) Die angemessene Höhe des Überbrückungsgeldes wird von der Landesjustizverwaltung festgesetzt. Sie soll das Vierfache des nach § 22 Bundessozialhilfegesetz festgesetzten monatlichen Mindestbetrages des Regelsatzes nicht unterschreiten. Der Anstaltsleiter kann unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles einen höheren Betrag festsetzen. Laubenthal
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Überbrückungsgeld
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2 (1) Der Anstaltsleiter soll die Inanspruchnahme des Überbrückungsgeldes nach § 51 Abs. 3 StVollzG nur gestatten, wenn zu erwarten ist, dass dem Gefangenen bei der Entlassung in die Freiheit ein Überbrückungsgeld in angemessener Höhe zur Verfügung steht. (2) Ausgaben, die der Eingliederung dienen, sind insbesondere Aufwendungen zur Erlangung eines Arbeitsplatzes und einer Unterkunft nach der Entlassung. Schrifttum Hornung Pfändung der Bezüge und Gelder von Gefangenen, in: Rechtspflegerjahrbuch 1985, 371; Kusch Überbrückungsgeld – Sparraten im Langstrafen-Vollzug?, in: ZfStrVo 1984, 145; Volckart Überbrückungsgeldprobleme, in: ZfStrVo 1983, 41; s. auch bei § 43.
I. II.
Übersicht Allgemeine Hinweise ____ 1 Erläuterungen ____ 2–19 1. Höhe des Überbrückungsgeldes ____ 2, 3 2. Bildung des Überbrückungsgeldes ____ 4–7 3. Auszahlung des Überbrückungsgeldes ____ 8–13 4. Verwendung vor der Entlassung ____ 14–16 5. Grundsatz der Unpfändbarkeit ____ 17–18 6. Rechtsweg ____ 19
III.
Landesgesetze und Musterentwurf ____ 20–25 1. Baden-Württemberg ____ 20 2. Bayern ____ 21 3. Hamburg ____ 22 4. Hessen ____ 23 5. Niedersachsen ____ 24 6. Musterentwurf ____ 25
I. Allgemeine Hinweise Mit dem Überbrückungsgeld sollen zur sozialen Reintegration des Gefangenen er- 1 forderliche wirtschaftliche Mittel sichergestellt und damit gewährleistet werden, dass der Gefangene in der hinsichtlich der Rückfallgefährdung besonders schwierigen Phase unmittelbar nach der Strafentlassung nicht sofort in (neue) wirtschaftliche Not gerät. Die Regelung ist damit eine Schutzvorschrift für den Gefangenen. Zugleich entlastet sie den öffentlichen Haushalt, da ohne dieses „Zwangssparen“ des einzelnen Gefangenen in weitaus größerem Umfang von dem Sozialhilfeträger notwendiger Lebensunterhalt (s. BVerwG NJW 1991, 189) bzw. hilfsweise von der Anstalt Entlassungsbeihilfe gem. § 75 zu finanzieren wäre. Die eigentliche Bedeutung der Vorschrift liegt daher in der Mitwirkung und stärkeren Eigenverantwortung des Gefangenen an seiner materiellen Entlassungsvorsorge (so Seebode NStZ 1984, 334 f; krit. Arloth 2011 Rdn. 1). II. Erläuterungen 1. Höhe des Überbrückungsgeldes a) Das gem. Abs. 1 aus den Bezügen des Gefangenen nach dem StVollzG (§§ 43, 44) 2 oder aufgrund eines freien Beschäftigungsverhältnisses (§ 39 Abs. 1) oder einer Selbstbeschäftigung (§ 39 Abs. 2) zu bildende Überbrückungsgeld soll den notwendigen Lebensunterhalt des Gefangenen und seiner Unterhaltsberechtigten für die ersten vier Wochen nach seiner Entlassung sichern (vgl. BT-Drucks. 7/918, 70). Die Höhe richtet sich mithin danach, was der Gefangene und seine in Freiheit befindlichen, unterhaltsberechtigten Familienangehörigen in den ersten vier Wochen nach der Entlassung benötigen, um ausreichend wohnen, essen und sich kleiden zu können. In dieser Zeit verfügt der 533
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Gefangene erfahrungsgemäß noch nicht über hinreichende Einkünfte, weil insbesondere die Eingliederung in den Arbeitsprozess eine gewisse Zeit in Anspruch nimmt. Im Gesetz ist davon abgesehen worden, einen festen Betrag oder einen bestimmten Bruchteil der Bezüge des Gefangenen für die Festsetzung des Überbrückungsgeldes zugrunde zu legen (BT-Drucks. 7/918, 71); es ist vielmehr nur dem Grunde nach bestimmt. Damit soll der Vollzugsanstalt ermöglicht werden, unter Berücksichtigung der konkreten Lebensverhältnisse des einzelnen Gefangenen und seines mutmaßlichen Bedarfs eine individuell angemessene Entscheidung zu treffen. So muss sich beispielsweise das Überbrückungsgeld-Soll eines nach der Strafverbüßung in sein Heimatland abzuschiebenden Türken nach den dortigen (preisgünstigeren) Lebensumständen bestimmen (OLG Celle NStZ 1983, 239). Eine dergestalt abgewogene Entscheidung ist erforderlich, da jede über den 4-Wochen-Bedarf i. S. von Abs. 1 hinausgehende Festsetzung von Überbrückungsgeld rechtswidrig bleibt (zum Rechtsweg s. Rdn. 19), weil sie einerseits die Verfügungsbefugnis des Gefangenen über seine Bezüge, andererseits die Pfändungsmöglichkeit von Gläubigern (vgl. dazu Rdn. 7, 17 f) in gesetzwidriger Weise beschränken würde (OLG Hamm ZfStrVo 1985, 380). Ist die Höhe des Überbrückungsgeldes durch die in Abs. 1 beschriebene Zweckbestimmung indirekt vorgegeben und muss die Anstaltsleitung diese nach den Lebensumständen, die den Verurteilten nach seiner Entlassung erwarten, – unter Einbeziehung der allgemeinen wirtschaftlichen Verhältnisse – bestimmen, so steht ihr hierfür kein Ermessen zu (OLG Hamm NStZ 1989, 360; OLG Karlsruhe ZfStrVo 2003, 251). Der Vollzugsbehörde ist insoweit auch kein Beurteilungsspielraum eröffnet (so auch OLG Karlsruhe ZfStrVo 2003, 251; C/MD 2008 Rdn. 2; a. A. Arloth 2011 Rdn. 4). Denn hierbei handelt es sich um keine Entscheidung, hinsichtlich derer die Anstaltsleitung aufgrund des persönlichen Umgangs mit den Inhaftierten und eines spezifischen Fachwissens sich einen sachnäheren Eindruck verschaffen könnte mit der Folge einer ihr zustehenden Entscheidungsprärogative (s. zur Problematik Laubenthal 2011 Rdn. 813). 3
b) Muss nach der Intention des Gesetzgebers der anzusparende Betrag individuell bestimmt werden, setzt demgegenüber in der Praxis nach VV Nr. 1 Abs. 2 Sätze 1 und 2 die Landesjustizverwaltung die angemessene Höhe des Überbrückungsgeldes jeweils pauschalisiert fest. Sie soll das Vierfache des nach § 22 BSHG festgesetzten monatlichen Mindestbetrags des Sozialhilferegelsatzes für den Gefangenen nicht unterschreiten (VV Nr. 1 Abs. 2 Satz 2 i. d. F. von 2001). An die Stelle von § 22 BSHG ist zum 1.1.2005 § 28 SGB XII getreten. Die monatlichen Mindestbeträge des Regelsatzes werden jeweils von den Landessozialverwaltungen aufgrund des § 28 SGB XII bemessen, wobei Grundlage die tatsächlichen statistisch ermittelten Verbrauchsausgaben von Haushalten in unteren Einkommensgruppen sind. Die jährliche Änderung der Regelsätze hat eine entsprechende Änderung des Überbrückungsgeld-Solls zur Folge. Zwar erscheinen hiernach die von den Landesjustizverwaltungen festgesetzten Beträge in der Regel sachgerecht. Jedoch besteht ungeachtet des Widerspruchs zur Intention des Gesetzgebers, individuell angemessene Einzelfallentscheidungen zu treffen (s. Rdn. 2; ebenso krit. Volckart 1983, 41 f; Seebode NStZ 1984, 335), die Gefahr, dass in untypischen, vom Durchschnittsfall abweichenden Konstellationen das Überbrückungsgeld zu hoch oder zu niedrig festgesetzt wird. Für den letzten Fall sieht VV Nr. 1 Abs. 2 Satz 3 unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles auch die Festsetzung eines höheren Betrages vor. Umgekehrt muss aber wegen der erforderlichen Einzelfallentscheidung (Rdn. 2) und des auch bei dem Eingriff der Vollzugsbehörde in die Verfügungsbefugnis des Gefangenen über sein Geld (vgl. Rdn. 7) zu beachtenden Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit die Festsetzung einer geringeren Überbrückungsgeldhöhe möglich sein, wenn etwa aufgrund außerhalb der Anstalt bekannt gewordenen ausreichenden Einkommens (z. B. eines in der AnLaubenthal
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stalt arbeitenden Rentners) oder Vermögens oder aber wegen Abschiebung des Strafgefangenen nach Strafverbüßung in sein Heimatland (s. Rdn. 2) Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass ein Überbrückungsgeld in der üblichen Höhe nicht erforderlich ist. Vollkommen verzichtet werden kann auf die Bildung eines Überbrückungsgeldes jedoch nicht (s. Rdn. 4). Vom Normalfall abweichende Einzelfallentscheidungen darf der Anstaltsleiter nur treffen, wenn ihm die Lebensverhältnisse des Gefangenen hinreichend bekannt sind. So hat er den Gefangenen selbst zu befragen sowie ggf. durch den sozialen Dienst der Anstalt die notwendigen tatsächlichen Grundlagen evtl. in Zusammenarbeit mit der Gerichtshilfe, den Sozialbehörden oder einem früheren Bewährungshelfer zu ermitteln. 2. Bildung des Überbrückungsgeldes. Das Überbrückungsgeld ist in jedem Fall 4 zu bilden. Damit wird die Bedeutung dieser wirtschaftlichen Vorsorge für die Übergangszeit von der Haft in die Freiheit noch einmal besonders betont. Bestehende Vermögenswerte oder Einkünfte unterliegen – bis zu den gesetzlichen Pfändungsfreigrenzen – Pfändungsrisiken, so dass sie nicht stets mit Gewissheit zur Sicherung des notwendigen Lebensunterhalts in den ersten vier Wochen nach der Entlassung dienen können (Arloth 2011 Rdn. 4). Auch eine beabsichtigte Abschiebung des Gefangenen nach Strafverbüßung ins Ausland (s. dazu Rdn. 2, 3 und 14) befreit weder die Vollzugsanstalt noch den Gefangenen von der Bildung eines Überbrückungsgeldes, denn § 51 unterscheidet nicht zwischen solchen Inhaftierten, die nach ihrer Strafverbüßung in Deutschland eingegliedert werden sollen und (z. B. abzuschiebenden) Ausländern sowie Deutschen, die nach ihrer Strafverbüßung in das Ausland ausreisen bzw. auswandern (s. noch Rdn. 14). a) Aus Abs. 1 folgt, dass zur Bildung des Überbrückungsgeldes alle Bezüge des Ge- 5 fangenen – mit Ausnahme des Taschengeldes – nach dem StVollzG und das Entgelt gem. § 39 Abs. 1 oder 2 in Anspruch zu nehmen sind. Dementsprechend bestimmt VV Nr. 1 Abs. 1 Satz1, dass bis zur Erreichung der angemessenen Höhe des Überbrückungsgeldes diesem das Arbeitsentgelt oder die Ausbildungsbeihilfe in der Höhe zugeführt wird, in der diese Bezüge nicht als Hausgeld (gem. § 47) zur Verfügung gestellt werden müssen. Im Falle verzinslich angelegten Überbrückungsgeldes (s. Rdn. 10) dürfen die erwachsenen Zinsen und Zinseszinsen nicht dem Überbrückungsgeld zugerechnet werden, da es sich hierbei um sog. unmittelbare Rechtsfrüchte der von der Anstalt dem Geldinstitut zeitweise überlassenen Geldsumme (vgl. noch Rdn. 10 a. E.) i. S. von § 99 Abs. 2 BGB (s. Palandt/Ellenberger 2012 § 99 Rdn. 3), nicht aber um Bezüge des Gefangenen i. S. von § 51 Abs. 1 handelt. Zinsen und Zinseszinsen sind also mangels gesetzlicher (Eingriffs-) Grundlage keine Quelle des durch § 51 ermöglichten „Zwangssparens“ (vgl. Rdn. 1) und können daher allenfalls (vgl. Rdn. 10 a. E.) dem Eigengeldkonto des Gefangenen gutgeschrieben werden (vgl. § 52 Rdn. 1). Entsprechendes gilt für Eigengeld, welches weder ganz noch teilweise als Überbrückungsgeld unmittelbar behandelt noch als solches herangezogen werden kann; Umbuchungen vom Eigengeld- auf das Überbrückungsgeldkonto sind unzulässig (OLG Hamm ZfStrVo 1988, 313). Hier kommt nur die Beschränkung der Verfügungsbefugnis über das Eigengeld gemäß § 83 Abs. 2 Satz 3 in Betracht. b) aa) Die Inanspruchnahme des Arbeitsentgelts oder der Ausbildungsbeihilfe für 6 die Bildung des Überbrückungsgeldes gem. VV Nr. 1 Abs. 1 Satz 1 ist in der Regel auf vier Siebtel der Bezüge begrenzt, weil drei Siebtel von ihnen dem Gefangenen nach § 47 Abs. 1 in der Übergangsfassung von § 199 Abs. 1 Nr. 2 als Hausgeld zur Verfügung zu stellen sind. Bei Gefangenen, die in einem freien Beschäftigungsverhältnis stehen (§ 39 Abs. 1) oder denen eine Selbstbeschäftigung gestattet ist (§ 39 Abs. 2), wird der dem 535
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Überbrückungsgeld zuzuführende Anteil an den Bezügen vom Anstaltsleiter frei bestimmt. Jedoch soll bei Gefangenen in freien Beschäftigungsverhältnissen der für das Überbrückungsgeld vorgesehene Anteil den Betrag des Hausgeldes nicht unterschreiten (VV Nr. 1 Abs. 1 Satz 2). 7
bb) Im Hinblick auf den Umstand, dass das Überbrückungsgeld in der Regel erst zur Entlassung des Gefangenen zur Verfügung stehen soll (s. Rdn. 8, Ausnahme: Abs. 3, dazu Rdn. 14), hat sich in der Rechtsprechung abweichend von VV Nr. 1 Abs. 1 Satz 1 die Tendenz herausgebildet, dass das Überbrückungsgeld im Wege von bestimmten Sparraten, die kleiner sind als der dafür zur Verfügung stehende Teil der Bezüge nach Abzug des Hausgeldes, anzusparen ist, wenn die voraussichtliche Zeit der Strafverbüßung ausreicht, um den festgesetzten Überbrückungsgeldbetrag mit diesen niedrigen Sparraten zu erreichen (s. OLG Celle ZfStrVo 1983, 307; OLG Koblenz ZfStrVo 1986, 185). Allerdings folgt dann aus dem Zweck des Überbrückungsgeldes nicht, dass die zu erbringenden Raten so niedrig bemessen sein müssen, dass das Überbrückungsgeld zum voraussichtlichen Entlassungszeitpunkt gerade rechnerisch erreicht wird. Vielmehr ist bei der Festsetzung der Ansparraten allen denkbaren Eventualitäten Rechnung zu tragen, die ein weiteres Ansparen verhindern oder eine Inanspruchnahme des Überbrückungsgeldes mit sich bringen könnten (OLG Koblenz ZfStrVo 1993, 309; OLG Hamburg ZfStrVo 2003, 118). Diese insbesondere für Gefangene mit längeren Freiheitsstrafen und solchen im freien Beschäftigungsverhältnis gem. § 39 Abs. 1 Befindlichen entwickelte Rechtsprechung wird vor allem damit begründet, dass bei einem Zwang zu einer vor der Strafentlassung erfolgten, vorzeitigen Ansparung des Überbrückungsgeldes sowohl der Inhaftierte (der über das sonst jeweils übrig bleibende Geld als Eigengeld verfügen könnte) als auch Gläubiger (denen sonst der Zugriff auf das nicht als Überbrückungsgeld notwendige Eigengeld offen stünde) unverhältnismäßig eingeschränkt würden (so bereits OLG Celle ZfStrVo 1983, 307). Wenngleich es zutrifft, dass das StVollzG keine Bestimmung enthält, in welchem Zeitraum das Überbrückungsgeld anzusparen ist, insbesondere keine Vorschrift besagt, dass jeweils volle vier Siebtel der monatlichen Bezüge (vgl. § 47 Abs. 1) dem Überbrückungsgeldkonto gutzuschreiben sind, kann dem Ausgangspunkt der sog. Sparraten-Rechtsprechung im Kern nicht gefolgt werden: Entgegen der Behauptung (s. Volckart 1983, 42 f), wonach sich aus dem „variablen Spar-Soll“ für das Überbrückungsgeld ergeben solle, was pfändungsfrei sei bzw. der Pfändung unterliege, regelt Abs. 4 Satz 2 eindeutig, dass der Anspruch auf Auszahlung des Eigengeldes in Höhe des Unterschiedsbetrages zur in Abs. 1 bestimmten Höhe unpfändbar ist, mithin also von vornherein ungeachtet des jeweiligen Vollzugsstandes Überbrückungsgeld (Abs. 4 Satz 1), hilfsweise Eigengeld (Abs. 4 Satz 2), nicht als variable Größe, sondern in der nach Abs. 1 bestimmten Höhe unpfändbar ist (so zu Recht auch Arloth 2011 Rdn. 5). Die im Wesentlichen anhand des § 83 Abs. 2 Satz 3 entwickelte Sparraten-Rechtsprechung (s. OLG München ZfStrVo 1980, 122; OLG Zweibrücken NStZ 1984, 479; OLG Frankfurt ZfStrVo 1986, 380; OLG Hamm ZfStrVo 1988, 313; OLG Hamburg ZfStrVo 2003, 118) hat zur Folge, dass der Gefangene im Rahmen des § 83 Abs. 2 Satz 3 über als Überbrückungsgeld nicht notwendiges Eigengeld verfügen kann, das gem. Abs. 4 Satz 2 jedoch (noch) der Unpfändbarkeit unterliegt (zutreffend Kusch 1984, 146; vgl. auch Seebode NStZ 1984, 335); das ist ein unhaltbares Ergebnis, weil die Schutzfunktion des Abs. 4 Satz 2 (s. hierzu noch Rdn. 17) ins Leere ginge.
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3. Auszahlung des Überbrückungsgeldes a) Das Überbrückungsgeld wird dem Gefangenen gem. Abs. 2 Satz 1 erst bei seiner 8 Entlassung in die Freiheit ausgezahlt. Diese Voraussetzung ist nicht erfüllt, wenn der Gefangene unmittelbar im Anschluss an eine Verbüßung von Strafhaft in Untersuchungshaft, in eine andere Haftform oder in eine andere Art der Freiheitsentziehung (z. B. nach § 126 a StPO oder § 63 StGB) genommen wird. Eine Notwendigkeit für die vom Gesetz bezweckte finanzielle Stützung in der ersten Zeit nach der Entlassung besteht in diesen Fällen nicht (OLG Schleswig ZfStrVo 1980, 62; OLG Bremen NStZ 1992, 376). Ist Voraussetzung für die Fälligkeit des Überbrückungsgeldes die Entlassung des Verurteilten und dient es der Förderung eines möglichst konfliktfreien Übergangs in das Leben außerhalb des Strafvollzugs, besteht kein Anspruch auf Auszahlung, wenn der Gefangene nicht entlassen wird, sondern sich der weiteren Inhaftierung durch Flucht entzieht (OLG Celle NStZ-RR 2007, 95). Der Anspruch des Betroffenen auf Auszahlung des Überbrückungsgeldes wird nicht dadurch berührt, dass die schuldende JVA eine Umbuchung (in Höhe des angesparten Überbrückungsgeldes) nach Flucht des Gefangenen aus dem Vollzug zugunsten des Landeshaushalts vorgenommen hat; demgemäß muss nach Wiederergreifen des Gefangenen für eine entsprechende Rücküberweisung auf dessen Überbrückungsgeldkonto Sorge getragen werden (OLG Koblenz ZfStrVo 1988, 371). aa) Vor Auszahlung besteht das Überbrückungsgeld lediglich aus einem noch nicht 9 fälligen Zahlungsanspruch des Gefangenen gegen die Anstalt (OLG Hamm ZfStrVo 1983, 309; OLG Celle ZfStrVo 1988, 251). Der Gefangene hat deshalb keinen Rechtsanspruch auf Übertragung des Überbrückungsgeldes auf ein auf seinen Namen lautendes Sparkonto, da diese Art Geldverwaltung auf eine vorzeitige und damit gesetzwidrige Erfüllung des Anspruchs hinausliefe (OLG Hamm ZfStrVo 1983, 309; KG 12.4.1988 – 5 Ws 413/87 Vollz). bb) Darüber hinaus hat der Gefangene weder kraft Gesetzes noch aus Fürsorge- 10 pflicht einen Anspruch auf zinsbringende Anlage des Überbrückungsgeldes bis zur Auszahlung, also auch nicht auf Einzahlung des Überbrückungsgeldes auf ein verzinsliches Sparkonto der Justizvollzugsanstalt. Das Strafvollzugsgesetz sieht für Gelder, die ein Gefangener nicht in seinem Gewahrsam haben darf, lediglich die Verpflichtung zur Aufbewahrung, d. h. zur Erhaltung der vorhandenen Werte vor (vgl. § 83 Abs. 2), nicht aber die Verpflichtung, für eine Vermehrung durch verzinsliche Aufbewahrung des Geldes zu sorgen (KG Beschl. v. 12.4.1988 – 5 Ws 413/87). Jedoch hat der Inhaftierte aufgrund einer aus § 3 Abs. 1 ableitbaren Fürsorgepflicht der Vollzugsbehörde einen Anspruch auf pflichtgemäße Ermessensentscheidung über den Antrag auf verzinsliche Anlage des Überbrückungsgeldes. Hiernach ist es regelmäßig ermessensfehlerfrei, wenn die Anstalt das Überbrückungsgeld (erst) auf Antrag bei einem von ihr bestimmten Geldinstitut durch eine von ihr ausgewählte Geldanlageform im Namen des Strafgefangenen und auf dessen Rechnung verzinslich anlegt. Allerdings darf die Vollzugsbehörde bei der Ausübung ihres Ermessens auch im Hinblick auf die Höhe der anzulegenden Beträge unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit den jeweiligen Verwaltungsaufwand berücksichtigen. b) Die Auszahlung des Überbrückungsgeldes erfolgt in der Regel am Entlassungs- 11 tage in bar an den Gefangenen. Die Vollzugsbehörde wird jedoch durch Abs. 2 Satz 2 ermächtigt, nach ihrem Ermessen und ohne Zustimmung des Betroffenen den Betrag ganz oder teilweise dem Bewährungshelfer oder einer mit der Entlassungsbetreuung befassten Stelle zu überweisen. Diese entscheiden dann, wie das Geld an den Gefangenen 537
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innerhalb der ersten vier Wochen nach der Entlassung ausgezahlt wird. Gerade bei labilen oder suchtkranken Gefangenen bietet es sich an, z. B. einen Teilbetrag, der die geschätzten Lebenshaltungskosten unter Berücksichtigung der konkreten Entlassungsverhältnisse für drei bis vier Tage abdeckt, am Entlassungstag an ihn persönlich auszuzahlen und den Rest dem Bewährungshelfer bzw. der Betreuungsstelle zu überweisen. Das ausgezahlte Überbrückungsgeld gehört nicht zum sog. Schonvermögen (BVerwG NJW 1991, 1989; Urt. vom 14.7.2009 – S 20 S0 20/09; LSG Baden-Württemberg, Urt. vom 24.4.2009 – L 12 AS 5623/08; LSG Niedersachsen-Bremen, Urt. vom 18.5.2010 – L 13 AS 105/09; SG Aachen) und ist demzufolge bei der Gewährung von Arbeitslosengeld nach dem SGB II bzw. von Grundsicherungsleistungen nach dem SGB XII bedarfsmindernd einzusetzen (Arloth 2011 Rdn. 11; siehe auch SG Oldenburg, Urt. vom 20.2.2009 – S 47 AS 1732/08; SG Düsseldorf, Urt. vom 22.2.2010 – S 10 AS 37/09; a. A. AK-Däubler/Galli 2012 Rdn. 9). 12
c) Der Bewährungshelfer oder die Betreuungsstelle sind nach Abs. 2 Satz 3 verpflichtet, das Überbrückungsgeld von ihrem Konto gesondert zu halten. Die damit vorgeschriebene treuhänderische Verwaltung des Überbrückungsgeldes auf einem Sonderkonto ist dem Andergeldkonto des Notars nachgebildet. Durch die Auszüge über das Sonderkonto soll die notwendige Überschaubarkeit über die Geldbewegungen gewährleistet werden. Zugleich dient die Regelung dem Schutz des Überbrückungsgeldes bei einer eventuellen Zwangsvollstreckung in das Vermögen des Bewährungshelfers bzw. der Betreuungsstelle (BT-Drucks. 7/3998, 14). Bewährungshelfer bzw. Betreuungsstelle sind verpflichtet, das ihnen überwiesene Überbrückungsgeld spätestens nach vier Wochen auszuzahlen. Es darf von ihnen nicht anderweitig verwendet werden.
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d) Der Gefangene kann ferner auch gem. Abs. 2 Satz 4 zustimmen, dass eine Überweisung des Überbrückungsgeldes an den Unterhaltsberechtigten erfolgt. Das kommt vornehmlich dann in Betracht, wenn der Gefangene in seine Familie zurückkehrt, in der – unter Verwendung des Überbrückungsgeldes – sein notwendiger Lebensunterhalt gesichert ist. Ein solches Verfahren setzt ein erhebliches Vertrauen der Vollzugsbehörde und des Gefangenen in den Unterhaltsberechtigten voraus, denn dieser ist nicht an die Beschränkungen von Satz 2 und 3 gebunden. Die Zustimmung des Inhaftierten soll regelmäßig schriftlich erfolgen. 4. Verwendung vor der Entlassung
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a) Der Anstaltsleiter kann nach Abs. 3 gestatten, dass das Überbrückungsgeld für Ausgaben in Anspruch genommen wird, die der Eingliederung des Gefangenen dienen. Das darf jedoch vor der Entlassung während der Haft nur ausnahmsweise und nur in ganz engen Grenzen erfolgen; der Schutzzweck des Überbrückungsgeldes darf nicht ausgehöhlt werden. Nach VV Nr. 2 Abs. 1 soll der Anstaltsleiter von der Ermächtigung nur und insoweit Gebrauch machen, als zu erwarten ist, dass dem Gefangenen bei seiner Entlassung gleichwohl noch ein Überbrückungsgeld in angemessener Höhe zur Verfügung steht (vgl. auch OLG Frankfurt ZfStrVo 1979, 187, das es für ermessensfehlerfrei hält, wenn der Anstaltsleiter wegen des Ausnahmecharakters von Abs. 3 die Inanspruchnahme des Überbrückungsgeldes deshalb ablehnt, weil der Gefangene über ausreichendes Eigengeld verfügt). Ausgaben, die der Eingliederung dienen, sind nach VV Nr. 2 Abs. 2 insbesondere Aufwendungen zur Erlangung eines Arbeitsplatzes und einer Unterkunft für die Zeit nach der Entlassung. Von der Ermächtigung sollte der Anstaltsleiter – vor allem in der Vorbereitungszeit auf eine nahe bevorstehende Entlassung – lediglich Laubenthal
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dann Gebrauch machen, wenn die Aufwendungen aus Gründen der Eingliederung nicht mehr aufgeschoben werden sollten, bei der Entlassung ohnehin notwendig würden und dann weniger wirksam sein könnten (BT-Drucks. 7/918, 71; so auch OLG Karlsruhe NStZ 1989, 360). Die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Überbrückungsgeldes während der Haft wurden in der Rechtsprechung bejaht für die Finanzierung einer länger dauernden Ausbildung (OLG Frankfurt ZfStrVo 1979, 186), für Reparaturkosten eines Radiogerätes mit Kassettenteil, das überwiegend zur Teilnahme an einem Sprachkurs und zur Verwendung von Lehrkassetten der Fernuniversität Hagen benötigt wird (OLG Frankfurt NStZ 1989, 424; nach OLG Hamm NStZ 1988, 399 nicht aber für die Beschaffung einer Fernsehantenne; nach OLG Celle ZfStrVo 1992, 261 nicht für den Erwerb eines Fernsehgerätes; nach LG Bayreuth ZfStrVo SH 1977, 28 nicht für die Bezahlung von Rechnungen für den Bezug von Zeitungen und Zeitschriften). Die Inanspruchnahme wurde bejaht für die Beschaffung von Kleidung für den Ausgang (OLG Frankfurt ZfStrVo 1983, 310) bzw. für begleitete Ausgänge (OLG Karlsruhe ZfStrVo 2006, 113), für die Finanzierung eines Urlaubs (OLG Hamm ZfStrVo 1993, 55) und unter Umständen auch bei Geldzahlungen an Not leidende, in der Türkei lebende Angehörige eines im Anschluss an die Strafverbüßung abzuschiebenden Türken (OLG Celle ZfStrVo 1983, 307; nach LG Karlsruhe ZfStrVo 1979, 125 aber grundsätzlich nicht für Geldzahlungen des Gefangenen an seine Kinder). Eine vorzeitige Inanspruchnahme des Überbrückungsgeldes wird verneint für die Bezahlung von Verfahrenskosten bei Rechtsstreitigkeiten, zumal wenn die Gewährung von Prozesskostenhilfe beantragt werden kann (OLG Hamm NStZ 1995, 433), sowie zur Begleichung von Anwaltskosten (KG NStZ 2001, 413). b) Die Zulässigkeit der Inanspruchnahme von Überbrückungsgeld nach Abs. 3 zur 15 Bezahlung einer Geldstrafe und somit zur Abwendung der Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe ist umstritten. Grundsätzlich wird eine derartige Inanspruchnahme nur dann der „Eingliederung des Gefangenen dienen“, wenn die längere Haft (durch Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe) die Wiedereingliederung erschweren würde. Es ist jedoch zu bedenken, dass hierdurch Gefangene unter Umständen auf Sozialhilfe (vgl. BVerwG NJW 1991, 189) und/oder auf Entlassungsbeihilfe gem. § 75 angewiesen würden mit der Folge, dass die öffentliche Hand mittelbar die Geldstrafe und damit die frühere Entlassung des Gefangenen finanziert. Daher dürfte es bei ausreichender Zeit und unter Berücksichtigung der Voraussetzungen des § 459d StPO richtiger sein, wenn stattdessen der Anstaltsleiter zunächst eine gerichtliche Entscheidung auf Anordnung des teilweisen oder vollständigen Unterbleibens der Vollstreckung der Geldstrafe anregt und erst dann je nach Ausgang dieses Verfahrens erforderlichenfalls über eine Inanspruchnahme des Überbrückungsgeldes nach Abs. 3 befindet. c) Ist einem Gefangenen vorzeitig ein Teil seines ersparten Überbrückungsgeldes 16 freigegeben worden, ohne dass die Voraussetzungen der Ausnahmeregelung des Abs. 3 (s. hierzu auch OLG Karlsruhe ZfStrVo 1988, 371) vorlagen, bleibt eine Vereinbarung über die ratenweise Rückzahlung dieses Betrages vom Hausgeld des Gefangenen unzulässig. Aufgrund einer derartigen Vereinbarung vorgenommene Umbuchungen entbehren einer Rechtsgrundlage und sind daher rückgängig zu machen. Irrtümlich vorzeitig ausgezahltes Übergangsgeld kann nicht zurückgefordert werden (OLG Celle ZfStrVo 1992, 261). 5. Grundsatz der Unpfändbarkeit a) Der Anspruch des Gefangenen auf Auszahlung des Überbrückungsgeldes ist gem. 17 Abs. 4 Satz 1 unpfändbar. Nur so kann die beabsichtigte Funktion der Existenzsicherung 539
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des Entlassenen für eine Übergangszeit von mindestens vier Wochen erfüllt werden (BTDrucks. 7/3998, 24). Auch das Eigengeld wird nach Abs. 4 Satz 2 in jener Höhe in den Pfändungsschutz einbezogen, in der das tatsächlich angesammelte Überbrückungsgeld unter seiner in Abs. 1 bestimmten Sollhöhe geblieben ist. Diese Bestimmung korrespondiert mit der Regelung in § 83 Abs. 2 Satz 3, nach der der Gefangene in der Verfügung über sein Eigengeld beschränkt bleibt, soweit dies als Überbrückungsgeld notwendig ist (vgl. Rdn. 7). Schließlich ist nach Abs. 4 Satz 3 auch das Bargeld unpfändbar, das dem Gefangenen bei der Entlassung in Erfüllung des Anspruchs auf Auszahlung des Überbrückungsgeldes in der Zahlstelle der Anstalt übergeben worden ist. Der Pfändungsschutz dauert insoweit in Anlehnung an Abs. 1 folgerichtig ebenfalls vier Wochen. Es ist jedoch der Teil des Bargeldes sofort pfändbar, der die Sollhöhe des Überbrückungsgeldes nach Abs. 1 übersteigt. Alle Teilregelungen des Abs. 4 zusammen stellen einen umfassenden Pfändungsschutz für die Geldmittel dar, die zum notwendigen Lebensunterhalt gemäß Abs. 1 benötigt werden. 18
b) Eine Einschränkung des in Abs. 4 festgelegten Pfändungsschutzes enthält Abs. 5 Satz 1 zugunsten der in § 850d Abs. 1 Satz 1 ZPO bezeichneten Unterhaltsansprüche. Darin liegt jedoch keine Systemwidrigkeit. Das Überbrückungsgeld dient gem. Abs. 1 auch der Sicherung der Unterhaltsberechtigten des Gefangenen. Aus den Erfahrungen in der Praxis hat sich die Befürchtung ergeben, dass die Schutzfunktion des Überbrückungsgeldes bezüglich der Unterhaltsberechtigten nicht immer durch freiwillige Zahlungen des Entlassenen erfüllt wird (vgl. auch BT-Drucks. 7/3998, 24). Nach Abs. 5 Satz 2 ist ihm jedoch auch bei der Pfändung zugunsten der Unterhaltsansprüche so viel zu belassen, wie er selbst für seinen notwendigen Lebensunterhalt bis zum Ablauf von vier Wochen nach der Entlassung benötigt (Eigenanteil am Überbrückungsgeld), und ferner jener Betrag, den die Erfüllung sonstiger gesetzlicher Unterhaltspflichten erfordert. Auch hierfür gilt die Begrenzung auf vier Wochen.
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6. Rechtsweg. Gegen die Festsetzung des Überbrückungsgeld-Solls als Maßnahme der Vollzugsbehörde ist der Rechtsweg nach §§ 109 ff StVollzG gegeben (OLG Celle NStZ 1984, 334 m. Anm. Seebode; OLG Karlsruhe ZfStrVo 2003, 251). Gleiches gilt für die Festlegung der Höhe der Ansparraten (s. OLG Hamburg ZfStrVo 2003, 119). Der vollzugliche Rechtsweg ist nicht eröffnet hinsichtlich der Wahl eines Kreditinstituts für die verzinsliche Anlage des Überbrückungsgeldes bzw. für die Wahl der Zinsanlage selbst durch die Anstalt (OLG Celle ZfStrVo 1988, 251); ferner auch nicht für die Anfechtung eines etwaigen Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses (vgl. § 47 Rdn. 9). III. Landesgesetze und Musterentwurf
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1. Baden-Württemberg. § 52 JVollzGB III übernimmt – in weiten Teilen wortlautidentisch – die Regelungen des § 51 StVollzG.
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2. Bayern. Art. 51 BayStVollzG entspricht, bis auf die Abfassung im Plural, weitestgehend § 51 Abs. 1 bis 3 StVollzG. Nicht übernommen wurden in Art. 51 BayStVollzG die Pfändungsschutzvorschriften des § 51 Abs. 4 und 5 StVollzG. Diese gelten gem. Art. 208 BayStVollzG unverändert fort.
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3. Hamburg. § 47 Abs. 1 HmbStVollzG entspricht sinngemäß dem Regelungsgehalt des § 51 Abs. 1 StVollzG. In den Gesetzestext eingearbeitet wurde zudem VV Nr. 1 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 zu § 51 StVollzG. Laubenthal
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§ 47 Abs. 2 HmbStVollzG korrespondiert im Wesentlichen mit § 51 Abs. 2 StVollzG. § 47 Abs. 3 HmbStVollzG lautet: „Die Gefangenen dürfen vor ihrer Entlassung nicht über das Überbrückungsgeld verfügen. Die Anstaltsleitung kann jedoch gestatten, dass das Überbrückungsgeld in Anspruch genommen wird 1. für notwendige Maßnahmen der Entlassungsvorbereitung, insbesondere zur Erlangung eines Arbeitsplatzes und einer Unterkunft, 2. bei Aufnahme eines freien Beschäftigungsverhältnisses oder einer Selbstbeschäftigung außerhalb der Anstalt in den ersten beiden Monaten zur Finanzierung der hierfür erforderlichen Mittel, insbesondere von Kleidung und Kosten zu benutzender Verkehrsmittel, 3. für Kosten der Krankenbehandlung nach § 60 Absätze 2 und 3, wenn die Maßnahmen ohne die Inanspruchnahme des Überbrückungsgeldes gefährdet wären.“ Die Gesetzesbegründung führt dazu aus: „Abweichend von § 51 Absatz 3 StVollzG schließt Absatz 3 die Freigabe der Verwendung des Überbrückungsgeldes durch die Anstaltsleitung für Ausgaben, die der Eingliederung der Gefangenen dienen, aus. Die Regelung des § 51 Absatz 3 StVollzG hat in der Praxis neben einem erheblichen Prüfungsaufwand dazu geführt, dass zahlreiche Gefangene entgegen der gesetzlichen Ambition ihr Überbrückungsgeld trotz längerer Haftzeiten nicht angespart haben. Der Verzicht auf die Freigabemöglichkeit soll hier Abhilfe schaffen“ (LT-Drucks. 18/6490, 43). Die Pfändungsschutzvorschriften der § 51 Abs. 4 und 5 StVollzG wurden nicht übernommen. Sie gelten gem. § 130 Nr. 1 HmbStVollzG unmittelbar fort. 4. Hessen. § 42 HStVollzG entspricht weitgehend der Vorschrift des § 51 StVollzG. 23 Allerdings findet § 51 Abs. 2 Satz 3 und 4 StVollzG keine entsprechende Regelung im hessischen Landesrecht. Die Pfändungsschutzvorschriften der § 51 Abs. 4 und 5 StVollzG sind nicht in das Landesgesetz übernommen worden. Vielmehr gelten sie nach § 83 Nr. 1 HStVollzG unverändert fort. 5. Niedersachsen. § 47 Abs. 1 NJVollzG lautet: „(1) Als Überbrückungsgeld gutge- 24 schrieben werden Ansprüche 1. auf Arbeitsentgelt oder Ausbildungsbeihilfe sowie 2. aus einem freien Beschäftigungsverhältnis oder einer Selbstbeschäftigung, die der Vollzugsbehörde zur Gutschrift für die oder den Gefangenen überwiesen worden sind (§ 36 Abs. 3), zu einem angemessenen Teil, soweit sie nicht als Hausgeld gutgeschrieben werden und soweit die nach Absatz 2 Satz 2 festgesetzte Höhe noch nicht erreicht ist. Wird die Befugnis, über das Hausgeld zu verfügen, disziplinarisch beschränkt oder entzogen (§ 95 Abs. 1 Nr. 2), so ist das in dieser Zeit anfallende Hausgeld dem Überbrückungsgeld hinzuzurechnen, auch soweit dadurch die nach Absatz 2 Satz 2 festgesetzte Höhe überschritten wird. (2) Das Überbrückungsgeld soll den notwendigen Lebensunterhalt der oder des Gefangenen und ihrer oder seiner Unterhaltsberechtigten in den ersten vier Wochen nach der Entlassung sichern. Die Höhe des Überbrückungsgeldes wird von der Vollzugsbehörde festgesetzt. (3) Das Guthaben auf dem Überbrückungsgeldkonto wird der oder dem Gefangenen bei der Entlassung ausgezahlt. Die Vollzugsbehörde kann es auch der Bewährungshelferin oder dem Bewährungshelfer oder einer mit der Entlassenenbetreuung befassten Stelle überweisen, die darüber entscheiden, wie das Geld innerhalb der ersten vier Wochen nach der Entlassung an die Gefangene oder den Gefangenen ausgezahlt wird. Das Geld ist vom sonstigen Vermögen gesondert zu halten. Mit Zustimmung der oder des Gefangenen kann das Überbrückungsgeld auch den Unterhaltsberechtigten überwiesen werden. (4) Der oder dem Gefangenen kann gestattet werden, das Guthaben auf dem Überbrückungsgeldkonto für Ausgaben zu verwenden, die ihrer oder seiner Eingliederung dienen.“ Die Regelung von § 47 Abs. 1 Satz 2 NJVollzG übernimmt § 104 Abs. 3 StVollzG. Wesentliche inhaltliche Änderungen gehen laut Gesetzesbegrün541
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dung (LT-Drucks. 15/3565, 126 f) mit der Neufassung der Norm nicht einher. § 51 Abs. 4 und 5 StVollzG entsprechende Pfändungsschutzbestimmungen enthält § 50 Abs. 2 und 3 NJVollzG. 25
6. Musterentwurf. Im Musterentwurf ist keine mit § 51 StVollzG korrespondierende Vorschrift enthalten. In der ME-Begründung heißt es dazu: „Das Gesetz verzichtet auf die Aufnahme eines Überbrückungsgeldes. Erarbeitete oder erworbene Gelder der Gefangenen, die nicht Hausgeld sind, werden damit dem Eigengeld zugeordnet. Zweck des Überbrückungsgeldes war es bislang, für die besonders schwierige Zeit direkt nach der Entlassung eine finanzielle Vorsorge für den notwendigen Lebensunterhalt der Gefangenen und ihrer Unterhaltsberechtigten durch zwangsweises Ansparen eines Geldbetrages zu treffen. Das Überbrückungsgeld erfüllt jedoch diesen Zweck in vielen Fällen nicht, sondern stellt sogar ein Wiedereingliederungshindernis dar. Es führt nach der Entlassung regelmäßig dazu, dass die für das Arbeitslosengeld II oder die Sozialhilfe zuständigen Träger den Gefangenen eine Leistungsgewährung unter Hinweis auf § 9 Abs. 1 Zweites Buch Sozialgesetzbuch und § 2 Abs. 1 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch verweigern. Im Bereich des Arbeitslosengelds II hat dies in der Regel zur Folge, dass den Gefangenen in der kritischen Phase der Haftentlassung keine Leistungen wie Fördermaßnahmen gewährt werden, die auf Vermittlung in Arbeit abzielen. Schließlich führt die bisherige Rechtslage zu einer Benachteiligung der Gefangenen gegenüber nicht inhaftierten Menschen. Letztere können nicht nur aus Arbeitseinkommen, sondern auch aus leistungslosem Einkommen Ansparrücklagen bilden, die als im Rahmen von Freibeträgen geschütztes Vermögen von der Anrechnung sowohl nach dem Zweiten als auch dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch freigestellt sind. Auch steht das Überbrückungsgeld der in §§ 42 und 44 zum Ausdruck kommenden Intention entgegen, durch Kooperation der Anstalt mit den nach § 42 Abs. 2 genannten außervollzuglichen Stellen ein anstaltsübergreifendes Hilfesystem aufzubauen, das unmittelbar nach der Entlassung einsetzt. Die Abschaffung des Überbrückungsgeldes führt im Übrigen dazu, dass den Gefangenen während der Haftzeit zusätzliche Mittel zur Verfügung stehen und ihnen so ermöglicht wird, den durch die Straftat verursachten Schaden wiedergutzumachen und eine Schuldenregulierung herbeizuführen. Insoweit dient die Neuregelung auch den Belangen der Gläubiger, denen durch die Bildung des Überbrückungsgeldes pfändbares Eigengeld der Gefangenen entzogen würde“ (ME-Begründung, 125 f).
§ 52 Eigengeld § 52 Laubenthal Eigengeld Bezüge des Gefangenen, die nicht als Hausgeld, Haftkostenbeitrag, Unterhaltsbeitrag oder Überbrückungsgeld in Anspruch genommen werden, sind dem Gefangenen zum Eigengeld gutzuschreiben. Schrifttum S. bei § 43.
I. Allgemeine Hinweise 1
Die Vorschrift ist unvollständig, denn sie behandelt lediglich den Teil der Bildung des Eigengeldes, der in der Regel praktische Bedeutung nur bei längeren Haftzeiten oder bei im freien Beschäftigungsverhältnis gem. § 39 Abs. 1 befindlichen Gefangenen Laubenthal
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hat, weil vornehmlich in diesen Fällen über vorrangige finanzielle Bindungen des Gefangenen hinaus (gem. §§ 47, 50 Abs. 2, 51) ein Rest aus den in § 52 genannten Bezügen bleibt. Über den Regelungsgehalt von § 52 hinaus wird den Inhaftierten gem. § 83 Abs. 2 Satz 2 als Eigengeld dasjenige Geld gutgeschrieben, das sie einbringen, d. h. bei Strafantritt in die Anstalt mitbringen; ferner jene Geldbeträge, die während der Haft für den Gefangenen von Dritten eingehen. Eigengeld ist ein Guthaben, hinsichtlich dessen ein Anspruch gegen das jeweilige Bundesland als Träger der Strafanstalt besteht. Über dieses kann der Strafgefangene – im Rahmen rechtlicher Grenzen – sowohl außerhalb der Anstalt wirkende Verfügungen treffen (z. B. Geldanlage) oder es können ihm bestimmte Beträge für Verwendungen innerhalb der Einrichtung überlassen werden. II. Erläuterungen Nach der Vorschrift sind die Bezüge des Gefangenen dem für ihn eingerichteten und 2 geführten Eigengeldkonto gutzuschreiben, wenn und soweit sie nicht als Hausgeld (§ 47), Haftkostenbeitrag (§ 50), Unterhaltsbeitrag (§ 49) oder Überbrückungsgeld (§ 51) in Anspruch genommen werden. Die Eigengeldbildung ist mithin subsidiär. Als Bezüge des Gefangenen kommen hier nicht nur Arbeitsentgelt (§ 43), Ausbildungsbeihilfe (§ 44) und Ausfallentschädigung (§ 45) in der Vollzugsanstalt in Betracht, sondern auch die Einkünfte aus einem freien Beschäftigungsverhältnis (§ 39 Abs. 1) und aus einer Selbstbeschäftigung (§ 39 Abs. 2). Bis zur Auszahlung besteht das Eigengeld in Form eines von der Anstalt verwalteten, prinzipiell zinsbringend angelegten (AK-Däubler/Galli 2012 Rdn. 2; C/MD 2008 Rdn. 2) Kontoguthabens. Die Vollzugsbehörde ist zu Auskünften über den Stand des Kontos an den Inhaftierten verpflichtet, wofür regelmäßig die Aushändigung von Kontoauszügen genügt (OLG Koblenz ZfStrVo 1993, 118). Dabei hat der Betroffene aber keinen Anspruch gegen die Anstaltsleitung, dass ihm nach jedem Buchungsvorgang auf dem Eigengeldkonto ein Kontoauszug erteilt wird (OLG Frankfurt NStZ-RR 2004, 316). Befindet sich aus den in § 52 genannten Bezügen bzw. aus den bei Strafantritt einge- 3 brachten oder während der Strafverbüßung von Dritten zugewendeten Geldbeträgen ein Betrag auf dem Eigengeldkonto, ist zu unterscheiden zwischen dem freien Eigengeld (§ 83 Abs. 2 Satz 3) und dem gesperrten Eigengeld (§ 83 Abs. 2 Satz 3 2. HS. i. V. m. § 51 Abs. 4 Satz 2). Wurde das Überbrückungsgeld-Soll noch nicht in voller Höhe angespart, besteht ein Verfügungsverbot des Insassen über das sog. qualifizierte Eigengeld, solange es zur Bildung von Überbrückungsgeld benötigt wird. Der Gefangene kann also nur vorbehaltlich der Verfügungsbeschränkung gem. § 83 Abs. 2 Satz 3 2. HS. über sein Eigengeld frei verfügen. Hierbei ist für die Betroffenen häufig die Möglichkeit des Einkaufs gem. § 22 und VV Nr. 2 Abs. 1 zu § 22 von besonderem Interesse. Die sehr unterschiedliche Ausstattung der Gefangenen mit Eigengeld und die deshalb sehr verschiedene Verfügungsmöglichkeit des Einzelnen über sein Eigengeld lassen aber einen Zielkonflikt deutlich werden: Der Angleichungsgrundsatz (§ 3 Abs. 1) würde verlangen, dass die unterschiedlichen Einkaufsmöglichkeiten der Gefangenen mit und ohne Eigengeld nicht nur im Rahmen von § 22, sondern auch bei der Anschaffung von Einrichtungsgegenständen, Rundfunkgeräten oder Kleintieren in vollem Umfange zugelassen werden, weil die Unterschiede zwischen „Arm und Reich“ den allgemeinen Lebensverhältnissen außerhalb der Anstalten entsprechen. Andererseits birgt das enge, nicht immer kontrollierte und kontrollierbare Zusammenleben in der Anstalt die Gefahr, dass unerwünschte subkulturelle Abhängigkeiten entstehen, denen die Gefangenen sich teilweise wegen der Gruppenzwänge auch dann nicht mehr entziehen können, wenn sie es wollen (vgl. hierzu Laubenthal 2011 Rdn. 211 ff). 543
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Das Eigengeld ist, soweit es anstelle nicht angesparten Überbrückungsgeldes gesichert werden muss, vorbehaltlich § 51 Abs. 5 gem. § 51 Abs. 4 Satz 2 unpfändbar. Im Übrigen bleibt das Eigengeld grundsätzlich pfändbar und steht dem Zugriff der Gläubiger offen, weil der spezifischen Situation des Inhaftierten durch die Pfändungsbeschränkungen des § 51 Abs. 4 und 5 hinreichend Rechnung getragen wird (BT-Drucks. 7/918, 71; so auch BFH DStRE 2004, 421; BGH StV 2004, 558; OLG Schleswig NStZ 1994, 511; OLG Karlsruhe ZfStrVo 1995, 114; OLG Hamburg NStZ 2010, 440; OLG Frankfurt NStZRR 2012, 127; Arloth 2011 Rdn. 4; C/MD 2008 Rdn. 1; K/S-Schöch § 7 Rdn. 159; Laubenthal 2011 Rdn. 477). Einzahler-Zweckbestimmungen sind insoweit unbeachtlich (OLG Nürnberg NStZ 1985, 354; s. auch OLG Hamm NStZ 1997, 426). Zwar sieht VV Nr. 3 zu § 83 vor, dass für einen Inhaftierten zu einem bestimmten Zweck einbezahltes Eigengeld dann nicht als Überbrückungsgeld zu behandeln ist, wenn der Verwendungszweck der Eingliederung des Betroffenen dient. Dies bleibt hinsichtlich der Pfändbarkeit jedoch unbeachtlich, weil Strafgefangener und Dritter ebenso wenig wie die Landesjustizverwaltung mittels Verwaltungsvorschrift die gesetzlichen Pfändungsmöglichkeiten beeinträchtigen können (Arloth 2011 Rdn. 4; a. A. im Ergebnis OLG Frankfurt ZfStrVo 2004, 316). Durch die Pfändung von Eigengeld wird die Menschenwürde des Gefangenen nicht verletzt, da dessen lebensnotwendigen Bedürfnissen durch das Überbrückungsgeld gem. § 51 und das ihm nach § 47 zustehende Hausgeld in ausreichendem Umfang Rechnung getragen ist (BVerfG NStZ 1982, 300). Wird vertreten, dass auch derjenige Teil des Eigengeldes, der aus Resten des Arbeitsentgelts (oder dessen Surrogaten) stammt, dem Pfändungsschutz der §§ 850ff ZPO unterfallen soll (so OLG Frankfurt NStZ 1993, 559; OLG Hamburg ZfStrVo 1995, 370; AK-Däubler/Galli 2012 Rdn. 5; Konrad 1990, 206), steht dem allerdings entgegen, dass der Anspruch des Gefangenen auf Zahlung des Arbeitsentgelts mit der Gutschrift auf dem Eigengeldkonto schon erloschen ist. Zwar stammt der Anspruch auf Auszahlung des Gutgeschriebenen aus dem Arbeitsentgelt, er stellt jedoch keinen Anspruch auf das Arbeitseinkommen dar. Es bleibt deshalb auch eine entsprechende Anwendung des § 850k ZPO auf den dem Eigengeldkonto zugeführten Arbeitslohn ausgeschlossen (OLG Schleswig NStZ 1994, 511). Auch die Pfändungsfreigrenzen des § 850 c ZPO finden nach Sinn und Zweck dieser Pfändungsschutzvorschrift weder unmittelbar noch mittelbar Anwendung (BFH DStRE 2004, 421; BGH StV 2004, 558). Der Rechtsweg bei Streitigkeiten über die Auszahlung von Eigengeld richtet sich 5 danach, ob die behauptete Rechtsverletzung in einer von der Anstalt zu verantwortenden Handlung gesehen wird (dann §§ 109ff; so etwa bei Auszahlung von Eigengeld an einen Abtretungsgläubiger, OLG Hamm NStZ 1988, 479), oder ob es sich um Einwendungen gegen die Zulässigkeit der Zwangsvollstreckung überhaupt oder einer bestimmten Vollstreckungsmaßnahme handelt. In letzterem Fall ist gem. §§ 766 oder 767 ZPO vorzugehen (BGHSt 37, 176), so etwa, wenn der Gefangene meint, dass die Auszahlung einzustellen sei, weil das aus seinem Arbeitsentgelt gebildete Eigengeld unter die Pfändungsfreigrenzen der §§ 850 ff ZPO falle (KG NStZ 1991, 56), oder dass zweckgebundene, für den Einkauf eingezahlte Geldbeträge von einer Pfändung nicht erfasst würden (OLG Stuttgart ZfStrVo 1988, 369). Rechnet die Justizverwaltung mit einem eigenen zivilrechtlichen Anspruch (z. B. Schadensersatz wegen Beschädigung der Haftraumausstattung) gegen das Eigengeld des Strafgefangenen auf, ist für Einwendungen gegen diese Aufrechnung der Zivilrechtsweg eröffnet (BGH Rpfleger 1998, 304; OLG Nürnberg ZfStrVo 1999, 302). Dies betrifft sowohl die Aufrechnung an sich (a. A. KG NStZ-RR 2003, 317) als auch die Prüfung der Rechtmäßigkeit der gegen den Inhaftierten geltend gemachten zivilrechtlichen Forderung.
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III. Landesgesetze und Musterentwurf 1. Baden-Württemberg. § 53 Abs. 3 JVollzGB III entspricht § 52 StVollzG; ausgenom- 6 men ist lediglich der Unterhaltsbeitrag. 2. Bayern. Art. 52 BayStVollzG lautet: „(1) Als Eigengeld wird gutgeschrieben 1. ein- 7 gebrachtes Geld, 2. Bezüge der Gefangenen, die nicht als Hausgeld, Haftkostenbeitrag oder Überbrückungsgeld in Anspruch genommen werden, 3. Geld, das für die Gefangenen eingezahlt wird. Art. 53 bleibt unberührt. (2) Die Gefangenen können über ihr Eigengeld verfügen, soweit dieses nicht als Überbrückungsgeld notwendig ist.“ In der Gesetzesbegründung heißt es dazu: „Art. 52 übernimmt die Regelungen der §§ 52 und 83 Abs. 2 StVollzG. Das Eigengeld der Gefangenen wird gebildet aus dem von ihnen in die Anstalt mitgebrachten Geld, das beim Zugang auf ihr Konto eingezahlt wird, aus während der Haft eingehenden Zuwendungen Dritter sowie aus den während der Haft gutgeschriebenen Bezügen, die nicht als Hausgeld (Art. 50), Haftkostenbeitrag (Art. 49) oder Überbrückungsgeld (Art. 51) in Anspruch genommen werden. […] Grundsätzlich unterliegen die Gefangenen hinsichtlich des Eigengelds ebenso wenig einer Verfügungsbeschränkung wie hinsichtlich ihres sonstigen, außerhalb der Anstalt befindlichen Vermögens. Abs. 2 beinhaltet jedoch eine Beschränkung der Gefangenen hinsichtlich ihres Eigengelds dahingehend, dass ihre Verfügungsbefugnis nur soweit reicht, wie das Eigengeld nicht als Überbrückungsgeld notwendig ist“ (LT-Drucks. 15/8101, 61). 3. Hamburg. § 48 Abs. 1 HmbStVollzG lautet: „Das Eigengeld wird gebildet 1. aus 8 Bargeld, das den Gefangenen gehört und ihnen als Eigengeld gutzuschreiben ist, 2. aus Geldern, die für die Gefangenen eingezahlt werden, und 3. aus Bezügen der Gefangenen, die nicht als Hausgeld, Haftkostenbeitrag oder Überbrückungsgeld in Anspruch genommen werden.“ Die Gesetzesbegründung führt dazu aus: „Die Vorschrift verbindet mehrere an unterschiedlichen Stellen des Gesetzes zum Eigengeld getroffene Bestimmungen miteinander und verbessert hierduch die Handhabung. Absatz 1 Nummer 1 greift die Regelung in § 83 Absatz 2 Satz 2 StVollzG auf, wonach den Gefangenen Bargeld, das ihnen gehört, als Eigengeld gutzuschreiben ist. […] Absatz 1 Nummer 3 stellt entsprechend § 52 StVollzG klar, dass Bezüge der Gefangenen, die nicht als Hausgeld, Haftkostenbeitrag oder Überbrückungsgeld in Anspruch genommen werden, als Eigengeld zur Verfügung stehen“ (LT-Drucks. 18/6490, 43). § 48 Abs. 2 HmbStVollzG bestimmt: „Hat das Überbrückungsgeld noch nicht die nach § 47 Absatz 1 bestimmte Höhe erreicht, so ist die Verfügung über das Eigengeld in Höhe des Unterschiedsbetrages ausgeschlossen. § 47 Absatz 3 Satz 2 gilt entsprechend. Daneben kann die Anstaltsleitung die Inanspruchnahme von Eigengeld für den Einkauf (§ 25) im ersten Monat nach der Aufnahme gestatten.“ Nach Auffassung des Landesgesetzgebers „ermöglicht Absatz 2 die Freigabe von eigentlich – mangels erfolgter Ansparung des Überbrückungsgeldsolls – gesperrten Eigengeld für den so genannten Zugangseinkauf. Die Bestimmung berücksichtigt den Umstand, dass die Gefangenen im ersten Monat nach ihrer Aufnahme weder über Hausgeld noch über Taschengeld verfügen“ (LTDrucks. 19/2533, 57). § 48 Abs. 3 HmbStVollzG normiert: „Hat das Überbrückungsgeld die nach § 47 Absatz 1 bestimmte Höhe erreicht, dürfen die Gefangenen über das Eigengeld verfügen, für den Einkauf (§ 25) jedoch nur, wenn sie ohne ihr Verschulden nicht über Haus- oder Taschengeld in ausreichendem Umfang verfügen und nur in angemessener Höhe.“ Damit wird auch der Regelungsgehalt des § 83 Abs. 2 Satz 3 2. Alt. StVollzG aufgegriffen. Die Gesetzesbegründung führt aus: „Hierdurch soll eine Schlechterstellung von arbeitswilli545
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Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
gen Gefangenen, denen keine oder nur in begrenztem Umfang Arbeit zugeweisen werden kann, gegenüber arbeitenden Gefangenen beim Einkauf vermieden werden.“ § 48 Abs. 4 HmbStVollzG lautet: „Wird für Gefangene Geld eingezahlt, das ausdrücklich für einen zusätzlichen Einkauf (§ 25 Absatz 2) bestimmt ist, ist es als zweckgebundenes Eigengeld gutzuschreiben. Zweckgebundenes Eigengeld, das nicht oder nicht in vollem Umfang für den folgenden zusätzlichen Einkauf verwendet wird, ist in Höhe des nicht verwendeten Betrages als Eigengeld nach Absatz 1 zu behandeln.“ Nach der Gesetzesbegründung war diese Regelung aufgrund der Neuregelung in § 25 Abs. 2 HmbStVollzG erforderlich (LT-Drucks. 18/6490, 43). § 48 Abs. 5 HmbStVollzG bestimmt: „Wurde den Gefangenen Bargeld als Eigengeld gutgeschrieben, das sie unerlaubt in die Anstalt eingebracht oder einzubringen versucht haben oder das sie in der Anstalt aus anderen Gründen unerlaubt in Besitz hatten, dürfen sie über das Eigengeld in Höhe des gutgeschriebenen Betrages nicht verfügen.“ In der Gesetzesbegründung heißt es dazu: „Diese Gelder sind den Gefangenen als Eigengeld gutzuschreiben, stehen aber in Höhe des gutgeschriebenen Betrages nicht zur Verfügung“ (LT-Drucks. 18/6490, 43 f). 9
4. Hessen. § 44 Abs. 1 HStVollzG entspricht im Wesentlichen § 52 StVollzG. § 44 Abs. 2 HStVollzG lautet: „Für die Gefangenen kann zweimal jährlich zu besonderen Anlässen Geld zum Zweck eines Sondereinkaufs einbezahlt werden; darüber hinaus kann die Anstaltsleitung zweckgebundene Einzahlungen Dritter für Ausgaben gestatten, die der medizinischen Versorgung, der Gewährleistung der Informationsfreiheit oder der Eingliederung der Gefangenen dienen (zweckgebundenes Eigengeld).“ Die Gesetzesbegründung führt dazu aus: „Die Aufnahme einer Regelung über das ‚zweckgebundene Eigengeld‘ in Abs. 2 entspricht einer Vorgabe der Rechtsprechung. Erhält demnach ein Gefangener Geldzuwendungen von dritter Seite, die ihm als Eigengeld gutzuschreiben sind, kann er sich gegen die Pfändbarkeit des aus diesen Mitteln stammenden Eigengeldes bzw. gegen einen sonstigen Zugriff seiner Gläubiger dadurch schützen, dass ihm diese Mittel nicht zur allgemeinen Verwendung, sondern zweckgebunden zur Verfügung gestellt werden (OLG Frankfurt am Main NStZ-RR 2004, 128)“ (LT-Drucks. 18/ 1396, 105).
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5. Niedersachsen. § 48 NJVollzG normiert: „(1) Soweit Ansprüche der in § 45 Abs. 1 bezeichneten Art nicht als Hausgeld oder Überbrückungsgeld gutgeschrieben werden, werden sie als Eigengeld gutgeschrieben. § 40 Abs. 10 Satz 4 bleibt unberührt. (2) Die Verwendung des Eigengeldes für den Einkauf (§ 24) ist ausgeschlossen. Verfügt die oder der Gefangene ohne Verschulden nicht über Hausgeld, so ist ihr oder ihm zu gestatten, in angemessenem Umfang vom Eigengeld einzukaufen. (3) Hat das Überbrückungsgeld noch nicht die nach § 47 Abs. 2 Satz 2 festgesetzte Höhe erreicht, so ist die Verfügung über das Guthaben auf dem Eigengeldkonto in Höhe des Unterschiedsbetrages ausgeschlossen. § 47 Abs. 4 gilt entsprechend.“ Abs. 1 Satz 1 entspricht inhaltlich § 52 StVollzG.
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6. Musterentwurf. § 56 ME-StVollzG lautet: „(1) Das Eigengeld besteht aus den Beträgen, die die Gefangenen bei Strafantritt in die Anstalt mitbringen und die sie während der Haftzeit erhalten, und den Teilen der Vergütung, die nicht als Hausgeld oder Haftkostenbeitrag in Anspruch genommen werden. (2) Die Gefangenen können über das Eigengeld verfügen. § 53 Abs. 2, § 59 und § 60 bleiben unberührt.“ In der ME-Begründung heißt es dazu: „Nach Absatz 2 Satz 1 unterliegen die Gefangenen hinsichtlich ihres Eigengeldes grundsätzlich keiner Verfügungsbeschränkung. Dies gilt in gleicher Weise für Laubenthal
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Vorbemerkungen
Vor § 53
ihr Vermögen außerhalb der Anstalt. Allerdings dürfen die Gefangenen das Eigengeld nur in den von Satz 2 gezogenen Grenzen verwenden. Für den Einkauf von Nahrungs-, Genuss- und Körperpflegemitteln steht daher nach § 53 Abs. 2 Satz 4 nur das Hausgeld zur Verfügung. Als Verwendungszwecke für das Eigengeld kommen insbesondere die in § 5 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 genannte Schuldenregulierung und Schadenswiedergutmachung in Betracht“ (ME-Begründung, 125).
SECHSTER TITEL Religionsausübung Vorbemerkungen Vor § 53 Schäfer Vorbemerkungen Schrifttum a) Zu staatskirchenrechtlichen Fragen: v. Busse Gemeinsame Angelegenheiten von Staat und Kirche, München 1978; v. Campenhausen Staatskirchenrecht, 3. Aufl. München 1996; ders. Der heutige Verfassungsstaat und die Religion, in: HdbStKirchR I 1994, 47 ff; ders. Religionsfreiheit, in: HdbStR VI, Heidelberg 1989, § 136 Rdn. 34 ff; ders. Neue Religionen im Abendland – Staatskirchenrechtliche Probleme der Muslime, der Jugendsekten und der sogenannten destruktiven religiösen Gruppen –, in: ZevKR 1980, 135 ff; ders. Aktuelle Aspekte der Religionsfreiheit, in: ZevKR 1992, 405 ff; Dahlke Strafvollzug – Kein Stiefkind der Kirche, in: Schäfer/Sievering 1989, 7 ff; Eick-Wildgans Anstaltsseelsorge. Möglichkeiten und Grenzen des Zusammenwirkens von Staat und Kirche im Strafvollzug, Berlin 1993; dies. Anstaltsseelsorge, in: HdbStKirchR II 1995, 995 ff; Heckel Gleichheit oder Privilegien. Der Allgemeine und der Besondere Gleichheitssatz im Staatskirchenrecht, Tübingen 1993; Isak Das Selbstverständnis der Kirchen und Religionsgemeinschaften und seine Bedeutung für die Auslegung staatlichen Rechts, Berlin 1994; Listl Glaubens-, Bekenntnis- und Kirchenfreiheit, in: HdbStKirchR I 1994, 439 ff; ders. Die Konkordate und Kirchenverträge in der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1987; Peters Seelsorge und Strafvollzug, in: JR 1975, 402 ff; Pirson Die Seelsorge in staatlichen Einrichtungen als Gegenstand des Staatskirchenrechts, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche, Bd. 23, Münster 1989, 4 ff; Rassow Bestimmungen über die Seelsorge in Justizvollzugsanstalten (Loseblattsammlung), Celle 1976 (Stand 7. Ergänzungslieferung, Mai 1996); Rehborn/Rauschen Katholische Seelsorge in den Justizvollzugsanstalten der Bundesrepublik Deutschland (Loseblattsammlung), Hamm 1997; Schäfer Gefängnisseelsorge eingeschlossen? Zum Verhältnis von Staat und Kirche am Beispiel der Gefängnisseelsorge in Hessen, in: Grigoleit 2004, 84–95; Schäfer, Kirchliche Straffälligenhilfe und gesellschaftliche Verantwortung, in Düringer/Schäfer (Hrsg.) 2012, 9–16. b) Zu Fragen der Seelsorgepraxis im Strafvollzug: Bethkowsky-Spinner Grundlegung einer Gefängnisseelsorge, in: Reader Gefängnisseelsorge 9/1999, 62 ff; Böhm Zum 75-jährigen Bestehen der Evangelischen Konferenz für Gefängnisseelsorge in Deutschland, in: Reader Gefängnisseelsorge 11/2002, 34 ff; Brandt Die evangelische Strafanstaltsseelsorge, Göttingen 1985; ders. Menschen im Justizvollzug, in: Handbuch der Praktischen Theologie, Bd. 4, Gütersloh 1987, 435 ff; Düringer/Schäfer (Hrsg.), Was kann kirchliche Straffälligenhilfe leisten? Zur Umsetzung des Orientierungsrahmens zur Zusammenarbeit mit dem Justizvollzug, Hanau 2012; Gareis Seelsorge in Justizvollzugsanstalten, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche, Bd. 23, Münster 1989, 58 ff; Greifenstein Zur Rolle der Gefängnisseelsorgerinnen und Gefängnisseelsorger, in: Reader Gefängnisseelsorge 11/2002, 71 ff; Grigoleit (Hrsg.) Es wird ein Leben ohne Gitter geben. FS Manfred Lösch, Fernwald 2004; Härle Theologische Vorüberlegungen für eine Theorie kirchlichen Handelns in Gefängnissen, in: Zeitschrift für evangelische Ethik (32) 1988, 199 ff; Heusel Freiheit für den Dienst am Menschen – Zur theologischen Grundlegung der Seelsorge in Justizvollzugsanstalten –, in: Schäfer/Sievering (Hrsg.) 1989, 37 ff; Kirchenamt der EKD (Hrsg.), Strafe: Tor zur Versöhnung? Eine Denkschrift der EKD zum Strafvollzug, Gütersloh 1990; Kirchenkanzlei der EKD (Hrsg.), Seelsorge in Justizvollzugsanstalten. Empfehlungen des Rates der EKD, Gütersloh 1979; Kleinert Seelsorger oder Bewacher? Reinbek 1977; Koch Evangelische Seelsorge, in: Schwind/Blau 1988, 28 ff; ders. Ein Haus voller Sünder? Zur kirchlichen Arbeit im Gefängnis, in: ZfStrVo 1989, 99 ff; Müller-Dietz Die Denkschrift der EKD zum Strafvollzug, in: ZfStrVo 1991, 15 ff; Pohl-Patalong Freiräume hinter Gittern. Aspekte einer Seelsorge im Gefäng-
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nis, in: Lernort Gemeinde 1/1998, 53 ff; Radtke Der Schutz des Beicht- und Seelsorgegeheimnisses, in ZevKR 2007, 617 ff; Raming Katholische Seelsorge, in: Schwind/Blau 1988, 214 ff; Rassow (Hrsg.), Seelsorger eingeschlossen, Stuttgart 1987; Schäfer/Sievering (Hrsg.) Justizvollzug und Straffälligenhilfe als Gegenstand evangelischer Akademiearbeit, Frankfurt 1989; Strodel Seelsorge in Justizvollzugsanstalten, Diss., Universität München 2003; Stubbe Seelsorge im Strafvollzug, Göttingen 1978; Wever/Faber/Lösch (Hrsg.) Festgabe zum 80. Geburtstag von Peter Rassow, Hannover 2008; Winkler Seelsorge, Berlin/New York 1997, 492 ff. c) Umfassendes Literaturverzeichnis: Rassow Bibliographie Gefängnisseelsorge, Pfaffenweiler 1998.
1. Die Vorschriften des StVollzG über Religionsausübung und Seelsorge (§§ 53 bis 55; § 157) resultieren aus dem Grundrecht der Religionsfreiheit (Art. 4 GG), das auch für den speziellen, besonders sensiblen Bereich des Strafvollzugs garantiert ist (Art. 140 GG i. V. m. Art. 141 WRV). Verfassungsrechtliche und staatskirchenrechtliche Grundsätze haben daher bei der Auslegung und für das Verständnis der entsprechenden Vorschriften des StVollzG vorrangige Bedeutung. Aus der Pflicht zur weltanschaulich-religiösen Neutralität des Staates (BVerfGE 2 19, 206, 216) und aus dem durch Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 WRV sichergestellten Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften folgt, dass der Staat die Seelsorge grundsätzlich als eine Angelegenheit der Religionsgemeinschaften zu respektieren hat und nicht berechtigt ist, den Begriff der Seelsorge auszufüllen. Daher sind zu den inhaltlichen Fragestellungen der Gefängnisseelsorge grundlegende theologische Aussagen der Religionsgemeinschaften zu berücksichtigen. Verfassungsrechtlich zulässig sind jedoch staatlicherseits formale Rechtsdefinitionen religiös geprägter Begriffe in Gebieten, in denen die Seelsorgetätigkeit auf den Strafvollzug einwirkt. Die staatliche Rahmenziehungskompetenz hat dort ihre Grenze, wo Aussagen über den spezifisch religiösen Auftrag einer Religionsgemeinschaft erforderlich werden; insoweit ist das kirchliche Selbstverständnis verbindlich. Der Grundsatz der religiös-weltanschaulichen Neutralität des Staates gebietet eine gleichmäßige Berücksichtigung des Selbstverständnisses aller Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften (Art. 3 Abs. 3 GG). Das Gleichbehandlungsgebot bedeutet jedoch keine Verpflichtung zu schematischer Gleichbehandlung. Der Staat darf vielmehr an Wesensunterschiede auch rechtliche Differenzierungen knüpfen (vgl. auch § 55 Rdn. 2, 5). Dabei darf er sich aber lediglich objektiver und religionsneutraler Kriterien bedienen. 3 Das Grundrecht der Glaubens- und Religionsfreiheit nach Art. 4 GG ist nicht an den Kreis christlich-abendländischer Religion gebunden (v. Campenhausen ZevKR 1980, 135 ff und ZevKR 1992, 405 ff). Die Religionsfreiheit ist ein Menschenrecht. Deshalb gilt die Glaubensfreiheit nicht nur den Mitgliedern anerkannter Kirchen und Religionsgemeinschaften, sondern sie ist auch den Angehörigen anderer religiöser Vereinigungen gewährleistet (BVerfGE 32, 98, 106). Sie steht nicht nur den deutschen Staatsbürgern zu, sondern allen in der Bundesrepublik Deutschland wohnenden Menschen (v. Campenhausen ZevKR 1980, 136). Art. 4 GG schützt gerade auch die vereinzelt auftretende Glaubensüberzeugung, die von den Lehren der Kirchen und Religionsgemeinschaften abweicht (BVerfGE 33, 23, 29). Religionsfreiheit begründet nach heutigem Verständnis ein individuelles und ein 4 kollektives Recht (v. Campenhausen 1994, 59). Das Grundrecht nach Art. 4 GG schützt das Bedürfnis des einzelnen Gläubigen, sichert aber auch die Möglichkeit der Religionsgemeinschaften, ihren Angehörigen geistliche Betreuung zukommen zu lassen (BVerfGE 24, 245). Der Religionsgemeinschaft ist damit die Möglichkeit gottesdienstlicher und seelsorgerlicher Angebote gegeben, dem Gefangenen, diese Angebote anzuneh1
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men oder abzulehnen (positive oder negative Religionsfreiheit) bzw. auch schon einen entsprechenden Wunsch zu äußern (§ 53 Abs. 1 Satz 2). Angebot und Inanspruchnahme bilden eine Einheit. 2. Auch wenn das Grundrecht der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit (Art. 4 Abs. 1 5 GG) sowie der ungestörten Religionsausübung (Art. 4 Abs. 2 GG) vorbehaltlos und erklärtermaßen auch im Strafvollzug gilt (BT-Drucks. 7/918, 71; s. auch § 196), ist es doch, wie jedes Grundrecht, nicht schrankenlos. Es kann aber wegen seiner nahen Beziehung zur Menschenwürde und seiner entschiedenen Formulierung seinem Kern nach nur von grundlegenden Prinzipien der Verfassung Beschränkungen erfahren, die die sittlichen Grundlagen des Zusammenlebens oder die Fundamente der politischen Ordnung betreffen (BVerfGE 33, 1 LS 3 und 11). Sinn und Zweck des Strafvollzugs können grundrechtsbeschränkende Maßnahmen rechtfertigen (BVerfGE 33, 1, 13; 40, 276 LS 2 und 283 f). Nicht den Inhalt der Religionsausübung, sondern ihren Umfang betreffende örtliche und zeitliche Beschränkungen der Religionsausübung stellen keine Verletzung von Art. 4 GG dar. Insofern kann aus dem Grundrecht nicht gefolgert werden, dass jemand, der sich nach der Rechtsordnung des Staates zu Recht in Strafhaft befindet, unbedingt alle denkbaren Glaubensbetätigungsmöglichkeiten vornehmen kann, wie sie dem offen stehen, der sich in Freiheit befindet. Da die Religionsfreiheit aber das Recht des Einzelnen einschließt, nicht durch fehlende staatliche Rücksicht an der Beachtung von religiösen Sitten und Geboten gehindert zu werden (v. Campenhausen 1996, 66), darf der Strafvollzug sie nur insoweit einschränken, als derartige Beschränkungen für die Aufrechterhaltung eines geordneten Strafvollzugs unerlässlich sind. Seelsorge in Justizvollzugsanstalten wird aus dem Blickwinkel des Staatskirchen- 6 rechts als eine „Gemeinsame Angelegenheit“ von Staat und Kirche bezeichnet. Sie schließt kirchliche und staatliche Angelegenheiten ein, wobei Staat und Religionsgemeinschaften für die Regelung der eigenen Aufgaben zuständig und selbstverantwortlich bleiben. Die Rücksicht auf die rechtlich geschützten Belange des jeweils anderen erfordert ein verständiges Zusammenwirken beider. Ausdruck der partiellen Gemeinsamkeit von Kirche und Staat sind auf Länderebene ausgehandelte Vereinbarungen zur Seelsorge in Justizvollzugsanstalten (Texte s. Listl 1987; Rassow 1976; Rehborn/Rauschen 1997). Sie sind bestrebt, die unterschiedlichen Zielrichtungen kirchlichen und staatlichen Handelns bei Wahrung der kirchlichen Unabhängigkeit in geregelte Beziehungen zu fassen und Einzelfragen zu klären.
§ 53 Seelsorge § 53 Schäfer Seelsorge (1) Dem Gefangenen darf religiöse Betreuung durch einen Seelsorger seiner Religionsgemeinschaft nicht versagt werden. Auf seinen Wunsch ist ihm zu helfen, mit einem Seelsorger seiner Religionsgemeinschaft in Verbindung zu treten. (2) Der Gefangene darf grundlegende religiöse Schriften besitzen. Sie dürfen ihm nur bei grobem Missbrauch entzogen werden. (3) Dem Gefangenen sind Gegenstände des religiösen Gebrauchs in angemessenem Umfang zu belassen. Schrifttum S. Vor § 53.
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Übersicht Allgemeine Hinweise ____ 1–7 1. Begriff der Seelsorge ____ 1 2. Selbstverständnis ____ 2 3. Aufgaben ____ 3 4. Zielvorstellung ____ 4 5. Gefangene und Vollzugsbedienstete ____ 5 6. Religionsgemeinschaften ____ 6, 7 Erläuterungen ____ 8–18 1. Recht auf religiöse Betreuung (Abs. 1) ____ 8 2. Seelsorgerliches Einzelgespräch ____ 9 3. Karitative Betreuung ____ 10 4. Zutritt in dringenden Fällen ____ 11 5. Zwangsanwendungsverbot ____ 12
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6. Eigene Religionsgemeinschaft, Konfessionswechsel ____ 13 7. Hilfe bei Kontaktaufnahme mit einem Seelsorger ____ 14 8. Religiöse Schriften (Abs. 2) ____ 15, 16 9. Gegenstände des religiösen Gebrauchs (Abs. 3) ____ 17, 18 Beispiel ____ 19 Landesgesetze und Musterentwurf ____ 20–25 1. Baden-Württemberg ____ 20 2. Bayern ____ 21 3. Hamburg ____ 22 4. Hessen ____ 23 5. Niedersachsen ____ 24 6. Musterentwurf ____ 25
I. Allgemeine Hinweise 1
1. Begriff der Seelsorge. Der Begriff der Seelsorge in § 53 (Überschrift) und § 157 steht im weiteren Sinn als Oberbegriff für den gesamten vielfältigen Dienst der Religionsgemeinschaften an ihren inhaftierten Mitgliedern i. S. von „religiösen Handlungen“ (Art. 140 GG i. V. m. Art. 141 WRV) und „religiöser Betreuung“ (§ 53 Text). Dieser umfasst neben Gottesdiensten und anderen religiösen Gemeinschaftsveranstaltungen (§ 54) die in der theologischen Disziplin so genannte Seelsorge im engeren Sinn, die sich vornehmlich dem Einzelnen zuwendet.
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2. Selbstverständnis. Die Kirchen und Religionsgemeinschaften haben den Begriff der Seelsorge entsprechend ihrem Selbstverständnis zu beschreiben und auszulegen (vgl. Vor § 53 Rdn. 2). Rolle und Aufgabe der Gefängnispfarrer wurden im Laufe der Geschichte unterschiedlich gesehen (Böhm ZfStrVo 1995, 3 ff; ders. Reader Gefängnisseelsorge 11/2002, 34 ff). Heute herrscht allgemein Übereinstimmung, dass Seelsorge nicht nur den engen Bereich der kultischen Handlungen umfasst, sondern auch die karitative und diakonische Betreuung (BVerfGE 24, 236, 245 f). Nach christlicher Auffassung ist Seelsorge Dienst an dem ganzen Menschen, im umfassenden Sinne als Lebensdeutung, Lebensorientierung und Hilfe zur Lebensgestaltung zu verstehen. Inzwischen hat auch die Veränderung der Gefangenenpopulation dazu geführt, dass ein „multiethnisches und multireligiöses Verständnis“ (so AK-Huchting/Müller-Monning Vor § 53 Rdn. 3 mit weiteren Hinweisen zur Entwicklung in europäischen Nachbarländern, wie „restorative justice“) beim Begriff der Seelsorge zu berücksichtigen ist.
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3. Aufgaben. Zu ihren Aufgaben rechnet die Gefängnisseelsorge unter Beachtung des Angleichungsgrundsatzes (§ 3 Abs. 1) alle Dienste und Veranstaltungen, die für eine christliche Gemeinde kennzeichnend, von der Situation her erforderlich und unter den Bedingungen des Justizvollzuges möglich sind: insbesondere Gottesdienste – auch unter Beteiligung von kirchlichen Mitarbeitern und Gruppen von außen –, Bibelarbeiten, seelsorgerliche Einzel- und Gruppengespräche, kirchliche Bildungsveranstaltungen, karitative und diakonische Aufgaben und Öffentlichkeitsarbeit (Kirchenkanzlei 1979, 10; vgl. Rdn. 16 zu § 157). Dabei gehört wesenhaft zum Seelsorgedienst an Gefangenen, dass die Gemeinschaft zwischen der Gemeinde außerhalb der Vollzugsanstalt und der Gemeinde in der Vollzugsanstalt geachtet, gestärkt und erfahrbar wird; wenn auch der FreiheitsSchäfer
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entzug die Ausübung dieser Gemeinschaft einschränkt, darf sie aber weder grundsätzlich noch tatsächlich völlig aufgehoben werden (Kirchenkanzlei 1979, 9). Die Tätigkeit des Seelsorgers ist deshalb nicht intramural begrenzt (Einbeziehung der Familien und Angehörigen, Hilfen zur sozialen Integration u. a., vgl. auch § 54 Rdn. 10). 4. Zielvorstellung. Welche Zielvorstellung der Seelsorger in der Vollzugsanstalt 4 hat, d. h. wie er seinen Auftrag und seine Aufgabe konkret sieht, ist für den Gefangenen, aber auch für die Bediensteten der Vollzugsanstalt wichtig zu wissen, weil sich die einzelnen Gespräche und Maßnahmen des Seelsorgers nicht immer von denen anderer Mitarbeiter in der Vollzugsanstalt, insbesondere der sog. besonderen Fachdienste (Psychologen, Sozialarbeiter), unterscheiden lassen (vgl. Rdn. 18 zu § 157). Auch wenn die eigene Intention der Seelsorge nicht voll in den Vollzug integrierbar ist (Kirchenkanzlei 1979, 18) und der Seelsorger sich nicht mit allen Zielen und Methoden staatlichen Strafens identifizieren kann (Kirchenamt 1990, 91), muss die Vollzugsbehörde davon ausgehen können, dass der Seelsorger das Vollzugsziel (§ 2) respektiert und ihm nicht entgegenarbeitet (vgl. § 157 Rdn. 16 und 17). 5. Gefangene und Vollzugsbedienstete. Verfassungsrechtlich bezieht sich die 5 Seelsorge in Vollzugsanstalten nur auf die Gefangenen, weil die Vollzugsbediensteten nicht an der Teilnahme am Leben ihrer Religionsgemeinschaft gehindert sind. Damit ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass der Seelsorger die Bediensteten mit in seine Tätigkeit in der Vollzugsanstalt einbezieht (v. Busse 1978, 254; vgl. Rdn. 2 zu § 54) und ihnen, unabhängig vom Zusammenarbeitsgebot (§ 154 Abs. 1), auch persönlich als Seelsorger zur Verfügung steht. Einzelne Vereinbarungen zwischen Bundesländern und den Kirchen bzw. Bistümern gehen bereits darüber hinaus. So sieht Art. 3 der Vereinbarungen über die evangelische und katholische Seelsorge an hessischen Justizvollzugsanstalten vom 26.8.1977 vor, dass der Anstaltspfarrer auch zur Seelsorge an den Bediensteten im Justizvollzug bereit sein „soll“. 6. Religionsgemeinschaften. Voraussetzung, Religionsgemeinschaften, die im 6 Strafvollzug tätig werden möchten, den Zutritt zu gestatten (Art. 140 GG i. V. m. Art. 141 WRV), ist das Bedürfnis seitens der Gefangenen. Der ausdrückliche Wunsch eines Gefangenen ist nicht notwendig. Es genügt bereits der Aufenthalt eines Angehörigen des entsprechenden Bekenntnisses in der Anstalt bzw. die Anwesenheit eines Gefangenen, der sich der entsprechenden Gemeinschaft zuwenden möchte. Ein bekundetes Desinteresse kann eine Zulassungsablehnung nicht rechtfertigen, wohl aber ist ein ausdrücklicher Verzicht auf religiöse Betreuung zu respektieren. Zu den Religionsgemeinschaften zählen nicht nur die christlichen Kirchen und Sekten, sondern ebenso die außerchristlichen Religionsgemeinschaften wie die jüdische, buddhistische, islamische (vgl. Klöcker/Tworuschka (Hrsg.), Handbuch der Religionen. Kirchen und andere Glaubensgemeinschaften in Deutschland, Landsberg/Lech 1997; Reller (Hrsg.), Handbuch Religiöse Gemeinschaften und Weltanschauungen. Freikirchen, Sondergemeinschaften, Sekten, synkretistische Neureligionen und Bewegungen, esoterische und neugnostische Weltanschauungen und Bewegungen, missionierende Religionen des Ostens, Neureligionen, kommerzielle Anbieter von Lebensbewältigungshilfen und Psycho-Organisationen, 5. Aufl. Gütersloh 2000). Die von den verschiedenen Glaubensgemeinschaften mit der Seelsorge in der Voll- 7 zugsanstalt Beauftragten arbeiten weitgehend, wenn auch in unterschiedlichem Maße zusammen (vgl. Rassow (Hrsg.), Ökumene im Gefängnis. Beiträge zur Zusammenarbeit in der kirchlichen Arbeit mit gefangenen Menschen, Hannover 1993). Die Praktizierung 551
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ökumenischen Miteinanders gehört in der Gefängnisseelsorge zunehmend zur Normalität. II. Erläuterungen 8
1. Recht auf religiöse Betreuung (Abs. 1). Die zurückhaltende Formulierung „darf nicht versagt werden“ (Abs. 1) verweist darauf, dass der Gefangene ein unmittelbares Recht auf religiöse Betreuung auf Grund seiner Mitgliedschaft nur gegen seine Religionsgemeinschaft hat; denn religiöse Betreuung ist nicht Sache des Staates, sondern der Kirchen und religiösen Gemeinschaften (BT-Drucks. 7/918, 71 f). Gegen die Vollzugsbehörde hat er jedoch den Anspruch auf Schaffung der Voraussetzungen für eine ausreichende Seelsorge durch Zulassung der religiösen Betreuung durch einen Seelsorger (Abs. 1 Satz 1), ggf. auf Unterstützung bei der Kontaktaufnahme (Abs. 1 Satz 2). Es kann also z. B. nicht Aufgabe der christlichen Seelsorgerinnen und Seelsorger sein, hinsichtlich der Seelsorge für muslimische Gefangene betreuend und vermittelnd tätig zu werden (a. A. AK-Huchting/Müller-Monning § 53 Rdn. 12). Allerdings stoßen die Vollzugsbehörden bei ihren Bemühungen auf erhebliche Schwierigkeiten, in den Dachverbänden und Moscheevereinen, geeignete Personen zu finden, die eine zuverlässige religiöse Betreuung der muslimischen Gefangenen in vertrauensvoller Zusammenarbeit mit der Anstalt gewährleisten (siehe Bericht des Hessischen Ministers der Justiz, für Integration und Europa vom 28.11.1011 [HMdJIE 2011] auf den Berichtsantrag der Abgeordneten Faeser, Hofmann und Waschke (SPD) und Fraktion vom 20.9.2011 betreffend Möglichkeiten der Glaubensausübung in hessischen Justizvollzugs-, Jugendvollzugs- und Jugendarrestanstalten – Drucksache 18/12 –). Anders als z. B. bei den christlichen Kirchen, die mit den jeweiligen Kirchenverwaltungen eine verantwortliche Organisation vorhalten, mit der regelmäßig Fragen der religiösen Betreuung von Gefangenen besprochen werden können, ist dies bei den muslimischen Verbänden bisher nicht der Fall.
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2. Seelsorgerliches Einzelgespräch. Zur religiösen Betreuung durch einen Seelsorger seiner Religionsgemeinschaft rechnet neben den Gemeinschaftsveranstaltungen (§ 54) die individuelle Zuwendung im seelsorgerlichen Einzelgespräch und in persönlicher Beratung, die auch eine karitative/diakonische Dimension umfassen kann. Das Recht auf Einzelseelsorge gem. § 53 Abs. 1 gehört zum Kernbereich des Grundrechts der Religionsfreiheit. Es kann keinem Gefangenen versagt werden und darf, anders als Gottesdienst und religiöse Veranstaltungen (§ 54 Abs. 3), grundsätzlich nicht beeinträchtigt werden. Das Seelsorgegespräch wird prinzipiell nicht überwacht. Das gilt auch bei Gefangenen, die besonderen Sicherungsmaßnahmen (§ 88) unterworfen sind. Selbst während einer Praktizierung der Kontaktsperre (§ 26) ist ein seelsorgerliches Gespräch bei Erfordernis der Anwesenheit einer weiteren Person nur dann mit Art. 4 Abs. 2 GG vereinbar, wenn es sich wegen der seelsorgerlichen Geheimnispflicht um einen weiteren Geistlichen handelt (v. Campenhausen/Christoph Göttinger Gutachten, Tübingen 1994, 340, 350). Ein Gespräch mit dem Seelsorger im Beisein eines Dritten ist kein Seelsorgegespräch. Allenfalls können Vollzugsbedienstete in Sichtweite, z. B. bei geöffneter Tür, zugegen sein; sie dürfen aber vom Inhalt des Gesprächs keine Kenntnis erlangen (zur Sichtkontrolle vgl. Rdn. 4 zu § 27). Der Erwartung der Anstaltsleitung, Informationen in Zusammenhang mit einem Seelsorgegespräch, etwa durch Vermerk auf einem Antragsformular des Gefangenen, aktenkundig zu machen, darf der Geistliche wegen seiner seelsorgerlichen Schweigeverpflichtung nicht entsprechen (RK Art. 9). Dies gilt jedoch nicht bei Fragen, die nicht unter die seelsorgerliche Verschwiegenheit fallen. In der Seelsorgepraxis gibt es freilich immer wieder Übergänge zwischen den Funktionen von Schäfer
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Beichte, Seelsorge und Amtsausübung, ohne dass sich ihre Vollzüge immer deutlich voneinander trennen lassen. Zur Seelsorge gehören deshalb auch solche Gespräche, die ursprünglich zu einem profanen Zweck begonnen werden und ihren geistlichen Charakter erst im Vollzuge oder im Gesamtzusammenhang gewinnen (v. Campenhausen/Thiele Göttinger Gutachten II, Tübingen 2002, 369, 371; ausführlich Stein ZevKR 1998, 387, 394). Zum Schweigerecht des Seelsorgers s. Rdn. 19 und § 157 Rdn. 21–24. 3. Karitative Betreuung. Die persönliche Zuwendung im Rahmen der religiösen Be- 10 treuung schließt die karitative Betreuung durch den Seelsorger (und seine Mitarbeiter, vgl. Rdn. 9 bis 12 zu § 157) ein. Sie spielt auf Grund der oft miserablen sozialen Lage der Gefangenen eine besondere Rolle und wird in enger Zusammenarbeit mit der (auch kirchlichen) Straffälligenhilfe wahrgenommen (siehe Düringer/Schäfer 2012). Wo nicht im Einzelfall die seelsorgerliche Verschwiegenheit entgegensteht, kann aus dem Kooperationsgebot des § 154 Abs. 1 eine Koordination des diakonischen Handelns des Seelsorgers mit der Tätigkeit des Sozialdienstes gefolgert werden. Das gilt auch von einer prinzipiellen Abklärung mit der Anstaltsleitung über materielle Zuwendungen, z. B. üblicherweise von Lebens- und Genussmitteln in bescheidenem Umfang als Ausdruck der Nächstenliebe durch den Seelsorger. 4. Zutritt in dringenden Fällen. Der Gefangene hat keinen Anspruch auf seelsor- 11 gerliche Betreuung zu jedem von ihm gewünschten Zeitpunkt; insoweit kann die Vollzugsanstalt Regelungen treffen und nach ihrem Ermessen handeln (vgl. Vor § 53 Rdn. 5). Ein Ermessensfehlgebrauch liegt aber z. B. vor, wenn die Vollzugsanstalt einen Gefangenen ohne zwingenden Grund (etwa im Sinne des § 4 Abs. 2) auf die Gesprächsmöglichkeit mit dem zuständigen Seelsorger am nächsten Tag verweist, wenn es dem Gefangenen gerade darauf ankommt, mit demjenigen (den Anstaltsgeistlichen vertretenden) Seelsorger zu sprechen, der den Gottesdienst gehalten hat (OLG Saarbrücken ZfStrVo 1983, 60). In dringenden Fällen ist dem Seelsorger der Zutritt zur Vollzugsanstalt zur Ausübung seiner Tätigkeit „jederzeit“ zu gewähren (Schlussprotokoll zu Art. 28 RK). Die Geltung des Reichskonkordats geht staatlichen Bestimmungen des StVollzG vor, insofern ist eine Berufung auf die Hausordnung oder auf Belange von Sicherheit und Ordnung der Anstalt nicht möglich (Eick-Wildgans 1993, 242). 5. Zwangsanwendungsverbot. Das Zwangsanwendungsverbot (Art. 140 GG 12 i. V. m. Art. 141 WRV) verbietet jeden irgendwie gearteten Druck auf einen Anstaltsinsassen, um ihn gegen seinen Willen zur Teilnahme an Gruppen- oder Einzelseelsorge zu bewegen (v. Busse 1978, 247). Dem entspricht die dem Einzelnen gegebene Möglichkeit der Nichtbeantwortung der im Übrigen verfassungsrechtlich zulässigen Frage nach der Religionszugehörigkeit (Art. 140 GG i. V. m. Art. 136 Abs. 3 Satz 2 WRV) bei der Aufnahme in die Vollzugsanstalt, wenn der Befragte trotz Zugehörigkeit zu einer seelsorgebereiten Religionsgemeinschaft auf religiöse Betreuung verzichten will (vgl. BVerwG DÖV 1976, 274). Es empfiehlt sich, den Gefangenen generell über sein Widerspruchsrecht bezüglich der Datenübermittlung an den Seelsorger zu belehren (vgl. auch Rdn. 14 zu § 157). Der Wunsch des einzelnen Gefangenen, nicht von einem Seelsorger aufgesucht zu werden, ist von diesem selbstverständlich zu respektieren (vgl. dazu auch Rdn. 3 zu § 24). Das verleiht jedoch der Vollzugsbehörde nicht das Recht zu genereller vorheriger Ermittlung, ob bei dem einzelnen (etwa auch konfessionslosen) Gefangenen eine Gesprächsbereitschaft mit einem Seelsorger besteht. Dies wäre ein Eingriff in das der Religionsgemeinschaft garantierte Recht der ungestörten Religionsausübung, die gerade auch das Recht 553
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des Werbens umfasst. Es ist deshalb unzulässig, die Religionsgemeinschaften bei der Ausübung ihrer seelsorgerlichen Tätigkeit von vornherein nur auf den Personenkreis zu verweisen, der ausdrücklich nach geistlichem Zuspruch verlangt (v. Busse 1978, 248 mit Nachweis in Anm. 88). Andererseits darf dem Gefangenen ebenso wenig aus der negativen Religionsfreiheit ein Nachteil entstehen, etwa bei Vollzugslockerungen (§ 11) oder Stellungnahmen zu vorzeitiger Entlassung. 13
6. Eigene Religionsgemeinschaft, Konfessionswechsel. Nach dem Wortlaut von Abs. 1 ist der Gefangene an einen Seelsorger seiner Religionsgemeinschaft gewiesen. Es muss jedoch auch einem konfessionslosen Gefangenen erlaubt werden, Kontakt mit einem Seelsorger aufzunehmen oder sich an einen Seelsorger einer anderen als seiner eigenen Religionsgemeinschaft zu wenden, evtl. auch zum Zweck des Konfessionswechsels. Das Grundrecht der Glaubensfreiheit schließt die Möglichkeit ein, sich einem anderen Glauben suchend zuzuwenden (BVerfGE 24, 236, 245; OLG Saarbrücken NJW 1966, 1088; vgl. Eick-Wildgans 1993, 121 f). Auf welche Weise dieses geschieht, etwa durch Lektüre von Glaubensinformationen, durch einen Schriftwechsel oder auch durch persönliche Gespräche, kann nicht Gegenstand staatlicher Regelung sein. Ein Konfessionswechsel unterliegt im Rahmen der Bekenntnisfreiheit keiner Beschränkung. Die Austrittsmöglichkeit aus einer Kirche oder Religionsgemeinschaft ist nach staatlichen Gesetzen jederzeit gewährleistet. Die (Wieder-)Aufnahme von Gefangenen, die aus ihrer oder einer Religionsgemeinschaft ausgetreten sind, kann die Religionsgemeinschaft eigengesetzlich regeln. Die Anerkennung einer Religionszugehörigkeit (z. B. eines muslimischen Gefangenen) darf nicht davon abhängig gemacht werden, dass sich der Gefangene an einen bestimmten Religionsbeauftragten wendet und dieser eine entsprechende Bescheinigung erteilt (OLG Koblenz ZfStrVo 1994, 241 f). Es ist ohne Belang, ob der Glaubende formell Mitglied einer bestimmten Religionsgesellschaft ist, allein maßgebend ist vielmehr die Ernsthaftigkeit der Glaubensüberzeugung des Einzelnen (OLG Koblenz aaO, 242 mit Verweis auf VG Berlin NVwZ 1990, 100). Es ist Pflicht aller öffentlichen Gewalt, die ernste Glaubensüberzeugung in weitesten Grenzen zu respektieren (BVerfGE 32, 98, 109). Eine behauptete Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft muss jedoch nicht unbesehen als gegeben erachtet werden. Insbesondere bei einem Wechsel der Religionszugehörigkeit ist es Sache des Gefangenen, die Ernsthaftigkeit der von ihm behaupteten Glaubensüberzeugung wenn nicht glaubhaft zu machen, so doch plausibel darzulegen (OLG Koblenz aaO, 242).
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7. Hilfe bei Kontaktaufnahme mit einem Seelsorger. Die Verpflichtung zur Hilfe bei der Kontaktaufnahme mit einem Seelsorger (Abs. 1 Satz 2) hat nicht zuletzt auch für ausländische Gefangene besondere Bedeutung (vgl. auch VV Nr. 5 zu § 24). Soweit sich die Vollzugsbehörde hierbei z. B. der vermittelnden Hilfe durch einen hauptamtlich bestellten Seelsorger an der Vollzugsanstalt bedient, wird dieser die Konfessionsverschiedenheiten selbstverständlich besonders achten und den Vermittlungsdienst nicht zur Werbung für seine eigene Kirche benutzen (vgl. § 55 Rdn. 2).
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8. Religiöse Schriften (Abs. 2). Grundlegende religiöse Schriften, deren Besitz dem Gefangenen nach Abs. 2 erlaubt ist (vgl. auch Rdn. 5 zu § 70), sind nicht nur die für die betreffende Religionsgemeinschaft und ihren Glauben als konstitutiv geltenden fundamentalen Offenbarungsquellen (z. B. Altes und Neues Testament, Koran, Buch Mormon), sondern auch insbesondere Darstellungen, die sich darum bemühen, deren Grundaussagen umfassend für das Verständnis heute aufzuschließen, jedoch ohne dass Schäfer
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dies z. B. auf Erwachsenenkatechismen zu beschränken ist. Ebenso werden hierzu auch jene Schriften zu rechnen sein, die dem Gefangenen zur Praktizierung seines täglichen Glaubenslebens dienen, etwa Gesang-, Gebet- und Andachtsbücher. Die Auswahl muss sich nicht auf die eigene Glaubensgemeinschaft beziehen; der Gefangene darf auch Schriften eines Bekenntnisses besitzen, dem er nicht angehört (BT-Drucks. 7/918, 117). In welchem Umfange religiöse Schriften noch als „grundlegend“ zu erachten sind, ist nicht leicht zu entscheiden. Jedenfalls entspricht die vereinzelt immer noch nicht gänzlich überwundene alte Praxis, Gefangenen im Arrest (§ 104 Abs. 5) als einzige Lektüre eine Bibel zuzugestehen, nicht der Vorschrift. Wegen der besonderen Bedeutung der religiösen Schriften für das Grundrecht der 16 Religionsausübung darf ein Entzug ausschließlich bei grobem Missbrauch erfolgen (Abs. 2 Satz 2). Was unter grobem Missbrauch mit grundlegenden religiösen Schriften konkret zu verstehen ist und wer ein derartiges Verhalten als solches deklariert, bleibt unklar. Wenn auch nicht ausdrücklich vorgesehen, sollte eine vorherige Anhörung des Seelsorgers analog § 54 Abs. 3 seelsorgerliche Gesichtspunkte mit berücksichtigen. 9. Gegenstände des religiösen Gebrauchs (Abs. 3). Zu den Gegenständen des re- 17 ligiösen Gebrauchs, die dem Gefangenen in angemessenem Umfang zu belassen sind (Abs. 3), zählen z. B. Kreuz, Heiligenbild, Rosenkranz, Kerze (LG Zweibrücken ZfStrVo 1985, 186; differenziert OLG Frankfurt 3.7.1986 – 3 Ws 1078/85 – StVollz), Gebetsriemen, Gebetsteppich, Buddhafigur (vgl. auch Rdn. 5 zu § 70), nicht jedoch Räucherstäbchen (KG Berlin 10.11.2006 – 5 Ws 597/06 Vollz) oder ein Weihnachtsbaum (KG Berlin 20.1.2005 – 5 Ws 654/04 Vollz). Die Entscheidung darüber, wie der unbestimmte Rechtsbegriff des angemessenen 18 Umfangs für Gegenstände des religiösen Gebrauchs auszulegen ist, muss im Einzelfall unter Beachtung der verfassungsrechtlichen Bedeutung des Grundrechts der Religionsfreiheit gegenüber den Aufgaben des Vollzugs getroffen werden (BT-Drucks. 7/918, 72). Eine bloße Beeinträchtigung der Überschaubarkeit des Haftraums (vgl. dazu auch Rdn. 5 zu § 70), die einen erhöhten Kontrollaufwand erfordern würde (LG Zweibrücken ZfStrVo 1985, 186), oder eine allgemeine Feststellung schwerer Kontrollierbarkeit eines Gegenstandes (OLG Koblenz 2.4.1986 – 2 Vollz (Ws) 16/86) sind keine ausreichenden Versagungsgründe. Vielmehr muss konkret nachgewiesen werden, dass bei Benutzung des Gegenstandes die für den Vollzug der Freiheitsstrafe notwendigen Funktionen der Anstalt wie die sichere und geordnete Unterbringung in Frage gestellt sind (LG Zweibrücken aaO; vgl. Rdn. 19 zu § 54) bzw. die Grundrechte anderer verletzt (OLG Frankfurt aaO) würden. III. Beispiel In seinem Jahresbericht an die Justizverwaltung betont ein beamteter Gefängnis- 19 pfarrer seine Verpflichtung zur Verschwiegenheit: „Absolute Vertraulichkeit wird vom Gesprächsteilnehmer erwartet und von mir gewährleistet, selbst bei möglicher Gefahr der Selbsttötung.“ Zur Erläuterung aufgefordert, erklärt er: Er habe darauf aufmerksam machen wollen, dass durch die Berichtsverpflichtung aller Vollzugsbediensteten, zu denen er ebenfalls gehöre, seine Schweigepflicht als Seelsorger erheblich berührt werde. Durch die Ordination, die auch vom Land als Anstellungsträger für seinen Dienst als Pfarrer an der Justizvollzugsanstalt gefordert werde, verpflichte die Kirche ihn zur unverbrüchlichen Verschwiegenheit über das, was ihm als Seelsorger anvertraut werde. Er könne es auch nicht von der Entscheidung des Gesprächspartners abhängig machen, ob der Inhalt des Gesprächs vertraulich bleiben muss 555
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oder nicht; diese Entscheidung liege allein bei ihm als Seelsorger. Er verstünde die seelsorgerliche Verschwiegenheit nicht als privilegierte Geheimniskrämerei, sondern als hilfreiche Ergänzung zu den gemeinsamen Bemühungen, vielleicht als letzte Chance, einen Menschen vor einem solchen letzten Verzweiflungsschritt zu bewahren. Er befinde sich zwar in einem gewissen Spannungsfeld zwischen widerstreitenden kirchlichen und staatlichen Vorschriften, doch die damit verbundene Verantwortung und Gewissensbelastung sehe er als einen Bestandteil seines Berufes an. Die besondere Rechtsposition der Seelsorgerin oder des Seelsorgers innerhalb der Vollzugsorganisation wird durch das Schweigerecht aufgrund des Seelsorgegeheimnisses garantiert (vgl. § 157 Rdn. 21). Bei der Abwägung hinsichtlich eventuell zu treffender Maßnahmen auf der Grundlage der eigenen Gewissensentscheidung wird die Seelsorgerin oder der Seelsorger vor allem für das Wohl der Gefangenen zu sorgen haben, die sich im Seelsorgegespräch offenbart haben. In der Vollzugspraxis wird allerdings auch zu bedenken sein, dass eine (spekulative) Äußerung der erwähnten Art („selbst bei möglicher Gefahr der Selbsttötung“) ohne konkreten Anlass zu Missverständnissen und Irritationen bei den übrigen Bediensteten führen muss. IV. Landesgesetze und Musterentwurf 20
1. Baden-Württemberg. § 29 JVollzGB III entspricht bis auf redaktionelle Änderungen (geschlechtergerechte Vorschriftensprache) § 53 StVollzG. Bemerkenswert: Die Unverletzlichkeit des Beicht- und Seelsorgegeheimnisses wird in Abs. 1 in einem ergänzenden Satz 3 geregelt.
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2. Bayern. Art. 55 BayStVollzG entspricht bis auf redaktionelle Änderungen (geschlechtergerechte Vorschriftensprache) § 53 StVollzG.
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3. Hamburg. Bis auf kleine redaktionelle Änderungen entspricht § 54 HmbStVollzG im Wesentlichen § 53 StVollzG. In inhaltlicher Abänderung von § 53 StVollzG können Gefangene mit Hilfe der Vollzugsbehörde mit einer Seelsorgerin oder einem Seelsorger in Verbindung treten, auch wenn sie oder er nicht der eigenen Religionsgemeinschaft angehört (Abs. 1).
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4. Hessen. § 32 Abs. 1 HStVollzG entspricht inhaltlich § 53 Abs. 1 StVollzG. Allerdings wird der Anspruch auf „religiöse und“ (anders als in § 53 Abs. 1 Satz 1 StVollzG) „seelsorgerliche Betreuung“ in Abs. 1 Satz 1 aktivisch formuliert. Sie „ist zu ermöglichen“. § 32 Abs. 2 Satz 1 und 2 regelt den Besitz von Gegenständen des religiösen Gebrauchs in angemessenem Umfang (§ 53 Abs. 3 StVollzG). In Abs. 2 wird auf die auch hier geltenden Regeln zur Ausstattung und Übersichtlichkeit des Haftraums (§ 19 Abs. 1 Satz 2 HStVollzG) Bezug genommen. Grundlegende religiöse Schriften dürfen wie in § 53 Abs. 2 StVollzG geregelt gemäß § 32 Abs. 2 Satz 3 nur bei grobem Missbrauch entzogen werden.
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5. Niedersachsen. § 53 NJVollzG entspricht weitgehend § 53 StVollzG. Neben redaktionellen Änderungen (geschlechtergerechte Vorschriftensprache) wurden zwei inhaltliche Ergänzungen vorgenommen. Nach Abs. 2, Satz 2, 2. Halbsatz sollen auf Verlangen der betroffenen Gefangenen die Seelsorgerin oder der Seelsorger unterrichtet werden, wenn ihnen – wenn auch nur bei grobem Missbrauch – grundlegende religiöse Schriften entzogen wurden. Abs. 3 schränkt die Überlassung von „sonstigen“ Gegenständen des religiösen Gebrauchs in angemessenem Umfang insofern ein, als (eigentlich selbstverständlich) nicht überwiegende Gründe der Sicherheit der Anstalt entgegenstehen. Schäfer
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6. Musterentwurf. § 69 ME-StVollzG entspricht (mit kleiner redaktioneller Ände- 25 rung) § 53 Abs. 1 StVollzG. Besitz und Entzug grundlegender religiöser Schriften und von Gegenständen des religiösen Gebrauchs (§ 53 Abs. 1 und Abs. 2 StVollzG) sind inhaltsgleich in § 50 Abs. 2 ME-StVollzG im Abschnitt Grundversorgung und Freizeit geregelt. Siehe auch den Verweis auf ähnliche Regelungen im HStVollzG.
§ 54 Religiöse Veranstaltungen § 54 Schäfer Religiöse Veranstaltungen (1) Der Gefangene hat das Recht, am Gottesdienst und an anderen religiösen Veranstaltungen seines Bekenntnisses teilzunehmen. (2) Zu dem Gottesdienst oder zu religiösen Veranstaltungen einer anderen Religionsgemeinschaft wird der Gefangene zugelassen, wenn deren Seelsorger zustimmt. (3) Der Gefangene kann von der Teilnahme am Gottesdienst oder anderen religiösen Veranstaltungen ausgeschlossen werden, wenn dies aus überwiegenden Gründen der Sicherheit oder Ordnung geboten ist; der Seelsorger soll vorher gehört werden. Schrifttum S. Vor § 53. Ferner: Daiber (Hrsg.), Gemeinde beiderseits der Mauern, Hannover 1986; Dannowski (Hrsg.), Gefängnispredigten, Hannover 1985; Diekmann (Hrsg.), Nicht sitzenlassen. Gefängnisseelsorge in der Gruppe, Hannover 1989; Koch (Hrsg.), Gottesdienst im Gefängnis, Hannover 1984.
I.
II.
Übersicht Allgemeine Hinweise ____ 1–4 1. Gemeinschaftsveranstaltungen ____ 1 2. Glaubensgemeinschaft ____ 2 3. Gefangenengemeinden ____ 3 4. Begriffsbestimmung ____ 4 Erläuterungen ____ 5–23 1. Gottesdienste (Abs. 1) ____ 5, 6 2. Abendmahlsfeiern ____ 7 3. Amtshandlungen ____ 8 4. Recht auf Teilnahme ____ 9 5. Teilnahme außerhalb der Vollzugsanstalt ____ 10 6. Offener Vollzug ____ 11
III. IV.
7. Eigenes Bekenntnis und andere Religionsgemeinschaften (Abs. 2) ____ 12 8. Religiöse Veranstaltungen ____ 13–19 9. Ausschluss (Abs. 3) ____ 20–23 10. Überwachung ____ 24 Beispiele ____ 25, 26 Landesgesetze und Musterentwurf ____ 27–32 1. Baden-Württemberg ____ 27 2. Bayern ____ 28 3. Hamburg ____ 29 4. Hessen ____ 30 5. Niedersachsen ____ 31 6. Musterentwurf ____ 32
I. Allgemeine Hinweise 1. Gemeinschaftsveranstaltungen. § 54 regelt das Recht des Gefangenen auf Teil- 1 nahme an den Gemeinschaftsveranstaltungen des Seelsorgers. Außer dem Gottesdienst und gottesdienstähnlichen Veranstaltungen wie Sakramentsfeiern, Andachten, Trauungen oder auch Bibelstunden und Evangelisationen gelten verschiedenartige Gruppenangebote als integraler Bestandteil der Seelsorge (s. Rdn. 13 ff). 2. Glaubensgemeinschaft. Glaubensgemeinschaft kann sich als Minimum zwar 2 auch im Einzelgespräch zwischen Gefangenem und Seelsorger (§ 53) ereignen, sie wird aber vor allem im Gottesdienst und in anderen religiösen Veranstaltungen erfahren. 557
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Deshalb kann Seelsorge nicht grundsätzlich auf das Einzelgespräch beschränkt werden (vgl. Rdn. 3 zu § 53). Wo Vollzugsbedienstete etwa an Gottesdiensten nicht lediglich zur Beaufsichtigung (Rdn. 23) teilnehmen, wird in besonderer Weise sichtbar, dass eine solche Gemeinschaft ihrem Wesen nach umfassend ist und zumindest im Grundsatz auf menschliches Miteinander einwirkt. Ein solches Verständnis sieht in der gesamten Vollzugswelt, Gefangene und Personal inbegriffen, die „Gemeinde“ des Gefängnisseelsorgers. Sichtbaren Ausdruck findet die Gemeinschaft der Glaubenden auch durch die Teilnahme von Mitgliedern etwa der benachbarten oder Partner-Kirchengemeinde am Gottesdienst in der Vollzugsanstalt (vgl. auch § 157 Rdn. 9). 3
3. Gefangenengemeinden. Besondere Gefangenengemeinden im Rechtssinne einer Kirchen- oder Anstaltsgemeinde gibt es nicht. Denkbar wäre kirchenrechtlich ein Modell, das den Gefängnisseelsorger und die Gefangenen seines Bekenntnisses als einen besonderen Seelsorgebezirk in eine bestimmte Ortskirchengemeinde, etwa die, in deren Bereich die Vollzugsanstalt liegt, integriert (vgl. Heusel in: Schäfer/Sievering 1989, 37).
4
4. Begriffsbestimmung. Bei der Begriffsbestimmung der „anderen religiösen Veranstaltungen“ räumt das verfassungsrechtlich garantierte Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften (Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 WRV, vgl. Vor § 53 Rdn. 2) diesen eine Primärkompetenz ein (K/S-Schöch 2002 § 7 Rdn. 166; Laubenthal 2011 Rdn. 629). II. Erläuterungen
1. Gottesdienste (Abs. 1). Gottesdienste können in vielfältiger Gestalt gefeiert werden. Wie in den Kirchengemeinden werden auch in den Vollzugsanstalten nicht nur agendarische Formen verwendet. Nonverbales, Musik, Symbole oder Elemente des Feierns haben, phantasievoll eingesetzt, gerade hier besondere Aussagekraft und können darüber hinaus ein gewisses Gegengewicht angesichts eines oft tristen Alltags darstellen (vgl. Wendeberg in: Koch 1984, 123). Dabei wirken die Teilnehmer nicht selten bei Vorbereitung und Gestaltung des Gottesdienstes mit. Die Verbindung der Gemeinde im Gefängnis mit der Gemeinde in Freiheit kann für die Gefangenen gerade im Gottesdienst erlebt werden im Sinne einer „Gemeinde beiderseits der Mauern“ (Daiber 1986, dort auch Beispiele gemeinsam gestalteter Gottesdienste in und außerhalb von Vollzugsanstalten). Prinzipiell gibt es keine speziellen „Gefängnisgottesdienste“, die nicht in derselben Form auch außerhalb der Vollzugsanstalten stattfinden könnten. Der theologische Ansatz des Gottesdienstes entspricht damit auch dem, was im Angleichungsgrundsatz (§ 3 Abs. 1) allgemein gefordert ist. Dementsprechend ist in § 157 Abs. 3 auch die Möglichkeit gegeben, Seelsorger von außen für Gottesdienste und andere religiöse Veranstaltungen hinzuzuziehen (vgl. Rdn. 9 zu § 157). Hinsichtlich der Zeitlage ist die Vollzugsanstalt verpflichtet, den Gottesdienst in ih6 rem Programm so zu berücksichtigen, dass dem Gefangenen eine freie Entscheidung zur Teilnahme bleibt. Eine echte Entscheidungsmöglichkeit besteht aber nicht, wenn beispielsweise die von ihm ebenso zu beanspruchende Freistunde (§ 64) zeitgleich mit dem Gottesdienst angesetzt ist; die alternative Verweisung auf den Gottesdienst eines anderen Bekenntnisses aus vollzugsorganisatorischen Gründen ist durch Abs. 1 nicht gedeckt (OLG Celle ZfStrVo 1991, 247). Die Praxis, Gefangenen, die nicht am Gottesdienst einer Konfession teilnehmen wollen, während dieser Zeit den Umschluss mit anderen Gefangenen zu gestatten, hingegen Gefangenen, die nicht am Gottesdienst einer anderen Kon5
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fession teilnehmen wollen, einen entsprechenden Umschluss zu versagen, verstößt gegen Art. 3 Abs. 1 und 3 GG (OLG Koblenz ZfStrVo 1995, 243). 2. Abendmahlsfeiern. Bei einer Abendmahlsfeier ist unstreitig zu bedenken, dass 7 viele Gefangene suchtkrank oder auch bei geringem Alkoholkonsum gefährdet sind. Die formale Anordnung eines absoluten „Alkoholverbots im Gottesdienst“ durch die Anstaltsleitung (so die Forderung von Arloth 2011 § 54 Rdn. 4, die AK-Huchting/Müller-Monning § 54 Rdn. 2 für „medizinisch nachvollziehbar, aber überzogen“ hält) widerspricht der kirchlichen Befugnis zur Definition von christlichen Inhalten. In der Vollzugspraxis wird allerdings der Seelsorger die Alkoholproblematik berücksichtigen und bei einer möglichen Teilnahme suchtkranker oder gefährdeter Gefangener von sich aus Wein durch Traubensaft ersetzen. Die Anstaltsleitung hat insoweit keine Definitions- oder Entscheidungsbefugnis (vgl. das Beispiel bei Rdn. 26). 3. Amtshandlungen. Auch Amtshandlungen wie Taufe, Trauung u. a. müssen im 8 Gottesdienstraum der Vollzugsanstalt grundsätzlich ermöglicht werden, wenn sie wegen fehlender Voraussetzungen für Vollzugslockerungen nicht außerhalb der Anstalt stattfinden können. Hinsichtlich der Teilnahme von Angehörigen sind Absprachen mit dem Anstaltsleiter erforderlich. 4. Recht auf Teilnahme. Der Gefangene hat ein Recht auf Teilnahme an von den 9 Religionsgemeinschaften in der Vollzugsanstalt angebotenen Gottesdiensten und an anderen religiösen Veranstaltungen gegenüber der Vollzugsbehörde. Dass und wie oft die verschiedenen Bekenntnisse in der Vollzugsanstalt regelmäßig Gottesdienste anbieten, liegt grundsätzlich in deren eigener Entscheidungsbefugnis. Muss aus Gründen, die nicht die Vollzugsanstalt zu verantworten hat, ein anstaltsinterner Gottesdienst ausfallen, so stellt die Ablehnung einer Ausgangsgewährung zur Teilnahme an einem externen Gottesdienst keine Beeinträchtigung des Gefangenen in seinem Grundrecht dar (OLG Stuttgart ZfStrVo 1990, 184). 5. Teilnahme außerhalb der Vollzugsanstalt. Die Möglichkeit zur Teilnahme des 10 Gefangenen an Gottesdiensten und anderen religiösen Veranstaltungen außerhalb der Vollzugsanstalt sollte vor allem im offenen Vollzug (§ 141) gegeben sein. Jedoch spricht auch sonst nichts dagegen, Gefangenen, denen Vollzugslockerungen (§ 11) gewährt werden, auf diese Weise die Teilnahme an solchen Veranstaltungen zu ermöglichen. Hierbei ist z. B. an die ausgestaltende Mitwirkung eines vom Anstaltsseelsorger gehaltenen Gottesdienstes in einer Kirchengemeinde, die Teilnahme an Familienseminaren, Rüstzeiten und Kirchentagen (durch Gewährung von Vollzugslockerungen ohne Anrechnung auf den Regelurlaub) zu denken (vgl. § 11 Rdn. 12). 6. Offener Vollzug. Wo in offenen Anstalten interne Gottesdienste z. B. aus räum- 11 lichen oder sonstigen, von der Vollzugsanstalt zu verantwortenden, Gründen nicht eingerichtet werden können, muss es dem Gefangenen grundsätzlich erlaubt sein, ohne Anrechnung auf eventuelle Ausgangskontingente an auswärtigen Gottesdiensten teilzunehmen. Liegen die Voraussetzungen für die Gewährung von Ausgängen noch nicht vor und können in der offenen Anstalt keine Gottesdienste durchgeführt werden, so ist es rechtswidrig, dem Gefangenen die Teilnahme am Gottesdienst in anderer Weise nicht zu ermöglichen; wie die Vollzugsbehörde diese Teilnahme ermöglicht, steht dabei in ihrem Ermessen (LG Bielefeld 17.5. 1985 – 15 Vollz 15/85). Ein im gelockerten Vollzug befindlicher Gefangener hat allerdings keinen Anspruch auf Teilnahme an einer bestimmten re559
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ligiösen Veranstaltung, die nur im geschlossenen Vollzug angeboten wird (BVerfG ZfStrVo 1988, 190). Denn das Grundrecht aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG verpflichtet die Vollzugsbehörde nicht, zentrale gesetzliche Organisationsprinzipien wie Trennung und Differenzierung (§§ 140, 141) im Einzelfall aufzuheben (C/MD 2008 § 54 Rdn. 1; vgl. Rdn. 20). 12
7. Eigenes Bekenntnis und andere Religionsgemeinschaften (Abs. 2). Das Recht des Gefangenen ist nach Abs. 1 auf die Teilnahme an Gottesdienst und anderen religiösen Veranstaltungen seines Bekenntnisses beschränkt. Abs. 2 erweitert das Teilnahmerecht des Gefangenen. Die Zustimmung des Seelsorgers einer anderen Religionsgemeinschaft vorausgesetzt, wird er zu deren Gottesdienst oder anderen religiösen Veranstaltungen zugelassen. Diese Regelung orientiert sich am Grundrecht der Glaubensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 GG), sich einer anderen Religionsgemeinschaft suchend zuzuwenden (vgl. § 53 Rdn. 13). Sie respektiert nicht zuletzt auch das Selbstverständnis und die Eigenständigkeit der Religionsgemeinschaften (Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 WRV), die sich auf die grundsätzliche Entscheidung über den zu betreuenden Personenkreis bezieht (Eick-Wildgans 1995, 1014). Der Gefangene kann nicht verpflichtet werden, seinen Wunsch nach Teilnahme am Gottesdienst einer anderen Religionsgemeinschaft gegenüber der Vollzugsbehörde inhaltlich zu begründen; ebenso wenig ist der Seelsorger gehalten, die Motivation des Gefangenen offen zu legen. Für Gefangene, die keiner Religionsgemeinschaft angehören, gilt Entsprechendes.
8. Religiöse Veranstaltungen. Das OLG Koblenz (ZfStrVo 1987, 250; 1988, 57) hat den Versuch unternommen, den Begriff der anderen religiösen Veranstaltungen i. S. d. § 54 verbindlich auszulegen. Seine Definition, dass damit lediglich gottesdienstähnliche Veranstaltungen wie etwa Andachten, Bet- und Bibelstunden, Feiern mit Sakramentsspendung gemeint sind, ist in Anmerkungen zu dieser Entscheidung zu Recht kritisiert worden, weil das kirchliche Selbstverständnis als wesentlich für die Auslegung (vgl. Rdn. 4) nicht in erforderlicher Weise mit berücksichtigt wurde (Müller-Dietz NStZ 1987, 525; Robbers NStZ 1988, 573; Sperling NStZ 1987, 527; Stein ZevKR 1988, 446; a. A. Listl Kirche im freiheitlichen Staat, Berlin 1996, 149 f). Der Begriff der religiösen Veranstaltung ist nach formalen Kriterien zu bestimmen, da die Seelsorge auch in einer JVA eine kirchliche Angelegenheit bleibt (vgl. Laubenthal 2011 Rdn. 629 m. w. N.). Nach neuerer Rechtsprechung fallen unter den Begriff der anderen religiösen Veranstaltungen i. S. d. § 54 nicht nur religiöse und kultische Handlungen im engsten Sinne, sondern auch Maßnahmen karitativer und diakonisch-fürsorgerischer Art bis hin zu Veranstaltungen der konfessionellen Erwachsenenbildung (OLG Hamm ZfStrVo 1999, 306 unter Berufung auf BVerfGE 24, 236, 245 f, gegen OLG Koblenz, s. o.; krit. Bothge ZfStrVo 1999, 352, 353). Die Beschränkung von „anderen“ religiösen Veranstaltungen auf solche mit vorwie14 gend kultischem Charakter entspricht nicht dem heutigen Selbstverständnis des kirchlichen Auftrags. Stein (aaO 449) verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass nach der einschlägigen Fachliteratur das Angebot offener Kommunikationsformen in der Gefangenenseelsorge die anerkannte Arbeitsform ist, um unter den Bedingungen des Strafvollzuges den sozial gestörten und vom Vollzugsalltag belasteten Gefangenen Zugang zur Seelsorge zu eröffnen (vgl. auch Brandt 1987, 440 f). Jede Veranstaltung, die darauf abzielt, mit Gefangenen Gemeinschaft herzustellen, in der Elemente religiöser Erfahrung erlebt werden (können), ist als eine religiöse Veranstaltung i. S. der Vorschrift anzusehen. Vgl. das Beispiel Rdn. 24. Die – neben den gottesdienstlichen – „anderen“, also nicht „ähnlichen“, religiösen 15 Veranstaltungen in § 54 sind in gewandelter, zeitgemäßer Form eine Fortführung dessen, was früher in den Vollzugsvorschriften unter dem Begriff des Religionsunterrichts für 13
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Gefangene gefasst war und jahrhundertelange Tradition in der Gefängnisseelsorge hat (vgl. Rassow in: Diekmann 1989, 9; ebd. auch Beispiele zur Seelsorge in der Gruppe i. S. von religiösen Veranstaltungen gem. § 54). Heute wird dieses Anliegen als kirchliche Erwachsenenbildung bezeichnet. In der kirchlichen Erwachsenenbildung wird das Anliegen von Lehren und Lernen als eine Grundaufgabe der Kirche aufgenommen, nicht zuletzt für Menschen, die möglicherweise viele Jahre keinen Kontakt mit ihr hatten und gar nicht mehr wissen, ob und wie sie sich als Christen verstehen sollen. Sie wird dem, der zu ihr gehören will, helfen, sich über sein Christsein Rechenschaft zu geben, damit er erkennen kann, was es heißt, als Christ zu glauben, in der Welt zu leben und hierbei Glied der Kirche zu sein. Dabei wird sie besonders auch Themen, die von sich aus zunächst keinen Bezug zum christlichen Glauben haben, Bedeutung für ihren Dienst in der säkularisierten Gesellschaft beimessen (vgl. Erwachsenenbildung als Aufgabe der evangelischen Kirche, in: Die Denkschriften der EKD, Bd. 4/1, Gütersloh 1987, 264 ff). Die katechetische Unterweisung, die auch den Erwachsenen gegenüber priesterliche Pflicht ist (canon 776 Corpus Juris Canonici 1983), soll mit den jeweils besonders wirksamen didaktischen Hilfen und entsprechend den Lebensbedingungen des anzusprechenden Gläubigen erfolgen (ca. 779). Die Durchführung eines Projekts „Gefangenentelefonseelsorge“ berührt unmittelbar Inhalte des kirchlichen und seelsorgerlichen Auftrags und ist daher an die Zustimmung der Kirchen und Bistümer gebunden. Unverständlich ist dabei u. a., warum zu „Aufschlusszeiten“ für die Betreuung suizidaler Häftlinge der medizinische oder der psychologische Dienst zuständig sein sollen, an Wochenenden oder nach Feierabend aber die Anstaltsseelsorge. Ungeklärt sind dabei die Wahrung des Seelsorgegeheimnisses und die Befähigung oder Eignung für Telefonseelsorge. Unbestritten ist, dass – wie es allgemeine Praxis ist – Seelsorgerinnen und Seelsorger auch zu Unzeiten in Notfällen bereit sind, in die Anstalten zu kommen und mit Hilfe suchenden Gefangenen zu sprechen. Die Orientierung vorrangig am heutigen Selbstverständnis der Kirchen bei der inhaltlichen Ausfüllung des Begriffs der anderen religiösen Veranstaltungen (vgl. Rdn. 4) kann nicht bedeuten, dass eine Veranstaltung allein deshalb nach § 54 zu beurteilen ist, weil sie von einem Seelsorger durchgeführt wird. Wohl aber begründet ein solcher Umstand eine entsprechende Vermutung, denn es ist beim Fehlen besonderer Anhaltspunkte davon auszugehen, dass ein Seelsorger i. d. R. nur Gemeinschaftsveranstaltungen abhält, die von seinem spezifischen Auftrag umfasst sind (Müller-Dietz aaO 527; Sperling aaO Rdn. 528). Kriterien für ein nachvollziehbares Verständnis von religiösen Veranstaltungen i. S. d. § 54 sind die Qualifikation des Veranstaltenden, dessen subjektive Motivation und der objektiv feststellbare Veranstaltungsinhalt (Eick-Wildgans 1995, 1004). Religiöse Veranstaltungen des Seelsorgers haben wegen ihrer Grundrechtsbedeutung eine andere rechtliche Qualität als die allgemeinen Freizeitveranstaltungen (§ 67). Deshalb rechtfertigt eine Freizeitsperre (§ 103 Abs. 1 Nr. 4) nicht den Ausschluss von religiösen Veranstaltungen. § 54 Abs. 3 enthält insoweit eine Sonderregelung zu der Disziplinarmaßnahme der Freizeitsperre für den Ausschluss eines Gefangenen von anderen religiösen Veranstaltungen (OLG Hamm ZfStrVo 1999, 306).
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9. Ausschluss (Abs. 3). Ein Ausschluss eines Gefangenen vom Gottesdienst oder 20 anderen religiösen Veranstaltungen ist lediglich dann möglich, wenn „überwiegende“ Gründe der Sicherheit oder Ordnung diesen rechtfertigen (Abs. 3). Sicherheit und Ordnung als Beurteilungsmaßstäbe für einen Ausschluss von religiösen Veranstaltungen werden als zu weitgehende Rechtsbegriffe nicht allgemein anerkannt (vgl. Albrecht in: HbdStKirchR 1. Aufl. II, Berlin 1975, 717). Jedoch wird man diese schwerwiegende Grund561
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rechtseinschränkung bei strenger Auslegung des „Überwiegens“ der die Sicherheit oder Ordnung betreffenden Gründe nicht beanstanden können, weil so bei der Abwägung der berechtigten Belange des Gefangenen nach ungestörter Religionsausübung und des staatlichen Interesses der Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung im Anstaltsbereich den Belangen des Gefangenen ein Vorrang eingeräumt wird, der der Bedeutung des Grundrechtes der Religionsfreiheit entspricht (v. Busse 1978, 244). Dieser Vorrang gilt jedoch nicht absolut, da andernfalls der geordnete Betrieb der Vollzugsanstalt überhaupt in Frage gestellt wäre. Der Ausschluss vom Gottesdienst oder von anderen religiösen Veranstaltungen kann 21 sich jeweils nur auf den einzelnen Gefangenen beziehen. Ein grundsätzlicher Ausschluss von Gefangenengruppen – etwa weil sie entsprechend vollzuglicher Organisationsprinzipien (vgl. Rdn. 11) auf besonders gesicherten Stationen, in einer Abteilung für Transportgefangene oder in einem Freigängerhaus untergebracht sind – stellt eine Grundrechtsverletzung dar, wenn die Vollzugsbehörde nicht für sie ebenfalls, ggf. zusätzliche bzw. anderweitige, Möglichkeiten zu einer Gottesdienstteilnahme schafft (a. A. Arloth 2011 § 54 Rdn. 4; siehe dazu auch oben Rdn. 11). Das Überwiegen von Gründen der Sicherheit oder Ordnung gegenüber dem Grund22 recht der freien Religionsausübung bedeutet, dass sie zwingend und individuell begründet sein müssen und dass die evtl. Notwendigkeit ihrer Fortdauer überprüfbar sein und in Abständen neu festgelegt werden muss. Die Anordnung besonderer Sicherungsmaßnahmen (§ 88) oder die unausgesetzte Absonderung eines Gefangenen (§ 89) ziehen jedenfalls nicht automatisch auch den Ausschluss von Gottesdienst und anderen religiösen Veranstaltungen nach sich. Auch während des Arrestes (§ 103 Abs. 9) ist der Gefangene berechtigt, an religiösen Veranstaltungen teilzunehmen, denn nach § 104 Abs. 5 Satz 3 ruhen die Befugnisse aus § 54 nicht. Eine Trennung von den übrigen Gefangenen kann auch während des Gottesdienstes durch gesonderte Platzierung erreicht werden (OLG Bremen ZfStrVo 1964, 47). Der allgemeine Hinweis auf (die etwaige zusätzliche) personelle Belastung durch die Notwendigkeit von Kontrollen ist kein hinreichender Grund für einen Ausschluss (OLG Koblenz ZfStrVo 1987, 250 f). Lediglich der Missbrauch (z. B. durch nachhaltige beabsichtigte Störung des Gottesdienstes) wird durch das Grundrecht nicht geschützt, weil unter diesen Umständen die Grundrechte der Mitgefangenen beeinträchtigt werden (BVerfGE 12, 4). Begehrt der Gefangene durch seinen Antrag auf gerichtliche Entscheidung die Verpflichtung der Vollzugsbehörde, ihn am Gottesdienst teilnehmen zu lassen, obwohl er eine Teilnahme gar nicht beabsichtigt, ist sein Antrag unter dem Gesichtspunkt rechtsmissbräuchlicher Prozessführung unzulässig (OLG Hamm ZfStrVo 1988, 113). Zu den Grundrechtsbeschränkungen vgl. auch Vor § 53 Rdn. 5. Vor einem Ausschluss eines Gefangenen von der Teilnahme am Gottesdienst oder 23 anderen religiösen Veranstaltungen soll eine Anhörung des Seelsorgers stehen. Die Bestimmung soll die Beachtung der Art. 140 GG, Art. 141 WRV sicherstellen. Sie ist daher die Regel, von ihr darf nur ausnahmsweise abgesehen werden (OLG Celle ZfStrVo 1990, 187). Eine nachträgliche Unterrichtung des Seelsorgers widerspräche auch dem Zusammenarbeitsgrundsatz (§ 154 Abs. 1) und den Vereinbarungen mit Kirchen und Bistümern. 24
10. Überwachung. § 54 enthält keine Bestimmung zur Frage einer unmittelbaren Überwachung der Gottesdienste und religiösen Veranstaltungen durch Vollzugsbedienstete aus Gründen der Sicherheit und Ordnung. In der Praxis richtet sie sich vor allem nach dem Sicherheitsgrad der Vollzugsanstalt, der Teilnehmerzahl und ggf. der Anwesenheit von anstaltsfremden Besuchern. Eine eventuelle Überwachung wird auf den Schäfer
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Charakter des Gottesdienstes Rücksicht nehmen und verhältnismäßig sein müssen. In Gruppengesprächen tangiert eine Überwachung auch die seelsorgerliche Verschwiegenheit (s. dazu § 53 Rdn. 9, 19 und § 157 Rdn. 21–24). Die Kameraüberwachung eines Gottesdienstes aus Gründen der Personaleinsparung im Bereich des allgemeinen Vollzugsdienstes wird dem Charakter eines Gottesdienstes nicht gerecht. III. Beispiel Ein Seelsorger veranstaltet anstaltsinterne Eheseminare. Der Anstaltsleiter verlangt 25 von ihm Auskunft, aus welchen Gründen die Teilnehmer an dem Seminar interessiert sind, da ihm die Entscheidungsbefugnis über eine Teilnahme zustehe. Der Seelsorger widerspricht dem. Die Frage wird anschließend in einem größeren Kreis geklärt. Das Eheseminar des Seelsorgers ist eine religiöse Veranstaltung i. S. des § 54. Das Recht des Gefangenen auf Teilnahme und sein möglicher Ausschluss richten sich nach dieser Vorschrift. Auf den Einwand, es handele sich hier nicht um eine religiöse Veranstaltung, da auch der Psychologische und der Soziale Dienst ähnliche Seminare durchführten: Eine Trennung von Glaubens- und Lebenswelt ist nach dem Seelsorgeverständnis des Geistlichen nicht möglich. Die (christliche) Annahme des Nächsten vollzieht sich im Zusammenleben mit ihm. Ein Eheseminar, das der Seelsorger aus einer solchen religiösen Grundhaltung heraus als Beitrag zur Erhaltung gefährdeter Familien anbietet, ist deshalb als religiöse Veranstaltung anzusehen, auch wenn während des gesamten Seminars nicht ein einziges Mal ausdrücklich auf den religiösen Bezug hingewiesen wird (vgl. Rdn. 14). Die Zulassung anstaltsfremder Personen zum Eheseminar in der Vollzugsanstalt obliegt dem Anstaltsleiter, wenn er sie nicht anderweitig delegiert hat. Er wird sich auf begründete Vorschläge des Seelsorgers beziehen, dabei aber dessen Schweigepflicht über das, was ihm in seiner Eigenschaft als Seelsorger anvertraut worden ist (vgl. § 157 Rdn. 21), respektieren. Nach einem „Feierabendmahl“, das im Rahmen des Deutschen Evangelischen Kir- 26 chentags unter Beteiligung von Gefangenen und auswärtigen Gästen in der Kirche einer Justizvollzugsanstalt stattfand, stellten Anstaltsbedienstete Auffälligkeiten bei Gefangenen fest, die sie auf den beim Abendmahl verwendeten Wein zurückführten. Ohne vorherige Absprache mit der Anstaltsseelsorge verfasste die Anstaltsleitung einen Bericht an die Aufsichtsbehörde über ein „außerordentliches Vorkommnis“ mit dem Betreff „Alkoholgenuss während des Gottesdienstes“. Sie teilte mit, sie habe nun ein „Alkoholverbot“ für den Gottesdienst verfügt. Die Aufsichtsbehörde reagierte unverzüglich und rügte sowohl die Wortwahl des Berichts als auch die Entscheidung, selbst im Hinblick auf die der Kirche zustehende Definitions- oder Entscheidungsbefugnis hinsichtlich der Gestaltung von religiösen Veranstaltungen. Sie kam damit einer Beschwerde der zuständigen Kirchenleitung zuvor, die gegenüber der Aufsichtsbehörde sowohl den Eingriff der Anstaltsleitung in die kirchlichen Befugnisse, als auch deren despektierliche Wortwahl hinsichtlich des Abendmahlsakraments beanstandete. IV. Landesgesetze und Musterentwurf 1. Baden-Württemberg. § 30 JVollzGB III entspricht bis auf redaktionelle Änderun- 27 gen (geschlechtergerechte Vorschriftensprache) § 54 StVollzG. 2. Bayern. Art. 56 BayStVollzG entspricht bis auf redaktionelle Änderungen (ge- 28 schlechtergerechte Vorschriftensprache) § 54 StVollzG.
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3. Hamburg. § 55 HmbStVollzG entspricht bis auf redaktionelle Änderungen (geschlechtergerechte Vorschriftensprache) § 54 StVollzG.
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4. Hessen. § 32 HStVollzG fasst in Abs. 3 den Regelungsgehalt aller drei Absätze von § 54 StVollzG zusammen. Am Wortlaut von § 54 StVollzG wurden nur geringfügige redaktionelle Änderungen vorgenommen.
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5. Niedersachsen. § 54 NJVollzG entspricht bis auf redaktionelle Änderungen (geschlechtergerechte Vorschriftensprache) § 54 StVollzG.
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6. Musterentwurf. § 70 ME-StVollzG entspricht bis auf geringe redaktionelle Änderungen § 54 StVollzG.
§ 55 Weltanschauungsgemeinschaften § 55 Schäfer Weltanschauungsgemeinschaften Für Angehörige weltanschaulicher Bekenntnisse gelten die §§ 53 und 54 entsprechend. Schrifttum S. Vor § 53. Ferner: Badura Der Schutz von Religion und Weltanschauung durch das Grundgesetz, Tübingen 1989.
I. Erläuterungen 1
1. Der auf Verlangen des Bundesrates eingefügte, im KE zunächst nicht enthaltene, § 55 dient der ausdrücklichen Klarstellung hinsichtlich der weltanschaulichen Bekenntnisse. Die entsprechende Geltung der Vorschriften über Seelsorge und religiöse Veranstaltungen (§§ 53 und 54) auch für Angehörige weltanschaulicher Bekenntnisse korrespondiert sowohl mit der verfassungsrechtlichen Gewährleistung der Religionsfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG) als auch mit dem Gleichstellungsgebot von Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften (Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 7 WRV). Art. 137 Abs. 7 WRV kann auch auf die Regelung von Art. 141 WRV bezogen werden, so dass Weltanschauungsgemeinschaften auch ohne Rückgriff auf das Grundrecht der Religionsfreiheit dasselbe Anrecht auf Anstaltsseelsorge besitzen wie Religionsgemeinschaften (v. Busse 1978, 238). Nach dem heutigen Stand der Diskussion kann es auch für den Bereich der Anstaltsseelsorge keine Unterscheidung mehr zwischen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften geben (v. Campenhausen 1996, 228).
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2. Differenzierungen, die durch die tatsächlichen Verschiedenheiten der einzelnen Gemeinschaften bedingt sind, sind jedoch sachlich gerechtfertigt und widersprechen dem Gleichstellungsgebot nicht (BVerfGE 19, 1, 8; vgl. Vor § 53 Rdn. 2). So besitzen insbesondere die großen christlichen Kirchen unter Berücksichtigung ihrer umfassenden Organisation faktisch bessere Wirkungsmöglichkeiten bei der Gefängnisseelsorge als kleine und kleinste Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften (v. Busse 1978, 238 f). Der etablierten christlichen Gefängnisseelsorge steht jedoch rechtlich gesehen keine Monopolstellung zu und sie kann auch vom Staat keinen Konkurrenzschutz gegenüber anderen, evtl. neuen Gemeinschaften erwarten. Gleichwohl bieten die zwischen den LanSchäfer
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desjustizverwaltungen und den großen christlichen Kirchen abgeschlossenen Vereinbarungen (vgl. Vor § 53 Rdn. 6) dieser kirchlichen Seelsorge eine rechtlich gesicherte umfassende Position in der Anstalt, während es für die seelsorgerliche Betreuung anderer Gemeinschaften ein Pendant nicht gibt. Vgl. hierzu HMdJIE 2011. 3. Die Berücksichtigung tatsächlicher Gegebenheiten darf jedoch nicht zu Beschrän- 3 kungen in der religiösen Betreuung von Angehörigen beispielsweise neuer Religionsoder Weltanschauungsgemeinschaften führen. So ist es unzulässig, andere Seelsorger als die bestellten der beiden großen Kirchen nur im Rahmen des allgemeinen Besuchsverkehrs zuzulassen (K/S-Schöch 2002 § 7 Rdn. 168; vgl. auch, für Untersuchungshaft, OLG Frankfurt am Main 12.6.1989 – 3 Ws 259/89). Nach § 157 Abs. 2 ist die seelsorgerliche Betreuung „auf andere Weise“ zuzulassen, wenn die geringe Zahl der Angehörigen einer Religionsgemeinschaft eine hauptamtliche Seelsorge nicht rechtfertigt. Dies hat jedoch lediglich organisationsrechtliche Bedeutung, kann also nicht auf den Regelungsgehalt der §§ 53 und 54 bezogen werden. Das Grundrecht steht Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften in gleicher Weise zu (BVerfGE 32, 98, 106; 24, 236, 246). 4. Die Formulierung „weltanschauliches Bekenntnis“ will bewusst bloße Weltan- 4 schauungen ausschließen, deren Hauptziel auf eine politische oder wirtschaftliche Tätigkeit gerichtet ist (BT-Drucks. 7/3998, 25). Anspruch auf die religiös-weltanschauliche Betreuung eines Gefangenen haben nur Vereinigungen, die sich mit den letzten Fragen nach Ursprung, Sinn und Ziel der Welt und des menschlichen Lebens befassen – mit Bezug (Religionsgemeinschaften) oder auch ohne Bezug (Weltanschauungsgemeinschaften) auf eine transzendente Wirklichkeit. Mit der an Art. 4 GG anknüpfenden Wortwahl des „weltanschaulichen Bekenntnisses“ in § 55 hat der Gesetzgeber klargestellt, dass die entsprechende Heranziehung von §§ 53 und 54 nicht für jegliche weltanschauliche Gemeinschaft gilt; es muss sich vielmehr um ein Bekenntnis handeln, wobei Letzteres in den Äußerungen bzw. Handlungen zum Ausdruck kommt, die aus einer Gesamtsicht der Welt oder aus einer hinreichend konsistenten Gesamthaltung der Welt gegenüber entspringen (OLG Bamberg ZfStrVo 2002, 371). Nicht als Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft i. S. d. §§ 53–55 sind Institutionen anzusehen, soweit sie unter missbräuchlicher religiöser Selbstbezeichnung letztlich wirtschaftliche Ziele verfolgen wie z. B. die Scientology Church (BAG NJW 1996, 143; vgl. ausführlich Schöch in: Britz (Hrsg.), Grundfragen staatlichen Strafens. FS für Heinz Müller-Dietz zum 70. Geburtstag, München 2001, 803 ff). Der Staat darf sich in seiner Verantwortung für den Strafvollzug nicht von der schwierigen Aufgabe dispensieren, außer der grundsätzlichen Frage (Rdn. 4) auch die nach dem Umfang der religiös-weltanschaulichen Betreuung zu klären, ohne die von der Verfassung geschützten Rechte des Gefangenen und mittelbar der ihr angehörenden Gemeinschaft zu verletzen. Als Kriterien kommen die Person des Seelsorgers (Anerkennung durch seine Glaubensgemeinschaft und eigene Motivation) und seine Tätigkeit in Betracht. Dabei sind Parallelen und Abweichungen zwischen den Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften zu berücksichtigen. So sind, wie Eick-Wildgans (1993, 172) konkretisiert, die christlichen Religionsgemeinschaften weithin durch religiöses Gemeinschaftsleben und individuelle religiöse Betreuung durch einen Seelsorger im persönlichen Gespräch gekennzeichnet, während dies bei Weltanschauungsgemeinschaften nicht immer gegeben ist, da sie mitunter weder ein vergleichbares Gemeinschaftsgefüge aufweisen, noch den Stellenwert der Betreuung durch eine dem Seelsorger vergleichbare Person in ihrer Weltanschauung kennen. Es muss daher dem Einzelfall überlassen bleiben, inwieweit Raum für eine entsprechende Anwendung der §§ 53 und 54 für Angehöri565
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ge einer bekennenden Weltanschauung bleibt. Einschränkungen sind aber nur in schwerwiegenden Fällen gerechtfertigt. II. Landesgesetze und Musterentwurf 5
1. Baden-Württemberg. § 31 JVollzGB III entspricht § 55 StvollzG.
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2. Bayern. Art. 57 BayStVollzG entspricht § 55 StVollzG.
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3. Hamburg. § 56 HmbStVollzG entspricht § 55 StVollzG.
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4. Hessen. § 32 Abs. 4 HStVollzG entspricht § 55 StVollzG.
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5. Niedersachsen. § 55 NJVollzG ist wortgleich mit § 55 StVollzG.
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6. Musterentwurf. § 71 ME-StVollzG verweist auf die entsprechende Geltung von § 50 Abs. 2, § 69 und § 70 ME-StVollzG für Angehörige weltanschaulicher Bekenntnisse und entspricht damit dem Regelungsgehalt von § 55 StVollzG.
SIEBTER TITEL Gesundheitsfürsorge § 56 Allgemeine Regeln § 56 Keppler/Nestler Allgemeine Regeln (1) Für die körperliche und geistige Gesundheit des Gefangenen ist zu sorgen. §101 bleibt unberührt. (2) Der Gefangene hat die notwendigen Maßnahmen zum Gesundheitsschutz und zur Hygiene zu unterstützen. VV 1 Für die Anstalten gelten die allgemeinen Vorschriften für die gesundheitsbehördliche Überwachung. 2 Der Anstaltsarzt achtet auf Vorgänge und Umstände, von denen Gefahren für die Gesundheit von Personen in der Anstalt ausgehen können. Jeder Bedienstete, der eine Gefahr für die gesundheitlichen Verhältnisse zu erkennen glaubt, ist verpflichtet, diese unverzüglich zu melden. 3 Der Anstaltsarzt hat nach den Vorschriften des Infektionsschutzgesetzes meldepflichtige übertragbare Krankheiten dem zuständigen Gesundheitsamt anzuzeigen und den Gefangenen, soweit es erforderlich ist, abzusondern. Kranke, bei denen zur Zeit der EntlasKeppler/Nestler
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sung noch Ansteckungsgefahr besteht oder deren Behandlung noch nicht abgeschlossen ist, werden dem zuständigen Gesundheitsamt unverzüglich gemeldet. Gegebenenfalls ist zu veranlassen, dass sie in die zuständige öffentliche Krankenanstalt gebracht werden. Schrifttum Bennefeld-Kersten Suizide in Justizvollzugsanstalten der Bundesrepublick Deutschland in den Jahren 2000–2004, Kriminologischer Dienst Niedersachsen im Bildungsinstitut des Niedersächsischen Justizvollzuges, Celle 2005; Bertolote WHO-programme on the prevention of suicide: a global information network for monitoring suicide trends, European Psychiatry 1998, S. 142 ff; WHO-Department of Mental Health and Substance Abuse, Suizidprävention: Ein Leitfaden für Mitarbeiter des Justizvollzugsdienstes, Genf 2007; Dargel Ist eine rechtliche Grundlage für HIV-Reihentests bei Gefangenen zur AIDS-Prophylaxe in den Justizvollzugsanstalten notwendig?, in: ZfStrVo 1988, 148 ff; ders. Die rechtliche Behandlung HIV-infizierter Gefangener, in: NStZ 1989, 207 ff; Gericke Zur Unzulässigkeit von Disziplinarmaßnahmen nach positiven Urinkontrollen, in: StV 2003, 305 ff; Gölz Der drogenabhängige Patient, München 1995; Hillenkamp/Tag (Hrsg.), Intramurale Medizin, Heidelberg 2005, 11 ff; Hillenkamp/Tag (Hrsg.), Intramurale Medizin im internationalen Vergleich, Berlin u. a., 2008; Jacob/Keppler/Stöver (Hrsg.) LebHaft: Gesundheitsförderung für Drogengebrauchende im Strafvollzug, AIDS-Forum DAH Bd. 42, Teil 1, Berlin 2001; Jacob/Keppler/ Stöver Drogengebrauch und Infektionsgeschehen (HIV/AIDS und Hepatitis) im Strafvollzug, AIDS-Forum DAH Band 28, Berlin 1997, 91 ff; Keppler/Stöver (Hrsg.), Gefängnismedizin: Medizinische Versorgung unter Haftbedingungen, Stuttgart 2009; Konrad Der Gefängnissuizid, in: Kröber/Dölling/Leygraf (Hrsg.), Handbuch der Forensischen Psychiatrie, Psychiatrische Kriminalprognose und Kriminaltherapie, Darmstadt 2006; Lehmann/Weiss/Jesse Suizidprävention in der Jugendstrafanstalt Hameln, ZfStrVo 2007, 177 ff; Leppmann Der Gefängnisarzt, Berlin 1909; Lines/Jürgens/Betteridge/Laticevschi/Nelles/Stöver Prison Needle Exchange: Lessons from a Comprehensive Review of international Evidence and Experience, Canadian HIV/AIDS Legal Network 2nd ed. 2006; Mechler Psychiatrie des Strafvollzuges, Stuttgart, New York 1981; Missoni/Rex Strukturen psychiatrischer Versorgung der Gefangenen im deutschen Justizvollzug, ZfStrVo 1997, 336 ff; Molketin Zum Anspruch des Strafgefangenen auf Einsichtnahme in die von der Vollzugsbehörde über ihn geführten Krankenunterlagen, in: MDR 1980, 544 ff; Müller-Dietz Suicid, Strafrecht und Strafvollzugsrecht, in: ZfStrVo 1983, 206 ff; Quillmann/Schulte Durchführung von körperlichen Untersuchungen im Ermittlungs- und Strafverfahren, in: Zeitschrift für Allgemeine Medizin 1988, 336 ff; Riekenbrauck Medizin hinter Gittern – Plädoyer für engagierte ärztliche Zuwendung und gewissenhafte Diagnostik, in: DtÄrzteblatt 1989, A2188 ff; Schmidt/Gastpar/Falkai/Gaebel Evidenzbasierte Suchtmedizin: Behandlungsleitlinie Substanzbezogene Störungen, Köln 2006; Stuth Vereinsamung und Selbsttötung in Haftanstalten, in: BlStV 2/1981, 9 ff; Swientek Autoaggressivität bei Gefangenen aus pädagogischer Sicht, Göttingen 1982; Thole Suicid im Gefängnis. Häufigkeitsverteilung und Ursachen des Suizids, Hilfen zur Vorbeugung, in: ZfStrVo 1976, 110 ff; Wedershoven Katamnesen der HIV-Infektion bei drogenabhängigen und nicht-drogenabhängigen Inhaftierten im Vergleich im Justizvollzug des Landes Nordrhein-Westfalen, Bonn 1998; Witte Suizide oft vermeidbar?, in: DMW 2007, 863 f.
I. II.
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Übersicht Allgemeine Hinweise ____ 1–3 Erläuterungen ____ 4–31 1. Medizinische Betreuung des Inhaftierten, Abs. 1 ____ 4–15 a) Zuständigkeit ____ 4–8 b) Überwachung, Kontrolle und Begehung der JVA nach dem IfSG ____ 9 c) Einsichtsrecht in die Krankenakte ____ 10–13 d) Kosten ____ 14 e) Beschwerderecht ____ 15 2. Mitwirkung des Gefangenen bei Vorbeugungsmaßnahmen, Abs. 2 ____ 16, 17
III.
3. Einzelfälle ____ 18–31 a) Autoagressives Verhalten und Suizide ____ 18–21 b) Alkohol/Betäubungsmittel ____ 22–25 c) HIV-Infektion ____ 26–30 d) Nichtraucherschutz ____ 31 Landesgesetze und Musterentwurf ____ 32–37 1. Baden-Württemberg ____ 32 2. Bayern ____ 33 3. Hamburg ____ 34 4. Hessen ____ 35 5. Niedersachsen ____ 36 6. Musterentwurf ____ 37
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I. Allgemeine Hinweise Die Vorschrift regelt die Sorge für die körperliche und geistige Gesundheit des Gefangenen (Abs. 1) sowie dessen Mitwirkung daran (Abs. 2). Gesundheitsfürsorge steht im Mittelpunkt der Fürsorgemaßnahmen, die das Strafvollzugsgesetz der Justizbehörde als Verpflichtung auferlegt (BT-Drucks. 7/918, 72). Sie ist ein Bestandteil des allgemeinen Behandlungsprozesses und stellt ein „zentral wichtiges Themenfeld des sozialen Lernens im Vollzug“ dar (Calliess 1992, 143). Die Verpflichtung zur Medizinalfürsorge trägt dem Umstand Rechnung, dass in Unfreiheit befindliche Personen nicht in gleicher Weise medizinische Hilfe in Anspruch nehmen können, wie in Freiheit (AK-Lesting/Stöver 2012 Rdn. 1; C/MD 2008 Rdn. 1). Es besteht bspw. rechtlich kein Anspruch auf und faktisch nicht die Möglichkeit zu freier Arztwahl (C/MD 2008 Rdn. 1). Dennoch wird ärztliche Versorgung von vielen Inhaftierten u. a. bedingt durch das Zusammenleben einer größeren Anzahl von Menschen auf engem Raum häufiger in Anspruch genommen als in Freiheit. Zudem belastet das Dienstverhältnis des Anstaltsarztes zur Strafvollzugsbehörde i. d. R. das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient immer dann, wenn für den Gefangenen keine klare Trennung von medizinischer Versorgung und Vollzug erkennbar ist. Auch Einsparungen bedingt durch das System der gesetzlichen Krankenversicherung wirken sich im Strafvollzug verstärkt aus (vgl. dazu bereits Leppmann 1909, 93). Während der Inhaftierung unterfallen Gefangene grds. nicht dem System der gesetz2 lichen Krankenversicherung (AK-Lesting/Stöver 2012 Rdn. 1). Umfang und Inhalt der Verpflichtung der Vollzugsbehörde zur Medizinalfürsorge richten sich aber nach dem Äquivalenzprinzip (§ 3 Rdn. 3 ff; AK-Lesting/Stöver 2012 Rdn. 7; Hillenkamp 2008, 106; Meier in: Keppler/Stöver [Hrsg.], 2009, 76). Der Gefangene soll demnach eine medizinische Betreuung erhalten, die den Standards und Leitlinien außerhalb des Vollzugs entspricht (vgl. zu den Grundlagen der Äquivalenz Meier in: Keppler/Stöver [Hrsg.], 2009, 75 ff). Hierauf hat der Gefangene seinerseits einen Rechtsanspruch (AK-Lesting/Stöver 2012 Rdn. 1; vgl. aber zur freien Arztwahl Rdn. 1). Für die Justizvollzugsanstalten gelten gem. VV Nr. 1 zu § 56 die allgemeinen Vor3 schriften für die gesundheitsbehördliche Überwachung. Explizit normiert ist die Gesundheitsfürsorge in §§ 57–66; für die dort genannten Vorsorge- und Behandlungsmaßnahmen gilt weitgehend das SGB V. Zudem regelt § 21 die Notwendigkeit ärztlicher Überwachung der Anstaltsverpflegung sowie die Möglichkeit, dem Gefangenen aus Gesundheitsgründen auf ärztliche Verordnung besondere Verpflegung zu gewähren (vgl. § 21 Rdn. 9). Ärztliche Konsultation erfolgt ferner bei der Aufnahmeuntersuchung (§ 5 Rdn. 8), bei Besuchsempfang von kranken Gefangenen (§ 24 Abs. 1, VV Nr. 4) sowie bei der Aushändigung bestimmter Paketinhalte an den Gefangenen (§ 33 Abs. 2, VV Nr. 2 Abs. 3). Die Verpflichtung zur Gesundheitsfürsorge erlangt auch im Zusammenhang mit der Arbeitspflicht des Gefangenen nach § 41 Abs. 1 Satz 1 Bedeutung. Danach sind die Arbeitsleistungen für den Gefangenen so zu bemessen, dass sie ohne Gesundheitsstörung nach ausreichender Einarbeitung und Einübung zu erbringen sind. Aus Gründen ärztlicher Untersuchung oder Begutachtung kann der Gefangene abweichend vom Vollstreckungsplan (§ 152) in eine andere Vollzugsanstalt verlegt werden, wenn dies z. B. durch eine fachärztliche Untersuchung erforderlich wird (§ 8 Abs. 1). Des Weiteren spricht § 76 die Gesundheitsfürsorge im Rahmen der Mutterschaftshilfe an, die § 77 noch auf die Phase der Schwangerschaft erweitert. Gesundheitsfürsorge erfordern schließlich auch Disziplinarmaßnahmen, bei denen der Arzt zu hören ist (§§ 92, 107). Eine medizinische Betreuung erfolgt außerdem im Rahmen besonderer Sicherungsmaßnahmen (§ 88; vgl. Erl. zu § 92). 1
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II. Erläuterungen 1. Medizinische Betreuung des Inhaftierten, Abs. 1 a) Zuständigkeit. Nach § 56 Abs. 1 Satz 1 haben die Justizvollzugsanstalten für die körperliche und geistige Gesundheit des Gefangenen zu sorgen. Die gesundheitliche Betreuung der Gefangenen liegt dabei in der Zuständigkeit und Verantwortlichkeit des Anstaltsarztes (C/MD 2008 Rdn. 3), der alles Erforderliche zur Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit der Gefangenen zu veranlassen hat. Hierbei unterstützen ihn die Vollzugsbediensteten und insbesondere die Sanitätsbediensteten. Der Arzt führt regelmäßige Sprechstunden durch, deren Häufigkeit eine ausreichende gesundheitliche Betreuung, Versorgung und Behandlung ebenso sicherstellen muss wie die ordnungsgemäße Erledigung der übrigen anfallenden Arbeiten. Die Sprechstunden sollten so festgesetzt werden, dass die Gefangenen – von Notfällen abgesehen – durch den Arztbesuch nicht gehindert sind, ihrer Arbeitspflicht pünktlich nachzukommen (vgl. LG Karlsruhe ZfStrVo 1986, 128). Dem Anstaltsarzt obliegt auch die gesundheitliche Überwachung von Gefangenenhilfsarbeitern, die in spezifischen Arbeitsbereichen (z. B. Küchen, Krankenabteilungen oder Krankenhäusern des Vollzugs) beschäftigt sind. Grundlage für die zu treffenden Maßnahmen bilden dabei rechtlich das IfSG (Rdn. 9) und tatsächlich der allgemeine Stand der medizinischen Wissenschaft. Für bestimmte Gefangenengruppen (z. B. jugendliche oder schwangere Gefangene) gelten besondere Schutzvorschriften. Darüber hinaus fallen die Zugangsuntersuchung nach § 5 Abs. 3 sowie die Entlassungsuntersuchung in den Zuständigkeitsbereich des Anstaltsarztes (siehe § 5 Rdn. 8). Letztere wird im Strafvollzugsgesetz nicht explizit gefordert, findet lediglich Eingang in die Verwaltungsvorschriften der Länder und häufig verzichten die Gefangenen gänzlich auf sie. Ein solcher Verzicht ist aktenkundig zu machen. Erfolgt eine Entlassungsuntersuchung, so ist die Dokumentation des Gesundheitszustands bei der Entlassung, die Feststellung der Transport- und/oder Gehfähigkeit sowie die Feststellung eventuell während der Inhaftierung eingetretener gesundheitlicher Schäden vorzunehmen. Da auch hinsichtlich der Krankenunterlagen allein dem Anstaltsarzt der Zugriff offensteht (vgl. Rdn. 10 ff), soll er nach zum Teil vertretener Auffassung der korrekte Adressat einer gerichtlichen Entscheidung sein, die dem Gefangenen eine Einsichtnahme in die Akten gewährt (OLG Frankfurt ZfStrVo 1989, 122). Adressat einer diesbezüglichen gerichtlichen Entscheidung kann indes nur die Justizvollzugsanstalt vertreten durch ihren Anstaltsleiter sein, wobei dieser sodann zur Umsetzung der gerichtlichen Entscheidung im Rahmen seiner Dienstaufsicht (Rdn. 8) vom Anstaltsarzt Auskunft über die für den Vollzug und für die Beurteilung des Gefangenen wesentlichen gesundheitlichen Umstände verlangen muss (vgl. VV Nr. 2 Abs. 2 zu § 156). Nach VV Nr. 2 Abs. 3 zu § 156 kann der Anstaltsleiter den Vollzug einer von Fachkräften getroffenen Maßnahme aussetzen, wenn diese die Ordnung und Sicherheit der Anstalt oder die zweckmäßige Behandlung des Gefangenen gefährdet. Falls in einem solchen Fall eine Aussprache zwischen den Beteiligten zu keiner Einigung geführt hat, muss der Anstaltsleiter zeitnah eine Entscheidung der Aufsichtsbehörde (vgl. § 151) herbeiführen (siehe zudem Rdn. 15). Der Sanitätsbedienstete unterstützt den Arzt bei der Einrichtung und Durchführung der Sprechstunde. Ihm obliegt vornehmlich die Führung der Krankenbücher, die Ausgabe von Arzneimitteln sowie die Durchführung einfacherer medizinischer Behandlungsmaßnahmen, soweit diese vom Arzt angeordnet werden, z. B. die Verabreichung von Injektionen oder die Entnahme von Urinproben. 569
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Nach § 156 untersteht der Anstaltsarzt zwar der Dienstaufsicht des Anstaltsleiters; der Anstaltsleiter ist aber in fachlicher Hinsicht nicht weisungsbefugt. Im Rahmen seiner fachlich-medizinischen Tätigkeit bleibt dem Anstaltsarzt ein Ermessensspielraum, der sich einer Kontrolle von außen weitgehend entzieht (OLG Frankfurt ZfStrVo 1985, 191; C/MD 2008 Rdn. 3). Ärztliche Anordnungen sind daher vom Personal zunächst grundsätzlich zu befolgen, auch wenn sie Mehrbelastungen oder sonstige Schwierigkeiten zur Folge haben (LG Hamburg, Beschl. vom 30.6.1978, – 98 Vollz 116/78). Ärztlichen Empfehlungen muss zumindest im Rahmen der Möglichkeiten der Justizvollzugsanstalt Rechnung getragen werden (vgl. OLG Hamm BlStV 3/1994, 1). Die Fachaufsicht über den Anstaltsarzt übt die Aufsichtsbehörde aus, die diese auf Justizvollzugsämter übertragen kann (§ 151 Rdn. 9).
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b) Überwachung, Kontrolle und Begehung der JVA nach dem IfSG. Zuständig für die Überwachung, Kontrolle und Begehung von Justizvollzugsanstalten ist nach dem IfSG i. d. R. das jeweilige Gesundheitsamt (vgl. § 54 IfSG), während innerhalb der Anstalt der Anstaltsarzt allgemein für die Hygiene zuständig ist. Der Anstaltsleiter kann diese Aufgabe aber z. B. einem Hygienebeauftragten oder auch einem nichtmedizinischen Mitarbeiter übertragen. Werden meldepflichtige, übertragbare Krankheiten festgestellt, so hat der Arzt bzw. der betreffende Mitarbeiter das zuständige Gesundheitsamt zu informieren; die Meldepflicht bezieht sich nicht ausschließlich auf den Anstaltsarzt allein, sondern jeder Vollzugsbedienstete unterliegt ihr bereits im Verdachtsfall einer solchen Erkrankung, die unverzüglich dem Anstaltsarzt anzuzeigen ist (VV Nr. 2 Satz 2 zu § 56; C/MD 2008 Rdn. 2). Der Anstaltsarzt leitet zudem die notwendige Isolierung (vgl. bspw. OLG Nürnberg FS 2009, 42) und Behandlung des Gefangenen einschließlich der nötigen Desinfektionsmaßnahmen ein und kümmert sich um die erforderlichen Umgebungsuntersuchungen sowie Untersuchungen von Kontaktpersonen. Häufig wird auch eine Verlegung des Gefangenen in ein Krankenhaus des Vollzugs oder in ein freies Krankenhaus in Frage kommen (vgl. § 65 Abs. 1), wenn diese Einrichtungen für die Behandlung besser geeignet sind. Gefangene, bei denen zum Zeitpunkt ihrer Entlassung noch Ansteckungsgefahr besteht oder deren Behandlung in diesem Moment noch nicht abgeschlossen ist, werden dem zuständigen Gesundheitsamt gemeldet (vgl. auch VV Nr. 3 zu § 56).
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c) Einsichtsrecht in die Krankenakte. Strafgefangene haben ein uneingeschränktes Recht auf Einsicht in die Aufzeichnungen in den Krankenunterlagen über Befunde und Behandlungstatsachen (OLG Celle StraFo 2010, 304; BVerfG NJW 2006, 1116 zum Maßregelvollzug; OLG Potsdam StV 2008, 308 zur Untersuchungshaft; ferner KG ZfStrVo 1986, 186; OLG Celle NStZ 1986, 284; OLG Frankfurt ZfStrVo 1989, 121; OLG Hamm NStZ 1986, 47; OLG Nürnberg ZfStrVo 1986, 61; C/MD 2008 Rdn. 4; vgl. auch Molketin 1980, 544 ff). Vorausgesetzt ist lediglich, dass der Gefangene ein berechtigtes Interesse an der Einsichtnahme darlegt, wobei daran keine zu hohen Anforderungen gestellt werden dürfen (AK-Lesting/Stöver 2012 Rdn. 27). Die Einsichtnahme erfolgt i. d. R. durch die kostenpflichtige Überlassung von Fotokopien. Das Einsichtsrecht bezieht sich nicht auf schriftlich niedergelegte persönliche Eindrücke und Wertungen des Arztes (vgl. auch BGHZ 85, 327 ff). Ebensowenig erfasst es die Inhalte der Personalakte des Gefangenen (C/MD 2008 Rdn. 4). Der Anstaltsleiter hat ohne Einwilligung des Gefangenen, d. h. ohne Entbindung des Anstaltsarztes von der Schweigepflicht, kein Recht, die Unterlagen einzusehen. Das Einsichtsrecht ist umfassend. Es stellt einen zentralen Aspekt des allgemeinen 11 Persönlichkeitsrechts bzw. Selbstbestimmungsrechts nach Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG sowie des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung dar (C/MD 2008 Rdn. 4) und erKeppler/Nestler
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langt angesichts der fehlenden Möglichkeit freier Arztwahl im Strafvollzug umso größeres Gewicht (BVerfG NJW 2006, 1116; OLG Brandenburg StV 2008, 308). Zur Einschränkung des Akteneinsichtsrechts können daher nur äußerst gewichtige Interessen zum Schutz der Persönlichkeitsrechte der in der Justizvollzugsanstalt tätigen Ärzte taugen. Der Verteidiger eines Gefangenen hat kein weitergehendes Einsichtsrecht in die Ge- 12 fangenengesundheitsakten als der Gefangene selbst (OLG München ZfStrVo 1980, 124; Müller-Dietz NStZ 1986, 286; a. A. OLG Celle NStZ 1986, 284; Volckart StV 1984, 384). Dritten steht kein Einsichtsrecht zu. Zieht der Anstaltsarzt einen freien Arzt hinzu, so übt dieser für sein Fachgebiet die 13 Funktionen des Anstaltsarztes aus, selbst wenn er außerhalb der Justizeinrichtung tätig wird. In diesen Fällen darf durch ihn eine Einsichtnahme in die Krankenakten zum Zweck der Behandlung erfolgen (vgl. aber § 58 Rdn. 7). d) Kosten. Die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkasse für den Versicherten 14 ruht während der Inhaftierung gem. § 16 Abs. 1 Nr. 4 SGB V, sein Anspruch auf Weiterversicherung bleibt jedoch bestehen. Eine Ausnahme gilt lediglich für Gefangene die in einem freien Beschäftigungsverhältnis stehen und deswegen gesetzlich krankenversichert sind, § 62 a (AK-Lesting/Stöver 2012 Rdn. 1). Die Regelungen von Art und Umfang der ärztlichen und zahnärztlichen Maßnahmen verfolgen zwar das Ziel einer Angleichung an die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung, in diese einbezogen oder auch nur faktisch gleichgestellt sind die Gefangenen allerdings nicht (Böhm 2003, Rdn. 238; K/S-Schöch § 7 Rdn. 160). Dies wirkt sich umso gravierender insofern aus, als der ärztlichen Versorgung gerade in Justizvollzugsanstalten eine gesteigerte Bedeutung zukommt. Zu verzeichnen ist oftmals eine hohe Anzahl von Krankmeldungen und zugleich ein erhöhter Bedarf an medizinischer Versorgung aufgrund der Unterbringung vieler Menschen auf engem Raum. Bezüglich der Kassenwirtschaftlichkeit medizinischer Maßnahmen ist der Anstaltsarzt zwar nicht derselben Kontrolle ausgesetzt, wie der niedergelassene Kassenarzt. Dennoch stellen Kostenvergleiche im Bereich der Gesundheitsfürsorge, z. B. der einzelnen Justizvollzugsanstalten untereinander und vermehrte Rückfragen der Landesrechnungshöfe bei bspw. kostenaufwändigeren ärztlichen Maßnahmen zunehmende Kontrollmöglichkeiten im Hinblick auf wirtschaftliches Arbeiten dar. e) Beschwerderecht. Im Rahmen des Beschwerderechts nach § 108 steht dem Ge- 15 fangenen die Beschwerdemöglichkeit über den Anstaltsarzt beim Anstaltsleiter in Form von Dienstaufsichtsbeschwerde oder Fachaufsichtsbeschwerde zu. Hiervon wird in der Praxis reger Gebrauch gemacht, da mangels der Möglichkeit freier Arztwahl und aufgrund der Zugehörigkeit des Medizinalpersonals zum Personalapparat der Anstalt der Gefangene dem Anstaltsarzt als Teil der Institution eher mit Misstrauen begegnet. Zudem bedeuten etwa vom Arzt ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen, die Befürwortung eines Arbeitsplatzwechsels oder einer Gemeinschaftsunterbringung, das Anraten von Einzelunterbringung sowie die Verordnung besonderer Kostformen über die spezifisch- ärztliche Behandlung hinausgehende Vorteile im Vollzug. Darüber hinaus kann der Anstaltsarzt bei Vorliegen bestimmter Erkrankungen auf eine Behandlung in einem freien Krankenhaus hinwirken; in Betracht kommen mag sogar eine Strafunterbrechung wegen Haftunfähigkeit bzw. Vollzugsuntauglichkeit, was der Anstaltsarzt befürworten kann. Entspricht der Anstaltsarzt einem entsprechenden Anliegen des Gefangenen nicht, sind Beschwerden bei den dem Anstaltsarzt vorgesetzten Dienststellen häufig (zur Dienstaufsichtsbeschwerde Erl. zu § 108; zur fehlenden gerichtlichen Überprüfung Erl. zu § 109). 571
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2. Mitwirkung des Gefangenen bei Vorbeugungsmaßnahmen, Abs. 2. Das Zusammenleben vieler Menschen auf engem Raum erfordert besondere Maßnahmen des Gesundheitsschutzes, die es notwendig machen, den Gefangenen zur Mitarbeit zu verpflichten, § 56 Abs. 2. Die Gefangenen haben an Maßnahmen mitzuwirken, die die Gesundheitsfürsorge und allgemeine Hygiene erfordern; einer Weigerung kann mit Disziplinarmaßnahmen begegnet werden (OLG Nürnberg ZfStrVo 2002, 179 f zu „Arzneimittelhortung und Verweigerung des Arztbesuchs“; LG Regensburg, NStZ 1991, 377 zur Weigerung, sich wiegen zu lassen; a. A. AK-Lesting/Stöver 2012 Rdn. 3; siehe auch Höffler ZfStrVo 2006, 9 ff). Die Unterstützungspflicht nach Abs. 2 begründet für den Gefangenen eine Handlungs- und Duldungspflicht (Arloth 2011 Rdn. 9 mit Verweis auf den Wortlaut „hat […] zu“; a. A. AK-Lesting/Stöver 2012 Rdn. 2; ausführlich zur Anordnung von Urinproben Rdn. 23), insbesondere im Bezug auf Vorbeugemaßnahmen i. S. d. IfSG, z. B. bei einer Küchentauglichkeitsuntersuchung sowie bei der Erwartung der Mitarbeit im Bereich Körperpflege und der Allgemeinhygiene (C/MD 2008 Rdn. 5; zur Mitwirkungspflicht des Gefangenen allgemein Erl. zu § 4). Einer Weigerung an der Mitwirkung kann zwar mit Disziplinarmaßnahmen begegnet 17 werden. Die zwangsweise Durchsetzung der Mitwirkung richtet sich jedoch ausschließlich nach den Voraussetzungen des § 101. Die Mitwirkungspflicht findet ihre Grenze im Bereich der ärztlichen Diagnostik und Therapie, die sich nicht unter Androhung von Disziplinarmaßnahmen realisieren lassen. § 101 enthält insoweit eine abschließende Regelung. Der Inhaftierte ist wie ein Patient in Freiheit über die möglichen schädlichen gesundheitlichen Folgen eines solchen Verhaltens aufzuklären. Diese Aufklärung sowie die Verweigerung des Gefangenen sind hinreichend zu dokumentieren und daher aktenkundig zu machen (AK-Lesting/Stöver 2012 Rdn. 2). Der Arzt bleibt gleichwohl zur Weiterbehandlung des Gefangenen verpflichtet und muss weiterhin versuchen, die erforderliche Behandlung zu verwirklichen bzw. die Bereitschaft des Gefangenen zur Mitwirkung daran zu wecken.
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3. Einzelfälle a) Autoagressives Verhalten und Suizide. Inhaftierte sind psychisch und psychiatrisch stärker auffällig und auch in höherem Maße krankheitsbelastet als die Normalbevölkerung (Konrad in: Keppler/Stöver [Hrsg.], 2009, 208; Witzel in: Keppler/Stöver [Hrsg.], 2009, 49, 223). Daher treten Suizide und Suizidversuche im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung in Haft überproportional häufig und wiederholt auf (vgl. Lehmann in: Keppler/ Stöver [Hrsg.], 2009, 240), was die Entwicklung adäquater Reaktionen und Präventionsstrategien erfordert. Für Suizide in der Allgemeinbevölkerung beschreibt das Statistische Bundesamt zwar generell einen Rückgang seit 1985. Insgesamt starben im Jahr 2010 in Deutschland 10.021 Menschen durch Suizid (Stat. Bundesamt Gesundheit, Todesursachen in Deutschland, 2012, 31). Die Suizidrate in der Allgemeinbevölkerung Deutschlands betrug somit im Jahr 2010 12,3 Suizide pro Jahr pro 100.000 Einwohner (Stat. Bundesamt Gesundheit, Todesursachen in Deutschland, 2012, 33). Demgegenüber liegt bspw. für die Jahre 2000–2004 die Suizidhäufigkeit in Haftanstalten bei 118 pro 100.000 (vgl. zum Ganzen auch Bennefeld-Kersten 2005). Insgesamt wird von einer Relation von einem Suizid zu zehn Suizidversuchen ausgegangen, wobei junge Männer als Risikogruppe gelten (siehe auch Lehmann/Weiss/Jesse ZfStrVo 2007, 177, die eine Suizidhäufigkeit von 127,4 pro 100.000 Gefangene für die JVA Hameln errechnen). Ein nicht geringer Anteil der Suizide ereignet sich in der Untersuchungshaft (Frühwald ZfStrVo 1996, 218). 19 Aufgrund dieser Häufigkeitsverteilung gilt bereits die Inhaftiertung an sich als Risikofaktor. Suizidalität im Strafvollzug stellt dabei weder ein neues noch ein für Deutsch-
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land typisches Problem dar (vgl. dazu die Nachweise bei Lehmann in: Keppler/Stöver [Hrsg.] 2009, 240). Das statistische Risiko für Suizidhandlungen steigern bei Gefangenen die hohe Prävalenz von psychiatrischen Störungen und Abhängigkeitserkrankungen (vgl. zum Ganzen Schmidt/Gastpar/Falkai/Gaebel 2008). Dazu kommen als risikosteigernde Faktoren allgemeine Prisonisierungserscheinungen wie z. B. akute Krisen durch Trennung von Angehörigen, Einsamkeit, das Frustrationserleben und psychische Traumatisierungen (Witte 2007, 863). Auch soziokulturelle, genetische und biologische Faktoren sowie sozialer Stress tragen zur Risikosteigerung bei. Die Vollzugsbehörde sowie insbesondere der Anstaltsarzt haben entsprechende Prä- 20 ventionsmaßnahmen zu treffen, die z. B. in der Verhinderung von Isolation in Einzelzellen bestehen können. Der Anstaltsarzt hat im Rahmen der Zugangsuntersuchung auf eine mögliche Selbstmordgefährdung zu achten, bei Veranlassung die Anstaltsleitung auf entsprechende Anzeichen hinzuweisen und ggf. sogar die Unterbringung des Inhaftierten in einer Gemeinschaftszelle anzuraten. Dabei verbleiben Verantwortlichkeit und Fürsorgepflicht trotz Gemeinschaftsunterbringung stets bei der Anstalt; eine Verlagerung auf Mitgefangene findet nicht statt. Gleichwohl ermöglicht die Gemeinschaftsunterbringung eine bessere Beobachtung des Gefährdeten. Den Vollzugseinrichtungen obliegt es damit, ein Konzept zu entwickeln, wie mit potentiellen Suizidenten präventiv und im Falle des Eintritts von Suizidalität kurativ umzugehen ist (vgl. dazu Lehmann in: Keppler/Stöver [Hrsg.] 2009, 240 ff). Die Vollzugsbediensteten sind entsprechend zu unterweisen (vgl. zu Konferenzen Erl. zu § 159). Die Betreuung der betreffenden Gefangenen durch geeignete Beamte des allgemeinen Vollzugsdienstes und durch Fachdienste, insbesondere durch Psychologen, Seelsorger oder Sozialarbeiter ist zu gewährleisten (vgl. Swientek 1982). Zudem kommen Sicherheitsmaßnahmen, wie die Entziehung von scharfen oder spitzen Gegenständen und Gürteln sowie die Unterbringung des Gefährdeten in einem besonders gesicherten Haftraum in Betracht (siehe die Erl. zu § 92). Unzureichend aber dennoch keinesfalls verzichtbar erscheint eine regelmäßig oder unregelmäßig erfolgende Beobachtung (Sigel ZfStrVo 1997, 34). Ist Suizidalität konstatiert, muss kontinuierlich überwacht werden. Zwar sind die Anstalten für die Verhinderung von Suiziden der Anstaltsinsassen 21 verantwortlich. Gleichwohl stellt eine (erfolgreiche) Suizidhandlung nicht zwangsläufig ein Indiz für eine Pflichtverletzung dar. Sofern entsprechende präventive Maßnahmen in schlüssiger und nachvollziehbarer Weise getroffen wurden, ist eine Exkulpation denkbar (dazu OLG Koblenz MedR 2000, 136 ff; vgl. zu Zwangsmaßnahmen im Fall der Verweigerung von Nahrungsaufnahmen § 101 Rdn. 2). b) Alkohol/Betäubungsmittel. Im Zusammenhang mit dem Konsum von Alkohol 22 und Betäubungsmitteln treten im Strafvollzug häufig Missbrauch sowie Abhängigkeit auf und gefährden die Gesundheit von Gefangenen und aufgrund bestehender Sicherheitsrisiken auch des Personals. Der Anstaltsarzt hat dabei diagnostische und therapeutische Aufgaben. Im Hinblick auf die Diagnosestellung kommen vor allem Urinproben in Betracht. 23 Diese können den Nachweis eines Disziplinarverstoßes zur Aufrechterhaltung der Anstaltsordnung oder die Überprüfung des Standes der resozialisierenden (Sucht-)Behandlung und Einleitung medizinischer Heilbehandlung bezwecken. Als Ermächtigungsgrundlage für die Vollzugsbehörde wird § 56 Abs. 2 herangezogen (BVerfG FS 2011, 192; KG StraFo 2006, 345; OLG Frankfurt NStZ-RR 2009, 295; OLG Hamburg ZfStrVo 1997, 108; OLG Jena 2008, 187; LG Koblenz NStZ 1989, 550; OLG Koblenz ZfStrVo 1995, 249; OLG Rostock ZfStrVo 2005, 116; OLG Thüringen NStZ-RR 2008, 59; LG Augsburg ZfStrVo 1998, 113; Arloth 2011 Rdn. 9; Laubenthal 2011, Rdn. 712; ferner OLG Hamm NStZ 2010, 398 für 573
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die Zulässigkeit von Atemalkoholkontrollen; krit. für den Bereich der Untersuchungshaft Pollähne StV 2007, 88; a. A. AK-Lesting/Stöver 2012 Rdn. 3). Einschränkend wird dabei zum Teil das Vorliegen eines „auf Tatsachen beruhenden (konkreten) Verdachts von Rauschgiftmissbrauch“ verlangt (z. B. OLG Dresden NStZ 2005, 589; OLG Frankfurt NStZRR 2009, 295; OLG Jena NStZ-RR 2008, 59). Lässt man mit der h. M. § 56 Abs. 2 als Ermächtigungsgrundlage genügen, so stellt sich daran anschließend die Frage, ob der Verweigerung des Urintests mit Disziplinarmaßnahmen begegnet werden kann. Die überwiegende Ansicht bejaht dies (Arloth 2011 Rdn. 9; C/MD 2008 Rdn. 5; Laubenthal 2011, Rdn. 712; a. A. OLG Dresden NStZ 2005, 589; ähnlich OLG Hamburg, Beschl. vom 2.3.2004, 3 Vollz [Ws] 128/03; OLG Nürnberg, Beschl. vom 17.9.2001, Ws 931/01; einschränkend KG StraFo 2011, 526, sofern der Gefangenen bei Abgabe der Urinprobe unter Zeitdruck gesetzt wird; gegen die Zulässigkeit von Disziplinarmaßnahmen im Falle einer positiven Urinprobe AK-Lesting/Stöver 2012 Rdn. 3; differenzierend Gericke StV 2003, 307). Dagegen wird eingewendet, diejenigen Fälle, in denen gegenüber medizinischen Zwangsmaßnahmen eine disziplinarbewehrte Duldungspflicht besteht, seien in § 101 abschließend geregelt. Weitergehende Duldungspflichten existierten nicht (AK-Lesting/ Stöver 2012 Rdn. 3). Richtigerweise bleiben Disziplinarmaßnahmen zwar möglich; durch ihre Verhängung dürfen jedoch die erhöhten Anforderungen des § 101 nicht umgangen werden, was im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung (vgl. § 102 Rdn. 9–11) zu berücksichtigen ist. Disziplinarmaßnahmen wegen der Verweigerung der Mitwirkung bleiben somit ausgeschlossen, sofern nicht die Voraussetzungen des § 101 Abs. 1 oder Abs. 2 vorliegen (§ 101 Rdn. 6 ff). Darüber hinaus bleibt fraglich, ob die durch eine auf unzulässige Weise entnom24 mene Urinprobe (vgl. zur Überwachung der Abgabe einer Urinprobe durch Zusehen des Aufsichtspersonals beim Urinieren Heckler 1997, 92) erlangten Erkenntnisse in einem Disziplinarverfahren z. B. wegen eines Betäubungsmittelmissbrauchs verwertet werden können (vgl. dazu ausführlich § 106 Rdn. 2 f). Die Verwertbarkeit der Ergebnisse einer solchen Probe wird zum Teil unter Verweis auf die Selbstbelastungsfreiheit angezweifelt (z. B. AK-Lesting/Stöver 2012 Rdn. 3). Demgegenüber vertritt die Rechtsprechung überwiegend die Ansicht, die Ergebnisse dürften im Disziplinarverfahren verwendet werden (KG Beschl. vom 26.1.2006 – Az.: 5 Ws 16/06; OLG Dresden NStZ 2005, 589; OLG Hamburg Beschl. vom 2.3.2004 – Az.: 3 Vollz [Ws] 128/03; OLG Hamburg Beschl. vom 19.9. 2007 – Az.: 3 Vollz (Ws) 47/07; OLG Thüringen Beschl. vom 10.5.2007 – Az.: 1 Ws 68/07). 25 Die Behandlung suchtkranker Gefangener wird länderunterschiedlich gehandhabt. Insgesamt ist der Justizvollzug zu einer Drogentherapie im engeren Sinne nicht geeignet (zu den Möglichkeiten einer Zurückstellung der Strafvollstreckung Laubenthal/ Nestler Strafvollstreckung, 2010, Rdn. 241 ff; siehe ferner AK-Lesting/Stöver 2012 vor § 56 Rdn. 38 ff; Böhm 2003, Rdn. 234; Laubenthal 2011, Rdn. 584; Walter 1999, Rdn. 282 c). Der Verlauf einer Suchterkrankung ist ein langwieriger Prozess, der von Persönlichkeit des Gefangenen, Art des Suchtmittels sowie gesellschaftlichen und sozialen Bedingungen beeinflusst wird (Keppler/Fritsch/Stöver 2009, 193 ff). Entsprechend diesem Suchtverständnis hat der Vollzug während der gesamten Inhaftierungszeit eines Abhängigen unterschiedliche Ausstiegshilfen und Hilfestellungen in lebenspraktischen Fragen bereitzuhalten. Idealerweise erhalten drogenkranke Inhaftierte dieselben Behandlungschancen wie abhängige Menschen in Freiheit. In der Praxis ist dies kaum gewährleistet. Die Effizienz der Behandlung kann gesteigert werden, indem Mitarbeiter des Allgemeinen Vollzugsdienstes zu sog. Suchtkrankenhelfern ausgebildet werden. Eine auf Dauer angelegte Substitutionsbehandlung Opiatabhängiger u. a. mit Methadon widerspricht allerdings i. d. R. den in § 2 formulierten Aufgaben des Strafvollzugs (OLG Hamburg, ZfStrVo 2002, 312; krit. dazu Kubik StV 2002, 266; zu den aktuellen medizinischen Standards in der Keppler/Nestler
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Behandlung Opiatabhängiger s. Keppler/Fritsch/Stöver 2009, 193 ff und Sönnecken MedR 2004, 246 ff; zu strafrechtlichen Risiken bei der Substitutionsbehandlung Nestler MedR 2009, 211 ff). Eine Pflicht zur Durchführung einer Substitutionsbehandlung kann allenfalls dann bestehen, wenn diese Behandlung die medizinisch einzig mögliche ist, wobei der Justizvollzugsanstalt ein Gestaltungsspielraum zusteht, der nach den Grundsätzen der Ermessensüberprüfung nur eingeschränkter gerichtlicher Nachprüfung unterliegt (OLG München, Beschl. vom 5.6.2012, 4 Ws 103/12; vgl. dazu aber LG Augsburg StraFo 2011, 528). c) HIV-Infektion. Unter den Inhaftierten finden sich auch HIV-Infizierte, wobei ein Großteil von ihnen zu den Drogenkranken zählt. Schätzungen beziffern den Anteil der infizierten Gefangenen auf ca. 1% (Laubenthal 2011, Rdn. 638). Die Krankheit wird vor allem über Körperflüssigkeiten (bspw. Blut oder Sperma) übertragen, was u. a. das gemeinsame Benutzen von Spritzen beim Konsum von Betäubungsmitteln („needle-sharing“) zu einem Risikofaktor macht (C/MD 2008 Rdn. 8). Aus diesem Grund werden in fast allen Bundesländern zumindest bei der Risikogruppe der Betäubungsmittelabhängigen, oft aber auch bei allen erstaufgenommenen Gefangenen Blutuntersuchungen auf HIV-Antikörper durchgeführt. Einem Hinweis auf das Vorliegen einer Infektion etwa durch Stempelaufdruck „Blutkontakt vermeiden“ (was in der Sache freilich auch für Nichtinfizierte Gefangene gilt) auf Gesundheitsakten und Transportpapieren muss deren Nachweis zu Grunde liegen (OLG Koblenz ZfStrVo 1989, 121 betreffend eine Hepatitis B-Infektion). Allein aufgrund der HIV-Infektion eines einzelnen Inhaftierten kann eine Zwangsuntersuchung aller Gefangenen nicht verhältnismäßig angeordnet werden (K/S-Schöch 2002 § 8 Rdn. 23). Zwar dürfen solche Tests auf freiwilliger Basis durchgeführt werden (vgl. C/MD 2008 Rdn. 10; Siegel ZfStrVo 1989, 160); sie zwangsweise anzuordnen und durchzuführen kann jedoch gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verstoßen. Jedenfalls bei Aufnahme in die JVA sind die Gefangenen aber nach § 36 Abs. 4 Satz 7, Abs. 5 IfSG verpflichtet, eine ärztliche Untersuchung auf übertragbare Krankheiten einschließlich einer Röntgenaufnahme der Lunge zu dulden. Wegen der dort genannten Krankheiten (insbesondere Hepatitis und AIDS) sind zwangsweise Tests demnach im Rahmen der Zugangsuntersuchung zulässig. Während des Vollzugs kommen zwangsweise HIV-Tests nur unter den Voraussetzungen des § 101 in Betracht (vgl. vor allem dessen Abs. 2, siehe § 101 Rdn. 14 ff). Enorme Bedeutung kommt im Zusammenhang mit HIV den Präventionsmaßnahmen zu (C/MD 2008 Rdn. 11; Dargel NStZ 1989, 207; Klingmann BewHi 1989, 92; Siegel ZfStrVo 1989, 158). Zu diesem Zweck wird in der Praxis Aufklärungs- und Informationsmaterial an die Gefangenen ausgegeben. Mit Blick auf die HIV-Risiken des homosexuellen Verkehrs oder des Drogenkonsums werden in einigen Bundesländern Kondome verfügbar gemacht und sterile Einwegspritzen ausgegeben. Beide Maßnahmen sind umstritten. Im Bezug auf die Versorgung mit Kondomen wird zum Teil deren kostenlose Ausgabe für erforderlich gehalten (Bruns StV 1987, 505; Michels KJ 1988, 424), zum Teil bereits das Angebot zum Einkauf als ausreichend erachtet (siehe AK-Lesting/Stöver 2012 vor § 56 Rdn. 36). Zum Teil wird dagegen angeführt, die Förderung von Homosexualität widerspreche dem Resozialisierungsgedanken (Dargel NStZ 1989, 207; Siegel ZfStrVo 1989, 158; ähnlich OLG Koblenz NStZ 1997, 360, das eine „Förderung homosexueller Verhaltensmuster“ befürchtet, die zu „Abhängigkeitsverhältnissen zwischen Strafgefangenen innerhalb der Vollzugsanstalt führen“ können). Die Ausgabe von Einwegspritzen (zu den verschiedenen Modellprojekten Stöver/ Nelles ZfStrVo 2003, 345) findet unter Verweis auf die Aussichtslosigkeit des Versuchs, den Konsum von Betäubungsmitteln im Strafvollzug zu verhindern, Befürwortung (Bruns 575
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StV 1987, 505; Michels KJ 1988, 424; Lesting StV 1990, 225). In einer solchen Argumentation lässt sich jedoch ein Verstoß gegen den Behandlungsauftrag erkennen (C/MD 2008 Rdn. 13; Dargel NStZ 1989, 207; Eberbach ZfStrVo 1989, 157; Hartwig ZfStrVo 1990, 98; Hasenpusch/Steinhilper, ZfStrVo 2003, 351). Erforderlich bleibt eine Abwägung des Behandlungsauftrags mit den verringerten Infektionsrisiken bei einer kontrollierten Abgabe (Kreuzer FS-Geerds 1995, 327; vgl. dazu auch Hofmann, Spritzenabgabe im Strafvollzug, 2002). In der Rspr. herrscht die Ansicht vor, eine Pflicht zur Abgabe von Einwegspritzen bestehe jedenfalls nicht (z. B. LG Berlin Beschl. vom 15.12.1994 – 13 O 468/94; LG Regensburg ZfStrVo 2001, 364). 30 An eine HIV-Infektion knüpfen sich für den Inhaftierten etliche vollzugliche Einschränkungen bspw. bei der Freizeitgestaltung, bei der Gewährung von Vollzugslockerungen oder bei Arbeit und Ausbildung. Allerdings dürften diesbezügliche Restriktionen grds. nur bei Gefangenen in Betracht kommen, die durch ihr Verhalten zu erkennen geben, dass von ihnen eine konkrete Gefahr für ihre Umgebung ausgeht (Schmuck ZfStrVo 1989, 172; ähnlich Siegel ZfStrVo 1989, 161; vgl. auch Hefendehl ZfStrVo 1996, 136 ff). 31
d) Nichtraucherschutz. Inwiefern eine gemeinsame Unterbringung von Rauchern und Nichtrauchern wegen der Gefahren des Passivrauchens aus Gründen des Gesundheitsschutzes Maßnahmen erfordert (vgl. zur Trennung der Raucher von Nichtrauchern im Gemeinschaftsfernsehraum OLG Hamm MDR 1982, 779; OLG Zweibrücken NStZ 1986, 429), ist mittlerweile Gegenstand expliziter landesrechtlicher Regelungen (siehe Rdn. 32 ff). Die bestehenden Gefahren können einen Anspruch auf Abhilfe begründen (C/MD 2008 Rdn. 2; vgl. auch OLG Nürnberg ZfStrVo 1988, 191; OLG Hamm MDR 1982, 779). III. Landesgesetze und Musterentwurf
32
1. Baden-Württemberg. In Baden-Württemberg existiert keine unmittelbare Entsprechung zu § 56 StVollzG. § 32 Abs. 1 Satz 1 JVollzGB III regelt zunächst, dass den Gefangenen die Bedeutung einer gesunden Lebensführung in geeigneter Form zu vermitteln ist. Satz 2 schreibt weiter eine Aufklärung über die schädlichen Wirkungen des Suchtmittelkonsums vor. Nach § 32 Abs. 2 JVollzGB III kann die Justizvollzugsanstalt Anordnungen zum Gesundheitsschutz und zur Hygiene treffen.
33
2. Bayern. Art. 58 Abs. 1 BayStVollzG ist bis auf marginale Änderungen z. B. bei der Verweisung auf Art. 108 BayVollzG, der § 101 StVollzG entspricht (§ 101 Rdn. 22), identisch mit § 56 Abs. 1 StVollzG. Art. 58 Abs. 2 BayStVollzG entspricht § 56 Abs. 2 StVollzG. Art. 58 BayStVollzG enthält zudem einen neuen Abs. 3, der vorschreibt, den Nichtraucherschutz zu gewährleisten, soweit es bauliche und organisatorische Maßnahmen ermöglichen (vgl. dazu Rdn. 31).
34
3. Hamburg. Im HmbStVollzG gibt es zu § 56 StVollG keine unmittelbare Entsprechung mehr (siehe aber § 57 Rdn. 12).
35
4. Hessen. Für Hessen existiert keine unmittelbare Entsprechung zu § 56 StVollzG, sondern § 23 Abs. 1 HStVollzG schreibt vor, dass den Gefangenen die Bedeutung einer gesunden Lebensführung in geeigneter Form zu vermitteln ist (Satz 1) und diese an Maßnahmen zum allgemeinen Gesundheitsschutz und zur Hygiene mitzuwirken haben (Satz 2). Satz 2 der Vorschrift entspricht inhaltlich § 56 Abs. 2 StVollzG. Nach § 23 Abs. 2 HStVollzG kann die Justizvollzugsanstalt Anordnungen zum Gesundheitsschutz und zur Keppler/Nestler
576
Gesundheitsuntersuchungen, medizinische Vorsorgeleistungen
§ 57
Hygiene treffen. Gem. § 23 Abs. 3 HStVollzG haben die Gefangenen einen Anspruch auf Aufenthalt im Freien von mindestens einer Stunde täglich, wenn die Witterung dem nicht zwingend entgegensteht (vgl. § 64 Rdn. 11). 5. Niedersachsen. § 56 NJVollzG entspricht inhaltlich § 56 StVollzG. Bei der abwei- 36 chenden Formulierung von dessen Abs. 1 („Die Vollzugsbehörde sorgt für die Gesundheit der oder des Gefangenen.“) handelt es sich lediglich um eine redaktionelle Änderung. Der Verweis auf § 101 StVollzG fehlt. § 180 NJVollzG regelt die Wahrnehmung der medizinischen Aufgaben durch Anstaltsärzte und qualifiziertes Krankenpflegepersonal (siehe auch § 158 Rdn. 11). § 56 Abs. 2 NJVollzG ist bis auf die geschlechtsspezifische Differenzierung wortgleich mit § 56 Abs. 2 StVollzG. 6. Musterentwurf. Im ME-StVollzG Musterentwurf existiert keine unmittelbare Ent- 37 sprechung zu § 56 StVollzG (vgl. aber § 57 Rdn. 15).
§ 57 Gesundheitsuntersuchungen, medizinische Vorsorgeleistungen § 57 Keppler/Nestler Gesundheitsuntersuchungen, medizinische Vorsorgeleistungen (1) Gefangene, die das fünfunddreißigste Lebensjahr vollendet haben, haben jedes zweite Jahr Anspruch auf eine ärztliche Gesundheitsuntersuchung zur Früherkennung von Krankheiten, insbesondere zur Früherkennung von Herz-Kreislauf- und Nierenerkrankungen sowie der Zuckerkrankheit. (2) Gefangene haben höchstens einmal jährlich Anspruch auf eine Untersuchung zur Früherkennung von Krebserkrankungen, Frauen frühestens vom Beginn des zwanzigsten Lebensjahres an, Männer frühestens vom Beginn des fünfundvierzigsten Lebensjahres an. (3) Voraussetzung für die Untersuchungen nach den Absätzen 1 und 2 ist, dass 1. es sich um Krankheiten handelt, die wirksam behandelt werden können, 2. das Vor- oder Frühstadium dieser Krankheiten durch diagnostische Maßnahmen erfassbar ist, 3. die Krankheitszeichen medizinisch-technisch genügend eindeutig zu erfassen sind, 4. genügend Ärzte und Einrichtungen vorhanden sind, um die aufgefundenen Verdachtsfälle eingehend zu diagnostizieren und zu behandeln. (4) Gefangene Frauen haben für ihre Kinder, die mit ihnen in der Vollzugsanstalt untergebracht sind, bis zur Vollendung des sechsten Lebensjahres Anspruch auf Untersuchungen zur Früherkennung von Krankheiten, die die körperliche oder geistige Entwicklung ihrer Kinder in nicht geringfügigem Maße gefährden. (5) Gefangene, die das vierzehnte, aber noch nicht das zwanzigste Lebensjahr vollendet haben, können sich zur Verhütung von Zahnerkrankungen einmal in jedem Kalenderhalbjahr zahnärztlich untersuchen lassen. Die Untersuchungen sollen sich auf den Befund des Zahnfleisches, die Aufklärung über Krankheitsursachen und ihre Vermeidung, das Erstellen von diagnostischen Vergleichen zur Mundhygiene, zum Zustand des Zahnfleisches und zur Anfälligkeit gegenüber Karieserkrankungen, auf die Motivation und Einweisung bei der Mundpflege sowie auf Maßnahmen zur Schmelzhärtung der Zähne erstrecken. (6) Gefangene haben Anspruch auf ärztliche Behandlung und Versorgung mit Arznei-, Verband-, Heil- und Hilfsmitteln, wenn diese notwendig sind, 577
Keppler/Nestler
§ 57
1. 2. 3.
Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
eine Schwächung der Gesundheit, die in absehbarer Zeit voraussichtlich zu einer Krankheit führen würde, zu beseitigen, einer Gefährdung der gesundheitlichen Entwicklung eines Kindes entgegenzuwirken oder Pflegebedürftigkeit zu vermeiden. VV
Die Gefangenen sind auf die Möglichkeit von Maßnahmen zur Früherkennung von Krankheiten hinzuweisen. Die Maßnahmen werden auf Antrag durchgeführt.
I. II.
Übersicht Allgemeine Hinweise ____ 1–3 Erläuterungen ____ 4–9 1. Anspruch auf Untersuchungen zur Früherkennung von Krankheiten ____ 4, 5 a) Check-Up 35, Abs. 1 ____ 4 b) Krebsvorsorge, Abs. 2 ____ 5 2. Voraussetzungen, Abs. 3 ____ 6 3. Vorsorgeleistungen bei jungen Personen ____ 7, 8 a) Mit untergebrachte Kinder, Abs. 4 ____ 7
III.
b) Junge Gefangene, Abs. 5 ____ 8 4. Heilbehandlung, Abs. 6 ____ 9 Landesgesetze und Musterentwurf ____ 10–15 1. Baden-Württemberg ____ 10 2. Bayern ____ 11 3. Hamburg ____ 12 4. Hessen ____ 13 5. Niedersachsen ____ 14 6. Musterentwurf ____ 15
I. Allgemeine Hinweise § 57 regelt die medizinischen Vorsorgeleistungen, die den Gefangenen zustehen. Die Vorschrift trägt dem Angleichungsgrundsatz Rechnung, indem sie den Inhaftierten einen Anspruch auf regelmäßige Untersuchungen zur Früherkennung von Krankheiten gewährt. § 57 korrespondiert daher mit § 25 SGB V, der die Gesundheitsuntersuchungen gesetzlich versicherter Personen betrifft (siehe Arloth 2011 Rdn. 2–4). Ebenso wie die Rahmenbedingungen des außervollzuglichen Gesundheitswesens sind jedoch auch die Bedingungen im Strafvollzug (zeitlich verzögert eintretenden) Wandlungen unterworfen. Während des Strafvollzugs ruhen die Leistungen der gesetzlichen Krankenversiche2 rung, der Rentenversicherungsträger sowie der Pflegeversicherung, § 62 a. Im Unterschied zu gesetzlich versicherten Personen in Freiheit trifft den Inhaftierten zudem grds. (siehe aber § 62 Rdn. 3 ff, § 63 Rdn. 10) keinerlei Kostenbeteiligung; insbesondere leistet er weder eine Praxisgebühr für das Aufsuchen des Anstaltsarztes noch Zuzahlungen zu Medikamenten (vgl. OLG Koblenz ZfStrVo 2006, 241 f). Gem. VV zu § 57 muss die Vollzugsbehörde im Rahmen ihrer Fürsorgepflicht (Erl. vor 3 §§ 71–75) die Gefangenen auf die Möglichkeit hinweisen, die Früherkennungsmaßnahmen in Anspruch zu nehmen. Durchgeführt werden die Maßnahmen auf Antrag des Inhaftierten (Arloth 2011 Rdn. 1); eine Pflicht zur Inanspruchnahme der medizinischen Leistungen besteht jedoch nicht. 1
II. Erläuterungen 1. Anspruch auf Untersuchungen zur Früherkennung von Krankheiten 4
a) Check-Up 35, Abs. 1. Die medizinischen Einzelmaßnahmen betreffen zunächst nach Abs. 1 den sog. Check-Up 35. Gefangenen, die das 35. Lebensjahr erreicht haben, steht im Rhythmus von zwei Jahren ein Anspruch auf eine Untersuchung zur FrüherkenKeppler/Nestler
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Gesundheitsuntersuchungen, medizinische Vorsorgeleistungen
§ 57
nung von Krankheiten zu, insbesondere von Herz- und Kreislauferkrankungen, Nierenerkrankungen und der Zuckerkrankheit. Die Leistungen schließen die erforderlichen diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen ein (AK-Lesting/Stöver 2012 Rdn. 2; Becker/Kingreen-Kingreen SGB V, 2010, § 25 Rdn. 5). b) Krebsvorsorge, Abs. 2. Abs. 2 normiert einen jährlichen Anspruch auf Krebsvor- 5 sorgeuntersuchungen. Danach können weibliche Gefangene von Beginn des 20. Lebensjahres an, männliche Gefangene von Beginn des 45. Lebensjahres an einmal jährlich die Durchführung einer Vorsorgeuntersuchung beantragen. Die vom Arzt durchzuführenden Untersuchungen schließen die nach medizinischem Standard üblichen Tests ein. Für die Erhebung der Patientenvorgeschichte, den vorgeschriebenen Untersuchungsgang, die Folgerung und Beratung sowie Aufzeichnung und Dokumentation gelten ebenfalls die üblichen medizinischen Maßstäbe. Nach ärztlichem Ermessen veranlasst der Anstaltsarzt gegebenenfalls die Hinzuziehung anderer Ärzte, wenn weitergehende Untersuchungen erforderlich erscheinen, die sein Fachwissen bzw. seine eigenen Fähigkeiten oder Behandlungsmöglichkeiten übersteigen (vgl. zu einer dafür evt. notwendigen Ausführung § 12 Rdn. 3, § 65 Rdn. 3). 2. Voraussetzungen, Abs. 3. § 57 Abs. 3 schreibt vor, dass Untersuchungen i. S. d. 6 Abs. 1 und 2 nur durchgeführt werden, wenn die Krankheit behandelbar ist (Nr. 1), sie in einem frühen Stadium mit den existierenden medizinischen Verfahren diagnostiziert werden kann (Nr. 2), diese Diagnostik nach medizinisch-technischen Faktoren hinreichend eindeutig ist (Nr. 3) und die personalen sowie sachlichen Ressourcen ausreichen, die gefundenen Fälle auch weiter zu diagnostizieren und zu behandeln (Nr. 4). Dabei führt der Vorbehalt genügender Ressourcen nach Nr. 4 zu einer faktischen Beschränkung auf solche Untersuchungen, die serien- und routinemäßig durchgeführt werden können (C/MD 2008 Rdn. 2). 3. Vorsorgeleistungen bei jungen Personen a) Mit untergebrachte Kinder, Abs. 4. Nach § 57 Abs. 4 haben Frauen für ihre Kin- 7 der, die gem. § 80 mit ihnen in der Justizvollzugsanstalt untergebracht sind, bis zu deren 6. Lebensjahr Anspruch auf Vorsorgemaßnahmen. Die Untersuchungsleistungen beziehen sich auf die Früherkennung von Krankheiten, welche die körperliche oder geistige Entwicklung ihrer Kinder nicht nur geringfügig gefährden. Vorsorgemaßnahmen für schwangere weibliche Inhaftierte regeln §§ 76–78. b) Junge Gefangene, Abs. 5. Nach § 57 Abs. 5 können sich Gefangene, die das 14., 8 aber noch nicht das 20. Lebensjahr vollendet haben, zur Verhütung von Zahnerkrankungen einmal in jedem Kalenderjahr zahnärztlich untersuchen lassen (vgl. dazu Nikolai in: Keppler/Stöver [Hrsg.], 2009, 268 ff). Dies dient der Prophylaxe und erstreckt sich auf die nach zahnmedizinischem Standard üblichen Leistungen (C/MD 2008 Rdn. 2). 4. Heilbehandlung, Abs. 6. Nach § 57 Abs. 6 können Gefangene ärztliche Behand- 9 lung sowie Versorgung mit Arznei-, Verbands-, Heil- und Hilfsmitteln in Anspruch nehmen. Dies setzt voraus, dass die Maßnahme notwendig ist, um eine Schwächung der Gesundheit zu beseitigen, die in absehbarer Zeit voraussichtlich zu einer Krankheit führen würde, um einer Gefährdung der gesundheitlichen Entwicklung eines Kindes entgegenzuwirken oder, um Pflegebedürftigkeit zu vermeiden (vgl. dazu Oberfeld in: Keppler/ Stöver [Hrsg.], 2009, 234 ff). 579
Keppler/Nestler
§ 57
Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
III. Landesgesetze und Musterentwurf 10
1. Baden-Württemberg. In Baden-Württemberg existiert keine unmittelbare Entsprechung zu § 57 StVollzG. § 33 Abs. 1 Satz 1 JVollzGB III schreibt zunächst vor, dass Gefangene einen Anspruch auf notwendige, ausreichende und zweckmäßige medizinische Versorgung unter Beachtung des Grundsatzes der Wirtschaftlichkeit haben. Gem. Abs. 1 Satz 2 der Norm umfasst der Anspruch Untersuchungen zur Früherkennung von Krankheiten und Vorsorgeleistungen. Die Notwendigkeit der Maßnahmen orientiert sich an der Versorgung der gesetzlich Versicherten, Abs. 1 Satz 3. Für Leistungen zur medizinischen Rehabilitation und ergänzende Leistungen enthält Abs. 1 Satz 4 eine Beschränkung insofern, als diese nur erbracht werden, soweit die Belange des Vollzugs dem nicht entgegenstehen. § 33 Abs. 2 JVollzGB III trifft eine mit § 57 Abs. 6 vergleichbare Regelung für die Versorgung mit Hilfsmitteln. Diese sind von dem Anspruch nach Abs. 1 der Vorschrift umfasst, wenn dies nicht mit Rücksicht auf die Kürze des Freiheitsentzugs unangemessen ist. Anders als die bundesgesetzliche Vorschrift normiert § 33 Abs. 3 JVollzGB III, dass die Gefangenen an den Kosten für medizinische Leistungen in angemessenem Umfang, jedoch höchstens gleich einem gesetzlich Versicherten beteiligt werden können.
11
2. Bayern. Art. 59 BayStVollzG korrespondiert weitgehend mit § 57 StVollzG. Allerdings enthält Art. 59 Abs. 3 BayStVollzG anders als die bundesrechtliche Vorschrift keine Einschränkung des Anspruchs dahingehend, dass genügend Ärzte und Einrichtungen vorhanden sein müssen, um die aufgefundenen Verdachtsfälle eingehend zu diagnostizieren und zu behandeln. In den Motiven des Gesetzgebers heißt es dazu, § 57 Abs. 3 Nr. 4 StVollzG werde nicht übernommen. „Diese Vorschrift entspricht zwar § 25 Abs. 3 Nr. 4 SGB V, sie ist jedoch (auch) im Strafvollzug ohne Bedeutung. Sollten die vollzugseigenen Kapazitäten nicht ausreichen, muss selbstverständlich ein praktizierender Arzt oder eine praktizierende Ärztin herangezogen oder der oder die Gefangene in ein öffentliches Krankenhaus verlegt werden.“ (LT-Drucks. 15/8101, 63). Art. 59 Abs. 4 BayStVollzG verzichtet auf eine altersmäßige Beschränkung, da eine Unterbringung der Kinder bei ihren Müttern sowohl im geschlossenen als auch im offenen Vollzug nur bis zu einem Alter von ca. drei bzw. vier Jahren möglich ist, um die Entwicklung des Kindes nicht zu stören (LT-Drucks. 15/8101, 63). Die Vorschrift regelt daher nur, dass die Anstalt organisatorisch die Durchführung der Untersuchungen ermöglichen muss (vgl. zu den Kosten § 80 Rdn. 7). Eine gesonderte Regelung für junge Gefangene findet sich in Art. 151 BayStVollzG, der in Abs. 1 Satz 1 eine entsprechende Geltung der Art. 58, 59 Abs. 2–5, 60, 62–65, 67, 68 BayStVollzG sowie der Art. 82–86 BayStVollzG anordnet. Nach Art. 151 Abs. 2 BayStVollzG können sich Gefangene, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, zur Verhütung von Zahnerkrankungen einmal in jedem Kalenderhalbjahr zahnärztlich untersuchen lassen. Dies korrespondiert mit § 57 Abs. 5 StVollzG, wobei die Altersgrenze der Vorgabe des § 22 Abs. 1 SGB V entsprechend auf 18 Jahre festgesetzt wurde (LTDrucks. 15/8101, 63). Art. 59 Abs. 5 Nrn. 1, 2 und 4 BayStVollzG sind wortgleich mit § 57 Abs. 6 Nr. 1–3 StVollzG. Eingefügt wurde im BayStVollzG eine Nr. 3, die für den Anspruch auf ärztliche Behandlung und Versorgung mit Arznei-, Verband-, Heil- und Hilfsmitteln zusätzlich fordert, dass diese notwendig sind, um Krankheiten zu verhüten oder deren Verschlimmerung zu vermeiden. Durch diese Einfügung wurde Abs. 5 der Regelung des § 23 Abs. 1 SGB V angeglichen (LT-Drucks. 15/8101, 63). Keppler/Nestler
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Gesundheitsuntersuchungen, medizinische Vorsorgeleistungen
§ 57
Wie § 57 StVollzG enthält auch die bayerische Vorschrift keine spezielle Regelung zu einer Beteiligung an den Kosten. 3. Hamburg. Zu § 57 StVollzG findet sich im HmbStVollzG keine unmittelbare Ent- 12 sprechung mehr. Der Gesetzgeber war offenbar der Auffassung, die Verweisung in § 60 Abs. 1 HmbStVollzG auf § 25 SGB V reiche aus und eine detailliertere Regelung sei nicht erforderlich (Bürgerschafts-Drucks. 19/2533, 57; Bürgerschafts-Drucks. 18/6490, 44 ff; vgl. dazu § 61 Rdn. 9). Darüber hinaus normiert § 57 Abs. 1 HmbStVollzG, dass Gefangene einen Anspruch auf Gesundheitsuntersuchungen und medizinische Vorsorgeleistungen haben. § 57 Abs. 2 HmbStVollzG entspricht inhaltlich § 57 Abs. 4. § 57 Abs. 3 HmbStVollzG korrespondiert mit § 57 Abs. 5 Satz 1 StVollzG, wobei das HmbStVollzG die Beschränkung des Anspruchs auf Gefangene zwischen 14 und 18 Jahren nicht übernommen hat. Anders als die bundesgesetzliche Vorschrift normiert § 60 Abs. 2 HmbStVollzG, dass die Gefangenen an den Kosten auch für medizinische Vorsorgeleistungen in angemessenem Umfang, jedoch höchstens gleich einem gesetzlich Versicherten beteiligt werden können. 4. Hessen. § 57 StVollzG hat im HStVollzG keine unmittelbare Entsprechung mehr. 13 Lediglich § 24 Abs. 1 Satz 2 HStVollzG schreibt vor, dass der Anspruch der Gefangenen auf medizinische Leistungen auch Vorsorgeleistungen umfasst. Die Vorschrift intendiert einen Gleichlauf zwischen dem Anspruch der Gefangenen und demjenigen gesetzlich versicherter Personen in Freiheit (LT-Drucks. 18/1396, 92). Über den Leistungsanspruch gesetzlich Versicherter hinaus umfasst der Versorgungsanspruch allerdings auch solche Untersuchungen zur Früherkennung von Krankheiten und Vorsorgeleistungen, die im Hinblick auf die Vermeidung von epidemischen Krankheiten angezeigt sind. Wie der Anspruch nach § 57 StVollzG erfährt auch der Anspruch aus § 24 HStVollzG eine Einschränkung in den Bereichen, die aus tatsächlichen Gründen der Sicherheit und Ordnung einer Justizvollzugsanstalt entgegenstehen (LT-Drucks. 18/1396, 92). Anders als die bundesgesetzliche Vorschrift normiert § 24 Abs. 3 HStVollzG, dass die Gefangenen an den Kosten auch für medizinische Vorsorgeleistungen in angemessenem Umfang, jedoch höchstens gleich einem gesetzlich Versicherten beteiligt werden können. 5. Niedersachsen. § 57 NJVollzG fasst Teile der §§ 57, 58, 59 und 61 StVollzG zusam- 14 men. Nach § 57 Abs. 1 Satz 1 NJVollzG hat der Gefangene Anspruch auf Schutzimpfungen, medizinische Vorsorgeleistungen, Gesundheitsuntersuchungen und Krankenbehandlung. Gem. Abs. 1 Satz 2 der Vorschrift steht weiblichen Gefangenen für ihre Kinder, die mit ihnen in der Anstalt untergebracht sind und das 6. Lebensjahr nicht vollendet haben, ein Anspruch auf „Kinderuntersuchungen“ zu. Dies entspricht § 57 Abs. 4 (vgl. LT-Drucks. 15/3565, 137 f). Wie § 57 StVollzG enthält auch die niedersächsische Vorschrift keine spezielle Regelung zu einer Beteiligung an den Kosten. 6. Musterentwurf. Eine unmittelbare Entsprechung findet § 57 im Musterentwurf 15 nicht. Allerdings regelt § 62 Abs. 1 Satz 1 ME-StVollzG, dass der Gefangene einen Anspruch auf notwendige, ausreichende und zweckmäßige medizinische Leistungen unter Beachtung des Grundsatzes der Wirtschaftlichkeit und unter Berücksichtigung des allgemeinen Standards der gesetzlichen Krankenversicherung hat. Dies umfasst gem. Abs. 1 Satz 2 auch Vorsorgeleistungen. 581
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§ 58
Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
Anders als die bundesgesetzliche Vorschrift normiert § 62 Abs. 2 S. 1 ME-StVollzG, dass die Gefangenen an den Kosten auch für medizinische Vorsorgeleistungen in angemessenem Umfang, jedoch höchstens gleich einem gesetzlich Versicherten beteiligt werden können. Den Besonderheiten der Vollzugssituation entsprechend, soll dabei aber bspw. die Erhebung einer quartalsweisen Praxisgebühr nicht angemessen sein (ME-Begründung, 131).
§ 58 Krankenbehandlung § 58 Keppler/Nestler Krankenbehandlung Gefangene haben Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst insbesondere 1. ärztliche Behandlung, 2. zahnärztliche Behandlung einschließlich der Versorgung mit Zahnersatz, 3. Versorgung mit Arznei-, Verband-, Heil- und Hilfsmitteln, 4. medizinische und ergänzende Leistungen zur Rehabilitation sowie Belastungserprobung und Arbeitstherapie, soweit die Belange des Vollzuges dem nicht entgegenstehen. VV 1 (1) Einen Gefangenen, der sich krank meldet, einen Unfall erleidet, einen Selbstmordversuch begeht oder sich selbst beschädigt, sowie einen Gefangenen, dessen Aussehen oder Verhalten den Verdacht nahelegt, dass er körperlich oder geistig erkrankt ist, zeigt der die Feststellung treffende Bedienstete schriftlich, notfalls mündlich voraus, dem Anstaltsarzt an. Wenn ärztliche Hilfe nicht sofort erforderlich erscheint, untersucht der Arzt den krankgemeldeten Gefangenen in der nächsten Sprechstunde. (2) Der Arzt stellt fest, ob der Gefangene als krank zu führen ist, ob er bettlägerig krank ist, in welchem Umfange er arbeitsfähig ist, ob er einer besonderen Unterbringung oder speziellen Behandlung bedarf oder ob er vollzugsuntauglich ist. 2 (1) Kann der Anstaltsarzt nicht erreicht werden, so wird in dringenden Fällen ein anderer Arzt herbeigerufen. (2) Hält es der Anstaltsarzt nach Art oder Schwere des Falles für erforderlich, zieht er einen anderen Arzt oder Facharzt hinzu. 3 Der Anstaltsleiter kann nach Anhören des Anstaltsarztes dem Gefangenen ausnahmsweise gestatten, auf eigene Kosten einen beratenden Arzt hinzuziehen. Die Erlaubnis soll nur erteilt werden, wenn der Gefangene den in Aussicht genommenen Arzt und den Anstaltsarzt untereinander von der ärztlichen Schweigepflicht entbindet. Bei der Wahl des Zeitpunktes und der Bestimmung der Häufigkeit ärztlicher Bemühungen ist auf die besonKeppler/Nestler
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Krankenbehandlung
§ 58
deren räumlichen, personellen und organisatorischen Verhältnisse in der Anstalt Rücksicht zu nehmen. 4 (1) Die ärztlichen Verordnungen sind genau zu befolgen. Es ist darauf zu achten, dass Arzneimittel nicht missbraucht werden. Für die Einhaltung der ärztlichen Einnahmevorschrift ist der Gefangene in der Regel selbst verantwortlich. Bei einem Gefangenen mit Persönlichkeitsstörungen und für die Einnahme stark wirkender Arzneimittel kann angeordnet werden, dass Arzneimittel in Gegenwart eines Bediensteten einzunehmen sind. Bei Missbrauchsgefahr ist darauf zu achten, dass der Gefangene das Arzneimittel tatsächlich einnimmt, nach Möglichkeit durch Verabreichen in aufgelöstem Zustand. (2) Gifte und andere stark wirkende Arzneimittel hat der Arzt ständig unter sicherem Verschluss aufzubewahren. Alle anderen Arzneimittel sind so sicher unterzubringen, dass sie Unbefugten nicht zugänglich sind. (3) Es dürfen nur durch die Anstalt beschaffte Arzneimittel verwendet werden, es sei denn, der Anstaltsarzt lässt Ausnahmen zu. Diese Bestimmung gilt nicht für ärztlich verordnete Arzneimittel, die von einem Gefangenen beschafft werden, der in einem freien Beschäftigungsverhältnis steht.
I.
II.
Übersicht Allgemeine Hinweise ____ 1–3 1. Leistungen im Erkrankungsfall ____ 1 2. Begriff der Behandlung ____ 2, 3 Erläuterungen ____ 4–17 1. Inhalt des Anspruchs, § 58 Abs. 1 Satz 1 ____ 4–9 2. Behandlungsmaßnahmen nach § 58 Satz 2 im Einzelnen ____ 10–17 a) Ärztliche Behandlung, Satz 2 Nr. 1 ____ 10, 11 b) Zahnärztliche Behandlung, Satz 2 Nr. 2 ____ 12 c) Versorgung mit Arznei-, Verband-, Heilund Hilfsmitteln, Satz 2 Nr. 3 ____ 13–15
III.
d) Rehabilitation, Belastungserprobung und Arbeitstherapie, Satz 2 Nr. 4 ____ 16, 17 Landesgesetze und Musterentwurf ____ 18–23 1. Baden-Württemberg ____ 18 2. Bayern ____ 19 3. Hamburg ____ 20 4. Hessen ____ 21 5. Niedersachsen ____ 22 6. Musterentwurf ____ 23
I. Allgemeine Hinweise 1. Leistungen im Erkrankungsfall. Gem. § 58 Satz 1 hat der Gefangene im Erkran- 1 kungsfall einen Anspruch auf Behandlung. Diese muss notwendig sein, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Vollzugsbehörde richtet sich bei ihren Leistungen in diesem Bereich weitgehend nach den Bestimmungen des SGB V (BT-Drucks. 11/2237, 268; C/MD 2008 Rdn. 1). Die Krankenversicherung ruht während des Strafvollzugs. Infolge von Änderungen des § 27 SGB V ist dessen Maßnahmenkatalog mittlerweile umfassender als derjenige des damit korrespondierenden § 58 StVollzG. Bspw. umfasst § 27 Abs. 1 Nr. 1 SGB V auch die Psychotherapie als ärztliche und psychotherapeutische Behandlung. Keine Entsprechung in § 58 StVollzG findet auch die Regelung zu häuslicher Krankenpflege und Haushaltshilfen in § 27 Abs. 1 Nr. 4 SGB V. Ein Pendant zu § 27 Abs. 1 Nr. 5 SGB V, der die Behandlung im Krankenhaus betrifft, enthält § 65 (§ 65 Rdn. 14 ff). § 27 Abs. 1 Nr. 6 SGB V korrespondiert inhaltlich grds. mit § 58 Nr. 4, abgesehen von der Ein583
Keppler/Nestler
§ 58
Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
schränkung für den Fall entgegenstehender vollzuglicher Belange. § 27 Abs. 1 Satz 2 SGB V hat im StVollzG keine Entsprechung. 2. Begriff der Behandlung. Die Behandlung dient grds. der Wiederherstellung oder Besserung der Gesundheit des Erkrankten. Dies betrifft in erster Linie die ärztliche Versorgung von Krankheiten (vgl. § 58 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 3). Darüber hinaus erfasst der Behandlungsbegriff des § 58 Abs. 1 jedoch Maßnahmen, die dazu dienen, Krankheiten erst zu erkennen. Die Erkennung einer Krankheit nach § 58 muss dabei von der Früherkennung i. S. d. § 57 abgegrenzt werden; letztgenannte Norm erfordert nicht das Vorliegen einer Krankheit oder eines Krankheitsverdachts. Dies entspricht der Unterscheidung, wie sie auch für die Parallelvorschriften der § 27 bzw. 25 SGB V getroffen wird (Höfler in: Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, § 27 SGB V Rdn. 49). 3 Für den von § 58 zugrunde gelegten Begriff der Krankheit existiert keine Legaldefinition. Als Krankheit i. S. d. § 27 SGB V gilt jeder regelwidrige körperliche oder geistige Zustand, der Behandlungsbedürftigkeit, Arbeitsunfähigkeit oder beides zur Folge hat (Höfler in: Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, § 27 SGB V Rdn. 9). Dazu zählen grds. auch psychiatrische Krankheitsbilder, die im Strafvollzug besondere Relevanz erlangen (krit. zur diesbezügl. Datenlage Konrad in: Keppler/Stöver [Hrsg.] 2009, 208 ff; Missoni ZfStrVo 1996, 143). Die Anstalten tragen dem durch die Einrichtung spezieller psychiatrischer Abteilungen Rechnung (dazu Foerster in: Hillenkamp/Tag [Hrsg.] 2008, 143 ff; Kallert ZfStrVo 1996, 146). Die Beurteilung des Krankheitszustands eines Gefangenen darf dabei nicht einem Beamten des allgemeinen Vollzugsdienstes überlassen werden (OLG Frankfurt NStZ 2011, 709).
2
II. Erläuterungen 1. Inhalt des Anspruchs, § 58 Abs. 1 Satz 1. Der Anspruch des Gefangenen auf Krankenbehandlung umfasst diejenigen Maßnahmen, die notwendig sind, um eine Krankheit (vgl. Rdn. 3) zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern, § 58 Abs. 1 Satz 1. Der Anspruch setzt somit das Vorliegen einer Krankheit voraus, deren Feststellung stets der Behandlung vorangehen muss. Da sich der behandlungsbedürftige Gefangene i. d. R. nicht unmittelbar an den Arzt um Hilfe wenden kann, sondern im Vollzug eines Mittlers bedarf, beinhaltet das durch § 58 Abs. 1 gewährte Recht einen Anspruch auf Weiterleitung bzw. Meldung des Anliegens durch den kontaktierten Vollzugsbediensteten an das zuständige Medizinalpersonal. Gefangene, die in ihrer geistigen oder körperlichen Gesundheit beeinträchtigt sind, müssen dem Anstaltsarzt schriftlich und in Notfällen mündlich im Voraus angezeigt werden (VV Nr. 1 Satz 1). Verlangt die Sache keine sofortige Behandlung, so erscheint der Gefangene in der regulären Sprechstunde. 5 Der Behandlungsanspruch umfasst das medizinisch gebotene und allgemein übliche Maß an Aufwendungen, wie sie dem Patienten in Freiheit zur Verfügung stehen (C/MD 2008 Rdn. 2). Die Behandlungsmaßnahmen nach § 58 Abs. 1 Satz 2 gleichen somit den gesetzlich Krankenversicherten zustehenden Leistungen. Im Fall eines Krankheitsverdachts stellt der Arzt nach VV Nr. 1 Abs. 2 zu § 58 fest, ob Arbeitsunfähigkeit besteht und ob eine besondere Unterbringung oder Pflege erforderlich ist. Ferner hat er zur Vollzugstauglichkeit des Gefangenen Stellung zu beziehen. Der Anspruch des Gefangenen auf Krankenbehandlung resultiert aus der Fürsorgepflicht der Vollzugsbehörde (vgl. auch Erl. vor § 71). Er umfasst die in § 58 Satz 2 Nrn. 1–4 aufgezählten Maßnahmen; dem Wortlaut der Norm („insbesondere“) nach handelt es sich hierbei anders als in § 27 Abs. 1 Satz 2 SBG V allerdings nicht um eine abschließende Aufzählung. Gleichwohl erscheint
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Krankenbehandlung
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eine Orientierung am Katalog des § 27 Abs. 1 Satz 2 SBG V sinnvoll, soweit nicht vollzugliche Belange erfordern, im Einzelfall über diesen Katalog hinauszugehen oder dahinter zurückzubleiben. Atypische Maßnahmen der Krankenbehandlung, die aufgrund der besonderen Situation im Vollzug notwendig werden, kommen vor allem in Gestalt einer besonderen Unterbringung zu Behandlungszwecken in Betracht. Ein kranker Gefangener verbleibt zunächst auf seinem Haftraum. In Fällen erforderlicher Absonderung (etwa bei Infektionsgefahr) oder bei Bedarf besonderer Pflege erfolgt seine Unterbringung in einer Krankenabteilung. Reichen die innervollzuglichen Behandlungsmöglichkeiten nicht aus, so muss eine geeignete externe Behandlung sichergestellt werden. Dies kann eine Ausführung des Gefangen notwendig machen, wenn sich Untersuchung und Behandlung nicht innerhalb der JVA durchführen lassen (§ 35 Rdn. 3). Ein Anspruch auf die Hinzuziehung eines externen Arztes besteht somit lediglich, soweit es innerhalb der JVA an entsprechend sachkundigem Medizinalpersonal oder der entsprechenden technischen Einrichtung fehlt. Dies gilt sowohl hinsichtlich von physischen Erkrankungen als auch bei Erkrankungen psychischer oder psychiatrischer Natur. Der Inhaftierte hat dabei jedoch keinen Anspruch auf einen (Fach-)Arzt oder Therapeuten seiner Wahl (siehe C/MD 2008 Rdn. 2). Vielmehr hat der Anstaltsarzt ein ärztliches Ermessen, ob ein und, wenn ja, welcher Facharzt zu Diagnose und Behandlung heranzuziehen ist (KG NStZ 1985, 45 f; OLG Hamm NStZ 1981, 240; OLG Nürnberg NJW 2000, 889; LG Krefeld NStZ 1986, 191). Die Vollzugsbehörde und der ihr unterstellte Anstaltsarzt müssen somit lediglich sicherstellen, dass notwendige Vorstellung und Behandlung bei einem Facharzt überhaupt stattfinden (OLG Frankfurt NJW 1978, 2381 ff), nicht jedoch, dass dies bei einem bestimmten (Fach-)Arzt geschieht. Dabei entspricht eine freie Arztwahl zwar dem Angleichungsgrundsatz; die Hinzuziehung eines externen Arztes nach der Wahl des Inhaftierten bleibt dennoch auf Fälle beschränkt, in denen dies zwingend notwendig erscheint (C/MD 2008 Rdn. 5; krit. AK-Lesting/Stöver 2012 Rdn. 10). Der Gesetzgeber hat angesichts der gravierenden Missbrauchsgefahr auf die Normierung einer freien Arztwahl bewusst verzichtet (so Arloth 2011 Rdn. 1; C/MD 2008 Rdn. 5; K/S-Schöch 2002 § 7 Rdn. 178; Löffler ZfStrVo 2006, 9 ff). VV Nr. 3 Satz 1 zu § 58 sieht vor, dass einem Gefangenen gestattet werden kann, auf eigene Kosten einen Arzt seines Vertrauens hinzuzuziehen. Dies setzt jedoch voraus, dass der Gefangene sowohl den externen Arzt als auch den Anstaltsarzt gegenüber dem jeweils anderen von der ärztlichen Schweigepflicht entbindet (VV Nr. 3 Satz 2 zu § 58), so dass ein Informationsaustausch über Diagnose und vorgesehene Behandlung stattfinden kann. Auf eine Behandlung durch den hinzugezogenen externen Arzt (ggf. seiner Wahl) hat der Gefangene jedoch kein Recht; diesem kommt vielmehr zunächst lediglich eine Beraterfunktion zu (so auch OLG Frankfurt NStZ 1985, 354; OLG Hamburg NJW 1982, 2133; OLG Hamm NStZ 1981, 240; K/S-Schöch 2002 § 7 Rdn. 178). Über den sachlichen Inhalt des Behandlungsanspruchs hinaus hat die Krankenbehandlung für den Gefangenen eine weitergehende Bedeutung: Die Unterbringung in einem externen Krankenhaus (§ 65) bspw. bedeutet i. d. R. einen vorübergehenden Zugewinn an Freiraum, geringere Sicherungsmaßnahmen und eine Abwechslung vom Haftalltag. Selbst eine Ausführung zum Zweck eines Arztbesuchs eröffnet eine Gelegenheit, die JVA zu verlassen. Ein erkrankter Gefangener hat keinen Anspruch auf Krankengeld (BSG NStZ 1987, 382; siehe auch LG Berlin RuS 2002, 210); auch die Regelung zum Erhalt einer Ausfallentschädigung für den Fall einer ärztlich festgestellten Arbeitsunfähigkeit ist nicht in Kraft getreten (s. § 45 Rdn. 1). Eine Praxisgebühr darf von Strafgefangenen nicht erhoben werden (OLG Koblenz, Beschl. vom 19.4.2006, 1 Ws 833/05). 585
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2. Behandlungsmaßnahmen nach § 58 Satz 2 im Einzelnen a) Ärztliche Behandlung, Satz 2 Nr. 1. Der Anstaltsarzt hat im Erkrankungsfall die notwendige Behandlung nach den Regeln der ärztlichen Kunst einzuleiten. Grundlage dafür bildet die Festlegung regelmäßiger Sprechstundenzeiten, Vertretungs- und Notfalldienste sowie die Möglichkeit, einen Facharzt hinzuzuziehen (vgl. VV Nr. 2 Abs. 2; siehe auch BT-Drucks. 7/818, 72; OLG Celle NStZ 1988, 383; OLG Hamm NStZ 1981, 240). Hauptziel der Krankenbehandlung ist die Heilung der Krankheit. Darunter ist die völlige Wiederherstellung der Gesundheit, aber auch eine bloße Besserung zu verstehen (Höfler in: Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, § 27 SGB V Rdn. 50). Darüber hinaus stellen die Verhütung von Verschlimmerungen sowie die Linderung von Krankheitsbeschwerden eine Behandlung i. d. S. dar. 11 Anders als § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB V enthält § 58 Satz 2 Nr. 1 keinen Hinweis auf den Einschluss von Psychotherapie als ärztlicher und psychotherapeutischer Behandlung. Da aber die Aufzählung in § 58 Satz 2 nicht abschließend ist („insbesondere“), kann eine Psychotherapie dennoch in Betracht kommen. Auch Erkrankungen im psychischen oder psychiatrischen Bereich begründen damit einen Anspruch auf ärztliche Behandlung (OLG Frankfurt, NStZ 1981, 320; C/MD 2008 Rdn. 2). Das gilt vor allem für wegen Sexualdelikten zu einer Freiheitsstrafe verurteilte Gefangene, die sich nicht im Maßregelvollzug befinden, gleichwohl aber einer Therapie bedürfen. Dies entspricht zudem der Sicherungsaufgabe des Vollzugs nach § 2 Satz 2. Das Vorliegen seelischer Störungen kann darüber hinaus zu besonderen Sicherungsmaßnahmen Anlass geben, um Selbstbeschädigungen oder eine Gefährdung anderer Personen auszuschließen (vgl. § 88 Rdn. 15 f). Des Weiteren kann eine Psychotherapie bei Transsexualität in Betracht kommen, wenn wegen des Vorliegens eines schweren Leidensdruckes der Störung ein Krankheitswert zukommt (OLG Karlsruhe NJW 2001, 3422). Im Einzelfall mag sogar eine geschlechtsumwandelnde Operation in Betracht zu ziehen sein.
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b) Zahnärztliche Behandlung, Satz 2 Nr. 2. Anders als § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB V enthält § 58 Satz 2 Nr. 2 einen ausdrücklichen Verweis darauf, dass auch Zahnersatz einschließlich Zahnkronen und Suprakonstruktionen von dem Anspruch auf zahnärztliche Behandlung umfasst ist. Inhaltlich sind beide Ansprüche jedoch identisch. Dabei sind Zweckmäßigkeit und Angemessenheit ausschlaggebend für den Umfang der getroffenen Maßnahmen. In größeren Justizvollzugsanstalten erfolgt die zahnärztliche Versorgung der Gefangenen meist in der Justizvollzugsanstalt in regelmäßigen Sprechstunden durch einen vertraglich gebundenen Zahnarzt. Hierbei handelt es sich um die Durchführung einer fachärztlichen Tätigkeit, die durch den Anstaltsarzt veranlasst wird. Für die Versorgung der Gefangenen mit Zahnersatz und Zahnkronen enthält § 62 eine zusätzliche Regelung.
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c) Versorgung mit Arznei-, Verbands-, Heil- und Hilfsmitteln, Satz 2 Nr. 3. Der Gefangene hat gem. § 56 Satz 2 Nr. 3 einen Anspruch auf Versorgung mit Arznei-, Verband-, Heil- und Hilfsmitteln, der im Umfang demjenigen gesetzlich versicherter Personen nach § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB V entspricht (vgl. § 61 Rdn. 5). Im Einzelfall kann allerdings darüber hinaus bei sog. Bagatellerkrankungen ein Anspruch auf Versorgung mit rezeptfreien Medikamenten bestehen, da der diesbezügliche Verordnungsausschluss nach § 34 Abs. 1 Satz 1 SGB V nicht ohne Weiteres auf die Situation Strafgefangener übertragbar ist (OLG Hamburg, Beschl. vom 29.5.2006 – 3 Vollz [WS] 47/06). Heil- und Hilfsmittel sind Seh- und Hörhilfen, Körperersatzstücke, orthopädische und andere Hilfen i. S. d. § 58. Sie werden beschafft, geändert oder instandgesetzt, soweit es notwendig ist, Keppler/Nestler
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wobei die von den Sozialversicherungsverbänden erarbeiteten Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Verordnung von Hilfsmitteln in der vertragsärztlichen Versorgung (Hilfsmittel-Richtlinie/HilfsM-RL) zu beachten sind. Dies bedeutet eine Übernahme der Kosten zu Lasten des Landeshaushalts analog der Kostenübernahme durch die Gesetzliche Krankenversicherung (siehe § 59 Rdn. 7). Erhält der Gefangene Arzneimittel, so ist er zunächst für die Einhaltung der ärztli- 14 chen Einnahmevorgaben selbst verantwortlich. Aufgrund der besonderen Situation im Strafvollzug, die dort häufigen Suchtformen und des erhöhten Missbrauchsrisikos muss die Anwendung von Arzneimitteln mit stärkerer Wirkung (insbesondere von Psychopharmaka) ärztlich besonders überwacht werden, vgl. VV Nr. 4 Abs. 1 Satz 2. Wegen der erhöhten Missbrauchsgefahr kann angeordnet werden kann, dass stark wirkende Arzneimittel sowohl in aufgelöstem Zustand als auch in Gegenwart eines Bediensteten einzunehmen sind, VV Nr. 4 Abs. 1 Satz 4. Dies trifft vor allem auf suchtkranke oder selbstmordgefährdete Gefangene zu. Die Einhaltung genauer Einnahmevorschriften und deren Dokumentation sind ebenso notwendig wie die Aufbewahrung aller Medikamente unter sicherem Verschluss. Horten etwa Gefangene Arzneimittel in ihren Hafträumen, so ist die Vollzugsbehörde verpflichtet, diese entweder zu vernichten oder zur Habe des Gefangenen zu nehmen, um einem Arzneimittelmissbrauch in Haft entgegenzuwirken (OLG Hamm, NStZ 1981, 158; OLG Nürnberg, ZfStrVo 2002, 179 f). Um einem möglichen Arzneimittelmissbrauch vorzubeugen, dürfen nur die von der 15 Vollzugsanstalt beschafften Arzneimittel Verwendung finden, es sei denn, die Anstalt bzw. der Anstaltsarzt lässt Ausnahmen zu (VV Nr. 4 Abs. 3 Satz 1). Solche Ausnahmen sind im Einzelfall denkbar, wenn der Gefangene etwa bei seiner Verhaftung spezielle, für seine tägliche Behandlung notwendige Arzneimittel mit sich führt, die in der betreffenden Justizvollzugsanstalt nicht vorrätig sind. Ausgenommen hiervon sind nach VV Nr. 4 Abs. 3 Satz 2 die in einem freien Beschäftigungsverhältnis stehenden Gefangenen (vgl. § 39). Diese Gefangenen sind Mitglied einer gesetzlichen Krankenversicherung und beziehen bei entsprechender ärztlicher Verordnung die notwendigen Medikamente auf demselben Weg, wie eine gesetzlich versicherte Person in Freiheit. d) Rehabilitation, Belastungserprobung und Arbeitstherapie, Satz 2 Nr. 4. In 16 Anlehnung an § 40 SGB V hat der Gefangene nach § 58 Satz 2 Nr. 4 Var. 1 einen Anspruch auf medizinische und ergänzende Leistungen zur Rehabilitation nach einer Krankheit. Dieser Anspruch besteht allerdings nur, soweit vollzugliche Belange nicht entgegenstehen. Dies betrifft insbesondere Sicherheitsrisiken, die eine Einschränkung von Rehabilitationsmaßnahmen gebieten können. Belastungserprobung und Arbeitstherapie sind Teilmaßnahmen der Rehabilitation. 17 Primär intendieren diese Maßnahmen die Rehabilitation Körpergeschädigter sowie anderweitig Behinderter (zur Unterbringung Behinderter im Vollzug vgl. Oberfeld, in: Keppler/Stöver [Hrsg.] 2009, 234 ff). Belastungserprobung im Rahmen der Krankenpflege wird aufgrund der vollzuglichen Einschränkungen in der Regel nur in engen Grenzen möglich sein. Insbesondere sind Kurmaßnahmen zur Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit nach Erkrankungen im Vollzug kaum denkbar. Der Arzt kann jedoch einen Gefangenen nach überstandener Krankheit zunächst für einen versuchsweisen Arbeitseinsatz mit begrenzter Stundenzahl und Leistung vorschlagen und den Übergang unter steigender Belastung bis zur Volltätigkeit überwachen. Diese Maßnahmen können durch Einzel- oder Gruppensportangebote als Belastungstraining unterstützt werden. Schließlich mag auch ein aus ärztlicher Sicht befürworteter Urlaub oder Ausgang eine wirkungsvolle Unterstützung einer Belastungserprobung darstellen.
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III. Landesgesetze und Musterentwurf 18
1. Baden-Württemberg. In Baden-Württemberg existiert keine unmittelbare Entsprechung zu § 58 StVollzG. § 33 Abs. 1 Satz 1 JVollzGB III schreibt vor, dass Gefangene einen Anspruch auf die notwendige medizinische Versorgung haben (siehe § 57 Rdn. 10). Gem. § 33 Abs. 1 Satz 3 JVollzGB III beurteilt sich die Notwendigkeit anhand der Versorgung der gesetzlich Versicherter, mithin grds. am Katalog des § 27 Abs. 1 Satz 2 SGB V. Mit § 58 Satz 2 Nr. 4 korrespondiert § 33 Abs. 1 Satz 4 JVollzGB III, der vorsieht, dass Gefangene Leistungen zur medizinischen Rehabilitation und ergänzende Leistungen in Anspruch nehmen können, soweit die Belange des Vollzugs dem nicht entgegenstehen.
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2. Bayern. Art. 60 BayStVollzG entspricht inhaltlich weitgehend § 58 StVollzG (vgl. LT-Drucks. 15/8101, 63). Dabei korrespondieren Nrn. 1 bis 4, 6 des Art. 60 Satz 2 BayStVollzG mit § 58 Satz 2 Nrn. 1 bis 4 StVollzG. Art. 60 Satz 2 Nr. 5 nennt den Anspruch auf Krankenhausbehandlung, den in diesem Zusammenhang § 58 Satz 2 StVollzG nicht explizit erwähnt. Dies entspricht § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB V (siehe § 65 Rdn. 14 ff).
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3. Hamburg. § 58 HmbStVollzG entspricht inhaltlich weitgehend § 58 StVollzG (vgl. Bürgerschafts-Drucks. 19/2533, 57; Bürgerschafts-Drucks. 18/6490, 45). Dabei korrespondieren Nrn. 1–4, 6 des § 58 Satz 2 HmbStVollzG mit § 58 Satz 2 Nrn. 1 bis 4 StVollzG. § 58 Satz 2 Nr. 5 HmbStVollzG nennt den Anspruch auf Krankenhausbehandlung, den in diesem Zusammenhang § 58 Satz 2 StVollzG nicht explizit erwähnt. Dies korrespondiert mit § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB V (siehe § 65 Rdn. 14 ff, 22).
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4. Hessen. § 58 StVollzG hat im HStVollzG keine unmittelbare Entsprechung mehr. Lediglich § 24 Abs. 1 Satz 1 HStVollzG schreibt vor, dass Gefangene einen Anspruch auf notwendige, ausreichende und zweckmäßige medizinische Versorgung unter Beachtung des Grundsatzes der Wirtschaftlichkeit haben. § 24 Abs. 1 Satz 3 HStVollzG verweist für das Kriterium der Notwendigkeit auf § 27 SGB V. Dies bewirkt insoweit einen Gleichlauf zwischen dem Anspruch der Gefangenen und demjenigen gesetzlich versicherter Personen in Freiheit (LT-Drucks. 18/1396, 92).
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5. Niedersachsen. § 57 Abs. 2 Satz 1 NJVollzG entspricht weitgehend § 58 StVollzG. Allerdings bestehen größere Abweichungen gegenüber dem Anspruch gesetzlich versicherter Personen, als dies nach dem Bundes-Strafvollzugsgesetz der Fall ist (vgl. LTDrucks. 15/3565, 138). Wie im Bundesgesetz wird auch von § 57 Abs. 2 Satz 1 NJVollzG der Anspruch auf Krankenhausbehandlung nicht genannt, den demgegenüber § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB V kennt. In Bezug auf die Versorgung mit Zahnersatz einschließlich Zahnkronen und Suprakonstruktionen enthält § 57 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 NJVollzG gegenüber dem Bundes-Strafvollzugsgesetz die Einschränkung, dass diese nur gewährt werden, soweit dies nicht mit Rücksicht auf die Kürze des Freiheitsentzugs unverhältnismäßig ist, insbesondere weil die Behandlung bis zum voraussichtlichen Entlassungszeitpunkt nicht abgeschlossen werden kann. Dasselbe gilt für die Versorgung mit Hilfsmitteln nach § 57 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 NJVollzG.
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6. Musterentwurf. Eine unmittelbare Entsprechung findet § 58 StVollzG im Musterentwurf nicht. Allerdings regelt § 62 Abs. 1 Satz 1 ME-StVollzG, dass die Gefangenen einen Anspruch auf notwendige, ausreichende und zweckmäßige medizinische Leistungen unter Beachtung des Grundsatzes der Wirtschaftlichkeit und unter Berücksichtigung des allgemeinen Standards der gesetzlichen Krankenversicherung haben. Dies bewirkt Keppler/Nestler
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insoweit einen Gleichlauf zwischen dem Anspruch der Gefangenen und demjenigen gesetzlich versicherter Personen in Freiheit, was dem Äquivalenzprinzip entspricht (MEBegründung, 131).
§ 59 Versorgung mit Hilfsmitteln § 59 Keppler/Nestler Versorgung mit Hilfsmitteln Gefangene haben Anspruch auf Versorgung mit Seh- und Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern oder eine Behinderung auszugleichen, sofern dies nicht mit Rücksicht auf die Kürze des Freiheitsentzugs ungerechtfertigt ist und soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen sind. Der Anspruch umfasst auch die notwendige Änderung, Instandsetzung und Ersatzbeschaffung von Hilfsmitteln sowie die Ausbildung in ihrem Gebrauch, soweit die Belange des Vollzuges dem nicht entgegenstehen. Ein erneuter Anspruch auf Versorgung mit Sehhilfen besteht nur bei einer Änderung der Sehfähigkeit um mindestens 0,5 Dioptrien. Anspruch auf Versorgung mit Kontaktlinsen besteht nur in medizinisch zwingend erforderlichen Ausnahmefällen.
I. II.
Übersicht Allgemeine Hinweise ____ 1 Erläuterungen ____ 2–10 1. Ziel des Anspruchs ____ 2 2. Voraussetzungen ____ 3–5 3. Inhalt des Anspruchs ____ 6–10 a) Hilfsmittel ____ 6 b) Kostentragung ____ 7 c) Einschränkung durch kurze Vollzugsdauer ____ 8–10
III.
Landesgesetze und Musterentwurf ____ 11–16 1. Baden-Württemberg ____ 11 2. Bayern ____ 12 3. Hamburg ____ 13 4. Hessen ____ 14 5. Niedersachsen ____ 15 6. Musterentwurf ____ 16
I. Allgemeine Hinweise § 59 konkretisiert den in § 58 Nr. 3 normierten Anspruch des Gefangenen auf Versor- 1 gung mit Seh- und Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln. In Bezug auf Art und Umfang der Versorgung findet sich in § 61 eine Verweisung auf die entsprechenden Vorschriften des SGB V. § 59 Satz 1 normiert die Verpflichtung des Gesetzgebers, den Erfolg einer Krankenbehandlung zu sichern oder eine bereits bestehende Behinderung auszugleichen. Die Vorschrift räumt dem Gefangenen einen Anspruch auf die für ihn erforderlichen Hilfsmittel ein. Den praxisrelevantesten Fall des § 59 bildet die Inanspruchnahme einer Brillenverordnung (dazu Rdn. 7). II. Erläuterungen 1. Ziel des Anspruchs. § 59 dient der Sicherung des Erfolges einer Krankenhaus- 2 und/oder Heilbehandlung bzw. soll eine Behinderung ausgleichen. Die Vorschrift gewährt einen Anspruch auf die hierzu erforderlichen Hilfsmittel, wobei die Aufzählung in § 59 nur beispielhaft erfolgt (AK-Lesting/Stöver 2012 Rdn. 2).
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2. Voraussetzungen. Die Versorgung mit Seh- und Hörhilfen oder Körperersatzstücken, setzt eine dauernde Behinderung voraus. Für Personen mit einer körperlichen Behinderung existieren im StVollzG nur wenige explizite Regelungen. In der Praxis sind die von schwerwiegenderen Behinderungen betroffenen Inhaftierten in besonderen medizinischen Einrichtungen des Vollzugs untergebracht. Das Fehlen statistischer Erkenntnisse über die Zahl der körperlich Behinderten im Strafvollzug (dazu Müller-Dietz ZfStrVo 1982, 94 ff; Oberfeld in: Keppler/Stöver [Hrsg.] 2009, 234 ff) deutet darauf hin, dass die Problematik eine eher untergeordnete Rolle spielt. Zu den Arten der körperlichen Behinderungen zählen u. a. Beeinträchtigungen der Bewegungsfähigkeit, des Aussehens, des körperlichen Leistungsvermögens, der Seh-, Hör- und Sprachfähigkeit. Geistig Behinderte befinden sich nur selten im Strafvollzug (zu den Bedingungen und Möglichkeiten der Unterbringung Behinderter im Strafvollzug sowie zur aktuellen Situation siehe Oberfeld in: Keppler/Stöver [Hrsg.] 2009, 234 ff). Orthopädische und andere Hilfsmittel stehen dem Inhaftierten ebenfalls zu, wenn 4 eine dauernde Behinderung besteht. Auf sie besteht auch ein Anspruch, wenn sie nur vorübergehend erforderlich sind, um den Erfolg einer Heilbehandlung zu sichern. Voraussetzung für den Anspruch auf Seh- und Hörhilfen, Körperersatzstücke, or5 thopädische oder andere Hilfsmittel nach § 59 ist, dass diese erforderlich, d. h. geeignet und notwendig sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern oder eine Behinderung auszugleichen. Dazu wird vom Anstaltsarzt oder einem hinzugezogenen externen Mediziner deren Notwendigkeit festgestellt. An der Erforderlichkeit kann es fehlen, wenn taugliche Alternativen vorhanden sind, z. B. krankengymnastische Übungen verordnet werden können, die das Tragen des Hilfsmittels überflüssig werden lassen. Nach Art und Umfang über das Maß des Notwendigen hinausgehende Leistungen können jedoch gestattet werden, wenn der betreffende Gefangene diese beschafft und unterhält bzw. für die Mehrkosten aufkommt. 3. Inhalt des Anspruchs 6
a) Hilfsmittel. Hilfsmittel sind alle sächlichen Mittel, die durch ersetzende, unterstützende oder entlastende Wirkung den Erfolg einer Krankenbehandlung sichern oder eine Behinderung ausgleichen (AK-Lesting/Stöver 2012 Rdn. 2). Die Aufzählung in § 59 ist nicht abschließend. Seh- und Hörhilfen gelten als Hilfsmittel i. S. d. § 59. Auf Versorgung mit Kontaktlinsen besteht allerdings nur in medizinisch zwingend erforderlichen Ausnahmefällen ein Anspruch. Zudem kommen Orientierungshilfen wie Blindenstöcke oder Mobilitätshilfen, etwa Rollstühle, Krücken, Rollatoren o. ä. in Betracht. Die hierfür maßgebenden Indikationen bestimmt der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen in Richtlinien, die i. d. R. nur die einfache Ausstattung mit den erforderlichen Hilfsmitteln zulassen. Allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens (z. B. Angorawäsche, Heizkissen, Schlafmatratzen; anders aber bspw. ein Allergikerkopfkissen) gehören demgegenüber nicht zu den Hilfsmitteln i. S. d. § 59, weshalb auf sie auch kein Anspruch besteht (AK-Lesting/Stöver 2012 Rdn. 3; C/MD 2008 Rdn. 3). Für die Abgrenzung ist maßgeblich, ob der Gegenstand dazu dient, Grundbedürfnisse des Menschen zu erfüllen (OLG Frankfurt NStZ 1986, 353). Ein allgemeiner Gebrauchsgegenstand wird grds. auch nicht dadurch zu einem Hilfsmittel i. S. d. § 59, dass er behindertengerecht ausgestaltet oder umgearbeitet wird. Die Hilfsmittel müssen im konkreten Fall geeignet und erforderlich sein, die Krankenbehandlung zu sichern, eine Behinderung auszugleichen oder ihr vorzubeugen (vgl. Rdn. 5).
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b) Kostentragung. Grds. braucht der Gefangene die Kosten für die notwendigen 7 Hilfsmittel nicht selbst zu tragen. Möglich ist lediglich eine freiwillige Übernahme in Bezug auf über das Maß des Erforderlichen hinausgehende Hilfsmittel. In Anlehnung an die Regelung des § 33 Abs. 2 Satz 2 SGB V umfasst der Anspruch auf Übernahme der Zahlung allerdings nicht die Übernahme der Kosten für Brillengestelle (OLG Frankfurt, Beschl. vom 22.2.2006, 3 Ws 545/05); für diese muss der Gefangene selbst aufkommen. c) Einschränkung durch kurze Vollzugsdauer. Die im Grundsatz kongruenten Re- 8 gelungen der § 59 StVollzG und § 33 SGB V erfahren eine Einschränkung im Wege eines fiskalischen Vorbehalts dahingehend, dass die Versorgung des Gefangenen mit Hilfsmitteln mit Rücksicht auf die Kürze des Freiheitsentzugs nicht ungerechtfertigt sein darf. Die Regelung soll verhindern, dass in Fällen einer nur sehr kurzen Vollzugsdauer die Anstalt mit den u. U. hohen Kosten vor allem orthopädischer Geräte belastet wird (BT-Drucks. 7/3998, 27; AK-Lesting/Stöver 2012 Rdn. 5). Diese Einschränkung erscheint nicht unbedenklich, da sich gerade bei kurzen Frei- 9 heitsstrafen das Vollzugsziel bzw. die Vollzugsaufgabe der Resozialisierung aufgrund der Dauer der hierzu erforderlichen Behandlungsmaßnahmen kaum verwirklichen lässt. Körperliche Behinderungen erschweren die Behandlung zusätzlich oder machen sie gänzlich unmöglich (krit. auch AK-Lesting/Stöver 2012 Rdn. 5). Gerade eine während des Vollzugs nicht korrigierte Behinderung kann der Wiedereingliederung entgegenstehen. Erfolgt bspw. eine Wiederherstellung der Gehfähigkeit nicht, so verhindert dies i. d. R. die Wiederaufnahme einer Arbeitstätigkeit oder erschwert ggf. auch eine sich an den Vollzug anschließende Heimunterbringung. Die Regelung bestätigt insoweit die Kritik an kurzen Haftstrafen, denen ohnehin das Etikett eines bloßen „Verwahrvollzugs“ anhaftet. Dies gilt es bei der Abwägung im Rahmen des Merkmals „ungerechtfertigt“ zu berücksichtigen (vgl. auch C/MD 2008 Rdn. 3). Als entgegenstehende vollzugliche Belange kommen sowohl Sicherheitserwä- 10 gungen, als auch eine lange Eingewöhnungs- oder Rehabilitationsphase etwa bei Prothesen in Betracht. III. Landesgesetze und Musterentwurf 1. Baden-Württemberg. § 33 Abs. 2 JVollzGB III enthält eine mit § 59 korrespondie- 11 rende Regelung. Demnach umfasst der Anspruch auf Krankenbehandlung und -versorgung nach § 33 Abs. 1 JVollzGB III zugleich die Versorgung mit Hilfsmitteln nach § 33 SGB V, wenn dies nicht mit Rücksicht auf die Kürze des Freiheitsentzugs unangemessen ist. Dies findet seine Entsprechung im Erforderlichkeitskriterium der bundesgesetzlichen Regelung (vgl. auch LT-Drucks. 14/5012, 221). 2. Bayern. Art. 61 Abs. 1 BayStVollzG entspricht im wesentlichen § 59 StVollzG. 12 Art. 61 Abs. 2 Satz 1 BayStVollzG enthält jedoch die Einschränkung, dass ein Anspruch auf Sehhilfen nur besteht, wenn der oder die Gefangene auf beiden Augen eine schwere Sehbeeinträchtigung im Sinn des § 33 Abs. 1 Satz 5 SGB V aufweist. Der bayerische Gesetzgeber wollte damit die vollzugliche Regelung derjenigen für gesetzlich Versicherte gem. § 33 Abs. 1 Satz 5 SGB V angleichen (LT-Drucks. 15/8101, 63). Darüber hinausgehend können Gefangene Sehhilfen gem. Art. 61 Abs. 2 Satz 2 BayStVollzG nur erhalten, wenn sie die Kosten tragen oder wenn sie bedürftig sind. Sofern aber die Sehhilfe der Behandlung von Augenverletzungen oder Augenerkrankungen dient, besteht ein Anspruch gleichwohl, Art. 61 Abs. 2 Satz 3 BayStVollzG. Für Kontaktlinsen sowie eine Erneuerung 591
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der Sehhilfe gilt nach Art. 61 Abs. 2 Satz 4 und 5 BayStVollzG dasselbe wie nach der bundesgesetzlichen Regelung. 13
3. Hamburg. § 59 HmbStVollzG korrespondiert mit § 59 StVollzG. Allerdings verzichtet § 59 Satz 1 HmbStVollzG auf die in der bundesgesetzlichen Regelung normierte Voraussetzung, dass die Gewährung des jeweiligen Hilfsmittels im Einzelfall erforderlich sein muss, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern oder eine Behinderung auszugleichen. Die Motive des Gesetzgebers liefern zu dieser Abweichung keine Erhellung (vgl. Bürgerschafts-Drucks. 19/2533, 57; 18/6490, 45). § 59 Satz 2 HmbStVollzG entspricht inhaltlich § 59 Satz 2 StVollzG; § 59 Satz 3 und 4 StVollzG finden in § 59 HmbStVollzG keine Entsprechung.
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4. Hessen. § 24 Abs. 2 HStVollzG korrespondiert mit § 59 StVollzG. Demnach umfasst der Anspruch der Gefangenen die Versorgung mit Hilfsmitteln nach § 33 SGB V, sofern dies nicht mit Rücksicht auf die Kürze des Freiheitsentzugs unangemessen ist. Dies findet seine Entsprechung im Erforderlichkeitskriterium der bundesgesetzlichen Regelung (vgl. LT-Drucks. 18/1396, 92).
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5. Niedersachsen. Im NJVollzG findet sich keine direkte Entsprechung zu § 59 StVollzG. Vielmehr fasst § 57 NJVollzG die Inhalte der §§ 57 bis 59 StVollzG teilweise zusammen (siehe § 57 Rdn. 22), wobei Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 der Norm die Versorgung mit Hilfsmitteln zulässt, soweit dies nicht mit Rücksicht auf die Kürze des Freiheitsentzugs unverhältnismäßig ist. Abs. 2 Satz 2 und 3 schreiben vor, dass solche Leistungen nur gewährt werden, soweit Belange des Vollzugs nicht entgegenstehen. Änderung, Instandsetzung und Ersatzbeschaffung sind von dem Anspruch nur dann umfasst, wenn sie ohne vorsätzliche oder grob fahrlässige Einwirkung des Gefangenen notwendig werden. Zwar enthält das NJVollzG keine selbstständige Vorschrift für die Gewährung von Hilfsmitteln. Der Landesgesetzgeber hielt jedoch in Bezug auf diese Gegenstände eine Sonderregelung für erforderlich, um die vollzugsbezogenen Einschränkungen der Kürze des Freiheitsentzugs (Abs. 2 Satz 1 Nr. 5), der vollzuglichen Belange (Abs. 2 Satz 2) sowie das Kriterium fehlenden Verschuldens gesetzestechnisch zum Ausdruck zu bringen (LTDrucks. 15/3565, 138). Die Einschränkung des § 59 Abs. 2 Satz 3 NJVollzG soll einen pfleglichen Umgang mit den auf Kosten der Vollzugsbehörde zur Verfügung gestellten Hilfsmitteln fördern (LT-Drucks. 15/3565, 138).
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6. Musterentwurf. Der Musterentwurf enthält keine § 59 StVollzG unmittelbar entsprechende Vorschrift. § 62 Abs. 1 Satz 2 ME-StVollzG sieht jedoch vor, dass der Anspruch auf notwendige, ausreichende und zweckmäßige medizinische Leistungen auch die Versorgung mit medizinischen Hilfsmitteln umfasst, soweit diese mit Rücksicht auf die Dauer des Freiheitsentzugs nicht ungerechtfertigt ist und die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen sind.
§ 60 Krankenbehandlung im Urlaub § 60 Keppler/Nestler Krankenbehandlung im Urlaub Während eines Urlaubs oder Ausgangs hat der Gefangene gegen die Vollzugsbehörde nur einen Anspruch auf Krankenbehandlung in der für ihn zuständigen Vollzugsanstalt.
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VV Dem Gefangenen kann in der nächstgelegenen Vollzugsanstalt ambulante Krankenpflege gewährt werden, wenn eine Rückkehr in die zuständige Anstalt nicht zumutbar ist.
I. II. III.
Übersicht Allgemeine Hinweise ____ 1 Erläuterungen ____ 2–4 Landesgesetze und Musterentwurf ____ 5–10 1. Baden-Württemberg ____ 5
2. 3. 4. 5. 6.
Bayern ____ 6 Hamburg ____ 7 Hessen ____ 8 Niedersachsen ____ 9 Musterentwurf ____ 10
I. Allgemeine Hinweise § 60 stellt klar, dass der Gefangene auch während eines Hafturlaubs (§ 13) oder Aus- 1 gangs (§ 11 Abs. 2 Nr. 2 2. Alt.) nur einen Anspruch auf Krankenbehandlung in der für ihn zuständigen Vollzugsanstalt hat. Da Urlaub und Ausgang die Strafvollstreckung nicht unterbrechen und somit keine Statusänderung bewirken, besteht insbesondere kein Anspruch auf freie Arztwahl oder Pflege in einem von ihm ausgewählten Krankenhaus. Der Gefangene muss im Krankheitsfall die für ihn zuständige, zumindest aber die nächstgelegene Vollzugsanstalt aufsuchen, die dann die erforderliche ärztliche Behandlung und Krankenpflege sicherzustellen hat (vgl. die VV; C/MD 2008 Rdn. 1). Die Bestimmung soll einem möglichen Missbrauch entgegenwirken und verhindern, dass Gefangene während eines Urlaubs die gesamte medizinische Behandlung auf Kosten der JVA durch einen freien Arzt durchführen lassen (AK-Lesting/Stöver 2012 Rdn. 3; C/MD 2008 Rdn. 2). II. Erläuterungen Der gesetzlichen Bestimmung liegt die Überlegung zugrunde, dass Urlaub nach § 13, 2 § 15 und § 35 sowie ein nach § 11 Abs. 2 Nr. 2 2. Alt. gewährter Ausgang die Strafvollstreckung nicht unterbrechen und daher auch die Fürsorgepflicht der JVA im Krankheitsfall fortbesteht. § 60 begrenzt somit den Anspruch des Gefangenen auf die entsprechenden Einrichtungen der Justizvollzugsanstalten (vgl. hierzu auch Dargel ZfStrVo 1983, 337). Hierbei unterscheidet das Gesetz nicht zwischen „normalen“ Krankheitsfällen und Notoder Eilfällen (vgl. auch § 13 Rdn. 37). Auf die Begrenzung des Behandlungsanspruchs durch § 60 ist der Gefangene bei Antritt von Urlaub oder Ausgang hinzuweisen. Problematisch kann sich die Versorgung bei Unfällen und Notfällen während Ur- 3 laub oder Ausgang gestalten. Der Gesetzgeber hat nicht zwischen normalen Krankheitsfällen und Not- oder Eilfällen unterschieden (BT-Drucks. 7/3998, 26). § 60 sieht daher diesbezüglich keine Ausnahmeregelung vor; gleichwohl kann aber die sofortige Behandlung des Gefangenen erforderlich sein. In einem solchen Fall hätte der Gefangene daher grds. die anfallenden Kosten der Krankenbehandlung selbst zu tragen (siehe aber Rdn. 4). Schon weil der Gefangenenstatus aber für einen Notarzt oder Sanitäter nicht ohne Weiteres erkennbar ist, müssen aber zunächst ohne Einschaltung der JVA medizinische Sofortmaßnahmen durchgeführt werden und der Gefangene ist in eine freie Krankenhauseinrichtung zu verbringen und dort zu behandeln (C/MD 2008 Rdn. 1). Bei Wiedereinsetzen seiner Transportfähigkeit erfolgt die Verlegung des Gefangenen in ein Vollzugskrankenhaus. Falls er, ohne dass es zu einer Unterbrechung der Strafvollstreckung kommt, wegen mangelnder Transportfähigkeit in einem öffentlichen Kranken593
Keppler/Nestler
§ 60
Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
haus verbleiben muss, gilt § 65 Abs. 2 (vgl. § 65 Rdn. 14 ff) zumindest für den Zeitraum nach Ablauf des regulären Hafturlaubs (VGH Kassel NJW 1992, 1583). Bei einem Notfall während Urlaub oder Ausgang und anschließender Versorgung in 4 einem freien Krankenhaus trifft die Justizvollzugsanstalt zunächst keine Kostentragungspflicht, da es sich um eine Behandlung außerhalb des Vollzugs handelt (C/MD 2008 Rdn. 1). Vielmehr müssen alle entstandenen Kosten einschließlich etwaiger Krankennottransporte etc. grds. von einem freien Versicherungsträger oder ggf. dem Sozialamt übernommen werden (vgl. C/MD 2008 Rdn. 1; siehe auch BT-Drucks. 7/3998, 26; vgl. Niedersächsisches OVG, Urteil vom 13.1.1997, 12 L 5245/95 für eine Kostentragung nach § 121 BSHG a. F.). Dagegen wird zum Teil eingewendet, dass diese Regelung dem Resozialisierungsgedanken widerspricht und nach den vom BVerfG entwickelten Maßstäben verfassungswidrig ist (AK-Lesting/Stöver 2012 Rdn. 4; Arloth 2011 Rdn. 2; vgl. auch BVerfGE 98, 169 zum Arbeitsentgelt). Wenngleich sich dieser Einwand nicht von der Hand weisen lässt, so ist die Vorschrift insoweit jedoch eindeutig und lässt in ihrem Wortlaut („nur“) keinen Spielraum für eine Übernahme der Kosten durch die JVA (vgl. aber unten Rdn. 5, 8 und 9). III. Landesgesetze und Musterentwurf 5
1. Baden-Württemberg. § 35 Abs. 1 JVollzGB III korrespondiert inhaltlich mit § 60 StVollzG (LT-Drucks. 14/5012, 221). Die baden-württembergische Vorschrift nennt jedoch anstatt des Urlaubs die Freistellung aus der Haft. Dies entspricht der vom baden-württembergischen Landesgesetzgeber in § 9 Abs. 2 Nr. 3 JVollzGB III gewählten Terminologie (vgl. Laubenthal Strafvollzug, Rdn. 546; siehe auch § 13 Rdn. 48). Die baden-württembergische Vorschrift verzichtet, anders als die Bundesvorschrift, auf das Wort „nur“ (in der JVA) was eine gesteigerte Offenheit gegenüber einer Kostenübernahme etwa in unverschuldeten Notfällen andeutet. Die Gesetzesbegründung schweigt allerdings zu dieser Abweichung.
6
2. Bayern. Art. 62 BayStVollzG entspricht abgesehen von kleinen terminologischen Abweichungen § 60 StVollzG.
7
3. Hamburg. § 65 Abs. 1 HmbStVollzG entspricht inhaltlich § 60 StVollzG (vgl. Bürgerschafts-Drucks. 19/2533, 58; Bürgerschafts-Drucks. 18/6490, 45). § 65 Abs. 1 HmbStVollzG nennt allerdings die Freistellung von der Haft anstatt des Urlaubs. Dies entspricht der vom hamburgischen Landesgesetzgeber in § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 HmbStVollzG gewählten Terminologie (vgl. Laubenthal Strafvollzug, Rdn. 546; siehe auch § 13 Rdn. 50).
8
4. Hessen. § 24 Abs. 5 HStVollzG entspricht inhaltlich § 60 StVollzG (vgl. LT-Drucks. 18/1396, 92). § 65 Abs. 1 HStVollzG nennt allerdings die Freistellung von der Haft anstatt des Urlaubs. Dies entspricht der vom Landesgesetzgeber in § 13 Abs. 3 Nr. 4 HStVollzG gewählten Terminologie (vgl. Laubenthal Strafvollzug, Rdn. 546; siehe auch § 13 Rdn. 51). Nach Auffassung des hessischen Gesetzgebers kommt dabei – trotz des insoweit eindeutigen Wortlauts – in Abweichung von der bundesrechtlichen Rechtslage im Rahmen von § 24 Abs. 5 HStVollzG eine Kostenübernahme durch die JVA „aus Billigkeitsgründen in Betracht“ (LT-Drucks. 18/1396, 92). Dies wird Konstellationen unverschuldeter Notfälle betreffen.
9
5. Niedersachsen. § 58 1. Halbs. NJVollzG entspricht inhaltlich § 60 StVollzG (vgl. LT-Drucks. 15/3565, 138). Darüber hinaus schreibt § 58 2. Halbs. NJVollzG vor, dass in Keppler/Nestler
594
Art und Umfang der Leistungen
§ 61
Notfällen der oder dem Gefangenen Krankenbehandlung auch in der nächstgelegenen niedersächsischen Anstalt gewährt wird. Dies entspricht der bislang ohnehin gängigen Praxis in derartigen Fällen, die damit für Niedersachsen eine gesetzliche Fixierung erhält. 6. Musterentwurf. § 66 Abs. 1 Satz 1 ME-StVollzG entspricht inhaltlich § 60 St- 10 VollzG.
§ 61 Art und Umfang der Leistungen § 61 Keppler/Nestler Art und Umfang der Leistungen Für die Art der Gesundheitsuntersuchungen und medizinischen Vorsorgeleistungen sowie für den Umfang dieser Leistungen und der Leistungen zur Krankenbehandlung einschließlich der Versorgung mit Hilfsmitteln gelten die entsprechenden Vorschriften des Sozialgesetzbuches und die auf Grund dieser Vorschriften getroffenen Regelungen.
I. II. III.
Übersicht Allgemeine Hinweise ____ 1 Erläuterungen ____ 2–6 Landesgesetze und Musterentwurf ____ 7–12 1. Baden-Württemberg ____ 7 2. Bayern ____ 8
3. 4. 5. 6.
Hamburg ____ 9 Hessen ____ 10 Niedersachsen ____ 11 Musterentwurf ____ 12
I. Allgemeine Hinweise Die Vorschrift des § 61 ergänzt und konkretisiert den Leistungskatalog der §§ 57–59, 1 indem sie in Bezug auf deren Art und Umfang auf die Regelungen des SGB V verweist. II. Erläuterungen § 61 stellt für Art und Umfang der Leistungen eine Äquivalenz zum SGB V her. An die 2 von der Vollzugsbehörde erbrachten Leistungen nach §§ 57 ff lehnen sich diejenigen Leistungen an, die gesetzlich Versicherten nach den entsprechenden Vorschriften des SGB V zustehen (zum Äquivalenzprinzip vgl. Meier in: Keppler/Stöver [Hrsg.] 2009, 76; Kirschke in: Hillenkamp/Tag [Hrsg.] 2005, 121 ff), soweit nicht durch das StVollzG Begrenzungen normiert sind. Dies betrifft insbesondere Anschlussheilverfahren, die eine spezielle Therapie erfordern oder Arbeitstherapien, die im Vollzug kaum durchführbar sind. Zudem mögen als allgemeine Einschränkungsgründe die Kürze des Freiheitsentzugs sowie entgegenstehende Belange des Vollzugs eine vollumfängliche Äquivalenz ausschließen. Für den Bereich des Strafvollzugs relevante Regelungen enthalten § 23 SGB V für 3 Vorsorgeleistungen, § 25 SGB V für Gesundheitsuntersuchungen sowie § 27 SGB V für Krankenbehandlungen. Zudem gilt es das Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 SGB V zu beachten. Die Leistungen müssen grds. ausreichend, zweckmäßig sowie wirksam sein und dürfen aus Gründen der Wirtschaftlichkeit das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Soweit in Einzelfällen zugunsten des Gefangenen eine Leistungspflicht eines anderen Kostenträgers besteht, hat dessen Verpflichtung den Vorrang vor derjenigen der Vollzugsbehörde (C/MD 2008 Erl. zu § 61; AK-Lesting/Stöver 2012 Rdn. 2). 595
Keppler/Nestler
§ 61
Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
Das Strafvollzugsgesetz geht dabei vom Grundsatz der freien Heilfürsorge für Gefangene aus, wonach diesen alle Leistungen bzw. Maßnahmen im Rahmen der Gesundheitsfürsorge (AK-Lesting/Stöver 2012 Rdn. 3; partiell ausgenommen der Zahnersatz, vgl. § 62) kostenlos zu gewähren sind (OLG Koblenz, Beschl. vom 19.4.2006, 1 Ws 833/05). Die Vorschriften des SGB V finden daher auf Gefangene nur insoweit Anwendung, als sie Art und Umfang der Leistung in ihrem sachlichen Inhalt festlegen. Soweit diese Bestimmungen aber eine Kostenbelastung für den Patienten vorsehen, scheidet eine Übertragung auf Strafgefangene aus. Dies gilt bspw. für die Zuzahlung zu Medikamenten nach § 61 SGB V, wobei für Strafgefangene ohnehin die Belastungsgrenze des § 62 SGB V i. d. R. überschritten sein dürfte (Arloth 2011 Erl. zu § 61). Zudem stehen einem Inhaftierten gegenüber einer in Freiheit befindlichen Person nur eingeschränkte Handlungsmöglichkeiten zur Verfügung, so dass er sich bspw. nicht um kostengünstigere Alternativen bemühen kann. Zur Versorgung der Gefangenen mit Arznei- und Verbandsmitteln erlässt der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen Richtlinien, für welche Gruppen von Arzneimitteln Festbeträge bestimmt werden können. Da diese Festbeträge kostendeckend sind, bilden sie auch bei der Versorgung von Gefangenen mit Arzneimitteln in den betreffenden Fällen die Obergrenze der Leistungspflicht des Justizvollzugs. Von der Anwendung ausgenommen bleiben muss indes § 34 Abs. 1 SGB V, wonach Arzneimittel zur Anwendung bei Bagatellerkrankungen nicht von der Leistungspflicht erfasst sind. Abweichend von den Regelungen des SGB V können Gefangene auch bei Bagatell5 erkrankungen einen Anspruch auf die Abgabe von rezeptfreien Medikamenten haben (vgl. § 58 Rdn. 13; OLG Hamburg, Beschl. vom 29.5.2006, 3 Vollz (WS) 47/06). Richtigerweise wird ein solcher Anspruch aber unter einem Wirtschaftlichkeitsvorbehalt dahingehend stehen, dass nur die für das Vollzugs- oder Therapieziel notwendigen Wirkstoffe zur Verfügung gestellt werden müssen (vgl. zum Wirtschaftlichkeitsgebot Arloth 2011 Erl. zu § 61). Auch auf Hilfsmittel hat der Gefangene einen Anspruch, selbst wenn es sich um sol6 che mit einem nur geringem Abgabepreis handelt oder nur geringfügige Kosten bei notwendigen Änderungen, Instandsetzungen und Ersatzbeschaffungen anfallen. Selbst die erforderliche Ausbildung im Gebrauch der Hilfsmittel ist dem Inhaftierten zu gewähren. Bei Sehhilfen entsteht ein erneuter Anspruch auf Versorgung nur bei einer Änderung der Sehfähigkeit um mindestens 0,5 Dioptrien, was augenärztlich festgestellt werden muss (OLG Frankfurt ZfStrVo 1986, 382). Eine Versorgung mit Kontaktlinsen erfolgt nur in medizinisch zwingend notwendigen Ausnahmefällen. Die Kosten für Brillengestelle trägt der Gefangene entsprechend der diesbezüglichen Regelung des SGB V selbst (OLG Frankfurt NStZ-RR 2006, 189 ; vgl. auch § 59 Rdn. 7),
4
III. Landesgesetze und Musterentwurf 7
1. Baden-Württemberg. Eine unmittelbare Entsprechung zu § 61 existiert im JVollzGB III nicht. Gem. § 33 Abs. 1 Satz 1 JVollzGB III haben Gefangene einen Anspruch auf notwendige, ausreichende und zweckmäßige medizinische Versorgung unter Beachtung des Grundsatzes der Wirtschaftlichkeit (vgl. § 56 Rdn. 14). Nach § 33 Abs. 2 JVollzGB III umfasst der Anspruch auch die Versorgung mit Hilfsmitteln nach § 33 SGB V, sofern dies nicht mit Rücksicht auf die Kürze des Freiheitsentzugs unangemessen ist (vgl. LT-Drucks. 14/5012, 221 f).
8
2. Bayern. Art. 63 Abs. 1 BayStVollzG entspricht § 61 StVollzG. § 63 Abs. 2 Satz 1 BayStVollzG schreibt vor, dass Gefangene an den Kosten der Krankenbehandlung in angemessenem Umfang beteiligt werden können. § 63 Abs. 2 Satz 2 BayStVollzG nimmt Keppler/Nestler
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Zuschüsse zu Zahnersatz und Zahnkronen
§ 62
hiervon nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel, für die der Inhaftierte i. d. R. die vollen Kosten trägt, aus. Dies entspricht der Regelung für gesetzlich Versicherte Personen in Freiheit und soll dem Justizvollzug hinreichenden Spielraum erhalten, um die betreffenden Arzneimittel je nach Haftsituation gleichwohl kostenfrei abzugeben (LTDrucks. 15/8101, 64). 3. Hamburg. § 60 Abs. 1 HmbStVollzG entspricht inhaltlich § 61 StVollzG (vgl. Bür- 9 gerschafts-Drucks. 19/2533, 57 f; Bürgerschafts-Drucks. 18/6490, 45). § 60 Abs. 2 HmbStVollzG enthält eine Abs. 1 ergänzende Regelung zur Kostenbeteiligung, die in angemessenem Umfang, höchstens jedoch bis zum Umfang der Beteiligung vergleichbarer gesetzlich Versicherter möglich sein soll. Für Leistungen, die nach Art oder Umfang über das in Abs. 1 genannte Maß hinausgehen, können den Gefangenen die gesamten Kosten auferlegt werden, § 60 Abs. 3 HmbStVollzG. Diese Regelung hat vor allem nicht verschreibungspflichtige Medikamente und Hilfsmittel im Blick (vgl. BürgerschaftsDrucks. 19/2533, 58; Bürgerschafts-Drucks. 18/6490, 45). 4. Hessen. Eine unmittelbare Entsprechung zu § 61 Abs. 1 StVolltG findet sich im 10 HStVollzG nicht. § 24 Abs. 3 HStVollzG enthält lediglich eine mit § 61 Abs. 2 StVollzG korrespondierende Regelung. 5. Niedersachsen. § 59 Satz 1 NJVollzG korrespondiert inhaltlich mit § 61 StVollzG. 11 Nach § 59 Satz 2 NJVollzG können von der Versorgung ausgeschlossene Arznei-, Heiloder Hilfsmittel den Gefangenen zur Verfügung gestellt werden, soweit dies medizinisch angezeigt ist. Dies steht jedoch im Ermessen der JVA (vgl. LT-Drucks. 15/3565, 140). 6. Musterentwurf. Eine unmittelbare Entsprechung zu § 61 StVolltG findet sich im 12 ME-StVollzG nicht.
§ 62 Zuschüsse zu Zahnersatz und Zahnkronen § 62 Keppler/Nestler Zuschüsse zu Zahnersatz und Zahnkronen Die Landesjustizverwaltungen bestimmen durch allgemeine Verwaltungsvorschriften die Höhe der Zuschüsse zu den Kosten der zahnärztlichen Behandlung und der zahntechnischen Leistungen bei der Versorgung mit Zahnersatz. Sie können bestimmen, dass die gesamten Kosten übernommen werden.
I. II.
III.
Übersicht Allgemeine Hinweise ____ 1, 2 Erläuterungen ____ 3–7 1. Kostenübernahme, Zuschüsse ____ 3–6 2. Auswirkung der Strafdauer ____ 7 Landesgesetze und Musterentwurf ____ 8–13 1. Baden-Württemberg ____ 8
2. 3. 4. 5. 6.
Bayern ____ 9 Hamburg ____ 10 Hessen ____ 11 Niedersachsen ____ 12 Musterentwurf ____ 13
I. Allgemeine Hinweise § 62 ergänzt und konkretisiert § 58 Nr. 2. Die Vorschrift räumt den Landesjustizver- 1 waltungen die Möglichkeit ein, durch allgemeine Verwaltungsvorschriften die Höhe der Zuschüsse zu den Kosten der zahnärztlichen Behandlung und der zahntechnischen Leis597
Keppler/Nestler
§ 62
Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
tungen bei der Versorgung mit Zahnersatz selbst zu bestimmen. § 62 StVollzG trifft eine gegenüber den Vorschriften des SGB V vorrangige Regelung, die insbesondere §§ 28, 61 SGB V vorgeht. Anders als § 59 Satz 1 enthält die Norm jedoch keine Sonderregelung für kurze Haftstrafen; die Dauer der Haft kann vielmehr bei Festsetzung der konkreten Höhe des Zuschusses berücksichtigt werden (BT-Drucks. 7/3998, 27). Die Landesjustizverwaltungen haben dabei einen weiten Spielraum und können 2 insbesondere vorsehen, dass die gesamten Kosten für zahnärztliche Behandlungen übernommen werden. Dadurch kann den geringen Einkünften der Gefangenen Rechnung getragen werden, die eine höhere Selbstbeteiligung i. d. R. ausschließen (C/MD 2008 Rdn. 1). II. Erläuterungen 1. Kostenübernahme, Zuschüsse. Grundvoraussetzung für jede Kostenübernahme ist, dass die Behandlung notwendig ist (C/MD 2008 Rdn. 1). Ist sie nicht notwendig und vom Gefangenen dennoch gewünscht, so muss er die entstandenen Kosten selbst tragen. Sind Zahnersatz oder Krone nur zweckmäßig, so wird der Gefangene an den Kosten in angemessener Höhe beteiligt. Eine Kostenübernahme bei aus Gründen der Kosmetik durchgeführten Behandlungen kann allenfalls unter den Voraussetzungen von § 63 in Betracht kommen (§ 63 Rdn. 10; siehe auch AK-Lesting/Stöver 2012 Rdn. 2). Äquivalent zu der Leistung an gesetzlich versicherte Personen in Freiheit wird dem 4 Gefangenen i. d. R. ein Zuschuss gewährt, der zwar den Hauptanteil der anfallenden Kosten ausmacht, diese jedoch nicht voll deckt. Den Restbestrag hat der Inhaftierte durch eine Zuzahlung zu begleichen. Die Festsetzung des vom Gefangenen zu tragenden Anteils liegt nach Satz 2 grds. im Ermessen der JVA (OLG Hamburg StV 2012, 163; AKLesting/Stöver 2012 Rdn. 4; Arloth 2011 Rdn. 3; siehe auch Ebsen StV 2012, 165 ff); gerichtlich in vollem Umfang überprüfbar ist jedoch die Frage, ob der Inhaftierte bedürftig ist (LG Freiburg ZfStrVo 1994, 374 f), da es sich bei dem Terminus der Bedürftigkeit um einen unbestimmten Rechtsbegriff handelt. Bedürftigkeit ist allgemein bei Mittellosigkeit des Gefangenen gegeben (vgl. hierzu OLG Hamm NStZ 1990, 559; OLG Schleswig, Beschl. vom 30.8.1990 – 2 Vollz Ws 263/90). Die Bedürftigkeit richtet sich nicht nach der konkreten finanziellen Situation des Gefangenen in nur einem einzigen Monat, sondern die Bewertung hat einen längeren Zeitraum während der Haft zu umfassen (OLG Hamm ZfStrVo 1991, 186). Liegt ein Härtefall vor, so kommt eine vollständige Kostenübernahme durch die JVA in Betracht, § 62 Satz 2. Hat der Gefangene schuldhaft die Beschädigung oder den Verlust einer Zahnpro5 these verursacht oder ist er sonstwie in vorwerfbarer Weise für die Notwendigkeit der Behandlung verantwortlich, darf die JVA nach Maßgabe der entsprechenden Verwaltungsvorschriften die Übernahme der Kosten verweigern, soweit dies nicht die soziale Wiedereingliederung des Gefangenen gefährtet (C/MD 2008 Rdn. 2; krit. zum Fehlen einer diesbezüglichen expliziten Regelung Arloth 2011 Rdn. 3). Dem Inhaftierten steht gegen die JVA ein Anspruch auf Leistung zu, § 58 Nr. 2 (vgl. 6 § 58 Rdn. 4 ff). Dieser beschränkt sich allerdings auf eine Behandlung durch die Anstalt bzw. einen von ihr ausgewählten Arzt; ein Anspruch auf freie Arztwahl ist somit auch im Bereich zahnmedizinischer Behandlung nicht gegeben (§ 56 Rdn. 1). 3
7
2. Auswirkung der Strafdauer. Der Umfang der Kostenübernahme ist u. a. abhängig von der Strafdauer (AK-Lesting/Stöver 2012 Rdn. 3). Dies ist zwar nicht explizit gesetzlich geregelt; der Gesetzgeber war offenbar der Auffassung, dass die Möglichkeit der Selbstbeteiligung des Gefangenen genügend Schutz vor etwaigen Missbräuchen bietet Keppler/Nestler
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Zuschüsse zu Zahnersatz und Zahnkronen
§ 62
(C/MD 2008 Rdn. 1; BT-Drucks.7/3998, 27). I. d. R. sollten zahnprothetische Behandlungen allerdings nur begonnen werden, wenn sie voraussichtlich vor der Entlassung des Gefangenen auch abgeschlossen werden können (Nikolai in: Keppler/Stöver [Hrsg.], 2009, 268 ff). Bei Kurzstrafen wird in der Praxis daher häufig nur eine konservierende Zahnbehandlung durchgeführt, sofern dies unter medizinischen Gesichtspunkten vertretbar ist, mit ihr also das Versorgungsziel – eine ausreichende Wiederherstellung der Funktionstüchtigkeit des Kauorgans, die geeignet ist, eine dauernde Beeinträchtigung zu verhindern – erreicht werden kann. Kurztstrafigen eine Zahnregulierung zu verweigern, kann aber im Ergebnis zu einer Verlagerung der Kosten auf andere öffentliche Träger führen, die nach Ende der Haft eine Leistungspflicht trifft. Zudem bleiben Fernwirkungen zu berücksichtigen, etwa wenn bei Zuwarten weitere negative gesundheitliche Auswirkungen eintreten. III. Landesgesetze und Musterentwurf 1. Baden-Württemberg. Eine unmittelbare Entsprechung zu § 62 findet sich im 8 JVollzGB III nicht. § 33 Abs. 3 JVollzGB III enthält lediglich eine Regelung zur Beteiligung der Inhaftierten an den Kosten für medizinische Behandlungsmaßnahmen (vgl. auch § 57 Rdn. 10). 2. Bayern. Eine unmittelbare Entsprechung zu § 62 findet sich im BayStVollzG nicht. 9 Art. 63 Abs. 3 BayStVollzG enthält lediglich eine Regelung zur Beteiligung der Inhaftierten an den Kosten für medizinische Behandlungsmaßnahmen (siehe aber § 57 Rdn. 11; zur Verfassungsmäßigkeit von Art. 63 BayStVollzG BayVerfGH FS 2009, 267 ff). 3. Hamburg. Eine direkte Entsprechung zu § 62 enthält das HmbStVollzG nicht. § 60 10 Abs. 2, Abs. 3 HmbStVollzG enthält lediglich eine Regelung zur Beteiligung der Inhaftierten an den Kosten für medizinische Behandlungsmaßnahmen (§ 57 Rdn. 12). 4. Hessen. Das HStVollzG normiert keine unmittelbare Entsprechung zu § 62. § 24 11 Abs. 3 HStVollzG enthält lediglich eine Regelung zur Beteiligung der Inhaftierten an den Kosten für medizinische Behandlungsmaßnahmen (vgl. § 57 Rdn. 13). 5. Niedersachsen. Eine unmittelbare Entsprechung zu § 62 findet sich im NJVollzG 12 nicht. § 52 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 NJVollzG regelt lediglich die Beteiligung der Inhaftierten an den Kosten einer medizinischen Behandlung. Demnach können Gefangene durch Erhebung von Kostenbeiträgen in angemessener Höhe an Medizinalmaßnahmen beteiligt werden, sofern die besonderen Verhältnisse des Strafvollzuges einer Übertragung nicht entgegenstehen (siehe auch § 57 Rdn. 14). 6. Musterentwurf. Eine unmittelbare Entsprechung zu § 62 findet sich im ME- 13 StVollzG nicht. § 62 Abs. 2 ME-StVollzG enthält lediglich eine Regelung zur Beteiligung der Inhaftierten an den Kosten für medizinische Behandlungsmaßnahmen (vgl. § 57 Rdn. 15).
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Keppler/Nestler
§ 62a
Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
§ 62 a Ruhen der Ansprüche § 62a Keppler/Nestler Ruhen der Ansprüche Der Anspruch auf Leistungen nach den §§ 57 bis 59 ruht, solange der Gefangene auf Grund eines freien Beschäftigungsverhältnisses (§ 39 Abs. 1) krankenversichert ist.
I. II.
Übersicht Allgemeine Hinweise und Erläuterungen ____ 1–3 Landesgesetze und Musterentwurf ____ 4–9 1. Baden-Württemberg ____ 4 2. Bayern ____ 5
3. 4. 5. 6.
Hamburg ____ 6 Hessen ____ 7 Niedersachsen ____ 8 Musterentwurf ____ 9
I. Allgemeine Hinweise und Erläuterungen 1
Die Vorschrift stellt klar, dass Gefangene, die im Rahmen eines freien Beschäftigungsverhältnisses (vgl. dazu § 39 Rdn. 2) gesetzlich krankenversichert sind, während dieser Zeit keinen Anspruch auf Leistungen nach §§ 57 bis 59 durch die JVA haben. Dem entspricht § 16 Abs. 1 Nr. 4 SGB V, der ein Ruhen des Anspruchs auf Leistungen gegen die gesetzliche Krankenversicherung normiert, solange der Versicherte als Gefangener Anspruch auf Gesundheitsfürsorge nach dem StVollzG hat oder dort sonstige Gesundheitsfürsorge erhält (siehe AK-Lesting/Stöver 2012 Rdn. 3). § 62 a bereinigt die frühere Rechtslage, wonach der im freien Beschäftigungsverhältnis tätige Freigänger zwar die Beiträge zur Krankenversicherung zu zahlen hatte, deren Leistungen aber nicht beanspruchen konnte (siehe BSG NStZ 1987, 381; vgl. auch Tolzmann ZfStrVo 1985, 351). Da ein Gefangener, der im Rahmen eines freien Beschäftigungsverhältnisses nach 2 § 39 einer Tätigkeit nachgeht, Gehalt bzw. Lohn in der vertraglich vereinbarten Höhe und nicht lediglich eine Vergütung nach § 43 erhält, hat er auch die entsprechenden Sozialund Krankenversicherungsbeiträge zu zahlen. Dementsprechend erfolgt die ärztliche Behandlung nunmehr durch freie, bei der zuständigen Krankenkasse zugelassene Ärzte. Die Kosten übernimmt diejenige Krankenkasse, in der der Gefangene Mitglied ist. Eine Behandlung durch den Anstaltsarzt erfolgt nur in akuten Notfällen bzw. bei Le3 bensgefahr. Im Übrigen wird aber der Anstaltsarzt diese Gefangenen, wenn sie sich an ihn wenden, abweisen und ihnen empfehlen, im Wege des Ausgangs einen Arzt außerhalb der Anstalt aufzusuchen. II. Landesgesetze und Musterentwurf 4
1. Baden-Württemberg. § 35 Abs. 2 JVollzGB III ist abgesehen von der geänderten Verweisung auf § 33 JVollzGB III inhaltlich identisch mit § 62 a StVollzG.
5
2. Bayern. Art. 64 BayStVollzG ist abgesehen von der geänderten Verweisung auf Art. 59 bis 61 BayStVollzG identisch mit § 62 a StVollzG.
6
3. Hamburg. § 65 Abs. 2 HmbStVollzG ist abgesehen von der geänderten Verweisung auf §§ 57 bis 59 HmbStVollzG inhaltlich identisch mit § 62 a StVollzG.
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4. Hessen. § 24 Abs. 6 entspricht inhaltlich § 62 a StVollzG.
Keppler/Nestler
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Ärztliche Behandlung zur sozialen Eingliederung
§ 63
5. Niedersachsen. § 60 NJVollzG ist abgesehen von der geänderten Verweisung auf 8 § 57 NJVollzG inhaltlich identisch mit § 62 a StVollzG. 6. Musterentwurf. § 66 Abs. 2 ME-StVollzG ist inhaltlich identisch mit § 62 a 9 StVollzG.
§ 63 Ärztliche Behandlung zur sozialen Eingliederung § 63 Keppler/Nestler Ärztliche Behandlung zur sozialen Eingliederung Mit Zustimmung des Gefangenen soll die Vollzugsbehörde ärztliche Behandlung, namentlich Operationen oder prothetische Maßnahmen durchführen lassen, die seine soziale Eingliederung fördern. Er ist an den Kosten zu beteiligen, wenn dies nach seinen wirtschaftlichen Verhältnissen gerechtfertigt ist und der Zweck der Behandlung dadurch nicht in Frage gestellt wird.
I. II.
Übersicht Allgemeine Hinweise ____ 1, 2 Erläuterungen ____ 3–10 1. Wiedereingliederungsmaßnahmen im Einzelnen ____ 3 2. Begleitende Maßnahmen ____ 4–9 3. Kostenbeteiligung ____ 10
III.
Landesgesetze und Musterentwurf ____ 11–16 1. Baden-Württemberg ____ 11 2. Bayern ____ 12 3. Hamburg ____ 13 4. Hessen ____ 14 5. Niedersachsen ____ 15 6. Musterentwurf ____ 16
I. Allgemeine Hinweise Die Vorschrift weitet die ärztliche Tätigkeit über die Behandlung zum Zweck der Be- 1 hebung von Krankheitszuständen und der Wiederherstellung der Gesundheit während des Vollzugs hinaus auf Maßnahmen aus, die der sozialen Eingliederung des Gefangenen dienen. Die ärztliche Behandlung zur sozialen Eingliederung bleibt dabei allerdings auf Operationen und prothetische Maßnahmen beschränkt und erfasst somit insbesondere nicht Psychotherapie, Suchtkrankenhilfe, soziales Training, Sozialtherapie und Logotherapie bei Sprachstörungen (OLG Nürnberg NStZ-RR 2010, 262; AK-Lesting/Stöver 2012 Rdn. 2; Arloth 2011 Rdn. 1). Die Regelung soll kriminogenen Faktoren entgegenwirken, die durch Behinderungen entstehen können und seelische Belastungen verhindern, die einer Wiedereingliederung abträglich sind (BT-Drucks. 7/918, 73; C/MD 2008 Rdn. 1). Die gesetzliche Bestimmung stellt eine Sollvorschrift dar und normiert Maßnah- 2 men, die in der Regel von der Vollzugsbehörde durchgeführt werden, wenn die soziale Indikation vorliegt und der Gefangene seine Zustimmung zu der beabsichtigten Maßnahme gibt. Die Vollzugsbehörde trifft dabei die Pflicht, den Gefangenen für die Durchführung einer ärztlichen Maßnahme nach § 63 zu motivieren, falls diese seiner sozialen Wiedereingliederung förderlich ist. Ein Rechtsanspruch auf die Durchführung der Maßnahmen besteht für den Gefangenen allerdings nicht; ihm bleibt insoweit lediglich der Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung (C/MD 2008 Rdn.1; weitergehend Schultheiß Ärztliche Behandlung zur sozialen Eingliederung, 2006, 31).
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§ 63
Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
II. Erläuterungen 3
1. Wiedereingliederungsmaßnahmen im Einzelnen. Wiedereingliederung kann im Wege von Operationen oder prothetischen Maßnahmen erfolgen. Als Operationen kommen dabei z. B. solche zur Beseitigung von entstellenden Missbildungen, die Entfernung von Tätowierungen an sichtbaren Körperstellen oder Korrekturen extremen Schielens in Betracht. Die Versorgung mit Prothesen erfolgt bei körperlichen Defekten.
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2. Begleitende Maßnahmen. Aufgrund der häufigen Konnexität von körperlichen oder funktionellen Auffälligkeiten mit einer neurotischen Entwicklung des Betroffenen sowie mit Kontaktstörungen, kann eine die physische Behandlungsmaßnahme begleitende, psychotherapeutische Behandlung erforderlich sein (AK-Lesting/Stöver 2012 Rdn. 1). Diese Begleitmaßnahmen finden im Gesetzestext keine explizite Erwähnung. Da sich aber die ärztliche Mithilfe bei der Wiedereingliederung auch in jenen Lebensbereichen auswirkt, müssen sie als vom Anwendungsbereich der Norm umfasst angesehen werden. Als begleitende Maßnahmen kommen insbesondere die Einleitung einer Psychotherapie oder einer Sexualtherapie, Suchttherapie, Logotherapie sowie allgemein ein soziales Training in Betracht. Die Einleitung von Psychotherapie erscheint bei gewohnheitsmäßig ausgebildeten Fehlverhaltensweisen sinnvoll, bspw. bei neurotischen Versagenszuständen, ausgeprägten Kontaktstörungen und Selbstwertstörungen. In der Praxis fokussiert psychotherapeutisches Behandeln überwiegend Täter mit dissozialer Persönlichkeitsstruktur im Deliktsbereich von Körperverletzungen, Raubdelikten, Sexual- und Tötungsdelikten (Möller ZfStrVo 1994, 285 ff). Eine solche Psychotherapie dient der Verbesserung der Legalprognose (Beier/Hinrichs MschrKrim 1996, 25 ff; zur Therapiebereitschaft der Inhaftierten Dahle BewHi 1993, 401 ff). Die Durchführung einer Sexualtherapie stellt insbesondere bei Triebtätern, z. B. mittels einer triebdämpfenden Medikation oder der Empfehlung zur Durchführung operativer Maßnahmen (Konrad in: Keppler/Stöver [Hrsg.], 2009, 208 ff) eine der Wiedereingliederung eines Gefangenen dienende ärztliche Maßnahme dar. Zum Zweck der Wiedereigliederung kann auch eine Suchttherapie oder Entgiftungsbehandlung in Betracht kommen. Mit dieser Zwecksetzung zielt eine solche Therapie darauf ab, den Inhaftierten langfristig von der Sucht zu befreien. Im Einzelfall werden daher alternativ die Möglichkeiten nach §§ 35, 36 BtMG zu prüfen sein (dazu Laubenthal/Nestler Strafvollstreckung 2010, Rdn. 241 ff). Die Einleitung einer Logotherapie zur Behandlung von Sprachstörungen mag ebenfalls eine nach § 63 durchzuführende ärztliche Maßnahme darstellen, wenn diese Behinderung der Wiedereingliederung abträglich ist oder gar eine erneute Straffälligkeit bedingen kann. Schließlich besteht die Möglichkeit, ein soziales Training auf ärztliche Empfehlung hin durchzuführen. Dies betrifft z. B. verhaltensgestörte Strafgefangene ebenso wie Langstrafige, die im Rahmen ihrer Entlassungsvorbereitung einer stufenweisen Wiedereingliederung zugeführt werden müssen.
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3. Kostenbeteiligung. § 63 Satz 2 sieht vor, dass der Inhaftierte an den Kosten der Wiedereingliederungsmaßnahmen zu beteiligen ist, wenn dies nach seinen wirtschaftlichen Verhältnissen gerechtfertigt erscheint und der Zweck der Behandlung dadurch nicht in Frage gestellt wird. Nach Ansicht des Gesetzgebers erschien eine Kostenbeteiligung für diese Maßnahmen als angemessen und sachlich gerechtfertigt, weil hierbei im wesentlichen „kosmetische“ Eingriffe im Vordergrund stünden (BT-Drucks. 7/918, 118; Keppler/Nestler
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Ärztliche Behandlung zur sozialen Eingliederung
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BT-Drucks. 7/3998, 28). Dies wird allerdings nicht immer der Fall sein. Daher sind bei der Entscheidung über die Kostenbeteiligung der Zweck der Maßnahme, ihr erwarteter Nutzen für die Wiedereingliederung sowie die Vermögensverhältnisse des Gefangenen zu berücksichtigen, zumal eine übermäßige finanzielle Belastung der Wiedereingliederung i. d. R. ebenfalls abträglich ist. III. Landesgesetze und Musterentwurf 1. Baden-Württemberg. § 36 Satz 1 JVollzGB III entspricht inhaltlich § 63 Satz 1 11 StVollzG. § 36 Satz 2 JvollzGB III schreibt eine Kostentragung stets durch die Gefangenen selbst vor. Lediglich unter den Voraussetzungen des § 36 Satz 3 JVollzGB III ist in begründeten Fällen eine Kostenübernahme in angemessenem Umfang möglich, wenn die Gefangenen selbst hierzu nicht in der Lage sind. Nach Auffassung des baden-württembergischen Landesgesetzgebers sollen finanziell leistungsfähige Gefangene gleich den gesetzlich krankenversicherten Personen behandelt werden. Durch die Möglichkeit der Kostenübernahme könne aber der besonderen Haftsituation, der häufig desolaten finanziellen Lage der Gefangenen und dem Behandlungsauftrag hinreichend Rechnung getragen werden (LT-Drucks. 14/5012, 221). 2. Bayern. Art. 65 Satz 1 BayStVollzG entspricht inhaltlich § 63 Satz 1 StVollzG. 12 Art. 65 Satz 2 BayStVollzG sieht eine Kostentragung stets durch die Gefangenen selbst vor. Lediglich unter den Voraussetzungen des Art. 65 Satz 3 BayStVollzG ist in begründeten Fällen eine Kostenübernahme in angemessenem Umfang möglich, wenn die Gefangenen selbst hierzu nicht in der Lage sind. Nach Auffassung des bayerischen Landesgesetzgebers sollen finanziell leistungsfähige Gefangene gleich den gesetzlich krankenversicherten Personen behandelt werden. Durch die Möglichkeit der Kostenübernahme könne aber der besonderen Haftsituation, der häufig desolaten finanziellen Lage der Gefangenen und dem Behandlungsauftrag hinreichend Rechnung getragen werden (LT-Drucks. 15/8101, 64). 3. Hamburg. § 61 Satz 1 HmbStVollzG entspricht inhaltlich § 63 Satz 1 StVollzG. § 61 13 Satz 3 HmbStVollzG sieht eine Kostentragung stets durch die Gefangenen selbst vor. Lediglich unter den Voraussetzungen des § 61 Satz 3 HmbStVollzG ist in begründeten Fällen eine Kostenübernahme in angemessenem Umfang möglich, wenn die Gefangenen selbst hierzu nicht in der Lage sind. Der Landesgesetzgeber äußert sich zu dieser Abweichung von der bundesgesetzlichen Regelung nicht (siehe Bürgerschafts-Drucks. 19/2533, 58; 18/6490, 45), allerdings dürften die Motive denen des baden-württembergischen sowie des bayerischen Landesgesetzgebers entsprechen (vgl. Rdn. 11, 12). 4. Hessen. Im HStVollzG existiert keine unmittelbare Entsprechung zu § 63 St- 14 VollzG. 5. Niedersachsen. § 61 NJVollzG entspricht inhaltlich § 63 Satz 1 StVollzG. Eine Re- 15 gelung zur Kostentragung enthält die niedersächsische Vorschrift nicht. Die Norm räumt der Vollzugsbehörde einen gegenüber der bundesrechtlichen Vorschrift größeren Ermessensspielraum ein („kann“). Eine Regelung zur Kostentragung enthält § 52 NJVollzG. Nach dessen Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 kann die Vollzugsbehörde den Gefangenen durch Erhebung weiterer Kostenbeiträge in angemessener Höhe insbesondere an ärztlichen Behandlungen nach § 61 NJVollzG beteiligen.
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6. Musterentwurf. § 64 Satz 1 ME-StVollzG entspricht inhaltlich § 63 Satz 1 StVollzG. § 64 Satz 3 ME-StVollzG sieht eine Kostentragung stets durch die Gefangenen selbst vor. Lediglich unter den Voraussetzungen des § 64 Satz 3 ME-StVollzG ist in begründeten Fällen eine Kostenübernahme in angemessenem Umfang möglich, wenn die Gefangenen selbst hierzu nicht in der Lage sind. Der Entwurf geht indes davon aus, dass es sich dabei um eine nur in seltenen Fällen eingreifende Ausnahmeregelung handelt (ME-Begründung, 133 f).
§ 64 Aufenthalt im Freien § 64 Keppler/Nestler Aufenthalt im Freien Arbeitet ein Gefangener nicht im Freien, so wird ihm täglich mindestens eine Stunde Aufenthalt im Freien ermöglicht, wenn die Witterung dies zu der festgesetzten Zeit zulässt.
I. II. III.
Übersicht Allgemeine Hinweise ____ 1 Erläuterungen ____ 2–7 Landesgesetze und Musterentwurf ____ 8–13 1. Baden-Württemberg ____ 8 2. Bayern ____ 9
3. 4. 5. 6.
Hamburg ____ 10 Hessen ____ 11 Niedersachsen ____ 12 Musterentwurf ____ 13
I. Allgemeine Hinweise 1
Die Vorschrift regelt den Anspruch des Gefangenen auf Aufenthalt im Freien. § 64 ermöglicht dem Gefangenen mindestens eine Stunde Aufenthalt im Freien, sofern dieser nicht ohnehin im Freien arbeitet. Dies gilt allerdings nur, sofern die Witterung den Aufenthalt im Freien zur festgesetzten Zeit zulässt. Bei der Regelung des § 64 handelt es sich um eine präventive Maßnahme der allgemeinen Gesundheitsfürsorge (AK-Lesting/Stöver 2012 Rdn. 1). II. Erläuterungen
Der Zeitraum von einer Stunde ist als Mindestangabe zu verstehen; Überschreitungen sind stets zulässig und überdies – sofern personalorganisatorisch machbar – anzustreben (siehe auch AK-Lesting/Stöver 2012 Rdn. 1; Arloth 2011 Rdn. 1). Die elementare Bedeutung des Aufenthalts im Freien zeigt sich zum einen daran, dass ein solches Recht des Gefangenen bereits früh in den einschlägigen Regelungswerken enthalten war, so bspw. in § 31 RStGB (vgl. Leppmann 1909, 13). Zum anderen verdeutlicht dies die Vorgabe des CPT, die Disziplinarmaßnahme der sog. Hofgangsperre (§ 103 Abs. 1 Nr. 6 a. F.) ersatzlos zu streichen (AK-Lesting/Stöver 2012 Rdn. 1). Den Gefangenen steht dementsprechend ein Recht auf Aufenthalt im Freien zu, 3 eine Verpflichtung hieran teilzunehmen besteht demgegenüber nicht. Verweigert der Gefangene die Teilnahme, so besteht aufgrund des Behandlungsauftrags ein Obligat der Vollzugsbehörde, den Betreffenden zur Teilnahme zu motivieren. Dies verlangen bereits die positiven Effekte auch für die Resozialisierung, die mit dem Aufenthalt im Freien verbunden sind. Regelmäßige Bewegungen im Freien führen neben anderen positiven medizinischen Effekten zu physiologischer Ermüdung und bringen Entspannung sowie Beruhigung des vegetativen Nervensystems mit sich. In vielen Fällen tritt eine Beruhi2
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Aufenthalt im Freien
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gung der Psyche ein, was sich wiederum positiv auf das Verhalten des Gefangenen gegenüber Mitinhaftierten auswirken kann. Zwar besteht der Anspruch auf Aufenthalt im Freien lediglich, soweit die Witterung dies zu der festgesetzten Zeit zulässt. Witterungszustände, die einem Aufenthalt im Freien entgegenstehen, müssen allerdings eine gewisse Erheblichkeit erreichen. Prinzipiell ist somit Aufenthalt im Freien bei jeder Witterung ggf. mit ausreichender Schlechtwetterkleidung anzustreben (AK-Lesting/Stöver 2012 Rdn. 2; C/MD 2008 Rdn. 2; für eine enge Auslegung auch Arloth 2011 Rdn. 2). Grundsätzlich sollten die Gefangenen wegen der großen Bedeutung der Bewegung im Freien für ihre Gesundheit stärker motiviert werden, an der täglichen Freistunde teilzunehmen. Dies folgt bereits aus der allgemeinen Fürsorgepflicht der Anstalt, für die körperliche und geistige Gesundheit der Gefangenen zu sorgen, als Hintergrund der Freistunde (K/S-Schöch 2002 § 7 Rdn. 170). Ein Anspruch auf Durchführung des Hofgangs gerade zu einer bestimmten Tageszeit besteht nicht. Der Gefangene ist zur Teilnahme am Aufenthalt im Freien nicht verpflichtet, es handelt sich für ihn vielmehr um ein Angebot der Vollzugsbehörde, von dem er Gebrauch machen kann, aber nicht muss. Tatsächlich nimmt eine nicht geringe Anzahl Inhaftierter nur unregelmäßig am Aufenthalt im Freien teil. Ursächlich hierfür mögen Haftreaktionen bei aktuellen persönlichen Konflikten, Deprivationserscheinungen, Versagenszustände seelischer Art in Form von Neurosen oder regressive Zustände sein (ähnlich Arloth 2011 Rdn. 3), die der Beobachtung bedürfen. Ebenso häufig verbleiben die Gefangenen aber auch aus Bequemlichkeit, Faulheit, Angst vor Übergriffen oder um Geschäfte abzuwickeln auf ihren Hafträumen. § 64 enthält eine Mindestgarantie (s. auch C/MD 2008 Rdn. 1). Selbst bei nur geringfügiger Verkürzung hat der Gefangene in angemessener Frist einen Anspruch auf Nachgewährung der entfallenen Zeit (KG NStZ 1984, 355 F; KG NStZ 1997, 426). Lediglich sofern die Freistunde durch eine zeitgleich stattfindende ärztliche Untersuchung verkürzt wird, entfällt die Notwendigkeit einer Nachholung, da es sich dabei ebenfalls um eine notwendige Maßnahme des Gesundheitsschutzes handelt. Aus personalorganisatorischen Gründen können am Wochenende Aufenthalt im Freien und Sportstunde zeitlich zusammenfallen (OLG Hamm NStZ 1994, 378). Möglich ist jedoch zur Erhaltung der Gesundheit für den Gefangenen die Anordnung einer über die festgesetzte Zeit von einer Stunde hinausgehenden zweiten „Freistunde“. Deren Durchführbarkeit hängt allerdings von Personalsituation und Witterung ab. Für besondere Tätigkeitsbereiche (z. B. Küchenarbeiter) muss die Behörde auch bei organisatorischen Schwierigkeiten zusätzliche Termine zur Verfügung stellen.
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III. Landesgesetze und Musterentwurf 1. Baden-Württemberg. § 32 Abs. 3 JVollzGB III entspricht § 64 StVollzG. Anders als 8 die bundesrechtliche Regelung verlangt die Vorschrift allerdings ein zwingendes Entgegenstehen der Witterung und normiert somit eine erhöhte Voraussetzung für den Ausschluss des Anspruchs. 2. Bayern. Art. 66 BayStVollzG entspricht § 64 StVollzG.
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3. Hamburg. § 62 HmbStVollzG entspricht inhaltlich § 64 StVollzG. Anders als nach 10 der bundesrechtlichen Regelung kommt es nach § 62 HmbStVollzG für den Ausschluss des Anspruchs nicht darauf an, dass die Witterung den Aufenthalt im Freien gerade zu der von der Anstaltsleitung festgesetzten Zeit zulässt. Der Anwendungsbereich der Ausnahmeklausel ist somit kleiner als derjenige nach § 64 StVollzG, der eine solche zeitliche 605
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Vorgabe nicht enthält. Die Motive des bayerischen Gesetzgebers lassen den Grund für die Abweichung jedoch nicht erkennen (Bürgerschafts-Drucks. 19/2533, 58). 11
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4. Hessen. § 23 Abs. 3 HStVollzG entspricht grds. § 64 StVollzG. Anders als die bundesrechtliche Regelung verlangt die Vorschrift allerdings ein zwingendes Entgegenstehen der Witterung und normiert somit eine erhöhte Voraussetzung für den Ausschluss des Anspruchs. Die Motive des bayerischen Gesetzgebers lassen den Grund für die Abweichung jedoch nicht erkennen (LT-Drucks. 18/1396, 91). 5. Niedersachsen. § 62 NJVollzG entspricht § 64 StVollzG. 6. Musterentwurf. § 65 Abs. 2 ME-StVollzG entspricht § 64. Allerdings verzichtet die Vorschrift auf eine Einschränkung des Anspruchs aufgrund von schlechten Witterungsbedingungen. Die Entwurfsbegründung schweigt zu dieser Abweichung (ME-Begründung, 134).
§ 65 Verlegung § 65 Keppler/Nestler Verlegung (1) Ein kranker Gefangener kann in ein Anstaltskrankenhaus oder in eine für die Behandlung seiner Krankheit besser geeignete Vollzugsanstalt verlegt werden. (2) Kann die Krankheit eines Gefangenen in einer Vollzugsanstalt oder einem Anstaltskrankenhaus nicht erkannt oder behandelt werden oder ist es nicht möglich, den Gefangenen rechtzeitig in ein Anstaltskrankenhaus zu verlegen, ist dieser in ein Krankenhaus außerhalb des Vollzuges zu bringen. Ist während des Aufenthalts des Gefangenen in einem Krankenhaus die Strafvollstreckung unterbrochen worden, hat der Versicherte nach den Vorschriften der gesetzlichen Krankenversicherung Anspruch auf die erforderlichen Leistungen.* * § 65 Abs. 2 Satz 2 tritt durch besonderes Bundesgesetz in Kraft (§ 198 Abs. 3).
VV (1) In einem Krankenhaus außerhalb des Vollzuges ist eine Bewachung durch Vollzugsbedienstete bei Fortdauer der Strafvollstreckung nur dann erforderlich, wenn eine Flucht aufgrund der Persönlichkeit des Gefangenen oder der besonderen Umstände zu befürchten ist. Wenn auf eine Bewachung ausschließlich im Hinblick auf den Krankheitszustand verzichtet wurde, ist das Krankenhaus zu ersuchen, der Anstalt eine Besserung des Befindens mitzuteilen, die eine Flucht möglich erscheinen lässt. (2) Kann die sachgemäße Behandlung oder Beobachtung eines Gefangenen nur in einem Krankenhaus außerhalb des Vollzuges, das die gebotene Fortdauer der Bewachung nicht zulässt, durchgeführt werden, so sind bei der Entscheidung über eine Verlegung des Gefangenen in dieses Krankenhaus die Dringlichkeit der Krankenhausunterbringung und die Entweichungsgefahr sowie die Gefahr für die öffentliche Sicherheit gegeneinander abzuwägen. Eine nicht unverzüglich erforderliche stationäre Behandlung ist danach unter Umständen aufzuschieben.
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Verlegung
I. II.
Übersicht Allgemeine Hinweise ____ 1–4 Erläuterungen ____ 5–19 1. Verlegungsgrundlagen und Verlegungsentscheidung ____ 5–7 2. Behandlung innerhalb des Vollzugs nach Abs. 1 ____ 8–13 3. Behandlung außerhalb des Vollzugs nach Abs. 2 ____ 14–19
III.
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Landesgesetze und Musterentwurf ____ 20–25 1. Baden-Württemberg ____ 20 2. Bayern ____ 21 3. Hamburg ____ 22 4. Hessen ____ 23 5. Niedersachsen ____ 24 6. Musterentwurf ____ 25
§ 65 Keppler/Nestler Verlegung Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe I. Allgemeine Hinweise Die Vorschrift bestimmt als Rechtsgrundlage für die Verlegung kranker Gefangener, dass diese in vollzugliche Einrichtungen gelangen, die für ihre medizinische Behandlung und Heilung geeignet erscheinen. Der vom Gesetz verwendete Begriff „Verlegung“ umfasst hier sowohl die dauerhafte Verlegung unter Abweichung vom Vollstreckungsplan (§ 8 Rdn. 1, 4 ff), wenn bspw. der Gefangene der ständigen Pflege und Behandlung in einem Vollzugskrankenhaus bedarf, als auch die kurzfristige Überstellung (§ 8 Rdn. 15), z. B. für einen operativen Eingriff oder eine intensive Untersuchung, auf welche alsbald die Rückkehr in die nach dem Vollstreckungsplan zuständige Anstalt erfolgt (AK-Lesting/Stöver 2012 Rdn. 2; C/MD 2008 Rdn. 1; siehe aber Arloth 2011 Rdn. 1, der die vorübergehende Verbringung Gefangener als Maßnahme sui generis ansieht, wobei i. E. allerdings gleichwohl § 65 Anwendung findet). Letztgenannte Konstellationen machen dabei den Hauptanteil in der Praxis aus (Arloth 2011 Rdn. 1). Die Verlegung bzw. Überstellung aus Krankheitsgründen basiert allein auf medizinischen Überlegungen. Sie steht in Zusammenhang mit der Regelung des § 455 Abs. 4 StPO, der die Möglichkeit einer Strafunterbrechung normiert (Laubenthal/Nestler 2011, Rdn. 68, 97, 220). Eine Vollzugsuntauglichkeit i. S. d. § 455 Abs. 4 StPO stellt allerdings gegenüber dem von § 65 in Bezug genommenen Krankheitszustand erhöhte Anforderungen. Allein aufgrund einer Krankheit unterbrochen wird somit nicht notwendigerweise die Strafvollstreckung, sondern allenfalls der Aufenthalt in der betreffenden Vollzugseinrichtung nach § 65 Abs. 1 oder 2. Die Dauer des Krankenhausaufenthaltes wird in diesen Fällen auf die Strafzeit angerechnet (AK-Boetticher/Stöver 2012 Rdn. 15 zu § 65), der Gefangenenstatus bleibt bei allen Maßnahmen nach § 65 bestehen. Sofern es aber zu einer Vollstreckungsunterbrechung kommt, hat dies Einfluss auf die Kostentragungspflicht, die dann aufgrund der mit der Vollstreckungsunterbrechung verbundenen Statusänderung des Betreffenden nicht mehr bei der Justizvollzugsanstalt liegt. Eine Verlegung nach § 65 kommt vor allem dann in Betracht, wenn die Möglichkeiten, einen erkrankten Gefangenen in der für ihn nach dem Vollstreckungsplan zuständigen Justizvollzugsanstalt zu beobachten und zu behandeln, nicht ausreichen und ambulante Behandlungsmaßnahmen, etwa im Wege von Ausführungen, ausscheiden. Dies gründet sich auf die in § 56 sowie in § 58 Nr. 1 normierte Verpflichtung der Vollzugsbehörde, einen erkrankten Gefangenen ausreichend und angemessen nach den Regeln der ärztlichen Kunst behandeln zu lassen. § 65 betrifft sowohl die Krankenbehandlung als auch die Heilbehandlung (OLG Frankfurt NStZ 1987, 359 f). Die Heilbehandlung umfasst auch die sog. Anschlussheilbehandlung nach überstandener Erkrankung zur psychischen und physischen Bewältigung der gesundheitlich eingeschränkten Lebensperspektive. Sie ist nicht mit einer „Kurbehandlung“ gleichzusetzen, die nur dem Gesundheitszustand eines Menschen ohne aktuellem Krankheitsbefund dient. Die Unterbringung zum Zweck der Behandlung psychischer oder psychiatrischer Erkrankungen nach § 65 Abs. 2 ist ausschließlich aus 607
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therapeutischen Gesichtspunkten heraus möglich. Da § 65 ausschließlich medizinische Interessen im Blick hat, begründet die Vorschrift grds. keinen Anspruch auf Verlegung in eine psychiatrische Klinik, wenn dies nur dazu dient, eine aus Gründen der Resozialisierung angezeigte sozialtherapeutische Behandlung zu verwirklichen (vgl. aber BVerfG NStZ 1996, 614 zur psychiatrischen Langzeittherapie bei lebenslanger Freiheitsstrafe). Eine scharfe Trennung beider Konstellationen wird indes kaum möglich sein, bzw. werden häufig medizinische und resozialisierungsbezogene Gründe kumulativ vorliegen, weshalb i. d. R. auch die Verlegung in eine psychiatrische Klinik auf § 65 gestützt werden kann (noch weitergehend Arloth 2011 Rdn. 6). Die Überstellung eines Gefangenen zur Vorbereitung eines psychiatrischen Gutachtens in eine psychiatrische Klinik bedarf daher einer anderen Rechtsgrundlage (Amtshilfe, OLG Celle NStZ 1991, 598 f mit abl. Anm. Wohlers NStZ 1992, 347 f, der einen Gerichtsbeschluss nach § 81 StPO für erforderlich hält). II. Erläuterungen 1. Verlegungsgrundlagen und Verlegungsentscheidung. Ob eine Verlegung in ein Anstaltskrankenhaus oder in eine für seine Pflege besser geeignete Vollzugsanstalt erforderlich ist, richtet sich nach Ausmaß und Schwere des Krankheitsbildes. Allein, dass der Gefangene selbst eine solche Verlegung in ein Anstaltskrankenhaus verlangt, ohne dass dies unter medizinischen Gesichtspunkten indiziert wäre, begründet kein diesbezügliches subjektives Recht (C/MD 2008 Rdn. 2). Die Entscheidung für eine Verlegung nach Abs. 1 oder eine externe Behandlung nach Abs. 2 trifft die Anstaltsleitung, die dabei i. d. R. auf das fachliche Urteil des Anstaltsarztes zurückgreifen wird. Der Anstaltsarzt orientiert seine Bewertung allein an den Regeln der ärztlichen 6 Kunst. Für die Entscheidung steht der Justizvollzugsanstalt ein Ermessensspielraum zu, der sich einer Kontrolle von außen weitgehend entzieht (KG StV 1988, 539). Die Entscheidung muss aber vor allem im Hinblick auf sachgerechte medizinische Erwägungen nachvollziehbar sein (OLG Koblenz, Beschl. vom 11.5.1983 – 2 Vollz [Ws] 28/83). Ein Ermessensspielraum verbleibt infolge einer Ermessensreduzierung auf Null nicht, wenn jede andere Entscheidung als eine Verlegung in ein Krankenhaus außerhalb des Vollzugs medizinisch unvertretbar ist (OLG Frankfurt NStZ 1987, 359 f). Dem Inhaftierten steht zwar kein Anspruch auf Verlegung zu; er hat aber einen Anspruch auf eine medizinisch-sachgemäße Ermessensentscheidung. Unterbleibt die Verlegung in ein Krankenhaus außerhalb des Vollzugs, obwohl die 7 erforderliche medizinische Versorgung in der Vollzugsanstalt nicht gewährleistet ist, so kann der Inhaftierte dies mit einem Antrag auf gerichtliche Entscheidung geltend machen. Sofern aufgrund der Nichtverlegung ein gesundheitlicher Nachteil eintritt, kann dem Gefangenen darüber hinaus ein Anspruch auf Schadensersatz zustehen (BGH BlStV 4/5/1994, 8 ff, 10, 11). Da aber auch sachgerechte therapeutische Angebote eine konstruktive Mitarbeit des inhaftierten Patienten erfordern, wird der Nachweis einer Kausalität der Nichtverlegung für den entstandenen Schaden häufig schwer zu führen sein. 5
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2. Behandlung innerhalb des Vollzugs nach Abs. 1. Nach § 65 Abs. 1 kann ein kranker Gefangener in ein Anstaltskrankenhaus oder in eine für die Behandlung seiner Krankheit besser geeignete Vollzugsanstalt verlegt werden. Dies setzt voraus, dass die Krankheit überhaupt behandelbar ist und im Vollzug geeignete Einrichtungen vorhanden sind. Verfügt der Vollzug über geeignete Einrichtungen, so hat das Vorgehen nach Abs. 1 Vorrang gegenüber der Behandlung in einem externen Krankenhaus nach Abs. 2 (AK-Lesting/Stöver 2012 Rdn. 10). Genügen allerdings die vollzugsinternen Diagnose- und Keppler/Nestler
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Therapiemöglichkeiten nicht, so steht dem Gefangenen ein verfassungsrechtlich verankerter Rechtsanspruch auf vollzugsexterne Krankenbehandlung zu (siehe auch oben Rdn. 6; AK-Lesting/Stöver 2012 Rdn. 10; Arloth 2011 Rdn. 10). Da geeingete Anstaltskrankenhäuser, die den jeweiligen medizinischen Anforderungen entsprechen, nicht flächendeckend vorhanden sind, wird eine Verlegung dorthin auch nur ausnahmsweise in Betracht kommen (AK-Lesting/Stöver 2012 Rdn. 11). Häufiger kommt aber eine Rückverlegung in ein solches Anstaltskrankenhaus zur Fortführung einer extramural nach Abs. 2 begonnenen Krankenbehandlung in Betracht. Eine Verlegung in eine andere Vollzugsanstalt ist denkbar, wenn sich der medizinische Bedarf des Gefangenen vor allem auf eine besondere z. B. behindertengerechte Ausstattung richtet. Lehnt der Gefangene die Verlegung in ein Vollzugskrankenhaus ab, so beruht dies häufig auf Realängsten oder fehlendem Vertrauen in die Fähigkeiten des Justizkrankenhauses. Zudem verbinden Inhaftierte mit einem solchen Verhalten oftmals die Hoffnung, durch Verweigerung der Behandlung im Vollzugskrankenhaus stattdessen in eine freie Krankeneinrichtung zu gelangen, oder beabsichtigen durch eine Verweigerung der Behandlung einen Zustand der Vollzugsuntauglichkeit herbeizuführen. Von Seiten des Anstaltsarztes erfordert eine Behandlungs- bzw. Verlegungsverweigerung eine entsprechende Aufklärung über die Situation und die möglichen Gefahren des Verhaltens sowie deren Dokumentation, die den üblichen Anforderungen genügen muss (vgl. Boetticher in: Hillenkamp/Tag [Hrsg.], 2005, 61 ff; Lehmann in: Keppler/Stöver [Hrsg.], 2009, 272 ff). Die Gründe für die Verweigerung der Verlegung sind von der Anstaltsleitung bei der Entscheidung im Rahmen der Ermessensausübung zu berücksichtigen. Ist die Verlegung des erkrankten Gefangenen in ein Vollzugskrankenhaus bereits erfolgt, und verweigert der Gefangene danach seine Behandlung oder stört die Krankenhausordnung nachhaltig, kann eine vorzeitige Rückverlegung in seine zuständige Vollzugsanstalt erfolgen, ohne dass eine befriedigende Wiederherstellung der Gesundheit stattgefunden hat. Tritt dann eine erneute oder weitere Verschlechterung des Gesundheitszustandes ein, ist zu erwägen, ob der Gefangene trotz Behandlungs- bzw. Verlegungsverweigerung im Justizvollzugskrankenhaus gleichwohl erneut dorthin verlegt werden kann. Die Verlegung eines Gefangenen in eine für seine Behandlung besser geeignete Vollzugsanstalt kommt z. B. bei Bestehen einer chronischen Erkrankung in Betracht. Der Gefangene kann aus einer Anstalt des geschlossenen Vollzugs in eine andere Vollzugsanstalt verlegt werden, wenn diese über eine besondere Krankeneinrichtung verfügt, die zur Pflege und Behandlung des Gefangenen besser geeignet ist (vgl. AKLesting/Stöver 2012 Rdn. 13). Auch eine Rückverlegung aus dem offenen Vollzug in eine Anstalt des geschlossenen Vollzugs mag notwendig werden, wenn ärztliche Betreuung durch die mangelnde Präsenz eines hauptamtlichen Anstaltsarztes dort nicht gegeben ist, sich im Fall des betroffenen Gefangenen aber als notwendig erweist. Demgegenüber lässt sich bspw. im offenen Vollzug eine Dauerhospitalisierung vermeiden.
