Stochastische Leistungsanalyse von Lagersystemen : Analytische Modelle bei fahrtzeitoptimierten Einzelspielen [1. Aufl.] 9783658318109, 9783658318116

Diese Monographie präsentiert neue Ansätze zur effizienten stochastischen Leistungsanalyse großer Lagersysteme bei fahrt

183 97 4MB

German Pages XXVI, 248 [270] Year 2021

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Table of contents :
Front Matter ....Pages i-xxvi
Einleitung (Anja Heßler)....Pages 1-6
Grundlagen der Leistungsanalyse automatisierter Lagersysteme (Anja Heßler)....Pages 7-48
Stand der Forschung (Anja Heßler)....Pages 49-90
Stationäre Analyse der Lagerprozesse mittels Markovketten (Anja Heßler)....Pages 91-142
Modellierung mittels geschlossener Warteschlangennetze (Anja Heßler)....Pages 143-169
Einsatz der Modelle für die Leistungsanalyse von Lagersystemen (Anja Heßler)....Pages 171-226
Fazit und Ausblick (Anja Heßler)....Pages 227-232
Erratum zu: Stochastische Leistungsanalyse von Lagersystemen (Anja Heßler)....Pages E1-E1
Back Matter ....Pages 233-248
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Stochastische Leistungsanalyse von Lagersystemen : Analytische Modelle bei fahrtzeitoptimierten Einzelspielen [1. Aufl.]
 9783658318109, 9783658318116

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Anja Heßler

Stochastische Leistungsanalyse von Lagersystemen Analytische Modelle bei fahrtzeitoptimierten Einzelspielen

Stochastische Leistungsanalyse von Lagersystemen

Anja Heßler

Stochastische Leistungsanalyse von Lagersystemen Analytische Modelle bei fahrtzeitoptimierten Einzelspielen

Anja Heßler Clausthal-Zellerfeld, Deutschland Dissertation, Technische Universität Clausthal, 2020 D 104

ISBN 978-3-658-31810-9 ISBN 978-3-658-31811-6  (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-658-31811-6 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National­ bibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2021 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informa­ tionen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Planung/Lektorat: Carina Reibold Springer Gabler ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany

„All models are wrong but some are useful.“ George E. P. Box

Geleitwort Hohe Umsatzsteigerungen im Versandhandel und die zunehmende Verkürzung marktüblicher Lieferzeiten stellen hohe Anforderungen an die Umschlagsleistung von Lagersystemen. Den hieraus erwachsenden Herausforderungen kann durch eine verstärkte Automatisierung der Lager- und Fördertechnik und die Optimierung von Lagerbetriebsstrategien begegnet werden. Bei der Auslegung eines automatisierten Lagers müssen wichtige Kenngrößen des Lagerbetriebs zuverlässig geschätzt werden. Hierfür können Verfahren der stochastischen Simulation oder Methoden der stochastischen Leistungsanalyse eingesetzt werden. Während Simulationssysteme einzelne Szenarien detailgetreu nachbilden können und vergleichsweise einfach anzuwenden sind, erlauben analytische Ansätze die Identifikation allgemeingültiger Gesetzmäßigkeiten, aus denen sich grundlegende Einsichten zum optimierten Systembetrieb ableiten lassen. Gleichzeitig bilden fortgeschrittene Methoden aus den Gebieten der stochastischen Prozesse und der Warteschlangentheorie unter vergleichsweise allgemeinen Annahmen die Grundlage für effiziente Leistungsanalysen sehr großer Lagersysteme. Frau Heßler beschäftigt sich in ihrer Arbeit mit dem in der wissenschaftlichen Literatur zur stochastischen Leistungsanalyse von Lagersystemen bislang vernachlässigten Aspekt fahrtzeitoptimierender Betriebsstategien der Fördermittel, denen bei der Steigerung der Grenzdurchsatzleistung eine wesentliche Bedeutung zukommt. Sie greift damit ein theoretisch anspruchsvolles und zugleich praktisch bedeutsames Problem auf. Die wenigen Untersuchungen, die fahrtzeitoptimierende Strategien berücksichtigen, beschränken sich entweder auf die Optimierung der Lagerplatzzuweisung für Einlageraufträge oder gehen von schwer zu begründenden Verteilungsannahmen aus. Insbesondere existieren bislang keine Arbeiten, in denen die naheliegende Strategie der Verbindung fahrtzeitminimierender Lagerplatzzuweisungen für Ein- und für Auslageraufträge systematisch untersucht wird. Wie Frau Heßler in ihrer Dissertation nachweist, hebt jedoch erst diese Kombination das vorhandene Potential zur Leistungssteigerung. Diese Erkenntnis ist durchaus überraschend, was neben den technischen Herausforderungen in der Modellbildung erklären mag, weswegen die stochastische Analyse fahrtzeitoptimierender Betriebsstrategien trotz ihrer offenkundigen Relevanz für die Praxis bisher nicht Gegenstand intensiverer Forschungen war.

viii

Geleitwort

Die wesentlichen Beiträge der Monographie lassen sich drei Schwerpunkten zuordnen. Dem methodischen Hauptteil der Arbeit stellt die Verfasserin zunächst eine umfangreiche und übersichtlich strukturierte Bestandsaufnahme des aktuellen Stands der Forschung zur stochastischen Leistungsanalyse von Lagersystemen voran. Die sodann entwickelten Berechnungsmethoden für Leistungskenngrößen automatisierter Lagersysteme unter Poissonschen und unter allgemeinen Ankunftsströmen der Lageraufträge beruhen auf einer neuartigen Modellbildung für die fördermittelbezogene Analyse von Lagerprozessen, die in der Arbeit schrittweise entwickelt wird und schließlich zu einer Analogie zur gut untersuchten Analyse geschlossener Warteschlangennetze führt. Der dritte Beitrag resultiert aus der Anwendung des nun zur Verfügung stehenden leistungsfähigen Instrumentariums auf eine Vielzahl unterschiedlicher Szenarien, die wiederum interessante Erkenntnisse liefert und ein neues Licht auf allgemein akzeptierte Annahmen aus der Literatur wirft. Im Ergebnis stellen die numerischen Resultate eindrucksvoll unter Beweis, dass einfach umzusetzende fahrtzeitoptimierende Betriebsstrategien die Leistungsfähigkeit von Lagersystemen in erheblichem Umfang steigern können. Frau Heßler leistet mit ihrer Forschung innovative Beiträge zu einer bisher wenig untersuchten Fragestellung und liefert wichtige Hinweise für die intralogistische Anwendung. Die präsentierten Ansätze sind methodisch originell und in hohem Maße effizient. Zugleich bieten sie wertvolle Ansatzpunkte für weitergehende Forschungen. Ich wünsche der Arbeit eine weite Verbreitung und empfehle das Buch sowohl Wissenschaftlern als auch Praktikern auf dem Gebiet der Logistikplanung zur Lektüre. Christoph Schwindt

Vorwort Die vorliegende Dissertation entstand während meiner Tätigkeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Produktion und Logistik, am Institut für Wirtschaftswissenschaft der Technischen Universität Clausthal. Diese Zeit war vor allem geprägt von interessanten Einblicken in Forschung und Lehre, inspirierenden Gesprächen und neuen Freundschaften, aber auch vom persönlichen Wachstum an beruflichen und privaten Herausforderungen sowie vom Kennenlernen der eigenen Grenzen. An dieser Stelle möchte ich allen Personen herzlich danken, die mich während dieses besonderen Lebensabschnitts begleitet, motiviert und unterstützt haben und damit ihren ganz persönlichen Anteil zum erfolgreichen Abschluss meiner Promotion beigetragen haben. Mein besonderer Dank gilt meinem Doktorvater Herrn Prof. Dr. Christoph Schwindt, der mir nicht nur die Möglichkeit zur Promotion eröffnete, sondern auch als Erstgutachter mit sehr großem Interesse und ständiger Bereitschaft zu fachlichem Austausch zur Seite stand. Während der Erarbeitung meiner Dissertation hat er mich stets gefordert und gefördert und so maßgeblich zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen. Neben der Teilhabe an seinem umfangreichen Wissensschatz danke ich ihm insbesondere für das mir entgegengebrachte Vertrauen, sein stets offenes Ohr, seine persönliche Unterstützung und seine zum Ausdruck gebrachte Wertschätzung für mich und meine Arbeit. Weiterhin gilt mein Dank Herrn Prof. Dr. Jürgen Zimmermann für die Übernahme des Korreferats sowie für seine Kooperation und seinen Einsatz, im Laufe des Promotionsverfahrens auch kurzfristige Termine und Fristen möglich zu machen. Herrn Dr. habil. Hendrik Baumann danke ich von Herzen, nicht nur für seine unermüdliche Bereitschaft, sein tiefgreifendes mathematisches Wissen mit mir zu teilen und die stochastischen Aspekte meiner Forschung intensiv mit mir zu diskutieren, sondern auch für die schöne gemeinsame Zeit und unsere besondere Freundschaft. Ein herzlicher Dank gilt zudem meinen Kolleginnen und Kollegen Nora Krippendorff, Dr. Illa Weiss, Dr. Tobias Paetz, Astrid Ludwig, Mario Sillus und Rui Guo für die gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit, die angenehme Arbeitsatmosphäre und die inspirierenden Gespräche. Bei Astrid Ludwig bedanke ich mich darüber hinaus für ihre

x

Vorwort

zuverlässige Unterstützung in allen organisatorischen Angelegenheiten, mit der sie uns Doktoranden stets den Rücken für die Forschung freigehalten hat. Ganz besonders danke ich meiner langjährigen Bürokollegin Nora Krippendorff, die mir bei fachlichen Fragen immer geholfen hat, den Knoten in meinem Kopf zu entwirren. Als verständnisvolle Begleiterin durch alle Höhen und Tiefen, die die Ausarbeitung meiner Dissertation mit sich gebracht hat, zeigte sie mir auch immer wieder das Licht am Ende des Tunnels, wenn ich es einmal aus den Augen verloren hatte. Für die daraus entstandene tiefe Freundschaft und Verbundenheit bin ich ihr von Herzen dankbar. Ebenfalls danke ich allen Mitgliedern der „Mensa-Runde“ für die gemeinsamen Mittags- und Kaffeepausen zur notwendigen Zerstreuung und willkommenen Abwechslung im Promotionsalltag. Auch außerhalb des Instituts werden mir viele unvergessliche Momente in dieser Runde, insbesondere zusammen mit Philipp Aschersleben, Dr. Alexander Franz und Dr. Illa Weiss, in guter Erinnerung bleiben. Für das Korrekturlesen sowie die kritische Durchsicht meiner Entwürfe gebührt mein Dank Dr. habil. Hendrik Baumann, Nora Krippendorff und Philipp Aschersleben. Ihre konstruktiven Verbesserungsvorschläge haben meine Dissertation noch einmal deutlich aufgewertet, genauso wie die Abbildungen, bei deren Erstellung mich Astrid Ludwig dankenswerterweise unterstützt hat. Ein ganz persönlicher Dank gilt meinen engsten Vertrauten, die während meiner Promotionszeit auf ihre jeweils ganz eigene Art und Weise immer ein offenes Ohr für mich hatten und stets als gute Freunde für mich da waren. Insbesondere in der turbulenten Endphase, in der das Coronavirus von einem auf den anderen Tag jegliche Pläne auf den Kopf gestellt hatte, war diese persönliche Unterstützung von unschätzbarem Wert für mich. Hierfür möchte ich mich von ganzem Herzen bei Nora Krippendorff, Ann-Kathrin Lange und Kai Watermeyer bedanken. Zu guter Letzt danke ich meinen Eltern Anna-Maria und Winfried Heßler von Herzen, dass sie mich meinen eigenen Weg gehen ließen und in allen Lagen meines Lebens immer für mich da waren. Ohne ihre Unterstützung, ihren Rückhalt und ihre bedingungslose Liebe wäre diese Arbeit nicht möglich gewesen.

Clausthal-Zellerfeld, Juli 2020

Anja Heßler

Zusammenfassung Mit der steigenden Individualisierung von Konsumgütern, der Verkürzung marktüblicher Lieferzeiten und den hohen Wachstumsraten im Online-Versandhandel sind leistungsfähige Lagersysteme in den letzten Jahrzehnten verstärkt in das Blickfeld logistischer Optimierung gerückt. Die Lagerhaltung wird dabei zunehmend als wettbewerbsrelevanter Faktor in der Leistungserbringung von Industrie- und Handelsunternehmen wahrgenommen. Die Leistungsfähigkeit der Lagersysteme wird von deren technischer Konfiguration sowie von den eingesetzten Lagerbetriebsstrategien bestimmt. Für eine zuverlässige Leistungsanalyse von Lagersystemen unter realitätsnahen Betriebsbedingungen, die u. a. im Rahmen der Auslegung kapitalintensiver automatisierter Lagersysteme eine entscheidende Rolle einnimmt, werden neben der stochastischen Simulation vor allem analytischstochastische Modelle eingesetzt. Aufgrund der gestiegenen Durchsatzanforderungen kommt einer effizienten Steuerung der Lagerprozesse über geeignete Lagerbetriebsstrategien große Bedeutung zu. Im Hinblick auf die Lagerplatzwahl für auszuführende Ein- und Auslageraufträge untersuchen bestehende Ansätze der Leistungsanalyse überwiegend nur die Wirkungen der taktischen Lagerplatzvergabestrategien wie der chaotischen Lagerplatzvergabe oder der Zonierung. Die Lagerplatzvergabestrategie definiert für einen Lagerauftrag jedoch lediglich die Menge möglicher Zuweisungen eines Lagerplatzes, sodass die operative Lagerplatzwahl, die über Einlager- bzw. Auslagerstrategien gesteuert wird, erhebliches Optimierungspotential bietet. Trotz ihrer offenkundigen Realitätsferne gehen die meisten Ansätze hierbei aus Gründen der Vereinfachung von einer zufälligen Lagerplatzwahl aus. Eine naheliegende Vermutung besteht jedoch darin, dass der Einsatz fahrtzeitreduzierender Einlager- und Auslagerstrategien die Durchsatzleistung zusätzlich zu den Effekten der Lagerplatzvergabestrategien langfristig erheblich steigern kann. Zur Beantwortung dieser Forschungsfrage wurden in der vorliegenden Arbeit stochastisch-analytische Modelle für die Leistungsanalyse bei fahrtzeitoptimierten Einzelspielen entwickelt. Konkret wurde die Kürzeste-Fahrtzeit-Strategie (KFS) untersucht, die die Lagerplätze sowohl für Ein- als auch für Auslageraufträge strikt fahrtzeitminimierend auswählt. Die wesentliche Herausforderung bestand dabei in einer geeigneten Modellbildung

xii

Zusammenfassung

für die Lagerprozesse, für die zunächst die Annahme Poissonscher Auftragsankünfte getroffen wurde. Ausgehend von einer detaillierten Modellierung für die zeitliche Entwicklung der Lagerbelegung mittels zeitstetiger Markovketten ließ sich durch Aggregation des Zustandsraums über mehrere Zwischenstufen schließlich eine sehr effiziente Modellierung analytisch herleiten, die methodisch auf geschlossenen Warteschlangennetzen beruht. Dieser Ansatz wurde sodann auf eine für die Praxis bedeutsamere approximative Analyse bei allgemein verteilten Zwischenankunftszeiten der Lageraufträge übertragen. Mit dieser Modellierung lässt sich die Leistung von Lagerinstanzen praxisrelevanter Größenordnung effizient analysieren, beispielsweise bei einer Million Lagerplätzen und 50.000 Lagerartikeln innerhalb weniger Minuten, sodass dem entwickelten Ansatz ein hohes Anwendungspotential zugesprochen werden kann. Mit den warteschlangentheoretischen Modellen wurde das stationäre Verhalten des Lagerbetriebs unter KFS schließlich umfangreichen analytischen sowie experimentellen Performance-Analysen unterzogen. Zunächst konnte damit eine Vermutung aus der Literatur, wonach fahrtzeitreduzierende Einlager- und Auslagerstrategien zu einer Konzentration der Lagerbelegung um den Ein- und Auslager-Übergabepunkt führen, widerlegt werden. Das wesentliche Resultat der Auswertungen bestand allerdings darin, dass die KFS im Vergleich zur häufig angenommenen zufälligen Lagerplatzwahl die Durchsatzleistung in den untersuchten Szenarien zwischen 10 % und 90 % erhöhen konnte. Interessanterweise ist für diese Leistungssteigerung im Wesentlichen die fahrtzeitminimierende Lagerplatzwahl für Auslageraufträge maßgebend, sodass sich die in der Literatur vorgeschlagene Kombination aus fahrzeitminimierender Lagerplatzwahl für Ein- und zufälliger Lagerplatzwahl für Auslageraufträge als unzweckmäßig erweist. Große Lagerbereiche sowie kleine Sortimentsgrößen mit hoher Stückzahl je Artikel verstärken das Leistungssteigerungspotential der KFS zusätzlich.

Inhaltsverzeichnis Abkürzungs- und Symbolverzeichnis

xv

1 Einleitung

1

2 Grundlagen der Leistungsanalyse automatisierter Lagersysteme 2.1 Arten automatisierter Lagersysteme . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.1 Automatisierte Hochregallager . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2 Shuttle-Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Technische Konfiguration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Lagerbetriebsstrategien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1 Lagerplatzvergabestrategien . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.2 Spielstrategien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.3 Spielbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.4 Einlager- und Auslagerstrategien . . . . . . . . . . . . . 2.3.5 Ruhepositionsstrategien . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Leistungsbewertung und -analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.1 Leistungsanalyse im Kontext der Konfigurationsplanung 2.4.2 Kenngrößen der Leistungsfähigkeit . . . . . . . . . . . . 2.4.3 Spielzeitberechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.4 Stochastische Einflüsse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5 Stochastische Prozessmodellierung . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5.1 Zeitstetige Markovketten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5.2 Warteschlangentheoretische Modelle . . . . . . . . . . . .

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7 7 8 10 12 14 16 17 18 19 26 26 27 29 30 33 35 35 41

3 Stand der Forschung 3.1 Klassifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Statische Modelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1 Gleichverteilte Zugriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2 Weitere Verteilungsarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Simulation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4 Analytisch-stochastische Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.1 Auftragsbezogene Modellierung . . . . . . . . . . . . . . 3.4.2 Fördermittelbezogene Modellierung . . . . . . . . . . . . 3.5 Zusammenfassung des Literaturüberblicks . . . . . . . . . . . . 3.6 Detaillierte Betrachtung einschlägiger Modelle . . . . . . . . . . 3.6.1 Aggregation des Zustandsraums . . . . . . . . . . . . . . 3.6.2 Warteschlangenmodell für fahrtzeitbezogene Einlagerung

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49 50 52 54 56 57 62 63 76 84 86 86 88

xiv

Inhaltsverzeichnis

4 Stationäre Analyse der Lagerprozesse mittels Markovketten 4.1 Annahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Modelle für den Fall homogener Lagerartikel . . . . . . . . 4.2.1 Detailliertes Markov-Modell . . . . . . . . . . . . . 4.2.2 Aggregiertes Markov-Modell . . . . . . . . . . . . . 4.3 Markov-Modell für den Fall heterogener Lagerartikel . . .

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91 . 91 . 96 . 96 . 120 . 131

5 Modellierung mittels geschlossener Warteschlangennetze 5.1 Gordon-Newell-Netze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.1 Modellbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.2 Stationäre Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.3 Algorithmen für die Leistungsanalyse . . . . . . 5.2 Allgemeine Warteschlangennetze . . . . . . . . . . . . . 5.2.1 Verallgemeinerung der Modellbildung . . . . . . 5.2.2 Approximative Leistungsanalyse . . . . . . . . .

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143 143 144 150 155 163 164 167

6 Einsatz der Modelle für die Leistungsanalyse von Lagersystemen 6.1 Berechnungseffizienz der Algorithmen . . . . . . . . . . . . . . . 6.2 Grundlegende Erkenntnisse für einen Lagerbetrieb unter KFS . 6.2.1 Herleitung lagerspezifischer Kenngrößen . . . . . . . . . 6.2.2 Vergleichende Spielzeitberechnung . . . . . . . . . . . . . 6.2.3 Auswertung weiterer Kennlinien . . . . . . . . . . . . . . 6.3 Validierung der verallgemeinerten Modellierung . . . . . . . . . 6.3.1 Simulation als Vergleichsgrundlage . . . . . . . . . . . . 6.3.2 Approximationsgüte der verallgemeinerten Modellierung 6.3.3 Verbesserung der Approximationsgüte . . . . . . . . . . 6.4 Spielzeit-Kennlinien unter verallgemeinerten Auftragsankünften 6.4.1 Homogene Variabilität aller Auftragsankünfte . . . . . . 6.4.2 Artikelspezifische Auftragsankünfte . . . . . . . . . . . . 6.5 Betriebswirtschaftliche Implikationen . . . . . . . . . . . . . . . 6.5.1 Zusammenfassung der wichtigsten Erkenntnisse . . . . . 6.5.2 Begrenzungen der Modellierung . . . . . . . . . . . . . .

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171 172 177 177 186 193 199 199 203 206 214 215 219 221 222 224

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. . . . . . .

7 Fazit und Ausblick

227

Literaturverzeichnis

233

Abkürzungsverzeichnis Allgemeines FEM

Fédération Européenne de la Manutention

VDI

Verein Deutscher Ingenieure

ZE

Zeiteinheit

Lagerwirtschaftliche Bezeichnungen A-Punkt

Übergabepunkt für Auslageraufträge

AA

Auslagerauftrag

AKL

Automatisches Kleinteilelager

AVF

Automatisches Verteilfahrzeug

CC

Closest Channel

CF COL

Closest Floor Closest Open Location

DYN E-Punkt

Dynamische Zonierung Übergabepunkt für Einlageraufträge

E/A-Prozess E/A-Punkt

Ein-/Auslagerprozess Übergabepunkt für Ein- und Auslageraufträge

E/A-Rate

Ein-/Auslagerrate

E/A-Strategie

Ein-/Auslagerstrategie

E/AA EA

Ein- und Auslageraufträge Einlagerauftrag

EOQ

Economic Order Quantity

FCFS

First Come-First Served

FIFO HRL KFS

First In-First Out Hochregallager Kürzeste-Fahrtzeit-Strategie

LIFO LPV

Last In-First Out Lagerplatzvergabe

xvi LPVS

Abkürzungsverzeichnis Lagerplatzvergabestrategie

LTF

Lowest Tier First

LTPR NINO

Location-to-product ratio Nearest In-Nearest Out

POSC

Point-of-Service Completion

PRS

Pure Random Storage

PRV RBG

Prognosebasiertes Reservierungsverfahren Regalbediengerät

REA

Rückkehr zum E/A-Punkt

SPT

Shortest Processing Time

Mathematische Bezeichnungen FA

Faltungsalgorithmus

MRE MWA

Mean Relative Error Mittelwertanalyse

PASTA

Poisson Arrivals See Time Averages

vMWA

Verallgemeinerte Mittelwertanalyse Angepasste verallgemeinerte Mittelwertanalyse

vMWA∗

Symbolverzeichnis Allgemeines 1{a}

Indikatorfunktion, die den Wert 1 annimmt, wenn der Boolesche Ausdruck a erfüllt ist, sonst 0

N

Menge der positiven ganzen Zahlen Menge der nichtnegativen ganzen Zahlen

N0 O R≥0 I

Landau-Symbol: Für zwei Funktionen f , g: N → R≥0 gilt f ∈ O (g) :⇔ ∃ c > 0, m0 > 0 : (∀ m ≥ m0 : f (m) ≤ c · g(m)) Menge der nichtnegativen reellen Zahlen Einheitsmatrix

Grundlagen (Kapitel 2) i→j

Zustand j ist von Zustand i aus erreichbar

γ

δij κ λ

Stationärer Grenzdurchsatz eines Unstetigförderers Kronecker-Delta, das für i = j den Wert 1 annimmt, sonst 0 Gesamtankunftsrate an Wartesystem  Parameter eines Poisson-Prozesses, Zwischenankunftsrate

μ

Bedienrate eines Bedienschalters

π

Stationäre Verteilung einer zeitstetigen Markovkette Stationäre Wahrscheinlichkeit von Zustand i

i↔j

πi ρ ρ τ A B b c c(N )

Zustände i und j kommunizieren

Verkehrsintensität einer Bedienstation Verkehrsintensität von Wartesystem  Länge eines Zeitintervalls Verteilung der Zwischenankunftszeiten (Kendall-Notation) Verteilung der Bedienzeiten (Kendall-Notation) Anzahl Kunden an Wartesystem  Anzahl gleichartiger Bediener eines Wartesystems (Kendall-Notation) Normierungskonstante eines Gordon-Newell-Netzes mit N Kunden

xviii

Symbolverzeichnis

D

Bezeichnung für deterministische Verteilung (Kendall-Notation)

E EL

Zustandsraum eines stochastischen Prozesses Zustandsraum eines geschlossenen Warteschlangennetzes mit L Wartesystemen und N zirkulierenden Kunden

G

Bezeichnung für unabhängig und identisch verteilte Zwischenankunfts-

(N )

zeiten (Kendall-Notation) K

Kapazität des Wartesystems (Kendall-Notation)

L

Anzahl Wartesysteme in einem Warteschlangennetz

M

Bezeichnung für (Kendall-Notation)

N

Anzahl Kunden in einem geschlossenen Warteschlangennetz Zufallsvariable zum Zählen von Ereignissen bis zum Zeitpunkt t

Nt P PA (n) PA (n) PE (n) PE (n)

exponentialverteilte

Zwischenankunftszeiten

pij

Übergangsmatrix einer zeitdiskreten Markovkette Auslager-Zugriffswahrscheinlichkeit von Lagerplatz n Normierte Auslager-Zugriffswahrscheinlichkeit von Lagerplatz n Einlager-Zugriffswahrscheinlichkeit von Lagerplatz n Normierte Einlager-Zugriffswahrscheinlichkeit von Lagerplatz n Übergangswahrscheinlichkeit von Zustand i zu Zustand j in homoge-

p∗ij

ner zeitdiskreter Markovkette Übergangswahrscheinlichkeit von Zustand i zu Zustand j in der ein-

pij (t) pm pW Q qi qij r T t¯ t

gebetteten Sprungkette einer homogenen zeitstetigen Markovkette Übergangsfunktion einer zeitstetigen Markovkette Stationäre Wahrscheinlichkeit für m Kunden in einem M/M/1/KWarteschlangensystem Wahrscheinlichkeit für einen Wechsel der Lagerauftragsart in der Bearbeitungsreihenfolge Generatormatrix einer zeitstetigen Markovkette Rate für einen Zustandswechsel aus Zustand i Übergangsrate von Zustand i zu Zustand j in einer homogenen zeitstetigen Markovkette Routing-Wahrscheinlichkeit von Wartesystem  zu Wartesystem  Indexmenge eines stochastischen Prozesses Mittlere Spielzeit unter Einzelspielen Zeitpunkt

Symbolverzeichnis tA (n) tc tE (n) tnn Xt

xix

Spielzeit eines Auslager-Einzelspiels in Lagerplatz n Konstanter Anteil der Spielzeit Spielzeit eines Einlager-Einzelspiels in Lagerplatz n Fahrtzeit von Position n zu Position n Zufallsvariable zum Zeitpunkt t

Literatur (Kapitel 3) λ λ τ b (n)

bt 

Kumulierte Ankunftsrate aller Einlageraufträge Ankunftsrate der Einlageraufträge von Artikel  Erwartete Verweildauer einer Lagereinheit von Artikel  Anzahl Lagereinheiten in einem Lagerauftrag bei Batch-Ankünften Binäre Zufallsvariable für Belegung von Lagerplatz n zum Zeitpunkt t Artikel

n

Lagerplatz

N

Anzahl Lagerplätze Anzahl Regalebenen Anzahl Regalbediengeräte oder automatische Verteilfahrzeuge Anzahl Lifte Einlager-Zugriffswahrscheinlichkeit von Lagerplatz n bei Anwendung

nE nF nL PCOL (n)

der COL-Strategie q q s s S tZ (n) (n) Zt (n) Z¯t

Bestellmenge Bestellmenge von Artikel  Bestellpunkt Bestellpunkt von Artikel  Bestellgrenze von Artikel  Zykluszeit von Lagerplatz n Zufallsvariable für Anzahl belegter Lagerplätze bis Lagerplatz n zum Zeitpunkt t Zufallsvariable für Anzahl belegter Lagerplätze ab Lagerplatz n + 1 zum Zeitpunkt t

Stochastische Modelle (Kapitel 4 und 5) #iter (xn , zn ) αA αE

Anzahl Iterationen Kartesische Koordinaten von Lagerplatz n Auslager-Servicegrad Einlager-Servicegrad

xx

Symbolverzeichnis

βn

Belegungswahrscheinlichkeit von Lagerplatz n

ε

Numerische Toleranz Bedienrate von Wartesystem  Zirkulationsflussstärke in Warteschlangennetz G(n) Absolute Ankunftsrate in Wartesystem  von Warteschlangennetz G(n) Kumulierte Ankunftsrate aller Auslageraufträge Ankunftsrate der Auslageraufträge von Artikel 

ε κ(n) κ (n) μ μ π ˜ π (n) (n)

π(b1 ,...,bL ) (n)

Stationäre Verteilung der gespiegelten Markovkette Stationäre Verteilung der aggregierten Markovkette für die ersten n Lagerplätze Aggregierte stationäre Zustandswahrscheinlichkeit für L ∈ N

πG (n)



Aggregierte stationäre Zustandswahrscheinlichkeit für L = 1 Stationäre Wahrscheinlichkeit für n Kunden in Wartesystem  von Warteschlangennetz G(n) Stationäre Verteilung des Warteschlangennetzes G(n) Auslastung von Wartesystem  bei n zirkulierenden Kunden

ρ τ

Kumulierte Verkehrsintensität des Warteschlangennetzes G(n) Diskretisierungsfaktor

πk (n) π (n ) (n)

b(i)

Anzahl belegter Lagerplätze in Zustand i

b(i, n)

c2A ()

Binärer Indikator für Belegung von Lagerplatz n in Zustand i Anzahl belegter Lagerplätze von Artikel  Konstanter Faktor Quadrierter Variationskoeffizient der Zwischenankunftszeiten von

c2E ()

Auslageraufträgen für Artikel  Quadrierter Variationskoeffizient der Zwischenankunftszeiten von Ein-

b c

c2 c(n, ) cΣ (n) Ek (n)

Ek

lageraufträgen für Artikel  Quadrierter Variationskoeffizient der Bedienzeit an Wartesystem  Normierungskonstante eines Gordon-Newell-Netzes mit  Wartesystemen und n zirkulierenden Kunden (n) Normierungskonstante der Markovkette (Zt )t≥0 (n) Teilmenge von Zuständen der detaillierten Markovkette Yt mit genau k belegten Lagerplätzen Teilmenge von Zuständen mit genau k belegten Lagerplätzen unter den ersten n Lagerplätzen

Symbolverzeichnis E (n) (n)

E

en ewm G(n) i, j ˜i k L nb (i) nf (i) n ¯  (n) PA (n, ) (pk )k=0,...,N P

p˜ij PZ (n) S S tn vx vz W (n)

(Yt )t≥0 (Y˜t )t≥0 (n)

Yt (n) (Zt )t≥0 (n,) Zt

xxi

Zustandsraum der aggregierten Markovkette für die ersten n Lagerplätze Reduzierter Zustandsraum für  Artikel, die genau n Lagerplätze belegen n-ter Einheitsvektor m-ter Eigenwert bei Sortierung nach nichtwachsenden Beträgen Geschlossenes Warteschlangennetz mit n zirkulierenden Kunden Zustände eines stochastischen Prozesses Gespiegelter Zustand von Zustand i Level der detaillierten Markovkette mit genau k belegten Lagerplätzen Anzahl zu lagernder Artikel Nummer des ersten belegten Lagerplatzes in Zustand i Nummer des ersten freien Lagerplatzes in Zustand i Erwartete Anzahl von Kunden in Wartesystem  von Warteschlangennetz G(n) Auslager-Zugriffswahrscheinlichkeit für Artikel  in Lagerplatz n Randverteilung der Level Ek Zur Generatormatrix Q der detaillierten Markovkette gehörende diskretisierte Übergangsmatrix Element an Position (i, j) der Übergangsmatrix P Normierte Zugriffswahrscheinlichkeit für Ein- und Auslageraufträge Bedienzeit an Wartesystem  Restbedienzeit an Wartesystem  Fahrtzeit vom E/A-Übergabepunkt zu Lagerplatz n Geschwindigkeit des Fördermittels in horizontaler Richtung Geschwindigkeit des Fördermittels in vertikaler Richtung Erwartete Verweildauer in Wartesystem  von Warteschlangennetz G(n) Detaillierte Markovkette mit L = 1 Gespiegelte, detaillierte Markovkette mit L = 1 Bernoulli-Variable für Belegung von Lagerplatz n zum Zeitpunkt t Aggregierte Markovkette für die ersten n Lagerplätze Zufallsvariable für Anzahl von Artikel  belegter Lagerplätze bis Lagerplatz n zum Zeitpunkt t

xxii

Symbolverzeichnis

Auswertung (Kapitel 6) α αA () βN  δ

Konfidenzniveau Auslager-Servicegrad von Artikel  Erwarteter relativer kritischer Lagerbestand Verteilungsunabhängiger Korrekturfaktor für die mittlere Spielzeit der

Δabs G

verallgemeinerten MWA Absolute Abweichung der mittleren Spielzeit zur Simulation mit Gam-

Δrel G

maverteilung Relative Abweichung der mittleren Spielzeit zur Simulation mit Gam-

δG

maverteilung Korrekturfaktor für die mittlere Spielzeit der verallgemeinerten MWA

Δabs LN

unter Gammaverteilung Absolute Abweichung der mittleren Spielzeit zur Simulation mit Log-

Δrel LN δLN

normalverteilung Relative Abweichung der mittleren Spielzeit zur Simulation mit Lognormalverteilung Korrekturfaktor für die mittlere Spielzeit der verallgemeinerten MWA unter Lognormalverteilung

ν

Simulationslauf

ρ¯

Mittlere Verkehrsintensität aller Wartesysteme des Warteschlangennetzes G(n) Lagerauftragsart von Ereignis e Erwartete Anzahl belegter Lagerplätze von Artikel 

A(e) ¯b b(n) c¯ c2 c¯2A c2A c2E e E

FG kG

Artikel  = 1, . . . , L, der Lagerplatz n belegt, oder 0, falls unbelegt Skalierungsfaktor für Faltungsalgorithmus Einheitlicher quadrierter Variationskoeffizient für alle Lageraufträge Mittlerer quadrierter Auslager-Variationskoeffizient Einheitlicher quadrierter Variationskoeffizient für alle Auslageraufträge Einheitlicher quadrierter Variationskoeffizient für alle Einlageraufträge Ereignis in der ereignisorientierten Simulation Ereignisliste der ereignisorientierten Simulation Erwarteter Lagerfüllgrad Skalierungsparameter der logarithmischen Regression für den Approximationsfehler unter Gammaverteilung

Symbolverzeichnis kLN

xxiii

Skalierungsparameter der logarithmischen Regression für den Approximationsfehler unter Lognormalverteilung

(e) Lmax

Zu Ereignis e gehörender Artikel  Maximale Sortimentsgröße L verarbeitbarer Lagerinstanzen bei gege-

mE mS N N max

bener Lagergröße N Länge der Einschwingphase (Anzahl von Ereignissen) Länge eines Simulationslaufs (Anzahl von Ereignissen) Menge der kritischen Lagerplätze Maximale Lagerplatzanzahl N verarbeitbarer Lagerinstanzen bei ge-

nS PCOL (n)

PKFS (n)

PKFS (n) PPRS (n)  PZN R2 q sq t(e) t¯KFS tˆKFS (ν) t¯KFS ∗ ¯ tKFS

tmax cpu V

gebenem Sortimentsumfang L Anzahl Regalsäulen Approximation der Zugriffswahrscheinlichkeit von Lagerplatz n bei Anwendung der COL-Strategie Approximation der normierten Zugriffswahrscheinlichkeit von Lagerplatz n bei Anwendung der KFS Normierte Zugriffswahrscheinlichkeit von Lagerplatz n bei Anwendung der KFS Zugriffswahrscheinlichkeit von Lagerplatz n bei Anwendung von PRS Normierte Zugriffswahrscheinlichkeit für die Menge N  kritischer Lagerplätze Bestimmtheitsmaß einer Regression

Anzahl unabhängiger Simulationsläufe Korrigierte Stichprobenstandardabweichung der mittleren Spielzeit über q Simulationsläufe Eintrittszeitpunkt von Ereignis e Mittlere Spielzeit unter KFS Schätzer für mittlere Spielzeit unter KFS aus ereignisorientierter Simulation Mittlere Spielzeit unter KFS in Simulationslauf ν Mittlere Spielzeit unter KFS nach Anpassung der verallgemeinerten MWA Maximale Rechenzeit Art der Verteilung für die Zwischenankunftszeiten in der ereignisorientierten Simulation

xxiv

Symbolverzeichnis

W

Erwartete Verweildauer von Artikel  Erwartete Verweildauer einer in Lagerplatz n eingelagerten Lagereinheit Länge der Regalwand Binäre Zufallsvariable für Belegung von Lagerplatz n im stationären Gleichgewicht Höhe der Regalwand

wn xmax Y (n) zmax Z(n)

Anzahl von Zugriffen auf Lagerplatz n in der ereignisorientierten Si-

Z

mulation Zufallsvariable für Anzahl belegter Lagerplätze von Artikel  bis La-

ZZ A ()

gerplatz n im stationären Gleichgewicht Pseudozufallszahl für Zwischenankunftszeit eines Auslagerauftrags

ZZ E ()

von Artikel  Pseudozufallszahl für Zwischenankunftszeit eines Einlagerauftrags von

(n)

Artikel 

Kapitel 1 Einleitung Trotz weit verbreiteter Bestrebungen zur Reduktion von Lagerbeständen sind Lagersysteme aus dem Geschäftsbetrieb von Industrie- und Handelsunternehmen nicht wegzudenken. In einigen Branchen hat die Bedeutung leistungsfähiger Lagersysteme in den letzten Jahrzehnten sogar zugenommen, wie das Beispiel des stetig wachsenden OnlineVersandhandels zeigt. Seit längerer Zeit ist ein globaler Trend weg von Verkäufer- hin zu Käufermärkten festzustellen, vgl. z. B. Bruhn (2019, S. 16 f.), mit dem eine steigende Kundenindividualisierung bzw. -orientierung einhergeht, die sich wiederum in einer stärkeren kundenspezifischen Ausdifferenzierung des Produktprogramms sowie verkürzten marktüblichen Lieferzeiten niederschlägt. Dieser Trend stellt Logistiksysteme vor neue Herausforderungen mit der Konsequenz, dass die Bedeutung der Sicherungs- und Ausgleichsfunktion von Lagern sowohl in den auftragsgebundenen Teilen von Wertschöpfungsketten als auch im Handel zunimmt. Durch diese Entwicklungen hat sich in jüngerer Zeit auch die Wahrnehmung der Lagerhaltung grundlegend verändert. Sie wird zunehmend nicht mehr nur als reiner Kostentreiber angesehen, sondern vielmehr als wesentlicher Bestandteil der Leistungserbringung, da durch eine verbesserte Leistungsfähigkeit der Lagerprozesse, z. B. im Hinblick auf Lieferbereitschaft, Lieferflexibilität, Lieferzeit und Lieferqualität, deutliche Wettbewerbsvorteile entstehen können, vgl. Wisser (2009, S. 2). Zur Erhöhung des umsetzbaren Auftragsvolumens werden die Ein- und Auslagerprozesse in größeren Lagersystemen zumeist voll- oder teilautomatisiert ausgeführt, vgl. ten Hompel et al. (2018, S. 51 f.). Die Errichtung solcher automatisierter Lagersysteme ist für Unternehmen mit hohen Investitionsausgaben verbunden und bedarf daher einer sorgfältigen Planung. Bei der Auslegung eines Lagersystems kommt der stochastischen Leistungsanalyse die Aufgabe zu, unter Berücksichtigung stochastischer Einflüsse die

© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2021 A. Heßler, Stochastische Leistungsanalyse von Lagersystemen, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31811-6_1

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Kapitel 1 Einleitung

Durchsatzleistung von Lagersystemen zu analysieren. Neben der technischen Konfiguration, d. h. der Dimensionierung und des Layouts des Lagersystems sowie der Ausgestaltung des zugehörigen Fördersystems, beeinflusst insbesondere auch die Wahl der Lagerbetriebsstrategien, die auf eine effiziente Steuerung des operativen Lagerbetriebs ausgerichtet sind, die Durchsatzleistung des gesamten Lagersystems. Im Rahmen der Konfigurationsplanung dient die Leistungsanalyse in erster Linie dazu, zuverlässig zu beurteilen, ob gegebene Konfigurationsvarianten eines Lagersystems die an die Durchsatzleistung gestellten Anforderungen erfüllen können. Zur Vermeidung unnötiger Kosten sollte jedoch auch eine Überdimensionierung des Lagersystems ausgeschlossen werden. Dies gilt nicht nur für die baulich festgelegte Lagerkapazität, sondern auch für die Kapazität des Fördersystems, die neben der Anzahl und den Leistungsparametern der Fördermittel auch maßgeblich von der Wahl der Lagerbetriebsstrategien beeinflusst wird. Daher werden Leistungsanalysen des Weiteren dazu eingesetzt, den Einfluss von Lagerbetriebsstrategien auf die Durchsatzleistung des Fördersystems zu untersuchen. Mit diesen Strategien wird z. B. durch geeignete Lagerplatzwahl das Ziel verfolgt, die Fördermittel so einzusetzen, dass durchschnittlich möglichst wenig Zeit zur Bearbeitung der Lageraufträge benötigt wird und somit die Grenzdurchsatzleistung des Lagersystems gesteigert werden kann. Insbesondere vor dem Hintergrund stetig wachsender Umschlagshäufigkeiten, die sich z. B. im Online-Versandhandel aus dem hohen Auftragsvolumen und der Anforderung kurzer Lieferzeiten bis hin zu taggleicher Zustellung (Same Day Delivery) ergeben, kommt einer effizienten Steuerung der Lagerprozesse über geeignete Lagerbetriebsstrategien eine immer größere Bedeutung zu. Die Einführung der ersten automatisierten Hochregallager in den 1960er-Jahren markiert auch den Beginn der Forschungsaktivitäten zur Leistungsanalyse von Lagersystemen, vgl. Lippolt (2003, S. 77). Seitdem wurde eine Vielzahl unterschiedlicher Ansätze veröffentlicht, sowohl für verschiedene Lagerkonfigurationen als auch für unterschiedliche Lagerbetriebsstrategien. Der überwiegende Teil dieser Arbeiten betrachtet im Hinblick auf die Lagerplatzwahl für auszuführende Ein- bzw. Auslageraufträge lediglich die sog. Lagerplatzvergabestrategie, die jedem Artikel einen Lagerbereich zuordnet. Üblicherweise ist die Zuweisung eines Lagerplatzes hiermit noch nicht eindeutig festgelegt, sodass die operative Entscheidung über die konkrete Wahl des Lagerplatzes bei der Ausführung eines Ein- bzw. Auslagerauftrags noch weiteres Optimierungspotential bietet. Diese Lagerplatzwahl wird über sog. Einlager- bzw. Auslagerstrategien gesteuert. In den meisten Ansätzen zur Leistungsanalyse von Lagersystemen wird diese Entscheidungsebene in Form einer Verteilungsannahme für Zugriffe auf die Lagerplätze berücksichtigt. Überraschenderweise wird hierbei zumeist von gleichverteilten Zugriffen ausgegangen. Eine naheliegende Vermutung besteht jedoch darin, dass der Einsatz fahrtzeitreduzieren-

3 der Einlager- und Auslagerstrategien die Durchsatzleistung zusätzlich zu den Effekten der Lagerplatzvergabestrategien langfristig steigern kann. Die Ergebnisse einiger Simulationsstudien mit bevorzugter Wahl fahrtzeitgünstiger Lagerplätze untermauern diese Vermutung. Aus einer systematischen Literaturrecherche, die als Grundlage für die vorliegende Arbeit durchgeführt wurde, ging allerdings kein analytisch-stochastischer Ansatz hervor, der dieses Optimierungspotential sowohl für Ein- als auch für Auslageraufträge in die Leistungsanalyse miteinbezieht. An diesem Punkt setzt die vorliegende Arbeit an mit dem Ziel, ein analytisches Modell für die stochastische Leistungsanalyse unter Berücksichtigung der Effekte fahrtzeitreduzierender Einlager- und Auslagerstrategien zu entwickeln. Die konkret untersuchte Strategie wählt die Lagerplätze für die Ausführung von Ein- sowie Auslageraufträgen strikt fahrtzeitminimierend aus und wird im Folgenden angelehnt an Glass (2008, S. 25) als Kürzeste-Fahrtzeit-Strategie (KFS) bezeichnet. Die Untersuchungen gehen hierbei vom Fall der Einzelspiele aus, d. h., alle Lageraufträge werden einzeln ausgeführt. Die Modellbildung erfolgt auf der Grundlage analytisch-stochastischer Ansätze, da diese Art der Modellierung im Gegensatz zu stochastischen Simulationen den Vorteil besitzt, dass Abhängigkeiten zwischen Kenngrößen des Systems, stochastischen Einflussfaktoren und Designentscheidungen exakt analysiert und in vielen Fällen sogar als geschlossene Ausdrücke formuliert werden können. Für die stochastische Leistungsanalyse bei fahrtzeitoptimierten Einzelspielen werden im Rahmen der vorliegenden Arbeit verschiedene Fragestellungen untersucht. Die erste betrifft die praktische Relevanz der entwickelten Modelle, da sich analytische Ansätze zur Modellierung stochastischer Prozesse häufig nicht für eine Analyse von Instanzen praxisrelevanter Größenordnung eignen. Wie sich im Verlauf der Arbeit herausstellen wird, erreicht der entwickelte Ansatz zur Leistungsanalyse durch eine geeignet gewählte Modellbildung eine sehr hohe Berechnungseffizienz, sowohl hinsichtlich der Rechenzeit als auch im Hinblick auf die Größe verarbeitbarer Lagerinstanzen. Auf dieser Grundlage können anschließend mehrere Aspekte des Lagerbetriebs bei fahrtzeitoptimierten Einzelspielen näher betrachtet werden. In diesem Zusammenhang wird die KFS zunächst mit anderen Strategien verglichen, insbesondere mit der häufig eingesetzten zufälligen Lagerplatzwahl. Dieser Vergleich soll Auskunft darüber geben, ob der Einsatz der KFS bei stochastischen Auftragsankünften langfristig zu einer signifikanten Steigerung der Leistungsfähigkeit des Fördersystems führt. Dies schließt die Frage mit ein, ob bestehende Ansätze der stochastischen Leistungsanalyse die Durchsatzleistung unter fahrtzeitoptimierten Einzelspielen mit hinreichender Genauigkeit approximieren können, wofür sich in der Literatur Hinweise finden. Für den praktischen Einsatz fahrtzeitreduzierender

4

Kapitel 1 Einleitung

Theoretischer Bezugsrahmen

Modellbildung und stationäre Analyse

Durchführung von Leistungsanalysen

(Kapitel 2 und 3)

(Kapitel 4 und 5)

(Kapitel 6)

Abbildung 1.1: Grobgliederung des Hauptteils der vorliegenden Arbeit Einlager- und Auslagerstrategien ist außerdem von Interesse, wie sich verschiedene Einflussgrößen, wie Lagergröße, Sortimentszusammensetzung sowie Ankunftsverhalten der Lageraufträge, langfristig auf die Leistungsfähigkeit des Fördersystems unter KFS auswirken. In Anlehnung an diese Fragestellungen gliedert sich der Hauptteil dieser Arbeit, wie in Abbildung 1.1 dargestellt, inhaltlich in drei große Bereiche. Den Ausgangspunkt bildet in Kapitel 2 ein Überblick über materialflusstechnische und methodische Grundlagen der Leistungsanalyse von Lagersystemen. Kapitel 3 dokumentiert die Ergebnisse einer Literaturrecherche zum aktuellen Stand der Forschung. Der Schwerpunkt der Arbeit liegt auf der Entwicklung einer geeigneten Modellierung für den Ein- und Auslagerprozess bei fahrtzeitoptimierten Einzelspielen unter Verwendung analytisch-stochastischer Modellierungskonzepte. Dafür werden in den Kapiteln 4 und 5 verschiedene Ansätze zur stationären Analyse der zugrunde liegenden Lagerprozesse vorgestellt, die den methodischen Kern der Leistungsanalyse darstellen. In Kapitel 6 werden die entwickelten Modelle abschließend im Rahmen experimenteller Performance-Analysen für die Bestimmung der Durchsatzleistung von Fördermitteln eingesetzt, um Erkenntnisse für einen Lagerbetrieb bei fahrtzeitoptimierten Einzelspielen zu gewinnen. Die konkreten Inhalte der einzelnen Kapitel werden nachfolgend überblicksartig dargestellt. Kapitel 2 gibt eine Einführung in die benötigten Grundlagen der Leistungsanalyse automatisierter Lagersysteme. Hierbei werden zunächst wesentliche Aspekte der Lagertechnik, verschiedene Arten von Lagerbetriebsstrategien für die Organisation der Lagerprozesse sowie Konzepte zur Leistungsbewertung und -analyse von Lagersystemen vorgestellt. Anschließend werden die methodischen Grundlagen der stochastischen Prozessmodellierung eingeführt, die im weiteren Verlauf zur Abbildung der Ein- und Auslagerprozesse bei fahrtzeitoptimierten Einzelspielen eingesetzt werden. Gegenstand von Kapitel 3 ist ein Literaturüberblick über bestehende Modellierungen von Lagerprozessen für die stochastische Leistungsanalyse von Lagersystemen. Zur Einordnung der zahlreichen Ansätze wird zunächst unter Verwendung anwendungsspezifischer sowie methodischer Kriterien ein geeignetes Klassifikationsschema entwickelt. Da-

5 rauf aufbauend gliedert sich der anschließende Überblick nach der Art der Modellbildung in statische, simulationsbasierte und analytisch-stochastische Modelle. Der Schwerpunkt für die Auswahl der präsentierten Ansätze liegt dabei auf der Berücksichtigung stochastischer Einflüsse sowie fahrtzeitbezogener Einlager- und Auslagerstrategien. Als Ergebnis dieses Literaturüberblicks wird abschließend die Forschungslücke identifiziert, wonach bisher kein analytisch-stochastisches Modell entwickelt wurde, mit dem der Einfluss einer fahrtzeitoptimierten Lagerplatzwahl für beide Lagerauftragsarten (KFS) auf die Durchsatzleistung der Fördermittel analysiert werden kann. In den beiden folgenden Kapiteln wird die Modellentwicklung für den Ein- und Auslagerprozess bei fahrtzeitoptimierten Einzelspielen detailliert nachvollzogen. Dabei werden zwei verschiedene stochastische Modellierungskonzepte eingesetzt und jeweils zugehörige Methoden für die stationäre Analyse entwickelt. In Kapitel 4 werden die Lagerprozesse zunächst auf der Grundlage spezifischer Modellannahmen, insbesondere einer Verteilungsannahme für die Zwischenankunftszeiten der Lageraufträge, mittels homogener Markovketten in stetiger Zeit formuliert. Den Ausgangspunkt für die Modellentwicklung bildet ein detailliertes Markov-Modell, mit dem die zeitliche Entwicklung der Lagerbelegung aller Lagerplätze für den Fall eines homogenen Lagerartikels abgebildet wird. Wie sich herausstellen wird, eignet sich dieses Modell aufgrund der Größe seines Zustandsraums allerdings nicht für eine Analyse von Lagerinstanzen praxisrelevanter Größenordnung. Durch eine geeignete Aggregation des Zustandsraums lässt sich daraus jedoch eine effizientere Modellvariante ableiten, mit der auch deutlich größere Lagerinstanzen analysiert werden können. Dieses aggregierte Markov-Modell wird abschließend auf den praxisrelevanten Fall heterogener Lagerartikel erweitert. Wie aus der Herleitung des aggregierten Markov-Modells hervorgehen wird, weist es eine Analogie zu warteschlangentheoretischen Modellen auf. Dieser strukturelle Zusammenhang wird in Kapitel 5 für eine weitere Verbesserung der Modellbildung genutzt. Daraus resultiert eine auf geschlossenen Warteschlangennetzen basierende Modellierung, die den Vorteil besitzt, dass für die Leistungsanalyse auf effiziente Algorithmen der Warteschlangentheorie zurückgegriffen werden kann. Darüber hinaus lässt sich aus diesem Modell ein Approximationsansatz für allgemein verteilte Zwischenankunftszeiten der Lageraufträge ableiten, sodass die zunächst getroffene Verteilungsannahme schließlich zugunsten einer allgemeineren Modellierung aufgehoben werden kann. Nach den Untersuchungen zur Modellbildung steht in Kapitel 6 die Evaluation der entwickelten Ansätze zur Leistungsanalyse von Lagersystemen im Fokus der Betrachtung. Zunächst wird die praktische Relevanz der Modelle im Hinblick auf die Anwendung für Probleme praxisrelevanter Größe geprüft. Dafür wird die Berechnungseffizienz

6

Kapitel 1 Einleitung

der entwickelten Methoden sowohl hinsichtlich der Rechenzeit als auch hinsichtlich der Größenordnung numerisch stabil und mit beschränktem Arbeitsspeicher verarbeitbarer Lagerinstanzen untersucht. Wie sich herausstellen wird, ermöglichen die vorgestellten Methoden eine sehr effiziente und genaue Leistungsanalyse, sodass auf dieser Grundlage anschließend eine experimentelle Performance-Analyse durchgeführt wird. Im Rahmen dieser Auswertung wird auch der verallgemeinerte warteschlangentheoretische Ansatz eingesetzt, dessen Approximationsgüte vorab durch Vergleich mit den Ergebnissen einer ereignisorientierten Simulation validiert wird. Aus den Ergebnissen der experimentellen Performance-Analyse werden schließlich grundlegende Erkenntnisse für einen Lagerbetrieb bei fahrtzeitoptimierten Einzelspielen gewonnen. Dies schließt auch einen Vergleich der KFS mit anderen Einlager- und Auslagerstrategien im Hinblick auf die erzielbare Durchsatzleistung der Fördermittel mit ein. In Kapitel 7 werden im Rahmen eines Fazits die wesentlichen Ergebnisse zusammengefasst und der damit geleistete Beitrag zur Erforschung von Methoden der stochastischen Leistungsanalyse von Lagersystemen kritisch gewürdigt. Die Arbeit schließt mit einem Ausblick auf mögliche Weiterentwicklungen der vorgestellten Modellierung sowie Vorschlägen zur Untersuchung weiterführender Forschungsfragen.

Kapitel 2 Grundlagen der Leistungsanalyse automatisierter Lagersysteme Wie bereits eingangs erläutert, besteht das Ziel der vorliegenden Forschungsarbeit darin, stochastische Modelle zur Leistungsanalyse von Lagersystemen zu entwickeln. Zu Beginn gibt das folgende Kapitel eine Einführung in automatisierte Lagersysteme und deren Leistungsanalyse. Dafür werden in Abschnitt 2.1 zunächst die Lagersysteme vorgestellt, auf die sich die vorliegende Arbeit im Wesentlichen bezieht. Anschließend wird auf die verschiedenen Entscheidungen eingegangen, die im Rahmen der Konfigurationsplanung zu treffen sind. Diese betreffen einerseits die technische Konfiguration des Lagersystems (Abschnitt 2.2) und andererseits die anzuwendenden Lagerbetriebsstrategien (Abschnitt 2.3). Die konkrete Ausgestaltung dieser technischen und organisatorischen Aspekte der Lagerkonfiguration entscheidet letztlich über die Leistungsfähigkeit des Lagersystems. In Abschnitt 2.4 wird schließlich dargelegt, wie sich die Leistungsfähigkeit bewerten und für eine gegebene Lagerkonfiguration, insbesondere unter Berücksichtigung stochastischer Einflüsse auf die Lagerprozesse, bestimmen lässt. Das Kapitel endet in Abschnitt 2.5 mit einer kurzen Einführung in allgemeine, stochastische Modellierungskonzepte, die die methodische Grundlage der analytisch-stochastischen Leistungsanalyse bilden.

2.1 Arten automatisierter Lagersysteme Die bedeutenden Fortschritte in der Automatisierungstechnik haben maßgeblich zur Entwicklung automatisierter Lagersysteme beigetragen. In der Industrie ist diese Lagertechnik inzwischen weit verbreitet. Die Funktionsweisen zweier Arten automatisierter Lagersysteme werden nachfolgend näher beschrieben; für eine umfassende Übersicht zu

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Kapitel 2 Grundlagen der Leistungsanalyse automatisierter Lagersysteme

weiteren Lagersystemen sei an dieser Stelle z. B. auf ten Hompel et al. (2018, Kapitel 3) verwiesen. Bei den ausgewählten Lagersystemen handelt es sich um die wesentlichen Anwendungsfälle der in dieser Arbeit entwickelten Modelle, deren Annahmensystem in Abschnitt 4.1 näher beschrieben wird. Einerseits werden nur Lagersysteme betrachtet, in denen stets vollständige, standardisierte Lagereinheiten ein- und ausgelagert werden. Dies ist z. B. bei einer Einlagerung auf einheitlichen Ladungsträgern1 der Fall, wie Paletten, Gitterboxen oder Kleinladungsträgern. Derartige Lagersysteme werden nach Martin (2014, S. 338) als Einheitenlager bezeichnet. Andererseits werden Ein- und Auslagerungen einzelner Lagereinheiten immer in separaten Arbeitsgängen, d. h. in Einzelspielen, ausgeführt, siehe Abschnitt 2.3.2. Weiterhin wird angenommen, dass die Fahrtzeiten der Fördermittel keinen stochastischen Schwankungen unterliegen. Diese Annahmen sind im Wesentlichen beim Einsatz automatischer Fördermittel gerechtfertigt. Manuelle Lagerbewirtschaftung führt hingegen zu stärker variierenden Fahrtzeiten und erfolgt i. d. R. auch nicht in Einzelspielen. Kommissioniersysteme stehen daher nicht im Fokus der vorliegenden Untersuchung, da diese nur in seltenen Fällen als Einheitenlager konzipiert sind und üblicherweise mehrere Auslagerungen auf einer Kommissioniertour zusammengefasst werden. Den Anwendungsschwerpunkt bilden somit insbesondere die beiden Arten automatisierter Lagersysteme, deren Einsatz sich in Einheitenlagern etabliert hat. Zum einen sind das die klassischen automatisierten Hochregallager (HRL) und zum anderen die neueren Shuttle-Systeme. Der Aufbau und die Funktionsweise dieser beiden Systeme werden im Folgenden kurz eingeführt. Prinzipiell können die entwickelten Modelle jedoch auch für andere Lagerarten eingesetzt werden, für die das Annahmensystem aus Abschnitt 4.1 zutreffend ist.

2.1.1 Automatisierte Hochregallager Als HRL werden nach ten Hompel et al. (2018, S. 66 ff.) Lagersysteme bezeichnet, in denen Palettenregale mit einer Höhe von über 12 m als Lagermittel eingesetzt werden. Um eine Lagerhöhe von bis zu 55 m bewirtschaften und dadurch einen hohen Flächennutzungsgrad erzielen zu können, werden in HRL automatische, schienengeführte Regalbediengeräte (RBG) eingesetzt, vgl. ten Hompel et al. (2018, S. 198 ff.). Diese Kombination eines HRL mit automatischen RBG wird als automatisiertes HRL2 bezeichnet. Das cha1

2

Eine Übersicht über verschiedene Ladungsträgertypen sowie eine Beschreibung der Funktionen einer Bildung standardisierter, logistischer Einheiten finden sich z. B. bei Lange (2008, S. 702 ff.). Eine kritische Betrachtung der Vor- und Nachteile, die die Verwendung einheitlicher Ladungsträger mit sich bringt, gibt z. B. Gudehus (2010, S. 410 ff.). In der englischsprachigen Literatur ist für dieses Lagersystem die Bezeichnung automated storage and retrieval system (AS/RS) üblich.

9

2.1 Arten automatisierter Lagersysteme

Lagergasse 4

Lagergasse 3

Lagergasse 2

Lagergasse 1

Lagerregale

RBG

Input

1 2

1

1 2

1 2

(a) Draufsicht

RBG Output

E/A (b) Lagergasse

Abbildung 2.1: Typischer Aufbau eines automatisierten HRL (Quelle: in Anlehnung an Tompkins et al. 2010, S. 610 und Kuo et al. 2007) rakteristische Merkmal automatischer RBG besteht darin, dass Fahr- und Hubbewegung zur Erhöhung der Leistungsfähigkeit simultan ablaufen können, vgl. Arnold und Furmans (2009, S. 197). Die Steuerung der Fördermittel erfolgt dabei nach ten Hompel et al. (2018, S. 113 ff.) durch ein Lagerverwaltungssystem, welches die Informationen zu den Lageraufträgen beispielsweise von einem übergeordneten ERP-System erhält. Besteht das Lagersortiment nicht aus Großladungsträgern wie Paletten oder Gitterboxen, sondern aus Kleinladungsträgern wie Behältern oder Schachteln, so können alternativ auch Behälterregale als Lagermittel eingesetzt werden. Ein derartiges Lagersystem wird nach Martin (2014, S. 416) als automatisches Kleinteilelager (AKL) bezeichnet. Abgesehen von den unterschiedlichen Lagermitteln ähneln Aufbau und Prozessabläufe in AKL weitestgehend denen in automatisierten HRL. Der typische Aufbau eines automatisierten HRL ist in Abbildung 2.1 schematisch dargestellt. Die Lagergassen sind i. d. R. parallel angeordnet und in jeder Lagergasse befindet sich genau ein RBG, welches die Ein- und Auslageraufträge (E/AA) in den Regalwänden zu beiden Seiten ausführt. Bei der dargestellten Lagerkonfiguration erfolgt die Übergabe der Lagereinheiten an das vor- bzw. nachgelagerte Fördersystem am Eingang jeder Lagergasse. An dieser Position, die als Übergabepunkt für Ein- und Auslageraufträge (E/A-Punkt) bezeichnet wird, werden einerseits die einzulagernden Lagereinheiten für das RBG bereitgestellt und andererseits die vom RBG ausgelagerten Lagereinheiten übergeben. Darüber hinaus existieren auch andere Konfigurationsvarianten, die von diesem typischen Aufbau abweichen. So können beispielsweise der Übergabepunkt für Einlager-

10

Kapitel 2 Grundlagen der Leistungsanalyse automatisierter Lagersysteme

aufträge (E-Punkt) und der Übergabepunkt für Auslageraufträge (A-Punkt) räumlich getrennt im Lagersystem positioniert sein, vgl. Martin (2014, S. 435). Außerdem gibt es neben den gassengebundenen RBG auch umsetzende und kurvengängige RBG, die zwischen den einzelnen Lagergassen wechseln können, vgl. Martin (2014, S. 389 ff.).

2.1.2 Shuttle-Systeme In Einheitenlagern werden nach ten Hompel et al. (2018, S. 79 f.) neben automatisierten HRL und AKL inzwischen auch vermehrt Shuttle-Systeme3 eingesetzt. Hierbei handelt es sich um eine alternative Technologie für den Betrieb von Regallagern4 . Das charakteristische Merkmal von Shuttle-Systemen besteht darin, dass sich der Förderprozess für die Ausführung eines Lagerauftrags aus zwei sequentiellen Teilprozessen, in horizontaler und vertikaler Richtung, zusammensetzt. Die vertikale Förderung erfolgt über einen oder mehrere Lifte und die horizontale über sog. automatische Verteilfahrzeuge (AVF). Die AVF, die auch als Shuttle bezeichnet werden, befördern die Lagereinheiten in den einzelnen Regalebenen autonom auf Schienen, wobei es sowohl für Groß- als auch für Kleinladungsträger entsprechende technische Ausführungen gibt, vgl. ten Hompel et al. (2018, S. 226). Exemplarisch ist in Abbildung 2.2 eine mögliche Konfiguration eines Shuttle-Systems bestehend aus einem Lift und mehreren AVF dargestellt. Eine Einlagerung läuft in diesem Lagersystem wie folgt ab. Ein AVF nimmt am E-Punkt, der sich i. d. R. auf der untersten Regalebene befindet, die einzulagernde Lagereinheit auf. Anschließend wird das beladene AVF über den Lift in die vorgesehene Regalebene befördert. Dort lagert das AVF die Lagereinheit autonom in den gewählten Lagerplatz ein. Der Ablauf von Auslagerungen erfolgt auf analoge Weise, jedoch in umgekehrter Reihenfolge mit der Auslagerung einer Lagereinheit in einer Regalebene startend. Für Shuttle-Systeme gibt es verschiedene Konfigurationsvarianten, die sich hinsichtlich des Bewegungsradius der AVF voneinander unterscheiden, vgl. Epp (2017, S. 9 ff.). Eine Kategorisierung dieser Varianten kann über

3

4

Die Bezeichnungen für diese Art von Lagersystem sind in der englischsprachigen Literatur nicht einheitlich, vgl. Epp (2017, S. 9 ff.). In der vorliegenden Arbeit werden daher unter dem Begriff „ShuttleSystem“ sowohl automated vehicle storage and retrieval systems (AVS/RS) als auch shuttle-based storage and retrieval systems (SBS/RS) zusammengefasst. Neben den in diesem Abschnitt betrachteten Shuttle-Systemen mit Zeilenregallagerung existieren auch Shuttle-Systeme mit Blockregallagerung, in denen die Lagereinheiten mehrfachtief in sog. Lagerkanälen eingelagert werden, vgl. z. B. ten Hompel et al. (2018, S. 74 ff.). Für die Beförderung der Lagereinheiten werden in diesen Lagersystemen sog. Kanalfahrzeuge eingesetzt.

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2.1 Arten automatisierter Lagersysteme Bedienkorridor

Lift

Lagerregal

Regalebene

AVF 

E/A

Abbildung 2.2: Shuttle-System mit ebenenwechselnden AVF (Quelle: in Anlehnung an Roy et al. 2014) zwei Teilbereiche erfolgen. Das erste Unterscheidungsmerkmal ist der Bewegungsradius der AVF innerhalb einer Regalebene5 . • Korridorgebundene AVF (Abbildung 2.3a) Die AVF können nicht zwischen den Bedienkorridoren einer Regalebene wechseln. Bei dieser Konfiguration wird für jede Lagergasse ein separater Lift benötigt. • Korridorwechselnde AVF (Abbildung 2.3b) Jede Regalebene ist mit einem Quergang ausgestattet, über den die AVF zwischen den Bedienkorridoren wechseln können. Das zweite Unterscheidungskriterium bezieht sich auf die Wechselmöglichkeit der AVF zwischen den Regalebenen6 . Die verschiedenen Ausprägungen sind dabei sowohl in Verbindung mit korridorgebundenen als auch -wechselnden AVF möglich. • Ebenengebundene AVF Die AVF bewegen sich nur innerhalb einer dedizierten Regalebene. Vertikal werden hierbei ausschließlich die Lagereinheiten befördert, weshalb in den einzelnen Regalebenen Pufferplätze für die Übergabe der Lagereinheiten zwischen Lift und AVF benötigt werden, siehe Abbildung 2.3a.

5

In der englischsprachigen Literatur werden diese Konfigurationsvarianten mit aisle-captive (korridorgebunden) bzw. aisle-to-aisle (korridorwechselnd) bezeichnet.

6

Die englischen Bezeichnungen der Ausprägungen dieses Unterscheidungskriteriums lauten tier-captive (ebenengebunden) und tier-to-tier (ebenenwechselnd).

12

Kapitel 2 Grundlagen der Leistungsanalyse automatisierter Lagersysteme

Lagerregal

Bedienkorridor

AVF

Lagerregal

Bedienkorridor

AVF

Ausgangspuffer

Eingangspuffer Lift Lift (a) Korridorgebundene AVF

Quergang

(b) Korridorwechselnde AVF

Abbildung 2.3: Konfigurationsvarianten innerhalb einer Regalebene eines Shuttle-Systems (Quelle: in Anlehnung an Marchet et al. 2012 und Roy et al. 2014) • Ebenenwechselnde AVF Eine Lagereinheit wird während des gesamten Förderprozesses auf einem AVF transportiert, sodass in vertikaler Richtung beladene und unbeladene AVF befördert werden, siehe Abbildung 2.2. Shuttle-Systeme mit ebenenwechselnden AVF eignen sich nach Ekren et al. (2010) besser für das Fördern von Paletten. Umgekehrt werden solche mit ebenengebundenen AVF v. a. für Kleinladungsträger eingesetzt, vgl. Marchet et al. (2012). Im Allgemeinen erzielen automatisierte HRL nach Ekren (2011) aufgrund des simultanen Bewegungsablaufs der RBG eine höhere Effizienz als Shuttle-Systeme. Andererseits besteht ein wesentlicher Vorteil von Shuttle-Systemen gegenüber automatisierten HRL in ihrer Flexibilität. Durch Änderung der Anzahl eingesetzter AVF können diese Lagersysteme mit vergleichsweise geringem Aufwand an variierende Durchsatzanforderungen angepasst werden.

2.2 Technische Konfiguration Die Neukonzeption eines Lagersystems beginnt mit der grundlegenden Entscheidung für eine Lagerart, die im Wesentlichen auf das Lagersortiment abzustimmen ist. Im Folgenden wird davon ausgegangen, dass diese Wahl auf eine der Lagerarten aus dem vori-

2.2 Technische Konfiguration

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gen Abschnitt gefallen ist. Für das gewählte Lagersystem sind anschließend zahlreiche Designentscheidungen hinsichtlich der technischen Auslegung zu treffen. Hierbei müssen vorgegebene Leistungsanforderungen berücksichtigt werden, auf die in Abschnitt 2.4 noch näher eingegangen wird. An dieser Stelle werden zunächst angelehnt an Roodbergen und Vis (2009) die möglichen Designparameter aufgezeigt. Den ersten Schritt der technischen Konfiguration stellt die Lagerdimensionierung dar. In dieser Planungsphase wird die benötigte Lagerkapazität bestimmt, wobei ein (ggf. prognostizierter) stochastischer Bestandsverlauf des gesamten Lagersortiments zugrunde gelegt werden sollte, vgl. Arnold und Furmans (2009, S. 176 ff.). Daran schließt sich die Layoutplanung an, im Rahmen derer die Komponenten des Lagersystems geeignet ausgelegt und angeordnet werden. Einerseits werden dabei auf Grundlage der benötigten Lagerkapazität die Anzahl sowie die Abmessungen folgender Komponenten festgelegt. • Anzahl und Länge der Lagergassen und Quergänge • Höhe der Lagerregale • Abmessungen der Lagerplätze (standardisiert oder verschiedene Größen) • Anzahl der Übergabepunkte für die E/AA • Pufferkapazität an den Übergabepunkten Andererseits sind alle Komponenten des Lagersystems innerhalb der Lagerhalle geeignet anzuordnen. Diese Layoutentscheidungen betreffen v. a. die folgenden Aspekte. • Anordnungsmuster der Lagergassen und Quergänge Für automatisierte Lagersysteme ist eine rechtwinklige Anordnung der Gänge üblich. In manuell bewirtschafteten Lagersystemen werden jedoch auch andere Anordnungsmuster, wie z. B. das Fischgräten- oder das „Flying-V“-Layout, eingesetzt, vgl. Dukic und Opetuk (2012, S. 55 ff.). • Lage der Übergabepunkte Neben der Festlegung der konkreten Positionen ist außerdem zu entscheiden, ob die Übergabe der Lagereinheiten für die E/AA an kombinierten E/A-Punkten erfolgt oder ob die Übergabepunkte für Einlageraufträge (EA) und für Auslageraufträge (AA) getrennt positioniert werden. Schließlich sind unter Berücksichtigung der benötigten Durchsatzleistung außerdem noch folgende Aspekte hinsichtlich der Konfiguration des Fördersystems festzulegen.

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Kapitel 2 Grundlagen der Leistungsanalyse automatisierter Lagersysteme • Art und Anzahl der Fördermittel Eine umfassende Übersicht zu verschiedenen Arten von Unstetigförderern7 , insbesondere RBG, findet sich z. B. bei ten Hompel et al. (2018, S. 161 ff.). • Bewegungsradius der Fördermittel Bei automatisierten HRL ist zu entscheiden, ob kurvengängige oder gassengebundene RBG eingesetzt werden. In Shuttle-Systemen kann für die AVF zwischen den Konfigurationsalternativen aus Abschnitt 2.1.2 gewählt werden.

Weiterführende Literatur zur Konfigurationsplanung von Lagersystemen, insbesondere zu Optimierungsansätzen für die Designentscheidungen, findet sich in den Übersichtsarbeiten von Rouwenhorst et al. (2000), Roodbergen und Vis (2009) und Gu et al. (2010). In diesen Arbeiten wird auch hervorgehoben, dass bei der Planung eines Lagersystems Wechselwirkungen zwischen dessen technischer Konfiguration und den darin anzuwendenden Lagerbetriebsstrategien zu berücksichtigen sind. Da ein Schwerpunkt der vorliegenden Forschungsarbeit auf der Einbeziehung von Lagerbetriebsstrategien in die Leistungsanalyse liegt, werden die verschiedenen Strategiearten sowie deren Ausprägungen im folgenden Abschnitt detailliert eingeführt.

2.3 Lagerbetriebsstrategien Die Leistungsfähigkeit eines Lagersystems hängt neben dessen technischer Konfiguration auch davon ab, wie der Betrieb des Lagersystems organisiert ist, vgl. Lippolt (2003, S. 33). Für eine effiziente Steuerung des Ein-/Auslagerprozesses (E/A-Prozess) werden verschiedene Lagerbetriebsstrategien eingesetzt. Vergleichsweise grob unterteilt Gudehus (2010, S. 598) diese Strategien in Belegungs- und Bewegungsstrategien. Angelehnt an die Klassifikationen von Lippolt (2003, S. 33 ff.) und Kraul (2010, S. 39 ff.) wird in der vorliegenden Arbeit eine feinere Untergliederung der Lagerbetriebsstrategien verwendet, siehe Abbildung 2.4. Die Wahl der Lagerplatzvergabestrategie (LPVS) wird dabei der taktischen Entscheidungsebene zugerechnet, vgl. Rouwenhorst et al. (2000). Gu et al. (2007) schreiben dieser Entscheidung sogar strategischen Charakter zu, da sie das Lagerdesign beeinflusst. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht ist die strategische Ebene allerdings Entscheidungen vorbehalten, die den langfristigen Erfolg eines Unternehmens maßgeblich beeinflussen. In diesem Sinne können Lagerbetriebsstrategien nicht als strategische 7

Fördermittel werden grundlegend unterteilt in Stetigförderer (z. B. Rollenbahn) und Unstetigförderer (z. B. AVF oder RBG), die sich durch einen kontinuierlichen bzw. unterbrochenen Fördergutstrom voneinander unterscheiden, vgl. ten Hompel et al. (2018, S. 128 f.). In Lagersystemen werden üblicherweise die flexibleren Unstetigförderer eingesetzt.

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2.3 Lagerbetriebsstrategien

Lagerbetriebsstrategien

Taktische Ebene

Operative Ebene

Lagerplatzvergabestrategie Spielstrategie

Spielbildung Einlagerstrategie Auslagerstrategie Ruhepositionsstrategie

Abbildung 2.4: Arten von Lagerbetriebsstrategien (Quelle: in Anlehnung an Kraul 2010, S. 40) Entscheidungen aufgefasst werden. Da von der Wahl der Spielstrategie abhängt, welche Fördermittel im Lagersystem eingesetzt werden, handelt es sich dabei ebenfalls um eine taktische Entscheidung. Die übrigen Lagerbetriebsstrategien betreffen hingegen die operative Ebene der Lagerbewirtschaftung. Der Vollständigkeit halber sei angemerkt, dass die Freiheitsgrade bei Anwendung der Lagerbetriebsstrategien durch exogen vorgegebene Restriktionen beschränkt sein können. Nach ten Hompel und Schmidt (2008, S. 31) sind das einerseits technische Anforderungen, wie z. B. • die Einhaltung vorgegebener Lastbeschränkungen der Lagerregale oder • das Volumen der einzelnen Lagerfächer, sowie andererseits sicherheitstechnische und rechtliche Vorgaben, wie beispielsweise • Zusammenlagerungsverbote bei Gefahrgütern oder • Regelungen für die Lagerung von Lebensmitteln. Diese Vorgaben können die Auswahlmöglichkeiten für die Lagerplatzwahl bei Einlagerungen beschränken. Im Folgenden wird angenommen, dass Lagertechnik und -sortiment so aufeinander abgestimmt sind, dass derartige Restriktionen zu keinen Einschränkungen bei der Lagerplatzwahl führen. In den nachfolgenden Unterabschnitten werden die in Abbildung 2.4 genannten Strategiearten jeweils kurz eingeführt. Für einen umfassenden Literaturüberblick zu Lagerbetriebsstrategien für automatisierte Lagersysteme sei z. B. auf Vasili et al. (2012, S. 168 ff.) verwiesen. Im weiteren Verlauf wird davon ausgegangen, dass im betrachteten Lagersystem verschiedene Artikel eingelagert werden und dass von jedem Artikel mehrere,

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Kapitel 2 Grundlagen der Leistungsanalyse automatisierter Lagersysteme

identische Lagereinheiten, z. B. Paletten, Gitterboxen, Kleinladungsträger oder Einzelpackungen, vorhanden sein können. In der englischsprachigen Literatur wird dieses Verhältnis von Lagereinheiten je Artikel als Location-to-product ratio (LTPR) bezeichnet, vgl. Gagliardi et al. (2012a). Die weiteren Betrachtungen beziehen sich also auf den allgemeinen Fall LTPR > 1.

2.3.1 Lagerplatzvergabestrategien Über eine Lagerplatzvergabestrategie (LPVS) wird die Zuordnung von Artikeln zu Lagerplätzen festgelegt. Grundlegend wird zwischen den folgenden Arten der Lagerplatzvergabe (LPV) unterschieden, vgl. z. B. Martin (2014, S. 342). • Freie oder chaotische LPV Jede Lagereinheit kann in jeden beliebigen Lagerplatz eingelagert werden. • Feste LPV Jedem Artikel wird ein bestimmter Bereich von Lagerplätzen fest zugewiesen. • Zonierung Die Lagerplätze werden in verschiedene Zonen unterteilt. Innerhalb der einzelnen Zonen gilt freie LPV, sodass diese Strategie auch als freie LPV innerhalb fester Bereiche angesehen werden kann. Ausgangspunkt für die Zonenbildung sind üblicherweise die Fahrtzeiten zu den Lagerplätzen, alternativ auch die Energiebedarfe der Fördermittel zum Anfahren der Lagerplätze, vgl. Meneghetti und Monti (2014). Die Zuordnung der Artikel zu den Zonen erfolgt auf der Grundlage geeigneter Kriterien. Zumeist wird dafür die Umschlagshäufigkeit oder die Ein-/Auslagerrate (E/A-Rate)8 der Artikel (ten Hompel et al. 2018, S. 111) herangezogen, seltener auch die Verweildauer9 der Lagereinheiten (Goetschalckx und Ratliff 1990). Die Zonierung reserviert also z. B. Lagerplätze mit kurzen Fahrtzeiten für Artikel, die häufig ein- und ausgelagert werden. Der Vorteil von freier gegenüber fester LPV besteht in einer niedrigeren benötigten Gesamtlagerkapazität. Bei freier LPV kann jeder Lagerplatz im Zeitverlauf von verschiedenen Artikeln belegt werden, wodurch sich die Variabilitäten in den Artikelbeständen 8

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Die E/A-Rate ist die Anzahl von Ein- und Auslagerungen eines Artikels pro Zeiteinheit. Diese Kenngröße wird teilweise auch als „Zugriffshäufigkeit“ bezeichnet, wobei sich dieser Begriff jedoch meist nur auf Auslagerungen und nicht auf beide Lagerauftragsarten bezieht. Für die hier verwendete Bezeichnung „Verweildauer“, die sich an die Nomenklatur der Warteschlangentheorie anlehnt, sind im Kontext der Lagerhaltung auch die Begriffe „Liegezeit“ und „Lagerdauer“ gebräuchlich. Nach Littles Gesetz entspricht die erwartete Verweildauer dem Quotienten aus dem erwarteten Bestand und der E/A-Rate, vgl. Abschnitt 2.5.2.

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2.3 Lagerbetriebsstrategien

Leerfahrt Lastfahrt Lagerplatz frei Lagerplatz belegt E/A (a) Einlager-Einzelspiel

E/A (b) Doppelspiel

Abbildung 2.5: Abläufe von Einzel- und Doppelspielen (Quelle: in Anlehnung an Kraul 2010, S. 9 sowie Arnold und Furmans 2009, S. 200) gegenseitig ausgleichen können, vgl. Goetschalckx und Ratliff (1990). Sind nähere Informationen zum Lagerverhalten der Artikel oder sogar der einzelnen Lagereinheiten bekannt, so kann durch geeignete Zonierung die Leistungsfähigkeit des Lagersystems gesteigert werden, vgl. Gu et al. (2007).

2.3.2 Spielstrategien Den Kernbereich der operativen Tätigkeiten in Lagersystemen bildet das Ein- und Auslagern von Lagereinheiten. Die zugehörigen Arbeitsgänge der Unstetigförderer10 werden als Arbeitsspiele oder Lagerspiele bezeichnet, vgl. Lippolt (2003, S. 39 f.). Die Förderkapazität der Fördermitteltypen, die am häufigsten in automatisierten Lagersystemen eingesetzt werden, ist sowohl bei RBG als auch bei AVF auf eine Lagereinheit beschränkt. In diesem Fall sind Einzelspiele oder kombinierte Spiele, sog. Doppelspiele, möglich. Beim Einzelspiel führt das Fördermittel nur genau einen Lagerauftrag aus, d. h. entweder einen EA oder einen AA. Somit besteht jedes Einzelspiel aus einer Lastfahrt und einer Leerfahrt. Diese Spielstrategie ist beispielsweise sinnvoll, wenn zu bestimmten Tageszeiten die Auslagerleistung maximiert werden soll. Um den Leerfahrtanteil zu reduzieren, wird bei Doppelspielen zunächst ein EA und direkt im Anschluss ohne Rückkehr zu einem Übergabepunkt ein AA ausgeführt. Abbildung 2.5 veranschaulicht die Abläufe von Einzel- und Doppelspielen in einer Regalwand11 mit einem kombinierten E/A-Punkt. Im Vergleich zum Einlager-Einzelspiel ändert sich beim nicht abgebildeten Auslager-Einzelspiel lediglich die Reihenfolge von Last- und Leerfahrt. In automatisierten HRL werden diese beiden Spielstrategien häufig so miteinander kombiniert, dass Doppelspiele gebildet werden, wenn sowohl EA als auch AA auszuführen sind, und andernfalls Einzelspiele, vgl. 10

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Da in automatisierten Lagersystemen Unstetigförderer eingesetzt werden, bezieht sich der Oberbegriff „Fördermittel“ im weiteren Verlauf stets auf diese Art von Fördermittel. Die Abbildung soll lediglich die reinen Abläufe der beiden Spielstrategien verdeutlichen. Der Übersichtlichkeit halber ist deshalb nur eine Regalwand dargestellt. Außerdem können die tatsächlichen Förderbewegungen von den eingezeichneten Pfeilen abweichen.

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Kapitel 2 Grundlagen der Leistungsanalyse automatisierter Lagersysteme

z. B. Eben-Chaime und Pliskin (1996). Der Einfluss von Doppelspielen auf die Leistungsfähigkeit eines Lagersystems ist nach Auswertungen von Zhang et al. (2009) in ShuttleSystemen geringer als in automatisierten HRL. Aufgrund der getrennten horizontalen und vertikalen Förderprozesse führt diese Spielstrategie in Shuttle-Systemen im Wesentlichen nur zu Fahrtzeiteinsparungen in vertikaler Richtung, denn Kombinationen von EA und AA innerhalb einer Regalebene kommen vergleichsweise selten vor. Fördermittel mit Mehrfachlastaufnahme haben eine größere Förderkapazität und ermöglichen somit auch die Bildung sog. Mehrfachspiele, vgl. z. B. Meller und Mungwattana (1997). Diese Spielstrategie zeichnet sich dadurch aus, dass in einem Arbeitsspiel des Fördermittels mehr als zwei Lageraufträge ausgeführt werden können. Bei Doppel- oder Mehrfachspielen besteht weiteres Optimierungspotential durch eine geeignete Auswahl der gemeinsam auszuführenden Lageraufträge, welche Gegenstand der nachfolgend beschriebenen, operativen Spielbildung ist.

2.3.3 Spielbildung Im Rahmen der Spielbildung wird die Bearbeitungsreihenfolge auszuführender, d. h. wartender, E/AA festgelegt. Eine häufig eingesetzte Strategie, bei der die Lageraufträge in der Reihenfolge ihrer Ankünfte ausgeführt werden, ist First Come-First Served (FCFS). Ist die Ausführung der Lageraufträge zeitlich terminiert, z. B. durch fest vorgegebene Liefertermine oder Bereitstellungszeitpunkte an einer Produktionsanlage, so schlagen Elsayed und Lee (1996) vor, die Lageraufträge sortiert nach nichtfallenden Fälligkeitsterminen12 zu bearbeiten. Werden in einem Arbeitsspiel des Fördermittels mehrere Lageraufträge gemeinsam ausgeführt, vgl. Doppel- und Mehrfachspiele in Abschnitt 2.3.2, so lässt sich die Leistungsfähigkeit des Lagersystems durch geeignete Gruppierung von Lageraufträgen zu Lagerspielen erhöhen. Typische Strategien zur Bildung von Doppelspielen kombinieren einen EA und einen AA, deren zugehörige Lagerplätze möglichst nahe zusammen liegen. Dies führt zu verschiedenen Strategievarianten, die im Wesentlichen auf dem Prinzip „nächster Nachbar“ basieren, vgl. z. B. Han et al. (1987) oder Lee und Schaefer (1996). Diese statischen Strategien bilden die Grundlage für dynamische Algorithmen, die bei Ankunft eines neuen Lagerauftrags eine Neuplanung der Reihenfolge vornehmen. Eine umfassende Übersicht zu verschiedenen Spielbildungsstrategien für diverse Lagerarten, insbesondere für automatisierte HRL, findet sich z. B. bei Gu et al. (2007) oder Roodbergen und Vis (2009).

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Die zugehörige Strategie wird als EDD-Regel (earliest due date) bezeichnet.

2.3 Lagerbetriebsstrategien

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Für Mehrfachspiele gestaltet sich die Spielbildung deutlich schwieriger. Die zugehörigen Planungsprobleme ähneln denen in Kommissioniersystemen, für die sich bei de Koster et al. (2007) ein umfassender Literaturüberblick findet. Der Unterschied besteht im Wesentlichen darin, dass der Fokus bei Kommissionierung auf Auslagerungen liegt, wohingegen bei Mehrfachspielen EA und AA kombiniert durchgeführt werden. Für Mehrfachspiele müssen einerseits die gemeinsam auszuführenden Lageraufträge ausgewählt werden. Dieses Planungsproblem ist verwandt mit dem Problem der Bildung von Auftragsgruppen13 im Kommissionierprozess und entspricht einer lagerspezifischen Variante des ClusteringProblems der Tourenplanung. Andererseits muss die Reihenfolge innerhalb des Mehrfachspiels festgelegt werden. Dieses Planungsproblem kommt der Bildung von Kommissioniertouren gleich und ist folglich ein lagerspezifisches Handlungsreisendenproblem, vgl. Gu et al. (2007). In der Literatur existieren für den Bereich der Kommissionierung zahlreiche Strategien zur heuristischen Lösung dieses operativen Planungsproblems, wie z. B. die Schleifen-, die Stichgang- oder die Streifenstrategie, vgl. z. B. de Koster et al. (2007). Auf explizite Strategien für RBG mit Mehrfachlastaufnahmemitteln, wie z. B. die Streifenoder die Flip-Flop-Strategie, geht Kraul (2010, S. 52 ff.) in seinem Überblick ein. Bei der Spielbildung wird i. A. davon ausgegangen, dass die zu den Lageraufträgen gehörenden Lagerplätze vorab feststehen. Lediglich Daniels et al. (1998) entwickeln einen integrierten Ansatz zur simultanen Lagerplatzwahl und Reihenfolgebildung. Verschiedene Strategien für die Wahl der Lagerplätze werden im nächsten Abschnitt vorgestellt.

