Strafgerichtliche Öffentlichkeit und öffentlicher Ankläger in der französischen Aufklärung, mit einem Ausblick auf die Gesetzgebung der Konstituante [1 ed.] 9783428443253, 9783428043255


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German Pages 292 Year 1979

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Strafgerichtliche Öffentlichkeit und öffentlicher Ankläger in der französischen Aufklärung, mit einem Ausblick auf die Gesetzgebung der Konstituante [1 ed.]
 9783428443253, 9783428043255

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Gtl'NTER HABER

Strafrechtliche Uffentlichkeit.und öffentlicher Ankläger in der französischen Aufklärung

Strafrechtliche Abhandlungen· Neue Folge Herauagegeben von Dr. Eberhard Schmidhäuser ord. Profe.sor der Rechte an der Universitit Hamburg

In Zusammenarbeit mit den Strafrechtslehrern der deulBchen Universitäten

Band 32

Strafgerichtliche Offentlichkeit und öffentlicher Ankläger in der französischen Aufklärung mit einem Ausblick auf die Gesetzgebung der Konstituante

Von

Dr. Günter Haber

DUNCKER & HUMBLOT / BERLIN

In die Reihe aufgenommen von Prof. Dr. Eberhard Schmidhäuser, Hamburg

Alle Rechte vorbehalten & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1979 bel Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin 61 Prlnted In Germany

© 1979 Duncker

ISBN 3 428 04325 1

Vorwort In dieser Arbeit wird, ausgehend vom Straiprozeß des Ancien regime, die geistige Vorbereitung von strafprozessualer Öffentlichkeit und öffentlichem Ankläger in der französischen Aufklärung untersucht. Eine Betrachtung der Grundpositionen der ersten gesetzgeberischen Institutionalisierung in der französischen Revolution schließt sich an, um die Bedeutung der gedanklichen Vorbereitung durch die aufklärerischen Theorien für die Gesetzgebungspraxis erkennbar zu machen. Das Gewicht des behandelten Gegenstandes für die deutsche Rechtsgeschichte ist offensichtlich. Die Hintergründe für die Abhängigkeit der deutschen von der französischen Strafprozeßentwicklung sind dennoch bisher kaum erhellt worden, so daß darauf einleitend wenigstens kurz einzugehen ist. Um ihrem Thema gerecht zu werden, durfte sich die Arbeit nicht auf eine bloß berichtende Darstellung über die formale Seite der untersuchten Rechtsinstitutionen beschränken. Zu erfragen war vielmehr deren materialer Gehalt, und zwar in einer bestimmten historischen Situation. Zu berücksichtigen war dabei besonders auch der sozialgeschichtliche Aspekt. Bei den zur strafgerichtlichen Öffentlichkeit entwickelten Lehren mußte geprüft werden, in welchem Maß die sozial geschichtliche Lage des aufsteigenden Bürgertums darin ihren Niederschlag gefunden hat. Zu fragen war in einer strafprozeßgeschichtlichen Untersuchung allerdings nicht primär nach der sozialgeschichtlichen Lage des aufsteigenden Bürgertums; zu fragen war vielmehr, inwieweit in den zeitgenössischen Publizitätsdoktrinen Anhaltspunkte für bestimmte Interess'enlagen zu finden sind. Um eine möglichst umfassende Klärung dieser Frage zu erreichen, mußten die besonderen Öffentlichkeitsformen, insbesondere die Jury, in die Betrachtung mit einbezogen werden, soweit sie für das jeweilige Öffentlichkeitsverständnis erheblich waren. Die Notwendigkeit eines solchen Vorgehens ergab sich aus dem derzeitigen Forschungsstand. So ist etwa der Zusammenhang zwischen einer sich als oberste Kontrollinstanz der Gerichte verstehenden bürgerlichen Öffentlichkeit, die für ihre Repräsentanz eine Mitentscheidung in der Strafrechtsprechung beanspruchte, und den Zulassungsbeschränkungen des Zensus bislang weitgehend vernachlässigt worden.

Vorwort

6

Die herkömmliche Behandlung der Geschichte des öffentlichen Anklägers zeigt die Fragwürdigkeit formaler Beschreibung als Methode strafprozeßgeschichtlicher Untersuchung in besonderer Weise. Die überkommene These von der Kontinuität zwischen dem Procureur du roi des Ancien regime und der napoleonischen Anklagebehörde sowie der deutschen Staatsanwaltschaft beruht auf einem rein deskriptiven Institutionenvergleich, der die historische Wertstruktur der damaligen prozeß- und gerichtsverfassungsrechtlichen Regelungen nicht berücksichtigt. Der unternommene Versuch einer Strukturanalyse des Strafprozesses des Ancien regime dient vornehmlich auch dem Zweck, die Bedenklichkeit der Kontinuitätsthese in ihrem ganzen Ausmaß aufzuweisen. Auf den Inhalt der Arbeit näher einzugehen, widerspräche dem Zweck eines Vorwortes, zumal ohnehin die Vielfalt geistiger Bemühung in der französischen Aufklärung keine Zusammenfassung verträgt. Zu danken habe ich aber noch für die vielfältige mir gewährte Hilfe, ohne die der umfangreiche Gegenstand der Arbeit nicht angemessen hätte behandelt werden können. Meinen besonderen Dank sage ich meinem verehrten Lehrer, Herrn Professor Dr. Eberhard Schmidhäuser. Ohne die Fülle geistiger Anregungen, die ich von ihm erhalten habe und seine Ermunterung, die Methode der herkömmlichen Strafprozeßgeschichtsschreibung kritisch zu überprüfen, wäre die jetzt vorliegende Untersuchung schwerlich zustande gekommen. Das Thema geht auf eine von Herrn Professor Dr. Heinrich Henkel vorgeschlagene, umfänglichere ThemensteIlung zurück. Die Arbeit hat Anfang 1977 dem Fachbereich Rechtswissenschaft I der Universität Hamburg als Dissertation vorgelegen. Ihre Drucklegung ist erst durch einen von dem Fachbereich bewilligten großzügigen Druckkostenzuschuß ermöglicht worden. Zu danken habe ich außerdem, und das der Sache nach gewiß nicht an letzter Stelle, den Damen und Herren der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg, insbesondere Frau Zuzok und Frau Seidel für ihre geduldige Hilfe bei Bibliografie und Materialbeschaffung. Bei zahlreichen weiteren Institutionen und Personen, denen ich zu Dank verpflichtet bin, muß ich auf deren Verständnis hoffen, wenn sie aus Raumgründen hier nicht namentlich benannt werden können. Besonders wertvoll war mir die sorgfältige Betreuung der Drucklegung durch den Verlag. Hamburg, im Oktober 1978

Inhaltsverzeichnis Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

11

Erster Teil Das französische Strafverfahrensrecht zur Zeit der Aufklärung - Grundstrukturen des französischen Strafprozesses in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts 1. Kapitel

])as förmliche (}erichtsgeheinanis ......................................

21

I. ])er Ausschluß des Publikunas ....................................

21

H. ])ie Infurmationssperre gegen den Inqudsiten ......................

27

UI. ])ie faktische Lockerung zugunsten des Besitzbül1gertJunas ..........

31

2. Kapitel

])er Procureur du roi: Ein von der Herrschaftspraxis des Ancden reginae geprägtes Rechtsinstitut ..............................................

32

1. Der Procureur du roi als Vorläufer des öffentHchen Anklägers

(Ministere public)in der Strafprozeßordnung der bürgerldchen (}eseIlschaft? - . . . .. . . . . .... ... . ... . .... . ..... .. . . . . .. . ..... . . . ... . .. 32 Die Fragwürdigkeit eines rein deskriptiven Institutionenvergledchs .. 32

H. ])er Procureur du roi als Hilfsorgan richterlicher Verfahrensherrschaft über den Inquisiten als Prozeßobjekt ........................ 36 1. Der bedeutungslose rechtliche Vorrang der Partie civile . ... . . . ...

36

2. Der strukturelle Unterschied zuna Ministere public des Code d'instruction crinainelle von 1808 als Ankläger ednes verteidigungsberechtigten Angeklagten ...................................... 38 3. ])ie Prozeßobjektstellung des Inquisiten und die Verfahrensbeherrschung durch das (}ericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 41

Inhaltsverzeichnis

8

4. Das Fehlen einer Ankla,gefunktion des Procureur du roi und dessen Abwertung durch die Gerichte.............................. 52 5. Der materiale Unterschied bei formaler Gleichheit zwischen GeneralinquisitIion und Vorverfahren des Code d"instructIion criminelle von 1808 ...................................................... 60 III. Feudale Ämterverfassung statt bürokratischen Behördenaufbaus ....

65

Zwei ter Teil

Die aufklärerische Kritik als geistige Vorbereitung der bürgerlichen Strafverfahrensreform 1. Kapitel

Aristokratisches Standesdenken und Erneuerung der Stra'fgerichtsbarkeit (Monresquieu) .................................................... 72 2. Kapitel

Der durch eine bürg'erliche Elite aufgeklärte Absolutismus als Garant v,ernunftgemäßer Strafrechtspflege (Voltaire I die Physiokraten I Condorcet) .................................................................. 85 3. Kapitel

Liberale und radikale Grund~ositionen - Die Ausrichtung der Reformvorschläge an der Interessenl:a'ge des aufsteigenden Bürgertums (Beccaria I Servan I die Enzyklopädisten; besonders Diderot I HelvetIius I Mably) .... 106 4. Kapitel

Exkurs: Rousseau .................................................... 135 5. Kapitel

Die Schlußphase der Reformd1:skussion vor der französischen Revolution (Die Akademiepreisausschreiben I Ausländische Einflüsse I Das Nebeneinander gesellschaftstheoretisch begründeter und pr-axisorientierter Reformforderungen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 156 6. Kapitel

Der monarchische Reformversuch von 1788 ............................ 186

Inhaltsverzeichnis

9

Dritter Teil

nie Gesetzgebung der Konstituante 1. KapiteL

Das Gesetzgebungsprogramm in den Cahiers de doleances .............. 189

2. KapiteL

Institutionen bürgerlicher Öffentlichkeit im

Strafpro~eß

198

I. Die strafgerichtliche Öffentlichkeit -

Die vorgezogene Teilreform rur überwachung der Gerichte durch das bürgerliche Publilrum . . . . .. 198

11. Die besonderen Öffentlichkei-tsformen: Repräsentationen des Bürgertums auf der GrundLage eines Vermögenszensus .................... 203 1. Der antifeudale Aspekt des Öffentlichkeitsgrundsatzes .......... 203

2. Die Richterwahl - Richterliche Unabhängigkeit vom Monarchen und A:bhängigkeit vom Steuern zahlenden Bürgertum I Berufsständische Belange ................................................ 206 3. Das liberale Jurymodell der Mehrheit - Die KonstituierullJg der Jury als Repräsentanz des Bürgertums durch den Steuerzensus I Der Konflikt um die berufsrichterlichen Kompetenzen . . . . . . . . . . .. 214 4. Das demokratische JurymodeH der sogenannten extremen Linken Unterschied zum liberalen Öffentllichlreitsverständnis . . . . . . . . . . .. 2'35 111. Die Entbehrlichkeit der Jury für die gemeinde- und zuchtpolizeigerichtlichen Verfahren ........................................... , 241 IV. Das Verhältnis der aUgemeinen Gerichtsöffentlichkeit zu den besonderen Öffentlichkeitsformen ...................................... 243 1. Die Divergenz der Zulas,sungskriterien .......................... 243

2. Das Abstimmungsgeheimnis al,s Hilfsmittel Zlur Durchsetrung der Meinung des bürgerlichen Publikums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 244 3. Exkurs: Die spätere Gegenposition der Sansculotten zum Abstimmungsgeheimn'is . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 246 4. Die grundsätzliche Bindung der Jury an die bürgerliche öffentliche Meinung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 248 V. Das Geheimnis des Vorverfahrens und die Anklagejury ............ 250

10

Inhaltsverzeichnis

3. Kapitel

Accusateur public und Commissaire du roi als nichtrichterlich:e amtliche Strafverfolgungsorgane: Der Bruch mit der Tradition ............ 252 I. Die öffentliche Anklage im Schwurgerichtsverfahren .......... . ..... 256

H. Die Anklage im gemeinde- und zuchtpolizeigerichtlichen Verfahren .. 272

Quellen- und Literaturverzeidlnis . ..................................... 275

Einleitung Untersuchungen zur deutschen Strafprozeßgeschichte, die jene deutschen Refonnbestrebungen behandeln, die unter anderem auf die Einführung von strafgerichtlicher Öffentlichkeit und Staatsanwaltschaft gerichtet waren, enthalten hierzu regelmäßig eine mehr oder weniger ausführliche französische Vorgeschichte 1• Diese für Arbeiten über die deutsche Rechtsentwicklung an sich auffälligen Exkurse erscheinen selbst bei der in den Darstellungen der Strafprozeßgeschichte üblichen bloßen Beschreibung des historischen Verlaufs als fast unvenneidlich. Das in der französischen Revolution geschaffene Strafverfahren mit Öffentlichkeit, Jury und Amtsankläger wurde, und zwar zuletzt in der ihm vom napoleonischen Code dinstruction criminelle verliehenen Gestalt, bekanntlich nicht nur in mehreren deutschen Territorien unter französischer Herrschaft eingeführt2 und auch nach deren Wegfall immerhin 1 Vgl. z. B. Alber, öffentlichkeit, S. 25 ff.; Carsten, Geschichte der staatsanwaltschaft, s. 7 ff.; Elling, Einführung der Staatsanwaltschaft, S. 55 ff.; Kern, Geschichte, S. 48 ff.; Otto, Staatsanwaltschaft, S. 1, 5 ff.; Eb. Schmidt, Einführung, S. 324 ff.; Schwinge, Kampf, S. 2 ff. t a) In den vier linksrheinischen Departementen, Ruhr, Saar, Rhein und Mosel, Donnersberg wurde die Einführung der gerichtlichen Öffentlichkeit, des öffentlichen Anklägers und des Commissaire du governement executif (die den von der konstituierenden Nationalversammlung geschaffenen, unten S. 252 ff. behandelten Strafverfolgungsorganen entsprachen) erstmals umfassend durch die VO v. 4. Pluviöse des Jahres 6 (23.1. 1798) über das Gerichtswesen, und zwar durch deren Ziff. 4 (Öffentlichkeit) sowie Ziff. 6 (die genannten Strafverfolgungsorgane) angeordnet; abgedr. in: RdReA Bd. 1, Heft 1, S. 132 f. Insoweit unrichtig Alber, Öffentlichkeit, S. 59, der ohne Nachweis allein die nachfolgende VO v. 1. Germinal Jahr 6 (21. 3.1798) benennt (abgedr. in RdReA, Bd. 2, Heft 3, S. 93, 94), die in ihrer Ziff. 2 mit Ausnahmen den Code des delits et des peines vom 3. Brumaire des Jahres 4 in Kraft setzte (abgedr. in RdReA Bd. 2, Heft 4, S. 3 ff.), der mit ausführlicher Regelung weitgehend dem unten dargestellten Gesetz vom 16. - 29. September 1791 entsprach und' unter anderem das schwurgerichtliche Amtsanklageverfahren für alle schweren Straftaten mit allerdings nunmehr auch in Frankreich geheimer Abstimmung der rechtsgelehrten Richter allgemein in den linksrheinischen Departementen einführte. Zuletzt, und zwar beginnend mit dem 1. 1. 1811 galt schließlich (unter französischer Herrschaft nur kurzzeitig) der Code d'instruction criminelle von 1808. b) Dieser galt auch gemäß dem Justizorganisationsdekret seit dem 17. 12. 1811 im Großherzogturn Berg; vgl. im einzelnen dazu Charles Schmidt, Grand-Duche, S. 235 ff., bes. 237 f. c) In den Departementen Ober-Ems, Wesermündungen und EIbemündungen seit dem 20.8.1811. Vgl. dazu im einzelnen insbesondere für das EIbedepartement E. Ribes, La cour imperiale de Hambourg, These Paris 1908. Vgl. auch von J. W. A. Rosenthai, Darstellung des öffentlichen Verfahrens vor den