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3. Behandlung außerhalb des Vollzugs nach Abs. 2. Sofern die klinische Ver- 14 sorgung innerhalb des Vollzugs nicht gewährleistet werden kann, hat diese in einem externen Krankenhaus stattzufinden. Voraussetzung hierfür ist, dass entweder eine Verlegung des Gefangenen in ein Anstaltskrankenhaus oder eine andere geeignete Vollzugseinrichtung nicht rechtzeitig möglich ist oder dass vollzugliche Einrichtungen die notwendige Behandlung überhaupt nicht erbringen können. Externe Krankenhäuser i. d. S. sind sämtliche Kliniken, insbesondere Fachkliniken oder solche mit speziellen Abteilungen für die jeweils vorliegende Krankheit. 609
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VV zu § 65 enthalten Vorgaben in Bezug auf Sicherheitserwägungen, die sich aus der Verlegung eines z. B. fluchtgefährdeten Gefangenen in ein freies Krankenhaus außerhalb des Vollzuges ergeben. Die Überwachung des Patienten ist dort i. d. R. mit einem nicht unerheblichen Aufwand verbunden. VV Abs. 1 Satz 1 zu § 65 bestimmt, dass eine Bewachung durch Vollzugsbedienstete nur dann erforderlich ist, wenn eine Flucht aufgrund der Persönlichkeit des Gefangenen oder der besonderen Umstände zu befürchten ist. Der Gesetzgeber nahm dabei im Interesse der Sicherheit des Gefangenen ein Restrisiko in Kauf (AK-Lesting/Stöver 2012 Rdn. 15). Wie sich aus VV Abs. 1 Satz 2 zu § 65 ergibt, ist selbst ein völliger Verzicht auf Überwachungsmaßnahmen im Interesse der Behandlung möglich. Die Überwachung des in einem externen Krankenhaus untergebrachten Gefangenen gestaltet sich problematisch. Vollzugspersonal in unmittelbarer Nähe zum Krankenbett oder vor der Sichtscheibe eines Krankenzimmers wird i. d. R. einen negativen psychologischen Effekt auf den Erkrankten sowie ggf. auf andere Patienten oder das Medizinalpersonal haben. Dies gilt insbesondere, wenn neben der Bewachung noch zusätzliche Sicherungsmaßnahmen wie bspw. eine Fesselung angeordnet sind. Bei Überwachungsmaßnahmen ist darauf zu achten, dass der Krankenhausbetrieb i. Ü. nicht beeinträchtigt wird. Wegen des mit der Überwachung verbundenen erhöhten Personalaufwands erscheint eine Korrespondenz zwischen Anstaltsarzt und behandelndem Arzt sinnvoll, um den frühestmöglichen Zeitpunkt für eine Rückverlegung zu ermitteln und die entsprechende erforderliche Nachbehandlung festzulegen. Für den Gefangenen ist die Verlegung in eine andere Anstalt oder in ein externes Krankenhaus mit einem Ortswechsel verbunden, der gelegentlich – vor allem bei Verlegungen in ein Krankenhaus außerhalb des Vollzugs – für diesen sogar ein erwünschtes Ereignis darstellt. Mitunter drängen Gefangene aber auch auf schnelle Rückverlegung aus einem öffentlichen Krankenhaus in die Justizvollzugsanstalt. Gründe hierfür sind z. B. die sehr viel stärkeren Restriktionen beim Rauchen, das im Krankenhaus zumal bei Bettlägrigkeit und/oder mit Bewachung kaum noch möglich ist. In Fällen schwerer, akuter Erkrankung ist nicht nur über die Verlegung des Erkrankten in ein Krankenhaus an sich zu entscheiden, sondern auch über seine Transportfähigkeit. Mangelt es daran, so ist auch eine Einweisung in ein Krankenhaus des Vollzuges nur dann möglich, wenn sich Krankenhaus und JVA in unmittelbarer Ortsnähe befinden. Auch bei der Verlegung eines psychiatrisch erkrankten Gefangenen, der an einer ernsthaften geistigen Störung leidet, können sich Besonderheiten im Ablauf ergeben. Problemlos gestaltet sich die Verlegung dann, wenn das betreffende Bundesland über eine vollzugseigene psychiatrische Krankenhauseinrichtung verfügt. Dies ist jedoch nicht immer der Fall, obwohl zunehmend psychiatrische Abteilungen innerhalb des Justizvollzuges entstehen (zu dieser Entwicklung vgl. Foerster in: Hillenkamp/Tag [Hrsg.], 2005, 143 ff; Bisson in: Hillenkamp/Tag [Hrsg.], 2005, 159 ff; zur allgemeinen psychiatrischen Betreuung im Justizvollzug s. Konrad in: Keppler/Stöver [Hrsg.], 2009, 208 ff; Witzel in: Keppler/Stöver [Hrsg.], 2009, 223 ff). Die Verlegung eines derart Erkrankten nach § 65 Abs. 2 stößt bei den öffentlichen psychiatrischen Krankenhäusern oft auf massive Sicherheitsbedenken, da nicht alle Einrichtungen über hinreichende Sicherungen verfügen, um eine Flucht des Gefangenen auszuschließen. Liegt eine Geisteskrankheit vor und stellt der Erkrankte eine Gefahr für sich und/oder die Allgemeinheit dar, so ist dies bei der Verlegungsentscheidung zu berücksichtigen.
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Benachrichtigung bei Erkrankung oder Todesfall
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III. Landesgesetze und Musterentwurf 1. Baden-Württemberg. § 34 Abs. 1 sowie Abs. 2 Satz 1 JVollzGB III entsprechen § 65 20 Abs. 1 und Abs. 2 StVollzG. Darüber hinaus regelt die baden-württembergische Vorschrift in § 34 Abs. 2 Satz 2 JVollzGB III, dass eine möglichst rasche Rückverlegung in ein Justizvollzugskrankenhaus oder eine Justizvollzugsanstalt anzustreben ist. Hierdurch begegnet das Gesetz bestehenden Kosten- und Sicherheitsrisiken. Die Motive des badenwürttembergischen Gesetzgebers lassen den Grund für die Abweichung jedoch nicht erkennen (LT-Drucks. 14/5012, 221). 2. Bayern. Art. 67 BayStVollzG entspricht § 65 StVollzG.
21
3. Hamburg. § 63 Abs. 1 und Abs. 2 HmbStVollzG entsprechen inhaltlich § 65 Abs. 1 22 und Abs. 2 StVollzG. § 63 Abs. 3 HmbStVollzG normiert darüber hinausgehend explizit eine Kostentragung durch die Vollzugsbehörde nur bis zum Beginn einer etwaigen Vollstreckungsunterbrechung. Die Vollstreckungsunterbrechung hebt den Gefangenenstatus auf, so dass eine Übernahme der Kosten durch die Vollzugsbehörde sachwidrig erschiene (vgl. Bürgerschafts-Drucks. 18/6490, 45). 4. Hessen. § 24 Abs. 4 HStVollzG entspricht § 65 StVollzG.
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5. Niedersachsen. § 63 NJVollzG entspricht § 65 StVollzG.
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6. Musterentwurf. § 63 Abs. 1 ME-StVollzG korrespondiert mit § 65 StVollzG, ist je- 25 doch wesentlich knapper gefasst. Inhaltliche Modifikationen waren mit der abweichenden Fassung nicht verbunden (vgl. ME-Begründung, 132 f).
§ 66 Benachrichtigung bei Erkrankung oder Todesfall § 66 Keppler/Nestler Benachrichtigung bei Erkrankung oder Todesfall (1) Wird ein Gefangener schwer krank, so ist ein Angehöriger, eine Person seines Vertrauens oder der gesetzliche Vertreter unverzüglich zu benachrichtigen. Dasselbe gilt, wenn ein Gefangener stirbt. (2) Dem Wunsche des Gefangenen, auch andere Personen zu benachrichtigen, soll nach Möglichkeit entsprochen werden. VV (1) Der Tod des Gefangenen wird der Aufsichtsbehörde angezeigt. (2) Das Guthaben des verstorbenen Gefangenen bei der Anstaltszahlstelle und seine Habe werden an den Berechtigten ausgehändigt.
I. II. III.
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Übersicht Allgemeine Hinweise ____ 1 Erläuterungen ____ 2–4 Landesgesetze und Musterentwurf ____ 5–10 1. Baden-Württemberg ____ 5 2. Bayern ____ 6
3. 4. 5. 6.
Hamburg ____ 7 Hessen ____ 8 Niedersachsen ____ 9 Musterentwurf ____ 10
Keppler/Nestler
§ 66
Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
I. Allgemeine Hinweise 1
Die Regelung trägt der allgemeinen Fürsorgepflicht der Vollzugsbehörde Rechnung, die sich auch auf die Benachrichtigung der nächsten Angehörigen, Personen des Vertrauens oder gesetzlicher Vertreter bei schwerer Erkrankung oder Todesfall des Gefangenen erstreckt. Es handelt sich hierbei um die Pflicht zur Interessenwahrnehmung für den Gefangenen, die der Gesetzgeber der Vollzugsbehörde auferlegt hat (BT-Drucks. 7/918, 73). Dabei soll dem Wunsch eines Schwerkranken weitgehend entsprochen werden, wenn er auch noch die Benachrichtigung weiterer Personen eingeleitet wissen möchte. II. Erläuterungen
§ 66 Abs. 1 regelt die Benachrichtigung nahestehender Personen. Zwingend erfolgt demnach die Benachrichtigung eines Angehörigen des Gefangenen, einer Person seines Vertrauens oder seines gesetzlichen Vertreters. Anlass für eine solche Benachrichtigung ist nach § 66 Abs. 1 Satz 1 eine schwere Erkrankung des Inhaftierten. Die Vorschrift ist im Interesse des Gefangenen weit auszulegen (AK-Lesting/Stöver 2012 Rdn. 1). Hierzu zählen somit auch Krankheiten, die nicht mit einer Lebensgefahr oder einer längeren stationären Behandlung verbunden sind. Darüber hinaus hat eine Benachrichtigung nahestehender Personen für den Fall des Todes eines Gefangenen zu erfolgen, § 66 Abs. 1 Satz 2. Beim Tod eines Gefangenen wird zunächst die Aufsichtsbehörde unterrichtet (VV zu § 66 Abs. 1) und ggf. die Staatsanwaltschaft informiert. Der Anstaltsarzt vermerkt die Todeszeit und die mutmaßliche Todesursache (Arloth 2011 Rdn. 3; vgl. auch C/MD 2008 Rdn. 2, 3). Die Vollzugsanstalt nimmt sich zudem der Hinterlassenschaften des Verstorbenen an (s. VV Abs. 2). Ein solcher Todesfall im Vollzug liegt auch dann vor, wenn ein Gefangener, der gemäß § 65 Abs. 2 ohne Strafunterbrechung in ein freies Krankenhaus verlegt wurde, dort verstorben ist. Stirbt ein ausländischer Gefangener in der Haft, so ist nach Art. 37 des Wiener Übereinkommens über konsularische Beziehungen vom 24.4.1963 (BGBl 1969/II, 1585, in Kraft für Deutschland: BGBl 1971/II, 1285) unverzüglich die konsularische Vertretung des Heimatstaates zu benachrichtigen. Gesetzlich nicht geregelt ist der Fall, dass der Gefangene keine Benachrichtigung 3 wünscht. Der Gesetzgeber ging davon aus, dass in solchen Konstellationen unter Abwägung aller Gesichtspunkte des Einzelfalls, insbesondere unter Berücksichtigung des Gesundheitszustands des Inhaftierten zu prüfen ist, ob diesem Wunsch entsprochen werden kann (BT-Drucks. 7/918, 73). Nach § 66 Abs. 2 sollen über die Benachrichtigungspflichten des Abs. 1 hinausge4 hend weitere Personen eine entsprechende Mitteilung erhalten, sofern der Gefangene dies wünscht. Die Ausgestaltung als Soll-Vorschrift bindet das Ermessen der Vollzugsbehörde dahingehend, dass eine Benachrichtigung zu erfolgen hat, sofern nicht besondere Umstände entgegenstehen. 2
III. Landesgesetze und Musterentwurf 5
1. Baden-Württemberg. § 39 Abs. 1 Satz 1, Satz 3, Abs. 2 JVollzGB III entspricht § 66 Abs. 1 und Abs. 2. Darüber hinaus regelt die baden-württembergische Vorschrift in § 39 Abs. 1 Satz 2, dass dem Wunsch des Gefangenen, von einer Benachrichtigung abzusehen, zu entsprechen ist. Nach Auffassung des Landesgesetzgebers ist in einem solchen Fall abzuwägen, inwieweit etwa im Hinblick auf den Zustand des Keppler/Nestler
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Allgemeines
§ 67
Gefangenen, ein solcher Wunsch Beachtung verdient (LT-Drucks. 14/5012, 222 sowie 195). 6
2. Bayern. Art. 68 BayStVollzG entspricht § 66.
3. Hamburg. § 67 Abs. 1 und Abs. 2 HmbStVollzG entsprechen inhaltlich § 66 Abs. 1 7 und Abs. 2. § 67 Abs. 3 HmbStVollzG normiert, dass beim Tod ausländischer Staatsangehöriger die zuständige Auslandsvertretung zu verständigen ist. Dies berücksichtigt explizit die nach dem Wiener Übereinkommen über konsularische Beziehungen vom 24.4.1963 (BGBl. 1969/II, 1585, in Kraft für Deutschland: BGBl 1971/II, 1285) bestehende Verpflichtung, beim Tod ausländischer Gefangener unverzüglich die konsularische Vertretung des Heimatstaates zu benachrichtigen (vgl. Bürgerschafts-Drucks. 18/6490, 45; Bürgerschafts-Drucks. 19/2533, 69). 4. Hessen. § 24 Abs. 8 HStVollzG entspricht § 66 StvollzG.
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5. Niedersachsen. Im NJVollzG findet sich keine § 66 StVollzG entsprechende Norm. 9 6. Musterentwurf. § 68 ME-StVollzG korrespondiert mit § 66 StvollzG.
ACHTER TITEL Freizeit § 67 Allgemeines § 67 Koepsel/Goldberg Allgemeines Der Gefangene erhält Gelegenheit, sich in seiner Freizeit zu beschäftigen. Er soll Gelegenheit erhalten, am Unterricht einschließlich Sport, an Fernunterricht, Lehrgängen und sonstigen Veranstaltungen der Weiterbildung, an Freizeitgruppen, Gruppengesprächen sowie an Sportveranstaltungen teilzunehmen und eine Bücherei zu benutzen. VV Die VV Nummer 2 Abs. 4 Satz 1 und Nummer 3 Abs. 4 Satz 1 zu § 39 StVollzG gelten entsprechend. Schrifttum Ansorge Naikan im Vollzug. Wie ist der Stand der Dinge?, in: FS 2010, 222 ff; Bammann/Feest Kunst und Kreativität in Haft – Folgerungen aus einer Umfrage, in: NK 2007, 42 ff; Baumann Art. 5 GG versus §§ 68 II 2 und 70 II 2 StVollzG, in: StV 1992, 331 ff; Bauer/Lipka Plastisches Gestalten – Das Erlernen einer neuen Sprache, in: ZfStrVo 1988, 335 ff; Behnke Sport im Strafvollzug, in: ZfStrVo 1980, 25 ff; Berger/Opaschowski Animative Freizeitpädagogik als notwendige Ergänzung einer präventiven Kriminalpolitik, in: Schwind/Berckhauer/Steinhilper (Hrsg.): Präventive Kriminalpolitik, Heidelberg 1980, 209 ff; Beyler Das Recht des Strafgefangenen auf Besitz von Gegenständen nach § 70 (i. V. m. § 69 II) StVollzG unter besonderer Berücksichtigung der allgemeinen technischen Entwicklung, in: ZfStrVo 2001, 142 ff; Bierschwale/ Detmer/Köhler/Kramer Freizeitgestaltung im niedersächsischen Strafvollzug, in: ZfStrVo 1995, 83 ff; Bode Freizeitgestaltung im Strafvollzug – Möglichkeiten der Freizeitgestaltung, in: Schwind/Blau 1988, 313 ff; Böhm 25 Jahre Strafvollzugsgesetz, in: BewHi 2002, 92 ff; Bosold/Lauterbach Leben ohne Gewalt organisie-
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Koepsel/Goldberg
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§ 67
Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
ren. Evaluation eines Trainings für Gewalttäter im Jugendstrafvollzug, in: FPPK 2010, 269 ff; Boxberg/ Bosold Soziales Training im Jugendstrafvollzug: Effekte auf Sozial- und Legalbewährung, in: FPPK 2009, 237 ff; Brandenburgischer Kulturbund eV/Helmes Seelenbilder, JVA Brandenburg 2000; Chyle Ein effektiver Ansatz der Gewaltprävention im Strafvollzug. Das Anti-Gewalt-Training nach eŇmŇo processing®, in: FS 2011, 182 ff; Dathe-Morgeneyer/Pfeffer-Hoffmann BLiS – Blended Learning im Strafvollzug, in: BewHi 2010, 42 ff; Deu Gefängnistheater. Theater zwischen Freizeitbeschäftigung, Kunst, Persönlichkeitsförderung und Resozialisierung, Saarbrücken 2004; Drenkhahn Arbeit, Ausbildung und Freizeit im Langstrafenvollzug. Ausgewählte Ergebnisse einer internationalen Untersuchung zur Menschenrechtssituation im Vollzug langer Freiheitsstrafen, in: MschrKrim 2010, 258 ff; Drewitz (Hrsg.): Schatten im Kalk – Lyrik und Prosa aus dem Knast, Stuttgart 1979; Dünkel Empirische Forschung im Strafvollzug, Bonn 1996; Eberle Didaktische Grundprobleme der Bildungsarbeit im Justizvollzug, in: ZfStrVo 1982, 99 ff; Frielinghaus Hörfunk und Fernsehen in Strafhaft (§ 69 StVollzG) – technische, rechtstatsächliche, strafvollzugsrechtliche und verfassungsrechtliche Gesichtspunkte, in: BlStV 4/5/1979, 1 ff; Funken Eine engagierte Betrachtung zu „Freizeit im Knast“ eines Inhaftierten der JVA Tegel, in: Informationsdienst Straffälligenhilfe 2011, 28 ff; Gerken Handball hinter Gittern – damit das Leben wieder lebenswert wird, in: ZfStrVo 1990, 33 f; Goldberg Freizeit und Kriminalität bei Jugendlichen. Zu den Zusammenhängen zwischen Freizeitverhalten und Kriminalität, Baden-Baden 2003; Halbhuber-Gassner Freier Raum für inhaftierte Frauen, in: FS 2009, 230 ff; dies. FreiRaum vor der Haftentlassung, in: BewHi 2009, 52 ff; Haselbauer Sport fällt im Knast genauso oft aus wie in der Schule, in: FS 2007, 196 f; Hassemer Kommunikationsfreiheit in der Haft, in: ZRP 1984, 292 ff; Herkert Freizeitgestaltung im Jugendstrafvollzug, in: Tagungsberichte der Jugendstrafvollzugskommission, Bonn 1978, Bd. IV, 1 ff; Herrmann Freizeit und Bildung im Strafvollzug, in: Rollmann (Hrsg.): Strafvollzug in Deutschland, Frankfurt 1967, 87 ff; Hötter Gefangene und die Regeln des Sports, in: ZfStrVo 1986, 94 ff; Hucht DLRG-Rettungswache mit jugendlichen Strafgefangenen, in: ZfStrVo 1986, 92 ff; Immerfall/Wasner Freizeit, Opladen u. a. 2011; Jumpertz Freizeitgestaltung als Behandlungsauftrag – eine empirische Bestandsaufnahme, in: Forensische Psychiatrie und Psychotherapie 2006, 57 ff; Klein/Koch (Hrsg.): Gefangenenliteratur. Sprechen, Schreiben, Lesen in deutschen Gefängnissen, Hagen 1988; Knauer Strafvollzug und Internet. Rechtsprobleme der Nutzung elektronischer Kommunikationsmedien durch Strafgefangene, Berlin 2006; Knobloch Information oder Unterhaltung?, in: NK 2/1997, 6; Köhne Die Erhebung von Stromkosten im Strafvollzug, in: NStZ 2012, 16 ff; Kofler Sport und Resozialisierung, Schorndorf 1976; Kruis/ Wehowsky Fortschreibung der verfassungsrechtlichen Leitsätze zum Vollzug von Straf- und Untersuchungshaft, in: NStZ 1998, 593 ff; Kudlacek/Drossel Studentische Haftgruppen. Ein alternatives Lehrangebot in der Kriminologie, in: FS 2012, 51 ff; Laubenthal Alterskriminalität und Altenstrafvollzug, in: FS Seebode, Berlin 2008, 498 ff; Lenk Voraussetzungen für eine sinnvolle Umsetzung des Sports im Strafvollzug, in: ZfStrVo 2006, 76 ff; Lewrick-Gönnecke/Kammann/Heinrichs/Hosser Zur Differenzierung zwischen unsicheren und aggressiven Teilnehmern beim Gruppentraining Sozialer Kompetenzen (GSK) im Straf- und Maßregelvollzug, in: FPPK 2009, 47 ff; Lindhorst Über die Zulässigkeit des Besitzes und der Nutzung einer Sony-Playstation 2 im Haftraum während der Verbüßung von Strafhaft, in: StV 2006, 274 ff; Mörs Das Freizeitproblem im deutschen Erwachsenenstrafvollzug, Stuttgart 1969; Müller Anforderungen an die Gestaltung des Vollzugs langer Freiheitsstrafen, in: FPPK 2011, 100 ff; Müller-Ebeling Naikan – neue Wege im Justizvollzug, in: FS 2008, 183 ff; Müller-Marsell Ehrenamtliche Arbeit im Strafvollzug, in: ZfStrVo 2003, 161 ff; Neuenhausen Ich grabe nach verschütteter Kreativität – Erfahrungen mit Kunst im Strafvollzug, in: ZfStrVo 1979, 236 ff; Nickolai/Sperle Resozialisierung durch Bergsteigen?, in: ZfStrVo 1980, 34 ff; dies. Erlebnispädagogik mit Jugendlichen im Strafvollzug, in: ZfStrVo 1993, 162 ff; Ommerborn/Schuemer Einige empirische Befunde und Empfehlungen zur Weiterentwicklung des Fernstudiums im Strafvollzug, in: ZfStrVo 1997, 195 ff; Opaschowski Pädagogik der freien Lebenszeit, 3. Aufl., Opladen 1996; Pätzel Einzelfernsehen im Strafvollzug, in: BlStV 6/1993, 1 ff; Radtke Gefängnistheater, in: Koch/Streisand (Hrsg.): Wörterbuch (der) Theater-Pädagogik. 3. Aufl. Berlin 2009; Remky Wandmalereien hinter Gittern, in: ZfStrVo 1994, 91 ff; Rotthaus Partner im sozialen Umfeld des Vollzuges – Möglichkeiten und Grenzen der Zusammenarbeit, in: Kury (Hrsg.): Strafvollzug und Öffentlichkeit, Freiburg 1980, 155 ff; Ruf Das Freizeit- und Kulturprogramm der Sozialtherapeutischen Anstalt Ludwigshafen, in: ZfStrVo 1992, 179 ff; Ruppelt Kontaktgruppen im Strafvollzug, in: ZfStrVo 1980, 216 ff; Sandberger Theater in geschlossener Gesellschaft. Analyse des Gefängnistheaterprojektes in der Justizanstalt Garsten, Saarbrücken 2008; Schaede/Neubacher Podknast.de – Ein Internetprojekt im Jugendstrafvollzug, in: FS 2010, 347 ff; Schliermann/Kern Sport im Strafvollzug: Eine repräsentative Bestandsaufnahme von Sport- und Bewegungsprogrammen in deutschen Justizvollzugsanstalten, in: Neue Praxis 2011, 243 ff; Schröder Chancen und Möglichkeiten des
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Allgemeines
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Einsatzes von Spiel, Sport und Bewegung im Strafvollzug, in: ZfStrVo 1987, 140 ff; ders. Gesundheit und Sport im Justizvollzug, in: ZfStrVo 1992, 352 ff; ders. Zur Situation des Sports in den Niedersächsischen Justizvollzugsanstalten, in: ZfStrVo 1997, 143 ff; ders. Bewegung, Spiel und Sport in der Sozialtherapie, in: ZfStrVo 2005, 332 ff; Schriever Behandlungsvollzug – Anforderungen und Herausforderungen, in: ZfStrVo 2001, 329 ff; Schwind Hörfunk und Fernsehen im Strafvollzug (§ 69 StVollzG), in: ZfStrVo 1990, 361 f; ders. Tiere im Strafvollzug, in: FS Seebode, Berlin 2008, 551 ff; Schwingenheuer/Wirth Gewaltprävention im Strafvollzug aus der Sicht der Gefangenen, in: BewHi 2011, 147 ff; Sellinger/Stiels-Glenn/Witt Konfrontative Trainings zur Gewaltprävention – unwirksam, aber erfolgreich?, in: BewHi 2008, 388 ff; dies. Konfrontative Trainings zur Gewaltprävention. Voraussetzungen für ein wirksames Vorgehen, in: BewHi 2009, 58 ff; Spitzer/Meier Die Hauswirtschaftsgruppe als Modul integrativer sozialtherapeutischer Behandlung in der Justizvollzugsanstalt Straubing oder: „Leichte Kost für schwere Jungs“, in: FS 2009, 318 f; Stieglitz Theater in der SOTHA. Ein Projekt in der JVA Kassel II, in: ZfStrVo 1990, 231 f; Vogelsang Kleintierhaltung im Strafvollzug. Das Ergebnis einer Umfrage, in: ZfStrVo 1994, 67 f; Voigt-Rubio Kunst und Kreativität während der Haft. Therapeutische Potenzen der Kunst, in: ZfStrVo 1986, 20 ff; dies. Literatur als Kunst-Form des Lebens, in: ZfStrVo 1986, 228 ff; dies./Schmalenberg Kunst und Kultur im Strafvollzug, in: ZfStrVo 1988, 203 ff; Walkenhorst Animative Freizeitgestaltung im Strafvollzug als pädagogische Herausforderung, in: DVJJ-Journal 2000, 265 ff; Walter Resozialisierung durch darstellendes Spiel in der Vollzugsanstalt, Diss. jur., Hamburg 1970; Wattenberg Kreatives Training und künstlerisches Gestalten als Behandlungsmaßnahme in der Sozialtherapie, in: ZfStrVo 1992, 181 ff; ders. Kunst im Strafvollzug – 16 Jahre Erfahrung in der Arbeits- und Beschäftigungstherapie, in: ZfStrVo 1994, 288 ff; Weiß Radrennsport im Rudolf-Sieverts-Haus, in: ZfStrVo 1988, 211 ff; Weiß Sozialtherapie und Erlebnispädagogik – Eine Alpentour mit jugendlichen Strafgefangenen, in: ZfStrVo 1992, 177 f; Zeuch/Hillecke Zur musiktherapeutischen Entspannung im Strafvollzug als vitales Medium zur Gestaltung des Alltagslebens, in: ZfStrVo 2003, 265 ff; Risse im Fegefeuer – IngeborgDrewitz-Literaturpreis für Gefangene, Hagen 1989.
I.
II.
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Übersicht Allgemeine Hinweise ____ 1, 2 1. Regelung der Freizeit in der Unfreiheit ____ 1 2. Die Tradition der Freizeitbeschäftigung im deutschen Strafvollzug ____ 2 Erläuterungen ____ 3–15 a 1. Das Recht zur Freizeitbeschäftigung ____ 3 2. Kein Freizeitprogramm in § 67 ____ 4 3. Die Verpflichtung, ein Freizeitangebot zu machen ____ 5 4. Das Freizeitangebot als Behandlungsmaßnahme ____ 6–10 a) Die Unfähigkeit der Gefangenen, sich in der Freizeit zu beschäftigen ____ 7 b) Die Gefahr des Tagträumens ____ 8 c) Knastkünstler ____ 9 d) Die Gefahr des Zeit-Totschlagens ____ 10 5. Der Freizeitgestaltungsauftrag des Gesetzes ____ 11 6. Zeitlich flexible Handhabung von Arbeit und Freizeit ____ 12 7. Die Verpflichtung, sozial erwünschtes Freizeitverhalten anzuregen ____ 13 8. Das Verbot von Rechtsnachteilen durch Freizeitausschluss ____ 14
III.
IV.
9. Die Angebote in § 67 Satz 2 ____ 15 10. Kosten ____ 15 a Beispiele ____ 16–27 1. Freizeitgestaltung durch Unterricht ____ 17 2. Freizeitgestaltung durch Sport ____ 18 3. Fernunterricht in der Freizeit ____ 19 4. Weiterbildungsveranstaltungen in der Freizeit ____ 20 5. Freizeitgruppen ____ 21 6. Gruppengespräche in der Freizeit ____ 22 7. Therapeutisch ausgerichtete Freizeitangebote ____ 23 8. Soziales Training ____ 24 9. Nutzung von Anstaltsbüchereien und Fernleihe ____ 25 10. Besondere Formen der Freizeitgestaltung ____ 26 11. Neue Formen der Telekommunikation ____ 27 Landesgesetze und Musterentwurf ____ 28–34 1. Baden-Württemberg ____ 29 2. Bayern ____ 30 3. Hamburg ____ 31 4. Hessen ____ 32 5. Niedersachsen ____ 33 6. Musterentwurf ____ 34
Koepsel/Goldberg
§ 67
Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
I. Allgemeine Hinweise 1
1. Regelung der Freizeit in der Unfreiheit. Das Strafvollzugsgesetz fasst vier Paragraphen unter dem Titel Freizeit zusammen. Zur kriminologischen Bedeutung der Freizeit vgl. Goldberg 2003 und K/S-Schöch 2002 § 7 Rdn. 183 ff. Die im 8. Titel zusammen gefassten §§ 67–70 des Gesetzes sind nicht die einzigen Vorschriften, welche Regelungen für die Freizeit der Gefangenen enthalten. Den Freizeitbereich der Inhaftierten betreffen bei näherem Hinsehen eine Vielzahl von Vorschriften des Gesetzes z. B. die §§ 8, 11, 12, 13, 15, 17, 19–22, 23, 24, 26, 28, 32, 33, 42, 53–55, 73, 80, 81–85, 124, 134, 160. Mittelbar betrifft auch der 4. Abschnitt in seinem 1. und 3. Titel die Freizeit der Gefangenen. Die organisatorische und bauliche Gestaltung der Anstalten sowie das bereitgehaltene Anstaltspersonal stecken die Grenzen der Freizeitbeschäftigung für die Inhaftierten ab. Die in Deutschland bisher noch in den meisten Bundesländern gültigen vollzugsgesetzlichen Regelungen (StVollzG) und fast alle landesgesetzlichen Regelungen entsprechen inhaltlich vollauf den Empfehlungen des Europarates, vgl. die Ziffern 27.1 bis 27.7 sowie 28.1 bis 28.7 der REC vom 11. Januar 2006. Anders ist dies bei der niedersächsischen Regelung (Rdn. 33). Einen nicht unerheblichen Einfluss auf die effektiv bestehenden Freizeitgestaltungsmöglichkeiten der Inhaftierten hat in vielen Anstalten auch die Vielfalt des in der jeweiligen Vollzugsanstalt bestehenden „multikulturellen Bevölkerungsgemisches“. Bei bis zu 100 Nationalitäten und Ausländeranteilen von zuweilen über 35% an der Gefangenenpopulation reduziert sich das Freizeitangebot nicht nur für die nationalen oder ethnischen Minderheiten, sondern auch für viele deutsche Inhaftierte auf die Möglichkeiten des Fernseh- oder Rundfunkempfangs sowie der Lektüre von Büchern und Zeitschriften. Die in den Vorauflagen bereits skizzierte generelle Lagebeurteilung gilt im Wesentlichen auch heute noch. Trotz der in den letzten Jahren wieder leicht angestiegenen Zahl der Beschäftigten im Justizvollzug (vgl. zur aktuellen Personalausstattung § 155 Rdn. 3) ist die Zahl der für die Betreuung der Gefangenen zur Verfügung stehenden Kräfte des allgemeinen Vollzugsdienstes deutlich geringer als sie zur Zeit des Inkrafttretens des Strafvollzugsgesetzes war. Die besonderen Fachkräfte des psychologischen Dienstes und des Sozialdienstes werden seit der Strafrechtsänderung von 1998 stärker als früher zur Begutachtung und zur Behandlung von „Sexual- und Gewalttätern“ herangezogen und stehen demgemäß für Freizeitangebote nur noch in geringem Umfang zur Verfügung. In vielen deutschen Justizvollzugsanstalten werden die über Sport, Fernsehempfang im Haftraum und „Umschluss“ zur Nachbarzelle hinausgehenden Freizeitangebote nur noch von externen Kräften angeboten. Ehrenamtliche Betreuer (dazu Müller-Marsell 2003, 161– 163; ihre Wichtigkeit betont auch Cornel in seinen Empfehlungen für ein Brandenburgisches Resozialisierungsgesetz, in: NK 2011, 127, 135) sind insoweit die Hoffnungsträger für die Zukunft, denn andere freie Träger (mit denen die Anstalten nach § 154 Abs. 2 zu kooperieren haben), welche bisher Freizeitaktivitäten im Kreativbereich oder nach der Art der Volkshochschulen angeboten haben (dazu Walter 1999, Rdn. 281), werden in Folge des in allen Bundesländern durchgeführten „Subventionsabbaus“ ihre Angebote reduzieren müssen. Die Freizeitsituation in der JVA Tegel schildert Funken 2011, 29: „Die Freizeit im Gefängnis fristet ein Schattendasein, weil für sie nur geringe finanzielle Mittel aufgewendet werden. Auch deshalb reduzieren sich die Freizeitangebote vieler Justizvollzugsanstalten auf Angebote, die mit geringen Mitteln zu realisieren sind.“ Für eine Bestandsaufname aus der JVA Geldern vgl. Jumpertz 2006. Die zunehmende Verödung des Freizeitbereichs der Gefangenen (so auch K/S-Schöch 2002 § 7 Rdn. 196 und 197 und Haselbauer FS 2007, 196 f) trifft den deutschen StrafvollKoepsel/Goldberg
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Allgemeines
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zug in einer Phase, die durch eine hohe (wenn auch nicht mehr zunehmende) Zahl von Inhaftierten, eine Verlängerung ihrer realen Verbüßungszeiten, eine Veränderung der Insassenstruktur (u. a. Abnahme der Eigentumsdelinquenten ohne Gewalt, Zunahme der Körperverletzungs- und Drogendelinquenten) sowie durch verminderte Chancen auf eine vorzeitige Entlassung und bei den so genannten „gefährlichen Tätern“ oftmals durch das Nichtvorhandensein einer realistischen Entlassungsperspektive gekennzeichnet ist. Außerdem ist die Zahl der Gefangenen, denen weder ein lebensnaher Arbeitseinsatz noch eine angemessene Beschäftigung im Sinne der Regelung in § 37 Abs. 1 und 4 angeboten werden kann, als Folge der Entwicklung auf dem freien Arbeitsmarkt immer noch sehr hoch. Nach wie vor sind zwischen 25 und 50% der jeweiligen Gefangenenpopulation in den meisten Strafanstalten des geschlossenen Vollzuges nach Auskunft der Landesjustizverwaltungen „unverschuldet ohne Arbeit“ und erhalten deshalb in der Regel Taschengeld (§ 46). Schulische oder berufliche Bildungsmaßnahmen können entweder nicht in ausreichendem Umfang angeboten werden oder sind im konkreten Einzelfall wegen der Begabungsschwächen der Inhaftierten nicht sinnvoll. In manchen Bundesländern ist in einzelnen Anstalten für einen Teil der Gefangenen das so genannte Jobsharing und damit die Halbtagsarbeit eingeführt worden. In vielen Anstalten werden den arbeitswilligen, aber beschäftigungslosen Inhaftierten während der Arbeitszeit „arbeitstherapeutische“ Maßnahmen angeboten. Diese umfassen oft Tätigkeitsfelder, die dem entsprechen, was man früher als Bastelarbeiten bezeichnete. Zudem bestehen in den meisten Bundesländern für beschäftigungslose Gefangene Freizeitangebote während der Tageszeit. So wird eine zweistündige (!) Bewegung im Freien mit Sportangeboten kombiniert oder es wird für mehrere Stunden am Tag die künstlerische Betätigung der Inhaftierten durch Spielen von Musikinstrumenten, Proben für Theateraufführungen oder das Malen von Bildern bzw. das Fertigen anderer Kunstwerke ermöglicht (zu den Ergebnissen einer Umfrage zu Angeboten von Kunst und Kreativität in Haft vgl. Bammann/Feest 2007). Neuerdings sind oft auch moderne elektronische Spielgeräte zugelassen. Überdies gibt es tagsüber Bildungsmaßnahmen (wie PC-Kurse, Sprachen), Soziale Kompetenztrainings und Beratungsangebote (Schulden, Sucht), die insbes. von den nicht beschäftigten Häftlingen in Anspruch genommen werden können. Gerade in der für viele Inhaftierte trostlosen Lage ist es besonders wichtig, auf den gesetzlichen Auftrag hinzuweisen, dass Freizeitangebote im Strafvollzug in ein Behandlungskonzept zu integrieren sind (so richtig C/MD 2008 Rdn. 1; vgl. auch unten Rdn. 11). Dabei spielen nicht nur die anstaltsinternen Angebote eine wichtige Rolle, sondern insbesondere auch die Kontakte nach außen. Neben der Zulassung Ehrenamtlicher oder der Einladung von Referenten oder Künstlern sind Aktivitäten außerhalb der Anstalt im Rahmen von Vollzugslockerungen (§ 11) besonders sinnvoll, z. B. die Teilnahme an Sportwettkämpfen oder der Besuch kultureller Veranstaltungen. Diese sind nicht schon grundsätzlich wegen Sicherheitsbedenken zu verweigern, da bei Vollzugslockerungen die Versagerquote gering ist (so auch AK-Boetticher 2012 Rdn. 14). Allerdings sind bei Ausführungen die personellen und organisatorischen Möglichkeiten der Anstalt zu berücksichtigen (§ 11 Rdn. 6). Zur besonderen Bedeutung der Freizeit im Langstrafenvollzug vgl. Müller FPPK 2011, 100, 104 f sowie Drenkhahn MschrKrim 2010, 258, 264 (unter Hinweis auf die Standards des Europäischen Komitees zur Verhinderung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe (CPT) von 2001). Nach den Vorstellungen des Gesetzgebers zerfällt der Tageslauf der Gefangenen in Arbeit bzw. arbeitsähnliche Aus- und Fortbildung, in Ruhezeit und in Freizeit (vgl. § 82 Abs. 1; s. auch C/MD 2008 Rdn. 5 und AK-Boetticher 2012 Rdn. 1). Das Strafvollzugsgesetz enthält jedoch keine Vorschrift, welche die zeitliche Gliederung des Tagesablaufs vorschreibt. Allerdings sind die Vollzugsbehörden verpflichtet, die Bedeutung der Freizeitgestaltung 617
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für die Behandlung der Gefangenen in weitest möglichem Umfang zu beachten (so auch C/MD 2008 Rdn. 5). Wie gering die tatsächlich für Freizeitbeschäftigungen zur Verfügung stehende Zeit sein kann, beschreibt Funken 2011. Ein starres Festhalten am früher üblich gewesenen Tagesrhythmus widerspricht in heutiger Zeit nicht nur dem Angleichungsgrundsatz (§ 3 Abs. 1) sondern vernachlässigt bei etlichen Gefangenen auch den Integrationsgrundsatz (§ 3 Abs. 3). Arbeitszeit und Freizeit – sowie bei Schichtarbeit auch die Ruhezeit – können in unterschiedlichster Weise variiert werden (so auch C/MD 2008 Rdn. 5; ablehnend Arloth 2011 Rdn. 2; vgl. auch unten Rdn. 12). Das in § 67 Satz 1 formulierte Angebotskonzept muss bei sozialstaatlicher Auslegung der Vorschrift als Teil des im Gesetz enthaltenen Behandlungsauftrages interpretiert werden, so dass sowohl der „Angleichungsgrundsatz“ (§ 3 Abs. 1) als auch der „Gegensteuerungs- und der Integrationsgrundsatz“ (§ 3 Abs. 2 und 3) zu beachten sind (Freizeit als Feld sozialen Lernens, vgl. Laubenthal 2011 Rdn. 608). Die als Folge des Freiheitsentzuges zwangsläufige Reduzierung des Freizeitbereichs der Gefangenen wird allerdings vom Gesetzgeber unterstellt (§ 3 Abs. 1: … „soweit als möglich“ …). Urlaubs- und Bildungsreisen sowie die meisten der bei freien Bürgern besonders beliebten Vergnügungen – mit und ohne Alkohol – sind innerhalb von Justizvollzugsanstalten nicht möglich. Nicht unerwähnt bleiben darf an dieser Stelle, dass für viele ausländische Gefangene das in ihren Herkunftsländern übliche Freizeitverhalten oft nicht einmal ansatzweise ermöglicht werden kann. Dies zu akzeptieren fällt manchen „Inhaftierten mit Migrationshintergrund“ schwer. 2
2. Die Tradition von Freizeitbeschäftigung im deutschen Strafvollzug. Vor Inkrafttreten des Strafvollzugsgesetzes wurden Strafgefangene in vielen geschlossenen Justizvollzugsanstalten in ihrer arbeitsfreien Zeit oft nur in ihre Hafträume eingesperrt und hatten neben der „Bewegung im Freien“ wenige Angebote zur Freizeitgestaltung. Das Lesen von Büchern, in geringem Umfang das Basteln und der Besuch von Gottesdiensten oder anderen religiösen Gruppen waren die wenigen Möglichkeiten, Freizeit aktiv zu verbringen. Im Blick auf diese Tradition der „quälenden Langeweile“ (vgl. Bode 1988, 327) setzte § 67 neue Akzente hinsichtlich der Freizeitgestaltung der Strafgefangenen. Der Konzeption des Gesetzgebers lag die Erkenntnis zu Grunde, dass Menschen, denen es gelingt, ihre Freizeit mit sie zufriedenstellender Beschäftigung zu füllen, eine größere Chance haben, ein straffreies Leben zu führen, als Menschen, die sich in ihrer Freizeit nicht oder nur schlecht selbst beschäftigen können (im Ergebnis ähnlich Calliess 1992, 138, Walter 1999, Rdn. 281 und Goldberg 2003, 160 ff). Für die meisten Strafgefangenen ist eine als sinnvoll empfundene Freizeitbeschäftigung etwas neu zu Erlernendes (vgl. Rdn. 3; s. die Angaben von einzelnen Gefangenen bei Echtler ZfStrVo 1982, 150 ff, 153). Sie sollen nach ihrer Entlassung Möglichkeiten kennen, einer zufriedenmachenden Freizeitbeschäftigung nachzugehen. Dies wird die Gefahr mindern, sich in Gruppen Gleichgesinnter zu flüchten. In solchen Gruppen werden – wie langjährige Erfahrungen bei der Durchführung von Behandlungsuntersuchungen in der Einweisungsanstalt Hagen/Westfalen (§ 152 Abs. 2) ergeben – vielfach neue Straftaten geplant. Unter Beachtung solcher Erkenntnisse vergrößerten die Anstaltsverwaltungen nach Inkrafttreten des Strafvollzugsgesetzes das Freizeitangebot beträchtlich. In den letzten Jahren war diese Entwicklung allerdings rückläufig. Die hohe Belegung in den Anstalten mehrerer Bundesländer (§ 146 Rdn. 5) führte zum Einrichten von Notgemeinschaften und zur „Reaktivierung“ von zeitweilig als Freizeiträume zur Verfügung gestellten früheren Hafträumen. Inwieweit das schon gegen § 145 Abs. 2 verstieß, ist fraglich; ganz sicher ausgeschlossen ist aber eine Umwidmung von Freizeiträumen in Hafträume (so auch AKBoetticher 2012 Rdn. 7). Parallel dazu entwickelte sich in etlichen Justizvollzugsanstalten Koepsel/Goldberg
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ein anderer ungünstiger Trend: trotz steigender Belegung erfolgte eine geringere Zuweisung von Planstellen für Bedienstete wegen der Verknappung der Haushaltsmittel. Viele Bedienstete mussten oft mehr Überstunden im Rahmen ihrer Pflichtarbeit leisten, so dass ihre Neigung zu freiwilligem Engagement im Freizeitbereich der Gefangenen nachließ. Ob dieser Trend trotz der in den letzten Jahren nachlassenden Belegungsdichte anhält, bleibt abzuwarten. Die (schon erwähnte) frühere Tradition der „quälenden Langeweile“ hat sich also wieder verbreitet (zur Verbreitung insb. passiver Freizeitbeschäftigungen vgl. Drenkhahn MschrKrim 2010, 258 ff). In Folge der Möglichkeiten ständigen Fernsehempfangs und der Nutzung anderer Unterhaltungsgeräte gestaltet sich die Langeweile nicht mehr so quälend für die betroffenen Gefangenen. Sie stellt sich angesichts des Verurteilt Seins zu nur passiver Rezeption der oft gleichartigen Fernsehprogramme und der längerfristig eintönigen Angebote der Unterhaltungselektronik im Laufe der Haft dann doch bald ein. Diese Entwicklungstrends sind nach wie vor zu beklagen, obwohl § 67 neue Akzente für die Freizeitgestaltung der Gefangenen hat setzen wollen. In der Vollzugspraxis wird oft vergessen, dass die Rechtslage seit 1977 (bis auf die Neureglungen in den Landesgesetzen, vgl. Rdn. 28 ff) unverändert geblieben ist. II. Erläuterungen 1. Das Recht zur Freizeitbeschäftigung. Der Gefangene „erhält Gelegenheit“, 3 sich in seiner Freizeit zu betätigen. Diese Formulierung enthält gemessen an der Tradition des custodialen deutschen Strafvollzuges keine Selbstverständlichkeit, sondern schafft dem Gefangenen eine Rechtsposition. Der Gesetzgeber verpflichtet die Strafgefangenen nicht, sich in ihrer Freizeit zu betätigen, sondern er gibt das Recht, dies zu tun. Die Gefangenen haben jedoch nicht das Recht, an bestimmten gemeinschaftlichen Freizeitveranstaltungen teilzunehmen (OLG Koblenz ZfStrVo 1986, 253 f; K/S-Schöch 2002, Rdn. 190). Bietet eine Justizvollzugsanstalt allerdings Freizeitgruppen an, die den besonderen Neigungen oder Begabungen einzelner Gefangener entsprechen, so hat der Gefangene grundsätzlich einen Rechtsanspruch auf Teilnahme (OLG Nürnberg ZfStrVo 1980, 52; OLG Karlsruhe NStZ-RR 2002, 315–317); dies gilt insbesondere für den grundrechtlich geschützten Bereich der Kunst (OLG Nürnberg ZfStrVo 1989, 374 mit Anm. Matzke/Bartl ZfStrVo 1990, 54) sowie der religiösen Betätigung (OLG Koblenz ZfStrVo 1988, 54 ff), aber auch für Fortbildung (OLG Celle, Beschl. vom 28.11.2002 – 1 Ws 336/02). Auch die Ziffern 27.3 bis 27.7 und 28.1 bis 28.5 der Europäischen Strafvollzugsgrundsätze (REC) enthalten entsprechende Vorgaben. § 67 trägt der Tatsache Rechnung, dass der Strafgefangene nach seiner Entlassung das Problem haben wird, sich freiwillig in seiner Freizeit zu beschäftigen. Er soll diese Fähigkeit während des Vollzuges nicht nur nicht verlernen, sondern muss sie oft erst erlernen (vgl. schon Rdn. 2; so auch AK-Boetticher 2012 Rdn. 5). Zur Mitwirkung des Gefangenen grundsätzlich § 4 Rdn. 3 ff. 2. Kein Freizeitprogramm in § 67. Der Gesetzgeber stellt in § 67 kein detailliertes 4 Programm für eine geplante Freizeit auf. Die gesetzliche Regelung setzt aber voraus, dass auch für inhaftierte Menschen die Freizeit ein Lebensbereich ist, den sie so ausfüllen sollten, dass sie mit ihrer Lebensführung zufriedener sind als diejenigen, deren Leben durch Phantasielosigkeit und Langeweile bestimmt wird (ausführlich dazu Goldberg 2003). Dass die Ansprüche der Gefangenen bzgl. der Ausgestaltung ihrer Freizeit nicht übertrieben sind, beschreibt Jumpertz 2006, 665: Vielen würde schon die Möglichkeit 619
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ausreichen, sich bei Aufschluss in einem Freizeitraum mit Beschäftigungsmöglichkeiten (wie Gesellschaftsspielen, Darts, Kicker) treffen zu können. 5
3. Die Verpflichtung, ein Freizeitangebot zu machen. Die Vollzugsverwaltung ist deshalb verpflichtet, den Gefangenen im Rahmen des in einer Strafanstalt Möglichen das Angebot zu machen, sich in ihrer Freizeit zu beschäftigen (so auch C/MD 2008 Rdn. 3). Diese Verpflichtung ist ein Unterfall der in § 4 Abs. 1 Satz 2 geregelten Motivationspflicht der Vollzugsverwaltung (§ 4 Rdn. 7); im JVollzGB und dem ME-StVollzG sind die Motivation und Anleitung zur Teilnahme an Freizeitangeboten sogar gesetzlich normiert (vgl. Rdn. 29 und 34). Die Freizeitangebote im Vollzug müssen deshalb attraktiv sein und vor allem Aktivitäten ermöglichen, die für den Gefangenen nach seiner Entlassung in die Freiheit ebenfalls realisierbar sind (im Ergebnis ähnlich AK-Boetticher 2012 Rdn. 5 und Walter 1999 Rdn. 281). Zur Motivierung vgl. ferner § 2 Rdn. 13; § 4 Rdn. 9. Sinnvoll ist die Mitwirkung einzelner Gefangener sowie der Gefangenenmitverantwortung (§ 160) an der Ausarbeitung der Freizeitangebote (so auch AK-Boetticher 2012 Rdn. 15).
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4. Das Freizeitangebot als Behandlungsmaßnahme. Die Zielsetzung des Strafvollzugsgesetzes hinsichtlich der Ausgestaltung der Freizeit der Strafgefangenen wird in vielen Justizvollzugsanstalten heute mehr als in den ersten Jahren nach Inkrafttreten des Strafvollzugsgesetzes außer Acht gelassen. In Niedersachsen hat der Landesgesetzgeber unter Ausnutzung seiner neuen Zuständigkeit (zumindest für den Erwachsenenvollzug) ein kümmerliches Freizeitangebot gesetzlich fixiert (§§ 64 bis 67 NJVollzG; vgl. dazu unten Rdn. 33). Unabhängig von Vollbelegung und Personalknappheit führen weitere durchaus vermeidbare Organisationsmängel oft zur Verschlechterung des Freizeitangebots. So werden viele der verbliebenen Freizeitgruppen manchmal unter dem Vorwand von „Sicherheitsbedenken“ überreglementiert, so dass zu wenige Gefangene zu den angesetzten Gruppenstunden „hintrotten“ dürfen und die meisten in der Zelle vor dem Radio- oder Fernsehgerät sitzen bleiben müssen. Doch nicht nur das „Ausdünnen“ der Freizeit der Inhaftierten ist ein der gesetzlichen Intention widersprechendes Verhalten von Bediensteten, sondern auch das mittelbare Fördern von Freizeitverhalten, welches die Gefangenen in ihrer Lebensuntüchtigkeit bestärkt.
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a) Die Unfähigkeit der Gefangenen, sich in der Freizeit zu beschäftigen. Die Unfähigkeit zur Freizeitgestaltung könnten die Vollzugsbediensteten bei vielen Gefangenen aufspüren. Manche Inhaftierte suchen keine Gelegenheit, sich in ihrer Freizeit zu beschäftigen. Die von ihnen vor der Inhaftierung bevorzugten Freizeitgewohnheiten können sie in der Haft nur unvollkommen fortsetzen. In Gemeinschaftshafträumen oder beim „Umschluss“ auf der Nachbarzelle pflegen sie als Ersatz für Kneipengespräche prahlerisch über ihre Abenteuer zu sprechen oder sie versuchen sich bei sog. „LolloParties“ mit aufputschendem Kaffeegetränk und zunehmend auch mit Rauschgiften anderer Art ein Ersatzmilieu für eine Kneipe zu schaffen. Andere Inhaftierte verbringen fast ihre gesamte Freizeit dösend im Bett. Nehmen die Vollzugsbediensteten dieses Gefangenenverhalten tatenlos hin, so wird den betroffenen Gefangenen faktisch kein Freizeitangebot im Sinne des § 67 nahe gebracht.
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b) Die Gefahr des Tagträumens. Jeder Vollzugsbedienstete kennt die Tagträumer, die ihre Haftsituation dadurch zu verbessern versuchen, dass sie in ihrer Freizeit von einer besseren Zukunft träumen. Solche Träume werden zuweilen angeregt durch rührKoepsel/Goldberg
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selige Romanliteratur oder auch durch pornografische Zeitschriften und Fernsehfilme. Auch können Gespräche in Gemeinschaftshafträumen dem gemeinsamen Tagträumen dienen. Lassen die Vollzugsbediensteten das Tagträumen der Gefangenen kommentarlos zu, weil der träumende Gefangene ein bequemer, ein „ruhiger Gefangener“ ist, so unterlassen sie ebenfalls das vom Gesetz gewünschte Freizeitangebot (Rdn. 5). c) Knastkünstler. Ein die Sozialisation förderndes Freizeitangebot setzt voraus, 9 dass die Bediensteten eine lediglich haftspezifische Motivation für sinnvolles Freizeitverhalten der Gefangenen nicht nur schweigend hinnehmen, sondern thematisieren. In Einzelfällen kann das Resozialisierungsziel ein Verbot von Freizeitaktivitäten (z. B. Gewaltvideos) rechtfertigen (zutr. Arloth 2011 Rdn. 4), jedoch ist die primäre Aufgabe des Vollzugsstabes, den Gefangenen sinnvolle Freizeitaktivitäten nahe zu bringen. In vielen Justizvollzugsanstalten gibt es Gefangene, die in durchaus sinnvoller Weise ihre Freizeit nutzen, zugleich jedoch berichten, dass sie nach ihren früheren Haftentlassungen die in der Haft praktizierten Freizeitbeschäftigungen niemals aufgegriffen haben. Fast alle Justizvollzugsanstalten kennen die sog. „Knastkünstler“. Solche Künstler malen kunstvolle Bilder oder erstellen oft recht wertvolle Arbeiten aus Holz, Ton, Kupfer, Blei oder anderen Werkstoffen (vgl. Ludemann ZfStrVo 1978, 105 ff und Remky 1994). Andere Gefangene schreiben Kurzgeschichten oder verfassen Gedichte (vgl. Drewitz 1979). Mancher Inhaftierte schreibt auch seine Lebenserinnerungen oder verfasst längere, sehr lebendige Briefe an Angehörige und Freunde, die einem Tagebuch gleichkommen. Die skizzierten Freizeitbeschäftigungen bringen nicht nur Abwechslung in den als eintönig empfundenen „Knastalltag“, sondern sie verschaffen den Gefangenen z. T. auch zusätzliche finanzielle Einkünfte und Ansehen bei Vollzugsbediensteten und Mitgefangenen. Auch wenn die Aktivitäten nach der Entlassung nicht fortgesetzt werden, haben sie also während der Zeit des Vollzuges sehr positive Auswirkungen für die Gefangenen, so dass sie grundsätzlich zu fördern sind (zu den positiven Auswirkungen vgl. Bammann/Feest 2007, 45). Hohe Anerkennung in der Strafanstalt verschafft auch die Tätigkeit des „Rechtsbeistandes“, der für Mitgefangene Anträge, Eingaben und Beschwerden aller Art formuliert (zur Rechtsberatung für Mitgefangene OLG Hamm NStZ 1982, 438; vgl. auch § 115 Rdn. 8). Entspringen diese Freizeitbeschäftigungen lediglich haftspezifischer Motivation, so sind die Bediensteten gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 verpflichtet, mit den Gefangenen den Sinn ihres Freizeitschaffens zu erörtern. d) Die Gefahr des Zeit-Totschlagens. Das Besprechen von Freizeitaktivitäten ist 10 auch dann erforderlich, wenn Freizeitbeschäftigung in der Strafanstalt von Gefangenen nur dazu benutzt wird, „die Zeit totzuschlagen“. „Die Zeit geht besser rum“, sagen die Gefangenen und nehmen Freizeitangebote nur wahr, um „mal aus der Hütte raus zu kommen“. Gespräche mit Kontaktgruppen freier Bürger, die mit Tabakwaren und Kaffee in die Anstalt kommen, für Abwechslung sorgen und die Gelegenheit geben, junge attraktive Frauen aus der Nähe zu betrachten, sowie Gesprächsgruppen mit den Fachkräften des Vollzuges, in denen man diese Fachkräfte für sich einnehmen kann, um dadurch die Hilfe des Psychologen, des Sozialarbeiters oder Pfarrers für besondere Problemlagen zu gewinnen, sind Beispiele solch haftspezifischen Freizeitverhaltens. Nur wenige Hinweise des Personals reichen oft, um bei Kontakten zu den Fachkräften des Vollzuges sowie zu Mitgliedern von Kontaktgruppen aus der zunächst vordergründigen Motivation der Gefangenen einen positiven Entwicklungsprozess werden zu lassen. Nach solchen Gesprächen werden die meisten Inhaftierten selbstkritischer und realitätsbezogener (zu Kontaktgruppen vgl. auch Rdn. 21 f sowie AK-Boetticher 2012 Rdn. 14 und 17).
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5. Der Freizeitgestaltungsauftrag des Gesetzes. § 67 enthält wie viele andere Vorschriften des Gesetzes einen Behandlungsauftrag (ebenso C/MD 2008 Rdn. 1). Das Strafvollzugsgesetz lässt es entsprechend rechtsstaatlichen Grundsätzen gleichwohl zu, dass Gefangene ihre Freizeit im Rahmen des im Vollzug Zulässigen auch unsinnig gestalten. Insoweit weist AK-Boetticher 2012 Rdn. 5 zu Recht darauf hin, dass Gefangene nicht ständig behandelt werden wollen und ihnen (ebenso wie in den allgemeinen Lebensverhältnissen, § 3 Abs. 1) reine Zerstreuung gebührt. Dies entspricht auch dem Verständnis der Funktionen von Freizeit, die nicht nur zur Edukation, Integration, Partizipation und Enkulturation da ist, sondern auch zur Rekreation, Kompensation, Kontemplation und Kommunikation (Opaschowski 1996, 90 ff; ähnlich Immerfall/Wasner 2011, 13 ff; aus einer Befragung von Jumpertz 2011, 67 ergibt sich, dass für die Gefangenen die Rekreation und Kompensation die wichtigsten Bedürfnisse in der Freizeit sind). § 2 Satz 1 gilt als sozialstaatliche Auslegungsregel auch für § 67, d. h. der Gesetzgeber erwartet vom Vollzugsstab, dass der Gefangene im Rahmen der Freizeitgestaltung lernt, die Freizeit sinnerfüllt zu erleben (zum Vollzugsziel § 2 Rdn. 12 ff). Dazu ist auch erforderlich, den Inhaftierten deutlich zu machen, dass jeder Mensch das Problem der Freizeitbewältigung hat. Wenn Gefangene während des Vollzuges Freude an bestimmten Freizeitbeschäftigungen (z. B. Theaterspielen, aber auch kreativem Gestalten) gewinnen und diese dann in der Freiheit weiterführen, so ist dies ein Behandlungserfolg. Es gibt speziell ausgebildete Sozial- bzw. Freizeitpädagogen, die solche Erkenntnisse fachkundig vermitteln könnten (zu den Möglichkeiten animativer Freizeitgestaltung im Strafvollzug vgl. Walkenhorst 2000). Die Vollzugsverwaltungen der Länder beschäftigen solche Fachkräfte allerdings nach wie vor zu selten (so auch AK-Boetticher 2012 Rdn. 13; a. A. unter Verweis auf die Staatsfinanzen Arloth 2011 Rdn. 4). Dennoch soll nicht unerwähnt bleiben, dass in den meisten Bundesländern Bemühungen bestehen, Freizeitkoordinatoren von anderen Dienstgeschäften freizustellen. Solchen Bediensteten kann es durchaus gelingen, mit Hilfe von Honorarkräften und ehrenamtlichen Betreuern zusätzliche Freizeitangebote für Gefangene zu gestalten (vgl. den Überblick bei Bierschwale/Detmer/Köhler/Kramer 1995 und bei Wattenberg 1994). Bemühungen wie in Nordrhein-Westfalen, wo Fachkräfte des Jugendvollzuges für die Freizeitpädagogik speziell geschult werden, sollten unbedingt auf den Erwachsenenbereich ausgedehnt werden.
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6. Zeitlich flexible Handhabung von Arbeit und Freizeit. Die meisten Inhaftierten meinen, dass die in § 67 Satz 2 aufgezählten Veranstaltungen wie Fernunterricht, Lehrgänge und sonstige Veranstaltungen der Weiterbildung und auch die Gruppengespräche Veranstaltungen sind, die eine Freistellung von der Arbeitspflicht zur Folge haben müssten, d. h. die Inhaftierten halten diese vom Gesetz als Freizeitbeschäftigung angesehenen Veranstaltungen für so anstrengend, dass sie diese mit Arbeit gleichsetzen. Die Teilnahme an therapeutischen Gesprächen wird nicht nur von Gefangenen, sondern auch von den therapeutischen Fachkräften als arbeitsgleiche Anstrengung empfunden. Deshalb müssten therapeutische Gespräche in der Arbeitszeit erfolgen. Die Formulierung in § 67 Satz 2 lässt einerseits erkennen, dass der Gesetzgeber versucht, den Gefangenen die Erfahrung nahe zu bringen, dass es sich lohnt, die Freizeit zur Weiterbildung und zu Gesprächen zu nutzen, welche die Persönlichkeitsentwicklung fördern. Andererseits steht die Regelung in § 67 nicht der Entwicklung eines ganzheitlich pädagogisch ausgerichteten Behandlungskonzepts entgegen, wonach Arbeit und kreative Freizeitgestaltung in Anlehnung an Entwicklungen außerhalb des Vollzuges zeitlich flexibel geordnet werden müssen. Mit Recht weisen C/MD 2008 (Rdn. 5 bis 7) darauf hin, dass eine Flexibilisierung der Arbeitszeit der Gefangenen und eine Verlegung bestimmter Freizeitaktivitäten (z. B. Bildhauerei, Malen, Sport) in die Vormittagszeit therapeutisch indiziert Koepsel/Goldberg
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sind. Die Leistungskurve des Menschen hat tageszeitlich gesehen am Vormittag einen Höhepunkt und wird deshalb kreatives Handeln begünstigen. Dies wiederum würde in der Erlebniswelt der Gefangenen Freizeitaktivitäten positiv verankern. Solches entspricht § 2 Satz 1 mehr als bloßes Ermöglichen von Freizeitaktivitäten „nach Feierabend“. Für derartige Umstrukturierungen des Tagesablaufs besteht zurzeit noch zu wenig Interesse bei den justizpolitisch Verantwortlichen, obwohl die Verknappung von Arbeit in den Anstalten konzeptionell neue Wege nahelegen würde. Es genügt nicht, nur die Freizeitangebote für arbeitslose Gefangene in die Tageszeit zu verlegen. Ein Hemmnis bei der Entwicklung eines zeitlich flexiblen Wechsels von Arbeit und Freizeitangeboten ist die Haltung der Vollzugsbediensteten, möglichst ihren eigenen „Dienst zu ungünstigen Zeiten“ zu vermeiden (vgl. auch Rdn. 16). 7. Die Verpflichtung, sozial erwünschtes Freizeitverhalten anzuregen. Die Voll- 13 zugsverwaltung soll durch ihre Anregungen zur Freizeitgestaltung versuchen, das Freizeitverhalten der Gefangenen so zu beeinflussen, dass sie sozial erwünschtes Freizeitverhalten lernen. Dies muss durch entsprechende Ausgestaltung der Freizeitangebote und durch gezielte Motivationshilfen im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 zu erreichen versucht werden (Rdn. 5). 8. Das Verbot von Rechtsnachteilen durch Freizeitausschluss. Aus der Formu- 14 lierung des § 67 Satz 1 folgt, dass die Nichtteilnahme an angebotenen Freizeitveranstaltungen für Gefangene keine Rechtsnachteile bringen darf (a. A. ohne nähere Begründung z. T. Grunau/Tiesler 1982 Rdn. 3). Der zeitweilige Ausschluss von Freizeitveranstaltungen ist hingegen als Disziplinarmaßnahme gem. § 103 Abs. 1 Nr. 3, 4 und 5 möglich. Die Anwendung dieser Disziplinarmaßnahmen muss allerdings unter Berücksichtigung der aus § 67 Satz 1 in Verbindung mit § 4 Abs. 1 Satz 2 abzuleitenden Motivationspflicht erfolgen. Unbedenklich kann von den genannten Disziplinarmaßnahmen Gebrauch gemacht werden, soweit Gefangene in bestimmten Freizeitveranstaltungen als Störer aufgetreten sind. Dies folgt ausdrücklich aus § 103 Abs. 4 Satz 1, wonach ein Zusammenhang zwischen der Verfehlung und der Disziplinarmaßname bestehen soll. Eine solche Einschränkung der Freizeitbeschäftigung der Gefangenen wirkt nicht demotivierend, weil sie als unmittelbare Folge störenden Verhaltens im Freizeitbereich von dem betroffenen Gefangenen erlebt werden kann. Auch weitergehende disziplinarische Freizeitbeschränkungen sind in engen Grenzen vertretbar (vgl. § 103 Rdn. 3). In Anbetracht der Tatsache, dass ein Motivieren von Gefangenen zu sinnerfülltem Freizeitverhalten jedoch sehr schwer ist, bestehen gegen jede extensive Anwendung der in § 103 Abs. 1 Nr. 3, 4 und 5 vorgesehenen Disziplinarmaßnahmen erhebliche Bedenken (so auch AK-Boetticher 2012 Rdn. 9; a. A. ohne nähere Begründung Arloth 2011 Rdn. 3). 9. Die Angebote aus § 67 Satz 2. In § 67 Satz 2 zählt der Gesetzgeber beispielhaft 15 einige Möglichkeiten der Freizeitgestaltung auf. Die Justizvollzugsanstalten können und sollten (wegen des Angleichungsgrundsatzes aus § 3 Abs. 1) über die im Gesetz aufgezählten Angebote hinausgehen. Der Gefangene hat allerdings keinen Rechtsanspruch auf Bereitstellung aller in § 67 Satz 2 aufgezählten Freizeitangebote, aber einen Rechtsanspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung (ebenso C/MD 2008 Rdn. 2, ähnlich AK-Boetticher 2012 Rdn. 4, vgl. auch § 4 Rdn. 12). Die Vorschrift des § 67 Satz 2 ist lediglich eine Sollvorschrift, weil die Möglichkeiten zu Freizeitangeboten vom Personalbestand und den räumlichen und finanziellen Möglichkeiten der einzelnen Anstalten abhängen. Dennoch ist jede Anstalt verpflichtet, überhaupt ein dem Gesetz inhaltlich Rechnung tragendes Freizeitangebot zu machen (vgl. OLG Koblenz ZfStrVo 1995, 243). 623
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Gesetzwidrig wäre das Verhalten einer Vollzugsanstalt, die keine nennenswerten Freizeitangebote bereithält, denn solche Anstalten, in denen Gefangene nach der Ausgabe der Mahlzeiten unter „Nachtverschluss“ in ihren Hafträumen gehalten werden, würden die Regelung in § 67 Satz 1 leer laufen lassen. Auch würde ein derartiges Verhalten des Vollzugsstabes die Empfehlungen des Europarates (REC Ziffern 27.3 bis 27.7 und 28.1 bis 28.7) missachten (vgl. Rdn. 2). 15 a
10. Kosten. Wegen der Wichtigkeit der Freizeit für die Behandlung der Gefangenen sollten Gegenstände, die fortwährend für die Freizeit benötigt werden, auf Kosten der Anstalt angeschafft werden (so z. B. Sportgeräte, Musikanlagen für Freizeiträume, Staffeleien, Musikinstrumente, Gesellschaftsspiele, aber auch die wichtigsten Tageszeitungen, die in Aufenthaltsräumen ausgelegt werden sollten; so auch AK-Boetticher 2012 Rdn. 26; differenzierend Arloth 2011 Rdn. 4). Verbrauchbare Materialien dagegen sind von den Gefangenen auf eigene Kosten zu beschaffen, zumal wenn sie aus dem Verkauf von Kunstgegenständen Erlöse erzielen (die nach der VV für die Erfüllung von Unterhaltspflichten, zur Schadenswiedergutmachung und sonstigen Begleichung von Verbindlichkeiten sowie für die Zahlung von Steuern zu verwenden sind). Zur Erweiterung der Freizeitmöglichkeiten sollte versucht werden, finanzielle Unterstützung von außen einzuwerben. III. Beispiele
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Wenn eine Vollzugsanstalt dem gesetzlichen Auftrag des § 67 Rechnung trägt, müsste sie ihre Bediensteten zu „ungünstigen Dienstzeiten“ verstärkt einsetzen. Der gegenwärtige Trend, Dienstposten abends und am Wochenende „wegen Personalmangels“ abzubauen, missachtet die Zielvorgaben des Gesetzes. In vielen Anstalten hat man den Eindruck, dass es der Justizverwaltung eher um die Verbesserung des Freizeitangebotes für Beamte und kaum noch um eine Verbesserung der Freizeitgestaltung der Gefangenen geht. Nach wie vor wäre es gut, wenn nicht nur der Allgemeine Vollzugsdienst in der arbeitsfreien Zeit der Gefangenen eingesetzt würde, sondern auch die besonderen Fachdienste, denn ein sozialisierendes Freizeitangebot erfordert auch die Anwesenheit geschulter Fachkräfte. Diese Erkenntnis hat einige Landesjustizverwaltungen dazu veranlasst, besondere Dienststundenregelungen für Fachdienste zu erlassen, so dass Dienstzeiten bis in die Abendstunden (teilweise sogar bis 22.00 Uhr) möglich oder sogar in einem bestimmten Umfang verpflichtend sind. Im Strafvollzug sind bei entsprechender Planung der Leitungen der Justizvollzugsanstalten für einen Großteil der Gefangenen differenzierte Freizeitangebote möglich (vgl. AK-Boetticher 2012 Rdn. 16–25, sowie ausführlich Mörs 1969 und Bode 1988, 325 ff). Auch für viele ausländische Inhaftierte ist in Sport- oder Musikgruppen ein Minimum an Freizeitangeboten entwickelbar.
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1. Freizeitgestaltung durch Unterricht. Unterricht, soweit er nicht schulabschlussbezogen angeboten wird (§ 38 Rdn. 11), soll in der Freizeit stattfinden. Es kann sich dabei um allgemeinbildenden Unterricht handeln, um Sprachunterricht, um Elementarunterricht für ausländische Gefangene in der deutschen Sprache und um Unterricht in Fächern, die in Freiheit von den Volkshochschulen angeboten werden (vgl. Eberle 1982).
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2. Freizeitgestaltung durch Sport. Sport- und Teilnahme an Sportveranstaltungen werden erfreulicherweise in immer mehr Justizvollzugsanstalten ermöglicht. Die Sportangebote in vielen Anstalten entsprechen inzwischen durchaus den gesetzlichen Zielvorgaben. Die Teilnahme an größeren Sportveranstaltungen ist allerdings oft nur außerKoepsel/Goldberg
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halb der Anstalt möglich und setzt deshalb Gefangene voraus, die für entsprechende Ausführungen i. S. des § 11 geeignet sind (vgl. Kofler ZfStrVo 1981, 77 ff; Behnke 1980; Kellerhals ZfStrVo 1982, 13 ff; Gerken 1990 und § 11 Rdn. 6, 13 ff). In Niedersachsen ist Sport möglicherweise demnächst das einzige Freizeitangebot für Gefangene außerhalb der Hafträume (§ 64 NJVollzG, vgl. Rdn. 33). Sport kann durchaus einen hohen sozialpädagogischen Stellenwert haben, auch wenn nicht automatisch behandlerische oder sogar therapeutische Effekte erzielt werden können (so auch AK-Boetticher 2012 Rdn. 19); mangels pädagogischer Ausbildung des die meisten Sportangebote betreuenden Personals werden therapeutische Effekte in der Praxis allerdings nur selten zu erreichen sein (vgl. Schliermann/Kern 2011, 253). Kraftsport ist in vielen Anstalten ein bei den Gefangenen beliebtes Angebot geworden (obwohl er durchaus auch kritisch betrachtet werden sollte, vgl. Schliermann/Kern aaO, 254). Ob die Beliebtheit sinkt, wenn dafür bezahlt werden muss (Thüringer OLG, Beschl. vom 11.7.2005 – 1 Ws 111/05), bleibt abzuwarten. „Sport macht Spaß“ – Aktivitäten, wie sie in Freiheit üblich geworden sind, entwickeln sich auch in Strafanstalten. Auch Sportangebote für ältere Gefangene, Koronar-Patienten, Körperbehinderte und „völlig Ungeübte“ werden zunehmend entwickelt. Dominierend bleiben allerdings Ballspiele mit Wettkampfcharakter und leichtathletische Übungen, aber auch Angebote wie Gymnastik und Yoga sind vorhanden. Tennis, Minigolf, Fahrradfahren oder auch moderne Sportarten haben sich nur in einigen offenen Anstalten durchgesetzt. Fachkundige Anleitung durch entsprechend aus- und fortgebildete Vollzugsbedienstete kann durchweg sichergestellt werden. Auch ist ein gewisser Versicherungsschutz für die Sport treibenden Inhaftierten gegeben, wenngleich die sog. Billigkeitsentschädigung, die bei Sportunfällen gewährt werden kann, der Höhe nach unzulänglich geblieben ist. 3. Fernunterricht in der Freizeit. Fernunterricht kann – weitgehend auf Kosten der 19 betroffenen Gefangenen – in großem Umfang gestattet werden. Fernunterricht kann zur Vervollkommnung spezieller beruflicher Kenntnisse dienen, zur Erlangung von Sprachkenntnissen, aber auch zur Pflege eines Hobbys. Möglich ist seit einigen Jahren grundsätzlich auch das Fernstudium an der Fernuniversität in Hagen. Im Rahmen dieses Fernstudiums kann der Gefangene sowohl einen akademischen Grad erlangen als auch eine studienbezogene Einzelfachfortbildung betreiben (die Situation schildern Ommerborn/ Schümer 1997). Da für das Fernstudium an der Fernuniversität Hagen inzwischen jedoch in einem großen Umfang die Nutzung eines PC sowie des Internet erforderlich ist, besteht für die Gefangenen eine technische Barriere, die das Studium in vielen Fällen ausschließt, zumindest sofern keine beaufsichtigten Räume mit Computern und Internetzugang existieren (zur Nutzung des Internet vgl. Rdn. 27; zur Zulassung eines PC im eigenen Haftraum vgl. § 70 Rdn. 9). 4. Weiterbildungsveranstaltungen in der Freizeit. Lehrgänge und sonstige Ver- 20 anstaltungen der Weiterbildung können in der Freizeit angeboten werden, soweit sie nicht berufsabschlussbezogen sind (Rdn. 17). Als solche Veranstaltungen kommen ErsteHilfe-Kurse, aber auch berufsbezogene Fortbildungsmaßnahmen in Betracht. Es können jedoch auch Lichtbildervorträge oder Filme sein, zudem kann die Teilnahme an bestimmten Bildungsprogrammen der Fernsehanstalten ermöglicht werden (Beispiele bei AK-Boetticher 2012 Rdn. 16). Zulässig ist es, den Gefangenen finanziell an einem verbesserten Fernsehangebot (digital) zu beteiligen (OLG Nürnberg, Beschl. vom 1.3.2007 – 2 Ws 73/07). Zum derzeitigen Angebot vgl. § 69 Rdn. 10.
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5. Freizeitgruppen. Die Justizvollzugsanstalten sollen Freizeitgruppen anbieten. Für diese gelten § 17 Abs. 2 und 3. Unter den Begriff der Freizeitgruppen lassen sich die vielfältigsten Veranstaltungen subsumieren, in denen Gefangene ihre Freizeit gemeinsam verbringen, was der Isolation entgegenwirkt. Es können Gruppenveranstaltungen sein, in denen den Gefangenen Filme und Kultur angeboten werden, es können in solchen Gruppen Hobbys gepflegt werden wie Basteln, Fotografieren, Malen, Theaterspielen (vgl. Neuenhausen 1979; Stieglitz 1990; Müller-Dietz 1978, 178; Calliess 1992, 137–140). Gruppenangebote gibt es in vermutlich allen Anstalten, aber der Zugang ist für die Gefangenen (insbes. wegen des begrenzten Angebotes) nicht ohne weiteres möglich. So berichtet Jumpertz 2011, 66 von Wartezeiten von zwei bis drei Monaten. In offenen Justizvollzugsanstalten sind vereinzelt Tanzkurse und Wandergruppen zusammen mit den Ehefrauen der Inhaftierten angeboten worden (vgl. Ittel/Erzhöfer ZfStrVo 1980, 135, 137). Zu beachten ist in diesem Zusammenhang § 154 Abs. 2, nach dem die Vollzugsanstalt verpflichtet ist, mit Einrichtungen zusammenzuarbeiten, die in Gruppenform sinnvolle Freizeitangebote in den Anstalten machen können (vgl. Müller-Dietz Aufgaben, Rechte und Pflichten ehrenamtlicher Vollzugshelfer, in: 20 Jahre Bundeshilfswerk für Straffällige e. V., Bonn 1978 und Ruppelt 1980). Die während mehrerer Jahre in der JVA Remscheid zusammen mit kirchlichen Hilfswerken für lockerungsgeeignete Gefangene mit längeren Freiheitsstrafen erfolgreich durchgeführten zehntägigen „Segeltörns“ sind inzwischen von „politischer Seite“ untersagt worden, weil sie „bei Bekanntwerden zu Irritationen in der Bevölkerung führen würden“. Der Intention des Gesetzgebers entspricht diese politische Kurskorrektur nicht, wohl aber dem Zeitgeist. Wie demotivierend derartige Entscheidungen bei Vollzugsbediensteten – weit über die betroffene Anstalt hinaus – wirken, kann jeder Fachmann mühelos einschätzen. Zur Erweiterung des Gruppenangebotes bietet sich die Zusammenarbeit mit Hochschulen an. Beispiele für solche Gruppen sind die seit Jahren existierenden Kriminologischen Haftgruppen der Universitäten Heidelberg und Bochum oder auch eine neuere Freizeitgruppe, die von der Ev. Fachhochschule Bochum in der Sozialtherapeutischen Anstalt Gelsenkirchen angeboten wird. Nicht nur die Gefangenen erzielen von diesen Angeboten Vorteile, sondern auch die Studierenden, die u. a. den Strafvollzug von innen erleben und den Umgang mit Häftlingen erlernen können (Kudlacek/Drossel 2012). Sehr gute Erfahrungen konnten in den letzten Jahren auch mit Theatergruppen gemacht werden (z. B. in den JVAen Schwerte, Bochum und Iserlohn), in denen Gefangene angeleitet von zumeist externen Theaterpädagogen und häufig in Zusammenarbeit mit regionalen Theatern Erfahrungen mit dem Theaterspielen sammeln konnten – Gefangene konzipieren eigene Theaterstücke oder erarbeiten bestehende Stücke und bringen sie auf die Bühne, verbunden mit allen dazu gehörigen Tätigkeiten wie Gestaltung der Requisiten, Beleuchtung, Ton, Werbung. Vorteilhaft an diesen Projekten ist nicht nur die Möglichkeit zur ästhetischen Bildung, sondern auch die Schulung Sozialer Kompetenzen (z. B. Durchhaltevermögen und Umgang mit Kritik) und die Möglichkeiten zur Persönlichkeitsbildung (z. B. durch das Hineinversetzen in andere Rollen) sind hervorzuheben. Zum Gefängnistheater vgl. Deu 2004, Sandberger 2008 und Radtke 2009. Ein weiteres hervorzuhebendes Freizeitgruppen-Projekt ist Podknast.de, in dem Gefangene kleine Filme insbes. über das Leben in Haft produzieren, die dann über die Plattform www.podknast.de im Internet zur Verfügung gestellt werden (dazu Schaede/ Neubacher 2010, 347 ff). Dieses bislang nur im Jugendvollzug verbreitete Projekt sollte auch im Erwachsenenvollzug umgesetzt werden, denn erwachsene Häftlinge profitieren gleichermaßen von Medienkompetenzen.
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6. Gruppengespräche in der Freizeit. Gruppengespräche können in themenbezo- 22 gener und freier Gruppenarbeit stattfinden. Die Gruppengespräche können bestimmte therapeutische Ziele verfolgen oder auch der bloßen Unterhaltung dienen. Eine sich mehr und mehr ausbreitende Form der Gruppengespräche ist das Gespräch in sog. Kontaktgruppen mit freien Bürgern, die zu Gesprächen über allgemein interessierende Themen in die Anstalten kommen (§ 154 Abs. 2, vgl. Ruppelt 1980; zu Angeboten von Studierenden vgl. schon Rdn. 21). Die Gruppengespräche können der direkten Leitung eines Gesprächsleiters unterliegen, sie können auch in Form der indirekten Gruppenleitung ablaufen (non-direkte Gesprächsführung). Wichtig wäre allerdings, dass die Gruppenleitung durch einen fachlich vorgebildeten Bediensteten oder durch einen entsprechend vorgebildeten freien Bürger erfolgt, der im Rahmen der Möglichkeiten des § 154 Abs. 2 im Vollzug mitarbeitet (vgl. Rotthaus 1980, der die Probleme behandelt). 7. Therapeutisch ausgerichtete Freizeitangebote. Therapeutisch ausgerichtete 23 Freizeitangebote sind auch möglich, wie zum Beispiel das aus Japan stammende „Naikan“ (Müller-Ebeling FS 2008, 183 ff; über erste Ergebnisse einer Evaluation von NaikanSeminaren berichtet Ansorge 2010). Für die Nutzung der Kunsttherapie im Strafvollzug vgl. Bammann/Feest NK 2007, 42, 45; zur Musiktherapie vgl. Zeuch/Hillecke ZfStrVo 2003, 265 ff. 8. Soziales Training. In vielen Justizvollzugsanstalten Deutschlands hat sich eine 24 besondere Form methodischer sozialer Gruppenarbeit entwickelt, deren Ziel u. a. auch die Erhöhung der sozialen Kompetenz der Gefangenen im Bereich des Freizeitverhaltens und der Freizeitgestaltung ist. Schon 1988 hatte Niedersachsen durch eine AV vom 19. August (NdsRpfl. 1988, 208) in Ergänzung zu § 37 Abs. 3 StVollzG das methodische Vorgehen beim sozialen Training für Gefangene beschrieben. Auch andere Bundesländer haben inzwischen das methodische Lernen und Üben von „nicht kriminellen Fähigkeiten zur Bewältigung von Alltagssituationen“ als Behandlungsangebot übernommen. Strafgefangene, die am sozialen Training teilnehmen wollen, müssen dies in vielen Anstalten in ihrer arbeitsfreien Zeit tun. In solchen Fällen ist die Weiterbildungsmaßnahme des sozialen Trainings eine besondere Form der Freizeitgestaltung (vgl. auch § 63 Rdn. 9 und § 74 Rdn. 15). Für speziell ausgesuchte Gefangene kann das soziale Training aber auch Bestandteil arbeitstherapeutischer oder schulischer Maßnahmen sein und insoweit während der Arbeitszeit stattfinden. Grundsätzlich ist allerdings eine Vergütung i. S. des § 43 für die Teilnahme am sozialen Training ausgeschlossen. Aufgrund eines pädagogisch ganzheitlichen Ansatzes werden mit guten Gründen unterschiedliche Lernfelder im Bereich des Lernens in der Gruppe verknüpft. Umgang mit Geld und Schulden, Umgang mit Suchtverhalten, Gestalten des eigenen Wohnbereichs, Erfassen von besonderen Problemen aus dem Lebensbereich Arbeit und Beruf, Erkennen staatsbürgerlicher Rechte und Pflichten, Problematisieren von Störungen im Bereich sozialer Beziehungen und in Partnerschaften werden genauso in methodischer Gruppenarbeit anzugehen versucht, wie Defizite von Inhaftierten im Bereich der sportlichen Betätigung und bei der Freizeitgestaltung und Freizeitbewältigung oder im Bereich Hauswirtschaft (zu einer Hauswirtschaftsgruppe vgl. Spitzer/Meier 2009, 318 f). Neben diesen allgemeineren Sozialen Trainings gibt es unterschiedlichste Angebote von Trainingskursen zur Gewaltprävention (zu ersten Erfahrungen mit einem neuen Kursangebot „G-Fragt?!“ vgl. Schwingenheuer/Wirth 2011; zu Erfahrungen mit verschiedenen Anti-Gewalt-Trainingskursen vgl. Sellinger/Stiels-Glenn/Witt 2008 und 2009, Bosold/Lauterbach 2010 und Chyle 2011). Die methodische Gruppenarbeit des sozialen Trainings wird von speziell fortgebildeten Trainern und Co-Trainern durchgeführt. Neben Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern 627
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eignen sich dafür auch besonders fortgebildete Bedienstete des Allgemeinen Vollzugsdienstes (s. dazu auch Walter 1999 Rdn. 283). Die Trainer können aber auch als externe Fachkräfte in die Anstalten kommen. In diesen Fällen ist jedoch auf eine sehr enge Kooperation zu achten (für eine gute vertragliche Ausgestaltung der Dienstleistungserbringung plädiert Nalezinski FS 2011, 353, 355; zur Kooperation zwischen Justizvollzug und Freien Trägern der Straffälligenhilfe vgl. auch Groos FS 2011, 348 ff). Zur Wirksamkeit von speziellen Angeboten des Sozialen Trainings vgl. Boxberg/Bosold 2009 und LewrickGönnecke u. a. 2009. Ein spezielles Angebot des Sozialen Trainings für Frauen in der Phase vor der Haftentlassung beschreibt Halbhuber-Gassner FS 2009, 230 ff und BewHi 2009, 52 ff. 25
9. Nutzung von Anstaltsbüchereien und Fernleihe. Alle Justizvollzugsanstalten in der Bundesrepublik Deutschland haben eine Anstaltsbücherei, die nicht nur Unterhaltungslektüre, sondern in gewissem Umfang auch fortbildende Lektüre bereithält. Zum Teil sind diese Büchereien außerordentlich umfangreich und werden von den Gefangenen auch in erfreulichem Maße genutzt. Insofern sind die Vorgaben der Europäischen Strafvollzugsgrundsätze (REC Ziffer 28.5) erfüllt. Die Beschränkung der Büchereien auf schöngeistige Literatur würde dem Grundgedanken des § 67 Satz 1 widersprechen. In den meisten Justizvollzugsanstalten ist es möglich, dass Gefangene im Wege der Fernleihe auch andere Büchereien in Anspruch nehmen. Die dagegen von Arloth 2011 Rdn. 4 vorgetragenen „erheblichen Sicherheitsbedenken“ sind nicht überzeugend, bedenkt man, dass Hochschulbibliotheken und andere Ausleihstellen durchweg von öffentlich-rechtlichen Körperschaften betrieben werden. In den Justizvollzugsanstalten lesen vielfach auch solche Inhaftierten regelmäßig Bücher, die nach ihrer Entlassung aus der Haft dann wieder keinerlei Bücher lesen.
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10. Besondere Formen der Freizeitgestaltung. Neben diesen, durch die Aufzählung in § 67 Satz 2 nahegelegten, Freizeitangeboten lassen sich in einzelnen Anstalten noch weitere Formen der Freizeitbeschäftigung entwickeln, wie z. B. Wandern (vgl. Nickolai/Sperle 1980 und 1993 und Weiß 1992), Reisen (vgl. Herkert/Nickolai ZfStrVo 1978, 81 ff) sowie Darbietungen außerhalb der JVA durch Chöre (vgl. z. B. Becker ZfStrVo 1979, 241 ff), Theatergruppen, Dichterlesungen (vgl. z. B. Ingeborg Drewitz 1979; Stieglitz 1990) und sonstige Kunstdarbietungen (vgl. Ludemann ZfStrVo 1978, 105 ff; Remky 1994 und Wattenberg 1992 und 1994). Zudem wird über besondere Freizeitangebote für spezielle Insassengruppen nachzudenken sein, so z. B. für die immer größer werdende Gruppe der alten Inhaftierten (zu diesen Schollbach/Krüger FS 2009, 130 ff, die über Gedächtnistraining, altersgerechte Sportgruppen und Musik- sowie Kochkurse berichten, sowie Laubenthal 2008) sowie für die Menschen im Langstrafenvollzug (zu diesen Müller FPPK 2011, 100 ff und Drenkhahn MschrKrim 2010, 258 ff). Die Phantasie einzelner Anstaltsleiter oder anderer Bediensteter hat Freizeitangebote hervorgebracht, die niemand vorher „im Gefängnis“ für möglich gehalten hatte. Diese Aussage gilt auch für jüngere Führungskräfte des Vollzuges, obwohl die meisten Landesjustizverwaltungen konzeptionell heute weniger Anregungen geben als in den ersten Jahren nach Inkrafttreten des Strafvollzugsgesetzes. Es ist zu hoffen, dass sich auch Mitarbeiter/-innen des Allgemeinen Vollzugsdienstes im Freizeitbereich der Gefangenen wieder stärker engagieren als derzeit, zumal ein Engagement im Freizeitbereich dazu beitragen könnte, die Arbeit interessanter zu gestalten, damit es bei den Beschäftigten nicht zu einer inneren Kündigung oder einem Boreout kommt (zu diesen Problemen Lehmann FS 2010, 2011 ff). Koepsel/Goldberg
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11. Neue Formen der Telekommunikation. Vor dem Hintergrund des Anglei- 27 chungsgrundsatzes (§ 3 Abs. 1) ist daran zu denken, den Gefangenen in Zukunft die Nutzung neuer Formen der Telekommunikation in der Freizeit zu gestatten, was bislang nur ganz selten der Fall ist (zu Internetprojekten im Vollzug sowie Rechtsproblemen bei der Nutzung elektronischer Kommunikationsmedien vgl. Knauer 2006; zur Einbeziehung des E-Learnings im Bildungsbereich des Strafvollzugs vgl. Dathe-Morgeneyer/Pfeffer-Hoffmann 2010; das Interesse der Gefangenen, sich zu Fortbildungszwecken in ihrer Freizeit mit Computern zu befassen, schildert Jumpertz 2011, 65). Diesen neuen Technologien wird sich der Strafvollzug künftig nicht vollständig verschließen können, denn die Nutzung von E-Mails, Internet, Communitys wie Facebook und Foren kann durchaus resozialisierungsfördernd sein. Sie erleichtern die Kontakte nach außen, denn das Mailen und Posten von Nachrichten ist mit einer wesentlich geringeren Hemmschwelle verbunden als das Verfassen eines Briefes. Zudem haben sie eine große Bedeutung für die Bildung, und der Umgang mit diesen Techniken wird heute (insb. im Beruf) als selbstverständlich erwartet. Insofern ist zu begrüßen, dass die Nutzung moderner Telekommunikationsformen in § 36 ME-StVollzG grundsätzlich vorgesehen wird (dazu Rdn. 34; ebenso AK-Boetticher 2012 Rdn. 25). Derzeit sind solche Überlegungen allerdings wegen der Sicherheitsrisiken noch unrealistisch bzw. realitätsfremd (vgl. Rdn. 2 zu § 32). IV. Landesgesetze Die meisten landesgesetzlichen Regelungen zur Freizeit entsprechen inhaltlich in 28 weiten Teilen der Regelung in § 67 StVollzG, so dass sich insoweit eine gesonderte Kommentierung erübrigt. Daher wird nur auf die Besonderheiten hingewiesen. Einheitliche Entwicklungstrends vieler Länder sind nicht auszumachen. 1. Baden-Württemberg. § 57 JVollzGB III geht als einziges Landesgesetz deutlich 29 über § 67 StVollzG hinaus. In Satz 1 wird (wie auch in § 54 Abs. 2 ME-StVollzG, Rdn. 34) vorgeschrieben, dass „die Gefangenen […] zur Teilnahme und Mitwirkung an Angeboten der Freizeitgestaltung zu motivieren und anzuleiten“ sind, was sehr zu begrüßen ist (vgl. schon Rdn. 5). Zudem sollen Gefangene nach Satz 2 „ermutigt werden, den verantwortungsvollen Umgang mit neuen Medien zu erlernen und zu praktizieren“, was eine begrüßenswerte Angleichung an die Verhältnisse außerhalb der Anstalten darstellt, wo die neuen Medien im Rahmen der Freizeitgestaltung einen hohen Stellenwert einnehmen. Inwieweit diese Regelung vor dem Hintergrund von Sicherheitsbedenken bzgl. der Zulassung elektronischer Medien (§ 70 StVollzG/§ 58 JVollzGB III) in der Praxis umgesetzt wird, bleibt abzuwarten. 2. Bayern. Art. 69 BayStVollzG ergänzt die Regelung des § 67 StVollzG lediglich um 30 kulturelle Veranstaltungen und hebt hervor, dass es sich um „sinnvolle“ Beschäftigungen in der Freizeit handeln soll und die Freizeitangebote im Rahmen des Behandlungsauftrages erfolgen. Generell ist die Tendenz feststellbar, dass das neue bayerische Landesrecht nur wenige substantielle Änderungen gebracht hat (vgl. Arloth JA 2008, 561– 565). 3. Hamburg. § 50 HmbStVollzG entspricht inhaltlich der bayerischen Regelung. 31 Ob damit (wie von AK-Boetticher 2012 Rdn. 30 vorgeworfen) ein außerordentlich weiter und problematischer Behandlungsbegriff impliziert wird oder nur hervorgehoben werden soll, dass auch die Freizeit in das Behandlungskonzept zu integrieren ist, ist fraglich. 629
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4. Hessen. Die hessischen Regelungen sind ähnlich dürftig ausgestaltet wie die niedersächsischen (dazu Rdn. 33), indem auf eine Aufzählung möglicher Freizeitaktivitäten verzichtet wird. § 30 Abs. 1 HStVollzG sieht vor, dass Gefangene Gelegenheit erhalten, „sich in ihrer Freizeit eigenverantwortlich und sinnvoll zu beschäftigen“. Der Hinweis auf die Eigenverantwortlichkeit könnte die Anstalten dazu verleiten, auf Angebote für die Freizeit (außer Sport und Bücherei) zu verzichten. Immerhin schreibt Abs. 2 eine „angemessen ausgestattete Bücherei“ vor und auch für den Sport sind „ausreichende Angebote vorzuhalten“ (§ 31 HStVollzG).
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5. Niedersachsen. Die inhaltlich kärgste Regelung zur Freizeit sieht Niedersachsen vor, denn § 128 NJVollzG, der eine dem Konzept des § 67 StVollzG entsprechende Verpflichtung der Vollzugsverwaltung normiert, gilt nur für junge Gefangene. § 64 NJVollzG nennt nur Sport als Freizeitangebot und verzichtet auf jegliche weitere Regelung. Damit muss leider unterstellt werden, dass Niedersachsen im Erwachsenenvollzug nur Sport als wichtiges Freizeitangebot anerkennt, wobei der Umkehrschluss, dass andere Freizeitangebote verboten wären, nicht zwingend ist, da dies der auch in Niedersachsen beibehaltenen Vollzugszieldefinition (§ 5 Satz 1 NJVollzG) widersprechen würde. Dennoch ist die niedersächsische Regelung unbefriedigend und zwar schon deshalb, weil sie den neuesten Empfehlungen des Europarates inhaltlich nicht entspricht (REC Ziffern 27.5 und 27.6 sowie 28.1 bis 28.6).
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6. Musterentwurf. Wie in Baden-Württemberg (Rdn. 29) schreibt auch der MEStVollzG in § 54 Abs. 2 die Motivation und Anleitung der Gefangenen hinsichtlich ihrer Freizeitgestaltung vor. Zudem sind nach Abs. 1 Angebote für Sport, Kultur und Bildung sowie eine Bücherei vorzuhalten, was in etwa der Regelung des § 67 StVollzG entspricht. Über alle anderen Landesgesetze geht der ME-StVollzG in § 36 hinaus, nach dem den Gefangenen die Nutzung anderer Formen der Telekommunikation gestattet werden kann (allerdings erst nach einem zweistufigen Prüfverfahren durch die Aufsichtsbehörde und den Anstaltsleiter). Durch diese begrüßenswerte Vorschrift sollen der fortschreitenden Entwicklung der Medien sowie einem veränderten Kommunikations- und Informationsverhalten Rechnung getragen werden und insbes. E-Mail, E-Learning, Internet und Intranet ermöglicht werden (ME-Begründung, 104; vgl. dazu schon Rdn. 27).
§ 68 Zeitungen und Zeitschriften § 68 Schwind/Goldberg Zeitungen und Zeitschriften (1) Der Gefangene darf Zeitungen und Zeitschriften in angemessenem Umfang durch Vermittlung der Anstalt beziehen. (2) Ausgeschlossen sind Zeitungen und Zeitschriften, deren Verbreitung mit Strafe oder Geldbuße bedroht ist. Einzelne Ausgaben oder Teile von Zeitungen oder Zeitschriften können dem Gefangenen vorenthalten werden, wenn sie das Ziel des Vollzuges oder die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt erheblich gefährden würden.
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VV 1 Zeitungen und Zeitschriften können durch die Anstalt, den Gefangenen oder einen Dritten bestellt werden. Sie dürfen in der Regel nur über den Postzeitungsdienst oder im Abonnement bezogen werden. 2 Der Gefangene kann für den Bezug von Zeitungen und Zeitschriften sein Hausgeld, sein Taschengeld und sein Eigengeld verwenden. 3 Die Weitergabe von Zeitungen und Zeitschriften oder von Teilen und Ausschnitten an andere Gefangene kann untersagt werden, wenn sie das Ziel des Vollzuges oder die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt gefährden würde. 4 Gebrauchte Zeitungen und Zeitschriften werden anderweitig verwertet oder vernichtet; sie sind auf Antrag des Gefangenen zur Habe zu nehmen, falls dieser ein berechtigtes Interesse an der weiteren Aufbewahrung hat. 5 Der Gefangene hat die Abbestellung, Umbestellung oder Nachsendung von Zeitungen und Zeitschriften selbst zu veranlassen. Die Anstalt ist zur Nachsendung nicht verpflichtet. Gehen für einen entlassenen oder in eine andere Anstalt verlegten Gefangenen Zeitungen oder Zeitschriften ein, hat der Gefangene der Verwertung oder Vernichtung durch die Anstalt nicht zugestimmt und ist auch eine Nachsendung nicht beabsichtigt, so soll die Anstalt die Annahme verweigern. 6 Werden Zeitungen oder Zeitschriften vom Bezug ausgeschlossen oder einzelne Ausgaben oder Teile von Zeitungen oder Zeitschriften vorenthalten, so wird dies dem Gefangenen mitgeteilt. Schrifttum S. bei § 67.
I.
II.
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Übersicht Allgemeine Hinweise ____ 1–4 a Grenzen der Informationsfreiheit im Strafvollzug ____ 1–4 a Erläuterungen ____ 5–16 1. Voraussetzungen des Bezugs (vgl. Abs. 1) ____ 5–9
a) Allgemein zugängliche Quelle ____ 6 b) Vermittlung durch die Anstalt ____ 7, 8 c) In angemessenem Umfang ____ 9 2. Nicht zugelassene Zeitungen und Zeitschriften (Abs. 2) ____ 10–16
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III. IV.
Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
a) Mit Strafe oder Geldbuße bedrohte Presseerzeugnisse (Satz 1) ____ 11 b) Vorenthaltung einzelner Ausgaben (Satz 2) ____ 12–16 Beispiel ____ 17 Landesgesetze und Musterentwurf ____ 18–24
1. 2. 3. 4. 5. 6.
Baden-Württemberg ____ 19 Bayern ____ 20 Hamburg ____ 21 Hessen ____ 22 Niedersachsen ____ 23 Musterentwurf ____ 24
I. Allgemeine Hinweise Grenzen der Informationsfreiheit im Strafvollzug. Die Möglichkeit, sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten, ist ein in Art. 5 Abs. 1 GG enthaltenes, für die rechtsstaatliche Demokratie entscheidend wichtiges Grundrecht (vgl. z. B. BVerfGE 15, 288, 295). Gemeint sind alle Informationen in Wort, Schrift und Bild, und zwar nicht nur ethisch wertvolle Meinungen (BVerfGE 30, 347; 33, 15). Die Informationsfreiheit des Gefangenen ist aber durch das Strafvollzugsgesetz in verfassungsrechtlich zulässiger Weise eingeschränkt worden (BVerfG ZfStrVo 1981, 63; NStZ 1994, 145 und 1995, 613 = ZfStrVo 1996, 175). Weiteres zur Grundrechtseinschränkung bei § 4 Rdn. 27. Gleichwohl ist es auch für die Wiedereingliederung der Gefangenen von großer Bedeutung, dass sie mit dem Tagesgeschehen sowie der politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklung konfrontiert werden. Auf der anderen Seite werden die Vollzugsanstalten durch den täglichen Eingang hunderter von Zeitungen und Zeitschriften für die Insassen vor organisatorische Probleme gestellt. Schließlich können Zeitungen und Zeitschriften durch ihren Inhalt auch Sicherheit und Ordnung der Anstalt (zur Verhältnismäßigkeit Rdn. 7, 9 zu § 81) gefährden oder die resozialisierende Behandlung des einen oder anderen Gefangenen erschweren (zur Resozialisierung § 2 Rdn. 12 ff). In diesem Spannungsverhältnis hat sich der Gesetzgeber dafür entschieden, dem Insassen dem Gewicht des Grundrechts aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG (Informationsfreiheit) entsprechend möglichst freie Auswahl der Zeitungen und Zeitschriften zu gewähren (inhaltliche Bezugsbeschränkungen führt Abs. 2 auf), ihn aber bei der technischen Form der Zusendung an die Anweisungen der Anstalt zu binden (die entsprechende Regelung enthält Abs. 1). 2 Wegen der großen Bedeutung der Informationsfreiheit sind Einschränkungen des Rechts auf die freie Auswahl von Publikationen sowie Einschränkungen des Bezuges nur dann und insoweit zulässig, als sie „unerlässlich“ sind (RegE, BT-Drucks. 7/918, 74 und Rspr.: OLG Hamburg ZfStrVo 1980, 125 ff; OLG Nürnberg BlStV 1/1982, 7; OLG Koblenz NStZ 1984, 46; OLG Celle ZfStrVo 1985, 184). „Unerlässlichkeit“ setzt ein gesteigertes Maß an Erforderlichkeit voraus (Frielinghaus 1979, 1 ff; Arloth 2011 Rdn. 1; Laubenthal 2011 Rdn. 613). Als „unerlässlich“ hat das BVerfG solche grundrechtsbeschränkenden Maßnahmen bezeichnet, „ohne die der Strafvollzug als Institution zusammenbrechen würde oder durch die der Zweck des Strafvollzuges (vor allem das Bemühen um die Wiedereingliederung des Gefangenen in die Gesellschaft) ernsthaft gefährdet würde“ (BVerfGE 40, 284 im Anschluss an 33, 1, 13); diese ernsthafte (erhebliche) Gefahr muss real sein (BVerfG NStZ 1996, 613; AK-Boetticher 2012 Rdn. 15). 3 Bei den Tatbestandsmerkmalen des § 68 handelt es sich um unbestimmte Rechtsbegriffe (dazu Rdn. 21 zu § 115), so dass für eine Ermessensentscheidung des Anstaltsleiters insoweit kein Raum ist und eine vollständige gerichtliche Überprüfung erfolgt (OLG Hamm BlStV 4/5/1980, 17 ff; so auch Arloth 2011 Rdn. 1). Dabei dürfen Wertungen der Anstalt nicht einfach übernommen werden, über die zugrunde liegenden Tatsachen hat eine Beweiserhebung stattzufinden (AK-Boetticher 2012 Rdn. 25). Damit der Gefangene die Vorenthaltung eines Druckerzeugnisses nachvollziehen kann, genügt es, wenn die 1
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beanstandeten Teile nicht gänzlich oder in wesentlichen Teilen wiedergegeben werden, sondern der Inhalt kurz charakterisiert wird (BVerfG NStZ 1995, 613; OLG Stuttgart ZfStrVo 1992, 136). Die Druckwerke können nicht nur durch den Gefangenen, sondern auch durch Drit- 4 te (Verwandte, Freunde) bestellt werden (vgl. VV Nr. 1). Die Bestellung muss aber über die „Vermittlung der Anstalt“ erfolgen (vgl. dazu Rdn. 7), bei der der Gefangene eine Bezugsgenehmigung beantragen muss (vgl. Rdn. 5 ff). Die Eingriffswirkung betrifft jedoch nur den gefangenen Adressaten, die Zurückweisung (bzw. Vorenthaltung) von Publikationen stellt daher keinen Eingriff in die Freiheitssphäre des Absenders dar (so grundsätzlich auch C/MD 2008 Rdn. 1). Anders ist dies jedoch zu beurteilen, wenn der Absender durch die übersandten Druckwerke einen Gedankenaustausch mit dem Gefangenen ermöglichen möchte (so auch OLG Koblenz NStZ 1984, 46; ebenso AK-Boetticher 2012 Rdn. 26 und Arloth 2011 Rdn. 6). Die Kosten des Bezugs regelt VV Nr. 2 (Verwendung von Hausgeld, Taschengeld 4 a oder Eigengeld). Dass die Druckwerke auf eigene Kosten zu beziehen sind, wird in den landesgesetzlichen Regelungen in Hamburg und Hessen sowie dem ME-StVollzG nun ausdrücklich hervorgehoben. Auch schuldhaft nicht arbeitende Gefangene sind vom Bezug von Zeitungen und Zeitschriften nicht ausgeschlossen (OLG Frankfurt INFO 1987, 783; AK-Boetticher 2012 Rdn. 8). II. Erläuterungen 1. Voraussetzungen des Bezugs (vgl. Abs. 1). § 68 Abs. 1 bezieht sich auf Zeitun- 5 gen und Zeitschriften. Auch ein Druckerzeugnis, das ausschließlich aus Leserbriefen besteht (wie die rechtsextreme „LBZ“), unterfällt dem § 68 Abs. 1, da es in gedruckter und zur Verbreitung geeigneter und bestimmter Form am Kommunikationsprozess teilnimmt und daher als Presse i. S. d. Art. 5 Abs. 1 GG zu werten ist (OLG Celle NdsRpfl. 2011, 133 = FS 2011, 55 (LS) – 1 Ws 387/10). Ein zu Verkaufszwecken übersandter Warenhauskatalog dient hingegen nicht (wie ein Brief) dem Gedankenaustausch zwischen Absender und Empfänger (dazu Rdn. 8 zu § 70), sondern nur wirtschaftlichen Zwecken und unterfällt daher weder der Regelung des § 28 (OLG Koblenz NStZ 1991, 304 = NJW 1992, 1337) noch der des § 68 (keine Zeitung oder Zeitschrift), sondern der des § 33 Abs. 1 (OLG Karlsruhe NStZ-RR 2002, 315; OLG Koblenz NStZ 1991, 304; Arloth 2011 Rdn. 2). Werden ganze Bücher in Kopie übersandt, ist § 70 einschlägig (OLG Koblenz NStZ 1984, 46; AKBoetticher 2012 Rdn. 6; Arloth 2011 Rdn. 2). Der Gefangene darf Zeitungen und Zeitschriften beziehen, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind: a) Allgemein zugängliche Quelle. Es muss sich um allgemein zugängliche Quel- 6 len handeln: Dies ist im Allgemeinen der Fall, wenn die Informationsquelle technisch geeignet und bestimmt ist, der Allgemeinheit, d. h. einem individuell nicht bestimmbaren Personenkreis Informationen zu vermitteln (BVerfGE 27, 71, 83; 33, 52, 65; NStZ 1995, 614; AK-Boetticher 2012 Rdn. 3). Zu Gefangenenzeitschriften § 160 Rdn. 13. Zugesandte Einzelexemplare (oder Probeexemplare) sind zwar grundsätzlich als Schreiben im Sinne des § 28 Abs. 1 zu behandeln (C/MD 2008 Rdn. 1), die unter den Voraussetzungen des § 31 angehalten werden können (OLG Koblenz NStZ 1984, 46; OLG Celle ZfStrVo 1985, 184; OLG Karlsruhe aaO; OLG Frankfurt aaO; C/MD 2008 Rdn. 1; a. A. OLG Hamm NStZ 1985, 143). Handelt es sich bei dem einmalig oder nur gelegentlich zugesandten Druckwerk allerdings um eine allgemein zugängliche Zeitung oder Zeitschrift oder Teile oder Kopien hiervon (AK-Boetticher 2012 Rdn. 5), so geht § 68 Abs. 2 als die 633
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speziellere und weitergehende Eingriffsvoraussetzungen enthaltende Vorschrift dem § 31 vor (OLG Frankfurt aaO; OLG Koblenz aaO; Arloth 2011 Rdn. 2), da in diesen Fällen das Anhalten des „Schreibens“ einen Eingriff in das Grundrecht der Informationsfreiheit darstellt. Dies gilt auch für Internetausdrucke (von Entscheidungen des BVerfG), da es sich beim Internet um ein vom Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG geschütztes allgemein zugängliches Massenkommunikationsmittel handelt (OLG Nürnberg NStZ 2009, 216 – 2 Ws 433/08 mit Anm. Lampe jurisPR-StrafR 12/2009 Anm. 4), so dass die Aushändigung dieser Ausdrucke nach § 68 Abs. 2 zu beurteilen ist und nicht unter die Vorschrift des Paketempfangs nach § 33 fällt. Einem Schreiben angelegte Zeitungsausschnitte oder entsprechende Fotokopien gelten grundsätzlich als untrennbare Bestandteile des Briefes und sind deshalb nach § 28 Abs. 1 zu behandeln, also als Schreiben, nicht als Zeitung (so auch Arloth 2011 Rdn. 2 und OLG Frankfurt ZfStrVo 1999, 118), vgl. Rdn. 3 zu § 28. b) Vermittlung durch die Anstalt. Der Gefangene muss sich beim Bezug von Zeitschriften und Zeitungen (für die technische Abwicklung) der Vermittlung der Anstalt (Rdn. 4) bedienen. Die Vermittlung durch die Anstalt wird darin bestehen, dass die Vollzugsbehörde vom Gefangenen gewünschte Zeitungen und Zeitschriften für diesen (im Postzeitungsdienst oder im Abonnement etwa bei einem Zeitschriften- und Zeitungsvertrieb) bestellt, worin zugleich eine Bezugsgenehmigung liegt (vgl. OLG Hamm BlStV 4/5/1980, 17). § 68 enthält allerdings keine Regelung darüber, welche Folgen das Fehlen eines Antrages zum Bezug der Zeitungen oder Zeitschriften hat, wenn also der Gefangene oder ein Dritter eine Zeitung oder eine Zeitschrift für einen Dauerbezug bestellt hat (vgl. Rdn. 4), ohne die Vermittlung der Anstalt in Anspruch zu nehmen. Insoweit drängt sich auf, dass in diesem Fall dem Gefangenen zunächst Gelegenheit gegeben werden sollte, den Antrag noch nachträglich zu stellen (OLG Celle BlStV 1/1982, 7). Das ergibt sich sowohl aus der Fürsorgepflicht der Anstalt dem Gefangenen gegenüber als auch aus der Pflicht, die Informationsfreiheit nicht mehr als unbedingt erforderlich einzuschränken (so auch C/MD 2008 Rdn. 2; AK-Boetticher 2012 Rdn. 12). Der Sinn der Vermittlung über die Anstalt hat mit den besonderen Bedingungen 8 des Vollzuges zu tun, die Vermittlung dient der Verminderung des Kontrollaufwandes (LG Gießen NStZ-RR 2011, 190 (LS) – 2 StVK – Vollz 477/10; Arloth 2011, Rdn. 2). Bei unmittelbarer Zusendung von Zeitungen und Zeitschriften durch Angehörige oder Bekannte müsste jeweils eine Überprüfung daraufhin erfolgen, ob die Druckwerke in Form von Beilagen oder Randnotizen unzulässige Mitteilungen enthalten. Ein solches Verfahren würde jedoch eine Kontrolle bedingen, die mit den personellen Möglichkeiten der Vollzugsanstalt regelmäßig nicht mehr zu bewältigen und zu vereinbaren wäre (OLG Hamm BlStV 4/5/1981, 1; OLG Frankfurt ZfStrVo 1993, 118 LS = BlStV 1/1993, 4). Gleichwohl wird die Vollzugsbehörde auch von der Regel der Vermittlung dann abgehen dürfen, wenn die Kontrolle des Bezuges nicht mehr sinnvoll erscheint: etwa im Freigängervollzug oder in einer Abgangsabteilung. Eine durch äußere Inaugenscheinnahme als Zeitschrift erkannte Post darf die Anstalt, auch wenn es sich um ein „Einschreiben“ handelt, zurückschicken, muss aber (zwecks gerichtlicher Überprüfbarkeit der Zurückweisungsentscheidung) zumindest den Absender und andere Charakteristika der Sendung, die einen eindeutigen Schluss auf den Inhalt der Sendung zulassen, notieren oder eine Kopie des Umschlags der Sendung anfertigen (OLG Brandenburg NStZ 2005, 290). Wenn die Anstalt zur Vermittlung von (ausländischen) Zeitschriften nicht in der Lage ist, kann dem Gefangenen ein Zeitschriftenbezug durch private Paketübersendung nicht generell versagt werden, da dies faktisch eine Versagung des Zeitschriftenbezugs wäre, die der Intention des § 68 widerspricht (LG Gießen aaO). 7
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c) In angemessenem Umfang. Das Recht des Gefangenen auf den Bezug von Zei- 9 tungen und Zeitschriften beschränkt sich auf einen angemessenen Umfang. Diese Beschränkung gilt jedoch nur für periodisch erscheinende und fortlaufend zu beziehende Zeitungen und Zeitschriften (OLG Karlsruhe ZfStrVo 1986, 315; OLG Celle ZfStrVo 1986, 377), also (grundsätzlich) nicht für Einzelexemplare (C/MD 2008 Rdn. 1; Laubenthal 2011 Rdn. 613). Das ergibt sich aus dem Zweck der Vorschrift, der (in Abs. 1) in der Sicherung eines angemessenen Umfangs bei fortlaufend zu beziehenden Druckwerken besteht (OLG Frankfurt NStZ 1992, 208; OLG Karlsruhe aaO). Die Vollzugsbehörde darf, ohne eine inhaltliche Auswahl zu treffen (AK-Boetticher 2012 Rdn. 7: „keine Bevormundung des Gefangenen“; OLG Hamm BlStV 4/5/1981), den Umfang des Bezugs „angemessen“ beschränken. Was „angemessen“ ist, richtet sich auch nach den räumlichen, organisatorischen und personellen Verhältnissen der Anstalt (C/MD 2008 Rdn. 1; Arloth 2011 Rdn. 2; Laubenthal 2011 Rdn. 612 und OLG Hamm NStZ 1987, 574). § 60 Satz 2 i. V. m. § 58 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 Nr. 3 JVollzGB III hebt dies hervor, indem für die Angemessenheit auch auf die verfügbare Kapazität für Haftraumkontrollen sowie den Aufwand zur Überprüfung des Gegenstands abgestellt wird. Würde ein Insasse sechs Tageszeitungen und acht Wochenzeitschriften beziehen wollen, so wäre es deshalb zulässig, ihn des „angemessenen Umfangs“ wegen auf zwei oder drei Tageszeitungen und drei oder vier Wochenzeitschriften nach seiner Wahl zu beschränken (BVerfG ZfStrVo 1982, 316; ähnlich OLG Hamm ZfStrVo 1987, 375 = NStZ 1987, 248: Beschränkungen auf fünf Zeitungen oder Zeitschriften). Wird dem Gefangenen aufgegeben, seinen bisher geduldeten oder genehmigten Zeitschriftenbezug zu reduzieren, muss ihm Gelegenheit gegeben werden, Abonnements ordnungsgemäß auslaufen zu lassen (Arloth 2011 Rdn. 2; AK-Boetticher 2012 Rdn. 10; OLG Hamm NStZ 1987, 248). Praktische Bedeutung hat die Wortwahl „in angemessenem Umfang“ angesichts der in der Regel beschränkten Mittel der Gefangenen und ihrer Angehörigen grundsätzlich nicht (vgl. dazu VV Nr. 2). Die VV regeln u. a. auch die Verwendung der Zeitungen und Zeitschriften nach der Lektüre. Natürlich können sie aus Gründen der Sicherheit und Ordnung nicht beliebig im Haftraum gelagert werden und auch die Verwahrung für den Insassen bei dessen Habe in der Anstalt stößt auf räumliche Grenzen. Der Insasse muss deshalb regelmäßig dulden, dass Tageszeitungen vernichtet werden, zumal dies ja auch den „Verhältnissen in der Freiheit“ entspricht (so auch Arloth 2011 Rdn. 2). Zum Angleichungsgrundsatz § 3 Rdn. 3 ff. Will der Insasse Teile der Zeitschriften für sich behalten, so muss er die Artikel ausschneiden und sammeln. Fachzeitschriften müssen indessen für den Gefangenen aufbewahrt werden, falls dieser ein berechtigtes Interesse an der Aufbewahrung besitzt (AK-Boetticher 2012 Rdn. 11). Die Weitergabe von gelesenen Zeitungen oder Zeitschriften an andere Gefangene kann die Vollzugsbehörde verbieten oder von ihrer Erlaubnis abhängig machen, wenn sie das Ziel des Vollzugs oder Sicherheit oder Ordnung der Anstalt gefährden würde. Wenn insoweit keine Bedenken bestehen, können sich auch mehrere Gefangene grundsätzlich zusammenschließen, um gemeinsam nach Art eines Lesezirkels Zeitungen und Zeitschriften kaufweise zu bestellen (so auch Arloth 2011 Rdn. 2; a. A. Grunau/Tiesler 1982 Rdn. 1). Zur Abbestellung, Umbestellung oder Nachsendung von Publikationen vgl. VV Nr. 5. 2. Nicht zugelassene Zeitungen und Zeitschriften (Abs. 2). Der Abs. 2 des § 68 10 (eine gegenüber § 31 strengere Vorschrift) bezieht sich auf solche Bezugsbeschränkungen, die den Inhalt von Zeitungen und Zeitschriften betreffen. Sie werden an dieser Stelle abschließend aufgeführt, ein Rückgriff auf § 4 Abs. 2 Satz 2 ist nicht zulässig (vgl. auch Rdn. 24 zu § 4; so auch AK-Boetticher 2012 Rdn. 14; Laubenthal 2011 Rdn. 613; Arloth 2011 Rdn. 3; a. A. Grunau/Tiesler 1982 Rdn. 3). Ein Ausschluss oder eine Vorenthaltung aus 635
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anderen Gründen (z. B. weil die Lektüre keiner sinnvollen Freizeitbeschäftigung diene: OLG Koblenz NStZ 1991, 308 = NJW 1992, 1337) ist daher unzulässig (Laubenthal aaO). Der Abs. gilt auch für Publikationen, die nicht über die Anstalt vermittelt worden sind (C/MD 2008 Rdn. 1; Laubenthal aaO). 11
a) Mit Strafe oder Geldbuße bedrohte Presseerzeugnisse (Satz 1). Nach Satz 1 sind alle solche Zeitungen und Zeitschriften vom Bezug ausgeschlossen (generelles Verbot), deren Verbreitung mit Strafe oder Geldbuße bedroht ist. In Betracht kommen vor allem Publikationen i. S. der §§ 86, 86 a, 131 StGB. Hierher zählen aber auch pornographische Druckwerke, soweit diese von §§ 184 ff StGB erfasst werden (vgl. dazu OLG München ZfStrVo SH 1979, 67 ff; OLG Saarbrücken ZfStrVo 1996, 249). Es reicht nicht aus, wenn der Inhalt der Druckerzeugnisse gegen Strafgesetze verstößt, vielmehr muss die Verbreitung der Zeitschrift mit Strafe oder Geldbuße bedroht sein (OLG Celle NdsRpfl. 2011, 133 = FS 2011, 55 (LS) – 1 Ws 387/10).
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b) Vorenthaltung einzelner Ausgaben (Satz 2). Nach Satz 2 können darüber hinaus einzelne Ausgaben oder Teile von Zeitungen oder Zeitschriften vorenthalten werden, wenn sie das Ziel des Vollzuges oder die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt erheblich gefährden würden. Der Eingriff muss jedoch geeignet und erforderlich sein, um diese erhebliche (konkrete) Gefahr, die real sein muss (BVerfG NStZ 1995, 614 = ZfStrVo 1996, 175; OLG Jena ZfStrVo 2005, 79; Laubenthal 2011 Rdn. 613; Arloth 2011 Rdn. 4; Kruis/ Wehowsky 1998, 595), abzuwehren. Zu prüfen ist insoweit (Abwägungsgebot), ob das Druckwerk konkret (AK-Boetti13 cher 2012 Rdn. 19) Flucht- oder Befreiungsvorhaben fördert oder die Gefahr von Schäden für Personen (Gesundheitsbeschädigung, Selbstmord, Gefahr für Anstaltsbedienstete) hervorrufen kann (äußere und innere Sicherheit) oder das geordnete und menschenwürdige Zusammenleben von Gefangenen und Vollzugsbediensteten behindert (Ordnung): vgl. zur Begriffsbestimmung auch Rdn. 7 zu § 81. Die Anstaltssicherheit kann z. B. durch die bildliche Darstellung von Waffen (Schusswaffen, Handgranaten usw.) gefährdet werden, weil geschickte Gefangene anhand solcher Bilder täuschend ähnliche Attrappen (z. B. aus mit Schuhcreme geschwärztem Brotteig) bauen können (Arloth 2011 Rdn. 5). Ob eine das Vollzugsziel (dazu Rdn. 12 ff zu § 2) erheblich gefährdende Beeinflussung des Gefangenen zu befürchten ist, hängt von dem Inhalt des Artikels, seinem Gehalt, der Ausführlichkeit des Berichts und anderen Einzelheiten ab (OLG Celle, Beschl. vom 26.11.1979 – 3 Ws 405/79), nicht zuletzt von der Person des Empfängers (so auch Arloth 2011 Rdn. 4); erforderlich ist also eine persönlichkeitsbezogene Prognose (AKBoetticher 2012 Rdn. 19). So macht es z. B. einen Unterschied (heißt es bei Baumann 1992, 332), „ob man eine Stange Dynamit dem Hl. Franziskus oder einem Terroristen in die Hand gibt“. Kritisiert wird (z. B. von Baumann 1992, 331 f) die formelhafte Verwendung der Begriffe „Sicherheit“, „Ordnung“ und „Vollzugsziel“. Dementsprechend weist auch Boetticher (AK 2012 Rdn. 20) zu Recht darauf hin, dass statt eines formelhaften Gebrauchs der Eingriffsermächtigungen Anstalten und Gerichte in jedem Einzelfall eine substantiierte Subsumtion unter die gesetzlichen Tatbestandsalternativen vornehmen müssen. Die Vorenthaltung erfordert also immer eine Prüfung im Einzelfall (OLG Nürnberg ZfStrVo 1993, 116 LS = BlStV 3/1993, 4). Zu Beispielen aus der Rspr. vgl. Rdn. 16. 14 Alle drei in Satz 2 genannten Gründe erlauben es grundsätzlich nicht, den Bezug einer periodisch erscheinenden Zeitung oder Zeitschrift generell zu untersagen (OLG Koblenz NStZ 1984, 46; AK-Boetticher 2012 Rdn. 18; K/S-Schöch 2002 § 7 Rdn. 193; a. A. OLG Hamburg ZfStrVo SH 1978, 39), da es dafür an einer Rechtsgrundlage fehlt (Thüring. OLG NStZ-RR 2004, 317 = ZfStrVo 2005, 179). Die generelle Untersagung kann auch nicht Schwind/Goldberg
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auf den unangemessenen Kontrollaufwand bei einer Zeitschrift gestützt werden, wenn eine Überprüfung von zwei Einzelausgaben deren Versagung begründeten (OLG Celle NdsRpfl. 2011, 133 = FS 2011, 55 (LS) – 1 Ws 387/10). Ein genereller Bezugsausschluss ist vielmehr nur unter den Voraussetzungen des Abs. 2 Satz 1 möglich (a. A. offenbar KG ZfStrVo 1987, 251 LS). Deshalb muss für jede eingehende Nummer einer Zeitschrift gesondert geprüft werden, ob ihre Aushändigung das Ziel des Vollzugs (§ 2 Rdn. 12 ff) erheblich gefährdet oder ob Teile der Zeitschrift aus diesen Gründen dem Gefangenen vorenthalten werden müssen (vgl. OLG Nürnberg NStZ 1981, 240). Wird eine am Samstag erscheinende Tageszeitung aus Zensurgründen erst am folgenden Montag ausgehändigt, liegt im Einzelfall kein Verstoß gegen Art. 5 GG vor (OLG Nürnberg ZfStrVo 1993, 116; C/MD 2008 Rdn. 2; Beispiel Rdn. 17). Dass jede eingehende Ausgabe einer Zeitschrift gesondert überprüft werden muss, ist übrigens nicht immer im Interesse des Gefangenen, der so möglicherweise sein Geld in das Abonnement einer Zeitschrift investiert, die er, weil jede einzelne Nummer beanstandet wird, dann nicht lesen kann. Bestellt der Insasse ein solches Blatt, so müsste ihm deshalb dieses Risiko vorher mitgeteilt werden (ebenso K/S-Schöch aaO). Der Grundsatz der Informationsfreiheit, nach dem die Einbehaltung der Druckschrif- 15 ten auf das unerlässliche Maß beschränkt werden soll, erfordert zudem jeweils die Prüfung, ob eine schonendere Maßnahme ausreicht (Verhältnismäßigkeitsgrundsatz), um die Funktionsfähigkeit des Strafvollzugs sicherzustellen (BVerfGE 41, 251; Frielinghaus 1979, 5). Vgl. auch § 81 Rdn. 9. Als weniger einschneidende Maßnahme kommt z. B. das Schwärzen einzelner Artikel in Frage (LG Lüneburg, Beschl. vom 26.7.1977 – 17 StVK 260/77; Laubenthal 2011 Rdn. 613; AK-Boetticher 2012 Rdn. 16), während die zeitweilige Überlassung der Druckwerke mit dem Verbot der Weitergabe (auch wegen der Gefahr der Nichteinhaltung) in der Regel nicht ausreichen dürfte. Wegen der Möglichkeit unerlaubter Weitergabe oder von Tauschgeschäften kommt es für die Zulässigkeit einer Maßnahme nach Abs. 2 Satz 2 im Übrigen nicht darauf an, ob der von der Maßnahme betroffene Gefangene (selbst) zum Kreis derjenigen Gefangenen gehört, deren Resozialisierung durch den Besitz der Zeitschrift gefährdet wäre (LG Regensburg ZfStrVo SH 1977, 30). Sind offenkundig nicht alle Artikel einer angehaltenen Zeitschrift zu beanstanden, so ist es ermessensfehlerhaft, wenn ohne Begründung neben den beanstandeten auch die unbeanstandeten Teile einbehalten werden (OLG Hamburg ZfStrVo SH 1978, 39; C/MD 2008 Rdn. 1; AKBoetticher 2012 Rdn. 16). Deshalb erscheint der Beschluss des OLG Nürnberg (NStZ 1981, 240 = BlStV 1/1982, 7; so auch OLG Frankfurt NStZ 1987, 358 und OLG Hamm NJW 1992, 1337 = BlStV 4/1992, 4) nicht unbedenklich, nach dem der Gefangene den Verlust einer nicht beanstandeten Vor- und Rückseite hinnehmen muss, wenn einzelne Teile von beidseitig bedruckten Zeitungen oder Zeitschriften vorenthalten werden (so auch AKBoetticher 2012 Rdn. 16; a. A. C/MD 2008 Rdn. 1 und Arloth 2011 Rdn. 4). Auf die Möglichkeit des Schwärzens soll sich die JVA nach dieser Rechtsprechung in solchen Fällen wegen des damit verbundenen Verwaltungsaufwands nicht verweisen lassen müssen (so auch OLG Jena ZfStrVo 2005, 79); das kann jedoch nicht generell gelten, weil sonst das mildere Mittel des „Schwärzens“ gar nicht in Betracht kommen würde. Eine komplette Vorenthaltung einer Ausgabe anstelle des Schwärzens kommt jedoch in Betracht, „wenn die Vielzahl der beanstandeten Stellen nur noch ein Torso der Zeitschrift übrig ließe“ (OLG Celle NdsRpfl. 2011, 133 = FS 2011, 55 (LS) – 1 Ws 387/10); dabei soll eine stichprobenartige Überprüfung der jeweiligen Ausgabe für die Vorenthaltung ausreichen, wenn konkrete Hinweise dafür vorhanden sind, dass sämtliche Ausgaben zu beanstanden sind (aaO). Das aufwändige Schwärzen wollen sich einige Länder offensichtlich ersparen, indem § 50 Abs. 1 ME-StVollzG lediglich das Vorenthalten ganzer Ausgaben vorsieht, 637
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wobei nach der Gesetzesbegründung ausdrücklich das Schwärzen entbehrlich gemacht werden soll (Rdn. 24). Auch § 58 Abs. 2 JVollzGB III ermöglicht die Vorenthaltung insgesamt; nach der Gesetzesbegründung solle aber die Vorenthaltung einzelner Teile als milderes Mittel möglich bleiben (Rdn. 19). Eine erhebliche Gefährdung des Vollzugsziels hat die Rspr. z. B. dann bejaht, wenn 16 ein Druckwerk (erste Fallgruppe) eine unmäßig überzogene und böswillige Kritik an den Strafvollstreckungsorganen übt (OLG Hamburg BlStV 3/1978, 1 = ZfStrVo 1980, 125; LG Traunstein NStZ 1984, 431; BVerfG ZfStrVo 1996, 244; zu Recht krit. AK-Boetticher 2012 Rdn. 22 f), etwa bei Beleidigungen von Richtern, Staatsanwälten oder Polizeibeamten (OLG Nürnberg, Beschl. vom 27.1.1987 – Ws 1233/86); sachliche Kritik ist hinzunehmen. Vollzugsziel und Sicherheit und Ordnung werden nach der Rspr. zudem erheblich gefährdet (zweite Fallgruppe), wenn der beanstandete Artikel in seiner Gesamtschau eine verunglimpfende, agitatorische und zersetzende Tendenz gegenüber Staat und Gesellschaft verfolgt, die Verweigerungs- und Abwehrhaltung erzeugt (OLG Hamm NStZ 1985, 143; KG BlStV 3/1987, 6; vgl. auch Rdn. 11 zu § 70 zum „Ratgeber für Gefangene“ und ähnlichen Schriften) bzw. auf entsprechende Solidarisierungsmaßnahmen hinwirkt (OLG Hamm NJW 1992, 1337 m. w. N. = BlStV 4/1992, 4). Das ist besonders dann der Fall, wenn (wie z. B. in der „taz“-Ausgabe vom 17.10.1990) Dachbesteigungen, Arbeitsverweigerung und Hungerstreik nach dem Zusammenhang des beanstandeten Artikels als nachahmenswert hingestellt werden (OLG Hamm aaO). Allgemein zugängliche Ausgaben von Zeitschriften mit rechts- oder linksextremistischem Gedankengut können auch dann vorenthalten werden, wenn der Gefangene als „unbelehrbar“ eingeschätzt wird, also als gar nicht mehr beeinflussbar gilt: hier durch die „HNG-Nachrichten“ (KG Berlin, Beschl. vom 9.5.2006 – 5 Ws 140/06; vgl. auch BVerfG NStZ 1995, 613 = ZfStrVo 1996, 175). Eine erhebliche Gefährdung der Sicherheit und Ordnung wird von Teilen der Rspr. ferner (dritte Fallgruppe) in Bezug auf pornographische Inhalte (zur Definition LG Zweibrücken ZfStrVo 1996, 249) von Druckwerken bejaht. So kann (nach LG Freiburg ZfStrVo 1994, 375) die Aushändigung von Pornoheften mit strafbarem Inhalt (vgl. Rdn. 11) auch aus diesen Gründen abgelehnt werden. Ob das für Sexhefte, die „draußen“ offen über den Ladentisch verkauft werden („Softpornos“ wie „Playboy“, „Penthouse“ oder auch „Sexy“), auch gelten soll, ist streitig (abl. LG Freiburg aaO; anders zu Recht K/S-Schöch 2002 § 7 Rdn. 194, Arloth 2011 Rdn. 5 und AK-Boetticher 2012 Rdn. 24: grundsätzlich zuzulassen). Das OLG München (ZfStrVo SH 1979, 67 ff) weist darauf hin, dass pornographische Darstellungen nach Inhalt und Zielsetzung nicht oder nur ganz beiläufig Informationsträger sind und daher auch nicht an den Grundrechten der Informationsfreiheit teilnehmen können. Boetticher (AK 2012 Rdn. 24) betont hingegen, dass die fortschreitende sexuelle Emanzipation und Liberalisierung auch vor dem Gefängnis nicht haltmachen darf. Gleichwohl kann eine Vorenthaltung im Einzelfall wegen erheblicher Gefährdung des Vollzugsziels oder der Sicherheit oder der Ordnung der Anstalt durchaus in Betracht kommen (so auch K/S-Schöch 2002 § 7 Rdn. 194). Das gilt zumindest für Hardcore-Pornos (Arloth 2011 Rdn. 5), etwa für Bilder nackter oder nur zum Teil bekleideter Frauen, die das Augenmerk des Betrachters in erster Linie auf gespreizte Schenkel und geöffnete Genitalien lenken und damit die abgebildeten Personen zu bloßen austauschbaren Objekten sexueller Triebbefriedigung degradieren (LG Zweibrücken aaO). Dementsprechend können auch einzelne Ausgaben oder Teile einer Homophilenzeitschrift vorenthalten werden (LG Arnsberg BlStV 2/1978, 8; vgl. auch OLG Hamm BlStV 6/1981, 5; OLG Nürnberg ZfStrVo 1984, 188).
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III. Beispiel Keinen Verstoß gegen Art. 5 GG stellt die Zurückstellung der Aushändigung einer 17 an einem Samstag erschienenen Tageszeitung zwecks Durchführung der Prüfung einer Vorenthaltung gemäß § 68 Abs. 2 Satz 2 auf den kommenden Montag dar, weil die Dienstzeiten der Beamten und Angestellten an den Wochenenden gewisse Einschränkungen des Anstaltsbetriebes erfordern; das gilt vor allem für solche Druckwerke, die (wie die „taz“) erfahrungsgemäß häufig vorzuenthaltende Artikel oder Leserbriefe enthalten (OLG Nürnberg BlStV 3/1993, 4 f = ZfStrVo 1993, 116). IV. Landesgesetze und Musterentwurf Die Landesgesetze stimmen in weiten Teilen mit der bundesgesetzlichen Regelung 18 überein. Mehrere Landesgesetze haben jedoch ausdrücklich die Kostentragungspflicht der Gefangenen normiert (in Hamburg und Hessen sowie im ME-StVollzG). Zudem gibt es Besonderheiten bzgl. der Voraussetzungen für die Zulassung von Zeitungen und Zeitschriften, so wird teilweise auf die Kontrollmöglichkeiten abgestellt (so in Baden-Württemberg und Hessen). Schließlich unterscheiden sich die Möglichkeiten zum Vorenthalten von Druckwerken, denn Baden-Württemberg und der ME-StVollzG beschränken das Vorenthalten nicht nur auf Teile. 1. Baden-Württemberg. § 60 i. V. m. § 58 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 und 4 JVollzGB III 19 stimmt in weiten Teilen mit der bundesgesetzlichen Regelung überein. Allerdings wird bzgl. der Angemessenheit des Umfangs auch auf die Kontrollkapazität der Anstalt sowie auf den Wert abgestellt (§ 58 Abs. 1 Satz 2 JVollzGB III). Anders als in § 68 Abs. 2 Satz 2 StVollzG wird die Vorenthaltung von Druckwerken in § 58 Abs. 2 JVollzGB III nicht auf einzelne Ausgaben oder Teile beschränkt. In der Gesetzesbegründung wird gleichwohl darauf hingewiesen, dass aus Gründen der Verhältnismäßigkeit in Betracht kommt, nicht den Bezug insgesamt zu untersagen, sondern nur einzelne Teile oder Ausgaben vorzuenthalten (LT-Drucks. 14/5012, 229). Wegen der Bedeutung für die Ausübung des Art. 5 Abs. 1 GG hätte diese Einschränkung gleichwohl schon im Gesetzestext zum Ausdruck kommen sollen. Schließlich ermöglicht § 58 Abs. 2 Nr. 3 JVollzGB III auch ein Vorenthalten von Zeitungen und Zeitschriften, wenn eine Überprüfung mit vertretbarem Aufwand nicht leistbar wäre. Die Vertretbarkeit des Aufwands wird allerdings ebenso an Art. 5 Abs. 1 GG zu messen sein. 2. Bayern. Art. 70 BayStVollzG ist nahezu wortgleich mit § 68 StVollzG. Obwohl in 20 Abs. 2 anstelle der Gefährdung des Vollzugszieles die Gefährdung der „Erfüllung des Behandlungsauftrags“ genannt wird, gibt es inhaltlich keinerlei Unterschied, denn die Legaldefinition des Vollzugszieles in § 2 Satz 1 StVollzG ist identisch mit der Legaldefinition des Behandlungsauftrages in Art. 2 Satz 2 BayStVollzG. Rspr. zur landesgesetzlichen Regelung findet sich bei Rdn. 6 (OLG Nürnberg NStZ 2009, 216). 3. Hamburg. § 51 HmbStVollzG entspricht im Wesentlichen dem § 68 StVollzG. In 21 Abs. 1 wird lediglich ergänzend die Kostenfrage (wie auch in Hessen sowie dem MEStVollzG) zulasten des Gefangenen geregelt. 4. Hessen. Hessen regelt den Bezug von Zeitschriften und Zeitungen weitgehend 22 identisch mit § 68 StVollzG in § 30 Abs. 2 Satz 2–5 HStVollzG. Wie auch in Hamburg und dem ME-StVollzG wird allerdings hervorgehoben, dass die Kosten von den Gefangenen 639
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zu tragen sind. Zudem wird bzgl. der Angemessenheit des Umfangs ergänzend auf die Übersichtlichkeit des Haftraums sowie das Erschweren von Kontrollen abgestellt (§ 30 Abs. 2 Satz 3 i. V. m. § 19 Abs. 1 Satz 2 HStVollzG). Soweit in § 30 Abs. 2 Satz 5 HStVollzG auf die erhebliche Gefährdung der Eingliederung (statt des Vollzugszieles) abgestellt wird, ist damit (wie in Baden-Württemberg) kein inhaltlicher Unterschied verbunden, denn die hessische Legaldefinition der Eingliederung (§ 2 Satz 1 HStVollzG) entspricht der bundesgesetzlichen Legaldefinition des Vollzugszieles (§ 2 Satz 1 StVollzG). 23
5. Niedersachsen. § 65 NJVollzG ist überwiegend wortgleich mit § 68 StVollzG. Anstelle von „das Ziel des Vollzuges“ heißt es darin jedoch (ohne inhaltliche Änderung) „das Vollzugsziel nach § 5 Satz 1“, da das Vollzugsziel in § 5 Satz 1 nicht legaldefiniert wird. Rspr. zur landesgesetzlichen Regelung findet sich bei Rdn. 5, 11 und 14 f (OLG Celle NdsRpfl. 2011, 133).
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6. Musterentwurf. Auch § 50 Abs. 1 ME-StVollzG ist in weiten Teilen wortgleich wie § 68 StVollzG, enthält jedoch (wie die Regelungen aus Hamburg und Hessen) einen Hinweis auf die Kostentragungspflicht der Gefangenen. Anders als in § 68 Abs. 2 Satz 2 StVollzG sollen jedoch erhebliche Gefährdungen für die Erreichung des Vollzugszieles, der Sicherheit oder Ordnung nicht nur zum Vorenthalten von Ausgaben oder Teilen der Druckwerke berechtigen, sondern grundsätzlich zur Vorenthaltung (oder Entziehung) der gesamten Ausgaben. Diesen Unterschied hebt die Begründung hervor, denn damit soll entbehrlich werden, „einzelne Passagen […] schwärzen oder entfernen zu müssen“ (ME-Begründung, 118). Da die komplette Vorenthaltung nach dem gesetzgeberischen Willen ausdrücklich schon bei Gefährdungen durch einen Artikel möglich sein soll, ist fraglich, ob die Regelung eine zulässige Einschränkung des Grundrechts aus Art. 5 Abs. 1 GG darstellt.
§ 69 Hörfunk und Fernsehen § 69 Schwind/Goldberg Hörfunk und Fernsehen (1) Der Gefangene kann am Hörfunkprogramm der Anstalt sowie am gemeinschaftlichen Fernsehempfang teilnehmen. Die Sendungen sind so auszuwählen, dass Wünsche und Bedürfnisse nach staatsbürgerlicher Information, Bildung und Unterhaltung angemessen berücksichtigt werden. Der Hörfunk- und Fernsehempfang kann vorübergehend ausgesetzt oder einzelnen Gefangenen untersagt werden, wenn dies zur Aufrechterhaltung der Sicherheit oder Ordnung der Anstalt unerlässlich ist. (2) Eigene Hörfunk- und Fernsehgeräte werden unter den Voraussetzungen des § 70 zugelassen. VV 1 Der Anstaltsleiter kann anordnen, dass Hörfunk- und Fernsehgeräte nur mit Kopfhörern betrieben und dass die Geräte während der Ruhezeit aus dem Haftraum entfernt werden.
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2 (1) Hörfunk- und Fernsehgeräte dürfen nur ausgehändigt werden, wenn feststeht, dass sie den geltenden Bestimmungen und Auflagen entsprechen und keine unzulässigen Gegenstände enthalten. Die dazu erforderliche Überprüfung und etwa notwendige Änderungen werden durch die Anstalt auf Kosten des Gefangenen veranlasst. (2) Zur Verhinderung eines Missbrauchs kann die Anstaltsleitung die Verplombung der Geräte anordnen. (3) Reparaturen sind nur durch Vermittlung der Anstalt zulässig. 3 Die Gefangenen haben die notwendigen Anzeigen im Zusammenhang mit dem Betrieb des Hörfunkgerätes und des Fernsehgerätes selbst vorzunehmen und für die Entrichtung der entsprechenden Gebühren zu sorgen, sofern sie nicht von der Gebührenpflicht befreit sind. Hierauf sind sie hinzuweisen. 4 Die Gefangenen dürfen das Hörfunkgerät und das Fernsehgerät ohne abweichende Erlaubnis nur in ihrem Haftraum betreiben. 5 Die Kosten für die Beschaffung, die Überprüfung, eine notwendige Änderung, die Reparatur und den Betrieb des Hörfunkgerätes und des Fernsehgerätes dürfen die Gefangenen aus ihrem Hausgeld, ihrem Taschengeld und ihrem Eigengeld bestreiten. Schrifttum S. bei § 67.
I. II.
Übersicht Allgemeine Hinweise ____ 1–3 Erläuterungen ____ 4–13 1. Subjektiv-öffentliches Recht auf Teilnahme (Abs. 1 Satz 1) ____ 4, 5 2. Regelung der Programmauswahl (Abs. 1 Satz 2) ____ 6 3. Einschränkungen (Abs. 1 Satz 3) ____ 7 4. Voraussetzungen für die Aufstellung eigener Geräte (Abs. 2) ____ 8–10 a) Zulassung eigener Hörfunkgeräte (Abs. 2, 1. HS.) ____ 9 b) Zulassung eigener Fernsehgeräte (Abs. 2, 2. HS.) ____ 10
III.
5. Kosten für den Betrieb der Geräte ____ 11 6. Folgen des Erlaubnismissbrauchs ____ 12 7. Folgen bei Verlegungen ____ 13 Landesgesetze und Musterentwurf ____ 14–20 1. Baden-Württemberg ____ 15 2. Bayern ____ 16 3. Hamburg ____ 17 4. Hessen ____ 18 5. Niedersachsen ____ 19 6. Musterentwurf ____ 20
I. Allgemeine Hinweise Im Rahmen der Informationsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) ist nicht nur der Bezug von 1 Zeitungen und Zeitschriften relevant (vgl. Rdn. 1 zu § 68), (zunehmende) Bedeutung besitzen darüber hinaus auch Hörfunk und Fernsehen, mit denen sich der § 69 (der verfas641
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sungskonform ist: BVerfG Justiz 1980, 489) befasst (vgl. dazu schon Frielinghaus 1979 und Hassemer 1984). § 69 Abs. 2 ist durch das 4. StVollzGÄndG vom 26.8.1998 (BGBl. I, 2461) neu gefasst 2 worden. Bis dahin waren eigene Fernsehgeräte nur in „begründeten Ausnahmefällen“ zugelassen, nach der Neufassung ist die Einschränkung weggefallen (vgl. dazu Schwind 1990, 361 f). Mit der Novellierung wollte der Gesetzgeber „der herausragenden Bedeutung des Fernsehens im Freizeitverhalten von Menschen in Freiheit wie in Haft im Sinne des Angleichungsgrundsatzes Rechnung tragen“ (BT-Drucks. 13/3129, 4) und hoffte, dass die „grundsätzliche Zulassung eigener Fernsehgeräte letztlich dazu beitragen wird, einen Ausgleich für das zum Teil zu geringe Freizeitangebot in den Anstalten zu schaffen“ (BT-Drucks. aaO, 5). Mit diesen Sätzen ist allerdings zugleich auch das Eingeständnis verbunden, dass zumindest Teile der Zielsetzung der Etablierung eines Resozialisierungsvollzuges (wie er dem Gesetzgeber des StVollzG vorgeschwebt hat) nicht umgesetzt werden konnten: Sinnvolle Freizeit- und Fortbildungsangebote fehlen weitgehend noch immer (dazu Rdn. 1 f zu § 67). Unberührt von der Neufassung des Abs. 2 bleibt die Rspr., nach der ein Strafgefan3 gener, der über ein eigenes Fernsehgerät verfügt, nicht auch noch einen Anspruch auf Teilnahme an einem seitens der Haftanstalt (nicht mehr) angebotenen Gemeinschaftsprogramm hat, und zwar deshalb nicht, weil ein Bedürfnis für kumulative Nutzung nicht anerkannt werden kann (OLG Koblenz NStZ 1994, 103). Das Grundrecht der Informationsfreiheit soll es auch nicht erfordern, einem Gefangenen mittels Zimmerantenne (OLG Hamm ZfStrVo 1995, 179) oder Satellitenantenne mit Receiver (OLG Koblenz ZfStrVo 1996, 54) den Empfang privater Fernsehsender zu ermöglichen oder die Benutzung eines Decoders zu gestatten, der den Empfang des „Erotika“-Kanals ermöglicht (OLG Celle NStZ-RR 1996, 189). Zur Zahlung der Rundfunk- (und Fernseh-)Gebühren durch den Strafgefangenen vgl. VV Nr. 3. Eine Befreiung kommt nach dem Rundfunkgebührenstaatsvertrag (RGebStV) regelmäßig nicht mehr in Betracht. Nach § 6 Abs. 3 RGebStV kann jedoch in besonderen Härtefällen auf Antrag von der Gebührenpflicht befreit werden. Einen solchen Härtefall hat das OVG Lüneburg (ZfSH/SGB 2011, 719) bei einem Taschengeldempfänger nach dem Maßregelvollzugsgesetz eines Landes angenommen – dies muss ebenso für Taschengeldempfänger im Strafvollzug gelten (so auch AK-Boetticher 2012 Rdn. 31). II. Erläuterungen 4
1. Subjektiv-öffentliches Recht auf Teilnahme (Abs. 1 Satz 1). Abs. 1 Satz 1 gewährt ein subjektiv-öffentliches Recht auf Teilnahme am Hörfunkprogramm bzw. am gemeinschaftlichen Fernsehempfang der Anstalt (vgl. Prot. S. 2106; C/MD 2008 Rdn. 1; OLG Koblenz ZfStrVo 1988, 315). Böhm (2003, Rdn. 213) weist darauf hin, dass dieses Recht an praktischer Bedeutung verliert, weil die Gefangenen inzwischen eigene Geräte im Haftraum besitzen. Daher wird der Gemeinschaftsrundfunk (oder zumindest das Gemeinschaftsfernsehen) in vielen Landesgesetzen nicht mehr vorgesehen oder sogar ausdrücklich ausgeschlossen (Rdn. 14 ff). Im Übrigen geht der Gesetzgeber davon aus, dass jede Anstalt die Möglichkeiten des Gemeinschaftsempfanges anbieten muss („Institutsgarantie“). Ist das in einer Anstalt nicht der Fall, kann der Strafgefangene die Einrichtung einer entsprechenden Gemeinschaftsanlage verlangen (AK-Boetticher 2012 Rdn. 4), aber nur dann, wenn er kein eigenes Fernsehgerät im Haftraum besitzt (C/MD 2008 Rdn. 1; OLG Koblenz NStZ 1994, 103; Laubenthal 2011 Rdn. 614; Arloth 2011 Rdn. 2, der ein Gemeinschaftshörfunkprogramm sogar für den Fall ablehnt, dass der Schwind/Goldberg
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Gefangene über kein eigenes Gerät verfügt, unter Umständen sei dann jedoch ein einfaches Radio von der Anstalt kostenlos zur Verfügung zu stellen). Es besteht jedoch kein Rechtsanspruch auf Fernsehempfang außerhalb des Haftraums während der Arbeitszeit (§§ 17 Abs. 1, 82 Abs. 1 Satz 1), weil der gemeinschaftliche Fernsehempfang Teil des Freizeitangebotes ist (Rdn. 2; C/MD 2008 Rdn. 1); ob dies auch dann gilt, wenn der Gefangene in unverschuldeter Weise arbeitslos ist, ist umstritten (zustimmend OLG Celle ZfStrVo 1983, 382 = NStZ 1984, 144, 355; ablehnend AK-Boetticher 2012 Rdn. 7). Wird in schlecht gelüfteten Gemeinschaftsräumen (mit Gemeinschaftsfernsehen) 5 geraucht, so ist die Vollzugsbehörde in Erfüllung ihrer Gesundheitsfürsorgepflicht (§ 56) gehalten, geeignete Vorkehrungen zum Schutz von Nichtrauchern gegen das „Passivrauchen“ zu treffen (OLG Hamm ZfStrVo 1982, 183; OLG Hamm NStZ 1984, 571): gerechtfertigt ist auch ein Rauchverbot (OLG Nürnberg ZfStrVo 1988, 191), sofern die Möglichkeit, getrennte Fernsehräume einzurichten, ausscheidet (OLG Zweibrücken NStZ 1986, 426; AK-Boetticher 2012 Rdn. 8; C/MD 2008 Rdn. 2 zu § 56). Neben dieser Rechtsprechung sind auch die Landes-Nichtraucherschutzgesetze in den Haftanstalten zu beachten, sofern sie nicht ausdrücklich (wie § 1 Abs. 2 Landesnichtraucherschutzgesetz für BadenWürttemberg) die Justizvollzugsanstalten aus ihrem Geltungsbereich ausnehmen (z. B. § 3 Nichtraucherschutzgesetz NRW, das das Rauchen grundsätzlich verbietet, in Abs. 5 jedoch das Rauchen in den Hafträumen gestattet, sofern alle dort untergebrachten Gefangenen Raucher sind). Soweit das Hörfunkprogramm in die Hafträume ausgestrahlt wird, muss dafür gesorgt werden, dass der Gefangene den Zellenlautsprecher abstellen kann (AK-Boetticher 2012 Rdn. 5; C/MD 2008 Rdn. 1). Das in Abs. 1 Satz 1 gebrauchte Wort „kann“ räumt dem Anstaltsleiter kein Ermessen ein, sondern gestattet dem Gefangenen, auf die Teilnahme am Anstaltshörfunkprogramm zu verzichten (KG BlStV 3/1987, 7; so auch Arloth 2011 Rdn. 3; C/MD 2008 Rdn. 1): der Gefangene muss also nicht hinnehmen, einer von ihm nicht gewünschten Geräuschkulisse ausgesetzt zu sein. Auf der anderen Seite darf die Vollzugsbehörde eine von ihr zur Verfügung gestellte Anlage (es sei denn zur Instandhaltung bzw. Reparatur) nicht einfach abschalten (KG ZfStrVo 1987, 251). 2. Regelung der Programmauswahl (Abs. 1 Satz 2). Abs. 1 Satz 2 regelt die Pro- 6 grammauswahl bei Gemeinschaftsprogrammen: die Anstalt wird verpflichtet, ein gemischtes Programm auszuwählen, das sich in objektiver Hinsicht an den Bedürfnissen der Gefangenen orientiert und in subjektiver Hinsicht auch die Wünsche der Gefangenen mit berücksichtigt (so auch C/MD 2008 Rdn. 2; Frielinghaus 1979, 5). Der einzelne Gefangene hat aber keinen Anspruch darauf, eine bestimmte Sendung zu hören oder zu sehen (so auch AK-Boetticher 2012 Rdn. 9). Er hat jedoch einen Anspruch darauf, dass neben reiner Unterhaltung auch staatsbürgerliche Informationen und bildende Sendungen in das Gemeinschaftsprogramm aufgenommen werden (OLG Frankfurt NStZ 1982, 350; C/MD 2008 Rdn. 2); dazu gehört mindestens eine tägliche Nachrichtensendung einer überregionalen Fernsehanstalt (OLG Koblenz NStZ 1988, 199; AK-Boetticher aaO). Die Auswahl kann auch der Gefangenenmitverantwortung (§ 160) bei Vorbehalt durch die Anstaltsleitung übertragen werden (AK-Boetticher aaO). Das Gesetz räumt der Gefangenenmitverantwortung aber keinen Vorrang vor dem Individualrecht des Gefangenen aus § 69 Abs. 1 Satz 2 ein (OLG Celle ZfStrVo 1983, 382). Zur Gewährleistung eines ausgewogenen Programmes in Bezug auf Unterhaltung, staatsbürgerliche Interessen und bildende Sendungen (dazu OLG Frankfurt NStZ 1982, 350) verbleibt die Entscheidung über die Programmauswahl also letztlich bei der Vollzugsbehörde (OLG Celle ZfStrVo 1982, 183; OLG Koblenz NStZ 1988, 199 und ZfStrVo 1988, 315). 643
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Sie hat lediglich auf die Wünsche und Bedürfnisse der Gefangenen Rücksicht zu nehmen (zu Einzelheiten OLG Koblenz aaO); vgl. auch § 160 Rdn. 3. Schließlich: kein Gefangener hat einen Anspruch darauf, dass ihm der Empfang eines bestimmten (hier: polnischen) Fernsehsenders ermöglicht wird. Ein solcher Anspruch folgt auch nicht aus den in §§ 2, 3 bestimmten Vollzugsgrundsätzen (KG Berlin ZfStrVo 2005, 311). 7
3. Einschränkungen (Abs. 1 Satz 3). Der Hörfunk- und Fernsehempfang (dessen Dauer im Ermessen der Anstalt steht: Arloth 2011 Rdn. 3) kann von der Vollzugsbehörde eingeschränkt werden, wenn die Beschränkung (unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes des § 81 Abs. 2) zur Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung der Anstalt „unerlässlich“ ist (zu diesem Begriff vgl. auch Rdn. 2 zu § 68). Nach den Prot. des SA (S. 2107) soll das „nur in den seltenen Ausnahmefällen denkbar sein, dass über alle Rundfunk- und Fernsehanstalten Nachrichten oder Aufrufe an Gefangene verbreitet werden, die die Gefangenen zu einem solidarischen Verhalten veranlassen oder zu einem Streik oder zum Aufruhr in der Anstalt“ anhalten. Denkbar sei ein „solcher Fall aber nur, wenn […] von den Massenmedien eine Nachrichtenübermittlung erpresst wird“: z. B. bei einer Geiselnahme mit dem Ziel der Gefangenenbefreiung (Arloth 2011 Rdn. 4; AK-Boetticher 2012 Rdn. 10).
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4. Voraussetzungen für die Aufstellung eigener Geräte (Abs. 2). Eigene (oder gemietete: OLG Stuttgart ZfStrVo 1993, 312; Arloth 2011 Rdn. 5) Hörfunk- und Fernsehgeräte, die in eigenen Hafträumen aufgestellt werden, dürfen nur unter den Voraussetzungen des § 70 zugelassen werden, also nur dann, wenn nicht (vgl. § 70 Abs. 2) das Ziel des Vollzuges (§ 2 Rdn. 12 ff) oder die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt (§ 81 Rdn. 7) gefährdet wird. Das heißt: Hörfunk- und Fernsehgeräte sind wie sonstige Gegenstände der Freizeitbeschäftigung grundsätzlich zugelassen, wegen ihrer Bedeutung für das Grundrecht auf Informationsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 GG sind sie gegenüber anderen Gegenständen sogar noch privilegiert (AK-Boetticher 2012 Rdn. 11). Daher ist grundsätzlich für jeden Gefangenen je ein Hörfunk- und Fernsehgerät angemessen (Arloth 2011 Rdn. 5). Bei der Frage der möglichen Gefährdung der Sicherheit oder Ordnung ist zwischen Kontrollmaßnahmen und dem grundrechtlich geschützten Interesse des Gefangenen auf Zulassung der Geräte abzuwägen. Eine Gefährdung der Sicherheit oder Ordnung kann nach dem BVerfG (FS 2011, 114 ff – 2 BvR 2518/08) nur dann bejaht werden, „wenn ihr mit zumutbarem Kontrollaufwand nicht zu begegnen ist“. Dies gilt umso mehr bei Sicherungsverwahrten, bei denen zusätzlich das Abstandsgebot (BVerfGE 109, 133, 166; vgl. vor § 129 Rdn. 4) und eine deutlichere Angleichung an die allgemeinen Lebensverhältnisse zu wahren sind, so dass ein erhöhter Kontrollaufwand der Anstalt hinzunehmen ist (OLG Naumburg, Beschl. vom 26.5.2011 – 1 Ws 638/10, juris, und vom 30.11.2011 – 1 Ws 64/11, juris). Wenn jedoch Sicherheitsbelange entgegenstehen (wie beim Besitz einer Spielkonsole, vgl. dazu § 70 Rdn. 9), findet nach dem OLG Frankfurt (NStZ-RR 2012, 223 – 3 Ws 1009/11 (StVollz)) diese weitestgehende Angleichung ihre Grenze (ebenso Hans. OLG Hamburg FS 2010, 54 – 3 Vollz (Ws) 48/09). Videorecorder sind keine Fernsehgeräte (a. A. LG Hamburg ZfStrVo 1994, 121), sondern „andere Gegenstände“ i. S. des § 70; sie können dem Gefangenen daher nur unter den Voraussetzungen des § 70 Abs. 2 vorenthalten werden (OLG Hamm NStZ 1995, 102; AK-Boetticher 2012 Rdn. 25; vgl. Rdn. 9 zu § 70). Dagegen sind Fernsehgeräte i. S. d. § 69 Abs. 2 auch solche Geräte, die über Zusatzfunktionen (z. B. Radio, DVD- und CDAbspielmöglichkeit, integrierte Satellitenempfänger, Internetbrowser oder Schnittstellen zur Datenübertragung) verfügen (OLG Naumburg, Beschl. vom 20.7.2011 – 1 Ws 70/11, juris, m. Anm. Spitz jurisPR-ITR 21/2011 Anm. 6). Schwind/Goldberg
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Im Einzelnen ist bezogen auf die Zulassung der Geräte Folgendes zu beachten (dazu auch § 81 Rdn. 10): a) Zulassung eigener Hörfunkgeräte (Abs. 2, 1. HS.). Missbrauchsprobleme 9 (etwa Fluchtvorbereitung, Begehung weiterer Straftaten) wurden bei Hörfunkgeräten mit UKW-Teil angenommen, weil dieser zu einem Sender bzw. Empfänger umgebaut werden kann, mit dem man sich nicht nur in den anstaltseigenen, sondern auch in den Polizeifunk einklinken kann (grundlegend OLG Frankfurt, Beschl. vom 14.11.1979 – 3 Ws 331/78 unter Hinweis auf ein Gutachten der Bundespost; Frielinghaus 1979). Eine entsprechende Gefährdung der Sicherheit der Anstalt bestehe vor allem im Frequenzbereich 26–28 MHz, und zwar deshalb, weil in diesem Bereich auch Geräte des sog. „Jedermannfunks“ empfangen und senden können, die im Handel frei verkäuflich sind. Ob diese Gefährdung heute noch besteht, wird von AK-Boetticher 2012 Rdn. 14 in Frage gestellt, da neuere Untersuchungen dazu fehlen. Im Schrifttum und in der Rspr. wird zudem die Meinung vertreten (vgl. C/MD 2008 Rdn. 3; OLG Frankfurt aaO), dass etwaigen unbefugten Eingriffen bereits dadurch hinreichend entgegengewirkt werden könne, dass das Gerät versiegelt oder hinreichend verplombt sowie regelmäßig kontrolliert werde (vgl. auch VV Nr. 2 Abs. 2). Das „Restrisiko“ sei gemessen am Maßstab des Art. 5 Abs. 1 GG sowie im Hinblick auf den Angleichungsgrundsatz (des § 3 Abs. 1) noch tragbar (so AKBoetticher 2012 Rdn. 13; C/MD 2008 Rdn. 3; OLG Frankfurt aaO). Zutreffend ist, dass differenziert werden muss: Wie bei § 70 Abs. 2 reicht grundsätzlich eine generell-abstrakte Gefahr für die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt, bei der allerdings aus Gründen der Verhältnismäßigkeit der zumutbare Kontrollaufwand (der bei Hörfunk- und Fernsehgeräten wegen Art. 5 Abs. 1 GG aufwändiger sein darf als bei sonstigen Gegenständen nach § 70) und mögliche mildere Mittel (z. B. Verplombung oder regelmäßige Kontrollen) zu berücksichtigen sind (vgl. § 70 Rdn. 7; a. A. AK-Boetticher 2012 Rdn. 12: die Gefahr muss konkret festgestellt werden; Boetticher scheint hier die neuere Rspr. des BVerfG zur Gefährdung der Sicherheit und Ordnung nicht zu berücksichtigen und bezieht sich im Verweis auf § 70 (die genannte Rdn. 11 scheint zur Vorauflage zu gehören – gemeint ist vermutlich Rdn. 14) auf die Gefährdung des Vollzugsziels, die tatsächlich konkret sein muss). Auch die Beantwortung der Frage, ob das Restrisiko noch vertretbar erscheint, hängt vom Einzelfall ab, so etwa, ob es um einen Hochsicherheitstrakt geht (a. A. C/MD 2008 Rdn. 3). Ebenso ist es grundsätzlich unzulässig, generell den Besitz von solchen Radios zu verbieten, die bestimmte Ausmaße überschreiten und deshalb (schon abstrakt betrachtet) leichter als Versteck (z. B. für Rauschgift, Sägeblätter usw.) missbraucht werden können (C/MD 2008 Rdn. 3; AK-Boetticher 2012 Rdn. 15; a. A. Arloth 2011 Rdn. 5, der eine generelle Größenbeschränkung für zulässig hält; zur Nutzbarkeit als Versteck bei Fernsehgeräten vgl. Rdn. 10). Gleichwohl kann auch bei diesen Entscheidungen nicht unberücksichtigt bleiben, inwieweit die personellen Möglichkeiten der Anstalt den zusätzlichen Kontrollaufwand zulassen (vgl. dazu z. B. OLG Hamm NStZ 1987, 248 in Bezug auf die Kontrolle zugesandter Publikationen). Unzulässig ist es, das Radiohören nachts durch Stromabschaltung mit der Begründung zu verhindern, andernfalls entstünde die generelle Gefahr von Bränden (z. B. durch einen vergessenen Tauchsieder) oder es könnten Störungen der Nachtruhe (für die anderen Gefangenen) eintreten (AK-Boetticher 2012 Rdn. 15; C/MD aaO; a. A. OLG Zweibrücken NStZ 1985, 45). b) Zulassung eigener Fernsehgeräte (Abs 2, 2. HS.). Auch bei Fernsehgeräten 10 stellt die Rspr. wegen der Größe und der Übersichtlichkeit des Haftraumes häufig auf die Ausmaße des Gerätes ab. Die Bildschirmdiagonale ist dabei jedoch kein geeignetes Abgrenzungskriterium, dagegen kann auf die Außenmaße abgestellt werden (OLG 645
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Rostock ZfStrVo 2005, 117, 119 – I Vollz (Ws) 20, 24 und 25/03: Geräte bis zu 40 × 40 × 42 cm sind grundsätzlich angemessen; ebenso OLG Frankfurt NStZ-RR 2007, 388 – 3 Ws 539–540/06 (StVollz) und OLG Celle StraFo 2009, 172 = NStZ-RR 2009, 190 – 1 Ws 42/09 m. Anm. Popp jurisPR-ITR 9/2009 Anm. 3). Im Einzelfall müssen davon jedoch Abweichungen möglich sein (so z. B. bei sehr kleinem Haftraum oder bei Sehbehinderung, OLG Rostock aaO; BVerfG FS 2011, 114 ff – 2 BvR 2518/08). Außerdem spielt die Nutzbarkeit als Versteck bei der Entscheidung eine Rolle. So wird die Sicherheit der Anstalt nach der Rspr. des OLG Koblenz (ZfStrVo 1996, 114) auch durch Satellitenantennen mit Receivern gefährdet, weil es in dem Receiver Hohlräume gibt, die wegen ihrer Größe mehr als das bei Radioapparaten der Fall ist (vgl. Rdn. 9) als Verstecke missbraucht werden können (vgl. dazu auch Rdn. 7 und 9 zu § 70). Missbraucht werden können ferner Fernseher mit Flachbildschirmen, und zwar wegen ihrer nutzbaren Multifunktionalität; gleichwohl soll ein generelles Verbot solcher Modelle nicht in Betracht kommen, vielmehr hat die Anstalt zu prüfen, ob der Gefahr durch Sicherungsmaßnahmen (wie Versiegelung oder Verplombung von Schnittstellen) und Kontrollen begegnet werden kann (OLG Karlsruhe StV 2006, 540 – 1 Ws 500/04). Ebenso hält das OLG Naumburg (Beschl. vom 20.7.2011 – 1 Ws 70/11, juris) eine Einzelfallprüfung für erforderlich, denn sonst drohe eine Aushebelung des Anspruchs aus § 69 Abs. 2, da immer weniger Geräte nur der Bildwiedergabe dienen; bei der Prüfung sei auf die Beschaffenheit des Gerätes, den Sicherheitsgrad der Anstalt, die konkreten örtlichen Gegebenheiten sowie die persönlichen Verhältnisse des Gefangenen abzustellen. Regelmäßig versagt wird die Erlaubnis zum Besitz von DVB-T-Empfängern, da darüber Videotext empfangen und Chatrooms besucht werden können; solche unkontrollierten Informationsübermittlungen seien weder technisch noch durch Kontrollmaßnahmen zu verhindern (KG Berlin NStZ-RR 2007, 327 – 2/5 Ws 342/06; OLG Frankfurt, Beschl. vom 5.4.2007 – 3 Ws 162/07 [StVollz] und vom 22.11.2006 – 3 Ws 1071–1072/06; OLG Celle StraFo 2009, 172 = NStZ-RR 2009, 190 – 1 Ws 42/09). Für den „angemessenen Umfang“ wird aus Gründen der sozialen Gleichbehandlung teilweise auch auf den Wert des eingebrachten Gerätes abgestellt (OLG Nürnberg NStZ 2008, 345 – 2 Ws 299/07: 200 €; Arloth 2011 Rdn. 5: 300 €; kritisch AK-Boetticher 2012 Rdn. 21). Der generelle Ausschluss selbst eingebrachter Fernsehgeräte stößt auf Bedenken; jedenfalls gibt es keine Rechtsgrundlage dafür, einen Gefangenen, der in seinem Haftraum ein eigenes Fernsehgerät betreiben möchte, ausschließlich auf die Anmietung eines Geräts bei einem externen Vermieter zu verweisen (OLG Naumburg, Beschl. vom 20.7.2011 – 1 Ws 70/11, juris, m. Anm. Spitz jurisPR-ITR 21/2011 Anm. 6; OLG Dresden StV 2008, 89). Eine Allgemeinverfügung wie eine Hausordnung reicht nicht aus, generell die Einbringung eigener Geräte zu untersagen und eine Anmietung vorzuschreiben; vielmehr bedarf es einer Einzelfallprüfung (OLG Naumburg aaO sowie Beschl. vom 26.5.2011 – 1 Ws 638/10, juris). Einige Landesgesetze sehen daher nun ausdrücklich die Möglichkeit des Verweises auf private Vermieter bzw. Betreiber von Empfangsanlagen (Baden-Württemberg) bzw. die Möglichkeit zur Überlassung der Geräte durch die Anstalten (Hamburg und Niedersachsen) vor. Weitere Beispiele aus der Rspr. zur Zulassung von Fernsehgeräten finden sich bei Arloth 2011 Rdn. 7 und AK-Boetticher 2012 Rdn. 17 ff. Dass die Erreichung des Vollzugsziels durch die Formulierung des Abs. 2 (vgl. Rdn. 2) erschwert werden würde, war vorauszusehen. Die Angebote des Behandlungsvollzuges vertragen (soweit sie nach der Arbeitszeit durchgeführt werden) in der Regel die Konkurrenz zum Fernsehen nicht; jedenfalls werden nicht wenige Gefangene im Zweifel lieber fernsehen wollen. Ob „wegen der Gefährdung des Vollzugszieles“ Fernsehgeräte bei Sexualstraftätern in Sozialtherapeutischen Anstalten und Abteilungen Schwind/Goldberg
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untersagt werden können, weil sie den Zielen der Sozialtherapie zuwiderlaufen (so Arloth 2011 Rdn. 6), erscheint auch im Hinblick auf den Angleichungsgrundsatz (§ 3 Abs. 1) zweifelhaft (ähnlich AK-Boetticher 2012 Rdn. 23, der auf Fingerspitzengefühl und Überzeugungskraft statt auf Verbote setzt). 5. Kosten für den Betrieb der Geräte. Die Erhebung einer Stromkostenpauschale 11 für das Betreiben des Fernsehgerätes ist mangels einer gesetzlichen Regelung nur dann zulässig, wenn sie zuvor zwischen der JVA und dem Gefangenen schriftlich vereinbart wurde (OLG Koblenz ZfStrVo 2006, 177; OLG Jena NStZ 2006, 697 = StV 2006, 593 mit Anm. Walter). In allen Landesgesetzen gibt es daher inzwischen Regelungen, nach denen die Gefangenen an den Strom- und/oder Betriebskosten der in ihrem Besitz befindlichen Gegenstände beteiligt werden können (§ 9 Abs. 2 JVollzGB I, Art. 71 Abs. 1 Satz 2 und Art. 73 BayStVollzG, §§ 49 Abs. 3 und 52 Abs. 1 Satz 2 HmbStVollzG, § 43 Abs. 5 HStVollzG, § 52 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 NJVollzG und § 61 Abs. 3 ME-StVollzG; vgl. Rdn. 14 ff). Dass die Heranziehung zu den Kosten rechtlich durchaus fraglich ist, erläutert Köhne (NStZ 2012, 16 ff). Die auf die VV Nr. 5 gestützte Überbürdung der bei eingeschalteten privaten Unternehmern entstehenden Kosten für die technische Sicherheitsüberprüfung (gebrauchter) eingebrachter Hörfunk- und Fernsehgeräte soll rechtmäßig sein (so OLG Brandenburg ZfStrVo 2005, 312; Arloth 2011 Rdn. 7), was wegen eines Eingriffs in die Informationsgewinnungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 GG jedoch fraglich ist (so richtig AKBoetticher 2012 Rdn. 28). 6. Folgen des Erlaubnismissbrauchs. Wird die Erlaubnis missbraucht (z. B. als 12 Versteck für verbotene Gegenstände), kann die Vollzugsbehörde die Erlaubnis gem. § 69 Abs. 2 i. V. mit § 70 Abs. 3 unter den Voraussetzungen des § 70 Abs. 2 jederzeit widerrufen (vgl. Rdn. 14 f zu § 70 und OLG Hamm NStZ 1986, 143). 7. Folgen bei Verlegungen. Wird der Strafgefangene verlegt, gelten die folgenden 13 Grundsätze (dazu auch § 85 Rdn. 1): – Erfolgt die Verlegung in (einen anderen Haftraum) derselben Haftanstalt, so sind die dortigen Maßstäbe für die Beurteilung dafür heranzuziehen (OLG Celle ZfStrVo 1990, 307 LS), ob eine erteilte Erlaubnis (z. B. zum Besitz von Lautsprecherboxen) Fortbestand haben kann oder nicht. Insoweit sind Gesichtspunkte der Sicherheit und Ordnung gegen solche des Vertrauensschutzes (begünstigender Verwaltungsakt) abzuwägen. – Wird der Strafgefangene in eine andere Anstalt desselben Bundeslandes verlegt, kommt es darauf an, ob die Erlaubnis (ausdrücklich) nur für die konkrete (Herkunfts-)Anstalt (z. B. in Form einer auflösenden Bedingung: OLG Frankfurt NStZ-RR 2009, 359 – 3 Ws 990/08) oder generell (ohne diese Einschränkung) erteilt worden ist. Im ersteren Falle erlischt sie mit der Verlegung, im zweiten Fall wird sie zwar „mitgenommen“, kann aber in der neuen Anstalt (etwa einer solchen mit höherer Sicherheitsstufe) im Rahmen der Neubewertung der Umstände (vgl. dazu OLG Hamm NStZ 1993, 360, OLG Celle StV 1993, 7 und OLG Naumburg, Beschl. vom 30.11.2011 – 1 Ws 64/11, juris) widerrufen werden; insoweit bedarf es allerdings einer eingehenden Begründung (vgl. dazu auch Rdn. 16 zu § 70 und OLG Karlsruhe ZfStrVo 1990, 376; kritisch Arloth 2011 Rdn. 7). – Wird der Strafgefangene hingegen in die JVA eines anderen Bundeslandes verlegt, bilden bisherige Regelungen oder Verwaltungsgewohnheiten in dem anderen Bundesland für einen Gefangenen keinen Vertrauenstatbestand (OLG Naumburg aaO; OLG Nürnberg ZfStrVo 1987, 379; OLG Zweibrücken NStZ 1992, 102; a. A. AK-Boetti647
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cher 2012 Rdn. 32; C/MD 2008 Rdn. 3; OLG Karlsruhe NStZ 1990, 408). Die Erlaubnis wird dann also in keinem Falle mitgenommen. Zur Zuständigkeit bei Verlegung: § 153. III. Landesgesetze und Musterentwurf 14
Rundfunk- und Fernsehempfang werden den Gefangenen in allen Landesgesetzen ermöglicht. Im Detail gibt es jedoch einige Unterschiede. Wegen der inzwischen fast durchgängig vorhandenen eigenen Geräte in den Hafträumen sehen Baden-Württemberg, Bayern, Hessen und der ME-StVollzG ein Gemeinschaftsfernsehen nicht mehr ausdrücklich vor, und Hamburg schließt ihn sogar vollständig aus. Dadurch fehlen häufig auch Regelungen zu den Programmen. Auch Regelungen zur vorübergehenden Aussetzung oder Untersagung des Empfangs fehlen in vielen Ländern; hier wird auf die allgemeinen Regelungen zum Widerruf von Verwaltungsakten zurückzugreifen sein. Alle Landesgesetze enthalten Regelungen zu den Kosten, wobei neben den Betriebskosten häufig auch ausdrücklich die Stromkosten auf die Gefangenen abgewälzt werden; zu diesem Themenbereich gibt es aus Bayern und Hamburg bereits Rspr. Aus Gründen der Vereinfachung der Kontrollen sehen Baden-Württemberg, Hamburg und Niedersachsen zudem vor, dass die Gefangenen auf Geräte verwiesen werden können, die von der Anstalt beschafft oder die von besonders bestimmten Privaten bezogen werden müssen.
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1. Baden-Württemberg. § 59 JVollzGB III orientiert sich zwar grundsätzlich an § 69 StVollzG (so die Gesetzesbegründung, LT-Drucks. 14/5012, 229), normiert aber einige wesentliche Unterschiede. Abs. 1 regelt unter Verweis auf § 58 JVollzGB III den Besitz eigener Hörfunk- und Fernsehgeräte. Demnach sind für die Zulassung wie in § 69 Abs. 2 i. V. m. § 70 StVollzG die Kriterien der Angemessenheit sowie von Vollzugsziel, Sicherheit und Ordnung entscheidend; zusätzlich kommt es in Baden-Württemberg nach § 58 Abs. 2 Nr. 3 JVollzGB III jedoch auf den Kontrollaufwand bei der Überprüfung auf missbräuchliche Verwendung an, was an der Bedeutung des Besitzes der Geräte für Art. 5 Abs. 1 GG zu messen sein wird (vgl. schon § 68 Rdn. 19). Nach Abs. 2 kann der Besitz eigener Geräte zudem gänzlich ausgeschlossen werden, wenn nämlich die Anstalt den Betrieb von Empfangsanlagen sowie die Ausgabe von Geräten einem Dritten überträgt. Gemeinschaftsfernsehen ist nicht mehr ausdrücklich vorgesehen. Um aber verfassungskonform den Zugang zu Informationen zu ermöglichen, könne (so die Gesetzesbegründung, LT-Drucks. aaO) mittellosen Gefangenen kostenfrei ein Radiogerät zur Verfügung gestellt werden. Abs. 3 regelt die Einspeisung von Programmen in die Empfangsanlage, worüber die Anstalt (regelmäßig nach Anhörung der Gefangenenmitverantwortung) entscheidet. Vorgaben zu den Inhalten wie in § 69 Abs. 1 Satz 2 gibt es nicht, ebenso wenig eine Regelung zu einer möglichen vorübergehenden Aussetzung oder Untersagung des Rundfunkempfangs (vgl. § 69 Abs. 1 Satz 3 StVollzG). Abs. 4 schließt den Empfang von Bezahlfernsehen sowie den Einsatz zusätzlicher Empfangseinrichtungen im Haftraum aus. Schließlich gibt es in § 9 Abs. 2 JVollzGB I (in der Vorschrift zur Ausgestaltung der Räume) eine Regelung, dass die Gefangenen an den Betriebskosten für die in ihrem Besitz befindlichen Gegenstände beteiligt werden können.
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2. Bayern. Art. 71 Abs. 2 BayStVollzG folgt bzgl. der vorübergehenden Aussetzung oder Untersagung des Rundfunkempfangs dem Wortlaut des § 69 Abs. 1 Satz 3 StVollzG. Gemeinschaftsfernsehen (wie in § 69 Abs. 1 Satz 1 StVollzG) ist nicht mehr vorgesehen, Schwind/Goldberg
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Hörfunk und Fernsehen
§ 69
da die Zulassung eigener Geräte inzwischen üblich sei und aus Art. 5 Abs. 1 GG kein Anspruch auf kostenloses Fernsehen erwachse (so die Begründung in LT-Drucks. 15/8101, 65). Die Zulassung eigener Hörfunk- und Fernsehgeräte regelt Abs. 1 Satz 1 unter Verweis auf Art. 72, der sich inhaltlich nicht von § 70 StVollzG unterscheidet. Nach Abs. 1 Satz 2 können den Gefangenen die Betriebskosten auferlegt werden, was die schon zuvor geübte Vollzugspraxis in Bayern auf eine gesetzliche Grundlage stellt. Zusätzlich können die Gefangenen nach Art. 73 in angemessenem Umfang auch an den Stromkosten beteiligt werden. Dazu ist eine Ermessensentscheidung erforderlich, die sich am Einzelfall orientieren muss (OLG München FS 2009, 43 – 4 Ws 118/08 (R)). Wenn ein Gefangener in seiner Zelle ein Fernsehgerät im Bewusstsein betreibt, dass er an den Stromkosten beteiligt wird, ist die Anstalt nach einer Entscheidung des OLG München (aaO) dazu befugt, den Betrag für die Stromkosten vom Hausgeldkonto abzubuchen, da der Gefangene durch schlüssiges Verhalten über sein Hausgeldkonto verfügt, sofern andere Geldmittel für die Bezahlung nicht vorhanden sind. In der Gesetzesbegründung (LT-Drucks. 15/ 8101, 65) heißt es zur Überbürdung der Kosten: „Das Grundrecht der Informationsfreiheit erfordert nicht, dass der Betrieb eines eigenen Fernsehgerätes für die Gefangenen kostenfrei möglich sein muss.“ 3. Hamburg. Unter der Überschrift „Rundfunk“ normiert § 52 HmbStVollzG Hörfunk 17 und Fernsehen. Abs. 1 verweist (inhaltlich übereinstimmend mit § 69 Abs. 2 i. V. m. § 70 StVollzG) bzgl. der Zulassung eigener Geräte auf § 53 HmbStVollzG. Der Anspruch auf Zulassung besteht jedoch nur, „soweit ihnen nicht von der Anstalt Geräte überlassen werden.“ Nach Abs. 1 Satz 2 können die Betriebskosten den Gefangenen auferlegt werden. Ebenso ist eine angemessene Beteiligung an den Stromkosten nach § 49 Abs. 3 HmbStVollzG möglich. Diese Beteiligung kann auch in pauschalierter Form erfolgen (Hans. OLG Hamburg NStZ-RR 2011, 156 – 3 Vollz (Ws) 3/11). Allerdings ist die Angemessenheit der Kostenbeteiligung eng auszulegen, da die Gefangenenentlohnung im Jahre 2002 vom BVerfG (noch ohne Beteiligung an verschiedenen Kosten) als gerade noch verfassungsgemäß eingestuft wurde; die durch Allgemeinverfügung festgelegte Stromkostenpauschale von 1,00 Euro pro Gerät genügt diesen Anforderungen nicht (Hans. OLG Hamburg aaO). Abs. 2 regelt fast wortgleich wie § 69 Abs. 1 Satz 3 StVollzG die Möglichkeiten zur vorübergehenden Aussetzung oder Untersagung des Rundfunkempfangs. Abs. 3 stellt klar, dass kein Anspruch auf Teilnahme an einem durch die Anstalt vermittelten gemeinschaftlichen Rundfunkempfang besteht. In der Gesetzesbegründung (Bürgerschafts-Drucks. 18/6490, 44) wird dazu ausgeführt: „Die Vorschrift, die unter ,Rundfunk‘ sowohl Hörfunk – als auch Fernsehgeräte – versteht, sieht gemeinschaftlichen Fernsehempfang nicht mehr zwingend vor. Der Anspruch der Gefangenen auf ein Mindestmaß an Fernsehempfang wird in der Praxis zuverlässig dadurch erfüllt, dass dem Gefangenen, der ein eigenes Gerät nicht besitzt, entweder befristet kostenlos ein Leihgerät zur Verfügung gestellt wird, oder er Gelegenheit erhält, gegen Kostenbeteiligung ein Gerät zu mieten.“ 4. Hessen. Hessen regelt Hörfunk und Fernsehen in § 30 Abs. 3–5 HStVollzG sehr 18 ähnlich wie die bundesgesetzliche Regelung des § 69 StVollzG. Nach Abs. 3 ist den Gefangenen „Gelegenheit zu geben, am Fernseh- und Hörfunkempfang teilzunehmen“. Das Gemeinschaftsfernsehen wird in Hessen also nicht grundsätzlich ausgeschlossen, aber auch nicht ausdrücklich vorgesehen. Nähere Bestimmungen zur Auswahl der Programme fehlen jedoch. 649
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§ 69
Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
Abs. 4 regelt den Besitz eigener Geräte. Die Einbringung soll dabei nach Satz 3 durch die Anstalt geregelt werden, was große (und bezogen auf die Bedeutung für Art. 5 Abs. 1 GG möglicherweise problematische) Gestaltungsspielräume eröffnet. Satz 4 verweist bezüglich der Kriterien für die Zulassung auf § 19 HStVollzG. Demnach sind neben der Eingliederung (was dem bundesgesetzlichen Vollzugsziel entspricht), sowie der Sicherheit und der Ordnung auch die Übersichtlichkeit des Haftraums und die Kontrollmöglichkeiten zulässige Kriterien, was (wie in Baden-Württemberg, Rdn. 15) an der Bedeutung der Geräte für das Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 GG zu messen sein wird. Abs. 5 entspricht wortwörtlich § 69 Abs. 1 Satz 2 StVollzG. Eine Regelung zu den Betriebskosten der Geräte findet sich in § 43 Abs. 5 Satz 2 HStVollzG. 19
5. Niedersachsen. § 66 NJVollzG unterscheidet sich nur wenig von § 69 StVollzG. Abs. 3 entspricht weitgehend (in weiten Teilen sogar wörtlich) § 69 Abs. 1 StVollzG, allerdings ist der Anspruch auf gemeinschaftlichen Hörfunk- und Fernsehempfang nur gegeben, „soweit der oder dem Gefangenen ein Gerät im Haftraum nicht zur Verfügung steht“. Abs. 2 regelt den Besitz eigener Geräte (s. dazu auch die Rspr. des OLG Celle (StraFo 2009, 172) bei Rdn. 10). Der Besitz ist nach Satz 1 unter denselben Voraussetzungen wie bei § 69 Abs. 2 i. V. m. § 70 Abs. 2 StVollzG zu erlauben, also „wenn dadurch die Erreichung des Vollzugszieles […] oder die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt nicht gefährdet wird“. Allerdings ist nach Satz 2 die Verweisung auf die Verwendung von der Vollzugsbehörde überlassener (anstelle der Verwendung eigner) Geräte möglich, was sogar nachträglich geschehen kann. In der Gesetzesbegründung (LT-Drucks. 13/3565, 142) heißt es dazu: „Die nach Abs. 2 Satz 2 überlassenen (anstaltseigenen) Geräte bieten den Vorteil, dass die Vollzugsbehörde die Missbrauchspotenziale infolge der Standardisierung besser einschätzen und durch besondere Sicherheitsfunktionen auch wirksam bewältigen kann.“ Abs. 2 Satz 3 regelt die Möglichkeiten zum Widerruf der Erlaubnis identisch mit § 69 Abs. 2 i. V. m. § 70 Abs. 3 StVollzG. Auch in Niedersachsen ist eine Beteiligung an den Stromkosten möglich. § 52 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 NJVollzG sieht vor, dass die Gefangenen in angemessener Höhe an den Stromkosten für die von ihnen betriebenen Elektrogeräte zu beteiligen sind, soweit diese über die Grundversorgung hinausgehen.
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6. Musterentwurf. Im ME-StVollzG sind Hörfunk und Fernsehen in § 51 weitgehend vergleichbar mit § 69 StVollzG normiert. Nach Abs. 1 ist „der Zugang zum Rundfunk […] zu ermöglichen“. Nicht ausdrücklich vorgesehen, aber ebenso wenig ausgeschlossen ist damit das Gemeinschaftsfernsehen; nach der Gesetzesbegründung hängen Art und Weise des Rundfunkempfangs von den Verhältnissen in der Anstalt ab (ME-Begründung, 119). Regelungen zur Auswahl der Programme sowie zur vorübergehenden Aussetzung oder Untersagung fehlen. Abs. 2 Satz 1 verweist hinsichtlich der Zulassung eigener Geräte auf § 48 Satz 2 MEStVollzG. Danach ist für die Entscheidung neben den Kriterien aus § 69 Abs. 2 i. V. m. § 70 StVollzG (Erreichung des Vollzugszieles, Sicherheit und Ordnung) auch die Übersichtlichkeit des Haftraumes maßgeblich. Abs. 2 Satz 3 sieht vor, dass die Gefangenen auf Mietgeräte oder ein Haftraummediensystem verwiesen werden können. Eine Regelung zur Beteiligung an den Betriebskosten findet sich in § 61 Abs. 3 ME-StVollzG. Zu Abs. 2 Satz 4 ME-StVollzG („§ 36 bleibt unberührt.“) vgl. § 67 Rdn. 34 (andere Formen der Telekommunikation).
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Besitz von Gegenständen für die Freizeitbeschäftigung
§ 70
§ 70 Besitz von Gegenständen für die Freizeitbeschäftigung § 70 Schwind/Goldberg Besitz von Gegenständen für die Freizeitbeschäftigung (1) Der Gefangene darf in angemessenem Umfange Bücher und andere Gegenstände zur Fortbildung oder zur Freizeitbeschäftigung besitzen. (2) Dies gilt nicht, wenn der Besitz, die Überlassung oder die Benutzung des Gegenstands 1. mit Strafe oder Geldbuße bedroht wäre oder 2. das Ziel des Vollzuges oder die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt gefährden würde. (3) Die Erlaubnis kann unter den Voraussetzungen des Abs. 2 widerrufen werden. Schrifttum S. bei § 67.
I. II.
Übersicht Allgemeine Hinweise ____ 1–3 Erläuterungen ____ 4–16 1. Das Recht auf Besitz bestimmter Gegenstände (Abs. 1) ____ 5 2. Ausschluss von Gegenständen (Abs. 2) ____ 6–12 a) Gefährdung der Sicherheit oder Ordnung (Abs. 2 Nr. 1) ____ 7–10 b) Gefährdung des Vollzugsziels (Abs. 2 Nr. 2) ____ 11 c) Besonderheiten bei Zeitungen und Zeitschriften ____ 12
III.
3. Kosten für den Betrieb von Geräten ____ 13 4. Widerruf der Erlaubnis (Abs. 3) ____ 14–16 Landesgesetze und Musterentwurf ____ 17–23 1. Baden-Württemberg ____ 18 2. Bayern ____ 19 3. Hamburg ____ 20 4. Hessen ____ 21 5. Niedersachsen ____ 22 6. Musterentwurf ____ 23
I. Allgemeine Hinweise Grundsätzlich darf der Gefangene nur solche Sachen in Besitz haben, die ihm von 1 der Vollzugsbehörde oder mit ihrer Zustimmung überlassen werden (§ 83 Abs. 1 Satz 1). Den Besitz und persönlichen Gewahrsam von Gefangenen regeln darüber hinaus speziell die Vorschriften der §§ 19, 53 Abs. 2 und 3; 68; 69; 70 und 83. Besitz i. S. d. § 70 bedeutet nur Verfügungsmöglichkeit über die Gegenstände im Bereich der Zelle, also grundsätzlich nicht im ganzen Anstaltsbereich (Arloth 2011 Rdn. 2; a. A. AK-Boetticher 2012 Rdn. 2; C/MD 2008 Rdn. 1). Der Anstalt bleibt es jedoch unbenommen, die Mitnahme gewisser Gegenstände zu erlauben: z. B. die Mitnahme eines Buches zum Lesen beim Hofgang oder eines Schachspiels beim Umschluss. § 70 Abs. 1 gestattet (in angemessenem Umfang) den Besitz von Gegenständen zur 2 Fortbildung oder zur Freizeitbeschäftigung (vgl. dazu § 67). Das gilt aber nur dann, wenn keiner der Ausschließungsgründe des Abs. 2 vorliegt. Die Aufzählung dieser Gründe, deren Relevanz nicht zuletzt vom Sicherheitsgrad der Anstalt bzw. der Gefährlichkeit ihrer Insassen abhängig ist, ist abschließend, so dass eine den Besitz einschränkende Maßnahme insoweit nicht auf § 4 Abs. 2 Satz 2 gestützt werden kann (C/MD 2008 Rdn. 1; AK-Boetticher 2012 Rdn. 10). Die Auswahl der Gegenstände steht unter den Voraussetzungen des Abs. 2 allein dem Gefangenen zu (KG StV 1987, 542). Ihr Bezug wird durch § 70 nicht geregelt, ist deshalb anders als in § 68 Abs. 1 nicht auf die Vermittlung der Anstalt beschränkt (OLG Celle NStZ 1999, 446 M). Im Hinblick auf Bücher, die der Gefange651
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§ 70
Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
ne bestellen möchte, kann die Anstalt daher nicht den Bezug über eine Buchhandlung vorschreiben (C/MD 2008 Rdn. 5; AK-Boetticher 2012 Rdn. 9; a. A. KG NStZ 1984, 478 mit Anm. Heischel). Nach dem OLG Hamm (Beschl. vom 5.8.2010 – 1 Vollz (Ws) 246/10, juris) soll es jedoch unbedenklich sein, den Bezug auf drei bundesweit tätige Buchhandlungen zu beschränken, sofern darüber hinaus der Bezug (z. B. von Fachbüchern) über andere Händler oder Verlage per Einzelfallgenehmigung möglich sei. Zudem ist die Verweisung auf bestimmte (Versand-)Händler beim Bezug von CDs und DVDs als milderes Mittel zur Versagung der Genehmigung zum Besitz wegen Gefährdung der Sicherheit und Ordnung sinnvoll und daher hinzunehmen (dazu Rdn. 9). Nicht § 70, sondern § 68 findet für den Bezug von Zeitungen und Zeitschriften Anwendung; für den Besitz von religiösen Schriften gilt § 53 Abs. 2. Soweit es sich um den Besitz von Gegenständen handelt, die nicht der Fortbildung oder der Freizeitbeschäftigung, sondern der Verbesserung der allgemeinen Lebensbedingungen dienen, wie z. B. der Besitz einer elektrischen Kaffeemaschine (OLG Hamm ZfStrVo 1990, 151; C/MD 2008 Rdn. 1), richtet sich die Zulassung nach § 19 (anders jedoch OLG Hamm NStZ 1993, 382 B, wo § 70 angewendet wurde). Zur Bedeutung der Freizeitgestaltung für den modernen Behandlungsvollzug vgl. § 67 Rdn. 6 ff; Laubenthal 2011 Rdn. 608; Walkenhorst 2000; Bode 1988. Bei dem Gefahrbegriff des Abs. 2 handelt es sich um einen unbestimmten Rechts3 begriff, dessen Auslegung und Anwendung gerichtlich voll überprüfbar ist (OLG Hamm ZfStrVo 1985, 189 und NStZ 1996, 253; OLG Nürnberg ZfStrVo 1999, 117); das gilt auch für den Begriff des „angemessenen Umfangs“ (OLG Hamm ZfStrVo 1985, 189; OLG Karlsruhe NStZ-RR 2004, 189; OLG Rostock ZfStrVo 2005, 117; Laubenthal 2011 Rdn. 617). Ein Ermessensspielraum besteht hingegen auf der Rechtsfolgenseite im Rahmen des Abs. 3: die Vollzugsbehörde „kann“ eine einmal erteilte Erlaubnis widerrufen, sie muss es also nicht (vgl. Rdn. 14). II. Erläuterungen 4
Abs. 1 regelt das Recht auf den Besitz bestimmter Gegenstände, Abs. 2 die Versagungsgründe und Abs. 3 den Widerruf der erteilten Erlaubnis zum Besitz.
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1. Das Recht auf Besitz bestimmter Gegenstände (Abs. 1). Abs. 1 räumt dem Gefangenen das Recht (OLG Koblenz NStZ 1981, 214 F) auf den Besitz von Gegenständen ein, die der Freizeitbeschäftigung (Oberbegriff) bzw. Fortbildung dienen: als Beispiel dafür werden nur Bücher genannt (auch in Fotokopie: OLG Koblenz NStZ 1984, 46; a. A. Arloth 2011 Rdn. 2, der darauf verweist, dass zur Feststellung der Authentizität jede einzelne Seite zu prüfen wäre). In Betracht kommen aber auch z. B. grundsätzlich Bastelmaterial (OLG Nürnberg NStZ 1989, 426), Kleintierhaltung oder Zeichengeräte usw.; seit einigen Jahren haben jedoch vor allem elektronische Geräte (wie Spielkonsolen, CD-/ DVD-Player) eine Bedeutung. Der Gesetzgeber hat den Anspruch mit einer doppelten Einschränkung versehen; die eine ergibt sich aus Abs. 2 (dazu Rdn. 6 ff), die andere aus der in Abs. 1 gewählten Formulierung: ,,in angemessenem Umfange“. Als „angemessen“ ist grundsätzlich nur der Umfang von Gegenständen zu betrachten, der die Übersichtlichkeit und Durchsuchbarkeit des Haftraumes über das in Strafvollzugsanstalten übliche Maß hinaus nicht erschwert (OLG Karlsruhe ZfStrVo 2002, 376 = StV 2002, 668; OLG Rostock ZfStrVo 2005, 117; Laubenthal 2011 Rdn. 617; zum angemessenen Umfang auch Beyler 2001, 144). Überdimensional große Gegenstände, wie z. B. Klaviere oder anderes zusätzliches (größeres) Mobiliar können daher nicht erlaubt werden. Bei der Beurteilung spielen außer den §§ 2–4 vor allem die Umstände des Einzelfalls (etwa die Größe des Haftraumes: OLG Karlsruhe NStZ-RR 2004, 189) sowie die konkreten AnstaltsSchwind/Goldberg
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Besitz von Gegenständen für die Freizeitbeschäftigung
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verhältnisse eine Rolle (OLG Celle BlStV 4/5/1994, 12; vgl. auch KG NStZ 1998, 398): insbesondere die Haftraumsituation, der Sicherheitsgrad der Anstalt, die Personalausstattung (Beyler 2001, 145) und die Fortbildungs- und Freizeitmöglichkeiten der Anstalt (C/MD 2008 Rdn. 2). Der Versuch der Objektivierung des „angemessenen Umfangs“ mittels der (in Rheinland-Pfalz eingeführten) REFA-Haftraumkontrolle dürfte vor diesem Hintergrund zu kompliziert (zeitaufwändig) sein und bzgl. der vorgesehenen Punktevergabe eher Streit provozieren (dazu Arloth 2011 Rdn. 2; a. A. OLG Zweibrücken ZfStrVo 2001, 308). Im Rahmen der Angemessenheit wird zudem teilweise geprüft, ob die Gegenstände, die in die Hafträume hineinkommen sollen, aus Gründen sozialer Gleichbehandlung (vgl. dazu OLG Celle NStZ 2000, 466 M; vgl. auch Rdn. 9 zu § 33) hinsichtlich ihres Wertes noch in einem vertretbaren Verhältnis zu dem Besitzstand des Durchschnittsinsassen stehen (OLG Hamm NStZ 1988, 200; Beyler 2001, 145; Laubenthal 2011 Rdn. 617; a. A. C/MD 2008 Rdn. 2 und mit nachvollziehbarer Begründung AK-Boetticher 2012 Rdn. 4). In Baden-Württemberg ist der Wert nun sogar als maßgebliches Kriterium gesetzlich festgeschrieben (vgl. Rdn. 18). In jedem Fall sollte insoweit auch die Individualität der Gefangenen berücksichtigt werden. Das gilt z. B. für den Besitz von Musikinstrumenten (BVerfG StV 1996, 683; C/MD 2008 Rdn. 5; vgl. dazu Zeuch/Hillecke 2003). Zum Besitz von religiösen Schriften und Gegenständen des religiösen Gebrauchs vgl. Rdn. 15 und 17 zu § 53. Wenn der Insasse die Angemessenheitsgrenze überschreitet, so ist es grundsätzlich nicht zu beanstanden, wenn die Anstalt – nach vorheriger vergeblicher Aufforderung – Gegenstände aus dem Haftraum entfernt, um so dem Sicherheitsbedürfnis Rechnung zu tragen (Laubenthal 2011 Rdn. 617; OLG Karlsruhe NStZ-RR 2004, 189). Beispiele aus der Rspr. zur Angemessenheit: Ein Fernsehgerät mit den Außenmaßen 40 × 40 × 42 cm erscheint in der Regel noch angemessen (OLG Rostock ZfStrVo 2005, 117; vgl. schon § 69 Rdn. 10). Die Anstalt wird allerdings nicht gehindert, im Einzelfall auch größere oder kleinere Geräte zuzulassen, wenn besondere Umstände vorliegen: etwa eine Sehbehinderung des Gefangenen oder ein sehr kleiner Haftraum, in dem sich bereits zahlreiche andere (genehmigte) Gegenstände befinden. Für Flachbildfernseher soll eine Bildschirmdiagonale von 42 cm maßgebend sein (OLG Karlsruhe NStZ-RR 2006, 155; gegen eine Orientierung an der Bildschirmdiagonale plädieren jedoch mehrere Gerichte, vgl. § 69 Rdn. 10). Die Beschränkung auf „nur“ 20 Bücher, 5 Leitzordner und 5 Schnellhefter trägt den Bedürfnissen des Gefangenen und dem Anliegen der Anstalt hinreichend Rechnung; sie entspricht auch einem unter den Landesjustizverwaltungen herausgebildeten Erfahrungswert (OLG Koblenz NStZ 1981, 214 F und NStZ 1989, 426). Bis zu neun Stehordner mit Ablichtungen von Akten in einem gegen den Gefangenen geführten Ermittlungsverfahren sind angemessen: das ergibt sich aus dem Anspruch des Gefangenen auf wirksame Verteidigung und Gewährung eines rechtsstaatlichen fairen Verfahrens (OLG Karlsruhe ZfStrVo 2002, 376 = StV 2002, 668). Zugelassen wurde auch der Besitz von 1000 Blatt Schreibmaschinenpapier (OLG Celle ZfStrVo 1987, 372). 2. Ausschluss von Gegenständen (Abs. 2). Der grundsätzlich zugelassene Besitz 6 von Fortbildungsmitteln und Gegenständen zur Freizeitgestaltung wird durch die in Abs. 2 genannten Gründe eingeschränkt, wenn die Überlassung oder Benutzung (Nr. 1) mit Strafe oder Geldbuße bedroht wäre (nach den §§ 86, 86 a, 131, 184 StGB; BtmG, WaffenG usw.) oder (Nr. 2) das Ziel des Vollzugs oder die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt gefährdet würde. § 70 Abs. 2 enthält eine abschließende Regelung (C/MD 2008 Rdn. 1), so dass z. B. Gefangenen der Bezug von Gegenständen für die Freizeitbeschäftigung nicht deshalb verweigert werden kann, weil sie schuldhaft nicht arbeiten (OLG 653
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Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
Frankfurt INFO 1987, 783; AK-Boetticher 2012 Rdn. 11). Auch eine Versagung, um den Gefangenen zu einer Änderung des Verhaltens in der Haft zu veranlassen, ist als versteckte Disziplinarmaßnahme unzulässig (AK-Boetticher aaO). 7
a) Gefährdung der Sicherheit oder Ordnung (Abs. 2 Nr. 1). Ob der Besitz eines Gegenstandes die Sicherheit oder Ordnung einer Anstalt gefährdet, ist eine Einzelfallabwägung, bei der außer dem Gegenstand selbst (z. B. seiner Eignung als Versteck, der Möglichkeit des Umbaus zu sicherheitsgefährdenden Zwecken, der Gefahr des Missbrauchs von Speicherfunktionen oder des Risikos unkontrollierten Informationsaustauschs; vgl. Beyler 2001, 146) vor allem die Verhältnisse der konkreten Anstalt und die Person des Gefangenen einzubeziehen sind (vgl. z. B. BGH NStZ 2000, 222 – 5 AR (VS) 2/99; OLG Naumburg, Beschl. vom 20.7.2011 – 1 Ws 70/11, juris; LG Halle (Saale), Beschl. vom 7.3.2012 – 11 StVK 178/11, juris). Den Streit darüber, ob es sich bei dem Begriff der „Gefährdung“ – um eine konkrete Gefahr, die von einem Gegenstand ausgeht (z. B. als Versteck benutzt oder in anderer Weise missbraucht zu werden), deren Vorliegen in nachprüfbarer Weise (z. B. aufgrund früherer Missbräuche des Antragstellers, Unzuverlässigkeit des Absenders, besonderer Haftumstände) festzustellen ist, handeln muss (C/MD 2008 Rdn. 3; K/S-Schöch 2002 § 7 Rdn. 156) oder ob schon – eine abstrakte Gefährlichkeit ausreicht (so alle Vorauflagen), hat das BVerfG (ZfStrVo 1994, 369 und NStZ-RR 1997, 24 sowie NStZ-RR 2002, 128) grundsätzlich zugunsten der Kommentierung dieses Kommentars entschieden und insoweit folgende Grundsätze entwickelt: – Ein Versagungsgrund i. S. des § 70 Abs. 2 liegt schon dann vor, wenn der fragliche Gegenstand generell-abstrakt geeignet ist, die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt zu gefährden; auf die einem bestimmten Gefangenen „innewohende Gefährlichkeit“ kommt es danach nicht an (so z. B. im Anschluss auch OLG Karlsruhe BlStV 2/2001, 5). – Das Vorliegen einer solchen Gefährdung darf aber nur dann bejaht werden (so auch BVerfG NJW 2003, 2447), wenn diese nur mit einem der Anstalt nicht mehr zumutbarem Kontrollaufwand ausgeschlossen werden könnte: Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (§ 81 Abs. 2). So auch OLG Frankfurt NStZ-RR 1999, 156; OLG Hamm ZfStrVo 2001, 185 = StV 2002, 270 und Beschl. vom 17.8.2010 – 1 Vollz (Ws) 255/10, juris; OLG Celle NStZ 2002, 111; OLG Rostock ZfStrVo 2003, 56; OLG Jena NStZ-RR 2003, 221 = ZfStrVo 2003, 304 f; LG Halle (Saale), Beschl. vom 7.3.2012 – 11 StVK 178/11, juris (vgl. auch Beyler 2001, 145; krit. C/MD 2008 Rdn. 3, weil der Kontrollaufwand „kein gesetzlicher Einschränkungsgrund ist“). Für die Zumutbarkeit der Kontrollen sollen nicht nur die örtlichen Verhältnisse maßgeblich sein, sondern aus Gründen der Gleichbehandlung auch die Handhabung in anderen Vollzugsanstalten (OLG Naumburg, Beschl. vom 20.7.2011 – 1 Ws 70/11, juris, mit Anm. Spitz jurisPR-ITR 21/2011 Anm. 6). Zudem ist der Maßstab des noch zumutbaren Kontrollaufwands bei Strafgefangenen und Sicherungsverwahrten unterschiedlich zu bemessen (OLG Naumburg, Beschl. vom 26.5.2011 – 1 Ws 638/10, juris, und Beschl. vom 30.11.2011 – 1 Ws 64/11, juris). – Der Versagungsgrund kommt ferner dann nicht in Frage (Grundsatz der Erforderlichkeit), wenn ein milderes Mittel (z. B. die Verplombung des Gegenstandes durch die Anstalt bzw. regelmäßige Kontrollen) geeignet ist, der Gefährdung effektiv zu begegnen. Das LG Halle/Saale (Beschl. vom 7.3.2012 – 11 StVK 178/11, juris) weist zu Recht darauf hin, dass es nicht ausreicht, die Gefährlichkeit des Gegenstands sowie die Unmöglichkeit, dieser durch geeignete Maßnahmen zu begegnen, durch eigene Schwind/Goldberg
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Besitz von Gegenständen für die Freizeitbeschäftigung
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Sachkunde zu behaupten; vielmehr sei hier eine sachverständige Untersuchung erforderlich. – Schließlich ist im Rahmen der Zumutbarkeit zugunsten des Antragstellers zu beachten, dass wichtige Belange des Gefangenen, etwa ein ernsthaft und nachhaltig verfolgtes Interesse an Aus- und Weiterbildung, es verbieten können, eine nach Schadenswahrscheinlichkeit oder Schadensausmaß geringfügige Gefährdung der Sicherheit oder Ordnung der Anstalt zum Anlass für die Verweigerung einer Besitzerlaubnis zu machen. Da die Beurteilungen von den Verhältnissen in der konkreten JVA abhängig sind (BGH NStZ 2000, 222), ist im offenen Vollzug großzügiger zu verfahren als im geschlossenen Vollzug (vgl. auch Rdn. 10) bzw. in einer Institution mit hohem Sicherheitsgrad (K/S-Schöch 2002 § 7 Rdn. 186). Bevorzugungen einzelner Gefangener können gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen. Im Übrigen ist auch der Angleichungsgrundsatz des § 3 zu beachten (vgl. dazu Beyler 2001, 142: d. h. der technische und gesellschaftliche Wandel sind zu berücksichtigen). Inwieweit die Ergebnisse der bisherigen Rspr. diesen Grundsätzen entsprechen, muss jeweils im Einzelfall überprüft werden. Insgesamt ergibt sich das Bild einer zwar umfangreichen, aber auch z. T. widersprüchlichen Kasuistik (vgl. dazu auch Beyler 2001, 146 ff und die Rspr. bei Rdn. 10 zu § 81). Danach stehen Gründe der Sicherheit oder Ordnung der dauernden Überlassung ei- 8 nes Versandhauskataloges an einen Strafgefangenen (dazu auch Rdn. 5 zu § 68) nicht entgegen, wenn der Inhalt dieses Kataloges unter Sicherheitsgesichtspunkten unbedenklich ist (OLG Frankfurt ZfStrVo 1979, 187) bzw. der Katalog in Folien verschweißt ist (OLG Karlsruhe NStZ-RR 2002, 315). Nicht zulässig ist es, dem Gefangenen den Besitz juristischer Fachzeitschriften oder Kommentare, die ihm gehören oder die er von seinem Eigengeld beschaffen will, zu untersagen (K/S-Schöch 2002 § 7 Rdn. 185; das gilt auch für Ergänzungslieferungen zu einer genehmigten Loseblattsammlung (OLG Celle NStZ 1989, 425) und die Aushändigung des StVollzG (OLG Celle NStZ 1987, 44; AK-Boetticher 2012 Rdn. 7). Ein Keyboard ist zuzulassen, wenn es der berufsqualifizierenden Weiterbildung dient (BVerfG NStZ-RR 1997, 24). Die Ordnung stören können z. B. quälende Dauerübungen eines unmusikalischen Akkordeonanfängers oder Gitarrespielers (Grunau/Tiesler 1982 Rdn. 3). Schließlich kann auch die Unübersichtlichkeit des Haftraumes die Sicherheit und Ordnung der Anstalt gefährden. Eine Briefmarken-Auswahlsendung kann die Sicherheit oder Ordnung einer JVA dann gefährden, wenn die Sendung in größerem Umfang Marken enthält, die noch als Postwertzeichen und somit Handelsobjekt in der JVA verwendet werden können (OLG Hamm BlStV 1/1982, 7). Die Rspr. des OLG Frankfurt (NStZ 1984, 239 = BlStV 1/1984, 6; so auch schon OLG Koblenz ZfStrVo 1983, 315; OLG Dresden, Beschl. vom 4.11.1999 – 2 Ws 401/99: „unumstritten“), nach der Strafgefangene generell kein Recht auf Haltung eines Vogels in der Vollzugsanstalt hat, weil von der Haltung von Kleintieren grundsätzlich eine Gefahr für die Sicherheit und Ordnung der Anstalt ausgehen kann (etwa eine Übertragung von Krankheiten), überzeugt hingegen nicht; zumindest Lebenslänglichen (vgl. Vogelsang 1994, 67) sollte im Rahmen des § 3 Abs. 2 ein solches Recht wenigstens grundsätzlich zustehen, weil die Haltung von Tieren gerade in dieser Haftsituation psychisch und therapeutisch von Nutzen sein kann (s. auch § 19 Rdn. 5; ausführlich zur tiergestützten Pädagogik Schwind 2008). Zum Widerruf einer Genehmigung zur Vogelhaltung vgl. unten Rdn. 14. Bei der folgenden Rspr. stehen als Kriterien primär im Vordergrund: die Eignung 9 eines Gegenstandes als Versteck (z. B. für Rauschgift), der Missbrauch von Speicherkapazitäten, die realistische Möglichkeit der Umfunktionierung eines elektrischen 655
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Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
Gerätes zu sicherheitsgefährdenden Zwecken (Bau eines Senders zur Nachrichtenübermittlung nach außen) sowie die Gefahr unkontrollierter Nachrichtenübermittlung nach innen (z. B. über Schallplatten, die nicht durch Vermittlung der Anstalt bezogen werden). Bei zumindest generell-abstrakter Eignung eines Gegenstandes als Versteck (vgl. dazu auch Rdn. 10 zu § 81) wird die Missbrauchsgefahr danach verneint, wenn der Gegenstand verplombt ist: z. B. ein verplombter CD-Player (OLG Frankfurt ZfStrVo 1989, 245; vgl. dazu auch BVerfG ZfStrVo 1994, 376) oder ein batteriegetriebener plombierter Schachcomputer (OLG Nürnberg ZfStrVo 1983, 253); das gilt auch für einen verplombten DVD-Player ohne Speicherfunktion (OLG Frankfurt ZfStrVo 2005, 185; a. A. OLG Jena NStZ-RR 2003, 222). Bei neueren Modellen (hier eines CD-Players) sind solche Versiegelungen bzw. Verplombungen jedoch nicht mehr möglich, da sie nicht mehr verschraubt, sondern verklebt oder verschweißt sind (OLG München FS 2011, 54 – 3 Ws 1005/09 (R)). Von einer Anstalt kann zudem nicht verlangt werden zu prüfen, ob auf dem Markt ein Gerät verfügbar ist, das (nach Versiegelung oder Verplombung) ohne Sicherheitsbedenken ausgehändigt werden könnte, denn eine solche Prüfung kann wegen der Vielzahl der erhältlichen Modelle nicht mit vertretbarem Aufwand vorgenommen werden (OLG München aaO). Fraglich ist, ob die Aushändigung bzw. der Besitz von Spielkonsolen (wie der „Sony-Playstation 2“) verweigert werden kann (dazu Lindhorst StV 2006). Zumindest für Haftanstalten mit hohem Sicherheitsgrad ist das zu bejahen (OLG Brandenburg ZfStrVo 2004, 115; OLG Jena ZfStrVo 2003, 304). Dies soll nach OLG Frankfurt (NStZ-RR 2012, 223 – 3 Ws 1009/11 (StVollz)) trotz des dort anzuwendenden Abstandsgebotes (dazu § 69 Rdn. 8) sogar für die Sicherungsverwahrung gelten, da Sicherheitsbelange entgegenstünden. Die von solchen Geräten ausgehenden Gefahren für die Sicherheit der Anstalt liegen insbesondere in der Möglichkeit, Daten zu speichern bzw. auch über das Internet einen (unzulässigen) Informationsaustausch mit Externen zu ermöglichen; das erforderliche Modem ist erfahrungsgemäß (OLG Brandenburg aaO) leicht zu beschaffen. Heute ist zudem der Austausch über den Anschluss eines Mobiltelefons möglich, so dass auch eine Verplombung nicht abhelfen kann (OLG Frankfurt, Beschl. vom 28.4.2008 – 3 Ws 279/08, juris). Auch das OLG Hamm (ZfStrVo 2005, 119) ist der Auffassung, dass der Besitz einer „Playstation 2“ die Sicherheit oder Ordnung gefährdet (ebenso OLG Saarbrücken ZfStrVo 2005, 122). Dieselben Grundsätze gelten für die „Microsoft Xbox“ (OLG Frankfurt, Beschl. vom 28.4.2008 – 3 Ws 279/08, juris; vgl. auch OLG Frankfurt NStZ-RR 2009, 359 = FS 2010, 51 – 3 Ws 990/08 (StVollz) für eine nicht genannte Spielkonsole). Ebenso können ein „Nintendo Game Cube“ (OLG Karlsruhe NStZ 2007, 707 – 3 Ws 66/07) und ein „Nintendo DS Lite“ (OLG Celle NdsRpfl. 2011, 80 = NStZ-RR 2011, 31 und FS 2011, 55 – 1 Ws 488/10 (StrVollz), und zwar aufgrund der damit möglichen Datenübermittlung per W-LAN, die auch nicht durch einen fachmännischen Eingriff verhindert werden kann, wenn die Spielefunktion erhalten bleiben soll) wegen ihrer generellabstrakten Gefährlichkeit untersagt werden. Das OLG Karlsruhe hatte früher (ZfStrVo 2003, 244 = StV 2003, 407) keine Bedenken, wenn der Missbrauchsgefahr mit einer Versiegelung und Verplombung der Hohlräume und Schnittstellen zureichend begegnet werden kann; inzwischen hat das OLG Karlsruhe diese Rspr. allerdings aufgegeben, da eine Verplombung der gegebenen abstrakten Gefahr nicht wirksam entgegenwirken könne (NStZ-RR 2007, 192). Gegen den Besitz und die Nutzung der „Sony Playstation 1“ hatten das OLG Nürnberg (NStZ-RR 2002, 191) und das OLG Dresden (NStZ-RR 2000, 222) hingegen keine Bedenken, ebenso OLG Koblenz (NStZ 1999, 446 M) hinsichtlich des Videospielgeräts „Game Boy“; zum Besitz eines Telespielgeräts der Marke Nintendo vgl. OLG Karlsruhe BlStV 2/2001, 5. Bei einer Sony-Playstation ist der Kontrollaufwand übriSchwind/Goldberg
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gens deshalb besonders hoch (vgl. auch Bringewat BewHi 1994, 469 ff), weil außer den Versteckmöglichkeiten (Hohlräumen im Gerät), die Möglichkeit besteht, DVDs mit strafrechtlich relevantem oder sonst verbotenem Inhalt abzuspielen und deshalb stichprobenartige Inhaltskontrollen notwendig sind (vgl. OLG Jena NStZ 2003, 221). Auch dann, wenn die DVDs durch Vermittlung der Anstalt und originalverpackt über den Versandhandel bezogen werden sollen, sind solche Kontrollen deshalb nicht überflüssig (a. A. LG Bochum ZfStrVo 2002, 187), weil DVDs mit verbotenem Inhalt auch auf unerlaubtem Wege in die Anstalt gelangen können. Zu DVDs vgl. auch unten in dieser Rdn. die umfangreiche Rspr. Untersagt werden können weiter der Besitz eines elektronischen Graphikschreibers (KG NStZ 1988, 401), einer elektrischen Schreibmaschine (OLG Hamm ZfStrVo 1983, 381 und NStZ 1988, 200 sowie NStZ 1993, 608), eines Walkman (OLG Koblenz ZfStrVo 1988, 372), eines Kassettenrecorders (OLG Zweibrücken ZfStrVo 1987, 303), eines Hi-Fi-Centers (OLG Frankfurt NStZ 1986, 351), eines Schallplattenspielers (OLG Saarbrücken ZfStrVo 1992, 54; a. A. OLG Celle BlStV 3/1990, 5 und C/MD 2008 Rdn. 5) eines CD-Spielers (OLG Zweibrücken NStZ 1989, 143; a. A. OLG Frankfurt NStZ 1989, 343; differenzierend OLG München NStZ-RR 1996, 352), von Lautsprecherboxen (OLG Zweibrücken ZfStrVo 1986, 383; OLG Hamm ZfStrVo 1994, 311), eines Handkopiergerätes (OLG Frankfurt BlStV 4/5/1993, 6), einer elektrischen Kaffeemaschine (OLG Hamm NStZ 1993, 382 B; vgl. dazu aber Rdn. 2), eines Videorecorders (OLG Hamm NStZ 1995, 102) und eines Epidiaskopes (OLG Hamm ZfStrVo 1985, 189). Gerechtfertigt soll ferner die Versagung des Besitzes eines Weckers (jedenfalls in Anstalten mit hohem Sicherheitsrisiko) sein, weil die Gefahr nicht auszuschließen ist, dass der Betroffene oder andere Gefangene den Weckmechanismus zum Bau eines Sprengsatzes oder einer entsprechenden Attrappe benutzen, mit der Ausbruchsversuche unternommen werden können (OLG Hamm BlStV 6/1982, 12). Der Besitz computergesteuerter Geräte (OLG Nürnberg BlStV 2/1984, 6) wird generell nicht zugelassen, etwa von Personalcomputern (OLG Bamberg NStZ 1995, 434 B = BlStV 2/1995, 9) oder Taschencomputern (OLG Hamm NStZ 1990, 304; a. A. C/MD 2008 Rdn. 5). Ferner wird der Besitz nicht gestattet: von PC-Notebooks (OLG Frankfurt NStZRR 1999, 156) bzw. Laptops (OLG Frankfurt NStZ 2000, 466; BVerfG NJW 2003, 2447 = NStZ 2003, 621) oder einer elektronischen Schreibmaschine mit Textspeicher (OLG Celle NStZ 1988, 200 und NStZ 2000, 466 M; OLG Rostock ZfStrVo 1997, 172 und BVerfG NStZ-RR 1996, 252 mit krit. Anm. von Bringewat BewHi 1997, 206 ff), und zwar deshalb, weil es die vorhandene Speicherkapazität ermöglicht, Texte einzugeben, deren Inhalt von Bediensteten der JVA, bei denen keine computertechnischen Kenntnisse vorauszusetzen sind, nicht ohne weiteres abgerufen und kontrolliert werden kann (Speicherung von Erkenntnissen z. B. über Fluchtwege, verbotene Außenkontakte und Aufstellungen über die Abgabe von Betäubungsmitteln sowie über andere verbotene Beziehungen zwischen Mitgefangenen: dazu OLG Bamberg aaO; OLG Celle BlStV 4/5/1994, 12). Das hierdurch bedingte erhebliche Sicherheitsrisiko kann nicht durch Auflagen (Verplombung, Plexiglasgehäuse, Kontrolle der Disketten durch externe Stellen) entscheidend gemildert werden (OLG Bamberg aaO). Diese Sicherheitsbedenken haben sich bei modernen PCs noch verschärft, die eine Weitergabe großer Datenmengen auf kleinsten Speichermedien und drahtlosen Zugang zum Internet ermöglich (vgl. z. B. Hans. OLG Hamburg FS 2010, 54 – 3 Vollz (Ws) 48/09); ausführlich zu den PCs innewohnenden Gefahren und der fehlenden Kontrollierbarkeit OLG Hamm, Beschl. vom 17.8.2010 – 1 Volz (Ws) 255/10. Offen gelassen hat das Hans. OLG Hamburg jedoch, ob Computerarbeitsplätze zugelassen werden können, bei denen den Gefangenen nur Tastatur und Bildschirm zur Verfügung stehen, während sich die zentrale Systemeinheit mit allen sicherheitsrelevanten Anschlüs657
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Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
sen in einem gesonderten Raum befindet. Aus Sicherheitsgründen ist auch eine Fernbedienung mit Videotexttaste nicht erlaubt, weil diese einen unkontrollierten Informationsfluss über Chatrooms auf Videotextseiten verschiedener Fernsehsender (etwa SAT 1) ermöglicht (OLG Celle NStZ 2002, 111 = NdsRpfl. 2002, 124). Auch die Überlassung von Musikkassetten (LG Krefeld ZfStrVo 1987, 380; OLG Hamm BlStV 1/1991, 5) sowie von Schallplatten, die nicht durch Vermittlung der Anstalt bezogen werden, kann die Sicherheit (einer geschlossenen Vollzugsanstalt) gefährden: namentlich besteht die Möglichkeit des Einschmuggelns von Drogen und einer Nachrichtenübermittlung. Die Anstalt soll im Hinblick auf ihre übrigen Aufgaben nicht gehalten sein, personal- und zeitaufwändige Kontrollen durchzuführen, um solche Gefahren auszuschließen (OLG Celle BlStV 4/5/1984, 8; OLG Hamm NStZ 1990, 304). Verschärft wurden die möglichen Gefährdungen durch die neuere Technik, denn auf CDs und DVDs können sich neben Audio- und Videodaten (zugelassene Musik bzw. Filme) auch unerlaubte Daten befinden. Aus diesem Grund hat das OLG Brandenburg (FS 2009, 40 – 2 Ws (Vollz) 306/06) einem Gefangenen den Besitz von bei Haftantritt mitgebrachten originalverpackten Musik-CDs untersagt, denn durch eine bloße Sichtprüfung seien Originalerzeugnisse nicht zuverlässig von selbst bespielten Rohlingen zu unterscheiden und Inhaltskontrollen seien wegen des notwendigen Umfangs nicht zumutbar; zugelassen sind dagegen CDs, die über den Gefangeneneinkauf bezogen werden. Zum Besitz von DVDs gibt es aus den letzten Jahren umfangreiche Rspr.: – DVDs ohne Kennzeichnung der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK) sind (zumindest in Anstalten der höchsten Sicherheitsstufe) nach übereinstimmender obergerichtlicher Rspr. nicht zuzulassen, da durch die Kontrolle der FSK zuverlässig sichergestellt werden kann, dass keine das Vollzugsziel oder die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt gefährdenden Inhalte auf einer DVD enthalten sind (so z. B. OLG Frankfurt NStZ 2009, 220 – 3 Ws 72/08 (StVollz) und Beschl. vom 21.1.2010 – 3 Ws 1072/09, juris; Hans. OLG Hamburg FS 2009, 43 – 3 Vollz (Ws) 43/08 m. Anm. Groß jurisPR-StrafR 21/2008 Anm. 4; OLG Koblenz NStZ-RR 2011, 190 – 2 Ws 359/10 (Vollz) und NStZ 2011, 350 – 2 Ws 531/10 (Vollz)). – Bezogen auf DVDs mit der FSK-Altersfreigabe ab 18 Jahren ist die Rspr. uneinheitlich: Das Schleswig-Holsteinische OLG (SchlHA 2008, 322 – 2 VollzWs 533/07 (291/07)) und das OLG Koblenz (NStZ 2011, 350 – 2 Ws 531/10 (Vollz)) lehnen eine Überlassung von DVDs mit FSK-18–Freigabe wegen Gefährdung der Sicherheit und Ordnung grundsätzlich ab, da solche Filme gewaltverherrlichende, aggressive, einzelne gesellschaftliche Gruppen diskriminierende, die Sexualität auf ein reines Instrumentarium der Triebbefriedigung reduzierende oder sonst sozialschädliche Inhalte haben könnten. Dies soll nach dem OLG Koblenz (aaO) sogar dann gelten, wenn es sich um die Video-DVD eines im Fernsehen frei ausgestrahlten und daher für alle Gefangenen frei sichtbaren Filmes handele. Nach dem OLG Frankfurt (NStZ 2009, 220 – 3 Ws 72/08 (StVollz) und Beschl. vom 21.1.2010 – 3 Ws 1072/09, juris) können DVDs mit FSK-18-Freigabe (mit pornographischen Inhalten, s. dazu auch den nächsten Spiegelstrich) die Sicherheit und Ordnung der Anstalt zwar gefährden, aber dieser Gefahr könne durch zumutbare Maßnahmen begegnet werden, nämlich durch ausschließlichen Bezug durch ausgesuchte Versandhandelsunternehmen (wobei nach dem LG Marburg, Beschl. vom 14.1.2010 – 7 a StVK 165/09, juris, eine Beschränkung auf nur vier Versender wegen Willkür unzulässig ist), eine Mengenbegrenzung für den Besitz und Siegelung. Dagegen sieht das Hans. OLG Hamburg (FS 2009, 43 – 3 Vollz (Ws) 43/08 m. zust. Anm. Groß jurisPR-StrafR 21/2008 Anm. 4) die FSK-Freigabe ab 18 Jahren als kein geeignetes Kriterium für die Beurteilung einer möglichen Gefährdung der Sicherheit und Ordnung in einer Strafanstalt für Schwind/Goldberg
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Erwachsene, da bei der FSK Prüfkriterien bzgl. der Entwicklungsstufen von Kindern und Jugendlichen entscheidend für die Einstufung seien; es wird auf das mildere Mittel der Siegelung (mit dem Namen des berechtigten Besitzers) verwiesen. Zudem sei für die Prüfung der Besitzerlaubnis die Gliederung der Anstalt in einen Stufenvollzug mit Abschottung der Abteilungen voneinander zu berücksichtigen, zumindest bei einem Häftling, der in der obersten Stufe (Bewährungsgruppe) angelangt sei. – Zudem wird (unabhängig von der Frage der FSK-Freigabe) teilweise der Besitz von DVDs mit pornographischen Inhalten wegen der damit verbundenen Missbrauchsgefahren abgelehnt. Das Brandenburgische OLG (NStZ-RR 2008, 262 – 1 Ws (Vollz) 1/08) weist darauf hin, dass solche DVDs beliebte Handels- und Tauschobjekte seien und daher zu Abhängigkeiten führen könnten; zudem würde die Gefahr gewaltsamer sexueller Handlungen erhöht, da durch die DVDs die durch sexuelle Enthaltsamkeit geprägte Atmosphäre künstlich erhitzt werden könne. Dies gelte insbesondere für Anstalten mit einer Vielzahl von Gewalt- und Sexualstraftätern. Eine Ausnahme von dieser restriktiven Rechtsprechung dürfte in den Fällen ange- 10 zeigt sein, in denen die Befürchtung eines Missbrauchs wegen der Verwendbarkeit der Geräte oder Gegenstände zwar grundsätzlich besteht, aber wegen der Besonderheit der Anstalt sehr gering erscheint (vgl. OLG Frankfurt NStZ 1989, 425), also etwa dann, wenn der Gefangene nicht im geschlossenen Vollzug untergebracht und seine Zuverlässigkeit nicht in Frage gestellt ist. Fragwürdig ist daher die Entscheidung des Brandenburgischen OLG (NStZ-RR 2008, 262 – 1 Ws (Vollz) 1/08), nach der der Besitz von DVDs mit pornographischen Inhalten bei einem Gefangenen, der sich nicht wegen einer Gewalt- oder Sexualstraftat in Haft befindet, im offenen Vollzug wegen Gefährdung der Sicherheit und Ordnung abgelehnt wurde. b) Gefährdung des Vollzugsziels (Abs. 2 Nr. 2). Eine Gefährdung des Vollzugsziels 11 (Abs. 2 Nr. 2) setzt immer eine konkret vorliegende Gefahr von einigem Gewicht voraus sowie eine persönlichkeitsbezogene Prognose (AK-Boetticher 2012 Rdn. 14). Dafür können auch Ereignisse eine Rolle spielen, die in der Vergangenheit liegen, einmalige oder allein in der Vergangenheit liegende Ereignisse reichen aber nicht aus (ähnlich AKBoetticher 2012 Rdn. 19). Resozialisierungsgesichtspunkte sollten vor dem Hintergrund der Belastungen des Strafvollzuges (Überbelegung, Ausländeranteil, OK-Gefangene, Subkultur) im geschlossenen Vollzug grundsätzlich berücksichtigt werden (so auch AKBoetticher 2012 Rdn. 14; a. A., allerdings bezogen auf die Gefährdung von Sicherheit und Ordnung, Arloth 2011 Rdn. 5). Eine Gefährdung des Vollzugsziels kommt beispielsweise dann in Frage, wenn ein Sexualtäter pornographisches Schrifttum (OLG Brandenburg NJ 2008, 262 zum Film „Please fuck you and my friend“) oder Geräte zur Ersatzbefriedigung (z. B. eine batteriebetriebene Ersatzvagina: OLG Hamburg BlStV 6/1975, 4) besitzen möchte oder besitzt oder wenn Gefangene der Anarchistenszene nach entsprechender Literatur verlangen (vgl. auch Rdn. 16 zu § 68). Bezogen auf den Besitz einer Spielkonsole, eines DVD-Players oder von DVDs kann eine Genehmigung (außer aus Gründen der Sicherheit und Ordnung, s. Rdn. 9) versagt werden, wenn durch die Möglichkeit des Abspielens gewaltverherrlichender oder pornographischer Inhalte die Erreichung des Vollzugsziels, insb. der Zweck der psychotherapeutischen Behandlung (hier eines Untergebrachten), in Frage steht (vgl. OLG Frankfurt NStZ-RR 2012, 223 – 3 Ws 1009/11 (StVollz)). Die mögliche Gefährdung des Vollzugsziels spielt auch eine Rolle bei Büchern, die als vollzugsfeindliche Literatur eingestuft werden. So wurde die Aushändigung des „Ratgebers für Gefangene mit medizinischen und juristischen Hinweisen“ (Verlag Schwarze Seele, Berlin 1985) wegen einer nach Inhalt und Zielsetzung negativen, durch659
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gängig gegen das Vollzugsziel gerichteten sowie die Sicherheit und Ordnung der Anstalt gefährdenden Tendenz vom OLG Frankfurt (ZfStrVo 1983, 314; OLG Hamm ZfStrVo 1989, 57 = NStZ 1988, 332 mit ausführlicher Inhaltsbeschreibung und abl. Anm. Feest und Lesting) ausgeschlossen (kritisch dazu AK-Boetticher 2012 Rdn. 15). Das Gleiche gilt teilweise (also nicht durchgängig) für ein „Merkheft mit Musterbegründungen für Anträge und Beschwerden“ (vgl. LG Augsburg NStZ 1988, 358 B und LG Krefeld NStZ 1988, 400 B; a. A. C/MD 2008 Rdn. 4). Das OLG Zweibrücken (ZfStrVo 1989, 117) hat in diesen Fällen zu Recht jedoch eine Teilaushändigung angeordnet. Die Info-Broschüre „Positiv in Haft“, die die Deutsche Aids-Hilfe e.V. herausgibt, informiert (so BVerfG NStZ 2005, 286) hingegen „in juristisch zumindest vertretbarer Weise“ und „begründet ebenso wenig eine Gefahr i. S. des § 70 Abs. 2 Nr. 2 StVollzG wie der Besitz juristischer Fachzeitschriften oder Kommentare, selbst wenn sich die rechtliche Information zu Aspekten des Vollzugs kritisch verhält“ (vgl. auch oben Rdn. 8). Als zu vollzugskritisch und damit nicht zu genehmigen gilt nach dem OLG München (FS 2010, 53 – 4 Ws 105/09 (R)) jedoch das Buch „Ritual Knast“, das das gesamte Vollzugssystem als menschenunwürdiges Unrechtssystem darstelle (kritisch zu diesem Werturteil über das Buch AK-Boetticher 2012 Rdn. 17; zur „Zensurpraxis“ Feest KritJ 1991, 253 ff). 12
c) Besonderheiten bei Zeitungen und Zeitschriften. Soweit die Einschränkungsgründe in Abs. 2 weiter reichen als sie in § 68 gefasst sind, gelten sie nicht für den Besitz von Zeitungen und Zeitschriften, da § 68 als Sonderregelung vorgeht (RegE, BTDrucks. 7/918, 74; C/MD 2008 Rdn. 1).
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3. Kosten für den Betrieb von Geräten. Zu den Strom- bzw. Betriebskosten für die bei den Gefangenen im Besitz befindlichen eigenen Geräte vgl. § 69 Rdn. 11 sowie die Ausführungen zu den Landesgesetzen in Rdn. 17 ff.
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4. Widerruf der Erlaubnis (Abs. 3). Nach Abs. 3 i. V. mit Abs. 2 kann die Erlaubnis zum Besitz von Gegenständen (nach Abs. 1) wegen nachträglich eingetretener Umstände (OLG Frankfurt ZfStrVo 1979, 59) widerrufen werden, wenn dieser Besitz Sicherheit oder Ordnung der Anstalt oder das Ziel des Vollzuges gefährdet; die entsprechende Darlegungspflicht bezieht sich auf jeden einzelnen Gegenstand, dessen Besitz z. B. als Drogenversteck missbraucht werden kann (OLG Zweibrücken NStZ 1994, 151). Es handelt sich jedoch um eine „Kann“-Bestimmung, d. h. es soll dem Ermessen der Vollzugsbehörde überlassen bleiben (zum pflichtgemäßen Ermessensspielraum: vgl. Rdn. 3), ob sie unter Abwägung aller Umstände und Interessen des konkreten Einzelfalles, insbesondere unter Beachtung der Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes (BVerfG NStZ 1994, 100 und 1996, 252 mit Anm. Rotthaus; OLG Celle NStZ 2002, 111) überhaupt reagiert (vgl. auch C/MD 2008 Rdn. 1): ob sie z. B. nach einer Geiselnahme (unter Neubewertung der Umstände) die Erlaubnis zum Betreiben einer Stereoanlage mit zwei externen Lautsprecherboxen widerruft oder nicht (BVerfG NStZ 1994, 100 und NStZ 1996, 252; dazu auch Laubenthal 2011 Rdn. 621) oder ob sie nach Versterben eines Singvogels, dessen Erwerb und Haltung dem Gefangenen erlaubt worden war, den Neuerwerb und die Haltung wegen erhöhter Kontrollaufgaben infolge von zwischenzeitlich eingetretener Überbelegung versagt oder nicht (OLG Dresden, Beschl. vom 4.11.1999 – 2 Ws 401/99). Dazu bedarf es jeweils auf den Einzelfall bezogener Abwägungen des Interesses der Allgemeinheit an einem Widerruf der Erlaubnis gegenüber dem Interesse des Strafgefangenen am Fortbestand der ihn begünstigenden Rechtslage (z. B. nach einer Verlegung) im Rahmen des Vertrauensschutzes (OLG Dresden NStZ 2007, 175); ein Widerruf durch eine generelle Regelung (z. B. eine Hausverfügung) ohne Berücksichtigung Schwind/Goldberg
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des Einzelfalls ist daher nicht möglich (AK-Boetticher 2012 Rdn. 27). Faktisch muss für einen Widerruf also eine konkrete Gefährdung vorliegen, wobei genau auf die individuelle Situation des einzelnen Gefangenen abzustellen ist; eine abstrakte Gefahr reicht – anders als bei der Frage der Versagung einer Besitzgenehmigung – also nicht aus (Arloth 2011 Rdn. 7). Für zulässig wird ein Widerruf z. B. auch dann gehalten, wenn ein Gefangener ein ihm erlaubtes Radiogerät einem Mitgefangenen überlässt, weil das Radio dann Tauschobjekt für unerlaubte Gegenstände oder Leistungen sein kann (LG Bremen BlStV 1/1985, 5); das gilt ebenso für andere Fälle entsprechenden Missbrauchs (dazu OLG Nürnberg StV 1983, 208). Für zulässig gehalten wird ferner der Widerruf zum Besitz einer Schreibmaschine, wenn der Gefangene diese regelmäßig im Rahmen umfänglicher Rechtsberatung benutzt und dadurch unerwünschte Abhängigkeitsverhältnisse entstehen (OLG München ZfStrVo 1981, 380); ob das der Fall ist, muss im Einzelfall festgestellt werden (OLG Celle ZfStrVo 1983, 192; AK-Boetticher 2012 Rdn. 27; a. A. OLG München ZfStrVo 1981, 380). Der pauschale (formelhafte) Hinweis, dass das besondere Interesse an der Aufrecht- 15 erhaltung von Sicherheit und Ordnung in der Anstalt die Individualinteressen des Gefangenen an der Wahrung seines Besitzstandes überwiegt (vgl. dazu auch Baumann StV 1992, 331 f), reicht insoweit nicht aus (BVerfG aaO mit zust. Anm. von Bringewat BewHi 1994, 355 ff). Bei der Verlegung eines Gefangenen in eine andere Anstalt (desselben Bundes- 16 landes) muss differenziert werden (vgl. dazu OLG Celle BlStV 3/1992, 5): Nur bei einer unbeschränkt erteilten Erlaubnis „nimmt“ der Gefangene bei der Verlegung die Zustimmung der bisherigen JVA „mit“ (vgl. insoweit auch OLG Celle StV 1993, 207), nicht bei einer Erlaubnis, die auf die bisherige Anstalt ausdrücklich beschränkt worden ist (vgl. ausführlicher Rdn. 13 zu § 69). Im letzteren Fall kann die neue Anstalt im Rahmen der Neubewertung der Umstände (vgl. dazu auch OLG Hamm NStZ 1993, 360 und AKBoetticher 2012 Rdn. 33) überprüfen, ob die Erlaubnis (unter den Voraussetzungen des § 70 Abs. 2) fortgelten soll oder nicht (so auch Arloth 2011 Rdn. 7). Den Maßstab bilden dann die Grundsätze für die Erlaubniserteilung (vgl. Rdn. 7 ff). Will die neue JVA hingegen eine unbeschränkt erteilte Erlaubnis zurücknehmen, gelten die Grundsätze über den Widerruf (Rdn. 14 f). Für eine erleichterte Widerrufsmöglichkeit von Besitzgenehmigungen aus Sicherheitsgründen vgl. OLG Rostock ZfStrVo 1997, 172 (dazu auch BVerfG ZfStrVo 1997, 367). Zur Zuständigkeit bei Verlegung: § 153. III. Landesgesetze und Musterentwurf Die Regelungen zum Besitz von Gegenständen der einzelnen Bundesländer orientie- 17 ren sich im Wesentlichen an der bundesgesetzlichen Regelung. Allerdings gibt es verschiedene Konkretisierungen zur Angemessenheit der Gegenstände. Diese beziehen sich auf die Kontrollkapazität der Anstalt und den Wert des Gegenstands (BadenWürttemberg), die Vertretbarkeit des Aufwands zur Überprüfung der Gegenstände (Baden-Württemberg und Hessen) sowie die Übersichtlichkeit des Haftraums (Hessen und ME-StVollzG). In Baden-Württemberg sind Zulassungen bzw. Richtlinien für elektronische Unterhaltungsmedien durch Aufsichtsbehörden möglich und in Bayern gibt es eine Regelvermutung für eine Gefährdung durch elektronische Unterhaltungsmedien. Hessen erlaubt Regelungen zur Einbringung der Gegenstände durch die Anstalt und in Niedersachsen sowie im ME-StVollzG können die Gefangenen auf die Nutzung von der Vollzugsbehörde überlassener Geräte verwiesen werden. Zu den nach allen Landesgesetzen durch die Gefangenen zu tragenden Betriebs- bzw. Stromkosten für die im Besitz der Gefangenen befindlichen Geräte vgl. bereits § 69 Rdn. 14. 661
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1. Baden-Württemberg. Die Zulassung von Gegenständen zur Freizeitbeschäftigung ist in § 58 JVollzGB III geregelt, der in weiten Teilen mit § 70 StVollzG übereinstimmt, jedoch darüber hinausgehende Regelungen enthält. Der in Abs. 1 Satz 1 normierte Anspruch auf Besitz von Gegenständen stimmt fast wortgleich mit § 70 Abs. 1 StVollzG überein. Satz 2 bestimmt jedoch über die bundesgesetzliche Regelung hinausgehend Kriterien für die Angemessenheit des Umfangs, nämlich die in der Anstalt verfügbare Kapazität für Haftraumkontrollen sowie den Wert des Gegenstands. Abs. 2 regelt die Ausnahmen vom Anspruch auf Besitz, der (ebenso wie in § 70 Abs. 2 StVollzG) ausgeschlossen ist, wenn der Besitz, die Überlassung oder Benutzung (Nr. 1) mit Strafe oder Geldbuße bedroht wäre, oder (Nr. 2) das Vollzugsziel, die Sicherheit oder Ordnung gefährdet würde oder (über die bundesgesetzliche Regelung hinausgehend in Nr. 3) „die Überprüfung des Gegenstandes auf eine mögliche missbräuchliche Verwendung mit vertretbarem Aufwand von der Justizvollzugsanstalt nicht leistbar wäre“. Über die bundesgesetzliche Regelung geht auch Abs. 3 hinaus: „Die Zulassung von bestimmten Gerätetypen, insbesondere der elektronischen Unterhaltungsmedien, durch die Justizvollzugsanstalt kann der Zustimmung der Aufsichtsbehörde vorbehalten sein. Die Aufsichtsbehörde kann allgemeine Richtlinien für die Gerätebeschaffenheit erlassen. Eine ohne Zustimmung nach Satz 1 erfolgte Zulassung kann zurückgenommen werden.“ Der Gesetzgeber möchte damit der raschen Entwicklung des Elektronikmarktes und dem starken Interesse der Gefangenen gerade an solchen Geräten (wie z. B. Spielkonsolen) Rechnung tragen, so dass landesweit einheitliche Zulassungen erreicht werden können (LT-Drucks. 14/5012, 229). Dies ist einerseits aus Gründen der Gleichbehandlung zu begrüßen; andererseits droht (bei einer Orientierung an den Anstalten mit der höchsten Sicherheitsstufe) eine zu restriktive Zulassungspraxis. In Abs. 4 ist wortgleich wie § 70 Abs. 3 StVollzG die Möglichkeit zum Widerruf der Erlaubnis geregelt. Zur Beteiligung an den Betriebskosten der Gegenstände vgl. § 69 Rdn. 15.
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2. Bayern. Art. 72 BayStVollzG ist fast identisch mit der bundesgesetzlichen Regelung. Die abweichende Formulierung in Abs. 2 Nr. 2 („Ziel des Vollzuges“ wurde durch die Formulierung „Erfüllung des Behandlungsauftrages“ ersetzt) stellt keinerlei inhaltliche Änderung dar (vgl. schon § 68 Rdn. 20). Zudem wurde an die Nr. 2 folgender Halbsatz mit einer Regelvermutung für eine Gefährdung angefügt: „eine solche Gefährdung liegt in der Regel bei elektronischen Unterhaltungsmedien vor.“ In der Gesetzesbegr. (LT-Drucks. 15/8101, 65) heißt es dazu: „Elektronische Unterhaltungsmedien tragen vielfache Sicherheitsrisiken in sich (Versteckmöglichkeiten in Hohlräumen, Speichermöglichkeiten, Manipulationsmöglichkeiten) und können zu subkulturellen Zwecken missbraucht werden (Handeltreiben, Erpressen, Wetten). Daher bedarf es besonderer Begründung, diese grundsätzlich in der vollzuglichen Praxis gefährlichen Gegenstände dennoch zuzulassen (z. B. Ausgaben von CD-Spielen mit Sprachkursen).“ Wegen dieser Regelvermutung können die zur bundesgesetzlichen Regelung ergangenen Entscheidungen allenfalls noch mit Einschränkungen herangezogen werden (OLG München FS 2011, 54 – 3 Ws 1005/09 (R)). Rspr. zur landesgesetzlichen Regelung findet sich bei Rdn. 9 (OLG München aaO: Besitz eines CD-Players) und Rdn. 11 (OLG München FS 2010, 53 – 4 Ws 105/09 (R): vollzugsfeindliches Buch „Ritual Knast“). Zur Beteiligung an den Betriebskosten der Gegenstände vgl. § 69 Rdn. 16.
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3. Hamburg. Der § 53 HmbStVollzG ist überschrieben „Gegenstände der Freizeitbeschäftigung“. Die Vorschrift wurde zwar etwas umformuliert, „entspricht (aber) im Schwind/Goldberg
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Wesentlichen der Regelung des § 70 StVollzG“ (Begr. Bürgerschafts-Drucks. 18/6490, 44). Abs. 2 wurde jedoch wie folgt verkürzt: „Dies gilt nicht, wenn der Besitz, die Überlassung oder die Benutzung des Gegenstandes das Vollzugsziel oder die Sicherheit oder die Ordnung der Anstalt gefährden würde.“ Zudem fehlt eine gesonderte Regelung zum Widerruf der Erlaubnis (§ 70 Abs. 3 StVollzG), so dass auf die allgemeinen Regelungen zum Widerruf von Verwaltungsakten zurückzugreifen ist. Rspr. zur landesgesetzlichen Regelung findet sich bei Rdn. 9 (Hans. OLG Hamburg FS 2010, 54 – 3 Vollz (Ws) 48/09: Besitz u. a. eines Computers und FS 2009, 43 – 3 Vollz (Ws) 43/08: Besitz von DVDs). Zur Beteiligung an den Betriebskosten der Gegenstände vgl. § 69 Rdn. 17. 4. Hessen. Der Besitz von Gegenständen zur Freizeitbeschäftigung ist gemeinsam 21 mit dem Besitz von Hörfunk- und Fernsehgeräten (dazu schon § 69 Rdn. 18) in § 30 Abs. 4 HStVollzG geregelt. Satz 1 HS. 2 entspricht § 70 Abs. 1 StVollzG. Satz 2 geht ausdrücklich auf andere elektronische Geräte ein, die in den Hafträumen „zu den in Satz 1 genannten Zwecken im Einzelfall zugelassen werden“ können, was inhaltlich keine Änderung zur bundesgesetzlichen Regelung bedeuten dürfte. Das Einbringen der Geräte wird nach Satz 3 durch die Anstalt geregelt, so dass z. B. unproblematisch Bezugsquellen vorgeschrieben werden können. Satz 4 verweist bezüglich der Kriterien für die Zulassung auf § 19 HStVollzG. Der Besitz kann demnach aus denselben Gründen wie in § 70 Abs. 2 StVollzG versagt werden; zusätzlich ist eine Verweigerung der Genehmigung möglich bei Behinderung der Übersichtlichkeit des Haftraumes oder einer unzumutbarer Erschwerung der Kontrollen. Auch in Hessen fehlt eine ausdrückliche Regelung des Widerrufs einer Genehmigung (s. schon Rdn. 20). Rspr. zur landesgesetzlichen Regelung findet sich bei Rdn. 9 und 11 (OLG Frankfurt NStZ-RR 2012, 223 – 3 Ws 1009/11 (StVollz): Playstation 2). Zur Beteiligung an den Betriebskosten der Gegenstände vgl. § 69 Rdn. 18. 5. Niedersachsen. Der „entsprechende“ § 67 NJVollzG (Gesetzesbegr. LT-Drucks. 22 15/3565, 143) lautet in Abs. 1 wie folgt: „Die oder der Gefangene darf mit Erlaubnis der Vollzugsbehörde in angemessenem Umfang sonstige Geräte der Informations- und Unterhaltungselektronik, Bücher sowie andere Gegenstände zur Fortbildung oder zur Freizeitbeschäftigung besitzen. Die Erlaubnis ist zu versagen, wenn die Erreichung des Vollzugszieles nach § 5 Satz 1 oder die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt gefährdet würde. Die Erlaubnis kann unter den Voraussetzungen des Satzes 2 widerrufen werden.“ Eine inhaltliche Änderung zur bundesgesetzlichen Regelung ist mit dieser Norm nicht verbunden. Nach Abs. 2 „gilt § 66 Abs. 2 Satz 2 für Geräte der Informations- und Unterhaltungselektronik entsprechend“, d. h. dass eine Verweisung auf die Verwendung von der Vollzugsbehörde überlassener Geräte möglich ist. Inwieweit dies bei Unterhaltungselektronik angewandt wird, bleibt abzuwarten. Zur Beteiligung an den Betriebskosten der Gegenstände vgl. § 69 Rdn. 19. 6. Musterentwurf. Die Einbringung eigener Geräte der Informations- und Unterhal- 23 tungselektronik ist gemeinsam mit den Hörfunk- und Fernsehgeräten in § 51 Abs. 2 MEStVollzG geregelt (vgl. dazu schon § 69 Rdn. 20): Eine Zulassung erfolgt (ähnlich wie nach der bundesgesetzlichen Regelung), wenn das Vollzugsziel und die Sicherheit und Ordnung nicht gefährdet sind und die Übersichtlichkeit des Haftraums gewährleistet ist. Zudem ist eine Verweisung auf Mietgeräte möglich. 663
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Die Zulassung sonstiger Gegenstände regelt § 46 ME-StVollzG. Die Einbringung ist demnach nur mit Zustimmung der Anstalt möglich; eine Verweigerung der Zustimmung ist unter den Voraussetzungen des § 70 Abs. 2 Nr. 2 StVollzG möglich sowie wenn „ihre Aufbewahrung nach Art oder Umfang offensichtlich nicht möglich ist.“ Wie auch in Hamburg und Hessen fehlt eine gesonderte Regelung zum Widerruf der Erlaubnis. Zur Beteiligung an den Betriebskosten der Gegenstände vgl. § 69 Rdn. 20.
NEUNTER TITEL Soziale Hilfe Vor § 71 Best Vorbemerkung
Vorbemerkungen Schrifttum a) Zur Entlassungsvorbereitung: Baumann Einige Modelle zum Strafvollzug, Bielefeld 1979, 84 ff; Becker/Marggraf/Nuissl/Sutter Leitfaden für das Soziale Training, Zwölf Lerneinheiten für die Bildungsarbeit im Strafvollzug, Heidelberg 1988, 41 ff, 63 ff; Beisel/Dölling (Hrsg.), Soziales Training „Recht im Alltag“, Aachen 2000; Best Entlassungsvorbereitung – Eine gemeinsame Aufgabe von Vollzug und den sozialen Diensten in der Strafrechtspflege, in: KrimPäd 1989, 27 ff; ders. Justizvollzug im Wandel, in: KrimPäd 1997a, 41 ff; ders. Der Beitrag des Strafvollzugsgesetzes zur Haftentlassung und Wiedereingliederung – Anspruch und Realität, in: Kawamura/Reindl (Hrsg.), Wiedereingliederung Straffälliger. Eine Bilanz nach 20 Jahren Strafvollzugsgesetz, Freiburg 1998, 136 ff; ders. Keeping prisoners active in an increasingly difficult economic environment, in: Council of Europe, 12th Conference of Directors of Prison Administration (CDAP) 26–28 November 1997, Strasbourg 1999a; Brühl Sozialhilfe für Strafgefangene und ihre Angehörigen, in: ZfStrVo 1988, 291 ff; Buchert/Metternich Entwicklung und Erprobung eines Konzeptes zur Einrichtung von Behandlungsgruppen im Bereich des Sozialen Trainings mit dem Themenschwerpunkt „Anti-Gewalt-Training“ (AGT), in: ZfStrVo 1994, 327 ff; Calliess Die Neuregelung des Arbeitsentgelts im Strafvollzug, in: NJW 2001, 1692 ff; Cornel/Kawamura-Reind/Maelicke/Sonnen (Hrsg.) Handbuch der Resozialisierung, Baden-Baden 2009; DBH-Bildungswerk, Projekt Lotse, Ausländische Inhaftierte im Strafvollzug 1999; Dolde Spätaussiedler – „Russlanddeutsche“ – ein Integrationsproblem, in: ZfStrVo 2002, 146 ff; Dünkel/Kunkat Zwischen Innovation und Restauration. 20 Jahre Strafvollzugsgesetz – eine Bestandsaufnahme, in: NK 2/1997, 24 ff; Finkbeiner/Karsten/Meiners Deeskalationsgruppen mit Inhaftierten unterschiedlicher Nationalität und Kultur in der Jungtäteranstalt Vechta, in: ZfStrVo 1993, 343 ff; Flügge/Maelicke/Preusker (Hrsg.), Das Gefängnis als lernende Organisation. Baden-Baden 2001; Hardes Leistungen für Gefangene bei Arbeitslosigkeit, in: ZfStrVo 2001, 139 ff; Hellpap/Wechner Übergangsmanagement vom Strafvollzug zur Nachbetreuung, in: DBH (Hrsg.): Sicherheit und Risiko, Köln 2007, 114 ff; Jekewitz Freiheitsentzug und Abgeordnetenmandat, in: GA 1981, 433 ff; Joppe Arbeitsförderungsgesetz und Strafvollzugsgesetz – ein System der beruflichen Resozialisierung, in: Soziale Arbeit 1977, 1 ff und 2, 94 ff; Kanisch/ Aspiron Zehn Jahre „Familienseminar mit Inhaftierten und ihren Partnerinnen“, in: ZfStrVo 1997, 152 ff; Kerner Behandlungs- und Vollzugsorganisation im neuen Strafvollzugsgesetz, in: ZfStrVo 1977, 74 ff; ders. Der Übergang vom Strafvollzug in die Gesellschaft: Ein klassisches Strukturproblem für die Reintegration von Strafgefangenen, in: Bremer Institut für Kriminalpolitik (Hrsg.), Quo Vadis III. Innovative Wege zur nachhaltigen Integration straffälliger Menschen – Reformmodelle in den EU-Staaten. Bremen 2003, 27 ff; Koepsel Resozialisierungsziele auf dem Prüfstand: oder sind neue Sicherheitsstrategien für den Strafvollzug erforderlich?, in: Kriminalistik 1999, 81 ff; Kretschmer Das aktive Wahlrecht der Strafgefangenen, in: ZfStrVo 2002, 131 ff; Kury/Kern Angehörige von Inhaftierten – zu den Nebeneffekten des Strafvollzugs, in: ZfStrVo 2003, 269 ff; Landau Grundgesetz und Strafvollzug. Menschenbild des Grundgesetzes und Umgang mit Straftätern, in: FS 2011, 129; Laubenthal Vollzugliche Ausländerproblematik und Internationalisierung der Strafverbüßung, in: Feuerhelm/Schwind/Bock (Hrsg.), FS für Alexander Böhm, Berlin/New York 1999, 307 ff; Lösel Erziehen-Strafen-Helfen, in: Harrer (Hrsg.) Einmal verknackt – für immer vermauert, Tutzing 1993, 15 ff; Maelicke Arbeitsmarktpolitik und Straffälligkeit, in: Bremer Institut für Kriminalpolitik (Hrsg.), Quo Vadis III. Innovative Wege zur nachhaltigen Reintegration straffälliger Menschen – Reformmodelle in
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den EU-Staaten, Bremen 2003, 61 ff; Matt Integrationsplanung und Übergangsmanagement. Konzepte zu einer tragfähigen Wiedereingliederung von (Ex-)Strafgefangenen, in FS 2007, 26 ff; Morgenstern Familienarbeit und Strafvollzug, in: ZfStrVo 1984, 92; Müller-Dietz Die Stellung des Behinderten im Strafvollzug, in: ZfStrVo 1982, 94 ff; Neu Arbeitsentgelt im Strafvollzug: Neuregelung auf dem kleinsten Nenner, in: BewHi 2002, 83 ff; Otto Gemeinsames Lernen durch soziales Training, Lingen 1988; Perwein Dauer und Höhe der Überbrückungsbeihilfe gemäß § 75 StVollzG, in: ZfStrVo 2000, 351 ff; Rehn Sozialtherapie im Strafvollzug: alte und neue Visionen, in: KrimPäd 2002, 23 ff; Roos/Weber Übergangsmanagement- Die Entwicklung in den Ländern, in: FS 2009, 62; Rotthaus Sozialtherapie im Strafvollzug, in: ZfStrVo 2002, 279 ff; Schellhorn Sozialhilfe für Strafgefangene?, in: ZfStrVo 1978, 13 ff; ders. Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch – das neue SGB XII, in: NDV 2004, 167 ff; Schwind Nichtdeutsche Straftäter – eine kriminalpolitische Herausforderung, die bis zum Strafvollzug reicht, in: Feuerhelm/Schwind/Bock (Hrsg.), FS für Alexander Böhm, Berlin/New York 1999, 323 ff; Schwind „Chancenvollzug“ am Beispiel von Niedersachsen, in: FS für Amelung, Berlin 2009, S. 763 ff; Steinhilper, M. Chancenvollzug und sichere Unterbringung. Ein Paradigmenwechsel in der niedersächsischen Strafvollzugspolitik? In: FS Schwind, Heidelberg 2006, 687 ff; Wauro Soziales Training als Betreuungsaufgabe auch für den allgemeinen Vollzug, in: ZfStrVo 1992, 280 ff; Wirth Prävention durch Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt: Cui bono?, in: Kawamura/Helms (Hrsg.), Straffälligenhilfe als Prävention? Freiburg 1998, 55 ff; ders. Arbeitsmarktorientierte Entlassungsvorbereitung. Ein Modellprojekt zeigt Wirkung, in: BewHi 2003, 307 ff; ders. Arbeitslose Haftentlassene: Multiple Problemlagen und vernetzte Wiedereingliederungshilfen, in: BewHi 2006, 137 ff; Worliczka/Zeitler/Feulner Eheseminare im bayerischen Strafvollzug, in: ZfStrVo 1999, 87 ff. b) Zur Sozialarbeit im Vollzug: Asprion Zur Situation im Strafvollzug und zur Perspektive der Sozialarbeit in den Vollzugsanstalten, in: ZfStrVo 1985, 330 ff; Blum Der Sozialarbeiter, in: Schwind/Blau 1988, 165 ff; Busch Professionelle Sozialarbeit und „Soziale Arbeit“, in: ZfStrVo 1987, 332 ff; Dünkel Sozialarbeit im Strafvollzug und Perspektiven einer Organisation Sozialer Dienste in der Justiz, in: ZfStrVo 1984, 323 ff; Maelicke Gerichtshilfe, Bewährungshilfe, Führungsaufsicht und soziale Hilfe im Strafvollzug, in: Cornel u. a. (Hrsg.) Handbuch der Resozialisierung, 2. Aufl. 2003, 135 ff; Menges Sozialarbeit im Strafvollzug, München 1982; Müller-Dietz Sozialarbeit im Strafvollzug und in der Bewährungshilfe, in: MschrKrim 1973, 15 ff. c) Zur Freien Straffälligenhilfe: Beck/Wirth Ausbildungs- und Beschäftigungsprojekte für Strafentlassene in Nordrhein-Westfalen, in: BewHi 1999, 159 ff; Best „Anlaufstellen für Straffällige“ in Niedersachsen, in: Schwind/Steinhilper (Hrsg.), Modelle zur Kriminalitätsvorbeugung und Resozialisierung, Heidelberg 1982 a, 115 ff; ders. Arbeits- und Wohnraumprojekte für Straffällige in Niedersachsen, in: ZfStrVo 1994 a, 86 ff; Bundesarbeitsgemeinschaft für Straffälligenhilfe (BAG-S) e. V. (Hrsg.), Wegweiser für Inhaftierte, Haftentlassene und Angehörige, 5. Aufl., Bonn 2004; Dünkel Zur Situation und Entwicklung in der Entlassungshilfe, in: ZfStrVo 1981, 202 ff; ders. Die Freiburger Anlaufstelle für Strafentlassene, in: ZfStrVo 1984, 227 ff; Maelicke Auf der Suche nach Strategien zum Abbau der Überbelegung und zu verantwortbarer Haftvermeidung/Haftreduzierung, in: SchlHA 1999, 249 ff; Matt Das Verbundprojekt „Chance“ in Bremen: Konzeption und Praxis. Systematische Betreuung von Straffälligen mit dem Ziel der Wiedereingliederung in die Gesellschaft, in: ZfStrVo 2003, 81 ff; ders. Die Nachsorge im Rahmen der Wiedereingliederungspolitik. Konzepte, Erfahrungen und Praxis im Lande Bremen, in: BewHi 2008, 134 ff; Rebmann/Wulf Freie Straffälligenhilfe in Württemberg, in: ZfStrVo 1990, 9 ff; Sandmann, Status Quo und Perspektiven der Aufgabenübertragung an Freie/Private Träger im Bereich der Strafjustiz in Schleswig-Holstein, FS 2007, 224 ff; Der Senator für Justiz und Verfassung der Freien Hansestadt Bremen (Hrsg.), Praktische Kriminalpolitik. Das System der Straffälligenhilfe im Land Bremen, Bremen 1991; Stelly/Thomas Veränderungsdruck durch Privatisierung – Entwicklungstendenzen in der Freien Straffälligenhilfe, in: BewHi 2008, 270 ff. d) Zu den Sozialen Diensten in der Strafrechtspflege: Best Ambulante Soziale Dienste der Justiz, in: Steinhilper (Hrsg.), Soziale Dienste in der Strafrechtspflege, Heidelberg 1984, 7 ff; ders. Projektarbeit in den Sozialen Diensten der Justiz – Sanktionsverwaltung oder mehr? Das Beispiel Niedersachsen, in: BewHi 1992, 377 ff; ders. Ambulante Soziale Dienste der Justiz im Verbund mit der freien Straffälligenhilfe, in: BewHi 1994b, 131 ff; Block Rechtliche Strukturen der sozialen Dienste in der Justiz, 2. Aufl., Wiesbaden 1997; Cornel Die Sozialen Dienste der Justiz in Berlin – Ihre ProbandInnen und Arbeitsweise, Berlin 2005; Dünkel Zur Fortentwicklung von Bewährungshilfe und Strafentlassenenhilfe, in: BewHi 1990, 189 ff; Dessecker, Die Wandlungen der Führungsaufsicht, in BewHi 2011, 177; Egg/Jehle/Marks (Hrsg.), Aktuelle Entwicklungen in den Sozialen Diensten der Justiz, Wiesbaden 1996; Grosser/Himbert Vom Übergangsmanagement zum Integrationsmanagement, in: FS 2010, 259; Grosser/Maelicke, Bewährungshilfe, in: Cornel
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Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
u. a. (Hrsg.): Handbuch der Resozialisierung, Baden-Baden 2009, S 180; Haverkamp Das Projekt „Elektronische Fußfessel“ in Frankfurt a. M., in: BewHi 2003, 164 ff; Jehle/Sohn (Hrsg.), Organisation und Kooperation der Sozialen Dienste in der Justiz, Wiesbaden 1994; Jehle Soziale Strafrechtspflege vor und nach der Jahrtausendwende, in: BewHi 2003, 37 ff; Jesse/Kramp Das Konzept der Integralen Straffälligenarbeit – InStar – in Mecklenburg-Vorpommern, in: FS 2008, 14 ff; Klug Abgeliefert, aber nicht abgeholt. Zur Frage „durchgehender Interventionsgestaltung“ der Sozialen Dienste der Justiz, in: FS 2008, 9 ff; Klug/Schaitl Soziale Dienste der Justiz – Perspektiven aus Wissenschaft und Praxis, Mönchengladbach 2012; Kwaschnik Die Führungsaufsicht im Wandel, Hamburg 2008; Neubacher Führungsaufsicht, quo vadis? Eine Maßregel zwischen Sozialkontrolle und Hilfsangebot, in: BewHi 2004, 73 ff; Maelicke/Thier, Gerichtshilfe, in: Cornel u. a. (Hrsg.), Handbuch der Resozialisierung, 2009, 173 f; Morgenstern/Hecht Rechtstatsachen zur Führungsaufsicht im kriminalpolitischen Kontext, in: BewHi 2011, 177; Quensel Bewährungshilfe und Strafvollzug, in: BewHi 1977, 89 ff; Scherrer Fortschritt statt Stillstand. Niedersachsen auf dem Weg zu einem modernen, kompetenten und zukunftsfähigen Justizsozialdienst, in: BewHi 2008, 284 ff; Spieß Soziale Integration und Bewährungserfolg: Aspekte der Situation nach Haftentlassung und ihre Bedeutung für die Legalbewährung, in: Kury (Hrsg.), Prognose und Behandlung bei jungen Rechtsbrechern, Freiburg 1986, 511 ff; Sterzel, Privatisierung der Bewährungs- und Gerichtshilfe – Verfassungsrechtliche Grenzen einer Verlagerung von Hoheitsaufgaben im Justizbereich auf Private, in DBH, Privatisierung und Hoheitlichkeit in Bewährungshilfe und Strafvollzug, 2008, 52 ff; Wirth Zusammenarbeit von Bewährungshilfe und Strafvollzug: Von individueller Kooperation zur professionellen Koordination, in: BewHi 1994, 314 ff. e) Zur Schuldenregulierung: Baumeister Schuldnerberatung und Schuldenregulierung im Strafvollzug, in: ZfStrVo 1988, 323 ff; Best Entschuldungshilfe im Vollzug, in: ZfStrVo 1981a, 333 ff; ders. Schuldenregulierung als Arbeitsfeld der Bewährungshilfe – Ansätze und Perspektiven –, in: BewHi 1981b, 146 ff; ders. Resozialisierungsfonds in Niedersachsen – Entschuldungshilfe für Straffällige, in: Schwind/Steinhilper (Hrsg.), Modelle zur Kriminalitätsvorbeugung und Resozialisierung, Heidelberg 1982b, 221 ff; Butzkies Die Pfändbarkeit von Geldforderungen an Strafgefangene, in: ZfStrVo 1996, 345 ff; Fluhr Zur Pfändbarkeit der Forderungen des Strafgefangenen, in: ZfStrVo 1989, 103 ff; Freytag Entschuldungsprogramme für Straffällige. Eine kriminologisch-empirische Untersuchung unter besonderer Berücksichtigung des hessischen „Resozialisierungsfonds“, Bonn 1987; ders. Resozialisierungsfonds in der Bundesrepublik Deutschland – eine Bestandsaufnahme, in: ZfStrVo 1990, 259 ff; Groth Schuldnerberatung. Praktischer Leitfaden für die Sozialarbeit. Frankfurt 1987; Hasselbusch Schuldnerberatung im Strafvollzug, in: ZfStrVo 1999, 97 ff; Höfler Anwendbarkeit des § 850c ZPO auf das „freie Eigengeld“ des Strafgefangenen, in: ZfStrVo 1997, 207 ff; Hornung Reform der Pfändung von Sozialleistungen, in: Rpfleger 1988, 213 ff, 347 ff; Kühne Die Schuldensituation bei Strafgefangenen – Eine Untersuchung aus dem niedersächsischen Justizvollzug, in: Schwind/ Steinhilper (Hrsg.), Modelle zur Kriminalitätsvorbeugung und Resozialisierung, Heidelberg 1982, 203 ff; Maelicke Resozialisierungsfonds und Stiftungen der Straffälligenhilfe als unverzichtbare Partner einer „integrierten Resozialisierung“, in: SchlHA 2008, 144 ff; Moll/Wulf Schuldnerberatung im Vollzug, in: ZfStrVo 1986, 323 ff; Schmitt Die Insolvenzordnung – sinnlos für die Klienten der Sozialen Dienste der Justiz?, in: ZfStrVo 1999, 162 ff; Seebode Verbrechensverhütung durch staatliche Hilfe bei der Schuldenregulierung, in: ZRP 1983, 174; Zimmermann Die Verschuldung der Strafgefangenen, Heidelberg/Karlsruhe 1981. f) Zum Täter-Opfer-Ausgleich und zur opferbezogenen Gestaltung des Vollzugs: Bannenberg/ Rössner Die Wirklichkeit des Täter-Opfer-Ausgleichs (TOA) in Deutschland – Eine Zwischenbilanz, in: Kühne u. a. (Hrsg.), FS Rolinski 2002; Deutsche Bewährungshilfe e. V. Materialien für eine Diskussion, zusammengestellt vom Servicebüro für Täter-Opfer-Ausgleich und Konfliktschlichtung. DBH-Materialien, Nr. 28, Bonn 1995, 21 ff; Finger Die strukturellen und finanziellen Voraussetzungen einer umfassenden Anwendung des Täter-Opfer-Ausgleichs, in: ZRP 2002, 514 ff; Gabriel/Müller/Oswald Wiedergutmachung im Strafvollzug: Die Sicht der Inhaftierten. Ergebnisse einer Befragung im Rahmen des Modellprojektes das Kanton Bern (Schweiz), in: MschrKrim 2002, 141 ff; Gelber/Walter, M. Über Möglichkeiten einer opferbezogenen Vollzugsgestaltung, in: FS 2012, 171; Hartwig Straffälligenhilfe und Opferhilfe, in: ZfStrVo 1991, 106 ff; Kawamura Täter-Opfer-Ausgleich und Wiedergutmachung im Strafvollzug? in: ZfStrVo 1994, 3 ff; Kerner (Hrsg.), Bibliographie Täter-Opfer-Ausgleich, Tübingen 1998; Rixen Wiedergutmachung im Strafvollzug?, in: ZfStrVo 1994, 215 ff; Walther Möglichkeiten und Perspektiven einer opferbezogenen Gestaltung des Strafvollzuges, Herbolzheim 2002; Wandrey/Delattre Täter-Opfer-Ausgleich im Gefängnis. Perspektiven und Grenzen von Konfliktregelung und Schadenswiedergutmachung im Strafvollzug; Wulf Opferbezogene Vollzugsgestaltung – Grundzüge des Behandlungsansatzes, in: ZfStrVo 1985, 67 ff.
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Vorbemerkung
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g) Zur Kriminalpolitik allgemein und der Sozialen Hilfe im Kontext der Europäischen Kriminalpolitik: Albrecht/van Kalmthout (Hrsg.), Community Sanctions and Measures in Europe and North America, Freiburg 2002; Best Europäische Kriminalpolitik, in: ZfStrVo 1997 b, 259 ff; ders. Europäische Kriminalpolitik auf der Grundlage der Menschenrechtskonvention – die European Rules, in: Feuerhelm/ Schwind/Bock (Hrsg.), FS für Alexander Böhm, Berlin/New York 1999 b, 49 ff; ders. Privatisierung: Kriminalpolitische Perspektiven und Visionen in europäischer Dimension. In: Keicher/Anhorn (Hrsg.), Privatisierung als Chance? Straffälligenhilfe zwischen marktwirtschaftlicher und staatlicher Steuerung. Freiburg 2005, 136 ff; ders. Die amerikanische Strafkultur und die Privatisierung. Kein Vorbild für die europäische Kriminalpolitik, in: FS Schwind, Heidelberg 2006, 1 ff; Boumaiza/Heister Europäischer Sozialfonds als Finanzinstrument der Beschäftigungspolitik – Auch für Straffällige und Strafgefangene, in: BewHi 2010, 5 f; Bundesministerium der Justiz Berlin/Bundesministerium für Justiz Wien/Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement Bern (Hrsg.) Europäische Strafvollzugsgrundsätze (European Prison Rules). Die Empfehlung des Europarats Rec (2006) 2. Die Neufassung der Mindestgrundsätze für die Behandlung von Gefangenen. Godesberg 2007; Dünkel/Geng Aktuelle Daten zum Strafvollzug in Deutschland, in: FS 2007, 14; Dünkel/Snacken Strafvollzug im europäischen Vergleich: Probleme, Praxis und Perspektiven, in: ZfStrVo 2001 195 ff; Fritsche Vollzugslockerungen und bedingte Entlassung im deutschen und französischem Strafvollzug. Godesberg 2005; Dünkel Die Europäischen Strafvollzugsgrundsätze von 2006 und die deutsche Strafvollzugsgesetzgebung, in: FS 2012, 141; Gless Hauptteile III (EU-Recht) und IV (Schengenzusammenarbeit) in: Schomburg/Lagodny/Gless/Hackner (Hrsg.), Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, International Cooperation in Criminal Matters, 5. Aufl., München 2010; Haverkamp/Mayer Die Zukunft der elektronischen Überwachung in Europa, in: MschrKrim 2003, 216 ff; Hamdorf Der Vertrag von Lissabon und seine Bedeutung für die Justiz, in: SchlHA 2008, 74 ff; Jung Die European Rules on Community Sanctions and Measures’, in: Feuerhelm/Schwind/Bock (Hrsg.), FS für Alexander Böhm, Berlin/New York 1999, 69 ff; Kaiser Deutscher Strafvollzug in europäischer Perspektive. Wo weicht der Strafvollzug in der Bundesrepublik gravierend ab?, in: Feuerhelm/Schwind/Bock (Hrsg.), FS für Alexander Böhm, Berlin/New York 1999, 25 ff; ders. Brauchen wir in Europa neue Konzepte der Kriminalpolitik?, in: ZRP 2000, 151 ff; Kerner/ Czerner Die Empfehlungen des Europarates zum Freiheitsentzug im Kontext europäischer und internationale Instrumentarien zum Schutz der Menschenrechte, in: Freiheitsentzug. Die Empfehlungen des Europarats 1962–2003. Hrsg. Von Deutschland, Österreich und Schweiz, Bad Godesberg 2005, 1 ff; Mayer Elektronische Fußfessel. Chancen und Risiken im Einsatz als Strafvollzugsalternative. In: Konturen – Fachzeitschrift zu Sucht und sozialen Fragen, 2007, 12 ff; Meier Kriminalpolitik in kleinen Schritten – Entwicklungen im strafrechtlichen Rechtsfolgensystem, in: StV 2008, 263 ff; Mösinger Privatisierung des Strafvollzugs, in: BayVerwBl 2007, 417 ff; Morgenstern Strafvollstreckung im Heimatstaat – der geplante EU-Rahmenbeschluss zur transnationalen Vollstreckung von Freiheitsstrafen, in: ZIS 2/2008, 76 ff; Mühlenkamp (Teil-)Privatisierung von Justizvollzugsanstalten – Ökonomische Überlegungen und empirischer Befund –, in: DÖV 2008, 525 ff; Müller-Dietz Europäische Perspektiven des Strafvollzugs, in FS Schwind, Heidelberg 2006, 621 ff.
I. II. III. IV. V.
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Übersicht Soziale Hilfe im Wandel der kriminalpolitischen Konzepte ____ 1 Verfassungsrechtliche Grundlagen der Sozialen Hilfe ____ 2 Funktion und Aufgaben der Sozialen Hilfe ____ 3 Soziale Hilfe im Rahmen des aktivierenden Behandlungsvollzugs ____ 4 Chancenvollzug als Konzept der Strafvollzugspolitik ____ 5
VI.
Soziale Hilfe im Verbundsystem der Straffälligenhilfe als Übergangsmanagement ____ 6 VII. Neuorganisation der sozialen Dienste der Justiz? ____ 7 VIII. Länderspezifische Konzepte der durchgehenden Betreuung ____ 8 IX. Informationsmanagement und Privatisierungsmodelle ____ 9 X. Soziale Hilfe im europäischen Kontext ____ 10
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Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
I. Soziale Hilfe im Wandel der kriminalpolitischen Konzepte 1
Der Gesetzgeber des StVollzG hat bei dem Regelungsbereich „Soziale Hilfe“ auf einen abgeschlossenen Katalog von Maßnahmen verzichtet und wie beim Behandlungsbegriff die Ausgestaltung bewusst offen gelassen, „ohne im Einzelnen in methodische Fragen einzugreifen, die der weiteren Entwicklung in Praxis und Wissenschaft überlassen bleiben müssen“ (BT-Drucks. 7/918, 45). Die Übergangssituation zwischen Unfreiheit und Freiheit zu regeln und gestalten, ist aber nicht nur eine Angelegenheit von der Bewertung von Erkenntnissen und Erfahrungen aus Praxis und Wissenschaft. Aus heutiger Sicht sind verfassungsrechtliche und verfassungsgerichtliche Vorgaben, internationale Verpflichtungen und europäische Empfehlungen mindestens ebenso bedeutsam. Denn sie alle betreffen die Behandlung der Gefangenen, die „vornehmlich auf ihre Besserung und gesellschaftliche Wiedereingliederung hinzielt“ (Art. 10 Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 19. Dezember 1966, BGBl. 1973 II 1553) und damit die Soziale Hilfe in ihrer vollen Bandbreite erfassen. Das Korrektiv der Rechtsprechung wird als Folge der partikularistischen Zersplitterung des deutschen Vollzugs durch Landesgesetze im Zuge der Föderalismusreform zunehmend an Bedeutung gewinnen, zumal der Vollzug durch Parteipolitik zunehmend geprägt wird und in konzeptioneller Hinsicht die föderale Zersplitterung voranschreitet. Angesichts der Harmonisierungstendenzen in der europäischen justiziellen Zusammenarbeit (vgl. Rdn. 10) und vieler internationaler Projektaktivitäten mit dem Ziel, Aufbauhilfe in einem resozialisierungsorientierten Reformprozess zu leisten, ist es zu bedauern, dass der deutsche Kurs der Vollzugspolitik mit der ,mainstream-policy‘ von Europarat und Europäischer Kommission nicht mehr Schritt halten kann und sich sogar von den europäischen Standards und European best- practice auch in einzelnen Regelungsbereichen der Landesvollzugsgesetze zu entfernen scheint (vgl. ebenso Dünkel FS 2012, 141). Die unübersichtliche Ausgestaltung der Sozialen Hilfe und der Sozialen Dienste der Justiz von Land zu Land verwischt auch in der Übergangsphase und Nachsorge die gesamtdeutsche Gemeinsamkeit und verkümmert zu einer regionalspezifischen Einzelmaterie. Die kriminalpolitischen Profile der Landesgesetze von Bayern, Hamburg, Hessen, Niedersachsen und dem Musterentwurf ME-StVollzG lassen auch eine einheitliche Leitlinie nicht mehr erkennen, was die Soziale Hilfe betrifft. Die Regelungstiefe ist unterschiedlich: Aber noch schwerwiegender ist das Bestreben einzelner Landesgesetze, das Vollzugsziel der Resozialisierung mit der Aufgabe, die Allgemeinheit vor weiteren Straftaten zu schützen, auf eine Stufe der Gleichwertigkeit zu stellen. Daraus ergeben sich konkrete Auswirkungen auf die Umsetzung von Konzepten der Soziale Hilfe, wenn z. B. Sicherheit und soziale Integration als „zwei Seiten einer Medaille“ (vgl. Rdn. 2) gekennzeichnet werden. Im Verbund mit dem Konzept des Chancenvollzugs (vgl. Rdn. 5) könnten sich auf Dauer die bisher auch von dem Bundesverfassungsgericht gesetzten kriminalpolitischen Parameter in der Praxis der Alltagspolitik zum Nachteil der Gefangenen verändern. Andererseits gibt es mit dem Prinzip der durchgehenden Hilfe und dem Übergangsmanagement (vgl. Rdn. 6) und der Regelung der psychologischen Behandlung positive Verstärker in den Landesgesetzen, die zukunftweisend sind. Leider ist die Vollzugsprivatisierung (vgl. Rdn. 9) eher ein negativer Verstärker, zumal weder eine kostengünstigere Durchführung noch ein fachlich qualitativ höherwertiges Angebot erkennbar ist. Die verfassungsrechtlich als Resozialisierungskonzept abgesicherte Soziale Hilfe ist jedenfalls als „privatisierungsfest“ einzustufen. Das StVollzG ist in einer Zeit entstanden, die mit dem Strafrechtssystem ein Sanktionssystem schuf, das dem Resozialisierungsgedanken verpflichtet war. Dieser Kurs versuchte „Resozialisierungsfreundlichkeit mit den Bedürfnissen der Generalprävention Best
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Vorbemerkung
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auf einer mittleren Linie zu verbinden“ (Roxin Strafrecht, Allgemeiner Teil, 4. Aufl. 2006 § 4 Rdn. 40). Der Ausbau der Sicherungsverwahrung von 1998 bis 2004, die Anhebung der Prognosevoraussetzungen für die Strafrestaussetzung durch Gesetz von 1998 und die gewachsene Bereitschaft der Gerichte, länger dauernde Freiheitsstrafen zu verhängen, sind Markierungspunkte einer Neuausrichtung, die sich auf den wachsenden Belegungsdruck und die Entlassungssituation massiv auswirkt. Strafrecht befindet sich „auf dem Weg zu einem Recht der Gefahrenabwehr“ (Hassemer StV 2006, 325). Mag sich die Sanktionspolitik bisher nicht grundlegend geändert haben, ein schleichender Wandel in Richtung Verschärfung ist unverkennbar (Meier 2008, 265). Umso mehr muss es das Bestreben der Vollzugspolitik sein, nicht in einer Art vorauseilender Gehorsam“ diesem Verschärfungsdenken durch verstärkte Sicherheitsorientierung zu entsprechen. Stattdessen ist eine rationale Kriminalpolitik gefragt, die der Strafjustiz und Politik nachhaltig die „ultima ratio“ – Funktion des Freiheitsentzugs vermittelt und Soziale Hilfe in ihren praktischen Problemlagen verdeutlicht. II. Verfassungsrechtliche Grundlagen der Sozialen Hilfe Die im Neunten Titel geregelte „soziale Hilfe“ wird nach verschiedenen Phasen des 2 Vollzugs unterschieden mit jeweils unterschiedlichen spezifischen Aufgaben. Um aber der Grundsatznorm des § 71 in voller Bandbreite zu entsprechen, ist eine systematische Integrationsstrategie erforderlich, die den Aspekt der Resozialisierung und der Rückfallminimierung deutlich in den Vordergrund rückt. Die soziale Hilfe muss insgesamt als durchgehende und ganzheitliche Betreuung im Rahmen eines Übergangsmanagements konzipiert werden (vgl. Matt 2007, 26 ff). Als Anwendungsfall des Sozialstaatsprinzips (BVerfGE 35, 236) beschreiben die §§ 71 bis 75 ein weites Tätigkeitsfeld, das nicht bis in alle Einzelheiten festgelegt sondern bei Beachtung des verfassungsrechtliche Resozialisierungsgebot als sozialstaatliche Aufgabe ausfüllungsbedürftig ist, hierbei aber einen weiten Gestaltungsraum zulässt. Das BVerfG hat in dem Urteil zur „Gefangenenentlohnung“ vom 1.7.1998 (BVerfGE 98, 169 ff = NJW 1998, 3337) das verfassungsrechtliche Resozialisierungsgebot weiter konkretisiert. Dieses verpflichtet den Gesetzgeber, ein wirksames Resozialisierungskonzept zu entwickeln und den Strafvollzug darauf aufzubauen. Der Gesetzgeber ist dabei nicht auf ein bestimmtes Regelungskonzept festgelegt; vielmehr ist ihm für die Entwicklung eines wirksamen Konzepts ein weiter Gestaltungsspielraum eröffnet. Er kann unter Verwertung aller ihm zu Gebote stehenden Erkenntnisse, namentlich auf den Gebieten der Kriminologie, Sozialtherapie und Ökonomie, zu einer Regelung gelangen, die – auch unter Berücksichtigung von Kostenfolgen – mit dem Rang und der Dringlichkeit anderer Staatsaufgaben in Einklang steht (vgl. BVerfGE 82, 60; BVerfGE 90, 107, 116; BVerfGE 96, 288, 305 f). Wirksame Resozialisierungsmittel müssen eine „angemessene Anerkennung“ beinhalten. Diese Anerkennung muss nicht notwendig finanzieller Art sein. Im Strafvollzug kommen neben oder anstelle eines Lohnentgelts etwa auch der Aufbau einer sozialversicherungsrechtlichen Anwartschaft oder Hilfen zur Schuldentilgung in Betracht. Der Gesetzgeber kann bei der Gestaltung des Vollzugs und der Entlassungsvorbereitung neuartige Formen der Anerkennung von Pflichtarbeit – auch unter Einbeziehung privater Initiativen – entwickeln. Sofern general- oder spezialpräventive Gründe nicht entgegenstehen, so das BVerfG, kann das Resozialisierungskonzept auch vorsehen, dass durch Arbeit die Haftzeit verkürzt („good time“, „worktime credit“) oder sonst erleichtert wird (zur Neuregelung des Arbeitsentgelts vgl. § 43 Rdn. 3–5). Das BVerfG hat das Resozialisierungsgebot aus dem Selbstverständnis einer Rechtsgemeinschaft entwickelt, welche die Menschenwürde in den Mittelpunkt ihrer Wertord669
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nung stellt und dem Sozialstaatsprinzip verpflichtet ist. Den Gefangenen sollen die Fähigkeit und der Wille verantwortlicher Lebensführung vermittelt werden. Sie sollen sich in Zukunft unter den Bedingungen einer freien Gesellschaft ohne Rechtsbruch behaupten, ihre Chancen wahrnehmen und ihre Risiken bestehen können. Die Resozialisierung dient auch dem Schutz der Gemeinschaft selbst. Diese hat ein unmittelbares eigenes Interesse daran, dass der Täter nicht wieder rückfällig wird und erneut seine Mitbürger und die Gemeinschaft schädigt (vgl. BVerfGE 35, 202, 235 f; Landau FS 2011, 129 unter Hinweis auf das Menschenbild des Grundgesetzes im Umgang mit Straftätern). Zwischen dem auch als Resozialisierungsziel bezeichneten Vollzugsziel der sozialen Integration und dem Anliegen, die Allgemeinheit vor weiteren Straftaten zu schützen, besteht insoweit kein Gegensatz (BVerfG NJW 2006, 2095). Unter Hinweis auf diese Grundsatzentscheidung des BVerfG sind im NJVollzG beide Belange als gleichrangige Vollzugsziele wie (die schon oben (Rdn. 1) erwähnten) „zwei Seiten einer Medaille“ nebeneinander gestellt, „ohne dass der Sicherheit der Allgemeinheit von vornherein Nachrang gegenüber der sozialen Integration der Strafgefangenen einzuräumen ist“ (vgl. LTDrucks. 15/3565, 68 zur Gesetzesbegründung des NJVollzG). Die Begründung des BVerfG lässt aber erkennen, dass nicht ein eigenständiges Vollzugsziel „Sicherheit der Allgemeinheit“ formuliert, sondern nur eine zusätzliche Begründung für die in § 2 Satz 1 als alleiniges Vollzugsziel bezeichnete „Resozialisierung“ abgegeben werden sollte unter Hinweis auf die Priorität der Bemühungen um soziale Integration vor anderen Aufgabenstellungen, ebenso C/MD 2008 Rdn. 1 ff zu § 2 m. w. N. und Laubenthal 2011 Rdn. 148 ff, der eine Zielpluralität ausdrücklich ausschließt). Das BVerfG begründet das als Resozialisierungsziel bezeichnete Vollzugsziel der sozialen Integration mit der Pflicht zur Achtung der Menschenwürde jedes Einzelnen (vgl. BVerfGE 35, 202, 235 f; 45, 187, 238) und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit staatlichen Strafens (vgl. BVerfGE 88, 203, 258). „Mit dem aus Art. 1 Abs. 1 GG folgenden Gebot, den Menschen nie als bloßes Mittel zu gesellschaftlichen Zwecken, sondern stets auch selbst als Zweck – als Subjekt mit eigenen Rechten und zu berücksichtigenden eigenen Belangen – zu behandeln (vgl. BVerfGE 109, 133, 150 f), und mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist die Freiheitsstrafe als besonders tief greifender Grundrechtseingriff nur vereinbar, wenn sie unter Berücksichtigung ihrer gesellschaftlichen Schutzfunktion konsequent auf eine straffreie Zukunft des Betroffenen gerichtet ist (BVerfG NJW 2006, 2095 ff = BVerfGE 116, 69, 85 f). Für die Praxis der Sozialen Hilfe im Übergang von der Unfreiheit in die Freiheit lässt sich bei Annahme einer Gleichwertigkeit der Vollzugsziele von Sicherheit und Resozialisierung (in dieser Reihenfolge) eine eher restriktive Handhabung befürchten. Die Trennung von Vollzugsziel „soziale Integration“ und Vollzugsaufgabe „Schutz der Allgemeinheit“ muss im Hinblick auf das verfassungsrechtliche Resozialisierungsgebot bei der Ausgestaltung der Sozialen Hilfe beibehalten werden. Andernfalls wird ein kriminalpolitisches Kräftefeld geschaffen, das sich aus dem Parameter einer subjektiven Komponente (soziale Integration) und dem Parameter einer objektiven Ausrichtung (Schutz der Sicherheit der Bürger) zusammensetzt (dazu vgl. LT-Drucks. 15/3565, 68 zur Gesetzesbegründung des NJVollzG). Ein solches Kräftefeld erschwert das Bestreben in der Vollzugspraxis, soziale Integration und durchgehende Hilfe nachhaltig zu gewährleisten. III. Funktion und Aufgaben der Sozialen Hilfe 3
Der Begriff der sozialen Hilfe geht weiter als der traditionelle Begriff der Anstaltsfürsorge: Ziel ist nicht nur die erforderliche Unterstützung bei der Regelung der äußeren Angelegenheiten des Gefangenen, sondern auch die notwendige Hilfe zur Bewältigung Best
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persönlicher Probleme. Während früher Gefangenenfürsorge zur Behebung äußerer Notlagen geleistet wurde, steht heute die „sozialpädagogisch orientierte Lebenshilfe“ im Vordergrund (K/S-Schöch 2002 § 7 Rdn. 200–204). Folgerichtig wird in dem BayVollzG in Abschnitt 10 die Soziale Hilfe um die Psychologische Hilfe ausdrücklich ergänzt. Der Abschnitt „Soziale und psychologische Hilfe“ des BayVollzG regelt insbesondere die sozialpädagogischen und psychologischen Angebote zur Lebenshilfe und Behandlungsmaßnahmen. Die Kooperation mit den Art. 175 Abs. 2 bis 4 BayVollzG genannten Stellen und Personen soll den Aufbau eines Hilfesystems ermöglichen, in dem frühzeitig begonnene Maßnahmen nach dem Prinzip der durchgehenden Betreuung in der Zeit nach der Entlassung fortwirken (ebenso § 68 NJVollzG, vgl. dazu III.5 bei § 71 StVollzG). Ein weiterer Schwerpunkt von Sozialer Hilfe und psychologischer Betreuung soll die Betreuung suchtgefährdeter und abhängigkeitskranker Gefangener durch vollzugsexterne Fachkräfte der Suchthilfe, die die Gefangenen über Therapiemöglichkeiten beraten und gegebenenfalls in Therapieeinrichtungen vermitteln, sein (dazu Rdn. 9). Der Bereich der sozialen Hilfe ist nicht einer bestimmten Berufsgruppe innerhalb des Vollzugs zugeordnet, obwohl die Aufgabenerledigung in der Praxis weitgehend dem Sozialdienst vorbehalten ist. Zwar hat sich die soziale Hilfe an der Methodik der professionellen Sozialarbeit/Sozialpädagogik auszurichten, doch ist mehr denn je die Mitwirkung anderer Bediensteter erforderlich, zumal das bisher vorhandene Rollenbild innerhalb der Vollzugsorganisation immer mehr durchbrochen wird. Bisherige Arbeitsansätze – insbesondere im Wohngruppenvollzug § 7 Rdn. 9 ff; § 143 Rdn. 4) – zeigen die Notwendigkeit auf, ein vollzugliches Verbundsystem der Hilfen zu schaffen, das sich keinesfalls auf die Berufsgruppe der Sozialarbeiter/Sozialpädagogen beschränkt sondern alle in § 154 genannten Personen und Stellen einbezieht. Vorrangig obliegt die Ausfüllung dieses Tätigkeitsfeldes aber dem Sozialdienst und wird damit insbesondere von der personellen Ausstattung und vom Engagement des Sozialdienstes beeinflusst (K/S-Schöch 2002 § 7 Rdn. 200–204, § 11 Rdn. 1, 14). Nur durch eine organisatorisch wie fachlich geordnete Arbeitsteilung i. S. des § 154 Abs. 2 kann die soziale Hilfe konkretisiert werden; zur Neuorganisation der sozialen Dienste der Justiz: Rdn. 7. Die Zulässigkeit der Datenübermittlung ergibt sich aus § 180 Abs. 1 Satz 1; für die Datenübermittlung an die Bewährungshilfe und Führungsaufsicht gilt ferner § 180 Abs. 4 Nr. 1: allgemein zu den Strukturproblemen des Informationsmanagements vgl. Rdn. 6 zu § 72, Rdn. 14 zu § 73 und Rdn. 18 zu § 74). Nach § 182 Abs.2 Satz 2 sind Sozialarbeiter/Sozialpädagogen gegenüber dem Anstaltsleiter unter den dort genannten Voraussetzungen offenbarungspflichtig (vgl. auch Art. 200 BayVollzG, § 124 HmbStVollzG; § 192 Abs. 2 Nr. 1 NJVollzG). Andererseits hat der Anstaltsleiter nach VV Nr. 2 zu § 156 in fachlichen Angelegenheiten kein direktes Weisungsrecht, sofern sich diese Angelegenheiten seiner Beurteilung entziehen, sondern ist auf Auskunftsverlangen und Anregungen beschränkt. Die erhebliche Steigerung der Planstellen (1970: ein Sozialarbeiter pro 152 Gefangene; 1980: ein Sozialarbeiter pro 71 Gefangene – Dünkel/Rosner 1982, 280 und 347 –; 1998: 1.160 Planstellen; Länderdurchschnitt: alte Bundesländer 1,60 Stellen je 100 Gefangene, neue Bundesländer: 1,35 Stellen je 100 Gefangene; vgl. Dünkel/Kunkat 1997, 31; Hohage/ Walter/Neubacher ZfStrVo 2000, 136 ff;) sollte ein Indiz dafür sein, dass die Berufsgruppe der Sozialarbeiter/Sozialpädagogen zunehmend in der Lage ist, die unterschiedlichen Maßnahmen und Aktivitäten staatlicher Institutionen und freier Träger zu koordinieren und – stärker als bisher – die Rolle des Gestalters anzunehmen (ebenso AK-Huchting/ Majuntke 2012 Rdn. 19–21). Nur dann kann das vom Gesetzgeber bewusst nicht festgeschriebene Rahmenkonzept der sozialen Hilfe schrittweise den Praxisbedingungen an671
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geglichen werden. Dieses Ziel wird nur dann erreicht, wenn es gelingt, den Sozialarbeiter/Sozialpädagogen beruflich in das gesamte Vollzugsgeschehen (nicht nur auf die soziale Hilfe beschränkt) zu integrieren, „eines der schwierigsten Probleme der Vollzugsreform und der neuen Ausbildungsformen überhaupt“ (Baumann 1979, 84). Im Jahr 2004 standen für je 100 Gefangene im Bundesdurchschnitt: 1,65 Sozialarbeiter, 0,75 Psychologen, 0,48 Pädagogen zur Verfügung(vgl. die vom niedersächsischen Justizministerium am 12.8.2004 erstellte Übersicht; K/S-Schöch 2002, § 11 Rdn. 3 zum Personalschlüssel). Schwierigkeiten bei der Umsetzung der sozialen Hilfe dürfen nicht allein auf die Rahmenbedingungen des Vollzugsgeschehens mit seiner Tendenz zur fremdbestimmten Versorgungsroutine (vgl. dazu Böhm 2003, Rdn. 397) zurückgeführt werden (vgl. § 3 Rdn. 5, 12). Mindestens ebenso bedeutsam ist die Position des sozialen Dienstes, der nicht auf Stabsfunktionen verharren darf, sondern vollzugliche Entscheidungskompetenz übernehmen muss. Sonst wird die Chance vertan, sozialpädagogische Arbeitsprinzipien in die Institution Vollzug insgesamt einbringen zu können. Eine solche Mitgestaltung stellt aber erhebliche Anforderungen an Qualifikation und Berufserfahrung und ist nicht nur eine Angelegenheit der Planstellenerhöhung. Wenn die Mitarbeiter des sozialen Dienstes in den Tagesablauf der Anstalt einbezogen sind und im engen Kontakt mit den übrigen Personalgruppierungen stehen, ist auch die Gefahr geringer, in Resignation bzw. Überaktivität auszuweichen (dazu: Müller-Dietz 1973, 27; K/S-Schöch 2002 § 11 Rdn. 21; zur Neuorganisation der sozialen Dienste: Rdn. 7). Sozialarbeiter/Sozialpädagogen müssen sich ihre Rolle als Ansprechpartner bzw. Kontaktperson in der für diese Berufsgruppe schwierigen Balance zwischen Nähe und Distanz zu den Gefangenen erhalten, ohne in einer Abwehrhaltung zu beharren oder in eine Überidentifikation zu verfallen. Das bedeutet aber auch, selbstkritisch Modellfunktionen zu erfüllen, Verhaltensalternativen anzubieten und vorzuleben, Koordinationsaufgaben wahrzunehmen und im Spannungsgefüge einer Gruppe kritisch und ausgleichend zu wirken; eingehend dazu auch Menges 1982; Dünkel 1984, 323; Aspiron 1985, 330; Blum 1988, 165 ff; Busch 1987, 332; Klug 2005, 90; Cornel/Kawamura-Reindl/Maelicke/Sonnen (Hrsg.): Handbuch der Resozialisierung, Baden-Baden 2009. IV. Soziale Hilfe im Rahmen des aktivierenden Behandlungsvollzugs 4
In den Vordergrund rückt das Konzept des aktivierenden Behandlungsvollzugs, das kriminalpolitisch von westeuropäischen Vollzugssystemen beeinflusst ist. Im Mittelpunkt steht hierbei die Strategie der Aktivierung (Best 1999a, 75 ff), die dem Idealbild der problemlösenden Gemeinschaft im Sinne der Zielvorgabe des § 2 Satz 1 am ehesten entspricht (vgl. Laubenthal 2011 Rdn. 161). Die Gefangenen sollen nicht bloßes Objekt des Vollzuges sein, sondern vielmehr aktiv einbezogen werden in die Bemühungen, ihr Leben sozial- und eigenverantwortlich zu gestalten. Um dieses Ziel zu erreichen, werden Leistungen angeboten, aber auch Leistungen gefordert. Ziel dieser Strategie zur Aktivierung ist es, die Gefangenen aus dem Zustand der Lethargie des „Absitzens“ zu lösen, ihre Eigeninitiative zu wecken und ihre Mitwirkungsbereitschaft zu erhöhen. Aufgabe des Vollzuges ist es, die Behandlungsbemühungen auf jeden Gefangenen zu richten, das Ausmaß der aktiven Mitarbeit aber ständig zu überprüfen. Motivationsaufbau und Motivationskontrolle müssen in gleicher Gewichtung erfolgen. Gefangene, die besondere Leistungen der Anstalt in Anspruch nehmen wollen, müssen Gegenleistungen erbringen, die auch in gemeinnütziger Arbeit wie Gartenpflege, Sportplatzdienste, Renovierungsarbeiten u. a. bestehen können. Das Konzept, das sich in vielen Vollzugsanstalten bereits in der Erprobungs- und Umsetzungsphase befindet, hat erhebliche Auswirkungen auf die sog. Binnendifferenzierung der Anstalten und die Vollzugsgestaltung insbesondere Best
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für solche Gefangene, die sich trotz aller Bemühungen nicht als mitarbeitsbereit erwiesen haben. Die Leitidee von Leistung und Gegenleistung hat im Lichte der Diskussion um das Urteil des BVerfG zur „Gefangenenentlohnung“ (vgl. dazu Rdn. 2 vor § 71) eine neue Dimension zur Ausgestaltung „angemessener Anerkennung“ erhalten. Eine arbeitsmarktorientierte Entlassungsvorbereitung entspricht diesen Vorgaben (Wirth 1998, 2003, 2006). Auch im Sozialleistungsrecht setzt sich als neues sozialstaatliches Prinzip der Grundsatz „Fördern und Fordern“ zunehmend durch, vgl. Rdn. 6 zu § 74). V. Chancenvollzug als Konzept der Strafvollzugspolitik Das ähnlich strukturierte Konzept „Niedersächsischer Chancenvollzug“ vom 1.12. 5 2006 (Steinhilper 2006, 687; zur Definition und Geschichte vgl. Schwind 2009, 764 ff) unterscheidet zwischen einer Grundversorgung mit umfangreichen Betreuungs- und Beratungsleistungen für alle Gefangenen und der Förderung und Therapie (verhaltensändernde Maßnahmen) sowie schulischer und beruflicher Qualifizierung für solche Gefangene, die bereit sind, am Vollzugsziel mitzuarbeiten. Die Eigenverantwortung der Gefangenen und damit ihre Bereitschaft, am Vollzugsziel mitzuarbeiten, werden damit konsequent eingefordert. Qualifizierende und verhaltensändernde Maßnahmen, die über die für alle Gefangenen garantierte Grundversorgung hinausgehen, werden als Chancen für die Gefangenen gesehen, deren Teilhabe auf dem Dreiklang von „Brauchen – Können – Wollen“ beruht. Die Bedürftigkeit als objektive Notwendigkeit eines Angebotes für die Gefangenen wird zunächst auf der Grundlage einer Behandlungsuntersuchung festgestellt und im Vollzugsplan als förderlich und sinnvoll für die Erreichung des individuellen Vollzugs(teil)ziels bezeichnet (Nds. LTDrucks. 15/3565, 69, 88 ff). Von den Gefangenen wird erwartet, dass sie nach ihren individuellen Fähigkeiten in der Lage sind, das Angebot für sich zu nutzen, und ferner zur Mitarbeit am Vollzugsziel bereit sind. Alle über die Grundversorgung hinaus gehenden Angebote der Förderung und Therapie sowie der schulischen und beruflichen Qualifizierung werden in einem umfangreichen, ständig aktualisierten Behandlungsatlas dokumentiert. Nach der Gesetzesbegründung zu § 6 NJVollzG (LT-Drucks. 15/3565, 90) soll Wohlverhalten weder „belohnt“ noch fehlende Mitwirkung „bestraft“ werden. Demgegenüber betont § 5 HmbStVollzG ausdrücklich – und in gewisser Weise konsequenter – in Abs. 2 den Belohnungscharakter des gewollten motivierenden Vollzugs, indem die Bereitschaft zur Mitwirkung durch Maßnahmen der Belohnung und Anerkennung gefördert werden kann, soweit die Beteiligung an Maßnahmen wie auch besonderer Einsatz und erreichte Fortschritte angemessen zu berücksichtigen sind. Die Gesetzesbegründung (Bürgerschafts-Drucks. 19/2533 S. 52) führt dazu aus: „Denkbar sind Anerkennungen und Belohnungen im Leistungsbereich, bei der Freizeitgestaltung, in den Kontaktmöglichkeiten und durch andere geeignete Maßnahmen. Die Vorschrift beachtet insoweit Nummer 70 der Mindestgrundsätze der Vereinten Nationen für die Behandlung der Gefangenen. Gefangenen sollen Erfolgserlebnisse vermittelt werden, die ihr Selbstwertgefühl und ihre Motivation nachhaltig stärken. Solche positiven Anreizsysteme können als Teil der Gesamtkonzeption sinnvoll eingesetzt werden, um Anstöße zu Verhaltensänderungen zu geben und Umdenkprozesse einzuleiten. Gleichzeitig werden die Anstalten darauf zu achten haben, dass die Gefangenen Anerkennungen nicht durch bloße Anpassung erreichen, sondern damit auch eine entsprechende bessere Einsicht einhergeht.“ Ausgangspunkt des Chancenvollzugskonzeptes ist, dass jeder Gefangene einen Anspruch auf soziale Integration hat und sich die Vollzugsbehörden nachhaltig um jeden Gefangenen bemühen müssen. Weil die Erreichung des entsprechenden Vollzugszieles 673
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aber notwendigerweise die Mitarbeitsbereitschaft der Gefangenen voraussetzt, sollen deswegen resozialisierende Maßnahmen nicht mehr angeboten oder aufrechterhalten werden müssen, wenn sie mangels Mitarbeitsbereitschaft des Gefangenen endgültig nicht mehr Erfolg versprechend sind. Das Anbieten von Maßnahmen von vornherein von der Mitarbeitsbereitschaft der Gefangenen abhängig zu machen, wäre auch nach diesem Konzept verfassungsrechtlich bedenklich (Gesetzesbegründung NJVollzG LT-Drucks. 15/ 3565 S. 90, wonach der Chancenvollzug lediglich eine Akzentverschiebung und keine Abkehr von dem Konzept des Behandlungsvollzugs darstellen soll; so auch Schwind 2009, 779). Insgesamt ist aber bei der Ausgestaltung der Sozialen Hilfe darauf zu achten, dass durch den Chancenvollzug bzw. motivierenden Vollzug nicht voreilig statische Zuordnungen erfolgen, die einen „Zwei-Klassen-Vollzug“ befürchten lassen. Strategien zur sozialen Integration einer immer schwieriger werdenden Klientel müssen alle Anstrengungen beinhalten, bei den Gefangenen den Willen zur Änderung ihrer Einstellung und ihres Verhaltens zu wecken und im Einklang mit der Bedürftigkeit die Mitarbeitsbereitschaft in kleinen Schritten dynamisch zu entwickeln. Das gilt insbesondere für antriebsarme Gefangene, die erst durch eine aktivierende und sensibilisierende Förderplanung zu einer solchen Mitwirkung ermutigt werden können. Hieran zeigt sich, dass die Einstufung zwischen „Grundversorgung“ und „Anspruch auf individuelle Behandlung“ (Steinhilper 2006, 687) eine Gratwanderung sein kann. Denn nach der Gesetzesbegründung wird die festgestellte negative Mitarbeitsbereitschaft bei den anzustellenden Prognoseentscheidungen zu berücksichtigen sein, insbesondere bei der Verlegung in den offenen Vollzug, der Gewährung von Vollzugslockerungen und bei den Stellungnahmen der Vollzugsbehörde gemäß § 57 StGB (LT-Drucks. 15/3565, 88). Die Beratungs- und Betreuungsangebote der Anstalt müssen aber gezielt darauf gerichtet werden, bei den Gefangenen Eigeninitiative und Verantwortungsbewusstsein für ihre Angelegenheiten aufzubauen und zu stärken, um sie dadurch zu befähigen, in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen (vgl. auch Art. 75 BayVollzG). Zum Umfang und zur Qualität persönlicher Hilfe, auch im Hinblick auf die Abgrenzung zu den Sozialleistungen: Rdn. 5 ff zu § 71. VI. Soziale Hilfe im Verbundsystem der Straffälligenhilfe als Übergangsmanagement 6
Der vom Gesetzgeber eröffnete Handlungsspielraum für die soziale Hilfe kann nur dann genutzt werden, wenn die Vollzugsbehörden die notwendigen Maßnahmen nicht allein erledigen, sondern weitere staatliche und kommunale Institutionen, freie Träger sowie ehrenamtlich tätige Gruppen und Personen in die Arbeit einbeziehen. Insoweit muss der Grundsatz der Zusammenarbeit zwischen allen Beteiligten innerhalb und außerhalb der Institution Vollzug (§ 154 Abs. 2) auch für die Auslegung der sozialen Hilfe nach §§ 71 ff Bedeutung haben (Kerner 1977, 79; zur Informationsweitergabe Rdn. 3 und 9). Solche „Orientierungsmarken“ des Gesetzgebers verpflichten die Vollzugsbehörden, in der Praxis Betreuungskonzepte zu erproben und konkrete Umsetzungsarbeit einer durchgehenden Betreuung zu leisten. Es müssen inhaltliche Schwerpunkte gesetzt und koordinierende Absprachen mit der freien Wohlfahrtspflege, der privaten Straffälligenhilfe, den Sozialleistungsträgern, der Bewährungshilfe usw. entwickelt werden. Durch solche Modellvorhaben mit praxisbegleitender Forschung (vgl. dazu Rdn. 15 zu § 166) könnten Erkenntnisse für die Betreuungsmethodik gewonnen werden, die zur Zeit äußerst vielfältig, aber hinsichtlich Aufwand und Nutzen für die Praxis völlig ungesichert ist (zur Behandlungstypologie K/S-Kaiser 2002 § 10 Rdn. 16; zum BehandlungsbeBest
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griff und -erfolg: K/S-Kaiser 2002 § 3 Rdn. 34 und K/S-Schöch 2002 § 5 Rdn. 14–18 sowie § 4 Rdn. 8). Ein Musterfall solcher Erprobungsmethodik ist das Übergangsmanagement, das nicht nur wegen der EU-Förderung eine europäische Handschrift trägt und den wichtigsten Rückfallrisiken entgegensteuern soll: Arbeit, Wohnung, Kontakte, Mittellosigkeit und Verschuldung. Betreuung und Unterstützung muss gerade in der sensiblen Phase der Entlassungslücke, d. h. in den ersten Wochen nach der Entlassung, durchgehend geleistet werden. Innerhalb der EU-Strukturfonds-Förderperiode 2007–2013 fördert das BMAS im Rahmen des Bundesprogramms „XENOS-Leben und Arbeiten in Vielfalt“ aus ESF-Mitteln diverse Projekte zur beruflichen und sozialen Wiedereingliederung von Straffälligen und (ehemaligen) Strafgefangenen (vgl. Boumaiza/Heister BewHi 2010, 5 f). Die Länder nutzen dieses Programm in vielfältiger Weise, z. T. länderübergreifend in Resozialisierungsverbänden (vgl. Roos/Weber FS 2009, 62 und das Schwerpunktheft Heft 1 BewHi 2010). Allerdings müssen nicht nur die Freien Träger der Straffälligenhilfe, sondern auch die ambulanten sozialen Dienste der Justiz in diese Projektarbeit einbezogen werden, die durch formelle Kooperationsvereinbarungen abgesichert werden muss (vgl. z. B. für Niedersachsen die AV Übergangsmanagement vom 12.7.2011 Nds. Rpfl. 2011, 257). Alle zu gewährenden sozialen Hilfen, die gesetzlichen Möglichkeiten der Entlassungsvorbereitung und die Pflicht zur Zusammenarbeit mit Personen und Stellen außerhalb des Vollzuges müssen konsequent auf die Gewährleistung einer durchgängigen Betreuung der Gefangenen ausgerichtet werden. Es sollte zum gesetzlichen Aufgabenkatalog der Vollzugsbehörden erklärt werden, auf eine durchgängige Betreuung der Gefangenen hinzuwirken und hierbei die Möglichkeiten zur Vernetzung der hierfür erforderlichen Daten soweit wie möglich auszuschöpfen. Die in § 68 NJVollzG schwerpunktmäßig geregelte Verpflichtung der Vollzugsbehörden, auf eine nachgehende, d. h. möglichst durchgehende Betreuung der Gefangenen hinzuwirken, und sich damit um eine verzahnte Zusammenarbeit mit den sozialen Diensten außerhalb des Vollzuges zu bemühen, ist anzuerkennen und entspricht in vollem Umfang der Bedarfslage. Bei der Ausgestaltung der sozialen Hilfe nach §§ 71 ff müssen folgende Grundsätze berücksichtigt werden: – die stärkere Einbindung des Strafvollzugs in das Gesamtsystem der örtlichen/regionalen Straffälligenhilfe (z. B. durch Arbeitsgemeinschaften nach § 4 SGB XII) – ein frühzeitiger Beginn von Maßnahmen der sozialen Hilfe, die nach dem Prinzip der durchgehenden Betreuung (vgl. Böhm 2003 Rdn. 575) in die Zeit nach der Entlassung ausstrahlen (z. B. über Bewährungshilfe oder Anlaufstellen für Straffällige; Rdn. 10 f und 18 zu § 74) – stärkere Gewichtung des sozialen Umfeldes (Familie, Nachbarschaft usw.), um die Eingliederungschancen zu erhöhen (Einsatzfeld für ehrenamtliche Mitarbeit) – stärkere Umsetzung lebenspraktischer Hilfen für Bereiche, die besonders rückfallbelastet sind (z. B. Arbeitslosigkeit, Schulden, Freizeitprobleme, Partnerbeziehungen; zur Schuldenregulierung: Rdn. 7–13 zu § 73; zum Konzept des „Sozialen Trainings“: Rdn. 15 zu § 74). Dieses Rahmenkonzept der sozialen Hilfe kann nur dann verwirklicht werden, wenn die Leistungen innerhalb und außerhalb des Vollzugs organisatorisch gebündelt und anstaltsübergreifende Hilfesysteme gestaltet werden (Rdn. 17 f zu § 74). Erst bei diesen Rahmenbedingungen könnten dann schrittweise die Störfaktoren der sozialen Hilfe abgebaut werden, die sich neben der ungesicherten Methodik des Behandlungskonzepts vor allem aus dem hohen Prozentsatz von Rückfalltätern in der Gefangenenpopulation, der großen Fluktuation innerhalb der Anstalten mit wachsendem Verwaltungsaufwand für den sozialen Dienst und der stärkeren Belastung durch besondere Randgruppen, 675
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Vor § 71
Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
insbesondere Drogenabhängige und ausländische Gefangene, sowie aktuellen Mängellagen wie insbesondere der Wohnungsnot, zunehmender Verschuldung, Defiziten im Arbeitsverhalten, steigendem Anteil der Sexualstraftäter und wachsender Gewaltbereitschaft ergeben. Vgl. zur Anzahl ausländischer Gefangener im Vollzug § 31 Rdn. 3, § 141 Rdn. 11. Zur Entlassungsvorbereitung bei ausländischen Gefangenen § 74 Rdn. 11. In der aktuellen internationalen Diskussion über den Justizvollzug im Wandel und die notwendigen Veränderungsprozesse wird auch das Rahmenkonzept der sozialen Hilfe von folgenden Aspekten besonders betroffen: Kapazitätsprobleme, bauliche Strukturfragen, personelle Führungs- und Steuerungskonzepte sowie Fragen zu Qualitätsstandards im Sicherheitsbereich und bei der Betreuung von Gefangenen, aber auch die Suche nach Alternativen zum Freiheitsentzug (vgl. Best 1997a, 41). Ein europäisch orientiertes Rahmenkonzept des aktivierenden Behandlungsvollzugs (Rdn. 4) setzt voraus ein: a) vernetztes Übergangsmanagement (Rdn. 6) vom Strafvollzug in den Nachsorgebereich – mit allen relevanten Akteuren unter Aufbau und Nutzung von Strukturen und Netzwerken (Soziale Dienste der Justiz, freie Straffälligenhilfe, Agentur für Arbeit, Bildungsinstitutionen, Kammern, Sozialleistungsträger, soziale Gruppen, etc.) b) kooperatives Wissensmanagement für den Strafvollzug – in überregionalen und auch internationalen Informationsverbünden und transnationalen Netzwerken unter besonderer Berücksichtigung der von Europarat und Europäischer Kommission verfolgten Ziele und praktizierten Projektarbeit (insbesondere die Beachtung der Europäischen Strafvollzugsgrundsätze „European Prison Rules“ (vgl. Rdn. 10): Masterplan zur Gestaltung der rechtlichen, finanziellen und organisatorischen Rahmenbedingungen, Verstärkung des Betreuungsvollzugs, Personalentwicklung, Programmentwicklung für Ausund Fortbildung der Führungskräfte, Projektmanagement u. a.); c) (Ko-)Finanzierungsmanagement für innovative Wiedereingliederungsprojekte auf interregionaler und europäischer Ebene (EQUAL – Entwicklungspartnerschaften Strafvollzug, ESF-Projekte – Europäischer Sozialfonds (vgl. Rdn. 10), TAIEX, EUJUST LEX, EuropeAid u. a.) VII. Neuorganisation der sozialen Dienste der Justiz? 7
Ein Bedarf für gesetzgeberische Maßnahmen, die in dem „Diskussionsentwurf des Arbeitskreises sozialdemokratischer Juristen für ein Bundesresozialisierungsgesetz“ (BResoG, Stand: Juni 1988, vgl. Arbeitskreis Rechtswesen der SPD-Bundestagsfraktion (Hrsg.), Wiedereingliederung Straffälliger durch nicht freiheitsentziehende Maßnahmen, Dokumentation der Anhörung vom 30.1.1990, Bonn 1990) vorgeschlagen wurden, ist derzeit hinsichtlich der Organisationsstruktur nicht erkennbar, aber wieder aktuell. Denn neuerdings sieht der ADB e. V. als Zusammenschluss der hauptamtlichen Bewährungshelferinnen und Bewährungshelfer in der Neuorganisation als Landeseigenbetrieb mit einer Geschäftsführung aus der eigenen Profession, professionellem Personalmanagement sowie definierten Standards und Methoden die Zukunft der Bewährungshilfe. Sie soll sich als vierte Säule in der Justiz neben Gericht, Staatsanwaltschaft und Vollzug etablieren und nicht länger als „Fünftes Rad am Wagen der Dritten Gewalt“ fungieren. Als Vision wird die Neuauflage eines BResoG mit dem Ziel eines bundesweit einheitlichen sozialen Dienstes „statt des gegenwärtigen föderalen Durcheinanders und der Privatisierungsdebatten“ skizziert (vgl. Rdn. 9). Die strukturelle Neuorganisation von Sozialarbeit im Vollzug, Bewährungshilfe und Gerichtshilfe sollte die „ultima ratio“ bleiben. Die Frage ihrer Verwirklichung stellt sich erst dann, wenn im Rahmen einer „Strategie des kontrollierten Wandels“ vorhandene Kooperationsmängel analysiert, neuere Ansätze – auch in Flächenstaaten – schrittBest
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weise erprobt sind und die Diskussion um die Inhalte der sozialen Arbeit abgeschlossen ist. Verkannt werden darf auch nicht die Gefahr der Bürokratisierung und Hierarchisierung, die sich durch den geplanten Aufbau gesonderter Behörden mit eigener Dienstund Fachaufsicht ergibt. Abzulehnen sind insbesondere Bestrebungen, die Sozialarbeit aus dem Vollzug herauszulösen und nur noch von einem (externen) „Sozialdienst im ambulanten Bereich“ durchführen zu lassen. Dies würde die Einflussmöglichkeiten der Sozialarbeit im Vollzug erheblich schwächen; angesichts der eher negativen Erfahrungen mit der vollständigen Herauslösung der Sozialarbeit aus den Anstalten in England sind gegen eine solche Planung zumindest Vorbehalte anzumelden (ebenso Dünkel 1990, 189). Eine Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen Vollzug und externen Diensten ist vorrangig über eine pragmatische „Reform von unten“ auf Länderebene zu erreichen. Dies um so mehr, als sich der Entwurf des BResoG von der Zielsetzung leiten lässt, den Sozialarbeiter im Vollzug aus der Anstalt und den Bewährungshelfer aus der gesetzlichen Anbindung an den Richter herauszulösen und die richterliche Fachaufsicht durch eine administrative Dienst- und Fachaufsicht zu ersetzen. Die starke Anbindung an den Richter ist aber zugleich eine Gewähr für die Akzeptanz des Rechtsinstituts der Bewährungshilfe. Der erhebliche Anstieg der Fallzahlen – bei gleichzeitigem Anstieg der Gefangenenzahlen – ist ein deutlicher Beleg dafür, dass diesem sozialen Dienst der Strafrechtspflege (auch unter dem Aspekt von Hilfe und Aufsicht) ein wirkungsvoller Rückfall vermindernder Beitrag zugetraut wird (vgl. dazu Rdn. 18 zu § 74). Die Frage, in welcher Rechts- und Organisationsform die nötigen Änderungen zu erfolgen haben, ist insgesamt weniger entscheidend als das Ziel, die fachlichen Bedingungen zu verbessern, neue Methoden und Standards zu entwickeln und flexible Strukturen für die Zusammenarbeit mit den Sozialen Diensten der Justiz und den freien Trägen zu schaffen (Jehle 2003, 50; Klug 2008, 9). Zwischen den Ländern ist eine Art „Wettbewerb der Ideen“ zu verzeichnen, mit welchen Standards und Inhalten „Ambulante Soziale Dienste der Justiz“ im Reformprozess gestaltet werden können. Trotz der unterschiedlichen und höchst unübersichtlichen Ausgestaltung der Strukturen zeichnet sich folgender Trend ab: Einführung eines zentralisierten fachlich-strategischen Managements zur effizienten Steuerung des Ressourceneinsatzes zwecks optimaler Ausschöpfung des Potenzials, fachliche Qualitätskontrolle und Qualitätsmanagement, Bündelung der Dienstaufsicht durch kurze Entscheidungs- und Lenkungswege, Schaffung eines Übergangsmanagements hinsichtlich der Schnittstellenproblematik und Entwicklung neuer fachliche Schwerpunkte für Probanden mit erhöhter Risikoeinstufung. Die Zielsetzung, den Stellenwert der ambulanten Justizsozialarbeit innerhalb der Justizorganisation zu erhöhen und eine eigene „corporate identity“ zu schaffen, ergibt sich aus dem Bestreben der Landesjustizverwaltungen, einen durchstrukturierten Stellenkegel mit Leitungsfunktionen zu entwickeln. Damit soll auch ein „Gegengewicht“ des ambulanten Netzwerks gegenüber der ressourcenstarken Vollzugsorganisation aufgebaut werden (zur Qualitätsentwicklung und einem zentralen Management in den Sozialen Ambulanten Diensten der Justiz z. B. für Bayern: Koordinierungsstelle München 2007; für Berlin: Cornel 2006, S. 99 ff, 2008; für Niedersachsen: Justizministerium 2003, Scherrer 2008, 284; für Rheinland-Pfalz: Justizministerium 2004 und für Sachsen-Anhalt: Ministerium der Justiz 2008). Vereinzelt gibt es auch Strategien zur Verschmelzung von Sozialen Diensten des Vollzuges mit den ambulanten Sozialen Diensten der Strafrechtspflege, die aus der Dienstaufsicht der Gerichte und Staatsanwaltschaften herausgelöst und der Vollzugsbehörde unterstellt wurden (so in Mecklenburg-Vorpommern: Jesse/Kramp 2008, 14). Damit wird die Schwelle des vernetzten Übergangsmanagements überschritten (zu den Gründen der Ablehnung dieser Strategie vgl. Rdn. 19 zu § 74). 677
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Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
VIII. Länderspezifische Konzepte der durchgehenden Betreuung 8
Eine neue Dimension hat sich durch die Privatisierungsstrategie bei den Sozialen Diensten der Justiz entwickelt. In Baden-Württemberg hat am 1.1.2007 die gemeinnützige NEUSTART GmbH als freier Träger nach einem zweijährigen Pilotprojekt in den Bezirken Stuttgart und Tübingen die Aufgaben der Bewährungs- und Gerichtshilfe landesweit übernommen (vgl. dazu Stelly/Thomas 2008, 276 f). Bei einheitlichen Qualitätsstandards und einer transparenten Fachaufsicht unterstehen der eGmbH, die sich als Dienstleistungsbetrieb versteht und eine „Effizienzrendite“ von 10–15 Prozent erarbeiten muss, derzeit rund 370 haupt- und 250 ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die jährlich ca. 20.600 Klienten in der Bewährungshilfe betreuen, 2.700 Erhebungen im Kontext der Gerichtshilfe durchführen und in 1.000 Fällen den TäterOpfer-Ausgleich durchführen. Allerdings ist die erfolgte Übertragung von Dienstherrenbefugnissen (Fachaufsicht, Weisungsbefugnisse) für die beschäftigten beamteten Justizbediensteten an den privaten Träger wegen der Qualität einer hoheitlichen Tätigkeit zur Erfüllung eines gesetzlichen Auftrags sehr problematisch. Die Entwicklung in den übrigen Ländern macht deutlich, dass Qualitätsverbesserung und kostenbewusstes Management auch unmittelbar von der Justizverwaltung geleistet werden kann. Kernaufgaben der Justiz als Bestandteil eines Resozialisierungskonzepts sollten keinesfalls privatisiert werden, vor allem nicht mit der Zielsetzung, eine Rendite zu erwirtschaften (vgl. Best 2005, 136, 150 ff). Daraus könnten sich auch Sicherheitsrisiken ergeben (zur aktuellen Debatte: DBH 2007; Sterzel, 2008, 52 ff zur Ablehnung einer Verlagerung von Hoheitsaufgaben auf Private aus verfassungsrechtliche Gründen (zur Privatisierung des Vollzugs: Rdn. 10; zur Strukturreform im nationalen und europäischen Kontext vgl. Rdn. 10). Die Akzeptanz der ambulanten Sozialen Dienste der Justiz in Kriminalpolitik und Strafrechtspraxis ist unbestritten. Der Erste Periodische Sicherheitsbericht der Bundesregierung (Berlin 2001, 394 ff) hatte klargestellt, dass sich diese Dienste als zentrale Pfeiler einer auf Vermeidung des Freiheitsentzugs ausgerichteten Kriminalpolitik etabliert und bewährt haben. Allerdings sei das Potenzial, das die Justiz und die justiznahen Einrichtungen, professionelle Hilfesysteme usw., aufweisen würden, noch nicht ausgeschöpft (dazu der Zweite Periodische Sicherheitsbericht der Bundesregierung, Berlin 2006). Im Vordergrund sollten daher zunächst inhaltliche, nicht organisatorische Veränderungen im Feld der Entlassungsvorbereitung und Nachbetreuung zur Gewährleistung der durchgehenden Hilfe stehen (vgl. auch aus Sicht des Vollzugs: Wirth 1994, 314 ff). Diese ist ohne die Mitwirkung der Ambulanten Sozialen Dienste und die freie Straffälligenhilfe nicht leistbar. Nach dem Prinzip der durchgehenden Betreuung sind Projekte im Stadtstaat Bremen erprobt worden (dazu Der Senator für Justiz und Verfassung der Freien Hansestadt Bremen 1991; Matt 2003, 81 ff; ders. 2007). In den Flächenstaaten, in denen die Betreuung durch ein- und denselben Mitarbeiter während der verschiedenen Verfahrensabschnitte vor, während und nach der Entlassung kaum sichergestellt werden kann, richten sich die Anstrengungen auf die inhaltliche Verbesserung der Entlassungsvorbereitung und der Entlassenenhilfe (z. B. für Baden-Württemberg Rebmann/Wulf 1990, 9 ff; für Hessen vgl. die LT-Drucks. 15/3686 vom 21.2.2002; für NRW vgl. AG der Freien Wohlfahrtspflege Dokumentation der vom Justizministerium NRW geförderten Projekte für den Bereich der Straffälligenhilfe, Düsseldorf 2003; für Schleswig-Holstein vgl. Maelicke 1999, 249 ff; für Sachsen-Anhalt vgl. Ministerium der Justiz 2008, 26 ff unter Hinweis auf das duale Hilfesystem von freier Straffälligenhilfe und Sozialen Diensten von Justiz und Best
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Vorbemerkung
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Justizvollzug, SoJus-Projekt, Integrierte Führungsaufsicht und forensische Ambulanz, Zebra-Zentrum für Entlassungshilfe, Beratung, Resozialisierung und Anlaufstelle). Das Konzept „Integrierte Resozialisierung“ setzt eine vollzugsübergreifende Integrationsplanung, die Nachsorge und ein verbessertes Netzwerk-Management voraus, um nachhaltige Eingliederungserfolge mit Reduzierung der Rückfallgefahr realisieren zu können. Für die Kooperation zwischen den ambulanten und stationären Maßnahmen muss ein Netzwerkmanagement für die Schnittstellen sichergestellt sein (Sandmann, FS 2007, 224 ff; vgl. auch Stelly/Thomas 2008, 270 unter Hinweis auf den aktuellen Forschungsbericht „Straffälligenhilfe unter Veränderungsdruck“ mit Angaben zur Zuwendungspraxis in den Ländern). Die Vernetzung anstelle der Versäulung wird auch unterstützt durch den Bericht der Fachkommission „Optimierung der ambulanten und stationären Resozialisierung in Hamburg“, vgl. die Empfehlungen FS 2011, 268. Das Ziel der durchgehenden Betreuung wurde und wird z. B. in Niedersachsen in Form eines landesweiten Schwerpunktprogramms verfolgt (Best 1992, 377; ders. 1994 b, 131; Scherrer BewHi 2008, 284; zur gesetzlichen Landesregelung: § 68 Abs. 2 und 5 NJVollzG: dazu auch Abschn. III zu § 71). Bestandteile waren und sind u. a.: – die verstärkte (möglichst heimatnahe) Unterbringung von Gefangenen im offenen Vollzug (2006 19,1%) gegenüber 15,9% im Bundesdurchschnitt (vgl. Dünkel/Geng FS 2007, 16 unter Hinweis auf restriktivere und höchst unterschiedliche Praxis in den Ländern); – die Einrichtung von Entlassungstrainings und Entlassungsabteilungen, auch zur Förderung der Arbeitskontakte mit der Bewährungshilfe und freien Trägern; – die Regelung des Verfahrens zur frühzeitigen Entlassungsvorbereitung bei Aussetzung des Strafrestes mit – je nach Vollzugsdauer – gestaffelten Vorlagefristen für die Abgabe der Stellungnahmen an die Strafvollstreckungskammern (AV des MJ von 8.7.1997 – NdsRpfl. 153); – die ortsnahe Einrichtung von (auswärtigen) Strafvollstreckungskammern; – die Bildung regionaler Arbeitsgemeinschaften für mit der Entlassung befasste Institutionen (Strafvollstreckungskammer, JVA, Bewährungshilfe u. a.); – die verstärkte Fortbildung für Richter von Strafvollstreckungskammern, Vollzugsbedienstete, Bewährungshelfer u. a. i. S. der Außenorientierung des Vollzuges; – die finanzielle Förderung von 14 Anlaufstellen für Straffällige aus Mitteln der Gefangenen- und Entlassenenfürsorge (mit einem Anteil von etwa 40% am jährlichen Gesamtvolumen der Gesamtausgaben für die Anlaufstellen; zu den Anlaufstellen vgl. Rdn. 11 zu § 74 und die website http://die-anlaufstellen.de/index.php); – die Regelung der Zusammenarbeit zwischen Vollzug und Anlaufstellen (Abschnitt 37 NAV – Nr. 3 zu § 74, AV des MJ von 17.10.2001, NdsRpfl. 450, und v. 21.5.2007, Nds. Rpfl. 214); – die verstärkte Schuldnerberatung und Schuldenregulierung für Strafgefangene unter Mitwirkung von nebenamtlichen Fachkräften (u. a. Bankkaufleute) in Zusammenarbeit mit der Stiftung Resozialisierungsfonds (vgl. Abschnitt 35 NAV Nr. 1 zu § 74, AV des MJ von 17.10.2001, NdsRpfl. 450, und v. 21.5.2007, Nds. Rpfl. 214; Rdn. 12 zu § 73); – der Ausbau der aufsuchenden Sozialarbeit durch externe Träger zur Betreuung von suchtgefährdeten und suchtkranken Gefangenen im Rahmen eines Übergangs zwischen Vollzug und Therapie (vgl. auch Abschnitt 27 NAV Nr. 1 zu § 56: AV des MJ von 17.10.2001, NdsRpfl. 450); – der Ausbau des sozialen Trainings (vgl. Rdn. 15 zu § 74); 679
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die Verstärkung der ehrenamtlichen Mitarbeit im Bereich der Entlassungsvorbereitung (Abschnitt 51 NAV, Nr. 3 zu § 154: AV des MJ von 17.10.2001, NdsRpfl. 450, und 21.5.2007, Nds. Rpfl. 214); die finanzielle Förderung von 12 Wohnheimprojekten als Maßnahme der Entlassungsvorbereitung und Entlassenenhilfe (Best 1994 a, 86); die finanzielle Förderung der aufsuchenden Sozialarbeit in freier Trägerschaft für ausländische Gefangene (vgl. § 74 Rdn. 14); der Aufbau von 29 berufsqualifizierenden Projekten für Probanden der Bewährungshilfe und Haftentlassene, gefördert aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds (ESF), vgl. Best 1994a, 86, vgl. Richtlinie über die Gewährung von Zuwendungen zur Förderung der beruflichen Qualifizierung und Integration von arbeitslosen Straffälligen, Erl. d. MJ v. 23.11.2007, Nds. MBl. 2007, 1724 ff; ab 1.1.2009 „Ambulanter Justizsozialdienst“, entwickelt aus dem Projekt JustuS (Justiz und Sozialarbeit,; zur Organisation des Qualitätsentwicklungsprojektes vgl. Scherrer BewHi 2008, 284; Anordnung über Organisation, Aufgaben und Dienstbetrieb des Ambulanten Justizsozialdienstes der Strafrechtspflege in Niedersachsen und der Führungsaufsichtsstellen sowie über die Wahrnehmung der Aufgaben der Opferhilfe im Rahmen der Stiftung Opferhilfe und der AussteigerhilfeRechts (AV AJSD), AV d. MJ. v. 28.1.2009, Nds. Rpfl. 2009 Nr. 3, S. 82, ber. S. 155; Konzeption zum Umgang mit rückfallgefährdeten Sexualstraftätern als Äquivalent zu dem in Bayern entwickelten HEADS mit verpflichtender kollegialer Beratung für sozialarbeiterisches Risikomanagement bei der Arbeit mit Probanden mit erhöhter Risikoeinstufung (vgl. Scherrer 2008, 284, 289); die gesetzliche Verankerung des Prinzips der durchgehenden Hilfe im Niedersächsischen Vollzugsgesetz (§ 68 NJVollzG); Aktualisierte Kooperationsvereinbarungen zum Übergangsmanagement zwischen Justizvollzug, Ambulanter Justizsozialdienst und Anlaufstellen (AV Übergangsmanagement). Die AV vom 12.7.2011 Nds. Rpfl. 2011, 257 regelt die Kooperation zwischen den Justizvollzugsanstalten, dem Ambulanten Justizsozialdienst Niedersachsen und den freien Trägern der Straffälligenhilfe; Das von ESF und XENOS geförderte Projekt „AMOR- Arbeitsmarktorientierte Resozialisierung „ für Strafgefangene, mit dem Standards für die Entlassungsvorbereitung und Nachbetreuung (besonders) von Gefangenen mit Migrationshintergrund entwickelt und erprobt werden. IX. Informationsmanagement und Privatisierungsmodelle
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Derartige Aufbauerfahrungen mit Netzwerken und Verbundsystemen in den einzelnen Ländern sind von der Leitidee bestimmt, dass erfolgreiche Arbeit im Strafvollzug sowohl einer aktivierenden Entlassungsvorbereitung als auch einer umfassenden Nachsorge in der Zeit der frühen Entlassungsvorbereitung bedarf. Dabei kommt sowohl dem Informationsmanagement als auch dem Case Management grundsätzliche Bedeutung zu. Hierbei handelt es sich um die klassischen Strukturprobleme an der Nahtstelle des Übergangs von der Anstalt in die Freiheit. Die Informationserhebung und Weitergabe der gewonnenen Erkenntnisse ist hierbei nur ein Aspekt (zur Frage der Datenweitergabe vgl. Rdn. 3 und Rdn. 14 zu § 73). Entscheidender sind die stärkere Außenorientierung des Vollzugs mit einer fachlichen Kooperation, die intensive Abstimmung von Plänen und die koordinierte Zusammenarbeit aller Beteiligten durch Netzwerkbildung. Case Management als Controlling-Aufgabe hat die Bausteine der inhaltlichen Organisation des aktuellen und präsentierbaren Wissens zu verbinden und zu prüfen, ob die Institutionen ihre Best
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Planungen abstimmen, wie sie mit dem Risikomanagement umgehen und den Informationsfluss steuern (vgl. Kerner 2003, 30). Hierbei ergeben sich Parallelen zur Personal- und Organisationsentwicklung sowie zum Qualitätsmanagement. Das „Gefängnis als lernende Organisation“ (Flügge/Maelicke/Preusker 2001) ist hierfür das passende Paradigma. Der Übergang vom stationären Vollzug zur ambulanten Betreuung ist bereits jetzt eng mit der Debatte um die Modernisierung vorhandener System verknüpft. Die „Neuen Steuerungsmodelle“, die sich auf die Analyse und Wirkungsorientierung der Maßnahmen ausrichten, erfordern im Rahmen einer solchen rationalen Kriminalpolitik ein ggf. auch umzusteuerndes Management in den Ressourcen, das sich mit dem Effizienzgedanken und den Kosten-Nutzen-Aspekten befasst und möglicherweise auch neuartige ambulante Überwachungsmaßnahmen schafft. Von Länderseite sind in Übereinstimmung mit der europäischen Praxis bereits Suchbewegungen erkennbar (zum hessischen Projekt „elektronische Fußfessel“ als Bewährungsweisung bzw. Haftvermeidung vgl. Mayer 2007, 12 ff; Haverkamp/Mayer 2003, 216 ff). Eine weitere Suchbewegung im In- und Ausland ist die Privatisierung von Haftanstalten (Best 2005, 136 ff). Hierbei ist die Aufteilung zwischen hoheitlichem Kerngeschäft und Übertragung von Aufgaben an Dritte als sog. Outsourcing im Rahmen der deutschen Privatisierungsdebatte verstärkt in die Diskussion gelangt. Die sozialstaatliche Fürsorgepflicht setzt der Privatisierung aber Grenzen. In staatlicher Regie und Verantwortung müssen zumindest solche Aufgabenfelder aus der Leistungsverwaltung bleiben, die zu den Grundpfeilern des Resozialisierungskonzepts gehören. Für die Soziale Hilfe kann aufgrund des verfassungsrechtlich eingeforderten Resozialisierungsgebots als sozialstaatliche Dienstleistung (BVerfGE NJW 2006, 2095) die Aussage getroffen werden, dass die Behandlungs- und Resozialisierungsaufgaben grundsätzlich „privatisierungsfest“ sind (ebenso C/MD 2008 § 155 Rdn. 3; Best 2006, 1 ff auch mit Blick auf die Auswirkungen der anglo-amerikanischen Kriminalpolitik durch deren Betreiberfirmen auf die europäische Strafrechts- und Vollzugskultur; zu den Grenzen der Vollzugsprivatisierung Laubenthal 2011 Rdn. 44 ff; Mühlenkamp 2008; DBH 2008; Mösinger 2008). Soweit die Steuerungsmodelle darauf abzielen, durch finanzwirtschaftliche, rechtliche und organisatorische Strukturänderungen die fachliche Arbeit zu verbessern und für neue Aufgabenfelder, aber auch für die Arbeit mit speziellen Tätergruppen einheitliche Methoden und Standards zu entwickeln und flexible Strukturen für die Kooperation zu schaffen (Jehle 2003, 50), sollte der Auftraggeber zu einer wissenschaftlichen Evaluation sowie zu einer dementsprechenden Nachbesserung verpflichtet sein. Bisher jedenfalls ist der Nachweis von nennenswerten Kosteneinsparungen nicht erbracht. X. Soziale Hilfe im europäischen Kontext Die Aspekte der Sozialen Hilfe für Strafgefangene gewinnen auch im europäi- 10 schen Kontext immer mehr an Bedeutung. Vgl. EuStVollzGrds, hier insbesondere Teil III und Teil IV. Die vom Europarat im Bereich des Vollzuges und der ambulanten Maßnahmen entwickelten Arbeitsschwerpunkte (Kerner/Czerner, 2005, 1 ff; Albrecht/van Kalmthout 2002; Best 1997 b, 259 ff; ders. 1999b, 49 ff; Jung 1999; Kaiser 1999) wirken sich auch verstärkt auf das deutsche Rechtssystem und die Rechtspraxis aus (vgl. z. B. die Empfehlung des Europarats zum Abbau der Überbelegung: Council of Europe, Recommendation No. R (99) 22 and Report „Prison Overcrowding and Prison Inflation“; zur Internationalisierung der Strafverbüßung und zur Überstellung verurteilter Personen in deren Heimatland vgl. Laubenthal 2011 Rdn. 345 ff; Rdn. 14 zu § 74). Die von Kerner/Czerner (2005) aufbereitete Materialsammlung „Freiheitsentzug – Die Empfehlungen des Europarats 1962–2003“ sind ein kriminalpolitischer Orientie681
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rungsrahmen für die mit Freiheitsbeschränkung und Freiheitsentzug verbundenen Vorstadien, Alternativen und Nachphasen in Europa. Von der Papierform kaum verbesserungsfähig, sind sie Auslegungshilfen für die Praxis, die angesichts der schleichenden Erosion der Menschenrechte durchaus verbesserungswürdig ist. Die ständig neuen und belastenden Anforderungen durch neue Zielgruppen, der Belegungsdruck, ökonomische Sparzwänge und neuartige globale Bedrohungsszenarien stellen hohe Herausforderungen an den Umgang des Staates mit Gefangenen, Probanden und Haftentlassenen. Die europäischen Vereinbarungen und Empfehlungen sollten in Zukunft auch als Gegengewicht zu den partikularistischen Strömungen im Zuge der Föderalismusreform des deutschen Justizvollzuges stärker als bisher auf die landesgesetzlichen Regelungen ausstrahlen. Die Europäischen Strafvollzugsgrundsätze (European Prison Rules 2006, vgl. auch Rdn. 6) enthalten in Nr. 107 differenzierte Regelungen zur Entlassungsvorbereitung und der Planung de Nachbetreuung. Während das Bundesverfassungsgericht diese europäischen Empfehlungen in seiner Rechtsprechung zu Vollzugsfragen berücksichtigt (z. B. in BVerfGE 116, 69, Entscheidung vom 31. Mai 2006 – NJW 2006, 2093), sind die Landesgesetze in der Ausgestaltung und Begründung noch nicht in dem erforderlichen Umfang von dem Prozess der Europäisierung erfasst (vgl. dazu Hamdorf 2008, 74 ff; Dünkel FS 2012, 141). Positiv hervorzuheben ist § 26 HStVollzG. Nach der Gesetzesbegründung (Drucksache 18/1396, 93) soll unter Hinweis auf Nr. 25.3 der Europäischen Strafvollzugsgrundsätze eine Verknüpfung erfolgen mit dem anstaltsübergreifenden Hilfesystem, das möglichst früh einzusetzen hat, um effektiv zu sein, und das nach dem Grundsatz der Betreuungskontinuität bis in die Zeit nach der Entlassung fortwirken soll. Das Angebot zur Hilfe zur Selbsthilfe ist ein Grundpfeiler eines europäisch orientierten integrativen Systems im Rahmen des Übergangsmanagements (vgl. Rdn. 6). Aus den Erkenntnissen der Praxis in den einzelnen europäischen Staaten lassen sich wertvolle Hinweise für die Verbesserung der inneren Struktur und die äußere Einbindung der Vollzugssysteme in das jeweilige gesamtgesellschaftliche Gefüge ziehen, ebenso wie positive und negative Erfahrungen mit der Privatisierung von Haftanstalten (vgl. zur Vollzugsprivatisierung Rdn. 9 m. w. N.). Die unterschiedlichen nationalen und transnationalen Projekterfahrungen und Strategien vermitteln wertvolle Anregungen, wie flexibel die vollzugliche und kriminalpolitische Praxis auf die vielfältigen Anforderungen und neu auftretende Problembereiche im europäischen Kontext zu reagieren hat (vgl. den Tagungsband „Quo Vadis III“ über Reformmodelle in den EU-Staaten: Bremer Institut für Kriminalpolitik (Hrsg.), Bremen 2003). Die mit europäischen Fördermitteln finanzierten transnationalen Projekte haben vielfältige Anstöße für Experimente und Projekterprobungen ausgelöst, die im weiteren Verlauf auch neue und kombinierbare Sanktionen mit aktiver Ausgleichsleistung betreffen können. Im europäischen Kontext ist das gesetzgeberische Bemühen, die gemeinnützige Arbeit im Strafrecht zur Vermeidung von Freiheitsstrafen unter sechs Monaten in stärkerem Maße zur Anwendung kommen zu lassen, in einem besonderen Lichte zu sehen (vgl. BT-Drucks. 15/2725). Die europäischen Varianten der gemeinnützigen Arbeit als selbständige Sanktion und die sog. „intermediate sanctions“ als Sanktionen ohne Freiheitsentzug sollten ein weiteres Erprobungsfeld für neue kriminalpolitische Ansätze sein, insbesondere zur Nutzung vorzeitiger Entlassung aus der Strafhaft (backdoor approach im Vollzug; zur elektronischen Fußfessel Rdn. 9 und Rdn. 16 zu § 74; in Österreich, der Schweiz, England und in den Niederlanden wird die Maßnahme als Strafvollzugslösung im Rahmen der Entlassungsvorbereitung praktiziert). Europäische Netzwerke werden im Rahmen der sich verstärkenden justiziellen Zusammenarbeit innerhalb der erweiterten Union künftig mehr denn je der Auslöser Best
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dafür sein, dass sich nationale und europäische kriminalpolitische Strategien weiter annähern (Kaiser ZRP 2000, 151, 157; Dünkel/Snacken 2001, 195 ff; Müller-Dietz 2006, 621 ff). Harmonisierungstendenzen in der verfassungsrechtlichen europäischen Debatte sind unübersehbar. Die transnationale Zusammenarbeit in „Twinning-Projekten“ des Europarats und der EC muss sich an den europäischen Anforderungsprofilen und Grundprinzipien der neugefassten „European Prison Rules“ (Empfehlung Rec (2006) vom 11.1.2006) sowie der „Community Sanctions and Measures“ (vgl. Empfehlung Rec (2000) 22 vom 29.11.2000) orientieren. Auch daraus ergibt sich die Aktualität des Kapitels „Soziale Hilfe“ in seiner gesamten Vielfalt.