2.3.4 Einlager- und Auslagerstrategien Unter einer operativen Einlager- bzw. Auslagerstrategie wird die konkrete Zuweisung von Lagerplätzen zu auszuführenden EA bzw. AA verstanden. In der Literatur wird diese Strategieart allerdings häufig nicht klar von den taktischen LPVS aus Abschnitt 2.3.1 abgegrenzt. Dies ist z. B. in den Übersichtsarbeiten von de Koster et al. (2007), Roodbergen und Vis (2009), Vasili et al. (2012, S. 187) oder Reyes et al. (2019) der Fall. In der vorliegenden Arbeit lehnt sich das Verständnis dieser beiden Strategiearten hingegen an die Sichtweise von van den Berg (1999) an. Demnach gibt die LPVS den Rahmen für die Ein-/Auslagerstrategien (E/A-Strategien) vor, d. h., die LPVS legt lediglich fest, auf welche Teilmenge der Lagerplätze bei Ein- bzw. Auslagerungen eines Artikels überhaupt zugegriffen werden kann. Auch Manzini et al. (2006) unterscheiden explizit zwischen diesen beiden Strategiearten und beschreiben noch präziser, dass E/A-Strategien genau 13

In der englischsprachigen Literatur wird dieses Planungsproblem üblicherweise als order batching bezeichnet.

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Kapitel 2 Grundlagen der Leistungsanalyse automatisierter Lagersysteme

E/A-Strategien

Lagereinheit

Menge

Verweildauer

Lagerlayout

Zufall

Cluster

Fahrtzeit

Energie

Sonstige

Abbildung 2.6: Bezugsgrößen von E/A-Strategien dann Anwendung finden, wenn anhand der LPVS keine eindeutige Lagerplatzwahl getroffen werden kann. Eine Einlagerstrategie gibt also für eine anstehende Einlagerung vor, welcher freie Lagerplatz aus der Teilmenge der Lagerplätze, die gemäß LPVS für den zugehörigen Artikel zur Verfügung stehen, konkret gewählt werden soll. Beispielsweise sind bei freier LPV alle freien Lagerplätze verfügbar, bei Zonierung hingegen nur die freien Lagerplätze innerhalb der Zone des jeweiligen Artikels. Auslagerstrategien werden nur dann benötigt, wenn von einem Artikel mehrere Lagereinheiten eingelagert sind, d. h. bei LTPR > 1. In diesem Fall legt die Strategie fest, welche der eingelagerten Lagereinheiten konkret ausgelagert werden sollen. Im Rahmen einer umfangreichen Literaturrecherche konnte keine vollständige und strukturierte Übersicht über die verschiedenen E/A-Strategien ausfindig gemacht werden. Lediglich bei Large (2012, S. 171 f.) findet sich eine knappe Darstellung14 , die sich jedoch nur auf Einlagerstrategien bezieht und somit nicht vollständig ist. Im Folgenden wird ein Klassifikationsschema vorgeschlagen, welches aus den in der Literatur angewandten E/A-Strategien abgeleitet wurde. Die Grundlage für die in Abbildung 2.6 dargestellte Klassifikation bilden die Bezugsgrößen, die den E/A-Strategien jeweils zugrunde liegen. Die Auswahl der Lagerplätze erfolgt entweder zufällig, basierend auf Eigenschaften der Lagereinheiten oder unter Berücksichtigung des Lagerlayouts. Wie die Lagerplatzwahl in den verschiedenen E/A-Strategien im Einzelnen ausgestaltet ist, wird nun gegliedert nach den obigen Kategorien aufgezeigt. Bei zufallsbasierten E/A-Strategien werden die Lagerplätze für Ein- bzw. Auslagerungen zufällig unter allen möglichen Lagerplätzen ausgewählt. Für diese Strategie finden sich in der deutschsprachigen Literatur verschiedene Bezeichnungen. So nennt Glass (2008, S. 25) sie beispielsweise Gleichverteilungsstrategie und Schumann (2008, S. 81) 14

Large (2012, S. 171 f.) bezeichnet die Strategien dabei als „Regeln der Zuordnung“.

2.3 Lagerbetriebsstrategien

21

Strategie „Beliebig“. In Anlehnung an die weitestgehend einheitliche Begriffsbildung in der englischsprachigen Literatur wird diese Strategie im Folgenden als Pure Random Storage (PRS)15 bezeichnet, vgl. z. B. Fukunari und Malmborg (2008b). Sie kann dabei entweder in Kombination mit anderen Strategien als separate Einlager- bzw. Auslagerstrategie eingesetzt werden oder direkt als kombinierte E/A-Strategie für beide Auftragsarten. Die Strategie PRS wird in der Literatur sehr häufig zugrunde gelegt. Das liegt v. a. an ihrer einfachen Handhabbarkeit im Zusammenhang mit analytischen Berechnungen. Wie auch Glass (2008, S. 39) feststellt, wird unter freier LPV, vgl. Abschnitt 2.3.1, teilweise direkt PRS subsumiert, obwohl andere E/A-Strategien gleichermaßen mit dieser LPVS kombiniert werden können. Häufig geht PRS auch nur implizit aus der Annahme hervor, dass alle Lagerplätze mit gleicher Wahrscheinlichkeit ausgewählt werden. Die zweite Kategorie umfasst die lagereinheitenbasierten E/A-Strategien. Die Lagerplatzwahl richtet sich hierbei nach der Menge oder der Verweildauer bzw. vergleichbaren Eigenschaften der Lagereinheiten; teilweise werden auch Eigenschaften der übergeordneten Artikel herangezogen. Bei Teilauslagerungen von Lagereinheiten, z. B. einzelner Kartons von einer Palette, können die mengenbasierten Auslagerstrategien Mengenanpassung und Restmengenbevorzugung eingesetzt werden, vgl. ten Hompel et al. (2018, S. 110). Bei der Mengenanpassung werden die auszulagernden Lagereinheiten so ausgewählt, dass für die gesamte Auslagermenge möglichst wenige Aus- und Rücklagerungsvorgänge erforderlich sind. Gemäß der Strategie Restmengenbevorzugung wird hingegen immer die Lagereinheit mit der geringsten Restmenge zuerst ausgelagert. Häufiger als die mengenbasierten finden hingegen die verweildauerbasierten Auslagerstrategien First In-First Out (FIFO) und Last In-First Out (LIFO)16 Anwendung. Unter allen Lagereinheiten eines Artikels wird nach diesen Strategien diejenige ausgelagert, die zum Zeitpunkt der Auslagerung die längste bzw. die kürzeste bisherige Verweildauer im Lager besitzt, vgl. ten Hompel und Schmidt (2008, S. 33). FIFO17 beugt somit einer Überalterung der Bestände vor. Die Anwendung von LIFO ist hingegen meist technisch bedingt. Dadurch sollen Umlagerungen vermieden werden, wenn z. B. in einem Lagerkanal18 nur auf die vor15 16

17

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Sinngemäß übersetzt bedeutet diese Bezeichnung rein zufällige LPV. Inhaltlich bedeuten diese beiden Bezeichnungen, dass die zuerst (first) bzw. zuletzt (last) eingelagerte Lagereinheit als erste ausgelagert wird. Die Auslagerstrategie FIFO und die Spielbildungsstrategie FCFS führen zu den gleichen Entscheidungen, denn nach beiden Strategien erfolgen Abgänge in der Reihenfolge der Ankünfte. Lediglich die konkrete Bezugsgröße variiert zwischen den beiden Strategien. Während sich FIFO explizit auf die Lagerung bezieht, handelt es sich bei FCFS um eine Bearbeitungsreihenfolge bzw. Warteschlangendisziplin. Zur begrifflichen Abgrenzung wird deshalb im Folgenden zwischen diesen beiden Bezeichnungen unterschieden. Lagerkanäle treten bei mehrfachtiefer Lagerung auf und bestehen aus mehreren, hintereinanderliegenden Lagerplätzen. Von der Lagergasse bzw. vom Bedienkorridor kann das Fördermittel immer nur auf die vorderste Lagereinheit im Lagerkanal direkt zugreifen, vgl. z. B. ten Hompel et al. (2018, S. 72 ff.).

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Kapitel 2 Grundlagen der Leistungsanalyse automatisierter Lagersysteme

derste Lagereinheit direkt zugegriffen werden kann. Während zum Zeitpunkt einer Auslagerung die bisherigen Verweildauern der Lagereinheiten feststehen, sind zum Zeitpunkt einer Einlagerung die für die Lagerplatzwahl maßgeblichen zukünftigen Verweildauern i. d. R. nicht bekannt. Für entsprechende Einlagerstrategien müssen die Verweildauern also a priori geschätzt werden. Hierfür existieren in der Literatur die folgenden Ansätze, die auch als Übertragung der taktischen LPVS Zonierung aus Abschnitt 2.3.1 auf die operative Ebene interpretiert werden können. • Dynamische Zonierung (DYN) nach Glass (2008, S. 57 ff.) Der Strategie DYN liegt die Idee zugrunde, die Verweildauerverteilung der Lagereinheiten auf die Fahrtzeitverteilung der Lagerplätze abzubilden. Auf diese Weise sollen Lagereinheiten mit kurzen Verweildauern möglichst in Lagerplätze mit kurzen Fahrtzeiten eingelagert werden und umgekehrt. Dazu müssen sowohl die Verweildauern einzulagernder Lagereinheiten als auch die Verweildauerverteilung des gesamten Lagerbestands geschätzt werden. Die dafür notwendige Prognose der Auslagerzeitpunkte der einzelnen Lagereinheiten ist durch Kombination mit der Auslagerstrategie FIFO19 möglich. Die Lagerplatzwahl nach DYN gestaltet sich sodann wie folgt. Die Verweildauer der einzulagernden Lagereinheit wird prognostiziert und das zugehörige Quantil der Verweildauerverteilung bestimmt. Der zu wählende Lagerplatz ergibt sich schließlich durch Multiplikation des Quantils mit der Lagerkapazität, wobei davon ausgegangen wird, dass die Lagerplätze nach nichtfallenden Fahrtzeiten sortiert sind. Ist der resultierende Lagerplatz belegt, so wird als Alternative der nächstgelegene freie Lagerplatz ermittelt. Eine Weiterentwicklung von DYN, mit der bei nahezu gleichbleibender Leistungsfähigkeit zusätzlich die Energieeffizienz erhöht werden kann, findet sich bei Sommer und Wehking (2013). • Prognosebasiertes Reservierungsverfahren (PRV) nach Piepenburg (2016, S. 89 ff.) Das PRV verfolgt das Ziel, fahrtzeitgünstige Lagerplätze möglichst bald wieder für zukünftige EA zur Verfügung zu stellen. Dafür wird bei Einlagerung einer Lagereinheit prognostiziert, wie viele Lagereinheiten zu einem späteren Zeitpunkt eingelagert werden, die gleichzeitig auch wieder vor der aktuellen Lagereinheit ausgelagert werden. Für diese schnelldrehenden Lagereinheiten reserviert das PRV sodann die fahrtzeitgünstigsten freien Lagerplätze. Die aktuelle Lagereinheit wird schließlich in den Lagerplatz eingelagert, der unter allen freien und nicht reservierten Lagerplätzen die minimale Fahrtzeit aufweist. Neben diesen Einlagerstrategien, die auf den Verweildauern einzelner Lagereinheiten beruhen, findet sich v. a. in frühen Publikationen auch eine umschlagsbasierte Einlagerstra19

Die Bezeichnung DYN impliziert daher im Folgenden auch stets die Auslagerstrategie FIFO.

2.3 Lagerbetriebsstrategien

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tegie, die auf der Artikelebene ansetzt, vgl. Kim und Seidmann (1990). Als zugehörige Kenngröße wird v. a. die E/A-Rate20 der Artikel herangezogen, die folglich wiederum a priori bekannt sein oder geschätzt werden muss. Ähnlich wie bei den vorangegangenen Strategien besteht das Ziel darin, Lagereinheiten von Artikeln mit hoher E/A-Rate in fahrtzeitgünstige Lagerplätze einzulagern. Die artikelbezogenen E/A-Raten als Bezugsgröße für Einlagerstrategien heranzuziehen, ist jedoch vergleichsweise selten. Diese Kenngröße dient hingegen häufiger als Kriterium für die Zonenbildung oder bei fester LPV für die Zuordnung von Lagerplätzen zu Artikeln, vgl. Roodbergen und Vis (2009). Das ist auch insofern plausibel, als es sich bei den LPVS um taktische Entscheidungen auf Ebene der Artikel handelt, siehe hierzu auch Abschnitt 2.3.1, wohingegen operative E/A-Strategien für jede Lagereinheit einzeln angewendet werden. Dass sich diese Kombination in frühen Publikationen dennoch findet, erklärt sich dadurch, dass dort implizit LTPR = 1 angenommen und somit nicht zwischen Artikeln und Lagereinheiten unterschieden wurde. Ebenfalls auf Artikelebene setzen clusterbasierte E/A-Strategien an, die Abhängigkeiten zwischen den verschiedenen Artikeln bei der Lagerplatzwahl mitberücksichtigen. Diese Strategieart ist allerdings nur in Verbindung mit Doppel- oder Mehrfachspielen, siehe Abschnitt 2.3.2, sinnvoll einsetzbar und hängt eng mit der Spielbildung aus Abschnitt 2.3.3 zusammen. Eine derartige Einlagerstrategie ist das sog. Clustering, vgl. ten Hompel und Schmidt (2008, S. 32). Hierbei werden Artikel, die häufig gemeinsam ausgelagert werden, zu Gruppen zusammengefasst. Für die Einlagerung einer Lagereinheit wird dann ein Lagerplatz möglichst nahe an einer anderen Lagereinheit aus dessen Gruppe ausgewählt, um die Spielzeit zukünftiger Lagerspiele potentiell zu reduzieren. Dem Clustering kommt vor allem in Kommissioniersystemen eine besondere Bedeutung zu. Pang und Chan (2017) analysieren für die Lagerplatzwahl beispielsweise das Bestellverhalten der Kunden, um Artikel zu identifizieren, die häufig gemeinsam bestellt werden. Schließlich gibt es noch layoutbezogene E/A-Strategien, die keine Eigenschaften der Lagereinheiten oder Artikel einbeziehen, sondern die Lagerplatzwahl lediglich basierend auf layoutspezifischen Kriterien treffen. Mit der Einlagerstrategie Querverteilung 21 werden die Lagereinheiten eines Artikels über möglichst viele Lagergassen verteilt eingelagert, vgl. ten Hompel und Schmidt (2008, S. 32). In automatisierten HRL wird dadurch die Verfügbarkeit bei Ausfall eines RBG gesteigert. In Kommissioniersystemen soll eine 20

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In der Literatur findet alternativ auch der cube-per-order index (CPO-Index oder COI) Anwendung, vgl. z. B. Goetschalckx und Ratliff (1990). Diese Kenngröße setzt den Volumenbedarf eines Artikels ins Verhältnis zu dessen E/A-Rate. Teilweise wird die Querverteilung in der Literatur auch als LPVS angesehen, siehe z. B. ten Hompel et al. (2018, S. 110). Da sich diese Strategie jedoch auf die verteilte Einlagerung einzelner Lagereinheiten bezieht, handelt es sich eher um eine E/A-Strategie.

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Kapitel 2 Grundlagen der Leistungsanalyse automatisierter Lagersysteme

solche gestreute Einlagerung22 hingegen die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass gemeinsam auszulagernde Lagereinheiten möglichst nah beieinander liegen, vgl. Weidinger und Boysen (2018). Eine weitere E/A-Strategie ist die Gassenwechselminimierung. Hierbei werden die Lagerplätze so ausgewählt, dass das Fördermittel die Lagergasse möglichst selten wechseln muss, vgl. ten Hompel und Schmidt (2008, S. 33). Eine Unterkategorie der layoutbezogenen E/A-Strategien stellen die fahrtzeitbezogenen E/A-Strategien dar. Derartige Strategien verfolgen wie die verweildauer- und clusterbasierten E/A-Strategien das Ziel der Spielzeitreduzierung, greifen dafür jedoch lediglich auf die Fahrtzeit, z. B. zwischen dem E/A-Punkt und einem Lagerplatz, als Auswahlkriterium zurück. Im Vergleich zu den beiden anderen Strategiearten sind sie daher deutlich einfacher anzuwenden. Fahrtzeitbezogene Einlagerstrategien sind Closest Open Location (COL)23 und Lowest Tier First (LTF)24 . Bei COL wird für jede Einlagerung der freie Lagerplatz mit minimaler Fahrtzeit zum E-Punkt ausgewählt, vgl. Fukunari und Malmborg (2008b). Unter LTF wird die sukzessive Anwendung von COL auf die einzelnen Regalebenen verstanden, vgl. Rao und Wang (1991). Das heißt, zunächst wird in der ersten Regalebene gemäß der Strategie COL ein freier Lagerplatz gesucht, danach in der zweiten Regalebene usw. Sobald ein freier Lagerplatz gefunden wurde, wird dieser für die Einlagerung ausgewählt. Unter COL konzentrieren sich die Zugriffe folglich auf Lagerplätze nahe dem E-Punkt, bei LTF hingegen v. a. auf Lagerplätze in den unteren Regalebenen. Entgegen der Erwartung gilt dieses Resultat für die Zugriffe nicht notwendigerweise auch für die Belegung der Lagerplätze über die Zeit. Auf diese Differenzierung wird in Abschnitt 6.2.1 noch näher eingegangen. Eine fahrtzeitbezogene Auslagerstrategie ist die Strategie Shortest Processing Time (SPT)25 . Nach dieser Strategie wird für eine Auslagerung der Lagerplatz ausgewählt, der dem aktuellen Standort des Fördermittels am nächsten gelegen ist, vgl. Wang und Yih (1997). Darüber hinaus betrachtet Glass (2008, S. 47) die Kombination der fahrtzeitminimalen Auswahl für beide Auftragsarten, die er als Kürzeste-Fahrtzeit-Strategie (KFS) bezeichnet. Als Auswahlkriterium legt er dabei die Summe der Spielzeiten eines Einlager- sowie eines Auslager-Einzelspiels im jeweiligen Lagerplatz zugrunde. Anhand dieses Kriteriums werden die Lagerplätze schließlich sowohl für EA als auch für AA gewählt. Die Begriffsbildung für diese E/A-Strategie 22

Bezogen auf Kommissioniersysteme wird diese Einlagerstrategie in der englischsprachigen Literatur auch als scattered storage bezeichnet, vgl. Weidinger und Boysen (2018).

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In der deutschsprachigen Literatur ist die Begriffsbildung für diese Einlagerstrategie nicht einheitlich. So wird sie z. B. von Kraul (2010, S. 51) als „Lagerung nahe am E/A-Punkt“ oder von ten Hompel und Schmidt (2008, S. 32) als „kürzester Fahrweg“ bezeichnet. Sinngemäß übersetzt bedeutet diese Bezeichnung „unterste Regalebene zuerst“. Diese Bezeichnung bedeutet sinngemäß übersetzt kürzeste Fahrtzeit, wie sie in der deutschsprachigen Literatur z. B. auch von ten Hompel und Schmidt (2008, S. 33) verwendet wird. Gagliardi et al. (2012b) gebrauchen für diese Auslagerstrategie auch den Begriff Shortest Leg.

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2.3 Lagerbetriebsstrategien

25

ist in der Literatur jedoch nicht einheitlich, z. B. verwendet Lippolt (2003, S. 38) die Bezeichnung Nearest In-Nearest Out (NINO) und Schumann (2008, S. 81 f.) nennt sie Strategie „Vorderste“. Wie aus dem Klassifikationsschema für Zonierungsstrategien von Glass (2008, S. 46 ff.) hervorgeht, werden fahrtzeitbezogene E/A-Strategien neben freier LPV v. a. mit Zonierung kombiniert. Darüber hinaus können sie auch bei fester LPV angewendet werden, wenn einem Artikel mehrere Lagerplätze zugewiesen sind. Prinzipiell sind fahrtzeitbezogene E/A-Strategien vergleichsweise einfach umzusetzen, was für deren Einsatz in der Praxis spricht. Insbesondere sind detaillierte Informationen zum Lagerverhalten der Artikel bzw. Lagereinheiten, die für die anderen E/A-Strategien benötigt werden, oft auch nicht bekannt. Alle vorab genannten Strategien beziehen sich im Wesentlichen auf Einzelspiele. Darüber hinaus existieren auch fahrtzeitbezogene E/A-Strategien für Doppel- oder Mehrfachspiele. Unter der Annahme, dass die Artikelzusammensetzung des betrachteten Lagerspiels bereits aus der vorgelagerten Spielbildung bekannt ist, erfolgt die Lagerplatzwahl bei diesen Strategien unter Berücksichtigung der resultierenden Spielzeit. Bei Doppelspielen wird demnach z. B. für den EA der freie Lagerplatz gewählt, der möglichst nahe an der auszulagernden Lagereinheit liegt. Umgekehrt kann auch für den AA bei gegebenem EA unter allen Lagereinheiten des zugehörigen Artikels diejenige ausgewählt werden, die zu einer möglichst kurzen Spielzeit führt. Für die konkrete Ausgestaltung dieser E/A-Strategien bei kombiniert ausgeführten Lageraufträgen gibt es unterschiedliche Ansätze, die z. B. im Überblick von Kraul (2010, S. 46 ff.) näher beschrieben sind. Basierend auf den Arbeiten von Meneghetti und Monti (2014) sowie Sommer und Wehking (2013), die Aspekte der Energieeffizienz in die Lagerplatzwahl einbeziehen, lässt sich mit den energiebezogenen E/A-Strategien eine weitere Unterkategorie der layoutbezogenen E/A-Strategien identifizieren. Derartige Strategien gehen weg von einer rein zeit- hin zu einer energiebezogenen Betrachtung und zielen darauf ab, den Energieverbrauch der Fördermittel zu reduzieren. So führt beispielsweise eine Hubbewegung unter Last zu einem erhöhten Energiebedarf. Die Vorgehensweisen der fahrtzeitbezogenen E/A-Strategien lassen sich direkt auf diese Sichtweise übertragen, indem die Lagerplätze nicht nach deren Fahrtzeit, sondern nach dem Energiebedarf der jeweiligen Fördermittelfahrten sortiert werden. Daher bezeichnen Meneghetti und Monti (2014) ihre E/A-Strategie auch in Anlehnung an COL als Best-Energy Open Location 26 . Damit die energieeffiziente Lagerplatzwahl die Leistungsfähigkeit eines Lagersystems nicht allzu sehr beeinträchtigt, empfiehlt es sich, energiebezogene E/A-Strategien z. B. in Verbindung mit einer Zonierung nach E/A-Raten einzusetzen. 26

Sinngemäß übersetzt bedeutet diese Bezeichnung „energieeffizientester freier Lagerplatz“.

26

Kapitel 2 Grundlagen der Leistungsanalyse automatisierter Lagersysteme

2.3.5 Ruhepositionsstrategien Ruhepositionsstrategien27 legen fest, an welcher Position das Fördermittel verweilt, wenn zwischenzeitlich keine Lageraufträge auszuführen sind. Erste derartige Strategien für eine Lagergasse mit einem RBG gehen auf Bozer und White (1984) zurück. Die Autoren betrachten die folgenden Ruhepositionen, die teilweise auch in aktuelleren Arbeiten Anwendung finden. • E-Punkt nach Ein- und A-Punkt nach Auslagerungen • Letzter, angefahrener Lagerplatz nach Ein- und A-Punkt nach Auslagerungen • Mitte der Lagergasse • E-Punkt Bei der zweiten Strategie bleibt das Fördermittel also dort stehen, wo es den letzten Lagerauftrag abgeschlossen hat. Deshalb findet sich in neueren Publikationen für diese Strategie auch häufig die Bezeichnung Point-of-Service Completion (POSC), vgl. z. B. Kuo et al. (2007). Fallen E-Punkt und A-Punkt räumlich zusammen, so entspricht die erste Strategie der letzten und kann mit Rückkehr zum E/A-Punkt (REA) bezeichnet werden, vgl. z. B. Roy et al. (2015). Diese beiden Strategievarianten können auch für andere als die von den Autoren betrachtete Lagerkonfiguration eingesetzt werden. Basierend auf den Ergebnissen eines simulativen Vergleichs stellen Bozer und Cho (2005) fest, dass die Leistungsfähigkeit automatisierter HRL unter der Strategie POSC höher ist als unter REA. Das hängt damit zusammen, dass die Strategie POSC eine häufigere Bildung von Doppelspielen erlaubt, weil nur dann Einzelspiele ausgeführt werden, wenn der nächste Lagerauftrag vom gleichen Auftragstyp ist. Für ein Shuttle-System mit korridorund ebenenwechselnden AVF gilt nach Roy et al. (2015) das gegenteilige Resultat, sodass die Strategie REA bevorzugt eingesetzt werden sollte. Für weiterführende Literatur, insbesondere zur optimalen Bestimmung der Ruheposition in automatisierten HRL, sei an dieser Stelle z. B. auf den Übersichtsartikel von Roodbergen und Vis (2009) verwiesen.

2.4 Leistungsbewertung und -analyse Nach der Vorstellung der wesentlichen Bestimmungsfaktoren für die Leistungsfähigkeit von Lagersystemen gibt der folgende Abschnitt eine Einführung in deren Bewertung und 27

Im Englischen wird diese Strategieart üblicherweise als Dwell Point Strategy bezeichnet.

2.4 Leistungsbewertung und -analyse

27

Analyse. Dafür wird die Leistungsanalyse zunächst in den Kontext der Konfigurationsplanung von Lagersystemen eingebettet (Abschnitt 2.4.1) und anschließend werden verschiedene Kenngrößen zur Bewertung der Leistungsfähigkeit vorgestellt (Abschnitt 2.4.2). Den Kern der Leistungsanalyse bildet die Spielzeitberechnung, die in Abschnitt 2.4.3 näher erläutert wird, bevor in Abschnitt 2.4.4 abschließend noch auf stochastische Einflüsse auf die Leistungsfähigkeit von Lagersystemen eingegangen wird.

2.4.1 Leistungsanalyse im Kontext der Konfigurationsplanung Die Errichtung eines neuen automatisierten Lagersystems ist für Unternehmen mit hohen Investitionsausgaben verbunden. Folglich muss dem Bau eine sorgfältige Konfigurationsplanung vorausgehen. Im Zuge dieser Planung soll das Lagersystem so ausgelegt werden, dass einerseits vorgegebene Leistungsanforderungen erfüllt und andererseits Überkapazitäten aus Kostengründen vermieden werden, vgl. Roodbergen und Vis (2009). Die hauptsächlichen Anforderungen bilden dabei nach Sarker und Babu (1995) Art und Menge der einzulagernden Artikel sowie Zu- und Abgangsverhalten der Lagereinheiten. Diese Faktoren bestimmen somit im Wesentlichen die benötigte Kapazität des Lagersystems. Welche Lager- und Durchsatzkapazitäten in einem Lagersystem tatsächlich realisiert werden können, hängt umgekehrt von dessen technischer und organisatorischer Konfiguration ab. Die Aufgabe der Konfigurationsplanung besteht also darin, unter Berücksichtigung der Beziehungen zu angrenzenden Fördersystemen einerseits die technische Konfiguration des Lagersystems, siehe Abschnitt 2.2, sowie andererseits die einzusetzenden Lagerbetriebsstrategien festzulegen, siehe Abschnitt 2.3. Diese Planung muss unter der Maßgabe erfolgen, dass die resultierende Lagerkonfiguration den Leistungsanforderungen gerecht wird. Zwischen den technischen und organisatorischen Aspekten der Konfiguration bestehen dabei Wechselwirkungen, die sich auf die Leistungsfähigkeit des Lagersystems und somit auf dessen realisierbare Kapazität auswirken. Die Grundlage der Konfigurationsplanung bildet daher, wie in Abbildung 2.7 dargestellt, die Leistungsanalyse, im Rahmen derer die Leistungsfähigkeit alternativer Lagerkonfigurationen ermittelt wird. Der Vollständigkeit halber sei angemerkt, dass die Neuplanung von Lagersystemen nicht den einzigen Anwendungsbereich von Leistungsanalysen darstellt. Darüber hinaus werden derartige Analysen vor der Durchführung umfangreicher organisatorischer oder layouttechnischer Umstrukturierungsmaßnahmen in gegebenen Lagersystemen eingesetzt. Auch in diesem Fall sollen a priori die Auswirkungen dieser Maßnahmen auf die Leistungsfähigkeit des Lagersystems ermittelt werden.

28

Kapitel 2 Grundlagen der Leistungsanalyse automatisierter Lagersysteme

Leistungsanforderungen

Konfigurationsplanung automatisierter Lagersysteme Technische Konfiguration

Lagerbetriebsstrategien

Leistungsanalyse

Konfiguration angrenzender Fördersysteme Abbildung 2.7: Leistungsanalyse automatisierter Lagersysteme im Kontext der Konfigurationsplanung (Quelle: in Anlehnung an Roodbergen und Vis 2009) Prinzipiell existieren für die Bewertung von Konfigurationsalternativen verschiedene Herangehensweisen. Tempelmeier und Kuhn (1993, S. 58 ff.) unterscheiden diesbezüglich die beiden folgenden, grundlegenden Ansätze. • Evaluative Ansätze Diese Ansätze dienen der Bewertung gegebener Systemkonfigurationen. Bei evaluativen Ansätzen handelt es sich also um Leistungsanalysen im engeren Sinne. • Generative Ansätze Gesteuert durch Zielvorgaben werden mit diesen Ansätzen neue Konfigurationsalternativen erzeugt. Modelle zur Leistungsanalyse sind jedoch ein notwendiger Bestandteil generativer Ansätze. Der Fokus der vorliegenden Arbeit liegt auf evaluativen Ansätzen, also der Leistungsanalyse im engeren Sinne. Ein Überblick über verschiedene Modellierungsarten sowie konkrete Modelle für die Leistungsanalyse automatisierter Lagersysteme aus der Literatur schließt sich in Kapitel 3 an. Eine grundlegende Voraussetzung für derartige Modelle ist eine geeignete Bewertung der Leistungsfähigkeit eines Lagersystems. Im nächsten Abschnitt werden daher zunächst verschiedene Leistungskenngrößen vorgestellt.

29

2.4 Leistungsbewertung und -analyse

Leistungskenngrößen

Zeit

Qualität

Kosten

Effizienz

Spielzeit, Wartezeit, Durchlaufzeit

Servicegrad, Termintreue, Pickqualität

Lagerungs-, Auftragsbearb.-, Personalkosten

Grenzdurchsatz, Auslastung, Lagerfüllgrad

Abbildung 2.8: Kategorien wesentlicher Leistungskenngrößen von Lagersystemen (Quelle: in Anlehnung an Staudt et al. 2015)

2.4.2 Kenngrößen der Leistungsfähigkeit Bei der Bewertung der Leistungsfähigkeit eines Lagersystems können verschiedene Sichtweisen eingenommen werden. Bezugnehmend auf den Literaturüberblick von Staudt et al. (2015) lassen sich Leistungskenngrößen von Lagersystemen in die Kategorien Zeit, Qualität, Kosten und Effizienz einteilen, siehe Abbildung 2.8. Eine wesentliche zeitbezogene Kenngröße ist die Spielzeit, also die Zeit zur Ausführung eines Lagerspiels. Kommt zur Spielzeit noch die Wartezeit zwischen Ankunft und Ausführungsbeginn des Lagerauftrags hinzu, so handelt es sich um die Durchlaufzeit. Diese zeitbezogenen Kenngrößen werden üblicherweise in Form von Durchschnittswerten ausgewertet und charakterisieren somit einen mittleren Lagerauftrag bzw. ein mittleres Lagerspiel. Qualitätsbezogene Kenngrößen beschreiben im Wesentlichen die Qualität der Lagerprozesse. Ein Maß für die Verfügbarkeit oder Zuverlässigkeit eines Lagersystems ist der Servicegrad 28 . In Anlehnung an den α-Servicegrad aus dem Bestandsmanagement, vgl. z. B. Günther und Tempelmeier (2012, S. 276), wird in der vorliegenden Arbeit unter dem Servicegrad der Anteil unverzögert ausführbarer Lageraufträge verstanden. Bezogen auf die beiden Auftragsarten wird dabei zwischen einem Einlager- und einem Auslager-Servicegrad unterschieden. Diese Kenngrößen hängen eng mit dem Bestandsmanagement (Vermeidung von Fehlmengen) sowie der genutzten Kapazität des Lagersystems (Verfügbarkeit freier Lagerplätze) zusammen. Termintreue und Pickqualität geben den Anteil von Lageraufträgen an, bei denen Terminvorgaben eingehalten bzw. auszulagernde Lagereinheiten des richtigen Artikels in der gewünschten Menge bereitgestellt werden. Die Wirtschaftlich28

Der Begriff „Servicegrad“ lehnt sich an das Bestandsmanagement an. In diesem Kontext existieren unterschiedlich definierte (Auslager-)Servicegrade, vgl. z. B. Large (2012, S. 205 ff.) oder Thonemann (2015, S. 220 ff.), die sich alle auf eine unverzögerte Befriedigung eintreffender Nachfrage beziehen, d. h. nur auf AA. Daher wird diese Kenngröße teilweise auch als „Lieferbereitschaftsgrad“ bezeichnet, vgl. z. B. Pfohl (2010, S. 36 ff.). In der vorliegenden Arbeit wird die Verfügbarkeit des Lagersystems hingegen aus Sicht aller E/A-Prozesse betrachtet, d. h. sowohl für EA als auch für AA.

30

Kapitel 2 Grundlagen der Leistungsanalyse automatisierter Lagersysteme

keit eines Lagersystems kann auch über monetäre Kenngrößen bewertet werden, die sich z. B. auf die Lagerung einer Lagereinheit, die Bearbeitung eines Lagerauftrags oder die zum Betrieb des Lagers benötigte Personalkapazität beziehen. Typische effizienzbezogene Kenngrößen eines Lagersystems sind der Grenzdurchsatz, der die maximale Anzahl ausführbarer Lageraufträge pro Zeiteinheit (ZE) angibt, der Lagerfüllgrad als mittlerer Anteil belegter Lagerplätze und die Auslastung der Fördermittel. Die aufgeführten Kenngrößen unterscheiden sich dahingehend, ob sie eine prozessbezogene Sichtweise aus der Perspektive der Lageraufträge einnehmen, wie z. B. die Durchlaufzeit, oder ob sie sich auf die eingesetzten Potentialfaktoren beziehen, wie z. B. die Spielzeit. Die Leistungsfähigkeit der Potentialfaktoren, z. B. die Förderkapazität, wirkt sich in vielen Fällen jedoch direkt auf die prozessbezogene Leistungsfähigkeit des Lagersystems aus. So führt beispielsweise eine höhere Spielzeit der Fördermittel auch zu einer Erhöhung der Durchlaufzeit der Lageraufträge. Im Rahmen der Konfigurationsplanung wird üblicherweise das Ziel verfolgt, eine vorgegebene Durchsatzleistung bei dafür minimalen Investitions- und Betriebskosten zu erreichen, vgl. Rouwenhorst et al. (2000). Die maximale Durchsatzleistung eines Lagersystems wird als Grenzdurchsatz bezeichnet und entspricht der maximalen Anzahl ausführbarer Lageraufträge pro ZE im gesamten Lagersystem. Der Grenzdurchsatz eines Lagersystems setzt sich also aus den Grenzdurchsätzen der eingesetzten Fördermittel zusammen, vgl. Lippolt (2003, S. 51). Wie z. B. aus dem Überblicksartikel von Roodbergen und Vis (2009) hervorgeht, wird die Leistungsfähigkeit automatisierter Lagersysteme üblicherweise über die Spielzeiten der einzelnen Unstetigförderer bestimmt. Zusammenfassend bezieht sich die Leistungsanalyse also im Wesentlichen auf die Kenngrößen der Kategorien Effizienz und Zeit, die eng miteinander verknüpft sind. Die konkrete Berechnung der maßgeblichen Kennzahlen wird im nächsten Abschnitt erläutert.

2.4.3 Spielzeitberechnung Angelehnt an Arnold und Furmans (2009, S. 197 ff.) wird nachfolgend eine kurze Einführung in die Spielzeitberechnung gegeben, die den Kern der Leistungsanalyse automatisierter Lagersysteme bildet. Wie bereits in Abschnitt 2.3.2 beschrieben, arbeiten die Unstetigförderer die Lageraufträge in einzelnen Lagerspielen ab, die bei jedem Fördervorgang in gleicher oder ähnlicher Weise wiederholt durchgeführt werden. Da die in der vorliegenden Arbeit entwickelten Modelle auf Einzelspielen (Abbildung 2.5a) basieren, beschränkt sich die nachfolgende Darstellung auf diesen Fall. Für weiterführende Literatur zu Ansätzen der Spielzeitberechnung, die auch Doppel- und Mehrfachspiele sowie

31

2.4 Leistungsbewertung und -analyse

unterschiedliche Lagerkonfigurationen einschließen, sei an dieser Stelle auf Roodbergen und Vis (2009) verwiesen. Die Spielzeit, die ein Fördermittel zur Ausführung eines Einlager- bzw. Auslager-Einzelspiels in einem konkreten Lagerplatz n benötigt, lässt sich wie folgt berechnen. tE (n) = tEn + tnE + tc = 2 · tEn + tc tA (n) = tAn + tnA + tc = 2 · tAn + tc

(2.1a) (2.1b)

Dabei bezeichne tnn die Fahrtzeit des Fördermittels von Position n zu Position n , wobei E für den E-Punkt und A für den A-Punkt steht. Neben der reinen Fahrtzeit29 umfasst die Spielzeit zusätzlich den Anteil tc , der sich aus der Totzeit, z. B. für Schalt- oder Sensoransprechzeiten, sowie der Zeit für die Lastübernahme bzw. -übergabe zusammensetzt. Es wird angenommen, dass dieser Spielzeitanteil für alle Lagerspiele konstant ist. Die zweiten Gleichungen in (2.1) gelten jeweils unter der Annahme, dass die Fahrtzeiten richtungsunabhängig und identisch für Last- und Leerfahrten sind. Bei einem gemeinsamen E/A-Punkt stimmen die Spielzeiten für EA und AA folglich überein. Für die Berechnung der Fahrtzeiten wird je nach Fördermittel ein geeignetes Weg-Zeit-Modell herangezogen. Der simultane Bewegungsablauf der RBG in automatisierten HRL lässt sich beispielsweise über die Tchebychev-Metrik abbilden, vgl. z. B. van den Berg (1999). Der Berechnung in (2.1) liegt außerdem die implizite Annahme zugrunde, dass die Fahrtzeiten unabhängig von den beförderten Lagereinheiten sind, vgl. Mallette und Francis (1972). Der Einsatz standardisierter Ladungsträger, der in automatisierten Lagersystemen üblich ist, rechtfertigt diese Annahme. Die Spielzeit eines Einzelspiels hängt also maßgeblich davon ab, welcher Lagerplatz bei der Ausführung des Lagerspiels angefahren wird, vgl. Piepenburg (2016, S. 14). Als Kenngröße für die Leistungsfähigkeit eines Unstetigförderers wird daher die mittlere Spielzeit30 t¯ über alle Lagerplätze n = 1, . . . , N in (2.2) herangezogen. 



N N  1  PE (n) · tE (n) + PA (n) · tA (n) + pW · tAE t¯ = · 2 n=1 n=1

(2.2)

Unter der Annahme eines stabilen Lagersystems, in dem über einen längeren Zeitraum Ein- und Auslagerungen in ihrer Anzahl ausgeglichen sind, ergibt sich die mittlere Spielzeit t¯ als gewichtetes Mittel der Spielzeiten von Ein- und Auslager-Einzelspielen über alle 29

In der Fahrtzeit sind die Zeitanteile für Beschleunigung, Fahren mit konstanter Geschwindigkeit, Bremsen und Positionierung des Fördermittels subsumiert.

30

Bei dieser Kenngröße handelt es sich eigentlich um einen Erwartungswert, es wird aber dennoch die in der Literatur übliche Bezeichnung „mittlere Spielzeit“ verwendet.

32

Kapitel 2 Grundlagen der Leistungsanalyse automatisierter Lagersysteme

Lagerplätze n = 1, . . . , N , vgl. Piepenburg (2016, S. 18 f.). Bei getrennten Übergabepunkten kommt bei einem Wechsel der Auftragsart in der Bearbeitungsreihenfolge, der mit Wahrscheinlichkeit pW eintritt, noch die Fahrtzeit tAE zwischen den Übergabepunkten hinzu. Die einzelnen Spielzeiten werden für jeden Lagerplatz n mit dessen (normierten) Zugriffswahrscheinlichkeiten31 PE (n) bzw. PA (n) gewichtet, die die relative Häufigkeit beschreiben, mit der Lagerplatz n für einen ausführbaren EA bzw. AA angefahren wird. Diese Wahrscheinlichkeiten hängen sowohl von der Lagerkonfiguration, d. h. dem Lagerlayout sowie den Lagerbetriebsstrategien, als auch vom stochastischen Ankunftsverhalten der E/AA ab. Auf verschiedene Ansätze, die Zugriffswahrscheinlichkeiten zu bestimmen und in Modelle zur Leistungsanalyse einzubeziehen, wird in Kapitel 3 näher eingegangen. Die Grundlage für die nominale Umschlagsleistung eines Lagersystems bildet der sog. Grenzdurchsatz der einzelnen Unstetigförderer. Darunter wird der technisch maximal mögliche Durchsatz verstanden, vgl. Arnold und Furmans (2009, S. 3). Nach Lippolt (2003, S. 50 ff.) hängen Grenzdurchsatz und Spielzeit wie folgt zusammen. Die Spielzeit, die ein Fördermittel aus technischen Gründen mindestens zur Ausführung eines Lagerspiels benötigt, legt dessen Grenzdurchsatz fest. Die Leistungsfähigkeit an der minimalen Spielzeit, d. h. der des Lagerplatzes mit kürzester Fahrtzeit, festzumachen, ist allerdings nicht sinnvoll, da ein ausgewählter Lagerplatz während des operativen Betriebs nur selten angefahren wird. Stattdessen stützt sich die Leistungsanalyse auf die mittlere Spielzeit aus (2.2). Der Kehrwert der mittleren Spielzeit  −1

γ = t¯

(2.3)

gibt an, wie viele Lagerspiele ein Unstetigförderer im langfristigen Mittel pro ZE durchführen kann. Zu beachten ist, dass es sich hierbei um einen Erwartungswert handelt, der somit lediglich eine Aussage über das mittlere Langzeitverhalten des Lagersystems zulässt. Dennoch lässt sich die Kenngröße γ als stationärer Grenzdurchsatz des Fördermittels interpretieren. Kurzfristig betrachtet sind zwar sowohl Über- als auch Unterschreitungen möglich, auf lange Sicht stellt γ jedoch eine Obergrenze für den Durchsatz des Unstetigförderers dar. Aus (2.2) und (2.3) wird ersichtlich, dass sich der Grenzdurchsatz erhöhen lässt, indem für Lagerspiele bevorzugt Lagerplätze mit geringen Fahrtzeiten ausgewählt werden, vgl. 31

Da es bei voll belegtem Lager dazu kommen kann, dass ein ankommender Lagerauftrag nicht ausgeführt werden kann, wird im Folgenden zwischen den Zugriffswahrscheinlichkeiten PE (n) bzw. PA (n) für ankommende Lageraufträge und den Zugriffswahrscheinlichkeiten PE (n) bzw. PA (n) für ausführbare Lageraufträge unterschieden. Letztere werden als normierte Zugriffswahrscheinlichkeiten bezeichnet.

2.4 Leistungsbewertung und -analyse

33

Glass (2008, S. 30). Die Zuordnung von Lagerplätzen zu Lageraufträgen richtet sich dabei nach den eingesetzten Lagerbetriebsstrategien, siehe Abschnitt 2.3. Hinsichtlich des Grenzdurchsatzes ist eine Lagerbetriebsstrategie gemäß (2.2) folglich optimal, wenn einerseits die Summe der Fahrtzeiten für EA und für AA minimal wird und andererseits möglichst wenige Fahrten zwischen E-Punkt und A-Punkt benötigt werden. Letzteres ist z. B. bei einem gemeinsamen E/A-Punkt gegeben, der sich auch im typischen Aufbau automatisierter Lagersysteme wiederfindet, siehe Abschnitt 2.1. Die Fahrtzeiten zu den Lagerplätzen können bei automatischen Fördermitteln als deterministisch angesehen werden, während die Zugriffswahrscheinlichkeiten von den eingesetzten Lagerbetriebsstrategien abhängen, insbesondere von der Kombination aus LPVS und E/A-Strategie. Die Merkmale einer optimalen Lagerplatzwahl zeigt Korollar 2.1 auf. Dieses Resultat folgt direkt aus dem Beweis von Hardy et al. (1934, S. 261), dass ein Skalarprodukt aus zwei Vektoren genau dann minimal wird, wenn die Vektoren entgegengesetzt sortiert sind. Korollar 2.1. Lageraufträge werden von einem Fördermittel in Einzelspielen zu den Lagerplätzen n = 1, . . . , N ausgeführt, die nach nichtfallenden Fahrtzeiten zum E/A-Punkt sortiert seien. In diesem Fall maximiert eine Zuordnung der Lageraufträge zu den Lagerplätzen genau dann die Durchsatzleistung, wenn die resultierenden Zugriffswahrscheinlichkeiten PE (n) und PA (n) monoton fallend in n sind. Unter der Annahme vollständig bekannter Informationen über Ankunftszeitpunkte und Verweildauern der Lagereinheiten leiten beispielsweise Goetschalckx und Ratliff (1990) eine solche optimale Lagerbetriebsstrategie her. In der Regel sind diese Informationen jedoch unsicher, wodurch sich die Notwendigkeit ergibt, stochastische Aspekte in die Leistungsanalyse einzubeziehen. Welche unsicheren Einflüsse sich im Einzelnen auf die Leistungsfähigkeit eines Lagersystems auswirken, wird im nächsten Abschnitt aufgezeigt.

2.4.4 Stochastische Einflüsse In ihrem Übersichtsartikel zur stochastischen Modellierung von Lagersystemen aggregieren Gong und de Koster (2011) alle Lagerprozesse, wie in Abbildung 2.9 dargestellt, zu Komponenten eines stochastischen Prozesses, bestehend aus Ankunfts-, Bedien- und Abgangsprozessen. Die Ankunftsprozesse beziehen sich auf die Bearbeitung der Anlieferungen und Bestellungen von Lagereinheiten, d. h. eingehender E/AA. Die typischen Lageroperationen, wie z. B. die Durchführung der E/AA, werden als Bedienprozesse interpretiert und zu den Abgangsprozessen gehören alle Prozesse zur Vorbereitung der

34

Kapitel 2 Grundlagen der Leistungsanalyse automatisierter Lagersysteme

Lagersystem E/AA

Ankunftsprozesse

Bedienprozesse

Abgangsprozesse

Distribution

Abbildung 2.9: Stochastische Sichtweise der Prozesse in Lagersystemen (Quelle: in Anlehnung an Gong und de Koster 2011) Distribution von Lagereinheiten. Neben der Distribution ist auch die Bereitstellung ausgelagerter Lagereinheiten als Einsatzstoffe in einem Produktionssystem denkbar. In allen drei Prozessbereichen identifizieren die Autoren sodann verschiedene Quellen für Unsicherheiten, der Großteil davon bezieht sich jedoch auf die Ankunfts- und Bedienprozesse. Beispielsweise verhindern verzögerte Anlieferungen oder unsicheres Nachfrageverhalten der Kunden eine exakte Planung der Auftragsankünfte. Unsicherheiten in den Ankunftsprozessen wirken sich auch direkt auf die nachfolgenden Bedienprozesse im Lagersystem aus. Darüber hinaus werden die Bedienprozesse u. a. durch fehlerhaftes Kommissionieren, variierende Fahrtzeiten sowie Wartezeiten, z. B. durch gegenseitiges Blockieren mehrerer Fördermittel, gestört. Von den Unsicherheiten in den Bedienprozessen sind v. a. manuell betriebene Lagersysteme betroffen, in automatisierten spielen diese hingegen eine untergeordnete Rolle. Lediglich Wartezeiten können je nach Konfiguration des Fördersystems, insbesondere bei den Shuttle-Systemen aus Abschnitt 2.1.2, von Bedeutung sein. Diese stochastischen Eigenschaften der Ankunfts- und Bedienprozesse haben schließlich einen Einfluss auf die Effizienz der Bedienprozesse. Das äußert sich z. B. in Wartezeiten der Lageraufträge auf die Bedienung. Zusammenfassend wirkt sich jegliche Art von Stochastizität letztlich auf die Leistungsfähigkeit eines Lagersystems aus. In automatisierten Lagersystemen besitzen jedoch insbesondere die Auftragsankünfte einen maßgeblichen Einfluss, in Shuttle-Systemen je nach Konfiguration zudem noch die durch die Fördermittel bedingten Warteeffekte. In Bezug auf die Konfigurationsplanung von Lagersystemen ist die Berücksichtigung stochastischer Auftragsankünfte noch aus einem anderen Grund unabdingbar. Selbst unter der Annahme zuverlässiger Anlieferungen sind die konkreten Ankunftszeitpunkte zum Zeitpunkt der Planung des Lagers selbstverständlich nicht bekannt. Daher müssen diese als stochastische Prozesse modelliert werden. Auch Vasili et al. (2012, S. 202) stellen explizit heraus, dass eine Entwicklung von Modellen für die Leistungsanalyse von Lagersystemen unter Berücksichtigung dynamischer und stochastischer Einflüsse wünschenswert ist. Methodisch kann hierfür entweder auf Simulationen oder analytisch-stochastische

2.5 Stochastische Prozessmodellierung

35

Modelle zurückgegriffen werden. Ein Literaturüberblick zu den verschiedenen Ansätzen für die Leistungsanalyse von Lagersystemen unter Berücksichtigung stochastischer Einflüsse folgt in Kapitel 3. Zuvor dient der nächste Abschnitt einer kurzen Einführung in stochastische Modellierungskonzepte, die die methodische Grundlage für die in der vorliegenden Forschungsarbeit entwickelten Modelle zur Leistungsanalyse bilden.

2.5 Stochastische Prozessmodellierung Das Ziel der stochastischen Leistungsanalyse automatisierter Lagersysteme besteht darin, die Zugriffswahrscheinlichkeiten und damit die mittlere Spielzeit bei stochastischen Ankunftsprozessen zu bestimmen. Für die Modellierung eines E/A-Prozesses können verschiedene Modellierungskonzepte aus der Stochastik herangezogen werden. Modelliert wird dabei die Entwicklung der Lagerbelegung im Zeitverlauf bei unsicheren Ausführungszeitpunkten der Lageraufträge. Derartige zeitbasierte Modelle können einerseits mittels zeitstetiger Markovketten und andererseits über warteschlangentheoretische Modelle abgebildet werden. Beide Modellierungskonzepte werden nachfolgend kurz vorgestellt.

2.5.1 Zeitstetige Markovketten Markovketten sind eine spezielle Form stochastischer Prozesse. Unter einem stochastischen Prozess mit Zustandsraum E wird z. B. nach Çınlar (1975, S. 7) eine Familie (Xt )t∈T von Zufallsvariablen Xt verstanden. Die Zufallsvariablen Xt sind alle auf dem gleichen Wahrscheinlichkeitsraum definiert und nehmen Werte aus dem Zustandsraum E an. Somit kann Xt als Zustand des Prozesses zum Zeitpunkt t interpretiert werden. Da die Zustände der zu modellierenden Lageranwendung diskret sind, wird im Folgenden angenommen, dass der Zustandsraum E abzählbar32 ist. Wenn die Indexmenge T abzählbar ist, so handelt es sich um einen zeitdiskreten, andernfalls um einen zeitstetigen stochastischen Prozess. Da die Ein- und Auslagervorgänge im Lagersystem nicht getaktet sind, erfolgt die Modellierung über zeitstetige stochastische Prozesse mit T = R≥0 . Daher liegt der Fokus im weiteren Verlauf auf zeitstetigen Markovketten. Alle nachfolgenden Definitionen und Eigenschaften können jedoch in ähnlicher Weise auch für zeitdiskrete

32

Stochastische Prozesse mit abzählbarem Zustandsraum werden häufig als „Kette“ bezeichnet, vgl. z. B. Bolch et al. (2006, S. 52).

36

Kapitel 2 Grundlagen der Leistungsanalyse automatisierter Lagersysteme

Markovketten formuliert werden, vgl. z. B. Stewart (2009, S. 195 ff.). Zeitstetige Markovketten, auch bezeichnet als Markovketten in stetiger Zeit, werden angelehnt an Anderson (1991, S. 1) wie folgt definiert. Definition 2.2 (Zeitstetige Markovkette). Ein stochastischer Prozess (Xt )t≥0 mit Zustandsraum E und Indexmenge T = R≥0 wird als zeitstetige Markovkette bezeichnet, wenn für jede endliche Folge t0 , t1 , . . . , tn , tn+1 ∈ T mit t0 < t1 < . . . < tn < tn+1 mit den zugehörigen Zuständen x0 , . . . , xn+1 ∈ E folgender Zusammenhang gilt: 





P Xtn+1 = xn+1 | Xtn = xn , . . . , Xt0 = x0 = P Xtn+1 = xn+1 | Xtn = xn



(2.4)

Gleichung (2.4) wird als Markov-Eigenschaft bezeichnet und besagt, dass die Wahrscheinlichkeiten für Zustandsübergänge in einer Markovkette nicht vom gesamten bisherigen Verlauf, sondern nur vom aktuellen Zustand und den Zeitpunkten tn und tn+1 abhängen. Dem folgenden Spezialfall zeitstetiger Markovketten kommt in der vorliegenden Arbeit eine besondere Bedeutung zu, vgl. z. B. Anderson (1991, S. 1). Definition 2.3 (Homogene Markovkette in stetiger Zeit). Gilt für alle Zustände i, j ∈ E einer Markovkette in stetiger Zeit sowie alle Zeitpunkte s, t ∈ T mit 0 ≤ s ≤ t, dass die Wahrscheinlichkeiten P (Xt = j | Xs = i) aus (2.4) nur von t − s abhängen, so wird die Markovkette als homogene Markovkette in stetiger Zeit bezeichnet. Damit gilt P (Xt = j | Xs = i) = P (Xt−s = j | X0 = i) und die Funktion pij : R≥0 → [0,1] mit pij (t) := P (Xt = j | X0 = i)

(i, j ∈ E; t ≥ 0)

(2.5)

wird Übergangsfunktion der homogenen Markovkette genannt. Homogenität bedeutet also, dass die Übergangswahrscheinlichkeiten unabhängig vom konkreten Zeitpunkt des Übergangs sind. Bei homogenen Markovketten in stetiger Zeit impliziert die Markov-Eigenschaft, dass die Verweildauern in den Zuständen gedächtnislos sind. Die einzige gedächtnislose stetige Verteilung ist die Exponentialverteilung, vgl. z. B. Shortle et al. (2018, S. 36 f.). Daraus folgt direkt, dass die Verweildauern in den Zuständen einer homogenen Markovkette in stetiger Zeit exponentialverteilt sein müssen. Alle weiteren Ausführungen beziehen sich auf Markovketten mit dieser Eigenschaft. Ein typisches Beispiel für eine homogene Markovkette in stetiger Zeit ist der PoissonProzess, der häufig für die Modellierung von Ankunftsprozessen herangezogen wird, v. a. auch in warteschlangentheoretischen Modellen, vgl. Abschnitt 2.5.2. Dabei handelt es

37

2.5 Stochastische Prozessmodellierung

sich um einen Zählprozess für die Anzahl von Ankünften, die bis zu einem Zeitpunkt t ≥ 0 eingetreten sind. Für eine umfassende Einführung in Poisson-Prozesse sei an dieser

Stelle z. B. auf Çınlar (1975, S. 70 ff.) verwiesen. Die nachfolgende Definition fasst die charakteristischen Merkmale dieses stochastischen Prozesses zusammen. Definition 2.4 (Poisson-Prozess). Ein Zählprozess (Nt )t≥0 wird Poisson-Prozess mit Ankunftsrate λ > 0 genannt, wenn er die folgenden Eigenschaften33 erfüllt, die sich gegenseitig implizieren: • Die Zwischenankunftszeiten sind unabhängig und identisch exponentialverteilt mit Rate λ. • Sei 0 ≤ t0 < t1 < . . . < tn eine beliebige Folge von Zeitpunkten, dann sind die Anzahlen der Ankünfte in den Zeitintervallen (t0 , t1 ], (t1 , t2 ], . . . , (tn−1 , tn ] stochastisch unabhängig. Außerdem ist die Anzahl an Ankünften in einem Zeitintervall der Länge τ > 0 poissonverteilt mit Parameter λτ . Die Analyse zeitstetiger Markovketten zielt v. a. auf die Ermittlung ihres Langzeitverhaltens ab. Im Wesentlichen wird dabei untersucht, ob sich unabhängig von der Anfangsverteilung langfristig ein sog. stationäres Gleichgewicht34 einstellt. Das Langzeitverhalten einer zeitstetigen Markovkette wird über zwei Verteilungen charakterisiert, die in Anlehnung an Anderson (1991, S. 159 ff.) wie folgt definiert werden. Definition 2.5 (Grenzverteilung und stationäre Verteilung). Der Grenzwert der Zustandswahrscheinlichkeiten limt→∞ (P (Xt = i))i∈E einer zeitstetigen Markovkette wird, sofern er existiert, als Grenzverteilung bezeichnet und eine Verteilung π = (πi )i∈E mit

i∈E πi = 1, die das Gleichungssystem 

i∈E

πi pij (t) = πj

(j ∈ E; t ≥ 0)

(2.6)

erfüllt, heißt stationäre Verteilung. Die Grenzverteilung beschreibt folglich das asymptotische Verhalten einer Markovkette. Bei der stationären Verteilung handelt es sich hingegen um eine Verteilung, die sich, 33

In einigen Definitionen wird zusätzlich noch N0 = 0 gefordert; dies ist jedoch nicht einheitlich und für die vorliegende Arbeit wird N0 = 0 nicht als notwendig angesehen.

34

Es sei darauf hingewiesen, dass neben den in der vorliegenden Arbeit betrachteten stationären Analysen zeitstetiger Markovketten auch sog. transiente Analysen durchgeführt werden können. Diese zielen darauf ab, die Zustandswahrscheinlichkeiten zu beliebigen Zeitpunkten t ≥ 0 zu bestimmen. Eine Einführung in derartige Analysemethoden findet sich z. B. bei Bolch et al. (2006, S. 209 ff.).

38

Kapitel 2 Grundlagen der Leistungsanalyse automatisierter Lagersysteme

wenn sie sich im Zeitverlauf einmal eingestellt hat, nicht mehr verändert. Existenz und Eindeutigkeit dieser beiden Verteilungen hängen dabei von bestimmten Eigenschaften der Markovkette ab, die u. a. auf der Erreichbarkeit zwischen Paaren von Zuständen beruhen. Angelehnt an Anderson (1991, S. 155) werden dafür unter Verwendung der Übergangsfunktion in (2.5) folgende Beziehungen zwischen Zuständen definiert. Definition 2.6 (Erreichbarkeit und kommunizierende Zustände). Ein Zustand j ∈ E heißt erreichbar von Zustand i ∈ E, dargestellt durch i → j, wenn pij (t) > 0 für ein t > 0 (und somit implizit für alle t > 0) gilt. Sind i und j wechselseitig voneinander erreichbar, so werden sie als kommunizierende Zustände bezeichnet, dargestellt durch i ↔ j. Die charakteristischen Eigenschaften von Markovketten werden nachfolgend in Anlehnung an Stewart (2009, S. 259 ff.) kurz eingeführt. Hinsichtlich dieser Eigenschaften bestehen Zusammenhänge zwischen der zeitstetigen Markovkette und ihrer eingebetteten Sprungkette. Letztere bezeichnet die zeitdiskrete Markovkette für die Folge von Zuständen, die sich ergibt, wenn eine zeitstetige Markovkette zu den Zeitpunkten der Zustandsübergänge35 betrachtet wird. • Irreduzibilität Eine Markovkette heißt irreduzibel, wenn alle Paare von Zuständen (i, j) ∈ E 2 kommunizieren. Ist die eingebettete Sprungkette irreduzibel, so folgt direkt die Irreduzibilität der zeitstetigen Markovkette. • Rekurrenz Rekurrenz wird über die Wahrscheinlichkeit einer Rückkehr in einen Zustand i ∈ E definiert. Ist für Zustand i garantiert, dass dieser im Zeitverlauf unendlich häufig besucht wird, so wird i als rekurrenter Zustand bezeichnet, andernfalls als transienter Zustand. Hinsichtlich der erwarteten Rückkehrzeit wird zwischen zwei Arten von Rekurrenz unterschieden. Ist die erwartete Rückkehrzeit in Zustand i endlich, so handelt es sich um einen positiv rekurrenten Zustand und bei unendlicher erwarteter Rückkehrzeit um einen nullrekurrenten Zustand. Eine zeitstetige Markovkette ist genau dann rekurrent, wenn alle Zustände i ∈ E rekurrent sind. Die Rekurrenz einer zeitstetigen Markovkette fällt mit der Rekurrenz ihrer eingebetteten Sprungkette zusammen; für positive Rekurrenz gilt jedoch keine der beiden möglichen Implikationen. 35

Gemäß der üblichen Darstellungsweise wird für die Betrachtung der Zustandsübergänge angenommen, dass die Pfade (also die zeitlichen Abfolgen der realisierten Zustände) zeitstetiger Markovketten rechtsseitig stetige Treppenfunktionen bilden.

39

2.5 Stochastische Prozessmodellierung

• Ergodizität Eine zeitstetige Markovkette heißt ergodisch, wenn sie irreduzibel und positiv rekurrent ist. Bei endlichem Zustandsraum folgt diese Eigenschaft direkt aus der Irreduzibilität, da in diesem Fall mindestens ein Zustand positiv rekurrent sein muss und aufgrund der wechselseitigen Erreichbarkeit damit alle Zustände positiv rekurrent sind. • Reversibilität Eine zeitstetige Markovkette kann hinsichtlich ihrer zeitlichen Entwicklung entweder vorwärts oder rückwärts betrachtet werden. Sind die beiden resultierenden Markovketten stochastisch identisch, so ist die zeitstetige Markovkette reversibel. Über das stationäre Verhalten ergodischer Markovketten in stetiger Zeit kann folgende Aussage36 getroffen werden. Satz 2.7 (Stationäres Verhalten bei Ergodizität). Ist eine zeitstetige Markovkette ergodisch, so existiert eine Grenzverteilung und diese stimmt mit der eindeutigen stationären Verteilung überein. Aus diesem Satz geht hervor, dass sich das Langzeitverhalten ergodischer Markovketten direkt über deren stationäre Verteilung bestimmen lässt. Für die Berechnung der stationären Zustandswahrscheinlichkeiten wird noch das Übergangsverhalten von homogenen Markovketten benötigt. Während eine zeitdiskrete Markovkette eindeutig über die Übergangsmatrix P = (pij )i,j∈E mit pij als Wahrscheinlichkeit für einen Übergang von Zustand i zu Zustand j definiert ist, wird eine zeitstetige Markovkette durch die Generatormatrix Q = (qij )i,j∈E repräsentiert, vgl. z. B. Stewart (2009, S. 254 ff.). Dabei bezeichnet qij die infinitesimale Übergangsrate von Zustand i zu Zustand j = i, die sich wie folgt aus der Übergangsfunktion ergibt. qij := lim+ t→0

pij (t) t

(i, j ∈ E)

(2.7)

Für die Diagonalelemente der Generatormatrix gilt qii = − i=j qij , wobei qi := −qii als Rate für einen Zustandswechsel aus Zustand i interpretiert werden kann. Daraus ergibt sich bei qii = 0 folgender Zusammenhang zwischen den Übergangsraten qij der

36

Für den Beweis von Satz 2.7 sei an dieser Stelle z. B. auf Anderson (1991, S. 160 ff.) verwiesen.

40

Kapitel 2 Grundlagen der Leistungsanalyse automatisierter Lagersysteme

zeitstetigen Markovkette und den Übergangswahrscheinlichkeiten p∗ij ihrer eingebetteten Sprungkette, vgl. z. B. Anderson (1991, S. 18). p∗ij =

qij + δij −qii ⎧ ⎪ ⎨1,

(i, j ∈ E)

(2.8)

falls i = j mit δij := ⎪ ⎩0, sonst

Existiert eine stationäre Verteilung, so kann diese bei endlichem Zustandsraum über die sog. globalen Gleichgewichtsgleichungen in (2.9) bestimmt werden. Eine Herleitung dieses Gleichungssystems findet sich z. B. bei Stewart (2009, S. 263). Für ergodische Markovketten folgt aus Satz 2.7 direkt, dass die globalen Gleichgewichtsgleichungen in

(2.9) in Verbindung mit der Normierungsbedingung i∈E πi = 1 eine eindeutige Lösung besitzen. πQ = 0 ⇔



j∈E

πi qij =

(2.9a) 

j∈E

πj qji

(i ∈ E)

(2.9b)

Die globalen Gleichgewichtsgleichungen beschreiben analytisch das stationäre Gleichgewicht der Markovkette. Dieser Zusammenhang wird in (2.9b) ersichtlich, da für jeden Zustand i ∈ E Eingangsrate und Ausgangsrate übereinstimmen müssen. Für den Spezialfall reversibler Markovketten kann die stationäre Verteilung alternativ auch über die sog. lokalen Gleichgewichtsgleichungen in (2.10) bestimmt werden. Im Gegensatz zur zustandsbezogenen Sichtweise der globalen Gleichgewichtsgleichungen in (2.9b) wird die Betrachtung hierbei wie folgt auf die einzelnen Übergänge zwischen allen Paaren von Zuständen heruntergebrochen, vgl. z. B. Stewart (2009, S. 265). πi qij = πj qji

(i, j ∈ E)

(2.10)

Lokales Gleichgewicht ist eine notwendige und hinreichende Bedingung für die Reversibilität einer Markovkette, vgl. z. B. Stewart (2009, S. 249). Außerdem folgt aus lokalem Gleichgewicht direkt globales Gleichgewicht. Die Umkehrung, dass ein stochastischer Prozess keine stationäre Verteilung besitzt, wenn für die lokalen Gleichgewichtsgleichungen keine Lösung existiert, gilt hingegen nicht. Wie aus (2.9b) sowie (2.10) hervorgeht, entspricht die Bestimmung der stationären Verteilung von Markovketten dem Lösen eines linearen Gleichungssystems. Zur numerischen Berechnung der stationären Zustandswahrscheinlichkeiten endlicher Markovketten exis-

41

2.5 Stochastische Prozessmodellierung Wartesystem 1

.. .

Ankommende Kunden Warteschlange

Abgehende Kunden

c Bedienstation mit c Bedienschaltern

Abbildung 2.10: Elementares Warteschlangenmodell (Quelle: in Anlehnung an Bolch et al. 2006, S. 241) tieren in der Literatur verschiedene direkte sowie iterative Lösungsmethoden. Ein direktes Verfahren ist beispielsweise die Gauß-Elimination. Als iterative Ansätze können exemplarisch die Potenzmethode, das Jacobi- oder das Gauß-Seidel-Verfahren angeführt werden. Für eine detaillierte Darstellung der verschiedenen Lösungsmethoden einschließlich ihrer expliziten Anwendung im Kontext von Markovketten sei an dieser Stelle z. B. auf Stewart (2009, Kapitel 10) oder Bolch et al. (2006, Kapitel 3) verwiesen. Bei Markovketten mit großem Zustandsraum werden üblicherweise iterative Lösungsverfahren eingesetzt, da diese hinsichtlich Laufzeit und Speicherplatzbedarf effizienter sind als direkte Methoden. Nachteile iterativer Methoden bestehen jedoch darin, dass für einige Verfahren die Konvergenz nicht garantiert werden kann und dass deren Konvergenzgeschwindigkeit teilweise stark von den Eigenschaften der Iterationsmatrizen abhängt, vgl. Bolch et al. (2006, S. 124).

2.5.2 Warteschlangentheoretische Modelle Neben zeitstetigen Markovketten, die für jeden Anwendungsfall individuell entwickelt und analysiert werden müssen, können auch vorgefertigte Konzepte aus der Warteschlangentheorie für die Modellierung eines E/A-Prozesses herangezogen werden. Diese Modelle wurden bereits intensiv untersucht, sodass ein umfangreiches Instrumentarium für deren stationäre Analyse zur Verfügung steht. Wie in Abbildung 2.10 dargestellt, setzt sich ein elementares Warteschlangenmodell grundlegend aus einer Warteschlange und einer Bedienstation mit mehreren identischen Bedienschaltern zusammen, vgl. z. B. Bolch et al. (2006, S. 241). An jedem Bedienschalter kann zeitgleich immer nur ein Kunde bedient werden. Der Ablauf des modellierten Warteprozesses lässt sich folgendermaßen beschreiben. Die Kunden kommen gemäß einem stochastischen Ankunftsprozess am Wartesystem an. Abhängig von der aktuellen Belegung der Bedienschalter muss sich ein ankommender

42

Kapitel 2 Grundlagen der Leistungsanalyse automatisierter Lagersysteme Eigenschaft Verteilungen der Zwischenankunfts- (A) sowie Bedienzeiten (B) Anzahl Bedienschalter (c) Wartesystemkapazität (K)

Ausprägungen Erläuterung M D G

Exponentialverteilung (Markovsch) Deterministisch Allgemein

1, 2, . . . , ∞

1, 2, . . . , ∞

Tabelle 2.1: Auszug aus der Kendall-Notation für Warteschlangenmodelle (Quelle: in Anlehnung an Shortle et al. 2018, S. 8) Kunde entweder zunächst in die Warteschlange einreihen oder er wird direkt an einem freien Bedienschalter bedient. Die Bedienzeit eines Kunden ist ebenfalls stochastisch und nach der Bedienung verlässt der Kunde das Wartesystem wieder. Die Bezeichnungen „Kunde“, „Warteschlange“ und „Bedienschalter“ sind dabei im übertragenen Sinn zu verstehen, d. h., gleichartige Aufträge („Kunden“) benötigen wiederholt eine üblicherweise knappe Ressource („Bedienschalter“). Bei der Analyse derartiger Warteschlangenmodelle sind neben der stationären Verteilung v. a. auch die Erwartungswerte der Kenngrößen Warteschlangenlänge, Anzahl von Kunden im Wartesystem, Auslastung der Bedienschalter, Wartezeit und Verweildauer im stationären Gleichgewicht von Interesse. In der Literatur existieren zahlreiche Varianten dieser elementaren Warteschlangenmodelle. Zur Festlegung der konkreten Spezifikationen eines Modells dient die KendallNotation, vgl. z. B. Bolch et al. (2006, S. 242 ff.). In der vorliegenden Arbeit werden Warteschlangenmodelle mit der Kurzform A/B/c/K dieser Notation beschrieben. Dabei charakterisiert A die Verteilung der Zwischenankunftszeiten, B die Verteilung der Bedienzeiten, c die Anzahl gleichartiger Bedienschalter und K die Kapazität des Wartesystems. Unter der Wartesystemkapazität37 wird dabei die Kapazität der Warteschlange zuzüglich der Anzahl an Bedienschaltern verstanden. Ist die Kapazität unbeschränkt (K = ∞), so entfällt der letzte Eintrag. In Tabelle 2.1 sind exemplarisch einige wesentliche Ausprägungen dieser vier Eigenschaften angegeben. So bezeichnet G/M/1/10 beispielsweise

ein Warteschlangenmodell mit unabhängig und identisch verteilten Zwischenankunftszeiten38 , exponentialverteilten Bedienzeiten, einem Bedienschalter und einer Wartesystemkapazität von zehn Kunden. In der erweiterten Form der Kendall-Notation können 37

38

Teilweise wird die hier betrachtete Kapazität des gesamten Wartesystems auch als „Warteraumkapazität“ bezeichnet. Da dieser Begriff jedoch mit der reinen Anzahl von Warteplätzen verwechselt werden kann und in der Literatur auch nicht einheitlich verwendet wird, wird in der vorliegenden Arbeit die klarere Bezeichnung „Wartesystemkapazität“ bevorzugt. Für allgemeine Ankunftsprozesse wird zur Verdeutlichung der Unabhängigkeit der Zwischenankunftszeiten teilweise auch die Abkürzung GI verwendet, vgl. Bolch et al. (2006, S. 303). Da abhängige Zwischenankunftszeiten in der Literatur allerdings eher einen Sonderfall darstellen, impliziert G üb-

43

2.5 Stochastische Prozessmodellierung

zusätzlich noch die Kapazität der Kundenquelle sowie die Warteschlangendisziplin spezifiziert werden. Gelten wie in der vorliegenden Arbeit die üblichen Annahmen, d. h. unbeschränkte Kapazität der Kundenquelle und Warteschlangendisziplin FCFS, so werden diese beiden Eigenschaften nicht explizit angegeben. Die elementaren Warteschlangenmodelle unterteilen sich in Markovsche und allgemeine Warteschlangenmodelle. Markovsche Warteschlangemodelle zeichnen sich dadurch aus, dass sowohl die Zwischenankunfts- als auch die Bedienzeiten exponentialverteilt sind, mit Rate λ bzw. μ. Diese Modelle basieren folglich auf zeitstetigen Markovketten, siehe Abschnitt 2.5.1. Aufgrund der Gedächtnislosigkeit der Exponentialverteilung sind somit insbesondere Bedien- und Restbedienzeit identisch verteilt, vgl. z. B. Shortle et al. (2018, S. 36 f.). Für die Poissonschen Ankünfte der Kunden gilt nach Wolff (1982) oder in verallgemeinerter Form nach Asmussen (2003, S. 218) die PASTA-Eigenschaft39 , nach der im stationären Gleichgewicht die Verteilung zu den Ankunftszeitpunkten mit der stationären Verteilung der Markovkette übereinstimmt. In allgemeinen Warteschlangenmodellen liegen den Zwischenankunfts- und Bedienzeiten hingegen entweder andere Verteilungsfamilien zugrunde oder diese Zeiten werden sogar lediglich durch ihre ersten beiden Momente spezifiziert. Während für das stationäre Verhalten allgemeiner Warteschlangenmodelle in den meisten Fällen nur approximative Resultate existieren, liegen die stationären Verteilungen Markovscher Warteschlangenmodelle hingegen in exakter und expliziter Form vor. Beispielsweise ergibt sich die stationäre Verteilung für die Anzahl von Kunden in λ der einem M/M/1/K-Warteschlangensystem wie folgt aus der Verkehrsintensität ρ = μ Bedienstation, vgl. z. B. Stewart (2009, S. 427). pm =

⎧ ⎪ ⎨ρ m ⎪ ⎩

1−ρ , 1−ρK+1

1 , K+1

falls ρ = 1

falls ρ = 1

(2.11)

Dabei bezeichnet pm die Wahrscheinlichkeit, dass sich im stationären Gleichgewicht genau 0 ≤ m ≤ K Kunden im Wartesystem befinden. Für detaillierte Beschreibungen weiterer Varianten elementarer Warteschlangenmodelle einschließlich ihrer stationären Analysen sei an dieser Stelle z. B. auf die Standardwerke von Bolch et al. (2006, Kapitel 6), Stewart (2009, Kapitel 11 bis 14) oder Shortle et al. (2018, Kapitel 3, 4, 6 und 7) verwiesen. Zur Modellierung sequentieller Warteprozesse werden mehrere elementare Wartesysteme zu sog. Warteschlangennetzen zusammengefasst, vgl. z. B. Bolch et al. (2006, Kapitel 4). In diesen Netzen durchlaufen die Kunden die einzelnen Wartesysteme gemäß vorgegebe-

39

licherweise, wenn nicht anders angegeben, unabhängige Zwischenankunftszeiten. Genauso bezeichnet G auch in der vorliegenden Arbeit stets unabhängige und identisch verteilte Zwischenankunftszeiten. Abkürzung für „Poisson Arrivals See Time Averages“

44

Kapitel 2 Grundlagen der Leistungsanalyse automatisierter Lagersysteme

.. . .. .

.. . .. .

Abbildung 2.11: Exemplarisches Warteschlangennetz (Quelle: in Anlehnung an Stewart 2009, S. 565) ner Wahrscheinlichkeiten. Abbildung 2.11 zeigt beispielhaft ein aus vier Wartesystemen bestehendes Warteschlangennetz. Die Pfeile spezifizieren dabei die möglichen Wege der Kunden durch das Warteschlangennetz. Nach der Bedienung in Wartesystem  wechselt ein Kunde mit der sog. Routing-Wahrscheinlichkeit r zu Wartesystem  . Sind externe Ankünfte sowie Abgänge von Kunden möglich, so handelt es sich um ein offenes Warteschlangennetz, andernfalls um ein geschlossenes. In Abbildung 2.11 ist somit ein offenes Warteschlangennetz dargestellt, da über die gestrichelten Pfeile Kunden am Warteschlangennetz ankommen und dieses auch wieder verlassen können. Ohne die gestrichelten Pfeile handelt es sich hingegen um ein geschlossenes Warteschlangennetz. Das charakteristische Merkmal geschlossener Warteschlangennetze ist, dass stets eine konstante Anzahl von Kunden zwischen den verschiedenen Wartesystemen zirkuliert. Folgen die externen Ankünfte in einem offenen Warteschlangennetz Poisson-Prozessen und sind alle Bedienzeiten unabhängig und exponentialverteilt, so handelt es sich um den Spezialfall eines Jackson-Netzes, vgl. Jackson (1957). Der entsprechende Spezialfall geschlossener Warteschlangennetze, also ohne externe Ankünfte und Abgänge, heißt Gordon-Newell-Netz40 , vgl. Gordon und Newell (1967). Das charakteristische Merkmal dieser beiden Spezialfälle besteht darin, dass sich die gemeinsame stationäre Verteilung für die Kundenanzahl in allen Wartesystemen des Warteschlangennetzes als Produktformlösung aus den stationären Verteilungen der einzelnen Wartesysteme ergibt, vgl. z. B. Stewart (2009, S. 563 ff.). Da die im Rahmen dieser Arbeit entwickelten Modelle auf GordonNewell-Netzen mit Einbediener-Wartesystemen, d. h., c = 1, basieren, wird angelehnt an Stewart (2009, S. 568 ff.) nachfolgend eine kurze Einführung in deren stationäre Ana40

Gordon-Newell-Netze werden in der Literatur teilweise auch als „geschlossene Jackson-Netze“ bezeichnet, vgl. Shortle et al. (2018, S. 229). Diese Bezeichnung passt auch zur Interpretation von Chao et al. (1999, S. 220), die Gordon-Newell-Netze als Jackson-Netze mit Kapazitätsbeschränkung für die Gesamtanzahl von Kunden im Warteschlangennetz ansehen.

45

2.5 Stochastische Prozessmodellierung

lyse und mögliche Lösungsmethoden gegeben. Satz 2.8 beschreibt die charakteristische Produktformlösung der stationären Verteilung. Satz 2.8 (Stationäre Verteilung eines Gordon-Newell-Netzes). Der Zustandsraum eines Gordon-Newell-Netzes mit L Wartesystemen, N zirkulierenden Kunden und irreduzibler Routing-Matrix (r ), =1,...,L sei (N )

EL





L   = (b1 , . . . , bL )  b = N, b ∈ N0 für  = 1, . . . , L



=1



(2.12)

mit b als der Anzahl von Kunden an Wartesystem . Damit gilt für die stationäre Verteilung des Gordon-Newell-Netzes mit Einbediener-Wartesystemen: P (b1 , . . . , bL ) =

L  1 · ρ  b c(N ) =1



(N )

(b1 , . . . , bL ) ∈ EL



(2.13)

Dabei bezeichnet c(N ) die Normierungskonstante des Warteschlangennetzes und ρ die Verkehrsintensität von Wartesystem , die als Verhältnis von Gesamtankunftsrate κ zu Bedienrate μ definiert ist. Die Gesamtankunftsraten κ ergeben sich aus den sog. Verkehrsgleichungen. κ =

L 

 =1

κ · r 

( = 1, . . . , L)

(2.14)

Das System der Verkehrsgleichungen in (2.14) ist für Gordon-Newell-Netze unterbestimmt, wegen der Irreduzibilität der Routing-Matrix ist die Lösung aber bis auf einen konstanten Faktor eindeutig. Üblicherweise werden die Gesamtankunftsraten zu sogenannten relativen Besuchshäufigkeiten normiert, indem die Gesamtankunftsrate eines ausgewählten Wartesystems auf eins gesetzt wird und alle anderen Raten in Relation dazu angegeben werden. Alternativ werden die Gesamtankunftsraten teilweise auch so gewählt, dass deren Summe eins ergibt, vgl. z. B. Arnold und Furmans (2009, S. 139). Aufgrund der Division durch die Normierungskonstante c(N ) ist die Berechnung der stationären Wahrscheinlichkeiten in (2.13) jedoch unabhängig von der konkreten Wahl der Gesamtankunftsraten. Über die Normierungskonstante c(N ) wird sichergestellt, dass die (N ) P (b1 , . . . , bL ) aus (2.13) eine Wahrscheinlichkeitsverteilung auf dem Zustandsraum EL bilden. Es muss also folgender Zusammenhang gelten 

(N )

(b1 ,...,bL )∈EL

L  1 ! ρ b = 1 · c(N ) =1

(2.15)

46

Kapitel 2 Grundlagen der Leistungsanalyse automatisierter Lagersysteme

aus dem sich schließlich wie folgt die Normierungskonstante c(N ) ergibt. c(N ) =



(N )

(b1 ,...,bL )∈EL

L 

ρ b

(2.16)

=1

Für Gordon-Newell-Netze lässt sich die Berechnung der stationären Verteilung somit im Wesentlichen auf die Berechnung der Normierungskonstanten c(N ) reduzieren. Die Schwierigkeit besteht jedoch darin, dass die Anzahl der Summanden in (2.16) wegen    (N )   EL  =





N +L−1 N −1

(2.17)

bei gleichzeitiger Erhöhung von N und L exponentiell wachsen41 kann. Mit dem Faltungsalgorithmus (FA) von Buzen (1973) lässt sich die Normierungskonstante c(N ) dennoch effizient berechnen. Dieser Algorithmus basiert auf einer Rekursion für die Normierungskonstante c(N ) über die Anzahl zirkulierender Kunden im Warteschlangennetz. In vielen Anwendungsfällen genügt es, statt der detaillierten stationären Verteilung die Erwartungswerte wesentlicher Kennzahlen eines Gordon-Newell-Netzes, wie z. B. der erwarteten Kundenanzahl oder der erwarteten Verweildauer in den einzelnen Wartesystemen, zu bestimmen. Eine derart komprimierte stationäre Analyse kann über die Mittelwertanalyse (MWA) nach Reiser und Lavenberg (1980) erfolgen, die ohne explizite Berechnung der Normierungskonstante c(N ) auskommt. Für das Verfahren leiten die Autoren eine Rekursion für die erwartete Kundenanzahl und die erwartete Verweildauer über die Anzahl zirkulierender Kunden im Warteschlangennetz her, die auf den folgenden grundlegenden Sachverhalten basiert. • Littles Gesetz (vgl. Little 1961) Im stationären Gleichgewicht besteht zwischen der erwarteten Kundenanzahl und der erwarteten Verweildauer ein proportionaler Zusammenhang mit der Ankunftsrate als Proportionalitätsfaktor. Dieser gilt sowohl für jedes Wartesystem einzeln als auch für das Warteschlangennetz insgesamt. • Ankunftstheorem (vgl. Lavenberg und Reiser 1980) In einem stationären Gordon-Newell-Netz mit N zirkulierenden Kunden sieht ein Kunde, der an Wartesystem  ankommt, die stationäre Verteilung für die Anzahl an Kunden, die sich in Wartesystem  bei N − 1 zirkulierenden Kunden einstellt. 41

      2n 2n ≥ ni ∀i = 0, . . . , n ⇒ 2n ≤ (n + 1) nn/2 ⇔ nn/2 ≥ n+1 ≥ 2n   (N ) 2L 22L 2L 1 1 2L L L Betrachte N − 1 = L ⇒ |EL | = L ≥ 2·2L = 2L · 2 · 2 ≥ 2 · 2 , da 2L ≥ 1 für alle L ≥ 1. (N ) Daraus folgt, dass |EL | für L = N − 1 exponentiell in L bzw. N wächst. Es gilt: 2n =

n

i=0

n i

und

n n/2

2.5 Stochastische Prozessmodellierung

47

Nach Sevcik und Mitrani (1981) gilt das Ankunftstheorem in ähnlicher Weise auch für offene Jackson-Netze. In diesem Fall stimmt die Verteilung zu den Ankunftszeitpunkten sogar direkt mit der stationären Verteilung im Warteschlangennetz überein. Da die Ankünfte an den einzelnen Wartesystemen in Jackson-Netzen nicht notwendigerweise Poisson-Prozessen42 folgen, sehen Chao et al. (1999, S. 128) das Ankunftstheorem daher als Verallgemeinerung der PASTA-Eigenschaft43 auf Produktformnetze an. Dass in Gordon-Newell-Netzen eine leicht abgewandelte Form gilt, die sich auf die stationäre Verteilung im identischen Warteschlangennetz, aber mit einem zirkulierenden Kunden weniger bezieht, hängt mit deren beschränkter Kundenkapazität zusammen. Neben Gordon-Newell-Netzen gibt es auch allgemeine geschlossene Warteschlangennetze, die sich aus elementaren Wartesystemen mit allgemein verteilten Bedienzeiten zusammensetzen. Für die stationäre Verteilung dieser Warteschlangennetze existiert keine Produktformlösung, sodass sich das stationäre Verhalten i. A. nur noch approximativ analysieren lässt. Ein entsprechendes Lösungsverfahren ist beispielsweise die verallgemeinerte MWA nach Curry und Feldman (2011, S. 252 ff.). Diese Verallgemeinerung basiert auf der (nicht zutreffenden) Annahme, das Ankunftstheorem sei auch für Warteschlangennetze ohne Produktformlösung gültig. Daher handelt es sich bei der verallgemeinerten MWA auch lediglich um ein approximatives Verfahren. Die fehlende Gedächtnislosigkeit bei allgemein verteilten Bedienzeiten erfordert außerdem eine Anpassung der MWA, da Bedien- und Restbedienzeit in diesem Fall nicht mehr identisch verteilt sind. Bei der Berechnung der erwarteten Verweildauer eines ankommenden Kunden muss daher nun die erwartete Restbedienzeit des Kunden, der sich zum Ankunftszeitpunkt gerade in Bedienung befindet, explizit in die Rekursion miteinbezogen werden. Für weitere Methoden zur stationären Analyse geschlossener Warteschlangennetze sei beispielsweise auf das Standardwerk von Bolch et al. (2006, S. 410 ff.) oder den Literaturüberblick von Lagershausen (2012, Kapitel 3) verwiesen. Für Produktformnetze finden sich darin neben exakten Ansätzen, wie dem FA und der MWA, auch einige approximative Lösungsverfahren. Allgemeine Warteschlangennetze können bis auf wenige Spezialfälle, z. B. mit zwei Wartesystemen, nur approximativ analysiert werden. Dafür existieren neben der verallgemeinerten MWA noch einige weitere analytische Approximationsverfahren. Alternativ werden auch vermehrt ereignisorientierte Simulationen für die stationäre Analyse allgemeiner Warteschlangennetze eingesetzt, vgl. z. B. Bolch et al. (2006, S. 610). 42

Eine Abweichung von Poisson-Prozessen ergibt sich beispielsweise, wenn das Jackson-Netz Schlingen oder Zyklen beinhaltet, vgl. Melamed (1979).

43

Die Autoren bezeichnen das Ankunftstheorem für Jackson-Netze deshalb auch mit ASTA als Abkürzung für „Arrivals See Time Averages“.

48

Kapitel 2 Grundlagen der Leistungsanalyse automatisierter Lagersysteme

Nach dieser Einführung in die allgemeinen Grundlagen der Leistungsanalyse automatisierter Lagersysteme schließt sich im nächsten Kapitel ein Überblick über den Stand der Forschung an. Dieser Überblick bezieht sich auf konkrete Modelle zur Leistungsanalyse unter verschiedenen Lagerkonfigurationen. Der Schwerpunkt liegt dabei auf Modellierungsansätzen, die stochastische Einflüsse im Rahmen der Leistungsanalyse berücksichtigen. Darunter befinden sich auch zahlreiche analytische Ansätze, die auf den in diesem Abschnitt vorgestellten stochastischen Modellierungskonzepten beruhen.

