Steuerstrafrecht – leicht gemacht: Das Recht der Steuerstraftaten: Verstoß – Verfolgung – Verteidigung [2 ed.] 9783874407229, 9783874403221


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German Pages 160 [162] Year 2015

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Steuerstrafrecht – leicht gemacht: Das Recht der Steuerstraftaten: Verstoß – Verfolgung – Verteidigung [2 ed.]
 9783874407229, 9783874403221

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Hans-Dieter Schwind Peter-Helge Hauptmann Annette Warsönke

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Das Recht der Steuerstraftaten Verstoß – Verfolgung – Verteidigung

leicht gemacht ® Die prägnanten, verständlichen Lehrbücher der ¼ leicht gemacht ® SERIEN Steuer und Recht mit Beispielfällen, Übersichten und Leitsätzen Die leicht gemacht ® SERIEN Steuer und Recht haben Generationen von Studierenden erfolgreich in die verschiedenen Themenbereiche eingeführt. Die BLAUE SERIE vermittelt Themen der Bereiche Steuer und Rechnungswesen. Die GELBE SERIE erläutert Inhalte aus der Rechtswissenschaft. Die Lehrbücher sind so angelegt, dass Vorkenntnisse nicht erforderlich und nach dem Durcharbeiten des Textes die wichtigen Grundlagen vermittelt sind. Sie eignen sich als Einstieg, aber auch zur Wiederholung vor der Abschlussprüfung. Die Lehrbücher wenden sich nicht nur an diejenigen, für die die jeweiligen Themen in Steuer und Recht ein Hauptfach darstellen, sondern auch an jene, die Fachkenntnisse im Nebenfach erwerben müssen. Interessierte Leser sind Studierende an Universitäten, Hochschulen und Berufsakademien, aber auch die Teilnehmer vieler weiterer berufsbezogener Ausbildungen. Schließlich vermitteln die Lehrbücher auch jedem Interessierten auf verständliche und kurzweilige Weise die Grundlagen unseres Steuer- und Rechtssystems.

Die leicht gemacht ® SERIEN Steuer und Recht erscheinen im

Ewald v. Kleist Verlag, Berlin

BLAUE SERIE  Herausgeber: Professor Dr. Hans-Dieter Schwind Richter Dr. Peter-Helge Hauptmann

Steuerstrafrecht leicht gemacht Das Recht der Steuerstraftaten Verstoß – Verfolgung – Verteidigung 2., überarbeitete und erweiterte Auflage

von

Annette Warsönke Rechtsanwältin Fachanwältin für Steuerrecht

Ewald v. Kleist Verlag, Berlin

Besuchen Sie uns im Internet: www.leicht-gemacht.de

Autoren und Verlag freuen sich über Ihre Anregungen Umwelthinweis: Dieses Buch wurde auf chlorfrei gebleichtem Papier gedruckt Gestaltung: M. Haas, www.haas-satz.berlin; J. Ramminger, Berlin Druck & Verarbeitung: Druck und Service GmbH, Neubrandenburg leicht gemacht ® ist ein eingetragenes Warenzeichen © 2015 Ewald v. Kleist Verlag, Berlin ISBN 978-3-87440-322-1

Inhalt I.

Allgemeines

Lektion 1: Rechtsquellen und Gesetzessystematik . . . . . . . . . . . . Lektion 2: Anwendungsbereiche und Definitionen . . . . . . . . . . .

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II. Materielles Steuerstraf- und Ordnungswidrigkeitenrecht Lektion Lektion Lektion Lektion Lektion

3: Steuerhinterziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 4: Einzelfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 5: Leichtfertige Steuerverkürzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 6: Selbstanzeige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 7: Weitere Steuerstraftaten und Ordnungswidrigkeiten . . . 57

III. Formelles Steuerstraf- und Ordnungswidrigkeitenrecht Lektion 8: Verfahrensgrundsätze im Steuerstrafrecht . . . . . . . . . . . Lektion 9: Zuständigkeiten im Steuerstrafverfahren . . . . . . . . . . . . Lektion 10: Verlauf des Steuerstrafverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . Lektion 11: Bußgeldverfahren und Bußgeldbescheid . . . . . . . . . . . . Lektion 12: „Wenn die Steuerfahndung klingelt“ . . . . . . . . . . . . . . . Lektion 13: Einzelfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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IV. Strafzumessung und Konkurrenzen Lektion 14: Strafzumessung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 Lektion 15: Konkurrenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124

V. Der steuerliche Berater – Verteidiger Lektion 16: Allgemeines zur Verteidigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 Lektion 17: Durchsuchung und Beschlagnahme . . . . . . . . . . . . . . . . 135 Lektion 18: Einzelprobleme bei Berufsträgern und Verteidigern . . . . 150 Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158

Leitsätze * Übersichten * Sofortlisten Leitsatz Leitsatz Leitsatz

1 Rechtliche Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 2 Anwendungsbereiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 3 Vorsatztaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 Übersicht 1 Steuerhinterziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 Leitsatz 4 Versuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 Leitsatz 5 Fristen, Zinsen und Haftung des Steuerhinterziehers . . . . . 25 Übersicht 2 Irrtümer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 Übersicht 3 Täterschaft und Teilnahme – Begünstigung . . . . . . . . . 35 Leitsatz 6 Fahrlässigkeits-/Leichtfertigkeitstaten . . . . . . . . . . . . . . . . 38 Übersicht 4 Leichtfertige Steuerverkürzung § 378 AO . . . . . . . . . . 41 Übersicht 5 Selbstanzeige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 Leitsatz 7 (Un)wirksame Selbstanzeige? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 Übersicht 6  Sofortliste  Selbstanzeige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 Übersicht 7 Verfahrensgrundsätze im Steuerstrafverfahren . . . . . . 66 Übersicht 8 Zuständigkeiten im Ermittlungsverfahren . . . . . . . . . . 70 Übersicht 9 Anzeige / Prüfbericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 Übersicht 10 Ermittlungsverfahren und seine Folgen . . . . . . . . . . . . 76 Übersicht 11 Strafbefehlsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 Leitsatz 8 Verfahrensgrundsätze im Bußgeldverfahren . . . . . . . . . . . . 83 Übersicht 12 Entscheidungsmöglichkeiten im Bußgeldverfahren . . 85 Übersicht 13 Einspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 Leitsatz 9 Zeugnis- und Auskunftsverweigerungsrecht . . . . . . . . . . . 92 Leitsatz 10 Durchsuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 Leitsatz 11 Beschlagnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 Leitsatz 12 Rechtsmittel gegen Durchsuchung und Beschlagnahme . . . 98 Leitsatz 13 Verwertungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 Leitsatz 14 Haftbefehl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 Übersicht 14 Verhältnis der Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 Leitsatz 15 Das „Bankgeheimnis“ des § 30a AO . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 Übersicht 15 Strafzumessung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 Leitsatz 16 Bemessung der Geldstrafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 Leitsatz 17 Vorstrafen und Führungszeugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 Leitsatz 18 Absprachen vor Gericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 Übersicht 16 Konkurrenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 Leitsatz 19 Verteidiger und Beistand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 Leitsatz 20 Anwesenheitsrechte des Verteidigers . . . . . . . . . . . . . . . . 132 Leitsatz 21 Recht auf Akteneinsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 Übersicht 17  Sofortliste  Durchsuchung und Beschlagnahme . . . . . 138 Leitsatz 22 Durchsuchung und Beschlagnahme bei Berufsträgern . . . 144 Übersicht 18 Beschuldigte und Dritte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 Leitsatz 23 Verschwiegenheitsverpflichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 Leitsatz 24 Verteidigung durch den steuerlichen Berater . . . . . . . . . . 151 Leitsatz 25 Berichtigungspflichten des steuerlichen Beraters . . . . . . . 152

I.

Allgemeines

Lektion 1: Rechtsquellen und Gesetzessystematik „Schwarze Konten in Steueroase entdeckt, zahlreiche Prominente im Visier der Steuerfahnder“ – „Steuerstrafverfahren gegen Showstar X eingeleitet“ – „Hausdurchsuchung bei Politiker L“ – „Profisportler B zu Geldstrafe in Millionenhöhe verurteilt“ Immer wieder geistert ein Thema durch die Schlagzeilen: „Das Steuerstrafrecht“. Doch das Thema ist nicht nur für „die Reichen und Schönen“ aktuell, sondern auch für „Ottonormalverbraucher“. Das Steuerstraf- und Ordnungswidrigkeitenrecht gilt für jeden Bürger, der in Deutschland Steuern zahlen muss und dabei „schummelt“ – aber kaum einer weiß, wie man sich im Ernstfall verhalten muss. „… aber meine Mandanten sind alle brave Steuerzahler“ sagt der Steuerberater S, „warum soll ich mich also mit Steuerstrafrecht beschäftigen?“ – Das ehrt natürlich die Mandanten, aber Ermittlungen können auch vermeintlich Unschuldige treffen und da ist es dann sehr wichtig, dass der Steuerberater in der Lage ist, schnell und richtig zu reagieren. Student J fasziniert die Vielfältigkeit des Steuerstrafrechts. Da geht es ja nicht nur um Steuerrecht, sondern auch um Strafrecht … da wird er später seinen Mandanten mit Rat und Tat zur Seite stehen können. Ziel ist es, anhand von Fallbeispielen einen konkreten Einstieg in das Recht der Steuerstraftaten zu verschaffen und – hoffentlich – auch den Spaß an der interessanten und vielseitigen Materie zu wecken. Das Steuerstrafrecht bezieht seine Rechtsgrundlagen aus mehreren Gesetzen, die Ihnen im Folgenden vorgestellt werden.



Fall 1

Als die Steuerpraktikantin P erfährt, dass sie sich die kommende Zeit mit dem Thema Steuerstrafrecht beschäftigen soll, fragt sie sich, auf wen oder was denn das Steuerstrafrecht überhaupt anzuwenden ist. Das Steuerstrafrecht soll steuerliches Fehlverhalten ahnden.

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Allgemeines Dieses wird untergliedert in XXSteuerstraftaten (§ 369 AO) und XXSteuerordnungswidrigkeiten (§ 377 AO)



Fall 2

P möchte nun genauer wissen, wo sie im Gesetz etwas über das Steuerstrafrecht findet. Muss sie jetzt nur in der Abgabenordnung (AO) suchen oder sind auch noch andere Gesetze einschlägig? Das Steuerstrafrecht ist in mehreren Gesetzen geregelt. Ausgangspunkt ist der 8. Teil der AO (Abgabenordnung), welcher in vier Abschnitte unterteilt ist: 1. Abschnitt: Strafvorschriften (§§ 369 – 376 AO) 2. Abschnitt: Bußgeldvorschriften (§§ 377 – 384 AO) 3. Abschnitt: Strafverfahren (§§ 385 – 408 AO) 4. Abschnitt: Bußgeldverfahren (§§ 409 – 412 AO) Alles, was in diesen Vorschriften nicht geregelt ist, muss P jedoch entweder in anderen Teilen der AO nachschlagen oder in anderen Gesetzen. In der AO wären das beispielsweise die XXHaftung bei Steuerhinterziehung (§ 71 AO) XXFestsetzungsfrist und -verjährung bei Steuerhinterziehung oder leichtfertiger Steuerverkürzung (§ 169 Abs. 2 Sätze 2 und 3 AO) XXVerzinsung von hinterzogenen Steuern (§ 235 AO) Des Weiteren gilt für das materielle Recht ergänzend XXfür Steuerstraftaten das StGB (Strafgesetzbuch) (§ 369 Abs. 2 AO)

Lektion 1: Rechtsquellen und Gesetzessystematik XXfür Steuerordnungswidrigkeiten der 1. Teil des OWiG (Ordnungswidrigkeitengesetz) (§ 377 Abs. 2 AO) Im Verfahrensrecht gelten ergänzend XXfür das Strafverfahren wegen Steuerstraftaten die allgemeinen Gesetze über das Strafverfahren, namentlich (§ 385 Abs. 1 AO) XXdie StPO (Strafprozessordnung) XXdas GVG (Gerichtsverfassungsgesetz) XXdas JGG (Jugendgerichtsgesetz) XXfür das Bußgeldverfahren wegen Steuerordnungswidrigkeiten bestimmte Vorschriften des OwiG (§ 410 AO) Wichtig ist, dass sämtliche Regelungen über Straftaten und Ordnungswidrigkeiten nicht gegen das GG (Grundgesetz) verstoßen dürfen. Ferner sind die AStBV (Anweisungen für das Straf- und Bußgeldverfahren (Steuer) – AStBV (St)) zu beachten, welche insbesondere die einheitliche Handhabung der gesetzlichen Regelungen durch die beteiligten Behörden gewährleisten sollen.