12

Einleitung

in einigen Gebieten beibehalten3 • Das neue französische Verfahrensrecht war außerdem maßgebliches Vorbild für die deutschen Reformbemühungen in der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts und die ihr nachfolgende einzelstaatliche Gesetzgebung'. Assisen- und Specialgerichtshöfen, Hamburg 1812, der als Rat beim kaiserlichen Gerichtshof in Hamburg erklärtermaßen (Siehe S. IV f.) den dortigen z. T. unklaren Rechtszustand zu beschreiben versuchte und dessen juristisch ansonsten wenig bedeutsame Darstellung einen Einblick in das zeitgenössische Verständnis des Code d'instruction criminelle in den kurzzeitig zum französischen Rechtskreis hinzugekommenen Gebieten gibt. d) Eine besondere Regelung mit stark inquisitorischem Einschlag, aber einer öffentlichen Schlußverhandlung, die, am 7. 10. 1812 erlassen, erst am 1. 1. 1813 in Kraft trat und am 16. 1. 1814 bereits wieder aufgehoben wurde, galt im Großherzogturn Frankfurt; vgl. Gffib Bd. 2 (1812) S. 169 ff. u. Bd. 3 (1813), S.250. e) Wesentlich bedeutsamer war der inhaltlich weitgehend mit dem Code d'instruction criminelle übereinstimmende "Code de procedure criminelle et correctionelle du Royaume de Westphalie", von dem eine zweisprachige, offizielle Ausgabe 1809 in Kassel erschien. 3 Erhalten blieben unter anderem Öffentlichkeit und Amtsankläger (Ministere public im Sinne der zuletzt geltenden Regelung des Code d'instruction criminelle) in: a) Der späteren preußischen Rheinprovinz; vgl. dazu die Einleitung von Landsberg, Gutachten. b) Im bayrischen Rheinkreis; vgl. dazu Schmitt, Provisorische Verwaltung, S.8ff. c) In der nachherigen hessen-darmstädtischen Provinz Rheinhessen; vgl. Blass, Entwicklung, S. 62 ff. d) Im späteren hessen-homburgischen Oberamt Meisenheim; vgl. Rechtslexikon hrsg. v. Weiske, Bd. 5, S. 320. e) Im koburgischen späteren Fürstentum Lichtenberg; vgl. Ziff. 3 der VO v. 14. 9. 1816 in: Sammlung der für das Fürstentum Lichtenberg vom Jahre 1816 bis 1834 ergangenen Herzoglich Sachsen-Coburg-Gothaischen Verordnungen. Hrsg. v. F. A. Lottner. Berlin 1836, S. 3. 4 In der Strafprozeßdiskussion, die nach der 1813 bis 1814 erfolgten Beseitigung der unter Napoleon auf weite Teile Deutschlands ausgedehnten französischen Herrschaft begann und sich bis zur Märzrevolution von 1848 ausweitete und vertiefte, gab es in den Reihen der Reformbefürworter zum Teil durchaus auch Kritik am neuen französischen Strafverfahren. Dennoch bewegte sich die Reformdiskussion hinsichtlich der förmlichen Öffentlichkeit, der besonderen Öffentlichkeitsform der Jury sowie des Amtsanklägers im Rahmen der Grundstruktur des code d'instruction criminelle. Zusammenfassend zum Einfluß des französischen Strafprozeßrechts vgl. z. B. Conrad, Preußen, in: Recht und Rechtspflege in den Rheinlanden, S. 78,91 ff.; Kern sowie Eb. Schmidt in Anm. 1, hinsichtlich der einrz;elnen Institutionen z. B. Aliber, Öffentlichkeit, S. 163; Carsten, Geschichte der Staatsanwaltschaft, S. 15 ff. Eine die in dieser Hinsicht besonders interessanten gesetzgeberischen Bestrebungen des liberalen Bürgertums speziell zur Reform des Strafprozesses in den landständischen Repräsentationen des Vormärz in ihren wesentlichen Einzelheiten erfassende Gesamtdarstellung fehlt allerdings. Zum Teil werden sie bewußt als unbedeutend weitgehend ausgeklammert, wie z. B. von Alber, öffentlichkeit, S. 1. Für das Zweifelhafte eines derartigen Vorgehens sei beispielhaft auf den Heidelberger Strafrechtslehrer C. J. A. Mittermaier verwiesen, dessen Bedeutung für die vormärzliche Strafprozessdiskussion unumstritten ist. Dieser hat sich in seinen Schriften in vorsichtiger Zurückhaltung bekanntlich nie zur mittelbaren Gerichtsöffentlichkeit durch Berichte in

Einleitung

13

Einer gewissen Einschränkung scheint die These von der Abhängigkeit der deutschen im Verhältnis zur französischen Rechtsentwicklung allerdings zu bedürfen. Bereits im letzten Viertel des achtzehnten JahrPresse- oder sonstigen Publikationsorganen geäußert. In der badischen zweiten Kammer hat er hingegen in den nach der französischen Julirevolution besonders freimütigen Debatten von 1831 zur "Preßfreiheit" unter anderem angeführt: " ... sie ist es, die der Öffentlichkeit der gerichtlichen Verhandlungen, erst eine wahre Bedeutung gibt." Vgl. dazu Verhandlungen der Stände-Versammlung des Großherzogturns Baden i. J. 1831. Protokolle der zweiten Kammer. Karlsruhe 1831. H. 10; 45. Sitzung, S. 45 ff., 50. Anders als Mittermaier geht Fögen, Kampf, S. 96 für die hier nicht näher zu behandelnde zivilprozessuale Öffentlichkeit, bei ebenfalls nur sporadischer Behandlung des genannten Problems, davon aus, daß den zeitgenössischen Juristen eine Ausnutzung der Öffentlichkeit durch die Presse unerwünscht gewesen sei. Die instruktivste Gesamtdarstellung zu den liberalbürgerlichen Gesetzgebungsversuchen insbesondere in den süddeutschen Verfassungsstaaten bietet trotz der thematischen Beschränkung auf die Jury noch immer: Schwinge, Kampf, S'. 53 ff. Unvollständig auch die territorialgeschichtlichen Untersuchungen zum Strafprozeß zu dieser Frage wie z. B. Germann, Einflüsse, S. 188f f.; 198 ff.; 201 ff.; Mackert, Prozedur, S. 125 ff. (beide für Baden); Knapp, Geschichte, S. 123 ff. (für Württemberg); eingehender allerdings für Hessen-Darmstadt, Blass, Entwicklung, S. 77 ff.; für die wegen des bayrischen Rheinkreises (der nachherigen Pfalz) besonders wichtigen bayrischen Landtage gibt es zwar allgemeingeschichtliche Darstellungen wie z. B. L. Größer, Der gemäßigte Liberalismus im bayrischen Landtag von 1819 - 1849, Augsburg, Phil. Diss. 1929; und zu den bedeutsamen Landtagen von 1819: F. Kastner, Das Auftreten der Pfälzer auf dem ersten bayrischen Landtage 1819/22, München 1916; sowie von 1831: W. Gölz, Der bayrische Landtag von 1831, ein Wendepunkt in der Regierung Ludwigs I, München, Phil. Diss. 1927; eine strafprozeßgeschichtliche Darstellung hingegen fehlt. Einiges in der 'übersicht über die gesamte Entwicklung bei K. Baumann, Das pfälzische Appellationsgericht in der Zeit von 1815 -1871, in: 150 Jahre pfälzisches Oberlandesgericht hrsg. von W. Reinheimer, S. 1 ff.; über die Betsrebungen unter anderem im rheinpreußischen Provinziallandtag vgl. neben der allgemeinen Arbeit von G. Croon, Der Rheinische Provinziallandtag bis zum Jahre 1874, Düsseldorf 1918, vor allem Landsberg, Das rheinische Recht und die rheinische Gerichtsverfassung, in: Die Rheinprovinz 1815 - 1915 hrsg. v. J. Hansen, Bd. 1, Bonn 1917, S. 161 ff. Auch die Publizistik, insbesondere die Behandlung der strafprozessualen Öffentlichkeit in der Presse ist noch nicht hinreichend erforscht. Zur rheinischen Publizistik eingehender, die hier interessierenden Institutionen aber nur mitbehandelnd Faber, Rheinlande, S. 110 ff.; G. Wohlers, Der Flugschriftenkampf, in: Historische Aufsätze, S. 252 ff.; zur bayrischen Presse: Lempfrid, Anfänge, u. a. S. 197 zur Gerichtsöffentlichkeit. Der nicht völlig befriedigende Forschungsstand läßt aber immerhin die eingangs erwähnte These zu. Abhängigkeit und Rückstand in der Gesetzgebung sind unverkennbar. Abgesehen von begrenzten ersten Gesetzgebungen wie etwa vor allem in Baden das Gesetz über die Polizei der Presse vom 28. 12. 1831 mit Öffentlichkeit und Staatsanwaltschaft, das am 28.7. 1832 unter dem Druck der Bundesversammlung weitgehend aufgehoben wurde (vgl. dazu Germann, Einflüsse, S. 222 ff., 226 ff., sowie 231 N. 1 über die Suspendierung) und der badischen Straßprozeßordnung vom 5. 3. 1845 (vgl. Mackert, Prozedur, S. 156 ff.) und der württembergischen strafprozeßordnung vom 22. 6. 1843 m~t einer sehr eingeschränkten öffentlichen Schlußverhandlung und einer Art Amtsankläger (vgl. dazu Knapp, Geschichte, S. 145 ff.) sowie dem preußischen Gesetz betr. das Verfahren in den bei dem Kammergericht und dem Kriminalgericht zu führenden Untersuchungen vom 17. Juli 1846 (vgl. z. B. Stölzel, Brandenburg-Preußens Rechtsverwaltung, Bd. 2, S. 584 ff., auch Otto, Staats-

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Einleitung

hunderts setzte in Deutschland eine Refonndiskussion ein, die unter anderem vor allem die gerichtliche Öffentlichkeit, erheblich seltener dagegen das Ins.titut eines Amtsanklägers5 zum Gegenstand hatte. Die Publizitätsdiskussion dieser Zeit hat trotz ihres nicht unbeträchtlichen Ausmaßes in der Rechtsgeschichte wenig Beachtung und bisher noch keine exemplarische Darstellung gefunden6 • über ihre Bedeutung als Anzeichen bereits einsetzender gesellschaftlicher Veränderungen, die sich nachher in den auf Übernahme der Grundstruktur des neuen französischen Strafprozesses, wie sie sich im Code d'instruction criminelle vorfand, gerichteten Refonnbestrebungen und in deren späterer Durchsetzung niederschlugen, ist daher ein abschließendes Urteil nicht möglich. Jedenfalls ist aber trotz der notwendigen Modifikation der These von der Abhängigkeit der deutschen gegenüber der französischen anwaltschaft, S. 52 ff.) kam es erst in der Märzrevolution von 1848 zu einer weitgehenden Durchsetzung eines Strafverfahrens mit Öffentlichkeit, Jury und Amtsankläger in Anlehnung an das französische Vorbild. (Vgl. zu den Beschlüssen der Nationalversammlung: G. Urban, Die Stellung der Paulskirche zu Gerichtsverfassung und Strafverfahren, Tübingen, Jur. Diss. 1946). Eine Zusammenstellung der nachher zum Teil wieder eingeschränkten Strafverfahrensregelungen der deutschen Einzelstaaten während oder im Gefolge der Märzrevolution in: Sammlung der neuen deutschen Strafprocessordnungen hrsg. v. C. F. W. J. Haeberlin, Greifswald 1852. 5 Eine umfassende Darstellung der allerdings sehr begrenzten im 18. Jahrhundert beginnenden Reformdiskussion um die Einführung eines Amtsanklägers fehlt. Als frühes Beispiel sei Wieland, Geist (1784), Teil 2 benannt, der S. 241 "in allen Fällen, wo es auf die Verfolgung der Rechte des beleidigten Staates ankömmt" die Polizeiobrigkeiten als "Ankläger der Verbrecher" eingesetzt sehen wollte. 8 Hinsichtlich der weitaus gewichtigeren Publizitätsdiskussionen sind die älteren Arbeiten über die Geschichte der gerichtlichen öffentlichkeit von Bernheimer und Schiff unergiebig. Einige Andeutungen hingegen bei W. Kahl, Öffentlichkeit, in: Internationale Wochenschrift Bd. 2 (1908), Sp. 296 f.; auch geliegentlich in der DarstelllunJg der deutschen Aufklärung bei Fischl, Einfluß, S. 88 ff., z. B. S. 116; 129 ff. u. ö.; neuerdings etwas eingehender Alber, Öffentlichkeit, S. 20 ff., dessen Darstellung aber schon deswegen nicht exemplarisch genannt werden kann, weil er trotz eines Hinweises auf die "Presse", die mit dem Entstehen des deutschen Lesepublikums in den siebziger und achtziger Jahren sprunghaft anwachsende Publizistik nicht berücksichtigt mit der einzigen Ausnahme des, inhaltlich wiederum mehr zu den rechtswissenschaftlichen Äußerungen zählenden, von ihm falsch datierten Aufsatzes von C. C. F. Hüpeden, Ueber die majestätische Kürze und Würde der Gesetzgeber und Richter (Seitenüberschrift: Publicität der Justiz), in: Staats-Anzeigen, Bd. 2, H. 8 (das erst 1783 erschien), S. 419 ff. 'übersehen wird, daß August Ludwig Schlözer sich selbst mehrfach und erheblich früher für die strafgerichtliche Publizität ausgesprochen hat; so z. B. erstmals 1777 in einer Anmerkung im Briefwechsel (dem Vorläufer der Staats-Anzeigen) Teil 2, H. 7, S. 62 f., wo es unter anderem heißt: "Publicität ist ein herrliches Mittel, die heil. Justiz in solchen Gegenden, wo sie krank darnieder liegt, einigermaßen zu curiren." Unter den bedeutendsten deutschen Publizisten vor der französischen Revolution hat sich Wekhrlin in seinen Publikationsorganen sehr nachdrücklich für die gerichtliche Öffentlichkeit eingesetzt; z. B. mit seinem Aufsatz: Ueber die Publizität der Todesurtheile, in: Das graue Ungeheuer, Bd. 7 (1786), S. 232 ff. u.ö.