Kapitel 3 Stand der Forschung Mit Einführung der ersten automatisierten HRL in den 1960er-Jahren wurden auch die ersten Arbeiten zur Leistungsanalyse der Fördermittel in Lagersystemen veröffentlicht, vgl. Lippolt (2003, S. 77). Die komplexen Zusammenhänge in einem Lagersystem führen dazu, dass zahlreiche Faktoren die Leistungsfähigkeit des Fördersystems beeinflussen. Wie bereits Sarker und Babu (1995) herausstellen, ist es deshalb nahezu unmöglich, alle Einflussfaktoren in einem einzigen Modell abzubilden. Dies spiegelt sich auch in der Vielzahl vorhandener Publikationen wider, in denen die Leistung unter Berücksichtigung unterschiedlicher Kombinationen von Einflussfaktoren analysiert wird. Um diese problembezogen einzugrenzen, beschränkt sich der nachfolgende Literaturüberblick auf den engeren Betrachtungsgegenstand der vorliegenden Forschungsarbeit. Der Schwerpunkt liegt dabei auf Modellierungen für den E/A-Prozess, die • stochastische Einflüsse einbeziehen und • E/A-Strategien zur Reduzierung der mittleren Spielzeit berücksichtigen. Für weiterführende Literaturübersichten zur effizienten Bewirtschaftung von Lagersystemen sei an dieser Stelle beispielsweise auf die Arbeiten von van den Berg (1999) und Gu et al. (2010) verwiesen. Einen allgemeinen Überblick über den Einsatz stochastischer Modelle zur Analyse von Lagerprozessen geben Gong und de Koster (2011). Umfangreiche Zusammenstellungen von Spielzeitmodellen in automatisierten HRL finden sich darüber hinaus bei Lippolt (2003, Kapitel 4) und Vasili et al. (2012, S. 159 ff.) sowie mit einer expliziten Schwerpunktsetzung auf analytisch-stochastischen Modellen bei Johnson und Brandeau (1996). Um die auch für das oben eingegrenzte Untersuchungsgebiet noch sehr zahlreichen Publikationen übersichtlich einordnen zu können, wird unter Berücksichtigung methodischer

© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2021 A. Heßler, Stochastische Leistungsanalyse von Lagersystemen, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31811-6_3

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Kapitel 3 Stand der Forschung

und anwendungsspezifischer Kriterien in Abschnitt 3.1 zunächst ein Klassifikationsschema eingeführt. Darauf aufbauend gliedert sich der anschließende Literaturüberblick in den Abschnitten 3.2 bis 3.4 nach der Art der Modellbildung. Die Erkenntnisse, die sich daraus für die vorliegende Forschungsarbeit ergeben, werden in Abschnitt 3.5 zusammengefasst, bevor abschließend in Abschnitt 3.6 einschlägige Ansätze aus der Literatur näher vorgestellt werden.

3.1 Klassifikation Das wesentliche Unterscheidungsmerkmal von Ansätzen zur Leistungsanalyse von Fördermitteln liegt in der Art der Modellbildung. Bezogen auf die Leistungsanalyse flexibler Fertigungssysteme unterscheiden Tempelmeier und Kuhn (1993, S. 58 ff.) die folgenden drei Klassen evaluativer Modelle, die sich gleichermaßen auf die Modellierung von Lagersystemen anwenden lassen, vgl. Wisser (2009, S. 41 ff.). • Statische Modelle Das System wird durch Vernachlässigung oder Vereinfachung stochastischer Einflüsse deterministisch modelliert. Dies erfolgt i. d. R. durch eine mathematische Beschreibung des Systems basierend auf statistischen Kenngrößen. • Simulationsmodelle In einer Computersimulation wird das System möglichst detailgetreu nachgebildet. Das resultierende Simulationsmodell stellt ein ablauffähiges Modell dar, mit dem unter Berücksichtigung stochastischer Einflussgrößen die dynamischen Zusammenhänge im System experimentell analysiert werden können, vgl. Gutenschwager et al. (2017, S. 22). • Analytisch-stochastische Modelle Das Systemverhalten wird basierend auf stochastischen Prozessen analytisch abgebildet. Dabei kommen u. a. die in Abschnitt 2.5 eingeführten Konzepte Markovketten, Warteschlangensysteme oder Warteschlangennetze zum Einsatz. Mit derartigen Modellen lassen sich Kenngrößen für die Systemleistung im stationären Gleichgewicht analytisch berechnen. Auf methodischer Ebene wird darüber hinaus noch unterschieden, ob der E/A-Prozess aus Sicht der Aufträge oder aus Sicht der Fördermittel modelliert wird. Unter einer auftragsbezogenen Modellierung wird dabei verstanden, dass die Lageraufträge den zentralen Betrachtungsgegenstand der Analyse darstellen. Hierfür wird der E/A-Prozess ab

3.1 Klassifikation

51

Ankunft der Lageraufträge bis zu deren vollständiger Ausführung modelliert. Diesen Ansätzen liegen i. d. R. Annahmen über den Bewegungsablauf der Fördermittel zugrunde. Erfolgt die Modellierung hingegen aus Sicht der Fördermittel, so stehen die konkreten Förderbewegungen im Mittelpunkt der Betrachtung. In diesen Modellen beginnt die Analyse erst mit der Ausführung eines Lagerspiels. Während bei der auftragsbezogenen Modellierung eine prozessbezogene Perspektive eingenommen wird, steht bei der fördermittelbezogenen Modellierung die Leistungsanalyse von Potentialfaktoren im Vordergrund. Wie sich im weiteren Verlauf herausstellen wird, unterscheiden sich diese beiden Sichtweisen insbesondere in den Kenngrößen, die im Rahmen der Leistungsanalyse ausgewertet werden. Bei auftragsbezogener Modellierung werden v. a. Kenngrößen mit Bezug zu den Lageraufträgen betrachtet, wie z. B. die Wartezeit oder die Anzahl wartender Lageraufträge, wohingegen der Fokus fördermittelbezogener Modelle auf Kenngrößen der Förderprozesse liegt, wie z. B. der mittleren Spielzeit sowie den dafür benötigten Wahrscheinlichkeiten für Zugriffe auf die Lagerplätze. Bei den analytisch-stochastischen Ansätzen variiert darüber hinaus der Betrachtungszeitpunkt für die Ankünfte der Lageraufträge, worauf in Abschnitt 3.4 noch näher eingegangen wird. Weiterhin unterscheiden sich die Publikationen dahingehend, ob und in welcher Form stochastische Einflüsse im Rahmen der Leistungsanalyse berücksichtigt werden. Der überwiegende Teil der Arbeiten bezieht unsichere Ankünfte der Lageraufträge in die Modellierung mit ein, in den auftragsbezogenen Ansätzen werden darüber hinaus die Fahrtzeiten der Fördermittel mit Hilfe von Wahrscheinlichkeitsverteilungen modelliert. Innerhalb der stochastischen Ansätze wird daher für die Klassifikation noch hinsichtlich der verwendeten Verteilungsklassen differenziert. Für die Einordnung bestehender Ansätze sind neben diesen methodischen Gesichtspunkten noch weitere Klassifikationskriterien zu berücksichtigen, die sich auf die modellierte Lageranwendung beziehen. Anhand dieser Kriterien wird der untersuchte E/A-Prozess charakterisiert. Wie in Abschnitt 2.4 erläutert, wird die Leistung der Fördermittel neben der technischen Konfiguration des Lagersystems im Wesentlichen durch die eingesetzten Lagerbetriebsstrategien beeinflusst. Auf taktischer Ebene sind das die Lagerplatzvergabestrategien (LPVS) sowie die Spielstrategien und auf operativer Ebene die E/A-Strategien. Diese Strategiearten wurden zusammen mit ihren möglichen Ausprägungen bereits in Abschnitt 2.3 detailliert beschrieben. Darüber hinaus beeinflusst die Losbildung im Rahmen des Bestandsmanagements das Ankunftsverhalten der EA. In der Klassifikation wird hierbei zwischen Batch-Ankünften, die sich z. B. aus einer Anwendung periodischer

52

Kapitel 3 Stand der Forschung

Bestellpolitiken44 ergeben, sowie Einzelankünften unterschieden. Tendenziell sind Einzelankünfte eher im Kontext der Produktion und Batch-Ankünfte bei Beschaffung der Lagerartikel mit losweiser Anlieferung vorzufinden. Tabelle 3.1 gibt einen Überblick über die oben genannten Klassifikationskriterien. Darin sind auch alle Ausprägungen aufgeführt, die in den betrachteten Publikationen verwendet werden. Die hervorgehobenen Ausprägungen charakterisieren den neuen Ansatz, der in der vorliegenden Arbeit entwickelt wird. Hierbei handelt es sich um ein analytischstochastisches Modell zur fördermittelbezogenen Leistungsanalyse eines Lagersystems, in dem ausschließlich Einzelspiele durchgeführt werden. Im Fokus steht hierbei die Modellierung der E/A-Strategie KFS, die innerhalb der freien LPV eingesetzt wird. Durch Anwendung des Modells auf einzelne Zonen ist jedoch auch eine direkte Übertragung auf Zonierung und feste LPV, als Spezialfall der Zonierung mit einer Zone je Artikel, möglich. Das Grundmodell in Kapitel 4 beruht zunächst auf der Annahme, dass die Ein- und Auslagervorgänge an den Lagerplätzen unabhängige Poisson-Prozesse bilden, und daraus wird in Kapitel 5 eine Verallgemeinerung für allgemein verteilte Zwischenankunftszeiten abgeleitet. Mit diesen Modellen können schließlich zahlreiche Kenngrößen der Förderprozesse bei Einsatz der KFS ausgewertet werden. Der nachfolgende Literaturüberblick zum Stand der Forschung gliedert sich nach der Art der Modellbildung. Für die einzelnen Ansätze wird darin v. a. herausgearbeitet, welche Ausprägungskombinationen den Leistungsanalysen jeweils zugrunde liegen. Zur zusammenfassenden Einordnung der relevantesten Publikationen wird in Abschnitt 3.5 abschließend noch ein tabellarischer Überblick gegeben.

3.2 Statische Modelle Vor allem in frühen Publikationen wird die Dynamik des E/A-Prozesses bei der Modellierung durch vereinfachende Annahmen ausgeblendet. Dies führt zu statischen Modellen für die Leistungsanalyse von Fördermitteln, die vergleichsweise einfach zu berechnen sind. Vereinfachungen sind dabei u. a. deterministische Auftragsankünfte oder Verteilungsannahmen für die Zugriffe auf die einzelnen Lagerplätze. Da ein Schwerpunkt des Literaturüberblicks auf der Einbeziehung von E/A-Strategien in die Leistungsanalyse liegt, werden nachfolgend statische Modelle mit verschiedenen Annahmen für die Zu-

44

Für eine ausführliche Einführung in Methoden des Bestandsmanagements sei an dieser Stelle z. B. auf Thonemann (2015, S. 193 ff.) verwiesen.

53

3.2 Statische Modelle

Kriterium

Ausprägungen

Methodik

AS Si St

Analytisch-stochastisches Modell Simulationsmodell Statisches Modell

Sichtweise

A F

Auftragsbezogen Fördermittelbezogen

Verteilung der Zwischenankunftszeiten bzw. Fahrtzeiten

C D Emp G M

Cox-Verteilung Deterministisch Empirische Verteilung Allgemeine Verteilung Exponentialverteilung (Markovsch)

Losbildung

B E

Batch-Ankünfte Einzelankünfte

LPVS

C F Z

Chaotische (freie) Lagerplatzvergabe Feste Lagerplatzvergabe Zonierung

Spielstrategien

D E M

Doppelspiele Einzelspiele Mehrfachspiele

E/A-Strategien

CC CF COL DYN FIFO KFS LTF PRS SPT UB

Closest Channel (Nächstgelegener Lagerkanal)1 Closest Floor (Nächstgelegene Regalebene)1 Closest Open Location (für EA) Dynamische Zonierung (DYN/FIFO)2 First In-First Out Kürzeste-Fahrtzeit-Strategie2 Lowest Tier First Pure Random Storage3 Shortest Processing Time (für AA) Umschlagsbasierte Allokation

Kenngrößen

A B D E K L LB LZ S SG V VL VS W Z

Auslastung der Fördermittel Belegungswahrscheinlichkeiten (Grenz-)Durchsatz Energieverbrauch (Betriebs-)Kosten Anzahl wartender Lageraufträge Lagerplatzbedarf Leerfahrtzeit Mittlere Spielzeit Servicegrad Verweildauer der Lagereinheiten Verhältnis der Lagerspielarten Varianz der Spielzeit Wartezeit der Lageraufträge Zugriffswahrscheinlichkeiten

1

Bei diesen beiden E/A-Strategien handelt es sich um spezielle fahrtzeitbezogene E/A-Strategien für Shuttle-Systeme, die in Abschnitt 3.4.2 noch näher vorgestellt werden. Diese Strategien stellen kombinierte E/A-Strategien für beide Auftragsarten dar. 3 PRS kann sowohl als kombinierte E/A-Strategie als auch als reine Einlager- oder Auslagerstrategie eingesetzt werden.

2

Tabelle 3.1: Klassifikationskriterien für Ansätze zur Leistungsanalyse

54

Kapitel 3 Stand der Forschung

griffswahrscheinlichkeiten vorgestellt. Eine weit verbreitete Annahme sind gleichverteilte Zugriffe, deren Ursprung und Anwendungsbereiche daher zunächst aufgezeigt werden.

3.2.1 Gleichverteilte Zugriffe Die Gleichverteilungsannahme entspricht der E/A-Strategie PRS, bei der die Lagerplätze rein zufällig ausgewählt werden. Diese Annahme wird jedoch auch für die Modellierung von Lagersystemen herangezogen, die unter fahrtzeitreduzierenden Strategien betrieben werden. Dies geht im Wesentlichen auf eine der ersten Publikationen zur Spielzeitermittlung von Hausman et al. (1976) zurück. Die Autoren formulieren die Hypothese, die Einlagerstrategie COL könne durch PRS hinreichend genau approximiert werden. Ihre Argumentation, die im weiteren Verlauf kurz skizziert wird, stützt sich dabei auf die folgenden Annahmen. • Die E/A-Raten der Lagereinheiten seien bekannt und konstant. • Ein- und Auslagerungen werden immer im Wechsel ausgeführt. • Die Kapazitätsauslastung des Lagersystems sei konstant. • Die EA werden gemäß des Prinzips FIFO abgearbeitet und zu jedem Zeitpunkt sei mindestens ein EA vorhanden. Implizit wird darüber hinaus angenommen, dass die Zuordnung von AA zu Lagerplätzen eindeutig ist (LTPR = 1), sodass keine Auslagerstrategie benötigt wird, vgl. Gagliardi et al. (2012b). Wird ein Lagersystem unter diesen Annahmen nach der Einlagerstrategie COL bewirtschaftet, so beschränkt sich die Nutzung der Lagerplätze langfristig auf deren Teilmenge mit minimalen Fahrtzeiten. Folglich wird immer in den Lagerplatz eingelagert, aus dem zuvor ausgelagert wurde. Zusammen mit der Unabhängigkeit der nacheinander eingelagerten Artikel schließen die Autoren daraus, dass jeder Lagerplatz aus der genutzten Teilmenge mit der gleichen Wahrscheinlichkeit ausgewählt wird und COL somit durch PRS approximiert werden kann. Die von Hausman et al. (1976) getroffenen Annahmen sind jedoch für Lagersysteme i. A. nicht zutreffend. Einige Simulationsstudien bestätigen auch einen erheblichen Leistungsunterschied zwischen PRS und fahrtzeitbezogenen E/A-Strategien, worauf in Abschnitt 3.3 noch näher eingegangen wird. Die Annahme einer Gleichverteilung für die Auswahl der Lagerplätze findet sich in zahlreichen weiteren Publikationen, von denen nachfolgend einige Ansätze aus verschiedenen Bereichen exemplarisch genannt seien. In der wissenschaftlichen Literatur greifen beispielsweise Koh et al. (2002) und Lippolt (2003, S. 35) die Argumentation von Hausman

3.2 Statische Modelle

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et al. (1976) auf und verwenden die E/A-Strategie PRS ebenfalls als Approximation für COL. Darüber hinaus existieren zahlreiche statische Ansätze zur Bestimmung der mittleren Spielzeit, die grundlegend auf der Annahme von PRS basieren. Für automatisierte HRL sind das z. B. die Arbeiten von Bozer und White (1984), Hwang und Lee (1990) oder Lerher et al. (2006, 2010) und für Shuttle-Systeme mit sequentiellen Förderprozessen die Arbeiten von Hu et al. (2005) oder Lerher et al. (2015). Wie in Abschnitt 3.4 noch näher ausgeführt wird, ist es in stochastisch-analytischen Ansätzen zur Leistungsanalyse von Fördermitteln ebenfalls weitestgehend üblich, von gleichverteilten Zugriffen auszugehen. Darüber hinaus stützen sich auch die Richtlinien des Vereins Deutscher Ingenieure (VDI) und der Fédération Européenne de la Manutention (FEM) auf die Gleichverteilungsannahme. Mit der Richtlinie 3561 des VDI (1973) wird die Ein- und Auslagerleistung eines automatisierten HRL basierend auf Testspielen ermittelt. Dafür sind charakteristische Lagerplätze angegeben, deren Spielzeiten zur Berechnung von Schätzwerten für die mittleren Spielzeiten von Einzel- und Doppelspielen herangezogen werden. In der Richtlinie wird zwar darauf hingewiesen, dass diese Schätzung nur unter der Gleichverteilungsannahme hinreichend genau ist. Eine alternative Vorgehensweise für andere E/A-Strategien wird allerdings nicht vorgeschlagen. Ein ähnlicher Ansatz mit leicht abweichenden Lagerplätzen für die Testspiele findet sich bei Gudehus (2010, S. 622 ff.). In der Richtlinie 9.851 der FEM (2003) werden ebenfalls unter Annahme gleichverteilter Zugriffe Testspiele für Einzel- und Doppelspiele bei unterschiedlichen Lagerkonfigurationen hergeleitet. In dieser Richtlinie wird sogar explizit erwähnt, dass eine exakte Ermittlung der durchschnittlichen Spielzeit sehr aufwendig ist. Auch in den neueren Richtlinien 9.860 der FEM (2017) und 2692 des VDI (2015) zur Bestimmung der mittleren Spielzeit in Shuttle-Systemen werden E/A-Strategien nicht berücksichtigt. Dies spiegelt sich darin wider, dass sowohl die Wahl der Regalebene bei der vertikalen Förderung als auch die Zugriffe auf die Lagerplätze innerhalb einer Regalebene als gleichverteilt angenommen werden. Die Feststellung von Schumann (2008, S. 49), es mangele den Richtlinien an Genauigkeit im Hinblick auf die Berücksichtigung fahrtzeitreduzierender E/A-Strategien, gilt also nach wie vor. Als Rechtfertigung für die Anwendung der Richtlinien wird häufig deren einfache Berechnung angeführt, vgl. FEM (2003). Aufgrund dessen sind sie auch in einschlägigen Standardwerken, wie z. B. Thomas (2008, S. 659 f.) und Arnold und Furmans (2009, S. 202 ff.), zu finden und können als Stand der Technik angesehen werden.

56

Kapitel 3 Stand der Forschung

3.2.2 Weitere Verteilungsarten Hausman et al. (1976) untersuchen neben freier LPV mit PRS auch eine rein umschlagsbasierte feste LPV. Je höher die Umschlagsrate einer Lagereinheit ist, desto näher wird diese am E/A-Punkt gelagert, wobei die Zuordnung der Lagerplätze fest ist. Da die E/A-Raten als bekannt und konstant angenommen werden, lässt sich die Zugriffswahrscheinlichkeit eines Lagerplatzes folglich durch die relative Ankunftsrate der zugeordneten Lagereinheit angeben. In einer exemplarischen Anwendung leiten die Autoren die E/A-Raten basierend auf einer ABC-Kurve für die Zusammensetzung des Bestands sowie der optimalen Bestellmenge des Economic Order Quantity (EOQ)-Modells her. Zusammen mit einer kontinuierlichen Repräsentation der betrachteten Regalwand ergibt sich schließlich ein analytischer Ausdruck für die mittlere Spielzeit der Einzelspiele. Weiterhin analysieren Hausman et al. (1976) die mittlere Spielzeit auch bei Zonierung mit PRS. Für diesen Fall setzen sich die Zugriffswahrscheinlichkeiten aus den kumulierten relativen Ankunftsraten aller Artikel einer Zone und einer Gleichverteilung innerhalb der Zonen zusammen. Die Verteilungsannahmen von Hausman et al. (1976) finden auch noch in aktuelleren Arbeiten Anwendung. So leiten beispielsweise Rao und Adil (2017) darauf basierend analytische Formeln für die mittlere Spielzeit von Einzelspielen bei Betrachtung mehrerer Lagergassen her. Der Fokus liegt dabei auf verschiedenen Strategien für die Zuordnung von Lagereinheiten bzw. Zonen zu Lagerplätzen sowie deren Einfluss auf die Leistungsfähigkeit des Lagersystems. Dabei unterscheiden sie die folgenden Fälle: Verteilung über die Lagergassen (across-aisle) bzw. innerhalb der Lagergassen (within-aisle) sowie eine hybride Strategie (within-across-aisle). Kim und Seidmann (1990) betrachten die Berechnung erwarteter Spielzeiten in einem automatisierten HRL, das nach einer rein umschlagsbasierten E/A-Strategie bewirtschaftet wird. Die Zugriffswahrscheinlichkeiten modellieren sie über eine Verteilungsdichte, die mittels eines Formparameters an eine vorgegebene ABC-Kurve für die E/A-Raten der Artikel angepasst wird. Die Verteilungsdichte ist dabei so gewählt, dass sie am E/A-Punkt den höchsten Wert aufweist und mit wachsender Entfernung zum E/A-Punkt sinkt. Damit leiten die Autoren geschlossene Ausdrücke für die mittleren Spielzeiten von Einzelund Doppelspielen her, wobei als Distanzmaß die Tchebychev-Metrik zugrunde gelegt wird. Mittels der vorab beschriebenen, angepassten Verteilungsdichte wird auch eine Zonierung der Lagerplätze untersucht. Hierbei wird als E/A-Strategie innerhalb der Zonen explizit die E/A-Strategie COL angesetzt, die jedoch wieder durch eine Gleichverteilung approximiert wird.

3.3 Simulation

57

3.3 Simulation Zur Analyse der dynamischen Prozesse in Produktions- und Logistiksystemen werden vermehrt auch Simulationen eingesetzt, um die stochastischen Einflüsse zu berücksichtigen. Dies gilt insbesondere auch für die Leistungsanalyse von Fördersystemen. Gutenschwager et al. (2017, S. 37 ff.) führen u. a. folgende Gründe an, die den Einsatz von Simulationen gegenüber analytischen Verfahren rechtfertigen. • Eine Entwicklung analytischer Modelle ist für die immer komplexer werdenden Systeme häufig nicht möglich. • Simulationen können die Modellierung im Vergleich zu analytischen Verfahren vereinfachen. • Für analytische Modelle sind i. d. R. mehr einschränkende Annahmen erforderlich als für Simulationsmodelle. Hinzu kommt, dass analytische Modelle hinsichtlich der Größenordnung auswertbarer Instanzen häufig beschränkt sind. Außerdem werden Simulationen zur Validierung analytisch-stochastischer Modelle eingesetzt. Epp (2017, S. 31 ff.) gibt einen Literaturüberblick über Simulationsansätze zur Leistungsanalyse von Shuttle-Systemen. Eine entsprechende Übersicht für automatisierte HRL findet sich bei Gagliardi et al. (2012a). Diese Simulationsstudien analysieren u. a. den Einfluss der Spielbildung, der Ruheposition eines Fördermittels, der LPVS sowie der Lage der Übergabepunkte. Im Folgenden werden kurz die Ergebnisse derjenigen Publikationen zusammengefasst, in denen die Auswirkungen von E/A-Strategien unter Berücksichtigung stochastischer Einflüsse untersucht werden. Eine der ersten Arbeiten, in denen stochastische Auftragsankünfte berücksichtigt werden, ist 1978 von Schwarz et al. veröffentlicht worden. Mittels Simulation untersuchen die Autoren, ob die analytischen Ergebnisse von Hausman et al. (1976) für freie LPV und Zonierung, siehe Abschnitt 3.2, auch in einem stochastischen Umfeld Bestand haben. Hierbei gehen sie davon aus, dass die EA gemäß einem Poisson-Prozess ankommen, und die Verteilung der Verweildauern leiten sie aus den Umschlagsraten des EOQ-Modells ab. Die Simulationsergebnisse bestätigen schließlich das Resultat von Hausman et al. (1976), dass die Einlagerstrategien COL und PRS als äquivalent angesehen werden können. Ein ähnliches Simulationsmodell mit COL setzt Azadivar (1986) zur heuristischen Lösung eines stochastischen Optimierungsproblems ein. Das Ziel seiner Arbeit besteht darin, den Durchsatz eines Lagersystems unter Beschränkung der Anzahl wartender EA sowie der

58

Kapitel 3 Stand der Forschung

Wartezeit für AA zu maximieren. Dafür entwickelt er ein iteratives Lösungsverfahren, bei dem die Simulationsergebnisse in einen Optimierungsalgorithmus einbezogen werden. Kaylan und Medeiros (1988) untersuchen mittels Simulation die Durchsatzleistung eines automatisierten HRL, das in einem Fertigungssystem mit mehreren Arbeitsstationen als Puffer für die Halbfertigerzeugnisse dient. Unter der Annahme, der Umlaufbestand an Halbfertigerzeugnissen sei konstant, analysieren sie den Einfluss verschiedener Kombinationen aus LPV- und E/A-Strategien. Neben freier LPV und Zonierung mit PRS betrachten sie auch eine Strategie45 , die der KFS sehr ähnlich ist. Bei dieser Strategie wird ein Halbfertigerzeugnis in einen Lagerplatz eingelagert, der möglichst nahe an dessen nächster Arbeitsstation gelegen ist. Für Auslagerungen wird unter allen infrage kommenden Halbfertigerzeugnissen dasjenige ausgewählt, das dem aktuellen Standort des RBG am nächsten gelegen ist. Die Auswertung zeigt, dass die Leistungsfähigkeit des RBG unter dieser Strategie vom Lagerfüllgrad abhängt. In diesem speziellen Anwendungsfall dominiert sie bei einem Lagerfüllgrad von weniger als 70 % die anderen Strategien, während sich bei höherem Lagerfüllgrad durch geeignete Zonierung ein höherer Durchsatz erzielen lässt. Goetschalckx und Ratliff (1990) schlagen vor, E/A-Strategien nicht auf die Umschlagsraten der Artikel, sondern auf die individuellen Verweildauern einzelner Lagereinheiten je Artikel zu beziehen. Unter der Annahme eines perfekt balancierten Lagersystems, d. h. mit übereinstimmenden Zu- und Abgängen je Periode und Zone, leiten sie eine optimale Zonierung zur Minimierung der Spielzeit von Einzelspielen in einem Einzelplatzlager her. Daraus entwickeln sie schließlich Heuristiken zur Lagerplatzwahl in unbalancierten Lagersystemen, die sie in einer weitestgehend deterministischen Simulationsstudie mit umschlagsbasierter fester LPV, umschlags- und verweildauerbasierter Zonierung sowie freier LPV mit COL vergleichen. Bei periodischem Bestandsmanagement weisen die Ergebnisse darauf hin, dass die heuristisch auf die Verweildauern abgestimmte Strategie die mittlere Spielzeit des RBG reduzieren kann, eine verweildauerbasierte Zonierung mit zwei Zonen hingegen nicht. Kulturel et al. (1999) vergleichen in ihrer Simulationsstudie umschlags- und verweildauerbasierte Zonierungen mit drei Zonen und PRS. Hierfür analysieren sie eine Lagergasse eines automatisierten HRL unter folgenden Annahmen. Für jeden Artikel wird eine periodische Bestellpolitik angewendet, die Ankünfte von AA folgen Poisson-Prozessen und die Lageraufträge werden in Einzel- oder Doppelspielen ausgeführt. Aus den Ergebnissen geht hervor, dass die auf den Umschlagsraten basie-

45

Bezogen auf den Anwendungsfall wird diese Strategie als „Close-to-Next Workstation policy“ bezeichnet.

3.3 Simulation

59

rende Zonierung zu niedrigeren Spielzeiten führt, bei größerem Lagersortiment ist der Leistungsunterschied jedoch nicht mehr signifikant. Rao und Wang (1991) vergleichen in ihrer Simulationsstudie operative Lagerbetriebsstrategien für eine Lagergasse eines automatisierten HRL. Als Strategiekombinationen werden freie LPV mit PRS, LTF bzw. COL sowie Zonierung mit COL untersucht. Darüber hinaus finden verschiedene Regeln zur Spielbildung Anwendung. Um saisonal schwankende Bedarfe abzubilden, werden inhomogene Poisson-Prozesse mit zeitabhängigen Erwartungswerten für die exponentialverteilten Zwischenankunftszeiten zugrunde gelegt. Die Simulationsergebnisse zeigen, dass in diesem Fall die Kombination aus freier LPV und COL die höchste Leistungsfähigkeit erzielt, wobei die Systemleistung in diesem Fall anhand der Wartezeit der Lageraufträge gemessen wird. Darüber hinaus analysieren Rao und Wang (1991), wie sich eine dynamische Wahl der Strategien auf die Leistung auswirkt. Die vorgeschlagenen Auswahlregeln sind dabei abhängig von der Auslastung des RBG, dem Lagerbelegungsgrad sowie der Anzahl wartender Lageraufträge. So soll beispielsweise bei hoher Auslastung des RBG die E/A-Strategie COL gewählt werden, um möglichst kurze Fahrtzeiten zu erzielen. Aus der Simulation geht hervor, dass die Leistung mit dieser dynamischen Strategiewahl deutlich erhöht werden kann. Randhawa und Shroff (1995) setzen in einer ähnlichen Simulationsstudie COL in Verbindung mit freier LPV sowie Zonierung ein. Der Fokus liegt darin jedoch auf der Analyse verschiedener Spielbildungsstrategien. Weitere Simulationsstudien zum Leistungsvergleich verschiedener Lagerbetriebsstrategien finden sich auch bei van den Berg und Gademann (2000) und erweitert auf mehrere Lagergassen bei Lerher (2006). In all diesen Untersuchungen wird jedoch implizit davon ausgegangen, dass die Zuordnung von AA zu Lagereinheiten eindeutig ist, sodass keine Auslagerstrategie benötigt wird. Gagliardi et al. (2012b) beziehen in ihre Simulationsstudie hingegen auch Auslagerstrategien mit ein. Unter der Annahme, dass jedem Artikel a priori eine feste Anzahl von Lagerplätzen zugewiesen wird, betrachten sie neben LTPR = 1 auch den Fall, dass mehrere Lagereinheiten je Artikel vorhanden sein können (LTPR > 1). Darauf aufbauend untersuchen sie für eine Lagergasse eines Einzelplatzlagers die Auswirkungen der E/A-Strategien PRS und COL/SPT46 auf die Systemleistung. Unabhängig von der LTPR zeigen die Simulationsergebnisse, dass bei gegebener LPVS eine Anwendung der E/A-Strategie COL/SPT die Durchsatzleistung des RBG im Vergleich zu PRS erhöht. Interessanterweise gilt für einige Szenarien mit LTPR > 1 sogar, dass die fahrtzeitbezogene E/A-Strategie in Kombination mit freier LPV zu einer höheren Leistung führt als mit 46

Der Unterschied zwischen den fahrtzeitbezogenen E/A-Strategien KFS und COL/SPT besteht darin, dass für Auslagerungen nach KFS die Distanz zum E/A-Punkt und nach SPT die Distanz zum aktuellen Standort des RBG maßgeblich ist. Für Einzelspiele ist jedoch nur die KFS sinnvoll anwendbar.

60

Kapitel 3 Stand der Forschung

Zonierung. Gagliardi et al. (2012b) begründen diesen Effekt damit, dass umschlagsbezogene E/A-Strategien explizit auf das vermutete Ankunftsverhalten der Lageraufträge abgestimmt sind, wohingegen freie LPV mit COL/SPT die Nutzung der Lagerplätze automatisch an die tatsächlichen Auftragsankünfte anpasst. In ihren Auswertungen zeigen sie auch, dass die Zugriffe auf die einzelnen Lagerplätze bei Anwendung von COL/SPT nicht gleichverteilt sind. Gagliardi et al. (2014) erweitern diese Simulationsumgebung, um auch verschiedene Strategien für die Spielbildung in die Untersuchung einbeziehen zu können. Da bei gleichzeitiger Betrachtung mehrerer Lagergassen durch Einsatz geeigneter Spielbildungs- und E/A-Strategien zusätzliches Verbesserungspotential vorhanden ist, verallgemeinern Gagliardi et al. (2015) das Simulationsmodell auf mehrere Lagergassen. Umfangreiche Simulationsstudien mit expliziter Berücksichtigung von E/A-Strategien finden sich darüber hinaus in den Dissertationen von Schumann (2008), Glass (2008) und Piepenburg (2016). Schumann (2008, S. 58 ff.) entwickelt ein Simulationsmodell zur Leistungsanalyse von automatisierten HRL, das die Konfigurationsplanung von Lagersystemen unterstützen soll. Mit diesem Modell untersucht er die Auswirkungen • der Layoutgestaltung, z. B. Länge und Höhe einer Lagergasse, • der Lagerorganisation, z. B. LPVS, Spielbildung und E/A-Strategie, sowie • technischer Spezifikationen des RBG, z. B. Geschwindigkeitsverhältnis und Beschleunigung, auf die Umschlagsleistung des Lagersystems, vgl. Schumann (2008, S. 71 ff.). Unsichere Auftragsankünfte werden in dieser Simulation nicht berücksichtigt, da davon ausgegangen wird, dass in einem zentralen Bereitstellplatz immer einzulagernde Lagereinheiten vorhanden sind. Für die Ausführung der Doppelspiele werden in der Simulation die E/A-Strategien PRS und KFS innerhalb von freier LPV sowie Zonierung angewendet. Hinsichtlich der E/A-Strategien findet Schumann (2008, S. 80 ff.) heraus, dass KFS unter freier LPV bei steigender Länge der Lagergasse eine größere Reduktion in der mittleren Spielzeit erzielen kann als PRS. Für KFS zeigen die Ergebnisse außerdem analog zu Gagliardi et al. (2012b), dass sich Zonierung abhängig von den Umschlagsraten der eingelagerten Artikel im Vergleich zu freier LPV sogar nachteilig auswirken kann, vgl. Schumann (2008, S. 87 ff.). Insgesamt führt die KFS im Vergleich zu PRS zu einer durchschnittlichen Fahrtzeitreduktion von ungefähr 23 %, wobei der Leistungsunterschied mit steigendem Lagerfüllgrad abnimmt, vgl. Schumann (2008, S. 98 ff. und S. 119). Auch aus dieser Simulationsstudie geht klar hervor, dass die Zugriffe auf die Lagerplätze bei Anwendung der KFS nicht gleichverteilt sind, vgl. Schumann (2008, S. 103).

3.3 Simulation

61

Glass (2008, S. 80 ff.) entwickelt in seiner Arbeit die neuartige E/A-Strategie DYN und unterzieht diese einem simulationsbasierten Leistungsvergleich mit herkömmlichen Lagerbetriebsstrategien. Unter DYN beruht die Zuordnung von Lagerplätzen zu EA auf der Idee, die Verweildauerverteilung der Lagereinheiten auf die Fahrtzeitverteilung abzubilden, siehe Abschnitt 2.3.4. Im simulierten Lagersystem werden die Artikel nach dem EOQ-Modell disponiert und die AA kommen gemäß einem Poisson-Prozess am Lager an. Für den Vergleich werden freie LPV und Zonierung mit PRS sowie KFS kombiniert. Bezogen auf diese beiden E/A-Strategien wird aus den Simulationsergebnissen ersichtlich, dass KFS in den meisten Fällen eine höhere Durchsatzleistung erzielen kann als PRS, vgl. Glass (2008, S. 83 ff.). Lediglich im Fall losweiser Anlieferung wird bei sehr hohem Lagerfüllgrad sowie bei sehr heterogenen Durchsatzraten der Lagerartikel ein gegenteiliger Effekt beobachtet. Beim Einsatz innerhalb der Zonen schneidet generell KFS am besten ab. Davon ausgehend, dass die Verweildauern einzelner Lagereinheiten a priori geschätzt werden können, stellt sich insgesamt die dynamische Zonierung als leistungsstärkste E/A-Strategie heraus. Ein ähnliches Simulationsmodell findet sich bei Piepenburg et al. (2014) sowie Piepenburg (2016, S. 117 ff.). Mit diesem Modell wird die Effizienz der neu entwickelten Einlagerstrategie PRV untersucht, bei der unter Verwendung von Verweildauerprognosen Lagerplätze für die Einlagerung von Lagereinheiten reserviert werden, siehe Abschnitt 2.3.4. Die Simulation beruht auf dem idealisierten Bestandsverlauf des EOQ-Modells, aus dem empirische Verteilungen für die Zwischenankunftszeiten der losweisen Anlieferungen sowie für die Verweildauern der einzelnen Lagereinheiten generiert werden. Planungsunsicherheiten werden hierbei vollständig vernachlässigt. Die Ergebnisse zeigen, dass bei rein verweildauerbasierter Auslagerung die Einlagerstrategie COL in jedem Fall effizienter ist als PRS. Genau wie bei Glass (2008) ist jedoch in diesen Simulationsstudien ebenfalls zu erkennen, dass die durch COL erzielten Fahrtzeiteinsparungen bei ungleichen Durchsatzraten der Lagerartikel sowie hohem Lagerfüllgrad abnehmen. Verglichen mit dem PRV sowie der E/A-Strategie DYN erzielt die wesentlich einfacher umzusetzende Strategie COL eine recht gute, teilweise sogar höhere Durchsatzleistung. Außerdem zeigen die Simulationsergebnisse, dass die Zugriffswahrscheinlichkeiten unter COL deutlich von einer Gleichverteilung abweichen, vgl. Piepenburg (2016, S. 133 ff.). Darüber hinaus gibt es für Lagersysteme weitere Veröffentlichungen, in denen auf der Grundlage von Simulationen künstliche neuronale Netze entwickelt werden. Die Simulationsergebnisse werden hierbei zum Training der neuronalen Netze eingesetzt. Das Modell von Wang und Yih (1997) wählt für ein gegebenes Lagersystem die Lagerbetriebsstrategien so aus, dass vorgegebene Leistungsanforderungen eingehalten werden. In der zugrunde liegenden Simulationsstudie werden sowohl Einlager- (PRS, COL) als auch Auslagerstrategien (FIFO, SPT) untersucht. Bei Poissonschen Auftragsankünften

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Kapitel 3 Stand der Forschung

geht aus den Ergebnissen hervor, dass für freie LPV durch Anwendung von COL die mittlere Spielzeit deutlich reduziert werden kann. Bei SPT ist der Effekt sogar noch größer. Die höchste Leistung erzielt in dieser Studie eine umschlagsbasierte Zonierung mit COL/SPT. Auf ähnliche Weise analysiert Kraul (2010, S. 122 ff.) die Leistungsfähigkeit von Lagersystemen mit allgemeineren Konfigurationen. Das zugrunde liegende Simulationsmodell bezieht sich auf eine Lagergasse mit einem RBG. Die Konfigurationsalternativen unterscheiden sich dahingehend, ob einfach- oder doppelttief gelagert wird und wie viele Lastaufnahmemittel das RBG besitzt. Als Einlagerstrategien werden PRS, COL und für Doppel- bzw. Mehrfachspiele noch die Strategie „Einlagerung nahe Auslagerung“ betrachtet. Auslagerungen erfolgen strikt nach dem FIFO-Prinzip. Das künstliche neuronale Netz dient schließlich als Planungswerkzeug für zu konzipierende Lagersysteme. Unter Vorgabe der gewünschten Lagergröße lässt sich damit die Durchsatzleistung verschiedener Konfigurationsalternativen bestimmen und vergleichen, vgl. Kraul (2010, S. 141 ff.). Zusammenfassend zeigt diese Übersicht über Simulationsansätze für Lagersysteme, dass E/A-Strategien zu deutlichen Leistungsunterschieden führen und somit im Rahmen der Leistungsanalyse berücksichtigt werden sollten. Darüber hinaus geht aus den Ergebnissen der Simulationsstudien hervor, dass die in Abschnitt 3.2.1 thematisierte, weit verbreitete Annahme, fahrtzeitbezogene E/A-Strategien könnten mit hinreichender Genauigkeit durch gleichverteilte Zugriffe auf die Lagerplätze approximiert werden, unter realen Umständen nicht zutreffend ist. Außerdem wird ersichtlich, dass fahrtzeitbezogene E/A-Strategien durchaus eine vergleichsweise hohe Durchsatzleistung erzielen können. Somit erscheint es sinnvoll, derartige Strategien auch in analytisch-stochastischen Ansätzen zur Leistungsanalyse zu berücksichtigen.

3.4 Analytisch-stochastische Ansätze Neben den Simulationsstudien aus dem letzten Abschnitt existieren auch zahlreiche analytische Ansätze, die stochastische Effekte in die Leistungsanalyse von Fördersystemen miteinbeziehen. Diese beruhen im Wesentlichen auf bedientheoretischen Konzepten aus der Warteschlangentheorie. Wie bereits Kim und Seidmann (1990) herausstellen, besteht der Nutzen analytischer Modelle v. a. in einer schnellen Analyse verschiedener Konfigurationsalternativen. Außerdem kann mit dieser Art der Modellierung eine Herleitung der Ergebnisse in Form geschlossener Ausdrücke gelingen, die funktionale Zusammenhänge zwischen Kenngrößen und Parametern aufzeigen können. Ungeachtet dieser Vorteile analytischer Verfahren werden für Leistungsanalysen von Fördersystemen aufgrund der

3.4 Analytisch-stochastische Ansätze

63

enormen Steigerung in der Rechenleistung von IT-Systemen inzwischen jedoch meist direkt Simulationsmodelle eingesetzt. Außerdem wird häufig von analytischen Modellen Abstand genommen, da einerseits die Modellentwicklung konzeptionell vergleichsweise anspruchsvoll ist und andererseits die Größe verarbeitbarer Instanzen häufig durch den sog. „curse of dimensionality“47 eingeschränkt ist. Letzteres nennen z. B. Kuo et al. (2007) als Nachteil des analytischen Modells von Malmborg (2003). Dennoch stellen Ekren et al. (2014) die Eignung analytischer Modelle v. a. in einem frühen Stadium der Konzeptionsphase von Lagersystemen heraus und schlagen eine konsekutive Ausführung von analytischen Ansätzen und Simulationen vor. Hierbei wird zunächst eine Vielzahl von Konfigurationsalternativen in kurzer Zeit mittels analytischer Modelle bewertet, aus denen schließlich eine geringe Anzahl vielversprechender Möglichkeiten für weiterführende, detaillierte Simulationsstudien ausgewählt werden. Im Folgenden wird ein Überblick über analytisch-stochastische Ansätze zur Leistungsanalyse von Fördersystemen gegeben. Dieser gliedert sich gemäß der Klassifikation aus Abschnitt 3.1 in Modellierungsansätze mit auftragsbezogener und mit fördermittelbezogener Sichtweise. Werden stochastische Ankünfte von Lageraufträgen in die Leistungsanalyse einbezogen, so unterscheiden sich diese beiden Sichtweisen neben den ausgewerteten Kenngrößen insbesondere hinsichtlich des Betrachtungszeitpunkts, der in der Modellierung für die Auftragsankünfte gewählt wird. Bei auftragsbezogener Modellierung sind stets die Ankünfte der Lageraufträge am Lager, d. h. am Übergabepunkt für die Fördermittel maßgebend, da im Rahmen der Durchlaufzeitberechnung auch Wartezeiten der Lageraufträge auf ein Fördermittel berücksichtigt werden. Bei den fördermittelbezogenen Ansätzen für automatisierte HRL werden hingegen die Zeitpunkte betrachtet, zu denen das RBG die Lagereinheiten an den Lagerplätzen ein- bzw. auslagert, auch wenn diese Annahme in den meisten Veröffentlichungen nicht explizit genannt wird.

3.4.1 Auftragsbezogene Modellierung Wird ein Lagersystem auftragsbezogen modelliert, so liegt der Fokus auf der Abstimmung zwischen den Lageraufträgen und den zur Verfügung stehenden Fördermitteln. Für die Leistungsanalyse geht es also im Wesentlichen darum, die Wartezeit der Lageraufträge auf die Fördermittel zu bestimmen. Methodisch greifen derartige Ansätze auf Petri-Netze, Markovketten, Warteschlangensysteme oder -netze zurück. Neben den verwendeten Modellierungskonzepten liegt der Schwerpunkt der nachfolgenden Übersicht auf den je-

47

Sinngemäß übersetzt bedeutet dieser Begriff „Fluch der Dimensionalität“.

64

Kapitel 3 Stand der Forschung

weils analysierten LPV- und E/A-Strategien sowie einer Beschreibung, in welcher Form stochastische Einflüsse in den einzelnen Ansätzen berücksichtigt werden. Stochastische Petri-Netze Knapp und Wang (1992) zeigen erstmalig, dass sich unter der Annahme Poissonscher Auftragsankünfte sowie exponentialverteilter Fahrtzeiten des RBG stochastische Petri-Netze zur Modellierung der E/A-Prozesse in automatisierten HRL eignen. Diese Idee greifen Lin und Wang (1995) auf und analysieren mittels stochastischer Petri-Netze die Leistungsfähigkeit eines RBG unter verschiedenen Ausführungsmodi, d. h. unter konkreten Kombinationen aus Spielstrategie, -bildung und LPVS. Im Modell werden die Ausführungsmodi durch unterschiedliche, aber nicht näher spezifizierte mittlere Bedienraten des RBG abgebildet. Zur Ermittlung des stationären Verhaltens wird aus dem stochastischen Petri-Netz eine Markovkette in stetiger Zeit generiert, mit der sich schließlich für jeden Ausführungsmodus die mittlere Warteschlangenlänge und Wartezeit der Lageraufträge sowie die mittlere Auslastung der RBG bestimmen lassen. Chincholkar und Krishnaiah Chetty (1996) verwenden stochastische Petri-Netze zur Modellierung eines kombinierten Produktions- und Lagersystems. In diesem System führt das RBG neben E/AA auch Förderaufträge zwischen den Maschinen aus. Diese Aufträge ergeben sich aus den Maschinenreihenfolgen der zu fertigenden Teile unter Berücksichtigung normalverteilter Bearbeitungsdauern in Verbindung mit exponentialverteilten Ausfall- und erlangverteilten Reparaturzeiten. Das resultierende stochastische Petri-Netz wird nicht analytisch ausgewertet, sondern dient als Grundlage für eine umfassend angelegte Simulationsstudie. Mit dieser wird der Einfluss einer Vielzahl von Faktoren, u. a. Spielbildung, E/A-Strategien (auch KFS) und Regeln zur Maschinenbelegung, auf die Leistungsfähigkeit des kombinierten Systems analysiert. Im Rahmen einer Varianzanalyse der Simulationsergebnisse wird schließlich aufgezeigt, dass die E/A-Strategien einen geringeren Einfluss auf die Leistungsfähigkeit des kombinierten Systems besitzen als die übrigen Einflussfaktoren. Dies hängt jedoch auch damit zusammen, dass außer der Leerfahrtzeit des RBG nur Kenngrößen des Produktionssystems analysiert werden. Markovketten und Warteschlangenmodelle Unter den frühen auftragsbezogenen Modellierungsansätzen finden sich einige, in denen der E/A-Prozess explizit mit Hilfe von Markovketten abgebildet wird. Der Großteil der Ansätze greift jedoch methodisch auf Warteschlangensysteme zurück. Bei den Warteschlangenmodellen für automatisierte HRL besteht die grundlegende Idee darin, die Lageraufträge als Kunden und die nF zur Verfügung stehenden RBG als Bedienstationen zu modellieren. Eine Bedienung entspricht somit der Ausführung eines Lagerauftrags durch

65

3.4 Analytisch-stochastische Ansätze

RBG 1 .. .

...

nF

...

EA + AA ...

(a) Gemeinsame Warteschlange

EA

RBG

AA

1 .. . nF

(b) Getrennte Warteschlangen

Abbildung 3.1: Warteschlangenmodelle mit Bedienstation je RBG ein RBG und die Bedienzeit repräsentiert die Spielzeit des RBG. Wie in Abbildung 3.1 dargestellt, unterscheiden sich diese Modelle noch dahingehend, ob es jeweils eine Warteschlange für EA und für AA oder eine gemeinsame für beide Lagerauftragsarten gibt. Mittels bekannter Resultate aus der Warteschlangentheorie ermöglicht diese Art der Modellierung die Auswertung von Kennzahlen, die aus Sicht der Lageraufträge relevant sind. Zuallererst ist das die mittlere Verweildauer eines Lagerauftrags, die der Zeitspanne von dessen Ankunft am Lagersystem bis zur Ein- bzw. Auslagerung der zugehörigen Lagereinheit entspricht. Diese umfasst zusätzlich zur Spielzeit noch die Wartezeit auf ein freies RBG. Darüber hinaus lassen sich z. B. auch die mittlere Anzahl wartender Lageraufträge oder die Auslastung der RBG bestimmen. Eine Voraussetzung für die Anwendung der warteschlangentheoretischen Konzepte ergibt sich daraus, dass die Spielzeit im Modell durch die Bedienzeit repräsentiert wird. Somit geht die Verteilung der Spielzeiten als wesentlicher Parameter in das Modell ein. Das bedeutet, dass diese Verteilung entweder bekannt sein muss oder dass zumindest Momente dieser Verteilung, wie z. B. die erwartete Spielzeit, geschätzt werden können. Im Folgenden wird näher darauf eingegangen, wie sich die verschiedenen Ansätze aus der Literatur hinsichtlich der konkreten Ausgestaltung der Modellparameter unterscheiden. Die frühen analytisch-stochastischen Modelle aus Auftragssicht beschränken sich auf die Betrachtung von genau einem RBG, d. h., es gilt nF = 1, und das Warteschlangensystem besteht aus nur einem Bedienschalter und einer Warteschlange. Einen der ersten Ansätze entwickelt Chow (1986) für die Materialbereitstellung an mehreren Arbeitsstationen eines Produktionssystems. Unter der Annahme Poissonscher Ankünfte für die Förderaufträge wird der Förderprozess hierbei als M/G/1-Warteschlangensystem modelliert. Weiterhin wird angenommen, dass die Anzahl an Förderaufträgen zwischen allen Paaren von Arbeitsstationen für den Planungshorizont bekannt ist, dass die Auftragsankünfte voneinander unabhängig sind und dass jeder ankommende Auftrag mit gleicher Wahrscheinlichkeit zu den einzelnen Arbeitsstationen gehört. Für die Abfertigungsdisziplin

66

Kapitel 3 Stand der Forschung

FCFS lassen sich damit die mittlere Ankunftsrate sowie die Momente der Fahrtzeit analytisch berechnen und folglich auch die auftragsbezogenen Leistungskenngrößen. Zum Vergleich werden noch weitere Abfertigungsdisziplinen ausgewertet, allerdings nur im Rahmen einer Simulationsstudie. Lee (1997) modelliert den E/A-Prozess in einer Lagergasse eines homogenen Einzelplatzlagers als Warteschlangensystem mit zwei kapazitierten Warteschlangen für EA bzw. für AA, siehe Abbildung 3.1b. Hinsichtlich der Ausführung der Lageraufträge wird zwischen Einzel- und Doppelspielen unterschieden, die im Modell durch zwei verschiedene Bedienmodi dargestellt werden. Unter der Annahme Poissonscher Auftragsankünfte und exponentialverteilter Bedienzeiten mit bekannten Erwartungswerten wird das Warteschlangenmodell in eine Markovkette in stetiger Zeit überführt und deren stationäre Verteilung aus den zugehörigen Gleichgewichtsgleichungen ermittelt. Für die erwarteten Spielzeiten der Einzel- und Doppelspiele werden die Schätzwerte von Bozer und White (1984) herangezogen, denen gleichverteilte Zugriffe auf die Lagerplätze zugrunde liegen. Hur et al. (2004) lassen die Verteilungsannahme für die Spielzeit des RBG fallen und verallgemeinern das Modell von Lee (1997) zu einem M/G/1-Warteschlangensystem mit zwei Warteschlangen. Hinsichtlich der Bedienzeiten unterscheiden sie jedoch nicht zwischen Einzelund Doppelspielen, sondern nehmen an, dass die Spielzeiten beider Spielstrategien unabhängig und identisch verteilt und die ersten beiden Momente dieser Verteilung bekannt sind. Konkrete E/A-Strategien werden in diesem Ansatz nicht berücksichtigt. Hur und Nam (2006) entwickeln diese Modellierung nochmals weiter, indem sie die Kapazität der Warteschlangen beschränken und unterschiedliche Verteilungen für die Spielzeiten von Einzel- und Doppelspielen berücksichtigen. Auch Bozer und Cho (2005) verallgemeinern den Ansatz von Lee (1997). Für ein Puffersystem, das der Synchronisation eines Produktionsprozesses dient, vergleichen sie die Leistungsfähigkeit unter verschiedenen Spielbildungsstrategien für Einzel- und Doppelspiele. Das Modell besteht ebenfalls aus zwei getrennten, aber unkapazitierten Warteschlangen für die beiden Lagerauftragsarten, die nach Möglichkeit abwechselnd vom RBG bedient werden. Unter den Annahmen, dass die Ankünfte der E/AA Poisson-Prozessen folgen und dass die mittleren Spielzeiten von Einzel- und Doppelspielen bekannt sind, leiten die Autoren über einen stochastischen Prozess die Auslastung des RBG her und geben Bedingungen an, unter denen das analysierte Puffersystem die Durchsatzanforderungen erfüllt. In der Vergleichsstudie von Eldemir et al. (2003)48 zeichnet sich der Ansatz von Bozer und Cho (2005) durch eine hohe Berechnungseffizienz aus. In einer Weiterent48

Diese Vergleichsstudie, die vor der Arbeit von Bozer und Cho (2005) veröffentlicht wurde, basiert auf einer inhaltlich weitestgehend identischen Vorveröffentlichung der beiden Autoren als Technical Report der University of Michigan aus dem Jahr 1998.

3.4 Analytisch-stochastische Ansätze

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wicklung von Ma et al. (2009) wird dieses Modell auf ein M/G/1-Warteschlangensystem mit einer Warteschlange zurückgeführt, wie in Abbildung 3.1a. Dabei wird angenommen, dass die Lageraufträge in der Warteschlange abwechselnd angeordnet werden, wenn sowohl EA als auch AA vorhanden sind. Mit diesem Modell lässt sich auch das stationäre Verhältnis zwischen Einzel- und Doppelspielen ermitteln. Auf ähnliche Weise modellieren Tompkins et al. (2010, S. 683 ff.) einen reinen Einlagerprozess mit Batch-Ankünften von b Lagereinheiten, sowohl für deterministische als auch für stochastische Liefermengen b. Unter der Annahme Poissonscher Ankünfte für die losweisen Anlieferungen sowie exponentialverteilter Bedienzeiten des RBG führt dies zu einem M b /M/1-Warteschlangensystem. Der Fokus dieser Auswertung liegt jedoch nicht auf einer Leistungsanalyse für das Lagersystem, sondern auf Staueffekten in der Lagervorzone. Malmborg und Altassan (1998) analysieren ein Kommissioniersystem unter freier LPV mit COL/FIFO sowie unter umschlagsbasierter fester LPV. Das betrachtete Kommissionierfahrzeug kann mehrere Lagereinheiten gleichzeitig aufnehmen, es wird jedoch angenommen, dass Ein- und Auslagerungen getrennt voneinander ausgeführt werden. Die Leistungsanalyse setzt sich aus zwei Markov-Modellen zusammen. Das erste ist eine Markovkette für die Bestandsentwicklung je Artikel  unter einer (s , q )-Bestellpolitik und das zweite ein Warteschlangensystem für die Ausführung der Lageraufträge, ähnlich zu dem von Lee (1997). Zur Bestimmung der mittleren Spielzeit werden zwei Fälle unterschieden. Ist die Kapazität des Kommissionierfahrzeugs auf eine Lagereinheit beschränkt, so wird für die Zugriffswahrscheinlichkeiten unter COL/FIFO eine Gleichverteilung innerhalb der genutzten vorderen Lagerplätze angenommen. Die Anzahl genutzter Lagerplätze wird dabei näherungsweise aus den stationären Verteilungen für die Lagerbestände der einzelnen Artikel bestimmt. Für Kommissionierfahrzeuge mit größerer Kapazität wird die erwartete Routenlänge basierend auf kombinatorischen Überlegungen approximiert. Dies ist aufgrund der Vielzahl möglicher Routen jedoch nur für kleine Probleminstanzen möglich. Neben den bisher betrachteten klassischen Lagersystemen, in denen RBG eingesetzt werden, beziehen sich neuere Ansätze auch auf Shuttle-Systeme mit mehreren, autonom fahrenden AVF, siehe Abschnitt 2.1.2. Die nachfolgend beschriebenen Ansätze betrachten Shuttle-Systeme mit ebenen- und korridorwechselnden AVF, deren Bewegungsablauf sich aus zwei sequentiellen Bestandteilen zusammensetzt. Vertikal wird das AVF mit Hilfe eines Lifts zwischen den Regalebenen befördert und innerhalb einer Regalebene fährt es den gewünschten Lagerplatz selbst an. Eines der ersten Modelle zur Leistungsanalyse derartiger Lagersysteme entwickelte Malmborg (2002). Die mittleren Spielzeiten der AVF werden darin unter Berücksichtigung stochastischer Auftragsankünfte über Metho-

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Kapitel 3 Stand der Forschung

den der Materialflussanalyse ermittelt, die in enger Beziehung zu stationären Analysen von Markovketten stehen. Für die Analyse werden die mittleren Wartezeiten der AVF auf einen Lift bestimmt und es wird zwischen Doppel- und Einzelspielen basierend auf einem Schätzer für deren stationäres Verhältnis unterschieden. Außerdem entwickelt Malmborg (2003) unter der Annahme Poissonscher Auftragsankünfte und exponentialverteilter Spielzeiten ein stochastisches Modell für die Leistungsanalyse, mit dem das stationäre Verhältnis zwischen Einzel- und Doppelspielen explizit ermittelt werden kann. Dafür werden die Zustände des Lagersystems durch die Anzahl wartender Lageraufträge je Auftragsart bei beschränkter Kapazität sowie den Zuständen der AVF, unterschieden in unbeschäftigt, Einzelspiel EA bzw. AA und Doppelspiel, beschrieben. Ein Nachteil dieser Art der Modellierung ist, dass der Zustandsraum rapide in der Anzahl nF der AVF sowie der Kapazität der Auftragswarteschlange wächst. Einen effizienteren Ansatz zur Ermittlung des stationären Verhältnisses der Lagerspielarten sowie der mittleren Spielzeiten in Shuttle-Systemen stellen Fukunari und Malmborg (2008a) vor. Darin modellieren sie den E/A-Prozess über zwei ineinander verschachtelte Warteschlangensysteme. Das erste System bildet die Bewegungen der Lifte ab, wobei die Kunden die AVF repräsentieren und die Bedienstationen die Lifte, und das zweite die Bewegungen der AVF, mit den Lageraufträgen als Kunden und den AVF als Bedienstationen. Das stationäre Verhalten des Lagersystems wird für allgemein verteilte Fahrtzeiten der Lifte und AVF mittels eines iterativen Verfahrens approximativ bestimmt. Unter der Annahme, dass Lifte und AVF in ihrer Anzahl übereinstimmen (nL = nF ), modellieren Zhang et al. (2009) ein Shuttle-System als G/G/nF -Warteschlangensystem. Hierfür werten sie explizit die Eintrittswahrscheinlichkeiten aller möglichen Lagerspiele aus und bestimmen damit die mittlere Spielzeit sowie die zugehörige Varianz. Ein Vergleich verschiedener Approximationsmethoden für allgemeine Warteschlangenmodelle zeigt, dass deren Approximationsgüte vom Variationskoeffizienten der Zwischenankunftszeiten der Lageraufträge abhängt. Daher entwickeln die Autoren einen Lösungsansatz mit dynamischer Wahl der Approximationsmethode. Mit ihrem Modell finden Zhang et al. (2009) u. a. heraus, dass der Einfluss von Doppelspielen auf die Leistungsfähigkeit des Shuttle-Systems nicht so groß ist wie für RBG mit simultaner Förderbewegung in automatisierten HRL. Zhang et al. (2011) verallgemeinern diesen Ansatz auf den Fall, dass die Anzahl der AVF die Anzahl der Lifte übersteigt (nL < nF ). Dies führt zu einem M/G/nF -Warteschlangensystem, in das ein G/G/nL /nF -Warteschlangensystem für die Beförderung der AVF über die Lifte eingebettet ist. Alle vorab dargestellten Ansätze für Shuttle-Systeme beziehen sich lediglich auf die E/A-Strategie PRS. Kuo et al. (2007) betrachten hingegen COL/PRS und entwickeln

3.4 Analytisch-stochastische Ansätze

69

für Einzelspiele ein Modell mit zwei Warteschlangensystemen. Letztlich wird diese E/AStrategie jedoch wieder über gleichverteilte Zugriffe approximiert. Aus der mittleren Distanz zwischen zwei beliebig gewählten Lagerplätzen, den Verfahrgeschwindigkeiten der Fördermittel und den Wahrscheinlichkeiten für das Eintreten aller möglichen Lagerspiele werden die Anforderungs- sowie die Bedienraten der Lifte hergeleitet. Über ein G/G/nL Warteschlangensystem schätzen die Autoren damit die mittlere Wartezeit der AVF auf einen Lift. Daraus ergibt sich die mittlere Spielzeit, die schließlich zur Approximation der Leistungsfähigkeit des Shuttle-Systems in ein zweites Warteschlangensystem vom Typ M/G/nF für die Bewegung der AVF eingeht. Die Systemleistung wird dabei in dieser Veröffentlichung anhand der Auslastung der AVF sowie der Wartezeit der Lageraufträge gemessen. Diese konsekutive Auswertung zweier Warteschlangensysteme leitet direkt über zur nächsten Art der Modellierung, den Warteschlangennetzen. Warteschlangennetze In einigen Lagersystemen setzt sich die Ausführung eines Lagerauftrags aus einer sequentiellen Abfolge mehrerer Förderprozesse zusammen. Für derartige E/A-Prozesse stellen Warteschlangennetze ein geeignetes Modellierungskonzept dar. In der Literatur werden dabei verschiedene Arten von Warteschlangennetzen eingesetzt. Neben den üblichen Varianten, offen und geschlossen, finden sich auch Modellierungen als halboffene und diskrete Warteschlangennetze. Der überwiegende Anteil der Veröffentlichungen bezieht sich dabei auf die Leistungsanalyse von Shuttle-Systemen. Einen detaillierten Überblick über Modelle für diese Art von Lagersystem geben z. B. Epp (2017) und Roy et al. (2017). Die chronologisch ersten Ansätze basieren auf geschlossenen Warteschlangennetzen. Bozer und White (1990) modellieren damit ein Kommissioniersystem. Das automatisierte HRL wird nach dem Prinzip „Ware zur Person“ betrieben, d. h., ein RBG bringt einen Behälter zum Kommissionierplatz und lagert diesen nach der Entnahme der benötigten Teile durch den Kommissionierer wieder zurück. Da Rücklagerungen stets mit Auslagerungen kombiniert werden, führt das RBG folglich nur Doppelspiele aus. Im Modell wird einerseits das RBG und andererseits der Kommissionierer durch eine Bedienstation abgebildet und die zirkulierenden Kunden repräsentieren die als konstant angenommene Anzahl auszulagernder Kommissionierbehälter. Darauf aufbauend schätzen die Autoren die Auslastung des Kommissionierers und des RBG bei gleichverteilten Zugriffswahrscheinlichkeiten. In Shuttle-Systemen mit ebenenwechselnden AVF sind die Lagereinheiten für die vollständige Ausführung ihrer Ein- bzw. Auslagerung an ein AVF gekoppelt. Somit können auch diese Lagersysteme als geschlossene Warteschlangennetze modelliert werden, indem

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Kapitel 3 Stand der Forschung

AVF 1 .. . nF

Lifte ...

1 .. . nL

Abbildung 3.2: Geschlossenes Warteschlangennetz für Shuttle-Systeme mit ebenenwechselnden AVF (Quelle: in Anlehnung an Kuo et al. 2008) die nF AVF als zirkulierende Kunden interpretiert werden. In der Grundvariante umfasst ein solches Netz zwei Mehrbediener-Wartesysteme, siehe Abbildung 3.2. Das erste Wartesystem ohne Warteschlange49 repräsentiert dabei die horizontale Bewegung der AVF und das zweite die vertikale Beförderung der AVF durch die nL Lifte. Die Bedienzeit korrespondiert also wiederum mit der Fahrtzeit der AVF bzw. Lifte. Über eine stationäre Analyse des Warteschlangennetzes lässt sich die mittlere Wartezeit eines AVF auf einen Lift bestimmen, die für die Berechnung der mittleren Spielzeit benötigt wird. Kuo et al. (2008) sowie Fukunari und Malmborg (2009) verwenden derartige Modellierungen zur Leistungsanalyse von Shuttle-Systemen mit korridor- und ebenenwechselnden AVF. Kuo et al. (2008) untersuchen ein ebenenweise zoniertes Lagersystem. Den Umschlagsraten der Artikel wird eine ABC-Kurve zugrunde gelegt und innerhalb der Zonen wird die E/A-Strategie PRS angewendet. Damit ergeben sich die Zugriffswahrscheinlichkeiten auf die Regalebenen direkt aus den Umschlagsraten. Analog zu Kuo et al. (2007) erfolgt die approximative Leistungsanalyse des Fördersystems wieder durch sequentielle Auswertung zweier warteschlangentheoretischer Modelle. Dabei wird das allgemeine Warteschlangensystem für den Lift jedoch durch ein geschlossenes Warteschlangennetz ersetzt, mit dem sich die mittlere Spielzeit direkt bestimmen lässt. Für freie LPV mit PRS entwickeln Fukunari und Malmborg (2009) ein erweitertes geschlossenes Warteschlangennetz, in dem die möglichen Zustände der AVF differenzierter betrachtet werden. Neben horizontaler Fortbewegung und vertikaler Beförderung im Lift wird noch zwischen den Zuständen Fahrt außerhalb des Lagers, unbeschäftigt, Wartung und Ausfall unterschieden. Diese Zustände werden ebenfalls über Wartesysteme modelliert. Es wird angenommen, dass die Bedienzeiten aller Wartesysteme exponentialverteilt sind, und deren Erwartungswerte werden unter Berücksichtigung der zugrunde gelegten Strategien sowie 49

In diesem Wartesystem stimmt die Anzahl der Bedienstationen mit der Anzahl zirkulierender Kunden überein, sodass jeder ankommende Kunde immer sofort bedient werden kann.

71

3.4 Analytisch-stochastische Ansätze

AVF 1

Lift

.. .

EA AA

AVF nE

Abbildung 3.3: Offenes Warteschlangennetz für Shuttle-Systeme mit ebenengebundenen AVF (Quelle: in Anlehnung an Marchet et al. 2012) des Bewegungsablaufs des Fördersystems geschätzt. Für die Leistungsanalyse wird die MWA in eine iterative Prozedur zur Ermittlung des stationären Verhältnisses von Einzelund Doppelspielen sowie der mittleren Stillstandszeiten der AVF eingebettet. Das in Abschnitt 5.1.1 vorgestellte Warteschlangennetz für die Leistungsanalyse von Fördermitteln unter KFS weist strukturelle Ähnlichkeiten zu dieser Modellierung auf. Sind die AVF in Shuttle-Systemen ebenengebunden, so werden einzulagernde Lagereinheiten zuerst mit dem Lift und anschließend mit einem AVF transportiert. Bei Auslagerungen ist der Ablauf genau umgekehrt. Dieser sequentielle Förderprozess lässt sich als offenes Warteschlangennetz modellieren. Die Kunden repräsentieren darin die E/AA und die Förderprozesse der Lagereinheiten mit Lift bzw. AVF werden jeweils über ein Wartesystem dargestellt. Abbildung 3.3 zeigt exemplarisch ein solches Modell für eine Lagergasse bestehend aus einem Lift und einem AVF in jeder der nE Regalebenen. Mit diesen Modellen lassen sich somit direkt auftragsbezogene Kennzahlen ermitteln. Modellierungen von Lagersystemen als offene Warteschlangennetze finden sich z. B. bei Heragu et al. (2011), Marchet et al. (2012) und Zou et al. (2016). Sie nehmen dabei einheitlich an, dass die Lageraufträge gemäß Poisson-Prozessen am Lager ankommen und ausschließlich in Einzelspielen nach der E/A-Strategie PRS ausgeführt werden. Heragu et al. (2011) setzen ihr Modell in der Konfigurationsphase eines Lagersystems für einen Vergleich zwischen Shuttle-Systemen und automatisierten HRL ein. Das untersuchte Shuttle-System besteht aus einem AVF je Regalebene sowie einem Lift und wird wie vorab beschrieben als offenes Warteschlangennetz modelliert. Dieses Modell lässt sich direkt auf ein automatisiertes HRL übertragen, indem die AVF als RBG je Lagergasse und der Lift als Fördersystem in der Lagervorzone interpretiert werden. Unter den getroffenen Annahmen werden die mittleren Fahrtzeiten für alle Fördermittel auf der Grundlage der detaillierten Bewegungsabläufe der Einzelspiele für E/AA geschätzt. Die beiden anderen

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Kapitel 3 Stand der Forschung

Ansätze beschränken sich hingegen ausschließlich auf die Ausführung von AA. Marchet et al. (2012) analysieren die Leistungsfähigkeit einer Lagergasse eines Shuttle-Systems bestehend aus einem AVF je Regalebene sowie einem Lift. Basierend auf den getroffenen Annahmen bestimmen sie die mittleren Fahrtzeiten für Lift und AVF analytisch. Zou et al. (2016) berücksichtigen in ihrer Modellierung zusätzlich, dass die Bewegungen von Lift und AVF teilweise parallel ausgeführt werden können. Die Simultanität modellieren sie über ein offenes Warteschlangennetz, in dem Verzweigungs- und Zusammenführungselemente eine parallele Bedienung an verschiedenen Wartesystemen ermöglichen.50 Das Verzweigungselement splittet dafür einen AA in zwei Teilaufträge, einen für die horizontale Bewegung mit dem AVF und einen für die vertikale Bewegung mit dem Lift. Die Teilaufträge werden sodann parallelen Wartesystemen zugeführt und anschließend im Zusammenführungselement wieder synchronisiert. Dabei wird angenommen, dass die Fahrtzeiten der Fördermittel Cox-Verteilungen unterliegen. Die Leistungsfähigkeit des Fördersystems, gemessen anhand der Auslastung der Fördermittel, der Wartezeit sowie der Anzahl wartender Lageraufträge, wird schließlich in allen Modellierungen basierend auf einem Dekompositionsansatz für die stationäre Analyse des Warteschlangennetzes ermittelt, vgl. dazu z. B. Bolch et al. (2006, S. 479 ff.). Neuere Ansätze verwenden zur Modellierung von Shuttle-Systemen halboffene Warteschlangennetze51 . Ein derartiges Warteschlangennetz vereint die Charakteristika offener und geschlossener Warteschlangennetze, indem immer nur Paare von Kunden aus beiden Teilnetzen die Bedienstationen gemeinsam durchlaufen, vgl. Jia und Heragu (2009). Befinden sich alle Kunden des geschlossenen Teilnetzes in Bedienung, so müssen Kunden, die am offenen Teilnetz ankommen, warten. Aus einer anderen Perspektive betrachtet, handelt es sich also um ein offenes Warteschlangennetz mit Kapazitätsbeschränkung. Roy (2016) gibt einen umfassenden Überblick über stochastische Modelle, Lösungsmethoden und Anwendungsbereiche für diese Art von Warteschlangennetzen. Abbildung 3.4 zeigt die Struktur eines halboffenen Warteschlangennetzes zur Modellierung von Shuttle-Systemen. Das offene Teilnetz bezieht sich auf die Lageraufträge und das geschlossene auf die in begrenzter Anzahl vorhandenen AVF. In der Synchronisationsstation wird zunächst ein Lagerauftrag mit einem AVF gekoppelt. Die beiden durchlaufen daraufhin gemeinsam die Bedienstationen, die wie in den vorherigen Modellen die Förderbewegungen abbilden. Anschließend steht das AVF wieder zur Ausführung anderer Lageraufträge zur Verfügung. Neben der Wartezeit auf einen Lift, die in den bisher betrachteten Ansätzen 50

51

Die im Englischen übliche Bezeichnung eines derartigen Warteschlangennetzes lautet fork-join queueing network. Eine detaillierte Darstellung dieser Warteschlangennetze einschließlich ihrer approximativen Analyse findet sich z. B. bei Bolch et al. (2006, S. 558 ff.). In der englischsprachigen Literatur werden diese Warteschlangennetze als semi-open queueing networks bezeichnet.

73

3.4 Analytisch-stochastische Ansätze Synchronisation E/AA

...

Wartesysteme für Beförderung über Fördermittel

...

E/AA

nF AVF

Abbildung 3.4: Halboffenes Warteschlangennetz für Shuttle-Systeme (Quelle: in Anlehnung an Jia und Heragu 2009 und Ekren et al. 2014) im Vordergrund steht, wird durch die Modellierung als halboffenes Warteschlangennetz auch die Wartezeit eines Lagerauftrags auf ein AVF mitberücksichtigt. Ekren et al. (2013) analysieren auf diese Weise ein Shuttle-System mit ebenenwechselnden AVF. Unter der Annahme von PRS werden die Wahrscheinlichkeiten, mittleren Fahrtzeiten und Variationskoeffizienten der möglichen Bewegungsabläufe der AVF bestimmt. Damit lassen sich die sequentiellen Förderprozesse über Bedienstationen mit allgemein verteilten Bedienzeiten modellieren. Zur stationären Analyse des halboffenen Warteschlangennetzes wird ein approximativer Aggregationsansatz entwickelt. Die Idee des Verfahrens besteht darin, die Synchronisationsstation über eine Bedienstation mit lastabhängigen Bedienraten zu modellieren. Die zugehörigen Bedienraten werden über ein geschlossenes Warteschlangennetz ermittelt, in dem die Synchronisationsstation vernachlässigt wird. Die Leistungsanalyse erfolgt schließlich unter alleiniger Berücksichtigung der Synchronisationsstation in einem M/M/1-Warteschlangensystem. Alternativ stellen Ekren et al. (2014) eine matrixanalytische Lösungsmethode zur Bestimmung des stationären Verhaltens dieses halboffenen Warteschlangennetzes vor. Roy et al. (2012, 2014, 2015) nutzen halboffene Warteschlangennetze mit verschiedenen Kundenklassen zur Modellierung einer Regalebene eines Shuttle-Systems mit mehreren ebenengebundenen, korridorwechselnden AVF. Die Lageraufträge kommen gemäß einem Poisson-Prozess an und werden in Einzelspielen nach PRS ein- bzw. ausgelagert. Für die stationäre Analyse wird ein Dekompositionsansatz entwickelt. Abhängig davon, ob an der Synchronisationsstation AVF oder Lageraufträge warten, zerlegt dieser Ansatz das halboffene Warteschlangennetz in zwei Teilmodelle. Roy et al. (2012) analysieren damit den Einfluss von Designentscheidungen auf die Systemleistung. Dabei betrachten sie unterschiedliche Layouts der Regalebene, verschiedene Strategien zur Zuweisung von Lageraufträgen zu AVF sowie die Bildung von Zonen als abgegrenzte Einsatzbereiche für die AVF. Roy et al. (2015) erweitern das Modell, um die Auswirkungen verschiedener Ruhepositionsstrategien für die AVF sowie verschiedener Lagen des Quergangs in der

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Kapitel 3 Stand der Forschung

Regalebene auf die Leistungsfähigkeit untersuchen zu können. Aus dieser Analyse geht hervor, dass sich die Leistungsfähigkeit verbessert, wenn das Fahrzeug nach Beenden jedes Lagerauftrags zum E/A-Punkt zurückfährt. Darüber hinaus wird ersichtlich, dass ein Verschieben des Quergangs weg vom Ende des Regals kein nennenswertes Verbesserungspotential birgt. Zur Berücksichtigung von Blockadeeffekten, die innerhalb einer Regalebene zwischen den AVF auftreten können, entwickeln Roy et al. (2014) ein ähnliches halboffenes Warteschlangennetz. Während in den beiden vorangegangenen Modellen die Bedienstationen alle möglichen Förderbewegungen der AVF abbilden, ist eine Bedienung in diesem Modell gleichbedeutend damit, dass ein AVF einen Bedienkorridor bzw. den vorgelagerten Quergang in Anspruch nimmt. Es werden Protokolle vorgeschlagen, nach denen Blockierungen in den Bedienkorridoren bzw. im Quergang gehandhabt werden, und diese Steuerungslogik wird mittels geeigneter Wartedisziplinen in das Warteschlangennetz integriert. Roy et al. (2017) erweitern den Betrachtungsgegenstand der Analyse von einer Regalebene auf ein vollständiges Shuttle-System mit ebenengebundenen, korridorwechselnden AVF. Dafür kombinieren sie die halboffenen Warteschlangennetze aus Roy et al. (2014) für jede Regalebene mit einem offenen Warteschlangennetz für die vertikale Förderung der Lagereinheiten. Als vertikale Fördermittel betrachten sie sowohl einen Lift als auch hintereinander angeordnete, geneigte Förderbänder. Die stationäre Analyse des Gesamtsystems erfolgt wiederum mittels Dekomposition. Zunächst werden die Modelle je Regalebene sowie das Modell für die vertikale Förderung isoliert ausgewertet. Die Ergebnisse für Ankünfte und Abgänge aus den verschiedenen Teilmodellen werden daraufhin in einem iterativen Ansatz miteinander verknüpft. Eine wesentliche Erkenntnis aus dieser Analyse besteht darin, dass die vertikale Förderung über einen Lift die erwartete Grenzleistung des Shuttle-Systems im Vergleich zu den Förderbändern maßgeblich einschränkt. Epp et al. (2017) modellieren eine Lagergasse eines Shuttle-Systems mit einem Lift und korridorgebundenen AVF als offenes zeitdiskretes Warteschlangennetz. Abweichend von den bisherigen Ansätzen nehmen sie für die Zwischenankunfts- und Bedienzeiten der Lageraufträge diskrete, allgemein verteilte Zeitschritte an. Die Autoren begründen dies damit, dass die Modellparameter i. d. R. aus empirischen Ist-Analysen gewonnen werden, deren Ergebnisse ohnehin nur in diskreter Form vorliegen. Zur Ermittlung des stationären Verhaltens wird ein iterativer Dekompositionsansatz eingesetzt, in dem das Warteschlangennetz in unabhängige, zeitdiskrete G/G/1-Warteschlangensysteme zerlegt wird. Ausgehend von diesem Modell für eine Lagergasse entwickelt Epp (2017, S. 73 ff.)

3.4 Analytisch-stochastische Ansätze

75

für korridorgebundene AVF mit und ohne Wechsel der Regalebenen erweiterte Modelle zur Analyse kompletter Lagersysteme mit mehreren Lagergassen. Die bisher vorgestellten Modellierungsansätze beziehen sich im Wesentlichen auf klassische Lagersysteme, d. h. auf automatisierte HRL und Shuttle-Systeme. Darüber hinaus werden Warteschlangennetze jedoch auch zur Leistungsanalyse von Systemen mit anderen Lager- und Fördertechnologien eingesetzt. Zou et al. (2018) analysieren damit beispielsweise ein robotergestütztes kompaktes Lagersystem, dessen Aufbau als Blocklager mit umgebendem Regalgitter beschrieben werden kann. In den vertikalen Lagerkanälen werden standardisierte Lagereinheiten übereinander gestapelt und die Roboter lagern diese von der Oberseite des Regalsystems ein bzw. aus. Das System dient der Bereitstellung von Lagereinheiten an Kommissionierstationen, die unter Einschluss der Rücklagerungen ausschließlich in Doppelspielen durchgeführt wird. Um die Zuordnung von Lageraufträgen zu Robotern zu berücksichtigen, wird für die Leistungsanalyse ein halboffenes Warteschlangennetz eingesetzt. Der Fokus liegt dabei auf der Untersuchung verschiedener LPVS, die explizit auf diese Art von Lagersystem zugeschnitten sind. Außerdem betrachten Wu et al. (2019) autonome Parksysteme, in denen die Fahrzeuge in vertikaler Richtung über zwei Lifte und in horizontaler Richtung über AVF befördert werden. Hinsichtlich der Anzahl zur Verfügung stehender Plattformen zum Aufnehmen von Fahrzeugen wird zwischen zwei Arten von Liften unterschieden. Für diese werden jeweils zwei Beförderungsstrategien untersucht, die festlegen, ob jeder Lift ausschließlich eine Lagerauftragsart ausführt oder ob beide Lifte sowohl Ein- als auch Auslagerungen vornehmen können. Für die Leistungsanalyse werden die einzelnen Kombinationen als offene Warteschlangennetze modelliert. Roy et al. (2019) betrachten darüber hinaus ein neuartiges Lagerkonzept für Kommissioniersysteme, das unter Einsatz beweglicher Regale nach dem Prinzip „Ware zur Person“ bewirtschaftet wird. Abweichend von der herkömmlichen Logik, einzelne Lagereinheiten ein- und auszulagern, besteht die Grundidee des neuen Konzepts darin, kleine Roboter zur Förderung kompletter Regale einzusetzen. Diese Roboter ähneln äußerlich Staubsaugerrobotern und sind so konstruiert, dass sie unter ein säulenförmiges Regal fahren und dieses für den Transport anheben können. Auf diese Weise werden die Regale zur Entnahme und zum Wiederauffüllen von Lagereinheiten zu einer Kommissionier- bzw. Nachfüllstation und anschließend wieder zurückgebracht. Das eigentliche Lager besteht also im Wesentlichen nur noch aus einer freien Fläche mit gleichförmigen Stellplätzen für die Regale. Die Leistungsfähigkeit derartiger Systeme lässt sich mittels geschlossener Warteschlangennetze analysieren, in denen die Roboter als zirkulierende Kunden dargestellt werden.

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Kapitel 3 Stand der Forschung

Zusammenfassend stellt Tabelle 3.2 chronologisch sortiert alle analytischen Ansätze zusammen, die aus Auftragssicht die Leistungsfähigkeit von automatisierten HRL oder Shuttle-Systemen unter Berücksichtigung stochastischer Einflüsse analysieren, einschließlich ihrer jeweiligen Kriterienausprägungen. Aus dieser Übersicht geht hervor, dass zur Modellierung der E/A-Prozesse v. a. Modelle aus der Warteschlangentheorie eingesetzt werden und dass sich die Leistungsanalyse insbesondere auf Kenngrößen mit Bezug zu den Lageraufträgen stützt. Die unsicheren Auftragsankünfte werden in den meisten Fällen als Poisson-Prozesse modelliert, nur Zhang et al. (2009), Epp (2017) und Epp et al. (2017) weichen von dieser Annahme ab, wobei den beiden neueren Modellen diskrete Verteilungen zugrunde liegen. Weiterhin zeigt die Übersicht, dass in den frühen Veröffentlichungen von exponentialverteilten Fahrtzeiten der Fördermittel ausgegangen wird. Diesbezüglich ist jedoch eine Entwicklung hin zu realistischeren Modellierungen unter Verwendung allgemeiner Verteilungen zu erkennen. Grundsätzlich setzen auftragsbezogene Modelle voraus, dass die Momente der Fahrtzeitverteilung bei gegebenen Lagerbetriebsstrategien geeignet geschätzt werden können. Wie auch aus den Literaturüberblicken von Epp et al. (2017) und D’Antonio et al. (2018) hervorgeht, liegt den meisten Publikationen hierfür die E/A-Strategie PRS als Annahme zugrunde. Werden hingegen andere E/A-Strategien eingesetzt, so ließe sich der E/A-Prozess durch Berücksichtigung der daraus resultierenden Zugriffswahrscheinlichkeiten noch präziser modellieren. Obwohl die meisten Ansätze zur Leistungsanalyse auf PRS basieren, sind einige dieser Modelle dennoch so allgemein formuliert, dass eine von der Gleichverteilung abweichende Verteilung für die Zugriffe einbezogen werden könnte, wie z. B. bei Kuo et al. (2007), Zhang et al. (2009), Marchet et al. (2012) oder Zou et al. (2016). Um u. a. diese Zugriffswahrscheinlichkeiten für verschiedene Lagerszenarien zu bestimmen, werden in der Literatur fördermittelbezogene Modellierungsansätze verwendet, über die der nächste Abschnitt einen Überblick gibt.