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Leitsatz 1 Rechtliche Grundlagen Das Steuerstrafrecht hat seine rechtlichen Grundlagen in mehreren Gesetzen. Ausgangspunkt ist der 8. Teil der AO Ergänzend hierzu gelten ––für das materielle Straf- bzw. Ordnungswidrigkeitenrecht die AO bzw. das StGB und das OwiG (§§ 369 Abs. 2, 377 Abs. 2 AO) ––für das Verfahrensrecht in Straf- bzw. Ordnungswidrigkeitensachen die StPO, das GVG, das JGG bzw. das OwiG (§§ 385 Abs. 1, 410 AO). Über allen diesen Vorschriften steht jeweils das GG.

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Allgemeines

Lektion 2: Anwendungsbereiche und Definitionen Im Folgenden erfahren Sie etwas über die Anwendungsbereiche des Steuerstraf- und Ordnungswidrigkeitenrechts und erhalten Definitionen der Begriffe Steuerstraftaten und Steuerordnungswidrigkeiten.

Anwendungsbereiche

Fall 3

Die Steuerpraktikantin P soll sich, bevor sie tiefer in das Steuerstrafrecht einsteigt, erst einmal mit dessen Anwendungsbereichen beschäftigen. Zuerst soll sie abklären, für welche Vorschriften das Steuerstrafrecht überhaupt anwendbar ist und ob es zeitliche und räumliche Vorgaben gibt. Das Steuerstrafrecht hat genau normierte Anwendungsbereiche: XXSachlich gilt das Steuerstrafrecht für alle Straftaten und Ordnungswidrigkeiten, die sich gegen Steuern im Sinn des § 1 AO richten. XXDer zeitliche Anwendungsbereich ist in der AO selbst nicht geregelt. Damit ist über § 369 Abs. 2 das StGB heranzuziehen. Dort findet P gleich in der ersten Norm den obersten Grundsatz im Strafrecht, der da heißt: „keine Strafe ohne Gesetz“, oder, wie der Lateiner sagt „nulla poena sine lege“. Dies bedeutet – zeitlich – für die Strafbarkeit, dass eine Tat nur dann bestraft werden kann, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde (§ 1 StGB). Dies steht übrigens auch im Grundgesetz in Art. 103 Abs. 2 GG. XXDer räumliche Anwendungsbereich ist in § 3 StGB normiert. Demnach gilt das Territorialprinzip, welches das deutsche Strafrecht für Taten für anwendbar erklärt, die im Inland begangen worden sind (§ 3 StGB).

Lektion 2: Anwendungsbereiche und Definitionen Dies wird jedoch durch § 370 Abs. 7 AO für die Steuerhinterziehung auf Taten erweitert, die nicht im Inland begangen wurden, durch die jedoch Steuern im Sinn der AO hinterzogen wurden. So ist das also, sagt sich P, dann ist der Steuerpflichtige also davor geschützt, dass er ohne Gesetz bestraft wird. Wenn es aber ein Gesetz gibt, dann schützt ihn auch die Tatbegehung im Ausland nicht vor Strafe.

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Leitsatz 2 Anwendungsbereiche Sachlich schützt das Steuerstrafrecht Steuern im Sinn des § 1 AO. Zeitlich gilt: keine Strafe ohne Gesetz – „nulla poena sine lege“ (§ 1 StGB; Art. 103 Abs. 2 GG). Räumlich gilt das Territorialprinzip (§ 3 StGB), jedoch erweitert auf Steuern im Sinn der AO (§ 370 Abs. 7 AO).

Definitionen Steuerstraftaten und Steuerordnungswidrigkeiten

Fall 4

P soll nunmehr ihrem Ausbilder noch eine Definition der Begriffe Steuerstraftaten und -ordnungswidrigkeiten nennen. Helfen Sie ihr doch mit einem Blick ins Gesetz bei dieser Aufgabe. Steuerstraftaten sind nach § 369 Abs. 1 AO: XXTaten, die nach den Steuergesetzen strafbar sind (Nr. 1) XXder Bannbruch (Nr. 2) XXdie Wertzeichenfälschung und deren Vorbereitung, soweit die Tat Steuerzeichen betrifft (Nr. 3) XXdie Begünstigung einer Person, die eine Tat nach den Nummern 1 – 3 begangen hat (Nr. 4)

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Allgemeines Steuerordnungswidrigkeiten sind nach § 377 Abs. 1 AO Zuwiderhandlungen, die nach den Steuergesetzen mit Geldbuße geahndet werden können. Alles klar, denkt sich P, wenn das Gesetz selbst Definitionen bereithält, dann reicht ja ein Blick ins Gesetz – und ich weiß Bescheid. Übrigens: Die wichtigsten Steuerstraftaten und Ordnungswidrigkeiten lernen Sie im folgenden Abschnitt kennen.

Lektion 3: Steuerhinterziehung

II. Materielles Steuerstraf- und Ordnungswidrigkeitenrecht Die Verstöße gegen Vorschriften des Steuerrechts lassen sich in Straftaten und Ordnungswidrigkeiten einteilen. Erfahren Sie nun mehr über die wichtigsten Delikte aus diesen beiden Bereichen.

Lektion 3: Steuerhinterziehung Im Folgenden lernen Sie erst Allgemeines über die Voraussetzungen strafbarer Handlungen und anschließend Einzelheiten zur Steuerhinterziehung.

Allgemein: Voraussetzungen einer vorsätzlich begangenen strafbaren Handlung

Fall 5

Unsere Steuerpraktikantin P soll nun genauer in die Voraussetzungen einer strafbaren Handlung einsteigen und diese kurz systematisch der Reihe nach skizzieren und erläutern. Die Systematik ist ihrem Ausbilder sehr wichtig, da sie bei der Prüfung eines jeden Steuerstraffalles zu beachten ist. Begleiten Sie P auf ihrem Weg durch die Systematik, denn wenn diese einmal „sitzt“, fällt auch Ihnen die Prüfung um einiges leichter – und Sie können sich dann mit Elan den spannenden Steuerstrafrechtsfällen widmen! Die Voraussetzungen einer strafbaren Handlung sind immer: XXTatbestandsmäßigkeit XXRechtswidrigkeit XXSchuld

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Materielles Steuerstraf- und Ordnungswidrigkeitenrecht Dies bedeutet bei vorsätzlich begangenen strafbaren Handlungen im Einzelnen: XXTatbestandsmäßigkeit liegt vor, wenn sich das konkrete Verhalten des Täters mit der im Gesetz festgelegten abstrakten Sachverhaltsbeschreibung deckt. Dies muss bei Vorsatzdelikten sowohl objektiv als auch subjektiv der Fall sein: –– Objektiver Tatbestand: Die Straftat kann begangen werden durch –– aktives Tun (Begehungsdelikt) –– Unterlassen (§ 13 StGB) bei einer Rechtspflicht zur Handlung (Unterlassungsdelikt) Bei Erfolgsdelikten gehört zur Tatvollendung auch noch der durch die Tathandlung herbeigeführte Erfolgseintritt, die Handlung muss also kausal für den Erfolg sein (Kausalität). (Bei reinen Tätigkeitsdelikten ist dagegen strafbare Handlung schon die Tätigkeit als solche) –– Subjektiver Tatbestand bei Vorsatztaten Hier muss Vorsatz des Täters vorliegen, also „Wissen“ und „Wollen“ der Tatbestandsverwirklichung. XXRechtswidrigkeit Rechtswidrig handelt, wer den Tatbestand eines Strafgesetzes erfüllt (§ 11 Abs. 1 Nr. 5 StGB) und keinen Rechtfertigungsgrund hat. Rechtfertigungsgründe sind im Steuerstrafrecht schwer denkbar.

Lektion 3: Steuerhinterziehung Insbesondere die Tatsache, dass das deutsche Steuersystem von manchen Steuerpflichtigen als ungerecht empfunden wird, reicht als Rechtfertigungsgrund nicht aus. XXSchuld bei Vorsatztaten Die Tat muss dem schuldfähigen Täter (§§ 19 ff. StGB) vorgeworfen werden können. So, jetzt haben P und Sie es geschafft und sich durch die grundlegende Systematik der Vorsatzdelikte hindurchgearbeitet. Sie werden diese bei den folgenden materiellen Strafrechtslektionen immer wieder finden und dann wissen, an welcher Stelle der Prüfung Sie sich gerade befinden.

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Leitsatz 3 Vorsatztaten Bei Vorsatztaten ist immer zu prüfen: XXTatbestandsmäßigkeit ––objektiv ––subjektiv XXRechtswidrigkeit XXSchuld

Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 AO P’s Ausbilder – der auf eine gesunde Mischung von Theorie und Praxis Wert legt – hat schon unzählige Fälle von Steuerstraftaten bearbeitet. Für P hat er hiervon einige typische Sachverhalte des Steuerstrafrechts herausgesucht. In den folgenden Fällen haben Sie somit zusammen mit P die Gelegenheit, die häufigsten Varianten der Steuerhinterziehung kennen zu lernen.



Fall 6

Der Steuerpflichtige E möchte keine Einkommensteuer zahlen sondern viel lieber vom Finanzamt eine Erstattung erhalten. Da er dies auf „legalem Wege“ wegen seiner hohen Einnahmen nicht erreicht, wird er

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Materielles Steuerstraf- und Ordnungswidrigkeitenrecht mehrfach „kreativ“: Er „erfindet“ eine große Ausgabe („traue keinem Fahrtenbuch, dass du nicht selbst gefälscht hast“) und erklärt diese in seiner Steuererklärung. Des Weiteren listet er nicht sämtliche Einnahmen auf, sondern lässt einen Zahlungseingang von seinem guten Kunden, der „eh keine Rechnung braucht“, „unter den Tisch fallen“. Er weiß, dass er hierdurch Steuerhinterziehung begeht und will dies auch. Das Finanzamt veranlagt ihn wie erklärt, was für E zu einer Erstattung von 1.000 € anstatt einer Zahllast von 500 € führt. Hat E sich strafbar gemacht? Wie hoch ist der Strafrahmen? Bei der erfundenen Ausgabe und der verschwiegenen Einnahme handelt es sich jeweils um steuerlich erhebliche Tatsachen. Hierüber hat er gegenüber dem Finanzamt unrichtige (erfundene Ausgabe) bzw. unvollständige (verschwiegene Einnahme) Angaben gemacht. Hierdurch wurde E vom Finanzamt zu niedrig veranlagt, was zu einer Steuerverkürzung führte (§ 370 Abs. 4 Satz 1 AO). Sein Verhalten war damit auch ursächlich (kausal) für die Steuerverkürzung. Er hat damit den objektiven Tatbestand der Steuerhinterziehung durch aktives Tun (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO) erfüllt. Dies geschah auch mit Wissen und Wollen des E, also vorsätzlich, so dass auch der subjektive Tatbestand erfüllt ist. Da Rechtfertigungs- und Schuldausschließungsgründe nicht ersichtlich sind, hat sich E der vorsätzlichen Steuerhinterziehung durch aktives Tun (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO) strafbar gemacht. Als Strafrahmen hierfür sieht das Gesetz (§ 370 Abs. 1 AO) entweder Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe vor. Ganz schön heftig, findet E. Da hatte seine Mutter ja doch Recht mit ihrem Spruch „unrecht Gut gedeihet nicht“.



Fall 7

Der Steuerpflichtige F hat Kindergeld nach dem Einkommensteuergesetz beantragt (§ 67 EStG). Als die Voraussetzungen hierfür wegfallen, teilt

Lektion 3: Steuerhinterziehung er dies dem Finanzamt vorsätzlich nicht mit, obwohl er hierzu nach § 68 EStG verpflichtet wäre. Hat F sich strafbar gemacht? Bei dem Wegfall der Voraussetzungen für die Steuervergünstigungen handelt es sich um steuerlich erhebliche Tatsachen. Hierüber hat F das Finanzamt trotz seiner kraft Gesetzes bestehenden Mitteilungspflicht (Rechtspflicht zur Handlung) pflichtwidrig in Unkenntnis gelassen. Dadurch (Kausalität) hat er weiterhin einen nicht gerechtfertigten Steuervorteil erlangt (§ 370 Abs. 4 Satz 2 AO) und so den objektiven Tatbestand der Steuerhinterziehung durch Unterlassen (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO) erfüllt. Dies geschah laut Sachverhalt auch vorsätzlich (subjektiver Tatbestand). Da Rechtfertigungs- und Schuldausschließungsgründe nicht ersichtlich sind, hat sich F der vorsätzlichen Steuerhinterziehung durch Unterlassen (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO) strafbar gemacht.



Fall 8

Der Steuerpflichtige D hat überhaupt keine Steuererklärung abgegeben und wird deshalb vom Finanzamt geschätzt. Als er den Schätzbescheid erhält freut er sich, da die Schätzung deutlich unter dem liegt, was er tatsächlich hätte zahlen müssen. Seine Steuererklärung reicht er auch weiterhin nicht ein. Er ist der Meinung, dass er aufgrund des Schätzbescheides keine Steuererklärung mehr abgeben muss und dass seinerseits keine Steuerhinterziehung vorliegt, vielmehr habe das Finanzamt „seine Steuer“ schlampig ermittelt. Hat D Recht mit seinen Ansichten? Hier irrt D, denn die Schätzung von Besteuerungsgrundlagen (§ 162 AO) befreit ihn nicht von der Verpflichtung zur Abgabe einer Steuererklärung (§ 149 Abs. 1 Satz 4 AO). Durch die Nichtabgabe der Steuererklärung hat D das Finanzamt pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis gelassen und hierdurch einen nicht gerechtfertigten Steuervorteil erhalten (§ 370 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 4 Satz 2 AO).