Einleitung

15

Strafprozeßentwicklung an einem Rückstand der deutschen Reformbestrebungen auch unter Berücksichtigung der in der Aufklärung in Deutschland begonnenen Diskussion nicht zu zweifeln. Der ersten deutschen Auseiandersetzung um die Publizität folgte nicht nur keine der französischen entsprechende Gesetzgebung nach. Sie setzte außerdem später als die französische, nämlich erst Ende der siebziger Jahre des achtzehnten Jahrhunderts ein7, wohingegen etwa Voltaire, worauf noch im einzelnen einzugehen ist, bereits Anfang der sechziger Jahre seinen berühmten Kampf gegen die Praxis des geheimen altfranzösischen Strafprozesses aufnahm. Die deutsche Reformbewegungbefand sich zudem noch während der französischen Revolutionsgesetzgebung entweder auf dem Stand der französischen aufklärerischen DiskussionS oder lehnte 7 Zu den nicht gerade zahlreichen Äußerungen Mitte und Ende der siebziger Jahre, als die französische Diskussion bereits ihrem ersten Höhepunkt entgegenstrebte, gehören in Deutschland bekanntlich die 1774/75 erschienenen Ausführungen von G. E. L. Preuschen. Sie sind unter dem Stichwort "Die Wiederherstellung der öffentlichen Gerichtsverwaltung ... " in der Vorrede zum Hauptregister der Werke des J. U. Frhr. von Cramer S. XVII ff. enthalten und betreffen inhaltlich nur die Veröffentlichung der Entscheidungsgründe und eine Art Parteiöffentlichkeit durch Prozeßvertreter. Die Vorrede ist 1775 auch selbständig erschienen (vgl. Quellenverzeichnis). Der Nachdruck aus dem Jahre 1818 m. d. Tit. "Abhandlung über die Öffentlichkeit des gerichtlichen Verfahrens" ist so stark verändert, daß er eine, bisher anscheinend unbemerkt gebliebene, Quellenfälschung darstellt. 1777 ist dann die erwähnte Äußerung von Schlözer (vgl. Anm. 6), fes1isltellbar. In einer aus Hessen stammenden, auf den 10. 8. 1781 datierten, von Schlözer abgedruckten Einsendung wird dann übrigens bereits das allgemeine Prinzip aufgestellt: "Der Regel nach sind alle geheimen Obrigkeiten und Gerichte gefährlich, und die Nacht ist immer eine Freundin der Laster gewesen." Die Einsendung ist im hier behandelten Zusammenhang deswegen von besonderem Interesse, weil sie zugleich die Probleme des Aufstiegs der bürgerlichen Intelligenz in dem allmählich entstehenden bürokratischen Behörden- und Gerichtsaufbau schildert; vgl. Diener und Völkerfreiheit, verteidigt gegen Conduiten-Listen und Präsidentendespotism, in: Briefwechsel T. 10, H. 56., S. 101 ff., das Zitat S. 113. 1778 äußerte sich dann C. F. Hommel in der von Ph. J. Fladen veranstalteten übersetzung des Hauptwerks von Beccaria, und zwar dort S. 70, 71, Anm. e. zur öffentlichkeit. 1779 erschienen die Ausführungen von E. F. Klein, Von der öffentlichen Verhandlung der Rechtshändel, in: Vermischte Abhandlungen, Stück 1, S. 67 ff., die durch die von G. W. Böhmer herausgebrachte, kommentierte und teilweise veränderte Neuausgabe von 1825 bekannt geblieben sind. Diejenige Stelle, die zeigt, daß es Klein nicht lediglich um die Auswirkung der Öffentlichkeit auf "menschenfreundliche" Richter, sondern auch hinsichtlich "noch größerer und auf ihre Macht eifersüchtiger Despoten" ging, wird von Böhmer in angesichts des Erscheinungszeitpunkts (1825) kaum überraschender Weise abgeschwächt. (Die "Despoten" werden zu bloßen "Gewalthabern"), vgl. 10: Verm. Schriften, Stück 1, S. 72 und in der Böhmerschen Ausgabe S. 4. 8 Selbst etwa der 1792 anonym erschienene Entwurf eines Gesetzbuchs in Criminalsachen des als fortschrittlich geltenden damaligen Mainzer Koadjutors und späteren Frankfurter Großherzogs C. Th. v. Dalberg blieb weit hinter dem französischen Strafverfahrensgesetz vom 16. - 29. September 1791 zurück. Von einer Instruktion des gesamten Prozeßstof,fes in öffentlichen und mündlichen Hauptverhandloungen waren derar1liige Entwürfe weit entfernt. Erst nach abgeschlossener geheimer General- und Spezialinquisition (vgl. 3. Abschnitt

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sich bereits damals, insbesondere in ihrem radikaleren Teil sehr eng an das Vorbild des französischen Gesetzgebers an'. Bezeichnend ist auch, bis 7. Abschnitt S. 17 - 44) wurde die Öffentlichkeit hergestellt. Lediglich die Einsicht in die abgeschlossenen Untersuchungsakten, die Erstattung der Berichte durch die Referenten, die Verlesung der Defensionsschrift und Abstimmung über das Urteil und dessen Verkündung waren öffentlich (vgI. 8. Abschnitt §§ I, 11, S. 45 ff.; 9. Abschnitt § V S. 53 f.; 19. Abschnitt § I - 111, S. 97 ff.). Die präjudizierende Wirkung des über den gesamten Prozeßstoff geheim und schriftlich geführten Inquisitionsverfahrens wurde demnach lediglich etwas gemildert. Trotz Kenntnis von der französischen Gesetzgebung bewegte sich z. B. auch die wie so viele andere Schriften nachher vergessene Schrift von Casp. Fr. Hofman, Rhapsodien, die 1795 anonym erschien, noch ganz auf dem Stand der französischen Diskussion zur Zeit Voltaires, auf dessen zum Teil über ein Vierteljahrhundert zurückliegende Polemik fast ausschließlich eingegangen wird (z. B. S. 30 ff.), obwohl dem Verfasser die französische Gesetzgebung insbesondere diejenige der Konstituante wohlbekannt war, wie ein gelegentliches Zitat (S. 53 Fußn. 6) aus dem Gerichtsverfassungsentw. von Duport (vgI. zu diesem unten S. 225 f., u. ö.) zeigt. Auch ein Hinweis etwa auf die Jury fehlt hier ebenso wie etwa bei Dalberg. • Ausdrückliche oder stillschweigende Bezugnahmen auf die französische Revolutionsgesetzgebung, speziell der provisorischen Reform von 1789 (vgl. da7JU unten S. 198 U.) nimmt 8lUch AlJber, Öffentlichkeit, S. 22 f., an. Die herangezogenen wenigen Beispiele sind jedoch überwiegend entweder unzutreffend oder unrichtig ausgewertet. Nicht hierher gehört etwa K. Th. J. v. Eberstein, Entwurf (1793), der in seiner Vorrede (nicht paginierte erste Seite) das "Toscanische Gesätz" und mehrere aufklärerische Schriften (Vorrede, nicht paginierte fünfte Seite) zu seinen Vorbildern erklärt und dazu ausführt: "Gern hätte ich mehr davon - vorzüglich das Geschworen-Gericht - angenommen; vielleicht aber war noch nie unsere Nation so wenig geschickt und empfänglich dazu, als eben jetzt, wo eine ungestümme Gährung so manche Köpfe erhitzt, und ein so mächtiger unvorbereiteter Einfluß des Volks in die Gerechtigkeitspflege leichthin für die allgemeine Ruhe gefährlich werden könnte." Anscheinend befürchtete er von jeder wirksamen Einführung der von ihm grundsätzlich an sich bejahten Öffentlichkeit (vgI. dazu Teil 11, EinI. §§ 17, 18; S. 251) jene aus der "ungestümmen Gährung" hervorgehenden Gefahren, da die von ihm vorgeschlagenen Einzelbestimmungen ein lückenlos geheimes und schriftliches Inquisitionsverfahren mit Aktenversendung an das Obergericht und geheimer Urteilsfüllung vorsahen. (VgI. 2. bis 5. Hauptstück, S. 268 ff., im 5. Hauptstück, § 50 bis 53 a, S. 347, sind wenigstens Entscheidungsgründe angeordnet.) Lediglich anläßlich der Strafvollstreckung war "die Geschichte des Verbrechens, dessen Beweise, und das Urteil abzudrucken, und während der Vollziehung der Strafe auszutheilen" (6. Hauptstück § 8, 9, S. 350 f.). Die Öffentlichkeit des Verfahrens sollte also dann hergestellt werden, wenn gesichert war, daß sie auf das Urteil keinen Einfluß mehr haben, sondern nur noch eine abschreckende Wirkung erzielt werden konnte. Urteilspublikation war auch vorgesehen bei Verurteilung zu einer vorläufigen Verdachtstrafe, um weitere Beweise zu erlangen (a.a.O. § 11). Ebersteins prinzipielle Bejahung der Öffentlichkeit war also kaum mehr als ein verbales Zugeständnis an die Gedankengänge des mit ihm verwandten Dalberg, an seinen "Freund und Wohltäter" (so die Widmung), der ihm die spätere übernahme in seine Dienste als designierter Erzbischof von Mainz zugesichert hatte; eine Zusage, die im Jahre des Erscheinens des Entwurfs von Eberstein durch den Einmarsch der der Franzosen in Mainz in Frage gestellt wurde. Als Beispiel der Beachtung der von der konstituierenden Nationalversammlung geregelten Verfahrensreform kann nur die von Alber angeführte Bemerkung in der von Chr. D. Eberhard herausgegebenen übersetzung von

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daß die französischen Arbeiten entweder im Original in Deutschland bekannt waren oder zum Teil sogar in Übersetzungen vorlagen1o• Für Pastoret, Betrachtungen (1792) Bd. 1, S. 11 angesehen werden. Der Rückstand der deutschen gegenüber der französischen Entwicklung tritt schon darin hervor, daß die im Original 1790 erschienene Arbeit von Pastoret, die sich mit der Ordonnance von 1670 und der aufklärerischen Diskussion befaßte und im Zuge der französischen Gesetzgebung bedeutungslos war, noch 1792 (Bd. 1) bis 1796 (Bd. 2) einer deutschen übersetzung für wert gehalten wurde. Zu den radikaleren, an die französische Gesetzgebung sich anlehnenden Schriften gehörte z. B. die von Krug, Grundlinien zu einer allgemeinen Republik (1797), die sich z. B. bei ihrer Schilderung des französischen Geschworenenverfahrens (S. 46 Fußnoten • und .*) an die Direktorialverfassung vom 5. Fructidor Jahr 3 (22. 8. 1795) anlehnte, aber vielfach und gerade z. B. für die gerichtliche Öffentlichkeit auf die (während der Jakobinerherrschaft) erlassene, nie in Kraft getretene, demokratische Verfassung vom 29. Juni 1973 bezog, die für die Zivilgerichtbarkeit in Art. 94 die Öffentlichkeit der richterlichen Beratung vorsah. In den "Grundlinien" wird ebenfal1s nicht nur die Öffentlichkeit aller "Gerichtssitzungen" sondern auch für "alle Berathschlagungen der Richter" (S. 43) gefordert. Ersichtlich sollte diese auch für den anschließend geschilderten Strafprozeß gelten, für den die Öffentlichkeit nicht mehr gesondert behandelt wird. Aus der Fußn. * S. 46 geht beispielhaft für ein weiteres Problem hervor, daß Krug bereits an dieser Stelle die "bürgerliche und Criminal-Justiz" gemeinsam im Auge hatte. Unrichtig nur unter dem Einfluß der provisorischen Reform sieht Alber, S. 23 die Schrift, die von ihm zudem irrig Hezel zugeschrieben wird. (Zur Verfasserschaft von Krug, eines wegen seiner politischen Bestrebungen amtsenthobenen Wittenberger Universitätsadjunkten, vgl. neben Meusel 4. Ausg., 6. Nachtrag, S. 372; E. Weller, Druckorte, S. 169 und neuerdings eingehend W. Grab, Demokratische Strömungen, S. 168, der Krug ungenau als völligen Zensusgegner einordnet. In den Grundlinien, S. 31 Fußn. * wird zwar jeder Vermögenszensus abgelehnt, ein Bildungszensus nach "Talent und Tugend" aber in Betracht gezogen.) Aus der bisher in der Strafprozeßgeschichte übergangenen revolutionären Publizistik von radikalliberaler und demokratischer Tendenz unter französischem Einfluß seien beispielhaft noch benannt: Der Bürgerfreund Stck. 11 vom 30. 11. 1792, S. 56 zur strafgerichtlichen Öffentlichkeit, der von dem Mainzer Professor für Mathematik und Physik Mathias Metternich herausgegeben wurde, einem namhaften Mitglied der unter der ersten französischen Besetzung in Mainz gebildeten "Gesellschaft deutscher Freunde der Freiheit und Gleichheit", die den Jakobinerclub zum Vorbild hatte. Ferner z. B. der sich an die Derektorialverfassung anlehnende "Entwurf einer republikanischen Verfassungs-Urkunde" von 1797 (vgl. z. B. 14. Abschn. § 8 zur öffentlichkeit mit Anordnung des Beratungsgeheimnisses. Inwieweit Scheel, Süddeutsche Jakobiner, S. 486 ff., der die strafprozessuale Seite nicht behandelt, den insoweit jedenfalls gemessen an den genannten "Grundlinien" von Krug gemäßigteren Entwurf in seiner Radikalität überbewertet, kann hier nicht erörtert werden.) 10 Im folgenden sind die Titel nur verkürzt wiedergegeben, soweit sie sich ohne Erläuterung aus dem Quellenverzeichnis entnehmen lassen. Das Erscheinungsjahr des Originals wird jeweils in runder Klammer angegeben. übersetzungen erschienen z. B. von Servan, Discours sur l'administration (1767) 1769 (also wie die ersten übersetzungen von Beccarias Hauptwerk vor Entstehen der deutschen Reformdiskussion); Voltaire, Prix de la Justice (1778) wurde im Jahr seines Erscheinens übersetzt; Mably, Ikgislation (1776) 1779; Vermeil, Essai (1781) 1782; Delacroix, Reflexions (1778) 1783; Servin, Legislation (1782) 1784/86 als Zeitschriftenveröffentlichung sowie selbständig 1786; die letztgenannte von Gruner übersetzte und mit einer Vorrede von Feder versehene Ausgabe ist in keiner dem Fernleihverkehr angeschlossenen deut2 Haber

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einen Gedankenaustausch in umgekehrter Richtung sind dagegen keine Anhaltspunkte gegeben, und übersetzungen deutscher, die strafprozessuale Publizität behandelnder Werke ins Französische hat es jedenfalls nicht gegebenl l• So nützlich die Feststellung einer zunehmenden Abhängigkeit der deutschen von der französischen Strafprozeßrechtsentwicklung seit der Aufklärung bis zum Ende des Vormärz zur Ausbreitung historischen Materials sein mag, eine Erklärung für diese geschichtliche Erscheinung ergibt sich aus ihrer bloßen Beschreibung nicht. Sie könnte aber unter dem Gesichtspunkt zu finden sein, daß die zum Gegenstand der Untersuchung gemachten Strafverfahrens- und Gerichtsverfassungsreformen in Frankreich und außerdem ebenso in Deutschland von den noch durchzusetzenden Interessen des aufstrebenden Bürgertums in diesem Bereich der Rechtsordnung bestimmt worden sind. Die unterschiedliche Entwicklungshöhe von deutscher und französischer Reformdiskussion und -gesetzgebung erscheinen dann als wenig verwunderlich, wenn man berücksichtigt, daß dieses Phänomen dem ganz allgemein zu konstatierenden Rückstand des deutschen Bürgertums in dem Ausbau seiner sozialen, insbesondere wirtschaftlichen Machtstellung im Vergleich zum französischen entspricht1 2 • Unter diesem Aspekt gewinnt die französischen Bibliothek mehr nachweisbar, wohl aber mehrfach das französische Original; französische Schriften wurden zudem vielfach in deutschen Zeitschriften rezensiert und die wichtigsten Schriften waren auch ohne übersetzung bekannt. Zu den von Voltaire aufgegriffenen Strafprozessen vgI. z. B. oben aus Anm. 8 Hofmann, Rhapsodien; sehr bemerkenswert zur übersetzung von Servan, Reflexions, die Rez. in: NümbgZ Jg. 1783, S. 687 ff., die S. 688 in zu diesem Zeitpunkt für die deutsche Diskussion ungewöhnlicher Weise das von Servan vorgeschlagene Geschworenengericht hervorhebt; Inhaltsangabe zu Brissot, Theorie, in: GgA Jg. 1783, Stck. 80; Rez. zu Delacroix in: GgA 1788, Stck. 163; einen hohen Bekanntheitsgrad erlangte auch Dupaty, vgI. z. B. über diesen Das graue Ungeheuer, Jg. 1782, S. 321 ff.; Allg. BibI. der neuesten jur. Lit. hrsg. von Fr. J. Hartleben Bd. 1, Stck. 2 (1787, S. 100 ff.; Bd. 2, Stck. 1 (1788), S. 48 ff. Bemerkenswert, daß auch Beccaria (abgesehen von der Fladenschen übersetzung mit dem Hommelschen Kommentar) häufig in Zusammenhang mit den französischen "Philosophes" dargestellt wurde wie in der übersetzung von Bergk, der die Randbemerkungen von Diderot aufgriff und die anonyme 1788 erschienene übersetzung, die (neben den Anmerkungen von Hommel) vor allem den "Kommentar" von Voltaire heranzog. 11 Selbst die von der Ökonomischen Gesellschaft zu Bem immerhin preisgekrönte, biedere Arbeit von Globig und Huster, Abhandlung (1783) fand in Frankreich keinerlei Beachtung. Wenn Esmein, Histoire, S. 389 vermutet, daß sie selbst in Deutschland keine Aufmerksamkeit erregte, trifft das insofern zu, als sie keine nennenswerten Wirkungen auslöste. 1! Auf die Abhängigkeit nicht nur der wirtschaftlichen, sondern auch der gesellschaftlichen deutschen Entwicklung von derjenigen des Westens (worunter neben Frankreich außerdem England und Nordamerika verstanden werden) weist allgemein zusammenfassend z. B. Engelsing, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, S. 119 hin. Lütge, Sozialgeschichte!, S. 545 bejaht zwar eine mit dem wirtschaftlichen Rückstand gegenüber Frankreich verbundene verzögerte Entwicklung der Institutionen in Deutschland (S. 545), verneint aber