§ 71 Grundsatz § 71 Best Grundsatz Der Gefangene kann die soziale Hilfe der Anstalt in Anspruch nehmen, um seine persönlichen Schwierigkeiten zu lösen. Die Hilfe soll darauf gerichtet sein, den Gefangenen in die Lage zu versetzen, seine Angelegenheiten selbst zu ordnen und zu regeln. Schrifttum S. Vor § 71.
I.
Übersicht Erläuterungen ____ 1–8 1. Rechtsanspruch und Zielvorgabe ____ 1 a) Integrative Hilfe im Rahmen des Übergangsmanagements ____ 2 b) Prinzip der „Hilfe zur Selbsthilfe“ bei Beratungs-, Betreuungs- und Behandlungsmaßnahmen ____ 3, 4 2. Abgrenzung von Strafvollzugsrecht und Sozialhilferecht ____ 5–8 a) Vorrang des Sozialhilferechts ____ 6 b) Vorrang des Strafvollzugsrechts ____ 7
II. III.
c) Rangverhältnis bei Ansprüchen von Angehörigen ____ 8 Beispiel: Weihnachtsbeihilfe-Fall ____ 9 Landesgesetze und Musterentwurf ____ 10–15 1. Baden-Württemberg ____ 10 2. Bayern ____ 11 3. Hamburg ____ 12 4. Hessen ____ 13 5. Niedersachsen ____ 14 6. Musterentwurf ____ 15
I. Erläuterungen 1. Rechtsanspruch und Zielvorgabe. Die Vorschrift gewährt dem Gefangenen ei- 1 nen Rechtsanspruch auf soziale Hilfe und gibt hierfür der Vollzugsbehörde eine klare Zielvorgabe. Danach hat sich die Hilfeleistung an dem Prinzip der Individualität (Rdn. 2) und an dem Prinzip der Hilfe zur Selbsthilfe (Rdn. 3) zu orientieren. a) Integrative Hilfe im Rahmen des Übergangsmanagements. Die Hilfe muss 2 zunächst individuell erfolgen. Sie muss methodisch so ausgerichtet sein, dass sie geeignet ist, „seine persönlichen Schwierigkeiten zu lösen“ (Satz 1). Im Mittelpunkt steht also die besondere Lebenssituation des Gefangenen, die nicht nur vom Vollzugsaufenthalt geprägt wird, sondern die Einbeziehung seiner sozialen bzw. familiären Umwelt erfordert. Das Prinzip der Individualität bedeutet daher nicht, sich auf den Gefangenen als Einzelperson zu beschränken und seine sonstigen Lebensbezüge auszuklammern. Vielmehr muss der Gefangene aus einer Objektbeziehung zum Vollzug herausge683
Best
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löst und durch persönlich angemessene Hilfe auf eine selbstverantwortliche Lebensbewältigung vorbereitet werden. Die Grundsatznorm des § 71 beinhaltet damit auch das Ziel, den Gefangenen zur Änderung seiner Einstellung und seines Sozialverhaltens zu befähigen. Voraussetzung hierfür ist, dass dem Gefangenen seine bisher fehlgeschlagenen Versuche zur Behebung seiner persönlichen Schwierigkeiten bewusstgemacht und alternative Lösungsangebote vermittelt werden. Die Gefangenen haben zwar keinen Anspruch auf bestimmte Beratungs-, Betreuungs- und Behandlungsmaßnahmen. Die Anstalt ist aber verpflichtet, ein Behandlungsangebot vorzuhalten, das auf ihre Größe und Zuständigkeit zugeschnitten ist (so auch Art. 74 BayVollzG und Art. 167 BayVollzG). Die Landesgesetze lassen unterschiedliche vollzugspolitische Konzepte erkennen. Während das JVollzGB der Gesetzessystematik der Sozialen Hilfe weitgehend folgt, das HmbStVollzG den motivierenden Vollzug mit Anstößen zu Verhaltensänderungen und Umdenkprozessen (vgl. Rdn. 4 f vor § 71) außerhalb dieses Abschnitts regelt und keine spezielle Vorschrift enthält und das NJVollzG neben dem Chancenvollzug (Rdn. 5 vor § 71) die durchgehende Betreuung hervorhebt (vgl. Rdn. 6 vor § 71, Laubenthal 2011, Rdn. 644), setzt das BayVollzG einen zusätzlichen Schwerpunkt mit der in Art. 76 geregelten Psychologischen Behandlung (Art. 76 BayVollzG), die inhaltlich mit dem Bestreben im Einklang steht, die Gefangenen zu unterstützen, ihre persönlichen Schwierigkeiten zu lösen (zu den Einzelheiten und der Gesetzesbegründung vgl. dazu III.1 bei Art. 75 BayVollzG). Das HStVollzg verbindet nicht nur die sozialpädagogischen und psychologischen Maßnahmen zur Lebenshilfe und zur Behandlung. Positiv hervorzuheben ist unter Hinweis auf Nr. 25.3 der Europäischen Strafvollzugsgrundsätze deren Verknüpfung mit dem anstaltsübergreifenden Hilfesystem, das möglichst früh einzusetzen hat, um effektiv zu sein, und das nach dem Grundsatz der Betreuungskontinuität bis in die Zeit nach der Entlassung fortwirken will. Dieses Angebot zur Hilfe zur Selbsthilfe ist ein Grundpfeiler eines europäisch orientierten integrativen Systems im Rahmen des Übergangsmanagements (vgl. Rdn. 6 vor § 71). Bei aller Vielfalt von Methoden und Modellen der Landesgesetze wird das Ziel verfolgt, sich dem Idealbild einer problemlösenden Gemeinschaft (Laubenthal 2011 Rdn 161 f) anzunähern. Die in der bayerischen Begründung enthaltene Bezugnahme auf Lösel (Lösel 1993, 15) zeigt die konzeptionelle Richtung: Die Behandlungsmethodik soll mittels eines kognitiven Verhaltenstrainings den Gefangenen zum Abbau von Abwehr- und Leugnungstendenzen bewegen sowie zu einer Änderung seiner „eingefahrenen“ Denkweisen, zur Selbstkontrolle und dem Nachdenken über sich selbst veranlassen (ebenso Arloth 2011 Art.76 Rdn. 1 BayStVollzG). Damit wird ein Ansatz der Intervention propagiert, der positiv verstärkend zur Aktivierung beitragen soll und aus den verzahnten Elementen von „Fördern und Fordern“ besteht. Da die Ursachen krimineller Verhaltensweisen sich aber aus der gesamten Lebenssituation erschließen können, muss der Bereich der persönlichen Schwierigkeiten auch auf materielle Angelegenheiten (z. B. Umgang mit Geld, Pfändungsschutz, Einrichtung eines P- Kontos vgl. Rdn. 15 zu § 73) ausgedehnt werden, weil nur bei einer Verknüpfung von personaler und materieller Hilfe (vgl. auch Rdn. 11 zu § 73) das Hilfeziel erreicht werden kann (ebenso mit konkreten Vorschlägen: AK-Huchting/Majuntke 2012 Rdn. 4 und 5). Zur Motivierung des Gefangenen § 2 Rdn. 13; § 4 Rdn. 4, 7; vor § 71 Rdn. 4. 3
b) Prinzip „Hilfe zur Selbsthilfe“ bei Beratungs-, Betreuungs- und Behandlungsmaßnahmen. Das Prinzip der „Hilfe zur Selbsthilfe“ ist in § 71 Satz 2 geregelt. Der Gefangene soll durch die Hilfe nicht in Abhängigkeit von der Anstalt geraten und sich auch nicht darauf verlassen dürfen, dass die Behörde alles für ihn regelt (BT-Drucks. 7/918, 74 zu § 64). Damit ist diese Bestimmung den Grundsätzen der Sozialhilfe mit ausBest
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drücklicher Erwähnung in § 1 Abs. 1 SGB I und § 1 Satz 2 SGB XII nachgestaltet: die Hilfe soll den Empfänger der Hilfe soweit wie möglich befähigen, unabhängig von ihr zu leben; hierbei muss er nach Kräften mitwirken. Die Hilfe zur Selbsthilfe (vgl. dazu auch Böhm 2003 Rdn. 577 und Arloth 2011, Rdn. 3) ist also darauf gerichtet, Motivation und Eigeninitiative beim Gefangenen anzuregen, aufzubauen und soweit zu verstärken, dass er selbst nach Lösungen sucht und diese aktiv mitgestaltet (Rdn. 2, Rdn. 4 und 4 vor § 71). Selbstverantwortlichkeit kann z. B. durch Anleitung beim Ausfüllen von Formularen, beim Schriftverkehr mit Behörden und Gläubigern eingeübt werden (zum Konzept des sozialen Trainings vgl. Rdn. 15 zu § 74; zu Informationsbeschaffung und Datenübermittlung vgl. Rdn. 6 zu § 72; zum Beratungsbegriff vgl. Rdn. 11 zu § 73, Rdn. 2 zu § 74); zum aktivierenden Behandlungsvollzug vgl. Rdn. 4 vor § 71. Durch § 71 wird die Vollzugsbehörde dazu verpflichtet, den Gefangenen entspre- 4 chend zu aktivieren (vgl. auch § 4 Abs. 1 Satz 2). Die jeweilige Ausgestaltung des § 71 bleibt ihr überlassen; insofern hat die Anstalt einen gewissen Beurteilungsspielraum der für den Einzelfall notwendigen Maßnahmen (C/MD 2008 Rdn. 1). Die soziale Hilfe muss aber nach den Methoden und Erkenntnissen moderner Sozialarbeit so angeboten werden, dass sie von dem Gefangenen auch tatsächlich angenommen und seine mangelnde Mitwirkung nicht mit angeblichem Desinteresse erklärt wird (vgl. Rdn. 5 vor § 71). Zwar kann nach dem Gesetzeswortlaut der Gefangene die Hilfe in Anspruch nehmen. Wenn der Gefangene z. B. beim Erstkontakt die ihm angebotene Hilfe direkt ablehnt, darf der „Fall“ nicht aktenmäßig erledigt, die Betreuung andererseits aber auch nicht aufgezwungen werden. Soziale Hilfe ist von ihrem Selbstverständnis her gerade dann gefordert, wenn der Gefangene erklärt, er wolle und brauche keine Hilfe. 2. Abgrenzung von Strafvollzugsrecht und Sozialhilferecht. Zu der Frage, in- 5 wieweit Strafgefangene bereits während der Haft Leistungen der Sozialhilfe i. S. von § 28 SGB I beanspruchen können, hat die Rechtsprechung folgende Grundsätze zur Abgrenzung von Strafvollzugsrecht und Sozialhilferecht entwickelt (zur Vorbereitung für die Zeit nach der Haftentlassung vgl. Rdn. 4 ff zu § 74): a) Vorrang des Sozialhilferechts. Die Verbüßung einer Freiheitsstrafe ist für sich 6 kein der Leistung von Sozialhilfe entgegenstehender Grund (vgl. BVerwGE 31, 271; BVerwGE 37, 87). Maßnahmen nach dem Strafvollzugsrecht und Leistungen nach dem Sozialhilferecht überschneiden sich zwar in vielen Fällen; im Regelfall führt dies dann zum Ausschluss von Sozialhilfeleistungen, da die Maßnahmen des Strafvollzugs vorrangig sind (§ 2 SGB XII: Nachrang der Sozialhilfe). Trotzdem kann aber im Einzelfall unter dem Gesichtspunkt des Sozialhilferechts ein weitergehender Bedarf vorliegen. Sozialhilfe ist ihrem Wesen nach bestimmt, Lücken in der Betreuung Hilfebedürftiger zu schließen. Es ist in jedem Fall zu prüfen, ob neben dem Vollzug der strafgerichtlichen Entscheidung Maßnahmen der Sozialhilfe möglich und angezeigt bleiben (vgl. BVerwGE 37, 87; bejaht für die Gewährung von Blindenhilfe nach § 72 SGB XII, BVerwGE 51, 281; je nach Bedarfslage bejaht bei der Eingliederungshilfe für Behinderte nach §§ 53 ff SGB XII, BVerwGE 37, 87 und vgl. Müller-Dietz 1982, 94 ff; verneint für Taschengeld (OVG Nordrhein-Westfalen, NStZ 1982, 384) und Krankenkostenzulagen, da die Gesundheitsfürsorge von der Vollzugsbehörde sicherzustellen ist, BVerwG ZfStrVo SH 1977, 284; bejaht für ergänzende Hilfen zur Heilbehandlung von Tuberkulose bereits während der Haft für Maßnahmen der Rehabilitation, wie z. B. Wohnungsbeschaffung für die Zeit der Entlassungsvorbereitung, vgl. auch Rdn. 5 zu § 74; zur Übernahme der Mietkosten während der Haftzeit durch den Sozialhilfeträger vgl. auch Rdn. 7 und 12 zu § 72; zum Überbrü685
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Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
ckungsgeld nach § 51: dieses ist bei der Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt in voller Höhe bedarfsmindernd zu berücksichtigen, BVerwG NDV 1990, 384, entgegen der Auffassung des Hess VGH ZfStrVo 1987, 115, als Vorinstanz: kein Einkommen i. S. d. §§ 82, 83 SGB XII und damit keine Anrechnung auf Sozialhilfe, aber Vermögen i. S. von § 90 SGB XII und somit als „kleiner Barbetrag“ gem. § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII zu bewerten. 7
b) Vorrang des Strafvollzugsrechts. Strafvollzugsrecht ist gegenüber dem Sozialhilferecht zumindest insoweit vorrangig, als es um die Finanzierung der persönlichen Bedürfnisse der Strafgefangenen und damit auch um evtl. entstehenden Mehrbedarf geht. Ein Strafgefangener hat auch dann keinen Anspruch auf Weihnachtsbeihilfe im Rahmen des Sozialhilferechts, wenn ihm weder Haus- (§ 47 Rdn. 2) noch Taschengeld zur Verfügung steht (OVG Rheinland-Pfalz ZfStrVo 1982, 55 = NStZ 1982, 220 mit Hinweis, dass für die persönlichen Bedürfnisse der Gefangenen der Strafvollzug aufzukommen habe; ebenso BayVGH ZfStrVo 2000, 180 ff mit Anm. Hammel, vgl. hierzu den Weihnachtsbeihilfe-Fall in Rdn. 9). Die Gewährung von Sozialhilfe in diesen Einzelfällen bezieht sich nur auf den finanziellen Bereich. Die Gewährung persönlicher Hilfe einschließlich der Beratung der Gefangenen obliegt der Zuständigkeit der Vollzugsbehörde. Zur Weihnachtsbeihilfe Schellhorn Rdn. 44 zu § 21 BSHG und Krahmer NDV 1982, 125 mit Nachweisen. Zu beachten ist aber der seit 1.1.2005 geltende Grundsatz, wonach einmalige Leistungen bis auf wenige Ausnahmen in den Regelbedarf einbezogen und damit pauschaliert werden (vgl. § 28 SGB XII).
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c) Rangverhältnis bei Ansprüchen von Angehörigen. Bei Ansprüchen von Angehörigen ist allerdings der Sozialhilfeträger gegenüber der Vollzugsbehörde vorrangig verpflichtet. Dies betrifft auch die Übernahme der Fahrtkosten nach den §§ 11 ff BSHG a. F.; n. F. § 27 SGB XII zum Besuch von Angehörigen in den Anstalten. Einen Anspruch auf Übernahme dieser Kosten haben auch Personen, die mit dem Gefangenen in eheähnlicher Gemeinschaft leben (OVG Lüneburg NdsRpfl. 2004, 63 f). Wird die Leistung verweigert und der hilfesuchende Angehörige an Wohlfahrtsverbände verwiesen, haben diese einen Anspruch auf Erstattung der Aufwendungen gegen den Sozialhilfeträger. Nur bei tatsächlich und freiwillig gewährter Hilfe eines Wohlfahrtsverbandes ergibt sich das Nachrangprinzip der Sozialhilfe nach § 2 BSHG a. F.; n. F. § 2 SGB XII (insgesamt dazu: Schellhorn Rdn. 7 ff zu § 2 BSHG; Fichtner § 2 SGB XII Rdn. 3, 4, 22 in: Fichtner/Wenzel SGB XII 2009 wegen des Verhältnisses von staatlicher Sozialhilfe und freier Wohlfahrtspflege). II. Beispiel: Weihnachtsbeihilfe-Fall
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Der Strafgefangene M., unverschuldet ohne Arbeit in der Vollzugsanstalt R. inhaftiert, beantragt beim Sozialamt R. eine Weihnachtsbeihilfe. Der Antrag wird jedoch abgelehnt. Seine Ehefrau, die in der Stadt O. wohnt, will ihn zu Weihnachten in der Vollzugsanstalt besuchen. Sie beantragt beim Sozialamt O. die Übernahme der Fahrtkosten von der Stadt O. zur Stadt R. Das Sozialamt O. lehnt ab und verweist Frau M. an die Beratungsstelle eines Wohlfahrtsverbandes. Das Verwaltungsgericht wies nach erfolglosem Widerspruch die Klage des M. gegen das für die Vollzugsanstalt R. unzuständige Sozialamt R. (vgl. Rdn. 8 zu § 74) auf Gewährung der Weihnachtsbeihilfe ab. Auch die Berufung des M. hatte keinen Erfolg. In der Begründung des OVG Rheinland-Pfalz (ZfStrVo 1982, 55 ff = NStZ 1982, 220) wurde darauf verwiesen, dass nach § 2 Abs. 1 BSHG a. F.; n. F. § 2 SGB XII Sozialhilfe nicht erhalte, wer sich selbst helfen könne oder wer die erforderliche Hilfe von einem anderen erhalte. Dieses das gesamte Sozialhilferecht prägende Nachrangprinzip, das sich auch ein StrafgeBest
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Grundsatz
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fangener entgegenhalten lassen müsse, greife hier ein. Denn während der Verbüßung einer Freiheitsstrafe hätten die Bestimmungen des StVollzG zumindest insoweit Vorrang, als es um die Finanzierung der persönlichen Bedürfnisse des Strafgefangenen und damit auch des anlässlich des Weihnachtsfestes ggf. entstehenden Mehrbedarfs gehe. Das gelte ungeachtet des Umstandes, dass das StVollzG die Gewährung einer Weihnachtsbeihilfe an Strafgefangene nicht vorsehe, da auch § 3 Abs. 1 für sich allein Leistungsansprüche des Strafgefangenen nicht begründen könne. Die Beschränkung des Strafgefangenen auf das Haus- oder Taschengeld stelle eine vom Gesetzgeber gewollte Begrenzung der Mittel dar, die dem Gefangenen zur Verwendung für persönliche Bedürfnisse zur Verfügung stehen sollen. Ein Anspruch auf Weihnachtsbeihilfe entstehe im Rahmen des Sozialhilferechts im Übrigen auch nicht dadurch, dass einem Strafgefangenen weder Haus- noch Taschengeld zur Verfügung stehe; im Ergebnis ebenso BayVGH ZfStrVo 2000, 180 ff m. Anm. Hammel. Soweit Hammel unter Hinweis auf den Beschluss des VG Göttingen vom 23.4.1997 – 2 B 2187/97 – die Auffassung vertritt, das Fehlen einer mit bis zum 31.12.2004 geltendem § 21 Abs. 1 Nr. 7 BSHG vergleichbaren Norm (einmalige Leistung für besondere Anlässe) im StVollzG begründe einen Anspruch auf Zahlung einer Weihnachtshilfe nach BSHG, überzeugt dies nicht. Eine Regelungslücke im StVollzG bei einer vom Inhaftierten nachgesuchten Leistung, die nach dem BSHG jetzt: SGB XII erbracht werden könnte, begründet noch keine Leistungsverpflichtung. Die Annahme, dass dem Vollzugsträger in einem solchen Fall eine unterlassene Leistungserbringung zugerechnet werden muss, die der Sozialhilfeträger als Leistungsverpflichteter zu erfüllen hat, steht im Widerspruch zu dem Grundsatz des Nachrangs der Sozialhilfe, der hier nicht entgegen der Auffassung von Hammel ausgeschaltet werden kann. Im Übrigen hat das ab 1.1.2005 geltende SGB XII in § 28 die einmaligen Leistungen erheblich eingeschränkt, vgl. Rdn. 7. Die grundsätzliche Ablehnung des Sozialamts O. der Übernahme der Fahrtkosten für die Angehörigen zum Besuch von M. in der Vollzugsanstalt war fehlerhaft. Das Sozialamt O. hätte die Leistung nicht verweigern und die Angehörigen an Wohlfahrtsverbände verweisen dürfen (vgl. hierzu Rdn. 8). III. Landesgesetze und Musterentwurf 1. Baden-Württemberg. § 40 JVollzGB III ist nahezu identisch mit § 71 Satz 2. Die 10 Gesetzesbegründung (LT-Drucks. 14/5012, 222) hat folgenden Wortlaut: „Die Vorschrift hebt den Grundsatz der Hilfe zur Selbsthilfe besonders hervor. Die Gefangenen sollen durch die Hilfe nicht in eine Abhängigkeit von der Justizvollzugsanstalt geraten und sich auch nicht darauf verlassen dürfen, dass sich Behörden, auch etwa nach der Entlassung, alles für sie regeln. Die Beratungs- und Betreuungsangebote der Justizvollzugsanstalt sind daher darauf auszurichten, bei Gefangenen Eigeninitiative und Verantwortungsbewusstsein für ihre Angelegenheiten zu wecken und zu stärken, um sie dadurch zu befähigen, in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen“. 2. Bayern. Art. 74 BayStVollzG als Grundsatznorm zu Beginn des Abschnitts 10 „So- 11 ziale und Psychologische Hilfe“ ersetzt § 71 Satz 1 StVollzG (vgl. dort Rdn. 2). Sie gibt den Gefangenen keinen Anspruch auf bestimmte Beratungs-, Betreuungs- und Behandlungsmaßnahmen, verpflichtet aber die Anstalt, ein Behandlungsangebot vorzuhalten, das auf ihre Größe und Zuständigkeit zugeschnitten ist (vgl. auch Art. 167). Der Grundsatz der Hilfe zur Selbsthilfe wird durch eine eigene Vorschrift in Artikel 75, die mit § 71 Satz 2 StVollzG fast wortgleich ist, besonders hervorgehoben (vgl. dort Rdn. 2). Als Art. 76 ist im Hinblick auf die Ergänzung des Abschnitts 10 die Psychologische Behandlung geregelt, die folgenden Wortlaut hat: (2) Die psychotherapeutischen Be687
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handlungsmethoden haben sich an den nach dem Psychotherapeutengesetz anerkannten Verfahren, die sonstigen psychologischen Behandlungsmaßnahmen an den wissenschaftlichen Erkenntnissen über die Behandlung von Straftätern zu orientieren (dazu Arloth 2011 Art. 76 Rdn. 1 BayStVollzG). In der Gesetzesbegründung (LT-Drucks. 15/ 8101, 71 f) heißt es dazu: „Abs. 1 umschreibt die Voraussetzungen psychologischer Behandlung, ohne den Gefangenen einen Anspruch auf eine bestimmte Behandlungsmaßnahme zu gewähren. Letzteres ergibt sich aus Art. 74. Im Rahmen der Behandlungsuntersuchung i. S. d. Art. 8 oder im Laufe des Vollzugs bei der Fortschreibung des Vollzugsplans ist zu prüfen, ob psychologische Behandlungsmaßnahmen angezeigt sind. Jede psychologische oder psychotherapeutische Intervention muss auf einer gründlichen Eingangs- und Verlaufsdiagnostik sowie Prognostik basieren. Sie enthält Informationen über Persönlichkeitsstörungen, klinische Syndrome und spezifische Verhaltensprobleme. Dabei sollen standardisierte Prognoseinstrumente und testpsychologische Verfahren verwendet werden. Zudem sind Behandlungsmotivation und Behandlungsfähigkeit abzuklären. Soweit als möglich sollte sich die Diagnostik auf verschiedene Datenquellen sowie Verhaltensindikatoren stützen. Das gründliche Aktenstudium, möglichst auch der Ermittlungsakten und gegebenenfalls der Vorinhaftierungsakten sowie die Aussage des oder der Gefangenen zur Tat und zu den näheren Tatumständen stellen wichtige Erkenntnisquellen dar. In Abs. 2 werden Standards für die psychologische Behandlung festgelegt, ohne die zur Weiterentwicklung der Behandlung notwendige Methodenvielfalt einzuschränken. Die psychotherapeutischen Behandlungsmethoden haben sich an den nach dem Psychotherapeutengesetz anerkannten Verfahren zu orientieren, wobei auch insoweit die wissenschaftlichen Erkenntnisse speziell über die Behandlung von Straftätern zu berücksichtigen sind, da sich nicht alle nach dem Psychotherapeutengesetz anerkannten Verfahren ohne weiteres auch für eine psychotherapeutische Behandlung im Vollzug eignen werden … Andere psychologische Behandlungsmaßnahmen sind unter Berücksichtigung des Stands der Wissenschaft zur Behandlung von Straftätern durchzuführen.“ 12
3. Hamburg. Das HmbStVollzG enthält keine in einem besonderen Titel, Kapitel oder Abschnitt aufgeführten Bestimmungen über soziale Hilfen. Der Grundsatz der Hilfe zur Selbsthilfe wird durch die Vorschrift in § 16 Satz 2 besonders hervorgehoben, wonach die Bereitschaft der Gefangenen, ihre Angelegenheiten soweit wie möglich selbstständig zu regeln, zu wecken und zu fördern ist; vgl. Rdn. 2 und Bürgerschafts-Drucks. 19/2533, 2 und 54, wonach die aktive Rolle des Gefangenen im Prozess der Entlassungsvorbereitung betont wird: „Gemeinsam mit den Gefangenen müssen sich die Anstrengungen aller an der Entlassungsvorbereitung Beteiligten in langfristiger Kooperation darauf konzentrieren, realistische Zukunftsperspektiven zu entwickeln und deren möglichst reibungslose Umsetzung nach der Entlassung zu gewährleisten.“ Damit muss § 16 Satz 2 in Verbindung mit § 5 Absatz 2 gesehen werden, der Anreize zur Mitwirkung und auch durch Maßnahmen der Anerkennung und durch die Beteiligung an entsprechenden Maßnahmen vorsieht, um „Anstöße zu Verhaltensänderungen zu geben und Umdenkprozesse einzuleiten“.
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4. Hessen. Das HStVollzg verknüpft in § 26 Satz 1 die soziale mit der psychologischen Hilfe mit folgendem Wortlaut: „Die Beratungs-, Betreuungs- und Behandlungsmaßnahmen der Anstalt sind darauf auszurichten, Persönlichkeitsdefizite der Gefangenen, die ursächlich für die Straffälligkeit sind, abzubauen sowie sie zu befähigen, ihre persönlichen, sozialen und wirtschaftlichen Schwierigkeiten eigenständig zu bewältigen und ihre Entlassung vorzubereiten.“ Nach der Gesetzesbegründung (LT-Drucks. 18/ Best
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1396, 93) sollen unter ausdrücklichen Hinweis auf Nr. 25.3 der Europäischen Strafvollzugsgrundsätze die sozialpädagogischen und psychologischen Maßnahmen zur Lebenshilfe und zur Behandlung ein Teilstück des anstaltsübergreifenden Hilfesystems sein, das möglichst früh einzusetzen hat, um effektiv zu sein, und das nach dem Grundsatz der Betreuungskontinuität bis in die Zeit nach der Entlassung fortwirken will. Das Angebot zur Hilfe zur Selbsthilfe ist ein Grundpfeiler dieses europäisch orientierten integrativen Systems. 5. Niedersachsen. § 68 NJVollzG als erste Vorschrift des Zehnten Kapitels „Soziale 14 Hilfen, durchgängige Betreuung“ ist in Abs. 1 bis auf die Ergänzung des Hilfebegriffs und die geschlechtsspezifische Differenzierung wortgleich mit § 71 Satz 2 StVollzG. Abs. 2 ist neu und hat folgenden Wortlaut: „Es ist Aufgabe der Vollzugsbehörden, darauf hinzuwirken, dass eine durchgängige Betreuung der Gefangenen sichergestellt ist, die ihnen auch nach der Entlassung hilft, in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen“. Abs. 3 ist neu und hat folgenden Wortlaut: „Die Zusammenarbeit mit Stellen und Personen außerhalb des Vollzuges, die besonderen Möglichkeiten dieses Gesetzes für die Entlassungsvorbereitung sowie die Hilfe zur Entlassung sind auf die durchgängige Betreuung auszurichten.“ Abs. 4 ist neu und hat folgenden Wortlaut: „Die Vollzugsbehörden sollen darauf hinwirken, dass die zur durchgängigen Betreuung erforderlichen Informationen über die Gefangenen zwischen ihnen und den nach Absatz 3 zu beteiligenden Personen und Stellen außerhalb des Vollzuges ausgetauscht werden, soweit dies nach den für die jeweilige Behörde, Person oder Stelle geltenden Vorschriften über den Datenschutz zulässig ist. Soweit für den Datenaustausch nach Satz 1 die Einwilligung der oder des Gefangenen erforderlich ist, soll sie oder er über die Vor- und Nachteile eines solchen Datenaustauschs aufgeklärt und ermutigt werden, die erforderliche Einwilligung zu erklären.“ Abs. 5 ist neu und hat folgenden Wortlaut: „Die Personen und Stellen außerhalb des Vollzuges, die in besonderer Weise geeignet sind, an der durchgängigen Betreuung mitzuwirken, sollen über die Vollzugsplanung unterrichtet werden und Gelegenheit erhalten, sich an der Vollzugsplanung zu beteiligen, soweit dies nach Absatz 4 zulässig ist.“ In der Gesetzesbegründung (LT-Drucks. 15/3565, 144 ff) heißt es dazu: „Absatz 1 entspricht in sprachlich vereinfachter Form inhaltlich unverändert dem bislang in § 71 StVollzG enthaltenen Grundsatz für soziale Hilfen. Absatz 2 des Entwurfs ergänzt diesen Grundsatz um die soeben dargestellte Zielsetzung einer durchgängigen Betreuung. Hierauf bereits vor der Entlassung hinzuwirken, ist Aufgabe der Vollzugsbehörden, um die sich anschließende Betreuung durch die sozialen Dienste sicherzustellen. Absatz 3 schreibt vor, dass die bereits bestehenden Verpflichtungen und Möglichkeiten des Gesetzes zur Zusammenarbeit mit anderen Personen und Stellen (vgl. § 174 des Entwurfs, entsprechend § 154 Abs. 2 StVollzG), der Entlassungsvorbereitung (vgl. §§ 18 und 102 des Entwurfs, entsprechend §§ 15 und 124 StVollzG) und der Hilfe zur Entlassung (vgl. § 68 Abs. 3 und § 69 des Entwurfs, entsprechend §§ 74 und 75 StVollzG) in Richtung auf die Zielsetzung nach Absatz 2 auszurichten und zu bündeln sind. Zu Absatz 4: „Eine erfolgreiche Betreuung der Gefangenen durch verschiedene Behörden, Stellen und Personen setzt einen möglichst umfassenden Informationsaustausch voraus. Zwar kann das Land im Rahmen seiner Gesetzgebungskompetenz nicht andere Stellen, deren Aufgaben bundesgesetzlich geregelt sind (z. B. die Bewährungshilfe), unmittelbar zu einem Datenaustausch verpflichten. Die Vollzugsbehörden können jedoch verpflichtet werden, im Rahmen des ihnen Möglichen auf eine entsprechende Zusammenarbeit mit 689
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Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
Dritten hinzuwirken. Ferner soll es den Vollzugsbehörden zur Aufgabe gemacht werden, die Gefangenen zur Abgabe datenschutzrechtlich notwendiger Einwilligungserklärungen zu bewegen, die eine Vernetzung der vorhandenen Daten erlauben. Dem entspricht die für Absatz 4 vorgesehene Regelung. Auf diese Weise kann auch innerhalb des rechtlich vorgegebenen Handlungsrahmens bereits eine sinnvolle Verknüpfung der verschiedenen vollzuglichen und außervollzuglichen Betreuungsformen erreicht werden. Der gleichen Intention dient die für Absatz 5 vorgesehene Verpflichtung der Vollzugsbehörden, geeigneten Personen und Stellen außerhalb des Vollzuges im zulässigen Umfang die erforderlichen Informationen über die Vollzugsplanung zukommen zu lassen und ihnen eine Beteiligung daran anzubieten.“ 15
6. Musterentwurf. § 5 ME-StVollzG als Grundsatznorm mit der Überschrift „Soziale Hilfe“ hat in Satz 1 folgenden Wortlaut: „ Die Gefangenen werden darin unterstützt, ihre persönlichen, wirtschaftlichen und sozialen Schwierigkeiten zu beheben. Sie sollen dazu angeregt und in die Lage versetzt werden, ihre Angelegenheiten selbst zu regeln, insbesondere eine Schuldenregulierung herbeizuführen“. In der ME-Begründung (S. 72) heißt es dazu: „Der Stellung der Gefangenen nach § 4 Abs. 1 Satz 2 entsprechend, betont die Bestimmung den Grundsatz der Hilfe zur Selbsthilfe. Diese zielt darauf ab, Motivation und Eigeninitiative der Gefangenen anzuregen und so zu stärken, dass sie im Ergebnis ihre Probleme selber lösen können. Die Anstalt leistet dafür die im Einzelfall notwendige Unterstützung.“ Positiv hervorzuheben ist, dass ein differenzierter, individueller Vollzugs- und Eingliederungsplan erstellt, regelmäßig überprüft und fortgeschrieben werden muss (§§ 7, 8 ME-StVollzG). Damit wird die Vollzugsgestaltung von Anfang an auf die Entlassung und ein anschließendes straffreies Leben ausgerichtet. Mit dieser verbindlichen Leitlinie einer individualisierten Vollzugsgestaltung, die frühzeitig auch die Bewährungshilfe, andere externe Fachleute und Ehrenamtliche einbezieht, wird im Sinne einer durchgehenden Hilfe der spätere Übergang in Freiheit erleichtert.
§ 72 Hilfe bei der Aufnahme § 72 Best Hilfe bei der Aufnahme (1) Bei der Aufnahme wird dem Gefangenen geholfen, die notwendigen Maßnahmen für hilfsbedürftige Angehörige zu veranlassen und seine Habe außerhalb der Anstalt sicherzustellen. (2) Der Gefangene ist über die Aufrechterhaltung einer Sozialversicherung zu beraten. Schrifttum S. Vor § 71.
I. II.
Best
Übersicht Allgemeine Hinweise ____ 1 Erläuterungen ____ 2–12 1. Beispielfälle der materiellen Versorgung ____ 2 2. Soforthilfen der „Sozialverwaltung“ ____ 3 3. Aufnahmevollzug als Einstiegsphase der Betreuung ____ 4–6
a) Maßnahmen zur Erhaltung und Beschaffung einer Wohnung ____ 7 b) Maßnahmen zur Sicherstellung von Gepäck und Habe ____ 8 4. Beratung zur Sozialversicherung ____ 9 5. Rentenversicherung ____ 10 6. Kranken- und Pflegeversicherung ____ 11
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Hilfe bei der Aufnahme
III. IV.
Beispiel: Mietkosten-Fall ____ 12 Landesgesetze und Musterentwurf ____ 13–18 1. Baden-Württemberg ____ 13 2. Bayern ____ 14
3. 4. 5. 6.
§ 72
Hamburg ____ 15 Hessen ____ 16 Niedersachsen ____ 17 Musterentwurf ____ 18
I. Allgemeine Hinweise Der Strafantritt ist mit einschneidenden Veränderungen der gesamten Lebenssitua- 1 tion verbunden, die wichtige Inhalte für das Aufnahmegespräch sind (K/S-Schöch 2002 § 13 Rdn. 7; AK-Huchting/Majuntke 2012 § 72 Rdn. 8). § 72 berücksichtigt, dass der Gefangene aus seinen sozialen Lebensbezügen herausgerissen worden ist und in aller Regel nicht mehr in der Lage ist, seine Angelegenheiten selbst zu ordnen. Der Gefangene selbst ist in dieser Umstellungsphase oft überfordert; nur langsam kann seine stark gebremste Eigeninitiative wieder geweckt und gefördert werden. Dem Gefangenen hierbei behilflich zu sein, ist Sinn dieser Vorschrift. II. Erläuterungen 1. Beispielfälle der materiellen Versorgung. § 72 begründet für die Vollzugsbe- 2 hörden die Verpflichtung, dem Gefangenen bei der Ordnung seiner Angelegenheiten zu helfen und notfalls die erforderlichen Maßnahmen selbst zu treffen. Was jeweils veranlasst werden muss und welche zuständigen Stellen außerhalb des Vollzugs einzuschalten sind, kann nur im Einzelfall entschieden werden (BT-Drucks. 7/918, 75). Das Gesetz nennt beispielhaft die Maßnahmen für hilfsbedürftige Angehörige, die Sicherstellung der Habe des Gefangenen außerhalb der Anstalt und die Beratung über die Aufrechterhaltung einer Sozialversicherung (wegen § 198 Abs. 3). Der Gesetzgeber hat sich auf wichtige Beispielfälle der materiellen Versorgung beschränkt und bewusst auf eine abschließende Aufzählung verzichtet. Der Grundgedanke der sozialen Hilfe bei der Aufnahme muss aber auch auf sonstige Betreuungserfordernisse erweitert werden, die sich aus dem „Statuswandel“ ergeben (ebenso AK-Huchting/Majuntke 2012 Rdn. 3 f). 2. Soforthilfen der „Sozialverwaltung“. Die Hilfe zur Selbsthilfe (§ 71 Rdn. 3) steht 3 auch während der vollzuglichen Eingangsphase im Vordergrund. Gerade im Aufnahmestadium ist von dem sozialen Dienst erhebliche Motivationsarbeit zu leisten, damit sich der Gefangene auf die Vollzugssituation einstellen kann, ohne die Entlassung aus dem Auge zu verlieren. In dieser Phase stehen Soforthilfen der „Sozialverwaltung“ im Blickpunkt; oft lohnt sich ein schnelles und sofortiges Eingreifen, um Schäden materieller und psychischer Art mit Folgewirkung von dem Gefangenen abzuwenden. Eine solche Verbindung von materiellen und personalen Hilfen eignet sich außerdem besonders gut als „Einstiegssituation“ in die gesamte Betreuungsarbeit. Zur Motivierung § 2 Rdn. 11; § 4 Rdn. 4, 7 und Rdn. 4 vor § 71. Zum Beratungsbegriff § 73 Rdn. 11; § 74 Rdn. 2, 4. 3. Aufnahmevollzug als Einstiegsphase der Betreuung. Je nach Einzelfall handelt 4 es sich um folgende Sofortmaßnahmen: Hilfe bei der Erhaltung der Wohnung und der Aufbewahrung von Möbeln (vgl. Rdn. 7) bzw. Verhandlungen zur Sicherung des Arbeitsplatzes; Vereinbarungen mit Gläubigern (vgl. auch Rdn. 7 zu § 73) bei laufenden Zahlungsverpflichtungen (Stundungsabreden); Abklärung bisher erworbener Lohn-, Versicherungs- und Rentenansprüche; Beschaffung von Personal- und Arbeitspapieren; Beratung über Leistungen der Sozialhilfe für Familienangehörige, insbesondere die Hilfe 691
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zum Lebensunterhalt (§§ 27 bis 40 SGB XII). Dazu gehören auch Anträge und Maßnahmen zum Rechtsschutz (Arloth 2011 § 72 Rdn. 5). Speziell zur Übernahme von Schulden: § 34 Abs. 1 SGB XII. Vgl. dazu auch Rdn. 3, 6 zu § 71 und Rdn. 3 zu § 74 und zum Pfändungsschutz und Einrichtung eines P-Kontos vgl Rd. 15 zu § 73). Der Bereich dieser Sofortmaßnahmen (in der Praxis leider oft unterschätzt) ist be5 sonders für die spätere Entlassungsvorbereitung unabweisbar notwendig. Was in dieser Phase versäumt wird, kann später nur unter erheblich größeren Schwierigkeiten aufgearbeitet werden (insbesondere die Schuldenregelung; vgl. Rdn. 7 ff zu § 73). Notwendig ist daher schon in diesem Stadium eine systematische Auflistung aller Unterlagen und Informationen, um eine geordnete und gezielte Vollzugsplanung bereits im Aufnahmevollzug zu beginnen und sie als durchgehende Vollzugsmaßnahme konsequent fortzusetzen (vgl. auch § 7 Abs. 2 Nr. 8; dort Rdn. 7). Dies setzt auch den Arbeitskontakt zur Bewährungshilfe und freien Trägern der Straffälligenhilfe voraus, um auf diese Weise unnötige Mehrarbeit der Informationsgewinnung zu vermeiden und – wenigstens ansatzweise – die Betreuung kontinuierlich weiter zu gestalten. Bereits in dieser Einstiegsphase können Defizite ermittelt werden, die über den Einsatz von ehrenamtlichen Mitarbeitern bzw. Kursangebote eines Entlassungstrainings wirksam aufgearbeitet werden können (zu dem Inhalt einer Checkliste für ein Aufnahmegespräch: AK-Huchting/Majuntke 2012 Rdn. 8). Vgl. auch § 6 Rdn. 16, 21 ff. Bei der Informationsbeschaffung und der Datenübermittlung sind die bereichs6 spezifischen Rechtsgrundlagen für die Erhebung, Verarbeitung und Nutzung personenbezogener Daten in den neu gefassten §§ 179 bis 187 des Fünften Titels des Fünften Abschnittes zu beachten. Die Vollzugsbehörden sind damit in den Stand versetzt, die für Maßnahmen im Vollzug der Freiheitsstrafe notwendigen personenbezogenen Daten auch im Rahmen der Sozialen Hilfe zu erheben, um sachgerechte Entscheidungen treffen zu können. § 179 Abs. 2 Satz 1 enthält den datenschutzrechtlichen Grundsatz, dass personenbezogene Daten bei dem Betroffenen zu erheben sind (§ 179 Rdn. 9). Aus der Eigenart der gesetzlichen Aufgaben des Strafvollzuges kann sich jedoch die Notwendigkeit ergeben, in bestimmten Sachlagen Informationen bei anderen Personen als dem Betroffenen erheben zu müssen. Hierzu gehören beispielsweise Auskünfte über die Wahrnehmungen von Bediensteten über das Verhalten der Gefangenen und Auskünfte von Bezugspersonen über die sozialen Verhältnisse der Gefangenen. Unter den Voraussetzungen des § 13 Abs. 2 BDSG kann nach § 179 Abs. 2 Satz 2 vom Grundsatz der Erhebung bei dem Betroffenen abgewichen werden. Ein Anwendungsfall, in dem die zu erfüllende Vollzugsaufgabe ihrer Art nach eine Erhebung bei anderen Personen oder Stellen erforderlich macht, kann beispielsweise die Fallgestaltung sein, dass entsprechende Informationen bei den Gefangenen selbst nicht zu erhalten sind oder Zweifel an der Richtigkeit der Angaben bestehen (vgl. auch § 179 Rdn. 11). Hinsichtlich der üblichen Verpflichtung zur Angabe des Erhebungszweckes und der Benennung eines Rechtsgrundes bestehen im Vollzug keine bereichsspezifischen Besonderheiten. § 179 Abs. 2 Satz 2 verweist daher bezüglich der Hinweis- und Aufklärungspflichten auf die Regelung des § 13 Abs. 3 und 4 BDSG. Als gesetzliche Regelung zur Verarbeitung und Nutzung personenbezogener Daten ist § 180 Abs. 4 Satz 1 Nr. 5 als Rechtsgrundlage für die Datenweitergabe von Amts wegen für die Soziale Hilfe sowie die Entlassungsvorbereitung von besonderer Bedeutung. Abs. 4 Nr. 1 regelt die Übermittlung personenbezogener Daten, soweit dies u. a. für Maßnahmen der Gerichtshilfe, Jugendgerichtshilfe, Bewährungshilfe oder Führungsaufsicht erforderlich ist (§ 180 Rdn. 26). Zugleich ergänzt die Regelung in Nr. 1 im Hinblick auf die Führungsaufsicht die Auskunftspflicht nach § 463 a StPO, soweit sich die Mitteilung nicht auf die Überwachung Best
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des Verurteilten oder die Erfüllung von Weisungen, sondern auf die Hilfe oder Betreuung (§ 68 a Abs. 2 StGB) bezieht. Nr. 4 betrifft die Entscheidungen über Leistungen, die mit der Aufnahme in einer Justizvollzugsanstalt entfallen oder sich mindern und Nr. 5 die Einleitung von Hilfsmaßnahmen für Angehörige des Gefangenen. Die Vollzugsbehörden sind damit in die Lage versetzt, Mitteilungen, zu denen Gefangene aufgrund des SGB II (Grundsicherung für Arbeitssuchende), des SGB XII (Sozialhilfe) oder anderer Gesetze verpflichtet sind, an ihrer Stelle vorzunehmen. Aus der Vollzugspraxis ist auf die Notwendigkeit solcher Mitteilungen hingewiesen worden, die vermeiden sollen, dass durch ein Versäumnis der Gefangenen Situationen entstehen, die ihre Wiedereingliederung erschweren. Nach der Grundsatznorm des § 71 sollte die Vollzugsbehörde aber bemüht sein, die Einwilligung des Betroffenen zu erhalten, da die Auskunftserteilung und Datenübermittlung auch in seinem Interesse liegt (z. B. bei der Geltendmachung von Leistungsansprüchen). a) Maßnahmen zur Erhaltung und Beschaffung einer Wohnung. Zu den not- 7 wendigen Maßnahmen i. S. von § 72 kann es auch gehören, dem Inhaftierten die Wohnung zu erhalten. Nach § 4 Abs. 1 der „Verordnung zur Durchführung der Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten“ (DVO zu §§ 67 ff SGB XII) sind Maßnahmen zur Erhaltung und Beschaffung einer Wohnung vor allem die erforderliche Beratung und persönliche Unterstützung (zur Entlassungsvorbereitung vgl. Rdn. 6 zu § 74). Die Hilfe kann nach Abs. 2 aber auch sonstige Leistungen zur Erhaltung einer Wohnung insbesondere nach § 34 SGB XII umfassen. Wohnungsbeschaffungskosten und Mietkautionen sind in § 29 Abs. 1 Satz 7 SGB XII ausdrücklich benannt. Die Hilfe ist zwar eine Freiwilligkeitsleistung und soll gewährt werden, wenn sie gerechtfertigt und notwendig ist und ohne sie Wohnungslosigkeit einzutreten droht. Der für die Vollzugsanstalt zuständige örtliche Sozialhilfeträger (vgl. Rdn. 7 zu § 74) hat auch ein Ermessen darüber, ob er die Mietkosten durch die Gewährung einer Beihilfe oder eines Darlehens übernehmen will. Zur Sozialhilfe für Strafgefangene und deren Angehörige: Brühl 1986, 291 sowie Rdn. 8 ff zu § 71. Vgl. das Beispiel unter Rdn. 12. Zur örtlichen Zuständigkeit des Sozialhilfeträgers Rdn. 8 zu § 74. Sind Angehörige vorhanden, haben diese einen eigenen Anspruch auf Sozialhilfe (s. auch Rdn. 8 zu § 71), der nicht von dem des unterhaltspflichtigen Inhaftierten abgeleitet ist; hier werden in der Regel die Unterkunftskosten schon im Rahmen der Hilfe für diese Angehörigen erbracht.. Im Rahmen der Hilfe nach § 34 SGB XII können aber auch die Kosten für die Beibehaltung von Mietwohnungen für Insassen von Justizvollzugsanstalten getragen werden, um die Unterkunft für die Zeit nach der Haftentlassung zu sichern (BayVGH ZfStrVo 1981, 243 im Fall einer neunmonatigen Freiheitsstrafe; VG Münster ZfStrVo 2003, 379 ff: Finanzierung der Wohnung eines Untersuchungsgefangenen im Wege der Sozialhilfe wegen der ungewissen Dauer des Aufenthalts in der Haft). Als gerechtfertigt kann die Kostenübernahme zur Beibehaltung einer Wohnung bei kurzfristigem Freiheitsentzug angesehen werden, Wenzel § 34 SGB XII Rdn. 6 m. w. N. in: Fichtner/Wenzel SGB XII 2009; a. A. OVG Berlin FEVS 27, 142, 145; bei längerfristigem Freiheitsentzug müssen besondere Umstände hinzukommen, wie z. B. besonders günstige Resozialisierungschancen, Angemessenheit der Kosten durch Vermeidung höherer Kostenbelastung durch Einlagerung: einschränkend OVG Sachsen FEVS 49, 77 ff; OVG Hamburg NJW 2000, 1587 bei absehbaren Zeitraum der Inhaftierung, ebenso Berlit in LPK-SGB XII 2012 § 29, Rdn. 16, der bei Verbüßung einer Freiheitsstrafe allenfalls Leistungen zur Sicherung einer angemessenen Unterkunft und damit zur Vermeidung drohender Wohnungslosigkeit (§ 34 Abs. 1 SGB XII) annimmt; zur Dauer einer übergangs693
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weisen Leistungsgewährung zur Beibehaltung der Unterkunft an Inhaftierte LSG Niedersachsen-Bremen v. 22.9.2005, FEVS 57, 531). Die in § 98 Abs. 4 SGB XII enthaltene Zuständigkeitsvorschrift für die Hilfe an Personen in Einrichtungen zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung zeigt, dass bei Strafgefangenen ein wesentlicher Aspekt der Hilfe die Übernahme der Kosten zur Erhaltung der Wohnung sein kann. In der Regel wird diese Hilfe als Kann-Leistung in Betracht kommen, sodass als Rechtsgrundlage auch § 68 SGB XII in Betracht kommt. Allerdings muss die Maßnahme sinnvoll und wirtschaftlich vertretbar sein (Schellhorn in SGB XII Kommentar 18. Aufl. 2011 Rdn. 11 zu § 68). Voraussetzung ist dabei, dass die Miete im Hinblick auf Größe und Entgelt sozialhilferechtlich angemessen ist (OVG Bautzen FEVS 49, 77), vgl. zur Entlassungsvorbereitung Rdn. 3 f zu § 74. Diese Grundsätze gelten auch für die Aufbewahrung von Möbeln (besonders wichtig bei kurzzeitigem Freiheitsentzug), vgl. OVG Lüneburg ZfStrVo 2002, 119 ff: auch bei einem Zeitraum von mehr als sechs Monaten Haft zur „Sicherung der Unterkunft“ i. S. d. §§ 29, 34 SGB XII für die Übernahme der Kosten durch Träger der Sozialhilfe, die durch die Aufbewahrung von Möbeln und sonstiger Habe während der Haftzeit entstehen; Kosten für die Unterstellung von Möbeln und sonstiger Habe rechnen zu den Wohnungserhaltungskosten, so OVG NI 4.12.2000, FEVS 52, 274, a. A. Berlit in LPK-SGB XII 2012 § 29 Rdn. 16). 8
b) Maßnahmen zur Sicherstellung von Gepäck und Habe. Es gehört nicht zu den Amtspflichten der Vollzugsbediensteten, sich allgemein um die Vermögensinteressen eines Gefangenen zu kümmern, da ihm dies nach § 72 in erster Linie selbst obliegt. Hat es aber die Anstalt übernommen, sich um das Gepäck eines Gefangenen zu kümmern, muss sie dies in absehbarer Zeit tun, allerdings unter angemessener Berücksichtigung der sonstigen Aufgaben des zuständigen Sozialarbeiters (OLG Braunschweig ZfStrVo 1979, 190); Aufwendungen zur Sicherstellung der Habe hat die Anstalt wenigstens dann nicht zu tragen, wenn der Gefangene zunächst genügend eigene Geldmittel zur Verfügung hatte (OLG Hamburg ZfStrVo 1989, 249).
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4. Beratung zur Sozialversicherung. Der Gefangene hat nach § 72 Abs. 2 i. V. mit § 14 SGB I einen Rechtsanspruch auf Beratung über die Aufrechterhaltung einer Sozialversicherung. Im Einzelnen geht es um die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung, der gesetzlichen Unfallversicherung und der gesetzlichen Rentenversicherung (§§ 21 bis 23 SGB I). Da die Beratung mehr bedeutet als bloße Aufklärung und Auskunft und entscheidend abhebt auf die „Aufnahmefähigkeit“ bzw. den („Empfängerhorizont“), wird nicht in allen Fällen eine formularmäßige Belehrung mit Aushändigung des Merkblatts über die Sozialversicherung und die Arbeitslosenversicherung der Gefangenen (Vordruck VG 7) den Anforderungen genügen. Es empfiehlt sich, zumindest den Punkt „Auskunftsstellen“ in einem persönlichen Beratungsgespräch zu erläutern und besonders auch Beratungsgespräche mit den dafür zuständigen Leistungsträgern (Rentenversicherungsträger, Ortskrankenkassen, Ersatzkassen, Arbeitsämter, Versicherungsämter) zu ermöglichen und die Anschriften und Sprechzeiten bekannt zu geben (vgl. dazu auch Rdn. 4 zu § 74). Der Gefangene ist verpflichtet, sich auch selbst um ihn betreffende Gesetzesänderungen im Rentenrecht zu kümmern. Die Anstalt kommt auf jeden Fall ihrer Fürsorgepflicht in ausreichendem Maße nach, wenn sie in einem Merkblatt auf die zuständigen Auskunftsstellen in Rentenangelegenheiten hinweist und der Hafturlaub zum Zwecke der weiteren Information bei der Rentenstelle gewährt wird.
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5. Beratung zur Rentenversicherung. Das BVerfG hat in dem Urteil zur „Gefangenenentlohnung“ vom 1.7.1998 (vgl. dazu Rdn. 2 vor § 71) die Nichteinbeziehung von GeBest
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fangenen in die gesetzliche Rentenversicherung als verfassungsgemäß bewertet. Der Gesetzgeber verfüge bei der Ausgestaltung der Sozialordnung (vgl. Art. 20 Abs. 1 GG) über eine Gestaltungsmacht, Art und Umfang sozialer Sicherungssysteme und den Kreis der hierdurch berechtigten Personen nach sachgerechten Kriterien zu bestimmen. Das Gebot einer sozialversicherungsrechtlichen Gleichstellung der Pflichtarbeit mit freier Erwerbsarbeit sei weder aus dem verfassungsrechtlichen Resozialisierungsgebot noch unter Berücksichtigung des Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) abzuleiten. Im Rahmen der angemessenen Anerkennung der geleisteten Arbeit sei der Gesetzgeber aber frei, die Gefangenen in den Schutz der sozialen Sicherungssysteme einzubeziehen, wenngleich das Grundgesetz nicht zu einer Ausdehnung dieses Schutzes auf Pflichtarbeit im Strafvollzug zwinge. Ob und inwieweit der Gesetzgeber künftig bei der Ausgestaltung dieses Resozialisierungskonzeptes sozialversicherungsrechtliche Elemente berücksichtigen wird, ist offen. Daher kommt der Beratungsaufgabe erhöhte Bedeutung zu. Mit einer freiwilligen Versicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung besteht die Möglichkeit, die Mindestversicherungsdauer für einen Rentenanspruch zu erfüllen oder einen Rentenanspruch zu erhöhen. Zur freiwilligen Versicherung ist grundsätzlich jeder berechtigt, der das 16. Lebensjahr vollendet hat und nicht versicherungspflichtig ist. Versicherte, die vor dem 1.1.1984 die allgemeine Wartezeit von 5 Jahren erfüllt und jeden Kalendermonat in der Zeit vom 1.1.1984 bis zur Inhaftierung mit einer rentenrechtlichen Zeit belegt haben, können sich die Anwartschaft für eine Rente wegen Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit durch regelmäßige Zahlung von freiwilligen Beiträgen erhalten. 6. Beratung zu Kranken- und Pflegeversicherung. Unter bestimmten Vorausset- 11 zungen kann auch die Krankenversicherung freiwillig fortgesetzt werden (§ 9 SGB V). Dies empfiehlt sich insbesondere für Gefangene mit Familienangehörigen, die nicht anderweitig gegen Krankheit versichert sind. Für den Gefangenen selbst ruht der Anspruch auf Leistungen aus der freiwilligen Weiterversicherung für die Dauer der Haft (§ 16 SGB V). Hat der Gefangene keine Mittel zur Weiterversicherung und sind seine Angehörigen im Krankheitsfall auf Sozialhilfe angewiesen, empfiehlt es sich, das Sozialamt der Heimatgemeinde – ggf. durch Vermittlung der Vollzugsanstalt – zu bitten, die Zahlung der Versicherungsbeiträge für die Zeit der Inhaftierung zu übernehmen. Auch bei der Pflegeversicherung besteht die Möglichkeit der Weiterversicherung. Hierzu kann auch das Überbrückungsgeld (§ 51) in Anspruch genommen werden. Zum Nachweis der Versicherungspflicht im Rahmen der Arbeitslosenversicherung hat bei der Entlassung in die Freiheit die Anstalt dem Gefangenen eine Bescheinigung über die Zeiten auszustellen, in denen er innerhalb des durch § 312 Abs. 4 SGB III bestimmten Zeitraums als Gefangener nach § 26 Abs. 1 Nr. 4 SGB III versicherungspflichtig war (vgl. hierzu und zu den umfassenden gesetzlichen Änderungen Rdn. 4 ff zu § 74). III. Beispiel: Mietkosten-Fall Der Strafgefangene N. verbüßt in der Vollzugsanstalt L. eine Freiheitsstrafe von 12 sechs Monaten. Seine Wohnung in seinem Wohnort H. hat er beibehalten. Er will wissen, welches Sozialamt zuständig ist und ob die Mietkosten übernommen werden können. Die örtliche Zuständigkeit des Sozialamtes ergibt sich aus. § 97 SGB XII und §§ 29, 34 SGB XII i. V. mit § 4 der „Verordnung zur Durchführung der Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten“ (DVO zu §§ 67 ff SGB XII). Zu den Einzelheiten: vgl. Rdn. 6 zu § 74.
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Sind Angehörige vorhanden, haben diese einen eigenen Anspruch auf Sozialhilfe, der nicht von dem unterhaltspflichtigen Inhaftierten abgeleitet ist; hier werden in der Regel die Unterkunftskosten schon im Rahmen der Hilfe für diese Angehörigen erbracht. Nach § 34 Abs. 1 Satz 3 SGB XII steht es im pflichtgemäßen Ermessen des zuständigen Sozialhilfeträgers, ob er die Mietkosten durch die Gewährung einer Beihilfe oder eines Darlehens zur Erhaltung der Wohnung übernehmen will. Im Rahmen der Hilfe nach § 34 SGB XII können aber auch die Kosten für die Beibehaltung von Mietwohnungen für Insassen von Justizvollzugsanstalten getragen werden, um die Unterkunft für die Zeit nach der Haftentlassung zu sichern. Als gerechtfertigt kann die Kostenübernahme zur Beibehaltung einer Wohnung bei kurzfristigem Freiheitsentzug (hier: sechs Monate) angesehen werden; bei längerfristigem Freiheitsentzug müssen besondere Umstände hinzukommen, wie z. B. besonders günstige Resozialisierungschancen, Angemessenheit der Kosten durch Vermeidung höherer Kostenbelastung durch Einlagerung. Die in § 98 Abs. 4 SGB XII enthaltene Zuständigkeitsvorschrift für die Hilfe an Personen in Einrichtungen zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung zeigt, dass bei Strafgefangenen ein wesentlicher Aspekt der Hilfe die Übernahme der Kosten zur Erhaltung der Wohnung sein kann. In der Regel wird diese Hilfe als Kann-Leistung in Betracht kommen, sodass als Rechtsgrundlage auch § 68 SGB XII in Betracht kommt. Allerdings muss die Maßnahme sinnvoll und wirtschaftlich vertretbar sein Voraussetzung ist dabei, dass die Miete im Hinblick auf Größe und Entgelt sozialhilferechtlich angemessen ist (vgl. Rdn. 7). IV. Landesgesetze und Musterentwurf 13
1. Baden-Württemberg. § 41 JVollzGB III fasst die Regelungen in den §§ 72 und 73 StVollzG zusammen und verzichtet auf die Unterteilung zwischen Hilfen zur Aufnahme und während des Vollzugs. Abs. 1 ist nahezu wortgleich mit § 72 Absatz 2 StVollzG. Abs. 2 Satz 1 geht über den Regelungsgehalt von § 72 Abs. 2 StVollzG hinaus und hat folgenden Wortlaut: „Gefangenen ist eine Beratung in für sie bedeutsamen rechtlichen und sozialen Fragestellungen zu ermöglichen.“ Folgerichtig entspricht Abs. 2 Satz 2 in ergänzter Form weitgehend dem § 73 StVollzG und dem § 74 StVollzG (vgl. dort) und konkretisiert in Abs. 3 die Suchtberatung und die Vermittlung in Therapieeinrichtungen. Abs. 3 hat folgenden Wortlaut: „Auf Grund der Behandlungsuntersuchung oder auf Wunsch können suchtgefährdete oder süchtige Gefangene Suchtberatung und Vermittlung in Therapieeinrichtungen des Justizvollzugs oder anderer Träger erhalten.“ 2. Bayern. Art. 77 BayStVollzG ist inhaltsgleich mit § 72 StVollzG.
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3. Hamburg. Das HmbStVollzG enthält keine in einem besonderen Titel, Kapitel oder Abschnitt zusammengefassten Bestimmungen über soziale Hilfen. Am ehesten entspricht § 16 Satz 2 dem Sinngehalt dieser Vorschrift (siehe III zu § 71).
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4. Hessen. § 8 Abs. 3 HStVollzG entspricht im Wesentlichen der Regelung in § 72 Abs. 1 StVollzG. Auch hier gilt der Grundsatz der Hilfe zur Selbsthilfe, der im Ablauf der Aufnahme eine zentrale Rolle einnimmt.
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5. Niedersachsen. § 69 Abs. 1 NJVollzG („Hilfen im Vollzug“) ist nahezu wortgleich mit § 72 StVollzG bis auf die geschlechtsspezifische Differenzierung. Abs. 2 entspricht in veränderter Form mit Ergänzungen weitgehend dem § 73 StVollzG (vgl. dort). Abs. 3 entspricht in veränderter Form mit Ergänzungen und Abänderungen weitgehend dem § 74 StVollzG (vgl. dort). Best
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6. Musterentwurf. § 6 ME-StVollzG, der das Aufnahmeverfahren regelt, ist in Abs. 4 18 inhaltsgleich mit § 72 Abs. 1 StVollzG, erwähnt aber ausdrücklich neben den Maßnahmen für hilfsbedürftige Angehörige auch Maßnahmen zur Erhaltung des Arbeitsplatzes und der Wohnung.
§ 73 Hilfe während des Vollzuges § 73 Best Hilfe während des Vollzuges Der Gefangene wird in dem Bemühen unterstützt, seine Rechte und Pflichten wahrzunehmen, namentlich sein Wahlrecht auszuüben sowie für Unterhaltsberechtigte zu sorgen und einen durch seine Straftat verursachten Schaden zu regeln. Schrifttum S. Vor § 71.
I. II.
Übersicht Allgemeine Hinweise ____ 1 Erläuterungen ____ 2–16 1. Ausübung des Wahlrechts ____ 2, 3 2. Pflichten ____ 4–6 a) Zur Sorge für die Unterhaltsberechtigten ____ 5 b) Zur Wiedergutmachung des Schadens ____ 6 3. Schuldenregulierung ____ 7–15 a) Bedarfslage ____ 7, 8 b) Methodische Ansätze ____ 9 c) Arbeitsweise der Resozialisierungsfonds ____ 10 d) Aufgabe für die Sozialarbeit ____ 11 e) Entschuldungshilfe im Vollzug ____ 12
III. IV.
f) Schuldenbereinigung nach dem Insolvenzrecht ____ 13 g) Erteilung von Auskünften an Verletzte einer Straftat ____ 14 h) Pfändung von Forderungen der Gefangenen und Pfändungsschutz ____ 15 Beispiel: Familienseminar-Fall ____ 16 Landesgesetze und Musterentwurf ____ 17–22 1. Baden-Württemberg ____ 17 2. Bayern ____ 18 3. Hamburg ____ 19 4. Hessen ____ 20 5. Niedersachsen ____ 21 6. Musterentwurf ____ 22
I. Allgemeine Hinweise Der in § 73 festgelegte Rechtsanspruch betrifft die soziale Hilfe während des Voll- 1 zugs. Inhaltlich konkretisiert er die Grundsatznorm des § 71 (dort Rdn. 1) für die Hauptphase des Vollzugsaufenthalts; äußerlich beschränkt er sich auf die Unterstützung der Gefangenen, ihre Rechte und Pflichten wahrnehmen zu können. Wegen des weiten Tätigkeitsfeldes der sozialen Hilfe hat der Gesetzgeber darauf verzichtet, Einzelmaßnahmen zu benennen und – als Mindestverpflichtung der Anstalt (C/MD 2008 Rdn. 1) – einige besonders bedeutsame Hilfen hervorgehoben: das Wahlrecht, die Unterhaltspflicht und die Pflicht zur Regelung des durch die Straftat verursachten Schadens. Damit sind Hilfen erwähnt, die zeitlich über die Haft hinausreichen. Zur Stellung der Gefangenen als Staatsbürger vgl. § 4 Rdn. 1. Der Gesetzgeber hat es der Methodik der Sozialarbeit überlassen, im Einzelfall wirkungsvoll Beistand zu leisten (BT-Drucks. 7/918, 75). Auch bei der Umsetzung dieser Aufgaben ist der Sozialarbeiter/Sozialpädagoge als Koordinator, Vermittler und Gestalter gefordert (vgl. auch Rdn. 3 vor § 71).
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II. Erläuterungen 1. Ausübung des Wahlrechts. Zu den besonders hervorgehobenen Rechten, bei deren Durchsetzung die Gefangenen zu unterstützen sind, gehört das Wahlrecht (ausführlich mit Nachw. Kretschmer 2002, 131 ff). Die allgemeinen Voraussetzungen zur Ausübung des aktiven Wahlrechts sind in § 12 BWG (BundeswahlG) geregelt. Nach § 12 Abs. 4 Nr. 3 BWG gilt für die im Vollzug gerichtlich angeordneter Freiheitsentziehung befindliche Personen sowie für andere Untergebrachte die Anstalt oder die entsprechende Einrichtung als Wohnung i. S. d. Gesetzes, wenn sie in der Bundesrepublik Deutschland keine Wohnung innehaben. Die Anstalt hat zunächst eine Informationspflicht zur Ausübung des Wahlrechts, insbesondere zur Abwicklung der Briefwahl. Sie muss den Gefangenen unter Beachtung der wahl-, melde- und datenschutzrechtlichen Vorschriften (insbesondere bei Befragung der Gefangenen, ob sie an der Wahl teilnehmen wollen oder nicht) die Wahl ermöglichen und sie unterstützen, dass sie am Wahltag ihre Stimme abgeben können. Deshalb hat sie bereits dafür zu sorgen, dass die Gefangenen eine Wahlbenachrichtigung erhalten. Ggf. muss ihnen geholfen werden, die dafür notwendigen Formalitäten zu erledigen. Voraussetzung für die Ausübung des Wahlrechts ist, dass der Wahlberechtigte in ein Wählerverzeichnis eingetragen ist oder einen Wahlschein hat. § 16 Abs. 2 Nr. 1 c) BWO (BundeswahlO) regelt, dass die Wahlberechtigten, die sich in einer Justizvollzugsanstalt oder entsprechenden Einrichtung befinden und nicht nach § 16 Abs. 1 Nr. 4 BWO von Amts wegen in das Wählerverzeichnis einzutragen sind, auf Antrag in ein solches eingetragen werden. Hintergrund für diese Regelung sind die melderechtlichen Vorschriften der Länder. Die amtlichen Informationen (Merkblätter) der Landeswahlleiter sind rechtzeitig zu verteilen, die Anträge auf Erteilung eines Wahlscheins und die abgegebenen Wahlbriefe unverzüglich abzusenden. Zu den Portokosten vgl. VV zu § 28. Allerdings können Wahlbriefe nach § 36 BWG unentgeltlich eingeliefert werden. Die Kosten trägt im Fall von Bundestagswahlen der Bund. Auch bei Landtagswahlen tragen üblicherweise die Länder entsprechend den Vorschriften in der Landswahlordnung (LWO) das Porto für die Anforderung der Briefwahlunterlagen und für die Wahlbriefe (vgl. § 41 Abs. 6 LWO Baden-Württemberg). Notfalls hat die Anstalt mit der zuständigen Gemeindebehörde abzuklären, ob ein beweglicher Wahlvorstand eingesetzt wird „bei entsprechendem Bedürfnis“ (vgl. z. B. § 57 Nds. LWO für die Landtagswahl). In diesem Fall stellt die Anstalt einen Wahlraum bereit, gibt den Wahlberechtigten mit einem für den Wahlkreis gültigen Wahlschein Ort und Zeit der Stimmabgabe bekannt und sorgt dafür, dass sie zur Stimmabgabe den Wahlraum aufsuchen können. Die Vollzugsbehörde ist allerdings nicht verpflichtet, zuzulassen, dass in den Anstalten Wahlkampf betrieben wird (SA, BT-Drucks. 7/3998, 30). Deshalb können die Gefangenen z. B. nicht verlangen, dass die Anstaltsleitung für Informationen über die Wahlbewerber oder die zur Wahl stehenden Parteien sorgt. Denn die hierfür erforderlichen Informationen können sie sich durch Zeitungen und Zeitschriften (§ 68), Rundfunk und Fernsehen (§ 69) selbst beschaffen. Eine Verpflichtung der Vollzugsbehörden, Wahlkampf in den Anstalten zuzulassen, besteht nicht (ebenso Arloth 2011 § 73, Rdn. 3). Bewährt hat sich aber die Praxis, Wahlveranstaltungen der Parteien in den Anstalten in Form gemeinsamer Podiumsdiskussionen durchzuführen. Gegen gesonderte Wahlveranstaltungen einzelner Parteien bestehen allerdings Bedenken – in Rechtsanalogie insbesondere zu § 74 Abs. 2 Satz 3 Betriebsverfassungsgesetz. Die Ausübung des Wahlrechts bezieht sich nur auf das aktive Wahlrecht (LG Ham3 burg ZfStrVo 1979, 63; C/MD 2008 Rdn. 2) und nicht auf das passive Wahlrecht, d. h. die Wählbarkeit (dafür: AK-Huchting/Majuntke 2012 Rdn. 11); offen gelassen bei OLG Celle 2
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(ZfStrVo 1981, 125). Durch § 73 werden die §§ 11 und 13 nicht berührt. Dementsprechend kommen eine Ausführung, ein Ausgang und ein Urlaub für Zwecke der Wahl nur dann in Betracht, wenn keine Missbrauchs- oder Fluchtgefahr besteht. Dies gilt auch für die Gewährung von Urlaub oder Ausgang aus wichtigem Anlass nach § 35 (OLG Celle ZfStrVo 1981, 125). Für die Ausübung des aktiven Wahlrechts (z. B. zum Besuch von Wahlveranstaltungen außerhalb der Anstalt) sind die allgemeinen Vorschriften über Urlaub, Ausgang usw. ebenfalls heranzuziehen (SA, BT-Drucks. 7/3998, 30). Dies gilt auch für die Entscheidung über die Gewährung von Vollzugslockerungen zur Ausübung eines passiven Wahlrechts (z. B. Bewerbung von Strafgefangenen um ein Bundestags-, Landtagsmandat oder Mandat im kommunalen Bereich). Der Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl (Art. 38 Abs. 1 GG) wird zwar bei der Ausübung des passiven Wahlrechts dadurch eingeschränkt, dass Strafgefangene faktisch daran gehindert werden, sich in gleicher Weise wie andere Wahlbewerber um eine Kandidatur zu bemühen. Diese Einschränkung ist jedoch durch einen zwingenden, gegenüber dem Demokratieprinzip und dem passiven Wahlrecht gleichgewichtigen Grund (Sicherung des staatlichen Vollzugsbedürfnisses, Verhinderung weiterer Straftaten zum Schutz der Allgemeinheit, vgl. § 11 Abs. 2) gerechtfertigt (BVerfG NStZ 1982, 83 = GA 1982, 37). Das Bundesverfassungsgericht hat in dieser Entscheidung klargestellt, dass auch das in Art. 48 Abs. 1 GG garantierte Recht des Bundestagskandidaten auf den zur Vorbereitung seiner Wahl notwendigen Urlaub keine andere Beurteilung zulässt: Art. 48 Abs. 1 GG beziehe sich nur auf Personen, die anderen gegenüber öffentlich- oder privatrechtliche Dienstpflichten hätten und daher „Urlaubsberechtigte“ seien, nicht dagegen auf Strafgefangene. Auch Art. 48 Abs. 2 GG entfalle als Prüfungsmaßstab der in § 11 Abs. 2 normierten Beschränkungen: sein Anwendungsbereich werde nur durch Regelungen berührt, die die Übernahme (oder Ausübung) des Abgeordnetenmandats erschweren oder unmöglich machen sollen. Für Art. 48 Abs. 2 GG unerheblich seien solche Regelungen, die in eine andere Richtung zielen und nur unvermeidlicherweise die tatsächliche Folge der Wirkung einer Beeinträchtigung der Freiheit der Mandatsübernahme (oder -ausübung) hätten (BVerfG NStZ 1982, 83). Vgl. § 13 Rdn. 13. Die Frage, ob sich die den Gefangenen nach § 73 zu gewährenden Hilfen auch auf das passive Wahlrecht beziehen, hat das Bundesverfassungsgericht in dieser Entscheidung offen gelassen (bejahend Jekewitz GA 1981, 433 ff, der aber auch von einer auf die Dauer der Strafhaft beschränkten „faktischen Wahrnehmungssperre“ ausgeht: die Voraussetzungen für die Gewährung von Vollzugslockerungen sind der allgemeine Vorbehalt; die Ermessensentscheidung muss im Einzelfall unter Beachtung des Prinzips der Verhältnismäßigkeit erfolgen). 2. Pflichten. Die neben dem Wahlrecht genannten Pflichten beziehen sich vorwie- 4 gend auf finanzielle Angelegenheiten: die Erfüllung der Unterhaltspflichten und die Begleichung der Straftatschulden. Wegen der bisher äußerst geringen Höhe des Arbeitsentgeltes bzw. der Ausbildungsbeihilfe kann diese gesetzliche Zielvorgabe nur in wenigen Einzelfällen verwirklicht werden (§ 200 Rdn. 3; zu den Auswirkungen des Urteils des BVerfG vom 1.7.1998 – NJW 1998, 3337 – vgl. Rdn. 1 vor § 71). Das sollte die Anstalt aber nicht hindern, das Verantwortungsgefühl des Gefangenen für diesen Bereich zu entwickeln. Wichtige Vorarbeiten können geleistet, finanzielle Folgewirkungen negativer Art verhindert werden (s. Rdn. 7; Rdn. 4 ff zu § 72). Zur Strategie der Aktivierung vgl. Rdn. 4 vor § 71. a) Pflichten zur Sorge für die Unterhaltsberechtigten. Zur Unterstützung der Ge- 5 fangenen bei der Sorge für ihre Unterhaltsberechtigten gehört eine umfassende Beratung über die Sozialleistungsansprüche (dazu Rdn. 3 zu § 74). Praktische Umsetzung 699
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dieser Hilfe wird in vielen Fällen nur durch die Familienarbeit freier Verbände und ehrenamtlicher Mitarbeiter vor Ort erreicht (zu der Kostenfrage von Besuchsfahrten vgl. Rdn. 8 zu § 71; zur Sozialhilfe für Angehörige von Strafgefangenen vgl. Rdn. 8 zu § 71 und den Familienseminar-Fall Rdn. 16). 6
b) Pflichten zur Wiedergutmachung des Schadens. Bei der Pflicht zur Wiedergutmachung hat der Gesetzgeber ausdrücklich hervorgehoben, dass diese Rücksichtnahme auf die Belange der Opfer von Straftaten nicht nur allgemeine Bedeutung hat, sondern auch dem Behandlungsziel (§ 2 Rdn. 10 ff) dient: neben einem Abbau der Schulden soll den Gefangenen die Einsicht in die Folgen ihrer Tat für das Opfer geweckt werden (BTDrucks. 7/918, 75). Der Pflicht der Gefangenen steht die Verpflichtung der Vollzugsbehörde gegenüber, sie im Rahmen der Entlassungsvorbereitung bei der Ordnung ihrer wirtschaftlichen Angelegenheiten zu beraten (§ 74 Satz 1). Aus dem Gesamtzusammenhang beider Vorschriften ergibt sich die Aufgabe der Entschuldungshilfe; vgl. Rdn. 7. Die Opferperspektive sollte während der gesamten Inhaftierungszeit thematisiert werden. Aus dem in § 2 StVollzG geregelten Vollzugsziel, wonach die Gefangenen im Vollzug der Freiheitsstrafe fähig werden sollen, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen, erwächst die Aufgabe, auch Täter-Opfer-Aspekte als Lernfeld sozialer Verantwortung in den Behandlungsvollzug einzubeziehen. Diese Aspekte sollten nicht nur im Rahmen der sozialtherapeutischen Behandlung von Gewalttätern und Sexualstraftätern berücksichtigt werden. Das gesamte Vollzugsgeschehen hat sich mit diesem neuen kriminalpolitischen Paradigma zu befassen, da durch solche aktiven Ausgleichsbemühungen zur Wiedergutmachung die Kriminalitätsfurcht in der Bevölkerung verringert und das Sicherheitsgefühl erhöht werden können. Ansatzweise sind bereits freiwillige gemeinnützige Arbeitseinsätze von Gefangenen im Umfeld von Anstalten erprobt worden. Dies entspricht auch der Zielsetzung eines chancenorientierten Behandlungsvollzugs; vgl. Rdn. 5 vor § 71. Der Anwendungsbereich solcher z. T. symbolischer – Ausgleichsbemühungen wird aber während der Freiheitsentziehung erheblich geringer sein als in Freiheit, wo der Täter-Opfer-Ausgleich (TOA) inzwischen als Instrument der Kriminalpolitik allgemein anerkannt ist. Hier kann die Berücksichtigung der Interessen von Tatopfern insbesondere im Rahmen von Lockerungs- und Urlaubsentscheidungen sowie bei Maßnahmen der Schuldenregulierung Bedeutung erlangen. Die Möglichkeiten eines Täter-Opfer-Ausgleichs während des laufenden Strafvollzuges sollten zum festen Bestandteil der Vollzugspraxis gehören. Ziel sollte sein, das Thema in den Vollzugsalltag zu integrieren und eine innere Auseinandersetzung der Gefangenen mit der Opferperspektive als Lernfeld sozialer Verantwortung und zur Förderung der Ausgleichsbereitschaft zu fördern und zu fordern (vgl. Laubenthal 2011 Rdn. 165 ff; Bannenberg/Rössner 2002; Finger 2002, 517 f: aus nds. Sicht für eine Neuorganisation unter Einbeziehung des Vollzugs; Hartwig 1991, 106; Kawamura 1994, 3; Kerner 1998; Rixen 1994, 215; Gelber/Walter 2012; Wandrey/Delattre 1995 und wegbereitend für diese Entwicklung Wulf 1985, 67 ff; zur Sicht der Inhaftierten Gabriel/Müller/Oswald 2002, 141 ff; Walther 2002 (vgl. auch § 41 Abs. 2 Satz 2 JVollzGB, Art. 78 BayVollzG, für den Vollzugsplan § 8 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 HmbStVollzG unter ausdrücklichem Hinweis auf Schadensausgleich und Maßnahmen des Täter-Opfer-Ausgleichs), Art 78 BayVollzG, § 69 Abs. 2 Satz 3 NJVollzG und § 5 Abs. 2 ME-StVollzG, vgl. dazu III.). 3. Schuldenregulierung
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a) Bedarfslage. Die Schuldenregulierung ist lebenspraktische Hilfe zur Rückfallverhütung (K/S-Schöch 2002 § 7 Rdn. 202 und § 13 Rdn. 23 sowie K/S-Kaiser 2002 § 4 Best
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Rdn. 13). Ihre Bedeutung wird leider in der Vollzugspraxis vielfach völlig verkannt. Dabei wächst gerade der Schuldenberg während des Vollzugsaufenthalts erheblich an: fast 3/4 aller Strafgefangenen haben erhebliche Schulden zwischen 500 und 25.000 Euro; rund die Hälfte ist mit einem Schuldenberg von mehr als 5.000 Euro verschuldet (vgl. dazu für Anfang der 1980 er Jahre Zimmermann 1981, 12 ff, 40 ff, 56 ff; Kühne 1982, 203 ff; aktuell dazu Böhm 2003 Rdn. 210). Da an der Spitze der Gläubiger inzwischen Kreditinstitute/ Finanzierungsbüros/Inkasso-Büros und Geschäftsbanken liegen, steigern sich die Schulden durch zusätzlich aufgelaufene Zinsen in vielen Fällen bis zum doppelten Betrag. In einer 1981 in Niedersachsen durchgeführten Gefangenenbefragung wurde die 8 Verschuldung als das zentrale Zukunftsproblem für die Zeit nach der Entlassung ermittelt. Als Gründe wurden angegeben: „Pfändungswettlauf der Gläubiger“ mit ständigen Vollstreckungsversuchen beim Arbeitgeber, verminderte Chancen bei der Arbeitsplatzsuche bzw. Gefährdung des Arbeitsplatzes (Drittschuldnersituation des Arbeitgebers bei Lohnpfändungen). Die Probleme um die Verschuldungsfolgen werden von den Gefangenen umso bewusster erlebt, je näher der Entlassungstermin rückt; beklagt wird allerdings der geringe Umfang der Entschuldungshilfe innerhalb des Vollzugs (mit Diskussion von Lösungswegen: Zimmermann 1981, 110 ff, 121 ff). Besonders aus den Erfahrungen mit Rückfalltätern ergibt sich, dass die im Vollzug eingeleiteten Ausbildungs-, Fortbildungs- und Arbeitsvermittlungsmaßnahmen „leer laufen“, wenn das Schuldenproblem ungelöst bleibt. Zum Verbraucherinsolvenzverfahren vgl. Rdn. 13. b) Methodische Ansätze. Als methodische Ansätze der Schuldenregulierung (Best 9 1981 a, 333 f) unterscheidet man die Einzelregulierung (traditionelle Form der ratenweisen Abzahlung nach einem festgelegten Tilgungsplan mit Eigenmitteln) und die Gesamtsanierung (sofortige Tilgung sämtlicher Schulden durch den Einsatz eines Darlehens bei Teilverzicht der Gläubiger). Beide Ansätze können miteinander kombiniert werden, doch setzt sich die Gesamtsanierung immer stärker durch, da gerade der Konsumentenkreditmarkt als Hauptgläubigergruppe zu erheblichen Nachlässen bereit ist (bis zu 70% – auch nach Beginn des Zwangsvollstreckungsverfahrens, vgl. Rdn. 10). c) Arbeitsweise der Resozialisierungsfonds. Nach dem methodischen Ansatz der 10 Gesamtsanierung arbeiten privatrechtlich organisierte Fonds (Nachweise bei Seebode 1983, 174), die zum Teil selbst Darlehen vergeben bzw. Bürgschaften für zinsgünstig gewährte Darlehen öffentlich-rechtlicher Kreditinstitute übernehmen. Durch die Resozialisierungsfonds mehrerer Landesjustizverwaltungen konnten bisher hohe Schuldensummen mit einem Kreditvolumen von ca. 30% dieser Summe abgelöst werden (bei durchschnittlich guter Zahlungsmoral der geförderten Haftentlassenen). Allein die Stiftung in Baden-Württemberg hat im Zeitraum 1975–2011 Ausgangsforderungen in Höhe von 96,9 Mio. Euro mit einem Gesamtvolumen von 22,389 Mio. Euro abgelöst und 4013 Darlehen vergeben. Der Höchstbetrag der zinslosen Darlehen, die ausschließlich der Schuldentilgung dienen und direkt an die jeweiligen Gläubiger ausgezahlt werden, liegt bei 11.000 Euro. Als günstig hat sich die Existenz der Fonds auch insofern erwiesen, als neben den privaten Gläubigern gerade die öffentlichen Gläubiger (Gerichtskassen, Finanzämter, gesetzliche Krankenkassen, Arbeitsämter) für erhebliche Nachlässe bzw. Niederschlagung ihrer Kosten gewonnen wurden. Die zunehmende Vergleichsbereitschaft aller Gläubigergruppen ist nicht nur bei der Schuldenregulierung von Vorteil; sie kommt vielmehr den gesamten kriminalpolitischen Bemühungen zur Verbesserung der Startchancen für Haftentlassene zugute. Vorbereitete Musterschreiben, Erlassverträge, Ablaufpläne, Arbeitsübersichten, Informationsberichte über die Vergleichsbereitschaft von Gläubigern und spezielle Fortbildungsveranstaltungen schaffen ein Ver701
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bundsystem der Entschuldungshilfe zwischen staatlichen und freien Trägern, das als lebenspraktisches soziales Lernfeld genutzt werden und bestimmt sein muss (Best 1981 b, 164, 167). Die Fonds arbeiten mit Stiftungsbeauftragten in den Vollzugsanstalten, der Bewährungshilfe und den freien Trägern der Straffälligenhilfe zusammen, bei denen sich der Gefangene informieren kann (Best 1982 b, 221 ff; Freytag 1987; und 1990, 259; Laubenthal 2011, Rdn. 648). 11
d) Entschuldungshilfe als Aufgabe für die Sozialarbeit. Entschuldungshilfe ist kein technischer Vorgang, sondern ganzheitliche Betreuung bei voller Mitbeteiligung und erhöhter Leistungsbereitschaft des Gefangenen. Sie ist nach ihrem Selbstverständnis ureigene Aufgabe für die Sozialarbeit und sollte möglichst von dem jeweils zuständigen Sozialarbeiter oder in enger Zusammenarbeit mit diesem geleistet werden (vgl. dazu Zimmermann 1981, 112 f; Groth 1987). Nur der ständige Kontakt zu dem Betreuer eröffnet Einsichts- und Einflussmöglichkeiten auch auf sonstige Lebensbereiche und wirkt sich auf die gesamte Betreuungsarbeit stabilisierend aus. Die Beratung, die Unterstützung bei der Aufstellung eines Tilgungsplans einschließlich der Vergleichsverhandlungen mit den Gläubigern für die Strafgefangenen sind daher ein notwendiger Bestandteil der in § 73 konkretisierten sozialen Hilfe. Sofern Rechtsfragen berührt werden, müssen sie in die Beratung einbezogen werden. Dies gilt aber nur für unstreitige Forderungen, wovon auch die Richtlinien der Resozialisierungsfonds ausgehen. Bei rechtlich streitigen Forderungen bzw. einer ungeklärten Rechtslage sollte von der Möglichkeit der Rechtsberatung und Vertretung nach dem Beratungshilfegesetz (BerHG) vom 18.6.1980 (BGBl. I, 689 ff) für Bürger mit geringem Einkommen Gebrauch gemacht werden. Angeboten wird die Beratungshilfe über anwaltliche Beratungsstellen bei den Amtsgerichten, Sprechstunden der örtlichen Rechtsanwaltsvereine in den Anstalten bzw. über Berechtigungsscheine der örtlichen Amtsgerichte bei Rechtsanwälten freier Wahl (Einzelheiten bei dem örtlich zuständigen Amtsgericht erfragen; vgl. dazu auch Schoreit/Groß Kommentar zur Beratungshilfe/Prozesskostenhilfe 10. Aufl., Heidelberg 2010, Rdn. 7 ff zu § 3 BerHG). Die Vollzugsanstalten haben hier zumindest entsprechende Aufklärungspflichten. Es sind die entsprechenden Vordrucke für Anträge der Rechtsuchenden auf Beratungshilfe zu verwenden (vgl. VO vom 2.1.1981, BGBl. I, 29). Auch in den Anstalten können Beratungsstellen der Rechtsanwälte aufgrund einer Vereinbarung mit der zuständigen Landesjustizverwaltung eingerichtet werden. Die rechtliche Beratung und schriftliche Geschäftsbesorgung obliegt im Rahmen der sozialen Gefangenenhilfe der Anstaltsleitung und den ihr beigegebenen Sozialarbeitern (OLG München ZfStrVo 1981, 380). Das Gesetz zur Neuregelung des Rechtsberatungsrechts (RBerNG) v. 12.12.2007 BGBl. I S. 2840, das in Art. 1 das Gesetz über außergerichtliche Rechtsdienstleistungen (Rechtsdienstleistungsgesetz – RDG) enthält und zum 1.7.2008 in Kraft getreten ist, hat das bisherige Rechtsberatungsgesetz (RBerG) von 1935 abgelöst. Damit ist Rechtsklarheit für die Vollzugsbehörden, Wohlfahrtsverbände und freien Träger der Straffälligenhilfe erreicht worden. Die Frage, ob die Entschuldungshilfe (bei unstreitigen Forderungen) eine „Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten“ i. S. von Art. 1 § 1 RBerG vom 13.12.1935 darstellte, war zumindest zweifelhaft. Zimmermann 1981, 113 begründete diese Auffassung mit der Umgestaltung des Schuldverhältnisses im außergerichtlichen Vergleichswege. Die Debatte betraf das erforderliche Tatbestandsmerkmal der Geschäftsmäßigkeit und die Frage, ob Rechtsangelegenheiten weisungsgebunden oder selbständig erledigt wurden. Das RDG erlaubt Rechtsdienstleistungen, die nicht im Zusammenhang mit entgeltlicher Tätigkeit stehen (unentgeltliche Rechtsdienstleistungen). Nach § 6 RDG können solche Rechtsdienstleistungen außerhalb familiärer, nachbarschaftlicher oder ähnlich enger Best
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persönlicher Beziehungen erbracht werden, wenn sichergestellt ist, dass die Rechtsdienstleistung durch eine Person mit Befähigung zum Richteramt oder unter Anleitung einer solchen Person erfolgt. Anleitung erfordert eine an Umfang und Inhalt der zu erbringenden Rechtsdienstleistungen ausgerichtete Einweisung und Fortbildung sowie eine Mitwirkung bei der Erbringung der Rechtsdienstleistung, soweit dies im Einzelfall erforderlich ist. Nach § 8 Abs. 1 RDG sind ausdrücklich Rechtsdienstleistungen erlaubt, die Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts (Nr. 1) sowie Verbände der freien Wohlfahrtspflege i. S. von § 5 SGB XII (Nr. 2) im Rahmen ihres Aufgaben- und Zuständigkeitsbereichs erbringen. Schwerpunkt der Entschuldungshilfe als Teil einer individuell zu leistenden Sozialarbeit ist vielmehr die persönliche Hilfe i. S. des § 11 SGB XII i. V. mit § 3 Abs. 2 DVO zu §§ 67 ff SGB XII i. d. F. vom 1.1.2005, zu der auch „die Beratung in sonstigen sozialen Angelegenheiten“ gehört (so auch C/MD 2008 Rdn. 4 zu § 73). Der Betreuungscharakter der durch § 73 und § 74 zur Durchführung übertragenen Entschuldungshilfe ist Teil der Sozialen Hilfe; zum Beratungsbegriff vgl. Rdn. 2 und Rdn. 4 zu § 74; zum Verbraucherinsolvenzverfahren vgl. Rdn. 13. e) Entschuldungshilfe im Vollzug. Entschuldungshilfe im Vollzug (vgl. Best 1981 a, 12 333–335; Hasselbusch 1999, 97 ff; AK-Huchting/Majuntke 2012 § 73 Rdn. 15–18) besteht konkret darin, mit den Gläubigern in Verhandlungen zu treten, um zunächst angemessene Tilgungsvereinbarungen zu erzielen. Neben der Auflistung der Verbindlichkeiten und der Ordnung der Unterlagen („Schulden-Beiheft“) müssen Sachstandsanfragen der Gläubiger sorgfältig registriert und diese bereits während der Haft zu einer erheblichen Verringerung ihrer Verbindlichkeiten bewegt werden. Dabei ist es unerheblich, ob die Gläubigerforderungen vollstreckbar sind oder nicht. Die allermeisten Forderungen, die über die Resozialisierungsfonds (Rdn. 10) mit günstiger Erlassquote in die Gesamtsanierung einbezogen werden, sind tituliert und befinden sich seit Jahren in der Zwangsvollstreckung. Den Gefangenen sind die Probleme und die Verschuldensfolgen bewusst zu machen (Moll/Wulf ZfStrVo 1986, 323; Baumeister ZfStrVo 1988, 323; Hasselbusch 1999, 97). Gut bewährt haben sich hierbei Kursangebote zum Trainingsbereich „Geld“ (vgl. dazu Becker/Marggraf/Nuissl/Sutter 1988, 41 ff, 63 ff). Hier ergibt sich auch ein geeignetes Arbeitsfeld für ehrenamtliche Mitarbeiter, die vielfältige praktische Hilfen (z. B. beim Abfassen von Schreiben) leisten können. Die Schadensregulierung gegenüber dem Opfer oder gegenüber anderen Gläubigern dient auch der Wiedereingliederung der Gefangenen. Die Behandlungsmaßnahmen während des Vollzugs verfehlen ihre Wirkung, wenn Gläubiger Strafentlassene bis zur Pfändungsgrenze in Anspruch nehmen (vgl. auch § 41 Abs. 2 Satz 2 JVollzGB, Art. 78 BayVollzG, für den Vollzugsplan § 10 Abs. 4 Satz 1 Nr. 10 und § 8 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 HmbStVollzG; vgl dazu III und Laubenthal 2011, Rdn. 648). Auch in dem Urteil des BVerfG vom 1.7.1998 zur „Gefangenenentlohnung“ (BVerfGE 98,169 ff = NJW 1998, 3337) ist die Hilfe zur Schuldentilgung besonders hervorgehoben worden (vgl. Rdn. 2 vor § 71). f) Schuldenbereinigung nach dem Insolvenzrecht. Von erheblicher Bedeutung 13 für die Entschuldungshilfe im Vollzug ist die Insolvenzordnung (InsO), die am 1.1.1999 in Kraft getreten ist. Damit steht erstmals ein spezielles Verbraucherinsolvenzverfahren (§§ 304 bis 314 InsO) zur Verfügung und die Möglichkeit einer Restschuldbefreiung, wonach eine natürliche Person von den im Insolvenzverfahren nicht erfüllten Verbindlichkeiten gegenüber den Insolvenzgläubigern befreit werden kann. Der Ablauf des Insolvenzverfahrens bei der Privatinsolvenz lässt sich im Wesentlichen in vier Schritte gliedern: 703
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(1) Zunächst muss mithilfe eines Schuldenbereinigungsplans eine außergerichtliche Einigung versucht werden. Im Schuldenbereinigungsplan werden alle Einnahmen und Ausgaben des Schuldners aufgelistet. Es wird festgehalten, wie und in welcher Höhe der Schuldner die offenen Verbindlichkeiten abbauen kann und will. Wird dieser Plan von mindestens einem der Gläubiger abgelehnt oder betreibt ein Gläubiger nach Zustellung des Plans weiter die Zwangsvollstreckung, gilt der Schuldenbereinigungsplan als gescheitert. (2) Nun kann die Schuldnerberatungsstelle das Scheitern des Schuldenbereinigungsplans bescheinigen. Sobald diese Bescheinigung vorliegt, kann beim zuständigen Insolvenzgericht die Eröffnung des Insolvenzverfahrens beantragt werden (Insolvenzeröffnungsantrag). Das Gericht prüft die Erfolgsaussichten eines gerichtlichen Schuldenbereinigungsplans. Bei Aussicht auf Erfolg werden der gerichtliche Schuldenbereinigungsplan und das Vermögensverzeichnis den Gläubigern zugestellt. Wird der Plan nicht von mindestens der Hälfte der Gläubiger abgelehnt, kann das Gericht deren Zustimmung auf Antrag des Schuldners ersetzen. Die Hälfte der Gläubiger bestimmt sich hier nicht nach deren Anzahl, sondern nach der Höhe und Anzahl der Forderungen. (3) Wurde auch der gerichtliche Schuldenbereinigungsplan nicht angenommen, wird das Verfahren der Privatinsolvenz (vereinfachtes Insolvenzverfahren) eröffnet und durch Bekanntmachung verkündet. Das pfändbare Vermögen des Schuldners nach Abzug der Verfahrenskosten verwertet, also an die Gläubiger ausgegeben. Hierzu wird ein Treuhänder eingesetzt. Dieser erstellt eine Aufstellung aus Gläubigern, Forderungshöhen und Forderungsgründen (Insolvenztabelle) und verwaltet das Vermögen des Schuldners. Eine Privatinsolvenz wird in der Regel durchgeführt, um im Anschluss daran eine Restschuldbefreiung zu beantragen und zu erlangen. (4) Das Restschuldbefreiungsverfahren besteht aus einer sechsjährigen so genannten Wohlverhaltensphase, die mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens beginnt. Während dieser Zeit muss der Schuldner den pfändbaren Teil seines Einkommens sowie die Hälfte ihm zufallender Erbteile an den Treuhänder abtreten. Dieser verteilt dann das Geld gemäß der in der Insolvenztabelle festgelegten Quote an die Gläubiger. Der Schuldner kann nach Ablauf der Wohlverhaltensphase die Restschuldbefreiung beantragen. Im Schlusstermin können die Gläubiger allerdings, gestützt auf einen der Gründe in § 290 InsO (falsche Angaben, weitere Schulden, Verletzung von Auskunfts- und Mitwirkungspflichten), die Versagung der Restschuldbefreiung beantragen. Erfolgt kein solcher Antrag, bzw. sind solche Anträge unbegründet, kündigt das Gericht die Restschuldbefreiung an. § 305 Abs. 1 Nr. 1 InsO verlangt vom Schuldner beim Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Vorlage einer Bescheinigung, die von einer geeigneten Person oder Stelle ausgestellt ist und aus der sich ergibt, dass eine außergerichtliche Einigung mit den Gläubigern über die Schuldenbereinigung auf der Grundlage eines Plans innerhalb der letzten sechs Monate vor dem Eröffnungsantrag erfolglos versucht worden ist. In § 305 Abs. 1 Nr. 1 werden die Länder ermächtigt zu bestimmen, welche Personen oder Stellen als geeignet anzusehen sind. Das sozialpolitische Ziel der Insolvenzordnung kann nur erreicht werden, wenn den überschuldeten Privatpersonen bereits im Vorfeld des gerichtlichen Verfahrens ausreichende Hilfe zuteil wird. Der Schuldner wird selbst in der Mehrzahl der Fälle nicht in der Lage sein, einen geordneten Überblick über seine Verschuldungssituation zu erlangen, um eine außergerichtliche oder gegebenenfalls rechtsförmliche Schuldenbereinigung mit seinen Gläubigern herbeizuführen. Er wird außerdem keine ausreichenden Kenntnisse über die gesetzlichen Regelungen und die nach der Insolvenzordnung eröffneten Möglichkeiten haben. Die sinnvolle Ordnung der persönlichen Lebenssituation des Schuldners, die Einigung mit den Gläubigern und die Best
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möglicherweise später notwendige Durchführung des gerichtlichen Verfahrens ist für den Schuldner nur gewährleistet, wenn hinreichend geeignete Personen oder Stellen die Schuldenbereinigung vernünftig, in einem entsprechend zeitlichen Rahmen und mit der entsprechenden Kompetenz durchführen. Die Länder haben Landesgesetze zur Ausführung der Insolvenzordnung (AGInsO) erlassen, um von der in § 305 Abs. 1 Nr. 1 InsO enthaltenen Ermächtigung Gebrauch zu machen (vgl. z. B. das Nds. Ausführungsgesetz zur Insolvenzordnung (Nds. AGInsO) vom 30.12.1998, Nds.GVBl. 1998, 710 ff i. d. F. vom 23.11.2004 (Nds. GVBl., 512). Ziel dieser Gesetze ist es, dass die Länder bestimmen, welche Stellen als geeignet anzusehen sind. In dem Gesetz sind der Aufgabenbereich einer als geeignet anerkannten Stelle umschrieben, die Anerkennungsvoraussetzung festgelegt und die Grundzüge des Anerkennungsverfahrens geregelt. Das Nds. AGInsO z. B. benennt als geeignet geltende Stellen insbesondere die Schuldnerberatung in der Trägerschaft von Gemeinden und Landkreisen, Kirchen oder den Verbänden der freien Wohlfahrtspflege, aber auch Mitglieder von Rechtsanwaltskammern, Steuerberatungsbüros, Steuerbevollmächtigte, Wirtschaftsprüfer u. a. Andere Stellen oder Personen, die Schuldnerberatung durchführen bzw. leiten, sind von der zuständigen Behörde auf schriftlichen Antrag des Trägers unter den gesetzlich normierten Voraussetzungen als geeignet anzuerkennen. Eine Ausbildung in den Studiengängen Sozialwesen, Sozialarbeit/Sozialpädagogik oder eine solche im gehobenen Verwaltungsoder Justizdienst gilt als Erfüllung der Voraussetzungen für das Anerkennungsverfahren. Die Schuldenregulierung im Vollzug kann aber keinesfalls die Schuldenbereinigung im Sinne des § 305 Abs. 1 Nr. 1 InsO ersetzen. Diese bleibt vielmehr den o. a. Einrichtungen, Stellen und Personen vorbehalten, die das Insolvenzverfahren betreiben. Der Vollzug sollte aber über Informationen zur Weitergabe an die Gefangenen verfügen, die Kontakte vermitteln und bei der Vorbereitung aktiv mitwirken. Die Bedeutung der Schuldenregulierung im Vollzug, der Bewährungshilfe und der freien Straffälligenhilfe ist durch das Verbraucherinsolvenzverfahren erheblich gestiegen. Allerdings ist der Anwendungsbereich gering, da die Verbindlichkeiten von Schuldnern aus vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlungen, aus Geldstrafen und den in § 39 Abs. 1 Nr. 3 gleichgestellten Verbindlichkeiten nicht berührt werden (dazu Schmitt 1999, 162). Seit den Änderungen der InsO zum 1.12.2001 haben nunmehr aber auch mittellose Personen die bessere Chance auf Restschuldbefreiung: seither können die Kosten in allen Verfahrensschritten auf jeweils gesonderten Antrag gestundet werden (§ 4 a InsO), nachdem dies als Grund für die allgemein zu geringe Nutzung des Instituts erkannt worden war (Hergenröder Deutsche Zeitschrift für Wirtschafts- und Insolvenzrecht (DZWIR) 2001, 404). Zur unzulässigen Richtervorlage zur Verfassungsmäßigkeit der Restschuldbefreiung nach der InsO wegen des zugrunde liegenden gesetzgeberischen Gesamtkonzepts vgl. den Beschluss des BVerfG vom 3.2.2003, in: DZWIR 2004,190 mit Besprechung Kocher. Ob die geplante Änderung der InsO für den Klientenkreis aus Vollzug, der Bewährungshilfe und der freien Straffälligenhilfe Erleichterungen erbringt, ist äußerst fraglich. Diese soll die Befreiung von der Restschuld als Teil des Insolvenzverfahrens von sechs auf drei Jahre verkürzen, allerdings nur, wenn der Schuldner in der Lage ist, 25 Prozent seiner Schulden aufzubringen. Nach den Erfahrungen der Beratungsstellen gelingt dies aber nur in 20 Prozent der Fälle. Der betreffende Klientenkreis dürfte mit der geplanten Änderung (Stand: 2012) von der Verkürzung der Verfahrensdauer ausgeschlossen sein. g) Erteilung von Auskünften an Verletzte einer Straftat. Für die Erteilung von 14 Auskünften an Verletzte einer Straftat über die Entlassungsadresse oder die Vermö705
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Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
gensverhältnisse der Gefangenen besteht nunmehr durch § 180 Abs. 5 Satz 2, eine bereichsspezifische datenschutzrechtliche Vorschrift (vgl. § 180 Rdn. 36). Voraussetzung ist, dass die Auskunftserteilung zur Feststellung oder Durchsetzung von Rechtsansprüchen im Zusammenhang mit der Straftat erforderlich ist. Die Fallgestaltung betrifft insbesondere die Erteilung von Auskünften an Gläubiger über den Aufenthalt von Gefangenen im Vollzug sowie den Zeitpunkt ihrer Entlassung. Die Befugnis zur Mitteilung wurde nicht durch eine Pflicht zur Ermittlung der erbetenen Angaben erweitert. Die Mitteilungspflicht bezieht sich nur auf die bestimmten, in dieser Vorschrift näher bezeichneten Umstände. Hierdurch soll einerseits dem Interesse des Verletzten an einer ökonomischen Feststellung und Durchsetzung seiner Schadensersatzansprüche und andererseits den datenschutzrechtlichen Interessen der Gefangenen Rechnung getragen werden. Die Regelung geht deshalb von dem Grundsatz der vorherigen Anhörung aus, es sei denn, es ist zu befürchten, dass dadurch die Verfolgung des Interesses des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden würde, was abzuwägen ist. 15
h) Pfändung von Forderungen der Gefangenen und Pfändungsschutz. Bei der Pfändung von Forderungen der Gefangenen wird man unterscheiden müssen, ob sie „normaler Art“ sind (dazu vgl. Fluhr 1989, 103) oder ob es sich um Sozialleistungen handelt (dazu Hornung 1988, 213, 347; bei der Schuldneranhörung (§ 54 SGB) sollten die Vollzugsbehörden behilflich sein). Vgl. auch § 46 Rdn. 9, § 75 Rdn. 13 und Höfler 1997, 207 zur Anwendbarkeit des § 850 c ZPO auf das „freie Eigengeld“ des Strafgefangenen. Im Übrigen müssen die ab 1.1.2002 in Kraft getretenen Pfändungsfreigrenzen beachtet werden (vgl. 850 c Abs. 2 a ZPO. Die letzte Änderung der Pfändungstabelle erfolgte 2012, danach jeweils alle zwei Jahre). Das Eigengeld (§§ 52, 83 Abs. 2 Satz 2, 3) unterliegt nach Maßgabe der Pfändungsschutzvorschrift des § 51 Abs. 4 Satz 2 der Pfändung. Der Anspruch auf Auszahlung des „freien“ Eigengeldguthabens gegen den Träger der JVA (öffentlich-rechtliches Schuldverhältnis, kein Verwahrungsverhältnis) ist als Geldforderung (§ 700 Abs. 1 Satz 2, § 488 Abs. 1 Satz 2 BGB analog; vgl. Stöber Forderungspfändung 15. Aufl. Bielefeld 2010, Rdn. 134) gemäß § 829 ZPO pfändbar, mit Ausnahme des gemäß § 51 Abs. 4 Satz 2 unpfändbaren Teils des Eigengeldes in Höhe des Unterschiedsbetrages zwischen dem gemäß § 51 Abs. 1 zu bildenden und dem tatsächlich vorhandenen Überbrückungsgeld. Das Pfändungsverbot des § 851 ZPO steht nicht entgegen, weil der Anspruch – soweit nicht § 51 Abs. 4 Satz 2 eingreift – übertragbar ist (vgl. BFH, Urt. v. 16.12.2003, DStrRE 2004, 421). Soweit das gepfändete Eigengeld durch Gutschrift von Arbeitsentgelt gebildet worden ist, das der Gefangene gemäß § 43 Abs. 2 Satz 1 erhält, finden die Pfändungsgrenzen des § 850 c ZPO weder unmittelbar noch entsprechend Anwendung (BGH, Beschl. v. 16.7.2004 – IX a ZB 191/03 = StV 2004, 558). Die Pfändungsgrenzen des § 850 c ZPO gelten nur für die Pfändung des in Geld zahlbaren Arbeitseinkommens (§ 850 Abs. 1 ZPO), nicht aber für den Anspruch des Gefangenen auf Auszahlung seiner Gutschrift. Mit der Erteilung der Gutschrift ist der Anspruch erfüllt und erloschen (§ 362 Abs. 1 BGB analog; vgl. Fluhr ZfStrVo 1989, 103, 106). Mit der als Arbeitseinkommen geschuldeten Forderung erlischt auch der bis dahin für diese Forderung bestehende Pfändungsschutz. Der BGH hat auch die Anwendbarkeit des § 850 k ZPO verneint, denn die kontoführende Stelle, die das Gefangenengeld bis zur Entlassung des Gefangenen verwalte, sei kein Geldinstitut im Sinne dieser Vorschrift. Das Schutzbedürfnis eines Schuldners, der in Freiheit lebe und ein Arbeitseinkommen habe, sei mit dem eines Schuldners, der in Strafhaft gemäß § 43 StVollzG Arbeitsentgelt beziehe, nicht vergleichbar (BGH StV 2004, 588). Best
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Soweit der Gefangene mit dem aus Arbeitsentgelt gebildeten Eigengeld Unterhaltsverpflichtungen erfüllen will, kann er über die Regelung von § 52 Abs. 5 hinaus seinen Anspruch auf Auszahlung des künftig aus seinen Bezügen zu bildenden Eigengeldes an Unterhaltsberechtigte abtreten, sofern der Anspruch nicht bereits gepfändet ist. Ein über § 51 Abs. 4 Satz 2 hinausgehender Pfändungsschutz des aus Arbeitsentgelt gebildeten Eigengeldes ist somit aus dem geltenden Recht nicht herzuleiten. Der Gesetzgeber ist davon ausgegangen, dass dieses „als Eigengeld sowohl der Verfügung des Gefangenen als auch dem Zugriff seiner Gläubiger offensteht“ (BT-Drucks. 7/918 S. 71). Der Gesetzgeber hat zu entscheiden, ob er die Rechtsstellung des Gefangenen gegenüber Vollstreckungszugriffen von Gläubigern verbessern will, etwa durch vollzugsspezifische Pfändungsschutzvorschriften oder durch Erhöhung des pfändungsfreien Hausgeldes (ebenso BGH StV 2004, 558). Dies würde dem gesetzlichen Konzept der Resozialisierung durch Pflichtarbeit (vgl. dazu BVerfGE 98, 169, 202) und dem Ziel der zu aktivierenden Schuldenregulierung durchaus entsprechen. Ab dem 1.2.2012 wird der Pfändungsschutz für Kontoguthaben und Verrechnungsschutz für Sozialleistungen und Kindergeld nur für Pfändungsschutzkonten nach § 850 k ZPO in der Fassung des Gesetzes zur Reform des Kontopfändungsschutzes (BGBl 2009, 1707 ff) gewährt. Solch ein P-Konto muss der Schuldner allerdings beantragen, indem er sein normales bestehendes Girokonto in ein P-Konto umwandelt, um Pfändungsschutz (auch bei Sozialleistungen) für einen Betrag von rund 1.030 Euro zu erhalten. Das PKonto hat allerdings einen Schufa-Eintrag zur Folge und setzt voraus, dass der Schuldner über ein Girokonto verfügt. Die frühere restriktive Praxis der Banken, insbesondere bei Strafentlassenen ein Girokonto abzulehnen, ist durch die Selbstverpflichtung der deutschen Kreditwirtschaft aus dem Jahre 1995 erschwert worden. Danach soll kein Antragsteller abgelehnt werden. In Deutschland sind 500.000 Personen ohne Girokonto. Auch die EU- Kommission hat aktuell angemahnt, dass das Recht auf ein Girokonto in jedem EU-Staat zu den verbrieften Rechten gehört. III. Beispiel: Familienseminar-Fall Die kirchliche Heimvolkshochschule in C. veranstaltete ein Familienbildungssemi- 16 nar für Familien mit Strafgefangenen und ihre Angehörigen. Seminarthema war „Umgang mit Geld“, „Schuldenregulierung und Unterhaltsleistungen“ sowie „Soziale Beziehungen“. Unter Mitarbeit der ebenfalls teilnehmenden Sozialarbeiter aus den Vollzugsanstalten wurden Schuldenregulierungspläne erstellt. Die Ehefrau des Strafgefangenen M. beantragte anschließend bei dem für sie zuständigen Sozialamt, die Seminargebühren einschließlich Unterkunftskosten für sie und ihre Kinder im Rahmen des § 27 SGB XII zu übernehmen. Das Sozialamt R. verneinte seine örtliche und sachliche Zuständigkeit und verwies Frau M. an den überörtlichen Sozialhilfeträger (Landessozialamt bzw. Landeswohlfahrtsverband). Die Rechtsauffassung des Sozialamtes ist unrichtig. Bei Familienangehörigen der Inhaftierten kann für „familiengerechte Leistungen“ ein „besonderer Bedarf“ i. S. von § 28 Abs. 1 i. V. mit § 156 SGB XII und § 1 Abs. 1, § 6 der DVO zu §§ 67 ff SGB XII i. d. F. ab 1.1.2005 anerkannt werden. Zuständig sind die örtlichen Träger der Sozialhilfe, bei denen entsprechende Anträge zu stellen sind. Die Vollzugsanstalt, nicht die Heimvolkshochschule als Veranstalter, hat hier entsprechende Informations- und Beratungspflichten (zu den Ansprüchen von Angehörigen gegenüber dem Sozialhilfeträger vgl. auch Rdn. 8 zu § 71), um ihren Hilfeauftrag nach § 73 zu erfüllen. Zur Durchführung von Familienseminaren und zur Bedeutung der Arbeit mit Angehörigen vgl. Kanisch/ Aspiron ZfStrVo 1997, 152; Worliczka/Zeitler/Feulner ZfStrVo 1999, 87 ff; Morgenstern ZfStrVo 1984, 92; Kury/Kern 2003, 269. 707
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IV. Landesgesetze und Musterentwurf 17
1. Baden-Württemberg. § 41 JVollzGB III fasst die Regelungen in den §§ 72 und 73 StVollzG zusammen und verzichtet auf die Unterteilung zwischen Hilfen zur Aufnahme und während des Vollzugs. Abs. 2 Satz 2 entspricht in ergänzter Form weitgehend dem § 73 StVollzG mit folgendem Wortlaut: „Ihnen ist zu helfen, für Unterhaltsberechtigte zu sorgen, Schulden zu regulieren und den durch die Straftat verursachten Schaden zu regeln.,“
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2. Bayern. Art. 78 BayStVollzG („Hilfe während des Vollzugs, Täter-Opfer-Ausgleich“) ist im Abs. 1 bis auf geschlechtsspezifische Differenzierungen teilweise wortgleich mit § 72 StVollzG, fasst aber den darin enthaltenen Zusatz „und einen durch seine Straftat verursachten Schaden zu regeln“ in einen neuen Abs. 2 zusammen, der folgenden Wortlaut hat: „Die Einsicht der Gefangenen in ihre Verantwortung für die Tat, insbesondere für die beim Opfer verschuldeten Tatfolgen, soll geweckt werden. Die Gefangenen sind anzuhalten, den durch die Straftat verursachten Schaden zu regeln. Die Durchführung eines Täter-Opfer-Ausgleichs ist in geeigneten Fällen anzustreben.“ In der Gesetzesbegründung (S. 73) heiß es dazu: „Die Bestimmung konkretisiert den in Art. 75 verankerten Grundsatz der Hilfe zur Selbsthilfe, wobei die Anstalt gemäß Abs. 2 zur Schadenswiedergutmachung und in geeigneten Fällen zum Täter-OpferAusgleich im weiteren Sinn aktiv an die Gefangenen herantreten und sie zur Mitarbeit motivieren soll. Täter-Opfer-Ausgleich kann in einer materiellen Schadensregulierung liegen oder sich auf eine immaterielle Aussöhnung mit dem Opfer beziehen. Die Schadensregulierung gegenüber dem Opfer oder gegenüber anderen Gläubigern dient der Wiedereingliederung der Gefangenen. Die Behandlungsmaßnahmen während des Vollzugs verfehlen ihre Wirkung, wenn Gläubiger Strafentlassene bis zur Pfändungsgrenze in Anspruch nehmen.“
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3. Hamburg. Das HmbStVollzG enthält keine in einem besonderen Titel, Kapitel oder Abschnitt zusammengefassten Bestimmungen über soziale Hilfen. Am ehesten entspricht § 16 Satz 2 dem Sinngehalt dieser Vorschrift (siehe III zu § 71). Angaben zur Schuldenregulierung sind aber Bestandteil des Vollzugsplans, vgl. § 8 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 HmbStVollzG unter ausdrücklichem Hinweis auf Schuldenregulierung einschließlich Unterhaltszahlungen, Schadensausgleich, Maßnahmen des Täter-Opfer- Ausgleichs,
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4. Hessen. § 26 Abs. 1 Satz 2 HStVollzG im Gesamtzusammenhang mit sozialer und psychologischer Hilfe (siehe III zu § 71) entspricht im Wesentlichen der Regelung in § 73 StVollzG mit folgendem Wortlaut: „Dazu gehört auch, den durch die Straftat verursachten Schaden wieder gut zu machen, eine Schuldenregulierung herbeizuführen und Unterhaltsverpflichtungen nachzukommen“. In der Gesetzesbegründung (LT-Drucks. 18/ 1396, 93) ist dazu ausgeführt: „Abs. 1 Satz 2 hebt auch im Interesse der Opfer hervor, dass die Gefangenen anzuhalten sind, den durch die Straftat verursachten Schaden zu regeln. Außerdem ist Wert auf die Herbeiführung einer Schuldenregulierung sowie die Erfüllung von Unterhaltspflichten zu legen.“ Angaben zur Schuldenregulierung sind Bestandteil des Vollzugsplans, vgl. § 10 Abs. 4 Satz 1 Nr. 10 HStVollzG.
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5. Niedersachsen. § 69 Abs. 2 NJVollzG ist weitgehend identisch mit § 73 StVollzG. Die Vorschrift ergänzt das Anliegen, den durch die Straftat verursachten Schaden zu regeln, durch den folgenden Satz 2 und 3: „Gleiches gilt für die Regelung eines durch Best
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ihre oder seine Straftat verursachten Schadens. In geeigneten Fällen sollen der oder dem Gefangenen zur Durchführung eines Täter-Opfer-Ausgleichs Stellen und Einrichtungen benannt werden.“ 6. Musterentwurf. § 5 Abs. 2 ME-StVollzG mit der Überschrift „Soziale Hilfe“ hat 22 folgenden Wortlaut: „Die Gefangenen sollen angehalten werden, den durch die Straftat verursachten materiellen und immateriellen Schaden wieder gut zu machen.“ Nach der ME-Begründung (S. 72) kommt in geeigneten Fällen auch ein Täter-Opfer-Ausgleich in Betracht.
§ 74 Hilfe zur Entlassung § 74 Best Hilfe zur Entlassung Um die Entlassung vorzubereiten, ist der Gefangene bei der Ordnung seiner persönlichen, wirtschaftlichen und sozialen Angelegenheiten zu beraten. Die Beratung erstreckt sich auch auf die Benennung der für Sozialleistungen zuständigen Stellen. Dem Gefangenen ist zu helfen, Arbeit, Unterkunft und persönlichen Beistand für die Zeit nach der Entlassung zu finden. VV Wird der Gefangene bei der Entlassung einem Bewährungshelfer oder der Führungsaufsicht unterstellt, so hat die Anstalt unverzüglich mit den zuständigen Stellen Verbindung aufzunehmen, um die Betreuungsmaßnahmen für den Gefangenen abzustimmen. Schrifttum S. Vor § 71.
I. II.
Übersicht Allgemeine Hinweise ____ 1 Erläuterungen ____ 2–19 1. Beratungsbegriff ____ 2 2. Art und Umfang der Sozialleistungen ____ 3–5 3. Umfang der Hilfen nach § 68 SGB XII ____ 6, 7 4. Sozialleistungsträger ____ 8 5. Heranziehung zum Kostenersatz? ____ 9 6. Der Hilfeauftrag i. S. von § 74 Satz 3 ____ 10–13 7. Entlassungsvarianten bei ausländischen Strafgefangenen ____ 14 8. Sozialpraktische Trainingskurse ____ 15 9. Besondere Entlassungsmaßnahmen bei Sexualstraftätern ____ 16
III. IV.
10. Vernetzte Kooperationen innerhalb und außerhalb des Vollzugs ____ 17, 18 11. Übergangsmanagement von Justizvollzug, Straffälligenhilfe und Sozialen Diensten der Justiz ____ 19 Beispiel: Kostenersatz-Fall ____ 20 Landesgesetze und Musterentwurf ____ 21–26 1. Baden-Württemberg ____ 21 2. Bayern ____ 22 3. Hamburg ____ 23 4. Hessen ____ 24 5. Niedersachsen ____ 25 6. Musterentwurf ____ 26
I. Allgemeine Hinweise Die Textfassung dieser Vorschrift lässt wenigstens in Umrissen erkennen, dass der 1 Gesetzgeber der sozialen Hilfe im Rahmen der Entlassungsvorbereitung einen großen 709
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Stellenwert eingeräumt hat. Zahlreiche Einzelbestimmungen, die bereits bei der „Planung des Vollzugs“ ansetzen (vgl. § 7 Abs. 2 Nr. 7), verdichten die Entlassungsvorbereitung zu einer Aufgabe, die bereits mit der Aufnahme beginnen und sich planvoll und gezielt über den Entlassungstermin hinaus fortsetzen muss. Mit Blick auf das Gesamtsystem der angestrebten durchgehenden Hilfen (dazu: Böhm 2003 Rdn. 395–403 f) konkretisiert § 74 als „Nahtstelle“ der Entlassungsphase, was getan werden muss, um im Übergangsmanagement die Rückfallgefährdung der Haftentlassenen zu verringern und ihre Eingliederung zu erleichtern (vgl. Rdn. 1 vor § 71 und Arloth 2011 § 74, Rdn. 1 „Schaffung eines sozialen Nahraums“; speziell zum Übergangsmanagement vgl. Rdn. 6 vor § 71). Unterstützungsmaßnahmen kommen namentlich in Betracht bei der – Wohnungssuche, – Suche nach ambulanten Einrichtungen der Straffälligenhilfe, Beratungsstellen oder Kontaktpersonen, – Suche nach einer Ausbildungs- und Arbeitsstelle, – Geltendmachung von Ansprüchen auf Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe, Krankenund Kindergeld und anderer Sozialleistungen sowie von Renten- und Unterhaltsansprüchen, – Beschaffung von Personalpapieren, Arbeitsbescheinigungen und Versicherungsunterlagen, – Regelung von Unterhaltsverpflichtungen, Schulden, Wiedergutmachungsleistungen und anderen Zahlungsverpflichtungen. II. Erläuterungen 2
1. Beratungsbegriff. Die Hilfe bei der Ordnung der persönlichen, wirtschaftlichen und sozialen Angelegenheiten der Gefangenen geht von einem weiten Beratungsbegriff aus; er beschränkt sich nicht auf einen Grundbestand von „Maßnahmen der äußeren Sanierung“, sondern will allgemeine Lebenshilfe vermitteln. Die Gefangenen sollen zu angemessenen Problemlösungen befähigt werden und lernen, auftauchende Schwierigkeiten zu verarbeiten. Zur Strategie der Aktivierung vgl. Rdn. 4 vor § 71. Beratungshilfe kann hierbei je nach Art und Beschaffenheit der persönlichen Situation der Gefangenen durch Einzelfallhilfe, soziale Gruppenarbeit bzw. didaktische Bildungsarbeit (vgl. Blum 1988, 165) geleistet werden. Da bei vielen Gefangenen die Tendenz zu beobachten ist, „die Dinge einfach laufen zu lassen“, setzt die Regelung dieser Probleme eine gewisse Ordnungsarbeit voraus (insbes. bei der Entschuldungshilfe bzw. Schuldenregulierung: vgl. dazu Rdn. 7–13 zu § 73). Bei Notwendigkeit der Beratung durch Rechtskundige ist die Verweisung der Anstalt an eine anstaltsinterne Rechtsantragstelle nicht (immer) interessengerecht. Die Gefangenen können verlangen, dass ihnen die Anstalt bei der Gewinnung entsprechender Informationen behilflich ist. Dabei geht es allerdings nicht um eine Rechtsberatung, sondern lediglich um die Klärung der Vorfrage, ob und inwieweit der Rechtsrat eines Rechtskundigen benötigt wird. Voraussetzung für diese Klärung ist, dass die Gefangenen genau darlegen, in welcher rechtlichen Angelegenheit sie sachkundigen Rat begehren. Bei der Entscheidung über die Art der Hilfestellung steht der Anstalt ein Beurteilungsspielraum zu. In einfachen Angelegenheiten kann es ausreichen, entsprechende Literatur zur Verfügung zu stellen, anhand derer der Gefangene in der Lage ist, die Aussichten einer Rechtsverfolgung selbst zu beurteilen. Je nach Rechtslage des Einzelfalles, dem Umfang der zu ergreifenden Maßnahmen oder der Art der Hilfestellung bei der Sammlung der Unterlagen kann es geboten sein, sie an eine Rechtsantragstelle oder in schwieBest
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rigen Fällen an eine außerhalb der Anstalt eingerichtete Rechtsberatungsstelle zu verweisen. Die Inanspruchnahme der unentgeltlichen Rechtsberatung durch eine Rechtsberatungsstelle, in der die Rechtsberatung durch Rechtsanwälte ausgeübt wird, hängt allerdings davon ab, dass die Gefangenen entweder Ausgang erhalten oder zu der Beratungsstelle ausgeführt werden (KG NStZ 1997, 427). Zur Beratungshilfe und zur Rechtsberatung auch in der Entschuldungshilfe Rdn. 11 zu § 73. Bei Problemen der Verweigerung bzw. Kündigung von Girokonten ist die Einschaltung einer Schlichtungsstelle möglich. Die Empfehlung des Zentralen Kreditausschusses (ZKA) vom Juni 1995 „Girokonto für jedermann“ beinhaltet die Bereitschaft der Kreditinstitute, unabhängig von der Art und Höhe der Einkünfte (z. B. Arbeitslosengeld, Sozialhilfe) ein Girokonto zu führen. Eintragungen bei der Schufa sowie der Umstand der Verschuldung sind allein kein Grund, die Führung eines Girokontos zu verweigern. Die Verpflichtung der Kreditinstitute besteht aber dann nicht, wenn dies im Einzelfall unzumutbar ist. Denkbare Fälle von Unzumutbarkeit werden beispielhaft aufgeführt. Die ZKA-Empfehlung ist in den Periodischen Berichten der Bundesregierung zur Umsetzung der Empfehlung enthalten (zuletzt: BT-Drucks. 15/2500 vom 11.2.2004 mit Musterschreiben bei Verweigerung einer Kontoführung zwecks Herbeiführung eines Schlichtungsspruchs). 2. Art und Umfang der Sozialleistungen. Die Beratungspflicht in sozialen Angele- 3 genheiten erstreckt sich auch auf die Benennung der für Sozialleistungen zuständigen Stellen. Grundlage hierfür sind die Vorschriften des Sozialgesetzbuchs (SGB), das mit der Aufgabenstellung des § 1 SGB I folgende soziale Rechte als konkrete Leistungsansprüche kennzeichnet: Leistungen der Ausbildungsförderung und Arbeitsförderung, zusätzliche Leistungen für Schwerbehinderte; gesetzliche Kranken-, Unfall- und Rentenversicherung; Versorgungsleistungen bei Gesundheitsschäden; Kindergeld; Wohngeld; Leistungen der Jugend- und Sozialhilfe; Leistungen zur Eingliederung Behinderter (§§ 18 bis 29 SGB I). Zum Verhältnis von Sozialleistungen zu der sozialen Hilfe Rdn. 5 ff zu § 71; zur Arbeitsförderung vgl. Rdn. 4; zu den aktuellen Gesetzesänderungen vgl. Rdn. 4 ff. Der hier in Umrissen skizzierte Leistungsteil kann nur dann nutzbar gemacht wer- 4 den, wenn der einzelne Mitarbeiter des sozialen Dienstes die Beratung aktiver gestaltet, als es der Begriff „Benennung“ ausdrückt. Er muss Wegbereiter sein, Ansprüche aufzufinden und im Rahmen sozialanwaltlicher Hilfe durchsetzbar zu machen. Neben Eigeninitiative und Fachwissen ist seine Bereitschaft erforderlich, über Checklisten, Merkblätter, Übersichtstafeln im Rahmen der Rechts- und Amtshilfe (§ 154 Abs. 2) die zuständigen Sozialleistungsträger in das Vollzugsgeschehen zu integrieren (durch Sprechstunden, Arbeitsbesuche, Kursangebote). Hierbei haben sich örtliche bzw. regionale „Arbeitsgemeinschaften für Straffälligenhilfe“ (Rdn. 10) bewährt, die konkrete Absprachen und gegenseitige Informationen vor Ort sicherstellen (zu den Grenzen der Auskunftspflicht von Sozialbehörden vgl. Rdn. 6 zu § 72). Zu den Aufgaben von Arbeitsberatern der Arbeitsämter in den Vollzugsanstalten und zum Anwendungsbereich des SGB III § 3 Abs. 1 Nr. 1. Die Agentur für Arbeit ist ein wichtiger Netzwerkpartner beim Übergangsmanagement geworden, vgl. z. B. die Dokumentation der JVA Werl 2006–2012, Übergangsmanagement, Optimierung der Entlassungsvorbereitungen in der Justizvollzugsanstalt Werl – Aufbau eines Netzwerkes mit Kooperationspartnern, vgl. auch zur Arbeitsbescheinigung § 312 Abs. 4 SGB III. Grundlegende Veränderungen ergaben sich durch die Neuordnung der Grundsi- 5 cherung für Arbeitssuchende und Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (Arbeitslosengeld II und Sozialgeld). 711
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Mit dem Dritten Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt („Hartz III“) wurde mit Wirkung zum 1.1.2004 (SGB III) neben dem Umbau der Arbeitsverwaltung zur Bundesagentur für Arbeit das Leistungs- und Förderungsrecht erheblich verändert (u. a. Zusammenführung der Eingliederungszuschüsse; Förderung der beruflichen Weiterbildung; Arbeitslosmeldung bereits drei Monate vorher möglich; vereinfachte Anrechnung von Nebeneinkommen; Festsetzung des Bemessungsentgelts abhängig von der Qualifikationsstufe). Wichtig für die Beratung der Gefangenen ist der vorsorgliche Hinweis auf die Verkürzung der Anspruchsdauer (§ 127 SGB III) und die Regelung der Sperrzeiten. Fast verdreifacht hat sich die Zahl der Sperrzeiten für Empfänger staatlicher Leistungen, weil diese ein Beschäftigungsangebot im Zeitraum 2001 bis 2003 abgelehnt haben (BT-Drucks. 15/2811). Das am 1.1.2005 in Kraft getretene Vierte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24.12.2003 – SGB II – (BGBl. I, 2954) bezieht sich auf die in der Hartz-IV-Reform beschlossene Zusammenführung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zum „Arbeitslosengeld II“. Erwerbsfähige langzeitarbeitslose Hilfebedürftige erhalten als Grundsicherung für Arbeitssuchende Arbeitslosengeld II, nicht erwerbsfähige Hilfebedürftige Sozialgeld (jeweils auf dem Niveau der Sozialhilfe §§ 20 SGB II, pauschaliert mit Regelleistungen). Leistungsbezieher können in größerem Umfang als bisher hinzuverdienen. Es gilt der Grundsatz, dass jede Erwerbstätigkeit zumutbar ist, selbst wenn sie unterhalb des Tariflohns oder des ortsüblichen Lohns vergütet wird (§ 10 SGB II). Die Sanktionen für abgelehnte Arbeitsangebote wurden verschärft. Auf dieses veränderte Förderszenario der aktivierenden Hilfen müssen die Gefangenen vor der Haftentlassung intensiv vorbereitet werden. Auch das Arbeitslosengeld ist betroffen durch verkürzte Bezugsdauer ab 1.2.2006. Die Bezugsdauer wird auf maximal 12 Monate begrenzt, für ältere Arbeitnehmer ab 55 Jahren auf maximal 18 Monate (§ 127 Abs. 2 SGB III). Die Anwartschaftszeit (§ 118 SGB III) erfordert ein vorangegangenes Versicherungspflichtverhältnis von mindestens 12 Monaten. Die Sperrzeiten und Anspruchsminderungen werden ebenfalls geändert. Die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe durch das SGB II war eine Umstrukturierung des Rechts der Existenzsicherung. Elemente des Sozialhilferechts und des Arbeitslosenrechts wurden miteinander kombiniert. Nach dem „Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitssuchende“ vom 20.7.2006 (BGBl. I, 1706) wird der Aufenthalt in Haft dem einer stationären Einrichtung gleichgestellt, was vorher nicht unstreitig war (AK-Brühl vor § 190 Rdn. 9). Ausnahme von dem Ausschluss aller Personen in stationären Einrichtungen und aller Inhaftierten aus dem Leistungssystem des SGB II ist, dass Personen in stationären Einrichtungen untergebracht sind und unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 15 Stunden die Woche erwerbstätig sind. Für den Maßregelvollzug ist erkannt worden, dass der Leistungsausschluss dann nicht mehr greift, wenn Vollzugslockerungen möglich sind und die verurteilte Person wegen Freigangsberechtigung für eine vollschichtige(!) Erwerbstätigkeit auf dem ersten Arbeitsmarkt zur Verfügung steht. Personen, die bereits Freigänger sind, können dabei unabhängig vom Einrichtungsbegriff und seiner Erweiterung auf Einrichtungen zum Vollzug einer richterlich angeordneten Freiheitsentziehung nach § 7 Abs. 4 Satz 3 Nr. 2 SGB II Leistungen nach dem SGB II erhalten (vgl. LSG BW 25.1.2008 – L 12 AS 2544/07). Der Leistungsausschluss soll somit nicht solche Einrichtungen umfassen, „bei denen die Einrichtungsbewohner mit dem Ziel betreut werden, ihre sozialen Schwierigkeiten zu überwinden und im betreuten Kontext auf ein eigenständiges Leben in der Gesellschaft vorbereitet werden (Berlit Die Hartz IV-Rechtsprechung – geklärte und offene Fragen, in: SchlHA 2008, 370, 378). Freigänger aus dem Strafvollzug können dagegen Best
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dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehen, wenn sie einengenden Regelungen der Anstalt unterworfen bleiben, die über Zustimmungserfordernisse oder etwa Befugnisse zur Auflösung von Arbeitsverhältnissen hinausgehen (LSG Berlin-Brandenburg FS 2007, 184; vgl. auch SG Düsseldorf FS 2007, 187: Schonarbeiten für leistungsgeminderte Gefangene unter 15 Stunden wöchentlich entsprechen nicht den Bedingungen des Arbeitsmarktes und gewähren keinen Anspruch auf Grundsicherung für Arbeitssuchende nach SGB II). Das „Gesetz zur Neuausrichtung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente“ vom 21.12.2008 (BGBl. I 2917), in Kraft seit 1.1.2009, regelt die arbeitsmarktpolitischen Instrumente im Bereich der Arbeitsförderung (SGB III) und die Instrumente zur Arbeitsmarktintegration in der Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) neu. Die wichtigsten Änderungen, die auch hohe Bedeutung für die Entlassungsvorbereitung haben, sind: a) Agenturen für Arbeit erhalten künftig ein sog. Vermittlungsbudget als Grundlage für eine flexible und unbürokratische Förderung. Die Handlungsspielräume der Arbeitsvermittler/Fall-Manager werden erhöht. b) Eingliederungsvereinbarungen müssen künftig – vergleichbar der Regelung des § 15 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II – auch eine konkrete Regelung darüber enthalten, welche Eigenbemühungen zu seiner beruflichen Eingliederung der Ausbildung- oder Arbeitsuchende in welcher Häufigkeit mindestens unternehmen muss und in welcher Form er diese nachzuweisen hat. Kommt eine Eingliederungsvereinbarung nicht zustande, sollen die Agenturen die erforderlichen Eigenbemühungen des Arbeitsuchenden per Verwaltungsakt festsetzen. c) § 38 SGB III Abs. 3 regelt die Mitwirkungspflichten, Obliegenheiten und Rechte des Arbeitsuchenden im Vermittlungsprozess. Arbeitsuchende können künftig für die Dauer von bis zu zwölf Wochen von der Arbeitsvermittlung ausgeschlossen werden, wenn sie ihren in der Eingliederungsvereinbarung niedergelegten Pflichten nicht nachkommen. Damit soll auch für Nichtleistungsbezieher eine wirksame Sanktionsmöglichkeit geschaffen werden. d) Arbeitnehmer erhalten unter den Voraussetzungen des § 77 Abs. 3 SGB III einen Anspruch auf Maßnahmen zum nachträglichen Erwerb des Hauptschulabschlusses im Rahmen von Maßnahmen der beruflichen Weiterbildung. e) Personen mit Migrationshintergrund, die nicht über die für eine Erwerbstätigkeit notwendigen Grundkenntnisse der deutschen Sprache verfügen, sollen künftig gemäß § 3 Abs. 2 b SGB II in der Eingliederungsvereinbarung zur Teilnahme an einem Sprachkurs des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge verpflichtet werden. Die folgenden Informationsschriften des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) vermitteln einen guten Einstieg in die unübersichtliche Förderlandschaft und eignen sich auch als Materialien für das Soziale Training: (1) Die Broschüre „Soziale Sicherung im Überblick (2012)“ ermöglicht einen zusammenfassenden Überblick über das System der sozialen Sicherung in der Bundesrepublik Deutschland. Behandelt werden unter anderem die Renten-, Kranken-, Pflege- und Unfallversicherung, die Bereiche Arbeitsförderung, Arbeitsrecht und Erziehungsgeld, die Rehabilitation Behinderter Menschen, Wohngeld und Sozialhilfe. (2) Die Broschüre „Grundsicherung für Arbeitsuchende SGB II: ‚Fragen und Antworten‘“ (Stand 2011) erläutert die wesentlichen Begriffe der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Außerdem werden im Kapitel „Fragen und Antworten“ die wichtigsten Fragestellungen aufgegriffen. Beispielrechnungen ermöglichen einen Überblick über die Leistungen nach dem SGB II. Der Text des Sozialgesetzbuches II ist abgedruckt. (3) Die Broschüre „Sozialhilfe und Grundsicherung“ (Stand 2011 und Aktualisierung 2012) gibt einen Überblick über das am 1. Januar 2005 in Kraft getretene neue 713
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Sozialhilferecht im Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII). Das neue Sozialhilferecht umfasst neben den Leistungen und Voraussetzungen der Sozialhilfe nunmehr auch die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. (4) Das „Statistisches Taschenbuch“ (Broschüre, Stand 2011) enthält Tabellen zur Arbeits- und Sozialstatistik, u. a. Zahlen zum Bruttosozialprodukt, zum Einkommen, zum Steueraufkommen, zur Bevölkerung, zum Arbeitsmarkt, zur Arbeitszeit, zum Verdienst sowie zur Preisentwicklung von etwa 1960 bis 2008. Der 3. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung „Lebenslagen in Deutschland“ (4. Bericht in Vorbereitung) beschreibt die Lebenslagen der Menschen in Deutschland auf der Basis statistischer Daten etwa zu Einkommen, Vermögen, Erwerbstätigkeit, Bildungsbeteiligung (Berlin, letzter Entwurf 21.11.2012). Zu den besonders armutsgefährdeten Gruppen zählen Arbeitslose, Personen ohne abgeschlossene Berufsausbildung, Alleinerziehende und Personen mit Migrationshintergrund. Fast ein Fünftel der Bevölkerung in Deutschland sind inzwischen Personen mit Migrationshintergrund. Im Jahr 2005 waren darunter rund 7,3 Mio. Einwohner mit ausländischer Staatsbürgerschaft sowie 7,5 Mio. Eingebürgerte, Spätaussiedler und deren Nachkommen und damit deutsche Staatsangehörige. In der Altersgruppe der Kinder unter sechs Jahren hatten im Jahr 2005 schon mehr als 30% einen Migrationshintergrund. Diese Zahlen belegen den Wandel in der deutschen Gesellschaft und verweisen auf die Notwendigkeit einer nachhaltigen Integrationspolitik, die die Potenziale der zugewanderten und hier geborenen Menschen mit Migrationshintergrund nutzt und fördert (S. 29). Daraus ergeben sich besondere Anforderungen an die künftige Arbeitsweise der Vollzugsbehörden im Rahmen der Sozialen Hilfe, vgl. auch die jährlichen Analytikreporte der Bundesagentur für Arbeit: zur Statistik und die Arbeitsstatistik. 6
3. Umfang der Hilfen nach § 68 SGB XII. Besonders bedeutsam für die Zeit nach der Haftentlassung ist auch die in §§ 8, 67–69 SGB XII geregelte Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten. Das Bundessozialhilfegesetz bezog bis zum 31.7.2001 nach § 72 BSHG i. V. mit der Verordnung (VO) zur Durchführung des § 72 BSHG vom 9.6.1976 (BGBl. I, 1469) ausdrücklich die aus Freiheitsentziehung Entlassenen in den Kreis der Anspruchsberechtigten ein. Zu diesem Personenkreis gehörten nach § 5 VO zu § 72 BSHG „Personen, die aus einer richterlich angeordneten Freiheitsentziehung in ungesicherte Lebensverhältnisse entlassen werden oder entlassen worden sind“. § 5 VO zu § 72 BSHG konnte bereits dann Anwendung finden, wenn die Entlassung zumindest unmittelbar bevorstand (vgl. Schellhorn Rdn. 5 zu § 5 VO zu § 72 BSHG). Aus dem Wortlaut „entlassen werden oder entlassen worden sind“ sollte die Absicht des Verordnungsgebers zu entnehmen sein, auch vorbereitende Maßnahmen und Betreuungshandlungen, die noch während der Zeit der Freiheitsentziehung selbst notwendig werden, mit einzubeziehen (vgl. auch BR-Drucks. 258/76). Nach der „Verordnung zur Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten“ vom 24.1.2001 (DVO zu §§ 67 ff SGB XII) erfordert die Zuordnung der Haftentlassenen zum Personenkreis der nach § 72 BSHG Leistungsberechtigten eine gesonderte Prüfung (vgl. Roscher in LPK-SGB XII zu § 69 unter Hinweis auf den Faktor Straffälligkeit und die Entlassungssituation; ausführlich dazu Lippert 2002, 57 ff). Hiernach haben auf Seiten der Antragsteller besondere Lebensverhältnisse i. S. von § 1 Abs. 2 Satz 1 DVO zu bestehen und soziale Schwierigkeiten i. S. von § 1 Abs. 3 DVO vorzuliegen, wobei in § 1 Abs. 2 unter den „besonderen Lebensverhältnissen“ die Entlassung aus einer geschlossenen Einrichtung ausdrücklich aufgeführt ist. Ferner müssen die besonderen Lebensverhältnisse und sozialen Schwierigkeiten derart in einem komplexen Wirkungszusammenhang stehen, dass die isolierte Beseitigung eines der beiden vorgenannten Merkmale nicht Best
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automatisch zu einer wesentlichen und nachhaltigen Änderung des Tatbestands bei dem anderen Sachverhaltsmerkmal führt. Die Typenbildung ist entfallen (Roscher in LPK-SGB XII zu § 69 Rdn. 1). Erforderlich ist auch, dass der Einzelne nicht in der Lage ist, diese Situation aus eigeneren Kräften und Mitteln heraus zu überwinden. Im Falle von Haftentlassenen ist ein Bestehen sozialer Schwierigkeiten i. S. v. § 1 Abs. 3 DVO zu §§ 67 ff SGB XII dann indiziert, wenn folgende besonders deutlich ausgeprägte Problemsituationen vorliegen: die Bedürftigen verfügen über keinerlei Wohnraum und wirtschaftliche Lebensgrundlage, über keine tragfähigen Beziehungen im familiären Bereich oder Bekanntenkreis usw. Außerdem sind sie auf Hilfen der Beratung und persönlichen Unterstützung (§ 3 DVO zu §§ 67 ff SGB XII) angewiesen (speziell zu den aus Strafhaft Entlassenen: Wolf §§ 67 ff SGB XII Rdn. 2, 15, in: Fichtner/Wenzel SGB XII 2009). Dazu kann auch die Finanzierung „ambulant betreuten Wohnens“ eines Haftentlassenen gehören, wenn im Einzelfall die Vermittlung einer Unterkunft nach §§ 4 ff DVO zu §§ 67 ff SGB XII allein die sozialen Schwierigkeiten nicht zu lösen vermag, vielmehr die Einleitung eines koordinierten Hilfeprozesses erforderlich ist (vgl. OVG Schleswig-Holstein ZfStrVo 2002, 249 ff mit Anm. Hammel). Es ist mit dem Nachranggrundsatz des Sozialhilferechts vereinbar, dass einem Haftentlassenen Eingliederungshilfe (§ 53 SGB XII) und Hilfe nach §§ 67 ff SGB XII gewährt wird (OVG Lüneburg FEVS 51, 84; Sunder NDV 2002, 21). Zu Art und Umfang der Hilfe ist in der amtlichen Begründung zu § 2 Abs. 2 Satz 1 DVO zu §§ 67 ff SGB XII ausgeführt, dass die Hilfe an der besonderen Lebenssituation und an ihren Defiziten zu orientieren ist (BR-Drucks. 734/00, 12). In der Praxis zu berücksichtigen ist das vorrangige Prinzip der Hilfe zur Selbsthilfe für die Dienstleistungen der Beratung und persönlichen Unterstützung bei der Erhaltung und Beschaffung einer Wohnung, bei der Vermittlung von Ausbildung, bei der Erlangung und Sicherung eines Arbeitsplatzes sowie beim Aufbau und Aufrechterhaltung sozialer Beziehungen und der Gestaltung des Alltags. Während das „alte“ BSHG noch dem Leitprinzip „Fördern und Fordern“ verpflichtet war, steht im „neuen“ SGB klar das „Fordern vor Fördern“ (dies kann als Zeichen einer neuen Sozialstaatlichkeit gewertet werden, vgl. Roscher in LPKSGB XII 2012 Rdn. 8 zu § 2 VO, auch wenn sich das SGB ausdrücklich zum Leitprinzip „Fördern und Fordern“ bekennt (§§ 1–6 a SGB II). In der Praxis problematisch kann die jeweilige Begründung zu dem erforderlichen Merkmal der „Nachhaltigkeit“ in § 2 Abs. 2 DVO zu §§ 67 ff SGB XII sein, wonach nach § 72 BSHG nur Maßnahmen in Betracht kommen, die geeignet sind, die sozialen Schwierigkeiten nachhaltig abzuwenden, zu beseitigen, zu mildern oder ihre Verschlimmerung zu verhüten. Dies kann nicht mit dem Erfordernis einer Prognosebewertung des Hilfebedürftigen und seiner Angehörigen gleichgesetzt werden, zumal erklärtes Ziel des „neuen“ BSHG ist, anstelle der zielgruppenorientierten Typenbildung „aus Freiheitsentziehung Entlassene“ die aktuelle Lebenslagenorientierung zum sozialpädagogischen Bewertungsmaßstab zu machen. Ist auf der einen Seite der Wegfall der stigmatisierenden Typenbildung zu begrüßen, so muss doch in der Praxis darauf geachtet werden, dass das Leistungsgefüge des § 67 SGB XII mit eigenem Selbstverständnis zur Eingliederung sozial schwacher Menschen erhalten bleibt. Zur Grundsicherung für Arbeitssuchende und Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (Hartz IV-Reform, vgl. Rdn. 5; zum Problem des Pfändungsschutzes von Sozialleistungen und zur Notwendigkeit der Einrichtung eines P-Kontos vgl. Rdn. 15 zu § 73; zur Problematik sog. Kautionsdarlehen vgl. Rdn. 8–10 zu § 75). Auch unter Führungsaufsicht stehende Probanden, die aus dem Maßregelvollzug 7 oder Justizvollzug entlassen sind, können einen Anspruch auf Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten nach § 67 SGB XII geltend machen. Diese Norm ver715
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leiht einen Anspruch auf finanzielle oder geldwerte Leistungen. Mit Blick auf finanzielle oder geldwerte Leistungen ist für das in § 2 Abs. 1 SGB XII niedergelegte Prinzip des Nachrangs von Sozialhilfe nur dann Raum, wenn aus § 68 StGB ein entsprechender Anspruch auf finanzielle oder geldwerte Leistungen folgen würde. Ein solcher Anspruch stände angesichts von § 2 Abs. 1 SGB XII einem Anspruch gegenüber dem Sozialhilfeträger auf der Grundlage von § 67 SGB XII entgegen. § 68 StGB verleiht aber in keiner Weise finanzielle oder geldwerte Ansprüche. Soweit in § 68 a Abs. 2 StGB geregelt ist, dass Bewährungshelfer und Aufsichtsstelle im Einvernehmen miteinander den Verurteilten helfend und betreuend zur Seite stehen sollen, folgt daraus ebenfalls nicht ein entsprechender Anspruch auf finanzielle oder geldwerte Leistungen. Hierbei handelt es sich um die Aufgabe der Beratung und persönlichen Betreuung im Sinne von § 68 Abs. 1 SGB XII, die auch die Geltendmachung von Ansprüchen aus Sozialleistungen umfasst, nicht aber die Gewährung materieller Unterstützung. Es entspricht allgemeiner Auffassung, dass Bewährungshilfe und Führungsaufsicht als Soziale Dienste der Strafrechtspflege auf der Rechtsgrundlage des StGB die Aufgaben der Überwachung (§ 68 a Abs. 3 StGB i. V. mit § 68 b StGB) und der Betreuung wahrnehmen, die keine Anspruch begründenden geldwerten Leistungen beinhalten und somit nicht gegenüber dem SGB XII als vorrangig zu bezeichnen wären. Die Sozialen Dienste der Strafrechtspflege sind somit nicht „Träger anderer Sozialleistungen“ i. S. v. § 2 SGB XII; im Ergebnis ebenso das Nds. OVG (ZfStrVo 2000, 183 f), dessen Auffassung wie folgt zusammengefasst werden kann: Sind bei einer unter Führungsaufsicht stehenden Person finanzielle oder geldwerte Leistungen erforderlich, die im Rahmen der nicht in erster Linie auf die sozialpädagogische und therapeutische Zuwendung ausgerichteten Führungsaufsicht nicht geleistet werden können, schließt das Prinzip des Nachrangs von Sozialhilfe einen Anspruch auf Leistungen auch nach § 67 SGB XII nicht aus. Der dem Beschluss des Nds. OVG zugrunde liegende Einzelfall betraf die Frage der Kostenübernahme bei der Unterbringung eines unter Führungsaufsicht stehenden Haftentlassenen in ein Wohnheim der Straffälligenhilfe (ähnlich zum vergleichbaren Verhältnis zwischen Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten nach § 67 SGB XII und Bewährungshilfe auch OVG Schleswig-Holstein, Urteil vom 20.3.1997 – 13 A 34/95, Informationen zum Arbeitslosenrecht und Sozialhilferecht 1998, 36 f). Die Diskussion um die Gewährung finanzieller Leistungen durch die Sozialhilfeträger gestaltet sich in der Praxis wegen der Tendenz zur Budgetierung und der durch das SGB XII gesetzlich vorgegebenen Leistungsfinanzierung zunehmend schwieriger (vgl. dazu BAG-S (Hrsg.), Leistung – Qualität – Finanzierung in der Freien Straffälligenhilfe. Arbeitshilfe zum Verfahren der Leistungs-, Vergütungs- und Prüfungsvereinbarungen nach den §§ 75 ff SGB XII in der Hilfe nach §§ 67 ff SGB XII). Die Entlassungsvorbereitung kann dadurch im Einzelfall erheblich erschwert werden. Es empfiehlt sich, auf Landesebene koordinierende Absprachen unter Hinweis auf die vom BVerfG konkretisierten Leitlinien zur Resozialisierung als Anwendungsfall des Sozialstaatsprinzips zu treffen (vgl. Rdn. 2 ff vor § 71). Andernfalls steht zu befürchten, dass sich ungeklärte Kostenfragen vor der Aufnahme in Wohneinrichtungen im Einzelfall zu Lasten der Haftentlassenen auswirken. 8
4. Sozialleistungsträger. Die örtliche Zuständigkeit des Sozialhilfeträgers ergab sich früher nach § 97 Abs. 1 BSHG aus dem tatsächlichen Aufenthalt der Hilfesuchenden (Justizvollzugsanstalt). Auch ein Ort, an dem Hilfesuchende nur vorübergehend, ungewollt oder fremdbestimmt anwesend waren, galt als tatsächlicher Aufenthalt im Sinne des § 97 BSHG (vgl. BayVGH ZfStrVo 1981, 243; ausführlich dazu Rabe § 98 SGB XII Rdn. 29–33 in: Fichtner/Wenzel SGB XII 2009). Nach § 98 Abs. 4 SGB XII ist für Personen, Best
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die sich in Einrichtungen zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung aufhalten, nunmehr örtlich zuständig der Träger der Sozialhilfe, in dessen Bereich die Leistungsberechtigten ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Zeitpunkt der Aufnahme in die Einrichtung haben oder in den zwei Monaten vor der Aufnahme zuletzt gehabt haben. Ist ein gewöhnlicher Aufenthalt im Bereich dieses Gesetzes nicht vorhanden oder nicht zu ermitteln, richtet sich die örtliche Zuständigkeit nach § 98 Abs. 2 Satz 2 SGB XII. § 106 Abs. 1 Satz 1 SGB XII gilt entsprechend. Die Vorschrift soll solche örtlichen Träger der Sozialhilfe finanziell entlasten, in deren Bereich sich Vollzugsanstalten befinden (so bereits der Gesetzesbeschluss des Bundestages einer 4. BSHG-Novelle vom 26.6.1980). Örtlich zuständig ist also nicht mehr (wie früher) der Träger der Sozialhilfe, in dessen Bereich die Vollzugsanstalt liegt und der auch solche Leistungen zu erbringen hatte, die der Erhaltung der Unterkunft an einem anderen Ort dienten. Bei einem unzuständigen Träger der Sozialhilfe gestellte Anträge sind weiterzuleiten (§ 16 SGB I). Die von dem örtlich zuständigen Sozialhilfeträger zu erbringenden Leistungen betreffen im Wesentlichen die Übernahme der Mietkosten und Kautionen, Mietrückstände nach § 15 a BSHG, Kosten für Lagerung von Hausrat sowie den Regelbedarf i. S. von § 28 SGB XII vgl. dazu Rdn. 7 zu § 72 sowie Schoch in: Bundessozialhilfegesetz. Lehr und Praxiskommentar (LPK-BSHG), Kommentar Baden-Baden 2003 Rdn. 74 zu § 97 BSHG. 5. Heranziehung zum Kostenersatz? Von erheblicher Bedeutung ist die Kenntnis 9 des § 103 SGB XII (Kostenersatz bei schuldhaftem Verhalten) vgl. Schellhorn, Rdn. 26 zu § 92 a BSHG. Die Voraussetzung eines „sozialwidrigen Verhaltens“ (BVerwGE 51, 61) nach § 92 a a. F.; n. F. § 103 SGB XII BSHG liegt bei Personen, die zu einer Freiheitsstrafe verurteilt sind, in der Regel vor. Danach wären die Gefangenen/Entlassenen eigentlich ersatzpflichtig. Nach § 103 Abs. 1 Satz 3 SGB XII kann aber von der Heranziehung zum Kostenersatz abgesehen werden, soweit sie eine Härte bedeuten würde. Die Verpflichtung der Sozialämter, von der Heranziehung zum Kostenersatz abzusehen, besteht insbesondere bei Fällen fortdauernder sozialer Gefährdung, vor allem bei der Resozialisierung Strafgefangener (BT-Drucks. 7/308; dazu: Wolf § 103 SGB XII Rdn. 14, 15 in: Fichtner/Wenzel SGB XII 2009; Schellhorn, Rdn. 23–27, insbesondere 26 zu § 92 a BSHG). Vgl. auch Brühl 1986, 291 und das Beispiel bei III. 6. Der Hilfeauftrag i. S. von § 74 Satz 3. § 74 Satz 3 verpflichtet die Vollzugsbehör- 10 de, den Gefangenen zu helfen, Arbeit, Unterkunft und persönlichen Beistand für die Zeit nach der Entlassung zu finden. Obwohl ergänzende organisatorische Anweisungen fehlen, ist dieser Hilfeauftrag weit auszulegen und bedarfsgerecht auszugestalten. Dieses Ziel kann nur durch eine verbesserte Zusammenarbeit zwischen Vollzug und den Einrichtungen der Entlassenenhilfe erreicht werden. Insbesondere muss die Zusammenarbeit zwischen dem Vollzug, den Wohlfahrtsverbänden und den Sozialleistungsträgern verstärkt werden. Die Zielsetzung einer regionalen Bündelung der Hilfeangebote, einer kostengünsti- 11 gen Zentralisierung der Hilfen, der Vermeidung des uneffektiven Gießkannenprinzips und der Mehrfachbetreuung und einer erhöhten fachlichen Betreuung der Haftentlassenenhilfe steht im Vordergrund. Der „Zusammenschluss der Helfenden“ kann nur bei Beteiligung aller staatlichen und privaten Einrichtungen erreicht werden. Anlaufstellen für Straffällige in der Trägerschaft freier Verbände nehmen hierbei folgende Aufgaben wahr: Betreuung von Gefangenen zur Vorbereitung auf die Entlassung durch Einzelberatung, Gruppenarbeit und Vermittlung von Bezugspersonen; ambulante oder gegebenenfalls auch stationäre Betreuung nach der Haftentlassung durch Einzelberatung, Hilfen bei der Schuldenregulierung (Rdn. 7 ff zu § 73); Beschaffung von Wohnraum und Vermitt717
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lung von Behördenkontakten; Gewinnen, Anleiten und Fortbilden ehrenamtlicher Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, verbunden mit einer Verständniswerbung in der Öffentlichkeit für die Belange der Straffälligenhilfe (vgl. dazu K/S-Schöch 2002 § 13 Rdn. 31 und 33). Solche örtlichen/regionalen Arbeitsgemeinschaften der Straffälligenhilfe mit 12 entsprechenden Kooperationsvereinbarungen öffnen nicht nur institutionalisierte Wege der Wohnungs- und Arbeitsvermittlung, sondern beziehen nach § 68 Abs. 3 SGB XII auch die örtlichen Sozialhilfeträger voll ein und schaffen damit ein regionales Verbundsystem der Hilfen (für Baden-Württemberg: Dünkel 1981, 202 ff; ders. 1984, 227 zur Freiburger Anlaufstelle für Strafentlassene; Rebmann/Wulf 1990, 9; für Niedersachsen zu den Anlaufstellen für Straffällige: Best 1982 a, 115 ff; ders. 1998, 136 ff und die Website http://dieanlaufstellen.de/index.php). Eigene Übergangswohngruppen, Begegnungszentren für Haftentlassene und deren ehrenamtliche Betreuer, Kursangebote (vgl. Rdn. 12 zu § 74) eines „Sozialen Trainings in der Übergangshilfe“ (Arbeit – Wohnen – Freizeit – usw.) sowie neu entwickelte gemeinnützige Arbeitsprojekte konkretisieren den Hilfeauftrag des § 74 Abs. 2. Für die Vollzugsbehörden ergibt sich daraus sowohl eine ideelle wie auch materielle Verpflichtung, sich gestalterisch und finanziell in enger Zusammenarbeit mit den freien Verbänden der Wohlfahrtspflege und der privaten Straffälligenhilfe am Aufbau und am Erhalt solcher Einrichtungen der Entlassenenhilfe zu beteiligen (vgl. auch BVerfGE 35, 236 und mit Hinweisen zur Situation in den Ländern: Stelly/Thomas 2008, 270 ff; Rdn. 6 ff vor § 71)). Die Verpflichtung der Vollzugsbehörde, bereits vor der Entlassung mit Verbänden 13 der freien Wohlfahrtspflege zur Gewinnung eines persönlichen Beistandes Kontakt aufzunehmen, hat der Gesetzgeber deutlich hervorgehoben (SA BT-Drucks. 7/3998, 30). Nach der Gesetzesbegründung „ist die Hilfe nach der Entlassung mindestens ebenso wichtig wie die Fürsorge für den Gefangenen innerhalb der Anstalt“. Die „Anlaufstellen für Straffällige“, die inzwischen über einen erheblichen Personenkreis von ehrenamtlichen Helfern verfügen, haben in diesem Bereich eine wichtige Aufgabe zu erfüllen (Rdn. 11). 14
7. Entlassungsvarianten bei ausländischen Gefangenen. Auch ausländische Gefangene sind im Rahmen der Entlassungsvorbereitung bei der Ordnung ihrer persönlichen, wirtschaftlichen und sozialen Angelegenheiten einschließlich der Passbeschaffung und Abklärung von Rentenansprüchen zu beraten. Als besonders hilfreich hat sich hierbei die Zusammenarbeit mit spezialisierten freien Trägern der Wohlfahrtsverbände und Kirchen erwiesen. So verfügte z. B. Niedersachsen über eine aufsuchende Sozialarbeit für ausländische Gefangene, die in Abstimmung mit der Ausländerbeauftragten des Landes ab 1993 mit finanzieller Unterstützung der Justizverwaltung eingerichtet und in sechs Schwerpunktanstalten des niedersächsischen Justizvollzuges eingesetzt war. Diese spezialisierten Fachkräfte leisteten die notwendigen Informationen einschließlich der individuellen Beratung und Hilfe. Sprachprobleme wurden mit Dolmetschern bewältigt. Ausländerspezifische Merkblätter mit speziellem Inhalt zur Entlassungsvorbereitung haben sich im Vergleich zu dieser individuellen Beratungsform dagegen nicht bewährt. Hier bietet sich auch für die Ehrenamtliche Mitarbeit ein wirkungsvolles Tätigkeitsfeld (DBH Bildungswerk Projekt Lotse 1999). Im Umgang mit ausländischen Gefangenen ist die Empfehlung R (84) 12 des Europarats vom 21.6.1984 (ZfStrVo 1985, 92) zu beachten. Der unveröffentlichte Bericht des Europarats vom 9.5.1996 zu einer Umfrage über die Umsetzung der Empfehlung in den Mitgliedstaaten – PPC (96) 3 – lässt erkennen, dass der Europarat den Maßnahmen zum Abbau der Isolation und zur Förderung der Wiedereingliederung in die Gesellschaft besondere Bedeutung zuerkennt. Voraussetzung hierfür ist es, auch interkulturelle MentaBest
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litäten zu berücksichtigen (vgl. dazu Finkbeiner/Karsten/Meiners 1993, 343 zu den Deeskalationsgruppen mit Inhaftierten unterschiedlicher Nationalität und Kultur in der Jungtäteranstalt Vechta; speziell zur Betreuungsarbeit mit Inhaftierten in einer Anstalt mit hoher Ausländerquote Dolde 2002, 146 ff; zur Arbeit mit Spätaussiedlern unter subkulturellen Aspekten Schwind 1999, 339 ff; zu den Minoritäten im Strafvollzug Walter 2010, 40). Die Hilfe zur Entlassung bei ausländischen Strafgefangenen umfasst aber auch die Prüfung, ob ein Absehen von der Strafvollstreckung gem. § 456 a StPO erfolgen kann (vgl. beispielhaft in Niedersachsen die AV vom 16.12.2009 „Absehen von der Strafverfolgung und der Strafvollstreckung bei Nichtdeutschen §§ 154 b, 456 a StPO“, in: Nds MBl 2010, S. 4 und Nds. Rpfl. 2010, S.77). Sofern die Anstalt bei der Vollstreckungsbehörde dies anregt, hat sie einen Bericht beizufügen, der eine sachgerechte Entscheidung ermöglicht. Dazu müssen auch die entsprechenden konkreten Informationen zusammengestellt werden (C/MD 2008 § 73 Rdn. 5 m. w. N.). Der große Anteil ausländischer Strafgefangener (2010: 22,1%, Statistisches Bundesamt Ausgewählte Zahlen für die Rechtspflege 2010, S. 57) stellt den Justizvollzug vor besondere Probleme. Die Rückführung in ihr Heimatland zur weiteren Strafvollstreckung kann bewirken, dass die der Verurteilung zugrunde liegenden Strafzwecke und Vollzugsziele ohne die mit der weiteren Strafvollstreckung im Ausland verbundenen besonderen Belastungen erreicht werden. Das europäische Vollstreckungshilferecht ermöglicht dies durch das Gesetz zur Ausführung des Übereinkommens des Europarats vom 21.3.1983 über die Überstellung verurteilter Personen in ihr Heimatland (ÜAG), BGBl. 1991 II, 1954 f, das dem Gesetz zugrunde liegende Übereinkommen vom 21.3.1983 (Überst. ÜbK), BGBl. 1991 II, 1006, 1992 II, 98 sowie durch das erste Zusatzprotokoll vom 18.12. 1997 (ZP – Überst. ÜbK, vgl. BT-Drucks. 15/3179): zum Text mit Erläuterungen vgl. Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 5. Auflage, München 2012, Abschn. vor II C S. 879, II C 1 S. 919 mit Tabellen der einzelnen Staaten; Laubenthal 2011 Rdn. 337 ff; vgl. die aktuellen Einzelheiten auf der Homepage des Europarates unter www.conventions.coe.int. Als Ziele der europäischen Vollstreckungshilfe sind ausdrücklich benannt die erleichterte Resozialisierung im Heimatland, die Entlastung des Strafvollzugs sowie die Vermeidung von Unvollstreckbarkeit strafrechtlicher Entscheidungen, insbesondere durch Flucht in den oder Aufenthalt im Heimatstaat, der eigene Staatsangehörige sogar von Verfassung wegen nicht zur Vollstreckung an andere Staaten ausliefern kann. Die materielle Regelung der Überstellung eines Verurteilten in sein Heimatland ergibt sich aus § 71 IRG. Nach dieser Vorschrift kann mit dem Vollstreckungshilfeersuchen sowohl das Interesse des Verurteilten wie auch das öffentliche Interesse aufgegriffen werden (§ 71 Abs. 1 Ziff. 1 Nr. 2 IRG). Das Überstellungsübereinkommen (ÜberstÜbk) ändert an dieser Rechtslage nichts. Es nimmt auf die Interessen der Rechtspflege und das Interesse des Verurteilten an seiner sozialen Wiedereingliederung Bezug (vgl. auch die Denkschrift der Bundesregierung zum ÜberstÜbk, BT-Drucks. 12/194, 17) und regelt dazu Einzelheiten des Verfahrens. Äußert der Verurteilte gem. Art. 3 Abs. 1 Buchstabe d ÜberstÜbk den Wunsch, zur Vollstreckung der gegen ihn verhängten Strafe in sein Heimatland überstellt zu werden, so ist es Aufgabe der Staatsanwaltschaft, die Interessen des Verurteilten an seiner sozialen Wiedereingliederung und die Belange der Rechtspflege – auch im Hinblick auf die Vollstreckungspraxis des Aufnahmestaats – vollstreckungsrechtlich zu würdigen. Bei der Ermessensausübung hat sie auch den Resozialisierungsanspruch des Verurteilten zu berücksichtigen. Dieser hat ein Recht auf fehlerfreie Ausübung des Ermessens der Vollstreckungsbehörde. Art. 19 Abs. 4 GG verbürgt insoweit den gerichtlichen Rechtsschutz (BVerfG NJW 1997, 3013 ff = NStZ 1998,140 ff im Fall von türkischen Staats719
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angehörigen, die sich nach hiesiger Verurteilung wegen BtM-Delikten von der Restverbüßung im Heimatland eine vorzeitige Entlassung nach 42% der verhängten Freiheitsstrafen erhofften). Generalpräventive Gründe und das Vertrauen der Bevölkerung in die Unverbrüchlichkeit des Rechts können gegen die Bewilligung eines solchen Antrags sprechen (OLG Zweibrücken ZfStrVo 2000, 313 f). Die Anzahl der tatsächlich aus Deutschland in einen anderen Mitgliedstaat überstellten Personen ist mit 158 im Jahre 2005 relativ gering gewesen. Hierfür gibt es eine Reihe von Ursachen. In erster Linie war die fehlende Bereitschaft der verurteilten Person, sich zur weiteren Vollstreckung in ihren Heimatstaat überstellen zu lassen, verantwortlich. An dieser Stelle setzt ein Zusatzprotokoll zum Übereinkommen des Europarates über die Überstellung verurteilter Personen vom 21.3.1983 (CETS No. 112) an. Das Zusatzprotokoll ermöglicht eine Überstellung ausländischer verurteilter Personen auch ohne deren Zustimmung in ihre Heimatländer zur Vollstreckung freiheitsentziehender Sanktionen. Mit dem bereits am 18.12.1997 unterzeichneten Zusatzprotokoll (CETS No. 167) ist eine Zustimmung der verurteilten Person in denjenigen Fällen nicht erforderlich, in denen gegen sie wegen der Tat, die ihrer Verurteilung zugrunde liegt, eine bestandskräftige Ausweisungsverfügung vorliegt. Zudem sind Regelungen für den Fall vorgesehen, dass der verurteilte Täter versucht, sich der Verbüßung durch Flucht in sein Heimatland zu entziehen. Da derartige Fallkonstellationen in der Praxis nicht selten vorkommen, eröffnet das Zusatzprotokoll die Möglichkeit, solche Straftäter vermehrt zur Strafverbüßung in ihre Heimat zu überstellen. Das Ausführungsgesetz vom 17.12.2006 (BGBl. I 2006, 3175) regelt die praktische Anwendung des Zusatzprotokolls in Deutschland. Für Deutschland wurde das bereits am 18.12.1997 unterzeichnete Zusatzprotokoll nach langem Zögern des Bundesjustizministeriums erst am 17.4.2007 ratifiziert und zum 1. August 2007 in Kraft gesetzt. Nach dessen Artikel 3 kann nunmehr unter bestimmten Voraussetzungen eine Überstellung zur Haftverbüßung im Heimatland auch gegen den Willen der verurteilten Person ermöglicht werden. Parallel dazu wird eine Intensivierung der Vollstreckungshilfe auf EU-Ebene angestrebt (zu dem Themenkreis: Lemke ZRP 2000, 173 ff; Antwort der Bundesregierung vom 28.7.2000, BT-Drucks. 14/3957 auf eine Große Anfrage „Erleichterungen bei der internationalen Vollstreckungshilfe“ BT-Drucks. 14/2827 mit statistischem Material; Hamdorf SchlHA 2008, 74, 75 f). Nach Art. 29 EUV verfolgt die Union das Ziel der Schaffung eines Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts mittels der Verhütung und Bekämpfung der Kriminalität (vgl. Gless 2006, 899 ff). Weil bisher der Union keine unmittelbar in den Mitgliedstaaten wirkende Rechtsetzungsinstrumente zur Verfügung stehen (im Gegensatz zu dem beabsichtigten Vertrag von Lissabon), kommt die in Art. 34 EUV geltenden Regelung über Rahmenbeschlüsse zur Anwendung. Derzeit ist in der Abklärung der „Rahmenbeschluss des Rates über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Urteile von Strafsachen, durch die eine freiheitsentziehende Strafe oder Maßnahme verhängt wird, für die Zwecke ihrer „Vollstreckung in der Europäischen Union“, ABl. C 150 vom 21.6.2006, 1–16 (dazu: Morgenstern 2008, 76 ff). Nach dem Rahmenbeschluss sollen verurteilte Straftäter ohne ihre Zustimmung zur Verbüßung der Strafe in ihr EU-Heimatland überstellt werden, wenn sie dort ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben und dort über familiäre, soziale und sonstige Bindungen verfügen. Dies soll insbesondere der Resozialisierung der Betroffenen dienen. Befindet sich der Straftäter bereits in seinem Heimatstaat, wird das Urteil an den Heimatstaat zur Vollstreckung übersandt. Die Zustimmung des Heimatstaates zur Überstellung des Straftäters oder zur Übersendung des Urteils zum Zwecke der Vollstreckung ist nicht erforderlich. Wesentliche Neuerung des Rahmenbeschlusses gegenüber dem Übereinkommen und dem Zusatzprotokoll ist der Verzicht auf die Zustimmung der verurteilten Person und auf Best
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die Zustimmung des Heimatstaats zur Vollstreckung des Urteils im Heimatstaat. Voraussetzung ist, dass die verurteilte Person die Staatsangehörigkeit des Vollstreckungsstaats hat und auch tatsächlich dort lebt. Der Verzicht auf beide Zustimmungserfordernisse gilt in diesen Fällen unabhängig davon, ob sich die Person gerade im Urteilsstaat oder Vollstreckungsstaat befindet. Ein weiterer Rahmenbeschluss betrifft die Anerkennung und Überwachung von Bewährungsstrafen, alternativen Sanktionen und bedingten Verurteilungen, ABl. C 147 vom 30.6. 2007, 1 ff und Knauss BewHi 2009, 73 f)). Die Stellungnahme der Anstalt im Verfahren gem. § 456 a StPO soll Hinweise über die Anschrift der verurteilten Person im Vollstreckungsstaat, ihre sozialen Bindungen, ihre Führung in der Anstalt und ähnliche besondere Erkenntnisse enthalten; andere Ermittlungs- oder Strafverfahren, die in der Anstalt bekannt sind, sind in der Stellungnahme mitzuteilen. Werden nachträglich solche Verfahren bekannt, ist die Vollstreckungsbehörde unverzüglich zu unterrichten. Die Regelungen über die Aussetzung des Strafrestes, über das Absehen von der Strafvollstreckung gem. § 456 a StPO (dazu Rdn. 11 und die in NRW zur Anwendung des § 465 a StPO durchgeführte Aktenanalyse von Tzschaschel Ausländische Gefangene im Strafvollzug, Herbolzheim 2002) und über die Überstellungsmöglichkeiten nach den Übereinkommen stehen rechtlich selbständig nebeneinander. § 456 a StPO bietet in der Regel ein einfacheres Verfahren als die Überstellung nach dem Übereinkommen, da eine Einigung mit einem Vollstreckungsstaat über die Überstellung nicht erforderlich ist. Während nach dem Übereinkommen (Art. 8 Abs. 1) durch die Übernahme der verurteilten Person durch den Vollstreckungsstaat die Vollstreckung im Urteilsstaat ausgesetzt wird, kann im Falle des § 456 a StPO die Vollstreckung bei einer Wiedereinreise des Verurteilten häufig durch Vollstreckungshaftbefehl gesichert werden. Sind sowohl die Voraussetzungen des § 456 a StPO als auch die des Übereinkommens gegeben, hat die Vollstreckungsbehörde nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden, welche Maßnahme in Betracht kommt (vgl. Meyer-Goßner § 456 a Rdn. 4 f). Bei ausländerrechtlichen Maßnahmen gegen ausländische Strafgefangene sind die rechtlichen Vorgaben der Europäischen Gemeinschaft für das Ausweisungs- und Abschiebungsrecht zu berücksichtigen. Bei der Ausweisung und Aufenthaltsbeendigung von Drittstaatsangehörigen ist insbesondere der auf das Assoziierungsabkommen zwischen der EWG und der Türkei aus dem Jahr 1963 zurückgehende „Beschluss des Assoziationsrates EWG/Türkei über die Entwicklung der Assoziation“ – ARB 1/80 – von 1980 zu beachten. Insbesondere sind die Regelungen des ARB 1/80 in Artikel 6 (Aufenthaltsrecht für türkische Arbeitnehmer), Artikel 7 (Aufenthaltsrecht für Familienangehörige türkischer Arbeitnehmer) und Artikel 14 (erhöhter Ausweisungsschutz für nach Artikel 6 oder 7 privilegierte türkische Staatsangehörige) zu berücksichtigen. Der Europäische Gerichtshof hat im Laufe der Zeit aus diesen Bestimmungen eine Angleichung der Rechtsstellung der unter den ARB 1/80 fallenden türkischen Staatsangehörigen mit der von EU-Staatsangehörigen entwickelt. Nach seiner Rechtsprechung sind die Grundsätze über die Freizügigkeit von Unionsbürgern und damit auch die Grundsätze über die Ausweisung soweit wie möglich auf die privilegierten türkischen Staatsangehörigen zu übertragen. Das BVerwG hat im Jahr 2004 grundsätzlich entschieden, dass dieser Personenkreis nur auf der Grundlage einer Ermessensentscheidung in Verbindung mit den einschlägigen gemeinschaftsrechtlichen Grundsätzen ausgewiesen werden darf. Nach dieser Rechtsprechung (BVerwG 1 C 30.02, BVerwGE 121, 315 und BVerwG 1 C 29.02, BVerwGE 121, 315, BVerwG 1 C 45.06 vom 15.11.2007) dürfen Bürger aus den Mitgliedstaaten nur noch nach intensiver Einzelfall721
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prüfung und unter Berücksichtigung ihres Verhaltens nach der Tat abgeschoben werden. Diese Maßstäbe gelten weitestgehend auch für türkische Arbeitnehmer. Das BVerwG berücksichtigt damit die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in Luxemburg, der eine detaillierte Einzelfallprüfung fordert. Regelausweisungen, wie sie bislang das Ausländergesetz (§ 47) bei schweren Straftaten vorsieht, sind danach nicht mehr möglich. Die strafrechtliche Verurteilung allein kann nicht zu einer Ausweisung oder Ablehnung der Aufenthaltserlaubnis führen. Vielmehr muss eine „tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung“ vorliegen, die „ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt“, wie es der Europäische Gerichtshof formuliert. Wird die Strafe zur Bewährung ausgesetzt, so ist eine Ausweisung nicht zulässig. Anders ist es jedoch bei besonders schwerwiegenden Straftaten: Im Bereich der Rauschgiftkriminalität tendieren die Gerichte dazu, eine schwerwiegende Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung anzunehmen. Hier kann im Einzelfall die Verurteilung wegen einer einzigen Tat die Ausweisung begründen, wenn aufgrund des Verhaltens und der Gesamtpersönlichkeit des Täters die konkrete Gefahr erneuter Verstöße gegen Strafvorschriften besteht. Ausschlaggebend für eine Ausweisung darf lediglich das persönliche Verhalten des Betroffenen sein. Unzulässig ist es daher, wenn ein Staat einen Unionsbürger nur ausweist, um andere Ausländer von gleichem Verhalten abzuschrecken (zur Verhältnismäßigkeit von Ausweisungen unter Heranziehung von Art. 8 EMRK: BVerfG, NVwZ 2007, 1300; zur Änderung des Ausweisungsrechts und zur Statistik vgl. LT-Drucks. BW 14/2277 vom 24.1.2008). Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat sich nach der Beschwerde eines verurteilten Tunesiers gegen das Ausweisungsverfahren auf Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) gestützt, in welchem das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens normiert ist. Art. 8 EMRK werde durch die deutschen Regelungen zur Abschiebung straffälliger Ausländer nicht unzulässig verkürzt. Nach eigenen Angaben lebt die komplette Familie des in Deutschland geborenen Tunesiers hier und er selbst hat keinerlei Verbindung nach Tunesien. Zudem könne er kein arabisch. Dies sei aus Sicht des EGMR jedoch unerheblich, da die Straftaten zum Teil eine gewisse Schwere aufwiesen und von ihm im Erwachsenenalter begangen worden waren und er über die Folgen seiner kriminellen Machenschaften vorher genügend aufgeklärt worden sei. Die Ausweisungsmaßnahme sei im Hinblick auf das verfolgte legitime Ziel nicht unverhältnismäßig und folglich in einer demokratischen Gesellschaft noch als erforderlich anzusehen (Urt. vom 13.10.2011, Beschwerde-Nr. 41548/06, EuGRZ 2012, 11; NJOZ 2012, 830). 15
8. Sozialpraktische Trainingskurse. Zur Aufarbeitung aktueller Entlassungsprobleme im Rahmen der „Strategie der Aktivierung“ (vgl. Rdn. 4 vor § 71) eignen sich sozialpraktische Trainingskurse (vgl. dazu Böhm 2003 Rdn. 214 f und 395 ff; Becker/Marggraf/Nuissl/Sutter 1988, 41 ff; Beisel/Dölling 2000), die sich nach didaktischen Konzepten der Erwachsenenbildung schwerpunktmäßig mit folgenden Problemkreisen befassen: Verkehr mit Behörden, Umgang mit Geld, Rechtsfragen des Alltags, Partnerschaft usw. Ihr Informationswert ergibt sich aus dem Einüben von Vorstellungsgesprächen, Abfassen von Bewerbungsschreiben, Ausfüllen von Formularen bzw. Vorsprachen bei Behörden und Diskussionen mit Fachleuten (Richter, Bewährungshelfer, Bedienstete des Sozialamts und der Bundesagentur für Arbeit, Gerichtsvollzieher usw.). Solche sozialen Trainingsprogramme ermöglichen es, durch eigenes Erleben und Nachspielen notwendige Lebensbewältigungstechniken zu lernen und in der Praxis zu erproben. Es handelt sich damit um zielorientierte Kurssysteme, nicht um eine lose Ansammlung von sozialen bzw. pädagogischen Begleitmaßnahmen (Zur Planung, DurchBest
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führung und Evaluation eines Lernprogramms im Vollzug durch Soziales Training: Otto 1988, sowie die Nachweise bei Rdn. 12 zu § 73; grundlegend die Verwaltungsvorschrift für Niedersachsen: Soziales Training in Justizvollzugsanstalten, Abschnitt: 14 NAV Nr. 1 zu § 37, AV d. MJ v. 17.10.2001 – (Nds. Rpfl. S. 450), zuletzt geändert durch AV vom 21. Mai 2007 (Nds. Rpfl. S. 214); Busch 1987, 87 ff. Zum Sozialen Training als Betreuungsaufgabe auch für den allgemeinen Vollzug: Wauro 1992, 280; zum Themenschwerpunkt „Anti-Gewalt-Training“ im Bereich des Sozialen Trainings Buchert/Metternich 1994, 327); zu Aspekten der Konfliktregelung, der Schadenswiedergutmachung und des Täter-OpferAusgleichs vgl. § 73 Rdn. 6; zur Schuldenregulierung vgl. Rdn. 7–15 zu § 73; zu Problemen bei der Einrichtung eines Girokontos Rdn. 2. 9. Besondere Entlassungsmaßnahmen bei Sexualstraftätern. Aus dem Gesetz 16 zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten vom 26.1.1998 (BGBl. I, 160) und dem Sechsten Gesetz zur Reform des Strafrechts (6. StrRG) vom 26.1.1998 (BGBl. I, 164) haben sich erhebliche Auswirkungen für den Vollzug und die Sozialen Dienste der Justiz ergeben. Bewährungshilfe und Führungsaufsicht sind insbesondere von der intensivierten Überwachung und Betreuung der aus Justizvollzug und Maßregelvollzug entlassenen Sexualstraftäter und anderen gefährlichen Straftäter betroffen, auch durch die zunehmende Überwachung erteilter Weisungen, die mit Einwilligung der Gefangenen durch den Einsatz elektronischer Überwachungssysteme („elektronische Fußfessel“) erfolgen können (§ 16 Abs. 1 HStVollzG). Daraus ergibt sich ein besonderer Bedarf an Risikoanalyse, Risikomanagement und Risikokommunikation bei der Entlassungsvorbereitung gefährlicher Sexual- und Gewaltstraftäter (zum Überwachungskonzept „FoKus“ des Landes Mecklenburg-Vorpommern vgl. Grosser/Himbert FS 2010, 259 (262 f). Das Maßnahmepaket enthält u. a. folgende Bestandteile, um der Rückfallkriminalität vorzubeugen: (1) Vermehrte Unterbringung von Sexualstraftätern in Sozialtherapeutischen Anstalten; (2) Schutz der Allgemeinheit bei vorzeitiger Haftentlassung (§ 57 StGB). Bisher bestimmte das Gesetz als Voraussetzung für die Strafrestaussetzung zur Bewährung, dass „verantwortet werden kann zu erproben, ob der Verurteilte außerhalb des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen wird“. In § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB ist die bisherige Formulierung durch eine Regelung ersetzt worden, wonach eine vorzeitige Haftentlassung nur erfolgen kann, „wenn dies unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden kann“. In § 57 Abs. 1 Satz 2 StGB, in dem die bei der Entscheidung über die Aussetzung des Strafrestes namentlich zu beachtenden Gesichtspunkte aufgeführt werden, ist zusätzlich ausdrücklich „das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts“ genannt. (3) Obligatorisches Gutachten bei vorzeitiger Haftentlassung von besonders rückfallgefährdeten Tätern; (4) Therapie als Bedingung für eine Strafaussetzung oder Strafrestaussetzung zur Bewährung; (5) Pflicht zur Therapie auch bei Führungsaufsicht nach Vollverbüßung; (6) Frühzeitigere und häufigere Anordnung der Sicherungsverwahrung. Die Führungsaufsicht dient der Überwachung und Betreuung von Verurteilten, die ihre Strafe voll verbüßt haben (§ 68 f) oder aus dem Maßregelvollzug, d. h. einer Klinik für psychisch oder suchtkranke Straftäter entlassen wurden. Die Führungsaufsicht gewährleistet eine nachsorgende Betreuung von Täterinnen und Tätern, deren gesellschaftliche Wiedereingliederung nach ihrer Entlassung aus dem Straf- oder Maßregelvollzug aus unterschiedlichen Gründen gefährdet erscheint und die daher im Besserungs- und im Sicherungsinteresse in besonderem Maße kontrollierender 723
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Begleitung und Unterstützung bedürfen (Kwaschnik 2008 unter besonderer Würdigung der Arbeitsweise der Sozialen Dienste der Justiz; zu den Wandlungen des Instituts vgl. Dessecker BewHi 2011, 267; zum kriminalpolitischen Kontext vgl. Morgenstern BewHi 2011, 177). Durch das Gesetz zur Reform der Führungsaufsicht und zur Änderung der Vorschriften über die nachträgliche Sicherungsverwahrung vom 13. April 2007 (BGBl. I 513) soll eine straffere und effizientere Kontrolle der Lebensführung von Straftätern – vor allem in den ersten Jahren nach ihrer Entlassung in Freiheit – ermöglicht werden. Die Reform hat damit sowohl eine erhebliche kriminalpolitische als auch eine große praktische Bedeutung und könnte sogar den Belegungsdruck im Strafvollzug und Maßregelvollzug vermindern. Dies setzt aber neben einer Verbesserung des strafrechtlichen Rahmens eine Steigerung der Effizienz der Führungsaufsicht sowie eine Überprüfung und ggf. Verbesserung ihrer Umsetzung in der Praxis durch die Justizverwaltung voraus. Die neuen Instrumente sind geeignet, die Entscheidung für die Entlassung und die Fortsetzung der Therapie in ambulanten Einrichtungen zu fördern. Besonders bedeutsam ist der gezielte Ausbau der Nachsorge nach Entlassung aus dem Straf- und Maßregelvollzug (§§ 68 ff StGB). Das Gericht kann nunmehr auch die verurteilte Person anweisen, sich nachsorgend psychiatrisch, psycho- oder sozialtherapeutisch betreuen und behandeln zu lassen (§ 68 b Abs. 2 S. 2 Therapieweisung). Hierzu werden die forensischen Ambulanzen neben den Aufsichtsstellen und der Bewährungshilfe ausdrücklich genannt (§ 68 a). Durch eine neuartige Krisenintervention können kritische Entwicklungen von Probanden noch besser als bisher frühzeitig erkannt und aufgearbeitet werden. So kann jetzt ein mit Strafe bewehrtes Kontaktverbot ausgesprochen werden. Damit kann z. B. verhindert werden, dass der Verurteilte nach seiner Freilassung das Opfer seiner Straftat erneut belästigt oder bedroht. Sexualstraftätern kann unter Strafandrohung auch verboten werden, Kontakte zu fremden Kindern aufzunehmen. Darüber hinaus werden weitere strafbewehrte Weisungen zugelassen: Bestehen Hinweise darauf, dass ein Verurteilter unter Alkoholeinfluss wieder gefährlich werden kann, so kann das Gericht ihm verbieten Alkohol zu trinken. Die Einhaltung dieses Verbots kann z. B. mit Atemalkoholkontrollen überwacht werden. Vor allem können Verurteilte so nachdrücklicher als bisher motiviert werden, einen ersten Schritt in Richtung Therapie zu unternehmen. Es ist zu hoffen, dass es dem therapeutischen Personal gelingt, die erforderliche Mitwirkungsbereitschaft des Betroffenen an der Therapie zu erlangen. Durch das „Gesetz zur Sicherung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt vom 16.7.2007“ (BGBl. I S. 1327) ist eine für die Soziale Hilfe bedeutsame Änderung zur Neuregelung der Vollstreckungsreihenfolge (§ 67 StGB) erfolgt (vgl. Spiess, Das Gesetz zur Sicherung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt, in: StV 2008, 160). a) Der neu gestaltete Abs. 2 S. 2 des § 67 StGB sieht vor, dass bei Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt neben einer zeitigen Freiheitsstrafe von über drei Jahren das Gericht bestimmen soll, dass ein Teil der Strafe vor der Maßregel zu vollziehen ist. Dieser Teil der Freiheitsstrafe ist so zu bemessen, dass nach seiner Vollziehung und einer anschließenden Unterbringung eine Entscheidung über die Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung nach § 67 Abs. 5 S. 1 StGB möglich ist, § 67 Abs. 2 S. 3 StGB n. F. Die Anordnung des Vorwegvollzuges wirkt sich sonst wie ein zusätzliches Strafübel aus (vgl. BGH NStZ 2007, 30). § 67 Abs. 2 S. 2 und 3 StGB n. F. soll den bisherigen schädlichen Wirkungen des Vorwegvollzugs der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt vor einer langjährigen Freiheitsstrafe entgegenwirken. Best
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Nach der bisherigen Gesetzeslage musste das Gericht in Umkehrung der gesetzlich vorgeschriebenen Reihenfolge der Vollstreckung bestimmen, dass die Strafe oder ein Teil der Strafe vor der Maßregel zu vollziehen ist, wenn der Zweck der Maßregel dadurch leichter erreicht wird. Dabei handelt es sich jedoch um eine Ausnahme Vorschrift. b) Durch § 67 Abs. 2 S. 4 StGB n. F. wird dem Gericht die Möglichkeit eingeräumt, bei der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anzuordnen, dass die Strafe vor der Maßregel zu vollziehen ist, wenn die verurteilte Person vollziehbar zur Ausreise verpflichtet und zu erwarten ist, dass ihr Aufenthalt durch aufenthaltsrechtliche Maßnahmen während oder unmittelbar nach Verbüßung der Strafe beendet wird. Mit der Neuregelung wird die Grundlage für eine Umkehr der Vollstreckungsreihenfolge bei ausländischen Personen mit unsicherem Aufenthaltsstatus geschaffen. 10. Vernetzte Kooperationen innerhalb und außerhalb des Vollzugs. Wegen der 17 Gesetzesänderungen ist das Erfordernis der Zusammenarbeit zwischen Justizvollzug, Maßregelvollzug und Sozialen Diensten in der Justiz insbesondere im Rahmen der Sozialen Hilfe und der Entlassungsvorbereitung deutlich gewachsen (vgl. Rdn. 6 ff vor § 71). Die Praxis muss Mittel und Wege finden, um einerseits das zentrale und berechtigte Anliegen dieser Reform nach einem besseren Schutz der Bevölkerung vor rückfälligen Sexual- und Gewaltstraftätern zu erreichen. Andererseits muss der Gefahr der überschießenden Tendenz im Zuge des Rufs nach Verschärfungen entgegengesteuert werden. Es wird der wissenschaftlichen Begleitforschung bedürfen, ob eine Belastung oder eine Entlastung im Straf- und Maßregelvollzug, eintreten wird. Hohe Aufmerksamkeit ist auch der Frage zu widmen. ob im Strafvollzug die Strafrestaussetzung zur Bewährung als eine effektive Form der Entlassung durch die scheinbar sicherere Entlassung nach Vollverbüßung schrittweise zurückgedrängt oder gar verdrängt wird. Die Entwicklung mit der Tendenz, die Risikoabwägung zugunsten des Gesellschaftsschutzes und zu Lasten individueller Resozialisierung bei dieser Tätergruppe zu verschieben, trifft sich mit den Vorschlägen, den Sicherungsaspekt als gleichrangiges Vollzugsziel neben der Wiedereingliederung im Strafvollzugsgesetz zu verankern (Jehle 2003, 37 ff, 45). Das Konzept der sog. Integrativen Sozialtherapie (Rehn 2002, 23 ff) rückt dagegen die Verbesserung der Nachbetreuung in den Vordergrund der Arbeit. Untersuchungsergebnisse enthalten die Anregung, die Sozialtherapie auf Gefangene zu beschränken, die in kürzeren Therapieabschnitten, einer gründlichen Entlassungsvorbereitung und einer längeren Begleitung in Freiheit auf ein Leben ohne Straftaten vorbereitet werden können (Rotthaus 2002, 279 ff). Am Tätertyp ausgerichtete bedarfsorientierte Behandlungsprogramme und eine verstärkte Spezialisierung der Anstalten auf bestimmte Tätergruppen könnten die „Kluft“ zwischen Resozialisierungszielen und Sicherheitsstrategien verringern (Koepsel 1999, 81 ff). Die VV zu § 74 konkretisiert die zwingende Verpflichtung der Vollzugsbehörde 18 zur Zusammenarbeit (§ 154 Abs. 2) mit der Bewährungshilfe und der Führungsaufsicht im Rahmen der Entlassungsvorbereitung. Bedeutsam ist dies für den Fall der Strafrestaussetzung zur Bewährung und insbesondere dann, wenn diese vorzeitig Entlassenen der Bewährungshilfe unterstellt werden. Die „vorzeitige Entlassung“ ist ein wesentliches Instrument moderner Kriminalpolitik. Dasselbe gilt für die Aussetzung der Maßregeln der Besserung und Sicherung. Seit 1998 wird in den Vorschriften über die Strafrestaussetzung zur Bewährung (im Sprachgebrauch: bedingte Entlassung) die Beachtung des Sicherheitsinteresses der Bevölkerung ausdrücklich hervorgehoben. Nach der Strafvollzugsstatistik für 2004 machte die Strafrestaussetzung zur Bewährung nach Teilverbüßung einer Strafe oder Maßregel rechnerisch rund 34% aller Entlassungen in kontrollierte Freiheit aus. Dabei schwanken die entsprechenden Anteilswerte in den 725
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Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
Ländern zwischen 16% und 51%. Zu beachten ist, dass sich ganz unterschiedliche Konstellationen hinter der statistischen Auflistung verbergen (zu den Einzelheiten vgl. den Ersten Periodischen Sicherheitsbericht der Bundesregierung, herausgegeben vom BMI und BMJ, Berlin 2001 sowie den Zweiten Periodischen Sicherheitsbericht, Berlin 2006, 630 ff). Tendenziell zeichnet sich ein Absinken in der Quote der vorzeitigen Entlassung bei den Deliktsgruppen von Gewaltdelikten einschl. gefährlicher Körperverletzung und Sexualdelikten ab (vgl. Dünkel/Geng 2008, 15; eingehend Fritsche 2005, 234 ff, 255 ff, 260 ff mit Nachweisen auch zur Strafrestaussetzung in europäischen Ländern). Die Strafrestaussetzung ist ein Instrument, das effektiv zur Entlastung des Strafvollzugs und der Reduzierung der Gefangenenzahlen beitragen kann. Dies belegt auch die unterschiedliche Rückfallquote bei „Erstverbüßern“: bei solchen ohne Strafrestaussetzung zur Bewährung betrug sie bis zu 70%, Entlassene mit Strafrestaussetzung zur Bewährung traten dagegen nur in 44% der Fälle strafrechtlich in Erscheinung 23%, was nach empirischen Erhebungen vor allem auf den Einsatz der Bewährungshilfe zurückzuführen war (Fritsche 2005, 255). Insgesamt sind aber die funktionalen Kontakte zwischen dem ambulanten Sozialdienst und dem stationären Vollzug von besonderer Bedeutung (vgl. Quensel 1977, 89 ff). Die Datenübermittlung ist nach § 180 Abs. 1 Satz 1 zulässig. Für die Datenübermittlung an die Bewährungshilfe und Führungsaufsicht gilt auch § 180 Abs. 4 Nr. 1. Für die Arbeit der Führungsaufsichtstellen wäre es sachgerecht, wenn seitens der Anstalten Vorschläge und Anregungen für geeignete Weisungen nach § 68 b StGB gegenüber der Staatsanwaltschaft gemacht würden (Arloth 2011 Rdn. 4). Zum strukturellen Informationsproblem zwischen den Sozialen Diensten vgl. Rdn. 6 f vor § 71. Die in der VV zu § 74 aufgegebene unverzügliche Kontaktaufnahme zur Abstimmung der Betreuungsmaßnahmen setzt voraus, dass die Anstalt ihrerseits vom Vollstreckungsgericht frühzeitig über die Entscheidung über die Aussetzung des Strafrestes informiert wird. § 454 a StPO stellt klar, dass eine frühzeitige Entscheidung über die Aussetzung des Strafrestes nicht nur zulässig, sondern erwünscht ist (KG NStZ 2006, 354; Meyer-Goßner 2008 Rdn. 1 zu § 454 a). Im Interesse einer verbesserten, die soziale Wiedereingliederung des Verurteilten fördernden Entlassungsvorbereitung liegt es zweifelsfrei, wenn über die Aussetzung der Vollstreckung eines Strafrestes früh entschieden wird (BT-Drucks. 10/2720, 9, BT-Drucks. 10/4391, 15). Um dieses Ziel zu erreichen, ist durch landesrechtliche Verwaltungsvorschriften das Verfahren zur frühzeitigen Entlassungsvorbereitung bei Aussetzung des Strafrestes geregelt worden, um die frühzeitige Abgabe einer Stellungnahme durch die Anstalten sicherzustellen (vgl. z. B. für Bayern: Bek. vom 15.1.2003, JMBl. 2003, 30 i. d. F. v. 1.10.2004, JMBl 2004, 132); für Niedersachsen: AV Übergangsmanagement MJ vom 12.7.2011 – Nds. Rpfl. 2011, S. 257; Nordrhein-Westfalen: AV d. JM vom 28.8.2011 – JMBl. NRW. S. 276 –; Saarland: AV d. MdJ Ns 7/1987 v. 1.4.1987, geändert durch AV des MiJAGS Nr. 32/2007 v. 20.12.2007; Schleswig-Holstein: AV d. JM vom 27.6. 1989, SchlHA S.123; Berlin: AV vom 13.11.1990 Amtsblatt S. 2317; Mecklenburg-Vorpommern: AV vom 16.3.1995, Amtsblatt M-V 1995 S. 200; Brandenburg: AV vom 28.12.1993, JMBl. Bbg. 1994 S. 14; Sachsen-Anhalt: AV JMBl. LSA 1992 S. 1614; Thüringen: VV vom 3.6.1994, JMBl. 1994 S. 87). Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Sozialen Dienste der Justiz sollen im Hinblick auf die anstehenden Entlassungsprobleme bei Bedarf frühzeitig mit den Anstalten, namentlich den dort tätigen Sozialarbeitern und Sozialpädagogen, zusammenarbeiten und bei der Vorbereitung der Entlassung insbesondere dann mitwirken, wenn zu erwarten oder bereits entschieden ist, dass sie Bewährungshilfeaufgaben für den zu Entlassenden übernehmen (§§ 57 Abs. 3 Satz 2, 57 a, 67 b, 67 d StGB und § 88 Abs. 1, 3, 6 JGG). Auf Ersuchen der Vollzugseinrichtungen und mit Einverständnis der Gefangenen sollten Best
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Hilfe zur Entlassung
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sich diejenigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Sozialen Dienste der Justiz, die mit den Betroffenen bereits befasst waren, zu Umständen und Angelegenheiten, die für die Vollzugsplanung und/oder die Entlassungsvorbereitung von Bedeutung sind, äußern (so z. B. für Brandenburg die AV v. 30.7.2007 Nr. 7.1 und 10.3, JMBl 2007). Zur Vorbereitung der Entlassungsentscheidung kann sich die Strafvollstreckungskammer oder die Staatsanwaltschaft – als Vollstreckungsbehörde – gem. § 463d StPO der Gerichtshilfe als Teil der Ambulanten Sozialen Dienste der Justiz bedienen (Maelicke/ Thier 2009, 173). Hierbei handelt es sich um einen sozialen Dienst der Strafrechtspflege, der in den Bundesländern überwiegend bei den Staatsanwaltschaften angesiedelt ist. Die Gerichtshilfe kann im Einzelfall beauftragt werden, z. B. die Angaben zur Entlassungssituation zu ergänzen sowie abzuklären, ob die Bestellung eines Bewährungshelfers geboten ist bzw. ob und ggf. welche Auflagen und Weisungen erteilt werden sollen. Hierbei ist aber zu beachten, dass die Stellungnahme der Gerichtshilfe (vgl. auch § 36 Abs. 2 Satz 3 StVollstrO) nur einzuholen ist, sofern nicht eine Bewährungshelferin oder ein Bewährungshelfer bestellt ist (vgl. § 463d StPO). Die frühzeitige Entlassungsentscheidung ist aber nur dann sinnvoll, wenn die – verlängerte – Entlassungsphase zu verstärkter Entlassungsvorbereitung genutzt wird. Dies berührt sowohl die gesetzliche Pflichtaufgabe des Vollzugs zur Hilfe zur Entlassung nach §§ 15 und 74 StVollzG als auch die Bewährungshilfe. Im Interesse einer lückenlosen Betreuung ist es erforderlich, dass der Bewährungshelfer die Betreuungsarbeit rechtzeitig vorbereitet und so früh wie möglich aufnimmt. Die Bewährungshilfe muss frühzeitig über die voraussichtliche Entlassung und den Stand der Entlassungsvorbereitung bei zu erwartender Bewährungsunterstellung unterrichtet werden. Sodann haben die Bewährungshelferinnen und Bewährungshelfer Kontakt mit der Vollzugseinrichtung und den Inhaftierten aufzunehmen und sich ein möglichst umfassendes Bild von der Person und der Entlassungssituation zu verschaffen. Die Bewährungshilfe unterstützt im eigenen Interesse die Entlassungsvorbereitungen, insbesondere durch Mitteilung ihrer Informationen über Umstände, die für die Entlassung und danach relevant sind (vgl. § 87 und § 90 Abs. 1 S. 3 und 4 JVollzGB III, § 69 Abs. 3 Satz 3 NJVollzG, § 16 S. 5 HmbStVollzG mit der landesbezogenen Verpflichtung der Bewährungshilfe, sich rechtzeitig schon während der Haft an der Entlassungsvorbereitung zu beteiligen, ebenso § 16 Abs. 1 S. 3 HStVollzG, dazu Arloth 2011, Rdn. 2 zu § 16 HmbStVollzG und Rdn. 3 zu § 16 HStVollzG. Vollzug und Bewährungshilfe müssen in dieser Entlassungsphase vertrauensvoll zusammenarbeiten. Voraussetzung hierfür ist die Kenntnis der jeweiligen Arbeitsfelder sowie das Wissen um die Möglichkeiten und Grenzen der „Arbeitsteilung“. Für die Bewährungshilfe sollte die Frage der Reisekosten geklärt sein (vgl. für Niedersachsen: § 25 Nr. 3 der AV AJSD d. MJ. vom 28.1.2009 – Nds. Rpfl. 2009 Nr. 3, S. 82, ber. S. 155 und die AV Übergangsmanagement MJ vom 12. 7. 2011 – Nds. Rpfl. 2011, S. 257; Justizbehörde Hamburg (Hrsg.) Abschlussbericht der Fachkommission „Optimierung der ambulanten und stationären Resozialisierung in Hamburg“, Hamburg 2010). Die Bewährungshilfe ist die wichtigste Alternative zum Freiheitsentzug (Grosser/ Maelicke 2009, 180). Gab es 1970 noch rund 39.500 Unterstellungen unter Bewährungsaufsicht, so stieg diese Zahl von 93.800 zu Ende des Jahres 1980 auf 174.207 Ende 2006. Bundesweit werden derzeit 170.000 Personen von rund 2.500 Bewährungshelferinnen und Bewährungshelfern betreut. Die durchschnittliche Fallzahlbelastung beträgt – mit steigender Tendenz – rund 70 Personen je Bewährungshelfer-Stelle. Die Erfolgsquote für beendete Unterstellungen bei Erwachsenen liegt bei 53%, bei denen das Gericht aufgrund positiven Bewährungsverlaufs die Freiheitsstrafe insgesamt oder den Strafrest erlässt. 17% der Fälle betreffen den Ablauf der Unterstellung und die Aufhebung. Ein Widerruf der Strafaussetzung bzw. der Strafrestaussetzung beendet die Unterstellung 727
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Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
unter Bewährungshilfe in 30% der Fälle, so dass in knapp einem Drittel der Fälle ein eindeutiger Misserfolg der Bewährung besteht. In 79% der Widerrufsfälle erfolgt dieser dabei zumindest auch aufgrund einer neuen, während der Bewährungszeit begangenen Straftat; die restlichen Widerrufe dürften überwiegend wegen Nichteinhaltung von Bewährungsauflagen erfolgt sein (Jehle Strafrechtspflege 2009, 43 f). 64% der Unterstellungen nach allgemeinem Strafrecht betreffen Fälle der Strafaussetzung zur Bewährung (§ 57 StGB), in 27% der bestehenden Unterstellungen ist eine Strafrestaussetzung der Freiheitsstrafe erfolgt (ohne eine solche nach §§ 35, 36 BtMG: rd. 6,9%, vgl. Bewährungshilfe-Statistik 2010, Statistisches Bundesamt, Fachserie 10, Reihe 5, Wiesbaden 2011, 16). 19
11. Übergangsmanagement von Justizvollzug, Straffälligenhilfe und Sozialen Diensten in der Justiz. Bewährungshilfe, Führungsaufsicht und Gerichtshilfe sind mehr denn je ein unverzichtbarer kriminalpolitischer Bestandteil der sozialen Strafrechtspflege (zur Frage der Neuorganisation der Sozialen Dienste vgl. Rdn. 7 vor § 71). Diese sozialen Dienste werden in den nächsten Jahren wachsende Bedeutung gewinnen, da nach ernstzunehmenden Prognosen immer mehr Straftäter in Freiheit zu betreuen und zu überwachen sein werden, soweit dies spezial- und generalpräventiv und unter Beachtung des notwendigen Schuldausgleichs kriminalpolitisch vertretbar ist (vgl. Best 1984, 7 ff; zur Frage der Neuorganisation der Sozialen Dienste vgl. Rdn. 8 vor § 71). Sie müssen auch weiterhin innerhalb der Strafjustiz als Teil der sozialen Strafrechtspflege fest verankert bleiben. Keinesfalls sollten sie weder organisatorisch noch von der Dienstaufsicht her den Vollzugsbehörden und deren Aufsichtsbehörden unterstellt werden (so aber die Entwicklung in Mecklenburg-Vorpommern: Jesse/Kamp 2008, 14; vgl. auch Rdn. 7 vor § 71). Soziale Strafrechtspflege und Strafvollzug sind grundverschieden in ihrer Ausrichtung. Für den Strafvollzug steht die Auseinandersetzung mit den Problemlagen des Freiheitsentzugs im Vordergrund. Demgegenüber sind Ambulante Soziale Dienste außenorientiert und zugleich Träger der wichtigsten Alternativen zum Freiheitsentzug. Sie werden als eigene „Spur“ oder auch Säule des modernen Präventionsstrafrechts anerkannt und als ein zentraler Pfeiler der auf die Vermeidung des Freiheitsentzugs ausgerichteten Kriminalpolitik (Zweiter Periodischer Sicherheitsbericht der Bundesregierung, hrsg. von BMJ/BMI, Berlin 2006, 605). Der zu leistende Beitrag liegt auch in der alltäglichen und oftmals durchaus konfliktbelasteten Sensibilisierung der Gerichte und Staatsanwaltschaften, was die Anwendung der Sanktionen und ihrer Folgen betrifft. Ambulante Sozialarbeit in der Justiz muss daher ihre strukturelle Eigenständigkeit als sozialer Außendienst der Strafjustiz wegen des gesetzlich erweiterten Aufgabenkatalogs erhalten. Den systemimmanenten Zugriffstendenzen seitens der Vollzugsbehörden im Hinblick auf Übernahme von Tätigkeitsfeldern anstelle der Kooperation sollte die Justizverwaltung entgegensteuern. Auch die Qualität der Arbeit kann Schaden nehmen, wenn Soziale Dienste der Strafrechtspflege sich an die problembelastete Leitkultur von „Sicherheit und sozialer Integration“ und „Chancenvollzug“ anpassen müssen. Der Vollzug als ressourcenstarke und machtvolle Institution ist durchaus in der Lage, aus eigener Kraft seine soziale Integrationshilfe im Rahmen der Entlassungsvorbereitung und des Übergangsmanagements (vgl. Rdn. 6 vor § 71) nach den Neuen Steuerungsmodellen so zu organisieren, dass eine Anschlussfähigkeit an die Kooperation durch die Ambulanten Sozialen Dienste der Justiz gewährleistet wird. Die Anforderungen, die an die Bewährungshilfe gestellt werden, haben sich in den letzten Jahren erheblich erhöht. Nicht nur immer mehr, sondern auch immer schwierigere Probanden werden der Bewährungshilfe unterstellt. Teilweise wird bereits von einer Umschichtung der Probandenstruktur gesprochen. Wohnungsnot, Alkoholmissbrauch, Best
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Hilfe zur Entlassung
§ 74
Verschuldung und Arbeitslosigkeit erschweren die Arbeit der Bewährungshilfe in zunehmendem Maße. Die „grenzübergreifende“ Zusammenarbeit zwischen Vollzug und Ambulanten Sozialen Diensten der Justiz hat sich im Einzelfall an der konkreten Lebenslage des Gefangenen bzw. künftigen Probanden zu orientieren. So ist darauf einzuwirken, dass der Gefangene einen Urlaub zur Vorbereitung der Entlassung dazu nutzt, mit der Bewährungshilfe Kontakt aufzunehmen (zu weiteren „Nahtstellen“ der Zusammenarbeit Best 1989, 27 ff und Rdn. 18 mit Hinweisen; vgl. zu Strukturproblemen und Vernetzung Rdn. 8 vor § 71; zur Datenübermittlung und Informationsweitergabe vgl. Rdn. 6 zu § 72 und Rdn. 14 zu § 73). Ziel muss es sein, dem Gefangenen zu einer auf die Zukunft gerichteten Lebensbewältigung zu verhelfen. In der Mehrzahl der Fälle ist der Gefangene in hohem Maße mit seiner konkreten Lebenswelt im Vollzug beschäftigt. So verdrängt er die Probleme „danach“, von denen er vielleicht innerlich hofft, dass sie sich mit dem Tag der Entlassung („Neubeginn“) in Nichts auflösen. Es kann nur von Vorteil sein, wenn der künftige Bewährungshelfer schon in der Entlassungsphase die „Realität der Freiheit“ mit ihren Belastungen in den Vollzugsablauf einbringt. Dadurch wird der Gefangene angehalten, sich schon vor dem Übergang in die Freiheit, losgelöst von der fremdbestimmten Versorgungsroutine des Vollzugs, den Anforderungen des täglichen Lebens zu stellen; zum aktivierenden Behandlungsvollzug und insgesamt zur Strategie der Aktivierung sowie zum Chancenvollzug und motivierenden Vollzug vgl. Rdn. 4 vor § 71, z. B. für Niedersachsen die AV Übergangsmanagement vom 15.8. 2011 – Nds. Rpfl. S. 257 und Rdn. 8 vor § 71. III. Beispiel: Kostenersatz-Fall Der Strafgefangene M. verbüßt eine Freiheitsstrafe von neun Monaten. Während die- 20 ser Zeit unterstützt das Sozialamt die Familie des M. durch Sozialhilfe. Nach der Entlassung will das Sozialamt den M. zum Ersatz aller Kosten der inzwischen gezahlten Sozialhilfe verpflichten. Das Sozialamt begründet seinen Bescheid mit § 103 SGB XII, weil der M. die Voraussetzungen für die Gewährung der Sozialhilfe an seine unterhaltsberechtigten Angehörigen durch vorsätzliches Verhalten (strafbare Handlungen!) herbeigeführt habe. Der Bewährungshelfer des M. weist das Sozialamt aber auf § 103 Abs. 1 Satz 3 SGB XII hin. Danach kann von der Heranziehung zum Kostenersatz abgesehen werden, soweit sie eine Härte bedeuten würde: es ist davon abzusehen, soweit die Heranziehung die Fähigkeit des Ersatzpflichtigen beeinträchtigen würde, künftig unabhängig von Sozialhilfe am Leben in der Gemeinschaft teilzunehmen. Das Sozialamt verzichtet daraufhin auf die Geltendmachung dieses öffentlich-rechtlichen Anspruchs auf Kostenersatz, für den der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten gegeben ist. Es verweist hierzu auf die amtliche Begründung des Gesetzestextes, wonach es sich gerade in „Fällen fortdauernder sozialer Gefährdung, vor allem bei der Resozialisierung von Strafentlassenen als wünschenswert erweise, höherrangigen sozialpolitischen Gesichtspunkten Rechnung zu tragen“. Ziel der Sozialhilfe sei es, den Ersatzpflichtigen auf Dauer zu befähigen, unabhängig von der öffentlichen Hilfe zu leben (Prinzip der Hilfe zur Selbsthilfe; § 71 Rdn. 3), wozu auch gehöre, bei vorauszusehender Aussichtslosigkeit von dem Begehren nach Kostenersatz Abstand zu nehmen (vgl. Rdn. 9). IV. Landesgesetze und Musterentwurf 1. Baden-Württemberg. Nach § 87 JVollzGB III („Zusammenarbeit mit Dritten“) hat 21 die Justizvollzugsanstalt frühzeitig vor der voraussichtlichen Entlassung einer oder eines 729
Best
§ 74
Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
Gefangenen mit Institutionen und Personen, namentlich der Bewährungshilfe, zusammenzuarbeiten, um ihr oder ihm insbesondere Arbeit, eine Wohnung und ein soziales Umfeld für die Zeit nach der Entlassung zu vermitteln und um es zu ermöglichen, eine im Vollzug begonnene Behandlung fortzuführen. Nach der Gesetzesbegründung ist die Hilfe besonders geboten für die erste Zeit nach der Entlassung, in der das sogenannte „Entlassungsloch“ droht (LT-Drucks. 14/ 5012, 235). 22
2. Bayern. Art. 79 BayStVollzG ist bis auf geschlechtsspezifische Differenzierungen fast wortgleich mit § 74 StVollzG. In der Gesetzesbegründung wird ausgeführt (S. 73 f): Wegen des mit der Entlassung verbundenen Wechsels der für die Gefangenen zuständigen Organisationen wird die Vorschrift durch Art. 175 Abs. 2 bis 4 ergänzt, die insbesondere die Zusammenarbeit mit Personen, deren Einfluss die Eingliederung der Gefangenen fördern kann, der Bewährungshilfe und Einrichtungen der Strafentlassenenhilfe regelt. Auch für Art. 79 gilt der Grundsatz der Hilfe zur Selbsthilfe; es besteht insbesondere kein Anspruch auf staatliche Bereitstellung von Arbeit, Wohnraum oder persönlichen Beistand. Die Entlassungsvorbereitung sollte nach Möglichkeit folgende Maßnahmen umfassen: – Hilfe bei der Suche einer geeigneten Unterkunft, – Hilfe bei der Arbeitsplatzsuche, – Hilfe beim Aufbau eines stützenden sozialen Netzes, – Hilfe bei der Schuldenregulierung und – Anregungen für eine sinnvolle Freizeitgestaltung. Neu ist Art. 81 (Hilfe nach Entlassung), der mit Art. 79 BayStVollzG (Hilfe zur Entlassung) korrespondiert, aber eine Art Auffangvorschrift ist und folgenden Wortlaut hat: „Auf Antrag der Gefangenen kann die Anstalt nach deren Entlassung vorübergehend Hilfestellung im Einzelfall gewähren, soweit diese nicht anderweitig durchgeführt werden kann und der Erfolg der Behandlung der Gefangenen gefährdet ist.“ Die Gesetzesbegründung zu Art. 81 BayStVollzG (S. 74) lautet: „Die Bestimmung ergänzt die Regelungen über die Behandlung der Gefangenen und die Zusammenarbeit mit anderen Stellen im Rahmen der Entlassungsvorbereitung in der Weise, dass die Bediensteten in Einzelfällen auch nach der Entlassung die im Vollzug begonnene Betreuung punktuell fortführen können. Dabei ist an einmalige Beratungsgespräche oder eine nochmalige Kontaktaufnahme mit der Bewährungshilfe, nicht aber an eine kontinuierliche hochfrequente Nachsorge gedacht. Für die Gefangenen, die in einer sozialtherapeutischen Einrichtung behandelt wurden, gilt die spezielle Vorschrift des Art. 119. Voraussetzung ist, dass ein Gefangener oder eine Gefangene nach Entlassung bei der Anstalt Rat oder Hilfe sucht. Ein beratendes Gespräch durch eine Vertrauensperson aus dem Vollzug, insbesondere einen Psychologen oder eine Psychologin oder einen Sozialarbeiter oder eine Sozialarbeiterin, kann möglicherweise eine akute Krisensituation entschärfen. Eine Hilfestellung durch die Vollzugsanstalt kann aber nur vorübergehend erfolgen, d. h. sie ist darauf gerichtet, den Übergang zu anderen Betreuungsangeboten zu fördern. Sie wird vor allem im zeitlichen Zusammenhang mit der Entlassung in Betracht kommen, die Festlegung einer bestimmten Frist erscheint insoweit jedoch nicht sinnvoll.“
23
3. Hamburg. Das HmbStVollzG enthält keine in einem besonderen Titel, Kapitel oder Abschnitt zusammengefassten Bestimmungen über soziale Hilfen. Doch ist § 16 Satz 1, Satz 3–5 HmbStVollzG unter der Überschrift „Entlassungsvorbereitung“ mit § 74 und den VV zu § 74 weitgehend identisch.
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Entlassungsbeihilfe
§ 75
4. Hessen. § 16 Abs. 1 HStVollzG ist am ehesten mit § 74 StVollzG vergleichbar und 24 konkretisiert auch in zeitlicher Hinsicht die Entlassungsvorbereitung („[…] frühzeitig, spätestens sechs Monate vor dem voraussichtlichen Entlassungszeitpunkt […]“). Nach der Vorschrift sollen die Unterstützungsmaßnahmen des § 74 StVollzG von vollzugsöffnenden Maßnahmen, dem Entlassungsvollzug und der bis zu drei Monaten dauernden Entlassungsfreistellung aus der Haft flankiert werden können mit der Überwachung erteilter Weisungen, die mit Einwilligung der Gefangenen durch den Einsatz elektronischer Überwachungssysteme („elektronische Fußfessel“) erfolgen. Während der Entlassungsfreistellung bleibt die Betreuung der Gefangenen durch die Anstalt gewährleistet. Nach der Gesetzesbegründung (LT-Drucks. 18/1396, 87 f) wird somit eine „verzahnte Entlassungsvorbereitung“ gewährleistet, die eine verpflichtende Zusammenarbeit der Bewährungshilfe „als Verwaltungseinheit des Landes“ normiert (vgl. Rdn. 18), um einen kontinuierlichen Betreuungsübergang zu gewährleisten. 5. Niedersachsen. § 69 Abs. 3 Satz 1 bis 3 NJVollzG ist identisch mit § 74 StVollzG. 25 Satz 3 ist neu und lautet: „Bei vorzeitiger Entlassung einer oder eines Gefangenen unter Auflagen ist die Bewährungshilfe rechtzeitig zu beteiligen“. 6. Musterentwurf. § 42 ME-StVollzG konkretisiert den Katalog der durch § 74 26 StVollzG geregelten Unterstützungsmaßnahmen in zeitlicher Hinsicht. Nach Abs.1 sind die Maßnahmen zur sozialen und beruflichen Eingliederung auf den Zeitpunkt der voraussichtlichen Entlassung in die Freiheit abzustellen. Die ME-Begründung (S. 112) hat folgenden Wortlaut: „Die Vorbereitung der Entlassung, die regelmäßig ein Jahr zuvor zu beginnen hat (§ 9 Abs. 3), ist von besonderer Bedeutung. Dazu ist nach Absatz 2 Satz 1 die frühzeitige Beteiligung außervollzuglicher Stellen zu ermöglichen, um ein abgestimmtes Vorgehen und einen nahtlosen Übergang ohne Informationsverlust zu sichern. Bewährungshilfe und Führungsaufsicht sind nach Satz 2 aufgerufen, sich für ihre künftigen Probanden aktiv in diesen Prozess einzubringen. Gemeinsam mit den Gefangenen müssen sich die Anstrengungen aller an der Entlassungsvorbereitung Beteiligten in langfristiger Kooperation darauf konzentrieren, realistische Zukunftsperspektiven zu entwickeln und deren Umsetzung nach der Entlassung zu gewährleisten“ (vgl. Rdn. 18).
§ 75 Entlassungsbeihilfe § 75 Best Entlassungsbeihilfe (1) Der Gefangene erhält, soweit seine eigenen Mittel nicht ausreichen, von der Anstalt eine Beihilfe zu den Reisekosten sowie eine Überbrückungsbeihilfe und erforderlichenfalls ausreichende Kleidung. (2) Bei der Bemessung der Höhe der Überbrückungsbeihilfe sind die Dauer des Freiheitsentzuges, der persönliche Arbeitseinsatz des Gefangenen und die Wirtschaftlichkeit seiner Verfügungen über Eigengeld und Hausgeld während der Strafzeit zu berücksichtigen. § 51 Abs. 2 Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Die Überbrückungsbeihilfe kann ganz oder teilweise auch dem Unterhaltsberechtigten überwiesen werden. (3) Der Anspruch auf Beihilfe zu den Reisekosten und die ausgezahlte Reisebeihilfe sind unpfändbar. Für den Anspruch auf Überbrückungsbeihilfe und für Bargeld nach Auszahlung einer Überbrückungsbeihilfe an den Gefangenen gilt § 51 Abs. 4 Satz 1 und 3, Abs. 5 entsprechend. 731
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§ 75
Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
VV
§ 75 Best Entlassungsbeihilfe 1 (1) Reisekosten sind die zum Erreichen des Entlassungszieles notwendigen Aufwendungen für die Fahrt. (2) Die Höhe der Reisekosten bestimmt sich grundsätzlich nach dem Tarif für die billigste Wagenklasse des in Betracht kommenden öffentlichen Verkehrsmittels. (3) Dem Gefangenen ist möglichst ein Gutschein für eine Fahrkarte auszuhändigen. Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe 2 Der Gefangene erhält auf Wunsch Reiseverpflegung, wenn er das Entlassungsziel erst nach mehr als vier Stunden erreichen kann. 3 Die Überbrückungsbeihilfe soll den Gefangenen in die Lage versetzen, ohne Inanspruchnahme fremder Hilfe seinen notwendigen Lebensunterhalt (Unterkunft, Verpflegung u. ä.) zu bestreiten, bis er ihn aus seiner Arbeit oder aus Zuwendungen auf Grund anderer gesetzlicher Bestimmungen (z. B. SGB III, Bundessozialhilfegesetz) decken kann. Bei der Bemessung soll von den Leistungen ausgegangen werden, die das Bundessozialhilfegesetz für vergleichbare Fälle vorsieht. 4 (1) Der Gefangene soll in eigener Kleidung entlassen werden. Die Bekleidungsstücke werden, soweit erforderlich, auf Kosten des Gefangenen, bei Mittellosigkeit auf Kosten der Anstalt, gereinigt und instandgesetzt. (2) Entspricht die Kleidung nicht den billigerweise zu stellenden Anforderungen oder ist sie so mangelhaft, dass eine Herrichtung sich nicht lohnt, ist der Gefangene anzuhalten, sich rechtzeitig von seinen Angehörigen oder Dritten ausreichende Bekleidungsstücke übersenden zu lassen oder sie durch Vermittlung der Anstalt aus eigenen Mitteln zu kaufen. (3) Können Bekleidungsstücke auf diesem Wege nicht beschafft werden, werden sie von der Anstalt zur Verfügung gestellt. 5 Für die Ausstattung mit den zur Körperpflege notwendigen Gegenständen, mit Koffern u. ä. gilt Nummer 4 entsprechend. Schrifttum S. Vor § 71.
I. II.
Best
Übersicht Allgemeine Hinweise ____ 1, 2 Erläuterungen ____ 3–13 1. Art des Anspruchs auf Entlassungsbeihilfe ____ 3 2. Umfang der Entlassungsbeihilfe ____ 4
3. Art des Anspruchs auf Überbrückungsbeihilfe ____ 5–13 a) Eigenständige vollzugliche Leistungseinrichtung ____ 6
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Entlassungsbeihilfe
b) Nachrangigkeit im Verhältnis zu den Sozialleistungen ____ 7–9 c) Modalitäten bei der Auszahlung von Sozialleistungen ____ 10 d) Höhe der Überbrückungsbeihilfe und Berechnungsmethoden ____ 11 e) Auszahlungsverfahren ____ 12 f) Vollstreckungsrechtliche Regelung ____ 13
III. IV.
§ 75
Beispiel Überbrückungsbeihilfe-Fall ____ 14 Landesgesetze und Musterentwurf ____ 15–20 1. Baden-Württemberg ____ 15 2. Bayern ____ 16 3. Hamburg ____ 17 4. Hessen ____ 18 5. Niedersachsen ____ 19 6. Musterentwurf ____ 20
I. Allgemeine Hinweise Die Geld- und Sachleistungen der Entlassungsbeihilfe sollen die in § 74 geregelte Be- 1 ratung und persönliche Hilfe ergänzen. Der Gesetzgeber (BT-Drucks. 7/918, 75) ist davon ausgegangen, dass es dem Gefangenen regelmäßig möglich ist, von seinem Arbeitsentgelt einen hinreichenden Betrag als Überbrückungsgeld anzusparen, das aus Arbeitsentgelt oder Ausbildungsbeihilfe bestehen kann (§ 51 Rdn. 5). § 75 will den finanziellen Engpass in der Entlassungsphase abmildern und für die ersten Schritte in der Freiheit den Haftentlassenen neben ihren vollzuglichen Bezügen eine Art Handgeld zur Verfügung stellen (als subsidiäre Sozialleistung vgl. Rdn 7). Die Vollzugsbehörden werden verpflichtet, dem Gefangenen insoweit eine Beihilfe zu den Reisekosten und zur Überbrückung zu gewähren, „soweit seine eigenen Mittel nicht ausreichen“ (§ 75 Abs. 1). Die Nichterfüllung dieser Verpflichtung (dazu OLG Hamm NStZ 1984, 45) kann einen Schadenseratzanspruch gem. Art. 34 GG auslösen (OLG Stuttgart ZfStrVo 1981, 380). Verfügen die Gefangenen aber über ausreichende geldwerte Mittel – z. B. in Fremdwährung oder auf Sparbüchern, Depots oder als Schecks oder Reiseschecks – und weigern sie sich, diese rechtzeitig vor ihrer Entlassung zur Überbrückung und zur Finanzierung ihrer Reisekosten einzusetzen, kann die Verpflichtung der Vollzugsbehörde zur Gewährung von Geld- und Sachleistungen ganz oder teilweise entfallen. Auch kann ein wirkungsvolles Übergangsmanagement, das u. a. Arbeits- und Ausbildungsvermittlung, frühzeitige Klärung von Leistungsansprüchen und eine kontinuierliche Kooperation mit den Sozialbehörden beinhalten muss, die Aufwendungen für die Entlassungsbeihilfe mindern (vgl. auch die Begründung zu § 43 ME-StVollzG, 114; zur Höhe vgl. Rdn. 11). Nach einer bundesweiten Auswertung der Haushaltspläne der Länder im Bereich 2 des Justizvollzugs wurde dieser Ausgabeposten in den meisten Bundesländern seit 1970 prozentual am stärksten angehoben; jedoch sind die Beträge absolut und prozentual immer noch unbedeutend: 1980 wurde in den einzelnen Bundesländern zwischen 0,07% und 0,68% des Gesamtetats hierfür veranschlagt; der Bundesdurchschnitt lag bei 0,27% (Dünkel, F./Rosner, A. Die Entwicklung des Strafvollzugs in der Bundesrepublik Deutschland seit 1970 – Materialien und Analysen, Freiburg 1982, 309 ff). II. Erläuterungen 1. Art des Anspruchs auf Entlassungsbeihilfe. Der Anspruch auf die Entlas- 3 sungsbeihilfe unter den Voraussetzungen von Abs. 1 besteht als staatliche Leistung unmittelbar gegen die Vollzugsbehörde; diese darf den Gefangenen insbesondere nicht an die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege verweisen (C/MD 2008 Rdn. 1), auch nicht an die Einrichtungen der Freien Straffälligenhilfe wie die Anlaufstellen (Rdn. 11 ff zu § 74). Sofern diese von sich aus Leistungen erbringen, darf sich die Anstalt nicht um diese Geld- und Sachleistungen haushaltsmäßig entlasten.
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§ 75
Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
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2. Umfang der Entlassungsbeihilfe. Die Einzelheiten der Reisebeihilfe, der Gewährung von Reiseverpflegung, Kleidung, den zur Körperpflege notwendigen Gegenständen, Koffern u. ä. sind in den VV geregelt. Das „Entlassungsziel“ i. S. von VV Nr. 2 orientiert sich einmal – wenn auch untergeordnet – am räumlichen Geltungsbereich des StVollzG, wobei Ausnahmen zulässig sind, wenn besondere Umstände im Einzelfall vorliegen. Weitere Orientierungsmarken für die Auslegung des Begriffs „Entlassungsziel“ ergeben sich aus dem Gesetzeszweck der Vorschrift, eine Lücke im Netz der sozialen Sicherung zu schließen (vgl. Rdn. 6) und vor allem aus den Grenzen des Sozialstaatsprinzips, worauf Arloth 2011 (Rdn. 3) zutreffend hinweist: Es besteht kein Anlass für die Annahme, der Gesetzgeber habe mit § 75 ausländische Sozialleistungsträger entlasten wollen. Diese müssten entsprechend den konsularischen Regeln an die diplomatischen Vertretungen im Inland verwiesen werden, wie dies auch bei in Not geratenen Deutschen im Ausland praktiziert wird. Unter Berücksichtigung dieser kombinierten Auslegung ist die Gegenmeinung, wonach ein feststehender Anspruchs auf Reisekostenbeihilfe gem. § 75 StVollzG auch bei einem Entlassungsziel im Ausland besteht, im Ergebnis als zu weitgehend abzulehnen (dafür C/MD Rdn. 1, 2 zu § 75; Perwein ZfStrVo 1997, 84, wonach „Entlassungsziel“ jeder Ort im In- oder Ausland sein kann und AK-Huchting/Majuntke 2012 Rdn. 3, die bei Ausländern auch einen Ort in ihrem Heimatland annehmen). Die zur Begründung der Auffassung von AK-Huchting/Majuntke herangezogene Entscheidung des OLG Frankfurt NStZ 1985, 46 betraf den Sonderfall der Gewährung einer Reisebeihilfe an einen nach Österreich abgeschobenen Ausländer. Hinweise auf das Entlassungsziel lassen sich im Übrigen neben den Angaben der Gefangenen notfalls aus ihren früheren Wohnorten, dem Aufenthaltsort der Familie, den sozialen Kontakten, der künftigen Arbeitsstelle und der bisherigen Urlaubsziele während der Entlassungsvorbereitung entnehmen. Die Frage des Lebensmittelpunktes ist im Einzelfall im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtbetrachtung ein nicht unerheblicher Prüfungsfaktor. „Eigene“ Mittel i. S. d. § 75 können auch als Darlehen gewährte Gelder sein, auch wenn diese vom Prozessbevollmächtigten dem Gefangenen geliehen worden sind (OLG Hamburg ZfStrVo 1997, 110: wer die mit einem Darlehensvertrag verbundene Rückzahlungsverpflichtung eingeht, ist grundsätzlich auch in der Lage, dieser Verpflichtung nachzukommen und damit nicht bedürftig). Beförderungskosten bei Abschiebung sind keine Reisekosten i. S. d. § 75 und damit nicht beihilfefähig (Perwein ZfStrVo 1997, 84 ff).
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3. Art des Anspruchs auf Überbrückungsbeihilfe. Abs. 2 regelt in Verbindung mit VV Nr. 3 die Überbrückungsbeihilfe und die Höhe ihrer Bemessung (Rdn. 11). Insbesondere Fragen der Rechtsnatur und des Rangverhältnisses zu anderen gesetzlichen Leistungsansprüchen haben in der Praxis zu erheblichen Problemen geführt (vgl. auch den Beispielsfall Rdn. 14). Streitig ist insbesondere der Überbrückungszeitraum.
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a) Eigenständige vollzugliche Leistungseinrichtung. Die Überbrückungsbeihilfe ist eine eigenständige vollzugliche Leistungseinrichtung, die für den Übergang aus der Haft eine technisch bedingte Lücke im Netz der sozialen Sicherung schließen will. Von vollzuglichen Bemessungsfaktoren bestimmt (Dauer des Freiheitsentzugs, persönlicher Arbeitseinsatz des Gefangenen und Wirtschaftlichkeit seiner Verfügungen über Hausgeld während der Strafzeit), will sie die Versorgung des bedürftigen Gefangenen ohne Inanspruchnahme fremder Hilfe bis zum Wirksamwerden anderer Leistungen und Best
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Hilfen sicherstellen. Zum Anspruch auf Beihilfe zu den Reisekosten für einen Urlaub zur Vorbereitung der Entlassung: VV Nr. 6 Abs. 3 zu § 13 und Rdn. 11. Die Überbrückungsbeihilfe nach § 75 darf nicht mit dem Überbrückungsgeld nach § 51 verwechselt werden: § 51 gibt dem Gefangenen, dessen Eigenmittel den monatlichen Regelsatz nach dem BSHG jetzt: SGB XII erreicht haben und damit zur Sicherung des notwendigen Unterhalts ausreichen, keinen Anspruch auf eine Überbrückungsbeihilfe nach § 75 in Höhe des nach § 51 Abs. 1 festgesetzten Überbrückungsgeldes (LG Trier ZfStrVo SH 1977, 38). Die Überbrückungsbeihilfe hat damit keine Reservefunktion gegenüber dem Überbrückungsgeld und ist auch nicht für den gleichen Zeitraum von vier Wochen gedacht. Sie hat auch nicht die Aufgabe, die Begleichung finanzieller Verpflichtungen zu gewährleisten, die schon vor der Entlassung bestehen; hierzu rechnen auch Unterhaltsverpflichtungen gegenüber Kindern des Verurteilten. Auch verfolgt die Überbrückungsbeihilfe nicht den Zweck, den Aufbau eines neuen Hausstandes oder einer neuen Existenz zu unterstützen (LG Trier ZfStrVo SH 1977, 38). Zum Überbrückungsgeld vgl. § 51 Rdn. 2 ff, § 71 Rdn. 6 und § 75 Rdn. 7. Sofern ein Gefangener Taschengeld gemäß § 46 StVollzG erhält und diesen begrenzten Betrag ausgibt, ohne eine Rücklage zu bilden, kann ihm dies nicht zum Vorwurf gereichen, unwirtschaftlich gehandelt zu haben (OLG Hamm NStZ 1991, 254); vgl. aber Rdn. 1 im Fall der Weigerung von Gefangenen, vorhandene geldwerte Mittel einzusetzen. b) Nachrangigkeit im Verhältnis zu den Sozialleistungen. Schon wegen ihrer 7 vollzuglichen Ausrichtung ist die Überbrückungsbeihilfe im Verhältnis zu den Sozialleistungen ausnahmsweise nachrangig. Die Leistungsträger bzw. die einzelnen Sozialleistungen sind in den §§ 11, 12 SGB I abschließend aufgezählt. Die Vollzugsbehörden gehören nicht zu den Leistungsträgern i. S. von § 12 SGB I. Die Vollzugsmaßnahmen sind daher auch nicht mit dem Leistungscharakter der Sozialleistungen nach § 11 SGB I vergleichbar (vgl. Rode in: Wertenbruch u. a. (Hrsg.), Bochumer Kommentar zum Sozialgesetzbuch – Allgemeiner Teil, Berlin 1979 Rdn. 6 zu § 11 SGB-AT). Die Zahlung einer Überbrückungsbeihilfe kann daher nicht aufgewertet werden zu einer materiell-rechtlichen Leistungspflicht. Rechtlich hätte dies zur Folge, dass die Vollzugsbehörde als Leistungsträger gleichrangig neben die in erster Linie zuständigen Sozialämter und Agenturen für Arbeit gestellt werden müsste, was aber vom Gesetzgeber nicht beabsichtigt war und der Systematik des Sozialleistungsrechts eindeutig widerspricht. Die Gewährung von Sozialleistungen für die Zeit nach der Entlassung ist grundsätzlich nicht Aufgabe des Strafvollzugs, sondern obliegt den hierfür zuständigen Sozialleistungsträgern (vgl. auch § 74 Satz 2). Mit der Entlassung endet grundsätzlich jede weitere Zuständigkeit der Vollzugsbehörde. Diese Aufgabenverteilung wurde durch § 75 nicht geändert. VV Nr. 3 entspricht der Rechtslage. Sozialhilfeleistungen dürfen daher nicht unter Hinweis auf den Grundsatz der Nachrangigkeit der Sozialhilfe (§ 2 SGBXII) verweigert werden; nachrangig ist vielmehr die Überbrückungsbeihilfe; die Sozialhilfe hat insoweit Auffangfunktion (zu den Einzelheiten s. auch Gutachten des Bundeszusammenschlusses für Straffälligenhilfe (Auszug), in: ZfStrVo 1981, 115). Dagegen ist das Überbrückungsgeld nach § 51 bei der Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt in voller Höhe bedarfsmindernd zu berücksichtigen (BVerwG NDV 1990, 384). Unter Berücksichtigung dieser Rechtsnatur als nachrangige und subsidiäre soziale Reservefunktion ist die Auffassung, die Überbrückungsbeihilfe müsse für die Dauer von vier Wochen gewährt werden, nicht haltbar (so aber AK-Huchting/Majuntke 2012 § 75 Rdn. 4 in der Annahme, vier Wochen sollten veranschlagt werden, bis die erste Zahlung erfolge; Perwein 2000, 351 ff unter Ablehnung einer Reservefunktion der Überbrückungs735
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Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
beihilfe gegenüber dem Überbrückungsgeld). Perwein, der sich auf die Auslegung der Entstehungsgeschichte dieser Vorschrift beruft, ist entgegenzuhalten, dass die Gesetzesmaterialien keinesfalls so eindeutig sind, wie von ihm zur Bestätigung seiner Auffassung angenommen. Vielmehr sind die Widersprüche offensichtlich, da der Sonderausschuss ausdrücklich die unveränderte Übernahme der Abs. 1 und 2 aus dem Regierungsentwurf betont, gleichzeitig aber auch seine Stellungnahme zu Abs. 3 äußerst unklar formuliert hat (ebenso Arloth 2011 Rdn. 4 zu RegE, BT-Drucks. 7/918, 75; SA, BT-Drucks. 7/3998, 30). Auch lässt sich die Auffassung von Perwein, wonach sich die Höhe der Überbrückungsbeihilfe nach der Differenz zum festgesetzten Überbrückungsgeld bemisst, also dem zweifachen Regelsatz nach § 22 BSHG a. F.; n. F. 28 SGB XII, aus dem Gesetz nicht herleiten. Die Gesetzesverweisung in § 75 Abs. 2 Satz 2 auf § 51 bezieht sich nur auf die Auszahlungsform, nicht aber auf VV Nr. 1 Abs. 2 zu § 51, wo der zweifache Regelsatz angesprochen wird (AK-Huchting/Majuntke 2012 § 75 Rdn. 7). Überwiegend werden inzwischen die Empfehlungen der „Konferenz der obersten Lan8 dessozialbehörden“ berücksichtigt, die folgende Verfahrensweise vorgeschlagen hat: aa) Die Vollzugsbehörden sollen die Überbrückungsbeihilfe in ausreichendem Umfang gewähren, bis dem zuständigen Träger der Sozialhilfe die Übernahme der sozialhilferechtlichen Betreuung möglich ist. In der Regel wird dies ein Zeitraum von drei bis sieben Tagen (bei Entlassungen kurz vor Feiertagen) sein. bb) Die Vollzugsbehörden sollen den für den Strafentlassenen zuständigen Sozialhilfeträger rechtzeitig von der bevorstehenden Entlassung benachrichtigen, damit die sozialhilferechtliche Betreuung des Haftentlassenen unmittelbar und ohne Verzögerung einsetzen kann. Um den Zeitraum zwischen Antragstellung, Prüfung der Voraussetzungen und Ent9 scheidung über die Gewährung von Sozialleistungen abzukürzen, sollte im Rahmen der Hilfe von § 74 nach Nr. 52 Abs. 4 VGO die bevorstehende Entlassung den nach der Entlassung jeweils zuständigen örtlichen Sozialhilfeträgern bzw. Agenturen für Arbeit mitgeteilt werden. In nahezu allen Ländern bestehen bereits auf Ressortebene erzielte entsprechende Vereinbarungen, die ein koordiniertes Auszahlungsverfahren bezwecken und Kompetenzstreitigkeiten in der für die Haftentlassenen schwierigen Übergangsphase vermeiden helfen. 10
c) Modalitäten bei der Auszahlung von Sozialleistungen. Im Auszahlungsverfahren zwischen Sozialhilfe und Arbeitslosengeld bzw. Arbeitslosenhilfe ergaben sich bisher oft erhebliche Schwierigkeiten, da das beantragte Arbeitslosengeld in der Regel nach Ablauf des Zahlungszeitraums überwiesen wurde. Vor Ablauf des eigentlichen Zahlungszeitraums (nachträglich alle zwei Wochen) wurden nur Abschlagszahlungen auf das bisher „aufgelaufene“ Arbeitslosengeld gezahlt. Bis zur Überweisung des Arbeitslosengeldes (nach durchschnittlich zwei bis drei Wochen) nahmen die meisten Haftentlassenen daher Sozialhilfe nach dem SGB XII in Anspruch, da die Abschlagszahlung in keiner Weise ausreichte. Das Sozialamt leitete allerdings nach § 90 BSHG a. F.; n. F. § 93 SGB XII den Anspruch des Haftentlassenen auf Zahlung des Arbeitslosengeldes bis zur Höhe seiner Aufwendung auf sich über. Das Arbeitslosengeld wurde nach Auszahlung sofort um die Barleistung gekürzt, die nach dem BSHG gewährt worden war. Durch die Zusammenführung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe für Erwerbsfähige im SGB II und die Neuformierung der Sozialleistungen dürfte sich das Auszahlungsverfahren vereinfacht haben, insbesondere dort, wo kommunale Träger zugleich die Aufgabe der Agenturen für Arbeit übernommen haben, vgl. Rdn. 5 zu § 74. Kritisch sind auch die Modalitäten der Verfahrensweise einzelner Jobcenter zu bewerten, bei Mietkautionen eine Darlehensvereinbarung zwischen Jobcenter und LeisBest
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Entlassungsbeihilfe
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tungsberechtigten als Aufrechnung dahin gehend zu vereinbaren, dass die Betroffenen das Darlehen aus der Regelleistung zurückzahlen sollen. Die Rechtsprechung hält eine Leistungskürzung über 23 Monate hinweg mit dem Ansparkonzept des SGB II nicht für vereinbar, zumal die seit 2011 geltenden Regelbedarfe auch nicht im Hinblick auf die starre Darlehenstilgung in Höhe von 10 Prozent (§ 42 a SGB II) aufgestockt wurden. Bedarfpositionen, die zu § 22 SGB II gehören, wie die Kaution, sind nicht in der Regelleistung nach § 20 SGB II enthalten, vgl. SG Berlin, Beschl. vom 30.9.2011 – S 37 AS 24431/11 R, wonach eine zehnprozentige Kürzung des Regelbedarfs über einen längeren Zeitraum (hier 23 Monate) zur Tilgung eines Mietkautionsdarlehens unzulässig ist. d) Höhe der Überbrückungsbeihilfe und Berechnungsmethoden. Die Höhe der 11 Überbrückungsbeihilfe ist unter Berücksichtigung der Bemessungsgrundlage von Abs. 2 und VV Nr. 3 nach Lage des Einzelfalles festzusetzen, wobei im Hinblick auf das Sozialstaatsprinzip, das die gesamte Vorschrift als Orientierungsmarke überstrahlt, von den Kürzungsmöglichkeiten nach Abs. 2 nur restriktiv Gebrauch gemacht werden sollte (Arloth 2011 Rdn. 4; AK-Huchting/Majuntke 2012 § 75 Rdn. 5; C/MD 2008 § 75 Rdn. 3). Eine pauschale Regelung verbietet sich daher. Bei dieser Ermessensentscheidung sollte allerdings geprüft werden, „ob der Gefangene seine Mittellosigkeit selbst verschuldet hat“ (BT-Drucks. 7/918, 75; vgl. Rdn. 1). Die Kürzungsmöglichkeit nach § 75 Abs. 2 Satz 1 StVollzG wegen nur kurzer Haftdauer, schlechter Arbeitsleistung oder verschwenderischem Umgang sollte – wenn überhaupt – nur in krassen Ausnahmefällen angewendet werden. Art. 80 BayVollzG hat die Kürzungsmöglichkeit nach Abs. 2 mit dem Hinweis nicht übernommen, sie widerspreche dem Sozialstaatsprinzip (vgl. die Gesetzesbegründung S. 74). Nach VV Nr. 3 Satz 2 richtet sich die Bemessung nach den Leistungen, die das SGB für vergleichbare Fälle vorsieht. Daher sind bei der Prüfung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit auch die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Gefangenen zu berücksichtigen (OLG Hamm NStZ 1990, 55). Grundlage für die Prüfung nach VV Nr. 3 Satz 2 sind die Regelsätze der Sozialhilfe, deren Höhe bzw. Mindestsätze bzw. Rahmensätze von den Landessozialbehörden der jeweiligen Bundesländer festgesetzt werden. Diese sind tageweise in Anlehnung an den Regelsatz der Sozialhilfe für Alleinstehende zu berechnen (zuzüglich der im Einzelfall voraussichtlich notwendigen Kosten für Übernachtungen). Nach der neuesten Regelsatzverordnung beträgt der Eckregelsatz für Sozialhilfe ab 1.1.2012 insgesamt 374 Euro im Monat für den Haushaltsvorstand und für Alleinstehende. Dieser Betrag deckt pauschal die meisten der bisherigen einmaligen Leistungen für Bekleidung, Wäsche, Schuhe und Hausrat ab und sollte dann tageweise errechnet werden. Dieser Eckregelsatz entspricht auch der im künftigen SGB II geregelten Grundsicherung für (langzeitarbeitslose) erwerbsfähige Arbeitssuchende aus der Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe. Das SGB XII – Sozialhilfe – einschließlich der Regelsatzverordnung kann als Referenzsystem für die Ausgestaltung der Leistungen des neuen Arbeitslosengeld II dienen. Eine davon abgewandelte Berechnungsmethode enthält Art. 80 BayStVollzG , der auf die Bedarfsdeckung abhebt (dafür Arloth 2011 Rdn. 4). Eine Überbrückungsbeihilfe soll bis zum achteinhalbfachen Tagessatz der Eckvergütung (§ 43 Abs. 2 StVollzG) gewährt werden, wenn und soweit den Gefangenen eigene Mittel in dieser Höhe nicht zur Verfügung stehen. Für 2011 würde dies ein Betrag von 94 Euro sein. Wegen der nachrangigen und subsidiären sozialen Reservefunktion dieser besonderen vollzuglichen Leistung sind aber gewisse Zweifel angebracht. Im Übrigen macht ein gut funktionierendes Übergangsmanagement, das auch die Sozialleistungsträger auf Landes- und Ortsebene einbezieht, eine großzügige Bemessung nach dem Grundsatz der Bedarfsdeckung in vielen Fällen entbehrlich (vgl. auch § 17 Abs. 2 HStVollzG und § 43 Abs. 4 ME-StVollzG unter 737
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§ 75
Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
Hinweis auf die Gesetzes- bzw. Entwurfsbegründungen, siehe Rdn. 18 und 20). Solange dieses Ziel nicht erreicht ist, müssen die finanzielle Situation der Gefangenen und die individuellen Eingliederungschancen angemessen bei der vollzuglichen Leistungsentscheidung berücksichtigt werden (ebenso AK-Huchting/Majuntke 2012 Rdn. 5). Der Anspruch kann entfallen, wenn der nach dem Sozialhilfegesetz angemessene Unterhalt nach Verbüßung einer kurzen Freiheitsstrafe für die ersten drei Tage nach der Entlassung gesichert ist (LG Bonn ZfStrVo 1985, 185). Die Vollzugsbehörde ist bei einem Antrag auf Urlaub zur Entlassungsvorbereitung aufgrund der Selbstbindung durch VV Nr. 6 zu § 13 zur Beachtung des § 75 verpflichtet (OLG Hamm NStZ 1984, 45). 12
e) Auszahlungsverfahren. Im Regelfall wird die Überbrückungshilfe dem Gefangenen am Tag der Entlassung ausgezahlt. Nach Abs. 2 kann sie aber auch von der Vollzugsbehörde entsprechend der Regelung des § 51 Abs. 2 Satz 2 und 3 ganz oder zum Teil der Bewährungshilfe oder einer mit der Entlassenenbetreuung befassten Stelle zur kurzfristigen Geldverwaltung überwiesen werden. Auch ohne Zustimmung des Gefangenen (anders als nach § 51 Abs. 2 Satz 4) kann die Überbrückungsbeihilfe ganz oder teilweise dem Unterhaltsberechtigten direkt überwiesen werden, um notfalls eine sachgemäße Verwendung der Mittel sicherzustellen.
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f) Vollstreckungsrechtliche Regelung. Die vollstreckungsrechtliche Regelung von Abs. 3 macht die Beihilfe zu den Reisekosten (Anspruch bzw. ausgezahltes Geld) unpfändbar. Dasselbe gilt für den Anspruch auf Auszahlung der Überbrückungsbeihilfe nach Abs. 3 Satz 2 i. V. m. § 51 Abs. 4 Satz 1. Ist die Beihilfe ausgezahlt, muss § 51 Abs. 4 Satz 3 entsprechend beachtet werden. Pfändungen wegen der in § 850d Abs. 1 Satz 1 ZPO bezeichneten Unterhaltsansprüche sind allerdings ausgenommen (Abs. 3 i. V. m. § 51 Abs. 5). Selbst im Fall einer solchen Pfändung hat der Entlassene nach § 51 Abs. 5 Satz 2 einen gewissen Pfändungsschutz. Vgl. § 51 Rdn. 18. Allgemein zur Pfändbarkeit von Geldforderungen an Strafgefangene Butzkies 1996, 345. III. Beispiel: Überbrückungsbeihilfe-Fall
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Der Strafgefangene M. aus der Vollzugsanstalt L. erkundigt sich während seines Entlassungsurlaubs bei dem Sozialamt seines künftigen Wohnorts nach dem Umfang der Sozialleistungen für die Zeit nach der Haftentlassung. Sachbearbeiter X. verweist den M. an die Vollzugsanstalt L., die ihm eine höhere Überbrückungsbeihilfe „vorstrecken“ müsse. Da ihm Arbeitslosengeld zustehe, werde die Vollzugsanstalt entsprechend vorleisten und sich den Anspruch gegen die örtliche Agentur für Arbeit abtreten lassen. Das Sozialamt, so erklärt Sachbearbeiter X., sei in keinem Fall zuständig. Die Auffassung des Sachbearbeiters X. ist unrichtig. Eine Vorleistungspflicht der Vollzugsanstalt zur Auszahlung einer höheren Überbrückungsbeihilfe besteht nicht. Als eigenständige vollzugliche Leistungseinrichtung, die keine Reservefunktion gegenüber dem Überbrückungsgeld hat, ist sie im Verhältnis zu den Sozialleistungen nachrangig. Das Auszahlungsverfahren von Sozialhilfe und Arbeitslosengeld bzw. Arbeitslosenhilfe kann nicht durch eine Zwischenfinanzierung seitens der Vollzugsbehörden (für die im Übrigen keine Rechtsgrundlage besteht) verändert werden (zu den Einzelheiten Rdn. 5 bis 12). IV. Landesgesetze und Musterentwurf
15
1. Baden-Württemberg. § 90 JVollzGB III („Entlassungsbeihilfe“) entspricht im Wesentlichen dem bisherigen § 75 StVollzG und hat folgenden Wortlaut: Best
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„(1) Gefangene erhalten, soweit ihre eigenen Mittel nicht ausreichen, bei ihrer Entlassung aus der Haft von der Justizvollzugsanstalt eine Beihilfe zu den Reisekosten sowie erforderlichenfalls ausreichende Kleidung. Bedürftige Gefangene erhalten darüber hinaus eine Beihilfe, die sie in die Lage versetzt, ohne Inanspruchnahme fremder Hilfe ihren notwendigen Lebensunterhalt zu bestreiten, bis sie ihn voraussichtlich anderweitig decken können. Die Justizvollzugsanstalt kann die Überbrückungsbeihilfe ganz oder teilweise der Bewährungshilfe oder einer mit der Entlassenenbetreuung befassten Stelle überweisen, die darüber entscheidet, wie das Geld nach der Entlassung an die Gefangenen ausbezahlt wird. Die Bewährungshilfe und die mit der Entlassenenbetreuung befasste Stelle sind verpflichtet, die Überbrückungsbeihilfe von ihrem Vermögen gesondert zu halten. (2) Der Anspruch auf Beihilfe zu den Reisekosten und die ausgezahlte Reisebeihilfe sind unpfändbar. Für den Anspruch auf Überbrückungsbeihilfe und für Bargeld nach Auszahlung einer Überbrückungsbeihilfe an Gefangene gilt § 52 Abs. 4 Satz 1 und 3 und Abs. 5 entsprechend.“ Nach der Gesetzesbegründung (LT-Drucks. 14/5012, 236) verzichtet die Regelung hierbei auf die noch in § 75 Abs. 2 Satz 1 StVollzG vorgesehene Kürzungsmöglichkeit wegen kurzer Haftdauer, schlechter Arbeitsleistung oder verschwenderischen Umgangs mit dem Eigen- oder Hausgeld. „Diese Beschränkungen widersprechen dem Sozialstaatsprinzip.“ 2. Bayern. Art 80 BayStVollzG ist in Abs. 1 bis auf geschlechtsspezifische Differen- 16 zierungen wortgleich mit § 75 Abs. 1 StVollzG. Abs. 2 ist neu und lautet: „Die Überbrückungsbeihilfe soll die Gefangenen in die Lage versetzen, ohne Inanspruchnahme fremder Hilfe ihren notwendigen Lebensunterhalt zu bestreiten, bis sie ihn anderweitig decken können“. Abs. 3 ist wortgleich mit § 75 Abs. 2 Satz 2 und 3 Die Gesetzesbegründung zu Art. 80 BayStVollzG lautet: „Die Vorschrift entspricht der Regelung des § 75 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 2 StVollzG und wird durch Art. 80 BayStVollzG i. V. m § 75 Abs. 3 StVollzG ergänzt. Soweit es den Gefangenen nicht möglich ist, vom Arbeitsentgelt einen hinreichenden Betrag als Überbrückungsgeld anzusparen, ist ihnen eine Entlassungsbeihilfe zu gewähren. Bei der Bemessung der Höhe ist der Grundsatz der Bedarfsdeckung zu berücksichtigen. Die Kürzungsmöglichkeit nach § 75 Abs. 2 Satz 1 StVollzG wegen nur kurzer Haftdauer, schlechter Arbeitsleistung oder verschwenderischem Umgang wurde nicht übernommen, weil sie dem Sozialstaatsprinzip widerspricht.“ 3. Hamburg. Das HmbStVollzG enthält keine in einem besonderen Titel, Kapitel 17 oder Abschnitt zusammengefassten Bestimmungen über soziale Hilfen (siehe dazu III zu § 71 und § 74). 4. Hessen. § 17 Abs. 2 HStVollzG, identisch mit § 43 ME-StVollzG, ist abweichend 18 von § 75 StVollzG als Kann-Regelung normiert und beschränkt sich auf folgenden Inhalt: „ Bedürftigen Gefangenen kann eine Entlassungsbeihilfe, insbesondere ein Reisekostenzuschuss oder angemessene Kleidung gewährt werden.“ Die Vorschrift ist nach der Gesetzesbegründung (LT-Drucks. 18/1396, 89) als eine Ausnahmevorschrift konzipiert für Gefangene, die nicht oder nicht im erforderlichen Umfang über Überbrückungsgeld verfügen und damit einen unmittelbar mit der Entlassung entstehenden Bedarf decken sollen: „Im Regelfall sollten Hilfen nach dieser Vorschrift nur beschränkt erforderlich sein, wenn die Entlassungssituation durch eine um739
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Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
fassende Entlassungsvorbereitung entsprechend geklärt ist. Soweit die Gefangenen zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts – und sei es vorübergehend – staatliche Unterstützungsleistungen in Anspruch nehmen müssen, ist es von entscheidender Bedeutung, dass alle Antragsformalitäten vorab so weit erledigt sind, dass die Hilfegewährung unmittelbar zum Entlassungszeitpunkt einsetzen kann.“ 19
5. Niedersachsen. § 70 NJVollzG ist bis auf geschlechtsspezifische Differenzierungen mit § 75 StVollzG identisch. Die in Abs. 3 wegen des Anspruchs auf Überbrückungsbeihilfe und für Bargeld nach Auszahlung einer Überbrückungsbeihilfe an die oder den Gefangenen enthaltene Verweisung auf § 50 Abs. 2 Sätze 1 und 3 und Abs. 3 NJVollzG korrespondiert mit § 51 Abs. 4 Satz 1 StVollzG Abs. 2 (Der Anspruch auf Auszahlung des Überbrückungsgeldes ist unpfändbar ) und mit § 51 Abs. 4 Satz 2 StVollzG (Unpfändbarkeit des Bargeldes in den ersten vier Wochen nach der Entlassung in Höhe des Überbrückungsgeldes). Die Gesetzesbegründung zu dieser Vorschrift (LT-Drucks. 15/3565, 147) ging davon aus, dass die Verweisung in § 75 Abs. 2 Satz 2 StVollzG auf § 51 Abs. 2 Sätze 2 und 3 StVollzG, wonach die Überbrückungsbeihilfe auch an die Bewährungshelferin oder den Bewährungshelfer ausgezahlt werden kann, wegen der bundesgesetzlichen Regelung der Bewährungshilfe – wie auch § 51 Abs. 2 Sätze 2 und 3 StVollzG selbst – als Bundesrecht fort gelten sollte (s. § 193 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a des Entwurfs)“. Die diesbezügliche Begründung (LT-Drucks. 15/3565, 221) lautete: „§ 51 Abs. 2 Sätze 2 und 3 StVollzG enthält eine Befugnis, das von den Gefangenen im Vollzug angesparte Überbrückungsgeld, das den notwendigen Lebensunterhalt der Gefangenen und ihrer Unterhaltsberechtigten in den ersten vier Wochen nach der Entlassung sichern soll, nicht an die Gefangenen, sondern an eine Bewährungshelferin oder einen Bewährungshelfer oder eine mit der Entlassenenbetreuung befasste Stelle auszuzahlen. Diese sind dann befugt, über die Verwendung des Geldes in den ersten vier Wochen nach der Entlassung der Gefangenen zu entscheiden, und verpflichtet, das Geld der Gefangenen gesondert von ihrem Vermögen zu halten. Diese Vorschriften gelten gemäß § 72 Abs. 2 Satz 2 StVollzG entsprechend für die Überbrückungsbeihilfe. Da die Bewährungshilfe in § 56d StGB und § 24 JGG geregelt sind, dürfte es sich bei Vorschriften, die die Aufgaben sowie die Rechte und Pflichten der Bewährungshelferinnen und -helfer regeln, nicht um strafvollzugliche Regelungen handeln. Wegen der bestehenden Zweifel an der Gesetzgebungskompetenz des Landes soll es vielmehr auch hier bei der bundesgesetzlichen Regelung bleiben.“ Nach dem schriftlichen Bericht des Ausschusses für Rechts- und Verfassungsfragen zu dieser Vorschrift (LT-Drucks. 4325, 28) wurde aber die Aufnahme einer entsprechenden Regelung (Überweisung an einen Bewährungshelfer oder eine mit der Entlassungsvorbereitung befasste Stelle) in den Absatz 2 abweichend von § 75 Abs. 2 Satz 2 StVollzG nicht für erforderlich gehalten. Auch der Verweis auf diese Vorschrift in § 193 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a der Entwurfsfassung wurde gänzlich zur Streichung und ersatzlosem Wegfall empfohlen. Zu § 193 NJVollzG erfolgte diese Empfehlung des Ausschusses mit dem Hinweis, dass die Regelung zu § 193 NJVollzG insgesamt überflüssig ist (LT-Drucks. 4325, 72).
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6. Musterentwurf. § 43 Abs. 4 ME-StVollzG, identisch mit § 17 Abs. 2 HStVollzG, ist abweichend von § 75 StVollzG als Kann-Regelung normiert und beschränkt sich auf folgenden Inhalt: „ Bedürftigen Gefangenen kann eine Entlassungsbeihilfe, insbesondere ein Reisekostenzuschuss oder angemessene Kleidung gewährt werden.“ Die ME-Begründung zu § 43 Abs. 4 (S. 114) hat folgenden Wortlaut: „Im Regelfall sollten Hilfen nach dieser Bestimmung entbehrlich sein, weil die Sozialbehörden entBest
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Vorbemerkungen
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sprechend ihrer gesetzlichen Verpflichtung die notwendigen Mittel bereitstellen. Ein Übergangsmanagement, das u. a. Arbeits- und Ausbildungsvermittlung, frühzeitige Klärung von Leistungsansprüchen und eine kontinuierliche Kooperation mit den Sozialbehörden beinhalten muss, macht nicht nur die Aufwendungen für die Entlassungsbeihilfe weitgehend entbehrlich, sondern verbessert auch die Eingliederungschancen der Haftentlassenen entscheidend.“
ZEHNTER TITEL Besondere Vorschriften für den Frauenstrafvollzug Vorbemerkungen Vor § 76 Steinhilper Vorbemerkungen Schrifttum Albrecht Die sanfte Minderheit. Mädchen und Frauen als Straftäterinnen, in: BewHi 1987, 341 ff; Dünkel/Kestermann/Zolondek Internationale Studie zum Frauenstrafvollzug; Bestandsaufnahme, Bedarfsanalyse und „best practice“, Greifswald 2005; Einsele/Bernhardt Frauenanstalten, in: Schwind/Blau 1988, 58 ff; Einsele/Krüger Frauen im Strafvollzug, in: Kerner (Hrsg.), Deutsche Forschung zur Kriminalitätsentstehung und Kriminalitätskontrolle, Köln 1983, 2039 ff; Geiger/Steinert Straffällige Frauen und das Konzept der „Durchgehenden sozialen Hilfe“. Band 11 der Schriftenreihe des Bundesministeriums für Frauen und Jugend, Stuttgart 1993; Harjes „Frauenfreigang“ zur Versorgung der Kinder und des Haushalts, in: ZfStrVo 1985, 284 ff; Jansen/Schreiber „Die Mädchen sind wieder frech geworden“. Zur Bedeutung von Disziplinierung im Strafvollzug an jugendlichen Frauen, in: MschrKrim 1994, 137 ff; Junker Mutter-Kind-Einrichtungen im Strafvollzug. Eine bundesweite empirische Untersuchung zu den Rahmenbedingungen, Münster 2011; Köhne Geschlechtertrennung im Strafvollzug, in: BewHi 2002, 221 ff; Krüger Gefangene Mütter – Bestrafte Kinder? Neuwied 1982; Meyer Die besondere Problematik des Strafvollzugs für weibliche Jugendliche, in: BMJ (Hrsg.), Tagungsberichte der Jugendstrafvollzugskommission, Band VII, Bonn 1979, 124 ff; Obermöller Reform des Frauenstrafvollzugs durch problemorientierte Rechtsanwendung, Baden-Baden 2002; Schmölzer Aktuelle Diskussionen zum Thema „Frauenkriminalität“ – ein Einstieg in die Auseinandersetzung mit gegenwärtigen Erklärungsversuchen, in: MschrKrim 1995, 219 ff; Schwind Kriminologie, 21. Aufl., Heidelberg 2011; Steinhilper Junge Frauen im Strafvollzug, in: Trenczek (Hrsg.), Freiheitsentzug bei jungen Straffälligen, Bonn 1993, 145 ff; Zolondek Lebens- und Haftbedingungen im deutschen und europäischen Frauenvollzug, Mönchengladbach 2007.
I. II.
Übersicht Frauenkriminalität ____ 1–3 Frauenstrafvollzug ____ 4–11 1. Statistik ____ 4 2. Vollzugseinrichtungen und Vollzugsgemeinschaften ____ 5
3. 4. 5. 6. 7.
Jugendvollzug ____ 6 Bildung und Behandlung ____ 7, 8 Besonderheiten inhaftierter Frauen ____ 9 Inhaftierung von Müttern ____ 10 Kompensatorische Vollzugspraxis ____ 11
I. Frauenkriminalität 2011 betrug der Anteil von Mädchen und Frauen an Tatverdächtigen 25,5% (PKS 1 2011, 34); ihr Anteil an den Verurteilten belief sich auf 19,1% (Strafverfolgungsstatistik 2011). Jugend- und Freiheitsstrafen mussten im selben Jahr (am 30.11.2011) 3.927 Frauen verbüßen (einschl. vorübergehend abwesende); damit betrug ihr Anteil an allen Strafgefangenen nur noch 5,4% (Statistik des BMJ). Der ohnehin geringe Frauenanteil wird auf jeder Stufe des Strafverfahrens und mit Zunahme der Eingriffsintensität der Sanktionen immer kleiner (Heinz 2002, 135). Unter den insgesamt 469 Sicherungsverwahrten befanden sich drei Frauen. 741
Steinhilper
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Die Deliktsbelastungen von Männern und Frauen nähern sich allerdings mit zunehmendem Lebensalter an. So sind 22,8% der über 60-jährigen Verurteilten weiblich, aber nur 17,5% der unter 25-jährigen (Strafverfolgungsstatistik 2011). Der Anteil der Ausländerinnen an der Gesamtzahl weiblicher Verurteilter verzeichnet nach Jahren des Anstiegs einen leichten Rückgang. (1986: 10,0%, 1990: 15,2%, 1996: 20,1%, 2002: 21,2%, 2006: 20,1% und 2011: 19,7%). Am 31.3.2011 besaßen 16,1% der weiblichen Strafgefangenen eine ausländische Staatsbürgerschaft oder waren staatenlos. Die Kriminalitätsstruktur weiblicher Tatverdächtiger ist anders als die männli3 cher. Der Anteil von Frauen an der schweren Kriminalität ist gering (Tötungsdelikte 13,6%, Raub 9,1%, schwere Körperverletzung 15,2%, schwerer Diebstahl 10,7%). Schwerpunkt der Frauenkriminalität ist der „einfache“ Diebstahl (meist Ladendiebstahl). Mit 34,3% gehört er zu den Delikten mit dem höchsten Anteil weiblicher Tatverdächtiger (PKS 2010, 97). Untersuchungen von Albrecht (1987, 346 ff) sprechen für eine durchschnittlich geringere Tatschwere bei den von Frauen begangenen Straftaten, für mehr Beihilfehandlungen und weniger intensive Täterschaft. Weibliche Tatverdächtige bzw. Verurteilte sind erheblich seltener polizeibekannt bzw. vorbestraft, neigen eher zu Einzelhandlungen und nicht zu wiederholter oder fortgesetzter Tatbegehung. Weibliche Straftäter führen erheblich seltener Schusswaffen mit sich als männliche Straftäter (zu den Erklärungsansätzen für die unterschiedliche Kriminalitätsbelastung der Geschlechter s. Schmölzer 1995, 219 ff; zusammenfassend Schwind 2011, 85 ff). Auch die Rückfallquote verurteilter Frauen liegt mit 24% unter derjenigen der Männer mit rund 38% (s. Jehle/Heinz/Sutterer Legalbewährung nach strafrechtlichen Sanktionen. Eine kommentierte Rückfallstatistik, Berlin 2003, 47). II. Frauenstrafvollzug 4
1. Statistik. Am 30.11.2011 waren bundesweit 3.927 Frauen (Aufstellung des Statistischen Bundesamtes über den Gefangenenbestand mit vorübergehend Abwesenden) inhaftiert, davon 652 in Untersuchungshaft. Frauen machten damit 5,1% der gesamten Vollzugspopulation (N = 73.470) aus. Die meisten weiblichen Strafgefangenen waren wegen Diebstahl und Unterschlagung (26,3%) und wegen Betrug und Untreue (24,9%) inhaftiert; es folgten Straftaten nach dem Betäubungsmittelgesetz (15,4%) und gegen das Leben (8,4%). Zur Altersverteilung: 37,7% der weiblichen Strafgefangenen waren 40 Jahre und älter (im Vergleich zu 32,8% bei den Männern), 14,3% waren unter 25 Jahre alt (im Vergleich zu 19,2% bei den Männern). Weibliche Strafgefangene am 31.3.2011 nach Dauer des Vollzuges Vollzugsdauer
Anzahl
Prozent
bis zu 9 Monaten 9 Monate bis 2 Jahre 2 bis 5 Jahre 5 bis 15 Jahre lebenslang
1.659 1.678 1.625 1.175 1.102
1.831 1.548 1.180 1.100
144,2 120,1 118,5 115,2 113,0
Zusammen
3.377
3.318
100
50,0 25,1 16,5 15,4
Quelle: Statist. Bundesamt. Fachserie 10, Reihe 4.1.2011, 13.
Steinhilper
742
Vorbemerkungen
Vor § 76
2. Vollzugseinrichtungen und Vollzugsgemeinschaften. Wegen der geringen 5 Zahl inhaftierter Frauen gibt es nur wenige selbständige Frauenanstalten (u. a. JVA Frankfurt am Main III, JVA für Frauen Berlin, JVA Schwäbisch Gmünd, JVA für Frauen in Vechta, JVA Willich II/NRW). Die meisten Vollzugseinrichtungen, in denen Frauen untergebracht werden, sind organisatorisch, personell oder räumlich mit Anstalten für Männer verbunden oder lediglich unselbständige Abteilungen von Männeranstalten (zum Trennungsgrundsatz Rdn. 4 zu § 140). Die gesetzliche Forderung nach Unterbringung in besonderen Frauenanstalten (§ 140) ist damit selten erfüllt; die Ausnahmevorschrift des § 140 Abs. 2 Satz 2 ist in der Praxis die Regel. Vollzugsgemeinschaften (§ 150) haben Bremen, Hamburg, Niedersachsen und Schleswig-Holstein sowie Berlin und Brandenburg für einzelne Haftformen, das Saarland und Rheinland-Pfalz sowie Brandenburg und Sachsen-Anhalt für alle Haftformen. Vollzugsgemeinschaften bieten größere Differenzierungsmöglichkeiten, erschweren aber auch die Kontakte zu Bezugspersonen und damit Entlassungsvorbereitung und Übergangsmanagement. Anstalten des offenen Vollzuges für Frauen gibt es nicht. Obwohl die wiederholte Tatbegehung bei Frauen seltener und das Risiko für die Allgemeinheit bei Vollzugslockerung aufgrund der weiblichen Deliktsstruktur geringer ist als bei männlichen Strafgefangenen (Albrecht 1987, 350), waren am 30.11.2011 lediglich 577 Frauen im offenen Vollzug untergebracht; insgesamt verfügte der Frauenvollzug zu diesem Zeitpunkt über 4.457 Haftplätze, davon 736 im offenen Vollzug (Quelle: BMJ). 3. Jugendvollzug. Eine besondere Herausforderung für die Vollzugsorganisation 6 stellen die jungen Insassinnen dar, deren schulische und berufliche Ausbildung, Behandlungs- und Betreuungsbedürfnisse oftmals vernachlässigt werden (s. schon Meyer 1979, 124; Jansen/Schreiber 1994, 137 ff). Am 30.11.2011 verbüßten insgesamt 267 weibliche Gefangene eine Jugendstrafe (zum Vergleich: 7.567 männliche Gefangene). Sie sind in Abteilungen oder Wohnfluren der jeweiligen Frauenanstalten untergebracht. Da zentrale Jugendanstalten für weibliche Gefangene (Vollzugsgemeinschaften i. S.d. § 150) weite Entfernungen zum Heimatort zur Folge hätten, andererseits die Situation der Jugendlichen und Heranwachsenden in Anstalten des Erwachsenenvollzugs überwiegend nicht befriedigend ist, liegt die Überlegung nahe, weibliche Gefangene in besonderen Abteilungen der Jugendanstalten für männliche Gefangene unterzubringen (Meyer 1979, 126; a. A. Einsele/Bernhardt 1988, 66 f). Die Angliederung an Anstalten für männliche junge Gefangene soll die Bildung von Lern- und Ausbildungseinheiten Gleichaltriger mit ihren spezifischen altersgemäßen Problemen sichern. Die Vollzugspraxis ist von der Koedukation in gemeinsamen Anstalten allerdings nicht überzeugt; sie hat gute Erfahrungen mit der Angliederung von Abteilungen für junge weibliche Gefangene an Vollzugseinrichtungen für Frauen gemacht (Steinhilper 1993, 146 ff). Die Ländergesetze zum Jugendstrafvollzug greifen den Gedanken insoweit auf, als sie die Teilnahme an gemeinsamen Maßnahmen, insbesondere gemeinsame Schul- und Berufsausbildung, für zulässig erklären, an einer getrennten Unterbringung von weiblichen und männlichen Gefangenen aber festhalten. 4. Bildung und Behandlung. Auch für den Erwachsenenvollzug gilt, dass Arbeit, 7 schulische und berufliche Aus- und Fortbildung, soziale Hilfen und Freizeitmaßnahmen aufgrund der geringen Zahl inhaftierter Frauen bzw. ihrer relativ kurzen Verweildauer im Vollzug nicht so differenziert angeboten werden wie in Vollzugsanstalten für männliche Gefangene (Brämer/Otte/Schuler/Pendon ZfStrVo 1986, 331). Nach AK-Weßels (2012 Rdn. 8) hat bzgl. schulischer und beruflicher Bildungsmaßnahmen für Frauen in den letzten Jahren ein Umdenken stattgefunden. Das Angebot in den Anstalten erweitert 743
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Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
sich, u. a. durch Projekte des Europäischen Sozialfonds. Einer Koedukation steht die Vollzugspraxis auch im Erwachsenenvollzug nach wie vor skeptisch gegenüber (vgl. Zolondek 2007, 58). Befürchtet wird, dass sich die Frauen aufgrund des meist unausgewogenen Zahlenverhältnisses und ihres mangelnden Selbstbewusstseins gegenüber den männlichen Mitgefangenen nicht behaupten können. Statt dessen werden schulische und berufliche Maßnahmen auch für kleinste Lerngruppen anstaltsintern durchgeführt. Für eine gemeinsame Unterbringung von männlichen und weiblichen (Straf-)Gefangenen aus rechtlich nicht überzeugenden Gründen Köhne 2002, 221 ff. Nach seiner Auffassung widerspricht die getrennte Unterbringung dem Angleichungs- und Gegenwirkungsgrundsatz (zum koedukativen Vollzug s. auch Obermöller 2002, 133 ff). Sozialtherapeutische Abteilungen (§ 123 Abs. 2) für Frauen fehlen in den meisten 8 Bundesländern. Lediglich in Berlin (18 Plätze), Dresden (9 Plätze) und Vechta/Niedersachsen (11 Plätze, 9 weitere in 2013) gibt es Sozialtherapie für Frauen. Mit der Neufassung des § 9 im Zusammenhang mit dem Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten vom 26.1.1998 (BGB I, 160) hat der Gesetzgeber eine neue Benachteiligung für Frauen geschaffen. Faktisch sind dadurch vorrangig Plätze in der Sozialtherapie für Männer einzurichten (zum Bedarf sozialtherapeutischer Plätze für Frauen und zur Alters- und Deliktstruktur der Klientinnen in der Sozialtherapie s. Zolondek 2007, 111). Auch sind Maßnahmen der Entlassungsvorbereitung, die im Vollzug beginnen und nach der Entlassung fortgesetzt werden (durchgehende Hilfen) in den Flächenstaaten bei zentralen Vollzugseinrichtungen für Frauen erschwert; bei der Entlassenenhilfe mangelt es an frauenspezifischen Angeboten. Vorbildhaft ist nachwievor die seit 1976 bestehende Anlaufstelle für strafentlassene Frauen in Frankfurt. 9
5. Besonderheiten inhaftierter Frauen. Bei der Organisation des Frauenvollzuges sind die Besonderheiten inhaftierter Frauen zu beachten. Sie werden häufig als stark belastete Persönlichkeiten beschrieben (vgl. Einsele/Bernhardt 1988, 59, 63), mit früh angelegten Fehlentwicklungen, traumatischen Kindheits- und Jugenderlebnissen (oftmals sexuelle Misshandlungen), mit gestörtem Selbstbewusstsein, ohne Durchhaltevermögen und Lebensperspektive. Zu den sozialen Hintergründen und Problemkarrieren s. ausführlich Geiger/Steinert 1993, 21 ff. Offensichtlich leiden inhaftierte Frauen stärker als männliche Gefangene unter der Einengung im vollzuglichen Alltag (reglementierter Tagesablauf, Einschluss, formalisierte Entscheidungsabläufe, Brief- und Paketkontrollen). Viele Insassinnen haben vor ihrer Inhaftierung Gewalt erlebt und reagieren auf jegliche Formen körperlicher Gewalt empfindlich und aggressiv, auch wenn sie nicht selbst, sondern Mitgefangene betroffen sind. Stärker ausgeprägt als bei männlichen Gefangenen sind wohl auch körperliche Auffälligkeiten; häufig treten Hauterkrankungen, Kopfschmerzen, Rückenbeschwerden, Magenbeschwerden und andere psychosomatische Störungen auf (zu den gesundheitlichen Problemen von Frauen im Vollzug s. umfassend Zolondek 2007, 203 ff). Zentrales Problem und häufiges Thema in Gesprächen inhaftierter Frauen untereinander ist das Verhältnis zu (Ehe-)Männern, die auch als Unterdrücker und Ausbeuter (Zuhälter und Freier) erlebt worden sind. Anders als im Männervollzug ist auch die Anstaltsatmosphäre. Die wohnlich eingerichteten Hafträume sind in der Regel penibel sauber und lassen ein starkes Bedürfnis nach Individualität und Geborgenheit erkennen. Im Frauenvollzug gibt es kaum Subkulturen; körperliche Aggressivität und Rücksichtslosigkeit sind Ausnahmen. Die Anstaltsatmosphäre wird eher durch Wutausbrüche, seelische Erschütterungen, Schuldprobleme und Verzweiflungstaten der Insassinnen belastet. Erforderlich wäre eine sozialtherapeutische Umgestaltung des gesamten Frauenvollzugs (Einsele/Bernhardt 1988, 66). Besondere Anforderungen an die VollzugsSteinhilper
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Vorbemerkungen
Vor § 76
gestaltung stellen die Drogenabhängigen, deren Zahl auf über 50% geschätzt wird (Zolondek 2007, 206). Nach einer repräsentativen Studie des Kriminologischen Dienstes des nds. Justizvollzugs (Celle 2006) haben ca. 40% der weiblichen Gefangenen in den vier Wochen vor der Inhaftierung illegal Drogen konsumiert; dabei haben sie prozentual häufiger Heroin gespritzt als männliche Gefangene. Besondere Probleme bereiten die langjährig Abhängigen mit vorausgegangener Therapie- und Vollzugserfahrung. Erstmals in der Bundesrepublik hat die JVA für Frauen in Vechta (Niedersachsen) ein Spritzenaustauschprogramm für Drogenabhängige erprobt (Meyenberg/Stöver/Jacob/Pospschill Infektionsprophylaxe im nds. Justizvollzug, Eröffnungsbericht zum Modellprojekt, Oldenburg 1996; zu den frauenspezifischen Aspekten der Infektionsprophylaxe s. auch Jacob/ Schaper/Stöver Neue Praxis 1997, Heft 1, 67 ff). 2003 wurde das Programm eingestellt, weil infektionsprophylaktische Effekte nicht nachgewiesen werden konnten. Für den Spritzenaustausch treten demgegenüber nach wie vor Stöver/Nelles (ZfStrVo 2003, 345 ff) ein – freilich ohne überzeugenden empirischen Nachweis dafür, dass sich die Ansteckungsgefahr tatsächlich reduziert (ausführlicher dazu s. Stöver/Nelles aaO und die Erwiderung von Hasenpusch/Steinhilper ZfStrVo 2003, 351 ff). Den Besonderheiten des Frauenstrafvollzugs wurde in der Praxis bisher u. a. dadurch Rechnung getragen, dass Frauen im Gegensatz zu Männern zweckgebundes Eigengeld (§ 52) für den Einkauf (§ 22) von Kosmetika verwenden durften. Das BVerfG (Beschl. vom 7.11.2008 – 2 BvR 1870/07) ist dem entgegen getreten. Es sieht darin einen Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot (Art. 3 Abs. 1 GG). Geschlechtsabhängige Regelungen sind nach Art. 3 Abs. 3 S 1 GG nur erlaubt, soweit sie zur Lösung von Problemen, die ihrer Natur nach nur entweder bei Männern oder bei Frauen auftreten können, zwingend erforderlich sind, oder eine Abwägung mit kollidierendem Verfassungsrecht sie ausnahmsweise legitimiert (vgl. BverfG 25.10.2005, 2 BvR 524/01; BVerfGE 114, 357, 364). Eine Besserstellung von Frauen wäre danach nicht zu beanstanden, wenn Gründe der Vollzugssicherheit dies rechtfertigten. Dazu sei im entschiedenen Fall jedoch nichts vorgetragen. Dies gelte auch für die faktische Besserstellung von Frauen, denen im vorliegenden Fall zudem im Gegensatz zu den männlichen Gefangenen wegen der unterschiedlichen Ausstattung der Haftgebäude mit Telefonapparaten die Möglichkeit eröffnet wurde, im Gegenwert von 30 Euro monatlich zu telefonieren. 6. Inhaftierung von Müttern. Ein besonderes Problem im Frauenstrafvollzug ist die 10 Inhaftierung von Müttern (dazu auch AK-Weßels 2012 Rdn. 10–14). Nach einer Erhebung von Dünkel/Kestermann/Zolondek (2005) sind ca. 68% der weiblichen Gefangenen in Deutschland Mütter. Schwerwiegenden Erziehungsschäden der nicht schulpflichtigen Kinder inhaftierter Mütter soll durch eine gemeinsame Unterbringung in Mutter-KindEinrichtungen entgegengewirkt werden (§ 80); diese Regelung reicht jedoch nicht aus. Zum einen ist eine Unterbringung kleiner Kinder im Vollzug aus pädagogischer Sicht nicht unproblematisch, zum anderen regelt diese Vorschrift nur die Versorgung der Kinder bis zum Eintritt der Schulpflicht (§ 80 Rdn. 1–2). Die Trennung von den Kindern wird vor allem von den Frauen selbst als besonders hart empfunden. Die Beziehung zwischen Mutter und Kind ist oft die einzige kontinuierliche Bindung, die auch für die Wiedereingliederung der Straffälligen eine wichtige Rolle spielt (vgl. K/S-Kaiser 2003 § 10 Rdn. 77). Die Anstalten versuchen, der Entfremdung zwischen Mutter und Kind durch Familienseminare (mehrtägige Veranstaltungen mit Müttern, Kindern, Partnern und anderen Bezugspersonen außerhalb der Anstalt), Familiennachmittagen in der Anstalt und durch Besuchsausgänge (die Frauen können mit ihrer Familie die Anstalten für einige Stunden verlassen, um ungestört mit ihnen zusammen zu sein) entgegenzuwirken. Eine weitere 745
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Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
Möglichkeit bietet der Freigang für Mütter zur Versorgung der Kinder und des Haushalts, der sog. (Haus-)Frauenfreigang, der bislang jedoch nur gelegentlich praktiziert wird (Harjes 1985, 284; AK-Weßels 2012 Rdn. 9). 11
7. Kompensatorische Vollzugspraxis. Die Besonderheiten des Frauenvollzugs haben nur zu einem geringen Teil ihren Niederschlag in besonderen Vorschriften des Gesetzes gefunden (kritisch insoweit auch AK-Weßels 2012 Rdn. 1–2 vor § 76). Sie haben jedoch die Formulierung der Bestimmungen, z. B. in den Bereichen Unterbringung und Ernährung (§§ 17 bis 22) und Gesundheitsfürsorge (§§ 56 bis 65 und 76 bis 78) beeinflusst, so dass diese Raum für eine flexible Handhabung lassen und den Bedürfnissen des Strafvollzugs für Frauen weitgehend Rechnung getragen werden kann. Ergänzende gesetzliche Regelungen (in diesem Sinne AK-Weßels 2012 Rdn. 8) sind weniger drängend als eine „kompensatorische Vollzugspraxis“, die strukturell vorgegebene Benachteiligungen inhaftierter Frauen ausgleicht. Zu den Besonderheiten des Frauenstrafvollzugs in der Praxis und den Behandlungsbedürfnissen inhaftierter Frauen s. umfassend Junker 2011, 89 ff. Zur besonderen Situation von Frauen im Gefängnis und zu den Auswirkungen der Inhaftierung von Eltern auf deren Leben in Familie und Gesellschaft s. auch Entschließung des Europäischen Parlaments vom 13. März 2008 (BR-Drucks. 265/08).
§ 76 Leistungen bei Schwangerschaft und Mutterschaft § 76 Steinhilper Leistungen bei Schwangerschaft und Mutterschaft (1) Bei einer Schwangeren oder einer Gefangenen, unlängst entbunden hat, ist auf ihren Zustand Rücksicht zu nehmen. Die Vorschriften des Gesetzes zum Schutz der erwerbstätigen Mutter über die Gestaltung des Arbeitsplatzes sind entsprechend anzuwenden. (2) Die Gefangene hat während der Schwangerschaft, bei und nach der Entbindung Anspruch auf ärztliche Betreuung und auf Hebammenhilfe in der Vollzugsanstalt. Zur ärztlichen Betreuung während der Schwangerschaft gehören insbesondere Untersuchungen zur Feststellung der Schwangerschaft sowie Vorsorgeuntersuchungen einschließlich der laborärztlichen Untersuchungen. (3) Zur Entbindung ist die Schwangere in ein Krankenhaus außerhalb des Vollzuges zu bringen. Ist dies aus besonderen Gründen nicht angezeigt, so ist die Entbindung in einer Vollzugsanstalt mit Entbindungsabteilung vorzunehmen. Bei der Entbindung wird Hilfe durch eine Hebamme und, falls erforderlich, durch einen Arzt gewährt. VV Die VV zu § 65 gilt entsprechend. Schrifttum Buchner/Becker Mutterschutzgesetz, Bundeselterngeld- und Elternteilzeitgesetz (Kommentar), 9. Aufl., München 2013; Graue Mutterschutzgesetz. Basis-Kommentar zum MuschG 2. Aufl. Frankfurt 2009; Junker Mutter-Kind-Einrichtungen im Strafvollzug. Eine bundesweite empirische Untersuchung zu den Rahmenbedingungen (Kriminalwissenschaftliche Schriften Bd. 29, Münster 2011;Schnelle Neuregelungen im Recht des Schwangerschaftsabbruchs, in: Die Betriebskrankenkasse 2/1996, 78 ff; Tröndle Das Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetz, in: NJW 1995, 3009 ff; Willikowsky Kommentar zum Mutterschutzgesetz,
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Leistungen bei Schwangerschaft und Mutterschaft
2. Aufl., Berlin 2007; Winterfeld Mutterschutz und Erziehungsurlaub, München 1986; Zmarzlik/Zipperer/ Viethen/Vieß Mutterschutzgesetz – Mutterschaftsleistungen, 9. Aufl., Köln 2006.
I.
Übersicht Erläuterungen ____ 1 1. Verpflichtung zur Rücksichtnahme ____ 1 2. Vorschriften des Mutterschutzgesetzes ____ 2–6 a) Eingeschränkte Beschäftigung und Beschäftigungsverbot während der Schwangerschaft ____ 3, 4 b) Beschäftigungsverbot nach der Entbindung ____ 5 c) Stillzeiten ____ 6 3. Erziehungsurlaub ____ 7 4. Medizinische Versorgung ____ 8, 9
II.
5. Soziale Hilfe und psychologische Betreuung ____ 10 6. Schwangerschaftsabbruch ____ 11 7. Entbindung ____ 12–14 Landesgesetze und Musterentwurf ____ 15–20 1. Baden-Württemberg ____ 15 2. Bayern ____ 16 3. Hamburg ____ 17 4. Hessen ____ 18 5. Niedersachsen ____ 19 6. Musterentwurf ____ 20
I. Erläuterungen 1. Verpflichtung zur Rücksichtnahme. Abs. 1 Satz 1 fordert Rücksichtnahme auf 1 Schwangere und Frauen, die unlängst entbunden haben. Das folgt aus Art. 6 Abs. 4 GG, der jeder Mutter „Schutz und Fürsorge der Gemeinschaft“ als Anspruch und nicht als Programmsatz garantiert (BVerfGE 32, 273, 277). Dem soll das Mutterschutzgesetz (MuSchG) Rechnung tragen. Dieses Grundrecht wird durch das StVollzG ebenso wenig eingeschränkt wie das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit des Kindes einer inhaftierten Mutter vor und nach seiner Geburt (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG). Die Verpflichtung zur Rücksichtnahme ist ein übergeordnetes Behandlungsprinzip, das sich aber nicht nur in der Beachtung von Arbeitsschutzbestimmungen und in der Gewährung medizinischer Versorgung erschöpfen sollte. Die Rücksichtnahme gebührt der Schwangeren wegen ihres Gesundheitszustandes und dient letztlich dem Wohl des Kindes. Zu den Schutzvorschriften für inhaftierte Frauen und zum medizinischen Leistungsumfang bei Schwangerschaft, Geburt und nach der Entbindung s. eingehend Junker 2011, 74 ff. 2. Vorschriften des Mutterschutzgesetzes. Für Gefangene, die in einem freien Ar- 2 beitsverhältnis stehen (sog. Freigänger), gilt das MuSchG – vom 18.4.1968 (BGBl. I, 315) i. d. Bek. vom 20.6. 2002 (BGBl. I, 2318 zul. g. durch Gesetz vom 20.11.2011 BGBl. I, 2854) – unmittelbar. Das MuSchG (s. dazu Buchner/Becker 2013; Graue 2009; Zmarzlik/Zipperer/Viethen/Vieß 2006) war zum 1.1.1997 erheblich geändert worden (Art. 1 des Änderungsgesetzes zum Mutterschaftsrecht, BGBl. I, 2110), u. a. um die EG-Mutterschaftsrichtlinie 92/85 (vgl. dazu Zmarzlik DB 1994, 96 ff) umzusetzen (zu den Gründen im einzelnen vgl. BT-Drucks. 13/2763, 13; s. ergänzend Kossenz DB 1997, 209; Zmarzlik DB 1997, 474 ff und Lenz NJW 1997, 1491 f). Für inhaftierte Frauen, die innerhalb des Justizvollzugs arbeiten, gelten die Bestimmungen des MuSchG nicht unmittelbar, da diese nicht in einem Arbeitsverhältnis i. S. des MuSchG stehen, auch wenn sie ein Entgelt erhalten (§ 43; so ausdrücklich BAG 24.4.1969 und 3.10.1978, AP Nr. 18 zu § 5 ArbGG 1953 und AP Nr. 18 zu § 5 BetrVG 1972). Auch eine im Strafvollzug gewährte Berufsausbildung begründet kein Berufsausbildungsverhältnis i. S. des Berufsbildungsgesetzes. Anderes gilt für Freigänger (§ 39; s. LAG Hamm NStZ 1991, 455). Bei Vollzug von Jugendarrest und Jugendstrafe (§§ 90 ff JGG) und Weisungen zu Arbeitsleistungen besteht kein Arbeitsverhältnis; die Schutzvorschriften des MuSchG gelten jedoch entsprechend. 747
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Abs. 1 Satz 2 sieht eine entsprechende Anwendung des MuSchG nur für die Gestaltung des Arbeitsplatzes (§ 2 MuSchG) vor. Es handelt sich um eine öffentlich-rechtliche Pflicht (§ 41), die den Inhalt der Fürsorgepflicht der Anstalt gegenüber der Gefangenen bestimmt. Da es jedoch der Intention der Vorschrift entspricht, die Situation der Gefangenen dem Leben in Freiheit anzugleichen (BT-Drucks. 7/3998), sollten auch die übrigen substantiellen Schutzvorschriften des MuSchG, insbesondere die individuellen und generellen Beschäftigungsverbote vor und nach der Entbindung, Anwendung finden. Für werdende und stillende Mütter hat der Gesetzgeber hierauf in § 41 Abs. 1 ausdrücklich hingewiesen. a) Nach dem MuSchG ist die Beschäftigungsmöglichkeit von Schwangeren eingeschränkt (zu den unterschiedlichen Zeiten, in denen die Schutzvorschriften des MuSchG gelten s. §§ 3 Abs. 1 und 2, 4 Abs. 4, 6 Abs. 1–3, §§ 7–10 MuSchG; zur Berechnung der Zeiträume s. Buchner/Becker, Rdn. 240 ff; erg. s. Junker 2011, 81 ff). Der Arbeitsplatz ist bei werdenden und stillenden Müttern entsprechend auszugestalten (§ 2 Abs. 1 MuSchG i. V.m. der Arbeitsstätten-Verordnung vom 12.8.2004 und der Mutterschutzrichtlinie vom 19.10.1992 und der Mutterschutzrichtlinienverordnung vom 19.4.1997 = BGBl. I, 782; zu Einzelheiten siehe eingehend Buchner/Becker aaO, § 2 Rdn. 10 ff m. w. N.); verboten ist die Beschäftigung unter erschwerenden Arbeitsbedingungen (z. B. Arbeiten mit gesundheitsgefährdenden Stoffen oder Strahlen, hoher Gewichtsbelastung, auf Fahrzeugen, am Fließband u. a.; § 4 Abs. 1 MuSchG). 4 Der Mutterschutz sieht neben den Schutzvorschriften für Schwangere am Arbeitsplatz auch individuelle und generelle befristete Beschäftigungsverbote vor (§§ 3, 6 MuSchG). Auf diese Vorschriften verweist § 76 Abs. 1 Satz 2 nicht. Sie binden daher die Justizverwaltung rechtlich gegenüber beschäftigten schwangeren und stillenden Gefangenen nicht. 3
5
b) Ausdrücklich aufgehoben ist nur die Arbeitspflicht schwangerer und stillender Gefangener (§ 41 Abs. 1 Satz 3). Aus § 76 Abs. 1 ist aber der allgemeine Grundsatz zu entnehmen, dass auf gesundheitliche Belange der Gefangenen während und nach der Schwangerschaft Rücksicht zu nehmen ist. Dies bedeutet in konkreto, dass gefahrengeneigte Tätigkeiten sowie Beschäftigungen und Arbeitszeiten, die die Gesundheit der Schwangeren oder des Kindes beeinträchtigen könnten, zu unterbinden sind. Der Wunsch der Gefangenen ist dabei zu berücksichtigen. Diese wird im Zweifel eine zumutbare Beschäftigung während und nach der Schwangerschaft einer bloßen Untätigkeit im Vollzug vorziehen, da dann auch das Arbeitsentgelt (§ 42) weiter zu zahlen ist und soziale Kontakte erhalten bleiben. Gegebenenfalls ist zum Schutz der Gefangenen der Anstaltsarzt um eine medizinische Beratung zu bitten.
6
c) §§ 2, 6 Abs. 2, 3 und 7 MuSchG fordern auch im Vollzug Rücksichtnahme auf gesundheitliche Beeinträchtigung nach der Entbindung (z. B. vorübergehende Freistellung von Arbeit) und Stillzeiten. So ist stillenden Müttern u. a. auf ihr Verlangen die zum Stillen erforderliche Zeit (mindestens zweimal täglich eine halbe Stunde oder einmal täglich eine Stunde) freizugeben. Der damit verbundene Arbeitszeitverlust darf nicht zu einem Verdienstausfall führen (§ 7 Abs. 1, 2 MuSchG).
7
3. Erziehungsurlaub. Nach dem Angleichungsgrundsatz (§ 3 Abs. 1) sollte inhaftierten Müttern, die gemeinsam mit ihren Kindern im Vollzug untergebracht sind (§§ 80, 142) auf Antrag Erziehungsurlaub analog § 15 Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG) vom 5.12.2006 (BGBl. I, 2748 – zul. g. durch Art. 10 des Gesetzes vom 23.11.2011 – BGBl. I, Steinhilper
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2298) gewährt werden. Empfehlenswert ist es, wenn während der ersten 6 Monate nach der Entbindung für die Mütter keine Arbeitspflicht besteht, damit diese Zeit für eine intensive Betreuung und Pflege des Säuglings genutzt werden kann. Bei Bedürftigkeit kann den Müttern unter den Voraussetzungen des § 46 StVollzG während der Zeit des Erziehungsurlaubs Taschengeld gewährt werden. 4. Medizinische Versorgung. Abs. 2 konkretisiert die Ansprüche auf medizinische 8 Versorgung vor, bei und nach der Entbindung. Gewährleistet sind ärztliche Versorgung und Hebammenhilfe in der Justizvollzugsanstalt. Die Vorschrift entspricht der Versorgung Schwangerer in Freiheit. Der Inhalt der ärztlichen Betreuung orientiert sich an den Mutterschaftsrichtlinien (vom 10.12.1985; BAnz. Nr. 60 a (Beilage) vom 27.3.1986, zul. g. am 15.11.2011 – BAnz Nr. 36 vom 2.3.2012, S. 914, die nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB V vom Gemeinsamen Bundesausschuss (s. zur Neuorganisation dieses Gremiums Hess Gemeinsamer Bundesausschuss in: Rieger/Dahm/Steinhilper (Hrsg.) HK-AKM Heidelberg 2008 mit teilweiser geänderter Zuständigkeit seit 1.1.2012 nach dem GKV-Versorgungsstrukturgesetz) zu regeln waren. Zur ärztlichen Betreuung zählen diagnostische und therapeutische sowie vorbeugende Maßnahmen, die der „Sicherung einer nach den Regeln der ärztlichen Kunst und unter Berücksichtigung des allgemein anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse ausreichenden, zweckmäßigen und wirtschaftlichen Betreuung der Versicherten während der Schwangerschaft und nach der Entbindung dienen“. Der Inhalt der Hebammenhilfe ergibt sich aus dem Hebammengesetz vom 4.6.1985 (BGBl. I, 902 zul. g. durch Art. 39 Gesetz vom 6.12.2011 – BGBl. I, 2515; s. dazu Horschitz/ Kurtenbach Kommentar, 3. Aufl. 2003)). Über diese medizinische Versorgung hinaus sollte den Gefangenen auch Schwan- 9 gerschaftsgymnastik zur Vorbereitung auf die Entbindung angeboten werden, da Gefangene häufig unter Bewegungsarmut leiden. Schwangere sollten aus Gründen der Vorsorge grundsätzlich in einer Justizvollzugsanstalt mit ärztlich geleiteter und sachlich und personell entsprechend ausgestatteter Krankenstation untergebracht werden, damit auch eine Betreuung in Sonderfällen (z. B. drohender Abortus) gewährleistet ist. Ein Gynäkologe sollte als Konsiliararzt regelmäßig hinzugezogen werden. Reicht die Versorgungsmöglichkeit in der Krankenstation der Justizvollzugsanstalt nicht aus, ist die Gefangene in ein geeignetes Krankenhaus außerhalb zu verlegen (BT-Drucks. 7/3998, 30). 5. Soziale Hilfe und psychologische Betreuung. Soziale Hilfen und psychologi- 10 sche Betreuung fordert das Gesetz nicht ausdrücklich. Inhaftierung und Trennung vom gewohnten sozialen Umfeld, eine ungewollte Schwangerschaft oder sonstige Gründe erschweren es der Gefangenen u. U., sich auf das erwartete Kind einzustellen. Weiß die Gefangene zu wenig über die Schwangerschaft und die mit der Geburt verbundenen Vorgänge oder belastet sie ihre noch ungewisse Zukunft, so können psychologische Beratung und Therapie über die medizinische Versorgung hinaus angezeigt sein. 6. Schwangerschaftsabbruch. § 76 verweist nicht auf die Regelungen zur ärztli- 11 chen Beratung über Empfängnisverhütung und für Leistungen bei nicht rechtswidrigem Schwangerschaftsabbruch. Ist eine Schwangerschaftsunterbrechung medizinisch-sozial oder kriminologisch indiziert (§ 218 a Abs. 2 und 3 StGB; zu den Einzelheiten s. Fischer 2012, § 218 a Rdn. 20 ff), so sind die Kosten der medizinischen Behandlung und Krankenpflege nach §§ 58, 65 auch im Vollzug gedeckt. Im Anschluss an das erste Fristenregelungsurteil des BVerfG (NJW 1975, 573) und das ebenfalls verfassungswidrige 15. Strafrechtsänderungsgesetz vom 18.5.1976 (BGBl. I, 1213) waren u. a. die Leistungsansprüche bei nicht rechtswidriger Schwangerschaftsunterbrechung durch das Schwange749
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ren- und Familienhilfegesetz (SFHG) vom 27.7.1992 (BGBl. I, 1398) in § 24 b SGB V neu geregelt worden (vgl. dazu Bader NDV 1993, 457). Das BVerfG hat auch dieses neue Schwangerschaftsabbruchsrecht für teilweise verfassungswidrig erklärt (BVerfGE 88, 203 = NJW 1993, 1751). Als Folge dieses Urteils wurde das Schwangeren-Familienhilfeänderungsgesetz (SFHÄndG) verabschiedet (21.8.1995 – BGBl. I, 1050, Materialien dazu: BTDrucks. 13/1850, BR-Drucks. 390/95), das zum Teil am 1.10.1995 und in anderen Teilen am 1.1.1996 in Kraft trat (zu diesem Gesetz ablehnend s. Tröndle 1995, 3009 ff und Schnelle 1996, 78 ff; ergänzend s. BVerfGE 98, 265 = NJW 1999, 841, das von der bundesrechtlichen Regelung abweichende landesrechtliche Regelungen für verfassungswidrig erklärt hat; zur Entwicklung der Gesetzgebung, zur Bewertung und zu weiterführender Literatur s. statt aller Fischer vor § 218 ff Rdn. 6, 9 ff sowie § 218 a). Das Schwangerschaftsabbruchsrecht wurde dabei teilweise neu geregelt: Nach § 218 a Abs. 1 StGB entfällt unter bestimmten Voraussetzungen schon der Tatbestand des § 218 StGB, nach § 218 a Abs. 2 und 3 StGB entfällt die Rechtswidrigkeit, wenn eine medizinische oder kriminologische Indikation vorliegt (zu den Einzelheiten s. statt aller Fischer 2012 § 218 a m. w. N.). § 218 c StGB auferlegt dem Arzt, der den Abbruch vornimmt, besondere Berufspflichten. § 219 umschreibt die Inhalte des Beratungsgesprächs. Die Pflicht zur Schwangerschaftsberatung wurde verstärkt (vgl. § 5 Schwangerschaftskonfliktgesetz – SchKG vom 27.7.1992 – BGBl. I, 1398 i. d. F. des SFHÄndG, i. d. F. des Art. 1 Nr. 1 Gesetz vom 21.8.1995 – BGBl. I, 1050). Bei einem Schwangerschaftsabbruch nach § 218 a Abs. 1 StGB (Abbruch binnen 12 Wochen nach der Empfängnis sowie vorangegangene Beratung) sind von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung der Schwangerschaftsabbruch selbst und die medizinische Nachsorge bei komplikationslosem Verlauf ausgeschlossen (§ 24 b Abs. 4 SGB V). Ärztliche Leistungen im Vorfeld des Schwangerschaftsabbruchs (z. B. Beratungen) sowie die komplikationsbedingte Nachbehandlung fallen dagegen auch bei einem Schwangerschaftsabbruch nach § 218 a Abs. 1 StGB in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen (vgl. dazu § 73 Abs. 2 Nr. 11 SGB V; der Gemeinsame Bundesausschuss für Ärzte und Krankenkassen hat Richtlinien für diese Maßnahmen zu beschließen – Grundlage: § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 11 SGB V i. V. m. § 24 b; Richtlinie vom 10.12.1985 – BAnz Nr. 60 a, zul. g. am 13.9.2007 – BAnz Nr. 239, 8326). Besteht für die gesetzlichen Krankenkassen keine Leistungspflicht, so ist der Schwangerschaftsabbruch von der schwangeren Patientin grundsätzlich selbst zu tragen (Berechnungsgrundlage: Gebührenordnung für Ärzte = GOÄ). Sind einer Patientin die Kosten für eine privatärztliche Behandlung nicht zumutbar, hat die Schwangere einen Anspruch auf vollständige Behandlung nach dem sog. Sachleistungsprinzip. Bei der Krankenkasse ist die Kostenübernahme zu beantragen. Abzurechnen ist dabei nicht nach GOÄ, sondern auf der Basis des Einheitlichen Bewertungsmaßstabes für Ärzte = EBM-Ä (Grundlage: § 87 SGB V). Die Länder erstatten den Krankenkassen diese Kosten (§ 1–4 des Gesetzes zur Hilfe für Frauen bei Schwangerschaftsabbrüchen in besonderen Fällen – eingeführt zum 1.1.1996 durch Art. 5 des SFHÄndG; s. ergänzend § 21 b SGB I – neu eingeführt durch Art. 9 des SFHÄndG). Bei Schwangerschaftsabbrüchen nach § 218 a Abs. 1 und Abs. 2 StGB ist die Gefangene in eine Klinik außerhalb der Justizvollzugsanstalt zu verlegen (§ 65 Abs. 2). Zu den Sicherheitserwägungen siehe § 65 Rdn. 2 bis 6. 12
7. Entbindung. Nach Abs. 3 soll die Gefangene grundsätzlich außerhalb der Justizvollzugsanstalt entbinden (zurückhaltender die Europäischen Strafvollzugsgrundsätze 2006 in Nr. 34.3: „Den Gefangenen ist zu gestatten, außerhalb der Justizvollzugsanstalt zu entbinden“). Dadurch sollen eine bessere Versorgung gewährleistet und Komplikationen besser aufgefangen werden; schließlich ist der Stigmatisierung des Kindes wegen Steinhilper
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Leistungen bei Schwangerschaft und Mutterschaft
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seiner Geburt in einer Justizvollzugsanstalt vorzubeugen (BT-Drucks. 7/3998, 31; vgl. auch die Diskussion im SA. Prot. 2180/85, 2178). Anzahl der Geburten nach Angaben der Landesjustizverwaltungen: 1992 (34), 1993 (44), 1994 (33), 1995 (26), 1996 (27); BTDrucks. 13/9329. Das Gesetz selbst lässt eine Entbindung in einer Justizvollzugsanstalt ausnahms- 13 weise zu, wenn besondere Gründe vorliegen, z. B. wenn aus Sicherheits- oder anderen zwingenden Vollzugsgesichtspunkten eine Verlegung in eine Klinik außerhalb und die dort erforderliche Bewachung nicht oder nur mit erheblichen Kosten möglich sind (vgl. BT-Drucks. 7/3998, 31). Nach den Beratungen soll der Wunsch der Gefangenen, in der Anstalt zu entbinden, kein ausreichender Rechtfertigungsgrund für eine anstaltsinterne Geburt sein (Prot. S. 2184). Wird gleichwohl innerhalb der Anstalt entbunden, ist eine Hebamme und erforderlichenfalls ein Arzt hinzuzuziehen (Satz 2). Abs. 3 bedingt, dass der Justizvollzug geeignete Entbindungsstationen zur Verfü- 14 gung stellt (lediglich das JVK Fröndenberg verfügt über eine entsprechende Möglichkeit); sollen diese modernen medizinischen Erfordernissen genügen, sind sie sicherlich nicht ausgelastet, so dass der erhebliche personelle und sächliche Aufwand kaum gerechtfertigt ist. Auch aus praktischen Gründen wird es daher in der Regel bei der vom Gesetz angestrebten Entbindung in einem externen Krankenhaus bleiben. Selbst wenn mittlerweile bei Entbindungen in der Freiheit die sogenannte „Hausentbindung“ wieder propagiert wird, erscheint fraglich, ob diese bei den zusätzlichen Risiken inhaftierter Schwangerer (z. B. Alkohol- und Drogenabhängigkeit) angezeigt ist. Zu den Risiken für Mutter und Kind s. Weingart/Koubenec/Stauber ZfStrVo 1984, 271 ff und Stauber/Weingart/Koubenec Geburtshilfe und Frauenheilkunde 1984, 731 ff. Eine Unterbrechung der Strafe nach § 45 StVollstrO kommt in der Regel nicht in Betracht, da dessen Voraussetzungen von Abs. 2 und 3 nicht vorliegen. Auch Urlaub zur Entbindung am Heimatort erscheint fraglich, da eine Gefangene kaum für die Entbindungskosten selbst aufkommen kann (§ 60). Im Übrigen scheitert die Urlaubsgewährung an der Zeitgrenze des § 35 Abs. 1 (7 Tage). II. Landesgesetze und Musterentwurf 1. Baden-Württemberg. § 37 Abs. 1 und 2 JVollzGB III entsprechen § 76 Abs. 1 und 15 Abs. 2 StvollzG. Abs. 2 Satz 2 konkretisiert die ärztliche Betreuung während der Schwangerschaft; er lautet: „Die ärztliche Betreuung umfasst die Beratung der Schwangeren zur Bedeutung der Mundgesundheit für Mutter und Kind einschließlich des Zusammenhangs zwischen Ernährung und Krankheitsrisiko sowie der Einschätzung oder Bestimmung des Übertragungsrisikos von Karies.“ § 76 Abs. 3 findet sich weitgehend wortgleich in § 38 Abs. 1 JVollzGB III. 2. Bayern. Art. 82 BayStVollzG ist inhaltsgleich und weitgehend wortgleich mit § 76 16 StVollzG. 3. Hamburg. § 66 HmbStVollzG fasst den Regelungsgehalt der §§ 76, 77, 78 und 79 17 StVollzG zusammen und verweist auf die im HmbStVollzG enthaltenen Bestimmungen zu Art und Umfang der Leistungen, Kostenbeteiligung (§ 60), Überstellung, Verlegung zum Zweck der Behandlung (§ 63) sowie zu Behandlung während Lockerungen, freies Beschäftigungsverhältnis § 65). Die Vorschrift des § 76 StVollzG wird in § 66 Abs. 2 und Abs. 3 HmbStVollzG aufgenommen. Allerdings verzichtet der Gesetzgeber sowohl auf den Programmsatz in Abs. 1 der Bundesregelung als auch auf den Verweis auf die Vorschriften des Gesetzes zum 751
Steinhilper
§ 76
Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
Schutz der erwerbstätigen Mutter über die Gestaltung des Arbeitsplatzes. Diese gelten ohnehin für weibliche Gefangene gleichermaßen wie für Frauen in Freiheit. Abs. 1 ist inhalts- und weitgehend wortgleich mit § 76 Abs. 2 StVollzG; der Anspruch auf Arznei-, Verband- und Heilmittel, den das StVollzG in § 77 regelt, wird einbezogen. Abs. 1 lautet: „Weibliche Gefangene haben während der Schwangerschaft sowie bei und nach der Entbindung Anspruch auf ärztliche Betreuung und auf Hebammenhilfe in der Anstalt sowie auf die notwendigen Arznei-, Verband- und Heilmittel. Zur ärztlichen Betreuung gehören insbesondere Untersuchungen zur Feststellung der Schwangerschaft sowie Vorsorgeuntersuchungen einschließlich der laborärztlichen Untersuchungen.“ Abs. 2 entspricht § 76 Abs. 3 StVollzG. Der unbestimmte Hinweis auf eine Vollzugsanstalt mit Entbindungsabteilung wird konkretisiert durch das Zentralkrankenhaus der Untersuchungshaftanstalt. Die Bestimmung, dass bei der Entbindung Hilfe durch eine Hebamme und erforderlichenfalls durch einen Arzt gewährt wird, ist in Abs. 1 aufgenommen. Abs. 2 lautet: „Zur Entbindung sind weibliche Gefangene in ein Krankenhaus außerhalb des Vollzugs zu bringen. Ist dies aus besonderen Gründen nicht angezeigt, so ist die Entbindung im Zentralkrankenhaus der Untersuchungshaftanstalt vorzunehmen.“ 18
4. Hessen. Hessen hat keine § 76 StVollzG entsprechende Vorschrift. Es gelten die allgemeinen Gesundheitsvorschriften des § 24 HStvollzG (Medizinische Versorgung). Nach der Gesetzesbegründung sollen diese auch Leistungen bei Schwangerschaft und Mutterschaft enthalten, so dass es einer ausdrücklichen Aufnahme in den Gesetzestext nicht bedurfte. Nach Arloth § 24 Rdn. 1 kommt das Gewollte, auch wenn es nicht mit einer Änderung der Rechtslage verbunden ist, in den klareren Regelungen des Bundesgesetzgebers besser zum Ausdruck.
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5. Niedersachsen. § 71 NJVollzG trägt den Schutzpflichten des Art. 6 Abs. 4 GG zugunsten der Mutter und des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG zugunsten des Kindes Rechnung. Die Vorschrift fügt die Regelungen des § 77 StVollzG über die Versorgung mit Arznei-, Verband- und Heilmitteln ein. Abs. 1 ist inhalts- und weitgehend wortgleich mit § 76 Abs. 1 StVollzG. Aus systematischen Gründen wird der Regelungsgehalt des § 41 Abs. 1 Satz 3 StVollzG ergänzend an dieser Stelle übernommen. Durch die ausdrückliche Benennung der Vorschriften des Mutterschutzgesetzes über das Bestehen von Beschäftigungsverboten wird klargestellt, dass die im NJVollzG wie auch im Bundesgesetz verankerte Arbeitspflicht für werdende und stillende Mütter nicht gilt. Die im Mutterschutzgesetz vorgesehenen Leistungsansprüche sind für Gefangene ausgeschlossen. Abs. 1 lautet: „Bei einer Schwangeren oder einer Gefangenen, die unlängst entbunden hat, ist auf ihren Zustand Rücksicht zu nehmen. Die Vorschriften des Mutterschutzgesetzes über die Gestaltung des Arbeitsplatzes und des Bestehens von Beschäftigungsverboten gelten in Bezug auf die Arbeitspflicht entsprechend.“ Abs. 2 entspricht § 76 Abs. 2 StVollzG. Abs. 3 sieht gegenüber § 76 Abs. 3 StVollzG eine Entbindung ausschließlich in einem Krankenhaus außerhalb des Vollzugs vor, weil in Niedersachsen Anstalten mit einer Entbindungsabteilung nicht vorgesehen sind. Abs. 3 lautet: „Zur Entbindung ist die Schwangere in ein Krankenhaus außerhalb des Vollzuges zu bringen.“ Abs. 4 entspricht § 77 StVollzG. Er regelt die Versorgung mit Arznei-, Verband- und Heilmitteln. Abs. 5 ist inhaltsgleich mit § 78 StVollzG. Er verweist ergänzend auf die Regelungen der Reichsversicherungsordnung (§ 179 Nr. 3, §§ 195 ff RVO), die ihrerseits auf die VorSteinhilper
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Arznei-, Verband- und Heilmittel
§ 77
schriften des SGB V weiterverweisen. Keine Anwendung findet § 58 NJVollzG (Krankenbehandlung bei Urlaub oder Ausgang) für die Entbindung, weil diese nach Abs. 3 ohnehin nicht in einem Anstaltskrankenhaus stattfindet. Abs. 5 lautet: „Für Leistungen nach den Abs. 2 bis 4 gelten im Übrigen die Vorschriften der Reichsversicherungsordnung über Leistungen bei Schwangerschaft und Mutterschaft sowie die §§ 58, 60 und 63 entsprechend, § 58 jedoch nicht für die Entbindung.“ 6. Musterentwurf. Der Musterentwurf verzichtet – wie Hessen – auf eine § 76 20 StVollzG entsprechende Vorschrift. Nach der Begründung gehören zu den in § 62 MEStVollzG (Art und Umfang der medizinischen Leistungen, Kostenbeteiligung) geregelten medizinischen Leistungen auch solche bei Schwangerschaft und Mutterschaft. Hier gilt wie für das hessische Strafvollzugsgesetz, dass die bundesrechtliche Regelung das Gewollte übersichtlicher und klarer fasst.
§ 77 Arznei-, Verband- und Heilmittel § 77 Steinhilper Arznei-, Verband- und Heilmittel Bei Schwangerschaftsbeschwerden und im Zusammenhang mit der Entbindung werden Arznei-, Verband- und Heilmittel geleistet. Nach dieser Vorschrift hat die Gefangene bei Schwangerschaftsbeschwerden sowie 1 bei und nach der Entbindung Anspruch auf Arznei-, Verband- und Heilmittel wie eine Schwangere in Freiheit (s. §§ 31, 32 SGB V). Landesgesetze und Musterentwurf 1. Baden-Württemberg. Die Vorschrift des § 77 ist in § 37 Abs. 3 JVollzGB III aufge- 2 nommen. Sie ist wortgleich mit der bundesgesetzlichen Regelung. 3
2. Bayern. Art. 83 BayStVollzG entspricht § 77.
3. Hamburg. Die Vorschrift des § 77 ist in § 66 Abs. 1 Satz 1 HmbStVollzG aufge- 4 nommen. Satz 1 lautet: „Weibliche Gefangene haben während der Schwangerschaft sowie bei und nach der Entbindung Anspruch auf ärztliche Betreuung und auf Hebammenhilfe in der Anstalt sowie auf die notwendigen Arznei-, Verband- und Heilmittel.“ 4. Hessen. Das hessische Strafvollzugsgesetz hat keine § 77 entsprechende Rege- 5 lung aufgenommen. 5. Niedersachsen. Die Vorschrift ist von § 71 in Abs. 4 NJVollzG übernommen wor- 6 den. 6. Musterentwurf. Der Musterentwurf verzichtet wie Hessen auf eine § 77 entspre- 7 chende Bestimmung. Die Rechtsgrundlage für den Anspruch Schwangerer auf Arznei-, Verband- und Heilmittel findet sich in § 62 ME-StVollzG, der den allgemeinen Anspruch Gefangener auf medizinische Leistungen regelt.