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Materielles Steuerstraf- und Ordnungswidrigkeitenrecht Dies geschah auch vorsätzlich, da D wusste, dass die tatsächliche Steuer höher war als die geschätzte und er wollte, dass das Finanzamt bei seinem Irrtum blieb – sonst hätte er ja seine Steuererklärung noch eingereicht. Schließlich sind Rechtfertigungs- und Schuldausschließungsgründe nicht vorhanden, so dass vorsätzliche Steuerhinterziehung durch Unterlassen (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO) vorliegt.



Fall 9

Der Tabakhersteller T unterlässt vorsätzlich die Verwendung von Steuerzeichen, obwohl er nach dem Tabaksteuergesetz (§ 17 TabStG) hierzu verpflichtet ist. Hierdurch hat er Tabaksteuer in Höhe von 5.000 € verkürzt. Welchen Tatbestand könnte er verwirklicht haben? Durch das pflichtwidrige (§  13 StGB) Unterlassen der Verwendung von Steuerzeichen hat T Tabaksteuer in Höhe von 5.000 € verkürzt (§  370  Abs.  4  Satz 1 AO) und somit den objektiven Tatbestand des § 370 Abs. 1 Nr. 3 AO erfüllt. Dies geschah laut Sachverhalt auch vorsätzlich (subjektiver Tatbestand) und mangels Rechtfertigungs- und Schuldausschließungsgründen auch rechtswidrig und schuldhaft. Somit hat sich T der vorsätzlichen Steuerhinterziehung durch Unterlassen (§ 370 Abs. 1 Nr. 3 AO) strafbar gemacht.



Fall 10

Der Steuerberater G macht vorsätzlich in der Steuererklärung seines Mandanten falsche Angaben, welche für seinen Mandanten zu einer diesem nicht zustehenden Steuererstattung führen. Hat sich der „Robin Hood der Steuerzahler“ wegen Steuerhinterziehung strafbar gemacht? Ja, denn nach § 370 Abs. 1 AO ist auch das Erlangen eines nicht gerechtfertigten Steuervorteils für einen anderen strafbar, so dass der objektive Tatbestand des § 370 Abs. 1 AO erfüllt ist. Da G auch um die Steuerverkürzung weiß und diese für den Mandanten auch erreichen will, handelt er vorsätzlich.

Lektion 3: Steuerhinterziehung Da Rechtfertigungs- und Schuldausschließungsgründe nicht ersichtlich sind, hat sich G der vorsätzlichen Steuerhinterziehung (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO) strafbar gemacht.

Besonders schwere Fälle der Steuerhinterziehung

Fall 11

Nachdem P jetzt die wichtigsten Grundtatbestände der Steuerhinterziehung kennen gelernt hat, wird sie nunmehr noch mit einigen „schwereren Brocken“ konfrontiert. Sie soll beurteilen, inwieweit sich die im Folgenden genannten Fälle von den Grundtatbeständen unterscheiden: XXDer Steuerpflichtige H hat Steuern in Höhe von 50.000 € hinterzogen. XXDer Finanzbeamte C hat die Steuer seiner Freundin M, für deren Veranlagung er zuständig ist „heruntergerechnet“, so dass ihre Zahllast geringer ausfiel. M findet das „super ok“, schließlich sollte Frau ihre privaten Beziehungen auch sonst „gewinnbringend“ einsetzen. XXDer Steuerpflichtige N fälscht regelmäßig Quittungen, um seine Steuerzahllast zu senken. Dies geschieht sowohl durch komplette „Eigenkreation“ neuer Belege, als auch durch Manipulationen an bereits vorhandenen Belegen. XXDie Steuerpflichtigen J, Q und R haben die „Umsatzsteuer-Gang“ gegründet, deren erklärtes Ziel es ist, Umsatzsteuer zu hinterziehen. Helfen Sie P bei der Lösung, indem sie mit ihr zusammen ins Gesetz schauen. Bei den genannten Fällen handelt es sich sämtlich um „Regelbeispiele“ nach § 370 Abs. 3 Satz 2 AO: XXH hat in großem Ausmaß (50.000 €) Steuern verkürzt (§ 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO, AStBV Nr. 76 Abs. 2).

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Materielles Steuerstraf- und Ordnungswidrigkeitenrecht XXC hat durch das „Herunterrechnen“ seine Befugnisse als Amtsträger (Finanzbeamter § 7 Nr. 1 AO) missbraucht (§ 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 AO). XXM hat die Mithilfe des Amtsträgers C, der seine Befugnisse als Veranlagungsbeamter missbrauchte, ausgenutzt (§ 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 AO). XXN hat unter Verwendung von nachgemachten („Eigenkreationen“) und verfälschten („Manipulationen“) Belegen fortgesetzt („regelmäßig“) Steuern verkürzt (§ 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 AO). XXJ, Q und R haben als Mitglieder einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung von Steuerhinterziehungen verbunden hat, Umsatzsteuer hinterzogen (§ 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 5 AO). Diese Regelbeispiele stellen keinen eigenen, neuen Straftatbestand dar, sondern wenn die dort genannten Fälle zutreffen, wird der Strafrahmen erhöht. Verhängt wird bei Erfüllung (mindestens) eines Regelbeispieles eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren (§ 370 Abs. 3 Satz 1 AO). Gegen die Steuerpflichtigen und den Finanzbeamten in unserem Fall kann also aufgrund der von ihnen jeweils verwirklichten Regelbeispiele eine höhere Strafe verhängt werden – nicht nur maximal fünf Jahre wie beim Grunddelikt, sondern jetzt zehn Jahre.

Exkurs: Vergehen oder Verbrechen?

Fall 12

Bei den Steuerhinterziehern aus dem vorangegangenen Fall macht sich nicht nur wegen des erweiterten Strafrahmens Unsicherheit breit. Sind sie jetzt etwa Verbrecher? Wo finden Sie die Antwort? Hier ist, da die AO keine eigene Regelung vorsieht, ein Blick in das StGB notwendig (§ 369 Abs. 2 AO).

Lektion 3: Steuerhinterziehung Dort ist über Vergehen und Verbrechen folgendes geregelt: XXVerbrechen sind rechtswidrige Taten, die im Mindestmaß mit Freiheitsstrafe von einem Jahr oder darüber bedroht sind (§ 12 Abs. 1 StGB). XXVergehen sind rechtswidrige Taten, die im Mindestmaß mit einer geringeren Freiheitsstrafe oder mit Geldstrafe bedroht sind (§ 12 Abs. 2 StGB). XXSchärfungen oder Minderungen bleiben für die Einteilung außer Betracht (§ 12 Abs. 3 StGB). Damit sind sowohl der Grundtatbestand der Steuerhinterziehung als auch der besonders schwere Fall (Strafschärfung) Vergehen, unsere Steuerhinterzieher sind damit keine Verbrecher.

Kompensationsverbot

Fall 13

Der Steuerpflichtige U hat Umsätze nicht erklärt und dadurch vorsätzlich Steuern verkürzt. Auf der anderen Seite hat er in gleicher Höhe vergessen, die Steuerermäßigung für Handwerkerleistungen nach § 35a EStG für sein Privathaus geltend zu machen. Er ist daher der Meinung, dass er nicht wegen Steuerhinterziehung belangt werden kann, da ja kein Schaden entstanden sei. Kommt er mit der Argumentation durch? Im Steuerstrafrecht gilt das Kompensationsverbot. Dies besagt, dass Steuerhinterziehung auch dann vorliegt, wenn die hinterzogene Steuer aus anderen Gründen hätte ermäßigt oder der Steuervorteil aus anderen Gründen hätte beansprucht werden können (§ 370 Abs. 4 Satz 3 AO). U kommt deshalb mit der Argumentation, dass kein Schaden entstanden sei, nicht durch. Und was wäre, wenn U vergessen hätte, in gleicher Höhe Betriebsausgaben geltend zu machen?

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Materielles Steuerstraf- und Ordnungswidrigkeitenrecht Das Kompensationsverbot würde nicht gelten, da die vergessenen Betriebsausgaben im unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang zu den nicht erklärten Betriebseinnahmen stehen.

Übersicht 1: Steuerhinterziehung Täter begeht Tat durch aktives Tun

pflichtwidriges Unterlassen

§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO

§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO

§ 370 Abs. 1 Nr. 3 AO

führt zu (Kausalität) Verkürzung von Steuern (§ 370 Abs. 4 Satz 1 AO)

nicht gerechtfertigten Steuervorteilen (§ 370 Abs. 4 Satz 2 AO)

hierbei gilt das Kompensationsverbot (§ 370 Abs. 4 Satz 3 AO) Strafrahmenerhöhung bei besonders schweren Fällen (§ 370 Abs. 3 Satz 1 AO)  –  Regelbeispiele (§ 370 Abs. 3 Satz 2 AO) Verkürzung in großem Ausmaß (Nr. 1)

Amtsträger missbraucht Befugnisse/ Stellung (Nr. 2)

Ausnutzung von Amtsträger, der Befugnisse/ Stellung missbraucht (Nr. 3)

Fortgesetzte Verwendung nachgemachter/ gefälschter Belege (Nr. 4)

Bande zur fortgesetzten USt-/Verbrauchsteuerhinterziehung (Nr. 5)

Versuchte Steuerhinterziehung

Fall 14

Der Steuerpflichtige S möchte gerne auf nicht ganz legalem Wege „Steuern sparen“. Er gibt deshalb – vorsätzlich – mehr Fortbildungskosten bei seinen Betriebsausgaben an, als er eigentlich hatte. Das Finanzamt

Lektion 3: Steuerhinterziehung bemerkt den Schwindel jedoch, bevor die zu niedrige Steuer festgesetzt wird. S ist dann doch irgendwie erleichtert, ist er doch dann nicht wegen Steuerhinterziehung zu belangen. Hat er Recht? S hat den objektiven Tatbestand der Steuerhinterziehung noch nicht vollendet, es liegt hier jedoch eine versuchte Steuerhinterziehung vor. Der Versuch ist auch strafbar (§ 370 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 AO). Dies ist bei allen Delikten der Fall, die den Strafvorschriften (§§ 369 ff. AO) der AO unterliegen, da dies in den AO-Vorschriften für die jeweiligen Vergehen ausdrücklich angeordnet ist (§ 23 Abs. 1 Alt. 2 StGB). Tatentschluss lag vor, da S Vorsatz bezüglich aller objektiven Tatbestandsmerkmale hatte. Damit war der subjektive Tatbestand des Versuches erfüllt. S hat durch das Einreichen der Steuererklärung beim Finanzamt auch unmittelbar zur Tatbestandsverwirklichung angesetzt (§ 22 StGB). Damit war der objektive Tatbestand des Versuches erfüllt. Mangels Rechtfertigungs- und Schuldausschließungsgründen liegen auch Rechtswidrigkeit und Schuld vor. Sie sehen also: auch der Versuch ist oftmals strafbar, er wird vom Aufbau her auch fast genauso geprüft, wie die vollendete Tat. Grund für den kleinen „Dreher“ bei der Tatbestandsmäßigkeit: Wenn – subjektiv – kein Tatentschluss vorliegt, braucht das unmittelbare Ansetzen zur Tatbestandsverwirklichung gar nicht mehr geprüft zu werden. Dazu gleich ein Leitsatz.