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sche Vorgeschichte des deutschen Strafprozesses hinsichtlich der den Gegenstand der Untersuchung bildenden Institutionen ein über dasjenige an einer bloßen Beschreibung des geschichtlichen Verlaufs hinaus gehendes, nämlich auf dessen Verständnis gerichtetes besonderes Interesse. Die Untersuchung soll dabei, soweit dies möglich ist, auf die in der französischen Aufklärung geführte theoretische Diskussion mit ihrer zunehmenden Präzisierung der Begriffe und deren erster Verwendung in der praktischen Gesetzgebung beschränkt bleiben. Besondere Aufmerksamkeit muß in der folgenden Untersuchung dabei der Frage gelten, inwieweit in den aufklärerischen strafprozessualen Doktrinen wie auch in der gesetzgeberischen Regelung die besonderen Interessen des aufstrebenden Bürgertums ihren Ausdruck: gefunden haben. Daß aus einem derartigen Vorgehen nicht völlig befriedigend zu lösende, methodische Schwierigkeiten erwachsen, da eine zumindest exemplarischeDarstellung des historischen Materials zugleich unverzichtbar bleibt, ist offensichtlich. Um die Bedeutung der geschichtlichen Vorleistung des französischen Bürgertums für die Strafprozeßentwick:lung zu erkennen, bedarf es zueinen Rückstand der "geistigen Strömungen" (S. 544). Dieser einschränkenden Feststellung widerspricht nicht nur, daß konkrete Reformforderungen wie die strafgerichtliche Öffentlichkeit in Deutschland, und auch dann nur vereinzelt, erst in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre des achtzehnten Jahrhunderts erhoben wurden. Valjavec, Entstehung, S. 11 stellt als Ergebnis seiner materialreichen Untersuchung ganz allgemein fest, daß erst in den siebziger Jahren des achtzehnten Jahrhunderts aufklärerische Strömungen von politischem Gewicht in Deutschland feststellbar sind, während dies für Frankreich schon seit der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts der Fall war, wie sich aus Allgemeindarstellungen der französischen Aufklärung wie z. B. Mornet, Origines, S. 71 ff., bes. 129 ff. entnehmen läßt. Ndcht mit der von Lütge vorgetragenen Einschränkung ist etwa auch die Feststellung von Schubart, des neben Schlözer und Wekhrlin bedeutendsten deutschen aufklärerischen Publizisten vor der französischen Revolution über die Abhängigkeit der deutschen von der französischen Aufklärung zu vereinbaren: "Nur spukt eine Zauberin unter uns ... Man kann sie gar leicht an der Sprach erkennen ... kindische Nachäfferei jeglicher Modethorheit, die aus Paris kommt und Verachtung eigener deutscher Kraft - das nennt sie Aufklärung." Vgl. Vaterl. Chr. Jg. 1787, S. 51. Der Aufstieg des französischen Bürgertums im achtzehnten Jahrhundert und seine sozialgeschichtliche Lage ist allerdings noch wenig erforscht. Vgl. zu diesem im 18. Jahrhundert Moraze, Les bourgeois conquerants, Paris 1957; Barber, E. G., The Bourgeoisie in the 18th Century France, Princeton 1955. Für das deutsche Bürgertum gilt das in noch höherem Maß. Es werden für das 18. Jahrhundert allenfalls Teilprobleme erörtert wie z. B. H. Gerth, Die sozialgeschichtliche Lage der bürgerlichen Intelligenz um die Wende des 18. Jahrhdrts., Frank:furt, Phil. Diss. 1935; IL Möller, Die kleinbürgerliche Familie im 18. Jahrhundert, Berlin 1969; E. Mohrmann, Studie zu den ersten organisatorischen Bestrebungen der Burgeoisie in einigen Städten des Rheinlands, in: Beiträge zur deutschen Wirtschafts- und Sozialgeschichte des 18. und 19. Jahrhunderts, Berlin 1962, S. 189 ff.; für das neunzehnte Jahrhundert auch: L. Beutin, Das Bürgertum als Gesellschaftsstand im 19. Jahrhundert (Ein Entwurf), in: Gesammelte Schriften hrsg. von H. Kellenbenz, Köln 1963, S. 284 ff.

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nächst eines Rückblicks auf den Stand von Strafprozeß und Strafverfahren in der Endphase des Ancien regime in Frankreich. Gilt es doch nicht nur, die Frage nach einem zutage getretenen Reformbedürfnis, sondern auch diejenige zu beantworten, ob die späteren Kodifikationen einen völligen Bruch mit dem vorher geltenden Recht brachten oder ob auch Bestehendes zumindest in seinem Kern unverändert übernommen wurde. Dabei ergibt sich hinsichtlich der Gegenstände der Untersuchung das besondere Problem, ob und gegebenenfalls in welchem Ausmaß die Geschichte der strafprozessualen Öffentlichkeit und des öffentlichen Anklägers in dieser Hinsicht unterschiedlich verlaufen ist.

Erster Teil

Das französische Strafverfahrensrecht der Aufklärung.Die Grundstrukturen des französischen Strafprozesses in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts 1. Kapitel

Das förmliche Gerichtsgeheimnis I. Der Ausschluß des Publikums Schon ein erster Blick auf das altfranzösische Strafverfahren gegen Ende des Ancien regime zeigt, daß die strafgerichtliche Öffentlichkeit sich als Neuschöpfung von Reformdiskussion und -gesetzgebung darstellt. Die Betrachtung kann dabei auf jene Ordonnance d'aoüt 1670 beschränkt bleiben, die, auf eine 'bereits vorher eingetretene Rechtsentwicklung aufbauend, die grundlegende, wenn auch nicht vollständige Regelung des altfranzösischen Strafprozesses bis zur französischen Revolution blieb!. 1 Die im August 1670 erlassene "Ordonnance de Louis XIV, Roy de France et de Navarre, donnee a Saint Germain en Laye au mois d'aoust 1670, pour les matii~res criminelles" ist abgedr. u. am leichtesten zugänglich in: RGALF Bd. 18, Nr. 623, S. 371 ff. Über die allmähliche Ausbildung des geheimen schriftlichen Inquisitionsprozesses seit dem 13. Jahrhundert vgl. Esmein, Histoire S. 66 ff.; zur Entstehungsgeschichte der Ord. v. 1670 S. 177 ff. und zu deren Regelung und Anwendung S. 212 ff. u. 3'29 ff. Interessant in diesem Zusammenhang ist, daß bei Erlaß der Gesetzesordnungen gegen Ende des 15. Jahrhunderts und im 16. Jahrhundert anders als bei Erlaß der Ordonnance von 1670 eine in den Gesetzestext eingefügte Begründung für die Anordnung des Prozeßgeheimnisses für notwendig gehalten wurde. Vgl. Ordonnance de mars 1498, Art. 110, abgedr. in: RGALF, Bd. 11, S. 329 und Ordonnance d'aout 1536, Art. 37 abgedr. in: RGALF, Bd. 12, S'. 524. Außer den zur Ord. v. 1670 ergänzend hinzutretenden weiteren königlichen Gesetzesordnungen und Deklarationen kommen als Rechtsquellen vor allem die Verordnungsbeschlüsse (Arrets de reglements) der obersten Gerichtshöfe (Cours souveraines, zu denen insbesondere die sogenannten Parlamente gehörten) in Betracht. Die Parlamente waren befugt, für ihren jeweiligen Gerichtssprengel das königliche Recht im Verordnungswege zu konkretisieren und u. U. entgegenstehendes Gewohnheitsrecht (Coutumes) zu beseitigen, das allerdings angesichts der zentralen Regelung der Ordonnance v. 1670 für das formelle Strafrecht weniger Bedeutung besaß als für das materielle. über die Befugnisse der Parlamente vgl. insbesondere Bickart, Parlements, S. 268 ff. Der Einfluß der Arrets de reglements auf die gesetzliche Regelung des Straf-

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1. Teil. Die Strafprozeßstruktur am Ende des Ancien regime

Als Verfahrensart schrieb sie grundsätzlich einen Inquisitionsprozeß vor, der von Anfang bis Ende geheim, also ohne fönnliche Gerichtsöffentlichkeit und mit einigen Ausnahmen wie dem abschließenden Verhör des Inquisiten in der Audience vor dem erkennenden Gericht auch schriftlich durchgeführt wurde!' 3. verfahrens, hinsichtlich dessen sie eine gewisse lokale Rechtszersplitterung herbeiführten, ist noch nicht hinreichend untersucht. In hohem Maße mitberücksichtigt hat in der zeitgenössischen Kommentarliteratur Jousse, Traite de la justice criminelle, die Verordnungsbeschlüsse des Pariser Parlaments. Als ergiebige Quelle für strafprozessuale Arrets de reglements unter anderem auch von Provinzialparlamenten kann das Werk von Serpillon, Code criminelle, gelten, in dessen Bd. 2, S. 703 ff. ein chronologisches Register einer Reihe in ihm angeführter Verordnungen und S. 451 ff. eine Sammlung wörtlich abgedruckter Arrets de reglements enthalten ist. Soweit derartige Arrets de reglements das Heimlichkeitsprinzip betreffen, werden sie, soweit erforderlich, im folgenden berücksichtigt. ! Im geheimen schriftlichen Inquisitionsverfahren kam es nur zu einem einzigen mündlichen Schlußverhör des Inquisiten vor dem erkennenden Gericht. Falls der sog. Procureur du roi oder fiscal (vgl. dazu 1. Teil 2. Kap.) auf eine Peine affiictive (körperliche Strafe) angetragen hatte, erfolgte das Verhör gern. Tit. 14, Art. 21 der Ord. v. 1670 auf der sog. Sellette (einem niedrigen HolzschemeI). Falls nur auf eine Peine infamante (entehrende Strafe) oder pecuniaire (Geldstrafe) angetragen war, wurde er hinter dem Advokatengehege stehend verhört. Das Schlußverhör in diesen Fällen war in der Ord. v. 1670 nicht ausdrücklich erwähnt. Es wurde für sie aber durch königliche Deklaration v. 12. 1. 1681 (abgedr. in: RGALF, Bd. 19, S. 259) für den Sprengel des Parlaments von Grenoble und allgemein durch diejenige v. 13. 4. 1703 (abgedr. in: RGALF, Bd. 20, S. 431) (... les accuses seront entendus par leur bouche dans la Chambre du Conseil, derriere le barreau ...) angeordnet. Vgl. dazu z. B. Muyart de Vouglans, Instruction, S. 489. Selbst dann kamen noch Verstöße der Untergerichte, und zwar sogar gegen Tit. 14, Art. 21 Ord. v. 1670 vor, wie sich aus den von Jousse, Traite Bd. 2, S. 265 f. mitgeteilten Entscheidungen ergibt. Inwieweit das Schlußverhör rein mündlich war, war str. Für generelle Protokollierungen unter Berufung auf Tit. 14, Art. 12 u. 13 Ord. v. 1670 z. B. Jousse, a.a.O., S.269, der allerdings auf einen teilweise abweichenden Gerichtsgebrauch einiger höherer Gerichte hinweist. Vom Mündlichkeitsgrundsatz geht Muyart de Vouglans, S. 490 aus, mit der Einschränkung notwendiger Protokollierung eines vollständigeren Beweises oder entlastender Tatsachen. Für den Fall des Verhörs auf der Sellette (also beantragter Peine afflictive) schien ihm allerdings Tit. 14, Art. 22 Ord. v. 1670 auf eine notwendige vollständige Protokollierung des Schlußverhörs erster Instanz hinzuweisen. a Zu einer mündlichen Verhandlung mit Plaidoyers konnte es in den Zwischenverfahren über einzelne Inzidentpunkte kommen. Hierher gehörten u. a. neben Einsprüchen (Oppositions) wie etwa die gemäß Tit. 7, Art. 9 Ord. v. 1670 gegen die Zulassun,g von Mondtodres (öMentldch,en kirchlichen Auffurderungen an unbekannte Zeugen) eingelegten Einsprüche, besonders die Appellationen gegen die einzelnen die Untersuchung vorbereitenden und leitenden richterlichen Entscheidungen wie die Zulassung der Untersuchung überhaupt, Verhaftbefehle, die Entscheidung a l'extraordinaire weiter zu instruieren usw. Vgl. Tit. 26, Art. 2 Ord. v. 1670 und die 'übersicht bei Jousse, Traite, Bd. 3, S. 89 ff., der allerdings unter Berufung auf einen Parlamentsbeschluß vom 27. 1. 1607· einschränkend hinzufügt, daß im Verfahren über alle schweren Straftaten (proces de grand criminel) über die Appellation bezüglich des Inzidentpunktes von der Strafkammer (Chambre criminelle) unter vollstän-

1. Kap. Das förmliche Gerichtsgeheimnis

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Seiner geschichtlichen Herkunft entsprechend wurde dieser Inquisitionsprozeß allerdings als "außerordentlicher" Strafprozeß, der "a l'extraordinaire" durchgeführt wurde, bezeichnet. Nach erfolgter Generalinquisition, der sogenannten Infonnation', die insbesondere auch die erste Zeugenabhörung, die Infonnation des temoins5, zum Gegenstand hatte und dem Verhör des Inquisiten, der sogenannten Interrogatoire de l'accuse6, mußte nämlich ein richterliches Reglement a l'extraordidiger Wahrung des Gerichtsgeheimnisses zu entscheiden war. über die Einschränkung der praktischen Wirksamkeit der Appellationszwischenverfahren durch die Ordonnance von 1670 selbst und der sehr stark restriktiven Auslegung in Rechtsprechung und Kommentarschrifttum vgl. im einzelnen 1. Teil, 2. Kap., I, 3. und Anm. 52 ff. Zu einer notwendigen Audience criminelle vor dem an sich als Appellationsinstanz vorgesehenen Gericht konnte es im Verfahren über leichtere Strafsachen (Matieres legeres) kommen, sofern diese keiner weiteren Instruktion bedurften und in diesen Fällen ausnahmsweise von der nächsthöheren Instanz evoziert werden konnten, dann aber sofort in der Audience entschieden werden mußten. Vgl. Tit. 26 Art. 5 Ord. v. 1670. Selbst Appellationen gegen Endentscheidungen konnten, wie aus Tit. 26, Art. 10 Ord. v. 1670 hervorgeht, u. U. zu einer mündlichen Verhandlung (und nicht nur einem mündlichen Schlußverhör) in der Appellationsinstanz führen. Nach allg. M. kam das jedoch nur für Verfahren in Betracht, die in der ersten Instanz kein erneutes Zeugenverhör und keine Gegenüberstellung (Recolement und Confrontation) erforderlich gemacht hatten, also für Strafverfahren über leichte Delikte. Vgl. z. B. Muyart de Vouglans, Instruction, S. 848. Darüber, daß bei bestimmten leichten Straftaten die Strafsachen entsprechend den zivilprozessualen Regeln verteilt wurden vgl. Tit. 26, Art. 12 Ord. v. 1670 und über die restriktive Auslegung dieser Bestimmung vgl. 1. Teil, 2. Kap., I, 3 u. Anm. 62. über das Verfahren in leichten strafsachen in erster Instanz und die mündliche Verhandlung vgl. nachstehend Anm. 8 ff. , Nach vollständiger Ausbildung· des Inquisitionsprozesses war zwischen der "Information" des "außerordentlichen" Strafverfahrens und der "Enquete" des Zivilprozesses begrifflich zu unterscheiden. Die Bezeichnung "Informer" kam allerdings in beiden Prozeßordnungen vor. Gegen die Verwendung des Ausdrucks Enquete im a l'extraordinaire instruierten Strafprozeß z. B. Jousse, Traite, Bd. 2, S. 2. Unrichtig jedenfalls die Verwendung der Bezeichnung Enquete für die "Spezialinquisition" bei Eb. Schmidt, Einführung, S. 325. Zu einer praktischen Konsequenz des Unterschiedes vgl. Anm. 8 a. E. 5 '.l1it. 14, Art. 1 ff. Ord. v. 1670. e Das erste Inquisitenverhör durch den Untersuchungsrichter erfolgte nach stattgefundener Information und ergangenem Dekret gegen den als tatverdächtig ermittelten Inquisiten, das in einer einfachen Vorladung (Assignation pour etre oui), einer Art Vorführungsbefehl (Ajournement personneI) oder aber im Regelfall in einer Verhaftung bestehen konnte. Es konnte auch ein Fall des auf frischer Tat ertappten Täters gegeben sein, der bereits von Untersuchungsbeginn an festgenommen war. über die gesetzliche Regelung des Verhörs vgl. Tit. 14, Art. 1 ff. Ord. v. 1670. Unter diesen Vorschriften befand sich auch die bekannte, in der gerichtlichen Praxis zumeist nicht beachtete Bestimmung, daß inhaftierte Personen binnen vierundzwanzig Stunden zu verhören waren. Die weiteren Prozeßstadien setzten ein erfolgtes erstes Inquisitenverhör voraus, vgl. Jousse, Traite, Bd. 2, S. 344. Weitere Verhöre waren, von dem erwähnten ohnehin notwendigen Schlußverhör vor dem erkennenden Gericht abgesehen, möglich und sogar geboten, sofern sich neue Tatsachen ergaben, vgl. Jousse, a.a.O., S. 279. über die Einzelheiten, soweit sie die hier zu behandelnden Gegenstände betreffen, vgl. die folgende Darstellung. Den besten