3.4.2 Fördermittelbezogene Modellierung Bei dieser Art der Modellierung steht die Analyse der Förderbewegungen im Mittelpunkt der Betrachtung. Die zugehörigen Publikationen lassen sich in zwei Stränge unterteilen. Der erste umfasst ingenieurwissenschaftliche Weg-Zeit-Modelle, mit denen die Fahrtzeit der Fördermittel unter Berücksichtigung konkreter technischer Spezifikationen, wie z. B. Fahrgeschwindigkeit, Hubgeschwindigkeit und Beschleunigung, bestimmt wird. Stochastische Einflüsse spielen in diesen Ansätzen eine untergeordnete Rolle. Im Rahmen der Leistungsanalyse von Fördersystemen dienen derartige Modelle der Berechnung der Zykluszeit tZ (n), die das Fördermittel für Fahrten zwischen dem E/A-Punkt und

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Lin und Wang (1995) Lee (1997) Malmborg und Altassan (1998) Malmborg (2002) Malmborg (2003) Hur et al. (2004), Hur und Nam (2006) Bozer und Cho (2005) Kuo et al. (2007) Fukunari und Malmborg (2008a) Kuo et al. (2008) Fukunari und Malmborg (2009) Ma et al. (2009) Zhang et al. (2009) Tompkins et al. (2010) Heragu et al. (2011) Zhang et al. (2011) Marchet et al. (2012) Roy et al. (2012, 2014, 2015, 2017) Ekren et al. (2013, 2014) Zou et al. (2016) Epp (2017), Epp et al. (2017)

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3.4 Analytisch-stochastische Ansätze

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Abkürzungen 1 Modellierung: DWN diskretes Warteschlangennetz, GWN geschlossenes Warteschlangennetz, HOWN halboffenes Warteschlangennetz, OWN offenes Warteschlangennetz, PN Petri-Netz, SP stochastischer Prozess, WS Warteschlangensystem 2 Losbildung: B Batch-Ankünfte, E Einzelankünfte 3 LPVS: C chaotische LPV, F feste LPV, Z Zonierung 4 Spielstrategie: D Doppelspiele, E Einzelspiele 5 E/A-Strategie: COL Closest Open Location, FIFO First In-First Out, LTF Lowest Tier First, PRS Pure Random Storage, n. a. keine Strategie angegeben 6 Verteilungen der Zwischenankunfts- bzw. Fahrtzeiten: C Cox-Verteilung, D deterministisch, G allgemeine Verteilung, M Exponentialverteilung (Markovsch) 7 Kenngrößen: A Auslastung der Fördermittel, D Durchsatz, K Kosten, L Anzahl wartender Lageraufträge, LB Lagerplatzbedarf, S mittlere Spielzeit, VL Verhältnis Lagerspielarten, W Wartezeiten der Lageraufträge

Tabelle 3.2: Analytisch-stochastische Ansätze zur auftragsbezogenen Leistungsanalyse von Lagersystemen

78

Kapitel 3 Stand der Forschung

Lagerplatz n benötigt. Für RBG in automatisierten HRL finden sich Ansätze für unterschiedliche technische Spezifikationen z. B. bei Hwang und Lee (1990), Chang et al. (1995), Lerher et al. (2006), Arnold und Furmans (2009, S. 202 ff.), Lerher et al. (2010) und Gudehus (2010, S. 622 ff.). Einen Überblick über Arbeiten zur Leistungsanalyse unter Einbeziehung verschiedener Weg-Zeit-Modelle geben z. B. van den Berg (1999), Wisser (2009, S. 47 ff.) und Gu et al. (2010). Vergleichbare Ansätze werden auch für AVF und Lifte in Shuttle-Systemen eingesetzt, wie beispielsweise den Arbeiten von Marchet et al. (2012) und Lerher et al. (2015) oder den Richtlinien 2692 des VDI (2015) sowie 9.860 der FEM (2017) zu entnehmen ist. Da Weg-Zeit-Modelle für den vorliegenden Ansatz lediglich eine Vorstufe darstellen, werden sie an dieser Stelle nicht näher betrachtet. Im Folgenden wird davon ausgegangen, dass für das zu analysierende Materialflusssystem ein geeignetes Weg-Zeit-Modell existiert und dass die Zykluszeiten aller Lagerplätze damit bekannt sind. Neben der Bewegungscharakteristik des RBG beeinflussen außerdem die Lagerbetriebsstrategien aus Abschnitt 2.3 maßgeblich die Leistung des Fördersystems. Der zweite Literaturstrang befasst sich daher mit Modellierungsansätzen, die die Organisation der Lagerprozesse im Rahmen der analytisch-stochastischen Leistungsanalyse von Lagersystemen mitberücksichtigen. Für diesen Teilbereich finden sich in der Literatur vergleichsweise wenige Publikationen. Diese werden nachfolgend kurz vorgestellt, um anschließend daraus den Forschungsbedarf für die vorliegende Arbeit abzuleiten. Eine erste Einbeziehung stochastischer Einflüsse in die fördermittelbezogene Analyse von E/A-Strategien findet sich in Form eines stochastischen Nachfrageverhaltens, wobei für die Bewirtschaftung des Lagers periodische Bestellpolitiken zugrunde gelegt werden. In diesen Ansätzen werden neben der trivialen freien LPV mit PRS auch umschlagsbasierte E/A-Strategien analysiert. Thonemann und Brandeau (1998) verallgemeinern die Arbeit von Hausman et al. (1976), indem sie deren deterministischen Ansatz auf eine gleich- bzw. exponentialverteilte Periodennachfrage je Artikel übertragen. Das Bestandsmanagement erfolgt für jeden Artikel nach einer Base-Stock-Politik, bei der am Ende jeder Periode der Bestand wieder auf eine vorab festgelegte Anzahl an Lagereinheiten aufgefüllt wird. Die Herleitungen der mittleren Spielzeiten von Auslager-Einzelspielen bei fester LPV mit umschlagsbasierter E/A-Strategie sowie Zonierung mit PRS sind ähnlich zu denen von Hausman et al. (1976). Die wesentliche Anpassung besteht darin, dass die Zugriffswahrscheinlichkeiten aus den für die Periodennachfrage angenommenen Verteilungen ermittelt werden. Malmborg (1996) schlägt einen allgemeineren Ansatz mit artikelspezifischen (s , S )-Bestellpolitiken vor, d. h., der Lagerbestand je Artikel  wird nur dann am Ende einer Periode auf die Bestellgrenze von S Lagereinheiten aufgefüllt,

3.4 Analytisch-stochastische Ansätze

79

wenn der Bestand einen vorgegebenen Bestellpunkt s erreicht oder unterschritten hat. Bei stochastischem Nachfrageverhalten ist der Gesamtbestand zu Periodenbeginn somit eine Zufallsvariable. Den zugehörigen Erwartungswert bestimmt Malmborg (1996) unter der Annahme poissonverteilter Periodennachfragen mit Hilfe von Markovketten für die Bestandsentwicklung je Artikel. Den mittleren Nachfrageraten liegt dabei eine ABCKurve zugrunde. Schließlich wird die mittlere Spielzeit von Auslager-Einzelspielen für freie LPV mit PRS und für feste LPV mit einer umschlagsbasierten Einlagerstrategie analysiert. Für die zweite Strategie ergeben sich die Zugriffswahrscheinlichkeiten aus der relativen Nachfragerate je Artikel, die gleichmäßig auf alle für den betreffenden Artikel reservierten Plätze aufgeteilt wird. Ein Vergleich dieser beiden Strategiekombinationen erfolgt auf der Grundlage der erwarteten Kosten für die Auslagerungen sowie des erwarteten benötigten Lagerplatzbedarfs. Diese beiden Publikationen beschränken sich auf die Analyse der Auslagerprozesse bei Anwendung umschlagsbasierter E/A-Strategien und periodischem Bestandsmanagement. Dabei wird das dynamische Ankunftsverhalten der EA und AA im operativen Lagerbetrieb vernachlässigt. Neben umschlagsbasierten Strategien finden sich in der Literatur auch Ansätze für fahrtzeitbezogene E/A-Strategien. In zwei Arbeiten werden die Lagerprozesse dabei als zeitstetige Markovketten modelliert. Noguchi und Suzuki (1988)52 analysieren auf diese Weise ein Lagersystem, das gemäß artikelspezifischen (s , q )-Bestellpolitiken bewirtschaftet wird, d. h., bei Erreichen des Bestellpunkts s werden q Lagereinheiten bestellt. Auf der Grundlage freier LPV erfolgen die losweisen Einlagerungen gemäß COL und für Auslagerungen wird zufällig einer der von Artikel  belegten Lagerplätze ausgewählt. Unter weiteren Annahmen für die zufälligen Ankünfte der E/AA leiten die Autoren eine Markovkette für die zeitliche Entwicklung der Lagerbelegung her. Das exponentielle Wachstum der Kardinalität des Zustandsraums verhindert jedoch die stationäre Analyse von Instanzen praxisrelevanter Größenordnung, weshalb die Autoren eine approximative Lösungsmethode entwickeln. Yamashita et al. (1998) greifen diese Modellierung für COL/PRS auf, beschränken sich in ihrem Modell jedoch auf den Fall eines homogenen Lagerartikels. Sie gehen dabei von exponentialverteilten Lieferzeiten und Poissonschen Ankünften der AA aus. Durch Aggregation der Zustände gelingt es den Autoren, die Kardinalität des Zustandsraums so zu reduzieren, dass die stationäre Verteilung auch für größere Instanzen ermittelt werden kann. Mit dieser Modellierung bestimmen sie schließlich die stationären Belegungswahrscheinlichkeiten aller Lagerplätze. Für eine effiziente Modellbildung wird in der vorliegenden Arbeit eine ähnliche Zustandsraumaggregation

52

Zitiert nach Yamashita et al. (1998).

80

Kapitel 3 Stand der Forschung

verwendet, daher soll der Ansatz von Yamashita et al. in Abschnitt 3.6 noch detaillierter vorgestellt werden. Eine weitere Gruppe von Ansätzen zur Modellierung von E/A-Strategien greift auf warteschlangentheoretische Konzepte zurück. Jeder Lagerplatz wird hierbei als Bedienstation interpretiert. Damit entspricht die Bedienzeit der Verweildauer der Lagereinheiten im zugehörigen Lagerplatz. Um den E/A-Prozess als Warteschlangensystem modellieren zu können, muss folglich die Verteilung der Verweildauern bekannt sein oder eine geeignete Annahme dafür getroffen werden. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass der Einsatz fahrtzeitbezogener Auslagerstrategien diese Verteilung beeinflusst, da die Verweildauern in diesem Fall nicht mehr nur von der Lagereinheit, sondern auch vom Lagerplatz abhängen. Park und Lee (2007) erweitern das Modell von Park (1987). In beiden Ansätzen wird ein Einzelplatzlager unter Berücksichtigung stochastischer Einflüsse analysiert, in das bei freier LPV nach COL eingelagert wird. Die EA treffen gemäß einem Poisson-Prozess ein und es wird angenommen, dass die Verweildauern je Artikel  unabhängig und identisch verteilt und deren Erwartungswerte τ bekannt sind. Diese Annahmen korrespondieren mit keiner gängigen Auslagerstrategie, da sie einerseits implizieren, dass die Verweildauer einer Lagereinheit von Artikel  unabhängig von deren Lagerplatz ist, und andererseits, dass die Ankunftsraten der AA proportional zu den Beständen53 der Artikel  sind. Dies könnte beispielsweise erfüllt sein, wenn die auszulagernden Lagereinheiten eines Artikels zufällig ausgewählt werden und die Ankünfte von AA für Artikel  einem Geburtsprozess mit lastabhängigen Ankunftsraten folgen. Den E/A-Prozess in einem Lagersystem mit N Lagerplätzen modellieren Park und Lee (2007) als M/G/N/N -Warteschlangensystem und erweitern dieses auch auf den Fall von Batch-Ankünften für die Einlagerungen. In der Auswertung zeigen sie schließlich, dass unter den getroffenen Annahmen eine auf die tatsächlich genutzten Lagerplätze beschränkte Gleichverteilung eine gute Approximation für die Zugriffswahrscheinlichkeiten darstellt. Da das Modell von Park und Lee in Kapitel 6 für einen Spielzeitvergleich herangezogen wird, wird dessen konkrete warteschlangentheoretische Modellierung in Abschnitt 3.6 noch detaillierter beschrieben. Unter weitestgehend identischen Annahmen setzen Sung und Han (1992) ähnliche Modelle im Kontext der Lagerdimensionierung ein. Sie entwickeln einen Ansatz, mit dem die Anzahl benötigter Lagerplätze zur Einhaltung eines vorgegebenen Servicegrads ermittelt werden kann. Im Fall homogener Lagerartikel ist das Modell zur Bestimmung des Servicegrads 53

Nach Littles Gesetz gilt die Proportionalität zwischen Ankunftsrate und erwartetem Bestand im stationären Gleichgewicht, siehe Abschnitt 2.5.2. Die Modellierung von Park und Lee impliziert allerdings eine jederzeitige Proportionalität, die i. d. R. nicht gegeben ist. Vermutlich spielt dies für die stationäre Analyse jedoch keine wesentliche Rolle.

3.4 Analytisch-stochastische Ansätze

81

identisch mit dem von Park und Lee (2007). Für die Modellierung losweiser Anlieferungen von b Lagereinheiten bzw. heterogener Lagerartikel werden hingegen exponentialverteilte Verweildauern angenommen, was zu einem M b /M/N/N -Warteschlangensystem bzw. einem Gordon-Newell-Netz führt. Im Warteschlangennetz entsprechen die zirkulierenden Kunden den Lagerplätzen und die Bedienstationen bilden die verschiedenen Belegungszustände der Lagerplätze ab. In der vorliegenden Arbeit ergibt sich für die Leistungsanalyse unter KFS als Ergebnis eines mehrstufigen Entwicklungsprozesses interessanterweise eine ähnliche Modellierung, siehe Abschnitt 5.1. Fukunari und Malmborg (2008b) präsentieren einen heuristischen Ansatz für die Bestimmung der Zugriffswahrscheinlichkeiten bei freier LPV kombiniert mit COL. Unter der Annahme Poissonscher Ankünfte der EA sowie exponentialverteilter Verweildauern aller Lagereinheiten modellieren sie das Lagersystem als M/M/N -Warteschlangensystem. Es handelt sich hierbei um eine Heuristik, da die Lagerkapazität vernachlässigt und der E/A-Prozess nur unter einem hypothetischen Konsolidierungsszenario betrachtet wird. In diesem Szenario werden die Lagereinheiten nach jeder Auslagerung so umgelagert, dass zu jedem Zeitpunkt nur die dem E/A-Punkt nächstgelegenen Lagerplätze belegt sind. Unter dieser Annahme ist die Zugriffswahrscheinlichkeit eines Lagerplatzes proportional zu dessen Belegungswahrscheinlichkeit. Mit diesem Modell wird schließlich die Leistungsfähigkeit eines Lagersystems, welches bei normalverteiltem Periodenbedarf gemäß einer (s, q)-Politik bewirtschaftet wird, unter COL analysiert. Dafür wird die mittlere Spielzeit von Einzelspielen für jedes mögliche Bestandsniveau geschätzt und mit den zugehörigen stationären Wahrscheinlichkeiten der Bestandsniveaus zu einem neuen Schätzer für die mittlere Spielzeit kombiniert. Um die Approximationsgüte dieser Heuristik zu verbessern, entwickelt Malmborg (2012) einen Ansatz zur Schätzung der erwarteten Anzahl freier Lagerplätze, die näher am E/A-Punkt liegen als der am weitesten entfernte belegte Lagerplatz. Methodisch greift er dafür auf lineare Regressionen über die Ergebnisse aus Simulationsstudien zurück. Als Schätzer für die Zugriffswahrscheinlichkeit schlägt Malmborg schließlich eine Gleichverteilung über die erweiterte Anzahl genutzter Lagerplätze vor. Dafür wird die genutzte Anzahl von Lagerplätzen nahe dem E/A-Punkt um die erwartete Anzahl dazwischen liegender freier Lagerplätze erhöht. Unter der Annahme, dass sowohl die Verweildauer- als auch die Fahrtzeitverteilung je Lagerplatz bekannt sind, entwickeln auch Piepenburg und Bruns (2011) zur Bestimmung der mittleren Spielzeit von Einzelspielen ein lagerplatzbezogenes Warteschlangenmodell. Die Verweildauerverteilung hängt dabei von der eingesetzten E/A-Strategie ab und die Fahrtzeitverteilung ergibt sich aus einem geeigneten Weg-Zeit-Modell. Sind für jeden Lagerplatz die Zykluszeit, die mittlere Verweildauer einer eingelagerten Lagereinheit sowie

82

Kapitel 3 Stand der Forschung

der mittlere Belegungsgrad bekannt, so lassen sich die Zugriffswahrscheinlichkeiten aller Lagerplätze und damit auch die mittlere Spielzeit analytisch berechnen. Die Auswertung erfolgt schließlich für die E/A-Strategien PRS und DYN. Da der Belegungsgrad für diese beiden Strategien als konstant angenommen wird, unterscheiden sie sich nur in ihren mittleren Verweildauern. Piepenburg (2016, S. 83 ff.) stellt darüber hinaus eine Erweiterung dieses Modells für Doppelspiele vor. Beide Modellierungen setzen jedoch voraus, dass die benötigten lagerplatzspezifischen Kenngrößen für die zu analysierenden Strategien vorab bestimmt werden können. Auch für Shuttle-Systeme finden sich in der Literatur fördermittelbezogene Modellierungen. Diese zielen darauf ab, unter Berücksichtigung stochastischer und lagerorganisatorischer Einflüsse die ersten beiden Momente der Verteilung der Fahrtzeiten zu bestimmen. Für Shuttle-Systeme mit korridorgebundenen AVF analysieren Ekren et al. (2018) Fahrtzeiten sowie energetische Aspekte. Unter der Annahme von PRS leiten sie für Lift und AVF jeweils den Erwartungswert sowie die Varianz der Fahrtzeiten her. Der Einsatz des Lifts wird dafür über eine Markovkette in diskreter Zeit modelliert, mit der sich die stationären Wahrscheinlichkeiten für das Fördern von Lagereinheiten zwischen den verschiedenen Regalebenen bestimmen lassen. Ein vergleichbares Modell, welches allerdings nicht nur auf PRS beschränkt ist, sondern an beliebige E/A-Strategien angepasst werden kann, stellen D’Antonio et al. (2018) vor. In ihrer Arbeit untersuchen sie ein Shuttle-System mit mehrfachtiefen Lagerkanälen und ebenenwechselnden AVF. Zur Herleitung der analytischen Ausdrücke für den Erwartungswert und die Varianz der Spielzeit nehmen sie allerdings an, dass die Zugriffswahrscheinlichkeiten bekannt sind und in Form diskreter Wahrscheinlichkeitsverteilungen vorliegen. Im Rahmen einer Fallstudie untersuchen sie die fahrtzeitbezogenen E/A-Strategien Closest Floor (CF) und Closest Channel (CC), bei denen der Lagerplatz anhand der nächstgelegenen Regalebene bzw. dem nächstgelegenen Lagerkanal ausgewählt wird. Die zugehörigen Zugriffswahrscheinlichkeiten schätzen sie dabei aus Simulationsergebnissen. Der Vergleich zwischen den analytischen und simulierten Ergebnissen ist somit kritisch zu sehen, da Parameter des analytischen Modells aus ebendiesen Simulationen bestimmt werden. Nichtsdestotrotz lassen sich aus der Auswertung deutliche Leistungsunterschiede bei Berücksichtigung der Einlagerstrategien ableiten. Tabelle 3.3 gibt abschließend einen Überblick über die analytisch-stochastischen Ansätze zur fördermittelbezogenen Leistungsanalyse von Lagersystemen. Für die chronologisch sortierten Publikationen ist über die Kriterienausprägungen hinaus noch die Art der Modellierung der zugrunde liegenden Lagerprozesse angegeben. Aus dieser Zusammenstellung geht hervor, dass der Fokus fördermittelbezogener Ansätze auf der Spielzeitbe-

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3.4 Analytisch-stochastische Ansätze

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Abkürzungen 1 Modellierung: A rein analytisch, GWN geschlossenes Warteschlangennetz, M Markovkette, WS Warteschlangensystem 2 Verteilung der Zwischenankunftszeiten: M Exponentialverteilung (Markovsch) 3 Losbildung: B Batch-Ankünfte, E Einzelankünfte 4 LPVS: C chaotische LPV, F feste LPV, Z Zonierung 5 Spielstrategie: D Doppelspiele, E Einzelspiele, M Mehrfachspiele 6 E/A-Strategie: CC Closest Channel, CF Closest Floor, COL Closest Open Location, DYN dynamische Zonierung, PRS Pure Random Storage, UB umschlagsbasierte Allokation, n. a. keine Strategie angegeben 7 Kenngrößen: B Belegungswahrscheinlichkeiten, D Durchsatz, E Energieverbrauch, K Kosten, LB Lagerplatzbedarf, S mittlere Spielzeit, SG Servicegrad, VS Varianz der Spielzeit, Z Zugriffswahrscheinlichkeiten

Tabelle 3.3: Analytisch-stochastische Ansätze zur fördermittelbezogenen Leistungsanalyse von Lagersystemen

84

Kapitel 3 Stand der Forschung

rechnung liegt. Darüber hinaus werden noch einige weitere lagerspezifische Kenngrößen ausgewertet, die jedoch alle keinen direkten Bezug zu den Lageraufträgen aufweisen. Stochastische Ankünfte von Lageraufträgen spielen daher in diesen Ansätzen eine untergeordnete Rolle und finden, wenn überhaupt, nur in Form von Poisson-Prozessen Eingang in die Modellierung. Im Hinblick auf fahrtzeitbezogene E/A-Strategien werden in den Modellen lediglich die Einlagerstrategie COL bzw. vergleichbare Varianten (CF und CC) für Shuttle-Systeme berücksichtigt.

3.5 Zusammenfassung des Literaturüberblicks Zur Identifikation der Forschungslücke wird der Stand der Forschung mit einer Aufstellung der ausgewerteten Publikationen, die im Rahmen der Leistungsanalyse von Fördermitteln in Lagersystemen auch andere E/A-Strategien als PRS berücksichtigen, überblicksartig zusammengefasst. Dafür ist in Tabelle 3.4 noch einmal aufgeführt, welche Ausprägungen der Klassifikationskriterien aus Tabelle 3.1 diesen Modellen jeweils zugrunde liegen. Die Darstellung gliedert sich dabei nach der eingesetzten Methodik und innerhalb dieser Kategorien sind die Publikationen chronologisch sortiert. Es ist zu erkennen, dass der überwiegende Teil der Publikationen für die Leistungsanalyse entweder Simulationen oder analytisch-stochastische Modelle einsetzt. Die unsicheren Ankünfte von Lageraufträgen werden hierbei in den meisten Fällen unter MarkovBedingungen modelliert. Gong und de Koster (2011) stellen jedoch heraus, dass die Ankunftsprozesse im Lagersystem nicht immer akkurat durch Poisson-Prozesse abgebildet werden können. Eine präzisere Modellierung könnte hingegen über allgemeine Verteilungen erreicht werden, die in analytisch-stochastischen Ansätzen bislang allerdings noch keine Berücksichtigung finden. Im Hinblick auf die LPVS gehen die Publikationen häufig von chaotischer LPV bzw. Zonierung aus und hinsichtlich der Spielstrategie betrachten sie meist Einzelspiele oder eine Kombination aus Einzel- und Doppelspielen. Operative E/A-Strategien werden in ganz unterschiedlichen Ausprägungen berücksichtigt. Die Übersicht zeigt jedoch, dass fahrtzeitreduzierende E/A-Strategien, die sich, wie z. B. die KFS, auf beide Lagerauftragsarten beziehen, bisher noch nicht analytisch untersucht wurden. Es existieren lediglich einige Modelle zur fahrtzeitbezogenen Einlagerung nach COL, in denen diese Einlagerstrategie entweder mit den Auslagerstrategien FIFO bzw. PRS oder einer Verteilungsannahme für die artikelspezifischen Verweildauern kombiniert wird. Diese Veröffentlichungen kommen anhand ihrer Auswertungen zu dem Schluss, dass eine Gleichverteilung innerhalb der tatsächlich genutzten vorderen Lagerplätze eine gute Approximation für die Zugriffswahrscheinlichkeiten darstellt, siehe Abschnitt 3.4.2. Wird

85

Hausman et al. (1976) Kim und Seidmann (1990) Schwarz et al. (1978) Rao und Wang (1991) Randhawa und Shroff (1995) Chincholkar und Krishnaiah Chetty (1996) Wang und Yih (1997) Glass (2008) Schumann (2008) Kraul (2010) Gagliardi et al. (2012b) Piepenburg et al. (2014) Sung und Han (1992) Lin und Wang (1995) Malmborg (1996) Malmborg und Altassan (1998) Thonemann und Brandeau (1998) Yamashita et al. (1998) Park und Lee (2007) Fukunari und Malmborg (2008b) Piepenburg und Bruns (2011) D’Antonio et al. (2018) Heßler und Schwindt (2017a,b, 2018) Diese Arbeit

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3.5 Zusammenfassung des Literaturüberblicks

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Abkürzungen 1 Methodik: AS analytisch-stochastisches Modell, Si Simulationsmodell, St Statisches Modell 2 Sichtweise: A auftragsbezogen, F fördermittelbezogen 3 Verteilung der Zwischenankunftszeiten: D deterministisch, Emp Empirische Verteilung, G allgemeine Verteilung, M Exponentialverteilung (Markovsch) 4 Losbildung: B Batch-Ankünfte, E Einzelankünfte 5 LPVS: C chaotische LPV, F feste LPV, Z Zonierung 6 Spielstrategie: D Doppelspiele, E Einzelspiele, M Mehrfachspiele 7 E/A-Strategie: CC Closest Channel, CF Closest Floor, COL Closest Open Location, DYN dynamische Zonierung, FIFO First In-First Out, KFS Kürzeste-Fahrtzeit-Strategie, LTF Lowest Tier First, PRS Pure Random Storage, SPT Shortest Processing Time, UB umschlagsbasierte Allokation, „-“ wegen (impliziter) Annahme von LTPR = 1 keine Auslagerstrategie notwendig, n. a. keine Strategie angegeben 8 Kenngrößen: A Auslastung der Fördermittel, B Belegungswahrscheinlichkeiten, D Durchsatz, K Kosten, L Anzahl wartender Lageraufträge, LB Lagerplatzbedarf, LZ Leerfahrtzeit, S mittlere Spielzeit, SG Servicegrad, V Verweildauer der Lagereinheiten, VS Varianz der Spielzeit, W Wartezeiten der Lageraufträge, Z Zugriffswahrscheinlichkeiten

Tabelle 3.4: Überblick über Ansätze zur Leistungsanalyse unter expliziter Berücksichtigung von E/A-Strategien

86

Kapitel 3 Stand der Forschung

jedoch im Fall LTPR > 1 auch für die Auslagerungen stets ein Lagerplatz mit minimaler Zykluszeit gewählt, so ist davon auszugehen, dass die Zugriffe auf die Lagerplätze nicht mehr gleichverteilt sind. Diese Vermutung bestätigen auch einige Simulationsstudien, wie bereits im Zuge der Darstellung der Arbeiten von z. B. Glass (2008), Schumann (2008) oder Gagliardi et al. (2012b) in Abschnitt 3.3 näher erläutert wurde. Durch Einbeziehung der tatsächlichen Zugriffswahrscheinlichkeiten könnten bestehende analytisch-stochastische Ansätze, insbesondere die mit auftragsbezogener Sichtweise aus Abschnitt 3.4.1, präzisere Ergebnisse für die Durchsatzleistung von Lagersystemen liefern. Somit erscheint es lohnenswert, dieser Fragestellung auch auf analytischem Wege nachzugehen. Hierzu soll die vorliegende Forschungsarbeit einen Beitrag leisten. Die entwickelten analytisch-stochastischen Modelle zur Leistungsanalyse unter KFS wurden für den Fall exponentialverteilter Zwischenankunftszeiten der Lageraufträge bereits überblicksartig in den Konferenzbeiträgen Heßler und Schwindt (2017a), Heßler und Schwindt (2017b) sowie Heßler und Schwindt (2018) vorgestellt. In den beiden folgenden Kapiteln sollen diese Modellierungsansätze sowie eine darauf aufbauende Verallgemeinerung für allgemein verteilte Zwischenankunftszeiten nun im Detail hergeleitet werden. Zuvor widmet sich der folgende Abschnitt jedoch noch etwas ausführlicher zwei Modellen aus der Literatur, die im weiteren Verlauf dieser Arbeit wieder aufgegriffen werden.

3.6 Detaillierte Betrachtung einschlägiger Modelle Für die weitere Vorgehensweise sind die beiden fördermittelbezogenen Modelle von Yamashita et al. (1998) sowie von Park und Lee (2007) von besonderer Bedeutung. Daher sollen deren methodische Konzepte an dieser Stelle näher vorgestellt werden. Dem Ansatz von Yamashita et al. (1998) liegt eine ähnliche Idee zur Aggregation des Zustandsraums zugrunde wie dem in Abschnitt 4.2.2 präsentierten Modell. Des Weiteren wird das Warteschlangenmodell von Park und Lee (2007) zur Leistungsanalyse bei fahrtzeitminimierenden Einlagerungen gemäß der Einlagerstrategie COL detaillierter beschrieben, da dieses Modell im Rahmen der experimentellen Performance-Analyse in Kapitel 6 für einen Spielzeitvergleich herangezogen wird.

3.6.1 Aggregation des Zustandsraums Wie bereits in Abschnitt 3.4.2 erwähnt, modellieren Yamashita et al. (1998) die zeitliche Entwicklung der Lagerbelegung mit Hilfe zeitstetiger Markovketten. Damit wird das

3.6 Detaillierte Betrachtung einschlägiger Modelle

87

stationäre Verhalten eines Lagersystems analysiert, in dem für das Bestandsmanagement eine (s, q)-Bestellpolitik eingesetzt wird und die E/A-Prozesse nach COL/PRS organisiert sind. Die Betrachtung beschränkt sich dabei auf einen Artikel, sodass hinsichtlich der Belegung der Lagerplätze nur zwischen belegt und frei unterschieden werden muss. Zunächst entwickeln die Autoren ein detailliertes Modell, welches die Übergänge zwischen allen möglichen Lagerbelegungszuständen abbildet. Ein Lagerbelegungszustand wird dabei als Vektor über die nach Fahrtzeiten sortierten Lagerplätze n = 1, . . . , N dargestellt, in dem jede Komponente angibt, ob der zugehörige Lagerplatz n belegt oder frei ist. Da die Anzahl an Lagerbelegungszuständen exponentiell in der Anzahl N von Lagerplätzen wächst, eignet sich dieses Modell jedoch nur für die Analyse kleiner Lagerinstanzen. Daher gehen die Autoren dazu über, stochastische Prozesse auf Aggregationen des Zustandsraums zu betrachten. Hierfür werden für jeden Zeitpunkt t ≥ 0 die folgenden Zufallsvariablen definiert. (n)

• Zt : Anzahl belegter Lagerplätze bis einschließlich Lagerplatz n (n) • Z¯t : Anzahl belegter Lagerplätze ab Lagerplatz n + 1 (n)

• bt : Binärer Belegungszustand von Lagerplatz n Um die stationären Belegungswahrscheinlichkeiten der Lagerplätze n = 1, . . . , N zu bestimmen, müssen aufgrund der (s, q)-Bestellpolitik zwei verschiedene Aggregationen des Zustandsraums betrachtet werden. Das hängt damit zusammen, dass für die Lagerplätze n > q unklar ist, ob diese nach Einlagerung der q Lagereinheiten belegt sind oder nicht. Wegen der Einlagerstrategie COL sind alle Lagerplätze n ≤ q zu diesem Zeitpunkt hingegen auf jeden Fall belegt. Diese Überlegungen führen zu den folgenden stochastischen Prozessen. • Lagerplätze n = 1, . . . , q sowie n = N : Für diese Lagerplätze reicht es aus, die Sequenz der Lagerplätze bis einschließlich Lagerplatz n auszuwerten. Die Analyse stützt sich in diesem Fall auf den sto(n) (n) chastischen Prozess (bt , Zt )t≥0 , der den zeitlichen Verlauf der Belegung von Lagerplatz n sowie der Anzahl belegter Lagerplätze bis einschließlich Lagerplatz n abbildet. • Lagerplätze n = q + 1, . . . , N − 1: (n) (n) Für diese Lagerplätze wird der stochastische Prozess (Zt , Z¯t )t≥0 herangezogen. Dieser bezieht sich auf die vollständige Sequenz der Lagerplätze und stellt die Anzahl belegter Lagerplätze bis einschließlich Lagerplatz n sowie ab Lagerplatz n + 1 im Zeitverlauf dar.

88

Kapitel 3 Stand der Forschung

Diese Aggregationen führen zu individuellen stochastischen Prozessen für jeden Lagerplatz n und Yamashita et al. zeigen, dass es sich dabei um Markovketten in stetiger Zeit handelt. Darauf aufbauend leiten sie für beide Fälle Lösungsmethoden zur Bestimmung der Belegungswahrscheinlichkeiten aller Lagerplätze her. Die Zeitkomplexität54 dieser Algorithmen beträgt O(N 4 ). Durch Analyse eines exemplarischen Lagersystems mit N = 300 Lagerplätzen kommen die Autoren schließlich zu dem Ergebnis, dass die Belegungswahrscheinlichkeiten für die ersten q Lagerplätze identisch und danach fallend sind. Dieses Resultat ist plausibel, da dem Modell eine (s, q)-Bestellpolitik zugrunde liegt. Somit werden nach der E/A-Strategie COL/PRS die q angelieferten Lagereinheiten immer möglichst nah am E/A-Punkt eingelagert und die Lagerplätze für auszulagernde Lagereinheiten anschließend zufällig aus diesem Lagerbereich ausgewählt.

3.6.2 Warteschlangenmodell für fahrtzeitbezogene Einlagerung Das bereits in Abschnitt 3.4.2 eingeführte Warteschlangenmodell von Park und Lee (2007) beruht auf den folgenden Annahmen. Jeder Lagerauftrag bezieht sich auf genau eine Lagereinheit und die EA treffen gemäß einem Poisson-Prozess mit Ankunftsrate λ ein. Kann ein Lagerauftrag nicht direkt erfüllt werden, so wird dieser abgelehnt, andernfalls läuft der E/A-Prozess wie folgt ab. Jede Lagereinheit wird gemäß COL eingelagert und der Zeitpunkt ihrer Auslagerung ergibt sich über eine Verteilungsannahme für die Verweildauern. Die Verweildauern, die im Modell den Bedienzeiten entsprechen, sind dabei je Artikel  ∈ {1, . . . , L} unabhängig und identisch verteilt mit Erwartungswert τ .

Die kumulierte Ankunftsrate λ = L=1 λ folgt aus der Überlagerung der Poisson-Prozesse der Artikel  mit Ankunftsrate λ und die ankommenden Lageraufträge werden gemäß FCFS abgearbeitet. Unter diesen Annahmen modellieren Park und Lee den E/A-Prozess als Erlangsches Verlustsystem mit geordnetem Eintreten55 , vgl. Cooper (1981, S. 88 f.). Dabei handelt es sich um ein M/G/N/N -Warteschlangensystem mit nummerierten Bedienschaltern n = 1, . . . , N . Bezogen auf die Lageranwendung repräsentieren diese Bedienschalter die nach Zykluszeiten tZ (n) sortierten Lagerplätze. Der Modellzusatz „geordnetes Eintreten“ bedeutet, dass ein ankommender Kunde (einzulagernde Lagereinheit) immer die freie Bedienstation mit kleinster Nummer n wählt, d. h. den Lagerplatz mit kürzester Fahrtzeit. Da die Lagerkapazität mit der Anzahl N von Bedienstationen 54

55

Die Zeitkomplexität wird mit dem dafür üblichen Landau-Symbol O angegeben, das wie folgt definiert ist, vgl. z. B. Garey und Johnson (1979, S. 6): Für zwei Funktionen f , g: N → R≥0 gilt f ∈ O (g) :⇔ ∃ c > 0, m0 > 0 : (∀ m ≥ m0 : f (m) ≤ c · g(m)). In der englischsprachigen Literatur ist für dieses Warteschlangensystem die Bezeichnung Erlang loss model with ordered hunt üblich.

89

3.6 Detaillierte Betrachtung einschlägiger Modelle

übereinstimmt, werden eintreffende Kunden abgewiesen, sobald alle Bedienstationen belegt sind. Für dieses Warteschlangensystem ergibt sich die Wahrscheinlichkeit, dass die vorderen n Bedienstationen belegt sind, direkt aus der Erlangschen Verlustformel56 , vgl. Cooper (1981, S. 80). Ein ankommender Kunde wählt genau dann Bedienstation n, wenn diese Station die erste freie innerhalb der Sequenz ist. Das ist gleichbedeutend damit, dass alle Bedienstationen 1 bis n−1 belegt sind, aber nicht alle Bedienstationen 1 bis n. Somit lässt sich die Wahrscheinlichkeit, dass ein ankommender Kunde Bedienstation n wählt, wie folgt als Differenz der Blockierwahrscheinlichkeiten in Erlangschen Verlustsystemen mit n − 1 bzw. n Bedienstationen ausdrücken. PCOL (n) =

Dabei bezeichnet ρ=

L  =1

ρn−1 (n−1)! n−1

ρn n ! n =0

λ ·



ρn

n! −

n  ρn n =0

L  λ

 =1

λ

· τ

(3.1)

n !



(3.2)

die Verkehrsintensität des Warteschlangensystems. Bezogen auf die Lageranwendung entspricht die Wahrscheinlichkeit PCOL (n) der Einlager-Zugriffswahrscheinlichkeit von Lagerplatz n bei Einlagerung nach COL unter der Annahme unabhängig und identisch verteilter Verweildauern. Aus einer Grenzwertbetrachtung für ρ → ∞ ergibt sich daraus, dass eine Gleichverteilung über die vorderen min{N , ρ} Lagerplätze eine gute Approximation für die normierten Zugriffswahrscheinlichkeiten darstellt. Dieses Resultat gilt gleichermaßen für das auf Batch-Ankünfte erweiterte Modell. Letztlich wird aus diesen Ergebnissen ersichtlich, dass die weit verbreitete Gleichverteilungsannahme, siehe Abschnitt 3.2.1, bei steigender Verkehrsintensität ρ eine höhere Approximationsgüte für die Zugriffswahrscheinlichkeiten unter COL erzielt. Auf der Grundlage dieser Modellierung werden in Kapitel 6 die Strategien COL57 und KFS einander gegenübergestellt. Dabei wird der Frage nachgegangen, ob die Durchsatzleistung der Fördermittel erhöht werden kann, wenn die fahrtzeitminimale Allokation der Lagerplätze nicht nur für Einlagerungen (Strategie COL), sondern zusätzlich auch für Auslagerungen (Strategie KFS) vorgenommen wird. In den nächsten beiden Kapiteln wird dafür die Modellierung der KFS unter Berücksichtigung stochastischer Auftragsankünfte detailliert hergeleitet, zunächst unter Annahme Poissonscher Ein- und Ausla56

57

Die Erlangsche Verlustformel wird in der Literatur auch als abgeschnittene Poisson-Verteilung oder Erlang-B-Formel bezeichnet und dient der Berechnung der Blockierwahrscheinlichkeit in einem Erlangschen Verlustsystem. Die Abkürzung COL steht im Folgenden verkürzt für die vollständige Bezeichnung der E/A-Strategie COL/n. a.

90

Kapitel 3 Stand der Forschung

gerungen und anschließend für allgemein verteilte Zwischenankunftszeiten der Lageraufträge.

Kapitel 4 Stationäre Analyse der Lagerprozesse mittels Markovketten In diesem Kapitel werden analytisch-stochastische Ansätze für die stationäre Analyse von Lagerprozessen unter KFS entwickelt, die den Kern der stochastischen Leistungsanalyse der Fördermittel bilden. Um die E/A-Prozesse als Markovketten modellieren zu können, wird zunächst die Annahme Poissonscher Auftragsankünfte getroffen. Durch eine Verallgemeinerung dieser Basismodelle, die im nächsten Kapitel vorgestellt wird, kann diese Annahme zugunsten einer realistischeren Modellierung wieder aufgehoben werden. Zuerst werden in Abschnitt 4.1 die Annahmen formuliert, die den nachfolgend beschriebenen Markov-Modellen zugrunde liegen. Die weitere Untergliederung vollzieht sodann die einzelnen Schritte der Modellentwicklung nach. Den Anfang bilden dabei in Abschnitt 4.2 Modelle für den Fall homogener Lagerartikel. Diese sehr restriktive Einschränkung auf nur einen Lagerartikel ermöglicht eine detaillierte Modellierung der Belegung aller Lagerplätze über die Zeit als stochastischen Prozess. Aus diesem grundlegenden Modell geht die Idee für ein aggregiertes Markov-Modell hervor, welches auch für größere Lagerinstanzen eingesetzt werden kann. Das aggregierte Markov-Modell wird in Abschnitt 4.3 abschließend noch auf den praxisrelevanten Fall heterogener Lagerartikel übertragen.

4.1 Annahmen Den nachfolgend beschriebenen Modellen für die Leistungsanalyse von Fördermitteln liegen folgende Annahmen zugrunde. Es wird ein Lagersystem58 mit N Lagerplätzen 58

Das Annahmensystem bezieht sich insbesondere auf die automatisierten HRL und die Shuttle-Systeme aus Abschnitt 2.1. Der Einsatz der Modelle beschränkt sich jedoch nicht nur auf diese Lagersysteme.

© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2021 A. Heßler, Stochastische Leistungsanalyse von Lagersystemen, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31811-6_4

92

Kapitel 4 Stationäre Analyse der Lagerprozesse mittels Markovketten

betrachtet, in dem L verschiedene Artikel nach dem Prinzip der freien LPV59 , siehe Abschnitt 2.3.1, gelagert werden. Von jedem Artikel werden mehrere gleichartige, also nicht kunden- oder auftragsspezifische Lagereinheiten60 im Lager vorgehalten (LTPR > 1). Weiterhin wird davon ausgegangen, dass es sich um ein homogenes Lagersortiment handelt, vgl. Gudehus (2010, S. 569), d. h., die Lagereinheiten seien über alle Artikel hinweg standardisiert. Dies ist z. B. bei einer Einlagerung auf einheitlichen Ladungsträgern der Fall, wie Paletten, Gitterboxen oder Kleinladungsträgern. Für das Lagersystem wird angenommen, dass jeder Lagerplatz genau eine Lagereinheit aufnehmen kann und dass alle Lagerplätze die gleichen Grundmaße aufweisen. Gemäß der Klassifikation von Lagerarten nach Gudehus (2010, S. 573) handelt es sich um ein homogenes Einzelplatzlager. Die eingangs angesprochene Unsicherheit, die in den Modellen berücksichtigt werden soll, bezieht sich auf die Ausführungszeitpunkte der E/AA. Die Zeitpunkte, zu denen Lagereinheiten der einzelnen Artikel  ∈ {1, . . . , L} ein- oder ausgelagert werden, seien im Voraus nicht bekannt. Stattdessen wird davon ausgegangen, dass die Ankünfte für jede Kombination aus Artikel und Auftragsart jeweils einem stochastischen Prozess folgen und dass die einzelnen Ankunftsprozesse stochastisch unabhängig voneinander sind. Das bedeutet insbesondere, dass die Ankünfte der EA stochastisch unabhängig von den Ankünften der AA sind.61 Unter Ankünften werden dabei die Zeitpunkte verstanden, zu denen ein Fördermittel die Lagereinheiten an den Lagerplätzen ein- bzw. auslagert. Dies ist abzugrenzen von der auftragsbezogenen Modellierung, bei der die Zeitpunkte, zu denen Lageraufträge am Lagersystem eintreffen, als Ankünfte modelliert werden. Für die in diesem Kapitel entwickelten Basismodelle wird zunächst angenommen, dass die artikelspezifischen Ankunftsprozesse unabhängige homogene Poisson-Prozesse bilden, siehe Definition 2.4. Allgemein wird ein Poisson-Prozess durch eine erwartete Ankunftsrate charakterisiert, also die erwartete Anzahl von Ankünften innerhalb einer ZE. Für EA von Artikel  ∈ {1, . . . , L} betrage diese Rate λ Aufträge pro ZE und für AA μ Aufträge pro ZE. Dabei bezieht sich jeder Lagerauftrag auf genau eine Lagereinheit des zugehö59

60

61

Die nachfolgend entwickelten Modelle beziehen sich in ihrer Grundform auf Lagersysteme mit freier LPV. Durch Mehrfachanwendung der Modelle auf einzelne Lagerbereiche mit freier LPV ist jedoch auch eine direkte Übertragung auf Zonierung und feste LPV, als Spezialfall der Zonierung mit einer Zone je Artikel, möglich. In der Literatur werden Lagereinheiten teilweise auch synonym als Ladeeinheiten bezeichnet. Für einen eindeutigen Bezug zur Lagerhaltung wird in der vorliegenden Arbeit jedoch ausschließlich der Begriff Lagereinheiten verwendet. Die Unabhängigkeitsannahme für die Ankunftsprozesse impliziert, dass keine Zeitfenster gebildet werden, in denen ausschließlich EA oder AA ausgeführt werden. Diese Annahme führt jedoch auch bei Vorhandensein von Zeitfenstern mutmaßlich nur zu geringen Verzerrungen, da die Länge solcher Zeitfenster im Vergleich zur durchschnittlichen Verweildauer der Lagereinheiten typischerweise verhältnismäßig kurz ist.

4.1 Annahmen

93

rigen Artikels . Auch wenn für die stationäre Analyse von Lagersystemen insbesondere der Fall übereinstimmender Ankunftsraten (λ = μ ) relevant ist, vgl. z. B. Bozer und Cho (2005), soll die Modellierung auf diese Weise möglichst allgemein gehalten werden. Die getroffenen Verteilungsannahmen sind theoretisch erfüllt, wenn die Verteilungen der Zwischenankunftszeiten der EA bzw. AA am Lagersystem gedächtnislos und die Warte-/ Fahrtzeiten im Vergleich zu den Zwischenankunftszeiten der Lageraufträge vernachlässigbar sind. Natürlich ist diese Annahme meist nicht realistisch, da weder Warte- noch Fahrtzeiten i. A. vernachlässigt werden können. Die Markov-Eigenschaft der PoissonProzesse ermöglicht jedoch eine exakte Modellierung der Lagerplatzbelegung über die Zeit, aus der nachfolgend ein analytischer Ansatz für die Leistungsanalyse hergeleitet wird. Durch die in Abschnitt 5.2 beschriebene Verallgemeinerung dieses Markov-Modells lässt sich die Annahme Poissonscher Auftragsankünfte wieder aufheben, sodass auf der Grundlage der theoretischen Basismodelle schließlich eine realistischere Modellierung für die E/A-Prozesse möglich ist. Die E/AA werden sukzessiv in der Reihenfolge ihres Eintreffens abgearbeitet und im Lager von Fördermitteln in Einzelspielen ausgeführt. Ist beim Eintreffen eines AA keine Lagereinheit des zugehörigen Artikels vorhanden, so wird davon ausgegangen, dass dieser AA nicht ausgeführt wird. Genauso gelte diese Annahme für EA, die bei vollständig belegtem Lager eintreffen. Nicht ausführbare EA können beispielsweise an ein anderes Lager bzw. einen anderen Lagerbereich weitergeleitet werden, vgl. Park und Lee (2007). Im Folgenden muss daher genau zwischen ankommenden und ausführbaren Lageraufträgen unterschieden werden. Da für jeden Artikel die Einlagerung mehrerer, gleichartiger Lagereinheiten betrachtet wird, kann als E/A-Strategie die in Abschnitt 2.3.4 vorgestellte Kürzeste-Fahrtzeit-Strategie (KFS) angewendet werden. Folgt die operative Ausführung der Lageraufträge dieser Strategie, so wird sowohl für EA als auch für AA immer ein geeigneter Lagerplatz mit minimaler Zykluszeit62 gewählt. Geeignet bedeutet hierbei, dass für eine Einlagerung alle freien Lagerplätze in Betracht kommen und für eine Auslagerung von Artikel  ∈ {1, . . . , L} alle Lagerplätze, in denen eine Lagereinheit von Artikel  eingelagert ist. Die Zykluszeit tZ (n) von Lagerplatz n wird dabei als die Summe der Einzelspielzeiten tE (n) und tA (n) aus (2.1) für eine Ein- und eine Auslagerung in Lagerplatz n berechnet, vgl. Glass (2008, S. 33 f.). Diese Betrachtung schließt den Fall mit ein, dass der E-Punkt und der A-Punkt im Lager räumlich voneinander getrennt sind. Unter der Annahme, dass die Lageraufträge ausschließlich als Einzelspiele in der Reihenfolge ihres Eintreffens ausgeführt werden, stellt die KFS die fahrtzeitoptimale 62

Statt der hier betrachteten Zykluszeit können auch alternative Kriterien für die Lagerplatzwahl angesetzt werden. Weitere Vorschläge von Malmborg (1996) bzw. Meneghetti und Monti (2014) sind z. B. die Kosten oder der Energiebedarf für die Durchführung der beiden zugehörigen Einzelspiele.

94

Kapitel 4 Stationäre Analyse der Lagerprozesse mittels Markovketten

E/A-Strategie dar. Dieser Zusammenhang lässt sich wie folgt begründen. Wird jedem ausführbaren Lagerauftrag zum Zeitpunkt des Eintreffens am Lagersystem ein Lagerplatz mit minimaler Zykluszeit zugeordnet, so gibt es zu diesem Zeitpunkt, auch unter Berücksichtigung der späteren Auslagerung, für die Ausführung des Lagerauftrags keine günstigere Alternative. Folglich wird dadurch auch die Gesamtfahrtzeit der Fördermittel minimiert. Es muss jedoch angemerkt werden, dass die Optimierungspotentiale, die sich aus einer geeigneten Sequenzierung der ankommenden Lageraufträge oder einer Kombination von E/AA zu Doppel- oder Mehrfachspielen ergeben können, in der vorliegenden Modellierung nicht berücksichtigt werden. Das Ziel der Leistungsanalyse besteht u. a. darin, die benötigte Kapazität des Fördersystems unter Berücksichtigung unsicherer Ausführungszeitpunkte der Lageraufträge zu bestimmen. Wie bereits in Abschnitt 2.4.3 erläutert, erfolgt die Auslegung des Fördersystems dabei über den stationären Grenzdurchsatz der Fördermittel, d. h. deren langfristig zu erwartende maximale Durchsatzleistung. Die Kapazität sollte so gewählt werden, dass das Fördersystem eine geforderte Durchsatzleistung erbringen kann. Die vorgestellte fördermittelbezogene Modellierung ist zunächst grundlegend unabhängig von der Anzahl der Fördermittel. Das Modell zielt im Wesentlichen darauf ab, die Zugriffswahrscheinlichkeiten unter der E/A-Strategie KFS zu ermitteln. Daher führt jeder ausführbare Lagerauftrag sofort zu einer veränderten Lagerbelegung. Mit dem daraus resultierenden stationären Grenzdurchsatz kann sodann unter Berücksichtigung der realen Spezifikationen der Fördermittel sowie möglicher Wartezeiten die konkrete Ausgestaltung des Fördersystems festgelegt werden. Für die Modellierung der KFS seien die N Lagerplätze n = 1, . . . , N nach nichtfallenden63 Zykluszeiten tZ (n) nummeriert. Die Zykluszeiten hängen dabei vom zugrunde gelegten Distanzmaß und den Bewegungseigenschaften der Fördermittel ab. Damit wird die mehrdimensionale Struktur des Lagersystems in eine eindimensionale Sequenz der Lagerplätze überführt. Das Modell beschränkt sich dabei nicht nur auf eine Regalwand oder eine Lagergasse, sondern es können auch mehrere Lagergassen abgebildet werden. Diese Konvention ist notwendig, um die für die Modellierung der KFS benötigten Lagerplätze mit minimaler Zykluszeit ausfindig zu machen. Eine mögliche Sortierung der Lagerplätze ist anhand des folgenden Beispiels 4.1 illustriert. Beispiel 4.1. Gegeben sei die in Abbildung 4.1 dargestellte Regalwand bestehend aus fünf Ebenen mit je zehn Lagerplätzen. Für die Übergabe der Lagereinheiten gibt es einen einheitlichen E/A-Punkt, der sich an der linken unteren Ecke der Regalwand befindet. 63

Bei Lagerplätzen mit identischen Zykluszeiten könnte zusätzlich noch der Energieverbrauch als untergeordnetes Sortierkriterium herangezogen werden, vgl. Piepenburg (2016, S. 110 ff.).

95

4.1 Annahmen

.. .

..

.

9

8

7

4

3

6

1

2

5 ···

Sortierung: 1

2

3

4 ···

E/A-Punkt Abbildung 4.1: Exemplarische Sortierung der Lagerplätze Bei dieser Konfiguration stimmen die Einzelspielzeiten tE (n) und tA (n) überein und für die Sortierung sind daher nur die Fahrtzeiten tn zwischen dem E/A-Punkt und dem Anfahrpunkt an den Lagerplätzen maßgeblich. Die Lageraufträge werden von einem RBG mit den Verfahrgeschwindigkeiten vx und vz in horizontaler bzw. vertikaler Richtung ausgeführt. Bei Vernachlässigung des Beschleunigungsverhaltens des RBG können die Fahrtzeiten tn nach der Tchebychev-Metrik64 bestimmt werden. Daraus ergibt sich für alle Lagerplätze n = 1, . . . , 50 

|xE/A − xn | |zE/A − zn | , tn = max vx vz



wobei (xn , zn ) und (xE/A , zE/A ) die kartesischen Koordinaten des Anfahrpunkts von Lagerplatz n bzw. des E/A-Punkts bezeichnen. Im vorliegenden Beispiel wird angenommen, dass die horizontale Verfahrgeschwindigkeit des RBG doppelt so hoch ist wie dessen vertikale Verfahrgeschwindigkeit (vx = 2vz ). Eine resultierende Nummerierung der Lagerplätze ist in Abbildung 4.1 dargestellt, wobei u. a. die Reihenfolge der Lagerplätze n = 3

und n = 4 wegen t3 = t4 beliebig gewählt werden kann. Es sei angemerkt, dass für die Sortierung der Lagerplätze sowohl jedes beliebige Distanzmaß als auch jede beliebige Modellierung der Fortbewegung der Fördermittel herangezogen werden kann. Es wird lediglich angenommen, dass die Zykluszeiten tZ (n) a priori bestimmt werden können und sich während des Lagerbetriebs nicht ändern, wie z. B. auch bei Glass (2008, S. 31). In dieser Hinsicht sind die nachfolgend beschriebenen Modelle also sehr allgemein gehalten, da die Sortierung für jeden Anwendungsfall geeignet gewählt werden kann. Aus diesem Grund wird auf die Ermittlung der Zykluszeit in der vorliegenden Arbeit auch nicht näher eingegangen. Eine Übersicht zu Weg-Zeit-Mo-

64

Dieses Distanzmaß eignet sich für Bewegungsabläufe, die wie bei den RBG in horizontaler und vertikaler Richtung simultan erfolgen, vgl. z. B. van den Berg (1999) oder Gagliardi et al. (2012a).

96

Kapitel 4 Stationäre Analyse der Lagerprozesse mittels Markovketten

dellen für die Bestimmung der Zykluszeit in Abhängigkeit der technischen Spezifikation der Fördermittel findet sich in Abschnitt 3.4.2. Ein Abgleich mit den im Übersichtsartikel von Gagliardi et al. (2012a) besprochenen Modellen für automatisierte HRL zeigt, dass die zuvor angeführten Voraussetzungen weitestgehend den typischen Annahmen aus der Literatur entsprechen. Der wesentliche Beitrag des nachfolgend entwickelten Ansatzes zur stochastischen Leistungsanalyse im Vergleich zu bestehenden Ansätzen ist die Betrachtung der KFS als E/A-Strategie. Neben den automatisierten HRL aus Abschnitt 2.1.1 eignet sich die Modellierung gleichermaßen für die Shuttle-Systeme aus Abschnitt 2.1.2. Prinzipiell lässt sich damit auch die Leistungsfähigkeit anderer Lagerarten analysieren, wenn das Annahmensystem für diese Lagersysteme ebenfalls zutreffend ist. Wie der E/A-Prozess basierend auf den zuvor beschriebenen Annahmen als stochastischer Prozess modelliert werden kann, wird in den beiden folgenden Abschnitten erklärt.

4.2 Modelle für den Fall homogener Lagerartikel In diesem Abschnitt werden zwei Modelle für den Fall homogener Lagerartikel vorgestellt. Homogen bedeutet in diesem Zusammenhang, dass nur genau ein Artikel im Lagersystem eingelagert wird, d. h., es gilt L = 1. Im ersten Unterabschnitt wird in einer detaillierten Sichtweise die zeitliche Entwicklung der Belegung jedes einzelnen Lagerplatzes modelliert, während im zweiten zu einer aggregierten Betrachtung übergegangen wird. Die Produktpalette auf genau einen Artikel zu beschränken, stellt dabei aus praktischer Sicht i. d. R. keine sinnvolle Annahme dar, die entwickelten Basismodelle bilden jedoch die Grundlage für die in Abschnitt 4.3 folgende Verallgemeinerung auf heterogene Lagerartikel. Außerdem lassen sich die konzeptionellen Überlegungen zur Modellierung der vorab beschriebenen Lageranwendung anhand dieses Spezialfalls sehr gut veranschaulichen.

4.2.1 Detailliertes Markov-Modell Das erste Modell basiert auf einem detaillierten Abbild des Lagersystems. Durch die Ausführung von E/AA, deren Ankünfte jeweils unabhängigen Poisson-Prozessen mit Rate λ bzw. μ folgen, verändert sich die Belegung der einzelnen Lagerplätze über die Zeit. Daraus leitet sich die Modellierungsidee ab, die zeitliche Entwicklung der Verteilung des Lagerbestands auf die N Lagerplätze als stochastischen Prozess darzustellen. Aufgrund der Annahme eines Einzelplatzlagers kann jeder Lagerplatz n ∈ {1, . . . , N } zu jedem Zeitpunkt

97

4.2 Modelle für den Fall homogener Lagerartikel Lagerbelegung

···

Zustandsrepräsentation

1 0 1 0 ...

Lagerplatz frei Lagerplatz belegt

Abbildung 4.2: Zusammenhang zwischen Lagerbelegung und Zustandsrepräsentation t ≥ 0 nur entweder frei oder belegt sein. Der nachfolgend dargestellte Zustandsraum E des stochastischen Prozesses umfasst somit alle möglichen Belegungskombinationen der N Lagerplätze. E = {0, 1}N

(4.1)

Ein Zustand i ∈ E des Lagersystems wird also als binäres N -Tupel repräsentiert, wobei jeder Eintrag b(i, n) des Tupels mit n ∈ {1, . . . , N } angibt, ob der zugehörige Lager-

platz n frei, b(i, n) = 0, oder belegt, b(i, n) = 1, ist. Abbildung 4.2 zeigt die Übertragung einer exemplarischen Belegung der ersten vier Lagerplätze der Sequenz in die zugehörige Zustandsrepräsentation. Umgekehrt geht daraus auch die Bedeutung des Zustands (1, 0, 1, 0, . . .) hervor. Unter Berücksichtigung der Nummerierungskonvention sind der fahrtzeitgünstigste Lagerplatz n = 1 sowie Lagerplatz n = 3 belegt und die beiden anderen Lagerplätze frei. Bei dieser Zustandsrepräsentation enthält der Zustandsraum folglich insgesamt 2N Zustände, d. h., |E| = 2N . Es sei bereits an dieser Stelle angemerkt, dass das hier zu erkennende exponentielle Wachstum der Kardinalität des Zustandsraums in der Anzahl N von Lagerplätzen später eine Herausforderung bei der stationären Analyse des stochastischen Prozesses darstellen wird. Basierend auf dem Zustandsraum E wird der nachfolgende stochastische Prozess definiert. Definition 4.2 (Detaillierter Prozess). Es sei 

(1)

(N )

(Yt )t≥0 = Yt , . . . , Yt



t≥0

(4.2)

mit (n) Yt

⎧ ⎪ ⎨ 1,

=⎪

⎩ 0,

wenn Lagerplatz n ∈ {1, . . . , N } zum Zeitpunkt t belegt ist sonst

der stochastische Prozess für die zeitliche Entwicklung der Lagerplatzbelegungen.

(4.3)

98

Kapitel 4 Stationäre Analyse der Lagerprozesse mittels Markovketten (n)

Der Prozess (Yt )t≥0 gibt zu jedem Zeitpunkt t ≥ 0 über die Bernoulli-Variablen Yt für alle Lagerplätze an, ob Lagerplatz n frei oder belegt ist. Gemäß der Klassifikation stochastischer Prozesse in Abschnitt 2.5.1 ist (Yt )t≥0 damit ein stochastischer Prozess in stetiger Zeit mit endlichem Zustandsraum. Die Übergänge zwischen den Zuständen des Lagersystems ergeben sich aus der angewendeten E/A-Strategie, im vorliegenden Fall also der KFS. Danach wird jedem angenommenen Lagerauftrag ein geeigneter Lagerplatz mit minimaler Zykluszeit zugeordnet. Für EA wird folglich der erste freie und für AA der erste belegte Lagerplatz in der sortierten Reihenfolge n = 1, . . . , N der Lagerplätze gewählt. Übergänge werden also durch Ausführung eines EA oder eines AA hervorgerufen und somit spezifizieren die Raten λ bzw. μ der entsprechenden Poissonschen Ankunftsprozesse die zugehörigen Übergangsraten. Der zeilenweise aufgebaute Übergangsgraph von Prozess (Yt )t≥0 ist in Abbildung 4.3 dargestellt. Die k-te Zeile enthält alle Zustände, in denen genau k der N Lagerplätze belegt sind. Insgesamt befinden sich in jeder Zeile   also Nk Zustände und für die zugehörigen Teilmengen des Zustandsraums gilt folgende Definition.

Definition 4.3 (Level). Es sei b(i) := N n=1 b(i, n) die Anzahl belegter Lagerplätze eines Zustands i ∈ E. Damit werde die Zustandsteilmenge Ek ⊆ E mit k ∈ {0, . . . , N } definiert als (4.4) Ek := {i ∈ E | b(i) = k} und als Level65 k des stochastischen Prozesses (Yt )t≥0 bezeichnet. Diese Struktur bietet sich an, da im Modell angenommen wird, dass sich alle E/AA jeweils auf genau eine Lagereinheit beziehen. Damit kann sich die Anzahl belegter Lagerplätze durch Ausführung eines Lagerauftrags nur entweder um eine Lagereinheit erhöhen oder reduzieren. Folglich sind im Übergangsgraph nur Übergänge zwischen aufeinanderfolgenden Leveln möglich, wobei zwei Arten von Übergängen unterschieden werden. Bewertet mit λ handelt es sich um Einlagerungen einer Lagereinheit des homogenen Lagerartikels in den ersten freien Platz und bewertet mit μ entsprechend um Auslagerungen aus dem ersten belegten Platz. Die Grundlage für die Leistungsanalyse der Fördermittel bildet die stationäre Verteilung des Prozesses (Yt )t≥0 . Wie in Abschnitt 2.5.1 beschrieben, existiert für einen stochastischen Prozess nur unter bestimmten Voraussetzungen eine eindeutige stationäre Verteilung. Die folgende Proposition 4.4 zeigt, dass derartige Voraussetzungen für den Prozess (Yt )t≥0 erfüllt sind. 65

Die Begriffsbildung lehnt sich an die Level von Quasi-Geburts- und Todesprozessen an, vgl. z. B. Asmussen (2003, S. 316 ff.).

99

4.2 Modelle für den Fall homogener Lagerartikel (0, . . . , 0) λ (1, 0, . . . , 0) λ

µ

(0, 1, 0, . . . , 0)

k=0

µ

µ (0, . . . , 0, 1)

...

λ µ

(1, 1, 0, . . . , 0)

...

(1, 0, . . . , 0, 1)

λ µ

µ

...

(0, . . . , 0, 1, 1)

.. .

..

.. .

.

.. .

µ

λ (1, . . . , 1, 0, 0)

(1, . . . , 1, 0)

k=2

µ

λ

λ

k=1

... λ

(0, 1, . . . , 1, 0)

(0, 0, 1, . . . , 1)

...

λ µ

µ

(1, 0, 1, . . . , 1)

... λ

λ (1, . . . , 1)

λ

k =N −2

µ (0, 1, . . . , 1)

k =N −1

µ k=N

Abbildung 4.3: Übergangsgraph des stochastischen Prozesses (Yt )t≥0 Proposition 4.4. Der stochastische Prozess (Yt )t≥0 ist eine homogene und ergodische Markovkette in stetiger Zeit. Beweis. Der Prozess (Yt )t≥0 ist eine Markovkette in stetiger Zeit, wenn er die Markov-Eigenschaft der Gedächtnislosigkeit erfüllt. Dies ist genau dann der Fall, wenn einerseits die Verweildauer in jedem Zustand i ∈ E exponentialverteilt ist und andererseits die Übergangswahrscheinlichkeiten p∗ij mit i, j ∈ E des eingebetteten Sprungprozesses nur vom aktuellen Zustand i und dem Folgezustand j abhängen, vgl. Anderson (1991, S. 63). Der Zusammenhang ist dabei wie folgt. Sind die Verweildauern exponentialverteilt, so sind sie insbesondere endlich, vgl. Anderson (1991, S. 16 f.). Daraus folgt zunächst, dass der eingebettete Sprungprozess existiert. Unter dem eingebetteten Sprungprozess wird dabei der zeitdiskrete stochastische Prozess verstanden, der die Folge von Zuständen abbildet, die sich bei Betrachtung des Prozesses (Yt )t≥0 jeweils zu den Endzeitpunkten der Verweildauern ergibt. Hängen darüber hinaus die Übergangswahrscheinlichkeiten p∗ij dieses eingebetteten Sprungprozesses nur vom aktuellen Zustand i und dem Folgezustand j ab, so handelt es sich bei dem eingebetteten Sprungprozess um eine Markovkette in diskreter Zeit und (Yt )t≥0 ist eine Markovkette in stetiger Zeit.

100

Kapitel 4 Stationäre Analyse der Lagerprozesse mittels Markovketten

Für den Prozess (Yt )t≥0 ergeben sich die Verweildauern in den Zuständen i ∈ E aus den Zwischenankunftszeiten der E/AA. Zustand i = (0, . . . , 0) wird bei Ankunft des nächsten EA verlassen und Zustand i = (1, . . . , 1) umgekehrt bei Ankunft des nächsten AA. Aufgrund der Annahme unabhängiger Poissonscher Ankunftsprozesse für die E/AA sind die Verweildauern in diesen beiden Extremalzuständen also exponentialverteilt mit Rate λ bzw. μ. Alle übrigen Zustände werden entweder durch eine Ein- oder eine Auslagerung verlassen. Also ergibt sich die Verweildauer als Minimum der exponentialverteilten Zwischenankunftszeiten und sie folgt wegen der Unabhängigkeit dieser beiden Zeiten ebenfalls einer Exponentialverteilung mit Rate λ + μ, vgl. Shortle et al. (2018, S. 38). Damit sind die Verweildauern in allen Zuständen i ∈ E exponentialverteilt mit einer zustandsspezifischen Rate

⎧ ⎪ ⎪ ⎪λ ⎪ ⎨

für i = (0, . . . , 0)

qi = ⎪ μ für i = (1, . . . , 1) ⎪ ⎪ ⎪ ⎩λ + μ sonst

(4.5)

und der eingebettete Sprungprozess existiert. Übergänge im eingebetteten Sprungprozess erfolgen ebenfalls bei Ankünften von Lageraufträgen und die zugehörigen Übergangswahrscheinlichkeiten p∗ij ergeben sich wie folgt aus den exponentialverteilten Zwischenankunftszeiten der E/AA. Unabhängig von der Vorgeschichte gibt es in den Extremalzuständen jeweils einen möglichen Übergang mit Wahrscheinlichkeit 1 und in allen λ bzw. anderen Zuständen jeweils zwei mögliche Übergänge mit Wahrscheinlichkeit λ+μ μ , vgl. Shortle et al. (2018, S. 38). Daraus geht hervor, dass die Übergangswahrscheinλ+μ lichkeiten p∗ij nur von den Zuständen i und j abhängen und dass es sich somit um eine eingebettete Sprungkette handelt. Also erfüllt der Prozess (Yt )t≥0 die Markov-Eigenschaft und ist folglich eine Markovkette in stetiger Zeit. Nach den allgemeinen Zusammenhängen für die Parameter derartiger Markovketten, vgl. z. B. Shortle et al. (2018, S. 63), gilt mit (4.5) für die Übergangsraten qij von Prozess (Yt )t≥0 qij = qi · p∗ij

(i, j ∈ E, i = j)

(4.6)

und es ergeben sich schließlich die im Übergangsgraphen in Abbildung 4.3 angegebenen Übergangsraten qij . Daraus wird ersichtlich, dass aus der Annahme unabhängiger Poisson-Prozesse für die Ankünfte der E/AA auch direkt folgt, dass die Übergangsraten qij von Prozess (Yt )t≥0 zeitinvariant sind und (Yt )t≥0 somit eine homogene Markovkette in stetiger Zeit ist.

4.2 Modelle für den Fall homogener Lagerartikel

101

Irreduzibel ist die Markovkette (Yt )t≥0 genau dann, wenn alle Paare (i, j) ∈ E 2 von Zuständen kommunizieren, also i ↔ j, siehe Abschnitt 2.5.1. Dies wird im Folgenden

mit Hilfe einer Konstruktionsmethode hergeleitet. Dafür wird ein beliebiger Zustand i∗ ∈ E fixiert und gezeigt, dass i → i∗ und i∗ → j für alle i, j ∈ E gilt. Ist diese Eigenschaft für irgendeinen Zustand i∗ gegeben, so folgt daraus direkt die Irreduzibilität der Markovkette (Yt )t≥0 . Im vorliegenden Fall stellt i∗ = (0, . . . , 0), also der Zustand, in dem kein Lagerplatz belegt ist, eine geeignete Wahl für den zu fixierenden Zustand dar. Nachfolgend wird jeweils eine Folge von Übergängen konstruiert, über die i∗ von jedem Zustand i ∈ E bzw. jeder Zustand j ∈ E von i∗ aus erreicht werden kann. 1) i → i∗ = (0, . . . , 0): Nach Definition 4.3 sind in Zustand i genau b(i) Plätze belegt. Folglich kann der Zustand i∗ = (0, . . . , 0) von Zustand i durch eine Folge von b(i) Auslagerungen erreicht werden. 2) i∗ = (0, . . . , 0) → j: Befindet sich der Prozess in Zustand i∗ = (0, . . . , 0), so kann gemäß der KFS die Belegung eines beliebigen Lagerplatzes n herbeigeführt werden, indem auf eine Sequenz von n Einlagerungen eine Sequenz von n − 1 Auslagerungen folgt. Diese Vorgehensweise wirkt sich auf die Belegung der ersten n − 1 Lagerplätze aus. Somit kann das Belegungsmuster von Zustand j erzeugt werden, indem die vorab beschriebene Vorgehensweise für alle belegten Lagerplätze des Zustands j in umgekehrter Reihenfolge der Lagerplatznummerierung, d. h. startend bei dem letzten belegten Lagerplatz, angewendet wird. Damit gilt sowohl i → i∗ als auch i∗ → j und aus der Transitivität der Erreichbarkeitsrelation folgt direkt i → j. Da die Zustände i und j beliebig gewählt werden können, kommunizieren folglich alle Paare (i, j) ∈ E 2 von Zuständen und die Markovkette (Yt )t≥0 ist irreduzibel. Bezugnehmend auf die theoretischen Grundlagen in Abschnitt 2.5.1 lassen sich daraus weitere Eigenschaften der Markovkette (Yt )t≥0 ableiten. Aus der Irreduzibilität folgt zusammen mit der Endlichkeit des Zustandsraums E zunächst positive Rekurrenz und Irreduzibilität gepaart mit positiver Rekurrenz ergibt schließlich Ergodizität. Somit ist gezeigt, dass der Prozess (Yt )t≥0 eine homogene und ergodische Markovkette in stetiger Zeit ist. Für die stationäre Analyse der Markovkette (Yt )t≥0 folgt aus Proposition 4.4 zusammen mit Satz 2.7, dass die Grenzverteilung limt→∞ (P (Yt = i))i∈E von (Yt )t≥0 exisitiert

102

Kapitel 4 Stationäre Analyse der Lagerprozesse mittels Markovketten

und dass diese mit der eindeutigen stationären Verteilung π = (πi )i∈E von (Yt )t≥0 übereinstimmt. Im weiteren Verlauf besteht also das Ziel darin, die stationäre Verteilung π zu bestimmen. Zur Formulierung der dafür notwendigen Gleichgewichtsgleichungen von (Yt )t≥0 wird die nachfolgende Definition benötigt. Definition 4.5 (Erster freier/belegter Lagerplatz). Es sei nf (i) bzw. nb (i) mit nf (i) = min {n | b(i, n) = 0}

(4.7a)

nb (i) = min {n | b(i, n) = 1}

(4.7b)

n=1,...,N n=1,...,N

der bzgl. der Sequenz von Lagerplätzen erste freie bzw. belegte Lagerplatz in Zustand i. Die Größen nf (i) und nb (i) kennzeichnen somit den fahrtzeitgünstigsten freien bzw. belegten Lagerplatz, der nach der KFS im Zustand i für die Ausführung eines EA bzw. AA ausgewählt wird. Für i = (1, 1, 1, 0, 1, 0) ergibt sich beispielsweise nf (i) = 4 und nb (i) = 1, da in der Sequenz Lagerplatz n = 1 der erste belegte Lagerplatz und Lagerplatz n = 4 der erste freie Lagerplatz ist. Unter Verwendung dieser beiden Größen der Zustände i ∈ E werden im Folgenden die Zustandsübergänge der Markovkette (Yt )t≥0 beschrieben. Wie bereits in Abschnitt 2.5.1 erläutert, muss im stationären Gleichgewicht für jeden Zustand i ∈ E dessen Eingangsrate mit seiner Ausgangsrate übereinstimmen. Daraus

lassen sich die zur Ermittlung der stationären Verteilung π benötigten globalen Gleichgewichtsgleichungen formulieren. Das Gleichungssystem, das sich für die Markovkette (Yt )t≥0 ergibt, ist mit E := E \ {(0, . . . , 0) , (1, . . . , 1)} und en als n-tem Einheitsvektor in (4.8) angegeben.

π(0,...,0) · λ = π(1,...,1) · μ = πi · (λ + μ) =



i∈E1

πi · μ



πi · λ



πi+en · μ +

i∈EN −1 nb (i)−1 n=1

(4.8a) (4.8b) nf (i)−1



n=1

πi−en · λ



i ∈ E



(4.8c)

Die Gleichgewichtsgleichungen (4.8a) und (4.8b) beziehen sich auf die extremalen Zustände (0, . . . , 0) bzw. (1, . . . , 1), also auf das vollständig leere bzw. volle Lager. Da in Zustand (0, . . . , 0) keine Lagereinheiten des homogenen Artikels eingelagert sind, kann dieser nur durch eine Einlagerung mit Rate λ verlassen werden. Zugänge sind hingegen durch eine Auslagerung mit Rate μ aus allen Zuständen i mit genau einem belegten Lagerplatz

103

4.2 Modelle für den Fall homogener Lagerartikel j:

(0, 1, 1, 0, . . .)

(1, 0, 1, 0, . . .) λ

i:

λ

(1, 1, 0, 0, . . .) λ

(1, 1, 1, 0, . . .) Abbildung 4.4: Zugänge durch Einlagerungen

möglich, gemäß der in Definition 4.3 eingeführten Notation also aus allen i ∈ E1 . Dabei ist es unerheblich, in welchem Lagerplatz sich die eingelagerte Lagereinheit befindet, da der gemäß der E/A-Strategie auszuwählende Lagerplatz immer eindeutig ist. Der Fall des vollen Lagers verhält sich symmetrisch. Dieser Zustand kann nur durch eine Auslagerung mit Rate μ verlassen und durch eine Einlagerung mit Rate λ aus allen Zuständen mit genau einem freien Lagerplatz, also i ∈ EN −1 , erreicht werden. Das Zu- und Abgangsverhalten aller übrigen Zustände i ∈ E ist identisch und in den Gleichgewichtsgleichungen (4.8c) zusammengefasst. Abgänge aus diesen Zuständen sind

sowohl durch Ein- als auch durch Auslagerungen möglich, denn Zustand i wird bei Ankunft des nächsten EA oder AA verlassen. Wie bereits im Beweis zu Proposition 4.4 näher ausgeführt, entspricht die zugehörige Abgangsrate λ + μ. Zugänge in die Zustände i ∈ E sind ebenfalls sowohl durch Ein- als auch durch Auslagerungen möglich. In diesem Fall muss je Auftragsart zusätzlich noch die Teilmenge an Zuständen spezifiziert werden, aus denen gemäß der KFS Übergänge in den Zustand i erfolgen. Eine Einlagerung führt aus allen Zuständen j ∈ {i − en | n = 1, . . . , nf (i) − 1} in den Zustand i. Da nf (i) den ersten

freien Lagerplatz in Zustand i charakterisiert, bedeutet dies im Fall homogener Lagerartikel, dass in i alle Lagerplätze davor belegt sind. Ist nun in Zustand j im Vergleich zu Zustand i genau ein weiterer Lagerplatz vor nf (i) frei, so ist dieser der erste freie Lagerplatz in Zustand j, also nf (j), und wird folglich gemäß der KFS für die auszuführende Einlagerung ausgewählt. Exemplarisch sind in Abbildung 4.4 für einen Zustand i mit nf (i) = 3 alle Übergänge von j nach i dargestellt, die durch Ankünfte von EA ausgelöst werden. Dabei hat das Belegungsmuster hinter Lagerplatz nf (i) keinen Einfluss auf die Übergänge und ist somit beliebig, aber für alle angegebenen Zustände j jeweils identisch zu dem von Zustand i. Der Fall der Zugänge durch Auslagerungen verhält sich wiederum symmetrisch. Nach einer Auslagerung stellt sich genau dann der Zustand i ein, wenn im Ausgangszustand j genau ein weiterer Lagerplatz vor nb (i) belegt ist als in Zustand i, d. h. für alle j ∈ {i + en | n = 1, . . . , nb (i) − 1}. Dieser zusätzlich belegte Lagerplatz ist somit der erste belegte Lagerplatz in Zustand j, also nb (j), und wird gemäß der KFS für die Auslagerung ausgewählt.

104

Kapitel 4 Stationäre Analyse der Lagerprozesse mittels Markovketten

(0, 0, 0) λ µ

µ

µ

˜j

i (1, 0, 0) j

λ

(0, 1, 0) λ µ

(1, 1, 0)

(0, 0, 1) λ µ

(1, 0, 1) λ

µ ˜i (0, 1, 1)

λ µ

λ (1, 1, 1)

Abbildung 4.5: Symmetrie der Markovkette und gespiegelte Zustände Mit Hilfe der Gleichgewichtsgleichungen in (4.8) lassen sich nun die stationären Wahrscheinlichkeiten πi aller Zustände i ∈ E bestimmen. Bevor die Berechnungsmethode

jedoch näher vorgestellt wird, sollen zunächst noch strukturelle Eigenschaften der Markovkette (Yt )t≥0 gezeigt werden, die zur Bestimmung von Kenngrößen des Lagersystems herangezogen werden können. Definition 4.6 (Gespiegelter Zustand). Ein Zustand ˜i, dessen Belegungsmuster dem von Zustand i vollständig entgegengesetzt ist, d. h., ˜i =

N 

n=1

en − i

(4.9)

werde als gespiegelter Zustand von Zustand i bezeichnet. Das bedeutet, dass im gespiegelten Zustand ˜i alle Lagerplätze frei sind, die in Zustand i belegt sind, bzw. umgekehrt. Für die Übergänge zwischen Zuständen in der Markovkette (Yt )t≥0 kann folgende Aussage getroffen werden. Existiert in (Yt )t≥0 gemäß der KFS ein Übergang von Zustand i zu Zustand j mit Rate λ bzw. μ, so existiert auch der Übergang zwischen den gespiegelten Zuständen ˜i und ˜j mit entgegengesetzter Rate μ bzw. λ. Diese Symmetrieeigenschaft resultiert daraus, dass aufgrund der Spiegelung nf (i) = nb (˜i) bzw. nb (i) = nf (˜i) gilt. Somit wird der Lagerplatz, der in Zustand i gemäß der KFS für eine Einlagerung gewählt wird, in Zustand ˜i für eine Auslagerung ausgewählt und umgekehrt. Die Symmetrie sowie der Zusammenhang zwischen Ausgangszuständen und gespiegelten Zuständen ist in Abbildung 4.5 exemplarisch für N = 3 Lagerplätze dargestellt. Aus diesen Überlegungen resultiert die folgende Definition.

105

4.2 Modelle für den Fall homogener Lagerartikel

(1, 1, 1) λ µ (0, 1, 1) λ

µ

µ

(1, 0, 1) λ µ

(0, 0, 1)

(1, 1, 0) λ µ

(0, 1, 0) λ

µ (1, 0, 0)

λ µ

λ (0, 0, 0)

Abbildung 4.6: Gespiegelte Markovkette Definition 4.7 (Gespiegelte Markovkette). Es sei (Y˜t )t≥0 die gespiegelte Markovkette, die wie folgt aus der Markovkette (Yt )t≥0 konstruiert wird: In (Yt )t≥0 werde jeder Zustand i ∈ E durch seinen gespiegelten Zustand ˜i ersetzt. Die Übergangsstruktur aus (Yt )t≥0 bleibe erhalten, d. h., ein Übergang von Zustand i zu Zustand j in (Yt )t≥0 wird in der gespiegelten Markovkette zu einem Übergang von Zustand ˜i zu Zustand ˜j mit Rate qij . Abbildung 4.6 zeigt exemplarisch die zur Markovkette aus Abbildung 4.5 gehörende gespiegelte Markovkette. Aus den vorab aufgezeigten Symmetrieeigenschaften lässt sich schließlich folgender Zusammenhang zwischen den stationären Verteilungen der Markovkette (Yt )t≥0 und der zugehörigen gespiegelten Markovkette (Y˜t )t≥0 ableiten. Proposition 4.8. Sei ˜i der gespiegelte Zustand eines Zustands i ∈ E, dann gilt für die stationäre Verteilung π ˜ = (˜ π i )i∈E der gespiegelten Markovkette (Y˜t )t≥0 : π ˜ i = π˜i

(i ∈ E)

Im Fall übereinstimmender Ankunftsraten λ = μ ergibt sich daraus πi = π˜i für alle i ∈ E. Beweis. Basierend auf Definition 4.7 ergeben sich für die stationäre Verteilung π˜ der gespiegelten Markovkette (Y˜t )t≥0 die gleichen Gleichgewichtsgleichungen (4.8a) bis (4.8c) wie für die stationäre Verteilung π der ursprünglichen Markovkette (Yt )t≥0 . Somit stimmen die stationären Wahrscheinlichkeiten der Zustände für beide Markovketten überein. Da Zustand i der gespiegelten Markovkette (Y˜t )t≥0 Zustand ˜i der ursprünglichen Mar˜ i = π˜i für alle i ∈ E. kovkette (Yt )t≥0 entspricht, folgt direkt π

106

Kapitel 4 Stationäre Analyse der Lagerprozesse mittels Markovketten

Stimmen die Ankunftsraten für beide Auftragsarten überein, d. h., λ = μ, so können die Übergangsraten λ und μ in der gespiegelten Markovkette (Y˜t )t≥0 vertauscht werden. Dies führt dazu, dass die gespiegelte Markovkette (Y˜t )t≥0 die gleichen Übergänge aufweist wie die ursprüngliche Markovkette (Yt )t≥0 . Die beiden Markovketten unterscheiden sich folglich nur darin, dass die zueinander gespiegelten Zustände jeweils vertauscht sind. Dieser Zusammenhang gilt somit gleichermaßen für die Gleichgewichtsgleichungen der beiden Markovketten und es folgt direkt πi = π˜i für alle i ∈ E. Bezogen auf die zugrunde liegende Lageranwendung besagt Proposition 4.8, dass die stationären Wahrscheinlichkeiten gespiegelter Zustände im praxisrelevanten Fall identischer Ankunftsraten für die E/AA übereinstimmen. Basierend auf diesem Resultat lässt sich folgende Aussage für die Belegungswahrscheinlichkeit βn von Lagerplatz n zeigen. Unter dieser Kenngröße wird die Wahrscheinlichkeit verstanden, dass Lagerplatz n im stationären Gleichgewicht belegt ist. Proposition 4.9. Im Fall λ = μ gilt für die Belegungswahrscheinlichkeit βn von Lagerplatz n ∈ {1, . . . , N } folgender Zusammenhang: βn :=



i∈E

b(i, n) · πi = 0,5

Beweis. Für λ = μ lässt sich die Belegungswahrscheinlichkeit βn für n ∈ {1, . . . , N } wie folgt aus der stationären Verteilung π herleiten. 1=



i∈E

= =



πi =



i∈E

b(i, n) · πi +

i∈E

b(i, n) · πi +

i∈E

b(i, n) · πi +







i∈E

(1 − b(i, n)) · πi

i∈E

(1 − b(˜i, n)) · π˜i =

i∈E

b(i, n) · πi = 2βn





i∈E

b(i, n) · πi +



i∈E

(1 − b(˜i, n)) · πi

In jedem Zustand i ∈ E ist der betrachtete Lagerplatz n entweder belegt oder frei. Also lässt sich der Zustandsraum E in Zustände i mit b(i, n) = 1 bzw. b(i, n) = 0 partitionieren. Daraus folgt, dass die Summe über die stationären Wahrscheinlichkeiten πi entsprechend aufgeteilt werden kann. Innerhalb der zweiten Teilsumme wird daraufhin zunächst i äquivalent durch ˜i ersetzt, da dies lediglich die Summationsreihenfolge ändert, und anschließend das Resultat πi = π˜i aus Proposition 4.8 für den Fall λ = μ eingesetzt. Aus der definitorischen Eigenschaft, dass ein in Zustand i belegter Lagerplatz n in dessen gespiegeltem Zustand ˜i frei ist und umgekehrt, ergibt sich direkt 1 − b(˜i, n) = b(i, n) und für die Belegungswahrscheinlichkeit folgt schließlich βn = 0,5.

4.2 Modelle für den Fall homogener Lagerartikel

107

Proposition 4.9 bedeutet im Kontext der Lageranwendung, dass bei λ = μ jeder Lagerplatz n ∈ {1, . . . , N } mit der gleichen Wahrscheinlichkeit von βn = 0,5 belegt ist. Dieses Resultat mag unerwartet sein, da bei Anwendung der KFS die Vermutung naheliegt, dass sich der Lagerbestand auf die vorderen Lagerplätze der Sequenz konzentriert, es lässt sich jedoch folgendermaßen interpretieren. Nach der KFS werden fahrtzeitgünstige Lagerplätze bevorzugt für die Ausführung von E/AA ausgewählt. Daraus ergibt sich für diese Lagerplätze ein höherer Durchsatz, der wiederum eine kürzere Verweildauer mit sich bringt. In die fahrtzeitungünstigen Lagerplätze wird hingegen seltener eingelagert. Wenn sich dort jedoch eine Lagereinheit befindet, dann verweilt diese auch länger dort, da zunächst alle Lagereinheiten aus den fahrtzeitgünstigeren Lagerplätzen ausgelagert werden. Zusammengefasst bedeutet dies, dass in den fahrtzeitgünstigen Lagerplätzen häufiger für kürzere Zeit und in den fahrtzeitungünstigen Lagerplätzen seltener, aber dafür länger gelagert wird. Eine detailliertere Analyse dieses Zusammenhangs unter Verwendung weiterer Kenngrößen erfolgt in Kapitel 6. Wie in Definition 4.3 angegeben, lässt sich der Zustandsraum E in die Teilmengen Ek mit k ∈ {0, . . . , N } unterteilen, die als Level k der Markovkette (Yt )t≥0 bezeichnet werden. Basierend auf dieser Aggregation wird nachfolgend die stationäre Randverteilung für die Anzahl belegter Lagerplätze, also die zu den Leveln k gehörige stationäre Verteilung hergeleitet. Proposition 4.10. Für die Markovkette (Yt )t≥0 entspricht die stationäre Randverteilung (pk )k=0,...,N der Level k mit Ek ⊆ E der stationären Verteilung für die Kundenanzahl eines M/M/1/N -Wartesystems mit Verkehrsintensität ρ = μλ . Hiermit ergibt sich: pk =

⎧ ⎪ ⎨ρ k ⎪ ⎩

1−ρ , 1−ρN +1

1 , N +1

falls ρ = 1

falls ρ = 1

(4.10)

Beweis. Um die Äquivalenz der Verteilungen zu beweisen, wird nachfolgend gezeigt, wie sich die Markovkette (Yt )t≥0 durch Aggregation der Zustände zu den Teilmengen Ek auf ein M/M/1/N -Wartesystem übertragen lässt. Dafür werden die Übergänge zwischen den Leveln k und k  betrachtet, d. h., wenn in der ursprünglichen Markovkette (Yt )t≥0 von einem Zustand i ∈ Ek in einen Zustand j ∈ Ek gewechselt wird. Aus dem Übergangsgraphen der Markovkette (Yt )t≥0 in Abbildung 4.3 wird ersichtlich, dass die Ausführung eines EA bzw. AA immer zu einem Übergang zwischen zwei aufeinanderfolgenden Leveln k und k + 1 bzw. k − 1 führt. Der Grund dafür ist, dass sich jeder Auftrag auf genau eine Lagereinheit bezieht und somit unabhängig vom konkreten Belegungsmuster nach dessen Ausführung immer genau ein Lagerplatz mehr bzw. weniger belegt ist als

108

Kapitel 4 Stationäre Analyse der Lagerprozesse mittels Markovketten λ E0

λ E1

μ

μ

λ

λ E2 μ

···

λ EN −2

μ

λ EN −1

μ

EN μ

Abbildung 4.7: Übergangsgraph bei Aggregation der Zustände zuvor. Da die Ankünfte der E/AA unabhängigen Poisson-Prozessen folgen, sind wegen der Gedächtnislosigkeit Wartezeit und Restwartezeit auf den nächsten Auftrag, die auch die Übergänge zwischen den Leveln charakterisieren, identisch exponentialverteilt mit der Rate des jeweiligen Ankunftsprozesses. Aus diesen Überlegungen ergibt sich für die Markovkette (Yt )t≥0 bei Aggregation der Zustände zu den Teilmengen Ek der in Abbildung 4.7 dargestellte Übergangsgraph. Dieser Übergangsgraph entspricht dem eines Markovschen Wartesystems mit beschränkter Wartesystemkapazität N , Ankunftsrate λ und einem Bedienschalter mit Bedienrate μ, vgl. z. B. Stewart (2009, S. 426). Die Anzahl belegter Lagerplätze entspricht dabei der Anzahl von Kunden im Wartesystem, wobei die Kapazität des Wartesystems auf die Gesamtanzahl N von Lagerplätzen beschränkt ist. Ankünfte von EA werden im Wartesystem durch Kundenankünfte repräsentiert und das Ende der Bedienung eines Kunden ist gleichbedeutend mit der Ankunft eines AA. Auf diese Weise lässt sich die Lageranwendung durch Aggregation der Zustände zu den Leveln k als M/M/1/N -Wartesystem modellieren und folglich entspricht die stationäre Randverteilung (pk )k=0,...,N der Level k der stationären Verteilung dieses Warteschlangenmodells aus (2.11). Wegen der PASTA-Eigenschaft der Poissonschen Auftragsankünfte, siehe Abschnitt 2.5.2, entsprechen die stationären Wahrscheinlichkeiten, das Lager bei Anwendung der KFS zum Ankunftszeitpunkt eines Lagerauftrags in einem Zustand mit genau k belegten Lagerplätzen vorzufinden, den Wahrscheinlichkeiten pk aus Proposition 4.10. Für den praxisrelevanten Fall übereinstimmender Ankunftsraten beider Auftragsarten, d. h., ρ = 1, ergibt sich eine Gleichverteilung über die Level. Für ρ < 1 ist pk gemäß (4.10) streng monoton fallend und für ρ > 1 streng monoton wachsend in der Anzahl k belegter Lagerplätze. Diese Zusammenhänge sind auch vor dem Hintergrund der Lageranwendung plausibel. Bei λ < μ kommen im Mittel mehr AA an als EA, womit eine geringe Anzahl belegter Lagerplätze wahrscheinlicher ist. Im Fall λ > μ besteht ein umgekehrter Zusammenhang. Bei identischen Ankunftsraten sind hingegen alle N + 1 Level gleich wahrscheinlich, da Ein- und Auslagerungen im Mittel ausgeglichen sind. Das Ziel der Modellierung besteht darin, Kenngrößen für das Lagersystem bei Anwendung der KFS zu bestimmen. Aus Proposition 4.10 lassen sich bereits Rückschlüsse auf

109

4.2 Modelle für den Fall homogener Lagerartikel

den erwarteten Belegungsgrad ziehen, nicht jedoch auf die Leistungsfähigkeit. Der dafür notwendige zu erwartende maximale Durchsatz ergibt sich als Kehrwert der mittleren Spielzeit, siehe Abschnitt 2.4.3, und für die Berechnung der mittleren Spielzeit muss bekannt sein, wie häufig im Mittel auf die einzelnen Lagerplätze zugegriffen wird. Wie im Literaturüberblick in Kapitel 3 aufgezeigt, wird hierfür häufig eine Annahme getroffen, wobei zahlreiche Ansätze von gleichverteilten Zugriffen auf die Lagerplätze ausgehen. Die vorliegende Modellierung erlaubt hingegen eine exakte Bestimmung der mittleren Spielzeit bei Anwendung der KFS. Diese basiert auf den nachfolgend definierten Zugriffswahrscheinlichkeiten, die nach Proposition 4.12 aus der stationären Verteilung π der Markovkette (Yt )t≥0 berechnet werden können. Definition 4.11 (Zugriffswahrscheinlichkeiten). Es sei PE (n) die Wahrscheinlichkeit, dass Lagerplatz n für die Ausführung eines ankommenden EA ausgewählt wird. Diese Wahrscheinlichkeit werde im Folgenden als Einlager-Zugriffswahrscheinlichkeit bezeichnet. Analog wird für die Ausführung von AA die Auslager-Zugriffswahrscheinlichkeit PA (n) von Lagerplatz n definiert. Proposition 4.12. Bilden die Ankünfte der EA und der AA jeweils einen PoissonProzess, so ergeben sich die Ein- und Auslager-Zugriffswahrscheinlichkeiten, PE (n) bzw. PA (n), als PE (n) = PA (n) =



πi

i∈E : nf (i)=n



πi

i∈E : nb (i)=n

aus der stationären Verteilung (πi )i∈E der Markovkette (Yt )t≥0 . Beweis. Die Zugriffswahrscheinlichkeiten basieren auf der Verteilung der Zustände, die sich zu den Ankunftszeitpunkten der E/AA einstellt. Nach der PASTA-Eigenschaft der Poissonschen Ankünfte stimmt diese Verteilung mit der stationären Verteilung π der Markovkette (Yt )t≥0 überein, siehe Abschnitt 2.5.2. Somit ergeben sich die Zugriffswahrscheinlichkeiten von Lagerplatz n aus der stationären Verteilung π, indem die stationären Wahrscheinlichkeiten πi aller Zustände i ∈ E aufsummiert werden, in denen gemäß ihres Belegungsmusters einem ankommenden EA bzw. AA Lagerplatz n zugeordnet wird. Für EA sind das alle Zustände i, in denen Lagerplatz n der erste freie Lagerplatz ist, d. h. alle Zustände i mit nf (i) = n, und für AA alle Zustände i mit nb (i) = n.