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Materielles Steuerstraf- und Ordnungswidrigkeitenrecht

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Leitsatz 4 Versuch Beim Versuch ist immer zu prüfen: XXVorab: ––objektiver Tatbestand noch nicht erfüllt ––Strafbarkeit des Versuchs (§§ 23 Abs. 1, 12 Abs. 2 StGB), bei Steuerstraftaten immer gegeben XXTatbestandsmäßigkeit

––subjektiv: Tatentschluss ––objektiv: unmittelbares Ansetzen zur Tatbestandsverwirklichung

XXRechtswidrigkeit XXSchuld

Festsetzungsfrist und Verfolgungsverjährung bei Steuerhinterziehung

Fall 15

T spielt nunmehr mit dem Gedanken, sich nicht der Finanzbehörde zu offenbaren, sondern „das Ganze auszusitzen“. Schließlich betrage die Festsetzungsfrist im Steuerrecht ja nur vier Jahre. Danach könne das Finanzamt ja die Steuerbescheide nicht mehr ändern. Kann er sich tatsächlich nach vier Jahren in Sicherheit wiegen? Bei Steuerhinterziehung gilt für Steuerbescheide die zehnjährige Festsetzungsfrist (§ 169 Abs. 2 Satz 2 AO). Eine Steuerfestsetzung sowie ihre Aufhebung oder Änderung ist erst nach Ablauf dieser Frist nicht mehr zulässig. Eine weitere Verlängerung kann sich durch die Ablaufhemmung ergeben:

Lektion 3: Steuerhinterziehung Eine solche kann zum einen im Zusammenhang mit der Verfolgungsverjährung eintreten: In den Fällen des § 169 Abs. 2 Satz 2 AO endet die Festsetzungsfrist nicht, bevor die Verfolgung der Steuerstraftat oder der Steuerordnungswidrigkeit verjährt ist (§ 171 Abs. 7 AO). Doch auch eine Berichtigung oder Selbstanzeige kann die Ablaufhemmung auslösen: Erstattet der Steuerpflichtige vor Ablauf der Festsetzungsfrist eine Anzeige nach den §§ 153, 371 und 378 Abs. 3 AO, so endet die Festsetzungsfrist nicht vor Ablauf eines Jahres nach Eingang der Anzeige (§ 171 Abs. 9 AO). T kann sich damit nach vier Jahren noch nicht „in Sicherheit wiegen“. Und wie lange kann die Steuerhinterziehung geahndet werden, interessiert T als nächstes? Die Verjährungsfrist, nach deren Ablauf die Steuerhinterziehung nicht mehr geahndet werden kann (Verfolgungsverjährung), bestimmt sich mangels Vorschriften in der AO nach dem StGB. Das StGB knüpft für die Fristdauer an das für die jeweilige Tat geltende Höchstmaß an Freiheitsstrafe an. Bei Steuerhinterziehung, welche mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren bestraft werden kann, gilt eine Verjährungsfrist von fünf Jahren (§ 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB). Und wenn jetzt ein besonders schwerer Fall nach § 370 Abs. 3 AO vorliegen würde, bei dem die Höchststrafe zehn Jahre beträgt, gilt dann eine längere Verjährungsfrist, möchte T nun wissen? Für die besonders schwere Steuerhinterziehung beträgt nach § 376 Abs. 1 AO die Verjährungsfrist zehn Jahre.

Verzinsung von hinterzogenen Steuern

Fall 16

Der Steuerhinterzieher U ist „aufgeflogen“ und hat sich damit abgefunden, dass er dem Finanzamt den hinterzogenen Betrag zurückzahlen

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Materielles Steuerstraf- und Ordnungswidrigkeitenrecht muss. Als er die Zahlungsaufforderung des Finanzamtes erhält, fällt er fast vom Stuhl, da der zu zahlende Betrag erheblich höher ist, als die hinterzogene Summe. Was ist passiert? U hat die Auswirkungen des § 235 AO zu spüren bekommen. Dieser normiert, dass hinterzogene Steuern zu verzinsen sind. Die Höhe der Zinsen beträgt dabei 0,5 % für jeden vollen Monat (§ 238 AO). Aber, wendet U, nachdem er kurz gerechnet hat ein, der Zinslauf bei Steuern beginnt doch erst 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahres der Steuerentstehung (§ 233a AO) und müsste dann viel niedriger sein? Irrtum des U, bei Steuerhinterziehung beginnt der Zinslauf bereits mit Eintritt der Verkürzung oder der Erlangung des Steuervorteils, außer wenn die hinterzogenen Beträge ohne die Steuerhinterziehung erst später fällig geworden wären (§ 235 Abs. 2 AO). Aber Moment mal, fragt U, kommen die Hinterziehungszinsen noch zusätzlich zu den „normalen“, bereits festgesetzten Zinsen dazu? Nein, die Zinsen nach § 233a AO, die für denselben Zeitraum festgesetzt wurden, sind anzurechnen (§ 235 Abs. 4 AO), kommen also nicht noch zu den Hinterziehungszinsen dazu. Na super, denkt sich U, dann muss ich also nicht nur die hinterzogenen Steuern zurückzahlen, sondern auch noch zusätzliche Hinterziehungszinsen zahlen – das Geld hätte ich mir vielleicht doch besser anderweitig geliehen …

Haftung des Steuerhinterziehers

Fall 17

C, der in Fall 11 Steuern zugunsten seiner Freundin hinterzogen hat erfährt, dass M nicht das Geld hat, die hinterzogenen Steuern nebst Zinsen zu bezahlen. Was steht C damit ins Haus?

Lektion 3: Steuerhinterziehung C wird vom Finanzamt als Haftungsschuldner in Anspruch genommen werden (§ 71 AO). Demnach haftet er als Steuerhinterzieher sowohl für die hinterzogenen Steuern als auch für die Hinterziehungszinsen nach § 235 AO. Das hab ich nun davon, bemitleidet sich C. Ich wollte M helfen (und mich bei ihr einschmeicheln) und muss jetzt „die Zeche dafür zahlen“ und „sie“ ist „auf und davon“ – „durchgebrannt“ mit dem Steuerprüfer …

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Leitsatz 5 Fristen, Zinsen und Haftung des Steuerhinterziehers Für den Steuerhinterzieher gelten längere Festsetzungsfristen als für den „Steuerehrlichen“ (§ 169 Abs. 2 Satz 2 und 3 AO). Die Verfolgungsverjährung richtet sich grundsätzlich nach § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB, in besonders schweren Fällen nach § 376 AO. Bei hinterzogenen Steuern beginnt der Zinslauf früher als bei nicht hinterzogenen (§ 235 AO). Für den Steuerhinterzieher gilt eine strenge Haftung (§ 71 AO).

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Lektion 4: Einzelfragen In dieser Lektion lernen Sie etwas über Irrtümer und ihre Auswirkungen im Steuerstrafrecht sowie über Täterschaft und Teilnahme an Vorsatzdelikten und die Begünstigung. Ferner erfahren Sie, was von falschen Angaben zur Vermeidung ungerechtfertigter Steuernachzahlungen zu halten ist.

Irrtümer „Irren ist menschlich“ – oder, wie der Lateiner sagt „errare humanum est“ – und kann, wie die folgenden Fälle zeigen, sogar dazu führen, dass ein Steuerstrafrechtsfall anders zu beurteilen ist. Hierbei ist zwischen Tatbestandsirrtum und Verbotsirrtum zu unterscheiden.

Tatbestandsirrtum

Fall 18

Der Steuerpflichtige V hat in seiner Einkommensteuererklärung unbeschränkt Kosten für sein häusliches Arbeitszimmer angesetzt, obwohl dieses nicht den Mittelpunkt seiner gesamten betrieblichen und beruflichen Tätigkeit bildet. Das Finanzamt hat deshalb bei der Veranlagung 1.000 € zuwenig Steuern festgesetzt. Als die Sache aufkommt und V diesbezüglich vom Finanzbeamten befragt wird, sagt er, dass ihm bei der Erstellung seiner Steuererklärung das Abzugsverbot des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b EStG nicht bekannt war. Ist V wegen Steuerhinterziehung zu bestrafen? V hat den objektiven Tatbestand des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO erfüllt, da er gegenüber der Finanzbehörde im Rahmen seiner Steuererklärung über steuererhebliche Tatsachen unrichtige Angaben gemacht hat und hierdurch Steuern verkürzt wurden. Im Rahmen des subjektiven Tatbestandes muss V gewusst haben, dass er durch den falschen Ansatz des Arbeitszimmers Steuern verkürzt und er muss dies auch gewollt haben (Vorsatz). V ist jedoch irrig davon ausgegangen, dass die steuerliche Behandlung des Arbeitszimmers durch ihn richtig war.

Lektion 4: Einzelfragen Es liegt deshalb ein vorsatzausschließender Tatbestandsirrtum vor (§ 16 Abs. 1 Satz 1 StGB). V freut sich, denn dann bleibt sein Handeln beim Tatbestandsirrtum ja gänzlich ohne Ahndung. Stimmt das? Nein, denn eine Strafbarkeit wegen fahrlässiger (im Steuerstrafrecht leichtfertiger) Begehung ist noch möglich, wenn die Voraussetzungen hierfür vorliegen (§ 16 Abs. 1 Satz 2 StGB). V’s Handeln bleibt deshalb nur dann gänzlich ungeahndet, wenn auch keine leichtfertige Steuerverkürzung (§ 378 AO) vorliegt. (Näheres zur leichtfertigen Steuerverkürzung erfahren Sie in Lektion 5) Sie sehen also, der alte Spruch „Irrtum schützt vor Strafe nicht“ ist gelegentlich auch im Steuerstrafrecht anwendbar.

Verbotsirrtum

Fall 19

Der Steuerpflichtige X, dessen Betrieb kurz vor der Pleite steht, hat in seiner Steuererklärung Bareinnahmen nicht angegeben, um so seine Arbeitnehmer und die Lieferanten bezahlen zu können. Ihm war klar, dass er dadurch Steuerhinterziehung begeht, war aber der Meinung, dass seine Tat zur Rettung des Betriebes kein Unrecht darstelle, sondern gerechtfertig sei. Schließlich ginge es ja um mehrere Existenzen und wenn sich sein Betrieb durch seine „Maßnahmen“ wieder erholt, dann würde ja auch das Finanzamt wieder Steuereinnahmen von ihm erhalten. Wie ist sein Verhalten steuerstrafrechtlich zu würdigen? X hat sowohl den objektiven als auch den subjektiven Tatbestand der Steuerhinterziehung (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO) erfüllt, da er Steuern verkürzte und dies auch wollte. Sein Handeln war auch rechtswidrig, da keine Rechtfertigungsgründe vorliegen.

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Materielles Steuerstraf- und Ordnungswidrigkeitenrecht XXWirtschaftliche Schwierigkeiten sind auch dann kein Rechtfertigungsgrund für Steuerhinterziehung, wenn davon neben dem Steuerpflichtigen noch Dritte (direkt oder indirekt) betroffen sind. XXX hätte die Bareinnahmen angeben müssen und Stundung (§ 222 AO) beantragen können, da die Einziehung der Steuerschuld bei Fälligkeit eine erhebliche Härte für ihn bedeutet hätte. X glaubte hier also an einen Rechtfertigungsgrund, den die Rechtsordnung nicht vorsieht. Ihm fehlte damit die Einsicht, Unrecht zu tun, so dass ein Verbotsirrtum vorliegt (§ 17 StGB). Die Rechtsfolgen des Verbotsirrtums für X hängen davon ab, ob dieser vermeidbar war oder nicht. XXIst er unvermeidbar, so handelt der Täter X ohne Schuld (§ 17 Satz 1 StGB). Dies ist aber nur dann der Fall, wenn der X auch bei gehöriger Gewissensanspannung nicht erkannt hätte, dass sein Verhalten verboten ist. Dabei muss er seine Erkenntniskräfte einsetzen und sich gegebenenfalls auch bei fachkundigen Stellen erkundigen. X hätte also beispielsweise seinen Steuerberater um Rat fragen müssen, welcher ihn dann umgehend eines Besseren belehrt hätte. XXWar der Verbotsirrtum damit vermeidbar, kann die Strafe des X nach § 49 Abs. 1 StGB gemildert werden (§ 17 Satz 2 StGB). Irren ist menschlich, denkt sich jetzt der X – und manchmal entschuldigt’s auch das Steuerstrafrecht … Die Irrtümer nun zusammengefasst in einer Übersicht.

Lektion 4: Einzelfragen

Übersicht 2: Irrtümer Tatbestandsirrtum

Keine Bestrafung wegen vorsätzlicher Straftat (§ 16 Abs. 1 Satz 1 StGB)

Gegebenenfalls Strafbarkeit wegen leichtfertiger Ordnungs­ widrigkeit (§ 16 Abs.1 Satz 2 StGB)

Verbotsirrtum wenn Irrtum nicht vermeidbar

vermeidbar

Keine Schuld, keine Strafbarkeit, keine Ordnungswidrigkeit (§ 17 Satz 1 StGB)

Strafbarkeit bleibt, gegebenenfalls Milderung (§ 17 Satz 2 StGB)

Täterschaft und Teilnahme Im Strafrecht und damit auch im Steuerstrafrecht (§ 369 Abs. 2 AO) ist zwischen Täterschaft (Allein- und Mittäterschaft, mittelbarer Täterschaft) und Teilnahme (Anstiftung und Beihilfe) einerseits und Begünstigung andererseits zu unterscheiden. Im Folgenden lernen Sie die verschiedenen Varianten kennen.

Alleintäter und Mittäter

Fall 20

Der Steuerpflichtige E begeht eine Steuerhinterziehung allein (Variante 1) bzw. zusammen mit mehreren Kumpels F, G und H (Variante 2). Alle Personen handeln jeweils tatbestandsmäßig, rechtswidrig und schuldhaft. Wie sind sie zu bestrafen? In Variante 1 wird E als Täter bestraft, da er die Tat selbst – als Alleintäter – begangen hat (§ 25 Abs. 1 Alternative 1 StGB). In Variante 2 hat E gemeinschaftlich mit seinen Kumpels die Tat begangen, es wird daher jeder als Täter – Mittäter – bestraft (§ 25 Abs. 2 StGB).