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Steinhilper
§ 78
Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
§ 78 Art, Umfang und Ruhen der Leistungen bei Schwangerschaft und Mutterschaft § 78 Steinhilper Die §§ 60, 61, 62 a und 65 gelten für die Leistungen nach den §§ 76 und 77 entsprechend. Art, Umfang und Ruhen der Leistungen bei Schwangerschaft und Mutterschaft I. Erläuterungen § 78 wurde durch Art. 51 Gesundheitsreformgesetz vom 20.12.1988 (BGBl. I S. 2477) neu gefasst. Inhaltlich hat sich an der bisherigen Regelung nichts geändert. Für die Mutterschaftshilfe gelten die §§ 60 (Krankenbehandlung im Urlaub), 61 (Art und Umfang der Leistungen), 62 a (Ruhen der Ansprüche) und 65 (Verlegung) entsprechend. Mutterschaftsgeld, Erziehungsgeld und Pauschbetrag für sonstige Aufwendungen sind dagegen ausgeschlossen. Befindet sich eine Schwangere im Urlaub, kann ihr allerdings nicht zugemutet wer2 den, (lediglich) ärztliche Hilfe in der für sie zuständigen Vollzugsanstalt in Anspruch zu nehmen (AK-Bammann/Quensel 2006 Rdn. 1; zust. C/MD 2008). Zeichnen sich vor der Geburt medizinische Komplikationen ab, so ist die Gefangene nach § 76 Abs. 3, wonach die externe Entbindung die Regel sein soll, in ein Krankenhaus außerhalb der Justizvollzugsanstalt einzuweisen, damit sie dort durchgehend ärztlich betreut werden kann (AKBammann/Quensel 2006 Rdn. 4; C/MD 2008). Wird bei einer Gefangenen die Schwangerschaft nach § 218 Abs. 2 StGB unterbro3 chen, ist die Vollzugsbehörde nicht verpflichtet, die Kosten zu übernehmen (zum Abbruch nach § 218 a Abs. 1–3 StGB s. § 76 Rdn. 11). Es handelt sich weder um eine Behandlung zur Wiederherstellung der Gesundheit noch um eine Leistung im Rahmen der Mutterschaftshilfe. Zum Leistungsumfang der Schwangerschaft und Mutterschaft s. Junker 2011, 78 ff. 1
II. Landesgesetze und Musterentwurf 4
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1. Baden-Württemberg. Das JVollzGB hat keine entsprechende Regelung aufgenommen. 2. Bayern. Art. 84 BayStVollzG ist inhaltsgleich mit § 78. 3. Hamburg. Die Verweisungen des § 78 korrespondieren mit den Verweisungen des § 66 Abs. 3 HmbStVollzG. Dort wird auf die §§ 60 Abs. 1 (Art und Umfang der Leistungen, Kostenbeteiligung), 63 (Überstellung, Verlegung zum Zweck der Behandlung) und 65 (Behandlung während Lockerungen, freies Beschäftigungsverhältnis) hingewiesen. Die in diesen Vorschriften enthaltenen Regelungen sind inhaltsgleich mit den Regelungen des Bundesstrafvollzugsgesetzes. 4. Hessen. Das HStVollzG hat keine § 78 entsprechende Vorschrift.
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5. Niedersachsen. Die Vorschrift ist von § 71 NJVollzG in Abs. 5 übernommen worden.
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6. Musterentwurf. Der Musterentwurf sieht keine § 78 StVollzG entsprechende Vorschrift vor. Steinhilper
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§ 80
Mütter mit Kindern
§ 79 Geburtsanzeige In der Anzeige der Geburt an den Standesbeamten dürfen die Anstalt als Geburtsstätte des Kindes, das Verhältnis des Anzeigenden zur Anstalt und die Gefangenschaft der Mutter nicht vermerkt sein. I. Erläuterungen Da eine Gefangene regelmäßig in einem Krankenhaus außerhalb der Vollzugsanstalt 1 entbinden soll (s. § 76 Abs. 2), hat die Vorschrift keine große praktische Bedeutung (§ 76 Rdn. 9, 14). Soweit ausnahmsweise in der Vollzugsanstalt entbunden wird, darf das Leben eines Kindes nicht dadurch belastet werden, dass die Justizvollzugsanstalt als Geburtsort urkundlich festgehalten wird. Auch in allen anderen Urkunden und Bescheinigungen, die das Kind betreffen, ist zu vermeiden, dass die Geburtsstätte und die Gefangenschaft der Mutter erwähnt werden. Zu beachten ist diese Sorgfaltspflicht auch gegenüber kirchlichen Behörden (Taufurkunde). Nach AK-Weßels Rdn. 1 ist die Absicht des § 79 an Formalitäten orientiert. Nachteile, die durch Vermerke auf Urkunden entstehen können, würden folgenreicher eingeschätzt als mögliche schädliche Folgen für die Persönlichkeit des Kindes aufgrund der Prisonisierung. II. Landesgesetze und Musterentwurf 1. Baden-Württemberg. § 38 Abs. 2 JVollzGB III ist inhaltsgleich und nahezu wort- 2 gleich mit § 79. 2. Bayern. Art. 85 BayStVollzG ist inhaltsgleich und nahezu wortgleich mit § 79.
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3. Hamburg. Bis auf redaktionelle Anpassungen entspricht § 79 dem § 66 Abs. 4 4 HmbStVollzG. 4. Hessen. Das hessische Strafvollzugsgesetz hat keine § 79 entsprechende Rege- 5 lung. 5. Niedersachsen. § 72 NJVollzG ist inhaltsgleich und weitgehend wortgleich mit 6 § 79. 6. Musterentwurf. Der Musterentwurf hat die Vorschrift des § 79 nicht aufgegrif- 7 fen.
§ 80 Mütter mit Kindern § 80 Steinhilper Mütter mit Kindern (1) Ist das Kind einer Gefangenen noch nicht schulpflichtig, so kann es mit Zustimmung des Inhabers des Aufenthaltsbestimmungsrechts in der Vollzugsanstalt untergebracht werden, in der sich seine Mutter befindet, wenn dies seinem Wohl entspricht. Vor der Unterbringung ist das Jugendamt zu hören. (2) Die Unterbringung erfolgt auf Kosten des für das Kind Unterhaltspflichtigen. Von der Geltendmachung des Kostenersatzanspruchs kann abgesehen wer755
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§ 80
Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
den, wenn hierdurch die gemeinsame Unterbringung von Mutter und Kind gefährdet würde. Schrifttum Birtsch/Riemann/Rosenkranz Mütter und Kinder im Strafvollzug. Forschungsbericht des ISS, Frankfurt 1988; Birtsch/Rosenkranz (Hrsg.), Mütter und Kinder im Gefängnis, Weinheim 1988; Junker MutterKind-Einrichtungen im Strafvollzug. Eine bundesweite empirische Untersuchung zu den Rahmenbedingungen, Münster 2011; Maelicke Einrichtungen im Strafvollzug zwischen Resozialisierung der Mutter und Wohl des Kindes, in: ZfStrVo 1983, 144 ff; Rosenkranz/Riemann/Birtsch Gemeinsam inhaftiert, in: Neue Praxis 1987, 151 ff; Scheffler Inhaftierte Mütter – „Stiefkinder“ des Strafvollzugs? Erhalt familiärer Bindungen inhaftierter Frauen; in: BewHi 2009, Heft 1, 45 ff; Wester Die Prüfung des „Wohl des Kindes“ zur Unterbringung von Kindern mit ihren Müttern im Strafvollzug. Forschungsbericht des ISS, Frankfurt 1988.
I.
II.
Übersicht Allgemeine Hinweise ____ 1–3 1. Schädigungen durch Trennung ____ 1 2. Versorgung schulpflichtiger Kinder ____ 2 3. Koordination und Kooperation zwischen Justiz und Jugendhilfe ____ 3 Erläuterungen ____ 4–13 1. Freiwillige Leistung der Justizvollzugsanstalt ____ 4 2. Eingliederungshilfe für die Mutter ____ 5 3. Sorgeberechtigte Väter ____ 6 4. Wohl des Kindes ____ 7–11 a) Mitwirkung der Jugendämter ____ 8
III.
b) Prüfung anderer Unterbringungsmöglichkeiten ____ 9 c) Aufnahmekriterien ____ 10 d) Alter des Kindes ____ 11 5. Kosten ____ 12, 13 Landesgesetze und Musterentwurf ____ 14–19 1. Baden-Württemberg ____ 14 2. Bayern ____ 15 3. Hamburg ____ 16 4. Hessen ____ 17 5. Niedersachsen ____ 18 6. Musterentwurf ____ 19
I. Allgemeine Hinweise 1
1. Schädigungen durch Trennung. Nach § 80 können noch nicht schulpflichtige Kinder mit der Mutter in der Vollzugsanstalt untergebracht werden, wenn dies dem Wohle der betroffenen Kinder entspricht. Die Vorschrift zieht Konsequenzen aus der Erkenntnis, dass die Trennung eines Kindes in den ersten Lebensjahren von seiner ständigen Bezugsperson, in der Regel der Mutter, zu erheblichen Schädigungen in der Persönlichkeitsbildung und sozialen Entwicklung führt. Häufig stehen für Kinder inhaftierter Mütter keine weiteren Bezugspersonen zur Verfügung, so dass die Kinder sonst in Heimen oder Pflegestellen unterzubringen wären. Die Vorschrift ist positiv zu bewerten, soweit sie versucht, den familiären Lebenszusammenhang inhaftierter Frauen zu berücksichtigen und das Problem der Versorgung der Kinder abzumildern. Dies ist umso bedeutsamer, als mehr als die Hälfte der inhaftierten Frauen Kinder haben, die während der Haft versorgt werden müssen (zur Mutterschaft in Haft s. Scheffler 2009, 46 m. w. N.). Nach einer Stichtagserhebung in zwei Frauenanstalten (N = 411) waren 18% der Kinder unter 6, weitere 27% zwischen 6 und 13 Jahren (Birtsch/Rosenkranz 1988, 129). Die Vorschrift erfasst aber nur Kinder bis zum schulpflichtigen Alter und auch hier gilt es, in jedem Einzelfall die schädigenden Folgen einer Trennung von der Mutter und die Gefährdungen der Prisonisierung gegeneinander abzuwägen. Die Ergebnisse einer 4-jährigen empirischen Studie über die Entwicklung der Kinder in zwei Mutter-Kind-Heimen (Frankfurt am Main III und Schwäbisch Gmünd) des Instituts für Sozialarbeit und Sozialpädagogik (ISS) legen nahe, Kinder über 3 Jahre vorrangig außerhalb des (geschlossenen) Vollzugs unterzubringen, da ab diesem Alter die Gefahr emotionaler Störungen und von Verhaltensauffälligkeiten zunimmt (Birtsch/Riemann/Rosenkranz 1988, 427). Steinhilper
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Mütter mit Kindern
§ 80
2. Versorgung schulpflichtiger Kinder. Die Vorschrift löst nicht die Versorgung 2 schulpflichtiger Kinder inhaftierter Mütter. Deshalb sollten auch die Vollzugsbedingungen im Regelvollzug so gestaltet werden, dass inhaftierte Frauen den Kontakt zu ihren Kindern aufrechterhalten können. Um die Gefühlsbindung zwischen beiden zu sichern, sind regelmäßige Besuche für Mutter und Kind notwendig. Günstiger als Besuche in der Anstalt sind Besuche der Mütter in der Umgebung des Kindes. Um den täglichen Bezug zur Familie zu erhalten, ist der sog. Hausfrauenfreigang gut geeignet (vgl. Rdn. 10 vor § 76; zu den rechtlichen Aspekten und den Chancen und Grenzen des „Hausfrauenfreigangs“ s. Junker 2011, 129 ff), der allerdings nur in den seltenen Fällen der wohnortnahen Unterbringung in Betracht kommen kann. Insgesamt sind die strukturellen Voraussetzungen für eine Aufrechterhaltung des Kontakts zwischen inhaftierten Müttern und ihren Kindern eher ungünstig (Scheffler 2009, 47). 3. Koordination und Kooperation zwischen Justiz und Jugendhilfe. Trennung 3 von der Mutter oder gemeinsame Unterbringung in einem Mutter-Kind-Heim sind stets Kompromisse und nicht ohne Probleme. Nur für Säuglinge und Kleinstkinder ist die Unterbringung mit der Mutter im Mutter-Kind-Heim in den allermeisten Fällen eine zufriedenstellende Lösung. Als Konsequenz aus ihren Forschungsergebnissen fordern Birtsch/ Riemann/Rosenkranz eine durch Erlass der Landesjustizverwaltungen der Länder angeordnete obligatorische Beteiligung der Gerichtshilfe, um den familiären Lebenszusammenhang der angeklagten Frauen angemessen berücksichtigen zu können (1988, 414); auch sollte das Jugendamt bereits zu diesem Zeitpunkt zur Prüfung des Kindeswohls herangezogen werden. Nach Maelicke (1986, 33) wird die spezielle Problemlage von Mutter und Kind im Urteil zu wenig bedacht. Die Gefahren der Trennung wie auch die der möglichen Schädigung des Kindes bei gemeinsamer Unterbringung im Justizvollzug werden selten bei der richterlichen Entscheidungsfindung abgewogen, obwohl bei der Strafzumessung die Wirkungen für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft – und damit auch seiner Angehörigen – zu berücksichtigen sind. Gefordert werden daher neben einer verbesserten Koordination und Kooperation zwischen Justiz und Jugendhilfe die Entwicklung von ambulanten Alternativen zur Freiheitsentziehung, insbesondere vermehrte Strafaussetzung zur Bewährung, und die Einrichtung von Wohngruppen für unter Bewährung stehende Frauen und ihre Kinder, die dort von Bewährungshelfern in einem resozialisierungsfreundlichen und für die Entwicklung der Kinder günstigen Lebensraum betreut werden (Maelicke 1986, 34; Zolondek 2007, 69 ff). II. Erläuterungen 1. Freiwillige Leistung der Justizvollzugsanstalt. Das Kind kann nur mit Zustim- 4 mung des Inhabers des Aufenthaltsbestimmungsrechts aufgenommen werden; die Aufnahme ist keine gesetzliche Pflicht der Justizvollzugsanstalt, sondern eine freiwillige Leistung aufgrund der Ermächtigung nach § 80. Sie darf allein am Wohl des Kindes orientiert werden, von dem Schäden abgewendet werden sollen, die durch die Trennung von der Mutter entstehen würden (so auch Nr. 36.1 der Europäischen Strafvollzugsgrundsätze 2006). 2. Eingliederungshilfe für die Mutter. Darüber hinaus wollte der Gesetzgeber 5 durch Aufbau, Aufrechterhaltung und Pflege einer stabilen Mutter-Kind-Beziehung die Bedingungen für die Resozialisierung von inhaftierten Müttern verbessern (Integrationsgrundsatz s. § 3 Rdn. 13), die aus Trennung und Beziehungsstörungen resultierenden schädlichen Folgen für die Mutter abwenden (Gegensteuerungsgrundsatz; § 3 757
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Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
Rdn. 11, 12) und deren soziale Verantwortung für die Kinder stärken (Vollzugsziel § 2 Rdn. 10 ff). 6
3. Sorgeberechtigte Väter. Der Wortlaut des § 80 richtet sich an weibliche Gefangene. Im Lichte des Art. 3 GG (Gleichheitsgrundsatz) ergibt sich die Frage, ob eine Gefangene im Sinne des Gesetzes auch ein sorgeberechtigter Vater sein kann (ablehnend OLG Hamm NStZ 1983, 575; erfolglos auch eine Petition an den Deutschen Bundestag 1987; BT-Drucks. 11/528; in der Praxis wurde in einem Einzelfall (in Frankfurt-Preungesheim) jedoch so verfahren). Nach einer Entscheidung des BVerfG (27.2.1989 – 2 BvR 573/88) verstößt es nicht gegen Grundrechte, wenn das Zusammenleben von Vater und Kind in einer Justizvollzugsanstalt abgelehnt wird. Auf europäischer Ebene legitimieren die Europäischen Strafvollzugsgrundsätze (2006) die Unterbringung eines Kindes beim Vater im Vollzug (Junker 2011, 169). Eine gesetzliche Grundlage insoweit hat zwischenzeitlich Hessen als Landesgesetzgeber geschaffen: Die geschlechtsneutrale Formulierung in § 74 Abs. 1 HStVollzG eröffnet auch Vätern die Möglichkeit, gemeinsam mit ihren Kindern in einer Anstalt untergebracht zu werden (vgl. Rdn. 17). Im Übrigen haben auch einige Länder diesen Gedanken in ihren Jugendstrafvollzugsgesetzen aufgegriffen (so Brandenburg, Nordrhein-Westfalen und Sachsen); sie regeln ausdrücklich die gemeinsame Unterbringung von Vater und Kind, die nach Junker (2011, 30) praktisch derzeit allerdings nur in der JVA Waldheim (Sachsen) realisierbar ist.
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4. Wohl des Kindes. Ob die Aufnahme des Kindes in die Anstalt tatsächlich seinem Wohl dient und ihm nicht Schaden zufügt, bedarf in jedem Einzelfall einer sorgfältigen Prüfung, an der nach dem Gesetz auch das Jugendamt mitzuwirken hat (zu den einzubeziehenden Fragen s. Arloth 2011 Rdn. 2; zur Kostenfrage s. unten Rdn. 12, 13).
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a) Die Anhörungspflicht nach § 80 Abs. 1 Satz 2 betrifft die Frage, ob das Kind in eine Mutter-Kind-Einrichtung aufgenommen wird. Die Stellungnahme des für das Kind zuständigen Jugendamts muss neben der Prüfung der Mutter-Kind-Beziehung und der Unterbringungsmöglichkeiten außer der Justizvollzugsanstalt auch berücksichtigen, ob die Unterbringung in der Anstalt den Anforderungen des SGB VIII entspricht. Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Landesjugendämter und überörtlichen Erziehungsbehörden hat 1986 „Grundsätze für die Unterbringung von Kindern in Mutter-Kind-Abteilungen in Justizvollzugsanstalten“ vorgelegt (vgl. § 142 Rdn. 6). Danach kann die Unterbringung nur verantwortet werden, wenn die personellen, räumlichen und organisatorischen Bedingungen für eine sozialpädagogische Betreuung des Kindes gewährleistet sind. Das Wohl des Kindes ist jedoch nicht nur bei der Aufnahme, sondern regelmäßig auch während des Aufenthalts in der Mutter-Kind-Einrichtung zu prüfen. Dies ergibt sich aus der amtlichen Begründung des § 129 des Regierungsentwurfs zum Strafvollzugsgesetz (jetzt § 142), wonach § 85 Abs. 2 Nr. 6 SGB VIII unmittelbar auch für Mutter-Kind-Einrichtungen in Justizvollzugsanstalten gilt. Während für die Mitwirkung im Einzelfall (§ 80) das örtliche Jugendamt (am Heimatort des Kindes bzw. bei Eilentscheidungen am Ort der Anstalt) zuständig ist, so ist für die Aufsicht über die Einrichtung das Landesjugendamt zuständig (zum Schutze der Kinder; zur Aufsicht durch die Vollzugsbehörde s. § 142 Rdn. 4).
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b) Das für das Kind zuständige Jugendamt (§ 85 SGB VIII) hat zunächst zu prüfen, ob der Anspruch des Kindes auf Erziehung in der Zeit der Inhaftierung der Mutter nicht bereits von anderen Familienangehörigen voll erfüllt wird. Die Aufnahme in die Justizvollzugsanstalt ist nur dann zu befürworten, wenn nicht die Herausnahme aus der RestfamiSteinhilper
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Mütter mit Kindern
§ 80
lie als schwerwiegenderer Verlust zu bewerten ist als der zeitweilige Ausfall der Mutter als Bezugsperson. Unverantwortlich wäre es, das Kind einer Gefangenen, das bislang in einem Heim oder an einer Pflegestelle untergebracht war, keine Beziehung zu seiner Mutter hat und auch nach der Entlassung nicht bei seiner Mutter leben kann, für die Dauer der Strafverbüßung der Mutter aus seiner bisherigen Umgebung herauszunehmen oder das Kind einer Frau mit einer langen Strafdauer (z. B. lebenslängliche Freiheitsstrafe) zuerst an die Mutter zu gewöhnen, um ihm dann die Trennung zuzumuten. c) Neben dem Bericht des Jugendamts über die bisherige Entwicklung des Kindes 10 mit psychosozialer Diagnose muss vor Aufnahme in die Justizvollzugsanstalt nach den von einzelnen Landesjustizverwaltungen erlassenen Richtlinien ein ärztliches Attest über den allgemeinen Gesundheitszustand des Kindes, die Kostenübernahmeerklärung für den Tagespflegesatz durch den Träger der Jugendhilfemaßnahme und eine schriftliche Zustimmungserklärung des/der Personensorgeberechtigten für das Kind vorliegen. Grundsätzlich nicht aufgenommen werden Kinder mit erheblichen Organstörungen, die einer ständigen ärztlichen Überwachung bedürfen und Mütter, deren Gesundheitszustand befürchten lässt, dass sie nicht in der Lage sind, selbständig für ihre Kinder zu sorgen. Gegen eine Aufnahme spricht darüber hinaus, wenn die Mutter akut drogenabhängig ist oder sie vor ihrer Inhaftierung das Wohl des Kindes erheblich gefährdet hat (z. B. Kindesmisshandlung) und nicht zu erwarten ist, dass durch die in der konkreten Einrichtung vorhandenen sozialpädagogischen oder sozialtherapeutischen Maßnahmen positive Mutter-Kind-Beziehungen entwickelt werden können. d) Umstritten war bei den Beratungen der Strafvollzugskommission die Frage, bis zu 11 welchem Alter ein Kind in Mutter-Kind-Einrichtungen bleiben soll. Praxiserfahrungen und wissenschaftliche Erkenntnisse (Wester 1988, 80) sprechen dafür, dass Neugeborene auf jeden Fall bei der Mutter bleiben sollten, da das erste Lebensjahr für das Kind zum Aufbau seiner Beziehung zur Mutter von entscheidender Bedeutung ist. Für Kinder über 3 Jahre ist vorrangig nach externer Unterbringung zu suchen, da wegen der eingeschränkten Bewegungsfreiheit die Gefahr einer emotionalen Verunsicherung und der Entwicklung von Verhaltensstörungen steigt. Ist in diesem Alter eine Unterbringung im Vollzug unvermeidbar, sollte dies nur im Rahmen des offenen Vollzugs geschehen (Birtsch/Riemann/Rosenkranz 1988, 427, 428). Zwar ermöglicht der Gesetzgeber die Unterbringung von Kindern in Justizvollzugsanstalten bis zum schulpflichtigen Alter; tatsächlich gibt es jedoch nur drei Einrichtungen (in Fröndenberg/NRW, Frankfurt und Vechta), die Kinder aufnehmen, die beim voraussichtlichen Entlassungszeitpunkt der Mutter deutlich älter als 3 Jahre sind. Bei einer am Wohl des Kindes orientierten Abwägung der Unterbringungsdauer wird nur in seltenen Fällen und nur bei Aufnahme im offenen Vollzug der Verbleib des Kindes bis zu dem im Gesetz als Höchstalter genannten 6. Lebensjahr empfohlen werden können. 5. Kosten der Unterbringung. Abs. 2 stellt klar, dass der Unterhaltspflichtige die 12 Kosten der Unterbringung in der Justizvollzugsanstalt tragen muss (Satz 1); an dieser Kostenpflicht soll andererseits die dem Wohle des Kindes dienende Unterbringung nicht scheitern (Satz 2). In der Regel beantragt die Mutter als gesetzliche Vertreterin beim Jugendamt (als örtlichem Träger der Jugendhilfe; § 89 Abs. 1 i. V. mit § 69 Abs. 1 SGB VIII) Leistungen für sich und das Kind nach § 27 i. V.m. § 39 SGB VIII. Zunächst war strittig, ob Mutter-Kind-Einrichtungen (§§ 80, 142) der Jugendhilfe unterfallen (dazu grundlegend Wiesner NDV 1998, 227). Nach Ansicht des BVerwG (Grundsatzentscheidung: BVerwGE 117, 261 = DVBl 2003, 1003 = NJW 2003, 2399) sind Mutter-Kind-Einrichtungen nach § 142 759
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Einrichtungen der Jugendhilfe. Die Jugendämter müssen daher die Kosten für die Unterbringung des Kindes in der Mutter-Kind-Einrichtung und die Kosten der Erziehung tragen (zustimmend Jutzi Kostentragung bei gemeinsamer Unterbringung von Mutter und Kind in einer Justizvollzugsanstalt, DÖV, 2004, 26; inzwischen h. A.: Maelicke, H. 2004, 119; Zolondek 2007, 72; Arloth 2011 Rdn. 3; Laubenthal 2011 Rdn 684). Nach Auffassung des Gerichts gibt es kein Rangverhältnis zwischen den Jugendhilfevorschriften des SGB VIII und dem StVollzG. § 80 Abs. 2 sei keine abschließende spezialgesetzliche Kostenregelung. Dies gilt sowohl für die Unterbringungs- als auch für die Betreuungskosten. Begründen lässt sich dies auch aus den Gesetzesmaterialien (BT-Drucks. 7/918, 119), wonach durch Gesetz lediglich der Rückgriff auf den tatsächlichen Unterhaltspflichtigen gewährleistet, aber nicht die Hauptlast dem Strafvollzug oder der Jugendhilfe zugeordnet werden soll. Der Pflicht zur Kostentragung durch die Jugendämter steht nach Auffassung des BVerwG auch nicht entgegen, dass das Jugendamt bei der Aufnahme eines Kindes in eine Mutter-Kind-Einrichtung die Jugendhilfe nicht selbst durchführen darf. Ähnliche Auftragsfälle gibt es auch in anderen Bereichen (z. B. Förderung eines Kindes in Tagespflege, vgl. BVerwGE 102, 274 = NJW 1997, 2766). Die Zahlungen des Jugendamtes nach § 27 i. V. m. § 39 SGB VIII sind Vorleistungen, 13 für die der örtliche Träger zuständig ist (sog. Wohnort-Jugendamt). Das Jugendamt bemüht sich dann bei dem tatsächlichen Unterhaltspflichtigen um Erstattung (s. §§ 93, 94 SGB XII). Kann nur auf die Mutter als Unterhaltspflichtige zurückgegriffen werden (z. B. wenn der Kindesvater nicht bekannt ist), kann deren Vermögen oder regelmäßiges Einkommen (z. B. Kindergeld, Rente) für den Unterhalt in Anspruch genommen werden. Von der Kostenerstattung kann nach Abs. 2 Satz 2 abgesehen werden, wenn hierdurch die gemeinsame Unterbringung von Mutter und Kind gefährdet würde. Dieser Verzicht dürfte die Regel sein (vgl. C/MD 2008 Rdn. 3). III. Landesgesetze und Musterentwurf 14
1. Baden-Württemberg. § 10 JVollzGB I lehnt sich an § 80 StVollzG an. Abs. 1 ist inhaltsgleich mit § 80 Abs. 1 StVollzG, konkretisiert jedoch das Alter des nicht schulpflichtigen Kindes und setzt dieses – der gängigen Praxis folgend – auf drei Jahre bei Aufnahme in die Justizvollzugsanstalt fest. Abs. 2 entspricht zwar inhaltlich § 80 Abs. 2 StVollzG, stellt aber durch eine restriktivere Formulierung ausdrücklich klar, dass die Kosten für die Unterbringung des Kindes regelmäßig nicht vom Justizvollzug übernommen werden. Verzichtet wird auf den Hinweis der bundesgesetzlichen Regelung, dass vom Kostenersatzanspruch abgesehen werden kann, wenn durch die Geltendmachung die gemeinsame Unterbringung von Mutter und Kind gefährdet würde.
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2. Bayern. Art. 86 BayStVollzG regelt die Unterbringung von Müttern und Kindern und trägt (über die Regelung des § 80 StVollzG hinaus) auch den besonderen Bedürfnissen eines im Vollzug erkrankten Kindes einer Gefangenen Rechnung. Abs. 1 ist inhaltsgleich und nahezu wortgleich mit § 80 Abs. 1 StVollzG. Abs. 2 fügt in Satz 1 die Worte „einschließlich der Gesundheitsfürsorge“ ein, um klarzustellen, dass ein Kind regelmäßig nur dann aufgenommen wird, wenn seine Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung (oder eine anderweitige Absicherung) auf Kosten Unterhaltspflichtiger oder Dritter (einschließlich der Sozialbehörden) gewährleistet ist. Satz 2 entspricht § 80 Abs. 2 Satz 2 StVollzG. Abs. 2 lautet: „Die Unterbringung einschließlich der Gesundheitsfürsorge erfolgt auf Kosten der für das Kind unterhaltspflichtigen Person. Von der Geltendmachung des Kostenersatzanspruchs kann Steinhilper
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Mütter mit Kindern
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abgesehen werden, wenn hierdurch die gemeinsame Unterbringung von Mutter und Kind gefährdet würde“. Abs. 3 ist eine Ergänzung analog § 65 Abs. 2 StVollzG. Er regelt die Verlegung eines erkrankten Kindes in ein Krankenhaus außerhalb des Vollzuges. Abs. 3 lautet: „Kann die Krankheit eines nach Abs. 1 mit der Mutter in der Anstalt untergebrachten Kindes dort nicht erkannt oder behandelt werden, ist das Kind in eine Krankenhaus außerhalb des Vollzuges zu bringen. Soweit die Anwesenheit der Mutter medizinisch erforderlich ist und vollzugliche Gründe nicht entgegenstehen, ist auch die Mutter dorthin zu bringen.“ 3. Hamburg. § 21 HmbStVollzG entspricht in weiten Teilen § 80 StVollzG. Er regelt 16 im ersten Absatz die Voraussetzungen für die gemeinsame Unterbringung von Müttern und Kindern im Justizvollzug und im zweiten Absatz die Kostenfrage. Abs. 1 sieht vor, dass nur Kinder, die noch nicht fünf Jahre alt sind, in einer Anstalt untergebracht werden können, während das StVollzG von „nicht schulpflichtigen“ Kindern spricht. Die zurückhaltende Haltung des Gesetzgebers gegenüber der Unterbringung von Kindern im Justizvollzug wird auch deutlich durch die ergänzende Bestimmung, dass es keine Alternative zur gemeinsamen Unterbringung geben darf. Abs. 1 lautet: „Ist das Kind einer Gefangenen noch nicht fünf Jahre alt und gibt es keine Alternative, so kann es mit Zustimmung der Inhaber des Aufenhaltsbestimmungsrechts in der Anstalt untergebracht werden, in der sich seine Mutter befindet, wenn dies seinem Wohl entspricht. Vor der Unterbringung ist das Jugendamt zu hören.“ Abs. 2 ist bis auf die ergänzende Klarstellung, dass der für das Kind Unterhaltspflichtige neben den Kosten für die Unterbringung auch die Kosten für die Gesundheitsfürsorge zu tragen hat, wortgleich mit Abs. 2 StVollzG. Abs. 2 lautet: „Die Unterbringung einschl. der Gesundheitsfürsorge erfolgt auf Kosten der für das Kind Unterhaltspflichtigen. Von der Geltendmachung des Kostenersatzanspruchs kann abgesehen werden, wenn hierdurch die gemeinsame Unterbringung von Mutter und Kind gefährdet würde.“ 4. Hessen. § 74 Abs. 1 HStVollzG ist grundsätzlich inhaltsgleich mit § 80 Abs. 1 17 StVollzG. Die geschlechtsneutrale Formulierung („Kinder von Gefangenen“) eröffnet auch Vätern die gemeinsame Unterbringung mit ihren Kindern in einer Justizvollzugsanstalt. Diese Möglichkeit greift auch Abs. 3 auf; er lautet: „In geeigneten Anstalten sollen Einrichtungen vorgesehen werden, in denen Gefangene mit ihren Kindern untergebracht werden können.“ Abs. 2 ist wortgleich mit § 80 Abs. 2 StVollzG. 5. Niedersachsen. § 73 NJVollzG ist inhaltsgleich und weitgehend wortgleich mit 18 § 80 StVollzG. Abs. 1 ersetzt, neben geringfügigen redaktionellen Abweichungen, in Satz 1 das Wort „entspricht“ durch „dient“. Satz 1 lautet: „Ist das Kind einer Gefangenen noch nicht schulpflichtig, so kann es mit Zustimmung der aufenthaltsbestimmungsberechtigten Person in der Anstalt untergebracht werden, in der sich seine Mutter befindet, wenn dies seinem Wohle dient. Vor der Unterbringung ist das Jugendamt zu hören. Abs. 2 ist wortgleich mit § 80 Abs. 2 StVollzG. 6. Musterentwurf. § 14 ME-StVollzG ist weitgehend inhaltsgleich mit § 80 StVollzG. 19 Wie Baden-Württemberg begrenzt die Vorschrift in Abs. 1 das Alter des Kindes bei Aufnahme in die Anstalt auf drei Jahre. Da der Musterentwurf keine § 142 StvollzG entsprechende Regelung beinhaltet, spricht Abs. 1 von der Aufnahme in eine Anstalt, wenn bauliche Gegebenheiten dies zulassen und Sicherheitsgründe nicht entgegenstehen. Damit 761
Steinhilper
§ 81
Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
ist die Aufnahme eines Kindes im Justizvollzug nicht zwingend auf die Unterbringung in einer speziellen Mutter-Kind-Einrichtung beschränkt. Abs. 2 stellt klar, dass nur ausnahmsweise im Interesse des Kindeswohls auf die Geltendmachung des Kostenersatzanspruchs verzichtet werden soll. § 14 ME-StvollzG lautet: „(1) Ist das Kind einer Gefangenen noch nicht drei Jahre alt, kann es mit Zustimmung des Aufenthaltsberechtigten in der Anstalt untergebracht werden, wenn die baulichen Gegebenheiten dies zulassen und Sicherheitsgründe nicht entgegenstehen. Vor der Unterbringung ist das Jugendamt zu hören. (2) Die Unterbringung erfolgt auf Kosten der für das Kind Unterhaltspflichtigen. Von der Geltendmachung des Kostenersatzanspruchs kann ausnahmsweise abgesehen werden, wenn hierdurch die gemeinsame Unterbringung von Mutter und Kind gefährdet würde.“
ELFTER TITEL Sicherheit und Ordnung § 81 Grundsatz § 81 Ullenbruch Grundsatz (1) Das Verantwortungsbewusstsein des Gefangenen für ein geordnetes Zusammenleben in der Anstalt ist zu wecken und zu fördern. (2) Die Pflichten und Beschränkungen, die dem Gefangenen zur Aufrechterhaltung der Sicherheit oder Ordnung der Anstalt auferlegt werden, sind so zu wählen, dass sie in einem angemessenen Verhältnis zu ihrem Zweck stehen und den Gefangenen nicht mehr und nicht länger als notwendig beeinträchtigen. Schrifttum S. bei § 88.
I.
II.
III.
Übersicht Allgemeine Hinweise ____ 1–4 1. Notwendigkeit und Problematik von „Sicherheit und Ordnung“ ____ 1 2. Praktische Beurteilung ____ 2–4 Erläuterungen ____ 5–9 1. Selbstverantwortung (Abs. 1) ____ 5, 6 2. Subsidiarität ____ 7–9 Beispiele ____ 10, 11
IV.
Landesgesetze und Musterentwurf ____ 12–17 1. Baden-Württemberg ____ 12 2. Bayern ____ 13 3. Hamburg ____ 14 4. Hessen ____ 15 5. Niedersachsen ____ 16 6. Musterentwurf ____ 17
I. Allgemeine Hinweise 1
1. Notwendigkeit und Problematik von „Sicherheit und Ordnung“. Das Begriffspaar „Sicherheit und Ordnung“ ist belastet durch die Geschichte des Strafvollzuges, in der eine starke Reglementierung der Gefangenen als Ausdruck des auferlegten Strafübels gesehen und eine an illusorischen Vorstellungen ausgerichtete Ordnung als Garant der Sicherheit gegen Meuterei und Entweichung gewertet wurden. Dahinter trat die Erziehungs- und Resozialisierungsaufgabe zurück, soweit nicht überhaupt die Ansicht vertreten wurde, die Erzwingung einer starren Ordnung und Disziplin sei auch die beste Vorbereitung auf eine Bewährung in Freiheit. Zum pennsylvanischen System vgl. § 17 Rdn. 1. Ullenbruch
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Grundsatz
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Heute wird Resozialisierung als zentrale Aufgabe des Vollzuges der Freiheitsstrafe angesehen. Die Erkenntnis hat sich zudem durchgesetzt, dass einengende Sicherungsmaßnahmen und eine sterile Ordnung in der Anstalt den Zielen der Resozialisierung eher im Wege stehen. Maßnahmen der Sicherheit und Ordnung sind aber im Strafvollzug nicht zu vermeiden, weil anders das Zusammenleben vieler Menschen auf engem Raum nicht zu gewährleisten ist und die Notwendigkeit der Abwehr von Gefahren nicht übersehen werden kann. Die unerlässliche Verwirklichung von Sicherheit und Ordnung steht nicht selten zwangsläufig in Zielkonflikt zu Maßnahmen der Behandlung. (Zur Frage: Was ist eigentlich „Sicherheit“? vgl. Harst ZfStrVo 1981, 161; zur Kritik an der gesetzgeberischen Konzeption vgl. Baumann in: Schroeder/Zipf (Hrsg.) FS für Maurach zum 70. Geburtstag, Karlsruhe 1972, 561 ff; Baumann Sicherheit und Ordnung in Vollzugsanstalten? Tübingen 1972). Zu diesem Zielkonflikt auch § 2 Rdn. 8 f, 20. 2. Praktische Beurteilung. Zahlreiche vollzugliche Maßnahmen unterliegen den 2 Kriterien der Sicherheit und Ordnung: gemeinschaftliche Unterbringung (§ 17 Abs. 3 Nr. 3); Ausstattung des Haftraumes (§ 19 Abs. 2); Einkauf (§ 22 Abs. 2); Besuchsempfang (§ 24 Abs. 3, § 25, § 27, § 34 Abs. 1 Nr. 1); Schriftwechsel (§ 28 Abs. 2 Nr. 1); Paketempfang (§ 33 Abs. 1 Satz 4 u. Abs. 3); Teilnahme an religiösen und weltanschaulichen Veranstaltungen (§ 54 Abs. 3; § 55); Bezug von Zeitschriften (§ 68 Abs. 2 Satz 2); Hörfunk und Fernsehen (§ 69 Abs. 1 Satz 2, § 70 Abs. 2 Nr. 2); Besitz von Büchern und Gegenständen (§ 70 Abs. 2 Nr. 2). § 81 enthält eine Grundsatzregelung, die dem in § 2 Satz 1 normierten Vollzugsziel 3 (§ 2 Rdn. 12 ff) entspricht. Das Begriffspaar „Sicherheit und Ordnung“ stimmt daher nicht mehr mit dem traditionellen Verständnis von Sicherheit und Ordnung überein (BTDrucks. 7/3998, 31). Entsprechend dem Angleichungsgrundsatz in § 3 Abs. 1 (vgl. dort Rdn. 3 ff) soll das Leben in der Anstalt in erster Linie nicht von Zwangsmaßnahmen, sondern von der Einsicht des Gefangenen getragen sein. Die Erreichung des Vollzugsziels gebietet es auch, Konflikte im Vollzugsalltag nicht zu unterdrücken, sondern – jedenfalls wo das vertretbar ist – zu bearbeiten, auszutragen und als Chance, erträgliche Formen des Zusammenlebens einzuüben und zu lernen, zu nutzen. Die Vollzugsbehörde ist deshalb gehalten, zunächst mit geeigneten Maßnahmen auf das Verantwortungsgefühl und die Einsicht des Gefangenen einzuwirken, um ihn zu einem ordnungsgemäßen Verhalten zu veranlassen. Erst wenn ihr dies nicht gelingt und die Störungen nicht hinnehmbar erscheinen, soll sie von Ordnungsmaßnahmen Gebrauch machen dürfen. Maßnahmen, die mit den in § 2 bis § 4 niedergelegten Grundsätzen in Widerspruch stehen, können deshalb auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Wahrung von Sicherheit und Ordnung als zulässig angesehen werden (BTDrucks. 7/3998, 31). Zur Mitwirkung des Gefangenen § 4 Rdn. 2 ff und § 11 Rdn. 24. Die Begriffe „Sicherheit und Ordnung“ sind unbestimmte Rechtsbegriffe (§ 115 4 Rdn. 21), die keinen Beurteilungsspielraum zulassen, also von den Gerichten voll nachgeprüft werden können (C/MD 2008 Rdn. 4). Zum unbefugten Kontakt außenstehender Dritter mit Gefangenen vgl. § 115 OWiG. II. Erläuterungen 1. Selbstverantwortung (Abs. 1). Abs. 1 enthält den Grundsatz der Selbstverant- 5 wortung. Das bedeutet, dass primär das Verantwortungsbewusstsein des Gefangenen für ein geordnetes Zusammenleben in der Anstalt zu wecken und zu fördern ist. Dem entspricht der Grundsatz des § 4 Abs. 1, wonach die Bereitschaft des Gefangenen, an der Gestaltung seiner Behandlung und an der Erreichung des Vollzugsziels (Rdn. 3) mitzu763
Ullenbruch
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wirken, zu wecken und zu fördern ist (§ 4 Rdn. 2 ff). – In einer Vollzugsanstalt liegen die Schwierigkeiten für ein „geordnetes Zusammenleben“ u. a. darin, dass es sich um eine Zwangsgemeinschaft von Menschen mit unterschiedlichen Lebensgewohnheiten (z. B. Rauchen) und unterschiedlicher sozialer Herkunft handelt, die für längere oder kürzere Zeit auf verhältnismäßig engem Raum unter ungewöhnlichen Verhältnissen (Trennung von der Familie, Geschlechtertrennung) zusammenleben müssen. Nicht wenige hat ihre Entwicklung auch zu Lebensbewältigungstechniken verleitet, die einem erträglichen Zusammenleben störend im Wege stehen (Ungeduld, Rücksichtslosigkeit, Durchsetzen von Forderungen durch Gewalt oder Täuschung) (vgl. § 2 Rdn. 13). Dabei gibt es naturgemäß viel Konfliktstoff, insbesondere beim Zusammenleben in großen Anstalten mit Überbelegung und noch unzureichenden sanitären Anlagen (nicht nur in den sog. „neuen“ Bundesländern), schlechten Arbeitsbedingungen und unzureichender Personalausstattung. Gänzlich verfehlt erscheint es allerdings, unter ausdrücklicher Einbeziehung des Begriffspaares „Sicherheit und Ordnung“ letztlich sogar die zwangsweise Unterbringung eines Nichtrauchers in einem Dreimannhaftraum zusammen mit zwei Rauchern auch nur für möglicherweise gerechtfertigt zu erklären (so aber OLG Celle ZfStrVo 2005, 177; zum Problem der Einzelunterbringung vgl. bereits Ullenbruch Anm. zu OLG Celle in NStZ 1999, 429). 6 Die Maßstäbe dafür, wieweit sich überhaupt das Verantwortungsbewusstsein des Gefangenen bei dieser Sachlage wecken lässt, sind niedrig anzusetzen (AK-Feest/Köhne 2012 Rdn. 2; Grunau/Tiesler Rdn. 1). Diese an die Anstaltsleitung gerichtete Forderung lässt sich z. B. dadurch verwirklichen, dass die Gefangenen dazu angehalten werden, anstelle von Rechthaberei und tätlicher Auseinandersetzung Rücksichtnahme und Duldsamkeit zu üben. Förderung gemeinsamer Aktivitäten der Gefangenen und Einräumen von Mitspracherechten in dafür geeigneten Angelegenheiten tragen gleichfalls dazu bei, das Postulat in Abs. 1 zu erfüllen. Konflikte müssen in Wohn- und Behandlungsgruppen offen erörtert und in Zusammenarbeit mit den zuständigen Bediensteten gelöst werden. Das erfordert mehr Zeit, ist aber auch erfolgversprechender als die Anwendung von Sicherheits- oder Ordnungsmaßnahmen (C/MD 2008 Rdn. 3). Vgl. § 143 Rdn. 4. An die Bediensteten werden daher besondere Anforderungen gestellt. Neben der Bereitschaft, soziales Verhalten geduldig mit den Insassen einzuüben, dürfen sie auch die Gefahren einer negativen Subkultur (§ 3 Rdn. 12), in der gewalttätige Gefangene die anderen in übler Weise unterdrücken, nicht aus dem Auge verlieren. Das verbietet z. B. in der Regel in geschlossenen Anstalten (§ 141 Rdn. 16) die Gewährung von unüberwachter und unkontrollierter Gemeinschaft, von unstrukturierten und wechselnden Gefangenengruppen. Die Bedingungen für eine Erfüllung des gesetzlichen Auftrages sind im offenen Vollzug (§ 141 Rdn. 18) günstiger als im geschlossenen Vollzug, wo der Gefangene ohnehin durch Sicherheitsmaßnahmen mehr oder weniger eingeengt ist. Aber auch dort unterscheiden sich trotz des Angleichungsgrundsatzes in § 3 Abs. 1 (§ 3 Rdn. 3 ff) die Lebensverhältnisse in der Anstalt von denen in der Freiheit so erheblich, dass die Regeln für ein geordnetes Zusammenleben für beide Lebensbereiche nicht dieselben sein können. Zur Problematik des Tätowierens im Gefängnis vgl. AG Rosenheim NStZ 2009, 215 m. Anm. Rotthaus NStZ 2009, 199. Stets zu beachten ist im Übrigen die Gefahr, dass ein behandlungsorientierter Vollzug auch unter Hinweis auf § 81 Abs. 1 Züge einer sozialautoritären Verwaltung annimmt (zutreffend insoweit C/MD 2008 § 4 Rdn. 3). Dazu auch § 82 Rdn. 4. 7
2. Subsidiarität. Abs. 2 enthält den Grundsatz der Subsidiarität. Dies bedeutet, dass den Gefangenen dann, wenn durch Appell an das Verantwortungsbewusstsein (Rdn. 5) ein erträgliches Zusammenleben und die Sicherheit der Anstalt nicht erreichbar sind, Ullenbruch
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Grundsatz
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Pflichten und Beschränkungen zur Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung auferlegt werden dürfen, unter Umständen dann jedoch auch auferlegt werden müssen. Zuvor ist aber stets zu prüfen, ob der Zweck nicht durch Behandlungsmaßnahmen zu erreichen ist (BT-Drucks. 7/3998, 31). Zum Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vgl. LG Köln NStZ 1983, 431. Zur Gewährleistung effektiven (Eil-)Rechtsschutzes bei der Aufrechterhaltung von Maßnahmen über einen längeren Zeitraum BVerfG NStZ 1999, 428 = StV 1999, 551). Begrifflich ist die „Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung“ von dem „Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten“ (vgl. § 11 Abs. 2) zu unterscheiden. Während es dort um den spezialpräventiven Strafzweck der Sicherung (äußere Sicherheit = Sicherheit vor Entweichung und vor Begehung von Straftaten) geht (§ 11 Rdn. 16), betreffen die §§ 81 ff die Anstaltssicherheit (innere Sicherheit und Ordnung, vgl. K/S-Schöch 2002 § 8 Rdn. 2). Unter dem Begriff „Sicherheit“ ist hier zu verstehen: a) die äußere Sicherheit, welche die Abwendung der konkreten Gefahr für den Gewahrsam, d. h. für die Gewährleistung des Anstaltsaufenthaltes bedeutet (z. B. § 10 Abs. 1, § 11 Abs. 2, § 85, § 86 Abs. 1, § 88 Abs. 1 und Abs. 4, § 100 Abs. 1 Nr. 3, § 141 Abs. 2; vgl. auch die DSVollz, abgedruckt im Anhang, b) die innere Sicherheit, welche die Abwendung der Gefahr von Schäden für Personen (Gesundheitsbeschädigung, Selbstmord) oder Sachen bedeutet. Der Begriff der „Sicherheit der Anstalt“ umfasst alle in der JVA aufhältige Personen, also auch die Bediensteten. Das Verbot, dass Bedienstete einem Gefangenen keine Ausbruchswerkzeuge oder Waffen überlassen dürfen, dient gerade dem Schutz der übrigen Bediensteten, da vor allem sie den von diesen Gegenständen ausgehenden Gefahren ausgesetzt sind. Realisiert sich diese Gefahr (z. B. bei einer Überwältigung im Rahmen des Abrückens vom Hofgang), stehen den verletzten Bediensteten Amtshaftungsansprüche (§ 839 BGB) gegen das Land zu. Eigene Pflichtverletzungen der geschädigten Vollzugsangehörigen (z. B. bei der Durchsuchung des Gefangenen, des Haftraumes und seiner Sachen) sind ggf. nur in Gestalt des Mitverschuldens (§ 254 Abs. 1 BGB) zu berücksichtigen (BGH NJW 2005, 3357). Zum Begriff „Sicherheit“ vgl. auch Bungert NStZ 1988, 526 in krit. Anm. zu OLG Celle ZfStrVo 1987, 185 zur Frage, ob Einschmuggeln von Alkohol durch einen Verteidiger als bloße Ordnungswidrigkeit oder als Gefahr für die Sicherheit zu werten ist. Der Begriff „Ordnung“ bezeichnet die Voraussetzungen für ein geordnetes und menschenwürdiges Zusammenleben in der Anstalt (Prot., S. 1910). Zu berücksichtigen ist dabei, dass im Behandlungsvollzug das geordnete verantwortliche Zusammenleben gerade durch die Notwendigkeit und das Austragen von Konflikten gekennzeichnet ist und nicht jede Unbotmäßigkeit bereits einen Ordnungsverstoß darstellt (OLG Hamm FS 2011, 53; C/MD 2008 Rdn. 4). Die Maßnahmen müssen der Aufrechterhaltung der Sicherheit oder Ordnung der Anstalt dienen, und zwar bei Vorliegen einer konkreten Gefahr. Allgemeine Befürchtungen reichen nicht aus. Dabei können sich die Maßnahmen jedoch nur auf solche Störungen beziehen, die üblicherweise im Rahmen des Strafvollzuges auftreten können. Eine andere Beurteilung ergibt sich bei Gewalttätigkeiten gegen Sachen oder Personen, die durch eine psychische Krankheit bedingt sind (LG Arnsberg ZfStrVo 1982, 253). Pflichten zur Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung können dem Gefan- 8 genen durch das oder aufgrund des StVollzG auferlegt werden, so z. B. gesetzliche Pflichten gem. §§ 82, 83 oder Pflichten aufgrund der Hausordnung gem. § 161. Bei schuldhaftem Verstoß gegen diese Pflichten können gem. § 102 Abs. 1 Disziplinarmaßnahmen angeordnet werden (Rdn. 4 zu § 102). Unter „Beschränkungen“ sind die allgemeinen und besonderen Sicherungsmaßnahmen zu verstehen. Allgemeine Sicherungsmaßnahmen 765
Ullenbruch
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Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
sind Durchsuchung (§ 84), erkennungsdienstliche Maßnahmen (§ 86), sichere Unterbringung (§ 85) und Festnahmerecht (§ 87). Die besonderen Sicherungsmaßnahmen sind in § 88 abschließend genannt. Zur Frage, ob die Vollzugsbehörde bei der Wahl der Trennscheibe als Überwachungsmittel nach § 27 Abs. 1 Satz 1 (dazu § 27 Rdn. 14) in der sog. „Abschirmstation für Dealer“ der JVA Tegel den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet hat, vgl. KG NStZ 1984, 94. OLG Hamm (NStZ 1995, 55 = ZfStrVo 1995, 248) stellt klar, dass der Konsum von Drogen und Alkohol einen Pflichtenverstoß darstellt und es für eine Disziplinarmaßnahme jedenfalls nicht eines besonderen Verbots in einer Hausordnung bedarf (dazu auch § 82 Rdn. 3). Zum andauernden Arbeitsentzug vgl. OLG Koblenz NStZ 1989, 342 m. Anm. Rotthaus. Zur Frage der Verhältnismäßigkeit der Anordnung, Privatbesuche nur mit Trennscheibe durchzuführen vgl. OLG Hamm BlStV 4/5/ 1993, 5 sowie zur Verhältnismäßigkeit von Disziplinarmaßnahmen BVerfG NJW 1995, 383 = NStZ 1994, 300 und NJW 1995, 1016 = NStZ 1994, 357 (dazu auch § 82 Rdn. 3). Sicherungsmaßnahmen sind präventive Maßnahmen zur Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung und dienen der Gefahrenabwehr. Sie sind von Disziplinarmaßnahmen streng zu unterscheiden und dürfen auch nicht im Wege der Umgehung repressiv eingesetzt werden (K/S-Schöch 2002 Rdn. 3). Gem. § 4 Abs. 2 dürfen dem Gefangenen Beschränkungen seiner Freiheit, soweit 9 diese nicht im StVollzG geregelt sind, nur auferlegt werden, wenn sie zur Aufrechterhaltung der Sicherheit oder zur Abwendung einer schwerwiegenden Störung der Anstalt unerlässlich (§ 4 Rdn. 3; § 68 Rdn. 2) sind (Rdn. 20 ff zu § 4). Pflichten und Beschränkungen müssen in einem angemessenen Verhältnis zu ihrem Zweck stehen und dürfen den Gefangenen nicht mehr und nicht länger als notwendig beeinträchtigen (Verhältnismäßigkeitsprinzip und Übermaßverbot). Diese Grundsätze sind bei allen Maßnahmen der Sicherheit und Ordnung zu beachten (vgl. C/MD 2008 Rdn. 6). Für die Frage der Erlaubnis zum Besitz von gefährlichen Gegenständen folgt aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, dass die einem Gegenstand allgemein abstrakt zukommende Eignung, in einer die Sicherheit und Ordnung gefährdenden Weise eingesetzt zu werden, in Beziehung zu den Kontrollmitteln gesetzt werden muss, die der Anstalt zu Gebote stehen und von ihr im Rahmen einer ordnungsgemäßen Aufsicht angewendet werden – so BVerfG in ZfStrVo 1994, 369 zu einer Verfassungsbeschwerde wegen Versagung der Erlaubnis zum Kauf einer Schreibmaschine mit Diskettenlaufwerk und Speicher sowie eines Computers. Im Beschluss vom 10.2.1994 (ZfStrVo 1995, 50 = StV 1994, 432) weist das BVerfG darauf hin, dass der Entzug von mit Zustimmung der Anstalt im Besitz des Gefangenen befindlichen Gegenständen (hier eine gesteppte Tagesdecke, die sich angeblich als Versteck für Drogen oder Geld eignet) ihn wegen Verletzung des Vertrauensgrundsatzes in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG i. V. mit dem Rechtsstaatsprinzip verletzen kann. Zur Abwägung zwischen dem schutzwürdigen Vertrauen auf Fortbestand einer einmal eingeräumten Rechtsposition und dem Interesse des Allgemeinwohls beim Widerruf der Erlaubnis zum Besitz einer Stereoanlage mit Lautsprecherboxen vgl. BVerfG NStZ 1994, 100 und NStZ 1996, 252 m. Anm. Rotthaus. Zum Vertrauensschutz bei Widerruf und Rücknahme s. auch § 14, insbesbesondere Rdn. 11 ff. III. Beispiele 10
Die Vorenthaltung eines Rundfunkgerätes mit UKW-Teil, die einen Eingriff in das Grundrecht der Informationsfreiheit (Art. 5 GG) darstellt, ist zwar bei einer Gefährdung der Sicherheit der Anstalt zulässig. Ist die Gefahr aber besonders gering und bestehen weitere Möglichkeiten, ihr entgegenzuwirken und sie noch erheblich weiter zu vermindern, so gebieten es der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und die Verpflichtung, das Ullenbruch
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Grundsatz
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Leben im Vollzug soweit wie möglich den allgemeinen Lebensverhältnissen anzupassen (§ 3), auf den Eingriff zu verzichten (OLG Celle BlStV 6/1981, 8). Ein generelles Verbot des Kurzwellenempfangs ist mit Art. 5 GG unvereinbar. Lediglich in dem Bereich, in dem sich der sogenannte „Jedermann-Funk“ abspielt (26–28 MHz), kann aus Sicherheitsgründen ein generelles Verbot ausgesprochen werden, wobei bei der Festlegung des Frequenzbereiches auch die Möglichkeiten der Vertrimmung der handelsüblichen Geräte berücksichtigt werden können. Ein verbleibendes Risiko, das sich nur als eine allgemeine Befürchtung darstellt, ist zugunsten einer den allgemeinen Lebensverhältnissen angeglichenen Informationsmöglichkeit hinzunehmen (OLG Frankfurt 24.10.1980 – 3 Ws 600/80). Vgl. auch § 69 Rdn. 9; § 3 Rdn. 4. Zur Nutzung privater Fernsehgeräte – auch solcher mit Internetbrowser und Schnittstellen zur Datenübertragung – durch Strafgefangene vgl. OLG Naumburg – 1 Ws 70/11 m. Anm. Heckmann juris PR-ITR 21/2011 Anm. 6. Die Benutzung eines – von einem Rundfunkgerät getrennten oder darin eingebauten – Mikrofons kann die Ordnung in der Anstalt, nämlich das störungsfreie Zusammenleben, gefährden. Durch die Überlassung eines Mikrofons an Gefangene würde die Möglichkeit eröffnet, Gespräche Dritter ohne deren Wissen aufzuzeichnen, zu manipulieren und missbräuchlich zu verwenden (OLG Frankfurt LS BlStV 6/1981, 7). Eine Zimmerantenne für ein Radiogerät darf in einer Anstalt hohen Sicherheitsgrades untersagt werden (OLG Hamm LS BlStV 6/1986, 10), auch Lautsprecherboxen wegen ihrer Eignung zum Versteck (OLG Zweibrücken LS ZfStrVo 1986, 383) und des erheblichen Kontrollaufwandes (OLG Hamm ZfStrVo 1994, 311). Zum Widerruf der Besitzerlaubnis bei Lautsprecherboxen wegen Neubewertung des Sicherheitsaspektes vgl. OLG Hamm ZfStrVo 1993, 308; s. auch Rdn. 9 a. E. Jegliche Verwendung von Kassettenrecordern (z. B. auch zur Teilnahme an Fremdsprachen-Fernlehrgängen) hat nach Ansicht des OLG Zweibrücken ZfStrVo 1981, 124 (ebenso OLG Koblenz 29.3.1978 – 2 Vollz (Ws) 11/78 und LS BlStV 4/5 1987, 1 sowie OLG Karlsruhe MDR 1975, 72; OLG München ZfStrVo 1984, 127; für Untersuchungsgefangene vgl. OLG Düsseldorf NStZ 1984, 333) eine erhebliche Gefährdung der Sicherheit und Ordnung der Anstalt zur Folge. In dieser Allgemeinheit dürfte das unzutreffend sein, zumal dem Gefangenen auf diese Weise ein geeignetes Instrument zur Aus- oder Fortbildung genommen würde. Der Besitz eines Walkman, auch für Zwecke der Fortbildung, kann aus Sicherheitsgründen versagt werden (OLG Koblenz ZfStrVo 1988, 372); gleichfalls der ungenehmigte und unkontrollierte Gebrauch eines Funktelefons (LG Düsseldorf NStZ 1996, 376 B). Vgl. auch § 70 Rdn. 9. Zur Aushändigung eines CD-Players vgl. BVerfG ZfStrVo 1994, 376, OLG Zweibrücken NStZ 1989, 143 und OLG Frankfurt NStZ 1989, 343; zum Besitz eines Telespielgerätes vgl. BVerfG NStZ-RR 2002, 128 („Sony-Playstation“), OLG Celle BlStV 4/5/1994, 12, OLG Nürnberg NStZ-RR 2002, 191 und OLG Rostock ZfStrVo 2003, 56 = NStZ 2003, 594 M); zur Aushändigung eines Schallplattengerätes s. Vorauflage Rdn. 10. Die Benutzung bestimmter elektrischer Geräte (z. B. Tauchsieder, Höhensonne, Haartrockner) in Hafträumen kann aus Sicherheitsgründen grundsätzlich nicht gestattet werden (OLG Frankfurt ZfStrVo 1979, 186). Die Überlassung einer elektrischen Schreibmaschine gefährdet die Sicherheit der Anstalt, weil diese Maschine sich aufgrund ihrer Bauweise besonders gut zum Verbergen verbotener Gegenstände eignet und Kontrollen nicht zumutbar sind (OLG Hamm NStZ 1988, 200 und LS BlStV 1/1994, 4; anders OLG Frankfurt LS BlStV 1/1986, 6: Es kommt auf die Art der Maschine an). – Eine elektronische Schreibmaschine mit Datenspeicher stellt ein erhebliches Sicherheitsrisiko dar und gefährdet die Anstaltsordnung, da geheime Nachrichten gespeichert werden können (BVerfG NStZ-RR 1996, 252; OLG Celle 767
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§ 81
Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
NStZ 1989, 426 B; OLG Rostock ZfStrVo 1997, 172; LG Berlin LS BlStV 4/5/1993, 6 – für Untersuchungsgefangene vgl. OLG Düsseldorf NStZ 1986, 93). Auch ein elektronischer Grafikschreiber kann die Sicherheit der Anstalt gefährden (KG LS BlStV 6/1988, 5) sowie ein Epidiaskop (OLG Hamm ZfStrVo 1985, 189). Die Aushändigung einer elektrischen Kaffeemaschine darf in einer Anstalt mit erhöhtem Sicherheitsrisiko aus Sicherheitsgründen und wegen des nicht leistbaren Kontrollaufwandes versagt werden (LG Kleve LS BlStV 4/5/1986, 6; vgl. aber OLG Hamm NStZ 1990, 151 = ZfStrVo 1990, 304; OLG Celle StV 1994, 436: Missbrauchsmöglichkeit im Einzelfall ist zu prüfen; – für Untersuchungsgefangene vgl. OLG Düsseldorf NStZ 1986, 93). Bei computergesteuerten Geräten besteht wegen ihrer Eignung als Versteck und unzumutbaren Kontrollaufwandes eine Gefährdung von Sicherheit und Ordnung (OLG Nürnberg LS BlStV 2/1984, 6; vgl. auch LG Karlsruhe LS ZfStrVo 1986, 382: Vom Hersteller verplombte Kleinschachcomputer stellen ein besonderes Sicherheitsrisiko dar). Bei Computern ist auch eine gewisse Wahrscheinlichkeit für den Missbrauch durch andere Gefangene gegeben (OLG Hamm NStZ 1990, 304) sowie eine Gefährdung durch Dritte wegen der Möglichkeiten der Auswertung und Verknüpfung von gespeicherten Informationen (OLG Celle BlStV 4/5/1994, 12). Zum Besitz eines PC vgl. auch BVerfG ZfStrVo 1994, 369; für Untersuchungsgefangene vgl. OLG Hamm NStZ 1997, 566 mit Anm. Böttger und StV 1997, 197; zum Besitz eines Laptops für Untersuchungsgefangene vgl. OLG Hamm StV 1997, 199 m. Anm. Nibbeling. – In einer Anstalt mit hohem Sicherheitsgrad dürfen Quarzuhren vorenthalten werden, da sie leicht zu Sendegeräten umgebaut werden können (LG Arnsberg LS BlStV 3/1984, 7), ebenso programmierbare Taschenrechner (LG Regensburg 6.9.1983 – 3 StVK 257/82). – Zur Aushändigung von Schaltungsunterlagen für ein Handfunkgerät für ein Elektronik-Fernstudium vgl. LG Kleve LS ZfStrVo 1987, 308; zur Aushändigung einer Fernbedienung für ein Fernsehgerät vgl. OLG Hamm 7.3.1989 – 1 Vollz (Ws) 36/89. Die Benutzung einer Leselampe beurteilt sich allein nach § 19; bei der Ausübung des Ermessens nach § 19 Abs. 2 ist der Grad der drohenden Gefahr für die Übersichtlichkeit des Haftraumes oder die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt gegen das Interesse des Gefangenen und gegen den Angleichungsgrundsatz des § 3 Abs. 1 abzuwägen (OLG Celle NStZ 1981, 238; OLG Koblenz NStZ 1990, 360 = StV 1991, 360). Zum Widerruf der Erlaubnis zum Besitz einer Leselampe wegen Eignung als Versteck für Drogen OLG Zweibrücken ZfStrVo 1994, 175. Zur Abwägung der Interessen des Gefangenen an Besitz und Benutzung eines Keyboards zum Zwecke der Weiterbildung an einer Musikschule gegenüber dem Erfordernis der Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung vgl. BVerfG ZfStrVo 1994, 370 = StV 1996, 683. Für die Gewährung von Stromzufuhr während der Nacht kommen als Gesichtspunkte für die Ausübung des Ermessens in Betracht: einerseits das Interesse des Gefangenen sowie der Angleichungsgrundsatz, andererseits etwaige Gefahren für die Sicherheit und Ordnung der Anstalt, die vom nächtlichen Licht oder bei Steckdosen darüber hinaus auch vom Betreiben etwa vorhandener elektrischer Geräte oder Vorrichtungen ausgehen können (OLG Celle NStZ 1981, 238; OLG Hamm LS BlStV 2/1988, 5 und OLG Koblenz NStZ 1990, 360). Zum Anspruch auf Benutzung eigener Bettwäsche vgl. OLG Karlsruhe NStZ-RR 2001, 349. Vgl. hierzu § 19 Rdn. 3. Der Besitz eines Stoffaffen kann bei einem gefährlichen Gefangenen eine Gefährdung der Sicherheit und Ordnung der Anstalt darstellen, weil die Möglichkeit des Versteckens von Gegenständen besteht (LG Lüneburg 30.4.1979 – 17 StVK 215/79). Ist der Besitz einer Bratpfanne generell zugelassen, so kann die Anstalt den Gefangenen auf den Bezug beim Anstaltskaufmann verweisen und ihm die Einsendung einer von drei Bratpfannen aus dem eigenen Haushalt verwehren. In dem Stiel der Bratpfanne können Ullenbruch
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gefährliche Gegenstände (z. B. Rauschgift) eingeschmuggelt werden. Die Anstalt braucht sich nicht entgegenhalten zu lassen, sie könne die Bratpfanne auf derartige „Beigaben“ überprüfen (LG Hamburg 20.1.1978 – (98) Vollz 178/77). Auch eine Backhaube kann ein gefährlicher Gegenstand sein (OLG Celle BlStV 3/1992, 6). Zur Aushändigung eines Handkopiergerätes OLG Frankfurt LS BlStV 4/5/1993, 6. Das Tragen einer Anstecknadel in Form eines roten fünfzackigen Sterns (Symbol der RAF) kann wegen des Solidarisierungseffektes bei Mitgefangenen untersagt werden, aber auch wegen Gefährdung der Anstaltsordnung dadurch, dass sich Mitgefangene und Anstaltsbedienstete über die Benutzung eines solchen Symbols empören (OLG Frankfurt ZfStrVo 1982, 185). Dasselbe gilt für ein Abzeichen mit betont provokativem Hinweis auf die Nationalität des Trägers (OLG Hamburg NStZ 1988, 96). Bei der Empfangnahme eines Warenhauskataloges ist eine Sicherheitsgefährdung der Anstalt jedenfalls bei in Folien verschweißten Sendungen nicht erkennbar. Einer Ausuferung des Besitzes von Katalogen und des damit verbundenen Mehraufwandes bei der Kontrolle von Hafträumen kann ausreichend durch eine zahlenmäßige Beschränkung Rechnung getragen werden (OLG Karlsruhe NStZ-RR 2002, 315; vgl. dazu auch OLG Frankfurt ZfStrVo 1979, 187 und § 70 Rdn. 6). Wegen der Gefahr des Missbrauchs kann der Besitz von Scheckformularen allgemein untersagt werden (OLG Koblenz ZfStrVo 1994, 176 f = BlStV 1/1994, 6 und § 83 Rdn. 6). Die rechtliche Beratung von Gefangenen durch einen Mitgefangenen wie auch die Geschäftsbesorgung stellen eine empfindliche Störung der Anstaltsordnung dar, wenn dadurch unter den Gefangenen Autoritätsverhältnisse begründet werden, innerhalb derer die jeweils Abhängigen noch dazu vermögenswerte Entgelte zu leisten haben, welche im Sozialgefüge der Anstalt einen erheblichen Wert darstellen (OLG München ZfStrVo 1981, 380). Die gelegentliche Unterstützung von Gefangenen durch einen gewandteren Mitgefangenen stellt kaum eine (schwerwiegende) Störung der Ordnung der Anstalt dar, wohl aber dann, wenn die Hilfeleistung einen geschäftsmäßigen Umfang erreicht und nicht unentgeltlich geschieht (OLG Saarbrücken ZfStrVo 1982, 249; OLG Hamm NStZ 1982, 438). Die Versagung des Besitzes eines Weckers in Anstalten mit hohem Sicherheitsrisiko ist gerechtfertigt, weil der Weckmechanismus zum Bau eines Sprengsatzes benutzt werden kann (OLG Hamm BlStV 6/1982, 12). Zum Besitz eines Aktenkoffers OLG Celle ZfStrVo 1991, 123 f = NStZ 1991, 379 B und § 84 Rdn. 4. Vgl. auch § 70 Rdn. 9. Erhebliche Schwierigkeiten bei der Feststellung möglicherweise verborgener Gegenstände rechtfertigen es, das Einbringen von Gegenständen davon abhängig zu machen, dass diese direkt vom Fachhandel oder über Versandhäuser bezogen werden (z. B. Versagung der Zusendung von eigenem Schuhwerk an Gefangene der JVA Werl: LG Arnsberg BlStV 6/1981, 5; Nichtaushändigung eines Paketes mit Lebens- und Genussmitteln bei Untersuchungsgefangenen: OLG Frankfurt ZfStrVo 1981, 334; Zusendung von Kondomen: LG Lüneburg 27.7.1987 – 17 StVK 302/87; Nichtaushändigung von Blumentöpfen bei Drogenabhängigen: KG BlStV 1/1982, 5; Nichtaushändigung von Erbsenschoten und Petersilie als Futter für Papagei: OLG Hamm ZfStrVo 1994, 118 = JR 1995, 39 ff mit abl. Anm. Eisenberg; kein Einkauf und Besitz von Pfeffer (KG BlStV 4/5/1993, 5 = NStZ 1993, 380 B) oder sonstiger scharfer oder ätzender Gewürze in Pulverform (OLG Koblenz ZfStrVo 1992, 323 f = BlStV 4/1992, 1 zum Jugendstrafvollzug). Die Kriterien der Prüfung, inwieweit dem Gefangenen Pflichten und Beschränkun- 11 gen aufzuerlegen sind, können sich im Laufe der Zeit ändern, eine Folge des Angleichungsgrundsatzes. So wirkt sich etwa der allgemeine technische Fortschritt und der damit verbundene veränderte Lebensstandard auch auf das Leben in der Vollzugsanstalt aus (z. B. Benutzung des elektrischen Rasierapparates). Dadurch wird die Sicherheit und 769
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Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
Ordnung berührt, zu deren Aufrechterhaltung dann entsprechende Maßnahmen getroffen werden müssen (z. B. nur Aushändigung von durch Vermittlung der Anstalt eingekaufter Elektrorasierer, da zugesandte Geräte sich zur Nachrichtenübermittlung mittels eingebauter Mikrosender und zum Einschmuggeln von Betäubungsmitteln eignen: OLG Nürnberg BlStV 3/1977, 7). In geschlossenen Anstalten mit längerstrafigen Gefangenen werden z. B. eingebrachte Rundfunkgeräte vor Aushändigung fachtechnisch daraufhin überprüft, ob Manipulationen zum Zwecke missbräuchlicher Nachrichtenübermittlung oder Nachrichtenempfanges vorgenommen worden sind. Auch der allgemein zunehmende Betäubungsmittelkonsum erfordert in der Anstalt mehr und mehr gründliche Kontrollen und damit Beschränkungen für den einzelnen Gefangenen (vgl. Grunau/Tiesler Vorbem. zu § 81 Rdn. 6). Die Intensivierung von Freizeit- und Sportaktivitäten und die damit verbundene Zunahme der Bewegung und Zusammenballung einer Vielzahl von Gefangenen innerhalb der Anstalt kann gleichfalls zwangsläufig die Auferlegung von Pflichten und Beschränkungen zur Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung in der Anstalt zur Folge haben. Zur Frage des Rauchens in Gemeinschaftsfernsehräumen vgl. AK-Feest/ Köhne 2012 Rdn. 8. Zur Frage der Gefährdung der Sicherheit und Ordnung der Anstalt im Zusammenhang mit der Aushändigung von Zeitungen und Zeitschriften vgl. § 68 Abs. 2 (§ 68 Rdn. 11), von Gegenständen für die Freizeitgestaltung wie Büchern und Sportgeräten vgl. § 19 Abs. 2 (s. auch § 19 Rdn. 6, 7). Nach LG Bielefeld LS BlStV 1/1985, 8 sind Hanteln im besonderen Maße geeignet, Gewalt gegen Menschen und Sachen auszuüben. Nach LG Gießen LS BlStV 6/1985, 6 eignen sich Musikinstrumente, z. B. eine akustische Gitarre, zum Verstecken unerlaubter Gegenstände. Zu Widerruf und Rücknahme einmal erteilter Erlaubnisse s. Rdn. 9 a. E. und § 14, insbesondere Rdn. 11 ff. IV. Landesgesetze und Musterentwurf 12
1. Baden-Württemberg. § 61 JVollzGB III ist inhalts- und wortgleich mit § 81 StVollzG.
13
2. Bayern. Art. 87 BayStVollzG ist inhaltsgleich und weitgehend wortgleich mit § 81 StVollzG.
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3. Hamburg. § 68 HmbStVollzG ist wie folgt aufgebaut: Abs. 1 ist inhalts- und weitgehend wortgleich mit § 81 Abs. 2 StVollzG. In der Gesetzesbegründung heißt es hierzu: „Absatz 1 übernimmt wieder die Regelung des § 81 Absatz 2 StVollzG. Die Bestimmung betont die Geltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes für die Eingriffsrechte des gesamten zehnten Abschnitts“ (Bürgerschafts-Drucks. 19/2533, 58). Abs. 2 ist weitgehend inhaltsgleich mit § 82 StVollzG, sprachlich jedoch anders gefasst ist. (vgl. § 82 Rdn. 9).
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4. Hessen. § 45 HStVollzG ist wie folgt aufgebaut: Abs. 1 Satz 1 hat folgenden Wortlaut: „Sicherheit und Ordnung der Anstalt tragen maßgeblich zu einem an der Erfüllung des Eingliederungsauftrags ausgerichteten Anstaltsleben bei.“ Abs. 1 Satz 2 ist inhaltsgleich und weitgehend wortgleich mit § 81 Abs. 1 StVollzG. Abs. 2 Satz 1 ist inhaltsgleich und weitgehend wortgleich mit § 81 Abs. 2 StVollzG. Ullenbruch
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Abs. 2 Satz 2 und 3 lautet wie folgt: „Zur Gewährleistung von Sicherheit und Ordnung kann eine offene optische Überwachung der Gefangenen außerhalb der Hafträume mit technischen Hilfsmitteln erfolgen. § 34 Abs. 5 Satz 2 und 3 gilt entsprechend.“ In der Gesetzesbegründung heißt es hierzu: „Abs. 2 Satz 2 und 3 schafft eine Rechtsgrundlage für die Videoüberwachung in Gemeinschaftshafträumen und Fluren (Satz 2) sowie für die Videoaufzeichnung (Satz 3). Diese Maßnahmen können ein geeignetes Mittel sein, Übergriffe zwischen Gefangenen zu verhindern. […] Die Videoüberwachung […] stellt aber einen erheblichen Eingriff in das […] informationelle Selbstbestimmungsrecht dar. […] Es bedarf daher […] einer hinreichend bestimmten gesetzlichen Grundlage […] Diese wird hier geschaffen.“ (LT-Drucks. 18, 1396, 106). Abs. 3 bis Abs. 6 bezieht sich auf allgemeine Verhaltenspflichten (vgl. Kommentierung § 82). 5. Niedersachsen. § 74 NJVollzG ist inhaltsgleich und weitgehend wortgleich mit 16 § 81 Abs. 1 StVollzG. § 4 NJVollzG lautet wie folgt: „Von mehreren möglichen und geeigneten Maßnahmen ist diejenige zu treffen, die die Gefangene oder den Gefangenen oder die Sicherungsverwahrte oder den Sicherungsverwahrten voraussichtlich am wenigsten beeinträchtigt. Eine Maßnahme darf nicht zu einem Nachteil führen, der zu dem erstrebten Erfolg erkennbar außer Verhältnis steht. Sie ist nur so lange zulässig, bis ihr Zweck erreicht ist oder nicht mehr erreicht werden kann“. 6. Musterentwurf. § 72 ME-StVollzG ist die Grundsatznorm im Abschnitt „Sicher- 17 heit und Ordnung“. Er ist wie folgt aufgebaut: Abs. 1 hat folgenden Wortlaut: „Sicherheit und Ordnung der Anstalt bilden die Grundlage des auf die Erreichung des Vollzugsziels ausgerichteten Anstaltslebens und tragen dazu bei, dass in der Anstalt ein gewaltfreies Klima herrscht.“ In der ME-Begründung heißt es hierzu: „Absatz 1 macht deutlich, dass Sicherheit und Ordnung zwar zur Gewährleistung der erforderlichen äußeren und inneren Sicherheit notwendig sind und ein zivilisiertes, menschenwürdiges Zusammenleben der Gefangenen sicherstellen sollen, aber dienende Funktion haben. Die Wahrung der Sicherheit und Ordnung bildet den notwendigen Rahmen, um das Ziel der Eingliederung der Gefangenen mit vollzuglichen Mitteln zu erreichen. In diesem Sinne umfasst die äußere Sicherheit die sichere Unterbringung der Gefangenen, aber auch die Verhinderung und Abwehr von Angriffen auf die Anstalt von außen. Innere Sicherheit ist die Abwendung von Gefahren für Personen und Sachen in der Anstalt. Das betrifft nicht nur aus strafbarem Verhalten oder der Begehung von Ordnungswidrigkeiten herrührende Gefahren, sondern etwa auch die Gefahr der Selbstschädigung oder die Brandgefahr. Die Anstalt hat die Verpflichtung, durch geeignete Maßnahmen den Schutz der Gefangenen vor körperlichen Übergriffen durch andere Gefangene sicherzustellen.“ (ME-Begründung, 138). Abs. 2 ist inhaltsgleich und weitgehend wortgleich mit § 81 Abs. 2 StVollzG. Das „Verantwortungsbewusstsein“ der Gefangenen ist in § 81 Abs. 1 StVollzG als „Grundsatz“ verortet. § 73 Abs. 1 ME-StVollzG behandelt es als „allgemeine Verhaltenspflicht“ (vgl. Kommentierung § 82).
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§ 82 Verhaltensvorschriften § 82 Ullenbruch Verhaltensvorschriften (1) Der Gefangene hat sich nach der Tageseinteilung der Anstalt (Arbeitszeit, Freizeit, Ruhezeit) zu richten. Er darf durch sein Verhalten gegenüber Vollzugsbediensteten, Mitgefangenen und anderen Personen das geordnete Zusammenleben nicht stören. (2) Der Gefangene hat die Anordnungen der Vollzugsbediensteten zu befolgen, auch wenn er sich durch sie beschwert fühlt. Einen ihm zugewiesenen Bereich darf er nicht ohne Erlaubnis verlassen. (3) Seinen Haftraum und die ihm von der Anstalt überlassenen Sachen hat er in Ordnung zu halten und schonend zu behandeln. (4) Der Gefangene hat Umstände, die eine Gefahr für das Leben oder eine erhebliche Gefahr für die Gesundheit einer Person bedeuten, unverzüglich zu melden. Schrifttum S. bei § 88.
I. II.
Übersicht Allgemeine Hinweise ____ 1 Erläuterungen ____ 2–7 1. Einhaltung der Tageszeit ____ 2 2. Geordnetes Zusammenleben ____ 3 3. Gehorsamspflicht ____ 4 4. Platzgebundenheit ____ 5 5. Pflege des Haftraumes ____ 6 6. Meldepflicht ____ 7
III.
Landesgesetze und Musterentwurf ____ 8–13 1. Baden-Württemberg ____ 8 2. Bayern ____ 9 3. Hamburg ____ 10 4. Hessen ____ 11 5. Niedersachsen ____ 12 6. Musterentwurf ____ 13
I. Allgemeine Hinweise 1
Die Vorschrift nennt sechs Pflichten für den Gefangenen: Sich nach der Tageseinteilung richten! Andere nicht stören! Anordnungen Folge leisten! Den zugewiesenen Bereich nicht verlassen! Haftraum und Sachen in Ordnung halten! Besondere Gefahren melden! Verhaltensvorschriften finden sich auch an anderen Stellen des Gesetzes, so in § 41 Abs. 1 Satz 1 (Arbeitspflicht), § 56 Abs. 2 (Pflicht zur Gesundheitsfürsorge), § 83 Abs. 1 (Verbot des unerlaubten Besitzes von Sachen). Schuldhafte Pflichtverletzungen können gemäß § 102 Abs. 1 disziplinarisch geahndet werden. Zu den mittlerweile auch in den meisten Landesgesetzen zum Jugendstrafvollzug enthaltenen Verhaltensvorschriften zur Bewahrung von Sicherheit und Ordnung informativ Eisenberg NStZ 2008, 250. 1. 2. 3. 4. 5. 6.
II. Erläuterungen 2
1. Einhaltung der Tageszeit. Die in Abs. 1 Satz 1 bezeichnete Pflicht, sich nach der Tageseinteilung der Anstalt zu richten, setzt voraus, dass die Tageszeiten (Arbeitszeit, Freizeit, Ruhezeit) – meist geschieht das in der Hausordnung gemäß § 161 Abs. 2 Nr. 2 – Ullenbruch
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festgesetzt sind. Von praktischer Bedeutung ist besonders die Festsetzung der Arbeitszeit, aus der sich die Pflicht ergibt, täglich pünktlich am Arbeitsplatz zu erscheinen und diesen nicht vorzeitig zu verlassen. Der Beginn der Ruhezeit fällt meist mit dem allgemeinen Einschluss des Gefangenen in seinen Haftraum und für die Bediensteten mit dem Wechsel vom Spät- zum – meist schwächer besetzten – Nachtdienst zusammen. Für die Gefangenen ergibt sich daraus die Pflicht, die Ruhezeit nicht durch Lärm zu stören. – Ruhezeit bedeutet nicht, dass ein Gefangener während dieser Zeit in seinem Haftraum kein Licht haben und nicht lesen darf (OLG Celle NStZ 1981, 238; s. auch § 18 Rdn. 3). 2. Geordnetes Zusammenleben. Nach Abs. 1 Satz 2 darf der Gefangene durch sein 3 Verhalten gegenüber anderen das geordnete Zusammenleben (vgl. § 81 Abs. 1; dort Rdn. 5 f) nicht stören. Ihm wird dadurch eine Pflicht zur Rücksichtnahme auf alle Personen, mit denen er in der Anstalt zusammenkommt (Mitgefangene, Bedienstete, ehrenamtliche Mitarbeiter, Besucher), auferlegt, der er allerdings nur nachkommen kann, wenn auch die anderen (Mitgefangene wie Bedienstete) ihm gegenüber Rücksichtnahme zeigen. „Andere Person“ kann nur sein, wer sich in der Anstalt aufhält, in der sich auch der Gefangene befindet. Schutzgut der Vorschrift ist das geordnete Zusammenleben in einer einzelnen Anstalt, nicht etwa innerhalb des gesamten Justizvollzuges. Deshalb verstößt z. B. ein Gefangener, der nach Verlegung in eine andere Anstalt aus dieser einen Brief beleidigenden Inhaltes an die Psychologin der Voranstalt schreibt – unbeschadet der strafrechtlichen Beurteilung – nicht gegen Abs. 1 Satz 2 (zu weitgehend Arloth 2011 Rdn. 3: Vorgesetzte und Arbeitskollegen im Freigang). Zum Kern des Begriffs „Stören“ gehört es, dass die „Störung“ von dem „Störer“ im weitesten Wortsinne ausgeht. Daran fehlt es z. B., wenn ein Strafgefangener, der von einem Bediensteten grundlos in schwerer Weise beleidigt wird, sich darauf beschränkt, auf der Stelle mit Beleidigungen zu reagieren (LG Berlin BlStV 6/1980, 8; wie hier Arloth 2011 Rdn. 3; vgl. auch § 102 Rdn. 8). Als Störung für alltägliche Vollzugsabläufe sieht OLG Frankfurt (LS BlStV 2/1984, 6) an, wenn einzelne Gefangene in mangelhafter oder unhygienischer Kleidung bei der Essenausgabe auf den Flur der Station treten. Zur Störung des geordneten Zusammenlebens durch aktive parteipolitische Tätigkeit vgl. LG Regensburg NStZ 1986, 478; hierzu krit. AK-Feest/Köhne 2012 Rdn. 7. Wird in der Hausordnung der Anstalt bestimmt, dass der Strafgefangene seine Anträge und Eingaben selbst zu schreiben hat (wobei ihm im Bedarfsfalle durch Abteilungsbeamte oder Mitarbeiter des allgemeinen Vollzugsdienstes Schreibhilfe geleistet werden soll) und dass die geschäftsmäßige (auch unentgeltliche) Rechtsdienstleistung für andere Strafgefangene gegen das Rechtsdienstleistungsgesetz verstößt, so bedeutet dies, dass eine unerlaubte geschäftsmäßige (hier: Gegenleistung in Form von Lebensmitteln, Tabak, Briefmarken) Rechtsdienstleistung für andere Strafgefangene eine Störung des geordneten Zusammenlebens in der Anstalt gemäß Abs. 1 Satz 2 darstellt und Disziplinarmaßnahmen nach sich zieht (BVerfG NStZ 1998, 103; C/MD 2008 Rdn. 2). Der entscheidungserhebliche Sachverhalt ist jedoch stets zureichend aufzuklären. Erforderlich sind Tatsachenfeststellungen, die eine Subsumtion unter den Begriff der Rechtsdienstleistung i. S. des Rechtsdienstleistungsgesetzes und unter die dort aufgestellten Kriterien für deren Zulässigkeit (§§ 3 ff des Rechtsdienstleistungsgesetzes) erlauben. Auf den Erhalt von Gegenleistungen für die geleistete Beratung kommt es insoweit nicht an. Andererseits kann Gefangenen nicht jede Gegenseitigkeitsbeziehung und damit jede Form des normalen menschlichen Miteinanders als ordnungsstörend verboten sein. Wendet der Betroffene konkret ein, er habe Mitgefangene nur dergestalt unterstützt, dass er von diesen vorbereitete Schreiben durchgesehen und in ordentliches Deutsch übertragen habe, deren gelegentliche Abgabe von Kaffee oder Tabak sei jedoch nicht „direkt für die Hilfe“ 773
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geschehen, so bedarf es einer konkreten Auseinandersetzung mit der Frage, ob dem so war und wenn ja, inwiefern nach dem konkreten Charakter dieses Verhältnisses die Gegenseitigkeitsbeziehung tatsächlich ordnungsstörende Abhängigkeitsverhältnisse begründet. Die Verhängung einer Disziplinarmaßnahme auf der Grundlage eines bloßen Verdachts stellt einen Verstoß gegen den Schuldgrundsatz dar (BVerfG StraFo 2007, 24). Jedenfalls bloße kameradschaftliche Schreibhilfe durch einen Mithäftling für eine Strafanzeige – z. B. an den Generalbundesanwalt – verstößt weder gegen § 82 Abs. 1 Satz 2 StVollzG noch gegen Art. 88 Abs. 1 Satz 2 BayStVollzG (BVerfG NJW 2011, 2348 LS). Gegenüber einem Strafgefangenen darf bei konkretem Anlass die Abgabe von Urinproben zum Nachweis eines eventuell vorangegangenen Drogenkonsums angeordnet werden. Die Weigerung einer solchen Anordnung Folge zu leisten, kann gem. § 102 Abs. 1 i. V. m. § 82 Abs. 1 disziplinarisch geahndet werden. Insbesondere steht der Anordnung nicht das Verbot des Zwangs zur Selbstbezichtigung (Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG) entgegen. Zur Anordnung einer Urinkontrolle gegenüber einem Untersuchungsgefangenen vgl. BVerfG NStZ 2008, 292; zur Rechtmäßigkeit eines aus Anlass eines positiven Testergebnisses durchgeführten Disziplinarverfahrens vgl. Gericke StV 2003, 305 und Pollähne StV 2007, 89. Die meisten bislang in Kraft getretenen Landesgesetze enthalten weitgehende Regelungen zur Feststellung von Suchtmittelkonsum (vgl. Art. 88 BayStVollzG, 72 HmbStVollzG, 76 ME-StVollzG; siehe dazu Rdn. 8 ff). Im Übrigen hatte bereits das OLG Hamm NStZ 1995, 55 f = ZfStrVo 1995, 248 mit Recht auch im nachgewiesenen Konsum von Drogen, Alkohol und anderen Rauschmitteln eine Beeinträchtigung des geordneten Zusammenlebens in der Anstalt und somit einen Verstoß gegen Abs. 1 Satz 2 gesehen. Eines besonderen anstaltsinternen Verbots durch Hausordnung oder Hausverfügung bedarf es folglich nicht (anders wohl noch OLG Hamm ZfStrVo 1989, 314). Ein generelles (und grundsätzlich disziplinarisch sanktionierbares) Alkoholverbot ist zumindest im Bereich des geschlossenen Vollzuges nicht nur recht-, insbesondere verhältnismäßig, sondern aus Behandlungs- und Sicherheitsgründen geradezu geboten, sollte allerdings zur Klarstellung in der Hausordnung deutlich sichtbar ausgewiesen werden. Zum einen könnte auch bei einer kontrollierten Abgabe oder kontrolliertem Erwerb von Alkohol aufgrund der Unüberwachbarkeit des so verursachten Alkoholumlaufes die damit verbundene Gefährdung alkoholkranker Gefangener nicht ausgeschlossen werden. Die Erfahrungen davon abweichender Praxis in anderen Ländern können aufgrund der kulturellen Unterschiede im gesamtgesellschaftlichen Umgang mit der Droge Alkohol und der im jeweiligen Vollzug eingeräumten Freiheiten nicht unbesehen übertragen werden. Zum anderen besteht die Gefahr, dass bereits der Konsum geringer Mengen Alkohols aufgrund der grundsätzlichen Abstinenz und der Persönlichkeitsstruktur eines Teils der Gefangenenpopulation in besonderem Maße zur Enthemmung und Gewaltbereitschaft gegenüber Bediensteten und Mitgefangenen führen kann. Zu Recht hat deshalb das OLG Nürnberg (NStZ 1993, 512) bereits den Nachweis eines einzigen Schluckes Alkohols ungeklärter Herkunft in einer Langstrafenanstalt als Verstoß gegen Abs. 1 Satz 2 gewertet (bestätigt von BVerfG NJW 1994, 1339 = NStZ 1993, 605, allerdings unter Verneinung der Verhältnismäßigkeit der Anordnung von Arrest ohne Hinzutreten weiterer erschwerender Umstände). Nicht jede beleidigende Äußerung eines Gefangenen gegenüber einem Bediensteten stellt auch einen (schuldhaften) Verstoß gegen Abs. 1 Satz 2 dar (dazu auch § 31 Rdn. 17). Das BVerfG hat wiederholt klargestellt, dass auch Gefangene den Schutz des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG, allerdings gemäß Abs. 2 nur im Rahmen der allgemeinen Gesetze, die wiederum im Lichte des von ihm eingeschränkten Grundrechtes auszulegen sind, genießen (BVerfG NJW 1995, 383 = NStZ 1994, 300 und NJW 1995, 1016 = NStZ 1994, 357). Dabei sei zunächst zu berücksichtigen, dass das Recht der persönlichen Ehre – neben Ullenbruch
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zivilrechtlichen Ansprüchen – primär durch die §§ 185 ff StGB geschützt werde. Eigentlicher Zweck des § 82 Abs. 1 Satz 2 (und des § 102 Abs. 1) sei hingegen die Sicherung der Voraussetzungen eines auf die Ziele des § 2 StVollzG gerichteten Vollzuges, der wiederum aufgrund der ohnehin in vielfacher Hinsicht eingeschränkten Freiheitsräume und der fast unausweichlich auftretenden Spannungen wenigstens in verbaler Hinsicht die Belassung eines möglichst weiten Spielraumes gebiete. Dem BVerfG ist insoweit zuzustimmen, als die ihm unterbreiteten Sachverhalte jeweils den Verdacht der Anordnung einer unverhältnismäßig harten Disziplinarmaßnahme nahegelegt haben (sieben Tage Arrest und Entzug des täglichen Aufenthaltes im Freien wegen der Äußerung „Seien Sie nicht so vorlaut, Sie hochnäsiger Tropf“ eines gerade in anderer Sache im Arrest befindlichen Gefangenen gegenüber einem Bediensteten, der ihm eine ablehnende Entscheidung des BVerfG aushändigte bzw. zehn Tage Arrest, sieben Tage Entzug des täglichen Aufenthaltes im Freien u. a. wegen schriftlicher Äußerungen wie „hirnverbrannte Kommentare“, „pervers“ u. a. eines Gefangenen in einer Dienstaufsichtsbeschwerde an das Bayerische Staatsministerium der Justiz). Auch ist richtig, dass das Recht auf freie Meinungsäußerung des Gefangenen gegen die Belange des geordneten Zusammenlebens in der Anstalt erst auf der Grundlage einer sorgfältigen Aufklärung, in welchem Zusammenhang und aus welchem Anlass die beanstandeten Äußerungen gemacht worden sind, abgewogen werden kann. Problematisch ist jedoch, dass die Entscheidungen des BVerfG insoweit missverstanden werden könnten, als dass auch ein Verhalten eines Gefangenen, das später rechtskräftig als Beleidigung eines Bediensteten festgestellt wird, nicht zwangsläufig auch einen „Störfaktor“ i. S. d. Abs. 1 Satz 2 darstellt, weil die Bediensteten es aus übergeordneten Gesichtspunkten hinzunehmen hätten, dass der Vollzug einem Gefangenen unter Umständen den „Spielraum“ für derartige Straftaten (zu ihren Lasten) einräumen müsse. Eine derartige Sichtweise wäre nicht nur für die Schaffung eines Behandlungsklimas fatal. Es bleibt deshalb zu hoffen, dass das BVerfG bei nächster Gelegenheit seinen Standpunkt auch insoweit „klarstellen“ wird. Umgekehrt ist unbestritten, dass Beleidigungen, die in einem Freiraum fallen, der ihre Qualifizierung als strafrechtlich relevante Beleidigung verbietet, auch keinen Verstoß gegen Abs. 1 Satz 2 darstellen. Zu ehrverletzenden Äußerungen über Dritte im engsten Familienkreis OLG Hamburg NJW 1990, 1246, 1247 m. w. N. Bei Alleinstehenden, die häufig gleichfalls das Bedürfnis haben, ihrem Herzen einmal Luft zu verschaffen (so zutreffend Tenckhoff JuS 1988, 787, 788), kommt die Schaffung eines straffreien Raumes nur in Betracht, wenn der Adressat der Äußerung nachgewiesenermaßen quasi einen Ersatz für den Ehepartner bzw. seine Familie darstellt, also an die Stelle des von der Verfassung vorgesehenen und im Gesetz verrechtlichten engsten Interaktionszusammenhangs eines Menschen getreten ist. Es muss sich – wie bei der Ehe – um eine Lebensgemeinschaft handeln, die dialogisch ausgerichtet, dauerhaft verfestigt und auf gegenseitigen Beistand, Zuspruch und ggf. Unterhalt angelegt ist (OLG Frankfurt NStZ 1994, 404 = StV 1994, 442). Auch aktive Widerstandshandlungen eines Gefangenen gegen die Anwendung unmittelbaren Zwanges zur Durchsetzung einer rechtswidrigen Anordnung können einen schuldhaften Verstoß gegen Abs. 1 Satz 2 darstellen. Eine Berufung auf Notwehr gegen Vollstreckungshandlungen kommt nur dann in Betracht, wenn die Vollstreckungsbeamten formell unrechtmäßig handeln, also sachlich oder örtlich nicht zuständig sind und wesentliche Förmlichkeiten – z. B. vorherige Androhung des unmittelbaren Zwanges – außer Acht lassen (vgl. Fischer 2009 § 113 StGB Rdn. 10 ff m. w. N.). Auf die materielle Richtigkeit ihres Handelns kommt es dagegen nicht an (zum Ganzen s. Höflich/Schriever 2003, 142; instruktiv auch Koch Zur Ausübung von Notwehrrechten im Rahmen der Anwendung unmittelbaren Zwanges gem. §§ 94 ff StVollzG, in: ZfStrVo 1995, 27, 30 f; weitere Beispiele zur Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit von Anordnungen unter Rdn. 4). 775
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3. Gehorsamspflicht. Abs. 2 Satz 1 bestimmt die allgemeine Gehorsamspflicht des Gefangenen. Die JVA von heute ist kein Kasernenhof von gestern. Wo Befehle oder Anordnungen vermieden werden können, hat das zu geschehen. Es ist aber eine Illusion anzunehmen, man komme ganz ohne Anordnungen aus. Eine solche Lebensgestaltung widerspräche auch den „freien Verhältnissen“, in denen (z. B. Arbeit, Schule, Straßenverkehr) häufig Anordnungen getroffen werden müssen. Zum Angleichungsgrundsatz § 3 Rdn. 3 ff. Die Anordnungen der Bediensteten sollten möglichst klar und überzeugend sein, aber auch im angemessenen Ton (etwa in der Form einer Bitte) und nicht provozierend gegeben werden. Umso eher werden sie von Gefangenen befolgt. Es wird sich mitunter auch empfehlen, die Anordnung zu begründen und dem Gefangenen einsichtig zu machen; vor allem dann, wenn der Anlass der Anordnung nicht auf der Hand liegt. So könnte z. B. einem als HIV-positiv erkannten Gefangenen geschlechtlicher Umgang mit anderen Gefangenen verboten werden (vgl. Dargel NStZ 1989, 207 ff, 208). Die Anordnung muss rechtmäßig sein. Die Rechtmäßigkeit kann sich nur aus den besonderen Regelungen des StVollzG oder sonstigen Vorschriften ergeben. Die formale Gehorsamspflicht aus § 82 stellt keine selbständige Rechtsgrundlage für behördliche Anordnungen dar, sie setzt vielmehr eine rechtmäßige Anordnung voraus (OLG Frankfurt BlStV 4/1992, 5 = NStZ 1992, 378 B). Rechtmäßig ist z. B. die Anordnung, sich in bestimmten Abständen wiegen zu lassen, da der Gefangene gemäß § 56 Abs. 2 dazu verpflichtet ist, bei dieser Maßnahme zur Feststellung des allgemeinen Gesundheits- und Ernährungszustandes mitzuwirken (LG Regensburg ZfStrVo 1992, 70, 71 = NStZ 1992, 377 B). Die durch diese Vorschrift begründete Pflicht, schließt auch die Verpflichtung zur Abgabe einer Urinprobe ein (ThürOLG NStZ-RR 2008, 59; OLG Dresden NStZ 2005, 588; OLG Celle, Beschl. vom 13.11.1992 – 1 Ws 296/92 StVollz). Nach OLG Zweibrücken (Beschl. vom 30.3.1994 – 1 Ws 44/94 Vollz) bezweckt diese Anordnung auch die Gesundheitsfürsorge für die Gefangenen, nämlich Feststellung von Drogenfreiheit bzw. Drogenmissbrauch mit sich daraus ergebenen Behandlungsmaßnahmen, wobei die Abgabe im Beisein eines Sanitätsbediensteten erfolgen kann. Entgegen OLG Koblenz (NStZ 1989, 550 = ZfStrV 1990, 51 und LG Augsburg ZfStrVo 1998, 113) scheidet § 101 als Rechtsgrundlage aus, da die Vorschrift einen Sonderfall des unmittelbaren Zwangs darstellt und damit keine Rechtsgrundlage für die Anordnung selbst darstellen kann, sondern nur für deren zwangsweise Durchführung (wie hier Höflich/Schriever 2003, 150). Die durch § 56 Abs. 2 begründete Pflicht des Gefangenen, die notwendigen Maßnahmen zu seinem Gesundheitsschutz zu unterstützen, schließt auch die Verpflichtung ein, bei Verdacht auf Medikamentenmissbrauch beim Arzt zum Zwecke der Belehrung über mögliche Gesundheitsgefahren zu erscheinen (OLG Nürnberg ZfStrVo 2002, 179 = NStZ 2002, 530 M: Horten von 267 Tabletten). Stets rechtmäßig ist auch die Aufforderung an einen Gefangenen, der einerseits Lockerungen oder Urlaub beantragt, andererseits aber aufgrund konkreter Hinweise im Verdacht des Konsums von oder Handels mit BtM steht, sich einer Urinkontrolle zu unterziehen. Entgegen LG Freiburg (NStZ 1988, 151 = ZfStrVo 1988, 365) und LG Kleve (NStZ 1989, 48) ist Rechtsgrundlage hierfür jedoch nicht § 4 Abs. 2. Die Rechtfertigung für ein derartiges Vorgehen – Gewährung der Lockerung nur unter der Bedingung, durch eine ihm zumutbare Handlung die konkrete Befürchtung zu entkräften – ergibt sich vielmehr bereits aus der betreffenden Lockerungs- (§ 11) bzw. Urlaubsvorschrift (§ 13). Die Schaffung einer eigenständigen Rechtsgrundlage zur Feststellung von Suchtmittelkonsum ist (Art. 94 BayStVollzG, § 72 HmbStVollzG; vgl. Rdn. 8 f) ist nach alledem unnötig, aber unschädlich. Zum Ganzen s. auch § 4 Rdn. 24 und § 13 Rdn. 22. Die Anordnung einer Rektoskopie zum Auffinden von Betäubungsmitteln kann nur dann auf § 101 Abs. 1 gestützt werden, wenn die Gesundheitsfürsorge dies tatsächlich erfordert (OLG Stuttgart BlStV 2/1992, 7 = NStZ 1992, 378 B); s. auch § 84 Rdn. 7). Gem. Ullenbruch
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§ 107 Abs. 1 ist der Gefangene verpflichtet, einer Vorführung zum Anstaltsarzt zur Feststellung seiner Arrestfähigkeit Folge zu leisten. Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass der Anstaltsleiter bereits eine entsprechende Disziplinarmaßnahme angeordnet hat. Die Vorführung durch Bedienstete „im Vorgriff“ auf die erwartete Entscheidung reicht nicht aus (Höflich/Schriever 2003, 142). Rechtswidrig ist auch die Anordnung, ein Gefangener möge sich zu einem Pendelwagen begeben, damit er zur Anhörung im Rahmen einer Entscheidung über die Aussetzung der Vollstreckung eines Strafrestes zur Bewährung beim zuständigen Landgericht vorgeführt werde, wenn der Gefangene zuvor erklärt hat, er wolle den Termin nicht wahrnehmen. Aus § 454 Abs. 1 Satz 3 StPO ergibt sich nur ein Recht des Gefangenen, angehört zu werden, nicht aber die Pflicht, sich dieser Anhörung zu unterziehen (OLG Celle NStZ 1994, 205 = StV 1994, 442; OLG Düsseldorf NStZ 1987, 524 f; vgl. auch Meyer-Goßner 2008 § 454 StPO Rdn. 30 m. w. N.; zum insoweit in der Regel gegebenen Anspruch auf Erlaubnis zum Tragen eigener Kleidung s. OLG Karlsruhe NStZ 1996, 302). Nicht rechtmäßig ist die Anordnung der Vorführung eines Gefangenen zur Anhörung im Rahmen einer Disziplinarverhandlung gegen seinen Willen oder gar unter Anwendung unmittelbaren Zwanges gemäß § 94 Abs. 1. Entgegen OLG Hamm (NStZ 1991, 509, 510) ergibt sich eine Berechtigung hierzu nicht aus § 106 Abs. 1 Sätze 2 und 3, denen zufolge zur weitmöglichsten Aufklärung des Sachverhaltes ausdrücklich auch der Gefangene zu hören und seine Einlassung zu vermerken ist. Die genannte Vorschrift richtet sich bereits ihrem Wortlaut nach nur an die Vollzugsbehörde und soll inhaltlich die Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) sicherstellen. Für den Gefangenen begründet sie lediglich ein Recht darauf, dass ihm eine entsprechende Gelegenheit gegeben werden muss, nicht hingegen eine Pflicht, diese auch wahrzunehmen, auch wenn eine Teilnahme aus der Sicht eines behandlungsorientierten Vollzuges wünschenswert ist (wie hier Schriever NStZ 1993, 103 Anm. zu OLG Hamm aaO; vgl. auch OLG Frankfurt NStZ-RR 1997, 152 mit Hinweis auf den Grundsatz des „nemo tenetur“; a. A. Arloth 2011 Rdn. 4; teilweise a. A. auch § 106 Rdn. 7; zur Problematik sozialautoritärer Verwaltung s. auch § 81 Rdn. 6). Zur Rechtmäßigkeit einer zwangsweisen Unterbringung eines Strafgefangenen in einem Gemeinschaftshaftraum trotz behaupteter erforderlicher Waschungen im Intimbereich nach jedem Stuhlgang und Verweisung auf Vornahme der Reinigungsmaßnahmen unter Zuhilfenahme einer Waschschüssel im abgetrennten Toilettenbereich mit einer Bodenfläche von ca. 120 × 90 Zentimeter vgl. BVerfGK 13, 472. Rechtswidrig ist auch die Aufrechterhaltung der Anordnung, Gegenstände aus dem Haftraum herauszugeben, ohne dem Verlangen des Gefangenen auf Aushändigung einer Quittung nachzukommen, zumindest, wenn die ursprüngliche Aushändigung der Gegenstände gleichfalls nur gegen Empfangsbestätigung (hier gegenüber einem externen Berufsbildungswerk) erfolgt ist (OLG Zweibrücken BlStV 2/1991, 6 = NStZ 1990, 512; dazu auch § 83 Rdn. 2). Die Befolgung rechtmäßiger Anordnungen kann der Gefangene nicht verweigern, weil er eine andere Anordnung für sachdienlicher oder richtig hält. Auch die Einlegung einer Sachoder Dienstaufsichtsbeschwerde entbindet ihn nicht von der Gehorsamspflicht (ebenso C/MD 2008 Rdn. 3; zur Dienstaufsichtsbeschwerde § 108 Rdn. 8). Bei Nichtbefolgung rechtmäßiger Anordnungen kann er zur Verantwortung gezogen werden (vgl. z. B. OLG Koblenz NStZ 1989, 550: Die Weigerung, auf Anordnung des Anstaltsleiters eine Urinprobe zur Aufklärung des Verdachts auf Drogenkonsum abzugeben, rechtfertigt die Anordnung einer Disziplinarmaßnahme). Rechtswidrige Anordnungen braucht der Gefangene hingegen nicht zu befolgen (OLG Frankfurt BlStV 4/1992, 5 = NStZ 1992, 378 B; OLG Celle BlStV 1/1996, 7, C/MD 2008 Rdn. 3). Er kann deshalb jedenfalls nicht nachträglich disziplinarrechtlich zur Rechenschaft gezogen werden (BT-Drucks. 7/918, 76). Zur Frage, inwieweit Widerstandshandlungen gegen rechtswidrige Maßnahmen einen Verstoß ge777
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gen Abs. 1 Satz 2 darstellen können vgl. Rdn. 3 a. E. Die Vorstellung eines Gefangenen beim Anstaltsarzt darf auch in einem medizinischen Notfall nicht von der Beantwortung der Frage eines Beamten des allgemeinen Vollzugsdienstes nach dem Krankheitszustand abhängig gemacht werden. Die Aufforderung, die Art und den Grad seiner gesundheitlichen Beschwerden näher zu definieren, stellt eine Anordnung i. S. d. § 82 Abs. 2 und damit eine Maßnahme dar, deren Rechtswidrigkeit auf Antrag festgestellt werden kann, wenn z. B. Wiederholungsgefahr besteht (OLG Frankfurt NStZ-RR 2011, 292). 5
4. Platzgebundenheit. Gem. Abs. 2 Satz 2 darf der Gefangene einen ihm zugewiesenen Bereich ohne Erlaubnis nicht verlassen. Diese Vorschrift ist erforderlich, um sich der tatsächlichen Anwesenheit des Gefangenen im Bereich der Anstalt ständig vergewissern zu können. Der Umfang des dem Gefangenen zugewiesenen Bereiches richtet sich nach den besonderen Verhältnissen der Anstalt, u. a. den baulichen Gegebenheiten. Je größer der dem Gefangenen eingeräumte Bewegungsspielraum etwa in einer Anstalt des geschlossenen Vollzuges ist (z. B. Zellenaufschluss, freie Bewegung in einem bestimmten Gebäude oder im gesamten Anstaltsbereich), um so wichtiger ist die genaue zahlenmäßige Überprüfung der Insassen zu einer bestimmten Tageszeit (z. B. nach Beendigung der Arbeitszeit und vor Beginn der Freizeitveranstaltungen). Hält ein Gefangener sich entgegen ausdrücklicher Weisung im Wohnraum eines Mitgefangenen auf, verstößt er gegen seine Pflicht zur Platzgebundenheit (OLG Frankfurt ZfStrVo 1987, 251). Das gewaltlose Entweichen stellt keinen Verstoß gegen das Gebot der Platzgebundenheit dar. Sinn der Vorschrift ist allein die Gewährleistung der Sicherheit und Ordnung in der Anstalt (im Ergebnis ebenso C/MD 2008 Rdn. 4; AK-FeestKöhne 2012 Rdn. 10; a. A. Arloth 2011 Rdn. 5 und § 102 Rdn. 18). Die Vorschrift hat besondere Bedeutung für Anstalten des offenen Vollzuges mit ohnehin gelockerten Haftbedingungen (z. B. Außenarbeit). Hier soll und kann der Gefangene nicht ständig überwacht werden, so dass der Anstaltsleitung nur das Mittel der Platzgebundenheit bleibt, um etwaigem Missbrauch vorzubeugen. Vgl. Beispiel bei § 102 Rdn. 18. Auch bei Abs. 2 ist der Angleichungsgrundsatz des § 3 zu berücksichtigen. Wieweit die Vollzugsbehörde von den ihr gegebenen Befugnissen, das Verhalten des Gefangenen auch in Einzelheiten zu bestimmen, Gebrauch machen muss, hängt weitgehend vom Sicherheitsgrad der Anstalt ab (BT-Drucks. 7/918, 77). Zur Anwendung dieser Vorschrift im Jugendstrafvollzug vgl. OLG Hamm ZfStrVo 1986, 120.
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5. Pflege des Haftraums. Abs. 3 verpflichtet den Gefangenen, seinen Haftraum und die ihm von der Anstalt überlassenen Sachen in Ordnung zu halten und schonend zu behandeln. Damit ist er insoweit für die Aufrechterhaltung der Ordnung in der Anstalt mitverantwortlich.
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6. Meldepflicht. Nach Abs. 4 hat der Gefangene Umstände, die eine Gefahr für das Leben oder eine erhebliche Gefahr für die Gesundheit einer Person bedeuten, unverzüglich zu melden. Die Befürchtung von Repressalien durch Mitgefangene beseitigt den Pflichtenverstoß nicht (zumindest missverständlich deshalb OLG Frankfurt ZfStrVo 2001, 372). Weil diese Meldepflicht über die allgemeine Hilfspflicht des § 323 c StGB hinausgeht, hielt AK-Brühl 4. Aufl. 2000 Rdn. 10 die Vorschrift für verfassungsrechtlich bedenklich. Dem war entgegenzuhalten, dass die besonderen Verhältnisse in der Vollzugsanstalt mit Rücksicht auf das enge Zusammenleben von Gefangenen eine besondere gegenseitige Verantwortung erfordern. Besonders in großen Anstalten mit zahlreichen abgeschlossenen Hafträumen und vielfältigen Arbeitsbetrieben sind Mitgefangene eher als Bedienstete in der Lage, gefährliche Umstände (wie z. B. Feuergefahr, SelbstmordverUllenbruch
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such eines Gefangenen) zu erkennen. Im Übrigen werden dem Gefangenen im StVollzG auch sonst weitergehende Pflichten auferlegt als die, keine Straftaten zu begehen (ähnlich inzwischen auch AK-Feest/Köhne 2012 Rdn. 12). Verstößt ein Gefangener gegen die Meldepflicht, so kann – nicht muss (Prot., S. 1917) – eine Disziplinarmaßnahme angeordnet werden (vgl. § 102 Rdn. 5). Die Ablösung von einer Vertrauensperson wegen Verschweigens von Wissen hinsichtlich gewaltloser Ausbruchspläne anderer kann jedenfalls nicht auf einen Verstoß gegen die Meldepflicht gestützt werden (so aber Arloth 2011 Rdn. 7). Nach § 323 c StGB strafbar ist der Gefangene natürlich nur, soweit zugleich die Tatbestandsmerkmale dieser Vorschrift verwirklicht worden sind. Wegen der aus einer Unterlassung der Meldung entstehenden Schäden haftet der Gefangene nicht zivilrechtlich (a. A. Grunau/Tiesler Rdn. 3). § 82 Abs. 4 ist so wenig ein „Schutzgesetz“ i. S. d. § 823 Abs. 2 BGB wie § 323 c StGB; denn es dient der Ordnung und Sicherheit der Anstalt und nicht dem Schutz anderer Personen (wie hier auch AK-Feest/Köhne 2012 Rdn. 12). Soweit der Vollzugsbehörde auf Grund der nicht rechtzeitigen Meldung Vermögensschäden mittelbar oder unmittelbar entstehen, gilt das gleiche. Ein Fall des § 93 Abs. 1 liegt ohnehin nicht vor. III. Landesgesetze 1. Baden-Württemberg. § 62 JVollzGB III ist inhaltsgleich und weitgehend wort- 8 gleich mit § 82 StVollzG. 2. Bayern. Art. 88 BayStVollzG ist inhaltsgleich und weitgehend wortgleich mit 9 § 82 StVollzG. Eine im StVollzG nicht enthaltene Regelung zur Feststellung von Suchtmittelkonsum enthält Art. 94 BayStVollzG. Die Vorschrift ist wie folgt aufgebaut: Abs. 1 hat folgenden Wortlaut: „Zur Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung der Anstalt kann der Anstaltsleiter oder die Anstaltsleiterin allgemein oder im Einzelfall Maßnahmen anordnen, die geeignet sind, den Missbrauch von Suchtmitteln festzustellen. Diese Maßnahmen dürfen nicht mit einem körperlichen Eingriff verbunden sein“. Abs. 2 hat folgenden Wortlaut: „Wird Suchtmittelmissbrauch festgestellt, können die Kosten der Maßnahme den Gefangenen auferlegt werden“. In der Gesetzesbegründung heißt es hierzu: „Die Vorschrift enthält in Abs. 1 eine eigene Rechtsgrundlage, zur Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung der Anstalt Maßnahmen anzuordnen, die geeignet sind, den Missbrauch von Suchtmitteln festzustellen. Hauptanwendungsfall der Vorschrift wird die Feststellung des Konsums von illegalen Drogen im Sinn des Betäubungsmittelgesetzes sein (d. h. Urinproben). Am 31. März 2006 befanden sich in den bayerischen Justizvollzugsanstalten 1588 Strafgefangene, die ausschließlich wegen Straftaten nach dem Betäubungsmittelgesetz verurteilt waren. Die Zahl der tatsächlich drogenabhängigen oder suchtgefährdeten Gefangenen dürfte höher sein. Nach der seit Jahrzehnten bewährten bayerischen Vollzugspraxis wird bei der Bekämpfung des Drogenmissbrauchs die Aufklärung und Beratung der Gefangenen über die Gefährlichkeit von Drogen und Motivation geeigneter Gefangener zu therapeutischen Maßnahmen innerhalb und außerhalb des Justizvollzugs durch engmaschige Kontrollen zur Verhinderung des Einbringens von Drogen in die Anstalten und die konsequente disziplinäre Ahndung von Drogenkonsum und zugleich strafrechtliche Verfolgung von Drogenbesitz und Drogenhandel ergänzt. Die Möglichkeit, nach Art. 58 Abs. 2 Drogentests aus medizinischen Gründen anzuordnen, bleibt unberührt. Drogenkonsum ist nicht nur ein schwerer Verstoß gegen die Anstaltsordnung, sondern in der 779
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Regel auch Anzeichen einer behandlungsbedürftigen Betäubungsmittelabhängigkeit. Die Vorschrift erfasst auch Maßnahmen zur Feststellung anderer Suchtmittel, wie z. B. die Verwendung von Atemalkoholgeräten. Wird Suchtmittelmissbrauch festgestellt, können nach Abs. 2 die Kosten der Maßnahme den Gefangenen auferlegt werden“ (LTDrucks. 15/8101, 68). Vgl. auch Kommentierung Rdn. 3 und 4. 10
3. Hamburg. § 68 HmbStVollzG ist wie folgt aufgebaut: Abs. 1 ist inhaltsgleich mit § 81 Abs. 2 StVollzG (vgl. § 81 Rdn. 13). Abs. 2 ist weitgehend inhalts- und wortgleich mit § 82 StVollzG. Eine im StVollzG nicht enthaltene Regelung zur Feststellung von Betäubungsmittelmissbrauch enthält § 72 HmbStVollzG. Die Vorschrift ist inhaltsgleich und weitgehend wortgleich mit Art. 94 BayStVollzG (vgl. Rdn. 8). In der ergänzend heranzuziehenden Gesetzesbegründung zum wortgleichen § 73 HmbStVollzG a. F. heißt es hierzu: „Die Vorschrift ist neu und schafft die Rechtsgrundlage für Maßnahmen, die in der vollzuglichen Praxis zur Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung der Anstalt jederzeit möglich sein müssen, ohne dass es eines medizinisch begründbaren Anlasses bedarf. Gemeint sind in erster Linie so genannte Urinkontrollen. Mit Blick auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Gefangenen setzt deren Anordnung einen konkreten Verdacht auf Betäubungsmittelmissbrauch voraus. Dieser Verdacht kann sich etwa aus einschlägigen Vorstrafen oder erwiesenem vorangegangenem Betäubungsmittelkonsum während der Haft ergeben. Wird Betäubungsmittelmissbrauch festgestellt, können nach Absatz 2 die Kosten der Maßnahme dem Gefangenen auferlegt werden“ (Bürgerschafts-Drucks. 18/6490, 46). Vgl. auch Kommentierung Rdn. 4.
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4. Hessen. § 45 Abs. 3 bis 6 HStVollzG sind inhaltsgleich und weitgehend wortgleich mit § 82 Abs. 1 bis 4 StVollzG.
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5. Niedersachsen. § 75 NJVollzG ist wie folgt aufgebaut: Abs. 1 ist weitgehend inhaltsgleich mit § 82 Abs. 2 Satz 1, fügt in der Formulierung aber zum einen den „Anordnungen“ das Adjektiv „rechtmäßigen“ hinzu, zum anderen wird der Halb- und Zusatz „auch wenn er sich durch sie beschwert fühlt“ ersatzlos gestrichen. In der Gesetzesbegründung heißt es hierzu: „[…] verzichtet aber auf die […] Selbstverständlichkeit […]“ (LT-Drucks. 15/3565, 148). Abs. 2 Satz 1 ist inhaltsgleich und weitgehend wortgleich mit § 82 Abs. 1 Satz 1 StVollzG. Abs. 2 Satz 2 ist inhaltsgleich und weitgehend wortgleich mit § 82 Abs. 2 Satz 2 StVollzG. Abs. 2 Satz 3 ist inhaltsgleich und weitgehend wortgleich mit § 82 Abs. 1 Satz 2 StVollzG. Abs. 3 und Abs. 4 sind inhaltsgleich und weitgehend wortgleich mit § 82 Abs. 3 und 4 StVollzG.
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6. Musterentwurf. § 73 ME-StVollzG ist wie folgt aufgebaut: Abs. 1 hat folgenden Wortlaut: „Die Gefangenen sind für das geordnete Zusammenleben in der Anstalt mitverantwortlich und müssen mit ihrem Verhalten dazu beitragen. Ihr Bewusstsein hierfür ist zu entwickeln und zu stärken. Die Gefangenen sind zu einvernehmlicher Streitbeilegung zu befähigen.“ Ullenbruch
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In der ME-Begründung heißt es hierzu: „Absatz 1 schreibt den Gefangenen eine Mitverantwortung für das geordnete Zusammenleben in der Anstalt zu und verdeutlicht, dass dieses von ihrem eigenen Verhalten abhängt und nicht allein durch die Bediensteten hergestellt werden kann. Die Anstalt hat auf eine entsprechende Bewusstseinsbildung hinzuwirken. Satz 3 konkretisiert das Vollzugsziel dahingehend, dass die Gefangenen im Rahmen ihrer eigenen Verantwortung für ein geordnetes Zusammenleben vorrangig zu einer einvernehmlichen Streitbeteiligung befähigt werden sollen. Die Gefangenen sollen bei auftretenden Konflikten freiwillig und eigenverantwortlich eine konsensuale Lösung anstreben“ (ME-Begründung, 139). Abs. 2 ist inhaltsgleich und weitgehend wortgleich mit § 82 Abs. 2 Satz 1 StVollzG. Abs. 3 ist inhaltsgleich und weitgehend wortgleich mit § 82 Abs. 3 StVollzG. Abs. 4 ist inhaltsgleich und weitgehend wortgleich mit § 83 Abs. 4 StVollzG. Auch § 76 ME-StVollzG enthält eine im StVollzG nicht enthaltene Regelung zur Feststellung von Suchtmittelkonsum. Die Vorschrift ist wie folgt aufgebaut: Abs. 1 ist inhaltsgleich und weitgehend wortgleich mit Art. 94 Abs. 1 BayStVollzG (vgl. oben Rdn. 9). In der Entwurfsbegründung heißt es hierzu: „Absatz 1 Satz 1 enthält die Rechtsgrundlage, um zur Aufrechterhaltung der Sicherheit oder Ordnung Maßnahmen anzuordnen, die geeignet sind, den Gebrauch von Suchtmitteln festzustellen. Die Möglichkeit, nach § 65 Abs. 1 Satz 3 Drogentests aus medizinischen Gründen anzuordnen, bleibt unberührt. Nach Satz 2 sind körperliche Eingriffe zu diesem Zweck nicht gestattet“ (MEBegründung, 141). Abs. 2 hat folgenden Wortlaut: „Verweigern Gefangene die Mitwirkung an Maßnahmen nach Abs. 1 ohne hinreichenden Grund, ist davon auszugehen, dass Suchtmittelfreiheit nicht gegeben ist.“ In der Entwurfsbegründung heißt es hierzu: „Absatz 2 normiert die widerlegliche Vermutung … Der Vermutung bedarf es, weil das Gesetz auf eine zwangsweise Durchsetzung der Maßnahme verzichtet. Ohne diese Regelung bliebe die Verweigerung der Mitwirkung für die Gefangenen folgenlos. Außerdem würden andere Gefangene diesem Beispiel folgen und damit eine wirksame Kontrolle von Suchtmittelmissbrauch verhindern“ (ME-Begründung, 141 f). Abs. 3 ist inhaltsgleich und weitgehend wortgleich mit Art. 94 Abs. 2 BayStVollzG (vgl. oben Rdn. 9). In der ME-Begründung heißt es hierzu: „Absatz 3 regelt die Möglichkeit der Kostenauferlegung, wenn verbotener Suchtmittelgebrauch festgestellt wird. ob hiervon Gebrauch gemacht wird, entscheidet die Anstalt nach den Umständen des Einzelfalls“ (MEBegründung, 142).
§ 83 Persönlicher Gewahrsam, Eigengeld § 83 Ullenbruch Persönlicher Gewahrsam, Eigengeld (1) Der Gefangene darf nur Sachen in Gewahrsam haben oder annehmen, die ihm von der Vollzugsbehörde oder mit ihrer Zustimmung überlassen werden. Ohne Zustimmung darf er Sachen von geringem Wert von einem anderen Gefangenen annehmen; die Vollzugsbehörde kann Annahme und Gewahrsam auch dieser Sachen von ihrer Zustimmung abhängig machen. (2) Eingebrachte Sachen, die der Gefangene nicht in Gewahrsam haben darf, sind für ihn aufzubewahren, sofern dies nach Art und Umfang möglich ist. Geld wird ihm als Eigengeld gutgeschrieben. Dem Gefangenen wird Gelegenheit gege781
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ben, seine Sachen, die er während des Vollzuges und für seine Entlassung nicht benötigt, abzusenden oder über sein Eigengeld zu verfügen, soweit dieses nicht als Überbrückungsgeld notwendig ist. (3) Weigert sich ein Gefangener, eingebrachtes Gut, dessen Aufbewahrung nach Art und Umfang nicht möglich ist, aus der Anstalt zu verbringen, so ist die Vollzugsbehörde berechtigt, diese Gegenstände auf Kosten des Gefangenen aus der Anstalt entfernen zu lassen. (4) Aufzeichnungen und andere Gegenstände, die Kenntnisse über Sicherungsvorkehrungen der Anstalt vermitteln, dürfen von der Vollzugsbehörde vernichtet oder unbrauchbar gemacht werden. VV 1 Die zu verwahrenden Sachen sind in ein Verzeichnis einzutragen. Davon kann, außer bei Wertsachen und wichtigen Schriftstücken (z. B. Personalpapiere, Versicherungsunterlagen), abgesehen werden, wenn die Habe verschlossen verwahrt und der Verschluss nur in Gegenwart des Gefangenen oder eines weiteren Bediensteten geöffnet wird. Die verwahrten Sachen werden vor Verwechslung, Verlust und Verderb geschützt. Wertsachen sind von den übrigen Sachen getrennt besonders sicher zu verwahren. Kleidungsstücke und Wäsche werden, soweit erforderlich, gereinigt und desinfiziert. 2 Eingebrachte Sachen, deren Aushändigung bei der Entlassung oder deren Absendung durch den Gefangenen nicht vertretbar erscheint (z. B. Waffen, Diebeswerkzeug), werden der zuständigen Behörde angezeigt. Trifft sie keine Verfügung, so werden die Sachen dem Gefangenen bei der Entlassung ausgehändigt oder zur Absendung freigegeben. § 83 Abs. 4 StVollzG bleibt unberührt. 3 Eigengeld, das für einen Gefangenen zu einer bestimmten Verwendung eingezahlt wird, wird nicht als Überbrückungsgeld behandelt, wenn der Verwendungszweck der Eingliederung des Gefangenen dient. Ein Geldbetrag im Sinne des Absatzes 2 Satz 3 der VV zu § 46 StVollzG wird bis zu dem für den Ersatzeinkauf festgesetzten Höchstbetrag ebenfalls nicht als Überbrückungsgeld behandelt. Schrifttum S. bei § 88.
I. II.
Übersicht Allgemeine Hinweise ____ 1 Erläuterungen ____ 2–10 1. Besitz muss ausdrücklich gestattet sein ____ 2 2. Gestattung vom Sicherheitsgrad der Anstalt abhängig ____ 3 3. Kein allgemeines Tauschverbot ____ 4
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4. Folgen eines Verstoßes ____ 5 5. „Kleiner Tauschhandel“ ____ 6 6. Aufbewahrungspflicht der Anstalt ____ 7 7. Behandlung des Eigengeldes ____ 8, 9 8. Vernichtung von Sachen durch die Vollzugsbehörde ____ 10
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III.
Landesgesetze und Musterentwurf ____ 11–16 1. Baden-Württemberg ____ 11 2. Bayern ____ 12
3. 4. 5. 6.
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Hamburg ____ 13 Hessen ____ 14 Niedersachsen ____ 15 Musterentwurf ____ 16
I. Allgemeine Hinweise In strengem Sinn gehört nicht all das, was in § 83 bestimmt ist, zur „Sicherheit und 1 Ordnung“. Hier ist vielmehr über die Sachen des Gefangenen in der Anstalt eine zusammenfassende Regelung getroffen (a. A. AK-Feest/Köhne 2012 Rdn. 1). In Abs. 1 ist die Bindung der Annahme und des Gewahrsams an die Zustimmung der Anstalt behandelt. Die Abs. 2 und 3 befassen sich mit den in der Anstalt befindlichen Sachen des Gefangenen, die er nicht in seinem unmittelbaren Besitz haben darf, und mit seinem in die Anstalt gelangenden Geld (Eigengeld; § 52). Abs. 4 gibt der Vollzugsbehörde ein besonderes Vernichtungsrecht. – Allgemein zu Eigentum in der Lebenswirklichkeit der Haft Kölbel StV 1999, 498 ff. II. Erläuterungen 1. Besitz muss ausdrücklich gestattet sein. Abs. 1 regelt die Befugnis der Voll- 2 zugsbehörde, den Umfang der Sachen, die der Gefangene in seinem persönlichen Gewahrsam haben darf, zu bestimmen. Grundsätzlich darf der Gefangene nur Sachen in Gewahrsam haben, deren Besitz ihm ausdrücklich gestattet worden ist. Dabei handelt es sich um anstaltseigene Sachen (z. B. Anstaltskleidung, Haftrauminventar) und um dem Gefangenen gehörende Sachen, die er in die Anstalt eingebracht hat oder während des Anstaltsaufenthalts erwirbt (z. B. Einkauf: § 22; Geschenke von Mitgefangenen: § 83 Abs. 1 Satz 2; Pakete von außerhalb: § 33 Abs. 1, VV Nr. 2 zu § 33). Sogar der Brief, den ein Gefangener an einen Mitgefangenen geschrieben hat, ist (auch, aber nicht nur) eine „Sache“ im Sinne der Vorschrift (zur Verfolgbarkeit von „Verstößen“ siehe aber unten Rdn. 6 a. E.). Die Kriterien für die Zustimmung der Vollzugsbehörde zur Überlassung von Sachen an den Gefangenen richten sich dabei zunächst nach den Vorschriften, deren Regelkreis von dem Gewahrsam an der jeweiligen Sache berührt wird (OLG Karlsruhe NStZ-RR 2001, 349), z. B. also § 19 (Ausstattung des Haftraumes), § 22 (zusätzliche Nahrungs- und Genussmittel), § 53 Abs. 3 (zum religiösen Gebrauch), §§ 68, 70 (zur Information oder Freizeitbeschäftigung). Unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Subsidiarität von Sicherheits- gegenüber Behandlungsmaßnahmen in § 81 Abs. 2 (dort Rdn. 7) sowie unter dem Gesichtspunkt des Angleichungsgrundsatzes in § 3 (dort Rdn. 3 ff) sollen Erlaubnisse zur Überlassung eigener Habe großzügig erteilt werden, jedenfalls dann, wenn einer Unübersichtlichkeit der Zelle auf andere Weise entgegengewirkt werden kann (OLG Frankfurt ZfStrVo 1979, 187; C/MD 2008 Rdn. 1). Insbesondere im Falle der Annahme eines Gegenstandes von einem Mitgefangenen ohne (vorherige) Zustimmung der Anstalt stellen aber z. B. die Kriterien des § 19 nicht den alleinigen Maßstab für die Erteilung der (nachträglichen) Genehmigung dar. Vielmehr können dafür auch andere Kriterien – wie Unterbindung von Schwarzgeschäften und Abhängigkeiten zwischen den Gefangenen – maßgebend sein (vgl. dazu OLG Hamm NStZ 2002, 613). Beim Recht zum Besitz von Ablichtungen der Ermittlungsakten widerstreiten das Interesse der JVA an der Einhaltung von Sicherheit und Ordnung und der Anspruch des Gefangenen auf wirksame Verteidigung und Gewährung eines rechtsstaatlichen und fairen Verfahrens. Eine Beschränkung dieses Rechts bedarf deshalb – unabhängig von dem Umfang der Unterlagen – einer gesonderten und auf den Einzelfall bezogenen Begründung (OLG Karlsruhe 783
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NStZ 2002, 612; hier: neun „Stehordner“; vgl. dazu auch Beyler ZfStrVo 2001, 142). Sofern ein Gefangener zur Ausstattung seines Haftraumes die Aushändigung eines Gegenstandes begehrt, hat er darauf einen Anspruch, sofern kein Versagungsgrund gem. § 19 Abs. 2 (Gefährdung der Sicherheit oder Ordnung) bzw. § 88 Abs. 2 Nr. 1 (besondere Sicherungsmaßnahmen) vorliegt. Der Anstaltsleiter hat insoweit keinen Ermessensspielraum. Deshalb ist bei der Prüfung des Anspruchs im Rahmen einer Verpflichtungsklage auch auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abzustellen (OLG Celle BlStV 3/1992, 6 = NStZ 1992, 375 B). Die Anstalt kann durch Verweigerung der Zustimmung eine Eigentumsübertragung nicht verhindern, so z. B. bei Übereignung einer Sache, die sich bei der verwahrten Habe des Veräußerers befindet, durch Abtretung des Herausgabeanspruchs gem. § 931 BGB oder durch Besitzkonstitut nach § 930 BGB im Unterschied zur Eigentumsübertragung durch Gewahrsamswechsel nach § 929 BGB (KG BlStV 4/5/1986, 9). Die Anstalt kann auch allgemein anordnen, dass den Gefangenen grundsätzlich nur Armband- oder Taschenuhren bis zu einem bestimmten Wert ausgehändigt werden (OLG München ZfStrVo 1989, 377 m. krit. Anm. Böhm zu dem vom OLG verwendeten Begriff des „Tauschhandels“). Wird die Zustimmung zur Inbesitznahme widerrufen oder ist diese z. B. von vornherein zeitlich befristet, so hat der Gefangene jedenfalls dann einen Anspruch auf eine schriftliche Bestätigung darüber, welche ihm überlassenen Gegenstände in welchem Zustand aus seinem Haftraum wieder entnommen worden sind (Quittung), wenn er seinerseits den ordnungsgemäßen Empfang dieser Sachen hatte schriftlich bestätigen müssen, um sich so vor späteren Schadensersatzansprüchen schützen zu können (OLG Zweibrücken BlStV 2/1991, 6 = NStZ 1990, 512). Eine allgemeine Verpflichtung der Justizbehörde zur Ausstellung einer Quittung über im Zuge einer Durchsuchung nach § 84 aus dem Haftraum herausgenommene Gegenstände besteht indes nicht (OLG Hamm FS 2011, 53). Vgl. dazu auch § 84 Rdn. 3. Im Übrigen folgt aus der in § 83 gestellten besonderen Bedeutung, die die Regelung des persönlichen Gewahrsams des Gefangenen – vor allem im geschlossenen Vollzug – offenkundig für die Ordnung und Sicherheit des Vollzuges hat, dass Entscheidungen und Maßnahmen auf diesem Bereich nicht an private Institutionen abgetreten werden können (s. dazu auch OLG Zweibrücken aaO zu der Konstellation, dass der Vertreter des Berufsbildungswerkes zugleich leitender Bediensteter der JVA ist; dazu auch § 82 Rdn. 4). 3
2. Gestaltung vom Sicherheitsgrad der Anstalt abhängig. Je nach dem Sicherheitsgrad der Anstalt und je nach dem, ob es sich um eine Anstalt des geschlossenen, halboffenen oder offenen Vollzuges handelt, kann die Zustimmung für jeden einzelnen Gegenstand oder auch global oder auch mit einzelnen Ausnahmen erteilt werden (C/MD 2008 Rdn. 1). Die Vorschrift entspricht vor allem den Bedürfnissen einer Anstalt hohen Sicherheitsgrades, in der jeder Missbrauch der persönlichen Habe im Haftraum ausgeschlossen werden muss, um das Sicherheitsrisiko zu vermindern. Die Vollzugsbehörde muss in solchen Anstalten die volle Kenntnis des persönlichen Besitzes jedes Gefangenen haben (RegE, BT-Drucks. 7/918, 77). Der Anstaltsleiter braucht seine Zustimmung deshalb nur dann zu erteilen, wenn er die Gegenstände, die (z. B. beim Besuch) eingebracht werden, auch untersuchen kann, und zwar oberflächlich ohne große Mühe und Kontrollaufwand. Das mag z. B. bei einem Petersilienstängel noch möglich sein, aber schon nicht mehr bei einem Bund dieses Gemüses und erst recht nicht bei geschlossenen Erbsenschoten, deren Inhalt manipuliert sein kann (OLG Hamm ZfStrVo 1994, 118 = JR 1995, 39 m. abl. Anm. Eisenberg). Zur Problematik von Anstalten und Abteilungen mit hohem Sicherheitsgrad vgl. auch § 85 Rdn. 3, § 141 Rdn. 17. Dem Gefangenen kann aufgegeben werden, vor Ausgang oder Urlaub seine Zelle von allen beweglichen Gegenständen zu räumen und diese auf die Kammer zu verbringen, sofern dies für ihn zumutUllenbruch
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bar ist (OLG Frankfurt ZfStrVo SH 1979, 82). Zur Frage, ob die Anstaltsordnung dadurch tangiert wird, dass ein Gefangener im Besitz von Briefpapier mit dem Briefkopf „Underground-Atelier“ ist, vgl. OLG Hamm LS BlStV 1/1987, 8. Zur generellen Untersagung des Besitzes von Schecks vgl. OLG Koblenz ZfStrVo 1994; 176 f = BlStV 1/1994, 6 und Rdn. 6. 3. Kein allgemeines Tauschverbot. Die Vorschrift enthält kein allgemeines Verbot 4 des Tauschens oder Handelns in einer Vollzugsanstalt. Sie verpflichtet den Gefangenen nur, für den Besitz und die Annahme von Sachen die Zustimmung der Vollzugsbehörde einzuholen. Eine erweiternde Auslegung des Abs. 1 mit dem Ziel, auch die Abgabe von Gegenständen an die Zustimmung der Vollzugsbehörde zu binden, ist unzulässig (OLG Hamm 6.6.1980 – 1 Vollz (Ws) 11/80: Abgabe eines gebrauchten Radiogerätes; OLG Koblenz ZfStrVo 1989, 313: Abgabe eines Glases Pulverkaffee). OLG Nürnberg hat seine frühere Rechtsprechung (vgl. BlStV 2/1986, 3) aufgegeben und geht nunmehr ebenfalls davon aus, dass § 83 das Abgeben von Gegenständen (hier Schreibmaschine) nicht erfasst (BlStV 1/1996, 3). Auch eine Untersagung der Abgabe von Gegenständen an Mitgefangene im Wege der Hausordnung ist nicht möglich. § 4 Abs. 2 Satz 2 kommt als Ermächtigungsgrundlage hierfür nicht in Betracht. Die Gegenansicht (OLG Nürnberg aaO, demzufolge mit § 83 lediglich ein Mindesteingriffstatbestand geschaffen werden sollte, der jedenfalls für Anstalten höchster Sicherheitsstufe jederzeit entsprechend erweitert werden könne) verkennt, dass Abs. 1 Satz 2 eine abschließende Regelung enthält, die eine ausdehnende Auslegung oder Analogie nicht zulässt (ebenso Arloth 2011 Rdn. 4; C/MD 2008 Rdn. 2; AK-Feest/Köhne 2012 Rdn. 4, vgl. auch OLG Koblenz ZfStVo 1989, 313; s. auch § 102 Rdn. 5); vgl. auch Rdn. 6. Der nicht geltendes Recht gewordene Entwurf des Bundesrates vom 8.12.1988 zur Änderung des StVollzG (BR-Drucks. 270/88) sah deshalb durch Ergänzung des Abs. 1 Satz 2 vor, dass allgemein auch die Abgabe von Sachen an die Zustimmung der Vollzugsbehörde geknüpft ist, um eine Gleichbehandlung der an einem „Geschäft“ beteiligten Gefangenen zu erzielen. Zu der zwischenzeitlich erfolgten Schließung der Lücke in mehreren Landesgestzen siehe unten Rdn. 6 a. E. Zum sog. „kleinen Tauschhandel“ s. auch Rdn. 6. 4. Folgen eines Verstoßes. Solange ein Gefangener unter Verletzung der Rege- 5 lung in Abs. 1, die dem Missbrauch persönlicher Habe aus Sicherheitsgründen entgegenwirken will, unbefugt Sachen in seinem Gewahrsam hält, verstößt er gegen die ihm in dieser Vorschrift auferlegte Gewahrsamsbeschränkung (OLG Nürnberg NStZ 1981, 456). Die Vorschrift gilt auch für den Gewahrsam an Medikamenten und berechtigt daher die Vollzugsbehörde, die vom Gefangenen in seinem Haftraum aufbewahrten Medikamente zur Habe zu nehmen oder zu vernichten, um einem Arzneimittelmissbrauch entgegenzuwirken (OLG Hamm NStZ 1981, 158; OLG Nürnberg ZfStrVo 2002, 179 = NStZ 2002, 530 M). Abs. 1 bildet auch die gesetzliche Grundlage dafür, dass das Mitbringen von Lebensund Genussmitteln sowie sonstigen Gegenständen des persönlichen Bedarfs bei der Rückkehr vom Urlaub oder Ausgang nicht gestattet wird (OLG Frankfurt ZfStrVo SH 1977, 42). Die Vollzugsbehörde kann die Zustimmung zur Aushändigung von im Handel bestellten Gegenständen vom Nachweis der Bezahlung abhängig machen, um den rechtmäßigen Erwerb zu kontrollieren (OLG Hamm LS in BlStV 4/5/1993, 6 = NStZ 1993, 424 B – fünf Tintenpatronen). 5. „Kleiner Tauschhandel“. Gem. Abs. 1 Satz 2 darf der Gefangene grundsätzlich 6 Sachen von geringem Wert von einem anderen Mitgefangenen annehmen, sofern die Vollzugsbehörde nicht ausdrücklich etwas anderes anordnet. Ein allgemeines Geschäfts785
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Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
verbot – wie früher Nr. 75 Abs. 1 DVollzO – besteht nicht mehr. Der „kleine Tauschhandel“ wird auf diese Weise „legalisiert“, und der Vollzug wird von repressiv wirkenden Kontrollmaßnahmen entlastet (C/MD 2008 Rdn. 2). Der Begriff „geringer Wert“ entspricht dem in § 248 a StGB (a. A. Arloth 2011 Rdn. 5). Dabei ist von dem in der Freiheit üblichen Handelswert, nicht von dem überhöhten Tauschwert innerhalb der Anstalt auszugehen (anders OLG Zweibrücken ZfStrVo 1982, 251 = MDR 1982, 871: Die besonderen Verhältnisse in der Anstalt schließen eine Analogie zu § 248 a StGB bei der Bemessung der Wertgrenze aus). Sinnvoll ist eine gleitende Wertbestimmung im Rahmen der Hausordnung etwa dergestalt, dass als Obergrenze des „geringen“ Wertes der zweifache Tagessatz der Eckvergütung nach § 43 Abs. 2 bestimmt wird (vgl. auch Arloth 2011 Rdn. 5 zu der unterschiedlichen Handhabung je nach Bundesland). Zu den Vorgaben der bislang in Kraft getretenen Landesgesetze vgl. § 20 Abs. 1 Satz 2 HStVollzG („Je nach Verhältnissen der Anstalt“) oder § 47 Abs. 2 ME-StVollzG („in der Regel höchstens 10 Euro“) – siehe Rdn. 14 und 16. Auch Unterschriften für eine Petition stellen Gegenstände von geringem Wert i. S. d. Vorschrift dar (OLG Hamm FS 2011, 53 LS). Daraus folgt, dass die Annahme von anderen als geringwertigen Sachen (wertvolle Ringe und Uhren, Schreibmaschinen) ohne Genehmigung verboten ist. Werden einem Gefangenen von einem Mitgefangenen bei dessen Entlassung Unterlagen aus dem Dienstbereich (z. B. Niederschriften über Dienstbesprechungen) ausgehändigt, darf er diese nicht behalten, sofern auch bei nur oberflächlicher Sichtung erkennbar ist, dass sie in keinem Falle auf legale Weise in den Besitz von Gefangenen gekommen sein können (OLG Hamm NStZ 1992, 407 = BlStV 1/1993, 7). Darüber hinaus kann die Vollzugsbehörde die Annahme auch von geringwertigen Sachen überhaupt oder teilweise (z. B. Ausschluss von – auch geringwertigen – Uhren oder völliges Annahmeverbot in bestimmten Teilen der Anstalt) von ihrer Genehmigung abhängig machen. Es empfiehlt sich, den kleinen Tauschhandel möglichst überall zuzulassen. Ohnehin sind Geschäfte unter Gefangenen besonders in größeren Anstalten nur schwer zu unterbinden oder überhaupt festzustellen. Tauschartikel sind allerdings oft Alkohol, Drogen, Bargeld, d. h. Gegenstände, die durch die Liberalisierung des Vollzuges (Vollzugslockerungen, Urlaub, unüberwachter Besuchs- und Schriftverkehr) in größerem Umfang als früher in die Anstalt eingeschmuggelt werden können. Auf diese Weise entsteht ein im Vollzug unerwünschter „großer Tauschhandel“, der die Grenzen des Abs. 1 Satz 2 deutlich überschreitet. Ein solches Geschäftemachen mit der Folge des Entstehens von Abhängigkeiten unter Gefangenen begünstigt die Entstehung von Subkulturen und steht damit nicht nur im Gegensatz zu den Vollzugszielen, sondern begründet auch eine erhöhte Gefährdung von Sicherheit und Ordnung in der Anstalt. Die Annahme solcher Gegenstände darf natürlich nicht gestattet werden (vgl. OLG Hamm NStZ 1995, 55, 56 = ZfStrVo, 1995, 248: Rauschmittel – hier Cannabis – sind grundsätzlich nicht Sachen von geringem Wert; OLG Koblenz ZfStrVo 1994, 176, 177 = BlStV 1/1994, 6: allgemeine Untersagung des Besitzes von Schecks in einer Anstalt des geschlossenen Vollzuges mit hohem Sicherheitsgrad). Die Vollzugsbehörde kann auch allgemein anordnen, dass in jedem eingehenden Brief nur Postwertzeichen für einen Antwortbrief enthalten sein dürfen, weil Briefmarken Wertgegenstände sind, die leicht als Zahlungs- oder Tauschobjekt verwendet worden können, und die Ansammlung von Briefmarken durch einen Gefangenen geeignet ist, die Ordnung in der Vollzugsanstalt zu beeinträchtigen (OLG Bamberg ZfStrVo SH 1978, 31). Die Erlaubnis gem. Abs. 1 Satz 1 bezieht sich nur auf den Austausch von Sachen, die die Gefangenen in ihrem unmittelbaren Besitz haben. Da die Gefangenen in der Regel zivilrechtlich geschäftsfähig sind, können sie untereinander wirksame Verträge schließen, beispielsweise auch gegenseitig ihren in der Kleiderkammer der Anstalt befindlichen Besitz tauschen. Die Vollzugsanstalt ist aber nicht verpflichtet, Kleidungstücke, die sich bei der Ullenbruch
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Persönlicher Gewahrsam, Eigengeld
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Habe eines Gefangenen befinden und die dieser einem Mitgefangenen geschenkt hat, zu der Habe des Mitgefangenen zu nehmen (LG Lüneburg ZfStrVo SH 1979, 82). Die Schenkung eines Radios an einen Mitgefangenen bedarf nach OLG Frankfurt NStZ 1982, 351 = ZfStrVo 1982, 316 der Zustimmung der Vollzugsbehörde – eine im vollzuglichen Interesse liegende Entscheidung zur Verhinderung des Missbrauchs der persönlichen Habe aus Gründen der Sicherheit und Ordnung, die aber durch § 83 Abs. 1 nicht gedeckt ist, weil die Abgabe von Gegenständen nach dem StVollzG nicht zustimmungspflichtig ist (vgl. OLG Koblenz ZfStrVo 1989, 313; OLG Nürnberg BlStV 1/1996, 3; C/MD 2008 Rdn. 2; AKFeest/Köhne 2012 Rdn. 4). Die Abgabe von Sachen von nicht geringem Wert kann demnach auch nicht im Wege der Hausordnung untersagt bzw. von der Zustimmung der Anstalt abhängig gemacht werden (im einzelnen dazu Rdn. 4). Ebenso wenig kann einem als „Geschäftemacher“ bekannten Gefangenen versagt werden, der Schwester eines Mitgefangenen einen ihr geschenkten wertvollen Ring zu senden (a. A. LG Regensburg 17.5. 1982 – 3 StVK 15/82), eine aufgrund der bundesrechtlichen Gesetzeslage unbefriedigende Lösung. Insoweit ist allerdings nur die Annahme eines geschenkten Gegenstandes untersagt, nicht aber das Angebot der Schenkung (Grunau/Tiesler Rdn. 5). § 83 Abs. 1 Satz 2 2. HS. beschränkt sich außerdem nicht nur auf den Besitzwechsel von einem auf den anderen Gefangenen bei Sachen, die der abgebende Gefangene in seinem Haftraum aufbewahrt; das Annahmeverbot betrifft auch die Zusendung z. B. eines vom Mitgefangenen erworbenen Rundfunkgerätes durch Dritte (OLG Zweibrücken NStZ 1991, 208). Nicht nur verfassungsrechtlich problematisch dürfte indes die Qualifizierung des Briefes eines Mitgefangenen als „Sache von geringem Wert“ i. S. d. Abs. 1 Satz 2 sein, mit der Folge, dass der Gefangene bei unbefugtem (d. h. nicht durch die JVA „vermitteltem“) Gewahrsam diszipliniert werden darf (so aber OLG Nürnberg NStZ-RR 1999, 189). Mehrere bislang in Kraft getretenen Landesgesetze haben die unbefriedigende Lücke hinsichtlich der Abgabe von Gegenständen geschlossen und das Verbot bzw. den Zustimmungsvorbehalt auch hierauf erstreckt (§ 63 Abs. 1 JVollzGB III, Art. 90 Abs. 1 BayStVollzG, § 69 Abs. 1 HStVollzG; § 76 Abs. 1 NJVollzG; § 47 Abs. 2 ME; vgl. Rdn. 11 ff). 6. Aufbewahrungspflicht der Anstalt. Gem. Abs. 2 Satz 1 ist die Justizvollzugsan- 7 stalt verpflichtet, von dem Gefangenen eingebrachte Sachen, die er gem. Abs. 1 nicht in Gewahrsam haben darf, für ihn aufzubewahren, aber nur soweit dies nach Art und Umfang der Sachen möglich ist (nicht möglich z. B. bei Umzugsgut, Möbeln, Tieren, Kraftfahrzeugen). Die Vorschrift gilt für Gegenstände, die der Gefangene selbst mit in die Anstalt bringt und die ihm gar nicht erst ausgehändigt werden, aber auch für Gegenstände, die sich bereits auf seinem Haftraum befinden, die jedoch eine Kontrolle derart erschweren, dass die Anstaltsleitung befugt ist, sie entfernen zu lassen (vgl. §§ 19 Abs. 2, 70 Abs. 2, 83 Abs. 2), und zwar auch, wenn die Gegenstände von Mitgefangenen oder sonstigen Personen in die Anstalt eingebracht und an den Gefangenen übergeben worden sind, sofern dieser nicht nur deren Besitz erlangt, sondern auch Eigentum daran erworben hat. Die Vorschrift bezieht sich auch auf Sachen, die ihm während des Vollzuges zugesandt, aber ihm gem. Abs. 1 von der Vollzugsbehörde nicht überlassen werden, so z. B. nicht genehmigte Post- und Paketsendungen (§ 33 Rdn. 9, 11), sofern sie nicht – nach Annahmeverweigerung – an den Absender zurückgesandt werden. Der Gefangene hat Anspruch auf eine Bestätigung darüber, welche ihm überlassenen Sachen in welchem Zustand aus seinem Haftraum entnommen worden sind, z. B. bei Entfernen von überlassenem Ausbildungsmaterial nach Beendigung eines Lehrganges (OLG Zweibrücken BlStV 2/1991, 6 = NStZ 1990, 512; dazu auch § 82 Rdn. 4). Werden am Körper oder auf einem Haftraum unerlaubte Gegenstände festgestellt, die im Eigentum des Gefangenen stehen, dürfen sie ohne dessen Zustimmung nicht vernichtet werden, sondern sind 787
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Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
zur Habe zu nehmen. Die Vollzugsbehörde haftet für etwaige Schäden bei Verletzung der Verwahrungspflicht (vgl. dazu K/S-Schöch 2002 § 7 Rdn. 205). VV Nr. 1 bestimmt daher näheres über die Art und Weise der Verwahrung. Zum Schadensersatzanspruch eines Gefangenen aufgrund Amtspflichtverletzung gemäß § 839 BGB, Art. 34 GG vgl. LG Krefeld StV 1991, 31: Auffinden einer Tischdecke, einer Keks- und einer Tabaksdose sowie eines Holzregales im Rahmen einer Zellendurchsuchung und deren anschließende Zuführung zur Müllverwertung. – Gem. Abs. 2 Satz 3 ist dem Gefangenen Gelegenheit zu geben, seine Sachen, die er während des Vollzuges und für seine Entlassung nicht benötigt, abzusenden. Für die Entscheidung, ob die Weigerung der Vollzugsbehörde, die Versendung von Sachen des Gefangenen an Dritte zuzulassen, rechtmäßig ist, ist die StVK sachlich zuständig. Die Streitigkeit ist öffentlich-rechtlich. Die Frage, wer Eigentümer ist, ist nur eine privatrechtliche Vorfrage (OLG Brandenburg NJW 2001, 3351; hier: Mobiltelefon und Telefonkarte). Zu beachten ist dabei, dass für das Eigentum des Gefangenen die Vermutung des § 1006 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BGB streitet. Auf Gesichtspunkte der Sicherheit im weitesten Sinne abstellende Einwände der JVA gegen die Versendung müssen auf eine konkrete, belegbare Gefahr gestützt werden können (OLG Koblenz NStZ 1987, 143). – Gem. Abs. 3 kann die Vollzugsbehörde eingebrachte Sachen, deren Aufbewahrung ihr nicht möglich ist, auf Kosten des Gefangenen aus der Anstalt entfernen lassen, wenn dieser sich weigert, es selbst zu tun. Notfalls muss eine preiswerte Unterstellmöglichkeit gesucht werden, um das zu entfernende Gut anderweitig einzulagern. Auch wenn das Land kein Verwertungsrecht an den Sachen hat, so kann eine Einlagerung auf Kosten des Gefangenen nur dann verlangt werden, wenn die dabei entstehenden Kosten in einem vernünftigerweise noch vertretbaren Verhältnis zum Wert der Sache stehen. Es entspricht auch nicht dem Interesse des Gefangenen, dass durch die Einlagerung von objektiv wertlosen Sachen bzw. von Sachen von ganz geringem Wert hohe Kosten verursacht werden. Dabei ist für das beklagte Land auch noch zweifelhaft, ob es bei dem Gefangenen die hierdurch entstehenden Kosten ersetzt erlangt (LG Köln BlStV 3/1991, 6). An einen Untersuchungsgefangenen gesandte Gegenstände kann das Gericht zu seiner persönlichen Habe nehmen oder durch den Absender abholen lassen, wenn es außerstande ist, die nicht mehr überschaubare Masse von Gegenständen so zu überprüfen, dass die Einschleusung nicht genehmigter bzw. die Sicherheit der Anstalt gefährdender Gegenstände ausgeschlossen ist (KG LS BlStV 3/1982, 13). – Da von der Regelung in Abs. 1 Satz 1 eingebrachte Sachen nicht erfasst werden, wollte der nicht geltendes Recht gewordene Entwurf des Bundesrates zur Änderung des StVollzG (BR-Drucks. 270/88) durch Einfügen der Worte „belassen oder“ hinter dem Wort „Zustimmung“ klarstellen, dass auch diese Fälle von dem Erfordernis der Zustimmung durch die Vollzugsbehörde erfasst sind und damit allein die Anstalt darüber entscheidet, was der Gefangene an eingebrachten oder erworbenen Sachen in Gewahrsam haben darf. Ferner sollte durch Streichung des Wortes „eingebracht“ in Abs. 2 Satz 1 zum Ausdruck kommen, dass sämtliche anderen Sachen zur Habe des Gefangenen genommen werden. 8
7. Behandlung des Eigengeldes. Abs. 2 Satz 2 und Satz 3 enthalten auch Bestimmungen über das Eigengeld des Gefangenen (anders die meisten bisher in Kraft getretenen Landesgesetze – Art. 90 BayStVollzG, § 70 HmbStVollzG, § 76 NJVollzG –, die diesen Bereich sämtlich an anderer, systematisch überzeugenderer, Stelle lokalisieren; vgl. dazu Rdn. 11 ff). Unter Eigengeld (§ 52 Rdn. 1) sind die für den Gefangenen von der JVA in Verwahrung genommenen, auf einem Eigengeldkonto des Gefangenen befindlichen Geldbeträge zu verstehen; es wird gebildet zum einen aus den dem Gefangenen während des Vollzuges zufließenden Bezügen, soweit diese nicht als Hausgeld, Haftkostenbeitrag, Unterhaltsbeitrag oder Überbrückungsgeld in Anspruch genommen werden, zum Ullenbruch
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Persönlicher Gewahrsam, Eigengeld
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anderen aus eingebrachten oder dem Gefangenen während des Vollzuges von außen zufließenden Beträgen (OLG Hamm ZfStrVo 1981, 251). Briefmarken sieht das StVollzG als Ersatzzahlungsmittel nicht vor (OLG Koblenz ZfStrVo 1980, 251). Stellt eine JVA aus Gründen der Rationalisierung und Kostenersparnis ihr Buchungsverfahren auf Computertechnik um, muss der Gefangene hinnehmen, dass Geldbeträge für ihn nur bargeldlos eingezahlt werden können (OLG Frankfurt ZfStrVo SH 1979, 82). Belege, die bei der im Auftrage des Gefangenen von der Anstalt an Dritte vorgenommenen Überweisung vom Eigengeldkonto entstehen, dürfen entsprechend den Vorschriften der Landeshaushaltsordnung von der Anstalt zurückbehalten werden; dem Gefangenen können aber als Nachweis für Verfügungen über sein Eigengeld beglaubigte Abschriften ausgehändigt werden (OLG Celle LS BlStV 1/1989, 9). Das dem Gefangenen abgenommene Geld ist alsbald der Anstaltszahlstelle gegen Quittung zuzuleiten, ebenso Sparbücher und ausländische Währungen. Erreicht das Überbrückungsgeld nicht die in § 51 Abs. 1 bestimmte Höhe, so ist in Höhe des Unterschiedsbetrages auch der Anspruch auf Auszahlung des Eigengeldes unpfändbar (§ 51 Abs. 4 Satz 2). Auch kann ein Gläubiger gegen eine Forderung des Gefangenen auf Auszahlung seines Eigengeldguthabens nicht aufrechnen, wenn und soweit dieses aus Arbeitsentgelt stammt und der nach dem analog anzuwendenden § 850 c ZPO nicht pfändbare Betrag des Gesamteinkommens, das nach Maßgabe des § 850e Nr. 3 ZPO unter Berücksichtigung der fiktiven Haftkostenbeiträge zu ermitteln ist, nicht gedeckt ist (so zutreffend OLG Frankfurt BlStV 2/1994, 1 = NStZ 1994, 378 B m. w. N. auch zu abweichenden Auffassungen). Nur so kann der finanziellen Gesamtsituation eines Inhaftierten (vgl. hierzu Ullenbruch NStZ 1993, 150 ff in Anm. zu AG Freiburg – Unpfändbarkeit des Hausgeldes; zur Situation Strafgefangener im Insolvenz- und Restschuldbefreiungsverfahren insgesamt instruktiv Heyer NZI 2010, 81) angemessen Rechnung getragen und eine Gleichbehandlung mit einem in Freiheit befindlichen Schuldner gewährleistet werden (a. A. BGH StV 2004, 558 und § 52 Rdn. 4; vgl. auch OLG Hamm FamRZ 2004, 1743, demzufolge der Selbstbehalt eines inhaftierten Unterhaltsschuldners, der im offenen Vollzug einer Erwerbstätigkeit nachgeht, gegenüber einem minderjährigen Kind in der Regel monatlich 280 Euro betragen soll, wobei dieser Betrag um den von dem Strafgefangenen zu tragenden Haftkostenbeitrag zu erhöhen sei). Grundsätzlich unterliegt der Gefangene hinsichtlich des Eigengeldes ebenso wenig 9 einer Verfügungsbeschränkung wie hinsichtlich seines sonstigen, außerhalb der Anstalt befindlichen Vermögens. Abs. 2 Satz 3 beinhaltet jedoch eine Beschränkung des Gefangenen hinsichtlich seines Eigengeldes dahin, dass seine Verfügungsbefugnis nur soweit reicht, wie das Eigengeld nicht als Überbrückungsgeld (§ 51 Rdn. 3) notwendig ist. Das Eigengeld ist aber nicht völlig der Verfügung des Gefangenen entzogen, bis das im Einzelfall festgesetzte Überbrückungsgeld in voller Höhe erreicht ist; es muss vielmehr am Ende der Vollzugszeit zur Verfügung stehen. Der Ansatz, das Überbrückungsgeld sei mit allen verfügbaren Bezügen so schnell wie möglich anzusparen, ist rechtlich verfehlt. Will ein Gefangener über sein Eigengeld verfügen, ist vielmehr auf das jeweilige Vollzugsstadium abzustellen und für diesen Zeitpunkt derjenige Teilbetrag des festgesetzten Überbrückungsgeldes zu ermitteln, der bei planmäßiger Aufstockung zum voraussichtlichen Vollzugsende ein Erreichen des vollen Überbrückungsgeldes gewährleistet (OLG Hamm ZfStrVo 1981, 251; OLG Karlsruhe ZfStrVo 1981, 380; OLG Hamburg NStZ 1981, 39 und 11.12.1980 – Vollz (Ws) 8/80; OLG München ZfStrVo 1980, 122; OLG Zweibrücken NStZ 1984, 479; OLG Koblenz ZfStrVo 1986, 185; OLG Frankfurt ZfStrVo 1986, 380 und BlStV 4/5/1995, 2 = NStZ 1995, 434 B). Bei der im Wege einer Ermessensentscheidung zu bestimmenden Höhe des in diesem Sinne als Überbrückungsgeld „notwendigen“ Eigengeldes (und der dementsprechend niedriger festzusetzenden Sparrate) kann die konkrete 789
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Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
Gefahr, dass der Gefangene mangels Beschäftigung keine Bezüge erhalten wird, berücksichtigt werden; zur Begründung einer derartigen Gefahr reicht indes – jedenfalls bei noch lange andauernder Strafvollstreckung – allein der Umstand, dass der Gefangene vorübergehend unverschuldet ohne Arbeit ist, nicht aus (OLG Frankfurt NStZ-RR 2006, 156). Auch allen sonstigen denkbaren Eventualitäten, die ein weiteres Ansparen verhindern oder eine Inanspruchnahme des Überbrückungsgeldes mit sich bringen könnten, ist grundsätzlich Rechnung zu tragen (insoweit zutreffend OLG Koblenz BlStV 6/1993, 6 = NStZ 1994, 378 B, das allerdings daraus den ohne konkrete Anhaltspunkte zu weitgehenden Schluss zieht, in der Regel sei eine Ansparrate von einem Drittel der Bezüge gerechtfertigt; zu eng auch OLG Hamburg StV 2003, 403 = NStZ 2003, 594 M; i. E. wie hier C/MD 2008 Rdn. 4; a. A. – das Eigengeld ist in der Höhe gesperrt, in der das Überbrückungsgeld noch nicht angespart ist – § 51 Rdn. 7). Der Ansicht, dass eine Inanspruchnahme des Eigengeldes als Überbrückungsgeld trotz des eindeutigen Wortlauts des Abs. 2 Satz 3 nicht zulässig sei (OLG Frankfurt ZfStrVo 1979, 255), kann jedenfalls nicht gefolgt werden. Zwar könnte der Gefangene über sein nicht in die Anstalt eingebrachtes Vermögen unbeschränkt verfügen, sich dadurch in einen mittellosen Zustand versetzen und, wenn sein angespartes Überbrückungsgeld nicht ausreicht, Entlassungsbeihilfen nach § 75 und danach Sozialhilfe in Anspruch nehmen. Gleichwohl ist es sinnvoll und angemessen, diesem Missbrauch wenigstens dann entgegenzusteuern, wenn sich Vermögensteile des Gefangenen (hier als Eigengeld) im Einwirkungsbereich der Vollzugsbehörde befinden. Zur Zulässigkeit der Überweisung von Eigengeld an Angehörige eines Mitgefangenen zum Zwecke der Zuwendung eines Paketes vgl. OLG Koblenz ZfStrVo 1991, 120. Abs. 2 Satz 3 soll verhindern, dass der Gefangene sich seiner Habe, Kleidung und Geldmittel durch Weggabe entäußert, während des Vollzuges bedürftig wird und die Anstalt dadurch bei Vollzugsende zur Neueinkleidung und finanziellen Ausstattung zwingt. Die Vorschrift sieht deshalb insoweit eine Beschränkung der Verfügungsfreiheit des Gefangenen vor, als er seine Sachen während des Vollzuges und für seine Entlassung benötigt und sein Eigengeld bei unzureichend angesammeltem Überbrückungsgeld zur Sicherung des Lebensunterhaltes unmittelbar nach der Entlassung notwendig ist (OLG Karlsruhe ZfStrVo 1981, 380). Die Verwendungssperre kann der Anstaltsleiter – wie bei § 51 Abs. 3 – durchbrechen, wenn der Gefangene das zur Bildung des Überbrückungsgeldes erforderliche Eigengeld für Ausgaben in Anspruch nehmen will, die seiner Eingliederung dienen. Die Rspr. legt insoweit einen strengen Maßstab an (vgl. dazu C/MD 2008 § 51 Rdn. 7 mit Hinweisen auf die Rechtsprechung). Bei der Frage, inwieweit Eigengeld zur Begleichung von Rechtsanwaltskosten freizugeben ist, wird allerdings auf den Einzelfall abzustellen sein. Die Verweisung auf einen Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe, erforderlichenfalls auch unter Beiordnung eines Rechtsanwaltes, mag in dem der Entscheidung OLG Hamm BlStV 2/1995, 6 = NStZ 1995, 433 B zugrundeliegenden Sachverhalt (Eintreibung zivilrechtlicher Außenstände) angängig sein, nicht hingegen z. B. bei der Inanspruchnahme eines Rechtsanwaltes im Zusammenhang mit einem nicht von vornherein aussichtslosen Wiederaufnahmeverfahren. Eine Beschränkung der freien Verfügbarkeit des Gefangenen über sein Eigengeld ist auch aufgrund § 4 Abs. 2 Satz 2 möglich (ebenso Arloth 2012 Rdn. 8). So kann der Antrag auf Überweisung an Angehörige eines Mitgefangenen abgelehnt werden, allerdings nur, sofern konkrete Anhaltspunkte für die beabsichtigte Vertuschung eines unerlaubten Geschäftes unter Gefangenen gegeben sind (OLG Koblenz ZfStrVo 1991, 120 f = BlStV 3/1991, 1 für den Fall der angeblich beabsichtigten Zusendung eines Paketes an einen Gefangenen ohne eigene Angehörige). Vgl. auch § 33 Rdn. 13. Über diese gesetzlich geregelten Beschränkungen hinaus sind in engen Grenzen weitere Beschränkungen des Verfügungsrechts des Gefangenen über sein Eigengeld zulässig. So können z.B die Konten Ullenbruch
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der Gefangenen für die Dauer des Einkaufs „gesperrt“ werden, sofern und solange dies als verwaltungstechnisch notwendige Maßnahme zur Erfüllung der dem Anstaltsleiter obliegenden Aufgabe der Organisation des Einkaufs unbedingt erforderlich ist (zu weitgehend allerdings OLG Koblenz NStZ 1991, 151 = ZfStrVo 1991, 50, das eine „Sperre“ für die Dauer von 15 Tagen für unbedenklich hält und die Maßnahme mit der Erforderlichkeit zur Erreichung des Vollzugszieles „verbrämt“ – krit. insoweit auch Arloth 2011 Rdn. 9; vgl. auch § 22 Rdn. 3); der Hinweis auf das angeblich so erreichte „Sozialtraining“ dürfte ein weiteres Beispiel dafür darstellen, wie schnell ein behandlungsorientierter Vollzug Züge einer sozialautoritären Verwaltung annehmen kann (dazu § 81 Rdn. 6). – Bei ausreichend angespartem Überbrückungsgeld unterliegt der Gefangene keinen Beschränkungen, sofern nicht andere Gesichtspunkte (wie Sicherheit und Ordnung oder § 22 Abs. 1) dem entgegenstehen. – z. B. ist die durch Hausverfügung der Vollzugsbehörde angeordnete Einschränkung, allgemein zugelassene, für den persönlichen Bedarf bestimmte Lichtbilder dürften nur vom Hausgeld bezahlt werden, nicht zulässig (OLG Frankfurt NStZ 1993, 382 B). Nach VV Nr. 3 soll Eigengeld, das für einen Gefangenen zu einer bestimmten Verwendung eingezahlt wird, nicht als Überbrückungsgeld behandelt werden, wenn der Verwendungszweck der Eingliederung des Gefangenen dient (so z. B. Kosten für Zahnersatz, Lehrbücher). Dasselbe gilt für einen Geldbetrag, der statt eines Paketes i. S. d. § 33 Abs. 1 Satz 1 für einen Gefangenen eingezahlt worden ist, und zwar bis zur Höhe des gem. VV Abs. 2 Satz 2 zu § 46 für den Ersatzeinkauf festgesetzten Betrags. Folgende Beispiele, für welche Zwecke die Verwendung von Eigengeld in der Regel der Eingliederung dient, nennt die AV des Nds. MJ vom 26.11.1993, Nds. Rpfl. 1994, 34: Vollzugslockerungen und Urlaub, Schrift- und Paketverkehr, Ferngespräche und Telegramme, schulische oder berufliche aus- oder weiterbildende Maßnahmen, Erwerb von Gegenständen für sinnvolle Freizeitbeschäftigung, Bezug von Zeitungen und Zeitschriften sowie Beschaffung, Überprüfung, Reparatur eines Hörfunk- oder Fernsehgerätes. Vgl. auch Änderung der VV Nr. 3 durch Hinzufügen von Satz 2. 8. Vernichtung von Sachen durch die Vollzugsbehörde. Gem. Abs. 4 dürfen Ge- 10 genstände, die Kenntnisse über Sicherheitsvorkehrungen der Anstalt vermitteln, von der Vollzugsbehörde vernichtet oder unbrauchbar gemacht werden. Hier ist zu denken an Aufzeichnungen über den täglichen Dienstablauf, Zeichnungen von Sicherheitseinrichtungen, Lagepläne, Fotos der Anstalt. – Nach VV Nr. 2 müssen von Gefangenen eingebrachte Sachen, deren Aushändigung bei der Entlassung oder Absendung gem. Abs. 2 Satz 2 nicht vertretbar erscheint (z. B. Waffen, Diebeswerkzeug), der zuständigen Behörde (in der Regel der Vollstreckungsbehörde) angezeigt werden; wird von dort keine Verfügung getroffen, sind diese Sachen auszuhändigen oder abzusenden (eine – wie auch Grunau/Tiesler Rdn. 8 bemerken – bedenkliche Regelung). Zur Aushändigung der Habe bei der Entlassung oder an Dritte im Todesfalle, bei Verlegung oder Überstellung sowie zur Aufbewahrung der Habe von entwichenen Gefangenen vgl. z. B. für Niedersachsen AV des MJ vom 26.11.1993, Nds. Rpfl. 1994, 34. III. Landesgesetze und Musterentwurf 1. Baden-Württemberg. § 63 JVollzGB III ist wie folgt aufgebaut: 11 Abs. 1 hat folgenden Wortlaut: „Die Gefangenen dürfen nur Sachen in Gewahrsam haben oder annehmen, die ihnen von der Justizvollzugsanstalt oder mit ihrer Zustimmung überlassen werden. Ohne Zustimmung dürfen sie Sachen weder abgeben, noch annehmen, außer solche von geringem Wert. Die Justizvollzugsanstalt kann die Abgabe, 791
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Annahme und den Gewahrsam auch dieser Sachen von ihrer Zustimmung abhängig machen.“ In der Gesetzesbegründung heißt es hierzu: „Absatz 1 enthält den Grundsatz der Kontrolle der Justizvollzugsanstalt über den Besitz der Gefangenen in der Anstalt, wobei anders als § 83 Abs. 1 StVollzG auch die Abgabe von Gegenständen an Mitgefangene erfasst wird. bei einem schuldhaften Verstoß gegen die Vorschrift begehen somit nicht nur die nehmenden, sondern auch die gebenden Gefangenen eine Pflichtverletzung, die disziplinarisch geahndet werden kann.“ (LT-Drucks. 14/5012, 230). Abs. 2 ist inhalts- und weitgehend wortgleich mit § 83 Abs. 2 StVollzG. Abs. 3 ist inhalts- und weitgehend wortgleich mit § 83 Abs. 3 StVollzG. Abs. 4 ist inhalts- und weitgehend wortgleich mit § 83 Abs. 4 StVollzG. 12
2. Bayern. Art. 90 BayStVollzG ist wie folgt aufgebaut: Abs. 1 Satz 1 ist inhaltsgleich und weitgehend wortgleich mit § 83 Abs. 1 Satz 1 StVollzG. Abs. 1 Sätze 2 bis 3 sind weitgehend inhaltsgleich mit § 83 Abs. 1 Satz 2, erweitern das Verbot und den Zustimmungsvorbehalt aber auf die Abgabe und haben folgenden Wortlaut: „Ohne Zustimmung dürfen sie Sachen weder abgeben noch annehmen, außer solche von geringem Wert. Die Anstalt kann die Abgabe, Annahme und den Gewahrsam auch dieser Sachen von ihrer Zustimmung abhängig machen“. Abs. 2 Satz 1 ist inhaltsgleich und weitgehend wortgleich mit § 83 Abs. 2 Satz 1 StVollzG. Abs. 2 Satz 2 ist inhaltsgleich und weitgehend wortgleich mit § 83 Abs. 2 Satz 3 1. Alt. („Sachen“). Abs. 3 und Abs. 4 sind inhaltsgleich und weitgehend wortgleich mit § 83 Abs. 3 und Abs. 4 StVollzG. § 83 Abs. 2 Satz 2 und Satz 3 2. Alt. („Geld“) StVollzG entfallen (an dieser Regelungsstelle) ersatzlos. In der Gesetzesbegründung heißt es hierzu: „Die Regelungen zum Eigengeld wurden in Art. 52 übernommen“ (LT-Drucks. 15/8101, 68).
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3. Hamburg. § 69 HmbStVollzG ist wie folgt aufgebaut: Abs. 1 Satz 1 ist inhaltsgleich und weitgehend wortgleich mit § 83 Abs. 1 Satz 1 StVollzG. Abs. 1 Sätze 2 und 3 sind inhaltsgleich mit § 90 Abs. 1 Sätze 2 und 3 BayStVollzG, lediglich sprachlich etwas anders gefasst (vgl. Rdn. 11). Bereits in der ergänzend heranzuziehenden (vgl. Bürgerschafts-Drucks. 19/2533, 58) Gesetzesbegründung zum wortgleichen § 70 HmbStVollzG a. F. hieß es hierzu: „Absatz 1 greift mit redaktionellen Anpassungen die Regelung in § 83 Absatz 1 StVollzG auf und erweitert sie um die Bestimmung, dass Sachen grundsätzlich nicht nur nicht von anderen Gefangenen angenommen, sondern zukünftig auch nicht an andere Gefangene abgegeben werden dürfen, es sei denn, es handelt sich auch insoweit um Sachen von offensichtlich geringem Wert. Neu ist auch, dass die Anstalt nicht nur die Annahme, sondern auch die Abgabe dieser Sachen von ihrer Zustimmung abhängig machen kann. Damit wrd eine aus Sicht der Praxis notwendige Ergänzung in das Gesetz aufgenommen“ (Bürgerschafts-Drucks. 18/6490, 45). Absätze 2 bis 4 sind inhaltsgleich und weitgehend wortgleich mit § 90 Absätze 2 bis 4 BayStVollzG. Auch hier entfallen die Regelungen zum „Geld“ an dieser Stelle und werden in § 50 HmbStVollzG übernommen (vgl. Rdn. 11).
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4. Hessen. § 20 HStVollzG ist wie folgt aufgebaut: 14 Abs. 1 Satz 1 hat folgenden Wortlaut: „Gefangene dürfen nur Gegenstände in Besitz haben oder annehmen, die ihnen von der jeweiligen Anstalt oder mit deren Erlaubnis überlassen wurden.“ In der Gesetzesbegründung heißt es hierzu: „Die Vorschrift gilt auch für von den Gefangenen selbst in die Anstalt eingebrachte Gegenstände. […] Durch den Begriff „jeweilig“ […] wird klargestellt, dass sich eine erteilte Erlaubnis nur auf die jeweilige Anstalt bezieht“ (LT-Drucks. 18, 1396, 90). Abs. 1 Satz 2 lautet wie folgt: „Ohne Erlaubnis dürfen sie Gegenstände von geringem Wert von anderen Gefangenen annehmen; die Anstalt kann Annahme und Besitz auch dieser Gegenstände von ihrer Erlaubnis abhängig machen oder weitere Ausnahmen zulassen.“ In der Gesetzesbegründung heißt es hierzu: „Der Begriff der „Geringwertigkeit“ entspricht nicht dem des § 248 a Strafgesetzbuch. Er ist vielmehr unter Berücksichtigung der besonderen Verhältnisse in einer Anstalt auszulegen“ (LT-Drucks. 18, 1396, 90). Abs. 1 Satz 3 hat folgenden Wortlaut: „Die Erlaubnis kann unter den Voraussetzungen des § 19 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 widerrufen werden.“ Abs. 2 lautet wie folgt: „Eingebrachte Gegenstände, die Gefangene nicht in Besitz haben dürfen, sind für sie aufzubewahren, sofern dies nach Art und Umfang möglich ist. Andernfalls ist den Gefangenen Gelegenheit zu geben, die Gegenstände außerhalb der Anstalt aufbewahren zu lassen. Das Gleiche gilt für Gegenstände, die die Gefangenen während des Vollzugs und für ihre Entlassung nicht benötigen.“ Abs. 3 Satz 1 ist inhaltsgleich und weitgehend wortgleich mit § 83 Abs. 3 StVollzG. Abs. 3 Satz 2 lautet wie folgt: „§ 52 Abs. 2 und 3 gilt entsprechend.“ § 20 HStVollzG verzichtet im Übrigen auf eine Übernahme des § 83 Abs. 4 StVollzG. Vgl. auch Kommentierung Rdn. 6. 5. Niedersachsen. § 76 NJVollzG ist wie folgt aufgebaut: 15 Abs. 1 Sätze 1 und 2 sind weitgehend inhaltsgleich mit § 83 Abs. 1 StVollzG, erweitern das Verbot und den Zustimmungsvorbehalt aber auf die Abgabe und haben folgenden Wortlaut: „Die oder der Gefangene darf Sachen nur mit Erlaubnis der Vollzugsbehörde in Gewahrsam haben, annehmen oder abgeben. Für Sachen von geringem Wert kann die Vollzugsbehörde ihre Zustimmung allgemein erteilen“. In der Gesetzesbegründung heißt es hierzu: „[…] ist vorgesehen, nicht nur den Gewahrsam und die Annahme von Gegenständen, sondern auch die Abgabe von der Zustimmung der Vollzugsbehörde abhängig zu machen. Auf diese Weise wird der einheitliche Lebenssachverhalt des Abgebens und Annehmens von Gegenständen künftig auch rechtlich einheitlich behandelt“ (LT-Drucks. 15/3565, 148). Abs. 2 Satz 1 ist inhaltsgleich und weitgehend wortgleich mit § 83 Abs. 2 Satz 1 StVollzG. Abs. 2 Satz 2 ist inhaltsgleich und weitgehend wortgleich mit § 83 Abs. 2 Satz 3 1. Alt. („Sachen“). Abs. 3 Sätze 1 und 2 sind weitgehend inhaltsgleich mit § 83 Abs. 3 StVollzG, erweitern die Optionen der Anstalt jedoch unter bestimmten Voraussetzungen um die Möglichkeiten der Verwertung und Vernichtung und haben folgenden Wortlaut: „Weigert sich die oder der Gefangene, eingebrachte Sachen, deren Aufbewahrung nach Art und Umfang nicht möglich ist, aus der Anstalt zu entfernen, so darf die Vollzugsbehörde diese Sachen außerhalb der Anstalt verwahren oder nach Maßgabe des Satzes 2 verwerten oder vernichten. Für die Voraussetzungen und das Verfahren der Verwertung und Vernichtung 793
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gilt § 28 des Niedersächsischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung entsprechend“. Abs. 4 ist inhaltsgleich und weitgehend wortgleich mit § 83 Abs. 4 StVollzG. § 83 Abs. 2 Satz 2 und Satz 3 2. Alt. („Geld“) entfallen (an dieser Regelungsstelle) ersatzlos (vgl. aber §§ 48, 52 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 NJVollzG). 16
6. Musterentwurf. Der „persönliche Gewahrsam“ ist im ME-StVollzG in drei Vorschriften geregelt: § 46 ME-StVollzG regelt das „Einbringen von Gegenständen“. Er ist wie folgt aufgebaut: Abs. 1 hat folgenden Wortlaut: „Gegenstände dürfen durch oder für die Gefangenen nur mit Zustimmung der Anstalt eingebracht werden. Die Anstalt kann die Zustimmung verweigern, wenn die Gegenstände geeignet sind, die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt oder die Erreichung des Vollzugsziels zu gefährden oder ihre Aufbewahrung nach Art oder Umfang offensichtlich nicht möglich ist.“ In der ME-Begründung heißt es hierzu: „Absatz 1 Satz 1 enthält ein Zustimmungserfordernis der Anstalt für alle Formen des Einbringens von Gegenständen durch oder für Gefangene. Die Anstalt kann mit ihrer Zustimmungsverweigerung nach Satz 2 erreichen, dass Gegenstände, die geeignet sind, die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt oder die Erreichung des Vollzugsziels zu gefährden oder deren Aufbewahrung nach Art oder Umfang offensichtlich nicht möglich ist, erst gar nicht in die Anstalt gelangen. Der Aufwand, der durch eine Aufbewahrung, Verwertung oder Vernichtung der Gegenstände entsteht, wird so möglichst gering gehalten“ (ME-Begründung, 115 f). Abs. 2 lautet wie folgt: „Das Einbringen von Nahrungs- und Genussmitteln ist nicht gestattet. Der Anstaltsleiter kann eine abweichende Regelung treffen.“ In der ME-Begründung heißt es hierzu: „Absatz 2 Satz 1 führt darüber hinaus ein generelles Verbot des Einbringens von Nahrungs- und Genussmitteln für und durch Gefangene ein. Der Anstalt ist es trotz Einsatzes technischer Durchsuchungsgeräte nicht immer möglich, in Nahrungs- und Genussmitteln versteckte Gegenstände lückenlos aufzuspüren. Manipulationen an den äußerlich unversehrt aussehenden Originalverpackungen sind kaum zu entdecken. Auch das Mitbringen von Gegenständen aus Lockerungen durch Gefangene oder das Einbringen durch Besucher sind von diesem Verbot umfasst. Nach Satz 2 kann der Anstaltsleiter eine abweichende Regelung treffen. Sie kann sich beispielsweise auf das Einbringen von Lebensmitteln durch Externe oder Bedienstete im Rahmen von Gruppenmaßnahmen wie Kochkursen oder auf die Ermöglichung der Selbstversorgung der Gefangenen im offenen Vollzug erstrecken“ (ME-Begründung, 116). § 47 ME-StVollzG regelt den „Gewahrsam an Gegenständen“. Er ist wie folgt aufgebaut: Abs. 1 hat folgenden Wortlaut: „Die Gefangenen dürfen Gegenstände nur mit Zustimmung der Anstalt in Gewahrsam haben, annehmen oder abgeben.“ In der ME-Begründung heißt es hierzu: „Absatz 1 untersagt nicht nur die Annahme sondern auch die Abgabe von Gegenständen. Zur Vermeidung subkultureller Tätigkeiten ist ein Verbot der Abgabe von Gegenständen genauso wichtig wie ein Verbot der Annahme von Gegenständen. Beides ist daher auch disziplinarrechtlich erfasst (§ 86 Abs. 1 Nr. 4)“ (ME-Begründung, 116 f). Abs. 2 lautet wie folgt: „Ohne Zustimmung dürfen sie Gegenstände von geringem Wert an andere Gefangene weitergeben und von anderen Gefangenen annehmen; die Abgabe und Annahme dieser Gegenstände und der Gewahrsam daran können von der Zustimmung der Anstalt abhängig gemacht werden.“ Ullenbruch
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In der ME-Begründung heißt es hierzu: „Absatz 2 sieht Ausnahmen vom Erlaubnisvorbehalt vor, die der Anstalt eine flexible Handhabung orientiert an den Notwendigkeiten der täglichen Vollzugspraxis ermöglicht. Der Begriff der Geringwertigkeit ist unter Berücksichtigung der besonderen Verhältnisse der Anstalt auszulegen, sollte aber einen Betrag von 10, 00 Euro in der Regel nicht überschreiten“ (ME-Begründung, 117). § 49 ME regelt die „Aufbewahrung und Vernichtung von Gegenständen“. Er ist wie folgt aufgebaut: Abs. 1 ist inhaltsgleich und weitgehend wortgleich mit § 83 Abs. 2 Satz 1 StVollzG. Abs. 2 ist inhaltsgleich und weitgehend wortgleich mit § 83 Abs. 2 Satz 3 StVollzG – mit einer Ausnahme: Die zweite Alternative „oder über sein Eigengeld zu verfügen“ entfällt hier in Gänze. Die Bestimmung über das Eigengeld ist in § 56 ME-StVollzG verortet (vgl. Kommentierung § 52 Rdn. 11). Abs. 3 lautet wie folgt: „Werden Gegenstände, deren Aufbewahrung nach Art oder Umfang nicht möglich ist, von den Gefangenen trotz Aufforderung nicht aus der Anstalt verbracht, so darf die Anstalt diese Gegenstände auf Kosten der Gefangenen außerhalb der Anstalt verwahren, verwerten oder vernichten. Für die Voraussetzungen und das Verfahren der Verwertung und Vernichtung gilt § 24 des Thüringer Ordnungsbehördengesetzes entsprechend.“ In der ME-Begründung heißt es hierzu: „Satz 2 verweist hinsichtlich der Verwertung solcher Gegenstände auf Begriffsbestimmungen und Regelungen des § 24 des Thüringer Ordnungsbehördengesetzes“ (ME-Begründung, 118). Abs. 4 ist inhaltsgleich und weitgehend wortgleich mit § 83 Abs. 4 StVollzG – mit einer Ausnahme: die Qualifizierung der Gegenstände als „die Kenntnisse über Sicherungsvorkehrungen vermitteln“ wird hier wie folgt ergänzt: „oder Schlussfolgerungen auf diese zulassen“. Vgl. auch Kommentierung Rdn. 6.
§ 84 Durchsuchung § 84 Ullenbruch Durchsuchung (1) Gefangene, ihre Sachen und die Hafträume dürfen durchsucht werden. Die Durchsuchung männlicher Gefangener darf nur von Männern, die Durchsuchung weiblicher Gefangener darf nur von Frauen vorgenommen werden. Das Schamgefühl ist zu schonen. (2) Nur bei Gefahr im Verzug oder auf Anordnung des Anstaltsleiters im Einzelfall ist es zulässig, eine mit einer Entkleidung verbundene körperliche Durchsuchung vorzunehmen. Sie darf bei männlichen Gefangenen nur in Gegenwart von Männern, bei weiblichen Gefangenen nur in Gegenwart von Frauen erfolgen. Sie ist in einem geschlossenen Raum durchzuführen. Andere Gefangene dürfen nicht anwesend sein. (3) Der Anstaltsleiter kann allgemein anordnen, dass Gefangene bei der Aufnahme, nach Kontakten mit Besuchern und nach jeder Abwesenheit von der Anstalt nach Absatz 2 zu durchsuchen sind.
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VV 1 (1) In geschlossenen Anstalten haben sich die Vollzugsbediensteten durch unvermutete Durchsuchungen laufend davon zu überzeugen, dass die Räume, die von den Gefangenen benutzt werden, und ihre Einrichtungsgegenstände unbeschädigt sind, dass nichts vorhanden ist, was die Sicherheit oder Ordnung gefährden könnte, vor allem, dass keine Vorbereitungen zu Angriffen oder Flucht getroffen werden. Diese Räume sind in kurzen Zeitabständen zu durchsuchen. Bei gefährlichen und fluchtverdächtigen Gefangenen kann eine tägliche Durchsuchung angeordnet werden. Türen, Tore, Gitter und Schlösser sind regelmäßig und besonders sorgfältig zu überprüfen. (2) Gefährliche, fluchtverdächtige und solche Gefangene, bei denen die Gefahr des Selbstmordes oder der Selbstverletzung besteht, sind ebenso wie ihre Sachen häufiger zu durchsuchen. 2 Im offenen Vollzug sind die nach der Aufgabe der Anstalt notwendigen Maßnahmen zu treffen. Schrifttum S. bei § 88.
I. II.
Übersicht Allgemeine Hinweise ____ 1 Erläuterungen ____ 2–7 1. Durchsuchung ohne Entkleidung (Abs. 1) ____ 2–4 2. Durchsuchung mit Entkleidung (Abs. 2) ____ 5 3. Allgemeine Anordnung (Abs. 3) ____ 6 4. Schonung des Schamgefühls ____ 7
III.
Landesgesetze und Musterentwurf ____ 8–13 1. Baden-Württemberg ____ 8 2. Bayern ____ 9 3. Hamburg ____ 10 4. Hessen ____ 11 5. Niedersachsen ____ 12 6. Musterentwurf ____ 13
I. Allgemeine Hinweise 1
Zur Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung (§ 81 Rdn. 7) gestattet § 84 die Durchsuchung des Gefangenen, seiner Sachen und der Hafträume. Wegen des mit der Durchsuchung verbundenen Eingriffs in die Privatsphäre dürfen männliche Gefangene nur von Männern und weibliche Gefangene nur von Frauen durchsucht werden. Bedienstete des jeweils anderen Geschlechts dürfen aber bei Durchsuchungen, die nicht mit Entkleidung verbunden sind, anwesend sein. Abs. 1 und Abs. 2 sind durch das 4. StVollzGÄndG geändert worden und tragen dem zunehmenden Einsatz von weiblichen Bediensteten in JVAen für Männer Rechnung. Das Gebot, das Schamgefühl zu schonen (Abs. 1 Satz 2), ist für eine Durchsuchung mit Entkleidung von besonderer Bedeutung. – Bei der Durchsuchung ist zu unterscheiden, ob die Maßnahme mit oder ohne Entkleidung erfolgt. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (§ 81 Abs. 2) ist zu beachten. Die Durchsuchung ist eine besonders heikle Vollzugsmaßnahme. Das bei ihrer Vornahme zum Ausdruck kommende Misstrauen dem Gefangenen gegenüber gefährdet leicht die zur resozialisierenden Behandlung erwünschUllenbruch
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te entspannte Atmosphäre. Andererseits sind Lockerungen und Hafterleichterungen (unüberwachte Besuche, Freizügigkeit in Anstaltsabteilungen) oft nur verantwortbar, wenn durch mindestens stichprobenweise Durchsuchungen ihr Missbrauch zum Einbringen gefährlicher Gegenstände in Grenzen gehalten wird. Zur Durchsuchung von Besuchern vgl. § 24 Rdn. 17. II. Erläuterungen 1. Durchsuchung ohne Entkleidung (Abs. 1). Abs. 1 geht, soweit hier die Durchsu- 2 chung des Gefangenen geregelt ist, von einer Durchsuchung ohne Entkleidung aus. Sie besteht in manuellem Abtasten der Kleidung, Durchsuchung der in der Kleidung (Taschen) befindlichen Sachen oder Kontrolle mittels elektronischer Metalldetektionsgeräte (a. A. OLG Nürnberg StV 2002, 669; ebenso Arloth 2008 Rdn. 2 mit der „Behauptung“, es handele sich hierbei nur um eine „allgemeine Überwachungsmaßnahme“; dagegen nunmehr auch im Ergebnis zutreffend C/MD 2008 Rdn. 8 mit allerdings eher polemischer „Begründung“; zu eng wiederum OLG Hamburg vom 21.11.2001 – 3 Vollz (Ws) 95/01 zum Maßregelvollzug; Die bloße elektromagnetische Untersuchung mittels Metallsuchrahmen und Handsonden stellt noch keine Durchsuchung dar; vgl. auch § 64 JVollzGB III; Art. 91 Abs. 1 Satz 2 BayStVollzG, § 46 Abs. 1 Satz 1 HStVollzG, § 77 Abs. 1 Satz 3 NJVollzG, § 74 Abs. 1 Satz 1 ME-StVollzG – vgl. unten Rdn. 8 ff). Für diese Durchsuchung genügt eine allgemeine Anordnung des Anstaltsleiters. Sie findet teilweise mehrfach am Tag, etwa bei Verlassen der Arbeitsstätte (vgl. dazu LG Karlsruhe BlStV 3/1982, 3), beim Ausrücken zur oder der Heimkehr von der Außenbeschäftigung, nach Empfang von Besuch, statt. In geschlossenen Anstalten mit längerstrafigen und kriminell mehr belasteten Ge- 3 fangenen sind Durchsuchungen zur Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung besonders wichtig. Gemäß VV Nr. 1 sollen die Vollzugsbediensteten durch unvermutete Durchsuchungen laufend und in kurzen Zeitabständen die von Gefangenen benutzten Räume und Einrichtungsgegenstände kontrollieren. Dabei ist in erster Linie an Arbeitsund Freizeiträume zu denken, in denen sich gerade in größeren Anstalten täglich zahlreiche Gefangene aufhalten. Würde der Haftraum eines Gefangenen tatsächlich „laufend“ durchsucht, wäre eine derart rigide Vorgehensweise – wie AK-Feest/Köhne 2012 Rdn. 2 und C/MD 2008 Rdn. 3 bemerken – mit den Vollzugsgrundsätzen der §§ 2–4 nicht zu vereinbaren. Außerdem verstieße dies gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz des § 81 Abs. 2 (Arloth 2011 Rdn. 3). In der Praxis wird jedoch der Haftraum eines Gefangenen – auch im geschlossenen Vollzug (§ 141 Rdn. 18) – in der Regel nicht mehr als zweimal monatlich durchsucht. Häufigere Kontrollen sind schon aus personellen Gründen und wegen der Dauer der Durchsuchung (Vielzahl von zugelassenen Gegenständen!) kaum möglich. Zur Zulässigkeit des sog. „Refa-Haftraumkontrollsystems“ (formularmäßige Aufstellung der üblichen Haftraumausstattung unter punktemäßiger Bemessung eines Einzelkontrollaufwandes für jeden Gegenstand; Festlegung einer Obergrenze von z. B. 2.400 Punkten pro Gefangenem in der Hausordnung) vgl. OLG Zweibrücken ZfStrVo 2001, 308. Vgl. § 19 Rdn. 6. In der Praxis werden sämtliche Kontrollen innerhalb der Anstalt insgesamt „laufend“ durchgeführt und auch zu unregelmäßigen Zeiten, d. h. unvermutet. Das BVerfG NJW 1996, 2643 = NStZ 1996, 511 sieht im Betreten des Haftraumes durch Vollzugsbedienstete keinen Eingriff in die Grundrechte des Gefangenen; der Gesichtspunkt der Anstaltssicherheit rechtfertigt auch ein Betreten des Haftraumes ohne Anklopfen, zumal der Gefangene durch die Schließgeräusche ausreichend „vorgewarnt“ wird. Eine Grundrechtsverletzung kann jedoch in der Art und Weise liegen, in der die Durchsuchung konkret durchgeführt wird. Eine Haftraumkontrolle auf Betäubungs797
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mittel um 5.50 Uhr mittels eines Spürhundes und eines Hundeführers kann aber im Einzelfall durchaus zulässig sein (OLG Nürnberg bei Kotz/Rahlf NStZ-RR 1999, 76; Arloth 2011 Rdn. 3; C/MD 2008 Rdn. 3). Die tägliche „Blickkontrolle“ des Beamten, der vor allem die „kritischen“ Teile des Haftraums (Fenster, Tür) etwas genauer in Augenschein nimmt, ist mit „Durchsuchung“ nicht gemeint. Bei gefährlichen und fluchtverdächtigen Gefangenen kann nach VV Nr. 1 Abs. 1 Satz 3 tägliche Durchsuchung angeordnet werden. Diese sowie selbstmordgefährdete Gefangene sind ebenso wie ihre Sachen gemäß VV Nr. 1 Abs. 2 jedenfalls häufiger zu durchsuchen. Zu den Sachen i.S. des § 84 Abs. 1 gehört auch der PKW eines im offenen Vollzug untergebrachten Gefangenen, der bei dessen Rückkehr vom Arbeitsplatz vor der Anstalt abgestellt werden muss und daher von Vollzugsbediensteten durchsucht werden darf (OLG Hamm NStZ 1996, 359). Eine Durchsuchung der außerhalb der JVA von einem Gefangenen (z. B. eines Freigängers) vorgehaltenen Wohnung ist durch § 84 nicht gedeckt und verstößt gegen Art. 13 GG (LG Koblenz NStZ 2004, 231). Die Durchsuchung sollte möglichst schonend durchgeführt werden, d. h. mit Sorg4 falt, um nicht unnötige Unordnung in den Haftraum zu bringen, und mit Vorsicht, um Schäden zum Nachteil des Gefangenen zu vermeiden (OLG Nürnberg NStZ 1997, 359). Der Anstaltsleiter sollte seine Bediensteten regelmäßig zu der gebotenen Zurückhaltung bei der Durchführung von Zellenkontrollen anhalten. Sowohl das Übermaß- als auch das Willkürverbot sind strikt zu beachten. So gibt z. B. nicht jeder Verstoß gegen eine Vorschrift in der Hausordnung, Bilder nur an einer Pinnwand anzubringen, den Anstaltsbediensteten das Recht, anderswo befestigte Bilder kurzerhand zu entfernen und sie dabei zu beschädigen. Ohne Anhaltspunkte z. B. für einen Missbrauch als Versteck reicht es vielmehr regelmäßig aus, dass die Anstalt den Gefangenen zunächst unter Setzung einer Frist auffordert, die Bilder selbst in dem dafür vorgesehenen Zellenbereich anzubringen, zumal wenn der bestehende Zustand vorher längere Zeit geduldet worden war (KG NStZ-RR 2005, 281). Zur Schadensersatzpflicht für bei Zellendurchsuchung zerstörte Gegenstände vgl. LG Krefeld StV 1991, 31. Soweit mit dem Zweck der Durchsuchung vereinbar, sollte diese in Anwesenheit des Gefangenen erfolgen. Allerdings ist weder seine Anwesenheit Voraussetzung für die Zulässigkeit der Durchsuchung, noch steht ihm das Recht zu, der Durchsuchung beizuwohnen (OLG Hamm FS 2011, 53 LS; OLG Frankfurt ZfStrVo 1982, 191; ebenso Arloth 2011 Rdn. 3; a. A. Mitsch FS Schwind 2006, 603, 616). Eine Ausnahme gilt allerdings hinsichtlich Verteidigungsunterlagen sowie dem Schutzbereich des § 29 Abs. 1 unterfallende Urkundensammlungen. Diese dürfen im Interesse eines effektiven Schutzes vor inhaltlicher Kenntnisnahme bei einer Haftraumkontrolle weder aus dem Haftraum entfernt, noch in Abwesenheit des Strafgefangenen der Sichtkontrolle unterzogen werden (KG vom 23.5.2003 – 5 Ws 99/03 Vollz). In der Praxis kann dem z. B. dadurch Rechnung getragen werden, dass der Gefangene zu Beginn der Maßnahme aufgefordert wird, die „Verteidigerpost“ vorzulegen, sodann die Sichtkontrolle in seiner Anwesenheit stattfindet und er schließlich die Unterlagen mitnimmt in den Raum, in dem er ggf. während der weiteren Haftraumkontrolle untergebracht ist (OLG Koblenz vom 15.6.2007 – 1 Ws 243/07). Das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung schützt weder den Haftraum eines Straf- noch den eines Untersuchungsgefangenen (Sächsischer VerfGH LS NJW 1995, 2980 zu Art. 30 der LVerf). Auch unter einer „Wohnung“ i. S. d. Art. 13 GG ist allein die räumliche Privatsphäre zu verstehen (BVerfGE 65, 1, 40 unter Hinweis auf BVerfGE 32, 54, 72). Ein Gefangener ist aber nicht Besitzer „seines“ Haftraumes, weil dieser kein von ihm freiwillig gewählter Ort privater Lebensgestaltung ist. Er darf diesen Raum vielmehr lediglich im Rahmen der Weisungen der Anstaltsleitung nutzen (vgl. auch OLG Dresden BlStV 4/5/1995, 10, auf das sich die Entscheidung des Sächsischen VerfGH bezieht; ferner Ullenbruch
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OLGe Frankfurt ZfStrVo 1982, 191 und Stuttgart NStZ 1984, 574 zur Ablehnung eines Anwesenheitsrechts bei Durchsuchungen). Dabei bleibt das Hausrecht der Anstalt unberührt, auf dem die grundsätzliche Befugnis beruht, den Haftraum jederzeit und ohne Einverständnis des Gefangenen zu betreten und zu durchsuchen (OLG Nürnberg ZfStrVo 1998, 53). Werden Gegenstände, die der Gefangene nicht in seinem Besitz haben darf, aus dem Haftraum entfernt, ist ihm dies mitzuteilen. Die Sachen sind zu seiner Habe zu nehmen. Soweit zu vermuten ist, dass sie ihm nicht gehören, etwa gestohlen sind, muss der Sachverhalt genau ermittelt werden. Ohne sein Einverständnis oder eine Entscheidung der Vollstreckungsbehörde dürfen die Sachen nicht einem anderen Gefangenen (dem angeblich bestohlenen) gegeben werden. Keinesfalls dürfen „beschlagnahmte“ Gegenstände vernichtet werden. Anstaltsbedienstete sind grundsätzlich auch nicht befugt, anlässlich von Durchsuchungen die Hafträume zu „entmüllen“. Das kann schon deshalb nicht zulässig sein, weil ein Gegenstand keinen Müll oder Abfall darstellt, wenn er zwar objektiv wertlos erscheint, für den Gefangenen jedoch aus subjektiven Gründen Bedeutung besitzt. Diese Bedeutung vermag aber nur der Gefangene selbst zu beurteilen. Etwas anderes gilt nur dann, wenn von den Gegenständen wegen ihres Zustandes (Beispiel: verdorbene Lebensmittel) eine unmittelbare Gefahr für Sicherheit oder Ordnung der Anstalt ausgeht (KG NStZ-RR 2005, 281). Ein Strafgefangener hat keinen Anspruch (analog § 107 Satz 2 StPO) auf Erteilung einer sog. Negativbescheinigung über eine ergebnislose Haftraumdurchsuchung (KG, Beschl. v. 5.9.2008 – 2 Ws 408/08). Auch besteht grundsätzlich kein Anspruch auf Ausstellung einer Quittung über im Zuge der Durchsuchung aus dem Haftraum entnommene Gegenstände (OLG Hamm FS 2011, 53 LS). Aufgrund besonderer Umstände mag dies im Einzelfall gleichwohl ausnahmsweise doch erforderlich sein (OLG Zweibrücken NStZ 1990, 512; vgl. dazu auch Arloth 2011 § 83 Rdn. 6. – Die Vollzugsbehörde ist verpflichtet, dem Gefangenen die Absendung solcher unerlaubter Sachen zu gestatten, es sei denn, dass das Verlangen des Gefangenen rechtsmissbräuchlich ist oder die Behörde an Straftaten mitwirken müsste (OLG Koblenz ZfStrVo 1987, 188). Der Gefangene hat kein Recht auf Besitz eines futterlosen, mit Schlüsseln versehenen Aktenkoffers ohne doppelten Boden, auch wenn die Anstalt einen Zweitschlüssel erhält (a. A. OLG Celle ZfStrVo 1991, 123 = NStZ 1991, 379 B). Andernfalls würden durch die Möglichkeit der Weitergabe bzw. der (angeblichen) Entwendung in der Anstalt zahlreiche kleine, faktisch „kontrollfreie“ Räume geschaffen. Den berechtigten Belangen der Gefangenen auf Schutz z. B. gegen Diebstähle seitens Mitgefangener sollte vielmehr durch die Möglichkeit des Erwerbs eines Zusatzschlosses (unter Überlassung eines Zweitschlüssels an die Stationsbediensteten) Rechnung getragen werden. Zur Durchsuchung von Besuchern § 24 Rdn. 15; zur Durchsuchung von Rechtsanwälten, Notaren und Rechtsbeiständen § 26 Rdn. 7, 11. Der Gefangene und von ihm mitgeführte Ordner dürfen auch nach Verteidigerbesuch durchsucht werden, wenn Gegenstände der Suche nicht Vereidigungsunterlagen, sondern von diesen leicht unterscheidbare Kassiber sind (OLG Karlsruhe LS ZfStrVo 1993, 118; vgl. auch die erstinstanzliche Entscheidung LG Karlsruhe BlStV 4/5/1993, 5 = NStZ 1993, 382 B). Vgl. auch § 46 Abs. 4 HStVollzG (Rdn. 11). Haftraumkontrollen sollen nach einem gewissen System erfolgen, und das Ergebnis sollte in einem Zellenrevisionsbuch oder im Protokoll vermerkt werden. Beispielsweise sind zu kontrollieren: a) Fenster (insbesondere Fenstervergitterung), Außenwand, Tür (mit Schloss); b) Innenwände (Abklopfen nach Hohlräumen, Beachten von Schäden an Putz und Farbanstrich, besonders hinter Bildern, Postern, Spiegeln, Zellenmöbeln); c) Fußboden (besonders unter Möbeln und Bodenbelag); d) WC- und Waschbecken (Einführen von Hakendraht in Hohlräume); 799
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elektrische Anlagen (Überprüfen der Hohlräume in Steckdosen, Schaltern, Lampensockeln); f) Reinigungsgeräte (Überprüfen der Borstenteile von Besen und Handfeger, evtl. doppelter Boden bei Abfalleimern); g) Bett (Überprüfen der Hohlräume in Bettpfosten sowie der Schaumstoffmatratze nach Entfernung des Bezugsstoffes); h) Zellenschrank (eventuell doppelte Wände, Überprüfen des Hohlraumes unter dem Sockel durch Abrücken von der Wand); i) nicht zum Zellenmobiliar gehörende Möbel, z. B. selbst angefertigte Hocker, Tische, Schränkchen (Überprüfen auf Versteckmöglichkeiten); j) Schreibmaschinen, Lautsprecherboxen, Plattenspieler u. a. (Überprüfen der Hohlräume); k) Rundfunkgerät (Überprüfen, ob im UKW-Bereich Polizeifunk abgehört werden kann); l) Medikamente (Überprüfen durch Anstaltsarzt); m) Konservendosen (Überprüfen, ob sich unter dem Etikett Lötstellen befinden und in der Dose eventuell Alkohol); n) Leibriemen (Überprüfen der Nähte oder Klebstellen als Versteckmöglichkeit für Geld oder Drogen), Kugelschreiber (Versteckmöglichkeit für Geld). Auf eine Alkohol-Brennanlage in Hafträumen deuten hin: Schraubverschlüsse mit angelöteten Blechrohrnippeln, Kunststoffschläuche (wie bei Aquarien zu verwenden), Zellophan- oder Kunststoffbeutel. Zur Kontrolle von Pulverkaffee-Gläsern vgl. OLG Frankfurt BlStV 4/5/1986, 9. Bei Verdacht von Drogen im Haftraum sollte im Wege der Amtshilfe die Polizei evtl. mit einem Spürhund eingesetzt werden. Zum Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bei der Anordnung der Durchsuchung mit Spürhunden vgl. OLG Nürnberg ZfStrVo 1998, 53. In Einzelfällen, z. B. bei terroristischen Gewalttätern, können bei Durchsuchung des Haftraums und der Sachen Polizeibeamte als Sachverständige herangezogen werden, die rechtlich dann der Aufsicht und Leitung des Anstaltsleiters unterstellt sind (OLG Karlsruhe LS ZfStrVo 1986, 128). 5
2. Durchsuchung mit Entkleidung (Abs. 2). Gem. Abs. 2 ist eine mit Entkleidung verbundene körperliche Durchsuchung nur bei Gefahr im Verzuge oder aber auch aufgrund einer Einzelanordnung des Anstaltsleiters zulässig (Satz 1). Gem. § 156 Abs. 3 darf diese Befugnis des Anstaltsleiters nur mit Zustimmung der Aufsichtsbehörde übertragen werden (und zwar in der Regel nur auf Beamte des höheren Dienstes; vgl. Arloth 2008 Rdn. 5 und OLG Koblenz ZfStrVo 1985, 56). Dem Anstaltsleiter ist nicht nur eine von Fall zu Fall zu treffende Entscheidung gestattet, sondern auch der Erlass einer den einzelnen Gefangenen betreffenden generellen Anordnung, wie z. B. körperliche Durchsuchung mit Entkleidung vor und nach unüberwachtem Verteidiger- oder Langzeitbesuch bei einem als Sicherheitsrisiko eingestuften Gefangenen (OLG Celle ZfStrVo SH 1979, 83; OLG Hamm LS NStZ 1981, 407; LG Hamburg ZfStrVo 2000, 252; krit. dazu AK-Feest/Köhne 2012 Rdn. 6). Für die mehrere Gefangene betreffende Anordnung des Anstaltsleiters im Einzelfall genügt es, wenn Ort, Zeit und Kreis der Betroffenen abgegrenzt sind. Eine Namhaftmachung der Gefangenen in der Anordnung ist nicht erforderlich (OLG Celle NStZ 2005, 587; OLG Koblenz ZfStrVo 1996, 55; OLG Bremen NStZ 1985, 143; OLG Nürnberg NStZ 1982, 526; vgl. auch bereits OLG Celle NdsRpfl. 2004, 219). So kann der Anstaltsleiter anordnen, dass sämtliche verspätet in die Anstalt zurückkehrende Gefangenen einer mit Entkleidung verbundenen körperlichen Durchsuchung z. B. auf Rauschmittel zu unterziehen sind (OLG Bremen NStZ 1985, 143); Auch die Umsetzung einer AnUllenbruch
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ordnung des Justizministeriums nach umfangreichen staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen wegen des Verdachts illegaler Geschäfte eines Justizbediensteten mit Strafgefangenen durch den Anstaltsleiter dergestalt, dass sämtliche Hafträume zu durchsuchen und sämtliche Strafgefangene einer mit einer Entkleidung verbundenen körperlichen Durchsuchung zu unterziehen sind, kann im Einzelfall weder willkürlich noch unverhältnismäßig sein, sondern zur Abwendung schwerwiegender Gefahren für Sicherheit und Ordnung der Anstalt erforderlich und angemessen sein (OLG Celle NStZ 2005, 587); zu beachten ist aber stets, dass der Gesetzgeber zum Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Gefangenen eine Differenzierung der Eingriffsvoraussetzungen zwischen Abs. 2 und Abs. 3 vorgenommen hat. Deshalb verbietet sich z. B. eine schematische Anordnung, die zu einer Durchsuchung aller oder fast aller Gefangenen vor jedem Besuchskontakt führt (BVerfG NStZ 2004, 227; OLG Koblenz StraFo 2005, 263). Zur Durchsuchung mit Entkleidung bei begründetem Verdacht der Umgehung der Postkontrolle und der geplanten Befreiung eines Gefangenen vgl. OLG Koblenz ZfStrVo 1990, 55. Auch ist eine Verfügung des Anstaltsleiters, nach der an einem bestimmten Tage an jedem dritten Gefangenen, der unter beschränkter optischer Überwachung Besuch empfangen hat, eine mit Entkleidung verbundene körperliche Durchsuchung vorzunehmen sei, rechtmäßig (OLG Nürnberg NStZ 1982, 526; LG Regensburg NStZ 1982, 486; a. A. LG Mannheim ZfStrVo 1982, 250), die Auswahl kann jedoch nicht völlig in das Belieben des beauftragten Bediensteten gestellt werden (a. A. KG BlStV 1/1995, 6 = NStZ 1994, 379 B). Zur nunmehr bestehenden Möglichkeit des Anstaltsleiters, auch insoweit eine alle Gefangenen betreffende allgemeine Anordnung zu treffen s. Rdn. 6. Unvermutete stichprobenweise körperliche Durchsuchungen sind zulässig bei Gefangenen, die sich vor der Inhaftierung als Dealer betätigt haben (OLG Karlsruhe NStZ 1983, 191), routinemäßig als Einzelmaßnahmen überhaupt darüber hinaus in Anstalten mit hohem Sicherheitsrisiko (OLG Hamm LS BlStV 1/1984, 7), in einer sog. „Abschirmstation für Dealer“ der JVA Tegel (KG NStZ 1984, 94) oder bei terroristischen Gewalttätern (LG Köln BlStV 6/1980, 18). Bei der Durchsuchung mit Entkleidung dürfen im Unterschied zu der Durchsuchung nach Abs. 1 gemäß Abs. 2 Satz 2 (Neufassung des 4. StVollzGÄndG) bei männlichen Gefangenen nur Männer, bei weiblichen Gefangenen nur Frauen anwesend sein. Eine – auch nur mögliche – Beobachtung einer derart qualifizierten Durchsuchung mittels Kamera und damit durch Personen, die der Sicht des Gefangenen entzogen sind und deren Geschlecht er hiernach nicht feststellen kann, sowie die dadurch geschaffene Möglichkeit der Aufzeichnung des Vorgangs verletzen den Anspruch des Gefangenen auf Achtung seiner Menschenwürde, es sei denn, die Kameras befinden sich für alle sichtbar nicht in Betrieb – z. B. durch Abdeckung des Objektivs, Wegdrehen der Kamera oder dergleichen (OLG Celle FS 2010, 54 LS zu § 77 Abs. 2 Satz 2 bis 4 NJVollzG). Ein vorbeugender Unterlassungsantrag gegen die generelle Anordnung von körperlichen Durchsuchungen in bestimmten Fällen, mit dem Ziel des Durchsuchungsverbots, ist unzulässig (OLG Nürnberg BlStV 4/5/1993, 6). Bei „Gefahr im Verzuge“ darf jeder Bedienstete unter den in Abs. 1 Satz 2 und 3 und in Abs. 2 Satz 2 und 3 genannten Bedingungen einen Gefangenen körperlich durchsuchen. „Gefahr im Verzuge“ ist z. B. anzunehmen, wenn aufgrund eines kurz vor Rückkehr eines Gefangenen vom Urlaub gegebenen Hinweises der konkrete Verdacht des Einschmuggelns von Drogen besteht. Zur Anwendung des § 84 Abs. 2 bei Untersuchungsgefangenen vgl. OLG Koblenz ZfStrVo 1990, 55. Zur Durchsuchung mit Entkleidung nach Verteidigerbesuch vgl. OLG Nürnberg BlStV 4/5/1993, 6, LG Karlsruhe BlStV 4/5/1993, 5. 3. Allgemeine Anordnung (Abs. 3). Nach der zum 1.12.1998 in Kraft getretenen 6 Neufassung des Abs. 3 gem. des 4. StVollzGÄndG (BGBl. I, 2461 ff) steht dem Anstaltslei801
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ter nunmehr die Befugnis zu, mittels einer allgemeinen Anordnung nicht nur die körperliche Durchsuchung aller Strafgefangener bei der Aufnahme (zu Einschränkungen bei Untersuchungsgefangenen vgl. BVerfG StV 2009, 253) und nach jeder Abwesenheit von der Anstalt, sondern auch nach Kontakten mit Besuchern zu veranlassen. Auch in den beiden letztgenannten Fallgruppen ist jetzt die Festlegung, dass die Durchsuchung mit der Entkleidung verbunden ist, zulässig (zur Durchsuchung vor einem Besuch oben Rdn. 5). Die Neuregelung trägt insbesondere der verstärkten BtM-Problematik im Justizvollzug Rechnung, soll aber insgesamt dem Einschmuggeln von gefährlichen Gegenständen von außen entgegenwirken. Nach wie vor unzulässig ist z. B. eine allgemeine Anordnung, wonach von den aus Werkbetrieben innerhalb der Anstalt einrückenden Gefangenen etwa zehn bei jeder Rückkehr in den Unterkunftsbereich mit körperlicher Entkleidung durchsucht werden, wobei die Auswahl den zur Kontrolle herangezogenen Bediensteten überlassen ist (OLG Koblenz NStZ 1984, 287). In der Regel genügt es auch, wenn die Gefangenen durch Abtasten der Kleidung und Kontrolle des Tascheninhalts durchsucht werden und unmittelbar anschließend ihre Zivilkleidung in Anstaltskleidung (§ 20) umtauschen. Besteht der begründete Verdacht des Besitzes von gefährlichen Gegenständen (Alkohol, Drogen), darf eine Kontrolle der Körperhöhlen unter den Voraussetzungen des Abs. 2 durchgeführt werden (vgl. C/MD 2008 Rdn. 11). Eine solche Kontrolle, auch wenn sie mit einer Entkleidung verbunden ist, verstößt nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und auch nicht gegen die Menschenwürde (OLG Frankfurt ZfStrVo SH 1977, 42). Zur Zulässigkeit stichprobenartiger Kontrollen mit „Herunterlassen“ der Oberhose beim Verlassen des Arbeitsbetriebes in einer geschlossenen Anstalt vgl. LG Karlsruhe BlStV 3/1982, 3. – Zur Frage der Zulässigkeit einer gerichtlichen Überprüfung einer allgemeinen Anordnung OLG Hamm ZfStrVo 1987, 119. 7
4. Schonung des Schamgefühls. Bei jeder mit Entkleidung verbundenen Durchsuchung ist das Schamgefühl besonders zu schonen. Wenngleich Eingriffe, die den Intimbereich und das Schamgefühl des Inhaftierten berühren, sich im Haftvollzug nicht prinzipiell vermeiden lassen, so hat der Gefangene insoweit Anspruch auf besondere Rücksichtnahme. Der bloße Umstand, dass Verwaltungsabläufe sich ohne eingriffsvermeidende Rücksichtsnahmen einfacher gestalten, ist nicht geeignet, den Verzicht auf solche Rücksichtnahmen zu rechtfertigen (BVerfG, Beschl. vom 4.2.2009 – 2 BvR 455/08). Deshalb muss z. B. die Durchsuchung in einem geschlossenen Raum (Satz 3) und in Abwesenheit anderer Gefangener durchgeführt werden (Satz 4). Die gesetzliche Regelung dient dem Zweck, das Schamgefühl des zu Durchsuchenden zu schonen (vgl. OLG Frankfurt LS ZfStrVo 1987, 120; C/MD 2008 Rdn. 3; Arloth 2011 Rdn. 5 jeweils m. w. N.; vgl. auch bereits OLG Hamm BlStV 1/1986, 6). Diesem Zweck wird durch eine Durchsuchung in einem durch massive Wände mit festen geschlossenen Türen umgrenzten separaten Raum, in dem sich keine Mitgefangenen aufhalten, jedenfalls sicher Rechnung getragen. Ob dem auch dann entsprochen wird, wenn sich der Vorgang innerhalb eines besonderen, gegen Einsicht geschützten Bereiches eines geschlossenen Raumes stattfindet, in dem zwar weitere Strafgefangene körperlich anwesend, jedoch am Betrachten der Durchsuchung in dem besonderen Bereich zuverlässig gehindert sind (so OLG Celle NStZ 2005, 587; ähnlich bereits OLG Celle NdsRpfl. 2004, 219) erscheint äußerst zweifelhaft. Die Menschenwürde dürfte nicht erst bei der Frage „tatsächlicher“ Blicke anderer Gefangener tangiert sein, sondern bereits mit der Abhängigkeit des Betroffenen von den Bediensteten als „Beschützer“ seiner Intim- und Schamsphäre. Die bloße Möglichkeit, den Mitgefangenen den Rücken zuzukehren reicht nämlich sicher nicht aus (so auch zutreffend OLG Celle aaO), so dass es ggf. eines Anhaltens der Mitgefangenen, der Szene selbst den Rücken zuzukehren und sich nicht umzusehen sowie einer zuverlässigen Ullenbruch
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Überwachung des Befolgens dieser Vorgaben seitens der Bediensteten bedarf (zur Problematik vgl. auch § 9 HmbStVollzG, unten Rdn. 9). Bei der Behauptung rechtswidriger Entkleidungsdurchsuchungen in Abwesenheit von Mitgefangenen muss im übrigen ein besonderes Feststellungsinteresse nicht dargetan werden, weil eine solche Maßnahme als Verletzung der Art. 2 Abs. 2 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG diskriminierenden Charakter hat (OLG Celle aaO; OLG Frankfurt ZfStrVo LS 1987, 120). Abwesend im Sinne der Vorschrift sind Mitgefangene auch dann, wenn sie sich in dem selben geschlossenen Raum aufhalten, in dem der Betroffene durchsucht wird, ihnen jedoch die Sicht auf die Durchführung sicher verwehrt ist (OLG Celle NdsRpfl. 2004, 219). Die Anwesenheit von Angestellten eines privaten Sicherheitsunternehmens (zu Schulungszwecken) ist aufgrund nicht erforderlicher Beeinträchtigung des Scham- und Selbstwertgefühls des Gefangenen rechtswidrig (LG Gießen ZfStrVo 2006, 247). Ist der Gefangene entkleidet, muss jeder Körperkontakt zwischen Durchsuchenden und Gefangenem unterbleiben. Angesichts der Sensibilität des Eingriffs in die Intimsphäre sollten – auch zur Vermeidung falscher Beschuldigungen – immer zwei Bedienstete zugegen sein (ebenso Arloth 2011 Rdn. 5 und C/MD 2008 Rdn. 9). Das Betasten von Körperöffnungen ist dem Arzt vorbehalten und beschränkt sich – im Rahmen des § 101 – auf Fälle, in denen die Maßnahme aus gesundheitlichen oder hygienischen Gründen angezeigt ist. Das Betasten des Darmausgangs fällt unter den Begriff der Durchsuchung (nach § 84 Abs. 2) und ist nicht etwa eine medizinische Untersuchung, so dass der Gefangene diese Maßnahme dulden muss und bei Weigerung eine Disziplinarmaßnahme getroffen werden kann (LG Gießen 16.1.1986 – 1 StVK – Vollz 1172/85, in: Lichtblick 1986, 36; sehr weitgehend auch LG Hamburg ZfStrVo 2000, 252). Die Anordnung einer Rektoskopie zum Auffinden von Betäubungsmitteln kann – vollzuglich – nur dann auf § 101 Abs. 1 gestützt werden, wenn die Gesundheitsfürsorge dies tatsächlich erfordert (OLG Stuttgart BlStV 2/1997, 7 = NStZ 1992, 378 B). Auch eine sog. qualifizierte Durchsuchungsanordnung gem. § 84 Abs. 2 vermag das Suchen nach verschluckten oder sonst im Körperinneren befindlichen Gegenständen in keinem Fall zu umfassen. Ein Eingriff in das haut- und muskelumschlossene Innere kommt auch bei einem Gefangenen nur auf der Grundlage einer von einem Richter angeordneten Untersuchung nach § 81 a StPO in Betracht. Liegt eine entsprechende richterliche Anordnung zur rektal-digitalen Untersuchung eines Strafgefangenen nach dessen Rückkehr in die JVA aus einem Hafturlaub vor, kann der Anstaltsleiter insoweit im Wege der Amtshilfe bei der Umsetzung des gerichtlichen Beschlusses tätig werden (Art. 35 Abs. 1 GG i. V. m. – z. B. – § 4 Abs. 1 ThürVwVfG). Der Anstaltsleiter kann hierzu wiederum seinen (beamteten) Anstaltsarzt heranziehen. Hat dieser Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit einer Anordnung, hat er nur die Möglichkeit zu remonstrieren. Hält der Anstaltsleiter (als Dienstvorgesetzter) seine Anordnung aufrecht, ist der Anstaltsarzt aufgrund seiner Weisungsgebundenheit auch verpflichtet, diese zu befolgen. Tut er das nicht, begeht er ein Dienstvergehen – z. B. nach § 58 Satz 2 ThürBG (VG Meiningen MedR 2007, 423, das allerdings übergeht, dass der Anstaltsleiter letztlich selbst nicht mehr „wusste“, was und auf welcher Rechtsgrundlage er eigentlich „angeordnet“ hatte). Das Grundrecht der Religionsfreiheit im Strafvollzug erlaubt es einem Gefangenen islamischen Glaubens letztlich nicht, eine körperliche Durchsuchung und Entkleidung zu verweigern (ebenso Arloth 2011 Rdn. 5 unter zutreffendem Hinweis auch auf die Gefahr des Missbrauchs als lebende „Bunker“ für andere Gefangene; a. A. OLG Koblenz NStZ 1986, 238 mit krit. Anm. Rassow; a. A. auch AK-Feest/Köhne 2012 Rdn. 5).
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III. Landesgesetze und Musterentwurf 8
1. Baden-Württemberg. § 64 JVollzGB III ist wie folgt aufgebaut: Abs. 1 ist weitgehend inhaltsgleich und wortgleich mit § 84 Abs. 1 StVollzG; neu ist lediglich die Einschränkung der Einschränkung in Abs. 1 Satz 2 a. E., die wie folgt lautet: „dies gilt nicht für das Absuchen der Gefangenen mit technischen Mitteln oder mit sonstigen Hilfsmitteln“. In der Gesetzesbegründung heißt es hierzu: „Die Vorschrift stellt im Übrigen klar, dass das Absuchen der Gefangenen mit einem Detektorrahmen oder einer Handdetektorsonde auch eine Durchsuchung im Sinne dieser Vorschrift darstellt. Sie darf aber, der Praxis im Leben außerhalb des Vollzuges – etwa an Flughäfen – folgend, auch von Personen anderen Geschlechts durchgeführt werden“ (LT-Drucks. 14/5012, 230 f). Abs. 2 ist weitgehend inhaltsgleich und wortgleich mit § 84 Abs. 2 StVollzG. Abs. 3 ist weitgehend inhaltsgleich und wortgleich mit § 84 Abs. 3 StVollzG. Abs. 4 hat folgenden Wortlaut: „Gefangene können Suchtmittelkontrollen unterzogen werden, wenn der Verdacht besteht, dass sie Suchtmittel besitzen oder konsumieren. Die ergriffenen Maßnahmen dürfen nicht mit einem körperlichen Eingriff verbunden sein. Bei Gefangenen, die die Mitwirkung an der Durchführung der Kontrolle verweigern, ist in der Regel davon auszugehen, dass Suchtmittelfreiheit nicht gegeben ist.“ In der Gesetzesbegründung heißt es hierzu: „Absatz 4 enthält eine ausdrückliche Rechtsgrundlage für die Durchführung von Tests, mit denen kontrolliert werden kann, ob Gefangene im Vollzug Suchtmittel konsumiert haben. Die Regelung sieht dabei mit Blick auf die stete Weiterentwicklung von Testverfahren bewusst davon ab, eine bestimmte Testart vorzuschreiben. Im Sinne einer effektiven Bekämpfung des Suchtmittelmissbrauchs wird darüber hinaus in Satz 3 fingiert, dass bei Gefangenen, die eine notwendige Mitwirkung an der Durchführung eines Tests ohne hinreichenden Grund verweigern, vom Konsum von Betäubungsmitteln im Vollzug auszugehen ist. Dies kann im Einzelfall zur Wahrung der Sicherheit und Ordnung der Justizvollzugsanstalt zu der Anordnung von Beschränkungen gegen die betroffenen Gefangenen führen“ (LT-Drucks. 14/5012, 231).
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2. Bayern. Art. 91 BayStVollzG ist weitgehend inhaltsgleich und wortgleich mit § 84 StVollzG; neu ist lediglich die Einschränkung der Einschränkung in Absatz 1 Satz 2 a. E., die wie folgt lautet: „dies gilt nicht für das Absuchen der Gefangenen mit technischen Mitteln oder mit sonstigen Hilfsmitteln“. In der Gesetzesbegründung heißt es hierzu: „[…] Klarstellung […], dass auch das Absuchen mit technischen Hilfsmitteln oder sonstigen Hilfsmitteln (z. B. passiv verweisender Rauschgiftspürhund) als milderes Mittel zulässig ist. Der Begriff der Durchsuchung entspricht grundsätzlich dem des Polizei- und Strafprozessrechts. Danach besteht das Durchsuchen der Gefangenen im Suchen nach Sachen oder Spuren in oder unter der Kleidung sowie auf der Körperoberfläche und in Körperhöhlen und Körperöffnungen, die ohne Eingriff mit medizinischen Hilfsmitteln zu sehen sind. Das Absuchen der Gefangenen nach Metallgegenständen mit einem Detektorrahmen oder einer Handdetektorsonde ist auch eine Durchsuchung im Sinn dieser Vorschrift, darf aber auch von Personen anderen Geschlechts durchgeführt werden“ (LT-Drucks. 15/8101, 68). Siehe Kommentierung Rdn. 2.
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3. Hamburg. § 70 HmbStVollzG ist wie folgt aufgebaut: Abs. 1 lautet wie folgt: „Zur Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung der Anstalt dürfen Gefangene, ihre Sachen und die Hafträume jederzeit durchsucht werden, die Ullenbruch
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Sachen und die Hafträume auch in Abwesenheit der Gefangenen. Zur Unterstützung der Durchsuchung dürfen technische Mittel eingesetzt werden, bei der Durchsuchung der Sachen und Hafträume auch Spürhunde. Die Durchsuchung männlicher Gefangener darf nur von Männern, die Durchsuchung weiblicher Gefangener darf nur von Frauen vorgenommen werden. Das Schamgefühl ist zu schonen“. In der ergänzend heranzuziehenden Gesetzesbegründung zum gleichlautenden § 71 HmbStVollzG a. F. hieß es hierzu: „Absatz 1 entspricht weitgehend § 84 Absatz 1 StVollzG. Die Vorschrift stellt ergänzend klar, dass die Sachen der Gefangenen und die Hafträume zur Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung der Anstalt jederzeit durchsucht werden dürfen und dass zur Unterstützung der Durchsuchung technische Mittel eingesetzt werden dürfen, bei der Durchsuchung der Sachen und Hafträume auch Spürhunde. Dieses Vorgehen entspricht seit Jahren der bewährten Praxis im Hamburger Strafvollzug. Die Neuregelung soll diese Praxis, deren Beibehaltung aus Sicherheitsgründen unverzichtbar ist, nunmehr ausdrücklich legitimieren“ (Bürgerschafts-Drucks. 18/6490, 46). Abs. 2 ist (nunmehr) inhalts- und weitgehend wortgleich mit § 84 Abs. 2 StVollzG. Entsprechend der Gesetzesbegründung „bestimmt Absatz 2, dass körperliche Durchsuchungen mit Entkleidung in einem geschlossenen Raum durchzuführen sind. Die Regelung des derzeit geltenden § 71 Absatz 2 HmbStVollzG, nach dem solche Durchsuchungen auch in einem von Unbeteiligten nicht einsehbaren räumlichen Bereich – der also nicht zwingend ein geschlossener Raum sein muss – durchgeführt werden können, ist für die Schonung des Schamgefühls im Einzelfall nicht ausreichend. So sind die Durchsuchungen häufig auch akustisch zu vernehmen“ (Bürgerschafts-Drucks. 19/2533, 58). In der Begründung zu § 71 HmbStVollzG a. F. hatte es demgegenüber geheißen: „Die Vorschrift folgt damit einem dringenden Bedürfnis der Praxis. Sie ist vertretbar, weil auch in diesen Fällen das Schamgefühl zu schonen ist und andere Gefangene nicht anwesend sein dürfen“ (Bürgerschafts-Drucks. 18/6490, 46). Abs. 3 ist weitgehend inhalts- und wortgleich mit § 84 Abs. 3 StVollzG, ersetzt die dortige Vorgabe „nach jeder Abwesenheit von der Anstalt“ aber durch „nach jeder Abwesenheit von ihrer Unterkunft in der Anstalt“. In der Gesetzesbegründung heißt es hierzu: „Absatz 3 übernimmt die Regelung des derzeit geltenden § 71 Absatz 3 HmbStVollzG. In der Praxis wird indes nicht zu verkennen sein, dass die Anstaltsleitung für die allgemeine Anordnung körperlicher Durchsuchungen mit Entkleidung in besonderer Weise den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten hat“ (Bürgerschafts-Drucks. 19/2533, 58). In der ergänzend heranzuziehenden Begründung zu § 71 HmbStVollzG a. F. heißt es: „Absatz 3 entspricht weitgehend der Regelung in § 84 Absatz 3 StVollzG, ermächtigt die Anstaltsleitung jedoch, u. a. nicht erst für jeden Fall der Abwesenheit von der Anstalt Durchsuchungen nach Absatz 2 anzuordnen, sondern bereits für jede Abwesenheit von der Unterkunft der Gefangenen in der Anstalt. Die Vorschrift folgt auch insoweit einem dringenden Bedürfnis der Praxis. In großen Anstalten mit mehreren Hafthäusern und zentralen Arbeitsgebäuden, in denen zahlreiche Gefangene aus unterschiedlichen Anstaltsbereichen regelmäßig zusammentreffen, trägt diese Befugnis zu einer entscheidenden Verbesserung der Sicherheitslage bei“ (Bürgerschafts-Drucks. 18/6490, 46). 4. Hessen. § 46 HStVollzG ist wie folgt aufgebaut: 11 Abs. 1 Satz 1 hat folgenden Wortlaut: „Gefangene, ihre Sachen und die Hafträume dürfen, auch mit technischen oder sonstigen Hilfsmitteln, abgesucht oder durchsucht werden.“ 805
Ullenbruch
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Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
In der Gesetzesbegründung heißt es hierzu: „Abs. 1 unterscheidet zwischen Durchsuchung und Absuchung und ermöglicht auch den Einsatz technischer (z. B. Metalldetektorsonden) oder sonstiger Hilfsmittel (z. B. Drogenspürhunde). Der Begriff der Durchsuchung entspricht grundsätzlich dem des Polizei- und Strafprozessrechts. […] Die Absuchung ist eine mildere Maßnahme […]. Sie kann somit […] auch von Bediensteten des anderen Geschlechts vorgenommen werden“ (LT-Drucks. 18, 1396, 106). Abs. 1 Satz 2 und 3 ist inhaltsgleich und weitgehend wortgleich mit § 84 Abs. 1 Satz 2 und 3 StVollzG. Abs. 1 Satz 4 hat folgenden Wortlaut: „§ 35 Abs. 2 Satz 2 gilt entsprechend.“ In der Gesetzesbegründung heißt es hierzu: „Für Verteidigerpost gelten […] besondere Anforderungen“ (LT-Drucks. 18/1396, 107). Abs. 2 lautet wie folgt: „Nur bei Gefahr im Verzuge oder auf Anordnung der Anstaltsleitung im Einzelfall ist es zulässig, eine mit einer Entkleidung verbundene körperliche Durchsuchung vorzunehmen. Die Untersuchung von Körperöffnungen darf nur durch den ärztlichen Dienst vorgenommen werden. Abs. 1 Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Die Durchsuchung ist in einem geschlossenen Raum durchzuführen. Andere Gefangene dürfen nicht anwesend sein.“ Abs. 3 ist inhaltsgleich und weitgehend wortgleich mit § 84 Abs. 3 StVollzG. Abs. 4 lautet wie folgt: „Bei der Durchsuchung von Hafträumen nach Abs. 1 Satz 1 dürfen Unterlagen, die von Gefangenen als Schreiben von Personen nach § 33 Abs. 3 und 4 gekennzeichnet sind, einer Sichtkontrolle auf verbotene Gegenstände ohne Kenntnisnahme des Inhalts unterzogen werden.“ In der Gesetzesbegründung heißt es hierzu: „Die Erfahrungen der Praxis zeigen jedoch leider, dass in entsprechend gekennzeichneten Umschlägen und Aktenordnern durch Gefangene gerade auch verbotene Gegenstände, wie beispielsweise Geld, SIMKarten oder Drogen untergebracht werden. Insoweit muss die Möglichkeit bestehen, diese Unterlagen einer Sichtkontrolle ohne Kenntnisnahme des Inhalts unterziehen zu können. Ansonsten wäre es für Gefangene möglich, allein durch die Kennzeichnung eines Ordners als „Verteidigerpost“, einen kontrollfreien Raum zu schaffen, was erkennbar eine erhebliche Gefahr darstellen kann. Auch nach dem geltenden Recht ist eine entsprechende Kontrolle dieser Unterlagen möglich. Abs. 4 stellt dies lediglich ausdrücklich klar“ (LT-Drucks. 18/1396, 107). Vgl. auch Kommentierung Rdn. 4. 12
5. Niedersachsen. § 77 NJVollzG ist weitgehend inhaltsgleich und wortgleich mit § 84 StVollzG; neu ist lediglich die Einschränkung der Einschränkung in Abs. 1 Satz 3, der wie folgt lautet: „Satz 2 gilt nicht für das Absuchen mittels technischer Geräte ohne unmittelbaren körperlichen Kontakt“. In der Gesetzesbegründung (S. 268) heißt es hierzu: „Es ist zwar zutreffend, dass das Absuchen von Gefangenen mit Handdetektorsonden oder Detektorrahmen nach wohl herrschender Meinung eine Durchsuchung im Sinne von § 84 StVollzG darstellt […]. Diese Ansicht überzeugt jedoch nicht. Vielmehr handelt es sich bei dem Absuchen der Gefangenen mit den vorgenannten technischen Mitteln, ähnlich den Sicherheitskontrollen an Flughäfen u. ä., um eine allgemeine Überwachungsmaßnahme, die als solche mangels notwendigen körperlichen Kontaktes noch nicht in die Intimsphäre der Gefangenen eingreift. Erst wenn sich auf Grund des Absuchens ein Verdacht ergibt, der Anlass zu tatsächlichen Durchsuchungshandlungen von Vollzugsbediensteten bei den Gefangenen bietet, ist die Vorschrift einschlägig […]. Dies kann in einer Verwaltungsvorschrift deutlich gemacht werden, um den Bedürfnissen der Praxis Rechnung zu tragen“ (LT-Drucks. 15/3565, 149). Siehe Kommentierung oben Rdn. 2 und 5. Ullenbruch
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6. Musterentwurf. § 74 ME-StVollzG ist wie folgt aufgebaut: 13 Abs. 1 Satz 1 ist inhaltsgleich und weitgehend wortgleich mit § 84 Abs. 1 Satz 1 StVollzG – mit einer Ausnahme: „dürfen durchsucht werden“ wird hier wie folgt ergänzt und erweitert: „dürfen mit technischen Mitteln oder sonstigen Hilfsmitteln abgesucht und durchsucht werden“. In der ME-Begründung heißt es hierzu: „Absuchung von Personen ist ihre Kontrolle mit technischen oder sonstigen Hilfsmitteln. Hierzu zählt etwa die Suche nach Metallgegenständen mit Detektorrahmen oder Handsonden oder das Aufspüren von Drogen und Sprengstoff mit Hilfe von Hunden. Die Absuchung ist eine Überwachungsmaßnahme ohne Eingriff in den Intimbereich, die auch von Bediensteten des anderen Geschlechts vorgenommen werden kann. Durchsuchung von Personen ist die Suche nach Sachen oder Spuren auf, in oder unter der Kleidung sowie auf der Körperoberfläche und in Körperhöhlen und Körperöffnungen, die ohne einen Eingriff mit medizinischen Hilfsmitteln festzustellen sind. Absatz 1 gestattet nur die Durchsuchung mittels Abtasten der Kleidung und des Kopfes sowie die Einsicht in üblicherweise unbekleidete Körperöffnungen des Kopfes“ (ME-Begründung, 140). Abs. 1 Satz 2 und Satz 3 ist inhaltsgleich und wortgleich mit § 84 Abs. 1 Satz 2 und Satz 3 StVollzG. Abs. 2 ist inhaltsgleich und wortgleich mit § 84 Abs. 2 StVollzG. Abs. 3 hat folgenden Wortlaut: „Der Anstaltsleiter kann allgemein anordnen, dass die Gefangenen in der Regel bei der Aufnahme, vor und nach Kontakten mit Besuchern sowie vor und nach jeder Abwesenheit von der Anstalt nach Absatz 2 zu durchsuchen sind.“ In der ME-Begründung heißt es hierzu: „Absatz 3 trägt der vollzuglichen Erfahrung Rechnung, dass Außenkontakte dazu genutzt werden, verbotenerweise Gegenstände aus der Anstalt zu Verbringen oder in die Anstalt einzubringen. Diesen typischen Gefahren für die Sicherheit und Ordnung der Anstalt wird dadurch begegnet, dass der Anstaltsleiter durch eine Allgemeinanordnung eine körperliche Duchsuchung nach Absatz 2 anordnen kann. Die Anordnungsbefugnis wird allerdings eingeschränkt, weil die Duchsuchung „in der Regel“ erfolgen soll. Die Bediensteten sind deshalb gehalten, vor Anwendung der Allgemeinanordnung stets den Einzelfall abzuwägen. Ist danach die Gefahr des Einbringens oder Verbringens verbotener Gegenstände auszuschließen, darf von der Allgemeinanordnung kein Gebrauch gemacht werden (BVerfG, Beschl. vom 4.2.2009 – 2 BvR 455/08)“ (ME-Begründung, 140 f).
§ 85 Sichere Unterbringung § 85 Ullenbruch Sichere Unterbringung Ein Gefangener kann in eine Anstalt verlegt werden, die zu seiner sicheren Unterbringung besser geeignet ist, wenn in erhöhtem Maß Fluchtgefahr gegeben ist oder sonst sein Verhalten oder sein Zustand eine Gefahr für die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt darstellt. VV Die Verlegung bedarf der Zustimmung der Aufsichtsbehörde, wenn der Gefangene in eine nach dem Vollstreckungsplan nicht zuständige Anstalt verlegt werden soll. In Niedersachsen gilt aufgrund der AV d. MJ v. 26.4.1995 – 1240 – 203.6 – Nds. Rpfl. S. 121 – VORIS 31610 00 00 00 005 – folgende Fassung: 807
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Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
Die Anstaltsleitung berichtet der Aufsichtsbehörde, wenn Gefangene in eine nach dem Vollstreckungsplan nicht zuständige Anstalt verlegt werden. Schrifttum S. bei § 88.
I. II. III.
Übersicht Allgemeine Hinweise ____ 1 Erläuterungen ____ 2, 3 Landesgesetze und Musterentwurf ____ 4–9 1. Baden-Württemberg ____ 4 2. Bayern ____ 5
3. 4. 5. 6.
Hamburg ____ 6 Hessen ____ 7 Niedersachsen ____ 8 Musterentwurf ____ 9
I. Allgemeine Hinweise 1
Die Vorschrift gibt über die allgemeine Regelung des § 8 hinaus eine weitere Möglichkeit zur Verlegung (vgl. § 8 Rdn. 1 und § 69 Rdn. 11) eines Gefangenen. Sie erlaubt es, solche Gefangene, die auf Dauer eine schwere Belastung für eine Vollzugsanstalt darstellen, in eine andere Anstalt zu verlegen. Als Ausnahmeregelung gehandhabt dient dies erfahrungsgemäß dem zur Erreichung des Vollzugsziels erforderlichen Behandlungsklima in den Anstalten und bietet oft auch dem verlegten Gefangenen in der anderen Anstalt die Chance eines neuen Anfangs. Zu bedenken ist indes, dass die Verlegung eines Strafgefangenen in eine andere Anstalt ohne seinen Willen stets in dessen Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG eingreift, wobei dieser Eingriff mit schwerwiegenden Beeinträchtigungen – alle seine innerhalb der JVA entwickelten sozialen Beziehungen werden praktisch abgebrochen – verbunden sein kann (BVerfG NStZ 2007, 170; BVerfG StV 2006, 146; BVerfG NStZ 1993, 300). Zur Einweisung sog. gefährlicher Gefangener in eine bestimmte Anstalt aufgrund Vollstreckungsplans vgl. OLG Stuttgart LS ZfStrVo 1985, 191. Zur Verlegung innerhalb derselben Anstalt vgl. Rdn. 2 a. E. II. Erläuterungen
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1. Voraussetzung ist erhöhte Fluchtgefahr (bzw. „Gefahr der Entweichung oder Befreiung“ – so die etwas gekünstelte Differenzierung in § 75 ME-StVollzG; vgl. Rdn. 9) des Gefangenen oder sein Verhalten oder sein Zustand, die eine Gefahr für die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt (§ 81 Rdn. 7) darstellen. Diese Gründe entsprechen denen in § 88 Abs. 1 und Abs. 3. Die Gefahr eines Selbstmordes oder einer Selbstverletzung rechtfertigt demnach eine Verlegung (LG Wiesbaden ZfStrVo SH 1979, 88; a. A. Feest/Köhne 2012 Rdn. 5). Auch der Umstand, dass ein Inhaftierter von Mitinsassen der Anstalt eines bestimmten Verhaltens (z. B. der Beschädigung eines im Freizeitraum befindlichen Billardtisches) verdächtigt wird und hierdurch eine erhebliche Unruhe sowie die Gefahr einer Eskalation mit dem latenten Risiko von Übergriffen entstanden ist, kann grundsätzlich als ein sicherheits- und ordnungsgefährdender Zustand des Verdächtigen aufgefasst werden (OLG Hamburg ZfStrVo 1991, 312 = BlStV 4/1992, 1; wie hier auch Arloth 2011 Rdn. 2; a. A. KG vom 27.8.2007 – 2/5 Ws 376/06 Vollz; offengelassen in BVerfG NStZ 2007, 170). Dabei sind jedoch die Grundsätze rechtsstaatlicher Zurechnung zu beachten. Damit unvereinbar ist es, wenn die Gefahr, dass bestimmte Personen sich in rechtswidriger Weise verhalten, nicht „im Regelfall“ vorrangig diesen Personen zugerechnet und nach Möglichkeit durch ihnen gegenüber zu ergreifenden Maßnahmen abgewehrt wird, sondern „ohne weiteres“ Dritte oder gar die potentiellen Opfer des drohenden rechtswidUllenbruch
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rigen Verhaltens zum Objekt eingreifender Maßnahmen der Gefahrenabwehr gemacht werden (BVerfG NStZ 2007, 170; BVerfG StV 2006, 146). Rechtsstaatliche Zurechnung muss vielmehr stets darauf ausgerichtet sein, nicht rechtswidriges, sondern rechtmäßiges Verhalten zu begünstigen (vgl. BVerfG DVBl 2006, 910). Dem läuft es „grundsätzlich“ zuwider, wenn Maßnahmen zur Abwehr drohenden rechtswidrigen Verhaltens nicht vorrangig gegen den oder die Störer, sondern „ohne weiteres“ gegen den von solchem rechtswidrigem Verhalten potentiell Betroffenen ergriffen werden. Besondere Umstände, die ein derartiges Vorgehen „ausnahmsweise“ rechtfertigen könnten, sind denkbar, sie müssen jedoch entweder ersichtlich sein oder nachvollziehbar geltend gemacht werden (BVerfG NStZ 2007, 170). – Die Beurteilung der gesetzlichen Voraussetzungen steht nicht im Ermessen der Vollzugsbehörde und ist in vollem Umfang gerichtlich überprüfbar (OLG Celle ZfStrVo 1981, 316 = NStZ 1981, 407; AK-Feest/Köhne 2012 Rdn. 7; a. A. Arloth 2011 Rdn. 2). Die Begriffe „Sicherheit und Ordnung“ sind unbestimmte Rechtsbegriffe, die der richterlichen Kontrolle unterliegen. Das Gericht hat insbesondere zu prüfen, ob die Vollzugsbehörde bei ihrer Entscheidung von einem zutreffend und vollständig ermittelten Sachverhalt ausgegangen ist (LG Koblenz StV 1998, 42). – Erst wenn die gesetzlichen Voraussetzungen gegeben sind, hat die Behörde nach ihrem pflichtgemäßen Ermessen zu entscheiden, ob der Gefangene verlegt werden soll. Dabei ist auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Die Verlegung eines Gefangenen „gegen dessen Willen“ ist daher auch bei Vorliegen einer Gefahr i. S. von § 85 nur zulässig, wenn dieser Gefahr in der JVA nicht mit milderen Mitteln angemessen begegnet werden kann (BVerfG NStZ 2007, 170; vgl. auch BVerfG StV 2006, 146). Die Frage, ob die Anstalt, in die er verlegt werden soll, zu einer sicheren Unterbringung besser geeignet ist, ist ebenfalls vom Gericht in vollem Umfange nachprüfbar (OLG Celle aaO; OLG München ZfStrVo SH 1979, 87). Es kommen Anstalten gleichen Sicherheitsgrades (wenn der Gefangene z. B. von Mitgefangenen oder einem von ihm bedrohten Bediensteten getrennt werden soll) oder Anstalten höheren Sicherungsgrades (bei besonders gewalttätigen Insassen und Ausbrechern) in Betracht. Die Verlegung kann z. B. dazu dienen, dem Gefangenen die Kenntnisse von Arbeitsabläufen in der Ausgangsanstalt, von Sicherheitseinrichtungen oder von Schwachstellen der Anstaltssicherheit zu entziehen, etwa wenn er zuvor seine Flucht unter Ausspähung mannigfaltiger baulicher Eigenheiten der Anstaltsgebäude aus langer Hand vorbereitet und dabei Kenntnisse erworben hat, die nicht nur ihm bei Fluchtvorhaben nutzen könnten, sondern sich zur Weitergabe an andere fluchtwillige Gefangene eigneten (KG vom 29.7.2011 – 2 Ws 277/11 Vollz). Die Anforderungen an eine zureichende Sachaufklärung z. B. beim Verdacht der Weitergabe der Privatadresse eines Abteilungsleiters an einen Mitgefangenen sind aufgrund der auch insoweit gegebenen Rechtsschutzgarantie hoch (BVerfG vom 26.8.2008 – 2 BvR 679/07). Andererseits kann aber auch eine ernst zu nehmende Bedrohung eines Bediensteten durch einen Gefangenen die Ordnung der Anstalt schwerwiegend gefährden und eine Verlegung des Gefangenen in eine andere Anstalt rechtfertigen (OLG Karlsruhe StraFo 2010, 128). Die konstante Weigerung eines Gefangenen, Anstaltskleidung zu tragen, kann eine andauernde Gefahr für die Ordnung der Anstalt und im Einzelfall erhöhte Fluchtgefahr begründen und daher eine Verlegung rechtfertigen, wobei eine erschwerte Besuchsabwicklung hinter der sicheren Unterbringung zurücktreten muss (OLG Bremen LS BlStV 3/1984, 7). – Für die Verlegung in eine Anstalt des Maßregelvollzuges ist nicht § 85, sondern § 9 anzuwenden (RegE, BT-Drucks. 7/918, 77; C/MD 2008 Rdn. 1). Die Rückverlegung aus Behandlungsgründen ist am Maßstab des § 9 Abs. 1 Satz 2, die Rückverlegung aus Sicherheitsgründen am Maßstab des § 85 zu orientieren (vgl. § 9 Abs. 3). – In der Regel wird der Gefangene bei einer Entscheidung nach § 85 in eine nach dem Vollstreckungsplan nicht zuständige Anstalt verlegt. In diesem Falle bedarf die Verlegung 809
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nach der VV der Zustimmung der Aufsichtsbehörde. Wegen der Unterbringung eines entwichenen Gefangenen nach Wiederergreifung KG NStZ 1983, 47. Die Verlegung in einen stärker gesicherten Bereich innerhalb derselben Anstalt stellt in der Regel keine Maßnahme nach § 85 dar und darf vom Anstaltsleiter nach pflichtgemäßem Ermessen angeordnet werden, z. B. bei Vorliegen konkreter Anhaltspunkte für Drogenhandel (KG NStZ 1999, 446 M; ähnlich bereits KG NStZ 1998, 397, 399 M und KG 1989, 479; Arloth 2011 Rdn. 1). Etwas anderes gilt allerdings bei Verlegungen in eine Zweigstelle, wenn wegen der großen räumlichen Entfernung (z. B. 200 Kilometer) mit der Verlegung eine Unterbrechung der bisherigen Sozialkontakte einhergeht (OLG Celle NStZ-RR 2007, 192; a. A. LG Köln NStZ 1983, 431). 3
2. Der vom Gesetzgeber in § 85 getroffenen Entscheidung steht die Einrichtung von einer der geschlossenen Anstalt angegliederten Hochsicherheits-(„High Security-“)Abteilung für terroristische Gefangene nicht entgegen, solange sich solche Institutionen nicht nachteilig für die übrigen Gefangenen auswirken und der Behandlungsvollzug nicht beeinträchtigt wird (ebenso Arloth 2011 Rdn. 1). Der Ansicht von C/MD 2008 Rdn. 2, dass solche Abteilungen wie auch sog. „Sicherheitsabteilungen“ (bei Unterbringung aufgrund einer Anordnung gem. § 88) „notwendig auf die gesamte Struktur des übrigen Vollzuges in der Anstalt zurückschlagen“, kann nicht zugestimmt werden. Die Konzentration solcher gefährlicher Gefangenen auf besondere Abteilungen einiger weniger geschlossener Vollzugsanstalten dürfte vielmehr gerade dem Sinn des § 85 entsprechen und erscheint zur Durchführung des Resozialisierungsvollzugs an den anderen Gefangenen geradezu unerlässlich (krit. hingegen AK-Feest/Köhne 2012 Rdn. 4; vgl. auch Grunau/Tiesler Vorb. vor § 81 Rdn. 3). Zur Sinnhaftigkeit eines „Verlegungskarussells“ bei besonders gefährlichen, aggressiven und personalintensiven Gefangenen vgl. Arloth 2011 Rdn. 1; krit. auch dazu AK-Feest/Köhne 2012 Rdn. 3. III. Landesgesetze und Musterentwurf
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1. Baden-Württemberg. § 65 JVollzGB III ist inhaltsgleich und weitgehend wortgleich mit § 85 StVollzG.
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2. Bayern. Art. 92 BayStVollzG ist inhaltsgleich und weitgehend wortgleich mit § 85 StVollzG.
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3. Hamburg. § 9 HmbStVollzG ist wie folgt aufgebaut: Abs. 1 entspricht im Wesentlichen § 8 Abs. 1 StVollzG. Abs. 2 hat folgenden Wortlaut: „Die Gefangenen dürfen auch verlegt werden, wenn in erhöhtem Maß Fluchtgefahr gegeben ist oder sonst ihr Verhalten, ihr Zustand oder ihre Kontakte zu anderen Gefangenen eine Gefahr für die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt darstellen und die aufnehmende Anstalt wegen der mit der Verlegung bewirkten Veränderungen der Haftverhältnisse oder wegen höherer Sicherheitsvorkehrungen zur sicheren Unterbringung der Gefangenen besser geeignet ist“. In der ergänzend heranzuziehenden (vgl. Bürgerschafts-Drucks. 19/2533, 53) Gesetzesbegründung zu § 9 HmbStVollzG a. F. heißt es dazu: „Absatz 2 erfasst entsprechend § 85 StVollzG ausschließlich Verlegungen aus Sicherheitsgründen, erweitert aber den Regelungsumfang. Nach § 9 Absatz 2 dürfen Gefangene über die Voraussetzungen des § 85 StVollzG hinaus auch dann verlegt werden, wenn die Gefahr für die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt aus den Kontakten dieser Gefangenen zu anderen Gefangenen herrührt und die aufnehmende Anstalt unter anderem wegen der mit der Verlegung bewirkUllenbruch
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ten Veränderungen der Haftverhältnisse bereits zur sicheren Unterbringung der Gefangenen besser geeignet ist. Die ergänzende Regelung reagiert auf ein dringendes Bedürfnis der Praxis, Gefangene auch dann verlegen zu dürfen, wenn ihre belegbaren subkulturellen Verflechtungen innerhalb einer Anstalt, etwa im Zusammenhang mit dem anstaltsinternen Handel mit illegalen Drogen oder im Zusammenhang mit zureichenden Anhaltspunkten für Ausbruchsvorbereitungen, die Verlegung geboten erscheinen lassen und die aufnehmende Anstalt in diesen Fällen deshalb zur sicheren Unterbringung der Gefangenen besser geeignet ist, weil die Gefangenen mit der Verlegung aus den vertrauten und im Einzelfall auch beherrschten subkulturellen Strukturen herausgelöst und in einer ihnen fremden vollzuglichen Umgebung mit neuen, ihnen nicht vertrauten Gebäude-, Organisations- und Personalstrukturen untergebracht werden. Allein damit wird die Sicherheitslage bereits nachhaltig verbessert. Es kommt in diesen Fällen nicht mehr darauf an, dass die aufnehmende Anstalt außerdem über höhere Sicherheitsvorkehrungen als die abgebende Anstalt verfügt“ (Bürgerschafts-Drucks. 18/6490, 33). Abs. 3 entspricht im Wesentlichen § 8 Abs. 2 StVollzG. Abs. 4 lautet wie folgt: „§ 92 bleibt unberührt“. In der ergänzend heranzuziehenden Begründung zu § 9 HmbStVollzG a. F. heißt es: „Absatz 4 stellt klar, dass neben einer Verlegung nach § 9 unter den Voraussetzungen des § 93 auch eine Rückverlegung angeordnet werden kann“ (Bürgerschafts-Drucks. 18/6490, 33). Abs. 5 (ausgelassene Regelung zur Ausantwortung an Polizeibehörden). 4. Hessen. Eine eigenständige, § 85 StVollzG vergleichbare Vorschrift enthält das 7 HStVollzG nicht. Lediglich in § 11 Abs. 1 Nr. 2 HStVollzG findet sich folgende Formulierung: „Die Gefangenen können abweichend vom Vollstreckungsplan […] verlegt […] werden, wenn dies […] aus Gründen der Sicherheit und Ordnung der Anstalt […] erforderlich ist.“ 5. Niedersachsen. Verlegungen zur sicheren Unterbringung sind in § 10 Absatz 1 8 Nr. 3 und Nr. 4 NJVollzG geregelt, der folgenden Wortlaut hat: „Die oder der Gefangene kann abweichend vom Vollstreckungsplan in eine andere Anstalt verlegt werden, wenn […] 3. ihr oder sein Verhalten oder Zustand eine Gefahr für die Sicherheit der Anstalt oder eine schwer wiegende Störung der Ordnung darstellt und diese durch die Verlegung abgewehrt wird, 4. ohne Rücksicht auf ihr oder sein Verhalten oder ihren oder seinen Zustand eine Gefahr für die Sicherheit der Anstalt oder eine schwer wiegende Störung der Ordnung nicht anders abgewehrt werden kann, […]“. In der Gesetzesbegründung heißt es hierzu: „Gegenüber der bisherigen Regelung in § 85 StVollzG sind in Absatz 1 Nr. 3 die Möglichkeiten einer Verlegung aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung der Anstalt erweitert worden. Aus Ordnungsgründen ist eine Verlegung nur möglich, wenn eine schwer wiegende Störung eingetreten ist und mit der Verlegung auch tatsächlich beseitigt werden kann. In der Regel werden hiervon nur störende Gefangene betroffen sein. Unter die Tatbestandsvariante einer Gefahr für die Sicherheit der Anstalt sind zunächst die Fallkonstellationen des § 85 StVollzG zu fassen. Darüber hinaus genügt aber auch eine abstrakte Gefahrenlage, deren Anknüpfungspunkte zum Beispiel der Fluchtversuch in einer früheren Inhaftierung oder allgemeine Merkmale sein können wie die Vollzugsdauer, die voraussichtliche Straferwartung, die kriminelle Entwicklung oder die Gefährlichkeit für die Allgemeinheit, die in den Straftaten zum Ausdruck kommt, die in der laufenden Inhaftierung zu vollstrecken sind oder wegen denen Haftbefehl erlassen worden ist. Wie Absatz 1 Nr. 2 trägt auch diese Vorschrift dazu bei, eine strukturelle Übersicherung des geschlossenen Vollzuges zu ver811
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meiden. Nachteilige Wirkungen für die Erreichung des Vollzugszieles nach § 5 Satz 1 des Entwurfs sind bei der Ausübung des Ermessens angemessen zu berücksichtigen. […] Nach der bisherigen Regelung in § 85 StVollzG waren die Voraussetzungen für eine Verlegung aus Sicherheitsgründen, wie sie von der Rechtsprechung interpretiert wurden, zu eng. So ist es gegenwärtig Voraussetzung für eine Verlegung nach § 85 StVollzG, dass von dem betreffenden Gefangenen selbst eine konkrete Gefahr ausgehen muss, die sich auch bereits in bestimmten Umständen manifestiert haben muss (z. B. in einem tatsächlichen Fluchtversuch). Durch die vorgesehene Neuregelung soll es ermöglicht werden, auch bereits abstrakte Gefahren […] sowie Situationen zu erfassen, in denen die Gefahr nicht unmittelbar von dem Gefangenen selbst ausgeht. Selbstverständlich werden aber auch weiterhin der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, das Vollzugsziel der sozialen Integration sowie der Grundsatz zu beachten sein, dass Maßnahmen der Gefahrenabwehr in der Regel gegen die sich rechtswidrig verhaltende Person (den „Störer“) zu richten sind […]. Hinsichtlich von Gefahren für die Ordnung der Anstalt sollen die Tatbestandsvoraussetzungen im Übrigen gegenüber § 85 StVollzG noch verschärft werden“ (LT-Drucks. 15/3565, 93 f). 9
6. Musterentwurf. § 75 ME-StVollzG ist inhaltsgleich und weitgehend wortgleich mit § 85 StVollzG – mit einer Ausnahme: Der Begriff „Fluchtgefahr“ wird hier durch die Formulierung „Gefahr der Entweichung oder Befreiung“ ersetzt. In der ME-Begründung heißt es hierzu: „Die Bestimmung verwendet den Begriff „Gefahr der Entweichung“, um eine Abgrenzung vom Begriff der „Fluchtgefahr“ im Sinne des § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO zu erreichen. Die Fluchtgefahr der Strafprozessordnung betrifft das Strafverfahren, die Gefahr einer Entweichung hingegen die Sicherheit der Anstalt, zu der auch die äußere Sicherheit gehört“ (ME-Begründung, 141). Vgl. auch Kommentierung Rdn. 2.
§ 86 Erkennungsdienstliche Maßnahmen § 86 Ullenbruch Erkennungsdienstliche Maßnahmen (1) Zur Sicherung des Vollzuges sind als erkennungsdienstliche Maßnahmen zulässig 1. die Abnahme von Finger- und Handflächenabdrücken, 2. die Aufnahme von Lichtbildern mit Kenntnis des Gefangenen, 3. die Feststellung äußerlicher körperlicher Merkmale, 4. Messungen. (2) Die gewonnenen erkennungsdienstlichen Unterlagen werden zu den Gefangenenpersonalakten genommen. Sie können auch in kriminalpolizeilichen Sammlungen verwahrt werden. Die nach Absatz 1 erhobenen Daten dürfen nur für die in Absatz 1, § 87 Abs. 2 und § 180 Abs. 2 Nr. 4 genannten Zwecke verarbeitet und genutzt werden. (3) Personen, die aufgrund des Absatzes 1 erkennungsdienstlich behandelt worden sind, können nach der Entlassung aus dem Vollzug verlangen, dass die gewonnenen erkennungsdienstlichen Unterlagen mit Ausnahme von Lichtbildern und der Beschreibung von körperlichen Merkmalen vernichtet werden, sobald die Vollstreckung der richterlichen Entscheidung, die dem Vollzug zugrunde gelegen hat, abgeschlossen ist. Sie sind über dieses Recht bei der erkennungsdienstlichen Behandlung und bei der Entlassung aufzuklären.
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Erkennungsdienstliche Maßnahmen
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Schrifttum S. bei § 88.
I. II. III.
Übersicht Allgemeine Hinweise ____ 1 Erläuterungen ____ 2–5 Landesgesetze und Musterentwurf ____ 6–11 1. Baden-Württemberg ____ 6 2. Bayern ____ 7
3. 4. 5. 6.
Hamburg ____ 8 Hessen ____ 9 Niedersachsen ____ 10 Musterentwurf ____ 11
I. Allgemeine Hinweise Die Stellung des § 86 im Gesetz macht deutlich, dass die hier geregelten erken- 1 nungsdienstlichen Maßnahmen nur zur Sicherung des Vollzuges (allgemein § 81 Rdn. 1) zulässig sind. Die Vorschrift ist die gesetzliche Ermächtigung für die in Nr. 23 VGO erwähnten Maßnahmen. Die Aufnahme, Speicherung und Nutzung von Lichtbildern zur Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung der Anstalt ist Gegenstand der Folgevorschrift (§ 86 a). Die Verpflichtung eines Gefangenen, einen Lichtbildausweis mit sich zu führen, wenn dies aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung der Anstalt erforderlich ist, ist in § 180 Abs. 1 Satz 2 geregelt (§ 180 Rdn. 10). II. Erläuterungen 1. Die in Abs. 1 bezeichneten Maßnahmen sollen vor allem dazu dienen, die Fahn- 2 dung und Wiederergreifung flüchtiger Gefangener zu erleichtern. Sie dienen im übrigen nur zur Sicherung des Vollzuges der Freiheitsstrafe, d. h. der Gewährleistung des durch den Freiheitsentzug begründeten Gewahrsams, nicht aber der Schaffung geordneter Verhältnisse innerhalb der Anstalt (OLG Koblenz ZfStrVo 1985, 56). Die Maßnahmen sind an keine Mindestvollzugsdauer geknüpft (vgl. BT-Drucks. 7/3998, 33: Der SA hatte ein Jahr Mindestvollzugsdauer vorgeschlagen). Aus der Fassung „sind zulässig“ ergibt sich, dass die Vollzugsbehörde nicht verpflichtet ist, die genannten Maßnahmen zu ergreifen. Dies liegt in ihrem Ermessen. Der Gesetzgeber wollte erkennungsdienstliche Maßnahmen nicht generell zum Bestandteil des Aufnahmeverfahrens machen (vgl. Prot., S. 1923; C/MD 2008 Rdn. 1). Es wäre aber eine Überforderung für die Praxis, in jedem Einzelfalle die Notwendigkeit der Anordnung von erkennungsdienstlichen Maßnahmen zu prüfen (so die Ansicht von C/MD 2008 und AK-Feest/Köhne 2012 Rdn. 3), zumal Gründe für eine Fluchtgefahr zu Beginn des Vollzuges in der Regel noch nicht erkennbar sein können. Neben früherer Flucht oder Fluchtversuchen oder Zugehörigkeit zu einer kriminellen Vereinigung ist daher auch längere Vollzugsdauer zur Begründung von Maßnahmen nach § 86 ausreichend (OLG Frankfurt NStZ-RR 2000, 29; Arloth 2011 Rdn. 1). Dieser Erkenntnis trägt Nr. 23 VGO Rechnung. Nur bei Strafgefangenen mit einer Vollzugsdauer von mehr als einem Monat wird eine Personenbeschreibung aufgenommen. Lichtbilder werden nach einer Anordnung aller Landesjustizverwaltungen seit September 1987 bei der Erstaufnahme von allen Untersuchungs- und Strafgefangenen (nicht nur bei Vollzugsdauer von mehr als einem Jahr – vgl. Nr. 23 Abs. 2 VGO –) und Sicherungsverwahrten aufgenommen und zu den Personalakten genommen. Die Anfügung der Wörter „mit Kenntnis des Gefangenen“ in Abs. 1 Nr. 3 erfolgte durch das 6. StVollzGÄndG mit Wirkung zum 6.10.2002 (BGBl. I, 3954). Sie dient lediglich der Klarstellung. Die Abnahme von Finger- und Handflächenabdrücken ist in der VGO nicht vorgesehen und findet in der Praxis auch nicht statt, weil sie sinnlos ist und diskriminierend wirkt (a. A. wohl Ar813
Ullenbruch
§ 86
Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
loth 2011 Rdn. 2). Die Abnahme von Fingerabdrücken bei Selbststellern zur Identitätsprüfung – so in ergänzenden Bestimmungen von Hessen zu Nr. 25 VGO vorgesehen – ist durch § 86 nicht gerechtfertigt. Die Feststellung äußerlicher körperlicher Merkmale (z. B. Tätowierungen; krit. dazu AK-Feest/Köhne 2012 Rdn. 2) sowie Messungen (Größe, Gewicht) erfolgen ohnehin durch den Anstaltsarzt im Rahmen der Untersuchung gem. § 5 Abs. 2. Allenfalls die Aufnahme eines Lichtbildes könnte bei den Gefangenen zu einer „Abwehrhaltung“ oder „Abneigung gegen Beamte“ führen (so AK-Feest/Köhne 2012 Rdn. 4). Nach Aufnahme von Lichtbildern sollte von Zeit zu Zeit überprüft werden, ob diese noch dem Aussehen des Gefangenen entsprechen (Bart, Haarwuchs). Zumindest nach Ablauf von jeweils drei Jahren dürfen jeweils neue Lichtbilder gefertigt und in personenbezogenen Dateien gespeichert werden (OLG Nürnberg FS 2010, 53 LS – zu Art. 93 Abs. 2 BayStVollzG; vgl. auch OLG Frankfurt NStZ-RR 2000, 29 und Brandenburgisches OLG ZfStrVo 2005, 123). Sämtliche bislang in Kraft getretene Landesgesetze sehen zusätzlich die Erfassung biometrischer Merkmale vor (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 BayStVollzG, § 72 Abs. 1 Nr. 2 HmbStVollzG, § 58 Abs. 2 Nr. 4 HStVollzG, § 78 Abs. 1 Nr. 2 NJVollzG; vgl. Rdn. 6 ff. 2. Gem. Abs. 2 Satz 1 und 2 werden die nach Abs. 1 gewonnenen Unterlagen zu den Personalakten des Gefangenen (vgl. dazu § 108 Rdn. 9; § 115 Rdn. 7; § 185 Rdn. 1 ff) genommen oder in kriminalpolizeilichen Sammlungen verwahrt. Eine „Akte“ i. S. d. Vorschrift kann auch in elektronischer Form geführt werden. Entscheidend ist nicht das Medium, auf dem eine Datensammlung geführt wird, also Papier oder elektronisches Ablegen (a. A. OLG Hamm ZfStrVo 2001, 315 = NStZ 2002, 530 M und OLG Celle NStZ 2003, 54). Es kommt auf den Inhalt bzw. die Art der Datensammlung an. Des Rückgriffs auf eine „Analogie“ (so Bothge ZfStrVo 2001, 333) bedarf es nicht. Demzufolge können Lichtbilder durchaus in elektronisch geführte Gefangenenpersonalakten aufgenommen werden, sofern diese den gleichen Zugriffsbeschränkungen wie Personalakten in Papierform unterliegen (wie hier Tolzmann NStZ 2003, 55 f in Anm. zu OLG Hamm und OLG Celle aaO; vgl. auch § 58 Abs. 3 HStVollzG, Rdn. 9). § 86 kann als Rechtsgrundlage aber nur dann herangezogen werden, wenn die Aufnahme zu „erkennungsdienstlichen Zwecken“ erfolgt ist (ausführlich dazu unten Rdn. 4). 4 Gem. Abs. 2 Satz 3 (durch das 4. StVollzGÄndG mit Wirkung zum 1.12.1998 eingefügt) dürfen die nach Abs. 1 erhobenen Daten nur für bestimmte Zwecke verarbeitet und genutzt werden, u. a. für Zwecke der Fahndung und Festnahme nach Entweichung oder Nichtrückkehr vom Urlaub/Ausgang (§ 87 Abs. 2) sowie zur Verhinderung oder Verfolgung von Straftaten und solcher Ordnungswidrigkeiten, durch welche die Sicherheit und Ordnung der Anstalt gefährdet wird (§ 180 Abs. 2 Nr. 4). Nach dieser Vorschrift nicht zulässig ist hingegen die Aufnahme von Lichtbildern zu dem allgemeinen Zweck der „Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung der Anstalt“ (insoweit zutreffend OLG Hamm ZfStrVo 2001, 315 und OLG Celle NStZ 2003, 54). Diese Lücke hat der Gesetzgeber inzwischen geschlossen. Durch das 6. StVollzGÄndG wurde mit Wirkung zum 6.10.2002 der dies regelnde § 86 a eingefügt. Nach Abs. 3 (Neufassung des 4. StVollzGÄndG) kann der Gefangene nach seiner Ent5 lassung die Vernichtung der gewonnenen erkennungsdienstlichen Unterlagen mit Ausnahme von Lichtbildern und der Beschreibung von körperlichen Merkmalen verlangen, sobald die Vollstreckung abgeschlossen ist. Der vorzeitig entlassene Gefangene hat erst nach erfolgreicher Beendigung der Bewährungszeit einen Anspruch auf Vernichtung der Unterlagen. Gem. Abs. 3 Satz 2 ist er bei der erkennungsdienstlichen Behandlung und bei der Entlassung über seinen Anspruch aufzuklären (vgl. Nr. 23 Abs. 4 VGO). 3
Ullenbruch
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Erkennungsdienstliche Maßnahmen
§ 86
III. Landesgesetze und Musterentwurf 1. Baden-Württemberg. Die Erhebung von Daten ist in §§ 31 ff JVollzGB III überaus 6 komplex und detailliert geregelt. Eine Kommentierung im Einzelnen würde den vorliegenden Rahmen sprengen. 2. Bayern. Sämtliche erkennungsdienstliche Maßnahmen sind in Art. 93 BaySt- 7 VollzG geregelt, der wie folgt aufgebaut ist: Abs. 1 hat folgenden Wortlaut: „Zur Sicherung des Vollzugs, zur Aufrechterhaltung der Sicherheit oder Ordnung der Anstalt oder zur Identitätsfeststellung sind mit Kenntnis der Gefangenen zulässig 1. die Aufnahme von Lichtbildern, 2. die Feststellung äußerlicher körperlicher Merkmale, 3. Messungen, 4. die Erfassung biometrischer Merkmale von Fingern, Händen, Gesicht und Stimme“. In der Gesetzesbegründung heißt es hierzu: „Abs. 1 regelt die zulässigen erkennungsdienstlichen Maßnahmen abschließend. […] Die Erfassung biometrischer Daten ist die sicherste Methode, die Identität einer Person festzustellen. Sie ist technisch ausgereift, einfach handhabbar und wird deshalb außerhalb des Vollzugs in Sicherheitsbereichen bereits angewendet (vgl. z. B. § 4 Abs. 3 Satz 1 PaßG)“ (LT-Drucks. 15/8101, 68). Abs. 2 hat folgenden Wortlaut: „Die hierbei gewonnenen Unterlagen oder Daten werden zu den Gefangenenpersonalakten genommen oder in personenbezogenen Dateien gespeichert. Sie können auch in kriminalpolizeilichen Sammlungen verwahrt werden. Die nach Abs. 1 erhobenen Daten dürfen nur für die in Abs. 1, Art. 95 Abs. 2 und Art. 197 Abs. 2 Nr. 4 genannten Zwecke verarbeitet und genutzt werden“. § 86 Abs. 3 Satz 1 StVollzG ist ersatzlos entfallen. In der Gesetzesbegründung (S. 79) heißt es hierzu: „Das Recht der Gefangenen auf Vernichtung erkennungsdienstlicher Unterlagen aus § 86 Abs. 3 Satz 1 StVollzG hat in der Praxis keine Bedeutung erlangt und war außerdem durch Herausnahme der Lichtbilder und der festgestellten körperlichen Merkmale praktisch inhaltsleer. Auf eine entsprechende Regelung wurde daher verzichtet“ (LT-Drucks. 15/8101, 68). 3. Hamburg. Erkennungsdienstliche Maßnahmen sind in § 71 HmbStVollzG gere- 8 gelt, der wie folgt aufgebaut ist: Abs. 1 lautet: „Zur Sicherung des Vollzuges, zur Aufrechterhaltung der Sicherheit oder Ordnung der Anstalt oder zur Identitätsfeststellung sind mit Kenntnis der Gefangenen zulässig 1. die Aufnahme von Lichtbildern, 2. die Erfassung biometrischer Merkmale von Fingern, Händen, Gesicht und Stimme, 3. die Feststellung äußerlicher körperlicher Merkmale, 4. Körpermessungen.“ In der ergänzend heranzuziehenden Gesetzesbegründung zu § 72 HmbStVollzG a. F. heißt es hierzu: „Absatz 1 regelt die zur Sicherung des Vollzuges, zur Aufrechterhaltung der Sicherheit oder Ordnung der Anstalt oder zur Identitätsfeststellung zulässigen erkennungsdienstlichen Maßnahmen abschließend“ (Bürgerschafts-Drucks. 16/6490, 46). Abs. 2 lautet: „Die gewonnenen Unterlagen und Daten werden zu den Gefangenenpersonalakten genommen oder in personenbezogenen Dateien gespeichert. Sie können auch in kriminalpolizeilichen Sammlungen verwahrt werden. Sie dürfen nur für die in Absatz 1, in § 73 Absatz 2 und § 120 Absatz 2 Nummer 4 sowie Absatz 4 Satz 1 Nummer 1 fünfte Alternative und Satz 2 Nummer 2 genannten Zwecke verarbeitet werden“. 815
Ullenbruch
§ 86
Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
In der Gesetzesbegründung heißt es hierzu: „Absatz 2 regelt nicht mehr die „Verarbeitung und Nutzung“ der durch die erkennungsdienstlichen Maßnahmen gewonnenen Daten und Unterlagen, sondern nur noch die Verarbeitung. Nach § 4 Absatz 2 Satz 1 des Hamburgischen Datenschutzgesetzes ist das Nutzen von Daten ein Unterfall der Datenverarbeitung. Weiter schränkt Absatz 2 aus Gründen der Verhältnismäßigkeit die Verarbeitung der durch die erkennungsdienstlichen Maßnahmen gewonnenen Daten und Unterlagen ein. Diese dürfen nur für Zwecke der Fahndung und der Festnahme entwichener oder sich sonst ohne Erlaubnis außerhalb der Anstalt aufhaltender Gefangener, zur Verhinderung oder Verfolgung von Straftaten sowie zur Verhinderung oder Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten, durch welche die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt gefährdet werden, für Maßnahmen der Führungsaufsicht, zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten von erheblicher Bedeutung bei Hinweisen auf eine fortbestehende erhebliche Gefährlichkeit der Gefangenen für die Allgemeinheit oder für die in Absatz 1 genannten Zwecke verarbeitet werden“ (Bürgerschafts-Drucks. 19/2533, 59). Abs. 3 lautet: Die in Dateien gespeicherten personenbezogenen Daten sind spätestens drei Jahre nach der Entlassung oder Verlegung der Gefangenen in eine andere Anstalt zu löschen“. In der Gesetzesbegründung heißt es hierzu: „Absatz 3 enthält eine kürzere bereichsspezifische Löschungsfrist. Der Unterschied zu den Löschungsfristen nach den datenschutzrechtlichen Bestimmungen des vierten Teils ergibt sich aus der besonderen Sensibilität dieser Daten“ (Bürgerschafts-Drucks. 19/2533, 59). 9
4. Hessen. Erkennungsdienstliche Maßnahmen sind in § 58 HStVollzG geregelt, der wie folgt aufgebaut ist: Abs. 1 bezieht sich allgemein auf die Zulässigkeit und Verarbeitung personenbezogener Daten (vgl. § 179). Abs. 2 hat folgenden Wortlaut: „Zur Sicherung des Vollzuges, zur Aufrechterhaltung der Sicherheit oder Ordnung der Anstalt oder zur Identitätsfeststellung sind mit Kenntnis der Gefangenen zulässig: die Abnahme von Finger- und Handflächenabdrücken, die Aufnahme von Lichtbildern, die Feststellung äußerlicher körperlicher Merkmale die elektronische Erfassung biometrischer Merkmale und Körpermessungen.“ In der Gesetzesbegründung heißt es hierzu: „Die Überprüfung der Identität von Gefangenen ist für die Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung von großer Bedeutung. Dafür sind insbesondere die Aufnahme von Lichtbildern und die Erfassung biometrischer Merkmale im Sinne der Nr. 4 sowie deren elektronische Speicherung erforderlich. Die Erfassung biometrischer Merkmale ist die sicherste Methode, die Identität einer Person festzustellen“ (LT-Drucks. 18/1396, 69). Abs. 3 lautet wie folgt: „Alle zur Person der Gefangenen erhobenen und für den Vollzug der Freiheitsstrafe erforderlichen Daten einschließlich derjenigen, die nach Abs. 2 erhoben worden sind, sind in eine Gefangenenpersonalakte aufzunehmen, die auch elektronisch geführt werden kann. Daten, die den Gesundheitszustand betreffen, und die sonstigen in § 61 Abs. 2 und 3 aufgeführten personenbezogenen Daten sind getrennt von der Personalakte zu führen.“
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5. Niedersachsen. Erkennungsdienstliche Maßnahmen sind in § 78 NJVollzG geregelt, der wie folgt aufgebaut ist: Ullenbruch
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Lichtbilder
§ 86a
Abs. 1 hat folgenden Wortlaut: „Zur Sicherung des Vollzuges, zur Aufrechterhaltung der Sicherheit oder Ordnung der Anstalt oder zur Identitätsfeststellung sind mit Kenntnis der oder des Gefangenen zulässig 1. die Aufnahme von Lichtbildern, 2. die Erfassung biometrischer Merkmale von Fingern, Händen, Gesicht, 3. Stimmaufzeichnungen, 4. Messungen des Körpers sowie 5. die Feststellung äußerlicher körperlicher Merkmale“. In der Gesetzesbegründung heißt es hierzu: „In […] ist nunmehr vorgesehen, unter welchen Voraussetzungen die Erhebung bestimmter Daten bei den Gefangenen zulässig ist. Der Katalog der Merkmale, die erfasst werden dürfen, wird in Absatz 1 Nr. 2 gegenüber § 86 Abs. 1 StVollzG um biometrische Daten von Gesicht und Stimme erweitert, Dies trägt den aktuellen Entwicklungen im Bereich erkennungsdienstlicher Maßnahmen auch in anderen Rechtsgebieten Rechnung“ (LT-Drucks. 15/3565, 150). Abs. 2 lautet wie folgt: „Die hierbei gewonnenen Unterlagen oder Daten werden zu der Gefangenenpersonalakte genommen oder mit dem Namen der oder des Gefangenen sowie deren oder dessen Aliasnamen, Geburtsdatum und Geburtsort in Dateien gespeichert. Sie können auch in kriminalpolizeilichen Sammlungen verwahrt werden. Die nach Absatz 1 erhobenen Daten dürfen nur für die in Absatz 1, § 80 Abs. 2 und § 191 Abs. 3 Nr. 4 genannten Zwecke verarbeitet werden“. In der Gesetzesbegründung heißt es hierzu: „[…] enthält allgemeine Regelungen über die Aufbewahrung oder sonstige Speicherung dieser Daten (Sätze 1 und 2; vgl. § 86 Abs. 2 Sätze 1 und 2 sowie § 86 a Abs. 1 Satz 1 StVollzG) sowie die Zulässigkeit ihrer weiteren Verarbeitung und Nutzung (Satz 3; vgl. § 86 Abs. 2 Satz 3 StVollzG)“ (LT-Drucks. 15/3565, 150). § 86 Abs. 3 Satz 1 StVollzG ist ersatzlos entfallen (vgl. auch oben Rdn. 6). Eine Sonderregelung zur Nutzung der Daten ist in § 79 NJVollzG enthalten, der folgenden Worlaut hat: „Wenn es die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt erfordert, kann die oder der Gefangene verpflichtet werden, einen Ausweis mit den in § 78 Abs. 1 genannten Daten mit sich zu führen oder eine erneute Erhebung der in § 78 Abs. 1 genannten Daten zum Zweck des Abgleichs mit nach § 78 Abs. 2 Satz 1 gespeicherten Daten zu dulden. Ausweise nach Satz 1 sind bei der Verlegung oder Entlassung der oder des Gefangenen zu vernichten“. In der Gesetzesbegründung heißt es hierzu: „[…] Sonderregelung über die Nutzung der in § 78 Abs. 1 aufgeführten Daten für Zwecke der Identitätsfeststellung innerhalb der Anstalt. Vorgesehen ist, dass die Gefangenen zu diesem Zweck verpflichtet werden können, Ausweise, d. h. in erster Linie Lichtbildausweise im Sinne des § 180 Abs. 1 Satz 2 StVollzG, mit sich zu führen oder einen Datenabgleich (z. B. in Form eines Iris-Scans) zu dulden (Satz 1). Derartige Ausweise sind nach der Entlassung oder Verlegung zu vernichten (vgl. § 86 a Abs. 3 StVollzG)“ (LT-Drucks. 15/3565, 150). 6. Musterentwurf. Erkennungsdienstliche Maßnahmen sind im ME-StVollzG nicht 11 geregelt.
§ 86 a Lichtbilder § 86a Ullenbruch Lichtbilder (1) Unbeschadet des § 86 dürfen zur Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung der Anstalt Lichtbilder der Gefangenen aufgenommen und mit den Namen 817
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§ 86a
Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
der Gefangenen sowie deren Geburtsdatum und -ort gespeichert werden. Die Lichtbilder dürfen nur mit Kenntnis der Gefangenen aufgenommen werden. (2) Die Lichtbilder dürfen nur 1. genutzt werden von Justizvollzugsbediensteten, wenn eine Überprüfung der Identität der Gefangenen im Rahmen ihrer Aufgabenwahrnehmung erforderlich ist, 2. übermittelt werden a) an die Polizeivollzugsbehörden des Bundes und der Länder, soweit dies zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für erhebliche Rechtsgüter innerhalb der Anstalt erforderlich ist, b) nach Maßgabe des § 87 Abs. 2. (3) Die Lichtbilder sind nach der Entlassung der Gefangenen aus dem Vollzug oder nach ihrer Verlegung in eine andere Anstalt zu vernichten oder zu löschen. Schrifttum S. bei § 88.
I. II.
Übersicht Allgemeine Hinweise ____ 1 Erläuterungen ____ 2–5
III.
Landesgesetze und Musterentwurf ____ 6
I. Allgemeine Hinweise 1
Die Vorschrift wurde durch das 6. StVollzGÄndG zum 6.10.2002 in Kraft gesetzt (BGBl. I, 3954). Sie schafft eine Rechtsgrundlage für die Speicherung und Nutzung von Gefangenenlichtbildern in anstaltsinternen Dateien auch zum Zwecke der Identitätsfeststellung von Gefangenen durch die Vollzugsbediensteten. § 86 erlaubt entsprechende Aufnahmen nur zur Sicherung des Vollzuges, also z. B. bei Fluchtgefahr (vgl. § 86 Rdn. 4). Zur (sicheren) Steuerung und Verwaltung der Gefangenenbewegungen innerhalb einer modernen (d. h. „nach innen“ weitgehend „offenen“) JVA ist es aber häufig unverzichtbar, dass der (große) Mitarbeiterstab bei der schnellen Identifikation der Gefangenen auch auf Lichtbilder (in elektronischen Datenverarbeitungssystemen) zugreifen kann. Diese Lücke schließt die Vorschrift (zum Ganzen vgl. auch BT-Drucks. 14/9197 und 14/9423). II. Erläuterungen
2
1. Die in Abs. 1 bezeichneten Maßnahmen sollen vor allem dazu dienen, den Bediensteten die Identifizierung aller Gefangenen zu ermöglichen, um so einen möglichst reibungslosen Vollzugsalltag zu gewährleisten (Rdn. 1). Satz 1 ermächtigt die JVA deshalb zunächst zur Aufnahme von Lichtbildern zum Zwecke der „Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung der Anstalt“. Er erweitert den Adressatenkreis damit über die bereits von § 86 erfassten (Flucht-)Gefährlichen auf alle Gefangenen. Gleichzeitig stellt er zumindest klar, dass Lichtbilder nicht nur in Papierform in Gefangenenpersonalakten abgelegt, sondern auch in Gestalt (der elektronischen) Speicherung verarbeitet werden dürfen (zum Streitstand bei § 86 vgl. dort Rdn. 3). Er enthält schließlich eine (datenschutzrechtliche) Einschränkung dahingehend, dass das Lichtbild nur mit dem Namen sowie dem Geburtsdatum und -ort (nicht z. B. der Konfession) verbunden werden darf. Satz 2 stellt (wie § 86 Abs. 1 Nr. 2 n. F., s. dort Rdn. 2) außerdem klar, dass die Lichtbilder nur mit Kenntnis des Gefangenen aufgenommen werden dürfen. Ullenbruch
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Festnahmerecht
§ 87
2. In Abs. 2 Nr. 1 ist die Nutzung der gem. Abs. 1 aufgenommenen und verarbeite- 3 ten Lichtbilder geregelt. Demnach darf auf diese nur von Justizvollzugsbediensteten (also z. B. nicht von ehrenamtlich in der JVA tätigen Betreuern) zugegriffen werden, nur zur Überprüfung der Identität der Gefangenen (also z. B. nicht aus Neugier, ob gerade zufällig ein Bekannter inhaftiert ist) und nur, soweit dies im Rahmen ihrer Aufgabenwahrnehmung erforderlich ist (also z. B. nicht aus Schikane). Durch die betont restriktive Festlegung soll dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung getragen werden. 3. In Abs. 2 Nr. 2 ist geregelt, an welche Adressaten außerhalb der JVA und unter 4 welchen Voraussetzungen eine Übermittlung der gem. Abs. 1 aufgenommenen Lichtbilder zulässig ist. In Betracht kommen zum einen die Polizeivollzugsbehörden des Bundes und der Länder, soweit dies zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für erhebliche Rechtsgüter innerhalb der JVA erforderlich ist (Buchst. a)). In Betracht kommen zum anderen Polizei und Staatsanwaltschaft, sofern dies zur Wiederergreifung eines entwichenen oder aus einer Lockerung oder einem Urlaub nicht zurückgekehrten Gefangenen erforderlich ist (Buchst. b) i. V. m. § 87 Abs. 2). Die Regelung ist enumerativ. 4. In Abs. 3 ist geregelt, wann die nach Abs. 1 aufgenommenen Lichtbilder zu ver- 5 nichten oder zu löschen sind. Dies muss (unverzüglich) nach der Entlassung des Gefangenen aus dem Vollzug oder nach der Verlegung in eine andere JVA erfolgen; und zwar selbst dann, wenn eine Rückverlegung absehbar ist (Arloth 2011 Rdn. 4; a. A. AKFeest/Köhne 2012 Rdn. 6). III. Landesgesetze und Musterentwurf Die Regelung der erkennungsdienstlichen Maßnahmen ist in allen bislang in Kraft 6 getretenen Ländergesetzen in einer Vorschrift zusammengefasst, sofern sich überhaupt gesonderte Regelungen finden (vgl. § 86 Rdn. 6 ff). Im ME-StVollzG sind erkennungsdienstliche Maßnahmen nicht geregelt (vgl. § 86 Rdn. 11).
§ 87 Festnahmerecht § 87 Ullenbruch Festnahmerecht (1) Ein Gefangener, der entwichen ist oder sich sonst ohne Erlaubnis außerhalb der Anstalt aufhält, kann durch die Vollzugsbehörde oder auf ihre Veranlassung hin festgenommen und in die Anstalt zurückgebracht werden. (2) Nach § 86 Abs. 1 erhobene und nach §§ 86 a, 179 erhobene und zur Identifizierung oder Festnahme erforderliche Daten dürfen den Vollstreckungs- und Strafverfolgungsbehörden übermittelt werden, soweit dies für Zwecke der Fahndung und Festnahme des entwichenen oder sich sonst ohne Erlaubnis außerhalb der Anstalt aufhaltenden Gefangenen erforderlich ist. VV (1) Entweicht ein Gefangener, ist er unverzüglich und nachdrücklich zu verfolgen. Reichen die Mittel, die der Anstalt zur Verfügung stehen, nicht aus, so ist die Hilfe der Polizei und gegebenenfalls anderer Stellen in Anspruch zu nehmen. Führt die unmittelbare Verfol819
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§ 87
Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
gung oder die von der Anstalt veranlasste Fahndung nicht alsbald zur Wiederergreifung, so sind weitere Maßnahmen der Vollstreckungsbehörde zu überlassen. (2) Die Entweichung und die Maßnahmen, die zur Wiederergreifung des Entwichenen getroffen worden sind, zeigt der Anstaltsleiter unverzüglich – in der Regel fernmündlich voraus – der Aufsichtsbehörde an. Der Anstaltsleiter unterrichtet die Aufsichtsbehörde auch über die Wiederergreifung oder die freiwillige Rückkehr eines entwichenen Gefangenen. (3) Der Hergang der Entweichung ist festzustellen. Die Ermittlungen müssen sich darauf erstrecken, ob der Entwichene Helfer hatte und ob die Flucht auf pflichtwidriges Verhalten von Bediensteten oder auf Mängel von Anstaltseinrichtungen zurückzuführen ist. Der Anstaltsleiter berichtet der Aufsichtsbehörde schriftlich über das Ergebnis der Ermittlungen und die getroffenen Maßnahmen. Schrifttum S. bei § 88.
I. II. III.
Übersicht Allgemeine Hinweise ____ 1 Erläuterungen ____ 2–5 Landesgesetze und Musterentwurf ____ 6–11 1. Baden-Württemberg ____ 6 2. Bayern ____ 7
3. 4. 5. 6.
Hamburg ____ 8 Hessen ____ 9 Niedersachsen ____ 10 Musterentwurf ____ 11
I. Allgemeine Hinweise 1
Die Vorschrift stellt klar, dass ein Gefangener, der entwichen ist oder sich sonst ohne Erlaubnis außerhalb der Anstalt aufhält, durch die Vollzugsbehörde festgenommen werden kann, ohne dass es eines Vollstreckungshaftbefehls nach § 457 StPO bedarf. Das Festnahmerecht gemäß Abs. 1 ergibt sich daraus, dass das Gewaltverhältnis, in dem der Gefangene sich befindet, fortdauert, wenn dieser entwichen ist oder aus dem Urlaub, Ausgang, Freigang nicht zurückkehrt (für den Urlaub vgl. z. B. § 13 Rdn. 25). In der Praxis besteht häufig ein Bedürfnis für schnelles Handeln, dem bei der Notwendigkeit der Erwirkung eines Vollstreckungshaftbefehls nicht entsprochen werden kann (vgl. Prot., S.1924). Der mit Wirkung zum 1.12.1998 durch das 4. StVollzGÄndG (BGBl. I, 2461 ff) eingefügte Abs. 2 betrifft den Datenschutz. Die mit Wirkung zum 6.10.2002 durch das 6. StVollzGÄndG erfolgte Neufassung (BGBl. I, 3954) trägt der zeitgleich erfolgten Einfügung des § 86 a Rechnung. II. Erläuterungen
2
1. Da es sich in den Fällen des § 87 Abs. 1 nicht um die erstmalige Begründung des Gewahrsams handelt, sondern um die Aufrechterhaltung des in gelockerter Form fortbestehenden Gewahrsamverhältnisses, kann die gesetzliche Regelung nur einen engen Zeitraum betreffen, in dem der Zusammenhang mit dem Vollzug noch gegeben ist (Prot., S. 1925). Dieser Zusammenhang besteht auch während des Urlaubs, da der Urlaub nach § 13 Abs. 5 die Strafvollstreckung nicht unterbricht (dort Rdn. 4). Die in den Fällen des § 87 Abs. 1 zu treffenden Maßnahmen sind in Nr. 47 VGO erwähnt. Demnach ist zu unterscheiden:
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Festnahmerecht
§ 87
a) bei Entweichung aus der Anstalt (auch von der Außenarbeit, Ausführung, Vor- 3 führung), Nr. 47 Abs. 1 und Abs. 2 VGO: aa) Nacheile: Solange diese noch Erfolg verspricht (d. h. die Chance der Wiederergreifung des Flüchtigen), besteht zur Nacheile eine Verpflichtung des Anstaltsleiters. Welche Maßnahmen dafür getroffen werden, ist Ermessensfrage, wobei z. B. zu berücksichtigen ist, ob Bedienstete zur Nacheile zur Verfügung stehen oder von anderen Dienstposten für diesen Zweck abgezogen werden können. Die Bediensteten haben keine polizeilichen Befugnisse gegen Dritte, etwa für eine Hausdurchsuchung. Es empfiehlt sich daher, bei der Nacheile die Polizei zu beteiligen (ebenso Arloth 2008 Rdn. 2). Wie lange der Zeitraum für eine Nacheile durch Vollzugsbedienstete zu bemessen ist, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab (vgl. Prot., S. 1925; bei Überschreiten der Urlaubszeit von sechs bis acht Stunden kann man noch von Nacheile sprechen). Das Festnahmerecht erlischt, wenn sich die Beziehung des geflohenen oder vom Urlaub nicht zurückgekehrten Gefangenen zur Anstalt durch Zeitablauf (vgl. Grunau/Tiesler Rdn. 1: spätestens nach zwei Wochen) oder räumliche Entfernung aufgelöst hat. Dann bedarf es eines Vollstreckungshaftbefehls für die Wiederergreifung (Grunau/Tiesler Rdn. 1). Zur Abgrenzung zwischen Festnahme- bzw. Rückführungsrecht der Vollzugsbehörde und Zuständigkeit der Vollstreckungsbehörde s. auch Hauf ZfStrVo 1994, 138, 140, 143. bb) Fernmündliche und schriftliche Bitte an die Polizei zum Zwecke der Fahndung, und zwar ohne Abwarten des Ergebnisses der Nacheile. Der Polizei sind dazu u. a. eine Personenbeschreibung und möglichst ein Lichtbild (aufgrund der gemäß § 86 Abs. 1 getroffenen erkennungsdienstlichen Maßnahmen) zu geben. Sie ist Vollstreckungsbehörde i. S. von Abs. 2. b) Bei Nichtrückkehr vom Urlaub, Freigang, Ausgang, Strafunterbrechung (Nr. 47 4 Abs. 3 VGO): Anstaltsleiter hat über Art und Umfang der zu treffenden Maßnahmen zu entscheiden. Nacheile erscheint nur dann sinnvoll, wenn man davon ausgehen kann, dass der Gefangene sich noch in der Nähe der Anstalt aufhält (z. B. Bahnhof, Gaststätte). – Für Niedersachsen vgl. AV vom 14.8.1995, Nds. Rpfl. 1995, 265: Bei nicht rechtzeitiger Rückkehr von Vollzugslockerungen, Urlaub oder Vollstreckungsunterbrechung ist in Fällen, in denen die Erstentscheidung der Anstaltsleiter zu treffen hat, bei Sicherungsverwahrten u. a. die Fahndung sofort einzuleiten, sonst am Ende des dem vorgesehenen Rückkehrtage folgenden Tages. 2. VV Abs. 1 Satz 1 bestimmt, dass ein entwichener Gefangener unverzüglich und 5 nachdrücklich zu verfolgen ist. Der Meinung von AK-Brühl/Feest 2006 Rdn. 2, dass diese Vorschrift mit dem Gesetzestext nicht zu vereinbaren sei, da die Anstalt bezüglich Festnahme und Rückbringung eine Ermessensentscheidung zu treffen habe, kann im Hinblick auf den Zweck des § 87 (vgl. oben Rdn. 1) nicht zugestimmt werden (wie hier Arloth 2008 Rdn. 2). Reichen die der Anstalt zur Verfügung stehenden Mittel nicht aus, so ist gem. VV Abs. 1 Satz 2 die Hilfe der Polizei und gegebenenfalls anderer Stellen in Anspruch zu nehmen. Diese Regelung entspricht dem Gesetzestext „auf ihre Veranlassung hin festgenommen“. (Zur Inanspruchnahme der Amtshilfe der Polizei vgl. Grunau/Tiesler Rdn. 2). Die Polizei ist von sich aus zur Festnahme eines entwichenen Gefangenen nur auf Veranlassung der Vollzugsbehörde im Rahmen des § 87 Abs. 1 oder aufgrund eines Vollstreckungshaftbefehls befugt (C/MD 2008 Rdn. 2). Zur Rechtmäßigkeit des Handelns eines Polizeibeamten, der bei der Verfolgung eines entwichenen und steckbrieflich gesuchten Strafgefangenen, der wegen Vergehen (Einbruchsdiebstählen) einsaß, eine 821
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§ 88
Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
Schusswaffe einsetzt und dabei den Verfolgten tötet: LG Ulm NStZ 1991, 83 m. Anm. Arzt. VV Abs. 1 Satz 3 verpflichtet die Vollzugsbehörde, bei erfolgloser Nacheile die weiteren Maßnahmen der Vollstreckungsbehörde zu überlassen. Für die Fahndung mit Hilfe der Medien haben die Landesjustizverwaltungen Richtlinien erlassen. Erkennt ein Vollzugsbediensteter in der Öffentlichkeit einen am Vortage entwichenen oder nach Nichtrückkehr vom Urlaub „überfälligen“ Gefangenen, bleibt ihm nur die Möglichkeit, unverzüglich die Polizei zu benachrichtigen, da ihm in diesem Falle ein Festnahmerecht nicht zusteht. Der Rechtsgedanke des § 87 Abs. 1 – für Ausnahmefälle darf die Einschaltung der (gewöhnlich zuständigen) Polizei unterbleiben – lässt sich in engen Grenzen auch auf andere Bereiche übertragen. So kann z. B. bei begründetem Verdacht auf umfangreichen Missbrauch der gewährten Vollzugslockerungen eines im offenen Vollzug untergebrachten Gefangenen die Durchsuchung dessen vor den Toren der Anstalt geparkten Pkws gerechtfertigt sein, wenn eine derartige Maßnahme effizient nur im Wege einer Art „Nacheile“ ohne Polizei durch Justizvollzugsbeamte möglich ist (vgl. OLG Hamm NStZ 1996, 359 und § 84 Rdn. 3). III. Landesgesetze und Musterentwurf 6
1. Baden-Württemberg. § 66 JVollzGB III ist inhaltsgleich und weitgehend wortgleich mit § 87 Abs. 1 StVollzG; neu ist lediglich folgender Zusatz a. E.: „solange ein unmittelbarer Bezug zum Strafvollzug besteht“.
7
2. Bayern. Art. 95 BayStVollzG ist inhaltsgleich und weitgehend wortgleich mit § 87 StVollzG.
8
3. Hamburg. § 73 HmbStVollzG ist inhaltsgleich und weitgehend wortgleich mit § 87 StVollzG.
9
4. Hessen. § 49 HStVollzG ist inhaltsgleich und weitgehend wortgleich mit § 87 Abs. 1 StVollzG.
10
5. Niedersachsen. § 80 NJVollzG ist inhaltsgleich und weitgehend wortgleich mit § 87 StVollzG.
11
6 . Musterentwurf. § 77 ME-StVollzG ist wie folgt aufgebaut: Satz 1 ist inhaltsgleich und weitgehend wortgleich mit § 87 Abs. 1 StVollzG. Satz 2 hat folgenden Wortlaut: „Führt die Verfolgung oder die von der Anstalt veranlasste Fahndung nicht alsbald zur Wiederergreifung, so sind die weiteren Maßnahmen der Vollstreckungsbehörde zu überlassen.“ In der ME-Begründung heißt es hierzu: „Sollten die Wiederergreifungsmaßnahmen der Anstalt nicht alsbald zum Erfolg führen, sind die weiteren erforderlichen Maßnahmen gemäß Satz 2 der Vollstreckungsbehörde zu überlassen“ (ME-Begründung, 142).
§ 88 Besondere Sicherungsmaßnahmen § 88 Schwind/Grote Besondere Sicherungsmaßnahmen (1) Gegen einen Gefangenen können besondere Sicherungsmaßnahmen angeordnet werden, wenn nach seinem Verhalten oder auf Grund seines seelischen ZuSchwind/Grote
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standes in erhöhtem Maße Fluchtgefahr oder die Gefahr von Gewalttätigkeiten gegen Personen oder Sachen oder die Gefahr des Selbstmordes oder der Selbstverletzung besteht. (2) Als besondere Sicherungsmaßnahmen sind zulässig: 1. der Entzug oder die Vorenthaltung von Gegenständen, 2. die Beobachtung bei Nacht, 3. die Absonderung von anderen Gefangenen, 4. der Entzug oder die Beschränkung des Aufenthalts im Freien, 5. die Unterbringung in einem besonders gesicherten Haftraum ohne gefährdende Gegenstände und 6. die Fesselung. (3) Maßnahmen nach Abs. 2 Nr. 1, 3 bis 5 sind auch zulässig, wenn die Gefahr einer Befreiung oder eine erhebliche Störung der Anstaltsordnung anders nicht vermieden oder behoben werden kann. (4) Bei einer Ausführung, Vorführung oder beim Transport ist die Fesselung auch dann zulässig, wenn aus anderen Gründen als denen des Abs. 1 in erhöhtem Maße Fluchtgefahr besteht. (5) Besondere Sicherungsmaßnahmen dürfen nur soweit aufrechterhalten werden, als es ihr Zweck erfordert. VV (1) Mehrere besondere Sicherungsmaßnahmen können nebeneinander angeordnet werden, wenn die Gefahr anders nicht abgewendet werden kann. (2) Es ist in angemessenen Abständen zu überprüfen, ob und in welchem Umfang die besonderen Sicherungsmaßnahmen aufrechterhalten werden müssen. (3) Die Unterbringung in einem besonders gesicherten Haftraum und die Fesselung sind der Aufsichtsbehörde unverzüglich mitzuteilen, wenn sie länger als drei Tage aufrechterhalten werden. Schrifttum Bennefeld-Kersten Was kann die Technik zur Suizidprävention beitragen?, in: FS 2010, 341 ff; Böhm Zum Sichtspion in der Tür, in: JR 1992, 174 ff; Bottke Suizid, das Recht auf Suizid und das Recht der Suizidprävention, in: Bd. 5 der Interdisziplinären Gesellschaftspolitischen Gespräche der Universität Augsburg, 1997, 117 ff; Hoffmann Isolation im Normalvollzug. Normative Entwicklung und Rechtswirklichkeit besonders angeordneter Einzelunterbringung im Strafvollzug, Pfaffenweiler 1990; Pohlreich Gewalt gegen Häftlinge und Unterbringung in besonders gesicherten Hafträumen – Der Fall Hellig vor dem EGMR, in: JZ 2011, 1058 ff; Rüping Therapie und Zwang bei untergebrachten Patienten, in: JZ 1982, 744 ff; Schmitt Verhütung von Suizid und Suizidversuchen im Justizvollzug, in: BewHi 2006, 291 ff.
I.
II.
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Übersicht Allgemeine Hinweise ____ 1–6 1. Abgrenzung zu allgemeinen Sicherungsmaßnahmen ____ 2 2. Abschließende Regelung der besonderen Sicherungsmaßnahmen ____ 3 3. Voraussetzungen der Maßnahmen ____ 4 4. Kumulative Anordnung ____ 5 5. Zuständigkeit für die Anordnung ____ 6 Erläuterungen ____ 7–20 1. Eingriffsgründe (Abs. 1) ____ 7–10
a) In erhöhtem Maße Fluchtgefahr ____ 8 b) Gefahr von Gewalttätigkeiten ____ 9 c) Gefahr des Selbstmordes oder der Selbstverletzung ____ 10 2. Die einzelnen Sicherungsmaßnahmen (Abs. 2) ____ 11–17 a) Nr. 1: Entzug oder Vorenthaltung von Gegenständen ____ 12 b) Nr. 2: Beobachtung bei Nacht ____ 13
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Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
c) Nr. 3: Absonderung von anderen Gefangenen ____ 14 d) Nr. 4: Entzug oder Beschränkung des Aufenthalts im Freien ____ 15 e) Nr. 5: Unterbringung im bgH ohne gefährdende Gegenstände ____ 16 f) Nr. 6: Fesselung ____ 17 3. Maßnahmen aus anderen Gründen (Abs. 3) ____ 18 4. Fesselung bei Ausführung, Vorführung und Transport (Abs. 4) ____ 19
III.
5. Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (Abs. 5) ____ 20 Landesgesetze und Musterentwurf ____ 21–26 1. Baden-Württemberg ____ 21 2. Bayern ____ 22 3. Hamburg ____ 23 4. Hessen ____ 24 5. Niedersachsen ____ 25 6. Musterentwurf ____ 26
I. Allgemeine Hinweise 1
Im Gegensatz zu den Disziplinarmaßnahmen (§ 103) gelten die Sicherungsmaßnahmen nicht repressiven, sondern präventiven Zwecken. Sie setzen deshalb auch kein Verschulden des Gefangenen voraus, sondern nur eine erhöhte Gefahr für bestimmte Bereiche (Flucht, Gewalttätigkeiten, Selbstmord oder Selbstverletzung) der Sicherheit oder Ordnung der Anstalt. Wegen ihres präventiven Charakters dürfen Sicherungsmaßnahmen nicht für Disziplinierungs- oder Strafzwecke eingesetzt werden (AK-Feest/Köhne 2012 Rdn. 1; Arloth 2011 Rdn. 1; K/S-Schöch 2002 § 8 Rdn. 3).
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1. Abgrenzung zu allgemeinen Sicherungsmaßnahmen. Das StVollzG unterscheidet zwischen allgemeinen Sicherungsmaßnahmen (= allg. S.) und besonderen Sicherungsmaßnahmen (= bes. S.: §§ 88–92). Zu den allg. S. gehören die Durchsuchungen des Gefangenen, der Hafträume und des persönlichen Gewahrsams (§§ 83, 84), ferner erkennungsdienstliche Maßnahmen (§ 86). Zwischen den allg. S. und den bes. S. sind die Verlegung in eine sichere Anstalt (§ 85) und das Festnahmerecht (§ 87) einzuordnen.
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2. Abschließende Regelung der besonderen Sicherungsmaßnahmen. Die bes. S. werden in Abs. 2 abschließend aufgezählt (Arloth 2011 Rdn. 1; C/MD 2008 Rdn. 1; Laubenthal 2011 Rdn. 714). Sie können angeordnet werden, um die in Abs. 1 bestimmten Gefahren zu verhindern: aber auch nur dann, wenn weniger einschneidende Maßnahmen nicht ausreichen (BVerfG BlStV 3/1997, 6 – 2 BvR 2533/95, 2 BvR 2534/95; Arloth 2011 Rdn. 12). Zur Zahlenentwicklung in der Vergangenheit vgl. Hoffmann 1990 und Walter 1999 Rdn. 502 m. w. N. Die Anordnung von bes. S. ist in § 91 geregelt.
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3. Voraussetzungen der Maßnahmen. Die angeordnete Maßnahme (Abs. 2 Nr. 1–6) muss zur Abwendung der in Abs. 1 aufgeführten Gefahren erforderlich sein (vgl. zu diesem Kriterium Rdn. 20). Sämtliche zu verhängenden oder verhängten bes. S. unterliegen im Übrigen auch dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (§ 88 Abs. 5 i. V. m. § 81 Abs. 2): dazu OVG Lüneburg ZfStrVo 1987, 109. Sie dürfen deshalb den Gefangenen nicht mehr und nicht länger als notwendig beeinträchtigen (OLG Frankfurt BlStV 6/1987, 3 = ZfStrVo 1987, 381). Da es sich um äußerste Notmaßnahmen handelt, sind sie nach Möglichkeit durch Ausschöpfung aller anderen, milderen Mittel zu vermeiden (KG StV 2005, 669 – [5] 1 Ss 61/05 [12/05]).
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4. Kumulative Anordnung. Bei einer kumulativen Anordnung (vgl. VV Abs. 1) mehrerer bes. S. muss seitens der Vollzugsbehörde die Notwendigkeit jeder einzelnen
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Maßnahme detailliert begründet werden (AK-Feest/Köhne 2012 Rdn. 10; Arloth 2011 Rdn. 3; C/MD 2008 Rdn. 2). In solchen Fällen mehrfacher Einschränkung sind im Hinblick auf die Mittel-Zweck-Relation äußerst strenge Maßstäbe an die Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit anzulegen (OLG Frankfurt NStZ-RR 2002, 155 – 3 Ws 132/02 [StVollzG]). 5. Zuständigkeit für die Anordnung. Zuständig für die Anordnung bes. S. ist der 6 Anstaltsleiter (§ 91 Abs. 1 Satz 1), der jedoch seine Befugnis nach § 156 Abs. 3 mit Zustimmung der Aufsichtsbehörde auf andere Beamte (etwa einen Abteilungsleiter) übertragen kann (vgl. dazu auch OLG Hamm ZfStrVo 2000, 179 – 1 Vollz [Ws] 25/99); das gilt auch für die Fälle der §§ 89 bis 92 (OLG Hamm aaO; Laubenthal 2011 Rdn. 718), weil diese nur besondere Ausgestaltungen der in § 88 benannten Maßnahmen darstellen. Sonstige Beamte können Eingriffe nur bei Gefahr im Verzug und auch nur vorläufig anordnen (§ 91 Abs. 1 Satz 2). Gefahr im Vollzug liegt vor, wenn sich beim Abwarten der Entscheidung des vorrangig entscheidungsbefugten Anstaltsleiters die durch die Sicherungsmaßnahmen zu verhütende Gefahr zu verwirklichen droht bzw. wenn eine bereits eingetretene Gefahr mit nachteiligen Folgen fortdauern würde (KG StV 2005, 669, 670 – [5] 1 Ss 61/05 [12/05]; Laubenthal 2011 Rdn. 718). II. Erläuterungen 1. Eingriffsgründe (Abs. 1). Abs. 1 führt die Eingriffsvoraussetzungen für die bes. 7 S. auf: Fluchtgefahr und Gefahr der Gewalttätigkeit gegen andere, gegen Sachen oder gegen sich selbst; alles unbestimmte Rechtsbegriffe. Bei der Feststellung, ob diese Gefahren vorliegen, steht der Vollzugsbehörde ein Beurteilungsspielraum mit eingeschränkter gerichtlicher Überprüfbarkeit zu, da es sich um eine Prognoseentscheidung handelt (so auch OLG Celle BlStVK 1/1991, 5 – 1 Ws 267/88 [StrVollz]; OLG Frankfurt NStZ-RR 2002, 155 – 3 Ws 132/02 [StVollz]; OLG Hamm NStZ-RR 2011, 291 – III-1 Vollz [Ws] 216/11, 1 Vollz [Ws] 216/11; Arloth 2011 Rdn. 1; C/MD 2008 Rdn. 2; Laubenthal 2011 Rdn 715; a. A. AK-Feest/Köhne 2012 Rdn. 21). Unter „Gefahr“ ist in diesem Rahmen der unmittelbar drohende Eintritt des unerwünschten Erfolges zu verstehen (C/MD aaO). Es muss sich aber immer um eine im Zeitpunkt der Entscheidung nach dem möglichen Stand der Ermittlungen erkennbare substantielle, mit konkreten Anhaltspunkten belegbare („massive“: KG StV 2005, 669 – [5] 1 Ss 61/05 [12/05]) auf den Einzelfall bezogene Gefahr handeln (OLG Nürnberg NStZ 1982, 438 – Ws 805/81; OLG Celle NStZ 1985, 480 – 3 Ws 63/85 [Str Vollz]; OLG Karlsruhe ZfStrVo 1994, 177 – 2 Ws 201/92; OLG Frankfurt StV 1994, 431 – 3 Ws 283–285/93 u. a.; OLG Koblenz NStZ 2000, 467 M – 2 Ws 297/99; Arloth 2011 Rdn. 2); bloße Befürchtungen oder gar bloßer Verdacht genügen nicht (OLG Celle aaO; OLG Koblenz ZfStrVo 1995, 249 – 2 Ws 580/94); auch nicht die bloße Ablehnung einer Urinprobe. Vielmehr bedarf es hierzu in der Regel des Hinzutretens weiterer Umstände (OLG Koblenz NStZ 1999, 446 – 2 Ws 617/98), wozu einschlägige Vorstrafen, insbesondere aber ein erwiesener vorausgegangener Betäubungsmittelkonsum während der Strafhaft in der JVA gehören können. Durch das Zusammentreffen (z. B.) mehrfach festgestellten Betäubungsmittelmissbrauchs mit der Verweigerung der Abgabe einer Urinprobe zur Durchführung eines Drogentests („entscheidende Indizwirkung“) zweier Zellengenossen verdichtet sich der Anfangsverdacht des (gemeinschaftlichen) BtM-Konsums (Gefahr der Selbstverletzung) in einem solchen Maße, dass nicht mehr von bloßen Vermutungen gesprochen werden kann, sondern ein durch konkrete Tatsachen ausreichend substantiierter dringender Tatverdacht angenommen werden muss (OLG Koblenz ZfStrVo 1995, 249 – 2 Ws 580/94). 825
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a) In erhöhtem Maße Fluchtgefahr. Mit der Formulierung „in erhöhtem Maße Fluchtgefahr“ ist eine Gefahr des Entweichens aus der Anstalt gemeint, die über die bei Gefangenen naheliegende allgemeine Fluchtvermutung hinausgeht (so auch AK-Feest/ Köhne 2012 Rdn. 6; Arloth 2011 Rdn. 2; C/MD 2008 Rdn. 2; OLG Celle NStZ 1985, 480 – 3 Ws 63/85 [Str Vollz]): eine solche, die größer ist als diejenige Fluchtgefahr, die für die Versagung von Vollzugslockerungen und Urlaub oder für den Ausschluss vom offenen Vollzug nach §§ 10 Abs. 1, 11 Abs. 2, 13 Abs. 1 Satz 2 ausreichen würde (OLG Celle NStZ 1989, 143; OLG Karlsruhe MDR 1993, 1114 – 2 Ws 201/92; OLG Koblenz NStZ 2000 – 2 Ws 297/99, 467 M; Arloth 2011 Rdn. 2). Erhöhte Fluchtgefahr liegt also vor, wenn man davon ausgehen muss, dass der Gefangene jede Gelegenheit zur Flucht nutzen wird (Grunau/ Tiesler 1982 Rdn. 1). Deshalb ist die Fluchtgefahr individuell – also aus der Person des jeweiligen Strafgefangenen heraus – zu beurteilen (OLG Saarbrücken ZfStrVo 1985, 58 = NStZ 1985, 307) und muss durch konkrete Anhaltspunkte belegbar sein (so auch OLG Celle NStZ 1985, 480 – 3 Ws 63/85 [Str Vollz]; OLG Saarbrücken aaO; BGH NJW 1991, 2652 – 5 AR Vollz 39/90): z. B. durch Flucht oder Fluchtversuch bei einer Ausführung, Aufzeichnungen über die Sicherheitseinrichtungen der Anstalt, konkrete Absprachen mit Gefangenen, Bediensteten oder Dritten, Vorhandensein von Werkzeugen (C/MD 2008 Rdn. 2). Vorverhalten kann jedenfalls ein wichtiger Anhaltspunkt für aktuelle Verhaltensweisen darstellen (Arloth 2011 Rdn. 2; C/MD 2008 Rdn. 2). Fluchtgefahr kann auch mit seelischen Zuständen zu tun haben: etwa mit Informationen über die Untreue der Ehefrau oder Verlobten (C/MD aaO). Ein allgemeiner Anstieg der Entweichungsquote kann nicht zu Lasten des Einzelnen berücksichtigt werden (OLG Saarbrücken BlStV 4/5/1985, 17); eine lange Restfreiheitsstrafe soll allein noch nicht zwingend die Annahme einer Fluchtgefahr begründen (OLG Celle BlStV 1/1991, 5 – 1 Ws 267/88 [StrVollz]; LG Heilbronn ZfStrVo 1988, 368 – 1 StVK 54/88). Man wird im Übrigen davon ausgehen können, dass die Fluchtgefahr mit der Annäherung an den Zeitpunkt einer vorzeitigen Entlassung (z. B. an den 2/3-Termin: § 57 Abs. 1 StGB) gewöhnlich abnimmt (AK-Feest/ Köhne 2012 Rdn. 6; OLG Saarbrücken ZfStrVo 1985, 58). Die Auffassung, dass frühere Ausbrüche zur Feststellung von Fluchtgefahr nicht genügen sollen, kann nicht geteilt werden; man wird hier vielmehr jeweils auf den Einzelfall abstellen müssen. Zur Begründung der Fluchtgefahr darf die Anstalt in Verbindung mit weiteren unterstützenden Indizien auch auf vertrauliche Informationen von Mitgefangenen zurückgreifen, ohne dass sie verpflichtet wäre, deren Identität preiszugeben (OLG Nürnberg NStZ 1982, 438 – Ws 805/81; C/MD aaO). Lassen sich vertrauliche Hinweise (des LKA) hingegen nicht binnen weniger Tage überprüfen, sind sie nicht geeignet, bes. S. zu begründen oder über einen längeren Zeitraum aufrechtzuerhalten (OLG Frankfurt StV 1994, 431 – 3 Ws 283–285/93 u. a.). Auf dauerhafte Sicherheitsrisiken ist möglichst mit einer Verlegung nach § 85 zu reagieren (Arloth 2011 Rdn. 2).
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b) Gefahr von Gewalttätigkeiten. Die Gefahr von Gewalttätigkeiten bezieht sich auf Leibes- oder Lebensgefahr für andere (Mitgefangene, Bedienstete oder Dritte wie z. B. Besucher) und auf die Zerstörung oder Beschädigung von dem Gefangenen nicht gehörenden Sachen, wie z. B. der Zellenausstattung im Verlaufe von Tobsuchtsanfällen: sog. „Haftkoller“ (C/MD 2008 Rdn. 2) bzw. „Zuchthausknall“ (AK-Feest/Köhne 2012 Rdn. 7). Die bloße Ankündigung eines Durst- und Hungerstreiks lässt für sich allein noch keine Gewalttätigkeit besorgen (OLG Frankfurt, Beschl. vom 24.10.1979 – 3 Ws 810/79 [StVollz]), es sei denn, diese ist mit der ernstzunehmenden Drohung verbunden, es handele sich um den Beginn einer Eskalation (a. A. AK-Feest/Köhne aaO; krit. C/MD 2008 Rdn. 2).
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c) Gefahr des Selbstmordes oder der Selbstverletzung. Bei Selbstmordversu- 10 chen oder Selbstverletzungen, die meist einen Hilferuf darstellen, sollte die psychologische/medizinische Betreuung sichergestellt sein. Die Selbstverletzung umfasst auch innere Verletzungen, die z. B. durch das Schlucken von Gegenständen (Messer, Rasierklingen usw.) entstehen (C/MD 2008 Rdn. 2). Eine Wiederholungsgefahr kann in manchen Fällen durch Angehörigenbesuch oder Vollzugslockerungen herabgesetzt werden oder durch die Anordnung gemeinschaftlicher Unterbringung in der Ruhezeit (§ 18 Abs. 1 Satz 2). 2. Die einzelnen Sicherungsmaßnahmen (Abs. 2). Abs. 2 zählt die einzelnen bes. 11 S. abschließend auf (vgl. oben Rdn. 2): es handelt sich nicht um Straf- oder Disziplinar-, sondern um Sicherungsmaßnahmen. a) Nr. 1: Entzug oder Vorenthaltung von Gegenständen. Mit Entzug ist hier Weg- 12 nahme gemeint, mit „Vorenthaltung“ die Nichtaushändigung. Gemeint sind Gegenstände, die der Flucht förderlich oder der Gewalttätigkeit dienlich sind (Grunau/Tiesler 1982 Rdn. 2); darüber hinaus kommen aber auch solche Gegenstände in Betracht, die den Selbstmord oder die Selbstverletzung erleichtern, wie z. B. Hosengürtel, Spiegel (Scherben), Bestecke, Rasierklingen usw. (vgl. Böhm 2003, Rdn. 344). Zur Wahrung der Menschenwürde ist jeweils Ersatz durch ungefährliche Gegenstände zu leisten: z. B. Hose mit Gummizug statt Gürtel (AK-Feest/Köhne 2012 Rdn. 11; Arloth 2011 Rdn. 4). Ob angeordnet werden kann, dass ein Fluchtverdächtiger abends seine Kleidung aus der Zelle gibt, da er im Nachthemd kaum entweichen würde (so Böhm aaO), erscheint zweifelhaft. Die zeitliche Dauer der Maßnahmen hängt von ihrer Erforderlichkeit ab, für die psychologischer Rat eingeholt werden sollte. b) Nr. 2: Beobachtung bei Nacht. Eine Beobachtung bei Nacht (übliche Schlafens- 13 zeit in der Anstalt, in der Regel 22 bis 6 Uhr: Arloth 2011 Rdn. 5), mit der eine in unregelmäßigen Abständen stattfindende Nachschau gemeint ist (Böhm 2003 Rdn. 344), kommt insbesondere bei Selbstmord- und Selbstverletzungsgefahr in Betracht. Bei der Nachschau ist darauf zu achten, dass der Gefangene Ruhe finden kann. Zu diesem Zweck ist das Licht im Haftraum weitestgehend abzudunkeln und Störungen auf das erforderliche Maß zu begrenzen (AK-Feest/Köhne 2012 Rdn. 12; Arloth 2011 Rdn. 5; C/MD 2008 Rdn. 5; Grunau/Tiesler 1982 Rnd. 2). Eine Dauerüberwachung mit Hilfe von Videokameras ist nur in Ausnahmefällen zulässig (so auch C/MD 2008 aaO). Die Anordnung gegenüber Strafgefangenen, den Sichtspion an der Tür ihres Haftraumes freizuhalten, bedarf der Einzelfallprüfung (BGH NJW 1991, 2652 = NStZ 1991, 452 = JR 1992, 173 – 5 AR Vollz 39/90 – mit Anm. Böhm; BVerfG NStZ 1996, 511 – 2 BvR 727/94, 2 BvR 884/94). Keine bes. S. ist es, wenn der Beamte im Nachtdienst aus dienstlichem Anlass (z. B. wenn er verdächtige Geräusche vernommen hat) in einen Haftraum Einblick nimmt (Böhm JR 1992, 173; Böhm 2003 Rdn. 344). c) Nr. 3: Absonderung von anderen Gefangenen. „Absonderung“ bedeutet die 14 bedingungslose Isolierung (Trennung) von anderen Gefangenen zum Zwecke der Vermeidung von Risiken für Sicherheit und Ordnung in der Anstalt (OLG Bremen ZfStrVo 1985, 178; vgl. auch Rdn. 1 zu § 89). Die Absonderung erstreckt sich auf Arbeitszeit, Freizeit und Ruhezeit und begründet eine Ausnahme vom Grundsatz der gemeinschaftlichen Unterbringung (§ 17). Die einfache Absonderung nach Nr. 3 besteht in der vorübergehenden Trennung von anderen Gefangenen (Arloth 2011 Rdn. 6). In Abgrenzung zur Einzelhaft nach § 89 sollte sie nicht länger als 24 Stunden andauern (OLG Koblenz NStZ 1989, 342 – 2 Vollz [Ws] 86/88; C/MD 2008 Rdn. 5; Arloth 2011 827
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Rdn. 6; kritisch AK-Feest/Köhne 2012 Rdn. 13). Die Ausstattung des Haftraumes, in dem der Gefangene im Rahmen der Absonderung untergebracht wird, ist daran auszurichten, welcher Gefahr nach Abs. 1 begegnet werden soll. Ist eine Unterbringung in einem besonders gesicherten Haftraum ohne gefährdende Gegenstände erforderlich, so müssen auch die Voraussetzungen nach Nr. 5 erfüllt sein. Typische Anwendungsfälle: bei gefährlichen Ausbrechern oder extrem gewalttätigen Insassen (Böhm 2003 Rdn. 345). Die Verlegung (in Form der Umlegung) eines Gefangenen in einen stärker gesicherten Bereich innerhalb derselben Anstalt ist weder eine Maßnahme nach § 85 noch nach § 88 Abs. 2 Nr. 3 (KG NStZ 1984, 94; Arloth 2011 Rdn. 6). Die Verlegung darf angeordnet werden, wenn der Anstaltsleiter z. B. mindestens konkrete Anhaltspunkte für eine Beteiligung des Gefangenen am Drogenhandel innerhalb der Anstalt besitzt (KG NStZ 1999, 446 M – 5 Ws 21/98 Vollz; vgl. auch Rdn. 6). Räumt der Anstaltsleiter dem Gefangenen die Möglichkeit der gemeinschaftlichen Unterbringung nur unter der Bedingung ein, Anstaltskleidung zu tragen (§ 20 Abs. 1), liegt weder eine einfache noch eine unausgesetzte Absonderung vor (OLG Bremen ZfStrVo 1985, 178). 15
d) Nr. 4: Entzug oder Beschränkung des Aufenthalts im Freien. Unter „Entzug“ ist „die vollständige Vorenthaltung des Aufenthalts im Freien“ zu verstehen (AK-Feest/ Köhne 2012 Rdn. 14; Arloth 2011 Rdn. 7). C/MD (2008 Rdn. 5) widersprechen, weil die Maßnahme dann einen an dieser Stelle (wegen des präventiven Charakters der Maßnahme) unzulässigen Strafcharakter erhalten würde. Dem ist entgegen zu halten, dass es Ausnahmefälle gibt, in denen es z. B. zur Vermeidung der Gefahr des Selbstmordes oder der Selbstverletzung erforderlich ist, einen Gefangenen vorübergehend gefesselt in einem besonders gesicherten Haftraum ohne gefährdende Gegenstände unterzubringen. Solange solche Maßnahmen erforderlich sind, könnte daneben auch der Entzug des Aufenthalts im Freien notwendig sein, wenn die Gefahr nicht anders abgewendet werden kann (vgl. VV Abs. 1). Die Maßnahme erscheint deshalb weder entbehrlich (AK-Feest/ Köhne 2012 Rdn. 14) noch dürfte sie bei verhältnismäßiger Anwendung verfassungswidrig sein. Die Beschränkung des Aufenthalts im Freien kann in der Einzelfreistunde bestehen, die auch bei Gefahr von Übergriffen gegen Mitgefangene angebracht ist. § 92 Abs. 2 ist zu beachten.