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1. Teil. Die Strafprozeßstruktur am Ende des Ancien regime

naire ergehen, wenn der Prozeß weiterer Instruktion im geheimen schriftlichen Verfahren bedurfte7 • Neben diesem geheimen, schriftlichen außerordentlichen Strafprozeß gab es noch immer den ordentlichen Prozeß, für den die Ordonnance von 1670 selbst den Ausdruck Proces ordinaire verwendeteS, dessen ziüberblick gibt das bereits mehrfach angeführte Werk von Jousse, Traite, S. 253 ff., das sich weniger durch Originalität der Stoffbehandlung als durch die hinsichtlich der Systematisierung erreichte Darstellungshöhe auszeichnet. 7 Der Gegenstand des sogenannten Reglement a l'extraordinaire war in Tit. 15, Art. lOrd. v. 1670 geregelt. Dieses Reglement leitete die Spezialinquisition zwar nicht ein, die der Sache nach bereits mit den in Anm. 6 genannten Dekreten gegen den Inquisiten und mit dessen erster Interrogatoire begann. Es führte sie aber in ihr entscheidendes Stadium der engültigen Fixierung und Ergänzung des Belastungsmaterials über, da mit ihm das Verfahren angeordnet wurde, das u. a. die erneute, den bisherigen Aussageinhalt bestätigende Abhörung der bisherigen Zeugen und diejenige neuer Zeugen (Recolement) und erforderlichenfalls deren Gegenüberstellung gegen den Inquisiten zum Gegenstand hatte. Vgl. dazu im einzelnen z. B. Jousse, Traite, Bd. 2, S. 331 ff., Muyart de Vouglans, Instruction, S. 494 ff. Die Ord. v. 1670 sprach ausdrücklich z. B. in Tit. 20, Art. 1, 2 und 5 von einem "extraordinairement" bzw. a l'extraordinaire" durchzuführenden Verfahren. Streitig war bekanntlich, ob das Reglement a l'extraordinaire in erstinstanzlichen (a la charge d'appel erfolgenden) Verfahren von drei Richtern (so Jousse, Traite, Bd. 2, S. 335 für den Regelfall vom Procoureur du roi beantragter Peine afftictive ou infamante) oder vom Lieutenant criminel als Untersuchungsrichter bei den erstinstanzlichen Bailliagegerichten (so Serpillon, Code, Bd. 1, S. 663 unter Berufung auf zahlreiche Edikte und gerichtliche Entscheidungen und den Gerichtsgebrauch allgemein) zu erlassen war. Unstreitig war bei letztinstanzlichen Verfahren das Dekret von mehreren (nach Jousse, a.a.O., S. 336, sieben Richtern) auszusprechen. Zur Klarstellung sei ergänzend vermerkt, daß nach der etwaigen Konfrontation die jeweilige Strafsache als untersucht galt und das Verfahren in die Hand des Berichterstatters überging. Diese Funktion übte in den erstinstanzlichen Verfahren in der gerichtlichen Praxis allerdings ebenfalls der Untersuchungsrichter, nämlich der Lieutenant criminel aus (vgl. dazu Serpillon). Es kam dann zur Durchsicht des schriftlichen Prozeßmaterials, der sogenannten Visite. Das Verfahren konnte mit einer Endentscheidung (Sentance definitive) oder bei nicht für hinreichend erachtetem Beweismaterial mit einer sog. interlokutorischen Entscheidung wie z. B. der Anordnung der Befragung im Wege der Folter oder auch der Anordnung der Prüfung vom Inquisiten angeführter entlastender Tatsachen lauten. 8 Zum Proces ordinaire enthielt die Ord. v. 1670 nur wenige Bestimmungen im 20. Titel. Vgl. dort insbesondere Art. 3, der bis zur Konfrontation, die richterliche Umwandlung des Strafprozesses in einen Proces ordinaire anordnete, sofern die Sache keiner strafrechtlichen Untersuchung bedurfte. Die Information wurde dann in eine Enquete umgewandelt. Das bedeutete, daß nach der Zivilprozeßordnung zu verfahren war, vgl. dazu Muyart de Vouglans, Instruction, S. 730 f. Das bedeutete unter anderem, daß gegebenenfalls die Prozeßakten nicht mehr der Geheimhaltung unterlagen, vgl. dazu Serpillon, Code, Bd. 2, S. 193. Die Ersetzung eines in zivilprozessualen Formen begonnenen Prozesses durch einen neu zu beginnenden Strafprozeß regelte Art. 1. Eine bloße Konversion der Enquete in eine Information war nach einhelliger Meinung wegen deren unterschiedlicher rechtlicher Qualität nicht möglich, vgl. z. B. Muyart de Vouglans, S. 725; Serpillon, Code, Bd. 2, S. 191.

1. Kap. Das förmliche Gerichtsgeheimnis

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vilprozessuale Verfahrensweise sogar mit der Wahrung gewisser Öffentlicbkeitsformen verbunden war'. Seine Bedeutung für die Gerichtspraxis war jedoch gering, da er grundsätzlich nur bei der Verfolgung leichter Straftaten, die allenfalls eine Verurteilung zu Geldstrafe oder sonstigen besonders leichten Strafen erwarten ließen, Anwendung fand 10• Eine Verurteilung zu den anderen Strafarten, den Peines afflictives ou infamantes setzte prinzipiell die Durchführung eines a l'extraordinaire instruierten Verfahrens vorausl l • Dieses für alle bedeutenderen 9 Vgl. z. B. die übersicht bei Jousse, Traite, Bd. 3, S. 80, der bezüglich des "Proces de petit criminel" von einer auf einfache Vorladung hin stattfindenden Audience ausging. Differenzierend Serpillon, Code, Bd. 2, S. 228, der eine dahingehende Verfahrensweise etwa des Pariser Parlaments beschrieb, aber einschränkend darauf hinwies, daß in der Bourgogne das erstinstanzliche Verfahren auch des Proces de petit criminel häufig in schriftlichem Verfahren abgewickelt wurde. Die Regelung der zivilprozessualen Prozedur der Ordonnance von 1667 ist abgedr. in: RGALF, Bd. 18, S. 107. 10 Vgl. z. B. Muyart de Vouglans, Instruction, S. 495; Jousse, Traite, Bd. 2, S. 336, die zu den im nicht extraordinairement instruierten Verfahren zu verhängenden Strafen neben den Geldstrafen z. B. die Admonition (Verweis) rechneten. Als leichte Straftaten wurden etwa Injurien und Raufhändel bewertet, vgl. Arret der Tournelle (der Strafkammer des Parlamentes von Paris) v. 28. 11. 1695 u. 13. 5. 1709 zit. nach Jousse. Serpillon, Code, Bd. 1, S. 665 f., vertrat einschränkend den Standpunkt, daß gelegentlich auch bei bloß zu erwartender Verurteilung zu Geldstrafe Strafsachen wegen ihrer Bedeutung a l'extraordinaire, also geheim und schrift]ich mit Recolement und Confrontation instruiert werden konnten. Vgl. dazu auch die S. 666 mitgeteilte Entscheidung des Parlamentes von Bordeaux v. 9. 3. 1697. Die Ord. v. 1670 traf keine eindeutige Abgrenzung zwischen Proces ordinaire und extraordinaire. In Tit. 15, Art. 1 wurde darauf abgestellt, ob die Sache eine Untersuchung a l'extraordinaire verdiente und in Tit. 20, Art. 3 wurde hinsichtlich der Frage, wann die Konversion eines Proces extraordinaire in einen Pro ces ordinaire anzuordnen war, darauf -abgestellt, ob dlem Richter eine strafrechtliche Untersuchung geboten erschien. Tit. 20, Art. 1 deutet darauf hin, daß bei einem vom Verletzten zivilprozessual eingeleiteten Verfahren die Einleitung eines geheimen schriftlichen Strafverfahrens nur bei zu erwartender körperlicher Strafe von Amts wegen vorzunehmen war, also ein Zivilprozeß auch über schwerere entehrende Strafen durchgeführt werden konnte. Demgegenüber hob Serpillon, Code, Bd. 2, S. 190 in übereinstimmung mit der sonst üblichen Abgrenzung zwischen Proces ordinaire und Proces extraordinaire hervor, daß auch bei infamierenden Strafen die Einleitung eines Strafprozesses, und zwar auf den Antrag des Procureur du roi hin erfolgen mußte. Nach allg. M. war die Untersuchung jedenfalls dann ausnahmslos extraordinairement zu instruieren, wenn der Procureur du roi allein die Untersuchungseinleitung beantragt hatte, vgl. dazu z. B. Muyart de Vouglans, Instruction, S. 730; Serpillon, Code, Bd. 2, S. 194. 11 Vgl. z. B. Muyart de Vouglans, Instruction, S. 495; Serpillon, Code, Bd. 1, S. 665 f. über im Proces ordinaire zu verhängende leichte, nicht entehrende Strafen vgl. oben Anm. 10. Als Peine afflictive erschienen alle körperlichen, nämlich Lebens- und Leibesstrafen, die den Kern der Strafrechtsfolgen bildeten und die auf erhebliche Freiheitsentziehung hinauslaufenden Strafen. Vgl. zu den Einzelheiten Muyart de Vouglans, Instruction, S. 798 f., 842; Serpillon, Code, Bd. 1, S. 650 ff. Die Peines afflictives waren zugleich infamierende Strafen; Hauptfälle einer bloß entehrenden Strafe waren etwa Blame (strafgerichtliche Rüge); Mort civil (bürgerlicher Tod); Degradation de noblesse

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1. Teil.

Die Strafprozeßstruktur am Ende des Ancien regime

Strafsachen anzuwendende Verfahren (Proces de grand criminel)12 wurde als der Strafprozeß im eigentlichen Sinne angesehen 13 . Der Proces ordinaire kann daher bei der Darstellung der Geschichte der strafprozessualen Öffentlichkeit außer acht bleiben, und zwar um so mehr, als er in der aufklärerischen Diskussion nicht einmal erwähnt wurde. Selbst ein Verteidiger der Ordonnance von 1670 wie der königliche Generaladvokat 5eguier bezog sich nur auf die Procedure extraordinaire und deren Heimlichkeit mit seiner Bemerkung, "que ce secret est la base inebranlable de la loi"14. Mochte diese aus dem Jahr 1786 stammende Behauptung von der Notwendigkeit des Gerichtsgeheimnisses als unerschütterlicher Grundlage des Strafverfahrens in den Augen der immer zahlreicher werdenden Kritiker der Ordonnance von 1670 noch so unglaubwürdig sein, so beschrieb sie jedenfalls den in der Rechtsordnung sich widerspiegelnden Zustand der bis dahin geltenden Gesellschaftsordnung durchaus zutreffendU. und insbesondere auch das für unbegrenzte Dauer bis auf weitere Untersuchung lautende Strafurteil (plus amplement informe indefini). Die beste deutsche Darstellung der Strafrechtsfolgen im Recht des Ancien regime bei Hertz, Voltaire, S. 8 ff. Eine, wenn auch knappe, so doch instruktive Übersicht bietet unter den französischen Darstellungen Aubry, Jurisprudence, S. 176 ff. lZ Die relativ unscharfe Unterscheidung zwischen Pro ces de grand criminel und Proces de petit criminel (vgl. dazu neben den bereits Genannten außerdem Jousse, Traite, Bd. 3, S. 80) fand sich der Sache nach schon in der Ordonnance von 1539 (abgedr. in: RGALF, Bd. 12, S. 631), die nämlich in ihrem Art. 150 bereits zwischen Strafsachen von geringem Gewicht (Matieres de petite inportance) und von großem Gewicht und den genannten beiden Verfahrenarten unterschied. 13 In der erwähnten Regelung des Tit. 20, Art. 3 setzte die Ord. v. 1670 bezeichnenderweise selbst "extraordinairement" und "criminellement" gleich. Die dort aufgeworfene Frage war nämlich an sich diejenige, ob die Sache a l'extraordinaire instruiert zu werden verdiente. 14 Von Seguier, Requdsitoire, wdeder abgedr. in: Barreau fran~ads, Sero 2, Bd. 3, S. 495. S. 488 wird die genannte These historisch untermauert: "Le secret a toujours ete base de notre legislation criminelle." 5eguier griff (z. B. S. 480) ausdrücklich auf die Begründung der oben in Anm. 1 angeführten früheren gesetzlichen Regelungen zurück. Ursprünglich wurden die Ausführungen als Antragsbegründung in dem über die im 2. Teil, 5. Kap. behandelte Schrift von Dupaty geführten Verfahren vor dem Parlament von Paris vorgetragen (vgl. zu den Einzelheiten, Requisitoire, S. 287 ff.). Die 1786 erstmals erschienene Schrift ist deshalb besonders aufschlußreich, weil sie Ablauf und GeIst des Strafverfahrens nach der Ord. V. 1670 in einer von der gängigen Kommentarliteratur sonst vermiedenen Auseinandersetzung mit den Thesen der Aufklärer darstellte. Antoine-Louis seguier, 1726 -1792, seit 1751 Avocat general beim Parlament von Paris, war, obwohl seit 1770 Mitglded der Academie fran~aise, eifriger Verfolger der "Philosophes". Über seine ganz den Standesvorurteilen der hohen MagIstratur verhaftete alLgemeine Einstellung vgl. Beugnot, Memoires, Bd. 1, S. 51 und neuerdings Egret, Pre-revolution, S. 159 f. 15 Seguier war sich der prinzipiellen Bedeutung seiner Ausführungen durchaus bewußt. Er ging (S. 475) von dem Grundsatz aus, daß in der Staatsreform

1. Kap. Das förmliche Gerichtsgeheimnis

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Seguier formulierte mit seiner Bemerkung für den Bereich der Strafrechtspflege letztlich ganz konsequent die Interessenlage des noch herrschenden Feudalabsolutismus, in dessen System einem unter dem Grundsatz der Gleichheit vor dem Gesetz sich formierenden Publikums der geforderte rechtlich gesicherte Einblick in die Handhabung des Strafverfahrens als wichtigem Mittel staatlicher Machtausübung nicht zugestanden werden konnte.