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Materielles Steuerstraf- und Ordnungswidrigkeitenrecht Na toll, sagen sich E und seine Kumpels, das ist ja wie im wilden Westen: „Mitgegangen, mitgefangen, mitgehangen“. Abwandlung: Wären die vier auch dann wegen Steuerhinterziehung zu bestrafen, wenn Mittäter F nicht vorsätzlich, Mittäter G nicht rechtswidrig und Mittäter H nicht schuldhaft gehandelt hätten? Bei Mittäterschaft (§ 25 Abs. 2 StGB) muss zwar hinsichtlich des objektiven Tatbestandes gemeinsame Tatausführung mit gegenseitiger Zurechnung der jeweiligen Tatbeiträge aufgrund eines gemeinsamen Tatplanes vorliegen. Der subjektive Tatbestand (Vorsatz, etc.), Rechtswidrigkeit und Schuld sind jedoch gesondert zu prüfen, so dass dann in der Abwandlung lediglich E wegen Steuerhinterziehung zu bestrafen wäre.

Mittelbare Täterschaft

Fall 21

Jetzt hält E sich für ganz schlau. Er gibt seinem Steuerberater S Unterlagen mit steuerlich falschen Ergebnissen für die Umsatzsteuervoranmeldungen, die S dann gutgläubig bearbeiten und beim Finanzamt für ihn einreichen soll. E ist der Meinung, dass S dann eh straffrei ist und auch er ohne Ahndung davonkommt, da er ja die Erklärung nicht selbst bearbeitet und eingereicht hat. Hat er Recht? E hat nur zum Teil Recht. S hat zwar den objektiven Tatbestand der Steuerhinterziehung verwirklicht, er kannte jedoch die Tatumstände (falsche Ergebnisse) nicht. S handelte deshalb ohne Vorsatz, er wurde von E als Werkzeug eingesetzt. S ist somit nicht wegen Steuerhinterziehung zu bestrafen. Das Handeln des Hintermannes E hatte jedoch Täterqualität.

Lektion 4: Einzelfragen Er hat durch das Anfertigen und Aushändigen der falschen Ergebnisse an S, die dieser dann weiter bearbeiten sollte, einen Verursacherbeitrag geleistet. Da E die „Falschheit“ der Ergebnisse kannte, besaß er Überlegenheit gegenüber dem Tatmittler S im Wissen/Wollen, er hatte somit Tatherrschaft. E handelte auch vorsätzlich bezüglich der Tat (Steuerhinterziehung) und er hatte Tatherrschaftsbewusstsein/Täterwillen, so dass auch der subjektive Tatbestand der Steuerhinterziehung in mittelbarer Täterschaft erfüllt ist. Da seitens E weder Rechtfertigungs- noch Schuldausschließungsgründe vorliegen, ist er wegen Steuerhinterziehung in mittelbarer Täterschaft strafbar (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO; § 25 Abs. 1 Alternative 2 StGB). Hier bewahrheitet sich also eine Weisheit aus dem täglichen Leben: Das Werkzeug liegt in der Hand des Meisters – nicht die Kelle baut das Haus, sondern der Maurer …

Anstiftung

Fall 22

Aufgrund des eben Gehörten entwickelt E weitere kriminelle Energie. Er hinterzieht diesmal nicht selbst Steuern, sondern bringt seinen Kumpel L, der von alleine nie auf so eine Idee gekommen wäre, dazu, Steuerhinterziehung zu begehen. Er hofft, dass L, dem er aus Rache schon lange „eins auswischen“ wollte, dann Ärger bekommt. Er, E, wäre ja wohl nicht strafbar, da er ja nichts hinterzogen hat. Hat E damit Recht? Wieder hat E nur zum Teil Recht. L hat als Täter tatbestandsmäßig, rechtswidrig und schuldhaft gehandelt und ist deshalb wegen Steuerhinterziehung (§ 370 Abs. 1 AO) zu bestrafen. E hat den L, der von alleine nie auf so eine Idee gekommen wäre, zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat bestimmt.

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Materielles Steuerstraf- und Ordnungswidrigkeitenrecht Er wusste, dass er den L zu einer Steuerstraftat anstiftet und wollte dies auch, handelte also mit Anstiftervorsatz. Er ist deshalb als Anstifter gleich einem Täter zu bestrafen (§ 26 StGB). Dass er sich durch seine Anstiftung auch strafbar gemacht hat, hätte E niemals gedacht. Aber wie heißt’s so schön: „Rache ist süß“ – wenn nur danach die Zahnschmerzen nicht wären … Was wäre, wenn L zum Zeitpunkt der Anstiftung durch E bereits zur Steuerhinterziehung entschlossen gewesen wäre? Dann läge versuchte Anstiftung zur Steuerhinterziehung vor. Diese ist jedoch, da es sich bei Steuerhinterziehung nicht um ein Verbrechen handelt, nicht strafbar (§ 30 Abs. 1 StGB Umkehrschluss). Und was wäre, wenn die Steuerhinterziehung des L im Versuchsstadium stecken geblieben wäre? Da die Teilnahme des E von der Haupttat des L abhängig ist, kann in diesem Fall auch E nur wegen Anstiftung zum Versuch (§ 370 Abs. 1, Abs. 2 AO; §§ 22, 23 i.V.m. § 26 StGB) bestraft werden (Akzessorietät der Teilnahme). So gesehen hätte E dann, wenn sein Plan nicht aufgeht, strafrechtlich „Glück gehabt“.

Beihilfe

Fall 23

Als E von seinem Freund N erfährt, dass dieser Steuerhinterziehung begehen will, steht er ihm mit Rat und Tat zur Seite, indem er ihm erklärt, wie man mit einem Farblaserdrucker „die perfekten Belege“ gestaltet, um das Finanzamt zu täuschen. Jetzt kann mich aber niemand bestrafen, denkt sich E, da N ja den Tatentschluss schon hatte und er ihm lediglich bei der Ausführung ein paar technische Anregungen gegeben hat. Stimmt das?

Lektion 4: Einzelfragen Nein, denn er hat dem Täter N zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat Hilfe geleistet (§ 27 Abs. 1 StGB). Er weiß, dass N mit den gefälschten Belegen Steuerhinterziehung begehen will und will ihm hierbei auch helfen (Beihilfevorsatz). E ist deshalb als Gehilfe nach § 27 Abs. 2 StGB zu bestrafen. Das hat man nun von seiner Hilfsbereitschaft, sagt sich E – nächstes Mal soll N selbst schauen, wie er mit der Technik klarkommt … Und wenn auch die Steuerhinterziehung des N im Versuchsstadium stecken geblieben wäre? Da die Teilnahme des E wiederum von der Haupttat des N abhängig ist, kann in diesem Fall auch E nur wegen Beihilfe zum Versuch (§ 370 Abs. 1, Abs. 2 AO; §§ 22, 23 i.V.m. § 27 StGB) bestraft werden (Akzessorietät der Teilnahme).

Haftung der Teilnehmer

Fall 24

Unser E hat von den schlechten Erfahrungen des C aus Fall 11 gehört. Er fragt sich deshalb, ob auch ihm eine Haftung drohen kann, wenn die von ihm angestifteten bzw. unterstützten Täter ihre Zahlungsverpflichtungen gegenüber dem Finanzamt nicht erfüllen können. Wo finden Sie die Antwort? Nach § 71 AO haftet nicht nur der Steuerhinterzieher selbst, sondern auch die Teilnehmer für die verkürzten Steuern und die Hinterziehungszinsen. E kann damit schlimmstenfalls sowohl wegen der Anstiftung des L als auch wegen der für N geleisteten Beihilfe als Haftungsschuldner in Anspruch genommen werden.

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Materielles Steuerstraf- und Ordnungswidrigkeitenrecht

Wenn Teilnahme nicht mehr möglich ist: Begünstigung

Fall 25

E’s Kumpel M hat – ohne Beteiligung des E – eine Steuerhinterziehung begangen. Nachdem er dem E nach Beendigung der Tat erzählt hat, dass ihm die Fahnder schon auf der Spur sind, hilft ihm E in der Absicht, die hinterzogenen Steuern vor dem Finanzamt „zu retten“. Wie hat sich E dadurch strafbar gemacht? E ist wegen Begünstigung zu bestrafen, da er einem anderen (dem M), der eine rechtswidrige Tat (Steuerhinterziehung § 370 Abs. 1 AO) begangen hat, in der Absicht Hilfe geleistet hat, die Vorteile der – bereits begangenen – Tat („Vortat“) zu sichern (§ 369 Abs. 1 Nr. 4 AO; § 257 StGB). Und wenn E bereits wegen Beteiligung an der Vortat (Steuerhinterziehung des M) strafbar wäre? Dann würde E nur nach der Norm der Vortat (hier: Steuerhinterziehung, § 370 Abs. 1 AO) bestraft werden. Es käme keine Strafe wegen Begünstigung hinzu (§ 257 Abs. 3 Satz 1 StGB), da § 257 StGB nur dann greift, wenn keine Beteiligung an der Vortat vorliegt (Subsidiarität der Begünstigung). Und würde die Subsidiarität auch dann gelten, wenn der an der Vortat beteiligte E den bisher unbeteiligten Q zur Begünstigung des M anstiften würde? Nein, bei Anstiftung eines an der Vortat Unbeteiligten greift die Subsidiarität des § 257 StGB nicht (§ 257 Abs. 3 Satz 2 StGB). Und wie hoch ist das zu erwartende Strafmaß, fragt E schließlich noch? Das Strafmaß für die Begünstigung ist das gleiche wie bei der Steuerhinterziehung, also Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe (§ 257 Abs. 1 StGB).

Lektion 4: Einzelfragen

Übersicht 3: Täterschaft und Teilnahme – Begünstigung Straftat ist nicht beendet Täterschaft

Teilnahme

Alleintäterschaft unmittelbare (§ 25 Abs. 1 Alt. 1 StGB)

mittelbare (§ 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB)

Mittäterschaft (§ 25 Abs. 2 StGB)

Anstiftung (§ 26 StGB)

Beihilfe (§ 27 StGB)

Straftat ist beendet Begünstigung (§ 369 Abs. 1 Nr. 4 AO; § 257 StGB)

Falsche Angaben zur Vermeidung ungerechtfertigter Nachzahlungen aufgrund Betriebsprüfung

Fall 26

Bei Unternehmer U fand eine Betriebsprüfung statt. Der Betriebsprüfer kommt zu dem Ergebnis, dass U Steuernachzahlungen zu entrichten habe. Dies hält U zu Recht für falsch und macht falsche Angaben, die allein dem Zweck dienen, ungerechtfertigte Nachzahlungen zu vermeiden. Hat U sich wegen Steuerhinterziehung strafbar gemacht? Vollendete Steuerhinterziehung (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO) ist nicht gegeben, da durch die falschen Angaben des U keine tatsächlich entstandenen Steuern verkürzt wurden. Versuch der Steuerhinterziehung (§ 370 Abs. 2 AO; §§ 22, 23 Abs. 1 i.V.m. § 12 Abs. 2 StGB) scheidet ebenfalls aus, da durch die falschen Angaben keine Steuerhinterziehung begangen werden sollte, sondern U lediglich eine ungerechtfertige Mehrbelastung verhindern wollte.

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Materielles Steuerstraf- und Ordnungswidrigkeitenrecht Hinweis: Hier ist der Fall also für U gut ausgegangen, seine „Selbsthilfe“ hat keine negativen Konsequenzen für ihn. Er wäre jedoch auch ohne falsche Angaben zu dem von ihm angestrebten Ziel, der Vermeidung von ungerechtfertigten Nachzahlungen gekommen. Er hätte dem Prüfer bei der Schlussbesprechung (§ 201 AO) mitteilen müssen, dass er das Ergebnis der Prüfung nicht akzeptiert. Wenn dieser dann auf seinem Ergebnis beharrt, hätte U dann gegen den aufgrund der Prüfung ergehenden (geänderten) Steuerbescheid Einspruch einlegen (§ 357 AO) und Aussetzung der Vollziehung (§ 361 AO) beantragen müssen.

Lektion 5: Leichtfertige Steuerverkürzung

Lektion 5: Leichtfertige Steuerverkürzung Im Folgenden erfahren Sie erst Allgemeines über die Voraussetzungen von Fahrlässigkeitsdelikten und anschließend Einzelheiten zur leichtfertigen Steuerverkürzung.