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e) Nr. 5: Unterbringung im bgH ohne gefährdende Gegenstände. Gemeint ist ein besonders gesicherter Haftraum (bgH), der so auszustatten ist, dass eine Selbstverletzung oder Selbsttötung des Gefangenen zuverlässig verhindert werden kann (AK-Feest/ Köhne 2012 Rdn. 15; Arloth 2011 Rdn. 8). Nur im äußersten Fall kommt eine Verbindung der Unterbringung mit einer Fesselung nach Nr. 6 in Betracht: eine Fesselung zum Beispiel an einem im Haftraum stehenden Bett (Arloth aaO). Unvereinbar mit Art. 3 der EMRK (Verbot unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung) und mit § 88 Abs. 5 ist eine Verbindung der Unterbringung mit der (mehrtägigen) Entziehung der Kleidung (EGMR, Case of Hellig vs. Germany, Urteil vom 7.7.2011 – 20999/05, juris; Pohlreich, 1058). Zutreffend weist der EGMR in der zitierten Entscheidung darauf hin, dass die Vollzugsbehörde zumindest hätte prüfen müssen, ob dem Gefangenen als milderes Mittel reißfeste Kleidung hätte zur Verfügung gestellt werden können (EGMR aaO Rdn. 56). Bezweifelt werden muss die Eignung einer längerfristigen Unterbringung im bgH zur Suizidprävention. Die Isolation könnte die für die Unterbringung Anlass gebenden Probleme möglicherweise noch verschärfen (vgl. Bennefeld-Kersten FS 2010, 341, die auch die „suizidhemmende“ Wirkung der Unterbringung im bgH in Frage stellt). Eine zeitliche Beschränkung der Unterbringung im bgH sieht die Vorschrift nicht vor. Indirekt ergibt sich aber aus § 91 Abs. 1 Satz 1, dass sie auch mehrere Tage andauern darf (Arloth aaO; Schwind/Grote
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a. A. C/MD 2008 Rdn. 5). Die Unterbringung nach Nr. 5 ist aber, wenn sie länger als drei Tage aufrechterhalten wird, der Aufsichtsbehörde mitzuteilen (VV Abs. 3). f) Nr. 6: Fesselung. Die Fesselung (speziell § 90) stellt die für den Gefangenen als 17 schwerste empfundene bes. S. dar (OLG Celle NdsRpfl. 1991, 279 – 1 VAs 15/90). Sie darf nur im äußersten Notfall und nur zum Schutz der in Abs. 1 genannten Rechtsgüter eingesetzt werden; insoweit ist sie mit der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) vereinbar (vgl. Schüler-Springorum 1969, 106). Fesselungsgeräte sind insbesondere: Handfesseln, Fußfesseln, die Laufkette, der Bauchgurt und das Fesselungsbett. Art und Umfang der Fesselung werden durch § 90 bestimmt. Die ärztliche Überwachung ergibt sich aus § 92. Nach VV Abs. 3 ist die Fesselung unverzüglich der Aufsichtsbehörde mitzuteilen, wenn sie länger als drei Tage aufrechterhalten wird. Rechtsprechung: Die Beamten des Justizwachtmeisterdienstes dürfen einen zum Gericht durch Justizvollzugsbeamte ausgeführten und dort an sie übergebenen Strafgefangenen grundsätzlich nur dann fesseln, wenn die JVA darum ausdrücklich ersucht hat (OLG Celle aaO mit ergänzender Anm. Hartwig ZfStrVo 1992, 196). Bei dauergefährlichen Gefangenen darf die Fesselung (etwa der Hände auf dem Rücken beim Hin- und Rückweg zum Freistundenhof und zum Duschen) über einen längeren Zeitraum aufrechterhalten bleiben, sofern der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, der insoweit verschärften Prüfungsanforderungen unterliegt, gewahrt bleibt (BVerfG BlStV 3/1997, 6 – 2 BvR 2533/95, 2 BvR 2534/95). Die Fesselung dient u. a. der Begegnung von (akuten) Selbstmord- oder Selbstverletzungsgefahren (Rdn. 9). Aus diesen Gründen ist die Fesselung auch z. B. in den psychiatrischen Krankenhäusern zulässig (vgl. PsychKG der Länder; Rüping, 744 ff); es handelt sich also nicht um eine bes. S., die nur im Justizvollzug angewandt wird. Ihre Anordnung trägt dazu bei, dass die Zahl der Selbstmorde oder Selbstverletzungen, die in Justizvollzugsanstalten verübt werden, nicht höher ausfällt: sie liegt bei inhaftierten Männern um das 4,5fache und bei Frauen um das elffache höher als in der Gesamtbevölkerung (vgl. Bottke 1997, 118; Dünkel/Rosner 1982, 140; Walter 1999, Rdn. 270). Feststellbar ist in den vergangenen Jahren ein tendenzieller Rückgang der jährlichen Suizide im Justizvollzug. Seit 2002 liegen die jährlichen Fallzahlen bei weniger als 100 und seit 2008 bei weniger als 70 Suiziden pro Jahr; die Zahl der misslungenen Versuche wird auf rund 400 im Jahr geschätzt (Walter aaO). In den Jahren 2000 bis 2009 haben sich bundesweit 846 Gefangene getötet (Bennefeld-Kersten FS 2010, 341 ff). Besonders gefährdet sind U-Gefangene und Erstverbüßer im ersten Haftmonat (vgl. Bennefeld-Kersten aaO, 342; Pecher/Nöldner/Postpischil ZfStrVo 1995, 347 ff; Schmitt 2006, 294 f). Die Selbstmord-, Selbstmordversuchs- und Selbstverletzungszahlen im Justizvollzug sind jedoch mit den entsprechenden Zahlen der Gesamtbevölkerung kaum vergleichbar (dazu Laubenthal 2011 Rdn. 230), und zwar aus folgenden Gründen: erstens werden nicht alle solche Fälle, die außerhalb des Justizvollzuges vorkommen, bekannt (Problematik des Dunkelfeldes), während im Justizvollzug solche Ereignisse grundsätzlich immer bekannt (und registriert) werden. Zweitens kommen im Justizvollzug gedrängt Menschen mit speziellen (sozialen bzw. psychischen) Problemen zusammen, eine Situation, die in der übrigen Bevölkerung nicht ihr Spiegelbild findet. 3. Maßnahmen aus anderen Gründen (Abs. 3). Abs. 3 enthält eine von Abs. 1 un- 18 abhängige Regelung: während nach Abs. 1 nur solche Gründe für die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen in Betracht kommen, die in der Person des Gefangenen liegen (OLG Frankfurt NStZ-RR 2002, 155 – 3 Ws 132/02 [StVollz]), braucht die nach Abs. 3 vorausgesetzte Störung der Anstaltsordnung nicht von dem betreffenden Gefangenen selbst auszugehen. Eine Absonderung von anderen Gefangenen kann deshalb z. B. auch 829
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dann erforderlich werden und zulässig sein, wenn der betroffene Gefangene von anderen bedroht wird und deshalb Auseinandersetzungen zu befürchten sind (Arloth 2011 Rdn. 10). Die Störung der Anstaltsordnung kann auch von außen erfolgen (z. B. durch Banden-Komplizen): insoweit stellt die Gefahr der Befreiung einen Unterfall einer „erheblichen Störung der Anstaltsordnung“ dar (vgl. SA, BT-Drucks. 7/3998, 33). Durch die Hervorhebung dieses Beispielsfalles wird gleichzeitig eine Auslegungshilfe gegeben (C/MD 2008 Rdn. 3). Hierdurch kommt zum Ausdruck, dass immer nur besonders gravierende Fälle der Störung der Anstaltsordnung gemeint sind (SA aaO, 34). Das Verstecken von Drogen zum Eigenkonsum stellt eine solche Gefahr noch nicht dar (OLG Zweibrücken NStZ 1994, 151, 152 = StV 1994, 149 – 1 Ws 378/93 [Vollz]; Arloth 2011 Rdn. 10). Die Beobachtung bei Nacht und eine Fesselung kommen nach dem Gesetzeswortlaut im Rahmen der Fälle des Abs. 3 nicht in Frage (Arloth 2011 Rdn. 10). 19
4. Fesselung bei Ausführung, Vorführung und Transport (Abs. 4). Eine Fesselung kommt über die in Abs. 1 genannten Gründe auch dann in Betracht, wenn der Gefangene Widerstand leistet oder ein fluchtverdächtiger Gefangener ausgeführt oder dem Gericht vorgeführt werden muss (RegE, BT-Drucks. 7/918, 78; vgl. OLG Hamm BlStV 2/ 1995, 10; C/MD 2008 Rdn. 3) oder sich ein solcher Gefangener auf Transport befindet (Laubenthal 2011 Rdn. 716). Bei Selbststellern mit kurzem Strafrest wird man grundsätzlich von einer Fesselung bei der Ausführung absehen können (Grunau/Tiesler 1982 Rdn. 1; AK-Feest/Köhne 2012 Rdn. 18).
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5. Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (Abs. 5). Abs. 5: Bes. S. dürfen nur zur Bewältigung zeitlich aktuell begrenzter Gefahrensituationen eingesetzt werden; im Falle der Dauergefahr gilt § 85 (OLG Zweibrücken NStZ 1994, 151 – 1 Ws 378/93 [Vollz]; Arloth 2011 Rdn. 2; C/MD 2008 Rdn. 4). Abs. 5 weist noch einmal nachdrücklich auf die Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (dazu oben Rdn. 4) hin, nach dem die Beschränkungen den Gefangenen nicht mehr und nicht länger als notwendig beeinträchtigen dürfen (BVerfG StV 1999, 551 – 2 BvR 827/98). Die bes. S. sind daher aufzuheben, wenn ihre Notwendigkeit nicht mehr besteht; der Gefangene hat darauf einen gerichtlich durchsetzbaren Anspruch (OLG Frankfurt NStZ-RR 2002, 155 – 3 Ws 132/02 [StVollz]; AK-Feest/Köhne 2012 Rdn. 20). Das heißt: bes. S. dürfen nur solange Bestand haben, als aus in der Person des Gefangenen liegenden Gründen im erhöhten Maße Fluchtgefahr oder die Gefahr von Gewalttätigkeiten gegen Personen oder Sachen oder die Gefahr des Selbstmordes oder der Selbstverletzung besteht und die angeordneten Maßnahmen zur Abwendung dieser Gefahr erforderlich sind (dazu BVerfG aaO). Für die entsprechenden Prognosen kommt es auf die Entwicklung des Gefangenen im Vollzug an, die unter Hinzuziehung der Fachdienste (insbesondere von Stellungnahmen des psychologischen und/oder psychiatrischen Personals) im Rahmen einer Gesamtwürdigung zu beurteilen ist (OLG Frankfurt aaO). Je länger die bes. S. andauern, desto mehr werden die Grundrechte des Gefangenen beeinträchtigt (K/S-Schöch 2002 § 8 Rdn. 12). III. Landesgesetze und Musterentwurf
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1. Baden-Württemberg. In Baden-Württemberg sind die bes. S. in § 67 JVollzGB III geregelt. Die Vorschrift entspricht mit redaktionellen Änderungen § 88 StVollzG. Die Voraussetzungen, unter denen Hafträume mittels Videotechnik überwacht werden dürfen, finden sich in § 32 Abs. 1 JVollzGB I.
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2. Bayern. Art. 96 BayStVollzG ist bis auf einige redaktionelle Änderungen wort- 22 gleich mit § 88 StVollzG in Abs. 2 Satz 2 wurde die Formulierung „Beobachtung bei Nacht“ durch die Worte „ständige Beobachtung auch mit technischen Mitteln“ ersetzt; damit wird geregelt (heißt es in der Gesetzesbegründung LT-Drucks. 15/8101, 69), „dass auch die Kameraüberwachung z. B. bei Selbstmordgefahr der Gefangenen zulässig ist. Die Beschränkung der Beobachtung auf die Nachtzeit wurde aufgehoben, da die zu verhindernden Gefahren auch tagsüber bestehen.“ 3. Hamburg. Die bes. S. sind in Hamburg in § 74 HmbStVollzG geregelt. Die Vor- 23 schrift wiederholt zunächst den Text des § 88 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 und 3 bis 6. Die Nr. 2 des Abs. 2 wurde wie folgt neu gefasst: „2. die Beobachtung der Gefangenen, in besonderen Hafträumen auch mit technischen Hilfsmitteln, insbesondere auch durch den Einsatz von optisch-elektronischen Einrichtungen (§ 119)“. In der Gesetzesbegründung (Bürgerschafts-Drucks. 19/2533, 59) heißt es dazu: „In der vollzuglichen Praxis hat sich gezeigt, dass Gefährdungssituationen unabhängig von der Tageszeit eintreten können […]. Der Entwurf beschränkt diese Befugnis (der Videoüberwachung, der Verf.) auf besondere Hafträume wie besonders gesicherte Hafträume nach Absatz 2 Satz 1 Nummer 5 oder spezielle Beobachtungsräume.“ Danach geht es in Satz 2 der Vorschrift weiter: „Eine Fesselung nach Satz 1 Nummer 6 von nach § 70 Abs. 2 entkleideten Gefangenen darf nur erfolgen, wenn und solange dies unerlässlich ist (…)“. Abs. 3 wiederholt den Text aus § 89 Abs. 1 und 2 StVollzG fügt dann aber noch folgenden Satz hinzu: „Während des Vollzuges der Einzelhaft sind die Gefangenen in besonderem Maße zu betreuen.“ Abs. 4 lautet: „Maßnahmen nach Abs. 2 Satz 1 Nummern 1 und 3 bis 5 sind auch zulässig, wenn die Gefahr einer Befreiung oder eine erhebliche Störung der Anstaltsordnung anders nicht vermieden oder behoben werden kann.“ Abs. 5: „Bei einer Ausführung, Vorführung oder beim Transport ist die Fesselung auch zulässig, wenn zu befürchten ist, dass die Gefangenen sich dem Vollzug entziehen werden (einfache Fluchtgefahr).“ Abs. 6: „Fesseln dürfen in der Regel nur an den Händen oder an den Füßen angelegt werden. Im Interesse der Gefangenen kann die Anstaltsleitung eine andere Art der Fesselung anordnen.“ 4. Hessen. Hessen regelt die bes. S. in § 50 HStVollzG. Die Bestimmung entspricht 24 im Wesentlichen der Regelung in § 88 StVollzG. Anstelle des Begriffes „Selbstmord“ in § 88 Abs. 1 verwendet § 50 Abs. 1 HStVollzG den Begriff der „Selbsttötung“. Gegenüber § 88 Abs. 2 StVollzG ist die Beobachtung der Gefangenen nach § 50 Abs. 2 Nr. 2 HStVollzG nicht mehr auf die Nachtzeit beschränkt. Zugelassen wird die Beobachtung auch durch technische Hilfsmittel, wozu insbesondere Videokameras zählen. Eine dauerhafte Beobachtung durch technische Hilfsmittel ist nur nach Maßgabe des § 50 Abs. 6 Sätze 2 bis 4 HStVollzG zulässig. Lediglich sprachlich verändert im Vergleich zu § 80 Abs. 3 und 4 StVollzG wurden die Regelungen in § 50 Abs. 3 und 4 HStVollzG. Eine Regelung entsprechend § 80 Abs. 5 StVollzG sieht § 50 HStVollzG (wie auch das Niedersächsische Justizvollzugsgesetz) nicht vor. § 50 Abs. 7 HStVollzG regelt die Einzelhaft wie in § 89 StVollzG. 5. Niedersachsen. § 81 NJVollzG ist inhaltsgleich mit § 88 StVollzG mit folgenden 25 Ausnahmen: Nach § 81 Abs. 4 NJVollzG reicht statt einer „erhöhten Fluchtgefahr“ eine (einfache) Fluchtgefahr aus. 831
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Die in § 88 Abs. 5 StVollzG enthaltene Regelung ist weggefallen, weil der „Verhältnismäßigkeitsgrundsatz an dieser Stelle keiner ausdrücklichen Begründung bedarf“ (LTDrucks. 15/3565, 151). 26
6. Musterentwurf. Der ME-StVollzG regelt die bes. S. in § 78. Die Bestimmung orientiert sich an § 88 StVollzG, verwendet aber zum Teil neue Begrifflichkeiten. In Abs. 1 spricht die Bestimmung wie in § 75 ME-StVollzG von „Entweichung“ und verwendet wie das HStVollzG den Begriff der „Selbsttötung“. Wortgleich mit § 50 Abs. 2 Nr. 2 HStVollzG regelt § 78 Abs. 2 Nr. 2 ME-StVollzG die Beobachtung von Gefangenen, auch mit technischen Mitteln. § 78 Abs. 4 regelt die (unausgesetzte) Absonderung und bestimmt dafür in Abgrenzung zur Absonderung nach § 78 Abs. 2 Nr. 3 eine Frist von mehr als vierundzwanzig Stunden. § 78 Abs. 5 regelt die Art und Weise der Fesselung.
§ 89 Einzelhaft § 89 Schwind/Grote Einzelhaft (1) Die unausgesetzte Absonderung eines Gefangenen (Einzelhaft) ist nur zulässig, wenn dies aus Gründen, die in der Person des Gefangenen liegen, unerlässlich ist. (2) Einzelhaft von mehr als drei Monaten Gesamtdauer in einem Jahr bedarf der Zustimmung der Aufsichtsbehörde. Diese Frist wird nicht dadurch unterbrochen, dass der Gefangene am Gottesdienst oder an der Freistunde teilnimmt. VV In den Fällen des § 89 Abs. 2 ist der Aufsichtsbehörde so rechtzeitig zu berichten, dass eine Entscheidung vor Ablauf der Frist möglich ist. I. Erläuterungen 1
1. Einzelhaft als Unterfall der Absonderung. Bei der Einzelhaft gem. § 89 handelt es sich um einen Unterfall der Absonderung von anderen Gefangenen gem. § 88 Abs. 2 Nr. 3. Deshalb kann der Anstaltsleiter die Befugnis, Einzelhaft anzuordnen, nur mit Zustimmung der Aufsichtsbehörde (einem Abteilungsleiter) übertragen (§ 156 Abs. 3; OLG Hamm NStZ 2000, 467 M = ZfStrVo 2000, 179 – 1 Vollz [Ws] 25/99). Einzelhaft besteht in der „unausgesetzten“ räumlichen Absonderung (Trennung) eines Gefangenen von Mitgefangenen, und zwar nicht nur in der Ruhezeit, sondern auch in der Arbeits- und Freizeit (vgl. auch Rdn. 14 zu § 88). Die Vorschrift begründet damit eine Ausnahme von der Regel des § 17, nach der Gefangene tagsüber während der Arbeits- und Freizeit gemeinsam untergebracht werden müssen. Die nur „vorübergehende“ Absonderung ist in § 88 Abs. 2 Nr. 3 geregelt (§ 88 Rdn. 13). Einzelhaft soll nicht zur Isolation führen; deshalb dürfen die Kontakte zum Vollzugspersonal und zur Außenwelt (in Form von Besuchen) nicht unterbunden werden; möglich ist auch (vgl. Abs. 2) die Teilnahme an der täglichen Freistunde (Aufenthalt im Freien: vgl. § 64) und am Gottesdienst (Abs. 2 Satz 2). Im Gegensatz zum Arrest (Disziplinarmaßnahme nach § 104 Abs. 4 Satz 1) bleiben bei der bes. S. der Einzelhaft die Befugnisse zur Ausgestaltung des Haftraumes, Kleidung, Einkauf, Zeitungen, Zeitschriften, Hörfunk, Fernsehen, Besitz von Büchern und anderen Gegenständen für Freizeitbeschäftigung und Fortbildung unberührt (AKFeest/Köhne 2012 Rdn. 2). Schwind/Grote
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2. Unerlässlichkeit der Einzelhaft. Die Anordnung der Einzelhaft muss aus Grün- 2 den, die ausschließlich in der Person des Gefangenen liegen, „unerlässlich“ sein (Abs. 1). „Unerlässlich“ ist die Einzelhaft nur dann, wenn sie nicht durch weniger einschneidende Maßnahmen ersetzt werden kann (OLG Celle ZfStrVo 1980, 191; OLG Frankfurt ZfStrVo 1987, 381 – 3 Ws 918/86 [StVollz]; BVerfG StV 1999, 551 = NStZ 1999, 428 – 2 BvR 827/98; Arloth 2011 Rdn. 2; C/MD 2008 Rdn. 2). Dazu zählen insbesondere ärztlichpsychiatrische bzw. psychologische Maßnahmen oder Sozialarbeit (RegE, BT-Drucks. 7/918, 78; AK-Feest/Köhne 2012 Rdn. 3; Arloth aaO; C/MD aaO); beachte auch § 91. Welche Gründe in Betracht kommen, ergibt sich in erster Linie aus § 88 Abs. 1 (OLG Celle ZfStrVo SH 1979, 83; OLG Nürnberg NStZ 1982, 438). Es kommen aber auch z. B. eine ansteckende Krankheit oder ständige Gewalttätigkeiten gegen Mitgefangene in Betracht (AK-Feest/Köhne 2012 Rdn. 3). Ebenso wie bei § 88 (dort Rdn. 6) steht der Anstalt auch bei § 89 bzgl. der Tatbestandsmerkmale ein Beurteilungsspielraum zu und ein Ermessen bei der Entscheidung (Arloth 2011 Rdn. 2; C/MD 2008 Rdn. 2 a; vgl. auch OLG Karlsruhe ZfStrVo 2004, 186 – 1 Ws 315/03). Eine kumulative Anordnung von Einzelhaft mit anderen bes. S. ist zulässig, muss aber bzgl. jeder einzelnen bes. S. besonders sorgfältig begründet werden (C/MD 2008 Rdn. 2 a; vgl. auch schon § 88 Rdn. 4). 3. Dauer der Einzelhaft. Aus Abs. 2 ergibt sich, dass die Einzelhaft zeitlich nicht 3 begrenzt ist (Arloth 2011 Rdn. 3; C/MD 2008 Rdn. 4) sie darf jedoch nur solange Bestand haben, als die in der Person des Gefangenen liegenden Voraussetzungen vorliegen (OLG Frankfurt NStZ-RR 2002, 155 – 3 Ws 132/02 [StVollz]). Wenn sie im Jahr eine Gesamtdauer von drei Monaten übersteigt, ist die Zustimmung der Aufsichtsbehörde einzuholen (Abs. 2 Satz 1). In Anbetracht der Schwere des Eingriffs sollte sie nicht über einen längeren Zeitraum andauern (so auch AK-Feest/Köhne 2012 Rdn. 5). Um negative Auswirkungen (erheblicher Art), die die Reduktion von Umweltreizen auslösen kann, nicht zu übersehen, ist die regelmäßige Überwachung der Maßnahme durch einen Arzt (AK-Feest/ Köhne 2012 Rdn. 3; C/MD 2008 Rdn. 2) oder Psychologen geboten. II. Landesgesetze und Musterentwurf 1. Baden-Württemberg. Die Einzelhaft ist in § 68 JVollzGB III geregelt. Die Vor- 4 schrift entspricht mit redaktionellen Änderungen § 89 StVollzG. In der Begründung des Gesetzentwurfs wird erläutert, dass die unausgesetzte Absonderung eine Dauer von mehr als vierundzwanzig Stunden voraussetzt (LT-Drucks. 14/5012, 232). 2. Bayern. In Art. 97 BayStVollzG wurde auf Abs. 2 Satz 2 des § 89 StVollzG („ent- 5 sprechend der bisherigen Rechtsprechung“) verzichtet (Gesetzesbegründung LT-Drucks. 15/8101, 69) 3. Hamburg. In Hamburg ist die Einzelhaft primär in § 74 Abs. 3 HmbStVollzG gere- 6 gelt (vgl. dazu Rdn. 22 zu § 88 StVollzG). 4. Hessen. § 50 Abs. 7 HStVollzG regelt die Einzelhaft wie in § 89 StVollzG.
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5. Niedersachsen. Der Wortlaut des § 89 wurde in § 82 NJVollzG übernommen.
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6. Musterentwurf. § 78 Abs. 4 ME-StVollzG regelt die (unausgesetzte) Absonderung 9 und bestimmt dafür in Abgrenzung zur Absonderung nach § 78 Abs. 2 Nr. 3 ME-StVollzG 833
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eine Frist von mehr als vierundzwanzig Stunden. Die Regelung orientiert sich an § 89 Abs. 1. StVollzG § 79 Abs. 5 Satz 2 ME-StVollzG greift die Regelung des § 89 Abs. 2 Satz 1 StVollzG auf, normiert die Zustimmung der Aufsichtsbehörde zur Absonderung aber bereits nach 30 Tagen Gesamtdauer innerhalb von zwölf Monaten. § 79 Abs. 6 ME-StVollzG bestimmt ergänzend, dass abgesonderte Gefangene in besonderem Maße zu betreuen sind. Die (negativen) Folgen der Isolation sollen dadurch minimiert werden (ME-Begründung, 145).
§ 90 Fesselung § 90 Schwind/Grote Fesselung In der Regel dürfen Fesseln nur an den Händen oder an den Füßen angelegt werden. Im Interesse des Gefangenen kann der Anstaltsleiter eine andere Art der Fesselung anordnen. Die Fesselung wird zeitweise gelockert, soweit dies notwendig ist. VV (1) Der gefesselte Gefangene wird während des Aufenthaltes im Freien von nicht gefesselten Gefangenen getrennt gehalten. (2) Zur Einnahme der Mahlzeiten und zur Verrichtung der Notdurft werden Handfesseln, nötigenfalls nach Anlegen von Fußfesseln, abgenommen oder so gelockert, dass der Gefangene nicht behindert ist. I. Erläuterungen 1
1. Die Vorschrift trifft in Ergänzung zu § 88 Abs. 2 Nr. 6 besondere Regelungen über die Modalitäten der Fesselung (vgl. auch § 95 Abs. 3). Danach dürfen (so Satz 1) grundsätzlich nur die Hände oder die Füße gefesselt werden. Zulässig ist aber auch (vgl. Arloth 2011 Rdn. 2) die Fesselung an Gegenstände (z. B. an das Bett bei Krankenhausbehandlung oder an Fahrzeugteile beim Transport) oder an Bedienstete (Arloth aaO). Zu den Fesselungsgeräten vgl. § 88 Rdn. 17, zur Anordnung vgl. § 91 Rdn. 1, zur ärztlichen Überwachung vgl. § 92 Rdn. 1 und 2, zur Dauer vgl. unten Rdn. 4, zu (zeitweisen) Lockerungen vgl. VV Abs. 2.
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2. Eine andere Art der Fesselung (Satz 2), z. B. die Verwendung einer Zwangsjacke oder die Fixierung mit Gurten auf einem Bett, wird meist einen noch stärkeren Eingriff in die körperliche Bewegungsfreiheit des Gefangenen bedeuten als die in Satz 1 beschriebene – regelmäßige – Art der Fesselung (SA, BT-Drucks. 7/3998, 34). Diese darf nur im Interesse des Gefangenen Anwendung finden und ist nur dann zulässig, wenn sie geboten und geeignet ist, den Gefangenen vor solchen erheblichen Selbstverletzungen zu bewahren, die z. B. durch die Hand- oder Fußfesseln im Zustand hochgradiger Erregung („akuter Haftknall“: AK-Feest/Köhne 2012 Rdn. 3) entstehen können. Nach VV Abs. 1 nimmt der gefesselte Gefangene nicht am gemeinsamen Aufenthalt im Freien teil; in Betracht kommt eine Einzelfreistunde, sofern nicht der vollständige Entzug nach § 88 Abs. 2 Nr. 4 angeordnet ist (vgl. zur Auslegung dieser Vorschrift aber schon Rdn. 15 zu § 88). Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (§ 88 Abs. 5 und § 81 Abs. 2) ist, je stärker der Eingriff ist, strikt zu beachten (SA aaO; Arloth 2011 Rdn. 3). – Weiteres zur Fesselung bei § 88 Rdn. 17 und Rdn. 19. Schwind/Grote
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3. Die Fesselung muss nach Satz 3 zeitweise gelockert werden, soweit dies not- 3 wendig ist: wann dies notwendig ist, ist im Gesetzgebungsverfahren nicht bestimmt worden. Bei Klagen des Gefangenen über eine zu harte Fesselung müssen die Fesseln jedenfalls überprüft werden. Eine Lockerung der Fesseln muss immer dann erfolgen, wenn sie der Arzt, der immer zu hören ist (§ 91 Abs. 2 Satz 1), befürwortet; sie resultiert aus Sachzwängen wie Essen, Waschen, Toilette (vgl. VV Abs. 2). 4. Die Fesselung ist nicht befristet. Sie ist aber nur nach Maßgabe von § 88 Abs. 5 zu- 4 lässig. Die Fesselung darf danach nur soweit aufrechthalten werden, als es ihr Zweck erfordert. Art und Umfang der Fesselung sind deshalb streng am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz auszurichten (AK-Feest/Köhne 2012 Rdn. 6; Arloth 2011 Rdn. 4; C/MD 2008). II. Landesgesetze und Musterentwurf 1. Baden-Württemberg. § 69 JVollzGB III entspricht mit redaktionellen Änderungen 5 § 90 StVollzG. 2. Bayern. Wortgleich geregelt in Art. 98 BayStVollzG.
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3. Hamburg. Vgl. dazu den Text zu § 74 Abs. 6 HmbStVollzG bei Rdn. 23 zu § 88.
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4. Hessen. § 50 Abs. 5 HStVollzG regelt die zulässige Art und Weise der Fesselung 7 wie in § 90 Satz 1 StVollzG. Die Regelungen in § 90 Sätze 2 und 3 haben keinen Eingang in die Vorschrift gefunden. 5. Niedersachsen. In § 83 NJVollzG finden sich nur redaktionelle Änderungen.
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6. Musterentwurf. Die Regelung in § 78 Abs. 5 ME-StVollzG entspricht mit einer re- 10 daktionellen Änderung § 90 StVollzG.
§ 91 Anordnung besonderer Sicherungsmaßnahmen § 91 Schwind/Grote Anordnung besonderer Sicherungsmaßnahmen (1) Besondere Sicherungsmaßnahmen ordnet der Anstaltsleiter an. Bei Gefahr im Verzuge können auch andere Bedienstete der Anstalt diese Maßnahmen vorläufig anordnen. Die Entscheidung des Anstaltsleiters ist unverzüglich einzuholen. (2) Wird ein Gefangener ärztlich behandelt oder beobachtet oder bildet sein seelischer Zustand den Anlass der Maßnahme, ist vorher der Arzt zu hören. Ist dies wegen Gefahr im Verzuge nicht möglich, wird seine Stellungnahme unverzüglich eingeholt. I. Erläuterungen 1. Anordnungskompetenz des Anstaltsleiters (Abs. 1 Satz 1). Dass die Anordnung 1 der besonderen Sicherungsmaßnahmen (bes. S.) dem Anstaltsleiter vorbehalten wurde, entspricht der einschneidenden Bedeutung dieser Maßnahmen für die Gefangenen (RegE, BT-Drucks. 7/918, 78). Nach § 156 Abs. 3 kann die Befugnis mit (personenbezogener) Zustimmung der Aufsichtsbehörde jedoch (z. B. auf Beamte des höheren Diens835
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tes bzw. Abteilungsleiter) übertragen werden (Arloth 2011 Rdn. 1: nicht auf aktuell diensthabende Beamte des allgemenen Vollzugsdienstes oder den Sicherheitsinspektor). Sinn dieser Regelung ist die Prüfung des Sachverhalts ohne Zorn und Eifer durch einen übergeordneten Bediensteten, und zwar einen, der an dem – häufig emotional aufgeladenen – Konflikt nicht beteiligt war (KG StV 2005, 669 – [5] 1 Ss 61/05 [12/05]). Die für diese Delegation erforderliche Zustimmung der Aufsichtsbehörde kann abstrakt und vorab erteilt werden. Jedenfalls ist dem Wortlaut des § 156 Abs. 3 nicht zu entnehmen, dass die Aufsichtsbehörde jeder einzelnen Übertragung gesondert zustimmen müsste (LG Hildesheim, Beschl. vom 18.12.2006 – 23 StVK 566/06, juris). In jedem Fall sollte sich der Befugte bei so schwerwiegenden Eingriffen wie der Beobachtung bei Nacht, der Einzelhaft, der Unterbringung im besonders gesicherten Haftraum und der Fesselung selbst durch Augenschein über die Art der Durchführung informieren; er sollte darüber hinaus bei länger andauernden Maßnahmen in kurzen Abständen prüfen, ob die Maßnahme noch gerechtfertigt ist (Grunau/Tiesler 1982 Rdn. 3; vgl. dazu auch AK-Feest/Köhne 2012 Rdn. 2). 2
2. Anordnungskompetenz bei Gefahr im Verzuge (Abs. 1 Satz 2). Abs. 1 Satz 2: Die Sonderregelung für Gefahr im Verzuge trägt den Erfordernissen der Praxis Rechnung (RegE, BT-Drucks. 7/918, 78). Gefahr im Verzuge liegt vor, wenn ohne Intervention nachteilige Folgen drohen bzw. nachteilige Folgen fortdauern (Arloth 2011 Rdn. 1). Gefahr im Verzuge liegt aber nur vor (Abs. 1 Satz 2), wenn die Entscheidung des Anstaltsleiters auch telefonisch nicht (mehr) eingeholt werden kann (AK-Feest/Köhne 2012 Rdn. 4; KG aaO): in solchen Fällen können auch andere Bedienstete (wie z. B. der Inspektor für Sicherheit oder in der Nachtzeit der Inspektor vom Dienst) bes. S. anordnen (a. A. Arloth aaO); dass insoweit grundsätzlich nur solche Bedienstete in Betracht kommen, die Weisungsbefugnisse besitzen, ergibt sich in sprachlicher Hinsicht schon aus dem Wort „anordnen“ (ebenso AK-Feest/Köhne aaO). Die Annahme von „Gefahr im Verzuge“ muss mit Tatsachen begründet werden, die auf den Einzelfall bezogen sind. Lediglich spekulativ-hypothetische Erwägungen oder auf kriminalistische Alltagserfahrungen gestützte, fallunabhängige Vermutungen reichen nicht aus (BVerfG NJW 2001, 1121 – 2 BvR 1444/02 und KG aaO).
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3. Zustimmung des Anstaltsleiters (Abs. 1 Satz 3). Haben andere Bedienstete bes. S. vorläufig angeordnet, so ist die Entscheidung des Anstaltsleiters über ihr Fortbestehen unverzüglich einzuholen. Aus dem Wort „unverzüglich“ (nach der Legaldefinition in § 121 Abs. 1 BGB: „ohne schuldhaftes Zögern“) folgt, dass die Entscheidung des Anstaltsleiters (oder des sonst Befugten nach § 156 Abs. 3) möglichst auch außerhalb der allgemeinen Dienststunden, sogar zur Nachtzeit und an Sonn- und Feiertagen eingeholt werden muss (Grunau/Tiesler 1982 Rdn. 1; a. A. Arloth 2011 Rdn. 1: regulärer Dienstbeginn des Befugten darf abgewartet werden): gerade an Wochenenden, an denen i. d. R. Behandlungs- und Freizeitangebote fehlen, können Vorkommnisse eintreten, die die Anordnung von bes. S. erfordern (Tobsuchtsanfälle, Suizidversuche, Aggressionen gegen andere usw.).
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4. Anhörung des Arztes (Abs. 2). Eine generelle Pflicht des Anstaltsleiters, den Arzt vor der Anordnung von bes. S. zu hören, besteht nur in den Fällen, die in Abs. 2 genannt werden, also dann, wenn sich der Gefangene ohnehin in ärztlicher Behandlung befindet oder (z. B. wegen seines Geisteszustandes) beobachtet wird oder wenn der seelische Zustand den Anlass der bes. S. bildet (C/MD 2008 zu § 91). In der Begründung des SA (BT-Drucks. 7/3998, 34) wird jedoch die Erwartung geäußert, dass der Anstaltsleiter Schwind/Grote
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Anordnung besonderer Sicherungsmaßnahmen
§ 91
vor der Anordnung der bes. S. auch in anderen Fällen jedenfalls dann einen Arzt hinzuziehen wird, wenn bestimmte Anhaltspunkte dies zweckmäßig erscheinen lassen; dies ergibt sich auch aus der allgemeinen Fürsorgepflicht des § 56 Abs. 1. Da der Arzt nach Abs. 2 nur „zu hören“ ist, liegt die endgültige Entscheidung über Anordnung und Fortdauer der Maßnahmen allein beim Anstaltsleiter (oder dem sonst Befugten nach § 156 Abs. 3). II. Landesgesetze und Musterentwurf 1. Baden-Württemberg. § 70 JVollzGB III entspricht mit redaktionellen Änderungen 5 § 91 StVollzG. § 13 JVollzGB I regelt die Voraussetzungen für den Anstaltsleiter und dessen Zuständigkeit. Eine Regelung wie in § 156 Abs. 3 StVollzG sieht § 13 JVollzGB I nicht vor (vgl. Gesetzesbegründung: LT-Drucks. 14/5012, 174). 2. Bayern. Art. 99 BayStVollzG. Die Übertragung der Anordnungsbefugnis (mit Zu- 6 stimmung der Aufsichtsbehörde) auf andere Bedienstete ist in § 177 Abs. 3 geregelt. „Abs. 2 regelt die Anhörung des Anstaltsarztes oder der Anstaltsärztin, der oder die allerdings keine Mitentscheidungsbefugnis hat“ (Gesetzesbegründung LT-Drucks. 15/ 8101, 69). 3. Hamburg. In Hamburg geregelt in § 75 HmbStVollzG. Der dortige Abs. 1 ist wort- 8 gleich mit § 91 Abs. 1 StVollzG. Abs. 2 lautet: „Die Entscheidung wird den Gefangenen von der Anstaltsleitung mündlich eröffnet und mit einer kurzen Begründung schriftlich abgefasst.“ Abs. 3: „Besondere Sicherungsmaßnahmen sind in angemessenen Abständen daraufhin zu überprüfen, ob und in welchem Umfang sie aufrechterhalten werden müssen.“ Abs. 4: „Besondere Sicherungsmaßnahmen nach § 74 Abs. 2 Satz 1 Nummern 5 und 6 sind der Aufsichtsbehörde unverzüglich mitzuteilen, wenn sie länger als drei Tage aufrechterhalten werden.“ Die Gesetzesbegründung (Bürgerschafts-Drucks. 19/2533, 59) dazu: „Absätze 3 und 4 greifen den […] Grundsatz der Verhältnismäßigkeit auf und wirken der Gefahr entgegen, dass die Anordnung von besonderen Sicherungsmaßnahmen über ihre präventive Funktion hinaus Straf- oder Disziplinarcharakter erhält.“ 4. Hessen. Die Anordnung bes. S. ist in § 51 HStVollzG geregelt. § 51 Abs. 1 HSt- 7 VollzG entspricht § 91 Abs. 1 StVollzG. Der in § 51 Abs. 1 benutzte Begriff der „Anstaltsleitung“ ist nach § 75 Abs. 1 HStVollzG (teil-)identisch mit dem des Anstaltsleiters in § 91 Abs. 1. § 51 Abs. 2 HStVollzG geht zum Teil weiter als § 91 Abs. 2 StVollzG, da vor der Anordnung bes. S. erforderlichenfalls auch eine psychologische Stellungnahme einzuholen ist (vgl. auch Gesetzesbegründung LT-Drucks. 18/1396, 109). 5. Niedersachsen. In § 84 NJVollzG nur redaktionelle Änderungen gegenüber § 91 9 StVollzG. 6. Musterentwurf. § 79 Abs. 1 und 2 ME-StVollzG entspricht mit redaktionellen Än- 10 derungen § 91 StVollzG.
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Schwind/Grote
§ 92
Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
§ 92 Ärztliche Überwachung § 92 Keppler/Nestler Ärztliche Überwachung (1) Ist ein Gefangener in einem besonders gesicherten Haftraum untergebracht oder gefesselt (§ 88 Abs. 2 Nr. 5 und 6), so sucht ihn der Anstaltsarzt alsbald und in der Folge möglichst täglich auf. Dies gilt nicht bei einer Fesselung während einer Ausführung, Vorführung oder eines Transportes (§ 88 Abs. 4). (2) Der Arzt ist regelmäßig zu hören, solange einem Gefangenen der tägliche Aufenthalt im Freien entzogen wird. Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe VV (1) Der Anstaltsarzt ist von der Fesselung eines Gefangenen innerhalb der Anstalt oder von der Unterbringung in einem besonders gesicherten Haftraum unverzüglich zu unterrichten. (2) Ist der Arzt nicht anwesend, sucht ein im Sanitätsdienst erfahrener Bediensteter den Gefangenen auf. (3) Jeder Besuch und der erhobene Befund sind zu vermerken.
I. II.
III.
Übersicht Allgemeine Hinweise ____ 1 Erläuterungen ____ 2–7 1. Ärztliche Überwachung nach Abs. 1 ____ 2–6 2. Ärztliche Überwachung nach Abs. 2 ____ 7 Landesgesetze und Musterentwurf ____ 8–13
1. 2. 3. 4. 5. 6.
Baden-Württemberg ____ 8 Bayern ____ 9 Hamburg ____ 10 Hessen ____ 11 Niedersachsen ____ 12 Musterentwurf ____ 13
I. Allgemeine Hinweise 1
Die Vorschrift hat einen medizinischen Kontext, gehört systematisch aber in den Abschnitt der Sicherheit und Ordnung. Die Unterbringung in einem besonders gesicherten Haftraum sowie die Fesselung bedeuten einen enormen Eingriff in die Rechtsstellung des Gefangenen und sind für diesen mit zahlreichen Beschränkungen und Belastungen verbunden. Dem kann medizinische Relevanz unter verschiedenen Gesichtspunkten zukommen. In § 92 kommt dabei die Doppelrolle des Anstaltsarztes (vgl. § 158 Rdn. 1) besonders deutlich zum Ausdruck. Denn dem Gefangenen steht unter besonderen Haftbedingungen ein Rechtsanspruch auf eine spezifizierte ärztliche Betreuung zu (AKFeest/Köhne 2012 Rdn. 6). Ziel der Vorschrift ist demnach sowohl die Bewahrung der geistigen und körperlichen Gesundheit des Gefangenen, als auch die ständige Überprüfung der Zweckmäßigkeit einer außergewöhnlichen Sicherheitsmaßnahme auch aus ärztlicher Sicht (vgl. zu damit verbundenen Fragen der „Berufsethik“ AK-Feest/Köhne 2012 Rdn. 1). Der Arzt hat somit Dienstleisterfunktion sowohl gegenüber dem Gefangenen als auch gegenüber dem Vollzug. II. Erläuterungen
2
1. Ärztliche Überwachung nach Abs. 1. § 92 Abs. 1 regelt die ärztlichen Pflichten im Zusammenhang mit der besonderen Sicherungsmaßnahme der Unterbringung in einem besonders gesicherten Haftraum. Zu den ärztlichen Pflichten gehört in diesen Fällen, dass der Gefangene alsbald, d. h. innerhalb der nächsten ein bis zwei Stunden aufgeKeppler/Nestler
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Ärztliche Überwachung
§ 92
sucht und bei Verbleib im besonders gesicherten Haftraum möglichst täglich überwacht wird, § 92 Abs. 1 Satz 1. Voraussetzung für eine rasch einsetzende und regelmäßig erfolgende ärztliche Überwachung ist die unverzügliche Unterrichtung des Arztes bei Anordnung einer Fesselung oder Unterbringung des Gefangenen in einen besonders gesicherten Haftraum, siehe Abs. 1 der VV zu § 92. Bei Abwesenheit des Arztes kann dessen Überwachungspflicht vorübergehend auf einen Sanitätsbediensteten delegiert werden (vgl. hierzu auch Arloth 2011 Rdn. 1; C/MD 2008 Rdn. 1; vgl. auch § 56 Rdn. 4). Die Überwachung hat regelmäßig, sofern die personelle Situation dies zulässt täglich (AK-Feest/Köhne 2012 Rdn. 2) zu erfolgen. Abs. 2 der VV zu § 92 sieht in diesem Zusammenhang vor, dass ein im Sanitätsdienst erfahrener Bediensteter die medizinische Überwachung des Gefangenen übernimmt. Da dies aber die Kontrolle durch Medizinalpersonal nicht zu ersetzen vermag, bleibt in der Praxis darauf hinzuwirken, dass mindestens an zwei Wochentagen, je nach Konstitution des Gefangenen und unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls entsprechend häufiger, eine Überwachung durch den Anstaltsarzt selbst stattfindet (vgl. zur Häufigkeit auch Arloth 2011 Rdn. 1). Gefangene, die gegen ihren Willen in einen besonders gesicherten Haftraum verbracht werden, tendieren nicht selten dazu, ihren Unwillen gegen diese Maßnahme z. B. durch Anrennen mit dem Kopf gegen die Wand zu demonstrieren und sich dadurch selbst zu verletzen, um einen Abbruch der Maßnahme herbeizuführen. Die ärztliche Überwachung von in einem besonders gesicherten Haftraum untergebrachten Gefangenen erstreckt sich daher auf die Art der Unterbringung, den Zustand des Haftraums, die allgemeine Hygiene, gesundheitliche Gesichtspunkte sowie die Dauer der Maßnahme. Die Überwachung muss zudem Suizidgefahren entgegenwirken. Bestehen gravierende medizinische Bedenken oder Risiken, so wird auf die Empfehlung des Anstaltsarztes hin die Maßnahme beendet. Nach § 92 Abs. 1 Satz 2 besteht die in Satz 1 normierte Pflicht bei einer Fesselung während einer Ausführung, Vorführung oder eines Transportes nicht. Eine weitergehende Beteiligung oder Konsultation des Arztes verbietet sich deswegen aber nicht, sondern ist sogar wünschenswert (vgl. AK-Feest/Köhne 2012 Rdn. 3).
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2. Ärztliche Überwachung nach Abs. 2. Nach § 92 Abs. 2 ist der Arzt regelmäßig zu 7 hören, solange einem Gefangenen der tägliche Aufenthalt im Freien entzogen wird. Denn der Entzug des Aufenthaltes im Freien kollidiert mit dem diesbezüglichen in § 64 zum Ausdruck kommenden und auf medizinischen Gründen beruhenden Gebot. Der besondere Stellenwert dieser Mindestgarantie ergibt sich u. a. durch ihre Verortung im Abschnitt über die Gesundheitsfürsorge (vgl. § 64 Rdn. 2 f). Als ärztliche Beteiligung bei der Überwachung fordert deswegen § 92 Abs. 2, dass der Arzt während dieser Zeit regelmäßig gehört wird. Seine Einschätzung kann der Arzt jedoch nur abgeben, wenn er den Gefangenen auch gesehen und ggf. untersucht hat. III. Landesgesetze und Musterentwurf 1. Baden-Württemberg. § 71 JVollzGB III entspricht inhaltlich der bundesrechtli- 8 chen Regelung des § 92 StVollzG. 2. Bayern. Art. 100 BayStVollzG entspricht, abgesehen von der geänderten Verwei- 9 sung auf Art. 96 Abs. 2 Nrn. 5 und 6 sowie 96 Abs. 4 BayStVollzG, der bundesrechtlichen Regelung des § 92 StVollzG.
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Keppler/Nestler
§ 93
Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
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3. Hamburg. § 76 Abs. 2 und Abs. 3 HmbStVollzG entsprechen, abgesehen von der Formulierung im Plural bzw. der geschlechterspezifischen Differenzierung, weitgehend § 92 Abs. 1 und Abs. 2 StVollzG.
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4. Hessen. § 51 Abs. 3 HStVollzG korrespondiert mit § 92 Abs. 1 StVollzG. Geändert wurde neben der Verweisung auf § 50 Abs. 2 Nr. 5 und 6 HStVollzG zudem der Wortlaut von „möglichst täglich“ zu „in der Regel täglich“ in Satz 1, was eine geringere Verbindlichkeit dieser Regelung bzw. größeren Raum für die Berücksichtigung vollzugsorganisatorischer Belange nahelegt. Die Gesetzesbegründung schweigt zu dieser Abweichung. Mit § 92 Abs. 2 StVollzG korrespondiert § 51 Abs. 2 Satz 3 HStVollzG, der vorsieht, dass unter anderem bei Entzug des Aufenthalts im Freien eine Stellungnahme des ärztlichen Dienstes spätestens nach drei Tagen und danach in angemessenen Abständen einzuholen ist. Die Vorschrift präzisiert insoweit die Voraussetzungen der Anordnung besonderer Sicherungsmaßnahmen (LT-Drucks. 18/1396, 109).
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5. Niedersachsen. § 85 NJVollzG entspricht, abgesehen von der geänderten Verweisung auf § 81 Abs. 2 Nrn. 5 und 6 sowie 81 Abs. 4 NJVollzG, inhaltlich der bundesrechtlichen Regelung des § 92 StVollzG.
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6. Musterentwurf. § 80 ME-StVollzG korrespondiert mit § 92 StVollzG. § 80 Abs. 2 ME-StVollzG nennt neben dem Entzug des Aufenthalts im Freien zusätzlich die länger als 24 Stunden dauernde Absonderung des Gefangenen als Anlass für eine regelmäßige Konsultation des Arztes. Dies soll gesundheitlichen Schäden vorbeugen und dient dem frühzeitigen Erkennen von gesundheitlichen Gefährdungen (ME-Begründung, 145).
§ 93 Ersatz von Aufwendungen § 93 Laubenthal Ersatz von Aufwendungen (1) Der Gefangene ist verpflichtet, der Vollzugsbehörde Aufwendungen zu ersetzen, die er durch eine vorsätzliche oder grob fahrlässige Selbstverletzung oder Verletzung eines anderen Gefangenen verursacht hat. Ansprüche aus sonstigen Rechtsvorschriften bleiben unberührt. (2)* Bei der Geltendmachung dieser Forderungen kann auch der den Mindestbetrag übersteigende Teil des Hausgeldes (§ 47) in Anspruch genommen werden. (3) Für die in Absatz 1 genannten Forderungen ist der ordentliche Rechtsweg gegeben. (4) Von der Aufrechnung oder Vollstreckung wegen der in Absatz 1 genannten Forderungen ist abzusehen, wenn hierdurch die Behandlung des Gefangenen oder seine Eingliederung behindert würde. * § 93 Abs. 2 tritt durch besonderes Bundesgesetz in Kraft (§ 198 Abs. 3). Bis dahin gilt gem. § 199 Abs. 2 Nr. 4 (in der Fassung des Gesetzes vom 27.12.2000):
(2) Bei der Geltendmachung dieser Forderungen kann auch ein den dreifachen Tagessatz der Eckvergütung nach § 43 Abs. 2 übersteigender Teil des Hausgeldes (§ 47) in Anspruch genommen werden.
Laubenthal
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Ersatz von Aufwendungen
§ 93
VV (1) Bestehen Zweifel an der Verantwortlichkeit des Gefangenen, ist hierzu eine Stellungnahme des Anstaltsarztes einzuholen. Dies gilt insbesondere bei Gefangenen, die sich eine Selbstverletzung zugefügt haben. (2) Wird der Gefangene in eine andere Anstalt des Landes verlegt, ist dieser die Forderung zur weiteren Einziehung mitzuteilen. Wird der Gefangene in eine Anstalt eines anderen Landes verlegt, ist die aufnehmende Anstalt um die weitere Einziehung der Forderung im Wege der Amtshilfe zu ersuchen. Schrifttum Dargel Ersatz von Aufwendungen bei Selbstverletzung Gefangener (§ 93 II StVollzG), in: ZfStrVo 1982, 271 ff; Puhl Zur Haftung des Strafgefangenen gemäß § 93 StVollzG bei Selbstverletzungen, in: NStZ 1989, 354 ff.
I.
II.
Übersicht Allgemeine Hinweise ____ 1, 2 1. Zivilrechtlicher Aufwendungsersatz ____ 1 2. Sonstige zivilrechtliche Ansprüche ____ 2 Erläuterungen ____ 3–9 1. Anwendungsbereich ____ 3, 4 2. Inanspruchnahme von Hausgeld ____ 5 3. Rechtswegzuweisung ____ 6 4. Absehen von Aufrechnung bzw. Vollstreckung ____ 7, 8
III.
5. Zuständigkeit bei Verlegung ____ 9 Landesgesetz und Musterentwurf ____ 10–15 1. Baden-Württemberg ____ 10 2. Bayern ____ 11 3. Hamburg ____ 12 4. Hessen ____ 13 5. Niedersachsen ____ 14 6. Musterentwurf ____ 15
I. Allgemeine Hinweise 1. Zivilrechtlicher Aufwendungsersatz. Die Vorschrift räumt der Vollzugsbehörde 1 eine zusätzliche Anspruchsgrundlage zur Geltendmachung von Aufwendungsersatzansprüchen ein, die primär die Kosten medizinischer Versorgung betrifft (BT-Drucks. 7/ 3998, 35). Da verletzte Gefangene nach §§ 56 ff im Vollzug der Freiheitsstrafe die erforderliche ärztliche Betreuung erhalten, entstehen ihnen insoweit keine Unkosten. Verletzt ein Insasse den anderen vorsätzlich oder grob fahrlässig derart, dass dieser in der Anstalt ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen muss, könnte die Anstalt ihre Aufwendungen gegen den Schädiger nicht durchsetzen. Auch wegen der schuldhaft herbeigeführten Selbstverletzung hätte die Vollzugsbehörde möglicherweise keinen Anspruch gegen den Gefangenen (BGH NJW 1990, 1604 str.; vgl. auch OLG Koblenz Justizblatt RheinlandPfalz 1997, 514). Um hier eine den freien Verhältnissen entsprechende Lage zu schaffen, begründet § 93 Abs. 1 einen eigenen zivilrechtlichen Aufwendungsersatzanspruch der Vollzugsbehörde gegen Gefangene (Arloth 2011 Rdn. 2; C/MD 2008 Rdn. 1; Grunau/ Tiesler Rdn. 1). Ein Ausschluss der Haftung für leichte Fahrlässigkeit nimmt den Rechtsgedanken der Beschränkung des Rückgriffs des Arbeitgebers auf den Arbeitnehmer bei einer betrieblichen Tätigkeit (Palandt/Weidenkaff 2012 § 611 Rdn. 156 bis 158) aus dem Arbeitsrecht auf. Die Ansprüche sind zivilrechtlicher Natur, weshalb für ihre Feststellung gem. Abs. 3 die Zivilgerichte zuständig sind (Rdn. 6). 2. Sonstige zivilrechtliche Anspüche. § 93 verändert und beeinträchtigt nicht die 2 Ansprüche, die der Vollzugsbehörde aus anderen Rechtsvorschriften gegen den Gefangenen zustehen. Dies sind vor allem Schadensersatzansprüche aus unerlaubter 841
Laubenthal
§ 93
Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
Handlung (etwa wegen der Beschädigung von Anstaltseigentum oder der Verletzung von Anstaltsbediensteten, soweit deren Ansprüche gegen den Schädiger auf den Dienstherrn übergegangen sind). Diese Ansprüche werden ebenfalls vor ordentlichen Gerichten geltend gemacht. § 93 betrifft auch nicht Ansprüche, die Gefangenen gegeneinander zustehen (z. B. Schmerzensgeld; Ersatz von Schäden, die nicht durch die in der Vollzugsanstalt erfolgte Behandlung ausgeglichen werden; Vermögenseinbußen, beispielsweise durch Ausfall von Arbeitsentgelt). Diese Ansprüche kann der Geschädigte auf dem Zivilrechtsweg geltend machen und durchsetzen. Dabei kommt ein Zugriff auf das Hausgeld des Schädigers, das der Pfändung nicht unterworfen ist, nicht in Betracht. Ebenso betrifft § 93 nicht die Ansprüche dritter Personen wie Anstaltsbediensteter, Besucher oder Außenstehender, die von einem Gefangenen, während dieser die Freiheitsstrafe verbüßt, geschädigt worden sind. II. Erläuterungen 3
1. Anwendungsbereich. Abs. 1 normiert einen zivilrechtlichen Aufwendungsersatzanspruch. Voraussetzung ist rechtswidriges und vorsätzliches oder grob fahrlässiges (BGHZ 10, 14, 16; 69, 74). Handeln des Gefangenen. Erfasst werden nur die tatsächlichen Aufwendungen (wie z. B. Kosten für Verbandsmaterial, Arzneimittel, besondere Zuziehung eines Facharztes, Fahrt im Anstalts-Pkw zum Unfallarzt). Nicht hierzu gehören die anteiligen Aufwendungen für das Gehalt des Anstaltsarztes und des Sanitätsbeamten oder die der Vollzugsbehörde durch den Arbeitsausfall des verletzten Gefangenen entstandenen Verluste; auch nicht die dem verletzten Gefangenen etwa gewährte Ausfallentschädigung oder das Taschengeld. Der Anspruch nach § 93 Abs. 1 beschränkt sich auf die zusätzliche Leistung, welche die Vollzugsbehörde zur Heilbehandlung während des Strafvollzugs nach §§ 56 ff zu gewähren verpflichtet ist. Der Begriff der Verletzung i. S. der Vorschrift entspricht dem des § 223 Abs. 1 StGB 4 (dazu Fischer 2012 § 223 Rdn. 3 ff). Der systematischen Stellung der Vorschrift entsprechend werden nur solche Handlungen des Gefangenen erfasst, die mit dem Ziel der Störung von Sicherheit und Ordnung ausgeführt werden (Arloth 2011 Rdn. 2; C/MD 2008 Rdn. 2). Das sind z. B. die bei einer mutwilligen Schlägerei, einer Gefangenenmeuterei oder einer Selbstbefreiung empfangenen und anderen Gefangenen zugefügten Verletzungen (C/MD 2008 Rdn. 4). Die Selbstverletzung umfasst nicht nur Verletzungshandlungen am eigenen Körper wie durch Alkohol- oder BtM-Intoxikation (s. aber OLG Jena, Beschl. vom 13.11.2009 – 1 Ws 307/09) oder das Schlucken von Gegenständen verursachte Beschädigungen, die ohne Selbsttötungsabsicht begangen werden, sondern auch die bei fehlgeschlagenen Suizidversuchen entstandenen Selbstbeschädigungen. Wenig hilfreich und daher abzulehnen sind Differenzierungen zwischen Selbstverletzungen, die mit dem Vorsatz einer Störung der Sicherheit oder Ordnung der Anstalt begangen werden und pathogenen Autoaggressionen ohne weitergehende Störungsabsichten (OLG Koblenz ZfStrVo 1990, 250; Arloth 2011 Rdn. 2 unter Verweis auf § 56 Abs. 2; Dargel 1982, 271; K/S-Schöch § 7 Rdn. 211; Puhl 1989, 354 ff; a. A. AK-Feest/Köhne 2012 Rdn. 2; C/MD 2008 Rdn. 5 ff; Grunau/Tiesler Rdn. 1). Daher stellen auch der Hungerstreik, das Trinken von selbst angesetztem Alkohol oder das Einnehmen von Aufputschmitteln (wie etwa einer sog. Kaffeepeitsche), soweit sie Heilmaßnahmen erforderlich machen, Selbstverletzungen i. S. d. § 93 dar. Allerdings muss hier besonders festgestellt werden, ob der Gefangene die Herbeiführung eines behandlungsbedürftigen Zustandes voraussehen konnte und damit vorsätzlich oder grob fahrlässig gehandelt hat. Das wird für viele derartige Fälle erst bei Wiederholung oder nach besonderer Abmahnung angenommen werden dürfen. Erforderlich ist ferner eine sorgfältige Prüfung der Verantwortlichkeit des GefanLaubenthal
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Ersatz von Aufwendungen
§ 93
genen, ggf. unter Heranziehung des Anstaltsarztes, VV Nr. 1. Aufwendungen der Vollzugsbehörde muss der Gefangene auch dann ersetzen, wenn sie im Hinblick auf seinen durch die Selbstverletzung eingetretenen Zustand nur erforderlich erscheinen. Ob sie im Nachhinein betrachtet tatsächlich notwendig gewesen sind, ist unerheblich (OLG Koblenz ZfStrVo 1990, 248, 250). 2. Inanspruchnahme von Hausgeld. Für die Ansprüche aus § 93 Abs. 1 Satz 1 er- 5 laubt Abs. 2 eine teilweise Inanspruchnahme des Hausgeldes (BGHSt 36, 80; OLG Frankfurt BlStV 2/1992, 11). Eine Anwendung dieser Vorschrift auf andere Ansprüche der Vollzugsbehörde, die mit den in § 93 Abs. 1 geregelten Fällen vergleichbar sind, kommt wegen der eindeutigen und abschließenden Regelung nicht in Betracht (OLG Celle NStZ 1981, 78 zu Aufwendungen für Verletzung eines Bediensteten; OLG Frankfurt NStZ-RR 1996, 351; OLG Hamm NStZ 1989, 392; OLG Karlsruhe NStZ 1985, 430 zur Beschädigung von Sachen eines Bediensteten; OLG München NStZ 1987, 45 zur Beschädigung von Anstaltseigentum; AK-Feest/Köhne 2012 Rdn. 6; C/MD 2008 Rdn. 9; K/S-Schöch § 7 Rdn. 211). Ebenso ausgeschlossen bleiben auf andere Rechtsgrundsätze gestützte Ausnahmen, wie z. B. dem Gefangenen aufgrund von Treu und Glauben die Berufung auf ein Aufrechnungsverbot bzgl. des Hausgeldanspruchs zu versagen (offen gelassen von BGHSt 36, 80, 82; OLG Hamburg NStZ 1993, 256; a. A. OLG Dresden NStZ 1999, 447 M; Arloth 2011 Rdn. 4). Da es sich um einen Eingriff in ein Recht des Gefangenen, über sein Hausgeld zu verfügen, handelt, müsste eine nicht im StVollzG geregelte Beschränkung den Voraussetzungen des § 4 Abs. 2 Satz 2 standhalten. Daran fehlt es, weil zum einen die gesetzliche Regelung des § 93 abschließend ist und es zum anderen zur Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung nicht unerlässlich erscheint, das Hausgeld in diesen Fällen in Anspruch zu nehmen. Die Vollzugsbehörde kann indessen wegen ihrer Ansprüche aus § 93 Abs. 1 Satz 1 auch alle anderen Vermögenswerte des Gefangenen heranziehen, soweit sie pfändbar sind. Die Inanspruchnahme des Hausgelds des Gefangenen steht im Ermessen der Vollzugsbehörde. Das gilt nicht nur für die Frage, ob überhaupt das Hausgeld in Anspruch genommen wird, sondern auch, in welcher Höhe dies geschieht. Der in Abs. 2 genannte Schonbetrag in Höhe des dreifachen Tagessatzes der Eckvergütung nach § 43 Abs. 2 i. V. m. § 200 muss dem Gefangenen in jedem Fall verbleiben. 3. Rechtswegzuweisung. Die Prüfung des Bestehens und der Höhe der Ansprüche 6 nach § 93 Abs. 1 Satz 1 liegt gem. Abs. 3 bei den ordentlichen Gerichten. Rechnet die Vollzugsbehörde mit einer ihr nach § 93 Abs. 1 Satz 1 zustehenden Forderung gegen das Hausgeld des Gefangenen auf und bestreitet der Gefangene Grund oder Höhe der Forderung, so ist der Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach §§ 109 ff statthaft. Die Vollstreckungskammer darf dann über Bestehen und Höhe des Anspruchs nach Abs. 1 aufgrund von § 120 i. V. m. § 262 Abs. 1 StPO als Vorfrage selbst entscheiden und muss das Verfahren nicht bis zur Klärung durch das Zivilgericht aussetzen (OLG Stuttgart NStZ 1986, 47; OLG München NStZ 1987, 46; OLG Dresden NStZ 1999, 446 M; Arloth 2011 Rdn. 5; a. A. OLG Hamm NStZ 1987, 190 ff; KG NStZ-RR 2003, 317 f). 4. Absehen von Aufrechnung bzw. Vollstreckung. Gem. Abs. 4 muss die Voll- 7 zugsbehörde von der Aufrechnung bzw. der Vollstreckung der in Abs. 1 genannten Forderungen absehen, wenn hierdurch die Behandlung des Gefangenen oder seine Eingliederung behindert würde. Die Vorschrift bindet die Behörde hinsichtlich der Ausübung ihres Ermessens. Obwohl sich die Vorschrift ausdrücklich nur auf die Forderungen nach Abs. 1 bezieht, gilt allgemein, dass die Vollzugsbehörde mit ihren Maßnahmen die Behandlung und Eingliederung des Gefangenen nicht behindern darf; nur die Sicherungs843
Laubenthal
§ 93
Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
aufgabe erlaubt insoweit Abstriche. Deshalb sind Schadensersatzansprüche wegen Sachbeschädigung oder Verletzung von Bediensteten in das pfändbare Vermögen des Gefangenen nicht zu vollstrecken, soweit ihre Durchsetzung die finanzielle Basis des Inhaftierten bei seiner Entlassung (etwa im Hinblick auf seine sonstige Schuldenlast) auf lange Zeit derart schmälert, dass er aus diesem Grund zusätzlich gefährdet erscheint (OLG München NStZ 1987, 45 f). In den Fällen der Aufrechnung kann der Gefangene die Berücksichtigung der in 8 Abs. 4 aufgeführten Gesichtspunkte durch die Vollzugsbehörde im Verfahren nach §§ 109 ff überprüfen lassen. Das ist wegen der zu prüfenden materiellen Fragen (z. B. Beachtung des Vollzugsziels) zweckmäßig (OLG Hamm ZfStrVo 1981, 249 f). 9
5. Zuständigkeit bei Verlegung. Wird der Gefangene verlegt, nachdem sich das den Anspruch begründende Geschehen ereignet hat, ist für die Einziehung der Forderung sowie die Entscheidungen nach Abs. 2 und 4 die aufnehmende Anstalt zuständig (VV Abs. 2). III. Landesgesetze und Musterentwurf
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1. Baden-Württemberg. § 72 Abs. 1 JVollzGB III entspricht, abgesehen von der Abfassung im Plural, dem Wortlaut des § 93 Abs. 1 StVollzG. Über die bisherige bundesweite Regelung hinaus normiert § 73 Abs. 2 JVollzGB III: „Die Justizvollzugsanstalt kann bei der Geltendmachung von Forderungen nach Absatz 1 oder wegen einer vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Verletzung fremden Eigentums durch Gefangene auch eine den dreifachen Tagessatz der Eckvergütung nach § 49 Abs. 2 übersteigenden Teil des Hausgelds in Anspruch nehmen.“ § 73 Abs. 3 und 4 JVollzGB III entsprechen den Abs. 3 und 4 der Bundesvorschrift.
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2. Bayern. Art. 89 Abs. 1 BayStVollzG entspricht, bis auf die Abfassung im Plural, weitgehend dem Wortlaut des § 93 Abs. 1 StVollzG. Abs. 2 der bayerischen Norm stimmt, abgesehen von der geänderten Verweisung auf Art. 46 Abs. 2 S. 2 BayStVollzG, mit Abs. 2 der bundesrechtlichen Vorschrift überein. Abs. 3 und 4 der bayerischen Norm entsprechen dem Wortlaut des Bundesgesetzes.
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3. Hamburg. § 77 Abs. 1 und 2 HmbStVollzG entsprechen teils wörtlich, teils sinngemäß der Vorschrift des § 93 Abs. 1 und 2 StVollzG. Abs. 3 der Bundesvorschrift wurde nicht ins hamburgische Landesrecht übernommen. § 77 Abs. 4 HmbStVollzG korrespondiert mit § 93 Abs. 4 StVollzG.
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4. Hessen. § 52 Abs. 1 HStVollzG ist inhaltlich identisch mit § 93 StVollzG. § 52 Abs. 2 HStVollzG lautet: „Die Anstalt kann den Anspruch durch Bescheid gegen die Gefangenen geltend machen. Bei der Geltendmachung dieser Forderungen kann auch ein den dreifachen Tagessatz der Eckvergütung (§ 38 Abs. 2) übersteigender Teil des Hausgelds (§ 40) in Anspruch genommen werden.“ Die Gesetzesbegründung führt dazu aus: „Die Anstalten sollen in die Lage versetzt werden, den Anspruch aus Abs. 1 möglichst einfach durchzusetzen. Vor diesem Hintergrund räumt Abs. 2 Satz 1 den Anstalten das Recht ein, den Anspruch durch Bescheid geltend zu machen. Satz 2 entspricht der Regelung des § 121 Abs. 5 StVollzG“ (LT-Drucks. 18/1396, 109). § 52 Abs. 3 HStVollzG entspricht nur insoweit § 93 Abs. 4 StVollzG, als auf den Eingliederungsauftrag abgestellt wird; die Behandlung des Gefangenen findet keine Erwähnung. Laubenthal
844
Allgemeine Voraussetzungen
§ 94
Eine mit § 93 Abs. 3 StVollzG korrespondierende Vorschrift existiert in Hessen nicht. 5. Niedersachsen. § 86 NJVollzG lautet: „Auf den Anspruch auf Ersatz von Aufwen- 14 dungen der Vollzugsbehörde, die die oder der Gefangene durch eine vorsätzliche oder grob fahrlässige Selbstverletzung oder eine Verletzung einer oder eines anderen Gefangenen verursacht hat, findet § 93 Abs. 1 Satz 1 StVollzG Anwendung.“ Eine Entsprechung zu § 93 Abs. 2 StVollzG enthält § 51 Abs. 1 NJVollzG. Gem. § 51 Abs. 2 NJVollzG hat – über § 93 Abs. 4 StVollzG hinausgehend – die Durchsetzung sämtlicher Ansprüche des Landes gegen einen Gefangenen zu unterbleiben, wenn dadurch die Erreichung des Vollzugszieles behindert würde. 6. Musterentwurf. Im ME-StVollzG existiert keine mit § 93 StVollzG korrespondie- 15 rende Regelung.
ZWÖLFTER TITEL Unmittelbarer Zwang § 94 Allgemeine Voraussetzungen § 94 Koepsel Allgemeine Voraussetzungen (1) Bedienstete der Justizvollzugsanstalten dürfen unmittelbaren Zwang anwenden, wenn sie Vollzugs- und Sicherungsmaßnahmen rechtmäßig durchführen und der damit verfolgte Zweck auf keine andere Weise erreicht werden kann. (2) Gegen andere Personen als Gefangene darf unmittelbarer Zwang angewendet werden, wenn sie es unternehmen, Gefangene zu befreien oder in den Anstaltsbereich widerrechtlich einzudringen, oder wenn sie sich unbefugt darin aufhalten. (3) Das Recht zu unmittelbarem Zwang aufgrund anderer Regelungen bleibt unberührt. VV (1) Den bei der Anwendung von unmittelbarem Zwang Verletzten ist Beistand zu leisten und ärztliche Hilfe zu verschaffen, sobald die Lage es zulässt. Diese Verpflichtung geht den Pflichten nach den Absätzen 2 und 3 vor. (2) Ist jemand durch Anwendung unmittelbaren Zwanges oder durch sonstige Gewaltanwendung getötet oder erheblich verletzt worden, so sind am Ort des Vorfalls nach Möglichkeit keine Veränderungen vorzunehmen. Das gleiche gilt bei jeder Verletzung, die durch den Gebrauch einer Schusswaffe in Anwendung unmittelbaren Zwanges bei sonstiger Gewaltanwendung verursacht worden ist. (3) Jeder Fall der Anwendung unmittelbaren Zwanges ist dem Anstaltsleiter unverzüglich zu melden und aktenkundig zu machen. Über jeden Gebrauch von Waffen (§ 95 Abs. 4 StVollzG) ist der Aufsichtsbehörde zu berichten. Schrifttum Bothge Nochmal: Die Anwendung unmittelbaren Zwangs in: ZfStrVo 2001, 335 ff; Grommek Unmittelbarer Zwang im Strafvollzug, Köln 1982; Korndörfer Aspekte der Sicherheit im Justizvollzug, in: Herrfahrdt
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(Hrsg.), Sicherheit und Behandlung – Strafvollzug im Wandel, Hannover 2002, 188 ff; Radtke/Britz Zur Anwendung unmittelbaren Zwangs durch Vollzugsbeamte, in: ZfStrVo 2001, 134 ff; Suhrbier Sicherheit im Justizvollzug, in: Herrfahrdt (Hrsg.), Strafvollzug in Europa, Hannover 2001, 98 ff.
I. II.
Übersicht Allgemeine Hinweise: Bedeutung des unmittelbaren Zwanges ____ 1–3 Erläuterungen ____ 4–15 1. Die anwendungsberechtigten Bediensteten ____ 4 2. Die Anwendungsvoraussetzungen ____ 5–7 a) Durchsetzung von Vollzugsmaßnahmen ____ 5 b) Durchsetzung von Sicherungsmaßnahmen ____ 6 c) Die Anwendungsvoraussetzung der Rechtmäßigkeit der Maßnahme ____ 7 3. Unmittelbarer Zwang gegen andere Personen ____ 8 4. Unmittelbarer Zwang aufgrund anderer Regelungen ____ 9
III.
IV.
5. Abgrenzung: Unmittelbarer Zwang nach dem Strafvollzugsgesetz und Zwangsmaßnahmen nach anderen Regelungen ____ 10–14 a) Problem der Überschneidung von Handlungsermächtigungen ____ 11 b) Grundsatz: für Vollzugsbedienstete gilt die Regelung des StVollzG ____ 12 c) Unmittelbarer Zwang zur Abwendung von Störungen des Vollzuges ____ 13 d) Abs. 1 und Abs. 2 als lex specialis ____ 14 6. Die VV zu § 94 ____ 15 Beispiele ____ 16, 17 1. Die Abwehr bewaffneter Eindringlinge ____ 16 2. Die Abwehr von Demonstranten ____ 17 Landesgesetze und Musterentwurf ____ 18
I. Allgemeine Hinweise 1
Das Strafvollzugsgesetz hat den Vollzugsbediensteten die Befugnis zur Anwendung unmittelbaren Zwanges gegenüber Inhaftierten (Abs. 1) und bei Vorliegen besonderer Voraussetzungen auch gegenüber nichtinhaftierten Personen (Abs. 2) eingeräumt. Die sehr ausführlichen und inhaltlich aufeinander abgestimmten Regelungen des Gesetzes machen deutlich, dass die Justizvollzugsbediensteten innerhalb der Anstalten Befugnisse erhalten sollen, die außerhalb von Justizvollzugsanstalten der Polizei obliegen. Insoweit nimmt der Gesetzgeber die Tradition des deutschen Strafvollzuges auf, wonach den Strafvollzugsbediensteten dem Grundsatz nach die Polizeigewalt innerhalb der Justizvollzugsanstalten zusteht (so auch AK-Feest/Walter 2012 Rdn. 2; a. A. z. T. Arloth 2011 Rdn. 5 ). Die Polizei kann bisher aufgrund der Regelung im StVollzG in Justizvollzugsanstalten nur tätig werden, wenn sie vom Anstaltsleiter im Wege der Amtshilfe um Mitwirkung gebeten wird (Ausnahmen bei Rdn. 3 zu § 24; a. A. Arloth 2011 Rdn. 5). Ein solches Amtshilfeersuchen ist nach den allgemeinen Regeln der Amtshilfe nur zulässig, soweit der ersuchenden Behörde die sächlichen oder personellen Mittel zur Bewältigung der anstehenden Verwaltungsaufgabe fehlen. Für den Bereich der Anwendung unmittelbaren Zwanges bedeutet dies, dass der Leiter einer Justizvollzugsanstalt die Polizei nur um eine Amtshilfe bitten kann, wenn er einer Gefahrensituation innerhalb der Anstalt nicht mit eigenen Kräften wirksam genug begegnen kann. Ein solcher Polizeieinsatz kann z. B. bei größeren Meutereien oder bei Geiselnahmen in Betracht kommen (zum Fall der Geiselnahme vgl. auch § 99 Rdn. 7). Amtshilfe kann als Folge der vorrangigen „Polizeigewalt“ der Vollzugsbediensteten in den Anstalten auch vom Vollzug gefordert werden, wenn z. B. rechtmäßige Anordnungen von Strafverfolgungsbehörden innerhalb einer Justizvollzugsanstalt, wie etwa bei der zwangsweisen Vorführung zur Entnahme einer Speichelprobe zum Zwecke der DNA-Analyse durchgesetzt werden (s. Radtke/Britz 2001, 134 ff; kritisch zur geltenden Regelung vollzuglicher Amtshilfe Bothge 2001, 335 ff). Koepsel
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Sollte das Verbot des Schusswaffengebrauchs durch Vollzugsbedienstete innerhalb der Anstalten (§ 85 ME-StVollzG) von den Bundesländern übernommen werden, wird sich die bisherige Systematik entscheidend verändern, denn die Neuregelung würde der Polizei die alleinige Verantwortung für den Einsatz von Schusswaffen in den Anstalten übertragen und damit konsequenterweise auch die Entscheidungsbefugnis über die Art der Anwendung unmittelbaren Zwanges in Justizvollzugsanstalten. Zu dieser Frage gibt es weder im Musterentwurf noch in der ME-Begründung nähere Hinweise. Auch bleibt offen, wie die Polizei erfahren soll, dass sie in einer Anstalt benötigt wird. Wahrscheinlich müsste die Polizei sich durch regelmäßige Begehungen der Anstalten ein Bild von der jeweiligen Sicherheitslage machen. Das Strafvollzugsgesetz regelt in den §§ 94–101 und in § 178 für die Justizvollzugs- 2 anstalten die Rechte und Pflichten der Bediensteten bei der Anwendung unmittelbaren Zwanges. Diese Vorschriften ermächtigen und verpflichten unter bestimmten Umständen die Vollzugsbediensteten zur Anwendung unmittelbaren Zwanges. Sie schaffen keine eigene Rechtsgrundlage für selbständige Eingriffe (so zutreffend Radtke/Britz für den Fall der Vorführung zur Speichelprobe 2001, 135), regeln aber bisher abschließend (§ 4 Rdn. 24) die Voraussetzungen und Mittel für die zwangsweise Durchsetzung rechtmäßiger Maßnahmen, soweit Vollzugsbedienstete in ihrer dienstlichen Eigenschaft unmittelbaren Zwang anwenden (Grundsatz der Akzessorietät, so auch K/S-Schöch 2002 § 8 Rdn. 13 und Walter 1999 Rdn. 498). Auch für Vollzugsbedienstete bleiben gemäß Abs. 3 Regelungen gültig, die jeden Bürger zu Zwangsmaßnahmen berechtigen. Weil jede Anwendung unmittelbaren Zwanges ein starker Eingriff in die Rechte des Betroffenen ist, hat der Gesetzgeber die Anwendung unmittelbaren Zwanges auf nicht anders lösbare Fälle beschränkt und hinsichtlich der Intensität der Zwangsanwendung das Prinzip der Verhältnismäßigkeit aus dem allgemeinen Polizeirecht übernommen (vgl. Rdn. 5 bis 7). Im Strafvollzug der Gegenwart lassen sich viele Alltagsprobleme in den Vollzugsanstalten ohne Anwendung unmittelbaren Zwanges regeln. Mit Recht wird in der Fachdiskussion stets der Vorrang der Behandlung betont (s. Suhrbier 2001, 105; AK-Feest/Walter 2012 Rdn. 7; C/MD 2008 Rdn. 2; K/S-Schöch 2002 § 8 Rdn. 1). Ein entspanntes Arbeitsklima entsteht, wenn das Sicherungskonzept der jeweiligen Anstaltsleitung den Vorrang sozialer Sicherheit vor der administrativ kontrollierten Sicherheit enthält (für Gleichrangigkeit von administrativer und sozialer Sicherheit Korndörfer 2002, 188 ff). Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass es in behandlungsintensiven oder offenen Vollzugseinrichtungen die Fälle der Anwendung unmittelbaren Zwanges relativ selten gibt, wobei in solchen Anstalten auch besondere Sicherungsmaßnahmen selten angeordnet werden (zur Ursache und Statistik vgl. § 88 Rdn. 2). Die Anstaltsbediensteten derartiger Einrichtungen kennen deshalb die gesetzlichen Regelungen in den §§ 94 ff oft nicht besonders gut. Das ist gefährlich, denn wenn unmittelbarer Zwang angewendet werden muss, sind die Auswirkungen solcher Vollzugsmaßnahmen in der Regel außerordentlich schwerwiegend. Rechtmäßiges Handeln der Vollzugsorgane ist deshalb besonders wichtig, rechtmäßig handeln kann aber am ehesten, wer die gesetzlichen Regelungen genau kennt. Die Vorschriften des Strafvollzugsgesetzes über die Anwendung unmittelbaren 3 Zwanges sind in der Rechtsprechung – auch in neuester Zeit – kaum behandelt worden (OLG Hamm NStZ 1991, 509 f mit Anm. von Schriever NStZ 1993, 103 f) und werden in der einschlägigen Fachliteratur in der Regel nur kurz kommentiert (vgl. K/S-Schöch 2002 § 8 Rdn. 13 und 14, Walter 1999, Rdn. 498, Calliess 1992, 175 f und Hauf 1994, 121. Etwas ausführlicher behandeln Höflich/Schriever 1996 die Problematik, vgl. § 16). Ausführlich geht Grommek 1982 in seinem für Vollzugsbedienstete geschriebenen Lehrbuch auf diesen Themenkreis ein, der den Bediensteten nicht nur den Gesetzestext erläutern will, sondern den Bezug der §§ 88–92 und 94–101 zum Verfassungsrecht herstellen möchte. 847
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Die gesetzlichen Vorschriften über die Anwendung unmittelbaren Zwanges sind sehr präzise formuliert worden. Der Gesetzgeber hat in den §§ 94–100 in wesentlich detaillierterer Form als in den sonstigen Vorschriften des Strafvollzugsgesetzes Handlungsermächtigungen und Handlungspflichten der Vollzugsbediensteten beschrieben (so auch Arloth 2012 Rdn. 1). Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass Baden-Württemberg, Bayern, Hamburg, Hessen und Niedersachsen in ihren neuen Strafvollzugsgesetzen die bisherige Regelung des StVollzG inhaltlich bis auf wenige redaktionelle Änderungen übernommen haben. Gleiches gilt für die meisten Regelungen auch für den Musterentwurf. II. Erläuterungen 4
1. Die anwendungsberechtigten Bediensteten. Nur Bedienstete der Justizvollzugsanstalten dürfen unmittelbaren Zwang gegenüber Gefangenen bzw. anderen Personen anwenden. Andere Vollzugsbedienstete (z. B. Bedienstete von Aufsichtsbehörden) dürfen dies nicht. Der Gesetzgeber möchte durch diese Regelung die Anwendung unmittelbaren Zwanges speziell aus- und fortgebildeten Bediensteten vorbehalten. Wer Vollzugsbediensteter in einer Justizvollzugsanstalt ist, regelt § 155. Der Gesetzgeber geht in § 94 davon aus, dass alle Bediensteten der Justizvollzugsanstalten ausgebildet und geübt sind, prinzipiell unmittelbaren Zwang anzuwenden. Weitere Einschränkungen werden allerdings bei der Anwendung von Schusswaffen in § 99 Abs. 2 gemacht. Es würde der gesetzlichen Regelung widersprechen, wenn Bedienstete der Aufsichtsbehörden, soweit sie weisungsberechtigte Vorgesetzte des Anstaltsleiters sind, konkrete Zwangsmaßnahmen befehlen würden (AK-/Feest Walter 2012 § 94 Rdn. 3; a. A. Arloth 2011 Rdn. 3). Zulässig wäre jedoch die generelle Weisung in einer Gefahrensituation von den im Gesetz eingeräumten Möglichkeiten Gebrauch zu machen.
5
2. Die Anwendungsvoraussetzungen. Welche Form des unmittelbaren Zwanges die Vollzugsbediensteten anwenden dürfen, wird in den folgenden Paragraphen geregelt (vgl. insb. § 96). § 94 regelt zunächst die Anwendungsvoraussetzungen. a) Durchsetzung von Vollzugsmaßnahmen. Unmittelbarer Zwang darf nur angewendet werden, wenn rechtmäßige Vollzugsmaßnahmen durchzuführen sind und der damit verfolgte Zweck auf keine andere Weise erreicht werden kann. Die zwangsweise Durchsetzung von Vollzugsmaßnahmen wird in der Praxis selten vorkommen, da viele Vollzugsmaßnahmen von der Sache her nur in Übereinstimmung mit dem Gefangenen durchgeführt werden können. Es sind aber auch Fälle möglich, in denen Gefangene notwendigen Vollzugsmaßnahmen uneinsichtig begegnen (z. B. Verlegungen nach § 8) oder sich nicht im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte befinden. Diese Vollzugsmaßnahmen werden notfalls im Wege des unmittelbaren Zwanges durchgesetzt werden müssen. Wichtig ist es, dass bei der zwangsweisen Durchsetzung von Vollzugsmaßnahmen besonders gründlich geprüft wird, ob der mit der Vollzugsmaßnahme verfolgte Zweck überhaupt erreicht werden kann, wenn die betroffenen Gefangenen nicht freiwillig zur Mitarbeit bereit sind. Wird nämlich der Zweck einer Vollzugsmaßnahme durch die Anwendung unmittelbaren Zwanges genauso wenig erreicht wie ohne seine Anwendung (§ 96 Rdn. 2), so muss die Anwendung unmittelbaren Zwanges auch dann unterbleiben, wenn durch die Nichtdurchführung der Vollzugsmaßnahmen sinnvolle Maßnahmen unterbleiben (im Ergebnis ähnlich AK-Feest/Walter 2012 Rdn. 7).
6
b) Durchsetzung von Sicherungsmaßnahmen. Unmittelbarer Zwang darf auch angewendet werden, wenn der Zweck von Sicherungsmaßnahmen (§ 88 Rdn. 1) nicht Koepsel
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auf andere Weise erreicht werden kann. Solche Sicherungsmaßnahmen können sich gegen Gefangene richten (z. B. §§ 84 ff) oder können Sicherungsmaßnahmen sein, die zur Aufrechterhaltung der sicheren Verwahrung der untergebrachten Gefangenen generell getroffen worden sind. In der Praxis des Vollzuges sind eine Vielzahl von Fällen denkbar, in denen Gefangene sich Sicherungsmaßnahmen widersetzen wollen oder in denen sie generelle Maßnahmen der Anstalt nicht beachten: sei es, dass sie sich in aus Sicherheitsgründen besonders gesperrten Bereichen der Anstalt aufhalten, oder dass sie sich gegen Maßnahmen, die sie selbst betreffen, zur Wehr setzen. Nicht immer ist die Abgrenzung der Sicherungsmaßnahmen von den Vollzugsmaßnahmen leicht, z. B. ist der gegen den Willen betroffener Gefangener durchgeführte Abbruch einer Gruppenveranstaltung überwiegend eine Vollzugsmaßnahme zur Aufrechterhaltung eines geordneten Vollzuges und keine Sicherungsmaßnahme (Beispiel: die für eine Fernsehgruppe im Rahmen des Dienstbetriebes vertretbare Zeit ist abgelaufen, die Live-Übertragung eines Fußballspieles aber noch nicht beendet). c) Die Anwendungsvoraussetzung der Rechtmäßigkeit der Maßnahme. Voll- 7 zugsmaßnahmen und Sicherungsmaßnahmen dürfen nur dann im Wege des unmittelbaren Zwanges durchgesetzt werden, wenn sie rechtmäßig (vgl. dazu Schriever Anm. zu OLG Hamm in: NStZ 1993, 103) sind. Das bedeutet, dass diese Maßnahmen auf einer gesetzlichen Ermächtigung beruhen müssen. Im Vollzugsalltag kann das Problem auftreten, dass Bedienstete zwar keine besonders sinnvollen, aber durchaus rechtmäßige Anweisungen geben. Manche Gefangene verweigern dann die Befolgung solcher Anordnungen. In diesem Fall können zur Aufrechterhaltung der Autorität der Vollzugsverwaltung Zwangsmaßnahmen nur angeordnet werden, wenn dies zur Aufrechterhaltung der Sicherheit oder zur Abwendung einer schwerwiegenden Störung der Ordnung der Anstalt (§ 81 Rdn. 7) unerlässlich (§ 4 Rdn. 3; § 89 Rdn. 2) ist, weil § 4 Abs. 2 Satz 2 zu beachten ist. 3. Unmittelbarer Zwang gegen andere Personen. Unmittelbarer Zwang darf auch 8 gegen andere Personen als Gefangene angewendet werden. Zusätzliche Voraussetzung ist, dass diese Personen Gefangene befreien wollen oder widerrechtlich in den Anstaltsbereich einzudringen versuchen (Beispiel: Eindringen eines Panzerfahrzeugs in die JVA Schwalmstadt), oder sich unbefugt, d. h. ohne Erlaubnis, darin aufhalten. Relativ häufig kommt es vor, dass randalierende oder angetrunkene Besucher oder auch ehemalige Gefangene, welche die Anstalt nicht freiwillig verlassen wollen, zwangsweise entfernt werden müssen. Beachte auch Rdn. 16 f. 4. Unmittelbarer Zwang aufgrund anderer Regelungen. In Abs. 3 ist zusätzlich 9 aufgeführt, dass das Recht zur Anwendung unmittelbaren Zwanges aufgrund anderer Regelungen unberührt bleibt. Gedacht ist hier an gesetzliche Regelungen, wie sie z. B. in § 32 und § 34 StGB oder § 127 StPO enthalten sind. Von solchen rechtlichen Regelungen, die zur Anwendung von unmittelbarem Zwang ermächtigen, kann jedermann – also auch der im Dienst befindliche Beamte – Gebrauch machen. 5. Abgrenzung: Unmittelbarer Zwang nach dem Strafvollzugsgesetz und 10 Zwangsmaßnahmen nach anderen Regelungen. Schwierig kann es im Einzelfall sein, die Befugnisse, auf die Abs. 3 hinweist, von den Befugnissen abzugrenzen, welche nur den Vollzugsbediensteten gemäß Abs. 1 und Abs. 2 eingeräumt werden (vgl. dazu OVG Münster ZfStrVo 1990, 311 f).
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a) Problem der Überschneidung von Handlungsermächtigungen. In dem durch Abs. 1 gesteckten Rahmen gilt für dienstlich tätige Vollzugsbeamte zunächst die Regel, dass unmittelbarer Zwang unter Beachtung der Vorschriften des Strafvollzugsgesetzes anzuwenden ist. Wäre der Beamte in der konkreten Situation z. B. in Notwehr auch nach anderen Vorschriften zur Gewaltanwendung berechtigt, so bekommt Abs. 3 Bedeutung. Das Verhalten eines berechtigterweise Notwehr übenden Beamten kann rechtlich zulässig sein, obwohl die Voraussetzungen von § 94 Abs. 1 nicht beachtet werden z. B. weil der verfolgte Zweck auch auf eine andere Weise hätte erreicht werden können. Ähnliches gilt für das Festnahmerecht nach § 127 StPO, wobei dieses allerdings innerhalb einer geschlossenen Justizvollzugsanstalt nur selten praktisch werden kann.
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b) Grundsatz: für Vollzugsbedienstete gilt die Regelung des StVollzG. Schwieriger ist es, die Befugnisse der Vollzugsbediensteten aus Abs. 2 deutlich von Rechten aus Notwehr, Nothilfe und § 127 StPO zu unterscheiden, wenn im Einzelfall die Gewaltanwendung (oder auch Androhung) sowohl nach Abs. 2 als auch nach § 32 StGB bzw. § 127 StPO möglich wäre. Grundsätzlich muss der Justizvollzugsbedienstete auch in solchen Fällen prüfen, ob die Voraussetzungen des Abs. 2 vorliegen, denn nur diese Vorschrift ermöglicht ihm planvolles und nachhaltiges Vorgehen. § 32 StGB oder § 127 StPO ermächtigen zu Sofortmaßnahmen in Akutfällen, in solchen Fällen ist bald möglichst polizeiliche Hilfe angezeigt; Abs. 2 stellt hingegen grundsätzlich auf die Fähigkeit der Selbsthilfe durch Vollzugsorgane ab.
13
c) Unmittelbarer Zwang zur Abwendung von Störungen des Vollzuges. § 94 hat als Schutzgut allerdings nur den störungsfreien Vollzugsverlauf, d. h. werden in Anstalten Straftaten begangen, die diesen nicht tangieren (z. B. aus einer offenen Anstalt wird der Pkw eines Bediensteten gestohlen), so gilt primär § 127 StPO als Handlungsermächtigung für die anwesenden Bediensteten.
14
d) Abs. 1 und Abs. 2 als lex specialis. Die Schwierigkeit, die Befugnisse aus Abs. 1 und Abs. 2 von den aus anderen Regelungen folgenden Befugnissen in gewissen Einzelfällen abzugrenzen, darf nicht zu der Auffassung führen, dass Abs. 1 und Abs. 2 einen geringen Bedeutungsumfang haben. Der dienstliche Einsatz von Vollzugsbediensteten muss sich – abgesehen von spontanen Aktionen einzelner i. S. von § 32 StGB oder § 127 StPO handlungsberechtigter Bediensteter – immer nach Abs. 1 oder Abs. 2 richten, die für die Vollzugsorganisation als jeweilige lex specialis anzusehen sind.
15
6. Die VV zu § 94. Die VV schreibt den Bediensteten die Einhaltung gewisser formaler Pflichten vor. Die Formulierung der VV Abs. 1 zeigt, dass das Beistandleisten gegenüber Verletzten als eine wichtigere Pflicht anzusehen ist als die eher formalen Beweissicherungspflichten und Meldepflichten, die in der VV Abs. 2 und 3 festgelegt worden sind. Die Bediensteten trifft die Hilfspflicht der VV Abs. 1 Satz 1 jedoch erst dann, wenn „die Lage es zulässt“. Aus dieser Formulierung folgt, dass die Gefahrensituation, die zur Anwendung unmittelbaren Zwanges geführt hat, beendet sein muss (so im Ergebnis auch C/MD 2008 Rdn. 4). III. Beispiele
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1. Die Abwehr bewaffneter Eindringlinge. In den letzten Jahren wächst in den besonders gesicherten Justizvollzugsanstalten der Länder der Bundesrepublik Deutschland die Furcht, dass der Abs. 2 in größerem Umfange als bisher praxisrelevant werden könnKoepsel
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te. Rechts- wie linksradikale „Revolutionäre“ und zunehmend auch ausländische „Terroristen“ planen immer wieder die gewaltsame Befreiung von Gesinnungsgenossen und auch berufskriminelle Kreise planen das gewaltsame Herausholen von inhaftierten Kumpanen. Beispiele für – allerdings überwiegend nicht durchgeführte – Pläne liegen inzwischen auch in Deutschland in mehreren Fällen vor. Verständlicherweise werden entsprechende polizeiliche Erkenntnisse zwar regelmäßig den betroffenen Justizvollzugsverwaltungen übermittelt, jedoch der Öffentlichkeit nicht zugänglich gemacht. Die in Abs. 2 enthaltene Ermächtigung kann für die eingesetzten Bediensteten zu einer bewaffneten Auseinandersetzung zwischen Eindringlingen und Vollzugsbediensteten führen. Besonders problematisch wäre eine solche Auseinandersetzung zwischen gewaltsam vorgehenden Gefangenenbefreiern und Vollzugsbediensteten dann, wenn sie zu einer Tageszeit erfolgen müsste, in der die Anstalt nur mit wenigen Bediensteten besetzt ist und wenn die Eindringlinge über moderne Waffen verfügen würden. Das Strafvollzugsgesetz ermächtigt die Bediensteten in solchen Situationen zu allen im Gesetz enthaltenen Zwangsmaßnahmen, die geeignet sind, den Angriff abzuschlagen. Gerade derartige Fälle machen jedoch in der Regel Amtshilfe durch Spezialisten der Landesoder Bundespolizei notwendig, so dass die Vollzugsbediensteten in der Regel nur die ersten Abwehrmaßnahmen treffen müssten. Besonders schwierig ist die Abwehr einer Gefangenenbefreiung vom Hubschrauber aus, denn das Beschießen eines Hubschraubers birgt das Risiko einer Explosion und wäre deshalb gem. § 96 rechtswidrig. Vgl. auch Rdn. 8. 2. Die Abwehr von Demonstranten. Aus anderen Gründen könnte die Lage der Be- 17 diensteten dann schwierig werden, wenn das Eindringen in die Justizvollzugsanstalt in Form einer Massendemonstration geschehen sollte. In solchen Fällen können politische Erwägungen die Verantwortlichen dazu bringen, die Eindringlinge nicht gewaltsam aus dem Anstaltsbereich zu vertreiben. An dieser Fallkonstellation wird deutlich, dass Abs. 2 keine Pflicht zur Gewaltanwendung enthält, sondern die Vollzugsorgane lediglich zur Anwendung der für erforderlich gehaltenen Zwangsmaßnahmen ermächtigt. Der Verzicht auf eine rechtlich mögliche Gewaltanwendung könnte auch auf einer Weisung von Vorgesetzten des Anstaltsleiters beruhen. IV. Landesgesetze und Musterentwurf § 73 JVollzGB III entspricht der Regelung in § 94 StVollzG. Art. 101 BayStVollzG entspricht inhaltlich der Regelung in § 94 StVollzG. § 79 HmbStVollzG entspricht inhaltlich der Regelung in § 94 StVollzG. § 53 Abs. 2 HStVollzG entspricht inhaltlich der Regelung in § 94 StVollzG. § 87 NJVollzG entspricht ebenfalls inhaltlich der Regelung in § 94 StVollzG. § 82 ME-StVollzG entspricht § 94 StVollzG im Wesentlichen.
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§ 95 Begriffsbestimmungen § 95 Koepsel Begriffsbestimmungen (1) Unmittelbarer Zwang ist die Einwirkung auf Personen oder Sachen durch körperliche Gewalt, ihre Hilfsmittel und durch Waffen. (2) Körperliche Gewalt ist jede unmittelbare körperliche Einwirkung auf Personen oder Sachen. (3) Hilfsmittel der körperlichen Gewalt sind namentlich Fesseln. 851
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Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
(4) Waffen sind die dienstlich zugelassenen Hieb- und Schusswaffen sowie Reizstoffe.
I. II.
Übersicht Allgemeine Hinweise ____ 1 Erläuterungen ____ 2–9 1. Unmittelbarer Zwang: Einwirkung auf Personen oder Sachen ____ 2 2. Einwirkung durch körperliche Gewalt ____ 3 3. Einwirkung unter Zuhilfenahme von Hilfsmitteln ____ 4 4. Einwirkung durch Waffen ____ 5–8 a) Mit zugelassenen Hiebwaffen ____ 6
III.
IV.
b) Mit zugelassenen Reizstoffen ____ 7 c) Mit zugelassenen Schusswaffen ____ 8 5. § 95 als reine Definitionsnorm ____ 9 Beispiele ____ 10, 11 1. Unterschiedliche Schusswaffenausstattung der Anstalten ____ 10 2. Einsatz von Hunden ____ 11 Landesgesetze und Musterentwurf ____ 12
I. Allgemeine Hinweise 1
In § 95 beschreibt der Gesetzgeber die Formen der Anwendung unmittelbaren Zwanges, die den Vollzugsbediensteten zur Verfügung stehen. II. Erläuterungen
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1. Unmittelbarer Zwang: Einwirkung auf Personen oder Sachen. Unmittelbarer Zwang wird zunächst in Abs. 1 beschrieben als Einwirkung auf Personen oder Sachen. Unmittelbarer Zwang ist meist ein Tätigwerden von Vollzugsbediensteten; eine Einwirkung auf Personen oder Sachen kann auch durch Untätigbleiben von Vollzugsbediensteten erfolgen, allerdings nur in Situationen, in denen auf die Gefangenen infolge eines solchen Untätigwerdens eingewirkt wird (z. B. einem von Mitgefangenen bedrohten Gefangenen wird nicht geholfen, ein vom Inhaftierten zerschlagenes Haftraumfenster wird trotz kalter Jahreszeit nicht repariert). Wenn Vollzugsbedienstete allerdings einen tobenden Gefangenen in seinem Haftraum nur verbleiben lassen, wenden sie keinen unmittelbaren Zwang an. Unmittelbarer Zwang kann nach der Vorstellung des Gesetzgebers aber auch ausgeübt werden, indem auf Sachen eingewirkt wird. Eine solche Einwirkung auf Sachen muss das Ziel verfolgen, mittelbar auf Gefangene oder andere Personen, gegen die unmittelbarer Zwang zulässig ist, einzuwirken. Zerstört also ein Bediensteter Gegenstände (z. B. für anstößig gehaltene Bilder), die einem Gefangenen gehören, so ist dies keine Anwendung unmittelbaren Zwanges, wohl aber liegt unmittelbarer Zwang gegenüber Gefangenen vor, wenn durch das Zudrücken von Haftraumtüren oder durch das Errichten von Absperrungen Gefangene zu einem bestimmten Verhalten gebracht werden sollen.
3
2. Einwirkung durch körperliche Gewalt. Die Einwirkung auf Personen kann durch körperliche Gewalt geschehen. Unmittelbarer Zwang liegt gem. Abs. 2 dann vor, wenn der Vollzugsbedienstete unmittelbar, d. h. von Körper zu Körper, auf Personen oder Sachen einwirkt. Diese Anwendung unmittelbaren Zwanges ist im Vollzugsalltag die gebräuchlichste. Widerstand leistende Gefangene werden mit einigen Handgriffen in besonders gesicherte Hafträume verbracht; die diese Hafträume sichernde Tür wird gegen den körperlichen Widerstand des Gefangenen verschlossen. Diese Form der Anwendung unmittelbaren Zwanges ist umso wirksamer, je besser die Bediensteten ausgebildet worden sind.
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3. Einwirkung unter Zuhilfenahme von Hilfsmitteln. Die Vollzugsbediensteten 4 können sich bei der Anwendung körperlicher Gewalt gewisser Hilfsmittel bedienen. Das hauptsächliche Hilfsmittel, dass der Gesetzgeber vor anderen möglichen Hilfsmitteln aufzählt, sind Fesseln. Fesseln werden im Bereich des Strafvollzuges oder der Untersuchungshaft oft aber nicht nur zur Anwendung unmittelbaren Zwanges, sondern zugleich als besondere Sicherungsmaßnahmen verwendet (§ 88 Rdn. 2 f): z. B. um die befürchtete Entweichung eines Gefangenen anlässlich einer Ausführung zu verhindern, wird der Gefangene gefesselt. Dennoch ist dies zugleich die Anwendung unmittelbaren Zwanges, da die Bewegungsfreiheit des Gefangenen durch die Fesselung eingeschränkt wird und die Fessel (z. B. durch Schmerz) auch unmittelbar auf den Körper einwirken kann. Fesseln müssen auch zuweilen verwendet werden, um tobende Gefangene an rechtswidriger Aktivität zu hindern. Bei selbstmordgefährdeten Gefangenen wird die Fesselung in der Regel allerdings primär eine besondere Sicherungsmaßnahme im Sinne des § 88 Abs. 2 Nr. 6 darstellen, da die Selbsttötung nicht rechtswidrig ist. Das Anlegen von Fesseln ist aber immer dann auch unmittelbarer Zwang, wenn durch die Fesselung auf die Person des Gefangenen zur Durchsetzung rechtmäßiger Vollzugs- oder Sicherungsmaßnahmen unmittelbar eingewirkt werden soll. Der Gesetzgeber lässt in Abs. 3 offen, welche anderen Hilfsmittel die Vollzugsverwaltung verwenden kann. Denkbar wären alle gegen Widerstand leistende Menschen in anderen Bereichen verwendete Hilfsmittel. Viele solcher Hilfsmittel (wie z. B. Zwangsjacken und Beruhigungsspritzen) erscheinen als menschenunwürdig und damit gemäß Art. 1 GG als rechtlich bedenklich (so auch AK-Feest/Walter 2012 Rdn. 5 und C/MD 2008 Rdn. 2). Solche Fragen sind im Einzelfall jedoch oft nicht so einfach zu entscheiden. Welche Hilfsmittel wegen Verstoßes gegen die Menschenwürde (Art. 1 GG) unzulässig sind, kann oft nur unter Abwägung widerstreitender Interessen entschieden werden. Wann ein Verstoß gegen die Menschenwürde im Sinne des Art. 1 GG anzunehmen ist, lässt sich oft nur im konkreten Fall eindeutig feststellen (vgl. Dürig Art. 1 GG Rdn. 28 in: Maunz/Dürig Lieferungsstand 10/2008). Bei extremem Verhalten von Personen kann z. B. der Einsatz eines Wasserschlauches vertretbar sein (z. B. Zurückdrängen einer Menge), in anderen Situationen nicht (z. B. „Herunterspritzen“ eines Eindringlings vom Dach der Vollzugsanstalt oder „Bespritzen“ eines tobenden Gefangenen im Haftraum). Der erst in § 96 geregelte Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wirkt dem gemäß über Art. 1 GG schon auf die Frage ein, welches Hilfsmittel rechtmäßig verwendet werden darf. Generelle Aussagen lassen sich nur hinsichtlich der in jeder denkbaren Lage menschenunwürdigen Hilfsmittel (z. B. Elektroschockgeräte, Dunkelzellen, Hundepeitsche) machen (vgl. Dürig aaO Rdn. 30). Vgl. § 96 Rdn. 3. 4. Einwirkung durch Waffen. Die Einwirkung auf Personen oder auf Sachen kann 5 auch durch besonders herausgehobene Hilfsmittel, nämlich durch Waffen, erfolgen. Der Gesetzgeber erklärt jedoch nur drei Waffenarten für zulässig: a) Mit zugelassenen Hiebwaffen. Zugelassene Hiebwaffen sind in den Justizvoll- 6 zugsanstalten bisher im Wesentlichen die sog. Gummiknüppel. Die Hiebwaffe muss dienstlich zugelassen sein. Die Anwendung unmittelbaren Zwanges durch abgebrochene Stuhl- oder Tischbeine ist infolge der Regelung des Abs. 4 nicht zulässig, wohl aber können solche Gegenstände im Rahmen der Notwehr zur Selbstverteidigung der Beamten verwendet werden. Dies ist für die Bediensteten der Vollzugsanstalten wichtig zu wissen, denn die Notwehrsituation endet dann, wenn der Angriff des Gefangenen abbricht, während auch danach noch die Anwendung unmittelbaren Zwanges zur Verbringung eines Gefangenen in einen besonders gesicherten Haftraum sinnvoll sein kann. Zu diesem Zweck dürften nur die dienstlich zugelassenen Hiebwaffen, d. h. Gummiknüppel, ver853
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Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
wendet werden. Die Landesjustizverwaltungen sind unter Beachtung und im Rahmen des Verfassungsrechts (Rdn. 4) darin frei, welche Hiebwaffen sie dienstlich zulassen. Der Gesetzgeber beschreibt keine ausdrücklichen Grenzen. Dennoch ist diese Ermächtigung bei verfassungskonformer Anwendung nicht verfassungswidrig (eher krit. AK-Feest/ Walter 2012 Rdn. 9), weil der Gesetzgeber die Entwicklung vertretbarer Hilfsmittel nicht voraussehen konnte und deshalb der Verwaltung einen Handlungsspielraum eingeräumt hat. 7
b) Mit zugelassenen Reizstoffen. Als Waffen werden auch Reizstoffe vom Gesetzgeber anerkannt. Auch diese müssen, wie sich zwar nicht aus dem Wortlaut, wohl aber aus dem Sinn der Vorschrift unzweideutig ergibt, dienstlich zugelassen werden, d. h. die Justizvollzugsanstalten können nicht alle erwerbbaren chemischen Kampfstoffe verwenden, sondern müssen sich auf die dienstlich zugelassenen Reizstoffe beschränken (Rdn. 4, 6). In der Praxis werden Tränengaswurfkörper oder Tränengaspatronen am meisten verwendet. In einigen Justizvollzugsanstalten ist auch die von der Polizei zum Teil verwendete sog. „chemische Keule“ mit Billigung der Aufsichtsbehörden erprobt worden. Die bei besonderen Polizeieinsätzen zunehmend verwendeten Blendgranaten könnten künftig auch im Vollzug zugelassen werden. Aber erst wenn solche Reizstoffwaffen rechtmäßig zugelassen sind, dürfen die Vollzugsbediensteten sie auch verwenden.
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c) Mit zugelassenen Schusswaffen. Erlaubte Waffen für die Vollzugsbediensteten zur Anwendung unmittelbaren Zwanges sind bisher auch die dienstlich zugelassenen Schusswaffen. Nach § 85 ME-StVollzG dürfen die Bediensteten Schusswaffen nur außerhalb der Anstalten verwenden und ohnehin nach allen Regelungen nur die dienstlich zugelassenen. Hinsichtlich des Schusswaffengebrauchs stellt das Strafvollzugsgesetz in den folgenden Vorschriften noch zusätzliche Voraussetzungen auf. Beachte die Ausführungen zu § 99; § 100 und Rdn. 10.
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5. § 95 als reine Definitionsnorm. § 95 schildert die gesetzlich zugelassenen Hilfsmittel und Waffen bei der Anwendung unmittelbaren Zwanges. Diese Vorschrift regelt nicht die Frage, welche Waffe in der konkreten Situation die geeignetste ist. Das ergibt sich aus den weiteren Vorschriften. Vgl. die allgemeinen Ausführungen zu § 96 Rdn. 3. III. Beispiele
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1. Unterschiedliche Schusswaffenausstattung der Anstalten. In den Justizvollzugsanstalten der Länder der Bundesrepublik Deutschland sind Schusswaffen in unterschiedlichem Umfang zugelassen. Während einige Bundesländer (z. B. NordrheinWestfalen) neben Pistolen und Gewehren auch automatische Waffen (weittragende Schnellfeuergewehre) zugelassen haben, haben andere Bundesländer (z. B. Berlin) neben Pistolen oder Revolvern Handfeuerwaffen nur dann zugelassen, wenn diese nicht automatisch bedient werden können. Der Gesetzgeber bindet im Strafvollzugsgesetz die Landesjustizverwaltungen an keine besonderen Voraussetzungen in Bezug auf die Frage, welche Schusswaffen sie zulassen dürfen. Auf die sich aus dem Verfassungsrecht ergebenden Grenzen weist AK-Feest/Walter 2012 Rdn. 9 allerdings mit Recht hin.
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2. Einsatz von Hunden. Der Einsatz von abgerichteten Hunden kann in Zukunft eine größere praktische Bedeutung erlangen. Dies gilt zum einen für die Fälle der Rauschgiftsuche mit abgerichteten Tieren (§ 84 Rdn. 4), aber auch für mögliche Einsätze von Koepsel
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Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
§ 96
Hundeführern mit abgerichteten Hunden im Bewachungsbereich außerhalb der Hafthäuser bzw. vor der Anstaltsmauer. Der Hund würde dann als zugelassenes Hilfsmittel verwendet (wie z. B. in Schweizer Strafanstalten). IV. Landesgesetze und Musterentwurf § 74 JVollzGB III entspricht § 95 StVollzG. 12 Art. 102 BayStVollzG entspricht § 95 StVollzG. § 78 HmbStVollzG entspricht inhaltlich der Regelung in § 95 StVollzG. § 53 Abs. 1 HStVollzG entspricht inhaltlich § 95 StVollzG. § 88 NJVollzG entspricht im Wesentlichen der Regelung in § 95 StVollzG, wobei Diensthunde und Betäubungsstoffe ausdrücklich als zulässige Hilfsmittel erwähnt werden. Sachlich ist dies keine Neuerung. § 81 ME-StVollzG entspricht im Wesentlichen § 95 StVollZG.
§ 96 Grundsatz der Verhältnismäßigkeit § 96 Koepsel Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (1) Unter mehreren möglichen und geeigneten Maßnahmen des unmittelbaren Zwanges sind diejenigen zu wählen, die den Einzelnen und die Allgemeinheit voraussichtlich am wenigsten beeinträchtigen. (2) Unmittelbarer Zwang unterbleibt, wenn ein durch ihn zu erwartender Schaden erkennbar außer Verhältnis zu dem angestrebten Erfolg steht. VV Ist der Zweck einer Zwangsmaßnahme erreicht oder kann er nicht erreicht werden, so ist ihr Vollzug einzustellen. Schrifttum S. bei § 94.
I. II.
Übersicht Allgemeine Hinweise: Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ____ 1 Erläuterungen ____ 2–6 1. Verbot unmöglicher Maßnahmen ____ 2 2. Verbot ungeeigneter Maßnahmen ____ 3 3. Gebot der Geringstbeeinträchtigung ____ 4
III. IV.
4. Klarstellungen in der VV ____ 5 5. Der erkennbar unverhältnismäßige Einsatz ____ 6 Beispiel: Schusswaffeneinsatz bei Ausbrüchen ____ 7 Landesgesetze und Musterentwurf ____ 8
I. Allgemeine Hinweise § 96 hat den generell im Öffentlichen Recht und auch im Polizeirecht bekannten 1 Grundsatz der Verhältnismäßigkeit für die Anwendung unmittelbaren Zwanges durch Strafvollzugsbedienstete übernommen. Aber nicht nur dieser Grundsatz ist in der Vorschrift enthalten, sondern § 96 regelt auch die Frage, mit welchen Mitteln Vollzugsbedienstete die Anwendung unmittelbaren Zwanges durchzusetzen haben. Zu den Anwendungsvoraussetzungen § 94 Rdn. 5 ff.
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Koepsel
§ 96
Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
II. Erläuterungen 2
1. Verbot unmöglicher Maßnahmen. Die geplante Maßnahme muss zur Durchsetzung des unmittelbaren Zwanges möglich sein, wobei der Gesetzgeber davon ausgeht, dass oft mehrere Möglichkeiten bestehen. Die Anwendung unmittelbaren Zwanges ist demgemäß nicht zulässig, wenn die in Aussicht genommenen Maßnahmen sich mit den vorhandenen Bediensteten nicht realisieren lassen.
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2. Verbot ungeeigneter Maßnahmen. Die geplanten Zwangsmaßnahmen müssen geeignet sein, um den angestrebten Erfolg zu erreichen. Ungeeignet sind z. B. Maßnahmen gegen Gefangene, welche zwar auf Gefangene einwirken könnten, durch die jedoch die Bediensteten mehr beeinträchtigt würden als die Gefangenen, z. B. Anwendung von Tränengaswurfkörpern, wenn die Räumlichkeiten zu klein sind. Auch kann die Anwendung von Schusswaffen im Hinblick auf bestimmte räumliche Gegebenheiten völlig ungeeignet sein, eine Einwirkung auf das Verhalten der Gefangenen zu erzielen (z. B. die Anwendung einer Maschinenpistole in engen Räumen). Oft ist auch die Anwendung des Schlagstockes zur Durchsetzung des unmittelbaren Zwanges ungeeignet. Der Schlagstock eignet sich zum Zurückdrängen größerer Mengen von Menschen oder sonst zum Zurückschlagen eines tätlichen Angriffs. Der Schlagstock ist aber keine geeignete Waffe, um einen randalierenden Gefangenen zu bewegen, einen besonders gesicherten Haftraum freiwillig aufzusuchen. Hier wäre der Schlagstock keine Waffe zur unmittelbaren Einwirkung auf Personen, sondern ein Prügelinstrument, bei dessen Einsatz die Hoffnung besteht, dass durch Verprügeln der Gefangenen eine mittelbare Einwirkung auf die Person erzielt wird. Eine solche Praxis, die in der Vergangenheit in Hamburg, Köln und Mannheim zu Übergriffen geführt hat, ist durch das Strafvollzugsgesetz nicht gedeckt (so auch AK-Feest/Walter 2012 Rdn. 1; vgl. § 95 Rdn. 4). Mit dem Schlagstock könnte einem randalierenden Gefangenen nur „gedroht“ werden, um ihn von einem Angriff auf Bedienstete abzuhalten. Das Verprügeln von Gefangenen darf nicht angedroht werden, da auch ein Androhen von Folter rechtswidrig wäre.
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3. Gebot der Geringstbeeinträchtigung. Sind mehrere Maßnahmen möglich und geeignet, dann soll diejenige Maßnahme ergriffen werden, die den Einzelnen und die Allgemeinheit voraussichtlich am wenigsten beeinträchtigt. Der handelnde Bedienstete muss hier eine Wahrscheinlichkeitsrechnung anstellen: er darf nicht einfach die Maßnahme wählen, die ihn selbst am wenigsten gefährdet, sondern muss die Interessen dessen mit bedenken, gegen den unmittelbarer Zwang angewendet werden soll und muss auch die Interessen der Allgemeinheit berücksichtigen.
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4. Klarstellungen in der VV. In der VV haben die Landesjustizvollzugsverwaltungen noch gemeint, klarstellen zu müssen, dass eine Zwangsmaßnahme eingestellt werden müsse, wenn der Zweck erreicht ist. Dieses Übermaßverbot ergibt sich bei genauerem Lesen schon aus dem Wortlaut des Gesetzes. Auch das in der VV ausdrücklich niedergelegte Gebot, Zwangsmaßnahmen einzustellen, wenn deutlich wird, dass der angestrebte Zweck nicht erreicht werden kann, folgt aus der gesetzlichen Regelung in Abs. 1. Erweist sich nämlich eine Maßnahme als nicht mehr geeignet, so kann sie nicht als rechtmäßige Durchführung unmittelbaren Zwanges fortgesetzt werden. Zur Rechtsnatur der Verwaltungsvorschriften § 4 Rdn. 15 ff; § 115 Rdn. 23.
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5. Der erkennbar unverhältnismäßige Einsatz. Eine tendenziell rückversichernde Einschränkung der Befugnis zur Anwendung von unmittelbarem Zwang hat der GesetzKoepsel
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Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
§ 96
geber in Abs. 2 niedergelegt. Nur erkennbar unverhältnismäßige Maßnahmen zwingen zum Einhalt. Für den einzelnen Vollzugsbediensteten kann § 96 eine in ihrem Anwendungsbereich schwer abschätzbare Vorschrift werden (vgl. das Beispiel Rdn. 7). Wie soll er in einer kritischen Situation ermessen, ob der zu erwartende Schaden erkennbar außer Verhältnis zu dem angestrebten Erfolg steht? Oft weiß man dies erst nach der Durchführung der Zwangsmaßnahme. Wird z. B. gegen Widerstand leistende Gefangene mit Reizstoffen, zugelassenen Hiebwaffen oder Schusswaffen vorgegangen, so ist unter bestimmten Umständen möglich, dass ein schwerer Schaden entsteht. Sowohl Reizstoffe als auch Hiebwaffen und insbesondere Schusswaffen können eine schwere Verletzung oder den Tod des betroffenen Gefangenen zur Folge haben, wobei Schusswaffen nach § 85 ME-StVollzG innerhalb der JVA für Vollzugsbedienstete ohnehin verboten sind. Im Ergebnis steht bei aller Gewaltanwendung oft der Schaden außer Verhältnis zu dem angestrebten Erfolg, der möglicherweise darin bestanden hat, dass der Gefangene an einer Entweichung gehindert wird. Besonderer Sorgfalt bedürfte es bei der Auswahl der Schusswaffen, wenn Vollzugsbedienstete zum finalen Rettungsschuss ermächtigt werden sollten. Die Landesjustizverwaltungen haben die Justizvollzugsanstalten allerdings bisher angewiesen, die für Fälle der Geiselnahme besser ausgebildete und bewaffnete Polizei zur Hilfe zu holen (vgl. auch § 99 Rdn. 7). III. Beispiel Es gibt im Alltag des Vollzuges Situationen, die einen schweren Schaden für den Ge- 7 fangenen erwarten lassen, wenn unmittelbarer Zwang angewendet würde. Wenn etwa ein ausbrechender Gefangener ein höheres Gebäude erklettert oder sich gerade auf einer hohen Anstaltsmauer befindet, kann jede Anwendung von Schusswaffen dazu führen, dass der Gefangene vor Schreck oder aus Panik abstürzt und sich schwer verletzt. Würde nun jeder Bedienstete, der mit einer Schusswaffe ausgestattet ist und einen Postenstand besetzt hält, von dem aus der Ausbruch von Gefangenen verhindert werden soll, unter Berufung auf Abs. 2 in solchem Falle die Anwendung von Schusswaffen vorsorglich unterlassen, dann würde die Wirksamkeit dieses Postenstandes erheblich beeinträchtigt. Diese Behinderung der Vollzugsbediensteten bei der rechtmäßigen Wahrnehmung ihres Amtes kann nicht der Sinn des Abs. 2 sein. Vielmehr macht die Formulierung in der genannten Vorschrift deutlich, dass unmittelbarer Zwang nur dann unterbleiben muss, wenn ein erkennbar ungewöhnliches Missverhältnis zwischen dem angestrebten Erfolg und dem zu erwartenden Schaden besteht. Dieses ungewöhnliche Missverhältnis würde bestehen, wenn mit Schusswaffen in einer offenen Anstalt auf flüchtende Gefangene geschossen würde. Deshalb ist die Regelung in § 100 Abs. 1 letzter Satz eine konsequente Detailregelung, die den Grundsatz des Abs. 2 aufnimmt (§ 100 Rdn. 4). Die Anwendung von Schusswaffen zur Verhinderung von Ausbrüchen aus geschlossenen Anstalten kann jedoch nur in Ausnahmefällen gem. Abs. 2 unzulässig sein, und zwar nur dann, wenn dem unmittelbaren Zwang anwendenden Bediensteten zufällig bekannt ist, dass ein für die Allgemeinheit ungefährlicher Gefangener den Ausbruch unternimmt. Zu Abs. 2 s. Rdn. 6. Wie diese Problematik nach der im Musterentwurf empfohlenen Regelung künftig gelöst werden soll, ist bisher nicht zu erkennen. IV. Landesgesetze und Musterentwurf § 75 JVollzGB III entspricht § 96 StVollzG. Art. 103 BayStVollzG entspricht § 96 StVollzG. § 80 HmbStVollzG entspricht § 96 StVollzG. 857
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Koepsel
§ 97
Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
§ 53 Abs. 3 HStVollzG entspricht § 96 StVollzG. Im NJVollzG findet sich zwar keine ausdrückliche Erwähnung des Verhältnismäßigkeitsprinzips, es wird aber wahrscheinlich unterstellt, dass dieser aus dem Verfassungsrecht in Bezug auf Eingriffe in Grundrechte abzuleitende Grundsatz auch im Strafvollzugsrecht angewendet werden muss. § 83 ME-StVollzG entspricht § 96 StVollzG.
§ 97 Handeln auf Anordnung § 97 Koepsel Handeln auf Anordnung (1) Wird unmittelbarer Zwang von einem Vorgesetzten oder einer sonst befugten Person angeordnet, sind Vollzugsbedienstete verpflichtet, ihn anzuwenden, es sei denn, die Anordnung verletzt die Menschenwürde oder ist nicht zu dienstlichen Zwecken erteilt worden. (2) Die Anordnung darf nicht befolgt werden, wenn dadurch eine Straftat begangen würde. Befolgt der Vollzugsbedienstete sie trotzdem, trifft ihn eine Schuld nur, wenn er erkennt oder wenn es nach den ihm bekannten Umständen offensichtlich ist, dass dadurch eine Straftat begangen wird. (3) Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der Anordnung hat der Vollzugsbedienstete dem Anordnenden gegenüber vorzubringen, soweit das nach den Umständen möglich ist. Abweichende Vorschriften des allgemeinen Beamtenrechts über die Mitteilung solcher Bedenken an einen Vorgesetzten (§ 38 Abs. 2 und 3 des Beamtenrechtsrahmengesetzes) sind nicht anzuwenden. VV 1 (1) Werden mehrere Vollzugsbedienstete gemeinsam tätig, so ist nur der den Einsatz Leitende befugt, unmittelbaren Zwang anzuordnen oder einzuschränken. Ist ein den Einsatz leitender Bediensteter nicht bestimmt oder fällt er aus, ohne dass ein Vertreter bestellt ist, tritt der anwesende dienstranghöchste, bei gleichem Dienstrang der dienstältere und bei gleichem Dienstalter der der Geburt nach älteste Vollzugsbedienstete an seine Stelle. Ist dies in dringender Lage nicht sofort feststellbar, darf jeder der hiernach in Betracht kommenden Vollzugsbediensteten die Führung einstweilen übernehmen. Die Übernahme der Führung ist bekannt zu geben. (2) Das Recht höherer Vorgesetzter, unmittelbaren Zwang anzuordnen oder einzuschränken, bleibt unberührt. 2 (1) Wer sich nicht am Ort des Geschehens befindet, darf eine Anordnung über unmittelbaren Zwang nur treffen, wenn er sich ein genaues Bild von den am Ort des Geschehens herrschenden Verhältnissen verschafft hat, so dass ein Irrtum über die Voraussetzungen nicht zu befürchten ist. Ändern sich zwischen der Anordnung und ihrer Ausführung die tatsächlichen Verhältnisse und kann der Anordnende vor der Ausführung nicht mehr verständigt werden, so entscheidet der örtlich leitende Bedienstete über die Anwendung unmittelbaren Zwanges. Der Anordnende ist unverzüglich zu verständigen. (2) Der Gebrauch von Waffen darf nur am Ort des Geschehens angeordnet werden. Koepsel
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Handeln auf Anordnung
§ 97
Schrifttum S. bei § 94.
I. II.
Übersicht Allgemeine Hinweise ____ 1 Erläuterungen ____ 2–5 1. Die Gehorsamspflicht und das Widerstandsrecht ____ 2 2. Die Widerstandspflicht ____ 3
III.
3. Die Pflicht zur Geltendmachung von Rechtsbedenken ____ 4 4. Die VV ____ 5 Landesgesetze und Musterentwurf ____ 6
I. Allgemeine Hinweise Der besonderen Regelungen in § 97 bedurfte es, weil das Beamtenrecht Vollzugsbe- 1 diensteten zur Aufgabe macht, die Rechtmäßigkeit der von ihnen verlangten obrigkeitlichen Maßnahmen zu prüfen. Das Beamtenrechtsrahmengesetz kennt Widerstandsrechte und Widerstandspflichten der handelnden Beamten. Die Übernahme dieser im allgemeinen Beamtenrecht vertretbaren Regelungen auf den Bereich des Strafvollzuges würde die Ineffektivität der Anwendung unmittelbaren Zwanges zur Folge gehabt haben. Der Gesetzgeber hat deshalb besondere Regelungen (vergleichbar denen bei Militär und Polizei) hinsichtlich der Fragen, die beim Handeln auf Anordnung entstehen, getroffen. II. Erläuterungen 1. Die Gehorsamspflicht und das Widerstandsrecht. Grundsätzlich ist jeder Voll- 2 zugsbedienstete verpflichtet, die von seinem Vorgesetzten oder einer anderen zur Anordnung unmittelbaren Zwanges ermächtigten Person befohlene Maßnahme auszuführen. Die VV Nr. 1 Abs. 1 beschreibt diese Personen näher (vgl. z. B. OLG Hamm NStZ 1982, 220 = ZfStrVo 1982, 186; s. auch C/MD 2008 Rdn. 2). Von seiner Gehorsamspflicht ist der Vollzugsbedienstete nur dann befreit, wenn die Anordnung die Menschenwürde verletzen würde oder erkennbar nicht zu dienstlichen Zwecken erteilt worden ist. Wann unmittelbarer Zwang die Menschenwürde verletzen könnte, hängt von der Situation des Einzelfalles ab (§ 95 Rdn. 4). Die Menschenwürde eines Gefangenen ist nicht immer dann verletzt, wenn der betroffene Gefangene aus seiner Sicht infolge der Anwendung unmittelbaren Zwanges „gedemütigt, bloßgestellt, erniedrigt, grausam behandelt, in seiner Intimsphäre verletzt“ wird, „oder sein Willen gebrochen werden soll“ (Beschreibung von Folter in Art. 5, Abs. 2 AMRK auf die sich das Folterverbot in Art. 3 EMRK bezieht), denn bei Zwangsmaßnahmen ist es die zwar nicht beabsichtigte, aber sachnotwendige Folge, dass sie den betroffenen Gefangenen das Gefühl vermitteln, man würde sie demütigen, bloßstellen oder erniedrigen. Aus der Sicht Betroffener kann eine Zwangsmaßnahme auch grausam wirken. Auch die Verletzung der Intimsphäre ist nicht auszuschließen, z. B. dann nicht, wenn ein Gefangener, der sich mit Kleidungsstücken strangulieren will, gewaltsam entkleidet wird. Nahezu jede Verbringung in einen besonders gesicherten Haftraum hat bei tobenden Gefangenen auch das Ziel, den Willen des Gefangenen in der konkreten Situation zu brechen. Gegen die Menschenwürde verstoßen Zwangsmaßnahmen nur dann, wenn sie gezielt grausam (etwa i. S. des § 211 StGB) wären oder die Demütigung, Erniedrigung oder der Bruch der Intimsphäre Ziel der Maßnahmen wäre. Ein Verstoß gegen die Menschenwürde liegt im Falle der Anwendung von Zwangsmaßnahmen im Vollzuge nicht immer schon dann vor, wenn sich betroffene Gefangene nicht als besonders würdig behandelt fühlen (im Ergebnis ähnlich AK-Feest/Walter 2012 Rdn. 1). Vielmehr will Abs. 1 den Schutzgedanken des Art. 1 GG aufgreifen, dass jeder Mensch 859
Koepsel
§ 97
Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
Mindestansprüche auf eine Behandlung als Mensch hat. Nach heutiger Vorstellung überschreitet z. B. das Foltern immer diese Grenze. Der Schutz der Menschenwürde in Art. 1 GG verfolgt das Ziel, Missbrauch des Menschen als bloßes Objekt von Staatsmaßnahmen zu verhindern. Nur wenn ein solcher Missbrauchsfall erkennbar vorliegt, muss der Justizvollzugsbedienstete Anordnungen zur Anwendung unmittelbaren Zwanges nicht befolgen. 3
2. Die Widerstandspflicht. Während Abs. 1 das Widerstandsrecht regelt, beschreibt Abs. 2 die Fälle, in denen der Vollzugsbedienstete zur Nichtausführung der Anordnung verpflichtet ist. Eine solche Widerstandspflicht besteht nur, wenn durch die Ausführung des angeordneten unmittelbaren Zwanges eine Straftat begangen würde. Zum Schutz des Bediensteten, der oft in einer schwierigen Situation schnell handeln muss, räumt das Gesetz dem betroffenen Bediensteten auch dann einen Schuldausschließungsgrund ein, wenn er nicht erkannt hat, dass durch die Anwendung unmittelbaren Zwanges eine Straftat begangen wird, es sei denn, es war nach den ihm bekannten Umständen offensichtlich. In der Praxis des Vollzuges wird es nur selten offensichtlich sein, dass durch den angeordneten unmittelbaren Zwang eine Straftat begangen werden soll. Fälle einer solchen offensichtlichen Straftat liegen vor, wenn Gefangene durch Prügel oder ähnliche Maßnahmen „bestraft“ werden sollen. Hier liegt für jeden Bediensteten erkennbar eine Körperverletzung im Amte vor (so AK-Feest/Walter 2012 Rdn. 2). Vgl. dazu auch § 99 Rdn. 7.
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3. Die Pflicht zur Geltendmachung von Rechtsbedenken. In Abs. 3 nimmt der Gesetzgeber Regelungen aus dem allgemeinen Beamtenrecht auf, wonach nämlich, wenn die Widerstandspflicht i. S. des Abs. 2 nicht besteht, der Bedienstete die Pflicht hat, Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der Anordnung dem Anordnenden gegenüber vorzubringen. Dies ist eine wichtige Pflicht mitdenkender Beamter. Sie besteht allerdings nur, soweit ihre Erfüllung den Umständen nach möglich ist. Mit dieser Einschränkung berücksichtigt der Gesetzgeber, dass in der Praxis eine Diskussion über die Anwendung unmittelbaren Zwanges oft nicht möglich sein wird, weil Eile geboten ist.
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4. Die VV. Die VV stellen noch einige organisatorische Fragen klar, sie sind durchweg aus sich heraus verständlich. Missverständlich ist lediglich die VV Nr. 1 Abs. 2. Es könnte der Eindruck entstehen, dass auch über dem Anstaltsleiter stehende Vollzugsbedienstete das Recht haben, unmittelbaren Zwang anzuordnen oder Anordnungen des Anstaltsleiters einzuschränken. Dies kann die VV nicht regeln, denn die Anordnung und Durchführung unmittelbaren Zwanges ist Bediensteten von Vollzugsanstalten vorbehalten (§ 94 Abs. 1). Die Aufsichtsbehörden haben gem. § 151 nicht das Recht, Dienstgeschäfte der Bediensteten von Vollzugsanstalten selbst wahrzunehmen. Allerdings könnte die Aufsichtsbehörde in konkreten Einzelfällen einen kommissarischen Behördenleiter ernennen und dies könnte im Einzelfall auch der zuständige Minister oder ein ihm nachgeordneter hoher Beamter sein. Zum Selbsteintritts- und Durchgriffsrecht der Aufsichtsbehörde vgl. vor §§ 151 ff Rdn. 2 f. III. Landesgesetze und Musterentwurf
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§ 76 JVollzGB III entspricht § 97 StVollzG. Art. 104 BayStVollzG entspricht inhaltlich im Wesentlichen § 97 StVollzG, statt auf das Beamtenrechtsrahmengesetz des Bundes wird auf das bayerische Beamtengesetz verwiesen. Koepsel
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Androhung
§ 98
§ 81 HmbStVollzG entspricht inhaltlich § 97 StVollzG. Das HStVollzG stellt in § 83 Ziff. 2 fest, dass § 97 StVollzG gültig bleibt. § 89 NJVollzG entspricht inhaltlich § 97 StVollzG, enthält lediglich den Hinweis auf das niedersächsische Beamtenrecht. Der ME-StVollzG trifft keine § 97 StVollzG entsprechende Regelung.
§ 98 Androhung § 98 Koepsel Androhung Unmittelbarer Zwang ist vorher anzudrohen. Die Androhung darf nur dann unterbleiben, wenn die Umstände sie nicht zulassen oder unmittelbarer Zwang sofort angewendet werden muss, um eine rechtswidrige Tat, die den Tatbestand eines Strafgesetzes erfüllt, zu verhindern oder eine gegenwärtige Gefahr abzuwenden. Schrifttum S. bei § 94.
I. II.
Übersicht Allgemeine Hinweise ____ 1 Erläuterungen ____ 2–6 1. Die Androhungspflicht als Grundsatz ____ 2 2. Ausnahmen von der Androhungspflicht ____ 3–6 a) Die Umstände lassen sie nicht zu ____ 4
III. IV.
b) Eine Straftat muss verhindert werden ____ 5 c) Eine gegenwärtige Gefahr ist abzuwenden ____ 6 Beispiel ____ 7 Landesgesetze und Musterentwurf ____ 8
I. Allgemeine Hinweise § 98 nimmt Regelungen in das Strafvollzugsrecht auf, wie sie auch für andere Ver- 1 waltungen, die zur Anwendung unmittelbaren Zwanges berechtigt sind, gelten. II. Erläuterungen 1. Die Androhungspflicht als Grundsatz. Die Anwendung unmittelbaren Zwanges 2 ist im Regelfall vorher anzudrohen. Mit dieser Androhungspflicht für die Vollzugsbediensteten trägt § 98 dem Grundgedanken des Strafvollzugsgesetzes Rechnung, dass zunächst auf die Vernunft des Gefangenen eingewirkt werden muss (vgl. auch AKFeest/Walter 2012 Rdn. 1, Arloth 2011 Rdn. 1 und C/MD 2008 § 94 Rdn. 2). Der Gefangene soll wissen, dass er für den Fall der nicht vorhandenen Gesetzestreue mit Zwangsmaßnahmen rechnen muss. In der täglichen Praxis in den Vollzugsanstalten genügt oft die Androhung der Anwendung unmittelbaren Zwanges, um das gewünschte Verhalten von den Gefangenen zu erreichen. Gewaltsame Auseinandersetzungen sind im deutschen Strafvollzug – im Gegensatz zur Vollzugspraxis in manchen anderen Ländern der Erde – relativ selten. Dieser Erfahrungssatz trifft trotz des zunehmenden Anteils betragensauffälliger Gefangener generell auch heute noch zu, obwohl Gefangene aus einigen wenigen Ländern der Erde unverhältnismäßig oft Gewaltanwendung durch Gewalttätigkeiten gegen Bedienstete und Mitgefangene „provozieren“. Die meisten Gefangenen wissen, dass von Seiten der Bediensteten Gewaltanwendung als das letzte Mittel angesehen wird, welches zum Einsatz gelangt. Zum Verhältnis von Androhung und § 240 StGB vgl. Rdn. 7. 861
Koepsel
§ 98
Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
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2. Ausnahmen von der Androhungspflicht. Der Gesetzgeber ermächtigt die Vollzugsbediensteten in Satz 2, von der Androhung unmittelbaren Zwanges unter bestimmten Voraussetzungen abzusehen.
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a) Die Umstände lassen sie nicht zu. Die Androhung kann unterbleiben, wenn die Umstände sie nicht zulassen (solche Fälle soll es nach AK-Feest/Walter 2012 Rdn. 2 nur selten geben). Im konkreten Einzelfall muss entschieden werden, ob die Androhung unmittelbaren Zwanges den Umständen nach nicht erforderlich ist. Oft sind dies Situationen, in denen zur Verhinderung von Schäden bei Menschen oder an Sachen schnelles Handeln geboten ist. Tobende Gefangene, die erkennbar nicht Herr ihrer Sinne sind, sind durch sofortige Gewaltanwendung zur Ruhe zu bringen. Andere Umstände, welche die Androhung unmittelbaren Zwanges als sinnlos erscheinen lassen, könnten darin gesehen werden, dass die Anwendung unmittelbaren Zwanges zu spät käme, wenn sie zunächst angedroht würde, so z. B. bei Geiselnahmen oder bei entweichenden Gefangenen, denen die Entweichung fast schon geglückt ist. Andererseits ist auch bei Ausbrüchen aus geschlossenen Anstalten zuweilen die bloße Androhung unmittelbaren Zwanges, die z. T. durch einen Warnschuss unterstützt werden kann, ausreichend, um den Ausbruch zu verhindern.
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b) Eine Straftat muss verhindert werden. Die Androhung unmittelbaren Zwanges kann unterbleiben, wenn eine Straftat durch sofortigen Zugriff verhindert werden muss. Als solche Straftat kommt nicht nur der Ausbruch (z. B. in Form der Gefangenenmeuterei), sondern vor allem auch das gewaltsame Eindringen Dritter in die Justizvollzugsanstalt (Hausfriedensbruch oder Landfriedensbruch) oder die gewaltsame Gefangenenbefreiung in Betracht. Auch tätliche Angriffe auf Bedienstete oder Mitgefangene sind Straftaten, die eine sofortige Anwendung unmittelbaren Zwanges erforderlich machen.
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c) Eine gegenwärtige Gefahr ist abzuwenden. Der Gesetzgeber lässt den Verzicht auf die Androhung der Anwendung unmittelbaren Zwanges auch dann zu, wenn eine „gegenwärtige Gefahr abzuwenden“ ist. Hier ist nicht an Straftaten oder Notwehrsituationen gedacht, denn da ist die Androhung unmittelbaren Zwanges ohnehin überflüssig, sondern es kann Fälle geben, in denen den betroffenen Gefangenen selbst unmittelbar Gefahr droht, ohne dass deshalb Straftaten begangen würden. Auch in diesen Fällen lässt der Gesetzgeber ein sofortiges Eingreifen zu. Solche Fälle liegen vor, wenn Gefangene sich selbst verletzen oder töten wollen (weitere Beispiele bei Arloth 2011 Rdn. 2). III. Beispiel
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Die Androhung unmittelbaren Zwanges wird von redegewandten Gefangenen oft als Nötigung im Sinne des Strafgesetzbuches bezeichnet. Zuweilen wird in solchen Fällen der Gesetzestext des § 240 StGB zitiert. Um solchen sachlich ungerechtfertigten Vorwürfen wirksam begegnen zu können, sollte jeder Vollzugsbedienstete wissen, dass eine Straftat i. S. d. § 240 StGB nicht vorliegen kann, wenn von einer gesetzlich erteilten Ermächtigung (z. B. § 98) Gebrauch gemacht wird. IV. Landesgesetze und Musterentwurf
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§ 77 JVollzGB III entspricht im Wesentlichen § 98 StVollzG. Art. 105 BayStVollzG entspricht § 98 StVollzG. § 82 HmbStVollzG entspricht inhaltlich § 98 StVollzG. Koepsel
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§ 99
Allgemeine Vorschriften für den Schusswaffengebrauch
§ 53 Abs. 4 HStVollzG entspricht § 98 StVollzG. § 90 NJVollzG entspricht § 98 StVollzG. § 84 ME-StVollzG ist wortlautidentisch mit § 98 StVollzG.
§ 99 Allgemeine Vorschriften für den Schusswaffengebrauch § 99 Koepsel Allgemeine Vorschriften für den Schusswaffengebrauch (1) Schusswaffen dürfen nur gebraucht werden, wenn andere Maßnahmen des unmittelbaren Zwanges bereits erfolglos waren oder keinen Erfolg versprechen. Gegen Personen ist ihr Gebrauch nur zulässig, wenn der Zweck nicht durch Waffenwirkung gegen Sachen erreicht wird. (2) Schusswaffen dürfen nur die dazu bestimmten Vollzugsbediensteten gebrauchen und nur, um angriffs- oder fluchtunfähig zu machen. Ihr Gebrauch unterbleibt, wenn dadurch erkennbar Unbeteiligte mit hoher Wahrscheinlichkeit gefährdet würden. (3) Der Gebrauch von Schusswaffen ist vorher anzudrohen. Als Androhung gilt auch ein Warnschuss. Ohne Androhung dürfen Schusswaffen nur dann gebraucht werden, wenn das zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für Leib und Leben erforderlich ist. Schrifttum S. bei § 94.
I. II.
Übersicht Allgemeine Hinweise: Die Bedeutung der Schusswaffen ____ 1 Erläuterungen ____ 2–6 1. Gebrauchsmonopol für besonders bestimmte Vollzugsbedienstete ____ 2 2. Anwendung unmittelbaren Zwanges als letztes Mittel ____ 3 3. Ziel der Anwendung von Schusswaffen ____ 4
III. IV.
4. Verbot des Schusswaffeneinsatzes bei großer Gefährdung Unbeteiligter ____ 5 5. Die Androhungspflicht und die dazu ergangenen Ausnahmeregelungen ____ 6 Beispiel ____ 7 Landesgesetze und Musterentwurf ____ 8
I. Allgemeine Hinweise § 99 und ergänzend § 100 enthalten wegen der erheblichen Auswirkungen, die 1 ein Schusswaffengebrauch haben kann, besondere Regelungen über die Anwendung von Schusswaffen (so auch Arloth 2011 § 99 Rdn. 1). Die Vollzugsbediensteten sind in den Justizvollzugsanstalten des geschlossenen Vollzuges in den meisten Bundesländern mit zeitgemäßen Schusswaffen ausgestattet (§ 95 Rdn. 8 und 10). Neben Pistolen gibt es automatische Gewehre mit zum Teil beträchtlicher Reichweite und Zielgenauigkeit. Solche Waffen sind in der Hand Ungeübter wegen ihres hohen Wirkungsgrades gefährlich. Noch mehr Übung braucht jemand, der „DummDumm-Geschosse“ oder Blendgranaten einsetzen soll. Deshalb sind derartige Waffen im Vollzug bislang nicht zugelassen. Soweit die Bundesländer den Empfehlungen des § 85 ME-StVollzG folgen werden, verliert die bisherige Regelung innerhalb der Anstalten ihre Bedeutung, nur außerhalb der Anstalten soll Schusswaffengebrauch durch besonders ausgesuchte Vollzugsbedienstete möglich bleiben. Wieweit dies auch von Wachtürmen aus – z. B. in Anstaltshöfe hinein – möglich bleiben soll, ist zurzeit nicht völlig geklärt. 863
Koepsel
§ 99
Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
II. Erläuterungen 2
1. Gebrauchsmonopol für besonders bestimmte Vollzugsbedienstete. Schusswaffen dürfen nur von „dazu bestimmten Vollzugsbediensteten“ gebraucht werden (vgl. § 94 Rdn. 2). Bei der Auswahl dieser Vollzugsbediensteten muss darauf geachtet werden, dass nur im Umgang mit der Waffe geübte Bedienstete die Waffe anwenden. Die Ausbildung der Vollzugsbediensteten im Umgang mit Schusswaffen ist nicht immer ausreichend. Insbesondere sind die Übungsintervalle oft zu groß. So muss z. B. der Bedienstete, der automatische Waffen sachgerecht bedienen soll, mindestens in zweiwöchigem Abstand trainiert werden. Wenigstens sollte er jeden Monat Schießübungen machen können. Diese der Polizei geläufige Erkenntnis wird im Strafvollzug oft vernachlässigt und führt dann in den Fällen, in denen von Schusswaffen Gebrauch gemacht wird, zuweilen zu tragischen Folgen. Entweder werden Unbeteiligte verletzt oder der Schütze verfehlt sein Ziel so deutlich, dass die Wirksamkeit bewaffneter Bediensteter in den Augen der ausbruchsgeneigten Gefangenen stark herabgesetzt wird. Beides will der Gesetzgeber vermeiden, indem er darauf hinweist, dass es Vollzugsbedienstete in den Anstalten geben muss, die zum speziellen Gebrauch von Schusswaffen ausgebildet sind und dann auch zu deren Anwendung bestimmt werden können. Die Bestimmung dieser Bediensteten ist gemäß § 156 dem Anstaltsleiter vorbehalten; sinnvoll wäre, wenn er im Vorwege für den Fall kritischer Situationen festlegt, welche Bediensteten mit welchen Waffen ausgerüstet werden dürfen. Der Einsatz unzulänglich ausgebildeter Bediensteter an Schusswaffen könnte auch verfassungsrechtlichen (Art. 1 Abs. 1 GG) und damit beamtenrechtlichen Bedenken begegnen, da es menschenunwürdig sein kann, als Ungeübter von Schusswaffen Menschen gegenüber Gebrauch machen zu müssen.
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2. Anwendung unmittelbaren Zwanges als letztes Mittel. Auch bei der Benutzung von Schusswaffen nimmt der Gesetzgeber in Abs. 1 den Grundsatz wieder auf, dass die Anwendung unmittelbaren Zwanges das letzte Mittel sein soll, welches zum Einsatz kommt (§ 96 Rdn. 4 ff). Diesen Grundgedanken beschreibt der Gesetzgeber dadurch, dass er a) Schusswaffengebrauch nur zulässt, wenn andere Zwangsmittel erfolglos waren oder keinen Erfolg versprechen und b) den Schusswaffengebrauch gegenüber Personen davon abhängig macht, dass das Ziel der Anwendung unmittelbaren Zwanges nicht auch durch Waffenwirkung gegen Sachen erreicht werden kann (z. B. Schießen auf ein Fluchtfahrzeug).
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3. Ziel der Anwendung von Schusswaffen. Schusswaffen dürfen nur angewendet werden, „um angriffs- oder fluchtunfähig zu machen“. Mit dieser Formulierung wird vom Gesetzgeber eindeutig beschrieben, mit welcher Zielrichtung Vollzugsbedienstete Schusswaffen anwenden dürfen. Es darf nicht auf Personen geschossen werden, die nur Sachwerte beschädigen, z. B. Diebe oder Zellenzertrümmerer in Justizvollzugsanstalten (so auch AK-Feest/Walter 2012 Rdn. 6). Die gesetzliche Regelung muss allerdings dahingehend interpretiert werden, dass dem Gesetzgeber das Risiko bewusst war, dass jeder auf einen Menschen gerichtete Schuss eine schwere Verletzung oder den Tod des Beschossenen herbeiführen kann. Vollzugsbedienstete sind zwar nicht zur Abgabe eines gezielten Todesschusses ermächtigt, wohl aber dürfen sie auf Menschen schießen, um diese angriffs- oder fluchtunfähig zu machen (so auch Arloth 2011 Rdn. 3; zur Abgrenzung von Notwehr vgl. § 94 Rdn. 12 und unten Rdn. 7). Mit dem Schusswaffengebrauch soll der Bedienstete das Ziel verfolgen, die Entweichung eines Gefangenen, das gewaltsame Eindringen in eine Justizvollzugsanstalt oder eine Gefangenenbefreiung wirksam Koepsel
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Allgemeine Vorschriften für den Schusswaffengebrauch
§ 99
zu verhindern. Dabei hat der Vollzugsbedienstete zunächst zu prüfen, welche Anwendung der ihm zur Verfügung stehenden Schusswaffen die geeignetste Form zur Verhinderung des Ausbruchs oder zur Abwehr des Angriffs ist. Er hat darauf zu achten, dass der angerichtete Schaden möglichst gering bleibt und dass das Risiko einer schweren Verletzung oder der Tötung eines Menschen nicht über das Normalmaß hinausgeht. Tritt der nicht beabsichtigte Erfolg infolge eines Missgeschicks oder anderer widriger Umstände dennoch ein, so war der Schusswaffengebrauch trotzdem rechtmäßig, solange der Vorsatz des Vollzugsbediensteten sich nicht auf den eingetretenen Erfolg erstreckte (zur Problematik des dolus eventualis vgl. unten Rdn. 7). 4. Verbot des Schusswaffeneinsatzes bei großer Gefährdung Unbeteiligter. Der 5 Gesetzgeber schreibt in Abs. 2 Satz 2 vor, dass Schusswaffengebrauch zu unterbleiben hat, „wenn dadurch erkennbar Unbeteiligte mit hoher Wahrscheinlichkeit gefährdet werden“. Wichtig für die Vollzugsbediensteten ist, dass sie diese Vorschrift sehr genau kennen. Die Unbeteiligten müssen als solche erkennbar sein. Wenn sich z. B. Journalisten in Ausübung ihres Berufes einer Gruppe von Menschen anschließen, die gewaltsam in eine Justizvollzugsanstalt eindringen (wie es in Berlin-Moabit bei einer Teilbesetzung der Anstalt vor einigen Jahren der Fall gewesen sein soll), so können sie nicht damit rechnen, erkennbar Unbeteiligte zu sein. Der Schusswaffengebrauch muss unterbleiben, wenn Unbeteiligte mit hoher Wahrscheinlichkeit gefährdet würden, d. h. es genügt nicht die bloße Möglichkeit der Gefährdung Unbeteiligter, es genügt nicht einmal, dass die Gefährdung Unbeteiligter wahrscheinlich ist, sondern es muss ein hoher Grad von Wahrscheinlichkeit vorliegen. Um abschätzen zu können, was mit diesen Begriffen gemeint ist, sollten mit den Vollzugsbediensteten, die für die Anwendung von Schusswaffen in Betracht kommen, immer wieder Modellsituationen durchgesprochen werden, in welchen solche Gefährdungssituationen für Unbeteiligte mit hoher Wahrscheinlichkeit vorliegen können. Die Benutzung von Handfeuerwaffen auf belebten Straßen, in Fluren von Krankenhäusern oder an anderen Orten, wo sich viele Menschen sichtbar aufhalten, ist gemäß Abs. 2 Satz 2 unzulässig. Diese Vorschrift ist aber nicht so zu verstehen, dass immer dann, wenn Unbeteiligte in der Nähe stehen, der Schusswaffengebrauch zu unterbleiben hat. Gerade die Anwendung von Pistolen oder Revolvern ist für den geübten Schützen auch möglich, wenn in einiger Entfernung Menschen stehen. Im konkreten Fall kann die Entscheidung der aufgeworfenen Fragen für den einzelnen Beamten sehr schwierig sein, so z. B. wenn ein gefährlicher Gefangener bei einer Ausführung zur Beerdigung naher Angehöriger auf dem Friedhof wegläuft. Hier kann der Schusswaffengebrauch durchaus zulässig sein, er kann sich aber auch in der konkreten Situation wegen zu vieler unbeteiligter dritter Personen, die in der Schussbahn stehen, verbieten. Die gesetzliche Formulierung in Abs. 2 macht deutlich, dass der Gesetzgeber den Vollzugsbediensteten ein hohes Maß an Sicherheit geben möchte. Der Beamte braucht nicht zu befürchten, dass jeder Irrtum bei der Verkennung der Situation zu seinen Lasten geht, vielmehr muss der Irrtum so groß sein, dass er bei Anwendung normaler Sorgfalt unterblieben wäre. Zur Zulassung von Schusswaffen § 95 Rdn. 10. 5. Die Androhungspflicht und die dazu ergangenen Ausnahmeregelungen. In 6 Abs. 3 trifft der Gesetzgeber eine Regelung, die den § 98 für die Fälle des Schusswaffengebrauchs ergänzt. Auch der Schusswaffengebrauch ist wie jede Anwendung unmittelbaren Zwanges vorher anzudrohen. Der Warnschuss wird als spezielle Form der Androhung ausdrücklich erwähnt (Abs. 3 Satz 2). Bei flüchtenden Gefangenen wird der Warnschuss in der Regel notwendig sein. Der Schusswaffengebrauch ohne vorherige Androhung ist deutlich an sehr viel engere Voraussetzungen geknüpft, als dies für die 865
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§ 99
Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
Anwendung der anderen Zwangsmittel in § 98 geregelt ist. Der Schusswaffengebrauch muss erforderlich sein, um eine gegenwärtige Gefahr für Leib oder Leben abzuwenden, d. h., es müssen Menschen konkret gefährdet sein. Die Gefährdung von Sachwerten genügt niemals. Zum Beispiel darf ein seinen Haftraum zertrümmernder Gefangener auch dann nicht mit Schusswaffen bekämpft werden, wenn andere Formen der Anwendung unmittelbaren Zwanges wegen der ungeheuren Körperkräfte des Gefangenen als aussichtslos erscheinen. Die Abgabe eines Warnschusses könnte in einer solchen Situation allerdings zulässig sein, wenn die Gefahr besteht, dass der Gefangene Bedienstete angreift. Solche Situationen kommen selten vor, sind aber bei körperlich kräftigen Gefangenen denkbar, wenn zu wenige Bedienstete im Dienst sind, um die konkrete Gefahr anders als durch Schusswaffengebrauch abzuwenden. Der Warnschuss ist gem. Abs. 3 Satz 2 in der Regel überflüssig, wenn ein bewaffneter Angriff auf eine Justizvollzugsanstalt vorgetragen wird. Denn hier besteht die gegenwärtige Gefahr für Leib und Leben von Bediensteten und unbeteiligten Gefangenen, so dass ohne Vorwarnung gezielt geschossen werden darf. III. Beispiel 7
Ein besonderer Fall, in dem ein Warnschuss nicht angebracht ist und im Einzelfall sogar sehr gefährlich werden kann, ist der Fall der Geiselnahme durch bewaffnete Geiselnehmer. In solchen Fällen haben alle Landesjustizverwaltungen in Absprache mit den Innenministerien die Regelung getroffen, dass Spezialkräfte der Polizei so schnell wie möglich zum Einsatz kommen. Kann wegen der Eilbedürftigkeit im konkreten Fall nur der gezielte Befreiungsschuss der vor Ort eingesetzten Vollzugsbeamten die Geiselnahme rechtzeitig beenden, so kann auch dieser gezielte Befreiungsschuss ein zulässiges Mittel der Gefahrenabwehr sein, wenn der Bedienstete, der sich zu einem solchen Schuss entschließt, durch seine Ausbildung und Fortbildung das Risiko, das Leben der Geiseln zu gefährden, auf ein vertretbares Maß mindern kann. Der gezielte Befreiungsschuss führt – je nach Lage des Einzelfalles – nicht zwangsläufig zum Tode des Geiselnehmers. Dies hat sich bei vielen Fällen polizeilichen Schusswaffengebrauchs gezeigt. Viele Vollzugsbedienstete sind aufgrund ihrer relativ geringen Übung im Schusswaffengebrauch jedoch nicht in der Lage, im Falle einer Geiselnahme durch bewaffnete Geiselnehmer einen gezielten Befreiungsschuss abzugeben. Bei Geiselnahmen richtet sich die Antwort auf die Frage, wann die speziell eingesetzten Polizeikräfte einen gezielten Befreiungsschuss abgeben dürfen, nach den besonderen Vorschriften der jeweiligen Landespolizeigesetze. Das Strafvollzugsgesetz hat für solche besonderen Gefahrenlagen keine Regelungen treffen wollen, sondern in § 94 Abs. 3 ausdrücklich auf ergänzend wirksam werdende Rechtsvorschriften hingewiesen. Die vom Gesetz getroffene Regelung ist sinnvoll. Im Falle einer Geiselnahme geht es für die Geisel und auch den Geiselnehmer um Leben und Tod. Aufgrund des verfassungsrechtlich hohen Ranges des Rechtes auf Leben, das jedem Menschen zugebilligt wird, ist nicht nur eine gründliche Güter- und Pflichtenabwägung in der konkreten Einzelsituation erforderlich, sondern die maßvollste Anwendung von staatlichen Zwangsmaßnahmen geboten. Im Falle einer bewaffneten Geiselnahme in einer Justizvollzugsanstalt steht unter Beachtung dieser verfassungsrechtlichen Grundregeln nur im Gebrauch von Schusswaffen besonders ausgebildeten Bediensteten das Recht zur Abgabe eines gezielten Befreiungsschusses zu. Über seine Befähigung kann der betroffene Bedienstete nicht selbst entscheiden; vielmehr sind insoweit die generellen Verwaltungsvorschriften der Landesjustizverwaltungen, die in Ergänzung des Strafvollzugsgesetzes ergangen sind, zu beachten (den gezielten Befreiungsschuss nur der Polizei vorbehalten wollen K/SKoepsel
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Allgemeine Vorschriften für den Schusswaffengebrauch
§ 99
Schöch 2002 § 8 Rdn. 14; wie hier nunmehr AK-Feest/Walter 2012 Rdn. 6 und auch Arloth, 2011 Rdn. 3). Unabhängig von der Frage, wann Vollzugsbedienstete zur Abgabe des gezielten Schusses befugt sind, ist allerdings das Problem der Strafbarkeit beim Schusswaffengebrauch innerhalb von Justizvollzugsanstalten zu prüfen, in der Regel können Vollzugsbedienstete infolge der vorliegenden Notwehr- oder Nothilfesituation mit Straffreiheit rechnen (diesen Gesichtspunkt wollen Arloth 2011 Rdn. 3, C/MD 2008 Rdn. 2, Calliess 1992, 176 und Laubenthal 2011 Rdn. 723 primär als Rechtfertigung von Befreiungsschüssen anerkennen). Gerade in speziellen Gefahrenlagen stellt sich für Vollzugsbedienstete die Frage nach ihrer Berechtigung zum Schusswaffengebrauch. Sowohl zur Verhinderung eines Ausbruchs aus geschlossenen Justizvollzugsanstalten als auch zur Verhinderung von Meutereien, Geiselnahmen und Angriffen auf Vollzugsbedienstete und Gefangene kann es geboten sein, die Schusswaffe auf einen Menschen zu richten. Nicht berechtigt ist der Vollzugsbedienstete zur Abgabe eines gezielten Todesschusses (so auch K/S-Schöch 2002 § 8 Rdn. 14, Arloth 2011 Rdn. 3, AK-Feest/Walter 2012 Rdn. 6 und C/MD 2008 Rdn. 2). Andererseits birgt jeder auf einen Menschen gerichtete Schuss das Risiko, dass der Tod eines Menschen herbeigeführt wird, ohne dass dies vom Schützen beabsichtigt wird. Es reicht nicht aus, die Vollzugsbediensteten hinsichtlich dieses Risikos auf die Straffreiheit der Nothilfe zu verweisen (so C/MD 2008 Rdn. 2; Calliess 1992, 176 und Laubenthal 2011 Rdn. 723). Vielmehr muss auch in solchen Fällen der Vollzugsbeamte die Gewissheit haben, dass er aufgrund der für ihn geltenden gesetzlichen Regelungen auf Menschen schießen darf. Rechtlich schwierig zu lösen ist das Problem dann, wenn der Bedienstete einen Schuss abgibt und dabei den Tod des Opfers billigend in Kauf nimmt, denn in solchen Fällen könnte ein mit Eventualvorsatz abgegebener Todesschuss unterstellt werden. Diese Bewertung des Verhaltens von Vollzugsbediensteten ist nicht richtig, wenn sie sich zur Abgabe von Schüssen auf Menschen in besonders im Gesetz beschriebenen Gefahrensituationen entschließen, dabei jedoch die Zielsetzung nur das Flucht- und Kampfunfähigmachen des Opfers ist. Wird durch ein Missgeschick oder andere unglückliche Umstände mehr als dieses Ziel, nämlich der Tod eines Menschen bewirkt, so kann der von dem Vollzugsbediensteten abgegebene Schuss nicht schon deshalb als vorsätzlicher Todesschuss angesehen werden, weil der handelnde Beamte das generell bei einem auf Menschen gerichteten Schuss gegebene Tötungsrisiko in Kauf nimmt. Dieses mit jedem auf einen Menschen gerichteten Schuss verbundene Tötungsrisiko wird vom Gesetzgeber anerkannt, wenn er Bedienstete zur Abgabe eines Schusses in besonderen Gefahrensituationen ermächtigt (so auch Arloth 2011 Rdn. 3). IV. Landesgesetze und Musterentwurf § 78 JVollzGB III entspricht inhaltlich § 99 StVollzG. 8 Die Vorschrift des Art. 106 BayStVollzG entspricht § 99 StVollzG. § 83 HmbStVollzG regelt – inhaltlich den §§ 99 und 100 StVollzG entsprechend – den Schusswaffengebrauch im Erwachsenenvollzug. § 54 HStVollzG enthält sowohl die Regelungen nach § 99 StVollzG als auch die nach § 100 StVollzG. § 91 NJVollzG entspricht § 99 StVollzG. § 85 ME-StVollzG regelt – inhaltlich den §§ 99 und 100 StVollzG entsprechend – den Schusswaffengebrauch im Erwachsenenvollzug. Abs. 2 geht dabei über § 99 StVollzG hinaus, indem er den Schusswaffengebrauch durch Bedienstete außerhalb der Anstalt normiert. 867
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§ 100
Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
§ 100 Besondere Vorschriften für den Schusswaffengebrauch § 100 Koepsel Besondere Vorschriften für den Schusswaffengebrauch (1) Gegen Gefangene dürfen Schusswaffen gebraucht werden, wenn sie eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug trotz wiederholter Aufforderung nicht ablegen, 2. wenn sie eine Meuterei (§ 121 des Strafgesetzbuches) unternehmen oder 3. um ihre Flucht zu vereiteln oder um sie wiederzuergreifen. Um eine Flucht aus einer offenen Anstalt zu vereiteln, dürfen keine Schusswaffen gebraucht werden. (2) Gegen andere Personen dürfen Schusswaffen gebraucht werden, wenn sie es unternehmen, Gefangene gewaltsam zu befreien oder gewaltsam in eine Anstalt einzudringen. 1.
VV Bei bestimmten Haftarten gelten für den Schusswaffengebrauch die besonderen Vorschriften des § 178 Abs. 3 StVollzG. Schrifttum S. bei § 94.
I. II.
Übersicht Allgemeine Hinweise ____ 1 Erläuterungen ____ 2–5 1. Schusswaffengebrauch gegen bewaffnete Gefangene ____ 2 2. Schusswaffengebrauch bei Meuterei ____ 3
III.
3. Schusswaffengebrauch bei Flucht aus geschlossener Anstalt ____ 4 4. Schusswaffengebrauch gegen andere Personen als Gefangene ____ 5 Landesgesetze und Musterentwurf ____ 6
I. Allgemeine Hinweise 1
Der Schusswaffengebrauch durch Vollzugsbedienstete ist eine besonders gefährliche Form der Anwendung unmittelbaren Zwanges. Das Strafvollzugsgesetz hat deshalb die zulässigen Fälle der Anwendung von Schusswaffen so präzise wie möglich und zugleich abschließend geregelt, d. h. andere Anwendungsfälle wären unzulässig (so auch C/MD 2008 Rdn. 1; AK-Feest/Walter 2012 Rdn. 1). II. Erläuterungen
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1. Schusswaffengebrauch gegen bewaffnete Gefangene. Gefangene, die mit einer Waffe oder einem anderen gefährlichen Werkzeug bewaffnet sind und diese trotz wiederholter Aufforderung nicht ablegen, müssen mit dem Gebrauch von Schusswaffen rechnen. Zwingend vorgeschrieben ist allerdings die wiederholte Aufforderung, Waffen bzw. Werkzeug abzulegen. Darin liegt eine besondere Form der Androhung des Schusswaffengebrauchs. Diese kann allerdings unterbleiben, wenn es zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für Leib und Leben eines Bediensteten erforderlich ist. Unzweckmäßig könnte z. B. die wiederholte Aufforderung eine geladene Schusswaffe abzulegen sein, wenn der Gefangene damit erkennbar sofort schießen will. Auch für den Fall des Abs. 1 Nr. 1 gilt die Grundregelung in § 99 (dort Rdn. 3). Sinn der Regelung in Abs. 1 Nr. 1 ist, Koepsel
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Besondere Vorschriften für den Schusswaffengebrauch
§ 100
den Vollzugsbediensteten beispielhaft vor Augen zu führen, wann Schusswaffengebrauch besonders naheliegend sein kann. 2. Schusswaffengebrauch bei Meuterei. Die Meuterei von Gefangenen wird au- 3 ßerdem ausdrücklich als ein Fall erwähnt, in dem Schusswaffen angewendet werden dürfen. Wann eine Meuterei vorliegt, ergibt sich aus § 121 StGB. Nicht jeder Fall, der in § 121 StGB erwähnt wird, rechtfertigt allerdings die Anwendung von Schusswaffen, bedacht werden muss immer, dass andere Mittel keinen Erfolg mehr versprechen dürfen, sonst sind andere Zwangsmittel anzuwenden (so auch AK-Feest/Walter 2012 Rdn. 3). So war es durchaus folgerichtig, das bei den größeren Meutereien in den Jahren 1990/1991 in den Justizvollzugsanstalten Rheinbach, Hamburg-Fuhlsbüttel, Straubing und Bernau keine Schusswaffen gegen Gefangene eingesetzt worden sind. 3. Schusswaffengebrauch bei Flucht aus geschlossener Anstalt. Die Flucht aus 4 einer geschlossenen Anstalt darf durch Schusswaffengebrauch vereitelt werden und das Wiederergreifen von Gefangenen, die aus geschlossenen Anstalten ausgebrochen oder geflohen sind, darf zum Schusswaffengebrauch führen. Ein solches Wiederergreifen kann im Rahmen einer Festnahme gemäß § 87 erfolgen. Von der bayerischen Landesjustizverwaltung ist in einer Länderumfrage die Frage aufgeworfen worden, ob der Schusswaffengebrauch gegen Gefangene, die für den offenen Vollzug geeignet waren (§ 10 Rdn. 6 ff) und auch in einer offenen Anstalt untergebracht waren, auch dann unzulässig bleiben würde, wenn diese Gefangenen sich vorübergehend, etwa zur Wahrnehmung von Gerichtsterminen oder auf Transporten, nicht in einer offenen Anstalt befinden. Bei sinngemäßer Auslegung des § 100 muss die Anwendung von Schusswaffen gegen Gefangene unterbleiben, wenn diese Gefangenen sich wegen ihrer besonderen Eignung gemäß § 10 zuständiger Weise in einer offenen Anstalt befinden. An dem Status eines Gefangenen des offenen Vollzuges ändert sich i. S. des § 10 auch dann nichts, wenn der Gefangene vorübergehend in einem Gefangenentransportfahrzeug oder in einer geschlossenen Anstalt untergebracht ist. Im letzteren Fall ist der Schusswaffengebrauch allerdings nur dann unzulässig, wenn der die Schusswaffe nutzende Beamte erkannt hatte, dass der Gefangene ein solcher des offenen Vollzuges war. Vgl. dazu auch § 96 Rdn. 7. Andererseits darf ein Gefangener, der sich zwar räumlich noch in einer offenen Anstalt befindet, für diese aber (z. B. wegen begangener schwerer Straftaten) nicht mehr geeignet ist, durch Schusswaffengebrauch an einer Entweichung gehindert werden. Dies ergibt sich aus dem Sinn der Regelung des Abs. 1 Satz 2, der nur aus der Zusammenschau mit § 10 richtig zu verstehen ist (so auch Arloth 2011, Rdn. 2). 4. Schusswaffengebrauch gegen andere Personen als Gefangene. Die Anwen- 5 dung von Schusswaffen gegenüber anderen Personen als Gefangenen ist zulässig, wenn sie es unternehmen – d. h. es genügt der Versuch –, Gefangene gewaltsam zu befreien oder gewaltsam in eine Anstalt einzudringen. Der Gesetzgeber macht in Abs. 2 deutlich, dass Justizvollzugsanstalten für ihn ein Territorium darstellen, in welches das Eindringen auch mit Waffengewalt verhindert werden kann. Nur wenigen Justizvollzugsbediensteten ist die Tragweite dieser Vorschrift vollen Umfangs bekannt, denn glücklicherweise ist in der Bundesrepublik Deutschland bisher nur selten versucht worden, in Justizvollzugsanstalten einzudringen (Fälle in den JVAen Berlin-Moabit, Schwalmstadt, Werl und Wuppertal wurden bekannt).
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Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
III. Landesgesetze und Musterentwurf 6
§ 79 JVollzGB III nimmt inhaltlich die Regelung von § 100 StVollzG auf. Art. 107 BayStVollzG entspricht inhaltlich § 100 StVollzG. Das Hamburgische Strafvollzugsgesetz hat die Regelungen der §§ 99 und 100 StVollzG in einer Vorschrift zusammen gefasst (§ 83 HmbStVollzG). § 54 Abs. 3 HStVollzG entspricht im Wesentlichen § 100 StVollzG. § 92 NJVollzG entspricht inhaltlich § 100 StVollzG. § 85 Abs. 5 und 6 ME-StVollzG entsprechen § 100.
§ 101 Zwangsmaßnahmen auf dem Gebiet der Gesundheitsfürsorge § 101 Keppler/Nestler Zwangsmaßnahmen auf dem Gebiet der Gesundheitsfürsorge (1) Medizinische Untersuchung und Behandlung sowie Ernährung sind zwangsweise nur bei Lebensgefahr, bei schwerwiegender Gefahr für die Gesundheit des Gefangenen oder bei Gefahr für die Gesundheit anderer Personen zulässig; die Maßnahmen müssen für die Beteiligten zumutbar und dürfen nicht mit erheblicher Gefahr für Leben oder Gesundheit des Gefangenen verbunden sein. Zur Durchführung der Maßnahmen ist die Vollzugsbehörde nicht verpflichtet, solange von einer freien Willensbestimmung des Gefangenen ausgegangen werden kann. (2) Zum Gesundheitsschutz und zur Hygiene ist die zwangsweise körperliche Untersuchung außer im Falle des Absatzes 1 zulässig, wenn sie nicht mit einem körperlichen Eingriff verbunden ist. (3) Die Maßnahmen dürfen nur auf Anordnung und unter Leitung eines Arztes durchgeführt werden, unbeschadet der Leistung erster Hilfe für den Fall, dass ein Arzt nicht rechtzeitig erreichbar und mit einem Aufschub Lebensgefahr verbunden ist. VV (1) Erklärungen des Gefangenen, die im Zusammenhang mit ärztlichen Zwangsmaßnahmen von Bedeutung sein können, sollen schriftlich festgehalten und von dem Gefangenen unterzeichnet werden. Verweigert der Gefangene seine Unterschrift, wird dies ebenfalls aktenkundig gemacht. Mündliche Willensbekundungen sollen in Gegenwart von Zeugen aufgenommen und in einem Vermerk festgehalten werden, der von dem oder den Zeugen zu unterzeichnen ist. Die schriftliche Erklärung oder der Vermerk über die mündliche Äußerung ist zu den Gesundheitsakten und zu den Gefangenenpersonalakten zu nehmen. (2) Der Anstaltsarzt belehrt den Gefangenen in Anwesenheit eines Zeugen über die Notwendigkeit der ärztlichen Maßnahmen und die Möglichkeit einer zwangsweisen Behandlung sowie über die gesundheitlichen Folgen einer Nichtbehandlung. Die Belehrung ist aktenkundig zu machen. (3) Ein Gefangener, der beharrlich die Aufnahme von Nahrung verweigert, wird ärztlich beobachtet.
I. II.
Übersicht Allgemeine Hinweise ____ 1–3 Erläuterungen ____ 4–20 1. Begriff der Zwangsmaßnahmen ____ 4, 5
Keppler/Nestler
2. Voraussetzungen der Anordnung von Maßnahmen nach Abs. 1 ____ 6–11 a) Lebensgefahr, schwerwiegende Gefahr für die Gesundheit des
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Zwangsmaßnahmen auf dem Gebiet der Gesundheitsfürsorge
Gefangenen oder Gefahr für die Gesundheit anderer Personen ____ 6–8 b) Zumutbarkeit, Abs. 1 Satz 1 2. Hs. ____ 9 c) Keine erhebliche Gefahr für Leben oder Gesundheit des Gefangenen, Abs. 1 Satz 1 2. Hs. ____ 10 d) Sonstige Voraussetzungen und Verhältnismäßigkeit ____ 11 3. Ermessensspielraum nach Abs. 1 Satz 2 ____ 12, 13
III.
§ 101
4. Voraussetzungen der Anordnung von Maßnahmen nach Abs. 2 ____ 14–18 5. Anordnungs- und Durchführungsbefugnis, Abs. 3 ____ 19, 20 Landesgesetze und Musterentwurf ____ 21–26 1. Baden-Württemberg ____ 21 2. Bayern ____ 22 3. Hamburg ____ 23 4. Hessen ____ 24 5. Niedersachsen ____ 25 6. Musterentwurf ____ 26
I. Allgemeine Hinweise § 101 regelt abschließend die Möglichkeiten einer medizinischen Zwangsbehandlung 1 im Strafvollzug, die Voraussetzungen für die Zulässigkeit dieser Zwangsmaßnahmen, die Engriffstatbestände sowie die Verantwortlichkeiten hierfür. Ihre heutige Fassung erhielt die Vorschrift mit Wirkung zum 7.3.1985 (BGBl. I/1985, 461). § 101 war seit Schaffung des StVollzG umstritten (vgl. Nöldecke/Weichbrodt NStZ 1981, 285 zur a. F.). Historisch erklärt sich dies durch den Umstand, dass die Norm vor allem im Zusammenhang mit den politisch motivierten, kollektiven Hungerstreiks der RAF zur Anwendung kam. Mittlerweile hat § 101 an Brisanz verloren, da solche Hungerstreiks zur Seltenheit geworden sind. In den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts traten wiederholt wegen terroristischer Ge- 2 walttaten inhaftierte Personen in gemeinsame, zeitgleiche und lang andauernde Hungerstreiks, u. a. von Februar bis April des Jahres 1981, von Dezember 1984 bis Februar 1985 sowie von Februar bis Mai des Jahres 1989. Die Streikenden forderten bspw. eine Änderung der Haftbedingungen und eine Zusammenlegung in größere Gruppen. Obwohl diese Ziele, insbesondere die Zusammenlegung, nicht erreicht wurden, brachen die Gefangenen, die sich zum Teil trotz Zwangsernährung gegen ihren Willen in hochkritischem Gesundheitszustand befanden, die Hungerstreiks jeweils ab. Mit der Änderung des § 101 im Jahr 1985 (BGBl. 1985/I, 461) verband der Gesetzgeber die Erwartung, dies könne solche Hungerstreiks künftig verhindern. Durch die Modifikation eliminierte der Gesetzgeber die Pflicht der Vollzugsbehörde, Zwangsmaßnahmen gegen den ausdrücklichen Willen des Gefangenen durchzuführen. Das Recht, eine Heilbehandlung abzulehnen, ist in Art. 2 Abs. 1 GG verankert 3 (BVerfGE 32, 98, 110). § 101 liegt die Überlegung zugrunde, dass in bestimmten Fällen dem Selbstbestimmungsrecht des Inhaftierten, seinem Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit sowie seinem Recht auf körperliche Unversehrtheit nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, die Rechte anderer Gefangener, Bediensteter oder Dritter kollidierend gegenüberstehen. Letztendlich verbietet auch das Sozialstaatsprinzip selbst, auf ein Einschreiten stets zu verzichten (AK-Walter 2012 Rdn. 1). II. Erläuterungen 1. Begriff der Zwangsmaßnahmen. Als mögliche Zwangsmaßnahmen nennt Abs. 1 4 der Vorschrift die medizinische Untersuchung, Behandlung sowie Ernährung. Gemeint sind hierbei ausschließlich Maßnahmen auf dem Gebiet der Humanmedizin unter Einschluss diagnostischer Prozeduren (vgl. OLG Celle ZfStrVo 1979, 187; OLG Düsseldorf NStZ 1984, 381). Erfasst werden somit sämtliche Maßnahmen, sofern sie den Regeln ärztlicher Kunst entsprechend durchgeführt werden. Hierzu zählen sämtliche Formen der Diagnose einschließlich der dafür erforderlichen körperlichen Eingriffe, klassische 871
Keppler/Nestler
§ 101
Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
Heilmaßnahmen zur Wiederherstellung der Gesundheit, Schutzimpfungen oder andere präventive Maßnahmen. Notwendig ist lediglich, dass die Maßnahme medizinisch indiziert ist. Nicht erfasst werden jedoch psychologische Testverfahren, Kastrationen oder stereotaktische Gehirnoperationen (AK-Walter 2012 Rdn. 3). Gleichfalls nicht in den Anwendungsbereich der Norm fallen Maßnahmen, die lediglich vollzuglichen Ordnungszwecken dienen oder bloß zur Disziplinierung des Gefangenen ergriffen werden (AKWalter 2012 Rdn. 3). Als zwangsweise durchgeführt gilt eine Maßnahme, wenn sie gegen oder ohne den 5 Willen des Gefangenen vollzogen wird (vgl. § 95). Dies kann zunächst der Fall sein, wenn der Inhaftierte auf Nachfrage seine Einwilligung in den ärztlichen Eingriff auf Grundlage einer bewussten Entscheidung verweigert. In Ansehung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten ist eine solche Verweigerung der Einwilligung auch grds. bis zur Grenze der Voraussetzungen des § 101 hinzunehmen. Auf die Art und Weise, in welcher der Gefangene seinen entgegenstehenden Willen äußert, kommt es nicht an (vgl. dazu Laue in: Hillenkamp/Tag [Hrsg.], 2005, 234). Der Gefangene kann daher seine Einwilligung sowohl ausdücklich als auch konkludent verweigern, aber auch erteilen. Unwirksam ist indes eine durch Drohung oder auf sonstige Weise erzwungene Einwilligung. Maßnahmen, die ohne Wissen des Gefangenen heimlich durchgeführt werden, gelten als Zwangsmaßnahmen i. S. d. § 101. Eine andere Einordnung ist lediglich dann geboten, wenn nach allgemeinen strafrechtlichen Grundsätzen von einer mutmaßlichen Einwilligung auszugehen ist (AK-Walter 2012 Rdn. 6; C/MD 2008 Rdn. 3). In diesem Fall gehört die durchgeführte Maßnahme gleichfalls nicht in den Anwendungsbereich des § 101. 2. Voraussetzungen der Anordnung von Maßnahmen nach Abs. 1 a) Lebensgefahr, schwerwiegende Gefahr für die Gesundheit des Gefangenen oder Gefahr für die Gesundheit anderer Personen. Gem. § 101 Abs. 1 Satz 1 sind medizinische Zwangsmaßnahmen nur bei Lebensgefahr oder einer schwerwiegenden Gefahr für die Gesundheit des Gefangenen bzw. bei Gefahr für die Gesundheit anderer Personen zulässig. Andere Personen i. S. d. Vorschrift können neben Mitgefangenen auch Bedienstete oder Besucher sein. Das Gesetz trifft dabei eine Abstufung zwischen der schwerwiegenden Gefahr für den Betroffenen und der nur einfachen Gefahr für Dritte. Diese geringere Eingriffsschwelle beruht darauf, dass dem Selbstbestimmungsrecht des Gefangenen hier nicht nur die sich aus dem Sozialstaatsprinzip ergebende Fürsorgepflicht der Justizvollzuganstalt gegenübersteht, sondern eben zusätzlich die Rechte der gefährdeten Dritten. Eine Rolle spielt dies etwa bei Seuchen- oder schweren Infektionsgefahren (vgl. Rdn. 11). Lebensgefahr setzt die medizinische Diagnose voraus, dass aufgrund der physischen 7 und/oder psychischen Konstitution des Gefangenen ohne Durchführung der medizinischen Zwangsmaßnahme der Tod des betreffenden Gefangenen wahrscheinlich ist bzw. sein Überleben nur noch vom Zufall abhängt. Eine schwerwiegende Gefahr für die Gesundheit besteht, wenn erhebliche gesundheitliche Folgen drohen, also wichtige Funktionen des Körpers ganz oder teilweise von einer dauerhaften Schädigung bedroht sind (AK-Walter 2012 Rdn. 13). Unwesentliche Schädigungen oder Beeinträchtigungen genügen hierfür nicht, selbst wenn sie bleibend sind (C/MD 2008 Rdn. 7; vgl. aber BVerfG BeckRS 2011, 49744 zur Zulässigkeit der Zwangsbehandlung im Maßregelvollzug zum Zweck der Erreichung des Vollzugsziels). Eine Gefahr für die Gesundheit anderer Personen i. S. d. § 101 Abs. 1 Satz 1 besteht be8 reits bei jeglichen Risiken in Gestalt auch schon abstrakter Gefahren. Sofern die bestehenden Risiken aber lediglich Bagatellcharakter haben, können sie im Hinblick auf den 6
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Zwangsmaßnahmen auf dem Gebiet der Gesundheitsfürsorge
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Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Eingriffe nach § 101 Abs. 1 Satz 1 nicht rechtfertigen (siehe dazu auch unten Rdn. 11). b) Zumutbarkeit, Abs. 1 Satz 1 2. Hs. Nach § 101 Abs. 1 Satz 1 2. Hs. müssen die 9 medizinischen Zwangsmaßnahmen für alle Beteiligten zumutbar sein. Dies schließt jedenfalls sämtliche Maßnahmen von vorne herein aus, die gegen die Menschenwürde verstoßen, Art. 1 Abs. 1 GG (AK-Walter 2012 Rdn. 16). Auch sonstige entgegenstehende Grundrechte, bspw. Art. 4 GG, können die Unzumutbarkeit der Maßnahme für den Gefangenen begründen (AK-Walter 2012 Rdn. 16; C/MD 2008 Rdn. 10). Nicht zumutbar sind dem durchführenden Arzt zudem Eingriffe, die nur unter Verstoß gegen die Regeln ärztlicher Kunst durchführbar sind. c) Keine erhebliche Gefahr für Leben oder Gesundheit des Gefangenen, Abs. 1 10 Satz 1 2. Hs. § 101 Abs. 1 Satz 1 schreibt als weitere Voraussetzung vor, dass bei Durchführung der Zwangsmaßnahme eine erhebliche Gefahr für Leben oder Gesundheit des Gefangenen nicht bestehen darf. Es handelt sich um eine Konkretisierung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, der für die Anwendung unmittelbaren Zwangs zudem in § 96 explizit normiert ist. Selbst sofern Gefahren für Dritte bestehen und die Maßnahme den Beteiligten grds. zumutbar ist, verbietet § 101 Abs. 1 Satz 1 2. Halbs. ihre Durchführung, sofern Leben oder Gesundheit des Gefangenen dadurch erheblichen Schaden nehmen können. Beispiele hierfür bilden riskante operative Eingriffe (z. B. Liquorentnahme aus Gehirn oder Rückenmark) im Gegensatz zu solchen, die nach allgemeiner ärztlicher Erfahrung als risikolos eingestuft werden. Abweichungen sind zudem denkbar bei eigentlich risikoarmen Eingriffen, die jedoch aufgrund einer spezifischen Prädisposition des betreffenden Gefangenen ausnahmsweise risikoreicher sind als es durchschnittlich der Fall ist. d) Sonstige Voraussetzungen und Verhältnismäßigkeit. Bei Maßnahmen nach 11 § 101 handelt es sich um Sonderfälle des unmittelbaren Zwangs gem. §§ 94 ff (AKWalter 2012 Rdn. 9; C/MD 2008 Rdn. 4), so dass dessen Voraussetzungen vorliegen müssen, die Maßnahme insbesondere vor ihrer Durchführung angedroht werden muss. Die Zulässigkeit der Maßnahmen nach Abs. 1 schränkt deshalb der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sowohl ihres Typus nach („ob“) als auch in der konkreten Art und Weise ihrer Durchführung („wie“) ein (vgl. § 96 Rdn. 2 ff). Hierbei ist vor allem auf der Ebene der Erforderlichkeit danach zu fragen, ob nicht eine gleich effektive aber weniger eingriffsintensive Maßnahme zur Verfügung steht. Dies kann im Fall einer Drittgefährdung (vgl. oben Rdn. 6, 8) durch eine vom Gefangenen ausgehende Infektions- oder Seuchengefahr bspw. die Isolierung des Gefangenen sein. Angemessen (verhältnismäßig i. e. S.) ist die Zwangsmaßnahme nur dann, wenn der durch sie verursachte Schaden nicht außer Verhältnis zu dem angestrebten Erfolg steht (AK-Walter 2012 Rdn. 17). Je intensiver dabei der erforderliche körperliche Eingriff (Entnahme einer Gewebeprobe, Röntgenuntersuchungen oder radiologische Untersuchungen unter Vergabe von Kontrastmitteln oder mit Isotopen angereicherten Substanzen, internistische Untersuchungen unter Vergabe von Beruhigungs- oder Betäubungsmitteln) ist, desto erheblicher müssen die drohenden Gefahren sein, die durch die Maßnahme verhindert werden sollen. 3. Ermessensspielraum nach Abs. 1 Satz 2. Für die Durchführung von Maßnah- 12 men nach § 101 Abs. 1 Satz 1 räumt Abs. 1 Satz 2 der Behörde einen Ermessensspielraum ein. Demnach ist die Vollzugsbehörde zur Durchführung der Maßnahmen nicht verpflichtet, solange von einer freien Willensbestimmung des Gefangenen ausgegangen 873
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werden kann. Im Rahmen der Ermessensentscheidung sind das Selbstbestimmungsrecht des Gefangenen sowie die mit dem Eingriff verbundenen Beeinträchtigungen mit den zu erwartenden Schäden abzuwägen. Hierbei kommt es jeweils auf deren Art und Ausmaß, mithin auf das abstrakte Rangverhältnis der betroffenen Interessen sowie den konkreten Grad der Beeinträchtigung an. Für Gefangene, die zu keiner freien Willensbestimmung (mehr) fähig sind, bedeu13 tet nach h. M. die Regelung des Abs. 1 Satz 2 argumentum e contrario, dass die notwendigen Zwangsmaßnahmen stets durchgeführt werden dürfen und müssen (Arloth 2011 Rdn. 4; C/MD 2008 Rdn. 3; krit. und diff. AK-Walter 2012 Rdn. 19). Dieser Umkehrschluss ist bei Gefahren für Dritte ohne weiteres möglich, da in diesem Fall das durch die mangelnde Willensfreiheit beeinträchtigte Selbstbestimmungsrecht des Gefangenen gegenüber den Rechtsgütern Dritter im Rahmen der Abwägung an Gewicht verlieren mag. Steht allerdings die Verhinderung von ausschließlich den Gefangenen selbst betreffenden Gefahren im Raum, so ist bei einem solchen paternalistisch motivierten Umkehrschluss Zurückhaltung geboten. § 101 Abs. 1 Satz 1 1. Halbs. erlaubt medizinische Zwangsmaßnahmen zur Verhinderung von gesundheitlichen Gefahren für den Gefangenen selbst nur unter der erhöhten Eingriffsschwelle, dass diese schwerwiegend sind (siehe oben Rdn. 6 f). Zwar besteht gegenüber dem Gefangenen, weil er sich in Unfreiheit befindet, eine im Vergleich zu Personen in Freiheit gesteigerte staatliche Fürsorgepflicht; diese gewährt aber nach wohl überwiegender Auffassung grds. lediglich dem Gefangenen einen Leistungsanspruch, nicht aber der Justizvollzugsbehörde eine Eingriffsbefugnis (AK-Walter 2012 Rdn. 19; Laue in: Hillenkamp/Tag [Hrsg.], 2005, 234). Sofern also von einer freien Willensentscheidung auszugehen ist, sollen in Ansehung des Selbstbestimmungsrechts selbst völlig sinnlose und nicht nachvollziehbare Behandlungsverweigerungen medizinischen Eingriffen vorbehaltlich § 101 Abs. 1 Satz 1 entgegenstehen (BVerfGE 58, 208, 225; vgl. auch BVerfG BeckRS 2011, 49744 zum Maßregelvollzug). Jedenfalls dürfen damit an die Zulässigkeit medizinischer Zwangsmaßnahmen bei mangelnder Willensfreiheit keine geringeren Anforderungen gestellt werden, als bei Personen in Freiheit. Für die Frage der Zulässigkeit des Eingriffs erscheint daher eine Orientierung an den im Rahmen von §§ 1896, 1901, 1904 BGB geltenden Grundsätzen geboten. Würde das zuständige Gericht die Einwilligung des Betreuers nach § 298 Abs. 1, Abs. 4 FamFG genehmigen, so liegt der Rückschluss nahe, dass eine solche Maßnahme auch im Strafvollzug zulässig sein muss (vgl. BVerfG BeckRS 2011, 49744, das „besondere verfahrensmäßige Sicherungen“ fordert). 4. Voraussetzungen der Anordnung von Maßnahmen nach Abs. 2. Abs. 2 hat die zwangsweise körperliche Untersuchung zum Zweck des Gesundheitsschutzes oder aus hygienischen Gründen im Blick. Zulässige Maßnahmen nach Abs. 2 sind nur solche, die nicht mit körperlichen Eingriffen (vgl. zum Begriff § 81 a StPO) verbunden sind. Von Abs. 2 umfasst sind damit grds. sämtliche körperliche Untersuchungen. Die Vorschrift dient damit zugleich der Durchsetzung der Aufnahmeuntersuchung nach § 5 Abs. 3 (Arloth 2011 Rdn. 6). Abs. 2 erlaubt nur solche Maßnahmen, die Zwecken des Gesundheitsschutzes oder 15 der Hygiene dienen. Notwendig ist hierfür nur die diesbezügliche Zweckdienlichkeit (Arloth 2011 Rdn. 6); eine konkrete Gefahr braucht indes nicht zu bestehen (AK-Walter 2012 Rdn. 27). Gesundheitsschutz meint dabei die Verhindung von Gesundheitsstörungen im Allgemeinen oder bedingt durch die Inhaftierung; Hygiene betrifft die Verhütung der Krankheiten und der Erhaltung, Förderung und Festigung der Gesundheit insbesondere durch Maßnahmen zur Vorbeugung von Infektionskrankheiten, Reinigung und Desinfektion.
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Die Maßnahmen nach Abs. 2 dürfen nicht invasiv sein. Erfasst sind lediglich Unter- 16 suchungen, die nicht mit einem körperlichen Eingriff verbunden sind. Es geht hierbei um medizinische Maßnahmen wie z. B. Röntgen, Ultraschall, Kernspintomographie, EKG, EEG oder das Wiegen. Nicht von Abs. 2 der Vorschrift gedeckt sind Eingriffe wie Blutentnahmen oder Biopsien. Die Maßnahmen müssen im Hinblick auf ihren Zweck verhältnismäßig sein (Arloth 17 2011 Rdn. 6). Bei der Abwägung fällt bspw. ins Gewicht, ob es um den Gesundheitsschutz allein des Gefangenen selbst geht, oder ob der Gesundheitsschutz anderer Gefangener, des Anstaltspersonals oder sonstiger Dritter im Raum steht. § 36 Abs. 4 Satz 7 IfSG erweitert die im Rahmen von § 101 Abs. 2 möglichen Untersu- 18 chungen um sog. Reihenuntersuchungen aus Gründen des Infektions- und Seuchenschutzes. Nach § 36 Abs. 4 Satz 7 IfSG sind Personen, die in eine Justizvollzugsanstalt aufgenommen werden, verpflichtet, eine ärztliche Untersuchung auf übertragbare Krankheiten einschließlich einer Röntgenaufnahme der Lunge zu dulden. Das Verhältnis von § 36 Abs. 4 Satz 7 IfSG zu Abs. 2 ist dabei umstritten. Nach e. A. handelt es sich bei der Regelung des § 101 Abs. 2 um eine abschließende, so dass § 36 Abs. 4 Satz 7 IfSG darüber hinaus kein Recht gewährt, Blutentnahmen und Abstriche von Haut und Schleimhäuten vorzunehmen (Boetticher in: Hillenkamp/Tag [Hrsg.], 2005, 77 ff; Laue in: Hillenkamp/Tag [Hrsg.], 2005, 232 dort Fn. 69; AK-Walter 2012 Rdn. 29). Nach vorzugswürdiger a. A. stellt § 36 Abs. 4 Satz 7 IfSG jedoch einen eigenständigen Eingriffstatbestand dar, der von § 101 Abs. 2 unabhängig bleibt (Arloth 2011 § 56 Rdn. 3, § 101 Rdn. 4; C/MD 2008 § 56 Rdn. 10; Laubenthal 2011, Rdn. 727). Für diese Auslegung spricht schon, dass der Anwendungsbereich des IfSG in Bezug auf die relevanten Krankheiten wesentlich enger und spezieller gefasst ist, als derjenige des § 101. Nach §§ 6f IfSG unterliegen nur bestimmte Krankheiten und Erreger einer Meldepflicht, deren Umsetzung die Regelung des § 36 Abs. 4 Satz 7 IfSG dient. Demgegenüber erfasst § 101 Abs. 2 sämtliche gesundheitlichen oder hygienischen Abweichungen, die Anlass für derartige Maßnahmen sein können. 5. Anordnungs- und Durchführungsbefugnis, Abs. 3. Abs. 3 der Vorschrift regelt 19 einen Anordnungs- und Durchführungsvorbehalt. Demnach dürfen die in der Vorschrift genannten Maßnahmen nur auf Anordnung und unter Leitung eines Arztes durchgeführt werden. Etwas anderes gilt lediglich, sofern eine Hilfeleistung im Notfall erforderlich ist, ein Arzt nicht rechtzeitig erreicht werden kann und mit einem Aufschub Lebensgefahr verbunden ist. Der anordnende und durchführende Arzt muss nicht notwendigerweise der Anstaltsarzt sein. Es genügt vielmehr, wenn ein externer Mediziner hinzugezogen wird (Arloth 2011 Rdn. 7). Andere Personen wie Sanitäter, Krankenpfleger, Sprechstundenhilfen oder medizinisch-technische Assistenten kommen jedoch nicht in Betracht (AK-Walter 2012 Rdn. 30). Problematisch ist dabei die Reichweite der ärztlichen Kompetenz im Verhältnis zur 20 Verantwortung und Leitungsbefugnis des Anstaltsleiters, § 156 Abs. 2 Satz 2. Diese Frage wird allerdings nur relevant, sofern zwischen Anstaltsleitung und Arzt ein Dissens besteht; in Übereinstimmung dürfen Anordnungen nach § 101 Abs. 1 oder Abs. 2 ohne Weiteres erfolgen. Differieren die Auffassungen von Anstaltsleiter und Arzt, so ist die Frage zu entscheiden, bei wem die Letztverantwortlichkeit liegt. Zum Teil wurde hierbei zwischen der beim Anstaltsleiter liegenden Kompetenz zur Anordnung der Maßnahme, dem „Ob“, und der beim Arzt liegenden Kompetenz zur Durchführung der Maßnahme, dem „Wie“, unterschieden (Nöldekke/Weichbrodt NStZ 1981, 285). Wie sich aus der systematischen Stellung der Vorschrift im zwölften Titel des zweiten Abschnitts ergibt, handelt es sich bei § 101 um eine spezielle Befugnisnorm für die Anwendung unmittelba875
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ren Zwangs und nicht um eine primär dem Bereich der Gesundheitsfürsorge zuzuordnende Regelung. Die Anordnung der Anwendung unmittelbaren Zwangs ist aber grds. der Anstaltsleitung vorbehalten, § 156 Abs. 2 Satz 2. Erwägt der Arzt also die Durchführung einer Maßnahme nach § 101, so kann die Anstaltsleitung dies verbieten, § 156 Abs. 2 Satz 2. Allerdings ist § 101 Abs. 3 gegenüber § 97 lex specialis, so dass der Arzt seinerseits eine entsprechende Anordnung der Anstaltsleitung nicht zu befolgen braucht, wenn medizinische Bedenken hiergegen bestehen (so auch Arloth 2011 Rdn. 7; a. A. AK-Walter 2012 Rdn. 31 für Anordnungs- und Durchführungsbefugnis des Arztes). III. Landesgesetze und Musterentwurf 21
1. Baden-Württemberg. § 80 JVollzGB III entspricht im Wesentlichen und abgesehen von der geschlechtsneutralen Formulierung § 101 StVollzG.
22
2. Bayern. Art. 108 BayStVollzG ist im Wesentlichen und abgesehen von der geschlechtsneutralen Formulierung mit § 101 StVollzG inhaltlich identisch.
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3. Hamburg. § 84 HmbStVollzG entspricht inhaltlich § 101 StVollzG.
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4. Hessen. § 25 HStVollzG entspricht im Wesentlichen § 101 StVollzG. Allerdings wurde in Abs. 3 der hessischen Vorschrift der Anordnungs- und Durchführungsvorbehalt für die Hilfeleistung bei medizinischen Notfällen gestrichen. Die Gesetzesbegründung enthält zu dieser Abweichung keinerlei Ausführungen (vgl. LT-Drucks. 18/1396, 93).
25
5. Niedersachsen. § 93 NJVollzG ist abgesehen von der geschlechtsneutralen Formulierung inhaltlich identisch mit § 101 StVollzG.
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6. Musterentwurf. § 67 ME-StVollzG korrespondiert mit § 101 StVollzG. Die Zwangsmaßnahmen auf dem Gebiet der Gesundheitsfürsorge regelt der Musterentwurf abweichend vom StVollzG allerdings nicht im Abschnitt über die Anwendung unmittelbaren Zwangs, sondern im Abschnitt über die Gesundheitsfürsorge. Da sich Berechtigung und Verpflichtung zur Durchführung der medizinischen Zwangsmaßnahmen nach Auffassung der Arbeitsgruppe zur Erstellung des Entwurfs aus der Fürsorgepflicht der Justizvollzugsanstalt ergeben (ME-Begründung, 135), erschien diese Verortung offensichtlich als folgerichtig. Zu etwaigen Konsequenzen für die Frage der Letztverantwortlichkeit (vgl. Rdn. 20) schweigt die Entwurfsbegründung.
DREIZEHNTER TITEL Disziplinarmaßnahmen § 102 Voraussetzungen § 102 Laubenthal Voraussetzungen (1) Verstößt ein Gefangener schuldhaft gegen Pflichten, die ihm durch dieses Gesetz oder auf Grund dieses Gesetzes auferlegt sind, kann der Anstaltsleiter gegen ihn Disziplinarmaßnahmen anordnen. (2) Von einer Disziplinarmaßnahme wird abgesehen, wenn es genügt, den Gefangenen zu verwarnen. Laubenthal
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(3) Eine Disziplinarmaßnahme ist auch zulässig, wenn wegen derselben Verfehlung ein Straf- oder Bußgeldverfahren eingeleitet wird. Schrifttum Bammann Tätowierungen und das Recht, in: Bammann/Stöver (Hrsg.), Tätowierungen im Strafvollzug, Oldenburg 2006, 79 ff; Baumann Sicherheit und Ordnung in Vollzugsanstalten? Tübingen 1972; Böhm Zu den Disziplinarmaßnahmen und dem Disziplinarverfahren nach dem Strafvollzugsgesetz, in: FS Hanack, Berlin 1999, 457 ff; Diepolder Disziplinarmaßnahmen im Strafvollzug, Bemerkungen zu den §§ 102– 107 StVollzG, in: ZfStrVo 1980, 140 ff; Heghmanns Die Anhörung des Gefangenen im vollzugsrechtlichen Disziplinarverfahren, in: ZfStrVo 1998, 232 ff; Hohmeier Hausstrafverfahren in der gegenwärtigen Form dysfunktional, in: ZfStrVo 1973, 24 ff; Kretschmer Das Phänomen des Tätowierens im Strafvollzug, in: FS Schwind, Heidelberg u. a. 2006, 579 ff; Laubenthal Erscheinungsformen subkultureller Gegenordnungen im Strafvollzug, in: FS Schwind, Heidelberg u. a. 2006, 593 ff; ders. Disziplinierung unbotmäßigen Verhaltens im Vollzug von Freiheitsstrafe nach dem Bayerischen Strafvollzugsgesetz, in: Laubenthal (Hrsg.): FG Paulus, Würzburg 2009, 97 ff; Neuland Disziplinarmaßnahmen („Hausstrafen“) und Vergünstigungsdenken, in: Schwind/Blau 270 ff; Pachmann Der Disziplinarvorfall in der Praxis, in: ZfStrVo 1979, 226 ff; Ostendorf Das Verbot einer strafrechtlichen und disziplinarrechtlichen Ahndung der Gefangenenbefreiung, in: NStZ 2007, 313 ff; Rotthaus Tätowieren im Gefängnis, in: NStZ 2010, 199 f; Skirl Die Zulässigkeit von Disziplinarmaßnahmen nach Drogenkonsum eines Strafgefangenen, in: ZfStrVo 1995, 93 ff; J. Walter Disziplinarmaßnahmen, besondere Sicherungsmaßnahmen oder Selbstbeschädigungen – Indikatoren für die Konfliktbelastung einer Vollzugsanstalt? in: ZfStrVo 1988, 195 ff.
I.
II.
Übersicht Allgemeine Hinweise ____ 1–3 1. Aufgabe der Disziplinarmaßnahmen ____ 1 2. Subsidiarität ____ 2 3. Rechtsgrundlagen ____ 3 Erläuterungen ____ 4–16 1. Pflichtverstoß des Gefangenen ____ 4–7 2. Schuldhafte Begehung ____ 8 3. Ermessensentscheidung des Anstaltsleiters ____ 9–11 4. Mehrere Verstöße, Verjährung, Dauerpflichtverstoß ____ 12–14
III. IV.
5. Möglichkeit der Doppelbestrafung ____ 15 6. Verfahrensgrundsätze ____ 16 Beispiel ____ 17, 18 Landesgesetze und Musterentwurf ____ 19–24 1. Baden-Württemberg ____ 19 2. Bayern ____ 20 3. Hamburg ____ 21 4. Hessen ____ 22 5. Niedersachsen ____ 23 6. Musterentwurf ____ 24
I. Allgemeine Hinweise 1. Aufgabe der Disziplinarmaßnahmen. Sicherungsmaßnahmen beugen befürch- 1 teten Gefahren für Sicherheit und Ordnung vor, sie sollen präventiv wirken, die Zukunft sichern; Zwangsmaßnahmen dienen dazu, eine gerade eingetretene gegenwärtige Gefahr zu bekämpfen bzw. zu bannen (§ 88 Rdn. 1). Dagegen haben die Disziplinarmaßnahmen die Ahndung vergangener Angriffe auf Sicherheit und Ordnung zum Gegenstand. Ihre Aufgabe ist repressiv. Allerdings sollen auch die Disziplinarmaßnahmen präventiv wirken. Generalpräventiv wirken sie, indem ihre Verhängung den in der Justizvollzugsanstalt befindlichen Personen (Insassen und Bediensteten) die Verbindlichkeit der ein unter den Bedingungen des Vollzugs der Freiheitsstrafe erträgliches Zusammenleben ermöglichenden Vorschriften verdeutlicht und so zu deren Befolgung ermuntert. Insoweit werden die Maßnahmen auch „im Blick auf andere“ (Neuland 1988, 274; Pachmann 1979, 228) angeordnet. Spezialpräventiv sind sie erfolgreich, wenn der disziplinierte Gefangene sich künftig eines Pflichtverstoßes enthält, wobei die Disziplinarmaßnahme eine (abschreckende) Warnwirkung entfalten kann (Laubenthal 2011 Rdn. 728).
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2. Subsidiarität. Ein Erfolg im Sinne des Behandlungsziels wird durch die Disziplinarmaßnahmen i. d. R. nicht herbeigeführt (Böhm 2003 Rdn. 355; Hohmeier 1973, 24). Deshalb ist die Subsidiarität der Disziplinarmaßnahmen hinter behandelnder Einflussnahme (Arloth 2011 Rdn. 1; AK-Walter 2012 Rdn. 27; C/MD 2008 Rdn. 1; Laubenthal 2011 Rdn. 693; Müller-Dietz 1978, 210; s. auch BayVerfGH, vom. 9.12.2010 – Vf. 3-VI-09) zu betonen. Angesichts der Realität des Lebensalltags in den Justizvollzugseinrichtungen mit nahezu alltäglichen Regelverstößen bis hin zur Gewaltausübung in den vollzuglichen Subkulturen (s. dazu Laubenthal 2011 Rdn. 213 ff) kann allerdings nicht auf ihren Einsatz verzichtet werden. Ein vorwiegend auf Konfliktvermeidung ausgerichteter Vollzug entspricht nicht den Strafvollzugsgesetzen, weswegen sich die Qualität einer Anstalt oder eines Vollzugssystems nicht an der Häufigkeit der zu verhängenden Disziplinarmaßnahmen messen lässt. Disziplinarmaßnahmen ermöglichen es, leichtere, in der Justizvollzugsanstalt begangene Straftaten, durch die auch die Ordnung gestört wurde (Beleidigung, Körperverletzung, Sachbeschädigung, kleinere Diebstähle oder Widerstandshandlungen), zu ahnden, ohne ein den Insassen stärker belastendes Strafverfahren zu verursachen (Rdn. 15). Der geschädigte Mitgefangene oder Bedienstete verzichtet auf die Strafanzeige angesichts der Disziplinarmaßnahmen; die Staatsanwaltschaft stellt im Hinblick auf die Disziplinarmaßnahme gem. §§ 153, 154 StPO das Verfahren ein – s. Baumann 1972, 37 f; Walter 1999 Rdn. 519.
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3. Rechtsgrundlagen. Die Voraussetzungen für die Anordnung von Disziplinarmaßnahmen, das Disziplinarverfahren sowie die zulässigerweise verhängbaren Disziplinarfolgen sind in §§ 102 bis 107 normiert. Auf der landesrechtlichen Ebene enthalten §§ 81 ff JVollzGB III; Art. 109 ff BayStVollzG (dazu Laubenthal 2009, 97 ff); §§ 85 ff HmbStVollzG; §§ 55 f HStVollzG; §§ 94 ff NJVollzG weitgehend inhaltsgleiche Bestimmungen. II. Erläuterungen
1. Pflichtverstoß des Gefangenen. Wie das auch sonst in Disziplinarordnungen der Fall ist, hat das StVollzG keine besonderen Tatbestände geschaffen, deren Verwirklichung Disziplinarmaßnahmen nach sich zieht (hierzu krit. AK-Walter 2012, vor § 102 Rdn. 16). Die Anordnung von Disziplinarmaßnahmen ist vielmehr zulässig bei der schuldhaften Verletzung von Pflichten, die dem Gefangenen durch das StVollzG oder aufgrund des Gesetzes auferlegt sind. Das StVollzG legt dem Gefangenen z. B. die Pflicht auf, Anstaltskleidung zu tragen 5 (§ 20 Abs. 1), beim Besuch Gegenstände nur mit Erlaubnis zu übergeben oder in Empfang zu nehmen (§ 27 Abs. 4 Satz 1), Absendung und Empfang seiner Schreiben durch die Anstalt vermitteln zu lassen und die eingehenden Schreiben unverschlossen zu verwahren (§ 30 Abs. 1 und 3), eine ihm zugewiesene, seinen körperlichen Fähigkeiten angemessene Arbeit oder Beschäftigung auszuüben (§ 41 Abs. 1), die Zustimmung, auch über drei Monate hinaus Hilfstätigkeiten nach § 41 Abs. 1 Satz 2 ausüben zu wollen, nicht zur Unzeit zurückzunehmen, die Zustimmung zur Teilnahme an berufsbildenden Maßnahmen nicht zur Unzeit zu widerrufen (§ 41 Abs. 2 Satz 2), die notwendigen Maßnahmen zum Gesundheitsschutz und zur Hygiene zu unterstützen (§ 56 Abs. 2); z. B. sich wiegen zu lassen, den Arzt zu einer medizinischen Belehrung aufsuchen. Auch die Verweigerung der Mitwirkung an einer angeordneten Urinkontrolle kann Grund für die Verhängung einer Disziplinarmaßnahme sein (BVerfG, Beschl. vom 6.8.2009 – 2 BvR 2280/07; OLG Rostock StV 2004, 611; KG ZfStrVo 2006, 374; OLG Jena NStZ-RR 2008, 59). Der Inhaftierte hat sich nach der Tageseinteilung der Anstalt zu richten (§ 82 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 161 Abs. 2 Nr. 2), durch sein Verhalten gegenüber Vollzugsbediensteten, Mitgefangenen und ande-
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ren Personen das geordnete Zusammenleben nicht zu stören (§ 82 Abs. 1 Satz 2; etwa durch Beleidigung von Bediensteten (s. dazu OLG Stuttgart NStZ-RR 2012, 29 f), durch Konsum von Drogen oder von Alkohol), rechtmäßige Anordnungen von Vollzugsbediensteten zu befolgen (s. OLG Schleswig, Beschl. vom 26.3.2009 – 2 VollzWs 140/09), auch wenn der Gefangene sich durch sie beschwert fühlt (§ 82 Abs. 2 Satz 1), einen ihm zugewiesenen Bereich nicht ohne Erlaubnis zu verlassen (§ 82 Abs. 2 Satz 2), seinen Haftraum und die ihm von der Anstalt überlassenen Sachen in Ordnung zu halten und schonend zu behandeln (§ 82 Abs. 3), Umstände, die eine Gefahr für das Leben oder eine erhebliche Gefahr für die Gesundheit einer Person bedeuten, unverzüglich zu melden (§ 82 Abs. 4) und nur Sachen in Gewahrsam zu haben oder anzunehmen, die ihm von der Vollzugsbehörde oder mit ihrer Zustimmung überlassen werden (§ 83 Abs. 1 Satz 1; dagegen verstößt ein Gefangener nicht gegen seine Pflichten, der einem anderen Gefangenen einen Gegenstand schenkt. Nur die Annahme von Gegenständen, nicht deren Abgabe untersagt § 83; OLG Koblenz NStZ 1988, 528). Keine Pflichtverletzung stellt dar eine fehlende Mitwirkung des Inhaftierten an der Gestaltung seiner Behandlung und der Erreichung des Sozialisationsziels, weil diese gem. § 4 Abs. 1 nicht erzwingbar ist, sondern die Anstalt die Bereitschaft dazu wecken und fördern soll. Aufgrund des Gesetzes können dem Gefangenen besondere Pflichten auferlegt 6 werden, die etwa die Tageseinteilung der Anstalt oder das geordnete Zusammenleben i. S. v. § 82 Abs. 1 Satz 2 genauer bestimmen. Hierbei geht es einmal um generelle Regelungen, die im StVollzG ihre Legitimationsgrundlage finden, wie etwa eine Hausordnung (§ 161). Pflichten werden zudem durch Einzelweisung begründet, wenn diese sich auf das Gesetz stützt. So kann die Hausordnung das Werfen von Gegenständen aus dem Haftraumfenster verbieten (LG Trier, Beschl. vom 25.4.1990 – 57 Vollz 33/90), oder als besonderen Unterfall der Störung geordneten Zusammenlebens die geschäftsmäßige Rechtsberatung für andere Gefangene, die im Vollzug zu unerwünschten Abhängigkeitsverhältnissen führen mag (OLG Koblenz NStZ 1997, 428 M; BVerfG NStZ 1998, 103). Weitere Pflichten werden den Gefangenen durch die Weisungen auferlegt, die der Anstaltsleiter für Lockerungen und Urlaub erteilt: § 14 Abs. 1 – etwa pünktlich in die Anstalt zurückzukehren (LG Hamburg ZfStrVo 1979 SH 84; OLG Celle NStZ 1983, 288 = ZfStrVo 1983, 317 f mit Anm. Skirl und Dertinger NStZ 1984, 192; AK-Walter 2012 Rdn. 4; C/MD 2008 Rdn. 6; Diepolder 1980, 141; K/S-Schöch § 8 Rdn. 27). Sofern die Weisung keinerlei Bezug zu Sicherheit und Ordnung der Anstalt ausweist, sondern nur das Verhalten des Gefangenen während der Vollzugslockerung zum Inhalt hat – z. B. den Bewährungshelfer aufzusuchen oder keine Straftaten zu begehen –, können Verstöße nicht mit Disziplinarmaßnahmen geahndet werden. Sie können freilich zum Widerruf der Lockerung führen (§ 14 Rdn. 14 f). Das StVollzG muss die Ermächtigung, dem Gefangenen Pflichten aufzuerlegen, ausdrücklich enthalten (§ 4 Rdn. 12 ff) und die auferlegten Pflichten müssen dem der einzelnen gesetzlichen Bestimmung zugrunde liegenden Sinn (bei Lockerungen etwa: nicht den Vollzug bei Rückkehr durch Trunkensein zu stören: LG Hamburg ZfStrVo 1978, 250 f) entsprechen (BVerfG NStZ 1998, 103). Streitig ist, ob der Gefangene durch eine Selbstbeschädigung bzw. einen Suizidver- 7 such gegen seine Pflichten verstößt. Einerseits wird auf das Fehlen einer ausdrücklichen Pflicht hingewiesen (AK-Walter 2012 Rdn. 7; Stuth ZfStrVo 1981, 83 f). Auch wenn der Gefangene insoweit ergangenen Anweisungen entgegen handle, fehle es an einem Pflichtverstoß, weil er in erster Linie sich schädige (Diepolder 1980, 141). Andererseits werden Fälle geschildert, in denen solche Handlungen das geordnete Zusammenleben in der Anstalt erheblich stören (OLG Celle, Beschl. vom 10.1.1980 – 3 Ws 395/79 zum Hungerstreik; Rotthaus ZfStrVo 1980, 53). Es kommt auf den Einzelfall an. Ein Pflichtenverstoß 879
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Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
liegt dann vor, wenn der Gefangene die Selbstbeschädigung als Nötigungsmittel einsetzen will oder eine Störung der Ordnung (§ 81 Rdn. 7) anstrebt (Arloth 2011 Rdn. 6; C/MD 2011 Rdn. 7; Laubenthal 2011 Rdn. 731). Dagegen dürfte der Selbstmordversuch in aller Regel kein Pflichtenverstoß sein. Selbst wenn der Gefangene bei dieser Tat Sachen der Anstalt beschädigt, bleibt wegen der psychischen Ausnahmesituation des Insassen eine disziplinarische Behandlung des Vorfalls unzulässig (Stuth ZfStrVo 1981, 83 f). Unerlaubtes Tätowieren (dazu Bammann 2006, 83 ff) gefährdet zwar die Sicherheit der Anstalt nicht, vermag jedoch das Zusammenleben in der Anstalt insoweit zu stören, dass es zu einer Beeinträchtigung der aus § 56 Abs. 2 folgenden Verpflichtung führt, für den Schutz der Gesundheit Sorge zu tragen (OLG Karlsruhe ZfStrVo 2006, 176; Arloth 2011 Rdn. 4 f; Laubenthal 2006, Rdn. 598; s. auch AG Rosenheim NStZ 2009, 215; Rotthaus 2010, 199 f; krit. Kretschmer 2006, 586 ff). Der Verstoß gegen das Verbot, sich in der Anstalt parteipolitisch zu betätigen, kann geahndet werden, wenn er das Zusammenleben in der Anstalt stört (OLG Nürnberg ZfStrVo 1987, 252). Zur Frage, ob das gewaltlose Entweichen aus der (geschlossenen) Vollzugsanstalt eine Pflichtverletzung ist, Rdn. 17 f. 8
2. Schuldhafte Begehung. Der Pflichtverstoß muss schuldhaft begangen sein. Das setzt voraus, dass der Gefangene auf seine Pflichten, wenn sie nicht ganz selbstverständlich sind (dass man z. B. auf andere Menschen nicht einprügelt oder Gegenstände zerstört), in verständlicher Form hingewiesen wird (§ 5 Rdn. 7). Die Aushändigung eines Exemplars des StVollzG und der Hausordnung genügt i. d. R. nicht, besonders bei Ausländern oder Gefangenen, die Mühe mit Lesen und Verstehen von Vorschriften haben (vgl. auch § 161 Rdn. 3). Schuldhaft handelt nur, wer verantwortlich ist. So wird ein Gefangener, der volltrunken vom Ausgang zurückkommt und in diesem Zustand in der Anstalt randaliert, Personen angreift und Sachen beschädigt, diese Folgen seines Alkoholkonsums nicht schuldhaft begangen haben. Sein schuldhafter Pflichtverstoß könnte aber in dem weisungswidrigen Alkoholgenuss während des Ausgangs liegen. Bestehen Zweifel an der Verantwortlichkeit zur Tatzeit, so ist der Arzt zu hören. I. d. R. ziehen nur vorsätzliche Pflichtverstöße Disziplinarmaßnahmen nach sich. Es dürften aber auch fahrlässig begangene Pflichtverstöße ein Disziplinarverfahren nach sich ziehen (insoweit a. A. AK-Walter 2012 Rdn. 15), vor allem dann, wenn dadurch erhebliche Verletzungen oder Gefährdungen eingetreten sind. Bei Fahrlässigkeit liegen i. d. R. aber ein Absehen von einer Disziplinarmaßnahme und das Aussprechen von Verwarnungen nach Abs. 2 nahe (C/MD 2008 Rdn. 13; Laubenthal 2011 Rdn. 734). Weder der Versuch eines Gefangenen, gegen eine Pflicht zu verstoßen, noch Vorbereitungshandlungen (zu weitgehend OLG Zweibrücken ZfStrVo 1982, 251 f) können eine Disziplinarmaßnahme auslösen (AKJ. Walter 2012 Rdn. 6; C/MD 2008 Rdn. 2). Eine unzulässige Umgehung der gesetzlichen Regelungen würde es bedeuten, wollte man den Versuch eines Verstoßes ausreichen lassen, wenn sich bereits daraus eine Gefahr für das geordnete Zusammenleben in der Anstalt ergibt (so aber Arloth 2011 Rdn. 3). Auch die Beteiligung am Pflichtenverstoß eines anderen (OLG Koblenz ZfStrVo 1989, 313 f: notwendige Teilnahme) genügt nicht. Da § 102 Abs. 1 einen Bezug der Pflichtwidrigkeit zur Person des Täters und seinem Pflichtenkreis verlangt, unterfallen mangels eigener Pflichtverstöße auch bloße Teilnahmehandlungen eines Inhaftierten an Pflichtwidrigkeiten von Mitgefangenen nicht dieser Norm. Schon am Verstoß gegen eine Pflicht fehlt es, wenn der Gefangene gerechtfertigt gegen den Wortlaut einer Vorschrift handelt, etwa einer ihm von einem Bediensteten zugerufenen Weisung zuwider den Angriff eines Mitgefangenen in Ausübung seines Notwehrrechts abwehrt (vgl. Müller-Dietz 1978, 191) oder sich weigert, eine seine Gesundheit gefährdende Arbeit zu leisten (LG Bonn NStZ 1988, 575). Zu weiteren Fällen nicht schuldhafter Arbeitsverweigerung vgl. auch § 41 Rdn. 5. Laubenthal
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Voraussetzungen
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3. Ermessensentscheidung des Anstaltsleiters. Der Anstaltsleiter (s. hierzu § 105) 9 kann Disziplinarmaßnahmen bei einem schuldhaften Pflichtverstoß anordnen. In keinem Fall muss der Anstaltsleiter von seiner Disziplinarbefugnis Gebrauch machen, vielmehr kann er sich auch auf eine nach der Sachlage gebotene Sicherungsmaßnahme beschränken (OLG Koblenz NStZ 1989, 342 f mit Anm. Rotthaus). Das liegt in seinem pflichtgemäßen Ermessen. Diese Ermessensentscheidung berührt aber nur die Frage, ob er die Rechtsfolge eintreten lässt oder nicht. Sein Ermessen erstreckt sich nicht auch darauf, ob er einen schuldhaften Pflichtverstoß annehmen will oder nicht. Diese Voraussetzung für seine Entscheidung muss vielmehr zweifelsfrei erwiesen sein und unterliegt der vollen Nachprüfung im Verfahren nach §§ 109 ff (OLG Celle ZfStrVo SH 1979, 57; BVerfG ZfStrVo 2004, 301 f; vgl. auch OLG Hamm ZfStrVo 1988, 114; ZfStrVo 1989, 314 f). Ein bloßer Verdacht genügt nicht zur Verhängung einer Disziplinarmaßnahme (BVerfG StraFo 2007, 24; OLG Brandenburg FS 2010, 51). Da es sich um strafähnliche Reaktionen handelt und deshalb für Disziplinarmaßnahmen der Schuldgrundsatz gilt, darf der Anstaltsleiter keine Disziplinarmaßnahmen anordnen, welche die Schuld des Gefangenen übersteigen oder den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz außer Acht lassen (BVerfG ZfStrVo 1995, 53; LG Hamburg ZfStrVo 2001, 50; OLG Stuttgart NStZ-RR 2012, 29 f). Der Anstaltsleiter hat sich bei seiner Entscheidung zudem an dem Grundsatz der Subsidiarität auszurichten. Dieser kommt in Abs. 2 zum Ausdruck. Demnach wird von einer Disziplinarmaßnahme insbesondere dann abgesehen, wenn es genügt, den Gefangenen zu verwarnen. Die Verwarnung ist eine nichtförmliche Belehrung oder Zurechtweisung als Aus- 10 druck der Missbilligung. Sie kann mündlich und schriftlich ausgesprochen werden. Die Verwarnung darf auch ein dem Anstaltsleiter nachgeordneter Bediensteter aussprechen. Obwohl sie keine Disziplinarmaßnahme ist, kann sich der Gefangene dagegen beschweren. Es kommt ein Antrag auf gerichtliche Entscheidung in Betracht, wenn sie aktenkundig gemacht ist. Denn dann kann sie sowohl für andere Vollzugsentscheidungen (beispielsweise zur Begründung von Arrest bei mehrfach wiederholten Verfehlungen, § 103 Abs. 2) als auch für Vollstreckungsmaßnahmen (Führungsberichte der Anstalt zum Antrag auf Entlassung zur Bewährung nach § 57 StGB) von Bedeutung sein (OLG Bamberg ZfStrVo SH 1978, 40 f; C/MD 2008 Rdn. 13). Ob der Anstaltsleiter die Sicherheit und Ordnung eher durch eine Disziplinarmaß- 11 nahme oder etwa durch den Widerruf einer erteilten Erlaubnis herstellt oder ob er beide Maßnahmen nebeneinander anordnet, hängt von den besonderen Umständen des Einzelfalls ab. So kann er z. B. einem Insassen, der einer Anweisung zuwider mit der ihm genehmigten Schreibmaschine gegen Entgelt in Tabak den Schriftverkehr anderer Insassen erledigt, wodurch unerwünschte Abhängigkeitsverhältnisse entstehen, eine Disziplinarmaßnahme auferlegen (C/MD 2008 Rdn. 6), aber auch ihm den Besitz der Schreibmaschine nach § 70 Abs. 2 Nr. 2 entziehen. Er könnte sogar den Besitz der Schreibmaschine als Disziplinarmaßnahme nach § 103 Abs. 1 Nr. 4 bis zu drei Monate untersagen. Das wäre milder als eine (unbefristete) Maßnahme nach § 70 Abs. 2 Nr. 2 (vgl. auch KG 4.5.1981 – 2 Ws 383/80 Vollz). Vielleicht ist es aber für die Fortbildung des Gefangenen wichtig, dass er eifrig seine Schreibmaschine benutzt. Dann wäre zur Erreichung des Vollzugsziels die Belassung der Schreibmaschine vordringlich. Der Anstaltsleiter müsste dann eine andere Disziplinarmaßnahme auswählen. Der Gefangene, der seine Arbeitspflicht in der Weise verletzt, dass er sich außerhalb der vorgesehenen Pausen im Hof sonnt und auf die Ermahnungen des aufsichtsführenden Beamten nicht reagiert, kann sowohl neben einer Disziplinarmaßnahme als auch unter Absehen von einer Disziplinarmaßnahme wegen Unzuverlässigkeit von der Hofkolonne abgelöst werden (OLG Frankfurt ZfStrVo 1981, 123; vgl. auch OLG Frankfurt ZfStrVo 1987, 114). Da der Einzelfall entscheidet, wie der Anstaltsleiter handelt, kann der Betrof881
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Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
fene aus dem Umstand, dass gegen andere Gefangene in gleich oder ähnlich gelagerten Fällen von Disziplinarmaßnahmen abgesehen wurde, keinen Rechtfertigungsgrund oder Entschuldigungsgrund herleiten (OLG Saarbrücken ZfStrVo SH 1978, 40) oder Gleichbehandlung fordern. 4. Mehrere Verstöße, Verjährung, Dauerpflichtverstoß. Mehrere gleichzeitig bekannt gewordene Pflichtverstöße eines Gefangenen werden mit einer Disziplinarmaßnahme geahndet (vgl. VV Nr. 2 zu § 106). Das ist wichtig, weil die Höchstgrenzen, die in § 103 Abs. 1 für die einzelnen Maßnahmen vorgesehen sind, nicht überschritten werden dürfen. Die Vorschrift des § 103 Abs. 3 gewährt insoweit genügend Flexibilität. Es gibt keine Vorschrift, die die Verjährung von Verstößen regelt. Es ist in aller Regel 13 unnötig, lange zurückliegende Verfehlungen durch Disziplinarmaßnahmen zu ahnden (vgl. hierzu OLG Hamburg ZfStrVo 2004, 240). Verfehlungen, die keine strafbaren Handlungen darstellen, sollten nach drei Monaten verjähren (ähnlich OLG Nürnberg NStZ 1989, 246; AK-Walter 2012 Rdn. 11; Arloth 2011 Rdn. 7). 14 Der Vollzug einer Disziplinarmaßnahme stellt eine Zäsur dar; wird der Pflichtverstoß vom Strafgefangenen fortgesetzt, darf er auch erneut geahndet werden (Arloth 2011 Rdn. 7). Setzt etwa ein Gefangener die Arbeitsverweigerung nach der deswegen verhängten und vollzogenen Disziplinarmaßnahme fort, so begeht er einen neuen Pflichtverstoß (Dauerpflichtverstoß; OLG Nürnberg bei Pachmann ZfStrVo 1981, 88; für fortgesetzten unbefugten Besitz von Sachen OLG Nürnberg NStZ 1981, 456, s. § 103 Rdn. 5). Bei der erneuten Disziplinarmaßnahme ist der Anstaltsleiter nicht genötigt, die Höchstgrenze der Disziplinarmaßnahmen nach § 103 Abs. 1 in der Weise zu beachten, dass die neue und die alte Disziplinarmaßnahme zusammengenommen sich in deren Rahmen halten müssen (Pachmann ZfStrVo 1981, 86; a. A. AK-Walter 2012 Rdn. 10; Schaaf ZfStrVo 1980, 146). Denn § 103 Abs. 1 normiert nur die jeweilige Höchstdauer einer einzelnen Disziplinarmaßnahme und legt keine zeitliche Höchstgrenze für die zu vollziehenden Maßnahmen fest (OLG Frankfurt NStZ 2008, 683). 12
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5. Möglichkeit der Doppelbestrafung. Nicht jede Straftat eines Gefangenen während des Vollzugs ist ein Pflichtverstoß i. S. d. § 102 Abs. 1: Wenn etwa beim Besuch ein Gefangener seinem Besucher Tipps zum Begehen einer Straftat gibt, in einem Brief Beleidigungen über Anstaltsbedienstete ausspricht (C/MD 2008 Rdn. 4; vgl. aber OLG Frankfurt NStZ 1994, 404; K/S-Schöch § 8 Rdn. 28) oder wenn ein Gefangener im Hafturlaub Straftaten begeht (selbst wenn ihm dies der Anstaltsleiter durch ausdrückliche Weisung untersagt haben sollte: so aber OLG Nürnberg ZfStrVo 1984, 377 mit zutr. abl. Anm. Skirl 378 f, s. auch C/MD 2008 Rdn. 4, 6; Skirl ZfStrVo 1983, 147). Straftaten sind Verstöße gegen die für jedermann durch das Strafgesetz auferlegten Pflichten. Die Strafgefangenen machen sich daher wie jeder andere strafbar. Umgekehrt sind viele Pflichtverstöße i. S. d. § 102 Abs. 1 kein strafbares Unrecht. Es ist aber möglich, dass ein Pflichtverstoß nach § 102 Abs. 1 zugleich einen Straftatbestand erfüllt, wenn der Gefangene beispielsweise einen fremden Gegenstand zerstört, einen Mitgefangenen bestiehlt, einen Bediensteten gewaltsam an der Ausübung seiner Dienstpflichten hindert oder Haschisch oder Heroin besitzt. In diesen Fällen ist eine Disziplinarmaßnahme auch zulässig, wenn wegen derselben Verfehlung ein Straf- oder Bußgeldverfahren eingeleitet wird. Es handelt sich nicht um einen Verstoß gegen das Verbot der Doppelbestrafung des Art. 103 Abs. 3 GG (BVerfGE 21, 378 ff), weil dieses nicht das Verhältnis von Disziplinarmaßnahme und Kriminalstrafe betrifft. Es genügt, wenn bei dem späteren Eingriff die frühere, wegen desselben Verstoßes erlittene, Rechtseinbuße berücksichtigt wird (C/MD 2008 Rdn. 14); der strafzumessende Tatrichter muss eine vorangegangene disziplinarische Ahndung beLaubenthal
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Voraussetzungen
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rücksichtigen. Allerdings sollte die doppelte (disziplinäre und strafrechtliche) Ahndung die Ausnahme bleiben (AK-Walter 2012 Rdn. 30). Sie ist nur angemessen, wenn die Schwere der Ordnungsstörung einerseits eine Disziplinarmaßnahme an Ort und Stelle verlangt, weil sonst der innere Friede der Anstalt gestört ist, gleichzeitig aber das strafrechtliche Gewicht des Vorfalls so ist, dass eine Verfolgung trotz der Disziplinarmaßnahme unerlässlich erscheint (Gefangenenmeuterei, erhebliche Fälle von Widerstand gegen die Staatsgewalt, gröbere Körperverletzungen, Besitz von Drogen). Handelt es sich um leichtere Straftaten, so sollte im Hinblick auf die Disziplinarmaßnahme das Strafverfahren eingestellt werden (Rdn. 2). Ein Freispruch im Strafverfahren, weil sich etwa ein Rechtfertigungsgrund (Notwehr) des Angeklagten nicht ausschließen lässt, verbietet die Ahndung des Vorfalls mit einer Disziplinarmaßnahme (OLG München ZfStrVo 1989, 185), d. h. ein wegen desselben Sachverhalts anhängiges Disziplinarverfahren ist einzustellen. Erfolgt der rechtskräftige Freispruch erst nach Abschluss des Disziplinarverfahrens, kann der Betroffene bei schon vollstreckter Disziplinarfolge bei der Strafvollstreckungskammer die Rechtswidrigkeit feststellen lassen (OLG München Beschl. v. 2.8.2007 – 3 Ws 451/07 R). 6. Verfahrensgrundsätze. Der strafähnliche Charakter (BVerfG NStZ 1993, 605; 16 StV 2004, 613; OLG Zweibrücken ZfStrVo 1986, 383) der Disziplinarmaßnahme, die einen nicht unerheblichen Eingriff in das Freiheitsrecht des Gefangenen darstellt (BVerfG ZfStrVo 1995, 371), verlangt eine lückenlose Ermittlung des Sachverhalts (BVerfG ZfStrVo 1995, 53; OLG Hamm ZfStrVo 1987, 124), eindeutige Feststellung der Schuld (BVerfG ZfStrVo 2004, 301 f; OLG Frankfurt NStZ-RR 1997, 152; LG Wuppertal NStZ 1989, 295) und ein faires Verfahren (OLG Hamm BlStV 2/1989, 4). Die verhängte Maßnahme darf die Schuld des Gefangenen nicht übersteigen und muss verhältnismäßig sein. Die persönlichen und tatsächlichen Umstände des Einzelfalls sind einzubeziehen und mit Anlass und Auswirkungen der zu verhängenden Disziplinarmaßnahme abzuwägen (BVerfG ZfStrVo 1995, 53 ff). Wegen ihrer Folgewirkung für künftige Disziplinarmaßnahmen, Lockerungsentscheidungen und Stellungnahmen zu Anträgen nach § 57 StGB besteht auch nach dem Vollzug der Disziplinarfolge sowie bei Verlegung in eine andere Anstalt ein Feststellungsinteresse daran, die Rechtmäßigkeit der Disziplinarmaßnahme gerichtlich überprüfen zu lassen (BVerfG NStZ 2008, 292; OLG Zweibrücken ZfStrVo 1986, 383; KG StV 1987, 541; OLG Hamm BlStV 1/1990, 5; OLG Nürnberg ZfStrVo 2002, 246; bei Verhängung von Arrest schon wegen des schwerwiegenden Eingriffs: BVerfG ZfStrVo 2004, 301 f; Lübbe-Wolff/Frotz 2009, 682). Nicht in jedem Fall tritt aber mit dem Vollzug der Disziplinarmaßnahme eine Erledigung i. S. v. § 115 Abs. 3 (s. § 115 Rdn. 17) ein (wenn etwa die Rechtswidrigkeit auf die Verletzung von Vorschriften über das Verfahren gestützt werden soll, denn Verfahrensverstöße bewirken keine endgültige Rechtswidrigkeit einer Maßnahme). Dann kann dem Begehren des Gefangenen ausnahmsweise über den Weg des Anfechtungs- und Verpflichtungsantrags Rechnung getragen werden (OLG Hamm ZfStrVo 1993, 314). Beruht die Fehlerhaftigkeit einer Disziplinarmaßnahme darauf, dass die Tatsachengrundlagen der Entscheidung falsch oder ungenügend ermittelt sind, so schließt dies die Verhängung einer neuen Disziplinarmaßnahme – unter Berücksichtigung des Verschlechterungsverbots – nicht aus (OLG Hamm BlStV 2/1989, 4; ZfStrVo 1993, 314). III. Beispiel Der Gefangene A entweicht aus dem geschlossenen Vollzug. Er zwängt sich in dem 17 Unternehmerbetrieb, in dem er zur Arbeit eingesetzt ist, aus dem WC-Fenster und klettert 883
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§ 102
Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
über den die Anstalt sichernden Zaun. Nach Wiederergreifung verhängt der Anstaltsleiter eine Disziplinarmaßnahme von sieben Tagen Arrest. Das OLG München (23.5.1978 – 1 Ws 335/78; LS ZfStrVo 1979, 63) hat die Entscheidung des Anstaltsleiters bestätigt. „An einer ausdrücklichen Vorschrift, dass der Strafgefangene die Vollzugsanstalt bis zum Vollstreckungsende nicht ohne Erlaubnis verlassen dürfe, fehlt es im StVollzG allein deshalb, weil sie unausgesprochen der gesetzlichen Neuregelung des Strafvollzugs zugrunde liegt und daher als selbstverständlich gelten kann … Um das vorgeschriebene Vollzugsziel der Resozialisierung nicht von vornherein zu vereiteln, muss sich der Strafgefangene den gesetzlichen Behandlungsmaßnahmen zur Verfügung halten. Wenn das StVollzG darüber hinaus dem Gefangenen die Pflichten auferlegt, ihm zugewiesene Beschäftigungen auszuüben, sich nach der Tageseinteilung der Anstalt zu richten und durch sein Verhalten gegenüber Vollzugsbediensteten, Mitgefangenen und anderen Personen das geordnete Zusammenleben nicht zu stören, die Anordnungen der Vollzugsbediensteten zu befolgen und den ihm zugewiesenen Bereich nicht ohne Erlaubnis zu verlassen, so führt jedes noch vertretbare Gesetzesverständnis zur Annahme der Grundpflicht des Strafgefangenen, nicht zu entweichen. Flucht und Fluchtversuche vermögen zudem die Anstaltsordnung schwerwiegend zu beeinträchtigen, da diese Ordnung unter den vielfältig gesteigerten Ansprüchen des neuen Strafvollzugsrechts für Störungen viel anfälliger geworden ist, zugleich aber eine der grundlegenden Voraussetzungen des Strafvollzugs bleibt und deshalb nun erst recht des schnellwirkenden disziplinarrechtlichen Schutzes bedarf.“ Auch das OLG Hamm (NStZ 1988, 296) hält dies mit Teilen der Literatur (AK-Walter 2012 Rdn. 8; Arloth 2011 Rdn. 6; Böhm 2003, 189; ders. in Vorauflage § 102 Rdn. 18; Grunau/Tiesler Rdn. 3; K/S-Schöch § 8 Rdn. 29; M. Walter 1999, 447) für rechtmäßig. 18 Dieser Ansicht steht jedoch entgegen (anders auch AK-Feest/Köhne 2012 § 82 Rdn. 10; Calliess 1992, 171; C/MD 2008 Rdn. 11; Ostendorf 2007, 315 ff; OLG Frankfurt NStZ-RR 1997, 153; s. auch § 82 Rdn. 5), dass nach dem strafrechtlichen Selbstbegünstigungsprinzip die Flucht bzw. das Entweichen aus der geschlossenen Anstalt ohne Fremdschädigung sowie entsprechende Versuchshandlungen gem. §§ 120, 258 Abs. 5 StGB straflos bleiben, solange es nicht zu Gewalttätigkeiten i. S. d. § 121 StGB kommt. Zudem fehlt es an einer im StVollzG ausdrücklich normierten Verpflichtung des Gefangenen zum Verbleib in der Justizvollzugsanstalt. Eine solche folgt auch nicht konkludent aus § 82 Abs. 2 Satz 2, wonach der Inhaftierte einen ihm zugewiesenen Bereich nicht ohne Erlaubnis verlassen darf. Denn diese Normen betreffen nicht den Anstaltsbereich als Ganzes, sondern lediglich Untergliederungen innerhalb des Anstaltsgeländes (C/MD 2008 Rdn. 4). IV. Landesgesetze und Musterentwurf 19
1. Baden-Württemberg. § 81 JVollzGB III entspricht, abgesehen von der Formulierung im Plural, weitestgehend der Vorschrift des § 102 StVollzG. Lediglich in Abs. 1 wird auf einen möglichst engen „zeitlichen Zusammenhang mit der Pflichtverletzung“ abgestellt.
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2. Bayern. Art. 109 BayStVollzG ist, bis auf die Abfassung des Abs. 1 im Plural, wortgleich der bundesrechtlichen Regelung entnommen worden.
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3. Hamburg. § 85 HmbStVollzG lautet: „Verstoßen Gefangene rechtswidrig und schuldhaft gegen Pflichten, die ihnen durch dieses Gesetz oder auf Grund dieses Gesetzes auferlegt sind, kann die Anstaltsleitung Disziplinarmaßnamen anordnen, es sei denn, es genügt, die Gefangenen zu verwarnen. Satz 1 gilt nicht für Verstöße gegen die MitwirLaubenthal
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Voraussetzungen
§ 102
kungspflichten der Gefangenen nach § 5 Absatz 1.“ Weitestgehend korrespondiert diese Regelung mit § 102 Abs. 1 und 2 StVollzG. Lediglich § 85 Satz 2 HmbStVollzG enthält eine zusätzliche Regelung. § 86 Abs. 4 HmbStVollzG entspricht § 102 Abs. 3 StVollzG. 4. Hessen. § 55 Abs. 1 HStVollzG lautet: „Disziplinarmaßnahmen können ange- 22 ordnet werden, wenn Gefangene rechtswidrig und schuldhaft 1. gegen Strafgesetze verstoßen oder eine Ordnungswidrigkeit begehen, 2. die aufgrund des Vollzugsplans zugewiesenen Tätigkeiten nach § 27 Abs. 3 nicht ausüben, 3. unerlaubt Gegenstände in die Anstalt einbringen, sich daran beteiligen oder solche Gegenstände besitzen, 4. entweichen oder zu entweichen versuchen, 5. unerlaubt Betäubungsmittel oder andere berauschende Stoffe konsumieren, 6. in sonstiger Weise wiederholt oder schwerwiegend gegen die Hausordnung verstoßen oder das Zusammenleben in der Anstalt stören.“ Die Gesetzesbegründung führt dazu aus: „Es werden die Verstöße abschließend aufgezählt, die eine Disziplinarmaßnahme nach sich ziehen können. Dies hat den Vorteil, dass den Gefangenen deutlich gemacht wird, dass das dort genannte Verhalten auf keinen Fall geduldet wird, sondern Konsequenzen nach sich zieht“ (LT-Drucks. 18/1396, 147). In Anlehnung an § 102 Abs. 2 StVollzG normiert § 55 Abs. 3 HStVollzG: „In geeigneten Fällen kann von Disziplinarmaßnahmen abgesehen werden, wenn andere Maßnahmen ausreichend erscheinen. Zu berücksichtigen ist ferner eine aus demselben Anlass angeordnete besondere Sicherungsmaßnahme.“ § 55 Abs. 4 Satz 1 HStVollzG entspricht § 102 Abs. 3 StVollzG. Darüber hinausgehend normiert die hessische Vorschrift: „Mehrere Disziplinarmaßnahmen können miteinander verbunden werden. Der Verweis kann auch mit der Anordnung, gemeinnützige Arbeit zu leisten, verbunden werden. Arrest darf nur wegen schwerer oder mehrfach wiederholter Verfehlungen verhängt werden.“ 5. Niedersachsen. § 94 NJVollzG wurde, abgesehen von der geschlechtsspezifischen 23 Differenzierung in Abs. 1 und 2, weitgehend wortlautgleich aus der bundesrechtlichen Regelung übernommen. 6. Musterentwurf. § 86 Abs. 1 ME-StVollzG normiert: „Disziplinarmaßnahmen kön- 24 nen angeordnet werden, wenn die Gefangenen rechtswidrig und schuldhaft 1. andere Personen verbal oder tätlich angreifen, 2. Lebensmittel oder fremde Sachen zerstören oder beschädigen, 3. in sonstiger Weise gegen Strafgesetze verstoßen oder eine Ordnungswidrigkeit begehen, 4. verbotene Gegenstände in die Anstalt einbringen, sich an deren Einbringung beteiligen, sie besitzen oder weitergeben, 5. unerlaubt Betäubungsmittel oder andere berauschende Stoffe konsumieren, 6. entweichen oder zu entweichen versuchen, 7. gegen Weisungen im Zusammenhang mit der Gewährung von Lockerungen verstoßen oder 8. wiederholt oder schwerwiegend gegen sonstige Pflichten verstoßen, die ihnen durch diese Gesetz oder aufgrund dieses Gesetzes auferlegt sind, und dadurch das geordnete Zusammenleben in der Anstalt stören.“ Die ME-Begründung sagt dazu: „Absatz 1 zählt die Verstöße auf, die eine Disziplinarmaßnahme nach sich ziehen können. Dadurch wird den Gefangenen deutlich gemacht, dass das dort genannte Verhalten auf keinen Fall geduldet wird, sondern Konsequenzen nach sich zieht“ (MEBegründung, 150). § 86 Abs. 5 ME-StVollzG entspricht § 102 Abs. 3 StVollzG. Eine mit § 102 Abs. 2 StVollzG korrespondierende Regelung enthält der Entwurf nicht.
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§ 103 Arten der Disziplinarmaßnahmen § 103 Laubenthal Arten der Disziplinarmaßnahmen (1) Die zulässigen Disziplinarmaßnahmen sind: Verweis, die Beschränkung oder der Entzug der Verfügung über das Hausgeld und des Einkaufs bis zu drei Monaten, 3. die Beschränkung oder der Entzug des Lesestoffs bis zu zwei Wochen sowie des Hörfunk- und Fernsehempfangs bis zu drei Monaten; der gleichzeitige Entzug jedoch nur bis zu zwei Wochen, 4. die Beschränkung oder der Entzug der Gegenstände für eine Beschäftigung in der Freizeit oder der Teilnahme an gemeinschaftlichen Veranstaltungen bis zu drei Monaten, 5. die getrennte Unterbringung während der Freizeit bis zu vier Wochen, 6. – gestrichen – 7. der Entzug der zugewiesenen Arbeit oder Beschäftigung bis zu vier Wochen unter Wegfall der in diesem Gesetz geregelten Bezüge, 8. die Beschränkung des Verkehrs mit Personen außerhalb der Anstalt auf dringende Fälle bis zu drei Monaten, 9. Arrest bis zu vier Wochen. (2) Arrest darf nur wegen schwerer oder mehrfach wiederholter Verfehlungen verhängt werden. (3) Mehrere Disziplinarmaßnahmen können miteinander verbunden werden. (4) Die Maßnahmen nach Absatz 1 Nr. 3 bis 8 sollen möglichst nur angeordnet werden, wenn die Verfehlung mit den zu beschränkenden oder zu entziehenden Befugnissen im Zusammenhang steht. Dies gilt nicht bei einer Verbindung mit Arrest. 1. 2.
Schrifttum S. bei § 102.
I. II.
Übersicht Allgemeine Hinweise ____ 1 Erläuterungen ____ 2–6 1. Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und Spiegelungsprinzip ____ 2, 3 2. Arrest bei schwerer Verfehlung ____ 4 3. Nachträgliche Änderung ____ 5 4. Problematik einzelner Disziplinarmaßnahmen ____ 6
III.
Landesgesetze und Musterentwurf ____ 7–12 1. Baden-Württemberg ____ 7 2. Bayern ____ 8 3. Hamburg ____ 9 4. Hessen ____ 10 5. Niedersachsen ____ 11 6. Musterentwurf ____ 12
I. Allgemeine Hinweise 1
Die Vorschrift zählt die zulässigen Disziplinarmaßnahmen abschließend auf. Andere Rechtsbeschränkungen dürfen dem Gefangenen aus disziplinären Gründen nicht auferlegt werden (§ 4 Rdn. 13). Das gilt vor allem für den Entzug von Vollzugslockerungen (sog. Urlaubssperre: OLG Bremen NStZ 1982, 84; OLG Celle ZfStrVo 1983, 317; OLG Rostock ZfStrVo 1995, 244; Untersagung des Radioempfangs über drei Monate hinaus: OLG Koblenz ZfStrVo 1987, 188; Entzug aller eigenen Gegenstände: OLG Koblenz ZfStrVo 1994, 182; Verbot der Annahme von Nahrungsmitteln beim Besuch – sog. AutomatenLaubenthal
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Arten der Disziplinarmaßnahmen
§ 103
zug –: KG NStZ 2002, 613; Verbot der Beteiligung an religiösen Veranstaltungen – bei einer Maßnahme nach Nr. 4 –: OLG Hamm ZfStrVo 1999, 306; krit. Bothge ZfStrVo 1999, 352 f; § 4 Rdn. 13). Auch die Anbindung einer automatischen Sperre für Vollzugslockerungen an bestimmte Disziplinarmaßnahmen (etwa an Arrest) ist unzulässig, weil für die Gewährung von Lockerungen allein die in § 11 Abs. 2 genannten Gesichtspunkte maßgeblich sind (LG Hamburg ZfStrVo SH 1977, 15; ZfStrVo SH 1978, 4; vgl. auch OLG Saarbrücken ZfStrVo 1978, 182; OLG Frankfurt ZfStrVo 1985, 377: Abzug der auf die Monate der Nichteignung für Lockerung entfallenden anteiligen Urlaubstage vom Gesamtkontingent). Die Ablösung eines Gefangenen von der Arbeit erst 14 Tage nach dem ihm zur Last gelegten Verstoß spricht für das Vorliegen einer „verkappten“ Disziplinarmaßnahme (OLG Frankfurt Beschl. v. 5.9.1985 – 3 Ws 672–674/85) ebenso, wie die Errichtung einer gesonderten Abteilung für arbeitsverweigernde oder sonst schwierige Gefangene (in verschiedenen Justizvollzugsanstalten) eine Umgehung des Disziplinarrechts darstellen kann (OLG Nürnberg ZfStrVo 1980, 250; LG Hamburg ZfStrVo 2001, 50). Es empfiehlt sich, die verhängten Maßnahmen am Wortlaut der Vorschrift zu orientieren (Beschränkung des Einkaufs auf 30 Euro monatlich für zwei Monate statt Einkaufssperre in Höhe von 60 Euro – bei einer stillschweigend angenommenen monatlichen Hausgeldgutschrift von etwa 60 Euro: OLG Zweibrücken Beschl. vom 30.3.1994 – 1 Ws 44/94). Bei der Anordnung „Ausschluss von Auf- und Umschluss“ dürfte es sich um eine Maßnahme nach Nr. 5 handeln: OLG Hamburg ZfStrVo 1978, 248; die Formulierung „Freizeitsperre“ ist ebenfalls zu ungenau: OLG Hamm ZfStrVo 1988, 114 (vgl. auch AK-Walter 2012 Rdn. 2). § 103 benennt nicht nur die einzelnen Disziplinarfolgen, sondern beinhaltet auch Vorschriften zu Voraussetzungen der einzelnen Maßnahmen und ihrer Verbindung. II. Erläuterungen 1. Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und Spiegelungsprinzip. Ahndet der Anstalts- 2 leiter einen schuldhaften Pflichtverstoß (§ 102 Rdn. 4 ff) mit einer Disziplinarmaßnahme, so ist das übergeordnete Zumessungsprinzip – bei Beachtung des Schuldüberschreitungsverbots – der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Der Eingriff in die Rechte des Gefangenen darf umso höher ausfallen, je schwerer der Pflichtenverstoß und das Verschulden des Gefangenen wiegen. Während der Verweis die mildeste Disziplinarmaßnahme darstellt und der Arrest die schwerste (Letzteres ergibt sich aus Abs. 2) – die allerschwerste ist Arrest in Verbindung mit weiteren Maßnahmen (Abs. 4 Satz 2) –, zeigt die Reihenfolge der anderen Maßnahmen keine Schwereskala an. Von diesen bleibt die Beschränkung des Einkaufs nicht an besondere Voraussetzungen gebunden. Die anderen Maßnahmen sollen möglichst in einem Zusammenhang mit den Verfehlungen stehen, derentwegen sie verhängt werden (Abs. 4 Satz 1). Diese Spiegelung soll einen pädagogischen Sinn haben und deshalb dem Vollzugs- 3 ziel (§ 2 Rdn. 10 ff) besonders entsprechen (C/MD 2008 Rdn. 3). Abs. 4 Satz 1 ist als Mahnung zu verstehen, von den Maßnahmen Nr. 3 bis 8 nur zurückhaltend Gebrauch zu machen sowie vollzugspädagogische Gründe, im Einzelfall von der Spiegelung abzuweichen, darzulegen (AK-Walter 2012 Rdn. 20). Der Zusammenhang, in dem sie mit den Verfehlungen stehen sollen, darf nicht so gesehen werden, dass die Anwendung der Vorschrift zu einer unpädagogischen „Lernsperre“ wird (Neuland 1988, 274; s. auch Böhm 1999, 458). Es ist bedenklich, dem Insassen gerade die Befugnisse zu entziehen, mit denen er nicht zu Rande kommt, denn dadurch kann er ihre Bewältigung nicht lernen (ebenso Müller-Dietz 1978, 212; Walter 1999 Rdn. 515; AK-Walter 2012 Rdn. 19). Richtig ist es stattdessen, einen Verstoß etwa gegen die Arbeitspflicht mit einer Beschränkung der 887
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Freizeitaktivitäten zu beantworten, weil „Freizeit das Korrelat zur Arbeitszeit ist“ (OLG Nürnberg NStZ 1981, 249 F; vgl. auch Pachmann ZfStrVo 1981, 86, 88). Gerade auch bei Disziplinarmaßnahmen muss neben der Angemessenheit und der Erforderlichkeit der Disziplinarfolge das Proportionalitätsprinzip zur Anwendung gelangen. Danach ist bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung abzuwägen, ob nicht durch die Auferlegung einer Maßnahme die Erreichung des Sozialisationsauftrags beeinträchtigt wird. Eingriffe, die kurzfristige Sicherungs- und Ordnungserfolge bewirken, müssen unterbleiben, wenn sie die vollzugszielorientierte Behandlung langfristig gefährden (Laubenthal 2011 Rdn. 694). 4
2. Arrest bei schwerer Verfehlung. Arrest darf nach Abs. 2 nur bei schweren oder mehrfach wiederholten Verfehlungen verhängt werden. Was eine schwere Verfehlung ist, unterliegt der vollen Nachprüfung durch das Gericht im Verfahren nach §§ 109 ff. Es handelt sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff (Treptow ZfStrVo 1980, 67, 69; § 115 Rdn. 21). Schwere Verfehlungen sind regelmäßig eine Rückkehr vom Urlaub in angetrunkenem Zustand (LG Hamburg BlStV 2/1980, 7), beleidigendes Verhalten gegenüber Vollzugsbeamten (OLG Hamm BlStV 1/1994, 6; hier ist aber eine besonders sorgfältige Abwägung erforderlich: BVerfG NStZ 1994, 300), Einschmuggeln von Psychopharmaka (LG Hamburg ZfStrVo SH 1977, 15 f), Haschischkonsum (OLG Koblenz BlStV 1/1995, 7), Besitz von selbst angesetzten alkoholischen Getränken (OLG Düsseldorf StV 1987, 255), unerlaubtes Tätowieren (OLG Karlsruhe ZfStrVo 2006, 176). Die Feststellung einer leichten „Alkoholfahne“ bei einem Gefangenen rechtfertigt die Annahme einer schweren Verfehlung noch nicht (BVerfG NStZ 1993, 605; a. A. OLG Nürnberg NStZ 1993, 512). Nach einer in der Literatur vertretenen Ansicht soll angesichts der Verbitterung, mit der viele Gefangene auf den Arrest reagieren, die Disziplinarmaßnahme des Arrestes als Reaktion auf grobe Tätlichkeiten beschränkt bleiben (Diepolder 1980, 144) oder sogar ganz abgeschafft werden (AK-Walter 2012 Rdn. 16). In Anbetracht der Realität in den Justizvollzugsanstalten mit eigenständigen subkulturellen Gegenordnungen, die u. a. geprägt sind von der alltäglichen Gewaltausübung sowie der Existenz von Gruppenhierarchien (s. Laubenthal 2011 Rdn. 213 ff), besteht aber durchaus die Notwendigkeit einer nachhaltigen Disziplinierungsmöglichkeit wie dem Arrest als Ultima Ratio (Laubenthal 2011 Rdn. 746). Bei seiner Verhängung sind allerdings Subsidiaritäts-, Verhältnismäßigkeitsund Proportionalitätsprinzip besonders in die Abwägungsentscheidung des Disziplinarbefugten einzubeziehen. So kann selbst bei wiederholten Verfehlungen Zurückhaltung geboten sein. Bedenklich erscheint etwa die Anordnung von Arrest bei hartnäckiger wiederholter Arbeitsverweigerung oder bei unerlaubtem Besitz (OLG Nürnberg BlStV 6/1981, 4; § 102 Rdn. 14). Keine schwere Verfehlung ist im offenen Vollzug der gegen die Hausordnung verstoßende Aufenthalt eines Gefangenen in dem benachbarten Haftraum eines anderen Gefangenen, weil dadurch eine erhebliche Ordnungsstörung, die das Funktionieren grundlegender Arbeitszusammenhänge in der Anstalt gefährdet, nicht vorliegt (OLG Frankfurt ZfStrVo 1987, 251).
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3. Nachträgliche Änderung. Der Anstaltsleiter kann eine Disziplinarmaßnahme, deren Vollstreckung sich (etwa wegen des Gesundheitszustandes des Gefangenen) als undurchführbar erweist, durch eine andere Disziplinarmaßnahme, die den Gefangenen aber nicht stärker belasten darf, ersetzen (KG ZfStrVo 1987, 252 LS).
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4. Problematik einzelner Disziplinarmaßnahmen. Die gesetzlich normierten Disziplinarmaßnahmen erscheinen nicht unproblematisch. So kann der Entzug der Verfügung über das Hausgeld bzw. die Einkaufssperre zu besonderer Abhängigkeit der so disziplinierten Gefangenen von anderen Insassen auf der subkulturellen Ebene führen. Laubenthal
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Deshalb sollte eher eine beschränkte Einkaufssperre angeordnet werden (Diepolder 1980, 142). Die Beschränkung des Verkehrs mit Personen außerhalb der Anstalt auf dringende Fälle ist eine die Erreichung des Sozialisationsziel der Reintegration mehr beeinträchtigende Maßnahme. Das über das kärgliche Mindestmaß hinausgehende Beschränken der Kontakte mit der Außenwelt im geschlossenen Vollzug erscheint regelmäßig kaum vertretbar. Missbräuchen, die der Gefangene mit der Erlaubnis des Brief- und Besuchsverkehrs begeht, kann nach §§ 24 Abs. 3, 25, 27 Abs. 1 und 2, 28 Abs. 2, 29 Abs. 3, 31 ausreichend begegnet werden. III. Landesgesetze und Musterentwurf 1. Baden-Württemberg. § 82 Abs. 1 JVollzGB III entspricht weitgehend § 103 Abs. 1 7 StVollzG. § 82 Abs. 1 Nr. 2 JVollzGB III bestimmt: „ (…) die Beschränkung oder der Entzug der Verfügung über das Hausgeld, das Sondergeld und des Einkaufs bis zu drei Monaten.“ Eingeführt wurde damit die mögliche Beschränkung bzw. der Entzug des Sondergeldes. In § 82 Abs. 1 Nr. 3 JVollzGB III wird hingegen auf den Entzug des Lesestoffs verzichtet. § 82 Abs. 2 und 3 JVollzGB III ist wortlautidentisch mit § 103 Abs. 2 und 3 StVollzG. § 103 Abs. 4 StVollzG wurde nicht übernommen. Die Gesetzesbegründung sagt dazu: „Der pädagogische Sinn einer solchen Regelung erscheint fraglich; werden den Gefangenen gerade die Befugnisse entzogen, mit denen sie nicht zurechtkommen, können sie den Umgang mit ihnen nicht lernen“ (LT-Drucks. 14/5012, 234). 2. Bayern. Art. 110 Abs. 1 BayStVollzG ist weitgehend wortlautgleich mit § 103 Abs. 1 8 StVollzG. Allerdings lautet Abs. 1 Nr. 3 der bayerischen Norm nunmehr: „… die Beschränkung oder der Entzug des Hörfunk- oder Fernsehempfangs bis zu drei Monaten“. Weggefallen sind damit die Möglichkeit eines Entzugs oder einer Beschränkung des Lesestoffs sowie die zeitliche Begrenzung des 2. Hs. Die Gesetzesbegründung (LT-Drucks. 15/8101, 70) verweist dabei auf die mangelnde praktische Bedeutung der Beschränkung des Lesestoffs. Bezüglich des nicht übernommenen 2. Hs. der bundesrechtlichen Regelung schweigt die Begründung. Ferner kennt Abs. 1 der bayerischen Norm die im Bundesgesetz noch als „weggefallen“ gekennzeichnete Nr. 6 nicht, so dass sich – ohne eine Änderung des Inhalts oder des Wortlauts – die Nr. 7 bis 9 des StVollzG im BayStVollzG als Nr. 6 bis 8 darstellen. Abs. 2 und 3 der Norm sind wortlautgleich mit dem Bundesgesetz. Das bayerische Gesetz verzichtet auf eine § 103 Abs. 4 StVollzG entsprechende Regelung. Die Gesetzesbegründung führt dazu aus: „Der pädagogische Sinn einer solchen «Spiegelung» erscheint … fraglich; werden den Gefangenen gerade die Befugnisse entzogen, mit denen sie nicht zurecht kommen, können sie den Umgang mit ihnen nicht lernen“ (LT-Drucks. 15/8101, 70). 3. Hamburg. § 86 Abs. 1 HmbStVollzG ist in weiten Teilen identisch mit § 103 Abs. 1 9 StVollzG. § 86 Abs. 1 Nr. 4 HmbStVollzG regelt: „… die Beschränkung oder der Entzug der Gegenstände für eine Beschäftigung in der Freizeit mit Ausnahme des Lesestoffs oder die Beschränkung oder der Entzug der Teilnahme an gemeinschaftlichen Veranstaltungen bis zu drei Monaten.“ Ausgenommen ist somit die Möglichkeit des Entzugs des Lesestoffs. Zudem ist die mögliche Beschränkung des Verkehrs mit Personen außerhalb der Anstalt (§ 103 Abs. 1 Nr. 8 StVollzG) weggefallen. § 86 Abs. 2 und 3 HmbStVollzG entsprechen wörtlich § 103 Abs. 2 und 3 StVollzG. § 103 Abs. 4 StVollzG wird nicht übernommen. 889
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4. Hessen. § 55 Abs. 2 HStVollzG entspricht größtenteils § 103 Abs. 1 StVollzG. Nicht übernommen wurde die Möglichkeit der Beschränkung des Lesestoffs und des Hörfunkempfangs. Weggefallen ist die Möglichkeit, den Verkehr mit Personen außerhalb der Anstalt zu beschränken (§ 103 Abs. 1 Nr. 8 StVollzG). Die Gesetzesbegründung führt dazu aus, dass – soweit nicht der Kontakt mit der Außenwelt aus den in §§ 33 bis 37 normierten Gründen eingeschränkt wird – „er im Strafvollzug von besonderer Bedeutung und unter dem Gesichtspunkt der Aufrechterhaltung sozialer Bindungen im Rahmen des Möglichen zu fördern“ ist (LT-Drucks. 18/1396, 111). Neu ist § 55 Abs. 2 Nr. 7 HStVollzG: „… die Beschränkung oder der Entzug von Ausgangsstunden bei der Gewährung von vollzugsöffnenden Maßnahmen bis zu drei Monaten“. Dazu sagt die Gesetzesbegründung: „Nr. 7 wurde auf Wunsch der Praxis neu eingefügt. Dadurch wird es möglich, in angemessener Weise auf disziplinarische Verstöße beispielsweise von Freigängern angemessen reagieren zu können“ (LT-Drucks. 18/1396, 111). § 55 Abs. 4 Satz 2 HStVollzG entspricht wörtlich § 103 Abs. 3 StVollzG; § 55 Abs. 4 Satz 4 HStVollzG ist identisch mit § 103 Abs. 2 StVollzG. Neugefasst ist § 55 Abs. 4 Satz 3 HStVollzG: „Der Verweis kann auch mit der Anordnung, gemeinnützige Arbeit zu leisten, verbunden werden.“ § 103 Abs. 4 StVollzG wurde nicht übernommen.
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5. Niedersachsen. § 95 Abs. 1 NJVollzG ist weitgehend wortlautgleich mit § 103 Abs. 1 StVollzG. Allerdings lautet Abs. 1 Nr. 3 der niedersächsischen Norm: „die Beschränkung oder der Entzug des Hörfunk- oder Fernsehempfangs bis zu drei Monaten“. Entfallen sind damit die Möglichkeit eines Entzugs oder einer Beschränkung des Lesestoffs sowie die zeitliche Begrenzung des 2. Hs. der bundesgesetzlichen Vorschrift. Die Gesetzesbegründung (LT-Drucks. 15/3565, 153) führt hierbei die mangelnde praktische Bedeutung der Beschränkung des Lesestoffs an. Hinsichtlich Nr. 3 2. Hs. des Bundesgesetzes äußert sich die Begründung nicht. § 95 Abs. 1 Nr. 4 NJVollzG enthält zudem eine zeitliche Beschränkung der Maßnahme auf die Dauer von vier Wochen. Die Gesetzesbegründung schweigt dazu. Ferner kennt Abs. 1 der niedersächsischen Norm die im Bundesgesetz noch als „weggefallen“ gekennzeichnete Nr. 6 nicht, weshalb den Nr. 7 bis 9 des StVollzG die § 95 Abs. 1 Nr. 6 bis 8 NJVollzG entsprechen, ohne dass damit eine Änderung des Inhalts oder des Wortlauts einherging. Abs. 2 bis 4 sind wortlautidentisch mit der bundesgesetzlichen Regelung.
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6. Musterentwurf. § 86 Abs. 2 ME-StVollzG entspricht leidglich teilweise § 103 Abs. 1 StVollzG. Neu ist § 86 Abs. 2 Nr. 6 ME-StVollzG: „Zulässige Disziplinarmaßnahmen sind die Kürzung des Arbeitsentgelts um zehn Prozent bis zu drei Monaten“. Die Entwurfsbegründung führt dazu aus: „Absatz 2 regelt abschließend die zulässigen Disziplinarmaßnahmen. Diese orientieren sich im Wesentlichen an der bisherigen Rechtslage. Allerdings verzichtet die Bestimmung im Hinblick auf die Informationsfreiheit auf den Entzug des Hörfunkempfangs als Disziplinarmaßnahme. Der Entzug des Lesestoffs ist nicht mehr zeitgemäß und daher als Disziplinarmaßnahme entfallen. Die Beschränkung von Außenkontakten ist ebenfalls nicht mehr vorgesehen, da sie von besonderer Bedeutung für die Aufrechterhaltung sozialer Bindungen sind. Weggefallen ist ferner die getrennte Unterbringung während der Freizeit. Neu eingeführt wurde die Kürzung des Arbeitsentgelts als mildere Maßnahme gegenüber dem auch weiterhin möglichen Entzug der zugewiesenen Arbeit. Die in Nummern 1 bis 8 aufgeführten Disziplinarmaßnahmen stehen nicht in einer Rangfolge, wenn auch regelmäßig der Verweis (Nummer 1) die geringste Laubenthal
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und der Arrest (Nummer 8) die schwerste Sanktion darstellen wird“ (ME-Begründung, 150 f). § 86 Abs. 3 und 4 ME-StVollzG entsprechen § 103 Abs. 2 und 3 StVollzG. Eine § 103 Abs. 4 StVollzG entsprechende Vorschrift enthält der Entwurf nicht.
§ 104 Vollzug der Disziplinarmaßnahmen. Aussetzung zur Bewährung § 104 Laubenthal Vollzug der Disziplinarmaßnahmen. Aussetzung zur Bewährung (1) Disziplinarmaßnahmen werden in der Regel sofort vollstreckt. (2) Eine Disziplinarmaßnahme kann ganz oder teilweise bis zu sechs Monaten zur Bewährung ausgesetzt werden. (3) Wird die Verfügung über das Hausgeld beschränkt oder entzogen, ist das in dieser Zeit anfallende Hausgeld dem Überbrückungsgeld hinzuzurechnen. (4) Wird der Verkehr des Gefangenen mit Personen außerhalb der Anstalt eingeschränkt, ist ihm Gelegenheit zu geben, dies einer Person, mit der er im Schriftwechsel steht oder die ihn zu besuchen pflegt, mitzuteilen. Der Schriftwechsel mit den in § 29 Abs. 1 und 2 genannten Empfängern, mit Gerichten und Justizbehörden in der Bundesrepublik sowie mit Rechtsanwälten und Notaren in einer den Gefangenen betreffenden Rechtssache bleibt unbeschränkt. (5) Arrest wird in Einzelhaft vollzogen. Der Gefangene kann in einem besonderen Arrestraum untergebracht werden, der den Anforderungen entsprechen muss, die an einen zum Aufenthalt bei Tag und Nacht bestimmten Haftraum gestellt werden. Soweit nichts anderes angeordnet wird, ruhen die Befugnisse des Gefangenen aus den §§ 19, 20, 22, 37, 38, 68 bis 70. VV (1) Die Bewährungszeit (§ 104 Abs. 2) kann vor ihrem Ablauf verkürzt oder bis zur zulässigen Höchstfrist verlängert werden. (2) Die Aussetzung zur Bewährung kann ganz oder teilweise widerrufen werden, wenn der Gefangene die ihr zugrundeliegenden Erwartungen nicht erfüllt. (3) Wird die Aussetzung zur Bewährung nicht widerrufen, darf die Disziplinarmaßnahme nach Ablauf der Bewährungsfrist nicht mehr vollstreckt werden. Schrifttum S. bei § 102.
I. II.
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Übersicht Allgemeine Hinweise ____ 1 Erläuterungen ____ 2–7 1. Grundsatz der sofortigen Vollstreckung ____ 2 2. Aussetzung einer Disziplinarmaßnahme ____ 3 3. Verfügungsbeschränkung; Außenkontakte ____ 4 4. Arrestvollzug ____ 5–7
III.
Landesgesetze und Musterentwurf ____ 8–13 1. Baden-Württemberg ____ 8 2. Bayern ____ 9 3. Hamburg ____ 10 4. Hessen ____ 11 5. Niedersachsen ____ 12 6. Musterentwurf ____ 13
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§ 104
Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
I. Allgemeine Hinweise 1
Die Vorschrift – durch VV ergänzt – befasst sich bis ins Einzelne mit der Vollstreckung der Disziplinarmaßnahmen. Sie ermöglicht auch die Aussetzung der Maßnahmen zur Bewährung. II. Erläuterungen
2
1. Grundsatz der sofortigen Vollstreckung. Es gilt gem. Abs. 1 der Grundsatz der sofortigen Vollstreckung. Gerade angesichts der Aufgabe der Disziplinarmaßnahmen, das ordnungsgemäße Zusammenleben in der Justizvollzugsanstalt zu sichern, kommt einer zügigen Abwicklung große Bedeutung zu (§ 102 Rdn. 1, vgl. auch OLG Hamburg ZfStrVo 2004, 240). Die Vollstreckung, vor allem, wenn nicht sehr schwere Ordnungsverstöße der Disziplinarmaßnahme zugrunde liegen, ist für den Täter sowie für andere Beteiligte schon wenige Wochen nach ihrer Verhängung kaum noch einsehbar. Deshalb haben auch Beschwerden und Anträge auf gerichtliche Entscheidungen nach § 109 zu Recht keine aufschiebende Wirkung (s. hierzu § 114); in Betracht kommt aber ein Antrag nach § 114 Abs. 2. Der Gefangene, der gegen die Disziplinarmaßnahme vorgehen will, ist über diese Möglichkeit und ihre Voraussetzungen zu belehren. Anstalt und Strafvollstreckungskammer haben für größtmögliche Beschleunigung zu sorgen, damit, wenn nicht schon der Anstaltsleiter den Vollzug der Maßnahme bis zur Entscheidung über den vorläufigen Rechtsschutz aufschiebt, dem Gericht die Möglichkeit bleibt, die Maßnahme, noch ehe sie vollzogen ist, auszusetzen. Bei nicht mehr rückgängig zu machenden, sofort zu vollziehenden Disziplinarmaßnahmen wird der Richter unverzüglich eine Entscheidung darüber zu treffen haben, ob die Maßnahme auszusetzen ist (BVerfG ZfStrVo 1995, 371 ff; NJW 2001, 3770; § 114 Rdn. 2; vgl. auch AK-Walter 2012, § 106 Rdn. 13). Demgemäß muss im Hinblick auf die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG die Strafvollstreckungskammer unverzüglich Kenntnis von dem Rechtsbehelf erlangen, d. h. das Verhalten der Anstaltsbediensteten darf nicht daraufhin angelegt werden, gerichtlichen Rechtsschutz zu vereiteln oder unzumutbar zu erschweren. Stellt ein Gefangener einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, so hat deshalb die JVA den Antrag unverzüglich weiterzuleiten, um dem Beschleunigungsgebot zu genügen. Kontrolliert die Anstalt ausgehende Briefe, so darf eine dadurch eintretende Verzögerung nicht zu Lasten des Rechtsschutz suchenden Gefangenen gehen. Da ein Inhaftierter insoweit auf die Tätigkeit der Anstalt angewiesen ist, hat diese bei einer Briefkontrolle Vorkehrungen zu treffen, dass ein Antrag das Gericht wie bei einer sofortigen Weiterbeförderung erreicht, z. B. durch Übermittlung mittels Telefax (BVerfG ZfStrVo 1994, 180 ff). Das aus Art. 19 Abs. 4 GG folgende Gebot der Gewährung effektiven Rechtsschutzes betrifft nicht nur die vollzugliche, sondern insbesondere auch die gerichtliche Ebene. Dort darf sich der Rechtsschutz nicht in der bloßen Möglichkeit der Anrufung eines Gerichts erschöpfen. Er muss vielmehr zu einer wirksamen Kontrolle in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht durch ein mit zureichender Entscheidungsmacht ausgestattetes Gericht führen (BVerfG NStZ 2004, 225).
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2. Aussetzung einer Disziplinarmaßnahme. Die Aussetzung einer Disziplinarmaßnahme ist in Abs. 2 und in VV erschöpfend geregelt. Über die Frage der Aussetzung wird erst entschieden, wenn die angemessene Disziplinarmaßnahme festgelegt ist. Eine Disziplinarmaßnahme höher festzusetzen, weil sie doch zur Bewährung ausgesetzt wird, bleibt unzulässig (KG StV 1986, 446), schon deshalb, weil im Falle des Widerrufs die Disziplinarmaßnahme doch vollstreckt werden muss. Die Aussetzung hat zu erfolgen, wenn Laubenthal
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die (vollständige) Vollstreckung weder zur Einwirkung auf den Gefangenen noch zur Aufrechterhaltung der Anstaltsordnung (also gewissermaßen spezialpräventiv) erforderlich erscheint. Auch generalpräventiv wird die bloße Verhängung einer Disziplinarmaßnahme allerdings oft ausreichen. Leitlinie ist also der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Wegen des Unterschieds zur Kriminalstrafe sind §§ 56, 57 StGB (günstige Sozialprognose) bei der disziplinarrechtlichen Aussetzungsentscheidung (Maßstab: Verhältnismäßigkeitsprinzip) nicht sinngemäß anwendbar (OLG Düsseldorf StV 1987, 255; Arloth 2011 Rdn. 3; a. A. KG StV 1986, 443). Der Widerruf der Aussetzung zur Bewährung darf nur daraus erfolgen, wenn der Gefangene schuldhaft gehandelt hat. Meistens liegt ein neuer Pflichtenverstoß gem. § 102 vor. Soweit andere mit der Aussetzung verbundene Erwartungen enttäuscht sind, müssten diese in der Aussetzungsentscheidung ausdrücklich formuliert gewesen sein (etwa: Entschuldigung beim Verletzten, Ausgleich eines angerichteten Schadens). Nur ihre schuldhafte Nichterfüllung rechtfertigt den Widerruf (ähnlich AK-Walter 2012 Rdn. 3). Dieser ist aktenkundig zu machen, zu begründen und dem Gefangenen zu eröffnen (nicht notwendigerweise durch den Anstaltsleiter, weil er keine Entscheidung i. S. d. § 106 darstellt). Auch der Widerruf kann Gegenstand einer Dienstaufsichtsbeschwerde oder eines Antrags nach § 109 sein. Nach dem Widerruf wird die Maßnahme sofort vollstreckt (§ 104 Abs. 1). 3. Verfügungsbeschränkung; Außenkontakte. Abs. 3 stellt klar, dass die Verfü- 4 gungsbeschränkung keine verkappte Geldstrafe bedeutet. Das verdiente Geld bleibt dem Gefangenen als unpfändbares Überbrückungsgeld (Umbuchung des Hausgeldes auf das Eigengeld ist deshalb unzulässig: LG Karlsruhe NStZ 1982, 263) erhalten. Dass der Gefangene von sich aus nicht einkauft, obgleich ihm dies möglich wäre, ist kein Vollzug der Einkaufssperre. Er bestimmt nicht den Zeitpunkt der Vollstreckung und kann einen Irrtum über die Art und Zeit der Vollstreckung durch Rückfrage vermeiden (KG NStZ 1982, 323 f). Das Verbot des Verkehrs mit der Außenwelt darf nicht die Verfolgung rechtlicher Ansprüche des Gefangenen beeinträchtigen (Abs. 4). Es bezieht sich nicht auf den Verkehr mit Behörden und Anwälten. Die dem Gefangenen zu eröffnende Möglichkeit, eine Person von dem Verbot des Brief- und Besuchverkehrs zu unterrichten, kann unangenehme Vorkommnisse verhindern (wie etwa das Erscheinen von weither angereister Besucher, die von dem Verbot nicht unterrichtet worden sind, am Besuchstag). Auch wegen der Auswirkungen auf Dritte erscheint gerade diese Disziplinarmaßnahme im Regelfall ungeeignet. Zur Problematik einzelner Disziplinarmaßnahmen vgl. § 103 Rdn. 7. 4. Arrestvollzug. In Abs. 5 ist der Arrest definiert. Er ist Einzelhaft i. S. v. § 89, also 5 unausgesetzte Absonderung von anderen Insassen. Arrest stellt keine „weitere“ Freiheitsentziehung dar; es ändert sich lediglich der Vollzug der Freiheitsstrafe in der Form (BayVerfGH v. 9.12.2010 – Vf. 3-VI-09). Es steht der Vollzugsbehörde frei, diese Einzelhaft in dem einem Gefangenen zugewiesenen (Einzel-)Haftraum oder einem besonderen Haftraum zu vollziehen. Letzteres empfiehlt sich vor allem dann, wenn der Gefangene einen gut eingerichteten Raum mit vielen ihm erlaubten Gegenständen besitzt, die ihm für die Arrestzeit entzogen werden sollen. Die besonderen Arrestzellen sind i. d. R. so gelegen, dass sie leichter überwacht und versorgt werden können. Der Strafcharakter der Unterbringung wird dadurch hervorgehoben, dass diese Hafträume aus Sicherheitsgründen oft nur mit einer fest eingebauten Liegemöglichkeit eingerichtet sind und das Tageslicht durch Glasbausteine vermittelt wird (dazu KG NStZ 1984, 240). Der Gefangene kann gegen die Art der Unterbringung als einen seine Rechte beeinträchtigenden Realakt Antrag auf gerichtliche Entscheidung stellen und vortragen, der Haftraum entspreche 893
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Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
nicht den Anforderungen des Abs. 5 (OLG Nürnberg NStZ 1981, 249 f). Die tägliche Freistunde (§ 64) bleibt dem Arrestanten erhalten. Der Anstaltsleiter kann aber allgemein anordnen (Arloth 2011 Rdn. 6; a. A. AK-Walter 2012 Rdn. 7: zulässig nur im Einzelfall), dass der Arrestant die Freistunde nicht mit den anderen Gefangenen verbringt (Einzelfreistunde). Die Teilnahme am gemeinsamen Gottesdienst steht dem Arrestanten zu (§ 54 Abs. 1 vgl. auch § 54 Rdn. 21). Insoweit kommt ein Ausschluss nur nach § 54 Abs. 3 – also nicht aus disziplinären Gründen – in Betracht. Ruhen, sofern nicht anderes angeordnet ist, die Rechte aus §§ 19, 20, 22, 37, 38, 68 6 bis 70, bleibt der Gefangene ohne Beschäftigung, Zeitung, Buch, Radio, Fernsehen, Gegenstände der Freizeitbeschäftigung 23 Stunden in seinem Haftraum untergebracht und er wartet auf die Ausgabe der ihm nach § 21 zustehenden Anstaltsverpflegung. Er darf allerdings grundlegende religiöse Schriften bei sich haben (§ 53 Rdn. 15, 16) und – wenn nicht gleichzeitig eine Disziplinarmaßnahme nach § 103 Abs. 1 Nr. 8 ausgesprochen ist – Post empfangen, Briefe schreiben – wozu ihm auch technisch Gelegenheit gegeben werden muss (KG NStZ 1984, 240) – sowie ggf. Besuch empfangen. Die gesetzliche Formulierung in Abs. 5 Satz 3 erscheint missverständlich. Obwohl das Recht aus § 20 ruht, ist der Gefangene ausreichend mit Anstaltskleidung ausgerüstet (es ruht nur das Recht aus § 20 Abs. 2). Fraglich ist, ob der Gefangene im Arrest rauchen darf. Das hängt davon ab, wie man das Ruhen des Rechts aus § 22 auslegt: Ob der Gefangene nur von dem in die Arrestzeit fallenden Einkauf ausgeschlossen bleibt oder die beim Einkauf zuvor erworbenen Gegenstände während des Arrests nicht nutzen darf. Es kann nur Letzteres gemeint sein. Es ist dem Gefangenen also regelmäßig verboten, die durch Einkauf erlangten Sachen einschl. Lebens- und Genussmittel in den Arrest mitzunehmen (ebenso Arloth 2011 Rdn. 6). Der Hinweis auf diese Konsequenzen des Arrestvollzuges ist nicht eine eigene anfechtbare Disziplinarmaßnahme (KG ZfStrVo 1985, 252). Erreicht den Gefangenen während der Arrestzeit ein Paket, so darf er dessen Inhalt erst nach Arrestverbüßung in Besitz nehmen. Toilettenartikel in angemessenem Umfang sind dem Arrestanten zu belassen. Das folgt aus § 56. Die durch den Vollzug von Arrest versäumte Arbeitszeit kann bei der Berechnung der Jahresfrist nach § 42 nicht berücksichtigt werden (s. § 42 Rdn. 7) und führt zu einer Unterbrechung der Zwei-Monatsfrist des § 43 Abs. 6 (hierzu § 43 Rdn. 20). Für diese Zeit kann der Gefangene aber zur Bezahlung der Haftkosten herangezogen werden (§ 50 Rdn. 5), allerdings nicht zu Lasten des Hausgeldes (§ 50 Abs. 2 Satz 5). Der Arrestvollzug mit seinen nachhaltigen Einschränkungen für den Betroffenen 7 bleibt nur für einen Zeitraum von wenigen Tagen vertretbar. Mindestens bei einer Woche überschreitender Arrestdauer sollten dem Gefangenen Zeitschriften und Bücher bzw. ein Radiogerät belassen werden. Es ist auch möglich und oft angebracht, die Fortsetzung von Ausbildungsmaßnahmen oder einzelnen Freizeitkursen während des Arrests zu erlauben. III. Landesgesetze und Musterentwurf 8
1. Baden-Württemberg. § 83 JVollzGB III entspricht, bis auf die Abfassung im Plural und die Verweisung auf Landesrecht, § 104 StVollzG. § 83 Abs. 3 JVollzGB III regelt aufgrund der geänderten Rechtslage in § 82 Abs. 1 Nr. 2 JVollzGB III neben dem Haus- auch das Sondergeld.
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2. Bayern. Art. 111 Abs. 1 bis 3 BayStVollzG sind wortlautidentisch mit § 104 Abs. 1 bis 3 StVollzG. Art. 111 Abs. 4 Satz 1 BayStVollzG ist, bis auf die Abfassung im Plural, wortlautgleich aus der bundesrechtlichen Regelung übernommen worden. Ebenso ist der Wortlaut des Laubenthal
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Vollzug der Disziplinarmaßnahmen. Aussetzung zur Bewährung
§ 104
Abs. 4 Satz 2, abgesehen von der geänderten Verweisung auf Art. 32 Abs. 1 und 2 BayStVollzG anstatt auf § 29 Abs. 1 und 2 StVollzG sowie der geschlechtsspezifischen Differenzierung, dem Bundesgesetz entnommen. Abs. 5 Satz 1 der bayerischen Norm entspricht § 104 Abs. 5 Satz 1 StVollzG. Abs. 5 Satz 2 BayStVollzG ist, bis auf die Abfassung im Plural, ebenfalls wortlautgleich aus der bundesrechtlichen Regelung übernommen worden. Der Wortlaut des Abs. 5 Satz 3 entspricht, abgesehen von der geänderten Verweisung in das BayStVollzG und der Abfassung im Plural, dem Bundesgesetz. 3. Hamburg. § 87 HmbStVollzG entspricht im Wesentlichen § 104 StVollzG. 10 In § 87 Abs. 3 Satz 2 HmbStVollzG wird zusätzlich angeführt: „Die Festsetzung des Überbrückungsgeldes nach § 47 Absatz 1 Satz 2 ist entsprechend anzupassen.“ § 104 Abs. 4 StVollzG findet keine entsprechende Verwendung, da nach hamburgischem Recht die Disziplinarmaßnahme der Beschränkung des Kontakts zur Außenwelt nicht besteht. 4. Hessen. § 56 Abs. 3 Satz 1 bis 3 HStVollzG entsprechen § 104 Abs. 1 bis 3 StVollzG. 11 § 104 Abs. 4 StVollzG wird aufgrund der geänderten Rechtslage in Hessen nicht übernommen. § 56 Abs. 4 Satz 1 bis 3 HStVollzG entspricht § 104 Abs. 5 StVollzG. 5. Niedersachsen. § 96 Abs. 1 und 2 NJVollzG sind wortlautgleich mit § 104 Abs. 1 12 und 2 StVollzG. § 104 Abs. 3 StVollzG ist in § 96 NJVollzG nicht übernommen. In der Gesetzesbegründung heißt es dazu: „Die in § 104 Abs. 3 StVollzG geregelte Verwendung des Hausgeldes bei Einschränkungen der Verfügungsbefugnis ist aus systematischen Gründen in die Entwurfsvorschrift des § 46 Abs. 1 Satz 2 eingestellt worden“ (LT-Drucks. 15/3565, 153). Diese Norm wiederum erweitert allerdings die bundesrechtliche Regelung um den Zusatz „… auch soweit dadurch die nach Absatz 2 Satz 2 festgesetzte Höhe überschritten wird.“ Hierzu führt die Gesetzesbegründung aus: „[§ 46] Absatz 1 Satz 2 des Entwurfs entspricht § 104 Abs. 3 StVollzG“ (LT-Drucks. 15/3565, 127). Der Entwurfsvorschrift § 46 Abs. 1 Satz 2 stellt nunmehr § 47 Abs. 1 Satz 2 NJVollzG dar. § 96 Abs. 3 entspricht inhaltlich § 104 Abs. 4 StVollzG; allerdings verweist Satz 2 auf § 30 Abs. 3 NJVollzG anstatt auf Bundesrecht. Abs. 4 entspricht § 104 Abs. 5 StVollzG, der bis auf die geschlechtsspezifische Differenzierung in Satz 2 sowie die Verweisung auf Landesrecht in Satz 3 der Landesgesetzgeber, wortlautgleich übernommen ist. 6. Musterentwurf. § 87 Abs. 1 Satz 1 ME-StVollzG entspricht § 104 Abs. 1 StVollzG. 13 Satz 2 bestimmt zudem: „Die Vollstreckung ist auszusetzen, soweit es zur Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes erforderlich ist.“ § 87 Abs. 2 Satz 1 ME-StVollzG korrespondiert mit § 104 Abs. 2 StVollzG. Satz 2 normiert darüber hinaus: „Die Aussetzung der Bewährung kann ganz oder teilweise widerrufen werden, wenn die Gefangenen die ihr zugrundeliegenden Erwartungen nicht erfüllen.“ Diese Regelung entspricht wiederum Abs. 2 der VV zu § 104 StVollzG. § 87 Abs. 3 ME-StVollzG normiert: „Für die Dauer des Arrests werden die Gefangenen getrennt von anderen Gefangenen untergebracht. Sie können in einem besonderen Arrestraum untergebracht werden, der den Anforderungen entsprechen muss, die an einen zum Aufenthalt bei Tag und Nacht bestimmten Haftraum gestellt werden. Soweit nichts anderes angeordnet wird, ruhen die Befugnisse der Gefangenen zur Teilnahme an Maß895
Laubenthal
§ 105
Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
nahmen außerhalb des Raumes, in dem Arrest vollstreckt wird, sowie die Befugnisse zur Ausstattung des Haftraums mit eigenen Gegenständen, zum Fernsehempfang und Einkauf. Gegenstände für die Freizeitbeschäftigung mit Ausnahme des Lesestoffs sind nicht zugelassen. Die Rechte zur Teilnahme am Gottesdienst und auf Aufenthalt im Freien bleiben unberührt.“ Eine wesentliche inhaltliche Änderung zur Regelung des § 104 Abs. 5 StVollzG geht damit nicht einher. Eine § 104 Abs. 4 StVollzG entsprechende Vorschrift existiert aufgrund der anderen Rechtslage im Musterentwurf nicht.
§ 105 Disziplinarbefugnis § 105 Laubenthal Disziplinarbefugnis (1) Disziplinarmaßnahmen ordnet der Anstaltsleiter an. Bei einer Verfehlung auf dem Wege in eine andere Anstalt zum Zwecke der Verlegung ist der Leiter der Bestimmungsanstalt zuständig. (2) Die Aufsichtsbehörde entscheidet, wenn sich die Verfehlung des Gefangenen gegen den Anstaltsleiter richtet. (3) Disziplinarmaßnahmen, die gegen einen Gefangenen in einer anderen Vollzugsanstalt oder während einer Untersuchungshaft angeordnet worden sind, werden auf Ersuchen vollstreckt. § 104 Abs. 2 bleibt unberührt. VV Für die Verhängung einer Disziplinarmaßnahme ist der Leiter der Anstalt zuständig, der der Gefangene zur Zeit der Verfehlung angehört. Für die nachfolgenden Entscheidungen ist der Leiter der Anstalt zuständig, in der der Gefangene sich zu diesem Zeitpunkt aufhält. Schrifttum S. bei § 102.
I. II.
Übersicht Allgemeine Hinweise ____ 1 Erläuterungen ____ 2–4 1. Zuständigkeit des Anstaltsleiters ____ 2 2. Entscheidung der Aufsichtsbehörde ____ 3 3. Vollstreckung der Disziplinarmaßnahme in einer anderen Anstalt ____ 4
III.
Landesgesetze und Musterentwurf ____ 5–10 1. Baden-Württemberg ____ 5 2. Bayern ____ 6 3. Hamburg ____ 7 4. Hessen ____ 8 5. Niedersachsen ____ 9 6. Musterentwurf ____ 10
I. Allgemeine Hinweise 1
Die Disziplinarbefugnis ist dem Leiter der Justizvollzugsanstalt zugewiesen. Nach § 156 Abs. 3 darf der Anstaltsleiter diese Befugnis nur mit Zustimmung der Aufsichtsbehörde delegieren. Das geschieht i. d. R. bei großen Anstalten, wo dann die Leiter der Abteilungen (Teilanstalts-Leiter) die Disziplinarbefugnis erhalten. Sachgemäßer wäre es, nur die schweren Eingriffe als echte Disziplinarmaßnahmen beim Anstaltsleiter zu belassen und in die kleineren Einheiten (z. B. Wohngruppen; § 7 Rdn. 10; § 143 Rdn. 4) die Regelung der alltäglichen Konflikte zu verlegen (vgl. auch Kerner ZfStrVo 1977, 74, 82). Die Auffassung, eine so schwere Disziplinarmaßnahme wie Arrest könne nur von einem Laubenthal
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Disziplinarbefugnis
§ 105
Richter verhängt werden (Bemmann NJW 2000, 3116; vgl. auch AK-J. Walter 2012, § 103 Rdn. 14), die Anordnung durch den Anstaltsleiter sei sogar im Hinblick auf Art. 104 Abs. 2 GG verfassungswidrig, überzeugt nicht. Gemessen an der Einzelhaft nach § 89 als Sicherungsmaßnahme stellt der Arrest keine den Vollzug der Freiheitsstrafe entscheidend verändernde Freiheitsentziehung dar (Arloth 2011 Rdn. 1; C/MD 2008 Rdn. 2; K/SSchöch § 8 Rdn. 34; BVerfG NJW 1994, 1339; BayVfGH, vom 9.12.2010 – Vf. 3-VI-09). II. Erläuterungen 1. Zuständigkeit des Anstaltsleiters. Wegen der Bedeutung des weiteren Eingriffs 2 in die Rechtsstellung des Gefangenen soll der Anstaltsleiter die Disziplinarmaßnahmen anordnen. Diese Aufgabe kann er mit Zustimmung der Aufsichtsbehörde gem. § 156 Abs. 3 übertragen. Das geschieht in großen Anstalten regelmäßig, so dass die Inhaber der Disziplinargewalt häufig Teilanstalts- oder Abteilungsleiter sind. Örtlich ist der Anstaltsleiter zuständig, in dessen Anstalt der Gefangene sich während des Verstoßes gegen seine Pflichten gerade befindet (VV Satz 1). Das ist nicht stets sachdienlich. In der Praxis machen Transportgefangene oft disziplinarrechtlich relevante Schwierigkeiten, die einige Tage in einer Anstalt auf den Weitertransport warten. In dieser Anstalt bleibt selten Zeit, die Disziplinarvorgänge aufzuklären, ehe der Gefangene die Einrichtung wieder verlässt. Mitunter werden zudem Gefangene, etwa nach einer Meuterei, sofort aus Sicherheitsgründen in eine andere Anstalt verlegt. Dann müsste durch die Bediensteten der bisherigen Anstalt in der „neuen“ Anstalt der Vorgang ermittelt, der beschuldigte Insasse gehört und vom Leiter der „alten“ Anstalt die Disziplinarmaßnahme in der „neuen“ Anstalt ausgesprochen werden. Auf dem Wege in eine andere Anstalt i. S. d. Abs. 1 Satz 2 bedeutet während des Transports (also etwa im Transportbus), nicht auch in der Einrichtung, in der der Gefangene im Verlaufe eines längeren Transports vorübergehend untergebracht ist. Das folgt aus den VV. Abs. 1 Satz 2 ist auf den Transport an sich zugeschnitten (Arloth 2011 Rdn. 2); nur für die dabei erfolgten Pflichtenverstöße ergibt sich die Disziplinarbefugnis des Leiters der Bestimmungsanstalt. 2. Entscheidung der Aufsichtsbehörde. Wer als Vollzugsbediensteter durch einen 3 Disziplinarverstoß selbst betroffen ist, darf aufgrund seiner Befangenheit nicht selbst entscheiden. Dem trägt Abs. 2 Rechnung. Anstaltsleiter i. S. der Norm bedeutet Inhaber der Disziplinargewalt, also ggf. auch Teilanstalts- oder Abteilungsleiter. Auch wenn sich die Verfehlung des Gefangenen gegen sie richtet, muss die Aufsichtsbehörde (nicht etwa der Leiter der Gesamtanstalt) entscheiden. Es bleibt unzulässig, dass in einem solchen Fall der Inhaber der Disziplinargewalt seinen Vertreter im Amt mit dem Fall betraut. Sogar wenn es sich zufällig ergibt, dass der Inhaber der Disziplinargewalt kurz nach der gegen ihn gerichteten Verfehlung seinen Urlaub antritt und deshalb sein Vertreter die Disziplinargewalt ausübt, darf dieser nicht entscheiden (C/MD 2008 Rdn. 1). Denn angesichts seiner dienstlichen Abhängigkeit von seinem Vorgesetzten muss er als befangen angesehen werden (Arloth 2011 Rdn. 3; KG NStZ 2000, 111 mit krit. Anm. J. Walter 447). Nicht befriedigend ist das von der Aufsichtsbehörde in Fällen von Abs. 2 zu betreibende Verfahren geregelt. Es bleibt offen, ob die Verfahrensvorschriften des § 106 entsprechend angewendet werden müssen. Da der Leiter der Aufsichtsbehörde nicht selbst entscheiden wird, stellt sich die Frage: Wer soll die Entscheidung dem Gefangenen eröffnen (§ 106 Abs. 3)? Beachte § 106 Rdn. 7. Von der in Abs. 2 eröffneten Möglichkeit sollte also möglichst kein Gebrauch gemacht werden. Das ist auch nicht zwingend nötig. Bei schweren Verstößen empfiehlt sich die Einleitung eines Strafverfahrens. Abgesehen von dem Fall des Abs. 2 ist die Aufsichtsbehörde nicht zur Verhängung einer Disziplinar897
Laubenthal
§ 105
Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
maßnahme – etwa im Wege des Selbsteintritts (§ 25 Rdn. 19; § 97 Rdn. 5; Vor § 151 Rdn. 2 f) – befugt (s. hierzu OLG Karlsruhe ZfStrVo SH 1979, 70 f). Das verbietet die für die sachgerechte Durchführung des Vollzugs im Gesetz geregelte Zuständigkeit der sachnahen (unteren) Vollzugsbehörde (s. auch Rdn. 11 zu § 156). Soweit die Aufsichtsbehörde im Wege der Dienstaufsicht tätig wird, hebt sie die Maßnahme des Anstaltsleiters auf oder bestätigt sie, regt etwa eine Milderung an, ersetzt die Maßnahme aber nicht durch eine eigene. 4
3. Vollstreckung der Disziplinarmaßnahme in einer anderen Anstalt. Die Vollstreckung einer anderwärts verhängten Disziplinarmaßnahme findet nur auf Ersuchen des jeweils zur Verhängung der Disziplinarmaßnahme Befugten statt. Es können also nicht Teile der Verhängung (etwa die Eröffnung der Disziplinarmaßnahme nach § 106 Abs. 3) einer anderen Anstalt zur Erledigung übertragen werden. Das Ersuchen wird bei gegen Untersuchungsgefangene verhängten Disziplinarmaßnahmen von dem Leiter der Untersuchungshaftvollzugseinrichtung auszugehen haben, der die Disziplinarmaßnahme auf der Grundlage des jeweiligen Landesuntersuchungshaftvollzugsgesetzes angeordnet hat. Er muss ausdrücklich verlangen, dass diese Disziplinarmaßnahme jetzt in der Strafhaft vollstreckt wird. § 105 Abs. 3 erlaubt eine Übertragung der Disziplinarmaßnahme von einer Haftart in die andere. Allerdings bleibt die Vollstreckung einer – wegen eines in Strafhaft begangenen Verstoßes – noch im Strafvollzug verhängten Disziplinarmaßnahme in einer anschließenden Untersuchungshaft unzulässig (KG NStZ 1982, 46). Wird die Freiheitsstrafe zur Durchführung von Untersuchungshaft unterbrochen und später fortgesetzt, so ist die weitere Vollstreckung einer vor Beginn der Untersuchungshaft verhängten Disziplinarmaßnahme vergleichbar mit dem Fall unzulässig, in dem der Gefangene entlassen wurde und alsbald – etwa durch Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung – zur weiteren Strafverbüßung sich wieder im Freiheitsstrafenvollzug befindet. Die Vollstreckung einer in Untersuchungshaft verhängten Disziplinarmaßnahme auf Ersuchen ist nur zulässig, wenn die Strafhaft unmittelbar der Untersuchungshaft folgt. Der nach Abs. 3 Satz 1 um Vollstreckung ersuchte Anstaltsleiter hat das Recht, die Vollstreckung der Disziplinarmaßnahme zur Bewährung auszusetzen (Satz 2). III. Landesgesetze und Musterentwurf
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1. Baden-Württemberg. Die Vorschrift des § 84 JVollzGB III entspricht im Wesentlichen § 105 StVollzG. § 84 Abs. 1 Satz 3 JVollzGB III lautet: „Die Befugnis, Disziplinarmaßnahmen nach § 82 anzuordnen, kann nur auf Mitglieder der Anstalts- oder Vollzugsabteilungsleitung übertragen werden.“ Die Gesetzesbegründung führt dazu aus: „In Absatz 1 Satz 3 wird die bisher in § 156 Abs. 3 StVollzG enthaltende Ermächtigung der Anstaltsleiterin oder des Anstaltsleiters, die Disziplinarbefugnis zu übertragen, eingearbeitet und auf die Mitglieder der Anstalts- und Vollzugsabteilungsleitung, in der Regel Juristen, begrenzt“ (LTDrucks. 14/5012, 234).
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2. Bayern. Art. 112 Abs. 1 Satz 1 und 2 BayStVollzG sind bis auf die geschlechtsspezifischen Differenzierungen weitgehend wortlautidentisch mit § 105 Abs. 1 Satz 1 und 2 StVollzG. Abs. 1 der Norm wurde allerdings um Satz 3 ergänzt: „Ist im Fall einer Überstellung die Durchführung des Disziplinarverfahrens dort aus besonderen Gründen nicht möglich, liegt die Disziplinarbefugnis bei dem Leiter oder der Leiterin der Stammanstalt.“ In der Gesetzesbegründung heißt es dazu: „Ergänzt wurde die Regelung der Disziplinarbefugnis bei Überstellungen. Nach Absatz 1 Satz 2 ist für die Verhängung von Laubenthal
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Verfahren
§ 106
Disziplinarmaßnahmen gegen überstellte Gefangene grundsätzlich der Leiter oder die Leiterin der Bestimmungsanstalt zuständig. Ist die Durchführung des Disziplinarverfahrens aus besonderem Grund dort nicht möglich (beispielsweise weil der Gefangene bereits rücküberstellt wurde oder dies unmittelbar bevorsteht), liegt die Disziplinarbefugnis beim Leiter oder der Leiterin der Stammanstalt. Im Falle einer Verlegung ist – wie bisher – immer der Leiter oder die Leiterin der Bestimmungsanstalt zuständig. In jedem Fall ist die Anstalt, in der ein Verstoß begangen wurde, verpflichtet, geeignete Maßnahmen zur Aufklärung und Beweissicherung zu treffen“ (LT-Drucks. 15/8101, 70). Abs. 2 der bayerischen Norm ist wortlautgleich mit § 105 Abs. 2 StVollzG. Art. 112 Abs. 3 BayStVollzG entspricht, bis auf die Abfassung im Plural sowie der geänderten Verweisung auf das BayStVollzG, der bundesrechtlichen Regelung. 3. Hamburg. § 88 HmbStVollzG entspricht abgesehen von redaktionellen Anpas- 7 sungen im Wesentlichen § 105 StVollzG. § 88 Abs. 1 Satz 3 normiert zudem: „Ist die Durchführung des Disziplinarverfahrens dort nicht möglich, liegt die Disziplinarbefugnis bei der Leitung der Stammanstalt.“ 4. Hessen. § 56 Abs. 1 HStVollzG entspricht der Regelung des § 105 Abs. 1 und 2 8 StVollzG. § 56 Abs. 3 Satz 4 und 5 HStVollzG entspricht der Vorschrift des § 105 Abs. 3 StVollzG. 5. Niedersachsen. § 97 Abs. 1 bis 3 NJVollzG entsprechen – bis auf die geschlechts- 9 spezifischen Differenzierungen in Abs. 1 und 2 sowie die geänderte Verweisung auf Landesrecht in Abs. 3 Satz 2 – weitgehend § 105 Abs. 1 bis 3 StVollzG. Allerdings weist Abs. 2 Satz 1 die Zuständigkeit dem Fachministerium zu. Dies ergibt sich aus dessen Eigenschaft als Aufsichtsbehörde, § 184 Abs. 1 NJVollzG. 6. Musterentwurf. § 88 ME-StVollzG entspricht, abgesehen von der Verweisung auf 10 Landesrecht in § 88 Abs. 3 Satz 2 ME-StVollzG, überwiegend wörtlich § 105 StVollzG.
§ 106 Verfahren § 106 Laubenthal Verfahren (1) Der Sachverhalt ist zu klären. Der Gefangene wird gehört. Die Erhebungen werden in einer Niederschrift festgelegt; die Einlassung des Gefangenen wird vermerkt. (2) Bei schweren Verstößen soll der Anstaltsleiter sich vor der Entscheidung in einer Konferenz mit Personen besprechen, die bei der Behandlung des Gefangenen mitwirken. Vor der Anordnung einer Disziplinarmaßnahme gegen einen Gefangenen, der sich in ärztlicher Behandlung befindet, oder gegen eine Schwangere oder eine stillende Mutter ist der Anstaltsarzt zu hören. (3) Die Entscheidung wird dem Gefangenen vom Anstaltsleiter mündlich eröffnet und mit einer kurzen Begründung schriftlich abgefasst.
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§ 106
Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
VV 1 (1) Der Gefangene wird darüber unterrichtet, welche Verfehlung ihm zur Last gelegt wird. (2) Es sind sowohl die belastenden als auch die entlastenden Umstände zu ermitteln. Die Ermittlungen erstrecken sich erforderlichenfalls auch auf die Frage der Verantwortlichkeit des Gefangenen; insoweit ist der Anstaltsarzt zu hören. (3) Vor der Entscheidung über eine Disziplinarmaßnahme erhält der Gefangene Gelegenheit, sich zu dem Ergebnis der Ermittlungen zu äußern. 2 Mehrere Verfehlungen eines Gefangenen, die gleichzeitig zu beurteilen sind, werden durch eine Entscheidung geahndet. 3 Der Anstaltsleiter kann mit der Durchführung der Ermittlungen und der Anhörung des Gefangenen einen anderen Bediensteten beauftragen, jedoch nicht den, gegen den sich die Verfehlung richtet. Schrifttum S. bei § 102.
I. II.
Übersicht Allgemeine Hinweise ____ 1 Erläuterungen ____ 2–8 1. Aufklärung des Sachverhalts ____ 2 2. Ermittlung durch besondere Bedienstete ____ 3 3. Ablauf des Verfahrens ____ 4 4. Konferenzbesprechung bei schweren Verstößen ____ 5 5. Anhörung des Arztes ____ 6
III.
6. Eröffnung der Entscheidung ____ 7 7. Keine vorläufigen Maßnahmen ____ 8 Landesgesetze und Musterentwurf ____ 9–14 1. Baden-Württemberg ____ 9 2. Bayern ____ 10 3. Hamburg ____ 11 4. Hessen ____ 12 5. Niedersachsen ____ 13 6. Musterentwurf ____ 14
I. Allgemeine Hinweise 1
§ 106 und die VV regeln das bei der Ermittlung von Verstößen, der Entscheidungsfindung und der Entscheidung selbst zu beachtende Verfahren. Es ist sichergestellt, dass der Gefangene das rechtliche Gehör erhält. Der strafähnliche Charakter der Disziplinarmaßnahmen erfordert – ungeachtet der Notwendigkeit einer zeitnahen Ahndung des Pflichtenverstoßes zur Erzielung eines Lernerfolges – die sorgfältige Beachtung der Verfahrensvorschriften. II. Erläuterungen
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1. Aufklärung des Sachverhalts. Der Sachverhalt ist zu klären (Abs. 1 Satz 1). Das ist zwar selbstverständlich, macht aber noch einmal deutlich, dass Unbewiesenes, VerLaubenthal
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Verfahren
§ 106
mutungen und Verdacht nicht Grundlagen einer Disziplinarmaßnahme sein dürfen (§ 102 Rdn. 16). Auch die Hintergründe des Vorfalls sind zu ermitteln, einschließlich der den beschuldigten Gefangenen entlastenden Umstände und ggf. seine Verantwortlichkeit (VV Nr. 1 Abs. 2). Zur Problematik der Sachverhaltsklärung bei Verlegung § 105 Rdn. 2. Ob ein Vorfall zu einem disziplinarischen Verfahren führt, entscheidet der Anstaltsleiter. Der Vorfall sollte deshalb nicht schon auf einer Art Disziplinarblatt (gelber Zettel), sondern „neutral“ aufgeschrieben werden (J. Walter 1988, 195). 2. Ermittlung durch besondere Bedienstete. Im Regelfall ermittelt der Anstaltslei- 3 ter nicht selbst. Anderenfalls erschiene er dem Gefangenen leicht als voreingenommen. Meistens gehören die Ermittlungen von Disziplinarverstößen zum festen Tätigkeitsbereich bestimmter Bediensteter. Sie dürfen im Einzelfall nicht selbst durch den Verstoß betroffen sein (VV Nr. 3). 3. Ablauf des Verfahrens. Dem Gefangenen wird der Vorwurf bekannt gemacht 4 (VV Nr. 1 Abs. 1). Hierbei muss er darauf hingewiesen werden, dass es ihm freisteht, ob er sich zu dem Vorwurf äußern will (Heghmanns 1998, 234; BGH StV 1997, 337 = NStZ 1997, 614 mit zust. Anm. Müller-Dietz für den Fall, dass der Vorwurf zugleich ein mit Strafe bedrohtes Verhalten betrifft; in Bayern, Hamburg, Hessen und Niedersachsen ist dies ausdrücklich gesetzlich normiert, s. Rdn. 11, 12, 13). Diese Belehrung sollte aktenkundig gemacht werden. Wegen des strafähnlichen Charakters der Disziplinarmaßnahmen darf dem Gefangenen, der dies ausdrücklich wünscht, der Beistand seines Verteidigers nicht versagt werden (OLG Karlsruhe NStZ-RR 2002, 29 f; AK-Walter 2012 Rdn. 8; Arloth 2011 Rdn. 2; Laubenthal 2011 Rdn. 736; weitergehend – der Gefangene ist auf diese Möglichkeit ausdrücklich hinzuweisen – Heghmanns 1998, 234). Im vollzuglichen Disziplinarverfahren besteht jedoch ein besonderes Interesse an einer raschen Durchführung, damit sich – im Hinblick auf eine verhaltensbeeinflussende Wirkung der Sanktion im Erleben des Betroffenen – nicht der Zusammenhang von Pflichtenverstoß und Reaktion verliert. Angesichts dieses Bedürfnisses nach einem zügigen Verfahrensablauf reicht es regelmäßig aus, wenn der Inhaftierte auf sein Verlangen hin den Verteidiger vor der gem. § 106 Abs. 1 Satz 2 StVollzG durchzuführenden Anhörung im Rahmen eines kurzfristig anzuberaumenden Besuchs oder jedenfalls telefonisch konsultieren kann (OLG Karlsruhe NStZRR 2002, 29; OLG Bamberg StrVert 2010, 647; OLG Nürnberg StV 2012, 169 m. Anm. Krä FS 2011, 384 f). Der Gefangene wird zu dem Vorwurf vernommen und seine Einlassung schriftlich niedergelegt (Abs. 1 Satz 3). Nach Abschluss der Ermittlungen erhält der Gefangene Gelegenheit, sich zu dem Ergebnis zu äußern. Das geschieht zweckmäßigerweise im Beisein des Inhabers der Disziplinarbefugnis, der vor seiner Entscheidung einen persönlichen Eindruck gewinnen sollte (AK-Walter 2012 Rdn. 9). Er hat eine Art letztes Wort (VV Nr. 1 Abs. 3). 4. Konferenzbesprechung bei schweren Verstößen. Bei schweren Verstößen soll 5 sich der Anstaltsleiter mit Bediensteten, die bei der Behandlung des Gefangenen mitwirken, in einer Konferenz besprechen. Die Einholung schriftlicher Stellungnahmen im Umlauf oder fernmündlicher Auskünfte wird der Vorgabe „in einer Konferenz … besprechen“ gem. Abs. 2 Satz 1 nicht gerecht. Dem Anstaltsleiter steht es frei, andere als schwere Verstöße im Konferenzverfahren zu behandeln. Er darf aber auch bei schweren Verstößen ausnahmsweise, z. B., wenn Eile geboten ist, entscheiden, ohne sich beraten zu lassen. Die Entscheidung über die Disziplinarfolge fällt der Anstaltsleiter in eigener Verantwortung. Deshalb ist es nicht erforderlich, dem Gefangenen mitzuteilen, welche Bediensteten an einer solchen Konferenz mitgewirkt haben (OLG Hamm BlStV 1/1994, 6). 901
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Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
Die Konferenzmitglieder besitzen nur beratende Funktion. Die Konferenzmitglieder sind Bedienstete, die an der Behandlung des Gefangenen mitwirken, also der zuständige Sozialarbeiter, ein in der Abteilung oder Wohngruppe, in der sich der Gefangene befindet, tätiger Beamter des allgemeinen Vollzugsdienstes, ggf. der zuständige Werkbeamte. 6
5. Anhörung des Arztes. Die Anhörung des Arztes in den Fällen des Abs. 2 Satz 2 vor Anordnung der Disziplinarmaßnahmen soll den Kenntnisstand des Anstaltsleiters über den Gesundheitszustand des Gefangenen erweitern sowie vor allem verhindern, dass eine Disziplinarmaßnahme verhängt wird, die aus ärztlichen Gründen nicht vollstreckt werden dürfte. Es handelt sich nicht um eine bloße Ordnungsvorschrift. Die Verletzung von Abs. 2 Satz 2 – die Norm dient dem Schutz der Gesundheit des Inhaftierten – führt zur Aufhebung der angeordneten Disziplinarmaßnahme (C/MD 2008 Rdn. 5; Laubenthal 2011 Rdn. 738; OLG Hamburg ZfStrVo 2004, 305; OLG Karslruhe NStZ-RR 2006, 190; a. A. Arloth 2011 Rdn. 3). Zu den Besonderheiten beim Arrest § 107.
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6. Eröffnung der Entscheidung. Der Anstaltsleiter eröffnet dem Gefangenen die Entscheidung mündlich (Abs. 3). Dem Sinn der Vorschrift entspricht es, dass der im konkreten Fall gem. § 105 mit der Disziplinarbefugnis ausgestattete Anstaltsleiter die Entscheidung eröffnet. Leistet der Gefangene der Aufforderung, sich zum Anstaltsleiter zu begeben bzw. sich zu diesem vorführen zu lassen, keine Folge, begeht er jedoch keine schuldhafte Pflichtverletzung, die wiederum disziplinarisch geahndet werden könnte (OLG Frankfurt AK-Walter 2012, Rdn. 4; C/MD 2008 Rdn. 2; Laubenthal 2011 Rdn. 740; NStZ-RR 1997, 152; NStZ-RR 2004, 157; a. A. Arloth 2011 Rdn. 4). Die zwangsweise Vorführung des Gefangenen (nach OLG Hamm ZfStrVo 1993, 312; OLG Nürnberg FS 2009, 153 zulässig) wird i. d. R. nicht verhältnismäßig sein. Der Anstaltsleiter kann schriftlich entscheiden und die Begründung dann durch einen nachgeordneten Vollzugsbeamten eröffnen lassen, wenn der Betroffene die Eröffnung durch den Disziplinarbefugten verweigert und eine Anwendung unmittelbaren Zwangs zur Durchsetzung nicht angezeigt erscheint (Arloth 2011 Rdn. 4; C/MD 2008 Rdn. 4). Entscheidet die Aufsichtsbehörde im Fall des § 105 Abs. 2, dann muss der dort zur Entscheidung befugte Sachbearbeiter selbst den Gefangenen zum Ermittlungsergebnis anhören, die Entscheidung fällen und sie dem Gefangenen mündlich eröffnen. Für eine Disziplinarentscheidung sieht das StVollzG keine förmliche Rechtsbehelfsbelehrung vor. Es empfiehlt sich aber, im Anschluss an die Eröffnung dem Gefangenen eine Rechtsmittelbelehrung zu erteilen oder doch auf die dem Gefangenen zur Verfügung stehenden entsprechenden Vorschriften hinzuweisen. Das ist auch im Hinblick auf die umgehende Vollstreckung (§ 104 Abs. 1) erforderlich, denn der Gefangene muss wissen, dass er den Antrag nach § 114 Abs. 2 umgehend stellen muss, wenn er die Vollstreckung vermeiden will (vgl. auch AK-Walter 2012 Rdn. 13; § 104 Rdn. 2). Die Entscheidung wird schriftlich festgehalten und mit einer kurzen Begründung zu den Akten genommen (Abs. 3). Die Begründung muss – ohne Bezugnahme auf Vernehmungsniederschriften – aus sich heraus verständlich sein und einer rechtlichen Subsumtion zugängliche Feststellungen enthalten (OLG Hamm LG Hamburg ZfStrVo SH 1979, 85; NStZ 1982, 323 F; NStZ 1986, 382). Die Feststellung, der Gefangene habe „keine messbare Arbeitsleistung erbracht“, genügt z. B. nicht (LG Hamburg NStZ 1981, 249 F). Die Frist nach § 112 Abs. 1 wird nur durch Aushändigung des schriftlichen Bescheides in Lauf gesetzt (§ 112 Rdn. 2). Der Gefangene hat einen Anspruch auf Aushändigung des Bescheides. Die Verhängung der Disziplinarmaßnahme ist aber mit der mündlichen Eröffnung bereits gültig erfolgt (OLG Koblenz, Beschl. vom 2.9.1980 – 2 Vollz (Ws) 32/80).
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Verfahren
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7. Keine vorläufigen Maßnahmen. Während der disziplinarischen Ermittlungen 8 gibt es keine vorläufigen Maßnahmen (etwa eine der Untersuchungshaft entsprechende Absonderung). So ist die Ablösung eines Gefangenen von der Arbeit aufgrund des Verdachts eines Pflichtenverstoßes als Maßnahme im Rahmen des Disziplinarverfahrens unzulässig (OLG Frankfurt ZfStrVo 1979, 58). Allerdings können Sicherungsmaßnahmen angeordnet werden, soweit deren Voraussetzungen vorliegen. III. Landesgesetze und Musterentwurf 1. Baden-Württemberg. § 85 Abs. 1 und 2 JVollzGB III entsprechen, abgesehen von 9 der geschlechtsspezifischen Differenzierung, im Wesentlichen § 106 Abs. 1 und 2 StVollzG. § 85 Abs. 3 JVollzGB III lautet klarstellend: „Die Entscheidung wird der oder dem Gefangenen von der Anstaltsleiterin oder dem Anstaltsleiter oder im Falle einer Übertragung der Disziplinarbefugnis nach § 84 Abs. 1 Satz 3 von der beauftragten Person mündlich eröffnet und mit einer kurzen Begründung schriftlich abgefasst.“ 2. Bayern. Art. 113 Abs. 1 Satz 1 BayStVollzG entspricht weitgehend § 106 Abs. 1 10 StVollzG. Allerdings lautet Satz 2 der bayerischen Regelung: „Vor der Anhörung werden die Gefangenen darüber unterrichtet, welche Verfehlung ihnen zur Last gelegt wird und dass es ihnen freisteht, sich zur Sache zu äußern.“ In der Gesetzesbegründung heißt es dazu: „Neu ist die gesetzliche Klarstellung in Satz 2, dass die Gefangenen im Rahmen der Anhörung darüber zu unterrichten sind, welche Verfehlung ihnen zur Last gelegt wird und dass es ihnen freisteht, sich zur Sache zu äußern. Eine solche Belehrung war de lege lata nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs jedenfalls dann erforderlich, wenn der Vorwurf ein strafrechtlich relevantes Verhalten betraf (BGH NStZ 1997, S. 614). Da es sich dabei um ein elementares Recht des Beschuldigten handelt, muss dies im strafähnlich ausgestalteten Disziplinarverfahren ebenfalls gelten“ (LT-Drucks. 15/8101, 70). Abs. 1 Satz 3 der bayerischen Bestimmung lautet: „Die Erhebungen, insbesondere die Einlassungen der Gefangenen, werden schriftlich festgehalten.“ Eine inhaltliche Änderung der bundesrechtlichen Regelung ging mit der Neuformulierung nicht einher. Abs. 2 entspricht § 106 Abs. 2 Satz 1 StVollzG. Abs. 2 Satz 2 StVollzG wurde indes nicht übernommen. Die Gesetzesbegründung führt dazu aus: „Nicht übernommen wurde die bloße Ordnungsvorschrift des § 106 Abs. 2 S. 2 StVollzG, wonach vor der Anhörung einer Disziplinarmaßnahme gegen Gefangene, die sich in ärztlicher Behandlung befinden, oder gegen Schwangere oder stillende Mütter der Anstaltsarzt oder die Anstaltsärztin zu hören ist, da es sich dabei häufig um einen bloßen Formalismus handelt. Vor Vollziehung des Arrestes ist der Arzt oder die Ärztin nach Art. 114 Abs. 1 Satz 1 zu hören. Erscheint eine ärztliche Anhörung schon vor der Anordnung einer Disziplinarmaßnahme sinnvoll, z. B. bei schwerwiegenden Erkrankungen, erfolgt sie im Rahmen der Sachverhaltsaufklärung“ (LT-Drucks. 15/8101, 70). Abs. 3 der Norm ist wortlautidentisch mit § 106 Abs. 3 StVollzG. 3. Hamburg. § 89 Abs. 1 HmbStVollzG lautet: „Der Sachverhalt ist umfassend zu 11 klären. Die Gefangenen werden vor ihrer Anhörung über den Inhalt der ihnen zur Last gelegten Pflichtwidrigkeit und über ihr Recht, sich nicht zur Sache zu äußern, belehrt. Die Erhebungen, insbesondere die Ergebnisse der Anhörungen der Gefangenen und anderer Befragter, werden schriftlich festgehalten.“ Die Vorschrift erfasst somit den Regelungsgehalt des § 106 Abs. 1 StVollzG und greift zudem VV Nr. 1 Abs. 1 zu § 106 StVollzG auf. 903
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§ 106
Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
§ 89 Abs. 2 HmbStVollzG entspricht § 106 Abs. 2 Satz 1 StVollzG. § 89 Abs. 3 HmbStVollzG entspricht § 106 Abs. 3 StVollzG. 12
4. Hessen. § 56 Abs. 2 Satz 1 HStVollzG regelt: „Im Rahmen der Sachverhaltsaufklärung sind sowohl die belastenden als auch die entlastenden Umstände zu ermitteln.“ Dies entspricht § 106 Abs. 1 Satz 1 StVollzG und teilweise VV Nr. 1 Abs. 2 Satz 1 zu § 106 StVollzG. § 56 Abs. 2 Satz 2 ist, bis auf die Formulierung im Plural, identisch mit § 106 Abs. 1 Satz 2 StVollzG. § 56 Abs. 2 Satz 3 HStVollzG enthält über die Bundesvorschrift hinaus ein Belehrungsgebot: „Sie sind darauf hinzuweisen, dass es ihnen freisteht, sich zu äußern.“ § 56 Abs. 2 Satz 4 HStVollzG korrespondiert mit § 106 Abs. 1 Satz 3 StVollzG. § 56 Abs. 2 Satz 5 HStVollzG entspricht sinngemäß § 106 Abs. 2 Satz 1 StVollzG, wobei auf die in § 75 Abs. 3 HStVollzG geregelte Konferenz verwiesen wird. § 56 Abs. 2 Satz 6 HStVollzG verweist auf die entsprechende Anwendung des § 51 Abs. 2 Satz 1 und 2 HStVollzG, wonach vor der Anordnung eine ärztliche oder psychologische Stellungnahme (ggf. nachträglich) einzuholen ist. § 56 Abs. 2 Satz 7 entspricht § 106 Abs. 3 StVollzG.
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5. Niedersachsen. § 98 Abs. 1 Satz 1 NJVollzG enthält den gleichen Wortlaut wie § 106 Abs. 1 Satz 1 StVollzG. In Abs. 1 Satz 2 ist lediglich das Wort „gehört“ durch „angehört“ ersetzt, sowie eine geschlechtsspezifische Differenzierung getroffen. Neu eingefügt sind Abs. 1 Satz 3 und 4: „Vor der Anhörung wird ihm oder ihr eröffnet, welche Verfehlung ihm oder ihr zur Last gelegt wird. Gleichzeitig ist darauf hinzuweisen, dass es ihr oder ihm freisteht, sich zur Sache zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen.“ In der Gesetzesbegründung heißt es diesbezüglich: „Hinzugefügt ist in Absatz 1 Satz 1 die gesetzliche Klarstellung, dass den Gefangenen vor der Anhörung zu eröffnen ist, welche Verfehlung ihnen zur Last gelegt wird, und dass sie über ihre Aussagefreiheit zu belehren sind. Der BGH hält eine solche Belehrung jedenfalls dann erforderlich, wenn der disziplinarrechtliche Vorwurf auch ein mit Strafe bedrohtes Verhalten betrifft … Da es sich bei den Disziplinarmaßnahmen um strafähnliche Sanktionen handelt …, muss das im Strafverfahren geltende Belehrungsgebot auch in Disziplinarverfahren gegen Gefangene Anwendung finden“ (LT-Drucks. 15/3565, 153). Abs. 1 Satz 3 der landesrechtlichen Norm lautet: „Die Einlassung der oder des Gefangenen und Beweiserhebungen werden schriftlich festgehalten.“ Eine inhaltliche Modifizierung ging mit der Änderung des Wortlauts gegenüber dem StVollzG jedoch nicht einher. Abs. 2 ist, abgesehen von der geschlechtsspezifischen Differenzierung in Satz 2, wortlautidentisch mit § 106 Abs. 2 StVollzG. Abs. 3 Satz 1 entspricht, bis auf die geschlechtsspezifische Differenzierung, seinem Wortlaut nach § 106 Abs. 3 StVollzG. Keine Entsprechung im Bundesgesetz findet § 98 Abs. 3 Satz 2 NJVollzG. Die Bestimmung lautet: „Die schriftliche Begründung wird der oder dem Gefangenen auf Verlangen ausgehändigt.“
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6. Musterentwurf. Die Regelungen des § 106 Abs. 1 StVollzG finden sich in § 89 Abs. 1 Satz 1, 3 und 6 ME-StVollzG wieder. § 89 Abs. 1 Satz 2 ME-StVollzG lautet: „Hierbei sind sowohl belastende als auch entlastende Umstände zu ermitteln.“ Dies entspricht VV Nr. 1 Abs. 2 Satz 1 zu § 106 StVollzG. § 89 Abs. 1 Satz 4 ME-StVollzG bestimmt: „Sie werden darüber unterrichtet, welche Verfehlungen ihnen zur Last gelegt werden.“ Damit wird die VV Nr. 1 Abs. 1 Satz 1 zu § 106 StVollzG übernommen. Laubenthal
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§ 89 Abs. 1 Satz 5 ME-StVollzG regelt: „Sie sind darauf hinzuweisen, dass es ihnen freisteht sich zu äußern.“ Die ME-Begründung führt dazu aus: „Die Belehrung über das Recht der Aussageverweigerung ist aus rechtsstaatlichen Gründen erforderlich, in Fällen, bei denen der Tatvorwurf strafbares Verhalten beinhaltet, gerade auch mit Blick auf das nachfolgende Strafverfahren“ (ME-Begründung, 153). § 89 Abs. 2 und 3 ME-StVollzG lauten: „(2) In geeigneten Fällen können zur Abwendung von Disziplinarmaßnahmen im Wege einvernehmlicher Streitbeilegung Vereinbarungen getroffen werden. Insbesondere kommen die Wiedergutmachung des Schadens, die Entschuldigung bei Geschädigten, die Erbringung von Leistungen für die Gemeinschaft und der vorübergehende Verbleib auf dem Haftraum in Betracht. Erfüllen die Gefangenen die Vereinbarung, ist die Anordnung einer Disziplinarmaßnahme aufgrund dieser Verfehlung unzulässig. (3) Mehrere Verfehlungen, die gleichzeitig zu beurteilen sind, werden durch eine Entscheidung geahndet.“ Die ME-Begründung führt dazu aus: „Absatz 2 trägt einem zeitgemäßen Verständnis von Konfliktlösung Rechnung, wonach mit den Gefangenen in geeigneten Fällen Gespräche mit dem Ziel des Abschlusses einer Vereinbarung geführt werden können. … Erfüllen sie ihren Teil der Vereinbarung, so darf eine Disziplinarmaßnahme aufgrund einer der Vereinbarung zugrundeliegenden Verfehlung nicht mehr angeordnet werden. Damit trägt die Regelung Nr. 56.2 der Europäischen Strafvollzugsgrundsätze Rechnung. Durch die aktive Mitwirkung der Gefangenen an der Aufarbeitung ihres Verhaltens und der ausgleichenden Lösung von Konflikten lassen sich vielfältige positive Auswirkungen erzielen. Auch kann das geordnete Zusammenleben in der Anstalt hierdurch leichter wieder hergestellt werden. Die Gefangenen lernen zudem Strategien zur Lösung und Vermeidung von (Alltags-)Konflikten, die in ähnlicher Form auch nach ihrer Entlassung gewöhnlich auftreten. Dieses Verfahren greift den Gedanken des § 73 Abs. 1 Satz 3 auf. Die Möglichkeit nach Absatz 3 mehrere gleichzeitig zu beurteilende Verfehlungen durch eine Entscheidung zu ahnden, entspricht verfahrensökonomischen Grundsätzen“ (ME-Begründung, 153). § 89 Abs. 4 ME-StVollzG entspricht sinngemäß § 106 Abs. 2 StVollzG. § 89 Abs. 5 Satz 1 ME-StVollzG lautet: „Vor der Entscheidung über eine Disziplinarmaßnahme erhalten die Gefangenen Gelegenheit, sich zu dem Ergebnis der Ermittlungen zu äußern.“ Dies entspricht VV Nr. 1 Abs. 3 zu § 106 StVollzG. § 89 Abs. 5 Satz 2 ME-StVollzG korrespondiert mit der Regelung des § 106 Abs. 3 StVollzG.
§ 107 Mitwirkung des Arztes § 107 Laubenthal Mitwirkung des Arztes (1) Bevor der Arrest vollzogen wird, ist der Arzt zu hören. Während des Arrestes steht der Gefangene unter ärztlicher Aufsicht. (2) Der Vollzug des Arrestes unterbleibt oder wird unterbrochen, wenn die Gesundheit des Gefangenen gefährdet würde. VV Das Ergebnis der ärztlichen Beurteilungen ist aktenkundig zu machen. Schrifttum S. bei § 102.
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§ 107
I. II. III.
Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
Übersicht Allgemeine Hinweise ____ 1 Erläuterungen ____ 2 Landesgesetze und Musterentwurf ____ 3–8 1. Baden-Württemberg ____ 3
2. 3. 4. 5. 6.
Bayern ____ 4 Hamburg ____ 5 Hessen ____ 6 Niedersachsen ____ 7 Musterentwurf ____ 8
I. Allgemeine Hinweise 1
Die Bestimmung geht von einer potenziellen Gesundheitsgefährdung durch Vollzug von Arrest aus. Die Norm regelt in Ergänzung zu § 104 Abs. 5 den Arrestvollzug. II. Erläuterungen
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Da der Arrest in den meisten Fällen die körperliche Gesundheit des Gefangenen kaum berührt, hat die ärztliche Anhörung und Aufsicht vor allem auch den Zweck, die seelischen Folgen einer mit Untätigkeit und Fehlen jeder Ablenkung verbundenen Isolierung zu bedenken und im Blick zu behalten. Der betroffene Inhaftierte ist vor der Arrestvollstreckung vom Anstaltsarzt auf seine Arresttauglichkeit hin zu untersuchen. Gem. Abs. 1 obliegt diesem während des Arrestvollzugs die Pflicht zur ärztlichen Überwachung (ggf. durch täglichen Besuch). Hat die Arresttauglichkeitsuntersuchung das Ergebnis, dass eine Gesundheitsgefahr vorliegt, muss der Arrestvollzug nach Abs. 2 unterbleiben. Gleiches gilt nach dieser Bestimmung, wenn die laufende ärztliche Aufsicht eine solche Gefahr feststellt. Dann wird der Arrestvollzug unterbrochen. Eine entsprechende Anwendung der aus § 107 Abs. 1 folgenden Verpflichtung auf eine Disziplinarmaßnahme nach § 103 Abs. 1 Nr. 5 (Ausschluss von gemeinsamer Freizeit) ist nicht angezeigt (LG Hamburg ZfStrVo SH 1979, 84; a. A. AK-J. Walter 2012 Rdn. 2). III. Landesgesetze und Musterentwurf
3
1. Baden-Württemberg. § 86 JVollzGB III entspricht, bis auf die geschlechtsspezifische Differenzierung, § 107 StVollzG.
4
2. Bayern. Art. 114 BayStVollzG ist, bis auf die geschlechtsspezifische Differenzierung in Abs. 1 Satz 1, die Bezeichnung des Arztes als Anstaltsarzt sowie die Abfassung des Abs. 2 im Plural, wortlautidentisch mit der bundesrechtlichen Regelung.
5
3. Hamburg. § 90 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 HmbStVollzG entsprechen § 107 StVollzG.
6
4. Hessen. § 56 Abs. 4 Satz 4 bis 6 HStVollzG entsprechen § 107 StVollzG.
7
5. Niedersachsen. § 99 NJVollzG entspricht – bis auf die geschlechtsspezifische Differenzierung in Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 sowie die Bezeichnung des Arztes als Anstaltsarzt – dem Wortlaut von § 107 StVollzG.