11. Die Informationssperre gegen den Inquisiten In einem Strafprozeß, der der Idee nach eine Emanation absoluter königlicher GewaW 6 und jedenfalls gegen Ende des Ancien regime weitgehend von der neufeudalen sogenannten Noblesse de robe beherrscht war17, wurde selbst die Informationsmöglichkeit des Inquisiten über Prozeßvorgänge im Sinne der späteren Parteiöffentlichkeit verfahrensrechtlich auf das mindestmögliche Maß beschränkt. Erst bei Abschluß der für das Endurteil zumeist grundlegenden untersuchungsrichterlichen Sachverhaltsermittlung18 mit der im Falle des Leugnens erfolgender Monarchie, "das Gesetz am Charakter der Monarchie partizipiert". Zum Zweck der Gesetze führte Seguier konsequent aus: "que les hommes sont faits pour obeir aux lois et les respecter: qu'un particulier, qui 'Se permet den faire une censure injurieuse, en ötant le motif du respect, öte egalement le motif d'obeissance: c'est une espece de cri seditieux, de dire a la nation qu'elle est gouvernee par des lois injustes, barbares, inhumaines." 18 Im Prinzip galt der Satz: La justice emane du roL Vgl. z. B. Rousselet, Magistrature, Bd. 1, S. 32 ff. Praktische Bedeutung hatte gegen Ende des Ancien regime vor allem die sog. Justice retenue des Königs, die u. a. bezüglich der Strafrechtspflege in der verschiedenartigsten Gestalt in Erscheinung trat. Die einem rechtsförmlichen Verfahren angenäherte Revisionstätigkeit des königlichen Conseils gehört ebenso hierher wie die bekannten Lettres de cachet oder die Einsetzung außerordentlicher Kommissionen mit Strafkompetenz. Eine ausführliche Gesamtübersicht bei Olivier-Martin, Histoire~, S. 518 ff.; ferner Ellul, Instutions, S. 449 f. 17 Die Rechtsprechung der königlichen Gerichte war an sich eine vom König delegierte. Die Amtsinhaber vor allem auch in den obersten Gerichten (Cours souveraines), insbesondere in den Parlamenten, die die Rechtsprechung in ihren jeweiligen Gerichtssprengeln maßgeblich bestimmten, bildeten aber gesichert durch die Käuflichkeit und Erblichkeit der Amter, festgefügte Gerichtskörperschaften von weitgehender Unabhängigkeit. Mit ihren Ämtern war regelmäßig der Erwerb des zumeist erblichen oder wenigstens persönlichen Adels verbunden. Vgl. die Zusammenfassung bei Ellul, a.a.O., S. 451. Angesichts der aufklärerischen Kritik und noch mehr der in 3. Teil, 2. Kap., H, 1 dargestellten Kritik in der Konstituante an den vom aristokratischen Esprit de corps der Gerichtskörperschaften herrührenden Mißständen erscheint die günstige Beurteilung der Unabhängigkeit der Noblesse de robe gegenüber der königlichen Gewalt durch Olivier-Martin, a.a.O., S. 467 als sehr zweifelhaft. 18 Bei der Durchsicht (Visite) und Prüfung (Examen) der vom Untersuchungsrichter geführten strafrechtlichen Untersuchung, der bei den erstinstanzlichen Gerichten zugleich Berichterstatter war (vgl. oben Anm. 7), waren die erkennenden Richter für ihre Entscheidung weitgehend auf das vom Untersuchungsrichter hervorgebrachte schriftliche Beweismaterial angewie-

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1. Teil. Die Strafprozeßstruktur am Ende des Ancien regime

den Gegenüberstellung gegen die Belastungszeugen konnte der Inquisit erste beschränkte Kenntnisse vom Prozeßgeschehen erlangen19 , von dem er im übrigen nur sein eigenes Verhör kennen konnte 2o • Daß die Zeugen bei ihrem ersten Verhör in der Generalinquisition (Information des temoins)21 und, entsprechend allgemeiner Auslegung der Ordonnance von 1670, bei ihrem, soweit sie bereits verhört worden waren, erneuten oder erstmaligen Verhör während der Spezialinquisition (Recolement des temoins) geheim zu verhören waren22 , wurde nicht nur im sen. Dieses wurde vor den allein anwesenden Richtern verlesen und nur teilweise auch vom Berichterstatter oder Präsidenten verteilt. Vgl. Jousse, Traite, Bd. 4, S. 367 über "Visite et examen". Die Prüfung konnte lediglich dahin gehen, ob die Formalitäten gewahrt waren, das schriftliche Beweismaterial hinreichenden Beweis erbrachte und ob die nur unter eng begrenzten Voraussetzungen zulässigen Einwendungen rechtsgültig abgegeben waren. Bezeichnenderweise war deren Niederschrift nicht zu verlesen, vgl. Jousse. Die präjudizierende Wirkung des von dem Untersuchungsrichter erstellten Beweismaterials ist unverkennbar. Eine begrenzte eigene Anschauung gewann das erkennende Gericht allenfalls beim abschließenden Schlußverhör des Inquisiten. 18 Zur sog. Confrontation vgl. Tit. 15, Art. 9 und 12 ff. Sie war zwar, jedenfalls wenn, wie regelmäßig, ein Verhaftbefehl vorlag, nach allg. M. geheim (vgl. z. B. J ousse, Traite, Bd. 2, S. 358) durchzuführen, setzte aber notwendigerweise die Anwesenheit des Inquisiten voraus (vgl. auch Tit. 15, Art. 14 Ord. v. 1670), vor dem die bisherigen Aussagen der Zeugen zu verlesen waren wie aus Art. 16, a.a.O., hervorgeht. über die u. a. dort angeordnete Einschränkung der Zulassung von Einwendungen (Reproches) des Inquisiten, 1. Teil, 2. Kap., lI,3.

20 Die Verhöre der Inquisiten waren zwar streng geheim, nämlich mit Ausnahme des Gerichtsschreibers unter Ausschluß dritter Personen, selbst der sonstigen Prozeßbeteiligten, vom Untersuchungsrichter durchzuführen; vgl. Tit. 14, Art. 6 Ord. v. 1670. Sie setzten aber die Anwesenheit der Inquisiten notwendigerweise voraus, die gehalten waren "de repondre par leur bouche" (Art. 8) und denen auch die Beweisstücke vorzulegen waren, zu welchen sie sich auf der Stelle äußern mußten (Art. 10). Die Verhörprotokolle waren dem Inquisiten vorzulesen und von ihm mitzuunterzeichnen. Die Verhörpraktiken stellten allerdings selbst die Möglichkeit in Frage, daß der Inquisit einen überblick über sein eigenes Verhör gewann. Vgl. zu den Verhörmethoden besonders ausführlich und an sich durchaus auf die Vermeidung von Auswüchsen bedacht, Jousse, Traite, Bd. 2, S. 270 ff., der S. 273 den von ihm vorgeschlagenen ständigen raschen Wechsel des Befragungsgegenstandes gegenüber dem Inquisiten mit dem Hinweis empfahl: "So wird er leicht in Widersprüche verfallen, von denen der Richter Gebrauch machen kann, um Druck auf ihn auszuüben, die Wahrheit zu gestehen und ein Geständnis seines Verbrechens zu machen." Obwohl er immerhin Suggestivfragen ablehnte, hielt Jousse gelegentlich "ein'e Art von überraschung und FJnte" zur Geständiniserzielung für durchaus erlaubt (S. 274). über den Streit bezüglich einer späteren Einsichtnahme des Inquisiten in die eigenen Verhörprotokolle vgl. unten Anm. 28. 21 Die Regelung der Information des remoins in Tit. 6, Art. 1 ff., Ord. v. 1670. Zum förmlichen Gerichtsgeheimnis vgl. Art. 11, a.a.O., der dahin verstanden wurde, daß auch die Zeugen selbst ihrerseits über ihre Aussagen nichts verlauten lassen durften. Vgl. z. B. Bruneau, Observations et maximes, Tit. 8, Max. 36; Jousse, Traite, Bd. 2, S. 90; Serpillon, Code, Bd. 1, S. 465. 22 Zum Recolement des remoins siehe Tit. 15, Art. 1 ff. Ord. v. 1670, wo zugleich die Konfrontation geregelt war. Art. 5 ordnete im Wortlaut anders

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Sinne der Geheimhaltung gegen Dritte, sondern auch gegen den Inquisiten verstanden23 • Der Wahrung des Gerichtsgeheimnisses auch gegen den in Untersuchung Gezogenen diente außerdem das in Artikel 15 des Titels 6 der Ordonnance von 1670 enthaltene Verbot an den Gerichtsschreiber die "Information et autres pieces secretes" mitzuteilen, zu denen, trotz gewisser Meinungsunterschiede der Gerichte wie auch der maßgeblichen Kommentierungen in Einzelfragen, nahezu alle Niederschriften über Prozeßvorgänge gerechnet wurden. Unter jenen Artikel 15 der Ordonnance von 1670 fielen etwa die Niederschriften über Information und Recolement des temoins, Gegenüberstellungsprotokolle24, nach, von wenig bedeutsamen Einzelheiten abgesehen, einhelliger Meinung die Plainte, also die förmliche Klage2 5 sowie die sonstigen Anträge der königlichen und grundherrlichen Prokuratoren26 • Nicht von dieser Bestimmung erfaßt wurden die Anzeigen (Denonciations), die nicht zu den eigentlichen Prozeßurkunden zählten. Sie wurden aber ebenfalls bis auf wenige Ausnahmen streng geheim behandelt2 7 • Selbst die Mitteilung der Protokolle über die Verhöre des als Tit. 6, Art. 11, Ord. v. 1670 nur die getrennte Abhörung der Zeugen an. Serpillon, Code, Bd. 1, S. 674 vermerkt dazu kurz "separement, c'est a dire secretement". Die Heimlichkeit wird z. B. auch von Jousse (Anm. 21), S. 348 unproblematisch bejaht. Muyart de Vouglans, Instruction, S. 506, verweist kurz auf Tit. 6, Art. 11. Ausnahmsweise kritisch Bornier, Conferences, Bd. 2, S. 82 anläßlich der Kommentierung von Tit. 6, Art. 11 Ord. v. 1670. 23 Das Prozeßgeheimnis wurde nicht nur als Ausschluß des Publikums, sondern auch der Anwesenheit Prozeßbeteiligter, insbesondere des Inquisiten verstanden. Vgl. zu Tit. 6, Art. 11 Ord. v. 1670 z. B. Muyart de Vouglans (Anm. 22), S. 249; zu Tit. 15, Art. 5 Jousse (Anm. 21), der die Regelung über Heimlichkeit des Inquisitenverhörs entsprechend anwendet; Serpillon (Anm. 22); der Ausschluß nicht nur des Publikums, sondern auch der Prozeßbeteiligten mit Ausnahme von Untersuchungsrichtern und Gerichtsschreibern vom jeweiligen Verfahrensvorgang durch die genannten Geheimnisvorschriften läßt die im Text angeführte weitere Heimlichkeitsbestimmung des Tit. 6, Art. 15 Ord. v. 1670 nur als ergänzende Regelung erscheinen. 24 Vgl. z. B. am eingehendsten Jousse, Traite, Bd. 3, S. 145; ferner Serpillon, Code, Bd. 1, S. 474; auch Muyart de Vouglans, Instruction, S. 258. 25 Vgl. Serpillon (Anm. 24); Jousse (Anm. 24), unter Hinweis auf Art. 42 eines durch Parlamentsentscheidung erlassenen Reglement v. 10. 7. 1665, der selbst jedoch die Einschränkung machte, daß die Heimlichkeit nicht für eine allein vom privaten Verletzten als Partie civile erhobene Plainte gelten sollte. 26 Vgl. z. B. Jousse, Traite, Bd. 3, S.145. 27 Nach Tit. 3, Art. 6 Ord. v. 1670 hatten die Procureurs du roi bzw. ftscaux ein Register zu führen, um Denunziationen entgegenzunehmen und niederschreiben zu lassen. Diese Bestimmung wurde dahin verstanden, daß ein besonderes, von demjenigen der Gerichtskanzlei (Greffe) verschiedenes Register zu führen war, um die Anzeigen bzw. die Anzeigenden mit Sicherheit geheimzuhalten; vgl. dazu Serpillon, Code, Bd.1,S. 291, der auf einen gegenteiligen "Mißbrauch" einiger erstinstanzlicher Gerichte hinweist. Nach einem von SerpilIon mitgeteilten Arret du Parlement de Paris v. 23. 8. 1718, war den Richtern die Erwähnung des Namens des Anzeigenden in Untersuchungsniederschriften oder im Urteil grundsätzlich verboten. Ausnahmsweise war dem Inquisiten nach erfolgtem Freispruch der Anzei-

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1. Teil. Die Strafprozeßstruktur am Ende des Ancien regime

Inquisiten (die Interrogatoires) wurde von den Gerichten und den Kommentatoren der Ordonnance von 1670 keineswegs allgemein als erlaubt angesehen. Sogar zu dieser Frage gab es verneinende gerichtliche Entscheidungen und Auffassungen28• Für die Prozeßstadien nach Konfrontation oder dem Endurteil wurden bezüglich der Kommunikation von Prozeßurkunden allerdings zum Teil großzügigere Auffassungen vertreten, der Geheimnischarakter des Strafverfahrens gegenüber dem Inquisiten blieb aber im übrigen grundsätzlich gewahrt2D • Diese rechtliche Regelung des Gerichtsgeheimnisses, die selbst dem Inquisiten den Einblick in das Prozeßgeschehen weitgehend verwehrte, schloß an sich negende zu benennen, um dessen Verurteilung zu Schadensersatz und gegebenenfalls zu größerer Strafe, die in Tit. 3, Art. 7 Ord. v. 1670 vorgesehen war, zu ermöglichen; vgl. Serpillon, S. 3912 f. und besonders eingehend J ousse, Traite, Bd. 3, S. 201 ff. mit ausführlicher übersicht über die Gerichtspraxis, sowie S. 203 f. über den Streit bezüglich der Pflicht zur Bekanntgabe des Anzeigenden nach einem auf "plJus ampl:ement informe" lautenden Urteil. 28 Für die Mitteilbarkeit der Interrogatoire an den Inquisiten z. B. Jousse, Traite, S. 246 f. unter Berufung auf ein Arret de reglement du Parlement de Paris v. 3.9.1667 und ein Arret du Parlammt oe TouloU'se v. 13.4.1766. Unter kritischer Auseinandersetzung mit Jousse und dem Reglement des Pariser Parlaments ablehnend Serpillon, Code, Bd. 1, S. 648, gestützt auf Art. 15 Arret de reglement du Parlement de Dijon v. 11.12. 1747. Er verstand Art. 18, Tit. 14 Ord. v. 1670, der die Mitteilung der Interrogatoire an die Partie civile erlaubte im Gegensatz zu Jousse als Ausnahmeregelung, die das Verbot sonstiger Mitteilung der Interrogatoire, insbesondere gegenüber dem Inquisiten, zum Ausdruck brachte. 29 Für eine unangebrachte Härte gegenüber dem Inquisiten hielt Muyart de Vouglans, Instruction, S. 259, unter Ziff. 3 u. a. die Fortdauer der Geheimhaltung der Untersuchungsniederschriften nach erhobenen Einwendungen gegen die Zeugen und erfolgter Konfrontation. Vgl. auch Seguier, Requisitoire, a.a.O., S. 496, der von einer Beendigung des Prozeßgeheimnisses gegenüber dem Inquisiten nach erfolgter Konfrontation ausgeht. Besonders eng ordnete, die Niederschriften des Interrogatoires ausnehmend, das in Anm. 28 erwähnte Reglement des Pariser Parlaments prinzipiell selbst für das Appellationsverfahren gegen Endurteile die Fortdauer der Heimlichkeit der Protokolle in seinem Art. 38 an, der verfügte "que les proces criminels ne seront pas communiques en premiere instance, ni en cause d'appel, soit ä l'accuse, soit a la partie civile, mais seulement les interrogatoires". Eine Ausnahme wurde dort nur für das Berufungsverfahren gegen keine Peine affiictive, Bannissement oder Bläme aussprechende erstinstanzliche Urteile gemacht. Zustimmend Jousse, Traite, Bd. 3, S. 146, der S. 148 eine Aufhebung der Geheimhaltung gegenüber dem Inquisiten im extraordinairement durchgeführten Strafverfahren nur in wenigen Fällen bejahte. Er rechnete zu diesen FäHen ds·s in der Audience stattfindende (aUel'dings auf dem Inzidentpunkt beschränkte) Appellationsverfahren über ein richterliches Dekret (vgl. dazu oben Anm. 3) und das Berufungsverfahren gegen ein Endurteil, das keine Peine afflictive, Bannissement oder Amende honorable (öffentliche Abbitte) aussprach und ohne Appell der Partie publique (also des Procureur du roi bzw. flscal) stattfand. Selbst die Aufhebung der Geheimhaltung etwa im Falle der Revisionsbitte an das königliche Conseil wurde z. T. verneint, vgl. Jousse, a.a.O., S. 147, mit Darstellung des Streitstandes; bejahend hingegen z. B. Muyart de Vouglans, Instruction, S. 259 unter Ziff. 6.

1. Kap. Das förmliche Gerichtsgeheimnis

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ben der förmlichen zugleich auch die mittelbare Gerichtsöffentlichkeit in Gestalt einer kritischen Erörterung von Strafverfahren und Urteilen mit publizistischen Mitteln aus, die sich nur gegen die bestehende Rechtsordnung entwickeln konnte.