Allgemein: Voraussetzungen einer fahrlässig oder leichtfertig begangenen strafbaren Handlung

Fall 27

Unsere Steuerpraktikantin P soll vor dem Einstieg in die Normen der fahrlässig bzw. leichtfertig begangenen Delikte wieder kurz die Systematik kennen lernen. Diese weicht nämlich etwas von der der Vorsatzdelikte ab. Begleiten Sie P auf ihrem Weg durch die Systematik. Sie erinnern sich: Die Voraussetzungen einer strafbaren Handlung sind immer: XXTatbestandsmäßigkeit XXRechtswidrigkeit XXSchuld Dies bedeutet bei fahrlässig oder leichtfertig begangenen strafbaren Handlungen im Einzelnen: XXTatbestandsmäßigkeit: –– Auch bei fahrlässig bzw. leichtfertig begangenen Delikten muss der objektive Tatbestand gegeben sein. –– Im Gegensatz zu den Vorsatztaten ist jedoch bei Fahrlässigkeitstaten Vorsatz gerade nicht erforderlich. XXRechtswidrigkeit –– Auch diese muss vorliegen.

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Materielles Steuerstraf- und Ordnungswidrigkeitenrecht XXSchuld Bei fahrlässig bzw. leichtfertig begangenen Taten ist an dieser Stelle noch ein weiterer Punkt zu prüfen, nämlich die Fahrlässigkeitsschuld. Der Täter muss fahrlässig bzw. leichtfertig gehandelt haben. –– Fahrlässig handelt, wer trotz Voraussehbarkeit einer Rechtsverletzung einen gesetzlichen Tatbestand in pflichtwidriger Weise verwirklicht. –– Leichtfertigkeit entspricht einer groben Fahrlässigkeit, wenn also der Täter mit besonderer Gleichgültigkeit vorgeht. Zu berücksichtigen sind hierfür insbesondere Bildung, Fähigkeiten, persönliche Kenntnisse des Täters. Der Täter muss schuldfähig sein (§§ 19 ff. StGB). So, jetzt haben P und Sie es geschafft und die grundlegende Systematik der Fahrlässigkeits- und Leichtfertigkeitsdelikte kennen gelernt. Sie werden diese bei den folgenden materiellen Ordnungswidrigkeitslektionen immer wieder finden und dann wissen, an welcher Stelle der Prüfung Sie sich gerade befinden.

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Leitsatz 6 Fahrlässigkeits-/Leichtfertigkeitstaten Bei Fahrlässigkeits-/Leichtfertigkeitstaten ist immer zu prüfen: XXTatbestandsmäßigkeit ––objektiv ––(subjektiv: kein Vorsatz) XXRechtswidrigkeit XXSchuld

––Fahrlässigkeits-/Leichtfertigkeitsschuld ––Schuldfähigkeit

Lektion 5: Leichtfertige Steuerverkürzung

Leichtfertige Steuerverkürzung nach § 378 Abs. 1 AO Nach der Theorie nun die Praxis. P’s Ausbilder hat für sie einige typische Sachverhalte des Steuerordnungswidrigkeitenrechts herausgesucht. In den folgenden Fällen haben Sie somit zusammen mit P die Gelegenheit, die leichtfertige Steuerverkürzung kennenzulernen.



Fall 28

Der Steuerpflichtige L verkürzt Steuern. Er handelt hierbei jedoch nicht vorsätzlich, wie die Täter in der vorangegangenen Lektion (kein „Wissen und Wollen“), sondern der Eintritt der Rechtsverletzung ist für L zwar voraussehbar, dies ist ihm jedoch absolut gleichgültig. Ist L wegen Steuerhinterziehung zu bestrafen? Welche Sanktion kann gegen ihn verhängt werden? L hat zwar den objektiven Tatbestand der Steuerhinterziehung (§ 370 Abs. 1 AO) erfüllt, handelte jedoch nicht vorsätzlich. Die Tat ist auch mangels Rechtfertigungsgründen rechtswidrig. Im Rahmen der Prüfung des Schuldvorwurfes muss L leichtfertig gehandelt haben. Leichtfertig ist nach der Rechtsprechung „grobe Fahrlässigkeit“. Ein derartiges Handeln liegt vor, wenn jemand trotz Voraussehbarkeit einer Rechtsverletzung einen gesetzlichen Tatbestand in pflichtwidriger Weise verletzt („Fahrlässigkeit“) und hierbei mit besonderer Gleichgültigkeit vorgeht („grob“). Dies hat L laut Sachverhalt getan. Da keine Schuldausschließungsgründe vorliegen, handelt es sich bei der Tat des L um eine leichtfertige Steuerverkürzung (§ 378 Abs. 1 Satz 1 AO). Eine solche ist im Gegensatz zur Steuerhinterziehung keine Straftat, sondern eine Ordnungswidrigkeit.

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Materielles Steuerstraf- und Ordnungswidrigkeitenrecht Wichtigster Unterschied: Straftat führt zu Freiheits- oder Geldstrafe, Ordnungswidrigkeit „nur“ zu Geldbuße. Die leichtfertige Steuerverkürzung kann mit einer Geldbuße bis zu 50.000 € geahndet werden (§ 378 Abs. 2 AO). Gut zu wissen, denkt sich L, auch leichtfertiges Handeln wird geahndet, jedoch nicht so schwer wie Vorsatztaten.

Festsetzungsfrist und Verjährungsfrist bei leichtfertiger Steuerverkürzung

Fall 29

L durchforstet in Gedanken sein steuerliches Vorleben. Ihm wird klar, dass er bereits vor zehn Jahren schon einmal leichtfertig Steuern verkürzt hat. Muss er noch eine Änderung der damaligen Steuerbescheide befürchten? Nein, denn bei der leichtfertigen Steuerverkürzung beträgt die Festsetzungsfrist lediglich fünf Jahre (§ 169 Abs. 2 Satz 2 AO). Und wie verhält es sich mit der Verjährungsfrist, also wie lange kann seine Tat verfolgt werden? Die Verfolgungsverjährung tritt bei leichtfertiger Steuerverkürzung in fünf Jahren ein (§ 384 AO).

Verzinsung bei leichtfertiger Steuerverkürzung

Fall 30

L, der von seinem Bekannten U erfahren hat, dass dieser die hinterzogenen Steuern auch noch ab Verkürzungseintritt verzinsen muss (vgl. Fall 16), befürchtet, dass ihm dasselbe auch bevorsteht. Zu Recht? Hier sind L’s Befürchtungen unbegründet, da die Spezialnorm des § 235 AO nur eine – gesonderte – Verzinsung von hinterzogenen Steuern vorsieht, nicht aber von leichtfertig verkürzten.

Lektion 5: Leichtfertige Steuerverkürzung Für die Steuernachzahlung bei leichtfertig verkürzten Steuern gilt daher die Grundnorm des § 233a AO, nach welcher der Zinslauf 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahres der Steuerentstehung beginnt. Da freut sich der L, denn dann bleibt ihm ja der aus der Steuerverkürzung gezogene Vorteil erhalten. Oder? L hat sich zu früh gefreut, denn der gezogene Vorteil kann nach § 17 Abs. 4 Satz 1 OWiG abgeschöpft werden (siehe hierzu auch Fall 93 zur Strafzumessung).

Haftung bei leichtfertiger Steuerverkürzung

Fall 31

Nachdem L von seinem Kumpel C gehört hat, dass dieser als Steuerhinterzieher sowohl für die hinterzogenen Steuern als auch für die Zinsen haftet (vgl. Fall 17), sieht er Schlimmes auf sich zukommen. Muss auch er gegebenenfalls haften? Eine Haftung nach § 71 AO kommt bei leichtfertiger Steuerverkürzung nicht in Betracht, da diese Norm ausdrücklich auf die Vorsatztaten der Steuerhinterziehung – bzw. Steuerhehlerei – abstellt.

Übersicht 4: Leichtfertige Steuerverkürzung § 378 AO Deliktform

Fahrlässigkeitsdelikt „Leichtfertigkeit“

Einstufung

Ordnungswidrigkeit

Ahndung

Geldbuße

Festsetzungsfrist

5 Jahre (§ 169 Abs. 2 Sätze 2 und 3 AO)

Verfolgungsverjährung

5 Jahre (§ 384 AO)

Verzinsung (§ 235 AO)

nicht anwendbar, jedoch ggf. Vorteilsabschöpfung (§ 17 Abs. 4 Satz 1 OWiG)

Haftung (§ 71 AO)

nicht anwendbar

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Materielles Steuerstraf- und Ordnungswidrigkeitenrecht

Lektion 6: Selbstanzeige Im Recht der Steuerstraftaten und -ordnungswidrigkeiten gibt es die Möglichkeit der Selbstanzeige zur Erlangung von Straf- bzw. Bußgeldfreiheit. Hierdurch soll nicht nur dem Täter die Rückkehr in die Legalität ermöglicht, sondern auch dem Staat entgangene Steuereinnahmen zugeführt werden. Lesen Sie im Folgenden Einzelheiten zum Thema Selbst­anzeige.

Selbstanzeige bei Steuerhinterziehung

Fall 32

E, auf einmal vom schlechten Gewissen gepackt, geht reumütig zu „seinem“ Finanzbeamten und beichtet seine Tat („frisiertes“ Fahrtenbuch, nicht erklärter Zahlungseingang), bevor die Erstattung an ihn ausgezahlt wurde. Hat dies Einfluss auf die Strafbarkeit wegen Steuerhinterziehung? E hat, wie Sie in Fall 6 sehen konnten, eine Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO begangen. Das Steuerstrafrecht sieht jedoch bei „reumütigen Steuersündern“ die Möglichkeit der strafbefreienden Selbstanzeige vor. Hierfür muss der Steuerpflichtige bei der Finanzbehörde in vollem Umfang unrichtige Angaben berichtigen, unvollständige Angaben ergänzen und unterlassene Angaben nachholen (§ 371 Abs. 1 Satz 1 AO). Da E dies hinsichtlich der von ihm begangenen Steuerhinterziehung getan hat, wird er wegen dieser Steuerstraftaten nicht nach § 370 AO bestraft (§ 371 Abs. 1 AO). Was wäre, wenn E die durch die Hinterziehung ergaunerte Erstattung von 1.000 € von der Finanzkasse bereits ausgezahlt erhalten hätte? Wenn E der durch die Hinterziehung erlangte Betrag bereits ausgezahlt wurde, tritt die Straffreiheit nur dann ein, wenn er die hinterzogenen Steuern, die Hinterziehungszinsen (§ 235 AO) und die Zinsen nach § 233a, soweit sie auf die Hinterziehungszinsen nach § 235 Absatz 4

Lektion 6: Selbstanzeige angerechnet werden, innerhalb einer ihm vom Finanzamt bestimmten angemessenen Frist entrichtet (§ 371 Abs. 3 AO). Was wäre, wenn E auch früher schon Steuern hinterzogen hätte. Müsste er dies auch angeben, damit seine Selbstanzeige wirksam ist? Das muss er. Denn die Angaben müssen zu allen unverjährten Steuerstraftaten einer Steuerart, mindestens aber zu allen Steuerstraftaten einer Steuerart innerhalb der letzten zehn Kalenderjahre erfolgen (§ 371 Abs. 1 Satz 2 AO). Damit gilt der alte Spruch „ein gutes Gewissen ist das beste Ruhekissen“ nicht nur für E’s Schlafqualität, die Selbstanzeige führt auch noch zu seiner Straffreiheit.

Ausschlussgründe: Bekanntgabe Prüfungsanordnung/ Einleitung Straf- oder Bußgeldverfahren bzw. Erscheinen Amtsträger

Fall 33

„Besser spät als nie“ – F möchte nach langen Überlegungen strafbefreiende Selbstanzeige erstatten. Er hat in den Jahren 01 – 06 Einkommensteuer und Gewerbesteuer hinterzogen. Bevor er jedoch die Anzeige erstatten kann, erhält er Post von der Betriebsprüfungsstelle seines Finanzamtes, die die Einkommensteuer 04 – 06 prüfen will. Hat das Auswirkungen auf die von F angestrebte Straffreiheit? Wenn bei einer der zur Selbstanzeige gebrachten unverjährten Steuerstraftaten vor der Berichtigung, Ergänzung oder Nachholung dem an der Tat Beteiligten, seinem Vertreter, dem Begünstigten im Sinne des § 370 Abs. 1 AO oder dessen Vertreter eine Prüfungsanordnung nach § 196 AO bekannt gegeben worden ist, tritt die Straffreiheit nicht ein. Diese Rechtsfolge ist jedoch auf den sachlichen und zeitlichen Umfang der angekündigten Außenprüfung beschränkt (§ 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a AO) und hindert nicht die Abgabe einer Berichtigung nach § 371 Abs. 1 AO für die nicht unter § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a AO fallenden Steuerstraftaten einer Steuerart (§ 371 Abs. 2 Satz 2 AO).