110

Kapitel 4 Stationäre Analyse der Lagerprozesse mittels Markovketten

Basierend auf der Konvergenz der transienten Verteilung gegen die stationäre Verteilung π sind die Zugriffswahrscheinlichkeiten aus Definition 4.11 so zu interpretieren, dass für einen nach langer Zeit eintreffenden EA bzw. AA mit Wahrscheinlichkeit PE (n) bzw. PA (n) Lagerplatz n gewählt wird. Eine weitere Interpretationsmöglichkeit ergibt sich aus dem Ergodensatz66 für Markovketten in stetiger Zeit. Auf dieser Grundlage können die Zugriffswahrscheinlichkeiten als langfristige relative Häufigkeiten angesehen werden, mit denen Lagerplatz n für die Ausführung eines ankommenden EA bzw. AA gewählt wird. Das bedeutet, dass Lagerplatz n in einem unter KFS betriebenen Lagersystem langfristig für den Anteil PE (n) aller EA bzw. für den Anteil PA (n) aller AA angesteuert wird. Im Hinblick auf die zugrunde liegende Lageranwendung hat die zweite Interpretationsweise eine deutlich stärkere Aussagekraft, da sie eine Aussage über alle Lageraufträge im Mittel trifft und nicht nur über die Wahrscheinlichkeiten für einen (stationären) Lagerauftrag. Nachfolgend wird die Berechnung der stationären Verteilung π der Markovkette (Yt )t≥0 detailliert dargestellt, die nach Proposition 4.12 für die Leistungsanalyse der Fördermittel benötigt wird. Wie in Abschnitt 2.5.1 erläutert, lässt sich die stationäre Verteilung einer homogenen, ergodischen Markovkette in stetiger Zeit durch Lösen des linearen

Gleichungssystems πQ = 0 mit i∈E πi = 1 berechnen. Die Einträge qij der Generatormatrix Q sind dabei durch die globalen Gleichgewichtsgleichungen festgelegt. Für die Markovkette (Yt )t≥0 wird nachfolgend noch näher darauf eingegangen, wie sich deren Generatormatrix Q aus den Gleichgewichtsgleichungen in (4.8) ergibt. Zur Berechnung der stationären Verteilung wird für den vorliegenden Anwendungsfall mit der Potenzmethode ein iteratives Verfahren herangezogen, vgl. Stewart (2009, S. 301 ff.). Dieses Lösungsverfahren wird aufgrund seiner garantierten Konvergenz hin zur stationären Verteilung gewählt. Allgemein ist die Potenzmethode ein Verfahren zur Bestimmung des rechtsseitigen Eigenvektors einer Matrix, der zum dominanten, d. h. zum betragsmäßig größten Eigenwert gehört. Im Kontext von Markovketten liegt der Potenzmethode die Idee zugrunde, die zeitliche Entwicklung einer endlichen, ergodischen zeitdiskreten Markovkette iterativ so lange nachzuvollziehen, bis sich die resultierende Verteilung nicht mehr ändert und sich folglich die stationäre Verteilung eingestellt hat. Bei zeitdiskreten

Markovketten ist also das Gleichungssystem πP = π mit i∈E πi = 1 zu lösen, wobei P = (pij )i,j∈E die Übergangsmatrix der Markovkette bezeichne mit pij als Wahrscheinlichkeit für einen Übergang von Zustand i zu Zustand j. In der ursprünglichen Form des 66

Neben der Konvergenz der transienten Verteilung gilt nach dem Ergodensatz für das Grenzverhalten einer ergodischen Markovkette (Yt )t≥0 in stetiger Zeit außerdem folgende Aussage, vgl. z. B. AsmusT

sen (2003, S. 202 f.): limT →∞ T1 0 f (Yt ) dt = i∈E πi f (i) für eine beschränkte Funktion f . Unter Verwendung der Indikatorfunktion als Funktion f resultiert daraus insbesondere der langfristige Anteil der Zeit, den die Markovkette (Yt )t≥0 in einem ausgewählten Zustand bzw. einer ausgewählten Zustandsmenge verbringt.

111

4.2 Modelle für den Fall homogener Lagerartikel Lagerbelegung

Binärcodierung

Summanden Zustandsnr.

0 1 1

0 · 22 = 0 1 · 21 = 2 1 · 20 = 1

Lagerplatz 1 frei Lagerplatz 2 belegt Lagerplatz 3 belegt

Tabelle 4.1: Berechnung der Zustandsnummer Gleichungssystems ist also ein linksseitiger Eigenvektor der Übergangsmatrix P zu bestimmen. Für die Anwendung der Potenzmethode lässt sich das Gleichungssystem jedoch durch Transponieren entsprechend anpassen zu π = P π . Dieses Verfahren kann auch für zeitstetige Markovketten eingesetzt werden, wenn die Markovkette vorher diskretisiert wird. Bei der Diskretisierung wird eine zeitstetige Markovkette in eine zeitdiskrete Markovkette mit identischem stationären Verhalten überführt, indem die Übergangsraten der pij )i,j∈E = τ · Q + I Generatormatrix Q mit der diskretisierten Übergangsmatrix P = (˜ auf ein Zeitintervall der Länge τ bezogen werden.67 Die Iterationsvorschrift für die ν-te Iteration der Potenzmethode lautet damit wie folgt. 

π (ν+1)





= P π (ν)



(4.11)

Damit die Konvergenz der Potenzmethode garantiert werden kann, muss der Diskretisierungsfaktor τ aus dem offenen Intervall (0, [maxi∈E |qii |]−1 ) gewählt werden. Das Intervall für τ wird so festgelegt, damit einerseits die Wahrscheinlichkeit, dass im Zeitintervall τ mehrere Übergänge stattfinden, vernachlässigbar ist und andererseits P eine irreduzible, aperiodische, stochastische Matrix ist, vgl. Stewart (2009, S. 289 ff.). Die Konvergenzgeschwindigkeit der Potenzmethode hängt dabei vom subdominanten, d. h. vom betragsmäßig zweitgrößten Eigenwert der Übergangsmatrix P ab. Für die Anwendung der Potenzmethode wird folglich die Generatormatrix Q = (qij )i,j∈E der Markovkette (Yt )t≥0 benötigt, die sich aus den Übergängen zwischen den einzelnen

Zuständen ergibt. Um diese Matrix abhängig von der Lagerplatzanzahl N algorithmisch erstellen zu können, wird im Folgenden eine geeignete Nummerierung der Zustände vorgeschlagen. Für die entwickelte Implementierung68 wird das Belegungsmuster eines Zustands i als Binärdarstellung einer ganzen Zahl zwischen 0 und 2N − 1 interpretiert und diese Zahl als Zustandsnummer verwendet. Exemplarisch ist in Tabelle 4.1 für N = 3 67

68

Dieser Zusammenhang ist ähnlich zu dem zwischen einer zeitstetigen Markovkette und ihrer eingebetteten Sprungkette aus (2.8) in Abschnitt 2.5.1, aber nicht identisch. Die im weiteren Verlauf beschriebene Implementierungsvariante ist nur als eine von verschiedenen Möglichkeiten zur algorithmischen Umsetzung der Potenzmethode für beliebige Lagergröße N anzusehen.

112

Kapitel 4 Stationäre Analyse der Lagerprozesse mittels Markovketten

Lagerplätze der Zusammenhang zwischen der tatsächlichen Belegung im Lager, dem binärcodierten Belegungsmuster und den daraus resultierenden Summanden für die Berechnung der Zustandsnummer dargestellt. Daraus folgt, dass der Zustand mit Belegungsmuster (0, 1, 1) durch die Zustandsnummer 3 repräsentiert wird. Werden im Minimalbeispiel aus Abbildung 4.5 alle Belegungsmuster durch die zugehörigen Zustandsnummern ersetzt, so ergibt sich der Übergangsgraph in Abbildung 4.8. Die in (4.6) hergeleiteten Übergangsraten qij entsprechen den infinitesimalen Übergangsraten der Generatormatrix Q für i = j aus (2.7) für die Übergänge zwischen den Zuständen i und j. Wie in Abschnitt 2.5.1 eingeführt, wird das Diagonalelement qii durch die

negative Summe aller Übergangsraten je Zeile spezifiziert, d. h., qii = − j=i qij . Dabei handelt es sich um die Summe aller Raten, mit denen Zustand i verlassen werden kann, die aufgrund der Minimumbildung über die exponentialverteilten (Rest-)Verweilzeiten die Abgangsrate qi aus Zustand i charakterisiert. Durch diese Festlegung entspricht πQ = 0 den Gleichgewichtsgleichungen der Markovkette (Yt )t≥0 aus (4.8). Für das vorangegangene Minimalbeispiel ergibt sich mit

qii =

⎧ ⎪ ⎪ −λ, ⎪ ⎪ ⎨

⎪−μ,

⎪ ⎪ ⎪ ⎩−(λ + μ),

für i = 0 für i = 2N − 1

(4.12)

sonst

aus dem Übergangsgraphen in Abbildung 4.8 direkt die zugehörige Generatormatrix Q. 0 −λ ⎜μ ⎜ ⎜ ⎜μ ⎜ ⎜ 0 Q =⎜ ⎜ ⎜μ ⎜ ⎜ 0 ⎜ ⎜ ⎝ 0 0 ⎛

1 0 −(λ + μ) 0 μ 0 μ 0 0

2 0 0 −(λ + μ) 0 0 0 μ 0

3 0 0 0 −(λ + μ) 0 0 0 μ

4 λ 0 0 0 −(λ + μ) 0 0 0

5 0 λ 0 0 0 −(λ + μ) 0 0

6 0 0 λ 0 λ 0 −(λ + μ) 0

7 ⎞ 0 0 ⎟ ⎟ ⎟ 0 ⎟ ⎟ λ ⎟ ⎟ ⎟ 0 ⎟ ⎟ λ ⎟ ⎟ ⎟ λ ⎠ −μ

0 1 2 3 4 5 6 7

Dabei ist zu erkennen, dass die Einträge oberhalb der Hauptdiagonale, d. h. für Übergänge in Zustände mit höheren Zustandsnummern, nur 0 oder die Einlagerrate λ enthalten und unterhalb der Hauptdiagonale nur 0 oder die Auslagerrate μ. Diese Eigenschaft wird im weiteren Verlauf für die Implementierung der Potenzmethode ausgenutzt. Im Folgenden wird detailliert aufgezeigt, wie die Potenzmethode für beliebige Anzahl N an Lagerplätzen algorithmisch ausgeführt werden kann. Die grundlegende Idee der vor-

113

4.2 Modelle für den Fall homogener Lagerartikel

0 λ µ 4 λ

µ

µ

2 λ µ

6

1 λ µ

5 λ

λ

µ 3

λ µ

7 Abbildung 4.8: Zustandsnummerierung als Binärcodierung der Belegungsmuster ab exemplarisch geschilderten Zustandsnummerierung besteht darin, dass sich aus der Nummer eines Zustands Rückschlüsse auf die Belegung der einzelnen Lagerplätze ziehen lassen. Diese Rücktransformation entspricht der Ermittlung der Binärdarstellung einer ganzen Zahl. Methodisch wird dafür auf die Subtraktionsmethode zurückgegriffen, vgl. z. B. Scholze (1990, S. 14), deren Vorgehensweise sich wie folgt beschreiben lässt. Für die gegebene Zahl aus N0 wird die höchste enthaltene Zweierpotenz 2p mit p ∈ N0 ermittelt.

Dadurch ist festgelegt, dass die zugehörige Binärzahl (p + 1) Stellen umfasst und die erste Stelle mit einer 1 belegt ist. Daraufhin wird die ganze Zahl um diese Zweierpotenz reduziert. Anschließend wird geprüft, ob die nächstkleinere Zweierpotenz kleiner oder gleich der nach der Subtraktion verbleibenden Zahl ist. Wenn dies der Fall ist, so steht an der nächsten Stelle der Binärdarstellung eine 1 und die Zweierpotenz wird wiederum subtrahiert, andernfalls wird eine 0 eingetragen und die Zahl bleibt unverändert. Dies wird iterativ so lange fortgeführt, bis die Folge der Zweierpotenzen 20 erreicht.

Die Subtraktionsmethode kann im vorliegenden Anwendungsfall herangezogen werden, um bei beliebiger Anzahl N von Lagerplätzen von einer gegebenen Zustandsnummer auf das zugehörige Belegungsmuster zu schließen. Ausgangspunkt ist der in (4.1) definierte Zustandsraum, der alle binären N -Tupel enthält. Diese Zustandsrepräsentationen werden als N -stellige Binärdarstellungen interpretiert, d. h., es können auch führende Nullen vorkommen. Jedes Belegungsmuster entspricht somit einer Zahl aus {0, . . . , 2N − 1}, die

diesem im Folgenden als Zustandsnummer zugeordnet wird. Um von einer Zustandsnummer Rückschlüsse auf das Belegungsmuster der Lagerplätze (Binärdarstellung) zu ziehen, wird gemäß der Subtraktionsmethode iterativ für alle Zweierpotenzen von 2N −1 bis 20 überprüft, ob sie in der Zahl bzw. dem Subtraktionsrest enthalten sind. Dabei korrespondiert die Zweierpotenz 2N −n folgendermaßen mit der Belegung von Lagerplatz n. Wenn 2N −n in der Summe der Zweierpotenzen enthalten ist, die die Zustandsnummer ergibt,

114

Kapitel 4 Stationäre Analyse der Lagerprozesse mittels Markovketten Berechnung

Binärcodierung

Belegung

3 − 2 = −1 < 0 3 − 21 = 1 ≥ 0 1 − 20 = 0 ≥ 0

0 1 1

Lagerplatz 1 frei Lagerplatz 2 belegt Lagerplatz 3 belegt

2

Tabelle 4.2: Bestimmung des Belegungsmusters aus einer Zustandsnummer so ist Lagerplatz n belegt, andernfalls ist er frei. Tabelle 4.2 zeigt exemplarisch die Vorgehensweise zur Umrechnung der Zustandsnummer 3 in das Belegungsmuster (0, 1, 1) für N = 3 Lagerplätze. Zur Durchführung der Potenzmethode müssen die Gleichgewichtsgleichungen (4.8) in Form der Generatormatrix Q aufgestellt werden. Wie bereits erläutert, werden zur Ermittlung der Übergangsstruktur der erste freie Lagerplatz nf (i) sowie der erste belegte Lagerplatz nb (i) für jeden Zustand i ∈ E nach Definition 4.5 benötigt. Diese Kenngrößen lassen sich nach Überführung der Zustandsnummern in die entsprechenden Belegungsmuster direkt ermitteln. Eine auf der Subtraktionsmethode basierende Vorgehensweise hierfür ist in Algorithmus 4.1 zusammengefasst. Darin werden auch die Level Ek der Markovkette bestimmt, die ebenfalls innerhalb der Potenzmethode benötigt werden. Aus der Anzahl N an Lagerplätzen ergibt sich in Algorithmus 4.1 direkt die Nummerierung der Zustände von 0 bis 2N − 1. Wie vorab beschrieben, werden sodann für jede Zustandsnummer i in Anlehnung an die Subtraktionsmethode die belegten Lagerplätze n ermittelt und die zugehörigen Werte b(i, n) auf 1 gesetzt. Die höchste in i enthaltene Zweierpotenz, also der belegte Lagerplatz mit kleinster Nummer n, charakterisiert dabei den ersten belegten Lagerplatz nb (i) von i. Mit dem Wissen, dass der erste belegte Lagerplatz eines Zustands i dem ersten freien Lagerplatz des gespiegelten Zustands ˜i entspricht, ist somit auch nf (˜i) bekannt. Dabei gilt nach Definition 4.6 für die Nummer des gespiegelten Zustands ˜i = 2N − 1 − i. Da im Zustand i = 0 des leeren Lagers kein Lagerplatz belegt ist, wird nb (0) auf N + 1 gesetzt. Gleichermaßen wird mit dem ersten freien Lagerplatz von Zustand i = 2N − 1 des vollständig belegten Lagers verfahren. Nach Bestimmung der binärcodierten Belegung b(i, n) aller Lagerplätze n = 1, . . . , N von Zustand i ergibt sich das Level k, dem Zustand i zugeordnet ist, als Summe über alle b(i, n) von Zustand i. Diese Vorberechnungen ermöglichen es, die Potenzmethode auf die Markovkette (Yt )t≥0 anzuwenden, deren konkrete Vorgehensweise in Algorithmus 4.2 zusammengefasst ist. Da es sich bei der Potenzmethode um ein iteratives Verfahren handelt, muss im ersten Schritt eine Startlösung für die stationäre Verteilung festgelegt werden. Hierfür wird die Information ausgenutzt, dass die Randverteilung pk der Level k = 0, . . . , N von (Yt )t≥0

4.2 Modelle für den Fall homogener Lagerartikel

115

Algorithmus 4.1: Umrechnung Zustandsnummer in Belegungsmuster Input: Anzahl Lagerplätze N Output: Je Zustand i ∈ E Belegung b(i, n) der Lagerplätze n = 1, . . . , N , erster freier Lagerplatz nf (i) sowie erster belegter Lagerplatz nb (i); Menge Ek der Zustände je Level k (k = 0, . . . , N ) Setze E := {0, . . . , 2N − 1}; for i ∈ E do Setze zahl := i; Setze nb (i) := 0; for n = 1 to N do Setze b(i, n) := 0; if zahl − 2N −n ≥ 0 then Setze zahl := zahl − 2N −n ; Setze b(i, n) := 1; (∗ Ersten belegten Lagerplatz in Zustand i identifiziert ∗) if nb (i) = 0 then nb (i) := n; nf (2N − 1 − i) := n; end end end

Setze k := N n=1 b(i, n); Füge i zu Ek hinzu; end nb (0) := N + 1; nf (2N − 1) := N + 1; nach Propositon 4.10 bekannt ist. Weiterhin wird für die Startlösung angenommen, dass sich pk gemäß einer Gleichverteilung auf alle Zustände i ∈ Ek der Level k aufteilt, und folglich πi := pk / |Ek | gesetzt. Alternativ könnte beispielsweise auch eine Gleichverteilung für alle Zustände i ∈ E gewählt werden. Experimentelle Untersuchungen zeigen jedoch, dass die Einbeziehung der zusätzlichen Informationen zu einer Reduzierung der Anzahl benötigter Iterationen führt. Im zweiten Schritt erfolgt die eigentliche Durchführung der Potenzmethode. Dafür wird die Iterationsvorschrift (4.11) so lange ausgeführt, bis die maximale Abweichung der stationären Zustandswahrscheinlichkeiten aufeinanderfolgender Iterationen maxi∈E |πi − πi | kleiner als eine vorgegebene Toleranz ε ist. Innerhalb der Iterationen wird die MatrixVektor-Multiplikation zeilenweise, d. h. je Zustand i ∈ E, umgesetzt. Positive Einträge in der i-ten Zeile der Iterationsmatrix P sind gemäß den Gleichgewichtsgleichungen (4.8) das Diagonalelement τ qii + 1 sowie alle mit dem Diskretisierungsfaktor τ multiplizierten Übergangsraten für Übergänge aus den Zuständen j in den Zustand i. Nun gilt es zu

116

Kapitel 4 Stationäre Analyse der Lagerprozesse mittels Markovketten

Algorithmus 4.2: Potenzmethode Input: Anzahl Lagerplätze N , Einlagerrate λ, Auslagerrate μ Output: Stationäre Zustandswahrscheinlichkeiten πi (i = 0, . . . , 2N − 1) Setze E := {0, . . . , 2N − 1}; Bestimme Ek für k = 0, . . . , N sowie nf (i) und nb (i) für i ∈ E mit Algorithmus 4.1; (∗ Startlösung ∗) for k = 0 to N do Berechne pk nach (4.10); for i ∈ Ek do πi := pk / |Ek |; end end (∗ Iterationen ∗) repeat for i ∈ E do πi := (τ qii + 1) · πi ; for n = 1 to nf (i) − 1 do j := i − 2N −n ; πi := πi + τ λπj ; end for n = 1 to nb (i) − 1 do j := i + 2N −n ; πi := πi + τ μπj ; end end for i ∈ E do

Normalisiere πi := πi / i∈E πi ; end Setze maxdiff := maxi∈E |πi − πi |; for i ∈ E do Setze πi := πi ; end until maxdiff ≤ ε;

117

4.2 Modelle für den Fall homogener Lagerartikel j1 = i − 2N −1

j2 = i − 2N −2

(0, 1, 1, 0, . . .)

j3 = i − 2N −3

(1, 0, 1, 0, . . .)

λ

λ

(1, 1, 0, 0, . . .)

λ

(1, 1, 1, 0, . . .) i=2

N −1

+ 2N −2 + 2N −3 + . . .

Abbildung 4.9: Änderung der Zustandsnummer bei Einlagerungen bestimmen, aus welchen Zuständen j die Ausführung eines EA oder AA in den Zustand i führt. Wie bereits erläutert, finden Übergänge bei Einlagerungen genau dann statt, wenn im Ausgangszustand j vor dem ersten freien Lagerplatz in Zustand i, also vor nf (i), genau ein weiterer Lagerplatz frei ist. Umgekehrt führt eine Auslagerung aus allen Zuständen j in den Zustand i, in denen vor Lagerplatz nb (i) genau ein weiterer Lagerplatz belegt ist. Mit der obigen Festlegung der Zustandsnummern lässt sich eine Belegungsänderung in Lagerplatz n durch Addition oder Subtraktion der Zweierpotenz 2N −n erzielen. Für Einlagerungen ergeben sich somit alle Ausgangszustände j, indem von der Zustandsnummer des Zielzustands i jeweils eine der Zweierpotenzen von 2N −1 bis 2N −nf (i)+1 subtrahiert wird. In Abbildung 4.9 wird das Beispiel aus Abbildung 4.4 für durch Einlagerungen herbeigeführte Zugänge in einen Zustand i mit nf (i) = 4 noch einmal aufgegriffen, um die auf den Zustandsnummern basierende Bestimmung der nf (i) − 1 = 3 möglichen Ausgangszustände (j1 , j2 , j3 ) zu veranschaulichen. Analog können die Zustände j, in denen die Ausführung eines AA zu einem Übergang in den Zustand i führt, ermittelt werden, indem jeweils eine der Zweierpotenzen von 2N −1 bis 2N −nb (i)+1 zur Zustandsnummer i addiert wird. Mit der Ermittlung aller gemäß der KFS möglichen Zustandsübergänge sind alle Elemente der Iterationsmatrix P mit positiven Einträgen bekannt und dementsprechend kann in jeder Iteration die Matrix-Vektor-Multiplikation durchgeführt werden. Daraus geht ein neuer Vektor π  für die stationäre Verteilung der Zustände hervor. Zum Abschluss einer Iteration wird dieser normalisiert, bevor für das Abbruchkriterium der Potenzmethode die maximale Abweichung zum Ergebnis der vorherigen Iteration bestimmt wird. Ist die vorgegebene Toleranz ε erreicht, können aus der resultierenden stationären Verteilung π sodann gemäß Proposition 4.12 die Ein- und Auslager-Zugriffswahrscheinlichkeiten, PE (n) und PA (n), für die Leistungsanalyse ermittelt werden. Basierend auf der gewählten Zustandsnummerierung ist es mit den vorab beschriebenen Algorithmen 4.1 und 4.2 also möglich, die mittlere Spielzeit bei gegebener Lagergröße N zu bestimmen. Abschließend muss jedoch noch geprüft werden, ob sich diese Vorgehens-

118

Kapitel 4 Stationäre Analyse der Lagerprozesse mittels Markovketten

weise für die Analyse von Instanzen praxisrelevanter Größenordnung eignet. Zunächst wird dafür die Konvergenzgeschwindigkeit der Potenzmethode untersucht. Wie Stewart (2009, S. 303 ff.) detailliert darstellt, hängt die Konvergenzgeschwindigkeit allgemein vom Verhältnis der beiden Eigenwerte |ew2 |/|ew1 | ab, wobei ewm den m-ten Eigenwert der Iterationsmatrix bei Sortierung nach nichtwachsenden Beträgen bezeichne. Da für den dominanten Eigenwert ew1 einer stochastischen Matrix ew1 = 1 gilt, ist im vorliegenden Fall lediglich der Betrag des subdominanten Eigenwerts ew2 maßgebend für die Konvergenzgeschwindigkeit. Je näher also |ew2 | bei 1 liegt, desto langsamer konvergiert die Potenzmethode. Dabei hat neben der Übergangsstruktur der Markovkette (Yt )t≥0 auch die Festlegung des Diskretisierungsfaktors τ einen Einfluss auf die Eigenwerte. Wie vorab bereits erläutert, muss zur Sicherstellung der Konvergenz ein geeigneter Diskretisierungsfaktor τ mit 0 < τ < [maxi∈E |qii |]−1 gewählt werden. Für die Generatormatrix Q der Markovkette (Yt )t≥0 folgt aus (4.12) direkt maxi∈E |qii | = λ + μ. Ein Diskretisierungsfaktor der Form c mit c ∈ (0,1) (4.13) τ= λ+μ garantiert also im vorliegenden Fall die Konvergenz der Potenzmethode. Um eine Einschätzung über die Konvergenzgeschwindigkeit der Potenzmethode bei Anwendung auf die Markovkette (Yt )t≥0 zu erhalten, sind in Tabelle 4.3 für ausgewählte Lagerinstanzen die Beträge der subdominaten Eigenwerte ew2 der jeweiligen Iterationsmatrix P sowie die benötigte Anzahl #iter an Iterationen bis zum Erreichen einer Toleranz von ε := 1 · 10−6 angegeben. Die betrachteten Lagerinstanzen unterscheiden sich

hinsichtlich der Anzahl N an Lagerplätzen, des Verhältnisses ρ der Ein- und Auslagerraten sowie des Faktors c zur Festlegung des Diskretisierungsfaktors τ aus (4.13). Die

Auswertung beschränkt sich dabei auf Lagerinstanzen mit sehr geringer Anzahl N an Lagerplätzen, da für diese die Eigenwerte der Iterationsmatrix P noch explizit ermittelt werden können. Aus den Ergebnissen geht hervor, dass eine Wahl des Diskretisierungsfaktors τ möglichst nahe bei (λ+μ)−1 in allen Lagerinstanzen zu einer Reduzierung von |ew2 | führt. Dieser Zusammenhang folgt daraus, dass bei kleinerem τ die Wahrscheinlichkeit p˜ii = τ qii + 1, in einem Zustand i ∈ E zu verweilen, erhöht wird, und sich die stationäre

Verteilung deshalb erst nach längerer Zeit einstellt. Dieses Resultat deckt sich auch mit der heuristischen Empfehlung von Stewart (2009, S. 290), den Diskretisierungsfaktor τ so groß wie möglich zu wählen. Außerdem wird ersichtlich, dass |ew2 | bei wachsender Instanzgröße N gegen 1 geht, womit auch die Anzahl benötigter Iterationen steigt. Die Beobachtung, dass in den Lagerinstanzen mit ρ = 1 trotz höherem |ew2 | eine geringere Anzahl an Iterationen erforderlich ist als in den entsprechenden Lagerinstanzen mit ρ = 2, ist zunächst unerwartet. Das hängt jedoch damit zusammen, dass sich die gleich-

119

4.2 Modelle für den Fall homogener Lagerartikel ρ=1 N

c

2

ρ=2

#iter

0,90 0,99

|ew2 |

#iter

1 1

|ew2 |

0,550 0,505

0,524 0,477

6 4

3

0,90 0,99

0,736 0,710

6 4

0,700 0,670

17 15

4

0,90 0,99

0,828 0,811

18 16

0,786 0,765

28 25

5

0,90 0,99

0,879 0,867

30 28

0,835 0,818

38 35

6

0,90 0,99

0,911 0,902

44 40

0,865 0,851

48 44

Tabelle 4.3: Konvergenzgeschwindigkeit der Potenzmethode mäßige Aufteilung der Randverteilung innerhalb der Level im Fall übereinstimmender Ankunftsraten der E/AA besser als Startlösung eignet als bei abweichenden Ankunftsraten. Dabei sei angemerkt, dass wegen der Symmetrie der Markovkette (Yt )t≥0 Instanzen mit ρ = 0,5 und ρ = 2 zu identischen Ergebnissen führen. Die Berechnungsdauer ist in Tabelle 4.3 nicht explizit ausgewiesen, da sie für alle Instanzen deutlich unter einer Sekunde69 liegt. Für ein Lagersystem mit N = 27 Lagerplätzen und ρ = 1 wird die Abbruchbedingung bei obiger Wahl der Toleranz ε nach 338 Iterationen bzw. 2.521 Sekunden erreicht. Es muss kritisch angemerkt werden, dass diese Berechnungsdauer für ein Lagersystem von solch geringer Größenordnung bereits beträchtlich ist. Tatsächlich stellt jedoch nicht die Konvergenzgeschwindigkeit den limitierenden Faktor für die Anwendung der Potenzmethode dar, sondern die Kardinalität des Zustandsraums E der Markovkette (Yt )t≥0 . Die vorab angeführte Lagerinstanz mit N = 27 Lagerplätzen ist nämlich bereits die größte Instanz, die mit der vorliegenden Implementierung bei dem zur Verfügung stehenden Arbeitsspeicher von 64 GB noch ausgewertet werden kann. Diese Einschränkung resultiert aus |E| = 2N , denn somit umfasst der Zustandsraum dieser Lagerinstanz bereits 227 = 134.217.728 Zustände. Auch wenn sich die Implementierung noch speicherplatzeffizienter gestalten ließe, so ist die Größenordnung auswertbarer Lagersysteme, die durch das exponentielle Wachstum der Kardinalität des Zustandsraums limitiert ist, doch sehr weit entfernt von Lagergrößen mit praktischer Relevanz. 69

Die Berechnung erfolgte auf einem Computer mit einem Intel Core i7-8700 Prozessor mit 3,2 GHz und 64 GB Arbeitsspeicher unter dem Betriebssystem Windows 10.

120

Kapitel 4 Stationäre Analyse der Lagerprozesse mittels Markovketten

Trotz der vorab genannten Einschränkungen in seiner Anwendbarkeit ist das detaillierte Markov-Modell dennoch von wissenschaftlichem Interesse, da es erste Erkenntnisse über das stationäre Verhalten des E/A-Prozesses bei Anwendung der KFS liefert. Diese führen zu einer Idee für eine alternative Modellierung, mit der sich die häufig bei Markovketten auftretende Problematik der Explosion des Zustandsraums für die vorliegende Lageranwendung umgehen lässt. Für die Berechnung der Zugriffswahrscheinlichkeiten ist es nämlich ausreichend, eine Aggregation des Zustandsraums der detaillierten Markovkette (Yt )t≥0 zu betrachten. Eine ausführliche Darstellung des daraus resultierenden aggregierten Markov-Modells folgt im nächsten Abschnitt.

4.2.2 Aggregiertes Markov-Modell Wie im vorherigen Abschnitt aufgezeigt, eignet sich das detaillierte Markov-Modell nicht für die Leistungsanalyse von Lagerinstanzen praxisrelevanter Größenordnung. Der Grund dafür ist das exponentielle Wachstum der Kardinalität des Zustandsraums, welches daraus resultiert, dass die detaillierten Belegungsmuster über alle Lagerplätze als Zustände gewählt werden. Somit soll im Folgenden der Frage nachgegangen werden, ob sich die Leistungsanalyse auch mit einer alternativen Zustandsrepräsentation realisieren lässt. Das Ziel besteht darin, die Leistungsfähigkeit der Fördermittel bei Anwendung der KFS basierend auf der Kenngröße der zu erwartenden maximalen Durchsatzleistung zu bestimmen. Eine zwingende Voraussetzung dafür ist die Berechnung der stationären Einund Auslager-Zugriffswahrscheinlichkeiten PE (n) und PA (n) aus Definition 4.11. Nachfolgend wird daher noch einmal genau untersucht, welche Informationen über das stationäre Verhalten des E/A-Prozesses hierfür tatsächlich benötigt werden. Zu diesem Zweck wird anhand von Abbildung 4.10 zunächst verdeutlicht, welche Eigenschaften ein Belegungsmuster erfüllen muss, damit einem ankommenden EA bzw. AA Lagerplatz n zugeordnet wird. Allgemein wird gemäß der KFS immer der erste geeignete Lagerplatz aus der Sequenz der Lagerplätze für die Ausführung des nächsten Lagerauftrags gewählt. Unterschieden nach den beiden Auftragsarten bedeutet das konkret: • In Lagerplatz n wird genau dann eingelagert, wenn die Lagerplätze 1 bis n − 1 belegt sind und Lagerplatz n frei ist, siehe Abbildung 4.10a.

• Aus Lagerplatz n wird genau dann ausgelagert, wenn die Lagerplätze 1 bis n − 1 frei sind und Lagerplatz n belegt ist, siehe Abbildung 4.10b.

Es sei angemerkt, dass der zweite Zusammenhang nur bei homogenen Lagerartikeln gilt. Eine Übertragung auf den Fall heterogener Lagerartikel folgt anschließend in Ab-

121

4.2 Modelle für den Fall homogener Lagerartikel n

n ···

(a) Einlagerung

···

Lagerplatz frei Lagerplatz belegt

(b) Auslagerung

Abbildung 4.10: Auswahl eines Lagerplatzes n schnitt 4.3. Für EA ist die Auswahl des Lagerplatzes hingegen unabhängig von der Anzahl betrachteter Artikelarten. Die vorab genannten Zusammenhänge zeigen, dass für die Ausführung eines Lagerauftrags in Lagerplatz n lediglich die Belegungszustände der Lagerplätze 1 bis n entscheidend sind. Aus diesen Überlegungen heraus wird nachfolgend eine alternative Berechnungsweise für die Zugriffswahrscheinlichkeiten abgeleitet, die auf einem Abschneiden der Sequenz von Lagerplätzen basiert. Proposition 4.13. Für die Ein- und Auslager-Zugriffswahrscheinlichkeiten PE (n) und PA (n) von Lagerplatz n ∈ {2, . . . , N } gilt PE (n) = lim P (b(Yt , n ) = 1 für n = 1, . . . , n − 1) t→∞

− lim P (b(Yt , n ) = 1 für n = 1, . . . , n) t→∞

PA (n) = lim P (b(Yt , n ) = 0 für n = 1, . . . , n − 1) t→∞

− lim P (b(Yt , n ) = 0 für n = 1, . . . , n) t→∞

mit Yt ∈ E als Zustand der detaillierten Markovkette (Yt )t≥0 zum Zeitpunkt t. Die Zugriffswahrscheinlichkeiten von Lagerplatz n = 1 ergeben sich mit PE (1) = 1 − β1 und PA (1) = β1 direkt aus dessen stationärer Belegungswahrscheinlichkeit β1 . Beweis. Aus der Lagerplatzwahl gemäß KFS ergibt sich für die Menge von Ereignissen, die bei Ankunft eines EA zu einer Einlagerung in Lagerplatz n ∈ {2, . . . , N } führen, folgender Zusammenhang. {Einlagerung in Lagerplatz n zum Zeitpunkt t}

= {b(Yt , n) = 0 ∧ b(Yt , n ) = 1 für n = 1, . . . , n − 1}

= {b(Yt , n ) = 1 für n = 1, . . . , n − 1} \ {b(Yt , n ) = 1 für n = 1, . . . , n}

Der letzte Umformungsschritt basiert dabei auf der nachfolgenden Zerlegung der Ereignismenge für die Belegung bis einschließlich Lagerplatz n−1. Wird der betrachtete Anteil

122

Kapitel 4 Stationäre Analyse der Lagerprozesse mittels Markovketten

der Sequenz um einen Lagerplatz von n − 1 auf n erweitert, so zerfällt die ursprüngliche Ereignismenge wie folgt in zwei disjunkte Teilereignismengen. {b(Yt , n ) = 1 für n = 1, . . . , n − 1}

= {b(Yt , n ) = 1 für n = 1, . . . , n} ∪ {b(Yt , n) = 0 ∧ b(Yt , n ) = 1 für n = 1, . . . , n − 1}

Dieser Zusammenhang ergibt sich aus den Annahmen in Abschnitt 4.1, da Lagerplatz n in jedem Zustand entweder frei oder belegt ist. Daraus folgt direkt, dass die zweite Teilereignismenge, die gemäß der KFS zu Einlagerungen in Lagerplatz n führt, mit der vorab angegebenen Mengendifferenz übereinstimmt. Die Herleitung für AA verläuft analog, indem belegte durch freie Lagerplätze ersetzt werden und umgekehrt. Auch bei aggregierter Betrachtung gilt für die Verteilung zu den Ankunftszeitpunkten der Lageraufträge wegen der Poissonschen Auftragsankünfte die PASTA-Eigenschaft, siehe Abschnitt 2.5.2. Somit können die Zugriffswahrscheinlichkeiten PE (n) und PA (n) aller Lagerplätze n = 2, . . . , N schließlich als Differenzen der zu den Ereignismengen gehörenden Grenzwahrscheinlichkeiten berechnet werden. Lagerplatz n = 1 stellt einen Sonderfall dar, da dieser Lagerplatz nach KFS immer bevorzugt ausgewählt wird. Ist dieser Lagerplatz frei, so wird er stets einem ankommenden EA zugeordnet, andernfalls einem AA. Daher ergeben sich die Zugriffswahrscheinlichkeiten für Lagerplatz n = 1 direkt aus dessen Belegungswahrscheinlichkeit β1 . Aus Proposition 4.13 wird ersichtlich, dass die Durchsatzleistung der Fördermittel auch ohne Berechnung der stationären Verteilung für die Belegungsmuster mit dem detaillierten Markov-Modell analysiert werden kann. Stattdessen genügt es, die stationären Wahrscheinlichkeiten für die Anzahl belegter Lagerplätze unter den ersten n Lagerplätzen zu bestimmen. Dafür wird nachfolgend eine Markov-Modellierung präsentiert, die auf aggregierten und gekürzten Versionen der Markovkette (Yt )t≥0 basiert. (n)

Definition 4.14 (Aggregierter Prozess mit L = 1). Für jeden Lagerplatz n sei (Zt )t≥0 ein stochastischer Prozess mit Zustandsraum E (n) = {0, . . . , n}. In diesem Prozess wird die Sequenz der Lagerplätze nur bis einschließlich Lagerplatz n berücksichtigt und die (n) Zufallsvariable Zt gibt die Anzahl belegter Lagerplätze innerhalb dieser Teilsequenz zum Zeitpunkt t an. Verglichen mit der detaillierten Markovkette (Yt )t≥0 ändern sich in dieser Modellierung zwei wesentliche Aspekte. Erstens wird der Zustandsraum aggregiert, denn statt der konkreten Belegungsmuster über alle Lagerplätze wird nur noch die Anzahl belegter Lagerplätze betrachtet. Zweitens basiert die Berechnung der Zugriffswahrscheinlichkeiten nicht

123

4.2 Modelle für den Fall homogener Lagerartikel Zustand aggregiert (3)

=0

(3)

=1

(3)

=2

(3)

=3

Zt

Zt Zt Zt

Zugehörige Belegungsmuster ···

···

···

···

···

···

···

···

Lagerplatz frei Lagerplatz belegt

Tabelle 4.4: Zusammenhang zwischen detaillierter und aggregierter Modellierung für n=3 mehr auf einer einzigen Markovkette, sondern auf insgesamt N stochastischen Prozessen. Diese berücksichtigen die Sequenz der Lagerplätze jeweils bis zum n-ten Lagerplatz mit n ∈ {1, . . . , N }. In Tabelle 4.4 ist der Zusammenhang zwischen detaillierter und aggregierter Modellierung exemplarisch für ein Abschneiden der Sequenz nach Lagerplatz n = 3 dargestellt. Die Trennlinie hinter Lagerplatz n kennzeichnet darin das Ende der für den aggregierten Prozess relevanten Lagerplätze, d. h., es werden alle detaillierten Zustände unabhängig von deren Belegungsmuster ab Lagerplatz n + 1 zu den aggregierten Zuständen zusammengefasst. Vor der Analyse des stationären Verhaltens müssen zunächst wieder die Eigenschaften des (n) stochastischen Prozesses (Zt )t≥0 untersucht werden. In Proposition 4.15 wird hierfür eine Beziehung zu Warteschlangensystemen aufgezeigt, die anschließend dazu genutzt wird, um die Berechnung der stationären Verteilung auf bekannte Resultate aus der Warteschlangentheorie zurückzuführen. (n)

Proposition 4.15. Für jedes n ∈ {1, . . . , N } ist der stochastische Prozess (Zt )t≥0 mit L = 1 und Zustandsraum E (n) = {0, . . . , n} äquivalent zum stochastischen Prozess der Kundenanzahl in einem M/M/1/n-Warteschlangensystem mit Ankunftsrate λ und Bedienrate μ. Beweis. Zur Herleitung des Zusammenhangs zum M/M/1/n-Warteschlangensystem wird (n) zunächst gezeigt, dass der aggregierte Prozess (Zt )t≥0 eine homogene Markovkette in

124

Kapitel 4 Stationäre Analyse der Lagerprozesse mittels Markovketten

stetiger Zeit ist. Angelehnt an die Level der detaillierten Markovkette aus Definition 4.3 sei    n   (n) b(i, n ) = k Ek := i ∈ E  

(k = 0, . . . , n)

n =1

die Teilmenge aller Zustände i ∈ E, in denen genau k der Lagerplätze 1 bis n belegt sind. (n) Wie bereits in Tabelle 4.4 exemplarisch dargestellt, enthält die Teilmenge Ek also alle (n) Belegungsmuster i, die im aggregierten Prozess (Zt )t≥0 zu Zustand k ∈ E (n) zusammengefasst werden. Für festes n ∈ {1, . . . , N } kann der Zustandsraum E der detaillierten Markovkette (Yt )t≥0 damit folgendermaßen partitioniert werden. (n)

(n)

E = E0 ∪ E1 ∪ . . . ∪ En(n) Darauf basierend wird zunächst analog zum Beweis von Proposition 4.4 die Markov-Ei(n) genschaft für den Prozess (Zt )t≥0 gezeigt. Diese Eigenschaft ist genau dann erfüllt, wenn erstens die Verweildauer in jedem Zustand k ∈ E (n) exponentialverteilt ist und zweitens die Übergangswahrscheinlichkeiten p∗kk mit k, k  ∈ E (n) des eingebetteten Sprungprozesses nur von den Zuständen k und k  abhängen, vgl. Anderson (1991, S. 63). Um die Verteilungen der Verweildauern zu bestimmen, werden im Folgenden die Ereignisse betrachtet, die nach der KFS zum Verlassen eines Zustands k führen und somit die Verweildauer im Zustand k charakterisieren. In diesem Zusammenhang werden auch direkt die Übergangswahrscheinlichkeiten p∗kk des eingebetteten Sprungprozesses bestimmt. • Randzustände k = 0 und k = n: (n)

Die zu k = 0 gehörende Teilmenge E0 enhält alle Belegungsmuster i, in denen die Lagerplätze 1 bis n frei sind. Die Anzahl belegter Lagerplätze kann sich folglich (n) nur durch einen EA ändern. Da für alle Zustände i ∈ E0 die Bedingung nf (i) = 1

gilt, wird gemäß der KFS für den ankommenden EA immer Lagerplatz n = 1 ausgewählt. Dadurch erhöht sich die betrachtete Anzahl belegter Lagerplätze und im aggregierten Zustand k = 0 erfolgt bei Ankunft des nächsten EA immer ein Übergang in den Zustand k = 1. Damit ist die Verweildauer in Zustand k = 0 aufgrund der Poissonschen Ankünfte der Aufträge exponentialverteilt mit Rate q0 = λ. Basierend auf der Teilmenge En(n) führt in Zustand k = n umgekehrt die Ankunft des nächsten AA immer zu einem Übergang in den Zustand k = n − 1, womit sich für die Verweildauer in Zustand k = n eine Exponentialverteilung mit Rate qn = μ ergibt. Für die Übergangswahrscheinlichkeiten des eingebetteten Sprungprozesses gilt also p∗01 = p∗n(n−1) = 1. Es sei angemerkt, dass damit nicht alle E/AA berücksichtigt werden, sondern nur diejenigen, die die Lagerplätze 1 bis n betreffen. Die Ausführung von Lageraufträgen in den Lagerplätzen n + 1 bis N , z. B. bei Ankunft

4.2 Modelle für den Fall homogener Lagerartikel

125

eines EA in Zustand k = n, führt nicht zu einem Übergang zwischen den Zuständen (n) k ∈ E (n) und beeinflusst den Prozess (Zt )t≥0 folglich nicht. • Zustände k = 1, . . . , n − 1: (n) In diesem Fall existiert für alle Belegungsmuster i ∈ Ek stets ein Lagerplatz    n ≤ n mit b(i, n ) = 0 sowie ein Lagerplatz n ≤ n mit b(i, n ) = 1, d. h., unter den ersten n Lagerplätzen gibt es immer mindestens einen freien und auch mindestens einen belegten Lagerplatz. Somit wird Zustand k stets bei Ankunft des nächsten Lagerauftrags verlassen, da unter den ersten n Lagerplätzen mindestens ein geeigneter Lagerplatz für dessen Ausführung vorhanden ist. Handelt es sich um einen EA, so erfolgt der Übergang in Zustand k + 1, bei einem AA hingegen in Zustand k − 1. Die Verweildauer in Zustand k wird also durch das Minimum der

unabhängigen, exponentialverteilten Zwischenankunftszeiten beider Auftragsarten festgelegt und für die Verteilung ergibt sich folglich eine Exponentialverteilung mit Rate qk = λ + μ, vgl. Shortle et al. (2018, S. 38). Hervorzuheben ist, dass aufgrund der Poissonschen Auftragsankünfte auch die Restwartezeit auf den ersten AA in Zustand k = 1 bzw. die Restwartezeit auf den ersten EA in Zustand k = n − 1 exponentialverteilt ist mit der gleichen Rate μ bzw. λ wie die entsprechenden Zwischenankunftszeiten. Daraus ergeben sich schließlich unabhängig vom konkreten Zustand k direkt die Übergangswahrscheinlichkeiten des eingebetteten Sprungproλ erfolgt der Übergang in Zustand k + 1 zesses. Mit Wahrscheinlichkeit p∗k(k+1) = λ+μ μ ∗ und mit pk(k−1) = λ+μ in Zustand k − 1.

Dies zeigt, dass die Verweildauern in allen Zuständen k ∈ E (n) exponentialverteilt sind mit Parameter qk und dass die Übergangswahrscheinlichkeiten p∗kk (k, k  ∈ E (n) ) des eingebetteten Sprungprozesses nicht von der vorangehenden Entwicklung des Prozesses (n) abhängen. Folglich ist der Prozess (Zt )t≥0 eine zeitstetige Markovkette und die Übergangsraten qkk , d. h. die Einträge der zugehörigen Generatormatrix Q, lassen sich wie folgt aus den vorab bestimmten Informationen ermitteln, vgl. Shortle et al. (2018, S. 63). qkk = qk · p∗kk qkk = −qk

(k = k  )

(4.14a) (4.14b)

126

Kapitel 4 Stationäre Analyse der Lagerprozesse mittels Markovketten (n)

Damit ergibt sich die folgende Generatormatrix Q für den Prozess (Zt )t≥0 . ⎛

−λ μ 0 .. . 0 0 0

⎜ ⎜ ⎜ ⎜ ⎜ ⎜ Q=⎜ ⎜ ⎜ ⎜ ⎜ ⎜ ⎝

λ 0 −(λ + μ) λ μ −(λ + μ) ... ... ...

0 0 0

0 0 λ .. . μ 0 0

⎞ 0 ⎟ 0 ⎟ ⎟ 0 ⎟ ⎟ .. ⎟ ⎟ . ⎟ ⎟ −(λ + μ) λ 0 ⎟ ⎟ ⎟ μ −(λ + μ) λ ⎠ 0 μ −μ 0 0 0

... ... ...

(4.15)

Aus den bisherigen Überlegungen wird außerdem ersichtlich, dass die resultierenden Übergangsraten qkk zeitinvariant sind, wodurch auch die Homogenität der Markovkette (n) (n) (Zt )t≥0 gezeigt ist. Die Struktur des Übergangsgraphen für die Markovkette (Zt )t≥0 bei Abschneiden der Sequenz nach Lagerplatz n ist also identisch zu der des Übergangsgraphen in Abbildung 4.7, der für die Herleitung der Randverteilung (pk )k=0,...,N herangezogen wurde. Der einzige Unterschied besteht darin, dass der letzte Zustand nicht N , sondern das jeweilige n ≤ N ist. Die auf den Leveln von (Yt )t≥0 beruhende Markovkette, die (n) für die Randverteilung betrachtet wurde, entspricht der Instanz von (Zt )t≥0 mit n = N . Für diesen Fall wurde bereits in Proposition 4.10 der Zusammenhang zum M/M/1/N Warteschlangensystem gezeigt. Der zugehörige Beweis lässt sich direkt auf den verallgemeinerten Fall übertragen, indem N durch n ∈ {1, . . . , N } ersetzt wird. Daraus folgt (n) schließlich, dass die Markovkette (Zt )t≥0 mit n ≤ N stochastisch identisch zum Prozess für die Anzahl an Kunden in einem M/M/1/n-Warteschlangensystem ist. (n)

Nach Proposition 4.15 stimmt die stationäre Verteilung der Markovkette (Zt )t≥0 also mit der des M/M/1/n-Warteschlangensystems überein. Zusammen mit Proposition 4.13 folgt daraus direkt die nachfolgende Proposition zur Berechnung der Zugriffswahrscheinlichkeiten. (n)

Proposition 4.16. Für festes n ≤ N sei π (n) = (πk )k=0,...,n die stationäre Verteilung (n) der Markovkette (Zt )t≥0 . Damit gilt unter Verwendung der Verkehrsintensität ρ = μλ für die Ein- und Auslager-Zugriffswahrscheinlichkeiten PE (n) und PA (n) von Lagerplatz n ∈ {1, . . . , N }

PE (n) =

⎧ ⎪ ⎨ ⎪ ⎩

ρn−1 ·(1−ρ)2 , (1−ρn )(1−ρn+1 ) 1 , n(n+1)

PA (n) = ρ · PE (n)

falls ρ = 1

falls ρ = 1

Die Folgen (PE (n))n=1,...,N und (PA (n))n=1,...,N sind streng monoton fallend.

(4.16a) (4.16b)

127

4.2 Modelle für den Fall homogener Lagerartikel

Beweis. In Proposition 4.13 wird die Berechnung der Zugriffswahrscheinlichkeiten auf Grenzverteilungen der detaillierten Markovkette (Yt )t≥0 zurückgeführt. Durch die in diesem Abschnitt vorgenommene Aggregation gilt für die benötigten Grenzwahrscheinlichkeiten folgender Zusammenhang zur stationären Verteilung π (n) des aggregierten Prozes(n) ses (Zt )t≥0 mit n ∈ {1, . . . , N }. lim P (b(Yt , n ) = 1 für n = 1, . . . , n) = πn(n)

(4.17a)

(n)

(4.17b)

t→∞

lim P (b(Yt , n ) = 0 für n = 1, . . . , n) = π0

t→∞

Bei der Grenzwahrscheinlichkeit in (4.17a) handelt es sich um die stationäre Wahrscheinlichkeit dafür, dass sich das Lagersystem in einem Zustand i ∈ E befindet, in dem alle

Lagerplätze von 1 bis n belegt sind. Basierend auf der nach Lagerplatz n abgeschnittenen Sequenz lässt sich diese Grenzwahrscheinlichkeit reformulieren als die stationäre Wahrscheinlichkeit, dass n der ersten n Lagerplätze belegt sind. Nach Definition 4.14 für die (n) aggregierte Markovkette (Zt )t≥0 entspricht die Grenzwahrscheinlichkeit in (4.17a) also (n) der stationären Wahrscheinlichkeit πn(n) der Markovkette (Zt )t≥0 . Umgekehrt bezieht sich die Grenzwahrscheinlichkeit in (4.17b) auf die Zustände i ∈ E, in denen keiner der ersten n Lagerplätze belegt ist. Damit lässt sich die Berechnung der Zugriffswahrscheinlichkeiten aus Proposition 4.13 wie folgt auf die stationäre Verteilung π (n) der aggregierten (n) Markovkette (Zt )t≥0 zurückführen. PE (n) = lim P (b(Yt , n ) = 1 für n = 0, . . . , n − 1) t→∞

− lim P (b(Yt , n ) = 1 für n = 0, . . . , n) t→∞ (n−1)

= πn−1 − πn(n)

(4.18a)

PA (n) = lim P (b(Yt , n ) = 0 für n = 0, . . . , n − 1) t→∞

− lim P (b(Yt , n ) = 0 für n = 0, . . . , n)

=

t→∞ (n−1) π0 −

(n)

π0

(4.18b) (n)

Beide Formeln schließen den Grenzfall der Markovkette (Zt )t≥0 mit n = 0 ein. In diesem Fall enthält der Zustandsraum E (0) lediglich den Zustand k = 0, für dessen stationäre (0) (1) (1) Wahrscheinlichkeit folglich π0 = 1 gilt. Wegen π0 = 1 − β1 bzw. π1 = β1 umfassen die Zugriffswahrscheinlichkeiten in (4.18) damit nun auch den Sonderfall für Lagerplatz (n) n = 1. Wie in Proposition 4.15 gezeigt, entspricht die Markovkette (Zt )t≥0 dem Prozess

128

Kapitel 4 Stationäre Analyse der Lagerprozesse mittels Markovketten

für die Kundenanzahl in einem M/M/1/n-Warteschlangensystem. Für n ∈ {0, . . . , N } kann die stationäre Verteilung π (n) nach (2.11) also wie folgt berechnet werden. (n) πk

=

⎧ ⎪ ⎨ρk ⎪ ⎩

1−ρ , 1−ρn+1

1 , n+1

falls ρ = 1

falls ρ = 1

(4.19)

(n)

Durch Einsetzen der stationären Wahrscheinlichkeiten πk aus (4.19) in (4.18) ergeben sich schließlich die Formeln für die Zugriffswahrscheinlichkeiten in (4.16), hier näher ausgeführt für den Fall ρ = 1. 1−ρ 1−ρ − ρn 1 − ρn 1 − ρn+1 ρn−1 (1 − ρ)(1 − ρn+1 ) − ρn (1 − ρ)(1 − ρn ) = (1 − ρn )(1 − ρn+1 ) ρn−1 (1 − ρ)2 = (1 − ρn )(1 − ρn+1 ) 1−ρ 1−ρ (n−1) (n)  PA (n) = π0 − π0 = − 1 − ρn 1 − ρn+1 ρn (1 − ρ)2 = (1 − ρn ) (1 − ρn+1 )

PE (n) = πn−1 − πn(n) = ρn−1 (n−1)

= ρ · PE (n)

Aufgrund des damit gezeigten proportionalen Zusammenhangs zwischen PE (n) und PA (n) ist es ausreichend, die Monotonie nur für die Folge der Einlager-Zugriffswahrscheinlichkeiten (PE (n))n=1,...,N zu zeigen. Dafür werden hinsichtlich der Verkehrsintensität ρ die folgenden Fälle unterschieden. • Fall 1: ρ = 1 Dass (PE (n))n=1,...,N streng monoton in n fällt, folgt offensichtlich aus (4.16a).

• Fall 2: 0 < ρ < 1 Für 0 < ρ < 1 ist der Zähler aus (4.16a) streng monoton fallend in n und beide Faktoren des Nenners sind streng monoton wachsend in n. Daraus folgt, dass (PE (n))n=1,...,N insgesamt streng monoton fällt.

• Fall 3: ρ > 1 Auf der rechten Seite der Umformung PE (n) =

ρ−1 (1 − ρ)2 ρn−1 (1 − ρ)2 = n n+1 (1 − ρ )(1 − ρ ) (1 − ρ1n )(ρn+1 − 1)

129

4.2 Modelle für den Fall homogener Lagerartikel

ist der Zähler unabhängig von n und für ρ > 1 sind beide Faktoren des Nenners streng monoton wachsend in n. Insgesamt fällt der Quotient also streng monoton. Somit ist die Folge der Einlager-Zugriffswahrscheinlichkeiten (PE (n))n=1,...,N für ρ > 0 streng monoton fallend und damit nach (4.16b) auch die Folge der Auslager-Zugriffswahrscheinlichkeiten (PA (n))n=1,...,N . Interpretiert in Bezug auf die Lageranwendung ergeben sich aus Proposition 4.16 interessante Schlussfolgerungen, wobei einschränkend anzumerken ist, dass diese vorerst nur für den Fall homogener Lagerartikel mit Poissonschen Ankünften der E/AA gelten. Erstens folgt aus der Monotonie, dass bei Anwendung der KFS die Wahrscheinlichkeit, einen Lagerplatz für die Ausführung eines ankommenden Lagerauftrags auszuwählen, mit steigender Lagerplatznummer n sinkt. Dieses Ergebnis bestätigt also die Vermutung, dass die Auswahl fahrtzeitgünstiger Plätze mit niedriger Nummer wahrscheinlicher ist. Daraus folgt direkt, dass sich die Gleichverteilung nicht dafür eignet, die Zugriffswahrscheinlichkeiten bei Anwendung dieser E/A-Strategie adäquat zu modellieren. Nach Korollar 2.1 ergibt sich aus dem streng monotonen Fallen der Zugriffswahrscheinlichkeiten außerdem, dass die KFS in diesem Fall optimal hinsichtlich der Minimierung der Fahrtzeit ist. Zweitens zeigt sich ein proportionaler Zusammenhang zwischen den Zugriffswahrscheinlichkeiten PE (n) und PA (n) eines Lagerplatzes n mit Proportionalitätsfaktor ρ. Für ρ = 1 stimmen somit die Ein- und Auslager-Zugriffswahrscheinlichkeiten je Lagerplatz überein. Kommen im Mittel mehr EA als AA an, d. h., gilt ρ > 1, so folgt daraus PE (n) < PA (n). Im Fall ρ < 1 ergibt sich umgekehrt PE (n) > PA (n). Das Resultat abweichender Zugriffswahrscheinlichkeiten für die beiden Auftragsarten bei ρ = 1 mag zunächst verwundern, kann jedoch dadurch erklärt werden, dass sich die Zugriffswahrscheinlichkeiten auf an-

kommende und nicht auf ausführbare Aufträge beziehen, da gemäß den Modellannahmen EA bei vollständig belegtem und AA bei komplett leerem Lager abgewiesen werden. Also sollten die Zugriffswahrscheinlichkeiten in Zusammenhang mit den Wahrscheinlichkeiten gestellt werden, dass ein ankommender EA bzw. AA erfüllt werden kann, d. h. mit der Verfügbarkeit des Lagersystems, siehe Abschnitt 2.4.2. Die zugehörigen Kenngrößen Ein- bzw. Auslager-Servicegrad, αE bzw. αA , für den stationären Anteil unverzögert ausführbarer Lageraufträge lassen sich wie folgt berechnen. αE = αA =

N 

n=1 N 

n=1

(N ) PE (n) = 1 − πN = (N )

PA (n) = 1 − π0

⎧ ⎪ ⎨ ⎪ ⎩

1−ρN , 1−ρN +1 N , N +1

= ρ · αE

falls ρ = 1 falls ρ = 1

(4.20a) (4.20b)

130

Kapitel 4 Stationäre Analyse der Lagerprozesse mittels Markovketten

Mit dem Einsetzen der stationären Wahrscheinlichkeiten aus (4.19) ergibt sich bei fester Anzahl N an Lagerplätzen für wachsendes ρ > 0, dass der Einlager-Servicegrad αE gegen 0 fällt und der Auslager-Servicegrad αA gegen 1 wächst. Das bedeutet, dass eine Erhöhung der mittleren Ankunftsrate der EA im Vergleich zu derjenigen der AA dazu führt, dass die Gegenwahrscheinlichkeit 1 − αE , einen ankommenden EA abzulehnen, steigt und die Ablehnwahrscheinlichkeit 1−αA für AA sinkt. Somit fällt für ρ > 1 die Wahrscheinlichkeit

N  n=1 PE (n) für tatsächlich durchzuführende Einlagerungen, wodurch sich die EinlagerZugriffswahrscheinlichkeiten im Gegensatz zu den Auslager-Zugriffswahrscheinlichkeiten verringern. Im Fall ρ < 1 lässt sich PE (n) > PA (n) umgekehrt dadurch erklären, dass für ρ → 0 die Wahrscheinlichkeit steigt, ankommende AA abzulehnen. Dieser Zusammenhang zeigt auf, dass im Rahmen der Leistungsanalyse bedingte Zugriffswahrscheinlichkeiten verwendet werden sollten. Die Bedingung ist dabei, dass ein ankommender Auftrag auch tatsächlich ausgeführt werden kann. Die resultierenden Wahrscheinlichkeiten werden im Folgenden als normierte Zugriffswahrscheinlichkeiten PZ (n) der Lagerplätze n bezeichnet. Es wird in diesem Zusammenhang von normierten statt bedingten Wahrscheinlichkeiten gesprochen, da die Summen der Ein- bzw. Auslager-Zugriffswahrscheinlichkeiten in (4.20) aufgrund der Berücksichtigung abgelehnter Lageraufträge jeweils kleiner als eins sind und die nachfolgende Berechnung somit als Normierung der Zugriffswahrscheinlichkeiten angesehen werden kann. PZ (n) :=

ρ · PE (n) PE (n) PA (n) = = αE ρ · αE αA

(4.21)

Aus (4.21) wird ersichtlich, dass die normierten Zugriffswahrscheinlichkeiten für EA und AA für jeden Lagerplatz n übereinstimmen. Dieses Resultat ist plausibel, da die Annahme, dass jeder Lagerplatz genau eine Lagereinheit aufnehmen kann, dazu führt, dass Ein- und Auslagerungen in einem Lagerplatz immer im Wechsel ausgeführt werden, ein Sachverhalt, der auch von Park und Lee (2007) zur Berechnung der Zugriffswahrscheinlichkeiten für die E/A-Strategie COL verwendet wurde. Es bleibt noch, die Anwendbarkeit des aggregierten Markov-Modells zu prüfen. Im Gegensatz zur detaillierten Modellierung müssen für die hier vorgestellte Berechnungsweise (n) der Zugriffswahrscheinlichkeiten, die auf den aggregierten Markovketten (Zt )t≥0 mit (n) n = 1, . . . , N basiert, die stationären Verteilungen π von insgesamt N individuellen Markovketten ausgewertet werden. Diese Modellierung bietet jedoch zwei entscheidende Vorteile. Erstens sind die Zustandsräume E (n) durch die aggregierte Betrachtung deutlich kleiner und zweitens sind aus der Warteschlangentheorie geschlossene Formeln für die stationären Verteilungen π (n) bekannt. Durch die Aggregation reduziert sich die ge-

131

4.3 Markov-Modell für den Fall heterogener Lagerartikel

samte Leistungsanalyse folglich auf die Berechnung von (4.16a) und (4.16b) für jeden Lagerplatz n. Im Fall homogener Lagerartikel ergibt sich für den Algorithmus somit eine Zeitkomplexität der Ordnung O(N ), d. h. linear in der Lagerplatzanzahl N . Dies ermöglicht eine Analyse von Lagerinstanzen praxisrelevanter Größenordnung. Alle bisherigen Betrachtungen beziehen sich lediglich auf den Fall homogener Lagerartikel (L = 1). Da das bevorratete Sortiment in praktischen Lagersystemen i. d. R. jedoch aus einer Vielzahl verschiedener Artikel besteht, wird das aggregierte Markov-Modell im folgenden Abschnitt auf den Fall heterogener Lagerartikel verallgemeinert.

4.3 Markov-Modell für den Fall heterogener Lagerartikel (n)

Im letzten Abschnitt wurde mit der aggregierten Markovkette (Zt )t≥0 eine Möglichkeit aufgezeigt, mit der die Zugriffswahrscheinlichkeiten für den Fall homogener Lagerartikel berechnet werden können. Dieser Ansatz wird im Folgenden so verallgemeinert, dass das stationäre Verhalten der E/A-Prozesse bei Anwendung der KFS auch für eine beliebige Anzahl L ∈ N von Artikeln analysiert werden kann. Dabei sei noch einmal auf die für die Modellierung der heterogenen Lagerartikel wesentlichen Annahmen aus Abschnitt 4.1 hingewiesen. Von jedem Artikel  ∈ {1, . . . , L} können mehrere gleichartige Lagereinhei-

ten im Lager vorgehalten werden und die Ankünfte von EA bzw. AA für Artikel  folgen unabhängigen Poisson-Prozessen mit Ankunftsrate λ bzw. μ .

Zunächst wird anhand von Abbildung 4.11 erläutert, wie sich bei Anwendung der KFS die Wahl des Lagerplatzes für den nächsten EA oder AA durch die Betrachtung heterogener Lagerartikel ändert. Wie bereits in Abschnitt 4.2.2 erwähnt, ist die Lagerplatzwahl für Einlagerungen unabhängig von der Anzahl L einzulagernder Artikel, denn es wird immer der erste freie Lagerplatz der Sequenz gewählt. Diese Zuordnung wird weder von der Artikelart des ankommenden EA beeinflusst noch davon, welche Artikel in den übrigen Lagerplätzen eingelagert sind. Die Ausführung von EA lässt sich also genauso modellieren wie im Fall L = 1. Für die Lagerplatzwahl bei AA ist hingegen entscheidend, welcher Artikel  ∈ {1, . . . , L} ausgelagert werden soll. Der gemäß der KFS zu wählende

Lagerplatz ist nun nicht mehr direkt der erste belegte Lagerplatz der Sequenz, sondern der erste Lagerplatz, in dem sich eine Lagereinheit des auszulagernden Artikels  befindet. Bei heterogenen Lagerartikeln deckt also die Bedingung aus dem Fall homogener Lagerartikel, dass alle Lagerplätze 1 bis n − 1 frei sind, nicht mehr alle möglichen Be-

legungsmuster ab, die zu einer Auslagerung aus Lagerplatz n führen. Lagerplatz n wird darüber hinaus auch dann gewählt, wenn eine beliebige Teilmenge der Lagerplätze 1

132

Kapitel 4 Stationäre Analyse der Lagerprozesse mittels Markovketten

n

Lagerplatz frei Lagerplatz beliebig belegt Lagerplatz frei oder belegt mit  = 

n 

···

(a) Einlagerung

···

(b) Auslagerung

Abbildung 4.11: Auswahl eines Lagerplatzes n für Artikel  bis n − 1 mit Lagereinheiten anderer Artikel  =  belegt ist. Dies zeigt, dass es für die Bestimmung der Zugriffswahrscheinlichkeiten im Fall heterogener Lagerartikel nicht mehr genügt, lediglich die Gesamtanzahl belegter Lagerplätze zu betrachten. Für die Modellierung der Auslagerungen muss explizit zwischen den verschiedenen Artikelarten differenziert werden. Aufgrund dessen wird nachfolgend eine verallgemeinerte Definition (n) des aggregierten Prozesses (Zt )t≥0 herangezogen, die den Fall L = 1 aus Definition 4.14 mit einschließt. Definition 4.17 (Aggregierter Prozess mit L ∈ N). Für festes n ∈ {0, . . . , N } sei der (n) stochastische Prozess (Zt )t≥0 definiert als 

(n)

(n,1)

(Zt )t≥0 = Zt

(n,L)

, . . . , Zt



(4.22)

t≥0

(n,)

Die Zufallsvariable Zt

gibt dabei an, wie viele der ersten n Lagerplätze der Sequenz zum Zeitpunkt t mit Lagereinheiten von Artikel  belegt sind. Der Zustandsraum des (n) Prozesses (Zt )t≥0 ist 



L  E (n) = (b1 , . . . , bL )  b ≤ n, b ∈ N0 für  = 1, . . . , L



=1



(4.23)

wobei b die Anzahl belegter Lagerplätze von Artikel  bezeichne. (n)

Auch nach dieser Verallgemeinerung modelliert der Prozess (Zt )t≥0 mit n ∈ {0, . . . , N } die zeitliche Entwicklung der Anzahl belegter Lagerplätze unter den ersten n Lagerplätzen der Sequenz, die vorher betrachtete Gesamtanzahl ist nun jedoch nach Artikelarten gegliedert. Der zugehörige Zustandsraum E (n) beinhaltet alle Möglichkeiten, wie sich die insgesamt bis zu n belegten Lagerplätze auf die verschiedenen Artikel aufteilen können. Um die Kardinalität des Zustandsraums zu bestimmen, wird das kombinatorische Konzept des „Twelvefold Way“ herangezogen, vgl. Stanley (2012, S. 71 ff.). Dieses führt das Abzählen von Möglichkeiten auf das Verteilen von Bällen auf Fächer zurück. Die zwölf verschiedenen Abzählvarianten sind danach differenziert, ob die Bälle bzw. Fächer unterscheidbar sind oder nicht und ob es sich um eine injektive oder surjektive Zuordnung handelt. Im vorliegenden Fall ist die Anzahl der Zustände gleichbedeutend mit der

133

4.3 Markov-Modell für den Fall heterogener Lagerartikel

Anzahl an Möglichkeiten, bis zu n nicht unterscheidbare, belegte Lagerplätze (Bälle) auf L unterscheidbare Artikel (Fächer) aufzuteilen, wobei die Zuordnung weder injektiv noch surjektiv sein muss. Daraus ergibt sich für die Kardinalität des Zustandsraums n     (n)  E  =

n =0







n + L − 1 n+L = n n



(4.24)

Die Zusammenhänge in (4.24) lassen sich wie folgt erläutern. Für eine feste Anzahl n ∈ {0, . . . , n} belegter Lagerplätze können nach dem „Twelvefold Way“ alle Kombinationsmöglichkeiten über den in der Summe angegebenen Binomialkoeffizienten bestimmt werden. Die Gesamtanzahl an Zuständen ergibt sich sodann durch Summation über jede mögliche Anzahl n . Der finale Umformungsschritt folgt direkt aus den Additionssätzen für Binomialkoeffizienten, vgl. z. B. Rinne (2008, S. 171). Wie in Abschnitt 2.5.2 gezeigt, kann der resultierende Binomialkoeffizient exponentiell im Sortimentsumfang L und der Lagerplatzanzahl N wachsen. Der Vorteil der aggregierten Modellierung bleibt jedoch auch im Fall heterogener Lagerartikel bestehen, da eine detaillierte Modellierung mit L ∈ N analog zur Vorgehensweise in Abschnitt 4.2.1 mit (L + 1)n Zuständen nicht mehr anwendbar wäre. Wie sich die Kardinalität des Zustandsraums bei der nachfolgend entwickelten Modellierung auf die Größenordnung auswertbarer Lagerinstanzen auswirkt, wird in Abschnitt 6.1 noch genauer thematisiert. (n)

Um eine Aussage über das stationäre Verhalten des stochastischen Prozesses (Zt )t≥0 mit L ∈ N treffen zu können, müssen zunächst wieder die Eigenschaften des Prozesses

bestimmt werden. Die Herleitung ähnelt dabei ihrer Entsprechung für den Fall homogener Lagerartikel in Proposition 4.15. Der für L = 1 aufgezeigte Zusammenhang zu einem kapazitierten Warteschlangensystem gilt im verallgemeinerten Fall bei Unterscheidung der Artikel allerdings nicht mehr. In Kapitel 5 wird jedoch eine vergleichbare Analogie hergeleitet, indem das aggregierte Markov-Modell mit heterogenen Lagerartikeln auf ein geschlossenes Warteschlangennetz mit äquivalentem stationären Verhalten übertragen wird. Als Vorbereitung dafür wird an dieser Stelle zunächst die stationäre Verteilung von (n) Prozess (Zt )t≥0 mit L ∈ N aus Definition 4.17 bestimmt, deren Existenz sich aus der nachfolgenden Proposition ergibt. (n)

Proposition 4.18. Für jedes n ∈ {0, . . . , N } ist der stochastische Prozess (Zt )t≥0 mit L ∈ N eine homogene, irreduzible Markovkette in stetiger Zeit. Beweis. Die Herleitung erfolgt in Anlehnung an den Beweis von Proposition 4.15 mit L = 1, indem geprüft wird, ob die für den Spezialfall gezeigten Eigenschaften auch für beliebiges L ∈ N gelten. Dafür werden zunächst die Verteilungen der Verweildauern in

134

Kapitel 4 Stationäre Analyse der Lagerprozesse mittels Markovketten

allen Zuständen (b1 , . . . , bL ) ∈ E (n) sowie die Übergangswahrscheinlichkeiten des eingebetteten Sprungprozesses untersucht. Bei heterogenen Lagerartikeln ändert sich die Ermittlung der Verweildauern dahingehend, dass sich diese nun nicht mehr als Minimum der Zwischenankunftszeiten der E/AA eines Artikels, sondern aller Artikel  = 1, . . . , L ergeben. Aus der Annahme unabhängiger, exponentialverteilter Zwischenankunftszeiten für die Auftragsankünfte aller Artikel folgt auch in diesem Fall wieder eine Exponentialverteilung für die Verweildauern. Sofern es die aktuelle Belegung der Lagerplätze bis einschließlich Lagerplatz n erlaubt, führt die Ankunft eines EA oder AA für einen Artikel  zu einem Zustandswechsel. Im eingebetteten Sprungprozess gilt damit für die Wahrscheinlichkeiten der möglichen Übergänge aus den Zuständen (b1 , . . . , bL ) ∈ E (n) als Wahrscheinlichkeiten für das entsprechende Minimum unabhängiger, exponentialverteilter Zufallsvariablen, vgl. Shortle et al. (2018, S. 38): • Übergang durch EA von Artikel  in Zuständen {(b1 , . . . , bL ) | λ

=1,...,L:b >0

μ +

L

=1

L

=1 b

< n}:

λ

• Übergang durch AA von Artikel  in Zuständen {(b1 , . . . , bL ) | b > 0}: μ

=1,...,L:b >0

μ + 1{ L

b 0. Daraus wird ersichtlich, dass die Übergangswahrscheinlichkeiten auch im Fall heterogener Lagerartikel (n) nur vom aktuellen Zustand abhängen, sodass der verallgemeinerte Prozess (Zt )t≥0 mit L ∈ N ebenfalls die Markov-Eigenschaft erfüllt. Aus (4.14) resultieren damit wiederum (n) zeitinvariante Übergangsraten, sodass der Prozess (Zt )t≥0 mit L ∈ N nach wie vor eine homogene Markovkette in stetiger Zeit darstellt. Darüber hinaus handelt es sich um eine irreduzible Markovkette, da jeder Zustand (b1 , . . . , bL ) ∈ E (n) , d. h. jede beliebige Auf-

teilung der Anzahl belegter Lagerplätze auf die Artikelarten, durch eine entsprechende Abfolge von E/AA der betreffenden Artikel erreicht werden kann. Folglich ist der sto-

135

4.3 Markov-Modell für den Fall heterogener Lagerartikel

(0,0) λ1 µ1

λ2

(1,0) λ1 µ1

λ2

(2,0) λ1 µ1 (3,0)

λ2

k=0 µ2 (0,1)

µ2 λ1 µ 1

λ2

(1,1) µ2 λ1 µ 1 (2,1)

λ2

k=1 µ2 (0,2)

µ2 λ1 µ 1 (1,2)

λ2

k=2 µ2 (0,3)

k=3

(3)

Abbildung 4.12: Übergangsgraph des Prozesses (Zt )t≥0 mit L = 2 (n)

chastische Prozess (Zt )t≥0 auch für L ∈ N eine homogene, irreduzible Markovkette in stetiger Zeit. Da der Zustandsraum E (n) endlich ist, folgt zusammen mit Proposition 4.18 auch im Fall (n) heterogener Lagerartikel, dass die Grenzverteilung des Prozesses (Zt )t≥0 mit L ∈ N existiert und mit dessen eindeutiger stationärer Verteilung übereinstimmt. Da im verallgemeinerten Fall die Übertragung auf ein Warteschlangensystem nicht mehr gilt, wird die stationäre Verteilung im Folgenden über die Gleichgewichtsgleichungen hergeleitet. (n) Dafür wird zunächst die Übergangsstruktur des Prozesses (Zt )t≥0 mit L ∈ N genauer analysiert. (3)

Abbildung 4.12 zeigt beispielhaft den Übergangsgraphen des Prozesses (Zt )t≥0 mit L = 2, der den E/A-Prozess zweier Artikel bei Betrachtung der ersten drei Lagerplätze modelliert. Die erste Komponente b1 des Zustandsvektors bezeichnet darin die Anzahl mit Artikel  = 1 belegter Lagerplätze und die zweite Komponente b2 die mit Artikel  = 2 belegten. Die Übergänge zwischen den Zuständen folgen direkt aus der KFS. Sind unter den ersten drei Lagerplätzen noch geeignete Lagerplätze für die Ausführung eines ankommenden Lagerauftrags vorhanden, so wird der erste davon dem Lagerauftrag zugeordnet. Da sich Lageraufträge gemäß den Annahmen auf genau eine Lagereinheit beziehen, erhöhen oder reduzieren Übergänge die Gesamtanzahl belegter Lagerplätze, also das Level k, somit wieder um genau eine Lagereinheit. Daraus folgt direkt, dass sich die Randverteilung der Level auch im Fall heterogener Lagerartikel aus der stationären Verteilung der Kundenanzahl in einem M/M/1/n-Warteschlangensystem ergibt. Ankunfts- und Bedienrate sind nun jedoch die über alle Artikel  = 1, . . . , L kumulierten



Ankunftsraten der EA und AA, also λ = L=1 λ und μ = L=1 μ . Aus dem Übergangsgraphen in Abbildung 4.12 wird außerdem ersichtlich, dass Aufträge, die zu Artikel

136

Kapitel 4 Stationäre Analyse der Lagerprozesse mittels Markovketten

(b1 , . . . , b , . . . , bL ) λ μ

(b1 , . . . , b + 1, . . . , bL ) (n)

Abbildung 4.13: Übergänge zwischen Paaren von Zuständen in (Zt )t≥0  = 1 gehören, nur einen Einfluss auf die erste Zustandskomponente b1 haben und Aufträge von Artikel  = 2 auf die zweite Zustandskomponente b2 . Dieser Zusammenhang lässt sich verallgemeinern, da Übergänge durch Aufträge von Artikel  immer nur zu einer Änderung des Zustands in der -ten Komponente führen. Abbildung 4.13 zeigt (n) die allgemeine Übergangsstruktur des Prozesses (Zt )t≥0 mit L ∈ N, die sich auf paarweise Übergänge zwischen den Zuständen (b1 , . . . , b , . . . , bL ) und (b1 , . . . , b + 1, . . . , bL )

mit 0 ≤ L=1 b < n herunterbrechen lässt. Aus dieser regelmäßigen Übergangsstruktur (n) folgt für das stationäre Verhalten der Markovkette (Zt )t≥0 mit L ∈ N der in Satz 4.19 angegebene Zusammenhang.

(n)

Satz 4.19. Für jedes n ∈ {0, . . . , N } ist der Prozess (Zt )t≥0 mit L ∈ N eine reversible Markovkette und das lineare Gleichungssystem (n)

(n)

π(b1 ,...,bL ) = π(0,...,0) · n 





ρ b

=1

(n)

k=0 (b1 ,...,bL )∈E (n) : b1 +...+bL =k

L 

π(0,...,0) ·

L 

(b1 , . . . , bL ) ∈ E (n)

ρ b = 1



(4.25a) (4.25b)

=1

definiert mit den Verkehrsintensitäten ρ = μλ der Artikel  = 1, . . . , L dessen eindeutige (n) stationäre Verteilung π (n) = (π(b1 ,...,bL ) )(b1 ,...,bL )∈E (n) . Beweis. Wie in Abschnitt 2.5.1 angegeben, ist eine Markovkette genau dann reversibel, wenn für deren System lokaler Gleichgewichtsgleichungen eine Lösung existiert. Während im globalen Gleichgewicht gefordert wird, dass Eingangsrate und Ausgangsrate für jeden Zustand übereinstimmen, wird die Betrachtung in den lokalen Gleichgewichtsgleichungen hingegen auf Übergänge zwischen allen Paaren von Zuständen heruntergebrochen. Für (n) den Prozess (Zt )t≥0 mit L ∈ N ergibt sich das vollständige System lokaler Gleichgewichtsgleichungen somit direkt aus dessen Übergangsstruktur in Abbildung 4.13. (n)

(n)

λ · π(b1 ,...,b ,...,bL ) = μ · π(b1 ,...,b +1,...,bL ) ∀ (b1 , . . . , bL ) ∈ E (n) : 0 ≤

L

=1 b < n, ∀  = 1, . . . , L

(4.26)

137

4.3 Markov-Modell für den Fall heterogener Lagerartikel

Wie sich leicht verifizieren lässt, erfüllt die Verteilung π (n) , die über das Gleichungssystem (4.25a) zusammen mit der Normierungsbedingung (4.25b) definiert ist, das System der (n) lokalen Gleichgewichtsgleichungen in (4.26). Folglich ist der Prozess (Zt )t≥0 mit L ∈ N für jedes n ∈ {0, . . . , N } eine reversible Markovkette. Da lokales Gleichgewicht globales Gleichgewicht impliziert, vgl. Stewart (2009, S. 249), ergibt sich auch direkt, dass die Verteilung π (n) die globalen Gleichgewichtsgleichungen erfüllt und somit die eindeutige (n) stationäre Verteilung der Markovkette (Zt )t≥0 mit L ∈ N darstellt. (n)

Die stationäre Verteilung π (n) der Markovkette (Zt )t≥0 mit L ∈ N lässt sich also durch Lösen des Gleichungssystems (4.25) bestimmen. Ein entsprechender Algorithmus wird (n) nachfolgend noch vorgestellt. Sind die stationären Wahrscheinlichkeiten π(b1 ,...,bL ) für alle (b1 , . . . , bL ) ∈ E (n) bekannt, so bilden diese analog zum Fall homogener Lagerartikel die Grundlage für die Leistungsanalyse der Fördermittel. Im Fall heterogener Lagerartikel gilt dabei folgender Zusammenhang zwischen der stationären Verteilung π (n) und den Zugriffswahrscheinlichkeiten der Lagerplätze n. Korollar 4.20. Bei einem aus L ∈ N Artikeln bestehenden Lagersortiment ergeben sich die Ein- und Auslager-Zugriffswahrscheinlichkeiten PE (n) und PA (n) von Lagerplatz n ∈ {1, . . . , N } als PE (n) = PA (n) =



(b1 ,...,bL )∈E (n−1) : b1 +...+bL =n−1 L 1

μ =1



(n−1)



⎢ μ ⎢ ⎢ ⎣

π(b1 ,...,bL ) −



(b1 ,...,bL )∈E (n−1) : b =0

(n)

(b1 ,...,bL )∈E (n) : b1 +...+bL =n

(n−1)

π(b1 ,...,bL ) −

π(b1 ,...,bL )



(b1 ,...,bL )∈E (n) : b =0

(4.27a) ⎤ ⎥

π(b1 ,...,bL ) ⎥ ⎥ (n)

mit der nach (4.25) definierten stationären Verteilung π (n) und μ =

L

(4.27b)



=1

μ .

Beweis. Auch im Fall heterogener Lagerartikel gilt die PASTA-Eigenschaft, da die Überlagerung der unabhängigen Poisson-Prozesse je Artikel  ∈ {1, . . . , L} ebenfalls einen Poisson-Prozess bildet, vgl. z. B. Çınlar (1975, S. 87). Die Zugriffswahrscheinlichkeiten können also wieder basierend auf der stationären Verteilung π (n) berechnet werden. Wie anhand von Abbildung 4.11 bereits erläutert, ist die Auswahl eines Lagerplatzes für EA identisch zum Fall homogener Lagerartikel. Analog zum Beweis von Proposition 4.16 wird Lagerplatz n also auch für L ∈ N genau dann für einen ankommenden EA ausgewählt, wenn in der Sequenz alle Lagerplätze 1 bis n − 1, aber nicht alle Lagerplätze 1 bis n belegt sind. Unter Verwendung der stationären Verteilung π (n) der verallgemeinerten

138

Kapitel 4 Stationäre Analyse der Lagerprozesse mittels Markovketten (n)

Markovkette (Zt )t≥0 mit L ∈ N wird in (4.27a) die Berechnung der Einlager-Zugriffswahrscheinlichkeiten PE (n) aus (4.18a) auf den Fall heterogener Lagerartikel übertragen. Die Wahrscheinlichkeiten PE (n) ergeben sich danach für jeden Lagerplatz n als Differenzen der kumulierten stationären Wahrscheinlichkeiten über alle Zustände, in denen genau n − 1 der ersten n − 1 bzw. n der ersten n Lagerplätze belegt sind.