111. Die faktische Lockerung zugunsten des Besitzbürgertums Dem erstarkenden Besitzbürgertum gelang es allerdings, den Grundsatz der Heimlichkeit in der Praxis des Strafverfahrens zu seinen Gunsten in nicht unbeachtlichem Maß auszuhöhlen. Wohlhabenden Bürgern, die in ein Strafverfahren verwickelt wurden, gelang es häufig, den Gerichtsschreibern das nach der Ordonnance von 1670 so sorgsam zu hütende Geheimnis der Prozeßakten für te ures Geld abzukauien30 • Es hing diese tatsächliche, gegen das geltende Recht verstoßende Möglichkeit, in eigener Sache Einblick in das Verfahren zu gewinnen, jedoch ganz von der Bestechlichkeit des Gerichtsschreibers ab. Von der rechtlich gesicherten Kontrolle des Strafverfahrens mittels rechtsförmlicher Öffentlichkeit war dieser tatsächliche Zustand weit entfernt. Die Publizität des Verfahrens setzte dessen grundlegende Veränderung voraus.

30 Am zuverlässigsten die Beurteilung der Verhältnisse durch den entschiedenen Befürworter des Heimlichkeitsprinzips Serpillon, der eine fast vierzigjährige untersuchungsrichterliche Praxis als Lieutenant general criminal beim Presidial von Autun aufwies und der, Code, Bd. 1, S. 478 bezüglich der Grefflers (Gerichtsschreiber) ausführte: ,,11 est vrai qu'il y en a plusieurs qui trahissent le secret des procedures, & meme qui en tirent de grandes retributions." Die von Esmein, Histoire, S. 342 angeführte Stelle (in der hier benutzten 2. Ausg. des Kommentars von Serpillon in Bd. 1, S. 465) kann dagegen nicht als Beleg für die Verletzung des Gerichtsgeheimnisses gegen Entgelt angeführt werden. Sie betrifft allgemein die weniger interessierenden Fälle der Nichteinhaltung vor allem in kleinen Strafsachen, weil die Amtsträger "sich vorstellen, daß die Verbote nur die schweren Sachen betreffen". Über die Käuflichkeit des Gerichtsgeheimnisses, des Gegenstandes vielfacher Kritik im aufklärerischen Schrifttum, vgl. z. B. besonders noch" Dupaty, Memoire, in: Barreau francais, sero 1, Bd.3, S.265 der als Angehöriger der Magistratur ebenfalls die gerichtliche Praxis aus eigener Anschauung kannte.

2. Kapitel

Der Procureur du roi: Ein von der Herrschaftspraxis des Ancien regime geprägtes Rechtsinstitut I. Der Procureur du roi als Vorläufer des öffentlichen Anklägers (Ministere public) in der Strafprozeßordnung der bürgerlichen Gesellschaft? Die Fragwürdigkeit eines rein deskriptiven Institutionenvergleichs Nicht so eindeutig zu beantworten ist die Frage, inwieweit das Institut des öffentlichen Anklägers eine Hervorbringung der Reformgesetzgebung war. Die Schwierigkeiten bei der Beantwortung dieser Frage rühren daher, daß bereits im vorrevolutionären französischen Strafprozeß, wie ihn die Ordonnance von 1670 beschreibt, neben dem inquirierenden Gericht noch weitere nichtrichterliche Amtsträger als Strafverfolgungsorgane vorgesehen waren, nämlich bei den königlichen Gerichten vornehmlich die Procureurs du roi oder bei den grundherrlichen Gerichten die Procureurs des justices seigneuriales, auch Procureurs fiscaux oder des seigneurs. genanntl. Das Institut der Prokuratoren bei den grundherrlichen Gerichten, deren Bedeutung gegen Ende des Ancien regime für die Strafrechtspfiege bereits gering war, hat schon den Be1 In der noch zu behandelnden grundlegenden Kompetenzbestimmung von Tit. 3 Art. 8 Ord. v. 1670 werden neben den Procureurs du roi die Procureurs des justices seigneuriales angeführt. Diese Bezeichnung wird für die Letztgenannten jedoch in der Ordonnance von 1670 ziemlich selten verwendet. Bei weitem am häufigsten werden sie in der Ordonnance von 1670 als Procureurs des seigneurs bezeichnet z. B. in den besonders wichtigen Bestimmungen von Tit. 10, Art. 1; Tit. 14, Art. 21; Tit. 23, Art. 1; Tit. 25, Art. 9 Ord. v. 1670. Die Kommentatoren bedienten sich vornehmlich der gängigen Kurzbezeichnung Procureurs fiscaux; vgl. z. B. Jousse, Traite, Bd. 4, S. 78 (Register); Muyart de Vouglans, Instruction, Part. III, S. 163 (Register); anders Serpillon, Bd. 2, S. 692, r. Sp. (Register): "Procureurs du roi et du seigneur." 2 Über die grundherrliche Gerichtsbarkeit und deren allmählichen Niedergang gegen Ende des Ancien regime vgl. Olivier-Martin, Histoire 2, S. 513 ff., bes. S. 516 ff. Vgl. ferner z. B. Bataillon, Les justices seigneuriales du bailliage de Pontoise ä la fin de l'ancien regime, Th. Paris 1942. Die Kompetenz der grundherrlichen Gerichte war zwar, soweit sie die Hochgerichtsbarkeit besaßen, nicht unbeträchtlich, allerdings zum Teil eine mit derjenigen der königlichen Gerichte nur konkurrierende. Vgl. z. B. Jousse, Traite, Bd. 1, S. 144 ff. Sie durften jedoch über die sogenannten "Cas Royaux" nicht entscheiden, die eine große Ausdehnung erlangt hatten, vgl. Jousse, S. 149 ff. und S. 175 ff. (Zusammenstellung der Cas royaux im Strafrecht.) Angesichts der Unbestimmtheit des materiellen Strafrechts gab es keine ge-

2. Kap. Der Procureur du roi als Inquisitionshilfsorgan

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ginn der französischen Revolution nicht mehr überlebt3 • Die Procureurs du roi erscheinen hingegen im Rückblick der französischen strafrechtsgeschichtlichen Betrachtung häufig als Vorläufer einer kontinuierlichen Entwicklung, die im Ministere public des napoleonischen Strafverfahrens ihre Vollendung gefunden hat4 und in der deutschen Strafrechtsgeschichtsschreibungals Vorläufer der Staatsanwaltschaft im sogenannten reformierten Strafprozeß5. Auf die Fragwürdigkeit dieser Ansicht weist schon der Umstand hin, daß das im altfranzösischen Strafprozeßrecht in erster Linie von den Procureurs du roi verkörperte amtliche Strafverfolgungsorgan zu Beginn der französischen Revolution für mehr als ein Jahrzehnt völlig abgeschafft worden ist'. Außerdem vermag die aus dem üblichen deskriptiven Vergleich gewonnene Feststellung einer teilweisen übereinstimmung einzelner Regelungen der Ordonnance von 1670 und der napoleonischen Kodifikationen, also die Feststellung begrenzter restaurativer Rückgriffe im nachfolgenden auf das vorausgegangene Recht die Kontinuitätsthese jedenfalls nicht ohne weiteres zu tragen. Die bereits bei einer solchen beschreibend vergleichenden Betrachtungsweise zugleich sichtbar werdenden Unterschiede zwischen altfranzösischem und napoleonischem Strafverfahrensrecht werfen vielmehr die Frage auf, ob sich das napoleonische Ministere public wegen dieser Abweichungen keineswegs nur als bloße Modifikation des Instituts der Procureurs du roi, sondern als nach Struktur und Funktion neuartiges Strafverfolgungsorgan erweist. Außerdem ist in Betracht zu ziehen, daß infolge der zwischen Geltung der Ordonnance von 1670 und dem Erlaß des Code naue Kompetenzabgrenzung. Jedenfalls unterstanden die grundherrlichen Gerichte mit der Durchsetzung des Grundsatzes, daß auch die grundherrliche Gerichtsbarkeit eine von der königlichen abgeleitete war, der Aufsicht der königlichen Gerichte und ihre Urteile unterlagen dem Appell an diese. I Art. 4 Dekret v. 11. 8. - 3.11.1789 abgedr. in CgdAN, Bd. 1, S. 61, 64. , Diese aus dem 19. Jahrhundert überkommene Betrachtungsweise z. B. schon bei Helie, Traite, Bd. 1, S. 13; stärker differenzierend, aber grundsätzlich ebenfalls, unter Kennzeichnung der anfänglichen Revolutionsgesetzgebung als bloßer Unterbrechung, die Kontinuitätsthese zugrundelegend Esmein, Histoire, S. 451 ("L'ancien ministere public reparaissait"); Garraud, Traite, Bd. 1, S. 49, 164, der die "Constitution definitive" des Ministere public auf das Ende des 16. Jahrhunderts datiert, Glasson, Histoire, Bd. 6, S. 338; Guyot, :Etude, S. 110, der dieses Institut als vor dem 16. Jahrhundert vollständig ausgebildet ansieht; neuerdings die Kontinuitätsthese entschieden aufgreifend Rousselet, Magistrature, Bd. 1, S. 27 u. ö. Kritisch dagegen zum Teil im Sinne des Textes Rassat, Ministere public, S. 7 ff., der jedoch keine Kriterien benennt, anhand deren ein nicht bloß gradueller, sondern qualitativer Unterschied zwischen Procureur du roi des Strafverfahrens der Ord. v. 1670 und des Ministere public napoleonischen Rechts festgestellt werden kann. 5 Vgl. z. B. Carsten, Geschichte, S. 7; Eb. Schmidt, Einführung, S. 325 ff., bes. S. 326; teilweise ohne nähere Begründung einschränkend Elling, Einführung, S.57. 8 Siehe dazu 3. Teil, 3. Kap. 3 Haber

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1. Teil. Die Strafprozeßstruktur am Ende des Ancien regime

d'instruction criminelle von 1808 insgesamt eingetretenen grundlegenden Veränderungen von Crl!sellschafts- und Rechtsordnung selbst solchen rechtlichen Bestimmungen, die bei einer auf die untersuchte Rechtsinstitution beschränkten Sicht als formal gleichartig erscheinen, ein höchst unterschiedlicher materialer Gehalt zukommen kann. Unterschiede in der rechtlichen Regelung bei formaler übereinstimmung der Amtsbezeichnungen ergeben sich zum Teil schon hinsichtlich der für die Strafverfolgung zuständigen nichtrichterlichen Amtsinhaber. Die Ordonnance von 1670 erwähnt abgesehen von den grundherrlichen Prokuratoren fast ausnahmslos nur die Procureurs du roi als nichtrichterliche Amtsinhaber, die für die Strafverfolgung zuständig waren. Daneben gab es aber noch weitere in der Rechtspflege tätige nichtrichterliche Amtsträger, die Avocats du roF. Diese wurden zusammen mit den Procureurs du roi als Gens du roi bezeichnet und traten als solche bei feierlichen Anlässen auch gemeinsam vor dem König aufS. Eine körperschaftliche Einheit stellten sie insofern dar, als sie als nichtrichterliche Amtsinhaber bei den Gerichtshöfen ein sogenanntes Parquet bildeten, in dem bei den obersten Gerichtshöfen (den Parlamenten) ein Procureur general die höchste Rangstelle einnahm und dem dort ein oder mehrere Avocats generaux angehörten'. Diese Einheitlichkeit des Parquets bestand allerdings nicht immer, da königliche Advokatenämter geschaffen wurden, die mit richterlichen Titeln und Funktionen verbunden waren1il• Das strafprozessuale Wirkungsfeld der A vocats du roi im geheimen schriftlichen Strafprozeß war gering, da die schriftlichen Vorgänge, die nahezu den gesamten Untersuchungsgang ausmachten, grundsätzlich nur den Procureurs du roi oblagen, während die A vocats du roi regelmäßig nur für einige Prozeßvorgänge, die init einem Plädieren in der Audience verbunden waren, zuständig werden konntenl l. Ihre Haupt7 Zur Entstehungsgeschichte dieser Ämter vgl. E. Lefevre, Les avocats du roi depuis les origines jusqu'a la Revolution, These, Paris 1912. 8 Vgl. z. B. Rousselet, Magistrature, Bd.1, S. 66. g Vgl. dazu auch z. B. Rousselet (Anm. 8), Die Ord. v. 1670 erwähnt das Parquet nur gelegentlich z. B. in Tit. 17, Art. 12 und dort nur auf die Procureurs du roi bezogen. Daß die Einheitlichkeit des Parquet nur eine formale war und der Sache nach eine mit zahlreichen Streitigkeiten im einzelnen verbundene Abgrenzung zwischen selbständigen Kompetenzen von Procureurs und Avocats du roi vorgenommen wurde, zeigen die bei Serpillon, Code, Bd. 2, S. 235 ff. abgedruckten Regelungen. 10 'Ober derartige, durch Edikt vom August 1578 geschaffenen Ämter von Avocats du roi, die zugleich Titel und Sitz von Conseillers in Bailliagegerichten hatten, vgl. z. B. Serpillon, S. 244. Unzutreffend daher Marion, Dictionnaire, S. 258 r. Sp., der bezüglich der Gens du roi ein "Agir et parler toujours en nom collectif" feststellt. 11 Vgl. z. B. Tit. 26, Art. 10, der ein Auftreten der Avocats generaux dann vorsah, wenn die Strafsache in die mündliche Verhandlung gebracht wurde. Das kam insbesondere in den mehrfach erwähnten Appellationszwischenverfahren in Betracht. Die Avocats generaux gaben dann ihre Anträge und deren

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tätigkeit bestand in ihrem Aufteten in anderen Bereichen der Rechtspflege, insbesondere im Zivilprozeß, und ist daher hier nicht näher zu erörtern 12• Enge Begrenzung ihres strafprozessualen Wirkens und die vorkommende zusätzliche Verleihung richterlicher Ämter an die Avocats du roi stehen in deutlichem Gegensatz zur Regelung für die in strafverfahrensrechtlicher Hinsicht kaum mehr als namensgleichen Ämter der Avocats generaux napoleonischen Rechts. Diese A vocats generaux waren nämlich auch bezüglich der hier allein interessierenden Strafverfolgungsfunktion mit gleichen Rechten und Pflichten wie die Procureurs weisungsgebunden in das hierarchisch aufgebaute, von der richterlichen Gewalt strikt getrennte Ministere public eingegliedert worden13• Dementsprechende Differenzen zeigen sich im Begründung mündlich (de vive voix) ab; vgl. Muyart de Vouglans, Instruction, S. 847 und 848 unter Ziff. 11, 2. Sofern es sich um letztinstanzliche Verfahren handelte, die nicht in die Kompetenz der Parlamente fielen, galt entsprechendes für die Avocats du roi bei dem jeweiligen Gericht, vgl. Jousse, Traite, Bd. 2, S. 766. Im Falle evozierter leichterer, sofort in der mündlichen Verhandlung zu entscheidender Strafsachen (siehe dazu oben 1. Teil, 1. Kap., Anm. 3) trat ebenfalls der Avocat general oder der Avocat du roi auf, vgl. Jousse. 12 Anläßlich der Diskussion um den (abgelehnten) Vorschlag des Verfassungs- und Strafreformausschusses der konstituierenden Nationalversammlung, neben dem im Strafverfahren mitwirkenden Commissaire du roi (zu diesem Institut vgI. 4. Teil, 3. Kap.) ein besonderes gleichartiges Amt für den Ziv.i1prozeß zu schaffen, berief sich der als ehemaliger Rat bcim Parlament von Baris sachkundige Berichtersta,tter Duport bezeichnenderweise auf den Rechtszustand unter dem Ancien regime, den er dahingehend erläuterte, "qu'il existait outre le procureur du roi des avocats du roi qui en general portaient la parole"; vgI. den Bericht über die von Duport vorgetragene Entwurfsbegründung in: Arch parI Bd. 24, S. 468. Daß eine Aufteilung der Kompetenzen u. a. in eine Zuständigkeit für das schriftliche Verfahren, also das hier allein interessierende Strafverfahren und eine Zuständigkeit für den mit einer mündlichen Verhandlung verbundenen Zivilprozeß nur als allgemeiner Grundsatz galt, der Ausnahmen hinsichtlich Einzelheiten zuließ, zeigt das vom königlichen Conseils erlassene Arret de reglement pour le parquet de Dijon v. 8. 1. 1603, und zwar z. B. dessen Art. 2 bis 6. Daß eine Aufteilung nicht nur unterschiedlicher, sondern zugleich selbständiger rechtlicher Befugnisse der Procureurs du roi und des Avocat du roi u. a. bezüglich Straf- und Zivilverfahren vorgenommen wurde, stellt jedenfalls einen wesentlichen Unterschied zu den verfahrensrechtlichen Funktionen der namensgleichen Ämter des napoleonischen Rechts dar. 13 Die Anklagebehörde des napoleonischen Ministere public war unteilbar; vgI. z. B. für den späteren, kaum geänderten Rechtszustand Goyet, Ministere pUblic3, S. 7. Die Avocats gimeraux bei den Appellhöfen waren wie alle anderen Angehörigen des Parquet dem Procureur general unterstellt und wurden von diesem für ihre Tätigkeit im Strafverfahren beauftragt und bevollmächtigt. VgI. z. B. Art. 44, 45 Decret contenant reglement sur l'organisation et le service des cours imperiales, des cours d'assises et des cours speciales v. 6. 7. 1810, abgedr. in Rgla, sero 1, Bd. 10, S. 823. VgI. außerdem die Diskussion des Conseil d'etat V. 13. 11. 1804, abgedr. bei Locre, Legislation, Bd. 24, S. 490, insbesondere die Stellungsnahme Napoleons S. 491 f. 3*