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Materielles Steuerstraf- und Ordnungswidrigkeitenrecht Für F bedeutet dies, dass er nur noch für die Einkommensteuer 01-03 sowie für die Gewerbesteuer 01-06 strafbefreiend Selbstanzeige erstatten kann. Würde sich etwas ändern, wenn die Prüfungsanordnung dem F gegenüber (zulässigerweise § 190 Abs. 1 AO a. E.) nicht vorher bekannt gegeben worden wäre und er bei Erscheinen des Prüfers sofort „beichtet“? Straffreiheit tritt auch dann nicht ein, wenn vor der Berichtigung, Ergänzung oder Nachholung ein Amtsträger der Finanzbehörde zur steuerlichen Prüfung erschienen ist, beschränkt auf den sachlichen und zeitlichen Umfang der Außenprüfung (§ 370 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1c AO). Auch G möchte Selbstanzeige erstatten, er erhält jedoch vorher Post von der Bußgeld- und Strafsachenstelle. Auch die Bekanntgabe der Einleitung des Straf- oder Bußgeldverfahrens gegenüber dem an der Tat Beteiligten oder seinem Vertreter hindert die Straffreiheit (§ 370 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1b AO). Die gilt auch dann, wenn ohne Ankündigung ein Amtsträger zur Ermittlung einer Steuerstraftat oder einer Steuerordnungswidrigkeit erschienen ist (§ 370 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1d AO). Gilt der Wegfall der Straffreiheit auch für H, bei dem vor der Selbstanzeige ein Finanzbeamter zur „Nachschau“ erscheint? Auch wenn ein Amtsträger der Finanzbehörde zu einer UmsatzsteuerNachschau nach § 27b UStG, einer Lohnsteuer-Nachschau nach § 42g EStG oder einer Nachschau nach anderen steuerrechtlichen Vorschriften erschienen ist und sich ausgewiesen hat, tritt Straffreiheit bei Selbstanzeige nicht ein (§ 370 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1d AO). Schade, denken sich die Drei. Der Spruch „besser spät als nie“ hat sich bei der Selbstanzeige nicht bewahrheitet – straffrei können sie nicht mehr werden. Dass auch eine „verunglückte“ Selbstanzeige noch positive Auswirkungen haben kann, lesen Sie im Fall 89 zum Thema Strafzumessung.

Lektion 6: Selbstanzeige

Ausschlussgrund Tatentdeckung

Fall 34

T weiß, dass man ihm „auf die Schliche“ gekommen ist, hofft aber dennoch, dass er noch strafbefreiende Selbstanzeige erstatten kann. Ist seine Hoffnung berechtigt? Nein, Kenntnis von der Entdeckung der Tat im Zeitpunkt der Selbstanzeige schließt Straffreiheit aus (§ 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO). Und wenn T von der Tatentdeckung zwar noch nichts wusste, aber schon damit rechnen musste? Auch dann, wenn der Täter bei verständiger Würdigung der Sachlage mit der Tatentdeckung rechnen musste, tritt Straffreiheit nicht mehr ein (§ 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO). T hat noch einen „Hoffnungsschimmer“ für seine Selbstanzeige, da noch nicht alle nicht „gestempelten“ Zigaretten entdeckt worden sind. Ist seine Hoffnung begründet? Nein, denn es reicht bereits eine Entdeckung „zum Teil“ aus, um die Wirksamkeit der Selbstanzeige auszuschließen (§ 371 Abs. Satz 1 Nr. 2 AO). Sie sehen also, der Spruch „Eile mit Weile“ mag zwar schon seine Richtigkeit haben, bei der Selbstanzeige ist jedoch rasches Handeln geboten, da es ansonsten für die Strafbefreiung zu spät sein kann.

Ausschlussgründe: Steuervorteil größer 25.000 € / besonders schwerer Fall

Fall 35

U hat im Rahmen seiner Steuererklärung Steuern in Höhe von 30.000 € hinterzogen. X hat für die Steuerhinterziehung seine Befugnisse als Amtsträger missbraucht und auch die Mithilfe von Kollegen ausgenützt (hinterzogene Steuer: 500.000 €). Y hat regelmäßig Belege gefälscht und war auch noch Mitglied einer Umsatzsteuerhinterzieherbande (hinterzo-

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Materielles Steuerstraf- und Ordnungswidrigkeitenrecht gene Steuer: 2.000.000 €). U, X und Y beschließen, Selbstanzeigen zu erstatten. Wirken diese strafbefreiend? Strafbefreiung tritt nicht ein, wenn die nach § 370 Abs. 1 AO verkürzte Steuer oder der für sich oder einen anderen erlangte nicht gerechtfertigte Steuervorteil einen Betrag von 25.000 € je Tat übersteigt (§ 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AO). Für U liegt damit ein Ausschlussgrund vor. Strafbefreiung tritt ebenfalls nicht ein, wenn ein in § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 bis 5 AO genannter besonders schwerer Fall vorliegt (§ 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AO). Dies betrifft X und Y. Was ist, wenn es sich bei der Höhe des Steuervorteils bzw. beim besonders schweren Fall um die einzigen Ausschlussgründe handelt? In Fällen, in denen Straffreiheit nur wegen § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 oder 4 AO nicht eintritt, wird von der Verfolgung einer Steuerstraftat abgesehen, wenn der an der Tat Beteiligte innerhalb einer ihm bestimmten angemessenen Frist XXdie aus der Tat zu seinen Gunsten hinterzogenen Steuern, die Hinterziehungszinsen nach § 235 AO und die Zinsen nach § 233a AO, soweit sie auf die Hinterziehungszinsen nach § 235 Abs. 4 AO angerechnet werden, entrichtet (§ 398a Abs. 1 Nr. 1 AO), und XXeinen Geldbetrag in folgender Höhe zugunsten der Staatskasse zahlt: –– 10 % der hinterzogenen Steuer, wenn der Hinterziehungsbetrag 100.000 € nicht übersteigt (§ 398a Abs. 1 Nr. 2a AO), U müsste damit 10 % von 30.000 € = 3.000 € an die Staatskasse überweisen.

Lektion 6: Selbstanzeige –– 15 % der hinterzogenen Steuer, wenn der Hinterziehungsbetrag 100.000 € übersteigt und 1.000.000 € nicht übersteigt (§ 398a Abs. 1 Nr. 2b AO), X müsste damit 15 % von 500.000 € = 75.000 € an die Staatskasse überweisen. –– 20 % der hinterzogenen Steuer, wenn der Hinterziehungsbetrag 1.000.000 € übersteigt (§ 398a Abs. 1 Nr. 2c AO), Y müsste damit 20 % von 2.000.000 € = 400.000 € an die Staatskasse überweisen. Angesichts der Höhe der Nachzahlungen und Überweisung an die Staatskasse überlegt sich Y, ob es „sinnvoll“ wäre, im Rahmen der Selbstanzeige nicht die vollen Beträge zu melden. Denn das Verfahren ist ja eigentlich abgeschlossen. Die Wiederaufnahme eines nach § 398a Abs. 1 AO abgeschlossenen Verfahrens ist zulässig, wenn die Finanzbehörde erkennt, dass die Angaben im Rahmen einer Selbstanzeige unvollständig oder unrichtig waren (§ 398a Abs. 3 AO). Y müsste somit wegen der nicht vollständigen Meldung mit einer Wiederaufnahme des Steuerstrafverfahrens rechnen. Naja, denkt sich Y. Aber wenigstens die Zahlung an die Staatskasse in Höhe von 400.000 € würde er dann ja wieder bekommen. Dafür könnte er sich dann endlich den roten Ferrari kaufen. Der nach § 398a Abs. 1 Nr. 2 AO gezahlte Geldbetrag wird nicht erstattet, wenn die Rechtsfolge des Absatzes 1 nicht eintritt. Das Gericht kann diesen Betrag jedoch auf eine wegen Steuerhinterziehung verhängte Geldstrafe anrechnen (§ 398a Abs. 3 AO). Aus dem Ferrari für Y wird also erst mal nichts, aber wenigstens eine Anrechnung auf die Geldstrafe ist zulässig.

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Materielles Steuerstraf- und Ordnungswidrigkeitenrecht

Ausnahmen zu Ausschlussgründen bei Umsatzsteuervoranmeldungen und Lohnsteueranmeldungen

Fall 36

B hat mehrere monatliche Umsatzsteuervoranmeldungen und vierteljährliche Lohnsteueranmeldungen nicht abgegeben und dadurch Steuern in Höhe von 50.000 € verkürzt. Er befürchtet deshalb, dass bei ihm aufgrund der Höhe des Hinterziehungsbetrags eine Selbstanzeige nicht mehr möglich ist, und er sich durch die Abgabe der Steueranmeldungen automatisch den Behörden „ans Messer liefert“. Ist seine Furcht begründet? Soweit die Steuerhinterziehung durch Verletzung der Pflicht zur rechtzeitigen Abgabe einer vollständigen und richtigen Umsatzsteuervoranmeldung oder Lohnsteueranmeldung begangen worden ist, tritt Straffreiheit abweichend von § 371 Abs. 1 und 2 Satz 1 Nr. 3 AO bei Selbstanzeigen in dem Umfang ein, in dem der Täter gegenüber der zuständigen Finanzbehörde die unrichtigen Angaben berichtigt, die unvollständigen Angaben ergänzt oder die unterlassenen Angaben nachholt (§ 371 Abs. 2a Satz 1 AO). B hat also deswegen nichts zu befürchten. Und muss er, um tatsächlich straffrei zu sein, fristgerecht (Hinterziehungs-)Zinsen entrichten? Das muss er nicht, denn in den Fällen des § 371 Abs. 2a Satz 1 AO gilt § 371 Abs. 3 Satz 1 AO mit der Maßgabe, dass die fristgerechte Entrichtung von Zinsen nach § 233a AO oder § 235 AO unerheblich ist (§ 371 Abs. 3 Satz 2 AO). C hat seine monatlichen Umsatzsteuervoranmeldungen berichtigt und seine vierteljährlichen Lohnsteueranmeldungen nachgeholt. Dadurch wurde seine Hinterziehung entdeckt. Hat das Konsequenzen für seine Straffreiheit? Der Ausschlussgrund der Tatentdeckung § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO gilt nicht, wenn die Entdeckung der Tat darauf beruht, dass eine Umsatzsteuervoranmeldung oder Lohnsteueranmeldung nachgeholt oder berichtigt wurde (§ 371 Abs. 2a Satz 2 AO).

Lektion 6: Selbstanzeige Auch C hat also deswegen nichts zu befürchten. D fragt sich, ob das zu B und C Gesagte auch für seine Jahresanmeldungen gilt? § 371 Abs. 2a Sätze 1 und 2 AO gelten nicht für Steueranmeldungen, die sich auf das Kalenderjahr beziehen (§ 371 Abs. 2a Satz 3 AO). E erstattet Selbstanzeige für seine Lohsteuerjahresmeldungen 01 – 03. Muss er auch die quartalsweisen Anmeldungen für das Jahr 04 berichtigen? Für die Vollständigkeit der Selbstanzeige hinsichtlich einer auf das Kalenderjahr bezogenen Steueranmeldung ist die Berichtigung, Ergänzung oder Nachholung der Voranmeldungen, die dem Kalenderjahr nachfolgende Zeiträume betreffen, nicht erforderlich (§ 371 Abs. 2a Satz 4 AO).

Selbstanzeige bei leichtfertiger Steuerverkürzung

Fall 37

L, wegen seiner Leichtfertigkeit vom schlechten Gewissen gepackt, möchte gerne beim Finanzamt Selbstanzeige erstatten. Ist dies möglich? Die Möglichkeit der Selbstanzeige besteht auch bei leichtfertiger Steuerverkürzung (§ 378 Abs. 3 AO). L hat Bedenken, da soeben der Betriebsprüfer bei ihm erschienen ist. Kann er noch wirksam Selbstanzeige erstatten? Ja. Die Möglichkeit entfällt – anders als bei der Steuerhinterziehung (§ 371 Abs. 2 AO) – nur ab Bekanntgabe der Einleitung eines Straf- oder Bußgeldverfahrens (§ 378 Abs. 3 Satz 1 AO). Und muss er den verkürzten Betrag entrichten? Ja, die fristgerechte Entrichtung des verkürzten Betrages ist auch bei der leichtfertigen Steuerverkürzung Voraussetzung der Nichtfestsetzung der Geldbuße (§ 378 Abs. 3 Satz 2 AO).