8
6. Musterentwurf. § 89 Abs. 6 ME-StVollzG entspricht der Regelung des § 107 StVollzG.
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Vorbemerkungen
Vor § 108
VIERZEHNTER TITEL Rechtsbehelfe Vor § 108 Laubenthal Vorbemerkungen
Vorbemerkungen Schrifttum Althammer/Schäuble Effektiver Rechtsschutz bei überlanger Verfahrensdauer, in: NJW 2012, 1 ff; Baier Grundzüge des gerichtlichen Verfahrens in Strafvollzugssachen, in: JA 2001, 582 ff; Beaucamp Ermessensund Beurteilungsfehler im Vergleich, in: JA 2012, 193 ff; Beschorner Die Außenwirkung innerdienstlicher Maßnahmen im Sozialrecht, in: NVwZ 1986, 361 ff; Böhm, R. Rechte (Rechtsbehelfe) und Pflichten, in: Schwind/Blau 1. Aufl. 1976, 265 ff; Büttner/Wrobel-Sachs/Gottschalk/Dürbeck Prozess- und Verfahrenskostenhilfe, Beratungshilfe, 6. Aufl., München 2012; Diemer/Schatz/Sonnen Jugendgerichtsgesetz, 6. Aufl., Heidelberg 2011; Diepenbruck Rechtsmittel im Strafvollzug, in: ZfStrVo 1982, 131 ff; Dörr Rechtsschutz gegen vollzogene Durchsuchungen und Beschlagnahme im Strafermittlungsverfahren, in: NJW 1984, 2258 ff; Doller Zwölf Jahre Strafvollstreckungskammer, in: DRiZ 1987, 264 ff; Dopslaff Abschied von den Entscheidungsfreiräumen bei Ermessen und unbestimmten Rechtsbegriffen mit Beurteilungsspielraum im Strafvollzugsgesetz, in: ZStW 100 (1988), 567 ff; Ebnet Rechtsprobleme der Verwendung von Telefax, in: NJW 1992, 2985 ff; Feest Rechtsberatung für Gefangene, in: Strafvollzug in den 90er Jahren, FG Rotthaus, Pfaffenweiler 1995, 151 ff; Flügge Wer kontrolliert den Strafvollzug? in: FS 2012, 150 ff; Franke Vollzugspraxis und Rechtsprechung in Strafvollzugssachen, in: ZfStrVo 1978, 187 ff; Frehsee Neuere Tendenzen in der aktuellen Kommentar- und Lehrbuchliteratur zum Strafvollzug, in: NStZ 1993, 165 ff; Frellesen Konkretisierung des Strafvollzugsgesetzes durch sachfremde Verwaltungsvorschriften, in: NJW 1977, 2050 ff; Frielinghaus Die Verfassungsbeschwerde, in: Schwind/Blau 1. Aufl. 1976, 271 ff; Ganter Die Menschenrechtsbeschwerde in Strafvollzugssachen, in: Schwind/Blau 1. Aufl. 1976, 279 ff; Gräfenstein Menschenrechtsschutz und Strafvollzug in: ZfStrVo 2003, 10 ff; Grunewald/Römermann Rechtsdienstleistungsgesetz, Köln 2008; Haas Anfechtbarkeit einstweiliger Anordnungen im Strafvollstreckungsrecht, in: NStZ 1986, 161 ff; Helmken Vornahmeantrag oder Feststellungsantrag?, in: ZfStrVo 1984, 270 ff; Hennek Form und Fristfragen beim Telefax, in: NJW 1998, 2194 ff; Hötter Verteidiger – Funktion im Sinne des Strafvollzugsgesetzes, in: ZfStrVo 2001, 26 ff; Homann Zur Richterablehnung in Strafvollzugssachen, in: ZfStrVo 1989, 81 ff; Honecker Zur aufschiebenden Wirkung der Rechtsbeschwerde der Vollzugsbehörde gegen einen den Strafgefangenen begünstigenden Verpflichtungsbeschluss, in: ZfStrVo 2005, 101 ff; Justen Unbestimmte Rechtsbegriffe mit „Beurteilungsspielraum“ im Strafvollzugsgesetz, Mainz 1995; Kamann Die Rückkehr des humanen Strafvollzugs? Gedanken zur neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auf diesem Gebiet, in: StV 1994, 459 ff; Kösling Die Bedeutung verwaltungsprozessualer Normen und Grundsätze für das gerichtliche Verfahren nach dem Strafvollzugsgesetz, Pfaffenweiler 1991; Konzak Analogie im Verwaltungsrecht, in: NVwZ 1997, 82 ff; Kopp/Ramsauer Verwaltungsverfahrensgesetz, 12. Aufl., München 2011; Kopp/ Schenke Verwaltungsgerichtsordnung, 18. Aufl., München 2012; Kramer Rechtlos in Bayern, in: StV 2004, 288–290; Kröpil Mißbräuchliche Inanspruchnahme der Verwaltungsgerichtsbarkeit, in: DVBl. 2000, 686 ff; Laubenthal Schutz der Gefangenenrechte auf europäischer Ebene, in: FS 600 Jahre Würzburger Juristenfakultät, Berlin 2002, 169 ff; ders. 30 Jahre Vollzugszuständigkeit der Strafvollstreckungskammern, in: FS Böttcher, Berlin 2007, 325 ff; Laubenthal/Nestler, Strafvollstreckung, Heidelberg 2010; Lechner/Zuck Bundesverfassungsgerichtsgesetz, 6. Aufl., München 2010; Link/van Dorp Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren, München 2012; Lübbe-Wolff/Frotz Neuere Rechtsprechung des BVerfG zum Straf-, Untersuchungshaft- und Maßregelvollzug, in: NStZ 2009, 616 ff, 677 ff; Lübbe-Wolff/Lindemann Neuere Rechtsprechung des BVerfG zum Straf- und Untersuchungshaftrecht, in: NStZ 2007, 450 ff; Meyer Kommentar zum Gerichtskostengesetz (GKG) und zum Gesetz über Gerichtskosten in Familiensachen (FamGKG), 13. Aufl., Berlin 2012; Meyer-Ladewig Ständiger Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg, in: NJW 1998, 512 ff; Müller Begründung als Zulässigkeitsvoraussetzung des Antrags auf gerichtliche Entscheidung gem. § 109 StVollzG, in: ZfStrVo 1993, 211 ff; Müller Die Rechtsprechung des BGH zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, in: NJW 1998, 497 ff; Müller-Dietz Die Rechtsprechung der Strafvollstreckungskammern zur Rechtsgültigkeit der VVStVollzG, in: NStZ 1981, 409 ff; ders. Die Strafvollstreckungskammer als besonderes Verwaltungsgericht, in: 150 Jahre Landgericht Saarbrücken, Köln 1985, 335 ff; ders. Grundfragen des heutigen Strafvollzugs, in: NStZ 1990, 305; Neubacher Der internationale Schutz von Menschenrechten Inhaftierter durch die Vereinten Nationen und den Europarat, in: ZfStrVo 1999, 210 ff;
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Vor § 108
Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
ders. Eine bislang kaum beachtete Perspektive: Die Auslegung des Strafvollzugsgesetzes im Lichte der Mindestgrundsätze der Vereinten Nationen für die Behandlung von Gefangenen, in: ZfStrVo 2001, 212 ff; Piltz Petitionen in Strafvollzugssachen, in: Schwind/Blau 1. Aufl. 1976, 283 ff; Pohlreich Die Rechtsprechung des EGMR zum Vollzug von Straf- und Untersuchungshaft, in: NStZ 2011, 560 ff; Rotthaus Die Rechtsberatung der Gefangenen im Justizvollzug, in: NStZ 1990, 164 ff; ders. Ein Ombudsmann für das deutsche Gefängniswesen, in: BewHi 2008, 373 ff; Rühl Der Umfang der Begründungspflicht von Petitionsbescheiden, in: DVBl. 1993, 14 ff; Rüping Verfassungs- und Verfahrensrecht im Grundsatz des rechtlichen Gehörs, in: NVwZ 1985, 304 ff; Schenke Rechtsschutz bei überlanger Dauer verwaltungsgerichtlicher Verfahren, in: NVwZ 2012, 257 ff; Schneider Tempus fugit. Trendwende in der Rechtsprechung zu den unbestimmten Rechtsbegriffen?, in: ZfStrVo 1999, 140 ff; Schoreit/Groß Beratungshilfe, Prozesskostenhilfe, Verfahrenskostenhilfe, 10. Aufl, Heidelberg 2010; Schuler Rechte (Rechtsbehelfe) und Pflichten, in: Schwind/Blau 1988, 255 ff; Schrader Wiedereinsetzung und Rechtsmittelbelehrung, in: NStZ 1987, 447 ff; Seebode Einsicht in Personalakten Strafgefangener, in: NJW 1997, 1754 ff; Sieckmann Beurteilungsspielräume und richterliche Kontrollkompetenzen, in: DVBl. 1997, 101 ff; Smeddinck Der unbestimmte Rechtsbegriff – strikte Bindung oder Tatbestandsermessen, in: DÖV 1998, 370 ff; Treptow Zur Tätigkeit der Strafvollstreckungskammer in Vollzugssachen, in: NJW 1977, 1037 ff; ders. Gerichtliche Kontrolle von Ermessensentscheidungen und unbestimmten Rechtsbegriffen im Strafvollzugsrecht, in: NJW 1978, 2227 ff; ders. Gerichtliche Kontrolle der Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe seitens der Vollzugsorgane – Versuch einer Systematik, in: ZfStrVo 1980, 67 ff; Ullenbruch Vollzugsbehörde contra Strafvollstreckungskammer, in: NStZ 1993, 517 ff; Voigtel Zum Freibeweis bei Entscheidungen der Strafvollstreckungskammer. Eine Untersuchung zu ausgewählten Fragen des Beweisrechts im gerichtlichen Verfahren in Strafvollstreckungs- und Strafvollzugssachen, Frankfurt 1998; Volckart/Pollähne/Woynar Verteidigung in Strafvollstreckung und Strafvollzug, 4. Aufl., Heidelberg 2008; Walter Tätigkeitsbericht des Justizvollzugsbeauftragten des Landes Nordrhein-Westfalen, Köln 2012; Wegner-Brandt Totale Institution und Rechtsschutz, in: ZfStrVo 1992, 153 ff; Wingenfeld Die Verrechtlichung des Strafvollzugs in ihren Auswirkungen auf die judikative Entscheidungspraxis, Aachen 1999; Wohlers Zur gerichtlichen Beiordnung eines Rechtsbeistands in Strafvollstreckungs- und Strafvollzugssachen, in: Festschrift für Manfred Seebode, Berlin 2008, 573 ff; Wolf/Jabel Strafvollstreckungsordnung und Grundrechtsschutz, in: NStZ 1994, 63 ff.
1. 2.
Übersicht Allgemeine Hinweise ____ 1 Verfassungsbeschwerde ____ 2
3. 4.
Petitionsrecht ____ 3 Beratungshilfe ____ 4
1
1. Allgemeine Hinweise. Der Vierzehnte Titel des StVollzG behandelt die Möglichkeit einer Überprüfung der Tätigkeit von Vollzugsbehörden auf ihre Übereinstimmung mit den maßgeblichen Vorschriften sowie den programmierten vollzuglichen Aufgabenstellungen und Gestaltungsprinzipien, gleichgültig, ob die Vorgänge bereits abgeschlossen sind oder nicht. Dadurch sollen das objektive Recht, das öffentliche Interesse, wie auch die rechtserheblichen Interessen der Betroffenen gewahrt werden (Müller-Dietz 1985). Die Kontrolle der Vollzugsbehörde erfolgt einmal als Selbstkontrolle, d. h. die Überprüfung von Vollzugsmaßnahmen durch die Verwaltung selbst; dies kann durch die erlassende oder die ihr instanzlich übergeordnete Behörde erfolgen. Sie ist verbunden mit der Befugnis, aufhebend oder ändernd einzugreifen. Im Gegensatz hierzu steht die Fremdkontrolle, d. h. die gerichtliche Überprüfung von Vollzugsmaßnahmen (Vollzugsverwaltungsakten). Zum Begehren auf Vornahme von Rechtsprechungsakten § 114 Rdn. 8. Zum Rechtsschutz Gefangener bei Schuler 1988, 268; Arloth 2011, Vorbemerkungen zu § 108; Baier 2001, 582 ff; Laubenthal 2011 Rdn. 749 ff; Litwinski/Bublies 1989, 98 f; Volckart/Pollähne/Woynar 2008, 232 ff.
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2. Verfassungsbeschwerde. Außerdem kann jedermann – auch der ausländische Gefangene – grundsätzlich nach ergebnisloser Ausschöpfung des innerstaatlichen Rechtsweges das Bundesverfassungsgericht anrufen, wenn er glaubt, durch eine EntLaubenthal
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Vorbemerkungen
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scheidung der Vollzugsbehörde oder eine Gerichtsentscheidung in seinen Grundrechten verletzt zu werden – Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe a GG – (Frielinghaus 1976, 271; Lechner/Zuck 2010, § 90 Rdn. 73 ff; Litwinski/Bublies 1989, 112). Schließlich kann sich gem. Art. 34 EMRK jeder, der sich in einem der nach der Konvention garantierten Rechten durch einen der Mitgliedstaaten verletzt fühlt, an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg nach Erschöpfung des nationalen Rechtswegs mit einer Individualbeschwerde wenden (Laubenthal 2011 Rdn. 849 ff). Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat 2011 einen Leitfaden zu den Zulässigkeitsvoraussetzungen einer Menschenrechtsbeschwerde herausgegeben (die deutsche Version ist im Volltext zum Herunderladen auf www.echr.coe.int erhältlich). Der seit dem 1.11.1998 geschaffene ständige Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ist als einziges Kontrollorgan nach der EMRK an die Stelle der bisherigen Europäischen Kommission und des zuvor nicht ständig tagenden EGMR getreten. Über Beschwerden entscheidet der Gerichtshof; die Europäische Kommission für Menschenrechte besteht nicht mehr. Zum internationalen Schutz von Menschenrechten Flügge 2012, 150 ff; Gräfenstein 2003, 10 ff; Laubenthal 2002, 169 ff; Neubacher 1999, 210. 3. Petitionsrecht. Artikel 17 GG eröffnet weiterhin Gefangenen die Möglichkeit, Bit- 3 ten und Beschwerden außerhalb der im Vierzehnten Titel des StVollzG vorgesehenen Rechtsbehelfe bei der zuständigen Stelle und bei der Volksvertretung außerhalb formaler Rechtsmittel und gerichtlicher Verfahren vorzubringen. Die Ausübung des Petitionsrechts kann sowohl einzeln als auch „in Gemeinschaft mit anderen“ (Sammelpetition) erfolgen. Damit wird kein Anspruch der Gefangenen zum Kontakt mit anderen Gefangenen begründet, um eine Sammelpetition vorzubereiten (Maunz/Dürig-Dürig Art. 17 Rdn. 32). Das Petitionsrecht verpflichtet die angegangene Stelle zur sachlichen Prüfung des Vorbringens. Volksvertretung i. S. v. Art. 17 GG sind der Deutsche Bundestag, die Landtage bzw. Bürgerschaften in Bremen und Hamburg sowie das Abgeordnetenhaus in Berlin. Die Volksvertretungen haben selbst zwar keine unmittelbare Entscheidungskompetenz, sondern können die Eingabe der Regierung zur Berücksichtigung (das Anliegen war berechtigt), zur Erwägung (das Anliegen nochmals zu überprüfen) überweisen oder für erledigt erklären, wenn das Verhalten der Verwaltung nicht zu beanstanden ist (Arloth 2011, Vorbemerkungen § 108 Rdn. 4). Zur Behandlung der an die Volksvertretung gerichteten Petition bestellt diese einen Petitionsausschuss. Das Petitionsrecht umfasst nicht einen Anspruch, dass das Parlament seinem Bescheid eine Begründung beifügt. Zu einer schriftlichen Auseinandersetzung mit dem Vorbringen des Petenten einerseits und dem der Regierung andererseits ist die Volksvertretung nicht verpflichtet (BayVerfGH NVwZ 1988, 820, 821). Zum Umfang des Petitionsrechts BayVerfGH NVwZ 2000, 548, 549. Für die Petition ist eine Beschwer des Petenten nicht erforderlich. Die Berufung auf Art. 17 erfordert nicht die Geltendmachung eigener Rechte. Es genügt ein Eintreten für einen anderen oder das Gemeinwohl. In Rheinland-Pfalz kann auch der Bürgerbeauftragte entweder unmittelbar oder über den Petitionsausschuss des Landtages eingeschaltet werden (Gesetz über den Bürgerbeauftragten vom 3.5.1974 i. d. F. vom 5.11.1974, GVBl.1974, 469). Der Bürgerbeauftragte hat die Aufgabe, im Rahmen der Kontrollrechte des Landtages die Stellung des Bürgers im Verkehr mit den Behörden zu stärken (näheres bei Monz Der Bürgerbeauftragte. Kommentar zum Landesgesetz über den Bürgerbeauftragten des Landes Rheinland-Pfalz, Mainz 1982). Das Land Mecklenburg-Vorpommern hat ebenfalls das Amt eines Bürgerbeauftragten eingeführt (Petitions- und Bürgerbeauftragtengesetz vom 5. April 1995, GVBl. 1995, 190). Als Ansprechpartner in vollzuglichen Angelegenheiten gibt es im Bundesland Nordrhein-Westfalen den Justizvollzugsbeauftragten. Dieser wirkt an einem an den Menschenrechten und den sozial- und rechts909
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staatlichen Grundsätzen ausgerichteten Justizvollzug mit. An ihn kann sich in Angelegenheiten des Justizvollzugs jedermann unmittelbar mit Beschwerden, Anregungen, Beobachtungen oder Hinweisen wenden; das gilt auch für Vollzugsbedienstete (AV des Justizministeriums NRW vom 13.12.2010 – 4400-IV.396; siehe ferner Rotthaus 2008, 373 ff). Der Justizvollzugsbeauftragte hat keine Entscheidungsbefugnis. Seine Aufgaben sind Vermittlung, Empfehlungen und Berichterstattung, aber auch Mitwirkung an der Entwicklung von Konzeptionen (s. Walter 2012, 27 ff). 4
4. Beratungshilfe. Die Möglichkeit, Hilfe nach dem Gesetz über Rechtsberatung und Vertretung für Bürger mit geringem Einkommen (Beratungshilfegesetz) in Anspruch zu nehmen, steht auch Gefangenen offen, sofern diese nicht durch die Justizvollzugsanstalt entsprechende Hilfe erhalten (AK-Kamann/Spaniol 2012 § 120 Rdn. 18; C/MD 2008, § 108 Rdn. 15 und § 120 Rdn. 4; Eschke 1993, 149; Feest 1995, 151 ff; Rotthaus 1990, 164). Die Justizvollzugsanstalt muss dementsprechend durch geeignete Maßnahmen (eventuell Ausführung zum Amtsgericht) die Voraussetzungen für eine Inanspruchnahme der Beratungshilfe schaffen. Diese bezieht sich jedoch nur auf zunächst außergerichtliche Aspekte und umfasst nicht die eigentliche Vertretung des Antragstellers im Verfahren nach §§ 109 ff StVollzG (Büttner/Wrobel-Sachs/Gottschalk/Dürbeck 2012, 351; Schoreit/ Groß 2010, § 2 BerHG Rdn. 23).
§ 108 Beschwerderecht § 108 Laubenthal Beschwerderecht (1) Der Gefangene erhält Gelegenheit, sich mit Wünschen, Anregungen und Beschwerden in Angelegenheiten, die ihn selbst betreffen, an den Anstaltsleiter zu wenden. Regelmäßige Sprechstunden sind einzurichten. (2) Besichtigt ein Vertreter der Aufsichtsbehörde die Anstalt, so ist zu gewährleisten, dass ein Gefangener sich in Angelegenheiten, die ihn selbst betreffen, an ihn wenden kann. (3) Die Möglichkeit der Dienstaufsichtsbeschwerde bleibt unberührt. VV 1 (1) Der Gefangene kann sich jederzeit schriftlich an den Anstaltsleiter wenden. (2) Sprechstunden von angemessener Dauer sind mindestens einmal wöchentlich einzurichten. Das Nähere regelt die Hausordnung. (3) Dem Vertreter der Aufsichtsbehörde ist bei Besichtigungen (VV zu § 151 Nr. 1 Abs. 2 StVollzG) unaufgefordert eine Liste der Gefangenen vorzulegen, die sich für eine Anhörung nach § 108 Abs. 2 StVollzG haben vormerken lassen. 2 (1) Eingaben, Beschwerden und Dienstaufsichtsbeschwerden, die nach Form oder Inhalt nicht den im Verkehr mit Behörden üblichen Anforderungen entsprechen oder bloße Wiederholungen enthalten, brauchen nicht beschieden zu werden. Der Gefangene ist entsprechend zu unterrichten. Eine Überprüfung des Vorbringens von Amts wegen bleibt unberührt. Laubenthal
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(2) Dienstaufsichtsbeschwerden gegen Anordnungen und Maßnahmen des Anstaltsleiters, denen nicht abgeholfen wird, sind unverzüglich der Aufsichtsbehörde vorzulegen. 3 Beschwerden, die an eine offenbar unzuständige oder nicht ohne weiteres zuständige Vollzugsbehörde gerichtet sind, leitet der Anstaltsleiter an die zuständige Vollzugsbehörde weiter. Schrifttum S. Vor § 108.
I. II.
Übersicht Allgemeine Hinweise ____ 1 Erläuterungen ____ 2–18 1. Recht, sich an den Anstaltsleiter zu wenden ____ 2–4 a) Art und Weise ____ 2, 3 b) Kein Anspruch auf Anwesenheit eines Verteidigers ____ 4 2. Recht, sich an einen Vertreter der Aufsichtsbehörde zu wenden ____ 5, 6 3. Dienstaufsichtsbeschwerde ____ 7–18 a) Formloser Rechtsbehelf ____ 7 b) Adressat der Beschwerde ____ 8 c) Bescheidung des Gefangenen ____ 9
III.
d) Entscheidungen auf Beschwerden ____ 10–13 e) Nur in eigenen Angelegenheiten ____ 14 f) Andere Beschwerdeführer ____ 15 g) Formalien ____ 16, 17 Landesgesetze und Musterentwurf ____ 18–23 1. Baden-Württemberg ____ 18 2. Bayern ____ 19 3. Hamburg ____ 20 4. Hessen ____ 21 5. Niedersachsen ____ 22 6. Musterentwurf ____ 23
I. Allgemeine Hinweise Die Möglichkeit für einen Gefangenen, sich mit Wünschen, Anregungen und Be- 1 schwerden (Eingaben) an den Anstaltsleiter (Abs. 1) oder an einen Vertreter der Aufsichtsbehörde (Abs. 2, § 151) zu wenden, entspricht dem Petitionsrecht aus Art. 17 GG. Damit wird staatlich anerkannt, dass menschliche Sorgen und Nöte neben Beschwerden in geeigneter Form außerhalb formaler Rechtsmittel zur Kenntnis genommen, bearbeitet und geprüft sowie beschieden werden; insoweit kann auch eine gerichtliche Auseinandersetzung vermieden werden. (Arloth 2011 Rdn. 1; C/MD 2008 Rdn. 3; Laubenthal 2011 Rdn. 755; Litwinski/Bublies 1989, 115; Schuler 1988, 256). II. Erläuterungen 1. Recht, sich an den Anstaltsleiter zu wenden a) Art und Weise. Abs. 1 Satz 1 gewährt dem Gefangenen ein Recht, sich mit sei- 2 nem Anliegen an den Anstaltsleiter unmittelbar zu wenden. Dieses Recht kann schriftlich oder mündlich wahrgenommen werden. Insoweit wird durch § 108 das Petitionsrecht aus Art. 17 GG erweitert, das grundsätzlich die Schriftform erfordert (Ausnahme z. B. Art. 16 Hess. Verf., wonach auch landesrechtlich mündliche Petitionen zulässig sind). Das Grundgesetz verbietet zwar nicht die mündliche Anhörung, sie wird nur vom Grundrechtsschutz des Grundgesetzes ausgespart (Maunz/Dürig-Dürig Art. 17 Rdn. 37). Zur Möglichkeit, das Gespräch abzubrechen, Rdn. 18. 911
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In welcher Art und Weise das Recht aus § 108 im Einzelnen gewährleistet wird, unterliegt der Regelung durch die Vollzugsbehörde im Rahmen ihres pflichtgemäßen Ermessens. Dazu § 115 Rdn. 20. Schriftlich kann sich ein Gefangener jederzeit an den Anstaltsleiter wenden (VV Nr. 1 Abs. 1). Dies begründet jedoch kein Recht des Gefangenen, sich nach eigener Wahl mit seinem Anliegen schriftlich oder mündlich an den Anstaltsleiter zu wenden. Die Verweisung eines schriftkundigen Gefangenen, sein Anliegen in schriftlicher Form vorzubringen, ist daher zulässig; einem Schreibunkundigen muss jedoch Gelegenheit gegeben werden, auf andere Weise (Schreibhilfe, mündlicher Vortrag) seine Eingabe vorzutragen. Schreib- oder Formulierungshilfe kann ein Vollzugsbediensteter leisten. Hilfe durch Mitgefangene wird in der Praxis geduldet, insbesondere dann, wenn sich die Beschwerde gegen einen Beamten richtet. Wenn ein Gefangener einem anderen unterstützungsbedürftigen Mitgefangenen Hilfe bei der Wahrnehmung seiner Rechte im Einzelfall leistet, beurteilt sich die Zulässigkeit eines solchen Vorgehens nach dem am 1.7.2008 in Kraft getretenen RDG (BGBl I 2007, 2840). Gem. § 6 RDG kommt es dabei – im Gegensatz zur vorherigen Regelung im RBerG – auf eine geschäftsmäßige Besorgung fremder Angelegenheiten nicht mehr an. Für die Einordnung als erlaubte oder als unerlaubte Tätigkeit ist nach § 6 RDG relevant, ob die Tätigkeit entgeltlich bzw. unentgeltlich erfolgt. Das ist eine Frage des Einzelfalls (s. Grunewald/Römermann/Müller § 6 RDG Rdn. 6 ff), wobei im Hinblick auf die subkulturellen Abhängigkeitsverhältnisse allerdings die Erbringung irgendwelcher Gegenleistungen durch den unterstützten Mitgefangenen naheliegen wird. Dann handelt es sich um unerlaubte Tätigkeiten. Kann Entgeltlichkeit nicht festgestellt werden, bleiben die Dienstleistungen statthaft, wenn sie innerhalb familiärer, nachbarschaftlicher oder ähnlich enger persönlicher Beziehungen erfolgen. Die Gesetzesmaterialien (BT-Drucks. 16/3655, 58) nennen als Beispiel für derartige persönliche Beziehungen lediglich Arbeitskollegen und Vereinsmitglieder. Es erscheint zweifelhaft, die vollzugliche Zwangsgemeinschaft nachbarschaftlichen oder sonstigen freiwillig eingegangenen persönlichen Beziehungen gleichzustellen (weiter gehend Grunewald/Römermann/Müller § 6 RDG Rdn. 18). In jedem Fall ist zu beachten: Nach § 6 RDG unzulässige Rechtsdienstleistungen erfüllen nur noch dann einen Ordnungswidrigkeitentatbestand, wenn die zuständige Behörde dem Betroffenen die Erbringung von Rechtsdienstleistungen vorher untersagt hat (§ 20 Abs. 1 Nr. 2 iVm § 9 Abs. 1 RDG). Die Antragstellung durch einen Bevollmächtigten ist zulässig. Ein Anspruch auf eine jederzeitige persönliche Anhörung kann aus § 108 Abs. 1 Satz 1 nicht hergeleitet werden. Eine Vollzugsbehörde wäre insoweit organisatorisch überfordert. Die Einrichtung von regelmäßigen Sprechstunden wird daher grundsätzlich gefordert (Abs. 1 Satz 2). Ein Gefangener, der auf einer mündlichen Vorsprache bei dem Anstaltsleiter besteht, kann auf die Sprechstunden verwiesen werden. In diesem Falle muss der Anstaltsleiter den Gefangenen dann persönlich anhören. Ein Gefangener ist jedoch nicht in seinen Rechten verletzt, wenn er wegen Urlaubs des Anstaltsleiters oder anderer zwingender Gründe an dessen Vertreter verwiesen wird (OLG Nürnberg ZfStrVo SH 1979, 93). Zulässig muss es auch sein, dass vor der mündlichen Vorsprache bei dem Anstaltsleiter ein Bediensteter der Anstalt den Gefangenen zunächst anhört, um den Anstaltsleiter sachkundig vorbereiten zu können. Denkbar ist auch, dass durch diese Vorklärung eine weitere Rücksprache bei dem Anstaltsleiter sich erübrigt, weil der Gefangene bei diesem Vorgespräch zufriedengestellt werden konnte. Mit dieser Vorklärung darf aber in keinem Falle der Wunsch, den Anstaltsleiter persönlich zu sprechen, verhindert werden (Abschirmen des Anstaltsleiters) (Arloth 2011 Rdn. 3; C/MD 2008 Rdn. 4; Grunau/Tiesler Rdn. 2; Schuler 1988, 257). Bei größeren Justizvollzugsanstalten mit Zweiganstalten und größeren Abteilungen ist dem Recht des Gefangenen aus Abs. 1, sich persönlich an den Anstaltsleiter zu wenden, durch die Vorsprache bei dem Teilanstaltsleiter, ZweiganLaubenthal
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staltsleiter Genüge getan. Dies entspricht organisatorischen Bedürfnissen bei großen Vollzugseinrichtungen und gewährleistet eine größere Nähe zu dem entscheidungserheblichen Sachverhalt. Angesichts des eindeutigen gesetzlichen Wortlauts scheidet eine Delegation an weitere nachgeordnete Vollzugsbedienstete aus (AK-Kamann/Spaniol 2012 Rdn. 6; C/MD 2008 Rdn. 4; Laubenthal 2011 Rdn. 756; a. A. Arloth 2011 Rdn. 3: auch Abteilungsleiter). In Verantwortungsbereichen, die allein dem Anstaltsleiter vorbehalten sind, ist dieser auch bei Untergliederung der Einrichtung in Teil- bzw. Zweiganstalten der alleinige Adressat (C/MD 2008 Rdn. 4). b) Kein Anspruch auf Anwesenheit eines Verteidigers. Ein Anspruch auf Anwe- 4 senheit eines Verteidigers bei der persönlichen Anhörung des Gefangenen durch den Anstaltsleiter kann zwar nicht aus § 137 Abs. 1 Satz 1 StPO i. V. m. § 120 Abs. 1 hergeleitet werden, denn § 137 StPO setzt ein förmliches Verfahren voraus. Dennoch hat der Verteidiger ein Recht auf Anwesenheit bei dem Gespräch zwischen dem Anstaltsleiter und seinem Mandanten, soweit der Verteidigungsauftrag sich auf das Dauerrechtsverhältnis des Vollzugs der freiheitsentziehenden Unrechtsreaktion bezieht (C/MD 2008 Rdn. 5; AKKamann/Spaniol 2012 Rdn. 8; Laubenthal 2011 Rdn. 756; a. A. OLG Nürnberg ZfStrVo SH 1979, 93; Arloth 2011 Rdn. 3). Ferner kann der Gefangene für die einzelne Beschwerde sich anwaltlich beraten und vertreten lassen. Auch in einem Verfahren nach §§ 109 ff ist bei einer Anhörung dem Verteidiger die Anwesenheit zu gestatten (Voigtel 1998, 283). Im Rahmen eines Disziplinarverfahrens ist ebenfalls die Anwesenheit eines Verteidigers bei der Anhörung des Gefangenen zu gestatten (§ 106 Rdn. 4). Zur anfechtbaren Entscheidung nach § 109 dort bei Rdn. 10 ff. Zum Begriff des Verteidigers Hötter 2001, 26. 2. Recht, sich an einen Vertreter der Aufsichtsbehörde zu wenden. Nach Abs. 2 5 muss gewährleistet werden, dass bei einer Besichtigung der Anstalt durch einen Vertreter der Aufsichtsbehörde ein Gefangener seine Anliegen anbringen kann. Daraus folgt nicht, dass der Gefangene einen Anspruch auf den Besuch eines Vertreters der Aufsichtsbehörde hat (Arloth 2011 Rdn. 5). Bei dem Gespräch zwischen dem Vertreter der Aufsichtsbehörde und dem Gefangenen ist die Möglichkeit einzuräumen, dass der Inhaftierte seine Beschwerde in Abwesenheit der Anstaltsbediensteten vortragen kann (C/MD 2008 Rdn. 6; Laubenthal 2011 Rdn. 757; a. A. Arloth 2011 Rdn. 5). Die Möglichkeit der Sprechstunden und die Möglichkeit, sich an einen Vertreter 6 der Aufsichtsbehörde zu wenden, ist in die Hausordnung aufzunehmen (§ 161 Abs. 2 Nr. 3). Näheres ergibt sich aus VV Nr. 1 Abs. 2 und Abs. 3. Die Vollzugsanstalt führt eine Liste, in die sich Gefangene für ein Gespräch mit dem Vertreter der Aufsichtsbehörde eintragen lassen können. 3. Dienstaufsichtsbeschwerde a) Formloser Rechtsbehelf. Einen besonders großen Teil der Eingaben von Gefan- 7 genen machen die Beschwerden aus. Zur Rechtsnatur von Beschwerden OLG Frankfurt ZfStrVo 1987, 381. Beschwerden können sich gegen Entscheidungen des Anstaltsleiters und gegen Entscheidungen anderer Vollzugsbediensteter richten (OLG Frankfurt ZfStrVo 1987, 252). Die Rechtsbehelfe dürfen formlos eingelegt werden; sie sind nicht fristgebunden und können demnach auch nicht den Fristablauf bezüglich des Unanfechtbarwerdens einer Maßnahme hemmen. Der formlose Rechtsbehelf ist nicht als Vorverfahren Antragsvoraussetzung i. S. v. § 109 Abs. 3. Zum Vorverfahren § 109 Rdn. 31 ff. Ein formloser Rechtsbehelf vermag nicht zugleich in einen Widerspruch gegen eine den Beschwerdeführer belastende Einzelmaßnahme umgedeutet zu werden. Eine Dienstaufsichtsbe913
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schwerde ist ein selbständiges Verfahren zur Überprüfung einer Maßnahme, das losgelöst und wahlweise neben dem Verfahren nach § 109 zur Verfügung steht und mit der Entscheidung der Aufsichtsbehörde abgeschlossen wird (LG Hamburg ZfStrVo SH 1977, 43 und ZfStrVo 1979, 128; OLG Hamburg NStZ 1991, 560). Beachte auch Rdn. 12 und § 109 Rdn. 34. 8
b) Adressat der Beschwerde. Formlose Beschwerden richten sich an die Behörde, der die Organaufsicht über die erlassende Behörde zusteht. Begehrt wird von der Aufsicht führenden Behörde die Aufhebung oder Abänderung einer Maßnahme: Das Vorgehen stellt sich als Sachaufsichtsbeschwerde dar, wenn um Sachprüfung gebeten wird. Es bedeutet eine Dienstaufsichtsbeschwerde (Abs. 3), wenn das persönliche Verhalten eines Bediensteten gerügt und das Ziel eines behördeninternen Einwirkens zu aus Sicht des Beschwerdeführers richtigem Verhalten verfolgt wird. Über Aufsichtsbeschwerden entscheidet der jeweilige Dienstvorgesetzte (Nr. 2 Abs. 2 der VV). Für die Dienstaufsichtsbeschwerde wird in Abs. 3 klargestellt, dass sie unabhängig und neben der Beschwerdemöglichkeit nach Abs. 1 und 2 bestehenbleibt (OLG Koblenz ZfStrVo 1981, 82; OLG Frankfurt ZfStrVo 1987, 381).
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c) Bescheidung des Gefangenen. Die angegangene Behörde muss den Rechtsbehelf entgegennehmen, und die zuständige Behörde muss die beanstandete Maßnahme in angemessener Frist sachlich überprüfen und den Beschwerdeführer nach Ermessen so bescheiden, dass eine gerichtliche Nachprüfung möglichst vermieden wird. Der Gefangene hat jedoch keinen Anspruch auf Erledigung in seinem Sinne (Kopp/Ramsauer 2011, § 79 Rdn. 19). Die Entscheidung ist zu begründen. Der Gefangene hat einen Anspruch, die Gründe einer für ihn negativen Entscheidung zu erfahren, denn nur dann kann er seine Rechte sachgemäß verteidigen (BVerfG NJW 1957, 297, 298; OLG Koblenz ZfStrVo 1992, 263; Arloth 2011 Rdn. 4; C/MD 2008 Rdn. 8; Rühl 1993, 14). Aus diesem rechtsstaatlichen Grundsatz folgt jedoch nicht, dass die Begründung in jedem Falle von Verfassungs wegen schriftlich erteilt werden muss (BVerfG NJW 1976, 37, 38; OLG Koblenz ZfStrVo 1981, 62; LG Hamburg ZfStrVo 1979, 128). S. auch § 112 Rdn. 2. Zum Recht auf Akteneinsicht § 185.
d) Entscheidungen auf Beschwerden. Das Beschwerderecht gilt nur gegenüber der zuständigen Stelle. Ein Anspruch auf Reaktion der angegangenen Behörde besteht nicht, wenn diese nicht zuständig ist (BVerfGE 2, 225, 230). Siehe auch VV Nr. 3. Bei einer formlosen Beschwerde fordert die Aufsichtsbehörde von der unteren Be11 hörde eine Stellungnahme (Bericht) an; ggf. ermittelt sie selbst. Hält die Aufsichtsbehörde die Beschwerde für unbegründet, so bescheidet sie den Beschwerdeführer. Ein Anspruch des Beschwerdeführers auf Einschreiten der Aufsichtsbehörde besteht nicht, es genügt der Bescheid, dass sie keinen Anlass zum Einschreiten sehe (BGH NJW 1971, 1699, 1700). Hält die Aufsichtsbehörde die Beschwerde für begründet, so weist sie die nachgeordnete Behörde an, eine neue Entscheidung zu treffen und teilt dies dem Beschwerdeführer mit. Die Aufsichtsbehörde sollte nur solche Maßnahmen der unteren Behörde aufheben oder selbst entscheiden, die sie nach allgemeinen Grundsätzen im Verhältnis zum Beschwerdeführer selbst erlassen darf. Gegen einen ablehnenden Bescheid (z. B. des Anstaltsleiters über eine Beschwerde gegen einen nachgeordneten Bediensteten) kann der Beschwerdeführer weitere Beschwerde bei der nächsthöheren Behörde einlegen. Mit deren Entscheidung ist das Dienstaufsichtsverfahren abgeschlossen. Gegen die Zurückweisung einer Dienstaufsichtsbeschwerde ist ein Antrag auf ge12 richtliche Überprüfung nach § 109 nicht zulässig, da kein Vollzugsverwaltungsakt vor-
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liegt; es fehlt an einer neuen Regelungswirkung, da Gegenstand des Antrages die vorausgegangene Maßnahme ist (BVerwG NJW 1977, 118; OLG Frankfurt ZfStrVo 1977, 47; KG NStZ 1997, 428 M; OLG Karlsruhe ZfStrVo 2002, 189; Meyer-Goßner § 23 EGGVG Rdn. 8). Eine Bescheidung der Dienstaufsichtsbeschwerde kann aus den gleichen Gründen nicht nach §§ 109, 113 erzwungen werden (OLG Hamm NStZ 1993, 426 B). Der Anspruch auf Verbescheidung einer Dienstaufsichtsbeschwerde ist im Verwaltungsrechtsweg gem. §§ 40 ff VwGO durchsetzbar (Arloth 2011 Rdn. 6; AK-Kamann/Spaniol 2012 Rdn. 14). Nur ein durch die Behörde neu veranlasster Verwaltungsakt kann im Wege der gerichtlichen Überprüfung gem. §§ 109 ff StVollzG angefochten werden. Ausnahmsweise stellt der eine Dienstaufsichtsbeschwerde zurückweisende abschließende Bescheid dann eine gem. § 109 StVollzG anfechtbare Maßnahme dar, wenn er erstmals eine den Insassen betreffende Sachentscheidung enthält (KG NStZ 1991, 382; KG NStZ 1997, 428). Hat aber der Antrag bei Gericht als Begehren die Verbescheidung einer Dienstaufsichtsbeschwerde zum Inhalt, das als solches nicht zu einem Antrag nach § 109 gemacht werden kann, ist die Strafvollstreckungskammer hinsichtlich der Eröffnung des Rechtswegs an eine Verweisungsentscheidung eines Verwaltungsgerichts nach § 17 a Abs. 2 Satz 3 GVG gebunden (OLG Karlsruhe ZfStrVo 2002, 189). Wird die Beantwortung einer formlosen Beschwerde nach Abs. 1 und Abs. 2 aus- 13 drücklich oder stillschweigend abgelehnt, kann ein Vornahmeantrag nach § 109 Abs. 1 Satz 2, § 113, § 115 Abs. 4 Satz 1 gestellt werden. Das Petitionsrecht aus Art. 17 GG gibt dem Beschwerdeführer ein einklagbares Recht auf Beantwortung der Eingabe durch die zuständige Stelle; diese darf sich nicht auf eine bloße Empfangsbestätigung beschränken, sondern muss zumindest die Kenntnisnahme von ihrem Inhalt und die Art ihrer Erledigung mitteilen (BVerwG NJW 1976, 637, 638). Es genügt daher, wenn in einem Bescheid lediglich das Ergebnis der sachlichen Prüfung mitgeteilt wird und die Begründung sich in dem Hinweis erschöpft, dass die beanstandete Entscheidung mit der Sachund Rechtslage übereinstimmt. Nach Abs. 1 ist eine schriftliche Bescheidung eines schriftlich vorgebrachten Anliegens durch den Anstaltsleiter selbst nicht zwingend geboten. Im Rahmen der nach § 156 Abs. 2 zulässigen Geschäftsverteilung kann auch ein nachgeordneter Bediensteter dem Gefangenen antworten. e) Nur in eigenen Angelegenheiten. Das Recht aus § 108 steht einem Gefangenen 14 nur in eigenen Angelegenheiten zu (Abs. 1 Satz 1, Abs. 2); also nur demjenigen, der sich durch eine Maßnahme (Vollzugsverwaltungsakt) in seinen rechtlich geschützten Interessen verletzt oder durch Unzweckmäßigkeit der Maßnahme sonstwie beeinträchtigt glaubt. Für Beschwerden oder Anliegen zugunsten Dritter sieht das StVollzG keine Regelung vor. Ausnahmen können sich im Einzelfall aus § 160 –Gefangenenmitverantwortung – ergeben. f) Andere Beschwerdeführer. Das Recht auf Beschwerde steht nicht nur Strafge- 15 fangenen zu, im Einzelfall kann auch ein Dritter (z. B. Besucher oder Briefpartner) durch Entscheidungen der Vollzugsbehörde beschwert sein. Ein Anspruch auf mündliche Anhörung durch den Anstaltsleiter steht einem Nichtgefangenen jedoch nicht zu. g) Formalien. In fremder Sprache abgefaßte Eingaben und Beschwerden sind zu- 16 lässig. Art. 17 GG sieht ebenso wie die Strafvollzugsgesetze in dieser Hinsicht keine Einschränkung vor. Art. 17 GG ist auch als Ausländergrundrecht gestaltet (Maunz/DürigDürig Art. 17 GG Rdn. 36). Die damit verbundenen technischen Schwierigkeiten (Übersetzungen) sind erheblich. Es ist jedoch zu beobachten, dass diese Schwierigkeiten von Gefangenen, wenn es irgendwie geht, ohnehin vermieden werden (BVerfG ZfStrVo 2004, 915
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46). Bei mündlichen Anhörungen durch den Anstaltsleiter wird ebenfalls ein Dolmetscher heranzuziehen sein. Um den Aufwand hierbei so gering wie möglich zu halten, ist es zulässig, Sprechstunden nach den Einsatzmöglichkeiten der Dolmetscher anzubieten. Diese Aufgaben werden in der Praxis auch vom Sozialdienst der entsprechenden Ausländergruppe übernommen. Vgl. § 109 Rdn. 29. Obwohl nach dem Wortlaut des Art. 17 GG und auch des § 108 das Petitionsrecht 17 keine Schranken vorsieht, hat die Rechtsprechung bestimmte Grenzen ausgearbeitet (OLG Frankfurt ZfStrVo SH 1979, 97; Arloth 2011 Rdn. 1; C/MD 2008 Rdn. 9). Die gesetzlich eingeräumten Rechte zur vollzugsinternen Kontrolle unterliegen dem Verbot missbräuchlicher Ausübung. Eine zulässige Petition liegt dann nicht vor, wenn sie in der Form den Anforderungen nicht entspricht, die an jede bei einer Behörde einzureichende Eingabe zu stellen sind, also etwa beleidigenden, herausfordernden oder erpresserischen Inhalt hat. Wurde eine Beschwerde schon durch einen ordnungsgemäßen Bescheid erledigt, so kann eine zweite Eingabe, die den gleichen Inhalt hat und an die gleiche Stelle gerichtet ist, nicht mehr Anspruch auf sachliche Verbescheidungen besitzen (VV Nr. 2 Abs. 1; BVerfGE 2, 225). Durch die Ausübung des Petitionsrechts dürfen nicht unverhältnismäßig die Rechte anderer verletzt und unwahre Behauptungen aufgestellt werden (OLG Düsseldorf NJW 1972, 651). Die Ausübung des Petitionsrechts muss sich im Rahmen des bürgerlichen Rechts und des Strafrechts halten. Es wäre auch ein Missbrauch staatsbürgerlicher Rechte, wenn der Petent für sich in Anspruch nehmen wollte, im Rahmen einer Petition den Petitionsadressaten zu beleidigen und vorsätzlich sein Ansehen zu untergraben (OLG München NJW 1957, 795 und ZfStrVo 1982, 378). Diese Grundsätze gelten entsprechend für die mündliche Vorsprache beim Anstaltsleiter, der bei ungebührlichem Verhalten eines Gefangenen das Gespräch abbrechen kann. Feststellungen, dass zahlreiche Eingaben von Gefangenen aus Querulanz oder zur Durchsetzung unberechtigter Anliegen eingebracht werden, dürfen jedoch nicht dazu führen, das Petitionsrecht allgemein einzuschränken (Böhm 2003 Rdn. 390, 391; Schuler 1988, 258). III. Landesgesetze und Musterentwurf 18
1. Baden-Württemberg. § 92 Abs. 1 und 2 JVollzGB III entsprechen sinngemäß den Regelungen des § 108 Abs. 1 und 2 StVollzG. § 92 Abs. 3 Satz 1 JVollzGB III ist wortlautidentisch mit § 108 Abs. 3 StVollzG. § 92 Abs. 3 Sätze 2 bis 4 JVollzGB III lauten: „Eingaben, Beschwerden und Dienstaufsichtsbeschwerden, die nach Form und Inhalt nicht den im Verkehr mit Behörden üblichen Anforderungen entsprechen oder bloße Wiederholungen enthalten, brauchen nicht beschieden zu werden. Die Gefangenen sind entsprechend zu unterrichten. Eine Überprüfung des Vorbringens von Amts wegen bleibt unberührt.“ Diese Regelung entspricht dem Wortlaut der VV Nr. 2 Abs. 1 zu § 108 StVollzG.
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2. Bayern. Art. 115 BayStVollzG ist, bis auf die Abfassung des Abs. 1 Satz 1 im Plural sowie die geschlechtsspezifische Differenzierung, wortlautidentisch mit der bundesrechtlichen Regelung.
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3. Hamburg. § 91 Abs. 1, 3 und 4 HmbStVollzG entsprechen, abgesehen von redaktionellen Änderungen, § 108 StVollzG. Neu eingefügt wurde § 91 Abs. 2 HmbStVollzG: „Die Abwicklung der Sprechstunden nach Absatz 1 Satz 2 kann in Anstalten, die wegen ihrer Größe in Teilanstalten oder in mehrere eigenständige Hafthäuser gegliedert sind, auf die Leitung der Teilanstalten oder die Leitung der Hafthäuser übertragen werden.“ Die Gesetzesbegründung führt dazu Laubenthal
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aus: „Die Vorschrift reagiert damit auf ein dringendes Bedürfnis der Praxis, die sehr aufwendige Abwicklung der regelmäßig abzuhaltenden Sprechstunden in großen und komplexen Anstalten auf mehrere Schultern verteilen zu können, um die mit zahlreichen weiteren Aufgaben der konzeptionellen und betrieblichen Steuerung der Anstalt befasste Anstaltsleitung zu entlasten“ (LT-Drucks. 18/6490, 48). 4. Hessen. § 57 Abs. 1 Satz 1 HStVollzG entspricht sinngemäß der Regelung des § 108 21 Abs. 1 Satz 1 StVollzG. Die Vorschrift schafft zudem die Legaldefinition von „Eingaben“, worunter Wünsche, Anregungen und Beschwerden zu fassen sind. § 57 Abs. 1 Sätze 2 und 3 HStVollzG lauten: „Eingaben, die beleidigenden Charakter haben oder bloße Wiederholungen enthalten, brauchen nicht in der Sache beschieden zu werden. Gefangene sind über die Gründe zu unterrichten.“ Damit wird der Regelungsgehalt der VV Nr. 2 Abs. 1 Sätze 1 und 2 zu § 108 StVollzG übernommen. § 57 Abs. 2 und 3 HStVollzG entsprechen § 108 Abs. 2 und 3 StVollzG. 5. Niedersachsen. § 101 Abs. 1 NJVollzG lautet: „Die oder der Gefangene erhält Ge- 22 legenheit, schriftlich und mündlich Wünsche, Anregungen und Beschwerden in eigenen Angelegenheiten bei der Vollzugsbehörde vorzubringen.“ Zu dieser Abweichung von der bundesgesetzlichen Regelung heißt es in der Gesetzesbegründung: „Gegenüber § 108 StVollzG enthält Absatz 1 neben redaktionellen Änderungen zwei Neuerungen. Zum einen ist bei Beschwerden, Anregungen und Wünschen der Gefangenen nicht mehr »der Anstaltsleiter« allein Adressat des Vorbringens der Gefangenen. Der Entwurf ermöglicht es gerade großen Anstalten, das Beschwerdeverfahren flexibel zu gestalten. Denkbar ist danach, dass z. B. die Vertretung der Anstaltsleiterin oder des Anstaltsleiters die Beschwerden und Wünsche schriftlich bearbeitet. Zum anderen sieht der Entwurf davon ab, die in § 108 Abs. 1 S. 2 vorgesehene Verpflichtung zur Einrichtung von Sprechstunden zu übernehmen. Satz 1 überlässt es vielmehr den Anstalten, ob sie an den eingerichteten Sprechstunden festhalten oder das Beschwerdeverfahren anderweitig regeln“ (LTDrucks. 15/3565, 155). § 101 Abs. 2 NJVollzG entspricht hinsichtlich des Gesprächs mit einem Bediensteten der Aufsichtsbehörde vom Wortlaut her weitgehend § 108 Abs. 2 StVollzG; inhaltliche Änderungen waren mit der Neufassung nicht verbunden. Nicht übernommen wurde die Bestimmung des § 108 Abs. 3 StVollzG. In der Gesetzesbegründung heißt es dazu: „Der Entwurf übernimmt nicht die Regelung des § 108 Abs. 3 StVollzG über die Dienstaufsichtsbeschwerde, weil das Recht zur Erhebung einer Dienstaufsichtsbeschwerde auch ohne eine gesetzliche Regelung unbenommen bleibt; das Petitionsrecht des Art. 17 GG bleibt unberührt …“ (LT-Drucks. 15/3565, 155). 6. Musterentwurf. § 91 ME-StVollzG entspricht im Wesentlichen § 108 StVollzG. 23 Lediglich zu § 108 Abs. 1 Satz 2 StVollzG existiert keine korrespondierende Regelung. Die ME-Begründung dazu lautet: „Absatz 1 gibt den Gefangenen das Recht, sich mit ihren Anliegen an den Anstaltsleiter zu wenden. Dies kann schriftlich oder mündlich geschehen. Die Gewährleistung dieses Rechts im Einzelnen regelt der Anstaltsleiter im Rahmen seines pflichtgemäßen Ermessens“ (ME-Begründung, 156).
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§ 109 Antrag auf gerichtliche Entscheidung § 109 Laubenthal Antrag auf gerichtliche Entscheidung (1) Gegen eine Maßnahme zur Regelung einzelner Angelegenheiten auf dem Gebiete des Strafvollzuges kann gerichtliche Entscheidung beantragt werden. Mit dem Antrag kann auch die Verpflichtung zum Erlass einer abgelehnten oder unterlassenen Maßnahme begehrt werden. (2) Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist nur zulässig, wenn der Antragsteller geltend macht, durch die Maßnahme oder ihre Ablehnung oder Unterlassung in seinen Rechten verletzt zu sein. (3) Das Landesrecht kann vorsehen, dass der Antrag erst nach vorausgegangenem Verwaltungsvorverfahren gestellt werden kann. Schrifttum S. Vor § 108.
I. II.
Übersicht Allgemeine Hinweise ____ 1 Erläuterungen ____ 2–40 1. Geltungsbereich ____ 2–4 2. Zuständigkeiten anderer Gerichte ____ 5–9 a) Zivilgerichte ____ 5, 6 b) Arbeitsgerichte ____ 7 c) Strafsenat des OLG nach EGGVG ____ 8 d) Verwaltungsgerichte ____ 9 3. Nach § 109 anfechtbare Maßnahmen ____ 10–21 a) Maßnahmen auf dem Gebiet des Strafvollzugs ____ 10 b) Regelung einzelner Angelegenheiten ____ 11–21 aa) Nicht nur Maßnahmen des Anstaltsleiters ____ 11 bb) Begriff der Einzelmaßnahme ____ 12
4.
5. 6.
7.
cc) Regelungscharakter von Maßnahmen ____ 13–21 Ziel des Antrags nach § 109 ____ 22–27 a) Beseitigung der Maßnahme ____ 23 b) Erlass von Maßnahmen ____ 24 c) Vorbeugender Unterlassungsantrag ____ 25 d) Teilanfechtung ____ 26 e) Antragshäufung, Verbindung ____ 27 Antragsbefugnis ____ 28–30 Verwaltungsvorverfahren ____ 31–38 a) Form und Zweckmäßigkeit der Regelung ____ 31, 32 b) Das Vorverfahren im Einzelnen ____ 33–38 Missbrauch der Rechtspflege ____ 39
I. Allgemeine Hinweise 1
Für die in Art. 19 Abs. 4 GG garantierte gerichtliche Überprüfung von Vollzugsverwaltungsakten (Rechtsweggarantie) haben die §§ 109 ff seit dem 1.1.1977 die zuvor hierfür vorgesehene Möglichkeit der Anrufung eines Gerichts nach §§ 23 ff EGGVG abgelöst. Die Zuständigkeit liegt im ersten Rechtszug bei der Strafvollstreckungskammer beim Landgericht (§ 110) und in zweiter Instanz besteht die Möglichkeit der Nachprüfung gerichtlicher Entscheidungen der Strafvollstreckungskammern durch die Strafsenate der Oberlandesgerichte (§ 116). Zwar gilt nach der Übergangsregelung von Art. 125 a Abs. 1 Satz 1 GG nach der Föderalismusreform (BGBl. I 2006, 2034) wegen der Änderung des Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG durch Landesrecht ersetzbares Bundesrecht bis zu entsprechenden legislatorischen Aktivitäten des jeweiligen Landesgesetzgebers fort. Die Gesetzgebungskompetenz der Bundesländer bezieht sich infolge der Streichung der Materie „Strafvollzug“ aus dem Katalog des Art. 74 Abs. 1 GG jedoch insoweit nur auf diesen Regelungsbereich. Die Vorschriften der §§ 109 bis 121 StVollzG über den gerichtlichen Rechtsschutz beruhen Laubenthal
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aber nicht auf der früheren Bundeskompetenz für den Strafvollzug. Sie haben sich vielmehr aus der Gesetzgebungskompetenz gem. Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG für „das gerichtliche Verfahren“ ergeben. Demgemäß bleiben in Baden-Württemberg gem. § 93 JVollzGB III die §§ 109 bis 121 StVollzG unberüht und nimmt Art. 208 BayStVollzG die §§ 109 bis 121 StVollzG vom Regelungsumfang des Landes-Strafvollzugsgesetzes aus. Gleiches gilt nach § 130 Nr. 2 HmbStVollzG für Hamburg sowie gem. § 83 Nr. 3 HStVollzG für Hessen. § 102 NJVollzG verweist hinsichtlich des gerichtlichen Rechtsschutzes auf die §§ 109 ff StVollzG. II. Erläuterungen 1. Geltungsbereich. Die §§ 109 ff gelten im Vollzug der Freiheitsstrafe nach § 1, bei 2 den freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung, für die Sicherungsverwahrung (§ 130) sowie die Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus und in der Entziehungsanstalt (§ 138 Abs. 3), für den Vollzug des Strafarrestes in Justizvollzugsanstalten (§ 167) und für den Vollzug von Ordnungs-, Sicherungs-, Zwangs- und Erzwingungshaft (§ 171), ferner bei Abschiebungshaft (§ 62 AufenthG), die im Wege der Amtshilfe in Justizvollzugsanstalten vollzogen wird (§ 422 Abs. 4 FamFG). Beim Vollzug von Abschiebungshaft außerhalb von Justizvollzugsanstalten in besonderen Einrichtungen der Innenverwaltung finden nach § 4 des rheinland-pfälzischen Landesaufnahmegesetzes vom 21.12.1993 nur die Vorschriften §§ 3 bis 108 und 173 bis 175 des StVollzG Anwendung. §§ 109 ff sind ausdrücklich ausgenommen. Demnach ist der Rechtsweg gegen Maßnahmen dieser Behörde nach der Verwaltungsgerichtsordnung gegeben. Vergleichbare Regelungen haben Berlin (Gesetz über den Abschiebungsgewahrsam vom 12.10. 1995 – GVBl. 31.10.1995, 657) und Brandenburg (Gesetz über den Vollzug der Abschiebungshaft außerhalb von Justizvollzugsanstalten – Abschiebungshaftvollzugsgesetz – vom 19.3.1996 – GVBl. 21.3.1996, 98). Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) oder in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) richtet sich zwar gem. § 138 Abs. 1 Satz 1 nach Landesrecht, soweit Bundesgesetze nichts anderes bestimmen. Für das gerichtliche Verfahren gelten die §§ 109 bis 121 entsprechend (§ 138 Abs. 3). Die Normierung eines gerichtlichen Kontrollverfahrens für den Vollzug von Jugend- 3 strafe, Jugendarrest sowie der Maßregeln der Unterbringung eines Jugendlichen im psychiatrischen Krankenhaus bzw. in einer Entziehungsanstalt fällt nicht in den Bereich der Gesetzgebungskompetenz der Länder. Zuständig bleibt der Bund. Wie das BVerfG in seiner Entscheidung vom 31.5.2006 konstatierte (BVerfGE 116, 88), genügte der Rechtsweg zu den Oberlandesgerichten nach §§ 23 ff EGGVG nicht den Erfordernissen eines effektiven Rechtsschutzes. Daher hat der Bundesgesetzgeber mit dem Zweiten Gesetz zur Änderung des Jugendgerichtsgesetzes und anderer Gesetze vom 13.12.2007 (BGBl. I 2007, 2894) in der Neufassung von § 92 JGG Normierungen zum gerichtlichen Rechtsschutz getroffen. Der junge Inhaftierte bzw. Untergebrachte kann nach § 92 Abs. 1 Satz 1 JGG eine gerichtliche Entscheidung beantragen, wobei die §§ 109 und 111 bis 120 Abs. 1 StVollzG sowie § 67 Abs. 1 bis 3 und 5 JGG entsprechende Anwendung finden (§ 92 Abs. 1 Satz 2 1. Hs. JGG). Die Einlegung des Rechtsbehelfs kann gem. § 91 Abs. 1 Satz 2 2. Hs. JGG vom vorherigen Versuch einer gütlichen Streitbeilegung abhängig gemacht werden. Über den Antrag auf gerichtliche Entscheidung befindet nach § 92 Abs. 2 Satz 1 JGG die Jugendkammer, in deren Bezirk die beteiligte Vollzugsbehörde ihren Sitz hat. Gem. § 92 Abs. 2 Satz 2 JGG gilt § 110 Satz 2 StVollzG entsprechend. Für länderübergreifende Einrichtungen können die beteiligten Länder vereinbaren, dass die Jugendkammer bei dem Landgericht zuständig ist, in dessen Bezirk die für die Einrichtung zuständige Aufsichtsbehörde ihren Sitz hat (§ 92 Abs. 2 Satz 3 JGG). Der Gesetzgeber ging davon aus, dass dem 919
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Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
Spruchkörper der Jugendkammer eine besondere erzieherische Kompetenz zukommt. Wegen seiner Nähe zum Vollzug und der damit zusammenhängenden Befürchtung der Befangenheit aus Sicht der Inhaftierten wurde von einer Erteilung der Zuständigkeit an den Jugendrichter als Vollstreckungsleiter abgesehen (vgl. Diemer/Schatz/Sonnen 2011, § 92 JGG Rdn. 4). Die Jugendkammer entscheidet gem. § 92 Abs. 3 Satz 1 JGG über den Antrag durch Beschluss. Nach § 92 Abs. 3 Satz 2 JGG steht die Durchführung einer mündlichen Verhandlung im Ermessen des Gerichts. Auf seinen Antrag hin muss der Jugendliche vor einer Entscheidung persönlich angehört werden; hierüber ist er auch zu belehren (§ 92 Abs. 3 Satz 3 und 4 JGG). Findet keine mündliche Verhandlung statt, erfolgt nach § 92 Abs. 3 Satz 5 JGG seine Anhörung regelmäßig in der Vollzugseinrichtung. Die Jugendkammer entscheidet in der Besetzung mit einem Richter (§ 92 Abs. 4 Satz 1 JGG; zur Möglichkeit der Übernahme der Sache durch die Kammer bei besonderen Schwierigkeiten rechtlicher Art bzw. grundsätzlicher Bedeutung s. § 92 Abs. 4 Satz 3 bis 6 JGG). Für die Kosten des Verfahrens gilt § 121 des Strafvollzugsgesetzes mit der Maßgabe, dass entsprechend § 74 JGG davon abgesehen werden kann, dem Jugendlichen Kosten und Auslagen aufzuerlegen (§ 92 Abs. 5 JGG). Da § 92 Abs. 1 Satz 2 1. Hs. JGG nicht auf § 120 Abs. 2 StVollzG verweist, gelten nicht die Normen über die Gewährung von Prozesskostenhilfe (§§ 114 ff ZPO) entsprechend, sondern ist über § 120 Abs. 1 StVollzG die Regelung des § 140 Abs. 2 StPO anzuwenden. Es soll dadurch die Anwaltsbeiziehung nicht von der Erfolgsaussicht der Sache abhängen, sondern von der jugendgemäß zu beurteilenden Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage (BT-Drucks. 16/6978, 6). Verbüßt der zu Jugendstrafe Verurteilte nach Herausnahme aus dem Jugendstrafvollzug gem. § 89 b JGG diese in einer Justizvollzugsanstalt für den Vollzug der Freiheitsstrafe an Erwachsenen, richtet sich sein Rechtsschutz gem. § 92 Abs. 6 JGG nach den Vorschriften der §§ 109 bis 121. § 92 Abs. 1 bis 5 JGG finden dagegen keine Anwendung (§ 92 Abs. 6 Satz 1 JGG). § 92 Abs. 6 Satz 2 JGG stellt eine besondere Rechtswegeröffnung für den gerichtlichen Rechtsschutz dar. Der Inhaftierte kann sich an die Strafvollstreckungskammer beim Landgericht (§ 110) wenden, wenn es sich bei der Beanstandung oder dem Begehren um eine ihn betreffende Maßnahme zur Regelung einzelner Angelegenheiten auf dem Gebiet des Strafvollzugs oder um die Ablehnung oder das Unterlassen einer solchen Maßnahme handelt. Gleiches gilt im Vollzug der Maßregeln gem. § 60 Nr. 1 oder Nr. 2 StGB, sobald der dem Jugendstrafrecht Unterfallende das 24. Lebensjahr vollendet hat (§ 92 Abs. 6 S. 1 JGG). Die so genannte Organisationshaft (vgl. § 1 Rdn. 2) ist Vollzug einer Freiheitsstrafe 4 mit der Folge, dass auch insoweit die §§ 109 ff Anwendung finden (BVerfG StV 1997, 476, 477; OLG Zweibrücken StV 1997, 478, 479 mit Anm. Volckart; Arloth 2011 Rdn. 1 b). Demgegenüber vertritt das OLG Hamm (NStZ 1998, 479) die Meinung, dass vor tatsächlichem Vollzugsbeginn zur Verbüßung einer Strafhaft oder zum Vollzug einer Maßregel die sachliche Zuständigkeit einer Strafvollstreckungskammer nicht eintritt. Der Rechtsweg gem. §§ 109 ff ist nicht gegeben im Bereich des Vollzugs von Untersuchungshaft (§ 119 a StPO), einer Unterbringung gem. § 81 StPO oder einer Unterbringung aufgrund zivilbzw. landesrechtlichen Regelungen. Bei der Auslieferungshaft besteht der Rechtsweg in der Anrufung des Vorsitzenden des Strafsenats gem. § 27 Abs. 3 IRG. 2. Zuständigkeiten anderer Gerichte 5
a) Zivilgerichte. Das Strafvollzugsgesetz hat an der Zuständigkeit der Zivilgerichte für öffentlich-rechtliche Entschädigungsansprüche nichts geändert. Derartige Ansprüche sind durch §§ 13 GVG, 40 Abs. 2 Satz 1 VwGO den ordentlichen Gerichten zugewiesen und zwar den Zivilgerichten (OLG Celle ZfStrVo SH 1978, 73). Das betrifft vor allem Schadensersatzansprüche aus Amtspflichtverletzungen gem. Art. 34 GG, § 839 BGB (OLG Laubenthal
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Brandenburg FS 2010, 1) oder andere Fälle der Staatshaftung. Rechnet die Justizvollzugsanstalt mit einem zivilrechtlichen Anspruch gegen das Hausgeld eines Gefangenen auf, so ist zwar der Rechtsweg nach § 109 gegeben; die Strafvollstreckungskammer kann insoweit das Verfahren nach § 120 Abs. 1, § 262 Abs. 2 StPO aussetzen und dem Anstaltsleiter eine Frist zur Geltendmachung des Anspruchs vor dem Zivilgericht setzen (s. § 93 Rdn. 6). Eine rechtskräftige Entscheidung einer Strafvollstreckungskammer über die Rechtswidrigkeit oder Rechtmäßigkeit einer Maßnahme auf dem Gebiet des Strafvollzugs führt zu einer Bindung des Zivilgerichts im Amtshaftungsprozess. Der Zivilrechtsweg bleibt bei der Geltendmachung zivilrechtlicher Ansprüche beste- 6 hen, selbst wenn diese im Zusammenhang mit dem Strafvollzug stehen. So sind für einen Anspruch auf Schadensersatz, der einem Gefangenen dadurch entstanden sein könnte, dass er von der Arbeit abgelöst wurde und der Schaden darin zu sehen wäre, dass er infolge der Ablösung nicht das Arbeitsentgelt erhalten hat, das ihm ohne das schädigende Ereignis zu zahlen gewesen wäre, die Zivilgerichte zuständig (OLG Frankfurt 12.11.1979 – 3 Ws 877/79 (StVollz)). Für Ansprüche der Vollzugsbehörden gegen Gefangene aus unerlaubter Handlung (§§ 823 ff BGB) ist ebenfalls der Zivilrechtsweg eröffnet (§ 93 Rdn. 2 und 6). Die Anlage des Überbrückungsgeldes ist keine vollzugsregelnde Maßnahme (OLG Celle ZfStrVo 1988, 251). Der Rechtsweg nach §§ 109 ff ist auch nicht zulässig bei Streitigkeiten über die Gewährung von Verletztengeld. Strafgefangene sind bei Arbeitsunfällen nach § 2 Abs. 2 Satz 2 SGB VII versichert. Die Entscheidung, ob ein Arbeitsunfall vorliegt und ein Anspruch auf Verletztengeld besteht, obliegt dem Versicherungsträger. Der Vollzugsbehörde kommt insoweit keine eigene Entscheidungsbefugnis zu (OLG Jena ZfStrVo 2000, 379 B). Gerichtlicher Rechtsschutz kann bei den Sozialgerichten beantragt werden (Arloth 2011 Rdn. 2). b) Arbeitsgerichte. Für Streitigkeiten aus dem öffentlich-rechtlichen Beschäfti- 7 gungsverhältnis zwischen der Vollzugsbehörde und einem Strafgefangenen ist der Rechtsweg vor dem Arbeitsgericht nicht gegeben (LAG Berlin-Brandenburg, Beschl. vom 3.6.2009 – 13 Ta 1102/09), da insoweit keine bürgerlich-rechtlichen Rechtsbeziehungen zwischen der Vollzugsbehörde und dem Inhaftierten begründet werden (vor § 37 Rdn. 3). Die Arbeitsgerichte sind auch nicht zuständig für Rechtsstreitigkeiten in einem Berufsausbildungsverhältnis, das auf der Basis der öffentlich-rechtlichen Beziehungen besteht, in denen der Inhaftierte zum Staat steht (§ 37 Abs. 3). Anders ist dies bei Arbeitstätigkeit oder Berufsausbildung bzw. beruflicher Weiterbildung in einem freien Beschäftigungsverhältnis (LAG Hamm NStZ 1991, 455). Vgl. auch § 39 Rdn. 2. c) Strafsenat des OLG nach EGGVG. Für Maßnahmen auf dem Gebiet der Strafvoll- 8 streckung (dazu Laubenthal/Nestler 2010, S. 217 ff) ist der subsidiäre Rechtsweg nach §§ 23 ff EGGVG eröffnet (OLG Karlsruhe ZfStrVo 1999, 111), soweit nicht speziellere Rechtsbehelfe gesetzlich normiert sind (§§ 458, 459h, 462 a StPO). Die Zurückweisung eines Antrags auf Strafunterbrechung wegen Vollzugsuntauglichkeit durch die Staatsanwaltschaft als Vollstreckungsbehörde ist rechtlich die Anordnung einer Justizbehörde zur Regelung einer Angelegenheit auf dem Gebiet der Strafrechtspflege; die Entscheidung ist nicht gem. §§ 109 ff StVollzG gerichtlich überprüfbar, da diese sich ausschließlich auf Entscheidungen von Vollzugsbehörden beziehen (OLG Koblenz ZfStrVo SH 1978, 68). Beanstandet ein Verurteilter, dass entgegen § 67 Abs. 1 StGB die Freiheitsstrafe vor der Maßregel vollzogen wird, so wendet er sich nicht gegen eine Einzelmaßnahme auf dem Gebiet des Strafvollzugs, sondern gegen die Zulässigkeit der Strafvollstreckung (§ 458 Abs. 1 StPO; OLG Düsseldorf NStZ 1981, 366). Einweisungsentscheidungen der Strafvollstreckungsbehörden nach dem Vollstreckungsplan sind keine Vollzugsmaßnah921
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men (OLG Celle ZfStrVo 1986, 64; OLG Frankfurt NStZ-RR 2006, 253; NStZ 2007, 173). Gleiches gilt, wenn der Verurteilte sich zum Zeitpunkt der Einleitung der Strafvollstreckung in einer für ihn unzuständigen Vollzugsanstalt befindet im Hinblick auf die von der Vollstreckungsbehörde neben der Einweisung veranlasste Überführung (OLG Schleswig, NStZ 2008, 683). In dem vollstreckungsrechtlichen Verfahren nach § 57 StGB, § 454 StPO kann nicht durch das Gericht nachgeprüft werden, ob einem Verurteilten Vollzugslockerungen zu Unrecht abgelehnt wurden. Dies folgt aus dem Verbot, in das Beurteilungsermessen der Vollzugsbehörde einzugreifen (OLG Frankfurt NStZ-RR 2004, 62, 63). Siehe jedoch: Einem Verurteilten, der eine Ladung zum offenen Vollzug erhalten hat, droht eine Rechtsverletzung, die er nach § 109 angreifen kann, wenn in der Justizvollzugsanstalt, in der er seine Strafe antreten soll, keine Einzelhafträume zur Verfügung stehen (KG NStZ-RR 2003, 125, 126). Gegen die ablehnende Entscheidung der Justizverwaltung des Bundeslandes, in das ein in einem anderen Bundesland inhaftierter Strafgefangener verlegt werden will, ist der Rechtsweg nach §§ 23 ff EGGVG eröffnet (BGH NStZRR 2002, 26; OLG Frankfurt NStZ-RR 2006, 253; OLG Hamm ZfStrVo 2002, 315; OLG Schleswig NStZ-RR 2007, 324; NStZ-RR 2008, 126; OLG Stuttgart NStZ 1997, 103; KG NStZ-RR 2007, 124; OLG Thüringen FS 2010, 50; vgl. auch § 8 Rdn.13; a. A. Arloth 2011, § 153 Rdn. 7). Das soll zudem für die Negativentscheidung desjenigen Bundeslandes gelten, in dessen Vollzug sich der Betroffene befindet (OLG Schleswig, NStZ-RR 2008, 126; a. A. KG StV 2007, 203). Gegen die eine Verlegung innerhalb desselben Bundeslandes ablehnende Entscheidung der Heimatanstalt ist jedoch der Rechtsweg gem. §§ 109 ff eröffnet. 9
d) Verwaltungsgerichte. Das Verwaltungsgericht Stuttgart hat in einem Beschluss vom 13.9.1977 (VRs IX 151/77) den Verwaltungsrechtsweg für zulässig erklärt, als ein Gefangener die Vornahme bestimmter baulicher Maßnahmen im Vollzugskrankenhaus anstrebte (undichte Decke im Duschbad bzw. Kondenswasserbildung an der Decke). Das Verwaltungsgericht vertrat die Auffassung, dass es sich im konkreten Fall nicht um Maßnahmen auf dem Gebiet des „reinen“ Strafvollzugs handele, sondern um Amtshandlungen auf dem Gebiet des Verwaltungsrechts. In diesem Zusammenhang wäre jedoch zu prüfen gewesen, ob eine Maßnahme der Vollzugsbehörde vorliegt, die auf § 144 gegründet ist und dann noch im Verfahren nach §§ 109 ff anfechtbar wäre (s. auch OLG Zweibrücken NStZ 1982, 221; OVG Hamburg NJW 1993, 1153). Die Frage der Unterbringung eines Gefangenen in einem Haftraum, der nicht den Anforderungen der Menschenwürde entspricht, ist Regelungsgegenstand des § 144 (BVerfG ZfStrVo 2002, 176, 178). Ebenso ist die Regelung von Heizbedingungen und Raumtemperaturen in den Hafträumen eine Maßnahme nach § 109 (OLG Nürnberg ZfStrVo 2002, 313). Zur Entscheidung über den Antrag, die Hafträume der Anstalt mit Vorhängen auszustatten oder die Fassadenbeleuchtung umzubauen, ist die Strafvollstreckungskammer und nicht das Verwaltungsgericht zuständig (OLG Nürnberg 11.6.2001 – Ws 521/01). Für die Geltendmachung eines Anspruchs auf Auskunft der Vollzugsbehörde über Maßnahmen zur Beschränkung des Postverkehrs von Gefangenen steht einem Dritten der Verwaltungsrechtsweg offen (VGH Mannheim NJW 1997, 1866). Die Erlaubnis zu Filmaufnahmen (Drehgenehmigung) durch den Anstaltsleiter ist keine Vollzugsmaßnahme, denn sie resultiert nicht aus den Rechtsbeziehungen, die sich zwischen Staat und Inhaftiertem aufgrund des jeweiligen Strafvollzugsgesetzes ergeben (OLG Koblenz NStZ 1994, 380, 381 B; Laubenthal 2011 Rdn. 765). Ebenso ist für die Klage eines Gefangenen gegen den Einlass von Besuchergruppen (vgl. auch Rdn. 6 zu § 24) zu Anstaltsbesichtigungen der Verwaltungsrechtsweg eröffnet. Die Entscheidung über den Einlass von Besuchern ist im Hausrecht des Behördenleiters begründet (VG Karlsruhe NStZ 2000, 467). Für eine Klage, mit der ein GefanLaubenthal
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gener den Widerruf bzw. die Unterlassung von bestimmten Behauptungen der Anstaltsleitung in vollzugsbehördlichen Verfügungen begehrt, ist der Verwaltungsrechtsweg nicht eröffnet, sondern der Rechtsweg nach § 109 (VGH Mannheim Justiz 2004, 219). Bei Anträgen von Gefangenen kommt in jedem Fall im Verfahren nach §§ 109 ff eine besondere Fürsorgepflicht zum Tragen. So muss die Strafvollstreckungskammer nach Anhörung der Beteiligten und Verneinung ihrer Zuständigkeit den Rechtsstreit von Amts wegen gem. § 17 a Abs. 2 Satz 1 GVG an das zuständige Gericht des zulässigen Rechtswegs verweisen (OLG Saarbrücken NJW 1994, 1425; OLG Hamm ZfStrVo 2002, 378; Laubenthal 2011 Rdn. 768). Ein solcher Beschluss ist nach § 17 a Abs. 2 Satz 3 GVG für das Gericht, an welches die Sache verwiesen wurde, bindend. 3. Nach § 109 anfechtbare Maßnahmen a) Maßnahme auf dem Gebiet des Strafvollzugs. Der Rechtsweg nach §§ 109 ff ist 10 nur gegen Maßnahmen auf dem Gebiete des Strafvollzugs gegeben (§ 109 Abs. 1 Satz 1). Es muss sich deshalb um Maßnahmen einer Vollzugsbehörde handeln, die in das Rechtsverhältnis zwischen einem Gefangenen und dem Staat eingreifen, das sich auf der Grundlage des jeweiligen Strafvollzugsgesetzes ergibt (Laubenthal 2011 Rdn. 764). So sind auch Streitigkeiten über das Recht eines Gefangenen, für ihn verwahrte Sachen abzusenden, in dem Verfahren nach § 109 überprüfbar (OLG Brandenburg NJW 2001, 3351, 3352). Dies gilt ferner etwa für gerichtliche Anträge im Zusammenhang mit Entscheidungen bei Fragen des Datenschutzes (Vor § 179 Rdn. 5). Insoweit enthält § 187 Satz 2 eine Ausnahme, wonach die Landesdatenschutzgesetze im Hinblick auf die Schadensersatz-, Straf- und Bußgeldvorschriften sowie für die Kontrolle der Landesbeauftragten für den Datenschutz unberührt bleiben (§ 187 Rdn. 23 ff; so auch Arloth 2011 Rdn. 3). Auch Maßnahmen der Vollzugsbehörden gegenüber Außenstehenden können solche i. S. d. § 109 Abs. 1 Satz 1 sein. So ist die Anfechtung der Nichteinstellung als Praktikant nach §§ 109 ff statthaft (KG 23.2.1979 – 2 Ws 386/78 (Vollz)); ebenso die Anfechtung der Nichtzulassung oder des Widerrufs der Zulassung als ehrenamtlicher Vollzugshelfer (OLG Karlsruhe ZfStrVo 2002, 377; OLG Frankfurt ZfStrVo 1984, 191; für Beiratsmitglieder OLG Stuttgart NStZ 1986, 382 mit Anm. Dertinger). Die Verweigerung der Auskunft über den Aufenthalt eines Strafgefangenen in einer Justizvollzugsanstalt ist im Verfahren nach §§ 109 ff anfechtbar (KG GA 1985, 271). Die Ablehnung eines Interviews mit einem Strafgefangenen gehört ebenso zu den Maßnahmen nach § 109 (BGHSt 27, 285). Der Streit über die Berechtigung der Vollzugsbehörde, Dritten Einsicht in die Gefangenenpersonalakten zu gewähren, zählt auch dann zur Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer, wenn sich der Gefangene nicht mehr in Strafhaft befindet (OVG Rheinland-Pfalz NStZ 1986, 333). Die Kontaktaufnahme der Vollzugsbehörde zu außenstehenden Firmen zur Kontrolle der Bezahlung einer Warenlieferung durch einen Gefangenen stellt als Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht eine Maßnahme i. S. v. § 109 dar (OLG Hamm NStZ 1988, 525); zur Anfechtungsbefugnis Außenstehender Rdn. 28. b) Regelung einzelner Angelegenheiten aa) Für die Frage, welche Maßnahme einer Vollzugsbehörde nach §§ 109 ff anfecht- 11 bar ist, kommt es darauf an, ob sie zur Regelung einer einzelnen Angelegenheit, die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist, getroffen wurde bzw. getroffen werden soll (OLG Karlsruhe ZfStrVo 2003, 251). Der Begriff der Maßnahme knüpft insoweit an die Definition des Verwaltungsaktes an, wie sie § 35 Abs. 1 VwVfG vorsieht (Arloth 2011 Rdn. 6; C/MD 2008 Rdn. 11, 12; Laubenthal 2011 769; Schuler 1988, 259). Mit dem 923
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Begriff Maßnahme wird auch klargestellt, dass keine hohen formalen Anforderungen zu stellen sind (Böhm 2003 Rdn. 366). Durch die vollzugliche Maßnahme müssen die Lebensverhältnisse des Gefangenen in irgendeiner Weise mit – zumindest auch – rechtlicher Wirkung gestaltet werden (KG NStZ 1993, 304). Der Maßnahmebegriff von § 109 Abs. 1 S. 1 StVollzG ist unter Beachtung von Art. 19 Abs. 4 GG zu interpretieren. Deshalb kommt es für die Entscheidung, ob ein Handeln oder Unterlassen der Vollzugsbehörde eine regelnde Maßnahme darstellt, darauf an, ob die Möglichkeit der Verletzung von Rechten des Gefangenen durch das Handeln bzw. Unterlassen besteht (Lübbe-Wolff/ Frotz 2009, 619). Eine Maßnahme i. S. der §§ 109 ff hat daher dann Regelungscharakter, wenn dadurch subjektive Rechte des Betroffenen begründet, geändert, aufgehoben bzw. verbindlich festgestellt werden oder die Begründung, Änderung, Aufhebung bzw. Feststellung solcher Rechte verbindlich abgelehnt wird (OLG Stuttgart ZfStrVo 1997, 54). Derartige Maßnahmen, die in die Rechtsposition eines Gefangenen eingreifen, vermag nicht nur der Leiter einer Justizvollzugsanstalt zu setzen. Nach § 156 Abs. 2 wird die Anstalt zwar nach außen nur von dem Anstaltsleiter vertreten; er trägt auch die Verantwortung für den gesamten Vollzug. In Teilbereichen kann diese Verantwortung anderen Vollzugsbediensteten obliegen, wenn ihnen, wie es § 156 Abs. 2 Satz 2 vorsieht, bestimmte Aufgabenbereiche zur verantwortlichen Erledigung zugewiesen sind. Soweit die Vollzugsbediensteten bei der Erledigung ihrer Aufgaben den Rechtskreis eines Gefangenen tangieren, setzen sie kraft der ihnen übertragenen Aufgaben (§ 155 Abs. 1) Vollzugsverwaltungsakte, die der rechtlichen Überprüfung unterliegen (OLG Karlsruhe ZfStrVo SH 1978, 41; OLG Zweibrücken 18.12.1980 – 1 Vollz (Ws) 61/80; OLG Hamm NStZ 1982, 220; ZfStrVo 1982, 187; OLG Frankfurt NStZ 1994, 381 B; LG Regensburg ZfStrVo 1981, 312; LG Krefeld NStZ 1984, 576; LG Hamburg NStZ 1992, 303; AK-Kamann/Spaniol 2012 Rdn. 8 f; Arloth 2011 Rdn. 7; Böhm 2003 Rdn. 367; C/MD 2008 Rdn. 18; Diepenbruck 1982, 133 ff; K/S-Schöch § 9 Rdn. 23). Ein Vollzugsbediensteter setzt dann keinen Verwaltungsakt, wenn er lediglich Anordnungen seiner Vorgesetzten ausführt oder aus solchen Anordnungen Folgen zieht (z. B. § 97). Die Möglichkeit der Anfechtung der Anordnung bleibt hiervon unberührt. Ob ein Bediensteter befugt ist, eigene Anordnungen zu treffen, bleibt für die Frage der Existenz einer vollzuglichen Maßnahme i. S. d. § 109 Abs. 1 Satz 1 ohne Bedeutung, sondern betrifft deren Rechtmäßigkeit (Arloth 2011 Rdn. 7; Laubenthal 2011 Rdn. 769). Der Gefangene kann deshalb auch gegen solche Maßnahmen, die in seinen Rechtskreis eingreifen, ohne vorherige Anrufung des Anstaltsleiters einen Antrag gem. § 109 stellen (OLG Zweibrücken NStZ 1990, 512 und ZfStrVo 1994, 52; Eschke 1993, 120 ff). Nach der Auffassung des BVerfG verstößt es gegen das Willkürverbot, wenn die Strafvollstreckungskammer der Entscheidung eines intern nicht befugten Beamten der Vollzugsanstalt den Charakter einer vollzuglichen Maßnahme abspricht, denn der durch eine Verfahrensordnung bestimmte Zugang zu den Gerichten darf nicht in unzumutbarer und aus Sachgründen nicht zu rechtfertigender Weise erschwert werden (BVerfG NStZ 1990, 557; ZfStrVo 1999, 514; a. A. Grunau/Tiesler Rdn. 3, wonach ein Gefangener sich bei Maßnahmen von Vollzugsbediensteten zunächst an den Anstaltsleiter zu wenden habe und erst dessen Entscheidung nach § 109 anfechtbar sein soll; s. auch OLG Hamm NStZ 1989, 592). Von der Frage, wer eine Vollzugsmaßnahme erlassen kann, ist zu unterscheiden, wer Antragsgegner in dem gerichtlichen Verfahren ist. Dies ist regelmäßig die Justizvollzugsanstalt, vertreten durch den Anstaltsleiter. Handlungen der Vollzugsbehörde als Verfahrensbeteiligte innerhalb eines gerichtlichen Verfahrens vor der Strafvollstreckungskammer sind keine selbständig nach § 109 anfechtbaren Maßnahmen (OLG Karlsruhe ZfStrVo 2003, 111, 114). Zur Beteiligung am gerichtlichen Verfahren § 111 Rdn. 2.
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bb) Die Maßnahme muss zur Regelung einzelner Angelegenheiten getroffen wor- 12 den sein (Abs. 1 Satz 1). Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung muss sich gegen eine den Gefangenen betreffende und beschwerende konkrete Einzelmaßnahme einer Vollzugsbehörde richten. Regelungen allgemeiner Art können nicht Gegenstand der Überprüfung im vollzuglichen Gerichtsverfahren sein. Der Vollzugsplan (§ 7) stellt eine Maßnahme zur Regelung einzelner Angelegenheiten i. S. v. § 109 dar (AK-Feest/Straube 2012, § 7 Rdn. 36; C/MD 2008, § 7 Rdn. 2; Laubenthal 2011 Rdn. 327; einschränkend dagegen KG ZfStrVo 1984, 370; OLG Koblenz ZfStrVo 1986, 58, 114 sowie 1990, 116 und 1992, 321; OLG Saarbrücken ZfStrVo 2004, 119; Arloth 2011 Rdn. 9; K/S-Schöch § 9 Rdn. 25). Gerichtlich anfechtbar sind einzelne im Vollzugsplan vorgesehene Behandlungskriterien (OLG Nürnberg ZfStrVo 1982, 308; KG ZfStrVo 1984, 370; OLG Koblenz NStZ 1986, 92; OLG Karlsruhe StV 2007, 200), soweit sie Regelungcharakter mit unmittelbarer Rechtswirkung haben (OLG Frankfurt NStZ 1995, 520; OLG Hamburg StraFo 2007, 390). Als eine Maßnahme i. S. d. § 109, d. h. ein behördliches Handeln zur Regelung eines Einzelfalls mit unmittelbarer Rechtswirkung, zu qualifizieren ist aber auch die Aufstellung des Vollzugsplans als solche (BVerfG StV 1994, 95; NStZ-RR 2008, 60 f; OLG Hamburg StraFo 2007, 390). Der Betroffene kann deshalb den Vollzugsplan insgesamt angreifen (BVerfG NStZ 2003, 620; OLG Celle, StV 2012, 171; a. A. OLG Koblenz ZfStrVo 1990, 116; Arloth 2011, § 7 Rdn. 13). Das BVerfG hat klargestellt, dass bei der Bedeutung des Vollzugsplans für das Erreichen des Vollzugsziels die Gerichte den Bestimmungen des § 109 nicht im Wege der Auslegung einen Inhalt beimessen dürfen, bei dem ein Antrag auf gerichtliche Entscheidung nur zur Überprüfung einzelner Planmaßnahmen, nicht aber auch zur Überprüfung der Rechtsfehlerfreiheit des Aufstellungsverfahrens oder des inhaltlichen Gestaltungsermessens gestellt werden könnte. Der Vollzugsplan muss wegen seiner zentralen Bedeutung gerichtlich daraufhin kontrollierbar sein, ob die Rechtsvorschriften für das Aufstellungsverfahren beachtet wurden und das inhaltliche Gestaltungsermessen der Behörde rechtsfehlerfrei ausgeübt worden ist (BVerfG NStZ 1993, 301; ZfStrVo 2003, 183; NStZ-RR 2008, 60; Arloth 2011, § 7 Rdn. 13: nur „Sonderfall“). Die Versagung der Anstaltsleitung, den Verteidiger des Inhaftierten an der Vollzugsplankonferenz teilnehmen zu lassen, stellt für sich allein regelmäßig keine nach § 109 anfechtbare Maßnahme dar, denn die Durchführung der Vollzugsplankonferenz ist ein rein behördeninterner Vorgang. Der Gefangene kann aber den später umgesetzten Vollzugsplan im Hinblick auf eine Rechtfehlerhaftigkeit des Aufstellungsverfahrens einer gerichtlichen Kontrolle unterziehen (OLG Celle NStZ 2011, 352). Die Einordnung eines Gefangenen in eine bestimmte Kategorie von Straftätern (z. B. OK-Vermerk in den Gefangenenpersonalakten) nimmt den Regelungscharakter einer Maßnahme an, wenn sie von sich aus Wirkungen entfaltet und die Rechtsstellung des Betroffenen berührt (KG StV 1998, 208). Dagegen ist die „Umklassifizierung“ eines Strafgefangenen als kriminell gefährdet keine anfechtbare Vollzugsmaßnahme und kann demnach nicht Gegenstand eines Vornahmeantrages sein, da es sich insoweit lediglich um eine vorgezogene Erklärung mit Selbstbindungswirkung handelt (OLG Hamm NStZ 1990, 151). Die abstrakte gerichtliche Prüfung der Bedeutung und Wirksamkeit von Verwaltungsvorschriften, die zu den Normen der Strafvollzugsgesetze ergangen sind, ist nach § 109 nicht zulässig (LG Hamburg ZfStrVo SH 1977, 47). Zu deren Rechtsnatur § 115 Rdn. 23. Zu einer Überprüfung kommt es dann, sobald eine Einzelmaßnahme auf Verwaltungsvorschriften gestützt wird und die konkrete Maßnahme nach § 109 Gegenstand eines vollzugsgerichtlichen Verfahrens darstellt (Inzidentkontrolle K/S-Schöch § 9 Rdn. 27; OLG Karlsruhe ZfStrVo 2003, 251). Bei der Anordnung, z. B. das Essen zu einer anderen als der üblichen Zeit auszugeben, handelt es sich um eine Maßnahme zur Regelung einer einzelnen Angelegenheit. Eine solche Maßnahme muss sich nicht an einen einzelnen Betroffenen wenden, sie kann auch an 925
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einen nach allgemeinen Merkmalen bestimmten Personenkreis gerichtet sein. Der Unterschied zu einer abstrakten Regelung liegt in diesem Fall darin, dass die Anordnung selbst unmittelbare Auswirkungen auf jeden einzelnen Gefangenen hat (LG Hamburg ZfStrVo SH 1978, 22; vgl. auch OLG Nürnberg NStZ 1982, 526). Die allgemeine Anordnung eines Anstaltsleiters, jeden in die Anstalt zurückkehrenden Gefangenen zu durchsuchen, ist einer unmittelbaren gerichtlichen Überprüfung nicht zugänglich. Der Gefangene kann jedoch bei Gericht beantragen, dass die allgemeine Anordnung auf ihn nicht angewendet wird (OLG Hamm ZfStrVo 1987, 119). Eine Haus- oder Rundverfügung kann gerichtlich nach § 109 Abs. 1 angefochten werden, wenn sie entsprechend einem in Gestalt einer Allgemeinverfügung ergangenen Verwaltungsakt (§ 35 Abs. 1 Satz 2 VwVfG) in Bezug auf einen Gefangenen die Regelung des Einzelfalles enthält (KG ZfStrVo 1980, 188; s. auch BVerfG, vom 5.5.2011 – 2 BvR 722/11). Wird eine Allgemeinverfügung durch eine neue abgelöst, die im Vergleich zu der früheren Verfügung drastische Einschränkungen enthält, so ist eine Anfechtung nach § 109 zulässig, wenn sie bereits ohne das Hinzutreten eines umsetzenden Einzelaktes verbindlich ist und unmittelbar freiheitsbeschränkend rechtliche Wirkung entfaltet (OLG Frankfurt NStZ 2001, 669, 670, 671 mit Anm. Münster/ Schneider). Zur Anfechtung einer Allgemeinverfügung OLG Celle ZfStrVo 1990, 307. Die Anfechtung einer Hausordnung generell kann im Verfahren nach §§ 109 ff nicht verfolgt werden (LG Lüneburg LS ZfStrVo SH 1979, 95; OLG Hamm NStZ 1985, 354 F; KG NStZ 1997, 429 M; Arloth 2011 Rdn. 10; C/MD 2008 Rdn. 14). Eine anfechtbare Maßnahme liegt erst dann vor, wenn die Hausordnung im Einzelfall auf den Gefangenen angewandt wird (OLG Koblenz NStZ 2008, 683). Zur Rechtsnatur der Hausordnung § 161 Rdn. 2, 4. Beruht der ablehnende Bescheid eines Anstaltsleiters auf einer allgemeinen Anordnung der Aufsichtsbehörde, verliert er dadurch nicht den Charakter einer Einzelfallregelung mit unmittelbarer Rechtswirkung für den betroffenen Gefangenen (OLG Frankfurt ZfStrVo SH 1978, 28). 13
cc) Bei der Verhängung von Arrest ist nicht nur die Anordnung der Disziplinarmaßnahme als solche, sondern auch die Art und Weise ihres Vollzugs eine nach §§ 109 ff anfechtbare Maßnahme. Der Gefangene kann möglicherweise in seinen Rechten verletzt sein, wenn nach seiner Behauptung die gesetzlichen Mindestanforderungen (§§ 144 Abs. 1 Satz 2, 104 Abs. 5) nicht eingehalten sein sollten. Andernfalls müsste insoweit im Rahmen eines Verfahrens nach §§ 109 ff, wenn die Anordnung der Disziplinarmaßnahme wegen eines Pflichtverstoßes des Gefangenen gerechtfertigt wäre, die Art der Unterbringung des Gefangenen im Arrest selbst in den denkbar krassesten Fällen unberücksichtigt bleiben (OLG Nürnberg NStZ 1981, 200; s. auch Rdn. 5 zu § 104). Eine Verwarnung i. S. v. § 102 Abs. 2 kann als förmliche Missbilligung eines Verhal14 tens und Pflichtermahnung für den Gefangenen im Einzelfall nachteilige Folgen haben; die Verwarnung stellt daher i. d. R. eine nach §§ 109 ff überprüfbare Vollzugsmaßnahme dar (OLG Bamberg ZfStrVo SH 1978, 40; s. auch Rdn. 10 zu § 102). Entscheidungen der Vollzugsbehörde über Geldmittel eines Gefangenen sind grund15 sätzlich vollzugsregelnde Verfügungen (OLG Hamm NStZ 1988, 479, 480; OLG Koblenz NStZ 1988, 431; Arloth 2011 Rdn. 3). Die Verfügung, mit der aufgrund einer Aufrechnung die Einbehaltung von Hausgeld angeordnet wurde, stellt eine im Verfahren nach §§ 109 ff nachprüfbare Vollzugsmaßnahme dar. Bei dieser Anordnung wird die Verfügungsmöglichkeit des Gefangenen über das Hausgeld berührt. Die das Hausgeld betreffenden Beziehungen zwischen der Vollzugsbehörde und dem Gefangenen sind öffentlich-rechtlicher Natur und erwachsen aus dem strafvollzugsgesetzlich geregelten Beschäftigungsverhältnis des Gefangenen (OLG Hamm ZfStrVo 1981, 249; OLG Stuttgart ZfStrVo 1986, 186; OLG Dresden NStZ 1999, 447 M). Das Gleiche gilt für zu Unrecht vorgenommene Laubenthal
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Überweisungen vom Hausgeldkonto (OLG Celle ZfStrVo 1980, 253; LG Regensburg ZfStrVo 1981, 312; s. auch Rdn. 8 zu § 93). Die Überweisung an Gläubiger vom Eigengeldkonto, das aus Arbeitsentgelt stammt, ist eine belastende Vollzugsmaßnahme i. S. v. § 109 (OLG Frankfurt NStZ 1994, 380 B; OLG Hamburg ZfStrVo 1996, 182; KG ZfStrVo 2003, 302). Die Drittschuldnererklärung der Zahlstelle einer Vollzugsanstalt stellt dagegen keine Maßnahme i. S. v. § 109 dar (OLG Zweibrücken NStZ 1992, 101). Bei der Ausführung von Pfändungs- und Überweisungsbeschlüssen durch die Vollzugsanstalt wird ebenfalls keine Vollzugsmaßnahme getroffen. Einwendungen sind daher bei dem Vollstreckungsgericht (§ 766 ZPO) zu erheben (OLG Hamm NStZ 1988, 479, 480; OLG Nürnberg NStZ 1996, 378 B; OLG Jena ZfStrVo 2005, 184; OLG Hamburg, NStZ 2010, 442 C/MD 2008 Rdn. 9; Laubenthal 2011 Rdn. 767). Rechnet die Justizvollzugsanstalt gegen den Eigengeldanspruch eines Strafgefangenen auf, so ist für Einwendungen gegen diese Aufrechnung aber der Rechtsweg gem. §§ 109 ff StVollzG gegeben (OLG Hamburg FS 2010, 51 f). Mit Inkrafttreten von § 50 nach Art. 11 ERJuKOG findet für Maßnahmen, die aufgrund dieser Vorschrift ergehen, das gerichtliche Verfahren nach §§ 109–121 entsprechende Anwendung (§ 50 Abs. 5 Satz 2). Keine Vollzugsverwaltungsakte sind bloße Meinungsäußerungen, da sie keine 16 sachliche Regelung darstellen. Stellungnahmen oder Mitteilungen (z. B. Stellungnahmen in Gnadenverfahren oder zur Aussetzung des Strafrestes) enthalten von der Sache her nur die Wiedergabe von Beobachtungen und Einschätzungen der Vollzugsbehörde, die der Würdigung sowohl in tatsächlicher als auch in rechtlicher Hinsicht durch die letztlich entscheidende Stelle (Gericht, Gnadenbehörde) unterliegen. Bei derartigen Wissenserklärungen liegt die Verwertung beim Erklärungsempfänger (OLG Hamm ZfStrVo 1979, 252; NStZ 1997, 428 M; C/MD 2008 Rdn. 12; Laubenthal 2011 Rdn. 767; Meyer-Goßner 2011 § 23 EGGVG Rdn. 6). Ebenso ist die Festsetzung des voraussichtlichen Entlassungszeitpunktes im Vollzugsplan nicht anfechtbar (OLG Frankfurt NStZ 1996, 358 mit Anm. Walter/Dörlemann; KG NStZ 1997, 207). Von der Mitteilung und der Verwertung von Kenntnissen, die bei der Überwachung von Besuchen oder des Schriftwechsels gewonnen werden, gehen demgegenüber unmittelbare Rechtswirkungen aus (§ 180 Abs. 8; vgl. § 180 Rdn. 40–43). Keine Verwaltungsakte sind mangels Fehlens einer Regelung, d. h. eines gestalten- 17 den Eingreifens: Belehrungen, Hinweise auf Vorschriften, Ratschläge oder Warnungen. Aktenvermerke können nicht angefochten werden, wenn sie keine weiteren Nachteile für den Betroffenen mit sich bringen (KG NStZ 1993, 304). Anders stellt sich dies aber dar, wenn sie ein weiteres rechtsbeeinträchtigendes Handeln der Vollzugsbehörde nach sich ziehen und damit die Rechtsstellung des Inhaftierten berühren (OLG Nürnberg NStZ 1993, 425; KG ZfStrVo 1990, 377). Ein Realakt, der auf die Lebensverhältnisse eines Betroffenen gestaltend einwirkt 18 (z. B. Durchsuchung des Haftraumes, Zuweisung eines Haftraumes oder Verlegung in einen anderen Haftraum, Doppelbelegung eines Haftraumes), kann eine anfechtbare Maßnahme i. S. v. § 109 sein (OLG Celle NStZ 1981, 249; OLG Hamm NStZ 1989, 592). Maßgeblich für die Beurteilung, ob ein behördlicher Akt als eine Maßnahme mit Regelungswirkung angesehen werden kann, ist im Zweifel nicht das, was die Behörde gedacht hat, sondern wie der Betroffene unter Berücksichtigung aller ihm bekannten oder erkennbaren Umstände nach Treu und Glauben bei objektiver Auslegung die Erklärung oder das Verhalten der Behörde verstehen durfte bzw. musste. Anrede mit „Sie“ (OLG Hamm MDR 1969, 600). Bei einem Realakt als einem tatsächlichen Handeln, das eigentlich nicht aufgehoben werden kann, kommt unter Umständen ein Feststellungs- oder Unterlassungsantrag in Betracht, besonders dann, wenn dessen Wiederholung zu befürchten ist, da 927
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sich ein Gefangener anders gegen die drohende Maßnahme nicht zu wehren vermag (AKKamann/Spaniol 2012 Rdn. 31; Arloth 2011 Rdn. 6). Vollzugsmaßnahmen können unter Umständen auch in einem konkludenten Ver19 halten liegen, z. B. Ausstellen einer Bescheinigung, Erteilung einer Auskunft. Dies wird nur dann der Fall sein, wenn unmissverständlich zum Ausdruck gebracht wird, dass eine verbindliche Regelung gewollt ist (Kopp/Schenke Anh. § 42 Rdn. 39). Ebenso kann eine wertende Äußerung (z. B. Einordnung in eine bestimmte Gefangenen-Kategorie) neben einer Wissenserklärung auch eine regelnde Maßnahme i. S. v. § 109 darstellen (OLG Celle NStZ 1981, 249; s. jedoch OLG Hamm NStZ 1990, 151). Für einen Antrag auf Widerruf von bestimmten Behauptungen der Anstaltsleitung in vollzugsbehördlichen Verfügungen ist der Rechtsweg nach § 109 gegeben (VGH Mannheim Justiz 2004, 218 f). Bloßes Stillschweigen ist keine vollzugliche Maßnahme, es sei denn, es liegen im Einzelfall besondere Umstände vor, die zweifelsfrei für das Gegenteil sprechen. Behördeninterne Vorgänge sind im Allgemeinen nicht nach §§ 109 ff anfechtbar, 20 da sie noch keine Regelungswirkung entfalten; erst ihre Umsetzung (ihr Vollzug) gegen einen Betroffenen macht diese zu einer anfechtbaren Maßnahme. So entfaltet eine Begutachtung zur Feststellung der Voraussetzungen für eine Gewährung von Vollzugslockerungen als eine reine vorbereitende Verfahrenshandlung noch keine unmittelbare Regelungswirkung für den Betroffenen und stellt daher keine isoliert anfechtbare Maßnahme nach § 109 dar (OLG Celle NStZ 2009, 577). Eine gerichtliche Prüfung verwaltungsinterner Vorgänge kann jedoch dann verlangt werden, wenn die Behörde sie dazu verwendet, einen Einzelfall zu regeln (BVerwGE 11, 181; Beschorner 1986, 361 ff). Eine interne Verfügung über die einen Gefangenen betreffende Sicherungsmaßnahme ist eine Maßnahme i. S. v. § 109 mit Außenwirkung (KG ZfStrVo 2002, 247; s. auch Rdn. 12). Beachte auch § 110 Rdn. 5. Eine mehrstufige Vollzugsmaßnahme liegt dann vor, wenn die Entscheidung einer Vollzugsbehörde zuvor die Zustimmung einer anderen Behörde erforderlich macht (Verlegung, Überstellung in eine andere Vollzugseinrichtung). Verweigert die JVA, in die der Gefangene verlegt werden soll, ihre Zustimmung oder lehnt die Aufsichtsbehörde die Abweichung vom Vollstreckungsplan ab, so erlässt die Anstalt, in der der Gefangene einsitzt, den ablehnenden Bescheid, da bei ihr das Begehren eingegangen ist. Gegenüber dem Gefangenen ergeht eine einheitliche Vollzugsmaßnahme unter Einschluss der Ablehnung der beteiligten Behörden. Daher kann er nur diese anfechten. Die Verweigerung der Zustimmung der Anstalt des gleichen Bundeslandes, in die der Gefangene verlegt werden sollte, kann nicht isoliert angefochten werden. Die Verweigerung der Zustimmung ist ein Verwaltungsinternum innerhalb des mehrstufigen Verwaltungsaktes und keine selbständig anfechtbare Vollzugsmaßnahme. Rechtsschutz gegen die Versagung einer derartigen Zustimmungserklärung wird dadurch gewährt, dass die Rechtmäßigkeit der Verweigerung bei einem Antrag auf gerichtliche Überprüfung gegen die Entscheidung der Behörde, die den ablehnenden Bescheid erlassen hat, mitgeprüft wird (BVerwGE 26, 31, 40; BGH NStZ 1996, 207; OLG Hamm JR 1997, 83 mit Anm. Böhm; Laubenthal 2011 Rdn. 771). Um eine anfechtbare Maßnahme handelt es sich jedoch dann, wenn die Entscheidung der zur Mitwirkung berufenen Behörde als selbständige Vollzugsmaßnahme dem Gefangenen eröffnet wird, selbst wenn die Bekanntgabe zusammen mit der „Haupt“-Maßnahme erfolgt (BVerwGE 26, 31; BGH NStZ 1996, 207). Auch ärztliches Handeln kann ggf. die Rechte eines Gefangenen verletzen. Ein An21 trag auf gerichtliche Entscheidung ist nicht schon deshalb unzulässig, weil er auf die Vornahme bestimmter ärztlicher Maßnahmen gerichtet ist. Anordnungen des Anstaltsarztes gelten als Maßnahme der Vollzugsbehörde, wenn sie sich als Zwangsanordnung auswirken und dem Gefangenen eine begehrte ärztliche Versorgung verweigern. Ob und Laubenthal
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welche Behandlung und Medikation erforderlich ist, um eine Krankheit zu behandeln, ist i. d. R. von dem behandelnden Arzt nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden. Einer gerichtlichen Überprüfung unterliegt eine derartige ärztliche Entscheidung dann, wenn erkennbar ist, dass der Anstaltsarzt die Grenzen des pflichtgemäßen Ermessens überschritten hat. Setzt sich z. B. ein Anstaltsarzt, der Arzt für Allgemeinmedizin ist, in Widerspruch zu dem Gutachten eines Facharztes, der für den fraglichen Behandlungsfall besondere Kompetenz besitzt, so kann es in Grenzfällen durchaus sein, dass der Anstaltsarzt die Grenzen pflichtgemäßen ärztlichen Handelns und damit die Rechte eines Gefangenen verletzt. Das ärztliche Ermessen darf aber nicht durch das Gericht ersetzt werden (OLG Frankfurt ZfStrVo 1981, 382; LG Regensburg ZfStrVo SH 1977, 29; AKKamann/Spaniol 2012, § 115 Rdn. 69). Maßnahmen der Vollzugsbehörden (ablehnende Entscheidungen) und ihre Begründung müssen dem Betroffenen nicht schriftlich bekannt gemacht werden; die mündliche Eröffnung genügt (OLG Koblenz ZfStrVo 1981, 62; § 108 Rdn. 9; siehe jedoch § 112 Rdn. 2). 4. Ziel des Antrags nach § 109. Der Antrag nach § 109 kann das Ziel haben (An- 22 tragsarten), die angefochtene belastende Maßnahme aufzuheben (§ 109 Abs. 1 Satz 1, § 115 Abs. 2 Satz 1) oder die Vollzugsbehörde zu verpflichten, eine abgelehnte oder unterlassene Maßnahme zu erlassen (§ 109 Abs. 1 Satz 2, § 115 Abs. 4), sowie bei zurückgenommenen oder anders erledigten Maßnahmen bei vorliegendem berechtigten Interesse festzustellen, dass die Maßnahme rechtswidrig war (§ 115 Abs. 3). Der Feststellungsantrag ist gegenüber Anfechtungs- und Verpflichtungsanträgen subsidiär (OLG Zweibrücken ZfStrVo 1982, 318; OLG Frankfurt ZfStrVo 2004, 106; Laubenthal 2011 Rdn. 779); zum (Fortsetzungs-)Feststellungsantrag § 115 Rdn. 17. Ein Antrag darf von einem Gericht nicht objektiv willkürlich ausgelegt werden. Denn das Rechtsstaatsprinzip verbietet es dem Richter, das Verfahrensrecht so auszulegen und anzuwenden, dass den Beteiligten der Zugang zu den in den Verfahrensordnungen eingeräumten Rechten in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert wird. Diesem Grundgedanken widerspricht es, dem Sachvortrag eines Beteiligten entgegen Wortlaut und erkennbarem Sinn eine Bedeutung beizulegen, die zur Zurückweisung des Antrags als unzulässig führen muss, während bei sachdienlicher Auslegung eine Sachentscheidung möglich wäre (BVerfG ZfStrVo 1994, 370; s. auch Böhm Anm. zu OLG Hamm JR 1994, 211; OLG Zweibrücken ZfStrVo 1994, 52). Im gerichtlichen Antragsverfahren sind demnach möglich: a) Beseitigung der Maßnahme. Die Anfechtung einer Maßnahme (§ 109 Abs. 1 23 Satz 1, § 115 Abs. 2 Satz 1). Der Antrag auf Anfechtung hat die gerichtliche Aufhebung einer belastenden Vollzugsmaßnahme zum Ziel. Es handelt sich insoweit um einen Gestaltungsantrag, der mit Ausnahme der Kostenentscheidung nicht einer Vollstreckung fähig ist. Er dient der Abwehr rechtswidriger Eingriffe seitens der Vollzugsbehörde. Als Annexantrag zum Anfechtungsantrag lässt § 115 Abs. 2 Satz 2 bei bereits vollzogener belastender Maßnahme den Folgenbeseitigungsantrag zu (s. § 115 Rdn. 16). b) Erlass von Maßnahmen. Antrag auf Erlass einer Maßnahme (§ 109 Abs. 1 24 Satz 2, § 115 Abs. 4). Dieser Antrag bezweckt die Vornahme einer abgelehnten oder unterlassenen Vollzugsmaßnahme. Der Antrag kann als Vornahmeantrag i. S. d. § 113 bei unterlassener Maßnahme als Untätigkeitsantrag sowohl auf ein Tätigwerden der Behörde in Form eines Verwaltungsaktes schlechthin (Bescheid auf einen gestellten Antrag, gleichgültig, ob dieser genehmigt oder abgelehnt wird), wie auch auf ein ganz bestimm929
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tes Tätigwerden (Erlass einer beantragten Maßnahme) abzielen. Zu den Voraussetzungen eines Vornahmeantrags § 113 Rdn. 2 ff. Bei ablehnendem Bescheid der Anstaltsleitung auf eine beantragte Maßnahme hin kann der Betroffene als spezialisierten Leistungsantrag einen Verpflichtungsantrag stellen (§ 109 Abs. 1 Satz 2). Dem Verpflichtungsantrag kommt insoweit ein Doppelcharakter zu; er ist Antrag auf Erlass eines Verwaltungsaktes und Anfechtungsantrag, soweit er zur Erreichung des Ziels die Beseitigung des ablehnenden Bescheides verfolgt (Versagungsgegenantrag). 25
c) Vorbeugender Unterlassungsantrag. Im Verfahren nach §§ 109 ff ist ein vorbeugender Unterlassungsantrag als eine Variante des allgemeinen Leistungsantrags gegen angedrohte Maßnahmen oder rechtswidriges Vorgehen der Vollzugsbehörde statthaft, wenn Wiederholungsgefahr dargelegt wird (OLG Celle NStZ 1981, 250 F; AK-Kamann/ Spaniol 2012 Rdn. 31; Arloth 2011 Rdn. 5; C/MD 2008 Rdn. 6) oder wenn die Gefahr besteht, dass sonst vollendete, nicht mehr rückgängig zu machende Tatsachen geschaffen würden, oder wenn nicht wieder gutzumachender Schaden entstünde (OLG Jena NStZ-RR 2003, 189). Ein vorbeugender Unterlassungsantrag ist dann zulässig, wenn ein effektiver Rechtsschutz nicht auf andere Weise erreichbar bleibt (OLG Dresden NStZ 2007, 707). Für einen Unterlassungsantrag ist jedoch nur selten das Rechtsschutzbedürfnis zu bejahen. I. d. R. wird es genügen, dass gegen beschwerende Vollzugsmaßnahmen – zu denen auch die Realakte zählen – Antrag auf Aufhebung (Anfechtungsantrag) gestellt wird. Auch wegen einer Wiederholungsgefahr wird im Allgemeinen das Rechtsschutzbedürfnis nicht anzuerkennen sein, da – wenn nicht besondere Gründe eine Ausnahme rechtfertigen – erwartet werden kann, dass in einem Rechtsstaat die Behörden die gerichtlichen Entscheidungen respektieren und bei gleichbleibendem Sachverhalt sich die Anstaltsleitung durch die Rechtskraft der aufhebenden Entscheidung gehindert sieht, die gleiche Maßnahme wieder zu erlassen (OLG Jena ZfStrVo 2003, 309 mit Anm. Müller ZfStrVo 2004, 53; s. auch Kopp/Schenke 2012 vor § 40 Rdn. 33; für eine Reduzierung der Anforderungen an das Rechtsschutzbedürfnis dagegen Arloth 2011 Rdn. 5; AK-Kamann/Spaniol 2012 Rdn. 31).
26
d) Teilanfechtung. Auch gegen Nebenbestimmungen, wie Auflagen und Weisungen, ist ein isolierter gerichtlicher Rechtsschutz in Form eines Anfechtungsantrags (Teilanfechtung) bei objektiv abgrenzbaren und bezeichenbaren Teilen gewährleistet. Bei einer Teilanfechtung müssen in jedem Fall die Voraussetzungen für einen Antrag nach §§ 109 ff vorliegen. Nach Aufhebung der Auflage durch das Gericht kommt der Antragssteller in den Besitz einer uneingeschränkten – auflagefreien – begünstigenden Vollzugsmaßnahme (Kopp/Schenke 2012 § 42 Rdn. 21; Arloth 2011 Rdn. 11).
27
e) Antragshäufung, Verbindung. Ein Gefangener kann zulässigerweise gleichzeitig mehrere Antragsbegehren in einem Antrag auf gerichtliche Entscheidung nebeneinander geltend machen (Antragshäufung). Die StPO kennt keine Regelung, die über § 120 Abs. 1 eine Lösung anbietet. Die entsprechende Anwendung verwaltungsprozessualer Bestimmungen (z. B. § 44 VwGO) ist daher angezeigt. Voraussetzung für eine Antragshäufung ist, dass sich die verschiedenen Einzelbegehren gegen denselben Antragsgegner richten und ein Zusammenhang zwischen den Antragsbegehren besteht (Kopp/Schenke 2012 § 44 Rdn. 4). Derselbe Antragsgegner ist die Vollzugsanstalt. Aus den Lebensumständen (Entstehungsgrund) der Beschränkung der Rechte während des laufenden Vollzugs ist der Zusammenhang der Begehren begründet und einem einheitlichen Lebensvorgang (Kopp/Schenke 2012 § 44 Rdn. 5) zuzurechnen. Auch die Strafvollstreckungskammer kann durch Beschluss entsprechend § 93 VwGO, § 4 StPO mehrere bei ihr anhängige Verfahren zur gemeinsamen Entscheidung Laubenthal
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verbinden. Die Entscheidung über eine Verbindung liegt im Ermessen des Gerichts (Kopp/Schenke 2012 § 93 Rdn. 1; Meyer-Goßner 2011 § 4 StPO Rdn. 10). 5. Antragsbefugnis. Antragsberechtigt nach Abs. 2 ist, wer durch eine Maßnahme 28 zur Regelung einzelner Angelegenheiten auf dem Gebiet des Strafvollzugs oder ihre Ablehnung oder ihre Unterlassung in seinen Rechten unmittelbar verletzt wird. Die Einschränkung entspricht Art. 19 Abs. 4 GG, wonach nur demjenigen Staatsbürger der Rechtsweg offensteht, der durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt ist (OLG Hamm ZfStrVo SH 1977, 55; OLG Koblenz ZfStrVo 1980, 186). Der Antragsteller hat geltend zu machen, durch ein rechtswidriges Tun oder Unterlassen einer Vollzugsbehörde selbst beschwert zu sein. Es muss zugunsten des Antragstellers selbst ein subjektives Recht oder ein Recht auf fehlerfreie Ermessensentscheidung bestehen und die Annahme einer Rechtsbeeinträchtigung seinem Vortrag nach nicht als völlig abwegig erscheinen (Laubenthal 2011 Rdn. 780). In der Begründung des Antrags muss er erkennen lassen, welche Maßnahme der Vollzugsbehörde er beanstandet oder beantragt und wodurch er sich in seinen Rechten verletzt fühlt (OLG Celle NStZ 1989, 295). Antragsberechtigt nach Abs. 2 sind nicht nur Strafgefangene, sondern auch außenstehende Dritte, die von einer Vollzugsmaßnahme unmittelbar betroffen sind (KG ZfStrVo 1982, 125; OLG Dresden ZfStrVo 2000, 124; Laubenthal 2011 Rdn. 781), z. B. der Besucher bei Ablehnung eines Besuchsantrags, der Absender bei Weigerung der Vollzugsbehörde, ein bestimmtes Schreiben an einen Gefangenen weiterzuleiten (OLG Hamm ZfStrVo SH 1977, 50; OLG Koblenz ZfStrVo 1980, 252) oder ihm ein Paket auszuhändigen (OLG Frankfurt NStZ 1982, 221; § 24 Rdn. 4; OLG Nürnberg ZfStrVo 1982, 248). Wird einem Gefangenen ein ihm zugesandtes Druckerzeugnis mit Einwilligung der Vollzugsbehörde ausgehändigt, so ist dem möglichen Recht des Absenders, mit dem Empfänger durch die Zusendung Kontakt aufzunehmen, allerdings Genüge getan. Ein späterer Widerruf der Genehmigung betrifft dann nur noch die Rechtsbeziehung des Gefangenen zur Vollzugsbehörde (OLG Zweibrücken NStZ 1993, 407, 408). Antragsberechtigt ist auch der Verteidiger, der geltend macht, durch eine Vollzugsmaßnahme in seinen Rechten verletzt zu sein (OLG Celle ZfStrVo SH 1978, 26; OLG Dresden ZfStrVo 2000, 124; 2007, 707). Allerdings kann ein Rechtsassessor, der für einen Rechtsanwalt strafrechtliche Mandate in Untervollmacht wahrnimmt und dem die für einen Verteidiger bestehenden Besuchsprivilegien verwehrt werden, eine Verletzung eigenen Rechts gem. § 109 Abs. 2 nicht geltend machen, solange er nicht in einer konkreten Strafsache mit Genehmigung des Gerichts gem. § 138 Abs. 2 Satz 1 StPO zum Verteidiger gewählt ist (OLG Celle NStZ 2011, 598). Antragsberechtigt nach Abs. 2 können der Anstaltsbeirat sowie dessen einzelne Mitglieder hinsichtlich ihrer Rechte aus den Strafvollzugsgesetzen sein. Ebenso ein Bürger, dessen Zulassung als ehrenamtlicher Vollzugshelfer abgelehnt wird (OLG Frankfurt ZfStrVo 1984, 191), oder ein Journalist, der einen Gefangenen zu seiner Straftat interviewen will und dem dieses, trotz Einverständnises des betroffenen Gefangenen, aus vollzuglichen Gründen versagt wird (BGHSt 27, 285). § 109 Abs. 2 beschränkt die Antragsberechtigung nicht auf Einzelpersonen oder einzelne Gefangene (OLG Frankfurt ZfStrVo 1978, 121; OLG Hamm ZfStrVo 1981, 126; OLG Hamm NStZ 1981, 277, 278 mit Anm. Kerner). Auch Vereinigungen steht ein Antragsrecht zu, wenn sie die Verletzung eigener Rechte behaupten und diese Verletzung möglich erscheint (OLG Nürnberg NStZ 1986, 286). Zur Bevollmächtigung (OLG Nürnberg NStZ 1997, 360 und § 120 Rdn. 3; § 115 Rdn. 8; Arloth 2011 Rdn. 4). Zur Bevollmächtigung eines Mitgefangenen vgl. § 108 Rdn. 3. Organe der Gefangenenmitverantwortung besitzen eine Antragsbefugnis nach 29 § 109 Abs. 2. Die Zulässigkeit wird bejaht, soweit es sich um Streitigkeiten über den Umfang der Rechte der Gefangenenmitverantwortung und der sich aus den Strafvollzugsge931
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setzen ergebenden Aufgaben handelt (OLG Hamm ZfStrVo 1981, 126; OLG Hamburg NStZ 2002, 531 M; AK-Kamann/Spaniol 2012 Rdn. 5; C/MD 2008 Rdn. 15; K/S-Schöch § 9 Rdn. 39; Laubenthal 2011 Rdn. 782; a. A. Arloth 2011 Rdn. 12). Ein aus Gefangenen gebildeter Verein zur Vertretung von Gefangeneninteressen ist weder mit einzelnen Inhaftierten noch mit der Insassenvertretung i. S. der Strafvollzugsgesetze identisch und kann nicht deren Rechte im Wege der Prozessstandschaft geltend machen (OLG Hamburg NStZ 1981, 249 F; Arloth 2011 Rdn. 12). Die Möglichkeit der Anfechtung einer Wahl der Gefangenenmitverantwortung durch einen Gefangenen kommt dann in Betracht, wenn die anstaltsinterne Wahlordnung dies vorsieht. Darüber hinaus ist einem Gefangenen die Anfechtung der Wahl zur Insassenvertretung im Verfahren nach § 109 möglich, wenn schwerwiegende Wahlmanipulationen oder gleichgewichtige Fehler in Rede stehen. Der Antragsteller muss jedoch alle Tatsachen für die in Frage kommende Wahlmanipulation vortragen (OLG Hamburg ZfStrVo 2002, 181). Einem Verein, der durch Gefangene geführt wird, in dem nur Gefangene Ämter wahrnehmen und der durch Eintragung im Vereinsregister Rechtsfähigkeit erlangt hat, steht ein Antragsrecht nach §§ 109 ff im Hinblick auf Angelegenheiten des Vereins selbst zu (KG NStZ 1982, 222). Einer Wohngruppe kommt keine Antragsberechtigung zu (OLG Hamm JR 1994, 210 mit Anm. Böhm; Laubenthal 2011 Rdn. 782; a. A. Kamann/Spaniol 2012 Rdn. 5). Diese stellt keine Rechtspersönlichkeit dar und ist damit nicht Trägerin von Rechten oder Pflichten. Für die Zulässigkeit eines Antrags auf gerichtliche Entscheidung ist die Prozessfä30 higkeit nicht erforderlich. Die Zurückweisung eines Begehrens nur unter Hinweis auf eine fehlende Prozessfähigkeit würde das Recht des Antragstellers auf rechtliches Gehör verletzen (KG ZfStrVo 2001, 370; C/MD 2008 Rdn. 17). Die Zulässigkeit des Antrags nach § 109 setzt nicht voraus, dass der Antragsteller tatsächlich in seinen Rechten verletzt ist. Er hat lediglich eine solche Rechtsverletzung geltend zu machen. Es genügt jedoch nicht nur eine Verbalbehauptung, sondern es müssen tatsächliche Behauptungen aufgestellt werden, die eine Verletzung der Rechte des Antragstellers zumindest möglich erscheinen lassen (BVerwGE 3, 237; 39, 345; Arloth 2011 Rdn. 13). Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist deshalb zu begründen. Diese Begründung muss eine aus sich heraus verständliche Darstellung enthalten, welche Maßnahme der Vollzugsbehörde der Antragsteller beanstandet oder begehrt. Die Darstellung muss erkennen lassen, inwiefern sich der Antragsteller durch die gerügte Maßnahme oder die Ablehnung oder Unterlassung ihrer Vornahme in seinen Rechten verletzt fühlt (OLG Frankfurt ZfStrVo 1981, 317; OLG Celle ZfStrVo 1990, 310; OLG Zweibrücken NStZ 1992, 512; OLG Hamm NStZ 2002, 531). Im Einzelfall kann dieses Erfordernis auch dadurch erfüllt werden, dass der Antragsteller auf andere bei der Strafvollstreckungskammer bekannte Verfahren verweist (OLG Hamm ZfStrVo 2001, 364; 2002, 316). Fehlt es an einer derartigen Begründung, ist der Antrag unzulässig, wenn die Begründung nicht noch rechtzeitig nachgeholt wird (LG Hamburg ZfStrVo SH 1978, 46). Die Anforderungen an eine Antragsschrift dürfen aber nicht überspannt werden (OLG Zweibrücken aaO). Unter Umständen ist das Gericht aufgrund seiner Fürsorgepflicht gehalten, auf Ergänzung des Sachvortrags hinzuwirken (OLG Hamburg ZfStrVo SH 1979, 56; OLG Stuttgart ZfStrVo 1992, 136). Nach § 109 Abs. 2 ist ein Antrag, bei dem jemand nicht seine eigenen Rechte verfolgt, sondern als Sachwalter eines bestimmten Dritten oder der Rechte aller Inhaftierter einer Anstalt oder der Allgemeinheit auftreten will, nicht zulässig (Laubenthal 2011 Rdn. 780; Müller-Dietz 1985, 348). Durch Art. 19 Abs. 4 GG ist nur die Verletzung eigener Rechte geschützt. Ein Berufen auf die Verletzung fremder Rechte scheidet aus.
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6. Verwaltungsvorverfahren a) Form und Zweckmäßigkeit der Regelung. Abs. 3 überlässt es dem Landesrecht, 31 die Zulässigkeit eines Antrags auf gerichtliche Entscheidung von einem Verwaltungsvorverfahren (Widerspruchsverfahren) abhängig zu machen. Gegen diese Vorschaltung bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Ein Verwaltungsvorverfahren ist nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 40, 237) auch dann zulässig, wenn es nicht durch Gesetz, sondern nur durch eine Allgemeinverfügung, Verwaltungsordnung oder Verwaltungsverordnung geregelt ist (Meyer-Goßner 2011 § 24 EGGVG Rdn. 5; a. A. C/MD 2008 Rdn. 24: förmliche Rechtsgrundlage). Von der Möglichkeit eines Verwaltungsvorverfahrens machen nur Gebrauch: Bremen (§ 26 Abs. 1 des Ausführungsgesetzes zum GVG i. d. F. vom 20.12.1988, Bremisches GBl. 331); Hamburg (§ 6 des Gesetzes zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung vom 29.3.1960, Hamburgisches GVBl. 291); Schleswig-Holstein (§ 5 des Gesetzes über das Beschwerdeverfahren im Vollzug der Freiheitsstrafe und andere Arten der Freiheitsentziehung – Vollzugsbeschwerdegesetz – i. d. F. vom 9.9.1977, Schleswig-Holsteinisches GVBl. Nr. 20/1977, 333). Baden-Württemberg hat das Verwaltungsvorverfahren im Jahr 2000 abgeschafft; in Nordrhein-Westfalen ist seit 1.8.2007 gem. § 1 des Gesetzes über das Vorschaltverfahren betreffend die Vollzugsangelegenheiten von Gefangenen und Untergebrachten – Vorschaltverfahrengesetz – ein Widerspruchsverfahren nur noch bei den Maßregeln der Besserung und Sicherung durchzuführen, die außerhalb des Justizvollzugs vollzogen werden). Zur Zweckmäßigkeit des Verwaltungsvorverfahrens liegen unterschiedliche Beurtei- 32 lungen vor. Allgemein wird zugunsten des Vorverfahrens ins Feld geführt, dass bei einer Überprüfung der beanstandeten Maßnahme durch die Widerspruchsbehörde auch eine inhaltliche Kontrolle, insbesondere eine Zweckmäßigkeitsüberprüfung zulässig sei; auch eine formlose Erledigung könne erfolgen, was zu einer Entlastung der Gerichte beiträgt. Den Strafvollzug betreffende empirische Untersuchungen, ob der Entlastungseffekt eintritt, liegen nicht vor. Die Durchführung eines Vorschaltverfahrens bedeutet aber, dass eine endgültige Entscheidung (Bestandskraft) über den angefochtenen Vollzugsverwaltungsakt einen längeren Zeitraum in Anspruch nimmt. Richtig erscheint indessen, dass die Aufsichts-(Widerspruchs-)behörde durch die Bearbeitung der Anträge sich eine zusätzliche Information über akute Probleme in den jeweiligen Justizvollzugsanstalten außerhalb der Revisionen verschaffen kann (C/MD 2008 Rdn. 25). b) Das Vorverfahren im Einzelnen. Soweit das Landesrecht ein Vorverfahren 33 vorsieht, sind vor einem Antrag auf gerichtliche Entscheidung Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit der Vollzugsmaßnahme in diesem Verfahren nachzuprüfen. Das Vorverfahren beginnt mit der Einlegung des Widerspruchs. Die Entscheidung über den Widerspruch trifft grundsätzlich die nächsthöhere Behörde; im Einzelnen ergibt sich die Zuständigkeit aus den entsprechenden Landesregelungen. Durch den Widerspruch ist der Vollzugsverwaltungsakt sowohl im Sachverhalt wie auch rechtlich zu überprüfen; die über den Widerspruch entscheidende Behörde muss aufgrund eigener Erkenntnis auch die im Ermessensbereich liegenden Fragen beantworten. Der Widerspruch kann zur Aufhebung der angefochtenen Maßnahme führen oder 34 die Behörde kann einen ablehnenden Bescheid (Widerspruchsbescheid) erlassen. Der Widerspruchsbescheid bestimmt, wer die Kosten des Widerspruchsverfahrens zu tragen hat und ist mit einer Rechtsmittelbelehrung zu versehen. Der erfolglose Widerspruch ist in den Bundesländern mit Widerspruchsverfahren eine zwingende Sachurteilsvoraussetzung. Das Zulässigkeitserfordernis des Vorverfahrens ist dort erst mit Erlass des Wider933
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spruchsbescheides und nicht schon mit der Einlegung des Widerspruchs erfüllt (OLG Hamm ZfStrVo 1978, 251). Ob die Verfahrensvoraussetzung des Vorverfahrens erfüllt ist, hat die Strafvollstreckungskammer von Amts wegen zu prüfen (OLG Stuttgart ZfStrVo 1980, 63). Legt ein Gefangener gegen eine Maßnahme der Vollzugsbehörde Dienstaufsichtsbeschwerde ein und entscheidet hierüber die Aufsichtsbehörde, so fehlt es an der zwingenden Verfahrensvoraussetzung des Verwaltungsvorverfahrens (OLG Stuttgart NStZ 1986, 480). Ein formloser Rechtsbehelf kann nicht als Vorverfahren Antragsvoraussetzung i. S. v. § 109 Abs. 3 sein. Mit der Bitte eines Gefangenen um einen „beschwerdefähigen Bescheid“ kommt zum Ausdruck, dass er nicht nur eine dienstordnungsrechtliche Entscheidung will. Die falsche Bezeichnung Beschwerde statt Widerspruch schadet nicht (LG Kleve ZfStrVo 1987, 308). Dies folgt aus § 120 Abs. 1 StVollzG i. V. m. § 300 StPO. Gegenstand des Antrags auf gerichtliche Entscheidung nach § 109 ist der Widerspruchsbescheid. Im Einzelnen wird das Verwaltungsvorverfahren durch Vorschriften in den betref35 fenden Ländern geregelt. Unter bestimmten Voraussetzungen darf dort ein Gericht angerufen werden, ohne dass eine Entscheidung über den Widerspruch im Vorverfahren vorliegt. Dies kann ermöglicht werden durch eine entsprechende Vorschrift in den Landesregelungen, z. B. wenn ein Vollzugsverwaltungsakt der Aufsichtsbehörde angefochten wird oder wenn die vom Anstaltsleiter getroffene Maßnahme auf einer den Einzelfall betreffenden Weisung der Aufsichtsbehörde beruht (Arloth 2011 Rdn. 15; OLG Hamm MDR 1985, 346; OLG Hamm NStZ 1998, 399 M); ferner: bei einem Feststellungsantrag nach § 115 Abs. 3 (OLG Hamm NStZ 1987, 576; LG Heilbronn ZfStrVo SH 1978, 43) oder einem Unterlassungsantrag; zudem, wenn der Widerspruchsbescheid erstmalig Dritte beschwert oder eine zusätzliche selbständige Beschwer erstmals enthält. Das Vorverfahren ist ausnahmsweise entbehrlich, wenn seine Zwecke nicht mehr erreichbar oder bereits erreicht sind. Letzteres ist der Fall, wenn sich aus den Einlassungen der Widerspruchsbehörde im gerichtlichen Verfahren ergibt, dass sie den Antrag des Gefangenen nach umfassender Prüfung für unbegründet hält (OLG Celle NStZ 1981, 249 F; OLG Hamburg NStZ 1988, 152; ZfStrVo 2000, 52). Das Gericht bleibt zur sachlichen Prüfung und Entscheidung über einen Antrag selbst dann verpflichtet, wenn die Aufsichtsbehörde im Vorverfahren den angefochtenen Bescheid der Justizvollzugsanstalt nicht sachlich überprüft hat (OLG Karlsruhe NStZ-RR 2002, 127). Die Zurückweisung eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit der Begründung, vorläufiger Rechtsschutz könne erst gewährt werden, wenn zunächst Widerspruch eingelegt sei, verletzt den Antragsteller in seinem Grundrecht aus Art. 19 Abs. 4 GG (BVerfG NStZ 1993, 404). Das Gericht ist gehalten, von Amts wegen zu prüfen, ob das Vorverfahren durchgeführt wurde; grundsätzlich geht die nicht zu behebende Ungewissheit über das Vorliegen eines Widerspruchsverfahrens zu Lasten des Antragstellers. Unter Umständen ist das Gericht aber gehalten, zur Feststellung des Vorverfahrens eine Anfrage an die Vollzugsbehörde zu richten (OLG Hamm ZfStrVo 1995, 183). 36 Sieht die landesrechtliche Regelung des Vorverfahrens vor, dass nach § 113 Abs. 1 ein Antrag auf gerichtliche Entscheidung dann gestellt werden kann, wenn über den Widerspruch nicht innerhalb von drei Monaten entschieden worden ist, so ist der Antrag auch ohne Erlass des Widerspruchsbescheids nach Ablauf der Sperrfrist zulässig (OLG Hamm ZfStrVo 1978, 251; OLG Karlsruhe NStZ 1987, 344). Wird der Abschluss des Verwaltungsvorverfahrens von der Vollzugsbehörde zeitlich erheblich verzögert, so ist ein vor Ablauf gestellter Antrag auf gerichtliche Entscheidung zulässig, wenn der Antragsteller ihn nach Ablauf einer angemessenen Frist einreicht. Andernfalls könnte die Vollzugsbehörde durch hinauszögernde Widerspruchsentscheidungen die einem Gefangenen aus § 109 zustehenden Rechte unangemessen beschränken (OLG Kiel ZfStrVo 2004, 123, 124; LG Hamburg ZfStrVo SH 1977, 48). Laubenthal
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Antrag auf gerichtliche Entscheidung
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Wird im Verwaltungsvorverfahren der Widerspruch als verspätet zurückgewiesen, 37 kann Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt werden. Die sachliche Prüfung des Gerichts erstreckt sich allerdings – sofern die übrigen Zulässigkeitsvoraussetzungen gegeben sind – nur auf die Frage der Verspätung oder Rechtzeitigkeit des Widerspruchs. War der Widerspruch verspätet eingelegt, ist der Antrag auf gerichtliche Entscheidung unzulässig; erfolgt die Einlegung rechtzeitig, kann in die sachliche Prüfung eingetreten werden (OLG Celle ZfStrVo 1979, 62). Zur Erstattung anwaltlicher Gebühren und Auslagen, die in einem Verwaltungsvorverfahren entstanden sind, s. OLG Celle NStZ 1982, 439 mit Anm. Plähn; OVG Koblenz NJW 1982, 2460; OLG Celle NStZ 1983, 309 F. Kostenentscheidungen einer Vollzugsbehörde in einem Widerspruchsbescheid sind grundsätzlich im gerichtlichen Verfahren nach §§ 109 ff selbständig anfechtbar. Hat sich das mit dem Widerspruch verfolgte Begehren erledigt, vermag die Vollzugsbehörde keine Entscheidung in der Sache mehr zu treffen. Das Widerspruchsverfahren ist auch ohne Erledigungserklärung des Widerspruchsführers von Amts wegen einzustellen. § 121 Abs. 2 Satz 2 findet jedoch im Vorverfahren keine Anwendung (LG Hamburg NStZ 1992, 54, 55, 56 m. Anm. Molketin). Der Widerspruch im Verfahren nach § 109 Abs. 3 i. V. m. der jeweiligen landesrechtli- 38 chen Regelung wird schriftlich bei der Vollzugsbehörde eingelegt, welche die Maßnahme erlassen oder abgelehnt hat. Diese legt bei Nichtabhilfe das Begehren der zuständigen Widerspruchsbehörde vor. Auch kann der Widerspruch unmittelbar bei der Widerspruchsbehörde eingelegt werden. Diese legt ihn dann aber zunächst der Ausgangsbehörde vor, welche die Möglichkeit einer Abhilfe prüft. Die Widerspruchseinlegung ist fristgebunden. Sie kann auch zur Niederschrift eines Bediensteten der Behörde erfolgen (OLG Hamm ZfStrVo 2001, 364). 7. Missbrauch der Rechtspflege. Im Verfahren nach §§ 109 ff kann es an einem 39 Rechtsschutzbedürfnis des Antragstellers fehlen, wenn er ausschließlich prozessfremde Zwecke verfolgt. Ein Missbrauch der Rechtspflege ist jedoch dann noch nicht gegeben, wenn jemand von seinem Recht subjektiv in missbilligenswerter Absicht Gebrauch macht; vielmehr muss feststehen, dass die Rechtsausübung objektiv dem Berechtigten keinerlei Vorteil zu bringen vermag, sondern lediglich zur Schädigung eines anderen taugt. Dies wird insbesondere dann der Fall sein, wenn der Antragsteller von seinem Obsiegen keinen irgendwie gearteten Nutzen hätte und seine Rechtsverfolgung allein dem Zweck dient, dem Gegner zu schaden oder das Gericht zu belästigen. Eingaben, die sich in beleidigenden oder erpresserischen Ausführungen erschöpfen, entsprechen nicht den Mindestanforderungen, die an Eingaben bei Behörden und Gerichten zu stellen sind (BVerfG NStZ 2001, 616; ZfStrVo 2002, 253; NJW 2004, 1374; OLG Frankfurt ZfStrVo SH 1979, 97; KG NStZ 1998, 399 M; OLG Karlsruhe NStZ-RR 2000, 223; Arloth 2011 Rdn. 4; C/MD 2008 Rdn. 23; Laubenthal 2011 Rdn. 753; Meyer-Goßner 2011 Einleitung Rdn. 111). Zur schikanösen Verfahrensführung OLG Hamm ZfStrVo 1988, 113; OLG Frankfurt NStZ 1989, 296; LG Bonn NStZ 1993, 54. Zur missbräuchlichen Inanspruchnahme einer Gerichtsbarkeit Kröpil 2000, 686. Die Mitteilungen des Gerichts an einen Antragsteller, Anträge wegen beleidigenden Inhalts nicht zu bearbeiten, stellen unabhängig von der gewählten Form nicht eine Untätigkeit, sondern gerichtliche Entscheidungen dar. Adäquates Mittel zur Sanktionierung von Beleidigungen ist allerdings das Strafrecht, nicht aber eine Beschneidung der Rechtsschutzmöglichkeiten über das Verfahrensrecht (BVerfG NStZ 2001, 616).
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§ 110
Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
§ 110 Zuständigkeit § 110 Laubenthal Zuständigkeit Über den Antrag entscheidet die Strafvollstreckungskammer, in deren Bezirk die beteiligte Vollzugsbehörde ihren Sitz hat. Durch die Entscheidung in einem Verwaltungsvorverfahren nach § 109 Abs. 3 ändert sich die Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer nicht. Schrifttum S. Vor § 108.
I. Allgemeine Hinweise 1
Über Anträge auf gerichtliche Entscheidung nach § 109 entscheidet eine Strafvollstreckungskammer als erstinstanzliches Tatsachengericht. Strafvollstreckungskammern sind bei den Landgerichten gebildet, in deren Bezirk die Justizvollzugsanstalten unterhalten werden oder andere Vollzugsbehörden ihren Sitz haben (§ 78 a Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 GVG). In vollzugsrechtlichen Sachen sind diese Kammern mit einem Richter besetzt (§ 78 b Abs. 1 Nr. 2 GVG). Die richterliche Kontrolle von Vollzugsentscheidungen ist einem möglichst orts- und vollzugsnahen Gericht übertragen, das Erfahrungen in Vollzugsangelegenheiten mit Kenntnis der Anstalt und einem Eindruck von dem Gefangenen vereinen kann (BT-Drucks. 7/918, 84; Doller 1987, 264; Laubenthal 2007, 326; Voigtel 1998, 27 ff). II. Erläuterungen
§ 110 regelt die örtliche Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammern im Verfahren nach § 109. Örtlich zuständig ist die Strafvollstreckungskammer, in deren Bezirk die beteiligte Vollzugsbehörde (Justizvollzugsanstalt, Aufsichtsbehörde), deren Maßnahme angefochten oder begehrt wird, ihren Sitz hat. Der Sitz einer Vollzugsbehörde folgt aus dem Vollstreckungsplan (OLG Naumburg, Beschl. vom 10.9.2009 – 1 Ws 371/09). Die Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer wird bereits mit der Aufnahme des Verurteilten in eine Justizvollzugsanstalt ihres Bezirks begründet (BGH MDR 1984, 683; NStZ 2000, 111; OLG Nürnberg ZfStrVo 2003, 59; C/MD 2008 Rdn. 3). Für die Zuständigkeit einer Strafvollstreckungskammer bleibt es ohne Bedeutung, ob eine Ersatzfreiheitsstrafe oder eine Freiheitsstrafe verbüßt wird (BGH NJW 1982, 248, 249). Der Sitz einer Justizvollzugsanstalt ergibt sich aus dem Vollstreckungsplan. Die beteiligte Vollzugsbehörde ist gemäß § 111 Abs. 1 Nr. 2 bestimmt. Für die Zuständigkeitsregelung nach Satz 1 kommt es nicht darauf an, in welcher Anstalt sich der Gefangene zur Zeit als Vollzugsort befindet; entscheidend ist der Landgerichtsbezirk, in dem die beteiligte Vollzugsbehörde ihren Sitz hat. Beteiligte Behörde im Sinne von § 110 ist die, die über eine Maßnahme nach § 109 Abs. 1 abschließend entschieden hat (BGH NJW 1978, 282) oder deren Entscheidung begehrt wird. Nach § 78 a Abs. 2 GVG werden die Landesregierungen ermächtigt, im Bereich der 3 örtlichen Zuständigkeit durch Rechtsverordnung eine gerichtliche Konzentration vorzunehmen und auswärtige Strafvollstreckungskammern (am Sitz der Anstalt) einzurichten. Gem. § 78 a Abs. 3 GVG können bei Vollzugsgemeinschaften (§ 150) Zuständigkeitsvereinbarungen für die Strafvollstreckungskammer getroffen werden (Nachweise für entsprechende Verordnungen bei Meyer-Goßner 2011 § 78 a GVG Rdn. 5 und 6). 2
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Zuständigkeit
§ 110
Die Strafvollstreckungskammer, in deren Bezirk die Hauptanstalt liegt, ist auch für 4 Anträge nach § 109 von den Gefangenen zuständig, die in einer außerhalb des Bezirks gelegenen Außenstelle der Justizvollzugsanstalt untergebracht sind. Das gilt selbst dann, wenn im Vollstreckungsplan eine eigene Vollzugszuständigkeit für die Außenstelle vorgesehen ist (BGH ZfStrVo 1979, 55; NJW 1978, 2561). Hat die Aufsichtsbehörde die angefochtene Maßnahme in eigener Zuständigkeit er- 5 lassen, ist die Strafvollstreckungskammer örtlich zuständig, in deren Bezirk die Aufsichtsbehörde ihren Sitz hat (BGHSt. 27, 284; LG Wiesbaden ZfStrVo SH 1977, 45). Ein ablehnender Bescheid eines Anstaltsleiters verliert jedoch nicht dadurch seinen Charakter als Regelung eines Einzelfalles mit unmittelbarer Rechtswirkung für den Betroffenen, wenn er auf einer Anordnung der Aufsichtsbehörde beruht. Örtlich zuständig ist dementsprechend die Strafvollstreckungskammer, in deren Bezirk die Justizvollzugsanstalt ihren Sitz hat (OLG Frankfurt ZfStrVo SH 1978, 28). Ebenso bleibt es bei der durch den Sitz der Justizvollzugsanstalt begründeten örtlichen Zuständigkeit, wenn sich die Aufsichtsbehörde behördenintern die Zustimmung für eine Maßnahme vorbehalten und der Anstaltsleiter letztlich die Maßnahme mit Außenwirkung getroffen hat (OLG Karlsruhe ZfStrVo SH 1979, 70; Arloth 2011 Rdn. 3; C/MD 2008 Rdn. 3). Zu behördeninternen Vorgängen und mehrstufigen Vollzugsmaßnahmen § 109 Rdn. 20. Wird ein Inhaftierter während eines vollzuglichen Verfahrens i. S. d. §§ 109 ff in eine 6 andere Justizvollzugsanstalt verlegt, ist hinsichtlich der örtlichen Zuständigkeit bei Anstaltswechsel zu beachten: Stellt der Anstaltswechsel eine nicht vorübergehende Verlegung dar, bleibt es grundsätzlich bei der örtlichen Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer, in deren Bezirk die Ausgangsanstalt liegt. Es gibt keinen automatischen Zuständigkeitswechsel. Die auf Dauer angelegte Strafortänderung kann jedoch zu einem Wechsel der Antragsgegnerin als Beteiligte i. S. d. § 111 Abs. 1 Nr. 2 führen. In einem solchen Fall hat das Gericht die Sache an diejenige Strafvollstreckungskammer zu verweisen, in deren Bezirk die aufnehmende Anstalt ihren Sitz hat. Eine solche Verweisung erfolgt nicht von Amts wegen entsprechend § 83 VwGO, § 17 a Abs. 2 GVG (a. A. OLG Celle ZfStrVo 2002, 245; OLG Jena, Beschl. vom 28.11.2005 – 1 Ar (5) 167/05; OLG Frankfurt NStZ-RR 2008, 293; OLG Celle, Beschl. vom 7.4.2011 – 1 Ws 115/11), sondern auf einen entsprechenden Verweisungsantrag hin (BGHSt. 36, 36; BGH NStZ 1990, 205; BGH NStZ 1999, 158). Dies folgt aus dem in Vollzugssachen geltenden Verfügungsgrundsatz (Laubenthal 2011 Rdn. 802), nach dem die Gerichte an die Anträge der Beteiligten gebunden sind (Arloth 2011 Rdn. 4; C/MD 2008, § 110 Rdn. 4). Ob es bei einer nicht nur vorübergehenden Verlegung zu einem Wechsel der Antragsgegnerin kommt, richtet sich nach dem jeweiligen Antragsbegehren. Wird der Inhaftierte während eines Verfahrens verlegt, das einen Verpflichtungs- oder Vornahmeantrag zum Gegenstand hat und verfolgt er sein ursprüngliches Begehren weiter, wird beteiligte Vollzugsbehörde die aufnehmende Vollzugsanstalt (BGHSt. 36, 35). Geht es dem Gefangenen mit seinem Antrag auf gerichtliche Entscheidung um eine Feststellung (z. B. der Rechtswidrigkeit einer von der Leitung der abgebenden Anstalt angeordneten und vollzogenen Disziplinarmmaßnahme, die in die Personalakte eingetragen wurde und sich bei späteren Prognoseentscheidungen negativ auswirken kann; dazu OLG Nürnberg ZfStrVo 2000, 182), ist das Verfahren gegen diejenige Justizvollzugsanstalt weiterzuführen, welche die Entscheidung getroffen hat. Bei Anfechtungsanträgen muss zwischen Dauermaßnahmen und Zustandsmaßnahmen differenziert werden (s. AK-Kamann/Spaniol 2012, § 111 Rdn. 2), wobei Antragsgegnerin die Justizvollzugsanstalt ist, die über den Streitgegenstand verfügen und die belastende Maßnahme ggf. aufheben kann. Setzt sich die mögliche Rechtsbeeinträchtigung noch in der aufnehmenden Anstalt fort und wird sie dort vollzogen (z. B. bei der andauernden Maßnahme des Anhaltens eines Schreibens oder der Anordnung, Besuche optisch und 937
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Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
akustisch zu überwachen), muss es im Sinne eines möglichst effektiven Rechtsschutzes zu einem Wechsel der Antragsgegnerin kommen (OLG Celle ZfStrVo 2002, 245; OLG Saarbrücken ZfStrVo 2004, 121), weil anderenfalls ein Erfolg des Anfechtungsantrags keine die aufnehmende Anstalt verpflichtende Wirkung hätte (OLG Stuttgart NStZ 1989, 496). Wendet sich der Inhaftierte gegen eine von der ursprünglichen Anstaltsleitung angeordnete Zustandsmaßnahme (z. B. die Verlegung in eine andere Einrichtung), deren Regelung mit der zustandsverändernden faktischen Verlegung abgeschlossen ist, verbleibt es trotz Durchführung der Maßnahme bei der abgebenden Anstalt als beteiligte Vollzugsbehörde i. S. d. § 111 Abs. 1 Nr. 2 (C/M-D 2008, § 110 Rdn. 4). Damit kommt es zu keiner Änderung der örtlichen Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer. Wird der Gefangene nur vorübergehend in eine andere Justizvollzugsanstalt verlegt (Überstellung), wird dadurch die ursprüngliche Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer, in deren Bereich die Ausgangsanstalt liegt, nicht geändert (BGH NStZ 1989, 548; OLG Koblenz LS GA 1981, 524; Arloth 2011 Rdn. 4); dies kann jedoch nicht gelten, wenn sich ein Gefangener ausschließlich gegen ihn belastende Maßnahmen wendet, die die Anstalt gegen ihn verfügt hat, in der er sich vorübergehend aufhält (z. B. Beschränkung des Aufenthalts im Freien). Befindet sich ein Antragsteller z. B. bei Strafaussetzung auf freiem Fuß, so bleibt es bei der bisherigen Zuständigkeit, es sei denn, eine Aufnahme in eine andere Justizvollzugsanstalt begründet eine neue Zuständigkeit (OLG Jena ZfStrVo 2003, 314). Wurde ein wegen einer Jugendstraftat Verurteilter nach § 89 b Abs. 1 JGG aus dem 7 Jugendstrafvollzug herausgenommen, ist für den Antrag auf gerichtliche Entscheidung gegen Maßnahmen in der Erwachsenenanstalt die Strafvollstreckungskammer zuständig, in deren Bezirk die Justizvollzugsanstalt liegt (§ 109 Rdn. 3). Bei Kompetenzkonflikten gilt: Haben mehrere Gerichte sich für unzuständig i. S. v. 8 § 110 erklärt, obwohl eines zuständig ist, kommt gemäß § 120 Abs. 1, je nachdem, ob die Entscheidungen unanfechtbar sind, § 19 StPO oder, wenn noch eine Anfechtung möglich ist, § 14 StPO entsprechend zur Anwendung (BGH NStZ-RR 2007, 129; OLG Hamm NStZ-RR 2008, 79). Berufen zur Entscheidung über den Zuständigkeitsstreit ist das gemeinschaftliche obere Gericht. 9 Gemäß § 110 Satz 2 ändert sich an der Zuständigkeit nichts dadurch, dass ein Verwaltungsvorverfahren stattgefunden hat. Dies gilt auch, wenn die Widerspruchsbehörde ihren Sitz in einem anderen Landgerichtsbezirk hat. Bei einem Vornahmeantrag auf Erlass eines Widerspruchsbescheides ist das Gericht zuständig, in dessen Bezirk die Justizvollzugsanstalt liegt, welche die das Vorverfahren betreffende vollzugliche Entscheidung getroffen hat (OLG Hamm JR 1999, 390, 391 mit Anm. Böhm). Zum Vorverfahren § 109 Rdn. 31ff.
§ 111 Beteiligte § 111 Laubenthal Beteiligte (1) Beteiligte des gerichtlichen Verfahrens sind der Antragsteller, die Vollzugsbehörde, die die angefochtene Maßnahme angeordnet oder die beantragte abgelehnt oder unterlassen hat. (2) In dem Verfahren vor dem Oberlandesgericht oder dem Bundesgerichtshof ist Beteiligte nach Absatz 1 Nr. 2 die zuständige Aufsichtsbehörde. 1. 2.
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Beteiligte
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I. Allgemeine Hinweise Die Frage, wer zum Kreis der Beteiligten im gerichtlichen Verfahren nach dem Straf- 1 vollzugsgesetz gehört, wird in § 111 abschließend geregelt. Die Beteiligten stehen sich gleichberechtigt gegenüber; ihnen stehen grundsätzlich die gleichen Rechte und Pflichten zu. Dieses Prinzip gilt ungeachtet der Tatsache, dass bei Erlass der Maßnahme die Vollzugsbehörde dem Gefangenen kraft ihrer hoheitlichen Befugnisse gegenübergetreten ist. Die Gleichberechtigung gilt nur für das gerichtliche Verfahren. Außerhalb des Verfahrens oder nach dessen Beendigung stehen sich Vollzugsbehörde und Gefangene im Über- und Unterordnungsverhältnis gegenüber. Bindungswirkung erlangt die gerichtliche Entscheidung in einer Strafvollzugssache nur zwischen den Beteiligten des konkreten Verfahrens (OLG Stuttgart NStZ 1997, 103). II. Erläuterungen 1. Beteiligte. Beteiligt sind: a) der Antragsteller (Abs. 1 Nr. 1) (im Einzelnen § 109 Rdn. 28–30); die Beiladung 2 Dritter ist im Verfahren nach §§ 109 ff nicht vorgesehen und kommt auch entsprechend § 65 VwGO nicht in Betracht (OLG Celle NStZ 1984, 334, 335 mit Anm. Seebode; Arloth 2011 Rdn. 1; C/MD 2008 Rdn. 2; Müller-Dietz 1985, 351); zum Beistand eines Rechtsanwalts § 115 Rdn. 8 und § 118 Rdn. 8; b) die Vollzugsbehörde (Abs. 1 Nr. 2), die die angefochtene Maßnahme angeordnet oder die beantragte abgelehnt oder unterlassen hat. Dies ist grundsätzlich die Justizvollzugsanstalt, welche durch den Anstaltsleiter vertreten wird. c) Im Einzelfall die Aufsichtsbehörde, wenn der Vollzugsverwaltungsakt von dieser erlassen wurde, z. B. bei Verlegungen, wenn die Entscheidung hierüber sich das Ministerium vorbehalten hat (LG Wiesbaden ZfStrVo SH 1978, 42). Die Aufsichtsbehörde kann auch dann beteiligte Vollzugsbehörde sein, wenn der Anstaltsleiter eine Verfügung der Aufsichtsbehörde dem Gefangenen lediglich bekanntmacht und die Durchführung veranlasst (Laubenthal 2011 Rdn. 798). 2. Rechtsbeschwerdeverfahren a) Im Rechtsbeschwerdeverfahren vor dem Oberlandesgericht ist die Aufsichtsbe- 3 hörde der in der ersten Instanz beteiligten Vollzugsbehörde Verfahrensbeteiligte (Antragsgegner). Ebenso ist im Verfahren vor dem BGH die Aufsichtsbehörde Verfahrensbeteiligte (Abs. 2), wenn nach § 121 Abs. 2 GVG ein Vorlageverfahren durchgeführt wird, weil das angegangene OLG von der ihm bekannt gewordenen Entscheidung eines anderen OLG abweichen will (Divergenzverfahren). b) In Bayern wird das Bayerische Staatsministerium der Justiz als Aufsichtsbehörde, 4 soweit es nach § 111 Beteiligter des gerichtlichen Verfahrens ist, durch die Generalstaatsanwaltschaft bei dem OLG vertreten (§ 4 Abs. 2 Verordnung über die gerichtliche Vertre939
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tung des Freistaates Bayern – Vertretungsverordnung – i. d. F. vom 4.10.1995, Bayerisches GVBl. 1995, 733). Zu der Frage, welche Vollzugsbehörde zur Einlegung und zur Begründung der 5 Rechtsbeschwerde berechtigt ist, bietet sich die Auffassung, dass sowohl die Justizvollzugsanstalt als Beteiligte der 1.Instanz, wie auch die Aufsichtsbehörde als Beteiligte im Verfahren vor dem Oberlandesgericht hierzu befugt sind, als die praktikable Lösung an (zum Meinungsstand OLG Karlsruhe ZfStrVo 2003, 244; § 118 Rdn. 3; AK-Kamann/Spaniol 2012 Rdn. 5; Arloth 2008 Rdn. 3; C/MD 2008 Rdn. 3 f; Ullenbruch 1993, 517). Abs. 2 schließt jedenfalls die Berechtigung der Justizvollzugsanstalt zur Einlegung der Rechtsbeschwerde nicht aus (KG NStZ 1984, 95, 96 mit Anm. Kerner/Streng; Schuler 1988, 261; OLG Stuttgart NStZ 1985, 356 F; OLG Zweibrücken ZfStrVo 1986, 379; OLG Jena NStZ 1999, 448).
§ 112 Antragsfrist. Wiedereinsetzung § 112 Laubenthal Antragsfrist. Wiedereinsetzung (1) Der Antrag muss binnen zwei Wochen nach Zustellung oder schriftlicher Bekanntgabe der Maßnahme oder ihrer Ablehnung schriftlich oder zur Niederschrift der Geschäftsstelle des Gerichts gestellt werden. Soweit ein Verwaltungsvorverfahren (§ 109 Abs. 3) durchzuführen ist, beginnt die Frist mit der Zustellung oder schriftlichen Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides. (2) War der Antragsteller ohne Verschulden verhindert, die Frist einzuhalten, so ist ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. (3) Der Antrag auf Wiedereinsetzung ist binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sind bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen. Innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Rechtshandlung nachzuholen. Ist dies geschehen, so kann die Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden. (4) Nach einem Jahr seit dem Ende der versäumten Frist ist der Antrag auf Wiedereinsetzung unzulässig, außer wenn der Antrag vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war. Schrifttum S. Vor § 108.
I. II.
Übersicht Allgemeine Hinweise ____ 1 Erläuterungen ____ 2–15 1. Frist zur Einlegung ____ 2, 3 2. Form des Antrags ____ 4–6 3. Feststellung der Verfahrensvoraussetzungen durch das Gericht ____ 7 4. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Fristversäumnis ____ 8–15
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III.
a) Allgemeines ____ 8 b) Keine Wiedereinsetzung bei Fehlen der Rechtsmittelbelehrung ____ 9 c) Großzügige Gewährung ____ 10 d) Inhalt des Antrags ____ 11–13 e) Ausschlussfrist ____ 14 f) Rechtsmittel, Verwirkung ____ 15 Beispiel ____ 16
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Antragsfrist. Wiedereinsetzung
§ 112
I. Allgemeine Hinweise Diese Vorschrift regelt die Antragsfrist, die Antragsformalitäten und das Recht 1 auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. § 112 entspricht § 26 EGGVG mit der Ausnahme, dass die Antragsfrist nicht einen Monat, sondern zwei Wochen beträgt. Diese kürzere Frist trägt dem Bedürfnis Rechnung, dass die Verhältnisse im Strafvollzug eine rasche Klärung erfordern und genügt auch, um den erforderlichen Rechtsschutz zu gewährleisten (C/MD 2008 Rdn. 1). Unter Frist ist ein Zeitraum zu verstehen, innerhalb dessen die Verfahrensbeteiligten Verfahrenshandlungen vorzunehmen haben, damit diese zulässig sind. Gesetzliche Fristen (s. auch § 118 Abs. 1) können nicht verlängert werden; es besteht jedoch bei unverschuldeter Versäumnis ein Anspruch auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (Abs. 2 und Abs. 3). Die Berechnung der Fristen – das StVollzG kennt Wochen- und Monatsfristen – erfolgt nach § 120 Abs. 1 i. V. m. § 43 StPO. Der Lauf einer Frist wird gehemmt, solange ein Gefangener einer Maßnahme nach dem Kontaktsperregesetz unterworfen ist (§ 34 Abs. 2 EGGVG). II. Erläuterungen 1. Frist zur Einlegung. Für einen Antrag nach § 109 beträgt die Frist zwei Wochen 2 beginnend mit der (förmlichen) Zustellung oder schriftlichen Bekanntmachung der Maßnahme oder ihrer Ablehnung an den Betroffenen (Abs. 1 Satz 1). Die Vorschrift gilt bei einem Anfechtungs- und bei einem Verpflichtungsantrag, nicht aber für den Unterlassungs- sowie den Feststellungsantrag (Laubenthal 2011 Rdn. 794). Für die Bestimmung des Zugangszeitpunkts bei schriftlicher Bekanntgabe ist § 130 BGB heranzuziehen (OLG Frankfurt NStZ-RR 2002, 351). Schriftliche Bekanntgabe setzt ein Schriftstück voraus, das eine Unterzeichnung oder eine Namenswiedergabe enthält, um sie von bloßen Entwürfen abzugrenzen (KG NStZ-RR 2005, 356). Die Zustellung ist eine formstrenge schriftliche Mitteilung; sie erfolgt nach § 120 Abs. 1 i. V. m. § 37 Abs. 1 StPO, §§ 168 Abs. 1 Satz 2, 176 Abs. 1, 178 Abs. 1 Nr. 3 ZPO (bei inhaftierten Adressaten über einen Bediensteten der JVA). Die Frist beginnt nicht erst mit Erlass der beanstandeten Maßnahme (OLG Frankfurt ZfStrVo 1979, 61). Die mündliche Eröffnung einer Maßnahme setzt die Frist nicht in Lauf (KG GA 1976, 342; OLG Koblenz ZfStrVo 1992, 321; Arloth 2011 Rdn. 2; C/MD 2008 Rdn. 1). Ebenso der Erlass eines Realaktes. Ist die Maßnahme nicht schriftlich bekannt gemacht worden oder steht die schriftliche Bekanntgabe nicht fest, kann analog zu § 113 Abs. 3 bis zum Ablauf eines Jahres Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt werden (OLG Jena NStZ 2001, 414 M; OLG Frankfurt NJW 2003, 2843). Bei mehrfacher Zustellung richtet sich die Berechnung der Frist nach der zuletzt bewirkten Zustellung; dies gilt nicht für eine Zustellung, die erst nach Fristablauf bewirkt wird (BGHSt 22, 221). Es lässt sich aus Abs. 1 Satz 1 nicht herleiten, dass Maßnahmen der Vollzugsbehörden und ihre Begründung dem Betroffenen schriftlich bekanntzugeben sind. Eine mündliche Eröffnung reicht aus, solange kein gegenteiliges überwiegendes Interesse des Gefangenen ersichtlich ist (BVerfG NJW 1976, 34, 37; OLG Bamberg ZfStrVo SH 1979, 111; OLG Koblenz ZfStrVo 1981, 62; OLG Nürnberg NStZ 1998, 592). Ausnahme s. Rdn. 3 am Ende. Die Frist zur Stellung eines Antrages gem. § 109 wird auch dann in Lauf gesetzt, wenn eine Entscheidung der Vollzugsbehörde nur dem Verteidiger des Gefangenen schriftlich bekannt gegeben wurde (OLG Nürnberg ZfStrVo 1988, 192). Verweigert ein Gefangener unberechtigt und grundlos die Annahme der schriftlichen Mitteilung der Vollzugsmaßnahmen, so gilt diese ihm in dem Zeitpunkt als zugegangen, in dem ihm deren Übergabe angeboten wurde (OLG Frankfurt NStZ-RR 2002, 351). Der Gefangene ist auch nicht berechtigt, die Annahme mit dem Hinweis zu verweigern, er habe einen Rechtsanwalt mit 941
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seiner Vertretung beauftragt und diesem solle der vollzugsbehördliche Bescheid zugesandt werden (OLG Frankfurt NStZ-RR 2002, 351; Arloth 2011 Rdn. 3). Übergibt die Vollzugsbehörde dem Strafgefangenen ein an dessen Verteidiger gerichtetes Schreiben, wird die Antragsfrist von Abs. 1 Satz 1 nur dann in Lauf gesetzt, wenn sich entweder aus dem Bescheid selbst oder aus weiteren Umständen eindeutig ergibt, dass mit der Aushändigung an den Inhaftierten die Frist in Lauf gesetzt werden soll (OLG Karlsruhe StraFo 2007, 86). Die Zugangsfiktion von § 41 Abs. 2 VwVfG ist auf die Berechnung der Frist nicht anwendbar (KG NStZ-RR 2002, 383). Der Antragsteller ist grundsätzlich berechtigt, die ihm zur Einlegung des Rechtsbehelfs zur Verfügung stehende Frist voll auszuschöpfen. Das Ausschöpfen der Frist schließt allerdings den Zeitraum mit ein, welcher erforderlich ist, um den Antrag auf gerichtliche Entscheidung in der gesetzlich vorgeschriebenen Form bei Gericht anzubringen (OLG Celle, Beschl. vom 23.8.2011 – 1 Ws 325/11). 3 Ist ein Verwaltungsvorverfahren nach § 109 Abs. 3 vorgesehen (§ 109 Rdn. 31 ff), beginnt die Frist mit der Zustellung oder schriftlichen Bekanntgabe des Widerspruchsbescheids. Das Strafvollzugsgesetz hat Form und Frist der Einlegung des Widerspruchs im Verwaltungsvorverfahren nicht geregelt. Daraus ist zu entnehmen, dass dies dem das Vorschaltverfahren regelnden Landesrecht überlassen werden sollte. Wenn daher das entsprechende Landesrecht für einen Widerspruch weder eine Zustellung noch eine schriftliche Bekanntgabe der Maßnahme, auch nicht eine schriftliche Begründung und eine Rechtsmittelbelehrung vorsieht, so beginnt die Frist mit der mündlichen Eröffnung der Entscheidung durch den Anstaltsleiter. Handelt es sich jedoch um eine Entscheidung von erheblicher Tragweite für einen Gefangenen, die in ihrer Zusammensetzung rechtlich und tatsächlich schwierig zu beurteilen ist, so besteht nicht nur ein Anspruch auf eine schriftliche Bekanntgabe der tragenden Entscheidungsgründe. Der Gefangene wird auch erst zu diesem Zeitpunkt in die Lage versetzt, die Entscheidung im Einzelnen und im Hinblick auf die Einlegung von Rechtsmitteln zu überprüfen. Die Frist des Vorschaltverfahrens beginnt in diesen Fällen erst mit der Übergabe zu laufen (OLG Hamm NStZ 1999, 447 M). 4
2. Form des Antrags. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung muss schriftlich oder zur Niederschrift der Geschäftsstelle (bei der Rechtsbeschwerde § 118 Rdn. 8) des Landgerichts (§ 110) gestellt werden, oder bei einem nach § 299 StPO zuständigen Amtsgericht. Die Übergabe des Antrages an die Vollzugsbehörde, in der sich der Antragsteller befindet, genügt nicht (OLG Frankfurt ZfStrVo SH 1978, 44). Schriftliche Erklärungen müssen rechtzeitig in die Verfügungsgewalt und an einen zur Empfangnahme zuständigen Beamten gelangen (Meyer-Goßner 2011 vor § 42 StPO Rdn. 13). Zur Schriftform gehört, dass aus dem Schriftstück der Inhalt der Erklärung, die abgegeben werden soll, und die Person, von der sie ausgeht, hinreichend zuverlässig entnommen werden können. Die Schriftform nach Abs. 1 Satz 1 bedeutet nicht, dass der Antragsteller seinen Antrag unterzeichnen muss. Das Fehlen der Unterschrift ist kein Mangel, der den Antrag unzulässig macht (OLG Zweibrücken ZfStrVo SH 1979, 96). Es müssen aber der Verfasser als Antragsteller sowie seine Anschrift aus dem Schreiben erkennbar sein. Für Fernschreiben, Telebriefe und Telefax Meyer-Goßner 2011 StPO Einl. Rdn. 139, 139 a; Ebnet 1992, 2985; § 118 Rdn. 9. Zur Wahrung der Antragsfrist reicht die Einreichung einer nur in fremder Sprache abgefassten Schrift ohne Beifügung einer Übersetzung in die deutsche Sprache nicht aus (Arloth 2011 Rdn. 4). Ein Antrag auf gerichtliche Entscheidung, der nicht in deutscher Sprache abgefasst ist, bleibt unzulässig (§ 184 Satz 1 GVG). Dies gilt auch, wenn der Antragsteller Ausländer ist und der deutschen Sprache nicht ausreichend mächtig. Es besteht nach Art. 6 Abs. 3 MRK kein allgemeiner Anspruch auf Übersetzung durch einen Dolmetscher (OLG Nürnberg ZfStrVo 1989, 187; 1990, 189; krit. Laubenthal
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Antragsfrist. Wiedereinsetzung
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AK-Kamann/Spaniol 2012 § 112 Rdn. 8). Es wird heute jedoch auch die Auffassung vertreten, ein Ausländer, der der deutschen Sprache nicht mächtig ist, könne mindestens dann, wenn er sich nicht auf freiem Fuß befindet und anwaltlich nicht vertreten wird, ein fristgebundenes Rechtsmittel zulässigerweise in einer europäischen Sprache einreichen. Nur dann dürfe ein Gericht ein solches Rechtsmittel als unzulässig verwerfen, wenn es anstatt selbst für eine Übersetzung zu sorgen, dem Ausländer aufgibt, unverzüglich eine Übersetzung nachzureichen, und der Ausländer dieser Aufforderung nicht nachkommt, obwohl er hierzu in der Lage gewesen wäre (dazu Kissel/Mayer 2010, § 184 Rdn. 5 f). Im Übrigen zu dieser Problematik BVerfG StV 1991, 497, OLG Koblenz StV 1997, 429 mit Anm. Kühne. Bei fremdsprachigen Eingaben kann aber die Fürsorgepflicht gebieten, den Absender auf § 184 Satz 1 GVG hinzuweisen (Meyer-Goßner 2011 § 184 GVG Rdn. 2) oder Hilfen zu gewähren (Kissel/Mayer 2010 § 184 Rdn. 16). Auch insoweit sind die Grundsätze des rechtsstaatlichen fairen Verfahrens zu beachten (BVerfGE 64, 135). Die nach § 109 Abs. 2 nötige Begründung (§ 109 Rdn. 30) eines Antrages muss inner- 5 halb der Frist für die Stellung eines Antrages von Abs. 1 Satz 1 erfolgen; sie kann grundsätzlich nicht im Laufe des gerichtlichen Verfahrens nachgeholt werden, da sie als Zulässigkeitsvoraussetzung unmittelbar zu dem Antrag gehört und deshalb den Form- und Fristenerfordernissen unterliegt. Zulässig ist lediglich die Ergänzung oder nähere Darlegung einer den Anforderungen des § 109 Abs. 2 bereits genügenden Antragsbegründung auch nach Ablauf der Frist. Ggf. muss das Gericht entsprechend seiner Fürsorgepflicht auf Mängel und eine Ergänzung des Sachvortrages hinweisen (OLG Celle NStZ 1990, 428 B; KG NStZ-RR 1997, 154; Arloth 2011 Rdn. 4; C/MD 2008 Rdn. 2); dies kann im Ausnahmefall mit der Gestattung verbunden werden, eine fehlende Erklärung auch noch nach Ablauf der zweiwöchigen Frist abzugeben, was jedoch nicht für Antragsschriften gilt, die Rechtsanwälte und forensisch erfahrene Gefangene einreichen (OLG Koblenz NStZ-RR 2011, 32). Zu Protokoll der Geschäftsstelle des Gerichts (Meyer-Goßner 2011 StPO Einl. Rdn. 140) 6 kann eine telefonische Erklärung an das Gericht nicht wirksam erfolgen (BGH NJW 1981, 1627). Wird der Antrag am letzten Tag der Antragsfrist schriftlich bei einem unzuständigen Gericht eingelegt, so wird die Antragsfrist dennoch gewahrt, wenn das zuständige Gericht noch an diesem Tage telefonisch von dem Inhalt des schriftlichen Antrages unterrichtet wird und der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle dieses Gerichts hierüber einen schriftlichen Aktenvermerk aufnimmt. Unterbleibt die fernmündliche Benachrichtigung des zuständigen Gerichts oder fertigt der Urkundsbeamte trotz Benachrichtigung keinen Vermerk an, so ist dem Antragsteller Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Antragsfrist zu gewähren (OLG Zweibrücken NStZ 1982, 395). 3. Hinsichtlich der Feststellung der Verfahrensvoraussetzungen, z. B. der Frist- 7 wahrung, gilt für das Gericht die Pflicht zur Amtsermittlung (OLG Frankfurt ZfStrVo 1979, 61). Näheres § 115 Rdn. 2 ff. 4. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Fristversäumnis a) Allgemeines. Abs. 2 regelt die Voraussetzungen der Wiedereinsetzung in den vo- 8 rigen Stand im gerichtlichen Verfahren nach §§ 109 ff bei Versäumung gesetzlicher Fristen. Gesetzliche Bestimmungen über verfahrensrechtliche Fristen sind notwendig, damit gerichtliche Entscheidungen nach ungenutztem Fristablauf eine endgültige Wirkung entfalten können. Um diesen der Rechtssicherheit dienenden Zweck nicht zu vereiteln, muss die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand eine Ausnahme bleiben. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist daher nur dann zu gewähren, wenn der Antragsteller 943
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Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
ohne Verschulden gehindert war, die Antrags- bzw. Rechtsmittelfrist einzuhalten. Es wird die Ansicht vertreten, dass neben eigenem Verschulden ein Verfahrensbeteiligter im Zusammenhang mit der Versäumung einer Frist unter Umständen auch das schuldhafte Verhalten derjenigen Personen gegen sich gelten lassen muss, deren er sich als Vertreter zur Rechtsverfolgung bedient (Arloth 2011 Rdn. 5; Meyer-Goßner 2011 § 44 StPO Rdn. 19, § 26 EGGVG Rdn. 7; a. A. C/MD 2008 Rdn. 3; Eschke 1993, 182; Litwinski/Bublies 1989, 110). An einem Verschulden soll es aber dann fehlen, wenn der Betroffene alles ihm billigerweise Zumutbare getan hat, um die der Fristwahrung entgegenstehende Rechtsunkenntnis zu beseitigen und seine redlichen Bemühungen schuldlos ohne Erfolg geblieben sind. Da § 120 Abs. 1 für das Verfahren vor der Strafvollstreckungskammer im Rahmen der §§ 109 ff auf die Regelungen der StPO verweist, gelten hinsichtlich eines Verschuldens des Verteidigers sowie eines sonstigen Vertreters an der Fristversäumnis zwar die strafprozessualen Grundsätze. Danach müssen im Strafverfahren Beteiligte, die sich nicht gegen einen Schuldvorwurf verteidigen, sich das Verteidigerverschulden zurechnen lassen (Meyer-Goßner 2011 § 44 StPO Rdn. 19). Insbesondere das Verschulden des Verteidigers ist dem Gefangenen im strafvollzugsrechtlichen Verfahren jedoch nicht zuzurechnen (Laubenthal 2011 Rdn. 795; a. A. OLG Hamm NStZ 2008, 684). Denn der sich in Unfreiheit befindliche Inhaftierte kann nicht zur Überwachung seines Verteidigers verpflichtet werden. An einem Verschulden eines Gefangenen fehlt es, wenn das Versäumnis im Verantwortungsbereich der Vollzugsbehörde liegt, z. B. verspätete Weiterleitung des schriftlichen Antrages (AK-Kamann/Spaniol 2012 Rdn. 13). Zur Versäumung der Frist durch einen der deutschen Sprache nicht hinreichend mächtigen Ausländer BVerfG StV 1991, 497. Bei einer Änderung einer jahrelangen gerichtlichen Verfahrenspraxis kann aus Gründen eines fairen rechtstaatlichen Verfahrens von Amts wegen die Wiedereinsetzung in eine versäumte Beschwerdefrist gewährt werden (OLG Karlsruhe ZfStrVo 2003, 244, 245 mit Anm. Rösch). An der Nichteinhaltung der Frist des § 112 Abs. 1 trifft einen Antragsteller dann kein Verschulden, wenn sich dieser für bedürftig halten konnte und deshalb innerhalb der Frist zunächst nur einen Antrag auf Prozesskostenhilfe gestellt hat und erst nach Entscheidung darüber den Rechtsbehelf selbst einlegt. Ist zu diesem Zeitpunkt die Frist bereits abgelaufen, liegt ein Wiedereinsetzungsgrund vor (OLG Koblenz NStZ-RR 1997, 187). 9
b) Keine Wiedereinsetzung bei Fehlen der Rechtsmittelbelehrung. Das Fehlen einer Rechtsmittelbelehrung ist für sich allein noch kein Wiedereinsetzungsgrund im gerichtlichen Verfahren in Strafvollzugssachen (OLG Frankfurt ZfStrVo SH 1978, 44; Schrader 1987, 447). Der Gesetzgeber hat das Verfahren auf Wiedereinsetzung in den dem Strafvollzugsgesetz unterliegenden Verfahren abschließend geregelt. Die Rechtsvermutung des § 44 Satz 2 StPO, wonach eine fehlende Rechtsmittelbelehrung als Wiedereinsetzungsgrund anzusehen ist, kann über § 120 Abs. 1 nicht herangezogen werden (OLG Zweibrücken ZfStrVo 1990, 307; Arloth 2011 Rdn. 5). Eine unterschiedliche Regelung der Wiedereinsetzung nach dem StVollzG und der StPO ist gerechtfertigt (§ 120 Rdn. 2). Hinsichtlich vollzuglicher Maßnahmen ist eine Rechtsbehelfsbelehrung nicht vorgeschrieben. Nach § 5 Abs. 2 ist jeder Strafgefangene über seine Rechte, also auch über die Möglichkeiten der Anfechtung von Entscheidungen der Vollzugsbehörde zu unterrichten. Diese Unterrichtung gewährleistet die Informiertheit des Gefangenen. Die Vollzugsbehörde erfüllt ihre Informationspflicht durch die Aushändigung von Merkblättern (Information zum StVollzG) und darüber hinaus i. d. R. durch die Aushändigung von Exemplaren des Strafvollzugsgesetzes, aus denen der Gefangene die Anfechtungsmöglichkeiten ihn belastender Vollzugsverwaltungsakte entnehmen kann. Der Schutz des Betroffenen, den § 44 Abs. 2 StPO bezwecken will, ist in Vollzugssachen daher in anderer Laubenthal
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Antragsfrist. Wiedereinsetzung
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Weise gewährleistet (OLG Frankfurt NStZ 1986, 354 F; KG 15.3. 2002 – 5 Ws 138/02 Vollz). Hat die Vollzugsbehörde es jedoch unterlassen, derartige Informationsmöglichkeiten zu gewährleisten, wird einem Gefangenen die Versäumung einer Frist nicht zuzurechnen sein (AK-Kamann/Spaniol 2012 Rdn. 14; C/MD 2008 Rdn. 3). Dies gilt jedoch nicht, wenn der Antrag durch einen Rechtsanwalt gestellt wird. c) Großzügige Gewährung. Im Allgemeinen sollten bei der Wiedereinsetzung bei 10 Fristversäumnis durch Inhaftierte Nachsicht am Platze sein und Förmlichkeiten nicht unnötig zum Rechtsverlust führen. Amtliches Verschulden ist einem Betroffenen nicht zuzurechnen (OLG Hamm NStZ 1989, 248; Laubenthal 2011 Rdn. 795). Das gilt auch, wenn die Versäumung der Frist zur Einlegung des Rechtsmittels auf einer unrichtigen Rechtsmittelbelehrung beruht (BGH NJW 1982, 532). Zur Wiedereinsetzung bei Fristversäumung vgl. auch das Beispiel Rdn. 16. d) Inhalt des Antrags. Der Antrag auf Wiedereinsetzung ist binnen zwei Wochen 11 nach Wegfall des Hindernisses, das der Einhaltung der Frist entgegenstand, zu stellen (Abs. 3 Satz 1). Bei Fristversäumnis im Rechtsbeschwerdeverfahren s. § 118 Rdn. 10. Nach Abs. 3 Satz 2 muss glaubhaft gemacht werden, dass die Versäumung ohne Verschulden eingetreten ist; es genügt nicht, dass die Möglichkeit besteht, die Frist könne ohne Verschulden versäumt worden sein. Glaubhaftmachen der Tatsachen zur Begründung des Antrags bedeutet eine Wahrscheinlichmachung, d. h. die behaupteten Tatsachen so weit zu beweisen, dass das Gericht sie für wahrscheinlich hält und es in die Lage versetzt wird, ohne das Verfahren verzögernde zusätzliche Ermittlungen entscheiden zu können (Meyer-Goßner 2011 § 26 StPO Rdn. 7). Bei Strafgefangenen bleibt es im Einzelfall ausreichend, wenn der inhaftierte Antragsteller zur Glaubhaftmachung eine eigene Erklärung abgibt (BVerfG StV 1993, 351). Mit dem Antrag zugleich, auf jeden Fall innerhalb der Zwei-Wochenfrist, muss 12 die versäumte Handlung nachgeholt werden (Abs. 3 Satz 3). Zur Wiedereinsetzung von Amts wegen nach verspätetem Wiedereinsetzungsantrag LG Münster MDR 1986, 162. Auch ohne dass ein Wiedereinsetzungsantrag ausdrücklich gestellt wurde, kann 13 Wiedereinsetzung gewährt werden, wenn bei Vornahme der versäumten Rechtshandlung innerhalb der Frist von Abs. 3 Satz 1 aus dem Zusammenhang ersichtlich ist, es wird Wiedereinsetzung begehrt und ein Verschulden liegt nicht vor (Abs. 3 Satz 4). Wiedereinsetzung kann auch von Amts wegen gewährt werden, wenn eine Verletzung der Formvorschriften von § 118 Abs. 3 durch den Rechtspfleger zu vertreten ist und dadurch die Rechtsmittelfrist versäumt wurde (OLG Koblenz NStZ 1998, 400 M; § 118 Rdn. 8). Gegen die Versäumung der Zwei-Wochenfrist des Abs. 3 Satz 1 ist ebenfalls Wiedereinsetzung zulässig. e) Ausschlussfrist. Abs. 4 enthält eine Ausschlussfrist. Gegen die Versäumung der 14 Jahresfrist ist Wiedereinsetzung nicht möglich. Ist jedoch das Hindernis auf höhere Gewalt zurückzuführen, so kann auch nach späterer Beseitigung des Hindernisses Wiedereinsetzung binnen zwei Wochen beantragt werden. Höhere Gewalt setzt ein außergewöhnliches Ereignis voraus, das unter den gegebenen Umständen auch durch äußerste, nach Lage der Sache vom Betroffenen zu erwartende, Sorgfalt nicht verhindert werden kann (Meyer-Goßner 2011 § 26 EGGVG Rdn. 9). f) Rechtsmittel, Verwirkung. Der einem Antrag auf Wiedereinsetzung stattgebende 15 Beschluss ist unanfechtbar (§ 120 Abs. 1, § 46 Abs. 2 StPO). Gegen die Ablehnung eines 945
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Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
Wiedereinsetzungsantrages ist die sofortige Beschwerde nach § 120 Abs. 1 i. V. m. § 46 Abs. 3 StPO statthaft. Da die Frist des Abs. 1 nicht für Verpflichtungs- und Unterlassungsanträge gilt, können diese in Ausnahmefällen durch Verwirkung unzulässig werden. Dies gilt dann, wenn der Betroffene über einen längeren Zeitraum hinweg untätig bleibt, obwohl er die Rechtslage kannte oder zumutbarerweise hätte erkennen müssen. III. Beispiel 16
Ein Gefangener hat am Tag vor Ablauf der Zweiwochenfrist (§ 112 Abs. 1) um die Protokollierung seines Anfechtungsantrages auf gerichtliche Entscheidung und seine Vorführung bei der Geschäftsstelle des Gerichts nachgesucht. Bei der Versäumung der Frist ist Wiedereinsetzung zu gewähren, da der Gefangene darauf vertrauen durfte, dass seine beabsichtigte Antragstellung rechtzeitig zu Protokoll genommen werde. Auf etwaige Verzögerungen im Geschäftsablauf der Justizvollzugsanstalt und/oder des Gerichts hat er keinen Einfluss.
§ 113 Vornahmeantrag § 113 Laubenthal Vornahmeantrag (1) Wendet sich der Antragsteller gegen das Unterlassen einer Maßnahme, kann der Antrag auf gerichtliche Entscheidung nicht vor Ablauf von drei Monaten seit dem Antrag auf Vornahme der Maßnahme gestellt werden, es sei denn, dass eine frühere Anrufung des Gerichts wegen besonderer Umstände des Falles geboten ist. (2) Liegt ein zureichender Grund dafür vor, dass die beantragte Maßnahme noch nicht erlassen ist, so setzt das Gericht das Verfahren bis zum Ablauf einer von ihm bestimmten Frist aus. Die Frist kann verlängert werden. Wird die beantragte Maßnahme in der gesetzten Frist erlassen, so ist der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt. (3) Der Antrag nach Absatz 1 ist nur bis zum Ablauf eines Jahres seit der Stellung des Antrags auf Vornahme der Maßnahme zulässig, außer wenn die Antragstellung vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war oder unter den besonderen Verhältnissen des Einzelfalles unterblieben ist. Schrifttum S. Vor § 108.
I. Allgemeine Hinweise 1
Bei verzögerlicher Sachbehandlung durch die Vollzugsbehörde ermöglicht § 113 im Interesse der Beschleunigung des Rechtsschutzes einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung gegen die Unterlassung einer Maßnahme (z. B. Nichtbescheidung eines Antrages auf Gewährung von Urlaub vgl. Beispiel Rdn. 6). Hat die Vollzugsbehörde eine Maßnahme unterlassen (d. h. auf einen Antrag auf Gewährung einer begünstigenden Maßnahme nicht reagiert), kann der Antragsteller sich mittels eines Vornahmeantrags (§§ 109 Abs. 1 S. 2, 113 StVollzG) als Unterfall des allgemeinen Leistungsantrags gegen die Untätigkeit der Anstalt wenden (Untätigkeitsantrag). Dabei hat der von der Untätigkeit Laubenthal
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Vornahmeantrag
§ 113
Betroffene zwei Vorgehensmöglichkeiten: Er verfolgt mit dem einfachen Untätigkeitsantrag das Ziel der Bescheidung (Genehmigung oder Ablehnung) seines ursprünglichen Begehrens (§ 115 Abs. 4 StVollzG). Oder der Inhaftierte geht im Wege eines Stufenantrags vor, indem er sich nicht nur gegen die Untätigkeit der Anstaltsleitung wendet, sondern zugleich das Ziel des Erlasses der Maßnahme durch die Anstaltsleitung begehrt. II. Erläuterungen Vor Ablauf von drei Monaten (Abs. 1) seit dem an die Vollzugsbehörde gerichteten 2 und von dieser nicht verbeschiedenen Antrag auf Vornahme einer Maßnahme kann der Antrag auf gerichtliche Entscheidung prinzipiell nicht gestellt werden (Zulässigkeitsvoraussetzung). Die Drei-Monatsfrist wird grundsätzlich als angemessene Handlungs- und Entscheidungsfrist angesehen (OLG Celle NStZ 1985, 576). Für die Berechnung der DreiMonatsfrist kommt es auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung an (OLG Nürnberg ZfStrVo 1990, 119). Die Festlegung einer bestimmten Frist ist erforderlich, weil ein Gefangener nur schwer festzustellen vermag, welche Gründe die Vollzugsbehörde von einer früheren Entscheidung abhalten, und er Gefahr liefe, dass sein Antrag als unzulässig abgewiesen werden müsste. Eine kürzere Frist kann jedoch dann an die Stelle der Drei-Monatsfrist treten, wenn eine frühere Anrufung des Gerichts wegen besonderer Umstände des Falles geboten ist. Dies wird immer dann der Fall sein, wenn die Verzögerung der Entscheidung der Vollzugsbehörde dem Gefangenen unverhältnismäßige Nachteile bringt. Ob dies zutrifft und welche Frist angemessen und vertretbar ist, entscheidet das Gericht im Einzelfall. Die Drei-Monatsfrist gilt auch nicht, wenn die Vollzugsbehörde sich explizit weigert, einen Antrag des Inhaftierten zu verbescheiden (AK-Kamann/Spaniol 2012 Rdn. 5; Arloth 2011 Rdn. 2). Wird der Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach Ablauf der Drei-Monatsfrist – oder ggf. an ihre Stelle getretene kürzere Frist – gestellt, so kann er nicht mehr als verfrüht, d. h. als unzulässig abgewiesen werden, wenn dem Erlass der beantragten Maßnahme weiterhin ein zureichender Grund entgegensteht. Die Strafvollstreckungskammer hat in diesem Fall das Verfahren bis zum Ablauf einer von ihr bestimmten Frist auszusetzen, innerhalb derer die Vollzugsbehörde zu entscheiden hat (Abs. 2 Satz 1). Die Behörde muss vorbringen, welche Hindernisse ihrer Entscheidung entgegenstehen, damit das Gericht beurteilen kann, welche Frist angemessen erscheint. Eine Verlängerung der (richterlichen) Frist bleibt möglich (Abs. 2 Satz 2). Befindet die Vollzugsbehörde, gleichgültig aus welchem Grund nicht über den an sie 3 gerichteten Antrag auf Vornahme einer Maßnahme, ist der Antrag auf gerichtliche Entscheidung zulässig; es ist in der Hauptsache zu entscheiden, d. h. es ist zu überprüfen, ob ein Anspruch auf Verbescheidung durch die Vollzugsbehörde besteht. Hat der Betroffene nicht nur einen einfachen Untätigkeitsantrag gestellt, sondern im Wege des Stufenantrags zugleich das Ziel des Erlasses der begehrten Maßnahme bei Gericht verfolgt, ist seitens der Strafvollstreckungskammer ggf. auch hierüber zu entscheiden (Laubenthal 2011 Rdn. 776). Bei einer Bearbeitungsdauer eines Urlaubsantrages von mehr als drei Monaten spricht der erste Anschein für ein rechtswidriges „Liegenlassen“ des Antrags (LG Hamburg ZfStrVo 1995, 245). Erlässt die Vollzugsbehörde die beantragte Maßnahme vor Ablauf der vom Gericht gesetzten Frist, ist der Rechtsstreit in der Hauptsache auch ohne ausdrückliche Erklärung erledigt und das Gericht hat nur noch über die Kosten nach billigem Ermessen zu entscheiden (Abs. 2 Satz 3). Ein an das Gericht gerichteter Antrag, festzustellen, dass die Nichtbescheidung eines Antrags durch die Anstaltsleitung während eines Zeitraumes von acht Wochen rechtswidrig gewesen sei, ist nach Ansicht der überwiegenden Rechtsprechung unzulässig, weil der Antrag nach § 115 Abs. 3 voraussetzt, dass sich eine bereits getroffene Maßnahme erledigt hat (OLG Frankfurt LS 947
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§ 114
Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
ZfStrVo SH 1979, 100; OLG Hamburg LS ZfStrVo SH 1979, 99; OLG Karlsruhe NStZ 1985, 525, 526, 527 mit Anm. Helmken). Dieses Ergebnis bleibt aber in der Sache unbefriedigend und widerspricht dem grundgesetzlich garantierten Anspruch auf Rechtsschutz gem. Art. 19 Abs. 4 GG. Deshalb muß auch von einem Vornahmeantrag auf einen Antrag auf Feststellung (§ 115 Abs. 3) umgestellt werden können. Dies kann z. B. dann der Fall sein, wenn dem Gefangenen eine begehrte Maßnahme verweigert wurde und der Vornahmeantrag vor der gerichtlichen Entscheidung seine Erledigung gefunden hat (KG StV 1985, 70 f; AK-Kamann/Spaniol 2012 Rdn. 8; Arloth 2011 Rdn. 3; C/MD 2008 Rdn. 3). Lehnt die Vollzugsbehörde nach Anhängigkeit des Vornahmeantrags den Erlass der vom Gefangenen begehrten Maßnahme (z. B. Urlaubsantrag wird negativ verbeschieden) ab, kann der Betroffene vom Vornahme- zum Verpflichtungsantrag übergehen. Abs. 3 entspricht als Ausschlussfrist § 112 Abs. 4 (dort Rdn. 14) mit der Ausnahme, 4 dass auch „besondere Verhältnisse des Einzelfalles“ den Fristablauf hindern können. Die besonderen Verhältnisse setzen voraus, dass Umstände vorliegen, die die Fristüberschreitung als geboten erscheinen lassen. Hierbei kommt es immer auf das Verhalten der Vollzugsbehörde an und wie der Gefangene dieses Verhalten deuten durfte. Auch für den Vornahmeantrag nach § 113 gelten die Voraussetzungen von § 109 5 Abs. 1, wonach der Antrag auf gerichtliche Entscheidung sich auf Vornahme von Maßnahmen zur Regelung einzelner Angelegenheiten (§ 109 Rdn. 11) richtet. Unzulässig ist dementsprechend ein Antrag, der die Verpflichtung der Vollzugsbehörde zu Tätigkeiten anstrebt, die keine Regelung einzelner Vollzugsangelegenheiten enthält (KG 29.1.1979 – 2 Ws 145/78 Vollz). Ein Gefangener hat auch kein Recht darauf, dass die Vollzugsbehörde über seinen Antrag zweimal entscheidet. Das Unterlassen eines weiteren Bescheids auf einen früher schon beschiedenen Antrag ist keine taugliche Grundlage für einen Vornahmeantrag nach § 113 (OLG Celle ZfStrVo SH 1978, 47). Bei einem Vornahmeantrag bedarf es auch in den Bundesländern mit Verwaltungsvorverfahren (§ 109 Abs. 3) keines vergeblich eingelegten Widerspruchs, s. § 109 Rdn. 31 (OLG Celle NStZ 1985, 576; C/MD 2008 Rdn. 2). III. Beispiel 6
Ein Strafgefangener beantragt bei der Anstaltsleitung im Oktober die Gewährung von Hafturlaub. Im März des darauffolgenden Jahres ist über diesen Antrag noch nicht entschieden. Der Gefangene kann (ohne dass zunächst ein Verwaltungsvorverfahren durchgeführt wird) einen Vornahmeantrag (einfacher Untätigkeitsantrag) nach § 113 Abs. 1 i. V. m. § 109 Abs. 1 stellen, mit dem die Verpflichtung zum Erlass der unterlassenen Maßnahme (die Nichtbescheidung des Antrags vom Oktober auf Gewährung von Urlaub) begehrt wird. Stellt der Inhaftierte einen Stufenantrag, geht es ihm nicht nur um die Bescheidung seines an die Vollzugsbehörde gerichteten Antrags, sondern zugleich um die Verpflichtung der Anstaltsleitung zur Gewährung der Vollzugslockerung.
§ 114 Aussetzung der Maßnahme § 114 Laubenthal Aussetzung der Maßnahme (1) Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat keine aufschiebende Wirkung. (2) Das Gericht kann den Vollzug der angefochtenen Maßnahme aussetzen, wenn die Gefahr besteht, dass die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert wird und ein höher zu bewertendes Interesse Laubenthal
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Aussetzung der Maßnahme
§ 114
an dem sofortigen Vollzug nicht entgegensteht. Das Gericht kann auch eine einstweilige Anordnung erlassen; § 123 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung ist entsprechend anzuwenden. Die Entscheidungen sind nicht anfechtbar; sie können vom Gericht jederzeit geändert oder aufgehoben werden. (3) Der Antrag auf eine Entscheidung nach Absatz 2 ist schon vor Stellung des Antrags auf gerichtliche Entscheidung zulässig. Schrifttum S. Vor § 108.
I. II.
Übersicht Allgemeine Hinweise ____ 1 Erläuterungen ____ 2–11 1. Aussetzungsanordnung ____ 2 2. Einstweilige Anordnung ____ 3–6 a) Unterschied zur Aussetzung ____ 3 b) Voraussetzungen ____ 4, 5 c) Kein Nebeneinander von einstweiliger Anordnung und Aussetzung ____ 6 3. Vorläufiger Rechtsschutz und Hauptsache ____ 7 4. Keine weiteren vorläufigen Entscheidungen ____ 8
III.
5. Vorläufige Entscheidung nicht anfechtbar ____ 9 6. Vorläufiger Rechtsschutz kann vor Antrag in der Hauptsache begehrt werden ____ 10 7. Zuständigkeit ____ 11 Beispiele ____ 12, 13 1. Gericht ordnet aufschiebende Wirkung an ____ 12 2. Gefangener beantragt aufschiebende Wirkung ____ 13
I. Allgemeine Hinweise § 114 regelt zusammen mit § 116 Abs. 3 den vorläufigen Rechtsschutz im gerichtli- 1 chen Verfahren nach dem Strafvollzugsgesetz. Mit dieser Vorschrift soll i. S. v. Art.19 Abs. 4 GG nicht nur das formelle Recht und die theoretische Möglichkeit, die Gerichte anzurufen, sondern auch die Effektivität des Rechtsschutzes gewährleistet werden. Daraus folgt, dass der gerichtliche Rechtsschutz soweit wie möglich der Schaffung solcher vollendeter Tatsachen zuvorzukommen hat, die dann, wenn sich eine Maßnahme bei richterlicher Prüfung als rechtswidrig erweist, nicht mehr rückgängig gemacht werden können. Anträge von Gefangenen sind daher sachdienlich auszulegen (Arloth 2011 Rdn. 1). Wirksamer Rechtsschutz bedeutet Rechtsschutz innerhalb angemessener Zeit. Was angemessen ist, bestimmt sich nach den Umständen des Einzelfalls (BVerfG NStZ 1994, 101; ZfStrVo 1995, 371; StV 2001, 698; s. Lübbe-Wolff/Lindemann 2007, 456). Daraus folgt, dass im Bereich des Strafvollzugs die Gewährleistung wirksamen Rechtsschutzes Vorkehrungen erfordert, dass der Gefangene rechtzeitig Zugang zum Gericht erhält. Das Verhalten der Vollzugsverwaltung darf nicht darauf angelegt werden, den gerichtlichen Rechtsschutz zu vereiteln oder unzumutbar zu erschweren (BVerfG NStZ 1993, 508; Laubenthal 2011 Rdn. 837). Nach Abs. 1 bewirkt ein Antrag auf gerichtliche Entscheidung nicht automatisch eine aufschiebende Wirkung gegenüber der angefochtenen Maßnahme; dies gilt auch für den Widerspruch in einem Verwaltungsvorverfahren (§ 109 Abs. 3). Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit von Abs. 1 bestehen jedoch nicht. Art. 19 Abs. 4 GG, wonach auch der Rechtsschutz gegen vorläufige Rechtsnachteile umfasst wird, verlangt nur die Gewährleistung eines vorläufigen Rechtsschutzes, wie ihn Abs. 2 Satz 1 und 2 vorsehen (BVerfG ZfStrVo 1996, 46; Böhm 2003 Rdn. 383). Hierdurch wird sichergestellt, dass vor der Unanfechtbarkeit einer belastenden Vollzugsmaßnahme nicht vollendete Tatsachen geschaffen und Rechte beeinträchtigt werden können. Denn dem Betreffenden bleibt die Möglichkeit der Anrufung des Gerichts offen. Mit der Frei949
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stellung von der aufschiebenden Wirkung gem. Abs. 1 wird einer möglichen Rechtsunsicherheit (sofortige Durchsetzung) bei Anfechtung von Anordnungen der Vollzugsbehörde entgegengewirkt. In der Praxis dient ein Großteil von Anordnungen der Vollzugsbehörde der Gefahrabwehr gegen einen Störer, der durch sein Verhalten oder den Zustand einer von ihm beherrschten Sache eine Gefahr für die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt herbeiführt, oder verhindert die Begehung von Straftaten bzw. Ordnungswidrigkeiten. Die Vollzugsbehörde kann allerdings bis zur gerichtlichen Entscheidung eine angefochtene Maßnahme selbst aussetzen. Vorläufiger Rechtsschutz im Rahmen eines Verfassungsbeschwerdeverfahrens oder in dessen Vorfeld kommt im Hinblick auf den Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde nur in Betracht, wenn der Antragsteller bestehende Möglichkeiten, fachgerichtlichen Eilrechtsschutz zu erlangen, ausgeschöpft hat (BVerfG NJW 2001, 3770; s. auch Lübbe-Wolff/Frotz 2009, 618). Der Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde gegen eine Entscheidung im vorläufigen Rechtsschutz steht der Grundsatz der materiellen Subsidiarität dann nicht entgegen, wenn eine Grundrechtsverletzung geltend gemacht wird, die nur für das vorläufige Verfahren bedeutsam ist und im Hauptverfahren nicht mehr ausgeräumt werden kann (BVerfG NStZ 1999, 532). Bei Vollzugsverwaltungsakten kann für die Betroffenen die Gefahr bestehen, dass die Maßnahmen im Hinblick auf die Freistellung von der aufschiebenden Wirkung trotz Anfechtung bei sofortigem Vollzug nicht mehr rückgängig gemacht werden können (z. B. bei der Anordnung von Disziplinarmaßnahmen). II. Erläuterungen 2
1. Aussetzungsanordnung. Abs. 2 Satz 1 sieht die Aussetzung des Vollzugs der angefochtenen Maßnahme durch das Gericht vor. Die Entscheidung über den Antrag auf Aussetzung des Vollzugs der angefochtenen Maßnahme erfordert eine Abwägung zwischen dem im jeweiligen Strafvollzugsgesetz zum Ausdruck kommenden öffentlichen Interesse an dem geordneten und funktionsfähigen Ablauf des Strafvollzugs und dem Interesse des Gefangenen, einstweilen von einer belastenden Maßnahme verschont zu bleiben (Böhm 2003 Rdn. 383). Hierbei ist zu prüfen, ob die Gefahr besteht, dass die Verwirklichung eines Rechts vereitelt oder wesentlich erschwert wird (s. BVerfG NStZ 2004, 223). Dabei kann auch der Umstand eine Rolle spielen, dass nach der summarischen Prüfung der Erfolgsaussichten der Antragsteller mit seinem Rechtsbehelf im Hauptverfahren voraussichtlich Erfolg haben wird (BVerfG – 2 BvR 917/05). Der Eilantrag muss die angefochtene Maßnahme nach Inhalt, Zeitpunkt und Begründung vollständig bezeichnen (LG Hamburg NStZ 1985, 355 F; C/MD 2008 Rdn. 3). Aus der Rechtsschutzgarantie folgt ein Beschleunigungsgebot. Bei nicht mehr rückgängig zu machenden, sofort vollziehbaren Disziplinarmaßnahmen hat das Gericht in jeweils situationsgerechter Weise unverzüglich eine Entscheidung darüber zu treffen, ob die Maßnahme auszusetzen ist. Hinsichtlich der Anordnung von Disziplinarmaßnahmen liegt in der Regel eine Aussetzungsanordnung nahe, weil angesichts ihrer sofortigen Vollstreckbarkeit der Rechtsschutz in der Hauptsache zu spät käme und dem Betroffenen regelmäßig nur noch die Stellung eines Fortsetzungsfeststellungsantrags gem. § 115 Abs. 3 bliebe (BVerfG NStZ 2004, 223; s. Lübbe-Wolff/Lindemann 2007, 456). Das Gericht holt zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes entscheidungserhebliche Informationen erforderlichenfalls kurzfristig und auf schnellen Kommunikationswegen ein. In besonders gelagerten Fällen der Eilbedürftigkeit wird es auch eine vorläufige Aussetzung der Disziplinarmaßnahme in Betracht zu ziehen haben, ohne eine Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt zum Eilantrag abzuwarten. Das gilt umso mehr, als das Gericht seine Eilentscheidung gem. Abs. 2 S. 3 jederzeit wieder ändern kann (BVerfG NStZ 1993, 507, 508; NJW 2001, 3770; Arloth 2011 Rdn. 3; LaubenLaubenthal
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thal 2011 Rdn. 838). Bei einer sofort vollzogenen Verlegungsentscheidung kann im Hinblick auf den Anspruch auf effektiven Rechtsschutz ein Eilantrag gem. § 114 Abs. 2 S. 1 nicht mit der Begründung abgelehnt werden, eine Aussetzung komme wegen des schon erfolgten Vollzugs nicht mehr in Betracht. Der Antrag auf Rückverlegung im Wege des Eilrechtsschutzes stellt einen solchen auf Aussetzung der sofortigen Vollziehung dar (s. Lübbe-Wolff/Frotz 2009, 678). Vgl. auch § 116 Rdn. 13. 2. Einstweilige Anordnung. Nach Abs. 2 Satz 2 kann das Gericht auch eine einst- 3 weilige Anordnung entsprechend § 123 Abs. 1 VwGO erlassen. a) Unterschied zur Aussetzung. Einstweilige Anordnung und Aussetzung des Vollzugs einer angefochtenen Maßnahme (Abs. 2 Satz 1) unterscheiden sich nach dem Gegenstand der Hauptsache. Die Aussetzungsanordnung betrifft eine belastende Vollzugssache (Anfechtungs- oder Unterlassungsantrag in der Hauptsache). Begeht der Antragsteller eine Verpflichtung zum Erlass einer von der Vollzugsbehörde abgelehnten oder unterlassenen Maßnahme (Verpflichtungs- oder Vornahmeantrag in der Hauptsache), kommt vorläufiger Rechtsschutz nur unter den Voraussetzungen von Abs. 2 S. 2 i. V. m. § 123 Abs. 1 VwGO in Betracht (BVerfG Beschl. vom 15.3.2006 – 2 BvR 917/05; BVerfG NStZ 2010, 442; Laubenthal 2011 Rdn. 834 f). Im Hinblick auf das Verfahren ist bei der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zu differenzieren: Die einstweilige Anordnung ergeht in einem abgekürzten vorläufigen Verfahren, das als selbständiges Hauptverfahren neben das Hauptsacheverfahren tritt; die Aussetzung des Vollzugs einer Maßnahme ist eine im Hauptsacheverfahren (wenn auch in einem Zwischenverfahren) zu treffende Anordnung. Auch in ihrer Reichweite decken sich beide Maßnahmen keineswegs. Während die Aussetzung der Maßnahme nur ein begrenztes Verbot gibt und nur auf eine bestimmte vollziehbare Maßnahme gerichtet ist, kann die einstweilige Anordnung Gebote und Verbote in weitem Umfang enthalten und den ganzen Streitgegenstand erfassen (Eyermann-Happ 2010 VwGO § 123 Rdn. 16 und 48). b) Voraussetzungen. Eine einstweilige Anordnung kann dann getroffen werden, 4 wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Anordnung zur Sicherung eines bestehenden Zustandes gem. § 123 Abs. 1 S. 1 VwGO), oder wenn die einstweilige Regelung eines vorläufigen Zustands zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder aus anderen Gründen nötig ist (Regelungsanordnung nach § 123 Abs. 1 S. 2 VwGO vor allem bei einem auf Änderung oder Erweiterung der Rechtsposition gerichteten subjektiven Recht). Die einstweilige Anordnung kann erlassen werden, wenn aufgrund einer summarischen Prüfung der Anordnungsvoraussetzungen durch das Gericht eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für das Bestehen eines Anordnungsanspruchs spricht, d. h. hinsichtlich des Rechts i. S. d. § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO bzw. dem Rechtsverhältnis i. S. d. § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO überwiegende Erfolgsaussichten in der Hauptsache bestehen. Zudem muss ein Anordnungsgrund gegeben sein (Kopp/Schenke 2012 § 123 Rdn. 26). Das ist dann der Fall, wenn es dem Antragsteller unter Abwägung seiner Interessen einerseits sowie der öffentlichen Interessen (ggf. auch derjenigen Dritter) andererseits nicht zugemutet werden kann, die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Außerdem darf es keine zumutbare oder einfachere Möglichkeit geben, das bestehende Recht vorläufig zu wahren oder zu sichern. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung ist nur gegen eine Maßnahme nach § 109 5 Abs. 1 Satz 1 zulässig (§ 109 Rdn. 23) und wenn es nötig ist, die Verwirklichung eines Rechts zu sichern oder einen vorläufigen Zustand in Bezug auf ein streitiges Rechtsver951
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hältnis zu regeln (vgl. das Beispiel unter Rdn. 13). Eine Gefahr i. S. v. § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO liegt noch nicht vor, wenn die bloße Möglichkeit beeinträchtigender Maßnahmen besteht; erforderlich sind vielmehr tatsächliche Vorgänge oder Handlungen, die auf unmittelbar bevorstehende und rechtserhebliche Veränderungen schließen lassen (Eyermann-Happ 2010 VwGO §123 Rdn. 21, 53). Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung verneint z. B. das OLG Karlsruhe (ZfStrVo SH 1978, 58) bei einem Urlaubsantrag nach § 13. Dass ein Gefangener zumindest vorläufig keinen Urlaub erhält, bedeutet nach dieser Entscheidung keinen so schwerwiegenden Nachteil für ihn, dass es nötig wäre, eine vorläufige Regelung zu treffen (s. LG Lübeck ZfStrVo 2003, 382). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt ein Rechtsschutzbedürfnis für eine vorläufige Regelung voraus. Ein solches schutzwürdiges Interesse ist aber zu verneinen, wenn die angestrebte Entscheidung für den Antragsteller zur Durchsetzung seiner Rechte nicht notwendig ist (OLG Koblenz ZfStrVo 1978, 180). Spricht die Rechtslage eindeutig gegen den Antragsteller, muss der Antrag abgelehnt werden. Zu Fällen, in denen der Antragsteller die Vornahme einer Verwaltungshandlung begehrt, gehört es zu den Obliegenheiten, dem Gericht drohenden Rechtsverlust oder unzumutbare Nachteile vorzutragen, da sich die Notwendigkeit einer schnellen Entscheidung in der Regel nicht ohne weiteres ergibt. Kommt der Antragsteller dieser Obliegenheit nicht nach, besteht für das Gericht kein Anlass und auch keine Verpflichtung aus Art.19 Abs. 4 GG, schnell eine Klärung herbeizuführen, ob und wann tatsächlich ein Nachteil droht (BVerfG ZfStrVo 1996, 46). 6
c) Kein Nebeneinander von einstweiliger Anordnung und Aussetzung. Aussetzung des Vollzugs einer Maßnahme und einstweilige Anordnung können, soweit sie dasselbe Ziel verfolgen, nicht nebeneinander begehrt werden (Arloth 2011 Rdn. 4). Ebenso ist ein Fortsetzungsfeststellungsantrag im Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht statthaft (OLG Hamm NStZ 2001, 415 M).
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3. Vorläufiger Rechtsschutz und Hauptsache. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist seinem Sinn und Zweck nach auf diejenigen Fälle beschränkt, in denen der Antragsteller auch eine Entscheidung im Hauptsacheverfahren anstrebt; denn die einstweilige Anordnung soll nur vorläufigen Rechtsschutz bis zur Hauptsacheentscheidung ermöglichen. Versäumt der Antragsteller die Inanspruchnahme des Hauptsacherechtsbehelfs (Antrag nach § 109) und ist aus diesem Grunde ein Hauptsacheverfahren weder anhängig noch mehr möglich, ist auch kein Raum für vorläufigen Rechtsschutz (OLG München LS ZfStrVo SH 1979, 103). Ist der Antrag auf gerichtliche Entscheidung im Hauptsacheverfahren unzulässig, ist auch der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung unzulässig, denn es kann nur die Maßnahme begehrt werden, die das Gericht auch im Hauptsacheverfahren erlassen könnte (LG Bielefeld ZfStrVo SH 1978, 48). Durch die einstweilige Anordnung darf die endgültige Entscheidung nicht vorweggenommen werden (BVerfG NStZ 1999, 532), die vorläufige also faktisch nicht einer endgültigen gleichkommen (BVerfG NVwZ 2003, 1112). Etwas anderes gilt ausnahmsweise nur bei besonders schweren sowie unzumutbaren, anders nicht abwendbaren Nachteilen, die durch die spätere Hauptsacheentscheidung nicht mehr beseitigt werden können (BVerfG NStZ 2000, 166). Ist die Hauptsache mit einer endgültigen Ablehnung abgeschlossen, hat das Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung seine Erledigung gefunden. Aus ihrem vorläufigen Charakter folgt, dass die einstweilige Anordnung mit der abschließenden Entscheidung in der Hauptsache gegenstandslos wird (BGH NJW 1979, 664). Bei Ermessensentscheidung der Vollzugsbehörde, bei der das Gericht nur auf Ermessensfehler nachprüfen darf, aber nicht sein Ermessen an die Stelle Laubenthal
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des Ermessens der Vollzugsbehörde setzen kann, ist eine einstweilige Anordnung grundsätzlich nicht möglich. Eine einstweilige Anordnung kann dann zulässig sein, wenn feststeht, dass das Ermessen nur noch in einer bestimmten Richtung auszuüben ist (§ 115 Rdn. 18). Das Gleiche gilt beim Beurteilungsspielraum eines unbestimmten Rechtsbegriffs (Arloth 2011 Rdn. 4). Beinhaltet der Beschluss der Strafvollstreckungskammer im Eilverfahren (Abs. 2) schon die endgültige Regelung in der Hauptsache, so liegt eine Entscheidung nach § 115 vor, die mit der Rechtsbeschwerde angefochten werden kann (OLG Hamm ZfStrVo 1987, 378; OLG Karlsruhe NStZ 1993, 557; Laubenthal 2011 Rdn. 821). Zur Ermessensüberprüfung § 115 Rdn. 19 ff; zum unbestimmten Rechtsbegriff § 115 Rdn. 21. 4. Keine weiteren vorläufigen Entscheidungen. Nach Abs. 2 kann das Gericht le- 8 diglich den Vollzug der angefochtenen Maßnahme aussetzen oder eine einstweilige Anordnung erlassen. Für eine andere Entscheidung, wie z. B. für die Feststellung, dass die Vollzugsbehörde zu einer unverzüglichen Bescheidung des Antrages eines Gefangenen verpflichtet sei, gibt das Gesetz keine Handhabe (OLG Hamburg ZfStrVo 1979, 53; OLG Hamm 1984, 356 F). 5. Vorläufige Entscheidung nicht anfechtbar. Nach Abs. 2 Satz 3 sind die Ent- 9 scheidungen auf Aussetzung des Vollzuges (Abs. 2 Satz 1) und einstweilige Anordnung (Abs. 2 Satz 2) nicht anfechtbar (BGH NJW 1979, 664; OLG Koblenz ZfStrVo 1986, 125; 1991, 377; Haas 1986, 161). Das Gericht kann jedoch seine Entscheidung jederzeit ändern oder aufheben (Abs. 2 Satz 3). Ein Gefangener kann in seinen verfassungsmäßigen Rechten (Art. 19 Abs. 4 GG) verletzt sein, wenn die Strafvollstreckungskammer die Verwerfung seines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung allein damit begründet, eine gemäß § 109 zu überprüfende Maßnahme sei nicht erfolgt. Vorläufiger Rechtsschutz nach Abs. 2 ist nicht auf die Überprüfung bereits erfolgter Maßnahmen beschränkt. Denn nach § 109 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. § 123 Abs. 1 VwGO kann auch ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hinsichtlich der unterlassenen Maßnahme in Betracht kommen. Eine derartige von vornherein ausschließende Behandlung des Antrages verkürzt Tragweite und Umfang des Rechtsschutzes eines Vornahmebegehrens (VGH Berlin ZfStrVo 2003, 248). 6. Vorläufiger Rechtsschutz kann vor Antrag in der Hauptsache begehrt wer- 10 den. Abs. 3 stellt klar, dass die Anträge nach Abs. 2 schon vor dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt werden können, um ein rechtzeitiges gerichtliches Eingreifen zu gewährleisten. Die Zurückweisung des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit der Begründung, vorläufiger Rechtsschutz könne erst dann gewährt werden, wenn zunächst Widerspruch eingelegt sei, verletzt den Antragsteller in seinem Grundrecht aus Art. 19 Abs. 4 GG (BVerfG NStZ 1993, 404, 405). 7. Zuständigkeit. Zuständig für die Entscheidungen nach Abs. 2 ist das Gericht der 11 Hauptsache (§ 110, § 117; OLG Hamm LS ZfStrVo SH 1979, 101). III. Beispiele 1. Gericht ordnet aufschiebende Wirkung an. Gegen einen Strafgefangenen wur- 12 de eine Disziplinarmaßnahme verhängt: Er stellt gegen diese Verfügung einen Antrag auf gerichtliche Überprüfung nach §§ 109 ff. Weil dieser Antrag keine aufschiebende Wirkung hat (Abs. 1), kann das Gericht auf Antrag die aufschiebende Wirkung (Abs. 2 Satz 1) anordnen, d. h. den Vollzug der Disziplinarsache bis zur Entscheidung in der 953
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Hauptsache aussetzen, wenn im konkreten Fall die schutzwürdigen Interessen des Gefangenen gegenüber dem öffentlichen Interesse an einem geordneten und funktionsfähigen Strafvollzug überwiegen. 13
2. Gefangener beantragt aufschiebende Wirkung. Ein Gefangener ist schwer erkrankt. Die Erkrankung macht, wie vom Anstaltsarzt bestätigt, dringend und unaufschiebbar die Verlegung in ein Krankenhaus erforderlich. Die Vollzugsbehörde lehnt dies ab, da ein Vollzugskrankenhaus nicht zur Verfügung steht. Der Gefangene kann nunmehr im Wege einer einstweiligen Anordnung (Abs. 2 Satz 2 i. V. m. § 123 Abs. 1 VwGO) bei Gericht die Verlegung in ein öffentliches Krankenhaus beantragen, da die Gefahr besteht, dass die Verwirklichung eines Rechts (§§ 56 ff) vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte, obwohl im konkreten Fall nicht nur ein vorläufiger Zustand geregelt wird.
§ 115 Gerichtliche Entscheidung § 115 Laubenthal Gerichtliche Entscheidung (1) Das Gericht entscheidet ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss. Der Beschluss stellt den Sach- und Streitstand seinem wesentlichen Inhalt nach gedrängt zusammen. Wegen der Einzelheiten soll auf bei den Gerichtsakten befindliche Schriftstücke, die nach Herkunft und Datum genau zu bezeichnen sind, verwiesen werden, soweit sich aus ihnen der Sach- und Streitstand ausreichend ergibt. Das Gericht kann von einer Darstellung der Entscheidungsgründe absehen, soweit es der Begründung der angefochtenen Entscheidung folgt und dies in seiner Entscheidung feststellt. (2) Soweit die Maßnahme rechtswidrig und der Antragsteller dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht die Maßnahme und, soweit ein Verwaltungsvorverfahren vorhergegangen ist, den Widerspruchsbescheid auf. Ist die Maßnahme schon vollzogen, kann das Gericht auch aussprechen, dass und wie die Vollzugsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat, soweit die Sache spruchreif ist. (3) Hat sich die Maßnahme vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, spricht das Gericht auf Antrag aus, dass die Maßnahme rechtswidrig gewesen ist, wenn der Antragsteller ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat. (4) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung der Maßnahme rechtswidrig und der Antragsteller dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Vollzugsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Anderenfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Antragsteller unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden. (5) Soweit die Vollzugsbehörde ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, prüft das Gericht auch, ob die Maßnahme oder ihre Ablehnung oder Unterlassung rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist. Schrifttum S. Vor § 108.
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I.
II.
Übersicht Allgemeine Hinweise ____ 1–9 1. Verfügungsgrundsatz ____ 1 2. Untersuchungsgrundsatz ____ 2–5 a) Aufklärungspflicht des Gerichts ____ 2 b) Einschränkungen ____ 3 c) Nachschieben von Gründen ____ 4, 5 3. Rechtliches Gehör ____ 6, 7 a) Allgemeines ____ 6 b) Einsicht in Akten; Vorlage bei Gericht ____ 7 4. Anwaltliche Vertretung ____ 8 5. Ablehnung des Richters ____ 9 Erläuterungen ____ 10–23 1. Allgemeines zu Verfahren und Entscheidung ____ 10–13 a) Schriftliches Verfahren ____ 10 b) Prüfung der Zulässigkeitsvoraussetzungen ____ 11 c) Maßgeblicher Zeitpunkt für die Begründetheit des Antrages ____ 12 d) Mindestanforderungen der schriftlichen Begründung ____ 13
III.
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2. Entscheidung bei Anfechtungsantrag ____ 14–16 a) Umfang der Anfechtung ____ 14, 15 b) Folgenbeseitigungsanspruch ____ 16 3. Feststellung der Rechtswidrigkeit bei Erledigung ____ 17 4. Sachentscheidung des Gerichts bei Spruchreife ____ 18 5. Überprüfung von Ermessensentscheidungen ____ 19–23 a) Grundsätzlich keine Ersetzung der Entscheidung der Behörde durch das Gericht ____ 19 b) Ermessensfehler ____ 20 c) Unbestimmte Rechtsbegriffe und gerichtliche Überprüfbarkeit ____ 21 d) Beurteilungsspielraum der Behörde bei Prognoseentscheidungen ____ 22 e) Verwaltungsvorschriften als Ermessensrichtlinien und Entscheidungshilfen ____ 23 Beispiel ____ 24
I. Allgemeine Hinweise 1. Verfügungsgrundsatz. Die Vorschrift enthält im Wesentlichen Regelungen für 1 die Entscheidung über den Antrag und zum Verfahren selbst. Bei keiner anderen Vorschrift wird mehr deutlich, wie sehr das gerichtliche Verfahren nach dem StVollzG auf Entlehnungen aus der VwGO und dem Verfahren nach §§ 23 ff EGGVG beruht, die letztlich durch Verweisungen auf die Straf- und Zivilprozessordnung ergänzt werden. Beherrscht wird dabei das Verfahren in Vollzugssachen eher durch die Grundsätze des Verwaltungsprozessrechts als denjenigen des Strafprozessrechts (Kösling 1991, 19 ff; Laubenthal 2011 Rdn. 760; Müller-Dietz 1985, 339; ders. 1990, 305; Schuler 1988, 259; Voigtel 1998, 73, 198 ff; Walter 1999 Rdn. 421 f). Zur Bewertung der gerichtlichen Kontrolle Böhm 2003 Rdn. 388 ff; Laubenthal 2011 Rdn. 840 ff; Walter 1999 Rdn. 420, 431. Im gerichtlichen Verfahren nach dem StVollzG gilt der Verfügungsgrundsatz, d. h. der Antragsteller bestimmt mit seinem Antrag den Streitgegenstand mit bindender Wirkung für das Gericht und die anderen Verfahrensbeteiligten (OLG Frankfurt ZfStrVo 2003, 300; Arloth 2011 Rdn. 1; C/MD 2008 Rdn. 2; Laubenthal 2011 Rdn. 802). Deshalb erfordert der Antrag auf gerichtliche Entscheidung eine aus sich heraus verständliche Darstellung. Das Gericht muss erkennen können, durch welche Maßnahme der Antragsteller sich beschwert fühlt und inwiefern und wodurch er sich in seinen Rechten verletzt erachtet. An das Vorbringen sind jedoch keine zu hohen Anforderungen zu stellen. Es bedarf keiner Darstellung, aus der sich eine Rechtsverletzung „schlüssig“ ergibt (KG, NStZ-RR 2010, 61). Für eine dem Interesse des Gefangenen Rechnung tragende Auslegung seines Antrages, die aufgrund der prozessualen Fürsorgepflicht des Gerichts geboten sein kann, ist aber kein Raum, wenn der Gefangene seinen Willen in eindeutiger Weise zum Ausdruck gebracht hat (OLG Koblenz ZfStrVo 1993, 377). Allerdings verstößt es gegen das Willkürverbot, wenn ein Gericht das Verfahrensrecht so auslegt, dass den Beteiligten der Zugang zu den in den Verfahrensordnungen eingeräumten Rechtsbehelf- und Rechtsmittelinstanzen in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert wird 955
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(BVerfG StV 1994, 202). Der Streitgegenstand wird in dem an das Gericht gerichtete Begehren um Rechtsschutz beschrieben und damit begrenzt, bei einem Anfechtungsantrag der Anspruch auf Aufhebung der angefochtenen Maßnahme und bei einem Verpflichtungsantrag der Anspruch des Antragstellers auf Verpflichtung der Vollzugsbehörde zur Vornahme des begehrten Vollzugsverwaltungsaktes. Auch eine Beschränkung des Antrags auf bestimmte Punkte ist zulässig. Wenn aber die Strafvollstreckungskammer den Streitgegenstand von sich aus erweitert, ohne dass hierfür ein Rechtsschutzbedürfnis infolge eines entsprechenden Antrags besteht, so ist dies im Verfahren nach § 109 im Hinblick auf die Dispositionsmaxime unzulässig (OLG Stuttgart NStZ 1999, 447 M; OLG Koblenz NStZ 2008, 684). 2. Untersuchungsgrundsatz 2
a) Aufklärungspflicht des Gerichts. Für das gerichtliche Verfahren nach dem StVollzG gilt der Grundsatz der Amtsermittlung (Untersuchungsgrundsatz) § 120 Abs. 1; § 244 Abs. 2 StPO. Das Gericht ist zur Aufklärung des Sachverhalts und zur Ermittlung der materiellen Wahrheit verpflichtet (OLG Frankfurt ZfStrVo 1979, 188; OLG Koblenz ZfStrVo 1980, 186; OLG Celle ZfStrVo 1980, 191; OLG Hamm NStZ 2010, 441 f; KG, Beschl. vom 12.9.2011 – 2 Ws 294/11 Vollz; C/MD 2008 Rdn. 3; Voigtel 1998, 96 ff, 106). In dem gerichtlichen Verfahren erster Instanz nach dem StVollzG ist über die Rechtmäßigkeit von Maßnahmen der Vollzugsbehörden zu befinden. Das besagt aber nicht, dass die Maßnahmen nur auf Rechtsverletzungen hin nachzuprüfen wären. Die Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG wird vielmehr dann in vollem Umfange erfüllt, wenn auch die Tatsachenfeststellung der Behörde einer gerichtlichen Nachprüfung unterzogen wird (BVerfGE 21, 191). Die Strafvollstreckungskammer darf deshalb im gerichtlichen Verfahren den tatsächlichen Sachverhalt, von dem die Vollzugsbehörde bei ihrer Entscheidung ausgegangen ist, nicht ungeprüft ihrer Entscheidung zugrunde legen oder das Vorbringen eines Beteiligten als wahr unterstellen, weil es nicht bestritten wurde (OLG Hamm NStZ 1985, 355 F). Pflicht der Strafvollstreckungskammer ist es, den zugrunde liegenden Sachverhalt vollständig aufzuklären, denn nur so kann sie der ihr gestellten Aufgabe, über die Rechtmäßigkeit von Vollzugsverwaltungsakten zu befinden, im Einzelfall nachkommen (Arloth 2011 Rdn. 2; C/MD 2008 Rdn. 3; Laubenthal 2011 Rdn. 804). Beantragt z. B. ein Gefangener, in die für seinen Wohnort zuständige Justizvollzugsanstalt eines anderen Bundeslandes verlegt zu werden, so ist das Gericht von Amts wegen verpflichtet, Ermittlungen anzustellen (OLG München StV 2002, 662, 663 mit Anm. Degenhard). Dies gilt auch, soweit der Vollzugsanstalt ein Beurteilungsspielraum oder ein Ermessen eingeräumt ist (OLG Stuttgart ZfStrVo 1997, 371). Bei widersprüchlichem Vorbringen der Vollzugsbehörde zur Begründung einer Maßnahme sind dementsprechend besondere Anforderungen an die Aufklärung des Sachverhalts durch die Strafvollstreckungskammer zu stellen. Im Hinblick auf ein uneinheitliches Vorbringen der Vollzugsbehörde ist das Gericht gehalten, die wirklich maßgebenden Gründe für eine bestimmte Anordnung zu ermitteln und diese daraufhin zu untersuchen, ob sie die getroffene Maßnahme zu tragen geeignet sind. Von einer Vollzugsbehörde muss erwartet werden, dass sie die für eine Maßnahme tatsächlich ausschlaggebenden Gründe zutreffend, widerspruchsfrei und nachprüfbar darlegt, um nicht bei dem Adressaten den Eindruck willkürlichen Verhaltens aufkommen zu lassen (OLG Koblenz 7.9.1981 – 2 Vollz (Ws) 53/81). Rechtlich erhebliches Vorbringen kann dann unberücksichtigt bleiben, wenn es widerlegt ist, wobei dem Antragsteller eine Beweislast oder ein Beweisrisiko nicht aufgebürdet werden darf (OLG Karlsruhe NStZ 1991, 509; Laubenthal 2011 Rdn. 804).
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b) Einschränkungen. Im Einzelfall kann eine eingeschränkte Sachaufklärung mit 3 dem Amtsermittlungsgrundsatz vereinbar sein. Unter Bezugnahme auf BVerfG NJW 1981, 1719; OLG Frankfurt NStZ 1981, 117; OLG Hamburg StV 1981, 537 und VGH München NJW 1980, 198 hat das OLG Nürnberg (2.2.1982 – Ws 805/81) aus Gründen der Sicherheit und Ordnung ein Geheimhaltungsbedürfnis hinsichtlich der Namen der Informanten und solcher Sachinformationen bejaht, die Rückschlüsse auf den jeweiligen Informanten zulassen. Die Strafvollstreckungskammer habe zu prüfen, ob nicht bereits ohne die zusätzlichen Informationen von einem bestimmten Sachverhalt ausgegangen werden kann (s. auch AK-Kamann/Spaniol 2012 Rdn. 15; Voigtel 1998, 286 ff). Ob ein Schriftstück wegen der Gefährdung der Sicherheit der Anstalt dem Gefangenen vorenthalten werden darf, hat das Gericht nach eigener Lektüre zu entscheiden (OLG Hamburg MDR 1978, 428). c) Nachschieben von Gründen. Im Zusammenhang mit der Aufklärungspflicht 4 kommt der Frage der Zulässigkeit des Nachschiebens von Gründen durch die Vollzugsbehörde Bedeutung zu. Im Verwaltungs-gerichtsverfahren ist dies bei Ermessensentscheidungen grundsätzlich zulässig (BVerfGE 22, 215), weil die Verwaltungsbehörde nicht stets gehalten ist, alle ihre Gründe in einem Bescheid anzugeben. Für das gerichtliche Verfahren in Strafvollzugssachen kann diese von der Rechtsprechung für das Verwaltungsgerichtsverfahren vertretene Auffassung jedoch nur mit Einschränkungen übernommen werden. Einer Vollzugsbehörde muss es möglich sein, auf diejenigen Tatsachen zurückzugreifen, die im Zeitpunkt ihrer Entschließung bekannt waren und von denen auch der Gefangene annehmen kann, dass sie von der Vollzugsbehörde bei der Ermessensausübung in die Erwägungen einbezogen worden sind (OLG Nürnberg NStZ 1998, 592). Die Vollzugsbehörde darf im gerichtlichen Verfahren, das auf die Nachprüfung einer Ermessensentscheidung oder einer Entscheidung im Ermessensspielraum gerichtet ist (Rdn. 19 ff), keine neuen, dem Gefangenen unbekannten Gründe nachschieben, auch nicht solche, dem Gefangenen bekannte Gründe, die sie bei ihrer Würdigung ersichtlich außer Betracht gelassen hatte. Würden solche Gründe im Nachhinein im gerichtlichen Verfahren noch geltend gemacht werden können, würde möglicherweise sich nicht nur der Charakter der ursprünglichen Entschließung im gerichtlichen Verfahren ändern; es würde auch das Ergebnis einer neuen Abwägung mit neuen Faktoren an die Stelle der beantragten Abwägung gesetzt (OLG Koblenz NStZ 1981, 495; OLG Frankfurt ZfStrVo 1982, 309; NStZ 1982, 349; ZfStrVo 1987, 111; OLG Stuttgart ZfStrVo 2002, 56; vgl. auch OLG Koblenz ZfStrVo 1982, 123; OLG Frankfurt NStZ 1986, 240; OLG Hamm StV 1997, 32; Arloth 2011 Rdn. 4; C/MD 2008 Rdn. 8; Franke 1978, 187 f). Der Betroffene hat Anspruch auf eine von Anfang an rechtmäßige und nicht erst unter dem Eindruck des gerichtlichen Verfahrens berichtigte Entscheidung. Um die eingeschränkte richterliche Kontrolle des Beurteilungs- und Ermessungsspielraums zu gewährleisten, muss die Entscheidung einer Vollzugsbehörde ggf. spätestens im Widerspruchsverfahren ausreichend begründet sein; sie kann nicht durch ergänzendes Vorbringen im gerichtlichen Verfahren ersetzt werden (OLG Hamm NStZ 1997, 381 M). Im gerichtlichen Verfahren nach dem StVollzG ist es aber zulässig, dass ein Antrag- 5 steller selbst die ursprünglichen Mängel seines Antrags behebt. Dies kann z. B. dadurch geschehen, dass der Antragsteller sich einen von einem anderen Verfahrensbeteiligten eingebrachten Sachvortrag zu eigen macht (OLG Hamm NStZ 1981, 368). Dies kommt etwa in Betracht bei Schriftsätzen von Gefangenen, bei denen das Anliegen des Betroffenen für das Gericht erst durch die Stellungnahme der Vollzugsbehörde erkennbar wird.
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3. Rechtliches Gehör 6
a) Allgemeines. Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs erschöpft sich nicht in dem Recht des Verfahrensbeteiligten, Äußerungen abzugeben, und in der entsprechenden Pflicht des Gerichts, solche Äußerungen zur Kenntnis zu nehmen und in die Erwägungen einzubeziehen. Art. 103 Abs. 1 GG verleiht vielmehr dem Verfahrensbeteiligten darüber hinaus einen Anspruch darauf, zu Tatsachen und Beweisergebnissen, die das Gericht bei seiner Entscheidung berücksichtigen will, gehört zu werden, und verpflichtet demgemäß das Gericht, nur solche Tatsachen und Beweisergebnisse zu verwerten, zu denen Stellung zu nehmen der Beteiligte Gelegenheit hatte (OLG Hamm ZfStrVo 1986, 127; Arloth 2011 Rdn. 4; C/MD 2008 Rdn. 6 f; Laubenthal 2011 Rdn. 806). Verwertet die Strafvollstreckungskammer in ihrem Beschluss Tatsachen und Beweisergebnisse, zu denen der Antragsteller mangels Kenntnissen nicht Stellung nehmen konnte, verletzt sie dessen Recht auf rechtliches Gehör (OLG Frankfurt ZfStrVo 1979, 251; NStZ 1989, 295). Das Gericht wird dem Grundsatz des rechtlichen Gehörs nicht gerecht, wenn es die am Tage der Entscheidungsabfassung eingegangene Stellungnahme eines Verfahrensberechtigten nur zur Kenntnis nimmt. Das Gericht ist vielmehr verpflichtet, auch diese Ausführungen noch zu erwägen und ernsthaft in Betracht zu ziehen (BVerfGE 11, 218; OLG Celle NStZ 1990, 427 B). Eine Verletzung des Grundsatzes des rechtlichen Gehörs liegt auch dann vor, wenn das Gericht einen Antrag mangels Begründung verwirft unter Umgehung des Gesuchs um Einsicht in die Gefangenenpersonalakten (OLG Karlsruhe StV 2002, 212, 213). Geht das Gericht in seinen Entscheidungsgründen auf einen wesentlichen Teil des Tatsachenvortrags einer Partei nicht ein, so lässt dies auf die Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen (OLG Koblenz NStZ 2002, 531 M). Aus internen Berichten muss nur das mitgeteilt werden, was im Blick auf die jeweilige Sach- und Rechtslage für die Entscheidung benötigt wird. Diese Teile sind allerdings im Wortlaut bekannt zu geben (OLG Frankfurt ZfStrVo SH 1979, 113). Bei Geheimhaltungsgründen besteht kein Anspruch auf Einsichtnahme in einen angehaltenen Brief (OLG Hamm ZfStrVo 1986, 191). Zur Notwendigkeit vertraulicher Behandlung verwerteter Informationen LG Hamburg NStZ 1985, 355 F; K/SSchöch § 9 Rdn. 52; s. auch § 185 Rdn. 9 und 18. Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist nicht verletzt bei der Verwertung von Erkenntnissen, die dem Antragsteller zwar vor der Entscheidung nicht mitgeteilt, aber ohnehin bekannt waren (OLG München NStZ 1981, 249 F). Ebenso wird der Anspruch auf rechtliches Gehör nicht verletzt, wenn einem Gefangenen vor Erlass eines Bescheides durch den Anstaltsleiter nicht Gelegenheit gegeben wurde, Stellung zu nehmen. Denn Art. 103 Abs. 1 GG gilt nur für das gerichtliche Verfahren (KG NStZ 1998, 397 M). Die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör durch die Strafvollstreckungskammer kann nicht dadurch geheilt werden, dass im Verfahren vor dem Rechtsbeschwerdegericht rechtliches Gehör gewährt wird (OLG Bamberg ZfStrVo SH 1979, 111). Ein Anspruch auf Nachholung des rechtlichen Gehörs (zur Anhörungsrüge Lübbe-Wolff/Frotz 2009, 616 f) kann sich aus § 120 Abs. 1 StVollzG i. V. m. § 33 a StPO ergeben (OLG Celle NStZ 1992, 431 B). Zum rechtlichen Gehör bei der Rechtsbeschwerde § 119 Rdn. 3. Zu den elementaren Grundsätzen des gerichtlichen Verfahrens gehört neben dem Anspruch auf rechtliches Gehör auch das Gebot eines fairen Verfahrens (Art. 6 MRK; BVerfGE 65, 171; C/MD 2008 Rdn. 7; Laubenthal 2011 Rdn. 807; § 116 Rdn. 7). Dies kann eine mündliche Erörterung mit dem Antragsteller – auch aus Gründen der gerichtlichen Fürsorgepflicht – erfordern, wenn dieser im schriftlichen Ausdruck ungewandt und deshalb sein Begehren nicht klar erkennbar oder bei schwieriger Rechtslage auf die Stellung sachdienlicher Anträge hinzuweisen ist (Eschke 1993, 145; Böhm Anm. zu OLG Hamm JR 1997, 84). Zu einem fairen Verfahren gehört es auch, dass den Verfahrensbeteiligten das Ergebnis der Aufklärungsbemühungen des Gerichts mitgeteilt wird, so dass sie Laubenthal
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sich hierzu äußern und ggf. weitere Beweisanregungen einbringen können (Böhm 2003 Rdn. 375). Zum Umgang mit Antragstellern, die der deutschen Sprache nicht mächtig sind, s. § 112 Rdn. 4. b) Einsicht in Akten; Vorlage bei Gericht. Das Recht eines Gefangenen auf Ein- 7 sicht in seine Personalakten ist im Geltungsbereich des Strafvollzugsgesetzes in § 185 geregelt (§ 185 Rdn. 7 ff). Hinsichtlich der landesrechtlichen Bestimmungen s. § 49 Abs. 1 und Abs. 3 JVollzGB I, Art. 203 BayStVollzG, § 126 HmbStVollzG, § 64 HStVollzG, § 198 NJVollzG. Die Aktenvorlage an Gerichte im Verfahren nach §§ 109 ff ergibt sich aus § 180 Abs. 3 und Abs. 6 bzw. auf Länderebene gem. § 35 Abs. 1 JVollzGB I, Art. 197 Abs. 3 und 6 BayStVollzG, § 120 Abs. 3 und Abs. 6 HmbStVollzG, § 60 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 4 HStVollzG, § 191 Abs. 4 NJVollzG. Damit ist dem Interesse der Verfahrensbeteiligten an der umfassenden Klärung des Sachverhalts, von allen Vorgängen Kenntnis zu nehmen und ihr Vorbringen darauf abzustellen, Rechnung getragen. Eine Ausnahme ergibt sich aus § 120 Abs. 1 i. V. m. § 96 StPO im Hinblick auf vertrauliche amtliche Schriftstücke. Im Einzelnen s. § 180 Rdn. 20, 36. Die Verweigerung der Akteneinsicht kann unter Umständen die Verletzung von Vorschriften nach EMRK bedeuten (EGMR NStZ 1998, 429 mit Anm. Deumeland). 4. Anwaltliche Vertretung. Der Beistand eines Rechtsanwalts im gerichtlichen 8 Verfahren nach dem StVollzG gehört zum Tätigkeitsbereich des Verteidigers (OLG München ZfStrVo SH 1978, 24; OLG Hamm ZfStrVo 1980, 57); ein Anwalt wird nur dann zum Verteidiger in einer Strafvollzugssache, wenn er einen Verteidigungsauftrag in einer oder mehreren ganz bestimmten Rechtssachen nachweist (LG Wuppertal NStZ 1992, 152; Arloth 2011, § 26 Rdn. 1; a. A. AK-Kamann 2012, vor § 108 Rdn. 9). Zum Nachweis des Verteidigerverhältnisses OLG Koblenz ZfStrVo 1996, 116; zum Verbot der Mehrfachverteidigung OLG München NStZ 1985, 383, 384; BVerfG NJW 1986, 1161. Die Beiordnung eines Pflichtverteidigers sieht das StVollzG nicht vor; sie ist auch über § 120 Abs. 1 i. V. m. § 140 StPO nicht möglich, denn § 140 Abs. 2 StPO findet im Strafvollzugsverfahren keine Anwendung (OLG Nürnberg NStZ 1981, 250; OLG Bremen NStZ 1984, 91; Meyer-Goßner 2011 § 140 StPO Rdn. 33 b; Volckart/Pollähne/Woynar 2008, 228; Wohlers 2008, 582 ff). Das gerichtliche Verfahren nach §§ 109 ff sieht ausschließlich die Möglichkeit der Beiordnung eines Rechtsanwalts im Wege der Prozesskostenhilfe vor (vgl. § 120 Abs. 2 i. V. m. § 121 Abs. 2 ZPO). Die Antragstellung durch einen Bevollmächtigten ist gestattet (Laubenthal 2011 Rdn. 762). Zur Unterstützung von Strafgefangenen durch einen Mitinhaftierten im Verfahren gem. §§ 109 ff siehe § 108 Rdn. 3. 5. Ablehnung des Richters. Ein zur Entscheidung nach § 115 Abs. 1 Satz 1 berufener 9 Richter kann im Rahmen der in der StPO vorgesehenen Möglichkeiten vom Antragsteller abgelehnt (Besorgnis der Befangenheit) werden (§ 120 Abs. 1 StVollzG, §§ 24 ff StPO; OLG Hamm NStZ 1982, 352; OLG Stuttgart NStZ 1985, 524; OLG Koblenz NStZ 1986, 384; Homann 1989, 81). Der die Ablehnung verwerfende Beschluss ist nur mit der Rechtsbeschwerde zusammen anfechtbar (§ 120 Abs. 1 i. V. m. § 28 Abs. 2 Satz 2 StPO; OLG Hamm NStZ 1982, 352; OLG Stuttgart MDR 1986, 79; OLG Frankfurt NStZ 1997, 429 M; OLG Celle ZfStrVo 1999, 447; OLG Brandenburg NStZ 2005, 296; OLG Hamburg, ZfStrVo 2005, 245; OLG Rostock Beschl. vom 13.8.2010 – 1 Vollz (Ws) 9/10; a. A. OLG Nürnberg NStZ 1988, 475). Wesentliches Argument hierfür ist die Vermeidung einer unübersichtlichen Zersplitterung der Rechtswege (Meyer-Goßner 2011 § 28 StPO Rdn. 6 a; a. A. OLG Hamm NStZ 2010, 715). Eine sofortige Beschwerde gem. § 120 Abs. 1, § 28 Abs. 2 Satz 1 StPO soll gegen die Zurückweisung eines Ablehnungsgesuchs ausnahmsweise in Betracht kommen, 959
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wenn dieses einen Richter betrifft, der mit der Sache von vornherein nicht oder nicht mehr befasst ist (OLG Hamburg FS 2009, 43). Zur einzelrichterlichen Entscheidungskompetenz über ein Ablehnungsgesuch BVerfG NStZ 1985, 91. Zur Ablehnung eines Richters wegen Äußerungen in der Fachpresse s. BVerfG NStZ-RR 1997, 23. Zum Ausschluss eines ehemaligen Beamten einer Justizvollzugsanstalt als Richter OLG Dresden ZfStrVo 2001, 362. Zum Einsatz eines blinden Richters OLG Hamburg ZfStrVo 2001, 122; § 120 Rdn. 3. Hat das Gericht dem Strafgefangenen auf sein Verlangen hin die zur Mitwirkung in seinem Verfahren berufenen Richter mitgeteilt, muss es ihn über jede weitere Änderung der Besetzung von Amts wegen unterrichten (OLG Nürnberg ZfStrVo 2000, 181). II. Erläuterungen 1. Allgemeines zu Verfahren und Entscheidung 10
a) Schriftliches Verfahren. Die Entscheidung der Strafvollzugskammer ergeht im schriftlichen Verfahren durch Beschluss (Abs. 1 Satz 1); eine mündliche Verhandlung ist nicht vorgesehen (krit. Laubenthal 2011 Rdn. 845). Im gerichtlichen Verfahren nach dem StVollzG gilt der Untersuchungsgrundsatz (Rdn. 2); im Rahmen ihrer Aufklärungspflicht kann die Strafvollstreckungskammer weitere ergänzende Ermittlungen veranlassen oder selbst durchführen (§ 120 Abs. 1; § 308 Abs. 2 StPO). Denn die Strafvollstreckungskammer ist an die von der Vollzugsbehörde getroffenen tatsächlichen Feststellungen nicht gebunden. Sie muss vielmehr, wie jede verwaltungsgerichtliche Tatsacheninstanz, den Sachverhalt selbst feststellen (OLG Bamberg FS 2011, 54). Ggf. muss sie, wenn die behördlichen Tatsachenfeststellungen bestritten sind, Beweis erheben, sei es durch Zeugenvernehmungen, Augenschein, Anhörungen und Vorlage von Akten (OLG Hamburg ZfStrVo SH 1978, 39; OLG Hamm ZfStrVo SH 1979, 111). Hierfür gelten die Regeln des Freibeweises (OLG Hamm NStZ 2010, 441 f; OLG Hamburg FS 2011, 53 f; Laubenthal 2011 Rdn. 805) mit der Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts. Beweisanträgen kommt danach nur die Bedeutung von Beweisanregungen zu (KG ZfStrVo 1990, 119 f). Es liegt im Ermessen des Gerichts, ob und inwieweit es Ermittlungen anordnet bzw. selbst durchführt, wobei jedoch die Beweismittel-, Beweismethoden- und Beweisverwertungsverbote zu beachten sind (AK-Kamann/Spaniol, 2012 Rdn. 4). Erfolgt eine Zeugenvernehmung nicht parteiöffentlich, ist dadurch der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs oder der Grundsatz des fairen Verfahrens nicht verletzt. Denn im strafvollzuglichen Verfahren haben die Beteiligten keinen Anspruch darauf, einen Zeugen unmittelbar zu befragen (OLG Hamburg FS 2011, 54). Eine Tatsache ist dann bewiesen, wenn das Gericht nach seiner Überzeugung die zu beweisende Tatsache für wahr und nicht lediglich für wahrscheinlich hält (hierzu Laubenthal 2011 Rdn. 805). Eine mündliche Anhörung des Antragstellers und Vernehmung von Zeugen sind nicht ausgeschlossen (Arloth 2011 Rdn. 3; C/MD 2008 Rdn. 4).
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b) Prüfung der Zulässigkeitsvoraussetzungen. Eine Sachentscheidung nach Abs. 1 setzt u. a. voraus, dass das angerufene Gericht zuständig ist (§ 110), dass der Antrag zulässig ist (§§ 109, 112, 113, 114 Abs. 2 und 3) und ggf., dass ein Verwaltungsvorverfahren vorausgegangen ist (§ 109 Abs. 3). Sind diese Voraussetzungen erfüllt, kann die volle Überprüfung der angefochtenen Maßnahme erfolgen. Vor jeder Überprüfung der Begründetheit ist die Zulässigkeit des Antrags festzustellen. Im Rahmen dieser Überprüfung sollte das Gericht jedoch beachten, dass Anträge analog § 300 StPO entsprechend der Zielsetzung des Begehrens auszulegen sind. Ist z. B. der Verweisungsantrag eines Antragstellers zum Rechtsweg ersichtlich fehlerhaft, muss die mit der Sache befasste StrafLaubenthal
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vollstreckungskammer aus ihrer Fürsorgepflicht heraus die Stellung eines sachgerechten Antrags anregen (OLG Hamm ZfStrVo 2002, 378; § 109 Rdn. 9). Einzelheiten dazu bei § 109. c) Maßgeblicher Zeitpunkt für die Begründetheit des Antrags. Hinsichtlich der 12 Frage des maßgeblichen Zeitpunkts für die Überprüfung der Rechtmäßigkeit durch das Gericht und damit für die Begründetheit des Antrags ist nach dem jeweiligen Rechtsschutzbegehren und der Art der vollzuglichen Maßnahme zu differenzieren (Arloth 2011 Rdn. 5; C/MD 2008 Rdn. 9). Bei einem Anfechtungsantrag (§ 109 Abs. 1 Satz 1) geht der Antragsteller davon aus, dass die ihn belastende Maßnahme von Anfang an rechtswidrig war. Es kommt dementsprechend prinzipiell auf den Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung (bzw. ggf. des Erlasses des Widerspruchsbescheids) an. Dies gilt insbesondere bei Ermessensentscheidungen sowie bei der Ausfüllung eines Beurteilungsspielraums durch die Vollzugsbehörde. Wurde die angeordnete und den Betroffenen belastende Maßnahme noch nicht vollzogen, ist aber auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abzustellen, denn es könnten im Einzelfall zwischenzeitlich für den Inhaftierten günstige Tatsachen eingetreten sein, welche seitens des Gerichts noch zu berücksichtigen sind (AK-Kamann/ Spaniol 2012 Rdn. 53). Bei einem Verpflichtungsantrag (§ 109 Abs. 1 Satz 2) bestimmt sich der für die gerichtliche Entscheidung maßgebliche Zeitpunkt entsprechend des Verfügungsgrundsatzes (Rdn. 1) grundsätzlich nach dem Antrag; dies wird i. d. R. der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung sein. Es ist also grundsätzlich auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts abzustellen (AK-Kamann/Spaniol 2012 Rdn. 55). Bei beantragter Verpflichtung zu Maßnahmen mit Beurteilungsspielraum oder Ermessen kommt es jedoch auf den Zeitpunkt an, zu dem der ablehnende Bescheid durch die Vollzugsbehörde ergangen ist (OLG Celle NStZ 1989, 198; OLG Hamm NStZ 1990, 559; OLG Frankfurt ZfStrVo 2001, 53; OLG Nürnberg FS 2011, 53; Arloth 2011 Rdn. 5; C/MD 2008 Rdn. 9). Für einen Feststellungsantrag (Rdn. 17) bestimmt sich der maßgebliche Zeitpunkt grundsätzlich nach dem Inhalt des Antrags selbst (OLG Zweibrücken NStZ 1982, 352). Bei sog. Dauermaßnahmen, d. h. Maßnahmen, deren Wirkung auf Dauer gerichtet und die wieder aufzuheben sind, wenn die dafür maßgeblichen rechtlichen oder tatsächlichen Gründe später wieder wegfallen (z. B. Sicherungsmaßnahmen), kommt es auf die Sachund Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung an (Arloth 2011 Rdn. 5; C/MD 2008 Rdn. 9). d) Mindestanforderungen der schriftlichen Begründung. Die Entscheidungen 13 der Strafvollstreckungskammer sind schriftlich zu begründen und den Beteiligten vollständig zuzustellen (OLG Hamburg ZfStrVo 1991, 311); an diesen Beschluss sind grundsätzlich dieselben Anforderungen zu stellen wie an die Begründung eines strafgerichtlichen Urteils (§§ 267, 34 StPO), es sind also auch die entscheidungserheblichen Tatsachen und rechtlichen Erwägungen anzuführen. Dies muss so umfassend und vollständig geschehen, dass eine hinreichende Überprüfung in einem Rechtsbeschwerdeverfahren möglich wird (BR-Drucks. 697/03, S. 4; OLG Celle NStZ-RR 2005, 357 f; OLG Hamburg ZfStrVo 2005, 252; OLG Nürnberg ZfStrVo 2006, 122; C/MD 2008 Rdn. 10). Daran hat sich durch die Einführung von § 115 Abs. 1 Satz 2 bis 4 durch das 7. StVollzÄndG 2005 (BGBl. I 2005, 930) prinzipiell nichts geändert. Gemäß § 115 Abs. 1 Satz 2 stellt das Gericht den Sach- und Streitgegenstand „seinem wesentlichen Inhalt nach“ zusammen. Allerdings darf dies „gedrängt“ erfolgen. Um das Vollzugsverfahren durch Erleichterungen für die 961
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gerichtliche Arbeit effektiver zu gestalten (BR-Drucks. 697/03, S. 2) – ohne den Rechtsschutz zu beeinträchtigen –, kann gem. Abs. 1 Satz 3 bei der Formulierung des Tatbestands soweit wie möglich auf Gerichtsakten Bezug genommen werden. Dabei muss aber gewährleistet sein, dass der Tatbestand für die Beteiligten ebenso wie für außen stehende Dritte eine verständliche, klare, vollständige und richtige Entscheidungsgrundlage bietet (OLG Celle NStZ-RR 2005, 357; s. auch OLG Karlsruhe NStZ-RR 2007, 325). Die Ausführungen der Strafvollstreckungskammer in ihrer Begründung haben zwar die Gründe wiederzugeben, welche für die richterliche Überzeugungsbildung maßgebend waren. Es ist erlaubt, sich hierbei auch auf die Begründung der angefochtenen vollzugsbehördlichen Entscheidung zu beziehen (Abs. 1 Satz 4). Insoweit muss allerdings deutlich werden, dass das Gericht sich diese Überlegungen zu eigen macht. Durch die Bezugnahme darf die Verständlichkeit der Darstellung sowie der Begründung aus sich heraus nicht in Frage gestellt werden (OLG Celle NStZ-RR 2005, 357). § 115 Abs. 1 Satz 4 gestattet es aber lediglich, von der Darstellung der Entscheidungsgründe abzusehen, soweit die Strafvollstreckungskammer in der Begründung ihres Beschlusses der vom Inhaftierten angefochtenen Entscheidung der Vollzugsbehörde folgt. Insoweit ist es nicht ausreichend, wenn das Gericht sich – bei nur mündlich ergangener Bekanntgabe der Maßnahme durch die Anstaltsleitung – lediglich auf die später vom Gericht zur Vorbereitung seiner Entscheidung eingeholte Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt bezieht. In einem solchen Fall enthalten die Ausführungen der Strafvollstreckungskammer dann keine den gesetzlichen Vorgaben entsprechende nachvollziehbare Begründung (OLG Bamberg Beschl. vom 6.2.2007 – 1 Ws 36/07; s. auch OLG Nürnberg ZfStrVo 2006, 122 f). 2. Entscheidung bei Anfechtungsantrag a) Umfang der Anfechtung. Bei einem begründeten Anfechtungsantrag (Abs. 1 Satz 1) hebt das Gericht die angefochtene Maßnahme auf; ist ein Verwaltungsvorverfahren vorausgegangen, hebt das Gericht auch den Widerspruchsbescheid auf. Erforderlich ist, dass die angefochtene Maßnahme bzw. der Widerspruchsbescheid objektiv rechtswidrig ist und gerade den Antragsteller selbst in seinen Rechten verletzt (Abs. 2 Satz 1). Wenn die Maßnahme oder der Widerspruchsbescheid nichtig ist, kommt ebenfalls eine Aufhebung in Betracht. Die Maßnahme ist grundsätzlich zu beseitigen; das Gericht kann die angefochtene Maßnahme nicht durch eine andere ersetzen. Die Aufhebung wirkt i. d. R. auf den Zeitpunkt des Erlasses der Maßnahme zurück. 15 „Soweit“ in Abs. 2 Satz 1 bedeutet: Ist der Antrag nur zum Teil begründet, so ist auch nur der fehlerhafte Teil der Maßnahme aufzuheben. Kommt das Gericht jedoch zu dem Ergebnis, dass die Maßnahme ohne den aufzuhebenden Teil nicht hätte erlassen werden können, wird diese im Ganzen aufgehoben. Zur Teilanfechtung § 109 Rdn. 26.
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b) Folgenbeseitigungsanspruch. Auch bereits vollzogene rechtswidrige Maßnahmen sind aufzuheben. Mit der Aufhebung entsteht dem Antragsteller ein Anspruch gegen die Vollzugsbehörde auf Beseitigung der realen Folgen der Vollziehung der angefochtenen Maßnahme, ein sog. Folgenbeseitigungsanspruch, d. h. Wiederherstellung des Zustandes, der vorher bestanden hatte (Abs. 2 Satz 2). Dieser Folgenbeseitigungsanspruch kann in dem Beschluss neben der Aufhebung der angefochtenen Maßnahme angeordnet werden, wenn die Sache spruchreif ist, also weitere Ermittlungen und Beweisaufnahmen nicht mehr erforderlich sind. Zudem bedarf es eines entsprechenden Annexantrags zum Anfechtungsantrag (Laubenthal 2011 Rdn. 774). Allerdings muss die Rückgängigmachung der Vollzugsbehörde auch rechtlich und tatsächlich möglich sein. Die Bedeutung des Folgenbeseitigungsanspruchs besteht darin, dass das Gericht ausLaubenthal
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sprechen kann, ob und wie die Vollzugsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat (Arloth 2011 Rdn. 7; C/MD 2008 Rdn. 11). Nicht unter die Folgenbeseitigung fällt die Geltendmachung von Schadensersatz, wenn der ursprüngliche Zustand nicht mehr wiederhergestellt werden kann (LG Regensburg ZfStrVo 1981, 312). 3. Feststellung der Rechtswidrigkeit bei Erledigung. Hat sich die Hauptsache vor 17 einer Entscheidung des Gerichts erledigt, so kann der Antragsteller bei berechtigtem Interesse die Feststellung beantragen, dass die Maßnahme rechtswidrig gewesen ist (Abs. 3). Hat sich eine angeordnete oder beantragte Maßnahme schon vor Anbringung des Antrags auf gerichtliche Entscheidung erledigt (s. auch OLG Dresden NStZ 2007, 708), kann ein Betroffener mit dem allgemeinen Feststellungsantrag entsprechend Abs. 3 die gerichtliche Feststellung der Rechtswidrigkeit des behördlichen Handelns oder Unterlassens begehren, wenn er ein berechtigtes Interesse an einer solchen Feststellung geltend macht. Hat sich die Hauptsache erst nach Einlegung des Antrags auf gerichtliche Entscheidung erledigt, kann der Betroffene einen Fortsetzungsfeststellungsantrag stellen. Beim Übergang vom Anfechtungs- bzw. Verpflichtungsantrag zum Fortsetzungsfeststellungsantrag ist Letzterer nur zulässig, wenn auch für den zunächst gestellten Antrag alle Zulässigkeitsvoraussetzungen (ggf. das Vorverfahren nach § 109 Abs. 3) vorgelegen haben (BVerfG ZfStrVo 2003, 375; OLG Hamm ZfStrVo 1990, 308). Die Erledigung der Hauptsache liegt vor, sobald die sich aus der Maßnahme ergebende Beschwer nachträglich weggefallen ist (OLG Koblenz NStZ 1984, 47; C/MD 2008 Rdn. 12; Kopp/Schenke 2012 § 113 Rdn. 102). Dies kann geschehen z. B. durch Zurücknahme der angefochtenen Maßnahme oder wenn sie auf sonstige Weise in ihrer Substanz aufgehoben wird, z. B. durch Ersetzung der angefochtenen Maßnahme durch eine andere, bei Erteilung eines Zwischenbescheids (OLG Nürnberg NStZ 1990, 429 B), durch Zeitablauf, Tod, Entlassung aus dem Strafvollzug. U.U. kann auch infolge Verlegung in eine andere Justizvollzugsanstalt Erledigung eintreten, insbesondere bei einer Maßnahme, die von den besonderen Verhältnissen der Justizvollzugsanstalt abhängt. Bei angefochtenen Maßnahmen, die ganz oder teilweise in der Person des Gefangenen begründet sind, tritt dagegen durch die Verlegung keine Erledigung ein (OLG Frankfurt NStZ 1989, 392; KG NStZ 1997, 429 M; a. A. OLG Hamm NStZ 1985, 336; Beispiel unten Rdn. 24). Wird ein Strafgefangener während eines laufenden Verfahrens nach § 109 in eine andere Justizvollzugsanstalt verlegt, tritt keine Erledigung der Hauptsache ein, wenn die angegriffene Maßnahme dort fortwirkt. Das Verfahren ist deshalb, wenn die neue Justizvollzugsanstalt zum Bezirk einer anderen Strafvollstreckungskammer gehört, auf einen entsprechenden Verweisungsantrag hin an die nun örtlich zuständige Strafvollstreckungskammer zu verweisen (s. § 110 Rdn. 6). Eine Erledigung tritt im Hinblick auf § 105 Abs. 3 auch dann nicht ein, wenn ein Gefangener, der gegen eine Disziplinarmaßnahme Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt hat, in eine andere Justizvollzugsanstalt verlegt wurde; denn die Maßnahme kann dort noch vollstreckt werden (OLG Nürnberg ZfStrVo 2000, 181). Die Vollstreckung der Maßnahme bedeutet dann ihre Erledigung i. S. d. Abs. 3 mit der Folge, dass lediglich noch ein Antrag auf Feststellung ihrer Rechtswidrigkeit möglich ist, wenn der Eingriff nicht mehr rückgängig gemacht werden kann. Eine vollzogene Einkaufssperre z. B. lässt sich durch die Anordnung späterer zusätzlicher Einkaufsmöglichkeiten in ihren Auswirkungen rückgängig machen (KG Beschl. v. 4.9.1981 – 2 Ws 150/80 Vollz). Der Antrag auf Gewährung von Urlaub nach § 13 erledigt sich im Allgemeinen nicht schon dadurch, dass die für den Urlaub konkret gewünschte Zeit verstrichen ist. Wenn der Antrag nicht deutlich etwas anderes ergibt, ist vielmehr davon auszugehen, dass es dem Gefangenen in erster Linie darauf ankommt, überhaupt Urlaub zu erhalten. Das Rechtsschutzinteresse besteht fort (OLG Frankfurt ZfStrVo SH 1979, 107; 963
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OLG Celle ZfStrVo 1981, 57; OLG München NStZ 1983, 573). Die Erledigung gem. Abs. 3 muss vor der Entscheidung des Gerichts eingetreten sein. Das Gericht hat den Eintritt des erledigenden Ereignisses in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen objektiv festzustellen (LG Hamburg NStZ 1992, 255). Das BVerfG geht bei Fällen tief greifender und schwerwiegender Grundrechtsverstöße vom Fortbestehen des Rechtsschutzbedürfnisses trotz Erledigung einer Disziplinarmaßnahme aus, wenn vorläufiger Rechtsschutz versagt wurde (BVerfG NStZ 2004, 223). Wird ein Gefangener, dem ein mehrfach belegter Haftraum zugewiesen wurde, vor oder nach Eingang des Antrags auf gerichtliche Entscheidung in einen Einzelhaftraum verlegt, kann Feststellung der Rechtswidrigkeit der Zuweisung eines Doppelhaftraums bzw. Nichtverlegung in eine Einzelzelle begehrt werden, da es sich insoweit um eine menschenunwürdige Unterbringung handeln kann (OLG Frankfurt NJW 2003, 2843; OLG Koblenz OLGSt StVollz § 109 Nr. 9). Gerade in Verfahren, welche die Haftraumunterbringung eines Inhaftierten betreffen, entfällt, sofern eine Verletzung der Menschenwürde durch die Art und Weise der Unterbringung in Frage steht, das Rechtsschutzinteresse nicht mit der Beendigung der beanstandeten Unterbringung. Eine Verletzung der Menschenwürde steht dann schon in Rede, wenn der Betroffene einen Verstoß gegen Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG substantiiert geltend macht, d. h. nach dem Sachvortrag des Gefangenen nicht von vornherein auszuschließen ist, dass ein Verstoß gegen die staatliche Pflicht zur Gewährleistung der materiellen Mindestvoraussetzungen menschenwürdiger Existenz auch in der Haft vorliegt (BVerfG NJW 2011, 137). Nach Vollzug einer verhängten Disziplinarmaßnahme kann regelmäßig von ihrer Erledigung ausgegangen werden, es sei denn, die angegriffene Maßnahme kann ohne weiteres wieder rückgängig gemacht werden (OLG Nürnberg ZfStrVo 2002, 246). Der Feststellungsbeschluss des Gerichts setzt einen Antrag des Betroffenen und ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit voraus. Ausnahmsweise kann der Antrag auf Feststellung aber auch stillschweigend gestellt sein (OLG Frankfurt ZfStrVo SH 1979, 107; OLG Zweibrücken ZfStrVo 1986, 379). Ein rechtliches Interesse ist nicht erforderlich; es genügt ein berechtigtes Interesse, d. h. jedes nach vernünftigen Erwägungen nach Lage des Falles anzuerkennende schutzwürdige Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher oder auch ideeller Art. Entscheidend ist, dass die gerichtliche Entscheidung geeignet ist, die Position des Antragstellers in einem dieser Bereiche zu verbessern (Kopp/Schenke 2012 § 113 Rdn. 130). Dies ist dann der Fall, wenn sich die angefochtene Maßnahme bei späteren Entscheidungen für den Antragsteller nachteilig auswirken kann oder eine Wiederholungsgefahr nicht auszuschließen ist (OLG Frankfurt ZfStrVo 1979, 58). Die Wiederholungsgefahr muss sich allerdings konkret abzeichnen und den Umständen nach muss zu erwarten sein, dass die Vollzugsbehörde künftig ohne gerichtliche Entscheidung wiederum so verfahren werde, wie in dem angefochtenen Fall (OLG Hamm ZfStrVo SH 1979, 114; OLG Frankfurt ZfStrVo 1990, 186; Arloth 2011 Rdn. 8; C/MD 2008 Rdn. 13; Kopp/Schenke 2012 § 113 Rdn. 141). Ein Feststellungsinteresse ist zu bejahen, wenn die angefochtene Maßnahme eine diskriminierende Wirkung hatte und dem Antragsteller ein schutzwürdiges Interesse an seiner Rehabilitierung zukommt (Kopp/ Schenke 2012 § 113 Rdn. 142 ff; OLG Hamm ZfStrVo 1982, 186; OLG Zweibrücken NStZ 1982, 352; ZfStrVo 1982, 318; OLG Hamm NStZ 1989, 552; NStZ 1992, 430 B; NStZ 1993, 104; OLG Celle ZfStrVo 1993, 185). Nach der Rechtsprechung des BVerfG ist davon auszugehen, dass auch nachträglich ein Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit gegeben ist, wenn die diskriminierenden Folgen einer Maßnahme über deren Erledigung hinaus andauern, was insbesondere bei schwerwiegenden Grundrechtseingriffen vorliegt (BVerfG ZfStrVo 2002, 176; BVerfG NStZ-RR 2004, 59; OLG München, Beschl. vom 2.8. 2007 – 3 Ws 451/07R). Dies gilt selbst dann, wenn der Gefangene in eine andere Vollzugsanstalt verlegt wurde (OLG Hamm ZfStrVo 1993, 312). Daneben ist das FeststellungsLaubenthal
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interesse zu bejahen, wenn die Frage der Rechtswidrigkeit der Maßnahme aus bestimmten Gründen präjudiziell für ein anderes streitiges Rechtsverhältnis ist (Kopp/ Schenke 2012 § 113 Rdn. 136). Ein Feststellungsinteresse besteht insbesondere dann, wenn die Feststellung der Geltendmachung von Ansprüchen aus der Staatshaftung dienen soll, ein entsprechender Prozess mit hinreichender Sicherheit zu erwarten ist und nicht offenbar aussichtslos erscheint (BVerwG NVwZ 1985, 265; OLG Karlsruhe NStZ 1989, 429 B; KG NStZ 1997, 563; Arloth 2011 Rdn. 8; C/MD 2008 Rdn. 13; Kopp/Schenke 2012 § 113 Rdn. 136). Die Erklärung, eine Maßnahme sei rechtswidrig gewesen, ist für den Gefangenen von Interesse, wenn er aufgrund dieser Feststellung einen Schadensersatzanspruch geltend machen kann (OLG Hamm NStZ 2001, 414 M). Das für den Feststellungsantrag erforderliche Feststellungsinteresse entfällt aber bereits dann, wenn der Inhaftierte (z. B. wegen einer aus seiner Sicht rechtswidrigen Unterbringung) schon beim Zivilgericht einen Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe wegen Schadensersatzes gestellt hat (OLG Hamm FS 2010, 52). Zur Bindungswirkung rechtskräftiger Entscheidungen im Verfahren nach § 109 für Zivilgerichte (OLG Celle ZfStrVo 2004, 55). Der Feststellungsantrag nach Abs. 3 setzt kein Verwaltungsvorverfahren voraus (LG Heilbronn ZfStrVo SH 1978, 43). Ein Feststellungsantrag ist im Rechtsbeschwerdeverfahren nicht zulässig (§ 116 Rdn. 11); Abs. 3 gilt dort nicht (OLG Hamm NStZ 1985, 576; NStZ 2010, 442; OLG München FS 2010, 52). 4. Sachentscheidung des Gerichts bei Spruchreife. Abs. 4 behandelt die gericht- 18 liche Entscheidung bei rechtswidriger Ablehnung oder rechtswidriger Unterlassung einer Vollzugsmaßnahme, die den Antragsteller in seinen Rechten verletzt. Ist die Sache spruchreif, wird die Vollzugsbehörde verpflichtet, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen (Abs. 4 Satz 1). Spruchreif ist eine Sache, wenn weitere Erhebungen nicht mehr erforderlich sind, um eine endgültige Entscheidung fällen zu können (Arloth 2011 Rdn. 12; Kopp/Schenke 2012 § 113 Rdn. 193 ff). Die Spruchreife hat das Gericht grundsätzlich aufgrund des das gerichtliche Verfahren gem. §§ 109 ff beherrschenden Untersuchungsgrundsatzes herbeizuführen. Die Spruchreife kann jedoch vom Gericht nicht hergestellt werden, wenn die Entscheidung von weiteren Fragen abhängt, bezüglich derer der Vollzugsbehörde ein Ermessens- oder Beurteilungsspielraum zusteht. Das Gericht darf z. B. die Prognose einer Flucht- oder Missbrauchsbefürchtung der Vollzugsbehörde nicht durch seine eigene ersetzen. Infolgedessen ist es auch nicht Aufgabe des Gerichts, Tatsachen selbst zu ermitteln, welche die angefochtene Entscheidung rechtfertigen könnten, von der Vollzugsbehörde aber nicht berücksichtigt wurden (OLG Karlsruhe ZfStrVO 2004, 186). Spruchreife ist in diesen Fällen ausnahmsweise dann anzunehmen, wenn im konkreten Fall nur eine einzige, bestimmte Entscheidung (Null-Reduktion) in Betracht kommt (BGHSt 30, 320; LG Hamburg ZfStrVo SH 1978, 33; Arloth 2011 Rdn. 12; C/MD 2008 Rdn. 17; Kopp/Schenke 2012 § 113 Rdn. 207; Laubenthal 2011 Rdn. 816; Treptow 1978, 2227;). Spruchreife liegt dementsprechend nicht vor, wenn noch eine andere, rechtlich zulässige Ermessensentscheidung möglich ist oder die Vollzugsbehörde von ihrem Ermessen noch keinen Gebrauch gemacht hat. Fehlt die Spruchreife hinsichtlich des Inhalts der Maßnahme, so ist die Vollzugsbehörde zu verpflichten, den Antragsteller unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden (Bescheidungsbeschluss, Abs. 4 Satz 2). Ein solcher Bescheidungsbeschluss ergeht auch, wenn der Vollzugsbehörde ein Beurteilungsspielraum zusteht, in dessen Rahmen mehrere konkretisierende Entscheidungen gleichermaßen noch vertretbar sind (BGHSt. 30, 327).
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5. Überprüfung von Ermessensentscheidungen 19
a) Grundsätzlich keine Ersetzung der Entscheidung der Behörde durch das Gericht. Ist die Vollzugsbehörde berechtigt, nach ihrem Ermessen zu handeln, so überprüft die Strafvollstreckungskammer die angefochtene Maßnahme der Vollzugsbehörde auf Ermessensüberschreitung oder Ermessensfehlgebrauch, Abs. 5. Ermessensfehlerhaftigkeit liegt auch dann vor, wenn die Vollzugsbehörde von ihrem Ermessen überhaupt keinen Gebrauch gemacht hat (Ermessensnichtgebrauch) oder eine Ermessensunterschreitung gegeben ist (dazu Beaucamp 2012, 195). Die Überprüfung der Ermessensausübung hat sich auf die Ermittlung und Feststellung des Sachverhalts zu erstrecken, auf dem die Entscheidung der Vollzugsbehörde beruht (OLG Koblenz ZfStrVo 1992, 197; KG StV 2003, 405, 406). Das Gericht kann eine Ermessensentscheidung der Vollzugsbehörde nicht durch eine andere Entscheidung ersetzen, die es für sachdienlich hält. Trotz des Wortes „auch“ in Abs. 5 darf daher die Strafvollstreckungskammer nicht ihr Ermessen an die Stelle des Ermessens der Vollzugsbehörde setzen; sie darf weder die Ermessenserwägungen der Vollzugsbehörde durch ihre eigenen ersetzen noch das der Vollzugsbehörde eröffnete Ermessen selbst ausüben. Die Ersetzung von fehlerhaften Ermessenserwägungen der Vollzugsbehörde durch solche seitens des Gerichts kommt nicht in Betracht (OLG Koblenz ZfStrVo SH 1977, 18; OLG Zweibrücken ZfStrVo SH 1977, 1; OLG Hamm NStZ 1991, 303; OLG Karlsruhe ZfStrVo 2002, 377; NStZ 2002, 614; OLG Nürnberg, Beschl. vom 18.7.2011 – 1Ws 151/11; Treptow 1978, 2227). Zweckmäßigkeitserwägungen, Billigkeitsüberlegungen und die Frage nach etwaigen besseren, sachgemäßeren oder gerechteren Lösungen unterliegen nicht der Beurteilung der Gerichte und können daher allein nicht zur Aufhebung der Maßnahme führen (Kopp/Schenke 2012 § 114 Rdn. 1). Weil bei einer Ermessensentscheidung verschiedene Vollzugsmaßnahmen(-handlungen) rechtmäßig sind, besteht für den Betroffenen grundsätzlich kein Anspruch auf eine ganz bestimmte behördliche Maßnahme, auf die günstigere oder auch zweckmäßigere, sondern nur ein Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung (OLG Koblenz ZfStrVo 1981, 246; OLG Nürnberg LS NStZ 1982, 399). Eine Ausnahme von diesem Grundsatz gilt dann, wenn wegen der besonderen Umstände des Einzelfalls überhaupt nur eine einzige Entscheidung ermessensfehlerfrei sein kann, also der Ermessensspielraum der Behörde auf „null reduziert“ ist – sog. Nullreduzierung (OLG Karlsruhe ZfStrVo SH 1978, 9).
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b) Ermessensfehler. Von einer Ermessensentscheidung wird gesprochen, wenn die Behörde zwischen mehreren vom Gesetzgeber als rechtmäßig angesehenen Entscheidungen wählen darf. Ob eine Vorschrift der Behörde ein Ermessen einräumt, ist eine Frage der Auslegung. Sinn, Zweck und Wortlaut der materiellen Strafvollzugsvorschriften ergeben wichtige Anhaltspunkte für die Frage, ob die Vollzugsbehörde nach ihrem Ermessen befinden kann. Worte wie „kann“, „soll“ und „darf“ in einer Gesetzesvorschrift sind typisch für das Vorliegen eines Ermessensspielraums. Das einer Vollzugsbehörde eingeräumte Ermessen bleibt aber kein gänzlich freies Ermessen; es handelt sich immer nur um pflichtgemäßes Ermessen, das sich am Zweck der Ermächtigung zu orientieren hat und die gesetzlichen Grenzen, die für die Ausübung des Ermessens gelten, nicht überschreiten darf (Kopp/Ramsauer 2011 § 40 Rdn. 1). Die Behörde muss eine angemessene Abwägung der öffentlichen Interessen mit den Interessen des Gefangenen im Rahmen des Zwecks der Ermächtigung vornehmen. Dementsprechend hat der Gefangene ein subjektiv öffentliches Recht darauf, dass die Behörde die gesetzlichen Grenzen ihres Ermessens nicht überschreitet und von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch macht. Ein Ermessensfehlgebrauch liegt vor, wenn die Behörde bei ihrer Entscheidung von unzutreffenden tatsächlichen oder rechtliLaubenthal
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chen Voraussetzungen ausgeht (OLG Celle LS ZfStrVo SH 1979, 57); Gesichtspunkte tatsächlicher oder rechtlicher Art berücksichtigt, die nach Sinn und Zweck des zu vollziehenden Gesetzes oder aufgrund anderer Rechtsvorschriften oder allgemeiner Rechtsgrundsätze dabei keine Rolle spielen können oder dürfen, oder Gesichtspunkte außer Acht lässt, die zu berücksichtigen wären (OLG Karlsruhe ZfStrVo SH 1978, 9; OLG Saarbrücken ZfStrVo 1978, 182; OLG Hamburg ZfStrVo 1982, 312;); ebenso, wenn die Behörde sachfremde Erwägungen bei ihrer Entscheidung angestellt hat (Kopp/Schenke 2012 § 114 Rdn. 13; Laubenthal 2011 Rdn. 811). Eine Ermessensüberschreitung liegt vor, wenn die Behörde, gleich aus welchem Grund, sich nicht im Rahmen der ihr vom Gesetz gegebenen Ermächtigung hält (OLG Nürnberg LS NStZ 1982, 399). Die Entscheidung ist dann nicht mehr von der Ermächtigungsgrundlage gedeckt, und es liegt eine von der Rechtsordnung im Ergebnis missbilligte Entscheidung vor. Bei einer Ermessensunterschreitung unterschätzt die Vollzugsbehörde die Bandbreite ihrer Handlungsmöglichkeiten. c) Unbestimmte Rechtsbegriffe und gerichtliche Überprüfbarkeit. Neben zahl- 21 reichen Ermessensermächtigungen enthalten die Vorschriften der Strafvollzugsgesetze unbestimmte Rechtsbegriffe. Diese werden z. B. durch Worte wie „wichtige oder besondere Gründe“, „Sicherheit“, „Ordnung“, „angemessen“, „regelmäßig“, „Eignung“ ausgedrückt. Unbestimmte Rechtsbegriffe finden sich häufig auf der Tatbestandsseite des Rechtssatzes; sie können aber auch auf der Rechtsfolgenseite vorkommen. Die Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe (die Ermittlung ihres Sinngehalts) ist eine Rechtsfrage. Die Anwendung solcher Begriffe durch die Verwaltungsbehörde bleibt grundsätzlich gerichtlich voll nachprüfbar (BGH NStZ 1982, 173; NJW 1982, 1057; ZfStrVo 1982, 181; BGHSt 30, 320; s. auch Anm. Volckart NStZ 1982, 174; a. A. Smeddinck 1998, 370). Insoweit können die angerufenen Gerichte im Gegensatz zu Ermessensentscheidungen prinzipiell letztverbindlich entscheiden. Die Auslegung durch die Rechtsprechung hat manche unbestimmten Rechtsbegriffe weitgehend objektiv bestimmt gemacht. An diese „Bestimmungen“ sind die Vollzugsbehörden gebunden, ohne dass eine anpassende Fortbildung, insbesondere durch Gerichte, ausgeschlossen wäre (Arloth 2011 Rdn. 16; C/MD 2008 Rdn. 22; siehe auch Neubacher 2001, 212, 213; Schneider 1999, 140; Wingenfeld 1999, 99 f). d) Beurteilungsspielraum der Behörde bei Prognoseentscheidungen. Der Grund- 22 satz, dem zufolge unbestimmte Rechtsbegriffe voll überprüfbar sind, gilt nicht uneingeschränkt. Bei manchen Begriffen steht der Vollzugsbehörde ein Beurteilungsspielraum zu, in dessen Rahmen sie mehrere Entscheidungen treffen kann, die gleichermaßen rechtlich vertretbar sind (BGH NStZ 1982, 173; NJW 1982, 1057; ZfStrVo 1982, 181; BGHSt 30, 320; s. auch Beaucamp 2012, 194). In diesen Fällen unterliegt die Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe auf bestimmte Sachverhalte ausnahmsweise nur in beschränktem Umfang einer richterlichen Kontrolle. Das Gericht hat in diesen Fällen lediglich zu prüfen, ob die Behörde von einem zutreffenden und vollständig ermittelten Sachverhalt ausgegangen ist, sowie alle entscheidungsrelevanten Umstände berücksichtigt hat (Beurteilungsdefizit), ob sie die Grenzen ihrer Einschätzungsprärogative – also ihres Beurteilungsspielraums – einhielt (Beurteilungsüberschreitung) und die richtigen Wertmaßstäbe angewendet hat (Beurteilungsmissbrauch). Somit ist die richterliche Kontrolle der Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe mit Beurteilungsspielraum ähnlich eingeschränkt wie bei Ermessensentscheidungen (OLG Frankfurt ZfStrVo 1982, 309; NStZ 1982, 349; OLG Koblenz ZfStrVo 1982, 247; OLG Hamburg ZfStrVo 1991, 244; OLG Hamm NStZ 1992, 430 B; OLG Zweibrücken ZfStrVo 1998, 179; OLG Karlsruhe ZfStrVo 2002, 377; NStZ 2002, 614; KG ZfStrVo 2003, 181; Kopp/Schenke 2012 § 114 Rdn. 23 ff; Lau967
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benthal 2011 Rdn. 813; Treptow 1978, 2227). Ein solcher nur eingeschränkt justiziell nachprüfbarer Beurteilungsspielraum wird dann angenommen, wenn es sich um die Beurteilung in der Zukunft liegender Vorgänge (Prognoseentscheidungen) oder um sonstige Fragen handelt, die eine höchstpersönliche Wertung enthalten (BGH NStZ 1982, 173, 174 mit Anm. Volckart; OLG Nürnberg NStZ 1998, 592). So eröffnet die für eine Gewährung von Vollzugslockerungen zu prüfende Flucht- oder Missbrauchsgefahr als Prognoseentscheidung den Vollzugsbehörden einen Beurteilungsspielraum (OLG München FS 2011, 53). Die Vollzugsbehörden werden ermächtigt, den Begriff der Flucht- oder Missbrauchsbefürchtung ermessensähnlich zu beurteilen. Bei der Prüfung, ob Vollzugslockerungen zu gewähren sind, darf es die Vollzugsbehörde nicht bei bloßen pauschalen Wertungen oder bei dem abstrakten Hinweis auf die Flucht- oder Missbrauchsgefahr bewenden lassen. Sie hat vielmehr im Rahmen der Gesamtwürdigung nähere Anhaltspunkte darzulegen, welche geeignet sind, die Prognose einer Flucht- oder Missbrauchsgefahr in der Person des Gefangenen zu konkretisieren (BVerfG NStZ 1998, 430; OLG Hamm StV 1997, 32; OLG Zweibrücken ZfStrVo 1998, 179; OLG Kiel ZfStrVo 2004, 114; OLG München FS 2011, 53). Die gerichtliche Nachprüfung von Prognoseentscheidungen einer Vollzugsbehörde hat sich demnach darauf zu beschränken, ob sich die Beurteilung oder Prognose in dem rechtlichen Rahmen hält. Eigene Erwägungen z. B. zur Missbrauchsgefahr sind der Strafvollstreckungskammer verwehrt (OLG Karlsruhe ZfStrVo 2003, 111). Da das Gericht die Prognose der Vollzugsbehörde nicht durch eine eigene prognostische und wertende Gesamtabwägung ersetzen darf, ist es ihm dementsprechend auch verwehrt, selbst ein Sachverständigengutachten zur Eignung des Inhaftierten für eine Vollzugslockerung einzuholen (OLG Hamm ZfStrVo 2006, 369). Für Sicherungsmaßnahmen und Einzelhaft s. OLG Frankfurt NStZ-RR 2002, 155, 157. Der eingeschränkten Prüfungskompetenz bei Prognoseentscheidungen der Vollzugsbehörden wird entgegengehalten, dass die Anerkennung solcher Spielräume nicht geboten sei, da die „Prognosemacht“ durchaus in der Hand der sachnahen (und auch mit Prognosen gem. § 57 StGB betrauten) Strafvollstreckungskammern verbleiben könne (Dopslaff 1988, 567, 586 ff; Treptow aaO; Volckart aaO; vgl. auch Justen 1995). Allerdings wird die Wirksamkeit des Rechtsschutzes durch eine Eingrenzung der gerichtlichen Kontrolldichte nicht beeinträchtigt. Sind mehrere Entscheidungen rechtlich vertretbar, verlangt Art. 19 Abs. 4 GG nicht, dass die Auswahl unter ihnen in letzter Verantwortung vom Gericht getroffen wird (BGH NStZ 1982, 173; BVerwGE 39, 197; BVerfG NStZ 1998, 430; Grunau/Tiesler Rdn. 10; Meier NStZ 1981, 406 Anm. zu OLG Hamburg 1981, 237; Müller-Dietz 1981, 409; 1985, 342). Zudem bleibt nicht zu verkennen, dass auch dort, wo ein Beurteilungsspielraum anzuerkennen ist, kein „Freiraum“ der Behörde besteht. Die notwendige Kontrolle im Hinblick auf die Einhaltung der verschiedenen, soeben dargelegten rechtlichen Grenzen des Beurteilungsspielraums führt, ähnlich wie bei Ermessensentscheidungen, zu einer erheblichen justiziellen Kontrolldichte (vgl. Rdn. 20 f). Zur Kritik an der Rechtsprechung zur Frage des Beurteilungsspielraums s. Schneider 1999, 140. 23
e) Verwaltungsvorschriften als Ermessensrichtlinien und Entscheidungshilfen. Die bundeseinheitlichen Verwaltungsvorschriften zum StVollzG (im Einzelnen Arloth 2011 Rdn. 17; Frellesen 1977, 2055; Laubenthal 2011 Rdn. 42 f; Müller-Dietz 1981, 409 ff; Treptow 1978, 2227; Walter 1999 Rdn. 406) haben – ebenso wie die Verwaltungsvorschriften zu den Strafvollzugsgesetzen auf Länderebene – nur behördeninterne Bedeutung. Sie können Ermessensrichtlinien (zulässige Ermessenserwägungen) enthalten, die die Gerichte mangels Rechtsnormqualität nicht binden (OLG Celle NStZ 1998, 400 M; OLG Karlsruhe ZfStrVo 2003, 251). Die Gerichte sind dementsprechend bei ihrer Kontrolltätigkeit gegenüber der Verwaltung grundsätzlich nicht an Verwaltungsvorschriften gebunLaubenthal
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den. Sie sind jedoch befugt, sich einer Gesetzesauslegung, die in einer Verwaltungsvorschrift vertreten wird, aus eigener Überzeugung anzuschließen (BVerfGE 78, 214, 227). Die Verwaltungsvorschriften können nur die Aufgabe haben, das der Vollzugsbehörde eingeräumte Ermessen zu konkretisieren, um eine einheitliche Ermessenausübung zu gewährleisten (OLG Nürnberg 18.7.2011 – 1Ws 151/11). Daher entbinden sie nicht von der Verpflichtung, in jedem Einzelfall die Richtigkeit der Ermessenskonkretisierung zu prüfen (OLG Hamburg ZfStrVo SH 1979, 21; KG ZfStrVo SH 1979, 23; OLG München ZfStrVo SH 1979, 25; OLG Frankfurt ZfStrVo 1981, 122). Die VV dürfen das Ermessen der Vollzugsbehörde nicht an andere als die nach dem Gesetz maßgeblichen Gesichtspunkte binden. Dadurch, dass sie eine einheitliche Auslegung oder Ermessensausübung durch die Vollzugsbehörde herbeiführen, erhalten sie mittelbar über Art. 3 Abs. 1 GG (Rechtsanwendungsgleichheit) im Innenverhältnis eine gesetzesähnliche selbstbindende Bedeutung, auf die sich ein Gefangener berufen kann (Selbstbindung der Verwaltung; hierzu BGH MDR 1988, 248, 249; BGH vom 24.11.1987 – 5 AR Vollz 4/87; OLG Celle LS ZfStrVo SH 1979, 46; ZfStrVo 1982, 314; Böhm 2003 Rdn. 380). Eine Abweichung von der Regel, sofern diese nicht im Einzelfall begründet ist, bliebe rechtswidrig. Verwaltungsvorschriften dürfen nicht dem klaren Willen des Gesetzgebers zuwiderlaufen. Andernfalls sind sie rechtswidrig und eine auf sie gestützte Entscheidung wäre ermessensfehlerhaft, weil sich die Vollzugsbehörde dann an eine Ermessensgrenze gebunden sieht, die in Wahrheit nicht besteht (OLG Celle ZfStrVo SH 1979, 19; OLG Koblenz ZfStrVo 1981, 246). Neben Ermessensrichtlinien können die Verwaltungsvorschriften zudem den Charakter von tatbestandsinterpretierenden Richtlinien haben. Auch insoweit kommt ihnen aber nur die Qualität von Entscheidungshilfen zu (OLG Frankfurt NStZ 1982, 260; OLG Koblenz 2.3.1982 – 2 Vollz (Ws) 18/82; Kopp/Schenke 2012 § 114 Rdn. 10 a, 41). Soweit Verwaltungsvorschriften etwa eine Anhörung des zuständigen Gerichts vor der Gewährung von Vollzugslockerungen vorschreiben, handelt es sich um eine dem jeweiligen Gesetz nicht entsprechende tatbestandserweiternde Regelung, die keine Bindungswirkung für die Gerichte erzeugen kann (OLG Frankfurt MDR 1982, 599; NStZ 1982, 260, 261). Zur gerichtlichen Überprüfung von Verwaltungsvorschriften § 109 Rdn. 12. III. Beispiel Ein Feststellungsinteresse (Abs. 3) kann bei einem Gefangenen, gegen den unmittel- 24 barer Zwang angeordnet wurde, auch dann noch gegeben sein, wenn er inzwischen in eine andere Justizvollzugsanstalt verlegt wurde. Ein Strafgefangener, gegen den unmittelbarer Zwang angeordnet und vollzogen wurde, kann seitens der Vollzugsbehörde als ein Insasse angesehen werden, der einer rechtmäßigen Anordnung von Vollzugsbediensteten nicht Folge geleistet und demnach die Anstaltsordnung gestört hat. Dies vermag als u. U. diskriminierendes Verhalten bei späteren Entscheidungen über Vergünstigungen oder Vollzugslockerungen negativ ins Gewicht fallen. Zum Feststellungsantrag Rdn. 17.
§ 116 Rechtsbeschwerde § 116 Laubenthal Rechtsbeschwerde (1) Gegen die gerichtliche Entscheidung der Strafvollstreckungskammer ist die Rechtsbeschwerde zulässig, wenn es geboten ist, die Nachprüfung zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu ermöglichen. 969
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(2) Die Rechtsbeschwerde kann nur darauf gestützt werden, dass die Entscheidung auf einer Verletzung des Gesetzes beruhe. Das Gesetz ist verletzt, wenn eine Rechtsnorm nicht oder nicht richtig angewendet worden ist. (3) Die Rechtsbeschwerde hat keine aufschiebende Wirkung. § 114 Abs. 2 gilt entsprechend. (4) Für die Rechtsbeschwerde gelten die Vorschriften der Strafprozessordnung über die Beschwerde entsprechend, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt. § 116 Laubenthal Rechtsbeschwerde Schrifttum S. Vor § 108.
Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe I. II.
Übersicht Allgemeine Hinweise ____ 1 Erläuterungen ____ 2–15 1. Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde ____ 2–8 a) Beschwer ____ 3 b) Fortbildung des Rechts ____ 4 c) Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung ____ 5 d) Unzulängliche Feststellungen ____ 6 e) Verletzung des rechtlichen Gehörs ____ 7 f) Gebotensein der Nachprüfung ____ 8
2. Gesetzesverletzung ____ 9 3. Rechtsbeschwerde gegen Hauptsacheentscheidungen ____ 10 4. Kein Feststellungsantrag im Rechtsbeschwerdeverfahren ____ 11 5. Beschwerdeberechtigte ____ 12 6. Keine aufschiebende Wirkung ____ 13 7. Entsprechende Anwendung der StPO ____ 14 8. Rechtsschutz bei überlangen Verfahren ____ 15
I. Allgemeine Hinweise 1
Mit der Rechtsbeschwerde (§§ 116 bis 119) existiert ein Rechtsmittel gegen die erstinstanzlichen Entscheidungen (§ 115) der Strafvollstreckungskammern, um auf diese Weise die Fortbildung des Rechts und eine einheitliche Rechtsprechung zu gewährleisten. Diese Rechtsmittelinstanz ist notwendig, weil ansonsten eine für die Wahrung der Rechtseinheit notwendige zentrale gerichtliche Zuständigkeit nicht gegeben wäre (BT-Drucks. 7/918, 85). Die Rechtsbeschwerde wurde vom Gesetzgeber revisionsähnlich ausgestaltet. Sie eröffnet keinen weiteren Tatsachenrechtszug. Zu einer Entscheidung des BGH kann es in den Fällen kommen, in denen ein OLG von der Entscheidung eines anderen OLG oder des BGH abweichen will und deshalb die Sache dem BGH vorlegen muss (Divergenzvorlage gem. § 121 Abs. 2 GVG). II. Erläuterungen
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1. Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig, wenn es geboten ist, die Nachprüfung der Entscheidung der Strafvollstreckungskammer zur Fortbildung des Rechts (Rdn. 4) oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (Rdn. 5) zu ermöglichen (Abs. 1). Die in Abs. 1 getroffene Regelung der besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen ist verfassungskonform (BVerfG vom 12.3.2008 – 2 BvR 2219/ 06). Das Grundrecht auf effektiven Rechtschutz gem. Art. 19 Abs. 4 GG wird aber dann verletzt, wenn die Zulässigkeitsvoraussetzungen in einer Art und Weise ausgelegt werden, welche die Kriterien des Zugangs zu einer Sachentscheidung gänzlich unvorhersehbar macht (Lübbe-Wolff/Frotz 2009, 620). Die besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen müssen noch im Zeitpunkt der Entscheidung des OLG vorliegen (OLG Hamm 15.10. Laubenthal
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1979 – 1 Vollz (Ws) 56/79). Die Zulassung der Rechtsbeschwerde hängt nicht davon ab, ob es sich um eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung handelt; es genügt, wenn es aus den angeführten Gründen geboten ist, die Nachprüfung der gerichtlichen Entscheidung zu ermöglichen. a) Beschwer. Neben den besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen von Abs. 1 3 müssen auch die allgemeinen Zulässigkeitsvoraussetzungen vorliegen: Im Zeitpunkt der Einlegung der Rechtsbeschwerde muss eine Beschwer des Betroffenen vorliegen (§ 109 Rdn. 28); ist die Beschwer zu diesem Zeitpunkt entfallen bzw. überholt, ist das Rechtsmittel unzulässig (OLG Saarbrücken ZfStrVo SH 1978, 57; OLG Koblenz ZfStrVo 1978, 180). So auch bei Erledigung vor Einlegung des Rechtsmittels mangels Rechtsschutzinteresses (OLG Hamm ZfStrVo 2000, 179). Eine Rechtsbeschwerde, die unter einer Bedingung eingelegt wird, ist ebenfalls unzulässig (OLG Hamm NStZ 1995, 436 B; Arloth 2011 Rdn. 1). Entspricht die Vollzugsbehörde einem Antrag des Gefangenen, nachdem dieser im Verfahren vor der Strafvollstreckungskammer obsiegt hat, und legt die Vollzugsbehörde anschließend Rechtsbeschwerde mit dem Ziel ein, die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer überprüfen zu lassen, so bleibt die Rechtsbeschwerde unzulässig (OLG Hamm LS ZfStrVo SH 1979, 109). Denn die Hauptsache hat sich erledigt, da der z. B. zwischenzeitlich gewährte Urlaub nicht mehr zurückgenommen werden kann. Die Rechtsbeschwerde ist ferner unzulässig, wenn sich der Gefangene nach Erledigung der Freiheitsstrafe zum Zeitpunkt der Einlegung der Rechtsbeschwerde in Untersuchungshaft befindet (OLG Hamm NStZ 1988, 403 B). Die Ablehnung eines Nachholungsverfahrens i. S. v. § 33 a StPO bei Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör ist keine mittels Rechtsbeschwerde anfechtbare Entscheidung nach § 115. Eine Beschwer entfällt, wenn die Strafvollstreckungskammer im Nachholverfahren Recht gegeben hat (OLG Stuttgart NStZ 1992, 104). Ein Gefangener ist beschwert, wenn die Strafvollstreckungskammer die Vollzugsbehörde trotz gegebener Spruchreife gem. § 115 Abs. 4 Satz 2 verpflichtet, anstatt in der Sache selbst zu entscheiden (OLG Celle ZfStrVo 1991, 123). Mitteilungen der Strafvollstreckungskammer an einen Gefangenen, Anträge wegen beleidigenden Inhalts nicht zu bearbeiten, stellen unabhängig von der gewählten Form gerichtliche Entscheidungen dar (BVerfG NStZ 2001, 616; s. § 109 Rdn. 39). b) Fortbildung des Rechts. Eine Fortbildung des Rechts liegt dann vor, wenn der 4 Einzelfall Veranlassung gibt, Leitsätze für die Auslegung von Gesetzesbestimmungen des materiellen oder des Verfahrensrechts aufzustellen oder Gesetzeslücken rechtsschöpferisch auszufüllen (BGHSt 24, 15; OLG Hamm ZfStrVo SH 1978, 49; Arloth 2011 Rdn. 3; C/MD 2008 Rdn. 2; Grunau/Tiesler Rdn. 1; Laubenthal 2011 Rdn. 822). Mit der Zulassung der Rechtsbeschwerde soll das OLG Gelegenheit erhalten, seine Rechtsauffassung in einer für die nachgeordneten Gerichte richtungsgebenden Weise zum Ausdruck zu bringen oder durch Divergenzvorlage nach § 121 Abs. 2 GVG eine Grundsatzentscheidung des BGH herbeizuführen. Liegt bereits eine Entscheidung eines anderen OLG vor, in der die konkrete Rechtsfrage im gleichen Sinne entschieden wurde, wie es das zulassende OLG beabsichtigt, steht dies der Zulassung nicht entgegen, da dadurch ein aufgestellter Leitsatz gefestigt und eine einheitliche Rechtsprechung gesichert werden kann. Der Fortbildung des Rechts dient auch die Prüfung, ob ein Gesetz der Verfassung entspricht, wenn dies zweifelhaft erscheint oder wenn es zweifelhaft ist, ob eine Rechtsnorm gültig erlassen oder geändert wurde bzw. fortbesteht. Die Rechtsbeschwerde bleibt dann angesichts der Eindeutigkeit der gesetzlichen Regelung unzulässig, wenn diese weder gegen höherrangiges Recht noch gegen internationale Abkommen verstößt und 971
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eine Fortbildung des Rechts in der anstehenden Frage nicht möglich ist (KG 22.8.1990 – 5 Ws 152/90 Vollz). 5
c) Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung. Zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfolgt die Zulassung der Rechtsbeschwerde, wenn vermieden werden soll, dass schwer erträgliche Unterschiede in der Rechtsprechung entstehen oder fortbestehen, wobei es darauf ankommt, welche Bedeutung die angefochtene Entscheidung für die Rechtsprechung im Ganzen hat (BGHSt 24, 15; OLG Hamm ZfStrVo SH 1978, 49; OLG Hamburg ZfStrVo SH 1978, 50; Laubenthal 2011 Rdn. 822). Diese Voraussetzungen sind dann gegeben, wenn ein Gericht in einer bestimmten Rechtsfrage in ständiger Rechtsprechung von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweicht, nicht aber schon dann, wenn in einem Einzelfall eine Fehlentscheidung getroffen wurde, selbst wenn der Rechtsfehler offensichtlich ist (BGHSt 24, 15). Es muss noch hinzukommen, dass die Entscheidung in einer grundsätzlichen Frage erfolgte; dass sie schwer erträgliche Unterschiede in der Rechtsanwendung auslösen würde oder dass ohne die höchstrichterliche Entscheidung mit weiteren Fehlentscheidungen in gleich gelagerten Fällen zu rechnen wäre. Die Wiederholungsgefahr bleibt insoweit ein entscheidender Gesichtspunkt. Allerdings liegt ein Verstoß gegen Art. 19 Abs. 4 GG vor, wenn das OLG die Rechtswidrigkeit einer landgerichtlichen Entscheidung konzediert, ohne ersichtlich andere Grundlage als die bloße Vermutung, dass das Landgericht künftige Entscheidungen nach Maßgabe der obergerichtlichen Rechtsprechung treffen werde, und deshalb die Erforderlichkeit der Nachprüfung zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung verneint (BVerfG 11.4. 2008 – 2 BvR 866/06). Die Zulassung der Rechtsbeschwerde zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung ist auch dann geboten, wenn eine Strafvollstreckungskammer von der Rechtsprechung anderer Kammern (z. B. den bayerischen) abweicht (OLG Bamberg ZfStrVo SH 1978, 31; OLG Koblenz ZfStrVo 1993, 244). An der Zulässigkeitsvoraussetzung fehlt es jedoch, wenn eine unterschiedliche Rechtsprechung allein auf tatsächlichen Umständen beruht und nicht auf verschiedenartigen Rechtsauffassungen (OLG Hamburg ZfStrVo SH 1978, 50). Nach Ansicht des OLG Hamburg (StV 2008, 599) liegt der Zulassungsgrund der Einheitlichkeit der Rechtsprechung mit Inkrafttreten von Landes-Strafvollzugsgesetzen nur noch bei divergierenden Entscheidungen im Anwendungsbereich des StVollzG vor. Denn der Gesetzgeber hat sich mit der Verlagerung der Gesetzgebungskompetenz auf die Bundesländer bewusst für die Möglichkeit der unterschiedlichen gesetzlichen Ausgestaltung des Strafvollzugs in den einzelnen Bundesländern entschieden; daraus folge auch eine unterschiedliche Ausgestaltung der Rechtsprechung.
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d) Unzulängliche Feststellungen. Die Rechtsbeschwerde ist ferner dann zulässig, wenn die Feststellungen der angefochtenen Entscheidung so unzulänglich sind, dass die Voraussetzungen der Zulässigkeit nicht überprüft werden können, das Vorliegen einer bedeutenden Rechtsfrage aber zu vermuten ist (OLG Frankfurt ZfStrVo 2001, 53; OLG Saarbrücken ZfStrVo 2004, 119).
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e) Verletzung des rechtlichen Gehörs. Sind elementare Verfahrensprinzipien verletzt, z. B. der Grundsatz des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG; § 115 Rdn. 6), der Amtsermittlungsgrundsatz (§ 115 Rdn. 2 ff) oder das Gebot eines fairen Verfahrens (Art. 6 EMRK; § 115 Rdn. 6), so führt dies nicht nur zu nicht mehr hinnehmbaren krassen Abweichungen in der Art und Weise der Ausübung der Rechtsprechung. Es ist i. d. R. die Gefahr einer Wiederholung gegeben, weil die Grundsätze in jedem Verfahren zu beachten sind. (OLG Frankfurt ZfStrVo 1979, 60, 251; ZfStrVo SH 1979, 116; OLG Bamberg ZfStrVo SH Laubenthal
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1979, 111; OLG Düsseldorf NStZ 1984, 320; OLG Koblenz ZfStrVo 1994, 182). Die Aufhebung einer derartigen Entscheidung ist auch dann geboten, wenn es nicht unzweifelhaft erscheint, dass diese Entscheidung einer Nachprüfung durch das BVerfG nicht standhalten würde und sich die Aufhebung danach aufdrängt. Es wäre zudem prozessunwirtschaftlich, bei Verletzung des Grundsatzes des rechtlichen Gehörs die Rechtsbeschwerde nicht zuzulassen und den Betroffenen damit praktisch auf die Möglichkeit der Verfassungsbeschwerde abzudrängen. Die fehlende Übersendung der Stellungnahme des Antragsgegners an den Antragssteller bedeutet eine Verletzung des rechtlichen Gehörs und führt zur Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde. f) Gebotensein der Nachprüfung. Die Nachprüfung muss geboten sein; d. h. die 8 Überprüfung der angefochtenen Entscheidung muss sich aufdrängen und nicht nur naheliegen. Setzt sich eine Strafvollstreckungskammer in Widerspruch zu den Rechtsausführungen verschiedener Oberlandesgerichte, so ist die Überprüfung der angefochtenen Entscheidung im Rechtsbeschwerdeverfahren geboten (OLG Hamm ZfStrVo 1984, 318). Soweit sich die Rechtsbeschwerde gegen eine im angefochtenen Beschluss getroffene Erledigterklärung richtet, ist sie nach Abs. 1 unzulässig, da die Erledigung keine Rechtsfrage, sondern eine Tatsachenfrage ist, für deren Entscheidung die Zulässigkeitsvoraussetzungen nicht gegeben sind. Der Normzweck der Rechtsbeschwerde ist nicht die Überprüfung der einzelnen Entscheidungen der Strafvollstreckungskammer auf ihre Richtigkeit, sie dient der Fortbildung des Rechts und der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung. Dies setzt aber den Fortbestand der zu überprüfenden Entscheidung voraus. Anders kann es jedoch dann sein, wenn die Strafvollstreckungskammer den Begriff der Erledigung der Maßnahme i. S. v. § 115 Abs. 3 verkannt hat (§ 115 Rdn. 17). 2. Gesetzesverletzung. Abs. 2 macht eine Gesetzesverletzung zur Voraussetzung 9 für eine erfolgreiche Rechtsbeschwerde. Die Rechtsbeschwerde eröffnet daher keinen weiteren Tatsachenrechtszug; dem Betroffenen sind tatsächliche Einwendungen gegen die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer abgeschnitten (OLG Hamm ZfStrVo 1983, 254). Das Rechtsbeschwerdegericht hat von den getroffenen Tatsachenfeststellungen auszugehen und darf tatsächliche Einwendungen gegen die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer und neues tatsächliches Vorbringen nicht berücksichtigen (OLG Hamburg ZfStrVo 1996, 310). Abs. 2 entspricht insoweit § 337 StPO. Die Gesetzesverletzung, die mit der Rechtsbeschwerde angegriffen werden kann, betrifft das Verfahren oder das sachliche Recht (vgl. § 118 Rdn. 6 ff). Nach Abs. 2 Satz 2 ist die Nichtanwendung anzuwendenden Rechts und die unzulässige oder unrichtige Anwendung des Rechts als Gesetzesverletzung anzusehen. Darüber hinaus begründet auch die Anwendung einer Nichtrechtsnorm die Rechtsnormverletzung (Meyer-Goßner 2011 § 337 StPO Rdn. 33). Der Begriff Rechtsnorm (Abs. 2 Satz 2) umfasst neben dem in den Verfassungen, Gesetzen und Rechtsverordnungen des Bundes und der Länder niedergelegten Recht das ungeschriebene Recht, insbesondere alle Grundsätze, die sich aus dem Sinn und dem Zusammenhang der gesetzlichen Vorschriften ergeben. Dies gilt ebenso für die Gesetze der allgemeinen Lebenserfahrung. Eine Gesetzesverletzung liegt dementsprechend auch vor, wenn die Strafvollstreckungskammer gegen Denkgesetze verstoßen hat (OLG Nürnberg ZfStrVo SH 1978, 50; § 119 Rdn. 2; Meyer-Goßner 2011 § 337 StPO Rdn. 30). Keine Rechtsnormen sind Verwaltungsvorschriften, auch nicht diejenigen zu den Strafvollzugsgesetzen (Meyer-Goßner 2011 § 337 StPO Rdn. 2; Müller-Dietz 1981, 409). Zur Rechtsnatur der Verwaltungsvorschriften § 115 Rdn. 23.
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3. Rechtsbeschwerde gegen Haupsacheentscheidungen. Die Rechtsbeschwerde ist nur zulässig gegen Hauptsacheentscheidungen der Strafvollstreckungskammern (§§ 116 Abs. 1, 115). Sie ist nicht nur gegen Sach-, sondern auch gegen Prozessentscheidungen zulässig. Ein Beschluss der Strafvollstreckungskammer, der ausspricht, dass der Antrag auf gerichtliche Entscheidung zurückgenommen ist, verneint die Sachentscheidungsvoraussetzungen und ist wie eine Sachentscheidung anfechtbar (OLG Hamm ZfStrVo SH 1979, 119). Nebenentscheidungen, wie Versagung der Prozesskostenhilfe (OLG Frankfurt ZfStrVo SH 1978, 59, SH 1979, 15; OLG Bremen ZfStrVo SH 1979, 118; OLG Hamm ZfStrVo SH 1979, 113), Festsetzung des Streitwertes (OLG Koblenz ZfStrVo SH 1979, 121; NStZ 1982, 48; OLG Hamburg MDR 1984, 963; a. A. OLG Hamm NStZ 1989, 495) oder Kostenentscheidungen (OLG Koblenz ZfStrVo SH 1977, 52, SH 1979, 121; OLG Düsseldorf MDR 1983, 601; OLG Stuttgart NStZ 1989, 548; OLG Saarbrücken NStZ 1988, 432) sind nicht mit der Rechtsbeschwerde anfechtbar. Gleiches gilt grundsätzlich für Beschlüsse nach § 114 Abs. 2 (BGH NJW 1979, 664) im Rahmen des Eilrechtsschutzes (zur Ausnahme s. § 114 Rdn. 9). Zur Anfechtung der Kostenentscheidung sowie der Streitwertfestsetzung § 121 Rdn. 4, 7. Zur Anfechtung eines die Richterablehnung zurückweisenden Beschlusses § 115 Rdn. 9. Hinsichtlich Entscheidungen über die Gewährung von Prozesskostenhilfe § 121 Rdn. 5.
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4. Kein Feststellungsantrag im Rechtsbeschwerdeverfahren. Im Rechtsbeschwerdeverfahren kann die Feststellung nach § 115 Abs. 3, dass eine Vollzugsmaßnahme rechtswidrig war, nicht erfolgen (§ 115 Rdn. 17). Die gesamte Regelung nach § 115 betrifft nach Wortlaut und Stellung nur das Verfahren vor der Strafvollstreckungskammer (OLG Koblenz ZfStrVo SH 1979, 107; NStZ 1998, 400 M; OLG Bremen ZfStrVo SH 1979, 108; OLG Saarbrücken ZfStrVo SH 1978, 57; OLG München NStZ 1981, 250; OLG Hamm ZfStrVo 2000, 179; NStZ 1985, 576). Kann dementsprechend eine Feststellung über die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Maßnahme nicht getroffen werden, so ist die Rechtsbeschwerde jedoch andererseits nicht wegen Wegfalls des Rechtsschutzinteresses als unzulässig zu verwerfen. Im Beschwerdeverfahren der StPO, dessen Bestimmungen nach Abs. 4 entsprechend anzuwenden sind, ist anerkannt, dass durch den erst nach Rechtsmitteleinlegung eintretenden Wegfall der Beschwer, die Beschwerde nicht unzulässig wird, sondern prozessual überholt ist. Das Rechtsmittel wird gegenstandslos; eine Kostenentscheidung unterbleibt (OLG Celle NJW 1973, 863; OLG Koblenz LS ZfStrVo SH 1979, 107; OLG Celle NStZ 1992, 378 B). Eine Rechtsbeschwerde muss unbeschieden bleiben, wenn eine Sachentscheidung über den Antrag in dem Zeitpunkt, zu welchem sich das Beschwerdegericht mit der Angelegenheit befasst, infolge Zeitablaufs oder sonst nicht mehr getroffen werden kann. Die Rechtsbeschwerde ist in diesem Fall überholt (MeyerGoßner 2011 vor § 296 StPO Rdn. 17). Ist die Überholung schon im Zeitpunkt der Einlegung der Rechtsbeschwerde als eingetreten anzusehen, weil eine Sachentscheidung nicht mehr in Frage kommen kann, so ist die Rechtsbeschwerde unzulässig mit der Kostenfolge aus § 473 StPO. Tritt die Überholung erst nach der Einlegung der Rechtsbeschwerde ein, so spricht das Gericht nur aus, dass die Rechtsbeschwerde infolge Erledigung gegenstandslos ist. Die Kostenfolge aus § 473 StPO tritt zu Lasten des Beschwerdeführers nicht ein (OLG Celle NStZ 1992, 378; a. A. OLG Jena ZfStrVo 2005, 245). Allerdings darf in besonderen Erledigungsfällen die Interpretation des Verfahrensrechts nicht dazu führen, dass eine Entscheidung über das Feststellungsbegehren gänzlich ausgeschlossen bleibt. Trotz Erledigung vor Eintritt der Rechtskraft kann ausnahmsweise ein Bedürfnis nach gerichtlicher Entscheidung fortbestehen, wenn das Interesse des Betroffenen an der Feststellung der Rechtswidrigkeit in besonderer Weise, wie in Fällen tief greifender Grundrechtseingriffe, als schutzwürdig erscheint. Aus diesem verfassungsLaubenthal
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rechtlichen Grund darf eine Zurückgabe an die Strafvollstreckungskammer zur Entscheidung über den Feststellungsantrag ohne Bindung an die Vorentscheidung in Betracht kommen (OLG Karlsruhe Justiz 2004, 216). 5. Beschwerdeberechtigte. Zur Einlegung der Rechtsbeschwerde ist der Antragstel- 12 ler berechtigt, der im erstinstanzlichen Verfahren vor der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts nicht obsiegt hat. Gleiches gilt für die Vollzugsbehörde, wenn sie durch die landgerichtliche Entscheidung beschwert ist (§ 111 Rdn. 2, 5). 6. Keine aufschiebende Wirkung. Die Rechtsbeschwerde hat keine aufschiebende 13 Wirkung (Abs. 3 Satz 1). Die Vollzugsbehörde ist daher verpflichtet, wenn die Strafvollstreckungskammer dem Antrag eines Gefangenen auf gerichtliche Entscheidung entsprochen hat, diese Entscheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts auszuführen. Dies gilt auch bei einem stattgegebenen Verpflichtungsbegehren, solange nicht auf Antrag der Vollzugsbehörde eine Außervollzugsetzung (§ 114 Rdn. 3 ff) der angefochtenen gerichtlichen Entscheidung gem. Abs. 3 Satz 2 i. V. m. § 114 Abs. 2 angeordnet oder eine anders lautende Sachentscheidung im Rechtsbeschwerdeverfahren ergangen ist (OLG Koblenz ZfStrVo 1978, 180; OLG Hamm ZfStrVo SH 1979, 105; OLG Celle LS NStZ 1981, 118; FS 2010, 306; OLG Frankfurt ZfStrVo 1986, 188; OLG Zweibrücken NStZ 1987, 344; LG Hildesheim StraFo 2007, 481; OLG Karlsruhe FS 2010, 52; AK-Kamann/ Spaniol 2012 Rdn. 16; C/MD 2008 Rdn. 6; Müller-Dietz 1985, 352; Schuler 1988, 265; a. A. OLG Stuttgart ZfStrVo SH 1979, 109; Arloth 2011 Rdn. 7; Honecker 2005, 101; Ullenbruch 1993, 520 f). Unzulässig bleibt ein isolierter Antrag auf Außervollzugsetzung einer angefochtenen Entscheidung ohne Erhebung der Rechtsbeschwerde. Denn der Antrag nach Abs. 3 Satz 2 i. V. m. § 114 Abs. 2 steht in Abhängigkeit zu diesem Rechtsbehelf. Abs. 3 verweist nicht auf § 114 Abs. 3, wonach der Eilantrag schon vor Stellung eines Antrags auf gerichtliche Entscheidung nach § 109 zulässig ist (OLG Celle FS 2010, 306). Zuständig für Entscheidungen nach Abs. 3 ist das Rechtsbeschwerdegericht als das Gericht der Hauptsache (OLG Celle ZfStrVo SH 1979, 104). Bei seiner Entscheidung hat das Gericht eine Abwägung der von der Vollzugsbehörde geltend gemachten Belange und der Interessen des Gefangenen unter dem Gesichtspunkt vorzunehmen, ob eine Aussetzung des Vollzugs die Verwirklichung eines Rechts des Gefangenen vereiteln oder wesentlich erschweren würde (OLG Hamm ZfStrVo SH 1979, 105). Vgl. ebenfalls bei § 114 Rdn. 2. 7. Entsprechende Anwendung der StPO. Nach Abs. 4 gelten für die Rechtsbe- 14 schwerde die Vorschriften der StPO über die Beschwerde entsprechend, soweit im StVollzG nichts anderes bestimmt ist. Die Strafvollstreckungskammer kann jedoch nicht in entsprechender Anwendung von § 306 Abs. 2 StPO bei begründeter Rechtsbeschwerde ihre Entscheidung korrigieren (Abhilfeverfahren). Die Abhilfemöglichkeit nach § 306 Abs. 2 StPO setzt eine zulässige Beschwerde voraus. Die Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde hängt neben den allgemeinen Voraussetzungen noch von den besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen nach Abs. 1 ab (Rdn. 2). Die Abhilfeentscheidung müsste daher auf diese Fälle beschränkt bleiben. Dieses Ergebnis kann aber nicht dem Sinn von § 306 Abs. 2 StPO entsprechen. Daher lässt sich die für die (einfache) Beschwerde in § 306 Abs. 2 StPO vorgesehene Abhilfemöglichkeit mit den Besonderheiten der Rechtsbeschwerde als revisionsähnlichem Rechtsmittel nicht vereinbaren (OLG Stuttgart NStZ 1984, 528; AK-Kamann/Spaniol 2012, § 120 Rdn. 9). Eine Abhilfe durch die Strafvollstreckungskammer kommt nur nach einer Anhörungsrüge gem. § 120 Abs. 1 StVollzG i. V. m. § 33 a StPO in Betracht, wenn die Strafvollstreckungskammer die Rechtsbeschwerde wegen des nicht berücksichtigten Vorbringens für begründet erachtet (Arloth 2011 Rdn. 8). 975
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8. Rechtsschutz bei überlangen Verfahren. Aus Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. dem Rechtsstaatsprinzip gem. Art. 20 Abs. 3 GG folgt die Verpflichtung der Gerichte, die Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zu einem Abschluss zu bringen; dies bedingt zugleich die Notwendigkeit einer Handhabe des Rechtsschutzsuchenden wirksamer Art gegen Verfahrensverzögerungen. Einen wirksamen Rechtsbehelf gegen überlange gerichtliche Verfahren erfordert zudem Art. 6 Abs. 1 i. V. m. 13 EMRK (s. Althammer/Schäuble 2012, 1 ff; Schenke 2012, 257 ff). Um den Justizgewährungsanspruch im strafvollzugsrechtlichen Gerichtsverfahren sicherzustellen, konnte das Rechtsmittel der Rechtsbeschwerde ausnahmsweise gem. § 116 Abs. 1 als Untätigkeitsbeschwerde zulässig sein, ohne dass eine Hauptsacheentscheidung des Landgerichts vorlag. Ein solches Rechtsmittel sollte in Betracht kommen, wenn nach Stellung eines Antrags gem. § 109 die Strafvollstreckungskammer untätig blieb. Dabei reichte eine bloße Verfahrensverzögerung nicht aus. Vielmehr musste der unterlassenen landgerichtlichen Entscheidung die Bedeutung einer endgültigen Ablehnung im Sinne einer faktischen Rechtsverweigerung zukommen (BVerfG ZfStrVo 2003, 58) und die Beschwerde beim Oberlandesgericht geeignet sein, schwerste Rechtsverletzungen durch Zeitablauf zu verhindern (OLG Hamburg 4.11.2002 – 3 Vollz [Ws] 100/02; OLG Frankfurt ZfStrVo 2002, 370, NStZ-RR 2002, 188; OLG Stuttgart NStZ-RR 2003, 284). Dies entsprach zugleich dem aus Art. 13 EMRK folgenden Anspruch auf eine wirksame Beschwerde sowie dem Recht auf ein faires Verfahren aus Art. 6 Abs. 1 EMRK (OLG Celle StV 2008, 92). Voraussetzung für die Untätigkeitsbeschwerde war nicht nur, dass die Unterlassung in ihrer Bedeutung einer endgültigen Ablehnung gleichkam bzw. faktisch eine Form der Rechtsverweigerung darstellte. Die unterlassene Entscheidung oder deren Ablehnung musste auch selbst anfechtbar sein, und es blieben vom Beschwerdeführer die besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen des Rechtsbeschwerdeverfahrens einzuhalten (OLG Frankfurt NStZ-RR 2006, 356), soweit dem nicht das Wesen der beanstandeten Untätigkeit – z. B. bezüglich der Einhaltung einer Rechtsbeschwerdefrist – entgegenstand. Aufgrund der im Rechtsbeschwerdeverfahren dem Oberlandesgericht nur eingeschränkt zukommenden Rechtskontrolle konnte eine Untätigkeitsbeschwerde nur darauf gerichtet sein, die Untätigkeit der Strafvollstreckungskammer für rechtswidrig zu erklären. Die vom Betroffenen begehrte konkrete verfahrensbeendende Entscheidung traf nicht der Strafsenat; diese blieb dem Gericht des ersten Rechtszugs vorbehalten (OLG Celle StV 2008, 93). Der EGMR hat wiederholt betont, dass bei überlanger Dauer gerichtlicher Verfahren Art. 6 Abs. 1 und Art. 13 EMRK verletzt sein können, und aus Art. 13 EMRK die Garantie eines Rechtsbehelfs bei einer innerstaatlichen Instanz hergeleitet, mittels dessen ein Betroffener sich gegen Gefährdungen und Verletzungen seines Anspruchs auf angemessene Verfahrensdauer wehren kann (EGMR NJW 2001, 2694; EGMR NJW 2007, 1259). In seiner Entscheidung vom 2.9.2010 (NJW 2010, 3355) hatte der EGMR schließlich den deutschen Gesetzgeber verpflichtet, einen Rechtsbehelf zu schaffen, welcher dem aus Art. 6 Abs. 1, 13 EMRK herzuleitenden Erfordernis eines zeitgerechten Rechtschutzes Rechnung trägt. Dieser Verpflichtung kam die Legislative mit dem am 3.12.2011 in Kraft getretenen Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren (BGBl. I 2011, 2302) nach. Mit Art. 1 ÜVerfBesG wurde mit den §§ 198 bis 201 als Siebzehnter Titel im GVG in das System staatlicher Ersatzleistungen ein neuartiger Entschädigungsanspruch eigener Art eingefügt (dazu Link/van Dorp 2012, 11 f). § 198 GVG schützt die in § 198 Abs. 6 Nr. 2 GVG genannten Beteiligten vor Nachteilen, die sich als Folge einer unangemessenen Dauer des gerichtlichen Verfahrens ergeben. Nach § 201 Abs. 1 S. 1 GVG ist für die Klage auf Entschädigung gegen ein Land das Oberlandesgericht zuständig, in dessen Bezirk die Regierung des beklagten Landes ihren Sitz hat. Gem. § 201 Abs. 2 S. 1 GVG gelten die Vorschriften der ZPO über das Verfahren vor den Laubenthal
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Zuständigkeit für die Rechtsbeschwerde
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Landgerichten im ersten Rechtszug entsprechend. Voraussetzung für einen Eintschädigungsanspruch ist jedoch gem. § 198 Abs. 3 S. 1 GVG grundsätzlich die Einlegung einer Verzögerungsrüge bei dem mit der Sache befassten Gericht (zu Ausnahmen s. Schenke 2012, 261 f). Der von überlanger Verfahrensdauer Betroffene muss also prinzipiell zunächst beim Ausgangsgericht (im erstinstanzlichen Verfahren gem. §§ 109 ff StVollzG bei der Strafvollstreckungskammer) die Dauer des Verfahrens rügen, bevor er beim Oberlandesgericht (§ 201 Abs. 1 Satz 1 GVG) Klage erheben kann. Verzögert sich das Verfahren beim Rechtsbeschwerdegericht, bedarf es der Verzögerungsrüge zunächst bei dem nach § 117 zuständigen Strafsenat des Oberlandesgerichts. Eine Verzögerungsrüge kann erst erhoben werden, wenn zu der Besorgnis Anlass besteht, das Verfahren werde nicht in angemessener Zeit abgeschlossen (§ 198 Abs. 3 Satz 2 1. Halbs. GVG). Die Rüge stellt eine präventive Prozesshandlung dar, ist jedoch kein Rechtsbehelf, sondern nur eine Obliegenheit. Sie soll als eine Art Warnschuss dem mit der Sache befassten Gericht zur Prüfung der Verfahrensdauer Anlass geben und ihm eine Abhilfemöglichkeit eröffnen (Link/ van Dorp 2012, 16). Hilft das Gericht nicht ab, besteht keine Beschwerdemöglichkeit. Vielmehr kann nach § 198 Abs. 3 Satz 2 2. Halbs. GVG frühestens nach sechs Monaten die Verzögerungsrüge wiederholt werden, es sei denn, eine frühere weitere Rüge drängt sich angesichts des konkreten Verfahrensablaufs förmlich auf (Link/van Dorp 2012, 17). Mit dem ÜVerfBesG beabsichtigt der Gesetzgeber eine abschließende Regelung des Rechtsschutzes bei überlangen Gerichtsverfahren (BT-Drucks. 17/3802, 16). Damit sind von der Rechtsprechung entwickelte Rechtsbehelfskonstruktionen hinfällig geworden. Insoweit besteht keine planwidrige Regelungslücke mehr, da die Legislative sich ausdrücklich gegen die Einführung einer Untätigkeitsbeschwerde entschieden hat (Althammer/ Schäuble 2012, 5). In Strafvollzugsachen bleibt deshalb die Untätigkeitsbeschwerde zum Oberlandesgericht unstatthaft, weil für dieses Institut kein Spielraum mehr vorhanden ist (OLG Hamburg StraFo 2012, 160; s. auch OLG Mecklenburg-Vorpommern, Beschl. vom 23.1.2012 – 1 O 4/12).
§ 117 Zuständigkeit für die Rechtsbeschwerde § 117 Laubenthal Zuständigkeit für die Rechtsbeschwerde Über die Rechtsbeschwerde entscheidet ein Strafsenat des Oberlandesgerichts, in dessen Bezirk die Strafvollstreckungskammer ihren Sitz hat. Die Vorschrift regelt die örtliche Zuständigkeit für Entscheidungen über die Rechts- 1 beschwerde. Die sachliche Zuständigkeit ergibt sich aus § 121 Abs. 1 Nr. 3 GVG. § 121 Abs. 3 GVG enthält die Befugnis, in einem Bundesland mit mehreren Oberlandesgerichten die Zuständigkeit einem von ihnen zuzuweisen. Von der Ermächtigung zur Zuständigkeitskonzentration haben Nordrhein-Westfalen mit dem OLG Hamm (GVBl NW 1985, 46) und Niedersachsen mit dem OLG Celle (Nds. GVBl 1998, 66) Gebrauch gemacht (vgl. Meyer-Goßner 2011 § 121 GVG Rdn. 17). Die Zuständigkeitskonzentration gilt nicht für andere Entscheidungen der Strafvollstreckungskammern (z. B. Versagung von Prozesskostenhilfe, Streitwertfestsetzung).
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Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
§ 118 Form. Frist. Begründung § 118 Laubenthal Form. Frist. Begründung (1) Die Rechtsbeschwerde muss bei dem Gericht, dessen Entscheidung angefochten wird, binnen eines Monats nach Zustellung der gerichtlichen Entscheidung eingelegt werden. In dieser Frist ist außerdem die Erklärung abzugeben, inwieweit die Entscheidung angefochten und ihre Aufhebung beantragt wird. Die Anträge sind zu begründen. (2) Aus der Begründung muss hervorgehen, ob die Entscheidung wegen Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren oder wegen Verletzung einer anderen Rechtsnorm angefochten wird. Ersterenfalls müssen die den Mangel enthaltenden Tatsachen angegeben werden. (3) Der Antragsteller als Beschwerdeführer kann dies nur in einer von einem Rechtsanwalt unterzeichneten Schrift oder zur Niederschrift der Geschäftsstelle tun. Schrifttum S. Vor § 108.