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Sprachgebrauch des Code cfinstruction criminelle von 1808 und der Ordonnance von 1670, die an keiner Stelle die in strafrechtsgeschichtlichen Darstellungen häufig auf das altfranzösische Recht übertragene Behördenbezeichnung Ministere public oder eine dieser gleichkommende verwendet14• Trotz des Unterschieds zwischen den Avocats du roi und den avocats g{meraux napoleonischen Rechts hinsichtlich ihrer Zuständigkeit für das Strafverfahren könnten aber die Procureurs du roi für sich allein betrachtet als dasje~ige Institut anzusehen sein, dessen Tradition sich im späteren Ministere public, soweit dieses Strafverfolgungsorgan war, fortsetzte. Sowohl verfahrensrechtliche Stellung wie auch Ämterverfassung der Procureurs du roi erwecken Bedenken. 11. Der Procureur du roi als Hilfsorgan richterlicher Verfahrensherrschaft über den Inquisiten als Prozeßobjekt

1. Der bedeutungslose rechtliche Vorrang der Partie civile Bei der erforderlichen genaueren Untersuchung der verfahrensrechtlichen Stellung, die nur im Zusammenhang mit den prozeßrechtlichen Beziehungen sämtlicher Verfahrensbeteiligter angemessen beschrieben werden kann, ergibt sich verglichen mit dem Anklagemonopol des napoleonischen Ministere public eine erste Abweichung. Die Ordonnance von 1670 benannte auch für den geheimen schriftlichen Strafprozeß den privaten Verletzten unter der Bezeichnung Partie civile bevorzugt als nichtamtliches Organ der Strafverfolgung15• Doch war diese Regelung dem ersten Anschein entgegen lediglich von geringem Gewicht. Das lassen schon die rechtlichen Bestimmungen erkennen, die die strafprozessuale Position der Partie civile mit erheblichen Einschränkungen versahen und mit besonderen Pflichten verbanden. Es genügte nicht, 14 Beim Erlaß der Ordonnance von 1670 war die Bezeichnung Ministere public nicht gebräuchlich. Furetiere, Dictionnaire, Bd. 3, Stichwort Ministere kennt sie nicht, während in Bd. 4, Stichwort Procureur general die Bedeutung der Bezeichnung Procureur general ausführlich erläutert wird. In den Kommentierungen des 18. Jahrhunderts ist dagegen etwa bei Jousse die Bezeichnung Ministre public für den einzelnen Amtsträger bereits anzutreffen, vgl. z. B. Traite, Bd. 2, S. 75 u. Ö. In aufklärerischen Reformschriften wird dann die Bezeichnung Ministere public häufiger verwendet. Vgl. dazu die spätere Darstellung. IG Tit. 3 Art. 8 Ord. v. 1670, wonach Prozesse nur dann "unter dem Namen" der Procureurs du roi (oder fiscaux) zu verfolgen waren, wenn keine Partie civile vorhanden war. Vgl. demgegenüber das Strafverfolgungsmonopol des Ministere public nach Art. 1 CIC. Nach dem CIC konnte der private Verletzte allerdings die Untersuchungseinleitung durch seine Action civile erzwingen, die dann aber schon von Gesetzes wegen zur Ausübung der amtlichen, nichtrichterlichEm Strafverfolgung durch die Behörde des Ministere public führte; vgl. dazu z. B. Goyet, Ministere public8, S. 291 ff.

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daß jene die Plainte, also die verfahrenseinleitende sogenannte Klage einreichte, sie mußte sich außerdem förmlich als Partie civile konstituieren1$. Sodann war sie zur Kostentragung unter Umständen sogar für von der Plainte nicht erfaßte Prozeßvorkommnisse verpflichtet17 , 18. Ihre prozeßrechtliche Stellung war schon deshalb schwächer als die der Procureurs du roi, weil gewisse Verfahrensteile wie die Zeugenverhöre vor ihr geheimzuhalten waren 19• Die bemerkenswerteste Einschränkung ihrer Befugnisse bestand darin, daß sie nicht auf die Strafarten der Peines afflictives ou infamantes, sondern nur auf strafrichterliche Zuerkennung von Schadensersatz antragen konnte2o • Aus der Gerichtspraxis des geheimen schriftlichen Inquisitionsprozesses war sie, von wenigen Ausnahmefällen abgesehen, im Gegensatz zum hier nicht zu erörternden Proces ordinaire zumindest in der Endphase des altfranzösischen Straf18 Tit. 3, Art. 5 Ord. v. 1670 mit Einräumung eines auf 24 Stunden befristeten Rücktrittsrechts. Die Plainte konnte nur vom Richter entgegengenommen werden (Art. 2) und unterlag strenger Förmlichkeit (Art. 4: Unterzeichnung jedes einzelnen Blattes durch Richter und Antragsteller oder dessen Sonderbevollmächtigten). Darüber, daß nur der private Verletzte als Partie civile auftreten konnte und über die genaue Grenzziehung in dieser Hinsicht vgl. z. B. Jousse, Traite, Bd. 3, S. 64. 17 Daß die Partie civile vorleistungspflichtiger Kostenschuldner für die in einem gerichtlichen Vollstreckungsbefehl festzusetzenden notwendigen Untersuchungskosten war, geht u. a. aus Tit. 25 Art. 16 Ord. v. 1670 hervor; vgl. zur Kostentragungspflicht näher Jousse, Traite; Bd. 2, S. 838 ff. Nach Serpillon, Code, Bd. 1, S. 387 f. und der dort mitgeteilten Entscheidung des Parlaments von Dijon v. 16. 7. 1756 fielen der Partie civile selbst die Kosten für nachträglich ohne ihren Antrag miteinbezogene weitere Untersuchungsgegenstände zur Last. Zweifelnd Jousse, S. 840 f. Ebenso war sie Kostenschuldner für die anläßlich von Zwischenverfahren über lnzidentpunkte entstehenden Kosten. Einschränkend, eine notwendige Abhängigkeit von der Hauptsache voraussetzend, Jousse, S. 841. 18 Dazu, daß der Partie civile für den Fall des Freispruchs nicht nur ein Kostenerstattungs-, sondern wie auch dem Anzeigenden ein Schadenersatzanspruch des lnquisiten drohte, vgl. Tit. 3, Art. 6 Ord. v. 1670. Das galt nicht nur bei einer verleumderischen Plainte, sondern auch bei einer bloß schlecht begründeten, vgl. Jousse, Traite, Bd. 3, S. 195 ff. Die genannte Bestimmung konnte ihrem Wortlaut nach allerdings auch als für die Procureurs du roi geltend verstanden werden. Über die Versuche, eine Beschränkung der Haftung derselben zu begründen, vgl. ausführlich Serpillon, Code, Bd. 1, S. 392 ff. 19 Das Mitteilungsverbot bezüglich der geheimen Untersuchungsniederschriften des Tit. 6, Art. 15 Ord. v. 1670 galt anders als für die Procureurs du roi weitgehend auch für die Partie civile. Neben ihrer Plainte wurden die Sachverständigengutachten als für die Partie civile nicht geheime Prozeßakten angesehen, vgl. Jousse, Traite, Bd. 3, S. 146, mit der Begründung, daß sie gern. Tit. 5 Art. lOrd. v. 1670 auf deren Antrag hin erstattet wurden. Die Partie civile konnte außerdem gern. Tit. 24 Art. 18 Mitteilung der Niederschriften der Verhöre des lnquisiten verlangen. 20 Nach Muyart de Vouglans, lnstruction, S. 764, war die Partie civile auf die Beantragung der Entschädigung (Dommage und Reparation civile) beschränkt, die allerdings nicht in bloßem Geldersatz zu bestehen brauchte. Vgl. weiter Jousse, Traite, Bd. 3, S. 65: Beschränkung des Antrags auf strafprozessuale Entschädigung oder Genugtuung für die erlittene Beleidigung (lnteret civil und Reparation de l'offense).

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prozesses weitgehend verschwunden. Als "seul veritable Accusateur", also als den einzigen wirklichen Ankläger empfanden schon die Juristen des Ancien regime lediglich den Procureur du roi!l.

2. Der strukturelle Unterschied zum Ministere pubZic des Code d'instruction criminelle von 1808 als Ankläger eines verteidigungsbeTechtigten Angeklagten Ob dieser "seul veritable Accusateur" die rechtlichen Eigenschaften eines öffentlichen Anklägers wenigstens ansatzweise aufwies, die die verfahrensrechtliche Stellung des späteren Ministere public charakterisierten, ist dagegen zweifelhaft. Die Frage ist für die Traditionsproblematik von um so größerem Gewicht, als diejenige Regelung, die dem napoleonischen Ministere public die Funktion eines öffentlichen Anklägers verlieh, für den Code d'instruction criminelle von 1808 zentrale Bedeutung hatte, nämlich die öffentliche und mündliche Hauptverhandlung!!. Wenn diese Hauptverhandlung sich als Anklageverfahren mit 21 So die Bemerkung von Muyart de Vouglans (Anm. 20), S. 196. Darüber, daß nur die Procureurs du roi (oder ftscaux) auf eine Peine afflictive oder infamante antragen konnten, bestand jedenfalls Einigkeit. U Die zentrale Bedeutung der öffentlichen Hauptverhandlung u. a. auch für die Bestimmung des prozeßrechtlichen Charakters des Ministere public ergibt sich daraus, daß in ihr (und zwar unter Beteiligung des mit vollen Verteidigungsrechten ausgestatteten Angeklagten) grundsätzlich der gesamte als Urteilsgrundlage dienende Prozeßstoff abschließend instruiert wurde. Das galt insbesondere auch für das Kernstück des Strafverfahrens nach dem Code d'instruction criminelle, nämlich das Verfahren vor dem Schwurgericht, obwohl diesem stets eine ausgedehnte geheime und schriftliche Voruntersuchung vorausgehen mußte. Zum Hauptverfahren (Examen) vor der Jury, das für die Untersuchung eines Verbrechens (Crime) zwingend, für die Untersuchung eines Vergehens (Delit) wahlweise vorgeschrieben war vgl. im einzelnen Art. 310 ff. CIC und dazu (allerdings ziemlich unkritisch) Esmein, Histoire, S. 539 ff. Zu dem schon von den zeitgenössischen Kommentatoren anerkannten, aus der Offentlichkeitsmaxime hergeleiteten Grundsatz, daß nur das den Debatten unterworfene Prozeßmaterial, das einer öffentlichen Diskussion unterzogen worden war, den Geschworenen unterbreitet werden durfte vgl. Carnot, Instruction, Bd. 2, S. 194. Die rechtliche Bedeutung der Hauptverhandlung als Verfahren zur abschließenden Ermittlung der Urteilsgrundlage erfuhr allerdings schon von der gesetzlichen Regelung her gesehen insofern eine nicht unbeträchtliche Einschränkung im Sinne einer übernahme der Ergebnisse der Voruntersuchung, als den Geschworenen außer dem Anklageakt auch die Niederschriften zur Konstatierung des Corpus delicti und die übrigen Prozeßaktenstücke übergeben wurden. Dies galt jedoch nicht für die damals wichtigsten Beweismittel, nämlich die Zeugenaussagen. Vgl. Art. 341 CIC und dazu z. B. Carnot, a.a.O., S. 192 ff. Neben den Verfahren mit Voruntersuchung und Hauptverfahren vor der Jury gab es noch die für eine prinzipielle Betrachtung weniger wichtigen Verfahren vor dem Zuchtpolizeigericht und dem einfachen Polizeigericht. Hier konnte der Vertreter des Ministere public (und übrigens auch der private Verletzte als Partie civile) den Beschuldigten unmittelbar in die öffentliche Hauptverhandlung vorladen (Citation directe). Zur Citation directe vgl. Art. 145 ff. und 182 ff. CIC. Für den späteren, hinsichtlich der Einzelheiten abweichenden, im Grundsatz aber unveränderten Rechtszustand vgl. z. B. Batiffol,

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dem Ministere public als öffentlichem Ankläger darstellte, dann deswegen, weil nach der gesetzlichen Gestaltung des Verfahrens dem Ministere public der Angeklagte als Prozeßsubjekt mit eigenen rechtlichen Befugnissen gegenüberstand. So wenig das dem Code d'instruction criminelle zugrunde liegende Prozeßrechtsverhältnis vor allem wegen des Grundsatzes der Amtsuntersuchung, der ein rein kontradiktorisches Parteiverfahren ausschloß, als Beziehungsverhältnis zweier gegensätzlicher Parteirollen aufzufassen sein mochte23, so sehr wurde doch die Stellung des Anklägers durch diejenige des Angeklagten mitbestimmt. Erst die staatliche Anerkennung einer rechtlich auch im Strafprozeß zu wahrenden Freiheitssphäre des Angeklagten setzte einen Ankläger voraus, der Träger einer die Person des Angeklagten und den Prozeßgegenstand bestimmt umreißenden Amtsanklage war24 , die seine Untersuchungstätigkeit ebenso wie La citation directe, in: Revue critique de legislation et de jurisprudence, Jg. 1930, S. 472 ff. Wurde die jeweilige Strafsache nach vorangegangener Voruntersuchung dagegen durch Verweisungsurteil an das Zuchtpolizeigericht verwiesen (Art. 130, 182 CIC), erfuhr der Charakter der öffentlichen Verhandlung als die Urteilsgrundlage herstellendes Verfahren eine nicht unerhebliche Einschränkung. Eine gesetzliche Regelung, die in diesen Fällen die Verwendung des in der geheimen schriftlichen Voruntersuchung (vor Einräumung der vollen Verteidigungsrechte an den Angeklagten) gewonnenen Prozeßmaterials ausgeschlossen oder wenigstens begrenzt hätte, fehlte. 23 Zum Prinzip der Amtsuntersuchung siehe insbesondere Art. 268 CIC, der dem Präsidenten der Jury gestattete und ihn verpflichtete, jede ihm der Wahrheitsflndung dienlich erscheinende Maßnahme zu treffen. Zu den Befugnissen des Präsidenten, die über eine bloße Verhandlungsleitung hinausgingen, gehörte außerdem die Konkretisierung der Fragen, die der Jury vorzulegen waren (Art. 337 ff. CIC), das Resümee (§ 336 CIC) etc. Eine uneingeschränkte Parteistellung von Anklagebehörde und Angeklagten, die allein diesen die Bestimmung des Prozeßgegenstandes überlassen hätte, war nicht nur bereits in Hinblick auf die genannten Einwirkungsmöglichkeiten des Gerichts nicht vorhanden. Hinzu kam, daß die prozeßrechtliche Stellung der Anklagebehörde mit einer gewissen Überlegenheit ausgestattet war, da sie schon die Instruktion der Voruntersuchung und deren Prozeßziel mitbestimmt hatte. Ungenau daher die in der französischen Strafprozeßdogmatik herkömmliche Bewertung der Hauptverhandlung als kontradiktorisches Verfahren, vgl. z. B. Garraud, Traite, Bd. 1, S. 533; eine Betrachtungsweise, die für die in ihrer Grundstruktur unveränderte "Procedure du jugement" des neueren französischen Strafprozesses übernommen worden ist, vgl. Stefani u. Levasseur, Procedure7, S. 505. t4 Dazu, daß im schwurgerichtlichen Verfahren die Anklagebehörde des Ministere public Träger der AnklllJge war, vgl. Art. 271 CIC; über