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Materielles Steuerstraf- und Ordnungswidrigkeitenrecht

Übersicht 5: Selbstanzeige Selbstanzeige bei leichtfertiger Steuerverkürzung

Steuerhinterziehung

führt grundsätzlich zu: Straffreiheit (§ 371 Abs. 1 AO)

Nichtfestsetzung Geldbuße (§ 378 Abs. 3 Satz 1 AO)

Wenn bereits Steuerverkürzung eingetreten / Steuervorteil erlangt: Straffreiheit nur, wenn Steuern und (Hinterziehungs) Zinsen fristgerecht gezahlt (§ 371 Abs. 3)

Bußgeldfreiheit nur, wenn Steuern und (Hinterziehungs) Zinsen fristgerecht gezahlt (§§ 378 Abs. 3, 371 Abs. 4)

Hinderungsgründe einer Selbstanzeige: § 371 Abs. 2 Satz 1 im Zeitpunkt der Steuervorteil Berichtigung, übersteigt Ergänzung, Nach- 25.000 € (Nr. 3) holung Tat ganz/ zum Teil entdeckt und Täter wusste Amtsträger er- dies/musste damit scheint zur: rechnen (Nr. 2)

vor Berichtigung, Ergänzung, Nachholung (Nr. 1)

Bekanntgabe: Prüfungsanordnung (a)

Einleitung Straf-/ Bußgeldverfahren (b)

Steuerlichen Prüfung (c)

Ermittlung einer Steuerstraftat/ OWi (d) Umsatzsteuernachschau (e)

Besonders schwerer Fall i.S.d. § 370 Abs. 3 Nr. 2-5 (Amtsträger; fortgesetzt: Kein Hinderungsgrund bei (§ 371 FälAbs. 2a): schung, UStEntdeckung infolge Berichtigung/Er- Bande) Nachholung/ gänzung/Nachho- (Nr. 4) Berichtigung lung einer UStVA/ einer UStVA/LStA LStA (Satz 1); (Satz 2) fristgerechte Nachzahlung von (Hinterziehungs) Zinsen nicht erforderlich (§ 371 Abs. 3 Satz 2)

§ 378 Abs. 3 Satz 1 vor Berichtigung, Ergänzung, Nachholung

Bekanntgabe der Einleitung eines Straf-/Bußgeldverfahrens wegen der Tat

Folgen der Hinderungsgründe: Keine Straffreiheit (§ 371 Abs. 2) im Umfang der PA

Keine Straffreiheit (§ 371 Abs. 2 Satz 1)

Keine Straffreiheit (§ 371 Abs. 2) im Umfang der AP

Keine Straffreiheit (§ 371 Abs. 2 Satz 1)

Straffreiheit (§ 398a Abs. 1) Keine Bußgeldfreiheit nur, wenn kein weiterer (§ 378 Abs. 3 Satz 1) Ausschlussgrund und fristgerechte Zahlung von hinterzogenen Steuern und (Hinterziehungs) Zinsen (Nr. 1) sowie Zahlung zugunsten der Staatskasse (Nr. 2)

Lektion 6: Selbstanzeige

Einzelfragen zur Selbstanzeige Nachfolgend werden in der Praxis häufiger vorkommende Einzelfragen behandelt.

Einspruch gegen Steuerbescheid nach Selbstanzeige



Fall 38

Der Steuerpflichtige R hat wirksam Selbstanzeige erstattet. Es ergibt sich ein zutreffender Gewinn aus Gewerbebetrieb von 40.000 €. Kurz darauf erhält er vom Finanzamt einen neuen Steuerbescheid. Da die Berechnungen hierin falsch sind (Gewinn aus Gewerbebetrieb 50.000 €), legt R gegen den Bescheid Einspruch ein. Das Finanzamt leitet daraufhin ein Steuerstrafverfahren gegen R ein, da es in dem Einspruch einen Widerruf der Selbstanzeige sieht. Zu Recht? Die Einleitung des Steuerstrafverfahrens war aufgrund des Fortbestandes der Selbstanzeige nicht zulässig. Die Selbstanzeige ist zwar als Willenserklärung grundsätzlich frei widerrufbar. Wann ein derartiger Widerruf mit seinen weit reichenden Wirkungen (Wegfall der Selbstanzeige und damit der Strafbefreiung) vorliegt, ist jedoch Auslegungsfrage. XXRückt der Erklärende von den Tatsachenangaben (Besteuerungsgrundlagen) seiner Selbstanzeige ab, ist dies als Widerruf zu werten, da dann das Merkmal der Berichtigung, Ergänzung bzw. Nachholung wegfällt. XXWerden hingegen nur Einwände gegen die im neuen Steuerbescheid vorgenommene rechtliche Beurteilung der in der Selbstanzeige mitgeteilten Besteuerungsgrundlagen vorgetragen, so stellt dies keinen Widerruf der Selbstanzeige dar. Der Erklärende muss nämlich insbesondere aufgrund des ihm zustehenden rechtlichen Gehörs (§ 91 AO) die Möglichkeit haben, derartige Einwände vorzutragen.

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Materielles Steuerstraf- und Ordnungswidrigkeitenrecht Da R sich lediglich gegen die fehlerhafte Gewinnfestsetzung wehrt, stellt sein Einspruch (§§ 347 ff. AO) keinen Widerruf der Selbstanzeige dar und beseitigt damit auch nicht deren strafbefreiende Wirkung.

Auswirkung der Rückerstattung auf Selbstanzeige



Fall 39

Der Steuerhinterzieher J hat wirksam Selbstanzeige erstattet. Er ist zahlungsunfähig, hat jedoch unter Einsatz sämtlicher ihm noch zur Verfügung stehender Mittel die hinterzogenen Steuern (5.000 €) gezahlt. Die Zahlung des J wird später jedoch vom Insolvenzverwalter wirksam angefochten, worauf das Finanzamt den Betrag erstattet. J hat jetzt Bedenken, dass seine Selbstanzeige nachträglich unwirksam geworden ist. Wie beurteilen Sie den Fall? Die Rückzahlung der 5.000 € durch das Finanzamt nach Anfechtung durch den Insolvenzverwalter führt nicht zur Unwirksamkeit der Selbstanzeige. Die Anfechtung des Insolvenzverwalters (§ 129 InsO) war rechtmäßig, da durch die alleinige Zahlung an das Finanzamt andere Insolvenzgläubiger benachteiligt wurden (§ 131 InsO – inkongruente Deckung). Da der durch die wirksame Selbstanzeige eingetretene Strafaufhebungsgrund jedoch bedingungsfeindlich ist, kann die Rückerstattung des einmal nach § 371 Abs. 3 AO gezahlten Betrages nicht zur Unwirksamkeit der Selbstanzeige führen.

Betriebsprüfung und Selbstanzeige (ehemaliger) Mitarbeiter



Fall 40

Der Firma F steht eine Betriebsprüfung ins Haus. Buchhalter G, der in den prüfungsgegenständlichen Jahren so einiges nicht ganz korrekt gebucht hat, erstattet nach Erscheinen des Prüfers in der Firma Selbstanzeige. Ist G’s Selbstanzeige wirksam? Die Selbstanzeige des G ist nicht wirksam, da durch das Erscheinen des Prüfers der Ausschlussgrund des § 371 Abs. 2 Nr. 1c AO eingetreten ist. (Siehe hierzu bereits Fall 33)

Lektion 6: Selbstanzeige Für betriebsbezogene Steuerstraftaten, die aufgrund einer wirksamen Prüfungsanordnung (§ 198 AO) aufgedeckt werden, löst das Erscheinen des Prüfers die Sperrwirkung nicht nur für den Steuerpflichtigen (Firma F) selbst aus, sondern auch für den an der Hinterziehung beteiligten Mitarbeiter (Buchhalter G). Nach Abschluss der Prüfung erfährt auch der ehemalige Buchhalter H, dass seine frühere Firma geprüft worden ist und erstattet Selbstanzeige. Ist H’s Selbstanzeige wirksam? Die Selbstanzeige des H ist noch wirksam, da für ausgeschiedene Mitarbeiter die Sperrwirkung nicht gilt. Der ausgeschiedene Betriebsangehörige H erfährt nämlich, anders als der im Betrieb tätige G, nicht mit der gleichen Zwangsläufigkeit von dem Erscheinen des Prüfers und muss sich deshalb die hiervon ausgehende Sperrwirkung nicht zurechnen lassen.

Betriebsprüfung durch unzuständiges Finanzamt und Selbstanzeige



Fall 41

Bei dem Steuerpflichtigen B steht eine Betriebsprüfung ins Haus. Die Prüfungsanordnung enthält alle notwendigen Formalitäten, wurde jedoch vom örtlich unzuständigen Finanzamt erlassen. B erstattet nach Erscheinen des unzuständigen Prüfers Selbstanzeige. War diese noch rechtzeitig, um strafbefreiende Wirkung zu haben? Die Selbstanzeige des B war noch rechtzeitig, da die durch das örtlich unzuständige Finanzamt erlassene Prüfungsanordnung rechtswidrig ist und deshalb keine Sperrwirkung nach § 371 Abs. 2  Satz 1 Nr. 1a AO entfalten kann. XXNach § 195 Satz 1 AO ist die für die Besteuerung sachlich und örtlich zuständige Behörde für die Außenprüfung zuständig. Zwar kann diese auch andere Finanzbehörden mit der Außenprüfung beauftragen (§ 195 Satz 2 AO). XXDies muss jedoch ausdrücklich vor Prüfungsbeginn geschehen.

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Materielles Steuerstraf- und Ordnungswidrigkeitenrecht XXEine nachträgliche Heilung durch die zuständige Behörde ist nicht möglich. Die örtliche Unzuständigkeit des Prüfers hat Auswirkungen sowohl im Besteuerungsverfahren als auch im Steuerstrafverfahren. XXDa die Prüfungsanordnung als solche wegen des örtlich unzuständigen Prüfers nicht nichtig (§ 125 Abs. 3 Nr. 1 AO), sondern nur rechtswidrig ist, ist gegen die rechtswidrige Prüfungsanordnung im Besteuerungsverfahren mit dem steuerrechtlichen Einspruch (§§ 347 ff. AO) vorzugehen. XXDie Bekämpfung von Ausschlussgründen (§ 371 Abs. 2 Nr. 1a AO) erfolgt dagegen bereits im Rahmen des Steuerstrafverfahrens.

„Überschrift“ der Selbstanzeige



Fall 42

D war nicht immer absolut steuerehrlich und erwägt deshalb, Selbstanzeige zu erstatten um Straffreiheit zu erhalten. Er ist sich jedoch nicht sicher, ob es notwendig oder ratsam ist, die Selbstanzeige auch als solche zu bezeichnen. Wie sehen Sie das? Ob eine Selbstanzeige als solche zu bezeichnen ist, hängt vom Einzelfall ab. XXGrundsätzlich braucht die Selbstanzeige, um wirksam zu sein, nicht als solche bezeichnet zu werden. XXEine Bezeichnung als Selbstanzeige ist jedoch immer dann sinnvoll, wenn der Eintritt von Ausschlussgründen (§ 371 Abs. 2 bzw. § 378 Abs. 3 Satz 1 AO) droht. In diesem Fall ist es nämlich wichtig, dass die Selbstanzeige für das Finanzamt als solche erkennbar noch vor Eintritt des Ausschlussgrundes eingereicht wurde. XXSchädlich kann eine Bezeichnung als Selbstanzeige sein, wenn die Erklärung seitens der Finanzbehörden bei Leichtfertigkeit (§ 378 AO) auch als Berichtigung (§ 153 AO) oder Änderungs­

Lektion 6: Selbstanzeige antrag (z.B. nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2a AO – schlichte Änderung) ausgelegt werden kann. XXBei Vorsatz scheidet dagegen eine Berichtigung nach § 153 AO aus, da hier der Erklärende die Fehlerhaftigkeit seiner Angaben kannte und somit nicht nachträglich erkennt. Auch hier besteht jedoch die Chance, dass das Finanzamt die Erklärung z.B. als Antrag auf schlichte Änderung wertet. XXVorteile bei einer Berichtigung oder einer Änderung sind insbes., dass – anders bei einer Selbstanzeige –  –– keine Hinterziehungszinsen (§ 235 AO) anfallen –– sich die Festsetzungsfrist nicht nach § 169 Abs. 2 Satz 2 AO verlängert

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Leitsatz 7 (Un)wirksame Selbstanzeige? Einspruch gegen den Steuerbescheid, der aufgrund der Selbstanzeige ergangen ist, führt regelmäßig nicht zur Unwirksamkeit der Selbstanzeige. Wurden die hinterzogenen Steuern nachentrichtet, führt die Anfechtung der Zahlung durch den Insolvenzverwalter nicht zur Unwirksamkeit der Selbstanzeige. Die Sperrwirkung des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1c AO (Erscheinen des Betriebsprüfers) erstreckt sich nicht auf ausgeschiedene Mitarbeiter. Eine Prüfungsanordnung durch ein unzuständiges Finanzamt hat keine Sperrwirkung nach § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a AO. Die Selbstanzeige muss nicht als solche bezeichnet werden, oft kann es sogar ein Vorteil sein, wenn dem Finanzamt Auslegungsmöglichkeiten bleiben. Droht jedoch ein Ausschlussgrund, ist Klarstellung in der Bezeichnung wichtig.

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Übersicht 6: Sofortliste Selbstanzeige Der Steuerberater sollte bei Selbstanzeigen insbesondere folgendes beachten: XXVorab zu klären: ––Berichtigung (§ 153 AO) oder ––Selbstanzeige (§ 371 AO, insbes. bei drohenden Ausschlussgründen) XXBestehen

zeitliche Ausschlussgründe? (Bekanntgabe Prüfungsanordnung/Einleitung Straf-, Bußgeldverfahren/Erscheinen Amtsträger/Tatentdeckung)

XXBestehen

tatbezogene Ausschlussgründe? (Steuervorteil > 25.000 € / besonders schwerer Fall / Sonderregelung bei