I. II.
Übersicht Allgemeine Hinweise ____ 1 Erläuterungen ____ 2–10 1. Frist ____ 2, 3 2. Antrag ____ 4
3. Begründung ____ 5–7 4. Form ____ 8, 9 5. Wiedereinsetzung bei Fristversäumung ____ 10
I. Allgemeine Hinweise 1
Die Vorschrift regelt Form, Frist und Inhalt der Rechtsbeschwerdeeinlegung. Im Gegensatz zu den Revisionsvorschriften der StPO (§§ 341, 345) sieht das StVollzG für die Einlegung und die Begründung der Rechtsbeschwerde eine einheitliche Frist vor. Damit soll auf die besondere Situation im Strafvollzug und auf die Ausgestaltung des Rechtsbeschwerdeverfahrens Rücksicht genommen werden. Die Monatsfrist erscheint notwendig und ausreichend, um auch unter den erschwerten Bedingungen des Freiheitsentzuges sachkundige Beratung zu erhalten. Eine kürzere Frist zur Einlegung der Rechtsbeschwerde könnte dazu führen, dass allein zur Fristwahrung zunächst Rechtsbeschwerde eingelegt wird (BT-Drucks. 7/918, 76; C/MD 2008 Rdn. 4). II. Erläuterungen
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1. Frist. Nach Abs. 1 Satz 1 ist die Rechtsbeschwerde bei dem Gericht einzulegen, das die anzufechtende Entscheidung erlassen hat. Gegen die Entscheidung einer auswärtigen Strafvollstreckungskammer ist zwar die Rechtsbeschwerde bei dieser einzulegen; es genügt aber auch die Fristwahrung bei dem Stammgericht (Meyer-Goßner 2011 § 78 GVG Rdn. 2 und § 341 StPO Rdn. 6). Zur Möglichkeit der Rechtsmitteleinlegung nicht auf freiem Fuß befindlicher Beschwerdeführer beim Amtsgericht s. Rdn. 8. Die Rechtsbeschwerdefrist beträgt einen Monat nach (förmlicher) Zustellung. Diese erfolgt bei in Justizvollzugsanstalten inhaftierten Strafgefangenen bzw. Sicherungsverwahrten gem. § 120 Abs. 1 StVollzG, §§ 35, 37 StPO, §§ 168 Abs. 1 Satz 2, 176 Abs. 1, 178 Abs. 1 Nr. 3 ZPO mittels Übergabe der Entscheidung durch einen Justizvollzugsbediensteten. Bei der Prüfung der Zulässigkeit ist allein das im Empfangsbekenntnis genannte Zustellungsdatum zugrunde Laubenthal
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Form. Frist. Begründung
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zu legen (OLG Rostock NStZ 1997, 429 M). Die Monatsfrist gilt einheitlich für die Einlegung und die Begründung der Rechtsbeschwerde (Abs. 1 Satz 2 und Satz 3). Grund für diese einheitliche Frist der Einlegung und Begründung ist die Verhinderung der vorsorglichen Anfechtung (C/MD 2008 Rdn. 4; OLG Zweibrücken 20.10.1981 – 1 Vollz [Ws] 85/ 81). Eine Verlängerung der Beschwerdefrist (gesetzliche Frist) ist nicht möglich. Zweifel an der Wahrung der Rechtsmittelfrist dürfen nicht zu Lasten desjenigen gehen, in dessen Einflussbereich die Zweifelsursache nicht liegt (OLG Celle NStZ 1990, 456). Die Befugnis zur Einlegung der Rechtsbeschwerde ergibt sich aus § 111. Ein Gefange- 3 ner kann sich bei der Einlegung der Rechtsbeschwerde zu Protokoll der Geschäftsstelle durch einen schriftlich bevollmächtigten Dritten, auch durch einen Mitgefangenen vertreten lassen (OLG Hamm 22.2.1980 – 1 Vollz [Ws] 6/80 gegen OLG Celle NStZ 1981, 250). Bei der Vertretung durch einen Mitgefangenen sind jedoch die Vorschriften des RDG zu beachten (s. § 108 Rdn. 3). 2. Antrag. Das Rechtsbeschwerdebegehren (Abs. 1 Satz 2) muss weiterhin einen An- 4 trag enthalten, aus dem sich ergibt, ob die gerichtliche Entscheidung ganz oder teilweise angefochten und inwieweit ihre Aufhebung betrieben wird. Eine Beschränkung der Rechtsbeschwerde ist zulässig (vgl. § 344 Abs. 1 StPO). Sind die Rechtsbeschwerdeanträge nicht ausdrücklich formuliert, ergeben sie sich jedoch ausreichend aus dem Zusammenhang der Beschwerdebegründung, kann dies genügen (OLG Hamm 24.2.1978 – 1 Vollz (Ws) 47/77). Im Zweifel gilt die Rechtsbeschwerde als im Umfang nicht beschränkt (Meyer-Goßner 2011 § 344 StPO Rdn. 3). Wird ausdrücklich nur die Verfahrensrüge erhoben, so liegt eine stillschweigende Sachrüge nicht vor (OLG München 15.3.1982 – 1 Ws 203, 211/82). Zur Formbedürftigkeit der Erklärung Rdn. 8. 3. Begründung. Die Rechtsbeschwerde ist zu begründen (Abs. 1 Satz 3). An die Be- 5 gründung der Rechtsbeschwerde (Abs. 2) sind besondere Anforderungen gestellt, je nachdem, ob es sich um die Rüge verfahrensrechtlicher Rechtsnormen handelt (Verfahrensrüge) oder ob die Entscheidung wegen der Verletzung einer anderen Rechtsnorm angefochten wird (Sachrüge). Soweit die Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren gerügt wird (Verfah- 6 rensrüge/formelle Rüge), sind nach Abs. 2 Satz 2, die den Mangel enthaltenen Tatsachen so vollständig und genau anzugeben, dass das Rechtsbeschwerdegericht prüfen kann, ob ein Verfahrensfehler vorliegt, wenn die behaupteten Tatsachen bewiesen werden (OLG Hamm ZfStrVo SH 1978, 52; OLG Frankfurt ZfStrVo SH 1979, 107; OLG Rostock NStZ 1997, 429 M; OLG Celle NStZ 2010, 398). Die Behauptung der Verletzung der Aufklärungspflicht gehört zur Verfahrensrüge (OLG Hamm BlStV 1/1990, 4). Sie ist daher nur dann ordnungsgemäß erhoben, wenn der Beschwerdeführer angibt, auf welchem Weg die Strafvollstreckungskammer die erstrebte Aufklärung hätte versuchen müssen (OLG München 15.3.1982 – 1 Ws 203, 211/82). Die Bezeichnung der verletzten Rechtsnorm ist nicht unbedingt erforderlich, ihre falsche Bezeichnung schadet nicht. Wird in der Rechtsbeschwerde gerügt, dass das berechtigte Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit einer Maßnahme zu Unrecht verneint und dem Feststellungsantrag nicht entsprochen worden sei, so wird damit die zugrundeliegende Entscheidung wegen der Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren angefochten. Soweit die Verletzung einer anderen Rechtsnorm gerügt wird (Sachrüge/materielle 7 Rüge), kann diese in allgemeiner Form erhoben werden, ohne dass die Angabe der den Mangel enthaltenen Tatsachen zwingend erforderlich ist (Abs. 2 Satz 1). Es genügt, wenn vorgebracht wird, das materielle Recht sei durch die angefochtene Entscheidung verletzt worden. Der Vortrag des Beschwerdeführers kann sich auf die Rüge bestimmter 979
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Rechtsverletzungen beschränken. In beiden Fällen wird vom Rechtsbeschwerdegericht, sofern die Rechtsbeschwerde zulässig ist, die gesamte Entscheidung unbeschränkt nachgeprüft (Meyer-Goßner 2011 § 344 StPO Rdn. 17 ff). 8
4. Form. Die Rechtsbeschwerde kann von dem Antragsteller (§ 111 Abs. 1 Nr. 1) nur in einer von einem Rechtsanwalt unterzeichneten Schrift oder zur Niederschrift der Geschäftsstelle des Gerichts eingelegt und begründet werden (Abs. 3). Der Sinn dieser Vorschrift ist es, sicherzustellen, dass das Vorbringen des Antragstellers in sachlich und rechtlich geordneter Weise in das Verfahren eingeführt wird und dass die Gerichte von unsachgemäßen und sinnlosen Anträgen entlastet bleiben (OLG Celle ZfStrVo SH 1978, 53; OLG Karlsruhe ZfStrVo SH 1978, 54; OLG Stuttgart ZfStrVo SH 1978, 55; OLG Hamm ZfStrVo SH 1979, 110). Zum Nachweis der anwaltlichen Urheberschaft einer Begründungsschrift s. BGH NJW 1986, 1760. Eine wirksame Vollmacht muss vorliegen (OLG Jena ZfStrVo 2004, 183). Eine Rechtsbeschwerdeschrift genügt dann nicht der Form von Abs. 3, wenn sie zwar die anwaltliche Unterschrift trägt, dieser jedoch nicht die volle Verantwortung für den Inhalt übernimmt und die Begründung des Rechtsanwaltes unter Bezugnahme auf privatschriftliche Äußerungen des Betroffenen verfertigt wurde (BGH NStZ 1984, 563; BVerwG NJW 1997, 1865; OLG Hamm NStZ 1992, 208; OLG Celle NStZ 1998, 400 M; Meyer-Goßner 2011 §345 StPO Rdn. 16). Der Rechtsanwalt muss eigenverantwortlich gestaltend an der Abfassung der Rechtsbeschwerdeschrift mitwirken (OLG Stuttgart Justiz 2002, 233). Hochschullehrer sind nicht nach § 120 Abs. 1 StVollzG i. V. m. §§ 138 Abs. 1, 345 Abs. 2 StPO zur Vertretung im vollzuglichen Rechtsbeschwerdeverfahren zugelassen (a. A. AK-Kamann/Spaniol 2012 Rdn. 4; Arloth 2011 Rdn. 5; C/MD 2008 Rdn. 7). Gemäß Abs. 3 sind alle anderen Personen, die nicht Rechtsanwalt sind, von der Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde ausgeschlossen, soweit diese nicht zur Niederschrift der Geschäftsstelle erfolgt. Anders als bei der Revisionseinlegung nach § 345 Abs. 2 StPO differenziert das StVollzG nicht zwischen Verteidiger und Rechtsanwalt. Das Formerfordernis von Abs. 3 gilt auch, wenn eine Behörde, die nicht Aufsichtsbehörde i. S. v. § 111 Abs. 2 ist, in vollzuglichen Gerichtsverfahren als Antragstellerin auftritt (z. B. eine sonstige Verwaltungsbehörde) und Rechtsbeschwerde einlegt. Ein Verwaltungsmitarbeiter erfüllt die Voraussetzung der von einem Rechtsanwalt unterzeichneten Schrift selbst dann nicht, wenn er Volljurist ist (OLG Celle NStZ 2007, 226). Eine Rechtsbeschwerde der Aufsichtsbehörde, die nicht unterschrieben ist, sondern nur maschinenschriftlich den Namen ihres Verfassers enthält, entspricht nicht der Form nach Abs. 3 (OLG Stuttgart NStZ 1997, 152). Bei Behörden genügt jedoch auch die maschinenschriftliche Wiedergabe des Namens des Verfassers, wenn dieser mit einem Beglaubigungsvermerk versehen ist. Nach Abs. 3 ist nicht nur die Einlegung formbedürftig, sondern auch die Erklärung, inwieweit die Entscheidung angefochten und ihre Aufhebung beantragt wird, ferner die Begründung der Rechtsbeschwerde (OLG Hamm ZfStrVo SH 1978, 52; OLG München 13.1.1978 – 1 Ws 1350/77). Abs. 3 lässt nur die in der Vorschrift genannten beiden alternativen Formen zu; von beiden Möglichkeiten kann jedoch im selben Verfahren Gebrauch gemacht werden (Meyer-Goßner 2011 § 345 StPO Rdn. 9). Hinsichtlich der Niederschrift bei der Geschäftsstelle braucht ein inhaftierter Antragsteller ausnahmsweise seine Rechtsmittelerklärung nicht bei dem Gericht einzubringen, dessen Entscheidung angefochten wird (Rdn. 2). Nach § 120 Abs. 1 i. V. m. § 299 StPO genügt zur Wahrung der Frist, wenn innerhalb der Monatsfrist das Protokoll (§ 299 Abs. 2 StPO) bei der Geschäftsstelle des Amtsgerichts aufgenommen wird, in dessen Bezirk die JVA liegt (§ 299 Abs. 1 StPO). Diese Möglichkeit bringt in Flächenstaaten einerseits den Justizvollzugsanstalten Erleichterungen, da unter Umständen lange und aufwendige Vorführungen zum zuständigen Landgericht (Strafvollstreckungskammer) bzw. die Notwendigkeit eines Laubenthal
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Aufsuchens des Inhaftierten durch den Urkundsbeamten eines entfernt liegenden Landgerichts entbehrlich werden. Andererseits soll diese Vorschrift nach Sinn und Zweck den inhaftierten Beschuldigten nur gegen Fristversäumung schützen. Die entsprechende Anwendung des § 299 StPO auf das Verfahren nach dem StVollzG bedeutet daher, dass nur der Strafgefangene Rechtsmittelerklärungen zu Protokoll der Geschäftsstelle des Amtsgerichts abgeben kann, dessen Anträge der eigenen Rechtsverfolgung gem. §§ 109 ff dienen. Bei Anträgen, die ein Vorgehen für oder gegen andere bezwecken, entfällt dieses Schutzbedürfnis. Zur Niederschrift der Geschäftsstelle bedeutet, dass ein Rechtspfleger (§ 24 Abs. 1 Nr. 1 a RPflG) als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle zur wirksamen Protokollierung der Rechtsbeschwerde zuständig ist (BayObLG NStZ 1993, 193). Dieser hat sich über den Kern des sachlichen Anliegens des Antragstellers Klarheit zu verschaffen und gibt dem Vorbringen eine möglichst zweckmäßige Form. Durch diesen formellen Zwang soll erreicht werden, dass der Rechtspfleger die ihm vorgetragenen Anträge nach Form und Inhalt eigenverantwortlich prüft und den Antragsteller belehrt. Berechtigten Anliegen hat er einen klaren und angemessenen Ausdruck zu geben. Ist das Vorbringen zur Begründung des erstrebten Verfahrensziels völlig ungeeignet, so muss der Rechtspfleger die Verantwortung für die Aufnahme in die Niederschrift ablehnen und so auf die Verhütung offenbar zweckloser Belästigungen des Gerichts hinwirken. Der Rechtspfleger wird der ihm vom Gesetz übertragenen Aufgabe nicht gerecht, wenn er als bloße Schreibkraft des Antragstellers oder nur als Briefannahmestelle tätig wird; er darf sich nicht damit begnügen, im Protokoll auf eine Privatschrift des Antragstellers Bezug zu nehmen oder einen von dem Gefangenen vorgelegten Schriftsatz lediglich mit den üblichen Eingangsund Schlussformeln eines Protokolls zu umkleiden und zu den Akten zu nehmen (OLG Celle NStZ-RR 2008, 127; OLG München StV 2009, 200; OLG Hamburg, Beschl. vom 7.9.2009 – 3 Vollz (Ws) 48/09; OLG Thüringen, Beschl. vom 15.6.2010 – 1 Ws 186/10). In einem derartigen Verhalten eines Rechtspflegers kann ein behördliches Verschulden gesehen werden, dessentwegen von Amts wegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist (OLG Koblenz NStZ 1998, 400 M). Dem Rechtspfleger kommt als rechtskundige Person eine wichtige Filterfunktion zu (OLG Celle ZfStrVo SH 1978, 53; OLG Hamm ZfStrVo SH 1978, 52; OLG Karlsruhe ZfStrVo SH 1978, 54; OLG Stuttgart ZfStrVo SH 1978, 55; OLG Hamm NStZ 1982, 220; OLG Karlsruhe NStZ 1995, 436 B; Arloth 2011 Rdn. 6; C/MD 2008 Rdn. 8; Meyer-Goßner 2011 Einl. Rdn. 133, § 345 StPO Rdn. 10). Die schlichte Übernahme einer vom Beschwerdeführer selbst gefertigten Beschwerdeschrift ohne eigenverantwortliche Mitwirkung des Urkundsbeamten genügt auch dann nicht den Anforderungen von Abs. 3 an eine wirksame Erhebung des Rechtsmittels zu Protokoll der Geschäftsstelle, wenn der Beschwerdeführer zwar Jurist ist, jedoch kein zugelassener Rechtsanwalt (OLG Celle NStZ-RR 2008, 127). Eine zulässige und übliche Sachrüge muss der Rechtspfleger ohne Vorbehalt in die Niederschrift aufnehmen; ein dennoch erkennbarer Vorbehalt ist unbeachtlich (OLG Koblenz 6.7.1978 – 2 Vollz [Ws] 18/78). Die Rechtsmitteleinlegung zu Protokoll der Geschäftsstelle ist auch dann wirksam, wenn die Unterschrift des Urkundsbeamten fehlt, aber feststeht, dass die Niederschrift vom zuständigen Urkundsbeamten herrührt und keinen bloßen Entwurf darstellt (OLG Celle ZfStrVo 1999, 56). Ein Strafgefangener hat kein Recht auf Bestimmung eines Protokollierungstermins, sondern nur einen Anspruch auf fristgerechte Protokollierung seiner Rechtsbeschwerde (OLG Koblenz NStZ 2002, 531). Beantragt er eine Vorführung zur Protokollierung der Rechtsbeschwerde, kann er angesichts des damit verbundenen organisatorischen Aufwands für Vollzugseinrichtung und Gericht nicht darauf vertrauen, dass ihm zu jeder Zeit und innerhalb kürzester Frist die Erklärung zur Niederschrift der Geschäftsstelle ermöglicht werden kann (OLG Thüringen, Beschl. vom 29.10.2007 – 1 Ws 356/07). Vielmehr muss der Antrag des Gefangenen so rechtzeitig erfolgen, dass die Pro981
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Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
tokollierung vor Ablauf der Rechtsmittelfrist im Zuge eines ordentlichen Geschäftsgangs möglich ist (OLG Hamm NStZ 2011, 227). Zum Rechtsschutz bei verweigerter oder nicht zeitgerechter Protokollierung s. Lübbe-Wolff/Frotz 2009, 620. Die Einlegung der Rechtsbeschwerde durch Telefax oder Fernschreiben ist zulässig 9 (BVerfG NJW 1987, 2067; BGH NJW 1986, 1759; BayObLG NJW 1981, 259; OLG Karlsruhe NStZ 1994, 200). Den Formerfordernissen von Abs. 3 genügt jedoch nicht eine fernmündliche Erklärung (BGH NJW 1981, 1627; OLG Koblenz 20.2.1980 – 2 Vollz [Ws] 4/80). Die Rücknahme der Rechtsbeschwerde ist an die gleiche Form wie die Einlegung gebunden. Sie kann nur schriftlich durch einen Rechtsanwalt oder zu Protokoll der Geschäftsstelle erfolgen (Abs. 3). Dementsprechend ist ein telefonisch erklärter Rechtsmittelverzicht unwirksam (OLG Hamm ZfStrVo 1986, 189). Ebenso genügt eine von dem Strafgefangenen selbst verfasste Schrift nicht (OLG Koblenz NStZ 2000, 468). 10
5. Wiedereinsetzung bei Fristversäumung. Bei Versäumung der Rechtsbeschwerdefrist ist die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zulässig. Allerdings bleibt in Rechtsbeschwerdeverfahren eine Anwendung des § 112 Abs. 2 bis Abs. 4 ausgeschlossen, da diese Vorschriften nur die Wiedereinsetzung bei Fristversäumung bei erstinstanzlichem Antrag auf gerichtliche Entscheidung regeln (§ 112 Rdn. 8 ff). In Rechtsbeschwerdeverfahren sind insoweit die Bestimmungen der StPO anzuwenden (§ 120 Abs. 1 StVollzG; §§ 44 ff StPO). Dies hat zur Folge, dass in Abweichung von der in § 112 Abs. 3 Satz 1 bestimmten Frist von zwei Wochen im Rechtsbeschwerdeverfahren nur eine Frist von einer Woche (§ 45 Abs. 1 StPO) gilt (OLG Frankfurt NStZ 1981, 408; AK-Kamann/ Spaniol 2012, § 118 Rdn. 19; C/MD 2008 Rdn. 5). Im Rechtsbeschwerdeverfahren gilt bei fehlender Rechtsmittelbelehrung die unwiderlegbare Annahme einer unverschuldeten Versäumung (§ 44 Satz 2 StPO). Voraussetzung für eine Wiedereinsetzung ist, dass der Antragsteller die Fristversäumung nicht verschuldet hat (§ 44 StPO; s. auch § 112 Rdn. 8). Geht die Versäumung der formgerechten Rechtsbeschwerdebegründung auf unrichtige Amtsführung des Urkundsbeamten zurück, kann der Antragsteller Wiedereinsetzung begehren (OLG Stuttgart ZfStrVo SH 1978, 55). Ebenso bei amtlichem Verschulden (§ 112 Rdn. 9). Ist der Wiedereinsetzungsgrund ein den Gerichten zuzuordnender Fehler, verlangt der Grundsatz des fairen Verfahrens eine ausdrückliche Belehrung des Betroffenen hierüber. Bei rechtzeitiger Nachholung der zuvor nicht wirksam eingelegten Rechtsbeschwerde ist die Wiedereinsetzung dann von Amts wegen zu gewähren (BVerfG NJW 2005, 3629 f). Der in Unfreiheit befindliche Antragsteller muss sich ein Verschulden des ihn im Rechtsbeschwerdeverfahren vertretenden Rechtsanwalts nicht wie eigenes Verschulden (a. A. OLG Hamm NStZ 2008, 684) zurechnen lassen (s. auch § 112 Rdn. 8).
§ 119 Entscheidung über die Rechtsbeschwerde § 119 Laubenthal Entscheidung über die Rechtsbeschwerde (1) Der Strafsenat entscheidet ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss. (2) Seiner Prüfung unterliegen nur die Beschwerdeanträge und, soweit die Rechtsbeschwerde auf Mängel des Verfahrens gestützt wird, nur die Tatsachen, die in der Begründung der Rechtsbeschwerde bezeichnet worden sind. (3) Der Beschluss, durch den die Beschwerde verworfen wird, bedarf keiner Begründung, wenn der Strafsenat die Beschwerde einstimmig für unzulässig oder für offensichtlich unbegründet erachtet. Laubenthal
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(4) Soweit die Rechtsbeschwerde für begründet erachtet wird, ist die angefochtene Entscheidung aufzuheben. Der Strafsenat kann an Stelle der Strafvollstreckungskammer entscheiden, wenn die Sache spruchreif ist. Sonst ist die Sache zur neuen Entscheidung an die Strafvollstreckungskammer zurückzuverweisen. (5) Die Entscheidung des Strafsenats ist endgültig. Schrifttum S. Vor § 108.
I. II.
Übersicht Allgemeine Hinweise ____ 1, 2 Erläuterungen ____ 3–9 1. Schriftliches Verfahren ____ 3
2. Nachprüfung des Rechtsbeschwerdegerichts und Verzicht auf Begründung ____ 4, 5 3. Gerichtliche Entscheidungen ____ 6–9
I. Allgemeine Hinweise Die Vorschrift enthält die wesentlichen Regelungen über die Entscheidung im Rechts- 1 beschwerdeverfahren. Die zulässige Rechtsbeschwerde (§ 116 Abs. 1) führt zur Überprüfung des Beschlusses einer Strafvollstreckungskammer und des Verfahrens in rechtlicher Hinsicht (§ 116 Rdn. 9). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Rechtslage ist der Zeitpunkt der Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts. Für die tatsächlichen Feststellungen kommt es auf die Sachlage im Zeitpunkt der Entscheidung der Strafvollstreckungskammer als Tatsacheninstanz an. Den Verfahrensbeteiligten ist es daher verwehrt, im Rechtsbeschwerdeverfahren neue Tatsachen (Nachschieben von Gründen, § 115 Rdn. 4) einzubringen (OLG Bremen ZfStrVo SH 1979, 118; OLG Nürnberg NStZ 1987, 361 F; Arloth 2011 Rdn. 3; C/MD 2008 Rdn. 2; Franke ZfStrVo 1978, 187, 188). Ebenso darf das Rechtsbeschwerdegericht keine neuen tatsächlichen Feststellungen treffen, da dies dem Wesen der Rechtsbeschwerde widerspricht, die nur zur rechtlichen und nicht zur tatsächlichen Überprüfung führt (OLG Celle LS ZfStrVo SH 1978, 114; OLG Stuttgart ZfStrVo SH 1979, 16; OLG Frankfurt LS ZfStrVo SH 1979, 116). Als Rechtsverletzung ist auch anzusehen, wenn die Entscheidung einer Strafvoll- 2 streckungskammer an Mängeln leidet, welche die Feststellung unmöglich machen, ob eine Rechtsverletzung vorliegt (OLG Celle ZfStrVo SH 1979, 114; OLG Hamm ZfStrVo SH 1979, 114; Meyer-Goßner 2011 § 337 StPO Rdn. 21 ff; § 116 Rdn. 6). Bei der Überprüfung der Beurteilung von Ermessensentscheidungen der Vollzugsbehörden durch das Rechtsbeschwerdegericht liegt eine Rechtsverletzung dann vor, wenn die Strafvollstreckungskammer den Inhalt und die Grenzen, die der Ermessensausübung der Behörde gesetzt sind, verkannt oder die Regeln über die gerichtliche Nachprüfung vollzugsbehördlichen Ermessens verletzt hat (§ 115 Abs. 5; § 115 Rdn. 19 ff). Die Beweiswürdigung (z. B. bei der Anordnung einer Disziplinarmaßnahme) kann nur daraufhin überprüft werden, ob die Strafvollstreckungskammer gegen anerkannte Verfahrenssätze oder Denkgesetze verstoßen hat (§ 116 Rdn. 9), nicht dagegen, ob die Beweiswürdigung überzeugend ist. Beachtlich ist jedoch die Verletzung der Aufklärungspflicht (§ 115 Rdn. 2). II. Erläuterungen 1. Schriftliches Verfahren. Der Strafsenat des OLG entscheidet ohne mündliche 3 Verhandlung (wie § 115 Abs. 1 Satz 1) im Beschlussverfahren (Abs. 1). Dem Anspruch der Verfahrensbeteiligten auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) – § 115 Rdn. 6 – ist durch 983
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die wechselseitige Mitteilung der Schriftsätze Rechnung zu tragen. Die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör durch die Strafvollstreckungskammer kann nicht dadurch geheilt werden, dass im Verfahren vor dem Rechtsbeschwerdegericht das rechtliche Gehör gewährt wird (OLG Bamberg ZfStrVo SH 1979, 111). Im Übrigen s. § 115 Rdn. 6; § 116 Rdn. 7. Da die vollzugliche Rechtsbeschwerde revisionsähnlich ausgestaltet ist, gilt im Fall der Verletzung des rechtlichen Gehörs durch das Beschwerdegericht bei der Entscheidung über eine Rechtsbeschwerde gem. § 120 Abs. 1 die Regelung von § 356 a StPO (OLG Frankfurt NStZ-RR 2009, 30). 2. Nachprüfung des Rechtsbeschwerdegerichts und Verzicht auf Begründung. Abs. 2 begrenzt die Nachprüfung des Rechtsbeschwerdegerichts. Bei der Sachrüge, die allgemein erhoben werden kann, wird die Anwendung des materiellen Rechts umfassend nachgeprüft, soweit der Beschluss der Strafvollstreckungskammer angefochten wird. Bei der formellen Rüge findet eine Überprüfung nur aufgrund der vorgebrachten Tatsachen statt; sie kann nur dann Erfolg haben, wenn diese Tatsachen nachgewiesen sind. Der Grundsatz in dubio pro reo gilt nicht (BGH bei Pfeiffer NStZ 1982, 190). Zur Verfahrens- und Sachrüge § 118 Rdn. 6 f Im Rechtsbeschwerdeverfahren ist ein Feststellungsantrag nach § 115 Abs. 3 nicht zulässig (§ 116 Rdn. 11). 5 Abs. 3 sieht zur Entlastung der Gerichte bei Verwerfung der Rechtsbeschwerde die Möglichkeit des Verzichts auf eine Begründung vor, wenn der Strafsenat einstimmig die Rechtsbeschwerde für unzulässig (§ 116 Abs. 1) oder für offensichtlich unbegründet erachtet (dazu BVerfG NStZ-RR 2002, 95).
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3. Gerichtliche Entscheidungen. Erweist sich die Rechtsbeschwerde als begründet, so stehen dem Strafsenat zwei Entscheidungsmöglichkeiten offen (Abs. 4). Der Strafsenat kann die angefochtene Entscheidung aufheben und in der Sache selbst entscheiden, wenn die Sache spruchreif ist (Abs. 4 Satz 1 und Satz 2). Spruchreife ist gegeben, wenn eine Sachentscheidung ohne weitere (tatsächliche) Aufklärung möglich ist (OLG Karlsruhe ZfStrVo 1985, 245; OLG München NStZ 1994, 560; Arloth 2011 Rdn. 5; C/MD 2008 Rdn. 5). Dies wird in erster Linie der Fall sein, wenn die Aufhebung der Entscheidung der Strafvollstreckungskammer nur wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung auf den festgestellten Sachverhalt erfolgt. Steht die Maßnahme im Ermessen der Justizvollzugsanstalt oder hat diese hinsichtlich der näheren Bestimmung ihres Inhalts einen Beurteilungsspielraum, so ist Spruchreife nur dann gegeben, wenn aufgrund der näheren Umstände des Falles nur eine einzige, bestimmte Entscheidung möglich wäre (Null-Reduktion; § 115 Rdn. 18; a. A. OLG München NStZ 1994, 560, wonach auch in den Fällen Spruchreife gegeben sein soll, in denen der Senat die Verpflichtung aussprechen kann, den Antragsteller unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats zu bescheiden). Der Strafsenat kann bei fehlender Spruchreife die angefochtene Entscheidung auf7 heben und die Sache zur neuen Entscheidung an die Strafvollstreckungskammer zurückverweisen, die zuvor entschieden hat (Abs. 4 Satz 1 und Satz 3). Fehlen der Spruchreife ist immer dann anzunehmen, wenn durch weitere Ermittlungen und durch die Entscheidung von Fragen, die die Vollzugsbehörde bisher in eigener Verantwortung noch nicht geprüft hat, in die Kompetenz der Behörde eingegriffen würde. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Strafvollstreckungskammer bei erforderlicher Aufklärung und Berücksichtigung aller verwertbaren Ermessenserwägungen zu einer anderen Entscheidung gekommen wäre (OLG München ZfStrVo 1984, 171). Eine Aufhebung und Zurückverweisung aus dem alleinigen Grund, dass die Strafvollstreckungskammer unrichtig besetzt war, ist nicht erforderlich (OLG Hamburg ZfStrVo 1979, 125). Die Zurückverweisung an eine andere Vollstreckungskam-
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mer wurde vom Gesetzgeber nicht vorgesehen, da sie dem Prinzip der örtlichen Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammern widersprechen würde, wonach einer Justizvollzugsanstalt nur ein Gericht zugeordnet sein soll (BT-Drucks. 7/918, 86). Eine Zurückverweisung an die Vollzugsbehörde durch den Strafsenat bleibt aufgrund des eindeutigen Gesetzeswortlautes ausgeschlossen (Arloth 2011 Rdn. 6). § 115 Abs. 4 Satz 2 gilt nicht für das Rechtsbeschwerdeverfahren. Diese Regelung betrifft wie § 115 insgesamt nur das Verfahren vor der Strafvollstreckungskammer (unzutreffend daher AK-Kamann/Spaniol 2012, § 119 Rdn. 7, wonach bei fehlender Spruchreife eine Zurückweisung durch das OLG faktisch an die Vollzugsbehörde möglich sein soll, wenn auf der Grundlage nunmehr festgestellter Tatsachen der Vollzugsbehörde ein Beurteilungs- oder Ermessensspielraum verbleibt). Durch die Zurückverweisung gem. Abs. 4 Satz 3 wird das Verfahren bei der Strafvoll- 8 streckungskammer im Umfang der Aufhebung und Zurückverweisung wieder anhängig. Neue Anträge und das Vorbringen neuer Tatsachen sind grundsätzlich zulässig, da sich die zurückverwiesene Sache in derselben prozessualen Lage befindet wie vor der ersten angefochtenen Entscheidung. Die Strafvollstreckungskammer ist jedoch an die der Aufhebung zugrunde liegende rechtliche Beurteilung des Falles durch das Rechtsbeschwerdegericht gebunden (OLG Stuttgart MDR 1985, 434; OLG Nürnberg StV 2000, 573, 574; Arloth 2011 Rdn. 6; C/MD 2008 Rdn. 5). Diese Bindung kann entfallen bei einer Änderung der Rechtslage oder bei wesentlicher Veränderung des zu beurteilenden Sachverhalts. Nach Abs. 5 ist die Entscheidung des Strafsenats endgültig, d. h. unanfechtbar. Die 9 Möglichkeit, eine Verfassungsbeschwerde zu erheben, wird hiervon nicht betroffen. Ebensowenig die Verpflichtung zur Vorlage beim BGH (§ 121 Abs. 2 GVG).
§ 120 Entsprechende Anwendung anderer Vorschriften § 120 Laubenthal Entsprechende Anwendung anderer Vorschriften (1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, sind die Vorschriften der Strafprozessordnung entsprechend anzuwenden. (2) Auf die Bewilligung der Prozesskostenhilfe sind die Vorschriften der Zivilprozessordnung entsprechend anzuwenden. Schrifttum S. Vor § 108.
I. II.
Übersicht Allgemeine Hinweise ____ 1 Erläuterungen ____ 2–6
1. Anwendung der StPO ____ 2, 3 2. Prozesskostenhilfe ____ 4–6
I. Allgemeine Hinweise Das StVollzG kennt kein eigenständiges und in sich geschlossenes Verfahrensrecht. 1 Soweit die Vorschriften des Vierzehnten Titels keine Regelungen enthalten, sind die Vorschriften der StPO entsprechend anzuwenden, obwohl es sich im Grunde bei den im gerichtlichen Verfahren des StVollzG zu überprüfenden Maßnahmen vorwiegend um Verwaltungshandeln von Vollzugsbehörden handelt. Neben der allgemeinen Verweisung auf Vorschriften der StPO gelten nach § 116 Abs. 4 im Rechtsbeschwerdeverfahren die Vorschriften der StPO über die Beschwerde und nach § 121 Abs. 4 die Kostenvorschriften §§ 464 bis 473 StPO entsprechend. Für die Prozesskostenhilfe wird in Abs. 2 auf die ent985
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sprechenden Bestimmungen der ZPO verwiesen (dies gilt aber nicht in Jugendstrafvollzugssachen, wo § 92 Abs. 1 Satz 2 JGG keine Verweisung auf § 120 Abs. 2 enthält; s. § 109 Rdn. 3). Neben einer unmittelbaren Verweisung in § 114 Abs. 2 Satz 2 auf § 123 Abs. 1 VwGO kommen auch andere Grundsätze aus dem Verwaltungsverfahrens- sowie dem Verwaltungsprozessrecht, wie z. B. zum Verwaltungsakt, Ermessens- und Beurteilungsspielraum, zur Anwendung, soweit weder das StVollzG noch die StPO einschlägige Regelungen zur Problemlösung enthalten und demgegenüber VwVfG und VwGO sachgerechte Regelungen anbieten. Das gerichtliche Verfahren gem. §§ 109 ff ist daher weitgehend durch Richterrecht geprägt, um effektiven und widerspruchsfreien Rechtsschutz zu gewährleisten und Unsicherheiten auszuräumen (Arloth 2011 Rdn. 1; C/MD 2008 Rdn. 1; Müller-Dietz 1985, 341). Zur Kritik und zu Reformerfordernissen Kösling 1991, 271ff; Laubenthal 2011 Rdn. 760, 844; Voigtel 1998, 73 ff, 317 ff. II. Erläuterungen 1. Anwendung der StPO. Nach Abs. 1 sind die Vorschriften der StPO, soweit sich aus dem StVollzG nichts anderes ergibt, entsprechend anzuwenden. Diese Bestimmung gilt für das gesamte förmliche justizielle Recht; also für das Verfahren vor der Strafvollstreckungskammer ebenso wie für das Rechtsbeschwerdeverfahren vor dem Strafsenat des OLG. Bei der Anwendung von Vorschriften der StPO ist jedoch jeweils zu prüfen, ob eine uneingeschränkte Übernahme mit dem Sinn und Inhalt des Strafvollzugsrechts in Einklang steht (C/MD 2008 Rdn. 1). Im gerichtlichen Verfahren nach dem StVollzG gilt der Untersuchungsgrundsatz 3 gem. § 244 StPO (OLG Frankfurt ZfStrVo SH 1979, 113; § 115 Rdn. 2 ff). Bei der Aufrechnung mit einem zivilrechtlichen Anspruch gegen das Eigengeld eines Gefangenen ist zwar der Rechtsweg nach § 109 zulässig; dem Gericht ist jedoch verwehrt über die zivilrechtliche Forderung mit zu entscheiden; sie muss vielmehr das Verfahren insoweit nach Abs. 1 in Verbindung mit § 262 Abs. 2 StPO aussetzen (KG NStZ-RR 2003 317, 318). Die Rechte eines Verteidigers/Prozessbevollmächtigten ergeben sich aus §§ 147, 148 StPO (OLG Hamm ZfStrVo 1980, 57). Die Antragstellung durch einen Bevollmächtigten ist gestattet. Denn die StPO kennt keine Vorschrift, die für die Abgabe von Willenserklärungen die Vertretung im Willen und in der Erklärung ausschließt (OLG Nürnberg NStZ 1997, 360; § 115 Rdn. 8). Ein Anspruch auf Anwesenheit des Verteidigers nach § 137 StPO bei der persönlichen Anhörung eines Gefangenen nach § 108 Abs. 1 StVollzG besteht, soweit der Verteidigungsauftrag sich auf das Dauerrechtsverhältnis des Freiheitsentzugs bezieht (§ 108 Rdn. 4; a. A. OLG Nürnberg ZfStrVo SH 1979, 93). Zur Frage der Akteneinsicht § 185 Rdn. 7 ff. Allerdings bleibt die Bestellung eines Pflichtverteidigers (§ 140 StPO) im Verfahren gemäß §§ 109 ff StVollzG durch die positive gesetzliche Regelung in Abs. 2 i. V. m. § 114 ZPO ausgeschlossen (OLG Nürnberg NStZ 1981, 250; § 115 Rdn. 8). Für die schriftliche Abfassung der Entscheidung der Strafvollstreckungskammer siehe § 115 Rdn. 13. Bei der Ausschließung von Richtern finden die §§ 22 ff StPO entsprechend Anwendung (OLG Hamm ZfStrVo SH 1979, 43; OLG Celle ZfStrVo 1999, 55). Die Ablehnung von Richtern ist im Beschlussverfahren jedoch nur bis zum Erlass der Entscheidung zulässig (OLG Koblenz NStZ 1982, 217; § 115 Rdn. 9). Ein blinder Richter kann grundsätzlich als Einzelrichter einer Strafvollstreckungskammer in Strafvollzugssachen entscheiden; die in der Rechtsprechung für die Hauptverhandlung in Strafsachen entwickelten Grundsätze sind insoweit auf das Verfahren nach §§ 109 ff nicht übertragbar (OLG Hamburg ZfStrVo 2001, 122). In Vollzugssachen gelten die §§ 33, 33 a StPO (OLG Frankfurt ZfStrVo SH 1979, 82; OLG Bamberg ZfStrVo SH 1979, 111; OLG Celle NStZ 1992, 431 B) sowie § 356 a StPO (OLG Frankfurt NStZ-RR 2009, 30) entsprechend; ebenso bei der Zustellung die 2
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§§ 35, 37 StPO. Zur Wiedereinsetzung bei Versäumung von Fristen s. § 112 Rdn. 8 ff und § 118 Rdn. 10. Die Verbindung von Verfahren erfolgt nach § 4 Abs. 1 StPO (KG NStZ 1998, 400 M; § 109 Rdn. 27). Ein Wiederaufnahmeverfahren ist im gerichtlichen Verfahren nach dem Strafvollzugsgesetz nicht statthaft (OLG Hamburg ZfStrVo 2001, 368). Aus der grundsätzlichen Beschränkung des gerichtlichen Verfahrens auf einen Rechtszug ergibt sich, dass Nebenentscheidungen keiner weitergehenden Nachprüfung unterliegen können als die Sachentscheidung selbst (OLG Koblenz ZfStrVo SH 1979, 121; § 116 Rdn. 10). Im Übrigen s. auch § 110 Rdn. 8; § 116 Rdn. 14. 2. Prozesskostenhilfe. Für die Gewährung von Prozesskostenhilfe finden gem. 4 Abs. 2 die Vorschriften der ZPO (§§ 114 ff ZPO) Anwendung (dazu Büttner/Wrobel-Sachs/ Gottschalk/Dürbeck 2012, 33 ff). Nach der ständigen Rechtsprechung des BVerfG ergibt sich aus Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip das Gebot einer weitgehenden Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes. Das Prozesskostenhilfeverfahren will aber den grundrechtlich gewährleisteten Rechtsschutz nicht selbst bieten, sondern zugänglich machen. Deshalb dürfen die Fachgerichte die Anforderungen an die Erfolgsaussicht nicht überspannen und auf diese Weise den Zweck der Prozesskostenhilfe vereiteln (BVerfGE 81, 347; ZfStrVo 2001, 187; NStZ 2010, 442). Denn die Benachteiligung der unbemittelten Partei, der erst durch Bewilligung der Prozesskostenhilfe abgeholfen werden kann, liegt gerade darin, dass sie ohne rechtskundigen Beistand auskommen muss und ihr deshalb formale Fehler unterlaufen können (BVerfG StV 1996, 445). Für das Prozesskostenhilfeverfahren selbst kann keine Prozesskostenhilfe gewährt werden (BGH NJW 1984, 2106; OLG Hamm NJW 1983, 2335). Die Prozesskostenhilfe wird dann bewilligt, wenn der Antragsteller nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann (allgemeine Voraussetzungen) und die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichend Aussicht auf Erfolg bietet (sachliche Voraussetzungen). Die beabsichtigte Rechtsverfolgung darf nicht mutwillig erscheinen. Erfolgsaussicht bedeutet nicht Erfolgsgewissheit, sondern Erfolgswahrscheinlichkeit, welche in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht nur summarisch zu prüfen ist. Dabei darf kein Auslegungsmaßstab verwendet werden, der einem unbemittelten Antragsteller seine beabsichtigte Rechtsverfolgung unverhältnismäßig erschwert (BVerfG ZfStrVo 2001, 187). Hängt die Entscheidung in der Hauptsache von der Beantwortung einer schwierigen, bislang ungeklärten Rechtsfrage ab, hat das Rechtsschutzbegehren in der Regel hinreichende Aussicht auf Erfolg (BVerfG NStZ 2010, 442). Denn die Prüfung der Erfolgsaussicht dient nicht dazu, die Rechtsverfolgung bzw. -verteidigung selbst in das Prozesskostenhilfeverfahren vorzuverlagern und es an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen (s. Lübbe-Wolff/Frotz 2009, 621). Der Antrag auf Bewilligung der Prozesskostenhilfe ist beim Prozessgericht zu stellen. Er kann zu Protokoll der Geschäftsstelle erklärt werden (§ 117 Abs. 1 ZPO). Es genügt für den Antrag auf Prozesskostenhilfe, dass der Antragsteller eine Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vorlegt, aufgrund derer er seine Hilfsbedürftigkeit geltend macht. Der Antragsteller muss seiner Erklärung entsprechende Belege beifügen und zwar in deutscher Sprache (§ 117 Abs. 2 ZPO). Ermittlungen des Gerichts hierzu sind unter Beachtung des Datenschutzes möglich (Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann 2012 § 117 Rdn. 26). Die allgemeinen Voraussetzungen werden bei einem Strafgefangenen in der Regel gegeben sein (OLG Frankfurt NStZ 1984, 356 F; Böhm 2003 Rdn. 382). Zur Mittellosigkeit von Strafgefangenen (AK-Kamann/Spaniol 2012, § 120 Rdn. 11; Arloth 2011 Rdn. 6; C/MD 2008 § 120 Rdn. 3). Das Bewilligungsverfahren richtet sich nach § 118 ZPO. Ein arbeitsunwilliger Strafgefangener ist nicht hilfebedürftig i. S. v. 987
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§ 114 ZPO, weil er seine gegenwärtige Leistungsunfähigkeit böswillig herbeigeführt hat (OLG Nürnberg NStZ 1997, 359). Die Bewilligung der Prozesskostenhilfe ist nur anfechtbar gem. § 127 Abs. 2 Satz 1 5 i. V. m. Abs. 3 ZPO. Hinsichtlich des Beschlusses, durch den die Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt wird, ist nach dem Grund für die Verneinung der Prozesskostenhilfe zu differenzieren. Gemäß § 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO findet die sofortige Beschwerde statt, wenn der Streitwert der Hauptsache den in § 511 ZPO für die Statthaftigkeit der Berufung genannten Betrag (§ 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO: der Wert des Beschwerdegegenstandes von mehr als 600 EUR) übersteigt. Wurde die Gewährung von Prozesskostenhilfe jedoch mangels hinreichender Aussicht des Hauptsacheantrags auf Erfolg abgelehnt, bleibt der allgemeine Rechtssatz zu beachten, wonach der Beschwerderechtszug nicht länger als der Rechtszug in der Hauptsache sein darf. Es darf also insoweit im Prozesskostenhilfeverfahren kein Rechtsmittel zu einer Instanz (dem Oberlandesgericht) eröffnet werden, welche in der Hauptsache (dem Rechtsbeschwerdeverfahren gem. §§ 116 ff) nicht als Tatsacheninstanz fungiert. Wurde die Bewilligung von Prozesskostenhilfe aber ausschließlich wegen Verneinung der erforderlichen persönlichen oder wirtschaftlichen Verhältnisse abgelehnt, bleibt eine sofortige Beschwerde gegen die Entscheidung – selbst bei einem den Betrag von 600 EUR nicht übersteigenden Streitwert – nach § 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO statthaft (s. OLG Hamburg FS 2010, 52 f). Dem Antragsteller steht es frei, seinen Antrag auf gerichtliche Entscheidung oder die 6 Rechtsbeschwerde gleichzeitig zusammen mit dem Antrag auf Bewilligung einer Prozesskostenhilfe oder später einzureichen. Bei getrennter Antragstellung ist jedoch auf die Einhaltung der Fristen (§ 112 Abs. 1 Satz 1, § 118 Abs. 1 Satz 1) besonders zu achten. Der Antrag auf Prozesskostenhilfe hemmt den Fristablauf nicht. Ein Antragsteller hat jedoch unter Umständen Anspruch auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Rechtsbeschwerdefrist, wenn er den Antrag auf Bewilligung der Prozesskostenhilfe bis zum Ablauf der Rechtsmittelfrist eingereicht hat (BVerfG ZfStrVo 2001, 187; BGHZ 16, 1). Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe muss und kann für jede Instanz gesondert beantragt werden (§ 119 ZPO). Nach § 119 Abs. 1 Satz 2 ZPO sind in der höheren Instanz (d. h. im Rechtsbeschwerdeverfahren gem. §§ 116 ff vor dem Oberlandesgericht) die Erfolgsaussichten nicht zu prüfen, wenn der Gegner (die Vollzugsbehörde) das Rechtsmittel eingelegt hat. Unter den Voraussetzungen von § 121 Abs. 2 ZPO kann im strafvollzugsrechtlichen Gerichtsverfahren, in dem kein Anwaltszwang besteht, auf Antrag hin ein Rechtsanwalt beigeordnet werden. Eine Beiordnung als Pflichtverteidiger nach § 140 Abs. 2 StPO scheidet – außer in Jugendstrafvollzugssachen (s. § 109 Rdn. 3) – jedoch aus (s. § 115 Rdn. 8).
§ 121 Kosten des Verfahrens § 121 Laubenthal Kosten des Verfahrens (1) In der das Verfahren abschließenden Entscheidung ist zu bestimmen, von wem die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen zu tragen sind. (2) Soweit der Antragsteller unterliegt oder seinen Antrag zurücknimmt, trägt er die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen. Hat sich die Maßnahme vor einer Entscheidung nach Absatz 1 in anderer Weise als durch Zurücknahme des Antrags erledigt, so entscheidet das Gericht über die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen nach billigem Ermessen. (3) Absatz 2 Satz 2 gilt nicht im Falle des § 115 Abs. 3. (4) Im Übrigen gelten die §§ 464 bis 473 der Strafprozessordnung entsprechend. Laubenthal
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Kosten des Verfahrens
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(5) Für die Kosten des Verfahrens nach den §§ 109 ff kann auch ein den dreifachen Tagessatz der Eckvergütung nach § 43 Abs. 2 übersteigender Teil des Hausgeldes (§ 47) in Anspruch genommen werden.
I. II. III.
Übersicht Allgemeine Hinweise ____ 1–3 Erläuterungen ____ 4–9 Landesgesetze und Musterentwurf ____ 10–15 1. Baden-Württemberg ____ 10
2. 3. 4. 5. 6.
Bayern ____ 11 Hamburg ____ 12 Hessen ____ 13 Niedersachsen ____ 14 Musterentwurf ____ 15
I. Allgemeine Hinweise Die Vorschrift behandelt die Kosten des gerichtlichen Verfahrens und lehnt sich 1 grundsätzlich an die Kostenvorschriften der StPO an (Abs. 4). Wegen der unterschiedlichen Art des Verfahrens und der Entscheidung im Strafprozess (§ 120 Rdn. 1 ff) waren jedoch ergänzende Vorschriften für die Zurücknahme eines Antrages (Abs. 2 Satz 2) und für die Kostenentscheidung bei einem Feststellungsantrag (§ 115 Abs. 3) notwendig (Abs. 3). Zu den Kosten des Verfahrens gehören die Gebühren und Auslagen der Staatskasse (§ 464 a Abs. 1 StPO). Was zu den notwendigen Auslagen eines Beteiligten gehört, ergibt sich aus § 464 a Abs. 2 StPO. Die Vorschrift gilt gem. § 92 Abs. 5 JGG für Jugendstrafvollzugssachen (s. § 109 Rdn. 3) entsprechend mit der Maßgabe, dass von einer Kostenauferlegung nach § 74 JGG abgesehen werden kann. Bestimmungen über die Höhe der Kosten und die Wertfestsetzung ergeben sich aus 2 §§ 60, 52 GKG (s. Rdn. 8). Der durch das 2. Haushaltsstrukturgesetz eingeführte Abs. 5 wurde durch das Fünfte 3 Gesetz zur Änderung des Strafvollzugsgesetzes vom 27. Dezember 2000 im Hinblick auf die monetäre Anhebung des Arbeitsentgeltes (§ 200) geändert (BGBl. I, 2043). II. Erläuterungen Abs. 1 entspricht dem Grundsatz in § 464 Abs. 1 und Abs. 2 StPO, wonach in jeder 4 ein gerichtliches Verfahren abschließenden Entscheidung eine Bestimmung über die Verteilung der Kosten und notwendigen Auslagen zu treffen ist. Eine Erstattung notwendiger Auslagen aus der Staatskasse kommt jedoch nur bei entsprechender Auslagenentscheidung in Betracht. Die einem Strafgefangenen entstandenen notwendigen Auslagen können daher nur dann zur Erstattung aus der Staatskasse festgesetzt werden, wenn das Gericht in seinem Beschluss ausdrücklich die dahingehende Entscheidung getroffen hat. Der unvollständige oder unrichtige Kostenausspruch kann mit der sofortigen Beschwerde angefochten werden (Rdn. 7). Das Gericht hat den Betroffenen auch über die ihm zustehende Beschwerdemöglichkeit zu belehren; ist diese unterblieben, kommt eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (Abs. 4 i. V. m. §§ 464 Abs. 3 Satz 1, 311 Abs. 2 Satz 1, 44 Satz 2 StPO) in Betracht. Unterliegt der Antragsteller im gerichtlichen Verfahren oder nimmt er seinen Antrag 5 auf gerichtliche Entscheidung zurück, hat er die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen zu tragen (Abs. 2 Satz 1). Dies ist zwingend normiert; einen Ermessensspielraum räumt das Gesetz dem Gericht nicht ein (OLG Köln, Beschl. vom 26.10.2010 – 2 Ws 682/10). Die Staatskasse ist verpflichtet, dem Antragsteller die notwendigen Auslagen (§ 464 a Abs. 2 StPO), insbesondere die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts, zu erstatten, sofern der Antragsteller in vollem Umfang obsiegt hat. Eine Kostenquote989
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§ 121
Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
lung und Auslagenaufteilung zwischen Staatskasse und Antragsteller ist entsprechend §§ 465 Abs. 2, 473 Abs. 4 StPO aus Billigkeitsgründen zulässig. Hat sich die Vollzugsmaßnahme vor einer verfahrensabschließenden gerichtlichen Entscheidung in anderer Weise als durch die Zurücknahme des Antrags erledigt (§ 115 Rdn. 17), so hat das Gericht über die Kosten des gesamten Verfahrens und die darin erwachsenen notwendigen Auslagen nach billigem Ermessen zu entscheiden (Abs. 2 Satz 2). Hierbei kann maßgebend sein, wie das Verfahren unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes ohne das erledigende Ereignis vermutlich ausgegangen wäre (OLG München NStZ 1986, 96; LG Hamburg NStZ 1992, 303; AK-Kamann/Spaniol 2012 Rdn. 7; Arloth 2011 Rdn. 3; C/MD 2008 Rdn. 2). Abs. 2 Satz 2 gilt auch für das Rechtsbeschwerdeverfahren (OLG Hamm ZfStrVo 2002, 243). Nach OLG Koblenz (ZfStrVo SH 1979, 107) kann bei prozessual überholtem Rechtsmittel eine Kostenentscheidung unterbleiben. Demgegenüber sind jedoch die Kosten des Verfahrens und die einem Strafgefangenen daraus erwachsenen notwendigen Auslagen in der Regel der Staatskasse aufzuerlegen, wenn die Rechtsbeschwerde ohne das erledigende Ereignis zu dem erstrebten Erfolg geführt hätte (KG StV 1982, 79 m. Anm. Volckart; OLG Hamm ZfStrVo 2002, 243). Nach Abs. 3 findet die Regelung von Abs. 2 Satz 2 keine Anwendung bei Entschei6 dungen nach § 115 Abs. 3, da bei der Umstellung eines Anfechtungs- oder Verpflichtungsantrags auf einen Feststellungsantrag sich die Kostenentscheidung nach dem Ausgang der Entscheidung über den neuen Antrag richtet (Abs. 2 Satz 1). Hat sich jedoch der Feststellungsantrag (§ 115 Abs. 3) wegen Wegfalls des Feststellungsinteresses erledigt, ist über die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen wiederum gemäß Abs. 2 Satz 2 nach billigem Ermessen zu entscheiden. Nach Abs. 4 finden die Vorschriften der §§ 464 bis 473 StPO entsprechende An7 wendung. Das gerichtliche Verfahren nach dem StVollzG kennt daher auch die von der Hauptsache getrennte Anfechtung der Kostenentscheidung mit der sofortigen Beschwerde entsprechend § 464 Abs. 3 StPO (KG NStZ-RR 2002, 62). Eine selbständige Anfechtung der Kostenentscheidung ist nach § 464 Abs. 3 Satz 1 StPO zulässig, sofern eine Rechtsbeschwerde statthaft gewesen wäre und der Wert des Beschwerdegegenstandes 200 Euro übersteigt, (§ 304 Abs. 3 StPO). Hat sich der Antrag auf gerichtliche Entscheidung erledigt, ohne dass der Antragsteller in das Feststellungsverfahren nach § 115 Abs. 3 übergeht, unterliegt die Kostenentscheidung nach Abs. 2 Satz 2 prinzipiell keiner Anfechtung, weil in der Hauptsache kein Rechtsmittel zulässig bleibt (OLG Jena NStZ-RR 1996, 254; OLG Düsseldorf NStZ-RR 2000, 31; OLG Schleswig NStZ-RR 2007, 326; OLG Bamberg, Beschl. vom 12.7.2010 – 1 Ws 351/10; s. Arloth 2011 Rdn. 5; a. A. AK-Kamann/Spaniol 2012 Rdn. 8). Hat die Strafvollstreckungskammer ausdrücklich die Erledigung der Hauptsache festgestellt, stellt dies keine sachlich-rechtliche, sondern eine prozessuale Entscheidung dar. Legt der Betroffene gegen diese Rechtsbeschwerde gem. § 116 ein, weil das Landgericht zu Unrecht die Erledigung festgestellt hat – und damit inzident auch über die Hauptsache entschieden wurde – ist ausnahmsweise gegen eine solche Prozessentscheidung die Rechtsbeschwerde zulässig (OLG Schleswig NStZ-RR 2007, 326; s. auch Arloth 2011 Rdn. 3). Ist eine Auslagenentscheidung nicht getroffen worden, darf sie von der Strafvollstreckungskammer weder nachgeholt noch ergänzt werden (Meyer-Goßner 2011 § 464 StPO Rdn. 12). Dieser Mangel ist allein durch die sofortige Beschwerde (§ 464 Abs. 3 Satz 1 StPO) korrigierbar (ggf. in Verbindung mit einem Wiedereinsetzungsantrag). Wollte man für diesen Fall der unterlassenen Kosten- oder Auslagenentscheidung eine isolierte Kostenbeschwerde nicht zulassen, wenn eine Rechtsbeschwerde in der Hauptsache nicht mehr statthaft ist (fehlende Beschwer, dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung wurde entsprochen), würde dies im Ergebnis dazu führen, dass eine Erstattung der Auslagen durch die Staatskasse, insbesondere der Anwaltskosten, nicht in Betracht käme. Laubenthal
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Kosten des Verfahrens
§ 121
Der Betroffene könnte nur noch versuchen, seine Auslagen als Schaden in einem Regressprozess zu erhalten. Die Kostenentscheidung unterliegt daher ausnahmsweise der sofortigen Beschwerde (s. auch Arloth 2011 Rdn. 5; C/MD 2008 Rdn. 2), wenn der Beschwerdewert die Grenze von 200 Euro übersteigt (§ 304 Abs. 3 Satz 1 StPO). Die Unanfechtbarkeit der Hauptsachenentscheidung beruht für den Betroffenen allein darauf, dass er durch die zu seinen Gunsten ergangene Entscheidung der 1. Instanz nicht mehr beschwert ist und nicht darauf, dass mit der Hauptsacheentscheidung der Instanzenzug beendet sein soll (Meyer-Goßner 2011 § 464 StPO Rdn. 12). Die Höhe der zu tragenden Kosten sowie die Festsetzung des Streitwerts ergeben 8 sich aus dem GKG. Gemäß § 60 GKG gelten im gerichtlichen Verfahren nach dem StVollzG für die von Amts wegen festzusetzende Höhe des Streitwerts (§ 65 GKG) die Bestimmungen von § 52 Abs. 1 bis 3 GKG entsprechend. Danach ist der Wert nach der Bedeutung der Sache zu bestimmen, die diese für den Antragsteller hat (§ 52 Abs. 1 GKG). Maßgeblich ist hierfür, was der Antragsteller mit seinem Rechtsbehelf erreichen will und was er zur Begründung seines Rechtsschutzziels vorträgt (Meyer 2012 § 60 GKG Rdn. 5). Geht es ihm um eine bezifferte Geldleistung oder eine hierauf gerichtete Entscheidung der Vollzugsverwaltung, ist gem. § 52 Abs. 3 GKG deren Höhe maßgeblich. Nur wenn der Sach- und Streitstand keine genügenden Anhaltspunkte für eine Bewertung der Bedeutung der Sache bietet, wird ein Auffangwert von 5.000 EUR angenommen (§ 52 Abs. 2 GKG). Der Betrag bleibt jedoch nur ein subsidiärer Ausnahmewert, kein Auffangwert. In Strafvollzugssachen ist der Streitwert vielmehr regelmäßig eher niedrig festzusetzen, weil – angesichts der geringen finanziellen Leistungsfähigkeit der meisten Strafgefangenen – aus rechtsstaatlichen Gründen die Streitwertbemessung nicht zu einem unzumutbaren Kostenrisiko bei Anrufung des Gerichts führen darf (OLG Nürnberg ZfStrVo 1986, 61; KG, Beschl. v. 30.3.2007 – 2 Ws 151/07; OLG Celle FS 2010, 111). Gegen die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer über die Streitwertfestsetzung ist gem. § 68 Abs. 1 GKG die Beschwerde statthaft (nicht § 120 Abs. 1 StVollzG i. V. m. § 304 StPO), wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes (die Differenz der Gebühren nach dem festgesetzten und dem begehrten Streitwert) 200 EUR übersteigt oder das Gericht die Beschwerde wegen der grundsätzlichen Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Frage im Streitwertbeschluss zulässt. Keiner gesonderten Streitwertbeschwerde bedarf es bei Einlegung der Rechtsbeschwerde gem. § 116 StVollzG gegen die Hauptsache, weil der Strafsenat des OLG die in der ersten Instanz erfolgte Streitwertfestsetzung nach § 63 Abs. 3 Satz 1 GKG auch von Amts wegen ändern kann, wenn das Verfahren wegen der Hauptsache – oder wegen der Entscheidung über den Kostenansatz – in der Rechtsmittelinstanz schwebt (Meyer 2012 § 65 GKG Rdn. 2). Statthaft ist auch eine isolierte Streitwertbeschwerde unabhängig von den Überprüfungsmöglichkeiten hinsichtlich der Sachentscheidung selbst (OLG Hamm ZfStrVo 1990, 252; KG, Beschl. v. 30.3.2007 – 2 Ws 151/07; a. A. Arloth 2011 Rdn. 1). Die Festsetzung der Höhe der Kosten erfolgt im Kostenansatzverfahren gem. §§ 19 ff GKG durch den Kostenbeamten des mit der Sache jeweils befassten Gerichts. Gegen dessen Entscheidung ist gem. § 66 Abs. 1 GKG der Rechtsbehelf der Erinnerung gegeben, über welchen dasjenige Gericht entscheidet, bei dem die Kosten angesetzt wurden. Gegen Erinnerungsentscheidungen der Strafvollstreckungskammer eröffnet § 66 Abs. 2 GKG das Rechtsmittel der Beschwerde, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200 EUR übersteigt bzw. das entscheidende Gericht wegen einer Frage von grundsätzlicher Bedeutung die Beschwerde zulässt. Die Entscheidung des Strafsenats des Oberlandesgerichts bleibt unanfechtbar (§ 66 Abs. 3 GKG). Abs. 5 wurde zunächst durch Art. 22 des 2. Gesetzes zur Verbesserung der Haus- 9 haltsstruktur (2. Haushaltsstrukturgesetz), BGBl. 1981 I, 1523, 1535 eingefügt. Damit soll für Gefangene, wie es auch den Verhältnissen in der Freiheit entspricht, ein höheres Kos991
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Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
tenrisiko geschaffen werden, um dadurch zu einer Verringerung „unsinniger“, „mutwilliger“ und „missbräuchlicher“ Anträge nach §§ 109 ff zu kommen. Vor Einführung von Abs. 5 ging die Kostentragungspflicht häufig ins Leere, weil der Gefangene in der Regel nicht über Eigengeld in der nach den Pfändungsgrenzen festgesetzten Höhe verfügt. Seit der Neufassung durch das Fünfte Gesetz zur Änderung des Strafvollzugsgesetzes kann der den dreifachen Tagessatz der Eckvergütung nach § 43 Abs. 2 übersteigende Teil des Hausgeldes (§ 47 Rdn. 2) für Gerichtskosten in Anspruch genommen werden. Zwar benennt Abs. 5 explizit § 47 StVollzG. Über Abs. 5 kann dennoch auf Hausgeld nach den landesrechtlichen Bestimmungen zurückgegriffen werden (OLG München FS 2010, 53). Wenn erfolglos Verfahren nach §§ 109 ff betrieben werden, besteht kein Grund, nicht auch den durch die Erhöhung des Arbeitsentgeltes erzielten Mehrbetrag zur Bestreitung der Verfahrenskosten heranzuziehen. Nach dem Willen des Bundesgesetzgebers soll jedoch einem Strafgefangenen mit Ausnahme der in Abs. 5 und § 93 Abs. 2 vorgesehenen Sonderregelung das Hausgeld ohne Zugriffsmöglichkeit Dritter zur Verfügung stehen (OLG Hamm ZfStrVo 2003, 184). Gegen Abs. 5 bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken (OLG Frankfurt ZfStrVo 1987, 126; Arloth 2011 Rdn. 6). Eine analoge Anwendung von Abs. 5 durch Aufrechnung von Verfahrenskosten gegen den Taschengeldanspruch verstößt gegen Art. 2 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG (BVerfG NStZ 1996, 615; s. auch Anm. Rotthaus NStZ 1997, 206; Konzak NVwZ 1997, 872; a. A. OLG Koblenz NStZ 1986, 144). Für die Kosten eines Verwaltungsvorverfahrens nach § 109 Abs. 3, auf das kein Hauptsacheverfahren folgt, kann Hausgeld nicht in Anspruch genommen werden (OLG Hamburg NStZ 1993, 256). Wird das Hausgeld für gerichtliche Verfahrenskosten herangezogen, ist hiergegen der Rechtsweg gem. §§ 109 ff gegeben (Arloth 2011 Rdn. 6). Werden Kostenforderungen gegen das sonstige Eigengeld aufgerechnet, kann der Betroffene dagegen vor den Zivilgerichten vorgehen (AK-Kamann/Spaniol 2012 Rdn. 17). III. Landesrechtliche Regelungen und Musterentwurf 10
1. Baden-Württemberg. Gemäß § 93 JVollzGB III bleiben §§ 109 bis 121 StVollzG – auch in Verbindung mit § 130 StVollzG – unberührt. Dem Land Baden-Württemberg steht allerdings (wie den anderen Bundesländern auch) hinsichtlich von § 121 StVollzG keinerlei Gesetzgebungskompetenz zu.
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2. Bayern. Da nach Art. 208 BayStVollzG die Vorschriften des StVollzG über das gerichtliche Verfahren (§§ 109 bis 121 und 130) uneingeschränkt unverändert fortgelten, bleibt auch die gesamte Bestimmung des § 121 vom Regelungsumfang des BayStVollzG ausgenommen.
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3. Hamburg. § 130 Nr. 2 HmbStVollzG bestimmt, dass die bundesrechtlichen Vorschriften über das gerichtliche Verfahren (§§ 109 bis 121 StVollzG) fortgelten. Eine Ausnahme wird auch nicht für die Regelung des § 121 StVollzG gemacht.
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4. Hessen. Nach § 83 Nr. 3 HStVollzG gelten auch im Land Hessen die Vorschriften der §§ 109 bis 121 StVollzG uneingeschränkt fort.
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5. Niedersachsen. § 102 NJVollzG normiert, dass gegen eine vollzugliche Entscheidung oder sonstige Maßnahme Rechtsschutz nach Maßgabe der §§ 109 bis 121 Abs. 4 beantragt werden kann. Damit geht der Landesgesetzgeber davon aus, dass § 121 Abs. 5 zur Gesetzgebungskompetenz des Landes gehört. § 51 Abs. 1 NJVollzG bestimmt, dass zur Durchsetzung eines Anspruchs des Landes auch aus § 121 die Vollzugsbehörde gegen Laubenthal
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Sozialtherapeutische Anstalten und Abteilungen
§ 123
den Anspruch auf Auszahlung des Hausgeldes aufrechnen kann, soweit dieser den dreifachen Tagessatz der Eckvergütung nach § 40 Abs. 2 Satz 2 NJVollzG übersteigt. Diese Einbeziehung von § 121 in die landesrechtliche Norm besitzt keinen eigenen Regelungsgehalt, weil § 121 Abs. 5 auch in Niedersachsen fortgilt (s. auch Arloth 2011, Erl. zu § 51 NJVollzG). 6. Musterentwurf. § 90 Abs. 5 ME-StVollzG bestimmt: „Der gerichtliche Rechts- 15 schutz bleibt unberührt.“ Das stellt klar, dass der Rechtsschutz nach §§ 109 bis 121 StVollzG der bundesrechtlichen Kompetenz vorbehalten ist.
FÜNFZEHNTER TITEL Strafvollstreckung und Untersuchungshaft § 122 (weggefallen)
SECHZEHNTER TITEL Sozialtherapeutische Anstalten § 123 Sozialtherapeutische Anstalten und Abteilungen § 123 Egg Sozialtherapeutische Anstalten und Abteilungen (1) Für den Vollzug nach § 9 sind von den übrigen Vollzugsanstalten getrennte sozialtherapeutische Anstalten vorzusehen. (2) Aus besonderen Gründen können auch sozialtherapeutische Abteilungen in anderen Vollzugsanstalten eingerichtet werden. Für diese Abteilungen gelten die Vorschriften über die sozialtherapeutische Anstalt entsprechend. Schrifttum S. bei § 9.
I. Bestandsgarantie Abs. 1 verpflichtet die Landesjustizverwaltungen, sozialtherapeutische Anstalten 1 einzurichten, sagt aber nichts darüber, welche Gefangenen dort mit welchen Methoden zu behandeln sind (vgl. § 9 Rdn. 1; C/MD 2008 Rdn. 3), wie die Anstalten – insbesondere personell – ausgestattet werden sollen und wie viel Behandlungsplätze im Verhältnis zur Gefangenenzahl des Landes vorzuhalten sind (§ 9 Rdn. 4). Gleichwohl steht es den Ländern nicht frei, Anstalten beliebig als sozialtherapeutische Einrichtungen zu etikettieren. In den vergangenen mehr als 40 Jahren hat die Praxis ein hinreichend deutliches Bild der sozialtherapeutischen Anstalt entwickelt. Diese Tradition ist zu beachten (§ 9 Rdn. 5). Zur Größe der sozialtherapeutischen Anstalt s. § 143 Rdn. 5. II. Sozialtherapeutische Abteilungen Anstelle sozialtherapeutischer Anstalten können „aus besonderen Gründen“ sozial- 2 therapeutische Abteilungen eingerichtet werden (Abs. 2 Satz 1). Besondere Anstalten sind 993
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Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
jedoch vorzuziehen, weil das vollzugliche Klima der Gesamtanstalt auf die sozialtherapeutische Abteilung ausstrahlt und die Entwicklung der therapeutischen Gemeinschaft behindert. Unschädlich ist es freilich, wenn die sonst selbständige sozialtherapeutische Anstalt mit einer benachbarten Vollzugsanstalt gemeinsame Versorgungseinrichtungen benutzt. Doch müssen die Leitung und das Behandlungsteam einschließlich der Beamten des allgemeinen Vollzugsdienstes klar von dem Personal der anderen Anstaltsbereiche geschieden sein. Im Bereich der Arbeitsbetriebe wird von Fall zu Fall zu entscheiden sein. Die üblichen „Knast“-Beschäftigungen sind ein Fremdkörper in der sozialtherapeutischen Behandlung. Doch könnte eine Berufsausbildung und ein Belastungstraining in einem Werkbetrieb, der vergleichbare Anforderungen wie draußen stellt, vertretbar sein. Vgl. zum Ganzen auch die organisatorischen und strukturellen Mindestanforderungen an sozialtherapeutische Abteilungen des „Arbeitskreises Sozialtherapeutische Anstalten im Justizvollzug“ (§ 9 Rdn. 5). Die Landesjustizverwaltung weicht jedoch meistens auf das Modell der sozialtherapeutischen Abteilung aus, da die Belegungsfähigkeit der sozialtherapeutischen Anstalt gem. § 143 Abs. 3 maximal 200 Haftplätze betragen darf. Die aufwendige Neuerrichtung einer Anstalt mit nur 200 Haftplätzen ist angesichts der angespannten Haushaltslage und der Priorität des Ausbaus der eigentlichen sozialtherapeutischen Behandlungskapazitäten schwer finanzierbar (Arloth 2011 Rdn. 2). III. Landesgesetze und Musterentwurf 3
1. Baden-Württemberg. § 94 JVollzGB III entspricht § 123 StVollzG. Dabei werden jedoch, wie auch in anderen Landestrafvollzugsgesetzen, Anstalten und Abteilungen formal gleichgestellt („Anstalten oder Abteilungen“), während das StVollzG sozialtherapeutische Abteilungen noch als Ausnahme („aus besonderen Gründen“) ansah. Dies entspricht zwar der gängigen Praxis in den meisten Bundesländern (Niemz 2011, 42f), ist aber aus kriminologischer Sicht wegen der bei unselbständigen Abteilungen ungleich schwierigeren Umsetzbarkeit einer „integrativen Sozialtherapie“ (Baulitz et al. 1980) dennoch als Rückschritt zu betrachten (Egg 1984, vgl. AK-Rehn 2012 § 123 Rdn. 5).
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2. Bayern. Art. 117 BayStVollzG ist neu gefasst und lautet: „Die Behandlung nach Art. 11 erfolgt in sozialtherapeutischen Anstalten oder Abteilungen (sozialtherapeutische Einrichtungen)“. Damit werden wie auch in anderen Landestrafvollzugsgesetzen Abteilungen den selbständigen Anstalten gleichgestellt. Begrüßenswert ist, dass in der Begründung des Artikels die „Beachtung therapeutischer Mindestanforderungen“ als entscheidendes Kriterium bei der Einrichtung einer sozialtherapeutischen Anstalt oder Abteilung genannt wird.
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3. Hamburg. Eine § 123 entsprechende Regelung findet sich in § 99 Abs. 2 HmbStVollzG. Danach sind für den Vollzug nach § 10 (Sozialtherapie) „eigenständige Anstalten oder getrennte Abteilungen“ vorzusehen. Damit werden auch in Hamburg (wie in anderen Landesstrafvollzugsgesetzen) Anstalten und Abteilungen gleichgestellt. Bemerkenswert ist, dass das HmbStVollzG ursprünglich lediglich unselbstständige Abteilungen vorgesehen hatte (§ 100 Abs. 2 a. F. HmbStVollzG). Die Neufassung korrigiert also diese Einschränkung.
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Urlaub zur Vorbereitung der Entlassung
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4. Hessen. § 70 HStVollzG entspricht weitgehend § 123 StVollzG. Die in anderen 6 Ländern erfolgte Gleichstellung von sozialtherapeutischen Anstalten und Abteilungen wurde hier also nicht übernommen. Dies ist jedoch vor dem Hintergrund zu sehen, dass es im hessischen Strafvollzug (für erwachsene männliche Strafgefangene) seit 1980 ohnedies nur eine einzige selbständige sozialtherapeutische Anstalt mit insgesamt 140 Haftplätzen gibt; lediglich im Jugendstrafvollzug wurde 2010 zusätzlich eine sozialtherapeutische Abteilung (18 Plätze) in der JVA Rockenberg eingerichtet. 5. Niedersachsen. § 103 NJVollzG ist neu gefasst; Satz 1 lautet: „Für die sozialthera- 7 peutische Behandlung im Vollzug sind sozialtherapeutische Anstalten oder sozialtherapeutische Abteilungen in anderen Vollzugsanstalten einzurichten.“ Wie in Baden-Württemberg, Bayern und Hamburg werden Abteilungen damit den selbständigen Anstalten gleichgestellt (vgl. oben). Satz 2 ist nahezu wortgleich mit § 9 Abs. 2 Satz 2 StVollzG. 6. Musterentwurf. Die Einrichtung von Anstalten und Abteilungen wird in § 93 ME- 8 StVollzG geregelt. Diese sollen nach Abs. 1 Satz 1 „den unterschiedlichen vollzuglichen Anforderungen Rechnung tragen“. Nach Satz 2 sind dabei „insbesondere sozialtherapeutische Abteilungen vorzusehen“. Damit wird, ähnlich wie in anderen Landesstrafvollzugsgesetzen (mit Ausnahme Hessen), der Tatsache Rechnung getragen, dass Sozialtherapie im Justizvollzug ohnedies weit überwiegend in unselbständigen Abteilungen praktiziert wird (Niemz 2011, S. 42f). Das in § 123 StVollzG festgelegte Regel- und Ausnahmeverhältnis wird dadurch aber gewissermaßen umgekehrt (vgl. oben). Abs. 2 ist neu gefasst und lautet: „Es ist eine bedarfsgerechte Anzahl und Ausstattung von Plätzen für therapeutische Maßnahmen, schulische und berufliche Qualifizierung, Arbeitstraining und Arbeitstherapie sowie zur Ausübung von Arbeit vorzusehen. Entsprechendes gilt für Besuche, Freizeit, Sport und Seelsorge.“ Damit werden erstmals verschiedene Bereiche der Gestaltung von Therapie, Arbeit, Ausbildung, Alltag, Außenkontakte etc. angesprochen, für die Räumlichkeiten vorzusehen sind. Allerdings bedarf diese bloße Auflistung von zu berücksichtigenden Aspekten einer Konkretisierung im Einzelfall, etwa durch spezifische Verwaltungsvorschriften, damit der Bezug auf eine „bedarfsgerechte“ Ausstattung nicht beliebig ausgedehnt werden kann.
§ 124 Urlaub zur Vorbereitung der Entlassung § 124 Egg Urlaub zur Vorbereitung der Entlassung (1) Der Anstaltsleiter kann dem Gefangenen zur Vorbereitung der Entlassung Sonderurlaub bis zu sechs Monaten gewähren. § 11 Abs. 2 und § 13 Abs. 5 gelten entsprechend. (2) Dem Beurlaubten sollen für den Urlaub Weisungen erteilt werden. Er kann insbesondere angewiesen werden, sich einer von der Anstalt bestimmten Betreuungsperson zu unterstellen und jeweils für kurze Zeit in die Anstalt zurückzukehren. (3) § 14 Abs. 2 gilt entsprechend. Der Urlaub wird widerrufen, wenn dies für die Behandlung des Gefangenen notwendig ist. Schrifttum S. bei § 9.
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Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
I. Allgemeine Hinweise 1
1. Die Vorschrift entspricht inhaltlich fast ganz der früheren Fassung des § 126 vom 16.3.1976, gültig ab 1.1.1977 bis 31.12.1984. Die Verweisung von Abs. 1 Satz 2 dient der Klarstellung. Sonderurlaub eigener Art: Zwischen dem durch Freigang, Ausgang (§ 11) und Urlaub (§§ 13, 15 Abs. 3, 4) gelockerten (Übergangs-)Vollzug und der Entlassung bietet das Gesetz für die Insassen einer sozialtherapeutischen Anstalt als weitere Zwischenstufe die Möglichkeit einer besonderen Art des Urlaubs zur Vorbereitung der Entlassung. Während im Übergangsvollzug Bedingungen nach Art einer „Nachtklinik“ geschaffen werden können, ermöglicht diese Vorschrift dem Insassen, das in der Sozialtherapie Gelernte in fast völliger Freiheit für bis zu sechs Monate zu erproben. Die Vorschrift trägt der Erfahrung Rechnung, dass die Insassen der Sozialtherapie in sehr vielen Fällen nach ihrer Entlassung wieder in Schwierigkeiten oder Krisen kommen, in denen sozialtherapeutische Hilfe angebracht ist. Im Falle der Beurlaubung nach dieser Vorschrift besteht noch ein Band zur Anstalt, das die Vermittlung der notwendigen Hilfen ermöglicht. Zur Gewährung von Sonderurlaub vgl. auch § 13 Rdn. 2; § 15 Rdn. 6 ff; § 35 Rdn. 2 ff; § 134 Rdn. 1. In der Praxis der sozialtherapeutischen Einrichtungen spielte diese Vorschrift freilich stets eine äußerst geringe Rolle, deren Umfang – ähnlich wie bei anderen selbstständigen Lockerungen – in den letzten Jahren sogar weiter rückläufig ist. Während die jährliche Stichtagserhebung der KrimZ 1997 noch bei 7,9% der Sozialtherapie-Klientel eine Zulassung zu einem Urlaub zur Entlassungsvorbereitung registrierte, ging diese Zahl stufenweise auf Werte unter 3% zurück (Niemz 2011, 26).
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2. Verhältnis des Sonderurlaubs zur Strafrestaussetzung nach § 57 StGB. Die Vorschrift ermächtigt den Leiter der sozialtherapeutischen Anstalt, die Zeit des Strafvollzuges spürbar zu verkürzen, weil auch dieser Urlaub auf die Strafzeit angerechnet wird (§ 13 Abs. 5 – hierzu krit. Böhm 1985, 1816). Der Anstaltsleiter wirkt auf diese Weise in weit stärkerem Maße, als das sonst bei Urlaubsgewährung vorgesehen ist, in den Bereich der richterlichen Gewalt hinein. Eine Abstimmung mit der Strafvollstreckungskammer sehen weder das Gesetz noch die VV zu § 14 Nr. 1 vor, sie ist aber wenigstens dann geboten, wenn gegen Ende des Urlaubs die Strafrestaussetzung nach § 57 StGB empfohlen werden soll. In diesen Fällen sollte sich die Anstalt durch Anhörung der Strafvollstreckungskammer vergewissern, ob dort die Bereitschaft besteht, im Falle des erfolgreichen Verlaufs des Urlaubs die Entlassung zur Bewährung anzuordnen. Dies gilt umso mehr, als die Strafvollstreckungskammern gem. § 454 Abs. 2 StPO verpflichtet sind, vor der Strafrestaussetzung ein Gutachten über die Gefährlichkeit des Gefangenen einzuholen. Andernfalls könnte der für die Behandlung des Insassen äußerst belastende Fall eintreten, dass dieser trotz Bewährung in dem sechsmonatigen Urlaub wieder in die Anstalt zurückkehren müsste. Verwaltungsvorschriften verpflichten deshalb die Anstalt in manchen Bundesländern, eine Stellungnahme der Strafvollstreckungskammer herbeizuführen. Eine solche Anhörung der Strafvollstreckungskammer ist nicht unproblematisch, da das Gericht von der Verwaltungsbehörde nicht zur Abgabe einer Stellungnahme verpflichtet werden kann (so für das Gnadenverfahren: Knauth DRiZ1981, 302 ff; vgl. auch OLG Frankfurt NStZ 1982, 260; § 115 Rdn. 23). Nimmt die Strafvollstreckungskammer aber Stellung, stellt sich die Frage, ob das zu dem späteren Zeitpunkt der Entscheidung über die Strafrestaussetzung zur Bewährung nach § 57 StGB möglicherweise anders besetzte Gericht an die Stellungnahme gebunden ist. Sie war früher zu verneinen. Inzwischen hat das BVerfG (NJW 1992, 2952) zur Frage der Aussetzung einer lebenslangen Freiheitsstrafe nach § 57 a StGB entschieden, dass die Festlegung des möglicherweise weit in der ZuEgg
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Urlaub zur Vorbereitung der Entlassung
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kunft liegenden Entlassungstermins durch die Strafvollstreckungskammer ein später mit der Sache befasstes Vollstreckungsgericht – soweit sich der Sachverhalt nicht geändert hat – bindet. Diese Rechtsgedanken müssen für den Fall des Sonderurlaubs für Gefangene in sozialtherapeutischen Anstalten wenigstens dann entsprechend gelten, wenn die Strafvollstreckungskammer die Stellungnahme als förmlichen Beschluss abgegeben hat. Diese Rechtslage erleichtert es den Anstalten, die sinnvolle Einrichtung des Sonderurlaubs im Interesse einer möglichst erfolgreichen Behandlung zu nutzen. – Falls eine Verwaltungsvorschrift außerdem für Urlaub dieser Art die Zustimmung der Aufsichtsbehörde fordert, ergeben sich ähnliche Probleme wie nach Nr. 3 Abs. 1 Buchst. a und d, Abs. 2 VV zu § 13 (Rdn. 18, 30 zu § 13). Der Sache nach ist eine Information der Aufsichtsbehörde über Urlaubsentscheidungen dieser Art sinnvoll, ihr gewissermaßen das letzte Wort zu überlassen, erscheint hingegen wenig zweckmäßig. Der Anstaltsleiter, der den Insassen der durchweg kleinen sozialtherapeutischen Einrichtungen persönlich kennt, kann am besten die Verantwortung für die Entscheidung tragen (vgl. auch Rdn. 4 zu § 130 sowie Rdn. 9 zu § 156). II. Erläuterungen 1. Weisungen. Während § 14 Abs. 1 den Anstaltsleiter lediglich ermächtigt, dem In- 3 sassen für den Urlaub Weisungen zu erteilen, verpflichtet hier das Gesetz die Anstalt mit einer Sollvorschrift, dem Insassen solche Verhaltensanordnungen mit auf den Weg zu geben. Die unterschiedliche Regelung hat ihren Sinn darin, dass die Bindungen des Insassen während der Zeit dieses Urlaubs im Unterschied zur Entlassung noch eng und intensiv erhalten bleiben sollen. Die therapeutische Arbeit soll in lockerer, gleichwohl aber intensiver Form fortgeführt werden. Sind Weisungen nicht sinnvoll, kommt eine Beurlaubung nach dieser Vorschrift regelmäßig nicht in Betracht. Die Anstalt sollte stattdessen die Entlassung nach § 57 StGB oder auf Grund eines Gnadenerweises empfehlen (C/MD 2008 Rdn. 5). Beispiele für Weisungen nennt das Gesetz. Es versteht sich, dass derartige Beschränkungen dem Insassen nicht auferlegt, sondern mit ihm vereinbart werden müssen. So kann die Fortsetzung regelmäßiger psychotherapeutischer Sitzungen oder beratender Gespräche durch derartige Weisungen sichergestellt werden. Natürlich enthalten solche Weisungen auch stets ein Element der Kontrolle. Dabei hat es sich bewährt, in diesen Fällen Behandlung und Kontrolle zu trennen. So kann die Einhaltung der Gesprächstermine, wenn die Behandlung in der Anstalt fortgesetzt wird, an der Pforte vermerkt werden, während der Verlauf und der Inhalt der Gespräche nicht aktenmäßig festgehalten werden. 2. Widerruf der Beurlaubung. Der Anstaltsleiter kann diesen Urlaub unter densel- 4 ben Voraussetzungen wie Urlaub anderer Art widerrufen. Wenn es „für die Behandlung des Gefangenen notwendig ist“, muss der Sonderurlaub widerrufen werden. Dabei ist die Generalklausel von Satz 2 so weit gefasst, dass sie sich mit den wichtigsten Widerrufsgründen nach § 14 Abs. 2 Nr. 2 und 3 – Urlaubsmissbrauch und Verstoß gegen Weisungen – überschneidet. Insbesondere muss die Anstalt den Urlaub dann widerrufen, wenn die Gefahr erkennbar wird, dass der Beurlaubte erneut Straftaten begeht. Durch die Erteilung dieses Urlaubs hat die Anstalt ein hohes Maß von Verantwortung übernommen, das sie im Krisenfall auch zum Handeln verpflichtet. Ein Vorteil des Urlaubs gegenüber der Entlassung ist gerade, dass die Anstalt schnell handeln kann, indem sie den Urlaub widerruft und für die Rückkehr des Beurlaubten in die Anstalt sorgt. Notfalls, wenn der Beurlaubte 997
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§ 124
Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
uneinsichtig oder flüchtig ist, muss sie die Festnahme (§ 87) veranlassen. – Selbst dann, wenn der Beurlaubte versagt und der Urlaub widerrufen werden muss, ist die Urlaubszeit verbüßte Strafzeit (§ 13 Abs. 5). III. Landesgesetze und Musterentwurf 5
1. Baden-Württemberg. Eine § 124 StVollzG entsprechende Regelung findet sich in § 89 Abs. 4 JVollzGB III. Dabei wird anstelle des Begriffes „Urlaub“ die Formulierung „Freistellung aus der Haft“ verwendet. Satz 2 entspricht inhaltlich weitgehend § 124 Abs. 2 StVollzG, allerdings ist die Möglichkeit der Erteilung von Weisungen hier lediglich eine Kann-Vorschrift („können angewiesen werden“), keine Soll-Vorschrift („sollen erteilt werden“). Satz 3 entspricht inhaltlich § 124 Abs. 3 StVollzG.
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2. Bayern. Art. 118 BayStVollzG ist bis auf geschlechtsspezifische Differenzierungen wortgleich mit § 124 StVollzG. Nach Art 15 BayStVollzG ist bei Gewalt- und Sexualstraftätern die Gewährung von Urlaub besonders gründlich zu prüfen.
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3. Hamburg. Eine § 124 StVollzG entsprechende Regelung findet sich in § 15 HmbStVollzG. Dabei entspricht Abs. 2 Satz 2 inhaltlich § 124 Abs. 1 StVollzG; Weisungen sind in Abs. 5 geregelt, der damit inhaltlich § 124 Abs. 2 StVollzG entspricht. Das HmbStVollzG verwendet jedoch anstelle des Begriffs „Urlaub“ die Bezeichnung „Freistellung von der Haft“.
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3. Hessen. § 16 Abs. 3 HStVollzG regelt die „Freistellung aus der Haft zur Entlassungsvorbereitung“; diese kann für Insassen sozialtherapeutischer Einrichtungen nach Satz 1 „bis zu sechs Monate gewährt werden“ und entspricht damit § 124 Abs. 1 StVollzG. Allerdings wird auf diese Zeit die bereits nach der allgemeineren Vorschrift von § 13 Abs. 3 Nummer 4 gewährte Freistellung („bis zu 21 Kalendertage in einem Vollstreckungsjahr“) angerechnet. Satz 2 regelt die Erteilung geeigneter Weisungen und verweist dabei auf die allgemeinen Bestimmungen von § 14 Abs. 1. Er ist insoweit differenzierter als § 124 Abs. 2 StVollzG. Neu ist die in Satz 3 formulierte Bezugnahme auf elektronische Überwachungssysteme: „Die Gewährung kann davon abhängig gemacht werden, dass die Überwachung erteilter Weisungen mit Einwilligung der Gefangenen durch den Einsatz elektronischer Überwachungssysteme („elektronische Fußfessel“) unterstützt wird.“ Damit wird eine gesetzliche Grundlage für die Anwendung dieser in der Vergangenheit bislang nur in Modellversuchen erprobten Kontrollmöglichkeit geschaffen (siehe Volp 2010 in: Forum Strafvollzug 59, 335 f). Auch Satz 4 ist neu; er bestimmt: „Während der Entlassungsfreistellung werden die Gefangenen durch die Anstalt betreut.“ Dies ist einerseits wenig überraschend, zumal nach § 13 Abs. 7 HStVollzG (analog § 13 Abs. 5 StVollzG) durch vollzugsöffnende Maßnahmen die Vollstreckung der Freiheitsstrafe nicht unterbrochen wird, andererseits werden Spezifika dieser Betreuung im Gesetz nicht näher ausgeführt.
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4. Niedersachsen. § 105 NJVollzG entspricht § 124 StVollzG. Der wesentliche Unterschied besteht darin, dass der Urlaub zur Vorbereitung der Entlassung nicht vom Anstaltsleiter, sondern von der Vollzugsbehörde „nach Anhörung der Vollstreckungsbehörde“ gewährt werden kann. Der Entwurf des Gesetzes enthielt sogar den Vorbehalt der Egg
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Aufnahme auf freiwilliger Grundlage
§ 125
Zustimmung der Vollstreckungsbehörde. Darauf wurde nach der Verbandsbeteiligung bei den Beratungen verzichtet. In der Gesetzesbegründung heißt es dazu weiter: „Da es sich bei den Gefangenen in den sozialtherapeutischen Einrichtungen um Personen handelt, die wegen sehr schwer wiegender Straftaten verurteilt worden sind, erscheint es aber nach wie vor angezeigt, die Vollstreckungsbehörde in die Entscheidung über einen langfristigen Sonderurlaub vor der Entlassung einzubeziehen“ (LT-Drucks. 15/3565, 156). 5. Musterentwurf. Eine § 124 StVollzG entsprechende Spezialvorschrift für „Urlaub 10 zur Vorbereitung der Entlassung“ von Insassen sozialtherapeutischer Einrichtungen findet sich im Musterentwurf nicht. Stattdessen wird dort in § 42 Abs. 4 ME-StVollzG allgemein bestimmt, dass „in einem Zeitraum von sechs Monaten vor der voraussichtlichen Entlassung den Gefangenen die zur Vorbereitung der Eingliederung erforderlichen Lockerungen zu gewähren (sind), sofern nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass die Gefangenen sich dem Vollzug der Freiheitsstrafe entziehen oder die Lockerungen zu Straftaten missbrauchen werden“.
§ 125 Aufnahme auf freiwilliger Grundlage § 125 Egg Aufnahme auf freiwilliger Grundlage (1) Ein früherer Gefangener kann auf seinen Antrag vorübergehend wieder in die sozialtherapeutische Anstalt aufgenommen werden, wenn das Ziel seiner Behandlung gefährdet und ein Aufenthalt in der Anstalt aus diesem Grunde gerechtfertigt ist. Die Aufnahme ist jederzeit widerruflich. (2) Gegen den Aufgenommenen dürfen Maßnahmen des Vollzuges nicht mit unmittelbarem Zwang durchgesetzt werden. (3) Auf seinen Antrag ist der Aufgenommene unverzüglich zu entlassen. VV 1 (1) Der Aufgenommene wird in einem besonderen Raum untergebracht. In Ausnahmefällen kann er mit seinem Einverständnis in der Gruppe untergebracht werden, der er früher angehört hat. (2) Die Dauer des Aufenthaltes richtet sich nach den Behandlungsbedürfnissen. 2 Im Falle der Aufnahme auf freiwilliger Grundlage gilt § 50 StVollzG entsprechend. 3 Der auf freiwilliger Grundlage Untergebrachte erhält die in der sozialtherapeutischen Anstalt mögliche ärztliche Behandlung. Schrifttum S. bei § 9.
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§ 125
Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
I. Erläuterungen 1
Die Vorschrift stimmt inhaltlich mit der früheren Fassung vom 16.3.1976, gültig ab 1.1.1977 bis 31.12.1984, überein. Nach der VV ist von freiwillig Aufgenommenen die Erhebung eines Haftkostenbeitrags gem. § 50 vorgesehen. Gegen Ende der Behandlung wird der Vollzug in einer sozialtherapeutischen Anstalt in den meisten Fällen durch Freigang, Ausgang (§ 11) und Urlaub (§§ 13, 15 Abs. 3, 4) so gelockert, dass der Freiheitsentzug gegenüber der Hilfe zurücktritt. Es ist deshalb konsequent, einen Entlassenen auf freiwilliger Grundlage wieder aufzunehmen, „wenn das Ziel seiner Behandlung erneut gefährdet ist“. Diese Möglichkeit der Wiederaufnahme ist ein Hilfsangebot, das zugleich der Vorbeugung von neuen Straftaten dient (RE, BTDrucks. 7/918, 143; vgl. auch § 5 Rdn. 1). In der Praxis hat diese Vorschrift allerdings so gut wie keine Bedeutung erlangt; die Zahl der pro Jahr freiwillig Aufgenommenen lag seit 1998 fast durchwegs im einstelligen Bereich. Erst in den letzten Jahren zeichnet sich hier ein leichter Anstieg ab (2010: 29; 2011: 22; siehe Niemz 2011, 71). Diese geringe Nutzung mag daran liegen, dass ein Antrag auf Wiederaufnahme zum einen ein hohes Maß von Einsicht in die eigene Lage voraussetzt, die den Entlassenen wohl oft gerade dann fehlt, wenn eine Krisenintervention notwendig ist. Außerdem scheuen sie in der Regel vor dem Bekenntnis zurück, dass sie das Ziel der Behandlung doch noch nicht erreicht haben. Sie haben Hemmungen, ihren ehemaligen Mitinsassen und dem Personal in der sozialtherapeutischen Anstalt als „Gescheiterte“ wiederzubegegnen. Schließlich tut der äußere Eindruck vieler Einrichtungen, die oft in alten Gefängnisgebäuden untergebracht sind, ein Übriges, um den Entlassenen den Entschluss zur Rückkehr zu erschweren. II. Landesgesetze und Musterentwurf
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1. Baden-Württemberg. Die freiwillige Aufnahme früherer Gefangener sozialtherapeutischer Einrichtungen ist in § 96 JVollzGB III geregelt: Abs. 1 entspricht weitgehend § 125 Abs. 1 StVollzG. Satz 2 bestimmt, dass ein solcher Antrag „nicht zur Unzeit widerrufen werden“ darf. Dies ist eine nachvollziehbare Einschränkung gegenüber § 125 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 3 StVollzG, der einen Widerruf „jederzeit“ ermöglicht, wonach ein Aufgenommener „unverzüglich zu entlassen“ ist. Abs. 2 Satz 1 ist wortgleich mit § 125 Abs. 2, wird jedoch ergänzt durch den Hinweis, dass die allgemeinen Vorschriften zur Anwendung unmittelbaren Zwangs gemäß § 73 Abs. 2 und 3, etwa bei dem Versuch, andere Gefangene zu befreien, von dieser Vorschrift unberührt bleiben. Abs. 3 verweist auf die Regelung des Haftkostenbeitrags nach § 51, die entsprechend gilt.
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2. Bayern. Die Aufnahme früherer Gefangener auf freiwilliger Grundlage ist in Art. 120 BayStVollzG geregelt, der wie folgt aufgebaut ist: Abs. 1 Satz 1 ist bis auf geschlechtsspezifische Differenzierungen wortgleich mit § 125 Abs. 1 Satz 1 StVollzG. Abs. 1 Satz 2 lautet wie folgt: „Ein Widerruf des Antrags darf nicht zur Unzeit erfolgen.“ Dies entspricht der auch für Baden-Württemberg geltenden Regelung (siehe dort). Abs. 2 Satz 1 ist bis auf geschlechtsspezifische Differenzierungen wortgleich mit § 125 Abs. 2 StVollzG. Abs. 2 Satz 2 ist neu und lässt gemäß der Gesetzesbegründung „das Recht unberührt, einen von der Anstalt für beendet erklärten Aufenthalt auch notfalls mit ZwangsEgg
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Aufnahme auf freiwilliger Grundlage
§ 125
maßnahmen durchzusetzen. Wiederaufgenommene werden in diesem Fall behandelt wie Dritte, die sich zu Unrecht in der Anstalt aufhalten“ (LT-Drucks. 15/8101, 72). 3. Hamburg. Eine § 125 StVollzG entsprechende Regelung findet sich in § 18 Abs. 3 4 HmbStVollzG. Diese ist inhaltlich weitgehend identisch mit der Vorschrift des StVollzG. Durch den Zusatz „§ 79 Abs. 2 und 3 bleibt unberührt“ wird ähnlich wie in Art. 120 Abs. 2 Satz 2 BayStVollzG die Möglichkeit geschaffen, in besonderen Ausnahmefällen, z. B. beim Versuch, andere Gefangene zu befreien, unmittelbaren Zwang anzuwenden. 4. Hessen. § 12 Abs. 5 HStVollzG ist nahezu wortgleich mit § 125 Abs. 1 Satz 1 5 StVollzG. Satz 2 verweist auf die allgemeinen Vorschriften von § 29 Abs. 2 und 3, die hier entsprechend gelten. Damit können wie in § 125 Abs. 2 StVollzG „Maßnahmen des Vollzugs nicht mit unmittelbarem Zwang durchgesetzt werden“, wobei allerdings das „Hausrecht hiervon unberührt“ bleibt. Ebenso folgt aus dem Verweis auf § 29 Abs. 3, dass „bei Gefährdung der Sicherheit oder Ordnung der Anstalt“ die freiwillige Wiederaufnahme „jederzeit widerrufen werden“ kann. 5. Niedersachsen. § 106 NJVollzG entspricht weitgehend § 125 StVollzG, enthält je- 6 doch zwei inhaltliche Veränderungen: Nach Abs. 1 ist eine Aufnahme früherer Gefangener dann möglich, „wenn dadurch erheblichen Straftaten der in § 104 Abs. 1 genannten Art vorgebeugt werden kann.“ Der in § 125 StVollzG genannte Aufnahmegrund der Zielgefährdung der sozialtherapeutischen Behandlung ist nach der niedersächsischen Gesetzesbegründung „schon deswegen auszuschließen“, weil nach § 104 Abs. 3 NJVollzG (siehe dort) „die Verlegung in eine sozialtherapeutische Einrichtung zeitlich so zu planen ist, dass sie auch abgeschlossen werden kann.“ Weiter heißt es dazu: „Vielmehr geht es […] allein darum, durch die Aufnahme der Begehung von schwer wiegenden Straftaten vorzubeugen […] Damit wird deutlich, dass es sich bei der Aufnahme früherer Gefangener um eine seltene Ausnahme handeln muss“ (LT-Drucks. 15/3565, 156). Abs. 2 Satz 1 ist inhaltsgleich mit § 125 Abs. 2 StVollzG. Angefügt ist jedoch ein Satz 2: „Im Übrigen finden die sonstigen Vorschriften dieses Teils entsprechende Anwendung.“ Dabei handelt es sich um eine Klarstellung. Nach Satz 1 dürfen zwar gegen einen freiwillig Aufgenommenen Maßnahmen des Vollzuges nicht mit unmittelbarem Zwang durchgesetzt werden, verhält sich aber „die betreffende Person in einer die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt gefährdenden Weise“, so die Gesetzesbegründung, dann „kann die Aufnahme (nach Abs. 1 Satz 2) jederzeit widerrufen werden mit der Folge, dass sich die Person danach unbefugt in der Anstalt aufhält, was die Anwendung unmittelbaren Zwangs (nach § 87 Abs. 2 NJVollzG) zulässt“ (LT-Drucks. 15/3565, 157). 6. Musterentwurf. § 45 des Musterentwurfs regelt „Verbleib oder Aufnahme auf 7 freiwilliger Grundlage“ und entspricht weitgehend § 125 StVollzG. Diese Möglichkeit steht jedoch nach Abs. 1 Satz 1 unter der Einschränkung: „sofern es die Belegungssituation zulässt“; ein genereller Rechtsanspruch wird somit verneint. Satz 2 ist neu; er lautet: „Die Unterbringung erfolgt auf vertraglicher Basis.“ Damit dürfte auch die in § 125 Abs. 3 StVollzG festgelegte Möglichkeit der Beendigung dieser Unterbringung durch den Entlassenen erfasst sein. Abs. 2 ist inhaltsgleich mit § 125 Abs. 2 StVollzG. Abs. 3 bestimmt, dass „die Unterbringung jederzeit beendet werden“ kann, und zwar „bei Störung des Anstaltsbetriebs durch die Entlassenen oder aus vollzugsorganisa1001
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§ 126
Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
torischen Gründen“. Es bleibt offen, ob damit lediglich die bereits in Abs. 1 Satz 1 erwähnte Belegungssituation gemeint ist oder auch andere (beliebige?) organisatorische Gründe. Insgesamt scheint diese Regelung die in der Praxis ohnedies gegebene Randständigkeit einer freiwilligen Wiederaufnahme Entlassener (siehe oben) dauerhaft auf seltene Ausnahmen beschränken zu wollen.
§ 126 Nachgehende Betreuung § 126 Egg Nachgehende Betreuung Die Zahl der Fachkräfte für die sozialtherapeutische Anstalt ist so zu bemessen, dass auch eine nachgehende Betreuung der Gefangenen gewährleistet ist, soweit diese anderweitig nicht sichergestellt werden kann. Schrifttum S. bei § 9.
I. Erläuterungen 1
Die Vorschrift entspricht § 127 der Fassung vom 16.3.1976, gültig ab 1.1.1977 bis 31.12.1984, der allerdings um den 2. Halbsatz erweitert wurde. Dadurch ergibt sich eine wesentliche Einengung gegenüber der früheren Fassung, weil auf Grund dieser Subsidiaritätsklausel nun im Zweifel auf andere Institutionen verwiesen werden kann, die für die nachgehende Betreuung in Frage kommen (sollen). Ursprünglich war sogar vorgesehen, dass den sozialtherapeutischen Anstalten Heime zur Betreuung von beurlaubten, bedingt entlassenen und anderen ehemaligen Untergebrachten angegliedert werden sollen (§ 127 Abs. 2 a. F.), doch wurde diese Bestimmung, die am 1.1.1986 in Kraft treten sollte, durch das StVollzÄndG vom 20.12.1984 (BGBl. I 1654) wieder gestrichen und konnte somit nie Wirkung entfalten. Es ist zu bedauern, dass finanzielle Überlegungen offensichtlich dafür maßgebend waren, diese wichtigen Elemente des sozialtherapeutischen Behandlungskonzepts auf das jetzige Minimalniveau zu reduzieren. In der fachlichen Diskussion ist nämlich – auch international – unbestritten, dass sich eine effektive Straftäterbehandlung, insbesondere die Therapie persönlichkeitsgestörter und schwieriger Gefangener, wie sie in den sozialtherapeutischen Einrichtungen zu finden sind, nicht nur auf intramurale, also stationäre Maßnahmen beschränken darf (Goderbauer 2005, 2008). Vielmehr bedarf es regelmäßig einer sorgfältig vorbereiteten und schrittweisen Überleitung in Freiheit, einschließlich einer ggf. auch mehrjährigen nachsorgenden Betreuung. Diese wichtige Aufgabe der Sozialtherapie sollte zweckmäßigerweise durch das Personal der Einrichtung selbst erfolgen, wenn möglich sollten dafür sogar eigene Räumlichkeiten zur Verfügung stehen. Die „klassische“ Bewährungshilfe oder eine Beratungsstelle außerhalb des Vollzuges dürften damit bei dem ungewöhnlich schwierigen Personenkreis in der Regel überfordert sein, jedenfalls ohne die tatkräftige Unterstützung durch die sozialtherapeutische Einrichtung im Sinne eines Netzwerkes. Bekanntlich ist die Ausstattung der sozialtherapeutischen Anstalten für die Behandlung ihrer Insassen außerordentlich aufwändig, namentlich die Personalkosten sind nicht unerheblich (siehe § 9 Rdn. 4). Es verwundert daher nicht, dass bei der fälschlicherweise oft als bloß zusätzliche Leistung angesehenen Nachsorge gespart wird. Allerdings besteht dabei die Gefahr, dass ohne qualifizierte nachgehende Betreuung die in der stationären Therapie erzielten Behandlungsfortschritte keine nachhaltige Wirkung entfalten können (Egg 1990). Egg
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Nachgehende Betreuung
§ 126
Erfreulicherweise ist die Zahl der gemäß § 126 in Nachsorge befindlichen Personen in den letzten Jahren angestiegen; so zeigt die jährliche Stichtagserhebung der KrimZ (Niemz 2011, 71) eine Zunahme der betroffenen Personen von 27 (1997) auf 270 (2011). Auch gibt es an manchen Orten ermutigende Modelle, die fortentwickelt und bundesweit angewandt werden sollten (Goderbauer 2008, Pitzing 2002, vgl. auch Egg 2004). Insgesamt besteht freilich nach wie vor ein großer Bedarf an Bereitstellung und Ausbau nachsorgender Maßnahmen. II. Landesgesetze und Musterentwurf 1. Baden-Württemberg. § 95 JVollzGB III entspricht § 126 StVollzG und regelt die 2 nachgehende Betreuung für „entlassene und während des Freiheitsentzugs sozialtherapeutisch behandelte Gefangene“. Für diese „soll“ (nicht muss) eine „vorübergehende“, also zeitlich befristete Betreuung gewährleistet werden, allerdings nur, „soweit diese anderweitig nicht sichergestellt werden kann“. Damit bleibt im JVollzGB die schon in § 126 StVollzG enthaltene Subsidiaritätsklausel bestehen. Eine zusätzliche Einschränkung besteht freilich darin, dass über die Zahl der für diese Betreuung erforderlichen Fachkräfte nichts ausgesagt wird. 2. Bayern. Art. 119 BayStVollzG entspricht unter der Überschrift „Nachsorge“ § 126 3 StVollzG und lautet: „Die sozialtherapeutischen Einrichtungen sollen nach Entlassung der Gefangenen die im Vollzug begonnene Betreuung vorübergehend fortführen, soweit diese nicht anderweitig durchgeführt werden kann.“ Ähnlich wie im JVollzGB wird durch diese Vorschrift eine „vorübergehende“ Betreuung Entlassener durch die sozialtherapeutische Einrichtung als Soll-Bestimmung ermöglicht, wobei über die Zahl der dafür erforderlichen Fachkräfte nichts bestimmt wird. Die Subsidiaritätsklausel von § 126 StVollzG wird beibehalten. 3. Hamburg. Eine § 126 StVollzG inhaltlich entsprechende Regelung enthält § 18 4 Abs. 1 und 2 HmbStVollzG. Sie lautet: „(1) Die Anstalt kann Gefangenen auf Antrag auch nach der Entlassung Hilfestellung gewähren, soweit diese nicht anderweitig zur Verfügung steht und der Erfolg der Behandlung gefährdet erscheint. (2) Sozialtherapeutische Einrichtungen können auf Antrag der Gefangenen eine im Vollzug begonnene Betreuung nach der Entlassung vorübergehend fortführen, soweit sie nicht anderweitig durchgeführt werden kann.“ Unter Beibehaltung der Subsidiaritätsklausel von § 126 StVollzG wird durch diese Vorschrift zwar ebenfalls eine „vorübergehende“ Fortsetzung der im Vollzug begonnenen Betreuung durch die sozialtherapeutische Einrichtung grundsätzlich ermöglicht, das Gesetz regelt dies aber als bloße Kann-Bestimmung und enthält keine Feststellung bezüglich der Zahl der dafür erforderlichen bzw. bereitzustellenden Fachkräfte. 4. Hessen. § 12 Abs. 6 HStVollzG entspricht inhaltlich § 126 StVollzG. Danach „soll 5 die sozialtherapeutische Anstalt den Gefangenen auch eine nachgehende Betreuung gewähren, wenn dies ihrer besseren Eingliederung dient und die Betreuung nicht anderweitig durchgeführt werden kann“. Das HStVollzG übernimmt somit weitgehend die Regelung des StVollzG, einschließlich der Subsidiaritätsklausel, auf eine Aussage bezüglich der Zahl der dafür notwendigen Fachkräfte wird jedoch verzichtet. Die Bestimmung, dass diese Betreuung der „besseren Eingliederung“ dienen soll, ist lediglich eine präzisierende, aber an sich nicht erforderliche, weil schon aus den allgemeinen Grundsätzen 1003
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§§ 127, 128
Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
des Vollzugs der Freiheitsstrafe ableitbare Feststellung (Eingliederungsauftrag nach § 2 Satz 1 HStVollzG). 6
5. Niedersachsen. Das NJVollzG enthält keine Spezialvorschrift zur nachgehenden Betreuung von Entlassenen aus sozialtherapeutischen Einrichtungen. Im Entwurf des Gesetzes fand sich noch ein Paragraph mit der Überschrift „Nachgehende Betreuung“. Dieser verlangte aber nur, dass eine sozialtherapeutische Einrichtung darauf hinwirken soll, dass eine nachgehende Betreuung entsprechend § 68 Abs. 2 bis 5 sichergestellt wird. Dies gilt nach § 68 NJVollzG jedoch ohnedies für alle Vollzugsbehörden. In der damaligen Begründung hieß es dazu, „dass es nicht originäre Aufgabe der sozialtherapeutischen Einrichtungen ist, die nachgehende Betreuung durchzuführen. Diese obliegt nach der Entlassung vielmehr grundsätzlich den zuständigen Stellen außerhalb des Vollzuges. Kommen diese ihrer Verpflichtung jedoch im Einzelfall nicht nach, wird es letztlich den sozialtherapeutischen Einrichtungen im Wege einer subsidiären Zuständigkeit obliegen, die nachgehende Betreuung zu gewährleisten.“ Ein vom Koordinator sozialtherapeutischer Einrichtungen vorgebrachter Hinweis, „dass es in bestimmten Fällen weiterhin notwendig sein könne, die sozialtherapeutischen Einrichtungen mit der Nachsorge zu betrauen“ wurde mit der Aussage, dass „diese Möglichkeit […] durch die vorgesehene Regelung nicht ausgeschlossen“ werde, zurückgewiesen (LTDrucks. 15/3565, 157).
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6. Musterentwurf. § 44 des Musterentwurfs lautet: „Mit Zustimmung des Anstaltsleiters können Bedienstete an der nachgehenden Betreuung Entlassener mit deren Einverständnis mitwirken, wenn ansonsten die Eingliederung gefährdet wäre. Die nachgehende Betreuung kann auch außerhalb der Anstalt erfolgen. In der Regel ist sie auf die ersten sechs Monate nach der Entlassung beschränkt.“ Die im StVollzG und in anderen Landestrafvollzugsgesetzen enthaltene Subsidiaritätsklausel wurde für diese KannBestimmung nicht übernommen, stattdessen finden sich andere Einschränkungen: Das Einverständnis des Anstaltsleiters und des Entlassenen und die zeitliche Befristung der Nachbetreuung „in der Regel auf die ersten sechs Monate nach der Entlassung“. Zusätzlich wird bestimmt, dass die Betreuung auch „außerhalb der Anstalt erfolgen“ kann, eine sicher sinnvolle und bereits in der bisherigen Praxis angewandte Regelung, die jedoch die Existenz geeigneter Übergangseinrichtungen voraussetzt. Eine weitere, im Grunde selbstverständliche Einschränkung oder Voraussetzung ist die Gefährdung der Eingliederung ohne solche Betreuungsmaßnahmen. Dieser Aspekt ergibt sich freilich schon aus den in § 3 Abs. 2 des Musterentwurfs formulierten Grundsätzen der Vollzugsgestaltung: „Der Vollzug wirkt von Beginn an auf die Eingliederung der Gefangenen in das Leben in Freiheit hin.“
§§ 127, 128 §§ 127, 128 Egg (aufgehoben)
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Vorbemerkung
Vor §§ 129ff.
DRITTER ABSCHNITT Besondere Vorschriften über den Vollzug der freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung 3. Abschnitt. Bes. Vorschr. ü. d. Vollzug der freiheitsentz. Maßregeln
ERSTER TITEL Sicherungsverwahrung Vor §§ 129ff. Grote Vorbemerkung
Vorbemerkung Schrifttum Anders Kritik der nachträglichen Therapieunterbringung, in JZ 2012, 498 ff; Bartsch Sicherungsverwahrung – Recht, Vollzug, aktuelle Probleme, in: Gießener Schriften zum Strafrecht und zur Kriminologie, Bd. 36, 2000; ders. (Schon wieder) Neues von der Sicherungsverwahrung, Konsequenzen des bundesverfassungsgerichtlichen Urteils vom 04.05.2011 für Gesetzgebung und Vollzug, in FS 2011, 267 ff; Böttcher Reform der Sicherungsverwahrung: Überlegungen aus Opfersicht, in: FS 2011, 281 ff; Dessecker Lebenslange Freiheitsstrafe und Sicherungsverwahrung, Dauer und Gründe der Beendigung im Jahr 2010, 2012; Kinzig Die Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung, in: NJW 2011, 177 ff; Kreuzer Beabsichtigte bundesgesetzliche Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung, in: ZRP 2011, 7 ff; Peglau Das Gesetz zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung und zu begleitenden Regelungen (Teil 2), in: jurisPR-StrafR 2/2011 Anm. 1; Preusker Lasst sie niemals frei!, in FOCUS 20/2011, 52 ff; Suhling Behandlung „gefährlicher“ und „schwieriger“ Straftäter, in FS 2011, 275 ff.
1. 2. 3.
4.
Übersicht Sicherungsverwahrung als Maßregel der Besserung und Sicherung ____ 1 Entwicklung der Belegungszahlen ____ Gesetz zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung und zu begleitenden Regelungen vom 22.12.2010 ____ 3 Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 4.5.2011 ____ 4
5.
6. 7. 8. 9.
Anwendbarkeit der §§ 129 ff StVollzG in der Übergangszeit bis zum 31.5.2013 ____ 5 Leitlinienkompetenz des Bundesgesetzgebers ____ 6 Grundlagenentwurf der Länder ____ 7, 8 Landesgesetze ____ 9 ThUG ____ 10
1. Sicherungsverwahrung als Maßregel der Besserung und Sicherung. Die Un- 1 terbringung in der Sicherungsverwahrung zählt zu den freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung nach § 61 StGB. Ihr Zweck ist es, schuldfähige oder vermindert schuldfähige Straftäter, die nach Einschätzung des Gerichts eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellen und mit anderen strafrechtlichen Mitteln nicht mehr erreicht werden können, über den Zeitpunkt der Verbüßung ihrer Schuld hinaus in Haft halten zu können (vgl. Bartsch 2010, 29 m. w. N.). Die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung wurde mit dem Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Sicherung und Besserung vom 24.11.1933 (RGBl I S. 995) eingeführt und ist seither mehrfach geändert worden (zur Entstehung und Entwicklung vgl. Bartsch 2010, 29 ff; AK-Feest/Köhne 2012 Rdn. 1 ff). Sie ist die umstrittenste Maßregel der Besserung und Sicherung (vgl. AK-Feest/Köhne 2012 Rdn. 1 m. w. N.). Diskussionen über gesetzliche Änderungen (insbesondere bei Ausweitung des Anwendungsbereiches) werden nicht selten anhand von tragischen Einzelfällen geführt, was eine sachliche Auseinandersetzung erschwert. Dabei gilt es auf der einen Seite, die staatliche Gemeinschaft vor gefährlichen Straftätern zu schützen (vgl. dazu BVerfG BVerfGE 109, 133/174 = NJW 2004, 739 – 2 BvR 2029/01; BVerfG BVerfGE 45, 187 = NJW 1977, 1525 – 1 BvL 14/76) und auf der 1005
Grote
Vor §§ 129ff.
3. Abschnitt. Bes. Vorschr. ü. d. Vollzug der freiheitsentz. Maßregeln
anderen Seite den berechtigten Interessen der Sicherungsverwahrten gerecht zu werden (dazu näher unter 4.; vgl. auch Böttcher, 2011, 281 ff). 2
2. Entwicklung der Belegungszahlen. Die Anzahl der Personen, die sich im Vollzug der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung befinden, ist gering. Ein Höchststand war 1964 mit 870 Personen erreicht. In den frühen 1980er Jahren und bis 1996 lagen die Zahlen bei unter 200 Personen (Dessecker 2012, 6 f). Anschließend stiegen die Belegungszahlen wieder an und hatten 2010 mit 536 Personen (Stand: 31.3.2010, www.destatis.de) einen erneuten Höchststand erreicht. Seit 2011 sinken die Belegungszahlen wieder. Im Frühjahr 2011 befanden sich 504 Personen und Ende November 2011 noch 466 Personen im Vollzug der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung (vgl. Dessecker aaO; Suhling 2011, 275). Verantwortlich dafür dürften zuvorderst die Entscheidung des EGMR vom 17.12.2009 (FS 2010, 155 = NJW 2010, 2495 – Beschwerde 19359/ 04) und die nachfolgende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 4.5.2011 (BVerfG BVerfGE 128, 326 = NJW 2011, 1931 – 2 BvR 2365/09 u. a.; kritisch Preusker 2011, 52 ff) sein, in deren Folge es bundesweit zu einer Vielzahl von Entlassungen gekommen ist (vgl. etwa KG, Beschl. vom 18.10.2011 – 2 Ws 566/10 u. a., juris, zur Frage der Haftentschädigung vgl. LG Karlsruhe Online vom 29.11.2012 – 12 U 60/12, juris).
3
3. Gesetz zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung und zu begleitenden Regelungen vom 22.12.2010. Eine Reform des Rechts der Sicherungsverwahrung erfolgte durch das Gesetz zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung und zu begleitenden Regelungen vom 22.12.2010 (BGBl I S. 2300), das am 1.1.2011 in Kraft getreten ist. Mit der Reform waren umfangreiche Änderungen verbunden: So wurde der Anwendungsbereich der primären Sicherungsverwahrung nach § 66 StGB enger gefasst, die vorbehaltene Sicherungsverwahrung in § 66 a StGB erweitert und die nachträgliche Sicherungsverwahrung nach § 66 b StGB und § 106 JGG – abgesehen von den Fällen der Erledigung einer Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus – gestrichen. Neu gefasst wurde auch § 67 d Abs. 3 Satz 1 StGB, der die Dauer der Unterbringung bestimmt. Entsprechend Art. 316e Abs. 1 EGStGB sind die neuen Vorschriften allerdings nur anzuwenden, wenn die Tat oder mindestens eine der Taten, wegen deren Begehung die Sicherungsverwahrung angeordnet oder vorbehalten werden soll, nach dem Inkrafttreten des Gesetzes begangen werden; für zuvor begangene Taten gilt das vorherige Recht weiter (vgl. dazu auch Kinzig 2010, 177 ff).
4
4. Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 4.5.2011. Mit Urteil vom 4.5.2011 hat das Bundesverfassungsgericht die seit dem 1.1.2011 geltenden sowie verschiedene frühere Fassungen der Regelungen über die Sicherungsverwahrung u. a. wegen unzureichender Umsetzung des verfassungsrechtlichen Abstandsgebots (vgl. dazu bereits BVerfG BVerfGE 109, 133/174 = NJW 2004, 739 – 2 BvR 2029/01) für nicht mit dem Grundgesetz vereinbar und unter näher ausgeführten Maßgaben für längstens bis zum 31.5. 2013 anwendbar erklärt (BVerfG aaO). Das Bundesverfassungsgericht hat dem Bundesund den Landesgesetzgebern aufgegeben, ein freiheitsorientiertes und therapiegerichtetes Gesamtkonzept für die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung zu entwickeln (BVerfG aaO Rdn. 120). Es hat dazu konkrete Vorgaben gemacht („Sieben Gebote“, aaO Rdn. 112 ff; Bartsch 2011, 267/271 ff), die sich auch mit der Vermeidung der Vollstreckung oder Anordnung der Sicherungsverwahrung befassen. Bei Gefangenen mit angeordneter oder vorbehaltener Sicherungsverwahrung sind danach schon im Vollzug der Freiheitsoder Jugendstrafe alle Möglichkeiten auszuschöpfen, um deren Gefährlichkeit für die Allgemeinheit zu mindern („ultima-ratio-Prinzip“, aaO Rdn. 112). Zuvor hatte bereits der Grote
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Vorbemerkung
Vor §§ 129ff.
EGMR mit Urteil vom 17.12.2009 (aaO unter 2.) festgestellt, dass die nachträgliche Verlängerung der vormaligen Höchstfrist von 10 Jahren für die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung einen Verstoß gegen Art. 5 EMRK (Recht auf Freiheit und Sicherheit) und gegen Art. 7 EMRK (keine Strafe ohne Gesetz) darstellt. 5. Anwendbarkeit der §§ 129 ff StVollzG in der Übergangszeit bis zum 31.5.2013. 5 Keine unmittelbaren Vorgaben hat das Bundesverfassungsgericht in der Entscheidung vom 4.5.2011 gemacht, nach welcher Maßgabe die §§ 129 bis 135 StVollzG in der Übergangszeit anzuwenden sind. Fest steht, dass das Bundesverfassungsgericht die Regelungen zur Umsetzung des verfassungsrechtlichen Abstandsgebots für ungeeignet erachtet (BVerfG aaO Rdn. 121) und in der derzeitigen Ausgestaltung des Vollzugs der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung einen verfassungswidrigen Eingriff in das Freiheitsgrundrecht der Sicherungsverwahrten aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 i. V. m. Art. 104 Abs. 1 GG sieht (BVerfG aaO Rdn. 172). Hieraus ist u. a. abzuleiten, dass in der Übergangszeit Maßnahmen nur insoweit zulässig sind, als sie unerlässlich sind, um die Sicherheit und Ordnung des betroffenen Lebensbereiches aufrechtzuerhalten (OLG Frankfurt FS 2011, 330 = StV 2011, 694 – 1 Ws 242/11; OLG Hamm, Beschl. vom 24.11.2011 – III-1 Vollz [Ws] zur Höhe des Arbeitsentgelts; OLG Frankfurt Beschl. vom 20.3.2012 – 3 Ws 1009/11 [StVollz] zum Besitz der Spielekonsole Playstation 2). Den Gerichten kommt dabei die Aufgabe zu, die verfassungsrechtlichen Mindestanforderungen zu sichern (KG StRR 2011, 407 – 2 Ws 277/11 Vollz, juris, dort Rdn. 3). Weitergehend fordert das OLG Naumburg schon in der Übergangszeit, dass das Leben im Vollzug der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung allein solchen Beschränkungen unterworfen werden dürfe, die zur Reduzierung der Gefährlichkeit erforderlich sind (OLG Naumburg FS 2012, 55 – 1 Ws 64/11). In einem obiter dictum macht das OLG Naumburg in der Entscheidung darüber hinaus Vorgaben zur Größe des Haftraumes, der eine Mindestgröße von 20 qm zuzüglich einer eigenen Nasszelle mit Dusche und eine eigene Kochgelegenheit mit Kühlschrank aufweisen müsse (aaO, juris dort Rdn. 38). Dies erscheint problematisch: Die Anforderungen an die Größe des Haftraums ergeben sich nach der Rechtsprechung unmittelbar aus Art. 1 Abs. 1 GG (vgl. BVerfG, Beschl. vom 27.2.2002 – 2 BvR 553/01 – juris dort Rdn. 14 f; LG Hannover, Beschl. vom 5.7.2002 – 77/56 StVK 119/00 – juris; Hans. OLG, Urteil vom 14.1.2005 – 1 U 43/04 – juris) sowie insbesondere aus dem verfassungsrechtlichen Abstandsgebot. Daraus folgt entgegen der Auffassung des OLG Naumburg jedoch nicht, dass Hafträume eine bestimmte Mindestgröße aufweisen müssen (ablehnend hierzu auch Arloth, FS 2012, 59 f.). Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung vom 4.5.2011 ein freiheitsorientiertes und therapiegerichtetes Gesamtkonzept zur Ausgestaltung des verfassungsrechtlichen Abstandsgebots gefordert (BVerfG aaO Rdn. 115, 120 f, 128). Hinsichtlich der baulichen Voraussetzungen hat es sich nur insofern geäußert, als der Vollzug der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung auch in besonderen Gebäuden und Abteilungen innerhalb einer Justizvollzugsanstalt aus Synergieeffekten für zulässig gehalten wird (BVerfG aaO Rdn. 115). Die Entscheidung ist deshalb zu weitgehend. Sofern das OLG Naumburg seine Vorgaben schon auf die Übergangszeit bezieht, lässt es zudem die die vom Bundesverfassungsgericht u. a. zur praktischen Umsetzung des verfassungsrechtlichen Abstandsgebotes getroffene Weitergeltungsanordnung von zwei Jahren (BVerfG aaO Rdn. 170) unberücksichtigt (problematisch deshalb auch OLG Naumburg OLGSt StVollzG § 70 Nr. 12 – 1 Ws 638/10 zum Kontroll- und Verwaltungsaufwand beim Besitz von Gegenständen). 6. Leitlinienkompetenz des Bundesgesetzgebers. Etwas überraschend hat das 6 Bundesverfassungsgericht dem Bundesgesetzgeber in der Entscheidung vom 4.5.2011 1007
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Vor §§ 129ff.
3. Abschnitt. Bes. Vorschr. ü. d. Vollzug der freiheitsentz. Maßregeln
eine Leitlinienkompetenz für den Vollzug der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung zugebilligt. Obgleich die Gesetzgebungskompetenz für den Vollzug der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung seit der Föderalismusreform in der Zuständigkeit der Länder liegt, soll der Bundesgesetzgeber die wesentlichen Leitlinien sowohl für den Vollzug der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung als auch für den Vollzug der Freiheits- und Jugendstrafe bei angeordneter oder vorbehaltener Sicherungsverwahrung vorgeben (BVerfG aaO Rdn. 96, 129 f). Diese Leitlinien bilden gewissermaßen den Rahmen, den die Länder mit ihren Vollzugsgesetzen auszufüllen und zu beachten haben. Die Bundesregierung hat diese Leitlinienkompetenz inzwischen aufgegriffen. Nach intensiven Beratungen mit den Ländern hat die Bundesregierung am 6.6.2012 den Entwurf eines Gesetzes zur bundesrechtlichen Umsetzung des Abstandsgebotes im Recht der Sicherungsverwahrung vorgelegt, den der Bundestag mit wenigen Änderungen am 8.11.2012 angenommen hat (vgl. BT-Drucks. 17/9874 und 17/11388). Der Bundesrat hat am 23.11.2012 beschlossen, den Vermittlungsausschuss nicht anzurufen (BR-Drucks. 689/ 12[B]). Das Gesetz wird am 1.6.2013 in Kraft treten. Das Gesetz sieht u. a. die Einführung gerichtlicher Kontrollen zur Überprüfung der Bemühungen der Vollzugsbehörden bei der Betreuung und Behandlung von Gefangenen mit angeordneter oder vorbehaltener Sicherungsverwahrung und die Verkürzung von gerichtlichen Überprüfungsfristen im Vollzug der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung vor. Die wesentlichen Leitlinien sollen insbesondere in einem neuen § 66 c im Strafgesetzbuch geregelt werden. Die Vorschrift bestimmt u. a., dass Sicherungsverwahrte und Gefangene mit angeordneter oder vorbehaltener Sicherungsverwahrung in besonderer Weise zu betreuen sind und ihnen die bestmögliche – auch individuelle – Behandlung anzubieten ist. 7. Grundlagenentwurf der Länder. Zur Vorbereitung der Umsetzung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts auf Ebene der Länder hat die Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister (JuMiKo) unmittelbar nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 4.5.2011 eine Arbeitsgruppe unter der Federführung Niedersachsens und Nordrhein-Westfalens eingerichtet, die gesetzliche Grundlagen zur Neuregelung des Vollzugs der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung erarbeiten sollte (vgl. Beschluss II.9 z. B. unter www.justiz.nrw.de/JM/justizpolitik/jumiko/beschlues se/2011/fruehjahrskonferenz11). Beteiligt an dieser Arbeitsgruppe waren alle Bundesländer und das Bundesministerium der Justiz. Die Ergebnisse der Arbeitsgruppe liegen inzwischen vor und stellen nach Auffassung der JuMiKo eine geeignete Grundlage für die abzufassenden Ländergesetze dar (vgl. Beschluss II. 8 z. B. unter www.justiz.nrw.de/JM/ justizpolitik/jumiko/beschluesse/2012/fruehjahrskonferenz12). Die Arbeitsgruppe schlägt zum einen gesetzliche Neuregelungen für den Vollzug der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung (SVVollzG-GE) als auch Ergänzungen des Strafvollzugsgesetzes im Vollzug der Freiheitsstrafe bei angeordneter oder vorbehaltener Sicherungsverwahrung vor (vgl. www.mj.niedersachsen.de unter Themen/Justizvollzug/Vollzug der Sicherungsverwahrung). Da einige Länder schon eigene Strafvollzugsgesetze erlassen haben und andere Länder derzeit an Neufassungen arbeiten (vgl. insbesondere den Musterentwurf für ein Strafvollzugsgesetz der sog. 10er-Gruppe, abrufbar z. B. unter www.berlin.de/sen/ justiz/presse/archiv/20110906.1155.357632), deren Inhalte, Wortlaute und Systematiken sich zum Teil nicht unerheblich voneinander unterscheiden, verstehen sich die von der Arbeitsgruppe vorgeschlagenen Regelungen nicht als Mustergesetzentwurf, sondern haben beispielhaften Charakter. Es wird in den Ländern zu entscheiden sein, ob und welcher Form die vorgeschlagenen Regelungen landesspezifisch normiert werden. 8 Im Vollzug der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung setzt der SVVollzG-GE neben einer Präzisierung der Vollzugsziele (§ 2) und der Neuausrichtung der Gestal7
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Vorbemerkung
Vor §§ 129ff.
tungsgrundsätze (§ 3) einen Schwerpunkt im Bereich der Behandlung. So begründet § 11 einen Rechtsanspruch der Sicherungsverwahrten auf die zur Erreichung der Vollzugsziele erforderlichen Behandlungsmaßnahmen. Diese haben wissenschaftlichen Erkenntnissen zu entsprechen. Soweit standardisierte Angebote nicht ausreichen oder keinen Erfolg versprechen, sind individuell zugeschnittene Behandlungsangebote zu machen (zur Evaluation von Behandlungsmaßnahmen vgl. § 87 des SVVollzG-GE). Ausgehend von der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 4.5.2011 schafft § 4 Abs. 2 Satz 1 ein Anreizsystem (vgl. BVerfG aaO Rdn. 114), das die Gewährung besonderer Vergünstigungen ermöglicht, um die Sicherungsverwahrten zur Mitwirkung an der Erreichung der Vollzugziele zu motivieren. Als eine Ausprägung des vom Bundesverfassungsgericht formulierten Individualisierungsgebotes (aaO Rdn. 113) sieht § 10 Abs. 1 einen auf die jeweiligen Bedürfnisse der Sicherungsverwahrten zugeschnittenen Vollzugsplan vor. Neben der Verpflichtung zur therapiegerichteten Ausgestaltung des Vollzuges setzt der SVVollzG-GE einen weiteren Schwerpunkt in der vom Bundesverfassungsgericht geforderten Freiheitsorientierung (aaO Rdn. 101, 115, vgl. dazu auch § 3 Abs. 1 SVVollzG-GE). So wird die Gesamtdauer des Besuchs von einer auf zehn Stunden im Monat erhöht (§ 21 Abs. 1), der Langzeitbesuch normiert (§ 21 Abs. 2) und u. a. die Möglichkeit zum Empfang und Versand von Paketen ausgeweitet (§ 30). Außerhalb der Nachtruhe genießen die Sicherungsverwahrten nach dem SVVollzG-GE grundsätzlich Bewegungsfreiheit in den für sie vorgesehenen Bereichen der Anstalt (§ 19 Abs. 2). Erweitert werden auch die Möglichkeiten zum Einkauf (§ 18) und es wird ein Anspruch auf Selbstverpflegung geschaffen (§ 17 Abs. 2). Nach § 37 Abs. 1 unterliegen Sicherungsverwahrte nicht mehr der Arbeitspflicht. Zum Erhalt einer geordneten Tagesstruktur und um die Sicherungsverwahrten gleichwohl zur Aufnahme einer freiwilligen Beschäftigung zu motivieren, sieht § 34 eine deutliche Erhöhung der Vergütung (durch eine veränderte Eckvergütung) vor. Das Taschengeld (§ 37) wird ebenfalls angehoben und entspricht damit im Wesentlichen dem Mindesttaschengeld, das etwa Bewohnern von Pflegeheimen zusteht. Bei den Lockerungen (jetzt vollzugsöffnende Maßnahmen) übernimmt der SVVollzG-GE die Vorgaben und Begrifflichkeiten des Gesetzentwurfs der Bundesregierung (und des 10er-Entwurfs). Sind Sicherungsverwahrte (noch) nicht für vollzugsöffnende Maßnahmen geeignet, sieht § 47 Abs. 3 mindestens vier Ausführungen pro Jahr zum Erhalt der Lebenstüchtigkeit vor, die nur unter sehr engen Voraussetzungen versagt werden dürfen. Die Disziplinarmaßnahmen wurden im Vergleich zu den bisherigen Regelungen begrenzt (§ 68 Abs. 3) und eine Regelung zur einvernehmlichen Streitbeilegung geschaffen (§ 68 Abs. 5). Ein weiterer Schwerpunkt des SVVollzGGE besteht in den Trennungsgrundsätzen (§ 75), die u. a. regeln, wann eine gemeinsame Unterbringung mit Gefangenen im Vollzug der Freiheitsstrafe (ausnahmsweise) zulässig ist. Findet die Unterbringung nicht in der originär für den Vollzug der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung vorgesehenen Anstalt statt, ist problematisch, ob und inwieweit die gesetzlichen Bestimmungen für den Vollzug der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung Anwendung finden. Der SVVollzG-GE bestimmt, dass sich die Unterbringungsbedingungen im Rahmen der vorhandenen Gegebenheiten von denen der Gefangenen im Vollzug der Freiheitsstrafe unterscheiden müssen (vgl. dazu etwa § 14 Abs. 2 des SVVollzG-GE, der sich zu den räumlichen Unterbringungsbedingungen verhält). Nach der Begründung hat die Vollzugsbehörde alle organisatorischen Maßnahmen zu treffen, um für eine weitgehende Gleichstellung mit den Bedingungen in der originär für den Vollzug der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung zuständigen Anstalt zu sorgen. Darüber hinaus setzt der SVVollzG-GE einen Schwerpunkt beim Personal. So fordert § 77 die erforderliche Anzahl von Bediensteten, setzt auf deren besondere Eignung und Qualifikation und bestimmt eine Betreuung der Sicherungsverwahrten auch in 1009
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Vor §§ 129ff.
3. Abschnitt. Bes. Vorschr. ü. d. Vollzug der freiheitsentz. Maßregeln
der beschäftigungsfreien Zeit. Schließlich ermöglicht der SVVollzG-GE der Vollzugsbehörde eine nachgehende Betreuung (§ 54) und den Sicherungsverwahrten einen vorübergehenden Verbleib oder die vorübergehende Wiederaufnahme (§ 55) zur Abwendung einer Krisensituation. 9
8. Landesgesetze. Nach der Verabschiedung des Gesetzes zur bundesrechtlichen Umsetzung des Abstandsgebotes im Recht der Sicherungsverwahrung (vgl. unter 6.) sind die Länder gehalten, die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts umzusetzen und den Vollzug der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung im Rahmen der wesentlichen Leitlinien des Bundes (vgl. insbesondere § 66c StGB) neu zu regeln. Die Länder werden sich dabei wohl im Wesentlichen am Grundlagenentwurf der Arbeitsgruppe (vgl. unter 7.) orientieren. Als erste Länder haben Baden-Württemberg (GVBl. BW 2012, S. 581) und Niedersachsen (Nds. GVBl. 2012, S. 566) Gesetze zur Neuregelung des Vollzuges der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung beschlossen. In den anderen Ländern sind überwiegend bereits entsprechende Gesetzentwürfe in die Parlamente eingebracht worden (vgl. z. B. für Bayern Drucks. 16/13834, für Berlin Drucks. 17/0689, für Brandenburg Drucks. 5/6599, für Hessen Drucks. 18/6068, für Nordrhein-Westfalen 16/1435, für Rheinland-Pfalz Drucks. 16/1910, für Sachsen Drucks. 5/10937 und für Sachsen-Anhalt Drucks. 6/1673).
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9. ThUG. In Reaktion auf die Entscheidung des EGMR vom 17.12.2009 hat der Bundesgesetzgeber mit dem Gesetz zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung und zu begleitenden Regelungen vom 22.12.2010 (vgl. unter 3.) auch das Gesetz zur Therapierung und Unterbringung psychisch gestörter Gewalttäter (ThUG) geschaffen. Für die sog. Altfälle besteht damit die Möglichkeit, sie beim Vorhandensein einer „psychischen Störung“ und hoher Rückfallgefahr für bestimmte Rechtsgüter trotz Entlassung aus der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung in einer nach § 2 ThUG geeigneten Einrichtung unterzubringen (zur Frage der Gesetzgebungszuständigkeit des Bundesgesetzgebers und Bestimmtheit des Begriffs der „psychischen Störung“ vgl. AK-Feest/ Köhne 2012 Rdn. 8 m. w. N., Kreuzer 2011, 7, 10 f; Peglau 2011 aaO; zu den Überlegungen einer nachträglichen Therapieunterbringung vgl. Anders 2012, 498 ff). Mit dem Gesetz zur bundesrechtlichen Umsetzung des Abstandsgebotes im Recht der Sicherungsverwahrung vom 6.6.2012 (BT-Drucks. 17/9874 und 17/11388, dort Artikel 8) wird es den Ländern (auch aus fiskalischen Erwägungen) ermöglicht werden, Therapieuntergebrachte gemeinsam mit Sicherungsverwahrten unterbringen zu können, was durch das Gebot der räumlichen und organisatorischen Trennung von Einrichtungen des Strafvollzuges nach § 2 Nr. 3 ThUG bislang (zumindest de facto) nicht möglich ist. Es entsteht dadurch die rechtlich fragwürdige Situation, dass Sicherungsverwahrte aus dem Vollzug der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung entlassen werden müssen, aber in derselben Einrichtung verbleiben können. Problematisch ist es auch, Sicherungsverwahrte, die nach einer nachträglichen Überweisung gem. § 67 a Abs. 2 Satz 1 StGB aus einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt (des Maßregelvollzuges) entlassen werden, in einer Anstalt für den Vollzug der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung unterzubringen. Trotz aller Bemühungen um verbesserte Behandlungsbemühungen werden diese Anstalten auch in Zukunft allenfalls begrenzt in der Lage sein, Unterbringungsbedingungen vergleichbar mit denen in psychiatrischen Krankenhäusern oder Entziehungsanstalten zu schaffen. Erforderlichenfalls könnte es sich anbieten, Einweisungskommissionen zu bilden, die im Einzelfall entscheiden, ob eine Unterbringung in einer Einrichtung des Maßregelvollzugs oder in einer Anstalt für den Vollzug der Sicherungsverwahrung zielführender ist. Grote
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Anwendung anderer Vorschriften
§ 130
§ 129 Ziel der Unterbringung Koepsel
Der Sicherungsverwahrte wird zum Schutz der Allgemeinheit sicher untergebracht. Ihm soll geholfen werden, sich in das Leben in Freiheit einzugliedern. 3. Abschnitt. Bes. Vorschr. ü. d. Vollzug der freiheitsentziehenden Maßregeln
§ 130 Anwendung anderer Vorschriften § 130 Koepsel Anwendung anderer Vorschriften Für die Sicherungsverwahrung gelten die Vorschriften über den Vollzug der Freiheitsstrafe (§§ 3 bis 126, 179 bis 187) entsprechend, soweit im folgenden nichts anderes bestimmt ist. VV Lockerungen des Vollzuges und Urlaub sind bei Sicherungsverwahrten unbeschadet des § 134 StVollzG zulässig wie bei Strafgefangenen, gegen die eine freiheitsentziehende Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet ist. Schrifttum Blau Die Sicherungsverwahrung – ein Nekrolog?, in: Schwind/Kube/Kühne (Hrsg.), Kriminologie an der Schwelle zum 21. Jahrhundert. FS für Hans Joachim Schneider, Berlin 1998, 759 ff; Böhm 25 Jahre Strafvollzugsgesetz, in: BewHi 2002, 92 ff; Deutscher Bundestag 13. Wahlperiode, Rechtsausschuss, Protokoll Nr. 93; Fiedeler Sterben im Strafvollzug – Seismograph der Verfassung unseres Rechtsstaats, in: ZfStrVo 2003, 285 ff; Göppinger Kriminologie, 5. Aufl., München 1997; Jehle Soziale Strafrechtspflege vor und nach der Jahrtausendwende, in: BewHi 2003, 37 ff; Kern Aktuelle Befunde zur Sicherungsverwahrung – Ein Beitrag zur Problematik des § 66 StGB, in: ZfStrVo 1997, 19 ff; Kinzig Die Sicherungsverwahrung auf dem Prüfstand, Freiburg 1996; ders. Die Vollstreckung der Sicherungsverwahrung, in: ZfStrVo 1997, 286 ff; ders. Der Hang zu erheblichen Straftaten – und was sich dahinter verbirgt, in: NStZ 1998, 14 ff; Knauth Muß der Strafvollstreckungsrichter im Gnadenverfahren mitwirken?, in: DRiZ 1981, 302 ff; Koepsel Die Sicherungsverwahrung in Deutschland – eine unbarmherzige Sanktion in Festschrift für Piere Henri Bolle DU MONDE PÉNAL Helbing&Lichtenhahn Basel-Genf-München 2006, 677 ff; Kreuzer, Arthur Das Licht ausgeknipst – Unsicherheit durch Sicherungsverwahrung in FAZ Nr. 260 v. 6.11.2008 S. 10; Meyer-Velde Besondere Regelungen für den Vollzug der Sicherungsverwahrung, in: Band VIII der Tagungsberichte der Strafvollzugskommission, Bonn 1969; ders. Sicherungsverwahranstalten, in: Schwind/Blau 1988, 95 ff; Müller-Dietz Arbeit und Arbeitsentgelt für Strafgefangene, in: JuS 1999, 352 ff; Müller-Metz Nachträgliche Sicherungsverwahrung – ein Irrweg der Kriminalpolitik, in: NJW 2003, 3173 ff; Nedopil Risikoeinschätzungen bei Sexualstraftätern, in: BewHi 2001, 341 ff; Nowara Gefährlichkeitsprognosen und deren Fehlerquellen bei Sexualstraftätern, in: Herrfahrdt (Hrsg.), Behandlung von Sexualstraftätern, Hannover 2000, 51 ff; Richter Nachträgliche Sicherungsverwahrung und kein Ende, in: ZfStrVo 2003, 201 ff; Rotthaus Nochmals: BVerfG zur Aussetzung lebenslanger Freiheitsstrafe, in: NStZ 1993, 218; Schneider Psychologische Begutachtung des Rückfallrisikos bei Sexualrechtsbrechern, in: Herrfahrdt (Hrsg.), Sicherheit und Behandlung – Strafvollzug im Wandel, Hannover 2002, 123 ff; Schüler-Springorum Erläuterungen zum Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten vom 26.1.1998, in: Herrfahrdt (Hrsg.), Behandlung von Sexualstraftätern, Hannover 2000, 23 ff; Skirl „In Würde sterben – auch im Vollzug?“, in: ZfStrVo 2003, 283 ff; Stieber Seelsorgerliche Sterbebegleitung im Gefängnis, in: ZfStrVo 2003, 287 ff; Ullenbruch Nachträgliche „Sicherungsverwahrung“ durch die „Polizei“, in: Herrfahrdt (Hrsg.), Strafvollzug in Europa, Hannover 2001, 188 ff.
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Koepsel
§ 130
I. II.
3. Abschnitt. Bes. Vorschr. ü. d. Vollzug der freiheitsentziehenden Maßregeln
Übersicht Allgemeine Hinweise ____ 1–4 Erläuterungen ____ 5–9 1. Ziel der Unterbringung ____ 4 2. Kein Erfordernis der immer besonders sicheren Unterbringung ____ 6
III.
3. Öffnung des Vollzuges und Mitwirken der StVK ____ 7, 8 4. Trennungsgrundsatz ____ 9 Landesgesetze ____ 10
I. Allgemeine Hinweise Die im Jahre 1933 durch das „Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher …“ (RGBl. I 995) eingeführte Sicherungsverwahrung entsprach in ihrer Grundkonzeption vollauf dem nationalsozialistischen Zeitgeist, wenngleich sie vor Beginn der NS-Diktatur konzipiert worden war. So verwundert es nicht, dass auch noch nach dem zweiten Weltkrieg die damalige Fassung der §§ 20 a, 42 e StGB dazu führte, dass zu viele und darunter zahlreiche von der Zielsetzung des Gesetzes gar nicht gemeinte Straftäter zu Sicherungsverwahrung verurteilt wurden. Meyer-Velde (1969) spricht von den „notorischen Zechprellern und Eierdieben“. Während bei der Mehrzahl der wirklich gefährlichen Täter die schuldangemessene lange Strafe zugleich den erwünschten Sicherungseffekt hatte, wurde auf Sicherungsverwahrung besonders gegen vielfach rückfällige Eigentums- und Vermögensdelinquenten erkannt. Erst das Zweite Strafrechtsreformgesetz hat den Kreis derer, für die Sicherungsverwahrung in Betracht kommen sollte, entschieden eingeschränkt. Voraussetzung war nunmehr, dass „die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, für die Allgemeinheit gefährlich ist“ (§ 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB). Außerdem war der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten (§ 62 StGB). Diese Regelungen genügten auch nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (NStZ-RR 1996, 122) den Anforderungen des Art. 104 Abs. 1 GG sowie dem in Art. 103 Abs. 2 GG enthaltenen Gebot der Gesetzesbestimmtheit. Die Maßregel der Sicherungsverwahrung wurde deshalb als verfassungsrechtlich unbedenklich angesehen. Davon ging das BVerfG auch in seinen Entscheidungen zur Abschaffung der Höchstdauer von zehn Jahren und zur Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung aus (NJW 2004, 739 und NJW 2004, 750). Das Gericht erhöhte aber in Übereinstimmung mit dem BGH die Anforderungen an die Verhängung der nachträglichen Sicherungsverwahrung. Die vom Strafrecht geforderten „dringenden Gründe“ liegen nach dieser Rechtsprechung nur vor, wenn im Falle der Entlassung eines Strafgefangenen mit hoher Wahrscheinlichkeit erhebliche Straftaten begangen würden, durch die andere Menschen schwer geschädigt werden könnten (BVerfG Beschl. v. 22.10.2008 – 2 BvR 749/ 08, juris). Diese immer noch stark dem Zeitgeist Rechnung tragende Bewertung der Sicherungsverwahrung wurde durch die mit rechtsstaatlichen Argumenten überzeugend begründete Entscheidung des EGMR vom 17.12. 2009 (NJW 2010, 155) erschüttert, so dass auch das BVerfG mit seiner Entscheidung vom 4.5.2011 (BVerfGE 128, 326) die rechtsstaatlichen Bedenken gegen die bisherige Form der Sicherungsverwahrung übernahm (zur aktuellen Rechtslage und zur künftigen Entwicklung der Sicherungsverwahrung vergl. die der jetzigen Kommentierung vorangestellte Vorbemerkung zur SV von Grote). Die §§ 129 bis 135 StVollzG sind – ebenso wie die bisher in einigen Landesstrafvollzugs2 gesetzen enthaltenen Vorschriften zur SV (vgl. Überblicke bei AK-Feest/Köhne 2012 §§ 129 ff) – nunmehr zu zeitlich befristeten und nur bei verfassungskonformer Auslegung anwendbaren Übergangsvorschriften geworden. Da die deutsche Justizpolitik die mit guten Gründen geforderte Abschaffung der Sicherungsverwahrung (vgl. AK-Feest/Köhne 2012 vor § 129, 1
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Anwendung anderer Vorschriften
§ 130
Rdn. 4 und 5) mit Rücksicht auf die „Sicherheitsbedürfnisse der Bevölkerung“ nicht will, soll es demnächst – hoffentlich inhaltsgleiche – Maßregelvollzugsgesetze der Bundesländer geben. Die bisher für „unverbesserliche Straftäter“ im Strafvollzugsrecht getroffenen eher dürftigen Sonderregelungen werden für die Sicherungsverwahrten nicht mehr möglich sein. Inwieweit das künftige Maßregelvollzugsrecht der Länder der Sicherungsverwahrung den Charakter einer „unbarmherzigen Sanktion“ (vgl. Koepsel 2006, 677 ff, bes. 682) nehmen wird, ist schwer vorauszusagen. Der wesentliche Inhalt der geplanten Neuregelungen wird in der Vorbemerkung vor § 129 von Grote vorgestellt (vgl. dort Rdn. 7 und 8) und eine erste Veröffentlichung dieser Regelungen gibt es seit dem 25.6.2012 auf der Homepage des Niedersächsischen Justizministeriums unter www.mj.niedersachsen.de. Nach wie vor prägen die Auswirkungen des Gesetzes zur Bekämpfung von Sexu- 3 aldelikten und anderen gefährlichen Straftaten vom 26.1.1998 (BGBl. I, 160) die Zusammensetzung der Klientel in der Sicherungsverwahrung: Sexualstraftäter und Gewalttätergruppen überwiegen. Die ab August 2000 gem. § 66 a StGB möglichen Verurteilungen unter Vorbehalt und die bundesrechtliche Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung (§ 66 b StGB) haben auf Grund der Rechtsprechung des EGMR jedoch an Bedeutung verloren. Zu beobachten ist auch gegenwärtig noch ein Trend bei den Vollstreckungsgerich- 4 ten, die Entlassungsvoraussetzungen bei der Sicherungsverwahrung dahingehend zu interpretieren, dass bei „dissozial egozentrischen“ und „sexual devianten (sadistisch veranlagten)“ Sexualstraftätern eine Bewährungsentlassung überwiegend abgelehnt wird (dies hatten Nedopil 2001, 341 ff und Nowara 2000, 51 ff vorausgesagt). Auch heute noch ist der Justizvollzug zur „Sterbebegleitung“ von Inhaftierten genötigt (s. zu dieser Problematik Skirl, Fiedler und Stieber 2003, 283 ff). Lediglich bei Fällen der „Verlängerung“ der Verwahrzeiten über die frühere Obergrenze von 10 Jahren hinaus und bei nachträglich verhängter Sicherungsverwahrung sind inzwischen von einzelnen Gerichten mutige Entscheidungen getroffen worden. Dennoch ist die Sicherungsverwahrung in Deutschland für viele Straftäter eine unbarmherzige Sanktion geblieben (vgl. dazu Koepsel 2006, 667 ff (682), Laubenthal 2011 Rdn. 917 ff und Kreuzer FAZ 6.11.08 S. 10). II. Erläuterungen 1. Ziel der Unterbringung. Obwohl das im Vergleich zu den resozialisierungsför- 5 dernden Aufgaben des Vollzuges von Freiheitsstrafe (§ 2) nur sehr einseitige Ziel der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung sich bereits aus dem Strafgesetzbuch herleiten lässt, bestimmt § 129 in seinem ersten Satz, dass „der Sicherungsverwahrte zum Schutz der Allgemeinheit sicher untergebracht“ werden soll. Das Resozialisierungsziel wird im zweiten Satz der Vorschrift dahin formuliert, dass dem Verwahrten „geholfen werden (soll), sich in das Leben in Freiheit einzugliedern“. Diese Regelung ist nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 4.5.2011 (NJW 2011, 1931 ff.) nicht mehr verfassungskonform (so mit Recht AK-Feest/Köhne 2012, vor § 129 Rdn. 18). Folgerichtig formuliert § 2 des Entwurfs für die Sicherungsverwahrungsvollzugsgesetze der Länder die Zielvorgaben für den Vollzug der Sicherungsverwahrung anders: „(1) Der Vollzug der Sicherungsverwahrung dient dem Ziel, die Gefährlichkeit der Untergebrachten für die Allgemeinheit so zu mindern, dass die Vollstreckung der Unterbringung möglichst bald zur Bewährung ausgesetzt oder für erledigt erklärt werden kann. Die Untergebrachten sollen befähigt werden, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen. (2) Der Vollzug bezweckt zugleich den Schutz der Allgemeinheit vor erheblichen Straftaten.“ 1013
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3. Abschnitt. Bes. Vorschr. ü. d. Vollzug der freiheitsentziehenden Maßregeln
Die bisherigen Zielvorgaben des Gesetzgebers sind für die aktuelle Vollzugspraxis demgemäß bedeutungslos geworden. 6
2. Kein Erfordernis der immer besonders sicheren Unterbringung. Sicherungsverwahrte müssen durchaus nicht immer „besonders sicher“ untergebracht werden (so auch Arloth 2011 §129 Rdn. 2; AK-Feest/Köhne 2012, §129 Rdn. 3; C/MD 2008 Rdn. 1; a. A. damals noch Grunau/Tiesler 1982 ). Es gibt zahlreiche Straffällige, die nur deshalb kriminell äußerst gefährdet und deshalb für andere gefährlich sind, weil sie Versuchungssituationen und dem beherrschenden Einfluss von Mittätern nicht widerstehen können. Im Vollzug ordnen sie sich ein und stellen kein Sicherheitsrisiko dar, solange ein gefährdender Einfluss von ihnen ferngehalten werden kann.
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3. Öffnung des Vollzuges und Mitwirken der StVK. Die VV zu § 130 stellen ausdrücklich klar, dass Lockerungen des Vollzuges (§ 11) und Urlaub (§§ 13, 15, 35) bei Sicherungsverwahrten zulässig sind. Entsprechendes gilt auch für den offenen Vollzug (§ 10), in dem sich nach wie vor allerdings nur wenige Verwahrte befinden. § 10 wird zwar nicht erwähnt, dennoch können Verwahrte in offene Anstalten verlegt werden (AK-Feest/Köhne 2012 § 130 Rdn. 4; Arloth 2011 § 130 Rdn. 2; Grunau/Tiesler 1982 Rdn. 1; C/MD 2008 Rdn. 3). Zusätzlich gibt es gemäß § 134 noch – entsprechend wie bei Insassen der sozialtherapeutischen Anstalt – einen Sonderurlaub zur Entlassungsvorbereitung bis zu einem Monat. Zu beachten ist jedoch, dass die VV die Vollzugsbehörde auf die VV für Strafgefangene hinweist, „gegen die eine freiheitsentziehende Maßregel der Sicherung und Besserung angeordnet ist“. Diese VV zu §§ 10, 11, 13 bestimmen jeweils, dass vor der Lockerungsmaßnahme das zuständige Gericht – die Strafvollstreckungskammer also – zu hören und die Zustimmung der Aufsichtsbehörde einzuholen ist. Die weitere Gültigkeit dieser Zustimmungserfordernisse ist umstritten (zustimmend Arloth 2011 § 130 Rdn. 2; kritisch AK-Feest/Köhne 2012 § 130 Rdn. 4). Man wird abwarten müssen, wie sich die einzelnen Bundesländer in ihren Sicherungsverwahrungsvollzugsgesetzen positionieren werden. Solange Gesetzgeber und öffentliche Meinung jede risikobehaftete Entscheidung bei „gefährlichen Rechtsbrechern“ für justizpolitisch bedeutsam halten, werden sich die Aufsichtsbehörden das Mitwirken bei Lockerungs-Entscheidungen für Sicherungsverwahrte vorbehalten. Auch für die Zukunft ist allerdings die Erkenntnis richtig, dass diejenigen Sicherungsverwahrten, welche sich in mehrfach gewährten Vollzugslockerungen bewähren, möglichst entlassen werden sollten (so schon BVerfG v. 5.2.2004 Leitsatz 2. c). Die Zusammenarbeit von Anstalt und Vollstreckungsgericht ist in Folge der seit 8 1998 geltenden strafrechtlichen und strafprozessualen Neuregelungen schwieriger geworden. Verbindliche Festlegungen der jeweils zuständigen Strafvollstreckungskammer sind vor Einholung aller Prognosegutachten kaum noch möglich, doch sachdienliche Hinweise des Gerichts an die Vollzugsbehörde zur Gestaltung des Vollzuges sind im Interesse einer planvollen Entlassungsvorbereitung weiterhin notwendig (so auch C/MD 2008 Rdn. 2). 9
4. Trennungsgrundsatz. Das gesetzliche Gebot der getrennten Unterbringung der Sicherungsverwahrten gilt allgemein (§ 140 Abs. 1 Satz 2), eine Abweichung ist nur aus Behandlungsgründen (§ 140 Abs. 3), nicht als vollzugspraktische Verlegenheitslösung zulässig (§ 140 Rdn. 5). Es verstößt jedoch nicht gegen das Trennungsgebot, wenn außerhalb des Bereichs der Abteilung Kontaktmöglichkeiten bei der Arbeit, bei gemeinsamen Veranstaltungen und bei Vorführungen zu einzelnen Dienststellen bestehen (OLG Hamm ZfStrVo 1988, 61 f; ebenso C/MD 2008 zu § 129 Rdn. 2). Bayern lässt gemäß § 166 Abs. 2 Satz 2 BayStVollzG eine gemeinsame Unterbringung zu, sofern die geringe Zahl der Sicherungsverwahrten eine Trennung nicht rechtferKoepsel
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Ausstattung
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tigt. § 99 Abs. 4 HmbStVollzG erlaubt eine ähnliche Regelung, sofern der Betroffene zustimmt. Ausnahmen vom Trennungsgebot lässt auch § 171 Abs. 2 Satz 2 und 3 NJVollzG zu. Inwieweit diese Regelungen nach Inkrafttreten der künftigen Sicherungsverwahrungsvollzugsgesetze wirksam bleiben werden, muss im Hinblick auf das vom Bundesverfassungsgericht geforderte Abstandsgebot abgewartet werden. III. Landesgesetze Die §§ 97 und 98 des JVollzGB III entsprechen weitgehend den §§ 129 und 130 St- 10 VollzG. Die Art. 159 und 160 BayStVollzG entsprechen den Regelungen in den §§ 129 und 130 StVollzG. Die §§ 66 und z. T. 67 HStVollzG entsprechen im Wesentlichen den §§ 129 und 130 StVollzG. Die §§ 93 und 94 HmbStVollzG entsprechen inhaltlich den §§ 129 und 130 StVollzG. Die §§ 107 und 112 NJVollzG entsprechen inhaltlich den §§ 129 und 130 StVollzG.
§ 131 Ausstattung § 131 Koepsel Ausstattung Die Ausstattung der Sicherungsanstalten, namentlich der Hafträume, und besondere Maßnahmen zur Förderung und Betreuung sollen dem Untergebrachten helfen, sein Leben in der Anstalt sinnvoll zu gestalten, und ihn vor Schäden eines langen Freiheitsentzuges bewahren. Seinen persönlichen Bedürfnissen ist nach Möglichkeit Rechnung zu tragen. VV 1 Die Gesamtdauer des Besuches beträgt mindestens zwei Stunden im Monat. 2 An arbeitsfreien Tagen soll dem Sicherungsverwahrten ermöglicht werden, sich mindestens zwei Stunden im Freien aufzuhalten. 3 Soweit die Unterbringung in abgeschlossenen Wohngruppen erfolgt, bleiben die Hafträume auf Wunsch des (der) darin untergebrachten Sicherungsverwahrten während der Freizeit zeitweise geöffnet, es sei denn, der Anstaltsleiter trifft aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung für bestimmte Zeiträume oder einzelne Untergebrachte eine abweichende Entscheidung. 4 Für Sicherungsverwahrte erhöht sich der in Nummer 1 Abs. 2 der VV zu § 22 StVollzG festgesetzte Betrag auf den sechsfachen Tagessatz der Eckvergütung (§ 43 Abs. 2 StVollzG). 1015
Koepsel
§ 131
3. Abschnitt. Bes. Vorschr. ü. d. Vollzug der freiheitsentziehenden Maßregeln
5 Dem Sicherungsverwahrten kann über die für Strafgefangene zugelassenen Pakete hinaus der Empfang weiterer Pakete gestattet werden. Das Gewicht kann begrenzt werden. Im übrigen gelten die VV zu § 33 StVollzG. Schrifttum S. bei § 130.
I.
II.
Übersicht Allgemeine Hinweise ____ 1, 2 1. Vollzugsgestaltung ____ 1 2. Betreuungskonzept ____ 2 Erläuterungen ____ 3, 4
III.
1. Bedürfnisprinzip ____ 3 2. Bedeutung VVen ____ 4 Landesgesetze ____ 5
I. Allgemeine Hinweise 1
1. Vollzugsgestaltung. Diese Vorschrift verliert vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und den vorgesehenen Regelungen der Sicherungsverwahrungsvollzugsgesetze der Länder ihre frühere Bedeutung. Wie schon in den Vorauflagen erwähnt wurde, ist die Überschrift zu eng. § 131 regelt nicht die „Ausstattung“ der jeweiligen Sicherungsanstalten, sondern enthält die konzeptionellen Vorgaben des Gesetzgebers für die Vollzugsgestaltung. Aufgrund der neuesten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wird sich dieses Konzept stark verändern, wie auch der Musterentwurf für Sicherungsverwahrungsvollzugsgesetze der Länder in § 3 und weiteren Detailvorschriften deutlich macht (vgl. auch Grote Vorbemerkung zu § 129 Rdn. 7 und 8). Lediglich der Gegenwirkungsgrundsatz (§ 131 Satz 1) wird als Zielvorgabe auch in Zukunft noch bedeutsam sein. Welche Maßnahmen für Sicherungsverwahrte als besondere Maßnahmen zur Förderung und Betreuung entwickelt werden, wird detailliert geregelt werden müssen.(Für einen „privilegierten Vollzug“ auch Arloth 2011 Rdn. 1; ähnlich im Ergebnis Feest/Köhne Rdn. 1, 4, 5, 9). Die bisherigen Hinweise zur Gestaltung des Vollzuges in § 131 StVollzG sind in Zukunft nur noch ansatzweise von Bedeutung. Die VV entsprechen inhaltlich nicht mehr der gegenwärtigen Auslegung des Grundgesetzes.
2
2. Betreuungskonzept. Für das im Gesetz angesprochene Betreuungskonzept sind besondere, der Lage der Verwahrten Rechnung tragende Behandlungsprogramme zu entwickeln. Die künftigen Sicherungsverwahrungsvollzugsgesetze der Länder werden differenzierte Vorschriften über konkrete Behandlungsangebote enthalten. Es reicht nicht aus, wenn die Verwahrten eigene Kleidung tragen dürfen (§ 132) oder wenn ihnen statt der im Strafvollzug üblichen Größe des Fernsehbildschirms von 42 cm eine Schirmgröße von 51 cm gestattet wird (Angaben von Anstaltsleitern in der Anhörung vor dem BVerfG am 21.10.2003 s. FAZ 22.10.2003, S. 7). Zumindest sollte den Verwahrten ein weitest möglich einem normalen Einzelzimmer entsprechender Haftraum zugebilligt werden (ebenso im Ergebnis OLG Frankfurt ZfStrVo 2001, 28 f; besonders deutlich OLG Naumburg FS 2012, 55 – 1 Ws 64/11) und dessen Ausstattung mit eigenen Kleinmöbeln gestattet werden. Die bauliche Gestaltung der für Sicherungsverwahrte reservierten Hafthäuser oder Abteilungen sollte Wohngruppenvollzug ermöglichen (ebenso AK-Feest/Köhne 2012 Rdn. 5). Tagsüber sollten die Hafträume der Verwahrten geöffnet bleiben (so auch Arloth 2011 Rdn. 2) und das Aufsuchen von Teeküchen und von gemeinsamen Freizeiträumen Koepsel
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Ausstattung
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ungehindert möglich sein. Auch die „Bewegung im Freien“ auf einem für Sicherungsverwahrte reservierten Anstaltshof sollte täglich für mehrere Stunden erlaubt sein. Selbstbeschäftigung sollte über § 133 Abs. 1 hinaus auch zur „Förderung einer sinnvollen Lebensgestaltung“ gestattet werden. Aus gleichen Gründen sind verstärkt Kreativkurse anzubieten, diese können auch während der üblichen Arbeitszeit als „arbeitstherapeutische Maßnahmen“ durchgeführt werden. Gesprächsgruppen, in welchen das „Überleben“ in hoffnungsarmer Lage thematisiert und eingeübt werden kann, sind einzurichten. Externe Fachkräfte (§ 154 Abs. 2 Satz 2) sind als Gesprächsleitung in der Regel besser geeignet als das Anstaltspersonal. Dies sind einige Beispiele für die wegen des durchweg langen Einsperrvollzuges auch vom BVerfG geforderte „weitest mögliche Hafterleichterung“ im Innenbereich der sicheren Verwahranstalten (BVerfG Urteil vom 5.2.2004 – 2 BvR 2029 – Leitsatz 2. D; deutlicher wird das Gericht in seiner Entscheidung v. 4.5.2011 s. NJW 2011, 1931). Bei vielen Verwahrten wird ein „freundlicher Verwahrvollzug“ allerdings nicht ausreichen, um ihnen die im Falle einer Entlassung in die Freiheit notwendige Lebenstüchtigkeit zu erhalten bzw. zu verschaffen. Eine menschenwürdige Betreuung in der Sicherungsverwahrung setzt bei Beachtung des Resozialisierungsgebots gezielte Behandlungsangebote für die Verwahrten voraus, durch welche sie befähigt werden, lange Einsperrzeiten ungebrochen zu überleben. Das früher üblich gewesene Prinzip des Einräumens von „Vergünstigungen“ ist nicht nur verfassungsrechtlich, sondern auch methodisch bedenklich. Solange Sicherungsverwahrte ihr Eingesperrt-Sein „als eine Hölle von Ziellosigkeit und Monotonie“ erleben (vgl. Gefangenenzeitung der JVA Werl – Deutschlands größter Sicherungsanstalt – 10/2008 S. 4), ist allerdings ein angemessenes Betreuungskonzept nicht präzise genug entwickelt worden. II. Erläuterungen 1. Bedürfnisprinzip. Der Gesetzgeber stellt im zweiten Satz der Vorschrift aus- 3 drücklich darauf ab, dass den persönlichen Bedürfnissen des Verwahrten so weit wie möglich Rechnung getragen wird. Daraus folgt, dass Beschränkungen der in Freiheit üblichen Lebensführung bei den Sicherungsverwahrten nur zulässig sind, wenn sie im Interesse einer sicheren Unterbringung oder zur Aufrechterhaltung eines störungsfreien Miteinanders aller Verwahrten der jeweiligen Anstalt notwendig sind (so auch BVerfG 5.2.2004 – 2 BvR 2029/01). Die Kernaussage der Vorschrift ist, dass die individuellen Bedürfnisse des jeweiligen Verwahrten zu respektieren sind – auch wenn es sich um deren Marotten oder um ihre Eigenbrötelei handelt. Solches zu akzeptieren, fällt Vollzugsbediensteten zuweilen schwer. Die wichtigsten praktischen Konsequenzen der gesetzlichen Vorgaben sind, dass manche im Strafvollzug üblichen Beschränkungen bei Verwahrten nur bei Vorliegen von individuellen Sicherheitsrisiken zulässig sind. Deshalb ist jeder von den Verwahrten gewünschte Außenkontakt prinzipiell zu ermöglichen, d. h. Briefverkehr, Telefon-, Faxund E-Mail Kontakte können nur aus Sicherheitsgründen, nicht aber aus Behandlungsoder Ordnungsgründen überwacht oder sonstwie eingeschränkt werden (so auch Arloth 2011 Rdn. 3). Nicht überwachte Langzeitbesuche für nahe Angehörige und Freunde/ Freundinnen können nur bei konkreter Missbrauchsgefahr untersagt werden. Auch alle üblichen Fortbildungsangebote können die Verwahrten unbegrenzt nutzen, soweit sie die Kosten tragen können. Gleiches gilt für die Teilnahme an staatlich sanktionierten Glücksspielen wie Lotto und Toto. Auch die für Verwahrte ebenfalls geltenden Regelun1017
Koepsel
§ 132
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gen in den §§ 68 bis 70 müssen großzügig ausgelegt werden. Das im deutschen Justizvollzug übliche strikte Alkoholverbot lässt sich in einer Sicherungsanstalt oder Abteilung nur aufrecht erhalten, wenn konkrete Risiken des Missbrauchs vorliegen (§ 4 Abs. 2 Satz 2). Das persönliche Bedürfnis eines nicht suchtabhängigen Verwahrten nach maßvollem Alkoholgenuss ist legitim, zumal für jede Anstalt die Möglichkeit zur Beschaffung geringerer Mengen von Wein und/oder Bier bestehen würde (a. A. Arloth 2011 Rdn. 3). 4
2. Bedeutung VVen. Die VV entsprechen nicht mehr der gegenwärtigen Rechtslage (s. o.) sondern sind inzwischen schon deshalb überwiegend bedeutungslos geworden, weil die meisten Anstalten über die dort getroffenen Mindestregeln hinausgegangen sind. Die in ihnen enthaltene restriktive Auslegung der gesetzlichen Vorgaben widerspricht außerdem der heutigen Intention des Gesetzgebers, dass freie Bedürfnisentfaltung der Verwahrten soweit wie möglich gestattet werden soll. Auf sicherheitsmäßig unbedenkliche „Privilegien“ haben die Verwahrten einen Rechtsanspruch (OLG Hamburg E 21.8.2008 3 Vollz(WS) 34/08, juris; so auch Feest/Köhne 2012 Rdn. 3; a. A. Arloth 2011 Rdn. 4). III. Landesgesetze
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§ 99 JVollzGB III entspricht § 131 StVollzG. Art. 161 BayStVollzG entspricht § 131 StVollzG. § 68 Abs. 3 HStVollzG entspricht inhaltlich § 131 StVollzG. § 95 HmbStVollzG entspricht inhaltlich § 131 StVollzG. § 108 NJVollzG entspricht § 131 StVollzG.
§ 132 Kleidung § 132 Koepsel Kleidung Der Untergebrachte darf eigene Kleidung, Wäsche und eigenes Bettzeug benutzen, wenn Gründe der Sicherheit nicht entgegenstehen und der Untergebrachte für Reinigung, Instandsetzung und regelmäßigen Wechsel auf eigene Kosten sorgt. Schrifttum S. bei § 130.
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Die Vorschrift verschafft den Verwahrten einen Rechtsanspruch auf das Tragen eigener Kleidung und auf Benutzung eigener Wäsche (so auch Arloth 2011 Erl. zu § 132). Die in § 132 erwähnten Einschränkungsmöglichkeiten würden sich schon aus allgemeinen Vorschriften ergeben. Ihre ausdrückliche Erwähnung im Gesetz zeigt, dass nur konkrete Sicherheitserwägungen das Abweichen vom Grundsatz gestatten und eine Anordnung zum Tragen von Anstaltskleidung rechtfertigen würden. Vergleichbare Entscheidungen haben Justizvollzugsanstalten zuweilen bei der Genehmigung von Ausführungen von Strafgefangenen zu treffen. In der Praxis ist das Gestatten eigener Kleidung und Wäsche kein Problem mehr. Die Anstalten müssen den Verwahrten bei der Reinigung der Wäsche behilflich sein (so auch C/MD 2008 Erl. zu § 132 und AK-Feest/Köhne 2012 Rdn. 2). Der Verwahrte sorgt auch dann im Sinne des Gesetzestextes für „Reinigung, Instandhaltung und regelmäßigen Wechsel“ auf eigene Kosten, wenn er die Kosten nicht Koepsel
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Selbstbeschäftigung, Taschengeld
§ 133
vom Eigengeld bezahlt, sondern das Taschengeld oder eine „Spende“, z. B. des Pfarrers, in Anspruch nimmt (vgl. auch § 20 Rdn. 4). Eine Kostenübernahme durch den Staat kann nur in besonderen Fällen – z. B. bei längerer Erkrankung des Verwahrten – gemäß § 131 geboten sein. Die für die Sicherungsvollzugsgesetze der Länder in § 16 Musterentwurf geplante 2 Neuregelung wird ähnlich ausfallen wie in § 132 StVollzG. § 101 JVollzGB III entspricht § 132 StVollzG. Art. 162 BayStVollzG entspricht § 132 StVollzG. § 68 Abs. 3 HStVollzG entspricht § 132 StVollzG. § 96 HmbStVollzG entspricht inhaltlich § 132 StVollzG. § 109 NJVollzG entspricht inhaltlich § 132 StVollzG.
§ 133 Selbstbeschäftigung, Taschengeld § 133 Koepsel Selbstbeschäftigung, Taschengeld (1) Dem Untergebrachten wird gestattet, sich gegen Entgelt selbst zu beschäftigen, wenn dies dem Ziel dient, Fähigkeiten für eine Erwerbstätigkeit nach der Entlassung zu vermitteln, zu erhalten oder zu fördern. (2) Das Taschengeld (§ 46) darf den dreifachen Tagessatz der Eckvergütung nach § 43 Abs. 2 im Monat nicht unterschreiten. VV Das Taschengeld des Sicherungsverwahrten beträgt 23 v. H. der Eckvergütung (§ 43 Abs. 2 StVollzG). Schrifttum S. bei § 130.
Die Vorschrift gibt den Verwahrten einen Anspruch auf die Genehmigung von 1 Selbstbeschäftigung, wenn dadurch ihre Entlassungsvorbereitung gefördert wird. Bei Untergebrachten mit sehr langen Verwahrzeiten folgt aus § 131, dass ein solcher Anspruch auch dann bestehen kann, wenn die Selbstbeschäftigung dem Verwahrten hilft, die lange Inhaftierungszeit mit geringerer Schädigung seiner Persönlichkeit zu überleben (s. auch § 131 Rdn. 2). Organisatorische Probleme der Vollzugsverwaltung müssen in Zeiten moderner – z. B. in Form der „Ich-AG“ computergestützter – Heimarbeit kaum noch einer Selbstbeschäftigung im Wege stehen, wenn die gesetzlich anerkannten „persönlichen Bedürfnisse“ der jeweiligen Verwahrten (§ 131 Satz 2) stärker gewichtet werden als der für die Anstaltsverwaltung entstehende Mehraufwand (zustimmend Arloth 2011 Rdn. 1). In Anpassung an die neue Sicht der Stellung der Verwahrten wird in den geplanten 2 Landesgesetzen eine Erhöhung des Arbeitsentgelts erfolgen (vgl. § 34 Musterentwurf SV). Die Bemessungsgrundlage für das Taschengeld bei Sicherungsverwahrten soll gesetzlich festgelegt werden (§ 37 Musterentwurf SV). Die bisherige Regelung in den VV ist kaum noch zu halten. Für die Vollzugspraxis bedeutet dies, dass arbeitstäglich höhere – von der jeweiligen Landesjustizverwaltung vorzugebende – Beträge gezahlt werden müssen. Kann einem Verwahrten für eine längere Zeit als ein Jahr keine seinen Fähigkeiten und Bedürfnissen entsprechende Arbeit angeboten werden, so muss die Regelung in Abs. 2 über die aus § 131 abzuleitenden Auslegungsregeln in Angleichung an Langzeitar1019
Koepsel
§ 134
3. Abschnitt. Bes. Vorschr. ü. d. Vollzug der freiheitsentziehenden Maßregeln
beitslose dahingehend interpretiert werden, dass ein der Lebenssituation des jeweiligen Verwahrten angemessenes Taschengeld gezahlt wird. Die Höhe des Taschengeldes sollte sich an den Sozialhilfesätzen in ihrem Verhältnis zum Durchschnittslohn aller Rentenversicherten orientieren und sollte von den Landesjustizverwaltungen durch die VV möglichst einheitlich festgesetzt werden. Den Sicherungsverwahrten muss ein menschenwürdiges Überleben auch in einem langen Freiheitsentzug möglich bleiben (inhaltlich ähnliche Überlegungen bei AK-Feest/Köhne 2012 Rdn. 4). § 102 JVollzGB III entspricht inhaltlich § 133 StVollzG. 3 Art. 163 BayStVollzG entspricht inhaltlich § 133 StVollzG. § 68 Abs. 6 und 8 HStVollzG entspricht inhaltlich § 133 StVollzG. § 97 HmbStVollzG entspricht inhaltlich § 133 StVollzG. § 110 NJVollzG entspricht in Abs. 1 der Regelung in § 133 Abs. 1 StVollzG, entgegen § 133 Abs. 2 StVollzG enthält § 110 Abs. 2 keine Mindesthöhe des Taschengeldes, sondern den generellen Hinweis, dass das Taschengeld der Verwahrten gegenüber Strafgefangenen „angemessen zu erhöhen ist“. Es wäre – justizpolitisch gesehen – kleinlich, wenn in Niedersachsen eine von den anderen Bundesländern zuungunsten der Verwahrten abweichende Regelung eingeführt werden würde.
§ 134 Entlassungsvorbereitung § 134 Koepsel Entlassungsvorbereitung Um die Entlassung zu erproben und vorzubereiten, kann der Vollzug gelockert und Sonderurlaub bis zu einem Monat gewährt werden. Bei Untergebrachten in einer sozialtherapeutischen Anstalt bleibt § 124 unberührt. VV (1) Der Zeitpunkt des Beginns der Erprobung der Entlassung und der Zeitpunkt des Beginns der Vorbereitung der Entlassung richten sich nach den Umständen des Einzelfalles. (2) Zur Vorbereitung der Entlassung kommt auch eine Verlegung in eine Anstalt oder eine Abteilung des offenen Vollzuges in Betracht. (3) Die Strafvollstreckungskammer ist vor der beabsichtigten Maßnahme zu hören. Schrifttum S. bei § 130.
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Dieser Sonderurlaub eigener Art entspricht dem nach § 124 für Insassen einer sozialtherapeutischen Anstalt möglichen Sonderurlaub. Der Entwurf der Strafvollzugskommission sah in beiden Fällen eine Höchstdauer von einem Jahr vor. Der Regierungsentwurf hielt – wohl wegen der intensiven therapeutischen Betreuung – für Insassen einer sozialtherapeutischen Anstalt sechs Monate für vertretbar, für Verwahrte hingegen nur einen Monat. Der einmonatige Sonderurlaub ermöglicht es in den meisten Fällen nicht, den Verwahrten daraufhin zu erproben, ob die prognostischen Voraussetzungen einer bedingten Entlassung bei ihm vorliegen. Der Urlaub darf jedoch mehrfach gewährt werden (so auch AK-Feest/Köhne 2012 Rdn. 2). Dies gilt nach der Verschärfung der Anforderungen an die gemäß § 67 d StGB erforderliche Legalbewährungsprognose in noch stärkerem Maße als vor 1998. Die Neuregelung der notwendigen Vorbereitungsmaßnahmen für eine Entscheidung der Strafvollstreckungskammer über eine Bewährungsentlassung (§ 463 i. V. m. Koepsel
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Entlassungsvorbereitung
§ 134
§ 454 StPO) macht deutlich, in welch rückversichernder Weise der Gesetzgeber die Entlassung von Sicherungsverwahrten vorbereiten möchte (vgl. Schüler-Springorum 2000, 23 ff). Das Verhalten des Verwahrten im Urlaub gemäß § 134 ist für die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer nur ein relevanter Faktor von mehreren. Deshalb ist es sinnvoll, dass der Gesetzgeber die Entscheidung der Anstalt über die Urlaubsgewährung nicht von der Zustimmung der jeweils zuständigen Strafvollstreckungskammer abhängig gemacht hat. Vielmehr sehen die VV in Abs. 3 nur eine vorherige Anhörung des Gerichts vor. Im Interesse des jeweiligen Verwahrten ist es allerdings sinnvoll, dass eine Urlaubsgewährung nur dann erfolgt, wenn eine Entlassung aus der Sicht der Strafvollstreckungskammer als möglich erscheint (im Ergebnis ähnlich C/MD 2008 Rdn. 2; a. A. AK-Feest/Köhne 2012 Rdn. 7). Eine die Entlassung ablehnende Gerichtsentscheidung würde dem Verwahrten nicht zu vermitteln sein, wenn der Urlaub aus seiner Sicht „positiv“ verlaufen ist und die Anstalt ihm dies auch bestätigt. Aufgrund der zu erwartenden Neuregelungen der Entlassungsvoraussetzungen bei Sicherungsverwahrten ist ein Sonderurlaub von einem Monat als konkrete Entlassungsvorbereitungsmaßnahme – vergleichbar der entsprechenden Urlaubsregelung in § 15 Abs. 3 – ausreichend. Irreführend ist unter Berücksichtigung der seit 1998 bestehenden Rechtslage die sprachlich ohnehin wenig glückliche Formulierung „um die Entlassung zu erproben“. Die Worte „zu erproben“ hätten im Rahmen der Gesetzesnovelle vom 26.1.1998 gestrichen werden müssen. Anders als im Bereich der Sozialtherapie hat der Text seinen früheren Sinn verloren. Die im Gesetz vorgesehene und von den VV in Abs. 2 ausdrücklich erwähnte Verle- 2 gung von Sicherungsverwahrten in eine Anstalt oder Abteilung des offenen Vollzuges eignet sich auch nach der Strafrechtsänderung als „Erprobungsvollzug“ (vgl. AKFeest/Köhne 2012 Rdn. 5 und BVerfG v. 5.2.2004 – 2 BvR 2029/01 – Leitsatz 2. c). Auch für die offene Einrichtung gilt allerdings der in § 131 formulierte Grundsatz, dass die Verwahrten der besonderen Förderung und Betreuung bedürfen. Eine längere Bewährung eines Verwahrten im offenen Vollzug wird auch nach neuem Recht ein gewichtiger Faktor bei der Erstellung der nunmehr vorgeschriebenen „Erwartungsprognose“ (SchülerSpringorum 2000, 23 ff) sein müssen. Die nach wie vor vorhandenen Hindernisse für eine vorzeitige Entlassung wird ins- 3 besondere „Sexualtäter“ motivieren, mit ihrer Unterbringung in einer sozialtherapeutischen Anstalt oder Abteilung einverstanden zu sein. Eine solche Möglichkeit sieht das Gesetz vor, wie auch dem Hinweis in Satz 2 entnommen werden kann. Der ab 1.1.2003 bestehende Anspruch bestimmter Tätergruppen auf Übernahme in die Sozialtherapie steht auch Sicherungsverwahrten zu. Dies gilt besonders dann, wenn eine sozialtherapeutische Behandlung als die einzige Möglichkeit erscheint, um den in § 129 Satz 2 enthaltenen Auftrag des Gesetzgebers zu erfüllen. Eine Bewährung von Verwahrten in der Sozialtherapie ermöglicht dann nicht nur den längeren Erprobungsurlaub nach § 124 (so auch C/MD 2008 Rdn. 1), sondern erhöht auch beträchtlich ihre Chancen auf eine vorzeitige Entlassung (so auch AK-Feest/Köhne 2012 Rdn. 6). Art. 164 Sätze 1 und 2 BayStVollzG enthalten die gleiche Regelung wie § 134 4 StVollzG. In Satz 3 von § 164 BayStVollzG übernimmt der Landesgesetzgeber die Verpflichtung zur Anhörung der StVK aus den VV zu § 134 StVollzG. Hamburg hat keine dem § 134 StVollzG entsprechende Sonderurlaubsregelung getroffen, sondern in § 94 HmbStVollzG nur die entsprechende Anwendung der für Strafgefangene geltenden Regelungen normiert. § 111 NJVollzG entspricht inhaltlich § 134 StVollzG, stellt in Satz 2 allerdings klar, dass Verwahrte, die in einer sozialtherapeutischen Anstalt untergebracht sind, den dort üblichen Urlaub erhalten können. 1021
Koepsel
§ 135
3. Abschnitt. Bes. Vorschr. ü. d. Vollzug der freiheitsentziehenden Maßregeln
Baden-Württemberg und Hessen haben Sonderregelungen getroffen. § 103 JVollzGB III erlaubt zur Entlassungsvorbereitung Urlaub bis zu 2 Monaten. § 68 Abs. 1 HStVollzG erklärt die Regelungen für Strafgefangene und damit auch § 16 HStVollzG für anwendbar, wonach Freistellung aus der Haft zur Entlassungsvorbereitung bis zu 3 Monate gewährt werden kann.
§ 135 Sicherungsverwahrung in Frauenanstalten § 135 Steinhilper Sicherungsverwahrung in Frauenanstalten Die Sicherungsverwahrung einer Frau kann auch in einer für den Vollzug der Freiheitsstrafe bestimmten Frauenanstalt durchgeführt werden, wenn diese Anstalt für die Sicherungsverwahrung eingerichtet ist. 1
Sinn der Vorschrift ist, wie in den Motiven zum Entwurf des StVollzG (BT-Drucks. 7/ 918, 90) angeführt wird, die Vermeidung einer Trennung der sicherungsverwahrten Frauen von den strafgefangenen Frauen. Grund hierfür dürfte die äußerst geringe Anzahl weiblicher Sicherungsverwahrter und die damit verbundene erhebliche Gefahr einer Unterbringung in Einzelhaft sein. Die Vorschrift ist damit unter Berücksichtigung der Motive als Ausnahme zu § 140 Abs. 1 StVollzG zu sehen, der die getrennte Unterbringung von Sicherungsverwahrten und Strafgefangenen vorschreibt; sie hat allerdings keine praktische Relevanz erlangt. Die einschränkenden Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung (Rdn. 1 zu §§ 129, 130) des Zweiten Strafrechtsänderungsgesetzes haben faktisch (vorübergehend) zur Abschaffung der Sicherungsverwahrung für Frauen geführt. Im Jahr 1990 gab es noch eine, von 1991 bis 2006 keine weibliche Verwahrte. Erst 2007 wurde wieder eine Frau in Sicherungsverwahrung genommen, eine zweite folgte 2008. Am 31. 3. 2012 befanden sich bundesweit zwei Frauen in Sicherungsverwahrung. Auch bei Männern spielte die Sicherungsverwahrung von Anfang an statistisch nur eine untergeordnete Rolle. Dies galt umso mehr, als 1969 die Anordnungsvoraussetzungen verschärft wurden. Dieser Befund hat sich auch nicht geändert, als 1998 durch das 6. Strafrechtsreformgesetz vom 26.1.1998 (BGBl. I, 160) für Sexualtäter erleichterte Anordnungsvoraussetzungen eingeführt wurden (zulässig; s. BVerfG 109, 153 = NJW 2004, 739; krit. dazu Mushoff KritV 2004, 137) und als 2002 die Möglichkeit geschaffen wurde, sich im erkennenden Urteil die nachträgliche Sicherungsverwahrung vorzubehalten (§ 66 a StGB, eingeführt durch Gesetz vom 26.1.1998 – BGBl. I, 3344). Zur weiteren Belegungsentwicklung, zur letzten Reform des Rechts der Sicherungsverwahrung, zur Leitlinienkompetenz des Bundesgesetzgebers und zu dem darauf aufbauenden Grundlagenentwurf der Länder s. die Vormerkung zu § 129. In den Ländern werden derzeit landesspezifische Regelungen normiert; am 5.12.2012 hat Niedersachsen als erstes Bundesland ein Gesetz zur Neuregelung des Vollzuges der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung beschlossen. In den Ländern werden derzeit landesspezifische Regelungen normiert; als erste Länder haben Baden-Württemberg (GVBl. BW 2012, S. 581) und Niedersachsen (Nds. GVBl. 2012, S. 566) Gesetze zur Neuregelung des Vollzuges der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung beschlossen. In den Ländern sind überwiegend bereits entsprechende Gesetzentwürfe in die Parlamente eingebracht worden (vgl. z. B. für Bayern Drucks. 16/13834, für Berlin Drucks. 17/0689, für Brandenburg Drucks. 5/6599, für Hessen Drucks. 18/6068, für Nordrhein-Westfalen 16/1435, für Rheinland-Pfalz Drucks. 16/ 1910, für Sachsen-Drucks. 5/10937 und für Sachsen-Anhalt Drucks. 6/1673).
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Sicherungsverwahrung in Frauenanstalten
§ 135
Landesgesetze und Musterentwurf 1. Baden-Württemberg. Das JVollzGB sieht keine § 135 entsprechende Regelung 2 vor. Nach § 4 Abs. 1 und 3 JVollzGB I sind weibliche Sicherungsverwahrte getrennt von Männern und getrennt von Strafgefangenen in besonderen Justizvollzugsanstalten für Frauen oder in getrennten Abteilungen in Justizvollzugsanstalten für Männer unterzubringen. Von den Trennungsgrundsätzen kann abgewichen werden, um die Teilnahme an Behandlungsmaßnahmen zu ermöglichen (Abs. 6). 2. Bayern. Das BayStVollzG verzichtet ebenfalls auf eine eigenständige Regelung 3 zur Unterbringung von Frauen in Sicherungsverwahrung. Es ersetzt den Inhalt von § 135 StVollzG durch eine Regelung in Abs. 2 Satz 2 des Art. 166 BayStVollzG (Trennung des Vollzugs), wonach Ausnahmen von der Unterbringung Sicherungsverwahrter in getrennten Abteilungen nur zulässig sind, wenn die Zahl der Sicherungsverwahrten so klein ist, dass sie die Einrichtung einer speziellen Abteilung nicht rechtfertigt. Art. 166 Abs. 2 lautet: „Die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung wird in einer für den Vollzug der Freiheitsstrafe bestimmten und für den Vollzug der Sicherungsverwahrung eingerichteten Anstalt vollzogen. Sie erfolgt in getrennten Abteilungen, es sei denn, die Zahl der Sicherungsverwahrten rechtfertigt die Einrichtung einer solchen Abteilung nicht.“ 3. Hamburg. Auch das HmbStVollzG verzichtetauf eine eigenständige Regelung zur 4 Unterbringung von Frauen in Sicherungsverwahrung. Der Regelungsgehalt des § 135 StVollzG findet sich in § 98 HmbStVollzG (Justizvollzugsanstalten, Trennungsgrundsätze) wieder. Danach sind Frauen und Männer in der Regel in getrennten Anstalten oder Abteilungen untergebracht (Abs. 3); Sicherungsverwahrung wird in einer getrennten Abteilung vollzogen, es sei denn, die Untergebrachten stimmen einer anderen Unterbringung zu (Abs. 4) oder die Teilnahme an Behandlungsmaßnahmen in einer anderen Vollzugseinrichtung soll ermöglicht werden (Abs. 5). Für den seltenen Fall, dass Hamburg eine Sicherungsverwahrte unterzubringen hat, ist damit die gesetzliche Grundlage für ihre Unterbringung in einer für den Vollzug der Freiheitsstrafe bestimmten Abteilung oder Anstalt für Frauen geschaffen, wenn diese für die Sicherungsverwahrung eingerichtet ist. 4. Hessen. Das HStVollzG hat keine § 135 entsprechende frauenspezifische Rege- 5 lung. Die Möglichkeit, weibliche Sicherungsverwahrte in einer für den Vollzug der Freiheitsstrafe vorgesehenen Frauenanstalt unterzubringen, wird mit den Bestimmungen in § 70 Abs. 1, 2, 4 und 5 HStVollzG geschaffen. Danach sind weibliche und männliche Sicherungsverwahrte getrennt voneinander und getrennt von Strafgefangenen in Justizvollzugsanstalten unterzubringen. Von den Trennungsgeboten kann u. a. wegen der geringen Anzahl Sicherungsverwahrter abgesehen werden. In der Begründung wird hier insbesondere auf die Situation im Frauenvollzug hingewiesen. 5. Niedersachsen. Die Bestimmung des § 135 StVollzG wird in dem den Vollzug von 6 Frauen und Männern in Anstalten und Abteilungen regelnden § 171 NJVollzG Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 weitgehend wortgleich übernommen. Die Regelung spricht von „Anstalt oder Abteilung“ anstelle von „Frauenanstalt“. Diese Formulierung trägt der niedersächsischen Vollzugspraxis Rechnung, die neben der zentralen Frauenanstalt in Vechta auch in Anstalten des Männervollzugs Abteilungen für Frauen eingerichtet hat. § 171 Abs. 2 Nr. 2 lautet: „Die einzelnen Vollzugsarten werden jeweils in den dafür bestimmten gesonderten Anstalten oder Abteilungen vollzogen. Abweichend von Satz 1 kann der Voll1023
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Vor §§ 136ff.
3. Abschnitt. Bes. Vorschr. ü. d. Vollzug der freiheitsentz. Maßregeln
zug an einer Sicherungsverwahrten auch in einer für den Vollzug der Freiheitsstrafe an weiblichen Gefangenen bestimmten Anstalt oder Abteilung erfolgen, wenn diese für die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung eingerichtet ist.“ 7
6. Musterentwurf. Der ME-StVollzG verzichtet auf Regelungen zum Vollzug der Sicherungsverwahrung. Nach der Reform der Sicherungsverwahrung (s. Vorbemerkung zu § 129 StVollzG) hatten sich die Länder darauf verständigt, für die Maßregel eigenständige Landesgesetze zu erarbeiten.
ZWEITER TITEL Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt 3. Abschnitt. Bes. Vorschr. ü. d. Vollzug der freiheitsentz. Maßregeln
Vorbemerkung Vor §§ 136ff. Jehle Vorbemerkung Schrifttum Deutscher Bundestag Bericht über die Lage der Psychiatrie in der Bundesrepublik Deutschland (BTDrucks. 7/4200); Blau/Kammeier Straftäter in der Psychiatrie – Situation und Tendenzen des Maßregelvollzuges, Stuttgart 1984; Dessecker Gefährlichkeit und Verhältnismäßigkeit: eine Untersuchung zum Maßregelrecht, Berlin 2004; ders. Straftäter und Psychiatrie: eine empirische Untersuchung zur Praxis der Maßregel nach § 63 StGB im Vergleich mit der Maßregel nach § 64 StGB und sanktionslosen Verfahren, Wiesbaden, 1997; ders. Suchtbehandlung als strafrechtliche Sanktion – Eine empirische Untersuchung zur Anordnung und Vollstreckung der Maßregel nach § 64 StGB, Wiesbaden 1996; ders. Hat die strafrechtliche Unterbringung in einer Entziehungsanstalt eine Zukunft?, in: NStZ 1995, 318 ff; Duncker (Hrsg.) Forensische Psychiatrie – Entwicklung und Perspektiven: Ulrich Venzlaff zum 85. Geburtstag, 2006; Egg (Hrsg.) Der Aufbau des Maßregelvollzuges in den neuen Bundesländern: Chancen und Probleme, Wiesbaden 1996; Förster (Hrsg.) Psychiatrische Begutachtung: ein praktisches Handbuch für Ärzte und Juristen, 4. Aufl., München 2004; Grünebaum Zur Strafbarkeit der Therapeuten im Maßregelvollzug bei fehlgeschlagenen Lockerungen, Frankfurt/Main 1996; v. d. Haar Zum Urteil des BVerfG über die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gem. § 64 StGB aus klinischer Sicht, in: NStZ 1995, 315 ff; Heide Medizinische Zwangsbehandlung, Diss. Berlin 2001; Jehle Strafrechtliche Unterbringung in einem Psychiatrischen Krankenhaus, in BewHi 2005, 3 ff; ders. FS Venzlaff 2008, 211 ff; ders. Zur Privatisierung des Maßregelvollzugs, in: Koriath u. a. (Hrsg.), Grundfragen des Strafrechts, Rechtsphilosophie und die Reform der Juristenausbildung, Göttingen 2010, 85 ff; Kammeier (Hrsg.) Maßregelvollzugsrecht, Berlin/New York 2. Aufl., 2002; Konrad Fehleinweisungen in den psychiatrischen Maßregelvollzug, in: NStZ 1991, 315 ff; Leygraf Psychisch kranke Straftäter, Berlin 1988; Missoni Über die Situation der Psychiatrie in den JVAen in Deutschland, in: ZfStrVo 1996, 143 ff; Nedopil Forensische Psychiatrie: Klinik, Begutachtung und Behandlung zwischen Psychiatrie und Recht, 3. Aufl., Stuttgart 2007; Nowara Stationäre Behandlungsmöglichkeiten im Maßregelvollzug nach § 63 StGB und der Einsatz von Lockerungen als therapeutisches Instrument, in: MschrKrim 1997, 116; Pollähne Lockerungen im Maßregelvollzug, Bern 1994; ders. Ärztliche Verantwortung für rechtswidrige Taten Untergebrachter, in NStZ 1999, 53 ff; Rasch Krank und/oder kriminell, Münster 1984; Royen Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus bzw. in einer Entziehungsanstalt nach §§ 63, 64 StGB als kleine Sicherungsverwahrung?, in StV 2008, 606 ff; Schmidt-Quernheim/Hax-Schoppenhorst Professionelle forensische Psychiatrie: Behandlung und Rehabilitation im Maßregelvollzug, 2. Aufl., Berlin 2008; Schöch Das Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten vom 26.1.1998, in: NJW 1998, 1257 ff; Seifert Gefährlichkeitsprognosen: eine empirische Untersuchung über Patienten des psychiatrischen Maßregelvollzugs, Darmstadt 2007; Stolpmann Bietet mehr Sicherung mehr Sicherheit?, in: NStZ 1997, 316 ff; ders. Psychiatrische Maßregelbehandlung: eine Einführung, Göttingen 2001; Schumann Psychisch kranke Rechtsbrecher, Stuttgart 1987; Ullenbruch Schadensersatz wegen Amtspflichtverletzung durch Gewährung von Vollzugslockerungen und Hafturlaub, in: NJW 2002, 416 ff; Volckart/Grünebaum Maßregelvollzug, 6. Aufl., Neuwied 2003; Wagner Effektiver Rechtsschutz im Maßre-
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gelvollzug – § 63 StGB – Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus, Bonn 1988; F. Weber Gefährlichkeitsprognose im Maßregelvollzug, Pfaffenweiler 1996; Westfälischer Arbeitskreis Maßregelvollzug Lockerungen im Maßregelvollzug (§ 63 StGB) – ein „kalkuliertes Risiko“, in: NStZ 1991, 64 ff.
I. Gesetzgebungskompetenz Infolge der Föderalismusreform (s. § 1 Rdn. 2) fällt die Gesetzgebungskompetenz für 1 die Regelung des Maßregelvollzugs in die Zuständigkeit der Länder. Davor hatte der Bund von der bestehenden konkurrierenden Gesetzgebungszuständigkeit für den Strafvollzug, die nach BVerfGE 85, 134 auch den Maßregelvollzug umfasste, nur sehr zurückhaltend Gebrauch gemacht. Die §§ 136 und 137 StVollzG legen im Wesentlichen die generellen Ziele und Aufgaben der Unterbringung gem. §§ 63, 64 StGB fest. Im Übrigen beschränkt sich das StVollzG in § 138 Abs. 1 S. 1 darauf, die Regelung des Maßregelvollzugs – schon vor der Reform – grundsätzlich den Ländern zu überlassen, wenn Bundesregelungen nicht entgegenstehen. Die hierzu ergangenen Landesgesetze lassen sich in zwei Gruppen einteilen: Manche Länder betrachten den Maßregelvollzug als Teil der öffentlichrechtlichen Unterbringung und regeln ihn in einem Abschnitt der Unterbringungsgesetze (PsychKG), manche haben eigenständige Maßregelvollzugsgesetze erlassen. Teils dieser rechtlichen Struktur folgend, teils unabhängig davon, wird der Maßregelvollzug organisatorisch in eigenständigen Einrichtungen oder in Abteilungen von psychiatrischen Krankenhäusern durchgeführt, die daneben auch für die öffentlichrechtliche oder zivilrechtliche Unterbringung zuständig sind (Kammeier-Kammeier 2010, C 42, C 51). § 138 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 und Abs. 3 regeln im Übrigen die entsprechende Anwendbarkeit einzelner Vorschriften des StVollzG auch im Maßregelvollzug. Dabei handelt es sich um Regelungen zum Haftkostenbeitrag und zur Pfändbarkeit von Überbrückungsgeld und Entlassungsbeihilfe. Darüber hinaus gelten im Maßregelvollzug für das gerichtliche Verfahren die §§ 109 ff StVollzG entsprechend. Soweit bereits Landesvollzugsgesetze in Kraft getreten sind, lassen sie die Vorschriften der §§ 136–138 im Wesentlichen unberührt (Rdn. 9). II. Voraussetzung und Zweck Die Maßregeln nach §§ 63, 64 StGB (vgl. dazu ausführlich LK-Schöch 2008) können 2 nur angeordnet werden, wenn vom Unterzubringenden die Gefahr der künftigen Begehung erheblicher rechtswidriger Taten ausgeht. Bei der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus muss diese Gefahr eine Folge fortdauernder psychischer Störung im Sinne der vier Fallgruppen des § 20 StGB sein und sich bereits in der Anlasstat derart niedergeschlagen haben, dass hierfür keine volle strafrechtliche Verantwortlichkeit bestanden, also Schuldunfähigkeit oder verminderte Schuldfähigkeit vorgelegen hat. Dem gegenüber kann die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt auch bei voller Schuldfähigkeit angeordnet werden, wenn die Anlasstat auf einen Hang zum Rauschmittelkonsum zurückgeht und aus diesem zugleich die Gefahr künftiger erheblicher rechtswidriger Taten erwächst. Zweck beider Maßregeln ist der Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Taten der Untergebrachten. Im Falle von § 64 StGB darf dies ausschließlich im Wege der positiven Spezialprävention, also der Besserung angestrebt werden: D. h., der Rauschmittelabhängige ist – innerhalb der Befristung – solange zu behandeln, bis die mit dem Hang zu Rauschmitteln verknüpfte Gefahr soweit abgeklungen ist, dass eine positive Legalprognose gestellt werden kann. Stellt sich heraus, dass dieser Besserungszweck nicht erreichbar ist, so ist die Unterbringung für erledigt zu erklären, oder besteht von vornherein 1025
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Vor §§ 136ff.
3. Abschnitt. Bes. Vorschr. ü. d. Vollzug der freiheitsentz. Maßregeln
keine hinreichend konkrete Aussicht auf Erfolg, muss die Anordnung gar völlig unterbleiben (§§ 64 Satz 2, 67 d Abs. 5). Auch bei § 63 StGB soll durch heilende oder bessernde Einwirkung auf den Täter sowie durch seine Verwahrung die von ihm ausgehende Gefahr weiterer Taten abgewendet oder verringert werden (positive Spezialprävention). Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus setzt jedoch eine Erfolgsaussicht der Therapie – im Unterschied zu § 64 StGB – nicht zwingend voraus, vielmehr kann – grundsätzlich unbefristet – notfalls lediglich der Sicherungszweck verfolgt werden (negative Spezialprävention). Die Unterbringung dauert daher fort, solange vom Untergebrachten die in § 63 StGB genannte Gefahr fortbesteht. III. Vollstreckung 3
Auch wenn die Maßregeln nach §§ 63, 64 StGB gemäß § 138 Abs. 1 StVollzG i. V. m. den Landesmaßregelvollzugsgesetzen in Einrichtungen der Gesundheits- und Sozialverwaltung vollzogen werden (Rdn. 4, 5), handelt es sich um eine Vollstreckung strafrechtlicher Sanktionen, die der justiziellen Kontrolle bedarf. So ist die Staatsanwaltschaft als Vollstreckungsbehörde an den Entscheidungen über Vollzugslockerungen beteiligt; vor allem aber ist gemäß §§ 463 Abs. 1, Abs. 5, 462 StPO die Strafvollstreckungskammer für die entscheidenden Weichenstellungen der Maßregelunterbringung zuständig: die Entscheidungen, dass die weitere Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung ausgesetzt (§ 67 d Abs. 2 Satz 1 StGB) oder die Maßregel für erledigt erklärt wird (§ 67 d Abs. 6 StGB). Zur Vorbereitung dieser Entscheidungen kann die Strafvollstreckungskammer jederzeit tätig werden, muss aber bei der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt innerhalb von sechs Monaten und in einem psychiatrischen Krankenhaus binnen eines Jahres prüfen, ob die weitere Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung auszusetzen ist (§ 67e StGB). Kommt eine Aussetzung in Betracht, ist – neben der Anhörung von Staatsanwaltschaft, Untergebrachtem und der Vollzugsanstalt (§ 454 Abs. 1 S. 2 StPO) – ein Sachverständigengutachten einzuholen, das sich zu der Frage äußern muss, ob die Gefährlichkeit des Untergebrachten noch fortbesteht (§§ 463 Abs. 3, 454 Abs. 2 StPO). IV. Zum Vollzug
4
Systematisch gehört der Maßregelvollzug zum Strafvollzugsrecht, wie auch die Maßregeln zum Strafrecht gehören (vgl. BVerfGE 85, 134). Es handelt sich aber nur im weiteren Sinne um Strafvollzug. Der Vollzug wird nämlich nicht in Justizvollzugsanstalten, sondern in psychiatrischen Krankenhäusern durchgeführt. Diese sind nicht der Justizverwaltung mit dem Justizministerium an der Spitze unterstellt, sondern Teil der Gesundheitsverwaltung. Der Maßregelvollzug wird in den Krankenhäusern ohne justizielle Beteiligung in Eigenregie durchgeführt. Dies gilt nicht nur für die Behandlung selbst, sondern auch für Zwangsmaßnahmen im Maßregelvollzug. Die Art und Weise der Durchführung des Maßregelvollzugs, insbesondere das Erzielen von Therapiefortschritten beim Untergebrachten, ist allerdings durchaus Vorbedingung für justizielle Entscheidungen, z. B. die bedingte Entlassung aus dem Maßregelvollzug gem. § 67 d Abs. 2 Satz 1 StGB. Aus der Natur der – zunächst jedenfalls – geschlossenen Unterbringung ergeben sich – vergleichbar mit dem Strafvollzug – zwangsläufig Grundrechtseinschränkungen, z. B. im Hinblick auf Außenkontakte, die über die reinen Zwecke der Behandlung und sicheren Unterbringung hinausgehen. Insofern bedarf es dafür ausdrücklicher LegiJehle
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timation wie im Strafvollzug und die Position der Leitung eines Maßregelvollzugskrankenhauses ist der eines Anstaltsleiters vergleichbar. Die bestehenden Maßregelvollzugsgesetze der Länder erreichen indes tatsächlich nicht die Differenziertheit des StVollzG im Hinblick auf die Rechte und Pflichten der Untergebrachten (ähnlich C/MD 2008 § 136 Rdn. 2). V. Zur Privatisierung Die Durchführung des Maßregelvollzugs ist unbestritten eine staatliche Aufgabe. 5 Manche Landesgesetze haben jedoch vorgesehen, dass die Wahrnehmung dieser Aufgabe auf Private übertragen werden kann; und einige Länder haben tatsächlich von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht. Während noch vor wenigen Jahren der Maßregelvollzug ausschließlich in staatlichen Einrichtungen, seien es separate Maßregelvollzugseinrichtungen, seien es psychiatrische Landes- bzw. Bezirkskrankenhäuser, durchgeführt wurde, haben sich inzwischen verschiedene Formen der Privatisierung entwickelt, die von der reinen Organisationsprivatisierung in Form landeseigener Gesellschaften bis hin zur vollständigen Übertragung der Aufgabe auf private Träger reichen. Ob und in welcher Form eine Privatisierung verfassungsrechtlich zulässig ist, ist umstritten (s. dazu Burgi Gutachten für den 67. Dt. Juristentag, Privatisierung öffentlicher Aufgaben – Gestaltungsmöglichkeiten, Grenzen Regelungsbedarf, 2008; DBH (Hrsg.) Privatisierung und Hoheitlichkeit in Bewährungshilfe und Strafvollzug, Köln 2008; Dessecker (Hrsg.) Privatisierung in der Strafrechtspflege, KUP Band 56, Wiesbaden 2008; Grünebaum Zur Privatisierung des Maßregelvollzugs: Wie eine Diskussion haarscharf am Kern vorbeigeht, in R&P 2006, 24 (2), 55 ff; Scherer Vom staatlichen zum staatlich regulierten Maßregelvollzug, in FS für Frotscher 2006, 617 ff; Stober (Hrsg.) Privatisierung im Strafvollzug?, Köln/ Berlin/Bonn/München 2001; Willenbruch/Bischoff Verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Privatisierung des Maßregelvollzugs, in NJW 2006, 1776 ff). Demgegenüber besteht weithin Einigkeit, dass im Strafvollzug eine Übertragung der Aufgabe an beliehene private Unternehmer nicht zulässig ist (Burgi 2008, 63). Auf Landesebene ist das Urteil des Niedersächsischen StGH (NdsVBl 2009, 77 ff.) 6 von Bedeutung. Anders als Burgi, der die Übertragung auf Private mit der medizinischtherapeutisch geprägten Aufgabenstellung des Maßregelvollzugs rechtfertigt, zählt der Nds. StGH – zu Recht – auch die Behandlung und die damit evtl. verbundenen Zwangsmaßnahmen zum eingriffsintensiven Bereich. Er lässt allerdings private Träger dann zu, wenn deren Bedienstete von der staatlichen Aufsichtsbehörde zu Verwaltungsvollzugsbeamten im Sinne des Nds. SOG ernannt worden und damit zu Zwangseingriffen legitimiert sind. Mit dieser fragwürdigen Konstruktion wird freilich die Regelung des Art. 60 der Niedersächsischen Landesverfassung bzw. Art. 33 Abs. 4 GG, dass die Erfüllung hoheitlicher Aufgaben Statusbeamten vorbehalten sein soll, unterlaufen (Jehle, 2010, 85 ff, 99ff.; vgl. auch Thiele Der Staat 2010, 274 ff). Das BVerfG hat kürzlich entschieden, dass die Übertragung von Aufgaben des Maß- 7 regelvollzuges auf formell privatisierte Träger mit Art. 33 Abs. 4 GG sowie dem Demokratieprinzip und den Grundrechten der Untergebrachten vereinbar sein kann (BVerfG NJW 2012, 1563 ff). Zwar gelte Art. 33 Abs. 4 GG auch für die Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben in privatrechtlichen Organisationsformen, doch sehe die Vorschrift Ausnahmen von der Funktionsvorbehaltsregel vor (BVerfG NJW 2012, 1563, 1564). Eine solche Ausnahme bedarf nach dem BVerfG und herrschender Meinung in der Literatur der Rechtfertigung eines besonderen sachlichen Grundes (BVerfG aaO, 1565; Jarass/Pieroth Grundgesetz 2011 Art. 33 Rdn. 42; Dreier-Masing Grundgesetz 2006 Art. 33 Rdn. 70; Umbach/ Clemens-Dollinger/Umbach Grundgesetz 2002 Art. 33 Rdn. 83; v. Münch/Kunig Grundge1027
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Vor §§ 136ff.
3. Abschnitt. Bes. Vorschr. ü. d. Vollzug der freiheitsentz. Maßregeln
setz-Kommentar 2001 Art. 33 Rdn. 50). Insoweit könne berücksichtigt werden, ob eine auf ihre Ausnahmefähigkeit hin zu beurteilende Tätigkeit Besonderheiten aufweist, deretwegen Kosten und Sicherungsnutzen des Einsatzes von Berufsbeamten in einem anderen – deutlich ungünstigeren – als dem nach Art. 33 Abs. 4 GG im Regelfall vorauszusetzenden Verhältnis stünden (BVerfG aaO, 1566). Die hessische Privatisierungslösung, die der Entscheidung des BVerfG zu Grunde lag, diene gerade der Erhaltung des organisatorischen Verbundes der Maßregelvollzugseinrichtungen und der sonstigen derzeit unter dem Dach der jeweiligen gGmbH zusammengefassten psychiatrischen Einrichtungen, um so durch Synergieeffekte, sowie verbesserte Personalgewinnungs-, Ausbildungs- und Fortbildungsmöglichkeiten dem Maßregelvollzug zugutezukommen (BVerfG aaO). Damit ist aber nicht entschieden, dass eine Ausnahme vom Funktionsvorbehalt gerechtfertigt ist, wenn der Träger nicht öffentlich-rechtlicher Art, sondern ein kommerzielles Unternehmen, wie z. B. in Niedersachsen, ist. VI. Statistik 8
Die Zahlen sowohl der jährlich angeordneten Unterbringungen als auch der im Maßregelvollzug Untergebrachten sind in den letzten 10 Jahren enorm gestiegen (Jehle in FS Venzlaff 2008, S. 211 ff). Für die Überfüllung des Maßregelvollzugs sind aber nicht nur die vermehrten Anordnungen verantwortlich, vielmehr liegt ein maßgeblicher Grund darin, dass die durchschnittliche Verweildauer im Maßregelvollzug nach § 63, die zuvor auf etwa vier Jahre gesunken war, inzwischen wieder stark angestiegen ist, was vermutlich mit den erhöhten Anforderungen an die Entlassungsprognose zusammenhängt (Jehle aaO m. w. N.). Dieser enorme Belegungsdruck dürfte manche Länder auch dazu geführt haben, die notwendigen Investitionen in zusätzliche Plätze nicht aus den Länderhaushalten zu finanzieren, sondern den Maßregelvollzug auf Private zu übertragen, was freilich langfristig eine Erhöhung der Pflegesätze nach sich ziehen dürfte. VII. Landesgesetze und Musterentwurf
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Die Regelungen des StVollzG wurden in Bayern gem. Art. 208 BayStVollzG, in Hamburg gem. § 130 Nr. 4 HmbStVollzG und in Hessen gem. § 83 Nr. 4 HStVollzG explizit nicht vom jeweiligen Landes-Strafvollzugsgesetz ersetzt, damit gelten die §§ 136 bis 138 StVollzG und die bisherigen landesrechtlichen Bestimmungen fort. Es verbleibt mithin auch bei dem Rechtsweg nach §§ 109 ff i. V. m. § 138 Abs. 3 (s. § 138 Rdn. 2). Auch nach dem Musterentwurf ergibt sich dies, da § 1 ME-StVollzG den Maßregelvollzug nicht in den Anwendungsbereich des Gesetzes einschließt. In Baden-Württemberg wurde § 136 StVollzG durch den nahezu identischen § 104 JVollzGB III ersetzt: Der Austausch der „ärztlichen Gesichtspunkte“ in „medizinische Gesichtspunkte“ soll am Inhalt der Norm nichts ändern (vgl. LT-Drucks. 14/5012, 240). Desweiteren ist § 137 StVollzG durch den identischen § 105 JVollzGB III ersetzt worden. Im Übrigen verweist § 106 Abs. 4 JVollzGB III auf § 138 Abs. 2 S. 3 und 4 sowie Abs. 3. Das NJVollzG regelt die Maßregeln der Besserung und Sicherung nicht. Stattdessen existiert ein novelliertes MVollzG, das in § 2 die Ziele der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt bestimmt. Da Pfändungsschutz und Rechtsbehelfe bundesgesetzliche Materie sind, gilt insoweit § 138 Abs. 3 i. V. m. §§ 109 ff StVollzG fort.
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Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus
§ 136
§ 136 Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus § 136 Jehle Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus Die Behandlung des Untergebrachten in einem psychiatrischen Krankenhaus richtet sich nach ärztlichen Gesichtspunkten. Soweit möglich, soll er geheilt oder sein Zustand so weit gebessert werden, dass er nicht mehr gefährlich ist. Ihm wird die nötige Aufsicht, Betreuung und Pflege zuteil. 3. Abschnitt. Bes. Vorschr. ü. d. Vollzug der freiheitsentziehenden Maßregeln I.
II.
Übersicht Allgemeine Hinweise ____ 1–5 1. Anordnungsvoraussetzungen ____ 1–4 2. Zahlenmäßige Entwicklung ____ 5 Erläuterungen ____ 6–11 1. Zweck der Maßregel ____ 6, 7
2. Behandlung ____ 8 3. Ziel der Behandlung, Behandlungsmethoden ____ 9 4. Betreuung, Pflege, Aufsicht ____ 10 5. Trennung ____ 11
I. Allgemeine Hinweise 1. Anordnungsvoraussetzungen. Die Unterbringung in einem psychiatrischen 1 Krankenhaus ist eingebettet in das staatliche System der freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung (§§ 61 ff StGB). Dabei kommt die Psychiatrie auf zweierlei Weise ins Spiel: Zum einen ist ein Gutachten über die Voraussetzungen der Schuld(un)fähigkeit und die Notwendigkeit des Maßregelvollzugs abzugeben; nur auf dieser Grundlage kann das Gericht die Unterbringung anordnen. Zum anderen übernimmt die Psychiatrie die Durchführung der Unterbringung und die Therapie des Untergebrachten, wobei wiederum das fachärztliche Gutachten die Entscheidungsgrundlage für die richterlich angeordnete Entlassung bildet. Voraussetzung für die Anordnung der Unterbringung nach § 63 StGB ist zunächst, 2 dass der Täter die Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit oder der verminderten Schuldfähigkeit begangen hat. Als erstes muss eine psychische Störung vorliegen; das Gesetz nennt hier vier Fallgruppen (vgl. dazu Schönke/Schröder-Lenckner/Perron 2012 Rdn. 5–24 zu § 20) und die ersten drei entsprechen weitgehend psychiatrisch zu definierenden psychischen Defekten: krankhafte seelische Störung (das sind vor allem die Psychosen), tiefgreifende Bewusstseinsstörung (hierunter fallen insbesondere Affektdelikte), Schwachsinn, d. h. angeborene oder erworbene Intelligenzschwäche. Die vierte Fallgruppe, die schwere andere seelische Abartigkeit ist im Zuge der großen Strafrechtsreform eingefügt worden; mit ihr werden schwere psychische Abweichungen erfasst, die nicht einem klassischen psychiatrischen Krankheitsbild unterfallen, aber – wie die Rechtsprechung festgelegt hat – einen sog. Krankheitswert besitzen, also in ihrer Schwere den psychiatrischen Krankheitsbildern gleichkommen. Es geht hier um sog. Persönlichkeitsstörungen, in anderer Terminologie auch Psychopathien, Neurosen oder Triebstörungen. Die Weite und Konturlosigkeit dieser 4. Fallgruppe bringt es mit sich, dass über die Abgrenzungen vielfach Streit besteht (hierzu Venzlaff/Foerster 2009, 94). Nach einer verbreiteten, in der forensischen Psychiatrie und der Rechtswissenschaft vertretenen Ansicht soll eine Exkulpation nur unter ganz besonderen Voraussetzungen in seltenen Ausnahmefällen erfolgen; und auch die Anwendung der verminderten Schuldfähigkeit soll hier eine Ausnahme bleiben. Liegt eine der genannten vier Fallgruppen vor, muss psychologisch-normativ fest- 3 gestellt werden, ob die Fähigkeit, das Unrecht der Tat einzusehen, bzw. die Fähigkeit, nach dieser Einsicht zu handeln, ausgeschlossen ist. Wenn ja, führt dies zur Schuldunfähigkeit und zur Straflosigkeit, gegebenenfalls kann aber eine Unterbringung in ei1029
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3. Abschnitt. Bes. Vorschr. ü. d. Vollzug der freiheitsentziehenden Maßregeln
nem psychiatrischen Krankenhaus erfolgen. In der Strafrechtspraxis dominieren die schuldunfähig Untergebrachten, die daneben keine Strafe zu verbüßen haben (s. genauer Dessecker Straftäter und Psychiatrie, 1997, 98 sowie Jehle Stationäre Maßregeln: Krise oder Konjunktur?, in FS Kaiser 1998, 1201 ff). Das Nebeneinander von Maßregel und Strafe betrifft nur eine Minderheit der vermindert Schuldfähigen. Hier gilt die Regel, dass die Maßregel zunächst zu vollziehen ist. Dabei wird die Unterbringungszeit auf die Strafdauer angerechnet (sog. Vikariieren), so dass die meisten Untergebrachten nicht anschließend eine Strafe verbüßen müssen, sondern in die Freiheit entlassen werden (die Anrechnung erfolgt bis zu zwei Dritteln der Strafe, der Strafrest wird zeitgleich mit der Unterbringungsaussetzung zur Bewährung ausgesetzt); §§ 67, 67 d i. V. m. § 57 StGB. Weitere Voraussetzung für die Unterbringung in einem psychiatrischen Kranken4 haus ist, dass aus der psychischen Störung die Gefahr künftiger erheblicher Straftaten resultiert (Vor §§ 136–138, Rdn. 2). Die Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus ist grundsätzlich unbefristet. Das Gericht setzt die Vollstreckung der Unterbringung nur bei günstiger Täterprognose zur Bewährung aus, „wenn zu erwarten ist, dass der Untergebrachte keine rechtswidrigen Taten mehr begehen wird“ (§ 67 d Abs. 2 Satz 1). Es ist umstritten, ob mit dieser seit 1998 gefundenen Formulierung lediglich eine Klarstellung hinsichtlich der von der Rechtsprechung ohnehin entwickelten Prognosemaßstäbe beabsichtigt war oder ob es sich um eine Verschärfung des prognostischen Maßstabs handelt (vgl. dazu v. a. Schöch NJW 1998, 1257 ff). Jedenfalls ist nunmehr zwingend das Gutachten eines Sachverständigen einzuholen, wenn das Gericht erwägt, die Vollstreckung auszusetzen (§§ 463 Abs. 3 Satz 3 i. V. m. 454 Abs. 2 Nr. 2 StPO). 5
2. Zahlenmäßige Entwicklung. Um die Bedeutung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ermessen zu können, lohnt es sich, einen Blick auf die zahlenmäßige Entwicklung zu werfen. Von einem hohen Anfangsniveau in den 1960er Jahren ausgehend kommt es zwischen 1970 und Ende der 1980er Jahre bei den Belegungszahlen zu einer erstaunlichen Abnahme; die Anzahl der Insassen halbiert sich nahezu. Dieser Vorgang lässt sich mit parallelen, einander verstärkenden Entwicklungen in der Strafrechtspraxis und in der Psychiatrie erklären. Der Gesetzgeber hatte den Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit (§ 62 StGB) auch für die Anordnung und die Vollstreckung der Maßregel nach § 63 StGB statuiert und zum Ausdruck gebracht, dass es vorrangiges Ziel des Maßregelvollzugs sei, die Betroffenen zu bessern und damit wieder in Freiheit entlassen zu können. Zur gleichen Zeit ist der therapeutische Anspruch der Allgemeinpsychiatrie und insbesondere der forensischen Psychiatrie verstärkt worden; die Krankenhäuser haben sich von Verwahreinrichtungen in Behandlungseinrichtungen gewandelt (Nedopil Forensische Psychiatrie: Schutz oder Risiko für die Allgemeinheit?, in: Schöch/Jehle, Angewandte Kriminologie zwischen Freiheit und Sicherheit 2004, 347 ff). Seit Anfang der 1990er Jahre kann wieder eine gegenläufige Entwicklung beobachtet werden. Die Unterbringungsanordnungen steigen wieder, zunächst gemächlich, dann sehr deutlich, so dass sie sich in einem kurzen Zeitraum mehr als verdoppeln auf knapp über 1000 (2007) pro Jahr. Eine gesetzgeberische Änderung liegt dem nicht zugrunde; allerdings haben sich im kriminalpolitischen Klima starke Veränderungen ergeben, die den Gesichtspunkt der Sicherheit verstärkt hervortreten lassen und die ersichtlich auch Einfluss auf die Strafrechtspraxis gewonnen haben. Noch deutlicher schlägt sich dies in einer steigenden Belegung nieder. Die Patientenzahl hat mit über 6.569 Personen im Jahr 2010 einen historischen Höchststand erreicht, und ein Ende dieser Aufwärtsbewegung ist bisher nicht ersichtlich. Dies ist nicht nur Folge vermehrter Anordnungen, sondern Jehle
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auch einer sich verlängernden Verweildauer. Offensichtlich werden bei der Entlassungsprognose verschärfte Kriterien angewandt, und es ist die Bereitschaft, zugunsten der zu Entlassenden ein gewisses Risiko einzugehen, gesunken. Mit diesen Veränderungen der Belegungszahlen hat sich zugleich auch die Klientel der Untergebrachten geändert. Bei mehr als 70% der nach § 63 Untergebrachten liegen Gewalt- oder Sexualdelikte zugrunde. Daneben haben Brandstiftungen mit ca. 10% einen beachtlichen Anteil. Reine Eigentums- und Vermögensdelikte spielen heute (mit 7%) kaum noch eine Rolle, während sie noch in den 60er und 70er Jahren einen bedeutsamen Anteil an der Maßregelvollzugspopulation besaßen. Ganz offensichtlich hat hier der Prognosemaßstab, dass erhebliche Straftaten drohen müssen, sowie der generell für das Maßregelrecht geltende Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (§ 62 StGB) zu einer Konzentration auf schwerere Delikte geführt (s. näher Jehle, in: FS Venzlaff 2008, S. 211 ff). II. Erläuterungen 1. Zweck der Maßregel. Zweck der Maßregel der Unterbringung in einem psychiat- 6 rischen Krankenhaus nach § 63 StGB ist es, die Gesellschaft vor weiteren erheblichen Straftaten der Betroffenen zu schützen (s. LK-Schöch §§ 61 ff). Dementsprechend formuliert § 136 als Ziel der Behandlung während der Unterbringung, dass der Untergebrachte für die Allgemeinheit „nicht mehr gefährlich ist“ (Satz 2). Freilich darf dies nicht mit allein sichernden Maßnahmen geschehen; vielmehr muss der Aufenthalt in psychiatrischen Krankenhaus dazu genutzt werden, im Sinne der „Besserung“ – die der Gesetzgeber vorrangig nennt – auf die Betroffenen einzuwirken. Anders als bei der Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt muss das psychiatrische Krankenhaus aber auch Personen aufnehmen, bei denen die Behandlung von vorneherein mehr oder weniger aussichtslos erscheint. Liegt allerdings die psychische Störung i. S. v. § 20 StGB nicht mehr vor oder hat sie von vornherein nicht bestanden, so ist die Maßregel für erledigt zu erklären (§ 67 d Abs. 6) und der Betroffene aus dem Maßregelvollzug zu entlassen. Bei fortbestehender Gefährlichkeit kann dann ggf. nachträgliche Sicherungsverwahrung nach § 66 b Abs. 3 StGB angeordnet werden. Ziel des Maßregelvollzugs ist also, auf die Patienten so einzuwirken, dass sie mög- 7 lichst bald wieder entlassen werden können – ohne befürchten zu müssen, dass sie wieder straffällig werden. Dies geschieht gem. Satz 1 durch Behandlung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach ärztlichen Gesichtspunkten. Mit der Formel „psychiatrisches Krankenhaus“ (§ 63 StGB, § 136 StVollzG) hat der Gesetzgeber indes keine Vorentscheidung darüber getroffen, ob es sich um eine spezialisierte Maßregelvollzugseinrichtung oder um eine Klinik der psychiatrischen Allgemeinversorgung handeln soll (Kammeier-Baur 2002 Rdn. C 50 ff; vgl. auch Vor §§ 136–138 Rdn. 5). Entscheidend ist aber, dass die Einrichtung nach ärztlichen Gesichtspunkten geführt und damit die Unterbringung nach den durch den Zustand des Untergebrachten bedingten therapeutischen Erfordernissen gestaltet wird. Die Untergebrachten sind also keine Gefangenen im strafrechtlichen Sinne, sondern Patienten, die einen Behandlungsanspruch besitzen, mit dem eine Behandlungspflicht seitens der Einrichtung korrespondiert (so auch AK-Pollähne 2012 Vor § 136 Rdn. 18). Dies bedeutet negativ, dass die Unterbringung keinen bloßen Verwahrcharakter (C/MD 2008 Rdn. 1) haben darf. 2. Behandlung. Die Ausrichtung auf ärztliche Gesichtspunkte darf jedoch nicht zu 8 dem Irrtum verführen, jede Form des Umgangs mit den Untergebrachten sei ärztlichpsychiatrische Behandlung. Solche Behandlungsmaßnahmen umfassen nur einen begrenzten Bereich. Die daneben stehenden Sicherungs- und Ordnungsmaßnahmen, die 1031
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sich auf andere Normen stützen, dürfen nicht als ärztliche Maßnahmen deklariert werden, um sie so der Rechtskontrolle zu entziehen. Ein besonderes Problem bildet die Zwangsbehandlung, die nach den Landesgesetzen i. V. m. §§ 136, 138, im Detail aber von Land zu Land unterschiedlich geregelt ist. Nach einer neueren Entscheidung des BVerfG kann eine Zwangsbehandlung im Einzelfall zwar gerechtfertigt sein, doch folgen aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit strenge Anforderungen an die Zulässigkeit des Eingriffs, da insbesondere die medikamentöse Zwangsbehandlung ein schwerwiegender Eingriff in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit ist (BVerfG NJW 2011, 2113). Selbst die Einwilligung des für einen einsichts- und einwilligungsunfähigen Untergebrachten bestellten Betreuers nimmt der Maßnahme nicht den Eingriffscharakter, der darin liegt, dass sie gegen den natürlichen Willen des Betroffenen erfolgt (BVerfG aaO, 2114 m. w. N.), zumal das Betreuungsrecht ohnehin keine ausreichende gesetzliche Grundlage für die Zwangsbehandlung darstellt (BGHZ 145, 297; OLG Celle R&P 2005, 196). Die Anforderungen an die Zulässigkeit der Zwangsbehandlung betreffen sowohl die materiellen Eingriffsvoraussetzungen als auch deren Sicherung durch verfahrensrechtliche Vorkehrungen (BVerfG aaO, 2214). Die Eingriffsvoraussetzungen müssen in hinreichend klarer und bestimmter Weise gesetzlich geregelt sein (BVerfG aaO, 2118 f), was bislang bei den meisten landesgesetzlichen Regelungen nicht der Fall ist, so dass hier eine Novellierung notwendig wird (vgl. AKPollähne 2012 Vor § 136 Rdn. 20). Die Zwangsbehandlung ist nach dem BVerfG zur Erreichung des Vollzugsziels nur zulässig, soweit der Untergebrachte krankheitsbedingt zur Einsicht in die Behandlungsbedürftigkeit oder zum Handeln gemäß dieser Einsicht nicht fähig ist (BVerfG aaO. 2116). Zwangsbehandlung ist nicht nur eine Ausnahme ihrer rechtlichen Regelung nach, sie ist es auch im psychiatrischen Alltag, denn jede Form des Zwanges bei einer Behandlung mindert deren Erfolgsaussichten. Unmittelbarer Zwang ist nach Einführung der modernen Psychopharmaka äußerst selten geworden. Die bei vielen forensischen Patienten angezeigte Psychotherapie ist zwangsweise ohnehin nicht möglich. Doch selbst die medikamentöse Behandlung bedarf, wenn sie nachhaltig erfolgreich wirken soll, der Mitarbeit des Patienten. 9
3. Ziel der Behandlung, Methoden. Ziel der Behandlung ist idealer Weise die Heilung des Untergebrachten (Satz 2, 1. Alt.) oder jedenfalls die Besserung seines Zustands (2. Alt.) bis dahin, dass die Entlassungsreife nach § 67 d Abs. 2 StGB erreicht wird, mithin der Maßregelvollzug beendet werden kann. Die Behandlungsmethoden, um dieses Ziel zu erreichen, richten sich nach der Art der zugrunde liegenden Störung, sind aber nicht auf ärztliche Maßnahmen im engeren Sinne begrenzt. Vielmehr ist auf den interessanten Aspekt hinzuweisen, dass neben medikamentöse Behandlung und Psychotherapie zunehmend Methoden treten, die der Sozialtherapie des Strafvollzugs ähneln (Nedopil Forensische Psychiatrie: Schutz oder Risiko für die Allgemeinheit?, in: Schöch/Jehle, Angewandte Kriminologie zwischen Freiheit und Sicherheit 2004, 347 ff). Dies hat seinen Grund darin, dass sich die Klientel des Strafvollzugs und des Maßregelvollzugs in mancherlei Hinsicht gleichen. Betrachtet man die biographische Entwicklung der Probanden, so fallen bei Strafgefangenen wie bei Maßregelvollzugs-Patienten vielfach Sozialisationsdefizite ebenso wie ein Versagen bei der gesellschaftlichen Integration, im Beruf und in sozialen Beziehungen auf (Rössner Dissoziale Persönlichkeitsstörung und Strafrecht, in: Schöch/Jehle, Angewandte Kriminologie zwischen Freiheit und Sicherheit 2004, 391 ff). Die forensische Psychiatrie hat es heute zunehmend mit dissozialen Persönlichkeiten zu tun. Insoweit ergeben sich Überschneidungen mit der Klientel des Strafvollzugs, insbesondere der Sozialtherapeutischen Anstalt, und nähern sich Behandlungsansätze und -konzepte einander an. Neben der eigentlichen psychiatrischen Behandlung Jehle
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der psychischen Störung kommt es also für die Rückfallprävention entscheidend darauf an, die Betroffenen auf eine soziale (Re)Integration vorzubereiten. Das therapeutische Konzept baut heute in der Regel auf einem Stufenplan auf: die Behandlung und Unterbringung erfolgt zunächst in einem vollkommen geschlossenen Bereich und gibt dann – nach therapeutischem Fortschritt – von Stufe zu Stufe mehr Freiheiten und Verantwortung für den Patienten (Nedopil Forensische Psychiatrie: Schutz oder Risiko für die Allgemeinheit? m. w. N., in: Schöch/Jehle, Angewandte Kriminologie zwischen Freiheit und Sicherheit 2004). Bei diesen sog. Lockerungen kann auch getestet werden, ob und wann eine Entlassung in Frage kommt. Freilich ist das Konzept nicht ohne Risiko. So hat eine Essener Studie (Seifert/Jahn/Bolten Zur momentanen Entlassungssituation forensischer Patienten und zur Problematik der Gefährlichkeitsprognose, Fortschritte der Neurologie, Psychiatrie 2001, S. 245 ff) herausgefunden, dass immerhin 10% der Patienten während des Maßregelvollzugs erneut Straftaten begehen. Es ist allerdings unvermeidlich, ein gewisses Risiko bei der Entlassungsvorbereitung einzugehen. Sichere Prognosen gibt es nun einmal nicht, absolute Sicherheit gäbe es nur, wenn niemand mehr entlassen würde. Indessen genießt der Schutz der Gesellschaft vor Straftaten keinen absoluten Vorrang. Vielmehr hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 70, S. 297 ff) statuiert, der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gebiete, das Schutzinteresse der Allgemeinheit gegen das Freiheitsinteresse des Einzelnen abzuwägen; je länger die Unterbringung dauere, desto stärker falle das Freiheitsinteresse des Betroffenen ins Gewicht und desto eher sei an eine Entlassung zu denken. Schon aus verfassungsmäßigen Gründen müssen also Entlassungschancen eingeräumt und damit auch Risiken eingegangen werden. 4. Betreuung, Pflege, Aufsicht. Unabhängig davon, ob das Behandlungsziel nach 10 Satz 2 erreicht werden kann, formuliert Satz 3 als Mindestauftrag, dass dem Untergebrachten in erforderlichem Umfang Aufsicht, Betreuung und Pflege zuteil wird. Betreuung und Pflege werden im klinischen Gebrauch oft als Begriffspaar genannt; sie überschneiden einander im Bedeutungsgehalt weitgehend. Neben der in einem Krankenhaus selbstverständlichen (Kranken-)Pflege, geht es bei psychisch gestörten Personen um den Schutz vor sich selbst und – insbesondere im Hinblick auf die langfristigen Aufenthalte – um eine milieu- und soziotherapeutische Pflege (Schmidt-Quernheim/Hax-Schoppenhorst 2008, 123 ff), nicht zuletzt in Form der Pflege von Beziehungen (Stolpmann 2001, 76 f); hierbei sind die betreuenden Pflegekräfte von überragender Bedeutung (KammeierBaur 2002, Rdn. C 76). Die Verpflichtung zur Aufsicht bezieht sich zum einen auf die Sicherheit nach innen: Mitpatienten und Bedienstete sind vor den Untergebrachten, aber auch vor sich selbst zu schützen. Zum anderen leitet sich vom Sicherungszweck, dem Schutz der Allgemeinheit ab, dass Aufsichtsmaßnahmen getroffen werden, die Entweichungen verhindern bzw. Gefährdungen bei Lockerungen eingrenzen. Insofern beschränkt die aus dem Sicherungszweck abgeleitete Aufsichtspflicht das Risiko, das mit Lockerungen eingegangen werden darf. Allerdings resultiert daraus kein absoluter Vorrang der Sicherheit (Arloth 2011 Rdn. 4) in dem Sinne, dass keinerlei Risiko eingegangen werden darf; denn die Erprobung von Lockerungen ist notwendiger Zwischenschritt zum gesetzgeberischen Ziel der Spezialprävention durch Besserung (s. Rdn. 9). 5. Trennung. Diese Überlegungen haben auch Bedeutung für die Frage, ob Un- 11 tergebrachte von anderen psychiatrischen Patienten zu trennen sind. Eine solche Absonderung ist bei gleichartigen Behandlungsbedürfnissen nach dem Gesetz nicht geboten (Volckart/Grünebaum 2009, III., Rdn. 526 f.; a. A. Grunau/Tiesler 1982 Rdn. 3). Andererseits darf die Behandlung der anderen Patienten nicht durch die für manche Unter1033
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gebrachten erforderlichen Sicherungsmaßnahmen gestört werden. So wird auch künftig ein Teil von ihnen in besonders gesicherten Häusern zu verwahren sein. Die Trennung kann auch deshalb angezeigt sein, weil die Untergebrachten oft schwierige Persönlichkeiten sind, die ihren Mitmenschen – Patienten oder Personal – im täglichen Umgang das Leben schwer machen. Aus diesem Grunde findet in der Praxis eine Trennung der Forensik fast durchgehend statt. Jedoch geschieht dies nicht aus Gründen der unterschiedlichen Rechtsgrundlage ihres Aufenthalts in der Psychiatrie.
§ 137 Unterbringung in einer Entziehungsanstalt § 137 Jehle Unterbringung in einer Entziehungsanstalt Ziel der Behandlung des Untergebrachten in einer Entziehungsanstalt ist es, ihn von seinem Hang zu heilen und die zugrunde liegende Fehlhaltung zu beheben. Die Vorschrift konkretisiert, dass der Zweck der Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB im Wege der Behandlung zu erreichen ist. Als Ziel der Behandlung gilt die Heilung des Hangs, Rauschmittel „im Übermaß zu sich zu nehmen“ (§ 64 Abs. 1 StGB), und die ihm „zugrunde liegende Fehlhaltung“ zu beheben (RegE BT-Drucks. 7/918, S. 90). Damit greift das StVollzG den umstrittenen Hangbegriff (vgl. LK-Schöch § 64 Rdn. 44 ff) auf. Ob eine „Heilung“ des Hangs erwartet werden kann, ist zweifelhaft; jedenfalls muss Ziel der Behandlung sein, die aus dem Hang resultierende Gefahr der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten zu vermindern. Anders als bei der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus darf dies aber nur im Wege der Besserung geschehen: Sobald feststeht, dass keine hinreichende Aussicht auf den Erfolg der Behandlung mehr besteht, muss der Vollzug beendet und die Maßregel für erledigt erklärt werden (§ 67 d Abs. 5 StGB). Fehlt es an dieser hinreichenden Erfolgsaussicht von vornherein, darf die Maßregel schon gar nicht angeordnet werden (§ 64 Abs. 2 StGB). Mithin hat der Vollzug der Maßregel therapeutische Funktion und der Untergebrachte einen Anspruch auf Suchtbehandlung (OLG Celle NStZ 1995, 255). Aber selbstverständlich ergibt sich aus dem übergeordneten Sicherungszweck der Maßregel (Vor §§ 136–138 Rdn. 1), dass während der Unterbringung der Schutz der Allgemeinheit zu gewährleisten ist und Entweichungen zu verhindern sind (missverständlich AK-Pollähne 2012 Rdn. 3). Die Unterbringung nach § 64 StGB ist von vornherein zeitlich befristet. Die nach 2 § 67 d Abs. 1 StGB bestehende Höchstdauer von zwei Jahren kann überschritten werden, wenn – was bei § 64 StGB regelmäßig der Fall ist – eine Parallelstrafe verhängt wurde. Ob allerdings aus Behandlungsgründen eine Verweildauer über zwei Jahre hinaus zweckmäßig ist, erscheint zweifelhaft. Problematisch sind die nach § 64 StGB untergebrachten Schwerkriminellen mit langen Freiheitsstrafen im Vorwegvollzug. Da die Alkoholtherapie z. B. nach kurzer geschlossener Phase die Erprobung in Lockerungen verlangt, die für sie aber ausgeschlossen sind, lässt sich eine Therapie schwer durchführen. Auch ist die Motivation des Untergebrachten verständlicherweise schwach, wenn ihm im Anschluss an eine erfolgreiche Behandlung vielleicht noch mehrere Jahre Strafvollzug bevorstehen. Deshalb soll entgegen der gesetzlichen Regel des § 67 Abs. 1 StGB bei Parallelstrafen von über drei Jahren in der Regel der Vorwegvollzug der Strafe angeordnet werden (§ 67 Abs. 2 S. 2 StGB), um eine Gefährdung des Erfolgs der Unterbringung durch den nachfolgenden Strafvollzug auszuschließen und die Ausgangsbedingungen der Therapie zu verbessern (BGH NStZ 2000, 529). War die Behandlung erfolgreich, so setzt das Gericht 1
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nach § 67 d Abs. 2 StGB die weitere Vollstreckung der Unterbringung (und ggf. den nach Anrechnung der Unterbringungsdauer verbleibenden Strafrest gem. § 67 Abs. 5 i. V. m. § 57 StGB) zur Bewährung aus. Darüber hinaus kann der Untergebrachte nicht nur durch Behandlungserfolge seine Unterbringung verkürzen oder beenden, sondern auch dadurch, dass er sich einer Behandlung gerade widersetzt und deshalb keine Erfolgsaussicht besteht. Waren die Entziehungsanstalten als ehemalige „Trinkerheilanstalten“ früher auf 3 Alkoholabhängige zugeschnitten, hat sich das Bild heute deutlich gewandelt (Meier/ Metrikat MschrKrim 2003, 117 ff). Immer mehr Drogenabhängige werden nach § 64 StGB untergebracht. Zwar war die Strafrechtspraxis lange Zeit skeptisch, was die Erfolgsaussichten einer Drogentherapie in den Entziehungsanstalten angeht (vgl. nur Körner BtMGKommentar § 35 Rdn. 309), und hat deshalb die Therapiemöglichkeit im Rahmen der Zurückstellung der Strafvollstreckung nach § 35 BtMG bevorzugt (s. näher Jehle Drogentherapie im strafrechtlichen Rahmen – die Zurückstellungslösung der §§ 35, 38 BtMG, in: Kroeber/Dölling/Leygraf/Sass (Hrsg.) Handbuch für Forensische Psychiatrie Bd. 1 2007, 349 ff; vgl. auch Kurze Strafrechtspraxis und Drogentherapie 1994). Inzwischen wachsen die Zahlen in beiden Therapieformen an (zu §§ 35, 38 BtMG Jehle aaO); die Drogenabhängigen stellen nunmehr mit 2.108 von 3.354 Personen die Mehrzahl der nach § 64 StGB Untergebrachten dar (Maßregelvollzugsstatistik 2010/2011).
§ 138 Anwendung anderer Vorschriften § 138 Jehle Anwendung anderer Vorschriften (1) Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in einer Entziehungsanstalt richtet sich nach Landesrecht, soweit Bundesgesetze nichts anderes bestimmen. § 51 Abs. 4 und 5 sowie § 75 Abs. 3 gelten entsprechend. (2) Für die Erhebung der Kosten der Unterbringung gilt § 50 entsprechend mit der Maßgabe, dass in den Fällen des § 50 Abs. 1 Satz 2 an die Stelle erhaltener Bezüge die Verrichtung zugewiesener oder ermöglichter Arbeit tritt und in den Fällen des § 50 Abs. 1 Satz 4 dem Untergebrachten ein Betrag in der Höhe verbleiben muss, der dem Barbetrag entspricht, den ein in einer Einrichtung lebender und einen Teil der Kosten seines Aufenthalts selbst tragender Sozialhilfeempfänger zur persönlichen Verfügung erhält. Bei der Bewertung einer Beschäftigung als Arbeit sind die besonderen Verhältnisse des Maßregelvollzugs zu berücksichtigen. Zuständig für die Erhebung der Kosten ist die Vollstreckungsbehörde; die Landesregierungen können durch Rechtsverordnung andere Zuständigkeiten begründen. Die Kosten werden als Justizverwaltungsabgabe erhoben. (3) Für das gerichtliche Verfahren gelten die §§ 109 bis 121 entsprechend. 1. Der § 138 wurde durch Art. 11 Nr. 2 des Gesetzes über elektronische Register und 1 Justizkosten für Telekommunikation (ERJuKoG) vom 10.12. 2001 (BGBl. I 2001, S. 3422, 3432) neu gefasst. Im Zuge dessen wurde die Vorschrift neu gegliedert und in Abs. 2 eine der Neuregelung des Haftkostenbeitrags entsprechende Regelung über die Erhebung der Unterbringungskosten eingefügt. Abs. 1 Satz 1 beinhaltet die grundsätzliche Entscheidung des Bundesgesetzgebers, 2 die Regelung des Maßregelvollzugs nach §§ 63, 64 StGB weitgehend den Ländern zu überlassen – in deren Gesetzgebungszuständigkeit diese Aufgabe ohnehin nach der Föderalismusreform fällt (Vor §§ 136–138 Rdn. 1). Der Gesetzgeber geht hier davon aus, dass sich die Behandlung einer nach § 63, 64 StGB untergebrachten Person in einem psychiat1035
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rischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt im Wesentlichen nach denselben Grundsätzen zu richten hat, wie sie für die Behandlung der anderen Patienten in diesen Einrichtungen gelten (BT-Drucks. 7/918, S. 90; C/MD 2008 Rdn. 1). Insofern übernimmt das Gesetz – abweichend von den Vorschriften für die Sicherungsverwahrung (§ 130) – die Regelungen des Vollzugs der Freiheitsstrafe für die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in einer Entziehungsanstalt nur zu einem geringen Teil (Abs. 1 Satz 2: § 51 Überbrückungsgeld, § 75 Entlassungsbeihilfe; Abs. 3: §§ 109–121 Rechtsschutz). Heute haben alle Bundesländer die Materie gesetzlich geregelt. Verweise auf die in den Gesetz- und Verordnungsblättern der Länder veröffentlichten und nicht immer leicht zugänglichen Gesetze sind im Anhang abgedruckt (Rdn. 8). Anders als für den Bereich des Justizvollzuges ist die Geltung der Verwaltungsverfahrensgesetze der Länder für das Verwaltungshandeln der psychiatrischen Krankenhäuser nicht ausgeschlossen worden, doch gehen Verfahrensvorschriften der die Unterbringung regelnden Gesetze als Spezialgesetze vor (Kammeier-Kammeier 2010, Rdn. B 97). Die Vorschriften über den Vollzug der Freiheitsstrafe (§§ 3–126) sind nicht entsprechend anwendbar. 3 In Abs. 1 Satz 2 werden die Vorschriften des StVollzG über den Pfändungsschutz von Überbrückungsgeld (§ 51 Abs. 4 und 5) und Entlassungsbeihilfe (§ 75 Abs. 3) für anwendbar erklärt. Diese Norm gilt auch nach der Föderalismusreform fort, da sie sich auf eine bundesgesetzliche Materie der ZPO bezieht. Dagegen bleibt es dem Landesgesetzgeber überlassen, die Voraussetzungen für die Bildung eines Überbrückungsgeldes und die Gewährung von Entlassungsbeihilfe zu schaffen. 4 Abs. 2 regelt die Erhebung von Unterbringungskosten und ordnet hierfür die entsprechende Geltung des § 50 an. Mit dieser Neuregelung hat der Gesetzgeber die Konsequenz aus der Entscheidung des BVerfG (NJW 1992, 1555) gezogen, nach der landesrechtliche Regelungen über die Kostenerstattung wegen der bestehenden bundesrechtlichen Regelung mangels Gesetzgebungskompetenz unzulässig waren (C/MD 2008 Rdn. 2). Inzwischen liegt die Gesetzgebungskompetenz wieder bei den Ländern, die aber bislang nicht davon Gebrauch gemacht haben (s. Vor §§ 136–138 Rdn. 1). In der Regel kommt die Erhebung eines Unterbringungsbeitrags nicht in Betracht; dies gilt namentlich, wenn der Untergebrachte arbeitstherapeutisch beschäftigt ist (Abs. 2 Satz 2). Praktische Bedeutung dürfte die Vorschrift nur gewinnen, wenn der Untergebrachte außerhalb der Einrichtung laufende Einkünfte, z. B. durch Rentenbezug, erzielt (so auch Arloth 2011 Rdn. 4). Die Erhebung der Kosten erfolgt gem. Satz 3 und 4 i. V. m. § 50 Abs. 1 Satz 1 und 5 durch die Staatsanwaltschaft als Vollstreckungsbehörde. Eine wichtige bundesrechtliche Neuerung brachte das StVollzÄndG vom 20.1.1984 5 (BGBl. I 1984 S. 97), das die Rechtskontrolle über den Vollzug der Maßregeln, die das Strafvollzugsgesetz zunächst weiterhin den Oberlandesgerichten (§§ 23 ff EGGVG) überlassen hatte, der Regelung für den Strafvollzug entsprechend den Strafvollstreckungskammern übertrug (Abs. 3). Damit ist auch hier der ,nahe‘ Vollstreckungsrichter, der seit 1975 für die Entscheidung über die Beendigung der Maßregel zuständig ist, auch für die Kontrolle der Art und Weise des Vollzuges verantwortlich (Wagner 1988; zu den grundlegenden und bundesrechtlichen Fragen auch AK-Pollähne 2012 vor § 136 Rdn. 9 ff). Abs. 3 gilt trotz der Übertragung der Gesetzgebungskompetenz für den Strafvollzug auf die Länder fort, da das gerichtliche Verfahren nach wie vor Gegenstand der konkurrierenden Gesetzgebung ist. 6
2. Durch die landesrechtlichen Regelungen hat der Bereich der Unterbringung nach §§ 63, 64 StGB seine verfassungsrechtlich notwendigen gesetzlichen Grundlagen erhalten. Die Regelung durch ein eigenes Maßregelvollzugsgesetz einerseits oder durch Sonderregelungen im Rahmen eines PsychKG sind – rechtlich betrachtet – gleichwertig. Den Jehle
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Anwendung anderer Vorschriften
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Besonderheiten des Umgangs mit forensischen Patienten wird eine Regelung durch besonderes Gesetz jedoch eher gerecht. Neben den Urlaubsregelungen sind dies die vollzuglichen Eingriffsmöglichkeiten (z. B. Kontrolle des Verkehrs mit der Außenwelt, Durchsuchung) sowie die Fragen, die mit dem Behandlungsanspruch des Untergebrachten und der Berücksichtigung oder Einschränkung seiner Selbstbestimmung (KG Berlin NStZ-RR 2008, 92 ff; OLG Hamm NStZ 1987, 144: Ersatz der Zustimmung des Untergebrachten durch die seines Vormundes für den Fall einer psychopharmakologischen Behandlung) bei der Behandlungsplanung zusammenhängen (zu den Rechtsfragen im allgemeinen: Kammeier (Hrsg.) 2010; Volckart/Grünebaum 2009; zur Praxis: Blau/Kammeier 1984; Schumann 1987; Leygraf 1988). Zur Frage der Strafbarkeit bzw. Schadensersatzpflicht wegen Amtspflichtverletzung 7 der Therapeuten und sonstiger Entscheidungsträger bei fehlgeschlagenen Lockerungsoder Urlaubsmaßnahmen siehe § 11 Rdn. 28. 3. Landesgesetze und Musterentwurf: Als einziges Bundesland hat Baden-Würt- 8 temberg eine entsprechende Regelung getroffen. § 106 Abs. 1 Satz 2 JVollzGB III ist nahezu identisch mit § 138 Abs. 1 Satz 1, allerdings wird nun klargestellt, dass sich die Unterbringung nach § 15 UBG richtet, statt pauschal vom Landesrecht zu sprechen. Gemäß Absatz 3 bleiben § 138 Abs. 2 S. 3 und 4 sowie die Regelung zum Rechtsschutz in Absatz 3 unberührt. § 138 Abs. 2 S. 1 und 2 wurde durch § 106 Abs. 2 JVollzGB III ersetzt und lautet nun: „Für die Erhebung eines Beitrags zu den Kosten der Unterbringung gilt § 51 entsprechend mit der Maßgabe, dass in den Fällen von § 51 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 an die Stelle nicht erhaltener Bezüge die Nichtverrichtung zugewiesener oder ermöglichter Arbeit tritt und in den Fällen von § 51 Abs. 1 Satz 2 den Untergebrachten ein Betrag in der Höhe verbleiben muss, der dem Barbetrag entspricht, den in einer Einrichtung lebende und einen Teil der Kosten ihres Aufenthalts selbst tragende Sozialhilfeempfänger zur persönlichen Verfügung erhalten. Bei der Bewertung einer Beschäftigung als Arbeit sind die besonderen Verhältnisse des Maßregelvollzugs zu berücksichtigen.“ Die Regelung über den Pfändungsschutz von Überbrückungsgeld (§ 51 Abs. 4 und 5) und Entlassungsbeihilfe (§ 75 Abs. 3) in Absatz 1 Satz 2 ist ersatzlos entfallen. Da sich die Norm auf eine bundesgesetzliche Materie der ZPO bezieht, gilt allerdings § 138 Abs. 1 S. 2 auch nach der Föderalismusreform fort (vgl. auch: AK-Pollähne 2012 Rdn. 27 m. w. N.). Landesvorschriften zum Vollzug der Maßregeln nach §§ 63, 64 StGB Baden-Württemberg
UnterbringungsG v. 2.12.1991, GBl. S. 794, i. d. F. v. 4.5.2009, GBl. 195
Bayern
UnterbringungsG v. 5.4.1992, GVBl. S. 60, i. d. F. v. 20.7.2011 GVBl. S. 309
Berlin
PsychKG v. 8.3.1985, GVBl. S. 586, i. d. F. v. 18.9.2011, GVBl. S. 483
Brandenburg
PsychKG v. 5.9.2009 GVBl. S. 134, i. d. F. v. 26.10.2010 GVBl. S. 34
Bremen
PsychKG v. 19.12.2000, GBl. S. 471, i. d. F. v. 13.12.2011 GVBl. S. 24
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Hamburg
MVollzG v. 7.9.2007, GVBl. 2007, 301, i. d. F. v. 17.2.2009, GVBl. S. 29, 34
Hessen
MVollzG v. 3.12.1981, GVBl. S. 414, i. d. F. v. 28.6.2010 GVBl. S. 185, 232
Mecklenburg-Vorpommern
PsychKG v. 13.4.2000, GVBl. S. 736, i. d. F. v. 9.11.2010, GVOBl. S. 642, 649
Niedersachsen
MVollzG v. 1.6.1982, GVBl. S. 131, i. d. F. v. 10.6.2010 Nds. GVBl. S. 249
Nordrhein-Westfalen
MVollzG v. 15.6.1999, GVBl. S. 402, i. d. F. v. 27.10.2009 GVBl. S. 540
Rheinland-Pfalz
MVollzG v. 23.9.1986, GVBl. S. 223, i. d. F. v. 20.12.2011, GVBl. S. 427, 428
Saarland
MVollzG v. 29.11.1989, ABl. 1990 S. 81, i. d. F. v. 16.5.2007 ABl. S. 1226
Sachsen
PsychKG v. 10.10.2007, GVBl. S. 422, i. d. F. v. 14.10.2010 GVBl. S. 414, 432
Sachsen-Anhalt
MVollzG v. 21.10.2010, GVBl. S. 510
Schleswig-Holstein
MVollzG v. 19.1.2000, GVOBl. S. 114, i. d. F. v. 31.3.2008, GVOBl. S. 158
Thüringen
PsychKG v. 5.2.2009, GVBl. S. 10, i. d. F. v. 21.12.2011, GVBl. S. 539
Jehle
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Justizvollzugsanstalten
§ 139
VIERTER ABSCHNITT Vollzugsbehörden 4. Abschnitt. Vollzugsbehörden
ERSTER TITEL Arten und Einrichtung der Justizvollzugsanstalten § 139 Justizvollzugsanstalten § 139 Maelicke Justizvollzugsanstalten Die Freiheitsstrafe sowie die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung werden in Anstalten der Landesjustizverwaltungen (Justizvollzugsanstalten) vollzogen.
I. II.
III.
Übersicht Allgemeine Hinweise ____ 1 Erläuterungen ____ 2–5 1. Begriff der Justizvollzugsanstalt ____ 2, 3 2. Privatisierung des Strafvollzugs ____ 4, 5 Landesgesetze und Musterentwurf ____ 6–11
1. 2. 3. 4. 5. 6.
Baden-Württemberg ____ 6 Bayern ____ 7 Hamburg ____ 8 Hessen ____ 9 Niedersachsen ____ 10 Musterentwurf ____ 11
I. Allgemeine Hinweise Der Vollzug der Freiheitsstrafe (und der Maßregel der Sicherungsverwahrung) 1 gehört/gehören entsprechend dem Rechtsstaatsmodell des Grundgesetzes und im Rahmen des Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG zu den Kernaufgaben der Justizverwaltungen der Länder. Diese haben für die Institutionen der Staatsanwaltschaften, Gerichte und Vollzugsanstalten die Kompetenzen für die Ausgestaltung der rechtlichen und organisatorischen Rahmenbedingungen, insbesondere ihrer Kooperationsbeziehungen untereinander. Für den Vollzug der Sicherungsverwahrung gilt, dass dieser behandlungsorientiert zu erfolgen hat, und einer medizinischen Ausrichtung bedarf. Dies ist bei der Ausgestaltung des Vollzugs sowie der Vollzugseinrichtungen zu berücksichtigen. Auch die in den entsprechenden Untersuchungshaftvollzugsgesetzen der Länder geregelte Untersuchungshaft und der Vollzug der Jugendstrafe finden in Justizvollzugsanstalten statt, dabei allerdings in speziellen Anstalten oder zumindest in besonderen Abteilungen. Der Vollzug anderer von Strafgerichten verhängten Maßnahmen der Besserung und Sicherung (Entziehungsanstalt, Psychiatrisches Krankenhaus) erfolgt nicht in der Verantwortung der Justiz, allenfalls im Wege der Amtshilfe durch diese (z. B. bei der Abschiebungshaft). Das Zuchtmittel des Jugendarrests wird in gesonderten Jugendarrestanstalten oder Freizeitarresträumen der Landesjustizverwaltungen (§ 90 Abs. 2 JGG) vollzogen. II. Erläuterungen 1. Begriff der Justizvollzugsanstalt. Justizvollzugsanstalt ist die unter einer 2 hauptamtlichen Leitung stehende Behörde (Vollzugsbehörde), die untere selbstständige Verwaltungseinheit auf dem Gebiet des Strafvollzugs (Arloth 2011, Rdn. 2). An der Spitze einer Justizvollzugsanstalt steht ein hauptamtlicher Anstaltsleiter, der die Anstalt nach außen vertritt (Arloth 2011, Rdn. 2). Sie hat Personalhoheit und bewirtschaftet ihr zugewiesene personelle und sachliche Mittel (AK-Huchting/Pollähne 2012 Rdn. 3; 1039
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4. Abschnitt. Vollzugsbehörden
Böhm 2003 Rdn. 78; Arloth 2011 Rdn. 2). Soweit zum Zwecke der Verwaltungsvereinfachung und Einsparung Verwaltungsaufgaben mehrerer Anstalten bei einer einzigen Anstalt zusammengefasst werden, darf deren Selbstständigkeit nicht im Kern beeinträchtigt sein. Zur Zeit gibt es in der Bundesrepublik Deutschland 190 Justizvollzugsanstalten mit 78 450 Gefangenen (vgl. Statistisches Bundesamt Bestand der Gefangenen und Verwahrten in den deutschen Justizvollzugsanstalten, 2010; 185 Anstalten nach AK-Huchting/Pollähne 2012 Rdn. 5). Einige Justizvollzugsanstalten verfügen indes nicht nur über mehrere zwar baulich voneinander getrennte, räumlich aber durchaus näher bei einander liegende separate Abteilungen (AK-Huchting/Pollähne 2012 Rdn. 5), sondern auch über teilweise weit entfernt liegende „Zweiganstalten“ oder „Außenstellen“. Die Strafvollstreckungskammern an den Landgerichten, in deren Bezirken die Hauptverwaltung der Anstalt liegt – manche Justizvollzugsanstalten unterhalten Zweigstellen in anderen Landgerichtsbezirken – sind dann aber auch bei großen räumlichen Distanzen für die Anträge der Gefangenen der Zweiganstalten nach §§ 109 ff und § 57 StGB zuständig (vgl. OLG Celle MDR 1978, 594; OLG Stuttgart Die Justiz 1978, 444; BGHSt 28, 135; § 110 Rdn. 2), was zum Teil organisatorische wie auch inhaltlich-personelle Schwierigkeiten verursacht. Eine „Justizvollzugsanstalt“ muss nicht typische bauliche Besonderheiten aufwei3 sen. Es ist zulässig, dass sich dafür geeignete Stationen, z. B. eine Entlassungs- oder Freigängerabteilung einer Justizvollzugsanstalt in einer dafür angemieteten Wohnung eines Privathauses befinden oder dass eine selbstständige, offene Justizvollzugsanstalt aus einem gemieteten Gutshof oder einem Teil desselben besteht (Böhm 2003 Rdn. 81; AK-Huchting/Pollähne 2012 Rdn. 4). Selbst wenn Freiheitsstrafe und Unterbringung in der JVA vollzogen werden, bedeutet dies nicht, dass sich der Gefangene während seiner gesamten Strafzeit oder wenigstens an jedem Tag seiner Strafzeit einige Stunden innerhalb der zu der JVA gehörigen Räume befunden haben muss. 4
2. Privatisierung des Strafvollzugs. Das Gesetz sieht privat geführte Anstalten nicht explizit vor (AK-Huchting/Pollähne 2012 Rdn. 2). Zulässig und seit jeher üblich ist jedoch, dass sich die Justizvollzugsanstalt bzw. der Anstaltsleiter zur Erfüllung von Vollzugsaufgaben privater Firmen und Dienstleister bedient. Dabei ist allerdings umstritten, wo die Grenzen der Zulässigkeit einer Privatisierung verlaufen (vgl. Wagner ZRP 2000, 169; K/S-Schöch 2002 § 5 Rdn. 72; Böhm 2003 Rdn. 85–87). Insoweit geht es um die Entscheidung, ob private Anbieter die Aufgabe bei gleicher Qualität preiswerter erfüllen können oder sie qualifizierter bewältigen. Der unmittelbaren Verantwortung für die Erfüllung der Vollzugsaufgaben und für die gesetzmäßige Behandlung der Gefangenen kann sich die Vollzugsbehörde in keinem Fall entziehen (Böhm 2003 Rdn. 27). Jedenfalls ist für hoheitliche Eingriffe gegenüber Gefangenen die Grenze des Art. 33 Abs. 4 GG zu beachten (so Arloth 2011 Rdn. 2). In den Bundesländern werden immer mehr Justizvollzugsanstalten von Privaten errichtet und dann vom Staat gekauft, geleast oder gemietet – hier sind überwiegend finanzpolitische Überlegungen entscheidend. Teilprivatisiert ist bspw. die Justizvollzugsanstalt in Hünfeld, Hessen; ähnlich verhält es sich mit der Justizvollzugsanstalt in Offenburg, wo die staatlichen Beamten von privaten Mitarbeitern unterstützt werden. Ob es verfassungsrechtlich zulässig wäre, durch Gesetzesänderung eine vollständige 5 Privatisierung von Anstalten zu ermöglichen, wie dies in anderen Staaten geschieht (K/S-Schöch 2002 § 5 Rdn. 71; Dessecker [Hrsg.], Privatisierung in der Strafrechtspflege, KrimZ 2008; zu den USA: Bosch/Reichert ZStW 2001, 2079), ist streitig. Dagegen wird insbesondere angeführt, dass eine solche Privatisierung nicht mit dem Rechtsstaatsprinzip und dem Sozialstaatsauftrag des GG zu vereinbaren ist und auch aus vollzuglichen Maelicke
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Trennung des Vollzuges
§ 140
Gründen abzulehnen wäre (K/S-Schöch 2002 § 5 Rdn. 76; Laubenthal 2011 Rdn. 44–47; C/MD 2008 Einleitung Rdn. 45; AK-Huchting/Pollähne 2012 Rdn. 2 und 4; § 155 Rdn. 1; etwas abweichend – die Rechtsfigur der „Beleihung“ Privater komme in Betracht – Seebode Herrfahrdt [Hrsg.], Strafvollzug in Europa, Hannover 2001, 47, 62 f). Auch die Ländergesetze sehen eine solche vollständige Privatisierung nicht vor. III. Landesgesetze und Musterentwurf 1. Baden-Württemberg. § 3 Abs. 2 JVollzGB I entspricht inhaltlich § 139 StVollzG.
6
2. Bayern. Art. 165 BayStVollzG entspricht inhaltlich § 139 StVollzG.
7
3. Hamburg. § 98 Abs. 1 HmbStVollzG entspricht inhaltlich § 139 StVollzG.
8
4. Hessen. § 70 Abs. 1 HStVollzG entspricht inhaltlich § 139 StVollzG.
9
5. Niedersachsen. § 170 NJVollzG regelt die Einrichtung von Anstalten und Abtei- 10 lungen. Abs. 1 entspricht § 139 StVollzG. Abs. 2 enthält eine Bestandsgarantie für die dort genannten Einrichtungen. 6. Musterentwurf. Zu § 139 findet sich im ME-StVollzG keine Entsprechung.
11
§ 140 Trennung des Vollzuges § 140 Maelicke Trennung des Vollzuges (1) Die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung wird in getrennten Anstalten oder in getrennten Abteilungen einer für den Vollzug der Freiheitsstrafe bestimmten Vollzugsanstalt vollzogen. (2) Frauen sind getrennt von Männern in besonderen Frauenanstalten unterzubringen. Aus besonderen Gründen können für Frauen getrennte Abteilungen in Anstalten für Männer vorgesehen werden. (3) Von der getrennten Unterbringung nach den Absätzen 1 und 2 darf abgewichen werden, um dem Gefangenen die Teilnahme an Behandlungsmaßnahmen in einer anderen Anstalt oder in einer anderen Abteilung zu ermöglichen. Schrifttum Bandell Zu Strukturproblemen einer Justizvollzugsanstalt, in: Bandell u. a., Hinter Gittern. Wir auch? Frankfurt 1985, 145 ff; Cornel, Kawamura-Reindl, Maelicke, Sonnen (Hrsg.), Resozialisierung, Baden-Baden, 2009; Dünkel Aktuelle Daten zur Sicherungsverwahrung, in: FS 2008, 76 ff; Einsele/Bernhardt Frauenanstalten, in: Schwind/Blau 1988, 58 ff; Maelicke Hannelore, Ist Frauenstrafvollzug Männersache?, Baden-Baden 1995; Preusker, Maelicke, Flügge Das Gefängnis als Risiko-Unternehmen, Baden-Baden 2010; Siekmann Männer und Frauen in derselben Haftanstalt, in: ZfStrVo 1985, 11 ff; Zolondek Lebens- und Haftbedingungen im deutschen und europäischen Frauenstrafvollzug, Bad Godesberg 2007; ders. Aktuelle Daten zum Frauenstrafvollzug, FS 2008, 36 ff.
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Maelicke
§ 140
I. II.
III.
4. Abschnitt. Vollzugsbehörden
Übersicht Allgemeine Hinweise ____ 1, 2 Erläuterungen ____ 3–8 1. Sicherungsverwahrung, Abs. 1 ____ 3–5 2. Trennungsgrundsatz nach Abs. 2 ____ 6 3. Abweichungen nach Abs. 3 ____ 7, 8 Landesgesetze und Musterentwurf ____ 9–14
1. 2. 3. 4. 5. 6.
Baden-Württemberg ____ 9 Bayern ____ 10 Hamburg ____ 11 Hessen ____ 12 Niedersachsen ____ 13 Musterentwurf ____ 14
I. Allgemeine Hinweise 1
Die in § 140 herausgestellten Trennungsgrundsätze nach Haftart und Geschlecht konkretisieren verfassungsrechtliche Vorgaben u. a. aus Art. 1 Abs. 1 GG (siehe bspw. Rdn. 6). Zudem sind sie gesetzliche Vorgaben für den Vollstreckungsplan (§ 152), der weitere Differenzierungen der Anstalten bestimmt. Der Trennungsgrundsatz von § 140 Abs. 1 findet seine Ergänzung in den entsprechenden Landes-Jugendstrafvollzugsgesetzen, wonach die Jugendstrafe in (selbstständigen) Jugendstrafanstalten vollzogen wird (§ 4 Abs. 4 S. 1 JVollzGB I, Art. 166 Abs. 1 BayStVollzG, § 98 Abs. 1 S. 1 JStVollzG Bln, § 98 Abs. 1 S. 1 1. Alt. BbgJStVollzG, § 93 Abs. 2 HmbJStVollzG; § 68 Abs. 1 S. 1 1. Alt. HessJStVollzG, § 98 Abs. 1 1. Alt. JStVollzG M-V, § 170 Abs. 2 1. Alt. NJVollzG, § 112 Abs. 1 S. 1 JStVollzG NRW, § 98 Abs. 1 S. 1 Var. 1 JStVollzG RLP, § 98 Abs. 1 S. 1 Var. 1 SächsJStVollzG, § 108 Abs. 1 S. 1 1. Alt. JStVollzG LSA, § 98 Abs. 1 S. 1 Var. 1 JStVollzG SH, § 98 Abs. 1 S. 1 Var. 1 ThürJStVollzG; vgl. dazu auch Kamann, 2009, 47 f). Auch Untersuchungshaft ist in besonderen Justizvollzugsanstalten oder getrennten Abteilungen einer für den Vollzug der Freiheitsstrafe bestimmten Vollzugsanstalt durchzuführen, wobei wiederum besondere Abteilungen für junge Gefangene vorgesehen sind (dazu Harrendorf 2010, 43 ff). Der Trennungsgrundsatz von § 140 Abs. 2 gilt somit entsprechend auch im Bereich der Untersuchungshaft und im Ergebnis ebenso im Jugendstrafvollzug . Eine getrennte Anstalt ist eine unter hauptamtlicher Leitung stehende selbststän2 dige (untere) Vollzugsbehörde (AK-Huchting/Pollähne 2012 Rdn. 2). Entscheidend sind die Personalhoheit (d. h., der hauptamtliche Leiter ist Dienstvorgesetzter des bei der Behörde als Stammdienststelle tätigen Personals) und die Verantwortlichkeit des Anstaltsleiters für den gesamten Vollzug. Die selbstständige Anstalt verfügt auch über fest zugewiesene Haushaltsmittel. Um eine selbstständige Anstalt kann es sich aber auch dann handeln, wenn ein Teil der Verwaltung in einer benachbarten Anstalt untergebracht ist und für beide Anstalten gemeinsam betrieben wird. Auch die gemeinsame Nutzung von Versorgungseinrichtungen (Heizung, Küche) steht der Selbstständigkeit der nützenden Anstalten nicht entgegen. Eine selbstständige Abteilung ist eine nur räumlich von der anderen Anstalt abgetrennte Baueinheit (eigenes Haus oder getrennter Zellenflügel oder abgetrenntes Geschoss; zu den Mindestvoraussetzungen in einem „Grenzfall“ OLG Hamm ZfStrVo 1988, 61) mit einem für den Vollzug verantwortlichen Leiter (Abteilungsleiter, Teilanstalts-Leiter; vgl. KG StraFo 2010, 510) und der Abteilung auf Dauer fest zugewiesenem Personal (AK-Huchting/Pollähne 2012 Rdn. 2; Bandell 1985, 145 ff; KG StraFo 2010, 510). Auf einer „Station“ nebeneinander liegende Hafträume genügen dem gesetzlichen Begriff einer „Abteilung“ nicht. II. Erläuterungen 3
1. Sicherungsverwahrung, Abs. 1. Die Regelung des § 140 Abs. 1 betrifft Sicherungsverwahrte i. S. d. §§ 66 ff StGB. Diese Vorschriften sind zwar mit Art. 2 Abs. 2 Satz 2 i. V. m. Art. 104 Abs. 1 GG unvereinbar (BVerfGE 128, 326 ff), bleiben aber bis zu einer Maelicke
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§ 140
Neuregelung durch den Gesetzgeber, längstens jedoch bis zum 31.5.2013 weiter anwendbar (vgl. BGBl. I/2011, S. 1003). Bis zu diesem Zeitpunkt behält § 140 Abs 1 seine Relevanz (vgl. eingehend zum Vollzug der Sicherungsverwahrung Erl. zu § 130). § 139 StVollzG stellt zunächst klar, dass die Unterbringung in der Sicherungsverwah- 4 rung wie die Freiheitsstrafe in Justizvollzugsanstalten vollzogen wird. § 140 Abs. 1 StVollzG bestimmt die Trennung dieser beiden Haftarten voneinander. Hiernach kommt es zur Durchführung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung in getrennten Anstalten oder in getrennten Abteilungen einer für den Vollzug der Freiheitsstrafe bestimmten Vollzugsanstalt. Besondere Sicherungsverwahrungsanstalten gibt es in Deutschland nicht (Arloth 5 2011, Rdn. 2; Laubenthal 2011, Rdn. 924). Die Verwahrten sind in besonderen Abteilungen von Männeranstalten untergebracht (§§ 129, 130 Rdn. 4). Für weibliche Sicherungsverwahrte lässt § 135 StVollzG eine Inhaftierung in einer für den Vollzug der Freiheitsstrafe bestimmten Frauenanstalt zu. Dann muss diese jedoch auch für den Vollzug von Sicherungsverwahrung eingerichtet sein. In Betracht kommt angesichts der geringen Zahl Sicherungsverwahrter auch die Bildung von Vollzugsgemeinschaften der Länder gemäß § 150, wenngleich die Nachteile heimatferner Unterbringung zu beachten sind (Arloth 2011 Rdn. 2). Als die größte Schwachstelle der Maßregel Sicherungsverwahrung gilt die Durchführung ihres Vollzugs in der Praxis (dazu Bartsch 2007, 399 ff; Böhm 2011, 16 f; Kinzig 1996, 595; Koepsel 2006, 677 ff). Dieser unterscheidet sich in der Praxis nicht wesentlich von dem der Freiheitsstrafe, obwohl sich im Gegensatz zum Strafgefangenen der Sicherungsverwahrte nunmehr für zukünftig prognostizierte, aber noch nicht begangene Delikte im Freiheitsentzug befindet. Angezeigt wäre eine verbesserte (insbesondere therapeutische) Ausgestaltung des Sicherungsverwahrungsvollzugs (Laubenthal 2011, Rdn. 925). 2. Trennungsgrundsatz nach Abs. 2. Abs. 2 bestimmt eine prinzipielle Trennung 6 der männlichen von den weiblichen Gefangenen in gesonderten Anstalten bzw. Abteilungen. Dies wird i. d. R. konsequent durchgeführt (Laubenthal 2011, Rdn. 681; vgl. bereits Einsele/Bernhardt 1988, 58 ff, 60). Diese Organisationsform der Trennung nach dem Geschlecht rechtfertigt sich durch den grundrechtlichen Schutz des Intim- und Sexualbereichs (krit. Köhne 2002, 222 f). Mit dem Anspruch des Einzelnen auf Wahrung seiner Intim- und Sexualsphäre bliebe eine aufgezwungene Nähe durch eine gemeinsame Unterbringung mit Gefangenen des jeweils anderen Geschlechts unvereinbar (Laubenthal 2011, Rdn. 681). Angesichts der geringen Anzahl weiblicher Inhaftierter bestehen in der Praxis nur wenige selbständige Frauenstrafanstalten: in Frankfurt am Main, Berlin, Schwäbisch Gmünd, Vechta und Willich. Die ursprünglich reine Frauenanstalt in Aichach (Bayern) verfügt seit einigen Jahren auch über einen abgetrennten Männervollzug. Im Übrigen sind die weiblichen Strafgefangenen in räumlich und organisatorisch mit Männeranstalten verbundenen Abteilungen und Einrichtungen untergebracht und befinden sich in diesen auf männliche Gefangene eingestellten Institutionen in einer „Anhängselsituation“. 3. Abweichungen nach Abs. 3. Eine Abweichung von den Trennungsgrundsät- 7 zen nach Haftart (Abs. 1) und Geschlecht (Abs. 2) ist zulässig, um einem Gefangenen die Teilnahme an Behandlungsmaßnahmen in einer anderen Anstalt oder Abteilung zu ermöglichen, Abs. 3. Der Wortlaut der Vorschrift („zu ermöglichen“) macht deutlich, dass die Abweichung die Zustimmung des Gefangenen voraussetzt. Ob von der Öffnungsklausel Gebrauch gemacht wird, liegt im pflichtgemäßen Ermessen des Anstaltsleiters, sofern es sich um die Verlegung von einer Abteilung in eine andere derselben 1043
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4. Abschnitt. Vollzugsbehörden
Anstalt handelt, oder der Aufsichtsbehörde, wenn eine Verlegung in eine andere Anstalt vorgenommen werden muss. In Betracht kommen Behandlungsmaßnahmen aller Art, besonders schulische und berufliche Ausbildung, Freizeitkurse, therapeutische Angebote, offene Vollzugsformen. Schon um eine größere Auswahl an Arbeitsmöglichkeiten nutzen zu können, arbeiten in derselben Anstalt untergebrachte Strafgefangene und Sicherungsverwahrte sowie männliche und weibliche Inhaftierte in der Regel zusammen. Soweit eine Verlegung dazu führt, dass etwa der Sicherungsverwahrte die ihm in der Sicherungsverwahrungsabteilung gewährten besonderen Vollzugserleichterungen, die der besonderen Behandlungsorientierung des Vollzugs dieser Maßregel geschuldet sind (vgl. BVerfGE 128, 326 ff) in derjenigen Anstalt oder Abteilung, in der ihm die Teilnahme an Behandlungsmaßnahmen ermöglicht wird, nicht in Anspruch nehmen kann, erscheint dies trotz deren Freiwilligkeit nicht unbedenklich (so aber noch OLG Hamburg, Beschl. vom 22.3.78 – Ws 5/78). Die gemeinsame Teilnahme von Männern und Frauen an Behandlungsprogram8 men ist eigens vorgesehen und entspricht i. Ü. auch den Europäischen Strafvollzugsgrundsätzen, vgl. Nr. 11.2 EPR. Im Regelvollzug besteht in Deutschland damit wenig Erfahrung (Siekmann 1985, 11 ff: offener Vollzug; Pendon ZfStrVo 1988, 362 zu Ausbildungsmaßnahmen im geschlossenen Vollzug). Die Erweiterung solcher Maßnahmen im Sinne der Normalisierung (AK-Huchting/Pollähne 2012 Rdn. 8; K/S-Kaiser 2002 § 10 Rdn. 76) wurde in der Praxis lange Zeit kritisch beurteilt (Einsele/Bernhardt 1988, 66, 67 und Einsele in: Bundesministerium der Justiz (Hrsg.), Tagungsberichte der Jugendstrafvollzugskommission, VII. Band, Bonn 1979, 92 und – zu Jugendstrafe verurteilte Frauen betreffend – Steinhilper in: Trenczek (Hrsg.), Freiheitsentzug bei jungen Straffälligen, Bonn 1993, 145, 150; vgl. auch Vor § 76 Rdn. 7). Dem Zusammenleben eines gleichzeitig Freiheitsstrafen verbüßenden Ehepaars in einem Haftraum in ehelicher Gemeinschaft steht der Trennungsgrundsatz des § 140 Abs. 2 entgegen, worüber auch Art. 6 GG nicht hinweg hilft (OLG Schleswig ZfStrVo 1981, 64; OLG Hamm NStZ 1984, 432; LG Bonn BlStV 6/1989, 12; C/MD 2008, Rdn. 3; Arloth 2011 Rdn. 3; a. A. AK-Huchting/Pollähne 2012 § 24 Rdn. 10). Soweit ein Gefangener zu einem Langzeitbesuch zugelassen ist, muss das auch einem inhaftierten Ehepaar im Wege der Besuchszusammenführung gestattet werden. Entgegen der früheren Rechtsprechung (LG Wiesbaden ZfStrVo SH 1979, 88; OLG Frankfurt, Beschl. vom 9.1.1981 – 3 Ws 966/80) ist die Verlegung eines transsexuellen, ehemals männlichen Gefangenen in eine Strafanstalt für Frauen geboten, wenn eine Feststellung nach § 8 Transsexuellengesetz (BGBl. I 1980, 1654) erfolgt ist (KG NStZ 2003, 50; C/MD 2008, Rdn. 3; einschränkend Arloth 2011 Rdn. 3). III. Landesgesetze und Musterentwurf 9
1. Baden-Württemberg. § 4 JVollzGB I entspricht inhaltlich im Wesentlichen § 140 StVollzG. § 4 Abs. 3 S. 2 JVollzGB III erlaubt indes weitergehend eine Abweichung von dem in § 140 StVollzG normierten Grundsatz, sofern der Betroffene einer anderen Unterbringung zustimmt.
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2. Bayern. Art. 166 Abs. 2 und Abs. 3 BayStVollzG korrespondiert inhaltlich weitgehend mit § 140 Abs. 1 und Abs. 2 StVollzG. Ausnahmen von der Unterbringung der Sicherungsverwahrten in getrennten Abteilungen sind nach Abs. 2 Satz 2 allerdings über die bundesrechtliche Regelung hinausgehend zulässig, wenn die Zahl der Verwahrten die Einrichtung einer solchen Abteilung nicht rechtfertigt. Art. 166 Abs. 3 BayStVollzG fasst die Regelungen des § 140 Abs. 2 Satz 1 und 2 zusammen; Art. 166 Abs. 4 BayStVollzG ist nahezu wortlautidentisch mit § 140 Abs. 3 StVollzG. Maelicke
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Differenzierung
§ 141
3. Hamburg. § 98 Abs. 2 bis 5 HmbStVollzG korrespondieren mit leichten Abwei- 11 chungen mit § 140 StVollzG. Frauen und Männer werden gem. § 98 Abs. 3 HmbStVollzG „in der Regel“ in getrennten Anstalten oder Abteilungen untergebracht, was zwar Raum für eine flexible Handhabung in der Praxis lässt, in Anbetracht der betroffenen Interessen jedoch nicht unbedenklich erscheint (siehe Rdn. 6). Nach § 98 Abs. 4 HmbStVollzG wird die Sicherungsverwahrung in einer getrennten Abteilung vollzogen, es sei denn, die Untergebrachten stimmen einer anderen Unterbringung zu. § 98 Abs. 5 HmbStVollzG entspricht im Wesentlichen § 140 Abs. 3 StVollzG. 4. Hessen. § 70 HStVollzG fasst die Regelungen der §§ 139, 140 sowie 123 StVollzG 12 zusammen und entspricht diesen im Wesentlichen inhaltlich. Über das StVollzG hinausgehende Ausnahmen lässt § 70 Abs. 5 HstVollzG zu, der in seinen Nrn. 1 bis 5 erlaubt, vom Trennungsprinzip abzuweichen, wenn eine Zustimmung der Gefangenen oder Sicherungsverwahrten vorliegt, wenn die Gefangenen oder Sicherungsverwahrten hilfsbedürftig sind oder für sie eine Gefahr für Leben oder Gesundheit besteht, (insoweit in Übereinstimmung mit den übrigen Strafvollzugsgesetzen) um die Teilnahme an vollzuglichen Maßnahmen zu ermöglichen, wenn die geringe Anzahl der Sicherungsverwahrten eine getrennte Unterbringung nicht zulässt oder wenn dringende Gründe der Vollzugsorganisation dies vorübergehend erfordern. 5. Niedersachsen. Die Regelungen der Trennung des Vollzuges finden sich im 13 NJVollzG in den §§ 170, 171 und 172. Sie entsprechen inhaltlich weitgehend § 140 StVollzG. Darüber hinaus werden die Möglichkeiten einer anderweitigen Unterbringung erheblich erweitert, so z. B. aus „dringenden Gründen der Vollzugsorganisation“. Dies eröffnet einen bedenklichen Ermessensspielraum, der aber zumindest gerichtlich überprüfbar ist. 6. Musterentwurf. § 10 Satz 1 und 2 ME-StVollzG korrespondiert mit § 140 Abs. 2 14 und Abs. 3 StVollzG. Zu § 140 Abs. 1 StVollzG findet sich im Musterentwurf keine Entsprechung.
§ 141 Differenzierung § 141 Wirth Differenzierung (1) Für den Vollzug der Freiheitsstrafe sind Haftplätze vorzusehen in verschiedenen Anstalten oder Abteilungen, in denen eine auf die unterschiedlichen Bedürfnisse der Gefangenen abgestimmte Behandlung gewährleistet ist. (2) Anstalten des geschlossenen Vollzuges sehen eine sichere Unterbringung vor, Anstalten des offenen Vollzuges keine oder nur verminderte Vorkehrungen gegen Entweichungen. VV 1 Im geschlossenen Vollzug sind die Gefangenen außerhalb der Hafträume, insbesondere beim Zusammenkommen in größeren Gemeinschaftsräumen, auf den Höfen und sonst im Freien ständig und unmittelbar zu beaufsichtigen. Soweit nicht besondere Richtlinien entgegenstehen, kann der Anstaltsleiter bestimmen, in welchem Umfang die Aufsicht gelockert werden darf. 1045
Wirth
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2 (1) Im offenen Vollzug können bauliche und technische Sicherungsvorkehrungen, insbesondere Umfassungsmauer, Fenstergitter und besonders gesicherte Türen, entfallen. Innerhalb der Anstalt entfällt in der Regel die ständige und unmittelbare Aufsicht. (2) Für die Gestaltung des offenen Vollzuges gelten folgende Grundsätze: a) den Gefangenen wird ermöglicht, sich innerhalb der Anstalt nach Maßgabe der dafür getroffenen Regelungen frei zu bewegen, b) die Außentüren der Unterkunftsgebäude können zeitweise unverschlossen bleiben, c) die Wohnräume der Gefangenen können auch während der Ruhezeit geöffnet bleiben. Schrifttum Andrews/Bonta/Wormith The recent and past and near future of risk and/or need assessment, in: Crime and Delinquency 2006, 7 ff; Andrews/Zinger/Hoge/Bonta/Gendreau/Cullen Does Correctional Treatment Work? A Clinically Relevant and Psychologically Informed Meta-Analysis, in: Criminology 1990, 369 ff; Cornel Die Gefährlichkeit von Gefährlichkeitsprognosen, in: NK 3/1994, 21 ff; Dahle Grundlagen und Methoden der Kriminalprognose, in: Kröber/Dölling/Leygraf/Sass (Hrsg.) Handbuch der forensischen Psychiatrie, Stuttgart 2006, Bd. 3, 1 ff; Dünkel/Geng Fakten zur Überbelegung im Strafvollzug und Wege zur Reduzierung von Gefangenenraten, in: NK 4/2003, 146 ff; Haller Evaluation der Gefährlichkeitsprognose im Straf- und Maßregelvollzug, in: Lösel/Bender/Jehle (Hrsg.) Kriminologie und wissensbasierte Kriminalpolitik, Entwicklungs- und Evaluationsforschung, Godesberg 2007, 521 ff; Jung/Müller-Dietz Vorschläge zum Entwurf eines Strafvollzugsgesetzes, Fachausschuß I „Strafrecht und Strafvollzug“ des Bundeszusammenschlusses für Straffälligenhilfe, Bonn-Bad Godesberg 1974; Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen Justizvollzug in Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf 2008; ders. Leitlinien für den Strafvollzug des Landes Nordrhein-Westfalen, in: Der Justizvollzugsbeauftrage des Landes Nordrhein-Westfalen, Tätigkeitsbericht des Justizvollzugsbeauftragten des Landes Nordhrein-Westfalen 2011. Köln 2012, 318 ff; Krebs Freiheitsentzug, Entwicklung von Praxis und Theorie seit der Aufklärung, Berlin 1978; Leukel Strafanstalt und Geschlecht. Geschichte des Frauenstrafvollzuges im 19. Jahrhundert, Leipzig 2010; v. Liszt Der Zweckgedanke im Strafrecht, in: ders. (Hrsg.), Strafrechtliche Aufsätze und Vorträge, Berlin 1905; Lösel Meta-analytische Beiträge zur wiederbelebten Diskussion des Behandlungsgedankens, in: Steller/Dahle/ Basqué (Hrsg.), Straftäterbehandlung, Pfaffenweiler 1994, 13 ff; Lösel/Bender/Jehle (Hrsg.) Kriminologie und wissensbasierte Kriminalpolitik, Entwicklungs- und Evaluationsforschung, Godesberg 2007; Lombroso Der Verbrecher, Hamburg 1887; McKenzie What Works in Corrections? Reducing the criminal activities of offenders and delinquents, New York, 2006; Mey Zum Begriff der Behandlung im Strafvollzugsgesetz (aus psychologisch-therapeutischer Sicht), in: ZfStrVo 1987, 42 ff; ders. Diagnose, Planung und Verlauf der Jugendstrafe in Nordrhein-Westfalen, in: Kerner/Dolde/Mey (Hrsg.), Jugendstrafvollzug und Bewährung. Analysen zum Vollzugsverlauf und zur Rückfallentwicklung, Bonn 1996, 389 ff; Mey/Wirth Veränderte Vollzugspopulationen und kontinuierliche Vollzugsforschung: Der Jugendstrafvollzug im Blick des Kriminologischen Dienstes, in: Feuerhelm (Hrsg.), FS Böhm zum 70. Geburtstag, Berlin, New York 1999, 597 ff; Müller-Dietz Differenzierung und Klassifizierung im Strafvollzug, in: ZfStrVo 1977, 18 ff; ders. Offener Vollzug – ein Weg von der Freiheitsentziehung zur kontrollierten Freiheit?, in: ZfStrVo 1999, 279 ff; Niemz Sozialtherapie im Strafvollzug 2011: Ergebnisübersicht zur Stichtagserhebung am 31.3.2011. Wiesbaden 2011; Ortmann Die Nettobilanz einer Resozialisierung im Strafvollzug: Negativ? Plädoyer für eine theoriegeleitete kriminologische Forschung am Beispiel der Begriffe der Resozialisierung, Prisonisierung, Anomie und Selektionseffekt, in: Kury (Hrsg.), Gesellschaftliche Umwälzung, Kriminalitätserfahrungen, Straffälligkeit und soziale Kontrolle, Freiburg 1992, 375 ff; Paetow Die Klassifizierung im Erwachsenenstrafvollzug, Stuttgart 1972; Schöch Klassifikation und Typologie, in: Kaiser/Kerner/Sack/Schellhoss (Hrsg.), Kleines Kriminologisches Wörterbuch, 3. Aufl., Heidelberg 1993, 214 ff; Schriever Behandlungsvollzug – Abschied von einem überkommenen Begriff, in: ZfStrVo 2006, 262 ff; Suhrbier Sicherheit im Justizvollzug, in: Herrfahrdt (Hrsg.), Strafvollzug in Europa, Hannover 2001, 98 ff; Wirth Prävention durch Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt: Cui bono?, in: Kawamura/Helms (Hrsg.), Straffälligenhilfe als Prävention?, Freiburg 1998, 55 ff; ders. Das Drogenproblem im Justizvollzug. Zahlen und Fakten, in: BewHi 2002, 104 ff; ders. Risk and Need Assessment. Eine begrifflich-ideengeschichtliche Einführung in „britische“ Verhältnisse, in:
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BewHi 2007, 323 ff; ders. 2012 Arbeit und Bildung im Strafvollzug, in FS 4/2012, 195 ff; Woynar Das Risiko von Gefährlichkeitsprognosen, Herbolzheim 2000.
I.
II.
Übersicht Allgemeine Hinweise ____ 1–6 1. Differenzierungsbegriff ____ 1, 2 2. Geschichtlicher Hintergrund ____ 3, 4 3. Absicht des Gesetzgebers ____ 5, 6 Erläuterungen ____ 7–21 1. Differenzierungsarten ____ 7–9 a) Externe Differenzierung ____ 8 b) Interne Differenzierung ____ 9 2. Behandlungsbedürfnisse ____ 10–13 a) Formale Klassifizierung ____ 11 b) Individuelle Klassifizierung ____ 12 c) Differentielle Effekte ____ 13 3. Sicherheitserfordernisse ____ 14–17 a) Gefährlichkeit der Gefangenen ____ 15
III.
b) Sicherungsniveau der Anstalten ____ 16 c) Kontraproduktive Effekte ____ 17 4. Offener Vollzug ____ 18–21 a) Anzahl der Gefangenen ____ 19 b) Eignung für den offenen Vollzug ____ 20 c) Eignungsprognosen ____ 21 Landesgesetze und Musterentwurf ____ 22–27 1. Baden-Württemberg ____ 22 2. Bayern ____ 23 3. Hamburg ____ 24 4. Hessen ____ 25 5. Niedersachsen ____ 26 6. Musterentwurf ____ 27
I. Allgemeine Hinweise 1. Differenzierungsbegriff. Wie in vielen anderen Bereichen der Gesellschaft hat 1 der Differenzierungsbegriff auch im Rahmen der Diskussion um die Fortentwicklung des Strafvollzuges eine bedeutende Rolle gespielt. Abstrakt bezeichnet er die Aufgliederung eines Ganzen in verschiedenartige Elemente mit spezifischen Strukturen, Funktionen oder Leistungspotentialen. Konkret auf den Strafvollzug bezogen ist die Schaffung unterschiedlicher Vollzugsformen gemeint, die jeweils spezielle Angebotsmerkmale und Sicherheitsvorkehrungen aufweisen, um den unterschiedlichen Behandlungsbedürfnissen einer in vielfacher Hinsicht heterogenen Vollzugspopulation angemessen und effektiv Rechnung tragen zu können. In der Reformdiskussion der 1960er und 1970er Jahre sah Schüler-Springorum (1969, 223) den Begriff gar als eine Art Zauberwort, das gewissermaßen als Pendant zu dem für den modernen Behandlungsvollzug ebenfalls bedeutsamen Klassifizierungsbegriff zu betrachten ist (vgl. zu den Begriffen auch Paetow 1972; Müller-Dietz 1977). Gemäß der terminologischen Unterscheidung zwischen Differenzierung und Klassi- 2 fizierung sind die Gefangenen auf der Grundlage von Behandlungsuntersuchungen (§ 6) in Gruppen mit je gleichen oder ähnlichen Behandlungsbedürfnissen zu unterteilen, um sie dann per Vollzugs- und Behandlungsplänen (§ 7) Anstalten oder Anstaltsabteilungen mit bedarfsgerechten Maßnahmeangeboten zuweisen zu können. In Anlehnung an die griffige Formulierung Schüler-Springorums (1969, 223): „,klassifiziert‘ werden Gefangene, ,differenziert‘ wird der Vollzug“, ist also zwischen der individuellen Erfassung von Behandlungserfordernissen und der organisatorischen Bereitstellung von Behandlungs- und Unterbringungsmöglichkeiten im Rahmen eines gegliederten Vollzugssystems zu unterscheiden. Aber natürlich bedingen Klassifizierung der Gefangenen und Differenzierung der Anstalten einander insofern, als die Diagnose unterschiedlicher Behandlungserfordernisse ins Leere geht, wenn keine darauf bezogenen Behandlungseinrichtungen existieren, während die Schaffung eben dieser Einrichtungen ebenfalls wenig Erfolg verspricht, solange nicht festgestellt werden kann, welche Gefangenen ihrer bedürfen oder sich für sie eignen und welche nicht (vgl. auch Müller-Dietz 1977, 18; Mey 1996).
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2. Geschichtlicher Hintergrund. Die Literatur über den geschichtlichen Hintergrund des modernen Strafvollzuges bietet vielfältiges Material, um das Thema „Vollzugsform und Differenzierung der Anstalten“ über mehr als zwei Jahrhunderte zurückverfolgen zu können, wie Krebs (1978, 17) zeigt. Ihm zufolge klingt eine Art von Differenzierung bereits bei John Howard an, der schon 1778 nicht nur die Trennung der Gefangenen nach Alter und Geschlecht als notwendig ansah, sondern der auch die „Willigen und Fleißigen“ (s. Krebs 1978, 47) bei ihrer Unterbringung und Ernährung begünstigt sehen wollte. In der Tat war es noch um 1800 keineswegs selbstverständlich, Männer und Frauen getrennt in den Gefängnissen unterzubringen, wie es der Trennungsgrundsatz des § 140 heute zwingend vorschreibt (vgl. K/S-Kaiser 2003 § 10 Rdn. 72; Leukel 2010), und in Deutschland war ein im Jahr 1804 vom preußischen Justizministerium vorgelegter Reformplan, der u. a. sowohl eine Differenzierung der Anstalten nach Zweck und baulicher Struktur als auch eine weitergehende Klassifizierung der Gefangenen sowie Anfänge des Stufenstrafvollzuges vorsah, noch zum Scheitern verurteilt. Die historischen Vorläufer der heutigen Klassifizierungen beschränkten sich über 4 lange Zeit auf eher simplifizierende Zuschreibungen spezifischer Leistungs-, Motivations- oder Verhaltensattribute (s. o.) bzw. auf die Einteilung der Inhaftierten in vorwissenschaftliche und – seit Lombroso (1887) – vor allem medizinisch-anthropologische „Verbrechertypologien“. So ging beispielsweise auch v. Liszts (1905) Forderung nach einer spezialpräventiven Differenzierung des Strafensystems, die sich an Abschreckung, Besserung und Sicherung orientierte und die erhebliche Veränderungen im deutschen Strafrecht nach sich zog, auf eine Dreiteilung der Straffälligen in Gelegenheitsverbrecher, besserungsfähige und unverbesserliche Gewohnheitsverbrecher zurück (vgl. Schöch 1993, 215). Im Zuge der weiteren Strafvollzugsreform und der Ausdifferenzierung wissenschaftlicher Diagnostik sind aber zunehmend komplexere Täter- und Persönlichkeitstypologien entwickelt worden, die neben formalen Merkmalen der Gefangenen (z. B. Alter, Geschlecht, Staatsangehörigkeit) und relativ unbestimmten, aus der Tat oder dem Gerichtsurteil abgeleiteten Merkmalen „krimineller Gefährdung“ oder „individueller Gefährlichkeit“ benutzt werden, um die diagnostische Basis für differenzierte, dem Vollzugsziel des modernen Strafvollzuges Rechnung tragende Behandlungsstrategien zu legen. 3. Absicht des Gesetzgebers. Nach K/S-Kaiser 2003 § 10 Rdn. 13 sind Differenzierung der Anstalten und Klassifizierung der Gefangenen „die unabdingbare Grundlage eines Strafvollzugssystems, das in erster Linie zum Ziel hat, den Straftäter zu einem Leben in sozialer Verantwortung ohne Straftaten zu befähigen (§ 2)“. Nach der Absicht des Gesetzgebers muss sich dies in der inneren und äußeren Organisationsstruktur des Vollzuges niederschlagen. Dabei darf sich die geforderte Differenzierung nicht allein auf die Bereitstellung von Einrichtungen mit unterschiedlichen Sicherungsvorkehrungen beschränken (Abs. 2). Vielmehr müssen explizit Haftplätze in Anstalten oder Abteilungen mit unterschiedlichen Behandlungsmöglichkeiten vorgehalten werden, um den entsprechenden Bedürfnissen der Inhaftierten gerecht werden zu können (Abs. 1). Ausdrücklich wird im Hinblick auf die Art der vorzuhaltenden Einrichtungen im Gesetzestext allerdings lediglich zwischen Anstalten des geschlossenen und des offenen Vollzuges unterschieden, während Einrichtungen für spezifische Behandlungszwecke hier nicht gleichermaßen explizit benannt werden. Das Differenzierungsprinzip ist tatsächlich im Laufe der Beratungen zum StVollzG 6 immer weniger bestimmt formuliert worden. Während § 134 KE und § 7 AE-StVollzG noch ausdrücklich aufzählen, welche Anstaltsarten mindestens einzurichten sind, verzichtet der RE hierauf mit der Begründung, auf diese Weise eine möglichst große Elastizität zur 5
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Fortentwicklung des Strafvollzuges in den einzelnen Bundesländern zu gewährleisten (BT-Drucks. 7/918, 92). Angesichts der Tatsache, dass sich die Vorstellungen über Art und Organisation der als erforderlich erachteten Behandlungsangebote im Laufe der Zeit verändern können, erscheint dieses Argument durchaus vernünftig. Allerdings kann ein solcher Verzicht nicht nur Reformbemühungen, sondern auch das Beharren auf alten Zuständen fördern. Umgekehrt steht ein vorgeschriebener Mindestumfang der Differenzierung einer Weiterentwicklung des Strafvollzuges nicht zwangsläufig entgegen (vgl. Jung/Müller-Dietz 1974, 137), vor allem dann nicht, wenn, wie beispielsweise in § 7 AE-StVollzG vorgesehen, Modellanstalten zur Erprobung neuer Vollzugsarten eingerichtet und die vorgeschriebenen Differenzierungsformen mit Hilfe wissenschaftlicher Begleitforschung gem. § 166 kontinuierlich auf ihre Wirksamkeit geprüft und weiter entwickelt werden. Müller-Dietz (1977, 24) vermutet, dass sich in der Zurückhaltung des Gesetzgebers bei der Aufzählung von einzurichtenden Sonderanstalten Zweifel am Klassifikationssystem ausdrücken. Die im RE individualistischer gehaltene Forderung nach einem auf die Bedürfnisse „des einzelnen Gefangenen“ abgestimmten Behandlungsangebot ist durch die Beratungen im Bundesrat mit der Begründung abgeschwächt worden, eine so weitgehende Differenzierung sei weder zu realisieren, noch sei sie zur Erreichung des Vollzugsziels (§ 2) erforderlich (BT-Drucks. 7/918, 125). Zu einer fortschreitenden Differenzierung der Anstalten konnte das StVollzG somit keine deutlichen Anstöße geben. Die Unbestimmtheit der Vorschriften des StVollzG zum Aufbau und zur Ausgestaltung der Vollzugsorganisation und die gerade hier sehr weit reichenden Ausnahmeregelungen sind letztlich wohl auch ein Zugeständnis an die unterschiedlichen Möglichkeiten der Bundesländer, in diesem Bereich Veränderungen zu erreichen. Es bleibt somit faktisch Aufgabe der Bundesländer, den Differenzierungsgrundsatz auch mit Blick auf die jeweils verfügbaren Ressourcen zu gestalten (vgl. Laubenthal 2011 Rdn. 62, kritisch AKHuchting/Pollähne 2012 Rdn. 3). In den landesgesetzlichen Regelungen (vgl. Rdn. 22 ff) wird dies auf durchaus unterschiedliche Weise deutlich. So hebt die Begründung der Differenzierungsvorschrift des § 173 (Entwurf § 166) 2 NJVollzG (LT-Drucks. 15/3565, 207) beispielsweise hervor, dass die Organisation des Justizvollzuges und die Bereitstellung bzw. Sicherung der erforderlichen (Haushalts-)Mittel an den vorgesehenen Zielen und Aufgaben auszurichten sei (ähnlich § 72 HStVollzG). In der Begründung zu Art. 167 Abs. 1 BayVollzG (LT-Drucks. 15/8101, 88) wird mit anderer Schwerpunktsetzung betont, dass Differenzierungen vorgeschrieben seien, um den jeweils besonderen Behandlungs- und Sicherheitsbedürfnissen zu genügen und zugleich den Behandlungsauftrag mit wirtschaftlich vertretbaren Mitteln erfüllen zu können. II. Erläuterungen 1. Differenzierungsarten. Zur Umsetzung des Abs. 1 sind verschiedene Differen- 7 zierungsarten denkbar. Da das Differenzierungsprinzip ausdrücklich auf Haftplätze und nicht etwa ausschließlich auf Anstaltsarten abstellt, kann zwischen externer und interner Differenzierung, aber auch zwischen einer Differenzierung nach formalen oder individuellen Klassifizierungsmerkmalen der Gefangenen unterschieden werden. a) Externe Differenzierung. Um den heterogenen Behandlungsbedürfnissen der 8 Gefangenen gerecht zu werden, können im Wege externer Differenzierung Anstalten mit unterschiedlichem Sicherheits- und Lockerungsniveau, variabler Größe, Bau- und Organisationsform, verschiedenartigen Arbeits- und Freizeitprogrammen, spezifischen Behandlungsangeboten und spezialisiertem Fachpersonal für bestimmte Tätergruppen vorgehalten werden (vgl. Laubenthal 2011 Rdn. 61 ff). Konkret beinhaltet dies nicht nur 1049
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die Einrichtung von Anstalten des offenen und geschlossenen Vollzugs, sondern auch von Einrichtungen mit Schwerpunkt- oder Spezialaufgaben wie z. B. Sozialtherapeutische Anstalten, Einrichtungen zur Durchführung des Aufnahmeverfahrens oder der Entlassungsvorbereitung; Zentren für schulische oder berufliche Bildungsmaßnahmen, Anstalten für Frauen und Mutter-Kind-Einrichtungen, Einrichtungen des Altenstrafvollzuges oder für junge Erwachsene („Jungtäter“), Behandlungsstätten für drogenabhängige oder psychisch kranke Straftäter. Dabei ist unter anderem aus Gründen der Kostenreduktion auch an die Schaffung von Verbundanstalten im Rahmen von Länder übergreifenden Vollzugsgemeinschaften zu denken, die § 150 vorsieht. Nicht zuletzt deshalb ist die externe Differenzierung in Verbindung mit dem Vollstreckungsplan (§ 152) zu sehen, während ein nicht an Vollzugseinrichtungen, sondern allein an Haftplätzen orientiertes Differenzierungsverständnis mit der Bezugnahme auf den Vollzugsplan gemäß § 7 auskommen mag (so AK-Huchting/Pollähne 2012 Rdn. 1–3). Soweit die Zuweisung der Gefangenen in spezielle Anstalten nicht allein nach formalen Kriterien, sondern auf der Grundlage problembezogener Behandlungsuntersuchungen erfolgt, kann diese Form der Differenzierung zudem eng mit der Einrichtung von Einweisungsanstalten verbunden sein, in denen eine systematische Klassifizierung der Gefangenen, die einzelfallbezogene Empfehlung von spezifischen Behandlungsmaßnahmen und die daran anschließende Festlegung der jeweils zuständigen Anstalt erfolgt. Ein Beispiel bietet das in Nordrhein-Westfalen bereits 1971 eingerichtete und seither mehrfach modifizierte Einweisungsverfahren (vgl. Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen 2008, 17 ff). 9
b) Interne Differenzierung. Eine starke externe Differenzierung geht allerdings vor allem in den Flächenstaaten tendenziell zu Lasten der heimatnahen Unterbringung der Gefangenen und erschwert damit die für die spätere Wiedereingliederung gleichfalls als wichtig anzusehende Aufrechterhaltung familiärer und sozialer Bindungen. Für die kleineren Bundesländer und Stadtstaaten trifft dies natürlich weniger zu, doch fehlen gerade ihnen die finanziellen und personellen Ressourcen zur Schaffung eines Systems differenzierter Anstaltsarten. Eingeschränkt werden die Möglichkeiten der externen Differenzierung zudem dadurch, dass eine (vorgeschaltete) Behandlungsuntersuchung gemäß VV zu § 6 für Gefangene mit einer Vollzugsdauer bis zu einem Jahr in der Regel nicht geboten ist. Folglich kann die interne Differenzierung – auch „Binnendifferenzierung“ – also die Bereitstellung eines möglichst breit gefächerten und flexibler anwendbaren Maßnahmeangebots innerhalb einzelner Anstalten durch Etablierung speziell ausgestatteter Vollzugseinheiten, Abteilungen, Wohngruppen oder auch Einzelhaftplätze, als geeignete Alternative erscheinen. Interne Differenzierungsmöglichkeiten sind schließlich auch deshalb in Betracht zu ziehen, weil die Zahl der Justizvollzugsanstalten im Laufe der Zeit deutlich gesunken ist. Während es 1961 in der Bundesrepublik insgesamt 362 Anstalten gab, waren es 1992 im früheren Bundesgebiet nur noch 171 Anstalten. Nach der Wiedervereinigung stieg die Anzahl dann zwar wieder auf 185 Anstalten in 2011 (mit einem Höchststand von 222 in 2001), aber gleichzeitig erhöhte sich die Gesamtzahl der Gefangenen und Verwahrten in den Justizvollzugsanstalten seit Anfang der 1960er Jahre von 57.051 auf 71.200 (vgl. Strafvollzugsstatistik, Bd. 4.2, 5). Rechnerisch stehen damit zurzeit lediglich 2,6 Anstalten pro 1.000 Gefangene und Verwahrte zur Verfügung, während sich für den Beginn der sechziger Jahre eine Vergleichsquote von 6,3 Anstalten errechnen lässt! Die Verringerung der Anstalten und damit des externen Differenzierungspotentials geht dabei weitgehend auf den Verlust der Selbständigkeit oder die Schließung kleinerer Anstalten zurück, die ihrerseits weniger interne Differenzierungsmöglichkeiten bieten. Bei wachsendem Belegungsdruck und der fiskalisch begründeten Unmöglichkeit, alle Anstalten gleichermaßen mit diagnostischen Kompetenzen und beWirth
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handlerischen Ressourcen auszustatten, können allerdings auch größere Anstalten nicht alle Differenzierungserfordernisse intern lösen, so dass eine Mischung der beiden Differenzierungsformen unabdingbar ist. 2. Behandlungsbedürfnisse. Abs. 1 garantiert nicht, dass jeder Gefangene An- 10 spruch auf einen genau seinen Behandlungsbedürfnissen entsprechenden Haftplatz hat, impliziert aber eine Vollzugsdifferenzierung, die geeignet ist, die Umsetzung der Vollzugspläne (§ 7) zu gewährleisten. Insofern fehlt es hier nicht nur dem Behandlungsbegriff (vgl. Mey 1987, 43; Schriever 2006, 262), sondern auch dem Bedürfnisbegriff an Eindeutigkeit. Nicht subjektiv empfundene Mängellagen, sondern professionell diagnostizierte Problemlagen, nicht das Bedürfnisempfinden des Gefangenen, sondern die Bedarfsdefinition der Fachdienste bilden die Grundlage einer wie auch immer gearteten Behandlung. Diese kann auf der Grundlage von Zuschreibungen einer förmlichen Zielgruppenzugehörigkeit oder als Resultat einer fachlich festgestellten Behandlungsbedürftigkeit bzw. einer darauf bezogenen individuellen Behandlungsempfehlung erfolgen, welche wiederum stets an der Erreichung des Vollzugszieles zu orientieren ist. Dabei werden allerdings ergänzend auch Eignungskriterien (Motivation und Fähigkeit zur Teilnahme), die über das Strafmaß vorbestimmten zeitlichen Voraussetzungen sowie die interne oder externe Verfügbarkeit entsprechender Behandlungskapazitäten zu prüfen sein – nicht zuletzt, um zu vermeiden, dass bei den Gefangenen unerfüllbare Hoffnungen geweckt und dadurch neue Konflikte erzeugt werden. Angesichts veränderlicher Problemlagen und sich wandelnder Vollzugspopulationen muss von den Strafvollzugsbehörden erwartet werden, dass die aus den Behandlungsuntersuchungen ableitbaren Handlungsbedarfe systematisch – ggf. mit den Mitteln des Kriminologischen Dienstes gemäß § 166 – erfasst werden, um eine kontinuierliche Anpassung des Behandlungsangebotes an die jeweiligen Erfordernisse zu ermöglichen (vgl. dazu auch Mey/Wirth 1999). Gleichwohl ist bei realistischer Betrachtung kaum zu erwarten, dass im Strafvollzug stets alle denkbaren und vielleicht wünschenswerten Behandlungsmaßnahmen vorgehalten werden können, zumal sich die entsprechenden „Wunschzettel“ der beteiligten Fachdienste bzw. ihrer jeweiligen Fachdisziplinen teilweise erheblich hinsichtlich Art, Umfang und Gewichtung unterscheiden. Sieht der Vollzugsplan allerdings eine spezifische Behandlungsmaßnahme nach § 7 Abs. 2 Nr. 2–8 vor und wird diese dem betreffenden Gefangenen während der Haftzeit mangels ausreichender Ressourcen völlig vorenthalten, so ist nach AK-Huchting/Pollähne 2012 Rdn. 3 und 13 ein Verstoß gegen die Bereitstellungsverpflichtung gegeben. a) Formale Klassifizierung. Formale Klassifizierungen als Grundlage der Voll- 11 zugsdifferenzierung entsprechen im Wesentlichen den Merkmalen des Vollstreckungsplans (§ 152) und orientieren sich an sachlichen oder örtlichen Kriterien wie z. B. Geschlecht, Alter, Nationalität, Haftart, Vollzugsdauer, Inhaftierungshäufigkeit, Art der Straftat, Wohnort, Aufenthaltsort und/oder Gerichtsbezirk. Die damit verbundenen allgemeinen Differenzierungen des Vollzuges (z. B. in Einrichtungen für Jugendliche, Frauen, Mütter mit Kindern, Sicherungsverwahrte) erlauben aber nicht per se eine an individuellen Problem- und Mängellagen orientierte Behandlung, wie etwa das Beispiel der Formalklassifikation „Staatsangehörigkeit“ zeigt. Angesichts der Tatsache, dass der Ausländeranteil im Vollzug der Freiheitsstrafe mittlerweile 23% beträgt (Strafvollzugsstatistik 2011 Bd. 4.1, 15) und dass dabei beispielsweise in NRW zeitweise Gefangene aus 113 verschiedenen Herkunftsländern einsaßen (Justizministerium NRW 2008, 27), erscheint die Schaffung entsprechend differenzierter Einrichtungen, in denen die jeweiligen kulturellen und sprachlichen Barrieren tatsächlich überwunden werden könnten, unrealis1051
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tisch. Zumindest bei den hier geborenen Ausländern und jenen, die keine Ausweisung zu befürchten haben, ist eine Separierung zudem abzulehnen, da sie in der Regel keine Sprachprobleme haben und da die gemeinsame Unterbringung mit Deutschen auch im Interesse der späteren Wiedereingliederung liegt. 12
b) Individuelle Klassifizierung. Im Interesse einer erfolgreichen Behandlung sind folglich individuelle Klassifizierungen, die nicht an allgemeinen sozio-demographischen Merkmalen der Gefangenen, sondern substantiell an ihren spezifischen psychosozialen Problem- und Mängellagen ansetzen, unverzichtbar. Dies sind vor allem die vielfach dokumentierten Folgen unzureichender Ausbildung, Arbeitslosigkeit, Verschuldung, Obdachlosigkeit und Drogenabhängigkeit, die primär nach (sozial)pädagogischen Maßnahmen und sozio-ökonomischen Wiedereingliederungshilfen verlangen. Es sind aber auch diffizile psychische Erkrankungen oder Persönlichkeitsstörungen, die im Rahmen der Behandlungsuntersuchung mit unterschiedlichsten (psychologischen) Test- und Diagnoseverfahren erforscht werden müssen, um differenzierte (sozial)-therapeutische Hilfen anbieten zu können. Entsprechende Bemühungen zur Anstalts- und Haftplatzdifferenzierung findet man folglich besonders häufig im Bereich beruflicher und schulischer Bildung (vgl. allgemein § 37, Wirth 2012) sowie bei den Sozialtherapeutischen Anstalten und Abteilungen (§§ 123 ff; zum aktuellen Stand: Niemz 2011). Bei der großen Zahl drogenabhängiger Gefangener liegt der Differenzierungsbedarf (z. B. in Wohngruppen, Therapieeinrichtungen, drogenfreien Abteilungen) ebenfalls auf der Hand, auch wenn allzu hoch gesteckte Erwartungen in die Bemühungen zur Bewältigung schwerwiegender Drogenprobleme im Strafvollzug als illusorisch betrachtet werden müssen (vgl. Wirth 2002). Grundsätzlich gilt dies sicher auch für die Sexualstraftäterbehandlung, deren Art und Wirksamkeit stets ein besonders großes öffentliches Interesse findet.
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c) Differentielle Effekte. Wirkungspotentiale und Effektivität der spezifischen Behandlungsmaßnahmen werden allerdings nach wie vor kontrovers diskutiert. Dabei verliert die schon fast zum geflügelten Wort gewordene „Nothing-Works“-These aber durch eine intensivierte Suche nach Antworten auf gezielte „What-Works?“-Fragen (stellvertretend McKenzie 2006) an Einfluss, die auch in Deutschland den Ruf nach einer evidenzbasierten Vollzugsgestaltung oder wissensbasierten Kriminalpolitik lauter werden lassen (vgl. Lösel, Bender und Jehle 2007). So werden „differentielle Effekte“ (Lösel 1994, 23) unterschiedlicher Behandlungsmethoden etwa in der Sozialtherapie, aber auch bei berufsfördernden Maßnahmen (Wirth 1998) bestätigt, wobei allerdings die aus der Differenzierung des Maßnahmeangebotes und der gezielten Zuweisung der Maßnahmeteilnehmer resultierenden Selektivitätseffekte stets mitgedacht werden müssen (Ortmann 1992, 436 ff). Die Forschungsergebnisse zeigen auch, dass differenzierte Behandlungsmaßnahmen nur dann die in sie gesetzten Erwartungen erfüllen können, wenn sie konsequent auf die besonderen Lebens- und Problemlagen der jeweiligen Zielgruppen zugeschnitten sind – gewiss ist auch dies eine Herausforderung zur kontinuierlichen Überprüfung und Anpassung der formalen/professionellen Bedarfsdefinitionen des Vollzuges an die realen/individuellen Bedürfnisse der Gefangenen. Dabei verlangen die oftmals multiplen Problembelastungen der Inhaftierten allerdings vielschichtige Diagnose- und nicht selten integrierte Behandlungsansätze, die der organisatorischen Untergliederung des Strafvollzugssystems auch inhaltliche Grenzen setzen. Bei der Differenzierung der Anstalten und der Spezialisierung der Fachdienste muss deshalb darauf geachtet werden, dass die stets gegebene Gefahr konzeptioneller Einseitigkeit durch eine anstalts- oder abteilungsübergreifende Integration des gesamten Behandlungsangebotes vermieden wird, was letztlich weniger mit Personalvermehrung als vielmehr mit einer Wirth
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ständig zu verbessernden Zusammenarbeit zwischen den Anstalten und ihren Bediensteten sowie mit externen Trägern der Straffälligenhilfe zu erreichen ist (s. dazu auch § 154). 3. Sicherheitserfordernisse. Neben dem hier zum Ausdruck kommenden „need 14 principle“, das oft als „Bedürfnisprinzip“ übersetzt wird, obwohl es genauer einen fachlich begründeten (Be-)Handlungsbedarf meint, und dem „responsivity principle“, das gelegentlich ebenso verkürzend nur auf die motivationale „Ansprechbarkeit“ der Gefangenen bezogen wird und nicht auf eine ihnen gerecht werdende Maßnahmegestaltung, verweisen die Befunde der Wirkungsforschung (grundlegend Andrews u. a. 1990, 374 f, ders. u. a. 2006) auch auf die Bedeutung des „risk principle“. Danach müssen besondere Risikogruppen im Interesse der allgemeinen Vollzugszielerreichung besonders intensive Behandlungsmaßnahmen erfahren, was insbesondere im angelsächsischen Bereich zur Entwicklung von korrespondierenden Instrumenten des „risk and need assessment“ geführt hat (vgl. Wirth 2007, 323 ff). Soweit damit besonders gefährliche und rückfallgefährdete Gefangene angesprochen sind, wäre es unverantwortlich, das Differenzierungserfordernis nicht auf Möglichkeiten zur sicheren Unterbringung zu beziehen, doch wäre es gleichwohl verfehlt, sich allein darauf zu beschränken. Vielmehr ist sogar gerade für diese Tätergruppen eine beständige Ausweitung und Verbesserung der Behandlungsangebote zu fordern, zumal es auch der Schutz der Allgemeinheit erfordert, dass der Resozialisierungsauftrag sehr ernst genommen wird. Eine differenzierte Erforschung der Persönlichkeit und Lebenslage der Gefangenen zur Bestimmung der jeweils angezeigten, angemessenen und Erfolg versprechenden Therapie-, Trainings-, Bildungs-, Arbeits-, Beratungs- oder Vermittlungsangebote sowie die gleichsam personenbezogene Einschätzung von Sicherheitsgefährdungen müssen bei Entscheidungen über die Einweisung der Gefangenen in mehr oder weniger gesicherte Anstalten bzw. Anstaltsbereiche Hand in Hand gehen. Behandlungsbedürfnisse und Sicherheitserfordernisse sind damit als die zwei Seiten der einen Medaille „Differenzierung“ anzusehen. Allerdings ist die Unterteilung der Anstalten nach unterschiedlichem Sicherheitsgrad gewissermaßen als „klassische Differenzierung“ (Hauf 1994, 84) zu betrachten. a) Gefährlichkeit der Gefangenen. Hinsichtlich der Sicherheit im Vollzug ist nach 15 Suhrbier (2001, 103 ff) zwischen „äußerer Sicherheit“ (z. B. Maßnahmen gegen Fluchtversuche und Fluchthilfe, Angriffe und Sabotageakte, Einschleusen unerlaubter Gegenstände, verbotene Außenkontakte der Gefangenen) und „innerer Sicherheit“ (z. B. Verschluss der Gefangenen in den Hafträumen, Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung in der Anstalt, Beherrschung von Geiselnahmen, Meutereien, Verhinderung von Sachbeschädigungen) zu unterscheiden. Die Gewährleistung der Sicherheit ergibt sich demnach aus Art und Intensität instrumenteller (baulich-technischer) Vorkehrungen, administrativer Vorgaben, kooperativen Handelns der beteiligten Behörden und Bediensteten sowie der Sozialkontakte zu den Gefangenen – wobei jedes für sich natürlich die Behandlungsmöglichkeiten mehr oder weniger stark beeinflusst. Die Einrichtung von besonders gesicherten Anstalten oder Abteilungen wird vor allem mit der Gefährlichkeit der Gefangenen legitimiert, einem Klassifizierungsmerkmal, das sowohl aus der Art und Häufigkeit begangener Straftaten als auch aus dem Verhalten in der Anstalt und der Prognose des individuellen Rückfallrisikos abgeleitet wird. Für eine problemorientierte Vollzugsdifferenzierung sind statistische Kategorisierungen der Straftatbestände, Haftdauer oder Vorbelastung allein nicht ausreichend, doch sind auch individuelle Gefährlichkeitsprognosen heftig umstritten (für einen Überblick vgl. Haller 2007, 522). Da eine absolut sichere Prognose menschlichen Verhaltens letztlich unmöglich ist, besteht hier neben der Gefahr negativer Etikettierungen und Stigmatisierungen auch die Gefahr 1053
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der „Übersicherung von ungefährlichen Personen“ und einer im Hinblick auf verfügbare Behandlungsmaßnahmen selektiven Benachteiligung ungünstig beurteilter Gefangener (AK-Huchting/Pollähne 2012 Rdn. 7 f. mit weiteren Verweisen), was wiederum zum Scheitern der Resozialisierungsbemühungen, wenn nicht gar zu einer Erhöhung des Rückfallrisikos führen kann. Insofern ist beidem mit Nachdruck entgegenzuwirken. Gleichwohl ist es im Interesse der inneren und äußeren Sicherheit der Anstalt sowie zum Schutz der Bevölkerung vor allem mit Blick auf die Praxis vollzuglicher Lockerungen (§ 11) unerlässlich, das Gefährlichkeitspotential der Gefangenen im Einzelfall sorgfältig abzuschätzen. Die Unzulänglichkeit – Cornel (1994) spricht gar von der „Gefährlichkeit von Gefährlichkeitsprognosen“ – darf allerdings nicht außer Acht gelassen werden, wenn über die Unterbringung der Gefangenen in mehr oder weniger gesicherten Vollzugseinrichtungen entschieden wird (zu den Risiken von Gefährlichkeitsprognosen vgl. auch Woynar 2000; allgemein zur Kriminalprognose Dahle 2006). 16
b) Sicherungsniveau der Anstalten. Abs. 2 unterscheidet zwischen geschlossenen Vollzugsanstalten, die eine sichere Unterbringung der Gefangenen vorsehen, und Anstalten des offenen Vollzuges, in denen keine oder nur verminderte Vorkehrungen gegen Entweichungen zu treffen sind. Über die konkrete Ausgestaltung maximaler Sicherheitsstufen und minimaler Vorkehrungen gegen Entweichungen gibt es allerdings unterschiedliche Vorstellungen. So wird das in der bundesgesetzlichen Regelung enthaltene Kriterium „keine“ Entweichungsvorkehrungen beispielsweise in Art. 167 BayVollzG (vgl. Rdn. 22), in dessen Begründung die besondere Hervorhebung der instrumentellen und baulichen Sicherheit unter ausdrücklichem Hinweis auf den „Schutz der Allgemeinheit“ erfolgt, wie auch in § 99 HmbStVollzG, nicht mehr explizit als mögliches Charakteristikum offener Anstalten erwähnt. Zusätzlich zu der technischen oder organisatorischen Differenzierung des Sicherungsniveaus der Anstalten, deren Zuständigkeit für unterschiedliche Gefangenengruppen im Übrigen in Verbindung mit § 10 zu sehen ist, verlangt VV Nr. 1 zum geschlossenen Vollzug außerdem die ständige und unmittelbare Beaufsichtigung der Gefangenen außerhalb der Hafträume. Zwar wird dem Anstaltsleiter zugestanden, die Aufsicht zu lockern, soweit nicht besondere Richtlinien entgegenstehen, doch können die positiven Möglichkeiten des geschlossenen Vollzuges, nämlich durch starke Sicherheitsvorkehrungen nach außen möglichst weitgehende Lockerungen nach innen zuzulassen, durch eine allzu enge Auslegung der VV behindert werden. C/MD 2008 Rdn. 2 sehen denn auch die Vollzugswirklichkeit nur unzureichend durch die VV berücksichtigt und die Intentionen des Gesetzgebers in ihr Gegenteil verkehrt. Die in der Übergangssituation des Vollzuges lediglich praktische Notwendigkeit, das Gros der Gefangenen in geschlossenen Anstalten unterzubringen, rechtfertige unter Behandlungsgesichtspunkten und unter dem Angleichungsgrundsatz nach § 3 in der Regel nur eine gelockerte Aufsicht, während die ständige unmittelbare Aufsicht den Anstalten mit erhöhtem Sicherheitsgrad vorbehalten bleiben müsse.
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c) Kontraproduktive Effekte. Mit zunehmenden Sicherungsvorkehrungen wächst indessen auch die Gefahr kontraproduktiver Effekte nicht nur für jene Gefangenen, die als besonders gefährlich oder rückfallgefährdet betrachten werden, sondern auch und gerade für Gefangene mit einer günstigeren Prognose, da „das Ausmaß der Sicherungen auf den gesamten Vollzug ausstrahlt“ (Walter 1999 Rdn. 163). So kann bei einer überzogenen Sicherung nach außen nicht nur die innere Sicherheit der Anstalt z. B. durch vermehrte Meutereien oder Geiselnahmen beeinträchtigt werden; übermäßige Einschränkungen der Außenkontakte reduzieren zwangsläufig auch die individuellen Wiedereingliederungschancen der Inhaftierten und machen zudem das Auftreten schädWirth
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Differenzierung
§ 141
licher Folgen des Freiheitsentzuges wie etwa den Verlust sozialer Beziehungen und kommunikativer Fähigkeiten wahrscheinlicher, was mit Blick auf den Gegensteuerungsgrundsatz des § 3 vermieden werden soll. Solche Haft- oder Prisonisierungsschäden werden vor allem im Zusammenhang mit Hochsicherheitsabteilungen oder -anstalten gesehen, deren Einführung der Gesetzgeber zwar ausdrücklich billigt (vgl. Arloth 2011 Rdn. 1), die im Extremfall auch als unvermeidlich erscheinen mögen, die aber im Interesse der Gestaltungsgrundsätze des StVollzG, einer menschenwürdigen Unterbringung auch der wenigen höchst gefährlichen Gefangenen und nicht zuletzt wegen der hohen finanziellen und zuweilen auch politischen Kosten nur mit äußerster Zurückhaltung geplant und betrieben werden sollten (zum Für und Wider bei Hochsicherheitseinrichtungen vgl. K/K/S-Kaiser 1992 § 9; K/S-Kaiser 2003 § 10 Rdn. 66 f; zu weiteren Bedenken siehe C/MD 2008 § 85 Rdn. 2; AK-Huchting/Pollähne 2012 Rdn. 12). 4. Offener Vollzug. Die Zielsetzung des offenen Vollzuges ist hingegen unmit- 18 telbar aus dem Angleichungsgrundsatz, aber auch aus dem Gegensteuerungs- und Integrationsgrundsatz ableitbar. Der Resozialisierungsauftrag wird hier anders als im geschlossenen Vollzug nicht mit der Erfüllung der Sicherungsaufgabe verbunden. Aber ebenso, wie der geschlossene Vollzug Möglichkeiten zur Gestaltung unterschiedlicher Sicherheitsgrade zulässt, sind auch im offenen Vollzug Abstufungen des Öffnungsgrades und unterschiedliche Organisationsformen mit fließenden Übergängen (Walter 1999 Rdn. 162) möglich, zumal die ständige und unmittelbare Aufsicht innerhalb der Anstalt gem. VV Nr. 2 lediglich „in der Regel“ entfällt. So wird zwischen dem „halboffenen“ Vollzug (Grunau/Tiesler 1982 Rdn. 2) mit verminderten baulichen und technischen Vorkehrungen gegen Entweichungen und dem völlig offenen Vollzug ohne entsprechende Vorkehrungen unterschieden. Zudem hat der Gesetzgeber in § 147 die Einrichtung von Übergangshäusern vorgesehen, die der schrittweisen Überleitung in die Freiheit im Rahmen der Entlassungsvorbereitung dienen sollen. In der Gesamtschau ist der Strafvollzug damit unter Sicherheitsaspekten als ein strukturell abgestuftes System zu betrachten, das den Gefangenen grundsätzlich einen stufenweisen Übergang aus einer geschlossenen in eine offene Einrichtung ermöglicht. Darüber hinaus besteht – wie etwa in Nordrhein-Westfalen – die Möglichkeit, dass einzelne Tätergruppen ihre Haft nach Vollstreckungsplan grundsätzlich im offenen Vollzug antreten (auf freiem Fuß befindliche Verurteilte) oder nach Abschluss des Einweisungsverfahrens (bei Straftätern mit einer Verbüßungsdauer von mehr als 24 Monaten) in eine offene Einrichtung verlegt werden (vgl. Justizministerium NRW 2012, 325). Da ein Anstaltswechsel aber immer mit vielfältigen Schwierigkeiten und Anpassungsleistungen für die Gefangenen verbunden ist, spricht einiges dafür, die Verlegung aus dem geschlossenen in den offenen Vollzug möglichst innerhalb einer Anstalt (interne Differenzierung) oder zumindest innerhalb eines integrierten Anstaltsverbundes (Kooperation extern differenzierter Anstalten) zu ermöglichen und selbständige offene Anstalten weitgehend für Gefangene vorzusehen, die ihre Strafe von Anfang an im offenen Vollzug verbüßen können. Eine weitergehende Harmonisierung des Übergangs vom geschlossenen in den offenen Vollzug auch im Erwachsenenbereich würde dem Gedanken Rechnung tragen, dass Gefangene grundsätzlich aus dem offenen Vollzug entlassen werden sollten (BTDrucks. 7/918, 93), und dazu beitragen, den Anteil der dort Untergebrachten insgesamt zu erhöhen. a) Anzahl der Gefangenen. Bezogen auf die Querschnittsdaten zum Bestand der 19 Gefangenen im Strafvollzug, die vom Statistischen Bundesamt (Strafvollzugsstatistik, Rechtspflege, Fachserie 10, Bd. 4.2) regelmäßig vorgelegt werden, erscheint der ge1055
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schlossene Vollzug als die quantitativ deutlich favorisierte Vollzugsform. Im offenen Vollzug waren am Stichtag (31.3.2011) 9.497 von insgesamt 58.568 Strafgefangenen (inklusive Jugendstrafe und Sicherungsverwahrung) untergebracht – also 16,2%. Für den hier relevanten Vollzug der Freiheitsstrafe im Erwachsenenstrafvollzug wurde eine Quote von 17,3% registriert, die im Vergleich der Bundesländer allerdings zum Teil erheblich differiert. (Auf eine Darstellung der aktuellsten Quoten aus 2012 muss hier verzichtet werden, weil diese stichtagsbedingt verzerrt sind und nicht die reale Situation widerspiegeln). Nach den Daten der Strafvollzugsstatistik ergibt sich danach eine Quote von weniger als zehn Prozent in den Ländern Thüringen (5,0%), Sachsen-Anhalt (5,6%), Schleswig-Holstein (6,0%), Bayern (7,3%), und Sachsen (8,7%). Mehr als 20% der Gefangenen waren hingegen in Berlin (32,8%), Nordrhein-Westfalen (27,9%) und dem Saarland (22,6%) in offenen Einrichtungen untergebracht. Die Gesamtquote in den neuen Bundesländern betrug 9,2% und in den alten Bundesländern 18,6%. Die Bewertung dieser Zahlen muss allerdings die unscharfe Definition „Anstalten des offenen Vollzugs“ in Abs. 2 und VV Nr. 2 und die damit verbundenen erheblichen Definitionsspielräume der Landesjustizverwaltungen berücksichtigen, die statistische Vergleiche schwierig und teilweise auch fragwürdig machen (vgl. Walter 1999 Rdn. 162). 20
b) Eignung für den offenen Vollzug. Dennoch legen die Vergleichszahlen länderspezifische Unterschiede bei der (baulichen) Bereitstellung von und der (personenbezogenen) Zuweisung in offene Anstalten nahe. Dies kann teilweise daran liegen, dass die Länder in unterschiedlichem Umfang über Anstalten verfügen, mit deren Errichtung vor Inkrafttreten des StVollzG begonnen wurde und für die die Übergangsbestimmungen des § 201 Nr. 1 gelten. Danach dürfen Gefangene abweichend von § 10 ausschließlich im geschlossenen Vollzug untergebracht werden, solange die räumlichen, personellen und organisatorischen Anstaltsverhältnisse dies erfordern. Für diese These sprach bis vor einigen Jahren, dass im Zuge der erforderlichen Neubau- und Modernisierungsmaßnahmen vor allem in den neuen Bundesländern zunächst eine Steigerung des allerdings nach wie vor unterdurchschnittlichen Anteils der im offenen Vollzug Untergebrachten erreicht werden konnte. Dieser Trend hat sich indes nicht fortgesetzt. Stattdessen ist es in einigen Ländern sogar zu einer leicht rückläufigen Entwicklung gekommen. Die Frage, ob der offene Vollzug vom Gesetz als Grund- oder Regelform des Strafvollzuges zu betrachten sei, ist zwar umstritten, jedoch entspricht der Vorrang des offenen Vollzuges der ursprünglichen Intention des Gesetzgebers, die allerdings durch die Fassung des § 10 StVollzG als Sollvorschrift abgeschwächt wird (vgl. Laubenthal 2011 Rdn. 355). Bei Vorliegen der baulichen Voraussetzungen und der Zustimmung der Gefangenen sind die Vollzugsbehörden jedenfalls verpflichtet, „grundsätzlich jeden für den offenen Vollzug geeigneten Gefangenen in eine solche Anstalt oder Abteilung einzuweisen“, womit das eigentliche Problem in der Bestimmung der Eignung für den offenen Vollzug bestehen dürfte (vgl. Müller-Dietz 1999, 280). Von dieser ist nach § 10 Abs. 1 auszugehen, wenn der Gefangene den dortigen besonderen Anforderungen genügt und namentlich nicht zu befürchten ist, dass er sich dem Vollzug der Freiheitsstrafe entziehen oder die Möglichkeiten des offenen Vollzuges zur Begehung von Straftaten missbrauchen werde.