Die Auswahl eines Lagerplatzes n für einen ankommenden AA hängt hingegen davon ab, welcher Artikel  ausgelagert werden soll. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich ein ankommender AA auf Artikel  bezieht, ist durch die Wahrscheinlichkeit für das zugehörige Minimum der unabhängigen, exponentialverteilten Zwischenankunftszeiten der AA aller Artikel gegeben und entspricht somit der relativen Ankunftsrate μμ von Artikel , vgl. z. B. Shortle et al. (2018, S. 38). Darüber hinaus sei PA (n, ) die bedingte Wahrscheinlichkeit, dass Lagerplatz n ausgewählt wird, wenn der ankommende AA zu Artikel  gehört. Die Berechnung dieser artikelspezifischen Auslager-Zugriffswahrscheinlichkeiten PA (n, ) basiert auf der nachfolgenden Umformung der Menge von Ereignissen, die zu einer Auslagerung von Artikel  aus Lagerplatz n führen. {AA für Artikel  wird zum Zeitpunkt t aus Lagerplatz n ausgelagert}

= {Artikel  ist zum Zeitpunkt t nicht in 1, . . . , n − 1, aber in n eingelagert} (n−1)

= {(Zt

(n)

(n−1)

) = 0} ∩ {(Zt ) > 0} = {(Zt

(n)

) = 0} \ {(Zt ) = 0}

Einem ankommenden AA von Artikel  wird genau dann Lagerplatz n zugeordnet, wenn in der Sequenz bis einschließlich Lagerplatz n − 1 keine Lagereinheit und gleichzeitig bis einschließlich Lagerplatz n mindestens eine Lagereinheit von Artikel  eingelagert ist. Die letzte Umformung folgt dabei aus der Bildung der komplementären Ereignismenge, in der alle Zustände ohne eingelagerte Lagereinheiten von Artikel  in den Lagerplätzen 1 bis n betrachtet werden. Entsprechend lässt sich die artikelspezifische Auslager-Zugriffswahrscheinlichkeit PA (n, ) von Lagerplatz n folgendermaßen aus den stationären (n−1) (n) )t≥0 und (Zt )t≥0 mit L ∈ N bestimmen. Verteilungen der Markovketten (Zt PA (n, ) =



(b1 ,...,bL b =0

)∈E (n−1) :

(n−1)

π(b1 ,...,bL ) −



(b1 ,...,bL b =0

)∈E (n) :

(n)

π(b1 ,...,bL )

(n−1)

(n)

Die beiden Summen über die stationären Wahrscheinlichkeiten π(b1 ,...,bL ) bzw. π(b1 ,...,bL ) korrespondieren dabei direkt mit den obigen Ereignismengen. Nach dem Gesetz der tota-

139

4.3 Markov-Modell für den Fall heterogener Lagerartikel

len Wahrscheinlichkeit, vgl. z. B. Çınlar (1975, S. 15), ergibt sich schließlich die gesamte Auslager-Zugriffswahrscheinlichkeit PA (n) für Lagerplatz n als PA (n) =

L 1 μ · PA (n, ) μ =1

aus den bedingten Auslager-Zugriffswahrscheinlichkeiten PA (n, ) sowie den relativen Ankunftsraten aller Artikel  = 1, . . . , L. Zur Berechnung der Zugriffswahrscheinlichkeiten PE (n) und PA (n) muss also für jeden Lagerplatz n ∈ {1, . . . , N } die stationäre Verteilung π (n) der zugehörigen Markovkette (n) (Zt )t≥0 mit L ∈ N bestimmt werden. Der Aufbau dieser Verteilung in Gleichungssystem (4.25) ähnelt der typischen Produktform stationärer Verteilungen von Gordon-Newell-Netzen, siehe Abschnitt 2.5.2. Die stationäre Verteilung eines Gordon-Newell-Netzes bestehend aus L Wartesystemen mit je einem Bedienschalter und n zirkulierenden Kunden in (2.13) ist nahezu identisch zur stationären Verteilung π (n) in (4.25a). Der einzige Unterschied besteht zwischen den Normierungsbedingungen (2.15) und (4.25b). Für die (n) Markovkette (Zt )t≥0 muss zusätzlich über alle möglichen Ausprägungen k = 0, . . . , n für die Anzahl belegter Lagerplätze summiert werden, da in der Lageranwendung auch weniger als n Lagerplätze belegt sein können. Im Gordon-Newell-Netz ändert sich die Anzahl zirkulierender Kunden n im Zeitverlauf hingegen nicht. Diese Analogie lässt vermuten, dass die Berechnung der stationären Verteilung π (n) auf Lösungsmethoden für GordonNewell-Netze zurückgeführt werden kann. Eine effiziente, rekursive Berechnungsmethode für die Normierungskonstante in Gordon-Newell-Netzen stellt der Faltungsalgorithmus (FA) von Buzen (1973) dar, siehe Abschnitt 2.5.2. Die Ähnlichkeit zum FA wird (n) ersichtlich, wenn der Kehrwert der stationären Wahrscheinlichkeit π(0,...,0) als Normierungskonstante cΣ (n) gewählt wird. Aus der Normierungsbedingung (4.25b) ergibt sich somit folgender Zusammenhang: 

(n)

cΣ (n) := π(0,...,0)

−1

=

n 



L 

ρ b

(4.28)

k=0 (b1 ,...,bL )∈E (n) : =1 b1 +...+bL =k

Der Index Σ des Bezeichners verdeutlicht dabei die zusätzliche Summation über die Level k im Vergleich zur Normierungskonstanten c(n) des FA aus (2.16). Aufgrund dieses strukturellen Unterschieds muss der FA für die Bestimmung der stationären Verteilung π (n) angepasst werden. Analog zur Vorgehensweise im FA wird für die Berechnung der Normierungskonstanten cΣ (n) zunächst eine Rekursion hergeleitet, für die folgende Definition benötigt wird, vgl. Buzen (1973).

140

Kapitel 4 Stationäre Analyse der Lagerprozesse mittels Markovketten

Definition 4.21 (Reduzierter Zustandsraum). Für jeden Artikel  ∈ {1, . . . , L} sowie jeden Lagerplatz n ∈ {1, . . . , N } sei (n)

E

      bm = n, bm ∈ N0 für m = 1, . . . ,  



:= (b1 , . . . , b ) 

(4.29)

m=1

der auf  Artikel und n Lagerplätze reduzierte Zustandsraum. Dieser beinhaltet alle Belegungskombinationen (b1 , . . . , b ), in denen von der Teilmenge {1, . . . , } der Artikel genau n Lagerplätze belegt sind. Damit ergibt sich folgender Zusammenhang für die Normierungskonstante cΣ (n): 

(n)

cΣ (n) := π(0,...,0)

=

n−1 

−1

=

n 

L 

ρ  b +

k=0 (b ,...,b )∈E (k) =1 1 L L

= cΣ (n − 1) + = cΣ (n − 1) +

ρ b

k=0 (b1 ,...,bL )∈E (n) : =1 b1 +...+bL =k



= cΣ (n − 1) +

L 



n 



(n) (b1 ,...,bL )∈EL



$

%&

L−1 

n 

ρsL

n 

ρsL · c(n − s, L − 1)

s=0

s=0

ρ b

=1

=:c(n,L)

(n−s) =1 s=0 (b ,...,b 1 L−1 )∈EL−1



L 

(n−s)

(b1 ,...,bL−1 )∈EL−1

ρ b · ρsL

L−1 

'

ρ b

=1

(4.30)

Die Anfangswertbedingung lautet cΣ (0) = 1 und die Hilfsfunktion c(n , ) lässt sich un ter Verwendung der Anfangswerte c(n , 1) = ρn für n = 0, . . . , n und c(0, ) = 1 für  = 1, . . . , L mit folgender Rekursion70 aus dem FA von Buzen berechnen. n  

c(n , ) =

s=0

n  

ρs · c(n − s,  − 1) = ρ0 · c(n ,  − 1) + ρ

= c(n ,  − 1) + ρ

 −1 n

s=0

s=1

ρs−1 · c(n − s,  − 1) 

ρs · c(n − 1 − s,  − 1)

= c(n ,  − 1) + ρ · c(n − 1, )

(4.31)

In Algorithmus 4.3 sind beide Rekursionen für die Berechnung der stationären Verteilung π (n) zusammengefasst. Die Anpassung des FA besteht folglich darin, dass aus den 70

Die Herleitung der Rekursion lehnt sich an die Darstellung von Stewart (2009, S. 570) an.

4.3 Markov-Modell für den Fall heterogener Lagerartikel

141

Algorithmus 4.3: Angepasster FA Input: Anzahl betrachteter Lagerplätze n, Artikelanzahl L, Einlagerraten λ und Auslagerraten μ für alle Artikel  = 1, . . . , L Output: Stationäre Verteilung π (n) (∗ Initialisierung ∗) for n = 0 to n do  Setze c(n , 1) := ρn1 ; end for  = 1 to L do Setze c(0, ) := 1; end Setze cΣ (0) := 1; (∗ Rekursionen ∗) for  = 2 to L do for n = 1 to n do Berechne c(n , ) := c(n ,  − 1) + ρ · c(n − 1, ); end end for k = 1 to n do Setze cΣ (k) := cΣ (k − 1) + c(k, L); end for (b1 , . . . , bL ) ∈ E (n) do (n) (n) Berechne π(b1 ,...,bL ) nach (4.25a) mit π(0,...,0) := (cΣ (n))−1 ; end Hilfsgrößen c(n , ) zusätzlich noch die Normierungskonstanten cΣ (k) für k = 0, . . . , n berechnet werden müssen. Die Laufzeitkomplexität für die Bestimmung der Normierungskonstanten cΣ (n) der Mar(n) kovkette (Zt )t≥0 mit L ∈ N und festem n ∈ {1, . . . , N }, d. h. von Algorithmus 4.3 exklusive der letzten Schleife über alle Zustände (b1 , . . . , bL ) ∈ E (n) , beträgt somit genau wie für den FA von Buzen O (nL), vgl. Conway und Georganas (1986). Wie vorab erläutert, wird für die Leistungsanalyse der Fördermittel die stationäre Verteilung π (n) für jeden Lagerplatz n ∈ {1, . . . , N } benötigt. Zusammen mit der Berechnung der stationären (n) Wahrscheinlichkeiten π(b1 ,...,bL ) für alle Zustände (b1 , . . . , bL ) ∈ E (n) ist die Laufzeit von Algorithmus 4.3 aufgrund der Kardinalität des Zustandsraums E (n) aus (4.24) allerdings nicht mehr polynomial. Dies gilt folglich auch für die darauf basierende Berechnung der Zugriffswahrscheinlichkeiten PE (n) und PA (n) der Lagerplätze n nach Korollar 4.20.

Dieser Ansatz für die stochastische Analyse des E/A-Prozesses unter KFS bildet das finale Resultat des Kapitels zur Modellierung von Lagerprozessen unter Verwendung von Markovketten. In Abschnitt 4.2 wurde zunächst der Fall homogener Lagerartikel

142

Kapitel 4 Stationäre Analyse der Lagerprozesse mittels Markovketten

(L = 1) betrachtet. Für diesen Fall wurde ein detailliertes Modell entwickelt, welches die stationäre Verteilung für alle möglichen Belegungsmuster der Lagerplätze bestimmt. Aufgrund des exponentiellen Wachstums des zugehörigen Zustandsraums eignet sich dieses Modell allerdings nicht für Lagerinstanzen praxisrelevanter Größenordnung. Alternativ konnte daraus jedoch eine Vorgehensweise abgeleitet werden, die Zugriffswahrscheinlichkeiten auf der Grundlage aggregierter und abgeschnittener Versionen der stochastischen Prozesse zu bestimmen. Diese aggregierte Modellierung führt zu einer Reduktion des Zustandsraums und ermöglicht somit auch eine Analyse deutlich größerer Lagerinstanzen. In Abschnitt 4.3 wurde das aggregierte Modell schließlich auf den praxisrelevanten Fall heterogener Lagerartikel (L ∈ N) übertragen. Alle Modelle in diesem Kapitel sind

als Markovketten in stetiger Zeit formuliert. Für die darauf aufbauende Leistungsanalyse der Fördermittel wurde die stationäre Verteilung daher als Lösung der zugehörigen Gleichgewichtsgleichungen ermittelt. Im Fall heterogener Lagerartikel zeigte sich dabei eine Analogie zu Gordon-Newell-Netzen. Diese konnte dazu genutzt werden, ein Verfahren zur Bestimmung der stationären Verteilung zu entwickeln, das den aus der Warteschlangentheorie bekannten FA von Buzen erweitert. Die Analogie liefert darüber hinaus noch die Idee, wie sich der E/A-Prozess unter KFS direkt mittels geschlossener Warteschlangennetze modellieren lässt. Diese Modellierungsweise führt zu einem effizienteren und verallgemeinerbaren Ansatz für die stationäre Analyse des E/A-Prozesses, der im folgenden Kapitel näher vorgestellt wird.

Kapitel 5 Modellierung mittels geschlossener Warteschlangennetze Die Modelle aus dem letzten Kapitel basieren auf zeitstetigen Markovketten, die individuell an die Lageranwendung angepasst wurden. Aus der Lösungsmethode in Algorithmus 4.3 für das aggregierte Modell bei heterogenen Lagerartikeln, die sich an den FA für geschlossene Warteschlangennetze anlehnt, wurde bereits eine Analogie zu diesen warteschlangentheoretischen Modellen offenbar. Diese Analogie wird im vorliegenden Kapitel weiter ausgenutzt, um ein Modell für den E/A-Prozess unter KFS zu entwickeln, welches direkt auf den Modellierungskonzepten der Warteschlangentheorie aus Abschnitt 2.5.2 basiert. Zunächst wird dabei die Annahme Poissonscher Auftragsankünfte aufrecht erhalten. Für diesen Fall wird in Abschnitt 5.1 ein auf Gordon-Newell-Netzen basierendes Modell vorgestellt, dessen stationäres Verhalten äquivalent zu dem der aggregierten Markovketten aus dem vorigen Kapitel ist. Diese Modellierungsidee wird in Abschnitt 5.2 approximativ auf allgemeine geschlossene Warteschlangennetze übertragen. Dieser verallgemeinerte Ansatz ermöglicht schließlich auch eine stationäre Analyse der Lagerprozesse im praxisrelevanten Fall allgemein verteilter Zwischenankunftszeiten der Lageraufträge.

5.1 Gordon-Newell-Netze Am Ende des letzten Kapitels wurde für den E/A-Prozess unter KFS bei heterogenen Lagerartikeln (L ∈ N) ein Modell präsentiert, das auf den aggregierten Markovketten (n) (Zt )t≥0 basiert. Für jedes n ∈ {1, . . . , N } bildet dieser stochastische Prozess die zeitliche Entwicklung der nach den Artikeln  = 1, . . . , L differenzierten Anzahl belegter Lagerplätze unter den ersten n Lagerplätzen der Sequenz ab. Darauf aufbauend muss

© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2021 A. Heßler, Stochastische Leistungsanalyse von Lagersystemen, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31811-6_5

144

Kapitel 5 Modellierung mittels geschlossener Warteschlangennetze

im Rahmen der Leistungsanalyse für jeden Lagerplatz n das stationäre Verhalten einer individuell auf die Lageranwendung zugeschnittenen Markovkette bestimmt werden. Wie bereits im letzten Abschnitt erläutert, besteht jedoch ein struktureller Zusammen(n) hang zwischen den Markovketten (Zt )t≥0 und geschlossenen Warteschlangennetzen mit exponentialverteilten Bedienzeiten, den Gordon-Newell-Netzen. Unter Ausnutzung dieser Analogie wird nachfolgend eine alternative Modellierungsweise vorgestellt, mit der sich der E/A-Prozess direkt mittels geschlossener Warteschlangennetze darstellen lässt. Ein wesentlicher Vorteil dieses Ansatzes besteht darin, dass für die stationäre Analyse auf effiziente Standardmethoden aus der Warteschlangentheorie zurückgegriffen werden kann.

5.1.1 Modellbildung Wie aus Abschnitt 4.3 hervorgeht, gilt die Analogie zwischen den aggregierten Markovket(n) ten (Zt )t≥0 und Gordon-Newell-Netzen nicht vollumfänglich, da in geschlossenen Warteschlangennetzen immer genau n Kunden zirkulieren, wohingegen in der Lageranwendung von den betrachteten n Lagerplätzen nicht immer alle belegt sein müssen. Deshalb wird die Modellierung nun so angepasst, dass nicht nur die Anzahl belegter, sondern zusätzlich auch die Anzahl freier Lagerplätze unter den ersten n Lagerplätzen in den stochastischen Prozess miteinbezogen wird. Auf diese Weise bleibt die Gesamtanzahl der Lagerplätze immer konstant und zu jedem Zeitpunkt t befindet sich jeder der n Lagerplätze in einem der folgenden L + 1 Belegungszustände: • Lagerplatz n frei oder • Lagerplatz n belegt von Artikel  ∈ {1, . . . , L} (n)

Für jedes n ∈ {0, . . . , N } kann der Zustandsraum E (n) der Markovkette (Zt )t≥0 mit L ∈ N aus (4.23) folglich äquivalent dargestellt werden als 



 L+1 (n)   b = n, b ∈ N0 für  = 1, . . . , L + 1 EL+1 := (b1 , . . . , bL+1 )  =1



(5.1)

mit bL+1 als Anzahl freier Lagerplätze unter den ersten n Lagerplätzen. Diese zusätzliche Komponente in den Zustandsvektoren dient wie Schlupfvariablen in Optimierungsproblemen dazu, eine Ungleichungs- in eine Gleichungsbedingung zu überführen. Für die Trans

formation zwischen den Zustandsrepräsentationen gilt also immer bL+1 = n − L=1 b . (n) aus (4.23) bleiben durch diese Verglichen mit dem ursprünglichen Zustandsraum E Anpassung sowohl die Gesamtanzahl an Zuständen als auch die Bedeutung der einzelnen

145

5.1 Gordon-Newell-Netze (n)

(n)

Zustände in EL+1 unverändert. Nach (2.12) entspricht der neue Zustandsraum EL+1 nun jedoch dem Zustandsraum eines geschlossenen Warteschlangennetzes mit L+1 Wartesystemen und n zirkulierenden Kunden. Die neue Zustandsrepräsentation bildet somit die Grundlage für die Konstruktion von Gordon-Newell-Netzen, deren stationäres Verhalten (n) äquivalent zu dem der Markovketten (Zt )t≥0 mit L ∈ N und n ∈ {0, . . . , N } ist. Im Folgenden wird detailliert beschrieben, wie dies durch geeignete Wahl der Parameter in den Warteschlangennetzen erreicht werden kann. Die Korrektheit der nachfolgenden Überlegungen wird später in Satz 5.3 durch den Nachweis der Übereinstimmung der stationären Verteilungen in beiden Repräsentationen des E/A-Prozesses gezeigt werden. (n)

Unter Verwendung des neuen Zustandsraums EL+1 aus (5.1) können die n betrachteten (n) Lagerplätze der entsprechenden Markovkette (Zt )t≥0 mit L ∈ N als Kunden modelliert werden, die in einem geschlossenen Warteschlangennetz zirkulieren. Dabei repräsentiert Kunde n = 1, . . . , n aber nicht explizit den zugehörigen Lagerplatz n aus der Sequenz 1 bis n von Lagerplätzen, sondern steht stellvertretend für einen beliebigen Lagerplatz innerhalb dieser Sequenz. Wie vorab beschrieben, kann jeder Lagerplatz im zeitlichen Verlauf entweder frei oder von einem Artikel  ∈ {1, . . . , L} belegt sein, d. h., er kann

L + 1 verschiedene Belegungszustände einnehmen. Freie Lagerplätze werden dabei im Folgenden genauso gehandhabt wie belegte Lagerplätze, indem der Menge der Artikel ein fiktiver Artikel L + 1 hinzugefügt wird. Da für die Leistungsanalyse die Anzahlen

an Lagerplätzen in den jeweiligen Belegungszuständen  ∈ {1, . . . , L + 1} von Interesse sind, wird jeder Belegungszustand  im Warteschlangennetz als Wartesystem modelliert. Dabei besteht jedes Wartesystem  aus einer Bedienstation mit einem Bedienschalter und einer vorgelagerten unbeschränkten Warteschlange. Alle Kunden, die sich in Wartesystem  aufhalten, repräsentieren somit die Lagerplätze, die sich im zugehörigen Belegungszustand  befinden. Mit Lagerplätzen als Kunden und Belegungszuständen als Wartesystemen entspricht der Zustandsraum dieses geschlossenen Warteschlangennetzes (n) folglich dem Zustandsraum EL+1 der Lageranwendung aus (5.1). Ändert im Zeitverlauf einer der ersten n Lagerplätze seinen Belegungszustand von  nach  , so ist dies im Warteschlangennetz gleichbedeutend damit, dass ein Kunde von Wartesystem  zu Wartesystem  wechselt. Dieser Wechsel wird durch die Ankunft eines EA für Artikel  oder eines AA für Artikel  ausgelöst. Damit korrespondieren die Bedienzeiten an den Bedienstationen ähnlich wie im aggregierten M/M/1/n-Modell für L = 1 aus Proposition 4.15 mit den Zwischenankunftszeiten der Lageraufträge. Wie die Zwischenankunfts- und Bedienzeiten genau zusammenhängen, wird nachfolgend noch näher erläutert. Die vorab beschriebene Übertragung der Größen der Lageranwendung mit

146

Kapitel 5 Modellierung mittels geschlossener Warteschlangennetze

Lageranwendung

Warteschlangennetz

Anzahl n betrachteter Lagerplätze

Anzahl n zirkulierender Kunden

Belegungszustand  ∈ {1, . . . , L + 1}

Wartesystem  ∈ {1, . . . , L + 1}

Zwischenankunftszeiten Lageraufträge

Bedienzeiten

Änderung Belegungszustand von  nach 

Wechsel Wartesystem von  nach 

Tabelle 5.1: Zusammenhänge zwischen Lageranwendung und Warteschlangennetz L ∈ N Artikeln auf die Komponenten eines geschlossenen Warteschlangennetzes ist in Tabelle 5.1 zusammengefasst. Zur vollständigen Festlegung des Warteschlangennetzes fehlen noch zwei Komponenten. Zum einen ist das die Netzstruktur zusammen mit den Routing-Wahrscheinlichkeiten r zwischen allen Wartesystemen ,  = 1, . . . , L + 1 und zum anderen die Verteilung der Bedienzeiten an den Bedienstationen. Zunächst werden die Übergänge der Markovkette (n) (Zt )t≥0 aus Abbildung 4.13 auf das Warteschlangennetz übertragen. Die Anzahl von Lagerplätzen je Belegungszustand  ∈ {1, . . . , L + 1} ändert sich genau dann, wenn La-

geraufträge in einem der ersten n Lagerplätze ausgeführt werden. Im Warteschlangennetz ist das gleichbedeutend damit, dass ein Kunde das Wartesystem wechselt. Welche Auftragsart zum Abgang eines Kunden aus Wartesystem  führt, hängt dabei folgendermaßen vom zugehörigen Belegungszustand  ab. • Wartesystem  ∈ {1, . . . , L}:

Die Kunden in Wartesystem  entsprechen den Lagerplätzen, die mit einer Lagereinheit von Artikel  belegt sind. Sofern sich also mindestens ein Kunde in Wartesystem  befindet, erfolgt bei Ankunft des nächsten AA von Artikel  ein Wechsel, da einer der bisher von Artikel  belegten Lagerplätze durch die Ausführung des AA frei wird. Im Warteschlangennetz bedeutet dies, dass ein Kunde von Wartesystem  zu Wartesystem L + 1 wechselt.

• Wartesystem  = L + 1: Die Kunden in Wartesystem L + 1 repräsentieren die freien Lagerplätze. Befindet sich mindestens ein Kunde in Wartesystem L + 1, so verlässt ein Kunde dieses System bei Ankunft des nächsten EA für einen beliebigen Artikel  ∈ {1, . . . , L}, da einer der bisher freien Lagerplätze nach der Ausführung des EA belegt ist. In welches Wartesystem  der Wechsel erfolgt, hängt in diesem Fall davon ab, zu welchem Artikel  der EA gehört.

147

5.1 Gordon-Newell-Netze 2

−1

L+ 1) (−

1)

...

r (L

1

r(

)2 +1

1

1

1 r(L+1)

L+1

r(L+1)1



1 L+ 1) L

r(

1

L

...

) +1 )( +1

r (L

1

+1

Abbildung 5.1: Struktur des Gordon-Newell-Netzes bei L Artikeln

Aus diesen Wechselmöglichkeiten ergibt sich direkt folgende Festlegung der RoutingWahrscheinlichkeiten r zwischen allen Wartesystemen ,  = 1, . . . , L + 1.

r =

⎧ ⎪ ⎪ 1, ⎪ ⎪ ⎨ λ

 , λ ⎪ ⎪ ⎪ ⎪ ⎩0, 

falls  ∈ {1, . . . , L} und  = L + 1 falls  = L + 1 und  ∈ {1, . . . , L}

(5.2)

sonst

Auslagerungen führen für jeden Artikel  ∈ {1, . . . , L} immer zu einem Wechsel von Wartesystem  zu Wartesystem L + 1. Durch Einlagerungen ausgelöste Abgänge aus Wartesystem L + 1 hängen hingegen von der Wahrscheinlichkeit ab, mit der sich ein ankommender EA auf Artikel  ∈ {1, . . . , L} bezieht. Aufgrund der unabhängigen Poissonschen Ankünfte der EA entspricht diese Wahrscheinlichkeit wieder stets der relativen

Ankunftsrate λλ von Artikel  mit λ = L=1 λ . Andere Übergänge sind gemäß den getroffenen Annahmen nicht möglich. Für ein Lagersystem mit L Artikeln zeigt Abbildung 5.1 die Struktur des zugehörigen Warteschlangennetzes mit L + 1 Wartesystemen, die unabhängig von der Anzahl n betrachteter Lagerplätze der Sequenz ist. Wird das MarkovModell aus Abschnitt 4.3 für die Leistungsanalyse bei L Artikeln verwendet, so muss für (n) jedes n ∈ {0, . . . , N } das stationäre Verhalten der zugehörigen Markovkette (Zt )t≥0 ausgewertet werden. In der auf Warteschlangennetzen basierenden Modellierung ist dies gleichbedeutend damit, dass in der einheitlichen Netzstruktur aus Abbildung 5.1 die Anzahl n zirkulierender Kunden variiert wird.

148

Kapitel 5 Modellierung mittels geschlossener Warteschlangennetze

Es bleibt abschließend noch zu prüfen, ob die Bedienzeiten aller Wartesysteme exponentialverteilt sind, sodass es sich bei dem geschlossenen Warteschlangennetz auch tatsächlich um ein Gordon-Newell-Netz handelt. In der vorliegenden Modellierung umfasst jedes Wartesystem  ∈ {1, . . . , L + 1} genau einen Bedienschalter und ein Kunde verlässt ein System , wenn dessen Bedienung abgeschlossen ist. Da Abgänge von Kunden aus den Wartesystemen, wie vorab gezeigt, durch Ankünfte von Lageraufträgen ausgelöst werden, hängen die Bedienzeiten also mit den Zwischenankunftszeiten der Aufträge zusammen. Annahmegemäß folgen die Ankünfte der E/AA unabhängigen Poisson-Prozessen. Somit sind sowohl die Zwischenankunftszeiten als auch die Restwartezeiten auf den nächsten EA bzw. AA von Artikel  exponentialverteilt und zwar mit identischer Rate λ bzw. μ . Welche Auftragsarten für die Bedienzeiten in den Wartesystemen  = 1, . . . , L + 1 maßgeblich sind, folgt dabei direkt aus der vorab erläuterten Struktur des Warteschlangennetzes. • Wartesystem  ∈ {1, . . . , L}: Ein Kunde verlässt Wartesystem  bei Ankunft eines AA von Artikel . Damit entspricht die Bedienzeit von Wartesystem  der Zwischenankunftszeit dieser Lageraufträge und ist somit gleichermaßen exponentialverteilt mit Rate μ . • Wartesystem L + 1: Unabhängig vom zugehörigen Artikel  ∈ {1, . . . , L} führt die Ankunft eines EA

zum Abgang eines Kunden aus Wartesystem L + 1. Die Bedienzeit entspricht folglich der minimalen Zwischenankunftszeit aller EA. Damit ist auch die Bedienzeit von Wartesystem L + 1 exponentialverteilt mit der über alle Artikel kumulierten Ankunftsrate λ als Bedienrate.

Zusammengefasst zeigt dies, dass das geschlossene Warteschlangennetz, welches sich aus der Modellierung der Lageranwendung ergibt, ein Gordon-Newell-Netz ist, da die Bedienzeiten aller Wartesysteme  exponentialverteilt sind mit den folgenden Bedienraten ε . ε  = μ ,

 = 1, . . . , L

εL+1 = λ

(5.3a) (5.3b)

Damit sind alle Bestandteile festgelegt, die zur vollständigen Beschreibung eines geschlossenen Warteschlangennetzes notwendig sind. Zusammenfassend ergibt sich folgende Definition für die vorab hergeleiteten Gordon-Newell-Netze, auf denen die Modellierung des E/A-Prozesses bei Anwendung der KFS beruht.

5.1 Gordon-Newell-Netze

149

Definition 5.1 (Warteschlangennetze zur Modellierung des E/A-Prozesses). Für gegebenes L ∈ N sei G(n) das Gordon-Newell-Netz mit folgenden Eigenschaften. In dem aus L + 1 Wartesystemen bestehenden geschlossenen Warteschlangennetz zirkulieren n ∈ N0 Kunden. Jedes Wartesystem  ∈ {1, . . . , L + 1} umfasst genau eine Bedienstation und die Bedienzeiten sind exponentialverteilt mit Bedienrate ε aus (5.3). Die möglichen Wechsel zwischen allen Wartesystemen ,  = 1, . . . , L + 1 ergeben sich aus den RoutingWahrscheinlichkeiten r in (5.2). Anhand eines Beispiels soll nachfolgend der Zusammenhang zwischen einer Lageranwendung mit L Artikeln und ihrer Modellierung als Warteschlangennetz veranschaulicht werden. Dafür wird die Ausführung von E/AA im Lagersystem bei Betrachtung der ersten n Lagerplätze den entsprechenden Übergängen im zugehörigen Gordon-Newell-Netz G(n) gegenübergestellt. Beispiel 5.2. In einem Lagersystem werden L = 2 verschiedene Artikel gelagert und der E/A-Prozess ist nach der KFS organisiert. Es soll nun gezeigt werden, wie sich die Belegung der Lagerplätze durch die Ausführung von Lageraufträgen ändert und welche Zustände im zugehörigen Warteschlangennetz den jeweiligen Belegungsmustern entsprechen. Aus der Artikelanzahl L folgt direkt, dass sich das Warteschlangennetz aus L+1 = 3 Wartesystemen zusammensetzt. Konkret wird auf die Instanz G(5) eingegangen, in der die Belegungszustände der ersten n = 5 Lagerplätze berücksichtigt werden. Ausgehend von einer beliebig gewählten Anfangsbelegung der Lagerplätze sind in Abbildung 5.2a die Änderungen der Belegungszustände dargestellt, die sich einerseits aus der Einlagerung einer Lagereinheit von Artikel  = 2 und andererseits aus der Auslagerung einer Lagereinheit von Artikel  = 1 ergeben. Um den Zusammenhang zur Modellierung aufzuzeigen, werden diesen Belegungsmustern in Abbildung 5.2b die zugehörigen Zustände des Warteschlangennetzes G(5) mit n = 5 Kunden gegenübergestellt. Diese Zustände werden in Abbildung 5.2b durch eine entsprechende Aufteilung der n = 5 Kunden, dargestellt durch Marken, auf die drei Wartesysteme spezifiziert. In der Ausgangssituation seien die Lagerplätze 1 und 3 von Artikel  = 1 sowie Lagerplatz 4 von Artikel  = 2 belegt. Im Warteschlangennetz G(5) entspricht das dem Zustand, in dem sich in den Wartesystemen  = 1 (von Artikel  = 1 belegte Lagerplätze) und  = 3 (freie Lagerplätze) jeweils zwei Kunden befinden und in  = 2 ein Kunde, und zwar ungeachtet dessen, um welche Lagerplätze es sich dabei konkret handelt. Trifft in dieser Situation ein EA ein, so wird die zugehörige Lagereinheit in den ersten freien Lagerplatz in der Sequenz, im vorlie1 , der relativen genden Fall also Lagerplatz 2, eingelagert. Mit Wahrscheinlichkeit λ1λ+λ 2 2 zu Ankunftsrate von Artikel  = 1, gehört dieser EA zu Artikel  = 1 bzw. mit λ1λ+λ 2

150

Kapitel 5 Modellierung mittels geschlossener Warteschlangennetze

1

1

···

2

Einlagerung von  = 2 1

2

1

Auslagerung von  = 1 ···

2

1

2

···

(a) Sequenz von Lagerplätzen

1

=1

1

=3

λ1 λ1 +λ2

=2

λ2 λ1 +λ2

Einlagerung von  = 2 =1

1 λ1 λ1 +λ2

=3

Auslagerung von  = 1 1

=2

1

=1

λ2 λ1 +λ2

λ1 λ1 +λ2

=3

1

=2

λ2 λ1 +λ2

(b) Warteschlangennetz G(5)

Abbildung 5.2: Beispiel zur Ausführung von Lageraufträgen mit L = 2 und n = 5 Artikel  = 2. Angenommen, der nächste Auftrag sei ein EA von Artikel  = 2, so ist dies im Warteschlangennetz G(5) gleichbedeutend damit, dass die Bedienung des Kunden in der Bedienstation von Wartesystem  = 3 fertiggestellt wird und dieser daraufhin zu Wartesystem  = 2 wechselt. Trifft in der Ausgangssituation hingegen ein AA für Artikel  = 1 ein, so wird diesem mit Lagerplatz 1 der erste Lagerplatz in der Sequenz zugewiesen, der eine Lagereinheit des betreffenden Artikels enthält. Im Warteschlangennetz G(5) endet damit die Bedienung des Kunden in Wartesystem  = 1. Dieser Kunde wechselt daraufhin zu Wartesystem  = 3, da Lagerplatz 1 frei wird.

Die Gordon-Newell-Netze G(n) stellen somit eine alternative Möglichkeit dar, die aggregierte Lagerbelegung von Teilsequenzen der Lagerplätze im Zeitverlauf zu modellieren. Für die Leistungsanalyse der Fördermittel wird wiederum das stationäre Verhalten dieser Lagerbelegung benötigt, das im nächsten Abschnitt näher betrachtet wird.

5.1.2 Stationäre Analyse (n)

Im Folgenden wird die stationäre Verteilung πG für das Warteschlangennetz G(n) aus Definition 5.1 hergeleitet und anschließend gezeigt, dass diese mit der stationären Ver-

151

5.1 Gordon-Newell-Netze (n)

teilung π (n) der Markovkette (Zt )t≥0 übereinstimmt. Daraus folgt schließlich, dass die Leistungsanalyse bei gegebenem Sortimentsumfang von L Artikeln auch basierend auf dieser alternativen Modellierungsweise durchgeführt werden kann. Wie im letzten Abschnitt aufgezeigt, erfüllen die Warteschlangennetze G(n) die Eigenschaften von GordonNewell-Netzen, sodass für deren stationäre Analyse folglich auf bekannte Methoden aus der Warteschlangentheorie zurückgegriffen werden kann, siehe Abschnitt 2.5.2. Die nachfolgende Herleitung der stationären Verteilung für den vorliegenden Anwendungsfall lehnt sich an die allgemeinen Ausführungen in Bolch et al. (2006, S. 346 ff.) an. Im Warteschlangennetz G(n) erfolgen ausgehend von allen Wartesystemen  = 1, . . . , L mit r > 0 Wechsel in ein Wartesystem  ∈ {1, . . . , L + 1}. Diese Ankünfte überlagern sich folglich an Wartesystem  . Deshalb müssen im ersten Schritt die Gesamtankunftsraten κ an allen Wartesystemen  über die Verkehrsgleichungen aus (2.14) bestimmt werden. Mit den Übergangswahrscheinlichkeiten r aus (5.2) ergibt sich für das Warteschlangennetz G(n) folgendes Gleichungssystem. κ = κL+1 · r(L+1) = κL+1 · κL+1 =

L  =1

κ · r(L+1) =

L 

λ , λ

( = 1, . . . , L)

κ

(5.4a) (5.4b)

=1

Wie aus Abbildung 5.1 hervorgeht, ist das Warteschlagennetz G(n) zusammenhängend, sodass die Lösung der unterbestimmten Verkehrsgleichungen bis auf einen konstanten Faktor eindeutig ist. Beispielsweise erfüllen die folgenden Gesamtankunftsraten κ das Gleichungssytem in (5.4). κ = λ ,

 = 1, . . . , L

κL+1 = λ

(5.5a) (5.5b)

Auf die übliche Normierung der Gesamtankunftsraten, siehe Abschnitt 2.5.2, wird im vorliegenden Fall verzichtet, um den direkten Zusammenhang zu den Ankunftsraten λ für EA von Artikel  beizubehalten. Die weitere Vorgehensweise bleibt davon jedoch unberührt, da alle nachfolgenden Berechnungen nicht von der konkreten Lösung der Verkehrsgleichungen abhängen. Aus den Gesamtankunftsraten in (5.5) wird folgende Analogie zu den Ankünften der Lageraufträge ersichtlich. • Wartesystem  ∈ {1, . . . , L}: Nach (5.5a) stimmt der Ankunftsprozess an Wartesystem  mit dem Poisson-Prozess der EA des zugehörigen Artikels  überein.

152

Kapitel 5 Modellierung mittels geschlossener Warteschlangennetze

• Wartesystem L + 1: Der Ankunftsprozess an Wartesystem L + 1 entspricht nach (5.5b) der Überlagerung der unabhängigen Poissonschen Ankunftsprozesse für die EA aller Artikel  = 1, . . . , L. Für die Wartesysteme  = 1, . . . , L ist dieser Zusammenhang direkt aus der Anwendung heraus nachvollziehbar. In Wartesystem L + 1 erscheint hingegen auf den ersten Blick ein Bezug zu den Ankünften von AA am Lagersystem naheliegender. Der angegebene Zusammenhang zu den EA resultiert jedoch aus der Annahme, dass nicht ausführbare Lageraufträge bei ihrer Ankunft abgewiesen werden. Daraus folgt, dass im stochastischen Gleichgewicht die effektiven Ankunftsraten der EA und AA, die sich auf die Ankünfte ausführbarer Lageraufträge beziehen, je Artikel  übereinstimmen. Anschaulich bedeutet dies, dass einerseits nur Lagereinheiten ausgelagert werden können, die vorab eingelagert wurden, und andererseits nur in Lagerplätze eingelagert werden kann, aus denen im Vorfeld eine Lagereinheit ausgelagert wurde. (n)

Im nächsten Schritt wird die stationäre Verteilung πG der Warteschlangennetze G(n) mit n ∈ {0, . . . , N } bestimmt. Wie vorab gezeigt, handelt es sich bei den G(n) um Gordon-Ne(n) (n) well-Netze. Die stationäre Verteilung πG = (π(b1 ,...,bL+1 ) )(b1 ,...,bL+1 )∈E (n) ergibt sich somit L+1 aus der charakteristischen Produktform in Verbindung mit der Normierungsbedingung, siehe Abschnitt 2.5.2. (n)

π(b1 ,...,bL+1 ) = 

L+1  1 · ρ  b c(n, L + 1) =1

(n)

(b1 ,...,bL+1 )∈EL+1

L+1  1 · ρ b = 1 c(n, L + 1) =1



(n)

(b1 , . . . , bL+1 ) ∈ EL+1



(5.6a) (5.6b)

Dabei bezeichnet c(n, L + 1) die Normierungskonstante des Warteschlangennetzes G(n) und ρ = κε die Verkehrsintensität von Wartesystem  ∈ {1, . . . , L + 1}. Mit den Gesamtankunftsraten κ aus (5.5) und den Bedienraten ε aus (5.3) resultieren im vorliegenden Fall die folgenden Verkehrsintensitäten ρ . ρ = ρL+1

κ λ ≤1 = ε λ κL+1 = =1 εL+1 (n)

( = 1, . . . , L)

(5.7a) (5.7b)

Damit ist die stationäre Verteilung πG der Warteschlangennetze G(n) für n ∈ {0, . . . , N } über Gleichungssystem (5.6) eindeutig festgelegt. Auf die konkrete Berechnung der stationären Wahrscheinlichkeiten wird nachfolgend noch näher eingegangen. Zuvor wird

153

5.1 Gordon-Newell-Netze

jedoch in Satz 5.3 der bereits angedeutete Zusammenhang zwischen den stationären Ver(n) teilungen des Warteschlangennetzes G(n) und der aggregierten Markovkette (Zt )t≥0 aus Abschnitt 4.3 bei gleicher Anzahl betrachteter Lagerplätze n und gleicher Sortimentsgröße L ∈ N hergeleitet. (n)

Satz 5.3. Sei π(b1 ,...,bL ) die stationäre Wahrscheinlichkeit für einen beliebigen Zustand (n) (b1 , . . . , bL ) ∈ E (n) von Prozess (Zt )t≥0 mit n ∈ {0, . . . , N } aus (4.25). Dann gilt für (n) die stationäre Wahrscheinlichkeit des entsprechenden Zustands (b1 , . . . , bL+1 ) ∈ EL+1 im (n) Warteschlangennetz G (n)



(n)

π(b1 ,...,bL+1 ) = π(b1 ,...,bL )

(n)

(b1 , . . . , bL+1 ) ∈ EL+1



(5.8)

mit bL+1 = n − L=1 b als der Anzahl freier Lagerplätze unter den ersten n Lagerplätzen. (n) Somit stimmen die stationären Verteilungen πG und π (n) des Warteschlangennetzes G(n) (n) bzw. der Markovkette (Zt )t≥0 mit n ∈ {0, . . . , N } bis auf die Bezeichnung der Zustände überein. Beweis. Wegen ρL+1 = 1 aus (5.7b) gilt im Gleichungssystem (5.6) für die stationären (n) Wahrscheinlichkeiten π(b1 ,...,bL+1 ) des Warteschlangennetzes G(n) mit n ∈ {0, . . . , N } L+1 

ρ b =

=1

L 

ρ b

(5.9)

=1 (n)

(n)

Folglich ist die Berechnung der stationären Wahrscheinlichkeiten π(b1 ,...,bL+1 ) und π(b1 ,...,bL ) in (4.25a) bzw. (5.6a) genau dann identisch, wenn auch die zugehörigen Normierungs(n) konstanten übereinstimmen. Im Zuge der Festlegung des Zustandsraums EL+1 in (5.1) wurde bereits gezeigt, dass jedem Zustand (b1 , . . . , bL ) ∈ E (n) ein äquivalenter Zustand

(n) (b1 , . . . , bL+1 ) ∈ EL+1 mit bL+1 = n − L=1 b zugeordnet werden kann und umgekehrt. (n) Mit dieser Übereinstimmung der Zustandsräume E (n) und EL+1 folgt aus den Normierungsbedingungen (4.25b) und (5.6b) zusammen mit (5.9) direkt die Identität der Normierungskonstanten. 1=

n 

L  1 · ρ b = c (n) =1 )∈E (n) : Σ



k=0 (b1 ,...,bL b1 +...+bL =k



1 · cΣ (n) (b



L 

(n) =1 1 ,...,bL )∈E

⇔ cΣ (n) = c(n, L + 1)

ρ b =



(n)

(b1 ,...,bL+1 )∈EL+1

1 · c(n, L + 1) (b

L  1 · ρ b c(n, L + 1) =1



L 

(n) =1 1 ,...,bL )∈E

ρ b

154

Kapitel 5 Modellierung mittels geschlossener Warteschlangennetze

Die geforderte Gleichheit der Normierungsbedingungen, die sich beide auf eine Summation über den Zustandsraum E (n) der aggregierten Markovkette zurückführen lassen, ist also nur für identische Normierungskonstanten gegeben. Folglich stimmen die Gleichungssysteme (4.25) und (5.6) und damit auch deren Lösungen, also die stationären (n) Verteilungen π (n) und πG , überein. (n)

Satz 5.3 schließt auch die aggregierte Markovkette (Zt )t≥0 für den Fall homogener Lagerartikel (L = 1) mit ein, für die in Proposition 4.15 eine Äquivalenz zum stochastischen Prozess für die Anzahl von Kunden in einem M/M/1/n-Warteschlangensystem bewiesen wurde. Somit zeigt dieses Resultat, dass der stochastische Prozess der Kundenanzahl in einem Einbediener-Warteschlangenmodell mit exponentialverteilten Zwischenankunftsund Bedienzeiten bei beschränkter Kapazität alternativ auch über ein Gordon-NewellNetz mit zwei Wartesystemen formuliert werden kann. Die Kunden in den beiden Wartesystemen repräsentieren in diesem Fall die freien bzw. belegten Plätze des kapazitierten Warteschlangenmodells. Aus der in Satz 5.3 gezeigten Äquivalenz der stationären Verteilungen folgt, dass die Zugriffswahrscheinlichkeiten PE (n) und PA (n) der Lagerplätze n = 1, . . . , N aus Korollar 4.20 auch unter Verwendung der stationären Verteilungen der Warteschlangennetze G(n) mit n = 0, . . . , N berechnet werden können. Jeder ursprüngliche Zustand (n) (b1 , . . . , bL ) ∈ E (n) wird hierfür äquivalent durch Zustand (b1 , . . . , bL+1 ) ∈ EL+1 mit

L (n) bL+1 = n − =1 b ersetzt. Die benötigten stationären Wahrscheinlichkeiten π(b1 ,...,bL+1 ) der Warteschlangennetze G(n) können somit nun direkt über den FA von Buzen (1973) bestimmt werden. Wie bereits in Abschnitt 4.3 erläutert, lassen sich mit diesem Algorithmus aus der Normierungsbedingung (5.6b) die Normierungskonstanten c(n, L + 1) der Warteschlangennetze G(n) mit n = 1, . . . , N ermitteln. Die Berechnung erfolgt dabei über die bereits in (4.31) hergeleitete Rekursion von Buzen (1973) für die Normierungskonstanten c(n, ) mit n = 1, . . . , N und  = 2, . . . , L + 1 und den Anfangswertbedingungen c(n, 1) = ρn1 und c(0, ) = 1. c(n, ) = c(n,  − 1) + ρ · c(n − 1, )

(5.10)

Mit dieser Rekursion können nun also in O(N L) die Normierungskonstanten c(n, L+1) aller Warteschlangennetze G(n) mit n = 1, . . . , N bestimmt werden und damit nach (5.6a) (n) auch die stationären Wahrscheinlichkeiten π(b1 ,...,bL+1 ) für alle Zustände (b1 , . . . , bL+1 ) ∈ (n) EL+1 . Unter Verwendung dieser Wahrscheinlichkeiten könnten dann nach Korollar 4.20 die Zugriffswahrscheinlichkeiten unter KFS für eine Leistungsanalyse der Fördermittel bestimmt werden. Im nächsten Abschnitt werden jedoch noch zwei effizientere Algorithmen

155

5.1 Gordon-Newell-Netze

für die Leistungsanalyse vorgestellt, die auch ohne explizite Berechnung der stationären Verteilung auskommen.

5.1.3 Algorithmen für die Leistungsanalyse Die vorab entwickelte warteschlangentheoretische Modellierung bildet die Grundlage für zwei alternative Ansätze zur Bestimmung der Zugriffswahrscheinlichkeiten PE (n) und PA (n) der Lagerplätze n = 1, . . . , N . Dem ersten Ansatz liegt die Idee zugrunde, die Zugriffswahrscheinlichkeiten direkt aus den Normierungskonstanten zu berechnen. Dafür wird das Resultat für Gordon-Newell-Netze von Buzen (1973) aufgegriffen, dass die in (5.11) definierten Randwahrscheinlichkeiten für eine bestimmte Kundenanzahl an einem ausgewählten Wartesystem als Funktion in den Normierungskonstanten ausgedrückt werden können. Für das Warteschlangennetz G(n) mit n ∈ {0, . . . , N } sei (n)

π (n ) :=



(n) (b1 ,...,bL+1 )∈EL+1 : b =n

(n)

π(b1 ,...,bL+1 )

(5.11)

die Wahrscheinlichkeit, dass sich im stationären Gleichgewicht genau n der n zirkulierenden Kunden in Wartesystem  befinden. Für diese Wahrscheinlichkeit gilt nach Buzen (1973) folgender Zusammenhang zu den Normierungskonstanten c(n, L + 1). ρn [c(n − n , L + 1) − ρ · c(n − n − 1, L + 1)] c(n, L + 1) 

(n)

π (n ) =

(5.12)

Dabei gilt c(n , L + 1) := 0 für n < 0. Unter Verwendung dieser Randwahrscheinlichkeiten lässt sich auch die Berechnung der Zugriffswahrscheinlichkeiten wie folgt auf die Normierungskonstanten zurückführen. Proposition 5.4. In einem Lagersystem mit L Artikeln und N Lagerplätzen gilt für die Ein- und Auslager-Zugriffswahrscheinlichkeiten PE (n) und PA (n) von Lagerplatz n ∈ {1, . . . , N } PE (n) =

c(n − 1, L + 1) c(n − 2, L + 1) − c(n, L + 1) c(n − 1, L + 1)

PA (n) = ρ · PE (n)

(5.13a) (5.13b)

mit den Normierungskonstanten c(n, L+1) der Warteschlangennetze G(n) aus (5.10) und der kumulierten Verkehrsintensität ρ := μλ . Für n < 0 sei die Normierungskonstante dabei als c(n , L + 1) := 0 definiert.

156

Kapitel 5 Modellierung mittels geschlossener Warteschlangennetze

Beweis. Aufgrund der in Satz 5.3 gezeigten Äquivalenz der Verteilungen können für die Berechnung der Zugriffswahrscheinlichkeiten nach Korollar 4.20 auch die stationären Wahrscheinlichkeiten der Warteschlangennetze G(n) aus (5.6) verwendet werden. Damit lässt sich der Zusammenhang in (5.13a) für die Einlager-Zugriffswahrscheinlichkeiten PE (n) aller Lagerplätze n wie folgt herleiten. PE (n) =



(b1 ,...,bL b1 +...+bL =n−1



=

π(b1 ,...,bL ) −

(n−1)

(n)

(b1 ,...,bL b1 +...+bL =n

)∈E (n) :

(n−1)

(b1 ,...,bL+1 )∈EL+1 : bL+1 =0 (n−1)



(n−1)

)∈E (n−1) :

π(b1 ,...,bL+1 ) −



π(b1 ,...,bL )

(n)

(n)

π(b1 ,...,bL+1 )

(b1 ,...,bL+1 )∈EL+1 : bL+1 =0

(n)

= πL+1 (0) − πL+1 (0)

c(n − 1, L + 1) − ρL+1 · c(n − 2, L + 1) c(n, L + 1) − ρL+1 · c(n − 1, L + 1) − c(n − 1, L + 1) c(n, L + 1) c(n − 2, L + 1) c(n − 1, L + 1) − 1 + ρL+1 · = 1 − ρL+1 · c(n − 1, L + 1) c(n, L + 1) c(n − 1, L + 1) c(n − 2, L + 1) − = c(n, L + 1) c(n − 1, L + 1)

=

Dass n der ersten n Lagerplätze belegt sind, ist gleichbedeutend damit, dass keiner der ersten n Lagerplätze frei ist, d. h., es handelt sich um alle Zustände mit bL+1 = 0. Damit entspricht die zugehörige Summe über die stationären Wahrscheinlichkeiten der Rand(n) wahrscheinlichkeit πL+1 (0). Folglich lassen sich durch Einsetzen von (5.12) und (5.7b) die Einlager-Zugriffswahrscheinlichkeiten PE (n) der Lagerplätze n = 2, . . . , N als Funk tionen in den Normierungskonstanten c(n , L + 1) der Warteschlangennetze G(n ) mit  n = 0, . . . , N ausdrücken. Die noch fehlende Einlager-Zugriffswahrscheinlichkeit PE (1) des ersten Lagerplatzes stimmt mit der Wahrscheinlichkeit überein, dass der erste Lagerplatz frei ist. Für diese gilt nach (5.6a) wegen ρL+1 = 1 (1)

PE (1) = π(0,...,0,1) =

1 c(1, L + 1)

Mit c(n , L + 1) := 0 für n < 0 folgt dieser Zusammenhang ebenfalls aus (5.13a). Analog können die Auslager-Zugriffswahrscheinlichkeiten PA (n) in (5.13b) für alle Lager-

plätze n = 1, . . . , N hergeleitet werden. Ausgangspunkt dafür sind die artikelspezifischen Auslager-Zugriffswahrscheinlichkeiten PA (n, ) aus Korollar 4.20, die ebenfalls unter Ver-

157

5.1 Gordon-Newell-Netze

wendung der Randwahrscheinlichkeiten aus (5.12) auf die Normierungskonstanten zurückgeführt werden können. 

PA (n, ) =

(n−1)

(n−1) (b1 ,...,bL+1 )∈EL+1 : b =0

(n−1)

= π

π(b1 ,...,bL+1 ) −



(n) (b1 ,...,bL+1 )∈EL+1 : b =0

(n)

π(b1 ,...,bL+1 )

(n)

(0) − π (0)

c(n − 1, L + 1) − ρ · c(n − 2, L + 1) c(n, L + 1) − ρ · c(n − 1, L + 1) − c(n − 1, L + 1) c(n, L + 1)   c(n − 1, L + 1) c(n − 2, L + 1) − = ρ = ρ · PE (n) c(n, L + 1) c(n − 1, L + 1)

=

Schließlich ergibt sich die gesamte Auslager-Zugriffswahrscheinlichkeit PA (n) für alle n = 1, . . . , N wiederum nach dem Gesetz der totalen Wahrscheinlichkeit. Damit folgt aus den artikelspezifischen Auslager-Zugriffswahrscheinlichkeiten PA (n, ) zusammen mit den relativen Ankunftsraten der AA PA (n) =

L L 1 1 λ μ · PA (n, ) = μ · ρ · PE (n) = · PE (n) = ρ · PE (n) μ =1 μ =1 μ

wobei die kumulierte Verkehrsintensität ρ := Ankunftsraten der EA und AA bezeichne.

λ μ

den Quotienten aus den kumulierten

Aus Proposition 5.4 folgt, dass für die Leistungsanalyse der Fördermittel unter KFS nicht alle stationären Wahrscheinlichkeiten der Warteschlangennetze G(n) mit n = 0, . . . , N , sondern lediglich deren Normierungskonstanten benötigt werden. Nach Rekursion (5.10) ergeben sich die Normierungskonstanten c(n, L + 1) für alle n = 0, . . . , N aus der einmaligen Anwendung des FA von Buzen für das Warteschlangennetz G(N ) mit der maximalen Anzahl N zirkulierender Kunden. Basierend auf der vorgestellten Modellierung mittels geschlossener Warteschlangennetze kann also eine deutlich effizientere Vorgehensweise für die Leistungsanalyse entwickelt werden, deren Zeitkomplexität der des FA entspricht und folglich insgesamt O(N L) beträgt. Der Ablauf dieser Variante der Leistungsanalyse ist in Algorithmus 5.1 zusammengefasst. Neben den darin bestimmten Zugriffswahrscheinlichkeiten lassen sich aus der vorgestellten Modellierung unter Verwendung bekannter Resultate für Gordon-Newell-Netze noch weitere Kennzahlen für das Lagersystem ableiten. Darauf wird in Abschnitt 6.2.1 näher eingegangen. Darüber hinaus resultiert aus der Analogie zu den geschlossenen Warteschlangennetzen noch ein weiterer Ansatz zur Bestimmung der Zugriffswahrscheinlichkeiten. Dieser Ansatz beruht auf den Auslastungen der Wartesysteme, die ohne explizite Berechnung der

158

Kapitel 5 Modellierung mittels geschlossener Warteschlangennetze

Algorithmus 5.1: Leistungsanalyse basierend auf FA Input: Anzahl Lagerplätze N , Artikelanzahl L, Einlagerraten λ und Auslagerraten μ für alle Artikel  = 1, . . . , L Output: Einlager- und Auslager-Zugriffswahrscheinlichkeiten PE (n) und PA (n) für alle Lagerplätze n = 1, . . . , N (∗ Initialisierung ∗)



Setze λ := L=1 λ und μ := L=1 μ ; for  = 1 to L do Setze ρ := λλ ; end Setze ρL+1 := 1; for n = 0 to N do Setze c(n, 1) := ρn1 ; end for  = 1 to L + 1 do Setze c(0, ) := 1; end (∗ Rekursion für Normierungskonstanten ∗) for  = 2 to L + 1 do for n = 1 to N do Berechne c(n, ) := c(n,  − 1) + ρ · c(n − 1, ); end end (∗ Berechnung Zugriffswahrscheinlichkeiten ∗) for n = 1 to N do Berechne PE (n) := c(n−1,L+1) − c(n−2,L+1) ; c(n,L+1) c(n−1,L+1) Berechne PA (n) := end

λ μ

· PE (n);

159

5.1 Gordon-Newell-Netze

Normierungskonstanten ermittelt werden können. Ein Vorteil dieser alternativen Vorgehensweise besteht darin, dass sich daraus ein Ansatz zur Verallgemeinerung der Modellannahmen ableiten lässt, welcher anschließend in Abschnitt 5.2 vorgestellt wird. In der Herleitung von Proposition 5.4 werden die Zugriffswahrscheinlichkeiten auf die (n) Randwahrscheinlichkeiten π (0) für n = 0, . . . , N und  = 1, . . . , L + 1 zurückgeführt. Dabei handelt es sich um die Wahrscheinlichkeit, dass bei Betrachtung der ersten n Lager(n) plätze kein Lagerplatz von Artikel  belegt ist, die mit der Auslastung  des zugehörigen Wartesystems  im Warteschlangennetz G(n) korrespondiert. Bekanntlich ist die Auslas(n) tung  der Zeitanteil, während dem die Bedienstation von Wartesystem  beschäftigt ist, vgl. z. B. Stewart (2009, S. 399). Dieser Zeitanteil entspricht im stationären Gleichgewicht also der Wahrscheinlichkeit, dass sich mindestens ein Kunde in Wartesystem  befindet, die sich für die Warteschlangennetze G(n) wie folgt aus den Randwahrschein(n) lichkeiten π (n ) ergibt, vgl. Bolch et al. (2006, S. 327). (n)



=

n 

n =1

(n)

(n)

π (n ) = 1 − π (0)

(5.14) (n)

Die im Rahmen der Leistungsanalyse benötigten Randwahrscheinlichkeiten π (0) mit (n) n = 0, . . . , N und  = 1, . . . , L + 1 können also direkt über die Auslastungen  bestimmt werden. Mit diesem Resultat lässt sich die Berechnung der Zugriffswahrschein(n) lichkeiten aus Proposition 5.4 wie folgt auf die Auslastungen  zurückführen. Korollar 5.5. Bei einem aus L Artikeln bestehenden Lagersortiment ergeben sich die Einlager- und Auslager-Zugriffswahrscheinlichkeiten PE (n) und PA (n) von Lagerplatz n ∈ {1, . . . , N } als (n)

(n−1)

PE (n) = L+1 − L+1 (n)

aus den Auslastungen  netz G(n) .

(5.15a)

PA (n) = ρ · PE (n)

(5.15b)

der Wartesysteme  = 1, . . . , L + 1 im Warteschlangen-

Beweis. Durch Ersetzen der Randwahrscheinlichkeiten gemäß (5.14) in der Herleitung von Proposition 5.4 folgt für die Einlager-Zugriffswahrscheinlichkeiten PE (n) direkt (n−1)

(n)

(n−1)

(n)

(n)

(n−1)

PE (n) = πL+1 (0) − πL+1 (0) = 1 − L+1 − 1 + L+1 = L+1 − L+1

(5.16)

160

Kapitel 5 Modellierung mittels geschlossener Warteschlangennetze

Der proportionale Zusammenhang zwischen den Zugriffswahrscheinlichkeiten PE (n) und PA (n) in (5.15b) wurde bereits für (5.13b) bewiesen. Aus dem Resultat, dass die Zugriffswahrscheinlichkeiten PE (n) und PA (n) als Funktionen in den Auslastungen der Wartesysteme  ausgedrückt werden können, ergibt sich die Möglichkeit, die Leistungsanalyse auf die MWA nach Reiser und Lavenberg (1980) zu stützen. Die Vorgehensweise der MWA wird nachfolgend in Anlehnung an Bolch et al. (2006, S. 384 ff.) erläutert und auf den vorliegenden Anwendungsfall übertragen. Die theoretische Grundlage des Verfahrens bilden dabei Littles Gesetz sowie das Ankunftstheorem für stationäre Gordon-Newell-Netze, siehe Abschnitt 2.5.2. Da die MWA im Rahmen dieser Arbeit ausschließlich auf die Warteschlangennetze G(n) mit n = 0, . . . , N angewendet werden soll, wird sie im weiteren Verlauf nur für Wartesysteme mit genau einem Bedienschalter näher beschrieben. Die erwartete Verweildauer W (n) eines Kunden in Wartesystem  setzt sich in diesem Fall aus dessen erwarteter Bedienzeit ε1 sowie den erwarteten Bedienzeiten der Kunden, die sich zum Zeitpunkt seiner Ankunft bereits in Wartesystem  befinden, zusammen. Nach dem Ankunftstheorem ergibt sich der zweite Bestandteil aus der stationären Verteilung eines strukturgleichen Warteschlangennetzes mit einem Kunden weniger, d. h. mit n − 1 Kunden. Bei n zirkulierenden Kunden gilt damit für die erwartete Verweildauer W (n) in den Wartesystemen  1 ¯  (n − 1)] (5.17) W (n) = [1 + n ε Initialisiert wird diese Rekursion mit der erwarteten Kundenanzahl des leeren Warteschlangennetzes n ¯  (0) := 0 für alle Wartesysteme  = 1, . . . , L + 1. Die erwartete Kundenanzahl n ¯  (n) in den Wartesystemen  bei n zirkulierenden Kunden ergibt sich aus Littles Gesetz als n ¯  (n) = κ (n) · W (n)

(5.18)

mit κ (n) als (absoluter) Ankunftsrate an Wartesystem  bei n zirkulierenden Kunden. Um diese Ankunftsraten zu bestimmen, wird die Zirkulationsflussstärke κ(n) des Warteschlangennetzes bei n zirkulierenden Kunden benötigt. Diese lässt sich ermitteln, indem Littles Gesetz wie folgt auf das gesamte Warteschlangennetz angewendet wird. κ(n) =

n L+1

=1

κ κ1

κ κ1

(5.19)

· W (n)

die relative Besuchshäufigkeit von Wartesystem , die die erwartete Anzahl Dabei ist an Besuchen an Wartesystem  zwischen zwei aufeinanderfolgenden Besuchen an War-

161

5.1 Gordon-Newell-Netze

tesystem 1 angibt. Damit stellt der Zähler die erwartete Anzahl von Kunden und der Nenner die erwartete Verweildauer für eine Zirkulation im Warteschlangennetz G(n) dar. Aus der Zirkulationsflussstärke κ(n) ergeben sich schließlich wie folgt die Ankunftsraten κ (n) für alle Wartesysteme  = 1, . . . , L + 1. κ (n) =

κ · κ(n) = κ · L+1

κ1

 =1

n

(5.20)

κ W (n)

Daraus wird ersichtlich, dass zwar die Zirkulationsflussstärke κ(n) von der Wahl des Referenz-Wartesystems (hier  = 1) abhängt, nicht jedoch die Ankunftsraten κ (n). Für die Berechnung der Zugriffswahrscheinlichkeiten nach Korollar 5.5 werden die Auslas(n) tungen  aller Wartesysteme  = 1, . . . , L + 1 benötigt. Für diese gilt (n)



=

κ (n) ε

(5.21)

mit den Ankunftsraten κ (n) aus der MWA und den Bedienraten ε aus (5.3). Zusammenfassend beschreibt Algorithmus 5.2 den Ablauf der auf der MWA basierenden Leistungsanalyse als Rekursion über die Anzahl n zirkulierender Kunden im betrachteten Warteschlangennetz. Um ein Lagersystem mit N Lagerplätzen zu analysieren, werden (n) nach Korollar 5.5 die Auslastungen  für alle Wartesysteme  = 1, . . . , L + 1 in allen Warteschlangennetzen G(n) mit n = 0, . . . , N benötigt. Diese lassen sich jedoch auch bei Verwendung der MWA in einer einmaligen Durchführung des Verfahrens für das Warteschlangennetz G(N ) mit maximaler Kundenanzahl N bestimmen, da die in den einzelnen Iterationen berechneten Kennzahlen zu den Warteschlangennetzen G(n) gehören. Hinsichtlich der Zeitkomplexität unterscheiden sich die MWA und der FA von Buzen nicht, vgl. Reiser und Lavenberg (1980). Basierend auf der MWA beträgt die Laufzeit der Leistungsanalyse also ebenfalls O(N L). Mit der warteschlangentheoretischen Modellierung des E/A-Prozesses unter KFS aus Abschnitt 5.1.1 als Grundlage konnten somit zwei weitere Algorithmen für die Leistungsanalyse der Fördermittel entwickelt werden, die deutlich effizienter sind als die auf den Markovketten basierenden Ansätze aus Kapitel 4. Der wesentliche Vorteil der neuen Modellierung besteht darin, dass die Leistungsanalyse auf effiziente Standardmethoden aus der Warteschlangentheorie zurückgeführt werden kann. Der erste Ansatz beruht dabei auf dem FA und der zweite auf der MWA. Ein experimenteller Vergleich der Berechnungseffizienz dieser beiden Algorithmen erfolgt später in Abschnitt 6.1. Im Zuge dessen wird neben der Rechenzeit vor allem auch auf die numerische Stabilität der Verfahren eingegangen. Zuvor wird jedoch im nächsten Abschnitt noch eine Verallgemeinerung der

162

Kapitel 5 Modellierung mittels geschlossener Warteschlangennetze

Algorithmus 5.2: Leistungsanalyse basierend auf MWA Input: Anzahl Lagerplätze N , Artikelanzahl L, Einlagerraten λ und Auslagerraten μ für alle Artikel  = 1, . . . , L Output: Ein- und Auslager-Zugriffswahrscheinlichkeiten PE (n) und PA (n) für alle Lagerplätze n = 1, . . . , N (∗ Initialisierung ∗)



Setze λ := L=1 λ und μ := L=1 μ ; for  = 1 to L do Setze ε := μ und κ := λ ; end Setze εL+1 := λ und κL+1 := λ; (0) Setze L+1 := 0; for  = 1 to L + 1 do Setze n ¯  (0) := 0; end (∗ Berechnung Zugriffswahrscheinlichkeiten ∗) for n = 1 to N do Setze WΣ (n) := 0; for  = 1 to L + 1 do Berechne W (n) := ε1 [1 + n ¯  (n − 1)]; Berechne WΣ (n) := WΣ (n) + κ · W (n); end for  = 1 to L + 1 do  Berechne κ (n) := Wn·κ Σ (n) ; 

Berechne n ¯  (n) := κ (n) · W (n); end (n) (n) ; Berechne L+1 := κL+1 εL+1 (n)

(n−1)

Berechne PE (n) := L+1 − L+1 ; Berechne PA (n) := μλ · PE (n); end

5.2 Allgemeine Warteschlangennetze

163

warteschlangentheoretischen Modellierung vorgestellt, mit der die Leistungsanalyse approximativ auf den praxisrelevanten Fall allgemein verteilter Zwischenankunftszeiten der Lageraufträge übertragen werden kann.

5.2 Allgemeine Warteschlangennetze Alle bisher vorgestellten Modelle basieren auf der Annahme, dass die Ankünfte der Lageraufträge für beide Lagerauftragsarten und jeden Artikel  ∈ {1, . . . , L} unabhängigen

Poisson-Prozessen folgen. Die Tatsache, dass eine Überlagerung von p unabhängigen Erneuerungsprozessen mit konvergenter Summe der zugehörigen Ankunftsraten für p → ∞

gegen einen Poisson-Prozess konvergiert, vgl. z. B. Cox (1966, S. 79 ff.), rechtfertigt häufig die Modellierung von Ankunftsprozessen als Poisson-Prozesse. In realen Anwendungsfällen ist diese Annahme i. A. jedoch nicht erfüllt. Deshalb wird das auf Warteschlangennetzen basierende Modell aus Abschnitt 5.1 nachfolgend dahingehend verallgemeinert, dass die Ankünfte von Lageraufträgen stattdessen beliebige Erneuerungsprozesse bilden. Das bedeutet im Wesentlichen, dass die Zwischenankunftszeiten zwar weiterhin unabhängig und identisch, aber nicht notwendigerweise exponentialverteilt sind. Für eine detaillierte Einführung in Erneuerungsprozesse bzw. in die Erneuerungstheorie i. A. sei an dieser Stelle z. B. auf Cox (1966) oder Asmussen (2003, Kapitel V) verwiesen. Im Folgenden wird also angenommen, dass die Ankünfte von Lageraufträgen für jede Kombination aus Artikel und Auftragsart einem Erneuerungsprozess folgen. Damit liegt den Ankunftsprozessen keine spezielle Verteilungsfamilie zugrunde, sondern es wird lediglich davon ausgegangen, dass die Zwischenankunftszeiten von EA für Artikel  stochastisch unabhängig und identisch verteilt sind. Für die Ankünfte von AA gilt dies gleichermaßen. Die Ankunftsverteilungen werden je Artikel  für die beiden Auftragsarten durch die folgenden Parameter charakterisiert. Im Mittel kommen, wie auch bereits in den Markov-Modellen, λ EA bzw. μ AA pro ZE an und die Streuung der jeweiligen Zwischenankunftszeiten wird über die quadrierten Variationskoeffizienten71 c2E () bzw. c2A () spezifiziert. Zur Durchführung einer Leistungsanalyse in bestehenden Lagersystemen können die Variationskoeffizienten aus den Daten des Lagerverwaltungssystems geschätzt werden, bei Neukonzeptionen sind hingegen geeignete Prognosen vorzunehmen. Vor diesem Hintergrund soll mit der verallgemeinerten Modellierung in Abschnitt 6.4 insbesondere der Frage nachgegangen werden, wie sich die Variabilität im Ankunftsverhalten der Lageraufträge allgemein auf die Leistung eines Lagersystems unter KFS auswirkt. 71

Der dimensionslose Variationskoeffizient einer Zufallsvariable ist definiert als Verhältnis der Standardabweichung zum Erwartungswert, vgl. z. B. Rinne (2008, S. 45).

164

Kapitel 5 Modellierung mittels geschlossener Warteschlangennetze

Einige Aspekte der vorab dargestellten Ansätze für die Leistungsanalyse stützen sich auf die Gedächtnislosigkeit der zugrunde liegenden Poisson-Prozesse, die für Erneuerungsprozesse nun nicht mehr gilt. Nachfolgend wird daher eine Möglichkeit vorgestellt, die Modellierungsidee dennoch auf Erneuerungsprozesse zu übertragen. Vorab sei jedoch bereits angemerkt, dass die resultierende verallgemeinerte Modellierung, die ebenfalls auf geschlossenen Warteschlangennetzen basiert, aus den folgenden Gründen nur noch eine Approximation darstellt. • Approximative Modellbildung Aufgrund der fehlenden Gedächtnislosigkeit bilden die auf Erneuerungsprozesse übertragenen allgemeinen Warteschlangennetze, die in Abschnitt 5.2.1 noch näher erläutert werden, den E/A-Prozess unter KFS nur approximativ ab. • Approximative stationäre Analyse Das stationäre Verhalten geschlossener Warteschlangennetze mit allgemein verteilten Bedienzeiten lässt sich lediglich für einige Spezialfälle exakt analysieren, siehe Abschnitt 2.5.2. Für derartige Warteschlangennetze mit beliebiger Struktur muss daher auf approximative Lösungsmethoden zurückgegriffen werden. • Approximative Berechnung der Zugriffswahrscheinlichkeiten Die Berechnung der Zugriffswahrscheinlichkeiten basiert auf dem PASTA-Theorem, welches nur für Poisson-Prozesse gilt. Im folgenden Abschnitt wird zunächst die approximative Übertragung der Warteschlangennetz-Modellierung aus Abschnitt 5.1.1 auf allgemein verteilte Zwischenankunftszeiten näher beschrieben. Darauf aufbauend wird in Abschnitt 5.2.2 eine Approximation für die verallgemeinerte Leistungsanalyse unter KFS vorgestellt, die sich aus der MWA ableitet.

5.2.1 Verallgemeinerung der Modellbildung Die Herleitung des aggregierten Markov-Modells aus Abschnitt 4.2.2, die auch die Grundlage für die warteschlangentheoretische Modellierung bildet, setzt die Gedächtnislosigkeit der Zwischenankunftszeiten voraus. Durch die Verallgemeinerung auf Erneuerungsprozesse sind Restwartezeit und Wartezeit nun allerdings nicht mehr identisch verteilt, sodass die nachfolgenden Fälle, die sich auf die extremalen Belegungszustände in der Teilsequenz der ersten n ∈ {1, . . . , N } Lagerplätze beziehen, gesondert zu betrachten sind. • Restwartezeit auf nächsten EA Sind die ersten n Lagerplätze vollständig belegt, so kann eine Einlagerung erst

5.2 Allgemeine Warteschlangennetze

165

wieder nach Auslagerung einer beliebigen, dort eingelagerten Lagereinheit erfolgen. Maßgeblich für den Zeitpunkt der nächsten Einlagerung ist damit die Restwartezeit auf den nächsten EA, der diesem AA folgt. • Restwartezeit auf nächsten AA Innerhalb der ersten n Lagerplätze sei keine Lagereinheit von Artikel  eingelagert. Ab der nächsten Einlagerung einer Lagereinheit von Artikel  bestimmt die Restwartezeit auf den folgenden AA den nächsten Auslagerzeitpunkt für Artikel . Für diese Fälle wird im Folgenden (unzutreffenderweise) angenommen, dass Restwartezeit und Wartezeit auch bei Erneuerungsprozessen identisch verteilt sind. Unter dieser Annahme kann die Grundstruktur der Warteschlangennetze G(n) aus Abschnitt 5.1.1 auch im verallgemeinerten Fall beibehalten werden. Die Unterscheidung zwischen Warte- und Restwartezeit wird darüber hinaus auch bei der stationären Analyse in Abschnitt 5.2.2 benötigt; in diesem Zusammenhang muss die Annahme identischer Verteilungen jedoch nicht getroffen werden. Neben der Netzstruktur leiten sich noch weitere Bestandteile der Warteschlangennetze G(n) aus den Ankunftsprozessen ab. Dabei handelt es sich zum einen um die Verteilung der Bedienzeiten in den einzelnen Wartesystemen und zum anderen um die RoutingWahrscheinlichkeiten von Wartesystem L + 1 zu allen anderen Wartesystemen. Die Routing-Wahrscheinlichkeiten r(L+1) ergeben sich aus den relativen Ankunftsraten für EA der Artikel  = 1, . . . , L und stimmen im verallgemeinerten Fall aufgrund des Erneuerungstheorems72 mit denen der Warteschlangennetze G(n) in (5.2) überein. Die Verteilungen der Bedienzeiten müssen hingegen unter Verwendung von Bedienstationen mit allgemein verteilten Bedienzeiten angepasst werden. Die Wahl der zugehörigen Parameter, erwartete Bedienrate ε sowie quadrierter Variationskoeffizient c2 , wird nachfolgend in Anlehnung an die Herleitung der Bedienraten von G(n) in (5.3) für alle Wartesysteme  = 1, . . . , L + 1 genauer beschrieben. Ein Abgang aus Wartesystem  ∈ {1, . . . , L} entspricht der Auslagerung einer Lagereinheit des zugehörigen Artikels . Die Bedienzeiten der Wartesysteme hängen also mit den Zwischenankunftszeiten der AA dieses Artikels zusammen. Unter der obigen Annahme für die Restwartezeiten stimmen die Prozesse der aufeinanderfolgenden Bedienzeiten folg-

72

Das Erneuerungstheorem besagt, dass die erwartete Anzahl an Ankünften je ZE für t → ∞ gegen die Ankunftsrate des Erneuerungsprozesses konvergiert, vgl. z. B. Asmussen (2003, S. 140).

166

Kapitel 5 Modellierung mittels geschlossener Warteschlangennetze

lich direkt mit den Erneuerungsprozessen für die AA des jeweiligen Artikels  überein. Daraus ergibt sich für die Parameter der Bedienzeitverteilung an Wartesystem : ε  = μ c2

=

c2A ()

( = 1, . . . , L)

(5.22)

( = 1, . . . , L)

(5.23)

Im verbleibenden Wartesystem L + 1, das die freien Lagerplätze repräsentiert, hängt die Verteilung der Bedienzeiten hingegen vom überlagerten Ankunftsprozess der EA aller Artikel  = 1, . . . , L ab. Um die zugehörigen Parameter der Bedienzeitverteilung im verallgemeinerten Fall festlegen zu können, muss dieser überlagerte Prozess zunächst spezifiziert werden. Nach Çınlar (1975, S. 88) gilt, dass eine Überlagerung von unabhängigen Erneuerungsprozessen genau dann einen Erneuerungsprozess bildet, wenn alle individuellen Ankunftsprozesse Poisson-Prozesse sind. In diesem Fall ist der überlagerte Prozess ebenfalls ein Poisson-Prozess, was für die Modellierung in Abschnitt 5.1.1 bereits ausgenutzt wurde. Sobald jedoch, wie in der betrachteten Verallgemeinerung, mindestens einer der individuellen Prozesse kein Poisson-Prozess ist, gilt diese Eigenschaft nicht mehr und es lässt sich keine Aussage über die Art des überlagerten Prozesses treffen. Daher schlagen u. a. Whitt (1982) und Albin (1984) eine Approximation vor, die auf der (wiederum unzutreffenden) Annahme basiert, dass der überlagerte Prozess einen Erneuerungsprozess bildet. Um die Parameter des Erneuerungsprozesses für die überlagerten Auftragsankünfte geeignet zu wählen, kann z. B. die asymptotische Methode nach Whitt (1982)73 verwendet werden. Daraus resultieren die folgenden Parameter74 für die Verteilung der Bedienzeiten an Wartesystem L + 1. εL+1 = c2L+1 =

L 

=1 L  =1

λ

(5.24)

λ 2 c () λ E

(5.25)

Unter den getroffenen Annahmen entsprechen die Warteschlangennetze im verallgemeinerten Modell also strukturell den Warteschlangennetzen G(n) mit n = 1, . . . , N aus Abschnitt 5.1.1. Der einzige Unterschied besteht darin, dass die Bedienzeiten an den Bedienschaltern nun nicht mehr exponentialverteilt sind, sondern allgemeinen Verteilungen 73

74

Alternativ können für die Parameterwahl auch entweder die Methode der stationären Intervalle, vgl. ebenfalls Whitt (1982), oder der hybride Ansatz nach Albin (1984), der die beiden Methoden von Whitt miteinander kombiniert, herangezogen werden. Die exakte Ankunftsrate des überlagerten Prozesses ergibt sich in jedem Fall durch Summation über die Ankünfte der einzelnen Erneuerungsprozesse wieder direkt aus dem Erneuerungstheorem. Der quadrierte Variationskoeffizient ist hingegen nur exakt, wenn der überlagerte Prozess einen Erneuerungsprozess bildet, d. h. nur für die Überlagerung von Poisson-Prozessen, vgl. Whitt (1982).

5.2 Allgemeine Warteschlangennetze

167

unterliegen. Mit c2E () = c2A () = 1 für alle Artikel  = 1, . . . , L schließt die verallgemeinerte Formulierung jedoch den Spezialfall der Gordon-Newell-Netze mit ein. Daher wird die Bezeichnung G(n) im Folgenden auch für die allgemeinen Warteschlangennetze beibehalten. Während die Modellierung bei Poissonschen Ankünften der Lageraufträge exakt ist, gilt dies für die Verallgemeinerung aufgrund der vorab genannten Annahmen hingegen nicht mehr. Die Modellbildung selbst stellt also den ersten Approximationsbestandteil dar, der zur Übertragung auf allgemein verteilte Zwischenankunftszeiten benötigt wird. Darüber hinaus handelt es sich auch bei dem nachfolgend vorgestellten Ansatz für die Leistungsanalyse im verallgemeinerten Fall um ein approximatives Verfahren.

5.2.2 Approximative Leistungsanalyse Wie aus Abschnitt 5.1.3 hervorgeht, basiert die Leistungsanalyse auf stationären Analysen aller Warteschlangennetze G(n) mit n = 1, . . . , N . Für die allgemeinen Warteschlangennetze aus Abschnitt 5.2.1 kann eine stationäre Analyse jedoch nur noch approximativ oder simulationsbasiert erfolgen, siehe Abschnitt 2.5.2. Als eine Möglichkeit wird für die Leistungsanalyse im verallgemeinerten Fall nachfolgend ein analytischer Approximationsansatz vorgestellt, der methodisch auf der verallgemeinerten MWA von Curry und Feldman (2011, S. 252 ff.) aufbaut. Die Idee dieses Ansatzes besteht darin, dass sich die in Algorithmus 5.2 angewandte MWA mit einigen Anpassungen approximativ auf Warteschlangennetze mit allgemein verteilten Bedienzeiten übertragen lässt. Eingebettet in den Kontext der Leistungsanalyse werden nachfolgend die Grundlagen dieser verallgemeinerten MWA in Anlehnung an Curry und Feldman (2011, S. 252 ff.) näher erläutert. Während sich die gewöhnliche MWA für exponentialverteilte Bedienzeiten auf das Ankunftstheorem stützt, vgl. Abschnitt 2.5.2, gilt dieses Theorem bei allgemein verteilten Bedienzeiten hingegen nicht. Für die Verallgemeinerung der MWA wird jedoch weiterhin von der Gültigkeit des Ankunftstheorems ausgegangen, weshalb es sich bei dem Verfahren um eine Approximation handelt. Darüber hinaus muss bei der Berechnung der erwarteten Verweildauer explizit zwischen Bedien- und Restbedienzeit unterschieden werden, da diese Zeiten nun nicht mehr identisch verteilt sind. Für die Einbediener-Wartesysteme  = 1, . . . , L + 1 mit allgemein verteilten Bedienzeiten gilt folgender Zusammenhang zwischen der erwarteten Restbedienzeit E(S ) und der erwarteten Bedienzeit E(S ) = ε −1 , vgl. z. B. Shortle et al. (2018, S. 256 f.). E(S ) =

E2 (S ) + Var(S ) 1 + c2 E(S2 ) = = 2 E(S ) 2 E(S ) 2ε

(5.26)

168

Kapitel 5 Modellierung mittels geschlossener Warteschlangennetze

Unter Berücksichtigung der erwarteten Restbedienzeit E(S ) setzt sich die erwartete Verweildauer eines Kunden, der an Wartesystem  ankommt, additiv aus den folgenden Bestandteilen zusammen. • Bedienzeit des ankommenden Kunden • Bedienzeit aller Kunden, die sich bei Ankunft bereits in der Warteschlange befinden • Restbedienzeit des Kunden, der bei Ankunft am Bedienschalter bedient wird Die Restbedienzeit kommt nur dann zum Tragen, wenn der Bedienschalter von Wartesystem  bei Ankunft des Kunden belegt ist. Bei n zirkulierenden Kunden ist das mit (n) Wahrscheinlichkeit  , also der Auslastung von Wartesystem  aus (5.21), der Fall. Unter der Annahme des weiterhin geltenden Ankunftstheorems ändert sich die rekursive Berechnungsvorschrift für die erwartete Verweildauer W (n) aus (5.17) in allgemeinen Warteschlangennetzen dadurch wie folgt. 

(n−1)

¯  (n − 1) −  W (n) = E(S ) + n =



(n−1)

· E(S ) + 

2 1  (n−1) (n−1) 1 + c · 1+n ¯  (n − 1) −  +  · ε 2ε

· E(S ) (5.27)

Für den Spezialfall exponentialverteilter Bedienzeiten mit c2 = 1 stimmt die erwartete Verweildauer aus (5.27) mit der aus (5.17) überein. Auf die übrigen Berechnungsschritte (5.18) bis (5.21) der MWA wirkt sich die Verallgemeinerung der Auftragsankünfte hingegen nicht aus, sodass diese Schritte unverändert übernommen werden können. Somit lässt sich aus Algorithmus 5.2 direkt ein approximativer Ansatz für die Leistungsanalyse unter allgemein verteilten Zwischenankunftszeiten ableiten, indem die erwarteten Verweildauern W (n) über die verallgemeinerte Rekursionsformel (5.27) bestimmt werden. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass auch die Berechnung der Zugriffswahrscheinlichkeiten PE (n) und PA (n) im verallgemeinerten Fall nur näherungsweise gilt. Wie dem

Beweis von Proposition 4.12 zu entnehmen ist, basiert der Zusammenhang zwischen den Zugriffswahrscheinlichkeiten und der stationären Verteilung auf der PASTA-Eigenschaft.

Während ein ankommender Lagerauftrag also unter Poissonschen Auftragsankünften die stationäre Verteilung sieht, gilt dies für allgemein verteilte Auftragsankünfte nicht. Zur Übertragung des Modellierungskonzepts stützt sich die approximative Leistungsanalyse im Folgenden dennoch weiterhin auf diese Annahme. Dies ist somit der dritte Approximationsbestandteil des vorgeschlagenen Ansatzes. Auf die vorab dargestellte Weise lässt sich der Ansatz für die Leistungsanalyse aus Abschnitt 5.1 also grundsätzlich auf Erneuerungsprozesse verallgemeinern. Aufgrund der Übertragung einiger Aspekte, die nur im Fall Poissonscher Auftragsankünfte gelten, wird

5.2 Allgemeine Warteschlangennetze

169

die Approximationsgüte dieses verallgemeinerten Ansatzes in Abschnitt 6.3.2 durch einen Vergleich mit Simulationsergebnissen intensiv untersucht. Wie zu erwarten ist, erzielt das Verfahren sehr genaue Ergebnisse für Ankunftsprozesse, die eine hohe Ähnlichkeit zu Poisson-Prozessen aufweisen, d. h. mit Variationskoeffizienten c2E () bzw. c2A () nahe eins. Bei Ankunftsprozessen mit deutlich geringer oder deutlich stärker schwankenden Zwischenankunftszeiten fällt die Approximationsgüte jedoch schlechter aus.75 Basierend auf einer näheren Analyse dieses Zusammenhangs zwischen der Variabilität der Auftragsankünfte und der Approximationsgüte wird daher in Abschnitt 6.3.3 noch ein Korrekturterm für die mittlere Spielzeit entwickelt, mit dem sich die Approximationsgüte der verallgemeinerten MWA verbessern lässt. Mit dem verallgemeinerten warteschlangentheoretischen Ansatz endet die detaillierte Vorstellung der entwickelten Ansätze zur Leistungsanalyse von Lagersystemen unter KFS. Im folgenden Kapitel werden diese Ansätze nun auf konkrete Lagerszenarien angewendet, um grundlegende Erkenntnisse für einen Lagerbetrieb unter KFS zu gewinnen. Dabei wird einerseits auf die Effizienz der verschiedenen Algorithmen und andererseits auf die Leistungsfähigkeit der RBG bei Einsatz der KFS eingegangen.

75

Tatsächlich kann die Approximation bei entarteten Lagerinstanzen mit geringem Verhältnis von Artikelanzahl L zu Lagerplatzanzahl N , also mit hoher LTPR, und hohen Variationskoeffizienten (z. B. N = 50 Lagerplätze und L = 2 Artikel mit c2E () = c2A () = 10 für  = 1, . . . , L) sogar dazu führen, dass die Zugriffswahrscheinlichkeiten negativ werden. Derart geringe Sortimentsumfänge sind jedoch in herkömmlichen Lagersystemen vergleichsweise selten. Bei allen Lagerinstanzen, die im weiteren Verlauf der vorliegenden Arbeit ausgewertet werden, tritt diese Inkonsistenz nicht auf.

Kapitel 6 Einsatz der Modelle für die Leistungsanalyse von Lagersystemen Im Fokus dieses abschließenden Kapitels steht die Leistungsanalyse von Lagersystemen, deren E/A-Prozess nach der KFS organisiert ist, unter Verwendung der vorab vorgestellten analytisch-stochastischen Modelle. Wie bereits in Kapitel 4 aufgezeigt, mangelt es derartigen Modellen häufig an der für praktische Anwendungen notwendigen Skalierbarkeit. Deshalb wird in Abschnitt 6.1 zunächst die Berechnungseffizienz der entwickelten Algorithmen untersucht und demonstriert, dass der vorgeschlagene Ansatz zur Analyse von Lagerinstanzen praxisrelevanter Größenordnungen geeignet ist. Abschnitt 6.2 widmet sich daraufhin grundlegenden Erkenntnissen, die sich aus der Markov-Modellierung für einen Lagerbetrieb unter KFS ergeben. Im Zuge dessen wird die KFS insbesondere auch mit anderen E/A-Strategien verglichen. Anschließend befasst sich der zweite Teil dieses Kapitels mit der verallgemeinerten Modellierung aus Abschnitt 5.2. Im Gegensatz zur Leistungsanalyse unter Markovannahmen handelt es sich bei deren Verallgemeinerung lediglich um einen approximativen Ansatz, der in Abschnitt 6.3 daher zunächst validiert wird. Hierfür wird durch Vergleich mit den Ergebnissen einer stochastischen, ereignisorientierten Simulation die Approximationsgüte der verallgemeinerten MWA bestimmt, die durch eine Anpassung der Spielzeitberechnung anschließend noch weiter verbessert wird. In Abschnitt 6.4 werden die Spielzeit-Kennlinien aus Abschnitt 6.2 erneut aufgegriffen, um unter Verwendung der angepassten verallgemeinerten MWA die Auswirkungen allgemein verteilter Zwischenankunftszeiten der Lageraufträge auf die mittlere Spielzeit zu untersuchen. Mit einer kritischen Zusammenfassung aller gewonnenen Erkenntnisse aus betriebswirtschaftlicher Sicht, im Zuge derer insbesondere lohnenswerte Einsatzbereiche für die KFS identifiziert werden, schließt das Kapitel in Abschnitt 6.5.

© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2021 A. Heßler, Stochastische Leistungsanalyse von Lagersystemen, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31811-6_6

172

Kapitel 6 Einsatz der Modelle für die Leistungsanalyse von Lagersystemen

Um die Leistungsfähigkeit verschiedener Lagerkonfigurationen analysieren zu können, wurden die entwickelten Algorithmen sowie die Simulation in der Programmiersprache C++ implementiert und mit dem Compiler mingw-w64 zu 64-Bit-Anwendungen kompiliert. Sämtliche Berechnungen für die nachfolgenden Auswertungen erfolgten auf Computern mit einem Intel Core i7-8700 Prozessor mit 3,2 GHz und 64 GB Arbeitsspeicher unter dem Betriebssystem Windows 10.

6.1 Berechnungseffizienz der Algorithmen Eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass die in Kapitel 5 vorgestellten Modelle für eine Leistungsanalyse realer Lagersysteme eingesetzt werden können, ist eine hohe Berechnungseffizienz der zugrunde liegenden Algorithmen. Den methodischen Kern der Modellierungen stellt dabei die Berechnung der stationären Zugriffswahrscheinlichkeiten dar, für die einerseits der FA (Algorithmus 5.1) und andererseits die MWA (Algorithmus 5.2) herangezogen wird. Um die Berechnungseffizienz dieser Algorithmen zu untersuchen, werden die jeweiligen Implementierungen im Folgenden einer experimentellen PerformanceAnalyse unterzogen. Der Fokus liegt dabei auf der Rechenzeit und der numerischen Stabilität der Algorithmen sowie der Größenordnung lösbarer Instanzen, die bei analytischstochastischen Ansätzen häufig eingeschränkt ist. In Kapitel 4 wurde für die Modellierung mittels Markovketten bereits angedeutet, dass durch die vorgenommene Aggregation des Zustandsraums, siehe Abschnitte 4.2.2 sowie 4.3, deutlich größere Instanzen analysiert werden können als mit der detaillierten Modellierung aus Abschnitt 4.2.1. Für die warteschlangentheoretischen Modelle aus Kapitel 5, die direkt aus den aggregierten MarkovModellen hervorgehen, gilt diese Feststellung somit gleichermaßen. Daher beschränken sich die folgenden Auswertungen auf die effizienteren, warteschlangentheoretischen Algorithmen. Maßgeblich für die Größenordnung verarbeitbarer Instanzen ist im Wesentlichen die Kardinalität des Zustandsraums. Wird der FA als Lösungsmethode verwendet, so können sich jedoch auch numerische Ungenauigkeiten limitierend auswirken. Um dieser Problematik entgegenzuwirken, wird für den vorliegenden Anwendungsfall eine numerisch stabilere Version des FA entwickelt. Insbesondere bei der Auswertung großer Instanzen neigt der FA von Buzen (1973) zu numerischer Instabilität, vgl. z. B. Bolch et al. (2006, S. 418). Dies hängt damit zusammen, dass die Normierungskonstanten c(n, ) in der Rekursion (5.10) sehr große numerische Werte annehmen können. Eine Skalierung der Normierungskonstanten, die auf das zugrunde liegende Warteschlangennetz abgestimmt ist, kann diesen Effekt beseitigen, vgl. z. B. Bruell und Balbo (1980, S. 123 ff.). Für den vorliegenden

173

6.1 Berechnungseffizienz der Algorithmen

Anwendungsfall lässt sich aus dem folgenden Hilfssatz ein geeigneter Skalierungsfaktor herleiten. Lemma 6.1. Stimmen die Verkehrsintensitäten ρ für alle Wartesysteme  = 1, . . . , L+1 des Warteschlangennetzes G(N ) überein, d. h., ρ = ρˆ, so gilt für die Normierungskonstanten   n+−1 (6.1) c(n, ) = ρˆn n mit n ∈ {0, . . . , N }. Beweis. Gleichung (6.1) wird basierend auf der Rekursion (5.10) für die Normierungskonstanten c(n, ) mittels vollständiger Induktion über n +  = m ∈ N bewiesen. Der   Startwert c(0, 1) = ρˆ0 · 00 = 1 stimmt mit den Anfangswertbedingungen der Rekursion überein und ist folglich wahr. Unter der Annahme, dass Gleichung (6.1) für alle Paare (n, ) mit n +  = m gilt, ergibt sich aus (5.10) folgender Zusammenhang für die Normierungskonstanten c(n, ) aller Paare (n, ) mit n +  = m + 1. c(n, ) = c( n,  − 1 ) + ρˆ · c( n − 1,  ) $ %& '

n+−1=m





$ %& '

n−1+=m



n+−2 n+−2 + ρˆ · ρˆn−1 n n−1   n +  − 1 = ρˆn n = ρˆn



Durch die rekursive Berechnung wird c(n, ) mit n +  = m + 1 ausschließlich auf Normierungskonstanten zurückgeführt, für die gemäß der getroffenen Annahme (6.1) eingesetzt werden kann. Eine Umformung liefert schließlich auch für m + 1 das Ergebnis aus Gleichung (6.1). Damit ist für den Fall ρ = ρˆ bewiesen, dass die Normierungskonstanten c(n, ) beliebiger Paare (n, ) mit n +  = m ∈ N nach (6.1) berechnet werden können. Zur Vermeidung der numerischen Probleme im FA wird basierend auf Lemma 6.1 eine skalierte Version vorgeschlagen, in der alle Normierungskonstanten c(n, ) durch den Skalierungsfaktor    1 L+1 n+−1 mit ρ¯ = ρ (6.2) c¯ := ρ¯n L + 1 =1 n dividiert werden. Dabei stellt ρ¯ die mittlere Verkehrsintensität aller Wartesysteme in G(n) dar. Bezogen auf die vorliegende Lageranwendung kommt Lemma 6.1 eine besondere Bedeutung zu. Im praxisrelevanten Fall ausgeglichener E/A-Raten je Artikel  ∈ {1, . . . , L},

174

Kapitel 6 Einsatz der Modelle für die Leistungsanalyse von Lagersystemen

also mit ρ = 1, sind die Verkehrsintensitäten ρ aller Wartesysteme  = 1, . . . , L + 1 identisch, da an Wartesystem L + 1 nach (5.7b) definitionsgemäß ebenfalls ρL+1 = 1 gilt. Damit sind die Voraussetzungen von Lemma 6.1 erfüllt und die Normierungskonstanten c(n, ) der Warteschlangennetze G(n) lassen sich direkt aus (6.1) berechnen. In diesem Fall wird das numerisch problematische Wachstum der Normierungskonstanten c(n, ) in der Rekursion (5.10) durch die Skalierung mit dem Skalierungsfaktor c¯ aus (6.2) also vollständig eliminiert. Die Berechnungseffizienz der verschiedenen Ansätze zur Leistungsanalyse wird nachfolgend über die maximale Größe verarbeitbarer Instanzen sowie die maximale Rechenzeit tmax cpu bewertet. Allen analysierten Instanzen liegt dabei die praxisrelevante Annahme übereinstimmender E/A-Raten je Artikel zugrunde, d. h., ρ = 1 für  = 1, . . . , L. Für die experimentelle Performance-Analyse wird einer der beiden wesentlichen Modellparameter, also die Artikelanzahl L oder die Lagerplatzanzahl N , fixiert und der jeweils andere variiert. Die Instanzgröße wird dabei sukzessiv bis zu einer maximal betrachteten Anzahl von 106 Artikeln bzw. Lagerplätzen erhöht. Im Ersatzteilzentrum der Jungheinrich AG werden beispielsweise 65.000 Artikel auf 110.000 Lagerplätzen gelagert, vgl. Jungheinrich AG (2019). Haribo betreibt ein automatisiertes HRL mit 92.800 Lagerplätzen, für die 55.000 Artikel des Sortiments der Gebr. Heinemann stehen ein automatisiertes HRL sowie ein AKL mit insgesamt fast 160.000 Lagerplätzen zur Verfügung und Schaeffler unterhält ein AKL für knapp 100.000 Behälter, vgl. SSI SCHÄFER (2020a,b,c). Aus diesen exemplarischen Lageranwendungen geht somit hervor, dass die analysierten Lagerinstanzen mit bis zu 106 Artikeln bzw. Lagerplätzen den Bereich praxisrelevanter Instanzgrößen ausreichend abdecken. Im Zuge der nachfolgenden Auswertungen wird insbesondere die Berechnungseffizienz der beiden Varianten des FA sowie der MWA untersucht. Zu Vergleichszwecken sind im Fall homogener Lagergüter (L = 1) auch die Ergebnisse der Potenzmethode für das detaillierte Modell (Algorithmus 4.2) mit aufgeführt. Wenn mit einem Algorithmus in beiden Auswertungen die größtmögliche Instanz analysiert werden kann, so lässt sich daraus schlussfolgern, dass dieser Algorithmus für den Einsatz in der Praxis geeignet ist. Die Ergebnisse für die Variation der Lagergröße N bei fester Sortimentsgröße L sind in Tabelle 6.1 zusammengefasst. Aus dieser Auswertung geht hervor, dass das detaillierte Modell mit maximal N = 27 Lagerplätzen sehr bald an seine Grenzen stößt. Der Grund dafür liegt, wie bereits in Abschnitt 4.2.1 näher ausgeführt, im exponentiellen Wachstum der Kardinalität des Zustandsraums. Ein Vergleich mit den Resultaten der übrigen Algorithmen zeigt sehr deutlich den Effizienzgewinn, der mit der warteschlangentheoretischen Modellierung einhergeht. Im Detail hängt die Berechnungseffizienz allerdings davon ab,

175

6.1 Berechnungseffizienz der Algorithmen Potenzmethode L 1 500 5000 50000 *

N

max

27* – – –

tmax cpu

[s]

2521 – – –

FA unskaliert N

max

106 530** 160** 99**

tmax cpu

[s]

0,04 0,02*** 0,02*** 0,04***

FA skaliert N

max

106 106 106 106

tmax cpu

[s]

0,04 3,57 35,31 353,77

MWA N

max

106 106 106 106

tmax cpu [s] 0,07 9,49 92,30 922,67

Die Kardinalität des Zustandsraums führt zu einem vorzeitigen Abbruch (Laufzeitfehler). Die numerische Instabilität des Algorithmus beschränkt die Größe verarbeitbarer Instanzen. Die maximale Rechenzeit bezieht sich lediglich auf die verarbeitbaren Instanzen.

**

***

Tabelle 6.1: Rechenzeit und Größe verarbeitbarer Instanzen bei gegebener Artikelanzahl L welche Methode für die stationäre Analyse eingesetzt wird. Mit dem unskalierten FA können zwar für L = 1 noch alle Instanzen bis zur maximal betrachteten Lagerplatzanzahl analysiert werden. Mit steigender Artikelanzahl L sinkt jedoch bei schrittweiser Erhöhung76 der Lagerplatzanzahl N die maximale Größe N max verarbeitbarer Instanzen. Diese Beschränkung resultiert aus der numerischen Instabilität des FA. Werden die Normierungskonstanten hingegen mit dem Faktor c¯ aus (6.2) skaliert, so können mit dem FA durchgängig alle Instanzen analysiert werden. Bei der MWA ist die Größe N max verarbeitbarer Instanzen ebenfalls nicht beschränkt. Die maximale Rechenzeit tmax cpu , die jeweils über alle verarbeitbaren Instanzen bestimmt wurde, ist beim skalierten FA geringer als bei der MWA. Für beide Algorithmen liegt die Rechenzeit jedoch nur im Minutenbereich, was für eine Leistungsanalyse solch großer Lagersysteme durchaus akzeptabel ist. Da sich die maximale Rechenzeit tmax cpu sowohl für den skalierten FA als auch für die MWA immer bei der größten Instanz einstellt, zeigt die Auswertung außerdem einen proportionalen Zusammenhang zwischen Rechenzeit und Instanzgröße auf. Aus Anwendungssicht ist der Fall, dass die Sortimentsgröße L die Lagerplatzanzahl N übersteigt, zwar nicht realistisch, aber vor dem Hintergrund verarbeitbarer Instanzgrößen ist die analoge Auswertung bei gegebener Lagerplatzanzahl N dennoch von Interesse. Die Ergebnisse dieser Auswertung in Tabelle 6.2 zeichnen ein nahezu identisches Bild wie die in Tabelle 6.1. Während die maximale Größe Lmax verarbeitbarer Instanzen bei schrittweiser Vergrößerung77 der Sortimentsgröße L für den unskalierten FA mit steigender Lagergröße N abnimmt, ermöglichen sowohl der skalierte FA als auch die MWA eine 76

77

Für die Potenzmethode und den unskalierten FA wurde die Lagerplatzanzahl N im Rahmen der Auswertung jeweils sukzessiv um einen Lagerplatz vergrößert und für die beiden anderen Verfahren mit einer Schrittweite von 10.000 Lagerplätzen. Zur Vergrößerung der Sortimentsgröße L wurde wiederum beim unskalierten FA mit einer Schrittweite von einem Artikel und bei den anderen Verfahren mit einer Schrittweite von 10.000 Artikeln gearbeitet.

176

Kapitel 6 Einsatz der Modelle für die Leistungsanalyse von Lagersystemen FA unskaliert N 500 5000 50000

L

max

531* 159* 98*

tmax cpu

[s]

0,02** 0,02** 0,04**

FA skaliert L

max

106 106 106

tmax cpu

[s]

3,54 35,39 352,77

MWA L

max

106 106 106

tmax cpu [s] 9,61 95,29 950,42

*

Die numerische Instabilität des Algorithmus beschränkt die Größe verarbeitbarer Instanzen. ** Die maximale Rechenzeit bezieht sich lediglich auf die verarbeitbaren Instanzen.

Tabelle 6.2: Rechenzeit und Größe verarbeitbarer Instanzen bei gegebener Lagerplatzanzahl N Auswertung bis hin zur maximal betrachteten Instanzgröße. Darüber hinaus dominiert der skalierte FA auch in diesem Fall die MWA hinsichtlich der Rechenzeit. Die Vergleichbarkeit der Ergebnisse dieser beiden Auswertungen ist unerwartet, da die Parameter L und N auf völlig unterschiedliche Weise in die warteschlangentheoretische Modellierung eingehen. Während sich aus der Lagerplatzanzahl N die Anzahl zu analysierender Warteschlangennetze G(n) mit n = 1, . . . , N zirkulierenden Kunden ergibt, bestimmt die Sortimentsgröße L die Anzahl von Wartesystemen in jedem dieser Warteschlangennetze. Ein Vergleich der Ergebnisse aus den Tabellen 6.1 und 6.2 zeigt, dass sich beide Modellparameter dennoch nahezu identisch auf die Berechnungseffizienz der Algorithmen auswirken. Abschließend sei noch angemerkt, dass sogar (maximale) Instanzen mit 106 Artikeln und 106 Lagerplätzen sowohl mit dem skalierten FA als auch mit der MWA analysiert werden können. Der skalierte FA benötigt dafür knapp zwei Stunden und die MWA etwas weniger als fünfeinhalb Stunden. Dieses Resultat demonstriert klar die Leistungsfähigkeit der entwickelten Algorithmen, die im Wesentlichen auf die aggregierte Modellierung zurückzuführen ist. Zusammenfassend geht aus den Auswertungen zur Berechnungseffizienz hervor, dass die skalierte Version des FA und die MWA für die stationäre Analyse von Lagerinstanzen praxisrelevanter Größenordnung geeignet sind. Im direkten Vergleich schneidet der FA aufgrund etwas kürzerer Rechenzeiten geringfügig besser ab. Die MWA stellt aber dennoch eine sinnvolle Berechnungsalternative dar, weil sich diese Methode, wie im letzten Kapitel vorgestellt, auf allgemein verteilte Zwischenankunftszeiten der Lageraufträge übertragen lässt. Dieser verallgemeinerte Ansatz wird in den Abschnitten 6.3 und 6.4 näher untersucht. Zuvor widmet sich der folgende Abschnitt einigen grundlegenden Aussagen zum Lagerbetrieb unter KFS, die sich aus den Modellen unter Markov-Bedingungen ergeben.

6.2 Grundlegende Erkenntnisse für einen Lagerbetrieb unter KFS

177

6.2 Grundlegende Erkenntnisse für einen Lagerbetrieb unter KFS Aus der in Abschnitt 5.1 entwickelten Modellierung eines E/A-Prozesses bei Einsatz der KFS sollen im Folgenden Erkenntnisse für die zugrunde liegende Lageranwendung gewonnen werden. Das Ziel besteht darin, unter Verwendung der Markov-Modelle zu analysieren, wie sich die KFS im Vergleich zu anderen E/A-Strategien langfristig auf den Betrieb eines Lagersystems auswirkt. Dafür werden in Abschnitt 6.2.1 aus der stationären Analyse zunächst einige Kenngrößen hergeleitet, mit denen sich das Verhalten eines Lagersystems beschreiben lässt. Diese analytischen Kenngrößen zeigen erste charakteristische Eigenschaften eines Lagerbetriebs unter KFS auf. Abschnitt 6.2.2 ist sodann einem experimentellen Vergleich der Spielzeitberechnung unter verschiedenen E/A-Strategien gewidmet. Abschließend werden in Abschnitt 6.2.3 weitere Kennlinien zur Charakterisierung des E/A-Prozesses unter KFS ausgewertet. Vorab sei darauf hingewiesen, dass alle Ergebnisse dieses Abschnitts auf der Modellierung unter Markov-Bedingungen einschließlich der für diese Modelle geltenden PASTAEigenschaft beruhen. Daraus ergibt sich eine Einschränkung hinsichtlich der Allgemeingültigkeit der Aussagen, da von exponentialverteilten Zwischenankunftszeiten der Lageraufträge ausgegangen wird. Andererseits stellt diese Annahme wiederum eine Vergleichbarkeit zu den alternativen Ansätzen aus der Literatur her, die für die Gegenüberstellung in Abschnitt 6.2.2 notwendig ist.

6.2.1 Herleitung lagerspezifischer Kenngrößen Die in der vorliegenden Arbeit entwickelten Ansätze zur Leistungsanalyse zielen darauf ab, das Langzeitverhalten eines unter KFS betriebenen Lagersystems zu analysieren. Im bisherigen Verlauf beschränkte sich die Betrachtung auf die Zugriffswahrscheinlichkeiten, i. A. wird die Leistung eines Lagersystems jedoch anhand verschiedener Leistungskenngrößen quantifiziert, siehe Abschnitt 2.4.2. Nachfolgend werden daher aus den Normierungskonstanten des FA wesentliche lagerspezifische Kenngrößen hergeleitet. Diese analytische Vorgehensweise liefert auch einige funktionale Zusammenhänge, die das Verhalten des Lagersystems unter KFS in Abhängigkeit der Instanzparameter beschreiben. Wie aus Abschnitt 2.4.3 hervorgeht, ist der stationäre Grenzdurchsatz der RBG, berechnet als Kehrwert der mittleren Spielzeit t¯, die maßgebliche Kenngröße im Rahmen der Leistungsanalyse von Fördermitteln. Daher wird zunächst die mittlere Spielzeit t¯KFS von

178

Kapitel 6 Einsatz der Modelle für die Leistungsanalyse von Lagersystemen

Einzelspielen unter KFS hergeleitet. Den entwickelten Modellen liegt die Annahme zugrunde, dass Lageraufträge, die nicht unmittelbar ausgeführt werden können, abgewiesen werden. Die Zugriffswahrscheinlichkeiten PE (n) und PA (n) aus Proposition 5.4 beziehen sich daher auf alle ankommenden Lageraufträge. Für die Spielzeitberechnung ist jedoch nur die Teilmenge der ausführbaren Lageraufträge maßgeblich, sodass die sog. effektiven Ankunftsraten zu betrachten sind. Eine entsprechende Übertragung kann durch Normierung der Zugriffswahrscheinlichkeiten mit dem Einlager- bzw. Auslager-Servicegrad, αE bzw. αA , herbeigeführt werden. Dabei bezeichnen die Servicegrade die Wahrscheinlichkeit, dass ein ankommender EA bzw. AA ausgeführt werden kann. Eine Einlagerung ist immer genau dann möglich, wenn mindestens einer der Lagerplätze frei ist. Die zugehöri(n) ge Wahrscheinlichkeit lässt sich aus den stationären Randwahrscheinlichkeiten π (n ) in  (5.12) ermitteln, die die Wahrscheinlichkeit für n ≤ n Kunden an Wartesystem  im Warteschlangennetz G(n) mit n ∈ {1, . . . , N } angeben. Mit ρL+1 = 1 aus (5.7b) für das auf die freien Lagerplätze bezogene Wartesystem L + 1 resultiert folgender Zusammenhang zwischen dem Einlager-Servicegrad αE und den Normierungskonstanten c(n, ). (N )

αE = 1 − πL+1 (0) = 1 − =

ρ0L+1 [c(N, L + 1) − ρL+1 · c(N − 1, L + 1)] c(N, L + 1)

c(N − 1, L + 1) c(N, L + 1)

(6.3)

Im Gegensatz dazu muss für die Berechnung des Auslager-Servicegrads zwischen den Artikeln  = 1, . . . , L differenziert werden, da für eine Auslagerung von Artikel  mindestens eine Lagereinheit dieses Artikels eingelagert sein muss. Die jeweiligen artikelspezifischen Auslager-Servicegrade αA () lassen sich wiederum aus den stationären Randwahrschein(n) lichkeiten π (n ) in (5.12) berechnen. ρ0 [c(N, L + 1) − ρ · c(N − 1, L + 1)] c(N, L + 1) ρ · c(N − 1, L + 1) = = ρ · αE c(N, L + 1) (N )

αA () = 1 − π (0) = 1 −

(6.4)

Nach dem Gesetz der totalen Wahrscheinlichkeit ergibt sich der gesamte AuslagerServicegrad αA schließlich wie folgt aus den artikelspezifischen Auslager-Servicegraden αA () und den relativen Ankunftsraten aller Artikel . αA =

L  μ =1

μ

· αA () =

L  μ =1

μ

· ρ · αE =

λ · αE = ρ · αE μ

(6.5)

6.2 Grundlegende Erkenntnisse für einen Lagerbetrieb unter KFS

179

Der proportionale Zusammenhang mit Faktor ρ zwischen den Einlager- und Auslager-Zugriffswahrscheinlichkeiten aus Proposition 5.4 gilt somit gleichermaßen für die Einlagerund Auslager-Servicegrade. Folglich stimmen, wie auch im Fall homogener Lagerartikel in (4.21), die normierten Zugriffswahrscheinlichkeiten PZ (n) für beide Auftragsarten je Lagerplatz n ∈ {1, . . . , N } überein. PZ (n) =

PE (n) PA (n) = αE αA

(6.6)

Für die effektiven Ankunftsraten der beiden Auftragsarten gilt dieser Zusammenhang wegen λ λ · αE = μ · · αE = μ · αA (6.7) μ gleichermaßen. Folglich handelt es sich bei einem auszuführenden Lagerauftrag jeweils mit Wahrscheinlichkeit 12 um einen EA bzw. einen AA. Ein Wechsel der Auftragsart in der Bearbeitungsreihenfolge findet ebenfalls mit Wahrscheinlichkeit pW = 12 statt. Mit tE (n) bzw. tA (n) als Spielzeit für ein Einlager- bzw. Auslager-Einzelspiel in Lagerplatz n setzt sich die mittlere Spielzeit t¯KFS von Einzelspielen unter KFS nach (2.2) schließlich folgendermaßen zusammen. N N 1  1  1 PZ (n) · tE (n) + · PZ (n) · tA (n) + · tAE t¯KFS = · 2 n=1 2 n=1 2

=

N 1  1 · PZ (n) · [tE (n) + tA (n)] + · tAE 2 n=1 2

(6.8)

Der letzte Summand steht dabei für die Fahrtzeit zwischen A-Punkt und E-Punkt, die bei einem Wechsel der Auftragsart hinzukommt. Für den typischen Aufbau eines automatisierten HRL mit kombiniertem E/A-Punkt stimmen die Spielzeiten beider Einzelspiele überein, d. h., tZ (n) := tE (n) = tA (n), und die Fahrt zwischen den Übergabepunkten entfällt. In diesem Fall vereinfacht sich die mittlere Spielzeit t¯KFS zu t¯KFS =

N 

n=1

PZ (n) · tZ (n)

(6.9)

Die warteschlangentheoretische Modellierung aus Abschnitt 5.1 ermöglicht darüber hinaus die Auswertung weiterer Kenngrößen des Lagersystems im stationären Gleichgewicht. Der erwartete Bestand ¯b an Lagereinheiten von Artikel  ∈ {1, . . . , L} ergibt sich als erwartete Anzahl von Kunden in Wartesystem  des Warteschlangennetzes G(N ) .

180

Kapitel 6 Einsatz der Modelle für die Leistungsanalyse von Lagersystemen

Für diese Kenngrößen gilt folgender Zusammenhang zu den Normierungskonstanten des FA, vgl. z. B. Stewart (2009, S. 581). ¯b =

N 

n=1

ρn ·

c(N − n, L + 1) c(N, L + 1)

(6.10)

Zudem liefert (6.10) mit  = L + 1 die erwartete Anzahl freier Lagerplätze. Daraus folgt direkt der erwartete Lagerfüllgrad F G als erwarteter Anteil belegter Lagerplätze insgesamt. ¯bL+1 (6.11) FG = 1 − N Eng verknüpft mit der erwarteten Anzahl von Kunden ist in warteschlangentheoretischen Modellen die erwartete Verweildauer der Kunden. Daran angelehnte Kenngrößen sind auch für den Lagerbetrieb unter KFS von Interesse. Durch Anwendung von Littles Gesetz, siehe Abschnitt 2.5.2, lässt sich aus dem erwarteten Bestand ¯b die erwartete artikelspezifische Verweildauer78 W bestimmen. Diese Kenngröße gibt Auskunft darüber, wie lange eine beliebige Lagereinheit von Artikel  ∈ {1, . . . , L} erwartungsgemäß im Lagersystem eingelagert ist. Unter Verwendung der effektiven Ankunftsrate, d. h. bezogen auf ausführbare EA, gilt folgender Zusammenhang. W =

¯b λ · αE

(6.12)

Von besonderem Interesse für einen Lagerbetrieb unter KFS sind außerdem lagerplatzbezogene Kenngrößen. Unter den getroffenen Annahmen, dass jeder Lagerplatz genau eine Lagereinheit aufnehmen kann und dass sich jeder Lagerauftrag auf genau eine Lagereinheit bezieht, entspricht die Belegung Y (n) von Lagerplatz n ∈ {1, . . . , N } einer binären Zufallsvariable. In Anlehnung an Cooper (1981, S. 89) ergibt sich daraus, wie nachfolgend hergeleitet, die Wahrscheinlichkeit, dass Lagerplatz n im stationären Gleichgewicht belegt ist. Diese Wahrscheinlichkeit wird als stationäre Belegungswahrscheinlichkeit βn bezeichnet und entspricht aufgrund der Binarität dem Erwartungswert von Y (n) . Somit lässt sich die Kenngröße als Differenz der erwarteten Gesamtanzahl belegter Lagerplätze unter den ersten n bzw. n − 1 Lagerplätzen bestimmen. Diese Erwartungswerte können (n) aus den Randwahrscheinlichkeiten π (n ) in (5.12) berechnet werden und durch eine

78

Der Begriff „Verweildauer“ entstammt der Nomenklatur der Warteschlangentheorie. Aufgrund der Modellierung des E/A-Prozesses mittels Warteschlangennetzen wird diese Bezeichnung in der vorliegenden Arbeit ebenso für die zugrunde liegende Lageranwendung verwendet. Alternativ sind im Anwendungskontext auch die Begriffe „Liegezeit“ und „Lagerdauer“ gebräuchlich.

181

6.2 Grundlegende Erkenntnisse für einen Lagerbetrieb unter KFS

anschließende Umformung der Teleskopsummen folgendermaßen auf die Normierungskonstanten zurückgeführt werden. 







βn = P Y (n) = 1 = E Y (n) = E = =

n 

n =1 n 

n =1

=

n−1 



L  =1

(n)

Z



 L  =1



n · n ·

 c(n , L + 1) − c(n − 1, L + 1) n−1 c(n , L + 1) − c(n − 1, L + 1) − n · c(n, L + 1) c(n − 1, L + 1) n =1 

−n)− 

n =1 

n · 

− 1 − n )



n−1  1 n · c(n, L + 1) − c(n , L + 1) c(n, L + 1) n =0



(n−1)

Z

(n) πL+1 (n



(n−1) πL+1 (n

−E





n−2  1 (n − 1) · c(n − 1, L + 1) − c(n , L + 1) c(n − 1, L + 1) n =0

=1−

n−1 n−2   1 1 c(n , L + 1) + c(n , L + 1) c(n, L + 1) n =0 c(n − 1, L + 1) n =0

(6.13)

Wie aus der Herleitung von (6.13) hervorgeht, kann die stationäre Belegungswahrscheinlichkeit βn auch als erwarteter Bestand in Lagerplatz n ∈ {1, . . . , N } interpretiert werden. Über Littles Gesetz kann damit wiederum die erwartete lagerplatzbezogene Verweildauer wn bestimmt werden, die sich auf die in Lagerplatz n eingelagerten Lagereinheiten bezieht. Zusammen mit der effektiven Ankunftsrate von EA im betreffenden Lagerplatz, die sich über die zugehörige Einlager-Zugriffswahrscheinlichkeit PE (n) aus (5.13a) ermitteln lässt, gilt schließlich folgender Zusammenhang für die erwartete Verweildauer wn in Lagerplatz n: wn =

βn λ · PE (n)

(6.14)

Unter Verwendung der vorab hergeleiteten Kenngrößen wird in den folgenden Abschnitten näher untersucht, wie sich der Einsatz der KFS auf die Leistungsfähigkeit eines Lagersystems auswirkt. Zuvor soll jedoch der bereits in Abschnitt 3.4 angedeutete Vorteil analytisch-stochastischer Modellierungen ausgenutzt werden, dass die als geschlossene Ausdrücke resultierenden Ergebnisse die Möglichkeit bieten, strukturelle Abhängigkeiten innerhalb des Modells zu identifizieren. Die bisherige Darstellung der Kenngrößen als Funktionen in den Normierungskonstanten eignet sich dafür allerdings nicht, weshalb nachfolgend zunächst funktionale Zusammenhänge der Kenngrößen zu den Modellparametern abgeleitet werden.

182

Kapitel 6 Einsatz der Modelle für die Leistungsanalyse von Lagersystemen

Bei der Leistungsanalyse steht das Langzeitverhalten eines Lagersystems im Mittelpunkt der Betrachtung. Insbesondere aus betriebswirtschaftlichen Erwägungen sollten die E/A-Prozesse langfristig so aufeinander abgestimmt werden, dass die Zugangsrate λ jedes Artikels  ∈ {1, . . . , L} mit dessen Abgangsrate μ übereinstimmt. Bezogen auf praktische Einsatzbereiche ist also im Wesentlichen der Spezialfall der Modellierung mit identischen E/A-Raten, d. h., ρ = 1 für alle Artikel  = 1, . . . , L + 1, relevant. Nachfolgend werden daher die Kenngrößen des Lagersystems für diesen praxisrelevanten Spezialfall einer näheren Betrachtung unterzogen. Wie weiter oben gezeigt, können alle lagerspezifischen Kenngrößen direkt aus den Normierungskonstanten c(n, L + 1) des FA, teilweise in Verbindung mit weiteren Modellparametern, berechnet werden. Im Fall übereinstimmender E/A-Raten ergibt sich aus Lemma 6.1 für n = 0, . . . , N die folgende vereinfachte Darstellung für die Normierungskonstanten. c(n, L + 1) =



n+L n



(6.15)

Im weiteren Verlauf wird nun beschrieben, wie sich die Kenngrößen unter Verwendung dieses Resultats als Funktionen in den Modellparametern formulieren lassen. Nach Proposition 5.4 stimmt im betrachteten Spezialfall die Einlager-Zugriffswahrscheinlichkeit PE (n) eines Lagerplatzes n mit dessen Auslager-Zugriffswahrscheinlichkeit PA (n) überein. Einsetzen von (6.15) in (5.13a) zeigt, dass diese Wahrscheinlichkeiten folgendermaßen von der Lagerplatznummer n sowie der Sortimentsgröße L abhängen. PE (n) = PA (n) = =

c(n − 1, L + 1) c(n − 2, L + 1) − c(n, L + 1) c(n − 1, L + 1)





n+L−1 n−1   n+L n







n+L−2 n−2   n+L−1 n−1

n−1 n − n+L n+L−1 L = (n + L)(n + L − 1)

=

(6.16)

Auf analoge Weise lassen sich die beiden Servicegrade aus (6.3) und (6.5) zusammen mit (6.15) als Funktion in der Lagergröße N sowie der Artikelanzahl L darstellen. αE = αA =

N c(N − 1, L + 1) = c(N, L + 1) N +L

(6.17)

Der Lagerfüllgrad F G ergibt sich nach (6.11) aus der erwarteten Anzahl ¯b belegter Lagerplätze je Artikel . Wie aus (6.10) ersichtlich wird, ist diese Anzahl im Fall ρ = 1

183

6.2 Grundlegende Erkenntnisse für einen Lagerbetrieb unter KFS

für  = 1, . . . , L + 1 unabhängig von der Artikelart . Im Warteschlangennetz G(N ) verteilen sich die N zirkulierenden Kunden (Lagerplätze) somit gleichmäßig auf die N für jeden Artikel L + 1 Wartesysteme (Belegungszustände). Daraus resultiert ¯b = L+1  ∈ {1, . . . , L + 1} und es ergibt sich folgender Zusammenhang zwischen dem Lagerfüllgrad und der Sortimentsgröße L. FG = 1 −

N ¯bL+1 L = 1 − L+1 = N N L+1

(6.18)

Einsetzen der vereinfachten Normierungskonstanten aus (6.15) in (6.13) zeigt, dass dieses Resultat bei übereinstimmenden E/A-Raten auch für die Belegungswahrscheinlichkeiten βn der Lagerplätze n = 1, . . . , N gilt. βn = 1 − =1−

n−1 n−2   1 1 c(n , L + 1) + c(n , L + 1) c(n, L + 1) n =0 c(n − 1, L + 1) n =0





n +L n   n+L n =0 n n−1 

+





n +L n   n+L−1 n =0 n−1 n−2 

=1−





n+L n−1   n+L n

+





n+L−1 n−2   n+L−1 n−1

=

L L+1

(6.19)

Dabei handelt es sich um eine direkte Verallgemeinerung von Proposition 4.9 für die Belegungswahrscheinlichkeiten im Fall homogener Lagerartikel. Unter Verwendung der bestandsbezogenen Kenngrößen vereinfachen sich schließlich auch die verweildauerbezogenen Kenngrößen. Die erwartete artikelspezifische Verweildauer W aus (6.12) wird zu einer Funktion der Lagergröße N , der Sortimentsgröße L und der Einlagerrate λ des betrachteten Artikels . W =

N ¯b N +L = L+1N = λ · αE λ (L + 1) λ · N +L

(6.20)

Bezogen auf einen Lagerplatz n hängt die erwartete Verweildauer wn aus (6.14) hingegen neben der Sortimensgröße L von der Lagerplatznummer n und der kumulierten Ankunftsrate λ aller Artikel ab. wn =

βn = λ · PE (n)

L L+1 λL (n+L−1)(n+L)

=

(n + L − 1)(n + L) λ(L + 1)

(6.21)

Aus diesen funktionalen Zusammenhängen lassen sich für den Fall übereinstimmender E/A-Raten einige strukturelle Erkenntnisse über das Langzeitverhalten eines Lagersystems bei Einsatz der KFS gewinnen. Zuallererst bestätigt Gleichung (6.16) die grundlegende Vermutung, dass die Zugriffswahrscheinlichkeiten unter KFS streng monoton in der Lagerplatznummer n fallen. Bei einem Lagerbetrieb unter KFS werden also fahrt-

184

Kapitel 6 Einsatz der Modelle für die Leistungsanalyse von Lagersystemen

zeitungünstige Lagerplätze seltener für eine Ausführung von Lageraufträgen ausgewählt als fahrtzeitgünstige. Für die in automatisierten HRL übliche Lagerkonfiguration mit einem kombinierten E/A-Punkt folgt hieraus mit Korollar 2.1, dass die KFS langfristig zu einer optimalen Zuordnung von Lagerplätzen zu Lageraufträgen hinsichtlich der Durchsatzleistung der RBG führt. Dieses Resultat deckt sich auch mit den simulationsgestützten Beobachtungen von Gagliardi et al. (2012b), nach denen sich bei freier LPV und fahrtzeitbezogenen E/A-Strategien die Zugriffe auf die Lagerplätze dynamisch an das Ankunftsverhalten der Lageraufträge anpassen, siehe Abschnitt 3.3. Eine weitere Kenngröße, die unter KFS ebenfalls von der Lagerplatznummer n abhängt, ist die erwartete lagerplatzspezifische Verweildauer wn . Gemäß (6.21) steigt die Verweildauer wn quadratisch in der Nummer n des Lagerplatzes, der für die Einlagerung einer Lagereinheit gewählt wird. Dieser Zusammenhang ist eine direkte Folge der strikten Auswahl fahrtzeitgünstiger Lagerplätze und somit charakteristisches Merkmal der E/A-Strategie KFS. Bei der erwarteten artikelspezifischen Verweildauer W in (6.20) tritt dieser Effekt nicht auf, da die Betrachtung über alle Lagereinheiten eines Artikels erfolgt. Dass der gewählte Lagerplatz ausschlaggebend für die Verweildauer der eingelagerten Lagereinheit ist, unterscheidet die KFS grundlegend von anderen E/A-Strategien, insbesondere auch von den Strategiekombinationen mit fahrtzeitbezogener Einlagerung, wie COL/FIFO und COL/PRS. Aufgrund der damit einhergehenden möglichen Überalterung der Lagerbestände in fahrtzeitungünstigen Lagerplätzen raten Yamashita et al. (1998) grundsätzlich von einem Einsatz fahrtzeitbezogener Auslagerstrategien ab. Bei der Lagerung verderblicher Artikel mit geringer Haltbarkeit ist diese Kritik durchaus gerechtfertigt. Generell sollte darin jedoch kein Hindernis für einen Einsatz der KFS gesehen werden, da sich beispielsweise folgende Maßnahme zur Vorbeugung überalterter Lagerbestände einsetzen lässt. Durch periodische Bestandsprüfungen können Lagereinheiten, die eine kritische Verweildauer erreicht haben, identifiziert und für die nächsten Auslagerungen vorgemerkt werden. Diese Auslagerungen aus fahrtzeitungünstigen Lagerplätzen zur Bestandserneuerung werden jedoch nur vergleichsweise selten benötigt. Auf diese Weise lässt sich also eine Überalterung des Lagerbestands durch KFS vermeiden und gleichzeitig im regulären Lagerbetrieb das Potential der KFS zur Durchsatzsteigerung nutzen. Wie sich ein Lagerbetrieb unter KFS im Detail auf die erwartete Verweildauer der Lagereinheiten auswirkt, wird in Abschnitt 6.2.3 anhand verschiedener Kennlinien noch näher untersucht. Die Belegungswahrscheinlichkeiten βn der Lagerplätze weisen hingegen keinen Zusammenhang zu deren Position n in der Sequenz von Lagerplätzen auf. Bei übereinstimmenden E/A-Raten hängen diese Wahrscheinlichkeiten nach (6.19) ausschließlich von der

6.2 Grundlegende Erkenntnisse für einen Lagerbetrieb unter KFS

185

Sortimentsgröße L ab. Demnach wird es mit wachsender Anzahl einzulagernder Artikel immer wahrscheinlicher, dass ein Lagerplatz belegt ist. Entsprechend überträgt sich dieser Zusammenhang auch auf den gesamten Lagerfüllgrad in (6.18). Eng verbunden damit ist das Verhalten der Servicegrade aus (6.17), die bei Vergrößerung des Lagersortiments sinken. Ein höherer erwarteter Lagerfüllgrad führt direkt dazu, dass EA häufiger abgewiesen werden. Damit gehen geringere erwartete Bestände der einzelnen Artikel und folglich auch eine höhere Ablehnwahrscheinlichkeit für AA einher. Basierend auf den vorliegenden Resultaten soll abschließend noch eine Vermutung von de Koster et al. (2007) kritisch hinterfragt werden. Hinsichtlich der Lagerbelegung treffen die Autoren die durchaus naheliegende Feststellung, die Einlagerstrategie COL führe zu einer Konzentration der Lagereinheiten in den fahrtzeitgünstigen Lagerplätzen. Da die KFS Einlagerungen gemäß COL impliziert, wird die Allgemeingültigkeit dieser Vermutung jedoch durch den funktionalen Zusammenhang für die Belegungswahrscheinlichkeiten in (6.19) widerlegt. Genauer gesagt zeigt sich, dass eine derartige Aussage nicht losgelöst von der eingesetzten Auslagerstrategie getroffen werden kann. Der Grund dafür liegt darin, dass sich in Verbindung mit fahrtzeitbezogener Auslagerung die Effekte der Zugriffswahrscheinlichkeiten und der lagerplatzspezifischen Verweildauern in den einzelnen Lagerplätzen n ∈ {1, . . . , N } überlagern. Die häufigeren Zugriffe auf fahrtzeitgünstige Lagerplätze führen zu geringeren erwarteten Verweildauern von Lagereinheiten in diesen Lagerplätzen. Umgekehrt resultieren aus den selteneren Zugriffen längere Verweildauern für Lagereinheiten in fahrtzeitungünstigen Lagerplätzen. Diese Wechselwirkungen zwischen Zugriffen und Verweildauern erklären somit den Effekt, dass die Belegungswahrscheinlichkeiten aller Lagerplätze unter KFS langfristig identisch sind und alleinig durch die Sortimentsgröße L bestimmt werden. Anders stellt sich der Sachverhalt jedoch dar, wenn COL mit einer Auslagerstrategie kombiniert wird, bei der die erwartete Verweildauer einer Lagereinheit unabhängig vom gewählten Lagerplatz ist. Derartige Auslagerstrategien sind beispielsweise FIFO oder PRS. Für solche Strategiekombinationen erscheint die Vermutung von de Koster et al. (2007), dass die Belegungswahrscheinlichkeiten mit steigender Lagerplatznummer n fallen, plausibel. Die mittlere Spielzeit t¯KFS in (6.8) bzw. (6.9) hängt einerseits von den Spielzeiten der Fördermittel für die einzelnen Lagerplätze ab, also von der technischen Konfiguration des betrachteten Lagersystems, und andererseits von den Zugriffswahrscheinlichkeiten. Letztere werden wiederum von der Zusammensetzung des Lagersortiments beeinflusst. Zur näheren Untersuchung dieser verschiedenen Einflussfaktoren wird im nächsten Abschnitt eine experimentelle Performance-Analyse durchgeführt, im Rahmen derer die KFS auch mit anderen E/A-Strategien verglichen wird.

186

Kapitel 6 Einsatz der Modelle für die Leistungsanalyse von Lagersystemen

6.2.2 Vergleichende Spielzeitberechnung E/A-Strategien beeinflussen die Zugriffswahrscheinlichkeiten für die einzelnen Lagerplätze und wirken sich nach (2.2) folglich auch direkt auf die mittlere Spielzeit t¯ der Fördermittel aus. Um Leistungsunterschiede zwischen ausgewählten Strategien aufzeigen zu können, werden die zugehörigen mittleren Spielzeiten nachfolgend für verschiedene Instanzen von Lagersystemen bestimmt und miteinander verglichen. Die Lagerinstanzen unterscheiden sich dabei hinsichtlich der Anzahl N von Lagerplätzen, deren Anordnung sowie der Sortimentsgröße L. Die Spielzeitberechnung basiert auf der in Abschnitt 5.1 präsentierten Modellierung für die Leistungsanalyse unter KFS sowie weiteren analytischen Modellen für andere E/A-Strategien, die im Folgenden noch näher vorgestellt werden. Einerseits soll mit diesem Vergleich untersucht werden, ob unter Verwendung anderer Ansätze eine hinreichend genaue Approximation der mittleren Spielzeit unter KFS erreicht werden kann. Andererseits wird der Frage nachgegangen, ob der Einsatz der KFS tatsächlich zur vermuteten Erhöhung des stationären Grenzdurchsatzes führen kann. Wie aus Kapitel 3 hervorgeht, finden sich in der Literatur unterschiedliche Ansätze zur Bestimmung der Zugriffswahrscheinlichkeiten. Die am weitesten verbreitete Variante besteht darin, in Modellen für die Leistungsanalyse von gleichverteilten Zugriffen auf alle Lagerplätze auszugehen. Diese Annahme impliziert die Anwendung der E/A-Strategie PRS und führt zu folgenden Wahrscheinlichkeiten für die Zugriffe auf die Lagerplätze. PPRS (n) =

1 N

(n = 1, . . . , N )

(6.22)

Neben der Gleichverteilungsannahme werden für den Spielzeitvergleich auch verschiedene Ansätze zur Modellierung der fahrtzeitbezogenen Einlagerstrategie COL herangezogen. Park und Lee (2007) bestimmen die Zugriffswahrscheinlichkeiten PCOL (n) basierend auf einem M/G/N/N -Warteschlangensystem, siehe Abschnitt 3.6.2. Diesem Modell liegt keine konkrete Auslagerstrategie zugrunde, sondern die Auslagerzeitpunkte ergeben sich für jede Lagereinheit eines Artikels  ∈ {1, . . . , L} aus unabhängig und identisch verteilten Verweildauern mit Erwartungswert τ . Zur Berechnung der Zugriffswahrscheinlichkeiten PCOL (n) in (3.1) wird die Verkehrsintensität ρ des Warteschlangensystems aus (3.2) benötigt. Für den Vergleich mit KFS wird ρ bestimmt, indem die erwarteten Verweildauern τ folgendermaßen durch die erwarteten artikelspezifischen Verweildauern W unter KFS aus (6.12) ersetzt werden. ρ=λ·

L  λ =1

λ

· W =

L  =1

λ ·

¯b N − ¯bL+1 = αE · λ αE

(6.23)

6.2 Grundlegende Erkenntnisse für einen Lagerbetrieb unter KFS

187

Aus diesem analytisch-stochastischen Ansatz leiten Park und Lee eine Approximation für die Zugriffswahrscheinlichkeiten unter COL ab. Dabei handelt es sich um eine Gleichverteilung über die genutzten, fahrtzeitgünstigen Lagerplätze, wobei sich die Anzahl n genutzter Lagerplätze aus der Verkehrsintensität ρ ergibt, siehe (6.24). Im Rahmen der vorliegenden Forschungsarbeit wird daran angelehnt eine ähnliche Approximation für die KFS vorgeschlagen. Die Anzahl n genutzter Lagerplätze wird dafür basierend auf dem Lagerfüllgrad F G unter KFS aus (6.11) bestimmt. Diese beiden Approximationen führen zu folgenden Zugriffswahrscheinlichkeiten für die Lagerplätze n = 1, . . . , N . • Approximation nach Park und Lee (2007) ⎧ ⎪ ⎨ 1 ,

PCOL (n) = ⎪ n ⎩0,

falls n ≤ n = min {N, ρ} sonst

(6.24)

• Approximation angepasst an KFS P

KFS (n)

=

⎧ ⎪ ⎨ 1 , n

⎪ ⎩0,

falls n ≤ n = F G · N  sonst

(6.25)

Aus dem streng monotonen Wachstum der Zugriffswahrscheinlichkeiten unter KFS im praxisrelevanten Fall übereinstimmender E/A-Raten in (6.16) geht bereits hervor, dass sich diese Wahrscheinlichkeiten nicht durch eine Gleichverteilung approximieren lassen. Dennoch ist es interessant zu untersuchen, wie stark sich die unterschiedlichen Zugriffswahrscheinlichkeiten auf die für die Leistungsanalyse maßgebliche Kenngröße der mittleren Spielzeit auswirken. Im Zuge der nachfolgenden experimentellen Performance-Analyse wird daher zunächst ausgewertet, ob die mittlere Spielzeit t¯KFS unter KFS mit einem dieser Ansätze hinreichend genau angenähert werden kann. Als Vergleichsgrundlage dienen dabei die normierten Zugriffswahrscheinlichkeiten PKFS (n) := PZ (n) der Lagerplätze n = 1, . . . , N aus (6.6). Die experimentelle Performance-Analyse bezieht sich auf eine Lagergasse eines automatisierten HRL. Die Lagerregale zu beiden Seiten der Lagergasse haben zehn Regalebenen mit jeweils 25 Lagerplätzen quadratischer Abmessung, d. h. insgesamt N = 500 Lagerplätze.79 Die Lagergasse wird von einem RBG bedient und der E/A-Punkt befindet sich 79

Die Lagerinstanz wird aus Vergleichsgründen so klein gewählt, da die Berechnung der Zugriffswahrscheinlichkeiten PCOL (n) in (3.1) aufgrund der Potenzbildung für größere Instanzen zu numerischen Problemen führt.

188

Kapitel 6 Einsatz der Modelle für die Leistungsanalyse von Lagersystemen

mittlere Spielzeit (t¯)

30 25 20 15 10

PRS COL KFS

5 0

0

20

40

60 80 100 Sortimentsgröße (L)

120

140

Abbildung 6.1: Sortimentsbezogene Kennlinie der mittleren Spielzeit unter verschiedenen E/A-Strategien am Eingang der Lagergasse. Die Berechnung der Zykluszeiten tZ (n) für die Lagerplätze n = 1, . . . , N basiert auf dem für RBG typischen, simultanen Bewegungsablauf, siehe Abschnitt 2.1.1, wobei zur Vereinfachung der Darstellung von übereinstimmenden Verfahrgeschwindigkeiten in horizontaler und vertikaler Richtung80 ausgegangen wird. Für das Ankunftsverhalten der Lageraufträge wird der praxisrelevante Fall übereinstimmender E/A-Raten betrachtet, d. h., ρ = 1 für alle Artikel  = 1, . . . , L. Dabei variiert die Sortimentsgröße L in den untersuchten Lagerinstanzen und ist für jede Auswertung explizit angegeben. In Abbildung 6.1 sind die Kennlinien für die mittlere Spielzeit unter den E/A-Strategien PRS, COL und KFS in Abhängigkeit von der Sortimentsgröße L dargestellt. Für COL werden die Zugriffswahrscheinlichkeiten mit der Verkehrsintensität ρ in (6.23) aus dem analytisch-stochastischen Modell von Park und Lee (2007) berechnet. Diese Auswertung zeigt, dass sowohl unter COL als auch unter KFS die mittlere Spielzeit in der Sortimentsgröße L ansteigt. Der Vergleich zur E/A-Strategie PRS, bei der die mittlere Spielzeit unabhängig von der Sortimentsgröße L ist, fällt zwischen diesen beiden Strategien jedoch sehr unterschiedlich aus. Unter COL weichen die mittleren Spielzeiten lediglich für kleine Sortimentsumfänge nennenswert von der mittleren Spielzeit unter PRS ab. Bei Einsatz der KFS sind die mittleren Spielzeiten hingegen für alle analysierten Sortimentsgrößen deutlich geringer. Diese Auswertung lässt somit den Schluss zu, dass weder das Modell 80

Auch wenn diese Annahme bei üblichen RBG i. d. R. nicht erfüllt ist, so stellt sie für den Vergleich jedoch keine Beschränkung der Allgemeinheit dar, da das Optimierungspotential insbesondere vom sog. Wandparameter abhängt. Diese Kenngröße setzt die Verfahrgeschwindigkeiten des RBG in Beziehung zu den Regalwandabmessungen, vgl. z. B. Arnold und Furmans (2009, S. 198 f.), und ihr Einfluss wird im weiteren Verlauf durch Variation der Regalgeometrie untersucht.

6.2 Grundlegende Erkenntnisse für einen Lagerbetrieb unter KFS

189

mittlere Spielzeit (t¯)

30

25 COL Approximation COL

20

Approximation KFS 15

0

20

40

60 80 100 Sortimentsgröße (L)

120

140

Abbildung 6.2: Sortimentsbezogene Kennlinie der mittleren Spielzeit unter COL (analytisch und approximativ) von Park und Lee noch die Gleichverteilungsannahme geeignet sind, die Zugriffswahrscheinlichkeiten unter KFS zu approximieren. Darüber hinaus vergleicht Abbildung 6.2 die mittleren Spielzeiten, die sich aus den approximierten Zugriffswahrscheinlichkeiten in (6.24) bzw. (6.25) ergeben, mit denen des analytisch-stochastischen Modells für COL. Aus diesem Vergleich geht hervor, dass beide Varianten zwar eine sehr gute Approximation für die mittlere Spielzeit unter COL darstellen, aber nicht für die unter KFS. Die Einbeziehung des erwarteten Lagerfüllgrads unter KFS (Approximation KFS) korrigiert die Ergebnisse immerhin geringfügig nach unten, die Abweichungen zur Kennlinie der KFS81 (vgl. Abbildung 6.1) sind aber dennoch beträchtlich. Folglich eignen sich bei einem Lagerbetrieb unter KFS auch die beiden Approximationen nicht zur Spielzeitberechnung. Der Grund liegt darin, dass das charakteristische Merkmal der KFS, die lagerplatzspezifischen Verweildauern, nicht über unabhängige und identisch verteilte Verweildauern je Artikel, wie im Ansatz von Park und Lee, abgebildet werden kann. Dieser grundlegende Unterschied zeigt sich auch in einem Vergleich der normierten Zugriffswahrscheinlichkeiten aus den analytisch-stochastischen Modellen für COL bzw. KFS. Dafür sind in Abbildung 6.3 exemplarisch die Wahrscheinlichkeiten für Zugriffe auf die ersten 50 Lagerplätze der Lagerinstanz mit L = 50 Artikeln angegeben. Wie bereits im letzten Abschnitt erläutert, führt der Einsatz der KFS langfristig zu einer bevorzugten Auswahl fahrtzeitgünstiger Lagerplätze, d. h. mit niedriger Lagerplatznummer n. Die Vermutung liegt nahe, dass sich bei alleiniger fahrtzeitminimie81

Aufgrund des größeren Maßstabs, der in Abbildung 6.2 zur Darstellung der geringen Abweichungen gewählt wurde, ist die deutlich unterhalb liegende Kennlinie der KFS darin nicht zusätzlich eingezeichnet.

Kapitel 6 Einsatz der Modelle für die Leistungsanalyse von Lagersystemen normierte Zugriffswahrscheinlichkeiten (PEAS (n))

190

0,020 ( COL EAS = ( KFS EAS =

0,015 0,010 0,005 10

20 30 40 Lagerplatz (n)

50

Abbildung 6.3: Vergleich der normierten Zugriffswahrscheinlichkeiten verschiedener E/A-Strategien (EAS) bei L = 50 Artikeln render Einlagerung (COL) ein ähnlicher, aber nicht so stark ausgeprägter Effekt einstellt. Tatsächlich entsprechen die Zugriffswahrscheinlichkeiten unter COL jedoch überraschenderweise nahezu einer Gleichverteilung. Der deutliche Unterschied zwischen den Zugriffswahrscheinlichkeiten unter KFS und COL resultiert aus den Synergieeffekten, die bei Einsatz der KFS zwischen der Lagerplatzwahl für EA und der für AA bestehen. Wird aus einem fahrtzeitgünstigen Lagerplatz ausgelagert, so steht dieser Lagerplatz direkt wieder für den nächsten EA zur Verfügung. Somit kann die optimierte Auslagerung als Vorbereitung für eine optimierte Einlagerung angesehen werden. Bei hohem Lagerfüllgrad gilt der Zusammenhang zwischen der Lagerplatzwahl für EA und AA auch unter Einsatz der COL. Da jedoch in diesem Fall nicht fahrtzeitminimierend ausgelagert wird, verteilen sich die Einlagerungen genau wie die Auslagerungen langfristig gleichmäßig über alle Lagerplätze. Dieser Unterschied erklärt auch, weshalb die Vernachlässigung der fahrtzeitminimierenden Auslagerung zu einer so deutlichen Überschätzung der mittleren Spielzeit führt. Die vorangegangenen Auswertungen zur mittleren Spielzeit lassen sich andererseits auch im Hinblick auf die resultierende Lagerleistung interpretieren. Wie Abbildung 6.1 zu entnehmen ist, sind die mittleren Spielzeiten unter KFS deutlich geringer als unter PRS und COL. Das bedeutet, dass eine generelle fahrtzeitminimierende Lagerplatzwahl, also sowohl für EA als auch für AA, den stationären Grenzdurchsatz der RBG erhöht. Diese Auswertung lässt somit vermuten, dass die für den Einsatz der KFS vermutete Leistungssteigerung auch tatsächlich realisiert werden kann. Zugleich relativiert der Verlauf der Kennlinie für KFS das identifizierte Potential zur Leistungssteigerung jedoch wieder, da die mittlere Spielzeit unter KFS eine streng monoton wachsende, konkave Funktion

6.2 Grundlegende Erkenntnisse für einen Lagerbetrieb unter KFS

191

in der Sortimentsgröße L bildet. Demnach verringert sich das Verbesserungspotential mit steigendem Sortimentsumfang und es stellt sich die Frage nach dem Grenzverhalten der Lagerleistung unter KFS. Dafür kann folgendes Resultat zur Konvergenz82 der Zugriffswahrscheinlichkeiten herangezogen werden. Proposition 6.2. Für gegebene Sortimentsgröße L ist die Lagerplatzwahl unter KFS eine Zufallsvariable mit den normierten Zugriffswahrscheinlichkeiten (PKFS (n))n=1,...,N als Verteilungsfunktion. Im Fall ρ = 1 für alle Artikel  = 1, . . . , L konvergiert die Folge dieser Zufallsvariablen für L → ∞ in Verteilung gegen eine gleichverteilte Zufallsvariable. Beweis. Unabhängig vom betrachteten Lagerplatz n ergibt sich der Grenzwert der Zugriffswahrscheinlichkeit PKFS (n) unter Verwendung von (6.16) und (6.17) als lim PKFS (n) = lim

L→∞

L→∞

1 PE (n) L(N + L) = = lim L→∞ N (n + L − 1)(n + L) αE N

(6.26)

Dies zeigt, dass die normierten Zugriffswahrscheinlichkeiten (PKFS (n))n=1,...,N mit wachsendem Sortimentsumfang L gegen eine Gleichverteilung konvergieren. Nach Proposition 6.2 erscheint die häufig angewendete Gleichverteilungsannahme zumindest asymptotisch auch für KFS gerechtfertigt. Hinsichtlich dieses Resultats ist jedoch zu berücksichtigen, dass der Servicegrad αE aus (6.17) für L → ∞ gegen null konvergiert. Je größer also das Artikelsortiment, desto wahrscheinlicher ist eine Ablehnung ankommender Lageraufträge. Dieser Zusammenhang ist plausibel, da in der Grenzbetrachtung die Anzahl L einzulagernder Artikel die Lagerplatzanzahl N übersteigt. Derartige Szenarien mit L > N sind aufgrund des damit zwangsläufig einhergehenden schlechten Servicegrads αE allerdings nicht realistisch, sodass die Aussage zur Konvergenz gegen die Gleichverteilung im Wesentlichen als theoretisches Resultat anzusehen ist. Dennoch sollte der Frage nachgegangen werden, ab welcher Sortimentsgröße die Zugriffswahrscheinlichkeiten (PKFS (n))n=1,...,N hinreichend genau durch eine Gleichverteilung approximiert werden können. Für die betrachtete Lagerkonfiguration mit N = 500 Lagerplätzen wird eine Abweichung von weniger als 5 % zwischen der Verteilung der Zugriffswahrscheinlichkeiten unter KFS und der Gleichverteilung, gemessen über die Kolmogorov-Smirnov-

82

Die Proposition bezieht sich auf die sog. „Konvergenz in Verteilung“. Diese stochastische Konvergenzart bedeutet, dass die Verteilungsfunktionen Fn (x) einer Folge {Xn } von Zufallsvariablen für n → ∞ an jeder Stetigkeitsstelle gegen die Verteilungsfunktion F (x) einer Zufallsvariable X konvergieren, vgl. z. B. Rinne (2008, S. 422). Für den Spezialfall diskreter Verteilungen lässt sich Konvergenz in Verteilung durch punktweise Konvergenz der Zähldichten zeigen.

192

Kapitel 6 Einsatz der Modelle für die Leistungsanalyse von Lagersystemen

Distanz83 , erst ab einer Sortimentsgröße mit mehr als 2.255 Artikel erreicht. Verglichen mit der Lagerplatzanzahl stellt sich die Annäherung also erst bei einem unrealistisch großen Artikelsortiment ein, d. h. für LTPR deutlich unter eins. Zudem legen Auswertungen weiterer Lagerinstanzen die Vermutung nahe, dass die Kolmogorov-Smirnov-Distanz im Fall übereinstimmender E/A-Raten näherungsweise proportional zur LTPR ist. In üblichen Anwendungsszenarien homogener Einzelplatzlager stehen i. d. R. jedoch mehr Lagerplätze zur Verfügung als Artikel eingelagert werden. Beispielsweise beläuft sich das Verhältnis im Ersatzteilzentrum der Jungheinrich AG auf LTPR ≈ 1,7, vgl. Jungheinrich AG (2019), und bei den Gebr. Heinemann sogar auf LTPR ≈ 2,9, vgl. SSI SCHÄFER (2020a). Für realistische Anwendungsszenarien erscheint die Gleichverteilung somit nach wie vor ungeeignet zur Approximation der Zugriffswahrscheinlichkeiten unter KFS. Darüber hinaus belegt das Grenzverhalten der Zugriffswahrscheinlichkeiten die Beobachtung aus der experimentellen Performance-Analyse, dass das Leistungssteigerungspotential der KFS gegenüber PRS mit wachsender Sortimentsgröße abnimmt. Gleichzeitig geht eine Vergrößerung des Artikelsortiments bei übereinstimmenden E/A-Raten nach (6.18) mit einer Erhöhung des erwarteten Lagerfüllgrads F G einher. Eine Zusammenführung dieser beiden Erkenntnisse bestätigt somit auf analytischem Wege ein Ergebnis der Simulationsstudien aus Abschnitt 3.3. Im Vergleich zu PRS nimmt die Leistungssteigerung durch KFS, genau wie die durch COL, mit zunehmendem erwarteten Lagerfüllgrad F G ab. Während COL jedoch lediglich bei erwarteten Lagerfüllgraden von deutlich unter 100 % zu einer Reduzierung der mittleren Spielzeit führt, kann mit der KFS auch bei höheren Lagerfüllgraden noch eine nennenswerte Leistungssteigerung erzielt werden. In der vorangegangenen Auswertung beträgt der erwartete Lagerfüllgrad bei einer Sortimentsgröße von L = 100 beispielsweise 99 %. Bei diesem Lagerfüllgrad sind die mittleren Spielzeiten unter COL und PRS nahezu identisch, siehe Abbildung 6.1. Wird der Lagerbetrieb hingegen nach KFS organisiert, so kann die mittlere Spielzeit immer noch um ca. 40 % reduziert werden. Für den praxisrelevanten Fall ausgeglichener E/A-Raten lassen sich aus dieser vergleichenden Spielzeitberechnung zusammenfassend zwei wesentliche Erkenntnisse für einen Lagerbetrieb unter Einzelspielen ableiten. Einerseits muss bei der Durchführung von Leistungsanalysen berücksichtigt werden, dass bestehende Modellierungen bei Einsatz der KFS den stationären Grenzdurchsatz der RBG unterschätzen. Das gilt in erster Linie für die zahlreichen Ansätze, die auf der Annahme gleichverteilter Zugriffe auf die 83

Unter der Kolmogorov-Smirnov-Distanz wird die Teststatistik des Kolmogorov-Smirnov-Anpassungstests verstanden, die als Supremum der betragsmäßigen Abweichungen zwischen zwei Verteilungsfunktionen definiert ist, vgl. z. B. Rinne (2008, S. 577 f.). Es handelt sich also um ein Abstandsmaß für Verteilungsfunktionen.

6.2 Grundlegende Erkenntnisse für einen Lagerbetrieb unter KFS

193

Lagerplätze basieren, vgl. Abschnitte 3.2 und 3.4.1. Die daraus resultierenden Ergebnisse können im Rahmen der Konfigurationsplanung folglich zu falschen Entscheidungen, insbesondere zu einer Überdimensionierung des Fördersystems, und somit zu unnötigen Kosten führen. Andererseits lässt sich vor dem Hintergrund der erzielbaren Durchsatzleistung eine Empfehlung für die Organisation des Lagerbetriebs ableiten. Da aus den Auswertungen hervorgeht, dass die KFS im Vergleich zu PRS und COL eine deutliche Leistungssteigerung erzielen kann, ist die KFS als E/A-Strategie zu bevorzugen.

6.2.3 Auswertung weiterer Kennlinien Die sortimentsbezogene Kennlinie der mittleren Spielzeit aus Abbildung 6.1 ist nur eine von vielen Kennlinien, die das Verhalten eines Lagersystems unter der E/A-Strategie KFS beschreiben. Auf einige weitere Kennlinien soll nachfolgend noch näher eingegangen werden. Zunächst wird das charakteristische Merkmal der KFS, die erwartete lagerplatzspezifische Verweildauer wn , detaillierter untersucht. In Abschnitt 6.2.1 wurde für den Fall übereinstimmender E/A-Raten bereits gezeigt, dass diese Kenngröße für eine konkrete Lagerinstanz quadratisch in der Lagerplatznummer n ansteigt. Aufgrund der daraus resultierenden längeren Verweildauern in fahrtzeitungünstigen Lagerplätzen raten Yamashita et al. (1998), wie bereits erwähnt, sogar generell davon ab, die Lagerplätze für Auslagerungen fahrtzeitminimierend auszuwählen. Um dieser Kritik an der KFS im Detail nachzugehen, werden im weiteren Verlauf aggregierte Kenngrößen untersucht, die sich auf die nachfolgend definierte Menge kritischer Lagerplätze beziehen. Definition 6.3 (Menge kritischer Lagerplätze). Die Teilmenge N  der Lagerplätze mit vergleichsweise hohen erwarteten lagerplatzspezifischen Verweildauern sei definiert als 



N  2   · wn N  := n = 1, . . . , N  wn > N n=1



(6.27)

und wird im Folgenden als Menge kritischer Lagerplätze bezeichnet. Ein Lagerplatz wird somit als kritischer Lagerplatz eingestuft, wenn die erwartete Verweildauer einer darin eingelagerten Lagereinheit mehr als doppelt so lang ist wie das arithmetische Mittel der erwarteten Verweildauern über alle Lagerplätze. Zur Charakterisierung des Lagerbetriebs unter KFS wird im Folgenden zum einen der erwartete Gesamtbestand in den kritischen Lagerplätzen und zum anderen die Wahrscheinlichkeit, mit der einer der kritischen Lagerplätze für einen EA ausgewählt wird, ausgewertet. Der

194

Kapitel 6 Einsatz der Modelle für die Leistungsanalyse von Lagersystemen

erwartete relative kritische Lagerbestand84 βN  bezeichne dabei den Anteil des erwarteten Gesamtlagerbestands, der in kritischen Lagerplätzen n ∈ N  eingelagert ist. Diese Kenngröße lässt sich wie folgt berechnen.  1 βn N −n ¯ L+1 n ∈N 

βN  :=

(6.28)

Darüber hinaus wird die auf die Menge kritischer Lagerplätze bezogene normierte Zu griffswahrscheinlichkeit PZN untersucht. Diese Kenngröße gibt die Wahrscheinlichkeit an, dass einem ausführbaren EA ein kritischer Lagerplatz n ∈ N  zugeordnet wird, und resultiert folgendermaßen aus den normierten Zugriffswahrscheinlichkeiten. PZN := 



PZ (n )

(6.29)

n ∈N 

Für diese beiden Kenngrößen werden nachfolgend die Kennlinien unter Variation der Sortimentsgröße L ausgewertet. Die Untersuchung bezieht sich wieder auf die in Abschnitt 6.2.2 spezifizierte Lagergasse und es wird weiterhin vom praxisrelevanten Spezialfall übereinstimmender E/A-Raten ausgegangen. Obwohl die erwartete lagerplatzspezifische Verweildauer wn nach (6.21) von der kumulierten Ankunftsrate λ abhängt, sind die ausgewerteten Kenngrößen nur von der (relativen) Kenngröße ρ und nicht von den absoluten Einlagerraten λ der Artikel  = 1, . . . , L abhängig. Die sortimentsbezogene Kennlinie des kritischen Lagerbestands βN  in Abbildung 6.4 ist eine monoton fallende, nahezu lineare Treppenfunktion, die ab einem Schwellenwert für die Sortimentsgröße L den Wert null annimmt. Für die betrachtete Lagergasse beträgt der maximale Anteil des Lagerbestands in kritischen Lagerplätzen 18,4 %. Dieses Maximum wird im Fall L = 1 erreicht, d. h. bei nur einem einzulagernden Artikel. Je größer das Lagersortiment, desto geringer ist der Anteil des potentiell überalternden Lagerbestands. Dieser Effekt hängt damit zusammen, dass sich der E/A-Prozess unter KFS bei steigender Sortimentsgröße L dem unter PRS annähert und zwar auch in Bezug auf die erwarteten Verweildauern. Diese Auswertung deutet also darauf hin, dass der Überalterung der Lagerbestände im realistischen Fall größerer Lagersortimente keine allzu große Bedeutung zukommt. Um der Überalterung von Lagerbeständen unter KFS entgegenzuwirken, wurden in Abschnitt 6.2.1 periodisch durchzuführende Auslagerungen zur Bestandserneuerung vorgeschlagen. Zur Abschätzung des dadurch entstehenden Mehraufwands ist der Anteil 84

Im weiteren Verlauf wird die Kurzform „kritischer Lagerbestand“ zur Bezeichnung dieser Kenngröße verwendet.

195

kritischer Lagerbestand (βN  )

6.2 Grundlegende Erkenntnisse für einen Lagerbetrieb unter KFS 0,20 0,15 0,10 0,05 0

0

50

100 150 200 250 Sortimentsgröße (L)

300

Abbildung 6.4: Sortimentsbezogene Kennlinie des kritischen Lagerbestands der EA, die in einen kritischen Lagerplatz eingelagert werden, von Interesse. Diese Information geht aus der sortimentsbezogenen Kennlinie in Abbildung 6.5 für die nor mierte Zugriffswahrscheinlichkeit PZN der kritischen Lagerplätze hervor. Nach anfänglichem Wachstum in der Sortimentsgröße L erreicht die Kennlinie ein Maximum und fällt anschließend bis auf null ab. Diese zunächst unerwartete Gestalt lässt sich aus der Überlagerung zweier gegenläufiger Effekte erklären. Einerseits steigt bei wachsender Sortimentsgröße L aufgrund des zunehmenden Lagerfüllgrads die Wahrscheinlichkeit, dass zur Ausführung eines EA ein fahrtzeitungünstiger Lagerplatz ausgewählt wird. Andererseits nimmt die Anzahl kritischer Lagerplätze bei steigender Artikelanzahl L ab, da häufiger aus fahrtzeitungünstigen Lagerplätzen ausgelagert wird, wodurch deren erwartete lagerplatzspezifische Verweildauer wn sinkt. Insgesamt ist der erwartete Anteil der EA, denen ein kritischer Lagerplatz zugeordnet wird, mit maximal ca. 2,5 % sehr gering. Somit erscheint der Mehraufwand für die Auslagerungen zur Bestandserneuerung vertretbar. Zudem ist dieser Anteil für kleinere Sortimentsgrößen L deutlich geringer, sodass die Bedeutung des damit einhergehenden hohen kritischen Lagerbestands aus Abbildung 6.4 wieder etwas relativiert wird. Zusammenfassend bestätigen diese Auswertungen zur erwarteten Verweildauer noch einmal, dass die Kritik von Yamashita et al. (1998) nicht grundsätzlich gegen einen Einsatz der KFS zur Steigerung der Durchsatzleistung sprechen sollte. Während sich alle bisher betrachteten Kennlinien auf den Einfluss der Sortimentsgröße L beziehen, soll im weiteren Verlauf untersucht werden, wie sich der zweite wesentliche Modellparameter, die Lagerplatzanzahl N , auf die mittlere Spielzeit unter KFS auswirkt. Neben der reinen Anzahl spielt insbesondere auch die Anordnung der Lagerplätze, im vorliegenden Fall also das Layout der Regalwände, eine entscheidende Rolle für die experimentelle Performance-Analyse. Bezogen auf die zuvor betrachtete Lagergasse wird

196

Kapitel 6 Einsatz der Modelle für die Leistungsanalyse von Lagersystemen

Zugriffswahr scheinlichkeit (PZN )

0,025 0,020 0,015 0,010 0,005 0

0

50

100 150 200 Sortimentsgröße (L)

250

300

Abbildung 6.5: Sortimentsbezogene Kennlinie der auf die kritischen Lagerplätze bezogenen Zugriffswahrscheinlichkeit zunächst der Einfluss der Lagergassenlänge auf die mittlere Spielzeit untersucht. Dafür wird bei fester Anzahl von 20 Regalebenen die Anzahl der Lagerplätze je Regalebene sukzessiv auf 50 erhöht, d. h. bis zu einer Lagerplatzanzahl von N = 2.000. Alle weiteren Parameter sind identisch zu den vorherigen Auswertungen. Unter den getroffenen Annahmen übereinstimmender Verfahrgeschwindigkeiten sowie Lagerplätzen mit quadratischen Abmessungen führt die Variation der Lagergassenlänge zu gleichen Ergebnissen wie eine Variation der Lagerregalhöhe, die daher nicht gesondert betrachtet wird. Die resultierenden Kennlinien der mittleren Spielzeiten sind für KFS mit zwei verschiedenen Sortimentsgrößen L sowie für PRS in Abbildung 6.6 dargestellt. Ähnlich zu den vorherigen Auswertungen nähert sich die Leistung unter KFS mit steigender Sortimentsgröße L der unter PRS an. Erwartungsgemäß vergrößert sich der Abstand zwischen den Kennlinien unter KFS und PRS jedoch bei längeren Lagergassen. Das hängt damit zusammen, dass die vergleichsweise hohen Fahrtzeiten zu Lagerplätzen am Ende der Lagergasse bei gleichverteilten Zugriffen stärker ins Gewicht fallen als bei der bevorzugten Auswahl fahrtzeitgünstiger Lagerplätze unter KFS. Zudem ist für KFS im Gegensatz zu PRS zu erkennen, dass die mittlere Spielzeit zu Beginn sogar trotz steigender Lagergassenlänge sinkt. Dieser zunächst unerwartete Effekt lässt sich aus dem fixierten Layout mit 20 Regalebenen erklären. In den ersten Instanzen sind die Lagerregale daher höher als breit, sodass bei Verlängerung der Lagergasse auch Lagerplätze mit kürzeren Fahrtzeiten hinzukommen. Gemäß der KFS werden diese Lagerplätze wiederum bevorzugt ausgewählt, wodurch sich die mittlere Spielzeit reduziert. Abgesehen von diesem anfänglichen, layoutbedingten Effekt wächst die mittlere Spielzeit, wie erwartet, bei Verlängerung der Lagergasse, wobei die Steigung unter PRS größer ist als unter KFS.

6.2 Grundlegende Erkenntnisse für einen Lagerbetrieb unter KFS

mittlere Spielzeit (t¯)

60

197

PRS KFS mit L = 500 KFS mit L = 100

50 40 30 20 10 0

0

500

1000

1500

2000

Anzahl Lagerplätze (N ) Abbildung 6.6: Kennlinien der mittleren Spielzeit in Abhängigkeit der Länge der Lagergasse Aus dieser Auswertung geht hervor, dass sich das Leistungssteigerungspotential der KFS am besten erschließen lässt, wenn die Lagerplätze optimal hinsichtlich der Fahrtzeit angeordnet sind. Für den simultanen Bewegungsablauf der RBG in automatisierten HRL beschreibt der sog. Wandparameter die Abstimmung des Regalwandlayouts auf den Bewegungsablauf des RBG. Diese Kenngröße gibt den Quotienten zwischen dem Verhältnis vx/vz der Verfahrgeschwindigkeiten des RBG und dem Verhältnis xmax/zmax der Regalwandabmessungen an, vgl. z. B. Arnold und Furmans (2009, S. 198 f.). Eine hinsichtlich der Fahrtzeiten optimale Anordnung wird durch einen Wandparameter von eins85 charakterisiert. In diesem Fall stehen Geschwindigkeiten und Abmessungen im gleichen Verhältnis zueinander und die Synchronfahrgerade der simultanen Bewegung des RBG verläuft genau durch den hinteren oberen Eckpunkt der Regalwand. Stimmen die Verfahrgeschwindigkeiten des RBG wie im vorliegenden Fall überein, so ist folglich ein quadratisches Regalwandlayout im Hinblick auf die Fahrtzeiten optimal. In der nachfolgenden Auswertung mit variierender Lagerplatzanzahl N soll der Einfluss des Regalwandlayouts auf die mittlere Spielzeit noch näher untersucht werden. Dafür werden Kennlinien basierend auf verschiedenen Grundlayouts gebildet. Zum einen handelt es sich dabei um ein quadratisches Layout und zum anderen um ein rechteckiges Layout, welches initial aus einer Regalebene mit 16 Lagerplätzen besteht. Ausgehend von diesen Grundlayouts werden Lagerinstanzen mit variabler Lagerplatzanzahl N erzeugt, indem sukzessiv eine Regalebene und gleichzeitig auch eine Regalsäule hinzugefügt werden. Abbildung 6.7 zeigt die resultierenden Kennlinien der mittleren Spielzeit unter 85

In der englischsprachigen Literatur wird eine Regalwand, deren Abmessungen auf das Verhältnis der Verfahrgeschwindigkeiten abgestimmt sind, als „square-in-time“ bezeichnet, vgl. z. B. Bozer und White (1984).

198

Kapitel 6 Einsatz der Modelle für die Leistungsanalyse von Lagersystemen KFS mit L = 500

60

mittlere Spielzeit (t¯)

mittlere Spielzeit (t¯)

PRS

40 20 0

0

500 1000 1500 2000 Anzahl Lagerplätze (N ) (a) Quadratisches Layout

KFS mit L = 100

60 40 20 0

0

500 1000 1500 2000 Anzahl Lagerplätze (N ) (b) Rechteckiges Layout

Abbildung 6.7: Layoutspezifische Kennlinien der mittleren Spielzeit in Abhängigkeit der Größe der Regalwände KFS und PRS für beide Grundlayouts. Erwartungsgemäß steigen die Kennlinien für das quadratische Layout in Abbildung 6.7a aufgrund der fahrtzeitoptimalen Anordnung der Lagerplätze streng monoton an. Für das rechteckige Layout in Abbildung 6.7b ergibt sich unter KFS mit dem geringeren Sortimentsumfang von L = 100 ein ähnlicher Effekt wie bei Verlängerung der Lagergassen. Durch die Vergrößerung der Regalwand reduziert sich die mittlere Spielzeit zunächst leicht, da Lagerplätze mit kürzerer Fahrtzeit hinzukommen, anschließend steigt diese aber ebenfalls an. Im Wesentlichen geht somit auch aus dieser Auswertung hervor, dass eine steigende Lagerplatzanzahl N , in diesem Fall bewirkt durch eine Vergrößerung der gesamten Regalwand, eine Erhöhung der mittleren Spielzeit mit sich bringt. Im Vergleich zu PRS nimmt das Leistungssteigerungspotential der KFS für größere Lagerbereiche aufgrund der längeren Fahrtzeiten sogar zu. Ein größeres Lagersortiment L führt jedoch erneut zu einer Annäherung an die Kennlinie für PRS. Insgesamt weisen also auch die Kennlinien bei variierter Lagergröße N darauf hin, dass die Durchsatzleistung der RBG durch Einsatz der KFS signifikant gesteigert werden kann. Die Schlussfolgerungen aus den untersuchten Kennlinien lassen sich wie folgt zusammenfassen. Erstens zeigen die auf die Menge kritischer Lagerplätze bezogenen Kenngrößen, dass eine potentielle Überalterung der Lagerbestände in fahrtzeitungünstigen Lagerplätzen nicht als Hinderungsgrund für den Einsatz der KFS angesehen werden sollte. Diese Problematik lässt sich mit vergleichsweise selten durchzuführenden Auslagerungen zur Bestandserneuerung umgehen. Zweitens ergibt sich aus den Kennlinien unter Variation der Lagergröße N analog zu den sortimentsbezogenen Kennlinien aus Abschnitt 6.2.2,

6.3 Validierung der verallgemeinerten Modellierung

199

dass ein Lagerbetrieb unter KFS die Durchsatzleistung der RBG deutlich erhöhen kann. Während ein größerer Sortimentsumfang L diesen Effekt abschwächt, fällt das Leistungssteigerungspotential im Vergleich zu PRS in größeren Lagerbereichen hingegen sogar noch höher aus. Alle bisherigen Resultate basieren auf der Modellierung unter Markov-Bedingungen. Zur Verallgemeinerung der Leistungsanalyse wurde dieses Modell in Abschnitt 5.2 auf den realistischeren Fall allgemein verteilter Zwischenankunftszeiten der Lageraufträge übertragen. Bevor dieser approximative Ansatz jedoch zur Gewinnung weiterer Erkenntnisse für den Lagerbetrieb unter KFS eingesetzt werden kann, muss im folgenden Abschnitt zunächst überprüft werden, wie gut sich damit die mittlere Spielzeit unter KFS annähern lässt.

6.3 Validierung der verallgemeinerten Modellierung Eine Voraussetzung für den Einsatz eines Approximationsverfahrens ist dessen Validierung, im Rahmen derer die Approximationsgüte des Verfahrens getestet wird. Bezogen auf den vorliegenden Anwendungsfall muss also abgeschätzt werden, wie groß die Abweichungen zwischen den Ergebnissen der verallgemeinerten MWA und dem (tatsächlichen) stationären Verhalten des Lagersystems sind. Hierfür werden die E/A-Prozesse mit einer stochastischen, ereignisorientierten Simulation nachgebildet. Bevor die mittleren Spielzeiten der verallgemeinerten MWA in Abschnitt 6.3.2 mit den Simulationsergebnissen verglichen werden, wird im folgenden Abschnitt zunächst die Implementierung des Simulationsmodells kurz beschrieben. Im Vergleich zeigt sich schließlich, dass die Approximationsgüte der verallgemeinerten MWA anfänglich nicht zufriedenstellend ist. Daher wird in Abschnitt 6.3.3 noch eine angepasste Version des Verfahrens entwickelt, die eine bessere Approximation für die mittlere Spielzeit unter KFS erreicht.

6.3.1 Simulation als Vergleichsgrundlage Die Validierung der verallgemeinerten MWA erfolgt unter Verwendung einer ereignisorientierten Simulation. Mit dem Ziel, das langfristige Verhalten eines Lagersystems bei Einsatz der KFS möglichst realitätsgetreu nachzubilden, wurde im Rahmen der vorliegenden Arbeit ein skalierbares Simulationsmodell implementiert. Der Aufbau dieses Modells sowie dessen Parametrisierung werden nachfolgend überblicksartig dargestellt. Für eine

200

Kapitel 6 Einsatz der Modelle für die Leistungsanalyse von Lagersystemen

ausführliche Einführung zur Simulation im Allgemeinen sowie zur ereignisorientierten Simulation im Besonderen sei an dieser Stelle z. B. auf die Standardwerke von Banks et al. (2010), Law (2015) oder Gutenschwager et al. (2017) verwiesen. Das Simulationsmodell bildet den E/A-Prozess unter KFS in einer Lagergasse eines automatisierten HRL nach. Mit Blick auf die durchzuführenden Untersuchungen besteht eine wesentliche Anforderung an dieses Modell darin, dass es sich möglichst einfach an verschiedene Lagerkonfigurationen sowie unterschiedliche Artikelsortimente anpassen lässt. Aus diesem Grund wurde für die Umsetzung keine Simulationssoftware herangezogen, sondern ein skalierbares Simulationsmodell in der Programmiersprache C++ implementiert. Als Pseudozufallszahlengenerator wird die 64-Bit-Version des 1998 von Matsumoto und Nishimura entwickelten Mersenne-Twister 19937 aus der C++-Bibliothek verwendet, der insbesondere für lange Folgen von Zufallszahlen, wie sie v. a. in Simulationen benötigt werden, geeignet ist. Das stochastische Ankunftsverhalten der EA und AA an den Lagerplätzen wird jeweils über zwei Wahrscheinlichkeitsverteilungen mit unterschiedlichen Eigenschaften simuliert. In der ersten Variante folgen die Zwischenankunftszeiten einer Gammaverteilung, wie z. B. auch bei Zhang et al. (2009), und in der zweiten einer Lognormalverteilung. Im Gegensatz zur Gammaverteilung handelt es sich bei der Lognormalverteilung um eine sog. endlastige Verteilung86 , d. h., deren Wahrscheinlichkeitsdichte nähert sich der Null deutlich langsamer an als die der Exponentialverteilung, vgl. Bryson (1974). Somit treten bei endlastigen Verteilungen extreme Werte, im vorliegenden Anwendungsfall also lange Zwischenankunftszeiten, mit vergleichsweise hoher Wahrscheinlichkeit ein. Mit der Differenzierung zwischen diesen beiden Simulationsvarianten soll untersucht werden, ob nur die ersten beiden Momente oder noch andere wesentliche Verteilungsinformationen einen signifikanten Einfluss auf die mittlere Spielzeit unter KFS besitzen. Die Vorgaben für die Anzahl sowie die Länge der Simulationsläufe wurden in Anlehnung an die Empfehlungen von Banks et al. (2010, S. 446) gewählt. Demnach ist eine Durchführung von q = 25 voneinander unabhängigen Simulationsläufen ausreichend und in einem Simulationslauf sollte die Länge des Auswertungszeitraums mindestens zehnmal so lang sein wie die Länge der Einschwingphase. Zur Ermittlung eines stationären Systemverhaltens sind i. A. eher wenige, aber dafür längere Simulationsläufe zu bevorzugen; dieser Zusammenhang deckt sich auch mit der in Abschnitt 4.2.1 angeführten Interpretation der stationären Verteilung von Markovketten als langfristiges Mittel in einer Realisation. In der vorliegenden Implementierung wird die Länge eines Simulationslaufs über die 86

Endlastige Verteilungen werden in der englischsprachigen Literatur als heavy-tailed distributions bezeichnet.