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c) Eignungsprognosen. Da nicht erkennbar ist, dass die Länder in signifikanter Weise mit jeweils mehr oder weniger schwierigen Vollzugspopulationen konfrontiert wären, wie beispielsweise eine von Dünkel/Geng (2003, 147) durchgeführte vergleichende Analyse der jeweiligen Deliktstrukturen der Inhaftierten zeigt, wird die Quote der Unterbringungen im offenen Vollzug folglich auch maßgeblich durch unterschiedlich defiWirth
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nierte und/oder angewandte Eignungskriterien bestimmt, die sich ihrerseits im Zuge (kriminal)politischer Neuausrichtungen auf Länderebene verändern können. Dies wird durch eine Reihe unbestimmter Rechtsbegriffe in den einschlägigen Vorschriften begünstigt, die den Vollzugsbehörden einen gewissen Beurteilungsspielraum etwa bezüglich der Einschätzung der Flucht- und Missbrauchsgefahr einräumen (C/MD 2008 § 10 Rdn. 8). Schließlich mag die Unsicherheit über die Zuverlässigkeit der Eignungsprognosen eine gewisse Zurückhaltung bei der Einweisung bewirken, so dass die berichtete Bundesdurchschnittsquote der im offenen Vollzug Untergebrachten insgesamt nicht dem Anteil der Gefangenen entspricht, die für diese Vollzugsform tatsächlich geeignet sind. Dem wird man angesichts der generellen Grenzen von Individualprognosen zwar nicht vollständig abhelfen können, doch wären beispielsweise systematische und wiederholt durchgeführte kriminologische Erfolgs- und Legalbewährungskontrollen durchaus geeignet, die Entscheidungen über die Unterbringung bestimmter Tätergruppen im offenen Vollzug auf der Grundlage massenstatistischer Befunde zu erleichtern und darüber hinaus die ggf. erforderliche Ausweitung entsprechender Anstaltskapazitäten auch inhaltlich fundiert zu begründen. Angesichts der Tatsache, dass es aus empirischer Sicht keine Anhaltspunkte für die Notwendigkeit einer restriktiveren Handhabung des offenen Vollzugs gibt (vgl. Müller-Dietz 1999, 282), erscheint die vermehrte Einweisung von Gefangenen in (halb)offene Einrichtungen im Interesse einer erfolgreichen Resozialisierung der Gefangenen, aber auch aus ökonomischer Sicht allemal sinnvoll. III. Landesgesetze und Musterentwurf 1. Baden-Württemberg. § 5 JVollzGB I bezieht das Differenzierungsgebot über den 22 Vollzug der Freiheitsstrafe hinaus auch auf den Jugendstrafvollzug, entspricht ansonsten aber in Aufbau und Inhalt den bundesgesetzlichen Regelungen. 2. Bayern. Art. 167 BayStVollzG („Differenzierung“) ist wie folgt aufgebaut: 23 Abs. 1 entspricht weitgehend der Vorschrift des § 141 Abs. 1 StVollzG, allerdings mit sowohl präzisierend als auch relativierend wirkenden Änderungen. Während die bundesrechtliche Regelung verlangt, dass durch die Differenzierung „eine auf die unterschiedlichen Bedürfnisse der Gefangenen abgestimmte Behandlung gewährleistet ist“, wird hier formuliert, dass die gemäß dem Differenzierungsgrundsatz vorzusehenden Haftplätze, „den unterschiedlichen Behandlungsbedürfnissen der Gefangenen und den Sicherheitserfordernissen Rechnung tragen“. Abs. 2 lautet wie folgt: „In Anstalten des geschlossenen Vollzugs gewährleisten besondere bauliche und technische Vorkehrungen eine sichere Unterbringung der Gefangenen. Einrichtungen des offenen Vollzuges sehen nur verminderte Vorkehrungen gegen Entweichungen vor“. In der Gesetzesbegründung heißt es dazu: „Besonders gefährliche Gefangene können gezielt in Anstalten höchster Sicherheitsstufe eingewiesen werden. Die unterschiedlichen Sicherheitserfordernisse für den geschlossenen und den offenen Vollzug sind in Abs. 2 festgelegt, wobei die instrumentelle und bauliche Sicherheit (vgl. Begründung zu Art. 4) ausdrücklich hervorgehoben wird“ (LT-Drucks. 15/8101, 88). 3. Hamburg. § 99 HmbStVollzG („Differenzierung“) erweitert die Regelungen des 24 § 141 StVollzG folgendermaßen: Abs. 1: „Es sind Haftplätze in verschiedenen Anstalten oder Abteilungen vorzusehen, die den Sicherheitserfordernissen Rechnung tragen und eine auf die Bedürfnisse des Einzelnen abgestellte Behandlung gewährleisten. Die Gliederung der Anstalten soll 1057
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die Unterbringung der Gefangenen in überschaubaren Betreuungs- und Behandlungsgruppen ermöglichen.“ Abs. 2: „Für den Vollzug nach § 10 (Sozialtherapie) sind eigenständige Anstalten oder getrennte Abteilungen (sozialtherapeutische Einrichtung) vorzusehen.“ Abs. 3: „Anstalten des geschlossenen Vollzuges sehen eine sichere Unterbringung der Gefangenen vor, Anstalten oder Abteilungen des offenen Vollzuges nur verminderte Vorkehrungen gegen Entweichungen“. Die Bestimmung entspricht im Wesentlichen dem im Vollzug der Freiheitsstrafe anzuwendenden Teil des zuvor geltenden § 100 HmbStVollzG. Nach dessen Gesetzesbegründung greift die Vorschrift „[…] die Regelung in § 141 StVollzG auf und verbindet sie mit § 143 Absätze 1 und 2 sowie § 123 Absatz 2 StVollzG. Absatz 1 entspricht deshalb mit redaktionellen Anpassungen den Regelungen in § 141 Absatz 1 sowie § 143 Absätze 1 und 2 StVollzG“ (Bürgerschafts-Drucks. 18/6490, 49). Absatz 2 trägt entsprechend dieser Begründung der Entwicklung der Sozialtherapie im Hamburger Strafvollzug Rechnung, betont aber abweichend von der bisherigen Regelung, „dass für den Vollzug nach § 10 eigenständige Anstalten oder getrennte Abteilungen vorzusehen sind“ (Bürgerschafts-Drucks. 19/2533, 61). Zu Absatz 3 vgl. auch die Kommentierung zu Rdn. 16. 25
4. Hessen. § 72 HStVollzG verbindet das Differenzierungsgebot mit den Vorgaben der §§ 144 Abs. 1, 145 und 146 StVollzG zur Normierung der Beschaffenheit der Räumlichkeiten in der Anstalt (Abs. 3) und der Belegung der Hafträume (Abs. 5). Darüber hinaus wird der Grundsatz der Differenzierung in der Gesetzesbegründung ausdrücklich als Gestaltungsziel in Verbindung mit §§ 2 und 3 Abs. 4 HStVollzG festgeschrieben, was im Gesetzestext wie folgt zum Ausdruck kommt: Abs. 1: „Die Anstalten sind so zu gestalten und zu differenzieren, dass die Aufgaben des Vollzugs (§§ 2 und 66) gewährleistet werden. Personelle Ausstattung, sachliche Mittel und Organisation der Anstalten sind hieran auszurichten.“ Abs. 2: „In Anstalten des geschlossenen Vollzugs gewährleisten besondere bauliche und technische Vorkehrungen eine sichere Unterbringung der Gefangenen. Einrichtungen des offenen Vollzugs sehen nur verminderte oder keine Vorkehrungen gegen Entweichungen vor.“ Abs. 4: „Die Aufsichtsbehörde setzt die Belegungsfähigkeit für jede Anstalt fest. Dabei ist zu berücksichtigen, dass eine ausreichende Anzahl von Plätzen für Ausbildung und Weiterbildung, Arbeit sowie von Räumen für Seelsorge, Freizeit, Sport, therapeutische Maßnahmen und Besuche zur Verfügung steht.“ Das zur Verwirklichung der Vollzugsaufgaben erforderliche differenzierte Maßnahmeangebot wird in der Gesetzesbegründung insofern nicht nur abstrakt mit „unterschiedlichen Behandlungs- und Betreuungsbedürfnissen der Gefangenen“ begründet, sondern ausdrücklich auch im Sinne spezifischer Maßnahmen und Freizeitangebote konkretisiert. Dabei ist außerdem von Bedeutung, dass die grundlegenden Gestaltungsprinzipien des Vollzugs gemäß § 3 HStVollzG Abs. 4 in Ergänzung des Differenzierungsgebotes ebenfalls eine Konkretisierung beinhalten, indem sie die Berücksichtigung der „unterschiedlichen Betreuungs- und Behandlungserfordernisse der Gefangenen, insbesondere im Hinblick auf Alter, Geschlecht und Herkunft“ verlangen, wobei die genannten Merkmale als wesentliche, gleichwohl beispielhafte Gesichtspunkte zu begreifen sind. Die Regelungen zur Gestaltung des offenen und geschlossenen Vollzuges greifen Präzisierungen der VV zu § 141 StVollzG auf und entsprechen inhaltlich dem Bundesrecht, wobei allerdings § 13 Abs. 1 HStVollz den geschlossenen Vollzug als Regelvollzug bestimmt. Wirth
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Differenzierung
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5. Niedersachsen. § 173 NJVollzG ist mit „Gestaltung, Differenzierung und Organisa- 26 tion der Anstalten“ überschrieben und wie folgt aufgebaut: Satz 1: „Die Anstalten sind vom Fachministerium und von den Vollzugsbehörden so zu gestalten und zu differenzieren, dass Ziele und Aufgaben des Vollzuges gewährleistet werden.“ Satz 2: „Personelle Ausstattung, sachliche Mittel und Organisation der Anstalten sind hieran auszurichten.“ Gemäß ihrer Gesetzesbegründung ermächtigt und verpflichtet diese Vorschrift, die in Satz 1 die Regelungsgehalte der §§ 141 bis 143 und 147 StVollzG aufgreift, „die Vollzugsbehörden und das Fachministerium dazu, innerhalb der verschiedenen Vollzugsarten die zur Erreichung bzw. Erfüllung der jeweiligen Ziele und Aufgaben notwendigen Differenzierungen vorzunehmen. Die Differenzierung kann sich auf einzelne Haftplätze und Vollzugsabteilungen erstrecken, sie kann aber auch ganze Abteilungen und Anstalten betreffen. Gemessen an den verschiedenen Zielen und Aufgaben der einzelnen Vollzugsarten können die Anknüpfungspunkte der Differenzierung und Kriterien für die Bildung von Schwerpunktaufgaben unterschiedlich sein […] Niederschlag finden die Differenzierungen im Vollstreckungsplan und den jeweiligen Vollzugskonzeptionen der Anstalten. Im Interesse einer hohen Flexibilität verzichtet die Vorschrift darauf, einzelne Differenzierungsansätze besonders zu betonen“ (LT-Drucks. 15/3565, S. 207). Zu Satz 2 wird erläuternd angeführt, „dass auch die Organisation des Justizvollzuges und die Bereitstellung von Ressourcen an den […] vorgesehenen Zielen und Aufgaben auszurichten ist. Hierdurch soll u. a. eine kontinuierliche Sicherung der erforderlichen Mittel auch in haushaltsrechtlicher Hinsicht gewährleistet werden“ (LT-Drucks. 15/3565, 207). 6. Musterentwurf. Der ME-StVollzG verzichtet auf eine eigenständige Regelung des 27 Differenzierungsgrundsatzes. In der ME-Begründung wird jedoch erläutert, dass vollzugliche Maßnahmen auf den individuellen Behandlungsbedarf zugeschnitten werden müssen, um die Legalprognose der aus dem Vollzug Entlassenen zu verbessern. Dieser grundsätzliche Differenzierungsgedanke wird in diversen Einzelregelungen aufgegriffen. So wird in § 3 Abs. 6 vorgeschrieben, dass die unterschiedlichen Bedürfnisse der Gefangenen, insbesondere im Hinblick auf Geschlecht, Alter und Herkunft, bei der Vollzugsgestaltung im Allgemeinen und im Einzelfall zu berücksichtigen sind, wobei das Gesetz diesem Grundsatz allgemein durch die Trennung von männlichen und weiblichen Gefangenen (§ 10) oder in Einzelfällen durch die Berücksichtigung bestimmter Verpflegungs- und Einkaufswünsche (§ 53) Rechnung trägt. Ergänzend wird in §§ 21 und 93 verlangt, bei der Einrichtung von Anstalten und Abteilungen die unterschiedlichen vollzuglichen Anforderungen zu berücksichtigen und bei der Ausgestaltung von Qualifizierungs- und Arbeitsmaßnahmen sowie bei (sozial-)therapeutischen und Freizeitangeboten die Bedürfnisse und Besonderheiten der jeweiligen Zielgruppe zu beachten. Nur auf diese Weise – so die Begründung zu § 93 – werde die Möglichkeit geschaffen, effektiv dem unterschiedlichen Maßnahmenbedarf der Gefangenen wie auch differenzierten Anforderungen an die Sicherheit von Anstalten Rechnung zu tragen. Hinsichtlich der Gestaltung der Sicherheitsvorkehrungen wird § 141 Abs. 2 StVollzG in § 15 ME-StVollzG insoweit aufgegriffen, als auch hier für Abteilungen des offenen Vollzuges keine oder nur verminderte Vorkehrungen gegen Entweichungen vorgesehen sind. Auf die Erfordernisse einer sicheren Unterbringung wird indes in § 75 separat eingegangen. In der Begründung wird ausdrücklich darauf verwiesen, dass die Gefangenen entsprechend ihrer Eignung im offenen oder geschlossenen Vollzug unterzu1059
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bringen sind, dass beide Vollzugsformen insofern als gleichrangig betrachtet werden und folglich bewusst auf die Festlegung eines Regel-Ausnahmeverhältnisses verzichtet wird.
§ 142 Einrichtungen für Mütter mit Kindern § 142 Steinhilper Einrichtungen für Mütter mit Kindern In Anstalten für Frauen sollen Einrichtungen vorgesehen werden, in denen Mütter mit ihren Kindern untergebracht werden können. Schrifttum S. § 80.
I. II.
Übersicht Allgemeine Hinweise ____ 1, 2 Erläuterungen ____ 3–7 1. Rechtspflicht des Vollzuges ____ 3 2. Einrichtungen der Jugendhilfe ____ 4–7 a) Heimaufsicht durch das Landesjugendamt ____ 4 b) Ärztliche Überwachung ____ 5 c) Fachgerechte pädagogische Betreuung ____ 6
III.
d) Kontakte zur Außenwelt ____ 7 Landesgesetze und Musterentwurf ____ 8–13 1. Baden-Württemberg ____ 8 2. Bayern ____ 9 3. Hamburg ____ 10 4. Hessen ____ 11 5. Niedersachsen ____ 12 6. Musterentwurf ____ 13
I. Allgemeine Hinweise 1
Die Vorschrift (Konkretisierung des Differenzierungsangebots nach § 141) eröffnet die Möglichkeit, Kinder nicht von ihren inhaftierten Müttern zu trennen; sie bildet den organisatorischen Rahmen für die gemeinsame Unterbringung nach § 80. Mit der in § 142 hervorgehobenen speziellen Einrichtung für Mütter und Kinder wird dem Frauenvollzug eine Aufgabe gestellt, die sich von anderen Maßnahmen des Vollzugs insbesondere dadurch unterscheidet, dass nicht nur Gefangene, sondern auch deren Kinder in der Justizvollzugsanstalt untergebracht werden, obwohl gegen diese keine freiheitsentziehende Maßnahme zu vollziehen ist (zur Frage, ob § 141 i. V. m. § 80 auch für Väter mit Kindern gilt, vgl. § 80 Rdn. 6; zu Schädigungen durch Trennung und zum Zusammenwirken von Jugendhilfe und Justiz bei der Inhaftierung von Müttern und Kindern s. die Erläuterungen zu § 80). 2012 gab es in der Bundesrepublik zehn Mutter-Kind-Einrichtungen in Justizvoll2 zugsanstalten mit insgesamt 109 Haftplätzen, davon 60 im offenen Vollzug und drei in der Sozialtherapie (Berlin). Ausführlich dazu AK-Weßels 2012 § 142 Rdn. 3 mit tabellarischer Übersicht. Zu den konkreten Bedingungen der gemeinsamen Unterbringung von Mutter und Kind in bestehenden Mutter-Kind-Einrichtungen (Stand 1.1.2008) und zu den rechtlichen Aspekten der Unterbringung s. ausführlich Junker 2011. II. Erläuterungen 3
1. Rechtspflicht des Vollzuges. Nach § 80 Abs. 2 kann das Kind einer Gefangenen, das noch nicht schulpflichtig ist, in der Vollzugsanstalt untergebracht werden, in der sich seine Mutter befindet. § 142 verlangt aber, dass zu diesem Zweck eigene EinrichtunSteinhilper
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Einrichtungen für Mütter mit Kindern
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gen in der JVA vorgesehen werden sollen. Gemeinsam ist den zitierten Bestimmungen, dass die Trennung der Kinder von ihren inhaftierten Müttern in den ersten Lebensjahren vermieden werden soll. Während aber ursprünglich davon ausgegangen wurde, dass das Kind in die Lebensbedingungen seiner Mutter gebracht werden dürfe, besteht heute eine Rechtspflicht für den Vollzug, dem Wohl der Kinder dienende Einrichtungen im Vollzug nach Bedarf zu schaffen. Diese Pflicht ergibt sich nicht nur aus den wissenschaftlichen und praktischen Erkenntnissen über die für Kinder dieses Alters förderlichen Lebensbedingungen (vgl. § 80 Rdn. 1), sondern auch aus den Grundrechten der Kinder (Art. 2 Abs. 1 und 2 GG). Dem korrespondiert aber kein Anspruch der einzelnen Gefangenen, in einer Mutter-Kind-Einrichtung aufgenommen zu werden, insb. nicht in einer bestimmten Anstalt. Zu den Kosten für die gemeinsame Unterbringung von Mutter und Kind im Strafvollzug und zu den Betreuungskosten für das Kind s. § 80 Rdn. 12 f. 2. Einrichtungen der Jugendhilfe a) Mit § 142 hat der Gesetzgeber erstmals Einrichtungen der Jugendhilfe in Jus- 4 tizvollzugsanstalten vorgeschrieben, die nach § 89 Abs. 2 Nr. 6 SGB VIII der Aufsicht des Landesjugendamtes unterstehen. Diese Aufsicht tritt neben die Aufsicht durch die Vollzugsbehörde nach § 151. Praktische Schwierigkeiten sind durch diese doppelte Zuständigkeit bislang nicht bekannt geworden. Das Jugendamt kann Zuständigkeiten lediglich für die Unterbringung der Kinder beanspruchen, für die die Aufsicht nach § 151 nicht passend erscheint, da sie nicht Gefangene im Sinne dieses Gesetzes sind. b) Die ärztliche Überwachung der Einrichtung obliegt gem. VV Nr. 2 und 3 zu § 56 5 dem Anstaltsarzt. Als Konsiliararzt sollte ein Kinderarzt bestellt werden, der regelmäßige Sprechstunden in der Anstalt abhält. Bei Gängen zum Arzt sollte das Kind von der Mutter begleitet werden, da Arztbesuche bei Kindern oft Angst auslösen (Birtsch/Riemann/ Rosenkreuz 1988, 196). Die Kosten für die Behandlungen der Kinder trägt die zuständige Krankenkasse bzw. der Sozialhilfeträger. Zur stationären Behandlung werden die Kinder in eine geeignete Klinik gebracht; auch während des Krankenhausaufenthaltes ist die Anwesenheit der Mütter wünschenswert. Bei psychischen Störungen ist die Behandlung durch eine Erziehungsberatungsstelle vorzusehen; der Anstaltspsychologe kann zur Diagnostik und Behandlung beigezogen werden. c) Mit § 142 übernimmt die Justizvollzugsanstalt als Träger der Einrichtung die Ver- 6 antwortung für eine fachgerechte, auf die besonderen Bedürfnisse des einzelnen Kindes abgestimmte Betreuung. Sie hat dem Aufbau, der Aufrechterhaltung und Stabilisierung der Mutter-Kind-Beziehung Rechnung zu tragen, eine altersentsprechende Entwicklung durch Erziehung und Förderung des Kindes zu gewährleisten und den Mutter-Kind-Bereich räumlich so zu gestalten, dass die Einengungen des Strafvollzugs so gering wie möglich sind. Als Richtwert für die Personalbemessung (neben dem Aufsichtspersonal) fordert die „Bundesarbeitsgemeinschaft der Landesjugendämter und überörtlichen Erziehungsbehörden“ in ihren „Grundsätzen über die Unterbringung von Kindern in Justizvollzugsanstalten“, dass eine Gruppe, die je nach Alter und Altersmischung aus vier bis zehn Kindern besteht, von 2 geeigneten Fachkräften (z. B. Erziehern, Sozialpädagogen) betreut wird. Mindestens eine dieser Fachkräfte sollte in Säuglingspflege/-ernährung ausgebildet sein. d) Nach Forschungsergebnissen und Praxiserfahrungen sind für eine altersgemäße 7 Entwicklung der Kinder die Kontakte zur Außenwelt besonders wichtig. Regelmäßiger 1061
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4. Abschnitt. Vollzugsbehörden
Ausgang ist daher unverzichtbar. Nur so ist gewährleistet, dass die Kinder Vielfalt und Anforderungen der Lebenswelt erfahren (z. B. Situationen des Straßenverkehrs, belebte Einkaufsstraßen, Natur- und Tierwelt, Kinderspielplätze, Nachbarschaft). Für Kinder ab dem dritten Lebensjahr sollte der Besuch öffentlicher Kindergärten verpflichtend sein. Um alle Möglichkeiten der Kontakte zur Außenwelt nutzen zu können, differenzieren Mutter-Kind-Einrichtungen zunehmend nach offenem und geschlossenen Vollzug. Die erste offene Abteilung einer Mutter-Kind-Einrichtung wurde 1988 in der hessischen Frauenvollzugsanstalt Frankfurt-Preungesheim eröffnet (zur Enstehungsgeschichte und zum heutigen Betreungs- und Behandlungskonzept s. Das Mutter-Kind-Heim der Justizvollzugsanstalt für Frauen, Frankfurt am Main III, in: Dünkel (Hrsg.) Schriften zum Strafvollzug, Jugendstrafrecht und zur Kriminologie Bd. 33, 115). In Niedersachsen gibt es seit 1997 eine Einrichtung des offenen Vollzugs für elf Mütter und etwa fünfzehn Kinder. In demselben Gebäude werden auch zeitweise zwei Seniorinnen aufgenommen, die die Mütter bei ihrer Erziehungs- und Betreuungsarbeit unterstützen. III. Landesgesetze und Musterentwurf 8
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1. Baden-Württemberg. Das JVollzGB hat keine § 142 entsprechende Vorschrift. § 10 JVollzGB I hat den Regelungsgehalt der §§ 80 und 142 StVollzG in einer Norm zusammengefasst. Danach kann eine Gefangene mit ihrem Kind gemeinsam in einer MutterKind-Einrichtung untergebracht werden, sofern ein Platz zur Verfügung steht. Gegenwärtig ist in der JVA Schwäbisch-Gmünd eine Mutter-Kind-Abteilung eingerichtet. Der Gesetzgeber verpflichtet die Landesjustizverwaltung allerdings nicht, entsprechende Einrichtungen vorzuhalten. 2. Bayern. Art. 168 BayStVollzG entspricht § 142.
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3. Hamburg. § 100 HmbStVollzG entspricht § 142 StVollzG. Bis auf den ergänzenden Hinweis, dass auch in Abteilungen Einrichtungen für Mütter und Kinder vorgesehen werden können, ist die Vorschrift wortgleich mit der Bundesvorschrift. § 100 HmbStVollzG lautet: „In Anstalten oder Abteilungen für Frauen sollen Einrichtungen vorgesehen werden, in denen Mütter mit ihren Kindern untergebracht werden können“.
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4. Hessen. § 74 Abs. 3 StVollzG entspricht weitgehend § 142 StVollzG. Die geschlechtsneutrale Formulierung ermöglicht allerdings über die bundesrechtliche Regelung hinaus die gemeinsame Unterbringung von Vätern und Kindern. Abs. 3 lautet: „In geeigneten Anstalten sollen Einrichtungen vorgesehen werden, in denen Gefangene mit ihren Kindern untergebracht werden können.“
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5. Niedersachsen. Das NJVollzG hat keine § 142 StVollzG entsprechende Vorschrift. Seinen Regelungsgehalt greift § 173 NJVollzG auf, der die Vollzugsbehörden und das Fachministerium ermächtigt und verpflichtet, innerhalb der verschiedenen Vollzugsarten die zur Erreichung bzw. Erfüllung der jeweiligen Ziele und Aufgaben notwendigen Differenzierungen vorzunehmen. Die Differenzierung kann sich auf einzelne Haftplätze und Vollzugsabteilungen erstrecken, sie kann aber auch ganze Abteilungen und Anstalten betreffen. Hiernach können u. a. Mutter- und Kind-Heime § 142 StVollzG entsprechend eingerichtet werden. Die Vorschrift verzichtet darauf, einzelne Differenzierungsansätze besonders zu betonen im Interesse einer hohen Flexibilität und Offenheit gegenüber zukünftigen Entwicklungen. § 143 NJVollzG lautet: „Die Anstalten sind vom Fachministerium und von den Vollzugsbehörden so zu gestalten und zu differenzieren, Steinhilper
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Größe und Gestaltung der Anstalten
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dass Ziele und Aufgaben des Vollzuges gewährleistet werden. Personelle Ausstattung, sachliche Mittel und Organisation der Anstalten sind hieran auszurichten“. 6. Musterentwurf. Der Musterentwurf hat wie Baden-Württemberg und Niedersach- 13 sen keine spezielle Regelung, nach der Einrichtungen für Gefangene und Kinder vorgehalten werden sollen. § 14 Abs. 1 ME-StVollzG ermöglicht jedoch grundsätzlich die gemeinsame Unterbringung von Müttern und Kindern in Anstalten, wenn bauliche Gegebenheiten dies zulassen und Sicherheitsgründe nicht entgegenstehen.
§ 143 Größe und Gestaltung der Anstalten § 143 Koop/Grote Größe und Gestaltung der Anstalten (1) Justizvollzugsanstalten sind so zu gestalten, dass eine auf die Bedürfnisse des einzelnen abgestellte Behandlung gewährleistet ist. (2) Die Vollzugsanstalten sind so zu gliedern, dass die Gefangenen in überschaubaren Betreuungs- und Behandlungsgruppen zusammengefasst werden können. (3) Die für sozialtherapeutische Anstalten und für Justizvollzugsanstalten für Frauen vorgesehene Belegung soll zweihundert Plätze nicht übersteigen. Schrifttum Koop Ist uns die Kundschaft aus dem Auge geraten?, in KrimPäd 2002, Heft 41, 4 ff; MichelitschTraeger Sozialtherapeutisch ausgerichteter Wohngruppenvollzug – oder: was man wissen muss, wenn man eine Wohngruppe implementieren will, in: ZfStrVo 1991, 282 ff; Rehn Konzeption und Praxis der Wohngruppenarbeit in sozialtherapeutischen Einrichtungen, in: ZfStrVo 1996, 281 ff; Stäwen Behandlungswohngruppen im Regelvollzug, in: ZfStrVo 1989, 259 ff.
I. II.
Übersicht Allgemeine Hinweise ____ 1 Erläuterungen ____ 2–4 1. Gestaltung der Anstalt (Abs. 1) ____ 2 2. Gliederung der Anstalt (Abs. 2) ____ 3 3. Sozialtherapeutische Anstalten und Anstalten für Frauen ____ 4
III.
Landesgesetze und Musterentwurf ____ 5–10 1. Baden-Württemberg ____ 5 2. Bayern ____ 6 3. Hamburg ____ 7 4. Hessen ____ 8 5. Niedersachsen ____ 9 6. Musterentwurf ____ 10
I. Allgemeine Hinweise Mit den in Abs. 1 und 2 geregelten Gestaltungsgrundsätzen möchte der Gesetzgeber 1 der Gefahr begegnen, dass durch zu große und nicht hinreichend differenzierte Anstalten die Behandlung der Inhaftierten erschwert oder gar unmöglich gemacht wird (BTDrucks. 7/918, Laubenthal 2011 Rdn. 369). Allerdings gelten diese Grundsätze gem. § 201 Nr. 4 ausschließlich für die Anstalten, mit deren Errichtung nach dem 1.1.1977 begonnen wurde. Für Anstalten, mit deren Errichtung vor Inkrafttreten des StVollzG begonnen wurde, gelten die Grundsätze gem. § 201 Nr. 4 als „Soll-Vorschrift“. Das bedeutet, dass die gesetzlichen Vorgaben bei baulichen und organisatorischen Veränderungen möglichst Berücksichtigung finden müssen. Nach überzeugender Auffassung von AK-Huchting/Pollähne (2012 Rdn. 2) sind die Justizbehörden wegen der unbefristeten Übergangszeit verpflichtet, grundsätzlich nach § 143 Abs. 1 und 2 zu verfahren, wenn dem nicht ausnahmsweise wichtige Gründe entgegenstehen. Die für sozialtherapeutische Anstalten 1063
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und für Justizvollzugsanstalten für Frauen vorgesehene Größe (Abs. 3) ist ohnehin nur als Soll-Vorschrift formuliert (BT-Drucks. 7/918, 93). Einzelne Gefangene können aus der Vorschrift keine Rechte herleiten (vgl. zur ähnlichen Situation bei § 144: OLG Zweibrücken NStZ 1982, 221 = ZfStrVo 1982, 318 – 1 Vollz [Ws] 78/81). Sie erleichtert es aber den Landesjustizverwaltungen, ihre Bauvorhaben zu begründen. II. Erläuterungen 2
1. Gestaltung der Anstalt (Abs. 1). Ziel von Abs. 1 ist es, eine auf die Bedürfnisse des einzelnen Gefangenen abgestellte Behandlung durch die bauliche und organisatorische Gestaltung der Anstalt zu gewährleisten. Damit soll die Umsetzung der Grundsätze des Behandlungsvollzuges gesichert werden (Laubenthal 2011 Rdn. 369, BT-Drucks. 7/ 918, 93). Die Gestaltung einer Anstalt ist deshalb in erster Linie am Vollzugsziel der Resozialisierung nach § 2 Satz 1 auszurichten. Dass eine Anstalt auch ausbruchsicher sein muss, folgt aus § 2 Satz 2. Zur Größe einer Anstalt verhält sich Abs. 1 nicht unmittelbar. Streitig ist, ab welcher Größe die geforderte individuelle Behandlung nicht mehr gewährleistet werden kann. AK-Huchting/Pollähne (2012 Rdn. 4) halten unter Bezugnahme auf internationale Erfahrungen eine Größe von 200 bis 300 Haftplätzen für zielführend und die Obergrenze bei 400 Haftplätzen für erreicht. Böhm/Koop (in der Vorauflage) und Grunau/Tiesler (1982 Rdn. 1) sehen die Obergrenze bei mehr als 500 Haftplätzen überschritten. Arloth (2011 Rdn. 2) hält dagegen – auch mit fiskalischen Erwägungen – eine Obergrenze von 600 bis 700 Haftplätzen für vertretbar. Bei dieser Größe sei insbesondere zu erwarten, dass der Anstaltsleiter entsprechend seiner Verantwortung aus § 156 Abs. 2 Satz 2 noch alle Bediensteten persönlich kennen könne (Arloth aaO). Fest steht, dass in der Bundesrepublik Deutschland auch größere Anstalten existieren. So hat die JVA Tegel als derzeit größte Anstalt in der Bundesrepublik Deutschland, die aus sechs Teilanstalten besteht, eine Belegungsfähigkeit von 1.542 Haftplätzen (www.berlin.de/sen/justiz/ justizvollzug). Die durchschnittliche Belegungsfähigkeit aller 186 selbständigen Anstalten in der Bundesrepublik Deutschland beläuft sich bei 77.669 Gefangenen auf 418 Haftplätze, die durchschnittliche tatsächliche Belegung bei 71.200 Gefangenen auf 383 Haftplätze (Stand: 31.3.2011, www.destatis.de). Die von AK-Huchting/Pollähne vertretene Obergrenze von 400 Haftplätzen erscheint davor als Richtwert für Neu- und Umbauten sinnvoll. Bei größeren Anstalten müssen die mit der Größe einhergehenden Nachteile (z. B. Gefahr zunehmender Anonymität der Gefangenen) durch bauliche oder organisatorische Maßnahmen kompensiert werden.
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2. Gliederung der Anstalt (Abs. 2). Nach Abs. 2 sind die Anstalten so zu gliedern, dass die Gefangenen einer überschaubaren Betreuungs- und Behandlungsgruppe zugeordnet werden können. Erforderlich ist dafür eine Organisationsstruktur, die eine (Binnen-)Differenzierung z. B. in verschiedenen Vollzugsabteilungen oder Wohngruppen ermöglicht. Gemeinsam zugeordnet sind diesen Untergliederungen insbesondere Arbeitsund Ausbildungsstätten, Sportplätze, Küche, Zentralkammer und weitere Serviceeinrichtungen. Verwaltungstechnisch zugeordnet wird dem Begriff der „Betreuungsgruppe“ überwiegend die „Vollzugsabteilung“ und dem Begriff der „Behandlungsgruppe“ die „Wohngruppe“ (vgl. Arloth 2011 Rdn. 3; C/MD 2008 Rdn. 6; Laubenthal 2011 Rdn. 373; differenzierter für den Begriff der Behandlungsgruppe mit überzeugenden Argumenten AKHuchting/Pollähne 2012 Rdn. 10). Streitig ist, bis zu welcher Größe noch von einer Überschaubarkeit der einzelnen Betreuungs- und Behandlungsgruppen ausgegangen werden kann. AK-Huchting/Pollähne (2012 Rdn. 8) sehen die Grenze der Überschaubarkeit bereits bei Betreuungsgruppen von 25–30 Personen erreicht, Arloth (2011 Rdn. 3) und C/MD Koop/Grote
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(2008 Rdn. 6) halten Größen von 40–60 Personen für sinnvoll. Böhm/Koop (in der Vorauflage) sehen die Höchstgrenze jedenfalls bei 60–80 Personen erreicht. Insbesondere angesichts der vielfältigen Aufgaben des Personals im Bereich der Vollzugsplanung und Betreuung erscheint die Grenze der Überschaubarkeit bei einer Größe von mehr als 60 Personen aber in der Regel bereits überschritten. Bei der Größe der Behandlungsgruppen wird überwiegend auf die Erfahrungen zur Größe von Wohngruppen zurückgegriffen. Ob diese Begriffe aber synonym benutzt werden können, ist zweifelhaft (dafür wohl Laubenthal 2011 Rdn. 374; dagegen AK-Huchting/Pollähne 2012 Rdn. 10 mit überzeugender Argumentation). Behandlungsgruppen sind Gefangenengruppen, die ungeachtet einer Wohngruppenzugehörigkeit insbesondere für bestimmte Behandlungsmaßnahmen gebildet werden. Dass dies auch in der baulichen Gestaltung und Organisation der Anstalt berücksichtigt werden muss, ist selbstverständlich. Der einer Auslegung zugängliche Begriff „überschaubar“ (kritisch Böhm 2003 Rdn. 81) soll vor zu großen Gruppen warnen. Eine überschaubare Betreuungs- oder Behandlungsgruppe i. S. v. Abs. 2 kann auch eine Wohngruppe sein. Unzweifelhaft sind jedenfalls die Wohngruppen bei der Gestaltung der Justizvollzugsanstalt zu berücksichtigen (C/MD 2008 Rdn. 6; Laubenthal 2011 Rdn. 374). Es sind die kleinen Einheiten, in denen sich das Leben während des größeren Teils der Freizeit abspielt, in denen ein vernünftiges Miteinander (unter Aufsicht und fachlicher Beratung) eingeübt wird und Teile der Versorgung (z. B. Waschen der Kleidung, Zubereitung der Abendmahlzeit) stattfinden. Die Größe dieser Wohngruppen hängt von den Sozialisationsdefiziten der Gefangenen ab. 20 Plätze sind vielleicht noch gerade im offenen Vollzug vertretbar, für die meisten Gefangenengruppen sollten kleinere Wohneinheiten geschaffen werden (AK-Huchting/Pollähne 2012 Rdn. 10; CMD 2008 Rdn. 6; Laubenthal 2011 Rdn. 375; Rehn 1996, 283; Schwind/Blau 1988, 75; Stäwen 1989, 259; Walter 1999 Rdn. 284). Die Wohngruppen sollten von anderen Wohngruppen optisch und akustisch getrennt sein und zumindest über eine eigene Teeküche, einen Gruppenraum und einen möglichst für gemeinschaftliche Aktivitäten zu nutzenden Flur verfügen. Die Büros der zuständigen Wohngruppenleitung (Vollzugsabteilungsleitung) und der Fachdienste (z. B. Sozialarbeiter) gehören in diesen Bereich oder sollten direkt angegliedert sein. Es sollen möglichst dieselben Bediensteten längerfristig in den Wohngruppen als feste Teams Dienst tun (Koop 2002, 4; Stäwen 1989, 259). Während in den sozialtherapeutischen Anstalten und im Vollzug der Jugendstrafe der Wohngruppenvollzug durchweg eingeführt ist, stellt er im Vollzug der Freiheitsstrafe die Ausnahme dar. Schon im Jugendstrafvollzug zeigt sich, dass nicht alle Gefangenen für diese Art der Unterbringung geeignet sind und dass verantwortbar solche Strukturen nur mit größerem Personalaufwand und gewissen Zielvorgaben für die Gruppe geschaffen werden können (grundlegend: Michelitsch-Traeger 1991). Zu den subkulturellen Gefährdungen tritt – jedenfalls bei Erwachsenen – eine gewisse Unlust am Gemeinschaftsleben; sie ziehen sich zum Fernsehen in ihren Haftraum zurück und nehmen die Mahlzeiten lieber allein ein (Böhm 2003 Rdn. 204; vgl. auch Walter 1999 Rdn. 284). Ob sich deshalb das Wohngruppenprinzip allgemein anbietet und verwirklichen lassen wird, erscheint daher zweifelhaft. 3. Sozialtherapeutische Anstalten und Anstalten für Frauen (Abs. 3). Abs. 3 gibt 4 vor, dass sozialtherapeutische Anstalten und (Justizvollzugs-)Anstalten für Frauen nicht über mehr als 200 Haftplätze verfügen sollen. Für sozialtherapeutische Anstalten entspricht diese Vorgabe nur bedingt der Praxis. Vielfach haben sich kleinere Einrichtungen als sozialtherapeutische Abteilungen in allgemeinen Justizvollzugsanstalten organisiert. Es existieren aber durchaus sozialtherapeutische Anstalten mit bis zu 185 Haftplätzen (Sozialtherapeutische [Teil-]Anstalt der JVA Tegel, Stand: 2/2009, www.berlin. de/jva-tegel/, vgl. AK-Huchting/Pollähne 2012 Rdn. 11 mit weiteren Beispielen). Selbst1065
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ständige Frauenstrafanstalten gibt es inzwischen in Baden-Württemberg, Berlin, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Sachsen. Die Belegungsfähigkeit dieser Anstalten übersteigt die Vorgabe in Abs. 3 zum Teil. So hat die JVA für Frauen in Berlin eine Belegungsfähigkeit von 281 Plätzen, ist aber auf vier Standorte verteilt (www.berlin. de/sen/justiz/justizvollzug). Ähnlich verhält es sich bei der JVA für Frauen Vechta, die eine Gesamtbelegungsfähigkeit von 301 Haftplätzen besitzt, aber u. a. über zwei externe Abteilungen mit 60 und 64 Haftplätzen verfügt (www.jva-fuer-frauen.niedersachsen.de). Darin eine Abweichung zum Regelungsgehalt von Abs. 3 zu sehen, erscheint eine zu formale Betrachtung. Entscheidend sind die Differenzierungsmöglichkeiten innerhalb des Vollzuges. Im Zuge der Erkenntnisse aus der Budgetierung und den neuen Steuerungsinstrumenten (Steinhilper zu § 151 Rdn. 3) wird offenbar, dass zu kleine Anstalten oder Vollzugseinheiten unwirtschaftlich sind und den Anforderungen eines differenzierten Strafvollzuges nicht gerecht werden (a. A. AK-Huchting/Pollähne 2012 Rdn. 11, die 200 Plätze für Frauenanstalten wegen der dortigen Problemballung als guten Richtwert für die Umgestaltung von Anstaltsgebäuden ansehen und für die keine Ausnahmegründe denkbar sind, die eine Belegung über 200 Gefangene zulassen). III. Landesgesetze und Musterentwurf 5
1. Baden-Württemberg. Die Gestaltung der Justizvollzugsanstalten regelt § 6 JVollzGB I. § 6 Abs. 1 Satz 1 JVollzGB I greift den Regelungsgehalt von § 143 Abs. 1 StVollzG auf, stellt für die Gestaltung aber nicht auf die individuelle Behandlung der Gefangenen, sondern allgemein auf den Zweck und die Erfordernisse des (zeitgemäßen) Justizvollzuges ab. Ergänzend formuliert § 6 Abs. 1 Satz 2 JVollzGB I, dass völkerrechtliche Vorgaben und internationale Standards mit Menschenrechtsbezug zu beachten sind. § 6 Abs. 2 JVollzGB I orientiert sich an § 143 Abs. 2 StVollzG, formuliert den Gestaltungsgrundsatz aber nur als Soll-Vorschrift. § 143 Abs. 3 StVollzG hat keine Entsprechung im JVollzGB I gefunden.
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2. Bayern. Art. 169 Abs. 1 und 2 BayStVollzG entspricht § 143 Abs. 1 und 2 StVollzG. Die Beschränkung des § 143 Abs. 3 StVollzG findet sich nicht mehr im BayStVollzG. Der Gesetzgeber hat sich auf einige Vorgaben für die Größe und Gestaltung und ihrer Räumlichkeiten und deren Belegung beschränkt. Hierzu auch Laubenthal 2011 Rdn. 368. Von der Festlegung einer Höchstbelegungszahl (§ 143 Abs. 3 StVollzG) wurde zu Recht abgesehen (vgl. auch Arloth 2011 zu Art. 169 BayStVollzG).
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3. Hamburg. § 99 Abs. 1 und 2. HmbStVollzG (Differenzierung) entspricht im Wesentlichen § 143 Abs. 1 und 2 StVollzG (Größe und Gestaltung der Anstalten). Nach § 99 Abs. 1 HmbStVollzG sind Haftplätze in verschiedenen Anstalten oder Abteilungen vorzusehen, die den Sicherheitserfordernissen Rechnung tragen und eine auf die Bedürfnisse des Einzelnen abgestellte Behandlung gewährleisten. Die Gliederung der Anstalten soll die Unterbringung der Gefangenen in überschaubaren Betreuungs- und Behandlungsgruppen ermöglichen. Anders als in § 143 Abs. 3 StVollzG mit dem Hinweis, dass die vorgesehene Belegung 200 Plätze für sozialtherapeutische Anstalten und für Justizvollzugsanstalten für Frauen nicht übersteigen soll, regelt § 99 Abs. 2 HmbStVollzG, dass für den Vollzug nach § 10 (Sozialtherapie) eigenständige Anstalten oder getrennte Abteilungen (sozialtherapeutische Einrichtung) vorzusehen sind.
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4. Hessen. Die Gestaltung der Anstalten ist in §§ 3 und 72 HStVollzG geregelt. § 72 Abs. 1 i. V. m. § 3 Abs. 4 HStVollzG greift (abstrakt) auch den Inhalt von § 143 Abs. 1 und 2 StVollzG auf. § 143 Abs. 3 StVollzG hat keinen Eingang in das HStVollzG gefunden. Koop/Grote
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5. Niedersachsen. § 173 NJVollzG (Gestaltung, Differenzierung und Organisation der 9 Anstalten) fasst neben § 143 auch die §§ 141, 142 und 147 StVollzG in einer Regelung zusammen. Die Regelung ist wie folgt gefasst: „Die Anstalten sind vom Fachministerium und von den Vollzugsbehörden so zu gestalten und zu differenzieren, dass Ziele und Aufgaben des Vollzuges gewährleistet werden. Personelle Ausstattung, sachliche Mittel und Organisation der Anstalten sind hieran auszurichten.“ Die Regelung des § 173 NJVollzG beschränkt sich auf allgemeine Grundaussagen, ohne die im StVollzG enthaltenen detaillierten Vorgaben für die Größe und Gestaltung der Anstalten zu übernehmen. Eine Absenkung der bisherigen gesetzlichen Standards ist damit nicht beabsichtigt (Gesetzesbegründung, LT-Drucks. 15/3565, 207 f). 6. Musterentwurf. Der ME-StVollzG regelt den Aufbau und die Organisation der 10 Anstalten in seinem Achtzehnten Abschnitt. Der Regelungsgehalt von § 143 StVollzG hat dabei zum Teil Eingang in die Regelung des § 93 Abs. 1 und 2 ME-StVollzG gefunden. Nach § 93 Abs. 1 ist bei der Einrichtung von Anstalten den unterschiedlichen vollzuglichen Anforderungen Rechnung zu tragen. Insbesondere sind sozialtherapeutische Abteilungen vorzusehen. Eine Bestimmung zur Höchstgröße wie in § 143 Abs. 3 StVollzG enthält die Regelung nicht. § 93 Abs. 2 gibt ergänzend vor, dass eine bedarfsgerechte Anzahl und Ausstattung von Plätzen für therapeutische Maßnahmen, schulische und berufliche Qualifizierung, Arbeitstraining und Arbeitstherapie sowie zur Ausübung von Arbeit vorzusehen ist. Entsprechendes gilt für Besuche, Freizeit, Sport und Seelsorge.
§ 144 Größe und Ausgestaltung der Räume § 144 Koop/Grote Größe und Ausgestaltung der Räume (1) Räume für den Aufenthalt während der Ruhe- und Freizeit sowie Gemeinschafts- und Besuchsräume sind wohnlich oder sonst ihrem Zweck entsprechend auszugestalten. Sie müssen hinreichend Luftinhalt haben und für eine gesunde Lebensführung ausreichend mit Heizung und Lüftung, Boden- und Fensterfläche ausgestattet sein. (2) Das Bundesministerium der Justiz wird ermächtigt, mit Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverordnung Näheres über den Luftinhalt, die Lüftung, die Boden- und Fensterfläche sowie die Heizung und Einrichtung der Räume zu bestimmen. Schrifttum Barisch Überbelegung – Alltag in deutschen Justizvollzugsanstalten oder: „Einer geht noch, einer geht noch rein?!“, in: KJ 2008, 425 ff; Böhm Zum Sichtspion in der Tür des Haftraums, in: JZ 1992, 174 ff.
I. II.
III.
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Übersicht Allgemeine Hinweise ____ 1 Erläuterungen ____ 2–4 1. Räume nach Abs. 1 Satz 1 ____ 2 2. Aspekte nach Abs. 1 Satz 2 ____ 3 3. Rechtsverordnung nach Abs. 2 ____ 4 Landesgesetze und Musterentwurf ____ 5–10
1. 2. 3. 4. 5. 6.
Baden-Württemberg ____ 5 Bayern ____ 6 Hamburg ____ 7 Hessen ____ 8 Niedersachsen ____ 9 Musterentwurf ____ 10
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I. Allgemeine Hinweise 1
Die Vorschrift ergänzt die Bestimmungen der §§ 17 bis 19 unter baulichen und organisatorischen Aspekten. Während die §§ 17 bis 19 regeln, zu welchen Zeiten und unter welchen Voraussetzungen die Gefangenen einzeln oder gemeinsam unterzubringen sind (§§ 17, 18) und unter welchen Voraussetzungen die Gefangenen ihren Haftraum mit eigenen Sachen ausstatten können (§ 19), verpflichtet § 144 Abs. 1 Satz 1 die Vollzugsbehörde, Räume für den Aufenthalt während der Ruhe- und Freizeit sowie Gemeinschafts- und Besuchsräume wohnlich oder sonst ihrem Zweck entsprechend auszugestalten. Abs. 1 Satz 2 gibt vor, welche Aspekte bei der Größe und Ausgestaltung der Räume (mindestens) zu beachten sind. Eine Konkretisierung dieser allgemeinen Vorgaben ist nach Absatz 2 einer Rechtsverordnung vorbehalten. Da das Bundesministerium der Justiz von der entsprechenden Ermächtigung noch keinen Gebrauch gemacht hat, obliegt es in erster Linie der Rechtsprechung, die Vorgaben aus § 144 Abs. 1 zu konkretisieren. Grundsätzlich gilt, dass in der Art der Unterbringung keine zusätzliche Übelzufügung liegen darf (vgl. RegE, BT-Drucks. 7/918, 93, Barisch 2008, 424/427; Laubenthal 2011 Rdn. 383). Die Gestaltung und Ausstattung der Räume dient zugleich der Umsetzung des Angleichungsgrundsatzes nach § 3 Abs. 1. Sie soll deshalb den allgemeinen Lebensverhältnissen soweit als möglich entsprechen. (Arloth 2011 Rdn. 1; C/MD 2008 Rdn. 1; Laubenthal 2011 Rdn. 376). Der einzelne Gefangene kann aus der Vorschrift keine Rechte herleiten (OLG Zweibrücken NStZ 1982, 221 = ZfStrVo 1982, 318 – 1 Vollz [Ws] 78/91; OLG Hamburg NStZ 1991, 103 – 3 Vollz [Ws] 47/90; OLG Hamm NStZ 1992, 352 – 1 VAs 4/92; KG NStZ-RR 2008, 222: aufgehoben durch den VerfGH des Landes Berlin, Beschl. v. 3.11.2009 – 184/07, juris; Barisch 2008, 425/433; Laubenthal 2011 Rdn. 382; möglicherweise a. A. LSG Berlin-Brandenburg FEVS 61, 333 – L15 SO 41/09 B PKH, juris: im Anschluss auch AKHuchting/Pollähne 2012 Rdn. 15). Die grundlegenden Voraussetzungen individueller und sozialer Existenz des Menschen müssen den Gefangenen aber auch in der Haft erhalten bleiben (BVerfG NStZ 1993, 404 = StV 1993, 487 – 2 BvR 202/93). Dem Ermessen der Vollzugsbehörde nach § 144 Abs. 1 werden deshalb durch das Recht des Gefangenen auf Achtung der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) und das Verbot unmenschlicher und erniedrigender Strafe oder Behandlung (Art. 3 EMRK) Grenzen gesetzt (OLG Zweibrücken aaO; OLG Karlsruhe ZfStrVo 2004, 304 – 1 Ws 27/03; BVerfG BVerfGE 12, 417 – 2 BvR 2201/05; VerfGH des Landes Berlin aaO). Ob die Unterbringung in einem Haftraum gegen die Menschenwürde verstößt, ist im Rahmen einer Gesamtschau anhand der konkreten Umstände, insbesondere der Größe des Haftraumes, der Gestaltung der Sanitärbereiche, aber auch der täglichen Einschlusszeiten und der Dauer der Unterbringung zu beurteilen (VerfGH des Landes Berlin aaO). Bei der dazu veröffentlichten Kasuistik sind die Umstände des Einzelfalls somit von besonderer Bedeutung. Es überrascht deshalb nicht, dass nicht eindeutig geklärt ist, wann eine Verletzung der Menschenwürde durch Unterschreiten z. B. einer bestimmten Haftraummindestgröße bei Mehrfachbelegung vorliegt. Kein Verstoß gegen die Menschwürde wird bei der Unterbringung in einem Einzelhaftraum trotz fehlender Abtrennung der Toilette oder ohne gesonderte Entlüftung gesehen (BVerfG EuGRZ 2008, 83 – 2 BvR 939/07; kritisch AK-Huchting/ollähne 2012 Rdn. 5). Der Gefangene hat aber Anspruch auf besondere Rücksichtnahme durch das Vollzugspersonal. Ein Bediensteter, der den Haftraum betreten will, muss sein Kommen beim Öffnen der Haftrumtür in angemessener Weise ankündigen (BVerfG aaO, BVerfG NJW 1996, 2643 – 2 BvR 727/44 und 2 BvR 884/94; BVerfG Beschl. v. 4.7.2006 – 2 BvR 460/01). Das Fehlen einer Steckdose im Haftraum verletzt die Menschenwürde nicht (OLG Hamm NStZ 1992, 352 – 1 VAs 4/92). Bei der Mehrfachbelegung eines Haftraumes wird ein Verstoß gegen die Menschenwürde insbesondere dann bejaht, wenn keine abgetrennte Koop/Grote
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Toilette oder keine gesonderte Entlüftung der Toilette vorhanden ist und eine Mindestbodenfläche für jeden Gefangenen unterschritten wird. Der hierzu ergangenen Rechtsprechung lässt sich eine kritische Grenze von etwa 4 qm für jeden Gefangenen entnehmen, deren Unterschreitung (als kumulativer Aspekt) zu einer Verletzung der Menschenwürde führt (zur Belegung mit 2 Gefangenen vgl. BVerfG NJW 2002, 2699 – 2 BvR 553/01; BVerfG StV 2002, 661 – 2 BvR 261/01; zur Belegung mit 3 Gefangenen vgl. OLG Frankfurt NStZ 1985, 572 – 3 Ws 447/85; OLG Frankfurt StV 1988, 540 – 3 Ws 67/87; zur Belegung mit 4 Gefangenen vgl. OLG Frankfurt NStZ-RR 2003, 59 – 3 Ws 1176/ 02 und zur Belegung mit 5 Gefangenen vgl. BGH NJW 2005, 58 – III ZR 361/03). Gleiches gilt bei nicht abgetrennter oder gesondert entlüfteter Toilette für die Unterschreitung eines Luftraumes von weniger als 16 Kubikmetern für jeden Gefangenen (OLG Frankfurt, NJW 2003, 2843 – 3 Ws 578/03 [StVollz], vgl. auch C/MD 2008 Rdn. 1: „Die Belegung eines Raumes mit nur 20 Kubikmeter Luftinhalt durch zwei Gefangene kann das in Abs. 1 Satz 2 gebotene Mindesterfordernis auf hinreichende Luft zum Atmen verletzten“ m. w. N.). Inzwischen gibt es abweichende Entscheidungen, die bei Mehrfachbelegung eine Verletzung der Menschenwürde allein auf die Unterschreitung einer Mindestbodenfläche für jeden Gefangenen stützen. Selbst bei ausreichend abgetrennter und gesondert entlüfteter Toilette ist die Menschenwürde nach Auffassung des OLG Hamm bei einer Bodenfläche von weniger als 5 qm für jeden Gefangenen verletzt (OLG Hamm NStZ-RR 2009, 326 – 1 W 106/08). Umgekehrt liegt es nah, eine Verletzung der Menschenwürde allein auf den Umstand zu stützen, dass trotz Mehrfachbelegung keine abgetrennte oder gesondert entlüftete Toilette vorhanden ist (tendenziell BVerfG EuGRZ 2008, 83 – 2 BvR 939/07; zustimmend OLG Zweibrücken, Beschl. v. 8.9.2004 – 1 Ws 276/04 [Vollz], juris; AK-Huchting/Pollähne Rdn. 10). Nicht mit der Menschenwürde zu vereinbaren ist auch die Unterbringung in einem Haftraum, in dem es wiederholt zu Überschwemmungen aus der Toilette und anderen Abflüssen kommt (BVerfG StV 1993, 487 – 2 BvR 202/93; Laubenthal 2011 Rdn. 383). II. Erläuterungen 1. Räume nach Abs. 1 Satz 1. Nach Abs. 1 Satz 1 sind Räume für den Aufenthalt 2 während der Ruhe- und Freizeit sowie Gemeinschafts- und Besuchsräume wohnlich oder sonst zweckentsprechend auszustatten. Unter „Räumen für den Aufenthalt während der Ruhe- und Freizeit“ sind die Hafträume gemäß § 18 sowie Räume zur regelmäßigen gemeinsamen Unterbringung in der Freizeit nach § 17 zu verstehen (AK-Huchting/Pollähne 2012 Rdn. 7; abweichend Böhm/Koop in der Vorauflage: „die Hafträume“). Im Gegensatz zu sonstigen Gemeinschafts- und Besuchsräumen dienen sie allein oder vorrangig dem Wohnen und müssen deshalb entsprechend ausgestattet werden (AK-Huchting/Pollähne aaO Rdn. 8). Eine wohnliche Gestaltung setzt zuvorderst eine angemessene Größe des Haftraumes voraus (siehe dazu die allgemeinen Hinweise unter I. sowie die Erläuterungen zu Abs. 1 Satz 2 unter 2., vgl. auch Barisch 2008, 425/432). Die 2006 neu gefassten Europäischen Strafvollzugsgrundsätze sehen zudem vor, dass alle für Gefangene, insbesondere für deren nächtliche Unterbringung, vorgesehenen Räume den Grundsätzen der Menschenwürde zu entsprechen, die Privatsphäre so weit wie möglich zu schützen und den Erfordernissen der Gesundheit und Hygiene zu genügen haben. In allen Gebäuden, in denen Gefangene leben, arbeiten oder sich aufhalten, müssen die Fenster groß genug sein, damit die Gefangenen unter normalen Bedingungen bei Tageslicht lesen und arbeiten können und Frischluft einströmen kann, es sei denn, eine entsprechende Klimaanlage ist vorhanden (Nr. 18.2, lit. a). Gefangene müssen jederzeit Zugang zu sanitären Einrichtungen haben, 1069
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4. Abschnitt. Vollzugsbehörden
die hygienisch sind und die Intimsphäre schützen (Nr. 19.3). Ein Haftraum, in dem die Toilette über keine feste Abtrennungen verfügt, kann kaum als wohnlich bezeichnet werden (vgl. OLG Zweibrücken, Beschl. vom 8.9.2004, 1 Ws 276/04 [Vollz], juris). In von mehreren Gefangenen bewohnten Hafträumen muss eine vollständig abgetrennte Nasszelle mit eigener Lüftung zur Verfügung stehen. Andernfalls muss die Möglichkeit der Benutzung von Wasch- und WC-Anlagen außerhalb des Haftraumes tags und nachts bestehen. Das wiederum setzt voraus, dass die Tür des Haftraums von den Gefangenen jederzeit zu öffnen sein muss und die Anlagen ohne Gefahr, dort von anderen Gefangenen belästigt zu werden, benutzt werden können (Böhm 2003 Rdn. 201). Die Fenster müssen den Blick ins Freie gestatten (vgl. BVerfG EuGRZ 2008, 83 – 2 BvR 939/07). In geschlossenen Anstalten erfüllen die mit einem Stahlgitter gegen Entweichung gesicherten Fenster diese Voraussetzung noch am ehesten (Böhm 2003 Rdn. 199). Auch andere Fensterkonstruktionen sind zulässig: Durch die Anbringung einer Sichtblende wird der Anspruch des Gefangenen auf Achtung seiner Menschenwürde nicht verletzt, wenn dem Gefangenen der Blick ins Freie nicht völlig genommen wird, der Haftraum tagsüber nicht künstlich beleuchtet werden muss, eine ausreichende Belüftung des Haftraumes sichergestellt ist und gesundheitliche Beeinträchtigungen vermieden werden (BVerfG aaO; OLG Koblenz ZfStrVo 1985, 62 – 2 VAs 28/84; Arloth 2011 Rdn. 3; a. A. AK-HuchtingPollähne 2012 Rdn. 6; C/MD 2008 Rdn. 1). Nachts muss sich der Gefangene auch gegen störenden Lichteinfall schützen können. Deshalb sollten die Fenster mit einfachen Vorhängen verdunkelt werden können (so auch AK-Huchting-Pollähne aaO). Die mit mehreren Gefangenen belegten Hafträume müssen dem Einzelnen eine gewisse Bewegungsfreiheit erlauben. Der Gefangene hat zudem Anspruch auf eine der Witterung entsprechende Raumtemperatur und kann dies im Verfahren nach § 109 geltend machen (OLG Nürnberg ZfStrVo 2002, 313 – Ws 538/01). So genannte Sichtspione, die aus Sicherheitsgründen in den Türen eingebaut sind und durch die ohne Kenntnis des Gefangenen jede Ecke des Haftraums von außen kontrolliert werden kann, sind wegen der möglichen Verletzung der Intimsphäre nur unter den Voraussetzungen des § 88 Abs. 2 Nr. 2 und § 4 Abs. 2 Satz 2 statthaft (BGH JR 1992, 173 – 5 AR Vollz 39/90 mit teilweise kritischen Anm. Böhm; BGH StV 2006, 148 – 5 ARs [Vollz] 54/05). Das Anbringen eines Namensschildes an der Haftraumtür ist zulässig (BVerfG ZfStrVo 1997, 111 – 2 BvR 2650/94) und steht nicht im Widerspruch zum Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung (Laubenthal 2011 Rdn. 391). Bei Führungen von Besuchern und anstaltsfremden Personen sind die Namensschilder abzunehmen oder zu verdecken. Der Anspruch auf Ausstattung des Haftraumes mit einer Steckdose kann sich aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz ergeben, wenn sich in anderen Hafträumen Steckdosen befinden. Sollte aber bei Einbau weiterer Steckdosen eine Überlastung des Stromnetzes zu befürchten sein, steht dieser Umstand dem Anspruch des Gefangenen entgegen (OLG Hamburg NStZ 1991, 103 – 3 Vollz [Ws] 47/90). Für die sonstigen Gemeinschaftsräume, die nicht regelmäßig zur Freizeitgestaltung genutzt werden, und für Besuchsräume gilt, dass sie möglichst wohnlich, zumindest aber ihrem Zweck entsprechend auszustatten sind (AK-Huchting/Pollähne 2012 Rdn. 7). 3
2. Aspekte nach Abs. 1 Satz 2. Abs. 1 Satz 2 gibt vor, welche Aspekte bei der Größe und Ausgestaltung der Räume (mindestens) zu beachten sind. So müssen Räume nach Satz 1 hinreichend Luftinhalt haben und für eine gesunde Lebensführung ausreichend mit Heizung und Lüftung, Boden- und Fensterfläche ausgestattet sein. Eine Konkretisierung dieser allgemeinen Vorgaben ist nach Absatz 2 einer Rechtsverordnung vorbehalten, die noch nicht erlassen wurde und mit deren Erlass nach Übergang der Koop/Grote
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Größe und Ausgestaltung der Räume
§ 144
Gesetzgebungskompetenz für den Strafvollzug auf die Länder infolge der Föderalismusreform auch nicht mehr zu rechnen ist. Verbindliche Grenzen für das Ermessen der Vollzugsbehörde setzt deshalb nur der Anspruch der Gefangenen auf Achtung ihrer Menschenwürde nach Art. 1 Abs. 1 GG und das Verbot unmenschlicher und erniedrigender Strafe oder Behandlung nach Art. 3 EMRK (zur Kasuistik vgl. unter I.). Diese in der Rechtsprechung entwickelten Mindestvorgaben sind aber keine zielführenden Vorgaben im Sinne von Abs. 1 Satz 2, sondern zeigen nur auf, welche Grenzen nicht unterschritten werden dürfen. Für eine wohnliche oder sonst zweckentsprechende Ausstattung von Räumen im Sinne von Abs. 1 Satz 1 geben sie in der Regel keine geeigneten Hinweise. Orientierung bieten eher die Empfehlungen für den Bau von Justizvollzugsanstalten (Stand: September 1999), die von einer Arbeitsgruppe im Auftrag des Strafvollzugsausschusses der Länder entwickelt wurden. Für die Größe von Hafträumen sehen diese Empfehlungen z. B. eine Mindestgröße von 9 qm vor (Nr. 3.2.1. der Empfehlungen). Konkrete Vorgaben enthielt auch die DVollzO, die bis zum 1.1.1977 in 3 allen Bundesländern galt und für Hafträume z. B. einen Mindestluftraum von 22 m und 2 eine Mindestfenstergröße von 1 m vorschrieb (Nr. 106 Abs. 2 DVollzO). Diese Mindestwerte sollten auch heute nicht unterschritten werden. Nach Nr. 106 Abs. 4 DVollzO wa3 ren bei Mehrfachbelegung für jeden Gefangenen 16 m Luftraum vorzusehen. Verbindliche Vorgaben, die jedoch nicht der Rechtsstellung der Gefangenen geschuldet sind, sondern dem Schutz vor allgemeinen Gefahren oder anderen Zwecken dienen (z. B. dem Brand- oder Wärmeschutz), ergeben sich z. B. aus Vorschriften des öffentlichen Baurechts. 3. Rechtsverordnung nach Abs. 2. Das Bundesministerium der Justiz hat die in 4 Abs. 2 erwähnte Rechtsverordnung noch nicht erlassen. III. Landesgesetze und Musterentwurf 1. Baden-Württemberg. Die Regelung in § 9 Abs. 1 JVollzGB I entspricht nahezu 5 wortgleich § 144 Abs. 1 StVollzG. Auf eine landesrechtliche Umsetzung von § 144 Abs. 2 StVollzG wurde verzichtet. 2. Bayern. Art. 170 BayStVollzG ist wortgleich mit § 144 Abs. 1 StVollzG. Die Rege- 6 lung von § 144 Abs. 2 StVollzG wurde nicht übernommen. Die VV zu Art. 170 BayStVollzG lautet: „1. Einzelhafträume für den Aufenthalt während des Tags und während der Nacht sollen so geplant werden, dass diese unter Berücksichtigung der WC-Kabine eine Bodenfläche von mindestens neun Quadratmetern haben. 2. In Anstalten des geschlossenen Vollzugs sind die Türen der Hafträume mit Vorrichtungen zu versehen, die einen Einblick in die Hafträume ermöglichen“ (weitere Erläuterungen bei Arloth 2011 zu Art. 170 BayStVollzG). 3. Hamburg. § 101 HmbStVollzG (Größe und Gestaltung der Räume) entspricht 7 wortgleich § 144 Abs. 1 StVollzG. Auf eine Regelung wie in § 144 Abs. 2 StVollzG wurde verzichtet. 4. Hessen. § 72 Abs. 3 HStVollzG entspricht § 144 Abs. 1 StVollzG, verzichtet aber auf 8 die ausdrückliche Vorgabe einer „wohnlichen“ Gestaltung der Räume. 5. Niedersachsen. Der Regelungsgehalt von § 144 Abs. 1 StVollzG hat Eingang in 9 § 174 Abs. 2 NJVollzG (Belegungsfähigkeit und Ausgestaltung der Räume) gefunden. 1071
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4. Abschnitt. Vollzugsbehörden
Räume für den Aufenthalt während der Ruhe- und Freizeit sowie Gemeinschafts- und Besuchsräume sind danach zweckentsprechend auszugestalten und für eine gesunde Lebensführung ausreichend mit Heizung, Lüftung, Boden- und Fensterfläche auszustatten. In Gemeinschaftsräumen befindliche Sanitärbereiche sind baulich vollständig abzutrennen. Die Größe der Gemeinschaftsräume muss für die darin untergebrachten Gefangenen oder Sicherungsverwahrten unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles zumutbar sein. Die Regelung entspricht damit im Wesentlichen § 144 Abs. 1 StVollzG, verzichtet aber auf das Erfordernis einer „wohnlichen“ Gestaltung (nach § 144 Abs. 1 Satz 1) und eines „hinreichenden Luftinhalts“ (nach § 144 Abs. 1 Satz 2). Die Ausführungen zur wohnlichen Gestaltung schienen mit Blick auf § 21 NJVollzG (Ausstattung des Haftraumes und persönlicher Besitz) entbehrlich. Eine § 144 Abs. 2 StVollzG entsprechende Regelung findet sich im NJVollzG nicht. Näheres, insbesondere zum Luftinhalt und zur Lüftung von Räumen sowie zu deren Ausstattung, regeln jedoch die Niedersächsischen Ausführungsvorschriften für den Strafvollzug (NAV) v. 17.10.2001 in der Fassung vom 21.5.2007 zu § 144 StVollzG, die bis zum Erlass von Verwaltungsvorschriften zum NJVollzG sinngemäße Anwendung finden. 10
6. Musterentwurf. Der Regelungsgehalt von § 144 Abs. 1 StVollzG hat zum Teil Eingang in § 93 Abs. 3 ME-StVollzG gefunden. Haft- und Funktionsräume sind danach zweckentsprechend auszustatten. Auf eine Regelung wie in § 144 Abs. 2 StVollzG verzichtet auch der ME-StVollzG.
§ 145 Festsetzung der Belegungsfähigkeit § 144 Koop/Grote Festsetzung der Belegungsfähigkeit Die Aufsichtsbehörde setzt die Belegungsfähigkeit für jede Anstalt so fest, dass eine angemessene Unterbringung während der Ruhezeit (§ 18) gewährleistet ist. Dabei ist zu berücksichtigen, dass eine ausreichende Anzahl von Plätzen für Arbeit, Ausbildung und Weiterbildung sowie von Räumen für Seelsorge, Freizeit, Sport, therapeutische Maßnahmen und Besuche zur Verfügung steht. Schrifttum Barisch Überbelegung – Alltag in deutschen Justizvollzugsanstalten oder: „Einer geht noch, einer geht noch rein?!“, in: KJ 425 ff.
I. II. III.
Übersicht Allgemeine Hinweise ____ 1 Erläuterungen ____ 2 Landesgesetze und Musterentwurf ____ 3–8 1. Baden-Württemberg ____ 3 2. Bayern ____ 4
3. 4. 5. 6.
Hamburg ____ 5 Hessen ____ 6 Niedersachsen ____ 7 Musterentwurf ____ 8
I. Allgemeine Hinweise 1
Die Bestimmung verpflichtet die Aufsichtsbehörde zur Festsetzung der Belegungsfähigkeit (Zahl der verfügbaren Haftplätze), um eine Überbelegung (§ 146) zu verhindern (Arloth 2011 Rdn. 1). Neben den rechtlichen Vorgaben, z. B. dem Grundsatz der Einzelunterbringung nach § 18 (mit der Ausnahme nach § 201 Nr. 3 ) sowie den Vorgaben aus § 144 Abs. 1 , hat die Aufsichtsbehörde dabei auch die tatsächlichen Verhältnisse in der Koop/Grote
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Festsetzung der Belegungsfähigkeit
§ 144
Anstalt zu berücksichtigen, z. B. die Größe und Ausstattung der Hafträume und die Anzahl der vorhandenen Plätze für Behandlung, Arbeit und Freizeit. Hingegen ist die Frage, ob eine Haftraumreserve zu bilden ist, um z. B. saisonale Schwankungen in der Belegung (vgl. Grunau/Tiesler 1982, Rdn. 1; Böhm 2003, Rdn. 210) abfedern oder auf besondere Umstände (z. B. Baumaßnahmen innerhalb der Anstalt) reagieren zu können, eher eine Frage der Auslastung innerhalb der festgesetzten Belegungsfähigkeit. Würde schon die Belegungsfähigkeit geringer als nach den Eigenheiten der Anstalt möglich festgesetzt werden, wäre eine Überschreitung nur nach Maßgabe von § 146 Abs. 2 ausnahmsweise vorübergehend zulässig. Insbesondere vorhersehbare Schwankungen in der Belegung, die einen Rückgriff auf eine Haftraumreserve oberhalb der festgesetzten Belegungsfähigkeit erfordern würden, wären dann nur schwer zu rechtfertigen (wohl abweichend: Koop § 146 in der Vorauflage, AK-Huchting/Pollähne 2012 § 146 Rdn. 5). Bei der Auslastung ist es aber sicher sinnvoll, eine Haftraumreserve zu bilden, um z. B. vorübergehende Spitzenbelegungen abfedern und insbesondere eine Binnendifferenzierung unterschiedlicher Gruppen von Gefangenen innerhalb der Anstalt zu ermöglichen. Mangels Regelungswirkung gegenüber dem einzelnen Gefangenen kann die Festsetzung der Belegungsfähigkeit nicht gerichtlich angefochten werden (AK-Huchting/Pollähne 2012 Rdn. 6; Arloth 2011 Rdn. 1). II. Erläuterungen Satz 1 verpflichtet die Aufsichtsbehörde, die Belegungsfähigkeit für jede Anstalt so 2 festzusetzen, dass eine angemessene Unterbringung während der Ruhezeit (§ 18) gewährleistet ist. Für Anstalten, mit deren Errichtung nach dem 1.1.1977 begonnen wurde, ist bei der Festsetzung der Belegungsfähigkeit damit der Grundsatz der Einzelunterbringung nach § 18 Abs. 1 Satz 1 zu beachten. Eine gemeinsame Unterbringung während der Ruhezeit ist nur nach Maßgabe von § 18 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 zulässig. Für Anstalten, mit deren Errichtung vor dem 1.1.1977 begonnen wurde, gilt § 145 allerdings nur nach Maßgabe von § 201 Nr. 5 und Nr. 3. In diesen Anstalten ist seit dem 1.1.1986 eine gemeinschaftliche Unterbringung von bis zu 8 Gefangenen zulässig, solange die räumlichen Verhältnisse der Anstalt dies erfordern und der Haftraum eine menschenwürdige Unterbringung zulässt. Für die Anwendbarkeit der Übergangsvorschrift von § 201 ist nach überzeugender Auffassung des LG Halle (StV 2005, 342 – 27 StVK 462/04) aber nicht auf die gesamte Anstalt abzustellen. Sind Teilbereiche einer Anstalt, mit deren Errichtung vor dem 1.1.1977 begonnen wurde, nach dem 1.1.1977 neu errichtet, umgebaut oder saniert worden, kann die Übergangsvorschrift nach ihrer Intention für diese Bereiche keine Geltung mehr beanspruchen (a. A. Barisch 2008, 425/430 f). Satz 2 verpflichtet die Aufsichtsbehörde, bei der Festsetzung der Belegungsfähigkeit zu berücksichtigen, dass eine ausreichende Anzahl u. a. von Behandlungs- und Arbeitsplätzen und Plätzen zur Freizeitgestaltung zur Verfügung steht. Die Bestimmung will gewährleisten, dass für jeden Gefangenen diejenigen Angebote zur Verfügung stehen, die insbesondere zur Erreichung des Vollzugszieles nach § 2 Satz 1 und zur Umsetzung der Gestaltungsgrundsätze nach § 3 erforderlich sind. Angebote, Räumlichkeiten, Personal und Belegungsfähigkeit stehen dabei in einem Abhängigkeitsverhältnis, das es zu beachten gilt. Einer restriktiven Festsetzung der Belegungsfähigkeit aus Gründen der Behandlung bedarf es deshalb nur, wenn nicht genügend Behandlungsangebote unterbreitet werden oder kein ausreichendes Personal zu deren Umsetzung vorhanden ist (vgl. dazu Koop in der Vorauflage; AK-Huchting/Pollähne 2012, Rdn. 5; Arloth 2011, Rdn. 1; Barisch 2008, 425/433; C/MD 2008 § 145). Bei Festsetzung der Belegungsfähigkeit sind deshalb die Eigenheiten der betreffenden Anstalt und die Bedürfnisse der dort regelmäßig unterge1073
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brachten Gefangenen zu berücksichtigen. Eine Zuordnung von Plätzen für Arbeit, Ausbildung und Weiterbildung bzw. für Seelsorge, Freizeit, Sport, therpeutische Maßnahmen und Besuche nach bestimmten Gefangenenschlüsseln (vgl. AK-Huchting/Pollähne 2012, Rdn. 3 f) ist dabei hilfreich, wegen der Besonderheiten einzelner Anstalten können solche Schlüssel aber keine allgemeine Anwendung finden. III. Landesgesetze und Musterentwurf 3
4
1. Baden-Württemberg. Der Regelungsgehalt von § 145 StVollzG findet sich sinngemäß in § 7 JVollzGB I, der in Abs. 2 und 3 auch Übergangsregelungen vorsieht. § 7 Abs. 5 JVollzGB I begrenzt die Mehrfachunterbringung im geschlossen Vollzug auf maximal 6 Personen. 2. Bayern. Art. 171 BayStVollzG entspricht § 145 StVollzG.
5
3. Hamburg. § 102 HmbStVollzG (Festsetzung der Belegungsfähigkeit) entspricht § 145 StVollzG: Im HmbStVollzG ist die Unterbringung während der Ruhezeit in § 20 geregelt.
6
4. Hessen. § 72 Abs. 4 HStVollzG übernimmt den Regelungsgehalt von § 145 StVollzG.
7
5. Niedersachsen. § 174 Abs. 1 NJVollzG greift den Regelungsgehalt von § 145 Satz 1 StVollzG auf. Verzichtet wurde auf eine Regelung entsprechend § 145 Satz 2. Festgelegt ist allerdings auch die Zahl der Einzel- und Gemeinschaftshafträume.
8
6. Musterentwurf. § 94 Abs. 1 i. V. m. § 93 Abs. 2 ME-StVollzG entspricht § 145 StVollzG. Die Bestimmung gibt vor, dass die Aufsichtsbehörde die Belegungsfähigkeit der Anstalt so festzusetzen hat, dass eine angemessene Unterbringung der Gefangenen gewährleistet ist. Über § 94 Abs. 2 Satz 2 ME-StVollzG findet § 93 Abs. 2 ME-StVollzG Anwendung, welcher regelt, dass eine bedarfsgerechte Anzahl und Ausstattung von Plätzen für therapeutische Maßnahmen, schulische und berufliche Qualifizierung, Arbeitstraining und Arbeitstherapie sowie zur Ausübung von Arbeit vorzusehen ist. Entsprechendes gilt für Besuche, Freizeit, Sport und Seelsorge.
§ 146 Verbot der Überbelegung § 146 Koop/Grote Verbot der Überbelegung (1) Hafträume dürfen nicht mit mehr Personen als zugelassen belegt werden. (2) Ausnahmen hiervon sind nur vorübergehend und nur mit Zustimmung der Aufsichtsbehörde zulässig. Schrifttum Barisch Überbelegung – Alltag in deutschen Justizvollzugsanstalten oder: „Einer geht noch, einer geht noch rein?!“, in: KJ 2008, 425 ff; Kreuzer Gefängnisüberfüllung – eine kriminalpolitische Herausforderung?, in: FS Blau, Berlin 1985, 459 ff; Oberheim Kriminalpolitik und Überbelegung im Justizvollzug, in: ZRP 1985, 133 ff; Suhling/Schott Ansatzpunkte zur Erklärung der gestiegenen Gefangenenzahlen in Deutschland, in: Bereswill/Greve (Hrsg.), Forschungsthema Strafvollzug, 2001, 25 ff; Schott Strafausspruch, Strafzumessung und Strafvollzug in Zeiten der Überbelegung, in ZfStrVo 2003, 195 ff; Simonson
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Verbot der Überbelegung
§ 146
Auswirkungen der demografischen Entwicklung auf den Justizvollzug – Überlegungen am Beispiel Niedersachsens, in: Koop/Kappenberg Wohin fährt der Justizvoll-Zug, Lingen 2009.
I.
II.
Übersicht Allgemeine Hinweise ____ 1, 2 1. Verbot der Überbelegung ____ 1 2. Belegungsentwicklung ____ 2 Erläuterungen ____ 3, 4 1. Abs. 1 ____ 3 2. Abs. 2 ____ 4
III.
Landesgesetze und Musterentwurf ____ 5–10 1. Baden-Württemberg ____ 5 2. Bayern ____ 6 3. Hamburg ____ 7 4. Hessen ____ 8 5. Niedersachsen ____ 9 6. Musterentwurf ____ 10
I. Allgemeine Hinweise 1. Verbot der Überbelegung. § 146 ergänzt § 145. Überbelegung ist als Überschrei- 1 tung der von der Aufsichtsbehörde nach § 145 festgesetzten Belegungsfähigkeit einer Vollzugsanstalt zu definieren (vgl. Schott 2003, 195). Eine Belegung über die Belegungsfähigkeit hinaus ist nach § 146 grundsätzlich verboten, weil sie die Gestaltung des Vollzuges (§ 3) beeinträchtigen und den Resozialisierungsauftrag der Vollzugsbehörde nach § 2 Satz 1 gefährden kann (vgl. Barisch 2008, 425/434). Eine Überbelegung steht dem Gegensteuerungsgrundsatz (§ 3 Abs. 2) regelmäßig entgegen. Das Überbelegungsverbot dient somit dem Schutz der Behandlungsarbeit in den Anstalten. Die Überbelegung kann im Übrigen gegen die Menschenwürdegarantie des Art. 1 Abs. 1 GG sowie gegen das Verbot unmenschlicher und erniedrigender Behandlung nach Art. 3 EMRK verstoßen (vgl. Rdn. 1 zu § 144). Zu den Gründen der Überbelegung vgl. Kreuzer 1985, Oberheim ZRP 1985, Suhling/Schott 2001 und Schott 2003, 195. Steht infolge der Überbelegung zu wenig Personal zur Verfügung, besteht die Gefahr, dass Anzahl und Dauer von Behandlungsmaßnahmen eingeschränkt werden und die Behandlungsintensität sowie die Qualität sinkt. Zudem kommt es zu längeren Bearbeitungszeiten, z. B. bei der Erstellung und Fortschreibung von Vollzugsplänen und bei Lockerungsentscheidungen. Schließlich besteht die Gefahr, dass Trennungsgrundsätze ausgehöhlt und notwendige vollzugliche Differenzierungsmaßnahmen unmöglich gemacht werden. Nach Schott geht infolge einer Überbelegung der Charakter eines differenzierten Strafvollzuges verloren, weil Vollzugsaufgaben nur noch unter pragmatischen, kapazitätsausschöpfenden Aspekten erledigt werden (Schott 2003, 196). 2. Belegungsentwicklung. Das Problem der Überlegung hat sich in den vergan- 2 genen Jahren entschärft. Noch in den 1990er Jahren war der Strafvollzug in der Bundesrepublik Deutschland durch einen stetigen Anstieg der Gefangenenzahlen geprägt (Schott 2003, 195; zur strukturellen Überbelegung AK-Huchting/Pollähne 2012 Rdn. 3). Am 31.3.2004 betrug die Belegung (anwesende und vorübergehend abwesende Gefangene) bundesweit noch 82.579 Gefangene, für die aber nur 79.204 Haftplätze zur Verfügung standen. Seit 2007 ist ein Rückgang der Gefangenenzahlen zu verzeichnen. So betrug die Belegung am 31.3.2008 noch 76.551 Gefangene, für die 80.507 Haftplätze und am 31.3. 2011 noch 71.200 Gefangene, für die 77.669 Haftplätze zur Verfügung standen (www. destatis.de). Die Auslastungsquote im Jahre 2011 ist damit auf 92% gesunken, was insbesondere den von Gesetzes wegen gebotenen Ausbau der Einzelunterbringung beschleunigen dürfte. Ob der gegenwärtige Rückgang der Gefangenenzahlen zu einem dauerhaften Abbau der Überbelegung in der Bundesrepublik Deutschland führen wird, bleibt abzuwarten (skeptisch: Schwind in: FS Kreuzer 2008, 701 ff). Es spricht aber einiges da1075
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§ 146
4. Abschnitt. Vollzugsbehörden
für, dass sich insbesondere die demografische Entwicklung (weiter) günstig auf die Entwicklung der Belegung auswirken wird (dazu auch Simonson 2009). II. Erläuterungen 3
1. Abs. 1. Abs. 1 der Vorschrift ermöglicht es der Vollzugsbehörde, die Aufnahme von Verurteilten über die festgesetzte Belegungsfähigkeit hinaus abzulehnen (RegE, BT-Drucks. 7/918, 153): Nach § 455 a StPO können Anstaltsleiter oder Vollstreckungsbehörde (nach Maßgabe des § 46 a StVollstrO) die Vollstreckung der Freiheitsstrafe bei zum Strafantritt anstehenden Personen aufschieben oder bei Gefangenen unterbrechen.
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2. Abs. 2. Abs. 2 bestimmt eine Ausnahme vom Verbot der Überbelegung nach Abs. 1: Danach ist eine Überbelegung ausnahmsweise zulässig, wenn diese nur vorübergehend ist und die Aufsichtsbehörde zustimmt. Die Vorschrift will jedoch keinen Ausweg für eine chronische Überbelegung eröffnen (OLG Celle ZfStrVo 1999, 57 – 1 Ws 200/08 [StrVollz]). Insbesondere kann der Staat grundrechtliche und einfachgesetzlich begründete Ansprüche Gefangener nicht nach Belieben dadurch verkürzen, dass er die Vollzugsanstalten nicht so ausstattet, wie es zur Wahrung ihrer Rechte erforderlich wäre (BVerfG StV 2008 – 2 BvR 2111/06). Die Ablehnung einer Besuchsüberstellung aus Gründen der Überbelegung kommt z. B. nur in Betracht, wenn sich die Situation als unvermeidlich darstellt und keine kurzfristige Abhilfe möglich ist (BVerfG aaO). Ob in dem Schweigen der Aufsichtsbehörde auf eine regelmäßige Mitteilung der Überbelegung eine Zustimmung i. S. v. Abs. 2 zu sehen ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab (offen gelassen vom OLG Celle aaO; bejahend Koop in der Vorauflage). Streitig ist, bis zu welcher Zeitdauer eine „vorübergehende“ Überbelegung zulässig ist. AK-Huchting/Pollähne (2012 Rdn. 7) halten eine einwöchige Überbelegung des Haftraums für zulässig. Das OLG Celle hält jedenfalls eine Überbelegung von fast sechs Monaten für zu lang (ZfStrVo 1999, 57 – 1 Ws 200/98 [StrVollz]). Zutreffend weist das OLG Celle darauf hin, dass die Regelung auf vorübergehende Notlagen abstelle, wie plötzlich durch notwendig gewordene Schließung einer anderen Anstalt entstandene Überbelegung, Ausfall der Heizung in einem Teil der Anstalt, nicht aber eine allgemeine chronische Überbelegung (OLG Celle aaO). Arloth hält einer Zeitdauer von 6 Monaten grundsätzlich für zulässig, die konkrete Situation sei aber zu beachten (2011 Rdn. 2). Dieser Einschränkung ist zuzustimmen. Die Zulässigkeit einer vorübergehenden Überbelegung ist sowohl nach ihrer Begründung (chronische Überbelegung oder kurzfristig eingetretene, außergewöhnliche Notlage) als auch nach ihrer Qualität und Dauer im Einzelfall zu beurteilen. Ist die Unterbringung menschenunwürdig, so besteht kein zeitlicher Spielraum. III. Landesgesetze und Musterentwurf
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1. Baden-Württemberg. § 8 Abs. 1 JVollzG I entspricht weitgehend § 146 Abs. 1 und 2 StVollzG, verzichtet aber auf eine zeitliche Begrenzung der mit Zustimmung der Aufsichtsbehörde erlaubten Überbelegung wie durch das Wort „vorübergehend“ in § 146 Abs. 2 StVollzG.
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2. Bayern. Art. 172 BayStVollzG entspricht § 146 StVollzG.
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3. Hamburg. § 103 HmbStVollzG entspricht § 146 StVollzG.
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4. Hessen. § 72 Abs. 5 HStVollzG entspricht § 146 StVollzG. Koop/Grote
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Einrichtungen für die Entlassung
§ 147
5. Niedersachsen. Das NJVollzG verzichtet auf eine Regelung wie in § 146 StVollzG. 9 Das Verbot der Überbelegung ergibt sich damit unmittelbar aus der nach § 174 Abs. 1 NJVollzG festgesetzten Belegungsfähigkeit. 6. Musterentwurf. § 94 Abs. 2 und 3 des ME-StVollzG entspricht § 146 StVollzG.
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§ 147 Einrichtungen für die Entlassung § 147 Lindner Einrichtungen für die Entlassung Um die Entlassung vorzubereiten, sollen den geschlossenen Anstalten offene Einrichtungen angegliedert oder gesonderte offene Anstalten vorgesehen werden. I. Erläuterungen Der Gesetzgeber fordert die Justizverwaltungen auf, den Gefangenen zur Erleichte- 1 rung ihres Übergangs in die Freiheit offene Einrichtungen zur Verfügung zu stellen. Diejenigen Gefangenen, die sich im geschlossenen Vollzug befinden, können zur Vorbereitung ihrer Entlassung im Fall ihrer Eignung (vgl. § 10 Rdn. 9 ff) für den offenen Vollzug gem. § 15 Abs. 2 dorthin verlegt werden. In Betracht kommen sowohl gesonderte offene Anstalten als auch solche offenen 2 Einrichtungen, die geschlossenen Anstalten angegliedert sind. Sofern die Gefangenen regelmäßig in allgemeine Einrichtungen des offenen Vollzugs verlegt werden können, ist auch dies laut Gesetzesbegründung ausreichend (BT-Drucks. 7/918, 93). Spezielle Einrichtungen für die Entlassungsvorbereitung sind somit von der Regelung nicht gefordert. Bei den angegliederten offenen Einrichtungen hat der Gesetzgeber an offene Abteilungen und Freigängerhäuser gedacht (vgl. BT-Drucks. 7/918, 93). Allerdings lässt der Begriff „Einrichtungen“ auch andere Formen, wie beispielsweise anzumietende Häuser oder Großwohnungen an dem Ort zu, an dem die Gefangenen nach ihrer Entlassung leben werden (AK-Huchting/Pollähne 2012 Rdn. 2). In einigen Bundesländern wurden sog. Übergangshäuser eingerichtet. Die Gefangenen sollen dort nach langer Zeit in Haft wieder schrittweise an ein Leben in Freiheit herangeführt werden. Zu Modellen im Ausland s. AK-Huchting/Pollähne 2012 Rdn. 2. II. Landesgesetze Baden-Württemberg hat die Regelung in § 6 Abs. 3 JVollzGB I aufgenommen. 3 Bayern, Hamburg, Hessen, der Musterentwurf und Niedersachsen haben die Regelung hingegen nicht übernommen. Niedersachsen hat vielmehr in § 173 NJVollzG geregelt, dass die Anstalten allgemein so zu gestalten und zu differenzieren sind, dass Ziele und Aufgaben des Vollzugs gewährleistet werden. Eine ähnliche Regelung enthält § 99 des HmbStVollzG. Diese Verschlankung des Gesetzes ist sachgerecht. Der niedersächsische Gesetzgeber weist zutreffend darauf hin, dass in Vorschriften wie § 7 Abs. 2 Nr. 8 und 15 Abs. 2 StVollzG die besondere Bedeutung der Entlassungsvorbereitung und in diesem Zusammenhang der Einrichtungen des offenen Vollzugs bereits hinreichend zum Ausdruck kommt (vgl. LT-Drucks. 15/3565, 2008). Aus den Zahlen zur Belegung der Einrichtungen des offenen Vollzugs (§ 10 Rdn. 5) ist ersichtlich, dass die Praxis vor die Herausforderung gestellt ist, die Entlassung oftmals sogar aus dem geschlossenen Vollzug heraus vorbereiten zu müssen, da einer nicht geringen Anzahl Gefangener auch gegen Ende der Haftzeit noch die Eignung für eine Verlegung in den offenen Vollzug fehlt. 1077
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§ 148
4. Abschnitt. Vollzugsbehörden
§ 148 Arbeitsbeschaffung, Gelegenheit zur beruflichen Bildung § 148 Laubenthal Arbeitsbeschaffung, Gelegenheit zur beruflichen Bildung (1) Die Vollzugsbehörde soll im Zusammenwirken mit den Vereinigungen und Stellen des Arbeits- und Wirtschaftslebens dafür sorgen, dass jeder arbeitsfähige Gefangene wirtschaftlich ergiebige Arbeit ausüben kann, und dazu beitragen, dass er beruflich gefördert, beraten und vermittelt wird. (2) Die Vollzugsbehörde stellt durch geeignete organisatorische Maßnahmen sicher, dass die Bundesagentur für Arbeit die ihr obliegenden Aufgaben wie Berufsberatung, Ausbildungsvermittlung und Arbeitsvermittlung durchführen kann. Schrifttum S. bei § 37.
I. Allgemeine Hinweise 1
Abs. 2 der Vorschrift wurde durch Art. 41 Nr. 1 des Gesetzes vom 23.12.2003 (BGBl. I, 2848) redaktionell an die Umbenennung der Bundesanstalt für Arbeit angepasst. Durch § 148 soll auf der vollzugsorganisatorischen Ebene sichergestellt werden, dass gem. § 37 Abs. 2 und 3 (s. dort Rdn. 10 ff) jeder Gefangene entsprechend seinen individuellen Bedürfnissen und Möglichkeiten eine berufliche Förderung durch sinnvollen Arbeitseinsatz oder Aus- und Weiterbildung erfährt, so dass er nach der Entlassung insoweit möglichst günstige Wiedereingliederungsvoraussetzungen hat. Die Vorschrift steht in engem Zusammenhang mit §§ 37, 41 und 149. Sie verpflichtet die Vollzugsbehörden dazu, alle personellen, baulichen und organisatorischen Möglichkeiten zur Arbeitsbeschaffung für Gefangene auszuschöpfen, dabei auch eigene werbewirksame Aktivitäten außerhalb der Vollzugsanstalt zu entfalten und die Zusammenarbeit mit den einschlägigen Institutionen außerhalb des Vollzuges zu suchen. Die Bestimmung fordert mithin eine aktive Arbeitsbeschaffungspolitik der Anstalten und Aufsichtsbehörden. Hierbei ist zwar kein Konkurrenzverbot für die Eigenbetriebe zu beachten (C/MD 2008 Rdn. 1; AK-Huchting/ Pollähne 2012 Rdn. 6), jedoch wegen der sonst tangierten Belange der heimischen Wirtschaft eine gewisse Zurückhaltung mit (insbesondere aggressiver) Werbung für Produkte von Eigenbetrieben politisch geboten (s. Arloth 2011 Rdn. 2). Allerdings wirken sich die seit längerer Zeit negativen Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt auf die Gefangenenarbeit besonders stark aus. Deshalb steht die Arbeitsverwaltung der Vollzugsbehörden in Zeiten einer schlechten Konjunkturlage in besonderem Maße vor der ohnehin schwierigen Aufgabe der Arbeitsbeschaffung, zumal konkurrierende Arbeitgeber bzw. Unternehmen (ebenso wie Arbeitnehmer und Gewerkschaften) in der Regel wenig geneigt sind, sich für die Gefangenenarbeit einzusetzen. II. Erläuterungen
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Das Sorgen für Arbeit kann in vielfältiger Form zum Ausdruck kommen und auf verschiedene Weise verwirklicht werden. Die Gesetzesregelung legt keinen bestimmten Weg fest (vgl. aber AK-Huchting/Pollähne 2012 Rdn. 6; C/MD 2008 Rdn. 1 f). In den Bundesländern ist deshalb der Bereich der Gefangenenarbeit unterschiedlich organisiert. Es sind zu unterscheiden (s. dazu Laubenthal 2011 Rdn. 401 ff): Eigenbetriebe (etwa als „verlängerte Werkbank“ privater Unternehmen; s. Arloth 2011 Rdn. 2 sowie sog. Hilfs- oder Versorgungsbetriebe, die den Eigenbedarf der Anstalt selbst decken), d. h. Arbeitsbetriebe, die in Laubenthal
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den Anstalten von der Vollzugsverwaltung selbst eingerichtet und geführt werden (zur Verpflichtung dazu vgl. § 149 Abs. 1) und Unternehmerbetriebe, d. h. Arbeitsbetriebe, die von freien Unternehmern außerhalb des Vollzuges meistens als Zweigbetrieb, Außenstelle oder Niederlassung ihres Hauptbetriebes innerhalb einer Anstalt eingerichtet und geführt werden (zur personellen Führung der Unternehmerbetriebe s. § 149 Rdn. 7). Hinzu kommen reine Ausbildungsbetriebe entweder in eigener Regie der Vollzugsbehörden – vornehmlich im Jugendstrafvollzug – oder auch unter Regie freier Träger (Arbeitgeberverbände, Innungen, Berufsfortbildungswerke der Gewerkschaften), die ihrerseits sehr eng mit der Bundesagentur für Arbeit und den örtlichen Agenturen für Arbeit kooperieren – vornehmlich bei der Umschulung im Erwachsenenstrafvollzug. Die größeren vollzugseigenen Arbeits- und Ausbildungsbetriebe sind – in den Bundesländern unterschiedlich – entweder auf Anstalts-, Regional- oder auch Landesebene zu Wirtschaftsbetrieben gemäß den Landeshaushaltsordnungen zusammengefasst. Die Arbeitsbeschaffung durch die Vollzugsbehörden soll im Zusammenwirken mit den (externen) Vereinigungen und Stellen des Arbeits- und Wirtschaftslebens (also neben der Bundesagentur für Arbeit z. B. Handwerks- sowie Industrie- und Handelskammern, Berufsschulen und andere externe Träger beruflicher Bildung sowie vor allem auch private Betriebe) erfolgen. Die Bestimmung ist ein weiteres Beispiel für die Konkretisierung des Angleichungsgrundsatzes in § 3 Abs. 1. Das Gebot des Zusammenwirkens eröffnet Chancen, weil der Bereich „Arbeit“ im Vollzug zum Teil über die örtlichen Agenturen für Arbeit z. B. auch mit Konjunkturprogrammen und anderen Wirtschaftsförderungsmaßnahmen verbunden werden kann. Dabei versuchen die Vollzugsbehörden jedoch nach wie vor die Arbeitsbeschaffung so zu organisieren, dass neben den konjunkturanfälligeren Unternehmerbetrieben in ausreichender Zahl auch Eigenbetriebe vorhanden sind, zumal nach Möglichkeit Arbeit für jeden arbeitsfähigen Gefangenen zu beschaffen ist. Es soll wirtschaftlich ergiebige Arbeit ausgeübt werden (s. dazu § 37 Rdn. 11 ff). Ob dies eher in Eigenbetrieben des Vollzuges möglich ist, die zwar etwas weniger konjunkturanfällig sind, dafür aber auch in schwächer ausgeprägter Managementführung eher nicht einen den allgemeinen Verhältnissen außerhalb des Vollzugs angepassten Arbeitsablauf und Produktionsrhythmus haben, oder eher in Unternehmerbetrieben, in denen häufig wenig beliebte, einfachere Hilfstätigkeiten mit geringeren Anforderungen an die Arbeitnehmer ausgeführt werden, ist nicht eindeutig. Allerdings unterliegt das Arbeitsangebot von Eigenbetrieben auch in Zeiten wirtschaftlicher Rezession geringeren Schwankungen (vgl. aber Rdn. 1) als Unternehmerarbeit, welche erfahrungsgemäß dann vorrangig eingestellt wird mit der Folge höherer Arbeitslosigkeit in den Anstalten (vgl. C/MD 2008 Rdn. 2). Die Verpflichtung der Vollzugsbehörde, zur beruflichen Förderung, Beratung und Vermittlung beizutragen, soll deutlich machen, dass in diesem Bereich eine enge Verzahnung mit denjenigen Einrichtungen und Stellen zu erfolgen hat, die wegen anderer gesetzlicher Grundlagen in erster Linie Träger solcher Bemühungen sind. Der Strafvollzug soll verbunden sein mit den Zwecken und Zielen, die z. B. mit dem SGB III – Arbeitsförderung, dem Berufsbildungsgesetz und dem Bundesausbildungsförderungsgesetz verfolgt werden. Neben den aufgrund dieser Gesetze zuständigen staatlichen Stellen ist es daher erforderlich, dass Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen mit dem Justizvollzug kooperieren. Da der Zusammenarbeit mit der Bundesagentur für Arbeit eine ganz besondere Bedeutung zukommt, werden die Vollzugsbehörden in Abs. 2 verpflichtet, durch geeignete organisatorische Maßnahmen sicherzustellen, dass die Agenturen für Arbeit die Berufsberatung sowie Ausbildungs- und Arbeitsvermittlung möglichst wirksam durchführen können. Das hat zur Einrichtung von regelmäßigen Sprechstunden für die Ar1079
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beits-, Berufs- und Förderungsberater der Agenturen für Arbeit in den Justizvollzugsanstalten geführt. Teilweise kommt es seitens größerer Agenturen für Arbeit auch zum Einsatz besonders ausgebildeter Kontakt- bzw. Resozialisierungsberater für Gefangene. Die fachkompetenten Mitarbeiter der Agenturen für Arbeit werden von den Vollzugsbehörden zur Beratung und Hilfe in allen Bereichen der Berufsbildung, Arbeitsbeschaffung und Vermittlung von Freigängern sowie bei Fragen zur Beurteilung der Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt herangezogen. III. Landesgesetze und Musterentwurf 7
1. Baden-Württemberg. Das JVollzGB enthält keine Entsprechung zu § 148 StVollzG.
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2. Bayern. Der Regelungsgehalt von § 148 Abs. 1 StVollzG wurde im Wesentlichen in die grundlegende Vorschrift von Art. 39 BayStVollzG über die Beschäftigung im Vollzug aufgenommen. Art. 39 Abs. 2 Satz 2 normiert im Hinblick auf die Anstalt: „Sie soll auch im Zusammenwirken mit den Vereinigungen und Stellen des Arbeits- und Wirtschaftslebens dazu beitragen, dass die Gefangenen beruflich gefördert, beraten und vermittelt werden“ (s. auch § 37 Rdn. 30). § 148 Abs. 2 StVollzG wurde in Art. 175 Abs. 3 BayStVollzG nahezu wortlautidentisch eingefügt.
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3. Hamburg. § 34 Abs. 1 Nr. 1 HmbStVollzG erfasst die Regelung des § 148 Abs. 1 StVollzG. § 107 Abs. 2 HmbStVollzG entspricht § 148 Abs. 2 StVollzG mit dem Unterschied, dass in Hamburg nicht die Vollzugsbehörde, sondern die Anstalt handeln soll.
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4. Hessen. Im HStVollzG findet sich zu § 148 StVollzG keine Entsprechung.
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5. Niedersachsen. Das NJVollZG enthält keine mit § 148 StVollzG korrespondierende Vorschrift.
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6. Musterentwurf. Eine § 148 StVollzG entsprechende Regelung enthält der Musterentwurf nicht.
§ 149 Arbeitsbetriebe, Einrichtungen zur beruflichen Bildung § 149 Laubenthal Arbeitsbetriebe, Einrichtungen zur beruflichen Bildung (1) In den Anstalten sind die notwendigen Betriebe für die nach § 37 Abs. 2 zuzuweisenden Arbeiten sowie die erforderlichen Einrichtungen zur beruflichen Bildung (§ 37 Abs. 3) und arbeitstherapeutischen Beschäftigung (§ 37 Abs. 5) vorzusehen. (2) Die in Absatz 1 genannten Betriebe und sonstigen Einrichtungen sind den Verhältnissen außerhalb der Anstalten anzugleichen. Die Arbeitsschutz- und Unfallverhütungsvorschriften sind zu beachten. (3) Die berufliche Bildung und die arbeitstherapeutische Beschäftigung können auch in geeigneten Einrichtungen privater Unternehmen erfolgen. (4) In den von privaten Unternehmen unterhaltenen Betrieben und sonstigen Einrichtungen kann die technische und fachliche Leitung Angehörigen dieser Unternehmen übertragen werden. Laubenthal
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VV Der Tätigkeitsbereich der Angehörigen von Unternehmerbetrieben in den Anstalten wird in einer Anweisung festgelegt; das Personal wird auf die Einhaltung dieser Anweisung verpflichtet. Schrifttum S. vor § 37 und bei § 43.
I. Allgemeine Hinweise Seit dem 1. Januar 1980, als Abs. 1 gem. § 198 Abs. 2 in Kraft trat, gelten alle Einzelre- 1 gelungen dieser Vorschrift. Wegen der durch die Verpflichtung gem. Abs. 1, bauliche und organisatorische Voraussetzungen zu schaffen, damit die Bildungs- und Beschäftigungsgebote nach § 37 verwirklicht werden können, notwendigen Investitionen und den dafür in den Länderhaushalten bereitzustellenden finanziellen Mitteln war noch während des Gesetzgebungsverfahrens versucht worden, die Vorschrift zu einer Soll-Bestimmung abzuschwächen (s. BR-Drucks. 685/75, 3). Dieser Vorschlag fand jedoch keine Mehrheit. Immerhin wurde wegen der auf die Länderhaushalte entfallenden Investitionskosten der Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens vom 1.1.1977 auf den 1.1.1980 verschoben. In dieser Zeit unternahmen die Landesjustizverwaltungen in den alten Bundesländern erhebliche Anstrengungen, in den Anstalten Arbeitstherapiezentren, Berufsausbildungseinrichtungen und Arbeitsbetriebe zu schaffen. Dennoch hat sich der Auftrag des Abs. 1 bis heute nicht zureichend realisieren lassen. Denn dem sind im Vollzug Grenzen gesetzt: Werkstätten und Arbeitsbetriebsgebäude bleiben aufgrund der räumlichen Gegebenheiten häufig nur bedingt erweiterungsfähig; Konjunkturschwankungen treffen die Arbeit im Justizvollzug als das verletzlichste Subsystem der Volkswirtschaft (Lohmann 2002, 86 ff; Neu Produktivität der Gefängnisarbeit: eingemauert auf bescheidenem Niveau?, in: Hammerschick/Pilgram 1997, 97 ff) am empfindlichsten. Hinzu kamen besondere Schwierigkeiten für die neuen Bundesländer, wo der Um- 2 gestaltungsprozess nach dem Wegfall der sozialistischen Planwirtschaft, die es ermöglichte, den Gefangenen Arbeitsplätze in dem jeweils benötigten Umfang zuzuweisen, bis hin zum (nicht durchgehend befriedigenden) altbundesrepublikanischen Durchschnittsstandard der Anstaltsangebote immer noch nicht nicht gänzlich abgeschlossen ist. Die derzeitige konjunkturelle Situation und die finanzielle Überforderung der öffentlichen Haushalte in Deutschland, verbunden mit hoher Arbeitslosigkeit – insbesondere auch in den neuen Bundesländern –, macht die Bemühungen der Vollzugsbehörden nicht einfacher, den Intentionen des Gesetzes zu entsprechen und jedem arbeitswilligen Gefangenen einen Arbeitsplatz zur Verfügung zu stellen bzw. jedem geeigneten Gefangenen eine individuell angemessene schulische oder berufliche Ausbildung zu ermöglichen. II. Erläuterungen 1. Notwendiger Umfang von Einrichtungen und Betrieben. Nach Abs. 1 müssen 3 Einrichtungen und Betriebe in dem notwendigen bzw. erforderlichen Umfang vorgesehen werden. Die Bedeutung der Erfüllung dieser Vorgaben auf der organisatorischen Ebene zur Umsetzung des verfassungsrechtlichen Resozialisierungsgebots im Bereich der vollzuglichen Pflichtarbeit hat das BVerfG seiner grundlegenden Entscheidung zur angemessenen Anerkennung der Arbeitstätigkeit von Strafgefangenen auf der Basis des 1081
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4. Abschnitt. Vollzugsbehörden
§ 41 Abs. 1 Satz 1 hervorgehoben (BVerfGE 98, 169, 206 ff). Die gesetzliche Forderung des Abs. 1 hat eine quantitative und eine qualitative Komponente. 4
a) Die vorzusehenden Einrichtungen zur beruflichen Bildung und arbeitstherapeutischen Beschäftigung sowie Arbeitsbetriebe müssen in quantitativer Hinsicht in der Lage sein, die jeweils für diese Bereiche in Betracht kommenden Gefangenen zahlenmäßig aufnehmen zu können. Bauliche Gestaltung und Organisation müssen mit Rücksicht auf die dynamische Entwicklung sowohl im Ausbildungs- als auch im Arbeitsbereich sehr flexibel sein. Es ist zu vermeiden, dass Gefangenen gem. § 37 Abs. 4 deshalb nur eine angemessene Beschäftigung zugeteilt wird, weil die notwendigen bzw. erforderlichen Einrichtungen fehlen, um Behandlungsmaßnahmen gem. § 37 Abs. 2, 3 und 5 durchführen zu können (so auch AK-Huchting/Pollähne 2012 Rdn. 1). Für Inhaftierte, die zugewiesene Tätigkeiten i. S. d. § 37 verrichten sollen, werden Eigenbetriebe der Anstalt oder Unternehmerbetriebe eingerichtet. Ein Eigenbetrieb (oder Regiebetrieb) wird von der Anstalt selbst unterhalten. Bei ihr liegt die Arbeitsorganisation. Geräte und ggf. benutzte Rohstoffe stehen im Eigentum der öffentlichen Hand. In den Eigenbetrieben werden – auf eigene Rechnung der Anstalt – entweder auf Bestellung von außerhalb Waren produziert bzw. verarbeitet, oder die darin vorgenommenen Tätigkeiten dienen der Befriedigung anstalts- und behördeninterner Bedürfnisse wie z. B. Wäscherei, Bäckerei, Druckerei, Gärtnerei oder Schreinerei. In der Praxis erfolgt der Bezug von Leistungen der Eigenbetriebe auch durch Vollzugsbedienstete, wobei der Einsatz der Gefangenen für Mitarbeiter der Justizvollzugsanstalten auf landesrechtlicher Ebene geregelt ist (dazu Eisenberg MschrKrim 1999, 256 ff). Zum Unternehmerbetrieb siehe Rdn. 7.
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b) Qualitativ müssen die Betriebe in den Anstalten den allgemeinen Betriebs- und Produktionsverhältnissen in vergleichbaren Wirtschaftsbetrieben außerhalb des Vollzuges entsprechen, damit die Gefangenen eine realistische Berufsausbildungs- und Arbeitswelt erleben, die es ihnen nach der Entlassung ermöglicht, sich in das Erwerbsleben einzugliedern (vgl. § 3 Abs. 3). Dabei müssen zwischen Eigen- und Unternehmerbetrieben nicht notwendigerweise qualitative Unterschiede bei der Betriebseinrichtung, bei der Ausstattung mit Produktionsmitteln und beim technischen Stand der Fertigungsmethoden bestehen. Demgemäß enthält Abs. 2 Satz 1 eine spezialisierte Wiederholung des allgemeinen Angleichungsgrundsatzes aus § 3 Abs. 1, die vom Gesetzgeber an dieser Stelle für erforderlich gehalten wurde, weil im Interesse einer wirklichkeitsnahen Rehabilitation die Abschottung in den Vollzugsanstalten besonders bei der Berufsausbildung und beim Arbeitstraining beseitigt werden sollte.
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2. Beachtung der Arbeitsschutz- und Unfallverhütungsvorschriften. Gem. Abs. 2 Satz 2 sind die Arbeitsschutz- und Unfallverhütungsvorschriften zu beachten. Dem Inhaftierten kommt ein subjektiver Anspruch auf Beachtung dieser Vorschriften zu (Arloth 2011 Rdn. 4). Deren Missachtung kann im Einzelfall sogar eine Arbeitsverweigerung rechtfertigen (LG Bonn NStZ 1988, 575).
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3. Einrichtungen privater Unternehmen. In Abs. 3 weist der Gesetzgeber zum Zwecke einer noch stärkeren Verzahnung ausdrücklich darauf hin, dass berufliche Bildung und arbeitstherapeutische Beschäftigung (nebst der dort zulässigen Arbeit) auch in geeigneten Einrichtungen privater Unternehmen erfolgen können, die entweder innerhalb oder außerhalb der Anstalten vorhanden sind. Die Zuweisung einer Tätigkeit in einem externen Unternehmerbetrieb kommt nur mit Zustimmung des Gefangenen in Betracht, wenn sich einem zum Freigang Geeigneten trotz Bemühungen der Anstaltsleitung keine Laubenthal
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Arbeit in einem freien Beschäftigungsverhältnis bietet (s. § 39 Rdn. 5). Dann muss jedoch ein Mindestmaß organisierter öffentlich-rechtlicher Verantwortung der Anstalt für den Betroffenen gewährleistet sein (BVerfGE 98, 169, 211). Bei einem anstaltsinternen Unternehmerbetrieb liegt das wirtschaftliche Risiko bei einem externen Arbeitgeber, der zumeist in von der Anstalt zur Verfügung gestellten Räumlichkeiten eine Fabrikation errichtet. Solche von privater Seite unterhaltenen Betriebe lässt das Gesetz in Abs. 4 wegen des Fehlens ausreichender Eigenbetriebe ausdrücklich zu und ermöglicht dabei die Übertragung der technischen und fachlichen Leitung auf Angehörige dieser Firmen. Damit soll Missdeutungen vorgebeugt werden, denn nicht zum Vollzugsdienst gehörende Mitarbeiter von freien Unternehmerbetrieben haben im Rahmen der Freiheitsentziehung keine hoheitlichen Aufgaben zu erfüllen. Der Gefangene bleibt, auch wenn er zugewiesene Arbeit in einem privat unterhaltenen Betrieb verrichtet, unbeschadet einer möglichen technischen und fachlichen Betriebsleitung durch Unternehmensangehörige unter der öffentlichrechtlichen Verantwortung der Vollzugsbehörden, nicht anders als bei einem Einsatz in Eigenbetrieben der Anstalt oder bei einer Befassung mit sonstigen Beschäftigungen oder Hilfsdiensten innerhalb oder außerhalb der Anstalt. Unter diesen Voraussetzungen hält sich die Pflichtarbeit des Gefangenen gem. § 41 Abs. 1 in den Grenzen der Ermächtigung, die Art. 12 Abs. 3 GG dem Gesetzgeber erteilt, im Strafvollzug Arbeitspflicht anzuordnen. III. Landesgesetze und Musterentwurf 1. Baden-Württemberg. § 11 Abs. 1 und 2 JVollzGB I entspricht der Regelung des 8 § 149 Abs. 1 und 2 StVollzG. § 12 Abs. 2 JVollzGB I lautet: „Die Erledigung von nicht hoheitlichen Aufgaben kann freien Trägern und privaten Dienstleistern übertragen werden.“ Die Regelung ist als Anlehnung an § 149 Abs. 3 StVollzG zu sehen. Eine § 149 Abs. 4 StVollzG korrespondierende Vorschrift findet sich nicht. 2. Bayern. Der Regelungsgehalt des § 149 StVollzG wurde im Wesentlichen in die 9 Vorschrift des Art. 39 BayStVollzG über die Beschäftigung im Vollzug aufgenommen. So schreibt Art. 39 Abs. 2 Satz 3 vor: „Die Arbeitsschutz- und Unfallverhütungsvorschriften sind zu beachten“. Dies entspricht § 149 Abs. 2 Satz 2 StVollzG. Art. 39 Abs. 5 BayStVollzG entspricht weitgehend der Regelung des § 149 Abs. 3 und 4 StVollzG (s. im Übrigen § 37 Rdn. 30). 3. Hamburg. Eine § 149 StVollzG korrespondierende Vorschrift findet sich im ham- 10 burgischen Strafvollzugsgesetz nicht. Die Gesetzesbegründung führt im Rahmen von § 34 HmbStVollzG dazu aus: „Die hier geregelten Verpflichtungen der Vollzugsorganisation sind nur erfüllbar, wenn die dafür erforderlichen Betriebe und Einrichtungen der beruflichen Bildung und arbeitstherapeutischen Beschäftigung geschaffen werden. Einer gesonderten Regelung wie in § 149 Absatz 1 StVollzG bedarf es daher nicht“ (LT-Drucks. 18/6490, 41). 4. Hessen. § 73 Abs. 1 HStVollzG entspricht im Wesentlichen § 149 Abs. 1 StVollzG. 11 Zusätzlich neben der beruflichen Bildung und arbeitstherapeutischen Beschäftigung wird auch die schulische Bildung von der Regelung erfasst. § 73 Abs. 2 HStVollzG lautet: „Bildung und Beschäftigung können auch durch nicht staatliche Stellen organisiert und durchgeführt werden.“ Dies korrespondiert mit dem Regelungsgehalt des § 149 Abs. 3 StVollzG. § 149 Abs. 2 und 4 StVollzG finden keine Umsetzung im HStVollzG. 1083
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5. Niedersachsen. Im NJVollzG findet sich zu § 149 StVollzG keine Entsprechung.
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6. Musterentwurf. § 93 Abs. 2 Satz 1 ME-StVollzG bestimmt, dass in den Anstalten eine bedarfsgerechte Anzahl und Ausstattung von Plätzen für therapeutische Maßnahmen, schulische und berufliche Qualifizierung, Arbeitstraining und Arbeitstherapie sowie zur Ausübung von Arbeit vorzusehen ist. Abs. 4 gibt entsprechend § 149 Abs. 4 StVollzG vor: „Unterhalten private Unternehmer Betriebe in Anstalten, kann die technische Leitung ihren Mitarbeitern übertragen werden.“
§ 150 Vollzugsgemeinschaften Für Vollzugsanstalten nach den §§ 139 bis 149 können die Länder Vollzugsgemeinschaften bilden. 1
Bereits vor der Geltung des Strafvollzugsgesetzes hatten mehrere Bundesländer aus Gründen der Differenzierung der Anstalten und der Klassifikation der Gefangenen Vollzugsgemeinschaften zur Errichtung und zum Betrieb besonderer Vollzugseinrichtungen gebildet (z. B. für den Frauenstrafvollzug und die stationäre Krankenhausbehandlung). Die Vorschrift ist seit In-Kraft-Treten des StVollzG Rechtsgrundlage für länderübergreifende Vollzugsgemeinschaften, die besonders für kleinere Bundesländer Bedeutung hat, die dem Trennungs- oder Differenzierungsgebot (§§ 140, 141) entsprechende Einrichtungen nicht unterhalten können bzw. aus Kostengründen nicht wollen. Dabei sind Vollzugsgemeinschaften aufgrund besserer schulischer bzw. beruflicher Förderungsmöglichkeiten sowie medizinischer Versorgung bzw. Suchtbehandlung besonders zweckmäßig (vgl. AK-Huchting/Pollähne 2012 Rdn. 2). Stets ist jedoch der Zielkonflikt zu beachten, dass den Vorteilen einer differenzierten Behandlung in den meisten Fällen Nachteile einer weiteren Entfernung von Bezugspersonen gegenüberstehen, die für den Gefangenen wichtig sein können. Hier muss den Behandlungsmaximen in der Weise Rechnung getragen werden, dass der größeren Trennung der Gefangenen von ihren Familien, Angehörigen und Freunden sowie dem übrigen sozialen Umfeld erheblich bessere Behandlungsmöglichkeiten gegenüberstehen müssen (KG FS 2009, 42 m. Anm. Dünkel FS 2010, 61 ff; Arloth 2011, Erl. zu § 150; vgl. auch AK-Huchting/Pollähne 2012 Rdn. 2, 4).
ZWEITER TITEL Aufsicht über die Justizvollzugsanstalten § 151 Aufsichtsbehörden § 151 Steinhilper Aufsichtsbehörden (1) Die Landesjustizverwaltungen führen die Aufsicht über die Justizvollzugsanstalten. Sie können Aufsichtsbefugnisse auf Justizvollzugsämter übertragen. (2) An der Aufsicht über das Arbeitswesen sowie über die Sozialarbeit, die Weiterbildung, die Gesundheitsfürsorge und die sonstige fachlich begründete Behandlung der Gefangenen sind eigene Fachkräfte zu beteiligen; soweit die Aufsichtsbehörde nicht über eigene Fachkräfte verfügt, ist fachliche Beratung sicherzustellen. Steinhilper
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VV 1 Die Aufsichtsbehörde sucht alle Anstalten so häufig auf, dass sie stets über den gesamten Vollzug unterrichtet bleibt. 2 Die Landesjustizverwaltungen regeln den Besuch von Anstalten durch anstaltsfremde Personen sowie den Verkehr von Gefangenen mit Vertretern von Publikationsorganen (Presse, Hörfunk, Film, Fernsehen). Schrifttum Beier „Aufsicht über den Strafvollzug“ eine Quelle des Mißerfolgs, in: ZfStrVo 1992, 147 ff; Dünkel Empirische Forschung im Strafvollzug, Bonn 1996; ders. Die Öffnung des Vollzuges und Vollzugslockerungen als Sicherheitsrisiko?, in: 27. Strafverteidigertag: Internationalisierung des Strafrechts. Fortschritt oder Verlust an Rechtsstaatlichkeit?, Berlin 2004, 89 ff; Flügge/Maelicke/Preusker Das Gefängnis als lernende Organisation, Baden-Baden 2001; Flügge Von der Aufsicht zur Globalsteuerung, in: Flügge/Maelicke/ Preusker, 325 ff; Hassemer Der Staat muss das Strafbedürfnis der Bevölkerung beachten, in: ZRP 2004, 93 ff; Kaplan/Norton Balanced Scorecard. Strategien erfolgreich umsetzen., Stuttgart 1997; Koop Führung und Zusammenarbeit im Wandel, in: Flügge/Maelicke/Preusker, 174 ff; Koop (Hrsg.) Hauptsache ist, dass nichts passiert? Selbstbild und Außendarstellung des Justizvollzugs in Deutxchland, Lingen 2006; Maelicke Quo vadis Strafvollzug?, in: KrimPäd 2002, 11 ff; Steinhilper Organisationsentwicklung im Justizvollzug, in: Feuerhelm (Hrsg.), FS Böhm, Berlin/New York 1999, 177 ff; dies. Controlling im niedersächsischen Justizvollzug, in: ZfStrVo 2003, 143 ff; dies. Justizvollzug in Bewegung, in: Minthe (Hrsg.), Neues in der Kriminalpolitik, Wiesbaden 2003, 85 ff; Steinhilper/Steinhilper Aufsicht über die Justizvollzugsanstalten (§ 151 StVollzG) – Kontrolle oder Steuerung des Strafvollzugs? –, in: NK 2005, 19 ff; Stober Privatisierung öffentlicher Aufgaben, in: NJW 2008, 2301 ff.
I. II.
III.
Übersicht Allgemeine Hinweise: ____ 1–3 Erläuterungen ____ 4–15 1. Die Aufsichtspflicht der Landesjustizverwaltung ____ 4–9 2. VVen Nr. 1 und Nr. 2 ____ 10, 11 3. Aufsicht über einzelne Fachbereiche ____ 12 4. Aufsicht und politische Verantwortung ____ 13–15 Beispiel: Neue Formen der Aufsicht ____ 16–19 1. Funktions- und Bedeutungswandel der Aufsichtsbehörde ____ 16
IV.
2. Aufgaben und Ziele der Dienst- und Fachaufsicht im niedersächsischen Justizvollzug ____ 17 3. Elemente der Aufsichtsführung ____ 18 4. Zielsystem und Controlling ____ 19 Landesgesetze und Musterentwurf ____ 20–25 1. Baden-Württemberg ____ 20 2. Bayern ____ 21 3. Hamburg ____ 22 4. Hessen ____ 23 5. Niedersachsen ____ 24 6. Musterentwurf ____ 25
I. Allgemeine Hinweise Die Bestimmung regelt zusammen mit den §§ 152 und 153 die Aufsicht über die Jus- 1 tizvollzugsanstalten und überträgt sie den Landesjustizverwaltungen, die für Organisation und Durchführung des Strafvollzugs zuständig sind (vgl. Art. 125 a Abs. 1 Satz 1 GG). Die Länder, die Strafvollzugsgesetze erlassen haben und damit von der Ersetzungskompetenz des Art. 125 a Abs. 1 Satz 2 GG Gebrauch gemacht haben, führen ihre Gesetze als 1085
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4. Abschnitt. Vollzugsbehörden
eigene Angelegenheit aus (Art. 30 GG; vgl. BVerfG Beschl. vom 12.1.1983 – 2 BvL 23/81 – juris, dort Rdn. 128). Mit dem Erlass einer länderrechtlichen Regelung für den Strafvollzug entfällt die Möglichkeit der Bundesaufsicht bei landeseigener Verwaltung (Art. 84 Abs. 3 GG), da diese Länder kein Bundesgesetz mehr ausüben (s. Umbach/Clemens, Grundgesetz: Mitarbeiterkommentar und Handbuch 2002, 765 ff). In der Praxis hat der Bund jedoch von dieser Befugnis zur Rechtsaufsicht (s. Umbach/Clemens, aaO, 55 ff) keinen Gebrauch gemacht. Was Aufsicht ist, hat der Gesetzgeber nicht näher definiert. Auch die Verpflichtung zur fachlichen Beratung in bestimmten Aufgabenbereichen in den Justizvollzugsanstalten gibt keinen weiteren Aufschluss über die Absicht des Gesetzgebers. Die Landesjustizverwaltungen sind bei der Ausgestaltung ihrer Aufsicht grundsätzlich weitgehend frei, aber an die tradierten Aufsichtsbereiche „Dienstaufsicht, Fachaufsicht und Rechtsaufsicht“ gebunden. Auch diese Begriffe sind vom Gesetzgeber nicht konkretisiert, sondern nur durch einschlägige kasuistische Rechtsprechung näher eingegrenzt. Sie sind auch nicht trennscharf. Während die Fachaufsicht über die Justizvollzugsanstalten die Rechtsaufsicht mit einschließt (Prüfung der Recht- und Zweckmäßigkeit des Verwaltungshandelns), prüft reine Rechtsaufsicht, ob der beaufsichtigte Verwaltungsträger (der nicht innerhalb der unmittelbaren Landesverwaltung angesiedelt ist, z. B. Krankenhäuser, Kassenärztliche Vereinigungen, Gemeinden und Landkreise) im eigenen oder übertragenen Wirkungskreis rechtmäßig handelt. Nach dem Willen des Gesetzgebers obliegt den Justizvollzugsanstalten der Strafvoll2 zug nicht zur freien und unkontrollierten inhaltlichen und finanziellen Gestaltung und personellen Besetzung. Die Landesjustizverwaltungen sind vielmehr berechtigt und verpflichtet, vergleichbare Vollzugsbedingungen in gleichartigen Vollzugsformen und die Einhaltung von Gesetz und Recht zu gewährleisten. Dies gilt uneingeschränkt auch für teilprivatisierte Anstalten (vollständige Privatisierung ist verfassungsrechtlich nicht zulässig, vgl. Laubenthal 2011 Rdn. 50 m. w. N.). Soweit einem privaten Dritten bestimmte, nicht hoheitliche Aufgaben im Betrieb einer Justizvollzugsanstalt übertragen werden (Kooperationsform „Public Private Partnership“, s. Stober 2008, 2307) hat die Aufsichtsbehörde eine präzise und an landesweiten Qualitätsstandards ausgerichtete Vertragsgestaltung (zur Einheitlichkeit des Vollzugsgeschehens landesweit) und die Einhaltung dieser Verträge (Leistungskontrollen) zu gewährleisten. Sie muss sich zudem ein umfassendes, jederzeitiges Prüfungsrecht der Leistungen vorbehalten. Auch die in VV Nr. 1 von der Aufsichtsbehörde geforderte regelmäßige Besichtigung der Anstalten muss die auf private Dritte übertragenen Leistungsbereiche (z. B. Versorgung und Beschäftigung der Gefangenen) mit einbeziehen. Insoweit greift auch hier die klassische umfassende staatliche Fachaufsicht. Stober (2008, 2308) fordert darüber hinaus, den (zulässigen) „Rückzug“ des Staates durch ein entsprechend differenziertes Privatisierungsfolgenrecht aufzufangen und durch geeignete Regulierungen zu begleiten. Der Staat müsse seiner Gewährleistungsverantwortung nachkommen und entsprechende Einwirkungs- und Kontrollpflichten gesetzlich (in Landesrecht) verankern. Bei der Handhabung ihrer Aufsichtsbefugnisse orientieren sich die Landesjustiz3 verwaltungen an modernen Methoden der Führung und nutzen neue Steuerungsinstrumente. Aufsicht über die Justizvollzugsanstalt heißt heute nicht mehr primär Kontrolle und Sanktion, sondern vielmehr (prospektive) Steuerung und Beratung. Moderne Aufsicht sorgt durch Festlegung von Qualitätsstandards und Rahmenplanung für eine einheitliche Ausgestaltung des Strafvollzugs und steuert die Fortentwicklung durch Zielvereinbarungen und Controlling. Die neuen Steuerungsinstrumente führen Personalund Sachhaushalt zu einem Globalbudget zusammen, schaffen Transparenz auf der Grundlage von Kosten und Leistungen und ermöglichen eine systematische und schnelle Steuerung über Zielvereinbarungen auf der Grundlage von Kennzahlen. Aus diesem Steinhilper
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Aufsichtsbehörden
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Grund haben einige Bundesländer sog. Verwaltungsbereiche eingerichtet, Niedersachsen z. B. den „Verwaltungsbereich Justizvollzug“, der in hohem Maße eigenständig ist mit eigenen Führungs- und Entscheidungsstrukturen und Verantwortung für den Ressourceneinsatz. II. Erläuterungen 1. Die Aufsichtspflicht der Landesjustizverwaltung. Das Gesetz verwendet den 4 übergeordneten Begriff Landesjustizverwaltung; das sind die Justizministerien und Senatsverwaltungen (Berlin, Bremen, Hamburg) der Bundesrepublik Deutschland. Der Begriff Landesjustizverwaltungen umfasst keine einheitlichen Verwaltungsgebilde. Hamburg hat ein Strafvollzugsamt, das als Teil der Justizbehörde dem Justizsenator (über den Staatsrat) unmittelbar unterstellt ist. Das Strafvollzugsamt ist zentral für alle Personalangelegenheiten der Vollzugsbediensteten zuständig und hat auch die Justizvollzugsschule als Organisationseinheit integriert. Berlin, Bremen und alle Flächenstaaten haben für den Strafvollzug eine eigene Fachabteilung eingerichtet, die sich nicht nur auf die inhaltliche Gestaltung des Vollzugs mit Dienst- und Fachaufsicht beschränkt, sondern die auch für Personal, Finanzen und Bauangelegenheiten im Justizvollzug zuständig ist. Die Zentralabteilungen der Ministerien haben für den Justizvollzug überwiegend nur noch koordinierende Funktionen, z. B. bei der Aufstellung des Personal-, Sach- und Bauhaushalts. Mit der Auflösung des Justizvollzugsamts (s. Rdn. 7) hat auch Nordrhein-Westfalen seit dem 1.1.2008 die bis dahin in der Zentralabteilung wahrgenommenen Zuständigkeiten für Personalangelegenheiten des Justizvollzugs in die Fachabteilung übernommen. Erst eine umfassende Ressourcen- und Aufgabenverantwortung ermöglicht es den Fachabteilungen, Verantwortung für die Ergebnisse des Justizvollzugs zu übernehmen. Ergebnisverantwortung wiederum ist für eine erfolgreiche Aufsicht über den Justizvollzug von entscheidender Bedeutung und Voraussetzung für die Anwendung der neuen Steuerungsmodelle. Justizvollzugsanstalten unterliegen nach Abs. 1 und Abs. 2 einer umfassenden Auf- 5 sicht. Bei der Dienstaufsicht werden organisatorische und personelle Dienstaufsicht unterschieden. Die organisatorische Dienstaufsicht bezieht sich auf die Aufbau- und Ablauforganisation der Vollzugseinrichtungen. Unabhängig von der inhaltlichen Erledigung der Fachaufgaben werden Verwaltungsstruktur, Geschäftsverteilung und Geschäftsführung unter arbeits- und verfahrenstechnischen Gesichtspunkten auf ihre Zweckmäßigkeit und Effizienz überprüft. Personelle Dienstaufsicht bezieht sich auf die Angelegenheiten des Personals und dessen dienstliches Verhalten. Die Landesjustizverwaltungen haben mittlerweile weitreichend dienstrechtliche Befugnisse auf die Anstaltsleitungen übertragen. Die personelle Dienstaufsicht überprüft daher insbesondere, ob die Anstaltsleitungen ihre Dienstaufsicht gleichmäßig und ordnungsgemäß ausüben (z. B. in Disziplinarangelegenheiten, in personalvertretungsrechtlichen Fragen). Fachaufsicht bedeutet Gewährleistung der sachgerechten Ausübung einzelner Tätigkeitsbereiche. Abs. 2 sieht eine fachliche Beratung der Landesjustizverwaltungen für bestimmte Aufsichtsbereiche vor. Fachaufsicht soll sicherstellen, dass Fachaufgaben unter Beachtung der geltenden Rechts- und Verwaltungsvorschriften rechtlich richtig und zweckmäßig erfüllt werden. Fachaufsicht schließt mithin die Rechtsaufsicht ein. Sie ist Bestandteil einer umfassenden Kontroll- und Aufsichtsfunktion der Landesjustizverwaltungen in Fachaufgaben. Weisungen der Dienst- und Fachaufsicht können sich auf die Aufhebung und Korrektur bereits erfolgter Maßnahmen und auf zukünftiges Handeln beziehen. Sie sollten sich auf das notwendige Maß beschränken (s. auch AK-Feest 2012 Rdn. 8 und 9). 1087
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4. Abschnitt. Vollzugsbehörden
Das Strafvollzugsgesetz regelt die Aufsicht durch die Landesjustizverwaltungen. Es erwähnt nicht die politische Verantwortung des jeweiligen Ministers bzw. Senators. Dessen politische Verpflichtung, den eigenen Geschäftsbereich zu überwachen, ergibt sich aus dem jeweiligen Landesverfassungsrecht. Die Parlamente und auch die Öffentlichkeit erwarten, dass die Justizminister sich persönlich für einen im Grundsatz rechtsstaatlichen Strafvollzug verbürgen. Es wird ebenfalls erwartet, dass die Fachminister durch persönliche Informationsbesuche einen Eindruck von den Verhältnissen in den Vollzugsanstalten gewinnen und sich von der Rechtmäßigkeit des Strafvollzuges regelmäßig überzeugen. Zu den Problemen der politischen Verantwortlichkeit der Minister s. Rdn. 15. Die Landesjustizverwaltungen sind zur Dienst- und Fachaufsicht (Rdn. 5) verpflich7 tet. Dies folgt nicht nur aus § 151, sondern auch aus § 108 (§ 108 Rdn. 7 ff). Sie sind ebenfalls verpflichtet, Fachaufsicht mindestens in dem durch Abs. 2 beschriebenen Rahmen sicherzustellen. Der Gesetzgeber räumt den Landesjustizverwaltungen bei der Ausgestaltung und Ausübung der Fachaufsicht jedoch einen erheblichen Gestaltungsspielraum ein. Er macht in Abs. 2 lediglich deutlich, dass die Fachaufsicht fachkundig zu bewerkstelligen ist. Er schreibt nicht zwingend vor, dass die Fachaufsicht über Vertreter einzelner Fachrichtungen (Psychologen, Juristen, Mediziner in den Justizvollzugsanstalten) zwangsläufig von Vertretern dieser Fachrichtungen in den Landesjustizverwaltungen wahrzunehmen ist. Es reicht vielmehr aus, wenn sich die Aufsichtsbehörde erforderlichenfalls des Fachwissens jeweiliger Fachkräfte bedient. In Betracht kommen insoweit auch Kooperationen mit anderen Ressorts (z. B. Sozialministerium) und die vertragliche Einbindung anderer Disziplinen (regelmäßig oder fallbezogen). Die Gefangenen haben aufgrund der Regelung in § 151 keinen Rechtsanspruch ge8 gen den Staat auf konkrete Maßnahmen der Aufsichtsführung über einzelne JVAen. Sie können sich lediglich in Eingaben und Beschwerden an die Aufsichtsbehörde wenden oder Vertreter der Aufsichtsbehörden anlässlich von Anstaltsbesuchen (§ 108) sprechen (ebenso Arloth 2011 Rdn. 6 und AK-Feest 2012 Rdn. 15). Wie die Aufsichtsbehörden solche Beschwerden von Gefangenen bearbeiten, liegt in ihrem Handlungsermessen, das sich aus ihrer Organisationsgewalt ergibt. Der Gefangene hat allenfalls nach § 113 die Möglichkeit, ein Tätigwerden der Aufsichtsbehörden in den Fällen zu erzwingen, in denen Rechtsverstöße von Bediensteten, die dem Gefangenen seine Rechtsposition schmälern würden, nicht behoben werden. Vgl. im einzelnen § 108 Rdn. 5 ff. Der Gesetzgeber ermächtigt die Länder, Aufsichtsbefugnisse (nicht die vollständige 9 Aufsicht!) auf Justizvollzugsämter zu übertragen. Von dieser Möglichkeit macht inzwischen kein Land mehr Gebrauch. Nach Niedersachsen (1994) hat auch NordrheinWestfalen sein Justizvollzugsamt in Wuppertal zum 31.12.2007 aufgelöst. Ein dreistufiger Verwaltungsaufbau hat sich für den Justizvollzug nicht bewährt. Die von Politik und Öffentlichkeit eingeforderte unmittelbare und umfassende Verantwortung des Justizministers für Angelegenheiten des Strafvollzugs sowie effektive Aufsicht und Steuerung verlangen schnelle und direkte Abstimmung der Landesjustizverwaltungen mit den Anstaltsleitungen, die ihrerseits für ihre Verantwortungsübernahme möglichst weitreichende und nicht mit einer Mittelbehörde geteilte Kompetenzen in Organisation, Finanzen, Personal und Vollzugsgestaltung benötigen. 6
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2. VVen Nr. 1 und Nr. 2. Die Regelung in VV Nr. 1 stellt in der Praxis nicht erfüllbare Anforderungen an die Aufsichtsbehörden. Ein „Unterrichtetsein über den gesamten Vollzug(!)“ ist bei der Größe heutiger Vollzugsanstalten und der Komplexität der Vollzugssysteme nicht möglich, auch wenn die Anstalten regelmäßig aufgesucht werden. In der Vollzugspraxis besichtigen die Landesjustizverwaltungen die Anstalten in der Regel Steinhilper
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einmal im Jahr, und zwar durch einzelne „Inspekteure“ oder durch Besichtigungsteams, denen auch Vertreter (anderer) Justizvollzugsanstalten angehören können. Aufsichtsbereiche, die einer Besichtigung zugänglich sind, sollten zuvor möglichst präzise (z. B. in Form von Checklisten) definiert und die Feststellungen dazu objektiviert werden, um auch zwischen den einzelnen Anstalten vergleichen und den Handlungsbedarf ableiten zu können. Besichtigungen sind lediglich ein Baustein einer umfassenden Aufsicht, diese darf sich darin nicht erschöpfen. Unverzichtbar sind u. a. Auswertung von Beschwerden der Gefangenen, Beobachtung des Vollzugsgeschehens anhand von Kennzahlen und Statistiken, Analyse und Bewertung besonderer Vorkommnisse. Besichtigungen werden den Anstaltsleitungen vorher bekanntgegeben, so dass diese sich darauf vorbereiten und erforderliche Unterlagen bereithalten können. Besichtigungen durch Vertreter der Aufsichtsbehörde können auch unangemeldet erfolgen oder durch ein aktuelles Vorkommnis veranlasst sein. Im weiteren Sinne haben auch alle anderen Besuche durch Vertreter der Aufsichtsbehörden Aufsichtscharakter; sie dienen dazu, über den gesamten Vollzug soweit möglich unterrichtet zu sein. Die Regelung der VV Nr. 2 ist durch die neuere Rspr. korrigiert worden. Nach §§ 151 11 und 156 trifft die Anstaltsleitung sowohl die Entscheidung über den Besuch der Anstalten durch anstaltsfremde Personen als auch Entscheidungen im Bereich des Verkehrs von Gefangenen mit Vertretern von Publikationsorganen. Die Aufsichtsbehörden können Rahmenrichtlinien zur Ermessensausübung erlassen und allenfalls Nachfragepflichten für die Anstaltsleitungen festlegen (vgl. OLG Stuttgart ZfStrVo SH 1979, 35 ff; OLG Hamm MDR 1979, 428; so auch Arloth 2011 Rdn. 4; vgl. auch § 24 Rdn. 19 f). 3. Aufsicht über einzelne Fachbereiche. Ob die Landesjustizverwaltungen ihrer 12 Verpflichtung zu einer umfassenden Aufsicht durch Integration fachspezifisch vorgebildeter Mitarbeiter in die Aufsichtsbehörde nachkommen oder durch wissenschaftliche Beiräte bzw. vertraglich verpflichtete, nebenamtlich tätige Fachberater, ist ihnen überlassen. Der Gesetzgeber trifft insoweit keine spezielle Regelung. Dass das Problem der Fachaufsicht (Rdn. 5) für die Aufsichtsbehörden interdisziplinär nicht unerheblich ist, zeigt die Anzahl der in den Anstalten vorhandenen Fachkräfte (dazu Zahlenmaterial bei Dünkel 1996, 94 f). Das Arbeitswesen in den JVAen ist vielgestaltig (Grundlage § 148). Die Eigenbetriebe und die Unternehmerbetriebe in den Anstalten sind in eine Arbeitsbetriebsorganisation eingegliedert worden, die betriebswirtschaftliche Fachkenntnisse berücksichtigen muss. Die auf der Ebene der Aufsichtsbehörden mit der Führung des Arbeitsbetriebswesens betrauten Verwaltungskräfte benötigen korrespondierende Kenntnisse. Inzwischen haben die meisten Landesjustizverwaltungen dem Rechnung getragen (vgl. § 148 Rdn. 1 f). Die Fachaufsicht über die Gesundheitsfürsorge muss Ärzten vorbehalten bleiben. Diese können als hauptamtliche Mitarbeiter in der Aufsichtsbehörde mit dieser Aufgabe betraut werden oder vertraglich, auch in Kooperation mit anderen Ressorts. Gesundheitsfürsorgeverträge mit privaten Dritten (z. B. bei teilprivatisierten Justizvollzugsanstalten) müssen sicherstellen, dass bei ärztlichen Handlungen im Zusammenhang mit der Anwendung unmittelbarer oder mittelbarer Gewalt gegen den Willen des Gefangenen (Zwangsmaßnahmen) der durchführende Arzt unmittelbar dazu von einem Hoheitsträger ermächtigt ist und er der staatlichen Fachaufsicht unterliegt (s. Urteil des Nds. StGH vom 5.12.2008 – StGH 2/07). Der Gesetzgeber erwähnt in Abs. 2 nicht alle Fachaufsicht ausübenden Fachkräfte ausdrücklich, geht aber davon aus, dass für alle an einer fachspezifischen Behandlung der Gefangenen beteiligten Fachdienste der Justizvollzugsanstalten geeignete Fachkräfte zur Wahrnehmung von Fachaufsicht vorhanden sind. Eine Fachaufsicht muss deshalb auch für den psychologischen Dienst eingerichtet werden (kritisch dazu Beier 1992, 154). Bei dieser Fachdisziplin ist ebenfalls eine Ko1089
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operation mit anderen Trägern denkbar (dies hält AK-Feest 2012 Rdn. 13 für vorzugswürdig). 4. Aufsicht und politische Verantwortung. Aufsicht über den Justizvollzug hat nicht nur eine rechtliche Dimension. Sie beschränkt sich also nicht nur auf die Überprüfung der Einhaltung von Gesetz und Recht und inhaltliche Vorgaben für einzelne Arbeitsbereiche der Anstalten (zur Interdependenz zwischen Aufsicht über JVA und politischer Verantwortlichkeit s. Steinhilper/Steinhilper 2005, 19 ff). In der gegenwärtigen medienbeeinflussten Demokratie hängt das „politische Schicksal“ des jeweiligen Justizministers davon u. U. auch ab, ob ihm zugetraut wird, eine effektive Aufsicht über „seine“ JVAen zu garantieren. Kommt es zu spektakulären Ausbrüchen oder zu gewaltsamen Aktionen bis hin zu Meutereien, zu Übergriffen auf Bedienstete oder zu schweren Straftaten während eines Hafturlaubs oder unter Ausnutzung von Vollzugslockerung (dazu anschaulich Alisch Sicherheit ist, wenn der Minister nicht in den Innen- und Rechtsausschuss muss, in: Wischka/Jesse/Klettke/Schaffer Justizvollzug in neuen Grenzen, Lingen 2002, 34 f), so werden diese spektakulären Ereignisse von der Öffentlichkeit in der Regel als Folge mangelhafter Aufsicht über den Justizvollzug und als Bedrohung der eigenen Sicherheitslage verstanden. Ob die Sicherheit der Bürger dadurch objektiv gefährdet ist, spielt in der politischen Diskussion meist nur eine untergeordnete Rolle. Das Versagen einzelner Bediensteter oder Gefangener wird nur sehr selten in Beziehung gesetzt zu den hohen Erfolgsquoten bei den meisten Vollzugsentscheidungen (Missbrauchsquote unter 1%; s. Dünkel 2004), sondern als „typische Vollzugspanne“ verallgemeinert, dramatisiert und politisiert. In den üblichen medial begleiteten politischen Diskussionen greift die jeweilige parlamentarische Opposition Einzelfälle auf, um der Regierung tatsächliche oder vermeintliche Versäumnisse anzulasten. Bei Angriffen aus Medien und Politik besteht die Gefahr, dass die Justizminister in 14 kritischen Situationen der Versuchung erliegen, auch die der Aufsichtsbehörde grundsätzlich nicht vorbehaltenen Einzelfallentscheidungen selbst treffen oder maßgeblich beeinflussen zu wollen (z. B. ordnen sie selbst Versetzungen und Umsetzungen von Bediensteten an, leiten persönlich Disziplinarverfahren gegen Beamte ein oder ordnen die Rücknahme von Vollzugslockerungen bei einzelnen Gefangenen oder deren Begutachtung an). Anstatt sich in Einzelsachen zurück zu halten, kommt es zu einem „faktischen Selbsteintritt“ des Ministers mit der Folge, dass alle Fehler und Fehleinschätzungen bei der Entscheidungsfindung zu Lasten des politisch verantwortlichen Ministers gehen und dann oft Rücktrittsforderungen laut werden. Die Maxime, dass „im Vollzug nichts passieren darf“, ist eine schlechte Handlungsanleitung für eine Aufsichtsbehörde, wobei ein solcher Anspruch ohnehin „illusorisch und lebensfremd“ und zugleich „ein Verstoß gegen die Gebote des Strafvollzugsgesetzes“ ist (so zutreffend Feest/Selling 1990, 44 und Beier 1992, 154 f; s. auch die Dokumentation der Fachtagung „Hauptsache ist, dass nichts passiert?“ in Koop 2006). Sicherlich ist es für die Aufsichtsbehörden nicht leicht, die Balance zu finden zwischen einer fachgerechten globalen Aufsicht über die JVAen und dem verständlichen Bemühen, spektakuläre Ereignisse, welche durch mediale Aufbereitung und populistische Folgeentscheidungen den gesamten Justizvollzug nachhaltig negativ beeinflussen können, zu verhindern. Eine entlastende Funktion kann insoweit die Pressestelle der Aufsichtsbehörde übernehmen. Ihre Aufgabe ist es, Einzelfälle in Gesamtzusammenhänge einzuordnen und diese der Öffentlichkeit zu vermitteln. Wenn durch kontinuierliche Medienarbeit – und zwar ohne dass spektakuläre Ereignisse vorliegen – eine Vertrauensbasis bei den Journalisten geschaffen worden ist, wird es auch gelingen, überzeugend darzustellen, dass eine misslungene Vollzugslockerung kein Indiz für schlechte 13
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Aufsicht darstellt und deshalb nicht die Frage des Rücktritts des Fachministers aufgeworfen werden muss. Aufsichtsbehörden müssen sich stets bewusst machen, dass Strafvollzug erheblich 15 in die Freiheitsrechte der betroffenen Bürger eingreift und dass die Grundrechte der Gefangenen auch gegenüber negativer Stimmungslage der Öffentlichkeit oder populistischen Erwartungen einzelner Politiker zu schützen sind. Diese Aufgabenstellung erfordert von den Aufsichtsbehörden gegenwärtig mehr Mut als in den 1970er Jahren zur Zeit des Inkrafttretens des Strafvollzugsgesetzes, weil damals Bürger, Medien, Politik und Rspr. eine gemeinsame positive Grundhaltung zum modernen Behandlungsvollzug hatten. Heute sind manche Politiker schnell bereit, nach spektakulären Einzelfällen dem öffentlichen Druck nachzugeben und drängen dann oft auf Gesetzesänderung (so auch Maelicke 2002, 11 f). Hassemer (2004, 93) spricht in diesem Zusammenhang von einer „symbolischen Kriminalpolitik“. Dabei sei es nicht das Ziel, Rechtsgüter durch politische Aktivitäten besser zu schützen, vielmehr gehe es um die Darstellung des „aktiven“ Politikers als „jemand, der die Strafbedürfnisse der Bevölkerung glaubhaft in die Praxis verlagert“. III. Beispiel: Neue Formen der Aufsicht 1. Funktions- und Bedeutungswandel der Aufsichtsbehörde. In den vergange- 16 nen Jahren hat sich das Profil der Aufsichtsbehörden auch im Bereich des Justizvollzuges grundlegend gewandelt. Flügge (2003, 325) spricht von einem Funktions- und Bedeutungswandel der Aufsichtsbehörde. Erfahrungen aus der Privatwirtschaft haben zu neuen Modellen der Organisations- und Personalentwicklung geführt und den Justizvollzug zu einer „lernenden Organisation“ umgestaltet (vgl. den Überblick über neuere Entwicklungen bei Flügge/Maelicke/Preusker 2001). Die Verwaltungsreform im öffentlichen Dienst hat die Organisationsstrukturen im Justizvollzug verändert: umfassende Delegation dienstrechtlicher Befugnisse, wirtschaftliche Eigenverantwortung der Anstalten und die Einführung der computergestützten Kosten- und Leistungsrechnung sowie des Controlling haben neue Aufsichtssysteme entstehen lassen (ausführlich Koop 2001, 188 und Steinhilper 2003, 85 ff). Allerdings sind die Reformen in den einzelnen Bundesländern unterschiedlich weit gediehen. Überall hat sich jedoch inzwischen die Erkenntnis durchgesetzt, dass Fehlentwicklungen im Justizvollzug aber auch die Verallgemeinerung und Dramatisierung seltener Ereignisse am wirksamsten verhindert werden können, wenn sich Aufsicht über Justizvollzugsanstalten nicht nur in Ausführungsvorschriften, Erlassen und Berichtsanforderungen manifestiert, sondern an Gesamtergebnissen und an der Zielerreichung orientiert und wenn moderne Steuerungsinstrumente genutzt werden. Allerdings haben einige Länder die titelscharfe Zuweisung von Haushaltsmitteln durch die Aufsichtsbehörde beibehalten und den Anstalten keine echte Budgetierung ermöglicht. Dennoch haben alle Bundesländer die ersten Versuche der Einleitung eines Organisationsentwicklungsprozesses begonnen. Der aus Kostengründen notwendige Abbau von Hierarchien und die sachlich gebotene Schaffung neuer Leitungsstrukturen haben in allen Ländern zu Veränderungen bei der Ausübung von Fach- und Dienstaufsicht geführt (zu Berlin s. Flügge 2001, 325 ff). 2. Aufgaben und Ziele der Dienst- und Fachaufsicht im niedersächsischen Jus- 17 tizvollzug. Niedersachsen hat 2002 ein neues System der Aufsicht über Justizvollzugsanstalten und 2004 eine Kosten- und Leistungsrechnung sowie ein Justizcontrolling eingeführt. Seit 2005 vereinbaren Justizministerium und Anstalten Ergebnis- und Finanzziele. Dadurch entwickelte sich die klassische Aufsicht (ausgeübt durch Anstalts1091
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revisionen, Berichtsanforderungen, Erlasse und Verwaltungsvorschriften) zu einem System der Globalsteuerung für den gesamten Justizvollzug. Da die meisten dienstrechtlichen Befugnisse in Niedersachsen auf die Justizvollzugsanstalten übertragen worden sind (im einzelnen Steinhilper 1999, 179), bezieht sich die personelle Dienstaufsicht auf die Anstaltsleitungen und darauf, ob sie ihre Dienstaufsicht über die ihnen nachgeordneten Bediensteten einheitlich ausüben, während die organisatorische Dienstaufsicht die Aufbau- und Ablauforganisation, die Verwaltungsstruktur, die Geschäftsverteilung sowie die Ausführung der Dienstgeschäfte unter arbeits- und verfahrenstechnischen Gesichtspunkten auf Effizienz überprüft. Fachaufsicht prüft mit einem umfangreichen Kontrollsystem sowohl die fachliche Qualität des Verwaltungshandelns als auch die Zweckmäßigkeit von Maßnahmen der Anstaltsleiter. Weisungen der Aufsichtsbehörde werden erteilt, um Maßnahmen der Anstalt zu korrigieren, aufzuheben oder künftiges Handeln der Anstalten zu steuern. Das Justizministerium in Niedersachsen verfolgt im Rahmen der Aufsicht folgende Ziele: – Dienstaufsicht über die Anstaltsleiter direkt ausüben – bei nachgeordneten Bediensteten die einheitliche Dienstaufsicht durch die Anstaltsleitungen sicherstellen – alle wichtigen Informationen aus den Anstalten erhalten und auswerten – eine prinzipielle Einheitlichkeit des Vollzuges verwirklichen – Fehlentwicklungen in den Anstalten rechtzeitig erkennen, um ihnen wirksam begegnen zu können – Anstalten bei der Aufgabenwahrnehmung beraten und unterstützen – Eingaben der Gefangenen nach einheitlichen Maßstäben bearbeiten – auf fehlerfreie Anwendung der Gesetze achten – die angemessene Ressourcenbewirtschaftung sicherstellen alle Anstalten in Fragen der Verwaltung und des Vollzuges auf gemeinsame konzeptionelle Ziele ausrichten. 18
3. Elemente der Aufsichtsführung. Zentraler Baustein des Systems der Aufsichtführung in Niedersachsen sind jährliche zwei- bis fünftägige Besichtigungen der Anstalten durch Besichtigungsteams (drei Mitarbeiter, davon einer aus der Vollzugspraxis) anhand von standardisierten und verbindlichen Checklisten mit 34 „Aufsichtssachverhalten“ (z. B.: „alle sechs Monate werden aussagekräftige Vollzugspläne erstellt“ oder „mit jedem neuen Gefangenen wird innerhalb der ersten 24 Stunden seines Anstaltsaufenthalts ein Zugangsgespräch geführt und auf der ersten Nadel der Gefangenenpersonalakte dokumentiert“). Die Checkliste des Ministeriums wird regelmäßig überprüft und aktualisiert. Jeweils nach zwei Jahren werden die Besichtigungsteams den Anstalten (nach dem Zufallsprinzip) neu zugeordnet. Damit sollen Unbefangenheit und unterschiedliche Sichtweisen ermöglicht werden. Jedes Mitglied der Abteilung Justizvollzug des Ministeriums muss einem Besichtigungsteam angehören. Eingaben der Gefangenen (auch Petitionen) werden in beraten und ausgewertet. Dadurch wird nicht nur die einheitliche Handhabung gewährleistet, vielmehr können durch Eingabenvergleiche aufsichtsrelevante Fragen und Probleme einzelner Anstalten schneller erkannt und fachaufsichtlich aufgegriffen werden. In einem speziell für das neue System eingerichteten Aufsichtsreferat werden alle Informationen aus dem Controllingnetz aus Besichtigungen, Organisationsuntersuchungen, Berichten, Statistiken und aus der zentralen Eingabenbearbeitung gesammelt und gemeinsam mit den Fachreferaten ausgewertet.
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4. Zielsystem und Controlling. Dem Zielsystem der Verwaltungssteuerung liegt 19 eine Balanced Scorecard zu Grunde (zu diesem „Managementwerkzeug“ s. Kaplan/Norten 1997 und Steinhilper 2003, 144 f). Die Scorecard betrachtet den Strafvollzug ganzheitlich und benennt als Richtungsziele sowohl „Wirksamkeitsziele“ (sichere Unterbringung und wirksame Behandlungsangebote) als auch „interne Ziele“ (vollzugliche Grundversorgung und effektiver Personaleinsatz) und „ökonomische Ziele“ (hohe Beschäftigungsquote und bessere Wirtschaftlichkeit) sowie „externe Ziele“ (Akzeptanz in der Öffentlichkeit). Den Richtungszielen sind Einzelziele zugeordnet, z. B.: Zahl der Ausbrüche und Entweichungen vermeiden, mehr Gefangene in Aus- und Fortbildungsmaßnahmen qualifizieren, ehrenamtliche Mitarbeit stärken und verbessern. Die Umsetzung der Einzelziele wird durch das Controllingsystem auf der Basis von Kennzahlen überwacht. So werden z. B. die Zahl der Suizidversuche pro 1.000 Gefangene, die Beschäftigungsverhältnisse je 100 Gefangene nach berufsvorbereitenden Maßnahmen und die Anzahl der Freizeitmaßnahmen pro Woche registriert. In jeder Anstalt werden kontinuierlich alle Daten erhoben, die für die Berechnung der durch Kennzahlen beschriebenen Arbeitsbereiche der Anstalt erforderlich sind und in eine Controllingsoftware eingepflegt, die ein Berichtswesen zur Verfügung stellt, Zusammen mit den Erkenntnissen aus Besichtigungen, den Daten aus der Kosten- und Leistungsrechnung und Informationen aus Einzelfalldarstellungen und statistischen Erhebungen sowie Stellungnahmen aus den Fachreferaten des Ministeriums ergeben sie ein umfassendes Bild von der Effizienz und Leistungsfähigkeit der niedersächsischen Anstalten. Außerdem wird der Grad der Zielerreichung im Justizvollzug deutlich. In einem Jahresgespräch mit der Anstaltsleitung werden die Erkenntnisse aus der Aufsichtsführung und der daraus folgende Handlungsbedarf erörtert. Dieses System verbindet Aufsicht im Sinne eines Blicks zurück mit Steuerung im Sinne eines Blicks nach vorn. Es bewertet Anstalten und Anstaltsleiter auf der Basis aller vorliegenden Ergebnisse, arbeitet zielorientiert und wirkt handlungsanleitend. Dieses vollzugspolitische Programm Niedersachsens nimmt den Anstaltsleitern die Rolle des „Beaufsichtigten“ und macht sie zu Partnern bei der Zukunftsgestaltung. IV. Landesgesetze und Musterentwurf 1. Baden-Württemberg. § 19 Satz 1 JVollzGB I entspricht § 151 Abs. 1 StVollzG. Er 20 stellt klar, dass Aufsichtsbehörde das Justizministerium ist. Die Möglichkeit der Übertragung von Aufsichtsbefugnissen auf Justizvollzugsämter ist wegen des bewährten zweistufigen Aufbaus der Justizvollzugsverwaltung entfallen. Verzichtet wird ebenfalls auf Sicherstellung der in Abs. 2 der bundesrechtlichen Regelung aufgeführten fachlichen Beratung. Satz 2 betrifft den Jugendstrafvollzug. § 19 JVollzGB I lautet: „Das Justizministerium (Aufsichtsbehörde) führt die Aufsicht über die Justizvollzugsanstalten. Die Aufsicht über Einrichtungen im Jugendstrafvollzug in freien Formen wird im Einvernehmen mit dem Ministerium für Arbeit und Soziales geregelt.“ 2. Bayern. Art. 173 (BayVollzG) entspricht weitgehend § 151 StVollzG. Abs. 1 konkre- 21 tisiert, dass das Staatsministerium der Justiz Aufsichtsbehörde ist und verzichtet – der bayerischen Praxis entsprechend – auf die Möglichkeit der Übertragung von Aufsichtsbefugnissen auf Justizvollzugsämter. Abs. 1 lautet: „Das Staatsministerium der Justiz führt die Aufsicht über die Justizvollzugsanstalten (Aufsichtsbehörde).“ Abs. 2 verzichtet auf die namentliche Nennung spezieller Fachaufgaben (Arbeitswesen, Sozialarbeit, Weiterbildung und Gesundheitsfürsorge), für die Fachkräfte zu beteili1093
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gen sind und beschränkt sich auf das Erfordernis fachlicher Beratung, soweit Fachkräfte in der Aufsichtsbehörde nicht zur Verfügung stehen. Satz 1 entspricht Satz 2 der Bundesregelung. Abs. 2 lautet: „Soweit die Aufsichtsbehörde nicht über eigene Fachkräfte verfügt, ist fachliche Beratung sicherzustellen. Hierzu können Fachberater oder Fachberaterinnen bestellt werden.“ 22
3. Hamburg. § 111 HmbStVollzG entspricht inhaltlich § 151 Abs. 1 Satz 1 StVollzG. Die Vorschrift verzichtet – vor dem Hintergrund der Vollzugspraxis in Hamburg – auf die Übertragung von Aufsichtsbefugnissen auf Justizvollzugsämter. Sie verzichtet zudem – wie Bayern und Niedersachsen – auf die namentliche Nennung von Fachaufgaben, für die fachliche Beratung sicherzustellen ist, sowie auf die Regelung, geeignetes Fachpersonal an der Aufsicht über die verschiedenen Aufgabenbereiche der Vollzugsbehörden zu beteiligen. § 111 HmbStVollzG lautet: „Die Aufsichtsbehörde führt die Dienst- und Fachaufsicht über die Anstalten.“
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4. Hessen. § 80 HStVollzG entspricht inhaltlich weitgehend § 151 StVollzG. Er bestimmt in Abs 1 als Aufsichtsbehörde das für Strafvollstreckungs- und Strafvollzugsrecht zuständige Ministerium und definiert in Abs. 2 dessen Aufgaben im Rahmen der Aufsicht. Nach der Begründung dient die Aufsicht der Einheitlichkeit und der Sicherung der Qualität des Vollzugs. Neben Einzelfallregelungen erfordert die Aufsicht Rahmenplanung und Globalsteuerung. Delegationsmöglichkeiten auf Justizvollzugsämter sind entfallen; auf Ausführungen zur Beteiligung von Fachkräften wird verzichtet. § 80 HStvollzG lautet: „(1) Die Aufsicht über die Anstalten führt das für Strafvollstreckungsund Strafvollzugsrecht zuständige Ministerium. (2) Die Aufsichtsbehörde bestimmt die Leitlinien des Vollzugs und sorgt in Zusammenarbeit mit den Anstalten für die Qualitätssicherung.“
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5. Niedersachsen. § 184 NJVollzG verknüpft § 151 mit § 153 StVollzG und subsumiert die Regelung unter die Überschrift „Aufsicht“. Die Vorschrift verzichtet nicht nur – wie Bayern – auf die namentliche Nennung von Fachaufgaben, für die fachliche Beratung sicherzustellen ist, sondern regelt auch die Selbstverständlichkeit, geeignetes Fachpersonal an der Aufsicht über die verschiedenen Aufgabenbereiche der Vollzugsbehörden zu beteiligen. Abs. 1 entspricht der Regelung des § 151 Abs. 1 Satz 1 Teil 2 StVollzGund weist dem Fachministerium die Funktion der Aufsichtsbehörde zu. Er lautet: „Das Fachministerium führt die Aufsicht über die Vollzugsbehörden.“ Abs. 2 Satz 1 nimmt die Regelungsgehalte der §§ 153 und 151 Abs. 1 Satz 2 StVollzG mit der Einschränkung auf, dass das Fachministerium nur einzeln bestimmte Aufsichtsbefugnisse auf eine nachgeordnete Stelle übertragen darf. Auf eine ausdrückliche Nennung von Justizvollzugsämtern wird vor dem Hintergrund der niedersächsischen Vollzugspraxis verzichtet. Abs. 2 lautet: „Es kann sich Entscheidungen über Verlegungen vorbehalten oder solche Entscheidungen oder bestimmte Aufsichtsbefugnisse auf ihm nachgeordnete Stellen übertragen. Im Fall der Übertragung wird das Fachministerium oberste Aufsichtsbehörde.“ Abs. 3 stellt klar, dass richterliche Entscheidungen aus Gründen der Gewaltenteilung nicht der Aufsicht durch das Fachministerium unterliegen. Diese Klarstellung erfolgt vor dem Hintergrund, dass das NJVollzG neben Strafvollzug und Jugendstrafvollzug auch den Untersuchungshaftvollzug regelt. Abs. 3 lautet: „Richterliche Entscheidungen im Rahmen des Untersuchungshaftvollzugs unterliegen nicht der Aufsicht.“
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6. Musterentwurf. Der Musterentwurf greift die Entwicklung auf, nach der es seit 25 2008 in keinem Bundesland mehr Justizvollzugsämter gibt, und verzichtet mithin auf Satz 2 der bundesrechtlichen Bestimmung. Er berücksichtigt weiterhin, dass Interdiszilinarität bei der Ausübung von Fachaufsicht und die Beteiligung externen Sachverstands selbstverständlich sind, und verzichtet folglich auch auf Abs. 2 der Bundesvorschrift. § 101 ME-StVollzG stellt allerdings klar, dass zu den Aufgaben der Aufsichtsbehörde auch Entscheidungen über Verlegungen und Überstellungen gehören. Diese Befugnis wurde aufgenommen, weil es sich hierbei um wichtige anstaltsübergreifende Maßnahmen handelt. Die Vorschrift lautet. „(1) Das für Justiz zuständige Ministerium führt die Aufsicht über die Anstalten (Aufsichtsbehörde). (2) Die Aufsichtsbehörde kann sich Entscheidungen über Verlegungen und Überstellungen vorbehalten.“
§ 152 Vollstreckungsplan § 152 Koepsel Vollstreckungsplan (1) Die Landesjustizverwaltung regelt die örtliche und sachliche Zuständigkeit der Justizvollzugsanstalten in einem Vollstreckungsplan. (2) Der Vollstreckungsplan sieht vor, welche Verurteilten in eine Einweisungsanstalt oder -abteilung eingewiesen werden. Über eine Verlegung zum weiteren Vollzug kann nach Gründen der Behandlung und Eingliederung entschieden werden. (3) Im übrigen ist die Zuständigkeit nach allgemeinen Merkmalen zu bestimmen. VV Im Vollstreckungsplan soll auch festgelegt werden, welche Anstalten und Abteilungen Einrichtungen des offenen Vollzuges sind. Schrifttum Altenhain Organisation des Strafvollzuges, in: Schwind/Blau 1988, 31 ff; Diepolder Das Einweisungsverfahren nach § 152 Abs. 2 StVollzG im Lande Nordrhein-Westfalen und Einwirkungsmöglichkeiten des Verteidigers darauf, in: ZfStrVo 1982, 200 ff; Koepsel Das Auswahlverfahren für langstrafige männliche erwachsene Gefangene in Nordrhein-Westfalen, in: ZfStrVo 1976, 125 ff; ders. 10 Jahre Einweisungsanstalt Hagen/Westfalen – Besondere Probleme zentraler Diagnosezentren, in: ZfStrVo 1982, 195 ff; M. Steinhilper Prognosezentrum für den gesamten niedersächsischen Justizvollzug bei der JVA Hannover, in: Forum Strafvollzug 4/2008, 163 ff; Thole Die Klassifizierung der Gefangenen im Erwachsenenstrafvollzug des Landes Nordrhein-Westfalen, in: MschrKrim 1975, 261 ff.
I.
II.
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Übersicht Allgemeine Hinweise ____ 1–3 1. Zuständigkeitsbegründung nach allgemeinen Merkmalen ____ 2 2. Zuständigkeitsregelung unter Behandlungsgesichtspunkten ____ 3 Erläuterungen ____ 4–13 1. Die Zuständigkeitsregelung durch den Vollstreckungsplan ____ 4 2. Die Zuständigkeitsregelung durch Einweisungsanstalten ____ 5–8
a) Zuständigkeitsregelung durch Klassifizierung in differenzierte Vollzugsanstalten ____ 6 b) Abgrenzung der Zuweisung der Gefangenen durch Einweisungsanstalten von der Verlegung im Rahmen des § 8 ____ 7 c) Zentrale Diagnosezentren als Einweisungsanstalten ____ 8
Koepsel
§ 152
4. Abschnitt. Vollzugsbehörden
3. Die Abhängigkeit des Einweisungsverfahrens vom differenzierten Vollzugsangebot in den anderen Anstalten ____ 9 4. Das Gebot der Zuweisung nach allgemeinen Merkmalen auch im Rahmen des Einweisungsverfahrens ____ 10 5. VV ____ 11 6. Die Rechte der Gefangenen hinsichtlich der Unterbringung in der zuständigen Anstalt ____ 12
III.
IV.
7. Beschwerdemöglichkeiten gegen Einweisungsentscheidungen ____ 13 Beispiele ____ 14, 15 1. Die Zuweisungssysteme in den einzelnen Bundesländern, insbesondere das Einweisungsverfahren in NordrheinWestfalen ____ 14 2. Die langjährige Bewährung des Einweisungsverfahrens ____ 15 Landesgesetze und Musterentwurf ____ 16
I. Allgemeine Hinweise 1
In § 152 versucht der Gesetzgeber, zwei entgegengesetzte Zielvorstellungen bei der Festlegung der örtlichen und sachlichen Zuständigkeit der Justizvollzugsanstalten miteinander zu vereinbaren.
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1. Zuständigkeitsbegründung nach allgemeinen Merkmalen. Die örtliche und sachliche Zuständigkeit einer Justizvollzugsanstalt soll sich aus allgemeinen Merkmalen aufgrund eines Vollstreckungsplanes ergeben (vgl. auch § 22 StrVollstrO). Im Vollstreckungsplan wird für jeden Gefangenen im Vorwege die für seine Strafverbüßung örtlich und sachlich zuständige Justizvollzugsanstalt eines Landes festgelegt. Der Vollstreckungsplan sollte nicht mit dem Vollzugsplan verwechselt werden, der in Absprache mit dem Gefangenen den zeitlichen und inhaltlichen Verlauf einzelner Behandlungsmaßnahmen regelt (§ 7). Mit dem Vollstreckungsplan soll rechtsstaatlichen Erfordernissen Rechnung getragen werden, wonach jeder strafgerichtlich Verurteilte möglichst im Voraus wissen soll, welche Folgen seine Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe hat. Mit der in Abs. 1 und 3 enthaltenen Regelung nimmt das Strafvollzugsgesetz die seit vielen Jahrzehnten bestehende Regelung auf, wonach sich aus einem Plan ergibt, in welcher Justizvollzugsanstalt jeder einzelne Gefangene unter Berücksichtigung von Alter, Geschlecht und Straflänge die gegen ihn vom Gericht ausgesprochene Freiheitsstrafe zu verbüßen hat. Dabei wird als örtlich zuständige Vollzugsanstalt in der Regel diejenige gewählt, in deren Nähe der Gefangene seine bisherigen persönlichen Bindungen hatte. Dies empfehlen auch die Europäischen Strafvollzugsgrundsätze (REC 2006/2 Nr. 17.1). Regelungen im Vollstreckungsplan, die eine vom Lebensmittelpunkt eines/einer Gefangenen zu weit entfernt liegende JVA für zuständig erklären, können rechtswidrig sein. Dies gilt insbesondere bei Vollzugsgemeinschaften mehrerer Bundesländer (KG Berlin 2 E 12.9.2008 2WS 770/07 Vollz S. 4, juris). Die sachliche Zuständigkeit der Justizvollzugsanstalten richtet sich unter Berücksichtigung von Alter und Geschlecht des Verurteilten im Wesentlichen nach der Länge der Strafe und danach, ob der Verurteilte erstmalig den Strafvollzug kennen lernt oder bereits über längere Vollzugserfahrungen aus früheren Verurteilungen verfügt. Diese allgemeinen Merkmale der Zuweisung von Gefangenen zu bestimmten Vollzugsanstalten (dazu auch K/S-Schöch 2002 § 10 Rdn. 3 und 4) widersprechen nicht § 2 Satz 1 (vgl. OLG Bremen ZfStrVo SH 1979, 87 f). Der Gesetzgeber geht bei der in § 152 Abs. 1 und 3 getroffenen Regelung davon aus, dass in allen Justizvollzugsanstalten ein Mindestangebot an Behandlungsmaßnahmen zur Erreichung des Vollzugszieles (§ 2 Rdn. 12 ff) besteht. Kein Gefangener hat einen unmittelbar aus dem Gesetz ableitbaren Rechtsanspruch auf Aufnahme in einer bestimmten Justizvollzugsanstalt, da der Gesetzgeber die Landesjustizverwaltungen ermächtigt, durch Verwaltungsvorschriften nach Koepsel
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den vorstehend geschilderten Kriterien die Zuständigkeit von Justizvollzugsanstalten festzulegen. Das Handlungsermessen der Justizverwaltungen kann jedoch dadurch eingeengt werden, dass die Verwaltung bei der Ermessensausübung ihre Selbstbindung, die sie sich hinsichtlich der Zuständigkeiten der Justizvollzugsanstalten im Vollstreckungsplan auferlegt hat, beachten muss, d. h. ohne sachlichen Grund kann keine Justizvollzugsanstalt die Aufnahme eines Gefangenen ablehnen, wenn sie nach dem Vollstreckungsplan als die zuständige Anstalt ausgewiesen wird (so auch OLG Nürnberg, Entsch. vom 5.5.2010 – 2 WS 191/10, juris). Dies gilt auch für offene Anstalten. Ein sachlicher Grund für die Nichtaufnahme eines Gefangenen ist allerdings die inzwischen nicht mehr seltene Überbelegung der Anstalten, die eine Aufnahme unmöglich macht. In einem solchen Falle wäre die Aufnahme des Gefangenen in einer anderen Anstalt zulässig. Dies muss aus der Regelung in § 8 abgeleitet werden, wonach die Justizvollzugsverwaltung auch aus Gründen der Vollzugsorganisation Zuständigkeiten verändern kann (so auch Arloth 2011 Rdn. 3). Die Entscheidung einer Justizvollzugsanstalt, im konkreten Falle einen Gefangenen nicht aufzunehmen, ist nach den §§ 109 ff gerichtlich anfechtbar, da die Aufnahme eines Gefangenen eine Vollzugsmaßnahme darstellt (§ 5). Falls mehrere Justizvollzugsanstalten zur Vollstreckung einer Strafe in Betracht kommen, hat ein Gefangener, der mehrere Strafen nacheinander verbüßen muss, in der Regel einen Anspruch darauf, in der Anstalt verbleiben zu dürfen, in welcher der Strafvollzug begonnen wurde (OLG Stuttgart ZfStrVo 1998, 372 ff). 2. Zuständigkeitsregelung unter Behandlungsgesichtspunkten. In Abs. 2 er- 3 mächtigt der Gesetzgeber die Landesjustizverwaltungen, eine den individuellen Bedürfnissen der einzelnen Gefangenen stärker Rechnung tragende Zuständigkeitsregelung zu treffen. Mit Hilfe von Einweisungsanstalten (§ 6 Rdn. 4, 9) oder Einweisungsabteilungen (§ 6 Rdn. 4) wird erreicht, dass für die Strafverbüßung der einzelnen Gefangenen die Justizvollzugsanstalten nicht aufgrund des landesweiten Rahmenplanes der Landesjustizverwaltungen zuständig werden, sondern dass nach einer Behandlungsuntersuchung (§ 6) die Justizvollzugsanstalt für den Gefangenen zuständig wird, in der seine Behandlung und Eingliederung am besten gefördert werden kann. Die durch die Einweisungsanstalt nach der Behandlungsuntersuchung durchgeführte Verlegung des Gefangenen ist nicht identisch mit einer aus Gründen des speziellen Einzelfalles möglichen Verlegung im Sinne des § 8 (vgl. Rdn. 1 zu § 8). Vielmehr ist das Verlegungsverfahren der Einweisungsanstalt eine Vollzugsmaßnahme, die den Vollstreckungsplan im Einzelfall konkretisiert. Die Entscheidung der Einweisungsanstalt legt zwar die für den jeweiligen Gefangenen zuständige Anstalt fest, kann dies jedoch nur in Übereinstimmung mit den im Vollstreckungsplan enthaltenen Rahmenrichtlinien tun (vgl. OLG Celle ZfStrVo 1980, 250 und OLG Stuttgart ZfStrVo 1998, 372 ff). Die Einweisungsentscheidung ist eine gem. § 109 ff anfechtbare Vollzugsmaßnahme und dem Betroffenen deshalb schriftlich zu begründende Entscheidung (OLG Hamm ZfStrVo 1998, 312–313). Keine anfechtbaren Justizverwaltungsakte sind jedoch die mit Einweisungsentscheidungen oft verbundenen Empfehlungen für die Aufstellung des Vollzugsplanes. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die aufnehmenden Justizvollzugsanstalten nicht an die Empfehlungen gebunden sind (OLG Hamm ZfStrVo 1983, 247). II. Erläuterungen 1. Die Zuständigkeitsregelung durch den Vollstreckungsplan. Der Vollstre- 4 ckungsplan enthält eine unter Beachtung der Vorschriften der Strafvollstreckungsordnung formulierte Zuständigkeitsübersicht über die Justizvollzugsanstalten des jeweili1097
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gen Landes, wobei in kleineren Ländern nur wenig differenziert werden kann. Es kann nach Sachkriterien (z. B. Alter, Geschlecht, Straflänge, Hafterfahrung) unterschieden werden: sachliche Zuständigkeit. Zugleich werden die Gefangenen in der Regel den Anstalten auch unter Berücksichtigung ihres Wohnortes, Heimatortes oder Aufenthaltsortes oder auch des Ortes an dem die Straftat begangen wurde zugewiesen: örtliche Zuständigkeit. 5
2. Die Zuständigkeitsregelung durch Einweisungsanstalten. Im Vollstreckungsplan kann, wenn die Zuweisung von Gefangenen auf die Anstalten dort nicht unmittelbar geregelt ist (Abs. 1), diese Zuweisung Einweisungsanstalten oder -abteilungen übertragen werden (Abs. 2). Zur Behandlungsuntersuchung in Aufnahmeabteilungen oder Einweisungsanstalten § 6 Rdn. 4. Zu Einweisungsanstalten Rdn. 14 f.
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a) Zuständigkeitsregelung durch Klassifizierung in differenzierte Vollzugsanstalten. Für die meisten Behandlungsmaßnahmen müssen Gruppen gleichermaßen geeigneter Gefangener zusammengestellt werden, damit die Maßnahmen wirkungsvoll und ökonomisch organisiert werden können. Berufliche und schulische Förderungsmaßnahmen z. B. setzen Gruppen gleichermaßen fortbildungswilliger und fortbildungsfähiger Gefangener voraus. Sozialtherapeutische Gruppenarbeit, Wohngruppenvollzug (§ 143 Abs. 2) und andere Formen der Gruppentherapie machen es ebenfalls notwendig, dass je nach Behandlungsangebot Gruppen von 9–25 Gefangenen, die in ähnlicher Weise behandelbar sind, in einzelnen Justizvollzugsanstalten oder Abteilungen zusammen gefasst werden. Nicht jede Justizvollzugsanstalt besitzt aber die notwendige Personalausstattung und ein ausreichendes Raumangebot, um alle Behandlungsmaßnahmen durchführen zu können. Deshalb haben sich einzelne Justizvollzugsanstalten auf bestimmte Behandlungsangebote spezialisiert. Diese Spezialisierung wird angesichts knapper werdender Haushaltsmittel fortschreiten. Diesem differenzierten Vollzugsangebot kann ein starres Zuweisungsschema durch einen Vollstreckungsplan nicht vollen Umfangs gerecht werden, d. h. die Zuweisung von Gefangenen nach Gesichtspunkten der Heimatnähe und des Sicherheitsbedürfnisses kann nicht gewährleisten, dass die vorhandenen behandlungsintensiven Haftplätze in vollem Umfang genutzt werden. Das differenzierte Vollzugsangebot kann durch spätere Verlegung von Gefangenen (§ 8 Abs. 1 Nr. 1) oder durch individuelle, in Einweisungsanstalten bzw. -abteilungen durchgeführte Behandlungsuntersuchungen (§ 6) bei allen von der Strafzeit her behandlungsgeeigneten Gefangenen ausgeschöpft werden. Um den Landesjustizverwaltungen die optimale Nutzung des knappen Angebots zu ermöglichen, ermächtigt Abs. 2 zur Einrichtung von Einweisungsanstalten und erlaubt, dass die Zuständigkeit der Justizvollzugsanstalten innerhalb eines Landes sich zwar nach allgemeinen Gesichtspunkten, aber unter Berücksichtigung der besonderen Erfordernisse des Einzelfalles ergeben darf (§ 6 Rdn. 5). Zur Frage der Klassifizierung und Differenzierung vgl. auch § 6 Rdn. 3, 7 f.
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b) Abgrenzung der Zuweisung der Gefangenen durch Einweisungsanstalten von der Verlegung im Rahmen des § 8. Vollstreckungspläne i. S. von Abs. 1 ermöglichen nur eine Zuweisung von Gefangenen aufgrund genereller Merkmale. Jede den individuellen Bedürfnissen einzelner Gefangener dann nicht entsprechende Zuweisung zu den Anstalten muss über § 8 zu korrigieren versucht werden (vgl. OLG Celle ZfStrVo SH 1979, 86 und § 8 Rdn. 6). Voraussetzung dafür ist, dass die Justizvollzugsanstalten eine Organisationsform entwickeln, die es ihnen ermöglicht, Zuständigkeitsveränderungen im Rahmen des § 8 unter Berücksichtigung der dort genannten Gesichtspunkte zu veranlassen. Da für die normalen Justizvollzugsanstalten eine solche Planung nicht in wirtKoepsel
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schaftlicher Form organisierbar ist, wird den Anstalten eine derartige Verlegungspraxis im Rahmen des § 8 nicht in größerem Umfange abverlangt werden können (vgl. OLG Koblenz ZfStrVo SH 1979, 86 f; § 8 Rdn. 6). Aus § 8 kann deshalb kein Anspruch der Gefangenen hergeleitet werden, in die für sie förderlichste Justizvollzugsanstalt verlegt zu werden, sofern diese Anstalt nicht im Rahmen des Vollstreckungsplanes zuständig ist (vgl. § 8 Rdn. 10 und OLG Stuttgart NStZ 1996, 359). c) Zentrale Diagnosezentren als Einweisungsanstalten. Das Herausfinden der 8 für den jeweiligen Gefangenen günstigsten Anstalt ist im Rahmen des Vollstreckungsplanes mit vertretbarem Zeit- und Personalaufwand nur in zentralen Diagnosezentren möglich, die über genaue Informationen hinsichtlich der Vollzugsgestaltung in den anderen Anstalten verfügen. Außerdem müssen die Einweisungsanstalten (oder Abteilungen) über das notwendige Fachpersonal verfügen, um fachlich begründete Aussagen machen zu können, welche Behandlungsbedürfnisse der einzelne Gefangene hat und zu welchen Gruppen anderer Gefangener er von seiner Persönlichkeit her passt. Um solche diagnostischen Aussagen zu machen, bedarf es aller in § 155 Abs. 2 aufgezählten Fachkräfte, denn am besten kann die jeweilige Fachkraft ermessen, ob die in den anderen Vollzugsanstalten vom jeweiligen Fachkollegen angebotene Maßnahme für den einzelnen Gefangenen eine geeignete Behandlungsmaßnahme darstellt. Vgl. auch § 6 Rdn. 11. 3. Die Abhängigkeit des Einweisungsverfahrens vom differenzierten Vollzugs- 9 angebot in den anderen Anstalten. Einweisungsanstalten sind allerdings relativ personalaufwendige Diagnosezentren und deshalb nur vertretbar, wenn ein differenziertes Vollzugsangebot auch in mehreren Vollzugsanstalten vorhanden ist und auch genutzt werden kann. Gegenwärtig steigt die Zahl ausländischer Gefangener, bei denen eine Ausweisung nach Verbüßung – jedenfalls eines Teils – der Strafe ausländerrechtlich vorgeschrieben ist. Für diese Gefangenengruppe sind zentral durchgeführte Behandlungsuntersuchungen wegen des geringen Umfangs der realisierbaren Behandlungsmaßnahmen zu aufwendig. Die meisten Bundesländer haben spezielle Behandlungsangebote außerdem nur in jeweils einer Anstalt konzentriert und können sich schon deshalb nicht für ein überregionales Einweisungsverfahren entscheiden. Vgl. aber § 6 Rdn. 15. 4. Das Gebot der Zuweisung nach allgemeinen Merkmalen auch im Rahmen 10 des Einweisungsverfahrens. Auch für das in Abs. 2 beschriebene Einweisungsverfahren gilt der Grundsatz des Abs. 3, wonach nach allgemeinen Merkmalen die Zuständigkeit einer Anstalt zu bestimmen ist. Die Praxis der Einweisungsanstalten wäre gesetzwidrig, wenn einzelne Gefangene aufgrund spezieller Bedürfnisse der Justizvollzugsanstalten dorthin eingewiesen würden, ohne dass sich die Notwendigkeit der Einweisung aus für alle Gefangenen geltenden Grundsätzen ergibt. Die Zuweisung der zuständigen Justizvollzugsanstalt muss deshalb immer nach sachlichen Kriterien erfolgen. Wenn sich Anstalten, die für die Vollstreckung der Untersuchungshaft zuständig sind, einzelne Gefangene für die Aufrechterhaltung ihrer Betriebe aussuchen und diese Gefangenen auch während der Zeit der Strafverbüßung behalten möchten, ist dies nur mit Genehmigung der für Abweichungen vom Vollstreckungsplan zuständigen Aufsichtsbehörde möglich. Eine Zustimmung darf allerdings nur für Gefangene erteilt werden, bei denen aus sachlichen Gründen eine Unterbringung in der betreffenden Anstalt als sinnvoll zur Erreichung des Vollzugszieles erscheint.
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5. VV. Die VV enthalten eine Aufforderung an die Länder, ihre offenen Justizvollzugsanstalten für die betroffenen Gefangenen kenntlich zu machen. Einige Länder haben in Ermangelung von echten offenen Einrichtungen, einzelne nicht mehr den heutigen Sicherheitsstandards entsprechende, früher als geschlossene Anstalten geführte Gefängnisse formal zu offenen Anstalten umgewidmet. Teilweise fehlen in derartigen Einrichtungen jedoch die für den offenen Vollzug typischen Merkmale.
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6. Die Rechte der Gefangenen hinsichtlich der Unterbringung in der zuständigen Anstalt. Die Gefangenen haben gegenüber allen den Landesjustizverwaltungen durch § 152 eingeräumten Organisationsbefugnissen nur formale Rechte. Sie haben einen Rechtsanspruch auf Einweisung in die zuständige Anstalt (vgl. OLG Koblenz ZfStrVo SH 1979, 86 f). Weil den Strafgefangenen die nach Art. 11 GG gewährleistete Freizügigkeit genommen worden ist, können sie sich die für sie zuständige Anstalt nicht aussuchen (§ 8 Rdn. 6). Lediglich unbillige Härten, die durch die Vollstreckungsplanregelung für sie im Hinblick auf ihre persönlichen Interessen entstanden sind, können sie durch Beschwerden gegen Einweisungsentscheidungen (vgl. OLG Celle ZfStrVo 1980, 250) oder durch Verlegungsanträge nach § 8 auszugleichen versuchen (vgl. OLG Stuttgart NStZ 1996, 359). Grundsätzlich ist aber der Vollstreckungsplan für sie verbindlich. Das gilt auch dann, wenn der Vollstreckungsplan nicht die für die Gefangenen günstigste und angenehmste Unterbringung gewährleistet (vgl. OLG Koblenz aaO). Die Gefangenen müssen sogar Verlegungen in andere Anstalten hinnehmen, wenn der Vollstreckungsplan aus sachlichen Gründen geändert wird (vgl. OLG Frankfurt ZfStrVo 1982, 189 ff) oder andere Voraussetzungen des § 26 StrVollstrO vorliegen (KG NStZ 1997, 207). Die Unterbringung von Gefangenen darf nicht menschenunwürdig sein (vgl. OLG Hamm NJW 1967, 2024; OLG Celle ZfStrVo 1999, 57; § 18 Rdn. 6), aber sie wird nicht in jedem Einzelfall am Vollzugsziel orientiert erfolgen. In Zeiten häufigen Belegungsausgleichs wegen aktueller Überbelegungssituation nehmen unbefriedigende Unterbringungssituationen zu. Dies ist für die einzelnen Inhaftierten oft nur schwer einzusehen, und auch manche Vollzugsbediensteten haben dafür wenig Verständnis.
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7. Beschwerdemöglichkeiten gegen Einweisungsentscheidungen. Auch die Beschwerdemöglichkeiten gegen Einweisungsbeschlüsse sind mehr formaler Natur. Es kann eine begründete Einweisungsentscheidung unter Mitteilung der Behandlungsempfehlungen verlangt werden (vgl. OLG Celle NStZ 1982, 136), die auf ihre Gesetzmäßigkeit hin überprüft werden kann (vgl. OLG Celle ZfStrVo 1980, 250). Solche Überprüfungen sind sowohl vom OLG Stuttgart für Entscheidungen der JVA Stuttgart als auch von den für die JVAen Hannover, Hagen und Duisburg-Hamborn zuständigen Strafvollstreckungskammern in etlichen – allerdings nicht veröffentlichten Entscheidungen – vorgenommen worden. Dabei sind die Einweisungsentscheidungen nicht hinsichtlich der Details der fachdiagnostischen Erhebungen (auf Einsicht in diese hat der Gefangene keinen Anspruch, vgl. OLG Celle NStZ 1982, 139; vgl. auch § 6 Rdn. 14; § 7 Rdn. 5) nachgeprüft worden, sondern nur daraufhin, ob die Einweisungsanstalt die inhaltlichen Vorgaben des Strafvollzugsgesetzes sowie der einschlägigen Landesverwaltungsvorschriften beachtet hat. III. Beispiele
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1. Die Zuweisungssysteme in den einzelnen Bundesländern, insbesondere das Einweisungsverfahren in Nordrhein-Westfalen. Nur wenige Bundesländer haben von der Möglichkeit des Abs. 2 Gebrauch gemacht. In den meisten Ländern erfolgen VerlegunKoepsel
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gen in Anlehnung an § 8 StVollzG. Für den einzelnen Gefangenen bedeutet dies, dass der Beginn und die Fortdauer des Strafvollzugs nach Rechtskraft seines Urteils sich unterschiedlich gestalten, und zwar je nachdem, in welchem Bundesland er seine Freiheitsstrafe verbüßen muss. Viele Inhaftierte, die über die Ländergrenzen hinaus in andere Justizvollzugsanstalten verlegt werden, können solche Unterschiede in der Vollzugspraxis nicht verstehen. Für den einzelnen Gefangenen ist es von großer Bedeutung, ob er seine längere Freiheitsstrafe in einer überregionalen Diagnoseanstalt – wie es die Einweisungsanstalten sind – beginnt oder in einer Strafanstalt untergebracht ist, die nicht einmal eine Einweisungsabteilung besitzt. In Nordrhein-Westfalen werden nur noch die deutschen männlichen erwachsenen Strafgefangenen, die mehr als 24 Monate zu verbüßen haben und sich nicht auf freiem Fuß befinden, in der in Westfalen gelegenen zentralen Einweisungsanstalt Hagen einer Behandlungsuntersuchung im Sinne des § 6 unterzogen. An dieser Behandlungsuntersuchung wirken Juristen, Mediziner, Psychologen, Pädagogen, Sozialarbeiter, Soziologen, Arbeitsberater der Agentur für Arbeit und besonders erfahrene Beamte des Allgemeinen Vollzugsdienstes mit. Im Rahmen der Behandlungsuntersuchung wird in etwa sechs bis acht Wochen aufgrund von Testverfahren (in Kleingruppen), Einzelexplorationen und Gesprächen mit Kontaktpersonen der Gefangenen herauszufinden versucht, wie stark ein Gefangener der Dauerkriminalität verhaftet ist und welche Behandlungsbedürfnisse bestehen, um ihm ein Leben ohne Straftaten zu erleichtern. Ausländische Gefangene erhalten eine Behandlungsuntersuchung nur auf Antrag und werden dem gemäß im Normalfall in durch den Vollstreckungsplan festgelegten Anstalten untergebracht. Auf freiem Fuß befindliche Straftäter werden auch bei mehrjähriger Freiheitsstrafe in den aus dem Vollstreckungsplan ersichtlichen offenen Anstalten untergebracht, können jedoch im Falle von Eignungsbedenken der Einweisungsanstalt zugeführt werden. Der Zuweisungspraxis der Einweisungsanstalten entspricht in Nordrhein-Westfalen ein differenziertes Vollzugsangebot. In einem Studienzentrum sowie zwei schulischen Förderzentren, in zwei Berufsförderzentren, in mehreren sozialtherapeutischen Einrichtungen und in fünf Anstalten mit besonders ausgestaltetem Wohngruppenvollzug können die jeweils für diese Vollzugsangebote geeigneten Gefangenen gefördert werden. 2. Die langjährige Bewährung des Einweisungsverfahrens. Das seit über 30 Jahren 15 in Nordrhein-Westfalen durchgeführte Einweisungsverfahren (vgl. dazu Thole 1975; Koepsel 1976, 125 sowie 1982, 195; Altenhain 1988, 36 ff und Diepolder 1982) ist in seiner Grundkonzeption nur wenig verändert worden. Zwar nehmen ausländische Gefangene nur noch ausnahmsweise am Einweisungsverfahren teil, für die nach wie vor große Zahl der Inhaftierten, welche nach Verbüßung ihrer längeren Freiheitsstrafen in Deutschland leben werden, hat das überregionale Diagnoseverfahren seine Bedeutung behalten. Es hat im Laufe der Jahre immer wieder die schon am Beginn feststellbaren methodischen Probleme (vgl. Koepsel 1982, 195; vgl. auch § 159 Rdn. 2) gegeben, aber die angestrebte optimale Ausnutzung der vorhandenen behandlungsintensiven Haftplätze ist bis heute erreicht worden. Seit Beginn des Verfahrens besteht das Problem, für Inhaftierte mit langen Freiheitsstrafen, denen ein für sie sinnvolles Behandlungsangebot nicht gemacht werden kann, die geeignete Verbüßungsanstalt zu finden. Besonders Gefangene, welche wegen der Länge der vor ihnen liegenden Inhaftierungszeit keine realistische Entlassungsperspektive entwickeln können, empfinden das relativ aufwendige Einweisungsverfahren oft als „Farce“. Die Einweisungsanstalt hat deshalb ein eigenes Interesse, konzeptionelle Planungen anderer Anstalten zu unterstützen, welche Inhaftierten helfen, sehr lange Inhaftierungszeiten zu „überleben“, damit im Einweisungsverfahren mit den betroffenen Gefangenen der Sinn solcher Überlebensstrategien erörtert werden kann (§ 6 Abs. 3). 1101
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Baden-Württemberg und Niedersachsen haben ein eher formales Einweisungssystem beibehalten, das durch § 152 Abs. 2 gesetzlich erlaubt ist, jedoch dem eigentlichen Sinn dieser Vorschrift nicht in vollem Umfang gerecht wird. Wie weit das neue niedersächsische Prognosezentrum in Hannover etwa für Sexual- und Gewaltstraftäter diagnostische Aufgaben übernehmen kann, bleibt abzuwarten (vgl. Steinhilper in FS 4/ 2008, 163 ff). Ähnliches gilt für die neue Zentrale Diagnose Abteilung (ZAD) in Brandenburg. Die meisten Bundesländer nutzen die Ermächtigungsgrundlage des § 152 Abs. 2 nicht, allerdings wird eine Zentralisierung der Behandlungsuntersuchung in einigen Bundesländern erwogen. IV. Landesgesetze und Musterentwurf 16
Baden-Württemberg hat in § 20 JVollzGBI die Möglichkeit eröffnet, „Entscheidungen über Verlegungen in eine sozialtherapeutische Einrichtung oder in eine Behandlungsabteilung einer Justizvollzugsanstalt einer zentralen Stelle“ zu übertragen. Bayern hat in Art. 174 BayStVollzG eine dem § 152 Abs. 1 StVollzG entsprechende Vorschrift geschaffen, ohne Einzelfalllösungen im Sinne des § 152 Abs. 2 StVollzG oder die Pflicht zur Beachtung „allgemeiner“ Regelungskriterien im Sinne des § 152 Abs. 3 StVollzG anzusprechen. Hamburg hat in § 112 HmbStVollzG ebenfalls nur die Regelung des § 152 Abs. 1 StVollzG übernommen. Hessen hat in § 71 HJVollzG eine dem § 152 StVollzG entsprechende differenzierte Zuweisung von Gefangenen ermöglicht. Niedersachsen hat in § 185 NJVollzG eine inhaltlich dem § 152 StVollzG entsprechende Regelung getroffen. Der ME-StVollzG zum Landesstrafvollzugsgesetz enthält in § 102 die § 152 Abs.1 StVollzG entsprechende Regelung.
§ 153 Zuständigkeit für Verlegungen § 153 Koepsel Zuständigkeit für Verlegungen Die Landesjustizverwaltung kann sich Entscheidungen über Verlegungen vorbehalten oder sie einer zentralen Stelle übertragen. I. Allgemeine Hinweise 1
Diese Vorschrift ergänzt die Regelungen in § 152. § 153 hat im Wesentlichen Verlegungen von Gefangenen im Auge, die Abweichungen vom Vollstreckungsplan zum Inhalt haben. Solche Verlegungen werden der Sache nach aus Gründen des § 8 erfolgen (vgl. § 8 Rdn. 6 f). § 153 räumt den Landesjustizverwaltungen eine eigene Zuständigkeit zur Mitwirkung bei Vollstreckungsplanabweichungen ein (vgl. dazu auch OLG Frankfurt ZfStrVo 1982, 190 und OLG Stuttgart NStZ 1997, 103). Auch die Aufsichtsbehörden haben zu beachten , dass Verlegungen oft eine starke Beeinträchtigung der Lebensverhältnisse der Gefangenen zur Folge haben, und dass „sie daher nur unter Wahrung des verfassungsrechtlichen Resozialisierungsgebots zulässig“ sind (vgl. LG Hamburg StV 2002 , 664 ff).
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II. Erläuterungen 1. Die Landesjustizverwaltungen können sich die Entscheidung über vom Vollstre- 2 ckungsplan abweichende Verlegungen selbst vorbehalten oder jedenfalls bedeutsame Verlegungsentscheidungen von ihrer Zustimmung abhängig machen. Auch wenn nur ein solches Zustimmungserfordernis besteht, handelt es sich dabei um einen selbständigen Justizverwaltungsakt, der gesondert angefochten werden kann (vgl. LG Wiesbaden ZfStrVo SH 1979, 88 ff). Die Entscheidungen über Verlegungen im Sinne des § 153 sind Vollzugsangelegenheiten, die nicht die Strafvollstreckung, sondern den Strafvollzug betreffen. Zu deren Nachprüfung sind deshalb die Strafvollstreckungskammern berufen (vgl. LG Wiesbaden ZfStrVo SH 1978, 42 f; vgl. § 8 Rdn. 5). § 153 gilt auch für Verlegungen von Gefangenen innerhalb eines Bundeslandes. Verlegungen von einem Bundesland in das andere sind nur unter Beteiligung der betroffenen Justizministerien möglich, deren Entscheidungen allerdings auch rechtlich angegriffen werden können (vgl. OLG Hamm ZfStrVo SH 1978, 91; § 8 Rdn. 14). Eine solche Regelung enthält auch der ME-StVollzG in § 101 Abs. 2. 2. Die Entscheidung über Abweichungen vom Vollstreckungsplan kann einer zent- 3 ralen Stelle, z. B. einer eingerichteten Mittelbehörde übertragen werden. III. Beispiel Die Vorschrift des § 153 hat ihre Bedeutung für die Praxis darin, dass Verlegungen 4 von Gefangenen, die aus Gründen der Vollzugsorganisation erfolgen müssen, nach einheitlichen und möglichst rechtsstaatlichen Gesichtspunkten durchgeführt werden. § 153 enthält nur eine Ermächtigung. Die Landesjustizverwaltungen haben von dieser Ermächtigung durchweg Gebrauch gemacht, allerdings überwiegend durch Zustimmungsvorbehalte, die unter Inanspruchnahme des aufsichtsbehördlichen Weisungsrechts in Verwaltungsvorschriften geregelt worden sind. Zu dieser Vorgehensweise wird in § 101 Abs. 2 des ME-StVollzG ausdrücklich ermächtigt. Lediglich in Baden-Württemberg ist in § 21 JVollzGB die spezielle Ermächtigung enthalten, dass „die Aufsichtsbehörde Entscheidungen über Verlegungen in eine sozialtherapeutische Einrichtung oder in eine Behandlungsabteilung einer Justizvollzugsanstalt einer zentralen Stelle übertragen kann“. Für die Gefangenen sind Zustimmungsvorbehalte der Aufsichtsbehörden im Ergebnis günstig, da viele Justizvollzugsanstalten – falls ihnen allein die Befugnis zur Verlegung verbleiben würde – in Versuchung wären, die ihnen lästigen Gefangenen „aus Gründen der Vollzugsorganisation“ in andere Anstalten zu verlegen. Auch wenn diese Anstalten für die betroffenen Gefangenen ungünstig wären, ließen sich durchgeführte Verlegungen oft nicht mehr rechtzeitig rückgängig machen. IV. Landesgesetze und Musterentwurf Baden-Württemberg: § 21 JVollzGB enthält folgende besondere Regelung: „Die 5 Aufsichtsbehörde kann Entscheidungen über Verlegungen in eine sozialtherapeutische Einrichtung oder in eine Behandlungsabteilung einer Justizvollzugsanstalt einer zentralen Stelle übertragen“. Bayern: Art. 10 BayStVollzG entspricht § 8 StVollzG, Art. 174 BayStVollzG entspricht § 152 Abs. 1 StVollzG – die Ermächtigung von § 153 StVollzG wird nicht genutzt. Hamburg: § 9 HmbStVollzG entspricht § 8 StVollzG, § 112 HmbStVollzG entspricht § 152 Abs. 1 StVollzG – die Ermächtigung von § 153 wird nicht genutzt. 1103
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Hessen: § 11 HStVollzG entspricht § 8 StVollzG, § 71 HStVollzG entspricht § 152 Abs. 1 StVollzG – die Ermächtigung von § 153 StVollzG wird nicht genutzt. Niedersachsen: § 10 NJVollzG entspricht § 8 StVollzG, § 11 NJVollzG macht Verlegungen in andere Bundesländer von der Zustimmung des Justizministeriums abhängig, gemäß § 184 Abs. 2 NJVollzG kann das Justizministerium „sich Entscheidungen über Verlegungen vorbehalten oder solche Entscheidungen […] auf ihm nachgeordnete Stellen übertragen“. Musterentwurf: § 16 ME-StVollzG entspricht § 8 StVollzG, § 102 ME-StVollzG entspricht § 152 Abs.1 StVollzG, in § 101 ME-StVollzG steht: „Die Aufsichtsbehörde kann sich Entscheidungen über Verlegungen und Überstellungen vorbehalten.“
DRITTER TITEL Innerer Aufbau der Justizvollzugsanstalten § 154 Zusammenarbeit § 154 Wydra/Pfalzer Zusammenarbeit (1) Alle im Vollzug Tätigen arbeiten zusammen und wirken daran mit, die Aufgaben des Vollzuges zu erfüllen. (2) Mit den Behörden und Stellen der Entlassenenfürsorge, der Bewährungshilfe, den Aufsichtsstellen für die Führungsaufsicht, den Agenturen für Arbeit, den Trägern der Sozialversicherung und der Sozialhilfe, den Hilfeeinrichtungen anderer Behörden und den Verbänden der freien Wohlfahrtspflege ist eng zusammenzuarbeiten. Die Vollzugsbehörden sollen mit Personen und Vereinen, deren Einfluss die Eingliederung des Gefangenen fördern kann, zusammenarbeiten. Schrifttum Alisch Sicherheit als Steuerungsproblem, in: Flügge/Maelicke/Preusker (Hrsg.), Das Gefängnis als lernende Organisation, Baden-Baden 2000, 105 ff; Bayerisches Staatsministerium der Justiz Informationen zur ehrenamtlichen Tätigkeit im Strafvollzug, München 2008; Buchert Neue Wege zur Gewinnung von ehrenamtlichen Betreuern im geschlossenen Erwachsenenvollzug der JVA Geldern, in: ZfStrVo 1994, 354 ff; Bundesarbeitsgemeinschaft für Straffälligenhilfe Ehrenamtliche Mitarbeit in der Freien Straffälligenhilfe in NRW – Ein Leitfaden, Bonn 1996; Busch Professionelle Sozialarbeit und freiwillige Mitarbeit in der Straffälligenhilfe, in: Niedersächsische Gesellschaft für Straffälligenbetreuung und Bewährungshilfe e.V. (Hrsg.) 1980, 37 ff; Busch Ehren- und nebenamtliche Mitarbeit im Strafvollzug, in: Schwind/Blau 1988, 221 ff; Cyrus Ehrenamtlich – Laienhelfer im Strafvollzug und in der Bewährungshilfe, in: BewHi 1982, 357; Dietl Alle im Vollzug Tätigen arbeiten zusammen, in: ZfStrVo 1989, 4 ff; Eggert Die Herkunft ehrenamtlicher Mitarbeiter in der Straffälligenhilfe – Eine Untersuchung an zwölf Gruppen ehrenamtlicher Mitarbeiter in Niedersachsen und Lübeck, in: ZfStrVo 1981, 359 ff; Goll/Wulf Nachsorge für junge Strafentlassene – Ein innovatives Netzwerk in Baden-Württemberg, in: ZRP 2006, 91–93; Hompesch/Kawamura/Reindl (Hrsg.) Verarmung – Abweichung – Kriminalität, Bonn 1996; Justizministerium Baden-Württemberg Bürgerschaftliches Engagement im Justizvollzug, Stuttgart 2010; Maelicke Freie und ambulante Straffälligenhilfe als Alternative zur Freiheitsentziehung, in: BewHi 1982, 5; Mathiesen Überwindet die Mauern! Die skandinavische Gefangenenbewegung als Modell politischer Randgruppenarbeit, 2. Aufl., Neuwied 1992; Müller-Dietz Strafvollzugsrecht, 2. Aufl., Berlin/New York 1978; ders. Aufgabe, Rechte und Pflichten ehrenamtlicher Vollzugshelfer, in: 20 Jahre Bundeshilfswerk für Straffälligenhilfe e.V., Bonn 1978, 9 ff; ders. Ehrenamtliche Helfer und Strafvollzug, in: Blätter der Wohlfahrtspflege 1987, 204 ff; ders. Zusammenarbeit zwischen Justizvollzug und freien Trägern der Straffälligenhilfe, in: ZfStrVo 1997, 35 ff; Preusker Wer und was sind die Vollzugsmanager der Zukunft, in: Flügge/Maelicke/Preusker (Hrsg.), Das Gefängnis als lernende Organisation, Baden-Baden 2000, 363 ff; Quack Eine andere Art der Diensteinteilung, in: ZfStrVo 1976, 91 f; Rotthaus
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Partner im sozialen Umfeld des Vollzuges, in: Kury (Hrsg.), Strafvollzug und Öffentlichkeit, Freiburg 1980, 155 ff; ders. Zum praktischen Umgang mit dem therapeutischen Geheimnis im Strafvollzug, in: ZfStrVo 2000, 280 ff; Schäfer Die Vollzugshelfer, in: ZfStrVo 1981, 352 ff; Theißen Ehrenamtliche Mitarbeit im Strafvollzug der Bundesrepublik Deutschland, Bonn 1990; ders. Ehrenamtliche Mitarbeit im Strafvollzug, in: ZfStrVo 1991, 3 ff: Wydra Der Anstaltsleiter als Krisenmanager, in: Bundesvereinigung der Anstaltsleiter im Strafvollzug, Dokumentation der 22. Arbeits- und Fortbildungstagung vom 6. bis 10. Mai 1996 in Ellwangen, 162 ff.
I. II.
Übersicht Allgemeine Hinweise ____ 1 Erläuterungen ____ 2–10 1. Zusammenarbeit des Anstaltspersonals ____ 2–4 2. Zusammenarbeit mit Behörden, öffentlichen Stellen und den Trägern der freien Wohlfahrtspflege ____ 5 3. Zusammenarbeit mit Einzelpersonen und Vereinen, deren Arbeit dem Vollzugsziel dient ____ 6–10
III.
Landesgesetze und Musterentwurf ____ 11–16 1. Baden-Württemberg ____ 11 2. Bayern ____ 12 3. Hamburg ____ 13 4. Hessen ____ 14 5. Niedersachsen ____ 15 6. Musterentwurf ____ 16
I. Allgemeine Hinweise Das Gesetz unterscheidet verschiedene Ebenen der Zusammenarbeit 1 a) Die im Vollzug, also innerhalb der Vollzugsanstalt, Tätigen müssen zusammenarbeiten (Abs. 1); b) Mit Behörden, öffentlichen Stellen und den Trägern der freien Wohlfahrtspflege ist eng zusammenzuarbeiten (Abs. 2 Satz 1); c) Entsprechendes soll geschehen mit Einzelpersonen und Vereinen, deren Arbeit dem Vollzugsziel dient (Abs. 2 Satz 2). Das Landesgesetz in Niedersachsen hat keine dem Abs. 1 entsprechende Regelung; diese enthalte eine Selbstverständlichkeit, die keiner ausdrücklichen Regelung im Gesetz bedürfe (so die Gesetzesbegründung zum NJVollzG). Weitere Abweichungen s. unter III. II. Erläuterungen 1. Zusammenarbeit des Anstaltspersonals. Der Gesetzesbefehl des Abs. 1 ist mehr 2 als ein Programmsatz, auch mehr als eine Selbstverständlichkeit (vgl. oben Gesetzesbegründung zum NJVollzG). Hier wird eine andere Art von Zusammenarbeit gefordert, als sie sonst dem Arbeitsergebnis und dem Wohlbefinden des Personals nützlich ist: die Mitarbeiter im Strafvollzug tragen „eine sachlich gleichwertige, wenn auch funktional unterschiedliche Verantwortung“ (C/MD 2008 Rdn. 1). Besondere Bedeutung hat das Gebot der Zusammenarbeit auf dem Hintergrund von Erfahrungen mit Störungen der Zusammenarbeit angesichts der Zielkonflikte im Strafvollzug (Dietl 1989). Sicherheit und Ordnung, geordneter Geschäftsgang der Verwaltung und sinnvolle Behandlung der Gefangenen wollen berücksichtigt werden, wobei die Reihenfolge der Aufzählung keine Rangfolge bedeutet, sondern ein Fortschreiten vom Einfachen zum Schwierigen. Zusammenarbeit dient der Verwirklichung beider Aufgaben des Vollzuges (§ 2). Die differenzierte Betrachtung der Sicherheit als instrumentelle, administrative und soziale Sicherheit rückt mit der letzteren das Beziehungsgefüge in den Vordergrund (Alisch 2000, 107), das es zu gestalten gilt. Zusammenarbeit entsteht nicht von selbst, sie muss plan1105
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voll organisiert und gesteuert werden. Es ist eine vorrangige Aufgabe des Anstaltsleiters, im Rahmen der Organisationsentwicklung die Veränderungsprozesse zu gestalten (Preusker 2000, 363) und dabei die Zusammenarbeit aller Bediensteten zu fördern (Wydra 1996, 177 f). Besondere Aufmerksamkeit verdient die Zusammenarbeit mit dem allgemeinen Vollzugsdienst. Diese Gruppe von Mitarbeitern ist ihrer Zahl nach die größte. Sie hat auch den häufigsten und engsten Kontakt zu den Gefangenen. Sind die Beamten des allgemeinen Vollzugsdienstes nicht einbezogen in die Behandlung, so werden sie diese – gewollt oder ungewollt – stören, zumal die Gefangenen meist große Erfahrung darin haben, ihre Vorgesetzten gegeneinander auszuspielen. Neben der Funktion für die Behandlung und für die Sicherheit hat die Zusammenarbeit auch Modellfunktion für die Gefangenen. Gute Zusammenarbeit lehrt sie, wie Menschen in rechter Weise miteinander umgehen können. Misslingt die Zusammenarbeit des Personals, wird den Insassen sowohl deren Bereitschaft wie Fähigkeit zum Helfen unglaubhaft. 3
a) Schon bei der Auswahl künftiger Mitarbeiter muss auf die Fähigkeit zur Zusammenarbeit Wert gelegt werden. Es gibt tüchtige Fachleute, die für sich allein Gutes leisten, denen aber die Fähigkeit zur Zusammenarbeit fehlt. Sie sind für den Strafvollzug ungeeignet. In der Ausbildung und Fortbildung sind alle Angehörigen des Personals über die Arbeitsfelder der jeweils anderen Mitarbeitergruppen in Grundzügen zu informieren, damit sie die anderen – ihre Schwierigkeiten und ihre Bedürfnisse – verstehen können. Darüber hinaus muss die Verwirklichung der Zusammenarbeit, die eine Integration von kognitivem Wissen und emotionaler Einstellung erfordert, durch zusätzliche Maßnahmen angeregt werden (z. B. durch interdisziplinäre Veranstaltungen, Teamentwicklung u. a.). Für die Auswahlentscheidung, die sich an den Grundsätzen des Leistungsprinzips zu orientieren hat, legt der Dienstherr im Rahmen seiner Organisationsgewalt ein entsprechendes Anforderungsprofil fest, welches der Bewerber unabhängig von seiner dienstlichen Beurteilung erfüllen muss. Eine Auswahlentscheidung zwischen mehreren Bewerbern erfolgt erst dann, wenn diese insgesamt das Anforderungsprofil erfüllen (VG Lüneburg LS 12.9.2007 – 1 B 15/07). Aus Gründen der Beförderungsgerechtigkeit kann das Anforderungsprofil mehrfach geändert werden, wenn eine geeignete Stelle für Angehörige von bestimmten Laufbahnen geschaffen werden soll (OVG Lüneburg Rdn. 12 29.2.2008 – 5 ME 352/07). b) Eine wichtige Voraussetzung für die Zusammenarbeit ist die Gliederung der Anstalt in überschaubare Bereiche (§ 143 Abs. 2). Niemand kann sich – sei es in der Rolle des Behandlers oder des Kollegen – einer Gruppe von hundert oder noch mehr Menschen verbunden fühlen und zu ihnen eine Beziehung aufbauen. Bedeutsam ist es, den Dienst in einer für die Mitarbeiter durchschaubaren und ihre Bedürfnisse berücksichtigenden Weise einzuteilen. Beim allgemeinen Vollzugsdienst könnte beispielsweise die Gliederung in Gruppen mit einer dezentralen Dienstplangestaltung die Zusammenarbeit mit anderen Diensten erleichtern. Das setzt ebenfalls gegliederte Anstalten voraus (Quack 1976). Dort kann – wenn auch nur ansatzweise – ein Stück Rollentausch und Rollenvermischung stattfinden, wie es in sozialtherapeutischen Anstalten sehr zur Entschärfung der Gegensätze zwischen den verschiedenen Mitarbeitergruppen beigetragen hat. Zwar muss jeder in erster Linie das tun, wofür er ausgebildet ist und was er dementsprechend gut leisten kann. Doch darf sich niemand für eine niedriger eingestufte Arbeit zu schade sein oder von seiner höherwertigen Tätigkeit meinen, die anderen verstünden sie nicht. Ohne eine vollständige Einbeziehung des allgemeinen Vollzugsdienstes ist eine sachgeWydra/Pfalzer
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mäße Zusammenarbeit nicht denkbar. Gegen die größte Mitarbeitergruppe lässt sich in einer Vollzugsanstalt gar nichts bewirken. c) Konferenzen sind ebenfalls ein wichtiges Mittel zur Gestaltung der Zusammen- 4 arbeit (§ 159 – vgl. die Erläuterung dort), ebenso die Übertragung von Entscheidungsbefugnissen auf nachgeordnete Mitarbeiter (§ 156 Abs. 2 Satz 2, VV Nr. 2 Abs. 1 zu § 156; Rdn. 5 ff). Auch Supervision kann hilfreich sein, um die in der Zusammenarbeit aufkommenden Konflikte in kleinen Gruppen unter Leitung eines unparteiischen, nicht zum Personal oder wenigstens nicht zur Anstaltsleitung gehörigen Fachmannes aufzuarbeiten. Informelle Kontakte in den Arbeitspausen, z. B. in der Kantine, können die Zusammenarbeit erleichtern, wenn diese Kontakte zwanglos unter allen Mitarbeitergruppen möglich sind. Überhaupt soll sich der partnerschaftliche Umgang des Personals bei der gemeinsamen Arbeit in einem persönlichen Umgangsstil zeigen, der von gegenseitigem Respekt getragen ist. Die jüngeren Mitarbeiter pflegen sich heute am Arbeitsplatz zu duzen. Diese Anrede garantiert nicht die bessere Zusammenarbeit, sie braucht aber auch nicht zu stören. Nicht zuletzt gehört zur Zusammenarbeit auch ein gutes Verhältnis von Anstaltsleiter und Personalrat. Dabei dient ein kritischer und für die Probleme aller Mitarbeiter aufgeschlossener Personalrat sehr viel besser den Interessen der Anstaltsleitung als eine Personalvertretung, die stets nur zustimmt. Die Zusammenarbeit beginnt, lange bevor mitwirkungspflichtige Entscheidungen zu treffen sind, in einem ständigen, möglichst offenen Gedankenaustausch in regelmäßigen Gesprächen. 2. Zusammenarbeit mit Behörden, öffentlichen Stellen und den Trägern der 5 freien Wohlfahrtspflege. Nach der ebenfalls zwingenden Vorschrift des Abs. 2 Satz 1 soll sich die Anstalt als Glied eines Verbundsystems zur Erreichung des Vollzugsziels verstehen. Die Aufzählung der Stellen, mit denen Zusammenarbeit geboten ist, kann nur beispielhaft sein; das stellt § 181 Abs. 1 Satz 1 NJVollzG (… „insbesondere“ …) für Niedersachsen ausdrücklich klar. Außerdem sind hier Einrichtungen zu erwähnen, die auf kulturellem Gebiet tätig sind: z. B. die Volkshochschulen, die weiterführenden Abendschulen. Aber auch mit den anderen Einrichtungen der Justiz und den Strafverfolgungsbehörden muss eng zusammengearbeitet werden. Für die Strafvollstreckungskammer bedarf das keiner Begründung. Weil aber Gefangene im Urlaub und bei Vollzugslockerungen gelegentlich versagen, ist ein guter Kontakt zur Staatsanwaltschaft und zur Polizei notwendig, um dort Überreaktionen aus Unmut vorzubeugen. Besondere Bedeutung hat der zwingende Charakter der Vorschrift für die „Verbände der freien Wohlfahrtspflege“ (z. B. die Caritas, die Diakonie und die Bundesarbeitsgemeinschaft für Straffälligenhilfe), denen sie einen Anspruch auf Zusammenarbeit zuerkennt. Die Verwaltungsvorschriften der Länder, die diese Verbände und ihre hauptamtlichen Mitarbeiter wie „Personen und Vereine“ nach Abs. 2 Satz 2 behandeln, widersprechen ebenso wie die darauf beruhende allgemeine Praxis dem Gesetz. Es genügt nicht, diese Fachkräfte lediglich wohlwollend und großzügig zu überprüfen. Andererseits bedeutet es auch nicht, dass alle Vertreter dieser Verbände ohne weiteres in den Vollzugsanstalten tätig werden könnten. Insoweit bedarf es des Einvernehmens mit den zuständigen Stellen der Justizverwaltung. Die Regelung der Zusammenarbeit mit den Religionsgemeinschaften (§ 157) bei der Auswahl von Gefängnis-Seelsorgern und ihren Helfern ist sinngemäß anzuwenden (für die Seelsorgehelfer, § 157 Abs. 3, vgl. dort Rdn. 10). Bei ihrer Entscheidung wird die Vollzugsverwaltung von der fachlichen Eignung der hauptamtlichen Mitarbeiter der Verbände ausgehen müssen. Ablehnungsgründe können sich ausnahmsweise aus der Persönlichkeit des Bewerbers ergeben (wegen der „Regelanfrage“ vgl. Rdn. 9). 1107
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Weil die Mitarbeiter der Verbände der freien Wohlfahrtspflege teilweise auch Hilfen anbieten, auf die die Gefangenen nach dem Strafvollzugsgesetz Anspruch haben, ist die Forderung erhoben worden, die Vollzugsverwaltung habe deren Arbeit zu bezahlen (Müller-Dietz 1997, 36). Dies kann jedoch höchstens dann gelten, wenn sie Aufgaben wahrnehmen, die dem Minimum zuzurechnen sind, das üblicherweise von Sozialarbeitern und Psychologen im Vollzugsdienst geleistet wird, und wenn die Vollzugsverwaltung so offensichtlich Stellen einspart. Häufig bieten die Verbände aber gerade Hilfen an, die Vollzugsangehörige ihrer Einbindung in die Anstaltsorganisation wegen nicht zu leisten vermögen, z. B. Psychotherapie. Hier haben die Landesjustizverwaltungen und die Landesparlamente die Pflicht zu prüfen, ob sie nach § 2 Satz 1 und zur Erfüllung des Sozialstaatsgebots Haushaltsmittel zur Unterstützung der Verbände und ihrer Gliederungen bereitstellen müssen. In manchen Bundesländern wird seit langem nach diesem Grundsatz verfahren. Zusammenarbeit setzt eine ständige Kommunikation der Beteiligten voraus. Dabei reicht es nicht aus, dass auf der Ebene der Behördenleiter Kontakt gehalten wird. Es kommt auf die Zusammenarbeit der „Sachbearbeiter“ an. Beide Seiten müssen jeweils den zuständigen Ansprechpartner kennen, den sie zwanglos anrufen, wenn ein die gemeinsame Arbeit berührendes Problem auftaucht. Oftmals wird die Zusammenarbeit den Bereich der Sozialarbeiter betreffen. Zweckmäßig kann es deshalb sein, einen von ihnen als Ansprechpartner zu bestellen für alle die Fälle, in denen eine andere Zuständigkeit nicht erkennbar ist. Wegen seines Monopols zur Außenvertretung (§ 156 Abs. 2 Satz 1) ist es notwendig, dass der Anstaltsleiter über die Entwicklung der Zusammenarbeit ständig informiert ist. Eine Monopolisierung der Zusammenarbeit selbst wäre sachwidrig, sie muss so breit wie möglich angelegt sein. Zur grundsätzlichen Idee und zur aktuellen Entwicklung im Bereich des Übergangsmanagements geben Maelicke, FS 2009, 60–62 und FS Heft 6/2011 einen guten Überblick. 3. Zusammenarbeit mit Einzelpersonen und Vereinen, deren Arbeit dem Vollzugsziel dient. Die Sollvorschrift des unscheinbaren zweiten Satzes von Abs. 2 ist die Grundlage für eine der wichtigsten Neuerungen im Strafvollzug: die Öffnung der Vollzugsanstalten für Einzelpersonen, Gruppen oder Vereine, deren Arbeit die Eingliederung der Gefangenen fördern kann. In den landesgesetzlichen Regelungen Baden-Württembergs, Bayerns, Hamburgs und Hessens hat diese Vorschrift Verpflichtungscharakter bekommen (s. u. III). Die Justizministerien mehrerer Bundesländer (z. B. Baden-Württemberg und Bayern) und die Arbeitsgemeinschaft Straffälligenhilfe in Bonn haben Broschüren herausgegeben, die einen Überblick über die verschiedenen Formen ehrenamtlicher Tätigkeit im Strafvollzug vermitteln und den neu berufenen Betreuern eine gute Hilfestellung geben können (Beispiele für die Mitarbeit auch bei Busch 1988, 224; Müller-Dietz 1978; Rotthaus 1980). Ein interessantes Beispiel ist das Nachsorgenetzwerk für junge Strafentlassene, die zum einen besonders hilfebedürftig, zum anderen mit Resozialisierungsmaßnahmen besonders beeinflussbar sind (Goll/Wulf 2006, 91–93). In einigen Bundesländern gibt es ergänzende Verwaltungsvorschriften, durch die die ehrenamtlichen Betreuer auch auf die Notwendigkeiten von Ordnung und Sicherheit in der Anstalt verpflichtet werden sollen. Eine knappe, aber trotzdem umfassende Darstellung findet sich bei K/S-Kerner 2002 § 12 Rdn. 22 ff. Zur Praxis dieser Zusammenarbeit ist zu sagen, dass sie fast unbeschränkte Mög7 lichkeiten eröffnet, zugleich aber auch Risiken und Gefahren mit sich bringt. Eine erfolgreiche Arbeit setzt seitens der Betreuer menschliche Reife und eine Klärung ihrer Ziele und Bedürfnisse voraus. Die drei Partner der Zusammenarbeit, Insassen, Betreuer und
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Anstalt, müssen offen legen, welche Wünsche sie haben und welchen Einsatz sie zu geben bereit sind. Gefahren erwachsen aus dem naiven Engagement oder aus der Autoritätsscheu der Helfer und andererseits aus dem Misstrauen des Anstaltspersonals. Die Ehrenamtlichen gehören fast ausschließlich der Mittelschicht an (Eggert 1981), was oftmals den Kontakt zum allgemeinen Vollzugsdienst erschwert. Es kann auch zur Folge haben, dass den Gefangenen für sie nicht erreichbare Ziele für das Leben draußen aufgezeigt werden. Die Zusammenarbeit kann nur gelingen, wenn Mitarbeiter der Anstalt zu den Betreuern ständig Kontakt halten können. Die Vollzugsbehörden dürfen die Betreuer nicht allein lassen; Angebote wie Einführungs- und Fortbildungskurse (vgl. die Tagungen für ehrenamtliche Betreuer und ihre Ansprechpartner aus dem Vollzug an der Bay. Justizvollzugsschule) sind ebenso wichtig wie räumliche und sachliche Vorkehrungen für die Durchführung der Arbeit (Böhm 2003 Rdn. 108). Liegt der Vollzugsbehörde ein Antrag auf Zusammenarbeit, etwa auf Zulassung zur Betreuung von Gefangenen in der Anstalt, vor, so hat sie zunächst zu prüfen, ob der Einfluss der erstrebten Betreuungsarbeit die Eingliederung des Gefangenen fördern kann. Hier ist die Frage nach der persönlichen Zuverlässigkeit und Eignung zu beantworten. Die Gewissheit eines fördernden Einflusses darf nicht verlangt werden. Die Vorschrift hat nur eine „Negativauslese“ (Theißen 1991, 4) zum Ziel. Alsdann hat die Anstalt ihr durch die Sollvorschrift in nur engen Grenzen eingeräumtes Ermessen auszuüben (OLG Karlsruhe ZfStrVo 2002, 377 ff). Der Betroffene hat einen Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung, die von Anfang an rechtmäßig sein muss und nicht erst unter dem Eindruck des gerichtlichen Verfahrens berichtigt wird (OLG Karlsruhe aaO). Die Ablehnung der Zulassung kommt nur in „atypischen“ Fällen in Betracht, wenn etwa der Gefangene, der betreut werden soll, ein besonderes Sicherheitsrisiko darstellt oder die Anstalt die Betreuung weiterer freier Helfer nicht zu leisten vermag. Das Problem eines Überangebots von Helfern (vgl. AK-Feest 2012 Rdn. 11) dürfte heute kaum noch auftreten, weil das Interesse an ehrenamtlicher Mitarbeit im Strafvollzug zurückgegangen ist. In vielen Anstalten besteht ein schmerzlicher Mangel an Helfern (Buchert 1994). Das Zusammenarbeitsgebot des Abs. 2 Satz 2 erstreckt sich nur auf Personen und 8 Vereinigungen, die außerhalb des Strafvollzugs stehen, nicht auf einen (eingetragenen) Verein, der von Gefangenen geführt wird und dessen Ämter nur von Gefangenen bekleidet werden können (KG ZfStrVo 1982, 319 = NStZ 1982, 222 mit zust. Anm. Müller-Dietz: „Können doch die hier gemeinte Funktion des ,Brückenschlags‘ der gesellschaftlichen Mitwirkung am Resozialisierungsprozess nur solche Personen und Vereinigungen wahrnehmen, die nicht in der Anstalt, sondern in der freien Gesellschaft ,angesiedelt‘ sind“; Theißen 1991, 4). Die ehrenamtlichen Betreuer erwarten vom Vollzug Vertrauen. Sie sind enttäuscht 9 und verletzt, wenn die Anstalt ihnen mit Misstrauen begegnet. Daher ist inzwischen eine Sicherheitsüberprüfung nur bei gegebenem Anlass vorgesehen. Der Widerruf einer Zulassung sollte auf gravierende Fälle beschränkt sein; ein solcher Fall liegt etwa vor, „wenn das Vertrauensverhältnis zwischen Anstaltsleitung und der Betreuerin dadurch gestört worden ist, dass sie … die Verhältnisse in den Strafvollzugsanstalten in maßlos verzerrender und unsachlicher Weise kritisiert hat“ (Darstellung einer Vollzugsanstalt als eines mehrgeschossigen Gebäudes mit vergitterten Fenstern in der Form eines Sarges – OLG Hamm NStZ 1985, 238f = ZfStrVo 1985, 125; NStZ 1990, 256; a. A. AK-Feest 2012 Rdn. 14). Die unüberwachte Aussprache ist ein wichtiges Element ehrenamtlicher Betreu- 10 ung. Dabei erfahren die Betreuer Dinge, von denen die Gefangenen erwarten oder bezüglich derer sie ausdrücklich darum bitten, dass der Betreuer sie für sich behält. Zwischen Vollzugsbehörden und Betreuern gab es gelegentlich Meinungsverschiedenheiten, ob 1109
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dem Recht zum unüberwachten mündlichen und auch schriftlichen Verkehr besondere Offenbarungspflichten entsprechen, die über die allgemeinen Gesetze (zum Beispiel § 138 StGB) hinausgehen. Die neue Vorschrift des § 182 Abs. 2 Satz 2 hat die Frage für die einer besonderen beruflichen Schweigepflicht nach § 203 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 5 StGB unterliegenden Mitarbeiter des Strafvollzugs (Ärzte, Zahnärzte und ihre Hilfspersonen, Diplom-Psychologen, Diplom-Sozialarbeiter und Diplom-Sozialpädagogen) entschieden. Die Grundsätze dieser Regelung können auch einer Vereinbarung mit den ehrenamtlichen Betreuern zugrunde gelegt werden. Dann sind diese verpflichtet, „sich gegenüber dem Anstaltsleiter zu offenbaren, soweit dies für die Aufgabenerfüllung der Vollzugsbehörde oder zur Abwehr von erheblichen Gefahren für Leib und Leben des Gefangenen oder Dritter erforderlich ist“. Ohne eine solche Verpflichtung gelten für die ehrenamtlichen Betreuer nur die für alle geltenden Rechtsnormen. III. Landesgesetze und Musterentwurf 11
1. Baden-Württemberg. § 16 Abs. 1 JVollzGB I entspricht inhaltlich § 154 Abs.1 StVollzG. Abs. 2 formuliert allgemein: „Die Justizvollzugsanstalten arbeiten mit anderen Einrichtungen, Organisationen und Personen, die für die Gefangenen förderliche soziale Hilfestellungen leisten oder deren Einfluss ihre Eingliederung, Behandlung oder Erziehung fördern können, eng zusammen.“ In der Gesetzesbegründung (LT-Drucks.14/5012, 175) heißt es: „Absatz 2 betont im Interesse der erfolgreichen Eingliederung, Behandlung oder Erziehung von Gefangenen die Zusammenarbeit der Justizvollzugsanstalten mit außervollzuglichen – sowohl behördlichen, als auch privaten – Partnern.“ Abs. 3 regelt den Untersuchungshaftvollzug. Ergänzend regelt § 87 JVollzGB III, der mit „Zusammenarbeit mit Dritten“ überschrieben ist, die Hilfe im Rahmen der Entlassungsvorbereitung und betont hier die Bedeutung der Nachsorge nach der Entlassung der Gefangenen aus dem Strafvollzug. Nach dieser Vorschrift werden die Justizvollzugsanstalten angehalten, frühzeitig vor der voraussichtlichen Entlassung eines Gefangenen mit Institutionen zusammenzuarbeiten, die den Entlassenen insbesondere eine Arbeit oder eine Wohnung vermitteln und beim Aufbau eines tragfähigen sozialen Umfelds behilflich sein könnten (LT-Drucks.14/5012, S. 167).
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2. Bayern. Die Bestimmungen über die Zusammenarbeit im Art. 175 BayStVollzG sind wie folgt aufgebaut: Abs. 1 Satz 1 ist wortgleich mit § 154 Abs. 1 StVollzG. Abs. 1 Satz 2 ist neu und lautet: „Die Sicherheit der Anstalt ist durch die erforderlichen organisatorischen Maßnahmen und geeignete Behandlungsmaßnahmen zu gewährleisten.“ Abs. 2 formuliert die zwingende Vorschrift des § 154 Abs. 2 Satz 1 und die Sollvorschrift des § 154 Abs. 2 Satz 2 StVollzG neu und zusammenfassend: „Die Anstalten arbeiten mit Behörden, Verbänden der freien Wohlfahrtspflege, Vereinen und Personen, deren Einfluss die Eingliederung der Gefangenen fördern kann, eng zusammen.“ Abs. 3 entspricht § 148 Abs. 2 StVollzG. Abs. 4 ist neu und lautet: „Soweit erforderlich, ist zur Entlassungsvorbereitung insbesondere mit der Bewährungshilfe, den Aufsichtsstellen für die Führungsaufsicht und den Einrichtungen der Strafentlassenenhilfe frühzeitig Kontakt aufzunehmen.“ Wydra/Pfalzer
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In der Begründung heißt es zu Abs. 1 Satz 2: „In Satz 2 wird ausdrücklich hervorgehoben, dass die Sicherheit der Anstalt durch die erforderlichen organisatorischen Maßnahmen und geeignete Behandlungsmaßnahmen zu gewährleisten ist.“ Zu Abs. 3 wird ausgeführt, dass die dem § 148 Abs. 2 StVollzG entsprechende Vorschrift wegen des systematischen Zusammenhangs mit den Regelungen zur Zusammenarbeit mit Stellen außerhalb des Vollzugs hier aufgenommen wurde. Zu Abs. 4 wird u. a. ausgeführt, dass der Übergang von einem geregelten, stark strukturierten Leben in der Anstalt zu einem Leben in Freiheit, der für viele Gefangene schwierig ist, einer sorgfältigen Entlassungsvorbereitung mit möglichst frühzeitigem Kontakt zu den genannten Stellen bedarf. 3. Hamburg. Die Bestimmungen über die Zusammenarbeit in § 107 HmbStVollzG 13 sind wie folgt aufgebaut: Abs. 1 ist inhaltsgleich und weitgehend wortgleich mit § 154 Abs. 2 Satz 1 StVollzG. Er bezieht den § 154 Abs. 2 Satz 2 StVollzG in die (verpflichtende) Regelung ein. Abs. 2 übernimmt die Regelung des § 148 Abs. 2 StVollzG in diese Vorschrift. Eine dem § 154 Abs. 1 StVollzG entsprechende Vorschrift findet sich in § 106 Abs. 2 Satz 2 HmbStVollzG. In der Gesetzesbegründung (Bürgerschafts-Drucks. 18/6490, 50) heißt es zu Abs. 1: „Abs. 1 greift die Regelung des § 154 Abs. 2 StVollzG auf, aktualisiert sie und passt sie redaktionell an.“ 4. Hessen. § 76 Abs. 4 HStVollzG entspricht § 154 StVollzG. 14 § 7 HStVollzG, der mit „Einbeziehung Dritter“ überschrieben ist, lautet: „Die Anstalten arbeiten mit öffentlichen Stellen, sowie privaten Organisationen und Personen, die der Eingliederung der Gefangenen förderlich sein können, zusammen.“ In der Gesetzesbegründung (LT-Drucks. 18/1396, 79) heißt es zu § 7 HStVollzG: „Das in § 7 verankerte Gebot der engen Zusammenarbeit der Anstalten mit Dritten außerhalb des Vollzugs orientiert sich an dem Grundsatz, dass es zur Erfüllung des Eingliederungsauftrags nicht genügt, dass die vor, während und nach der Inhaftierung mit den Gefangenen befassten Personen, Einrichtungen und Behörden isoliert handeln, sondern dass die einzelnen Beiträge durch ein sinnvolles Gesamtkonzept miteinander vernetzt sind. Das Ziel der Eingliederung kann nur erreicht werden, wenn bereits während des Vollzugs Entlassungsvorbereitungen getroffen werden und die Nachbetreuung sichergestellt ist.“ 5. Niedersachsen. Hier beginnen die Bestimmungen mit § 181 NJVollzG, der wie 15 folgt aufgebaut ist: Abs. 1 ist mit § 154 Abs. 2 StVollG im Wesentlichen inhalts- und mit einigen redaktionellen Veränderungen wortgleich. Eingefügt ist „insbesondere“ vor der Aufzählung der „Behörden und Stellen der (…)“, ergänzend werden dort genannt „(…) den Einrichtungen für berufliche Bildung, (…), Gesundheits- Ausländer- und Polizeibehörden, Sucht- und Schuldnerberatungsstellen, Ausländer und Integrationsbeauftragten (…)“. Abs. 2 betrifft den Jugendvollzug; Abs. 3 bezieht sich auf die Untersuchungshaft. In der Begründung zu Abs. 1 Satz 1 wird ausgeführt, dass das Wort „insbesondere“ eingefügt worden sei, „um zu verdeutlichen, dass die Aufzählung nicht abschließend ist.“ § 154 Abs. 1 StVollzG sei nicht übernommen worden; er enthalte „eine Selbstverständlichkeit, die keiner ausdrücklichen Regelung im Gesetz bedarf.“
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6. Musterentwurf. § 42 Abs. 2 ME-StVollzG lautet: „Die Anstalt arbeitet frühzeitig mit Personen und Einrichtungen außerhalb des Vollzugs zusammen, insbesondere um zu erreichen, dass die Gefangenen nach ihrer Entlassung über eine geeignete Unterbringung und eine Arbeits- oder Ausbildungsstelle verfügen. Bewährungshilfe und Führungsaufsicht beteiligen sich frühzeitig an der sozialen und beruflichen Eingliederung der Gefangenen.“ Diese Vorschrift fordert zum einen die Justizvollzugsanstalten auf, frühzeitig die Beteiligung außervollzuglicher Stellen zu ermöglichen, um ein abgestimmtes Vorgehen zu erreichen, zum anderen verlangt sie von der Bewährungshilfe und Führungsaufsicht eine aktive Beteiligung am Prozess der Entlassungsvorbereitung. § 154 Abs. 1 StVollzG ist nicht übernommen worden.
§ 155 Vollzugsbedienstete § 155 Wydra/Pfalzer Vollzugsbedienstete (1) Die Aufgaben der Justizvollzugsanstalten werden von Vollzugsbeamten wahrgenommen. Aus besonderen Gründen können sie auch anderen Bediensteten der Justizvollzugsanstalten sowie nebenamtlichen oder vertraglich verpflichteten Personen übertragen werden. (2) Für jede Anstalt ist entsprechend ihrer Aufgabe die erforderliche Anzahl von Bediensteten der verschiedenen Berufsgruppen, namentlich des allgemeinen Vollzugsdienstes, des Verwaltungsdienstes und des Werkdienstes, sowie von Seelsorgern, Ärzten, Pädagogen, Psychologen und Sozialarbeitern vorzusehen. Schrifttum Arloth Neue Entwicklungen im Strafvollzug im internationalen Vergleich, in: ZfStrVo 2002, 3 ff; Bonk Rechtliche Rahmenbedingungen einer Privatisierung im Strafvollzug, in: JZ 2000, 453 ff; Busch Sozialarbeit im Strafvollzug?, in: Schmidtobreick (Hrsg.), Kriminalität und Sozialarbeit, Freiburg 1972, 25 ff; Dietz Der Funktionsstellenbedarf von Justizvollzugsanstalten, in: ZfStrVo 1991, 334 ff; Gusy/Lührmann Rechtliche Grenzen des Einsatzes privater Sicherheitsdienste im Strafvollzug, in: StV 2001, 46 ff; Kulas Privatisierung hoheitlicher Verwaltung – Zur Zulässigkeit privater Strafvollzugsanstalten, 2. Aufl., Köln 2001; Meyer Privatisierung und Strafvollzug, in: BewHi 2004, 272–282; Mösinger Privatisierung des Strafvollzugs, in: BayVBl 2007, 417–428; Mühlenkamp (Teil-)Privatisierung von Justizvollzugsanstalten, in: DÖV 2008, 525–535; Rotthaus Zur Frage der Personalausstattung von Vollzugsanstalten, in: ZfStrVo 1993, 323 ff; Singer/ Mielke Privatisierung im Strafvollzug, in: JuS 2007, 1111–1117.
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Übersicht Allgemeine Hinweise ____ 1 Erläuterungen ____ 2–4 Landesgesetze und Musterentwurf ____ 5–10 1. Baden-Württemberg ____ 5 2. Bayern ____ 6
3. 4 5. 6
Hamburg ____ 7 Hessen ____ 8 Niedersachsen ____ 9 Musterentwurf ____ 10
I. Allgemeine Hinweise 1
Der Strafvollzug ist Ländersache. Es ist deshalb verständlich, dass sich der Gesetzgeber bei der bedeutsamen Regelung der Frage der Vollzugsbediensteten große Zurückhaltung auferlegte. Der Grundsatz, nach dem die Aufgaben der Justizvollzugsanstalten von Vollzugsbeamten wahrgenommen werden (Abs. 1 Satz 2), entspricht den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Art. 33 Abs. 4 GG, welcher verbietet, dass hoheitliche Befugnisse in größerem Umfang auf Nichtbeamte übertragen werden; denn Wydra/Pfalzer
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der Vollzug der Freiheitsstrafe beinhaltet die Wahrnehmung von hoheitlichen Aufgaben, die in § 2 festgeschrieben sind. Der hoheitliche Charakter dieser Aufgaben ist für die Maßnahmen zum Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten im Hinblick auf die damit verbundenen massiven Grundrechtseinschränkungen leicht nachzuvollziehen: Sie sind nicht nur partielle Freiheitsbeschränkungen, sondern totaler Freiheitsentzug (C/MD 2008 Rdn. 4). Für die grundrechtsgewährleistenden Maßnahmen im Behandlungsvollzug zur Erreichung des Vollzugszieles gilt aber ebenso, dass sie zur Verwirklichung von Grundrechten notwendig und daher eine hoheitliche Aufgabe sind; denn nach der h. M. kann die Vorenthaltung einer solchen Leistung zu ganz massiven Grundrechtseinschränkungen führen (Gusy/Lührmann 1999, 1, 5 m. w. N.; C/MD 2008 Rdn. 5). Bei einer so starken Bestimmung der zentralen Aufgaben einer Justizvollzugsanstalt durch das Gewaltmonopol des Staates ist die vollständige Privatisierung einer Vollzugsanstalt nach der überwiegenden Meinung mit der Verfassung und dem geltendem Recht nicht in Einklang zu bringen (C/MD 2008 Rdn. 2 m. w. N.); vgl. auch § 151 Rdn. 2. II. Erläuterungen Die Diskussion über die Privatisierung des Strafvollzugs ist in den letzten Jahren 2 immer intensiver geworden; in erster Linie sind dafür fiskalische Überlegungen ursächlich, aber auch betriebswirtschaftliche, wettbewerbspolitische und gesellschaftspolitische (Kulas 2001, 7 ff). Mit der Annahme, dass die Rechtsfigur des „Beleihens“ für den Strafvollzug weder vom Grundgesetz – auch nicht vom Funktionsvorbehalt des Art. 33 Abs. 4 GG – noch von allgemeinen Verwaltungsgrundsätzen ausgeschlossen sei, wird von Kulas sogar die Privatisierung einer gesamten Vollzugsanstalt für zulässig gehalten (aaO, 139); dabei wird jedoch von vornherein einschränkend angenommen, dass nicht alle Vollzugsanstalten privatisiert werden (können), dass es also daneben noch staatliche Vollzugsanstalten gibt, und dass eine (einfach-)gesetzliche Ermächtigung für eine solche Privatisierung erfolgen müsste (aaO, 65, 143). Als Argument für die Möglichkeit einer Privatisierung wird auch auf die privaten Vollzugsanstalten in Großbritannien und den Vereinigten Staaten verwiesen (aaO, 118 ff). Demgegenüber geht die überwiegende Meinung davon aus, dass eine vollständige Privatisierung des Strafvollzugs auch in Form der Beleihung einer privaten Anstalt unzulässig ist (Gusy/Lührmann 2001, 46 ff; Böhm 2003 Rdn. 87 m. w. N.; C/MD 2008 Rdn. 2; zweifelnd K/S-Schöch 2002 § 5 Rdn. 76). Der Staat hat die letzte Verantwortung für die Kontrolle und Wohlfahrt des Gefangenen; das ist eine hoheitliche Aufgabe. Bei der Vielzahl der Indikatoren für einen Qualitätsvergleich zwischen „staatlichen“ und privaten Vollzugsanstalten ist eine eindeutige Evaluation nicht möglich (K/S-Schöch 2002 § 5 Rdn. 75); daher können die Verträge für die „Beleihung“ wohl kaum eindeutig genug die Kriterien festlegen, die für die hoheitliche Erfüllung der Vollzugsaufgaben gelten. Die rechtlichen Unterschiede beim Vollzug in Großbritannien und in den Vereinigten Staaten lassen eine Bezugnahme auf die dortigen Privatisierungsmöglichkeiten nicht zu (Meyer 2004, 279 f; Mösinger 2007, 420). Im Übrigen bestehen berechtigte Zweifel, ob die privaten Vollzugsanstalten billiger arbeiten als die staatlichen (Arloth 2011 Rdn. 4 m. w. N.; Mühlenkamp 2008, 534 f; s. auch § 139 Rdn. 5). Neben einer generellen Unzulässigkeit der Privatisierung der gesamten JVA werden Differenzierungslösungen unterschiedlich bewertet. Erörtert wird dabei die Frage nach Ermächtigungsgrundlagen zur Aufgabenerfüllung durch privates Vollzugspersonal im Rahmen der sog. funktionellen Privatisierung (Meyer 2004, 273 ff; Mösinger 2007, 417 ff). Für eine Beleihung sind diese bei der jetzigen Rechtslage nicht gegeben (Arloth 2011 Rdn. 3 mit Nachweisen; Mösinger 2007, 426). Für private Verwaltungshelfer besteht 1113
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keine Ermächtigung zur Gewaltausübung. Der Einsatz Privater im Wege der Verwaltungshilfe kommt daher umso weniger in Betracht, je intensiver aufgrund potenzieller Befugnisse in Grundrechte eingegriffen werden kann. Nach geltendem Recht können Private daher nur bei Dienst- und Serviceleistungen (z. B. in der Küche, der Wäscherei u. ä.) oder bei Überwachungsaufgaben ohne Ausübung von Gewalt (z. B. bei der Überwachung von Monitoren u. ä.) eingesetzt werden (Arloth 2011 Rdn. 5; Mösinger 2007, 427; Böhm 2003 Rdn. 85). Dabei muss der Anstalt letztlich die unmittelbare Verantwortung bleiben (Böhm 2003 Rdn. 87). Zu bedenken ist jedoch, ob die Aussonderung von „nicht hoheitlichen Tätigkeiten“ aus den beamteten Dienstaufgaben sinnvoll und für die verbleibenden Beamten befriedigend ist (Böhm aaO). (Zu den Problemstellungen der Privatisierung einer Vollzugsanstalt vergl. von Singer/Mielke 2007, 1111–1117; Zu den Erfahrungen mit der Leitung der „teilprivatisierten“ JVA Hünfeld vergl. den Beitrag des ehemaligen Anstaltsleiters Päckert, FS 2011, 357.) Die Ausnahmevorschrift des Abs. 1 Satz 2 lässt aus besonderen Gründen die Übertragung von hoheitlichen Aufgaben auf andere Bedienstete der Justizvollzugsanstalten (z. B. Angestellte, die etwa durch ein Gelöbnis besonders verpflichtet werden), nebenamtlich verpflichtete Personen (z. B. Facharzt einer Klinik) oder vertraglich verpflichtete Personen zu; bei letzteren ist eine Verpflichtung nach dem VerpflG erforderlich, wodurch sie zu Amtsträgern werden; sie arbeiten im Auftrag der Behörde (C/MD 2008 Rdn. 7). Die Ausnahmevorschrift erlaubt aber grundsätzlich nicht den Einsatz von Polizeibeamten bei hoheitlichen Vollzugsaufgaben (C/MD 2008 Rdn. 8; dazu auch § 24 Rdn. 3), etwa bei der Überwachung des Besuches und des Briefverkehrs oder bei der Haftraumkontrolle. Als Sachverständige zur Unterstützung eines Vollzugsbeamten können sie herangezogen werden, wenn sie der Aufsicht des Anstaltsleiters unterstehen und die Wahrnehmungen allein diesem zugänglich machen (OLG Koblenz ZfStrVo 1981, 59). Der Bau von Vollzugsanstalten durch private Unternehmer, von denen sie der Staat dann least, mietet oder durch Ratenzahlungen erwirbt, gehört nicht im engeren Sinn zur Diskussion um die Privatisierung des Strafvollzugs. Er gehört zum privatrechtlichen Handeln des Staates, das hier unter den Stichworten „Private Public Partnership“ (PPP) und Alternative Finanzierungsformen diskutiert wird. Solche privat (vor)finanzierte Bauten werfen gegebenenfalls haushaltsrechtliche Probleme auf (vgl. Kulas 2001, 22). Der Einsatz von „Neuen Steuerungsinstrumenten“ im Vollzug ist keine Frage der Privatisierung, sondern eine Möglichkeit zur verändernden Entwicklung der Organisation Strafvollzug und damit eine „verfassungskonforme Alternative“ zur Privatisierung (C/MD 2008 Rdn. 2). Die Reihenfolge der Aufzählung der Mitarbeiter der verschiedenen Berufsgruppen in 3 Abs. 2 ist aus sprachlichen Gründen gewählt worden und enthält keine Wertung oder Rangfolge (OVG Lüneburg, Beschl. vom 29.2.2008 – 5 ME 352/07, nur bei juris). Die Aufzählung selbst ist beispielhaft und hindert die Länder nicht, bei Bedarf noch andere Fachkräfte (z. B. Soziologen, Arbeitstherapeuten) als Vollzugsbeamte einzustellen. Das Gesetz verzichtet auf eine Funktionsbeschreibung der verschiedenen Dienste und auf organisationsrechtliche Regelungen, was sich wieder mit der Rücksicht auf die Bundesländer erklärt, die das Gesetz ausführen. Zu diesem Thema: Böhm 2003 Rdn. 83 ff; K/SSchöch 2002 § 11 Rdn. 1–23; Müller-Dietz 1978, 279 ff. Bayern hat in den Art. 180 bis 182 BayStVollzG eine Funktionsbeschreibung für den pädagogischen Dienst, den Sozialdienst und den psychologischen Dienst in das Gesetz aufgenommen. Einen Überblick über die eindrucksvolle Verbesserung der personellen Ausstattung der Vollzugsanstalten in den ersten Jahren nach Erlass des StVollzG geben: Dünkel/ Rosner 1982, 537 ff. Bei teilweise erheblichen Unterschieden in den einzelnen Bundesländern kamen 2011 auf je 100 Gefangene im Bundesdurchschnitt 38,29 Angehörige des allWydra/Pfalzer
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gemeinen Justizvollzugsdienstes, 3,15 Werkbeamte, 2,07 des gehobenen Vollzugs- und Verwaltungsdienstes, 1,89 Sozialarbeiter, 0,91 Psychologen, 0,54 Lehrer, 0,34 Ärzte, 0,14 Seelsorger und 0,58 des höheren Vollzugs- und Verwaltungsdienstes; hierzu kommen (in jährlich steigender Anzahl) nicht planmäßig angestellte sowie externe Fachkräfte (Übersicht des BMJ vom 18.5.2012). Dabei darf aus der Tatsache, dass neben den Stellen für die Fachdienste auch die für den allgemeinen Vollzugsdienst erheblich vermehrt wurden, nicht auf eine Akzentuierung des Sicherungsauftrags geschlossen werden. Behandlung und Betreuung können nur stattfinden, wenn die Gefangenen sich auch abends und am Wochenende außerhalb der Hafträume bewegen können. Der allgemeine Vollzugsdienst muss die Anstalten auch zu diesen Zeiten „in Betrieb“ halten. Außerdem sind den Beamten dieser Laufbahn vielfältige Betreuungsaufgaben übertragen worden. Der konkrete Bedarf an Mitarbeitern ist jeweils vom Vollzugsauftrag abhängig. Eine offene Einrichtung zum Vollzug kurzer Freiheitsstrafen kommt mit sehr viel weniger Personal aus als eine nach außen hoch gesicherte, nach innen offene sozialtherapeutische Anstalt. Unterschiedliche Größe und Struktur der Anstalten machen es unmöglich, für den 4 allgemeinen Vollzugsdienst Schlüsselzahlen (Verhältnis von Beamten zu Gefangenen) zu bestimmen. Personalberatung von außen kann Anregungen geben (Dietz aaO), der Justizverwaltung aber ihre Verantwortung nicht abnehmen. Muss in einer Anstalt an mehr als zwei Tagen der Woche der Einschluss vor 22 Uhr erfolgen und sind an Wochenenden oder an mehr als zwei Tagen der Woche Gefangenenbesuche nicht möglich, so herrscht ein schwerwiegender Personalmangel. Über die Ausstattung der Gefängnisse in England, Frankreich, den Niederlanden sowie Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg mit Beamten des allgemeinen Vollzugsdienstes hat der Generaldirektor des Gefängniswesens von England und Wales, Richard Tilt, eine vergleichende Untersuchung angestellt (referiert von Rotthaus 1993, 323 ff). Eher – und das mag überraschend scheinen – lassen sich Schlüsselzahlen für den Bereich der Behandlung bestimmen. So hat Busch für die Sozialarbeit bereits vor 40 Jahren ein Verhältnis von 1:25 gefordert (1972, 25 ff). Dieser Durchschnittswert umfasst jedoch sehr unterschiedliche Zahlen, die von dem je nach Art der Anstalt unterschiedlichen Hilfsbedarf der Klientel abhängig sind. III. Landesgesetze und Musterentwurf 1. Baden-Württemberg. § 12 JVollzGB I Abs. 1 Satz 1 entspricht nur dem Grundsatz 5 nach § 155 Abs. 1 StVollzG, indem er ausführt: „Die Aufgaben in den Justizvollzugsanstalten werden grundsätzlich von beamteten Bediensteten des Landes wahrgenommen.“ In Satz 2 wird dann sogleich ergänzt: „Sie können anderen Bediensteten sowie nebenamtlich oder vertraglich verpflichteten Personen übertragen werden.“ Besondere Gründe für eine solche Übertragung sind – im Gegensatz zu § 155 StVollzG – nicht mehr erforderlich, so dass hier nun ein größeres Maß an Privatisierung möglich ist. Inwieweit es tatsächlich in der Praxis zu Änderungen kommt, ist zur Zeit fraglich (Kinzig/Richter, FS 2011, 317, 320). In diese Richtung geht auch Abs. 2, welcher lautet: „Die Erledigung von nicht hoheitlichen Aufgaben kann freien Trägern und privaten Dienstleistern übertragen werden.“ In der Gesetzesbegründung (LT-Drucks. 14/5012, 174) wird zur Möglichkeit dieser Übertragung ausgeführt: „In Betracht kommt dabei eine Vielzahl unterschiedlichster Aufgaben, die etwa von Reinigungsarbeiten bis zur sozialen oder psychologischen Betreuung der Gefangenen reichen können.“ Abs. 3 betrifft die Personalbesetzung im Jugendstrafvollzug. Abs. 4 entspricht inhaltlich § 155 Abs. 2 StVollzG. Abs. 5 verlangt die regelmäßige Durchführung von Fortbildungsveranstaltungen für die in den Justizvollzugsanstalten tätigen Personen. 1115
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2. Bayern. Art. 176 BayStVollzG ist inhaltsgleich mit § 155 StVollzG. In der Gesetzesbegründung (LT-Drucks. 15/8101, 89) wird hervorgehoben, dass der Justizvollzug hoheitliche Aufgaben erfüllt. Die Vorschrift „konkretisiert damit das verfassungsrechtliche Gebot in Art. 33 Abs. 4 GG, wonach die Ausübung hoheitlicher Befugnisse als ständige Aufgabe in der Regel Beamten zu übertragen ist. Dem entspricht Abs. 1 Satz 1. Nach Satz 2 dürfen Aufgaben des Vollzugs nur aus besonderen Gründen auf nichtbeamtete sowie vertraglich verpflichtete Personen übertragen werden, die dann vorliegen, wenn die Anstalt aus Gründen der Behandlung auf die Mitarbeit von besonderen Fachkräften außerhalb des Vollzugs zurückgreifen muss“.
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3. Hamburg. Art. 105 HmbStVollzG regelt die Aspekte der Vollzugsbediensteten mit folgender Struktur: Abs. 1 ist inhaltsgleich mit § 155 Abs. 1 StVollzG. Abs. 2 Satz 1 entspricht vollinhaltlich dem § 155 Abs. 2 StVollzG, jedoch ohne konkrete Nennung der im Strafvollzug tätigen Berufsgruppen. Abs. 2 Satz 2 entspricht im Wesentlichen dem § 154 Abs. 1 StVollzG; er lautet: „Sie wirken in enger Zusammenarbeit an den Aufgaben des Vollzuges (§ 2) mit.“
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4. Hessen. § 76 Abs. 1 Satz 1 und 2 HStVollzG entspricht inhaltlich § 155 Abs. 1 StVollzG. Satz 3 stellt klar, dass nichthoheitliche Aufgaben vertraglich verpflichteten Personen übertragen werden können. Dies entspricht bisheriger Praxis. Abs. 2 entspricht inhaltlich § 155 Abs. 2 StVollzG. Abs. 3 führt neu aus, dass das Personal für die Gestaltung des Vollzugs persönlich geeignet und fachlich qualifiziert sein müsse. Darüber hinaus seien regelmäßig Fortbildungen für die Bediensteten durchzuführen. Die Gesetzesbegründung (LT-Drucks. 18/ 1396, 122) betont, dass hierdurch der bestehende hohe Standard des hessischen Strafvollzugs erhalten bliebe und noch weiter ausgebaut werde. „Fortbildung und Praxisberatung für die im Strafvollzug tätigen Bediensteten gewährleisten Kenntnisse und Fähigkeiten auf dem jeweils aktuellen wissenschaftlichen und technischen Stand.“
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5. Niedersachsen. In §§ 177 und 178 NJVollzG ist die Aufgabenwahrnehmung durch Justizvollzugsbedienstete wie folgt geregelt: § 177 Abs. 1 NJVollzG entspricht mit kleinen redaktionellen Änderungen im Wesentlichen § 155 Abs. 1 StVollzG; ausgenommen ist hier die Regelung bei vertraglich verpflichteten Personen, die in § 178 übernommen wurde (Abs. 2: ausgelassene jugendstrafvollzugliche Regelung). Eine dem § 155 Abs. 2 StVollzG entsprechende Regelung fehlt. Zur Definition des Begriffs „Vollzugsbediensteter“ vergleiche Rspr. zu § 177 NJVollzG (OVG Lüneburg, Beschl. vom 29.02.2008 – 5 ME 352/07, nur bei juris) und Kommentierung zu Rdn. 3. § 178 ist neu und lautet: „Fachlich geeignete und zuverlässige natürliche Personen, juristische Personen des öffentlichen oder privaten Rechts oder sonstige Stellen können beauftragt werden, Aufgaben für die Vollzugsbehörde wahrzunehmen, soweit dabei keine Entscheidungen oder sonstige in die Rechte der Gefangenen, Sicherungsverwahrten oder anderer Personen eingreifende Maßnahmen zu treffen sind. Eine Übertragung von vollzuglichen Aufgaben zur eigenverantwortlichen Wahrnehmung ist ausgeschlossen.“ In der Gesetzesbegründung (LT-Drucks. 15/3565, 211) heißt es, dass § 178 bei der Übertragung von Aufgaben der Vollzugsbehörden auf vertraglich verpflichtete Personen „zum einem auf dem Hintergrund des Artikels 33 Abs. 4 GG die Voraussetzungen (präzisiert), unter denen dies zulässig ist. Zum anderen betont er, dass das Land – unbeschadet der Verantwortlichkeit des Privaten für die Einzelheiten der Aufgabenwahrnehmung Wydra/Pfalzer
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– für die Aufgabenerfüllung als solche verantwortlich bleibt. Eine Beleihung, also die Verleihung der Befugnis, Aufgaben auf dem Gebiet des Straf- oder Untersuchungshaftvollzuges im eigenen Namen und in den Handlungsformen des öffentlichen Rechts wahrzunehmen (vergl. § 44 Abs. 3 der Landeshaushaltsordnung), soll mit der Vorschrift nicht ermöglicht werden.“ Für eine Übertragung der Aufgabenwahrnehmung kämen klar abgrenzbare Dienstleistungsaufgaben, wie z. B. das Gebäudemanagement, der Betrieb von Wäscherei und Küche etc. in Betracht – die Letztverantwortung des Landes für die Aufgabenerfüllung vorausgesetzt. 6. Musterentwurf. § 96 Satz 1 ME-StVollzG entspricht von seinem Grundgedanken 10 her § 155 Abs. 2 StVollzG, indem er fordert: „Die Anstalt wird mit dem für die Erreichung des Vollzugsziels und die Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlichen Personal ausgestattet.“ Eine Benennung der verschiedenen Berufsgruppen findet nicht statt. In Satz 2 wird Fortbildung und Praxisberatung und -begleitung für die Bediensteten betont. Eine dem § 155 Abs. 1 StVollzG entsprechende Vorschrift fehlt.
§ 156 Anstaltsleitung § 156 Wydra/Pfalzer Anstaltsleitung (1) Für jede Justizvollzugsanstalt ist ein Beamter des höheren Dienstes zum hauptamtlichen Leiter zu bestellen. Aus besonderen Gründen kann eine Anstalt auch von einem Beamten des gehobenen Dienstes geleitet werden. (2) Der Anstaltsleiter vertritt die Anstalt nach außen. Er trägt die Verantwortung für den gesamten Vollzug, soweit nicht bestimmte Aufgabenbereiche der Verantwortung anderer Vollzugsbediensteter oder ihrer gemeinsamen Verantwortung übertragen sind. (3) Die Befugnis, die Durchsuchung nach § 84 Abs. 2, die besonderen Sicherungsmaßnahmen nach § 88 und die Disziplinarmaßnahmen nach § 103 anzuordnen, darf nur mit Zustimmung der Aufsichtsbehörde übertragen werden. VV 1 Die Aufsichtsbehörde bestimmt den Vertreter des Anstaltsleiters. 2 (1) Der Anstaltsleiter legt schriftlich fest, welche Bediensteten in seinem Auftrag Entscheidungen treffen können. (2) Der Anstaltsleiter kann in fachlichen Angelegenheiten des Dienstes der Seelsorger, Ärzte, Pädagogen, Psychologen und Sozialarbeiter, die sich seiner Beurteilung entziehen, Auskunft verlangen und Anregungen geben. (3) Die Durchführung von Maßnahmen der in Absatz 2 genannten Fachkräfte, die nach seiner Überzeugung die Sicherheit der Anstalt, die Ordnung der Verwaltung oder die zweckmäßige Behandlung der Gefangenen gefährden, kann der Anstaltsleiter bis zur Entscheidung der Aufsichtsbehörde aussetzen, wenn eine Aussprache zwischen den Beteiligten zu keiner Einigung führt.
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3 Der Anstaltsleiter berichtet unverzüglich der Aufsichtsbehörde über außerordentliche Vorkommnisse und über Angelegenheiten, die Anlass zu allgemeiner Regelung geben können. 4 Die Übertragung bestimmter Aufgabenbereiche im Sinne des § 156 Abs. 2 Satz 2 StVollzG bedarf der Zustimmung der Aufsichtsbehörde. Schrifttum Feldmann Aus der Praxis des Strafvollzuges, in: Bandell u. a., Hinter Gittern. Wir auch? Frankfurt 1985, 59 ff; Doppler/Lauterburg Change Management – Den Unternehmenswandel gestalten, 10. Aufl., Frankfurt/New York 2002; Kloff Wege zur Neuorganisation einer Justizvollzugsanstalt, in: Flügge/ Maelicke/Preusker (Hrsg.): Das Gefängnis als lernende Organisation, Baden-Baden 2001, 59 ff; Reinermann Die Krise als Chance: Wege innovativer Verwaltungen, Speyer, 5. Aufl., 1995; Rotthaus Die Aufgaben der Fachaufsicht im Strafvollzug, in: Häußling/Reindl (Hrsg.), Sozialpädagogik und Strafrechtspflege, Pfaffenweiler 1995, 517 ff; ders. Sozialtherapie in der JVA Gelsenkirchen, in: ZfStrVo 1981, 323 ff; Wilson/Bryans The Prison Governor – Theory and Practice, Leyhill/England 1998; Winchenbach Praxisprobleme der Anstaltsleitung, in: Bandell u. a., Hinter Gittern. Wir auch? Frankfurt 1985, 125 ff; Wydra Der Anstaltsleiter als Krisenmanager, in: Bundesvereinigung der Anstaltsleiter im Strafvollzug, Dokumentation der 22. Arbeitsund Fortbildungstagung vom 6. bis 10. Mai 1996 in Ellwangen, 162 ff.
I.
II.
Übersicht Allgemeine Hinweise ____ 1–3 1. Begriff Anstaltsleiter ____ 1 2. Verantwortung des Anstaltsleiters ____ 2 3. Anforderungen an den Anstaltsleiter ____ 3 Erläuterungen ____ 4–14 1. Bestellung eines hauptamtlichen Leiters, Abs. 1 ____ 4 2. Kein Juristenmonopol ____ 5 3. Vertretung der Anstalt nach außen und Aufgabenübertragung im Wege des Mandats, Abs. 2 Satz 1, VV 2 Abs. 1 ____ 6–8 a) Anzeigepflicht bei Straftaten von Personal oder Gefangenen ____ 7 b) Berichtspflicht und Meldepflicht ____ 8 4. Übertragung von Aufgabenbereichen im Wege der Delegation, Abs. 2 Satz 2, 2. HS VV 4 ____ 9, 10
III. IV.
5. Delegation auf Gremien oder Konferenzen ____ 11 6. Zustimmung der Aufsichtsbehörde für bestimmte Entscheidungen ____ 12 7. Aufsicht des Anstaltsleiters über die Fachdienste ____ 13 8. Einschränkungen der Übertragung bei besonderen Sicherungs- und Disziplinarmaßnahmen ____ 14 Beispiele ____ 15, 16 Landesgesetze und Musterentwurf ____ 17–22 1. Baden-Württemberg ____ 17 2. Bayern ____ 18 3. Hamburg ____ 19 4. Hessen ____ 20 5. Niedersachsen ____ 21 6. Musterentwurf ____ 22
I. Allgemeine Hinweise 1
1. Begriff Anstaltsleiter. Auch wenn der Gesetzestext den Begriff Anstaltsleiter verwendet, ist inzwischen weitgehend eine geschlechtsspezifische Differenzierung in Anstaltsleiter und Anstaltsleiterin vollzogen worden. Die vorliegende Kommentierung bleibt im Anschluss an den Gesetzestext weiterhin beim Begriff Anstaltsleiter, der die Anstaltsleiterin einbezieht.
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2. Verantwortung des Anstaltsleiters. Den Gefangenen und vielfach auch Mitar- 2 beitern und Außenstehenden erscheint der Anstaltsleiter als „allzuständiger und allverantwortlicher Chef“ (Böhm 2003, Rdn. 88), der die Anstalt nach seinen Wünschen und Vorstellungen gestaltet und über Wohl und Wehe von Mitarbeitern und Gefangenen entscheidet. Die Wirklichkeit sieht anders aus. Weit mehr als das Strafvollzugsgesetz mit seinen weiten Ermessensspielräumen engen Verwaltungsvorschriften (§ 4 Rdn. 15, 17) mit vielen ins Einzelne gehenden Regelungen den Entscheidungsspielraum ein. Vor allem aber sind es vielfältige Sachzwänge, die sich mit den Stichworten Mangel an Personal, an Räumen und an Haushaltsmitteln umschreiben lassen, und die Gestaltungsmöglichkeiten begrenzen. So fühlt sich der Anstaltsleiter nicht selten eher als Gefangener der Institution denn als deren Herr. Diese Realität beschreibt Winchenbach (1985, 125 ff) in einer Weise, die die Schwierigkeiten klar hervortreten lässt. Anschaulich, aber auch kritisch zu dem sich wandelnden Bilde des Anstaltsleiters auch AK-Feest/Walter 2012 Rdn. 2, 3; Walter 1999 Rdn. 182 ff; Wilson/Bryans 1988, 119 ff. Infolgedessen hat auch die Verantwortung des Anstaltsleiters ihre Grenzen. Böhm (2003, Rdn. 88) hat anschaulich beschrieben, wie ein geschickter Verwaltungstechniker sich gut absichern kann. Ein Anstaltsleiter, der sein Amt konsequent nach dem Prinzip der Vermeidung eigenen Risikos ausübt, wird allerdings lähmend auf seine Mitarbeiter wirken. Denn diese Technik der Absicherung bedroht die Mitarbeiter und zwingt sie, sich ähnlicher Techniken zu bedienen. Die Anstalt wird auf diese Weise zu einem starren, unbeweglichen System, bei dem die entfernte Möglichkeit der Veränderung von allen Beteiligten bis hin zu den Gefangenen als beängstigend und bedrohend empfunden wird. In einem solchen Klima können sich weder die Mitarbeiter entfalten noch die Gefangenen – im Sinne des Vollzugsziels – soziales Verhalten lernen (§ 2 Rdn. 12 ff). Obwohl also die Gestaltungsfreiheit des Anstaltsleiters erheblich beschränkt ist, bestimmt er durch sein Verhalten in entscheidender Weise das Klima der Anstalt. Andererseits steht der Anstaltsleiter ständig in der Gefahr, überfordert zu werden. 3. Anforderungen an den Anstaltsleiter. Zunächst einmal muss er in der Anstalt 3 viel anwesend und ansprechbar sein. Er muss deutlich machen, dass seine Leitertätigkeit ihm wichtig und ein wesentlicher Teil seiner Lebensinteressen ist. Ein schwer überwindbares Vorzimmer und komplizierte Vormeldewege sind Barrieren, die den Anstaltsleiter von wichtigen Informationen ausschließen. Im Gespräch muss er erkennen lassen, dass ihm seine Mitarbeiter und Gefangenen wichtig sind, d. h. er muss vor allem zuhören können. Im Regelfall sollte der Anstaltsleiter die Mitarbeiter eher beraten als anweisen. Das gilt nicht nur für die Mitglieder der Fachdienste (vgl. § 151 Rdn. 10 ff), deren besondere Sachkunde ihm nicht zu Gebote steht, sondern auch für den allgemeinen Vollzugsdienst und den Verwaltungsdienst. Entscheidet er anders, muss er sich mit den von den Mitarbeitern vorgeschlagenen Lösungen eingehend auseinandersetzen und seine Entscheidung für sie einsehbar begründen. Zurückhaltung muss der Anstaltsleiter üben, wenn es um die Einzelfallhilfe für Gefangene geht. Hier muss er seine Gesprächspartner immer wieder an die unmittelbaren Betreuer verweisen. Systematische Arbeit ist für die Fachdienste und auch für die Betreuer aus dem allgemeinen Vollzugsdienst nicht möglich, wenn der Anstaltsleiter an ihnen vorbei betreut und entscheidet. Auch für die Motivation der Mitarbeiter der Verwaltung ist es schädlich, wenn er Einzelfälle oftmals an sich zieht. Seine Tätigkeit, für die er Zeit zu grundsätzlichen Überlegungen braucht, ähnelt mehr der eines Managers (Böhm 2003 Rdn. 89); die Einführung von „Neuen Steuerungselementen“ (Reinermann 1995, 4 f) und Führungskonzepten aus der freien Wirtschaft (dazu auch § 151 Rdn. 12) fordern von ihm neue Führungsqualitäten (Böhm 2003 Rdn. 89 m. w. N.). In Krisensituationen ist sein ruhiges und sicheres Verhalten von Be1119
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deutung (Böhm 2003 Rdn. 89; Wydra 1996, 164 ff). Er ist als „Change Agent“ (Doppler/Lauterburg 2002, 65) verantwortlich dafür, dass sich die Anstalt auf die sich ändernden Verhältnisse einstellt. Organisationsentwicklung in ihren verschiedenen Ansätzen hat er auf den Weg zu bringen (Kloff 2001, 80 ff). Die Erneuerung einer Anstalt ist ein lange dauernder Prozess, der Geduld und Beständigkeit verlangt. Seinen Mitarbeitern sollte der Anstaltsleiter, wo immer es geht, Erfolgserlebnisse vermitteln. Er selbst muss ihnen gegenüber die Verantwortung für Fehlschläge übernehmen. Das bedeutet aber nicht, Pannen und Fehler im Vollzugsablauf mit dem Mantel der Liebe zuzudecken. Offene kritische Worte sind manchmal notwendig. Solche Gespräche gehören zu den Aufgaben der Führungsspitze. Manchmal muss er seine Mitarbeiter vor der Aufsichtsbehörde in Schutz nehmen. Das kann er sich ohne Gefahr für sich selbst leisten, denn Maßnahmen der Dienstaufsicht gegen Anstaltsleiter sind selten. Er hat einen breiteren Rücken, als er selbst glaubt, und kann sich deshalb schützend vor die Mitarbeiter stellen. Das hat stabilisierende Wirkungen für die gesamte Anstalt, weil Befürchtungen und Ängste gemildert werden. Führungsverhalten und Persönlichkeitsstruktur des Anstaltsleiters sind nicht zu trennen. Viele Entscheidungen gibt es, bei denen die Alternativen so dicht beieinander liegen, dass die Entscheidung für die eine oder andere Lösung weniger wichtig ist als der Ablauf der Entscheidungsfindung. Der Anstaltsleiter muss sich bei seinem Team verständlich machen und berechenbar sein. Die Forderung, ein Anstaltsleiter solle nicht über allzu lange Zeit mit dieser Funktion in derselben Anstalt betraut werden (so noch in der 3. Auflage, Rdn. 90), ist problematisch; er braucht Zeit, um mit den Gegebenheiten einer Anstalt vertraut zu werden und beispielsweise personelle und bauliche Planungen durchzuführen (Böhm 2003 Rdn. 90). Im Übrigen ist er gehalten, sich durch intensives persönliches Lernen auf die Situation der Anstalt in der Weise einzulassen, dass er die erforderlichen Veränderungen anregt, ohne „betriebsblind“ zu werden (Wydra 1996, 180). Wie aus diesen Ausführungen bereits deutlich wird, sind die Anforderungen an den Anstaltsleiter hoch. II. Erläuterungen 4
1. Bestellung eines hauptamtlichen Leiters, Abs. 1. Jede Anstalt muss einen hauptamtlichen Leiter haben, der regelmäßig dem höheren Dienst angehört (Abs. 1 Satz 1). Über die Fachrichtung der (akademischen) Ausbildung des Leiters sagt das Gesetz nichts. Er kann auch aus dem gehobenen Dienst kommend als Aufstiegsbeamter dem höheren Dienst angehören (VG Düsseldorf 20.7.2006 – 13 L 604/06). „Aus besonderen Gründen“ können auch Beamte des gehobenen Dienstes Anstaltsleiter sein (Abs. 1 Satz 2). Wiederum lässt das Gesetz die Fachausbildung offen. Neben Beamten des gehobenen Vollzugs- und Verwaltungsdienstes, die ein auf den Justizvollzug orientiertes Fachhochschul-Studium absolviert haben, kommen auch Angehörige des Sozialdienstes oder Pädagogen in Betracht. Ob die Ausnahmevorschrift für den gehobenen Dienst notwendig ist, erscheint zweifelhaft. Wenn ein solcher Beamter eine besondere Qualifikation oder spezielle Fachkenntnisse erworben hat und deshalb zum Anstaltsleiter bestellt werden soll, ist es wohl auch gerechtfertigt, ihn in den höheren Dienst aufsteigen zu lassen.
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2. Kein Juristenmonopol. Zwar sollte durch § 147 KE das Juristenmonopol für Leiter von Vollzugsanstalten gesetzlich festgelegt werden, doch ist der Gesetzgeber dem Vorschlag, die Befähigung zum Richteramt zur Zugangsvoraussetzung für das Amt des Anstaltsleiters zu erheben, mit Recht nicht gefolgt. Ein solches Juristenmonopol ist im AusWydra/Pfalzer
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land unbekannt. Es ist auch sachlich nicht zu rechtfertigen. Zwar hat ein Jurist als Anstaltsleiter manche Vorteile vor den Angehörigen der Fachdienste (vgl. Böhm 2003 Rdn. 90). Es wird ihm im Allgemeinen leichter fallen, den beständigen, engen Kontakt zur Staatsanwaltschaft, zur Strafvollstreckungskammer, zur Aufsichtsbehörde und den zahlreichen weiteren Behörden mit juristischer Spitze zu halten. Auch scheint es manchmal so, als wenn die Fachdienste den „fachlosen“ Juristen als Vorgesetzten eher akzeptieren als einen Vertreter ihres eigenen oder eines anderen Fachdienstes. Trotzdem ist nicht zu übersehen, dass die Tätigkeit des Anstaltsleiters nur zum kleinen Teil Rechtsanwendung ist. Überwiegend liegen die Aufgaben des Anstaltsleiters auf dem Gebiet der Personalführung und des Managements. Das aber sind Funktionen, auf die keiner der in Betracht kommenden Studiengänge vorbereitet. Außerdem lehren Direktoren der psychiatrischen Kliniken, dass Ärzte durchaus in der Lage sind, eine der Vollzugsanstalt vergleichbare hochkomplexe Einrichtung zu leiten. Auch Psychologen haben sich als Leiter von herkömmlichen Vollzugsanstalten und von Anstalten mit besonderen Vollzugsaufträgen (Jugendvollzug, Sozialtherapie) bewährt. Wer allerdings als Vertreter eines Fachdienstes die Aufgabe des Anstaltsleiters übernimmt, muss sich darüber im Klaren sein, dass damit für ihn nicht die ärztliche Tätigkeit oder die Psychotherapie an erster Stelle stehen darf, sondern eben Personalführung und Management. 3. Vertretung der Anstalt nach außen und Aufgabenübertragung im Wege des 6 Mandats, Abs. 2 Satz 1, VV 2 Abs. 1. Der Anstaltsleiter vertritt – wie jeder andere Behördenleiter, sonst verdiente er die Bezeichnung Leiter nicht – die Anstalt nach außen (Abs. 2 Satz 1). Er entscheidet beispielsweise gegenüber dem Gericht die Frage, ob eine vorzeitige Entlassung oder eine Drogentherapie nach § 35 BtMG befürwortet wird (VGH Baden-Württemberg ZfStrVo 1991, 181 ff mit Anm. Konrad; Böhm 2003, Rdn. 88). Die besondere Hervorhebung der Außenvertretung verleitet jedoch zu dem Missverständnis, sie sei dem Leiter in besonderer Weise und abweichend von den für andere Behörden geltenden Regelungen vorbehalten. Dieses Missverständnis wird außerdem begünstigt durch die Verwaltungstradition aus einer Zeit, in der es unterhalb der Anstaltsleitung noch keinen leistungsfähigen Mittelbau gab. VV Nr. 2 Abs. 1 korrigiert das Bild durch die Bestimmung, dass der Anstaltsleiter schriftlich festzulegen hat, „welche Bediensteten in seinem Auftrag Entscheidungen treffen können“. Zu den Entscheidungen, die im Wege des Mandats übertragen werden, gehören auch viele mit Außenwirkung. Die Verantwortung bleibt – im Gegensatz zu der in Abs. 2 2. Halbsatz geregelten Delegation – beim Anstaltsleiter. Für diese in seinem Auftrag getroffenen Entscheidungen bezieht sie sich auf die zweckentsprechende Auswahl der zu übertragenden Aufgaben und der Beauftragten, die Anleitung und Überwachung der Mitarbeiter und lässt das Recht und in kritischen Fällen die Pflicht des Anstaltsleiters unberührt, dem Beauftragten zur Erledigung seines Auftrags Einzelweisungen zu erteilen oder eine Sache an sich zu ziehen. Auch die Anhörung nach § 108 Abs. 1 (Wünsche, Anregungen und Beschwerden der Gefangenen) kann auf den Abteilungsleiter (OLG Hamm JMBl. NW 1986, 261; ZfStrVo 1987, 382) oder Teilanstaltsleiter (KG ZfStrVo 1988, 125) übertragen werden, soweit es um Fragen geht, die in dessen Zuständigkeit fallen. Hält sich der beauftragte Bedienstete bei seiner Entscheidung an den Rahmen der Aufgabenverteilung, so ist diese Entscheidung eine Vollzugsmaßnahme der Anstalt und als solche nach § 109 ff anfechtbar: einer bestätigenden Entscheidung des Anstaltsleiters bedarf es nicht (OLG Frankfurt NStZ 1994, 381 B). Handelt ein Bediensteter ohne Auftrag, so kann die Entscheidung – je nach Fallgestaltung – gleichwohl der Anstalt zurechenbar und damit, ohne dass zuvor der Anstaltsleiter hätte eingeschaltet werden müssen, nach § 109 anfechtbar sein (BVerfG NStZ 1990, 557). Vgl. hierzu § 109 Rdn. 11. 1121
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4. Abschnitt. Vollzugsbehörden
Bei der Geschäftsverteilung wird der Anstaltsleiter auch zu berücksichtigen haben, dass die Adressaten von Entscheidungen – besonders wenn es sich um Justizbehörden handelt – Wert darauf legen, die Stellungnahme des „Chefs“ oder seines Vertreters (VV Nr. 1) kennenzulernen, weil sie von rechtskundigen Beamten eine besonders verlässliche Äußerung erwarten. Diese Gegebenheiten muss der Anstaltsleiter im Interesse der Sache berücksichtigen, damit sie – z. B. die Stellungnahmen zur Frage der vorzeitigen Entlassung – das wünschenswerte Gewicht haben. Den Fachdiensten und seinen anderen Mitarbeitern wird er dann verständlich machen müssen, warum er sich in solchen Fällen das Zeichnungsrecht vorbehält, damit deren Motivation zur Mitarbeit nicht leidet. Wichtig aber ist vor allem, dass Kontakt und gute Zusammenarbeit auf allen Ebenen geübt werden. Die Grenzen zur „Außenvertretung“ sind fließend. Wenn der Anstaltsleiter gewiss sein kann, dass er über alles Wichtige im Kontakt nach draußen ebenso unterrichtet wird wie über wichtige Vorgänge innerhalb der Anstaltsmauern, kann er seinen Mitarbeitern auch in diesem Bereich Spielraum einräumen (vgl. § 154 Rdn. 5 f). Einige Beispiele mögen das Gemeinte veranschaulichen: natürlich ist es die Sache des Leiters, der Presse gegenüber eine Erklärung über den Selbstmord eines Gefangenen abzugeben; doch können Anstaltsarzt und Anstaltspsychologe im Rahmen einer Pressekonferenz ausführlich zu Wort kommen. Die Grundsatzfrage, ob Gefangene im Wege des Ausgangs in die Abendrealschule aufgenommen werden können, werden Anstaltsleiter und Schulamt klären müssen. Ob aber der Gefangene A den sofort benötigten Personalausweis beschleunigt erhält, die Familie des Gefangenen B in einer dringenden Wohnungsangelegenheit Hilfe findet, entscheidet sich auf der Ebene der Sachbearbeiter. Ob sich die Beamten der Schutzpolizei nachdrücklich an der Nacheile (§ 87 Rdn. 3) und Fahndung nach dem Gefangenen C beteiligen, hängt von den guten Kontakten der Beamten des allgemeinen Vollzugsdienstes zu den Kollegen von der Polizei ab. Gute Beziehungen des Anstaltsleiters zum Oberbürgermeister und zum Polizeipräsidenten sind eine nützliche Sache, können aber den Kontakt an der Basis nicht ersetzen (Erfahrungen Rdn. 15, 16). 7
a) Anzeigepflicht bei Straftaten von Personal oder Gefangenen. Werden dem Anstaltsleiter Straftaten bekannt, die Gefangene während der Zeit der Strafverbüßung begangen haben, so steht ihm bei der Entscheidung der Frage, ob er Strafanzeige erstattet, ein Ermessensspielraum zu. Das Interesse an der Erreichung des Vollzugsziels und die Verpflichtung zum Schutz der Allgemeinheit sind abzuwägen. Wegen Strafvereitelung soll er sich nach Auffassung des OLG Hamburg (NStZ 1996, 102 mit zustimmender Anm. von Klesczewski = ZfStrVo 1996, 371 ff mit abl. Anm. von Kubink, ablehnend ebenso Volckart StV 1996, 608 und Küpper JR 1996, 524) jedoch strafbar machen, wenn er schwere Straftaten von Anstaltsinsassen nicht zur Anzeige bringt. Das OLG hat eine Verwirklichung des Tatbestandes des § 258 a StGB durch Unterlassen angenommen und die für Unterlassungsdelikte geforderte Garantenpflicht (§ 13 Abs. 1 StGB) aus der Vollzugsaufgabe nach § 2 StVollzG abgeleitet, für deren Erfüllung der Anstaltsleiter nach § 156 Abs. 2 Satz 2 die Verantwortung trage. Diese Auffassung hat der BGH (NStZ 1997, 597 mit zust. Anm. Rudolphi) abgelehnt. Das Urteil betrifft den umgekehrten Fall. Gefangene waren von Anstaltsbeamten misshandelt worden und andere Anstaltsbedienstete, die den Vorgang beobachtet hatten, hatten weder den Anstaltsleiter noch die Strafverfolgungsbehörde unterrichtet. Nach dem Urteil des BGH begehen „Strafvollzugsbeamte einer JVA (…) keine Strafvereitelung durch Unterlassen, wenn sie Straftaten, die Anstaltsbedienstete an Gefangenen verübt haben, nicht den Strafverfolgungsbehörden anzeigen“. Strafvollzugsbeamte kämen als Täter nach § 258 a nicht in Betracht; eine Verpflichtung zur Anzeige ergebe sich weder aus den VV noch aus § 2, der eine bloße Zielbestimmungsnorm sei, die nicht einzelne Handlungsgebote enthalte. Vgl. auch § 2 Rdn. 12. Wydra/Pfalzer
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b) Berichtspflicht und Meldepflicht. Anstaltsleiter und Anstaltsbeamte verletzen 8 jedoch ihre Dienstpflichten, wenn sie derartige Straftaten nicht der Aufsichtsbehörde berichten oder dem Anstaltsleiter melden (BGH aaO = BlStV 4/5/1997, 1 mit Anm. Rösch). Diese Dienstpflichten reichen viel weiter als der Verdacht von Straftaten. Die Meldepflicht der Anstaltsbeamten ergibt sich bundeseinheitlich aus Nr. 9 DSVollz (Anhang). Zu melden sind „alle wichtigen Vorgänge unverzüglich“. Die Interpretation der Begriffe gibt einen Ermessensspielraum, der jedoch eng ist. In Dienstbesprechungen und bei der Erörterung von Einzelfällen wird der Anstaltsleiter seinen Mitarbeitern Umfang und Grenzen der Meldepflicht immer wieder verdeutlichen müssen. Der Meldepflicht der Anstaltsbediensteten entspricht die Berichtspflicht des Anstaltsleiters (VV Nr. 3), die von manchen Bundesländern im Erlasswege ergänzend geregelt ist. Bestimmte „besondere Vorkommnisse“ wie Ausbrüche aus dem geschlossenen Bereich, unnatürliche Todesfälle von Gefangenen (§ 159 StPO) sind sofort telefonisch auch außerhalb der Dienststunden (von Bereitschaftsdienst zu Bereitschaftsdienst) zu berichten. Bei anderen Vorkommnissen hat der Anstaltsleiter einen Ermessenspielraum, was den Weg und den Zeitpunkt der Berichterstattung angeht. Auch hier verdeutlichen die Aufsichtsbehörden bei Konferenzen und anhand von Einzelfällen die Grenzen der Berichtspflicht. Insbesondere legen sie Wert darauf, über alle Vorgänge rechtzeitig unterrichtet zu werden, die Anfragen der Medien – Presse, Rundfunk und Fernsehen – auslösen können. Ein für sich genommen unbedeutendes Ereignis kann „berichtspflichtig“ sein, weil es einen im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses stehenden Gefangenen betrifft, oder im Zusammenhang mit aktuellen politischen Vorgängen (radikale politische Gruppen, Drogenhandel) steht. 4. Übertragung von Aufgabenbereichen im Wege der Delegation, Abs. 2 Satz 2, 9 2. HS VV 4. Die Regelung der verantwortungsverschiebenden Übertragung von Aufgabenbereichen (Delegation im Gegensatz zum Mandat, Rdn. 5) hat zu Missverständnissen Anlass gegeben. So lässt die passivische Fassung (Abs. 2 Satz 2 2.HS.) die Auslegung zu, der Anstaltsleiter selbst könne delegieren. Deshalb entspreche es nicht dem Wortlaut und dem Sinn des Gesetzes, wenn VV Nr. 4 diese Übertragung von der Zustimmung der Aufsichtsbehörde abhängig mache (C/MD 2008 Rdn. 6; AK-Feest 2012 Rdn. 8). Diese Kritik ist jedoch unbegründet, weil die Aufsichtsbehörde durch die Delegation unmittelbar betroffen ist und deshalb die Verantwortungsverschiebung mittragen muss. Aus verfassungsrechtlichen Gründen, nämlich zur Gewährleistung der parlamentarischen Verantwortung des Ministers für sein Ressort (z. B. Art. 55 Abs. 2 LV NW), darf durch die verantwortungsverschiebende Aufgabenübertragung kein weisungsfreier Raum entstehen. An die Stelle der Weisungsbefugnis des Anstaltsleiters tritt deshalb zwangsläufig die der Aufsichtsbehörde. Es versteht sich von selbst, dass eine solche Erweiterung der Aufsichtspflichten und der Verantwortung nicht ohne deren Zustimmung der Aufsichtsbehörde gewissermaßen zufallen kann (§ 151 Rdn. 2 ff). Die Delegation wirft aber noch weitere Folgeprobleme auf. So muss der Anstaltsleiter, um die Verantwortung für die nicht übertragenen Aufgabenbereiche tragen zu können, über die übertragenen vollständig unterrichtet sein. Auch wird man ihm ein Kriseninterventionsrecht zugestehen müssen. Das alles bedarf sorgfältiger Regelung, um Kompetenzkonflikten vorzubeugen. Sonst können durch Delegation statt einer sachgemäßeren Aufgaben- und Verantwortungsverteilung zusätzliche Schwierigkeiten und Reibungsverluste entstehen. Es ist daher verständlich, dass von der Möglichkeit der Delegation bisher kaum Gebrauch gemacht wurde und repräsentative Erfahrungen nicht vorliegen (Beispiele Rdn. 15, 16). Im Landesgesetz Niedersachsens wurde – wegen der Verknüpfung mit Folgeproblemen – die Möglichkeit einer verantwortungsverschiebenden Übertragung von Aufgabenbereichen innerhalb des Vollzugs fallen gelassen (Begründung zu § 176 NJVollzG). 1123
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Die Fragen der Verteilung von Aufgaben und Verantwortung werden vielfach mit rechtlichen Argumenten diskutiert, während es in Wahrheit um Macht und Status geht. Doch entspricht es den strukturellen Vorgaben des Gesetzes (C/MD 2008 Rdn. 4), die Entscheidungen – soweit möglich – an die Basis zu verlagern und z. B. bereits die Wohngruppenleiter mit Entscheidungsfunktionen zu betrauen. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass solche Entscheidungen dann anfechtbare Vollzugsmaßnahmen i. S. von § 109 sind (Rdn. 10). Es kann deshalb sinnvoll sein, die in die Rechte der Gefangenen eingreifenden Entscheidungen einem Vorgesetzten (Anstaltsleiter, Abteilungsleiter) vorzubehalten, weniger der Kontrolle wegen als deshalb, weil er die Entscheidung im Falle der Anfechtung im Verwaltungsvorverfahren (§ 109 Abs. 3) oder im Verfahren auf den Antrag auf gerichtliche Entscheidung (§ 109 Abs. 1) vertreten muss (§ 109 Rdn. 11). Außerdem stehen Mitarbeiter, die ständig und sehr nahe mit einem Gefangenen umgehen, in der Gefahr, sich zu sehr mit diesem zu identifizieren. Das kann dazu führen, dass sie bei ihren Entscheidungen zu hohe Risiken eingehen, im Falle der Enttäuschung aber auch zu streng reagieren. Letzten Endes geht es bei diesen Zuständigkeitsregelungen um die Frage der sachgemäßen Zusammenarbeit. Besteht in einer Anstalt ein Vertrauensverhältnis zwischen Leitung und Mitarbeitern und gibt es Möglichkeiten zum offenen Gespräch, so tritt die Bedeutung der Zuständigkeitsfragen und der Abgrenzung von Verantwortung zurück. An die Stelle von Weisung und Gehorsam tritt Kommunikation (C/MD 2008 Rdn. 2). Ein Vertrauensverhältnis muss aber auch zwischen Vollzugsanstalt und Aufsichtsbehörde bestehen. Kontrolle ist nicht besser als Vertrauen, sondern beide Prinzipien, Vertrauen und Kontrolle, müssen im Zusammenwirken aller im Vollzug Tätigen (§ 154 Abs. 1) ihren Platz haben.
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5. Delegation auf Gremien oder Konferenzen. Das Gesetz sieht die Delegation nicht nur auf einzelne Mitarbeiter, sondern ausdrücklich auch zur gemeinsamen Verantwortung vor. Damit ist es möglich, wesentliche Leiter-Befugnisse auf ein Gremium oder auf eine Konferenz zu delegieren. Doch muss zumindest für die Außenwelt die Funktion des Anstaltsleiters als Ansprechpartner erhalten bleiben. Es ist Außenstehenden nicht zuzumuten, dass sie sich zunächst über die Verteilung der Zuständigkeiten informieren müssen (vgl. die Erläuterung zu § 159).
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6. Zustimmung der Aufsichtsbehörde für bestimmte Entscheidungen. Die VV und weitere Verwaltungsvorschriften der Bundesländer verpflichten den Anstaltsleiter, zu bestimmten Entscheidungen (z. B. VV Nr. 1 Abs. 2 Satz 1, Nr. 4 Abs. 2 Satz 3 zu § 10; Nr. 4 Abs. 1 Satz 3, Nr. 5 Abs. 2 Satz 1 zu § 11) die Zustimmung der Aufsichtsbehörde einzuholen. Gleichwohl ist die so getroffene Entscheidung eine Maßnahme des Anstaltsleiters i. S. v. § 109 Abs. 1 und der Antrag auf gerichtliche Entscheidung deshalb gegen diesen zu richten (vgl. vor § 151 Rdn. 2; § 109 Rdn. 20; § 110 Rdn. 5). Ein Zustimmungsvorbehalt für schwerwiegende, seltene Einzelfälle ist akzeptabel. Es widerspricht jedoch dem Sinn des Strafvollzugsgesetzes und ist deshalb ein Missbrauch, wenn sich die Aufsichtsbehörde die Zustimmung zu bloßen Routineentscheidungen wie der Beurlaubung von Gefangenen im geschlossenen Vollzug mit kurzen und mittleren Strafresten vorbehält (dazu AK-Feest 2012 Rdn. 6 zu § 151; Dammann Effizientere Verwaltung mit weniger Personal, in: NRW Justiz intern Nr. 3/1997, 6). Es besteht der Verdacht, dass auf diese Weise die – aus politischen Gründen unerwünschten – hohen Lockerungszahlen reduziert werden sollen. Die Rechnung geht erfahrungsgemäß auf, weil die Anstalten bei der Prüfung von Lockerungswünschen die vermutete Entscheidung der Aufsichtsbehörde in ihre Überlegungen einbeziehen. Sie möchten vermeiden, dass ihre Vorschläge „abgeschmettert“ werden und die Arbeit des Vorlageberichts verWydra/Pfalzer
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geblich war. So wird dem Gefangenen der Rat erteilt, keinen Antrag – weil ohnehin aussichtslos – zu stellen. Verfolgt der Gefangene sein Anliegen trotzdem weiter, so wird der Antrag schon in der Anstalt abgelehnt. 7. Aufsicht des Anstaltsleiters über die Fachdienste. Die Frage der Fachaufsicht 13 (§ 151 Rdn. 2 für die Aufsichtsbehörde) des Anstaltsleiters über die Angehörigen der Fachdienste ist durch VV Nr. 2 Abs. 2 und 3 geregelt. Die Worte „bis zur Entscheidung der Aufsichtsbehörde“ (VV Nr. 2 Abs. 3) zeigen, dass es auch hier einen weisungsfreien Raum nicht gibt. Die Aufsichtsbehörde bedient sich bei ihrer Entscheidung eigener Fachkräfte oder fachlicher Beratung (§ 151 Abs. 2). Obwohl Konflikte zwischen Anstaltsleiter und Fachdiensten nicht selten vorkommen, hat diese Vorschrift kaum praktische Bedeutung, war insbesondere bisher nicht Gegenstand gerichtlicher Überprüfung. Aus diesem Grunde blieb bisher unentschieden, ob hier ein Sonderfall der verantwortungsverschiebenden Delegation i. S. v. Abs. 2 Satz 2, 2. HS vorliegt. Die Frage dürfte indessen zu verneinen sein, weil der Anstaltsleiter nicht wie im Fall der Delegation von der (alleinigen) Entscheidung ausgeschlossen ist, sondern nur soweit, wie sich die Angelegenheiten der Fachdienste seiner Beurteilung entziehen. So sind auch die Entscheidungen des Anstaltsarztes dem Anstaltsleiter, der allein die Vollzugsbehörde repräsentiert, zuzurechnen (unzutreffend LG Arnsberg NStZ 1984, 46 mit abl. Anm. Flügge NStZ 1984, 430 f für den Fall einer Verlegung nach § 65 Abs. 2; OLG Hamm 28.2.1986 – 1 Vollz (Ws) 196/85). Auch über die Einsicht in die Krankenakten entscheidet der Anstaltsleiter, wenn auch nach Beratung durch den Anstaltsarzt (OLG Nürnberg 25.5.1985 – Ws 1072/84; KG 10.12.1984 – Ws 363/84 Vollz). Praktische Beispiele für Konflikte: Mit dem Seelsorger über die Grenzen des Seelsorgegeheimnisses (§ 157 Rdn. 21 ff), mit dem Anstaltsarzt über den Aufwand für Facharztvorführungen und Arzneimittel (§ 58 Rdn. 11, 14 ff), mit dem Psychologen über das Risiko von Lockerungen (§ 11 Rdn. 14). In der Praxis sind seltener Fachfragen als Fragen der Organisation, der gegenseitigen Information und der Zusammenarbeit im allgemeinen Anlass zu Konflikten (VGH Baden-Württemberg ZfStrVo 1991, 181 ff mit Anm. von Konrad; Rotthaus 1995, 525). Wenn sich die Meinungsverschiedenheiten nicht in Gesprächen – ggf. unter Beteiligung der Fachreferenten oder der Fachberater der Aufsichtsbehörde oder durch Supervision – auflösen lassen, führen sie oft zu einer Emotionalisierung und zur Beendigung der Zusammenarbeit. Der Mitarbeiter scheidet aus dem Dienstverhältnis aus oder – wenn er Schwierigkeiten voraussieht, einen neuen Arbeitsplatz zu finden – beschränkt seine Tätigkeit auf das unbedingt Notwendige (innere Kündigung). Auskunft verlangen und Anregungen geben (VV Nr. 2 Abs. 2) sind selbstverständliche Elemente guter Zusammenarbeit. Der Anstaltsleiter ist auf die Auskünfte der Mitarbeiter angewiesen, wenn er über das, was in der Anstalt vorgeht, unterrichtet sein will. „In fachlichen Angelegenheiten (…), die sich seiner Beurteilung entziehen“, ist ihm der Mund nicht verboten. Er kann und muss nachfragen und aus seiner Sicht Stellung nehmen. Das Auskunftsrecht gilt freilich nicht unbeschränkt. Es ist das Beichtgeheimnis (§ 139 Abs. 2 StGB) zu beachten. Außerdem besteht für die in § 203 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 5 StGB genannten Fachkräfte (Ärzte, Zahnärzte und ihre Hilfspersonen, Diplom-Psychologen, Diplom-Sozialarbeiter und Diplom-Sozialpädagogen) auch dem Anstaltsleiter gegenüber Schweigepflicht für das ihnen von einem Gefangenen als Geheimnis Anvertraute, soweit nicht § 182 Abs. 2 Satz 2 oder 3 ausnahmsweise die Offenbarung des Geheimnisses gebieten oder erlauben. 8. Einschränkungen der Übertragung bei besonderen Sicherungs- und Diszip- 14 linarmaßnahmen. Die mit Entkleidung verbundene Durchsuchung des Gefangenen 1125
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(§ 84 Abs. 2), besondere Sicherungsmaßnahmen (§ 88) und Disziplinarmaßnahmen (§ 103) greifen tief in die Persönlichkeitsrechte des Gefangenen ein. Außerdem sind sie Anzeichen für Krisen im geordneten Zusammenleben in der Anstalt. Die Befugnis zur Anordnung, die auch generell auf einen anderen Justizbediensteten übertragen werden kann (LG Hildesheim LS 18.12.2006 – 23 StVK 566/06) darf deshalb insoweit nur mit Zustimmung der Aufsichtsbehörde übertragen werden. Diese Zustimmung kann abstrakt vorab erteilt werden (LG Hildesheim aaO). Gleiches gilt für die Anordnung von Einzelhaft (§ 90), da es sich hier um einen Qualifizierungstatbestand zu § 88 Abs. 2 Satz 3 handelt (OLG Hamm ZfStrVo 2000, 179 f). So wird sichergestellt, dass ein leitender Beamter der Anstalt, neben dem Anstaltsleiter kommt dessen Vertreter oder ein Abteilungsleiter in Betracht, über die Vorfälle unterrichtet wird und die Verantwortung übernehmen kann. III. Beispiele Erfahrungen mit der Aufgabenübertragung. Im Allgemeinen ist das Mandat (VV Nr. 2 Abs. 1) das geeignete und ausreichende Instrument, um Entscheidungszuständigkeiten nach unten zu verlagern. Bei größeren Anstalten sollte der Abteilungsleiter oder Teilanstaltsleiter für alle Entscheidungen zu Fragen der Behandlung der Gefangenen bis hin zum Urlaub und zur Stellungnahme wegen der vorzeitigen Entlassung zuständig sein. Dann verändert sich für die Gefangenen wie für das Personal das Klima der Anstalt grundlegend, weil ein „Anstaltsleiter zum Anfassen“ da ist, den man täglich sieht und ansprechen kann. Die skeptischen Ausführungen von Feldmann (1985, 68 f) dürften damit zusammenhängen, dass der Abteilungsleiter dort nicht selbst entscheiden konnte, sondern dem Anstaltsleiter lediglich zuarbeitete. Das ist weder Mandat noch Delegation (für die heutige Mandatierung in Nordrhein-Westfalen: Salewski Vollzugsabteilungen in NRW Justiz intern Nr. 3/1997, 2). Die Delegation von Entscheidungszuständigkeit und Verantwortung ist dort 16 sinnvoll und hat sich bewährt, wo Fachkunde besondere Geltung beanspruchen kann: im Einweisungsverfahren (§ 152 Rdn. 14), in sozialtherapeutischen Anstalten (OLG Celle ZfStrVo 1984, 168 – Anstaltskommission der JVA Gandersheim; Rotthaus 1981, 324 – Behandlungskonferenz) und in einem Justizvollzugskrankenhaus (Organisationsstatut für das Justizvollzugskrankenhaus NRW in Fröndenberg – AV des JM vom 7.1.2010 (4402 – IV.106) – JMBl. NRW S. 52). Eine solche Regelung sollte dann aber, wie in Nrn. 6 und 7 aaO geschehen, auf die gesetzliche Ausnahmeregelung Bezug nehmen und die „anderen Vollzugsbediensteten“ (Ärztlicher Direktor, Leitender Arzt einer Krankenabteilung u. a.) ebenso benennen wie diejenigen, die an Stelle des Behördenleiters die Dienstaufsicht übernehmen (Nr. 2.1 aaO: Justizministerium). 15
IV. Landesgesetze und Musterentwurf 17
1. Baden-Württemberg. § 13 Abs. 1 und 2 JVollzGB I entspricht inhaltlich § 156 Abs. 1 und 2 Satz 1, 2. HS StVollzG. Eine § 156 Abs. 2, 2. HS und Abs. 3 StVollzG entsprechende Regelung der Delegationsbefugnis wurde nicht getroffen. In der Gesetzesbegründung (LT-Drucks. 14/5012, 174) heißt es hierzu: „Die Regelung sieht von der Eröffnung der Möglichkeit ab, bestimmte Aufgabenbereiche der einzelnen oder gemeinsamen Verantwortung anderer Vollzugsbediensteter zu übertragen. Dieses, der üblichen Verwaltungsorganisation fremde, Institut der sogenannten Verantwortungsdelegation ist im Bereich des Strafvollzugs (…) seit langem ohne praktische Relevanz. Hiervon unberührt bleibt die Organisationshoheit (…) des Anstaltsleiters, beWydra/Pfalzer
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stimmte Aufgaben ohne Abgabe der „Letztverantwortung“ (…) auf Mitarbeiter im Wege der sogenannten Auftragsdelegation zu übertragen.“ 2. Bayern. Art. 177 BayStVollzG ist mit § 156 StVollzG bis auf die geschlechtsspezifi- 18 sche Differenzierung identisch. 3. Hamburg. § 104 HmbStVollzG entspricht in den Absätzen 1 bis 3 vollinhaltlich bis 19 auf redaktionelle Anpassungen § 156 StVollzG. Abs. 4 übernimmt die Regelung der VV Nummer 1 zu § 156 StVollzG mit redaktionellen Anpassungen in das Gesetz. 4. Hessen. § 75 Abs. 1 und 2 HStVollzG entspricht inhaltlich im Wesentlichen § 156 20 StVollzG. Allerdings kann sich die Aufsichtsbehörde die Zustimmung zur Übertragung von Entscheidungsbefugnissen auf andere Bedienstete in jedem Fall vorbehalten. 5. Niedersachsen. § 176 NJVollzG entspricht im Wesentlichen § 156 StVollzG; er ist 21 wie folgt aufgebaut: Abs. 1 Satz 1 entspricht inhaltlich § 156 Abs. 2 StVollzG, ist aber redaktionell neu gefasst: „Die Anstaltsleiterin oder der Anstaltsleiter trägt die Verantwortung für den gesamten Vollzug in der Anstalt, vertritt die Anstalt in den ihr als Vollzugsbehörde obliegenden Angelegenheiten nach außen und regelt die Geschäftsverteilung innerhalb der Anstalt“. Abs. 1 Satz 2 ist bis auf geschlechtsspezifische Änderungen inhaltsgleich mit § 156 Abs. 3 StVollzG. Abs. 2 ist neu gefasst und lautet: „Die Anstaltsleiterin oder der Anstaltsleiter und ihre oder seine Vertreterinnen oder Vertreter müssen hauptamtlich tätig sein und in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis zum Land stehen. Sie werden vom Fachministerium bestellt“. In der Gesetzesbegründung (LT-Drucks. 15/3565, 210) heißt es u. a.: „Der Entwurf stellt klar, dass auch eine Übertragung der Aufgabenwahrnehmung auf öffentliche oder nicht-öffentliche Stellen (§ 178 des Entwurfs) die Gesamtverantwortung der Anstaltsleitung nicht berührt. Folgerichtig wurde auch die Möglichkeit einer verantwortungsverschiebenden Übertragung von Aufgabenbereichen innerhalb des Vollzugs fallen gelassen, da sie mit erheblichen Folgeproblemen verknüpft ist (vgl. Schwind/Böhm/Jehle aaO, § 156 Rdn. 6).“ „§ 176 Abs. 1 Satz 2 des Entwurfs ist Ausfluss der parlamentarischen Verantwortung der Ministerin oder des Ministers.“ „§ 176 Abs. 2 des Entwurfs betont die Stellung der Anstaltsleitung als weisungsgebundener Teil der Landesverwaltung. Wegen der besonderen hoheitlichen Befugnisse der Anstaltsleitung sieht der Entwurf vor, dass nur Angehörige des öffentlichen Dienstes, die in einem öffentlich-rechtlichen Dienstund Treueverhältnis stehen, hiermit betraut werden können (Art. 33 Abs. 4 GG). Auf den statusrechtlichen Begriff des Beamten im engeren Sinn ist nicht abzustellen.“ Eine Übernahme der Formulierung des § 156 Abs. 1 StVollzG wird als unnötig abgelehnt. „Nach der Entwurfsregelung bestellt das Fachministerium die Mitglieder der Anstaltsleitung. Das Fachministerium wird in der Lage sein, auf eine hinreichende Qualifikation der betreffenden Personen zum achten; insoweit gilt Art. 33 Abs. 2 GG. Die Regelung in Abs. 2 ist lediglich im Hinblick auf Art. 33 Abs. 4 GG geboten.“ 6. Musterentwurf. § 95 Abs. 1 und 2 ME-StVollzG entspricht inhaltlich § 156 22 Abs. 2 und 1 StVollzG mit der Prämisse, dass sich die Aufsichtsbehörde die Zustimmung zur Übertragung von Aufgabenbereichen auf andere Bedienstete vorbehalten kann 1127
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4. Abschnitt. Vollzugsbehörden
(§ 95 Abs. 1 Satz 2 ME-StVollzG). Eine dem § 156 Abs. 3 StVollzG entsprechende Regelung fehlt.
§ 157 Seelsorge § 157 Schäfer Seelsorge (1) Seelsorger werden im Einvernehmen mit der jeweiligen Religionsgemeinschaft im Hauptamt bestellt oder vertraglich verpflichtet. (2) Wenn die geringe Zahl der Angehörigen einer Religionsgemeinschaft eine Seelsorge nach Absatz 1 nicht rechtfertigt, ist die seelsorgerliche Betreuung auf andere Weise zuzulassen. (3) Mit Zustimmung des Anstaltsleiters dürfen die Anstaltsseelsorger sich freier Seelsorgehelfer bedienen und für Gottesdienste sowie für andere religiöse Veranstaltungen Seelsorger von außen zuziehen. Schrifttum S. Vor § 53; Schäfer Das Verhältnis von Staat und Kirche am Beispiel der Gefängnisseelsorge in Hessen, in Wever/Faber/Lösch (Hrsg.) 2008; Heusel Freie Seelsorge. Zum Verständnis von § 157 Abs. 3 Strafvollzugsgesetz, in: ZfStrVo 1981, 364 ff.
I.
II.
Übersicht Allgemeine Hinweise ____ 1–5 1. Organisatorische Grundlagen ____ 1–3 2. Anzahl der Seelsorger ____ 4 3. Räume ____ 5 Erläuterungen ____ 6–23 1. Seelsorger und Mitarbeiter ____ 6–12 2. Sonderstellung innerhalb der Vollzugsanstalt ____ 13–17 3. Tätigkeit des Seelsorgers ____ 18–21 4. Schweigerecht ____ 22–24
III. IV.
Beispiele ____ 25, 26 Landesgesetze und Musterentwurf ____ 27–32 1. Baden-Württemberg ____ 27 2. Bayern ____ 28 3. Hamburg ____ 29 4. Hessen ____ 30 5. Niedersachsen ____ 31 6. Musterentwurf ____ 32
I. Allgemeine Hinweise 1
1. Organisatorische Grundlagen. Die Vorschrift regelt die organisatorischen Grundlagen für die Seelsorge in den Justizvollzugsanstalten (BT-Drucks. 7/918, 97). Besteht vom Verfassungsrecht her (Art. 140 GG i. V. m. Art. 141 WRV) nur die Verpflichtung, Seelsorge zuzulassen, geht § 157 insoweit darüber hinaus, als ausdrücklich die Bestellung von Seelsorgern vorgesehen ist. Dabei überlässt die bundesrechtliche Regelung den Ländern für die Art und Weise, wie die Seelsorge in die Organisation der Vollzugsanstalt einbezogen wird, einen gewissen Spielraum. Die institutionelle Einbindung des Anstaltsseelsorgers kann durch Beamtenrecht oder durch (z. B. Angestellten-)Vertrag gestaltet sein oder auch auf der Grundlage eines Gestellungsvertrages zwischen Staat und Kirche beruhen. Die vollzugsorganisatorische Zuordnung von Seelsorgern, die im Einvernehmen mit dem Staat von einer Kirche in den Dienst der Gefängnisseelsorge berufen sind, begründet sich in einem Dienstverhältnis, dessen wesentliche Merkmale in Vereinbarungen zwischen Staat und Kirche festgelegt sind. (Ausführlich Eick-Wildgans 1993, 175 ff; vgl. auch vor § 53 Rdn. 6). Es herrscht heute weitgehend Übereinstimmung, dass eine Verbeamtung im Sinne des staatlichen Rechts die Auslieferung des kirchlichen Dienstes an sachfremde Gesichtspunkte darstellen und zu einer Verfälschung des kirchSchäfer
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lichen Auftrags führen würde. Auf den „schmalen Grat“ zwischen religiöser Ethik und staatlicher Machtausübung wird zutreffend, wenn auch etwas überspitzt, hingewiesen (AK-Huchting/Müller-Monning 2012 § 53 Rdn. 6). Eine „ehrlichere“ Lösung liegt darin, die Anstaltsseelsorger in kirchlichen Diensten zu belassen und ihr Rechtsverhältnis zum Staat als ein Rechtsverhältnis besonderer Art, d. h. in einvernehmlicher Regelung unter Berücksichtigung der spezifisch kirchlichen und spezifisch staatlichen Belange, zu qualifizieren (Eick-Wildgans 1993, 187 f). Unabhängig davon, ob der Seelsorger in einem staatlichen oder kirchlichen Dienst- 2 verhältnis steht, kennzeichnet die Möglichkeit der Heranziehung anderer Seelsorger und Seelsorgehelfer neben dem Anstaltsseelsorger (vgl. Rdn. 9 und 10) die Seelsorge in den Justizvollzugsanstalten prinzipiell als eine Aufgabe der Kirchen und nicht lediglich als Sache eines abgeordneten Amtsträgers, der eine staatliche Aufgabe unterstützt (Pirson 1989, 32). Die eventuell vorzeitige Abberufung eines Seelsorgers richtet sich nach den Modali- 3 täten seines Anstellungsverhältnisses. Auch im Interesse des Rechtsschutzes eines Seelsorgers in kirchlichem Dienstverhältnis sollte seine Kirche über eine genaue Kenntnis des Arbeitsfeldes und der situationsangemessenen Seelsorgepraxis verfügen. Es erscheint in diesem Zusammenhang unverständlich, dass dem betroffenen Seelsorger nur in wenigen Ländervereinbarungen ausdrücklich das Recht auf Anhörung vor einer Entscheidung sowohl kirchlicher- wie staatlicherseits gewährt wird. Allerdings dürfte unstrittig sein, dass auch hier der Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs zu beachten ist. 2. Anzahl der Seelsorger. Die Vollzugsbehörde ist verpflichtet, für jede Anstalt ent- 4 sprechend ihrer Aufgabe auch die erforderliche Anzahl von Seelsorgern vorzusehen (§ 155 Abs. 2). Wie viele Seelsorger in jedem Fall benötigt werden, ist mehr von der jeweiligen Besonderheit der einzelnen Vollzugsanstalt als von Schlüsselzahlen abhängig. Für je 250 Gefangene sollte aber in der Regel ein hauptamtlicher Seelsorger zur Verfügung stehen, forderte schon 1970 der Bund der Strafvollzugsbediensteten Deutschlands e.V. in seiner Denkschrift zur inneren Reform des Strafvollzuges; heute wird man diese Zahl wegen der differenzierteren Aufgabenstellung nach Inkrafttreten des StVollzG und der faktischen Gegebenheiten und Möglichkeiten auch für die Seelsorge jedenfalls nicht niedriger anzusetzen haben. In einer Jugendstrafanstalt sollte ein Seelsorger in der Regel nicht mehr als 100 Angehörige seiner Konfession betreuen müssen (SchlussB, 41). In der Bundesrepublik Deutschland sind jeweils annähernd 300 evangelische und katholische Seelsorger und Seelsorgerinnen in den Vollzugsanstalten tätig. Angehörige anderer Konfessionen und nichtchristlicher Religionsgemeinschaften werden im Einzelfall durch ihren Seelsorger betreut. Dem hohen Anteil muslimischer Gefangener wird zunehmend auf ehrenamtlicher Basis durch den Einsatz von Imamen als Seelsorger Rechnung getragen (Kamann 2002 Rdn. 627 unter Berufung auf eine Notiz in ZfStrVo 1999, 40). Haushaltsmittel zur Refinanzierung von Stellen für die religiöse Betreuung muslimischer Gefangener stehen in der Regel nicht zur Verfügung. Die im Einzelfall geltend gemachten Aufwendungen werden i.d.R. aus dem allgemeinen Verwaltungsbudget der Anstalten getragen. Zur Verstärkung der Mittel wurden in Hessen für das Haushaltsjahr 2012 Sachkosten in Höhe von 50.000 € bewilligt (HMdJIE 2011). 3. Räume. Die Bereitstellung zweckdienlich eingerichteter Räume (§ 145) gehört mit 5 zu den organisatorischen Grundlagen für die Seelsorge. Der Seelsorger hat Anspruch auf ein geeignetes Dienstzimmer zur ungehinderten Führung seelsorgerlicher Gespräche (§ 53) und auf die Zuteilung geeigneter Räume für Gottesdienste und für seine anderen 1129
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Gemeinschaftsveranstaltungen (§ 54). Vereinbarungen auf Landesebene sehen z. T. vor, dass die Planung, Gestaltung und Einrichtung von Gottesdiensträumen in einer Vollzugsanstalt durch das Land im Einvernehmen mit der Kirche erfolgt (etwa Hessen, Saarland, Sachsen, Thüringen). Trotz eindeutiger Regelungen und immer wieder bekundeten Verständnisses der Vollzugsbehörden bestand und besteht für die Anstaltsseelsorge zuweilen Veranlassung, auf ihren diesbezüglichen Anspruch und auf die Einholung des Einvernehmens hinzuweisen. So wurden in Zeiten der Überbelegung Kirchenräume für die Gemeinschaftsunterbringung von Gefangenen zweckentfremdet. Gottesdienste sollten in Sporthallen bzw. Mehrzweckräumen oder in abgelegenen und engen Kellerräumen stattfinden. II. Erläuterungen 6
1. Seelsorger und Mitarbeiter. Die Seelsorge in Vollzugsanstalten wird von hauptoder nebenamtlichen Seelsorgerinnen und Seelsorgern wahrgenommen, denen wie in den Kirchengemeinden haupt-, neben- und ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zur Seite stehen. Das StVollzG trägt dem durch die Vorschriften der §§ 157 und 154 Abs. 2 Rechnung.
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a) In größeren Vollzugsanstalten sind in der Regel voll- oder teilzeitbeschäftigte Seelsorger im Hauptamt tätig (Abs. 1). Ihre dienstrechtliche Stellung ist unterschiedlich geregelt (s. Rdn. 1).
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b) In kleineren Vollzugsanstalten (etwa bis zu 200 Haftplätzen) wird die Seelsorge im Allgemeinen durch vertraglich verpflichtete nebenamtliche Seelsorger ausgeübt, die im Übrigen einen Auftrag in einer Kirchengemeinde oder in einer anderen kirchlichen Tätigkeit wahrnehmen. Wo die geringe Zahl der Angehörigen einer Religionsgemeinschaft eine haupt- oder nebenamtliche Seelsorge nicht rechtfertigt, ist die religiöse Betreuung auf andere Weise zu ermöglichen (Abs. 2). Dies erfolgt in der Regel über die Zulassung als ehrenamtliche Mitarbeiter und schafft eine weitere organisatorische Voraussetzung zur Durchführung der religiösen Betreuung. Sofern nicht in Einzelfällen vertragliche Vereinbarungen geschlossen sind, wird die Betreuung von jüdischen, muslimischen und anderen, auch christlich orientierten Religionsgemeinschaften, überwiegend in dieser Form praktiziert (Siehe HMdJIE 2011).
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c) Für Gottesdienste und andere religiöse Veranstaltungen besteht die Möglichkeit der Hinzuziehung weiterer Seelsorger von außen; dazu ist die Zustimmung des Anstaltsleiters erforderlich (Abs. 3). Darüber hinaus ist es üblich, z. B. Chöre und andere Gruppen von außen an Gottesdiensten in den Vollzugsanstalten zu beteiligen. Das Erfordernis der Zustimmung des Anstaltsleiters gilt hierbei in gleicher Weise.
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d) Die Anstaltsseelsorger dürfen sich ebenso mit Zustimmung des Anstaltsleiters freier Seelsorgehelfer bedienen (Abs. 3). Die Bezeichnung des Seelsorgehelfers als „frei“ weist aus, dass sich der Seelsorgehelfer im Unterschied zum Anstaltsseelsorger nicht in einem Dienstverhältnis zur Justizbehörde befindet, sondern von außen kommt. Es handelt sich hierbei um Mitarbeiter der betreffenden Kirche mit ausreichender Qualifikation, die im Gesamtbereich der Anstaltsseelsorge (evtl. mit individuellen Schwerpunkten) in Absprache mit dem Anstaltsseelsorger tätig sind. Die Berufung erfolgt auf Vorschlag des Seelsorgers mit Zustimmung des Anstaltsleiters durch die Kirche unter förmlicher Zuordnung zum Anstaltsseelsorger. Pflichten und Rechte des freien Seelsorgehelfers entSchäfer
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sprechen gemäß dieser Einbindung in den kirchlichen Bereich denen des im Hauptamt bestellten bzw. vertraglich verpflichteten Seelsorgers unter Berücksichtigung der Tatsache, dass er ihm zugeordnet ist (vgl. zum Ganzen Heusel ZfStrVo 1981, 364 ff; zum Schweigerecht s. Rdn. 21). e) Ein subjektives Recht von einzelnen Kirchenangehörigen auf Beteiligung an der 11 Seelsorge unabhängig vom Anstaltsgeistlichen besteht nach § 157 nicht (vgl. Pirson 1989, 32). Mitglieder der Religionsgemeinschaften können gem. § 154 Abs. 2 als ehrenamtliche Mitarbeiter (Vollzugshelfer) mit der Vollzugsanstalt und dem hier tätigen Seelsorger zusammenarbeiten. Die näheren Bestimmungen sind in Verwaltungsvorschriften der Länder geregelt (s. die Loseblattsammlung von Rassow 1976). Auf das Recht zur seelsorgerlichen Verschwiegenheit können sie – anders als die Seelsorgehelfer (Rdn. 10) – sich nicht berufen (vgl. Rdn. 21). f) Die Zusammenarbeit des Seelsorgers mit den vielfältigen Arbeitszweigen und 12 Dienststellen der Kirche und ihrer Diakonie, z. B. mit kirchlichen Sozialarbeitern, mit den Fachkräften kirchlicher Jugend-, Ehe- und Familienberatungsstellen, der Suchtkrankenhilfe, mit Mitarbeitern kirchlicher Bildungseinrichtungen ist nach § 154 Abs. 2 möglich. 2. Sonderstellung innerhalb der Vollzugsanstalt. Die Sonderstellung, die der 13 Seelsorger innerhalb der Vollzugsanstalt einnimmt, entspricht der staatskirchenrechtlichen „Doppelstellung“ (C/MD 2008 Rdn. 2). Selbst wenn er in einem staatlichen Dienstverhältnis steht, ist er stets durch die Ordination an den Auftrag der Kirche bzw. durch eine adäquate Verpflichtung an den einer Religionsgemeinschaft gebunden und hat pastorale Aufgaben zu erfüllen. Der Anstaltsleiter kann dem Geistlichen für Verkündigung und Seelsorge keine Weisungen erteilen und hat auch nicht das Recht, den Seelsorger gegen kirchliches Selbstverständnis von Seelsorge zur Mitwirkung im Vollzug zu veranlassen (Kirchenkanzlei 1979, 18). Dem steht die Auskunftspflicht des Seelsorgers gegenüber dem Anstaltsleiter in fachlichen Angelegenheiten seines Dienstes (VV zu § 156 Nr. 2 Abs. 2) nicht entgegen. Sie bezieht sich nicht auf Angelegenheiten, die unter die Schweigeverpflichtung des Seelsorgers (Rdn. 21, 22) fallen. Die umfassende Verantwortung des Anstaltsleiters für den gesamten Vollzug (§ 156 Abs. 2) kann er hinsichtlich der Seelsorge nur als Rechtsaufsicht in Gestalt einer allgemeinen Aufsicht über die Dienstführung bezüglich der Einhaltung der Sicherheits- und Ordnungsvorschriften ausüben (Walter 1999 Rdn. 193). Folge dieser Sonderstellung ist in Hessen die Rundverfügung der Staatsanwaltschaft beim Oberlandesgericht Frankfurt/M vom 7.12.1983 (Geschäftszeichen 410–476) aufgrund des Erlasses des Hessischen Ministers der Justiz vom 17.11.1983 (4104-III/2-825/83). So wurden die nachgeordneten Staatsanwaltschaften gebeten, bei Zwangsmaßnahmen im Rahmen von Ermittlungsverfahren gegen Geistliche mit der gebotenen Behutsamkeit vorzugehen. Dazu gehört zum Beispiel, dass der ermittelnde Staatsanwalt selbst (und nicht die Kriminalpolizei allein) die Vollstreckung eines Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlusses, der sich auf die Dienst- und Wohnräume des Beschuldigten bezieht, leitet. Dazu kann auch gehören, dass dem Beschuldigten, der von einer solchen Durchsuchungs- oder Beschlagnahmeanordnung betroffen ist, Gelegenheit gegeben wird, sich zu Beginn mit seiner kirchlichen Dienststelle in Verbindung zu setzen. Den Vertretern der Kirchenbehörde kann anschließend auch gestattet werden, bei der Durchführung der Durchsuchung anwesend zu sein, selbstverständlich unter der Voraussetzung, dass der Durchsuchungszweck nicht gefährdet wird. 1131
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Der Seelsorger gehört auf der anderen Seite zum Kreis der Vollzugsbediensteten (§ 155 Abs. 2), unabhängig davon, in welchem Anstellungsverhältnis er zur Vollzugsanstalt steht. Er ist verpflichtet, mit den anderen Vollzugsbediensteten zusammenzuarbeiten und daran mitzuwirken, die Aufgaben des Vollzuges zu erfüllen (§ 154 Abs. 1). Das schließt ihn an den Informations- und Interaktionskreislauf in der Vollzugsanstalt an und beinhaltet auch die Teilnahme an Konferenzen (Kirchenkanzlei 1979, 18). So ist die Anstaltspfarrerin oder der Anstaltspfarrer insbesondere unverzüglich über besondere Vorkommnisse (z. B. Selbstmordversuch; Unterbringung in einem besonders gesicherten Haftraum pp.) zu informieren (so z. B. Ziff. 6d der Dienstordnung für die evangelischen und katholischen Anstaltspfarrer, die das Hessische Ministerium der Justiz im Einvernehmen mit den Kirchen und Bistümern erlassen hat – JMBl. 1977, 719). Er hat jedoch keine hoheitsrechtlichen Befugnisse, wenn er als Geistlicher von seiner Religionsgemeinschaft im Einvernehmen mit der Justizbehörde in die Gefängnisseelsorge berufen und damit kein Landesbeamter ist. Der Anstaltspfarrer verkörpert (nur) insofern die Vollzugsbehörde (KG NStZ 1987, 295), als der Gefangene davon ausgehen kann, dass der Seelsorger nichts im Vollzug Unerlaubtes tut (Böhm in: Konferenz der katholischen Seelsorger bei den JVA in der Bundesrepublik Deutschland (Hrsg.), Seelsorge im Strafvollzug. Bd. 12, Münzenberg 1994, 28). Der Seelsorger kann erwarten, dass die Vollzugsbehörde ihn von der Aufnahme eines Angehörigen seiner Konfession durch Übermittlung eines eingeschränkten Datensatzes verständigt (Art. 136 Abs. 3 WRV i. V. m. Art. 140 GG, vgl. § 53 Rdn. 12), sofern der Gefangene der Weitergabe nicht widersprochen hat. Das Recht auf Übermittlung von Daten und Einsicht in die Personalakten ist für den Seelsorger auf seinen Wirkungsbereich beschränkt. Soweit personenbezogene Daten zur Erfüllung der ihm obliegenden Aufgaben oder, über die eigene begrenzte Zuständigkeit hinaus, für die Zusammenarbeit nach § 154 Abs. 1 erforderlich sind, hat der Seelsorger das Recht, sich diese in dem hierzu notwendigen Umfang zu verschaffen (§ 183 Abs. 1). Gefangene können diesem Recht durch Verweigerungserklärung bzw. Kirchenaustritt die Grundlage entziehen (AKHuchting/Müller-Monning 2012 Rdn. 11) oder es auch durch Einwilligungserklärung ausdrücklich und ggf. extensiv feststellen. Gefängnisseelsorge wird sich freilich essentiell weniger an einer umfassenden Datenfülle über den Gefangenen als an der Einsicht orientieren, dass ein Mensch mehr ist als die Summe seiner Taten und erst recht etwas anderes als die Summe seiner Daten (Stein ZevKR 1996, 38). 15 Bei verwaltungsorganisatorischen Änderungen im Rahmen der „Neuen Verwaltungssteuerung“ ist darauf zu achten, dass die hauptamtlichen Seelsorgerinnen und Seelsorger nicht schon dadurch zu „ehrenamtlichen Mitarbeitern“ werden, dass sie nicht Landesbedienstete sind und im Personalhaushalt Stellen für sie nicht enthalten sind. Es ist daher unzulässig, Dienstausweise vorzuenthalten und nur noch „Ehrenamtsausweise“ auszustellen. In Hessen erhalten seit Mai 2007 im Einvernehmen mit den evangelischen Kirchen und den katholischen Bistümern alle hauptamtlichen Seelsorgerinnen und Seelsorger besondere einheitliche „Ausweise“. Der einheitliche Ausweis dient als amtliche Legitimation, um z. B. in Vertretungsfällen der Seelsorgerinnen und Seelsorger untereinander einen möglichst problemlosen Zugang zu den Anstalten zu erhalten. Ebenso kann der Ausweis bei der Begleitung von Gefangenen oder beim Besuch von Angehörigen zur Legitimation notwendig sein (RdErl. des HMdJIE vom 23. Mai 2007 – 4561 – IVB 1 – 2007/2242 – IV/B). Die nunmehrige einvernehmliche Regelung zwischen Ministerium und Kirchen bzw. Bistümern kann allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass auf der Grundlage angeblich zwingender betriebswirtschaftlicher Notwendigkeiten staatlicherseits geltende Vereinbarungen mit Kirchen und Bistümern zunächst nicht eingehalten wurden. Außerdem wurde mit dem „Sonderausweis“ für Seelsorgerinnen und
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Seelsorger ein Sonderstatus geschaffen, der kaum mit Art 2 der Vereinbarungen über die evangelische und katholische Seelsorge an hessischen Justizvollzugsanstalten von 1977 (… „Der Anstaltspfarrer … hat für die Dauer seiner Tätigkeit innerhalb der Justizvollzugsanstalt die gleichen Rechte wie die Vollzugsbediensteten.“) übereinstimmen dürfte (vgl. hierzu ausführlich AK-Huchting/Müller-Monning Rdn. 2). Bei der Inpflichtnahme des Seelsorgers geht das StVollzG von einer gleichgerichte- 16 ten Zielsetzung von staatlichem Vollzug und Anstaltsseelsorge im Sinne der Resozialisierung aus; dem Geistlichen muss jedoch für seine Seelsorgepraxis Freiheit zu eigener Beurteilung bleiben (vgl. Rdn. 20, auch § 53 Rdn. 4). Die durch § 154 begründete generelle Pflicht des Seelsorgers zur Mitwirkung an den Aufgaben des Vollzugs kann im Interesse kirchlicher Selbständigkeit nur als Pflicht zur Koordination der kirchlichen mit der staatlichen Tätigkeit verstanden werden (vgl. Pirson 1989, 32). Die Seelsorge trägt auf die ihr eigene Weise bei zur Befähigung des Gefangenen, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen (Vollzugsziel), und sie respektiert, dass der Vollzug der Freiheitsstrafe auch dem Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten gilt (vgl. § 2). Hinsichtlich des Vollzugsziels in diesem Sinne kann der Staat davon ausgehen, dass der Seelsorger dem nicht entgegenarbeitet, auch wenn Rechtsgrundlagen, Inhalt und Grenzen der Loyalitätspflicht des Anstaltsgeistlichen nicht klar erkennbar sind (vgl. Pirson 1989, 26 ff). Zu den legitimen Aufgaben des Seelsorgers gehört die Öffentlichkeitsarbeit, etwa mit 17 der Zielsetzung der „Charta für Gefängnisseelsorger“, verabschiedet von der Internationalen Kommission der Landesvorsitzenden der katholischen Gefängnispfarrer (1985): „Er sollte dafür sorgen, dass die öffentliche Meinung auf die besonderen Probleme der Gefängnisse aufmerksam gemacht wird.“ So haben auch die Empfehlungen der EKD zur Seelsorge in Justizvollzugsanstalten (Kirchenkanzlei 1979, 10 ff) und noch umfassender die Denkschrift der EKD zum Strafvollzug (Kirchenamt 1990, 40, 45 ff) den kirchlichen Auftrag deutlich gemacht, öffentlich für die Belange eines behandlungsorientierten Strafvollzugs einzutreten Auf dieser Grundlage hat auch die Evangelische Konferenz für Gefängnisseelsorge in Deutschland immer wieder ihre Stimme erhoben (im einzelnen Schäfer 2004, 89 ff; Böhm 2002, 34 ff). Papst Johannes Paul II hat im Rahmen des Heiligen Jahrs zur „Feier des Jubiläums in den Gefängnissen“ am 9. Juli 2000 eine entsprechende Botschaft an die Regierungen übersandt. Bei allen, insbesondere kritischen Äußerungen muss der Seelsorger die möglichen Auswirkungen auf das Vollzugsgeschehen mit bedenken (Kirchenkanzlei 1979, 10). Öffentliche Äußerungen von Anstaltsseelsorgerinnen und -seelsorgern fallen nicht immer zur Freude der Verantwortlichen in den Justizvollzugsanstalten und Landesjustizverwaltungen aus (z. B. Greifenstein Mitteilungsblatt 1999, 22, 23; zu der Vielzahl der Konflikte zwischen Anstaltsseelsorge und Anstaltsleitung bzw. Ausübung der Religionsfreiheit und Seelsorge auf der einen und staatlichen Maßnahmen auf der anderen Seite vgl. Böhm 2002, 41; Müller-Dietz NStZ 1987, 525, 526 m. w. N., z. B. auf Kleinert 1977). Im Hinblick auf die der Seelsorge garantierte Verkündigungsfreiheit und auf die in Vereinbarungen zwischen Staat und Kirche enthaltene Aufgabe der Mitwirkung der Seelsorge bei der Öffentlichkeitsarbeit in Gesellschaft und Kirche erfordert die Behandlung von Konflikten und Meinungsverschiedenheiten besondere Sensibilität bei allen Beteiligten (Schäfer 2004, 90, 91). 3. Tätigkeit des Seelsorgers. Zur Tätigkeit des Seelsorgers haben einige Bundes- 18 länder mit den Kirchen Vereinbarungen (vgl. Vor § 53 Rdn. 6) abgeschlossen, die Einzelheiten und wesentliche Aufgaben der Seelsorge (§ 53 Rdn. 3) auflisten (z. B. Berlin, Bayern, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen). 1133
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a) Bei dem umfassenden Verständnis von Seelsorge (s. § 53 Rdn. 2 und 3; § 54 Rdn. 14–16) und selb