6.3 Validierung der verallgemeinerten Modellierung

201

Anzahl durchzuführender Ereignisse festgelegt, d. h., es wird eine bestimmte Anzahl von Auftragsankünften vorgegeben. Wie viele Ereignisse für eine Simulation konkret benötigt werden, hängt dabei im Wesentlichen von der Lagerplatzanzahl N der betrachteten Lagerkonfiguration ab. Diesbezüglich wurde mit der graphischen Methode, vgl. Banks et al. (2010, S. 436 ff.), in Verbindung mit einer linearen Regression über die Lagerplatzanzahl N zunächst folgendermaßen die Länge der Einschwingphase bestimmt. Zu jedem Ereigniszeitpunkt wurde der Mittelwert der bisher simulierten mittleren Spielzeit über zehn voneinander unabhängige Simulationsläufe gebildet und in einem Graphen über der zugehörigen Anzahl ausgewerteter Ereignisse abgetragen. Sobald in diesem Graphen mit bloßem Auge kein Trend mehr zu erkennen ist, kann die Einschwingphase als abgeschlossen angesehen werden. Auf diese Weise wurden die Längen der Einschwingphasen für zahlreiche Lagerkonfigurationen ermittelt. Eine anschließende lineare Regression mit der Lagerplatzanzahl N als unabhängiger Variable ergab, dass sich die mittlere Spielzeit nach ungefähr 60N +250 Ereigniszeitpunkten einschwingt. Mit einem Sicherheitsaufschlag von 20 % versehen und auf ganze Hundert aufgerundet resultiert daraus schließlich die in der Simulation verwendete, instanzspezifische Länge mE der Einschwingphase. Des Weiteren werden vergleichsweise lange Simulationsläufe mit mS = 100.000N Ereignissen durchgeführt, um dem gesuchten stationären Gleichgewicht möglichst nahe zu kommen. Abgesehen von den exponentialverteilten Zwischenankunftszeiten der Lageraufträge basiert die Implementierung der Simulation auf den Modellannahmen aus Abschnitt 4.1. Im Folgenden wird der daraus resultierende Simulationsablauf in Algorithmus 6.1 kurz beschrieben. Zu Beginn werden die Verteilungen für die Zwischenankunftszeiten der EA bzw. AA gemäß der vorgegebenen Verteilungsart V, d. h. Gamma- oder Lognormalvertei-

lung, initialisiert. Die Verteilungsparameter werden dabei für jeden Artikel  ∈ {1, . . . , L} so gewählt, dass sich die vorgegebenen Ankunftsraten λ bzw. μ und quadrierten Variationskoeffizienten c2E () bzw. c2A () einstellen. Diese Verteilungen dienen innerhalb der Simulation zur Generierung der Pseudozufallszahlen ZZ E () bzw. ZZ A () für die Zwischenankunftszeiten der EA bzw. AA von Artikel . Damit die q Simulationsläufe als unabhängig angesehen werden können, wird zu Beginn jedes Simulationslaufs der Seed des Mersenne-Twister neu gesetzt. Darüber hinaus startet jeder Simulationslauf mit einem leeren Lager, d. h., die Belegung b(n) aller Lagerplätze n = 1, . . . , N wird anfänglich auf null gesetzt. Die Ereignisse, die im Simulationsverlauf zu Änderungen in der Lagerbelegung führen, sind Ankünfte von EA und AA. Den Kern der ereignisorientierten Si-

mulation bildet daher die Ereignisliste E, die für jeden Artikel  ∈ {1, . . . , L} stets zwei Ereignisse für die Ankunftszeitpunkte des nächsten EA bzw. AA enthält. Allgemein ist ein Ereignis e definiert als Tupel (A(e), (e), t(e)) aus der Lagerauftragsart A(e) ∈ {E, A}, dem Artikel (e) ∈ {1, . . . , L} und dem Eintrittszeitpunkt t(e). Vor dem Start eines Si-

202

Kapitel 6 Einsatz der Modelle für die Leistungsanalyse von Lagersystemen

Algorithmus 6.1: Ereignisorientierte Simulation des E/A-Prozesses unter KFS Input: Verteilungsart V, Lagerplatzanzahl N , Artikelanzahl L, Einlagerraten λ , Auslagerraten μ sowie zugehörige quadrierte Variationskoeffizienten c2E () und c2A () für alle Artikel  = 1, . . . , L Output: Schätzer und Konfidenzintervall für mittlere Spielzeit unter KFS (∗ Initialisierung ∗) for  = 1 to L do Initialisiere Verteilungen vom Typ V mit λ und c2E () bzw. μ und c2A () für Generierung der Pseudozufallszahlen ZZ E () bzw. ZZ A (); end (∗ Durchführung Simulationsläufe ∗) for ν = 1 to q do Setze neuen Seed im Mersenne-Twister; (∗ Anfangsbelegung ∗) for n = 1 to N do Setze Belegung b(n) := 0; Setze Anzahl von Zugriffen Z(n) := 0; end (∗ Initialisierung Ereignisliste E ∗) for  = 1 to L do Füge Ereignisse e1 := (E, , ZZ E ()) und e2 := (A, , ZZ A ()) in Liste E ein; end Sortiere Ereignisse e ∈ E nach nichtfallenden Ereigniszeitpunkten t(e); (∗ Chronologische Abarbeitung Ereignisliste E ∗) for m = 1 to mS do Entferne erstes Ereignis e aus E; if e gemäß KFS ausführbar in Lagerplatz n then Ändere Belegung b(n) gemäß A(e); if m > mE then Setze Z(n) := Z(n) + 1; end end Generiere nächstes Ereignis eneu := (A(e), (e), t(e) + ZZA(e) ((e))); Füge eneu gemäß t(eneu ) in sortierte Liste E ein; end

N (ν) Berechne t¯KFS := 2 N n=1 Z(n) · tZ (n)/ n=1 Z(n); end

(ν) Berechne tˆKFS := 1q qν=1 tKF S ; Berechne sq :=

)

1 q−1

q

ν=1



2

(ν) t¯KFS − tˆKFS ;

√ Bestimme Grenzen des Konfidenzintervalls tˆKFS ± tq−1,1− α2 · sq / q;

203

6.3 Validierung der verallgemeinerten Modellierung

mulationslaufs wird die Ereignisliste E für alle Artikel  = 1, . . . , L initialisiert und die Ereignisse e ∈ E werden in eine chronologische Reihenfolge gebracht. Im Simulationslauf wird schließlich der E/A-Prozess unter KFS nachgebildet, indem die Ereignisse e ∈ E chronologisch ausgeführt werden und die Belegung b(n) der Lagerplätze n = 1, . . . , N entsprechend fortgeschrieben wird. Dafür wird iterativ immer das erste Ereignis e der sortierten Ereignisliste E entfernt und geprüft, ob die zugehörige Lagerauftragsart A(e) für Artikel (e) ausführbar ist. Für einen EA muss also mindestens ein freier Lagerplatz vorhanden und für einen AA mindestens eine Lagereinheit von Artikel (e) eingelagert sein. Ist das der Fall, so wird der nach KFS zu wählende Lagerplatz n bestimmt und dessen Belegung b(n) abhängig von der Lagerauftragsart A(e) des Ereignisses e geändert. Handelt es sich um eine Einlagerung (A(e) = E), so wird b(n) auf den zugehörigen Artikel (e) gesetzt, bei einer Auslagerung auf null (unbelegt). Ist das Ereignis e hingegen nicht ausführbar, so wird der Lagerauftrag abgewiesen und die Lagerbelegung ändert sich nicht. Unabhängig von der Ausführbarkeit des Ereignisses e wird anschließend für die Lagerauftragsart A(e) und den Artikel (e) ein neues Ereignis generiert, das eine zufällige Zwischenankunftszeit ZZA(e) ((e)) nach t(e) eintritt. Auf die vorab beschriebene Weise werden in einem Simulationslauf insgesamt mS Ereignisse verarbeitet. Um damit die mittlere Spielzeit zu schätzen, werden nach der Einschwingphase von mE Ereignissen zusätzlich die Zugriffe auf die einzelnen Lagerplätze n ∈ {1, . . . , N } gezählt. Aus der am Ende resultierenden Anzahl Z(n) von Zugriffen (ν) ergibt sich dann zusammen mit den Zykluszeiten tZ (n) die mittlere Spielzeit t¯KFS des Simulationslaufs ν. Der Mittelwert über alle ν = 1, . . . , q Simulationsläufe liefert schließlich den Schätzer tˆKFS für die mittlere Spielzeit unter KFS. Um eine Aussage über die Güte dieses Schätzers treffen zu können, wird abschließend noch folgendes Konfidenzintervall zum (näherungsweisen) Konfidenzniveau α bestimmt, vgl. Law (2015, S. 498). 

sq sq tˆKFS − tq−1,1− α2 √ ; tˆKFS + tq−1,1− α2 √ q q



(6.30)

Dabei bezeichnet sq die korrigierte Stichprobenstandardabweichung der mittleren Spielzeiten über q Simulationsläufe und tq−1,1− α2 das (1 − α2 )-Quantil der t-Verteilung mit q − 1 Freiheitsgraden.

6.3.2 Approximationsgüte der verallgemeinerten Modellierung Die im vorigen Abschnitt vorgestellte ereignisorientierte Simulation wird nun als Vergleichsgrundlage herangezogen, um die Approximationsgüte der verallgemeinerten Mo-

204

Kapitel 6 Einsatz der Modelle für die Leistungsanalyse von Lagersystemen

dellierung aus Abschnitt 5.2 zu untersuchen. Dafür wird die mittlere Spielzeit aus der verallgemeinerten MWA für verschiedene Lagerinstanzen bestimmt und den jeweiligen Schätzern tˆKFS der Simulationen mit Gamma- bzw. Lognormalverteilung gegenübergestellt. In einer ersten, exemplarischen Analyse wird eine Lagergasse mit zwei Regalwänden bestehend aus zehn Regalebenen zu je zehn Lagerplätzen (N = 200) untersucht, in die L = 50 Artikel eingelagert werden. Für diese Lagerkonfiguration werden hinsichtlich der Auftragsankünfte verschiedene Lagerinstanzen zufällig generiert. Dafür werden die Ankunftsraten λ sowie μ der Lageraufträge für die Artikel  = 1, . . . , L gemäß einer stetigen Gleichverteilung aus dem Intervall [0,1; 10] gewählt. Hierbei wird weiterhin vom praxisrelevanten Fall ausgeglichener Ankunftsraten ausgegangen, d. h., λ = μ für alle Artikel  = 1, . . . , L. Nach der Herleitung der warteschlangentheoretischen Modellierung in Abschnitt 5.1 stellt die MWA unter den dort getroffenen Annahmen, insbesondere also bei Poissonschen Auftragsankünften mit c2E () = c2A () = 1 für alle Artikel  = 1, . . . , L, ein exaktes Verfahren dar. Um mögliche Effekte der Variabilität auf die Approximationsgüte identifizieren zu können, werden für die Auswertung die folgenden beiden Testsets mit jeweils zehn Lagerinstanzen gebildet. Für Testset VK2 werden die quadrierten Va riationskoeffizienten gleichverteilt aus dem Intervall 12 ; 2 gewählt und für Testset VK5 entsprechend aus





1 ;5 5

. Im Gegensatz zu den Erwartungswerten kann die Variabilität der Zwischenankunftszeiten für die EA und die AA eines Artikels  dabei verschieden sein, da eine Annahme identischer Variationskoeffizienten im Hinblick auf praxisrelevante Anwendungsfälle i. A. auch nicht begründet ist. Insgesamt sind also die Lagerinstanzen in Testset VK2 dem Fall exponentialverteilter Zwischenankunftszeiten ähnlicher als die in Testset VK5.

Mit sehr schmalen Konfidenzintervallen, deren Ausdehnung in diesen 20 Lagerinstanzen bei einem Konfidenzniveau von α = 0,01 höchstens tˆKFS ± 0,095 % beträgt, liefern die Simulationen sehr präzise Schätzer tˆKFS für die mittlere Spielzeit unter KFS. Die relativen Abweichungen zwischen den Schätzern beider Simulationsvarianten liegen dabei für die betrachteten Lagerinstanzen unter 2 %. Dies ist bereits ein erstes Indiz dafür, dass sich die Art der Verteilung offenbar nicht allzu sehr auf die mittlere Spielzeit auswirkt. Auf diesen Aspekt wird jedoch in Abschnitt 6.3.3 noch näher eingegangen. Tabelle 6.3 gibt eine erste Einschätzung zur Approximationsgüte der verallgemeinerten MWA. Darin sind für alle Lagerinstanzen der Testsets VK2 und VK5 die betragsmärel ¯ ßigen relativen Abweichungen |Δrel G | bzw. |ΔLN | der mittleren Spielzeit tKFS aus der verallgemeinerten MWA zu den Schätzern tˆKFS der Simulationsvarianten mit Gammabzw. Lognormalverteilung angegeben. Für das Testset VK2 erzielt die verallgemeinerte

205

6.3 Validierung der verallgemeinerten Modellierung Testset VK2 Lagerinstanz 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 MRE

|Δrel G |

[%]

1,72 2,04 2,08 2,31 1,53 1,55 1,94 2,57 1,50 2,06

1,93

|Δrel LN |

Testset VK5 [%]

0,54 0,84 1,10 1,16 0,30 0,33 0,79 1,41 0,36 1,04 0,79

|Δrel G |

[%]

7,99 7,79 8,37 7,99 7,40 8,27 7,84 7,74 8,41 8,62 8,04

|Δrel LN | [%] 6,75 6,52 7,28 6,32 6,10 6,84 6,61 6,29 6,92 7,29 6,69

Tabelle 6.3: Betragsmäßige relative Abweichung zwischen approximativer und simulationsbasierter mittlerer Spielzeit

MWA mit einer maximalen relativen Abweichung von 2,57 % und einer mittleren relativen Abweichung (MRE)87 von 1,93 % zur Gamma- bzw. 0,79 % zur Lognormalverteilung eine sehr hohe Approximationsgüte. Bei Testset VK5 fällt die Approximationsgüte hingegen deutlich schlechter aus. In diesem Fall beträgt die maximale relative Abweichung 8,62 % und der MRE 8,04 % (Gammaverteilung) bzw. 6,69 % (Lognormalverteilung). In beiden Testsets unterschätzt die verallgemeinerte MWA dabei stets die simulierte mittlere Spielzeit, außerdem sind die betragsmäßigen Abweichungen |Δrel LN | zur Simulation mit Lognormalverteilung durchweg etwas geringer als die zugehörigen Werte |Δrel G | im Falle

der Gammaverteilung. Unabhängig von der Verteilungsart V legt diese exemplarische Auswertung die Vermutung nahe, dass die Approximationsgüte der verallgemeinerten MWA sinkt, je weniger das Ankunftsverhalten der Lageraufträge einem Poisson-Prozess ähnelt. Dieser Zusammenhang lässt sich aus den Annahmen erklären, die der Herleitung der approximativen Leistungsanalyse bei allgemein verteilten Zwischenankunftszeiten in Abschnitt 5.2.1 zugrunde liegen. Für diese Verallgemeinerung wurden einige Aspekte aus der Modellierung unter Markov-Bedingungen, die ausschließlich für Poisson-Prozesse gültig sind, unverändert auf Erneuerungsprozesse übertragen. Vor diesem Hintergrund erscheint es plausibel, dass die verallgemeinerte MWA für Lagerinstanzen, bei denen die Ankunftsprozesse der Lageraufträge eine größere Ähnlichkeit zu Poisson-Prozessen aufweisen, bessere Ergebnisse liefert.

87

Die Abkürzung MRE steht für „Mean Relative Error“.

206

Kapitel 6 Einsatz der Modelle für die Leistungsanalyse von Lagersystemen

Diese exemplarische Auswertung für eine spezifische Lagerkonfiguration zeigt bereits, dass die Approximationsgüte der verallgemeinerten MWA für praktische Anwendungen ggf. noch unzureichend ist. Daher wird an dieser Stelle auf eine umfangreichere Analyse verzichtet und stattdessen im nächsten Abschnitt eine angepasste Variante der verallgemeinerten MWA vorgestellt, mit der sich die Approximationsgüte verbessern lässt.

6.3.3 Verbesserung der Approximationsgüte Die Idee zur Anpassung der verallgemeinerten MWA basiert auf der zuvor angedeuteten Vermutung, dass ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen den absoluten Approximaabs 2 2 tionsfehlern Δabs G bzw. ΔLN und den Variationskoeffizienten cE () und cA () der Artikel  = 1, . . . , L besteht. Zunächst wird dieser Zusammenhang für die Lagerkonfiguration aus dem vorherigen Abschnitt mit N = 200 Lagerplätzen und L = 50 Artikeln näher untersucht. Um einen direkten Bezug zu den quadrierten Variationskoeffizienten herstellen zu können, werden diese für die folgende Auswertung mit einer Schrittweite von 0,1 sukzessiv von 0,1 auf 10 erhöht. Zur Reduktion des Untersuchungsaufwands wird dabei die Annahme getroffen, dass das Ankunftsverhalten der Lageraufträge je Lagerauftragsart für alle Artikel  = 1, . . . , L identisch ist, d. h., c2E () = c2E und c2A () = c2A . Im Rahmen der Auswertung werden hinsichtlich der Variation des Ankunftsverhaltens der Lageraufträge die folgenden drei Szenarien untersucht. • Gleichzeitige und identische Variation von c2E und c2A , d. h., c2E = c2A = c2 • Variation von c2E bei c2A = 1 (nur EA) • Variation von c2A bei c2E = 1 (nur AA) Zunächst wird das gemeinsame Szenario mit c2E = c2A = c2 betrachtet. Abbildung 6.8 abs zeigt die resultierenden absoluten Abweichungen Δabs G und ΔLN zwischen der mittleren Spielzeit t¯KFS aus der verallgemeinerten MWA und den Schätzern tˆKFS der jeweiligen Simulationsvariante. Darin ist zu erkennen, dass sich die Simulationsergebnisse unter Gamma- bzw. Lognormalverteilung nur geringfügig voneinander unterscheiden. In beiden Fällen steigen die Approximationsfehler mit sehr ähnlichem Verlauf streng monoton im einheitlichen Variationskoeffizienten c2 an. Auffällig ist dabei, dass die Approximationsfehler jeweils bei einem Variationskoeffizienten von c2 ≈ 1 das Vorzeichen wechseln. Mit der verallgemeinerten MWA wird die mittlere Spielzeit also bei geringer Variabilität in den Zwischenankunftszeiten überschätzt und bei hoher Variabilität unterschätzt. Die Nullstelle bei c2 ≈ 1 lässt sich damit erklären, dass die MWA für exponentialverteilte Zwischenankunftszeiten mit c2 = 1 exakte Ergebnisse liefert und somit in diesem Fall

207

6.3 Validierung der verallgemeinerten Modellierung abs abs ΔG , ΔLN

3

2 2 Δabs G (c ) ≈ 0,9161 ln(c ) + 0,0253

2 1

2 2 Δabs LN (c ) ≈ 0,8883 ln(c ) − 0,0569

c2 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 -1

Beobachtete Werte

-2

Logarithmische Regression

Abbildung 6.8: Absolute Abweichungen bei gleichzeitiger und identischer Variation der Variationskoeffizienten beider Lagerauftragsarten (näherungsweise) kein Approximationsfehler auftritt. Die Verläufe der absoluten Abweiabs chungen Δabs G und ΔLN in Abbildung 6.8 lassen einen logarithmischen Zusammenhang zum einheitlichen Variationskoeffizienten c2 vermuten. Für die untersuchte Lagerkonfiguration erzielen lineare Regressionen auf den logarithmierten Variationskoeffizienten, die im Folgenden als logarithmische Regressionen bezeichnet werden, mit Bestimmtheitsmaßen R2 > 0,99 tatsächlich sehr gute Anpassungen an die Approximationsfehler. Die Funktionsterme der beiden angepassten Logarithmusfunktionen sowie die zugehörigen Graphen, skizziert durch gepunktete Linien, sind ebenfalls in Abbildung 6.8 dargestellt. Nach dieser Auswertung unter gemeinsamer Änderung beider Variationskoeffizienten stellt sich nun die Frage, wie sich die isolierte Änderung des Ankunftsverhaltens nur einer Lagerauftragsart auf die Approximationsgüte auswirkt. Abbildung 6.9 zeigt die Approximationsfehler der verallgemeinerten MWA zu beiden Simulationsvarianten in Abhängigkeit des einheitlichen Einlager-Variationskoeffizienten c2E bzw. Auslager-Variationskoeffizienten c2A . Aus dieser Auswertung geht hervor, dass die Auslager-Variationskoeffizienten c2A einen deutlich stärkeren Einfluss auf die absoluten Abweichungen Δabs G 2 und Δabs LN besitzen als die Einlager-Variationskoeffizienten cE . Das bedeutet, dass im Wesentlichen die Variabilität der Zwischenankunftszeiten der AA maßgeblich ist für die Approximationsgüte der verallgemeinerten MWA. Demgegenüber scheint die Variabilität im Ankunftsverhalten der EA keinen signifikanten Einfluss zu besitzen. Wie in Abbildung 6.9b angegeben, lassen sich die Approximationsfehler auch bei Variation des Auslager-Variationskoeffizienten c2A wieder durch Logarithmusfunktionen annähern. Für die untersuchte Lagerkonfiguration erzielen die logarithmischen Regressionen hierbei Be-

208

Kapitel 6 Einsatz der Modelle für die Leistungsanalyse von Lagersystemen Logarithmische Regression

Beobachtete Werte abs abs ΔG , ΔLN

abs abs ΔG , ΔLN

3

3

2

2

1

1

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

c2E

2 2 Δabs G (cA ) ≈ 0,8983 ln(cA ) + 0,1812

2 2 Δabs LN (cA ) ≈ 0,8829 ln(cA ) + 0,0843

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

-1

-1

-2

-2

c2A

(b) Variation Ankunftsverhalten AA

(a) Variation Ankunftsverhalten EA

Abbildung 6.9: Absolute Abweichungen bei isolierter Variation des Einlager- bzw. Auslager-Variationskoeffizienten stimmtheitsmaße von R2 > 0,97. Unerwarteterweise sind die angepassten Parameter bei alleiniger Variation der Auslager-Variationskoeffizienten c2A denen bei gemeinsamer Variation beider Variationskoeffizienten in Abbildung 6.8 sehr ähnlich. Der Approximationsfehler bei gemeinsam variiertem Ankunftsverhalten beider Lagerauftragsarten scheint also näherungsweise dem Approximationsfehler unter Variation des einheitlichen Auslager-Variationskoeffizienten c2A zu entsprechen. Diese Ergebnisse für eine konkrete Lagerkonfiguration legen somit folgende Vermutung für die Zusammenhänge abs zwischen den absoluten Abweichungen Δabs G bzw. ΔLN und den einheitlichen Variationskoeffizienten nahe. 2 abs 2 Δabs G (c ) ≈ ΔG (cA )

2 Δabs LN (c )



2 Δabs LN (cA )

(6.31a) (6.31b)

Im Rahmen einer größer angelegten Simulationsstudie bestätigten sich diese näherungsweisen Zusammenhänge auch für andere Lagerkonfigurationen. Die Studie umfasste 85 Lagerinstanzen mit N ∈ {40, 120, 200, 500, 800} Lagerplätzen, jeweils kombiniert mit verschiedenen Layouts und unterschiedlichen Sortimentsumfängen L. basieren wieder auf einer Lagergasse mit zwei gegenüberliegenden Layout durch die Anzahl nE von Regalebenen sowie die Anzahl spezifiziert wird. Zur Ausführung der Lageraufträge steht ein RBG

Alle Lagerinstanzen Regalwänden, deren nS von Regalsäulen mit identischen Ver-

6.3 Validierung der verallgemeinerten Modellierung

209

fahrgeschwindigkeiten in horizontaler und vertikaler Richtung zur Verfügung. Für jede Lagerinstanz wurden die Variationskoeffizienten der Auftragsankünfte wieder einheitlich gemäß der vorab dargestellten Szenarien (nur c2E , nur c2A , beide) im Intervall [0,1; 10] variiert. Aus dieser Vorgehensweise resultierten 300 Kombinationen je Lagerinstanz, für die jeweils die mittlere Spielzeit unter KFS mit der verallgemeinerten MWA approximiert sowie mit beiden Simulationsvarianten geschätzt wurde. Wie für die anfänglich betrachtete Lagerinstanz wurden aus diesen Ergebnissen schließlich die absoluten Abweichungen Δabs G bzw. Δabs LN bestimmt und die Parameter der logarithmischen Regressionen ermittelt. Das Ziel dieser Auswertung besteht darin, die Approximationsgüte der verallgemeinerten MWA zu verbessern. Da die MWA für exponentialverteilte Zwischenankunftszeiten mit c2 = 1 exakte Ergebnisse liefert, sind die konstanten Anteile aller an die Approximationsfehler angepassten Logarithmusfunktionen erwartungsgemäß vergleichsweise gering. Daher werden die konstanten Anteile im Folgenden vernachlässigt und eine Anpassung lediglich unter Verwendung der Skalierungsparameter kG bzw. kLN der angepassten Logarithmusfunktionen angestrebt. Hierfür werden aus den Ergebnissen der Simulationsstudie parametrisierte Korrekturterme δG bzw. δLN für die mittlere Spielzeit t¯KFS der verallgemeinerten MWA abgeleitet. Nachdem sich die vermuteten Zusammenhänge aus (6.31) für alle untersuchten Lagerinstanzen bestätigt haben, werden diese Korrekturterme lediglich in Abhängigkeit des einheitlichen Auslager-Variationskoeffizienten c2A gebildet. Für die Schätzung werden die Koeffizienten kG und kLN der angepassten Logarithmusfunktionen jedoch dem Szenario gemeinsam variierter Variationskoeffizienten entnommen. Die für alle Lagerinstanzen experimentell gewonnenen Skalierungsparameter legen die Vermutung nahe, dass die Koeffizienten kG und kLN von den Instanzparametern abhängen und durch multiple lineare Regressionen unter Berücksichtigung von Interaktionseffekten88 geschätzt werden können. In Anlehnung an die Teilmengenanalyse zur geeigneten Auswahl unabhängiger Variablen, vgl. z. B. Hedderich und Sachs (2018, S. 816 f.), wurden daher für beide Simulationsvarianten Regressionsmodelle mit verschiedenen Kombinationen aus Instanzparametern und Interaktionseffekten erstellt und anhand des Bestimmtheitsmaßes R2 hinsichtlich ihrer Erklärungsgüte miteinander verglichen. Zur Schätzung der Koeffizienten kG und kLN wurden mit Bestimmtheitsmaßen von R2 > 0,88 schließlich die Regressionsmodelle mit den unabhängigen Variablen nE , nS und NL sowie dem Interaktionseffekt zwischen nE und nS gewählt. Daraus resultieren die folgenden Korrek-

88

Unter Interaktionseffekten werden Abhängigkeiten zwischen den Wirkungen der unabhängigen Variablen verstanden. Zur additiven Einbeziehung dieser Interaktionseffekte in lineare Regressionsmodelle siehe z. B. Wollschläger (2017, S. 208 ff.) oder Sauer (2019, S. 335 ff.).

210

Kapitel 6 Einsatz der Modelle für die Leistungsanalyse von Lagersystemen

turterme δG bzw. δLN für die mittlere Spielzeit t¯KFS bei gamma- bzw. lognormalverteilten Zwischenankunftszeiten der Lageraufträge: δG ≈ kG · ln(c2A )

= (0,0926nE + 0,0926nS + 0,9342 NL − 0,0032nE nS − 0,745) · ln(c2A )

(6.32a)

= (0,0832nE + 0,0832nS + 1,9888 NL − 0,0018nE nS − 1,1175) · ln(c2A )

(6.32b)

δLN ≈ kLN · ln(c2A )

Die aus den multiplen linearen Regressionen resultierenden Koeffizienten sind dabei für die beiden Simulationsvarianten vergleichsweise ähnlich. Das ist ein weiteres Indiz dafür, dass die Verteilungsart keinen wesentlichen Einfluss auf die mittlere Spielzeit unter KFS besitzt. Daher wird als finaler Ansatz zur Verbesserung der Approximationsgüte ein verteilungsunabhängiger Korrekturterm δ vorgeschlagen, der sich als Mittel aus den Korrekturtermen δG und δLN in (6.32) ergibt. In der bisherigen Version basieren die Korrekturterme auf der Annahme, dass alle Artikel  = 1, . . . , L je Lagerauftragsart ein identisches Ankunftsverhalten aufweisen. Um den Ansatz auf individuelle Auslager-Variationskoeffizienten c2A () zu erweitern, werden die einheitlichen Auslager-Variationskoeffi

zienten c2A noch durch die mittleren Auslager-Variationskoeffizienten c¯2A := L1 L=1 c2A () ersetzt. Diese Übertragung lässt sich aus den in Abschnitt 6.2.2 identifizierten Synergieeffekten zwischen den Lagerauftragsarten bei Einsatz der KFS motivieren. Demnach scheint für die mittlere Spielzeit unter KFS insbesondere die Bearbeitungsreihenfolge der Lagerauftragsarten, d. h. die Wechsel zwischen EA und AA, maßgebend zu sein, die wiederum von der gesamten Variabilität über alle Artikel abhängt. Abschließend resultiert aus diesen Überlegungen die angepasste mittlere Spielzeit t¯∗KFS := t¯KFS + δ mit δ := (0,0879nE + 0,0879nS +

(6.33) 1,4615 NL

− 0,0025nE nS − 0,93125) ·

ln(¯ c2A )

In der vorliegenden Arbeit steht die Leistungsanalyse von Lagersystemen und somit die Berechnung der mittleren Spielzeit im Fokus. Daher bezieht sich der vorgeschlagene Anpassungsansatz für die verallgemeinerte MWA auch lediglich auf die Approximationsfehler in der mittleren Spielzeit. Für diese aggregierte Kenngröße sind neben den Zugriffswahrscheinlichkeiten, zu deren Berechnung die verallgemeinerte MWA ausschließlich dient, zusätzlich noch das Lagerregallayout sowie das Geschwindigkeitsprofil der RBG maßgebend. Nach ersten Auswertungen zu den Approximationsfehlern in den Zugriffswahrscheinlichkeiten PZ (n) der einzelnen Lagerplätze n ∈ {1, . . . , N } erscheint auch für diese Kenngrößen, d. h. auf detaillierterer Ebene, eine Anpassung mittels logarithmischer

211

6.3 Validierung der verallgemeinerten Modellierung Testset VK2 Lagerinstanz 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 MRE

|Δrel G |

[%]

0,17 0,25 0,06 0,19 0,35 0,17 0,22 0,12 0,20 0,08

0,18

|Δrel LN |

Testset VK5 [%]

1,03 0,97 0,94 0,98 0,91 1,06 0,94 1,06 0,95 0,97 0,98

|Δrel G |

[%]

0,23 0,28 0,15 0,72 0,23 0,48 0,28 0,46 0,60 0,48 0,39

|Δrel LN | [%] 1,11 1,09 1,03 1,08 1,16 1,07 1,04 1,10 1,03 0,98 1,07

Tabelle 6.4: Betragsmäßige relative Abweichung zwischen approximativer und simulationsbasierter mittlerer Spielzeit nach verteilungsunabhängiger Anpassung Regressionen möglich. Für eine explizite Berechnung der Zugriffswahrscheinlichkeiten unter KFS, beispielsweise zur Einbeziehung in andere Ansätze zur Leistungsanalyse, wäre es daher empfehlenswert, die vorerst nur vermuteten Zusammenhänge noch weiter zu untersuchen. Da diese detailliertere Betrachtung für die Zielsetzung der vorliegenden Arbeit jedoch von untergeordneter Relevanz ist, soll sie an dieser Stelle nicht vertieft werden. Abschließend bleibt noch zu prüfen, wie sich die Anpassung der mittleren Spielzeit aus (6.33) auf die Approximationsgüte der verallgemeinerten MWA auswirkt. Um einen direkten Vergleich ziehen zu können, werden zunächst die beiden Testsets VK2 und VK5 aus Abschnitt 6.3.2 wieder aufgegriffen. In Tabelle 6.4 sind analog zu Tabelle 6.3 nun rel die betragsmäßigen relativen Abweichungen |Δrel G | und |ΔLN | der angepassten mittleren ∗ ˆ ¯ Spielzeit tKFS zu den Schätzern tKFS beider Simulationsvarianten zusammengefasst. Aus dieser Auswertung geht hervor, dass die angepasste MWA mit einer maximalen relativen Abweichung von 1,16 % über beide Testsets und beide Simulationsvarianten zu einer sehr hohen Approximationsgüte führt. Für Testset VK5 sind die Approximationsfehler zwar weiterhin jeweils höher als für Testset VK2, aber mit einem MRE von 0,39 % zur Gamma- bzw. 1,07 % zur Lognormalverteilung wird durch die Anpassung nun auch für Testset VK5 eine zufriedenstellende Approximationsgüte erreicht. Im Vergleich zu den ursprünglichen Approximationsfehlern in Tabelle 6.3 zeigt sich jedoch nicht nur diese deutliche Verbesserung für Testset VK5, sondern teilweise auch eine leichte Erhöhung der betragsmäßigen Abweichungen |Δrel LN | für Testset VK2. In diesem Fall steigt der MRE durch die verteilungsunabhängige Anpassung aus (6.33) von 0,79 % auf 0,98 % an.

212

Kapitel 6 Einsatz der Modelle für die Leistungsanalyse von Lagersystemen

Mit unter einem Prozent sind die Approximationsfehler im Mittel jedoch nach wie vor sehr gering. Da die Approximationsgüte in den übrigen Fällen deutlich verbessert werden konnte, erscheint die vorgeschlagene Anpassung der verallgemeinerten MWA trotz dieser geringfügigen Verschlechterungen zweckdienlich. Nachdem die angepasste MWA für diese konkrete Lagerkonfiguration insgesamt sehr gute Resultate erzielt, soll deren Approximationsgüte nachfolgend in größerem Stil analysiert werden. Um diese Auswertung möglichst allgemein zu halten, wird unter folgenden Vorgaben für die Parameterwahl ein Testset aus 50 zufällig generierten Lagerinstanzen gebildet. • Anzahl nE bzw. nS von Regalebenen/-säulen: diskret gleichverteilt aus {5, . . . , 25} *

• Artikelanzahl L: diskret gleichverteilt aus 5, . . . , N2

+

Darüber hinaus wird das Ankunftsverhalten der Lageraufträge aller Artikel  = 1, . . . , L folgendermaßen spezifiziert. • Ankunftsraten λ und μ : stetig gleichverteilt aus [0,1; 10] mit λ = μ • Quadrierte Variationskoeffizienten c2E () und c2A (): stetig gleichverteilt aus [0,1; 10] Unter Verwendung dieses Testsets wird im Folgenden die Approximationsgüte der angepassten MWA analysiert. Ähnlich wie in Abschnitt 6.2.2 wird zusätzlich auch ein Spielzeitvergleich durchgeführt. Mit diesem Vergleich soll nun für den Fall allgemein verteilter Zwischenankunftszeiten untersucht werden, wie gut die mittlere Spielzeit unter KFS durch die verschiedenen analytischen Ansätze approximiert werden kann. Dafür werden die mittleren Spielzeiten aller zufällig generierten Lagerinstanzen anhand folgender Ansätze berechnet: • Gleichverteilungsannahme (PRS) • Annahme Poissonscher Auftragsankünfte (MWA, siehe Algorithmus 5.2) • Verallgemeinerte MWA (vMWA, siehe Algorithmus 5.2 in Verbindung mit (5.27)) • Angepasste verallgemeinerte MWA (vMWA∗ , vMWA mit Anpassung aus (6.33)) Als Vergleichsgrundlage werden darüber hinaus die Schätzer tˆKFS aus den Simulationen unter Gamma- bzw. Lognormalverteilung bestimmt. Die betragsmäßigen relativen Abweichungen zwischen den Ergebnissen beider Simulationsvarianten belaufen sich im Mittel auf knapp über 2 % und im Maximum auf 8,8 %. Da diese Unterschiede zwar vergleichsweise gering, aber nicht vollständig vernachlässigbar sind, wird die Approximationsgüte nachfolgend für beide Varianten separat untersucht. Das letztendliche Ziel besteht darin,

213

6.3 Validierung der verallgemeinerten Modellierung Δrel G/LN [%] 120 Gammaverteilung

100

Lognormalverteilung 80 60 40 20 0 −20 −40

PRS

MWA

vMWA

vMWA∗

Abbildung 6.10: Relative Approximationsfehler zu Simulationsergebnissen eine möglichst gute Approximation für die Ergebnisse beider Simulationsvarianten zu erhalten. rel Die Boxplots89 in Abbildung 6.10 fassen die relativen Abweichungen Δrel G bzw. ΔLN der verschiedenen Berechnungsansätze zu den Simulationen unter Gamma- bzw. Lognormal-

verteilung über die 50 Lagerinstanzen zusammen. Es zeigt sich, dass die Gleichverteilungsannahme auch im Fall allgemein verteilter Zwischenankunftszeiten bei Einsatz der KFS zu einer deutlichen Überschätzung der mittleren Spielzeit führt. Unter der Annahme exponentialverteilter Zwischenankunftszeiten wird die mittlere Spielzeit hingegen unterschätzt. Dies gilt auch für die ursprüngliche Version der verallgemeinerten MWA, wenn auch in etwas geringerem Maße. Die höchste Approximationsgüte, für beide Simulationsvarianten gleichermaßen, erzielt die angepasste mittlere Spielzeit t¯∗KFS aus (6.33). Der Boxplot weist zwar auch einige wenige Ausreißer aus, aber mit einem MRE von 1,33 % bei Gamma- bzw. 1,48 % bei Lognormalverteilung wird die mittlere Spielzeit unter KFS für den Großteil der Lagerinstanzen sehr gut approximiert. Selbst der größte Ausreißer bewegt sich mit einer Überschätzung von 13,4 % im Vergleich zu den Abweichungen der anderen Berechnungsansätze noch in vertretbarem Rahmen. 89

Die Box deckt den Bereich der mittleren 50 % der Datenwerte ab, d. h. zwischen dem ersten und dem dritten Quartil, und die Antennen erstrecken sich jeweils bis zum letzten Datenpunkt innerhalb des 1,5-fachen Interquartilsabstands der Box, vgl. z. B. Wollschläger (2017, S. 579 f.).

214

Kapitel 6 Einsatz der Modelle für die Leistungsanalyse von Lagersystemen

Zusammenfassend lässt sich aus diesen Auswertungen beliebig gewählter Lagerinstanzen schließen, dass die angepasste mittlere Spielzeit t¯∗KFS aus (6.33) im verallgemeinerten Fall eine sehr gute Näherung für die mittlere Spielzeit unter KFS darstellt. Dieser Ansatz wird daher im nächsten Abschnitt eingesetzt, um den Einfluss verschiedener Modellparameter auf die Leistungsfähigkeit der RBG unter KFS bei allgemein verteilten Zwischenankunftszeiten zu untersuchen.

6.4 Spielzeit-Kennlinien unter verallgemeinerten Auftragsankünften Unter der Annahme Poissonscher Auftragsankünfte wurden in den Abschnitten 6.2.2 und 6.2.3 bereits verschiedene Kennlinien für die mittlere Spielzeit unter KFS diskutiert. Die wichtigsten Zusammenhänge ergaben sich dabei aus der sortimentsbezogenen Kennlinie in Abbildung 6.1 sowie den Kennlinien in Abbildung 6.7a, die die mittlere Spielzeit in Abhängigkeit der Lagerplatzanzahl bei fahrtzeitoptimaler Anordnung der Lagerplätze mit einem Wandparameter von eins beschreiben. Im Folgenden soll nun überprüft werden, ob die identifizierten Zusammenhänge gleichermaßen für den Fall allgemein verteilter Zwischenankunftszeiten gelten. Mit der angepassten MWA werden dafür die Kennlinien unter Berücksichtigung verschiedener Szenarien im Ankunftsverhalten der Lageraufträge erneut ausgewertet. Abschnitt 6.4.1 betrachtet dabei zunächst den Fall homogener Variabilität der Auftragsankünfte für alle Artikel  = 1, . . . , L. Üblicherweise unterscheidet sich das Ankunftsverhalten der Lageraufträge jedoch für die einzelnen Artikel. Dieser Fall wird in Abschnitt 6.4.2 untersucht. Für einen direkten Vergleich mit den vorangegangenen Auswertungen unter MarkovBedingungen werden die Lagerinstanzen aus den Abschnitten 6.2.2 und 6.2.3 wieder aufgegriffen und lediglich das Ankunftsverhalten der Lageraufträge variiert. Die Ankunftsraten λ bzw. μ der EA bzw. AA aller Artikel  = 1, . . . , L werden zu Beginn einmal für die maximal betrachtete Artikelanzahl von L = 500 stetig gleichverteilt aus dem Intervall [0,1; 10] gewählt, wobei je Artikel  wieder von übereinstimmenden Ankunftsraten λ = μ ausgegangen wird. Diese Ankunftsraten werden in allen untersuchten Szenarien beibehalten, nur die quadrierten Variationskoeffizienten c2E () bzw. c2A () der Zwischenankunftszeiten werden verändert. Auswertungen mit L < 500 Artikeln beziehen sich dabei auf die ersten L Artikel aus dem initialen Datensatz. Da die Anpassung der mittleren Spielzeit aus Abschnitt 6.3.3 für unrealistische Lagerinstanzen mit sehr hoher oder sehr

6.4 Spielzeit-Kennlinien unter verallgemeinerten Auftragsankünften

215

niedriger LTPR nicht geeignet ist, beschränken sich die nachfolgenden Kennlinien auf Lagerinstanzen mit N ≥ 2L und L ≥ 10.

6.4.1 Homogene Variabilität aller Auftragsankünfte Um den Einfluss der Variabilität auf die mittlere Spielzeit separiert zu untersuchen, wird in den ersten Auswertungen der Fall betrachtet, dass die Variationskoeffizienten der Auftragsankünfte je Lagerauftragsart für alle Artikel  = 1, . . . , L identisch sind, d. h., c2E () = c2E und c2A () = c2A . Wie bereits in Abschnitt 6.3.3 wird dafür zwischen den Szenarien isoliert variierter Einlager- bzw. Auslager-Variationskoeffizienten sowie gemeinsam variierter Variationskoeffizienten für beide Lagerauftragsarten, d. h., c2E () = c2A () = c2 , unterschieden. Zur Verallgemeinerung der Kennlinien werden folgende Niveaus für den jeweils veränderten quadrierten Variationskoeffizienten herangezogen. • Geringe Variabilität: 0,5 • Mittlere Variabilität: 2 • Hohe Variabilität: 5 Zuerst wird die sortimentsbezogene Kennlinie aus Abbildung 6.1 wieder aufgegriffen und für die verschiedenen Szenarien und Variabilitätsniveaus ausgewertet. Abbildung 6.11 zeigt die verallgemeinerten Kennlinien der mittleren Spielzeit unter KFS für das Szenario gemeinsam variierter Variationskoeffizienten. Unabhängig von der Wahl des einheitlichen Variationskoeffizienten c2 geht daraus hervor, dass eine Vergrößerung des Lagersortiments zu einem Anstieg der mittleren Spielzeit führt. Dieses grundsätzliche Resultat deckt sich mit der Erkenntnis aus den Markov-Modellen in Abschnitt 6.2.2. Die verschiedenen Variabilitätsniveaus verändern allerdings die Lage der Spielzeit-Kennlinie. Eine Erhöhung des Variationskoeffizienten c2 verschiebt die Kennlinie nach oben, d. h., stärker schwankende Zwischenankunftszeiten der Lageraufträge bringen bei Einsatz der KFS eine Erhöhung der mittleren Spielzeit mit sich. Verglichen mit der E/A-Strategie PRS kann die KFS dennoch weiterhin für alle Variabilitätsniveaus eine deutliche Steigerung der Leistungsfähigkeit der RBG erzielen. Die isolierte Variation der einheitlichen Einlager- bzw. Auslager-Variationskoeffizienten c2E bzw. c2A in Abbildung 6.12 gibt wieder Aufschluss darüber, welcher der beiden Variationskoeffizienten für die Erhöhung der mittleren Spielzeit maßgebend ist. Bei geänderter Variabilität der Zwischenankunftszeiten von EA in Abbildung 6.12a bleibt die Kennlinie der mittleren Spielzeit nahezu unverändert und deckt sich weitestgehend mit

216

Kapitel 6 Einsatz der Modelle für die Leistungsanalyse von Lagersystemen

mittlere Spielzeit (t¯)

30 c2 = 5 c2 = 2 c2 = 0,5

25 20 15 10 PRS KFS

5 0

0

30

60 90 120 150 180 210 240 Sortimentsgröße (L)

Abbildung 6.11: Sortimentsbezogene Kennlinie der mittleren Spielzeit bei gemeinsam variiertem Ankunftsverhalten beider Lagerauftragsarten

25 20 15 10 5 0

c2E/A = 2 mittlere Spielzeit (t¯)

mittlere Spielzeit (t¯)

c2E/A = 5

0

50 100 150 200 250 Sortimentsgröße (L)

(a) Variation Ankunftsverhalten EA

c2E/A = 0,5

25 20 15 10 5 0

0

50 100 150 200 250 Sortimentsgröße (L)

(b) Variation Ankunftsverhalten AA

Abbildung 6.12: Sortimentsbezogene Kennlinie der mittleren Spielzeit unter KFS bei separater Variation des Ankunftsverhalten der Lagerauftragsarten

6.4 Spielzeit-Kennlinien unter verallgemeinerten Auftragsankünften

217

der Kennlinie bei Poissonschen Auftragsankünften aus Abbildung 6.1. Eine detailliertere Betrachtung zeigt darüber hinaus, dass diese geringen betragsmäßigen Abweichungen zur mittleren Spielzeit bei Poissonschen Auftragsankünften mit steigender Sortimentsgröße L sinken. Für Poissonsche Auftragsankünfte ist bei übereinstimmenden E/A-Raten aus (6.18) bekannt, dass der Lagerfüllgrad F G in L wächst. Unter der Annahme, dass dieser Zusammenhang bei verallgemeinerten Auftragsankünften in ähnlicher oder sogar noch ausgeprägterer Weise90 gilt, lassen sich die sinkenden Unterschiede dadurch erklären, dass die von der KFS ausgenutzten Auswahlmöglichkeiten an Lagerplätzen für ankommende Lageraufträge bei steigendem Lagerfüllgrad F G deutlich eingeschränkt sind. Wie in Abbildung 6.12b zu erkennen, verschiebt eine Änderung des einheitlichen AuslagerVariationskoeffizienten c2A die Spielzeit-Kennlinie hingegen deutlich. Nach diesen Auswertungen hat somit insbesondere die Variabilität der Ankünfte von AA einen maßgeblichen Einfluss auf die mittlere Spielzeit unter KFS, wie es in Abschnitt 6.3.3 auch bereits für die Approximationsfehler beobachtet wurde. Je weniger also die Zwischenankunftszeiten der AA schwanken, desto höher ist die Leistungsfähigkeit der RBG bei Einsatz der KFS. Ein möglicher Erklärungsansatz für diesen unerwarteten Zusammenhang könnte sich wie folgt aus den Synergieeffekten zwischen den Lagerauftragsarten unter KFS ergeben, die schon in Abschnitt 6.2.2 angedeutet wurden. Wegen dieser Synergieeffekte resultiert das Leistungssteigerungspotential der KFS insbesondere aus der fahrtzeitminimierenden Lagerplatzwahl für AA, da durch die optimierten Auslagerungen fahrtzeitgünstige Lagerplätze wieder für beliebige EA zur Verfügung stehen. Die optimierten Einlagerungen bedingen hingegen nur Auslagerungen des jeweiligen Artikels und haben somit insgesamt gesehen einen geringeren Einfluss auf die mittlere Spielzeit. Zudem nimmt die relative Bedeutung von EA bei steigender Sortimentsgröße L, aufgrund der damit einhergehenden sinkenden erwarteten Bestände für die einzelnen Artikel bei gleichbleibender Lagerkapazität N , noch weiter ab. Das erklärt zunächst die größere Bedeutung der AA für die mittlere Spielzeit unter KFS. Stärkere Variabilität in den Zwischenankunftszeiten der AA ändert schließlich die Wahrscheinlichkeiten für die Bearbeitungsreihenfolgen der Lagerauftragsarten, die die mittlere Spielzeit unter KFS maßgeblich beeinflussen. Insbesondere werden Reihenfolgen mit vielen hintereinander auszuführenden EA wahrscheinlicher, wodurch ein Teil des Optimierungspotentials der KFS wieder eingebüßt wird. Neben der sortimentsbezogenen Kennlinie werden außerdem die Kennlinien aus Abbildung 6.7a verallgemeinert, die die mittlere Spielzeit in Abhängigkeit der Größe des Lagerbereichs für ein Regalwandlayout mit einem Wandparameter von eins beschreiben. 90

Bezugnehmend auf approximative Resultate für G/G/1-Warteschlangensysteme, für die die erwartete Kundenanzahl im System bei steigender Variabilität der Zwischenankunfts- bzw. Bedienzeiten wächst, erscheint diese Annahme im vorliegenden Fall gerechtfertigt, vgl. z. B. Bolch et al. (2006, S. 269 ff.).

218

Kapitel 6 Einsatz der Modelle für die Leistungsanalyse von Lagersystemen

50 40 30

c2 = 5 c2 = 2 c2 = 0,5

20 10 0

0

500

1000

1500

Anzahl Lagerplätze (N ) (a) Sortimentsgröße L = 100

2000

KFS mittlere Spielzeit (t¯)

mittlere Spielzeit (t¯)

PRS

50 40

c2 = 5 c2 = 2 c2 = 0,5

30 20 10 0 1000

1500

2000

Anzahl Lagerplätze (N ) (b) Sortimentsgröße L = 500

Abbildung 6.13: Lagergrößenbezogene Kennlinien der mittleren Spielzeit bei gemeinsam variiertem Ankunftsverhalten beider Lagerauftragsarten Da auch in diesem Fall eine isolierte Variation des einheitlichen Einlager-Variationskoeffizienten c2E keine wesentliche Änderung mit sich bringt und die Kennlinien der beiden anderen Szenarien weitestgehend deckungsgleich sind, wird nachfolgend nur das Szenario gemeinsam variierter Variationskoeffizienten diskutiert. Die aus den verschiedenen Variabilitätsniveaus resultierenden Kennlinien sind in Abbildung 6.13 für Sortimentsgrößen von L = 100 und L = 500 dargestellt. Wie zu erkennen ist, bleiben die prinzipiellen Zusammenhänge aus den Markov-Modellen in Abschnitt 6.2.3 für diese Kennlinien auch im verallgemeinerten Fall bestehen. Unabhängig vom Ankunftsverhalten der Lageraufträge führt die KFS nach wie vor zu geringeren mittleren Spielzeiten als PRS. Dieser Effekt verstärkt sich auch weiterhin in größeren Lagerbereichen und reduziert sich bei größeren Lagersortimenten. Die Auswirkung der Variabilität in den Zwischenankunftszeiten ist ähnlich wie bei der vorab betrachteten sortimentsbezogenen Kennlinie. Mit steigendem Variationskoeffizienten c2 , d. h. mit stärker schwankenden Zwischenankunftszeiten der Lageraufträge, erhöht sich die mittlere Spielzeit unter KFS und nähert sich somit der unter PRS an. Maßgebend dafür ist wiederum die Variabilität in den Zwischenankunftszeiten der AA. Insgesamt geht jedoch auch aus dieser Auswertung hervor, dass im Vergleich zu PRS weiterhin in allen Fällen durch Einsatz der KFS eine Leistungssteigerung erzielt werden kann. Die vorangehenden Auswertungen unter Annahme homogener Variabilität der Auftragsankünfte sind bereits ein erstes Indiz dafür, dass es auch bei allgemein verteilten Zwi-

6.4 Spielzeit-Kennlinien unter verallgemeinerten Auftragsankünften

219

schenankunftszeiten lohnenswert erscheint, den E/A-Prozess nach der KFS zu organisieren. Üblicherweise unterscheidet sich das Ankunftsverhalten der Lageraufträge jedoch für die verschiedenen Artikel. Wie sich dieser Fall auf die Spielzeit-Kennlinien auswirkt, wird daher im nächsten Abschnitt untersucht.

6.4.2 Artikelspezifische Auftragsankünfte Ein artikelspezifisches Ankunftsverhalten der Lageraufträge wird für die folgenden Auswertungen über zufällig gewählte Variationskoeffizienten c2E () und c2A () für alle Artikel  = 1, . . . , L nachgebildet. Dafür werden die Lagerinstanzen aus dem vorangehenden Abschnitt wieder aufgegriffen und die einheitlichen Variationskoeffizienten werden durch zufällige ersetzt. Hinsichtlich der Variabilität wird dabei erneut zwischen verschiedenen Niveaus unterschieden, indem jeweils Lagerinstanzen mit stetig gleichverteilten Zufallszahlen aus den folgenden Intervallen gebildet werden. • Hohe Variabilität: [0,1; 10] • Mittlere Variabilität: [0,1; 5] Für beide Variabilitätsniveaus sind die resultierenden sortiments- und lagergrößenbezogenen Kennlinien in den Abbildungen 6.14 und 6.15 dargestellt. Es zeigt sich, dass die in Abschnitt 6.4.1 gewonnenen Erkenntnisse auf den Fall artikelspezifischer Auftragsankünfte übertragbar sind. Insbesondere stellt sich die KFS auch in diesen Auswertungen als vorteilhaft gegenüber der E/A-Strategie PRS heraus, da die mittlere Spielzeit unter KFS in allen Fällen signifikant geringer ist. Alle bisherigen Auswertungen der mittleren Spielzeit basieren jeweils auf spezifischen Lagerkonfigurationen, für die nach dem ceteris-paribus-Prinzip immer nur genau ein Modellparameter variiert wurde. Diese Vorgehensweise ermöglicht es, den Effekt des variierten Parameters auf die mittlere Spielzeit weitestgehend isoliert betrachten zu können. In diesen Auswertungen konnte durch den Einsatz der KFS stets eine geringere mittlere Spielzeit erreicht werden als unter der häufig angenommenen E/A-Strategie PRS. Dieses identifizierte Leistungssteigerungspotential soll abschließend noch auf dem zufällig generierten Testset aus Abschnitt 6.3.3 verifiziert werden. Den zugehörigen 50 Lagerinstanzen liegt ebenfalls ein artikelspezifisches Ankunftsverhalten zugrunde, sie unterscheiden sich zusätzlich aber auch in der Sortimentsgröße sowie im Layout der Regalwände. Die mittleren Spielzeiten dieser Lagerinstanzen, die bereits für die Auswertung zur Approximationsgüte in Abbildung 6.10 berechnet wurden, können neu aufbereitet auch für einen

220

Kapitel 6 Einsatz der Modelle für die Leistungsanalyse von Lagersystemen

mittlere Spielzeit (t¯)

30 25

hoch mittel

20 15 10 PRS KFS

5 0

0

30

60 90 120 150 180 210 240 Sortimentsgröße (L)

Abbildung 6.14: Sortimentsbezogene Kennlinie der mittleren Spielzeit bei artikelspezifischem Ankunftsverhalten der Lageraufträge

50 40 30

hoch mittel

20 10 0

0

500

1000

1500

Anzahl Lagerplätze (N ) (a) Sortimentsgröße L = 100

2000

KFS mittlere Spielzeit (t¯)

mittlere Spielzeit (t¯)

PRS

50 40

hoch mittel

30 20 10 0 1000

1500

2000

Anzahl Lagerplätze (N ) (b) Sortimentsgröße L = 500

Abbildung 6.15: Lagergrößenbezogene Kennlinien der mittleren Spielzeit bei artikelspezifischem Ankunftsverhalten der Lageraufträge

221

6.5 Betriebswirtschaftliche Implikationen

−50 −40 −30 −20 −10 0 Spielzeitänderung [%]

10

Abbildung 6.16: Relative Änderung der mittleren Spielzeit durch KFS im Vergleich zu PRS Leistungsvergleich zwischen KFS und PRS herangezogen werden. Der Boxplot in Abbildung 6.16 fasst dafür die relativen Spielzeitänderungen über die 50 zufällig generierten Lagerinstanzen zusammen, die ein Einsatz der KFS im Vergleich zu PRS mit sich bringt. Die angepasste mittlere Spielzeit t¯∗KFS aus (6.33) spezifiziert hierbei die Leistung unter KFS. Dieser Auswertung ist zu entnehmen, dass die KFS in ausnahmslos allen Lagerinstanzen die Leistungsfähigkeit der RBG erhöhen kann. Die erzielte Spielzeitreduktion beträgt dabei im Mittel ca. 20 % (Mittelwert 21,7 %, Median 19,6 %). Wie sowohl an dem Ausreißer als auch an den Kennlinien in Abbildung 6.14 zu erkennen ist, kann die Leistungssteigerung unter KFS je nach Lagerkonfiguration und Sortimentszusammensetzung sogar noch deutlicher ausfallen. Somit kann das Resultat aus Abschnitt 6.2, dass die KFS zu einer signifikanten Leistungssteigerung der RBG führt, auch für den praxisrelevanten Fall allgemein verteilter Zwischenankunftszeiten als bestätigt angesehen werden.

6.5 Betriebswirtschaftliche Implikationen Mit der in Kapitel 5 vorgestellten warteschlangentheoretischen Modellierung steht als Ergebnis der vorliegenden Arbeit ein effizienter, analytisch-stochastischer Ansatz für Leistungsanalysen von Lagersystemen bei fahrtzeitoptimierten Einzelspielen zur Verfügung. Mit den entwickelten Methoden kann für gegebene Lagerkonfigurationen und -sortimente die Grenzdurchsatzleistung der Fördermittel unter unsicheren Auftragsankünften berechnet werden. Im Zuge der vorangehenden Auswertungen wurden bereits einige allgemeine Zusammenhänge für einen Lagerbetrieb unter der Kürzeste-Fahrtzeit-Strategie (KFS) identifiziert, die in Abschnitt 6.5.1 noch einmal aus betriebswirtschaftlicher Sicht zusammengefasst werden sollen. Insbesondere ist dabei von Interesse, unter welchen Bedingungen der Einsatz der KFS die Durchsatzleistung der Fördermittel signifikant erhöhen kann. Die Gültigkeit der gewonnenen Erkenntnisse unterliegt einigen Begrenzungen, die

222

Kapitel 6 Einsatz der Modelle für die Leistungsanalyse von Lagersystemen

sich aus dem Annahmensystem der Modellierung in Abschnitt 4.1 ergeben. Diese Limitationen werden in Abschnitt 6.5.2 vor dem abschließenden Fazit mit Ausblick auf weitere Forschungsmöglichkeiten dargestellt.

6.5.1 Zusammenfassung der wichtigsten Erkenntnisse Das wichtigste Resultat der vorangegangenen Untersuchungen besteht darin, dass die E/A-Strategie KFS gegenüber der häufig angenommenen rein zufälligen Lagerplatzwahl (PRS) in allen analysierten Lagerszenarien eine Leistungssteigerung herbeiführen konnte. Wie in Abschnitt 6.2.2 erläutert, gilt dieses Resultat gleichermaßen für den Vergleich zwischen den Strategien Closest Open Location (COL) und KFS, da die Zugriffswahrscheinlichkeiten unter COL, außer im unwirtschaftlichen Fall von Lagersystemen mit sehr geringem Lagerfüllgrad, weitestgehend identisch zu denen unter PRS sind. Lagerplätze nur für Einlageraufträge fahrtzeitminimierend auszuwählen, führt somit nicht zu der angestrebten Konzentration der Zugriffe auf fahrtzeitgünstige Lagerplätze. Erst aus der Kombination mit fahrtzeitminimierenden Auslagerungen resultiert das Leistungssteigerungspotential der KFS. Auch unter KFS verringert sich dieses Potential mit steigendem Lagerfüllgrad, aber selbst bei hohen Lagerfüllgraden lässt sich die Leistungsfähigkeit im Vergleich zu den anderen E/A-Strategien noch beträchtlich steigern. Erwartungsgemäß lohnt sich ein Einsatz der KFS vor allem für größere Lagerbereiche mit durchschnittlich weiten Fahrstrecken. Besonders vorteilhaft ist diese E/A-Strategie bei Lagersortimenten mit geringer Artikelanzahl, die jeweils in größerer Stückzahl eingelagert werden. In diesem Fall ergibt sich aus der großen Anzahl identischer Lagereinheiten ein höherer Optimierungsspielraum für die KFS. Ein wesentlicher Vorteil für den praktischen Einsatz der KFS besteht außerdem darin, dass sie sehr einfach umsetzbar ist. Um diese E/A-Strategie in die Steuerung der automatisierten Fördermittel zu integrieren, muss lediglich die aktuelle Lagerbelegung aus dem Lagerverwaltungssystem bekannt sein, die für die Lagerverwaltung ohnehin benötigt wird. Außerdem kann die KFS auch mit verschiedenen Lagerplatzvergabestrategien kombiniert eingesetzt werden, z. B. mit freier Lagerplatzvergabe, Zonierung oder fester Lagerplatzvergabe. Auf diese Weise lässt sich die Leistungsfähigkeit der Fördermittel noch zusätzlich zu den Effekten der Lagerplatzvergabestrategien steigern. Die Kritik einer Überalterung der Lagerbestände konnte mit den Auswertungen in Abschnitt 6.2.3 weitgehend entkräftet werden. Diese Problematik betrifft generell nur vergleichsweise wenige Lagereinheiten und lässt sich mit geringem Mehraufwand durch periodische Auslagerungen zur Bestandserneuerung beheben. Diese Kritik sollte daher

6.5 Betriebswirtschaftliche Implikationen

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nicht als Hindernis dafür angesehen werden, das Leistungssteigerungspotential der KFS im regulären Lagerbetrieb zu nutzen. Unerwartet erscheinen die Erkenntnisse zu den Zusammenhängen zwischen der mittleren Spielzeit und der Variabilität der Auftragsankünfte aus Abschnitt 6.4. Veränderungen in den Variationskoeffizienten der Zwischenankunftszeiten von Einlageraufträgen wirken sich nahezu nicht auf die mittlere Spielzeit unter KFS aus. Daraus lässt sich schließen, dass das ermittelte Leistungssteigerungspotential sehr wahrscheinlich auch bei BatchAnkünften von Lagereinheiten besteht. Das ist eine wesentliche Erkenntnis für den praktischen Einsatz der KFS, da die Bündelung von Bestellmengen eines Artikels, z. B. durch die Anwendung periodischer Bestellpolitiken, eine übliche und betriebswirtschaftlich sinnvolle Beschaffungsstrategie darstellt. Im Gegensatz dazu beeinflusst die Variabilität der Zwischenankunftszeiten von Auslageraufträgen die mittlere Spielzeit unter KFS in deutlicher Weise. Stärker schwankende Zwischenankunftszeiten der Auslageraufträge führen zu einer Erhöhung der mittleren Spielzeit. Dieses Resultat unterstreicht das Ergebnis aus Abschnitt 6.2.2, wonach die Leistungssteigerung unter KFS im Wesentlichen aus den optimierten Auslagerungen resultiert. Auch wenn aus den Auswertungen in Abschnitt 6.4 hervorgeht, dass die Leistungsfähigkeit der Fördermittel selbst bei deutlich erhöhter Variabilität der Ankünfte beider Lagerauftragsarten durch Einsatz der KFS noch gesteigert werden kann, ist dieser Zusammenhang aus betriebswirtschaftlicher Sicht insofern herausfordernd, als die Variabilität der Ankünfte von Auslageraufträgen häufig außerhalb des direkten Einflussbereichs des bestandsführenden Unternehmens liegt. In der Regel handelt es sich dabei um die Nachfrage der Kunden, auf die Industrie- oder Handelsunternehmen nur indirekt, z. B. durch Anreize für gleichmäßige Abrufmengen, Einfluss nehmen können. Wird dieser Zusammenhang in umgekehrter Weise interpretiert, so folgt daraus ein weiterer, sinnvoller Einsatzbereich für die KFS. Eine wenig volatile Nachfrage führt dazu, dass die E/A-Prozesse durch Einsatz der KFS deutlich effizienter gestaltet werden können. Diese Eigenschaft erfüllen beispielsweise viele Lagersysteme, aus denen die Materialbereitstellung in der Produktion erfolgt. Das hängt damit zusammen, dass zur Reduktion der Durchlaufzeit von Produktionsaufträgen üblicherweise ein gleichmäßiger Produktionsablauf mit kleinen Losgrößen angestrebt wird, der wiederum einen gleichmäßigen Bedarf an Einsatzstoffen induziert. Auf der Grundlage der Untersuchungen in diesem Kapitel konnten somit einige Eigenschaften von Lagersystemen und -prozessen identifiziert werden, die bei Einsatz der KFS eine deutliche Leistungssteigerung der Fördermittel begünstigen. Die daraus resultierende verbesserte Durchsatzleistung führt zu effizienteren Lagerprozessen, wodurch einerseits das im Lagersystem umsetzbare Auftragsvolumen gesteigert und andererseits die Kosten

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Kapitel 6 Einsatz der Modelle für die Leistungsanalyse von Lagersystemen

für die Lagerprozesse reduziert werden können. Diese Erkenntnisse unterstreichen somit auch aus unmittelbarer Anwendungssicht die Relevanz der E/A-Strategie KFS. Der vorgestellte analytisch-stochastische Ansatz zur Leistungsanalyse unter KFS beruht auf einigen Annahmen, die die Aussagekraft der Ergebnisse im Hinblick auf relevante Anwendungsfälle einschränken können. Diese Limitationen der zugrunde liegenden Modellbildung werden im folgenden Abschnitt angesprochen.

6.5.2 Begrenzungen der Modellierung Im Gegensatz zu stochastischen Simulationen besitzen analytisch-stochastische Ansätze den Vorteil, dass Aussagen über systematische Abhängigkeiten in den modellierten Prozessen in Form geschlossener Ausdrücke quantifiziert werden können. Zur Verwendung der dafür notwendigen stochastischen Modellierungskonzepte müssen jedoch i. d. R. Annahmen getroffen werden, die die Allgemeingültigkeit dieser Aussagen einschränken. Im vorliegenden Fall resultieren aus dem Annahmensystem in Abschnitt 4.1 einige Begrenzungen für den Einsatz der entwickelten Leistungsanalyse in praktischen Lageranwendungen, die nachfolgend im Einzelnen dargestellt werden. Mit dem präsentierten Ansatz zur Leistungsanalyse wird lediglich die mittlere Spielzeit von Einzelspielen bestimmt, da eine Bildung von Doppel- oder Mehrfachspielen in der vorliegenden Arbeit nicht betrachtet wurde. Insbesondere Doppelspiele werden jedoch in automatisierten Lagersystemen häufig zur Vermeidung von Leerfahrten eingesetzt. Gleiches gilt prinzipiell auch für Mehrfachspiele, wobei Fördermittel mit Mehrfachlastaufnahme seltener eingesetzt werden. Grundsätzlich ließe sich die Idee der E/A-Strategie KFS auch auf Doppelspiele übertragen. Die Strategie wäre dann so auszulegen, dass immer das Doppelspiel mit minimaler Fahrtzeit ausgewählt wird. Die detaillierte MarkovModellierung aus Abschnitt 4.2.1 könnte dafür so modifiziert werden, dass statt einzelner Lagerplätze nun Paare von Lagerplätzen betrachtet und hinsichtlich ihrer Doppelspielzeit sortiert werden. Bei der Bestimmung der Übergangsstruktur ist in diesem Fall jedoch zu berücksichtigen, dass mit Ausführung eines Doppelspiels nicht nur das gewählte Paar, sondern gleichzeitig auch zahlreiche andere Lagerplatzkombinationen nicht mehr wählbar sind. Grundsätzlich lässt sich die vorgestellte Modellierung also auf Doppelspiele verallgemeinern. Im Hinblick auf die praktische Relevanz ist bislang jedoch unklar, ob dieser Fall ähnlich effizient modelliert werden kann wie mit dem aggregierten Markov-Modell für Einzelspiele.

6.5 Betriebswirtschaftliche Implikationen

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Die nächste Begrenzung ergibt sich aus der fördermittelbezogenen Modellierung. Bei dieser Betrachtungsweise beziehen sich die Ankünfte von Lageraufträgen auf die Zeitpunkte, zu denen das Fördermittel die Lagereinheiten an den Lagerplätzen ein- bzw. auslagert. In den modellierten Zwischenankunftszeiten sind somit die (tatsächlichen) Zwischenankunftszeiten der Lageraufträge am Lagersystem, die Wartezeiten der Lageraufträge auf ein Fördermittel sowie die Fahrtzeiten einschließlich möglicher Blockierungen zwischen den Fördermitteln zusammengefasst. Im verallgemeinerten Ansatz wird diese Begrenzung durch die Erweiterung auf allgemein verteilte Zwischenankunftszeiten zwar teilweise wieder kompensiert, die Schwierigkeit besteht dann allerdings darin, die quadrierten Variationskoeffizienten für das zu analysierende Lagersystem geeignet zu schätzen. Unter der betrachteten Zielsetzung wirkt sich diese Einschränkung im Gegensatz zur auftragsbezogenen Sichtweise jedoch nur auf die nachgelagerte Spielzeitberechnung aus. Die vorgestellte warteschlangentheoretische Modellierung dient ausschließlich der Bestimmung der Zugriffswahrscheinlichkeiten auf die einzelnen Lagerplätze unter der E/A-Strategie KFS. Für diese Wahrscheinlichkeiten ist lediglich die Bearbeitungsreihenfolge der Lageraufträge maßgeblich, die wiederum unabhängig von den Warte- und Fahrtzeiten ist. Somit könnte anstelle der in der vorliegenden Arbeit verwendeten zeitstetigen Betrachtung, die gewählt wurde, um mit Aussagen zur Verweildauer der Lagereinheiten Stellung zur Kritik überalternder Lagerbestände nehmen zu können, auch eine zeitdiskrete Modellierung herangezogen werden. Die anschließende Spielzeitberechnung beruht im entwickelten Ansatz auf den reinen Fahrtzeiten. Diese Betrachtung eignet sich zur fördermittelbezogenen Modellierung aller Lageranwendungen, in denen ein abgegrenzter Lagerbereich von einem Fördermittel bedient wird. Dies ist beispielsweise bei der typischen Konfiguration automatisierter Hochregallager mit einem Regalbediengerät je Lagergasse oder bei Shuttle-Systemen mit korridorgebundenen automatischen Verteilfahrzeugen der Fall. Werden in einem Lagerbereich hingegen mehrere Fördermittel gleichzeitig eingesetzt, so sind neben der Fahrtzeit zusätzlich noch die Zeiten für Blockierungen zwischen den Fördermitteln in die Spielzeitberechnung einzubeziehen. Für eine vollumfängliche Analyse der Lagerprozesse müssen über diese fördermittelbezogene Modellierung hinaus außerdem die Wartezeiten der Lageraufträge auf ein Fördermittel berücksichtigt werden, die sich wiederum aus einer Betrachtung von Warteprozessen ergeben. Eine weitere Einschränkung folgt aus der Annahme, dass sich jeder Lagerauftrag auf genau eine Lagereinheit bezieht. Für das Bestandsmanagement in Lagersystemen werden jedoch zur Reduktion bestellfixer Kosten oder zur Erreichung von Mengenrabatten üblicherweise Beschaffungsstrategien, wie periodische Bestellpolitiken, eingesetzt, die auf einer Bündelung von Bedarfsmengen beruhen. Wie im vorigen Abschnitt bereits angedeutet, lässt der beobachtete geringe Einfluss der Einlager-Variationskoeffizienten vermuten,

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Kapitel 6 Einsatz der Modelle für die Leistungsanalyse von Lagersystemen

dass das Leistungssteigerungspotential auch bei losweiser Anlieferung besteht. In der Modellierung werden solche Batch-Ankünfte zwar nicht explizit berücksichtigt, sie sind aber implizit als Spezialfall stark schwankender Zwischenankunftszeiten der Einlageraufträge in der verallgemeinerten Modellierung enthalten. Bislang ist allerdings noch offen, wie die Approximationsgüte in diesem Fall ausfällt. Eng damit verbunden ist die Begrenzung, die sich aus der Annahme unabhängiger Ankünfte von Ein- und Auslageraufträgen für jeden Artikel ergibt. Somit wird implizit davon ausgegangen, dass Einlageraufträge unabhängig von vorher ausgeführten Auslageraufträgen erzeugt werden. Bei Verwendung verbrauchsgebundener Formen des Bestandsmanagements hängen Terminierung bzw. Größe von Beschaffungsaufträgen jedoch vom vorangehenden Verbrauch im Bestellzyklus ab. So wird beispielsweise bei der häufig eingesetzten (s, q)-Bestellpolitik eine Nachbestellung von q Lagereinheiten ausgelöst, sobald der Bestand durch Auslagerungen auf s Lagereinheiten gesunken ist. Auch bei bedarfsorientierter Disposition von Lagerbeständen auf der Grundlage von Nachfrageprognosen besteht durch die Bereinigung der Bedarfsmengen um disponible Bestände implizit eine Abhängigkeit zwischen ausgeführten Auslagerungen und zukünftigen Einlagerungen. Nichtsdestoweniger hat sich die KFS in den vorangegangenen Auswertungen mit Blick auf die Leistungsfähigkeit der Fördermittel als lohnenswerte E/A-Strategie erwiesen. Daher erscheint es sinnvoll, diese Strategie im Rahmen zukünftiger Forschungen weiter zu untersuchen. Hierfür lassen sich aus den dargestellten Begrenzungen mögliche Richtungen für weitergehende Untersuchungen ableiten. Vielversprechende Fragestellungen für weitere Forschungen werden abschließend im Ausblick des nachfolgenden Kapitels näher ausgeführt.

Kapitel 7 Fazit und Ausblick In der vorliegenden Arbeit wurden verschiedene neuartige Ansätze für die stochastische Leistungsanalyse von Lagersystemen bei fahrtzeitoptimierten Einzelspielen entwickelt. Die Optimierung der Einzelspiele hinsichtlich der Fahrtzeit wird dabei über die Kürzeste-Fahrtzeit-Strategie (KFS) erreicht, mit der die Lagerplätze für auszuführende Ein- sowie Auslageraufträge für gegebene Lagerplatzvergabestrategie fahrtzeitminimierend ausgewählt werden. Ausgangspunkt der modellbezogenen und methodischen Untersuchungen war die Forschungsfrage, ob und unter welchen Bedingungen mit dieser Ein- und Auslagerstrategie die Durchsatzleistung eines Lagersystems wesentlich gesteigert werden kann. Auf der Grundlage einer Bestandsaufnahme existierender Ansätze für die Leistungsanalyse von Lagersystemen wurde unter Einbeziehung anwendungsspezifischer und methodischer Kriterien zunächst ein Klassifikationsschema erarbeitet, welches eine übersichtliche Darstellung des Stands der Forschung erlaubt. Als Ergebnis dieses Literaturüberblicks konnte im Hinblick auf eine Berücksichtigung von Einlager- und Auslagerstrategien in stochastischen Leistungsanalysen festgestellt werden, dass bisher kein analytisch-stochastisches Modell existierte, in dem eine fahrtzeitoptimierte Lagerplatzwahl sowohl für Einals auch für Auslageraufträge berücksichtigt wird. Den meisten Ansätzen liegt stattdessen die Annahme gleichverteilter Zugriffe auf die einzelnen Lagerplätze zugrunde, die eine rein zufällige Lagerplatzwahl impliziert. Darüber hinaus existieren einige wenige Ansätze, die zumindest eine fahrtzeitoptimierte Einlagerung nach der Strategie Closest Open Location betrachten. Dass die KFS in der wissenschaftlichen Literatur bislang so wenig Beachtung findet, ist insbesondere deshalb verwunderlich, da aus den Ergebnissen einiger Simulationsstudien bereits die erheblich durchsatzsteigernde Wirkung dieser Strategie hervorgeht.

© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2021 A. Heßler, Stochastische Leistungsanalyse von Lagersystemen, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31811-6_7

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Kapitel 7 Fazit und Ausblick

Die wesentliche Herausforderung für eine Leistungsanalyse bei Einsatz der KFS besteht darin, die für die Spielzeitberechnung benötigten Zugriffswahrscheinlichkeiten auf die einzelnen Lagerplätze zu bestimmen. Um diese Wahrscheinlichkeiten unter Berücksichtigung stochastischer Auftragsankünfte zu berechnen, wurden auf der Grundlage analytisch-stochastischer Modellierungskonzepte verschiedene neuartige Modelle für den Einund Auslagerprozess unter KFS vorgestellt. Die Modellentwicklung vollzog sich dabei in mehreren Schritten. Den Ausgangspunkt bildete ein detailliertes Markov-Modell für einen homogenen Lagerartikel, das unter Annahme unabhängiger Poissonscher Auftragsankünfte die zeitliche Entwicklung der Belegung aller Lagerplätze als homogene Markovkette in stetiger Zeit abbildet. Dieses Modell stößt im Hinblick auf die Größe verarbeitbarer Lagerinstanzen schnell an seine Grenzen, da der Zustandsraum exponentiell in der Anzahl von Lagerplätzen wächst. Indem die Modellbildung auf aggregierte und abgeschnittene Varianten der detaillierten Markovketten übertragen wurde, konnte daraus jedoch ein effizienteres Modell für die Leistungsanalyse abgeleitet werden. Dieses aggregierte MarkovModell weist selbst nach Erweiterung auf den praxisrelevanten Fall heterogener Lagerartikel eine deutlich höhere Berechnungseffizienz auf und eignet sich somit auch für die Analyse von Lagerkonfigurationen realistischer Größenordnung.

Alle zunächst präsentierten Markov-Modelle basierten auf zeitstetigen Markovketten, die für die Leistungsanalyse individuell auf die zugrunde liegenden Lagerprozesse zugeschnitten wurden. Dabei zeigte sich in der Herleitung des aggregierten Markov-Modells eine Analogie zu geschlossenen Warteschlangennetzen, mit der anschließend noch weitere Verbesserungen in der Modellbildung erzielt werden konnten. Zum einen ermöglichte es diese Art der Modellierung, die Leistungsanalyse auf besonders effiziente Algorithmen aus der Warteschlangentheorie zu stützen. Zum anderen ließ sich das resultierende warteschlangentheoretische Modell approximativ auf allgemein verteilte Zwischenankunftszeiten übertragen, sodass die Annahme Poissonscher Auftragsankünfte zugunsten einer realitätsnäheren Modellierung aufgehoben werden konnte. In der ursprünglichen Version wies dieser verallgemeinerte Ansatz im Vergleich mit Simulationsergebnissen teilweise deutliche Approximationsfehler auf. Durch einen von der Variabilität der Auftragsankünfte abhängigen Korrekturfaktor, der mittels logarithmischer und multipler Regressionen aus den experimentell ermittelten Approximationsfehlern geschätzt wurde, konnte schließlich jedoch eine deutlich bessere Approximationsgüte erreicht werden. Als Ergebnis der Modellbildung standen somit für die Leistungsanalyse von Lagersystemen bei fahrtzeitoptimierten Einzelspielen sowohl ein analytisch-stochastischer Ansatz, der auf der Annahme Poissonscher Auftragsankünfte beruht, als auch ein approximativer Ansatz für allgemein verteilte Zwischenankunftszeiten der Lageraufträge zur Verfügung.

229 Der analytisch-stochastische Ansatz ermöglichte es anschließend, verschiedene Kenngrößen des Lagersystems in Form geschlossener Ausdrücke herzuleiten und darauf aufbauend das langfristige Verhalten des Lagersystems bei Einsatz der KFS zu analysieren. Für den praxisrelevanten Fall übereinstimmender Ankunftsraten für Ein- und Auslageraufträge gingen daraus einige systematische Abhängigkeiten zwischen den Kenngrößen und den Lagerparametern hervor. Ein unerwartetes Resultat ergab sich hierbei für die Belegungswahrscheinlichkeiten der Lagerplätze, das die zunächst naheliegend erscheinende Vermutung einer Konzentration der Lagerbelegung um den Ein- und Auslager-Übergabepunkt bei fahrtzeitreduzierenden Einlager- und Auslagerstrategien aus der Literatur widerlegt. Werden nicht nur die Einlageraufträge, sondern auch die Auslageraufträge fahrtzeitoptimiert ausgeführt, so heben sich die Effekte von Zugriffshäufigkeiten und Verweildauern gegenseitig auf und die Belegungswahrscheinlichkeiten aller Lagerplätze sind folglich im langfristigen Mittel identisch. Der Einsatz der KFS führt also auf lange Sicht zu häufigeren Zugriffen auf fahrtzeitgünstige Lagerplätze, woraus kürzere Verweildauern für Lagereinheiten in diesen Lagerplätzen resultieren. Umgekehrt wird auf fahrtzeitungünstige Lagerplätze seltener zugegriffen, womit längere Verweildauern der Lagereinheiten einhergehen. Die diesbezüglich in der Literatur geäußerte Befürchtung, die Anwendung der KFS führe zu einer Überalterung von Teilen des Lagerbestands, konnte durch Nachweis der Geringfügigkeit des Effekts und den Vorschlag seltener periodischer Auslagerungen zur Lagerbestandserneuerung als einer möglichen einfachen Gegenmaßnahme weitgehend entkräftet werden. Als wesentliches Ergebnis konnte im Rahmen der analytischen Untersuchung der Kenngrößen gezeigt werden, dass die KFS bei stochastischen Auftragsankünften mit übereinstimmenden Ankunftsraten tatsächlich langfristig eine bevorzugte Auswahl fahrtzeitgünstiger Lagerplätze induziert. Somit stellt die KFS für Einzelspiele eine fahrtzeitoptimierende Strategie hinsichtlich der Lagerplatzwahl dar. Mit den warteschlangentheoretischen Modellen wurde der Lagerbetrieb unter KFS schließlich einer umfangreichen experimentellen Performance-Analyse unterzogen. Dabei wurden zunächst für den Fall Poissonscher Auftragsankünfte spezifische Anwendungsszenarien untersucht, die später auf den verallgemeinerten Fall übertragen wurden. Aus diesen Auswertungen ging hervor, dass die KFS verglichen mit der häufig eingesetzten zufälligen Lagerplatzwahl in allen untersuchten Lagerinstanzen zu einer deutlichen Steigerung der Durchsatzleistung führt. Abgesehen von Lagersystemen mit einem sehr niedrigen und damit unwirtschaftlichen Lagerfüllgrad gilt dies auch für den Vergleich zwischen der Strategie Closest Open Location und KFS. Insbesondere geht aus diesen Ergebnissen der unerwartete Zusammenhang hervor, dass die Leistungssteigerung unter KFS im Wesentlichen durch die fahrtzeitminimierende Lagerplatzwahl für Auslageraufträge erreicht wird, die bei Anwendung der Strategie Closest Open Location nicht umgesetzt wird.

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Kapitel 7 Fazit und Ausblick

Große Lagerbereiche sowie kleine Sortimentsgrößen mit hoher Stückzahl je Artikel wirken sich dabei noch begünstigend auf das Leistungssteigerungspotential der KFS aus. Auf der Grundlage der analytischen Erkenntnisse sowie der Ergebnisse der experimentellen Performance-Analyse kann die initiale Forschungsfrage nach der deutlich durchsatzsteigernden Wirkung der KFS somit positiv beantwortet werden. Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass im Rahmen der vorliegenden Arbeit erstmalig effiziente, analytisch-stochastische Modellierungsansätze für den Ein- und Auslagerprozess unter fahrtzeitoptimierten Einzelspielen bei stochastischen Auftragsankünften entwickelt werden konnten, durch deren Einsatz zur Leistungsanalyse von Lagersystemen die Eignung der Ein- und Auslagerstrategie KFS gezeigt wurde. In diesem Zusammenhang ergeben sich hinsichtlich zukünftiger Forschungsmöglichkeiten sowohl aus methodischer als auch aus anwendungsbezogener Sicht einige vielversprechende Fragestellungen, die abschließend überblicksartig dargestellt werden. Auch wenn der Fokus dieser Arbeit auf der zugrunde liegenden Lageranwendung liegt, ist die entwickelte Modellierung auch aus warteschlangentheoretischer Sicht von Interesse. Einerseits erscheint es lohnenswert, den logarithmischen Zusammenhang zwischen Variationskoeffizienten und stationären Zugriffswahrscheinlichkeiten näher zu untersuchen, der bereits im Rahmen des experimentellen Vergleichs in Abschnitt 6.3.2 angedeutet wurde. Möglicherweise ließen sich daraus analytische Abhängigkeiten mit methodischer Relevanz für den Übergang von exponentialverteilten auf allgemein verteilte Bedienzeiten in geschlossenen Warteschlangennetzen identifizieren. Andererseits lässt sich der modellierte Warteprozess abstrahiert auch als Warteschlangensystem mit folgenden charakteristischen Eigenschaften interpretieren. Zum einen existiert bei vorgegebener Anzahl von Kundenklassen je ein Bedienschalter für die Bedienung aller Kunden einer Klasse. Zum anderen befindet sich davor ein gemeinsamer, kapazitätsbeschränkter Wartebereich. Jedem Kunden wird bei Ankunft der bestmögliche freie Platz im Wartebereich als Warteposition zugewiesen und seine Bedienung am Bedienschalter beginnt, sobald alle Kunden seiner Klasse bedient wurden, die sich im Wartebereich vor dem betrachteten Kunden befanden. Für dieses Warteschlangensystem können mit dem vorgestellten Ansatz die stationären Wahrscheinlichkeiten, dass einem ankommenden Kunden eine bestimmte Warteposition zugewiesen wird, sowie weitere typische warteschlangentheoretische Kenngrößen ermittelt werden. Im Hinblick auf „gewöhnliche“ Warteprozesse erscheint dieser Spezialfall insbesondere wegen seiner Wartedisziplin zwar zunächst unüblich, in der vorliegenden Arbeit wurde mit der KFS jedoch bereits ein Einsatzbereich für diese Art von Warteschlangensystem vorgestellt. Somit könnte das entwickelte Modell möglicherweise auch für weitere Anwendungen interessant sein, in denen der Fokus auf einer zufällig ausge-

231 lösten, zeitlichen Nutzung einer begrenzten Anzahl von Ressourcen liegt, die im Hinblick auf die Kosten bzw. den Nutzen ihres Einsatzes priorisiert ausgewählt werden. Aus Sicht der Lageranwendung ergeben sich aus den im letzten Abschnitt erläuterten Begrenzungen der Modellbildung einige sinnvolle Erweiterungen der Modelle, mit denen sich die praktische Relevanz noch weiter steigern ließe. Die erste Möglichkeit besteht darin, die Idee der KFS auf Doppelspiele zu verallgemeinern. Dabei wäre insbesondere eine kombinierte Betrachtung fahrtzeitoptimierter Einzel- und Doppelspiele interessant. Wie bereits in Abschnitt 6.5.2 näher ausgeführt, lässt sich das detaillierte Markov-Modell grundsätzlich auf Doppelspiele übertragen. Bislang ist jedoch unklar, ob sich daraus ein ähnlich effizienter Modellierungsansatz wie für Einzelspiele ableiten lässt. Für den praxisrelevanten Fall kombinierter Einzel- und Doppelspiele liefert die in dieser Arbeit entwickelte Modellierung jedoch eine obere Schranke für die mittlere Spielzeit je Lagerauftrag. Im Licht des deutlichen Leistungssteigerungspotentials fahrtzeitminimierender Einzelspiele, das sich in den Performance-Analysen in Kapitel 6 gezeigt hat, kann somit vermutet werden, dass die KFS auch im kombinierten Fall die Leistungsfähigkeit weiter steigern kann. Eine andere für praktische Anwendungen bedeutende Erweiterung besteht in der Berücksichtigung periodischer Bestellpolitiken mit losweisen Anlieferungen für die einzelnen Artikel. Für die Disposition eines Lagerartikels nach der (s, q)-Bestellpolitik haben Yamashita et al. (1998) bereits einen aggregierten Ansatz mit fahrtzeitminimierender Lagerplatzwahl für Einlagerungen und zufälliger Lagerplatzwahl für Auslagerungen entwickelt, siehe Abschnitt 3.6.1. Nachdem das Leistungssteigerungspotential der KFS insbesondere aus den fahrtzeitoptimierten Auslagerungen resultiert, wäre es interessant, diese Auslagerstrategie in die Modellierung von Yamashita et al. zu integrieren. Neben der expliziten Berücksichtigung von Batch-Ankünften in der Modellbildung besteht auch die Möglichkeit, die Batch-Ankünfte durch stark schwankende Zwischenankunftszeiten für die Einlageraufträge im approximativen Ansatz für allgemein verteilte Zwischenankunftszeiten abzubilden. Eine offene Frage besteht hierbei jedoch hinsichtlich der Approximationsgüte, die durch eine Verallgemeinerung der Simulation aus Abschnitt 6.3.1 auf den Fall losweiser Anlieferungen überprüft werden könnte. Durch Einbeziehung periodischer Bestellpolitiken in die Simulation könnte darüber hinaus noch untersucht werden, wie stark sich die Annahme unabhängiger Auftragsankünfte auf die Ergebnisse auswirkt. Abschließend besteht aufgrund der fördermittelbezogenen Sichtweise der vorgestellten Modellierung noch weiterer Forschungsbedarf bei der Betrachtung der vollständigen Einund Auslagerprozesse, da im Rahmen der Leistungsanalyse bislang weder Wartezeiten noch eventuelle Blockaden der Fördermittel berücksichtigt werden. Eine ganzheitliche

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Kapitel 7 Fazit und Ausblick

Abbildung der Lagerprozesse, von der Ankunft der Lageraufträge bis zu deren Ausführung, ließe sich durch Erweiterung auf eine auftragsbezogene Sichtweise erreichen. Ein sinnvoller Ansatzpunkt für die Entwicklung einer solchen auftragsbezogenen Modellierung bei fahrtzeitoptimierten Einzelspielen könnte darin bestehen, die vorgestellte Methodik mit einem der auftragsbezogenen Ansätze aus Abschnitt 3.4.1 zu kombinieren, indem die in der vorliegenden Arbeit bestimmten Zugriffswahrscheinlichkeiten unter KFS in einen geeigneten Ansatz integriert werden.

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